[4] [1]Halle
Ein Studentenspiel in drei Aufzügen

[1]

Personen

Personen.

    • Ahasverus, ein reisender alter Jude.

    • Cardenio, ein junger Privatdocent.

    • Pamphilio, Student und Dichter, Cardenio's Freund.

    • 1. Die Leiche des Hauptmanns Volte.

    • 2. Der Prediger Lyrer.

    • 3. Der Philosoph Wagner.

    • 4. Der Jude Nathan, ein reicher Handelsmann.

    • Edelchen, dessen Frau.

    • Nathanael, deren Sohn.

    • Einige Enkel des Nathan.

    • Baron Viren, Professor der rechte.

    • Olympie, dessen Schwester.

    • Eine Geistergestalt, der Olympie ähnlich.

    • Doris, Olympiens Kammerjungfer.

    • Kriegsräthin Tyche.

    • Celinde, ihre Tochter.

    • Cleon, ein Glöckner.

    • Ein Magister aus Leipzig.

    • Dienemann,
    • Stürmer,
    • Suppius,
    • Becker,
    • Schmidt,
    • Meyer,
    • Ein Kümmeltürke,
    • Ein Weisenhäuser, , nahmhafte Studenten.

    • Studenten, Musikanten, Halloren, Häscher, Pferdephilister, Masken, ordinäre Zuschauer, Rumpeltopfweiber, eine dicke Magd und ihr Hund.
    • [2]

1. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt.
Der Marktplatz. Auf der einen Seite stehen drei einsame Pferdeverleiher in der Sonne, auf der andern die beiden Gevaterbuden mit Blumen und Früchten reichlich angefüllt; die Gevatterin zählt Kirschen in Papiertüten. Pamphilio, Dienemann, Suppius, Mayer, Becker, ein Waisenhäuser, ein Kümmeltürke, ein Magister liegen nachlässig auf dem Sopha und auf den Stühlen vor der einen Bude umher und essen so wenig, als sie sprechen. Im Hintergrunde des Theaters erscheint das alte akademische Gebäude, der Thorweg ist geöffnet, es werden von einem Buchhändler Dissertationen und Bildnisse berühmter gelehrten ausgehangen. Ahasverus, ein Reisebündel auf dem Rücken, geht langsam ernst vorüber.

AHASVERUS
leise vor sich.

Sei mir gegrüßt, du Stadt des Segens und des Fluches die alles mir geraubt und alles mir bewahrt. – ich will doch näher schleichen dem Studentenhaufen, Cardenio mag darunter sein. Zur Gevatterin. Was kostet wohl ein Schock von diesen Kirschen, liebe Frau?

GEVATTERIN.
Zwei Groschen.
AHASVERUS.
Ich hab nur einen Groschen, hat sie keine schlechteren?
GEVATTERIN.
Die Judenkirschen sind dies Jahr nicht gut gerathen, Alterchen.
[3]
SUPPIUS
lacht.

Den Juden muß ich foppen. Zu Ahasverus. Cur ita visum est plerisque biduum aut triduum commorari Halis Saxonum.

AHASVERUS.
Qui illic locus est, unde non poterant avelli sicii Ulyssis, illic Sirenes.
SUPPIUS.
Was Teufel, der Kerl weiß Latein. Hör Gevatterin, der Jude sagt, du wärst eine Sirene.
GEVATTERIN.

Besser rene als unrene, Alterchen er thäte auch gut, sich einmal die Hände zu waschen, oder darf er das nicht? Daß er mir nur keine Kirschen anrührt.

DIENEMANN.

Er sieht den Schmutz nicht, denn wie Veneroni sagt, Tschaskeduno sa, ke la tschetschita dei Tschiudäi e Schismatitschi.

AHASVERUS.

Blind men must not judge of colours. Meine lieben Herren gehen Sie nur eine Woche so wie ich in der Sonne, Sie werden auch keine weiße Hände behalten. Beso las manos. Ab.

MEYER.
Mein Seel, der Jude könnte einem dienen, wie ein Wörterbuch für vier Sprachen.
WAISENHÄUSER.

Ich glaube, dies ist der ew'ge Jude, der überall gewesen, alle Sprachen reden soll und immer zittert, so ist er überall beschrieben.

DIENEMANN.
Mir kam es vor, als hätt' er in den Augen, in der Stirn so etwas von Cardenio.
MEYER
und alle lachen.

Du findest überall doch Ähnlichkeiten, weil du in der Mitte stehst mit deinem [4] Angesichte zwischen dem Apollo und dem Frosche; viel eher gleicht der Alte einem Ziegenbocke mit seinem weißen Barte, mit der krummen Nase.

DIENEMANN.

Halt still, was schlägt's da? Wahrhaftig schon eilf Uhr und Schlinger ist noch nicht zurück von Reideburg, der Wagner heut zerbeißet und zerstampft sich noch vor Ungeduld. Zur Schlägerei war immer Zeit bis morgen. Gewiß hat ihm Cardenio die Schlenkerprime übers Maul gezogen, daß er nicht reden kann. Verfluchter Streich, warum gab denn Cardenio ihm gestern Abend die Ohrfeige?

PAMPHILIO.

Warum? Weil Schlinger ein Ohrfeigengesicht nun einmal hat, frag Gott darum, er hätt sich lang dem Teufel übergeben, wenn ihm ein Teufel dienen wollte, jetzt dienet er dem Wagner; damit ihn der aus Gnade und Barmherzigkeit zum Teufel schickt.

SUPPIUS.
Was soll das heißen, ich bin auch ein Schüler Wagners.
DIENEMANN.
Jetzt geh, ich bin für deine schlechte Späße heut zu ungeduldig, mach daß du fort kömmst, Schwätzer.
PAMPHILIO.
Langweilt euch nun allein, ich hab mich lang genug mit euch langweilt. Ab.
MEYER.
Was meint ihr, wollen wir den Lümmel koramiren?
DIENEMANN.
Wär nicht Cardenio sein Freund, es juckte mir die Hand, es ist ihm nicht geschenkt.
2. Auftritt
[5] Zweiter Auftritt.
Cardenio im Kollet, mit Hieber und Burschenhut kömmt auf einem mageren Philistergaule angesprengt, den ihm ein Philister sogleich abnimmt.

PFERDEPHILISTER.

Das ist zu arg Herr Cardenio, es ist mein bestes Pferd, es ist ja wie mit Wasser ganz begossen, es fliegt die Brust ihm wie ein Blasebalg.

CARDENIO.

Du willst noch reden Schurke, mir ein stät'sches Pferd zu geben, das mich eine Stunde länger aufgehalten, als meine Zeit erlaubt. Er haut auf ihn.

PFERDEPHILISTER.
Das leid ich nicht, viel lieber geb ich meine ganze Nahrung auf. Geht mit dem Pferde murrend ab.
DIENEMANN.

Nun sag mir schnell, du kömmst allein, wie stehts mit Schlinger, der Wagner wartet sehr auf ihn, er sollt ihm heute opponiren.

CARDENIO.

Sag Wagnern nur, er komme gleich, er sei gesund und frisch schon wieder in der Stadt, er möcht nur bald zum Promotionssaal gehen, dort wird er ihn finden.

DIENEMANN.
Recht vielen Dank dafür, das wird ihm große Freude machen. Ab.
CARDENIO.
Der Wagner wird sich wundern.
MEYER.
Ei, wie das?
CARDENIO.

Ich werd an Schlingers Stelle opponiren, [6] das wird ein Fest. Dem Schlinger hab ich seine Ehre rasch zurückgegeben, ich habe ihm mit einem Hieb die Backe abgeschält, auf die ich gestern hart geschlagen. Als er da unter des Chirurgen Händen seufzte, bat er mich, weil ich mich seiner Ehre also angenommen, ich möchte seinen Ehrenplatz auch übernehmen, gegen Wagner opponiren; und ich versprach es ihm, da gab er mir so Frag als Antwort, wie er es all mit Wagner abgeredet, da seht!Er zerreißt sie. Ja opponiren will ich, doch darf keiner mir vorschreiben; nach meinem Sinne will ich sprechen. Ich will sehen, wer von uns beiden Wahrheit sagt und Recht behält. He Gevatterin gieb einen Scheffel mir voll Kirschen, geb meinen ganzen Wechsel drum, ach wär nur eine Kirsche dieser ganze Korb, da füllte sie doch noch den Mund, so ist's überall, nichts lohnt der Mühe, nichts den Durst. Gevatterin, war Pamphilio schon hier?

GEVATTERIN.

Er war schon hier, Herzkind, und wartete auf dich, da hat er so was fallen lassen, ich weiß nicht mehr, da haben ihn die Herren weggejagt, ich sagt es gleich, sie solltens lassen, es würde Dich verdrießen. Na ...

CARDENIO.

Hört ihr Herren, das erkläre ich hier öffentlich, heut mag ich nicht mehr Streit, doch wer Pamphilio was thut, der thut es mir, im Guten und im Bösen; der Junge meint ihr, habe nicht [7] Kurage, so wollet ihr Euch gerne an ihm reiben; er hat Verstand, das ärgert euch und er hat mich, ich diene ihm als Kurage, und ich hab ihn, er ist mein froher Witz, der schnell erfüllt was ich erdacht, so stehen wir zusammen fest verbunden, für einen Mann und ihr, wie steht ihr da?

SUPPIUS.

Je Sackerment, wir haben ihm ja nichts gethan, du machst es jetzt zu arg, du wirst zu einem nassen Bruder; wie nasses Heu brennst du gleich lichterloh von selbst in Dir.

CARDENIO.

Du bist doch nicht der Esel, der mich fressen wird? Ich habs gesagt und dabei bleibts, Pamphilio ist eins mit mir und meine Freunde sind die Seinen. Was giebts schon wieder Neues, Dienemann, wie schon zurück vom Wagner, wie so fröhlich?

DIENEMANN.

Der Wagner ist bald hier. Doch denkt einmal, wie ich vor seiner Thüre, erblicke ich in einer Seitengasse ein wunderschönes Mädchen, der ich ganz eilig folge, zwar sah sie züchtig aus, doch mußt ich wissen, wer sie wäre und ging ihr nach. Da kam der Schimpelschampel her, der weiß von allen in der Stadt Bescheid und sagte mir, das sey Olympie, die Schwester des Viren, sie ist nur wenig Tage hier ein himmlisch Mädchen wie Juno und Minerva; wahrhaft Olympie und Viren, sie können nicht von einem Vater stammen.

CARDENIO.

Wer darf so ungesittet gleich vermuthen, [8] glaubt doch kein Mensch, der uns hier beide so zusammen sieht, daß wir von einem Adam beide stammen.

SUPPIUS.
Hör Brüderchen, so ist er heute gegen alle Welt, es ist nicht auszuhalten.
DIENEMANN.

Du weist Cardenio, von dir laß ich mir alles das gefallen, dir nehm ich gar nichts übel, du hast nun einmal so dein eigen Wesen, man muß dirs lassen. Hätt ich so deine Art, die Sicherheit und das Vertrauen, so wären alle Weiber mein, denn ihre Gunst ist schnell erobert, langsam nur verdient. Wahrhaftig es verwundert mich, daß ich dich nirgends auf dem Strich gesehen.

CARDENIO.

Auf dem Lerchenstrich; was soll ich da, ich bin ein Falkonier, laß meinen Vogel zu der Sonne steigen. Bei Weibern sollt ich schmachten so wie du? Damit ich so ein Lumpenkerl auch würde dem seine Backen so herunter hängen, wie das Zeug am Leibe das mit den weichen Falten die Sehnsucht zeigt nach der romantischen Zeit, die Waden hatte.

GEVATTERIN.
Das war mal schön gesprochen, Herzkind, dafür muß ich dir einen Kuß in deinen Backenbart eindrücken.
CARDENIO.
Bleib mir vom Leibe, du weißt, ich kanns nicht leiden.
GEVATTERIN.
Du Krauskopf, wirst es schon leiden müssen.
[9]
CARDENIO.

Fast zweifle ich, ob ich wohl je mich der Vertraulichkeit ergebe, dem, was ihr andern Liebe nennt. Das Ehejoch ist mir verhaßt, es nimmt mir meine Freiheit. Nichts davon, so lange ich noch ein flinker Kerl. Was bleibt mir nun zu meiner Lust? Die schlechten und verdorbnen Mädchen hasse und verachte ich, ich bin zu gut für andrer Leute Rest; unschuldige, die stößen mir zu viele Ehrfurcht ein, so vieles Mitleid, da ich sie nicht mit meinem Leben, mit meiner Freiheit nicht erkaufen mag. Was kann ersetzen, was ich raube?

SUPPIUS.
Das ist gewissenhaft.
DIENEMANN.

Sieh, jeder hat nun seine eigene Kurage, du fürchtest dich vor Weibern, ich vor Männern, vor allen andern fürcht ich mich vor dir. Du hast ein schön System erbaut. Was heißt das Unschuld? Heist das, nichts Schuldges denken oder nichts Schuldges thun? Ich meine, das Erste, denn zum zweiten gehört nur noch Gelegenheit, Entschluß und Muth, um alles wahr zu machen, was in Gedanken lüstet. Beim Teufel, in dem ersten Falle ist kein Mädchen schuldlos, und du magst sagen, was du willst unschuldig bist du auch nicht, nur dein Stolz hat dich bewahrt vor der gemeinen Sünde, der wir uns fröhlich überließen.

CARDENIO.
Bei Gott, du Schlange, du sprichst wahr.
[10]
DIENEMANN.

Nun sieh, es kostet nur den ersten Schritt, was du so lang gehegt, das magst du nicht verschwenden; du kannst den Muth nicht finden zu etwas, das beim zweiten Male dir Muth zu unterdrücken kostet.

CARDENIO.
Verführer! Verlasse mich unsaubrer Geist! Muth? Wo hat mir je der Muth gefehlt.
DIENEMANN.

Hast du Kurage, so mach dich an Olympien, da wird der Muth dir sinken, ja hinter der versteck ich mich und schrei dir zu von allen Seiten: Cardenio jetzt zeig, ob du ein Mann. Adies! Lachend ab.

CARDENIO.
Das war dir hohe Zeit. Habt ihr Olympien gesehen?
BECKER.

Freilich sah ich sie. Wahrhaftig, du kennst mich sonst, ich habe eine Stirn von Eisen, der könnt ich keine Sauereien ins Angesicht sagen, vielweniger möcht ichs wagen, sie zu lieben, sie würde mich schön ansehen.

MEYER.

Ja freilich schön, sie ist zu schön für dich und für uns alle, da muß ein Held einziehen, der die gewinnen könnte. Zu züchtig ist sie für die Weiber, und setzt sie in Verlegenheit; die Pik Aß verweigerte mir neulich in ihrer Gegenwart, daß ich ihr nicht wie sonst den Nacken durfte küssen, das war mir ein verdorbner Spas, gewissermaßen auch beschämend.

[11]
SUPPIUS.
He Leute kommt doch endlich mit zum Kuchenprofessor, mich hungert mächtig.
MEYER.
Es ist ja jetzt bald Zeit zum Promoviren. Adies!
BECKER.
Adies! Suppius, Meyer, Becker ab.
GEVATTERIN.
Das sind mir liebe Herrn Gevattern, hat wieder keiner hier bezahlt.
CARDENIO.

Nun nun, wir werden sie auch sehen, die fabelhafte Jungfrau, die Dienemann so ganz erfüllt, ich glaube er ist mit wenigem zufrieden.

EIN WAISENHÄUSER.
Solche vornehme Weiber mag ich nicht, mir gefällt eine runde Aufwärterin viel besser.
CARDENIO.
Du übest wohl dein künftiges Geschäft der heidnischen Bekehrung, wenn sie die Zimmer ausgekehrt.
WAISENHÄUSER.

Sie glauben nicht, in keinem Weibe sitzt weniger Falsch, als in denen, die da dienen, sie thun alles für den, welchen sie lieb haben und sind zu allem geschickt. Bleibt der Wechsel, aus so bringen sie irgend ein gutes Stück aus der herrschaftlichen Küche, was die Katze nachher soll gethan haben. Und dafür verlangen sie gar keine zusammengesetzte Conversation; geh ich mit meiner Lisbeth Sonntags auf ein Dorf, so scheint ihr das mehr Ehre, als wenn ich mit einem Stiftsfräulein zum Balle Schlitten fahre. Unreinlich ist sie freilich, aber das bin ich auch.

[12]
CARDENIO.

Ich müßte mich sehr irren oder wahrlich du bist ein recht gemeiner Kerl, dir ist dabei recht wohl in deiner schmutzigen Haut, wie werden sich die indischen Braminen freuen, wenn du in deiner lieblichen Person, ein Vorbild christlicher Religion und europäischer Cultur da giebst. Du bist ein großer Missionär.

WAISENHÄUSER.

Ich wollte ihnen die Freude gerne schenken, wenn ich nur hier in der Gegend mir eine Versorgung finden könnte, ich würde Jude, kriegt ich nur des reichen Schimpelschampel Tochter. Da schlägts, hols der Teufel, da muß ich einem Paar Juden, die sich taufen lassen, in der Religion Unterricht geben. Ab.

EIN KÜMMELTÜRKE.

Ein gemeiner Hund. Pfui Teufel, eine Magd, die immer Hände hat, wie ein Reibeisen und grobe Hemden, wie die Scheuerlappen. Da lob ich mir mein Kaufmannsweibchen, der Mann wiegt im Laden Schnupftaback ab, mein Kaffee wartet schon da, mein Schlafrock und meine Pfeife, bin da bedient, wie ein Sultan, sie singt mir zu ihrem Klaviere: »Bei Männern welche Liebe fühlen«; dann ließt sie mir einen Roman vor, sie ist so ein Stück von einem schönen Geiste, ich bin da wie Herr und wie Kind vom Hause zugleich.

CARDENIO.

Aufrichtig sag ich dir, dein Vornehmthun in schlechter Sache ist mir noch viel verhaßter [13] als des armen Teufels kleine Lust; du dringst geflügelt ein wie eine Motte in das Pelzwerk und zernagst im Müssiggang, was jenen lange Winter konnt erwärmen; es ist kein Wunder, daß ein junger Mensch, der unbeschäftigt ganz dem Willen und den Launen einer Frau kann leben, den armen Mann verdrängt, der mit des Tages Noth-Erwerb muß ringen und ganz erschöpft am Abend zu ihr flüchtet. Doch sag, was kann daraus am Ende werden, ein Ehescheidung, und dir ist doch die Frau zu alt um sie zu nehmen. Sieh Bruder, das muß auch anders werden, ich sag es dir im Namen unsres Ordens, ich gebe dir acht Tage Zeit; Liebschaften dulden wir, doch gegen Ehestand, wo er noch treu gehalten wird, bewahren wir die Achtung; ich sage in acht Tagen mußt du ganz von ihr entfremdet sein, sieh, oder du bist ausgestoßen.

KÜMMELTÜRKE.

Aber lieber Bruder, ich wollte sie recht gern verlassen, aber sie hat mich gar zu lieb, sie läßt mich nicht.

CARDENIO.
So schlimmer denn für dich, wenn sie dich hat und du sie nicht hast.
KÜMMELTÜRKE.

Ich weiß es wohl, ich lerne nichts bei diesem Leben, ich habe so oft mir vorgenommen, wegzubleiben; weil du es willst, ich bleibe heute weg und geh nach Lauchstädt. Ab.

MAGISTER.

Wie kann die erhabene Liebe, die [14] über unser Leben, wie die Sterne ewig hinwandeln sollte, so in den Koth getreten werden; ein Blick ist mir genug.

CARDENIO.

Wie du das treibst, Magister, mit jeder zu liebäugeln, dich mit jeder zum Entzücken aufzureizen, gleich viel, ob sie gemein und ob sie einzig ist eine Art von geistigem Bordell, die Mädchen werden dir zu Gliederpuppen, an denen du mit schlauem Witz der Worte Prachtgewänder hängst, doch fehlet das lebendige Gesicht noch stets und darum sind mir deine Lieder auch verhaßt, so wie dein Händedruck; nicht kräftig warm und stark ergreift er meine Hand, nein glatt bewegt sich deine Hand in meiner, ich kann in jede Form sie drehen, als wäre gar kein Knochen drein.

MAGISTER.
Da haben wir nun jeder unser Theil, Gottlob daß du herum bist, jetzt kehrst du wohl zu dir zurück.
CARDENIO.

Ich bin ein Thor, daß ich mich mühe, euch Mohren all den Kopf zu waschen, es kann euch schaden, mir hilft es nichts. Kennst du denn auch Olympien?

MAGISTER.

Ich sollte sie nicht kennen, ich leb ja nur von ihren beiden Augen, die gleich zwei stillen Seen, in denen sich der Himmel blau bespiegelt, der Ausdruck von was Höherm sind, was sage ich von ihrer Zähne elfenbeinerm Zauberschloße, in dem die [15] Worte sich wie schöne Königinnen zart begrüßen, was – –

CARDENIO.
Zerleg mir nicht die Schönheit so unmenschlich, um sie dann Stück für Stück in Spiritus zu setzen.
MAGISTER.
Du willst mich heute nicht verstehn. Leb wohl. Ab.
CARDENIO.

Ihr Herren Pferdephilister geht nach Hause, es ist zu spät, um Pferde zu bestellen, ihr steht ja dort so fest, wie Stechfliegen auf euren Mähren, ihr steht mir in der Sonne, wie der große Alexander dem Diogenes; seht zu, was die liebwerthe Frau Philisterin heut gekocht, wer weiß, ob nicht indessen ein alter Kunde bei ihr ist.

EIN PHILISTER.
Erlaubs der Herr, wir werden doch so gut hier stehen dürfen, als ein andrer Mensch.
CARDENIO.
Du dummer Teufel, siehst du nicht es steht kein andrer hier, als ihr, drum fort mit euch, oder –
PHILISTER.
Nun wir gehen schon. Ab.
GEVATTERIN.

Da hast du wohl Recht, Herzkind, das Volk will doch nur spioniren und steckt mit allen Juden unter einer Decke und mit dem Prorector.

CARDENIO.

Welch ekelhaftes Volk, mit Juden unter einer Decke schlafen und mit dem alten Prorector.[16] Unter einer Decke, wahrhaftig unter einer Decke schlief ich mit Olympien so gern und kenn sie nicht. – Wunderlich, wie kann ein fremder Mensch, den ich verachte, der elend und verworfen, so mit leerem Schwatzen mir den Busen regen mit unbewußtem Drang, ich kenn sie nicht. – Mir fehlte es an Muth bei Weibern? Wie dumm! Und doch, es liegt was Wahres drein, mir fehlt der Muth mit einer zu beginnen, so wie die meisten sind, wie fänd ich sonst ein Ende meiner Liebeleien, genießen müßt ich auch die meisten, ja eine Sehnsucht faßt ich dann nach allen. Ein Mädchen möcht ich, wie keine andre je gewesen, so wie Olympie scheint, fremd, wunderbar und außerordentlich; die Schwere soll mich nicht zur Erde ziehen, nur der Magnet. Die Altagskost der Liebe mag ich nicht, Steinfresser wollen Steine, Eisenfresser Eisen. Heilig Eisen, magnetisch Eisen, das nach Norden deutet, dich starren Stolz der Jungfräulichkeit, der vor dem eigenen Gefühle flüchtet, dich Stein des Anstoßes und der Weisheit, wilde jungfräuliche Schaam, dich zu besiegen, zu gewinnen, ist allein des Lebens Werth, du reißest mich mit allen Kräften hin zu dir und schließest einzig alle Welt in dir. He Gevatterin gebt mir die Laute her, beim holden Klang wird einem manches klar, was sonst nur dämmernd in dem Nebel graut:


[17] Hohe Lilie, hohe Lilie!
Keine ist so stolz wie du,
In der stillen milden Ruh,
Hohe Lilie, hohe Lilie,
Ach wie gern seh ich dir zu.

Hohe Zeder, hohe Zeder!
Keine steh so einsam da,
Doch der Adler ist dir nah,
Hohe Zeder, hohe Zeder!
Der dein sichres Nest ersah.

Hohe Wolken, hohe Wolken,
Ziehen über beide stolz,
Blitzen in das stolze Holz.
Hohe Wolken, hohe Wolken
Sinken ins entfammte Holz.

Hohe Flamme, hohe Flamme!
Tausend Lilien blühen drauf,
Tausend Zedern zehrst du auf,
Hohe Flamme, hohe Flamme!
Sag, wohin dein stolzer Lauf?
3. Auftritt
Dritter Auftritt.
Olympie mit Doris, ihrer Magd, die Körbe zum Markteinkaufe trägt.

DORIS.

Hier Fräulein sind viel bessre Kirschen feil, als jene, die wir von der Röse kauften, wir haben so noch nicht genug zum Kuchen, die Hälfte wird vom Herren Bruder in der Küche roh mir wegschnablirt, Sie kennen seine Art, er ißt so in Gedanken.

[18]
OLYMPIE.

So kauf nur schnell. – Schön Wetter, liebe Frau, die Maikirsch hat ein schönes Blut, ich nehm den ganzen Korb.

CARDENIO
vor sich.

Sie ists, sie muß es sein.Heimlich zu der Gevatterin. Was die hier nimmt, das hab ich alles schon bezahlt.

DORIS.
Ich will nur sehen, ob auch die Kirschen unten sind wie oben in dem Korbe.
GEVATTERIN.

Was macht sie, liebes Kind, sie schüttet ja die Kirschen zu den ihren, die waren schon dem schönen Herrn hier verkauft und ich hab keine andre von der Art für heute.

DORIS.
Mein Jesus, ei, wie soll ich nun die Kirschen von einander lesen.
CARDENIO.

Das ist ein Unglück! Wohl mir, daß ich doch etwas mein genannt, das Sie mein Fräulein hat gereizt, ich nenne Glück, daß ich erstanden hatte, was Ihnen angenehm. Bei Gott, Sie kränkten mich, wenn Sie dies unbedeutende Geschenk verschmähten, ich nehm es sicher nicht zurück.

DORIS.
Ja wenn der Herr nicht anders will.
OLYMPIE.

Mein Herr, es wäre gegen alle Sitte, solche Gabe auszuschlagen, doch setzt es mich in einige Verlegenheit, daß ich sie nicht mit etwas anderm gleich erwiedern kann.

DORIS.

Ei gnädges Fräulein, sehn Sie nur [19] den schlechten Bindfaden an des Herrn Laute, Sie haben heut ein schönres Band gekauft.

OLYMPIE.

Das war ein guter Einfall, Doris. Dies blaue Band mit Silbersternen hell durchwirkt wird, meine ich, nicht übel lassen.

CARDENIO.
Es ist vielmehr der schönste Ritterorden, der mich dem schönsten Fräulein weiht.
OLYMPIE.
So ernsthaft ist es nicht gemeint.
CARDENIO.

So ernsthaft muß ichs nehmen und diese Sterne die mich jetzt umgeben, sie zieren mich nicht blos, sie führen mich hinfort durchs ganze Leben.

OLYMPIE.
Ich fürchte, daß ihr Glanz zu bald erlöschen wird.
CARDENIO.
Doch nimmermehr ihr Segen. Sagen Sie, ist kein geheimer Glanz in dieser Sterne wunderbarer Windung?
OLYMPIE.
Kann sein, ich weiß ihn aber nicht.
CARDENIO.
Es leuchtet mir so deutlich drin: Olympie muß Cardenio lieben, weil ihr Cardenio ewig eigen.
OLYMPIE.

Wie sagen Sie? Sie kennen mich? Ich heiß Olympie, ich kenne nicht Cardenio, doch hab ich viel von ihm gehört durch meinen Bruder.

CARDENIO.
Böses oder Gutes?
OLYMPIE.
Es hält sich so die Wage, daß noch der Liebe Hauch dem Guten schnell ein Übergewicht verleihen mag.
[20]
CARDENIO.
Cardenio liebt Sie, wird nimmer eine andere lieben als Sie, Sie können ihn allein beseligen.
OLYMPIE.
Beseligen kann der Himmel nur.
CARDENIO.

Sie sind sein Himmel, ich bin Cardenio, ich habe noch nie gelogen, mein Herz ist mir erwacht, Glück auf! Glück auf! – Wenn Sie nicht wieder lieben ist alles aus, Glück aus und Hoffnung aus! – es kann nicht sein.

OLYMPIE.
Wie kann die Liebe so erschrecken und verwundern wollen?
CARDENIO.

Beim Himmel, ich will gar nichts, ich weiß von nichts, zu heftig schlägt mein Herz; ich seh mich ungeschickt nach einem Ausdruck um, zu ihren Füßen seh ich liegen ein viergeblättert Kleeblatt das deutet Glück, o sei es auch ein Zeichen meines Glückes, wenn Sie es nehmen.

OLYMPIE.

Ich muß es nehmen, ich fürchte Sie – mir wird so schwindelnd vor den Augen, ach Doris, komm, wir stehen all zu lange in der Sonne – dort kommt ein großer Zug Studenten. Wir müssen fort.

DORIS.

Ei gnädges Fräulein, das ist nicht gut für unsern Einkauf, hier war so wohlfeil kaufen. Noch einmal unsern Dank, mein schöner Herr. Olympie verneigt sich und geht mit Doris ab.

4. Auftritt
[21] Vierter Auftritt.
CARDENIO.

Nach Hause will ich sie begleiten, sie schwankte, schwankte wie die Sonn im Aufgang und meinte, daß es von der Sonne käme; ich muß ihr nach. – –


Wagner mit vielen Studenten, unter denen alle vorhergenannten, zieht nach dem Promotionssaale dem Thorwege zu.
STUDENTEN.
Glück zu! Wagner, hoch, abermals hoch, dreimal hoch!
WAGNER
zu Dienemann.

Sehn Sie Herrn Schlinger noch nicht kommen, ich bin vom Sonnenschein geblendet, nicht länger konnte ich mehr warten.

DIENEMANN.

Hier ist Cardenio, der hat es mir versichert, er komme gleich. Cardenio, ist Schlinger noch nicht hier?

CARDENIO.

Verflucht, es ist, als würde ich mit kaltem Wasser übergossen, ich will ihr nach, da soll ich oben disputiren. – Geht nur hinauf, er ist schon da. Er sieht in die Ferne.

WAGNER.

Wenn mir Cardenio nur keinen Streich gespielt und läßt mich ohne Opponenten oben sitzen. – Mein Herr Cardenio, Sie wissen ganz gewiß, daß mein Herr Opponent sich eingefunden.

CARDENIO.
Er kommt gewiß, er ist gewiß schon da. Er sieht in die Ferne.
[22]
DIENEMANN.
Nun dann, so geh ich, die Musik zu holen. Ab.
WAGNER.

So sein Sie für die gute Nachricht schon gegrüßt, befinden sich doch noch recht wohl, so ziemlich wohl, mein Herr Cardenio?

CARDENIO.
Den Teufel mag ich mich recht wohl bestanden, ich weiß nicht, wo der Kopf mir steht.
WAGNER.

Da nehmen Sie doch einige Tropfen Assa-Fötida in Äther aufgelöst, es half mir immer gegen Schwindel treulich.

CARDENIO.

Bleibt mir vom Leib mit eurem Teufelsdreck. Vor sich. Jetzt ists zu spät, ich kann sie nicht erreichen, jetzt ist sie ihrem Hause schon ganz nahe, ich möchte weinen, wenns nicht kindisch wäre die Zunge mir zerbeißen, o die Gelegenheit kommt nimmer wieder, ihr alles zu erklären.

WAGNER.

Mein Herr Cardenio, Sie reden viel vor sich, das ist ein böses Zeichen, hier ist ein Fläschchen Opium, nur wen'ge Tropfen geben Lebenskraft.

CARDENIO.

Wünscht mir nicht zu viel Lebenskraft, denn kurz und gut, ich bin heut Opponent, hier ist der Brief von Schlinger worin er euch den Auftrag kund gethan.

WAGNER.

Sie, Herr Cardenio? Sie sind zu gütig. Mir wird so schwach, ich bitte meine Herren, ach leiten Sie mich in den Thorweg, dunkel ists vor meinen Augen und meine Willenskraft [23] versagt, nun ich so nah der höchsten Ehre in der Philosophie.

STUDENTEN.
Wagner hoch, abermals hoch, immerdar hoch!
CARDENIO.
Tief und abermals tief und immerdar tief, dafür, daß er mir heute alle Lust verdorben.

Alle in den Thorweg ab.
5. Auftritt
Fünfter Auftritt.
GEVATTERIN.

Weiß gar nicht, warum sie mir nicht mal so einen alten Doktorhut verehren, was die all wissen, weiß ich lange schon, habs lange an den Schuhen abgelaufen.

DIENEMANN
kömmt mit Musikanten.

Hier wartet ruhig, werthe Herren Musikanten und schlaft nicht ein und passet auf, ich werde euch mit meinem Hute aus dem Fenster winken, wenn ihm der Doktorhut wird aufgesetzt, dann blaset einen Tusch, daß alle Scheiben zittern. Und wenn wir dann mit ihm ans diesem Thorweg treten im Triumph, dann schwenkt euch, stimmt an den Dessauer Marsch, marschiret drei mal um den Markt, daß er sich allen zeige und wendet euch dann zum Rathskeller, wo ihr zum Schmause musiciren sollt.

ERSTER MUSIKANT.

Je Herrchen, denkt doch an uns, wir sind so nüchtern, wie wir vom Balle sind gekommen und sollten in der Mittagssonne nun[24] pausiren und musiciren, so wie ihr mit den Händen winkt, wo kommt da Stimmung her?

DIENEMANN
holt aus der Tasche eine Flasche.

Dafür ist auch gesorgt, theilts mit den Fingern ab in sieben Theile, daß keiner trinkt zuviel und jeder doch was kriegt. Gebt Achtung! Geht in den Thorweg ab.

ERSTER MUSIKANT.

Ein Herrchen von Conduite; ein artig Herrchen, so ein Kluckerfläschen für uns herzutragen. He habt ihr wohl den Feuerwerker Hase noch gekannt, wenn der ein Feuerwerk erdenken wollte mit Brillantenfeuer, so holte er sich solches Kluckerfläschen und setzt es an den Mund und küpte mit dem Kopfe über, daß ihm der Hut zur Erde fiel. Er trinkt.

MUSIKANTEN.
He Domine, laß etwas drein.
ERSTER MUSIKANT.
Dann klappt er zu den Mund, da stand das ganze Feuerwerk ihm vor den Augen.
MUSIKANTEN.

Wir wollen dir ein Feuerwerk vor deinen Augen schlagen, Domine, die Kluckerflasche ist wahrhaftig leer.

ERSTER MUSIKANT.
Sagt warum wär ich auch der erste von euch allen, thät ich nichts für euch alle?
MUSIKANTEN.

So musicir auch für uns alle. Domine, wir müssen erst bei Herrmann was pausiren.Gehen nach der Schenke.

[25]
ERSTER MUSIKANT.

Da steh ich nun mit der Posaune ganz allein, was werden doch die Herrchen sagen zu der Musik, ich werd vor ihnen blasen wie der Hirte vor dem Vieh, das wird mal Schläge geben, ich mach voraus schon meinen Rücken krumm.


Er taumelt mit lächerlicher Gebärdung an die Posaune gelehnt, in dem Promotionssaale wird sehr
geschrieen, er antwortet halb wachend einzelne Worte darauf, wie recte bene, ecce quam bonum, gaudeamus igitur, pro salute, Vivallerallera, Meyer und Suppius kommen aus dem Thorwege.
SUPPIUS.
Mich hungert mächtig der Wagner macht kein Ende.
MEYER.
Macht kein Ende? Gern machte er ein Ende, könnt er eins finden, das Streiten hat kein Ende.
SUPPIUS.

Ich hab kein Wort verstanden. Ich weiß nicht, wenn ich disputire, da bin ich euch gleich fertig, entweder – oder sag ich, damit mach ich alles aus.

MEYER.

Cardenio opponirt so wunderlich, wie ich noch nichts gehört, erst ließ er sich in Demuth still von ihm belehren, bat sich bald diese Nachricht aus, bald jenes noch von dem Systeme, wie er jetzt alle Welt aus der Vernunft und den Atomen hat erbaut, und unbemerkt hat er aus alle dem sich eine feste Rüstung und ein scharfes Schwert gebildet, womit [26] er die Atomen-Wirbel all zerhaut, er taucht ihn unter in derselben Urvernunft, worauf er erst so prächtig kam geschwommen.

SUPPIUS.

Ei was er ist ein feiner Kopf der Wagner, kein Wasser, worin was untergehen kann, hat er dir nicht erzählt, wie er des Aberglaubens Vorhang kühn zerrissen, die Offenbarungen vernichtet hat, vor ihm bestehen keine Religionen; ja sollt ich mir die Aufklärung versinnlicht denken, der Wagner wär ihr Bruder. He Bruder, ich möchte auch ein Wort da oben mal mitreden.

MEYER.
Du kannst ja kein Latein verstehn, viel weniger sprechen.
SUPPIUS.

Ja das ist wahr, hab mir so viele Müh damit gegeben und hab es doch vergessen. Was ist der Mensch. Ich sag dir, Wagner hat mirs selbst gesagt, daß sein System, wenn man es recht kapirt, so allumfassend wie der Äther sei. He Bruder, mich hungert.

MEYER.

Horch einmal zu. Bei Gott, man kann sie bis hieher noch hören, das nenn ich disputiren, der Boden bebt auf viele Meilen in der Runde wie bei einer Schlacht. Ich sage dir, Cardenio ist ein Teufelskerl, er ätzt mit Höllenstein dem armen Wagner alles wilde philosophische Fleisch hinweg. Schon hat Cardenio ihm kühn und fest bewiesen das heil'ge Grab sei Mittelpunkt der Welt, [27] darum es allen Geistern heilig müsse sein, und allen Menschen, weil alle Christen werden müssen.

SUPPIUS.
Wie lächerlich, Grab ist Grab und Erde ist Erde, so sagt Wagner, Ubi penis, ibi patria.
MEYER.
Panis.
SUPPIUS.

Panis sagt Cardenio, meinetwegen, ich hasse den Cardenio und den Pamphilio und das Folio dazu, sind lauter Narren in Folio. Der Cardenio will alles sein, der Gelehrteste, der beste Fechter, Ordensvorsteher – trinkt sich gestern auch zum Papste gegen mich! – Wart nur, wir haben einen guten Feger aus Frankfurt uns verschrieben, der soll Bescheid ihm sagen, hier wagt sich keiner mehr an ihn.

MEYER.

Er ist ein gar besonderes Ingenium was er anfängt, das geräth ihm, ich glaube er gewönne das große Loos beim ersten Einsatz gleich. Hör wie sich jetzt das Schreien mehrt, das klingt ja wunderlich, das Fenster öffnet sich, da kuckt ja Dienemann heraus, hält sich das Schnupftuch vor die Augen.

ERSTER MUSIKANT.
Ei guten Morgen, Herrchen soll ich blasen.
DIENEMANN
am Fenster.

Ich muß Luft schöpfen. Ja blas nur, ausgeblasen ist das Licht und statt des Siegesmarsches blas ein traurend sanft gedämpftes Lied, wie ihr bei Leichenzügen es zu spielen pflegt.

[28]
SUPPIUS.

He Bruder, was ist denn los, ich kann das Lied nicht leiden, wer wird denn da zum Thorweg todt herausgetragen.


Die Leiche Wagners wird von seinen Schülern traurig heraus getragen, der Musikant bläst ein ernstes Lied auf der Posaune vor ihm her, doch hält der Zug noch, weil einige versuchen ihn wieder zu
beleben. Schmidt und Becker treten aus dem Haufen heraus.
SCHMIDT.
O welch ein harter Tag, kaum kann ich glauben, was ich doch selber angeschaut.
SUPPIUS.
He Bruder sag, warum läßt sich der Wagner tragen?
SCHMIDT.

Glaub nicht, wenn sie dir sagen der Teufel habe ihm den Hals dort umgedreht, es wird gewiß gesagt im Volk, es ist nicht wahr, ich sag es laut, an seiner eignen Größe ist er hingestorben, an seiner Schlüsse ungeheurer Folge, an einem Untersatz ist er geblieben, der alles schließen sollte – sein Blut kommt auf dein Haupt, Cardenio. Ab.


Der Zug will sich fortbewegen, da tritt Cardenio sehr verwildert heraus und hält ihn ein, die Leiche Wagners, mit dem Doktormantel und dem Doktorhute bedeckt wird im Vordergrunde nieder gelassen.
CARDENIO.

Bursche, Freunde, Brüder, ihr meine Feinde auch, ihr wisset alle, ich und Wagner waren uneins, wie geschiedne Elemente, – haltet still ihr Träger – keinen Schimpf will ich ihm anthun – nein bei Gott, die letzte Ehre, die einzige, die ich[29] ihm geben kann. Es war ein braver Kerl und was er meinte, ja darin lebte er auch ganz und sagte es auch frei; hat ihn ein Lügengeist geblendet, in ihm war keine Lüge, mit seinem Leben hat er alle Schuld bezahlt, sein Leben hat er ehrlich dran gesetzt, hat für die Sache, der er gläubig angehangen, bis zu dem letzten Hauch gestritten, da fühlte er sich schaudernd überwiesen, sein Streben leer, sein Wirken nichtig, so ging er auf in seines Wesens Öde. Ich hab ihn überwiesen, ich bin sein Sieger, doch schmerzet mich der Sieg, ich schwöre frei vor Gottes Sonne, daß er verdient die Burschenehre, gesellet mit dem Doktorhute, ich leg den eignen Hieber auf den Todten und meinen Burschenhut, mehr kann ich ihm nicht geben. Dies sei ein Zeichen, wie aller Haß aus meinem Herzen ist geschwunden! Er geht mit gerungenen Händen umher.

GEVATTERIN.

Je du mein Jesuschen über das Unglück, ihm gehört doch auch ein Myrthenkranz, da er als Junggeselle ist gestorben – wahrhaftig er hat ja nie was sonst als seine Bücher angesehen; davon war er so schwächlich. Da ist der Kranz. Legt einen Myrthenkranz auf ihn. Seht neulich, wie keusch er war, da brachte ich ihm eine warme Schüssel, als er so sehr im Leib litt, da meinte er, ich hätte gar was Böses vor und wies mich fort, du lieber Gott, das [30] hätte mir gefehlt, solch elend Männchen und ich bin ein altes Weib. Nein sagt ich – –

DIENEMANN
aus dem Thorweg kommend.

Jetzt schweigt sie, denn zu lange schon hat sie den Zug gestört. Wie kommen diese Musikanten hier so einzeln wie auf der Flucht gelaufen, he schweigt ihr Hautboisten wollt ihr das Trommelfell uns zersprengen, wie der posaunt: nun lasset uns den Leib begraben, da blasen jene noch den lustigen Marsch.

ERSTER MUSIKANT.

Ja Herrchen mit Erlaubniß, die wissen nichts vom ganzen Unglück, die sehn den Himmel an für einen Dudelsack. Ihr Leutchen seht ihr nicht den Todten, spielt das Todtenlied.Die herbei gelaufenen Musikanten blasen endlich zusammen das Leichenlied, Wagners Körper wird vom ganzen Zuge fortgetragen. Cardenio und Becker bleiben zurück.

CARDENIO.

Wahrhaftig sollte ich vor den Gerichten sagen, wie er gestorben ist, ich wüßt es nicht; lebt einer, so lebt er in der Wahrheit und in der Lüge ist kein Leben.

BECKER.

Nicht an der Lüge ist der Mann gestorben, was bildest du dir ein, ich hab es ihm seit langer Zeit gesagt; das Denken ist ein Tanzen auf dem Seile, das zwischen Gott und Menschenleben ist gespannt, er spannte dies von einer Seite nur, sein Menschenleben suchte er mit stark erregenden Potenzen mehr zu stärken und Gott verließ er, so verließ ihn [31] Gott, da stürzt er über. Bei seinem kurzen dicken Hals, bei seinem dicken Blute, da mußte draus ein jäher Schlagfluß folgen, was sich in andern zeigt als Nervenschwäche. Heut kam die Anstrengung, der Ärger noch dazu, ich sah es ihm vor einer Stunde an, daß er gewißlich sterben müsse.

CARDENIO.
Und sagtest mir kein Wort.
BECKER.

Wer hätte mir geglaubt. Hätt ich es ihm gesagt, er hätte gleich dran sterben können auf dem Flecke, von der Reflexion.

CARDENIO.

So schick nur deine leere philosophische Betrachtung dem todten Leichnam nach, mich kümmerts nicht. Pamphilio!

PAMPHILIO.
Je grüß dich Gott, mein Simson, du hast den Philosophen mit deinen beiden Kinn backen todt gemacht.
CARDENIO.

Jetzt schweig davon, ich hab was andres zu vertrauen, dir allein, wobei ich deinen Witz gebrauche. Alle ab.

6. Auftritt
Sechster Auftritt.
DORIS.

Ich wollte noch ein Körbchen Erdbeeren kaufen für Herrn Viren, ja sag sie doch, war wirklich das der Herr Cardenio, der heut mein Fräulein zärtlich angesprochen.

GEVATTERIN.

Du lieber Gott, sie wohnt auch wohl draußen vor der Stadt, da wo die Welt mit[32] Brettern vernagelt ist, den Herrn Cardenio kennt sie noch nicht, der ist ja in der Stadt wie 'n bunter Hund bekannt, das ist mein Sprichwort nur, es ist ein Engelskind.

DORIS.
Ja so ein Engelskind aus der Holzkammer.
GEVATTERIN.

Sie schweig doch still, sie hat auch nicht umsonst die schwarzen Augen, wie ich, wenn er nur zu ihr kommen wollte auf ihre Kammer, sie würde auch von Holz nicht sein.


Lysander kommt.
DORIS.
Je guten Tag, Punschur. – Was machen sie denn mit dem schönen Halstuch in der Hand.
LYSANDER.
Mein Herzensschatz, das hab ich dir gekauft, gefällt es dir?
DORIS.

Es ist ganz prächtig, das Roth fällt in die Augen, das wird mir herrlich stehen, es ist gekiepert, ein schönes Zeug.

LYSANDER.
Hör dafür mußt du mir auch heut gefällig sein, komm auf die Seite.
GEVATTERIN
vor sich.

Wie die sich haben, als wenn ich nicht mehr wüßte, was die Glocke geschlagen, wenn so ein junger Mensch ein Halstuch giebt.

LYSANDER
zu Doris.
Hör Doris, heute Abend ist dein Fräulein doch zu Hause.
DORIS.

Von meinem Fräulein will ich gar [33] nichts hören, nur keine Briefchen wieder, die nimmt sie gar nicht an, es kostet endlich mir den Dienst.

LYSANDER.

Nein, liebes Kind, von Briefen nichts, heut wünscht mein Herz viel mehr heut will ich es wagen, um alles zu gewinnen, denn dieses Zögern kann ich länger nicht ertragen. Versteck mich heute Abend spät in dem Schlafzimmer deines Fräuleins, vielleicht erringt ein Sturm, was mir die Güte stets versagt auf rechtem Wege.

DORIS.
Nein nimmermehr, das geht nicht an, das war ja schlecht von mir.
LYSANDER.

Warum nicht gar du Narr, ich mein's wahrhaftig mit ihr ehrlich, ich nehm sie sicher, es ist mein einziger Wunsch, sie zu heirathen, kein Mensch erfährts, daß du mich eingelassen; ich schwör es dir ich lohn es dir mit tausend Thalern und mit tausend Liebkosungen, ich halte Wort. Ich lieb Olympien so unaussprechlich.

DORIS.
So hast du mir auch einmal vorgesagt.
LYSANDER.

Du Narr, warum hab ich dich also leicht gewonnen, doch bin ich dir noch gut du weißt es, zwei so verschiedene Lieben gehn recht gut zusammen, doch mußt du jetzt auch deine Liebe zeigen.

DORIS.
Mein Fräulein kann ich nicht verrathen, sie ist so gut.
LYSANDER.
So schwör ich dir, daß wir auf ewig sind geschieden.
[34]
DORIS.
Ich kann nicht.
LYSANDER.

Noch diesen Abend will ich mit der Schwester hin nach den Pulverweiden, vor deinem Haus vorübergehen, sie liebt mich doch viel mehr, als du.

DORIS.
Das sollst du nicht, das leid ich nicht, ich kanns nicht überleben.
LYSANDER.
Zeig mir, daß du mich liebst, bring mich zu deinem Fräulein.
DORIS.
Es muß geschehen, doch hält es schwer.
LYSANDER.
Und wenns gelingt, so ist dein Glück gemacht.
DORIS.
Mein Glück und auch mein Unglück. Wir müssens heimlich überlegen. Beide ab.
7. Auftritt
Siebenter Auftritt.
Der Schauplatz verwandelt sich in eine Straße vor dem Hause des Viren und der Olympie, beide treten auf den Balkon.

VIREN.

Nach so viel Leiden, verseufzten Tagen und verwachten Nächten, da fühlt ich im Gedeihen eines lustigen Lebens, daß Liebe gar nichts sei, ein leerer blendend heller Spiegel in muthwilliger Hand der unerwartet wirft der Sonne Bild in unsre Augen erschreckend glauben wir, sie strahle plötzlich aus einer andern Region zu uns – da ist es fort. Hätt ich die bang verlorne Zeit zurück!

OLYMPIE.

Du quälest mich, wie einen Kranken dem seines Lebens Ausgang vorerzählt wird, dem ein[35] gewisser Tod wird vorgerechnet, das Leben quälet ihn, doch hat ers lieb. Ach lieber Bruder, wie du mir so durchdringend dies Gefühl beschriebst, so wie du es erfahren, an das wir glauben müssen gegen alle Überlegung, das in uns lebt und außer uns in ewgem Zwiespalt mit uns selber, so etwas fühlt ich auch, als sich Cardenio mir ganz zu eigen gab. Mir zu eigen? Mir selber hat er mich entführt und schweift mit mir ich weiß nicht wo, herum, ich will in meinen Büchern lesen und gähne, will gern an meine alten Freunde schreiben und kann nicht aus den ersten Worten kommen, mir ists, als müßt ich ihm weit über Hügel folgen; bin ich im dunklen Thal, so steht er auf der Höh in Abendsonne schön beglänzt und steig ich zu der Höh so ist er fort – wie wird mir doch ums Herz so weh.

VIREN.

Ei wie verändert, stolzes Schwesterchen du stolze Frucht an einem Tag gereift am höchsten Gipfel und schon gefallen in des Mannes Schoos. Gedenk ich noch an gestern, der hochgefeierten Selbstständigkeit, des treuen Bunds mit allen edlen Mädchen vom Ehejoche frei zu bleiben.

OLYMPIE.
Ich habe nie davon gesprochen, daß jede Ehe eine Bürde sei, nur die gezwungne wär mir unerträglich.
VIREN.

Ihr Mädchen werft die Worte aus wie Kupfermünzen, der Mühe überdrüßig, sie zu zählen;[36] wie sprachst du allgemein von Männertyrannei. Je liebes Kind, ist je ein Mensch auf Erden zum Tyrannen ganz geschaffen, so ists Cardenio.

OLYMPIE.

Ich muß gehorsam sein, ich bin dazu geschaffen, du hättest früher warnen sollen, oder nie; gehörst du auch zu denen, die den Brunnen decken, wenn erst das Kind hineingefallen ist?

VIREN.

Ich glaubte dich Lysandern längst verlobt, er ist ein hübscher Mann, ein Mann von Ehre, hat Ansehn und Vermögen, er liebt dich treulich nun so lange.

OLYMPIE.

Du glaubtest es, weil du es wünschtest, ich hab dir nie davon geschrieben, ich hab ihm jede Gunst, selbst die gewöhnlichen, die dem Verliebten leicht ein Zeichen der Geneigtheit werden, so streng versagt, daß er wohl glauben mag, ich hasse ihn, wie ich doch nie gethan. Er ist ein werther Freund; Aufmerksamkeit, bescheidne Schmeichelei in allem, was mir lieb, so viele kleine Dienste, die er uns geleistet, verpflichten mich zur Dankbarkeit, ja fast wie eine Angewohnheit ist mir seine Nähe, die ich nicht gerne misse, Cardenio ist mir Bedürfniß, Speise, Trank und Luft des höheren Lebens, nichts bin ich ohne ihn.

VIREN.

Cardenio, ich läugne nicht, ist ausgezeichnet unter Tausenden, erhöht von der Natur, geschmückt mit Kunst, doch löscht ein Fehler alles Gute aus. Er ist ein zorn'ger Wüthrich, ein ew'ger Streiter [37] gegen tausend Kleinigkeiten, die der gewohnte Lauf der Welt als harmlos duldet, und was er meint das sagt er aus, und was er will, das setzt er durch, ihn fürchtet jeder, keinen fürchtet er. Nur sein gelehrter Ruf hat gegen die Verbannung ihn beschützt, er wär von den Studenten längst schon ausgeschlossen, wär nicht in ihm der Kern von allen, eine ganze Akademie. Beim Trinken drückt er erst die Menschen an sich, als wollt er sich für eine Ewigkeit verbrüdern nun sieht er sie in hellster Nähe an, bemerkt die feinen mikroscopschen Züge und stößt sie mit Verachtung fort – mir selbst ists so begegnet, ich rettete mich nur von einem großen Streit durch einen witzig leichten Seitensprung. Solch Uebel wächst mit jedem Streite, was erst unleidlich ist, die widerhaar'ge Spannung wird bald ein angenehmer Reiz, es juckt da immer, wo man oft gekratzt und seine Ehre ist ihm gar ein kitzlich Fleckchen, doch findet er noch sicher seinen Meister, denn jeder Händelmacher findet den, er stirbt ganz sicher nicht natürlich, oder er muß flüchten in die weite Welt, was hast du dann?

OLYMPIE.

Mein lieber Bruder, wer auf den sicheren Besitz von etwas herrlichem nur eine Stunde rechnet, nein der besitzt es nie, der hat es nie besessen sich nie dem Augenblicke hingegeben, der Jahre aufwägt. Und sind nicht Augenblicke muth'gen Glücks und seliger Erhebung mehr, als ungenoss'ne achtzigjähr'ge [38] Dauer des stets verkümmerten Daseins. Hab ich mit ihm die Freudenzeit genossen, so leid ich auch mit ihm so kann ich mit ihm sterben.

VIREN.

Ei liebe Schwester, spricht Natur aus dir? So fremd und so beredt hab ich dich nie gefunden, es ist ein neuer Stolz, der dich ergreift, den alten Stolz der scheuen Jungfrau hast du schon vergessen.

OLYMPIE.

Sprich nicht von meinem Stolz, ich fühl ihn heute nicht, ich fühle nichts als milde Güte, ein Wohlthun möcht ich üben gegen alle Welt, mir an das Herz sie drücken, damit es eine Haltung fände, – denn es ist schwach. O sieh mich an, kann seine Wildheit mir wohl widerstehn, wenn ich ihn also bittend blicke an, der Blick muß ihn entwaffnen, der muß das lose Schwert fest in der Scheide halten, ich will ihm decken seiner Augen Glanz mit meiner Hand, wie mit dem Schilde der Vernunft, wenn er in Zorn ausstürmen möchte.

VIREN.

Das ist doch lustig, das läßt sich alles anders auch verstehen, es ist mir lieb, daß Niemand gegenwärtig! O Schwester, das klingt ja ganz erschrecklich sinnlich.

OLYMPIE.

Aus meinen Augen fort, du Ungeheuer, du stellst dich ernsthaft, machst mich ganz treuherzig, ich weiß von nichts, du hast mit aller Thorheit dich besudelt, die du Erfahrung nennst, und nun ich [39] offen mit dir rede, als wolltest du mich freundlich gern verstehen, mir gütig beistehn, da lachest du mit fremdem Scherz herein, ich schäme mich meines offnen Sinns, bei Gott, wär ich kein Weib ich könnte dich ausfodern darum, und umbringen, und dann machst du Cardenio daraus noch eine Sünde, wenn er so oft in Händel sich verwickelt. So wie du schlecht von mir gesprochen, gehts auch ihm, die anderen verderben seine Worte eben so.

VIEREN.

Ja Schwester, wie du wieder alles mißverstehst; daß ich dich nicht für eine Göttin halte, das kränket dich? Ich bin kein Gott und weiß doch noch aus früheren Jahren, stolze Schwester, wo wir vertraulich stets beisammen waren.

OLYMPIE.
Da warst du gar ein andrer Mensch.
VIREN.
Du warst wie andre Mädchen hattest auch die Nase in die Länge.
OLYMPIE.
Fort, fort, ich kratz dir sonst die Augen aus.
VIREN
lachend.
Damit ich niemals sehen soll, was du mit Cardenio unter vier Augen thust. Ab.
OLYMPIE.

Wahrhaftig ich geh noch heute fort von dir, wenn du mir so begegnest. – Ein sonderbares Recht, daß sich die Herren Brüder meist anmaßen, uns alle Unanständigkeiten her zu sagen, die sie von andern niemals um uns leiden mögen, sie möchten uns allein damit versorgen. Es hat mich doch [40] verstimmt, ich lebte ganz in dem Gedanken an ihn und bei Cardenio da fällt mir lauter Schönes ein, du weißt o Himmel, meine Lieb zu ihm ist rein, entlade mich den heftigen Gedanken, womit der Zorn das Herz mir tief erregte, ich bin zu heftig, ich habe so viel anderes zu denken, da mir der Abendstern entgegenblickt.


Aus der heitern freien Bläue
Tritt ein Stern so heimlich vor,
Ach, wo war er doch zuvor?
Und nun seh ich gar schon zweie,
Die so fest verbunden scheinen,
Als wenn Gottes Hand sie band,
Und nun gehn sie Hand in Hand,
Und ich muß hier einsam weinen.

Immer muß ich beider denken,
In die Augen eingebrannt,
Blicken sie so unverwandt
Und ich muß die Blicke senken,
Seh nicht mehr die keuschen Sterne,
Alle ziehn so fern vorbei;
Sah sie gestern noch so frei,
Gestern sah ich sie so gerne.

Und nun ich wieder aufzublicken wage. Die armen beiden kleinen Sterne, kaum sind sie zu erblicken, so schämen sie sich vor der Sonne, die sie noch mit durchdringenden hellem Aug bestrahlt. Sie bleibt in sich verloren nach den Sternen aufblickend stehen.

8. Auftritt
[41] Achter Auftritt.
Lysander und Doris schleichen unter den Häusern an ein Seitenpförtchen des Hauses, wo sie von Olympien nicht gesehen werden können.

DORIS
mit bittender Bewegung.
Still – still – sacht – leise, die Sonne ist noch sichtbar und mir ist so bange.
LYSANDER.
Mir gar nicht, die Katzen zischen sich schon an auf ihren Liebeswegen.
DORIS.
Ich dächt, wir ließens?
LYSANDER.
Recht gern, wenn du nicht schon die Thüre aufgemacht.
DORIS.
Ich wollt, ihr wäret schon heraus.
LYSANDER.
Für jetzt nur schnell herein.

Sie treten ab in die Seitenpforte.
9. Auftritt
Neunter Auftritt.
OLYMPIE.
Unsre Nachbaute schließen
Schon die kleine Fenster zu,
Wünschen eine gute Ruh,
Mit zur guten Nacht begrüßen;
Viele fromme Kinder singen
Müde ihren Abendsang,
Ach wie ist mein Herz so bang,
Nacht will mir nicht Ruhe bringen.

Cardenio und Pamphilio kommen mit Musikanten und Masken.
ERSTER MUSIKANT.
Ja Herrchen, es ist so duster mir vor meinen Augen, was wird mir das bedeuten.
[42]
PAMPHILIO.
Daß du nun um so heller singen kannst, wie Nachtigallen, die geblendet sind.
ERSTER MUSIKANT.
Je Herchen, ich kann den Steg nicht finden über diese Gosse.
PAMPHILIO.

Find nur den Steg auf deiner Violine so ist mirs einerlei, wo du dich bettest, ich will euch überdies nie Heimchen hier verstecken, daß alle Leute die Augen nach euch aussehen mögen, woher wohl das Gesinge und Gedudle komme. – Du stehst tiefsinnig da Cardenio vor deiner Liebsten, als wärs dein Stehpult, ja sag, verwundert es dich nie daß jener strahlenhelle Phöbus, der eben seine Rosse hin zur Schwemme reitet, die schönsten Gaben seiner Töne solchem lausigen Volk verleiht, wie unsre Musikanten sind, ich glaube er gehört zum Bürger-Rettungs-Institut und macht aus seiner Huld Almosen für die Armen. He Bruder, du hörst kein Wort.

CARDENIO.

Laß mich, ich weiß es nicht, was hier das Beste sei, doch du verstehst am besten, so etwas anzuordnen und dazu hab ich dich, nimm alle die Gedanken jetzt zusammen. Wahrhaftig mir vergehen die Gedanken, ein tiefer Ernst durchdringet mich bei dieser Himmelskonjunktur, die Sonne noch nicht unter, der Mond noch nicht herauf und jene beide Strahlen des Springbrunnens, der wie aus meinem Herzen steigt, erscheinen mir gleich Schwanenhälsen die Luna froh auf dem bestrahlten Wasserspiegel zu [43] mir ziehen. Auch sie soll Liebchen sehen, ich sehe Liebchen schon in ihrem Schein. Ich wollte etwas singen und ich zittre, als würd ich selbst zur Zitter, die lebend ihrer Hand gehorcht.

PAMPHILIO.

Schäm dich der Furcht, du Simson, noch schläfst du nicht in ihrem Schooße, denn deine Locken fliegen noch so frei im Abendwind und kitzelten mich eben in der Nase, könnt ich nur singen, so wie du, ich wollte alles abgelebte Echo in den Straßenecken ausfordern, daß die Hähne drüber krähten.

CARDENIO
erst leise, dann lauter.
Hinunter, hinunter
Du rollende Sonne,
Nun werd ich erst munter,
Nun steige du Sonne
Des Herzens im Thale,
Mein Liebchen bestrahle.

Mein Flehn ist erfüllet,
In weißen Gewändern
Mit goldenen Rändern
Kömmt Luna verhüllet,
Die Sternelein spießen,
Die Göttin zu grüßen.

Wie blinken die Wellen,
Wie glänzen die Gassen,
Die alten Gesellen,
Die Sterne erblassen,
Denn Luna nur blicket
Auf Liebchen entzücket.
[44]
OLYMPIE
wird aufmerksam.
Die Studenten singend ziehen,
Kühle Luft vorüber streicht,
Daß der Mond davon erbleicht,
Meine Wangen müssen glühen,
Weil ich eine Stimme höre,
Die ich einmal nur gehört,
Und mein töricht Herz mich lehrt,
Da sie singe mir zur Ehre.
CARDENIO
zu den Musikanten heimlich.

Nun frisch ihr Herren Musiker, thut jetzt das Beste, so etwas düster Lockendes, daß man dabei verhimmeln möchte, ein Waldhorn erst, das in sich selber wiederhallt, dazwischen rasch ein lust'ger Harfenschlag, daß sich ein Jeder aufrafft, als seis verrathen, was er meine.

PAMPHILIO.

Ich hoff du sollst zufrieden sein, wie ich es angegeben, es spielet alles mit, der Mond der Himmel und der Brunnen vor dem Hause.


Olympie spricht oben, doch ohne daß sie es unten hören können.
OLYMPIE.
Stille Nacht, trink dein Vergnügen,
Trink das Licht in vollen tiefen Zügen.
Ist die goldne Schaale ausgetrunken,
Scheibenglanz ins Dunkel eingesunken.
Haben alle Blumen sich geschlossen,
Alle Kräuter ihren Thau genossen,
Andre Vögel nur nach Schlaf verlangen,
Nachtigallen ihren Sang anfangen.

Die Musik, welche das Maskenspiel einleiten soll, beginnt.
OLYMPIE.
Ach wie viel hab ich mir selbst verschwiegen,
In den Tönen seh ich alles offen liegen.
[45] Was die Sonne zu dem Fluß getrieben
Ist in meinen Adern heiß geblieben,
Was sie in den goldnen Strom versenket,
Mich zu diesen süßen Tönen lenket,
Fühle alle Sinne drin erfrischet,
Meine Stimme sich mit ihnen mischet.

Flötensolo.
OLYMPIE.
Schweige, sagt der Bäume fern Erregen,
Auf den Mund will den Finger legen,
Und nun hör ich nur ein fernes Herze schlagen,
Hör den fernen silbern Mondenwagen
Und ich lese in den letzten Sternenzügen:
Stille Nacht, trink dein Vergnügen.

Die Musik schweigt.
CARDENIO.

Recht brav, ihr Musiker, ihr habt so recht mein Herz entflammt, ich wünsche Händel und ich träum sie schon, jetzt schnell das Maskenspiel.


Maskenspiel vor dem Altane.
DIE JUNGFRAU
in ländlicher Tracht geht zum Brunnen.
Kommt der Mond zum Quell gegangen,
Badet seine weiße Brust,
Zu ihm hin die Arme langen,
Und ich wasche sie mit Lust;
Wasche meine heißen Wangen,
Kühle ab mein junges Blut,
Schwere Arbeit ist vergangen,
Wie er mir so schöne thut.
In den Wiesen ist ein Klingen,
Ists des Mondes Sichelklang,
Vor ihm her viel Lichter springen,
Leuchten bei der Ernte Drang.
[46]
DIE FRAU
in ländlicher Tracht mit einer Spindel.
Wenn der Mond ist aufgegangen
In der Hand die Arbeit ruht,
Ist im Finstern dann ein Bangen,
Thut ein Gang ins Freie gut;
Meine Schwester seh ich träumend
An des Brunnens weißem Rand,
Und der Brunnen springet schäumend,
Winket weit mit weißer Hand,
Wie ein Geist, so möcht michs schrecken,
Glaubte ich an Geisterschein,
Will doch meine Schwester necken,
Denn sie sitzt so ganz allein.

Sie umfaßt die Jungfrau.
JUNGFRAU.
Ach wie ist mir doch geschehen,
Wie umfaßt mich frech fein Arm,
Lindor, dich will ich nicht sehen,
Mich umzieht es kalt und warm.
FRAU.
Ich bins Schwester, welches Bangen
Vor dem Amor, vor dem Dieb,
Leicht ist mir die Zeit vergangen,
Amors Zeit war mir so lieb,
War auch Jungfrau, bin nun Fraue,
Und der Mond mich noch berückt,
Wenn ich jetzt mit Sorge schaue,
Ob kein Licht im Hause blickt.
Daß die Glocke zehn geschlagen,
Sagt der Wächter nur dem Herrn,
Mir die Nachtigallen schlagen,
Mag zu Bette noch nicht gern.
JUNGFRAU.
Wie der Mond im Brunnen spielet!
Ei wie kommt er da hinein?
[47]
FRAU.
So die Lieb zum Herzen zielet,
Und so strahlt sie frei herein.
Kühler Trank, du scheinest Feuer,
Also scheint die Liebe auch
Und mein Busen athmet freier,
Seit ich kenne ihren Brauch.
JUNGFRAU.
Ist die Liebe wie die Quelle?
Immer ist ihr Strom so voll,
Und zerfließet doch so schelle,
Und ihr Rauschen weit erscholl.
BEIDE.
Labung ist sie allen Sinnen,
Tropfen fallen mir vom Kinn,
Tausend neue Tropfen rinnen,
Und besinnen sich darin.
FRAU.
Siehe, Lindor dort erscheinet,
Ringt die Hände überm Haupt,
Ach der arme Knabe weinet,
Und der Wald ist grün belaubt.
LINDOR.
Hinter meiner Sense bindend,
Hast du wohl auf mich gesehn,
Nach der Arbeit schnell verschwindend,
Läßt du mich alleine gehn;
Sind das wohl die guten Sitten,
Die du in der Stadt gelernt,
Hörtest du auf andrer Bitten,
Hast du dich von mir entfernt!
JUNGFRAU.
Lerne du nur gute Sitten,
Bleib nicht bei der alten Art,
Lerne erstlich höflich bitten,
Und dann bin ich auch nicht hart.
LINDOR.
Weil ich dich so gern umgebe,
Scheidet mich dein hartes Herz!
[48]
FRAU.
Ei sie will sich nichts vergeben,
Darum scheint sie bös Scherz.
JUNGFRAU.
Könntest du dich mir ergeben,
Ach ich habe auch ein Herz.
LINDOR.
Sag, wie soll ich mich ergeben,
Da ich lang dir eigen bin.
FRAU.
Ei du sollst den Kuß ihr geben,
Denn das will der Eigensinn.
JUNGFRAU.
Ach so war es nicht gemeint!
FRAU.
Doch nun ist es schon geschehen.
LINDOR.
Ach warum hab ich geweint?
FRAU.
Daß du nun kannst klarer sehen.
JUNGFRAU.
Ach was hör ich, welches Klingen,
Welchen Klang in meinem Ohr?
LINDOR.
Meine Lieder zu dir dringen,
Da gesprenget ist das Thor.
Hörst du nun den Lenz erklingen,
Da du ruhst am Busen mir,
Und mein Herz will mir zerspringen,
Da es fühlt ein Herz in dir.
Siehst du nicht die Blitze dringen
Aug in Auge hin zu dir,
Meine Arme sich beschwingen
Und ich schwebe über dir.
JUNGFRAU.
Süß Erkennen erster Liebe,
Abschied von der weiten Welt,
Aus dem Felsen schlägt sie trübe
Einen Funken, der erhellt.
LINDOR.
Luna kann nun immer scheiden,
Sterne nehmt mein Lebewohl,
[49] Alle Trauer will ich meiden,
Denn die Freude thut mir wohl.
JUNGFRAU.
Süße Schwermuth, dich zu leiden,
Thut in Freuden mir so wohl,
Alle Menschen will ich meiden,
Denn du bist mein Weh und Wohl.
BEIDE.
Süß Erkennen schließt die Wunde,
Alles mir so wohl gefällt,
Und ich fühl an deinem Munde
Aufgang, Untergang der Welt.
FRAU.
Seht, das ist der Lohn der Zarten,
Dieser süßen Thränen Glanz,
Seht die Myrthen in dem Garten,
Winden sich im Thau zum Kranz.

Sie bekränzt die Jungfrau mit einem Myrthenkranz und giebt ihr einen Strauß von Rosen.

Und die Rose lehrt euch beiden,
Ihre Dornen fühltet ihr,
Doch in Dörfern, wie in Sädten
Bleibt sie stets die höchste Zier.
Heute sind es sieben Jahre,
Daß ich ruht in gleichem Glück,
Und die Flügel neuer Jahre
Decken nicht dies erste Glück!

Olympie verneigt sich und geht schweigend ins Haus.
ZUSCHAUER
die sich allmählig eingefunden haben.

Der Spaß ist aus, ich wollt, er wär noch einmal so lang gewesen. Zweiter. Mir ist mein Lebtag kein solch Vivat vorgekommen. Dritter. War es denn die kleine Ach-Herr-je, die gesungen hat mit ihrer kleinen Schwester, der Bursche war Lungenfeld. Vierter. Mir [50] ists dabei im Magen kalt geworden, ich geh zu Dost, er ist noch stets mein Trost. Fünfter. Gut Nacht, ich will noch Veilchen pflücken. Die Zuschauer ab.

CARDENIO.
Sie hat gedankt, sie hat es angenommen.
PAMPHILIO.
Ich hab es selbst gesehn, sie neigte sich.
CARDENIO.

Pamphilio, ich muß dich küssen und doch beneid ich dich um die Erfindung, was wußte sie von mir dabei, ach dir gehört der Gruß, der Dank, bei Gott ich bring dich um, wenn du's ihr je verräthst. Jetzt ist sie sicher schon in ihrem Zimmer, jetzt kleidet sie sich aus, ach immer schöner, schöner. Wie wag ich doch, so was zu denken, verzeih mir Geist der reinen Liebe, nein trag ihn nicht in ihren Traum hinüber, den frevelhaften Blüthenstaub. Schlaf ruhig ein Olympie.

Wie Mimosa schließt die Blätter,

Also schließ die Augenlieder,

Morgen weckt ein keusches Wetter

Deine hellen Augen wieder,

Und du öffnest dann die Laden

Und es steigt so schöne Luft,

Alle Blumen sind geladen,

Und sie opfern ihren Duft.

PAMPHILIO.
Ihr Musikanten jetzt ganz leise eine Nachtmusik, bis das Nachtlicht in dem Zimmer löschet.
10. Auftritt
[51] Zehnter Auftritt.
Olympiens Zimmer. Die Musik vor der Thür schallt leise, aber vernehmlich. Doris führt Lysander herein.

DORIS.
Mir ist so bang ums Herz, ich thu gewiß nicht recht.
LYSANDER.
Das glaub mir nur, zum Guten ist uns bang und auch zum Bösen, wenn es viel Muth und Arbeit kostet.
DORIS.

In diesem Schrank, er ist gerad so groß wie Sie, ich weiß es, denn wenn ich davor gestanden, so mußt ich immer an Sie denken, da müssen Sie sich drin verstecken, da ist ein Schlüssel der ihn aufschließt, ich weiß nicht, wo ich ihn gefunden, er paßt recht gut.

LYSANDER.
Wie bist du denn darauf gekommen, ihn zu probiren, du stiehlst doch nicht.
DORIS.

Ei pfui, wer wird so schlecht von Leuten denken, die Neugier trieb mich und ich dachte in dem Schrank des Fräuleins Liebesbriefe zu entdecken, ich wollte lernen, wie man die Briefe vornehm schrieb.

LYSANDER.
Und hast du sie gelesen?
DORIS.

Du liebe Zeit, das waren schöne Liebesbriefe, Gebete, Versche waren es, ganz dumme Kindermährchen, erbauliche Betrachtungen, wie sie ihr Herz verbessern wollte, das lernt sie alles aus den[52] Büchern. Nun gieb mir einen Kuß, ich lasse dich allein.

LYSANDER.

Wenn alles gut geht, sollst du deinen Kuß erst kriegen, sei nur recht wachsam, giebt es Lärmen, mich durch die Seitenpforte auszulassen. Wer macht denn das Gedudele da unten in der Straße?

DORIS.

Recht weiß ichs nicht, an mich hat er sich nicht gewendet, wie alle andre, vielleicht ist's der Cardenio, der heut am Markte meinem Fräulein zärtlich zugesprochen, es ist ein schöner Herr, es lacht das Herz ihm gleich entgegen.

LYSANDER.
Das war ein schlimmer Handel, wenn ich mit dem zusammen träfe. Wo bleibt denn noch Olympie?
DORIS.

Sie sucht sich Abends meist ein Buch in ihres Bruders Sammlung und sucht so lange, bis sie nichts mehr lesen mag.

LYSANDER.

Nun gut, jetzt lasse mich allein, wir überhören sonst die zärtlich leisen Tritte, denn wie ein Sternbild wandelt sie am Rand der Erde, regiert sie strenge und berühret sie doch nicht. Sei wachsam und bereit.

DORIS.

Ich will den Kuß mir treu verdienen du harter grimmiger, kalter, lieber, lieber Bösewicht. Sie küßt ihn und geht zögernd ab.

11. Auftritt
[53] Eilfter Auftritt.
LYSANDER
allein.

O dieser Kuß, ich wollt, ich wär ihn los von meinen Lippen, die ganz in Himmelswonne träumend sich erquicken, hier in Olympiens Nähe wird mir Gemeines ganz verhaßt, wie wünschte ich mein voriges Leben zu vergessen. Gemeine Sünden könnt ich hier nicht thun, so tröstet's mich, daß ich erschrecklich freveln will. Was thue ich? Es ist der Sprung des ganz Verzweifelten hin über einen Abgrund, schon hinter mir versinkt die Welt, ich kann nicht mehr zurück. – Ich möchte mit dem Himmel den Vertrag hier schließen, für diese eine Schuld wollt ich mein Leben seinem Dienste weihn; o heil'ger Gott schließ den Vertrag, schlag ein. – Wie sprech ich so von Gott und hab den Teufel in dem Herzen, doch hier in ihrer Nähe verliert, wie in dem Kelch des Abendmahls die Schlange all ihr Gift, der enge Raum wird hier zum weiten Himmel. – Wie die Musik mich quält, wohl mir, da hier ein Licht, es ist genug in dieser kleinen Welt die trüben Nachtgedanken zu zerstreuen. – Wie friedlich steht das kleine Bett, die weiße Decke ist so straff darauf gezogen, es ist nicht weichlich, ach ich muß doch einen Augenblick darauf mich setzen – und nun ich sitze, fühl ich erst, wie's mir so weich, in diesem Augenblicke möchte ich für eine Ewigkeit erstarren, zum Denkmal werden [54] meiner eignen Ruhe. – Wie quälen mich die sanften Flöten wieder; sind ich denn nichts, was mich auf andere Gedanken bringen kann. – Da liegt ein aufgeschlagnes Schreibebuch, wie liegt es ordentlich in gleicher Linie mit dem Rand des Tisches, mit dem Stuhle, das Dintfaß steht in richtiger Entfernung recht davor, die Feder liegt so reinlich ausgewischt daneben, o schöne Ordnung, Spiegel ihres Geistes. – Was hat das liebe Kind geschrieben? Er liest. »Führ mich nicht in Versuchung Herr und Gott, schenk mir die Wahrheit und bewahr mein Herz.« Nur wenig Worte, aber inhaltschwer, sie drücken meinen bösen Willen nieder, der schwarze Vorsatz weicht mir wie in Fieberwahn, kaum glaub ich, daß ich ihn geheget. Führ mich nicht in Versuchung, liebes Kind, so will ich nun zu dir auch beten: Es wird mir leicht, ich eile fort noch eh die Liebliche gekommen, daß nicht mein Aug die Heimlichkeit erblickt, der es nicht widerstehen kann. Er springt zur Thüre, in dem Augenblick ruft Olympie draußen.

OLYMPIE.
Doris bring Licht, ich will zu Bette gehen.
LYSANDER
springt zurück.

O Himmel, als ich mich bessern wollte, war's zu spät; fort in den Schrank, fort in die dunkle Hölle. Er springt in den Schrank, den er hinter sich zudrückt.

12. Auftritt
[55] Zwölfter Auftritt.
DORIS
sieht sich erst scheu um.
Es brennt schon Licht mein gnäd'ges Fräulein.
OLYMPIE.

Wie unvorsichtig, Doris, hast du den Wächter nicht gehört, bewahr das Feuer und das Licht, das Zimmer ist so voll von Dampf, das Licht ist weit herabgebrannt, geh putz es, mach das Fenster auf, die Luft ist noch so angenehm.

DORIS.
Auch die Musik klingt jetzt viel heller.
OLYMPIE.
Ich höre sie recht gern, sie scheint bestimmt zu meiner Ehre.
DORIS.

Ich möchte wissen, wer sie bringt; ganz sicher der Lysander, ich sah ihn heute sehr beschäftigt laufen.

OLYMPIE.
Ich bitte dich, mach nur die Fenster wieder zu; es thut mir leid, daß er sich Müh und Kosten macht.
DORIS.
Es ist doch gar ein schöner artger Herr.
OLYMPIE.
Wen meinst du?
DORIS.
Wen anders, als Lysander, Ihren treuesten Verehrer.
OLYMPIE.

Ich halte ihn für einen zuverlässigen Freund, doch muß sein unaufhörlich Werben und Hofmachen mich ermüden, ich gab ihm nie die kleinste Hoffnung; er hindert mich dadurch, wohlwollend ihm die Freundschaft, jene Achtung auszudrücken, die er [56] mir eingeflößt, er würde stets viel mehr daraus sich schließen, als ich gemeint.

DORIS.

Die Leute sagen doch, wenn Sie mit ihm spazieren gehen, ja das ist noch ein Paar, das recht zusammen paßt, verständig sind sie beide und wie schön!

OLYMPIE.

Die Leute sagen viel, geh nur zu Bette, ich hab bei meinem Bruder gar ein schönes Buch gefunden, das will ich ruhig lesen, es handelt von der Nachahmung des Herren Christus, ich bin noch gar nicht müde.

DORIS.

Mein Gott bei solchem Buch, da schliefe ich gleich ein. Nun gute Nacht, mein liebes gnäd'ges Fräulein. Doris ab.

13. Auftritt
Dreizehnter Auftritt.
OLYMPIE.

Zuweilen mein ich, Doris sei Mann, ich kann mich nicht vor ihr entkleiden, blickt so frech, ich fühl mich so beschämt, es ist mir lieb, daß ihre Zeit bald um und daß sie selber mir hat aufgesagt, es wird mir gar zu schwer, wenn den Mädchen muß den Abschied geben ich beschämter dann als sie. – Wie lieblich reget die Musik mir Herz und Pulse an, es war gewiß Cardenio, ich gehört, der tiefe ernste Ton der Stimme hat mir sein Bild in einem dunklen Spiegel dargestellt, der Umriß ähnlich, aber finster farbelos, als ständ ein [57] großes Unglück drauf gezeichnet, das dieses Waldhorn jetzt so rührend klagt. – Gern möchte ich ihm etwas schenken für die Freude und die Schmerzen, die er mir in das Herz gesungen. – Da fällt mir eine Locke unbequem ins rechte Auge, daß es in Thränen sich ergießt, – ein rascher Schnitt und sie gehört nicht mehr zu mir, – fort aus dem Fenster flieg hinaus, und will das Glück dir und auch ihm recht wohl, so führ der Abendwind dich schnell in seine Hand. – Fort ist sie, wars auch recht, was ich gethan? Ich schäme mich, ich werd ganz roth, ich will im Bette mich verstecken, das steht ganz sicher nicht in der Nachfolge unsres Herrn. – Was find ich hier auf meinem Bett, es ist doch unbescheiden von der Doris, daß sie aus Langeweile sich darauf gesetzt; doch freilich, das arme Mädchen hat gar lange warten müssen, bei der Musik ist mir die Zeit so schnell vergangen, das Dienen ist ein hartes Leben, macht gegen feineren Genuß so stumpf, ihr schallte doch Musik so gut wie mir. – Und jetzt erschreckt mich dieser Eindruck auf dem Bette. – Warum? – Nun fällt mirs ein, es ist ein altes Geistermährchen das ich in einem Kinderbuch gelesen, von einer Mutter, die im Wochenbett gestorben und dann als Geist bei ihrem Kinde nächtlich wachend saß, als seine Amme sorglos es verlassen hatte, am andern Morgen sah die Amme noch den Eindruck, wo sie gesessen, das [58] Kind war satt und froh. – Ich muß das Buch noch haben, es war voll wunderbarlicher Geschichten es liegt wohl in dem Schranke. Sie geht zum Schranke, Lysander springt hinaus, löscht mit seiner Hand das Licht und küßt sie.

OLYMPIE.
Cardenio, das ist Verrath, zu Hülfe, Hülfe.
LYSANDER.
Cardenio.

Er springt durch die Seitenthüre fort, Olympie sinkt in Ohnmacht.
Vor der Thüre ein Rufen von Cardenio, Pamphilio und Musikanten: – Brecht ein, rasch, drein! – Die Thür wird erbrochen, viel Rufen erschallt im Hause, wobei Olympie in der Ohnmacht liegen bleibt.
14. Auftritt
Vierzehnter Auftritt.
CARDENIO
mit bloßem Degen tritt ungewiß zur Thüre ein.

Aus diesem Fenster, das erhellt noch eben, aus dem die Locke mir gefallen, schien mir ihr Angstgeschrei zu kommen, ganz finster wurde es auf einmal, sie rief mich und es war ein unterdrückter Schrei, Gott, wenn die Decke auf sie nieder wär gestürzt, hier ist kein Stein, daß ich mit meinem Schwert könnt Funken hauen, ihr Augen leuchtet mir, o zöge doch ein fliegender Drache übern Himmel, verbrennte er auch eine Welt, daß ich nur einen Augenblick hier sehen könnte. – Was auch geschehen, ich kam zu spät zur Hülfe. – Was rührt hier meine Hand, wie [59] weich, wie voll, ists eine Todte? Nein, noch fühl ich Lebenswärme. Athem. He Hülfe, Hülfe, Licht; o wär sie es, wär sie todt, und weit von hier, du guter Degen solltest mir den Weg schon bahnen, daß ich ihr nach, mit ihr zugleich die dunkle Todesstraße wandelte.

15. Auftritt
Funfzehnter Auftritt.
DORIS
mit einem Lichte, vor sich redend.

Dem Himmel sei's gedankt, Lysander ist hinaus, die Thür verschlossen, ein Augenblick, so war's zu spät, schon hört ich unsern Herrn rufen, laufen.Laut. Ach gnädiges Fräulein, was für ein Unglück ist denn hier geschehen, ich lag im ersten Schlaf, als ich sie schreien hörte, mein Gott, da liegt ja das liebe Fräulein ausgestreckt ganz bleich. – Ei Herr Cardenio, wo sind Sie hergekommen, hier ist des Fräuleins Schlafgemach, was haben Sie mit ihr gemacht, Sie haben noch den bloßen Degen in der Hand. – Sie läuft nach der Thüre. He Hülfe, Mörder!

CARDENIO.

Daß dies dein letzter Athem wär. Schaff Hülfe, statt zu schreien, Riechwasser her, es scheint nur Ohnmacht.


Viren in Pantoffeln, einen Schanzläufer übergehängt mit dem Degen.
VIREN.
He, welch Geschrei in stiller Nacht was giebt es Doris, sicher eine Spukgeschichte.
[60]
DORIS.

Da sehen Sie nur Herr den Spuk, der Herr Cardenio mit bloßem Degen, das gnäd'ge Fräulein liegt in Ohnmacht.

CARDENIO.
Gebt Wasser her, sie scheinet zu sich selbst zu kommen.
VIREN.

Cardenio! Von meiner Schwester fort! Mir steigt das Blut zu Kopfe – verruchter Schänder der jungfräulichen Ehre, der du das heil'ge Recht des eignen Hauses nicht gescheuet, den Bann der friedlichen Nacht gebrochen, was hält mich, daß ich dich nicht niederstoße?

CARDENIO.

Mein Degen. Jetzt sorge nur für deine Schwester, die ist was mehr werth, als wir beide. Sie schlägt die Augen auf, o welch ein liebevoller Anblick.

VIREN
nimmt Olympien in die Arme.
Wie ist dir liebe Schwester, was ist dir geschehen?
OLYMPIE.
Ach mir geschah so schmerzliche Beleidigung.
VIREN.
Sprich nur schneller.
OLYMPIE
schwach.

Ich hatte mich schon halb entkleidet, geh zu diesem Schrank, da springt Cardenio heraus, erstickt mich fast mit seiner Küsse Wuth ich find in seinem Arm mich wieder, er ist wohl fort; ach frag ihn Bruder, ob ich je freche Blicke ihm gegeben, so schnöde Worte ihm gesagt, die solche Frechheit reifen ließen.


[61] Einige Bediente Virens kommen mit Waffen.
BEDIENTE.
Ist hier der Dieb, schlagt zu.
VIREN.
Ha Bube, so ehrlos wie du ehrbegierig, hier auf der Stelle mußt du bluten.
CARDENIO.

Du wärst der erste Prahlhans nicht, den ich schon auf die Kniee hab gesetzt, euch andren hätt ich auch noch Lust zur Ader hier zu lassen, doch hier hält mich ein Blick zurück, den ich noch ehre, selbst da, wo er mich hat so ganz verkannt.


Pamphilio und einige Musikanten dringen ein.
PAMPHILIO.
Halt, was geschieht hier, blanke Degen, Olympie erblassend, ich wollt ich wäre weit davon.
MUSIKER.
Haltet ein, ihr Herren, hört doch die Vernunft mit kaltem Blute an.
CARDENIO.

Bei Gott, ich bin ein Gletscher, kann euch alles sagen, wie vor den Gerichten. Ihr Herren sagt, wann bin ich in dies Haus gedrungen?

ERSTER MUSIKANT.

Je Herrchen, das müssen Sie am besten wissen, es sind nicht fünf Minuten, daß wir Sie auf der Straße hingestreckt erblickten, seufzend nach den Sternen, so sagt der Poet.

CARDENIO.
Wie kam ich dann darauf, die Ruhe dieses Hauses so zu stören?
EIN ANDERER MUSIKANT.

Da war nichts mehr zu stören, Domine, als sie mit uns hineingedrungen, da war ein Schreien drin von einer Weiberstimme, [62] ein Lichtauslöschen, als wäre Mord geschehen, es fuhr mir eiskalt übern Rücken, daß mir die Flöte an die Erde fiel.

VIREN.
Es ist nicht wahr.
ERSTER MUSIKANT.

Mein Herr Viren, wir kennen uns ja länger, ich gab ja schon Ihrem Herrn Vater Unterricht auf Geige und auf Flöte, er lernte erst nicht viel, dann aber kriegte er einen guten Ansatz, als er ward verliebt.

PAMPHILIO.
Was soll das hier.
ERSTER MUSIKANT.

Das Herrchen ist so böse, es erkennt mich nicht, ob ich ihm gleich zwei Stunden alle Woche gebe auf der Geige. Ja Herr Viren ich schwör es ihnen bei meiner Ehre, hab ich gleich nur wenig Ehre, Sie thun dem Herrn Cardenio ein großes Unrecht, wenn Sie meinen. –

OLYMPIE.
Er nannte sich Cardenio, als er mich küßte, als er mich schändete, ich schwörs zu Gott.
VIREN.
So schweig doch Schwester vor den Leuten. – Nun weiter.
ERSTER MUSIKANT.

– – – wenn Sie meinen, daß er das Haus hat aufgestört, er sprengte erst nach vielem Hülfe-Schreien, das drin erscholl, die große Thüre, wir drangen mit ihm ein, und er kam früher hier herein, weil – – –

PAMPHILIO.

Weil er der Muthigste von uns und der Verliebteste. Armer Cardenio, ein andrer hat [63] in deinem Namen die Ernte mit Gewalt entrissen, und draußen standest du als Wächter.

OLYMPIE.
Ich vergeh, ich bin verrathen.
CARDENIO.

Darf solche Schönheit solche Schmach erfahren, darf meine Liebe so verrathen werden, die Welt erscheint mir anders auf einmal – wie wird mir doch, es dreht sich alles rings umher, die Streifen an der Wand, sie ringeln sich zu Schlangen.

PAMPHILIO.
Du schwindelst Freund, halt dich an mir.
VIREN.

Ich muß verstummen, an niemand kann ich meine Wuth auslassen, ein gräßlich Räthsel quält uns alle. Verzeihe mir Cardenio, nur dir hätt ich des Unternehmens Kühnheit zugetraut, die Trauer und die unterdrückte Rache zerrissen mir das Herz ich ahne schlimme Folgen. Ihr Leute, ihr Herren Musiker erfrischt euch draußen nach dem Schrecken, geh Doris, sorg für sie, ich habe noch zu sprechen mit Cardenio.

DORIS
vor sich.
Hätt ich wohl je geglaubt, daß das so enden könnte, ich hätt es nimmermehr gethan.
16. Auftritt
Sechzehnter Auftritt.
CARDENIO.

Nicht lange mehr ertrag ich dies Gewühl in meinem Busen, in wilden Rasereien möcht ich [64] mich selbst entladen von dieser Wahrheit, diesem schrecklichen Bewußtsein, daß alles wahr.

VIREN.

So sprech ich kurz, ich höre, daß du meine Schwester liebst, sag Schwester, liebst du auch Cardenio, da du ihn schuldlos weißt. – Du schweigst, das nehm ich für dein Jawort an. Auf denn, laß uns den Zwist in einem festen Bündniß unter uns vernichten.

CARDENIO.

O meine Ehre, wär ich deiner nur so leicht entladen, wie diese Jungfrau der Jungfräulichkeit, könnt ich nur erst ertragen lernen, daß mich einer schlüg auf öffentlichem Markte, und daß ich blos den Buckel riebe, knurrend wegging, ja dann wär ich ein guter Ehemann.

VIREN.

Ich darf dich nicht verstehen, wohl weiß ich, daß der Schwester Ruf durch diese Nacht kann leiden, doch ihre Zucht hat nicht gelitten, sprich Schwester, dir ist nichts geschehen?

OLYMPIE.
Gott, ich vergeh vor Scham!
CARDENIO.
O Jungfrau, darf ich an dich glauben? Es ist doch ein gefährlich Spiel um Jungfraunehre.
VIREN.

Sie schweigt, das will bei zücht'gen Mädchen nicht viel sagen, gebt euch die Hände und verlobet euch, die ganze Stadt denkt dann, daß es Cardenio gewesen, der sich mit einem Scherz in diesem [65] Haus versteckt, erkennt es dann für einen der genialen Streiche, wofür Cardenio bekannt.

CARDENIO.

Doch was sagt dann der eben hier verschwundene? Ein Wort, Olympie? Was that der Fremdling. Er flüchtete im Augenblick, da er Sie küßte, er hätte Ihren hohen Blick nicht tragen können, darum hat er die Lichter ausgelöscht.

OLYMPIE.

Und wer giebt Ihnen dieses stolze Recht, mich wie ein Richter auszufragen, wir sind uns fremd und bleiben fremd für immer; wer gab dir Bruder dieses Recht, so meine Hand zu schenken, als wärs ein weggeworfnes Gut, aus Mitleid soll mich jetzt Cardenio nehmen, viel lieber nehm ich den, der eben war bei mir versteckt, so hassenswerth sein Frevel dir erscheint.

VIREN.
Ich staune, Schwester, über dich.
OLYMPIE.
Aus Erden war kein Mädchen je so tief gekränkt.
CARDENIO.

Weil denn die Welt dem Teufel ganz gehört, nimm mich du Teufel hier und ewiglich nichts kost ich dir, frei geb ich mich dir zum Geschenk. Fluch aller Liebe, die mich zähmte und bezwang, Haß, Zorn, ihr macht mich reich, ihr füllet mir das Herz, so fließt denn über in die öde Welt, auf die kein göttlich Auge blickt, im Feuer soll sie untergehen. Ab.

17. Auftritt
[66] Siebzehnter Auftritt.
DORIS
vor sich.
Der stürmte wüthend fort.
VIREN.

Und ich kann gar nichts thun, du alter Ruhm des Hauses, du hohe Ehre meiner Schwester, vom Giftthau einer Nacht sollst du verzehret sein. Entehrt, geschändet, meine Schwester, sprich im Augenblick, wer wars? Du schweigst. – Unselige, – so stirb, nimm meinen letzten Segen! Er will sie durchbohren, Doris hält ihn.

DORIS.

Beim Himmel, sie ist so rein und schuldlos, ich hatte sie im Augenblick verlassen, als sie um Hülfe schrie.

VIREN.
Doch schweiget sie.
DORIS.
Mein Fräulein sprechen Sie, es ist nur Stolz, der ihr den Mund verschließt.
OLYMPIE.

Wer konnt es wagen, je mich zu entheiligen, was schadet mir ein Kuß, von dem die Lippen nichts gewußt.

VIREN.
So laß dich von des treuen Bruders Lippen küssen.
OLYMPIE.

Jetzt kann ich dich nicht küssen, mir ist zu weh und ernst, du hast gewagt mich einem Fremden ohne meine Zustimmung zu übergeben, das hat mich sehr gekränkt, doch ich vergeb es dir. Wer hat gewagt, mich zu verschmähn? – Cardenio! – Vergebs ihm Gott, nein ich vergebs ihm nie!

18. Auftritt
[67] Achtzehnter Auftritt.
Großer Kommerschsaal auf dem Keller. Die Musik auf einer Gallerie, von Tabakswolken verhüllt, viele Studenten an Tischen, die Chorführer mit gezogenen Hiebern, Halloren schleichen an den Tischen umher.

PRÄSES DER STUDENTEN.
Alles schweige,
Jeder neige
Ernsten Tönen nun sein Ohr,
Hört ich sing das Lied der Lieder,
Hört es meine deutschen Brüder,
Hall es wieder frohes Chor.
ALLE.
Hört, er singt das Lied der Lieder,
Hört es wackre deutsche Brüder,
Hall es nieder frohes Chor!
CARDENIO
tritt verstört ein.

Schlafen mag ich nicht und Alleinsein ist mir schrecklich, was ich von den Wachenden höre, ärgert mich. Guten Abend.

VIELE.
Guten Abend, Cardenio, woher so spät? Du mußt hier präsidiren.
CARDENIO.
Recht so, das will ich auch, Wein her!
VIELE.
Nun wirds erst lustig und recht wild hergehn, wir wählen einen Papst.
CARDENIO
trinkt.
Still!
Mein Halle lebe wohl,
Der Abschiedstag ist da,
[68] Ich glaube, ich bin toll,
Ihr seid der Tollheit nah,
Gefährten meiner Freuden,
Die Thräne fließt für Euch,
Ich soll nun von mir scheiden,
Kein Schmerz ist diesem gleich.

Er weint und läuft fort.
BECKER.

Ich glaube wirklich, der ist toll geworden, der Schmerz über die unselige Promotion wirkt nach, die Haare stehen mir vor ihm zu Berge und der Wein gerinnt.

SUPPIUS.

Er ist doch sonst kein sentimentaler Hund, aber er sah so wehmüthig aus, als hätte er an Meerrettig gerochen.

DIENEMANN.
Ich werde euch gleich Nachricht bringen, was ihm fehlt.
WAISENHÄUSER.
Ich hab ihn lauge beobachtet, er war immer sehr überspannt, das endet immer so in Melancholie.
VIELE.
Wein her!
EINER.
Das Gähnen ist mir näher.
BECKER.

Es ist mir grade, als hatte ich ein Haar darin gefunden. Der ganze Spaß ist uns verdorben, als wär ein Geist erschienen unter uns. Es war wohl nur sein Geist, er ist vielleicht erstochen worden.

SUPPIUS.
Hol dich der Teufel!
VIELE.
Wo ist ein Geist?
[69]
SUPPIUS.

Einen Geist muß ich sehen, heraus ihr Geister aus allen Grüften, zeigt euch, denn ich rufe, es giebt keine.

AHASVERUS
tritt langsam ein, vor sich.
Ich muß doch zusehn, ob Cardenio hier nicht zu finden, ich fürcht, ein Unglück ist ihm geschehen.
SUPPIUS.
Ha der Geist. Läuft fort.
VIELE.
Der Geist, es schlägt zwölfe, fort, Platz! Alle in unordentlicher Flucht zur andern Thür hinaus.
AHASVERUS.
Tags zum Spotte, Nachts zum Schrecken, geh ich durch die weite Welt.

Ende des ersten Aufzuges.

2. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt.
Virens Bibliothek-Zimmer. Doris fegt aus und fängt an zu singen. Wer nur den lieben Gott läßt walten.

DORIS.

Ich weiß auch gar nicht, was ich thue, alles wird verkehrt, kaum habe ich einen Fleck hier rein gefegt, vergeß ichs wieder, feg ihn von der andern Seite voll. Warum die Herren Gelehrten sich wohl die Füße vor der Thüre nicht rein machen, ja wenn der Dreck nur den Gelehrten macht, bewahr mich Gott vor der Gelehrsamkeit. Sie singt.


Es sind ja Gott sehr schlechte Sachen.
Und ist dem Höchsten alles gleich,
Die Reichen klein und arm zu machen,
Den Armen aber groß und reich,
Gott ist der rechte Wundermann,
Der bald erhöhn, bald stürzen kann.

Sie sieht sich im Spiegel und rückt an der Haube.

Seh heute morgen doch ganz anders aus, das kommt von dem Schreck, – das war ein schlimmer Abend ich – mag die Haube ziehen wie ich will, sie sitzt mir immer schief – das muß wohl an dem Spiegel liegen, es scheint ja alles drin so schief – was die [71] Gelehrten all für dumme Spielereien um sich haben. – Da hat das gnädige Fräulein gestern Abend ihren Hut vergessen, wenn ich es hätt gethan, da wär es ihr nicht recht, blieb der nur eine Stunde hier, der würde schön nach Tabak riechen. Ich muß ihn mir doch einmal ausprobiren – er stehet mir recht gut. Ei sieh, viel schönen Dank Herr Nachbar, – der hat die Mütze abgenommen, meint, ich wär das Fräulein. – Kleider machen Menschen. – So gehts in der Welt, wenn ich auch solchen Hut befahlen kann doch lachten mich die Leute damit aus, wem ich ihn trüge. – Die Herrschaft kommt, geschwinde fort, ich muß doch horchen, was sie von der letzten Nacht noch sprechen.Sie geht aus der Thüre und läßt sie ein wenig auf.

2. Auftritt
Zweiter Auftritt.
VIREN
tritt müde ein; geht an den Bücherschrank und nimmt ein Buch nach dem andern heraus.

Verliebte sind dem Kranken gleich, sie haben einen Appetit nach etwas und sie wissen doch nicht, was es sei, nach allem greifen sie, und wenn sies haben, stoßen sies mit Widerwillen von sich weg. Dies civilistische Werk von dem Besitz ist sonst mein liebstes Buch, ich setze mich zum Sitzen nieder und besitze diesen Stuhl; die Augen fallen zu, das Buch fällt an die Erde, ich möchte schlafen und sinke aus dem Rechte des Besitzers [72] zum größern des Beschlafens. – Celinde, der eine Name weckt mich auf und geht mir ein, so wie ein frischer Trunk. – Wenn ich nur endlich noch ergründen könnte, wem zu Liebe sie mich so schnöde abweist. – Und hier im Hause mit einem Herzen voll von Thorheit, muß ich den weisen vorsichtigen Bruder spielen, ich glaubs mir selbst am Ende, daß ichs bin, der Weisheit Maske ist mir so beschwerlich fast wie jenem Königssohn die eiserne, die er so viele Jahre tragen mußte, damit man ihn nicht an der Ähnlichkeit erkenne, in diesem Augenblick mag ich der Thorheit ziemlich ähnlich sehen, ein tausend weise Bücher rings umher und in dem Kopf ein Mädchen das die andern um des bösen Rufes willen meiden. – Mit den Juristen geht es heute nicht, sie sind so schlüpfrig, daß ich sie nicht fassen kann, ich will mich jetzt zu den Poeten wenden – ach die unglücklichste Poetin ist die Liebe, die sich nicht sagen darf, die Niemand soll verstehen, und deren man sich schämt und die man doch nicht lassen kann. Mir ist so nüchtern noch zu Muthe, doch taumle ich von alle dem Unwesen in mir wie ein trunkner Schwärmer.

Doris geht durch das Zimmer. He Doris, sag, was macht dein Fräulein?

DORIS.
Sie scheinet heute sehr betrübt, sie hat nur wenig schlafen können.
VIREN.

Das thut mir leid, ich möcht nur wissen, [73] wo der Dieb ist hingekommen, und er sich hat eingeschlichen.

DORIS.
Ja wüßten wir nur das, wir hätten ihn schon lange.
VIREN.

Wohl wahr. Du bist nicht dumm. Ich glaub, du schminkst dich Mädchen daß ich das ja nicht von dir höre.

DORIS.
Ei Gott bewahre, gnäd'ger Herr, was denken Sie von mir.
VIREN.
Hast du denn keinen Schatz? Giebt ihr einen kleinen Schlag.
DORIS.
Au weh, dazu bin ich noch viel zu jung. Ab.
VIREN.

Nein im Hause muß man sich vor jeder Liebschaft hüten, das nimmt gleich den Respekt. – Ich höre meiner Schwester Tritt, ich muß mich doch in Ordnung setzen, beinah hätt ich das Buch verkehrt mir vorgelegt.

3. Auftritt
Dritter Auftritt.
VIREN.

Nun guten Tag du arme Schwester, hast wohl schlecht geschlafen, besuchst du mich einmal bei meinen Büchern, du bist die schönste Seltenheit darin! – Ihr Mädchen habts doch gut, wenn ihr ein bischen nachseht in dem Hause, da meint ihr Wunder was ihr alles habt gethan – ich hab seit frühem Morgen bei den Akten schwitzen müssen.

[74]
OLYMPIE.

Da stör ich dich vielleicht, seit gestern Abend kann ich nicht allein mehr sein auf meinem Zimmer, es wird mir angst und bang. Aus den Tapeten scheinen Augen auf mich hin zu blicken.

VIREN.
Das sei ein Zeichen dir, der Mensch soll nicht allein sein.
OLYMPIE.

Fängst du schon wieder die Geschichte an, jetzt paßt sie gar nicht mehr, ich bin beschimpft, wer wird mich nehmen?

VIREN.

Sieh eben jetzt empfing ich diesen Brief noch von Lysander, er schreibt darin, daß manche böse Rede über dich erschalle, er traue deiner Unschuld, deiner Tugend, er flehe jetzt um deine Hand noch eifriger, um diese böse Nachred zu vernichten, als sonst aus Ungeduld der Liebe.

OLYMPIE.
Es ist ein edler Mann, ich weiß es lange.
VIREN.

Du weists und weists auch nicht, du überlegst es nicht, was so ein Anerbieten wohl verdient. Hör einmal aufmerksam die Verse des alten Gryphius, da ist kein neuer Wortprunk, nein, da ist die Wahrheit und sie paßt auf dich vollkommen. Sieh ein, setz dich auf meinen Schooß und sieh mit mir ins Buch, er führt den Menschen hier mit den vier Jahreszeiten, wie mit den vier bekannten Menschenaltern sehr geschickt zusammen, nun redet ihn die Zeit so an:

[75] Mensch, dies ist des Himmels Schluß,

Dem, was sterblich folgen muß,

Das du sonder Mitgefährten nicht dein Leben sollst vollbringen.

Viere wird man dir vorstellen: Möchte dir die Wahl gelingen.

Wer sich hier nicht nimmt in Acht,

Wer sein Glück einmal versieht.

Ist um das, was er veracht,

Für und für umsonst bemüht.

OLYMPIE.

Das sag nur dem Cardenio, nicht mir, er wird sich noch umsonst nach mir bemühen, er hat mich tief gekränkt.

VIREN.

Jetzt hör nur weiter an, es passet auch auf dich und auf Lysander, ist er nicht jung und schön und mag den Frühling wohl vorstellen, der allzuerst dem Menschen wird herbeigeführt. Der Mensch da spricht:

Kommst du auf Erden mich zu grüßen,

Ach möcht ich stets mich um dich wissen,

Du rosenfrisches Angesicht; ihr goldnen Haar

Seid stark, mein Herze zu bestricken,

Das über Euch, als im Entzücken,

Nicht weiß, worin es schweb, in Luft, ob in Gefahr.

OLYMPIE.
Es ist nicht wahr.
VIREN.
Still still, so meint der Mensch auch hier im Buche.
Wie hurtig ist der Gang, wie artig steht das Kleid,
Doch kann der Himmel höh're Gaben
[76] Den übrigen verliehen haben,
Das Erst ist nicht das best. Schnell Schließen schafft oft Leid.
OLYMPIE.
Wer sich hier nicht nimmt in Acht,
Wer sein Glück einmal versieht.
VIREN.

Ganz richtig. Die Zeit führt nun den Sommer rasch herbei, die Sonne hat die Wangen ihm gebraunet, er will genießen, er dringet auf Entschluß. Das Fräulein spricht:

Schön ist er, doch mir gar zu strenge,

Ich leide Mangel bei der Menge,

In dieser Wahl, da find ich Qual,

Ich wollt ich fänd auf einmal.

OLYMPIE.
Wird also fortgeschickt. Die Zeit spricht wieder:
Wer sein Glück einmal versieht,
Ist um das, was er veracht,
Für und für umsonst bemüht.
VIREN.

Nun kommt der Liebhaber als der Herbst und schüttet seinen Reichthum, seine Früchte vor ihr aus, der Scheitel ist schon kahl, doch steht er noch auf festen Füßen, das Fräulein aber spricht:

Die Wangen sind ihm fast erblichen,

Der vorhin weißen Glieder Schnee

Wird gelblich, die Korallen Höh

Ist von den Lippen schier gewichen,

Der ists nicht, der mein Herz ergötzt,

Das Beste kommt wohl auf die letzt.

OLYMPIE.
Wer sich hier nicht nimmt in Acht –
[77]
VIREN.
Dann kommt der Winter an dem Stabe, mit der Fackel zitternd, es ruft das Fräulein mit Schrecken:
Weh mir, was seh ich hier, ist dies mein ganz Verlangen,
O häßlich Grauenbild. Was ist die Fakel noth!
Bist du nur in mein Grab zu leuchten vorgegangen,
O lebend Krankenhaus, du Vorbild von dem Tod,
Weh mir, was find ich hier, ist dies mein langes Wählen,
Wie schlägt mein Hoffen aus! O möcht ich nun zurück,
Soll ich mich für und für mit diesem Scheusal quälen,
O allzuspäte Reu, o höchts verscherztes Glück!
Die Zeit verwandelt sich nun in den Tod und spricht:
Der ists, den du haben mußt,
Weil der andern dreien Keiner
Würdig deiner stolzen Lust,
Zage, schreie, lache oder weine,
Da die frische Jugend nicht,
Nicht der vollen Jahre Blume,
Nicht der Früchte herbstlich Licht
Tüchtig dir zum Eigenthume;
So nimm, wofern du nicht willst ganz verloren sein,
Was noch das Alter läßt, statt alle Schönheit ein.
OLYMPIE
steht auf.

Mach zu das Buch, es ist ein schrecklich Bild und doch nicht wahr. Warum soll denn so ganz verloren sein ein armes Mädchen, dem nur der Zufall keinen Mann bescheert, kann sie nicht andern Frauen dienen, der Kinder Last und Lust zu theilen. Statt einer liebeleeren Ehe besser keine, gedenk an unsre Nachbarsleute, sie beide einzeln scheinen [78] Frühlings-Zeit, zusammen machen sie des Winters Härt und Tücke aus.

VIREN.
Und meinst du wirklich, daß Lysander dir so unvereinbar sei.
OLYMPIE.

Bewahr der Himmel nein, sein Umgang war mir immer angenehm belehrend, er fühlt und weiß auch alles, es bindet mich ein tief geheimes Band an ihn, ich schäme mich, es dir zu sagen: die Mutter –

VIREN.
Sprich liebe Schwester, ich versteh dich nicht, die Mutter hat ihn nie gekannt.
OLYMPIE.

Gut darin liegt das Wunderbare eben. Ich hab dir schon erzählt, wie unsre Mutter mir so oft erscheint, wenn ein Verhängniß unser Haus bedroht.

VIREN.

Das rettete uns damals, als uns die wichtigsten Papiere über unsre Güter fehlten. Sie stammte aus prophetischem Geschlecht der heiligen Asen aus Persien her, und die Kosaken, die sie dort dem Juden einst entführten, sie hätten sie dem Vater nimmer überlassen, wenn sie die hohe Eigenschaft geahnet hätten.

OLYMPIE.
Dem Gottergeb'nen ist ein göttlich Leben nur verständlich.
VIREN.
Und wie verstandest du sie diese Nacht.
OLYMPIE.

So mild und schreckenlos, daß ich nichts Süß'res weiß, sie deckte einen schwarzen Vorhang[79] auf, nach welchem ich vorher mit Neugier hingeblickt, es war ein wunderbar Gebirge, oben stand ein klarer Tempel, rund auf Säulen, aus dem die Sonne strahlend schien, am Fuß des Berges war ein Höllendunkel. Cardenio stand hellbeflügelt in der lichten Höh und stürzte sich in jenen Abgrund nieder auf schwarzen Flügeln stieg Lysander zu der Höh, auf der ich erst Cardenio erblickt, und als er oben sah er mich so freundlich an, so sicher, so bescheiden, als dankte er mir seinen Gnadensitz, Cardenio schrie da ganz verzweiflungsvoll aus seiner Tiefe zu mir hin und drohend wollte er sich zu Lysander schwingen doch seine Flügel waren in dem Abgrund ihm versengt, er konnte sich nicht mehr erheben, ich fühlte keine Spur der flüchtig heft'gen Neigung mehr zu ihm und selbst das Mitleid ward mir schwer.

VIREN.

Ich lache sonst der Träume, weil mir noch nie was rechts geträumt, doch dieser Traum tritt über den gemeinen Kreis der nichtgen Bilder hoch hinaus, er scheint ein Ruf aus einem ahnungsvollen Lande, aus einer Vorzeit, die uns hat geboren und die uns darum kennt in unsern Elementen.

OLYMPIE.

Der Traum ist noch nicht aus. Die Mutter deckte jetzt mit schwarzem Vorhang den Cardenio zu, Lysander sah ich da an meiner Seite schön geschmückt, sie schien darüber hoch beglückt und – –

[80]
VIREN.
Und?
OLYMPIE.

Und viele Kinder hingen mir an Brust und Arm und Schulter, mit liebevollem Ungestüme mich umdrängend, wie Charitas auf unserm schönen Bilde, ich war von Kindern wie von einem prächtgen Halsschmuck rings umgeben.

VIREN.

Der Mutter Wille ist so klar, dank liebe Mutter dir, die du aus schöner Ferne noch auf unsre trüben Sorgen blickst, den Irrthum lösest und das Zweifelnde entscheidest. Vor sich. Ach schenk mir einen Traum auch von Celinden. Laut. Sieh Schwester, es ist der Mutter Ruf, der jetzt Lysander zu uns führt. Vor sich. Olympie ist eine Schwärmerin, doch dient es ihr und mir, ich bin gewiß, die ganze Stadt spricht schlecht von ihr. Laut. Lysander guten Morgen, du scheinst mir nicht vergnügt.

4. Auftritt
Vierter Auftritt.
LYSANDER
der unterdessen eingetreten.

Es ist ein böser Morgen mir, ich wünsch dir einen besseren und ihnen schönes Fräulein, daß Sie sich in dem Morgen selbst zu sehen glauben, dann ist er wunderschön und gut.

OLYMPIE.
Man soll nicht lange leben, wenn man sich selbst gesehen.
LYSANDER.

Er bleibt doch stets ein schlechtes Abbild nur von Ihnen, so schwindet die Gefahr und ich kann Ihrer künftig wenigstens dabei gedenken.

[81]
OLYMPIE.
So sehen Sie mich lieber selbst recht oft, um mich nicht zu vergessen.
LYSANDER.
Die Einladung macht mir den Abschied noch viel schwerer, der mir schon unerträglich war.
VIREN.
Du willst nun wirklich reisen?
LYSANDER.
Ich wollte es, eh ich Euch hab gesehen, in diesem Augenblicke wird's mir leid.
VIREN.

So mache ich es wie mit meinem Zahn er schmerzte mich, ausreißen sollte ihn der Arzt, doch wie er mich auf seinen Schmerzensstuhl gesetzt, wie ich die Zange nur gesehen, da schwindet aller Schmerz, ich springe auf, bewahre meinen Zahn, er ist gesund.

LYSANDER.

Doch meine Ehre wird durch längeres Verweilen krank, es naht ein großes kriegerisches Unternehmen, ich muß zu meinem Regiment nach Engeland zurück und noch ein andrer Grund verpflichtet mich.

VIREN.
Ich wette gleich, der ist nicht gültig.
LYSANDER.

Er wird mir schwer zu sagen, ich mag Olympien mit meinen Diensten, mit der Bezeugung von Anhänglichkeit nicht länger lästig fallen, ich war zu lange schon ein unbescheidner Bettler, der sich nicht weisen ließ. Vergessen Sie, wo meine Neigung mich hat tadelnswerth gemacht.

OLYMPIE.

Sie tadelnswerth? – Nein edler Freund, wenn ich Ihr Lob nicht laut gesagt, so war es nur Bescheidenheit, daß Sie mein Lob nicht ehren könnte.

[82]
LYSANDER.

Der Abschied ebnet manchen Widerspruch, die Freundschaft darf zu dem Entfernten freier sprechen. Ein kurzer Brief von Ihnen wird mir da viel mehr gewähren, als mir Ihr schöner Mund bisher gesagt, in meinen Träumen weich gebettet, wird mich die harte Wirklichkeit nicht stören; das tägliche Geschäft des Dienstes, das von dem Lauf der Sonne zwar geordnet, doch oft die Nacht nach seinem Willen braucht, wird tausendfach den Ring der Sehnsucht schnell durchschneiden der mich zu Ihnen bannt, bald wird uns Beiden bessre Zeit, doch wird es mir so warm und schluchzt mir in der Kehle und sticht mir in den Augen, da ich dies Stammbuchblatt nach guter alter Sitte überreiche, daß sich daran die Rechnung alter Zeiten schließe, und neue Zeiten knüpfe.

VIREN.

Hör Bruder, du machst mich traurig. Olympie kann dir nicht in die Augen sehn, ich schreib zuerst, sie muß sich sammeln.

LYSANDER.

Ich lasse meinen alten Kammerdiener hier zurück, der soll mir täglich schreiben, wo Sie gewesen sind Olympie, und seh ich bald an Indiens Küsten die Perlenfischer in die Tiefe tauchen, mit voller Hand zurücke kehren und mir die runden Perlen vor die Füße schütten; da will ich einen Perlenkranz zum Sinnbild meiner Thränen flechten, daß ich nicht mehr an Ihrer Seite an der Nachtigallen-Insel in dem klingenden Gesang lustwandeln kann.

[83]
OLYMPIE.

Ich wollt' sie kehrten bald mir wie der diese schönen Abende, wo Strom und Himmel gleich in Gluth getaucht, die Erd in Blumen und in Sang von einer Herrlichkeit des Lebens schien entbrannt, die sich in jener indischen Welt erst ganz verkündet, zu der Sie jetzt auf Flügeln hoher Ehre eilen.

VIREN.

Ich habe hier geschrieben, liebe Schwester, in deinem Namen, erst ließ es mit Bedacht, ich bin gewiß, dies Blatt wird unserm Freunde viele Freude bringen.

OLYMPIE
hat gelesen.
Es ist ein viel bedeutend Wort – bedenk es Bruder – es hat noch Zeit.
VIREN.
Es hat nicht Zeit, es ist ein Wechsel, der lange schon ist abgelaufen, ich gebe keine Frist.
OLYMPIE.

Großmüthig möcht ich lieber sein als undankbar, so sei denn frei und ohne Überredung nach meines Herzens voller Überzeugung, der Frage Antwort aufgeschrieben. Sie schreibt. Der Himmel straf mich, wenn ich dies Wort kann brechen. Hier hast du Bruder.

VIREN.
Ich les es nicht, in deine Hand Lysander komm das Stammbuchblatt.
LYSANDER
liest.

»Für einen Augenblick warst du nur in Cardenio verliebt, er hat dich stolz verschmäht, Lysander, den du so oft verschmähet hast, liebt dich noch anspruchlos unwandelbar, er hat dir viel gegeben, was giebst du ihm zum Lohne, wenn er [84] einmal für so viel Lieb und Treue seinen Lohn verlangt?« Ich bitte dich Viren ließ weiter, sieh es flimmert mir so vor den Augen, das kommt vom Blute.

VIREN
liest.

»Ich geb ihm Herz und Hand. Olympie.« Ja Schwester, daran erkenn ich dich, aufrichtig bist du und auch groß geartet.

OLYMPIE.
Jetzt lobe nicht, was mich so schamroth macht.
LYSANDER.

Zu deinen Füßen himmlische Güte, laß mich besinnen, wie mir geschehen, wie ich dich Himmlische soll begrüßen, was ich dir biete, arm ist die Hand, mein Herz ist dir eigen, ach so ist nun erfüllet mein Flehen; alles Schrecken die Winde verwehen und ich erkenne nun wieder die Welt, die nur von neuem so wohlgefällt. Was ich tief im Herzen träumte, was ich nimmer möglich meinte, ist nun alles schon geschehen, liegt vor mir so klar und wahr – ich allein, ich bin noch falsch. Nein noch kann ich dich nicht schauen, schwere Schuld drückt noch mein Herz früher sollt ich dir vertrauen, noch empfang ich nicht die Hand, die so offen, die so rein sich in jeder Linie fand, die so weiß, so mild, so gut, strahlt vom blauen Himmelsblut.

OLYMPIE.

Welche neue Sorge kömmt quälend über den Treuen, den Vielgeprüften, täuschet ihn wohl ein zarter Sinn.

[85]
LYSANDER.

Viel geprüfet, oft bewähret, hab ich einmal unterlegen der Versuchung meiner Sinnen. Schwer muß ich mich selbst verklagen, ja Olympie, ich war's, der in Ihrem Zimmer nächtlich sich versteckt und Sie erschreckt, als ich kaum ins Zimmer kommen, reute mir schon mein Beginnen, wollte flieh'n, als es zu spät, büßen wollt ich, stille wartend, in dem Schranke eingeschlossen, für die Schlafende zu beten, doch viel mehr noch für mich selber, ach Sie selber öffneten jene Thür, die mich verborgen, übermannet von Versuchung küsse ich die keuschen Wangen und entfliehe Ihrem Schreien, vieler Jahre heiß Verlangen war der Kuß und doch kauft ich in mit meinem Leben gern von meinen Lippen ab.

OLYMPIE.
Frevelnd war dies böse Beginnen, größeres Schrecken folgte ihm leicht.
VIREN.
So genau ist nichts zu nehmen, wer bestände da wohl rein.
OLYMPIE.

Leicht und fröhlich ist das Verzeihen, von dem Boden heb ich Sie auf, die Lippen glühen von der Erinnerung der raschen That, Liebe entschuldigt der Liebe Trug, schon muß ich Sie lieben, da ich Sie also habe verführt. Sie küßt ihn. Was dich du ernste feste Seele konnt zu solchem Truge bringen ach, es war auch meine Schuld, hab ich dir oftmals hart begegnet, deiner Dienste doch heimlich erfreut. Sie küssen sich.

[86]
VIREN.

Wie Vertrauen lüftet den Busen, denen das Schicksal den harten Fels hoher Gefühle und kühner Gedanken bei dem Sturme des alten Olymps auf die kühnen Herzen geschleudert, nun der Olymp ist endlich gewonnen, ist er wie Eis in der Sonne zerronnen, hohe Gefühle und kühne Gedanken schweigen im ganz ordinairen Kuß, und sie küssen sich auch wie die andern.

OLYMPIE.
Ruhig fühl ich mich dir ergeben.
LYSANDER.

Selig Verzeihen, selig Vertrauen wäre der Morgen doch Ewigkeit, wäre die Ewigkeit solch ein Morgen, der die Sorgen in Liebe gelöst.

OLYMPIE.
Süß Erkennen erster Liebe, Aufgang Untergang der Welt.
VIREN.

Doch der Abend sei noch schöner, heute Abend soll Hochzeit sein, und der lustige Freudenreihn schlinge sich durch den Liebesschein.

OLYMPIE.

Ach die Feier stört sicher die Freude, Heimlichkeit machet so ruhig beglückt, laß mich der bräutlichen Tage auch freuen.

LYSANDER.
Bruder, ihr Wunsch ist mir Befehl.
VIREN.

Ei was hab ich von alle dem Kosen wenn ich die Lust an der Feier nicht hab, auch um den bösen Ruf zu tilgen, den die Nacht verbreiten kann, nennen wir sie den Polterabend und dies heute soll Hochzeit sein, und ein köstliches Hochzeitgepränge blende die Augen der städtischen Menge, daß ihr die [87] böse Zunge erlahme, sehen sie dieses Festes Dame, keiner waget zu lästern kühn, was so offen vor ihnen erschien.

LYSANDER.
Nur Olympiens Wille geschehe.
OLYMPIE.
Was die Klugheit des Bruders gerathen, was dich erfreuet, ist mein Entschluß.
VIREN.

Nun so ist denn alles entschieden, aber das Eine hätt ich vergessen über die große Freudigkeit. Sage wie kamst du denn in das Haus und wie kamst du wieder heraus.

LYSANDER.

Wollt Ihr mir schwören, Ihr wollt Euch nicht rächen? – Doris verrieth so schändlich dies Haus, doch sie hat mein Glück geschaffen, schaffet sie fort, ich vergüt ihr den Dienst.

OLYMPIE.

Doris, so hat es mir doch geahnet, aber verdienet hab ich es nicht, hab sie dem Elende einst entrissen, zum Verderben ist sie bestimmt.

VIREN.

Hätte es doch in ihr nicht gesuchet, doch alles ist einerlei, nehmt nur jetzt Abschied von einander, viel zu beschicken ist noch heut und gar eilig nenn ich die Zeit.

LYSANDER.

Muß es wirklich geschieden sein? Eine Unruh lebt mir im Kopfe, wie in der Mitte von vielen Straßen, steh ich hier zweifelnd, tausend Dienste möcht ich leisten, fast vergeß ich darüber die Sorge, fast vergeß ich darüber den Kuß.

[88]
OLYMPIE.
Freudig sei der erste Abschied, eilend komm zu mir zurück.
LYSANDER.

Aber die Sorge ich kann sie nicht brechen und dein Kuß wirft sie doppelt mir zu, ach wie nahe ist unser Scheiden und wie zweifelhaft Wiedersehn.

VIREN.
Ei die alte Geschichte vom Kriegziehn, war doch wahrhaftig nur ein Spaß.
LYSANDER.

Nein ihr Lieben, mich rufet die Ehre, bindet mich an der Kanone glänzenden Lauf. Sage Olympie, du entscheide, ob ich sie verlassen soll.

OLYMPIE.

Meinetwegen hast du schon einmal dich von dem Wege der Tugend gewendet, wohl um so fester muß ich dich binden an den ernsten und rühmlichen Lauf, wo du auch wandelst im Kriege und Frieden, ruhig folg ich dir bis in den Tod und so sind wir nimmer geschieden, uns bezwinget nimmer die Noth.

LYSANDER.

Nun so wäre denn alles entschieden, alles wird immer durch dich so gut, ewig leb ich nun in Frieden, lebe wohl mein Herzensblut. Ab.

VIREN.

Sehr wunderlich erscheinen mir die Weiber und die Liebe, ein wenig Eigensinn und weiter ist es nichts; als du Cardenio gesehen, da hätt ich nie geglaubt, dich mit so froher Überzeugung durch Lysanders Hand beglückt zu sehen.

OLYMPIE.

Erwecke nicht die wilden tobenden [89] Gefühle, jetzt kenne ich die irdsche Leidenschaft, die mich Cardenio verbunden, was wußte ich von ihm und er von mir, ein Wahnsinn ist mir jene Liebe jetzt, doch theilet sie die ganze Seele mir für immer, weil ich die eine Seite ewig fürchte, die sich zur Erde hingewandt, ich kenn das Meer, ich scheu es, weil ich liebte, und blicke in das Land, weil es so fest begründet, mir Ruh und Nahrung giebt und seh ich rings die Wälder sich erregen, so überred ich mich, es sei auch Wellenspiel und Lust und halt mich am Bewußtsein dieser Freude und bald wird dies Bewußtsein mir zur Pflicht. Mein bessres Selbst gehöret ganz Lysandern, was kümmert ihn mein schlechtrer Theil, den die Natur Cardenio bestimmte, den strenge Tugend bald vernichtet. Ab.

VIREN.

Das klingt sehr hoch, doch wenn mans destillirt, so kommt dasselbe raus, was man so selbst im Laden führt. Ab.

5. Auftritt
Fünfter Auftritt.
Das Wohnzimmer des Juden Nathan.
Zwei Knaben sitzen am Boden und spielen mit Papieren und singen.

Ein Zicklein, ein Zicklein,

Das hat gekauft das Väterlein

Um zwei rothe Pfenning

Ein Zicklein

[90] Da kam das Kälzein

Und aß das Zicklein,

Das hat gekauft mein Väterlein

Um zwei rothe Pfenning,

Ein Zicklein, ein Zicklein!


Nathan tritt in einem Schlafrocke, die Tabakspfeife der Hand, herein.

Es soll sein ein Abgeordneter von den Juden in Jerusalem, daß wir ihnen geben Geld, damit sie kaufen los ihre Juden, die da schmachten in der Gefangenschaft von den Türken, es soll sein, er hat seine Briefe, aber was gehts mich an, schickt mir einer aus Jerusalem ein Geld, wenn ich meine Wechsel nicht bezahlen kann und komm in die Gefangenschaft von den Christen, er solls sein, wenn er nun mit dem Gelde geht in die weite Welt? soll ich mit laufen, Krieg die Kränk, Ahasverus. Für die Juden soll ich bezahlen, Wein trinken mit den Christen bei Pernize, au weih, wie soll das gehn zusammen, Christen sind Verschwender, lassen sich taufen meine Kinder, werden sie auch Verschwender, ich hab es immer geförcht, wenn ich sie laufen sah mit der Wurst, mit dem Schinken. Wer die Forcht hat, der hats Malör. Ich habe nichts gegen das Taufen, laß ich doch meine Kinder waschen alle Tage, aber das Taufen löscht den Credit aus, da wollen sie Staat machen, wie die Christen, sprechen von das Literatur, sind nervenkrank, was ich spar bei der Lampe, verbrennt beim Wachslicht, [91] Thee und Chocolate alle Tage und der Zucker – der Zucker steigt seit gestern wieder ganz erschrecklich, ich verkauf noch nicht, er muß noch höher steigen – wenn sie doch dächten, wie viel Bienchen das ganze Jahr zusammentragen, an einem Wachslichte. Was so ein kleines Thierchen nicht kann, wenn die Kinder doch auch so was machen könnten, die machen aber was Schönes, wozu haben sie ihre menschliche Seele, wenn sie nicht einmal so einträglich sind wie die unvernünftigen Thiere – die Kinder schicken meine Töchter ein, wenn sie nichts mehr haben, ich seh sie nicht an, es sind Christenkinder, die jagen alle gute Engel weg, sie kosten mir doch alle Tage was, ein Tag und alle Tage für sechs Pfennige Milch, für sechs Pfennige Semmel, dann ...

DIE KINDER
unter einander.

Das Wechselche ist fällig, ich kann nicht prolongiren, ich bin ein geschlagener Mann, die Messe ist vor der Thür.

NATHAN.

Kinderchen, je was macht ihr denn ihr Kinderchen, ei sagt, was spielt ihr denn, ihr lieben Kinderchen, was versteht ihr denn vom Prolongiren?

EIN KIND.
Wir spielen Wechselches.
NATHAN.
Wechselches, du kleiner lieber Narr.
DER ANDRE.
Er will das Wechselche prolongirt haben, da muß ich einen neuen Wechsel schreiben auf das Doppelte.
[92]
NATHAN.
Das Doppelte, ja wenns geht, du kleiner Nimmersatt, a Kochem, allemal sind die Mins nicht so dumm.
DER ANDERE KNABE.
Ich muß es haben, ich muß es haben, ich will bezahlt haben mein Wechselche.
NATHAN.

Dein Wechselche! du gnädiger Gott unsrer Väter, dein Segen ruht auf dem Samen deines Volkes, abwaschen kann ihn nicht die Taufe. Kinderche, liebe Kinderche, steigt auf's Tischche, kommt auf meine Arme.

DIE KINDER.
Die Thränchen laufen dir über die Backen. Großväterchen, warum bist du denn heute so freundlich?
NATHAN.
Mein Segen über euch, ihr seid gute Kinder, viele Freude werd ich erleben an euch.
6. Auftritt
Sechster Auftritt.
LYSANDER
kommt eilig.

Guten Tag Herr Nathan. Ich komm zur guten Zeit ins Haus, die beiden Kinder spielen in ihrem weißen Barte, in Ihren Augen glänzen Freuden-Thränen, jetzt störe ich Sie wohl? Ich komme in Geschäften.

NATHAN.

Geschäfte gnädger Herr – ihr Kinderchen springt fort – da habt ihr jedes einen Dreier, geht kauft euch Mazzekuchen, – Geschäfte mit solchem reichen Herrn, der leider nur so selten zu mir kommt, wir hätten lange schon Geschäfte machen können, [93] ich lasse alles stehn und liegen, kann ich gefällig Ihnen sein, – wollt ihr gleich gehen, Kinderchen, ihr bösen Buben fort, ich sags sonst der Mama, die soll euch hauen. Die Kinder ab. Nun sagen Sie was steht zu Dienste?

LYSANDER.
Ich muß gleich tausend Thaler haben, zu meiner Hochzeit, die ich heut Abend feire.
NATHAN.

Glück und schöne Nachkommen, mein Herr Graf. Mit Respekt zu melden, mit wem ist denn die werthe Vermählung.

LYSANDER.
Fräulein Olympie ist mir verlobt.
NATHAN.
Die schöne Schwester von dem Herrn Professor, ja gestern sagt ich noch zu meiner Frau hör Edelchen –
LYSANDER.

Nun, können Sie das Geld mir schaffen? Sie habens in acht Tagen baar zurück, es liegt bereit zur Zahlung bei dem Pächter meines Gutes.

NATHAN.

Der Amtmann Gaudieb, gar ein guter Zahler, der ist mir so sicher, als hätt ich das Geld im Sacke, erst gestern sagt ich meiner Frau, hör Edelchen –

LYSANDER.
Ich muß heut eilen, sagen Sie mir kurz, ob Sie das Geld mir schaffen können, ich brauchs nothwendig.
NATHAN.

Schwer wirds halten, baar, gleich, die Messe ist so vor der Thüre, wir Handelsleute nehmen selber auf, so viel wir können, und jeder hält[94] das baare Geld so an sich, als wenn es gar davon zulaufen dächte. Ich sagte gestern meinem Edelchen –

LYSANDER.
Sie können also nicht?
NATHAN.

Wer sagt das – nur – ich mein, es wird was kosten, ich dächt, Sie schöben das Geschäft nur einen Monat auf, ich rath es ihnen als ein alter Freund des lieben Herrn Vaters, das war ein braver Herr. Mit meinem Edelchen sprach ich noch gestern von dem Herrn Vater –

LYSANDER.

Mein trefflicher Herr Nathan, wo haben Sie denn Ihre Ohren – könnt ich acht Tage warten, so braucht ich nicht Ihr Geld. Was wirds mir kosten auf acht Tage –

NATHAN.

Ich mag nichts dran verdienen, ich thus aus Liebe zu Ihrem Herrn Vater, dem Hirschel muß ich selber neun Prozente geben.

LYSANDER.
Neun Prozente, wie kanns der Mann bei Gott verantworten.
NATHAN.
Ei was, der liebe Gott von oben, der sieht die Neune für eine Sechse an.
LYSANDER.

Heut muß ich geben, was Sie fordern, ich bin so froh, ich werd so reich, aß ich auch andern heute zu verdienen geben möchte. In einer Stunde komme ich, das Geld mir abzuholen. Adies. Ab.

NATHAN
allein.

Er wird so reich, davon hat mir mein lieber Sohn Nathanael doch nichts gesagt, daß die Olympie so reiche Mitgift habe, Vermögen[95] hat sie, aber reich – das werden sie auch bald verthun, ich muß das Fett nur schöpfen ab. Hätt ich geglaubt, daß der Herr Graf Lysander sein Geld auch so verthun. Ein Christ, ein Verschwender, einer mehr, der andre weniger. – Wenn eines meiner Kinder sich wieder taufen läßt, so will ichs enterben. – Ich hätt es gethan schon um die Hälfte, wär er so hitzig nicht darauf gewesen, als wäre ich der einzige Mensch der schaffen, konnte Geld. – Das Geld liegt mir zur Last, der Graf ist mir so sicher. – Nathan, du bist ein kluger Kopf, ein wahrer Iles, ein Genie, du sollst dir was zu Gute thun, hast heut noch nichts gegessen als ein kleines Stücklein Matzekuchen, und doch, mir ist so im Gemüthe, als hätte ich den Magen schon gefüllt, der Magen ist ein Beutel und mein Beutel ist der Magen – so neunzig Thaler fallen drein um nichts und wieder nichts, verdient in acht Tagen und mach ichs recht, so hol ich mir das Geldchen doppelt wieder mit köstlichem Geschmeide, was ich ihm für die Braut verkaufe – wer weiß, der Wechsel wird auch prolongirt – und prolongiert. Hör kluger Nathan, Edelchen ist ausgegangen, trink einen Schnapps? Ich denke, nein, denn einmal, darf ich heute nicht und zweitens hab ich einen schon genommen. – Wein muß ich doch vorsetzen meinem Herrn Grafen, so mancher ärgert sich, sieht er ein solch Geschäft recht schwarz und weiß auf dem Papiere, [96] da setzt es oft ein Schimpfen, Fluchen, Maulschelliren – ein Handelsmann muß was vertragen können, doch besser ists, wir scheiden heut im Guten. Er wird so viel nicht trinken, ich schenk ihms Glas nicht voll, was kann er trinken, kommt es hoch, ein Viertelquart, – den Wein statt Geld hab ich genommen, das Quartier zu vier Groschen, macht einen Groschen, er muß mir meine Dose machen voll mit Schnupftaback, da hab ich einen Sechser noch Profit, dafür geb ich ihm etwas Semmel. Er holt Wein aus einem Verschlage. Mein Edelchen, mein Edelchen, sie darf mir heut nichts thun, ich hab gemacht ein gut Geschäft, Kauscher ist wohl der Wein noch nicht – ob ers ist? – es ist bald Essenzeit, die Zunge ist mir trocken wies Gebetbuch; – Ein Glas Nathan? Trinkt. – Wie Milch und Honig! – Einmal erlaubt mirs der Papa, Trinkt. einmal erlaubt mirs die Mama Trinkt. und einmal erlaub ich mirs. Trinkt. – Nathan, Nathan, gedenk, kannst du auch vertragen den Wein, daß du nicht wieder kriegst Schreitzschmerzen, Nathan, du bist ein miserabler Kerl, ein ganz miserabler Hund, kannst nichts vertragen, Lumpenkerl – noch ein Glas, wer siehts denn, die Flasche steht ja da wie die Ceder vom Libanon. Trinkt. Was wird Edelchen sagen? – Neun Prozent – mag sie keifen – prolongiren – Geschmeide. – Ach, was wird Edelchen sagen? – [97] Da liegt ihr Buch, muß einmal sehen, was das sagt. – Sprich Buch: Er liest. Einmal sagte zu Rabbi Chanina seine Frau. Wie lang sollen wir Armuth leiden, thue ein Gebet, das man dir etwas vom Himmel herabgebe von wegen deiner guten Werke, die du gethan hast, und deiner Frömmigkeit, die du an dir hast. Das thäte der Rabbi. Da ging eine Hand aus dem Himmel und gab ihm einen güldenen Fuß von einem güldenen Tisch, daß er reich ward. In der Nacht kam der guten Frau für, wie die Fromen in jener Welt essen auf güldenen Tischen mit vier Füßen und sie beide essen auf einem Tisch mit dreien Füßen, der da wackelte und mangelhaftig war. Da sagte der gute Rabbi: Wie soll ich ihm denn thun? Sie sprach, bitte Gott, daß man dir den Fuß wieder nehme. Das thäte er und es geschahe also. Wir haben gelernt, daß es ein größer Wunder sei gewesen daß der Herr Gott den Fuß wiedergenommen hat, als daß er ihn erstlich gab. – – Ein groß Wunder, ein schlecht Wunder, was bedeutet mir das, ich habe Forcht, der Tisch wackelt mir so. Nathan, du hast zu viel getrunken, trink noch ein Glas. Trinkt. Der Wechsel ist geschrieben, der goldene Fuß, was ist ein goldner Fuß? Das ist Vermögen? Was ist Vermögen? Wenn man viel vermag? Ich hätt ihn nicht weg gegeben, ich behalt ihn, hör Frau, Er packt den Tischfuß. krieg die Kränk Edelchen, wer mir mein Vermögen [98] nimmt, der nimmt mir mein Leben. – Ach da kommt wohl der Herr Graf.

7. Auftritt
Siebenter Auftritt.
PAMPHILIO
tritt ein.
Nun guten Tag Herr Nathan, es freut mich, ich finde Sie bei Gelde, ich will es leihn.
NATHAN.

Handweg, Handweg, Herr Pamphilio es ist nicht mein Geld, nein bei dem wahrhaftigen Gotte, es ist nur meines Freundes Geld.

PAMPHILIO.

Ich such das Geld auch nicht für mich, ich suchs für einen Freund, der alles in der einen Nacht im Pharao verloren, sein Geld und noch viel mehr, blos auf sein Ehrenwort.

NATHAN.

Ist es im Pharao verloren, braucht er niemand was zu zahlen aus, das Pharao ist schwer verboten und giebt er an die Bank beim Prorektor da müssen sie ihm alles wieder geben, er kriegt sogar ein Prämium dazu.

PAMPHILIO.
Sie rathen ihm die Ehr aufzugeben um das Geld?
NATHAN.

Was ist die Ehre, lieber Gott, wen hat sie satt gemacht, getränkt, gekleidet? Wer kann mich hindern, wenn ich sitz in meinem Hause, hab mein Essen auf dem Tisch, und meinen Wein, wer kann mich hindern, zu glauben, ich hätte alle Ehre wie der [99] König Salomo. Geld aber, mein gelehrter Herr, vom Gelde lebt man, vom Leben kommen Jahre, jedes Jahr trägt Zinsen, ich wollt es gäbe zehn Jahr in einem, da wollt ich recht leben.

PAMPHILIO.
Jud, ich sag es dir, du lebst nicht lange, mach dir Freunde mit dem ungerechten Mammon.
NATHAN.
Gehen Sie, was soll das heißen, Sie verfluchen mich.
PAMPHILIO.
Pemperleckofen.
NATHAN.
Weinstock! Es ist doch kein Paar brillantne Schuhschnallen.
PAMPHILIO.

Armer Freund Cardenio, ich kann kein Geld dir schaffen. Ich stolzer Mensch, der eben noch mit wohlgespicktem Beutel den Erdkreis zu umschreiten trachtete, da steh ich vor dem alten Juden hier und weiß nicht vorwärts und nicht rückwärts weiter, als wär die Brücke vor mir, hinter mir schon eingestürzt, in wildem Strome steh ich einsam auf dem Brückenjoche.

NATHAN.
Das sag ich immer, Herr Gelehrter, um das Geld ist alles feil, ein reicher Mann, ein großer Mann.
PAMPHILIO.

Alles feil und nichts, sieh alter Nathan, wie auf den Dukaten da ein Mann mit fester Hand so viele Pfeile hält zusammen, so hält das Geld des einzelnen Elends zahlreiche Pfeile überm [100] Menschen fest und schüttelt alle auf sein Haupt, wenn er es hat verloren.

NATHAN.

So recht, mein hochgelehrter Herr, so Sprüche sind gar schön, ich kann sie auch zuweilen brauchen, Sie müssen mir doch auch einmal den Unterricht drin geben, verlang es nicht umsonst. Was zahl ich für die Stunde?

PAMPHILIO.
Hol dich der Teufel. Ab.
NATHAN.

Wie soll ich das verstehn? Ist das eine Antwort, ist das keine. Ich bin gar mächtig alterirt, ich bin ein jämmerlicher Mensch, ich fühl es gleich im Magen. Muß nur ein gut Glas Wein drauf setzen. Wohl bekomms Herr Nathan. Trinkt. Neun Prozent – prolongirt, ich kann nicht, wenn Sie doch wollen, geben Sie doppelt, prolongirt. Herr Nathan ihre Gesundheit. Trinkt. Der Herr Graf lassen auf sich warten, Nathan angestoßen, trink aus. Trinkt. Es wird mir ganz duster. Nathan. – Hast du was gesagt Edelchen? – Gleich Herr Graf! – Gute Nacht Nathan. Er schläft ein.

8. Auftritt
Achter Auftritt.
CARDENIO
wild, überwacht stürzt herein und sieht den Nathan nicht.

Pamphilio ist hier herein getreten, ob er mir Geld wird schaffen; ich muß es haben, wenn es auch mit Eisenketten an den Himmel fest geschmiedet. Fluch der Schönheit, die mich hat gefangen [101] und der Zeit die ich verloren, seufzend, stöhnend und verzweifelnd, Fluch dem harten Spiel der Liebe, wo ich alles aufgesetzet, nichts, ach nichts gewonnen habe. Wie willkommen wart ihr da, wunderliche Fratzenbilder, lustge Karten, König Ogier und Cäsar und der Stempelschneider Ulrich, ihr wart da gewaltge Götter und ihr wolltet mir nicht wohl, habt das Meine mir in Opfern und in Strafen entrissen, Vatersorge, Mutterpfennige dienen euch zur besten Nahrung. Doch da las ich euren Willen wie einst Nabuchodonosar, daß nur eure falschen Priester euch zu solchem Greuel brauchen, hab euch um die Ohren all der Gauner, der verfluchten Spieler in dem Kreise tanzen lassen, Wein und Flaschen, Stühl und Bänke nachgesendet, daß es in der Mördergrube wie im Tartarus geschienen, siegend stand ich einsam durstig und wie Tanalus so leckt ich nach dem Weine, der am Boden floß und nach dem Weine, der hernieder von der Decke tropfte, und er schmeckte mir wie Blut und der Hauptmann lag am Boden, den ich hatt mit Trumpf gestochen, als ich ausgespielt die Seele. Lieg du Hund, hattest lange alle Welt so schlau betrogen, doch der Tod war dir zu klug, zeigte mir die falschen Karten und die Volten, die du schlugst, und ich war sein rechter Arm, deine Seele komm auf mich, in dem Himmel gilt sie nichts und die Hölle nimmt sie sehr gerne. Keiner wird mich hier verklagen, jeder nahm von deinem Gelde, ich [102] allein, ich mogt es nicht. – Geld, das muß ich dennoch haben, nur die Juden haben Geld jetzt am End des halben Jahres; wenn es keine Juden gäbe, hätt ich nimmermehr gespielt; hätt ich nicht mitgespielt, hätte ich den Hauptmann nicht erstochen. – Jude du mußt alles mir bezahlen, seh zum Glück ein Säckchen Geld nah bei deinem Haupte liegen, gieb mirs nur gutwillig her, sag mir nur kein schiefes Wort, möchte heut der Menschen schonen. – Heda Jude!

NATHAN.

Herr Graf – sehen Sie, wie ich gelaufen bin – bin Halbschlafend. ganz müde, sehr miserabel – meine Kolik – das Wechselche liegt auf dem Tische – unterschreiben der gnädige Herr, ach wie thun mir alle Glieder, so weh so weh – da liegt das Geld alles richtig eingezählt.

CARDENIO.

Jud, du bist wohl gar ein Zaubrer, da du siehst im Schlafe die Gedanken. Gut, ich unterschreibe dies – und neun Prozente, das ist nicht zu viel, nimm den Strick von Beutel noch dazu, wenn du dich zu hängen Lust hast. Er unterschreibt und steckt das Geld ein.

NATHAN.
Wei, o wei, wie wüst ist mir im Kopfe! –
CARDENIO.

Sonst, wenn er gesund, da spricht er wenig jüdisch, das Judenthum muß eine Krankheit sein. Der Kerl weiß jetzt von seinen Sinnen nicht.

NATHAN.

Ja trinken Sie nur immer, wenn es[103] schmeckt, Herr Graf Lysander, ist denn schon heute dero werthe Hochzeit?

CARDENIO.
Von welcher Hochzeit faselt der besoffne Esel.
NATHAN.
Das müssen Sie ja wohl am besten wissen mit Olympichen, dem gnädigen Fräulein.
CARDENIO.

Hund, was rufst du in die Seele, daß mir alle Adern starren, du hast Christum auch gekreuzigt, da du mich so martern kannst. Weh, es ist gewißlich wahr, was der Thor im Schlaf gesprochen, weinen möcht ich, habe keine Thränen, daß die Welt mir ging verloren, könnt ich weinen ohne maßen und in Thränen ganz zerfließen und in meinem wilden Strome sie ergreifen, zu mir reißen! Machtlos tönet meine Klage, ganz vernichtet tief gebeugt von der hohen Schönheit Wunder, von der Tugend hohem Blick, was ich träume, was ich denke, alle Kraft entseufzt dem Busen, alle Flügel sind gelähmt! Jener Schelm kann doch verschlafen seinen Rausch, aber ewig rauscht es wilder mir in meinem Hirn, jagt mich rasender zum Abgrund. – Ach Olympie das ist zu hart. Er geht.

NATHAN.

Neun Prozent – Nathan, was bist du wieder für ein Schlingel gewesen – gewiß hast du zu viel getrunken. Schläft ein.

9. Auftritt
[104] Neunter Auftritt.
Edelchen und Lysander treten ein.

EDELCHEN
leise.

Mein Alter soll kriegen die Schwerenoth, Laut. einen gnädigen Herrn so lange warten zu lassen. – Nathan! – Wo ist er? – Nathan!

NATHAN
erwacht.

Nun, was ist? Brennt das Haus? Soll Jericho wieder genommen werden. Was ist, was giebts? Ich bin krank, ich will sterben, will machen mein Testament.

LYSANDER.
Herr Nathan, sagen Sie, vor einer halben Stunde schienen Sie ganz wohl!
EDELCHEN
vor sich.

Der Wein steht vor ihm, sicher hat er wieder heut zu viel getrunken. Sie geht sacht zu ihm, stellt sich vor ihn und giebt ihm heimlich eine Ohrfeige. Mein lieber Alter sieh, dir wird gleich besser, wenn ich den Kopf dir halte.

NATHAN.
Ich habe keinen Kopf.
EDELCHEN.
Nun sehen Sie, Herr Graf, gleich ist er wach.
LYSANDER.
Er scheint an jener Seite doch geschwollen.
NATHAN.
Ich sterb, ich sterb, Edelchen, koch mir ein Täßchen Kaffee.
EDELCHEN
giebt ihm noch eine Ohrfeige.

Nein hitzige Getränke würden dir die Milz verbrennen, lieber [105] Nathan. – Sehen Sie Herr Graf, jetzt ist er wieder munter.

LYSANDER.

Es war doch nur ein falscher Schein, daß jene Backe dicker, doch scheinen beide sehr erhitzt, – vielleicht ein Glas zu viel getrunken, mein Herr Nathan.

NATHAN.

Ach mein Graf, nicht wegen meines Dursts, nur wegens Schreitzweh – was beliebt Herr Graf, Sie haben nur dem armen Nathan zu befehlen.

LYSANDER.
Nichts weiter, als warum ich früher Sie gebeten; haben Sie die tausend Thaler mir verschafft?
NATHAN.
Au weih, wo sind die tausend Thaler, Herr Graf?
LYSANDER.
Wo sind sie denn?
NATHAN.
Da liegt das Wechselchen, da steht Ihr Name.
LYSANDER.
Mein Name, ganz unmöglich, zeigt doch her – da steht Cardenio.
NATHAN.

Edelchen sieh zu! – Edelchen sieh zu. – Es ist des Herrn Grafen Name! – Er will mir seine Unterschrift ableugnen. –

LYSANDER.

Ehrlos Gesindel, die ihr stets in andrer Treue keinen guten Glauben setzet, weil ihr selber ohne Treu und Glauben, kommt, verklagt mich, wenn ihr glaubt, daß ich betrogen, aber macht mir keine Worte, kommet mir nicht vor die Augen, oder [106] bei dem heilgen Gotte, ich zerschlag euch alle Glieder brech euch das Genick entzwei.

EDELCHEN.
Nathan, sei ein Mann, laß ihn nicht heraus.
LYSANDER.
Hört ihr Hunde. Er wirft sie auf einander und geht ab.
EDELCHEN.
Da geht er, du Thunichtgut, soll ich dir Beine machen.
NATHAN.

Der Schreck liegt mir in allen Gliedern. Lies doch Edelchen, ich kanns nicht lesen, denn wenn ichs lese, so ist es wahr, und wenn es wahr ist, so bin ich des Todes.

EDELCHEN.
Ich will lesen. Da stehts ja, Cardenio. –
NATHAN.

Es kann nicht dastehn, es ist unmöglich, habs doch geliehen dem Herrn Grafen; ist mir doch der Herr Cardenio nicht Sicherheit, hat nichts als seine Feder, thut nichts als fechten alle Tage, kriegt einmal eins, daß ihm der Wind ausgeht. Wie ist er gekommen herein? Er hats gestohlen, als ich geschlafen habe.

EDELCHEN.

Geschlafen – mein Eingebrachtes, Kinderchen kommt heraus – ich will mein Eingebrachtes – ich will mich abscheiden.


Nathan und Edelchen zanken und jammern, sie bemerken nicht den Ahasverus, der ihnen ernst zugesehen.
AHASVERUS.

Schweigt, denn an dem heutgen [107] Tage, der zur Ruhe von der Mühe, von der Sorge heilgem Dienste ist geweiht, ziemt es nicht zu schachern und zu zanken.

NATHAN.

Was will er hier, ich hab nichts, ich geb nichts, ich sterbe gleich, Herr Abgesandter aus Jerusalem, wer weiß denn, was er ist, ob er uns nicht um unser Geld nur bringt und geht damit, wohin er will.

EDELCHEN.
Wer seid ihr? Was wollt ihr?
AHASVERUS.

Schweigt, was fragt ihr, wer ich bin? Wißt ich bin der ewge Jude, der zum zehntenmal zur Reise um den Erdball ist gezwungen, euch zu bessern, zu bekehren, daß ihr lernt aus meinem Jammer an den wahren Heiland glauben, den mein hartes Herz verspottet, dem ich ins Gesicht gespien, als er trug am schweren Kreuze, den ich von dem Sitz gestoßen, als er keuchend von der Last, vor dem Haus sich niedersetzte, wo ich trieb mein Schusterhandwerk. Bis ihr Juden all getaufet, kann ich keine Ruhe finden, muß durch alle Länder ziehen, seh euch martern, quälen, schinden, wie ihr dabei lächerlich. Also muß ich euch erblicken, die ihr seid von meinem Blute, von dem Blut aus dem geboren ward das ewig wahre Wort. Euren Glauben ihr verlasset, hasset doch den Christenglauben, rauben laßt ihr willig alles, alles, alles nur kein Geld, stellet euch an fließend Wasser, lasset eure volle Kasten tief hinein, klein [108] ist nur was ihr verlieret, zieret euch der Glaube, leicht beflügelt ist der Glaube, hebt so schwere Last nicht auf, werdet arm, ihr werdet seelig. Ab.

NATHAN.
Ich sterbe gleich.
EDELCHEN.
Ich wollt, du wärst nur ein Paar Tage früher abgestorben.
NATHAN.
Ich bin wirklich todt. Er stirbt.
EDELCHEN.

Au weih, er stellt sich todt. Ausrufung mit allen Kindern und allem Gesinde. Schelm, willst du aufwachen, ich will mein Eingebrachtes.Sie schlägt ihn, die Kinder fallen auch über ihn her.

KIND.
Der Vater macht sich auch recht steif.
EDELCHEN.

Du Schelm, du Verschwender, du dummer Kerl, wozu all das Gespäs. – Er ist doch wirklich todt. – Mein Herzensmann, mein Hirschel, süßer Nathan, wache auf. – So will ich keinen andern Mann mehr nehmen, das war der fünfte und der ist schon wieder todt, das war auch schnell. Zum Zeichen will ich dieses Tuch zerreißen.

KINDER.
Reiß nicht Mutter.
EDELCHEN.
Will keinen Mann. Ich reiß.
KINDER.
Reiß nicht.
EDELCHEN.
Ich reiß.
KINDER.
Reiß nicht.
EDELCHEN.
Ich reiß doch. – Nein ich reiß nicht.
10. Auftritt
[109] Zehnter Auftritt.
Straße vor Olympiens Hause. Cardenio und Pamphilio. Viele Hochzeitgäste gehen ins Haus, das hell erleuchtet glänzet.

CARDENIO
stößt einen der Gäste um.
Geh aus dem Wege.
GAST.
Das schien mir doch ein wenig impoli. Ab.
PAMPHILIO.

Du bist verzerrt, gräßlich, der Reichthum deines Lebens ist versieget, in der trocknen Hitze deines Unglücks, ich selber fürchte mich vor dir.

CARDENIO.

Es wird bald schlimmer werden, gieb mich nur auf, verlaß mich bald. Schon fühl ich eine lächerliche Neigung Feuer anzulegen oder Feuer auszurufen, das glanzerfüllte Hochzeithaus brennt fürchterlich in meinen Augen und blendet aus das schwache Lichtlein der Vernunft.

PAMPHILIO.

Du mußt bald fort von hier nothwendig ist es dir, wenn auch des Philosophen Tod dir nicht kann zugerechnet werden, des Spielers Tod verheimlicht bleibt; der Streich mit Nathan macht zu vielen Lärm, der Nathan ist der beste Freund von dem Minister, gewissermaßen hilft er ihm regieren, der Streich kann dir nicht gut bekommen.

CARDENIO.

Wer spricht von gut bekommen, einem, der zum Sterben krank. Hat nicht der Jude mit dem einen Worte: Lysander werde heut Olympien vermählt, mein Daseyn aus den Wurzeln fortgerissen[110] und in den Strom gestürzt, was sind dagegen ihm die tausend Thaler, wovon ich ihn erlöst, dies Galgenmännlein, der Dukaten stolze Zierde wird mich genug verführen und zerquälen bis ich es wieder los. Zu einem Gaste. Wohin so schön geputzt?

GAST.
Bin ich euch Antwort schuldig.
CARDENIO.
Beim Himmel ja.
GAST.
Wir gehen zu Lysanders und Olympiens Hochzeit. Ab.
CARDENIO.

Da hörst du wohl, wie ohne Scheu der Schuft das spricht, als gings mich gar nichts an. Als mirs der Jude heute Morgen zum erstenmal gesagt, da stand ich vor ihm, wie versteinert, mein Herz stand in mir still, – wie geronnene Eiszapfen sahen die Lichtstrahlen in das Zimmer, alles war mir rings so still, und in meinen Ohren trieb es brausend, als wenn tief im Höllenschlunde frische Kohlen angeschüret, weil ein frischer Brand von Teufeln eben sollte fertig werden. Bei Gott, ich nahm das Geld in jenem Augenblick nur des Skandales wegen fort, in jenem Augenblick hätt ich mein Hemde weggegeben um recht Skandal zu geben, in jenem Augenblick hätt ich ein altes Weib heirathen mögen, um recht Skandal zu geben, in jenem Augenblick hätt ich Olympien auf meinem Tische gern anatomirt, ihr Herz mit buntem Wachse ausgespritzt, blos des Skandales wegen. Die hab ich geliebt, geliebt, nun lieb ich nimmermehr.

[111]
PAMPHILIO.
Wie unbegreiflich, gestern hast du sie stolz ausgeschlagen.
CARDENIO.

Sei still, mach mich nicht rasend. Seit jenem Augenblick kann ich nicht weinen, vergebens netze ich mit einem Ozean von Wein die Kehle, kein Tropfen tritt mir in die trocknen Augen, in die ein Giftpilz seinen dürren Staub zerstreut. Bald sollen bei dem Spiel, das du mir hast bereitet, meine Thränen fließen, wozu kann ich mein Elend weiter brauchen, als selber mich damit zu rühren; ich will mich rühren, und betrüben über mich, daß alle Steine Wasser schwitzen, ich werde den verschmähten Prinzen trefflich sprechen lassen.


Von der einen Seite laufen die Juden mit einem Sarge vorbei, von der andern kommen die Soldaten mit einem Trauermarsche und tragen den Sarg des Hauptmanns Volte, durch dieses Zusammentreffen stockt der Zug.
PAMPHILIO.
Ihr Herren, welche Leiche ist denn das?
EINER.
Der Hauptmann Volte, der in der letzten Nacht im schwarzen Keller ist erstochen.
CARDENIO.

Gottlob ein Schurke wen'ger in der Welt, ich glaub er schlägt dem Teufel noch die Volte und sprengt des Himmels Bank. Wer wird denn hier getragen, edle Juden.

AHASVERUS.

Der reiche Nathan, er ist an tausend[112] Thalern heut verstorben, die er im Trunke ohne Sicherheit verliehn.

CARDENIO.
Der Teufel hat die Seele um sehr bill'gen Preis.
AHASVERUS.
Ist keine Reu in eurem Herzen, ich kenn euch wohl, denn euer Name steht bei jenem Scheine.
CARDENIO.

Du kennst mich, gut, so kenn mich ganz. Wer möchte nicht einen Fuß noch vor den andern setzen, sollt man für alle Folgen stehn, ich habe nicht die Welt geschaffen, ich leb darauf, so viel ich kann und bin ich Eisen, sag, wie kann ich's hindern, daß mich die Welt nicht schnell zum Richtschwert schmiede da ihr der Richter fehlt.

AHASVERUS.
Hat euch die Liebe nie gemildert.
CARDENIO.

Zum Ehering, da nimmt man Gold, so Grafengold, Lysander-Gold, das liegt im Sand, wird mühsam ausgefischt, ich raub mit einem Schlag was mein. Und doch wie weh ist mir, daß ich so groß Gelüsten habe Gold zu sein.

AHASVERUS.
Und glaubst du nicht an die Verwandlung der Metalle?
CARDENIO.

Das Geld ist ein Gespenst, das Eisen lebt in unsrer Zeit, kannst du der Vorzeit Geister nicht beschwören, so kannst du wahrlich nicht zu meinem Urquell mich so rückwärts aufwärts leiten, daß ich dies harte widerspenstge Wesen in mir tausche.

[113]
AHASVERUS.

Ich sage dir, wo eine Feuerseele in der Demuth bleibt, und von der Liebe eine Speise zu ihrem Brunnen einziehen will, da ist ein Engel Gottes gleich bereit, zu streiten mit dem feurig wilden Drachen der Eigenheit, er lebet abgeschieden, müßig und nähret so die heilge Kraft.

CARDENIO.

Du greifst unmenschlich mir ins Herz, doch könnte wohl ein Tag noch kommen, wo ich dich wieder hören möchte, wo werd ich dich dann finden, heut braust mir's vor den Ohren.

AHASVERUS.

Wenn du mich brauchst, so wirst du mich auch finden; sieh her, woran du mich noch kennen kannst, denn viele gleichen mir, sieh dieses Zeichen meines Bartes recht, der, halbgeblichen in fremder Zone, doch an den Spitzen wieder schwarz ausstrebt.

PAMPHILIO.
Ein blauer Fuchs am Bauche so erscheint.
CARDENIO.

Sei denn ein Fuchs, weil du nichts größres thust, als sagst; für heut verwunderst du mich nicht, vergebens sprichst du heut zu mir, kannst du nicht eines mir verkünden, ob ich natürlich sterben werde?

AHASVERUS.
Ein jeder stirbt in der Natur, worin er hat gelebt.
CARDENIO.

So lauf zu der Natur, die dir die [114] Beine gab. Ahasverus eilt ab. Ganz finster wirds in mir, was soll der Plunder angespielter Leuchtgewürme.


Er zerschlägt die Laterne.
PAMPHILIO.
Ich bitte dich, halt ein, die Häscher eilen schon herbei, du wirst jetzt grausam.
CARDENIO.
Ich werde lustig nur, vor Liebchens Haus. Da brennt noch so ein schön Laternchen.

Er schlägt's ein.
PAMPHILIO.
Zum Teufel, eben schlug ein Springstock mir an's Bein.
DIE HÄSCHER.
Ihr Herren Platz, wer hat hier eingeschlagen die Laternen?
CARDENIO.
Da läuft er noch, es schien ein alter Jude und halbverrück.
DIE HÄSCHER.

Das ist erschrecklich, die Juden werden jetzt recht vornehm auch, bleibt nur zusammen Leute, der Kerl scheint mir viel zu schnell, den kriegen wir nicht mehr, wir haben uns doch brav gehalten heut, wir wollen hier zur Wache bleiben bei der Hochzeit.

CARDENIO.

Ich hab mich ausgetobt Pamphilio, jetzt bin ich ruhig wie nach einem Aderlaß, nun laß uns denken an das Maskenspiel.

PAMPHILIO.

Ich sag dir, die Gevatterin bringt alle Kleider her, doch hab ich wenig Lust dazu, ich wäre lieber weit davon, ich glaub, ich hab das Fieber von dem Spaße gestern.

[115]
CARDENIO.
Ich hab ein doppelt Fieber, und das hindert nichts.
GEVATTERIN
kommt mit einem großen Pakete.
Ihr macht's mir heute auch gewaltig sauer.
PAMPHILIO.
Wie sauer hast du uns die Kirschen oft gegeben.
GEVATTERIN.
Nun ziehet euch die Maskenkleider an.
PAMPHILIO.
Wird sich's auch schicken?
GEVATTERIN.
Du Narr! Hab alte Leute nicht zum Besten.
11. Auftritt
Eilfter Auftritt.
Saal im Hause Virens, prachtvoll erleuchtet, eine schön geschmückte Gesellschaft erfüllt ihn, in deren Mitte Olympie und Lysander vor dem Prediger stehen, der die Trauung vollzieht.

PREDIGER.

Gott schuf den Mann sich selber als ein Bild. Der Mann erschuf die Frau sich selber als ein Bild, und wie sich Gott verhält zum Mann, also verhält sich auch der Mann zur Frau, der Mann ist unterthan dem Gotte, die Frau dem Manne, dann werden sie mit ihres Leibesfruchtbarkeit die Erde füllen und mit des Geistes Erfindsamkeit auf Erden herrschen über alle. Herr Graf Lysander, Sie stehen hier vor Gottes Angesicht, ich frag Sie feierlich ob Sie Fräulein Olympien nach diesem ewgen Wesen ehelichen Lebens beschützen und beherrschen wollen, wie Gott Sie selber schützet und beherrscht?

[116]
LYSANDER.
Was ich vermag, das ist ihr alles eigen.
PREDIGER.
Mein Fräulein wollen Sie dem Grafen unterthänig sein?
OLYMPIE.
Ja.
PREDIGER.

Der Ring ist in der christlichen Gemeine ein Zeichen heilger ehelicher Verbindung, so wechseln Sie denn auch die Ringe. Sie wechseln die Ringe. Was Gott zusammengefügt, das soll der Mensch nicht scheiden. Sie knien nieder und er segnet sie still ein. Amen.

DIE VERSAMMLUNG
singt.
Alle Engel und Himmelsheer
Und was dienet Gottes Ehr,
Auch Cherubim und Seraphim
Singen immer mit hoher Stimm:
Heilig ist unser Gott,
Der Herr Zebaoth!
Behüt uns heut, o theurer Gott,
Vor aller Sünd und Missethat,
Auf dich hoffen wir lieber Herr,
Zu Schanden mach uns nimmermehr.

Stille Glückwünschungen.
EINE ALTE FRAU
zum Prediger.

Ei, Herr Gevatter, was haben Sie uns heute für eine falsche Lehre vorgetragen, und haben dann die wahre alte von dem Sündenfalle ganz vergessen.

PREDIGER.
Die neue Lehre ist mir eigen und keiner hat sie noch bisher verstanden.
EINE ALTE FRAU.

Du lieber Gott, jetzt will [117] gar jeder seinen eignen Glauben haben, sonst wollte jeder, daß sein Glaube allen sei und segnete damit das Volk.

PREDIGER.
Das wird nun alles anders, wir werden neu organisiert, sie müssen sich drein finden.
EINE ALTE FRAU.
Bewahr mich Gott, ich find mich nicht in diesen neuen Glauben, ich will den alten haben.
PREDIGER.
So haben Sie ihn, ganz für sich allein, es will ihn keiner weiter.
HALLOREN
treten auf in ihren feierlichen Röcken mit silbernen Knöpfen, kleine dreieckige Hüte in den Händen, geschorne Köpfe, sie singen eins ihrer alten Lieder.
Ein Magd ist weiß und schöne
Dort auf den grünen Auen,
Geht jungfräulich bei Frauen,
Gott sieht vom Himmelsthrone,
Glück zu mein edler Zweig!

Gott schuf wohl Erd und Himmel,
Er ist so stark von Kräften,
Von meisterlichen Geschäften,
Schwang sich in ihren Willen,
Schwang sich in ihren Schooß.
PREDIGER.
Ihr guten Leute still, stört nicht die Feier dieses Tages mit ungeschicktem alten Liede.
EIN HALLOR.

Nun sieh mal den an, gelt das ist ein – Prediger. – Hör Schwager, kommst du mir wieder so, du kriegst mal eins auf die Hutkrempe.

[118]
PREDIGER.
Ihr seid ein ungeschliffnes Volk.
LYSANDER.

Ihr Herren Frieden, es ist ja alles gut gemeint, Herr Prediger. Ich dank euch herzlich gute Freunde für den Gruß, ich danke euch, daß ihr mein Hochzeitfest mit eurer Gegenwart beehrt, und wie ihr mir im Flusse oftmals sorglich nachgesehn, wo ich recht lustig fortgeschwommen, so auch blicket noch auf mich im Ehestand, den ich mit schöner Hoffnung heut begonnen. Versteht ihr mich Freund Andres.

HALLORE.
Es muß doch och was heesen.
LYSANDER.
Versteht ihr euch wohl auf ein hübsch Gesicht, so schauet meine liebe Frau hier an.
HALLOR.
So ene ward nicht bei uns groß.
LYSANDER.

Das glaub ich. Liebe Frau, du wirst so roth, daß ich dich Frau genannt, du konntest auch den Ring nicht gleich vom Finger ziehen, so warest du bewegt, kannst du wohl sagen lieber oder guter oder böser Mann zu mir? Ich wette gleich, du kannst es nicht.

OLYMPIE.

Je lieber Mann, ich war gerührt und bin es noch, nicht durch des Herren Pred'gers halbverstandne Worte, es war nur meine Schuld, ich weiß es wohl, daß ich ihn nicht verstanden, denn was mich rührte, hat mich auch zerstreut, es war das Schluchsen aller ältern Frauen rings im Kreise. Ich kannte sie doch sonst so scheinbar glücklich alle, doch schien da ein verschwiegnes Wehe, das auf dem Ehstand [119] ruht, gewaltsam sich im Augenblicke jedes neuen Opfers Luft zu machen, und auch nachher dann thaten sie so gegen mich, als dächten sie noch stets in tiefer Sehnsucht ihrer Unschuld Spiele und Vergnügen. Was ist für Schuld beim Ehestand Herr Prediger?

PREDIGER.
O gnädge Gräfin, trüben sie nicht diesen Tag mit Nachgedanken.
OLYMPIE.

Ich weiß nichts Würdigers, womit ich ihn beschäftgen könnte, als mit Gedanken, wozu er mich bestimmt.

PREDIGER.

Nun, wenn Sie so befehlen, die Unschuld ist ein altes Märchen aus der Fabelzeit, wo Gott noch mit den Menschen, wie mit Kindern spielte, im Gleichniß sich verlor, in bunten Bildern sich noch offenbarte.

OLYMPIE.

Warum ist diese Zeit denn aus, ich fühl mich durch und durch noch kindisch, gar um nichts, um gar nichts weiser, als in meinen frühern Jahren. Nun sagen Sie, was ist denn diese Schuld des Ehestandes?

PREDIGER.

Verzeihen Sie, es würde gar nicht schicklich sein, wenn ich als Geistlicher in der Versammlung Ihnen dieses deutlich machen wollte.


Er wendet sich ab.
OLYMPIE.

Der Mann ist wunderlich, er sah mich an, als schämt er sich in meinem Namen, was hab ich denn Unschickliches gesagt?

[120]
LYSANDER.

Er hat dich nicht verstanden, sei zufrieden, wenn du die Unschuld nun bewahrst als Frau, wie du sie dir als Mädchen hast erhalten, auch ich werd meine Schuld in deiner Näh vergessen lernen und deiner Unschuld würdig werden. O gieb mir einen Kuß, es ist uns jetzt erlaubt. Sie küssen sich. Sag, wem gehörte dieser Kuß, er schien von meinen Lippen auszuschweben?

OLYMPIE.
Ich geb dem Himmel, was ihm angehört, er hat uns heut verbunden.
VIREN
tritt hinzu.

Nun das erfreut mich, lieben Leute, daß ich euch hier so herzlich sehe, daß ihr euch nicht so ziert, wie andre junge Eheleute, so lange noch die Hochzeitgäste gegenwärtig, das hätt ich nicht von dir erwartet, Schwester, sonst warst du doch sehr überspannt.

OLYMPIE.

Du kennst mich wenig, lieber Bruder, wie du hieraus auch sehen kannst, vielleicht gönnt uns die künftge Zeit mehr Muße, wo wir in Ruhe bei einander hausen können.

VIREN.

Recht schön, das soll geschehen, doch kommt zum Vormahl jetzt, damit ich weiß, ob ihr zufrieden seid mit dem, was ich an Essen, Trinken angeordnet. Auch warten draußen Maskenspiele unserer Bekannten auf die Ruhe, die der Gesellschaft nun das Kauen giebt.

OLYMPIE.

Gewiß ist alles gut von dir geordnet,[121] doch wenns zu meiden ist, erlasse mir das Maskenspiel, seit gestern Abend mag ich keins mehr leiden.

LYSANDER.
Der böse Abend gestern!
VIREN.

Nein liebe Schwester, jetzt kann ich sie nicht ohne Grobheit mehr von hier verweisen, es ist Gewohnheit, der gute Wille ist in unsrer Zeit zu achten, auch kennt sich die Gesellschaft wenig und in den Feierkleidern wird die Unterhaltung leichtlich steif; solch Spiel giebt jedem die Erlaubniß ohne dumm zu scheinen, still zu schweigen, es unterdrückt die alten abgelebten Hochzeitspäße.

OLYMPIE.

Ja lieber Bruder, wenn das nützlich wäre, die alten Spaße so zu unterdrücken, die überlästig wie die Fliegen, doch immer wieder zu uns kehren, da wollt ich meine Furcht vor Maskenspielen leicht bezwingen.

LYSANDER.
Wer wartet denn mit einem Maskenspiele auf?
VIREN.

Ja das ist eben das Geheimniß jedes mal – gewiß kann ichs nicht sagen, doch mein ich stark, es ist der Hauptmann Lumper.

LYSANDER.

Mein sehr vertrauter Freund, so etwas hat er stets im Kopfe, es macht ihn auf acht Tage glücklich, wir müssens über uns ergehen lassen.

OLYMPIE.
Dein Wille ist mir Freude.
12. Auftritt
[122] Zwölfter Auftritt.
Cardenio mit schwarzer Maske und Kleidung als Mohrenprinz, Pamphilio mit weißer Maske und Kleidung als Weißprinz, zwischen beiden eine Frau mit halb schwarzer halb weißer Maske und Kleidung als zweifarbige Prinzessin, der Mohrenprinz steht an ihrer weißen, der Weißprinz an ihrer schwarzen Seite, doch ist dies nur den Zuschauern sichtbar, da ein Schleier, der von ihren Händen getragen wird, ihre Zweifarbigkeit den zur Seite stehenden Anbetern verbirgt, und vorn, hinreichend geöffnet, den übrigen Anwesenden sehen läßt. Vor ihnen her tritt ein kleiner Junge, in allen Farben bunt gekleidet, als Herold.

HEROLD.
Aufgeschaut, aufgeschaut!
Hier streiten zwei um eine Braut,
Macht nur Platz, macht nur Platz!
Das wird mal geben eine Hatz.
OLYMPIE
vor sich.

Ich weiß nicht, wie mich ein eignes Zittern überfällt beim scharfen Auftritt jener schwarzen Maske, ich glaube einer Stimme Ton zu hören, die mir so unvergeßlich, so gefährlich ist. Gewiß es ist Cardenio, so kühnen sichern Gang hat keiner, weh mir, was wird das geben, ich darf nicht warnen, um nicht die schnellen Schreckensscenen mit den vermutheten zu tauschen.

VIREN
zu Olympien.

Du sonderst dich so von uns ab und alle warten doch mit ihrem Spiel auf dich, o füge dich der kleinen Feier, du bist ja gütig gegen alle Welt.

OLYMPIE.
Ich wußte nicht, daß es so schnell beginne, ich bin bereit, setz dich nur nah zu mir.
[123]
PAMPHILIO.
Es hat noch gar nicht angefangen – ich wollt es wär vorbei!
CARDENIO.

Fast vergeß ich meine Rolle, mich durchrollt ein wildes Blut, läuft so tobend unter einander in des Herzens unrechte Kammer, steiget gegen sich selber frei, Fluth gegen Fluth, als schwankt die Erde.


Maskenspiel.

PRINZESSIN.
Der am treusten von euch beiden,
Hat am meisten mir behagt,
Dem sei heut mit heilgen Eiden
Meine Hand gleich zugesagt.
WEISSPRINZ.
Nimmermehr kann ich dich lassen,
Lieber lasse ich mein Leben!
MOHRENPRINZ.
Wer wird dir dafür was geben,
Da du lang schon im Erblassen,
Kreideweiß kann man dich nennen,
Farbe hast du nicht gehalten.
WEISSPRINZ.
Sollt ich mich wie du verbrennen,
Daß man mich für brav möcht halten,
Lieber bleib ich wie die Schöne
Weiß und roth wie Milch und Blut,
Und daß mich die Liebe kröne,
Brauch ich nur der Schönheit Glut.
MOHRENPRINZ.
Wie, du wagst sie weiß zu nennen,
Die so schwarz wie Ebenholz,
Lieblich, wie die Nacht zu kennen
An den Augen leuchtend stolz.
WEISSPRINZ.
Nun Prinzeß, du hast gehöret,
Wie er dich hat angeschwärzt.
[124]
MOHRENPRINZ.
Weiß machst du dirs, ganz bethöret,
Sie ist schwarz, ich sag's beherzt.
WEISSPRINZ.
Nein, ich kenn ihr Angesicht
Lieblich, wie das Sonnenlicht.
MOHRENPRINZ.
Nein, du liebest sie noch nicht,
Nein, du liebest nur das Licht,
Und du möchetst weiß ihr machen,
Daß sie weiß und bleich, wie du,
Sie wird deines Hochmuths lachen,
Lasse endlich sie in Ruh.
WEISSPRINZ.
Nun Prinzessin, du willst schweigen,
So entscheide doch den Streit,
Bist du schwarz, so wird sich's zeigen,
Ich entsag dann ganz bereit.
MOHRENPRINZ.
Endlich hebe auf den Schleier,
Und beschäme diesen Schreier,
Gelt, du willst dich sehen lassen,
Bist du weiß, so bist du sein.
PRINZESSIN
zum Mohrenprinz.
Lasse ihn nur eitel spaßen,
Ich bin schwarz und ich bin dein.
PRINZESSIN
zum Weißprinz.
Ei du kannst dich drauf verlassen,
Ja bin weiß wie Elfenbein.
WEISSPRINZ.
Zeig dich, zeig dich meine Schöne.
MOHRENPRINZ.
Daß sich Lieb und Treue kröne.
PRINZESSIN.
Schönheit, Schönheit ist vergänglich,
Und das Leben ist so lang,
Eine Frage ist verfänglich,
Eine Frage macht mich bang:
PRINZESSIN
zum Weißprinz.
Wenn ich alternd, wie die Birnen,
Bräunte aus dem frischen Roth?
WEISSPRINZ.
Ach das hat noch keine Noth.
[125]
PRINZESSIN
zum Mohrenprinz.
Würdest du mir niemals zürnen,
Wenn mein Haar einst weiß gebleicht?
MOHRENPRINZ.
Nichts an Schönheit je dir gleicht.
PRINZESSIN.
Wohl so leg ich nun den Schleier,
Und so seht mich beide an,
Beide wart ihr meine Freier,
Und nun hab ich keinen Mann.
MOHRENPRINZ.
Du bist weiß, das ist abscheulich,
Alterst du denn also schnell?
WEISSPRINZ.
Schwarz wie Ruß scheint unerfreulich,
Gestern schienst du blank und hell.
PRINZESSIN.
Seid ihr beide noch so treulich,
Wie ihr beide schworet neulich?
WEISSPRINZ UND MOHRENPRINZ.
Wer zwei Schwüre angenommen,
Hat ein falsches Spiel begonnen.
PRINZESSIN.
Wie gewonnen, so zerronnen!
Wer zum Spiegel mich genommen,
Hat sich selbst in mir geliebet,
Und der werde nun betrübet.
Wißt, hier ist ein falscher Schein,
Falsches Licht strahlt hier herein,
Wechselt einmal eure Plätze
Und dann schauet nach mir her,
Seht ihr nun die alten Schätze?
Doch ihr habet sie nicht mehr.

Jeder Prinz kommt an der ihm gleich gefärbten Maskenseite zu stehen.
MOHRENPRINZ.
Schön, du bist so schwarz wie ich.
WEISSPRINZ.
An der Weiße kenn ich dich.
PRINZESSIN.
Für euch beide war ich reich,
Schwarz und weiß bin ich zugleich,
[126] Wie ein Dambrett schwarz auf weiß,
Also ist der Damen Weis'.
Schwarz auf weiß, Kontrakt und Name
Wünschet jede fromme Dame;
Doch ihr wolltet mich erst prüfen,
Ach ich kenn der Herzen Tiefen!
Hier zum Abschied geb ich euch
Ein Geschenk, das macht euch reich,
Nehmt die beiden gleichen Spiegel,
Seht euch drin und liebt euch recht,
Und ich geb euch Brief und Siegel,
Ihr vergeßt mein bös Geschlecht.

Sie wendet sich nach dem Hintergrunde.
MOHRENPRINZ.
Nun ich alles hab verloren,
Mag ich mich nicht selber sehn,
Gleiche Farb ist mir geboren,
Wie auf ihren Wangen schön,
Und nun ist sie fern und weit,
WEISSPRINZ.
Du warst Ursach an dem Streit.
MOHRENPRINZ.
Willst du Streit, du sollst ihn haben.
WEISSPRINZ.
Stolzer Thor, laß dich begraben.
MOHRENPRINZ.
Ich zertrümmre meinen Spiegel,
So zerstöre ich auch dich.

Er ersticht ihn.
WEISSPRINZ.
Stößt du auf des Lebens Riegel?
In den Himmel stößt du mich.

Stirbt.
PRINZESSIN
wiederkehrend.
Scherz war doch mein Abschied nur
Seht ich komm zur alten Spur,
Lange dauerte mein Wählen,
Will dem Weißprinz mich vermählen.
Mohr du mußt dich drein bequemen,
Einen kann ich doch nur nehmen.
MOHRENPRINZ.
Wohl so nimm mich, denn alleine
Steh ich hier und bin der deine.
[127]
PRINZESSIN.
Weh mein Liebling ist gefallen
Und er fiel von deiner Hand,
Sag, nie kannst du mir gefallen,
Da du trennst der Liebe Band.
MOHRENPRINZ.
Wie, du kannst ihn noch beweinen,
Hier in meiner Gegenwart,
Und du nennest ihn den deinen,
Ha, nun merk ich deine Art:
Ach du liebst nur was verloren!
PRINZESSIN.
Sag, was soll ich mit dir Thoren,
Der sich ewig möchte schlagen,
Statt was schönes mir zu sagen.
MOHRENPRINZ.
Stirb, weil du mich nicht kannst lieben,
Mit dem Buhlen schnell zugleich!

Er ersticht sie.
PRINZESSIN.
Sag, was kommst du her von drüben
Aus dem schwarzen Mohrenreich,
Wenn du gar nichts willst, als stören
Andre in den Freudenchören.

Stirbt.
MOHRENPRINZ.
Ja da liegt sie nun schon todt,
Spart der Welt das Abendbrod,
Weiß ich selber, was ich will,
Lieben muß ich ewglich,
Und nun sitz ich vor mir still,
Und nun schrei ich freventlich,
Leben muß ich, kann nicht sterben,
Bin verzaubert an die Welt,
Weil sie diesen Leichnam hält.
Ach wer schmeckt den Schmerz, den herben,
Der mich will so ganz verderben.

Er geht heftig umher.

Flieht mich, wie ein Jägerspieß,
Den der Teufel durch die Lüfte stieß!
[128] Fliehen muß ich mich und finden
Muß ich mich auch überall;
Durchs Jammerthal
Muß sich in zehnfacher Krümmung winden
Mein Thränenstrom!
Ich war einst fromm,
Sah so zutraulich der Welt ins Auge,
Mochte mich durchschlagen,
Mochte zu lieben wagen,
Ach, daß ich nun zu gar nichts tauge!
Wüthen möcht ich und muß weinen,
Weinen will ich und muß wüthen
In den Blüthen,
In den meinen,
Keine segensreiche Frucht
Mich erquicket auf des Lebens Flucht.
PAMPHILIO
als Weißprinz, flüstert leise zu Cardenio.
Jetzt eile fort, du fällst ganz aus dem Spiele du machst uns unglücklich.
MOHRENPRINZ.
Nein ich find nicht eher Ruhe,
Bis ich find ein glücklich Paar,
Schüttle dann den Staub der Schuhe,
Wische mir die Augen klar.
Was ich suche ist mir nah,
Und Olympie mit Lysandern,
Stehn vor mir so glücklich da,
Lassen mich nicht weiter wandern.
WEISSPRINZ UND PRINZESSIN
stehen auf.
Und der Zauber ist gelöst,
Da zwei Glückliche gefunden,
Die in treuer Lieb verbunden.
Leben ist uns eingeflößt,
[129] Und der Mohrenprinz versöhnt,
Unser Hochzeitfest verschönt,
Unsre Hände legt zusammen,
Da vereint des Herzens Flammen.

Der Mohrenprinz thut dies unwillig.
WEISSPRINZ UND PRINZESSIN.
Solche List muß man gebrauchen
Um zu seinem Zweck zu kommen,
Erst da war uns so beklommen,
Und die Worte uns vergehen,
Alles das habt ihr gesehen.
HEROLD.
Lernet euer Glück erkennen,
Andre müssen weit nach rennen,
Andren will es nicht begegnen
Oder erst nach Schmerzen segnen
So was denket nun dabei,
Oder andres – einerlei.

Ende des Maskenspiels.
LYSANDER.

Sehr zierlich, sehr geschickt, ich sag euch Dank ihr werthen Freunde, vermehrt der Gäste Zahl, wenn ihr euch eures Schmuckes habt entladen vergebens rath ich, wer ihr seid, so kunstreich habt ihr euch verstellt, doch rath ich aus des Spieles Sinn daß ihr mir werthe alte Freunde seid. Olympie ist allzuheftig heut bewegt, verzeihet ihr, wenn sie den schuldgen Dank verschweigt.

OLYMPIE
indem sie Cardenio, der reden will, unterbricht.

Mag euch ein Glück begegnen, wie ihr im innern Herzen uns gewünscht, dem Himmel sagen wir für unser Schicksal Dank.


Die Masken entfernen sich mit Verbeugungen.
[130]
OLYMPIE
vor sich.

Endlich komme ich zu Athem, wie vergebens ist die Furcht, wo ein Unglück naht, da schläft sie und umschleicht des Glückes Tage.Laut zu Lysandern. Weislich ist das Spiel gewesen, warnend vor den bösen Folgen wilder Leidenschaft, die das bessre Leben störet, uns den niedern Kräften opfert, warnen solls vor Eigenliebe und vor jedem Doppelsinne.

LYSANDER.

Das hast du wohl gesprochen, verlor ich doch die Lehre bei dem Toben jenes Mohren aus den Augen, der spielte gar zu wild; ich meine doch, in jeder Kunst muß jene Grenze streng bewahret werden, die sie von der gemeinen Wirklichkeit geschieden. Ich glaub dies lernte ich auch schon von dir, ach vor allen hohen Schätzen, preis ich hoch ein edles kluges Weib. Er küßt sie.

VIREN
tritt zu ihnen.

Könnt ihr nicht warten bis ihr in der Kammer seid, schämt euch, wie ihr schon so zusammen kriechet, statt eure Gäste mit Gesprächen zu verbinden.


Zu der Gesellschaft.

Herren und Frauen,
Ihr lebt nicht vom Schauen,
Essen und Trinken
Will höflich uns winken,
Und der Herr Bräutigam
Führe die Braut voran.

Lysander führt Olympien in das erleuchtete Nebenzimmer, die Gäste folgen gepaart.
13. Auftritt
[131] Dreizehnter Auftritt.
Straße vor Celindens Hause. Viren kommt mit einer Schaar Hallorenweiber, die den Rumpeltopf brummen lassen.

VIREN.

Ich muß verflucht aussehn in meinem Hochzeitstaat, ganz wie ein Satanas mit meinen Hexenweibern im Blocksberg Tanz. Wie mir die beiden entschwanden im geheimnißvollen Zimmer, das ruhig ihre Zärtlichkeit umschließt, da ward es sehnlich mir im Herzen, ich mußte noch Celinden sehn, sie aber wies mich gröblich von der Thüre, der Schimpf soll noch gerächet sein. – Nun seid ihr alle wohlgestimmt mit euren Rumpeltöpfen? Er singt.

Die am hellen Fenster

Meine Stimme hört,

Wird davon bethört,

Die ans helle Feinster

Hauchet, bis es blind,

Die ist heiß gesinnt.

Die gelehnt ans Fenster

Hauchet in die Hand,

Thränen hat gesand;

Ja ich bin gerühret,

Öffne dir mein Herz,

Ja ich bin verführet,

Alles war nur Scherz.

CELINDE
öffnet das Fenster.
Der in dunkler Gasse
Mit dem Winde streicht
Wäre gern ohrfeigt,
Der in dunkler Gasse
[132] Viel von mir erzählt,
Hat mich lang gequält.
Der in dunkler Gasse
Falsche Töne singt,
Schlechte Musik bringt.
Ich laß Narren reden,
Keiner glaubt dem Thor,
Eines Narren Rede
Schläft in klugem Ohr.
VIREN.
Die am hellen Fenster
Necket, was sie liebt,
Hat mich nicht betrübt.
Denn viel hellre Fenster
Bei der Nachbarin,
Strahlen zu mir hin.
Alter Lieb Gespenster
Wollten mich hier necken
Müssen sich verstecken!
Aus Celindens Reden,
Spricht nur Eifersucht,
Mit ganz andern Reden
Hat sie mich versucht.
HALLORENWEIBER.

Herrchen, wenn nur die Räthin nicht dazu kommt, das ist euch eine schlimme Frau, sie hält gar viel auf ihre Tochter.

VIREN.

Das muß sie wohl, es wird einmal ihr Ebenbild, ein saub'res Paar, die Mutter und die Tochter, schont nur den Rumpeltopf nicht, er stimmt so recht mit dieser Jungfrau Worten.

CELINDE
am Fenster.
In der dunklen Gasse,
Meinet jeder Thor,
[133] Daß für ihn mein Ohr;
Dir in dunkler Gasse
Geb ich schlechtes Lob,
Denn du wurdest groß.
Aus der dunklen Gasse
Komm und werde froh,
Meint es gar nicht so.
Ja ich bin verführet,
Öffne dir mein Herz,
Ja ich bin gerühret,
Alles war nur Scherz.
HALLORENWEIBER.
Herrchen geht nicht zu nah, es möcht euch was übles begegnen.
VIREN.

Was wollt ihr denn, jetzt kenne ich das list'ge Mädchen ganz, das spröde Wesen war nur listige Verstellung, sie hat mich prüfen wollen.

Die am hellen Fenster

Horcht den Schritten mein.

Läßt mich gern hinein.

Sieh ans helle Fenster

Heb ich mich empor –


Steigt ans Fenster, das sie zuschlägt.

Und sie schließts zuvor! –
Dieses helle Fenster
Schmeiß ich dafür ein
Mit dem ersten Stein,

Er wirft das Fenster ein.

Ihr geschminkten Wangen
Lügt mir nichts mehr vor,
Lieb ist mir vergangen,
Bin kein solcher Thor.

Die Magd hetzt den Hund heraus, der sich mit ihnen herum zerrt, den Viren in die Beine beißt und dann von den Weibern gefangen wird.
[134]
HALLORENWEIBER.
Seht die dicke Magd,
Mit dem Schlüsselbund,
Ihren alten Hund
Auf uns alle jagt.
VIREN.
Ach in Schuh und Strümpfen,
Ists ein böser Feind,
Der uns da erscheint,
Was hilft nun das Schimpfen;
Ach wo sind die Waden,
Wo die Polizei?
Steht mir keiner bei,
Sicher wirds mir schaden.
HALLORENWEIBER.
Seht, er ist gefangen,
Hier in meinem Rocke,
Schlagt ihn mit dem Stocke
Ohne alles Bangen.
VIREN.
Seht nun, ohne Gnade
Mit dem eignen Degen
Will ich ihn erlegen.
HALLORENWEIBER.
Ach dies ist recht schade,
Ach wie er jetzt schreiet,
Daß es euch nicht reuet!
CELINDE
am Fenster.
Hülfe, Hülfe meinem Hunde,
Helfet, helfet Nachbarsleute,
Wird mein Hund des Todes Beute,
Weine ich mich todt zur Stunde.
DIE DICKE MAGD.
Wasser wehr dich, ich schrei Zeter,
Feuer, Feuer will ich schreien
Über das verfluchte Freien,
Heda Amme, langer Peter!
14. Auftritt
[135] Vierzehnter Auftritt.
CARDENIO.

Wohlauf, hier giebts doch etwas Lärmen, die andern Straßen waren zum Verzweifeln stille. Wie blinkt mein Degen fröhlich zu den Sternen und blitzet wetzend auf den Pflastersteinen. Ha überleb ich diese Hochzeitnacht, so werd ich doch ein alter Mann, all den Zigeunern, die mir wahrgesagt, zum Trotz. Was giebts ihr Nachtraben?

DICKE MAGD.
Hülfe, Hülfe, dieser Mann hat den Hund mir wollen nehmen.
CELINDE.
Hülfe, Hülfe, dieser Mann wollte mir die Ehre nehmen.
VIREN.
Fort sag ich, wer sein Leben liebt und die Gesundheit seiner Glieder.
CARDENIO.

Ich lieb mein Leben nicht und die Gesundheit nicht. Was willst du Krautkopf hier des schimmlichen Fräuleins Ehre frech beschimpfen, des sauern Mopfes Leben nehmen. Er schlägt auf Viren.

VIREN.

Ich weiß nicht wie der Degen mir entfallen und all mein Muth dazu, ich werde von den Schlägen schrecklich nüchtern, weit weg ist gut vorm Schuß. Er läuft davon.

CARDENIO.

Ein Narr ist fortgejagt, was jammert hier noch für Gesindel. Er zerschlägt die Rumpeltöpfe. Nachteulen, heut ist Polterabend; wie die[136] Scherben klingen, wer hat dich her bestellt, jämmerliches Volk, das aller Nächte heilgen Ernst vergiftet?

HALLORENWEIB.

Herrchen – nur einen Schluck auf diesen Schreck – weiß ichs doch selber nicht – er war betrunken, daß wir ihn halten mußten.

CARDENIO.
Hat er euch gut bezahlt?
HALLORENWEIB.
Er hat viel versprochen, nichts gegeben.
CARDENIO.

So ist es recht, umsonst müßt ihr dem Teufel euch ergeben. Laßt euch dies Unglück eine Warnung sein und lebet ehrlich, damit den Menschen vor der Ehrlichkeit mag grauen. Ihr Bestien, fort. Hallorenweiber schimpfend ab.

CELINDE
am Fenster.

Mein edler Ritter, ihr habt die Ehre mir bewahrt, noch eh ihr mich gekannt, nur einen Augenblick gönnt mir zum Danke, der sich in solcher Ferne scheu zurück hält.

CARDENIO.
Sie kennen mich noch nicht mein Fräulein, ob ich auch würdig bin, ihr Zimmer zu betreten.
CELINDE.

Du Inbegriff von aller Würdigkeit, Cardenio, giebt es denn außer dir noch etwas, das der Ehre werth, du machst die Welt zu Schanden, weil du jetzt alle Ehre hast.

CARDENIO.
Sie kennen mich, das neun ich wunderbar in finstrer Nacht.
CELINDE.

Hab ich so viel Nächte dein gewartet [137] und deine Stimme, die im Gelage oder im Streit ertönte, lauschend eingesogen.

CARDENIO.

Die Worte, woher sie kommen wissen sie wohl nie, wohin sie gehen, wer sie auffaßt selten, sie sind ein Selbstschuß, in der Nacht gelegt und der ihn legt, weiß nicht, wann er zündet, und wen er trifft, – was schwatz ich lang auf der Straße, die Thüre ist geöffnet. Nun immer zu, da find ich Ruh. Geht in Celindens Haus.

AHASVERUS
tritt auf.

Gewiß ist hier Cardenio gewesen, die flüchtgen Weiber kannten ihn nur nicht, wo mag er geblieben sein. – Hier liegt der Kampfplatz noch voll Scherben! Heilger Gott bewahre ihn.


Ab.
15. Auftritt
Fünfzehnter Auftritt.
Zimmer der Celinde mit vielen Sophas, Alabasterlampen und Blumen geschmückt.

CELINDE.

Er kommt, er kommt, wie soll ich mich halten, daß ich ihm nicht an den Hals fliege, was wird er sagen, wenn er mich erkennt, wie klopft mirs Herz!

CARDENIO
eintretend.

Verwundert bleibe ich beim ersten Eintritt stehen, bekannt und unbekannt sind Sie mein Fräulein mir zugleich und in so gleichem Grade, daß ich des Grußes Art nicht recht bestimmen kann, – seh ich die hochgeschminkten Wangen, so [138] möcht ich ganz vertraulich sprechen, dann möcht ich wiederum befehlen und dann gehorchen.

CELINDE.
O möchte alles dreie sich vereinen, so würde mir recht wohl.
CARDENIO.
Das sagt mir fast zu viel.
CELINDE.
Beschämen Sie mich nicht, hab ich mich im Geständniß überrascht – ich kenne Sie schon lange.
CARDENIO.
Fast mein ich eben so.
CELINDE.

Ich will das Räthsel lösen. Gedenken Sie noch wohl des muntern Knaben, der in der Krankheit und Abwesenheit des alten Hans die Röcke klopfte, die Stiefeln reinigte, nun, ich wars, ich hatte mit dem Alten mich besprochen, für meine Mühe gab ich ihm noch Geld.

CARDENIO.
Ich will es Ihnen wieder geben.
CELINDE.
Du hast wohl eine Münze, aber die ist dir ans Herz gewachsen.
CARDENIO.

Vom Herzen schweig, ich mag davon nichts wissen, es ist ein lächerlicher Muskel, und sieht ganz anders aus im Menschen, als auf dem Altar unsrer Alltagsmalerei, das Blut fließt ein und aus, und weiter ist es nichts.

CELINDE.

Du Thor, was sagte mir denn dieses Herz, wenn ich dich Morgens an den Haaren zupfte, dich aus dem tiefen Schlafe zu erwecken, ach da ging doch viel mehr herein, heraus durchs Herz [139] als Blut, es war ein Hauch der mich durchbebte, als würd ich neu geschaffen – fühle jetzt mein Herz, es schlägt, als käme ich aus einem heftgen Tanze und saß doch still in meiner Kammer hier.

CARDENIO.

Es fühlt sich gut an dieses Herz ich muß ihm glauben, es poche stolz in meiner Nähe, aber sprich, was soll denn dieser Zimmerprunk in später Nacht, der schelmisch leichten Kleider fliegend Nichts, der Demant durch das schwarze Haar geflochten.

CELINDE.

Das sind nur falsche Steine, ach was frägst du denn so viel, nicht alle Männer sind so ernsthaft hier, wie du. Weißt du noch wohl, wie du mich sonst gefragt, als ich dein Knabe war, ob ich auch schon zu Mädchen ginge?

CARDENIO.

Jetzt frag ich dich, ob du zu Herren gehst, du merkst, es muß doch was in deinen Blicken liegen, denn jener Knabe war dir aus dem Aug geschnitten.

CELINDE.
Doch taugen meine Augen noch, dich anzublicken, ich wollte, daß ich keinen andern je gesehen.
CARDENIO.

Sag nur aufrichtig, sage, bist du ganz gemein? Ich wills nicht wieder sagen, und ich möchte deinen wahren Namen auch gern wissen.

CELINDE.

Gemein! Beim Himmel nicht, ich zeichnete mich früh vor allen aus, hast du von mir [140] noch nie gehört, ich heiß Celinde, die Tochter der Kriegsräthin Tyche.

CARDENIO.

Was Teufel, so gehörst du ja zum ersten Kreise in der Stadt, du hast zwar schlimme Nachred, doch die hat wohl jede hier, so wirst du durch Verläumdung allen gleich. Ich werde doch schon traulicher mit dir, ich meinte dich vorher der Venus Priesterin, die ganze Menschenrassen ihrem falschen Dienste opfert, ja das ist eure Schuld ihr Mädchen unsrer Zeit, geht ihr doch angezogen wie der Sünde Lockungsbilder.

CELINDE.

Ach deine strenge Thorheit ist so lieb, bewahr dich ja vor allen andern Mädchen, sie sind meist schlimm, ich bin dir gut, vertraue mir.

CARDENIO.
Vertraue mir zuerst, wer hier von dir gegangen, oder wer von dir erwartet wurde?
CELINDE.

Ich muß es dir schon sagen, die Uhren schlagen Zwölf, in einer Stunde ist er hier, da muß es alles ganz entschieden sein, hier zwischen uns dann kommt mein ganz verhaßter Liebhaber.

CARDENIO.
Verlangst du Geld, dich von ihm los zu machen, verlangst du meinen Degen, dich zu schützen?
CELINDE.

Nein beides nicht, nur deine Liebe kann mir helfen. Jetzt schwöre mir, daß du verschweigen willst, was ich dir hier vertraue.

[141]
CARDENIO.
Viel eher würde ichs vergessen, als darüber schwatzen.
CELINDE
weint.

Ich bin unsäglich unglücklich der Predger, Lyrer, der mich im Glauben unterweisen sollte, hat mich berückt mit Liebesthorheit, und jetzt haß ich ihn aus voller Seele, ich weiß nicht mehr, wie alles sich verlaufen, ich liebte auch Viren, doch seit ich dich gesehn nicht mehr, ich zittre vor dem Prediger und weiß es nicht warum, ich diene seiner Lust ganz ohne Lust, zu dir ist alle meine Liebe hingewendet.

CARDENIO.

Zu mir, du armes Kind, bei mir da findet sie ein ödes Haus, da hat der Feind getobt, in blinder Wuth die Federn in den Wind geschüttet, auf denen wir so weichlich ruhen könnten.

CELINDE.

Mein armer Freund, ich will dein Haus dir wieder füllen, vertrau mir nur, hast du der Liebe Schmerz getragen, so wirst du ihre Freuden dankbar anerkennen.

CARDENIO.

Ich sah, der Mensch kann auf verschiedne Arten leben, vielleicht kann er auch ganz verschieden lieben.

CELINDE.

Du bist ein Philosoph, mein Predger ist es auch, dir läßt es aber besser. Du mußt doch alles wissen, sag, was denk ich jetzt?

CARDENIO.

Daß ich es nicht errathen werde – nur wird so lächerlich in meiner Haut, ich möchte [142] eine Vorlesung dir halten, vom Menschenleben, wie es anfängt und vergeht, vom Organismus aller Welt.

CELINDE.

Sprich nichts vom Organisten, der ist des Predgers Liebesbote. Was wollt ich dir schon sagen? Ja, da hast du einen Kuß.

CARDENIO.

Es siehts doch Niemand, liebes Kind, verhäng das Bild, es sieht so wunderlich, so zärtlich und so schmerzlich auf mich nieder.

CELINDE.
O laß es nur, die hat geküßt wie wir und noch viel mehr, es ist die Ahnenfrau aus ferner Zeit.
CARDENIO.

Den Spiegel aber mag ich gar nicht leiden, ich sehe drin so ganz verzweifelt aus, als spielt ich um des Herrn Jesu Kleider Würfel. Verhäng ihn liebes Kind.

CELINDE.

Du bist ein wunderlicher Mensch, ich muß dir alles zu Gefallen thun, du thust mir gar nichts zu Gefallen, kaum weiß ich noch, ob du mich magst, ob du mich annimmst, wenn ich selbst mich dir so einzig schenke.

CARDENIO.
Du bist ein liebes Kind. Er küßt sie.
16. Auftritt
Sechzehnter Auftritt.
DER PREDIGER
tritt mit Kuchen und Früchten herein.

Celinde sieh, mein lieblich Weibchen, ich mußte dir recht schnell noch etwas von der Hochzeit bringen, so habe ich die Zeit um eine Stunde übereilt, ich [143] dachte stets bei Tische ... Er sieht Celinden in Cardenios Armen. Celinde, nichtswürdige Verrätherei, wer ist der Schurke, bei dem ich dich so zärtlich überrasche, Er faßt sich. ich komme hier als alter Freund des Hauses, die Mutter machte mir zur heilgen Pflicht dies gute Mädchen sittlich rein und gut ihr zu bewahren, des Hauses hier zu wachen, wenn sie abwesend auf dem Landgut ist, Sie haben sich vielleicht geirrt im Haus mein Herr, Sie haben sicher großen Schreck dem armen Kind gemacht, ich muß Sie bitten, dieses Haus gleich zu verlassen.

CELINDE.
Verlaß mich nicht, weh mir, wir sind verloren. Sie sinkt in Ohnmacht.
CARDENIO.

Halts Maul du dummer Pfaffe, ich laß mich nicht von deinen falschen Pfiffen blenden, kennst du Cardenio nicht besser, ich trage keinen Nasenring, daß mich ein solcher schwarzer Affe könnte durch die Gassen ziehen, ich habe meine Tatzen annoch frei und wär dies schöne Kind in meinen Armen nicht ohnmächtig, du möchtest wohl den Weg hinaus zum Fenster finden.

PREDIGER.

Entschuldgen muß ich Ihre pöbelhafte Rede mit dem Trunke, der ihnen aus den Augen und den Backen strahlet, ich will Sie gern nach Hause führen, verlassen Sie nur dieses Haus.

CARDENIO.

Du willst mich führen? Ha, da war ich auch verführt, wie dieses arme Kind; was [144] du ihr gabst an christlicher Moral, das hast du ihr mit allem, was Natur ihr gab, ohn heilge Scheu schon wieder weggenommen; du bist ein Schwein, das gierig frißt den eigenen Koth und seine Jungen, was du ihr vorgelogen von dem Glauben, hast du gleich wieder aufgeküßt, du bist ein Bock, der sich die eigene Nase ....

PREDIGER.

He Bursch, so ist es nicht gewettet, du meinst weil ich mit Amt und Brod und Ehre in deiner Falle bin, du könntest ehrlos mich beschimpfen hier vor meinem vielgeliebten Mädchen; das ist unritterlich, erst zeige, ob du Muth hast deine freche Rede mit guter Klinge zu bewähren. Erst diese Ohrfeig meinem süßen Liebchen, daß sie zum Zusehn doch erwache. Er schlägt sie.

CARDENIO.

Halt ein, ich hätte dein geschont, doch für den Schlag mußt du heut bluten, bereite dich zum Sterben, ich denke deiner Seele Luft zu machen, daß sie der geilen Brunst des Leibes kann entfliehn.

PREDIGER.

Mit Worten laß ich mich nicht schrecken, ich war ein Senior der Schwarzen, du bist der erste Praler nicht, den ich hab auf den Sand gesetzt, hier werfe ich zwei Degen an die Erde, ergreif den einen, wehr dich Hund, sonst steche ich dich nieder.

CARDENIO.

Die Klingen sind zum Stechen besser als zum Hauen, der Hieb ist sonst mein Zauberkreis, [145] doch macht der Stich hier weniger Spektakel, so wollen wir denn stechen; doch tritt dabei nicht allzuheftig auf, Celinde möchte sonst erwachen und uns stören.

PREDIGER.

Nun meinetwegen, du Hund willst mich durch kaltes Blut ergrimmen; ich will bald fühlen, ob dein Blut so kalt.


Sie fechten.
CELINDE.

Weh, welche Stille erwecket mich aus süßer Schlummertiefe. Jesus! Sie fechten, ich leid es nicht, ich kanns nicht sehen. Sie stürzt sich in Verzweifelung auf den Arm des Predigers, der dadurch in seiner Parade gestört Cardenios Stich erhält.

PREDIGER.
Celinde! Du bringst mich um: Cardenio du hast dich ritterlich gehalten.
CELINDE.
O Gott wie ist mir, beim Heilgen Geist, ich weiß noch gar nicht um die Missethat.
CARDENIO.

Verfluchtes Eisen, ich brauchte nicht des Zufalls, der so mit Bosheit mir Ruhm und Ehre nimmt, und Sieg verleiht.

PREDIGER.

Glaub mir, daß ich aus ganzer Seele dich von böslichem Verdachte losgesprochen, ich geb am Rand des Grabes zur Versöhnung dir die Hand, der Haß ist mit dem Blute mir entströmt. Hört, meine Zeit ist kurz.

CELINDE.
Um meine ewige Seligkeit, Du mußt noch leben.
[146]
PREDIGER.

Ich bin ein Schüler Epikurs, ich weiß zu sterben, ich habe keine Scheu vor dem, was jenseits kommt, denn da ist nichts, nur hier auf dieser Welt schallt mir ein Ruf noch nach, ich habe ihn mit schwerer Müh gewonnen und meine Schriften gelten überall. Fand man mich hier – – die Lästrung würde allgemein dem schön geschriebnen Wort die Wahrheit nehmen – das läßt im Tod mir keine Ruh. Fänd man mich hier erstochen, es brächt euch beide auf das Rad; – Cardenio, du bist ein kühner Mann, du bist ein Mann von Ehre, – ich beschwöre dich bei dieser Ehre, trag mich fort von hier; – ich schwöre dir bei meiner Ehre, für die ich dreizehnmal gefochten, ich werde dich, ich kann dich für die Wohlthat nicht verrathen, trag mich nach meinem Haus: – ich will erzählen, daß mir von Trunkenen die Wunde sei geschlagen, und daß du mich auf deine Schultern mitleidsvoll genommen.

CELINDE.

Cardenio, nein traue nicht dem bösen Mann, hier ist Geschmeide, hier ist Gold, wir wollen fliehen mit des Windes Eile, der über Gräber zieht.

PREDIGER.

Das Wort hat tiefer mich gekränkt, als meine Wunde, ein Mann kann schrecklich sein, doch nur ein Weib ist fühllos grausam. Cardenio, nicht wahr, du denkst nicht so.

CARDENIO.

Ich freue mich, daß ich dir noch zu etwas dienen kann, fast bin ich meines Lebens müde und willst du mich verrathen, ists mir einerlei.

[147]
CELINDE.

Doch mir ist es nicht einerlei, mit dir verlier ich alles, ich halte dich, ich lasse dich nicht fort.

PREDIGER.
Die Zeit vergeht, das Leben flieht.
CARDENIO.
Ich gebe dir mein Wort, ich trage dich nach Hause.
CELINDE.
Nein, nein.
CARDENIO.
Was ich versprochen, halt ich; schweig Celinde, wir sind auf ewig sonst geschieden.
CELINDE.

Ich habe Mitleid, so wie du mit ihm, doch meine Liebe die dir einzig angehört Cardenio, macht mich der Löwin gleich, die ihre Jungen sieht durch böse Lust weglocken.

PREDIGER.

Wie schmerzet dieses Mitleid meiner Liebe, gewähr mir einen Abschiedskuß dafür Celinde, sieh es ist die letzte Bitte.

CELINDE.

Du hast den ersten Kuß mißbraucht, verfahre besser mit dem letzten der dich beschwört Cardenio nicht zu verrathen. küßt ihn.

PREDIGER.
Ich hab ihn nicht bekommen diesen Kuß, der Schmerz hat ihn entführt.
CARDENIO.

Es drängt die Zeit. Ist alles mir geglückt und alles treu gehalten so ruf ich dir Celinde einen guten Morgen zu von draußen, dann komme ich zu dir um dich zu trösten, mit jedem Troste den die Liebe wünscht. Er trägt ihn in seinem Predigermantel fort. Celinde leuchtet ihm vor.

[148]
17. Auftritt
Siebenzehnter Auftritt.
CELINDE
kommt mit dem Lichte zurück.

Ich höre ihn noch in der Gasse schleichen nun kommen andere die werden ihn verrathen sie gehen in die andre Gasse, wenn nun der Pfaffe doch nicht ehrlich wäre und seine Rache ließ gewähren, ja sicher sicher er verräth ihn, läßt ihn fesseln, ich seh ihn in dem tiefen Kerker, ich seh ihn auf dem hohen Rabensteine, da sterbe ich mit ihm dem Schönen, da will ich seinen schönen Leib noch sehen, da will ich küssen seine Feueraugen, dann soll er sie nicht mehr eröffnen, als im Himmelreich ach Gott, da ist für mich kein Platz wie bin ich doch auf einmal von dem Wirbel aller Schuld und Schande rings umdrängt, und bin nichts schlechter als ich gestern war wo ich noch kühn den Menschen in die Augen sehen konnte. Ja, wenn das Blut nicht wär am Boden! Die Trunknen sollen bei dem Anblick von dem Blute nüchtern werden ach könnt ich nur ganz trunken davon werden daß ich mein elend Leben endete, doch vor dem Degen schaudert mir, ein Nadelstich ist mir verhaßt. Er wollte mir ein Zeichen geben, einen guten Morgen rufen, wenn alles gut beendigt wäre und wenn er aus des Pred'gers Haus entlassen. Es wird schon hell, er könnte längst schon bei mir sein, gewiß ist er gefangen, sie schleppen ihn jetzt

[149]

sicher zum Gefängniß, er überlebt es nicht, ich seh ihn schon, er scheint mir so ergeben doch wie sie auf der Brücke sind da stürzt er sich hinab. Dir nach dir nach du süßer Freund, unten im Wasser ganz allein will ich an mein Herz dich drücken, wie die Nixe, und in meinem Pallast drunten weck ich deinen Lebensfunken. Sie hat sich dem Fenster genähert und will sich hinausstürzen.

CARDENIO
draußen.
Guten Morgen.
CELINDE.

Guten Morgen guten Morgen, er lebt er ist errettet, bald ruht er froh an meiner Seite, ach guten Morgen will ich rufen wenn ich sterbe!


Ende des zweiten Aufzuges.

3. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt.
Ufer der Saale. Der Fluß ist mit bunt bewimpelten Schiffchen bedeckt, auf der einen Seite des Vordergrundes sieht man das Logengerüst für die Gäste des Lysander der das Fischerstechen gibt. Olympie sitzt in dessen Mitte auf einem hohen roten Sessel, an ihrer Seite steht ein Tisch mit Preisen, goldenen Ketten, silbernen Pokalen und silbernen Kränzen. Lysander und Viren sitzen ihr zur Seite. Durch die Menge des Volkes das den Raum unter dem Gerüste einnimmt, drängt sich der feierliche Zug der Halloren mit alten Waffen Flambergen Streitkolben und dergleichen, so wie sie sich dem Schiffe nähern legen sie ihre Röcke ab und erscheinen in zierlich weißen Schifferkleidern mit bunten Bändern geschmückt, sie ergreifen die Stechstangen und besteigen tanzend die Schiffe, wo das Stechen in der gewohnten Art beginnt, nach welchem sie sich in entgegengesetzte Parteien scheiden und einander mit den Stechstangen von den Kähnen ins Wasser zu stoßen suchen, – wer übrig bleibt hat gesiegt. Unter der Menge des Volks stehen von einander entfernt Pamphilio, Ahasverus,
Doris, Cardenio in einem Mantel tief eingehüllt, führt Celinden die mit Stolz ihm zur Seite einherschreitet. Mehrere Studenten rathen wer es sei der sie führe, während solchen Gesprächen singen die Halloren indem sie zu ihrem Marsche auf alles was rings geschieht Reime machen.

HALLOREN.
Lustig ihr kreuzbraven Brüder,
Heut ist ein Freudentag,
Wollen heut springen und stechen,
Wer ists, ders hindern mag,
Wer uns hier wohl scheel ansieht,
Kriegt ein Schmoch auf die Hutkrämpe.
[151] Wer nicht aus dem Wege geht,
Ist ein rechter närrscher Hämpe.

Weiße Hemden, blaue Bänder
Und ein grüner Kranz dabei,
Das stutzt wahrlich fein und niedlich
Und das Stechen ist heut frei.
Lange leb der Graf Lysander,
Das verliebte Rabenäschen,
Sitzt mit seinem Schatz beisammen,
Und sie machen sich ein Späschen.

Sieht nicht unser Platzknecht prächtig,
Mit dem schwarzen Mantel aus,
Recht wie Nürnberger Docken,
Was sitzt da für Volk im Haus,
Kribbelt, wibbelt allzumal,
Klettert, reitet auf den Dächern,
Vetter David, kuck einmal,
Die läßt sich von einem fächern.

Hauptmann mit dem großen Degen,
Mache deine Dinge recht,
Unser alter Trommelschläger
Lärmt mein Seele auch nicht schlecht,
Toffel wird nen lustigen Schwang
Mit der neuen Fahne machen,
Daß wir mit der gnädgen Frau
Werden übern Fähnrich lachen.
EINER AUS DEM VOLKE.
Ist das nicht Cardenio?
EIN ANDERER.
Ich dachte es eben auch, es fehlt ihm nur ein bischen so ist ers, er ist es aber nicht.
[152]
CARDENIO
vor sich.

Kaum wag ich meine Augen zu erheben, sie möchten ihr begegnen die oben thront, wie schäm ich mich vor ihr so jämmerlich daß sie mich möchte sehen an Celindens Hand: der bravste Hundsvott ist der Mensch. He da!

PAMPHILIO.
Sieh da, dich hätt ich kaum erkannt.
CELINDE.
Sie thun als kennten Sie uns nicht.
PAMPHILIO.
Wer will das schlimmste gleich vermuthen.
CELINDE.
Ich kenne euch ihr Herrn, ihr geht von einem wie die Katz vom Taubenschlag und sehet euch nicht um.
CARDENIO.

Laß das Celinde, das war schon wieder eine von der theuern Mutter Redensarten. Pamphilio führ doch Celinden an den besten Ort zum Zusehn, ich habe einen Spaß mir vorgenommen.

CELINDE
leise zu ihm.

Ich wollt, du ließest ihn, ich werde schrein vor Angst wenn ich dich fallen sehe, hör nur du Wildfang, du schonst dich gar zu wenigSie giebt ihm einen Kuß. ich sags dir immer aber du läßt dir nichts sagen, nun sag was ziehst du jetzt den Mund zurück da ich dir einen Kuß will geben und heute Morgen war dirs nie genug; es siehts ja niemand.

CARDENIO.
Es ist so heller Himmel, ich bitte dich laß mich jetzt nur allein, geh mit Pamphilio.

Celinde und Pamphilio treten auf ein Gerüst.
[153]
CARDENIO.

Macht das die öde Nacht, der liederliche Morgen; – Celinde schien nur eben ganz verwandelt, der heftge Aufruhr der mich bei ihrem Anblick gestern wild durchdrang, ist wie ein Meeresschaum im Sonnenlicht zerplatzt, und keine Göttin steigt daraus hervor. O lichte Himmelswelt von der ich abgefallen, in deiner Höhe ist nur Dauer, ich steige wie ein schwarzer schwerer Rauch der Lerche nach die in der Höhe schwebt und jeder Windstoß senket mich hinab, so blicke ich zu dir Olympie und meine doch, es sei mir ganz verboten. Da sitzet sie am höchsten Platze und wo sie sitzt da ist der Höchste; sie ist heut schöner noch als je, ihr Auge glänzt und ihre Wangen blühen.

Seh ich zu dir hinauf,

Siehst du zu mir hinuter,

So geht das Herz mir auf

Und alle Sinne unter,

Ich bin ein schwarzer See

Am Fuß von grünen Hügeln,

Zugleich in Lust und Weh

Magst du dich in mir spiegeln.


Wie alle ihre Schönheit so in stiller frommer Liebe reichlich aufgegangen ist, ach weil sie immer ist dieselbe, darum ist sie mit jedem Augenblicke schöner. Noch einmal will ich vor ihr erscheinen im Glanze meiner Kraft, den Preis aus ihren Händen mir gewinnen oder untergehn vor ihr in diesen Fluthen. [154] Er wirft den Mantel ab den ein Knabe bewahrt und erscheint ganz wie ein Hallore gekleidet. Ich meine, daß ich jetzt von den Halloren schwer zu unterscheiden bin, die Locken hab ich schon dem Feuer heut geopfert, sie waren mir zu heiß in dieser Zeit. Erkennen sie mich auch, wohlan so wird das Fechten um so schärfer, der Sieg so schöner und der Tod so freier. Ich bin der Alte noch und lächelnd stell ich mich der Welt entgegen. Er geht mit dem Zuge der Halloren auf die Brücke, ergreift eine Stechstange und stellt sich auf ein Schiff.

HALLOREN.
Lustig ihr Thalbrüder lustig,
Marsch auf die Brück hinan,
Müßt all und über runter
Brave Kapriölchen schlahn;
Seht ihr wie die großen Frauen
Sich auch freuen und brav lachen,
Lugenhiebe kriegt ihr heut,
Wollt ihr euch nicht lustig machen.

David kriegte auch jetzunder
Einen achtzehnlöthgen Stoß,
Und der Köter macht sich wunder
Mit der Stärke gar zu groß,
Zacharies hats ihm wohl gesagt
Daß er nicht sollt trocken bleiben
Doch der Blitzer wird den Streich
Sich schon hinters Ohrchen schreiben.
DORIS.

Wie der Lysander mit dem Fräulein jetzt so schöne thut, ein Händekuß ist ihm jetzt gar nichts gar nichts mehr, sonst hätte er sich wohl vier [155] Wochen lang darnach die Beine abgelaufen, sie scheint nun auch mit allem ganz zufrieden! Wer hätte das gedacht, als sie dem Herrn Cardenio das Band geschenkt an seine Zitter? Wie der Lysander ihre Hand so festhält, mir hat er sie voll Geld gedrückt – ich dachte doch er würde mich einmal besuchen, mir von der Hochzeit etwas schicken, er hat mich heut nicht einmal mehr gegrüßt als ich ihm früh begegnete. Sie weint. Und dann will er mir noch befehlen daß ich schweige wie ich ihn habe in das Haus gelassen und wie sich alles hat begeben. – Nun sollen es auch alle Leute wissen und müßte ich darüber auch ins Zuchthaus kommen, säh ich nur den Cardenio, der wird sich ärgern. Was soll ich seine und des Fräuleins Ehre schonen wenn sie mir alle Ehre nehmen, mich Knall und Fall wie eine Diebin aus dem Hause stoßen, es war ein gar kommoder Dienst, das Fräulein machte sich fast alles selber. – Ei Gott, wie er sie küßt! – Was schreien denn die Leute, das Volk wird doch von Tag zu Tage unvernünftiger, was wird es großes sein, mir macht das alles keinen Spaß. Die fallen recht ins Wasser, – jetzt stehen zweie ganz allein, die drängen sich wie Brummelochsen, wie Frösche schreien die andern aus dem Wasser und hetzen sie zum Kampf. – Plumps! – Da fiel der Dicke, der andre stützt sich ganz er schöpft auf seine Stange.[156] – Ein schöner Herr, der gleichet dem Cardenio – gewiß ists kein Hallor.

DIE MENGE.
Glück zu. Hoch. Vivat u.s.w.
EIN HALLOR.
Nun singt das Siegeslied.
ZWEITER.

Hol ihn der Teufel, es ist doch keiner von den unsern, es ist nur ein Böhnhase, da schlag der Teufel drein.

ERSTER.

Schweig still, ich schlag dir sonst aufs Maul, stellt euch nur vor, daß keiner ihn erkennt, sonst haben wir die Schande.


Cardenio ist unterdessen aufs Gerüst gestiegen und empfängt eine goldene Kette aus den Händen der Olympie.
OLYMPIE.
Dem Sieger über alle, dem Überwinder aller.
CARDENIO
ohne sie anzusehen.
Tod und Liebe!

Er empfängt die Kette und steigt herunter.
OLYMPIE
erschreckend zu Lysandern.
Es war Cardenio.
LYSANDER.
Er hat sich brav gehalten, das ist unglaublich viel, die langgeübten Stecher zu besiegen.
OLYMPIE.
Ich denk, wir gehen fort, des Wassers Kühlung zieht ein leises Frösteln durch die Glieder.
LYSANDER.
Die nächsten Preise theile doch noch aus.
OLYMPIE.
Wie du befiehlst. Sie giebt die Pokale und Kränze denen, die ihr vorgestellt worden.
LYSANDER.
Nun seid gedankt ihr starken Männer[157] für das Fest. Ab mit Olympie. Marschmusik mit Zwischenrufen.
VIELE.
Heil, Heil der Neuvermählten, den Gebern dieses Festes Heil, viel Heil der schönen Frau.

Mit großem Jubel zieht ihnen die Menge nach.
DORIS.
Alle schrein zu ihnen freudig und in Jammer ruf ich Wehe!
CARDENIO.

Die Kette drückt mich nieder – als sie mir die umhing, da war sie mir so nah, was hielt mich ab, den glühend heißen Kuß zu dem mein Leben drängt, auf ihre Lippen schnell zu drücken? Weh dieser harten Scheu die einen Liebenden vom Rasenden noch unterscheidet, daß er die schmale Grenze nicht zu überspringen wagt.

DORIS
zu ihm.
Wir beide sind die einzig Traurigen hier bei diesem prächtgen Stechen.
CARDENIO.
Was willst du, willst du Geld?
DORIS.
Ach nein!
CARDENIO.

Das ist ein wunderseltner Fall – nun sag, wer bist du? Du scheinest mir bekannt, als hätt ich dich in einem wunderbaren Augenblicke meines Lebens schon gesehn, in einer schönen Gegend in der Frühlingszeit.

DORIS.
Je Herr, ihr kennt mich wohl nicht mehr, ich schüttete ja euren Korb voll Kirschen in den meinen.
CARDENIO.
Wahrhaftig ja, das ist nun lange her und damals sah ich nur dein Fräulein an.
[158]
DORIS.
Ich bin nicht mehr bei ihr. Es ist uns beiden übel mitgespielt.
CARDENIO.

Du bist wunderlich, was hatten wir wohl je zusammen, als daß wir beide dienten, beide sind entlassen.

DORIS.

Ich mags nicht sagen, doch müst ihrs einmal ja erfahren, – wenn ich nicht war, nie wären sie ein Paar geworden.

CARDENIO.
Hör zwei machen stets ein Paar.
DORIS.
Ihr könnt noch scherzen?
CARDENIO.

So wie die Katze mit der Maus, so wie der Strom mit dem Ertrinkenden, ihn hebend bald und dann herniederstürzend, im Hoffen ihn vernichtend, so spiele ich mit dir mit mir mit meiner Liebe mit aller Welt. Du sprachest von Lysandern und Olympien, daß du sie hast gepaart.

DORIS.

Je hätte ich ihn nicht ins Schlafgemach gebracht, als Ihr für ihn den Frevel solltet büßen, sie hätte ihn wohl nimmermehr genommen.

CARDENIO.
Du willst mit Fabeln meinen Sinn verwirren, ich hätte dir den Muth nicht zugetraut.
DORIS.

Nein, denkt nicht schlecht von mir, ich wills ihm in die Augen sagen, mit einem falschen Schlüssel hab ich ihn hereingelassen.

CARDENIO.
Von dir soll ich nichts Schlechtes denken und doch gestehst du mir das Schlechteste.
[159]
DORIS.
Seht nur, hier ist der Schlüssel noch, ich lüge nicht, ihr könnt mir glauben.
CARDENIO.

Ich wills nicht glauben, welche Schande wärs, daß solch Glück durch Trug gewonnen werde – mich, der ichs ehrlich meinte, fromm und gut, mich hat sie nie geliebt.

DORIS.

Bei Gottes Allwissenheit beschwör ichs euch, ihr irrt, sie hat euch wohl geliebt, beim ersten Blick war sie in euch verliebt, ich hab es wohl bemerkt, sie war zu stolz, nie hätte sie euch sonst das Band verehrt – sie hat mit euch gesprochen als sie nachher allein zu sein vermeinte, ich habe sie behorcht, so zärtlich und so vornehm.

CARDENIO.
Wahrhaftig? – sprich, was sagte sie mir denn da.
DORIS.

Ich kann das nicht so nachsprechen, sie hat so ein'ge Worte, so wies in Büchern steht, so sagte sie, so wie dies Band der Saiten Wohlklang, Leben und Verstummen ans Herz ihr drücke, so möchte ihre Seele fühlen deines Herzens Schlag, mit dir gleichtönend immerdar zu werden.

CARDENIO.

Beim lichten Aug des Himmels, das muß Wahrheit sein, dein Wort hat mir den schwarzen Staar erhellet, wie war ich blind, jetzt werd ich stumm.

DORIS.

Wie kann ein also schöner Herr solch Unglück haben, solch guter Herr, ich habe Sie so lieb, ich thäte Ihnen alles gern zu liebe.

[160]
CARDENIO.

Da du mir das Herz abstößt! Warum mußt du den Brand in meine Seele werfen, die so entzündlich ist zu jeder Leidenschaft – fort – aus meinen Augen fort – du bist mein ägster Feind.

DORIS.

Den Lohn hätt ich von euch mir nicht erwartet, ihr seid nicht recht gescheid, es ist ein böser Tag, das hat es mir bedeutet als ich den Strumpf heut früh verkehrt mir angezogen.

CARDENIO.

Sei nur nicht böse, denn siehe ich brauche dich, komm doch nachher zu mir. Du weiß doch wo ich wohne.

DORIS.
Ich weiß es wohl, ich wollte schon zu Ihnen kommen. Ab.
CARDENIO.

Was durch Verrath gewonnen, soll rasch durch Rache untergehn. Ich dachte alles hier gethan zu haben, nun bleibt mir noch ein Richteramt. – Sie hat mich, sie hat mich geliebt. – Lysander, Lysander, fühlst du in diesem Augenblicke keinen Druck im Herzen, so giebt es keine Ahnung! –


Celinde und Pamphilio kommen vom Gerüste zu ihm.
CELINDE.

Mein Freund, wie habe ich für dich gezittert und triumphirt mit dir, ein jeder Stoß der deinen schönen Leib getroffen, er traf mich dreifach, und jeder Siegsruf, ich hört ihn zehnfach, nichts Schönres in der Welt als seinen Vielgeliebten nach dem Kampf als Sieger zu begrüßen und zu küssen. – Was ist dir wieder? Bist du noch böse? – Wer [161] war das hübsche Mädchen hier, mit der du eifrig hast gesprochen? – Du schweigst. Ich muß es wissen.

CARDENIO.
Gemach mein Fräulein, noch hab ich Ihnen solches Recht auf mich nicht eingeräumt.
CELINDE.
Wie du dich wieder anstellst. Gieb mir nur gleich die Kette her, du möchtest sie verlieren.
CARDENIO.

Beim Himmel, die Kette, die ist mein, wie kannst du wagen dies Geschenk der Göttin, das mir auf Erden einzig ist geworden, mit unreinen Händen zu berühren.

CELINDE.
Sieh meine Hände an, ich halte viel darauf.
CARDENIO.
Ich kann mich irren, wohl, ich wünschte daß du dein Herz so rein gehalten hättest.
CELINDE.
Verdirb mir nicht mein Glück, ich bitte dich, ich war so selig eben.
CARDENIO.
Ich nicht. – Pamphilio, ich hab mit dir zu reden. – Leb wohl Celinde.
PAMPHILIO.

Mein Fräulein, heute steht veränderlich in dem Kalender, ich bitte lassen Sie ihn heute und machen andere Kalender morgen, oder diese Nacht.


Cardenio und Pamphilio ab.
CELINDE
allein.

Wer sprach mit mir, das war nicht mein Cardenio, es sprach ein böser Geist aus ihm, er ist behext von einem Mädchen, Olympie kanns nicht sein, die würdigte er zornig keines Blickes, doch dieses Mädchen das hier bei ihm stand, die hat ihm [162] etwas angethan, denn ohne Eitelkeit, ich kenne mich, ich sah mich oft im Spiegel und diese Magd von braunem Angesicht, gedrückt von harter Arbeit, ohne Zierlichkeit, – es ist unmöglich daß sie mit ihrem Reitze mich verdrängte. Auch war in ihrem Wesen ein geheimnißvolles Treiben – o meine Mutter, wie hab ich doch so oft die hohe Kunst verachtet mit der du Liebe an Liebe bannst, und muß durch solche Kunst verderben. Sie bleibt in Gedanken verloren stehn.

AHASVERUS
tritt zu ihr.

Sprich schönes Kind, wie stehst du hier verloren, dir möchten sich doch viele zur Gesellschaft biethen.

CELINDE.

Ich stehe hier am Fluß und dürste, hört alter Mann, könnt ihr mir keinen Trank bereiten, der einen Brand in meiner Seele löscht?

AHASVERUS.
Das kann ich wohl, wenn dieser Brand das Herz ergriffen.
CELINDE.

Ich seh dirs an, du bist ein großer Zauberer, bereite mir den Liebestrank, der meiner Seele ihre Ruhe wiedergiebt.

AHASVERUS.

Ich will dir mein Geheimniß gern vertrauen, nimm der Entsagung Schmerzensblatt und lösche es ab in Buße fürs Vergangne.

CELINDE.

Entsagung ist ein Wort, entsag der Welt, du mußt auf ihr doch leben, Gewährung, das ist Leben, wer sie uns schafft dem sind wir eigen, dem Guten oder Bösen.

[163]
AHASVERUS.

Du bist auf zweifelhaftem Wege, ich warne dich, wende dich zu jenen finstern Mächten nicht die uns gewähren was wir nicht ertragen können, so lange du noch Trost findest am Licht. Ab.

CELINDE.

Es schmerzt mich dieses Licht, ich kann hinauf nicht schauen, mich fliehen alle und ich bleibe einsam übrig vom Gedränge, es scheuen mich die Leute schon, so unglückbringend scheint mein Angesicht. – Ach nein, da winkt ein alter Freund mir zärtlich zu, ein Blick von mir, er läg zu meinen Füßen, doch dieser Blick gehört Cardenio. Was hilft mir meiner Reize Macht, der Einzige der mich erfreuen kann, er fühlt sie nicht; wenn jedes Aug ein Brennspiegel wär, was hülf es mir? – sein Herz ist Stein, so kalt so hart wie dieser Schmuck, den er mir heute Morgen brachte; wie drückt mich dieses Halsband mit dem ich erst so stolz gegangen, das ich mit Ungeduld empfangen, – o könnt ich mich der Liebe so entreißen. Sie reißt das Halsband auf und wirft es auf den Boden. In Koth sei hingetreten falsche Liebeskette, jetzt ziehst du mich zur schwarzen Unterwelt – als er mich liebte, Hand in Hand dich mir gereicht, da sah ich thörigt in dem flammenden Rubin ein Sternenzeichen, ein Abbild jener die allnächtlich am Himmel strahlen.

2. Auftritt
[164] Zweiter Auftritt.
Ein schwarzes Zimmer, in dessen Hintergrunde eine goldene Sonne von der alle Beleuchtung ausgeht, unter der Sonne ein Altar mit einem Kreuze von Rosen umwunden. Ordensversammlung, alle Brüder in schwarzen Mänteln, ihr Schwert an der Seite. Kümmermann und Stürmer begrüßen sich im Vordergrunde, die andern reden im Hintergrunde mit einander.

KÜMMERMANN.
Was mag heute vorsein, so ungewohnte Zeit und Stunde.
STÜRMER.

Mir kam der Ruf recht ungelegen doch da es der rothe Ruf, so wagte ich nicht auszubleiben, Cardenio hat ihn noch nie gebraucht. Schnur kam nach Lauchstädt, uns zu rufen, ich stand am Markte als er kam, sein Pferd rauchte als wär er durch das heiße Bad geritten, auch starb es als ich es in den Stall gezogen.

KÜMMERMANN.

Beinah so fromm wie jene beiden Brüder die ihre Mutter in den Tempel bei der großen Hitze zogen und sanft entschliefen bei des Tempels Dienst.

STÜRMER.

Vielleicht gehts meinem Pferdchen auch nicht besser, es thut mir leid, es gleitete so flüchtig übern Wiesenplan als wär er noch mit Eis belegt, als könnt es Schlittschuh laufen, es sauste mir der Wind in meinen Haaren als wär ein Tausend Hummeln in der Luft; das mochte wohl mein Pferd zum Durchgehn bringen, an Führung war nicht mehr zu denken, die Bügel hatt ich fortgeworfen und war zum [165] Sturz bereit, auf einmal steht es still, ich sehe zu warum, da liegt ein Kind im Weg und schläft. Ich stieg herunter, weckte auf das Kind, damit ein andres Unglück es nicht treffe, und nun besah ich mich, wie sah ich aus, bestaubt bespritzt vom Pferdeschaum, wie mit Eiweiß überzogen war mein Kollet.

KÜMMERMANN.

Nun gut, das muß dein Kleiderklopfer wissen, was hast du denn die lange Zeit gemacht, ich glaube fast daß du ganz heimlich etwas schreibst, das uns verwundert.

STÜRMER.

Wahrhaftig nicht, kaum weiß ich mehr wie man die Feder hält, mich ließen die Gedanken da nicht zum Studiren kommen. Ich schied nicht gerne von den Schauspielleuten, wir waren eben recht vergnügt am Schwanenweiher, wo unter den Kastanien kühle Luft mit schönen Frauen buhlt, die Sonne schwamm so heiß und träge auf der Fluth, das alte Schloß sah wunderlich in unsre Flüchtigkeit hinein. Ich bin zum Nichtstun ganz geschaffen. O lieber Freund du kennst Lenoren von der Bühne nur, dort lernte ich sie noch viel reizender in dem gesellgen Kreise kennen, wie war sie doch so schmeichelnd hart, so zierlich traulich listig aller ihrer Rollen Widerschein, der Inbegriff von allem was auf der Bühne uns gereizt, und wie viel reicher noch in ihrem Wesen.

KÜMMERMANN.
So scheint sie dir, du bist verliebt.
[166]
STÜRMER.

Die Frauen und die Männer weiß sie gleich entzückend zu beschwatzen, begünstigt muß sich jeder glauben, wenn sie auch keinem was gewährt. Wie wir so auf und nieder gingen unter hoher grüner Wölbung, und jeder sich bemühte ihr ein liebreich Wörtchen anzubringen, sieh da kam der Meister ernst daher.

KÜMMERMANN.
Cardenio, der ist ja hier.
STÜRMER.

Wer spricht von unserm Meister, ich sprech von Deutschlands Meister, der war heut angekommen und schritt mit ernstem Blick den Gang herunter, zu eng erschien der breite Gang, noch einen andern außer ihm zu fassen, fast hätte ich vergessen ihn zu grüßen, obgleich die andern alle als Bekannten ihn bewillkommt; so war ich ganz befangen von dem ernsten Blick, dem festen Gang, dem freundlich schön Vollendeten der Lippen; an diesen Lippen ist der Meister aller Worte, aller Sprache zu erkennen, so zierlich sind sie ausgeschnitten, ein jeder Hauch von ihnen ist ein Flötenton, kein falscher Ton stiegt je von diesen Lippen in die Welt.

KÜMMERMANN.

Hieran erkenne ich mein eignes jugendliches Treiben und Fühlen ich habe auch so übertriebne Zeit gehabt, wo ich mit Werther liebetrunken schwärmte, nun bin ich weiter kommen, er scheint mir nun un-Werther, die Liebe zu der Sünde, zu dem Alterthume, die Verstocktheit gegen christliche Gesinnung, ein ewges Verklären aller Nichtigkeit; so fühlte ich, [167] daß eine Kunst in unsrer Zeit möglich sei, ich ließ mein Studium der Dichter und wendete mich hin zur göttlichen Natur, die ewig allein lebt. So weit bin ich gekommen.

STÜRMER.

So weit bis du gekommen daß du in Jugendzeit veraltet andre tadelst, selbst nichts schaffen kannst, ja deine eigne beßre Jugend schnöd verdammst die dir als ein verriegelter verschloßner Thurm nachdem du bist herabgestiegen, jetzt im Wege steht, sieh, darum nur versiegt dein Witz; weil du die Reibung mit der Zeit in stolzem Hochmuth aufgegeben, so drehst du dein Scheibe ganz umsonst, kein Funken springt wie sonst von ihr.

KÜMMERMANN.
Mich reiben soll ich mit der Zeit, da würd ich schmutzig.
STÜRMER.

Thor der du absprichst über deine Zeit, steckst du denn nicht mit deinem ganzen Wesen so fest darin als ewig unsre Brust die Luft der Atmosphäre einathmen muß – und steckte auch die Pestilenz darin. Verkürze auf die Hälfte dir das Leben, die letzte Hälfte ist so wenig frei von deiner Zeit wie jene erste.

KÜMMERMANN.

Dein Eifer freut mich denn ich fühle doch es ist dein Ernst, du bist dem Protestanten was zu gut, du wirst auch einst in jenem alten Glauben Ruhe finden der schon viel Geister aufnahm, die durch den Glauben an die Zeit sich selbst entrissen.

[168]
STÜRMER.

Das alte Zeug thut mir jetzt weh in meinen Ohren, ich hab so lustig diese Zeit gelebt, was soll mir dies gelbsüchtige Gebrümmel, das ewge Kritisiren, Menschenschinder, wie du gleich einem Löwen mit der scharfen Zunge im Lecken sie blutrünstig abreibst; die Zeit ist nun eben gut so wie sie ist, sei du nur besser, doch willst du andere in andre Religionen wie in Livereien stoßen, so zeig dich selber erst darin, bekenne öffentlich den Glauben der Anachoreten, sonst scheinst du wie ein Seelenverkäufer der seine Leute in die Arbeit sendet sich selber aber redlich nährt von ihrem Schweiße.

KÜMMERMANN.
Du wächst mir übern Kopf, hätt ich das je von dir gedacht.
STÜRMER.

Du meintest schon du hättest alles ausgedacht, ich will dir noch viel mehr vertrauen. Nur aus geheimer Achtung für Cardenio bin ich noch zur Versammlung hier gekommen, sonst widersteht mir diese Quälerei zum Guten, denn siehe, wenn an einem dummen Streiche mehr, ein Mensch zu Grunde gehen kann was ist er dann noch werth?

KÜMMERMANN.

Gedenk, du lästerst, ich darfs ertragen wenn du mich hast gelästert; des Ordens Schimpf den darf ich nicht verschweigen.

STÜRMER.

Sprich laut, ich bin entschlossen, es ist mir deutlich auf einmal was mich so lang gequält; als stieg Minerva mir mit Schild und Helm nach[169] langen Schmerzen aus dem Haupte, so fühl ich mich erleichtert durch die Weisheit. Was soll der fade Bilderkram, die alte Fabel von der wunderbaren Kammer die so viel Schätze noch verschließt, worauf doch kein Philister uns was borgt.

KÜMMERMANN.
Nach meiner Pflicht muß ich den Frevel öffentlich verkünden; bist du vielleicht betrunken?
STÜRMER.
Ich habe viel getrunken nach dem starken Ritt, im Wein ist Wahrheit, sieh da kommt Cardenio.

Cardenio tritt im Purpurmantel mit bedecktem Haupte ein; alle verneigen sich, er klöpft dreimal mit seinem Degengefäß auf einen Tisch, allgemeine Stille.
CARDENIO.
Euch allen Gruß! Der Bruder Marschal untersuche ob wir gesichert gegen Einbruch Ungeweihter sind.
MARSCHAL.
Wir sind gesichert.
KÜMMERMANN.
Es ist ein Ungeweihter unter uns.
CARDENIO.
Wer war so kühn?
KÜMMERMANN.
Es war mein Freund, er scheinet von der Sinnlichkeit verführt.
STÜRMER.

Der Kerl ist von der Übersinnlichkeit vernagelt, ich bin der Frevler, er meinet mich, ich habe ihm vertraulich jetzt erklärt daß mir nach den geheimen Schätzen nicht mehr lüstet, daß ich an dieser [170] Zeiten Schlechtigkeit nicht mehr kann glauben, vielmehr von unserm Treiben hier, wie wir durch Wissenschaft zum Glauben und zur Kunst gelangen möchten, nichts verstehe, wenn wirs auch ehrlich meinen wir sind dumm, es geht kein Lichtstrahl krumm, kann er gerade zu uns dringen.

CARDENIO
umarmt ihn.

Bleib der Gesinnung froh, doch wünsche ich daß sie dir mit dem Weine nicht verrauche der deine Zunge jetzt geschwätzig macht, gieb nie das Leben auf so wird es dich auch nie aufgeben.

VIELE.
Ist dies dein Ernst? – Wie stimmts mit deiner Lehre? Wie stimmts mit unserm Schwur?
CARDENIO
zieht einen schwarzen Vorhang auf, hinter welchem viele Gemälde verborgen und spricht.
Was sagte ich beim Anblick dieses Pelikans?
KÜMMERMANN.
Es sei ein Bild von der Aufopferung für andere.
CARDENIO
haut die Gemälde zusammen.

Habt ihr das eine Bild gefaßt, so wißt ihr auch wie mir zu Muthe ist, ich habe euch mit meinem Blut genährt und dachte nicht daran daß keiner von dem Blute leben kann, ich habe mich ertödtet um für euch zu leben, was hilft es euch, habt ihr mein innres Wesen je verstanden?

VIELE.
Willst du uns alle sinnlos schelten? Uns graut bei diesen Worten.
[171]
CARDENIO.

Es sei nun wie es will, es soll zu hohem Ziel kein Mensch den andern hinbetrügen indem er ihm die Augen verbindet damit er nicht den steilen Pfad erkenne und davor erschrecke. Oft sagt ich euch der Ausgang aus dem Leben bleibe frei, ich hab es selbst geglaubt, im engen Kreise meines Lebens war's bis dahin also mir erschienen, jetzt sag ich euch mit fester Überzeugung ich log, ich habe euch betrogen, es giebt so wunderbare Fesseln die uns dem Leben fest verbinden indem sie es zu lösen scheinen, daß uns der Ausgang ganz verschwindet, es giebt so manchen Bann der Liebe und der Rache der stärker ist als jene Zaubereien die uns geheime Bücher kühn verheißen. – Ich sag euch andres stets als was ich sagen wollte, verzeiht es mir, denn meine Seele ist so tief bewegt, ihr sehet, schon deswegen bin ich ungeschickt die Stelle eines Meisters zu bekleiden die ihr nur einst verliehn.

ALLE.
Du mußt bleiben!
CARDENIO.

Ich muß, das Wort ist nicht in meiner Sprache. Jetzt seid vernünftig, schaut nur einmal zu, was habt ihr denn mit allen meinen Lehren noch gewonnen, ich wollte daß ich könnte beten wie meine alte Kindermuhme von der goldnen Stadt von Neu-Jerusalem. – Was schwatz ich lange, ihr Freunde lebt wohl, ist etwas wahr in allem was ich euch verkündet so wird es sich bewähren, hab ich [172] euch viel belogen, ich weiß es nicht, ich that es ohne Willen; ob ich euch jetzt die Wahrheit sage, ich weiß es auch nicht, nur zu dem einen dränget mich mein ganzer Wille, den Bund hier aufzuheben der mit Geschwätz, mit gleißendem Geheimniß der Jugend ersten Wissensdurst hat überschwemmt, wahrhaftig ich betrog euch ohne es zu wissen noch zu wollen. Mit diesem Schwert das ihr in meine Hand gegeben sei unser Ordensbuch zerhauen, jetzt reißt die Laden auf daß lichter Tag noch heut in diese Höhle scheine die lange seine Klarheit hat gefürchtet.

KÜMMERMANN.

Bei Gott Cardenio, du mußt hier sterben, an diesem Fleck wo du uns oftmals um ein Wort um kleinliches Vergehen, wie arme Sünder ließest knien. Er sticht nach ihm.

STÜRMER
leitet den Stoß ab.
Das war nicht schlecht gezielt und doch nicht gut getroffen, du stirbst noch nicht Cardenio!
CARDENIO.

Sterben? Ein lächerliches Wort, kann ich zu Gott ausrufen, stirb Gott, kann ich zum Teufel seufzen, lebe Teufel. Da liegt mein Ordensschwert, dich Stürmer schicke ich hinaus, du bist des Weines voll.


Stürmer wird hinausgeworfen.
CARDENIO.

Ich reiße meine Weste auf, hier ist der Weg zu meinem Herzen, jetzt zeigt ihr flammenden Spitzen ob euch Gewalt gegeben über mich, [173] doch wie Asbest so geh ich durch euch hin, ihr ziehet wie ein Trugbild der erhitzten Sinne vor meinem Willen euch zurück. Ab.

VIELE.

Fort ist er! – Wir hätten es nicht leiden sollen. Er ist wahnsinnig, morgen wird er schon vernünftig sein.

STÜRMER
schreit zur Thür hinein.
Ich schwöre euch, er war heut so vernünftig wie er noch nie gewesen, ihr sehet ihn nicht wieder.
KÜMMERMANN.
Der Thor will auch noch reden, stecht ihn nieder. Stürmer ab.
VIELE.
Nieder, nieder, er hat im Trunke sich verstiegen, so mag er auch im Trunke fallen.

Alle gehen ihm nach.
3. Auftritt
Dritter Auftritt.
Cardenios Zimmer. Cardenio ist mit dem Packen seines Koffers beschäftigt, Pamphilio hilft ihm.

CARDENIO.

Was legst du mir all dies verfluchte Zeug in meinen Koffer, du machst doch alles heut verkehrt – fort mit den Musikalien die mich stets an jenen Unglückstag erinnern, ich singe nun sobald kein Lied. Ja hättest du nicht stets so viel gesungen, du hättest denken können was mir nütze sei, du wolltest dich nur immer selber hören.

PAMPHILIO.

Laß das Geschehne, ich habe dich nach meiner Klugheit Maaß ermahnt, hab ich die [174] Furcht als Unterfutter noch dazu gemessen, die ist dir nöthig, sie fehlt dir ganz.

CARDENIO.

Ja hättest du mich nur nicht stets ermahnt doch still zu sein am Hochzeitabend und nichts gewaltsam kühn zu stören, ich hätte sie mit meinem Arme ihm entrissen eh er den heiligen Körper noch entweiht – ich möchte rasend werden wenn ichs recht bedenke – sie liebte mich, hör, Doris hats mir zugeschworen daß mich Olympie geliebt – o! hätt ich keinen thöricht furchtsamen Freund gehabt, da wär ich meinem Stern gefolgt.

PAMPHILIO.

Cardenio! Das wird zu arg, mein treuliches Bemühen mir zum Vorwurf jetzt zu machen, du untergräbst die Erde auf der du stehst, wenn du die Welt also verkennen und verläugnen willst.

CARDENIO
packt ihn an der Brust.

So hast du mich noch niemals angesehen, so von der Seite, in dir verzagend, deiner Schuld bewußt, gewiß du hast mich auch verrathen, warst mit Lysander in geheimem Bunde, wie wär er sonst so unbemerkt an jenem Abend in das Haus geschlichen wo du dein thöricht Lied dort abgesungen. – Jetzt wirst du blaß, jetzt roth, ich habe dich du Schlange, die ich an meinem Herzen einst erwärmt mit meinem Arm geschützt, du hast mein Herzblut ausgegossen, ganz unbarmherzig bin ich nun! –

[175]
PAMPHILIO.
Ha, du erdrückst mich Rasender zum Spaß ist das zu hart.
CARDENIO.
Bekenne erst.
PAMPHILIO.

So sag ich dir, der ist schon toll zu nennen, der seine Eingeweide aus dem Leibe reißt um Saiten draus zu spinnen daß er sein Lied dazu kann singen, doch wie viel toller bist du noch daß du um fremden Schmerz den eignen Freund verletzest.

CARDENIO
läßt ihn los.

Du wärst mein Freund was sollte dich denn mir verbinden, wie ganz unähnlich sind wir doch einander, wie solltest du allein mir treu geblieben sein da alles mich verrathen.

PAMPHILIO.

So glaub nur einen Augenblick daran und fühle so, was Freundschaft heißt, ich bitte dich glaub doch an Gott, es kostet dir ja nichts und dann hast du das ewge Leben ganz umsonst.

CARDENIO.

Sonst, eh mich Gott um meine Lieb betrogen da hab ich auch an Freundschaft viel geglaubt, nein, so gemein hätt ich den Himmel nicht geglaubt, das alles was in mir noch edel, recht zum Verderben gegen mich zu kehren; wär ich ein schlechter Kerl gewesen, hätt ich mich eingeschlichen ins Gemach der Jungfrau, ich könnt jetzt glücklich leben wie Lysander. Fort, alter Freund, du hast ein ehrliches Gesicht, es hat der Himmel dich damit gezeichnet und bestraft um dich dem Unglück preis zu geben, du bist [176] ein Unglücksvogel, verlasse mich, ich brauch das Glück und auch die Sünde.

PAMPHILIO.

Gedenke deiner armen Seele bei solchem schnöden Lästern, gedenke, wenn du mich verstoßen so bist du ganz allein, die Raben die das Haus umschreien, sie warten schon auf deinen Leib, denn wie du jetzt so unvorsichtig bist, wird bald des Spielers und des Juden Tod aus deinem eigenen Munde ruchbar werden; es lassen die Gesetze sich mit höherer Bestimmung nicht abweisen; wie ich die guten Tage froh mit dir durchlebt, so will ich sorgsam dich in bösen auch begleiten.

CARDENIO.

Fort züngelnde Schlange, fort Mephistopheles, trag ich nicht meine Sünde, kannst du von meinem Haupt sie wälzen, was rufst du sie mir in die Seele schmerzlich; ist das die Freundschaft deren du dich rühmst, im magischen Hohlspiegel der Furcht mein eignes Schreckenbild dies ausgebrannte Haupt, das rings die Furien umgaukeln, mir fabelhaft vergrößert vorzustellen? Nur deinetwegen ist der Wagner, der Hauptmann und der Jude gewaltsam hingestorben, dein Trost hat mich leichtsinnig stets gemacht in deiner Worte Spiel hab ich das Treiben einer Welt vergessen; wärst du an meiner Seite nicht gewesen ich hätte längst schon Hand an mich gelegt, wie es mir Pflicht gewesen; mit Flitterstaat willst du mir diesen Leichenzug der Welt bemalen, denk jetzt, wie [177] purpurroth dein Blut dies Zimmer wird verzieren. Fort, oder – Er zieht den Degen, Pamphilio flieht.

CARDENIO.

Er ist von mir erlöst – weh, weh! Entströmt ihr Thränen jetzt, wie überflüssige Gedanken die mich zerstreuend stören, fließet all dem langgewöhnten Freunde nach, was nun beginnt, bedarf der Thränen nicht. – So ist der letzte Kampf gekämpft – der innre Unmuth hat ihn mir erleichtert; ganz einsam gehe ich der Zeit entgegen, doch die Rache mit heller Fackel zeigt mir und meinem Degen viel tausend Wege zu Lysanders Herz! – ich hoff er wird sich etwas wehren, es wär mir lieb, sterben muß er – er hätte einen schnödern Tod verdient, fühlen hätte er sollen was er mir geraubt, indem er in dem Besitze mich sah. List und Gewalt, ihr dienet dem Verzweifelnden; Olympie, nur eine Stunde mit der Sonne unsrer Liebe dich zu bleichen von dem fremden Frevel, dich zu glühen mit der eignen Lust! – Es wird die Zeit mir auch noch kommen! – Ich will genießen, das fördert überall der Himmel, das lohnet er mit Wohlsein und mit Freude. Der Mensch verkennt so oft das ganz Natürliche was jedem in das Herz geschrieben ist. Als ich noch schmachtete im Mondenscheine ganz heimlich wo mich keiner belauschte, als ich noch mit den Blumen lebte, mit ihrem Duft, der sich in Himmels-Höhen für die Engel sammelte, die blaue Höh von tausend lächelnden Kinderköpfen Morgens [178] roth durchglänzet sah, die auf bunten Flügeln schwebten, mir winkten und ihr geschlechtlos Leben priesen, als ich entsagte noch und duldete, so fromm und keusch, da wäre ich als rechter Narr in meinem Innern ausgedürrt, in meinem Äußern bald verschwunden, bei Gott ich seh schon frischer ans da meine Lust zu ihrem Ziele strebt, ich weiß doch was ich will auf Erden; was unserer Natur sich nicht ergiebt, in uns gerissen wird, das dienet nicht der Erde, nicht dem Himmel. Das Allthier Gott ernähret sich nur gut, wenn wir, die seine Eingeweidewürmer sind, das Unsere auch lustig zehren, und dann ganz ruhig schlafen, ihn nicht erwecken mit unsern Strebungen nach Licht, das uns nur blendet, mit unsrem Drängen nach Vollendung, die uns doch nimmer werden kann. Es ist ein ekelhaftes Wesen diese Welt, dem Herrlichsten liegt ach das Schmutzigste so nah, besonders in Gedanken. Ich bin auf einmal müde dieser Welt, ich will mich ausruhn, eh ich was beginne.


Er setzt sich auf den Koffer.
4. Auftritt
Vierter Auftritt.
Ahasverus tritt ein.

AHASVERUS.
So reisefertig junger Herr?
CARDENIO.
Wer seid ihr alter Jude?
AHASVERUS.
Ihr wißt ja schon daß ich ein Jude bin.
[179]
CARDENIO.
Ich habe nichts zu schachern.
AHASVERUS.
Ich will nicht schachern, ich möcht euch helfen, ihr habt jetzt keinen Diener wie ich sehe.
CARDENIO.
Doch nicht umsonst?
AHASVERUS.
Ich brauch kein Geld; wollt ihr mir einen schönen Dank nur geben, so bin ich lang zufrieden.
CARDENIO.
Sagt mir, warum ihr Juden nicht mehr sprecht wie Juden, ich trau euch jetzt viel weniger als sonst.
AHASVERUS.

Doch will ich Ihnen im Vertrauen sagen, daß unsre Zeit gar bald verlaufen ist, die Zeit, wo der Messias kann erscheinen; nur wenig Jahre noch, dann müssen wir gesammt an euren Heiland glauben.

CARDENIO.

Das wird ein Spaß sein; ihr habt ja Wunderdinge in dem alten Kopfe, hätt ich nur Lust und Farben, ich möchte euch als ewgen Juden malen, der seine Ewigkeit für einen christlichen Todtenschein verhandelte.

AHASVERUS.
Durch Tod geht Auferstehung auch im Christenthume.
CARDENIO.

Schwatzt mir nicht große philosophsche Worte vor, ich glaub ihr seid derselbe Thor den ich an jenem stürmischen Abend von mir wies, laßt euch mit dieser Warnung nur genügen. Philosophie ist mir so überflüssig als Manschetten.

[180]
AHASVERUS.
Das war das erstemal noch nicht, wo Sie mich hart von sich gestoßen.
CARDENIO.

Hast du mich früher schon betrügen wollen? Hast du etwa nach kantischen Prinzipien ein Buch verfaßt, das ich hab rezensirt.

AHASVERUS.

Mein junger Herr, das schmerzt, so ganz vergessen bin ich nun von Ihnen – als ich noch kleine Säbelchen und Helme, Trommeln und Trompeten von der Messe brachte, da hieß ich guter lieber Vater, da wurde ich gestreichelt.

CARDENIO.

Bist du es, alter Ahasverus, nun kenn ich dich, verzeih den schlechten Dank, thu Kindern nie zu vieles Gute, an mir erlebst du wenig Freude.

AHASVERUS.
Doch hörte ich im ganzen Ort, Sie lebten hier in großem Stolz und Freude.
CARDENIO.

Die Leute reden noch von alter Zeit, mich ärgerts, wie den Feldherr, der die Siegesnachricht, die von ihm gelogen, auf seiner Flucht den Leuten widerlegen muß. Es ist noch keine Woche – jetzt scheint es mir ein lang vergangnes Leben, da ging mein Schiff mit vollen Segeln, bunten Wimpeln begrüßt von allen Ufern und sie all in kühner Fahrt verlassend.

AHASVERUS.

Das nenn ich traurig, immer mein ich noch, es sei nur so ein Kummer, den sich die Seele in der Freuden Einerlei oft selber schafft, sich selber wieder zu versöhnen.

[181]
CARDENIO.

Das glaubt nur nicht, ich kenne auch die süße Schwärmerei, in der das Leben die Geliebte scheinet, die schon den Tod in ihrem Busen trägt, daß wir sie desto zärtlicher uns pflegen mögen, die Stunden aufmerksamer treulicher genießen, und alles ihr vertrauen, weil eine Ewigkeit aus unserm Arm sie reißen will.

AHASVERUS.

Und von der Pflege plötzlich froh genesen, tritt uns das Leben jubelnd frisch entgegen, vertrau nur seiner innern Kraft, und ruf einmal aus tiefer Seele aus: was mich gequält, es war doch lauter nichts!

CARDENIO.

Ja könnt ich rufen, könntest du Glück- auf mir sagen, doch in der Brust verhält sich alles Leiden. Ach wär ich stets so froh, so jung geblieben, wie damals wo ihr mich mit einem Säbelchen beglückt, wo ich von euch in Demuth Weisheit lernte, wo ich den Trotz mit wenig Schlägen büßte. Ihr Schläge des Geschicks, ihr reißet mich hernieder daß ich mich nimmer ganz erholen kann. Ach daß ich je die Stadt erblickt, wie sie aus reichem Kornfeld mit der Thürme Pracht mir freudig ahnend einst entgegenblickte! Es ward mir alles, wie sie mir verheißen; wer meine Wissenschaft nicht ehren mochte, der ehrte mich als tapfern Schläger, was nur die Einsamkeit nicht geben wollte, das gab Gesellschaft mir, in alle Menschen griff ich mit so frohem Muth hinein [182] als hätten sie für mich gesammelt, und schenkte allen dann verdoppelt wieder, so mehrte alles sich in innrer Thätigkeit. Wo ist das alles seit das Unglück mir die Seele füllt, auf einen Spiegel meiner selbst mit starrem Auge festgebannt bin ich geblendet, und vermag nicht wegzublicken.

AHASVERUS.

Mein Sohn, oft täuscht man sich wenn man zurücke blickt, weil wir die Dinge nur vor ausgesehen, weil uns die Gegenwart nicht Zeit zum Zusehn ließ.

CARDENIO.

Wie gerne möcht ich zweifeln, könnt ich nur. – Was ich gethan, es wäre besser nicht geschehen, und jedes andre was ich nicht erwählt, es wäre besser mir gewesen. Ach hätt ich doch fürs Vaterland mein Blut vergossen und läg mit tapfrer Schaar nackt aufgeschichtet in der kühlen sichern Erde! Wie wollte ich den Meeresschaum begrüßen der hinter meines Schiffes Bahn des Laufes Wuth bezeichnet, er wär ein Zeichen mir daß ich aus aller Qual noch selbst entfliehen könnte; als Bettler wär ich reicher in der Fremde, als hier mit allem was mir mit mäßig milder Hand ein unbekannter Vater hat verliehen. Warum bleibt er mir unbekannt, warum soll ich auch dieses ganz natürlichen Gefühls entbehren, dem, der mich in das Leben hat gesetzt, mit bitterm Vorwurf für dies schmählige Geschenk zu danken.

AHASVERUS.

Bedenke junger Mann, was du [183] hier sprichst, es hörts der Vater Himmels und de Erde, der auch dein Vater ist und deines Vaters Vater.

CARDENIO.

Ich habe keinen Glauben mehr an ihn, seit Ehr und Liebe, meines Glaubens Stützen mir gebrochen. Ich möchte dir wohl sagen wie mich die Ehre und die Liebe hat betrogen, doch ich vermag es nicht und du verstehst es nicht.

AHASVERUS.
Sprich dich nur aus mein Sohn es hebt dir eine Last vom Herzen! Ich deute alles mir so gut ich kann.
CARDENIO.

Sieh dieses stille Zimmer, deß Fenster hin auf eine reiche Landschaft blicken, die von der Menschen Fleiß mit Farben bunt geschmückt, und drüber steht ein schöner reicher Himmel bei Tag, bei Nacht. Sieh diese Zeichnungen, die Sternenkarten hier an allen Wänden zierlich aufgehangen, die ich verzweifelnd an des Himmels Gnade niederreiße, Er reißt sie herab. denn alle mahnen mich an jene reichen Stunden, wo mit lebend'gem Glanz Gedanken an Gedanken im Wettspiel eifersüchtger Fechter mit ewig neuem Stoß sich prüften. Mich fand die Morgenröthe schon bei meinen Büchern, sie hörte meinen Sang und schnell ward aus dem vielgelobten Schüler ein jugendlicher Lehrer, dem sich verehrend alle die ein eignes kühnes Streben hegten mit heftger Freundschaft angereiht. Mit jedem guten Kopf der schwankend stand in seinem Unternehmen, war ich bereit die Zweifel kühn [184] zu theilen daß er an meinem guten Glauben sich möcht stärken und sich verstehen lerne. Es schien, als wenn die Wissenschaft hier neuen Lauf gewonnen, der träge Buchstab wurde Geist-durchdrungen, in allem Leben wurde Freude, und Kühnheit ward in allem Denken. Manch greises Haupt kam her zu mir, sich Raths in wicht'gen Dingen zu erholen und staunte meine Jugend an, mein rasches Wesen. O Seligkeit, wenn ich den Lauf der neu entdeckten Sterne mit meiner Formel kühnlich aufgelöst. Ich war kein Stubensitzer denn weil ich nie studirt, als zum entdecken, so blieb mir viele Zeit um schwimmend, ringend, tanzend, fechtend den Leib kräftig und gewandt zu bilden – mir konnte keiner widerstehn und keiner kam mir gleich in diesen Künsten.

AHASVERUS.
So wurdest du ein Mensch, der seine Welt verstehn und mit ihr leben konnte.
CARDENIO.

Da kam Philosophie mir in den Kopf, es gabs die Zeit, ich lernte erst der Menschen Kräfte, dann ganzer Völker Geist umfassen, die Tiefe die mich erst erschreckt, entzückte mich wie der Geliebten Auge; unschuldig schloß ich sonst mich einem an, der mich berührt in gleichem Streben und Gefühl, ich wollt ihn nie beherrschen, mir selber wollt ich ein Genüge thun, und herrschte ich, so wars mir unbewußt. Jetzt hob ich schnell mich über alle und wollte mich erheben, ich wollte mir als Gottes Ebenbild erscheinen [185] und zu gewissem Zweck sie alle leiten, und hatte doch nicht kaltes Blut den kleinsten Widerspruch zu tragen, da Gott uns all erträgt, und da wir alle ihn ertragen müssen, der mit uns spielt in wunderbaren Launen.

AHASVERUS.
Du frevelst!
CARDENIO.

Ich bin mir ganz bewußt daß ich viel Großes und viel Gutes wollte, indem ich meinem vielgeliebten Vaterlande geschickte muth'ge Diener auszubilden trachtete, doch mich ergriff wie Gift das mindeste Mißlingen, da oft von tausend Samenkörnern nur ein einziges zum Keimen kommt und dieses eine doch der Mühe reichlich lohnt. Doch eben jene innre Ehre, die mich emporgetrieben, sie ließ mich einsam stehn, ich ärgerte mich jeglicher verlornen Mühe und jeglicher Verkehrtheit, und was mein Rath, mein Beispiel nicht vermocht, das wollt ich mit Gewalt erzwingen. Die mich nicht näher kannten, mußten mich für einen Zänker halten, aus nichts kam mir der Grund des Streites, weil ich das öde Nichts im Menschen haßte.

AHASVERUS.
Du dachtest nicht mein Sohn daß auch die Welt aus Nichts geschaffen.
CARDENIO.

Es schützte mich der Ruhm, der mit der lächerlichen Übertreibung so leicht in literarischen Posaunen das Lob vieljähr'ger Arbeit eines Volkes einem Haupte schenkt. Ich glaubte mich so groß,[186] so fest in mir begründet, – ich hatte nie geliebt – weil ich kein Mädchen meiner werth gehalten.

AHASVERUS.
Das nenne ich Philosophie, die abschätzt, was sie nimmermehr erkennen kann.
CARDENIO.

Ach da erschien Olympie – mir wird so weh und so beklommen, als hätte sich die Riesenschlange mir um den Hals gelegt und meine Augen sprängen aus – fort – Alter – fort – ich dreh den Hals dir um, wenn du nicht weichst – wie wagst du so mich anzusehn im Schmerz?

AHASVERUS.

Du willst, daß ich dich jetzt velasse, ich muß gehorchen, doch kommt bald eine Zeit wo du nach mir verlangst, jetzt warn ich dich, darum bin ich gekommen, die Häscher suchen dich, du bist angeklagt daß du den Spieler umgebracht. Bewahre dich der bessern Zeit wo du gebessert leben wirst. Ab.

CARDENIO.

Die beßre Zeit ist wie die goldene, die vergangene, von der sich gar nichts sagen läßt; wo Menschen mit den Menschen hausen, da geht es stets zum Schlechteren hinunter. Wofür die Welt mir sollte einen Ehrenorden geben daß ich sie von dem Ungeheuer befreite, das jährlich eine Zahl von Jünglingen, wie jener Minotaurus frech verschlang, um Lebens-Unterhalt und Ruh mit leicht gewandter Karte schlau betrog, das wird bestraft – und das bestrafet keiner wie ich muß untergehn. Ich will Gerechtigkeit auf diese Erde bringen, ich war das Richtschwert, [187] das den Irrwahn falscher Grübelei, des Spielers Trug des Juden Schelmerei, des Pred'gers Laster hat bestraft, auch falsche Liebe will ich noch bestrafen – Lysander du mußt untergehn, wenn du nicht stehst in eines Höhern Schutz.

EIN DIENER
kommt.
Lysander wird in dieser Nacht gewiß nach Hause kehren.
CARDENIO.

Schon gut. Diener ab. In dieser Nacht, da kehret er zurück zu süßem Gruß, schon träumet seine Seele von der Nacht und drängt sich durch den mühevollen Tag; in dieser Nacht, da denkst du was Natur und Liebe mir beschied, durch falsche Schmeichelei mir ganz zu rauben, wer weiß, wie viel schon deine Falschheit dir gewann. Es kann nicht sein denk ich mich neben ihm, und sie hat mich geliebt, sie denkt vielleicht in seinem Kuß an mich. Ich wär, Olympie, nicht deiner Liebe werth, wenn ich dem Räuber dich jetzt überließe. – Komm du geprüfter Stahl aus der bescheidnen Scheide, vorleuchtend strahlst du wie ein Blitzstrahl durch das Zimmer und deines Spiegels Schimmer laufen an den Wänden. Solingen hat dich mir geschmiedet und keiner dachte wohl von allen rusigen Gesellen, daß du gewürdigt seist für solche Hand, doch die geheime Ahnung trieb sie, rascher im Wechselschlag das glühende Metall zu binden, und all die Schläge, die daraus gefallen, die theilt es wieder aus in kalter Wuth. Wie seh ich aus in dieser blanken [188] Klinge, so wild verzogen, welcher freud'ge Geist ergreif mich jetzt, wo ich sie in der Hand mit Grimm erschwinge, es saust die Luft wie bei der Engel Fall die Gott herabgestürzt und die nun fühlen, daß doch der Himmel machtlos sei zum Glück und stark zum Leiden, da er die liebsten Kinder nicht bewahren, vom Bösen nicht abhalten konnte. Gutes Schwert, wir sehen uns in dunkler Stunde wieder. Er steckt es in die Scheide. He da Diener kommt. mach Feuer im Kamin.

DIENER.
Mein gnädger Herr, es ist ja Sommerzeit.
CARDENIO.

Mir nicht, mich friert, mach Feuer schnell. Der Diener macht Feuer an und geht ab. Die Erde wird mein Bett, unstät und flüchtig werd ich drüber irren, da soll mich nichts begleiten, was dem bessern Leben war bestimmt; nicht diese Blätter, die geträumt zu ihr, als ich zum erstenmal sie angeblickt, wie strömte da mein Glück in tausend Worte aus, ich fühlte mit der ganzen Frühlingswelt. Die ihr im Feuer seid geboren, löst euch im Feuer auf; da euch kein Wetterstrahl zum Himmel trägt, verbrennet im gemeinen Feuer, das jedem dient und jedem wehe thut. Du Zauberband, das sie mit schöner Hand um meine Laute hat gebunden, zeig dich im Feuer jetzt bewährt, du hast sie nicht gehalten, ein andrer Zauber muß sie mir verbinden. – Ihr Haare, die mein Glück mir in der Nacht vorm Anfang meiner Schmerzen schenkte, ihr [189] reget mir die Lust nach ihrer hellen Stirne und wißt doch nichts von ihr und sehnt euch zu ihr hin, im Feuer löset euer Leid, daß ihr dem lieben Haupte seid entrissen. Könnt ich ihr Bild, das mich an das Vergnügen auch erinnert, so aus dem Herzen brennen, das mich noch stört in meiner That, die Milde, die Güt! – mir wird zu Muthe, als trät sie eben vor Lysander, wo ich den Degen in die Brust ihm stoßen will und sie – auch sie durchbohrt mein Degen. – Es war doch nur ein Dunst aus den verbrannten Augedenken, die jetzt ein Häufchen Asche. Dies Häufchen Asche war mir lieb, jetzt blas' ichs spielend in den Wind, der meine Seufzer wie ein Durstender gierig trinkt und nimmer satt wird dieser Schmerzenskost, nimm diese letzten Schmerzensgelder auf – jag sie in das öde Meer; die nahe Wonne, die mir in letzter Abendröthe hell entgegen winket, die bleibet still in mir verschlossen, die bleibet mein. – Leb wohl Schmerzensdach, das mich schwer in diesen Tagen hat belastet, zum letztenmal leb wohl, ich seh dich nimmer wieder; noch einmal ihr starren Wände seh ich euch an, ihr Balken die bei meinen Tritten klingen, ihr wisset nichts von mir, ich weiß nichts von der Welt. Olympie und du mein gutes Schwert ihr seid mein einziger Gedanke jetzt, mein Schwert zeig mir den Weg, Olympie zu dir, und doch mich füllt mit Wehmuth dieser Gang.

5. Auftritt
[190] Fünfter Auftritt.
Celindens Zimmer, viele Blumen sind schön vertheilt, bunte Blumengewinde umziehen eine große Äolsharfe am Fenster. Celinde geht unruhig im Zimmer umher, lauscht abwechselnd am Fenster und singt.

CELINDE.
Flüchtet nun die Luft mit Brausen,
Wie ein Unthier, das ergrimmet,
Sonst da mochte sie hier hausen,
Als die Saiten noch gestimmet,
Die an Ästen aufgezogen,
Oft die Flüchtige gefangen;
Ach sie hat mich nie Betrogen,
Züchtig sang sie ihr Verlangen.

Züchtig sang sie ihr Verlangen,
Ihn zu kühlen, Ihn, den Schönen,
Und zu küssen seine Wangen,
Heiß entschlummert in den Tönen,
Freundlich hielt ich an den Athem,
Und sie spielte in den Locken,
Morgen leuchtete durch Schatten,
Hörte auf der Vögel Locken.

Lauschend sah ich rings die Wiesen,
Drehte langsam meine Augen,
Tausend Blumen sich da wiesen,
Tausend wollten lieblich hauchen,
Ihnen fehlte nur die Stimme,
Und um meine Silbersaiten
Wand ich sie in farb'ger Krümme,
Wie sie gern um Bäche schreiten.

[191] Luft, die sehnlich ernst erklungen,
Schlich dann seufzend zu den Farben,
Die da brennend sie umschlungen,
Und in Düften um sie warben,
Ach da mochte sie hier hausen,
Die in goldnem Lichte flimmert,
War bald drinnen, war bald draußen,
In den Kelchen unbekümmert.

Sie geht nachdenkend umher.

Will das Glück auf Erden hausen,
Mag es sich nicht gern verrathen,
Denn das Unglück horcht mit Grausen,
Thut dann in Gedanken Thaten,
Reist die Blumen von den Saiten,
Fährt mit allen Nägeln über,
In den Tönen wird ein Streiten
Und die Saiten reißen drüber.

Sie reißt ungeduldig die Blumengewinde von der Äolsharfe und die Saiten zerreißen, dann schließt sie das Fenster.

Wie mich die sorgenfreie Sternenwelt jetzt plagt, ein stiller Vorwurf meinen Qualen – unrein erscheinen meine Flammen in ihrem reinen Licht, und diese Flammen mich verzehren, ich kann mich ihrer nicht erwehren. Die Blumen ihm zur Freude heut gewunden, sie lassen ihre leichten Blätter sinken, ihr Duft thut mir so weh im Kopfe, so weh es mir von ihm im Herzen ist; schade, daß die Harfe ist zerbrochen, sie war gesellig, tönte mir aus ferner Zeit ein Lied, als wärs von Geistern ausgesendet. Daß ich mich niemals hab beschäftgen können, das ist mein Unglück ganz gewiß, was ich jetzt unternehme, ob ich zum Stickrahm mich [192] hier emsig setze; das Bild vermißter Lust greift schmeichelnd unbemerkt mir in die Seele, ich weiß nicht, wo ich die Arbeit hab verlassen, doch plötzlich glaubte ich den süßen Mund zu küssen und finde mich verlassen und verstoßen. Zum Boden schlage ich die Augen nieder, da sieht der blutge Fleck mir grauenvoll entgegen, den ich vergebens auszutilgen suche, vergebens leg ich einen Teppich drauf, ich muß hinunter sehn, ob er noch nicht verloschen. Es war ein treues Blut, so treu bis in den Tod, o blühte auch von meinem Herzen solche ew'ge rothe Blume auf des Geliebten Herzen, da möcht nur einmal ich an seiner Brust noch ruhn, um mich an seiner Brust dann den Tod zu erlaben. Als Geist wollt ich auf seiner Fährte sein, in stiller Nacht, im Schlaf ihn zart beschleichen, die andern Weiber von ihm schrecken, ach – bei welcher mag er jetzt verweilen? – Ich hab so schöne Sachen, Virens Geschenke hab ich kaum beschaut, ich muß den Blütenstaub herunterblasen, den hier die Tulpen ließen fallen auf die Tassen. Ein artig Bild schmückt diese Untertasse, ein altes Weib, es muß wohl eine Hexe sein, die den Amor in den Zauberkreis gezwungen, ihm eine Feder zieht aus seinem Flügel. Ist das wohl bös, was wir nicht meiden können, ist das wohl bös, was uns das Leben giebt! So sei denn jetzt die Mutter, deren Kunst ich oft verachtet und verschmäht, zu meiner Hülfe angefleht, daß sie die Liebeskraft, die [193] mir entschwunden über ihn, aus der geheimen Nacht entbinde, die allen Wesen giebt Ersatz für das verbrauchte Leben. Er hält in Zauberbanden wunderbarer Schönheit mich, es ist nicht rechtlich wie er mich bezwungen, die sonst der Männer froh ward, ihrer spottend, ich will vergelten ihm wie er mir hat gethan. – Ach welche Nacht wird diese werden, mein Kopf ist so erhitzt, ich sehe ihn noch wie an jenem Abend, mir klingen in den Ohren meiner Schande Lieder, ich seh ihn mit dem Degen durch die Spötter dringen, ich seh ihn hier im Kampf. – Halt, halt ihn lieb ich, ihn allein, durchbohrt mich lieber! – Was red ich? Ich taumle und der Angstschweiß steht vor meiner Stirne, als hätte eine Krankheit mein Gehirn zerrüttet als stürzt ich vor der Tollheit Geißel in die Arme der Vernunft. Vernunft versucht umsonst die Augen mir zu decken, er steht noch da so herrlich und so frei, mit starren Augen sehe ich zu ihm, er sieht mich nicht, er schaut durch mich nach einer andern Frau als wär ich Glas und Lust und Wasser, so wenig hindert meine Liebe seine Strahlen. Fluch dir Cardenio! Ich möcht ihm fluchen, doch wird in meinem Mund der harte Fluch zum Loblied ihm, komm du geliebte Laute und rühme seiner Schönheit Macht und meiner Liebe Ohnmacht. Sie greift nach der Laute, faßt einen Dolch und schreit auf. Wie todtenkalt bist du geworden!

6. Auftritt
[194] Sechster Auftritt.
Die Kriegsräthin Tyche tritt mit einem Lichte ein.

TYCHE.

Was rufst du liebes Kind, was machst du mit dem Messer in der Hand? Mit Messern und mit Männern muß man ja nicht allein spielen, ganz unerwartet thun sie uns dann Schaden.

CELINDE.
Ach Mutter willst du noch das Leid durch Rath vermehren der mir nicht helfen kann.
TYCHE.
Je liebes Kind wie bist du denn, hast du wohl einen Zahn bemerkt der dir verdirbt.
CELINDE.
Ach wär es das?
TYCHE.
Du hast gut sprechen nun dir keiner wehe thut; hast du dein neues seidnes Kleid zerrissen?
CELINDE.
Ich wollte daß all zerrissen wären und daß ich nackt und blos Cardenio gefiele.
TYCHE.

Der thut wohl gar noch stolz der Habenichts, je sei doch froh wenn er dich schnell verläßt, was hat er dir dafür geschenkt daß du ihm alles hin gegeben, er ist ein pralerischer Narr.

CELINDE
schlägt nach ihr.
Ich sag dir Mutter schweig, du darfst mir nicht reden über ihn.
TYCHE.
Du ehrvergeßnes Kind, ich glaub du schlügst mich wenn ich dir nahe käme.
CELINDE.

Du hättest es verdient, mein ganz Unglück ist deine Schuld, daß du mich für das Sonntagskleid mit Spitzen dem Prediger hast verkauft.

[195]
TYCHE.

Das muß ich von dir hören! Warum hast du mir damals keinen Vorwurf draus gemacht?

Da schien er dir so lieb, ich durfte gar nicht fragen, das war ein Herzen mit dem selgen Herren Prediger, ich dachte ganz gewiß er nähme dich zur Frau, du schienst ja so vergnügt. Und dann kam der Viren, der war ein guter Herr, da warst du auch vergnügt.

CELINDE.

Ich war es auch, bis ich Cardenio gesehn, ach seine Liebe bringt mich noch ms Grab. Schaff Rath, schaff Hülfe!

TYCHE.
Gern liebe Tochter, ich weiß ein Wasser, das löschet die Erinnerung der alten Liebe aus.
CELINDE.

Was blieb mir dann? Ich lebe ja von der Erinnerung, ich wäre ohne sie schon todt. So ganz verkehrt hast du mir stets gerathen Mutter! Ich will dir sagen was mich beglücken kann, du mußt die Liebe in Cardenio entzünden, die mich verzehrt.

TYCHE.

Gemüther sind so leicht nicht unverletzt zu zwingen, mein Liebestrank vernichtet die Vernunft, aller Sinne, wir müssens ihm ganz heimlich beizubringen suchen.

CELINDE.
Nein unverletzt mußt du ihn meiner Liebe schaffen.
TYCHE.
Was hilft dir die Vernunft, er bleibt darum gleich schön.
CELINDE.

Du hast wohl nie geliebt, du hast wohl nie den süßen Reiz in jedem Wort empfunden, [196] was Liebe in dem Geist des Freundes neu erfunden durch den allein wird jegliche Vertraulichkeit dir neu, die sonst nur wär ein ewges Einerlei.

TYCHE.

Du bist ein wunderliches Kind, zu meiner Zeit hat noch kein Mädchen so was ausgedacht. Willst du Veränderung und neue Freude, denke doch wie viele von den Herren, die gegenüber in dem Hause wohnen, dir geschrieben und geseufzt und sonst auf tausend Arten ihre Lieb dir kund gemacht.

CELINDE.
Dein bin ich ganz Cardenio und keines andern je!
TYCHE.
Sein Undank hätte so treue Gunst bei einer anderen nicht verdient. –
CELINDE.

Verdient? Welch Mädchen könnte sich hochmüthig überheben, daß sie Cardenio verdient? Er herrschet wo er liebt, ich muß ihm dienen. So ist denn gar kein Rath – so bin ich ganz verlassen – ach Mutter! warum hieltst du den Dolch in meiner Hand zurück?

TYCHE.

Du liebes Kind, du ringst dir die Hände wund, laß doch die Noth, du kannst vom Gram die Gelbsucht bekommen. Hast du nur Muth genug, ich weiß durch meine Kunst ein sehr geheimes Mittel, ein einziges, ich habs von meiner Mutter noch und habs an deinem Vater auch versucht.

CELINDE.
Ich habe keinen Ausweg.
TYCHE.

Nun wohl mein süßes Kind, wer scheuet[197] sich bei einer Überschwemmung auf den Galgen selbst sich aus der Fluth zu retten. Du hast mir Pred'ger Lyrers Tod vertraut, ich weiß, daß er dich treu geliebet hat.

CELINDE.
Erinnere mich nicht an jene Nacht, da schien Cardenio so zärtlich mir.
TYCHE.

Um seine Liebe zu gewinnen mußt du ihm Lyrers Herz zu leichter Asch verbrannt in Wein, in Speisen beizubringen suchen.

CELINDE.
Mir schaudert, doch es sei. Woher das treue Herz entnehmen?
TYCHE.

Erschreck nicht Kind, du wirst so blaß, ich komme zu der schwierigsten Bedingung. Gedenke nur, es kostet doch gewiß zuerst dem Scharfrichter recht viele Überwindung, soll er den ersten Kopf vom Rumpf abhauen. Es ist ein lächerliches Bild, doch paßt es gut, denn sieh wie bald ist dieser Widerwille überwunden, bald köpfet er aus Neugier mehr und dann um recht zu zeigen sich, als Arm von der Justiz. So geht es mir, was ich dir sagen werde, das thäte ich aus Lust und nähm dir ab die Mühe, doch darf ich nicht, es nutzte dir zu nichts und nähme dir des einz'gen Mittels Kraft.

CELINDE.
So sprich doch Mutter, dies Zögern ist mir schrecklicher als alles Schreckliche.
TYCHE.

Ich sag dirs kurz. Du mußt mit eigner Hand das Herz aus Lyrers Leichnam reißen oder schneiden, [198] was mehr was weniger thut nichts, es ist nicht in der Liebe wie beim Kaufmann von Venedig.

CELINDE.

Das ist zu viel, du räthst ein Mittel an, das keiner je versuchen mag, weil du kein Mittel weißt. Wie kannst du das erdenken?

TYCHE.

Mein Kind dies Mittel ist schon oft bewährt, die harte Noth die unser Leben quält, zwang Seelen himmelan, zu Heilgen wurden sie erhöht, dieselbe Noth zwang Seelen in die Tiefe, daß sie der Hölle Thore aufgesprengt. Die Geister in den Grüften, sie wirken gern noch weiter in die Welt und haben wir den Muth sie zu ertragen, uns ihres Umgangs zu erfreun, dann thun sie gern uns etwas zu gefallen und wirken träumend auch auf andre ein. Denk du wärst ein Mediziner wie jener drüben, der hat in vorger Nacht aus Lieb zum Lernen eine Leiche ausgegraben und jetzt zerlegt er sie mit Lust. Das nenn ich wahre Liebe.

CELINDE.
Vergebens räthst du mir, nein ich vermag es nicht.
TYCHE.

Vermochtens doch so viele schon, die ohne meinen Rath und ohne diese Mittel viel früher in das Grab als in das Hochzeitbett gekommen wären, ich sage dir, die Leute sprechen gern in unsrer Zeit von Zauberei als wärs ein altes Märchen nur, ich weiß am besten wie viele ihr allein nur Glück und Ehre danken.

[199]
CELINDE.
So weist du wirklich daß Cardenio mich dann heirathen muß, daß er ganz mein, auf ewig mir gebunden?
TYCHE.

Ja freilich liebes Kind, das dunkle Reich erschließt sich nicht für einen Augenblick, wir stehen ewig dann in seiner Macht. Wer weiß ob nicht Olympie dem Cardenio einst gleichen Zauber angethan, er hat, ich weiß es ganz genau, von ihr ein wunderbares Band zu seiner Zitter auf dem Markt erhalten. Wer weiß ob Doris nicht den Zauber sich hat übertragen. Ich schwör darauf es steckt so was dahinter.

CELINDE.

Gewiß es ist ihm Zauber angethan, o welche Hinterlist, gewiß ein böser Zauber hielt ihn schon gebunden, da meine Schönheit ihn nicht binden konnte, – und diesen Zauber muß ich stören, die Liebe selbst verpflichtet mich dazu. Ach Mutter! ja ich bin bereit zu allem um ihn mir zu gewinnen, doch sprich wie soll ich zu dem Grab eindringen, wie soll ich heben alle schwere Steine die ihn umschließen bis zum Auferstehungstage, wo er sein Herz doch wird zurückfordern. – Ein Jahr nur mit Cardenio ist mir genug!

TYCHE.

Das Grabmahl zu eröffnen ist nicht schwer, es ist erst angefangen, ich kenne auch den Kirchenwächter Kleon ganz genau, der schwarze Mann mit einem Pferdefuß, er ist etwas häßlich doch gescheit, er läßt uns leicht zur Mitternacht hinein, wir hatten schon so viel Verkehr zusammen, ich habe [200] viel von ihm gelernt, der ist ein rechter Meister in der Kunst.

CELINDE.

Du bist entsetzlich Mutter, daß du noch andere Verzweiflung hast gekannt als meine, und doch in Mitleid nicht vergehst. O unnatürlich Mittel das dem Natürlichsten, dem Wesen meines Daseins mich entgegenführen soll!

TYCHE.

Was ist denn unnatürlicher als eignes Leben zu vernichten, doch warst du schon bereit dazu. Mein liebes Kind, Erfahrung schenkt uns einen wunderbaren Trank, er löschet nie den Durst, doch müssen wir ihn trinken. Beide ab.

7. Auftritt
Siebenter Auftritt.
Straße vor Virens Hause. Olympie tritt auf den Balkon.

OLYMPIE.

Wenn der Mond ist aufgegangen,

In der Hand die Arbeit ruht,

Ist im Finstern dann ein Bangen,

Thut ein Gang ins Freie gut.

Das hab ich noch behalten aus der Nachtmusik und dieses noch:

War auch Jungfrau, bin nun Fraue,

Und der Mond mich noch berückt.

Wär doch Lysander hier, ich kann nicht ohne ihn so fröhlich sein wie sonst. Mir ist doch alles glücklicher geworden als ich mirs dachte, ich finde ihn so liebenswerth und gut und jeden Augenblick ist er sich gleich, stets sorgsam für des Hauses Beste – wie [201] leicht entschloß er sich dem neuen Glücke ein'ge Stunden zu entreißen, um unsere Geschäfte auf dem Lande zu besorgen. Wie sah Cardenio schon heut verändert aus, sein edles Auge erloschen und entbrannt von Frevel; sein Angesicht durchwühlt gewaltsam von Leidenschaft. Kaum ahne ich was er damit gewollt, daß er den Preis so mühsam hat errungen, die ganze Stadt verspricht ihn mit Celinden die schlechten Ruf bei ordentlichen Leuten hat. Doch soll der Ruf mir gar nichts mehr bedeuten, wär ich Lysandern nicht vermählt, wer weiß was jetzt die Leute von mir sprächen. Ich fürcht mich jetzt schon vor Cardenio, sein wilder Geist bereitet sicher noch ein Unglück unserm Hause.

VIREN
kommt.
Je fast erschrak ich, so in Gedanken erkannte ich dich kaum hier in der Dunkelheit.
OLYMPIE.

Ich wünsch dir guten Abend, du warst heut mehrmals sehr vertieft, ich glaub du schreibst ein neu Pandektenbuch, so heißt's ja wohl, du mußt es mir doch schenken, wenn ichs auch nicht verstehe.

VIREN.
Die Drucker haben jetzt vor mir schon Ruhe, mein Herz ist so gedrückt.
OLYMPIE.
O hör den Nachtigallen zu.
VIREN.

Dich reizt der Nachtigallensang, der durch die Gassen kühn wetteifert, mir klingt er furchtbar, wie die Lieb in Ketten ein jeder Ton, und dies [202] Posthorn das von Ferne tönt, es könnte mich zum Weinen bringen, wenn es nicht eben verstummte.

OLYMPIE.

Du bist jetzt wunderlich, ich meine immer du solltest bald heirathen, dir fehlt ein gutes Weib das deiner Sorgen Hälfte trägt.

VIREN.

Es freut mich daß du mir zum Ehstand räthst, ein gutes Zeichen ists für deine Ehe. Wer hätte das gedacht, als du Cardenio zu lieben schienst.

OLYMPIE.

Begreif ichs selbst doch nicht, doch fühl ich freier mich jetzt in Lysanders Liebe, kein Sehnen, keine Angst, ich wünsch ihn mir zurück, doch hab ich ein Vertrauen zu dem Himmel, daß er uns schütze.

VIREN.

Du hast noch ein Vertrauen, mir hast du's geraubt, mit meiner ersten Liebe zu Luzinden ging meins verloren.

OLYMPIE.

Willst du den alten Vorwurf mir erneuern, ich war ein dummes Kind, ich wußte gar nicht was ich that, als ich dir Briefe brachte von Luzinden; klagst du noch immer um die erste Liebe, da du inzwischen wohl Tausenden den Hof gemacht.

VIREN.
Ach damals war ich doch viel besser!
OLYMPIE.

Erinnerst du dich noch des Liedes das du so oft mir vorgesungen, wenn ich auf deinem Schooße saß und du hinüber schautest zu Luzindens Schloß?

[203]
VIREN.
Es ist mir ganz entschwunden, sing es nur.
OLYMPIE.
Bruder mit dem Flockenbart,
Hüte dich vor Liebe,
Nur die Augen recht bewahrt
Vor des Traums Gebilden,
Wenn die Sonne heftig sticht,
Droht ein nah Gewitter,
Ziehn die Lebenspfeile dicht,
Werdet ihr geschieden.

Lustig ist mir jede Zeit
Unter tollen Streichen,
Und mir schien die Reise weit
Zu Melancholeien,
Traurig schaue ich jetzt hin
Nach dem Mond der Höhe,
Nach dem Schlosse steht mein Sinn,
An dem Rand des Sees.

Doch die Wolke eilend zieht,
Mir der Mond verhüllet,
So aus meiner Seele flieht,
Meiner Hoffnung Fülle,
Und der Mond selbst täuschet mich,
Brennt in ihren Scheiben,
Und ich mein, sie locke mich
Zu der Schwimmerreise.

Schwesterchen, ach denkst du jetzt,
Wie du mir im Schooße
Mich mit ihrer Lieb ergötzt,
Mich zu ihr gezogen.
Ihre Briefe waren süß,
Süßer war ihr Küssen.
[204] Als ich sie zuerst verließ,
An dem Sonntag frühe.

Früher war sie an dem Ort,
Als sie mich verlanget,
Und es glühte jedes Wort
Ihr auf beiden Wangen;
Und des Altars denke ich,
Der mich hielt verstecket,
Daß sie, selbst gelehnt an mich,
Küßte Rosenkränze.
VIREN
fällt ein.
Denk der Nacht, wo ich zu spät
Bin zu euch gekommen,
Zwischen euch da wachen thät,
Fromm und scheu beklommen:
Ei verdammt der guten Sitt'
Dabei bin ich blieben,
Damals war es nur ein Stritt,
Und nun ists weit drüben.

Also ist es nun vorbei,
Weiter muß ich ziehen,
Ach so bin ich vogelfrei,
Kann mir nicht entfliehen;
Denn in innrer Brust da sticht
Mich der Pfeil der Liebe,
Und ich suche, finde nicht
Unsrer Liebe Liebe.

Bruder mit dem Flockenbart

Sieh im Liebesspiegel,

Du bist zart, auf, werde hart,

Steige in den Bügel,

[205] Laß die leichten Zügel los,

Trau dem Kriegesglücke,

Denn du findst in Liebchens Schooß

Nur des Glückes Tücke.

Das waren gute Zeiten noch wo ich so klagte, der gute Bruder, wir haben doch seit jener Zeit nichts mehr von ihm vernommen.

OLYMPIE.

Das Meer und auch die Liebe sollen gar gefährlich sein, kaum weiß ich noch wie er recht ausgesehn. – Sieh jenen Stern der eben schießt, war er das etwa, wollt er uns ein Zeichen geben?

VIREN.
Er ist wohl glücklicher als ich!

Cardenio kommt während dieser Worte in einem Mantel gehüllt, leise die Straße herunter, er spricht vor sich, während jene oben sprechen.
CARDENIO
leise.

Es hat sich viel geändert in der kurzen Zeit, vor wenig Tagen brannte Liebe in den Himmelsfackeln, jetzt Rache. Bald kommt Lysander. Ich möchte ihn nicht listig niederstrecken, nein ordentlich im Kampfe überwinden, ob er mich gleich mit List hat überwunden, doch stört das den Plan der Doris. Wohl denn, da er doch fallen muß, so mag er fallen ohne Furcht und Schrecken durch einen raschen Tod, es ist mir gar nicht als wär er auch ein Mensch, er scheint mir nur ein wildes Thier, gegen das ich zur Wacht bin ausgestellt. Die Doris ist ein kluges Kind, sie mag nichts ansehn von dem ganzen Unternehmen, doch kitzelt sie mit gutem Rath [206] dazu. Mein Arm stößt den Verräther nicht so sicher in die Hölle, als mich ihr Schlüssel zu dem Himmel führen soll. Auf dem Balkon da hör ich leise Stimmen, es wär ein schlimmer Streich wenn die nicht weichen wollten eh Lysander kommt.

OLYMPIE.
Gesteh mir lieber Bruder, was dich so quält?
VIREN.
Es wird mir schwer, ich hab mich lange Zeit so heilig vor dir angestellt, ich bin ein großer Sünder.
OLYMPIE.
Du dauerst mich.
VIREN.

In dem gelehrten Treiben hier, überfiel mich so manche böse Lust, der Reichthum giebt Gelegenheit, ich wechselte in wilder Leidenschaft, doch zog mich nie ein Mädchen also mächtig an als eben die Celinde, der Kriegsräthin Tyche Tochter, mit der die Stadt Cardenio vermählt.

OLYMPIE.
Du schweigst.
VIREN.
Ich kanns dir nicht erzählen wie manche Nacht ich heimlich dort geschwelgt.
OLYMPIE.
So ist der böse Ruf doch wahr; – Du armer Bruder!
VIREN.

Und was mich retten sollte das ward mir zum Verderben. Oft wars als ob geheimnißvoll mich unsrer Mutter Stimme warne, doch schreckte dieses Bild mich eben in die Arme der Geliebten, wo mir[207] so wohl ward, wie mir bald in ihrer Untreu wehe ist geworden.

OLYMPIE.
Du hast der Mutter Bild gesehn?
VIREN
singt.
Oft wenn ich umher geschlichen
Nächtlich um Celindens Haus,
Bis die Sterne all verblichen,
Warnte mich ein innrer Graus
Mit so tief bekanntem Schall,
Warnend rief die Nachtigall.

Als sie endlich Lust versprochen
Ging ich Nachts geschmückt umher,
Hatte Früchte ihr gebrochen,
Trug an edlem Weine schwer.
Alles zu dem Liebesschmaus
In Celindens Gartenhaus.

Als ich an das Kreuz gekommen,
Das aus alter Zeit noch steht,
Hab ich bittres Flehn verommen,
Eine Frau da zu mir geht,
Klagt, sie sterb aus Hungersnoth,
Bat mich um ein wenig Brod.

Ganz verloren in Gedanken
Naher Hoffnung, nahen Glücks,
Werf ich Geld der matten Kranken,
Würdige sie keines Blicks:
Kaltes Geld und kaltes Herz!
Seufzet sie in ihrem Schmerz.

Wilde Jugend schweift in Lüsten
Wild und taub nach ihrem Ziel,
Aus dem Garten in die Wüsten,
Und ich trank von Seckt zu viel;
[208] Mit dem Becher in der Hand
Werd ich früh nach Haus gesandt.

Als ich so nach Hause kehre,
Tragend diesen Liebestank,
Bei dem Kreuz ich klagen höre
Und es liegt die Fau so krank,
Und ich gieß den Becher Wein
In den bleichen Mund hinein.

Eine Flamme seh ich steigen
Wo der Tank sie hat berührt,
Mir des Zaubers Kraft zu zeigen
Schrecken hat mich tief gerührt,
Nüchtern seh ich an die Frau
Meine Mutter ich beschau.
OLYMPIE.
Lieber Bruder, du erschreckst mich.
CARDENIO.

Sie wollen noch nicht schweigen auf dem Balkon, wenn es Olympie selber wäre, wie ist mir, diese Thüre öffnet sich.


Es schlägt Zwölfe, die kleine Thüre an die Cardenio angelehnt, eröffnet sich leise, eine verschleierte Gestalt in der Größe Olympiens tritt heraus und legt ihren Finger auf Cardenios Mund.
CARDENIO.

Olympie, was machst du, du selbst du kommst zu mir, wie ward dir kund mein Unternehmen? Nun weiß auch ich daß Liebe Wunder thut.

DIE GESTALT.
Still still, bald hörst du mehr, jetzt komm.

Sie führt ihn, der sie anstaunt, langsam fort.
OLYMPIE.

Mir war als säh ich unten ein verliebtes[209] Pärchen schleichen. Jetzt singe weiter, die Glocken haben ausgeschlagen.

VIREN
singt.
Schaudernd vor der schönen Leiche,
Ganz verwildert athemlos
Ich mit schnellem Schritt entweiche
Werf mich in Celindens Schooß.
Hüte dich mein liebes Kind!
Ruft die Mutter in den Wind.

Geister wollten gern uns schützen,
Doch wir scheuen sie zu sehr,
Ach sie konnte mir nicht nützen,
Jagte mich ins Liebesmeer,
Das mit seiner Schreckensfluth
Mir verzehrte Gut und Blut.

Später müssen wir verstehen,
Was uns den Verstand verwirrt,
Lernten wir doch früher sehen,
Eh wir von der Bahn geirrt,
Ach mir ist die Lust verzehrt,
Ich bin nun so gar nichts werth.
OLYMPIE.

Ich glaube lieber Bruder, du bildest dir so herbe Schmerzen ein, du bist ja noch der selbe wie ich dich immer hab gekannt, wohl nie vergnügt auf ganze Tage, beklagend vieles und doch alles mitgenießend.

VIREN.
Ich glaub du hast mich nie verstanden.
OLYMPIE.

Wie bist du wunderlich, versteh ich nicht jedes Wort, was du mir sagst, hab ich je absichtlich [210] dich anders denken wollen, hast du jetzt absichtlich dich verstellt?


Während der letzten Worte ist Lysander mit seinem Diener Anton, ohne von den beiden auf dem Balkon bemerkt zu werden, aus dem Hintergrunde auf das Haus zugekommen.
LYSANDER.
Geh mit den Pferden nach der Hinterthüre, damit mein Weib von dem Getrappel nicht erwacht.
ANTON.

Die Nacht ist fast verloren, wir hätten so bequem in Skeuditz bleiben können, die Betten waren rein, hier sind sie alle schon zu Bette, da wird kein Licht und auch kein Schwefelholz zu finden sein, den Schwamm hab ich verloren.

LYSANDER.
Du warst wohl nie verliebt?
ANTON.

Bei Tage bin ich sehr verliebt, doch sag ich immer die Nacht ist keines Menschen Freund, wir könnten jetzt von Straßenräubern hingestreckt gar leicht auf unsrer alten Mutter Erde schlafen müssen.

LYSANDER.

Das wäre Blutschuld, Gott behüte, du weißt nicht was du sprichst geh nur zu deinen Pferden. Anton ab.

OLYMPIE
zu Viren.

Horch Bruder, wenn mich der Wunsch nicht täuscht, so hör ich meines Herren Stimme. Bist du es lieber Mann, der sich der Thüre naht?

VIREN.
Bist du es Schwager?
LYSANDER.

Ich möchte fliegen können um euch[211] durch Kuß und Händedruck von meiner Gegenwart zu überzeugen, ich wollte dich mein liebes Weib heimlich überraschen und glaubte dich im tiefen Schlummer und du wachst sorgsam in der kühlen Nacht auf mich.

VIREN.

Du machst dir ganz vergebne Mühe mit deiner Frau noch hier zu reden, sie läuft die Stiege herunter die Thüre zu öffnen.

LYSANDER.
Sie denkt an alles gleich im Augenblick.
OLYMPIE
öffnet die Thüre und tritt mit Licht ihrem Manne entgegen.
Mein lieber lieber süßer Freund.
LYSANDER.
Geliebtes Leben. Hast du an mich gedacht?
OLYMPIE.
Wie hatte ich so vieles dir zu sagen, in freudger Überraschung hab ich alles schnell vergessen.
LYSANDER.

Vielleicht daß unsre Träume sich einander heimlich schon vereinten, indem wir uns umarmten. Kinder unserer Einsamkeit, sie passen nicht in ein gesellig Leben.

VIREN.
Wenn ihr solange unten sprechen wollt so muß ich euch die gute Nacht hier aus der Ferne wünschen.
LYSANDER.

Gute Nacht. Laß uns noch etwas in der kühlen Nacht durch stille Straßen wandeln, wo Nachtlicht brennt, da sehen wir ganz heimlich in die Fenster, was da geschieht in Streit und Frieden.

[212]
OLYMPIE.

Es ist recht schön, doch meine ich, du hast des Tages Mühe reichlich schon getragen, die Ruhe wird noch schöner sein.

LYSANDER.
In deinen Armen ach wie schön! Beide ab.
8. Auftritt
Achter Auftritt.
Ein Kirchhof, im Hintergrunde eine Kirche. Cardenio führt Olympiens Gestalt.

CARDENIO.

Ich glaube dich zu führen mein Trost, mein Heil, du aber führest mich in unbekanntes rauhes Land, mit jedem Schritte fürcht ich, du möchtest fallen über diese Hügel, diese Steine, die eine Grenze zu bezeichnen scheinen von streitgen Herren. Ruh aus auf diesem Felsenstücke, du sprichst schon lang kein Wort und die Besorgniß quälet mich, ob dich die Reue über den gewagten Schritt schon quäle. Gedenk es ist der letzte Schritt, den wir zu wandeln haben auf dem bösen Wege, dann zeichnet neues Glück uns neue Wege, und was uns auch begegnen mag, wir sind beisammen. Du schweigst noch immer, senkst dein Haupt zur Erde als wenn du ihr schon angehörtest, o wiederhole mir noch einmal jenes Wort wie du mich stets geliebt, wie dir Lysander ist so schmerzlich aufgezwungen, wie du dich mir nun ganz zu eigen giebst; ich habe wohl geglaubt so müßt es sein, doch nun es wahr ist fang ich an zu zweifeln. Zeig mir dein Antlitz daß ich Wahrheit les' in deinen Augen.

[213]
DIE GESTALT.
Wir müssen erst ein nahes Haus er reichen, das mir Sicherheit gewährt.
CARDENIO.

Könnt ich dir Sicherheit gewähren in meiner Brust, ein ewig festes Heiligthum, doch seit ich mich Celinden hingegeben aus Verzweiflung, da ist dies Heiligthum entweiht.

DIE GESTALT.
Ein gleiches könntest du vielleicht die nächste Nacht Celinden sagen.
CARDENIO.
Bei Gott, ich hab sie nie geliebt, um welchen Preis sollt ich der Lüge mich ergeben.
DIE GESTALT.
Kannst du mir schwören daß du der heimlichen Vertraulichkeit zu ihr entsagen willst?
CARDENIO.

Was nenn ich Heiliges um fest zu schwören, ich schwör bei dir Olympie, bei dem Duft der geisterhaften Nachtviolen die uns in diesem wilden Lande rings umsprossen, ich schwör bei diesen leichten Lichtern die uns fabelhaft umkreisen, bei diesen weißen Vögeln schwör ichs, deren Fittig mein Haupt umweht und die zur Heimath sich erheben und finden in der Nacht den Weg.

DIE GESTALT.
Ich nehme deinen Schwur, die Tiefen hören ihn, die Sterne leuchten dich erinnernd an.
CARDENIO.

So ist aller Zweifel nun gebannt! – So komm du holdes Weib – komm aus diesem rauhen Lande zu frohen Blumengärten, die am Rand der Saale dem rauschenden Strome lauschen, wo sanftes Grün mit Thau den Busen netzt, wo reife Frucht [214] sich in die Hand dir drängt, wo dichte Lauben dich vor dem Sturm bergen der vom Wolkenrande so grollend mit seinem kalten Athem auf uns bläst. – Komm – erhebe dich von deinem harten Sitze mit dem du zu versteinern scheinst; – hier drückt ein unnennbar Wehen meine Freude nieder, dort will ich mit schönerem Schwur dir bekräftigen wie ich dich liebe. – wie ich dich ewig lieben will! –

DIE GESTALT.

Dies rauhe Land, wie du es nennst, scheint mir ein Frühlingsgarten, weh dir daß du nicht den neuen Frühling kannst erkennen und begrüßen, der Garten ist mir lieb wie keiner sonst auf Erden, nur nächtge Blumen schmücken ihn.

CARDENIO.
Die sind der Liebe Zeichen.
DIE GESTALT.

Ich liebe dieser rauhen Steine Lager, die aus der Erde Innern kühn gerissen, bezeichnen was sie uns verschließt. Hier laß mich ruhn.

CARDENIO.

Und mich bei dir. Indem er sie umfassen will, verdoppelt sie sich, er tritt zurück. Wie ist das, sehe ich zwei Gestalten? verwirrt die Liebe mein Gehirn?

DIE GESTALT
einfach.

Süßer Freund! – du schreckst vor mir? – hat dir der Mond, der zweifelnd an der Erde Rand noch weilet, ob er sein züchtig Auge auf uns werfen kann, ein Trugbild dargestellt?

CARDENIO.

Er weilt, ein guter Freund der unser Glück bewacht in ganz bescheidner Ferne. Doch[215] sieh zu lang vielleicht ist mein Gemüth in Noth verwildert, die Freude die so unerwartet es erfüllt, die Luft die uns umschauert, erhitzen die Phantasei. – Laß einen heißen laugen Kuß mir sagen, dies Glück sei kein falscher Fiebertraum.


Der Mond ist aufgegangen, die Gestalt verdoppelt sich wieder, indem er nach ihr faßt und er steht zwischen dem Tode, der mit einem Pfeile nach ihm zielt und der Mutter der Olympie, die ihm droht.
CARDENIO.

Ha! – ha die Gluth wird Eis, – wie hat die Hölle mich betrogen, sie ist nicht mein! sie ist es nicht. Wer wagt noch mir zu drohen? Du alter Tod, – jedem Erdensohne gewiß, dein Pfeil ist stumpf! Der Tod verschwindet.

Dich fürchte ich erhabene Gestalt, wunderbar ähnlich Olympien, in graunvoller Ehrfurcht fühl ich mich gebannt, ein Schatten zu den Schatten, wie der Mond zur Erde, dein Fleisch ist aber Licht und meins ist böse Lust. – Du schweigst, dein Blick hält mich fern von dir; gieb mir, da du mir alles nimmst in diesem Leben, da du die Ruh aus meiner Seele mir raubst über jenes Leben nach dem Tode, gieb mir, da noch so vieles lebt was ungeahnet hier verschwunden, gieb mir ein einzig Zeichen daß dies kein irrer Wahn, der meinen Muth bestritten.


Die Gestalt wirft ihm einen Ring zu und wandelt nach der Kirche, wohin sie ihm winkt, Cardenio erhebt den Ring und folgt ihr.
[216]
CARDENIO.
Nicht allzunahe – doch ich folg dir – folg dir aus der Welt. Beide ab in die Kirche.

Tyche führt Celinden, Cleon kommt von der andern Seite.
TYCHE.
Was ist die Glocke?
CLEON.
Es ist jetzt seine Zeit, drum still.
CELINDE.
Geh langsam liebe Mutter.
TYCHE.
Still Kind.

Alle in die Kirche.
9. Auftritt
Neunter Auftritt.
Das Innere der Kirche, viele Grabmähler, auf einem liegt Cardenio entschlummert, Celinde und Tyche an der Thüre, Cleon der Kirchendiener steht vor ihnen mit den Schlüsseln.

TYCHE.

Auf Tochter fasse Muth, du siehst in jener Ecke, wo in der Reihe viele schwarze Predgerbilder hängen, wo aufgehäuft die Steine zu dem Grabmahl liegen, da steht des Predigers Sarg, der Deckel ist so leicht gehoben, es kostet dir wenig Mühe, ich darf nicht gegenwärtig sein.

CELINDE.

Die Füße – ich kann nicht aus der Stelle – ich zittere am ganzen Leibe, so muß es wirklich nun geschehn – ach um dich Cardenio!

CLEON.

Mein schönes Fräulein, seid nicht so wunderlich, ich war ja alle Nächte hier, die Todten haben ihre Ruh, ich war zu allen Zeiten hier und sah noch nichts; so einem wie ich der des Läutens wegen und wegen Feuerzeichen zu aller Zeit und Frist seit Jahren sich hier herumgetrieben, dem ist es hier [217] ganz ruhig wie zu Hause, manch schönes Kind hat mir Gesellschaft sonst geleistet. Nun gute Nacht und Glück zum Werk, ich muß den Thurm ersteigen weil ich um ein Uhr läuten muß. Ab.

TYCHE.

Nun hast du doch gehört wie sicher alles ist – eine feine Nacht der kalte Wandelstern läßt sich verdrießlich sehen, ich wollt du wärst erst fertig, es ist ein lieblich Schnarchen in der Welt, ich möcht mich noch zu einem Junggesellen betten.

GELINDE.
Die Worte, die du so mit Gleichmuth sagst, sind mir entsetzlich.
TYCHE.
Celinde – die Zeit ist da und schnell vorbei.Ab.
CELINDE.

Ach nimm mich mit. Sie will fort. O Gott hier hält ein Geist mich fest. – Es war ein Nagel an Lyrers Sarg. Es ist wohl bloße Thorheit diese Furcht vor Geistern – ich will mir andere Gedanken machen, ich weiß ja noch so manch Gebet.


Während sie den Deckel erhebt, betet sie in Verwirrung.

Vater unser der du bist im Himmel – alle gute Geister loben Gott den Herrn – geheiligt werde dein Name, steh mir nur diesmal bei, ich thue es niemals wieder, um Cardenio selbst nicht. Sie schlägt den Sargdeckel auf. Da liegt er unversehrt, so lag er oft in meinen Armen. – Zu uns komme dein Reich und die Kraft und die Herrlichkeit. – Dein Herz! ich muß es haben, wie oft hast du bei deinem Leben mir dein [218] Herz geschenkt, jetzt bist du todt, dir thuts nicht weh und mich kann es beglücken! Sie erhebt ihr Messer. Ja mich wirds beglücken! Vergieb uns unsre Schulden. Der todte Prediger erhebt sich mit blutendem Herzen.

PREDIGER.

Geliebte du durchbohrst mein Herz, das ist bittrer als der Hölle Schmerz, heißer als der Hölle heiße Qual, weh die Erde ist ein Jammerthal. Nichtig war, was ich gethan, all mein Glaube war nur Wahn. Liebe ohne Glauben fällt, scheiden muß ich von der Welt. Und Celinde bleibt zurück, ewger Gram ist mein Geschick.


Er sinkt im Sarge nieder, Celinde mit einem Schrei ohnmächtig zu Boden.
CARDENIO
erhebt sich.

Welch wild Geschrei erweckte mich aus meinem Taumel, das war kein Geisterruf, doch jetzt ist alles stille. War eine Räuberschaar in dieses Heiligthum gedrungen? Doch nein, die Silberlampe läßt ihr dunkles Licht noch auf uns fallen. Ich habe schwer geträumt und werde jetzt erst wieder mit der Welt bekannt, die mich umgiebt. Ha was erblick ich dort, ein weiblich Bild bei einem Sarge – wie Marmor kalt – es ist Celinde!

CELINDE.

Ihr Geister laßt mich sterben, ich bin von Schmerzen ganz vernichtet. Was ist das Leben, was ist die Liebe werth, von solcher Angst gegeißelt von solcher Noth zerrissen.

CARDENIO.

Du scheinest krank, ich kann dir [219] mei nen Beistand nicht versagen, du hast die Augen fest zusammengedrückt und magst dich nicht umblicken.

CELINDE.

Du bists, Cardenios Geist, ach lasse mich, die Angst hat unsre Liebe auch getrennt, wie bist du schon so schnell dem dunklen Todtenreiche zu geschritten, es traf dich nie mein Fluch, hast du mich gleich verzweifeln lassen.

CARDENIO.

Kann denn ein Geist mit festem Arm dich tragen, kann einem Geist das Herz noch schlagen, kann denn ein Geist sich selbst verleugnen wollen? – Was ich auch sei, ich bin Cardenio, so wie du mich gekannt, so wie ich stets gewesen.

CELINDE.
Du bists Cardenio? – dich hoffte ich nicht hier zu treffen.
CARDENIO.
Was trieb dich denn hieher?
CELINDE.

Die Lieb zu dir. Dich wollte ich bezaubern mit Lyrers Herz, das ich ihm entreißen wollte. Es war der Mutter Rath. Ich habe alles dir bekannt, jetzt schließ den bösen Pfaffen wieder ein, du hast ihm einmal schon die Augen zugeschlossen.

CARDENIO.

Erwache doch aus deinen wilden Träumen, sein Sarg ist bis zum jüngsten Tage fest geschlossen. Weh mir, daß du so um mich leiden mußt und daß ich dir nicht helfen kann.

CELINDE.

Gott sei gelobt, doch ist das alles Trug und bist du selbst kein Zauberbild der Mutter, [220] so eile schnell, hier ist es gar nicht richtig, ach mein Verstand! schnell schnell, fort, fort, fort von hier.


Sie zieht ihn fort.
TYCHE
tritt vor.

Erst war ein Schreien, nun ist alles still! – Celinde sprich wo bist du hingegangen? Es ist hier alles leer, die Uhr schlägt eins, sie muß durch jene Thür aus Angst entflohen sein.

CLEON
kommt.
Seid ihr noch hier, wie ist es denn ergangen, hat eure Tochter ohne Furcht das Werk gethan?
TYCHE.
Sie ist entflohen.
CLEON
vor sich.

Sie sind mir doch entrissen. Er erscheint mit glühenden Augen, schwarz und gehörnt. Weib kennst du mich den Bräutigam?

TYCHE.
Wohl kenn ich dich, erblinde schier vor deiner Herrlichkeit.
CLEON.
Es naht dein Hochzeittag.

Er ergreift sie, sie schreit, beide versinken in die Erde.
10. Auftritt
Zehnter Auftritt.
Der Felsen bei Gibichenstein. Ahasverus sitzt in dem bekannten Fenster Ludwig des Springers und sieht nach dem Sonnenaufgang.

AHASVERUS.
Es weicht die dunkle Nacht.
Die Welt wird frisch geschaffen,
Doch wer die Nacht durchwacht,
Der leidet fort die Strafen
Der alten Sündenwelt,
Dem lösch der Sonne Huld,
[221] Die Gottes Schooß entquelle
Noch nicht die alte Schuld.

Cardenio und Celinde kommen außer Athem gelaufen.
CARDENIO.

Nicht weiter Celinde, ich muß dich mit Gewalt jetzt halten, da meine Worte all vergebens warnen – sieh deine Raserei reißt dich zum jähen Abgrund. Blick auf, die Sonne steigt empor, sie wird dir bessere Gedanken in die Seele strahlen.

CELINDE.
Ach könnte ich vor ihr erblinden, um alle Schreckensbilder in der Seele auszutilgen.
CARDENIO.

Sieh rings umher, mir wird schon wohl daß ich von Schrecken frei der fröhlichen Natur nun wieder lebe.

CELINDE.
Leichtsinnig wandelst du durch Nacht und Tag, ich sehne mich nur nach der Nacht.
CARDENIO.

Du liebtest mich einmal, bewahre dich aus Freundschaft für den alten Freund, auch meine Freundschaft will ich dir bewahren.

CELINDE.

All die Lieb ist mir vergangen, die Geisterhand hat alles ausgerissen, dich seh ich neben mir so wesenlos wie einen Schatten der Sonne hier; – dem Angesicht des Himmels gelob ich ewge Keuschheit, werd ich frei vom Schrecken der mir das Blut zum Herzen schmerzlich drängt. Ha sieh Cardenio, da sitzt schon wiederum ein Geist. Alle gute Geister!

CARDENIO.

So schließ doch nicht die Augen, [222] er ist ein Mensch wie wir, dem Thränen in den Augen glänzen, er ist kein Geist.

CELINDE.
Ach Gott, was sind denn wir?
AHASVERUS.
Ein schweres tiefbedeutend Wort.
CARDENIO.
Mein alter Freund, so früh schon in der Einsamkeit, so früh schon in den trüben Nachgedanken.
AHASVERUS.

Ich trauerte, daß du dem guten Rathe nicht willst folgen und deiner Sicherheit so wenig bist bedacht.

CARDENIO.

Blick auf Celinde, du siehst den guten Alten, er kennt mich lange schon, gieb ihm die Hand, er meint es gut mit dir, wird manchen guten Rath dir sagen.

CELINDE.
Könnt ich ihn nur ausführen.
AHASVERUS.

Du bist ja so verschüchtert, schönes Kind, wie eine Hirschin, wenn die Jagd zum erstenmal ist aufgegangen, ich lebe auf der Welt wie in dem Paradiese, ich fürchte keinen seit ich den Einen fürchten lernte. Der Eine sagt, erhalte dich o Mensch daß du nach meinem Willen wandeln kannst und thun. Sieh da mein liebes Kind, erkälte dich hier nicht im frischen Morgenwind der aus dem Orient uns Kunde bringt, denn du verstehest sie noch nicht.

CELINDE.

Nun ich euch angesehen, die tiefe Stimm vernommen habe, ergreifet mich ein Zutraun wunderbar. Gebt einen Rath was soll ich thun, es [223] lastet Schuld auf meinem Nacken so schwer', die ich euch nicht erzählen kann, zwar könnt ich mich wie tausend andre auch entschuldgen mit Verführung, was hülf es mir, ich fühle daß ich schuldig bin.

AHASVERUS.
Und magst du sein die Schuldigste von allen, noch giebt es einen Ort, der dich entsühnen kann.
CELINDE.

O nenn ihn mir und wär der Weg mit Dornen dicht belegt und ohne Schuh darauf zu wandeln, ich zöge hin.

AHASVERUS.
Der Ort ist fern.
CELINDE.

Und wär's am Ende aller Welt, mich fasset eine Ungeduld, als könnt ich keinen Augenblick in dieser überdrüßgen Gegend mehr verweilen.

AHASVERUS.

Zieh zum heiligen Grabe unsers Herrn, zum Mittelpunkt der ganzen Welt, er löset manches Pilgers Schuld, der gläubig zu ihm hinwallet, du bist nur eine Sünderin wie viele. Entsagung kann dir Keuschheit wiederbringen.

CELINDE.

Mit heilgem Glanze ist dein Haupt umstrahlt; ich glaube dir, doch sage mir wie soll ich den Weg zu dem entfernten Segensbrunnen, zum Grabe des Erlösers finden, wie soll ich, so weichlich auferzogen, die schwere Mühe einsam überwinden?

AHASVERUS.

Wie unter dir der Strom so ernstlich rauscht, sich Wege bahnt durch die hohen Felsen den lieblichsten Gefilden leicht vorüber streift, als säh [224] er nicht die stolze Pracht, die sich in ihm bespiegelt und erquickt; so treibt ein fester ernster Wille, so kommt der Strom durch tausendfache Krümmen mit hundert andern ähnlicher Gesinnung zum Meere, das sie dann all von dieser Erde Staub entsühnen kann.

CELINDE.
Du giebst mir Muth und Kraft.
AHASVERUS.
So will ich auch dein Führer sein.
CARDENIO.

Bedenke alter Freund, ob du nicht allzukühn nach einem Orte uns führen willst, wohin du selber nicht gelangen kannst? Warst du schon in Jerusalem daß du Celinden wähnst dahin zu ziehen und in den irren Sinn so wunderlich Beginnen säest.

AHASVERUS.

Ob ich bin da gewesen, wo meines weit zerstreuten Volkes alter Sitz, von dem ihr Frevel an dem Sohn des Herrn sie hat vertrieben, ob ich bin da gewesen? O frag mich nicht es macht mir Schmerzen wie ich vergebens stets dahin geirret bin.

CARDENIO.
Was dir vergebens ist geblieben das räthst du dieser armen Seele an. Was räthst du mir?
AHASVERUS.

Dir rath ich nicht; was du beginnen willst das komme aus dir selbst, lasse andre glauben wie ihnen in das Herz geschrieben, doch sag ich dir, du Cardenio hast noch mehr als dieses Mädchen große Buße nöthig, du von vier Seelen Angeklagter, den schon die weltliche Gerechtigkeit verfolgt.

[225]
CARDENIO.

Ich mache keinen Vorwurf mir aus allem was ich nicht meiden konnte, dem Vater aller Wesen steh ich zum Gericht, vier Ungeheuer hab ich ausgerottet, den Spieler und den Juden weil sie den edlen Leichtsinn froher Jugend mit tückischem Verrath belauern mit Trug und List so manche hohe Seele, aus kühnem Aufflug der zum Himmel streifte, in niederes Verbrechen hingestürzt; den falschen Philosophen weil er die Schiefheit seines Geistes aller Welt zur Regel geben wollte; den falschen Prediger, weil er der eignen Seele böse Lust als Gotteswort zu offenbaren meinte, ich war hier Gottes Richtschwert nur.

AHASVERUS.

Ich bin kein Richter über dich, du läufst aus meinem Kreise der Gedanken, doch wisse lieber Sohn, wer hier auf Erden Gottes Richtschwert ist, der weiß es wahrlich nicht.

CARDENIO.

Der weiß es nicht – und ich, ich wußte mir so viel damit! – Es schmettert mich dein Wort aus meiner Höhe nieder, bedenkst du auch was du gethan, den innern festen Trost mir noch zu rauben, da alles mich verläßt.

AHASVERUS.
Gott giebt uns alles zehnfach wenn er uns alles hier zu nehmen scheint.
CARDENIO.

Ich folge dir, nicht gläubig, nicht entschlossen, nur weil des Bleibens hier nicht mehr; nichts stärkt mich was ich hier gethan geliebt; – ich möchte in ein fernes Land um alles zu vergessen,[226] Olympiens Liebe selbst, die all mein Leben hier umfaßte. Jenseits des Grabes muß sich viel erhellen, darum zieh ich mit dir zum heilgen Grabe hin.

AHASVERUS.

Kaum ahne ich lieber Sohn was dir begegnet sei, so scheinst du mir verwandelt, sieh rings umher, wie liegt die Welt so offen, es thut ihr wohl daß sie sich froh erschließt, o zeig uns auch dein Herz so offen.

CARDENIO.
Wir werden hier belauscht, ich höre Stimmen – geheimnißvoll war diese Nacht.
CELINDE.
O sprich nicht von der Nacht, mir schwindelt.
AHASVERUS.

Es kommen Menschen durch den Thurm, vielleicht schon gegen dich gesandt. Cardenio in diese Höhle flüchte dich, die ich seit mancher Nacht bewohnte.


Alle drei ab in die Felsenhöhle.
11. Auftritt
Eilfter Auftritt.
Olympie und Lysander besteigen singend den Felsen.

LYSANDER.
Offen ist das Thor des Lebens,
Und die Engel strahlen aus,
Treue Lieb harrt nicht vergebens
Und sie treten in ihr Haus;
Wo ein Engel eingegangen
Ist ein holdes Kind empfangen.
OLYMPIE.

Fromme Engel treuer Liebe,

Wachet über euer Kind,

Manche Nacht die ist so trübe,

Brausend geht dann rauher Wind,

[227] Engel spielt mit ihm im Schlafe,

Daß es lächelnd Sturm verschlafe.

Hör nur Lysander, ich glaube sicher du hast das Lied auf uns gemacht, das heißt doch weit voraus sehen im Leben, ich glaube gar du denkst schon an die Wiege und wir sind kaum vermählt.

LYSANDER.

Und ich, ich glaube sicher du siehst mir durch die Augen in die Seele, ich schwöre dir, die Wiege war in diesem Augenblick mein einziger Gedanke, ich dachte mir ein Kripplein zierlich aus geführt als Wiege unsres Kindes. Das sag ich dir voraus, wenn es erst laufen kann hier darf es nicht herauf, sieh nur an solcher Ecke hier, wo sich die Schwalben unterm Fuße kreuzen, wenn ich mein Kind da sähe, ich hielts nicht aus.

CARDENIO
tritt aus der Höhle und umfaßt Lysander.

Bewahr dich selber besser, tritt zurück, es ist nicht gut sich selber zu versuchen, wie weit des Geistes Übermacht gestellt, die ird'schen Mächte regen sich zum Kampf und hat der Mensch nur eine Sünde in der Seele, wie er mit Falschheit Lieb gewonnen, die Schwere stürzt den Trotzigen hinunter, wer nie geschwindelt schwindelt hier.

LYSANDER.
Der Augen Licht vergeht mir, er ist von Sinnen und alle Kraft vom Widerstand verlöscht.
CARDENIO.
Fühlst du dich überwiesen, so sei bereit zu sterben.
[228]
OLYMPIE
umfaßt Lysander.
Dein Schicksal sei das meine auch!
CARDENIO.
Wen liebst du mehr Olympie, mich oder ihn?
OLYMPIE.
Sprich wie du willst, wenn ich Lysander nur errette.
CARDENIO.

So lebt zu eurer Freud und meiner Qual in treuer Lieb beisammen, ich habe nichts zu fordern mehr sie liebt mich nicht. Er führt beide nach einem sichern Platze. Und Doris hatte mich getäuscht. Verzeih Lysander diese rauhe Probe, sie ward ein Zeugniß für Olympiens Liebe, doch wüßte sie wie durch Verrath du in ihr Zimmer eingedrungen.

OLYMPIE.
Ich weiß es und es war auf mein Geheiß.
LYSANDER.

Du heilige Unschuld klag dich nicht an, ich habe meine Fehler dir bekannt, du hast sie mir verziehen, kein andrer hat danach zu fragen, du Cardenio mußt mir gleich Genugthuung für diesen Frevel geben, womit du mich in sichrer Stunde überrascht.


Er zieht den Degen.
CARDENIO
will sich hineinstürzen, jener wendet ihn.
Auch diesen Trost versaget mir die Welt.
OLYMPIE
knieend.
Ich fleh dich an Lysander, wirf das Schwert von dir.
LYSANDER.
Es sei, nach Mordthat hab ich nie gestrebt, doch meine Ehre.
[229]
CARDENIO.

Verzeih, wo ich beleid'gend war, ich sprach dies Wort zum erstenmal, so magst du es auch schätzen, du siehst ich bin zum Frieden fest entschlossen, ich suche Frieden, mögen jene beiden es betheuern, die aus der Höhle traurig furchtsam zu uns gehn.


Ahasverus und Celinde kommen.
LYSANDER.
Sie sind verständig eben, den Wahnsinn straft kein Mensch.
CARDENIO.
Bin ich vernünftig, thu ich recht?
OLYMPIE.

Doch ach, wer giebt uns jetzt ein still Vertrauen, daß dies kein bloßes Spiel mehr ist, wie jenes an dem Hochzeittage, das mit verzweiflungsvollem Schluß geendet?

CARDENIO.

Noch immer spricht aus dir mein böser Geist, du drehst das Herz mir um, jetzt fühl ich recht daß ich zum heilgen Grabe wandern muß, um deinen Blick aus meiner Brust zu tilgen. Willkommen du Gefährte meiner Reise und du Gefährtin meiner Sünden, jetzt bin ich euch zur Pilgerschaft verbunden.

AHASVERUS.
Seid uns nicht abgeneigt, ihr lebensfrohen Seelen.
CELINDE.
Verzeihet unsre Schuld, ihr Reinen.
OLYMPIE.
Wir sind hier arme Sünder, wie auf Erden alle.
LYSANDER.
Celinde, wie muß ich Sie so ganz entstellt hier wieder sehen, welch Unglück hat Sie überrascht?
[230]
CELINDE.
Mein Unglück! – das Einzige was mir auf Erden noch gehört, ich trag es schweigend.
CARDENIO.

Lysander, noch einmal muß ichs wiederholen, verzeihe mir, dem Tod bist du entgangen den ich dir zugeschworen, zu rächen jene Nacht, wo du mein Glück vernichtet. Doch, als ich harrte so vor deiner Thür, in beiden Augen eine Flamme, in beiden Armen einer Spannung Wuth, dich umzubringen wenn du einsam kehrtest heim, um dann zu deiner Frau ganz heimlich einzuschleichen. –

OLYMPIE.
Ha, welche Greuelthat, nicht Liebe kann so Schreckliches erfinden.
CARDENIO.

Als ich der That so ganz gewiß da harrte, wie der Stein in den tiefsten Brunnen geworfen, nach langer Zeit doch endlich seinen Fall durch einen dumpfen Ton verkündet, erwartete ich zuversichtlich meines Plans Erfüllung zu genießen, da öffnet sich das Thor, da tritt ein Weib hervor, Olympie in allem ähnlich, in Größe, Gang und Sprache, ihr Angesicht verschleiert.

OLYMPIE.

Der Himmel weiß ich war es nicht, ich war mit meinem Bruder bis zu deiner Ankunft mein Lysander, auf dem Balkon; wir hielten uns mit mancherlei Erzählung wach, um dich recht freundlich zu begrüßen.

LYSANDER.
O dir vertrau ich ganz.
CARDENIO.

Und die Gestalt gebot mir Schweigen,[231] mit einer Stimme daß ich dich zu hören glaubte. Ich konnte nicht errathen was dich mir zugeführt. Doch war mir wohl als ich dich faßte. Als du mich manche Straße fortgeführt, ich achtete des Weges nicht, da sagtest du daß meine Liebe dich gerührt, wie ich bei dem Hallorenfeste um deinen Preis so wüthig hätt gestochen – wollt ich Celinden ganz auf immer meiden, der ich an deiner Lieb verzweifelnd mich zugewendet hatte, so wolltest du mit hoher Gunst mir lohnen. Ich schwors mit leichtem Sinn, Celinden zu verlassen.

CELINDE.

Liebt ich noch wie gestern ich dich liebte dies wär mein Todesstoß, und muß ich so schimpflich hier bestehen, und folgte nur der Schönheit ewigem Gesetz.

CARDENIO.

Sei ruhig, dieses ist der Anfang deiner Buße, gehörest du Gott zu, so wird er deine Reue heiligen. – Ich fühlte mich so reich, so ruhig, ich ging mit der verschleierten Gestalt durch unbekannte Gassen weiter, wir sprachen wenig, fast verstummte sie, als wir ein rauhes hüglichtes Feld betraten. Da flehte ich ihr Angesicht zu sehen, mit heißem Kuß was ich gelobet zu besiegeln, ich schwor Celinden immerdar zu meiden. Da wurdens plötzlich zwei Gestalten die mir zu beiden Seiten standen, der Tod und eine schöne Todte, die ganz von blauem Licht durchwallt mit seeligen Augen mich beschaute; ich liebte sie im Augenblicke, [232] wie ich Olympien nie geliebt, sie schien Geliebte mir und Mutter, sie mahnte mich an mein Versprechen und warf als Zeichen, den Ring mir zu daß ihr Erscheinen mehr als Fieberwahn.

OLYMPIE.

Mein wunderbarer Gott, es ist der Ring von meiner Mutter, den sie im Tode von ihrem Finger nicht entlassen, er ist mit ihr begraben in der Kirche unterm hohen Marmorsteine.

CARDENIO.

Sie gab ihn mir und wandelte zur Kirche hin, doch ward sie immer leichter, wenger sichtbar wie der Mond beim Sonnenaufgang drüben an dem Hügel. Ich war schon über alle Schrecken weit hinaus, ich folgte ihr mit Liebe nach, doch an dem Grabmahl wo eine Frau den Stein durchbricht, da schwand sie ein mit einem tiefen Seufzer.

OLYMPIE.
Es ist der Mutter Grab.
CARDENIO.

Ganz traurig sank ich da nieder bis mich Celindens Schrei'n erweckt, die dort ein böses Geisterreich mit kühner Hand und schwachem Muthe aufgeriegelt hatte. O deine Mutter, wenn sie es war sie hat mein Schicksal umgewendet.

OLYMPIE.

O meine Mutter, hörst du meinen Dank daß du aus weiter Ferne uns noch immerdar beschützt, die alles dir im Leben schon verdankten.

CELINDE.
O hätte ich so eine treue Mutter auch zu meinem Schutz gehabt.
[233]
AHASVERUS.
Der Herr des Lebens weiß was du gesündigt und wer an dir sich hat versündigt.
OLYMPIE.
O könnte ich den Unglücklichen Trost verleihen!
CARDENIO.

Schon fühl ich mich erleichtert, seit ich von meinem Herzen alles frei erzählt, seit dieser Ring der Geisterwelt mich bindet.

AHASVERUS.

Ernst ist die Zeit. Ich darf nicht länger weilen, der Stunden Rast ist mir verlaufen ich richte gen Jerusalem den müden Schritt.

LYSANDER.
Du wunderbarer Greis willst sie schon aus einander reißen da sie sich kaum erkannt.
AHASVERUS.

Nicht trennen will ich euch, könnt ihr zusammen glücklich Leben? Seht tief in euch hinein ob innrer Vorwurf es euch gestatte? noch mehr, seht um euch her; Cardenio, Celinde! Der Arm des weltlichen Gerichts schwebt über euch.

CARDENIO.

Ich fürcht ihn nicht, er bringt mich jener heilgen Geisterwelt nur näher, die ihres Schutzes mich gewürdigt hat, – doch eine Sehnsucht treibt mich hin zum heilgen Grabe als sollte ich die vielgeliebte Todte dort einst wiederfinden, dort bin ich nah dem Himmel, hier fühl ich tiefes Weh. – Olympie, Lysander wärt ihr beide mir versöhnt, die Last des Fluchs ist schwer, ich habe einen weiten Weg.


Er kniet nieder.
LYSANDER.

Wer könnte um Gedanken dir zürnen,[234] die nie zur That geworden, die erst dein offenes Gemüth uns kund gethan, nur Eines hast du mir gethan, durch deinen Stolz ward mir Olympie geschenkt, mein Glück ist ganz dein Werk.

OLYMPIE.

Wie könnt ich zürnen, da ich glücklich bin, da meine Mutter dir ein Zeichen gab, so nimm ein anderes von mir und diese Hand, die ich auf deine heiße Stirne lege, o wäre ihr die Segenskraft verliehen, was dich noch quält in Milde aufzulösen.

CARDENIO.

So möcht ich scheiden von der ganzen Welt, – und deine Mutter würde liebe Botschaft lesen, die du auf meine Stirn geschrieben hast, mir wird so frei und heiter!

CELINDE.

Es giebt mir keiner hier ein Zeichen auf den Weg, es stehen alle tief in sich versenkt, doch diese Schmerzen die ich tief im Innern fühle, sie sind ein Zeichen mir daß ich zum Grabe gehe. O sagt Viren, er möge mich vergessen, er werde mich vergessen, wenn er sich ganz geschieden von dem Bösen.

AHASVERUS.

Immer weiter muß ich schreiten, schüttle nie den Staub von meinen Schuhen, muß mit innrer Unruh streiten und kann nimmer nimmer ruhen.

CARDENIO UND CELINDE.
Lebt wohl! Bewahret das Geheimniß unsres Weges.
OLYMPIE UND LYSANDER.
Ach kehret wieder! Wir wollen für euch beten. Kommt glücklicher zurück.

Cardenio, Celinde, Ahasverus ab.
12. Auftritt
[235] Zwölfter Auftritt.
OLYMPIE.

Mir ist so weh ums Herz, ach sähen wir sie wieder, wie ist der Morgenschimmer über uns erloschen, die Tauben flüchten ängstlich in den Thurm.

LYSANDER.

Ermäßige den Schmerz, sieh in die Ferne, da glänzt noch alles froh und hell, sieh dort die Scheidenden, sie kommen unterm Felsen schon hervor und grüßen noch zu uns.

OLYMPIE.

Lebt wohl! – Hier waren sie noch nah, sie wandern immer weiter. Sieh jetzt, wie räthselhaft die Fähre, sich selbst bewegend, wie lebendig quer durch den Strom von unsrer Seite zu jenem Ufer treibt, zum wilden Felseneingang. Der alte Charon nimmt gleichgültig seinen Sold und langsam steigen jetzt die Seelen zu dem Richtstuhl an. Lebt wohl in Kraft und Muth, die Gnade ist unendlich.

LYSANDER.

Du wirst so traurig, liebe Frau, ein jeder Zug um Mund und Augen thut mir weh. Nicht helfen kannst du mehr den Armen, ihr eigenes Geschick reißt sie von uns. Sieh lieber dort, wie hell des Petersberges Klostertrümmer im Sonnenschimmer leuchten; in frommer alter Zeit, da hätten sie schon dort Vergebung ihrer Sünden und ein stilles Klosterleben sich erwerben können. Doch unsre Zeit weiß nichts von der Entsagung Freudenbuße, nichts von der Einsamkeit.

[236]
OLYMPIE.
Sind wir nicht beide eine Einsamkeit zusammen?
LYSANDER.

Mein edles Weib, du fühlst doch stets das Rechte. O wie so klar steht es vor meiner Seele fest, wer sich in dieser Zeit mit Andacht nicht des Ehesegens ganz theilhaftig macht, in treuer Liebe ihn bewahrt, der hat die Zeit versäumt, der hat die Zeit verloren.

OLYMPIE.
Heil allen Glücklichen die sich gefunden, Heil allen Seligen die treu verbunden.
LYSANDER.

Und wenn kein Volk sich selber mehr getreu und wenn das Land im wechselnden Besitze schwanket, die Liebenden sind sich ein Volk und Vaterland und bleiben ihrem Volk und ihrem Vaterland getreu, ich weiß du bleibst mir getreu, mag mich des Vaterlands Geschick in ferne Zonen reißen, die Ferne trennt uns nicht.

OLYMPIE.

Ich folge dir und wär es in den Tod, ich fühls an deiner Brust, wenn jetzt ein grimmer Feind von jenen Ufern herüberstürmte und hätte schon die frohe Stadt voll Reichthum und voll Jugend, voll Wissenschaft und Kunst verödet und du wärst einsam hier auf diesen Fels gestellt, ihn zu vertheid'gen gegen eine Welt, an deiner Seite müßt ich stehen, an deiner Seite untergehen!

13. Auftritt
[237] Dreizehnter Auftritt.
VIREN
tritt in heftiger Bewegung auf, er sieht flüchtig umher und bemerkt weder Olympien noch Lysander.

Nein nirgend, nirgend find ich sie, spurlos wie ein Traum ist sie entschwunden, je länger ich sie suche desto ferner unerreichlicher. Celinde, hat dich die Luft entführt, so fasse ich die Luft und jeder Athemzug ist mir zur Qual. Hat mir der Morgenthau selbst deine Tritte nicht verrathen, was zürne ich auf Menschen daß sie dich nicht verrathen wollen. Ach alles buhlt um deine Gunst.

LYSANDER.
Wen suchest du Viren in dieser frühen Stunde?
VIREN.
Auch ihr so früh schon hier, wie kommts, wen suchet ihr?
LYSANDER.
Die Sonne schien uns in das Bett so früh.
VIREN.

Vielleicht zu früh – ich wollt euch gerne einen guten Morgen bieten – ich bin so ganz erschöpft vom Suchen, Fragen, vom Laufen und Verzagen.

LYSANDER.
Wen suchest du?
VIREN.

Ich schäme mich es dir zu sagen, ich habe stets mein Ansehn gegen dich bewahrt, jetzt steh ich da ein Thor, belachenswerth, des Mitleids unwerth obenein. Die Schwester weiß wen ich meine. Sie [238] ist entflohn – mit ihrer Mutter fort und mit Cardenio, dies ist das Schmerzlichste. Jetzt fühl ich erst daß ich sie nicht lassen kann.

OLYMPIE.
Du denkest noch daran sie zu besitzen!
LYSANDER.

Ich rathe wen du suchst; du wolltest mit Gewalt von ihm verlangen, was dir die Liebe hat versagt, da hast du schweren Kampf.

VIREN.

Wer wollte nie Unmögliches? Ich suche sie und wünsche doch sie nicht zu finden; ich weiß wie er mir überlegen ist – daß ich ihr schönes Aug der Blindheit müßt anklagen, wenn sie mich vorgezogen hätte.

OLYMPIE.
Armer Bruder; es giebt ja noch der Mädchen mehr, kann deiner Schwester Liebe dir Trost verleihen?
VIREN.

Du meinst es gut Olympie, aber du bleibst nicht hier, dann bin ich verlassen, hier bin ich allen andern Weibern gram.

OLYMPIE.
Ja freilich trennt mich bald der Krieg der Welt von diesem schönen Boden unsrer Jugend.
VIREN.

Ich weiß mich seiner nicht zu rühmen, in eitler Arbeit, Wettstreit, Sorge, in wilder Lust hat er die schönsten Jahre mir aufgezehrt wie ein schleichend Fieber; die fernste Fremde war mir lieber als diese Heimath, die ach das Einzige verloren, was mir in ihr noch reizend schien.

LYSANDER.

So komm mit uns, es soll dir bei [239] dem Regimente an lustigen Gesellen nimmer fehlen, wenn sie auch nicht von der gelehrten Zeitung wissen.

VIREN.

O führ mich hin wo niemand lesen kann, daß ich da sehen lerne. Die Bücher ekeln mich wie eine Speise, von der ich viel zu viel genossen, nur in der freien Luft will ich leben. Ihr beide seid so gut – ich stör mit meinem Kummer eure heitre Liebe.

OLYMPIE.
Es wär nicht Liebe wenn sie sich stören ließe.
VIREN.

Wenn ihr es mit mir wagen wollt, wohlan ich übergebe mich euch gänzlich. Du Schwester erziehe mich, denn du hast keine Schuld, du Schwager warest auch nicht ohne Fehler, du sei mein Vormund wenn sie zu viel von mir verlangt, sag ihr was die Gewohnheit thut im Bösen und wie die Sehnsucht uns beschleicht.

LYSANDER.
Ein Wort ein Mann – ich schaffe dir bei meinem Regimente eine Stelle.
VIREN.
Da hast du meine Hand, es wird schon werden.
OLYMPIE.

Dich soll der Handschlag noch nicht binden, nur uns verpflichtet er dir beizustehn in trüber Zeit; wie thut es mir so wohl dem hochgelehrten Bruder zu dem ich staunend einst hinaufgeblickt auch etwas sein zu können.

14. Auftritt
[240] Vierterzehnter Auftritt.
PAMPHILIO
tritt eilig auf.

Viren, Lysander, habt ihr Cardenio nicht gesehn? Verzeihet meine Hast mit der ich das Gespräch durchschnitten, sein Lebensfaden ist dadurch vom Durchschnitt zu erretten, womit ihm die Justiz jetzt droht.

LYSANDER.
Wir dürfen seinen Weg dir nicht verrathen, er hats uns streng verboten.
PAMPHILIO.

Wenn ers verboten hat, da fürcht ich auch nicht mehr für ihn; so bald er furchtsam wird ist er auch gescheidt wie andre Leute. Ein Sohn vom alten Nathan hat ihn heut verrathen, daß er am Felsen hier gesehen worden, er droht ihm wegen seines Wechsels mit Arrest, ei seht da kommen schon die Diener des Gerichts.


Häscher, Gerichtsdiener, zum Theil mit Kürassen gepanzert treten durch den Thurm langsam auf.
EIN HÄSCHER.
Ihr seht doch nichts, er ist nicht hier.
EIN ANDRER.
Er könnte in der Höhle sein.
EIN DRITTER.
Geh du voran, es ist da dunkel.
DER ANDRE.

Laß immer sein, wie bringen wir ihn durch, wenn wir ihn fangen, die Herren Studenten schwören ja uns Arm und Beine zu zerschlagen, wenn wir ihn schleppen, auch könnte er geladne Gewehre bei sich führen.

[241]
DER ANDRE.
Geladene Gewehre; das wär infam.
NATHANAEL
im Thurme.
Ihr Leutchen sucht nur recht und bindet ihn recht fest, daß er nicht um sich schlägt.
DER ANDRE.
Er hat geladene Gewehre, die richtet er gerade auf den Thurm.
NATHANAEL.
Laß ihn los, mit geladenen Gewehren ist kein Spaßen.
VIELE.
Nun wenn sie es nicht wollen, unsertwegen mag er laufen.
NATHANAEL.
Um Gottes Willen lauft mir nicht davon, ich höre viel Studenten.
EINER.

Ihr Leute kommt nur in den Thurm zum Juden, der soll uns noch aufwichsen, da können wir uns auch verstecken, bis die Studenten all vorbei gezogen.


Sie gehen alle nach dem Thurme ab.
PAMPHILIO.

Da ziehn die Kerls alle ab, ganz wie ein lächerlicher Sturm, der erst ein Schiff im Meere zu versenken droht und sich begnügt den Huth dem Schiffer abzunehmen. Das sind die schlimmsten Leute nicht, es kommen andere Gefahren, Soldaten die in Friedenszeiten nichts besseres zu thun verstehen, als Reisende recht gründlich auszufragen. Ich glaub, ich hab in einem Tag mehr Angst gehabt für den Cardenio, als er für sich in seinem ganzen Leben.

[242]
LYSANDER.

Jetzt kannst du ruhig sein, schon hat er dieses Landes Grenze überschritten und eh ihn dort die Mahnung der Gerichte noch kann finden, ist er schon weiter und zu Ländern hingedrungen, die aller Flüchtgen Freistadt sind.

PAMPHILIO.

Wohl ihm er ist nun frei, ich sehe ihn nicht wieder, er denket meiner wohl nicht mehr und ich muß seiner denken immerdar, mit wem soll ich auf weiter Welt nun leben! Er geht ab.

VIREN.

Wie alle an den einzigen Cardenio so glauben, was ist es denn, was sie an ihn gebannt? Warum ist dieser Einzige mit allem ausgestattet, was Freundschaft, Liebe, Kunst und Wissenschaft uns geben kann?

OLYMPIE.
Und er durft wagen alles zu verschmähen, alles aufzugeben um seiner Seele Heil.
VIREN.

Warum bleibt mir von allem Herrlichen das Letzte nur, das Mitleid derer denen ich durchs Blut verbunden.

LYSANDER.
Wie du doch alles aufnimmst.
VIREN.

Ja, daß ich eure Liebe so aufnehmen muß, das lieget auch in mir, in der zerdrückten und gescheiterten Natur.

OLYMPIE.

Mein Bruder, ganz gewiß thut der die schwerste Sünde, der sich verkennt, noch bleibt dir Jugend, sie kann die kalten Tage leicht in Frühlingsschein umwandeln.

[243]
VIREN.
Wie weit von mir liegt meine Jugend, ich hatte keine Jugend.
OLYMPIE.

Du wagst mit uns zu gehen, ein neues Leben zu beginnen, das ist Jugendmuth der sich dem falschen Weg entreißen kann und sich dem neuen Zufall anvertrauen mag.

VIREN.

Du sprichst mir tröstlich zu Olympie, doch du trauest mir zu viel; erst wenn die neuen Triebe kommen, da wird sichs zeigen wie viel der Zweige schon erstorben sind.

OLYMPIE.

Nun denn, so nehm ich dich in meinen Arm wie einen Todten, der sich nicht wehren kann, was auch die Lebenden mit ihm beginnen. Doch drücke ich dir nicht die Augen zu, ich öffne dir die Augen, ich heb dein Haupt empor, sieh rings die weite Welt und fühl in diesem Kuß, daß dir ein Schwester Herz so nah. Du wirst schon wach, so schaue unter dir den Strom im rothen Morgenglanz, vorher da starrtest du und grubst mit deinem Stabe in der schwarzen Erde. Sieh jetzt des Stromes fröhliche Bewegung, da schwimmet eine Schaar Studenten auf leichten Kähnen schnell daher, den Schwänen nach die drohend ihre Jungen schützen, am Himmel singen tausend Lerchen, als strömten sie aus hohem Sonnenthor die Sonne scheinet früher aufgewacht die rasche Jugend spiegelnd zu begrüßen, der Jugend stahlt sie ahnend durch die Nacht, blick wieder hoffend zu der [244] Sonne, meiner Jugend Mitgenosse und Gefährte, mein bester Freund, mein liebster Bruder.

CHOR DER STUDENTEN
in den Kähnen, die ungesehen singend vorbeifahren.
Taucht der Strom in Morgenglut
Wächst im frischen Herzen Muth.
EINER.
Jaget nach den lichten Schwänen,
Die so stolz die Flügel schwellen,
Jaget vor den hohen Wellen,
Daß sie schäumen an den Kähnen,
Kochend übern schmalen Rand.
CHOR.
Ruder brennen in der Hand,
Jagt die Wellen übers Land.
EINER.
Wie ein Roß voll Lust zum Streite,
Seine Adern sich aufbeißet,
Gleiche Lust mich rastlos reißet,
Zu der ungemeßnen Weite
Übers eng verschloßne Wehr.
CHOR.
Übers Wehr reißt uns die Ehr,
Übers Wehr ins goldne Meer.
EINER.
Wo kein Schiffer wagt zu fahren,
Durch des Wasserfalles Wolke
Ziehe ich mit jungem Volke,
Und wir spotten der Gefahren,
Unsre Lust ist dieser Streit.
[245]
CHOR.
Muth gewinnt sich neue Zeit,
Bald wird uns die Welt so weit.
EINER.
Froh hinüber durch Gefahren
Zu dem ewig grünen Lande
Ruhen wir im kühlen Sande
Froher Sang der Vögel-Schaaren,
Füllt das Herz mit süßem Drang.
CHOR.
Mit der Vögel Zaubersang
Uns die Liebe sanft umschlang.
EINER.
Auf, ihr holden Nachtigallen,
Alle Sinne mir durchdringet,
Meine Worte lieblich zwinget,
Zu der Liebe Wohlgefallen,
Liebe füllet meine Brust.
CHOR.
Taucht der Strom in Morgenlust,
Schlägt das Herz in junger Brust.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2011). Arnim, Ludwig Achim von. Dramen. Halle und Jerusalem. Halle. Halle. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-102D-F