Erster Band

[1][1]
[3]

[Widmung]

Meiner

geliebten Schwester

Amalia v. Stein

geborne v. Seebach

freundlich gewidmet.


[3][5]

Du hast, liebe Amalie, schon in früher Jugend so nachsichtsvoll mich und die bunten Seifenblasen ertragen, mit denen meine Fantasie zu spielen pflegte, und als uns das Schicksal im Lenz unserer Jahre trennte, und fern von Dir mir meinen Wohnplatz im Norden anwies, bist Du mir theilnehmend im Geiste gefolgt zur neuen Heimath, und hast mich fortgeliebt in den Erinnerungen der Vergangenheit, so wie in den Schöpfungen, durch die ich meine einsamen Stunden zu beleben suchte. Es hat Dich gefreut, wenn Du in Taschenbüchern und Zeitschriften den Namen, oder wenigstens die Arbeiten Deiner Schwester fandest, und so mittelmäßig sie auch vielleicht waren, schien es Deiner herzlichen Partheilichkeit für mich doch eine Gunst des Glücks zu seyn, daß ich – um mit Tasso zu reden – sagen und singen konnte, was ich dachte, und wie mir's um's Herz war.

[5] Dies schwesterliche Wohlwollen, nicht nur gegen mich, sondern auch gegen die schwachen Versuche meiner Feder, macht mich so kühn, diese Erzählungen, von welchen Du mehrere schon einzeln kennst, Dir jetzt gesammelt zu widmen. Nimm sie so freundlich auf, wie Du sonst so manchen Blumenstrauß von meiner Hand empfingst, den ich anspruchslos Dir pflückte, und laß den weiten Raum der zwischen uns liegt, nicht unsere Gemüther trennen, die in der Ehrfurcht für die Gräber, welche uns gemeinschaftlich heilig sind, ein neues, wiewohl sehr dunkles Band umschlingt, stark genug uns wechselseitig für's ganze Leben an einander zu knüpfen.


Im Februar 1821.


Charlotte v. A. geb. v. S. [6]

[1] Der Schiffer und seine Braut

Am Ufer der Ostsee grünt ein heimliches Plätzchen, am Abhang eines Hügels, der die wogenden Fluthen überschaut. Eine schlanke Buche webt ihren Schatten wie einen dunklen Schleier über zwei große, bemooßte Felsenstücke, die mir schon oft eine freundliche Ruhestätte gewährten. Manchen Abend sah ich gedankenvoll hier verbleichen – vor mir das Meer, mit seinen bald leise, bald rauschend bewegten Wellen – links die Stadt, deren Glockengeläute schwermüthig auf den Fittigen der Lüfte zu mir herüber dringt – rechts ein Dorf, das mit seinen rothen Ziegeldächern hell aus dem grünen Gebüsch hervorschimmert, das wie ein weiter Kranz es umfaßt. Da gehen mir die Bilder der Vergangenheit in stiller Wehmuth vorüber, und die Thräne, die sie fodern, fließt mild; denn die Aussicht, in der mein Auge schwelgt, öffnet nicht bloß dem Blick, sondern auch dem Gemüth eine unermeßliche Weite, in der [1] des Kummers Riesengestalt zu einem flüchtigen Schatten zusammen sinkt. An der nimmer stockenden Regung des Meeres stärkt sich mein Glaube an das Unendliche, Unvergängliche, Ewige, das – wenn wir es als Zweck unserer Bestimmung ahnen – uns tröstend aus der Tiefe der Muthlosigkeit erhebt, indem es unser eigenes Ich, mit all den Lasten die es beugen, nur wie ein unbedeutendes Sandkorn des Ufers erscheinen läßt.

So saß ich auch einst in ernste Träume versunken, und glaubte mich allein, als eine leise Bewegung dicht hinter mir mich zum Umsehen bewog. Ich erblickte ein junges, dürftig gekleidetes Mädchen, mit einem interessanten, aber bleichen Gesicht, das sich in geringer Entfernung von mir nieder gesetzt hatte, und mit dem Ausdruck einer stillen, ruhigen Trauer hinaus auf die Wasserfläche schaute, die sich flüsternd vor uns ausdehnte. Zu ihren Füssen stand ein Krug mit Milch, und ein Korb mit Gartenkräutern – allein nicht die Schwere ihrer Bürde, nicht die Ermüdung eines vielleicht weiten Weges schien sie zum Ausruhen bewogen zu haben. Es war, als hielte eine schmerzliche Erinnerung sie an dieses Plätzchen gefesselt – als hefte Furcht und Hoffnung ihr Auge so unbeweglich an die blaue Ferne des Meeres, und als habe die Welt ihrer Träume sie der irdischen entrückt.

Ich betrachtete sie mit immer steigendem Antheil. Denn sie war nicht schön, aber der Gram, der in ihren Zügen mit der Fülle blühender Jugend kämpfte, die Sehnsucht, die Geduld, die stille Ergebung, [2]die ich in ihren Blicken wahrnahm, weckten mein innigstes Mitleid mit dem ungekannten Schicksal, das ihr in dem Alter der Hoffnung nur den Wermuthskelch des Schmerzes zu reichen schien.

Ein leichtes Geräusch, das ich veranlaßte, machte, daß sie mich bemerkte. Sie schien überrascht durch meine Nähe, doch erwiederte sie meinen freundlichen Gruß, und kehrte, indem sie sich schnell faßte, ihr Auge der Aussicht wieder zu, an der es so voll Inbrunst hing. Ich redete sie an. Die Schönheit des stillen Abends und das frische Grün der Kräuter in ihrem Korbe, leitete bald ein Gespräch ein, das sie mit bescheidener Freimüthigkeit fortsetzte. Sie sagte mir, daß sie in der Stadt diene, und von ihrer Herrschaft oft in das benachbarte Dorf geschickt werde, um Milch und Gemüße zu holen.

Und jedesmahl, wenn ich an dieser Stelle vorüber gehe, fuhr sie fort, ist mir, als wenn es in mir spräche: setz dich nieder. Ich schaue dann das Wasser an, vor dem ich doch einen so großen Widerwillen habe, und mache meine Betrachtungen darüber, so daß ich oft die Zeit vergesse, und von meiner Herrschaft ausgescholten werde, wenn ich so spät nach Hause komme.

Und was sind das für Betrachtungen, meine Liebe? fragte ich.

Ja, antwortete sie, mit dem zutraulichen Lächeln der Unschuld auf ihren Lippen, es ist wohl vermessen, wenn ein Mädchen, wie ich, an den Einrichtungen des lieben Gottes etwas tadelt. Aber ich denke oft, warum hat er nur das Meer erschaffen, das so virles [3] verschlingt, und so manchen in die Fremde winkt, aus der er nimmer wiederkehrt? Wenn diese ungeheuere Strecke fester Boden wäre – o wie mancher, der sich jetzt arm und unstät in der Welt herum treibt, könnte darauf eine Heimath finden, die ihn ernährte.

Das ist wohl wahr, versetzte ich, aber auch auf dem Meere findet mancher seine Heimath, wenn gleich unter stürmenden Gefahren. Diese Schiffe, die mit weißen Segeln dahin schweben, gleich stolzen Schwänen, als hätten sie Flügel – sie sind die Brücke, die uns mit fernen Welttheilen verbindet, und die kühnen Menschen, welche sie führen, bringen mit Leichtigkeit die Schätze aller Länder zu uns herüber, und ihr muthiges Beginnen giebt ihnen wie dem Landmann, Brod und sichern Erwerb.

Das Mädchen seufzte, und ihr Auge wurde naß. Ach – möchten alle Länder meinetwegen ihre Schätze behalten, sagte sie. Und wenn sie mir auch vom Glück beschert wären – ich möchte sie nicht. Wenn nur mein Schatz wieder käme. Den hat auch die falsche See von mir weg gelockt, und wer weiß, ob sie mir ihn wieder giebt. –

In ihrem Ton drückte sich eine Wehmuth aus, die das Innerste meines Herzens ergriff. Wer ist dein Schatz? fragte ich mit Theilnahme. Erzähle mir von ihm, mein Kind! Kann ich dir auch nicht helfen, so erleichtert es doch oft das beklommene Gemüth, wenn es dem Gram, der es stumm zu Boden beugen würde, Worte leiht, die in lindernden Klagen seine Tiefe aussprechen.

[4] Sie lächelte unter den herabrollenden Thränen, als wolle sie mir danken. Heinrich heißt mein Bräutigam, sagte sie. Wir waren Nachbarskinder, und hatten uns lieb seit unserer ersten Kindheit. Seine Eltern starben sehr bald, und hinterließen nichts. Er müßte also als Schiffsjunge schon früh sein bischen Brod verdienen, und als er älter wurde, ging er als Matrose zur See.

Anfangs sah ich wohl besorgt, aber nicht betrübt ihn von dannen ziehen. Ich dachte: was thuts? – er geht seinem Beruf nach. Aber jedesmahl, wenn er wieder kam, wurde er mir lieber, und mit jeder neuen Reise verdoppelte sich meine Angst um ihn, und meine Sehnsucht, ihn wieder zu sehn. Oft zitterte ich seinetwegen, wenn der Sturm tobte, und er unterweges war – aber immer kam er glücklich heim, und dann hatte ich alle Bangigkeit vergessen, oder ich verbarg sie wenigstens vor ihm, denn er lachte mich über meine Sorgen aus, lobte mir sein wildes Leben, und segelte keck wieder fort, ich mochte ihn bitten, so viel ich wollte.

Meine Mutter ist Wittwe, und hat dort im Dorfe ein kleines Haus. Wir lebten fromm und fleißig, wiewohl oft betrübt, denn es kam ein Unglück nach dem andern über uns, das uns schwer zu tragen fiel. Erst starb unsere Kuh, die uns ernähren half, und wir hatten nicht so viel, um eine andere zu kaufen. Doch gute Nachbaren standen uns bei, so viel sie konnten – wir litten dennoch keinen Mangel.

Dieser Unfall hätte sich also verschmerzen lassen,[5] aber nun wurde meine Mutter blind. Die flinke, rasche Frau konnte nichts mehr thun – ja sie konnte nicht einmahl mehr ungeführt von einer Stelle des Hauses zur andern gehen. Meiner Schwester und mir wurde es nun sehr schwer, sie zu ernähren, doch verzagten wir nicht. Ich baute meine Hoffnung fest auf Gott und Heinrich. Die, dacht' ich, werden dir schon helfen! Heinrich war mit seinem Schiffe auf dem mittelländischen Meere. Ungeduldig harrt' ich auf seine Wiederkunft. Er kam – Allen Erwerb seiner Reise, den sauern Lohn Jahrelanger Mühe und Gefahr gab mir das treue Herz, um damit meiner armen Mutter zu pflegen.

Nun geh ich nur noch ein einziges mahl zur See, sagte er, vergnügt über die Freude, mit der ich ihn bewillkommte, und dann will ich auf dem Lande mein Heil versuchen. Wir wollen dann bei deiner Mutter wohnen, und froh wie die Engel im Himmel leben. Ich arbeite im Tagelohn, bis ich mir ein kleines Grundstück kaufen kann. Wir sind beide jung, rasch und fleißig – wer weiß, wir können wohl am Ende noch einmahl reich werden. Und sind wir auch Zeitlebens zur Armuth bestimmt, so soll uns das doch wenig kümmern. Zufriedenheit und ein reines Gewissen sind die schönsten Güter auf Erden – mit ihnen ist man glücklich, auch bei trocknem Brod, in einer baufälligen Hütte.

Wie mir zu Muthe ward, als er das sagte, kann ich nicht beschreiben. Gern wäre ich ihm um den Hals gefallen, und hätte gesagt: führe jezt schon diesen Plan aus, Heinrich, und vertrau dich nicht [6] wieder dem wilden Wasser – aber ich schämte mich, und wollte beherzt scheinen, wie er. Ach! hätte ich ihn doch mit tausend Thränen gebeten, bei mir zu bleiben! Vielleicht hätte er meinem Verlangen nachgegeben, und ich brauchte nun nicht da zu sitzen, und dem Kummer nachzuhängen, der mir noch das Herz brechen wird.

Der reiche Kaufmann Wandel – Sie werden wohl von ihm gehört haben – hatte damahls wieder ein neues Schiff erbauen lassen. Als es vom Stapel laufen sollte, stand ich mit Heinrich dicht darneben, und wie nun der ungeheuere Kasten anfing, sich zu bewegen, und dann schnell wie der Blitz von seinem Gerüst herab ins Wasser rauschte, das sich weit aufthat, es zu empfangen, und rings umher der Schaum sprüzte – da warf Heinrich jauchzend seinen Huth in die Höhe, und rief: es geht doch nichts über die Schifffahrt! –

Mir aber wurde das Herz schwer – ich hätte fast weinen mögen, so trübselige Gedanken kamen mir in den Sinn. Ach Heinrich, sagt' ich, juble nicht so, wer weiß, was noch aus dem Schiffe wird, vielleicht bringt es manchen ins Unglück, der sich ihm anvertraut. – Possen! versetzte er lachend, zu Glück und Ehren wird es manchen bringen, aber nicht ins Unglück. Ich wollte nur, das ich mit segeln dürfte, wenn es ausgerüstet wird. – Ich schwieg still, aber es that mir in der Seele leid, daß er das wünschte, denn mir war so wunderbar beklommen, als sähe ich es vor meinen Augen scheitern, und im Sturm versinken.

[7] Als es nun fertig war, wurde es der Gewinn genannt, und nach Indien bestimmt. Lauter ausgesuchte Leute wählte Herr Wandel, um es zu bemannen. Auch mein Heinrich, dessen ehrliches, freundliches Gesicht jedermann gefiel, wurde ihm empfolen, und er ließ ihm unter vortheilhaften Bedingungen antragen, die Reise mit zu machen.

Als er zu mir kam, und sagte, er sey entschlossen, es zu thun, überfiel mich ein Zittern am ganzen Körper, und es schwindelte mir vor den Augen. Er dachte, ich wäre krank, und bemühte sich so liebevoll, mir beizustehen, daß ich mich vor Rührung des Weinens nicht erwehren konnte. Was hast du denn? fragte er mich mit Thränen im Auge. – Ach Heinrich! schluchzte ich, mir ist so bang um dich, wenn du nun wiederum von mir weg gehst!

Sey doch kein Kind, Margaretha! sagte er ernsthaft. Ich gehe ja nur von dir, um den Anfang unserer Einrichtung zu gewinnen. Können wir mit leeren Händen unsere Wirthschaft anfangen? Sieh, wie kümmerlich sich deine gute Mutter behelfen muß. Da sitzt sie, und weiß nicht, ob es Tag oder Nacht ist, wenn wir es ihr nicht sagen. Die liebe Sonne dünkt ihr beschwerlich, denn sie fühlt nur, wie sie sengt, und sieht das helle Licht nicht, das sie ausströmt – dicke Finsterniß ist es rings um sie her. – Und dabei fehlt ihr so manches, was ihren Zustand versüßen könnte. Sollte ich nicht mein Leben getrost noch einmal wagen, umihres ein wenig sorgenfreier zu machen? Und glaubst du, daß Gott nicht mit mir seyn wird, wenn ich in so frommen Absichten gehe?

[8] Ja, geh! rief ich, und weinte nicht mehr. Sein Segen wird dich begleiten, und auf uns ruhen, wenn du wiederkehrst, um dann immer bei mir zu bleiben! – Eine wunderbare Freudigkeit war in mich gekommen, und eine Hoffnung, wie ich sie nie so stark und kräftig in meiner Brust gefunden hatte. – Bald darauf ging die Reise wirklich vor sich. Ich ertrug den Abschied mit Fassung. Hier an dieser Buche umarmte ich ihn zum letzten mahl – hier blieb ich sitzen, als er in einem kleinen Boot mit noch zwei anderen Gefährten von mir weg dem großen Schiffe zu ruderte. Ich hörte von weiten das dumpfe Geräusch, wie sie die Anker lichteten – sah dann, wie der Wind die Segel ausblies, und wie es immer weiter fortrückte – – und als mir in der Dämmerung der letzte Schimmer verschwand, dacht' ich erst mit Schrecken an meine arme Mutter, die allein zu Hause war, und wartete, daß ich ihr das Abendessen reichen würde.

Ich kam wie im Traum nach Hause, verrichtete meine Geschäfte, und weinte mich herzlich dabei aus. Es war mir lieb, daß meine Schwester auf ein paar Tage in ein anderes Dorf gegangen war, und daß niemand sah, wie betrübt ich war. Mit der Mutter sprach ich freundlich, doch merkte sie wohl den Jammer, den ich bezwingen wollte, und redete mir zu, bis ich mich endlich beruhigte.

Wir lebten eine Weile still und traurig fort – da fiel meine Mutter in eine schwere Krankheit. Wir konnten nichts mehr verdienen, denn sie brauchte Tag und Nacht Wartung und Pflege. Alles was [9] von unsern Sachen nur einigermaßen etwas werth war, mußten wir verkaufen, um ihr nur die nöthigen Arzeneien zu verschaffen. Das war eine traurige Zeit! Ich weiß nicht, wie ich sie würde ertragen haben, hätte mich nicht der Gedanke an Heinrich unterstützt, wenn ich fast vergehen wollte in meinem Kummer. Als sie wieder genesen war, hielt sie es für das Beste, wenn Eine von uns in Dienste ginge. Wir wollten ungern von ihr weg, aber als ich einsah, daß es unsere Noth erleichtern würde, entschloß ich mich dazu, und vermiethete mich dort in der Stadt, wo ich nun schon über ein Jahr diene.

Vergebens hoffte ich indessen auf Nachricht von Heinrich, oder auf seine Wiederkunft. Als er nun funfzehn Monate weg war, konnte ichs nicht länger aushalten. Ich zog an einem Sonntage meine besten Sachen an, ging in die Kirche, und betete recht aus vollem Herzen zu Gott. Hernach fühlte ich mich muthig – jede Bangigkeit schwand – – nur allein die Angst um Heinrich konnte ich nicht überwinden.

Nach der Kirche ging ich dreist zum Kaufmann Wandel. Ich hatte es noch nie über mich gewinnen können, bey ihm nachzufragen, weil er mir als ein rauher, harter Mann geschildert war. Ich ließ fragen, ob ich vorkommen dürfe, und endlich erlaubte er es. Er saß in einem prächtigen Saale auf einem Lehnstuhl und frühstückte. Neben ihm saß seine verheirathete Tochter, die Madame Goldenstein, und stickte. Mir wurde ganz heiß und beklommen, als er mich so mürrisch ansah, aber endlich faßte ich mir ein Herz, und fragte nach Heinrich. Lieber Gott! [10] er wußte gar nicht mehr wer das war. Als ich ihm nun erzählte, daß er ja auf seinem Schiffe, der Gewinn, mit nach Indien gesegelt sey, wurde sein Gesicht noch viel verdrießlicher, als vorher, so daß ich recht erschrack. Du kommst mir eben recht, du Närrin, sagte er, mich an den Schaden zu erinnern, den ich wahrscheinlich gelitten habe. Es muß verunglückt seyn, denn sonst wäre es wieder zurück, oder ich hätte doch Nachricht davon. Wollte der Himmel, ich hätte das schwere Geld wieder, das es mich kostet, so möchte dein Liebhaber meinetwegen zum Henker seyn. – Ich entsetzte mich vor dieser lieblosen Rede – – Thränen kamen mir in die Augen – ich konnte kein Wort mehr hervorbringen.

Ja, Julchen! sagte er zu seiner Tochter, das wäre ein großer Schaden für mich, wenn das Schiff untergegangen wäre. Hernach könnte nichts aus der Badereise werden, die ich dir versprochen habe.

O Papa, das wäre unbillig, antwortete sie. Was geht mich denn ihr Schiff an? Ich bin ja nicht Schuld, wenn es verlohren ist; warum sollte ich denn also darunter leiden? Und voriges Jahr verloren Sie ja auch durch den großen Bankerott in Hamburg sechs tausend Thaler, und ließen mich doch reisen.

Ein solches Schiff baue ich auch mit sechs tausend Thaler nicht wieder, sagte er, und wenn alle Jahre so ein Verlust kömmt – das kann einen auf die Hefen bringen, und zur Sparsamkeit nöthigen.

Die Madame Goldenstein machte ein so böses Gesicht, daß mir ganz Angst und bange wurde. Ich [11] blieb an der Thüre stehen, und wußte nicht, ob ich gehen, oder warten sollte. Es kam jemand und rief den Alten ab – er ging an mir vorüber, ohne etwas weiter zu sagen – ach, er hatte keinen Begriff davon, mit wie viel Trübsal im Herzen ich da stand! Als er fort war, dachte ich, seine Tochter wird wohl eher des Mitleids fähig seyn. Sie ist eine Frau, und vielleicht weiß sie aus Erfahrung, wie weh es thut, von dem getrennt zu seyn, den man lieb hat.

Ich wandte mich also zu ihr, und bat, sie möge mir es doch wissen lassen, wenn irgend eine Nachricht von dem Schiffe käme, auf dem meine einzige Hoffnung beruhe. Setzen Sie sich an meine Stelle, sagt' ich zu ihr, wie betrübt wäre Ihnen wohl zu Muthe, wenn Sie um Ihren Mann in einer solchen Ungewißheit zittern müßten, und die schreckliche Möglichkeit vor Augen sähen, daß er in dem tiefen Wasser sein Grab gefunden hätte? –

Sie stand zornig auf, und warf die Arbeit bei Seite. Nun, damit würde mir eben kein Possen geschehn, fuhr sie mich an. Jetzt lasse Sie mich zufrieden. Ich weiß nichts von dem Schiffe, und habe mehr zu thun, als mich um Matrosenliebschaften zu bekümmern! – Damit rauschte sie zur Thür hinaus, und schlug sie heftig hinter sich zu.

Ich war wie versteinert von so vieler Härte und Unempfindlichkeit. Wenn alle reiche Frauen so denken, so lobe ich mir auch im Unglück meine Armuth, sprach ich bei mir selbst. Was hilft alles Geld und Gut bei einem so harten und feindlichen Herzen? –

[12] Ich ging. Auf der Treppe begegnete mir der junge Herr Wandel, und hielt mich auf, als ich hinab steigen wollte. Wen suchst du mein Kind? fragte er freundlich. Willst du vielleicht mit mir sprechen, so komm in mein Zimmer, da kann ich dich besser anhören, wie hier. Ich sagte, ich hätte ein Anliegen an seinen Herrn Vater gehabt; aber er zog mich mit sich fort, und da er so liebreich aussah, ging ich auch gern mit ihm, und dachte; der ist viel besser als Vater und Schwester!

Als ich in seine Stube trat, ward mir ganz wunderlich zu Muthe. Vor den Fenstern hingen rothseidene Gardinen, und die Sonne strahlte so feurig durch, daß Alles schimmerte, wie vom Abendroth beschienen. Nackende Menschen von Stein ausgehauen, standen rings umher an den Wänden, und wo ich auch die Augen hinrichtete, sah ich nichts als sie, denn sogar aus den großen Spiegeln, in denen ich mich selbst vom Kopf bis zu den Füßen erblickte, schauten sie mit ihren starren, stieren Augen auf mich.

Er liebkosete mich, und sagte: kleines Närrchen! dir stehen ja Thränen in den Augen. Wahrscheinlich hast du Hülfe und Unterstützung bei meinem Vater gesucht; aber da bist du unrecht angekommen, denn Freigebigkeit ist seine Tugend nicht. Er hat ein hartes Herz – meines ist viel weicher, denn ich könnte um keinen Preis ein so liebes Mädchen weinen sehen. – Dabei zog er mich zu sich, und wollte mich küssen.

Das war mir nun doch beinahe zu viel, indessen[13] dacht' ich noch nichts Arges, und antwortete blos: es sey nicht meine Absicht gewesen, mir etwas zu erbitten, denn die Arbeit meiner Hände ernähre mich auf eine redliche Weise. Ich hätte nur Nachricht einziehen wollen von meinem Bräutigam, der nun schon über Jahr und Tag auf einem Schiffe seines Vaters nach Indien gereiset sey, ohne etwas von sich hören zu lassen, weshalb ich natürlicher Weise sehr bekümmert wäre.

Er schien bewegt, und sah mich mitleidig an. Das mußt du dir nicht zu Herzen nehmen, mein liebes Kind! sprach er. Solche Bursche machen es nicht anders; bey ihnen heißt es: aus den Augen, aus dem Sinn. Schon mancher, der zu Hause ein treues Liebchen hatte, suchte sich in der Fremde ein anderes, und war lustig und guter Dinge, ohne zu bedenken, wie viele Thränen seinetwegen daheim vergossen wurden. Das Klügste, was ein Mädchen in einer solchen Lage thun kann, ist: Gleiches mit Gleichem zu vergelten.

Ich wurde böse, daß er so schlecht von Heinrich dachte, und sagte: daß Sie so reden mag Ihnen Gott vergeben. Sie kennen Heinrich nicht – sonst würden nicht so schnöde Worte über Ihre Zunge kommen.

Was ist es denn nun mehr? antwortete er immer dreister. Wir sind ja nicht deswegen auf der Welt, daß wir uns grämen sollen, sondern um froh zu seyn, und das Leben zu genießen. Hat dein Liebster sich an eine Schwarze gehängt, oder haben ihn die Fische gefressen – – ei nun, so such dir einen andern. Ich selbst, liebe Kleine, bin gar nicht abgeneigt, [14] dir seine Stelle zu ersetzen. Du sollst Geld und schöne Kleider haben, wie sie dir dein Heinrich nimmer schaffen könnte, wenn du nur zum Lohn dafür ein wenig freundlich gegen mich seyn willst.

Jetzt fiel's wie ein Flor von meinen Augen, und seine schwarzen Absichten wurden mir klar. Ich stieß ihn von mir mit all' der Kraft, die mir der Zorn gab. Ungeheuer! schrie ich, und wenn du noch zehnmal reicher – und wenn du der König selbst wärest, so solltest du doch so nicht zu mir sprechen.

Ich riß mich los von ihm, und wollte hinaus, er stellte sich aber vor die Thür, und suchte mich zu besänftigen. Doch ich hörte nicht mehr auf ihn, stieß ihn auf die Seite, und eilte wie ein gejagtes Reh hinunter.

Mein Gesicht glühte, das Herz schlug mir gewaltig – nie in meinem ganzen Leben war ich so in Wuth gerathen, wie damals. Auf der Hausflur stand eines von den Dienstmädchen, die mich so höhnisch und verächtlich ansah, daß es mir auffiel. Nun, Junfer, sagte sie, wie hat es Ihr bei dem jungen Herrn gefallen? Ihr Bräutigam würde sich nicht freuen, wenn er das wüßte, denn so ein Besuch schickt sich eben nicht sonderlich für ein ehrbares Mädchen.

Diese Worte schnitten mir tief in die Seele. Ich weinte heftig, denn daß man etwas Uebles von mir denken könne, fiel mir nun erst ein, und mein guter Name war ja nächst Heinrich mein höchstes Gut auf Erden.

[15] Es dauerte lange, ehe ich mich darüber beruhigte; doch mein reines Gewissen war mein Trost, und richtete mich muthig wieder auf, wenn Verdacht und Schmähungen mich nieder drückten. Bald wurde es mir völlig gleichgültig, was die Leute von mir dachten, und sprachen, denn der Kummer um Heinrich machte mich nachgerade blind und taub gegen alles Uebrige. Ich habe es sogar über mich vermocht, von neuem in Wandels Haus nach ihm zu fragen, da es der einzige Ort ist, wo ich Auskunft über ihn erwarten darf. Jeden Sonntag nach der Kirche lausche ich, bis ich den Sohn ausreiten sehe. Dann gehe ich hin, und scheue nicht den auffahrenden Empfang, der mir von dem Alten und seiner Tochter zu Theil wird – nicht den Spott und die Grobheit der Dienstboten, die mich oft nicht vorlassen wollen. Mit unermüdlicher Geduld bleibe ich stehen, bis man mir sagt, daß keine, keine Nachricht von ihm gekommen ist – Dann gehe ich mit schwerem Herzen weg, und weine – denn jedes mahl wird meine Hoffnung schwächer, ihn wieder zu sehn.

Große Thränen rollten still, als sie dies sagte, über ihre Wangen, die im Feuer der Erinnerung, das in ihrer Erzählung glühte, lieblich sich geröthet hatten. Sie schlug den schwermüthigen Blick zur Erde, und wir schwiegen beide, tief gerührt – Aber als sie ihn wieder erhob, leuchtete eine sanfte Ergebung und ein so heiliger Frieden aus ihm hervor, wie nur ein so reines Wesen zu erringen vermag.

Ich fühlte schmerzlich die Ohnmacht meiner heißen Wünsche, ihr zu helfen. Ach! konnte ich dem [16] Meer gebieten, daß vielleicht längst schon den Geliebten in seiner Tiefe verbarg, oder doch ihn in ferne Gegenden hingetrieben hatte, wo nicht die Stimme der Liebe und des Antheils ihn erreichen konnte? – Ihre fromme, treue Neigung, und die zehrende Sehnsucht, an der, wie an einer sengenden Sonne, die frische Blüthe ihrer Jugend welkte, erfüllte mich mit allen Regungen der Wehmuth und des Mitleids, während die Gelassenheit, in der ihr tiefer, nicht tobender Schmerz sich aussprach, alle die andachtsvolle Achtung in mir erweckte, die das stille geduldige Leiden der Unschuld verdient.

Ihre Bekanntschaft war mir zu werth geworden, als daß ich sie hätte vergessen können. Ihre einfache Geschichte beschäftigte mich lebhaft, und ich machte es zu meinem angelegentlichsten Geschäft, ihren sinkenden Muth zu erheben, und ihre erlöschende Hoffnung an den Glauben einer gütigen Vorsicht wieder anzuzünden, die liebend über unseren Schicksalen wacht. Aber alles, was ich zu der Erleichterung und Aufheiterung ihres Zustandes beitragen konnte, waren nur kleine Unterstützungen, die ihre blinde Mutter nicht blos bedurfte, sondern auch verdiente. Kämpfend mit Armuth und Mangel, und die Augen von ewiger Nacht bedeckt, war doch das trübe Loos ihres Kindes der bitterste Schmerz, den sie erlitt, und die Heiterkeit, die Margarethe in ihrer Nähe erheuchelte, vermochte nicht das richtige Gefühl des Mutterherzens zu täuschen. Diese ehrwürdige Frau verstärkte, als ich sie kennen lernte, durch die gottergebene Reinheit ihres Gemüths und [17] durch ihren unverfälschten Sinn den geheimnißvollen Zug, der mich schon manchmal so mächtig zu den untern Ständen hinzog, in denen man Unverdorbenheit und Güte oft reiner antrifft, als in den höhren, welche stolz auf die trügerische Glätte ihrer Politur über jene hinweg sehen, als habe eine Auszeichnung des Himmels und nicht die Gunst des unbedeutenden Zufalls ihnen ihre glänzendere Stufe angewiesen.

Bald darauf machte ich eine Reise, die mich ein Jahr lang entfernt hielt, daß ich diese unglückliche aber achtungswerthe Familie aus den Augen verlohr. Als ich zurück kehrte, eilte ich, sie wieder zu sehn, aber ach, ich fand nur Susanne, die jüngere Schwester, die an den Gräbern ihrer Lieben trauerte.

Die Mutter war zuerst hinüber gegangen in jenes Land, wo ihre fromme Zuversicht hoffte, ihr erblindetes Auge werde vor einem reinern und hellern Lichte wieder aufgehn. Margarethe erfüllte die letzte Kindespflicht, und wachte an ihrem Lager mit treuer Pflege, bis sie den schweren Kampf vollendete. Eine unerklärliche Kraft unterstützte bei diesem traurigen Geschäft ihr gebrochenes Herz, in das tröstend die Ahnung einer baldigen Wiedervereinigung drang. Als aber der letzte Lebensfunke erloschen war, sank sie zerrüttet hin im herben Gefühl ihres Verlustes, der Heinrichs Andenken bitter ihr erneuerte. Die Ueberzeugung, daß auch er schon längst dahin sey, gesellte sich zu ihrem heftigen Schmerz um den Tod ihrer Mutter; – der immerwährende Gram hatte ihre Gesundheit leise untergraben, und wie die zarte Frühlingsblüthe sich geräuschlos dem Sturm hingiebt, [18] der sie hinabweht in ihr frühes Grab, so sank auch sie ohne Wiederstreben in das ihrige, das lange schon der Inbegriff ihrer frommen Gebete war.

Nur kurze Zeit erst schlummerte sie unter den Fliederbäumen des Kirchhofs, da schwebte aus der Ferne ein Schiff mit vollen Segeln daher – – es war derGewinn, der nach vielen glücklich überstandenen Gefahren aus Indien wiederkehrte, und mit sich brachte was sein Name versprach.

Heinrich stand auf dem Verdeck, und schaute mit trunkenem Blick die vaterländische Küste wieder. Immer näher wich der Nebel der Entfernung von ihren blauen Hügeln – immer näher kam er der geliebten Heimath, und seine Thränen flossen, während sein Herz mit freudigem Ungestüm sich regte. Endlich war der Hafen erreicht – das Schiff wirft Anker – Heinrichs Ungeduld stieg bis zu einer unerträglichen Höhe. –

Geh, mein Sohn, sagte der biedere Schiffskapitain, der das innerliche Treiben der Sehnsucht in seinen Zügen las, nimm das Boot, und rudere hin, wo dich Freude erwartet.

Heinrich küßt ihm dankbar die Hände. Er nimmt sein mühsam erworbenes Eigenthum, Margarethen froh zu überraschen. Schaukelnd tragen die flüsternden Wellen sein Boot ans Ufer, und aus den Zweigen der Buche, bei der er landet, begrüßen ihn säuselnd die seligsten Erinnerungen. Er fliegt der Hütte zu, die, wie er meint, sein Liebstes umfaßt – o! wie ist es so still und so öde! – Er klopft – kaum kann er vor den heftigen Schlägen seiner [19] Brust vernehmen, ob man ihm antwortet. Endlich öffnet sich die Thür – Susanne tritt heraus, bleich, mit verweinten Augen, und auch stumm ein Bote des Unglücks.

Kaum erblickt sie ihn, den Todtgeglaubten, so stößt sie ein lautes Geschrei aus, und ihre Sinne schwinden. Sie sinkt nieder. Schreckliche Ahnungen belasten sein Herz, doch überwindet er mit männlicher Fassung seine Angst, und hebt sie auf. Als sie wieder zu sich selbst kommt, bricht sie in Thränen aus, und nun erst bemerkt er die tiefe Trauer ihrer Kleidung, und die Grabesstille des Hauses. Was soll das bedeuten? fragt er mit bebendem Ton; ist jemand gestorben? Nicht wahr, die Mutter ists? Margarethe nicht – – Margarethe lebt!

Nein, ruft Susanne mit lautem Schluchzen, sie ist auch todt – ich bin allein noch übrig! – Ein kalter Schauer rieselte bei diesen Worten ihm vom Haupt bis zu den Füssen – er stand, wie vom Blitz getroffen, still. Todt, sagte er dann leise, als könne er die Schreckensnachricht nicht begreifen, wirklich todt – und alles also vergebens!

Erst nach mehreren Stunden vermochte Susanne ihm die näheren Umstände von Margarethens Leiden und Sterben zu schildern, denn er saß wie in einem dumpfen Traum, und seine Augen blickten starr vor sich nieder. Endlich verlangte er ihr Grab zu sehn. Susanne führte ihn hin. Auf dem Hügel, der sich über ihr wölbte, sproßte schon junges Gras, und ein Rosmarinstock, den Susanne darauf gepflanzt hatte, stand in voller Blüthe. Er brach einen Zweig [20] davon, und steckte ihn auf seinen Hut – dann wandte er sich weg, um bitterlich zu weinen.

Susanne trieb ihn an, die Stätte des Schmerzes zu verlassen. Er folgte ihr geduldig bis vor die Hütte, wo er Abschied nahm. Nimm, sagte er, was ich mir erworben habe, und was ich mit deiner Schwester zu theilen gedachte, nimm – und sey glücklicher, als ich. – Er ging – wenige Tage darauf schiffte er sich zu einer neuen Reise ein, und nimmer hat ihn seitdem der heimische Boden wieder gesehn.

[21]

Das Liebhaber-Theater
Eine Erzählung

Unter glänzenden Abwechselungen, war in einer deutschen, ziemlich bedeutenden Residenz das Carneval vorübergegangen, und vorzüglich hatte das Theater, diese Schule der Sitten, und zugleich dieser Spiegel der Thoren und Weisen, die Gebildeteren der Gesellschaft auf das anmuthigste unterhalten, als plözlich in einem engern Kreise derselben das Verlangen entstand, selbst in dramatischen Darstellungen aufzutreten.

Sehr leicht verband man sich zu diesem, so mannigfaches Vergnügen versprechenden Zwecke. Er war ein fröhlicher geselliger Vereinigungspunkt für Alle und schmeichelte noch jedem insbesondere nach seiner Individualität mit Aussichten und Hoffnungen, die der abgemeßnere Gang des täglichen Lebens nicht gestatten wollte. Denn die durch Konvenienz und eigene Schüchternheit beschränkte Jugend glaubte in [22] den Proben sich einander traulicher nähern, und eine höhere Bedeutung in manches gehaltvolle Wort legen zu dürfen. Aeltere Damen, von deren Wangen die Zeit bereits allen Blüthenschimmer abgestreift hatte, meinten jezt durch Kunst und vortheilhafte Beleuchtung von neuem – wenigstens in einer gewissen Entfernung – wieder aufzublühen; und heiter und erfreulich schien es den Meisten, aus ihrem Character heraus treten, und eine Rolle spielen zu können.

Unter den Männern war das Interesse ebenfalls lebhaft, und motivirt nach der Verschiedenheit ihrer Jahre, und ihrer Denkungsart. Die wenigsten kanntensich selbst. Einige, denen die Natur das Privilegium ertheilt hatte, überall, theils durch ihre Gestalt, theils durch ihre Laune, Lachen zu erregen, hielten sich vollen Ernstens für das Erhabene geschaffen, und erblickten sich schon im Geist auf der Bühne in den rührendsten Heldenrollen der Tragödie. Andere, die im wirklichen Leben sich nie mit Lebhaftigkeit äußerten, glaubten jedoch, weil ihre ruhig besonnene Stimmung sich oft angenehm durch Scherz und Naivetät angesprochen fühlte, es sey nichts leichter, als selbst naiv und scherzend aufzutreten, und wiederum andere hielten für Talent in sich, was nur Neigung war, und meinten, ein innerer Beruf winke ihnen auf's Theater, wo die Zuschauer dann schnell genug gewahr wurden, daß dieser innere Beruf sich eigentlich nicht weiter, als – hinter die Coulissen hätte erstrecken sollen.

Da indessen gesellige Freude der Hauptzweck [23] ihres Bestrebens war, und eine gewisse Gutmüthigkeit die Mitglieder dieses freundschaftlichen Vereins mehr oder weniger tolerant gegen ihre wechselseitigen Schwächen machte, störten kleine Fehlgriffe die allgemeine Heiterkeit nicht, und allmählich lernte man auch dem Urtheile anderer vertrauen, und näherte sich nun einige Stuffen mehr dem Gelungenen.

Mit den glänzendsten Anlagen zur Ausübung der dramatischen Kunst sowohl als auch im gewöhnlichen Leben in der noch wichtigern Kunst zu gefallen, hatte die Natur unstreitig den Baron Sellbrok ausgestattet, denn eine schöne Gestalt, ein wohlklingendes Organ, und eine unwiderstehliche Beredsamkeit der Mienen zeichneten ihn nicht nur auf, sondern auch außer dem Theater auf eine höchst einnehmende Weise aus.

Ihm wurden, seit auch er sich mit diesem Cirkel verbunden hatte, einstimmig die bedeutendsten und empfindungsvollsten Rollen zugetheilt, und er wuste, – nicht von den Regeln der Kunst, sondern von seinem warmen Gefühl geleitet, – sie in einer Vortrefflichkeit darzustellen, durch die man mit der Mittelmäßigkeit seiner Mitspielenden versöhnt wurde.

Wenn er dann in der Fülle männlicher Schönheit, und von der Begeisterung dichterischer Liebe ergriffen, rings um sich her vergaß, und vergessen ließ, daß nur Täuschung es war, die mit allem Zauber der Wahrheit ihn durchglühte – da seufzten oft leise die, denen für den Augenblick die Flamme seines hohen Enthusiasmus gewidmet war, daß sein eignes Herz nicht so sprach, und daß das flüchtige [24] Spiel sich nimmer in dauernden Ernst verwandeln wollte. Denn wenn der Vorhang gefallen war, trat Sellbrock wieder in die Schranken conventioneller Formen zurück, und vergebens waren die geheimen Wünsche holder Mädchen und Frauen, auch außer der Bühne die Sprache des glühenden Gefühls von ihm zu vernehmen, die er dort oft so hinreißend an sie richtete.

Die Gräfin Hilmar hatte unter der Bedingung, daß ihre Tochter niemals mit spielen sollte, ihr Haus, dessen Local ganz dazu geeignet war, dem Liebhaber-Theater eingeräumt. Umsonst bemühte man sich, den Willen der strengen Mutter zu beugen, besonders da Fräulein Mariane als Zuschauerin einen sehr warmen Antheil an jeder Vorstellung nahm, und zuweilen ganz unverholen die Neigung verrieth, thätig mit zu wirken. Ihre Schönheit, ihr edler Anstand, dem bei jungfräulicher Demuth doch eine gewisse Sicherheit nicht fehlte, und der liebliche, Herz-gewinnende Ton ihrer Stimme schien sie zu den ersten Rollen zu berechtigen. Mit der Litteratur innig befreundet und vertraut, fand sie die duftendsten Blumen des Genusses in den Gefilden der Dichtkunst, und als Vorleserin ihrer Mutter wußte sie mit dem richtigen Tact, den nur ein zartes Gefühl verleiht, jede schöne Stelle so vorzutragen, wie sie gewiß der Dichter gedacht und empfunden hatte.

Alles dies wurde wohl erwogen, und in Anschlag gebracht, um zu beweisen, daß es eine Beleidigung der Kunst sey, wenn eine solche Priesterin sich weigere, ihr zu dienen. Doch die Gräfin wies [25] die allgemeinen Bitten mit den Worten ab: »Ich habe hierüber meine eigenen Ansichten. Es mögen vielleicht Grillen seyn, aber es würde mir doch weh thun, wenn Mariane sie nicht ehren wollte.«

Wie? wandte ihr Jemand ein, sollte es Ihnen, ganz gegen die Weise anderer Mütter keine Freude machen, die Talente Ihrer Tochter immer mehr ausgebildet, und bewundert zu sehn? – Die Gräfin antwortete mit einem gutmüthigen Lächeln: »Gern hör' ich Marianen im engen häuslichen Kreise vorlesen, und gern bemerke ich auch, wenn sie in Gesellschaften auftritt, daß ihr Benehmen sich ohne Schranken zwischen kindischer Blödigkeit, und einer allzukühnen Dreistigkeit erhält. Aber mit sehr peinlichen Empfindungen würde ich an ihr auf dem Theater sehen, was im geselligen Leben mich erfreut, und ich hoffe, sie unterdrückt aus Liebe zu mir den übrigens sehr verzeihlichen und unschuldigen Wunsch, mit zu spielen.«

Mariane, die ohnehin das Muster der Töchter war, fügte sich, freundlich gehorchend, in diese Eigenheit ihrer Mutter und suchte auf eine andere Art ihr Scherflein der Theilnahme an dem allgemeinen Besten abzutragen. Denn sie nahm sich des oeconomischen Faches an, half thätig mit in der Garderobe der Damen, und wußte mit geschickter Hand und verständiger Anordnung die Reize ihrer Freundinnen zu erhöhen, während die ihrigen, gleich dem Veilchen im verhüllenden Moose, nur im Verborgenen blühten, und willig den Triumpf entbehrten, öffentlich glänzend durch ihren Schimmer Alles um sich her zu überstrahlen.

[26] So hatte man eine Zeitlang im fröhlichen Wechsel bald Thalien, bald Melpomenen gehuldigt, als das vereinte Streben der Gesellschaft sich einen kühneren Zweck vorsetzte, als vorher, und man entschloßen war, an Wallensteins Tod seine Kräfte zu üben.

Der Geburtstag einer allgemein verehrten Frau sollte durch diese Darstellung gefeiert werden, und jeder beeiferte sich, in den Geist der wohl vertheilten Rollen einzudringen.

Schon war die letzte Probe gehalten, und eine glänzende Gesellschaft zum übermorgenden Tage geladen, um die Früchte einer langen und freudigen Anstrengung zu erndten, als das Fräulein, welches alsThecla auftreten sollte, plözlich durch einen Eilboten aufs Land an das Krankenbett ihrer Mutter gerufen wurde.

Dieses unangenehme Ereigniß drohte die Bemühungen mehrerer Wochen zu vereiteln – wenigstens ihren Erfolg auf unbestimmte Zeit hinauszuschieben. Gleichwohl hatten alle Mitglieder trefflich memorirt, und brannten vor Begierde, in feurige Declamationen auszuströmen, was sich dem Gedächtniße so tief eingeprägt hatte, daß es ihnen auf jedem Schritte, gleich einem verborgenen Soufleur, statt der eignen Gedanken nur Schillers gehaltvolle Worte zuflüsterte.

Ungern giebt das menschliche Herz einen Plan auf, von dem es sich Genuß versprach. Hier war kein Einzelner gekränkt in seiner Hoffnung; die Mehrzahl lehnte sich, ein Complott gegen den ungünstigen [27] Zufall bildend, gegen die Hindernisse auf, die ihrer Absicht in den Weg traten, und da Mariane den wärmsten Antheil an dieser allgemeinen Bedrängniß nahm, und durch die Anmuth ihres Wesens, so wie durch ihre genaue Bekanntschaft mit dem Dichter ganz geschaffen war, die unerwartet entstandene Lücke auszufüllen, so bestürmten Alle, der Einwilligung der Tochter gewiß, die Mutter mit Bitten, nur diesmal eine gefällige Ausnahme von ihrer strengen Regel zu machen.

Lange weigerte sich die Gräfin standhaft, doch endlich, als sie sah, daß auch Marianens schüchtern sie beobachtendes Auge mit bat, willigte sie ein, und verwandelte durch ihr Gewähren das leise Sehnen ihrer Tochter schnell in die rascheste Thätigkeit. Es bedurfte nur weniger Stunden, um ihrem scharfen Gedächtniß alles eigen zu machen, was Thecla zu sagen hatte, der Fleiß einiger Kammermädchen, und ihre eigne Mitwirkung schufen in einem nicht viel längern Zeitraum den reizendsten Anzug, den wohl je eine adliche Jungfrau vergangener Jahrhunderte trug, und mit keiner andern Unruhe, als mit der, die die Begleiterin froher Erwartung ist, sah sie den Tag erscheinen, der zu der Vorstellung bestimmt war.

Der Morgen desselben ging heiter unter vielfachen Beschäftigungen hin; gegen Mittag sagte sie der Mutter ihre Rolle ohne Stocken, und mit einer Innigkeit her, die kein Werk der Kunst, sondern des zartesten Gefühls war. Als endlich die Dämmerung herab sank, wurde es lauter im Hause. [28] Bediente liefen eilfertig hin und her, und ein Wagen kam nach dem andern heran gerollt, die Mitspielenden in dem ihnen angewiesenen Costüm herbei zu bringen.

Bald sah man Wallenstein, bald die Piccolomini's im ritterlichen Schmucke, bald den Sterndeuter Semi in düsterer schwarzer Hülle, bald dir Mörder Deveroux und Macdonald mit dem erzwungenen brütalen Anstand, der in ihrem vorgeschriebenen Character lag, über die Gallerien schreiten. Marianens Herz klopfte lauter, als gewöhnlich. Ihr schien die stille, gastliche Wohnung in einen Maskeraden-Saal verwandelt, und sie konnte sich selbst des wohlgewählten eignen Anzugs nicht mehr erfreuen, denn er kam ihr vor wie eine Mummerei, andere zu täuschen.

Endlich schlug die zum Anfang festgesetzte Stunde. Mit jedem Ton der Glocke goß sich ein höheres Leben in alle ihre Glieder, und fast hätte sie dem Himmel knieend gedankt, daß sie in den beiden ersten Acten nicht zu erscheinen brauchte.

Die Symphonie begann – der Vorhang flog auf. Wallenstein und Semi, in ernster Unterredung begriffen, unerschüttert vom glänzenden Gewühl der Zuschauer, sprachen ruhig und im tiefen Frieden was der Dichter ihnen in den Mund gelegt hatte.

Marianens Zuversicht kehrte halb und halb bei diesem Anblick zurück. Sie lauschte, in einer Seitencoulisse stehend, den mächtigen Fortschritten des Stückes, über dessen Riesengang sie allmählich ihre kindische Muthlosigkeit, erst belächelte, dann vergaß.

Als aber die Gräfin Terzky auftrat, so sicher, [29] so einheimisch auf der Bühne, als wandle sie im eignen Wohnzimmer umher, wurde Mariane von neuem an sich selbst erinnert, und sie fühlte zaghaft, daß es ihr nicht gelingen werde, diese Unbefangenheit nachzuahmen.

Immer näher rückte der Moment, wo auch sie hervor sollte aus der schützenden Tiefe des verborgenen Hintergrundes, und unter dem Carmin, durch den man die zarte Rosenblüthe ihrer Wangen verdoppelt hatte, wechselte in den Fieberschauern der Angst Todesblässe mit dunkler Gluth. –

Da ging der zweite Aufzug zu Ende, und nun, nun galt es. –

Wie ein ausgesprochenes Todesurtheil jede Lebenshoffnung schaudernd vernichtet, so erklang ihr der Aufruf »zu kommen, und sich mit Gräfin Terzky und Fräulein Neubrunn, scheinbar durch weibliche Arbeit beschäftigt, im Vorgrunde des Theaters zu ordnen.« Sie empfand einen entschiedenen Widerwillen zu gehorchen: doch die Stimme der Weigerung erstarb auf ihren bebenden Lippen, und fast bewußtlos ließ sie sich mit fortziehen.

Halb ihr ermunternd zuredend, halb dieser kindischen Furcht spottend, hatte Gräfin Terzky sie in einen Sessel geschoben. Dicht vor ihnen trennte die herabgelassene Gardine sie von dem Publicum, denn noch rauschte die Musik, die den Zwischenact füllte. Aber wie das dumpfe Getöse eines fern erbrausenden Meeres, schallten einzelne Laute wohl bekannter Stimmen zu ihnen her, zur Belustigung der schon geübten, und zur völligen Verzweiflung der neu angehenden [30] Schauspielerin. Ihre Lippen bewegten sich krampfhaft. Gräfin Terzky und Fräulein Neubrunn meinten – tief im Traum der Eitelkeit versunken – sie überhöre sich selbst noch einmal ihre Rolle, und so wurde das Zeichen des Anfangs gegeben, ohne daß man Marianens angstvoll erhobene, schweigend Einhalt thun wollende Hand bemerkte.

Langsam rollte die Leinwand empor, und jetzt – – o mit welchem Gemische von Entsetzen und Vernichtung schaute Mariane in die Fülle der Zuschauer herab, die ihr alle Blicke, gleich glühenden Pfeilen zuzusenden schienen.

Jetzt fing die Gräfin Terzky an: 1


»Ihr habt mich nichts zu fragen, Thecla? Gar nichts?
Schon lange wart' ich auf ein Wort von Euch,
Könnt Ihr's ertragen in so langer Zeit
Nicht einmal seinen Namen auszusprechen?
Wie? Oder wär ich jetzt schon überflüssig?
Und gäb' es andre Wege als durch mich? –
Gesteht mir, Nichte! habt Ihr ihn gesehn?«

[31] Allein die Nichte gestand – Nichts. Sie wollte den Rosenmund öffnen: doch von der Tafel ihres Gedächtnißes hatte der Schrecken jedes vorher so tief eingeäzte Wort verwischt, und ein convulsivisches Zittern war die ganze Antwort, die die intriguante Tante erhielt.

Jetzt fing auch diese, ungewohnt, sich aus dem Stegereif zu helfen, an, die Fassung zu verlieren. Nach einer über die Gebühr ausgedehnten Pause, während welcher sie immer wartete daß Thecla den Faden ihrer Rolle finden und ergreifen werde, fing sie, von Verlegenheit und Unwillen glühend, wieder an:


»Ihr habt mich nichts zu fragen, Thecla? Gar nichts«?


Doch das übel unterdrückte Gelächter einiger Zuschauer ließen ihr die Zeile kaum endigen, und machte auch sie – bestürzt und wüthend, sich so ohne eigene Schuld aus dem dramatischen Sattel gehoben zu sehen – verstummen.

Für Marianen war das leise Murmeln, das zwischen Lachen und mitleidigen Flüstern schwankend, die Menge durchlief, zu viel. Wie die Rosenknospe, die ein Hagelschauer traf, sank ihr Haupt auf ihren Busen, der letzte Schimmer von Besinnung schwand, und eine tiefe Ohnmacht entzog sie den bitteren Gefühlen dieser schweren Augenblicke.

Jetzt schien die lächerliche Situation ins Ernsthafte über zu gehn. Es verbreitete sich eine allgemeine Bestürzung im Publicum, und die Gräfin [32] eilte, ängstlich besorgt um die Gesundheit der Tochter, aufs Theater.

Doch Max Piccolamini, den Baron Sellbrock darzustellen bestimmt war, hatte keine Lust, seine Rechte auf die holde Thecla so leicht aufzugeben, als sie ihre Rolle aufgab. Hinter der Coulisse, wo er ihr Spiel beobachten wollte, war er einer der ersten, der ihren Fall bemerkte, und da die Gräfin Terzky zu sehr die Gegenwart des Geistes verloren hatte, um ihr beyzustehen, so eilte er hinzu, faßte die Sinkende in seine Arme, und trug sie in ein stilles Nebenzimmer, wo er sie der Sorgfalt ihrer Mutter übergab.

Es bedurfte nur wenig Mühe, um Marianens entflohene Lebensgeister zurück zu rufen. Als sie die Augen wieder aufschlug, dünkt' es ihr, als habe sie geträumt. Doch Sellbrock, der im blanken Küraß, mit einem blendenden Spitzenkragen um den Hals, hoch geschmückt, und den ritterlichen Knebelbart um Kinn und Lippen gemahlt, vor ihr stand, erinnerte sie schmerzlich an die Wirklichkeit.

Sie wischte schnell die künstliche Farbe von ihren Wangen, und verbarg dann tief erglühend vor Schaam, und Thränen in den Augen, ihr Gesicht an dem Busen ihrer Mutter.

»Wie ist dir, mein Kind?« fragte die Gräfin sanft, »und was war dir, daß du uns diesen Schrecken machtest?«

»Ach Mutter! – erwiederte Mariane mit bebender Stimme – niemahls, niemahls will ich künftig wieder zweifeln, wenn mein Unverstand Ihren [33] Willen nicht begreifen kann. Ich hatte mir es so fröhlich gedacht, auf der Bühne mit zu wirken, und Theil zu nehmen an dem allgemeinen Streben, die Gesellschaft zu unterhalten. Die schönen Worte meiner Rolle waren wie mit glühenden Buchstaben in mein Innerstes geprägt; keines fehlte mir, und wohl zehnmahl recitirte ich mir sie selbst, als ich noch allein war. Doch wie die Zeit sich näherte, wo ich nun auftreten, und sie aussprechen sollte, da ergriff mich eine wunderbare Angst, wie ich sie nie empfunden. Und als der Vorhang aufging – als ich vor mir alle die bekannten Gesichter sah, die mich so treuherzig anblickten, als könne nur Wahrheit von meinem Munde ihnen erklingen – ach! da war ich nicht Thecla mehr. Da fand ich, daß es mir nicht möglich sey, die Täuschung zu behaupten, die ich andern versprochen hatte – – daß ich keinen anderen Schmerz, keine andere Liebe ausdrücken kann, als meine eigene, oder auch das Gefühl, das Theilnahme an fremden Schicksalen in der wirklichen Welt mir einflößt – kurz, daß ich nicht für's Theater geschaffen bin, und daß es gewiß eine Ahnung meiner Ungeschicklichkeit war, die Sie bisher abhielt, mir die Erlaubniß zum Mitspielen zu gewähren!«

»Sey mir gesegnet, mein Kind! mit all' deiner Ungeschicklichkeit, antwortete die Gräfin, sie fest an das freudig bewegte Mutterherz drückend. Sey undscheine immer nur Du selbst, und danke dem Himmel, daß deine Lage dir erlaubt, frei von Verstellung, im stillen häuslichen Leben, die Ideale der Kunst, die andere erschufen, zu genießen, ohne [34] sie durch mühsame Verläugnung der eigenen Individualität darstellen zu müssen.«

Sie ging hierauf zu der Gesellschaft zurück, die entstandene Störung zu entschuldigen, welche viel früher als des Dichters Wille das Ende der Vorstellung herbei geführt, und die so hoch gespannte Erwartung unbefriedigt gelassen hatte.

Mariane aber drang darauf, sich zu verbergen. Sie fürchtete den Tadel und den Spott der Zuschauer, und glaubte tief betrübt in der Demuth ihres Herzens, beides zu verdienen. Erst das Zureden der Mutter, der eigenen Vernunft und einiger achtungswerthen Menschen, deren Meinung sie vorzüglich ehrte, bewog sie, schüchtern wie eine ertappte Sünderin, sich wieder sehen zu lassen, doch nur um wegen des unwillkührlich begangenen Fehlers sehr beschämt um Verzeihung zu bitten.

Ihre naiven Klagen über ihre Unfähigkeit zum Theater, so wie ihr ganzes Wesen, aus dem die reinste Weiblichkeit hervorging, machte den Eindruck tief und unauslöschlich, den ihre Schönheit schon lange vorher, jedoch nur flüchtig, auf Sellbrocks Herz hervorgebracht hatte. Ihm dünkten bei der Wahl einer Gefährtin fürs ganze Leben diese kindliche Blödigkeit, diese Wahrheit des Gemüths, die auch selbstden Schein der erlaubtesten Verstellung nicht ergreifen und tragen konnte, liebenswürdigere, und Zutrauen erweckendere Eigenschaften, als alle theatralischen Talente, wodurch andere ihn hatten blen den, aber nicht rühren können.

Da die zarte Schonung und Theilnahme die [35] er als Max ihr bewiesen hatte, sie mit einer Dankbarkeit gegen ihn erfüllte, die verschmolzen mit sanftem Vertrauen war, so gelang es ihm leicht bei den Annehmlichkeiten seiner Gestalt und bei dem Werth seines Innern, diese leise ihm entgegen kommende Neigung zu erhöhen, und in innige Liebe zu verwandeln, und Mariane spielt jezt als Baronin Sellbrock mit ungetheiltem Beifall die schwere Rolle einet guten Hausfrau, Gattin und Mutter, ohne nur ein einziges mahl in ihr zu stocken.

[36]

Die Nimphe des Rheins

Still und kühl ruhte die Nacht auf der Gegend; heiter und blau spannte sich der weite Himmel über ihr aus, und spiegelte sich in der ruhigen Fläche des Rheines, der durch die schlummernden Fluren zog. Der Mond war aufgegangen, und vergoldete die leise flüsternden Wogen. In den Hütten am Ufer waren längst die matten Lampen erloschen, und eine tiefe Ruhe umfing das blühende Thal. Nur oben in dem Felsenschloße, das Graf Raimund, der Herr dieses Kreises, bewohnte, schimmerten noch Lichter durch die hohen Bogenfenster, und dumpfe, halb verlorene Töne einer fröhlichen Musik hallten aus der Ferne herüber, und verkündeten, daß dort ein Fest der rauschenden Freude gefeiert werde.

[37] Ambrosius, ein junger Fischer, saß allein noch wachend im tiefen Thale, und benutzte das helle Leuchten des Mondes vor der Thür eines Hauses, die Netze auszubessern, die ein schwerer Fang ihm zerrissen hatte.

Wunderlieblich war die Nacht, linde Lüfte spielten mit den braunen Locken, die sich um seine Stirne kräuselten, und süße Wohlgerüche stiegen belohnend neben ihm aus dem kleinen Gärtchen empor, das er in müssigen Stunden mit duftenden Blumen bepflanzt hatte. Seine Gedanken schwebten gleich Schmetterlingen auf den Blüthen der Vergangenheit umher, und Sehnsucht hob seine klopfende Brust bei der Erinnerung an seine Geliebte, die in der väterlichen Hütte längst den Schlummer der Unschuld schlief. Goldene Träume der Hoffnung webten sich vor seinem Sinn, und er hauchte in einigen Melodien liebeathmender Lieder die Gluth seines zärtlichen Verlangens aus. – –

Plötzlich dünkte ihn, als ob das Flüstern der Wellen in harmonischen Tönen seinen Gesang begleite. Er blickte auf – – kein Sturm hatte sich erhoben, und doch rauschte der Rhein heftiger als vorher, und schlug seine Ufer, und hohe Wogen, die in seiner Mitte aufstiegen, trugen wie auf einer schwankenden Gondel eine Jungfrau zu ihm her.

Der Mond schien seinen Schein zu verdoppeln, um ihre Gestalt in vollem Glanze der jugendlichen Anmuth darzustellen, die sie schmückte. Ein blendendes Gewand umschloß ihren schlanken Wuchs, und ein Gürtel von Perlen hielt es unter dem Busen [38] zusammen. Ihre Augen funkelten wie die Sterne des Himmels, und in ihren langen Haaren, die in reichen Locken um sie her schwammen, flüsterte ein Kranz von Schilf.

Ambrosius erstaunte. Sein erster Gedanke war, daß die schöne Jungfrau vielleicht am jenseitigen Ufer verunglückt seyn könne, und er eilte herbey, den Nachen loszubinden, um sie zu retten.

Als er aber sah, daß sie in stolzer Ruhe, wie ein Schwan, von der trügerischen Fluth getragen wurde – ja – daß sie dem Elemente gebot, wie einem untergeordneten Diener, da rieselte ein kalter Schauer durch seine Glieder, und er schlug ein Kreuz, und betete leise: Alle guten Geister loben Gott den Herrn!

In Ewigkeit, Amen! versetzte eine Stimme, die hold wie Sphärengesang vor seinen Ohren tönte. Ich bin kein Geist der Finsterniß, fuhr die Stimme fort, und eine weiße, aber kalte Hand richtete den Jüngling auf, der bebend auf die Knie gesunken war, Ich bin die Nimphe dieses Flusses, und nur selten verlasse ich meine feuchte Heimath, um dem Menschengeschlecht, unter dem ich einst glücklich war, Beweise meiner Liebe und meines Mitleids zu geben. Dein Gesang ist oft zu mir in die Tiefe gedrungen, und mit Antheil habe ich dem süßen Wohllaut deiner Lieder gelauscht. Du liebst, holder Jüngling! denn welches andere Feuer könnte deine Töne wohl so erwärmen, daß sie gleich glühenden Pfeilen in das Innerste der Seele zu dringen vermöchten? Auch ich habe geliebt – – und ich vernehme in den Klagen deiner Sehnsucht nur den Wiederhall meiner [39] eignen Schmerzen, und in dem Jubel deiner Hoffnungen die Erinnerung an den kurzen Traum meines vergangenen Glücks. Daher bin ich der Fluth entstiegen, Dich zu fragen, welche Hindernisse noch zwischen Dir und der Gewährung deiner Wünsche sich aufthürmen? Kann ich sie hinweg räumen, so sieh mich dazu bereit, denn längst fand ich den einzigen Balsam für die tiefe Wunde meines Herzens in dem Bestreben, andere glücklicher zu machen, als ich selbst bin.

Ihre Worte linderten die bleiche Furcht, die sich noch in Ambrosius regte. O Nimpfe! rief er aus, Du, deren Daseyn ich bisher immer wie ein Mährchen bezweifelte, wenn andere mir davon erzählten – wie soll ich mein Erstaunen Dir ausdrücken? So bist Du denn wirklich kein Hirngespinnst, und mich Unwürdigen hast Du ersehen, mir zu erscheinen und meine Wohlthäterin zu werden? Aber ach, Du wirst in deiner Erhabenheit über irrdische Bedürfnisse wohl nicht ahnen, was meinem Glück im Wege steht. Denn in der wallenden Fluth, in der Du lebst, hat das elende Metall, das hienieden so oft die Schicksale der Menschen bestimmt, gewiß keinen höhern Werth, als der Sand des Flußbettes, über den dein leichter Fuß dahin schwebt. Doch hier auf Erden entscheidet es leider nur allzumächtig das Wohl und Wehe selbst des genügsamsten Sinnes. So bin auch ich noch weit entfernt von der Schwelle der bräutlichen Kammer, weil meine Armuth der Stein des Anstoßes ist, der den Vater meiner Geliebten abhält, mir ihre Hand zu geben.

[40] Glücklicher Jüngling! versetzte die Jungfrau mit einem schmerzlichen Seufzer, wie beneide ich Dich um diese so leicht zu hebenden Sorgen. Fasse Muth! Ehe der Mond sein schimmerndes Silber zum dritten mahl in den Wellen meiner Heimath spiegelt, sollst Du der reichste Fischer des Rheingaus seyn. Gedenke dann zuweilen segnend der hülfreichen Hand, die das Paradies deiner Wünsche Dir aufschloß, und laß oft, zum Dank, in fröhlichen Melodien das Echo deines beglückten Herzens hinabhallen zu mir, damit ich mich deiner Zufriedenheit erfreue, und mich selbst vergesse.

Hülfreiche, wohlthätige Nimpfe! rief Ambrosius entzückt, nächst der Mutter Gottes werd ich Dich lebenslang am meisten verehren. O könnt' ich überzeugender, als durch Worte Dir beweisen, wie dankbar, wie ergeben ich Dir bin! –

Du kanst es, unterbrach die Nimpfe ihn mit rascher Eil, Du kannst es, wenn Du willst. Es steht in deiner Macht, mir einen Dienst zu leisten, dermich Dir inniger verpflichtet, als Dich mir jede noch so reiche Gabe verbinden kann.

So fodere, erwiederte Ambrosius. Was menschliche Kräfte und menschlicher Wille vermögen, das, ich schwöre es Dir, will ich für Dich thun.

Ich nehme Deinen Schwur an, sagte die Nimphe; doch verlang ich nicht, daß du blind und unbedingt mir gehorchen sollst. Du scheinst meines Vertrauens werth. – – So blicke denn in dies Herz, das eigner Gram, und fremder Wankelmuth zerrissen hat, und dann halte Wort, und lindere seine Qualen.

[41] Die Fähigkeit, mit verzehrender Gluth zu lieben, war das Erbtheil, das meine Mutter mir sterbend hinterließ. Leidenschaft für einen treulosen Bewohner der Erde brachte sie schon in einem Alter von funfzehnhundert Jahren zu dem verzweifelten Entschluß, der Unzerstörbarkeit ihrer Natur zu entsagen, um in der Vergessenheit des Todes jene traurige Ruhe zu suchen, die selbst nach einer dornenvollen Laufbahnden Menschen mit seinen gehabten Schicksalen versöhnt.

Ich, ihre einzige Tochter, verdankte mein Daseyn jener unglücklichen Verbindung, die mir zu früh ihre mütterliche Leitung entriß. Trostlos knieete ich an ihrem Lager, und beschwor sie, die Vorrechte der Unsterblichkeit nicht aufzugeben, die als eine Eigenthümlichkeit der Elementargeister die Ondinen über das leicht vergehende Geschlecht der Menschen erhebt.

»Banne mich nicht durch Deine Klagen fest an den Kreis eines unabänderlichen Elendes, sagte sie mit schon verlöschender Stimme. Denn den Schmerz betrogener Liebe heilt nur das Eine, was der Himmel in einer unseligen Begünstigung uns vorenthielt, als er es dem Sterblichen zum letzten Trost gab: der Tod. Gerne setze ich mich jenen Geschöpfen gleich, die aus Staub geschaffen, wiederum in Staub zerfallen; nur Deine Zukunft bekümmert mich in den Augenblicken, die der friedlichen Auflösung meines Wesens vorausgehen. Denn auch Du Libelle! wirst lieben und leiden. Wohl könnte ich Dich sichern gegen den Eindruck jener mächtigen Leidenschaft, als deren Opfer ich vergehe, [42] aber ich würde Dir mehr rauben, als die Gleichgültigkeit der Ruhe werth ist, wenn ich Dein Gemüth unempfindlich machen wollte gegen die Entzückungen der Liebe, in denen ich allein den ganzen Umfang meines Daseyns fühlte. So gieb Dich ihnen denn hin mit allen Kräften Deiner Seele, wenn Dich einst ihre göttliche Flamme erreicht. Aber höre den Rath Deiner sterbenden Mutter, und laß nie, wie ich, durch die Furcht des Verlustes des Besitzes Wonne Dir trüben. Genieße jeden Augenblick, als sey er der letzte Deines Glücks, so wird einst, wenn Du verlassen weinst, wie ich, kein innerer Vorwurf Dich an versäumte Stunden mahnen, um deren Seligkeit Du Dich selbst betrogen hast.«

Sie wollte weiter sprechen, aber der so oft herbeigerufene Tod verschloß ihre Lippen, und lähmte den Flug ihrer Gedanken. Kindliche Wehmuth umhüllte mein Bewußtseyn mit dunkler Nacht, und als ich unter den Händen meiner Dienerinnen wieder erwachte, fand ich ihr schmerzenvolles Leben schon geendet.

Tief hatten ihre letzten Worte sich mir eingeprägt, aber die Erinnerung ihrer Leiden, schien mir ein ewiges Gegengift gegen die süßen, lockenden Gefahren der Liebe. Unbefangen und heiter rollte die Zeit an mir dahin; aber ach! – auch meine Stunde schlug, und die erträumte Sicherheit, in der ich sorglos scherzte, diente vielleicht nur, mein Unglück zu beschleunigen.

Dort, wo der Rhein, unfern seiner Entstehung, durch die Thäler der Alpen sich windet, lauscht ich[43] einst in süßer Ruhe dem irrdischen Glanze, mit dem der Frühling jene reiche Natur verschönerte.

Da ward ich einen Jüngling gewahr, der einsam an den Ufern meiner Wohnung wandelte. Lange schaute er in das Gekräusel grüner Wellen, die dort noch in jugendlicher Reinheit schimmern, und mir war, als könnten seine Blicke mich Lauschende in der wogenden Tiefe erreichen. Das dunkle Feuer des Verlangens, das in seinem Auge brannte, entzündete auch in mir die heiße Glut einer Sehnsucht, wie ich sie nimmer noch geahnet hatte, und seine Züge, durch den Stempel einer himmlischen Schönheit bezeichnet, gruben sich schnell und unauslöschlich in mein Herz.

Die Sonne schien heiß; einsam war die Gegend, und einladend das linde Flüstern der Wellen zum Bade. Da warf er sein Gewand zur Erde, und sprang kühn und freudig in den Fluß, und spielte schwimmend mit den lispelnden Wogen, die, stolz auf ihre schöne Last, ihn umfingen, und auf blinkendem Saume ihn einher trugen, als wäre er Neptun in der Fülle des Meeres.

Doch plötzlich hemmte ein Krampf die anmuthsvolle Uebung seiner Kräfte. Todesbläße verdrängte die Rosen seines Angesichts, und in gräßlicher Willkühr rissen ihn die Fluthen mit sich fort. Da er hob ich mich vom Grunde, und faßte den Sinkenden in meine Arme, bebend mich an dem Zauber seiner Nähe weidend, zitternd und ahnungsvoll ihn an mich schließend. – –

Ich stieg bei der Stelle ans Land, wo er sich [44] entkleidet hatte. Sorgsam hüllte ich ihn in seinen Mantel, und lehnte sein lockigtes Haupt an meine Brust, die von wunderbaren Regungen bestürmt ward.

Allein er gab kein Zeichen des Bewußtseyns von sich, und trunken von dem Anblick seiner Schönheit, und muthig gemacht durch den Schlummer der Ohnmacht, der seine Augen verschloß, wagt ich es, mit meinen Lippen seinen bleichen Mund zu berühren. Lange verweilte ich im ersten Kuß meines Lebens, bis ich die warmen Pulsschläge seiner wiederkehrenden Empfindung fühlte, und er, wie aus einem Traum erwachend, den Himmel seiner Blicke vor mir aufthat.

Er hatte seine Besinnung in dem Moment verlohren, als der Strom ihn hinab ziehen wollte in ein naßes Grab. Erstaunt sah er sich dem Daseyn erhalten, und von den Armen seiner Retterin umschlungen, die unbekannt mit der Künstlichkeit des weiblichen Benehmens auf Erden, entzückt, und ohne Zurückhaltung sich in den neuen, süßen Bewegungen ihres Herzens berauschte. Seine Verwunderung erhöhte sich schnell bis zur Freude; inniger Dank lohnte mir für das Geschenk des Lebens, das er aus meiner schützenden Hand empfing, und bald knüpften ihn noch zärtlichere Bande an mich, und erwiedert fand ich jede geheimste Empfindung meines Busens.

Selige Zeit! – warum konntest Du nicht ewig dauern? – Und wenn Du fliehen mußtest, warum nahmst Du denn nicht den öden Traum meines Daseyns mit Dir, da es mir in Verzweiflung erstarrte, als die Liebe aufhörte, es zu beseelen! –

[45] Ich folgte indessen dem Rathe meiner Mutter, und schwelgte sorglos in dem Genuße meines Glücks. Lange lies ich meinen Geliebten in dem Wahn, als sey ich ein Wesen seines Gleichen. Eine schüchterne Ahnung hielt mich ab, ihm zu bekennen, daß ich zu dem mächtigen Geschlecht der Ondinen gehörte. Denn ich, die ich so gern mein ganzes beßeres Selbst liebend ihm unterworfen hätte, fürchtete leise, daß die mir über die Beschränkung der Menschen verliehene Ueberlegenheit ihn weit eher von mir entfernen, als ihn mir nähern werde.

Unerwartet, wie aus hellem blauen Aether ein tödtender Blitzstrahl niederfährt, so überraschte mich mitten in den Freuden meiner Liebe das Ende derselben.

Denn als ich einst ungewöhnlich lange den Abgott meiner Seele in der Felsenkluft erwartet hatte, die unsere Zusammenkünfte stets geheimnisvoll verbarg, eilte er endlich in meine Arme, doch nicht mit dem Entzücken das jedes neue Wiedersehn über uns ausgoß, sondern trübe, gedankenvoll, und seine Stirn in Wolken der Trauer gehüllt.

Wir müßen uns trennen, Libelle! seufzte er leise an meinem Busen. Ein Eilbote überbringt mir vom Sterbebette meiner Mutter den Befehl, vor ihr zu erscheinen, um ihren letzten Segen zu empfangen.

Schon hatte der Schrecken mit seiner bleiernen Schwere bei den Worten: wir müssen uns trennen, die freudigen Wallungen erstickt, mit denen ich ihn begrüßte, aber bald gesellte sich noch ein ungeheurer Schmerz zu der qualvollen Beklemmung, die mich ängstigte.

[46] Dtnn er fuhr fort im dumpfen Ton der Schwermuth: wohl weiß ich, daß der Gang der Natur das Alter früher zum Grabe leitet, als die Jugend, die erst in den Stürmen der Welt ihre Kräfte üben und brauchen, und ihre Sinne läutern muß zum würdigen Uebergang in ein beßeres Seyn. Auch wollte ich mit Hoffnung, wie wohl nicht ohne kindlichen Schmerz vor ihr Lager treten, wenn ich nicht Kämpfe voraussehen müßte, die mein Innerstes zerreissen werden. Denn ich kann Dir nicht verhehlen, daß sie schon längst eine Braut mir gewählt hat, von deren Reiz und Güte sie das Glück meiner Zukunft erwartet, und deren Hand sie wünscht, noch vor ihrem Tode in die meinige zu fügen.

So werde ich Dich verliehren, rief ich außer mir, und zwiefach verliehren!

Der Ungestühm meiner Gefühle raubte mir die Sprache, und ich konnte nur mit einem Strom von Thränen, schweigend, und halb vernichtet, an seinen Busen sinken.

Was ist Dir, Libelle? fragte er sanft. Wie kann ein Zweifel an der Heiligkeit meiner Treue in Deinem Herzen Raum finden, das meine Schwüre aufgenommen und erwiedert hat? Nein, in der Stunde des Abschieds, die mich bald, doch nicht auf lange aus Deiner beglückenden Nähe drängt, erneuere ich Dir meine Eide, und gelobe Dir bei der Wonne unserer Vergangenheit, nur für Dich allein zu leben, und Dich ewig zu lieben. Nimm, setze er hinzu, indem er meine Thränen trocknete, nimm diesen Ring zum Pfande der Verlobung und der [47] Beständigkeit. Er wird mich ewig an Dich binden, und nur dann, wenn Deine Empfindungen sich jemahls ändern sollten, und Du freiwillig ihn mir zurück giebst, nur dann, und eher nicht, werde ich mich für frei halten. Doch diese Freiheit würde ein trauriges Geschenk für mich seyn, denn erst seit ich sie an Dich verlohren habe, lächelt mir das Leben paradiesisch, das mir hoffnungslos und öde wäre ohne Dich!

Ich nahm den Ring, der als ein Sinnbild der Ewigkeit in der Gestalt einer Schlange mir die stete Dauer seiner Treue in stummer Beredsamkeit verbürgte. Immer trage ich ihn seitdem an einer goldenen Kette auf meinem Herzen, aber ach, seine Bedeutung hat sich geändert, denn nur eine Ewigkeit des Leidens, nicht der Liebe, ward mir vom Schicksal vergönnt.

Laß nun, fuhr mein Geliebter fort, in diesen letzten Augenblicken den Schleier des Geheimnißes sinken. Entdecke mir mit jenem edlen Vertrauen, das Hand in Hand mit reiner Liebe geht, wer Du bist, und welchen Nahmen ich aussprechen muß, wenn ich meiner sterbenden Mutter bekenne, daß ich die Gefährtin meines künftigen Lebens schon bereits gewählt habe. Sey die Tochter eines der Edlen hier im Lande, oder eines dürftigen Hirten dieser Fluren – es gilt mir gleich, denn Liebe hebt den Unterschied der Stände auf, wie die Sonne Nebelwolken überwältigt. Verbirg Dich mir nicht länger, und nenne mir Deinen Namen, den ich bloß zu [48] erfahren wünsche, um ihn so bald wie möglich mit dem meinigen zu vertauschen.

Das Feuer seiner Rede, und die Innigkeit mit der er bat, lösete endlich das Siegel des Schweigens von meinen Lippen. Ich gestand ihm, wer ich sey, und bemerkte wohl, daß ein leises Beben ihn durchschauerte; doch hielt ich es nur für das Befremden der Ueberraschung, was vielleicht schon der Widerwille war, mit dem sich gemeine Naturen einer höheren anschließen. Wiehernd mahnte seitwärts sein stampfendes Roß ihn an die Trennung, die ich in zärtlicher Wehmuth noch zu verzögern suchte. Da lösete ich eine Perlenschnur von meinem Halse, und gab sie ihm zum Denkmal dieser Stunde und meiner Liebe.

So oft du mich zu sprechen begehrst, sagte ich, so gehe hin zu den Ufern des Rheins, wo er auch walle, und wirf eine der Perlen hinab, daß sie als Botin der Sehnsncht mir dein Verlangen verkünde. Unaufhaltsam werde ich dann in deine Arme eilen, und, o möchtest du mich oft rufen! Möcht' ich bald die ganze Reihe wieder versammelt an meinem Halse tragen, und dann nicht mehr ihrer bedürfen, um dich wieder zu sehn!

Stumm und in finsteres Schweigen verlohren, nahm er mein Geschenk, drückte mich noch einmahl mit Heftigkeit an sich, schwang sich dann auf sein schnaubendes Roß, und entfloh, schnell wie ein Gedanke des Augenblicks. Starr sah ich ihm noch lange nach in trüber, schmerzlicher Betäubung, dann kehrte ich zurük in die Gränzen meines Reichs, und harrte[49] hoffend auf die Erscheinung meiner Perlen. –

Doch Monden vergingen, und keine rief mich empor zum Wiedersehn des Geliebten. Noch hatte indessen nur Kummer meine Seele gebeugt, kein Argwohn sie verletzt, und als endlich nach eines Jahres Verlauf eine derselben hell wie eine Thräne vor mir nieder sank, jubelte ich laut auf, von seligen Ahnungen des nahenden Glücks ergriffen, und rauschte empor daß weit umher die Wogen schäumten, wie vom Sturmwind gepeitscht.

Da sah ich ihn wieder, doch ach! wie verändert. Nicht mehr wie sonst flog er an mein schlagendes Herz: scheu und beschämt grüßte er mich nur aus der Ferne.

Libella, sprach er mit gesenkten Blicken, doppelt schön durch das glühende Erröthen, das sich wie eine Aurora über sein Gesicht ergoß, Libella, du hast mir das Leben gerettet; thue noch mehr, und rette auch mein Glück. Lange und schmerzlich habe ich mich geprüft, um mir selbst klar zu werden, und ich glaube, ich verstehe jetzt, Wahn von Wahrheit zu unterscheiden. Daher kann ich weder dir noch mir läugnen, daß ich Gleichheit für die erste, nothwendige Bedingung einer unauflöslichen Verbindung halte, und so tief ich dich auch verehre, so schauert mir doch vor dem Gedanken deiner überirdischen Macht, die alle warmen Gefühle des Herzens auslöscht, indem sie den Geist unwiderstehlich zu einer huldigenden Unterwerfung zwingt. Ich habe, als ich Dich verlies, die Braut kennen lernen, die der letzte Wille meiner Mutter mir bestimmte. Der sanfte, [50] menschliche Reiz ihres Umgangs hat mein blutendes Gemüth geheilt, das damahls nur von Deinem Bilde erfüllt war, und nur an ihrer Seite, fühle ich, kann mir das Morgenroth eines heiteren Lebenstages aufgehn. Sey daher großmüthig, meine Retterin, meine Freundin! tritt die Rechte, die ich, ohne Dich zu kennen, Dir in einer trunkenen Verblendung meiner Sinne eingeräumt habe, an meine Bertha ab, die ohne mich nicht leben kann, und gieb mir den Ring zurück, den ich so übereilt als ein Pfand der Treue Dir hinterließ.

Wie, Treuloser! rief ich aus, übermannt vom glühendsten Zorn, Du wagst es, mir den Ring abzufordern, der Dich mir auf ewig zum Eigenthum weiht? Ha, Du hast bis jetzt nur meine Liebe erfahren, nicht die eherne Kraft meines Willens. Du selbst knüpftest unaufgefordert Deine Freiheit an diesen Ring, und nichts in der Welt soll mich bewegen, ihn Dir zurück zu geben.

Nun wohl, versetzte er kalt, so behalte ihn denn, aber schmeichle Dir nicht, daß er mich binden werde. Ich glaubte ihn einem sterblichen Mädchen zu geben, keinem Elementargeiste, und dies lös't meine Schwüre. Gern wäre ich, um der ehemaligen Irrthümer meines Herzens willen, in einem guten Vernehmen mit Dir geblieben; Doch Du willst es nicht – Du begehrstLiebe, die sich nicht erzwingen läßt. So lebe denn wohl auf immer, – ich kehre zurück in mein Schloß, denn jeder Augenblick scheint mir verlohren, den ich fern von meiner Bertha verlebe.

Hier verließ mich der Grausame, und seit dem [51] sah ich ihn nicht wieder. Reue, Wehmuth und Mitleid verdrängten bald in mir die Wuth, die betrogene Hoffnung und gekränkte Liebe in mir entflammt hatten. Ich gab mich einem unmäßigen Schmerze hin, und hoffte, er sollte selbst die Bande der Geisterwelt sprengen, und mich tödten, denn ich habe nicht die resignirte Entschlossenheit meiner Mutter, meine Vernichtung als eine Gunst des Schicksals zu fodern. Durch meine Seufzer hoben sich die Wellen in hohlem Brausen, – durch meine Thränen traten sie aus ihren Ufern – aber umsonst – ich blieb verlassen, und keine neue Botschaft rief mich zu einer sanfteren Auflösung dieses unglückseligen Verhältnisses empor.

Bei diesen Worten drangen heller als vorher die Töne geselliger Freude vom Felsenschloß herab durch die schweigende Luft. Wie der Nachtwind den bleichen Kelch der Lilie bewegt, so erschütterte ein leises Beben die zarten Glieder der Ondine. Hörst Du, sprach sie mit wilden Bücken, hörst Du diese Töne, Ambrosius? kannst Du mir sie deuten? –

Es ist Graf Raimunds Verlobungsfest, das sie verkünden, antwortete der Fischer. In drei Tagen wird seine Hochzeit seyn.

Ha, rief sie aus, so muß ich eilen, wenn meine Gabe noch Werth haben soll in seinen Augen. Denn wisse, Jüngling, Raimund war mein Geliebter, und den Ring, den ich auf meinem Herzen trage, empfing ich von ihm. Wohl hat er Recht: Liebe läßt sich nicht erzwingen. Ich entsage der seinigen, allein zu fest, zu wahr, zu innig ist meine [52] Neigung für ihn, als daß ich nicht, frei von Rachsucht, jeden Dorn aus dem Kranz seiner Freuden nehmen, und seine Seele vor den Qualen des Meineids bewahren sollte. Geh zu ihm, wenn der Morgen graut, sag ihm, daß Dich Libella sendet, die getäuschte, gemißhandelte, doch nein, nur die liebende Libella. Sage, sie wünschte nichts mehr hienieden, als ihn nur noch einmahl zu sehen, ihn um Verzeihung zu bitten wegen ihrer oft schon bereuten Heftigkeit, und ihm das theure Unterpfand seiner gebrochenen Treue zurück zu geben. Leite ihn zu den Ufern des Rheins, und laß ihn in Deinen Nachen steigen; steuere dann muthig mit ihm in die Mitte des Flußes, und bitte ihn, daß er die Perlenschnur, die er noch von mir besitzt, hinab wirft, mich zu rufen aus der Nacht meines Kummers, und zu gleicher Zeit mit ihr das letzte Andenken an mich zu versenken. Ich werde dann erscheinen, ihm den Ring darreichen, sein Lebewohl empfangen, und zurückkehren in den Schoos der Fluthen, um sie nicht mehr zu verlaßen. Du aber wirst, wenn Du mir diese letzte Beruhigung verschafft hast, einen glänzendern Lohn von mir empfangen, als ein langes, mühevolles Leben Dir erwerben könnte.

Wie gern versprach der Fischer, diesen Wunsch bescheidener sich selbst verleugnender Liebe zu erfüllen. O unser Herr ist gut! rief er aus. Böse Sterne müssen seinen Sinn Dir entfremdet haben. Wie wird ihn Deine Milde rühren! – Rechne fest darauf, ihn zu sehn, denn ich bin überzeugt, er wird Dir Deine letzte Bitte nicht versagen.

[53] Ich glaube es selbst, antwortete Libella mit einem bitterm Lächeln. Und nun fuhr sie fort, ehe ich scheide – gieb mir von Deinen Blumen welche mit hinab in mein kühles Reich, wo keine sproßen. – Freudig öffnete Ambrosius die Pforte seines Gärtchens, und wollte die schönsten Erstlinge des Sommers ihr brechen.

Keine Rosen sprach sie mit schwermüthigem Ton, indem sie seine geschäftige Hand zurück hielt. Rosen hat die Natur nur der glücklichen Liebe geweiht. Gieb mir Nachtviolen und dunkle Cipressen – gieb mir die blasse Narcisse, die sich gern in murmelnden Quellen beschaut – und willst Du Symbole meiner Stimmung mir wählen, so reiche mit des Sinnkrauts falbe traurige Blätter, und die den Gräbern geheiligten Blüthe des Rosmarins.

Ambrosius that, wie sie verlangte, und reichte ihr bald den melancholischen Strauß. Sie betrachtete ihn finster, und in die Thautropfen, die auf ihm glänzten, mischten sich leise ihre Thränen. Dann ging sie. Wahnsinn lächelte aus ihrem Abschiedsgruß, und so wie ihr erstes Erscheinen Ambrosius mit Grausen erfüllt hatte, so sah er auch jetzt nicht ohne Schauder ihr Verschwinden, als die flüsternden Wellen von einander wichen, um sie in sich aufzunehmen.

Bald goß indessen der Schlaf den linden Balsam auf seine müden Augen, und als er sie wieder aufschlug, dämmerte der Morgen, und erinnerte ihn an sein Versprechen. Er erstieg den Felsengipfel, auf welchem Raimunds Schlos thronte, und ward [54] in das Gemach des glücklichen Bräutigams geführt, der eben aus holden Träumen erwachte.

Was bringst Du mir? rief der Graf ihm heiter entgegen. – Einfach aber genau richtete Ambrosius seinen Auftrag aus, und nicht ohne Zeichen innerer Zufriedenheit lauschte Raimund seinen Worten.

So will der Himmel denn alle meine Wünsche krönen! rief er aus. Sey mir willkommen Du Gesandter des Friedens, denn ich muß Dir gestehn, daß mancher schmerzliche Stich der Erinnerung mich selbst in den Armen meiner Bertha an mein gebrochenes Gelübde mahnte. Auf, laß uns keinen Augenblick versäumen, um Libellas Edelmuth zu benuzzen. Noch flammt das Morgenroth in seinem ersten Glühen, und noch schlummert meine holde Verlobte. Ehe sie erwacht, können wir zurück seyn, und ich darf dann den unglückseligen Ring zu ihren Füssen niederlegen, und sagen: nun bin ich ganz Dein, meine Bertha, und selbst die Schatten der Vergangenheit dürfen nicht mehr wagen, zwischen uns zu treten.

Er nahm die Perlenschnur, die Libella ihm gegeben hatte, und folgte dem Fischer, der voraus eilte, seinen Nachen bereit zu halten. Eben ging die Sonne auf, und webte Streifen flüssigen Goldes in die grünlichen Wogen des Rheins, die Vögel sangen ihre Morgenhymnen im Tempel der Natur, und Wiesen und Wälder hauchten balsamische Wohlgerüche aus, die auf den Flügeln lauer Lüfte umherschwebten. Da bestieg Raimund muthig den kleinen Kahn, den Ambrosius mit sicherer Hand regierte, und langsam [55] entfernte ihn das Ruder von dem festen, zuverlässigen Boden der Erde.

Da ließ Raimund die Perlenschnur fallen, und plötzlich lispelten die Wellen leiser, und schienen still zu stehen. Klar und spiegelhell ebnete sich die wallende Bewegung des Stroms zu einer ruhigen Fläche, die freundlich das Bild des Himmels zurückstrahlte, und aus dem reinen Wasser stieg Libella empor, auf einem Throne von Smaragd sitzend, und in ein silbernes Gewand gekleidet, das in langen Falten schimmernd in die Fluthen sich tauchte. Nachtviolen, Sinnkraut, Rosmarin und Cipressen wanden sich als Kranz um ihre schwimmenden Locken und die bleiche Narcisse schmückte mit gesenktem Haupte ihren Busen. Strahlende Diamanten reihten sich zusammen, sie zu umgürten, und in ihren Händen hielt sie gleich einen Scepter einen silbernen Stab.

Bewegt warf sich Raimund auf seine Knie vor ihr nieder. Habe Dank Libella, für die Botschaft Deiner milderen Gesinnungen, sprach er, und sieh mich hier noch einmahl, innig durchdrungen von Deiner Güte, die Gabe zurück erbitten, die Dir nichts mehr nützen kann, und die mir den ganzen ungetrübten Frieden meiner Seele wieder schenkt.

Raimund! versetzte Libella, so glaubtest Du wirklich, ich hätte Dich hier her beschieden, um einer beglückteren Nebenbuhlerin auch das einzige, letzte aufzuopfern, was mir noch von Dir übrig blieb? O verzeih, verzeih meiner Liebe, daß ich Dich hinterging, und daß ich Dich unter einen Vorwand, der Deiner[56] Grausamkeit willkommen war, auf mein Gebiet lockte, um Dich nimmer wieder zu laßen. Denn entweder mußt Du meine Zärtlichkeit erwiedern, und mein Reich mit mir beherrschen, oder – in seinen Tiefen Dein Grab finden.

Entrüstet sprang Raimund auf. Unsinnige! schrie er, erwarte keinen Vortheil von Deiner trügerischen List, denn frei oder in Fesseln, tod oder lebendig gehöre ich nur meiner Bertha an, und verabscheue Dich, Ungethüm! wie eine Nachtgeburt der Hölle. –

Libellas Augen funkelten wie Blitze am finsteren Gewitterhimmel. Schweigend berührte sie mit ihrem Stabe das Wasser, da fing es an zu brausen und empor zu schwellen, als wollte es seine Gränzen übersteigen. Der Kahn schwankte; vergebens bot Ambrosius seine Kräfte auf, ihn durch das ungestüme Toben der Wellen hindurch zu leiten. Aber furchtbar sind die Elemente in ihrem Aufruhr! Wie von einem unsichtbaren Wirbel ergriffen, schlug das schwache Fahrzeug um, und Raimund ging unter im wüthenden Strom.

Lange suchte Ambrosius sich durch Schwimmen zu erhalten, aber endlich verließ ihn die Stärke seiner Arme, so wie sein Bewußtseyn, und als es zurück kehrte, schimmerte bereits das Abendroth am Himmel, und er fand sich erschöpft, nicht weit von seiner Wohnung, am Ufer des nun wieder beruhigten Flusses. Neben ihm lag ein silbernes Netz, und ein Schilfblatt, mit den Worten beschrieben; »Sey beständiger wie Raimund, so wirst Du glücklicher seyn.«

[57] Ambrosius rieb sich die Augen. Sein Abentheuer erschien ihm wie das verworrene Traumbild einer erhitzten Fantasie, und nur das blinkende Gold in dem Netze überzeugte ihn von der Wirklichkeit des Geschehenen, indem es das Versprechen der Nimpfe erfüllte, und ihn zum reichsten Fischer des Rheingaus machte.

[58]

Edmunds Schicksale
Aus Allwills Papieren.

Meine Universitätsjahre waren zu Ende. Nicht ohne ernste Wehmuth blickte ich aus dem blühenden Lebensfrühling in die schwülen Gefilde des Sommers hinüber, wo die Mühen der Erndte meiner warteten. Trennung von den Jugendgefährten, mit denen mich Herzlichkeit und academische Freiheit so eng verbunden hatte – die Wahrscheinlichkeit, sie nie wieder zu sehen, mit der ich den Einen nach Süden, den Andern nach Norden ziehen sah, und die Unwissenheit, in welche Himmelsgegend mich mein eigenes Schicksal noch rufen werde, da ich kein Vermögen besaß, und meine Thätigkeit als die Basis meines künftigen Unterhalts betrachten mußte – alles dies umdüsterte meinen Sinn mit einer mir sonst fremdartigen Schwermuth, und folgte mir in trüben Bildern auf meiner Rückreise nach meiner Vaterstadt.

[59] Mein Reisegefährte, Graf Edmund von Willbeck, der einzige, aber wie ich mit dankbarer Rührung gegen Gott erkannte, der liebste meiner Universitätsfreunde, der mit mir eine gemeinschaftliche Vaterstadt hatte, theilte, diese Gefühle mit mir, ob er gleich einer weit heitern Bestimmung als ich entgegen ging. Als einziger Sohn eines vielgeltenden Ministers, und reich, standen ihm Wege genug offen, sich künftig nach seiner Neigung zu beschäftigen, oder auch willkührlich sich in die Unabhängigkeit eines sorgenfreien Privatlebens zurück zu ziehen.

Mit meiner Lage auf's innigste vertraut, ging er liebevoll und theilnehmend in meine dunklen Aussichten ein, und gelobte mir, sie aufhellen zu helfen, indem er den Einfluß seines Vaters für mich in Anspruch zu nehmen versprach. Auch hielt er redlich Wort; denn bald nach meiner Ankunft erlangte ich durch seine Vermittelung die vortheilhafte Anstellung als Legationssecretair bei einer Gesandschaft, die mich zwar auf einige Jahre von meiner Heimath entfernte, mir aber alsdann wohlgegründete Ansprüche auf eine ehrenvolle und einträgliche Versorgung gab.

Die Perspective dieser sichern Vortheile bewog mich, trotz dem widerstrebenden Gefühl, das mir stets auch den ansehnlichsten Gesandschaftsposten im trüben Licht einer Verbannung aus dem Vaterlande zeigte, mich dieser Prüfungszeit zu unterwerfen, da Vernunft und Nothwendigkeit es mir anriethen.

Während ich in reger Thätigkeit mich zu einer baldigen und langen Entfernung rüstete, bemerkte ich Anfangs nur flüchtig, doch nach und nach immer deutlicher [60] eine auffallende Veränderung in der Stimmung meines Freundes Edmund.

Da wir offen genug gegen einander waren, uns Rechenschaft von dem zu geben, was in unsern Gemüthern vorging, so verhehlte er mir auch nicht, als ich theilnehmend forschte, daß seit einer erst kürzlich in dem Vorzimmer seines Vaters gemachten Bekanntschaft, ihm eine ganz neue und bessere Welt im Innern aufgegangen sey.

Du siehst, wie sehr ich dir vertraue, setzte er lachend hinzu, indem ich dir verspreche, dir heut Abend den Stern zu zeigen, der mir so herrlich leuchtet, und der fortan durch alle Nächte meines Schicksals mir glänzen wird. Bliebest du hier, und hättest Zeit und Lust, dich in einen Wettstreit der Liebenswürdigkeit mit mir einzulassen, so würde ich freilich kein solcher Thor seyn, dir selbst den Weg zu bahnen, auf dem du mich leicht überwinden könntest.

Ich schloß aus der leichten, scherzhaften Art, mit der er diesen Gegenstand berührte, daß, wenn irgend ein weibliches Wesen Eindruck auf sein Herz gemacht habe, dieser wenigstens gewiß nicht tief sey.

Als er mich aber am Abend abholte, und in eine dürftige Wohnung führte, wo ich eine kränkliche und halb gelähmte Matrone in der Mitte dreier Töchter fand, unter denen die Aelteste, Amalie, in blendender Schönheit und Lieblichkeit hervorstrahlte, änderte ich meine Meinung. Denn dieses himmlische Antlitz, in jedem Zug, in jeder Miene das Gepräge einer göttlichen Abkunft verkündend, diese ganze Gestalt, [61] über welche die höchste weibliche Grazie und die reinste Würde der Unschuld sich ergoß, dieser Geist, durch Güte und Kindlichkeit gemildert – kurz – diese vollendete Liebenswürdigkeit des Körpers und der Seele – ich fühlte wohl, daß ein Herz, das sich ihr einmal zum Altar geweiht, nie im Leben eine andere Flamme dulden könne.

Mein Freund wurde um seiner selbst, und ich um seinetwillen mit vieler Auszeichnung empfangen. Er schien hier keinesweges mehr fremd zu seyn; wenigstens schloß er sich mit der ihm eigenthümlichen Anmuth in heiterer Vertraulichkeit an diesen Cirkel an, als wenn er auf's engste zu ihm gehöre. Die Mutter begegnete ihm mit vieler Achtung – es schien mir jedoch, als ob sie hauptsächlich dem Sohn des Ministers sie zolle, und es entging mir nicht, daß sie in einem Augenblick, wo sie sich unbeobachtet glaubte, ihn nach den Fortschritten seiner Verwendung bei seinem Vater befragte, und ihn dringend um sein Fürwort ersuchte. Amalie hingegen fand die Ursache, weshalb sie mit leuchtenden Blicken so oft an ihn hing, als es nur immer ihrer Meinung nach unbemerkt geschehen konnte, nicht in fremden Motiven, und Absichten des Eigennutzes, sondern in ihrem bewegten, von den ersten Schauern der Liebe ergriffenen Herzen, das sich unverkennbar in ihrem schüchtern innigen Benehmen verrieth. Ihre beiden jüngeren Schwestern hatten in ihrem Betragen gegen Edmund ganz die trauliche Herzlichkeit, mit der liebende Geschwister mit einander umgehen.

Wir brachten den Abend in harmloser, aber [62] stets innerhalb der Gränzen des feinsten Geschmacks sich erhaltender Fröhlichkeit zu. Es erwies sich, daß Edmund – Meister im Gesang und auf der Gitarre – Fräulein Amaliens Lehrer in diesen reizenden Künsten sey. Stolz auf seine Schülerin legte sie auf seine Bitte ein Probestück ihrer Gelehrigkeit ab, und erhöhte durch den Zauber ihrer vollen, reinen, wunderschönen Stimme die Bewunderung noch mehr, die der seltene Verein so vieler Vollkommenheiten nothwendig in jedem unverwahrloseten Gemüth erregen mußte.

Als ich nach diesen genußvollen Stunden nach Hause kam, erwartete mich die Nachricht von dem Gesandten, dem ich untergeordnet war, daß er Befehl erhalten habe, unsere Abreise zu beschleunigen.

Es blieb mir nur noch ein einziger Tag, der in den Unruhen des Einpackens und Abschiednehmens mir wie ein Traum vorüberrauschte, ohne daß mir noch eine recht zusammenhängende, vertraute Unterredung mit Edmund geworden wäre.

Ich sah indeß, daß sein ganzes Wesen einem blühenden Frühling gleich, in der seligsten Aufregung war, und als ich, nach dem stummen Händedruck des Lebewohls in den Wagen steigend, die Wehmuth der Trennung hinter freundlichen Scherz verstecken wollte, und den Namen: Amalie ihm zu flüsterte, sagte mir der Blitz seines Auges und die flammende Röthe, die freudig in seine Wangen stieg, daß ich mit diesem Ton das Innerste seiner Seele getroffen hatte.


[63] Nach einem Zeitraum von drittehalb Jahren, während welchem Edmund mir nur Anfangs zuweilen, und jedesmal sehr flüchtig, ohne Amaliens zu erwähnen, geschrieben hatte, kehrte ich endlich, meines Postens ehrenvoll entlassen, und einem ruhigern entgegen sehend, in die Residenz zurück.

Da ich mit Niemanden Briefe gewechselt hatte, fand ich mich, durch eine Entfernung von mehr als hundert Meilen, fremd in den Verhältnissen meiner Bekannten geworden, und trat gewißermaßen in eine mir ganz neue Welt, in der ich mich herzlich nach dem Wiedersehen meines Edmund sehnte.

Er war verreist. Ungern entbehrte ich seine freundliche Nähe, und suchte leise und vorsichtig nach ihm zu forschen, um, wo möglich, mir ein Bild seiner Gegenwart entwerfen zu können, bis er selbst kommen und den Schleier hinweg ziehen würde, den eine lange Abwesenheit über sein Herz geworfen hatte.

Wie sehr erstaunte ich aber, als auf meine Erkundigung nach ihm die Schmähsucht das ganze Uebermaß ihrer Galle in den bittersten Beschuldigungen über ihn ergoß. Man erzählte mir, das Amalie von Derbald vor ungefähr vier Monaten durch seine Schuld, und von ihm verlassen, auf eine entsetzliche Weise im Hospital gestorben, und unbezweifelt das Opfer seiner Leidenschaft und seiner Grausamkeit geworden sey.

Mit Schaudern vernahm ich den Untergang des liebenswürdigen Wesens, das ich zwar nur einmal, aber genug gesehen hatte, um es nie wieder zu vergessen. Es schmerzte mich tief, daß so viel [64] Schönheit und Holdseligkeit eine Beute des Todes geworden war, und unmöglich konnte ich meinen Freund in der Characterschilderung wieder erkennen, die man mir von ihm machte – unmöglich ihn, der von Amaliens Werth einst so innig durchdrungen schien, für ihren Mörder halten. Mit warmem Eifer nahm ich seine Parthie und suchte ihn zu vertheidigen – aber die allgemeine Stimme war gegen ihn – und ich vermochte nicht, sie zum schweigen zu bringen.

Endlich vernahm ich seine Zurückkunft, und eilte zu ihm. Aber welche ungeheuere Veränderung erschreckte mich bei seinem Anblick. Hinweggetilgt von der Hand des Grams war die frische Jugendblüthe, in der ich ihn verlassen hatte. Bleich, abgezehrt, mit tief gesunkenen, erloschenen Augen, die die Wirklichkeit nicht mehr beachtend, gleichsam schon auf den dunklen Gefilden einer andern Welt verweilten, starrte er mich träumend an, als müsse er sich erst auf mich besinnen. Die Thränen aber, mit denen ich mich in seine Arme stürzte, erweckten auch die seinigen und schmolzen die Rinde der Erstarrung, die sein Herz umgab.

Er saß, als ich zu ihm ins Zimmer trat, mit schwermüthig gestütztem Haupt, in Gedanken versunken, vor einem Tisch, auf welchem ein offener Brief von einer weiblichen Hand lag, den er, als das Geräusch meines Eintritts ihn zum Umsehen bewog, sogleich in seinen Busen verbarg.

Der Anblick seiner Jammergestalt erschütterte mich bis ins Innerste. War es der Schmerz, mit [65] dem ein unverdientes Unglück uns beugt, oder war es Kummer über eine Schuld, die sein Gewissen ihm vorwarf, was seine Gesundheit untergraben, seinen Muth und seine Kraft zerstört hatte – ich wußte es nicht; – aber Ansprüche auf mein tiefstes Mitleid gab ihm der Zustand, in dem ich ihn fand, auch wenn die Erinnerung der Vergangenheit und unserer Jugenfreundschaft nicht so laut zu meinem Herzen gesprochen hätte.

Nach den ersten, in wehmuthsvollem Schweigen zugebrachten Augenblicken suchte ich ihm den Antheil zu bezeugen, den ich an seiner Traurigkeit nahm. Thränen traten von neuem in sein Auge. Ja, du hast Recht mich zu bedauern, sagte er, auf sein Herz deutend. Denn die Wunde, die hier blutet, wird niemals heilen, und doch hat sie mich noch nicht getödtet.

Er zog bei diesen Worten ein Bild aus seinem Busen und drückte es zärtlich an seine bleichen Lippen. – Ich erkannte Amaliens himmlische Züge. –

Schone dich mein Freund! sprach ich zu ihm, du bist krank gewesen, wie ich sehe – bist noch jetzt nicht völlig genesen, Alles was so schmerzlich auf dein Gefühl wirkt, muß auch deiner Gesundheit nachtheilig seyn. Entferne diese Erinnerungen, bis du mehr Kraft gewonnen hast, sie zu ertragen.

Ich bin nicht krank gewesen, antwortete er mir, und dies Bild, der einzige Trost, der mir übrig blieb, verursacht meine Verzweiflung nicht, es nährt sie nur. Aber sie ist mir lieber, als eine Schaale aus Lethes Fluthen mir wäre.

[66] Er hielt das Bild, auf dem meine verstohlenen Blicke ruhten, mir näher. Ob ich gleich das Original desselben nur einmal gesehen hatte, so erinnerte ich mich doch lebhaft dieser einnehmenden, unschuldigen Mienen, dieses Lächelns der Güte, dieses Auges voll Geist und Innigkeit. Sie ist todt, das holde Wesen, dem diese sanften Züge glichen, rief ich bewegt aus. Zur Blüthe entfaltet dachte ich diese reizende Knospe wieder zu finden, dir in Liebe hingegeben, dich beglückend – und finde ihr Grab! O Edmund! wenn es wahr ist, was man sagt, daß du sie aus dem Leben drängtest – daß du, indem du sie verließest, das Herz gebrochen hast, das des reinsten Glücks würdig schien – wie kannst, wie wirst du dies entsetzliche Bewußtseyn ertragen?

Wie? unterbrach er mich voll Erstaunen, ist es Irrthum oder Verläumdung, die so lieblos über mich urtheilt.

Die Welt sagt es, erwiederte ich, und der Schein ist gegen dich. Daher wenn du dich schuldlos fühlst, so befreie mich von dem bittern Argwohn, den die allgemeine Stimme unwillkührlich in mir geweckt hat, und gieb mir den schönen Glauben an Dich wieder.

Das Urtheil der Menschen ist mir gleichgültig, sagte er, aus der momentanen Aufregung, in die mein Vorwurf ihn versetzt hatte, in seinen tiefen, Trübsinn zurücksinkend. Aber daß Du, der Du mich so genau kennest, der Schmähsucht dein Ohr leihen konntest, das schmerzt mich, und ich will suchen, durch eine treue Darstellung meines traurigen Schicksals deine gute Meinung wieder zu gewinnen.

[67] Er hielt Wort, und was er in einzelnen Mittheilungen, oft gestört durch die damals schon beginnende Verwirrung seines Geistes, in der er späterhin seine Tage endete, und öfterer noch unterbrochen durch seine Seufzer und Thränen, mir anvertraute, habe ich in diesen Blättern niedergelegt, um dadurch, wo möglich, das Andenken meines unglücklichen Freundes noch nach seinem Tode zu rechtfertigen.


Frau von Derbald, die Witwe eines Landedelmanns, war, als ihr Gemahl starb, in sehr verwickelten Vermögensumständen zurück geblieben. Das ganze Wohl oder Wehe ihrer Zukunft, in so fern es von irdischen Gütern abhing, beruhte auf einem Prozeß, dessen Entscheidung sich nun schon Jahre lang verzögert und der sie endlich zu den Entschluß gebracht hatte, in die Residenz zu ziehen, um seine Beendigung zu erwarten, und wo möglich zu betreiben.

Da die Kosten dieses Prozeßes bisher wie in einen bodenlosen Abgrund die geringen Einkünste ihres Witwengehalts, und alles, was sie noch an Sachen von Werth besaß, verschlungen hatten, so blieb ihr, ob sie gleich den letzten Rest ihres Besitzthums zusammen raffte, nur wenig übrig, um sich an einem so theuern Ort einzurichten, und mit ihren Kindern, deren Erziehung zum Theil noch nicht vollendet war, zu erhalten.

Schon längst an der Gicht leidend, und halb gelähmt durch ihre fürchterlichen Wirkungen, miethete sie in einem Seitengäßchen, das an das Hotel des [68] Ministers von Willbeck stieß, eine dürftige Wohnung, wo ihre älteste Tochter Amalie, – eben erst sechzehn Jahr alt – sich bestrebte, durch Fleiß, Ordnung und häusliche Thätigkeit der ärmlichen Einrichtung einen Anstrich von Bequemlichkeit, und ihrer ganzen eng beschränkten Lebensweise ein freundlicheres Colorit zu geben.

Nicht nur durch kindliche Pflege, der sie mit der vollen Innigkeit ihres liebenden Herzens sich unterzog, sondern auch durch ihren eben so sanften als heitern Sinn, und durch ihre Geschicklichkeit gelang ihr dies. Denn manche bei der späten nächtlichen Lampe verfertigte feine Arbeit, die sie heimlich verkaufte, schaffte der kränkelnden Mutter Erquickung, und erleichterte ihre Sorgen. Auch wußte sie sich stets still und fromm in die oft sehr drückenden Launen der durch körperliche Schmerzen und mannichfache Unfälle erbitterten Frau zu fügen, und mit unerschütterlicher Gelassenheit die rauhe Begegnung hinzunehmen, die ihr oft wurde. Sie wußte, daß ihre Mutter, ungeachtet der aufbrausenden Heftigkeit ihres Characters, ihre Kinder doch von Herzen liebte, und – daß sie unglücklich war: Gründe genug für Amalien, um mit kindlicher Unterwerfung zu dulden und nie auf dem dornenvollen Wege ihrer Pflichten zu ermüden.

Um dem Minister Willbeck nahe zu seyn, dessen letzte Enscheidung viel, nach der Meinung der Frau von Derbald alles über den Ausgang ihres Prozeßes vermochte, hatte sie diese Wohnung bezogen, da sie hier ohne Aufwand von Geld oder körperlicher Kraft, [69] sehr leicht zu Fuß sein Vorzimmer erreichen konnte, wo sie sich lange Zeit, unbemerkt und ohne vorgelassen zu werden, unter der Zahl der Bittenden befand, die es belagerten.

Da sie gelähmt und viel zu schwach war, um ohne Stütze gehen und sich aufrecht erhalten zu können, so mußte Amalie sie jedesmal begleiten, und mancher lüsterne Blick der Aus- und Eingehenden ruhte auf dem reizenden Mädchen, das, sich unbehaglich in dieser ihr fremden geräuschvollen Welt fühlend, die schönen Augen schüchtern senkte, und nur bemüht war, ihrer Mutter die Zeit des vergeblichen Wartens, das lange Stehen und, wenn sie wieder unverrichteter Sache weggehen mußte, die Bitterkeit der abermals getäuschten Erwartung zu erleichtern.

Zu arm, und vielleicht auch zu unerfahren, um, wie andere thaten, die übermüthige Dienerschaft des Ministers zu bestechen, und sich so endlich Zutritt zu erkaufen, hatten sie schon manchen Morgen hoffnungslos hier verloren, und selbst mehrere schriftlich eingereichte Bitten waren unbeantwortet geblieben, als eines Tages Edmund aus dem Zimmer seines Vaters trat, und gleichgültig seinen Blick über die bunte Versammlung hingleiten ließ.

Der Anblick einer ältlichen, mehr noch durch Leiden und Muthlosigkeit, als durch ihre Jahre niedergebeugten Frau, deren Anstand unwillkürlich verrieth, daß sie früher wohl nicht gewohnt gewesen sey, im Vorzimmer wie eine Bettlerin zu harren, würde, bei der Güte seines weichen Herzens, sein [70] Mitleid schon allein rege gemacht haben, hätte der Engel, der ihr zur Seite stand, ihr nicht augenblicklich noch weit innigere Ansprüche auf seine Theilnahme gegeben.

Sehr dürftig gekleidet, war ihre Schönheit und die höchste Reinlichkeit ihr einziger Schmuck, und das tiefe Erröthen der Scham, sich hier so geringschätzig behandelt, und von so vielen unzart begafft zu sehn, das ihre Wangen noch immer nicht verlernen konnten, verschönerte sie nicht nur, sondern drückte auch so, wie ihre niedergeschlagenen, mühsam ihre Thränen zurückdrängenden Augen unverkennbar aus, wie qualvoll ihr dieser Zustand war.

Edmund ging sogleich auf die Matrone zu, und indem er, ohne erst nach ihrem Anliegen zu fragen, in einem gebieterischen Tone den Dienern befahl, Sessel für die Damen herbei zu schaffen, kündigte er sich durch die unterwürfige Schnelligkeit, mit der sie ihm gehorchten, als Sohn des Hauses an, ehe er ihnen noch seinen Namen genannt hatte.

Als Mutter und Tochter sich gesetzt hatten, suchte er mit der ihm eigenen Feinheit und Milde ehrerbietig nach ihren Wünschen zu forschen. Keine Neugier, sondern nur das Verlangen, ihr nützlich zu seyn, sagte er, sey die Ursache dieser vielleicht unbescheidenen Zudringlichkeit, und nur in dieser Hinsicht hoffe er, sie werde sie ihm vergeben.

Sie trug ihm in gedrängter Kürze ihr Anliegen vor; als sie aber geendigt hatte, wurden die Thüren, die in das Cabinet des Ministers führten verschloßen. Dieses Signal, daß die zu Audienzen bestimmte Zeit [71] für heute verfloßen sey, trieb die Versammlung aus einander, und auch Frau von Derbald stand auf, um sich zu entfernen. Edmund verlangte seinen Wagen, indem er sich die Erlaubniß erbat, sie nach Hause zu bringen. Da sie ihm aber sagte, daß ihre Wohnung nur wenig Schritte entfernt sey, bot er ihr den Arm, sie dahin zu begleiten, und nahm mit dem Versprechen von ihr Abschied, daß sie am folgenden Morgen seinen Vater ganz gewiß sprechen solle.

So heiter wie heute waren Mutter und Tochter noch nie nach Hause gekommen. Gleich einem guten Engel war ihnen der Jüngling erschienen, der sich so freundlich ihrer angenommen hatte, und den sein liebenswürdiges Aeußere schon allein empfohlen haben würde, hätte es seine Güte, seine Theilnahme und der Ernst, der in seinem Anerbieten lag, nicht bereits gethan. Ermuthigt durch seine Bekanntschaft und sein Versprechen, sah Frau von Derbald dem folgenden Tage entgegen, und Amaliens Herz klopfte lauter, wenn sie daran dachte, ihn wieder zu sehn.

Als sie am andern Morgen in dem Vorzimmer er schienen, wo sie so manche Demüthigung, so manche Kränkung erlitten hatten, wartete ein ganz anderer Empfang, als der gewöhnliche, der eigentlich keiner war, auf sie.

Statt mit nachlässiger Insolenz sie zu übersehen, oder mit spöttischen und beleidigenden Blicken sie zu messen, beeiferten sich die Bedienten jetzt auf's sorgfältigste, sie, Edmunds Befehlen gemäß, mit der größten Ehrerbietung zu empfangen.

Man führte sie in ein elegantes Zimmer, durch [72] eine wohlthätige Scheidewand von der ihnen verhaßten Antichamber getrennt. Nach wenig Momenten trat Edmund freundlich und zuversichtlich, wie ein Bote der Hoffnung, zu ihnen ein. Die Versicherung, daß sein Vater ganz beschämt über die Schwierigkeiten sey, die Frau von Derbald bisher bey ihrem Wunsche, ihn zu sprechen, gefunden habe, daß er sie erwarte, und entschloßen sey, durch die möglichste Beeilung ihrer Angelegenheiten, sie für die verlorne Zeit zu entschädigen, vollendete durch die fröhlichste Wirkung den Eindruck, den seine beglückende Erscheinung auf das bereits verzagende Gemüth der Mutter hervorgebracht hatte, und Amalie fühlte sich neben der stillen Bewunderung seiner mänlichen Grazie so von Dankbarkeit durchdrungen, daß es ihr schwer wur de, den innigen Ausbruch derselben zurück zu halten.

Unter dem Vorwand, daß eine langwierige juristische Unterredung das Fräulein unmöglich interessiren könne, suchte er sie von der Begleitung ihrer Muster auszuschließen. Denn er wünschte nicht, daß der mistrauische Character seines Vaters in ihrer unwiderstehlichen Schönheit den Grund der auffallenden Verwendung suchen möchte, mit der er sich bemüht hatte, dieser zurückgesetzten Familie zu nützen. Er erbot sich, an ihrer Statt Frau von Derbald, freilich mit weniger Geschicklichkeit, aber mit derselben vorsichtigen Sorgfalt, wie sie, zu führen, und öffnete, um ihr einstweilen in der Einsamkeit Unterhaltung zu gewähren, die Thüren einer angränzenden Gemäldegallerie, in der, unter mehreren Familenportraits, auch das seinige sich befand.

[73] Der Minister, der Edmund gerne verbinden wollte, weil er seine Bereitwilligkeit bei manchen hochfahrenden Planen noch zu vermehrender künftiger Größe wiederum in Anspruch zu nehmen gedachte, empfing die Wittwe mit glatter Höflichkeit, und lieh ihren Klagen und Beschwerden ein geduldiges Ohr. Er war, oder schien, von der Rechtmäßigkeit ihrer Ansprüche überzeugt, gelobte ihr, seinen ganzen Einfluß zu ihrem Besten anzuwenden, und entließ sie sehr zufrieden mit der Versicherung, daß der glückliche Ausgang ihres Prozeßes ihr aufs baldigste beweisen solle, wie sehr es ihm Ernst sey, der besondern Empfehlung seines Sohnes, so wie ihren Verdiensten, Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen.

Als Edmund die mit freudigem Dank ihn überhäufende Matrone hinweg, und zu einem Sopha des vorigen Zimmers geleitet hatte, ging er raschen Schritts in die Gallerie, Amalie von ihrer Zurückkunft zu benachrichtigen.

Er fand die Liebenswürdige vor seinem Bilde knieend, Arme und Blicke zu ihm empor gehoben, und in dem Ausdruck ihrer Züge die glühendste Begeisterung mit der frommen Schwärmerei der höchsten Andacht verschmolzen.

Ein wenig betroffen richtete sie sich auf, als sie ihn erstaunt neben sich erblickte. Aber nur flüchtig weilte das Erröthen, sich überrascht zu sehen, auf ihrem zarten Antlitz, denn die Reinheit ihres Bewußtseyns gab ihr bald ihre ganze Unbefangenheit wieder.

[74] Ich habe Gott gebeten, unsern Wohlthäter für seine Güte zu segnen, sagte sie.

Möchte Gott mir so viel Macht verleihen, als ich Willen habe, Ihnen zu nützen, antwortete er verwirrt und innig gerührt, indem er ihre Hand küßte und sie dann schweigend zu ihrer Mutter führte.

Die Erlaubniß, sie besuchen zu dürfen, um, die er bat, und die ihm gewährt wurde, war der erste Lohn seiner theilnehmenden Bemühung. Er machte sehr bald von ihr Gebrauch; und da er auf den ersten Blick die mit ihrer Kleidung übereinstimmende Dürftigkeit ihrer Wohnung bemerkte, nahm er freudig die Gelegenheit wahr, sie sich aufs neue zu verbinden.

Ihre Sache, gnädige Frau, sprach er ehrerbietig zu der Mutter, wird, wie ich von meinem Vater höre, ganz gewiß zu Ihrem Vorrheil entschieden werden. Aber der Gang des Rechts ist langsam, und er selbst vermag ihn nicht zu beeiligen, besonders da sich Chicanen in den Weg werfen, die ihn wenigstens aufhalten, wenn sie auch keinesweges zu fürchten sind. Wie ungerecht wäre es gegen sich selbst und gegen Ihre Kinder, wenn Sie bei dieser sichern Erwartung in einer Beschränkung fortleben wollten, die Ihrer nicht würdig ist. Erlauben Sie mir, Ihnen ein Darlehn anzubieten, bis der Gewinn Ihres Prozeßes Ihnen gestatten wird, es mir mit Bequemlichkeit zurück zu zahlen, und seyn Sie überzeugt, daß Sie mich unendlich durch die Annahme eines so geringfügigen Dienstes verbinden.

[75] Dieser Vorschlag berührte eine sehr wunde Stelle in Frau von Derbalds Gemüth mit schmerzstillendem Balsam. Seit sie durch Edmunds Vermittelung so bedeutende Fortschritre in ihren Angelegenheiten gemacht hatte, fühlte sie sich allerdings sehr erleichtert und zur Hoffnung ermuntert. Aber Freude vermochte noch nicht in ihr vielfach gequältes Herz zu dringen, da Nahrungssorgen sie aufs peinlichste bestürmten. Sie hatte bereits jedes ihr zu Gebote stehende Mittel erschöpft, um sie zu heben, aber umsonst. Mit jedem Tage wurde ihre Schwere drückender, und völlig fremd und ohne Credit sah sie den schrecklichen Augenblick nahen, wo ihr nichts übrig bleiben würde, die dringendsten Bedürfnisse des täglichen Lebens zu befriedigen.

In dieser Lage erschien Edmunds Anerbieten ihr wie eine Hülfe, von oben gesandt, sie vor der Verzweiflung zu bewahren; und es war sehr natürlich, daß der helle Schein, der durch seine zuvorkommende Achtsamkeit und Güte an ihrem trüben Horizont aufdämmerte, auf ihn zurückstrahlte, und ihn in ihren Augen mit einer Glorie umgab.

Der Wohlstand erforderte demohngeachtet einige Weigerungen, aber Edmund bekämpfte sie durch sein inniges Bitten, und war so glücklich, nicht nur eine Summe von hundert Louisd'or in ihre Hände niederlegen zu dürfen, sondern er empfing, auf sein dringendes Anhalten, das Versprechen, daß sie so lange sie es bedürfen werde, Niemanden anders, als ihm gestatten wolle für sie zu sorgen.

Wie das dem Erlöschen nahe Lämpchen, durch[76] neues Oel erfrischt, hell wieder auflodert, so trat seitdem eine unbekümmerte Gemüthlichkeit, ein ruhiger Frohsinn an die Stelle banger Beklommenheit und mühsam verhehlter Angst in diese Familie, und Edmund genoß im Stillen eine der süßesten Freuden, die es giebt, die nämlich, den Gegenstand seiner Liebe vor Mangel geschützt, und statt der Dornen Rosen auf seinen Weg gestreut zu haben.

Obgleich Amalia keine Gelegenheit hatte, Edmund anders, als im Beiseyn der scharf beachtenden Mutter, zu sprechen, so lag doch die zarte Neigung, die beide für einander fühlten, und das wortlose, aber innige Einverständniß ihrer Seele klar am Tage.

Wenn auch dadurch Edmunds großmüthiger Antheil weniger laut in den Augen der Frau von Detbald erschien, da eine Nebenabsicht ihm offenbar zum Grunde lag, so bemerkte sie doch mit heimlichen Wohlgefallen seine achtungsvolle und ernstlich-scheinende Liebe, und es kam ihr weder unwahrscheinlich noch unschicklich vor, in ihm sich ihren künftigen Schwiegersohn zu denken.

Zwar war Amalie jetzt arm, und hatte auch im glücklichsten Falle nur auf eine beschränkte, Edmunds Ansprüchen nicht angemessene Mitgift zu hoffen. Aber die um so reichere Aussteuer, die sie von der Natur empfangen hatte, schien ihr mit Recht ein hinlänglicher Ersatz für dies Entbehren, und ihre Geburt – ein Umstand, der dem ahnenstolzen Minister wohl wichtiger, als das Vermögen seyn mochte – stellte sie durch alten und untadelhaften Adel dreist an seine Seite.

[77] So waren einige Monate vorüber geeilt, ohne daß Edmund anders, als durch Blicke von dem, was in seinem Innern vorging, zu Amalien gesprochen hätte. Endlich aber vermochte er nicht länger diese immer mächtiger werdenden Gefühle in sein Herz zurück zu drängen. Er sehnte sich nach einigen Momenten des Alleinseyns mit ihr, um von ihren Lippen das süße Bekenntniß zu hören: daß sie ihm zu hoffen erlaube.

Zwar glaubte er längst in ihrem ganzen, so lieblich gegen ihn erwärmten Wesen, die Antwort auf diese Frage, die sein Schicksal entscheiden sollte, günstig für seine Wünsche wahrzunehmen. Aber nicht ewig stumm wollte er sich in diesen Ahnungen berauschen – eine selige Wirklichkeit in ihren Armen sollte ihn überzeugen, daß sein Glück, so wie seine Hoffnungen, kein Traum waren.

Nachdem er aber vergebens erwartet hatte, ein freundlicher Zufall werde ihm zu Hülfe kommen, wagte er es einst, als er, wie gewöhnlich, in der Mutter Beysein, ihr Unterricht auf der Guittarre gab, der Geliebten einige Zeilen in die Hände zu spielen, in denen er sie seine Absichten errathen ließ, und sie beschwur, ihm Gelegenheit zu einer kurzen, ungestörten Unterredung zu verschaffen.

Zitternd und erröthend nahm Amalie den verhängnißvollen Brief, der ihre nähern Verhältniße einleitete, und verbarg ihn, ohne Edmund anzusehen, in ihren Busen. Sie entfernte sich jedoch nicht, ihn zu lesen, wie seine Ungeduld wünschte, um je eher je lieber ihre Erwiederung zu empfangen. Aber er bemerkte,[78] daß sie in tiefes Nachdenken versank, und daß ihre Seele abwesend war, wenn auch der Körper sich bemühte, mechanisch die ihr obliegenden kleinen Geschäfte, so wie sonst, zu verrichten. Es war ihm daher für heute genug, sie mit sich willig in einem Einverständniß zu wissen, das ihn zu den schönsten Erwartungen berechtigte; und in der Hoffnung, nun seinem Ziele einige Schritte näher zu treten, kam er am folgenden Tage wieder.

Amaliens Empfang, in den statt der gewöhnlichen, ihr eigenthümlichen Munterkeit, sich heute ein gewißer Ernst mischte, der fast der Rührung glich, erregte eine eigene, wunderbare Spannung in seinem Gemüth. Doch lag in ihrem sprechenden Auge so viel Zärtlichkeit – es ruhte, wenn sie sich unbemerkt glaubte, mit so sinnender Beschauung, mit so seelenvollem Ausdruck auf ihm, daß seine Pulse freudig höher klopften, da er nicht umhin konnte, sich selbst zu gestehn, er habe keine Ursache, zu verzagen.

Wie unendlich stieg aber der frohe Tumult in seinem Innern, als Amalie sich anschickte, seinen musikalischen Unterricht entgegen zu nehmen, und, in ihren Notenbüchern blätternd, ihm eines derselben aufgeschlagen hinreichte, das ein kleines Blatt von ihrer Hand mit folgenden Worten enthielt:

»Morgen wird meine Mutter mit ihrem Sachwalter vor Gericht erscheinen. Sie hat mir erlaubt, während dieser Zeit die Messe bey den Franziscanern zu hören, und ich erwarte Sie dort um zehn Uhr, um zu vernehmen, was Sie mir zu sagen haben.«

Diese laconische Art, sich auszudrücken, hätte [79] billiger Weise in Edmund Besorgnisse erregen können, wenn die Milde in ihrem Lächeln ihm nicht Muth eingesprochen hätte. Sehnsuchtsvoll zählte er die Stunden bis zum folgenden Morgen, und säumte nicht, sich aufs pünklichste einzufinden.

Wenig Augenblicke nach ihm erschien auch sie. Es herrschte in ihrer Haltung eine Ruhe, eine Würde, die ihn mit Ehrfurcht erfüllte, da sie, wie er von ihrer unverstellten Geradheit erwarten konnte, kein Werk der Kunst, sondern eines mit sich selbst einigen, fleckenlosen Herzens war.

Nachdem sie ihn freundlich begrüßt hatte, knieete sie nieder, ihre Andacht zu verrichten. Die Inbrunst ihres Gebets, das diesmal, wie er sich schmeichelte,seine und ihre ganze Zukunft umfaßte, einige Thränen, die leise ihren zum Himmel gewandten Augen entfielen, und die Selbstvergessenheit ihrer frommen Begeisterung, die weder auf ihn, noch auf die übrigen Anwesenden achtend, sich nur mit Gott, und dem Anliegen beschäftigte, das sie ihm vortrug, überzeugte ihn von dem tiefen Gefühl, das in ihr rege war.

Endlich war die Messe aus. Sie stand auf – die Kirche wurde leer, und sie waren allein.

Mit derselben stillen Fassung, die immer Friede gewährt, mit der sie zuerst ihm genaht war, kam sie ihm auch jetzt entgegen, und reicht ihm die Hand mit himmlischer Freundlichkeit.

Sie haben mich zu sprechen verlangt, sagte sie, und ich bin hier, Sie zu hören. Der Dank den wir Ihnen schuldig sind, und die Achtung die Sie [80] mir noch ins besondere eingeflößt haben, hat mir Muth gegeben, zum erstenmal in meinem Leben meine Mutter zu täuschen. Es ist Unrecht, das fühl ich wohl – auch habe ich lange dagegen gekämpft, ehe ich mich entschließen konnte, und wenn ich den Ahnungen trauen wollte, die wachend und träumend seitdem mich ängstigen, so hätte ich Sie fliehen müssen, statt Sie aufzusuchen. Aber mein fester Wille überwand dies alles, und seitdem ich über diese heilige Schwelle schritt, kehrten Zuversicht und Hoffnung wieder in meine beklommene Seele zurück. Lassen Sie uns nun die kurz uns zugemessenen Augenblicke benutzen – lassen Sie mich wissen, was Sie mir mitzutheilen haben.

Ob sich gleich Edmund der reinsten Gesinnungen gegen sie bewußt war, so konnte er doch kaum die Hoheit ihres, in Himmelsglanz ihm erscheinenden, Wesens ertragen. Sie dünkte ihm so weit erhaben über seine kühn zu ihr aufstrebenden Wünsche, daß nur die zarte Erwiederung, die er in ihrem, so innig auf ihm ruhenden Blicke fand, ihm den Muth gab, sie ihr auszusprechen.

Das Geständniß seiner Liebe befremdete sie gar nicht. Sie hörte es an, als habe sie es erwartet, und als könne es nicht anders seyn. Gleichwohl flog ein trüber Schatten über ihr sonnenhelles Angesicht, als er – sein Urtheil von ihrem Ausspruch erwartend – schwieg, und eine leise Trauer mischte sich in den Ton, mit dem sie ihm antwortete.

Ich glaube, was Sie mir sagen, sprach sie alsdann, weil eine Gewalt in meinem Innern, die ich [81] mir nicht erklären kann, mich dazu zwingt. Ein eigner Zauber, der nicht die Wirkung der Dankbarkeit, sondern eines noch weit höhern Gefühls ist, zieht mich zu Ihnen hin – mir ist, als hätten wir uns schon lange gekannt, als hätten wir zusammen gespielt in unserer Kindheit, wären neben einander fortgeschritten in der Entwickelung unserer Jugend, und würden auch in Zukunft eines dem andern zur Seite seyn.

Entzückt hörte Edmund ihrer Rede zu. O diese Ansicht, rief er aus, wie ist sie aus meiner Seele genommen! Wie bestätigt sie die innere Nothwendigkeit, die in jedem Schlag meines Herzens mir zuruft: daß wir für einander geboren sind, und daß wir uns nur gefunden haben, um uns anzugehören fürs ganze Leben, um uns niemals mehr zu trennen.

Mit ernster Wehmuth schüttelte Amalie das schöne Haupt. Zu diesem Ziele wird unsere Bekanntschaft nicht führen, erwiederte sie, aber mächtig eingreifend in mein Schicksal kann ich mir keine andere Entscheidung desselben denken, als die, die aus ihr hervorgeht.

Sie lieben mich? fuhr sie fort, ach in diesen Worten ist die Erfüllung des Wunsches enthalten, der bei Ihrem ersten Anblick in meiner Seele aufstieg. Während ich in Ihnen nur den hülfreichen Menschenfreund und unsern Retter aus drückender Erniedrigung zu ehren glaubte, täuschte ich mich selbst, denn es warLiebe was ich empfand, und ich gestehe Ihnen offen, daß ich Ihre Gefühle aufs innigste erwiedere. Doch erst seit wenig Tagen ist es mir völlig klar – eben so klar aber die weite Kluft, die [82] das Verhängniß trennend zwischen uns geworfen hat. Daher lassen sie uns berathen, wie zwei, die an einem unheilbaren Uebel leiden, auf welche Weise es wenigstens zu lindern ist.

Edmund konnte nicht Worte genug finden, um ihr die Freude auszudrücken, die eine so zärtliche Erklärung ihm verursachte. Doch mit Ruhe und schärferer Umsicht, als er ihrer jugendlichen Unerfahrenheit zugetraut hatte, setzte sie ihm die Hindernisse aus einander, die sie befürchten ließen, ihm niemals angehören zu dürfen.

Der allgemein bekannte Stolz seines Vaters, der auf dem hohen Standpunkt, auf dem sein Rang ihn stellte, nimmer ein armes unbekanntes Mädchen zur Gattin seines einzigen Sohnes erheben werde, ihr Mangel an Vermögen und an einer zum Glänzen in der großen Welt erforderlichen Erziehung, nebst der Pflicht, ihrer für diese höhern Kreise eben so wenig passenden, so ganz an sie gewöhnten Mutter, stets im weitesten Sinn des Worts kindlich unterworfen, und nahe bleiben zu müssen, alles dies drohte jede Hoffnung, die freudig in ihren Gemüthern aufdämmern wollte, trostlos niederzuschlagen, wenn Edmunds Liebe und Gewandtheit nicht Gründe genug aufgefunden hätte, sie zu widerlegen.

Er läugnete nicht, daß sie in ihrem Urtheil über seinen Vater sich nicht irre; ja, daß sein Stolz und seine Ansprüche vielleicht noch ungemessener wären, als das Gerücht es ausspreche. Er betrachtete Amalien bereits so eng mit seinem Herzen und mit seinem Loose verbunden, daß er offen, wie in seinen [83] eignen Gedanken, ihr bekannte, er habe Ursache, zu vermuthen, daß ein bereits entworfener Plan desselben ihm eine der ersten, glänzendsten Parthieen des Landes bestimme. Ein aufrichtiges Geständniß werde, wie er seinen Vater kenne, nur seinen Unmuth reitzen, statt ihn für seine Hoffnungen zu gewinnen, aber die Verschiedenheit ihrer Denkungsart entschuldige es, wenn er die Waffen ergreife, mit denen es dem Sohn gestattet sey, seiner besseren Ueberzeugung folgend, die väterlichen Vorurtheile zu bekämpfen.

Und welche Waffen sind das? unterbrach ihn Amalie. Gehorsam ist der Sohn dem Vater schuldig. Trauern darf er wohl über den unbeugsamen Willen, der seine Wünsche ihm verweigert, aber seine Pflicht ist, sich ihm zu unterwerfen.

Mein Vater hat das Recht, mir eine Heirath zu verbieten, die ihm mißfällt, versetzte Edmund, aber er kann mich zu keiner zwingen, die meinem Herzen widerstrebt. Und ist eine rechtmäßige Verbindung weniger heilig, weniger gültig, wenn tiefes Geheimniß sie umhüllt? Das Vermögen meiner Mutter macht mich schon seit mehreren Jahren unabhängig von meinem Vater. Es ist hinreichend, unsere Zukunft vor Sorgen zu schützen, auch wenn Zeit und Zufall ihm verrathen sollte, daß wir uns auf ewig verbunden haben, und es uns nicht gelänge, ihn zu versöhnen. Indeß bin ich überzeugt, er wird, wie alle Menschen, weit eher in Geschehenes sich finden, weil es unabänderlich ist, als etwas gestatten, was seinen Planen entgegen ist, und noch zu verhindern in seiner Willkühr steht.

[84] Amalie hörte ihm aufmerksam zu. Ihre leisen Einwendungen wurden eben so mächtig von der Stimme in Ihrem Innern bestritten, die nur allzulaut zu seinem Vortheil sprach, als von den Ueberredungskünsten, welche er anwandte, sie mit dem Gedanken einer heimlichen Vermählung vertraut zu machen, die er ihr vorschlug.

Ich willige ein, sprach sie endlich nach tiefem Nachdenken, indem sie seufzend ihr erröthendes Angesicht an seine Brust neigte, um es zu verbergen. Ich willige ein – ich lege mein Schicksal in Ihre Hände nieder, Edmund, und das dumpfe Vorgefühl, daß ich nicht glücklich seyn werde, das trübe mir die Aussicht in die Zukunft verhüllt, möge Ihnen zum Beweis dienen, wie innig ich Sie liebe, da ich demohngeachtet Ihren Wünschen das Opfer meines ganzen Daseyn bringe.

Wie? unterbrach sie Edmund betroffen, Sie zweifeln daran, glücklich mit mir zu seyn? Woher diese bange Furcht, die ein kränkendes Mißtrauen in meine Redlichkeit, in meine Treue, in meine Liebe verräth?

Verkennen Sie mich nicht, erwiederte Amalie, den bethränten Blick bittend zu ihm aufrichtend. Wenn ich an Ihnen selbst zu zweifeln vermöchte, wie könnt' ich ferner dann das Leben ertragen, das ich freudig Ihnen zu widmen entschloßen bin. Nein Edmund, mit vollem Vertrauen, mit unbegränzter Achtung und mit einer Liebe, die stark genug ist, um bis über das Grab hinaus zu reichen, gebe ich Ihnen Herz und Hand – aber kann ich darum mir [85] abläugnen, daß ein schreckendes Gespenst oft zwischen uns treten und das Glück Ihres Besitzes mir vergiften wird? Verbunden durch ein heiliges Sacrament, werden wir vor Gott uns angehören, und unbescholten darf ich meine Augen zu ihm empor richten, ohne daß mein Bewußtseyn einer leichtsinnigen Verletzung meiner Ehre mich anklagt. Aber ist das alles, was wir bedürfen, um unsern innern Frieden durch Reinheit des Gewissens uns zu sichern? Verletzen wir nicht Pflichten, fast so heilig als die, die wir erfüllen, indem wir, ohne die Einwilligung derer, die uns das Leben gaben, uns wählen, und statt des Segens, der uns zum Altar begleiten sollte, vielleicht dereinst ihren Fluch auf uns herabrufen?

Mit der innigsten Zärtlichkeit suchte Edmund ihr schmerzlich bewegtes Gemüth zu beruhigen. Er glaubte, daß der Vorschlag, ihre Mutter zur Vertrauten ihres Geheimnisses zu machen, wesentlich dazu beitragen werde, den Kampf zwischen Liebe und Pflicht zu mildern, der den Frieden ihrer schönen Seele zu trüben drohte; aber Amalie lehnte ihn, als unausführbar, ab, so dankbar sie auch seine liebevolle Absicht erkannte.

Ich kenne meine Mutter, sagte sie. Ihr Stolz und ihre Heftigkeit würden, unerweicht von meinen Bitten, unser Glück zertrümmern, da es nur auf Verheimlichung gegründet seyn kann. Außerdem würde die Furcht, den Prozeß zu verlieren, von dem die Wohlfahrt unserer ganzen Familie abhängt, sie weit eher bewegen, mich einem Kloster zu opfern, als irgend etwas zuzulassen, was Ihren Vater beleidigen [86] oder mißfallen könnte. Gewiß wäre sie nach ihrer Denkungsart die erste, die ihn von unserem Verständniß unterrichtete – eine ewige Trennung würde die unausbleibliche Folge seyn, und ich fühle mich stärker, jedes Leiden, das uns vereint trifft, als diese zu ertragen. Daher muß unsere Verbindung ihr vor allen andern verborgen bleiben, und der schöne Spruch:Das Weib wird Vater und Mutter verlassen und an seinem Manne hangen, soll, indem ich ihn als Ausspruch eines höhern Wesens betrachte, Balsam in die Wunde gießen, die das Bewußtseyn kindlichen Ungehorsams meinem Innern schlägt.

Da Edmund befürchtet hatte, weit mehr Schwierigkeiten anzutreffen, als er wirklich fand, so hatte er nur darauf gedacht, diese zu überwinden, nicht aber einen bereits bestimmten Plan für ihre Zukunft zu entwerfen. Sie verabredeten jetzt, da sie sich trennen mußten, einen geheimen Briefwechsel, sich für den Zwang des Beisammenseyns in Gegenwart der Frau von Derbald zu entschädigen, so wie gewisse Zeichen, durch welche Amalie ihn aufmerksam zu machen versprach, wenn es ihr vergönnt seyn werde, an dieser heiligen Stätte ihn wieder zu sehen.

Berauscht von seinem Glück und in noch seligere Träume der Zukunft vertieft, ging Edmund nach Hause, ohne das Gewitter zu ahnen, das finster an dem hellen Frühlingshimmel seiner Liebe sich zusammen zu ziehen begann.

Sein Vater, der sich sonst wenig um sein Thun und Treiben bekümmerte, und von seinen geselligen [87] Verhältnissen weiter nichts verlangte, als daß sie sich innerhalb der Schranken der Konvenienz erhielten, hatte zwar schon seit einiger Zeit sich nach den häufigen Besuchen erkundigt, die er offen und unverhehlt im Hause der Frau von Derbald abstattete, aber dennoch keine Mißbilligung darüber, noch weniger den Wunsch bezeugt, daß er sie unterlassen möchte.

Jetzt aber wiederholte er sein Forschen deshalb, und zwar auf eine Weise, die Argwohn verrieth. Er ließ sich nicht undeutlich merken, daß die Wärme, mit der Edmund unbefangen fortfuhr, sich für die Angelegenheiten dieser Familie zu interessiren, ihm, seit er erfahren, daß eine schöne Tochter die Zierde derselben sey, nicht wie früher als eine Aufwallung des Mitleids und der Menschenliebe, sondern als das Zeichen eines nähern Antheils erscheine, den er keineswegs gut zu heißen entschloßen war.

Mit der Glätte eines Hofmannes suchte er jedoch den Schein zu vermeiden, als räume er dem gefaßten Verdacht die Wichtigkeit ein, die er wirklich in seinen Augen hatte. Er behandelte ihn vielmehr, wie ein unstatthaftes Gerücht, viel zu ungereimt, um darauf zu achten, und als Edmund einige bittere, das Haus seiner Geliebten herabwürdigende Scherze nicht ohne Unmuth anhörte und beantwortete, warf er es bloß leicht hin, daß ihm es freilich sehr gleichgültig seyn könne, wo sein Sohn die Abende zubringe, und daß er gerne glaube, daß in einer Familie, auf die man eben keine besondere Rücksichten zu nehmen verpflichtet sey, der Ton eine fröhliche Ungezwungenheit und bequeme Nachlässigkeit habe, die [88] einen jüngen Menschen wohl anziehen könne, jemehr man in höheren Kreisen sie vermisse, daß aber seine künftigen Verhältnisse doch eine gewisse Behutsamkeit des Betragens verlangten, weshalb er ihn bitte, diesen nicht ganz schicklichen Umgang abzubrechen.

Edmund glühte über und über bei dieser geringschätzigen Art, sich auszudrücken; doch die Klugheit bewog ihn, sein aufgeregtes Gefühl zu beherrschen. Er wußte recht gut, daß unter seinen künftigen Verhältnissen die Verbindung mit der jungen Gräfin Berg gemeint sey, die schon seit Jahren der Lieblingsplan beider Familien war, aber er fand es nicht für rathsam, eine nähere Erklärung zu veranlassen, sondern suchte ihr mit einer Geschmeidigkeit auszuweichen, die – seinem geraden Character völlig zuwider – nur aus Liebe zu Amalie ihm zu erkünsteln möglich war, und die ihm den Vortheil gewährte, daß er einem förmlichen ernsten Verbot, sie ferner zu sehen, entging.

Statt sich aber durch die klar am Tage liegenden Gesinnungen seines Vaters in seinem romantischen Vorsatz abschrecken zu lassen, eilte er vielmehr, alle Anstalten zu seiner baldigen Ausführung zu treffen, und besuchte während dieser Zeit nach wie vor das Haus der Frau von Derbald, sich wenigstens an dem Anblick seiner Geliebten zu weiden, wenn ihm auch unter den Augen der Mutter keine innige Unterhaltung mit ihr gestattet war.

Mit Hülfe eines treuen Dieners, dem er sich vertraute, hatte er in einer der Vorstädte eine verborgene, ganz seinen Wünschen entsprechende, Wohnung [89] bei guten redlichen Bürgersleuten gefunden, deren patriarchalisch eingezogene Lebensweise ihn nicht befürchten ließ, daß sie je seine wahren Verhältnisse entdecken würden. Dort sollten einige freundliche Zimmer, die er bemüht war, mit allem auszuschmücken, was zu den Annehmlichkeiten des Lebens gehört, Amalien aufnehmen, und der Schleier des Geheimnisses, so lange als möglich, das Glück seiner Liebe den neidischen Blicken der Welt verhüllen.

Auch war es ihm gelungen, eines der wichtigsten Hindernisse zu überwinden, das seine Heirath bisher noch zu verzögern drohte, indem er die Bekanntschaft eines alten ehrwürdigen Geistlichen machte, der bei allen Bedenklichkeiten ängstlicher Gewissenhaftigkeit sich dennoch überreden ließ, die Trauung zu übernehmen.

Freilich verstand er sich nicht dazu, ohne vorher Edmunds ihm unter dem Siegel der Beichte anvertrauten Wunsch, durch alle Gründe der Religion und Moral, die ihm gegenwärtig waren, bestritten zu haben. Er mahnte ihn sehr ernst an den Gehorsam, den Kinder ihren Eltern schuldig sind – an alle Beispiele der Unglücksfälle, die die heilige Schrift sowohl als die Geschichte anführt, und wodurch gleichsam als eine selten ermangelnde Folge die Strafe Gottes nach der Uebertretung des ehrwürdigsten, schon in der Natur begründeten, Gebotes warnend sich ausspricht. Selbst wenn diese sichtliche Strafe ausbleiben sollte, machte er ihn aufmerksam auf jene unsichtbare, oft noch schwerere, auf die Stimme der eigenen Brust, die – wenn auch Anfangs von Leidenschaft übertäubt[90] – doch endlich qualvoll über begangenes Unrecht entscheidet und zu ewiger Reue verdammt. Edmund aber, durchdrungen von Sehnsucht nach dem Besitz der Geliebten, und der lautersten Absichten sich bewußt, widerlegte feurig jede Einwendung des Greises, und wußte ihn so lebendig von der Reinheit seiner Gesinnungen zu überzeugen und in sein Interesse zu ziehen, daß er nicht länger widerstrebte, sei nem Bund mit Amalien die priesterliche Weihe zu ertheilen.

Diese wurde indeß durch Edmunds Briefe von dem stufenweisen Fortgang seiner Bemühungen unterrichtet. Sie billigte alles, was er unternahm, und blickte mit inniger Liebe und Ergebung der Entwickelung ihres Schicksals entgegen, ohne gleichwohl den dunklen Ahnungen gebieten zu können, die von Zeit zu Zeit Unglück weißagend fortfuhren, ihr Herz zu beklemmen.

Ob sie gleich diesem innern Zagen keine Worte mehr lieh, um dem Geliebten ein reines, nicht durch ihre Schwermuth getrübtes, Glück gewähren zu können, so entging ihm doch die geheime Trauer nicht, die an die Stelle ihrer jugendlichen Heiterkeit getreten war. Die beruhigende Ueberzeugung indessen, daß nicht Reue über ihre Wahl diese Verwandlung bewirkte, ließ ihn hoffen, die Zukunft werde ihr jene unbefangene Stimmung wieder geben, in der er sie sonst gekannt hatte, und er eilte nur um so mehr, sie ganz sein zu nennen.

Seit der letzten bedeutenden Unterredung mit seinem Vater war fast ein Monat verstrichen. Der [91] Name der Frau von Derbald wurde nicht mehr zwischen ihnen genannt, doch schien es Edmund, als sey er darum keineswegs vergessen, und als beobachte sein Vater jede seiner Handlungen mit einer nie vorher an ihm wahrgenommenen Aufmerksamkeit.

Endlich waren seine Anstalten getroffen, und es bedurfte nur der letzten Verabredung mit Amalien, um den Tag zu bestimmen, der seine Wünsche krönen sollte. Eben war er im Begriff deshalb zu ihr zu gehen, als ihm zu seiner größten Verwunderung Frau von Derbald, geführt von ihrer jüngsten Tochter, und dem Anscheine nach in großer Gemüthsbewegung, im Vorzimmer seines Vaters begegnete.

Ich halte es für ein glückliches Zeichen, daß ich Sie hier treffe, Herr Graf, rief sie ihm zu, hier, wo ihre Theilnahme Sie schon einmal als meinen guten Genius mir erscheinen ließ. Sie sehen mich in der äußersten Verlegenheit vor sich. Mein Sachwalter hat mir so eben gesagt, daß ihr Herr Vater sehr aufgebracht auf mich sey. Sein Unmuth, wenn ich gleich nicht weiß, wodurch ich ihn verdient habe, ist mir viel zu wichtig, als daß ich nicht nach der Ursache desselben forschen sollte. Daher bitte ich Sie, helfen Sie mir zu einer Unterredung mit ihm. Mein Gewissen wirft mir nichts vor, was ihn könnte beleidigt haben – es wird mir daher leicht werden, mich zu rechtfertigen, wenn er mir nur Gehör schenkt.

Sehr verlegen hörte Edmund ihr zu. Er zweifelte nicht, daß seine fortgesetzten Besuche den Zorn seines Vaters und die Vermuthung veranlaßt hatten, daß Frau von Derbald von den eigentlichen Absichten[92] derselben unterrichtet sey und sie begünstige. Er sah wohl ein, daß die von ihr gewünschte Unterredung eine Crisis ihrer allerseitigen Verhältnisse herbeiführen werde, die, auf jede mögliche Weise zu verhindern, sein Vortheil heischte. Daher machte er sich kein Bedenken daraus, ihr zu sagen, daß der jetzige Augenblick nicht geeignet sey, ihre Wünsche zu erfüllen, indem sein Vater, in sehr wichtigen Geschäften, sich eingeschlossen und befohlen habe, ihn nicht zu stören. Er werde aber, sobald es ihm selbst vergönnt sey, ihn zu sprechen, ihn sogleich von ihrem Vorsatze unterrichten, und er sey überzeugt, es werde ihm nicht schwer fallen, das hier obwaltende Mißverständniß zu ergründen und aufzuklären, weshalb sie sich völlig auf seinen thätigen Eifer und auf seine ehrfurchtsvolle Ergebenheit verlassen dürfe.

Diese beruhigenden Worte verfehlten ihren Zweck bey Frau von Derbald nicht. Sie linderten die Spannung ihres gereitzten Gemüths, und vertrauensvoll ihm die Vermittelung überlassend, war sie eben entschlossen, wieder zu gehen, als ein unglücklicher Zufall es wollte, daß der Minister gerade in diesem Augenblick aus seinem Zimmer trat.

Glühend vor Beschämung, sich auf einer Unwahrheit ertappt zu sehen, blieb Edmund mit starr in den Boden wurzelnden Blicken stehen. Frau von Derbald richtete die ihrigen in der Erwartung auf ihn, daß er sie der Unannehmlichkeit überheben werde, für sich selber sprechen zu müssen. Doch seine Betroffenheit verrieth ihr schnell, daß er sie absichtlich hintergangen habe.

[93] Im höchsten Grad verlegen, und von der hochmüthigen und zornigen Art erschüttert, mit der der Minister ihre tiefe Verbeugung erwiederte, wußte sie sich nicht zu helfen. Stotternd nahm sie daher das Wort, indem sie ihn bat, ihr zu sagen, wodurch sie das Unglück verdient habe, sich seine Unzufriedenheit zuzuziehen? Sie habe dies zu ihrem größten Schrecken erfahren, und sein so ernstes und strenges Benehmen bestätige ihr jetzt leider die Wahrheit dieses Gerüchts nur allzu sehr.

Sie kommen meinem Wunsch zuvor, antwortete der Minister. Ich hatte die Absicht Sie rufen zu lassen, um mich gegen Sie zu erklären. Du wirst mich verbinden, mein Sohn, setzte er hinzu indem er eben so ernst, eben so gebietend, als er Frau von Derbald gegenüber stand, sich zu Edmund wandte, wenn du uns jetzt allein läßt.

Edmund wollte sprechen, doch ein finsterer, fast drohender Blick seines Vaters begleitete die Wiederholung der bereits an ihn gerichteten Bitte, und schuf sie dadurch in Befehl um. Wollte er nicht das Uebel ärger machen, so sah er sich gezwungen zu gehorchen.

Mit dem Ton und Anstand eines Mannes, der gewohnt ist, keine Einwendungen zu hören, hob jetzt der Minister an zu sprechen. Ich erlaube mir nicht den Verdacht, sagte er, als sey Sittlichkeit und gute Aufführung bei Ihnen nur eine Maske, die Sie annehmen, wenn Sie ausgehen, und die Sie an der Schwelle Ihres Hauses zurück lassen, wenn Sie heimkehren, weil Sie ihrer innerhalb desselben [94] nicht mehr bedürfen. Recht gern will ich daher glauben, daß Ihr Familienkreis unbescholten und untadelhaft ist – aber um mir so zu scheinen, muß er nicht den Ungehorsam meines Sohnes nähren, der sich ihm so ausschließend widmet, daß er nicht nur meine hierüber ausgesprochenen Wünsche unbeachtet läßt, sondern auch öffentliche und allgemeine Urtheile über diese Besuche veranlaßt, die seinen künftigen Verhältnissen schaden können.

Außer sich vor Erstaunen und aufs höchste beleidigt, wollte Frau von Derbald ihn unterbrechen, doch er bat sehr ernst, ihn ausreden zu laßen.

Wenn ich auch keine Schuld bei Ihnen voraussetze, fuhr er fort, so kann ich doch nicht umhin, Sie des Leichtsinnes und der Unbesonnenheit anzuklagen. Eine Frau, wie Sie, die ohne männlichen Schutz mit drei reizenden Töchtern allein steht, und deren Lage Vorsicht und Eingezogenheit in jeder Hinsicht ihr zur Pflicht macht, sollte nicht unbedachtsamer Weise einem jungen Menschen den täglichen Zutritt bei sich gestatten, der – was er Ihnen auch vielleicht versichert haben mag – auch selbst, wenn seine Hand nochfrei wäre, doch nie meine Einwilligung zu einer rechtmäßigen Verbindung mit Ihrem Hause erlangen würde.

Länger konnte die gekränkte Mutter sich nichr halten, hätte sie ihrer Neigung folgen dürfen, so würde sie in eben dem geringschätzigen und wegwerfenden Ton, in dem er zu ihr sprach, ihm geantwortet haben. Doch die leise Erwägung ihres Vortheils, den sie noch besonnen genug war, in Betracht zu [95] ziehen, half ihr, den bittern Unmuth, den des Ministers Härte in ihr erregt hatte, mit scheinbarer Gelasserheit tragen.

Ich habe Ihrem Herrn Sohn nur deswegen frei mein Haus geöffnet, entgegnete sie mit gerechtem Stolz, weil Sie sein Vater sind, und weil er, ohne mich zu kennen, sich gütig meiner angenommen und mir Demüthigungen erspart hatte, die ich in der langen Zeit, als ich vergebens Gehör bei Ihnen suchte, von Ihren Domestiken erdulden mußte. Ob ihn eine unedlere Absicht, als die, mich zu verbinden, damals, und nachher bei seinen öfteren Besuchen leitete, weiß ich nicht, da er sich stets so bescheiden betragen hat, wie ich es zu fordern berechtigt bin. Doch es ist nicht an mir, dies zu untersuchen. Die Wahrnehmung Ihres Mißtrauens und Ihres Unwillens ist mir genug, um mich zu den festesten Maaßregeln zu bestimmen.

Daher schwöre ich Ew. Excellenz bei meiner Ehre, die mir stets heilig gewesen ist, und bei dem unbefleckten Ruf meiner Kinder, der ihre einzige Mitgift ist, daß ich noch heute Ihren Herrn Sohn ersuchen werde, mich nie wieder mit seiner Gegenwart zu beehren. Die Art wie ich dies thun will, und der Erfolg, soll Ihnen gewiß die beruhigende Ueberzeugung sichern, daß es mir nie eingefallen ist, seine Besuche durch irgend einen Bewegungsgrund zu veranlassen, der Sie zu den Besorgnissen berechtigen könnte, die Sie so bitter gegen mich ausgesprochen haben.

Sie fallen aus einem Extrem ins andere, unterbrach sie der Graf, mit einem sauersüßen Lächeln. [96] Eben so wenig als ich wünsche, daß mein Sohn Ihr täglicher Gast sey, eben so wenig finde ich es schicklich, daß Sie darauf ausgehen, ihm Ihr Haus zu verbieten. Sie werden mir daher von Ihrer Achtung für mich, von der Sie mich gern überzeugen zu wollen scheinen, den sichersten Beweis geben, wenn Sie die Mittelstraße treffen wollen, die auch in diesem Falle die goldene genannt zu werden verdient.

Unfähig ihre Thränen länger zurückzudrängen, versetzte Frau von Derbald weinend: von einer Mittelstraße kann hier jetzt nicht mehr die Rede seyn, oder ich wäre der Verachtung werth, die Sie mir bewiesen haben. Ist – was ich nicht ahndete – die Ehre Ihres Herrn Sohnes dadurch gefährdet, daß er mein Haus besuchte, so ist es der gute Name meiner Töchter noch weit mehr, denn die Zartheit des weiblichen Rufs wird schon vom leisesten Hauch des Argwohns verletzt. Wenn meine Unbedachtsamkeit also, wie Sie zu sagen beliebten, irgend eine ungünstige öffentliche Meinung über mich und die Meinen erweckt hat, so ziemt es mir, in der Unbescholtenheit meiner Kinder ihren einzigen Reichthum zu retten, und der Welt zu zeigen, daß wir ihr liebloses Urtheil nicht verdienen. Erlauben Ew. Excellenz daher, daß ich thue, was meine Pflicht mir jetzt vorschreibt, und gewähren Sie mir nur die einzige Vergünstigung, um die ich flehe, die nämlich, daß mein Prozeß bald entschieden werde, damit ich, je eher je lieber, diese Stadt zu verlassen im Stande bin, in der ich so schmerzliche Gefühle habe kennen lernen, als jetzt meine Seele zerreißen.

[97] Der Minister blieb nicht ungerührt von dem herben Weh des mütterlichen Herzens, das die Aufwallungen gekränkten Stolzes noch erhöhten. Dieser Eifer, sagte er, giebt Ihnen meine Achtung wieder, die Ihr unbehutsames Benehmen, und die Vermuthung geheimer Absichten auf meinen Sohn Ihnen beinahe geraubt hatte. Schon seit seiner frühsten Jugend ist er der jungen Gräfin Berg zum Gemahl bestimmt, die nicht nur unter den ehrenvollsten, sondern auch vortheilhaftesten Parthieen des Landes oben an steht, und die, selbst abgesehen von den Vorzügen des Ranges und Reichthums, durch ihre glänzende Persönlichkeit jedem Unbefangenen nichts zu wünschen übrig läßt. Die Lauheit, mit der er sich gegen ein so ausgezeichnetes Glück benimmt, die völlige Vernachlässigung dieses so vorzüglichen Mädchens, und die auffallende, ausschließende Hingebung an Ihren Familienkreis mußte endlich mein Mißtrauen erregen, und ich bitte Sie, es mit meiner Vatersorge zu entschuldigen, wenn ich dies auf eine heftige und rauhe Weise Ihnen empfinden ließ. Einseitig dauert es fort, denn ich bin überzeugt, daß es Neigung ist, die meinen Sohn mit so fester Anhänglichkeit an Ihr Haus kettet; aber ich bin auch jetzt vollkommen überzeugt, daß Sie nichts beigetragen haben, ihn absichtlich dazu zu ermuntern. Ihre Rechte als Mutter sind eben so heilig, als die meinen – ja heiliger noch, da die größere Verletzbarkeit des weiblichen Rufes, wie Sie sehr richtig bemerkten, eine noch sorgfältigere Schonung desselben nöthig macht. Daher thun Sie, was Sie für gut finden, diesen [98] Umgang abzubrechen; nur bedenken Sie, daß Kälte, und abweisende Gleichgültigkeit vielleicht wirksamere Mittel seyn möchten, einen jungen feurigen Mann zu entfernen, als offenbare Widersetzlichkeit und Heftigkeit, die ihn leicht noch mehr reitzen könnten. Uebrigens seyn Sie versichert, daß ich alles für Sie thun werde, was in meinen Kräften steht, Ihnen nützlich zu werden.

Mit diesen Worten verabschiedete er sie, und gestützt auf den Arm ihres gleich ihr zitternden Kindes, ging sie hinweg.

Als sie nach Hause kam, theilte sie den kränkenden Verdruß, den sie erfahren, sogleich ihren Töchtern mit; und die jüngste, die ihre Führerin und Zeugin dieses Auftritts gewesen war, ermangelte nicht, den Zorn des Ministers und das Zermalmende seines schroffen Ansehens auf das Lebendigste zu schildern.

Obgleich Frau von Derbald den geheimen Wunsch genährt und die Erfüllung desselben nicht unausführbar geglaubt hatte, Amalien durch Edmunds Wahl dereinst glücklich zu sehen, so war doch beider Benehmen gegen einander viel zu vorsichtig gewesen, um ihr nur den geringsten Verdacht einzuflößen, daß ein Verständniß zwischen ihnen obwalte. Denn seit die Liebenden zusammen Abrede für ihr ganzes künftiges Leben genommen hatten, waren sie, wo möglich, noch zurückhaltender in ihrem Betragen geworden, als zuvor, und wenn auch die Mutter nicht bezweifeln durfte, daß Edmund Amalien wirklich liebte, so gab doch der verschloßene Ernst, mit welchem diese letztere seine ehrfurchtsvolle Huldigung annahm, nicht den [99] geringsten Anlaß, sie als die Ursache der erlittenen Kränkung zu tadeln, oder anzuklagen.

Tief bewegt, hörte Amalie den Erzählungen ihrer Mutter und Schwester zu, die ihr das Herz zerrissen, wenn sie bedachte, wie wohlgegründet der Argwohn des Ministers sey, und daß nicht sie, die Schuldige, seine Beleidigungen empfunden hatte, sondern die, die sie nicht verdiente.

Ihre Erschütterung, die die Mutter unter den zärtlichen Liebkosungen bemerkte, mit denen sie sie kindlich über die gehabte Unannehmlichkeit zu trösten suchte, schien nur die Folge inniger Theilnahme, kein Beweis der Vorwürfe eines nicht mehr fleckenlosen Bewußtseyns; und die treue Anhänglichkeit eines so lieben, mit ihr leidenden Kindes erkennend, und in ihr Ersatz für jede zerstörte Hoffnung, für jede verwundende Schmach findend, drückte sie Frau von Derbald dankbar, und mit ihrem Geschick sich wieder versöhnend, an ihre Brust.

Sie theilte nun ihren Kindern vertrauensvoll den Plan mit, Edmund, der sich ohnehin jetzt bei dem Zusammentreffen mit seinem Vater sehr zweideutig gegen sie benommen, so wie er sich wieder würde blicken lassen, mit höflicher Kälte das Haus zu verbieten. Wenn sie auch in der That irgend einen arglistigen Plan, ihre häusliche Ruhe zu stören, ihm zutrauen müsse, fügte sie hinzu, so glaube sie doch, daß er zu edel sey, um die Verbindlichkeiten, die sie ihm habe, geltend zu machen. Die aufs neue von dem Minister bestätigte Hoffnung, ihren Prozeß bald zu gewinnen, setzte sie in den Stand, ihn muthig auf [100] den Zeitpunct zu vertrösten, wo sie vermögend seyn werde, sein Darlehn zurück zu zahlen.

Die beiden jüngern Schwestern sprachen laut und unverholen den warmen Antheil aus, den sie an Edmund nahmen. Sie entschuldigten ihn aufs eifrigste, da ihre schwesterliche Neigung für ihn, und die Dankbarkeit für alle Blüthen, die er in ihren dornenvollen Frühling webte, bei den wirklichen Annehmlichkeiten seines Umgangs, ihn stets in dem vortheilhaftesten Lichte erblickte, und sie ihn höchst ungern aus ihrem einsamen Leben hinwegdachten. Aber wenn Frau von Derbald gleich mit ihnen fühlte, daß sie den munteren, freundlichen Gesellschafter, der ihnen bisher ein so lieber Hausfreund gewesen war, sehr schmerzlich vermissen werde, so hatte sie doch nicht länger Lust, seine erheiternde Gegenwart mit der Ehre ihres Hauses zu bezahlen; und daher blieb sie fest bei ihrem Vorsatz, ohne auf die Klagen und Bitten ihrer Töchter zu hören.

Amalie sagte nichts, den erst gefaßten mütterlichen Entschluß zu bestreiten – sie warf nur eine leise Aeußerung des Schmerzes hin, daß ihre Mutter sich des einzigen Freundes berauben müßte, der bisher als treue Stütze in der Zeit der Noth ihr zur Seite gewesen sey – dann bat sie um die Erlaubniß, in die Messe zu gehen, und ihr, durch diese Vorfälle getrübtes Gemüth, in stiller Andacht sammeln zu dürfen.

Frau von Derbald bewilligte es – sie warf ihren Schleier über, und schied mit freundlichem Gruße.

Vergebens aber erwartete man ihre Zurückkunft.[101] Mit Sehnsucht blickten Mutter und Schwestern ihr entgegen – es war ihnen so unheimlich in der Einsamkeit, die ihnen heute doppelt öde dünkte, da Edmund – vielleicht ahnend, was ihm bevorstand – sich nicht sehen ließ, und nun auch Amalie, sonst die Seele ihres häuslichen Kreises, fehlte.

Anfangs war es jedoch nur das Verlangen herzlicher Liebe, das offene Anerkennen ihrer Unentbehrlichkeit, was sie die Augenblicke ihrer Entfernung zählen ließ. Als diese aber zu Stunden sich verlängerten, als man, fürchtend, sie sey nicht wohl geworden, zu den Franziscanern geschickt, und deren Kirche leer und einsam gefunden hatte, da stieg die mütterliche Angst bis zu einer unendlichen Höhe, und die schrecklichsten Vorstellungen bemächtigten sich ihrer zagenden Seele.

Zwar war sie weit entfernt, irgend einem Vergehen, das sich Amalie erlaubt haben könnte, die Schuld ihres langen Ausbleibens beizumessen; aber in ihrer Unerfahrenheit lag Grund genug, aufs sorgenvollste um sie beängstigt zu seyn. Sie wußte ja, welch ein argloses, so ganz mit allen Künsten der Welt unbekanntes, Herz ihr im Busen klopfte. Wie leicht konnte freche Verführung ihre kindliche Unwissenheit benutzt und gemißbraucht, und unter irgend einem, der Leichtgläubigen einleuchtenden, Vorwand sich ihrer bemächtigt haben.

Wie verlangte sie jetzt nach Edmunds hülfreicher Nähe – nicht um ihm, wie noch kurz vorher ihr Vorsatz gewesen war, das Haus zu verbieten – sondern seinen Beistand anzurufen, und seine so oft erprobte[102] Thätigkeit, zur Wiederauffindung des geliebten Kindes, in Anspruch zu nehmen.

Peinlich auf dieser Folter der Angst sich windend, rückte so der Abend heran, ohne daß sie noch wußte, was sie in ihrer beschränkten Lage beginnen sollte, sich eine beruhigende Auskunft zu verschaffen. Schon war sie geneigt, jede ihr früher wichtige Rücksicht bei Seite zu setzen, und Edmund zu sich zu berufen, um ihn um seinen Rath und seine Hülfe anzuflehen, möge auch sein Vater es erfahren und mit dem ganzen Gewicht seines Zorns das Gebäude ihrer Hoffnungen zermalmen. Denn ach – was war ihr in diesen schrecklichen Stunden jeder irdische Gewinn, gegen das furchtbare Bild eines verlornen Kindes gehalten. – Aber dieser Schritt sollte ihr ersparrt werden. Als sie eben im Begriff war, ihn zu thun, brachte ihr ein Unbekannter, der sogleich wieder wegging, folgenden Brief von Amalien.


»Meine innig geliebte, verehrte Mutter!

Zürnen Sie der strafbaren Ursache Ihres Kummers nicht. Ich habe Sie verlassen – aber ich erhalte Ihnen, indem ich in die tiefste Verborgenheit mich zurückziehe, einen Freund, ohne dessen Beystand ich mir Ihre Lage nicht mehr als sorgenlos und geschützt vor jedem Sturm des Lebens zu denken vermag, und der – das bin ich von seinen Gesinnungen überzeugt – Ihnen das Entbehren Ihrer Amalie aus der Fülle seines reichen Gemüths ersetzen wird.

[103] Jetzt, da ich nicht mehr in Ihrem Hause weile, kann die Schmähsucht der Welt und der Argwohn seines Vaters seinen Besuchen bei Ihnen keine strafbare Absicht mehr unterschieben, da das zarte, noch der Kindheit angehörende Alter meiner Schwestern, sie über jeden unwürdigen Verdacht erhebt. Ich aber, die ich leider! die glückliche Gränzlinie überschritten habe, welche die Jugend von dem goldenen Frieden unbefangener Kindheit trennt, ich war die Veranlassung der herben Kränkung, die Sie erdulden mußten, und der Grund der Verläumdung und des Mißtrauens, die Ihnen den tröstlichen Umgang des besten aller Menschen zu entziehen drohten. Verzeihen Sie daher, daß ich eigenmächtig entschied, was für Ihre Wohlfahrt mir das Bessere dünkt, und daß ich auf einige Zeit Ihnen unsichtbar bleibe, bis günstigere Umstände mir erlauben, mich Ihnen wieder zu nahen. Ich folge da durch einem innern und heiligen Berufe, der mich, auch fern von Ihnen, stets Ihrer mütterlichen Liebe und Ihres Segens werth erhalten wird. Denn zu Ihrer Beruhigung schwöre ich Ihnen bei allem, was mir theuer ist, daß Sie nicht Ursache haben sollen, jemals über Ihre Tochter zu erröthen, und daß ich, wenn gleich allein und mir selbst überlassen, doch nichts thun werde, was nicht mit den strengsten Geboten der Ehre und Tugend, und mit der treuen Ausübung der mir von Ihnen eingeprägten Lehren bestehen kann.

Vertrauen sie dem Gelübde Ihres Kindes, und denken Sie ohne Sorge, ohne Unruhe an mich. [104] Die Verhältnisse, die ich mir erwählt habe, sind friedlich und beglückend. Ihr Beifall wird dereinst, wenn ich sie Ihnen entdecken darf, das Einzige noch hinzufügen, was ihnen fehlt, um das Glück zu vollenden, daß sie mir gewähren.

Mit inniger Liebe umfasse ich Sie und meine Schwestern, und beschwöre Sie, mir zu vergeben. Machen Sie keine Versuche meinen Aufenthalt zu entdecken. Jedes Bemühen deshalb wäre umsonst. Lassen Sie die Welt glauben, ich sey mit Ihrer Einwilligung abwesend. Grüßen Sie Edmund, und bitten Sie ihn, das freundliche Wohlwollen, das er mir widmete, auf die überzutragen, die mir so theuer sind, und bei denen ich – wenn gleich entfernt – doch stets im Geist verweile.

Ihre Amalie.«


Dieser Brief, mit der brennendsten Ungeduld empfangen und gelesen, verwirrte durch seinen mystischen Inhalt Frau von Derbald nur noch mehr, statt ihre Unruhe zu lindern. Das Dunkel, das räthselhafter als je über dem Schicksal des geliebten Kindes schwebte, Vorwürfe, die sie sich machte, durch eine allzu lebhafte, allzu treue Schilderung des unangenehmen Auftritts mit dem Minister ihr zartfühlendes Gemüth aufgeregt und zu dem Entschluß gebracht zu haben, sich als die schuldlose Ursache dieses Verdrusses, freiwillig zu entfernen, und die Unmöglichkeit, durch das Zureden der Vernunft und der mütterlichen Autorität auf die ihrer Gewalt, so wie ihren Bitten [105] Entrückte wirken, und sie zurück rufen zu können, versetzte sie in einen Zustand, der nur um weniges beruhigter war, als die Verzweiflung einer gänzlichen Ungewißheit.

Das einzige, was sie tröstete, war Amaliens Versprechen, nichts zu thun, was sie ihrer unwerth glaube. Sie kannte den reinen Sinn und die festen Grundsätze ihrer Tochter, und durfte daher nicht zweifeln, daß es ihr heiliger Ernst sey, zu halten was sie gelobte. Aber wenn sie dann wieder die Leichtgläubigkeit der ersten Jugend erwog – den Mangel an Welt- und Menschenkenntniß, unzertrennlich von Amaliens Jahren, so wie von der zurückgezogenen Lebensweise, in der sie aufgewachsen war, dann überließ sie sich der tiefsten Muthlosigkeit, und hielt, in dem Gefühl der trostlosesten innern Verarmung, ihr unglückliches, verirrtes Kind für verloren.

So schlich dieser Tag, der entsetzlichste ihres Lebens vorüber. Edmund, der vorher jeden Abend zu kommen pflegte, war ausgeblieben – doch fiel kein anderer Verdacht auf ihn, als der, daß die Beschämung ihn zurückhalte, ihr, bey dem Zusammentreffen mit seinem Vater, so wenig genützt zu haben.

Während der schlaflosen Nacht, die sie unter Jammer und Thränen verbrachte, faßte sie den Entschluß, das Vorgefallene offen dem Minister zu entdecken und seinen Beystand zu erflehen, unter dessen mächtiger Aegide sie es möglich glaubte, ihre Tochter wieder zu finden. Die Hülfsmittel, die ihm bey seinem Einfluß zu Gebote standen, berechtigten sie [106] allerdings zu der Hoffnung, daß es auf diesem Wege ihr gelingen werde, den Schlupfwinkel zu entdecken, wohin sie sich geflüchtet habe, und die Wahrscheinlichkeit, ja die Gewißheit, ihn durch den tiefen Schmerz ihrer von Angst gefolterten Seele zu rühren, ließ sie mit Sehnsucht die Stunde erwarten, wo die Pforten seines Pallastes geöffnet werden würden, um – sey es auch gegen alle Regeln des Wohlstandes – gleich nach seinem Erwachen ihm ihre Noth zu klagen, und seine Hülfe in Anspruch zu nehmen.

Wirklich erschütterte ihn auch der Anblick der bleichen Jammergestalt, die mit gerungenen Händen, ihr Gesicht mit Thränen überschwemmt, in herzzerreißenden Klagetönen, ihm ihr Unglück aussprach, und ihn um seinen Beystand beschwur. Die Heftigkeit, mit der, wie sie sich vorwarf, sie ihrer Tochter den Eindruck der gehabten Unterredung mit ihm geschildert hatte, und die die Veranlassung von Amaliens Flucht gewesen war, erregte die Ueberzeugung in ihm, daß er ihr Unrecht gethan habe, und die Furcht, zu weit gegangen zu seyn, machte ihn milde.

Er suchte daher mit freundlicher Theilnahme zuerst den Aufruhr ihres zerrütteten Gemüths zu stillen, und es gelang ihm. Denn indem er die Vermuthung äußerte, daß Amalie wohl in einem Kloster eine Freystatt gesucht und gefunden haben könne, verscheuchte er eine Menge Schreckbilder aus der Seele der Frau von Derbald, welche ihm beypflichtete, und das jetzt ebenfalls wahrscheinlich fand. Freudig gab sie sich dem Troste hin, ihre Tochter [107] von der Sicherheit heiliger Mauern, nicht vom verführerischen Gewühl der Welt umgeben, sich zu denken; und die innere Ruhe, die sie durch diese Vorstellung gewann, machte sie empfänglich für die Stimme der Vernunft und für guten Rath.

Das wahre an der Sache aber war, daß Amalie der Aufforderung ihres Geliebten gefolgt war, ihn bei den Franziskanern zu sprechen, wo er bereits voll glühender Ungeduld ihrer wartete.

Bis ins Innerste bewegt, sank sie sprachlos in seine Arme. Der schmerzliche Unmuth, in dem sie ihre Mutter verlassen hatte, die Angst ihres Gewissens, die in tausend geheimen Vorwürfen sich aussprach, und die trübe Ueberzeugung, daß sie nicht glücklich seyn werde, die ihr reiner, jetzt von Leidenschaft so befangener, Sinn aus dem Bewußtseyn schöpfte, daß ihr Verhältniß, auf dem unsichern Grunde strafbarer Heimlichkeit und Unwahrheit gebaut sey, erschütterte sie bei Edmunds Anblick aufs tiefste – aber neben ihrem Unrecht, das sie nicht abzuläugnen vermochte, fühlte sie zugleich mit unwiderstehlicher Allmacht, daß sie dennoch nimmer von dem Manne ihrer Wahl lassen könne.

Nur allzuleicht fand daher seine Betheurung Eingang in ihr Herz, daß jetzt der entscheidende Augenblick gekommen sey, der ihnen zu handeln gebiete. Zwischen einer ewigen Trennung oder Vereinigung schwankend, neigte die Liebe einwilligend ihr Gemüth der letztern zu, und seinen schmeichelnden Bitten, so wie dem Flüstern ihrer eigenen Wünsche nachgebend, folgte sie ihm in die längst bereitete Wohnung, wo [108] nach wenig Stunden der Priester ihre Hände in einander fügte.

Doch das Glück des Beisammenseyns, der Zauber der ersten, sich nun für immer angehörenden, Liebe, die unendliche Fülle von Seligkeit, die aus einer, die Zukunft befestigenden, jetzt von göttlichen Gesetzen geheiligten, Verbindung hervorgeht, floh Amaliens dürstende Seele, da das leidende Bild ihrer Mutter sich stets, wie ein drohender Schatten, zwischen sie und den Geliebten drängte.

Umsonst strebte Edmund durch die ganze Innigkeit seiner Liebe sie aufzurichten, und mit dem Entschluß auszusöhnen, der sie zu der Seinigen machte, und den sie – ohne ihn zu bereuen – doch wie einen giftigen Wurm an der Ruhe ihres Herzens nagen fühlte. Er sah wohl ein, daß, um ihre eigenen Thränen zu stillen, erst die ihrer Mutter getrocknet seyn müßten, und um dies möglich zu machen, fiel er selbst auf die Idee, ihr zu dem Briefe zu rathen, durch den sie ihr von ihrem Schicksal eine zwar mystische, aber dennoch nicht ganz unbefriedigende Kunde gab. Erst nachdem sie wuste, daß er diese Wirkung gethan, und als Edmund, – meisterhaft den Unbefangenen spielend – sie besucht und durch das Geloben seines fernern Beistandes und seines eifrigen Strebens, das allzu zart empfindende Kind aufzusuchen, und wo möglich, in ihre mütterlichen Arme zurück zu führen, milden Balsam in die noch blutenden Wunden gegossen hatte, erst dann kehrte ein Schimmer von Zufriedenheit in ihre Brust zurück, und sie fing an, sich in seinen Armen glücklich zu fühlen.

[109] Auch fehlte ihr nichts als Elternsegen, um es in jeder Hinsicht zu seyn. Denn ihr Besitz verminderte Edmunds Leidenschaft nicht, sondern je mehr das innige Vertrauen, das sie nach und nach gewann, ihre liebenswürdige, vom Schleier zarter jungfräulicher Schüchternheit bisher allzu streng verhüllten Eigenschaften ihm entdeckte, desto höher stieg seine Liebe und die Achtung, die allein dem engsten Verhältniß Dauer verleiht. Er brachte alle Zeit, die er dem lästigen Zwang der Konvenienz entziehen durfte, bei ihr zu, die allein seine Seele erfüllte. Doch da nur die strengste Vorsicht sein Glück zu sichern im Stande war, so befleißigte er sich ihrer, und vermied alles, was auch nur von fern Verdacht erregen konnte. Nach wie vor setzte er seine Besuche bey Frau von Derbald fort, suchte ihre Hoffnung zu beleben, ihren Muth zu erfrischen, und mit zuvorkommender Aufmerksamkeit und kindlicher Treue jedem ihrer Wünsche zuvor zu kommen, um ihr eine von Nahrungssorgen freie, behagliche Existenz zu gewähren. Wenn er dann von ihr zu Amalien zurück kehrte, wenn er ihr jeden kleinen Umstand, Mutter und Schwestern betreffend, erzählte, und durch das Feuer seiner Darstellung sie mitten in den Kreis der Ihrigen zu zaubern wußte – o wie umschlang sie ihn dann mit Freudenthränen – wie drückte sie ihn mit verdoppelter Zärtlichkeit an ihre Brust, denn ihr dankbares Herz liebte in ihm nicht nur den Schöpfer ihres eignen Himmels, sondern auch den Wohlthäter ihrer Familie, die ohne ihn ein Raub des Mangels geworden wäre.

[110] Um sich die Freiheit zu bewahren, so handeln zu können, hatte Edmund die Klugheit gehabt, seinem Vater zu befragen, ob es auch jetzt nach Amaliens Verschwinden, noch ihm unangenehm sey, wenn er der verlassenen Mutter einige Aufmerksamkeit erwiese, die nun die Schmähsucht nicht mehr auf eine ihm mißfällige Weise zu deuten vermöge. Der Minister erwiederte, daß er seine häufigen Besuche im Hause der Frau von Derbald nur der etwanigen Folgen wegen gemißbilliget habe, und daß es ihm daher frei stehe, sie jetzt nach seinem Gefallen fortzusetzen.

Was in einer andern Lage ihrem häuslichen Glück die Krone aufgesetzt haben würde, mischte, ob es gleich das Band ihrer Herzen noch fester schlang, Bangigkeit und Unruhe in ihr bisher so seliges Verhältniß. Amalie nämlich sollte Mutter werden. Als ihre Unerfahrenheit nach langem Zagen und Zweifeln endlich den sichern Glauben erlangte, daß es so sey, und sie durchschauert von den süßen Ahnungen ihrer neuen Würde, den Geliebten Gatten inniger noch, als je zuvor, in ihre Arme schloß, da fühlte sie in der Erhebung ihres von so großen, mächtigen Empfindungen geschwellten Herzens, den Bund ihrer Ehe geheiligt, und ihr Inneres rein gewaschen von Schuld und mit Gott versöhnt.

Aber nicht lange dauerte diese, so beglückende Ansicht ihres Zustandes. Bald erwachten die düsteren Bilder wieder, die die Glorie des Mutterglücks strahlend von ihr gescheucht hatte, und alle die bangen Ahnungen, die über die bräutliche Schwelle ihr [111] gefolgt waren, und die Edmunds Zärtlichkeit nach und nach in den Hintergrund ihrer Seele zurückdrängte, wurden wieder rege, und wuchsen riesenhaft empor, ihr beklommenes Gemüth zu ängstigen und zu quälen. Fest an dem Glauben haltend, daß eine Nemesis den Menschen durchs Leben begleite, stellte sie sich vor, daß das Kind, das sie unter ihrem Herzen trug, dies Pfand der heißen, unaussprechlichen, und ach! doch strafbaren Liebe, statt der Segen ihres Bundes zu seyn, von der rächenden Vergeltung ihr zum Fluche bestimmt, sie für den Kummer züchtigen werde, den ihre Mutter um ihretwillen gelitten. Die Einsamkeit, der sie den größten Theil ihrer Zeit überlassen blieb, und die ihren Hang zur Schwermuth nährte, Kränklichkeit des Körpers, so natürlich in ihrer Lage, ihr aber ungewohnt, und daher mit dazu beytragend, auf ihre Stimmung zu wirken, und eine rege Phantasie, die jeden leisen Schatten in ihrem Bewußtseyn zum dunklen, unauslöschlichen Flecken erhöhte, alles dies vereinigte sich, über die ehemals so heitere Jugendlichkeit ihres Wesens, jetzt den nächtlichen Trauerflor einer tiefen Melancholie herab zu senken.

So sehr sie sich nun auch zusammen nahm, um dem Geliebten ihrer Seele zu verbergen, was in ihr vorging, so gelang es ihr doch nur eine Zeitlang. Denn so wonnevoll sich auch Edmund in den Vaterhoffnungen berauschte, die seine Zukunft noch so unendlich zu verschönern versprachen, so selig auch, wachend und im Traume, eine blühende Nachkommenschaft, von dem Weibe seines Herzens geboren, ihn [112] umspielte, so war doch sie, die Theure, für sein ganzes Leben erkohren, der Punkt, um den jede seiner Freuden, jede seiner Erwartungen, sich drehte; und es konnte ihm, der sie nicht bei diesem neuen Zuwachs seines Glücks übersah, sondern sie nur um so liebevoller ins Auge faßte, nicht entgehen, daß ihre Seele kränker war, als jemals.

Denn der Frohsinn, mit dem sie ihn freundlich zu täuschen suchte, war nur noch der erkünstelte Widerschein des ehemals so warmen Glanzes ihrer innern Heiterkeit. Bange sah sie der Stunde ihrer Entbindung entgegen, deren Gefahren ihre Einbildungskraft bei ihrer hülflosen Einsamkeit sich verdoppelt träumte. Getrennt vielleicht gerade dann von ihm, der nur verstohlen, als sey ihre Verbindung ein Verbrechen, sich zu ihr schleichen durfte, sollte sie auch den Trost des mütterlichen Beistandes, der schwesterlichen Pflege entbehren, und unter Fremden, zu denen ihre Blödigkeit kein Zutrauen fassen konnte, und die nur um des Gewinns willen Antheil an ihr nahmen, den wichtigen Schritt thun, von dem es noch sehr ungewiß war, ob er sie – Leben gebend – beim Leben erhalten, oder ins Grab stürzen werde.

Höchst mißmuthig kam einst Edmund zu einer Zeit zu ihr, wo es ihm selten noch geglückt war, sich den Blicken der Lauscher zu entziehen, die ihn beobachteten. Er war durch eine unangenehme Unterredung mit seinem Vater aufs äußerste verstimmt. Entschiedener, als je hatte dieser nämlich von seiner projectirten Heirath gesprochen, und mit jener laconischen Kürze, die sich auf Gegengründe gar nicht [113] einläßt, ihm eröffnet, daß er den baldigen Abschluß dieser Angelegenheit jetzt ernstlich verlange.

Vergebens wollte Edmund diese Gelegenheit ergreifen, ihm bestimmt zu erklären, daß er entschlossen sey, seine Freiheit zu behaupten. Aber der Minister schien mit physionomischem Scharfblick den Geist des Widerspruchs in seinen Zügen wahrzunehmen. Er fand es jedoch der Klugheit gemäß, der Weigerung, die sich in Edmunds Innern so sichtbar gegen seinen Vorschlag empörte, keine Worte zu gestatten, und er verhinderte ihren Ausbruch, indem er that, als sey gar keine Einwendung möglich. Er benutzte mit wohlberechneter Schlauheit eine zufällige Störung, die sich zwischen diese vertraute Unterredung drängte, um sich die förmlich abschlägige Antwort seines Sohnes zu ersparen, und verließ ihn plötzlich und auf eine Art, als wären sie über den streitigen Punkt völlig mit einander einverstanden.

In der übelsten Laune von der Welt über dies Benehmen, und mit jener innern Unruhe behaftet, die den Menschen drückt, wenn er unvermeidlichen Verdruß vor sich sieht, dem ritterlich die Stirn zu bieten, er zwar Muth genug in sich fühlt, dessen Dauer er aber unwillkührlich durch Dulden verlängern muß, statt durch Handeln ihn zu besiegen, kam Edmund zu Amalien, bei der er, wie sonst, sich Erheiterung und Erhebung des Gemüths versprach. Aber er überraschte sie unvorbereitet. Sich ihrem Gram in der Einsamkeit rücksichtslos überlassend, fand er sie verweint, trostlos vor sich hinstarrend – ein bleiches Bild der Verzweiflung.

[114] Außer sich vor Schrecken, warf er sich vor ihr nieder. Er fürchtete, es sey ihr in seiner Abwesenheit etwas begegnet, was sie so tief, so unaussprechlich ergriffen habe. Denn ob er gleich sehr wohl den seit einiger Zeit erhöhten, sich zur Wehmuth hinneigenden Ernst ihres Wesens bemerkt hatte, so war sie ihm doch nie in dieser herzzerreißenden Gestalt des Jammers und der Hoffnungslosigkeit erschienen. Er überhäufte sie mit den zärtlichsten Liebkosungen, und beschwor sie, ihm zu sagen, was ihr sey, und was er thun könne, ihr den Frieden und die Freudigkeit ihres Gemüths wieder zu verschaffen.

Amalie sah gerührt seine Innigkeit, seine Sorge, seine, nur in ihrem Schmerz sich noch bewußte, Hingebung. Fester drückte sie den über alles geliebten Gatten an ihre Brust; und da die Maske nun einmal gefallen war, mit der sie durch gezwungene Heiterkeit ihn schonend über ihren eigentlichen Seelenzustand zu täuschen strebte, so ließ sie ihn jetzt auch ganz in das Innerste ihres Herzens blicken, und vertraute ihm liebend an, wie sie nach der Vergebung ihrer Mutter und nach ihrem Beistand in dem entscheidenden Augenblick, der ihr bevorstehe, sich sehne. Sie bekannte ihm ferner, daß sie zwar mit kindischer Furchtsamkeit zage, und vor diesem Augenblick zittere, aber nur, weil sie bisher den Trost habe entbehren müssen, mit sich selbst in Frieden, und versöhnt mit der zu seyn, die sie so unkindlich hintergangen, und daß sie jetzt nichts heißer wünsche, als zu den Füßen der beleidigten Mutter knieen, und ihre Verzeihung erflehen zu dürfen.

[115] Ungern sah Edmund, wie lebhaft sich dies Verlangen ihrer Seele bemächtigt hatte. Sein Gefühl konnte es nicht tadeln; doch sein Verstand sträubte sich, es ihr einzuräumen, so freudig er auch sonst immer jeden ihrer Wünsche gewährte. Denn da die Sicherheit ihrer Verbindung bisher nur auf die tiefste Verborgenheit gegründet war, und da sich voraussetzen ließ, daß Frau von Derbald bei der großen Heftigkeit ihres Characters in unbeschreiblichen Zorn gerathen werde, wenn man ihr mit einemmale das ganze Gewebe der Intrigue durchzuschauen vergönne, durch die man sie bisher getäuscht hatte, so ließ sich alles von dem ersten Ausbruch ihres Unwillens befürchten.

Dies und noch weit mehr stellte Edmund Amalien mit aller Beredsamkeit der zärtlichsten Besorgniß vor, um sie von dem, was sie wünschte, abzubringen. Aber er fand jetzt nicht das sanfte Nachgeben, das sonst sich so gelassen und freudig jedem seiner Aussprüche unterwarf, als wäre seine Meinung die Entscheidung eines höhern Orakels. Ihr aufgeregtes Gewissen, das sie mit steten Vorwürfen marterte, die Todesfurcht, die um so stärker in ihr war, jemehr sie den Reichthum des Lebens erkannte, kindliche Liebe, die, trotz der oft erfahrenen mütterlichen Strenge, doch durch eine fast Jahre lange Trennung nur um so inniger geworden war, alles dies bewaffnete sie mit einer unerschütterlichen Festigkeit, die sie seinen Einwendungen entgegen setzte.

Die Sorge, daß ihre ohnehin geschwächte Gesundheit, und ihr, von Unzufriedenheit mit sich selbst [116] und von zehrender Sehnsucht erfülltes Gemüth noch mehr leiden werde, wenn er fortfahren wolle, sich ihr zu widersetzen, bewog ihn endlich, wiewohl mit schwerem, Unheil ahnendem Herzen, zum Nachgeben, und sie verabredeten den Plan, mit Frau von Derbald zusammen zu kommen, ohne vor der Welt das Geheimniß ihrer Verhältniße und ihres Zustandes zu verrathen. Nach reiflichem Ueberlegen schrieb Amalie folgende Zeilen an ihre Mutter:


»Von der liebevollsten Sehnsucht nach Ihrem Wiedersehn ergriffen, meine geliebte Mutter! kann ich meinem Herzen nicht länger gebieten. Es ist mir nicht möglich, meinen Aufenthalt zu verlassen, aber Sie bei mir zu sehen, ist mein innigster Wunsch und meine herzliche Bitte. Eine Stunde nach Empfang dieses Briefes werde ich Ihnen einen Wagen senden. O daß er nicht leer zurück komme – daß er mir meine Mutter mitbringen möchte, zu deren Füßen ich mich sehne, in kindlicher Demuth zu weinen, und um Vergebung für alle den Kummer zu flehen, den ich Ihnen gemacht habe.«

Amalie.


Einsam saß Frau von Derbald in ihrem stillen Zimmer, und dachte an ihr verlornes Kind. Auch in ihrem Busen regte sich ein schmerzliches Verlangen, den nun fast seit einem Jahr entbehrten Liebling wieder zu sehen. Von allen Seiten in der Meinung bestärkt, daß sie in einem Kloster eine Zuflucht gefunden habe, war sie zwar einigermaaßen [117] über sie beruhigt, aber die Sehnsucht nach ihrem Anblick ließ sich nicht so leicht beschwichtigen, wie die Sorge um ihr Schicksal.

Der Minister, der sich, seitdem er einsah, daß er ihr Unrecht gethan hatte, mit lebhafter Theilnahme für sie interessirte, hatte ihr versprochen, in allen Klöstern der Stadt, so wie der umliegenden Gegend nachforschen zu lassen, um ihr zu der Freude ihres Lebens wieder zu verhelfen. Bei seinem vielumfassenden Einfluß zweifelte sie nicht daran, daß es ihm gelingen werde – noch war es ihm aber sehr natürlicher Weise nicht geglückt, sie aufzufinden.

Gleich einem elektrischen Schlag durchzuckte daher jetzt Amaliens Brief ihr in Trauer versunkenes Wesen. Sie sollte sie wieder sehen, die Geliebte, die sie unter ihrem Herzen getragen – wiedersehen, um sich nicht mehr von ihr zu trennen. Denn einmal wieder vereinigt, traute sie ihren Bitten und ihrer Autorität als Mutter zu, daß Amalie von ihrem schwärmerischen Beginnen ablassen und sich überzeugen werde, daß ihr jetziges, so mild geebnetes Verhältniß, keineswegs das Opfer einer solchen Trennung verlange.

Durch diese Zuversicht gestärkt, sah sie freudig den Wagen ankommen. Gern hätte sie ihre Töchter mitgenommen, um das Glück mit ihnen zu theilen, das sie sich von dieser, so heiß gewünschten, Zusammenkunft versprach. Aber durch eine zufällige Veranlassung waren sie gerade nicht zu Hause, und so fuhr sie allein, mit hochklopfendem Herzen, dem seligen Wiedersehn entgegen.

[118] Nachdem der Wagen durch mancherlei Umwege endlich das ersehnte Ziel erreicht hatte, fuhr er in einen, rings von Gebäuden umschlossenen Hof, wo zu ihrem großen Erstaunen, an der hell erleuchteten Thür, die in das Haus führte, Edmund statt Amalien sie empfing.

Wie? darf ich meinen Augen trauen? Ich finde Sie hier, Herr Graf? rief sie mit ahnendem Befremden ihm zu – wie soll ich mir dies erklären?

Edmund half ihr ehrfurchtsvoll heraus, und bot ihr den Arm, sie herein zu führen. Auf die Fragen, mit denen sie ihn bestürmte, erwiederte er nichts, als die Bitte, sich zu beruhigen: er werde ihr, wenn sie sich erst ein wenig erholt habe, allen möglichen Aufschluß geben.

In der heftigsten Aufregung ihres Gemüths folgte sie ihm in ein sehr elegantes freundliches Zimmer, wo sie sich mit ihm allein befand. Rings um sich her blickend, und Amalien vermissend, konnte sie dem Ungestüm ihrer innern Bewegung nicht mehr gebieten. Wo ist mein Kind? schrie sie außer sich, Reden Sie – endigen Sie die Qual, unter der ich erliege.

Edmund, innig von ihrer Angst ergriffen, und erschüttert durch das Bewußtseyn, sie in ihren heiligsten Rechten gekränkt zu haben, faßte ihre Hand, und drückte sie an seinen Lippen. Sie finden Ihre Tochter in diesem Augenblick noch nicht hier, sprach er mit bebendem Ton, wohl aber einen Sohn, der um Ihre Vergebung, und um Ihren mütterlichen Segen bittet.

[119] Frau von Derbald erstarrte. Aus dem Dunkel der peinlichen Ungewißheit, das sie umgab, entwickelte sich allmählig die Wahrheit vor ihren Blicken – doch je klarer sie die Ueberzeugung faßte, daß sie hintergangen worden war, desto lebhafter entbrannten Zorn und Unmuth in ihrem Innern.

Ich hoffe, man hat mich nicht zu einer theatralischen Vorstellung hierher gelockt, sagte sie streng und empört. Wenigstens bin ich nicht gesonnen, die Rolle einer Comödienmutter zu übernehmen, und dumme oder schlechte Streiche durch einen Seegen zu rechtfertigen. Wo ist meine Tochter? Ich ersuche Sie, Herr Graf, den Zustand zu ehren, in dem Sie mich sehen, und mir ohne alle Umschweife zu antworten.

So sehr Edmund auch gewünscht hätte, zur Milderung der zwischen ihnen unvermeidlichen Erklärungen, sie nach und nach auf das vorzubereiten, was ihr nun nicht länger verborgen bleiben durfte, so konnte er doch nur durch die gedrungenste Kürze der Darstellung alles Vorgefallenen die brennende Ungeduld befriedigen, mit der sie Wahrheit forderte. Doch, so viel er sich auch Mühe gab, der unwiderstehlichen Gewalt der Liebe die Schuld ihrer gemeinschaftlichen Verirrung beizumessen, so sehr er sie beschwur, Amalien den Fehltritt zu verzeihen, zu dem nur seine Leidenschaft sie überredet habe, so waren doch seine sanftesten Bitten, seine kindlichste Unterwerfung nur Oel in die Flamme ihres Zorns, und sie antwortete blos durch Ausrufungen des Jammers oder Verwünschungen.

[120] Als er daher alles erschöpft hatte, was das Bewußtseyn des gegen sie begangenen Unrechts und die Achtung, die er der Mutter seiner Geliebten schuldig war, zu ihrer Besänftigung ihm eingab, nahm er einen festeren, entschlossneren Ton gegen sie an. Er wiederholte ihr, daß die innigste, unauslöschliche Liebe ihn mit Amalien verbunden habe, und daß, da sein Vater bei einem rechtmäßigen und offenen Verfahren, anderer nicht mit seiner Neigung übereinstimmenden, Plane wegen, ihm seine Einwilligung gewiß versagt haben würde, sie auch um ihretwillen, deren Wohlfahrt in seinen Händen beruhe, den Weg einer geheimen, aber darum nicht weniger durch Religion und Gesetz geheiligten, Verheirathung eingeschlagen hätten. Nur die dringende Sehnsucht nach ihr, fuhr er fort, die an Amaliens Leben zehre, habe ihn vermocht, diese Zusammenkunft zu bewilligen. Da er jetzt aber einsehe, wie wenig Werth das Wiedersehen ihres lang entbehrten Kindes in ihren Augen habe, so stelle er es völlig ihrer Willkühr anheim, das ihr enthüllte Geheimniß zu theilen, oder zu verrathen. Daß in dem letzteren Fall, fügte er hinzu, Sie selbst, und alle Hoffnungen, die sich auf das Wohlwollen meines Vaters gründen, das Opfer einer so mütterlichen Treulosigkeit werden, ist um so unbezweifelter, da Sie ja bereits von seinem bloßen Verdacht haben so viel leiden müssen, und er es Ihnen nie glauben wird, daß auch Sie über unsere wahren Verhältniße getäuscht waren.

Die an Trotz gränzende Festigkeit, mit der er sprach, verfehlten ihren Entzweck nicht, Frau von[121] Derbald zu imponiren. Sie fragte noch einmal, wo ihre Tochter sey, aber auf eine weit gemäßigtere Weise, als vorher. Edmund öffnete schweigend die Tapetenthür die in das Nebenzimmer führte, wo die bebende Amalie alles mit angehört, und angstvoll den Ausgang dieses Gesprächs erwartet hatte. Bei dem Anblick ihres bleichen, von Thränen überschwemmten Gesichts, ihrer zitternden, die nahe Aussicht Mutter zu werden, aussprechenden Gestalt, behauptete die Natur ihre Rechte.

Ohne Reue zu fühlen, war Amalie doch von kindlicher Demuth gebeugt. Weinend, wie sie vor ihr nieder knieete, neigte Frau von Derbald sich zu ihr herab; und wenn auch leise Wehmuth von allen Seiten sich in diese Versöhnung mischte, so war sie doch aufrichtig, und näherte die so lang getrennten Herzen mit einer verdoppelten Innigkeit einander wieder. Denn auch Edmund, ohne den Amalie selbst das so heiß ersehnte Glück der mütterlichen Vergebung nur mangelhaft empfunden hätte, wurde in ihre Umarmung mit hineingezogen, und von Frau von Derbald als Sohn begrüßt und gesegnet.

Als der Sturm so mannichfacher Gemüthsbewegungen sich endlich legte, berathschlagten sie gemeinschaftlich ihr künftiges Benehmen gegen den Minister und gegen die Welt. Mehrere Gründe bewogen sie, so lange, als nur immer möglich, das Geheimniß, das ihnen Schutz gab, beizubehalten. Amaliens Zustand foderte die größte Schonung, und machte ihr eine fernere Eingezogenheit leicht. Daher sollte sie nach wie vor verborgen in ihrer freundlichen [122] Wohnung bleiben, und von ihrer Mutter oft besucht, und in der entscheidenden Stunde von ihr unterstützt und gepflegt werden. Bis zu diesem Zeitpunkt, welcher nahe war, hoffte Edmund sich der Vorschläge seines Vaters erwehren zu können, ohne durch die bestimmte Erklärung, daß er bereits verbunden sey, einen förmlichen Bruch mit ihm, wie sich voraussehen ließ, herbei zu führen. Denn er wünschte sich bis dahin wenigstens die freie Unbefangenheit des Gemüths zu erhalten, die ihm so nothwendig schien, um diese wichtige Entscheidung mit Geduld und Fassung zu erwarten. Dann aber, wenn diese bange Sorge sein Herz nicht mehr drücken werde, und Amaliens Gesundheit so weit wieder hergestellt sey, um mit mehr Kraft als jetzt unangenehme Auftritte bestehen und nöthigenfalls eine plötzliche Abreise ertragen zu können, wollte er frei die Wahl, auf die er stolz sey, bekennen, und – wenn sein Vater sich durchaus nicht wolle bewegen lassen, sie zu billigen, mit dem von seiner Mutter ererbten Vermögen, sich irgend wo auf dem Lande zu einem zwar nicht glänzenden, aber anständigen und zufriedenen häuslichen Leben einzusiedeln.

Nachdem, ihrer Meinung nach, das Schlimmste, was sich ereignen konnte, die Unversöhnlichkeit des Ministers nämlich, berücksichtigt und Maaßregeln getroffen waren, auch gegen sie sich mit Muth und Thätigkeit zu waffnen, wurden sie sämmtlich ruhiger, bei dem ungewissen Blick in die Zukunft. Frau von Derbald hielt es der Klugheit angemessen, die Ungewißheit, in der sie bisher wirklich gelebt hatte, auch [123] ferner noch vorzugeben, und so ihre Ansprüche auf des Ministers Beistand durch keine Verantwortlichkeit zu mindern. Deswegen verabredeten sie die sorgsamste Behutsamkeit bei ihren gegenseitigen Besuchen. Denn auch Amalie wünschte – wenigstens einmal – die heimische Wohnung und ihre Schwestern wieder zu sehen, und weil man glaubte, diese letztern, trotz ihrer zarten Jugend, in das Geheimniß einweihen zu dürfen, da auf ihre Verschwiegenheit zu rechnen war, so wurde beschlossen, daß Amalie in einigen Tagen in der Abenddämmerung, ohne alles Geräusch, in einer Sänfte kommen, und einige frohe Stunden unter den Ihrigen zubringen solle.

Mit kindlicher Freude ergötzte sie sich schon im Voraus im Genuß dieses fröhlichen Familienfestes, ohne zu ahnen, welch einen traurigen Ausgang der Tag hatte, den sie sich so sehnlich herbei wünschte. Man trennte sich heiter, und Edmund drückte zum Abschied seine Gattin, ohne das leiseste Vorgefühl, an seine Brust, daß diese Umarmung – die letzte sey.

Zum erstenmal seit langer Zeit schlief Amalie wieder sanft und ruhig ein, da das Bild der versöhnten, nicht mehr der zürnenden Mutter, sie umschwebte. Der Engel des Friedens, der ihr so lange seine himmlischen Palmen entzogen, stand jetzt wieder ihr zur Seite, und wehte ihr Muth und rosige Träume der Hoffnung zu. Wachend und schlummernd erfreute sie sich daher jener überirdischen Ruhe, die den Sterblichen nur selten grüßt, – und auch dann oft nur, wenn eine höhere Hand ihn in jene Regionen winkt, wo ihre Heimath ist.

[124] Als Edmund nach Hause kam, dünkten ihm in den Blicken seines Vaters Spuren des Mißtrauens und der Beobachtung zu begegnen; dies machte ihn leise besorgt; doch schob er bald auf die kurz vorhergegangene unbefriedigende Unterredung die Schuld der Verstimmung, die er bemerkte, und suchte durch gleichgültige Gespräche über unbedeutende Ereignisse des Tags jeder näheren Berührung auszuweichen.

Am folgenden Morgen wurde er schon früh zu seinem Vater gerufen, der, ganz gegen seine sonstige Gewohnheit, ihn bat, die Beantwortung einiger Briefe zu übernehmen, welche dringende Eile erforderten. Um diese Aufträge gehörig ausführen zu können, schien es nothwendig, in seiner Nähe sie zu vollziehen. Er räumte ihm daher einen Platz an seinem Schreibtische ein, und wußte ihn unter so mancherlei Vorwänden, den ganzen Tag an seine Person zu fesseln, daß ihm kein freier Augenblick blieb, wo er, ohne Aufmerksamkeit zu erregen, zu Amalien eilen, oder auch nur ihr schreiben konnte. Eben so ging es ihm den andern Tag. Gegen Abend erhielt er folgende Zeilen von ihr:


»Ein ganzer Tag, doch nein, eine Ewigkeit – so dünkt es wenigstens meinem schmachtenden Herzen – ist vergangen, ohne daß ich dich gesehen habe. Vergebens hoffe ich von einer jeden Stunde, sie werde dich mir bringen. O mein Edmund! ich werfe mir die Ungeduld vor, mit der ich deine liebe Gegenwart herbeisehnte. Aber zürne nicht – steht doch, wie ich einst hörte, das Weib, das sich seiner Entbindung naht, auf einem ausgehöhlten [125] Grabe, ungewiß, ob sie ihr Geschick sanft vorüber leitet, oder – hinabstößt. Und dies Schwanken zwischen Furcht und Hoffnung bei einer unendlichen Liebe zu Dir, bei diesem glühenden Verlangen, immer und ewig, wie ich die Deine bin, auch bei Dir zu seyn – sollte es mich nicht entschuldigen in deinen Augen, daß ich so ungenügsam bin, und Dich nicht zu entbehren weiß?

Mir ist wohl, Geliebter meiner Seele, wohl und doch auch wehe. Ich fühle mich so glücklich, danke Gott oft mit so heißen Freudenthränen, daß er mir in Dir so viel gab – blicke an Deiner Seite, geschützt und beglückt durch Deine Liebe, so ruhig und zufrieden ins Leben, und doch – o es ist eine ernste Entscheidung, die sich mir naht – doch ist mir oft, als würde er schnell und unerbittlich – reißen, der zarte Faden, der mich ans Daseyn knüpft. Und wenn er risse, Edmund – ach würdest du es dann nicht bereuen, die letzten Stunden, die mir zu verschönern in deiner Macht stand, dieser nagenden Sehnsucht, diesen vergeblichen Wünschen nach Dir Preis gegeben zu haben?

Daher entziehe mir nicht länger Dein liebes Antlitz, das meine Sonne ist, und Lebenswärme in meinen Busen, Heiterkeit auf den dunklen Pfad strahlt, den ich wandle. Komm, o komme! noch haben meine Arme die Kraft, Dich zu umschließen – laß mich Dich fest drücken an meine sehnende Brust – neben Dir bin ich furchtlos und stark – – was könnte mir wohl angstvolles begegnen, wenn ich Dich halte?

[126] Ist es Dir aber nicht möglich, jetzt gleich zu mir zu eilen – ach des leidigen Zwanges, der uns so oft trennt – so erfreue mich wenigstens durch einige Worte deiner Hand, und sichere mir die Hoffnung zu, daß ich Dich heute Abend bei meiner Mutter finden werde. Denn ich schiebe den Vorsatz, mit Dir und den meinen dort noch einmal froh zu seyn, nicht länger auf, da ich fühle, daß nur die nächsten Augenblicke noch mein sind. O laß sie nicht voll bangen Sehnens vergehen – gönne mir die Freude, Dich dort zu treffen – darum bittet Dich deine bis in den Tod getreue.

Amalie.«


Dieser Brief weckte in Edmunds Brust um so glühender das Verlangen, zu ihr hinzufliegen, da nur rücksichten, die er um ihrer beiderseitigen Sicherheit willen ehren mußte, ihn gegen seine Wünsche einen ganzen Tag aus ihrer Nähe gebannt hatten. Unverzüglich wollte er jetzt zu ihr eilen, und schon war er im Begriff, mehrere, ihm von neuen zu schneller Besorgung empfohlene, Aufträge seines Vaters unausgeführt im Stiche zu lassen, als dieser selbst erschien, ihn zu sich in sein Zimmer zu rufen.

Er folgte ihm mit den widerstrebendsten Gefühlen, die sich in ihm stritten. Jeder Schlag des stürmisch bewegten Herzens trieb ihn vorwärts – das kühle Zuflüstern der Vernunft hielt ihn jedoch zurück, und seine Zerstreuung war so sichtbar, daß nur die Absicht, sie übersehen zu wollen, den Minister zurück halten konnte, sie zu bemerken.

[127] Nachdem er erst von gleichgültigen Dingen, sich auf Geschäfte beziehend, gesprochen hatte, kürzte er die Fieberwallungen, mit denen Edmund ihm zuhörte, ab, indem er durch die ruhige Kälte einer bestimmten Erklärung sein Innerstes erstarrte.

Schon seit längerer Zeit mein Sohn, sprach er, nehme ich an Dir eine Unruhe, eine Scheu vor meinen Blicken, eine Heimlichkeit wahr, die mich zu den sonderbarsten Vermuthungen berechtigen könnte. Du weißt, ich habe für Dich gewählt – doch nicht, wie Väter in der Regel zu wählen pflegen, nur des eigenen Vortheils gedenkend. Die Gräfin Berg ist schön, geistreich, gut, reich, und aus einem angesehenen Hause Der seltene Verein dieser Eigenschaften würde jeden andern jungen Mann anspornen, ein Glück zu erlangen, das Du mit befremdender Gleichgültigkeit unbeachtet läßt. Ich muß daher, so ungern ich es auch thue, auf irgend ein geheimes Verständniß schließen, das – wenn ich es auch nachsichtsvoll blos als eine Verirrung der Sinne betrachte, – doch unangenehm störend meinen Wünschen für Dein wahres Wohl in den Weg tritt.

Zu jeder andern Zeit würde Edmund diese Gelegenheit benutzt, und nun endlich mit männlichem Freimuth das Geständniß ausgesprochen haben, daß er bereits aufs süßeste gebunden, und daher auf immer für die Ansprüche der Gräfin Berg verloren sey. Aber jetzt, wo Amaliens Zustand ihm die schonendste Behutsamkeit zur heiligsten Pflicht machte – wo mit jedem zögernden Augenblick die Gluth ihrer so gerechten Sehnsucht nach ihm, so wie die seines eigenen Verlangens [128] nach ihr wuchs – jetzt, das fühlte er wohl, war nicht der Moment einer so ernsten, und ohne Zweifel bittern und schmerzlichen Erörterung. Er suchte sich daher zu helfen, so gut er konnte. Ausweichend, ablehnend, und doch halb und halb einwilligend, mit seiner Verlegenheit kämpfend, und, bei dem heftigen Aufruhr seines Gemüths, nicht im Stande, sie zu verbergen, suchte er dies peinliche Gespräch abzubrechen, Der Minister, der ihn scharf beobachtete, las in der wunderbaren Betroffenheit seines ganzen Wesens die Gewißheit dessen, was er befürchtete. Er schwieg aber für jetzt; und da Edmund in der Lebhaftigkeit innerer und äußerer Bewegung einen zusammengerollten Brief mit seinem Taschentuch aus der Tasche gezogen, und ohne es zu bemerken, auf den Teppich des Fußbodens hatte fallen lassen, gab er ihm selbst Gelegenheit, eine halbe Stunde auf sein Zimmer zu gehen, da eine feindliche Ahnung ihm sagte, der Aufschluß, den er auf diese Weise erlangen könne, werde entscheidend seyn.

Er hob daher das unglückliche Blatt auf, und der Flammenblick, mit dem er es durchlief, bestimmte, gleich dem Blitzstrahl, welcher tödtend trifft, das Schicksal der Liebenden auf ewig. Es war Amaliens Brief. Er sah sich betrogen, und diese Ueberzeugung erregte in ihm den fürchterlichsten Zorn – doch lauschte die Hoffnung, noch zu triumphiren, im Hintergrunde seiner Seele, und trieb ihn an, Maaßregeln zu ergreifen, um – koste es was es wolle, den Zweck zu erreichen, den er sich vorgesetzt hatte.

Schnell war sein Plan gemacht, eben so schnell[129] wurde er ausgeführt. Ehe eine halbe Stunde verging, hielt ein Miethwagen an einer Seitenpforte seines Palastes. Er ließ Edmund rufen, und bat ihn mit gleichgültiger Miene, ihm bei der Beseitigung eines Geschäfts zu helfen, das er unbekannt zu beendigen wünsche, und dieser, außer sich in seinem Herzen über diese neue Störung, doch arglos, folgte ihm ohne Bedenken in den Wagen, der schnell mit ihnen zu der außerhalb der Stadt auf einer Anhöhe gelegenen Citadelle rollte.

Man schien sie erwartet zu haben, denn ein reitender Bote hatte ihre Ankunft verkündet, und in einem Billet des Ministers dem Commandanten die Vorschrift seines künftigen Verhaltens gegen Edmund gebracht. Sie wurden ehrerbietig empfangen; doch fiel es Edmund auf, daß man sie in ein kerkerähnliches Gemach führte, dessen eisenvergitterte Fenster in einen engen dunklen Hof gingen. Hier wandte sich mit einemmale der Minister zu ihm, und den ganzen Ausdruck des bisher mühsam bezwungenen Zorns und der tiefsten Erbitterung in seinen Zügen, warf er ihm Amaliens Brief vor die Füße, und verließ mit den Worten: nicht eher wirst Du deine Freiheit wieder erhalten, ehe Du nicht deiner Buhlerin entsagst, das Zimmer, das sich sogleich hinter ihm verschloß.

Entsetzt erkannte Edmund die Hand seiner Gattin, sah sein Geheimniß entdeckt, und befürchtete alles für Amalien und für sich. Er wollte seinen Vater nacheilen – die Stimme der Natur, die für Weib und Kind so laut, so allgewaltig in seinem Busen [130] sprach, würde, das bezweifelte er nicht, selbst ein versteinertes Herz zu erweichen vermögen – aber die Thüre war von außen verriegelt – eine Todtenstille antwortete seinem jammervollen Rufen; und als er zum Fenster stürzte, um vielleicht dort ein hülfreiches Wesen zu erspähen, das ihn befriedigen könne, sah er zu seinem schaudervollsten Entsetzen seinen Vater eben in den Wagen steigen, um wieder nach der Stadt zu fahren; und gleichgültig starrten die Menschen, die ihn zu demselben begleitet hatten, hinauf zu seinem Fenster, ohne sich an sein ohnmächtiges Bitten, Drohen und Winken zu kehren. Da faßte die Verzweiflung den Unglücklichen mit ihren, bis ins Innerste dringenden, Krallen – eine tödtliche Ermattung folgte auf seine gewaltsamen Anstrengungen – dunkel, wie sein Schicksal ward es rings umher vor seinen Augen – kalter Angstschweiß trat auf seine Stirn, und bewußtlos sank er auf die harten Steine des Fußbodens nieder.

Indeß kehrte der Minister, zufrieden, daß es ihm gelungen war, Edmund ohne Aufsehn zu entfernen und in strengen Gewahrsam zu bringen, nach der Stadt zurück, und ließ an der Wohnung der Frau von Derbald halten. Sie schien seinen Zorn in einem noch weit höheren Grade als sein Sohn selbst, zu verdienen, da er sich während der ganzen Zeit, als sie um ihre verlorne Tochtet trauerte, von ihr hintergangen wähnte.

Er stieg aus und schickte den Wagen fort. Nichts gleicht dem Erschrecken, womit er empfangen wurde. Frau von Derbald erwartete wie wir wissen,[131] ihre Tochter, die unter dem Schutz der Dämmerung in einer Sänfte zu kommen versprchoen hatte. Das Rasseln eines Wagens vor ihrer einsamen Wohnung verwunderte sie als etwas Ungewöhnliches, und erregte zu gleicher Zeit ihren Unwillen, da sie vermuthete, Amalie sey, trotz der Verabredung, alles Geräusch und Aufsehen sorgsam zu vermeiden, in demselben gekommen. Sie wollte ihr entgegen gehen, aber starr wie eine Bildsäule blieb sie stehen, als sie den Minister in einer Wuth vor sich erblickte, deren Heftigkeit sich nur mit der Härte vergleichen ließ, mit welcher er sie äußerte. Er nannte sie eine Kupplerin, sagte ihr, daß ihr Complott verrathen, sein Sohn bereits auf der Festung, und sein unerschütterlicher Vorsatz sey, ihr und ihrer Tochter eine Versorgung in einer Correctionsanstalt zum Lohn der Verführung und der Lügen zu verschaffen.

Vergebens betheuerte Frau von Derbald, die durch das, was sie hörte allen Muth verlor, und von seinem furchtbaren Zorn sich zermalmt fühlte, daß sie nicht um das Verständniß Edmunds mit Amalien gewußt habe. Der Schein sprach gegen sie, und der Minister begegnete ihr nur um so verächtlicher, und verdoppelte die Drohungen, sie auf die empfindlichste und entehrendste Weise für ihren vermeinten Betrug zu bestrafen.

In diesem unseligen Augenblick langte Amalie an. Sie hörte, als sie aus ihrer Sänfte stieg, das dumpfe Geräusch verworrener, sich streitender Stimmen. Ungewiß, was sie davon denken sollte, und furchtsam, befahl sie den Sänftträgern unten zu [132] warten, und stieg herauf, gerade als der Minister im Begriff war, im höchsten Grade aufgebracht und unter der Verheißung, seine Drohungen wahr zu machen, sich zu entfernen. Ihre Erscheinung vermehrte, wo möglich, noch seinen rasenden Zorn, und er richtete jetzt an sie, wie vorhin an ihre Mutter, die Ausbrüche desselben, deren wüthende Grausamkeit ihr Herz zerriß.

Frau von Derbald, statt durch den Anblick ihrer leidenden Tochter gerührt zu werden, sah sich durch ihn aufs neue compromittirt, da sie in der Hoffnung, den Minister noch zu besänftigen, bei ihrer Behauptung geblieben war, daß sie, gleich ihm, getäuscht worden sey, ohne ihr später erfolgtes Einverständniß mit Amalien zu erwähnen. Aufs äußerste gebracht, wollte sie jetzt durch eine angenommene Strenge den letzten Versuch machen, ihn von der Wahrheit ihrer Versicherung zu überführen. Sie bestürmte also ihr bebendes Kind mit Vorwürfen, die nicht viel sanfter als die seinen waren; und, indem sie ihr in den heftigsten Ton befahl, sogleich ihr Haus zu verlassen, und nicht wieder vor ihre Augen zu kommen, erfüllte sich das Maaß des Jammers, welche das Schicksal über die Unglückliche ausgoß. Erschreckt, betäubt, bis ins Innerste erschüttert, wollte sie entfliehen – doch auf der Treppe verlor sie die Besinnung, und stürzte hinab.

Ein unbeschreiblicher Schmerz rief sie ins Leben zurück. Sie hatte sich im Fallen den Kopf verletzt – mit Blut bedeckt, fand sie sich in den Armen der Sänftenträger, die sie mitleidig aufgehoben hatten.[133] Fort, fort! rief sie ihnen im Ton namenloser Angst zu. Aber diese, die nicht wußten, wohin sie sie bringen sollten, den sie war aus Vorsicht zu Fuß zu einem nahe bei ihrer Wohnung gelegenen Versammlungsort derselben gegangen, und jetzt nicht im Stande, ihnen nähere Auskunft zu geben, trugen sie in das nicht weit entfernte Hospital, wo sie sie der Obhut der Wärterinnen übergaben.

Das Hospital war nur für Kranke geringen Standes eingerichtet. Man legte die Leidende, welche von neuem ohnmächtig geworden war, auf ein schlechtes Bett, und als sie ihre Augen wieder aufschlug, trat mit dem Anblick mannichfachen Elends um sie her, ihr eigenes in seiner ganzen Größe ihr entgegen. Doch keine Klage kam über ihre Lippen. Mit dem Aufwand ihrer letzten Kräfte bat sie blos um ein eigenes Zimmer, und nannte den Namen ihrer Mutter, die nach ihrem Tode die dadurch verursachten Kosten vergüten werde. Kaum hatte sie es erreicht, als die Schmerzen der Geburt sie überfielen, und sie von einem todten Kinde entbunden wurde. Man fand ihren Zustand gefahrvoll, und benachrichtigte ihre Mutter davon. Diese hatte, von Todesangst und Kummer gefoltert, vergebens gesucht, die ihr zu schnell entschwundene Spur ihres unglücklichen Kindes zu erforschen, um den schmerzlichen Eindruck wieder zu verlöschen, den ihre, von der Noth ihr abgedrungene, erkünstelte Härte auf Amalien gemacht hatte, und mit mütterlicher, jetzt über jede falsche Berechnung sich erhebender Liebe sich ihrer anzunehmen. Erfreut zu erfahren wo sie sey, eilte [134] sie dahin: aber ach, zu spät, um durch die Pflege und Sorgsamkeit, die sie ihr gelobte, sie dem Leben zu erhalten. Sterbend, mit schon halb geschlossenen Augen fand sie Amalien – doch der Ton ihrer Stimme, der Ausdruck der Milde die ihn beseelte, hielt ihren fliehenden Geist noch zurück. Ein mattes Lächeln ihrer bleichen Lippen grüßte die in Schmerz aufgelös'te Mutter. Sie dankte Gott mit ihr versöhnt zu sterben, und daß kein tief gewurzelter Groll kein neuer Unwille, wie sie im ersten Schrecken befürchtet, die Ursache ihres rauhen Empfangs gewesen sey. Sie trug ihr ihre letzten Grüße an den geliebten Gatten auf, den ihre Sehnsucht vergebens herbei wünschte, und die Hoffnung, daß ihr Tod ihn wieder mit seinem Vater vereinigen werde, versüßte ihr den herben Kampf, mit dem ihre Jugend sich vom Daseyn losriß. Ihre Schwestern, die weinend um ihr Lager standen, ermahnte sie, nie von der Bahn des Rechten zu weichen, und ihr Andenken als ein warnendes Beispiel stets vor Augen zu haben. Denn obgleich der Liebe freudig und ohne Reue ihr Leben opfernd, hatte doch selbst die seligste Fülle ihres Glückes sie nicht eigentlich beglücken können, da innere Vorwürfe stets ihr Gemüth mit düsteren Ahnungen umwölkten, und mitten in den Freuden des Lebens nur der Tod ihr ein würdiges Sühnopfer für die heiligen Pflichten schien, die sie verletzt hatte, um eigenmächtig der Wahl ihres Herzens zu folgen.

Als die tiefe Stille in Edmunds Gemach nach so stürmischem Toben seine Wächter täuschte, und sie[135] hoffen ließ, er habe sich endlich beruhigt, öffneten sie, ihrer Anweisung gemäß, die Thür, und erschraken, ihn leblos auf der Erde zu finden. Man brachte ihn zwar zu sich, aber ein hitziges Fieber rasete in seinem Blut, und erst nach Monatelangem Streit zwischen Tod und Leben rettete ihn seine gute Natur, und zog ihn vom Rande des Grabes zurück.

Doch nicht, um ihn seinen jugendlichen Freuden und Hoffnungen wieder zu geben – – denn als es wieder klar in und neben ihm wurde, keimte bereits Gras auf dem Hügel, der über seinem Weibe und seinem Kinde sich wölbte, und die bittere Reue seines Vaters, der, nach und nach genauer unterrichtet, und von seinen frühern Ansichten und Planen zurückgekommen, nun gern die in der Erde Ruhende als Tochter anerkannt hätte, um sich den Sohn zu erhalten, konnte sein zertrümmertes Glück nicht wieder aufbauen. Nicht Amaliens Tod, nur ihre Trennung von Edmund hatte der Minister gewollt, und auch diese nur, da er sie nicht für wirklich gesetzmäßig mit seinem Sohn verbunden, sondern für eine unbesonnene ihm hingegebene Beute seines Leichtsinnes hielt.

So schonend und vorsichtig man Edmund nach seiner Genesung die Trauernachricht ihres Schicksals hinterbrachte, so wirkte sie doch wie der giftige Pfeil, der im ersten Moment das Herz nur darum nicht tödlich trifft, damit es in langsamen Qualen sich verblute. Umsonst strebte der Minister durch freundliche Ermunterung und durch Reisen ihn zu zerstreuen. In dumpfer Gleichgültigkeit, ohne ein Zeichen des [136] Beifalls oder des Tadels bei allem was ihm begegnete, schleppte er des Daseyns Bürde weiter, da es ihm noch nicht vergönnt war, sie wegzuwerfen. Doch die Blüthe seiner Kraft war gebrochen – erst in Schwermuth versinkend, dann in Wahnsinn übergehend, welkte sein Leben ihr nach, und mitleidig gewährte der Vater ihm eine Ruhestätte an Amaliens Seite.

Er hatte es der Frau von Derbald nie ganz vergeben können, daß sie durch ihren scheinbaren Unwillen das ohnehin gebeugte Gemüth seiner Gattin noch mehr belastet, und dadurch beigetragen hatte, sie in Verzweiflung, und ins Grab zu stürzen. Deshalb vermied er ihren Anblick als eine zwiefach ihn verletzende Erinnerung der Vergangenheit, und versagte sich den Trost, seine Klagen und Thränen mit den ihrigen zu vermischen. Doch ehrte er den unheilbaren Gram zu tief, mit dem sie Amalien betrauerte, um sie diese unwillkührliche Bitterkeit gegen sie jemals ahnen zu lassen; und es war die letzte Handlung, in der er den freien Gebrauch seiner Vernunft noch bewies, sie als ein Vermächtniß seiner Geliebten zu betrachten, und ihr von seinem mütterlichen Vermögen so viel auszusetzen, als sie, auch ohne Rücksicht auf ihren Prozeß, zu einem anständigen Unterhalt für sich und die Ihrigen bedurfte.

[137]

Die Quelle Leuconia

Wanderer.

Laß mich ruhen in Deinem süßen Geflüster, das die Ermüdung einwiegt in leisen Schlummer, Quelle, die Du aus der dunklen Brust der Erde rein und klar dem goldenen Lichte des Tages Dich entgegen drängst. Laß mich schöpfen aus Deinen labenden Fluthen, und empfange den Kranz, den ich pflückte auf sonnedurchglühtem Pfade, um ihn dankbar dem ersten Gewässer zu weihen, das mir wohlthätig rauschen würde in dürrer Wüste. Aber wie wird mir? – welch neues Leben strömt in Schauern der Wehmuth mit Deinem erquickenden Naß durch mein Inneres? Und die Blumen meines Opfers – wie erheben sie, die verwelkten, von Dir benetzt, wunderbar in frischem Farbenglanz die mattgesenkten Häupter? – O Du bist keine gemeine Quelle. Sicher stürzt Dein heller Strom aus der geheiligten Urne irgend einer Gottheit, die verborgen im Dunkel Deiner Grotte [138] thront. – Oder bist Du vielleicht eine Nimpfe, die hier in rieselnden Wogen ihr rasches Jugendleben ergießt, und in verwandelter Gestalt dem mächtigen Ocean entgegen eilt?


Die Quelle.

Wohl bin ich der Unsterblichen Eine, und meine Thränen hast Du getrunken, o Fremdling! Aber bebe nicht schaudernd zurück vor der seltsamen Labung. Thränen reiner Liebe gleichen dem Thaue, der die welken Blüthen der Erinnerung erfrischt, und in ihnen schmilzt der Schmerz gelindert dahin. Schöpfe wieder aus meiner Tiefe – – und möcht ich neue Kraft Dir verleihen zu Deinem einsamen, beschwerlichen Wege.


Wanderer.

Nein, nicht mehr wag ich Dich zu berühren gleich gemeinen Fluthen – denn in der flüsternden Bewegung Deiner Wellen glaube ich jetzt die Seufzer eines fühlenden Herzens zu vernehmen, und Ehrfurcht gebietend dünkt mir das Blau des Himmels, das sich in Dir spiegelt, gleich einem heiligen Schilde Dich zu schützen. Auch hast Du meinen brennenden Durst gelöscht, und mir Stärke gegeben, weiter zu wandern nach kurzer Rast. Aber sage mir, wer Du bist, ehe ich scheide, damit ich in meiner fernen Heimath die Wunder Deines Daseyns verkünde, und Kränze aufhänge an den Altar meiner Hausgötter zum Dank der Labung die Du mir gewährt hast.


Die Quelle.

Traurig, o Jüngling, ist das Schicksal, das Du zu erforschen begehrst – Doch ich will es Dir [139] enthüllen. Gedenke dann in der Ferne mitleidsvoll zuweilen der Armen, die jetzt in kalter Wasserfülle durch die Gefilde sich windet, welche ehemals ihr Fuß im leichten Reihentanz betrat. Hast Du nimmer von Leuconen, der Tochter des Aphidas, vernommen?


Wanderer.

Nimmer.

Die Quelle.

Aphidas, mein Vater, beherschte der Tegner weites Gebiet, und fröhlich blüht ich an seiner Seite dem Jugendglück entgegen. Doch nicht in dem Duft berauschender Mirthenhaine sucht ich es mir. Höher strebte mein Sinn – irdische Flammen vermochten nicht meine Brust zu entzünden. Frühe schon widmete ich mich dem mühsamen Dienste Dianens, und kannte nur die Geschosse der Jagd, nicht die des Gottes der Liebe. Gleich wie durch einen Panzer war mein Herz beschirmt vor all' den Pfeilen, die aus den liebefordernden Blicken der Männer auf mich eindrangen. Kaltsinnig verschloß ich mein Ohr den zärtlichen Klagen der Schäfer, so wie den stürmischen Bitten der Helden, und das Verlangen begehrender Faunen erwiderte ich nur durch stumme, finster zurückschreckende Verachtung.


Wanderer.

Trugst Du denn kein Gefühl im Busen, o Nimphe! um hart und ungerührt das Schönste zu verschmähen, was Leben und Jugend uns bieten?


Die Quelle.

Wohl regte tief in meinem Innern sich der [140] Empfindung glühende Fülle, aber fester Ensschluß war's in mir, sie nicht an das Eine zu verschwenden, was oft die Ruhe unseres Lebens unwiederbringlich vergiftet. Denn schon frühe zog die Erfahrung den rosigen Schleier der Täuschung mir vom Auge, und ich schaute um mich her, und suchte vergebens dauerhaftes Glück der Liebe in den Verbindungen, die ich schließen sah. Was mit dem höchsten Enthusiasmus der Leidenschaft begann, endete oft in kalter, herzloser Verstimmung – öfterer in bitterem, unheilbarem Weh, das selbst die Zeit mit ihrem schmerzstillenden Balsam nur zu mildern, nicht zu heilen im Stande war. Daher entsagt ich Amors Kränzen und Hymens Fesseln, und die Leere der Sehnsucht in meinem Gemüth, strebt' ich auszufüllen durch die Würde mütterlicher Pflichten. Denn Aleus, mein Bruder, dem die feindseligen Parzen die liebende Gattin entrissen hatten, vertraute meiner Sorgfalt seine Tochter Augis an, und in der sanft sich entwickelnden Holdseligkeit des anmuthigen Kindes blühte mir ein süßer Lohn für jegliche Mühe auf, die ihre Erziehung mir kostete.

Augis war schön wie der Frühling, wenn er im Sonnenglanze lächelt, und mit leise bildender Hand mischte ich Muth in das Zagen ihrer schüchternen Unschuld, und Festigkeit in die zarte Hingebung ihres weichen, leicht bewegten Gefühls. Ich lehrte sie den Bogen führen, und zeigte den tödtenden Pfeilen ihres Köchers den sicheren Weg in das Herz des Adlers in den Lüften, so wie in die Brust des Rehes im Gebüsch. Aus Furcht vor den Verfolgungen [141] der Waldgötter wich ich nimmer von ihrer Seite, und stählte sie durch die Beschwerlichkeiten immerwährender Beschäftigung gegen, allen Zauber zärtlicher Lockungen. Immer schimmernder mehrten sich ihre Reize, und Götter und Hirten entbrannten in Liebe für sie. Doch sorgsam hütete ich das theure mir anvertraute Kleinod, und keinem gelang es, meine nie ermattende Wachsamkeit zu hintergehen.

Da hörte Aphrodite im Kreise der Götter die Klagen derer, welche umsonst strebten, die Liebliche für ihre kühnen Wünsche zu gewinnen. Boshaft lächelte die Königin der Herzen, und gebot ihrem Sohne sich aufzulehnen gegen das eifrige Bestreben, mit welchem ich Augis Gemüth jeder sinnlichen Regung verschloß, und als der muthwillige Knabe fand, daß ich den Busen meines Zöglings vor seinen drohenden Waffen zu schirmen wußte, traf er verletzend ihr zartes Ohr, und öffnete es dem Syrenengesange des begehrenden Sehnens, das ihre Schönheit entflammt hatte. Sie wurde aufmerksam auf die Seufzer hoffnungsloser Liebe, die sonst unbemerkt an ihr vorüberwehten. – – Stille Schwermuth verdrängte ihre fröhliche Unbefangenheit, und ohne meinen Lehren zu widersprechen, sah ich doch deutlich, daß sie, von einem geheimnißvollen, verderblichen Zuge ergriffen, sich nicht mehr bemühte, ihnen zu folgen.

Einst, als Krankheit mich an mein Lager fesselte, rief ein Befehl meines Bruders sie auf einige Zeit ins väterliche Haus zurück. Unheil ahnend, ließ ich sie aus meinen Armen, und in dem Schmerz der Trennung schien auch ihr im dumpfen Vorgefühl [142] düster das nahende Geschick vorzuschweben. Dort – fern von meiner mütterlichen Aufsicht – erblickte sie den Hercules, dem Aleus gastfrei sein Haus geöffnet hatte. Ihn entzückte die muthige Jägerin. Seine männliche Schönheit, der Stolz des Halbgottes, der vor ihren Reizen in zärtlichem Flehen dahin starb, der Glanz seines Rufs, der schon damals, als er ihr noch fremd war, ihre schüchterne Meinung blendend erobert hatte, und die eigene Schwäche ihres nicht mehr bewaffneten Herzens gewannen ihm ihre Neigung, und sie unterlag den Nachstellungen des Verführers, der nach dem kurzen Rausch eines erträumten Glücks sie verließ.

Die Stimme des Bewußtseyns in ihrer Seele rieth ihr, mein Angesicht zu meiden. Ach, sie wußte nicht, daß eine Liebe, wie die meinige, eher zu verzeihen, als zu strafen geneigt ist. Sie suchte ihren Aufenthalt am Hofe ihres Vaters zu verlängern, ohne zu ahnen, daß sie ihr Unglück dadurch beschleunigte. Denn als bald darauf Verdacht in Aleus Seele drang, und er sie hochgegürtet schaute, entbrannte sein Zorn gegen die Entehrte, und er erblickte in der strafbaren Tochter nicht mehr die Zierde ihres Geschlechts, auf die er einst stolz war, sondern die Schande seines königlichen Hauses, welche nur, wie er wähnte, durch den schmachvollsten Tod der Verbrecherin zu vertilgen war. Taub gegen alle Einwendungen väterlicher Liebe gab er nur der Wuth und der Rachsucht Gehör, und befahl dem Nauptius, seinem Vertrauten, die Unglückliche in den tiefen Schlund einer grimmigen Wasserleitung zu stürzen, [143] um so sie sammt den Folgen ihres Fehltritts zu begraben.

Das Gerücht von Augis Vergehung, so wie von dem schrecklichen Loose, mit dem sie ihr Vater bedroht hatte, gelangte zu gleicher Zeit zu mir, und gefoltert von Angst und Schmerz über diese Elende, raffte ich mich auf, ihr beizustehen in der Verzweiflung ihrer Lage, und den harten Sinn des Königs zum Widerruf seines grausamen Befehls zu bewegen. Aber ach – ich kam zu spät um sie zurück zu halten vom finstern Todeswege, denn sie hatte ihn bereits betreten. Wehklagend durchstrich ich jetzt die verödeten Wälder, auf deren dunklen Bahnen die geliebte Tochter einst neben mir wandelte, und wenn ich die tobenden Wellen, in denen sie unterging, vom Felsen herabrauschen sah, rief ich jammernd ihren Namen, und hörte schaudernd, wenn Echo, meines Schmerzes spottend, kalt und herzlos ihn mir nachsprach.

Seitdem waren alle Freuden des Lebens mir verglommen, gleich matten Funken, von trüber Asche bedeckt, und immer schwebte mir der Gedanke, was ich verloren, vor meiner Seele, um mir die Nichtigkeit dessen zu zeigen, was mir übrig blieb. Selbst in meinen Träumen stand das bleiche Bild des geliebten Kindes vor mir, und oft erblickt ich sie in kläglicher Gestalt, wie sie den gräßlichen Todeskampf beginnend, die Arme Hülfe fordernd, nach mir ausbreitete, und dann rettungslos sich versenkte in den gähnenden Abgrund, wo die erzürnten Wogen brausend über ihr zusammen schlugen. – –

[144] Mein Leiden, und das heiße Flehen nach einem lindernden Ende derselben rührte endlich die Götter, und als ich einst wiederum das ganze Weh meines Verlustes in bitteren Klagen ergossen hatte, dünkt ich mir in meinem Innersten zu erkalten, und wie aus weiter Ferne erklang mir sanft und melodisch eine Stimme: »Fließe hin in Thränen, sprach der himmlische Laut, und wie Du wohlthätig und segnend im Leben warst, so sey es auch nach Deinem Tode. Mit leise strömenden Wellen, die Deines Daseyns Kraft enthalten, netze die Fluren, die Du rüstig in Dianens Dienst, als unermüdete Jägerin durchschrittest, und schwelgrisch dufte üppiges Grün, mütterlich von Dir genährt, um Dich her. Reiche dem Wanderer Labung und verjüngte Stärke im reinen Krystall, der Deiner Tiefe entquillt, und selbst den lechzenden Herden, die Dein Ufer erreichen, stille kühl und freundlich den quälenden Durst.« – – So fühlt' ich dämmernd und sanft, wie der nahende Schlummer Bilder des Wachens verlöscht, mein Leben dahin rinnen, und in den Krümmungen der mir vorgeschriebenen Bahn stürze ich mich sehnend der Untiefe zu, in welcher der Liebling meines Herzens mir verschwand, und suche sie vergebens, doch mit besänftigter Trauer, auf dem feuchten Grunde der tosenden Fluth, die auch mich verschlingt, um meine Wellen, mit den ihrigen vereint, ins ferne Meer hinab zu wälzen.


Wanderer.

Märtyrerin der reinsten, uneigennützigsten Liebe – gütige Nimpfe, die mich erquickte – habe Dank, daß Du Dein trübes Schicksal mir entschleiert hast. [145] Walle ungehemmt in Deinem wohlthätigen Laufe dahin durch die blühenden Gefilde, die Du nährst, und gewähre noch oft dem schmachtenden Wanderer, den aus der Ferne Dein sanftes Flüstern herbei führt, Erfrischung in den Gluthen des Mittags. Wenn Pan, der Freund der Hirten und Heerden, mich sicher nach den Thälern geleitet, wo meine Hütte steht, will ich noch dankbar und liebevoll Dein Andenken feiern, und die schönsten Blumen, die meine Trifft hervorbringt, zu Deinem Andenken in der Wehmuth dunkles Cipressengeflecht winden.

[146]

Die Fußstapfen des Löwen

Berauscht von der süßen Trunkenheit der Liebe pries einst in einer vertraulichen Stunde der Sultan Mamoun seinem Vezier Mehemet das Glück, eine Sclavin erhalten zu haben, deren Schönheit die Reize der übrigen Bewohnerinnen seines Serails überstrahle, wie der volle Mond den bleichen Glanz der Sterne verdunkle.

Du sollst sie sehn, spach er zu Mehemet, auf dessen Lippen ein ungläubiges Lächeln schwebte, als der Sultan sie im Feuer der Begeisterung weit über alle sterblichen Weiber erhob. Hinter einem Gitter verborgen, will ich Dir die himmlische Wonne ihres Anschauens gestatten, und ich bin von der Richtigkeit Deines Urtheils überzeugt, daß Du kein irdisches Wesen, sondern die Erscheinung einer Houris in ihr wahrzunehmen glauben wirst.

[147] Beherscher der Gläubigen! antwortete der Vezier, ich zweifle keinesweges an der Anmuth Deiner Geliebten. Nur daß Du ihre Schönheit über alle Frauen des Morgenlandes, ja sogar der Welt, erhebst, macht mich so kühn, Dir die unwillkührliche Bewegung meines Unglaubens zu zeigen, da ich erst vor kurzem Adalisca, die Gattin des Kaufmannes Abaza erblickt habe, der wie es mir scheint, allein auf Erden die Krone der Vollkommenheit gebührt.

Thörichter! versetzte Mamoun, wohl schimmern die Gestirne der Nacht, bis die Sonne aufgeht, und ihre matten Lichtpuncte gleich Flecken am hohen Blau des Himmels auslöscht. Sieh erst die Erwählte meines Herzens, und Du wirst eingestehn, daß Abazas Gattin kaum würdig ist, ihr als dienende Sclavin zu huldigen. –

Als der Abend heran nahte, wurde der Vezier auf Mamouns Befehl in einen versteckten Winkel des Harems geführt, wo er hinter einem Gitter von vergoldeten Stäben unbemerkt das Gemach übersehen konnte, in welchem sich der Sultan mit seiner Geliebten ergötzte. Wohl war sie schön, wie die Fantasie sich die Gestalten träumt, welche den dritten Himmel bewohnen, und der Glanz der Lichter, das Strahlen der Edelsteine, so wie der sanfte Schein der Perlen, die mit kaiserlichem Reichthum sie umgaben, dienten noch dazu, ihren Liebreiz durch vortheilhafte Beleuchtung, Pracht, und wohlgewählten Schmuck zu erhöhen.

Aber dennoch – welch süßes Schmachten sich auch in ihren Blicken mahlte, die bald hinstarben [148] in der Fülle zärtlichen Verlangens, bald wieder aufblitzten, von der Gluth eines lodernden Feuers entzündet – dennoch – wie flach erschien ihre Wirkung Mehemet, wenn er sie mit dem reinen Leben des Geistes, mit der göttlichen Sanftmuth und Würde verglich, die Adaliscas Augen zum Spiegel ihrer schönen Seele machten. Wollust athmeten die blühenden Lippen der Sultanin, aber jenes Lächeln der Milde und der Unschuld war ihnen fremd, das auf Adaliscas Rosenmund seinen Wohnsitz fand. Auf ihrer zarten, jungfräulichen Stirn thronte Hoheit und Frieden, während Leidenschaften gleich einem wechselnden Gewölk die Züge der Sultanin bald erhellten, bald verfinsterten.

Mamoun, seines Triumphs gewiß, trug indeßen Sorge, die Geliebte in der vollen Entfaltung ihrer Reize und Talente dem Auge seines Freundes darzustellen. Sie bewegte sich auf sein Geheiß im schwebenden Tanz, der jede Zierlichkeit ihres Wuchses enthüllte – sie sang mit schmelzenden Tönen, und begleitete den harmonischen Wohlklang ihrer Stimme mit einem meisterhaften Spiel auf der Laute; aber dennoch – der Vezier blieb bei seinem Kopfschütteln – dennoch fehlte allem, was sie that, der Zauber jener keuschen sittlichen Grazie, der selbst der regelmäßigsten Schönheit erst den Kranz der Vollendung reicht, und der bei Adalisca's Anblick das einem Muselmann so seltene Gefühl der Verehrung mit dem Anerkennen der bewundrungswürdigsten Anmuth in Mehemets Gemüth vereinigt hatte.

Ungeduldig erwartete der Sultan am andern [149] Morgen Mehemet überwunden vor sich zu sehn. Er erschien, jedoch nicht besiegt, sondern bestärkt in seiner Meinung.

Herr! sprach er, als Mamouns Mienen mit finsterem Unwillen drohten, kühn ist meine Behauptung, daß Adalisca die holdselige Gefährtin Deines Lebens übertrifft, aber ich kenne Deine erhabene Denkungsart. Du ehrst die Wahrheit, und vergönnst Deinen Dienern, sie immer muthig vor Dir auszusprechen. Daher verzeihe, wenn ich es auch jetzt thue, und durchdrungen von ihrem heiligen Einfluß das Bekenntniß vor Dir erneuere, daß nur nach Adalisca die Sultanin verdient, die erste Frau des Orients zu heißen.

Wohl, antwortete der Sultan mit unterdrücktem Zorn, ich will mich mit eigenen Augen überzeugen, ob wirklich Alles übertreffende Reize, oder ein grillenhafter Eigensinn Dein Urtheil leitet. Unpartheiisch, wie ich es der Gerechtigkeit schuldig bin, will ich Adalisca sehen, um sie mit meiner Geliebten zu vergleichen. Finde ich aber, daß Du gefrevelt hast an der Schönheit der Herrlichen, die meine Tage beglückt, so – ich schwöre es bei dem Propheten und bei meinem Barte – so verbanne ich Dich unwiderruflich aus meinem Angesicht.

Ruhig blickte der Vezier in das mißmuthige Auge seines Gebieters, und sprach: ich unterwerfe mich Deinem Willen, o Herr! und rufe nicht Deine Gnade, nur Deine Gerechtigkeit an.

Obgleich nahe an der Gränzlinie stehend, die vertrauende Freundschaft von feindseligem Haß scheidet, [150] überlegte Mamoun doch mit Mehemet, auf welche Weise er seine Neugier befriedigen könne, und beide fanden, daß nur Abaza's Entfernung dem Sultan der Zutritt in das Innere seines Hauses möglich mache.

Abaza ist redlich, und ein thätiger Mann, sagte der Vezier; giebst Du ihm den Auftrag, den Handel in den südlichen Provinzen Deines Reichs abzuschließen, weshalb Du schon lange unentschlossen warst, wem er wohl anzuvertrauen sey, so entfernst Du ihn auf eine ehrenvolle und vortheilhafte Art, ohne ihn in seinen häuslichen Rechten zu kränken, und zu gleicher Zeit erreichst Du ungestört den Zweck Adalisca zu sehn. Denn daß Du sie nur sehen, und nicht das stille Glück einer zufriedenen Verbindung unterbrechen willst, dafür bürgt mir die großmüthige Erhabenheit Deiner Gesinnungen, und – Deine Liebe zu der Sultanin.

Mamoun erröthete bei diesen Worten, und erwiederte nichts darauf. Er ließ sogleich die Vollmacht ausfertigen, die Abaza zu einem so wichtigen Geschäft authorisirte, und übersandte sie ihm mit dem Befehl, augenblicklich abzureisen.

Abaza, der seine Zeit bisher zwischen Adalisca's Umgang und den stillen Bemühungen eines nur beschränkten Handels getheilt hatte, ward nicht wenig überrascht, durch einen Auftrag, den er sich nie hätte träumen lassen. Gleichwohl fühlte er den Schmerz, sich von seiner angebeteten Gattin zu trennen, tiefer als das Schmeichelhafte einer so viel Vortheil versprechenden Wahl, und wenn er hätte wagen dürfen,[151] sich dem Mißfallen des Sultans auszusetzen, so würde er den fortdauernden Genuß seiner häuslichen Glückseligkeit freudig all' dem ehrenvollen Gewinne vorgezogen haben, der ihn zu erwarten schien.

Er fand sich indessen in der Nothwendigkeit zu gehorchen, wenn sie gleich bitter war. Eilfertig machte er Anstalten zur Reise, widmete nur wenig Augenblicke dem Abschied, um sein Herz nicht allzu sehr zu erweichen, und verließ sein Haus, um dem Befehl zu folgen, der ihn so unwillkommen aus der Ruhe der tiefsten Zufriedenheit aufscheuchte.

Sobald der Sultan durch seine Kundschafter Abaza's Abreise vernommen hatte, begab er sich sogleich nach dessen Wohnung, um sich zu überführen, ob die schöne Adalisca den Vorzug verdiene, den der Vezier ihr so halsstarrig über die Sultanin einräumte.

Adalisca hatte noch die Thränen der Trennung nicht abgetrocknet, als ein Verschnittener die Thür ihres einsamen Zimmers öffnete, um den Sultan zu ihr einzulassen.

Wie schnell verdrängte Schrecken die Betrübniß ihres liebenden Gemüths. Sie sah den Monarchen vor sich, den sie vorher nur hinter ihrem Schleier, in prachtvoller Umgebung öffentlicher Aufzüge, erhaben, wie ein Meteor des Himmels, erblickt hatte, und seine Nähe ergriff ihr ahnendes Herz mit ängstlichen Schauern der Furcht und der Verwirrung, Sie warf sich vor ihm nieder, allein Mamoun hob sie auf, und schloß sie mit allem Entzücken der freudigsten Ueberraschung in seine Arme.

Göttliche Sterbliche! rief er aus, so ist es wahr, [152] was ich nur mir selbst glauben wollte, daß Deine Schönheit alles überstrahlt, was Menschen reizend nennen! O gesegnet sey mein Mißtrauen, das mich bewog, nicht fremde Augen, sondern meine eigenen über Dich entscheiden zu lassen – gesegnet sey der Kunstgriff, durch welchen ich Deinen Gatten entfernte, und dreimal gesegnet diese Stunde, wenn sie mir gewährt, wornach ich schmachte, Deine Gunst, himmlische Adalisca, die das Ziel meiner heißesten Wünsche ist.

Adalisca begriff jetzt schnell alle Räthsel des heutigen Tages; doch sie verbarg das Zürnen der beleidigten Tugend, und wand sich scheu, aber ehrerbietig aus den Armen des liebeglühenden Sultans, die sich von neuen ausstreckten, sie zu umfangen. Ihr war die Dichtkunst hold, und bei mancher Veranlassung ordneten sich ihre Worte unwillkührlich in gebundene Rede, die, wahrem Gefühl entquellend, durch das Ohr leicht den Weg zum Herzen fand. Auch jetzt strömten ihre Gedanken ihr ein poetisches Gleichniß zu, das sie auffaßte, um den Fürsten zurück zu weisen, dessen Hoheit sie blendete, ohne sie einen Augenblick ihre Pflichten vergessen zu machen. Mit einer ernsten Würde in Blick und Gebehrde, die ihm jede Hoffnung benahm, begegnete ihr Auge kalt seinem entflammten Blick, und in einem Tone, den Mamoun nie von seinen Sclavinnen vernommen hatte, sprach sie diese Worte vor ihm aus:


Des Löwen Majestät würd' es entehren,
Wollt' er gemeiner Thiere Eigeuthum genießen,
Sie sind nur da, um schweigend ihn zu ehren,
Wie Blumen stumm des Herrschers Tritt umsprießen.
[153]
Wenn er verlangt, der Freude Kelch zu leeren,
Muß Labung ihm aus reiner Quelle fließen;
Kein seiner Macht unwürdiges Begehren
Darf seinen Sinn an niedere Wünsche schließen.

Betroffen stand der Herr des Morgenlandes vor ihr, und fühlte sich vernichtet durch den edlen Stolz, der, mit der bescheidensten Demuth verbunden, Adalisca's Anstand beseelte, und wie eine unübersteigliche Kluft ihn von der Erfüllung seines brennenden Verlangens schied. Eine Glorie schien ihr schönes Haupt zu umlodern, und zwang den Unmuth seiner vergeblichen Sehnsucht in die ungewohnte Form einer sich der Anbetung nähernden Hochachtung. Da die verlegene Rolle, die er vor ihr spielte, ihm eben so neu als unbehaglich war, so ergriff er das einzige Mittel, das ihm übrig blieb, sie zu endigen. Er begab sich nemlich hinweg, aber in einer solchen Verwirrung, daß er einen seiner reich gestickten Pantoffeln im Vorgemach zurück ließ, ohne diesen Verlust eher zu bemerken, als bis er wieder in seinem Pallast angekommen war. Er sprach nicht mit dem Vezier von dem Resultat seines Besuchs, aber er behandelte ihn mit zarter Innigkeit, und es war nicht die Rede davon, ihn aus seinem Angesicht zu verbannen.

Indessen war Abaza eben im Begriff, die Stadt zu verlassen, als ihm einfiel, daß er vergessen hatte, eine Angelegenheit zu besorgen, die für sein Hauswesen nicht unwichtig war. Er kehrte daher eilig zurück, und die Vorstellung, Adalisca noch einmahl an seine Brust zu drücken, söhnte ihn freundlich mit der Unbequemlichkeit des doppelten Weges aus.

[154] Aber was glich seinem Entsetzen, als er in sein Haus trat, und im Vorzimmer den Pantoffel des Sultans fand, den er sogleich nicht ohne die tiefste Erschütterung-erkannte. Eifersucht, diese gewöhnlich von der Liebe unzertrennliche Gefährtin, die im Orient flammender als irgendwo den Busen der Männer mit ihrem zerstörenden Gifte füllt, war auch Abaza's Schwäche, und zwar in einem nicht gemeinen Grade. Zitternd bekannte der Sclave den Besuch des Sultans, den er nur dumpf vorher bei dem Anblick des verhaßten Pantoffels geahnet hatte, und rachedürstend, von dem zermalmenden Gefühl durchbohrt, daß Adalisca, sein Liebstes auf Erden, ihn betrogen habe, trat er in ihr Zimmer.

Aber er fand sie nicht. Sie hatte sich in ihre innersten Gemächer begeben, um sich von dem Schrecken der eben gehabten Ueberraschung zu erholen. Abaza gewann hiedurch Zeit, sich zu sammeln, und die blutigen Gedanken zu verdrängen, welche seine Seele durchschauderten. Daß sie hingerissen von dem Glanz und der persönlichen Liebenswürdigkeit Mamouns, mit ihm im Einverständniß war, schien ihm unbezweifelt gewiß, aber dennoch bebte sein Innerstes vor dem Vorsatz, sie zu tödten, zurück, den er im ersten Schmerz gefaßt hatte. Nur Verachtung und Verbannung sollte ihre Strafe seyn, und als sie nach einigen Minuten zärtlich und reizend, wie immer, herein trat, und mit aller Innigkeit der treusten Neigung in seine Arme flog, schwand auch die Kraft in ihm dahin, ihr, wie er eben wollte, mit Härte ihr künftiges Loos anzukündigen.

[155] Er zog aus seinem Gürtel einen Beutel, der hundert Goldstücke enthielt. Ich habe vergessen, Dir hinlänglich Geld in meiner Abwesenheit zu hinterlassen, sagte er. Nimm daher diesen Beutel, Adalisca, aber es wird mich beruhigen, wenn Du sogleich mein Haus verlässest, und bis ich zurückkehre, Dich unter den Schutz Deines Vaters begiebst. –

Adalisca neigte sich gehorsam vor dem Geliebten ihrer Seele, aber Wehmuth bei dem erneuerten Gefühl der Trennung raubte ihr in diesen schmerzlichen Augenblicken die Sprache. Noch einmal preßte Abaza sie mit wild hervorstürzenden Thränen an sein Herz – dann riß er sich los von ihr, in der qualvollen Meinung, die Ungetreue niemals wieder zu sehen.

Adalisca'n war die Pflicht heilig, selbst den leisesten Winken ihres Abaza zu gehorchen. Sie bezog daher bald nach seiner Entfernung das Haus ihres Vaters, wo sie eingezogen und sittsam die Zeit seiner Abwesenheit zubrachte. Die Reinheit ihres Bewußtseyns entfernte jede ängstliche Besorgniß aus ihrem Busen! und der einzige Kummer, der ihr stilles Leben trübte, war die Ungewißheit, wann ein gütiges Geschick sie wieder mit dem geliebten Gemahl vereinigen werde. Täglich flossen die Thränen ihrer Sehnsucht um ihn, und jeder Seufzer, der ihren Busen schwellte, foderte ihn zurück aus dem Dunkel der neidisch trennenden Ferne. Das sanfte Roth ihrer Wangen verblich leise, verscheucht durch diesen immerwährenden Gram – der Schimmer ihrer Augen [156] erlosch, und ihre Lippen glühten nicht mehr wie der Purpur der Feuerrose, dem sie sonst glichen.

Ihr Vater, von dem Sehnen treuer Liebe gerührt, dem sie sich hingab, forschte, in der Hoffnung, sie zu trösten, in Abazas Haus nach Nachrichten von seiner Wiederkunft, und vernahm nicht ohne unwilliges Erstaunen, daß er schon seit mehreren Tagen von seiner Reise heimgekehrt sey. Unverzüglich eilte er, ihn über sein sonderbares Benehmen zur Rede zu stellen. Er fand ihn abgezehrt, verändert, ein stummes Bild des bleichen Kummers, und einer hoffnungslosen, am Leben verzagenden Schwermuth.

Worin hat Adalisca gefehlt, daß sie die tiefe Verachtung eines solchen Betragens verdient? fragte der Vater mit gerechter Entrüstung. Ist sie eines Vergehens schuldig, so soll ihr Tod von meinen Händen jeden Schimpf verlöschen, den sie Dir zugefügt hat. Aber ohne blind vor väterlicher Liebe zu seyn, kenne ich keinen Fehler ihres Herzens oder ihres Wandels, als höchstens das Uebermaaß ihrer Zärtlichkeit zu Dir.

Abaza, ohne sich in eine nähere Erklärung einzulassen, antwortete mit trübem Ernst, daß er ihr mitgebrachtes Heirathsgut, in hundert Goldstücken bestehend, ihr zurück erstattet habe, und daß er seine Verbindung mit ihr als völlig aufgelöset betrachte. Da aller bestürmenden Fragen ohngeachtet keine Ursache seiner Erbitterung über seine Lippen kam, ergrimmte der beleidigte Vater immer mehr, und zog ihn so gleich vor Gericht zur Rechenschaft.

Mamoun pflegte jedesmahl zugegen zu seyn, [157] wenn über das Wohl oder Wehe seiner Unterthanen entschieden wurde. Seine Gegenwart hielt die Cadi's in gesetzmäßigen Schranken der Gerechtigkeit, und belebte das Vertrauen der Hülfesuchenden, die in seiner Weisheit und Billigkeit Beistand, oder wenigstens Trost fanden. Nicht ohne beschämende Erinnerungen hörte er jetzt den Namen Abaza erschallen, der aufgerufen wurde, sich gegen eine Klage zu vertheidigen.

Er wendete sein Auge auf den oft in Gedanken beneideten Glücklichen, der die treueste und liebenswürdigste Frau besaß, aber er erstaunte, denn nicht so hatte er sich den Mann gedacht, der Adalisca sein Eigenthum nennen durfte. Nicht stolz, sich seiner Seligkeit bewußt, und von ihr berauscht, trat er auf, sondern mit erloschenem Auge, und abgehärmten Wangen, stillem Ernst, und unheilbarer Melancholie in allen seinen Zügen. – Doch des Sultans Verwunderung sollte noch höher steigen. Neben Abaza drängte sich ein ehrwürdiger Greis durch die Menge, kündigte sich als der Vater seiner Gattin an, und berührte ehrfurchtsvoll mit seiner Stirn den Boden zu den Füßen des Sultans.

Herr! sprach er alsdann, vergönne mir in einer Allegorie Dir den Fall vorzutragen, der die Ruhe, so wie die Ehre meines Hauses zerstört, und mich vor der Zeit ins Grab stürzen wird, wie der herbstliche Sturm das gelbe Laub der Bäume gewaltsam von den Zweigen reißt. Ich hatte dem Abaza eine reizende Flur eingeräumt, die durch hohe Mauern [158] geschützt war, und Blüthen des Himmels und köstliche Früchte hervorbrachte. Er wandelte entzückt umher in diesem irdischen Paradiese, bis ein unerklärlicher Eigensinn ihn bewog, es auf einmahl zu verlassen. Mit kaltem Hohn hat er die zarten Blumen, die für ihn nur dufteten, ohne weitere Pflege dem Verwelken preisgegeben, und jetzt will er mit diese Flur wieder abtreten, die durch seine Grausamkeit verwüstet und entblättert ist, ohne mich eines Grundes zu würdigen, weshalb sie so bald alle den Zauber verloren hat, der sie sonst zu einem Aufenthalt der Glückseligkeit für ihn machte. Was entscheidest Du hierauf, Beherrscher der Gläubigen?

Laß hören, was Du zu Deiner Rechtfertigung sagen kannst, Abaza, versetzte der Sultan, der in tiefes Nachdenken versunken war.

Herr! erwiederte Abaza, nur mit dem bittersten Schmerz habe ich jene paradiesische Flur verlassen, in deren Bezirk einst alles Glück meines Lebens blühte, und wo seitdem mein Fuß auch wandelte, dünkt mir alles wüste und öde, weil eine unauslöschliche Sehnsucht noch immer mich in die Zeit zurückführt, in der Blütben und Früchte balsamisch und erquickend jede Minute meines Daseyns bekränzten. Aber – als ich einst lustwandelte in den Gefilden, die ich mit froher Zuversicht mein eigen glaubte, da entdeckteich die Fußstapfen eines Löwen, und schaudernd floh ich, denn ich fühle mich eben so unfähig, mit dem furchtbaren König der Thiere meinen Garten zu theilen, als ihm denselben streitig zu [159] machen. – Er zog bei diesen Worten den Pantoffel des Sultans hervor, den er in seinem Gewande verborgen hatte, legte ihn vor Mamoun nieder, und verhüllte alsdann sein Gesicht mit den Gebehrden einer tiefen, nicht zu lindernden Trauer.

Glühend vor Beschämung, doch gefaßt, erhob sich der Sultan. Kehre zurück in Deinen Garten, sprach er, und fürchte nicht ihn entweiht zu finden. Wohl hat der Löwe seine Fußstapfen darin zurückgelassen, aber nicht weil er glücklich war, sondern weil er vor Scham und Bestürzung eilig floh, da ihm nicht vergönnt wurde, die Reize zu genießen, die ihn so unwiderstehlich anzogen. Nirgends, glücklicher Abaza! giebt es eine lieblichere Flur, aber zu gleicher Zeit auch keine, die sicherer verwahrt, und durch die unübersteigbaren Mauern eines reinen Willens und einer unbefleckten Tugend so beschützt ist.

Diese Worte, die Abaza allein unter der Versammlung zu deuten wußte, flößten Muth und Hoffnung in seine bekümmerte Seele. Er umarmte seinen Schwiegervater, und zog ihn in ungestümer Freude mit sich fort bis zu seiner Wohnung, wo Adalisca ihm ihre Arme liebend öffnete, ihn nach langer Trennung willkommen zu heißen. Aus seinem Munde erfuhr sie jetzt mit einemmahl seinen Verdacht, den Unwillen ihres Vaters und das Zeugniß des Sultans, das ihrer Unschuld Gerechtigkeit wiederfahren ließ. Sie machte durch eine treue Darstellung des Vorgefallenen ihren Vater mit der Geschichte bekannt, die ihm so räthselhaft schien, und [160] folgte dann dem Geliebten wieder in sein Haus, wo noch seligere Tage, als die vergangenen ihrer warteten, da nach der schweren Probe, die sie überstanden hatte, ein unerschütterliches Vertrauen in Abazas Herzen an die Stelle seiner glühenden Eifersucht trat.

[161]

Lohn des Verbrechens

Es war im Anfang des vierzehnten Jahrhunderts als Graf Adolph V. zu Holstein und Wagrien regierte, und durch Handlungen der Gewaltthätigkeit und des frechen Uebermuths sich die Herzen der Edlen seines Landes entfremdete.

Da seine Ueppigkeit sich mit dem reichen Einkommen seiner Lande nicht begnügte, so sendete er oft seine Diener dreist in die Wohnungen seiner Vasallen, ließ ihr Getraide dreschen und hinwegführen, und ihr Vieh von dannen treiben, damit er schwelgen möchte, während jene traurig der ihnen entrißenen Haabe nachblickten, und darben mußten.

Dies räubermäßige Verfahren wiederholte sich so oft, daß einst einer der Edelleute, dem es widerfuhr, in gerechtem Unwillen entbrannte. Wie aber die barbarische Sitte der damaligen Zeit eine Genugthuung darin fand, den Schuldigen wie den Unschuldigen zu bestrafen, so schickte er die in solchem Auftrag [162] abgesandten Boten mit abgehauenen Händen und Füssen ihrem Gebieter wieder zu, in ihrer traurigen Verstümmelung ihm zur Warnung vor künftigen Ungerechtigkeiten zu dienen.

Doch nicht nur nach den gemeineren Gütern des Lebens stand lüstern des Grafen Sinn. Auch jene höheren, deren Verlust das Herz und die Ehre zerreißt, maaßte er sich an, und verspottete noch oft voll schnöden Hohns die unersetzlich Beraubten.

So begab es sich, das Hartwig R ........, ein sehr reicher, und unter dem Adel des Landes in hohem Ansehen stehender Mann, eine Tochter hatte, deren holder Liebreitz jeden, der sie sah, entzückte, und die Wonne des Vaterherzens war.

Obgleich seinem Stolz die Möglichkeit, daß auch auf sie das begehrende Auge des wollüstigen Grafen fallen könne, nur als bange Ahnung vorschwebte, so verbarg er doch sein theures Kleinod in den tiefsten Schatten der Häuslichkeit, um jeglicher Gefahr zu entgehen, und stets wenn der Graf gastlich seine Schwelle betrat, mußte sie auf seinen Befehl in ihrem still verborgenen Gemach bleiben, bis er wieder von dannen gezogen war; denn Hartwig meinte, die Luft, wo Adolph athme, sey kein wohlthätiges Element für eine unbescholtene Jungfrau.

Indessen erreichte, trotz so sorgsamer Vorsicht, dennoch die Kunde des Grafen Ohr, daß das Fräulein an blühender Schönheit und Anmuth weit umher die Töchter des Landes übertreffe, und die Neugier, sie zu sehn, verschmolz alsobald mit dem brennenden Verlangen, sie zu besitzen, in seiner Seele.

[163] Doch schwieg er gegen Hartwig, und schien es nicht einmahl zu wissen, daß er eine Tochter habe, indeß seine Kundschafter, und die Diener seiner Lüste, denen er seine Wünsche entdeckt hatte, ihre Zeit einst wahrnahmen, und, als das Fräulein in der Abwesenheit ihrer Eltern sich im Mondschein erging, gleich Räubern über sie herfielen, und sich ihrer bemächtigten. Von der Dämmerung begünstigt, brachten sie sie, ohne daß es jemand gewahrte, nach Segeberg zu ihrem Herrn auf sein Schloß, wo er in unterirrdischen Gemächern, in denen der Klageruf der Angst ungehört verhallte, sie mit der größten Heimlichkeit als ein Opfer seiner Willkühr sich bewahrte.

Als nun Hartwig mit seiner Gattin nach kurzer Entfernung heimkehrte, und den Liebling vermißte, der ihm sonst so froh entgegen eilte – als die verstörten Diener zagend herbei schlichen, ihm die traurige Nachricht zu verkünden, daß sie verschwunden sey – als er sammt all' den Seinigen Wald und Gehege, und Stadt und Land durchforscht, und nirgends sie gefunden hatte – da bemächtigte sich seiner eine Betrübniß, von welcher man fürchtete, sie werde ihm – wenn auch nicht das Leben, doch die Vernunft kosten.

Da kam Graf Adolph mit heuchlerischer Theilnahme zu ihm, hatte von seinem Kummer gehört, und ließ sich die Veranlassung desselben recht umständlich erzählen, gleißnerisch versprechend, daß er aufbieten wolle, was nur immer in seiner Macht stehe, ihm abzuhelfen.

Und wirklich sandte er auch seine Diener aus, [164] die scheinbar suchen mußten, wo die Vermißte nicht zu finden war, und als sie unverrichteter Sache wiederkehrten, wurde ihm noch der warme, gerührte Dank des unglücklichen Vaters, dem das herzliche Eingehen seines Herrn in seinen Schmerz, wenigstens eine schwache Linderung desselben gewährte.

So vergingen einige Jahre, und der Trost der Religion, vielleicht auch die Hoffnung, das dunkle Räthsel werde sich dereinst noch freudig lösen, erhielt Hartwig allein noch unter den Lebendigen. Da saß er eines Abends mit seiner abgehärmten Hausfrau allein, und sie sprachen, wie immer, von ihrem verlornen Kinde, und nährten durch Seufzer und Weinen ihren nimmer schlummernden Gram, als es dreimahl an ihre Thür klopfte, und sie draussen ein leises Stöhnen vernahmen.

Aengstlich schauerte die Mutter zusammen, denn ihr war, als entdecke sie in diesem Klagelaut die Stimme ihrer Tochter, und da Mitternacht, die Stunde der Gespenster nicht mehr fern war, wähnte sie, ihr abgeschiedener Geist nahe ihr, noch einmahl sie kindlich zu begrüßen, und ihr Valet zu sagen, ehe er Ruhe fände in der Wohnung der Seligen.

Auch Hartwig schien diese Meinung zu theilen, wenn gleich sein festerer männlicher Sinn sie nicht eingestand. Denn auch ihm war das Blut aus den Wangen gewichen, und sein Haar sträubte sich empor – auch versah er sich dreimahl mit dem Zeichen des heiligen Kreuzes, ehe er sich hinbegab, die Thür zu öffnen.

Und siehe, da wankte eine Gestalt herein, deren [165] tief gesunkene, erloschene Augen, die eingefallenen, aschfarbigen Wangen, und schneeweiß erblichenen Lippen nur wie ein Traum, an das weiland strahlende Antlitz ihrer Tochter erinnerten.

Und sie war es dennoch, aber verschwunden war die liebliche Fülle der Jugend, und abgestreift die rosige Blüthe der Gesundheit. In ein klägliches Geripp verwandelt, hatte alle Kraft sie verlassen, und die unschuldsvolle Fröhlichkeit, die sie sonst wie eine Glorie umleuchtete, war untergegangen in Krankheit und zehrendem Gram.

Da huben Vater und Mutter ihre gerungenen Hände gen Himmel, und riefen voll Entsetzens: Bist Du es, Du Kind der Schmerzen! das vor uns steht, kaum noch ein Schatten dessen, was es einst war? – Und wenn Du es wirklich bist, wo hast Du so lange geweilt, während wir Dich suchten voll unaussprechlichen Jammers? – Oder riß Dich ein furchtbares Schicksal aus der Reihe der Lebenden bereits hinweg, und kommst Du vielleicht aus dem Grabe, Deinen trauernden Eltern zu verkünden, daß Du nicht mehr der Erde angehörst? –

Aus dem Grabe meiner Unschuld komm' ich, versetzte das Fräulein mit dem tiefen Tone einer hohlen Brust – laßt mich für die morsche, entehrte Hülle, so vor Euch steht, eine stille Ruhestätte in der Gruft unserer Ahnen erflehen.

Sie sank bei diesen Worten schier leblos zu den Füßen ihrer Eltern nieder, und es währte lange, ehe ihre erkalteten Glieder sich wieder zu regen begannen, und ihr stillgestandenes Herz in matten [166] Schlägen verkündete, daß es noch nicht ganz gebrochen sey.

Man brachte sie auf ein Ruhebett, und suchte durch Stärkungen aller Art ihre entflohenen Lebensgeister zurück zu rufen, und fest zu halten, denn sie waren bereits auf dem Wege nach einer schöneren Heimath begriffen. Auch glimmte der matte Funken ihres Lebens nur noch so lange, bis sie die Gräuel, ihres finstern Geschicks den Ihrigen enthüllt, und ihnen entdeckt hatte, wie Graf Adolph sie habe rauben, und in die tief verborgene Gewahrsam seines Schlosses bringen lassen, wo, als sie hartnäckig seinen Versuchungen widerstanden, er mit Gewalt sich ihrer bemächtigt, und sie zu seinem frevelhaften Willen gezwungen habe. Die Frucht dieser verbrecherischen That sey ein Knäblein, von dem sie vor wenig Monaten genesen.

Wohl habe sie gehofft, die Geburt des im Fluch der Schande erzeugten Kindes werde sie tödten, und diese Vorstellung, sey der einzige Trost, die einzige Linderung ihrer schwarzen Verzweiflung gewesen. Aber umsonst. Leicht habe der Himmel sie ihrer Bürde erledigt, und als sie nun zum erstenmal den Knaben erblickt, den sie unter ihrem Herzen getragen, da sey die Rinde dumpfer Fühllosigkeit von ihrem Innern gewichen, und unter heißen Thränen ihn an ihre Brust legend, habe sie geahnet, wie einer Mutter zu Muthe sey.

Doch, als die Aehnlichkeit seiner Züge sie an seinen verabscheuten Vater erinnert, da habe der Haß gegen den Räuber ihrer Ehre und ihres Glücks [167] sich auch über ihn, den Unschuldigen, erstreckt, und oft ihr den Höllengedanken eingehaucht, ob es nicht wohlgethan sey, ihre Hände mordend mit seinem Blute zu beflecken.

Allein Gott habe sie gnädiglich vor solcher Missethat bewahrt, indem er ihr Gelegenheit gegeben, dem Schauplatz ihrer Schmach zu entrinnen.

Denn als man sie in ihrer tiefen Ermattung scheinbar ruhig gesehn, sey man weniger sorgsam als vorher im Verschließen der Thüren gewesen, indem man vielleicht geglaubt habe, die Beschäftigung mit dem Kinde gnüge ihrem sonst sich so ungestüm nach Freiheit sehnenden Herzen jetzt. Und so sey sie heute in der Dämmerung entwischt, und mit der Anstrengung ihrer letzten Kraft über Thal und Höhen, und durch Moor und Dickicht dahin geeilt, um noch einmahl zu den Füßen ihrer Eltern zu knieen, ihren Segen zu empfangen, und zu sterben. Den Knaben aber habe sie zurück gelassen. Denn als sie ihn schon aus seinem Bettlein empor gehoben, fest entschlossen, auch ihn diesem Abgrund der Sünde und des Schimpfs zu entreißen, habe er mit den Augen seines verruchten Vaters sie angeblickt, und mit seinen Mienen ihr zugelächelt – und ein eiskalter Schauder sey sofort lähmend durch alle ihre Glieder gerieselt, und habe sie gezwungen, ihn wieder hinzuwerfen, und ihn seinem Schicksal zu überlassen.

Unter Schluchzen und Jammern hatte dem Fräulein die Mutter, mit stummem Knirschen der Wuth der Vater zugehört. Doch suchte er sich zu fassen, und seinen unbändigen Zorn zu verhehlen, [168] um das schuldlose Schlachtopfer so unerhörten Frevels nicht noch schmerzlicher zu beugen. Er ermunterte sie väterlich, sich zu schonen, und Muth zum Weiterleben zu fassen. Aber sie richtete die tief gesunkenen Augen blitzend auf ihn, und sagte: Kann mein Vater wünschen, daß seine beschimpfte Tochter noch länger ein Daseyn schleppe, das ihr zur Last, und der Familie zur Schande gereicht? Nein – so lange der Name R ........ unter dem Adel des Landes prangt, hat noch keine seiner Töchter ihn entehrt, und ich, in deren AdernEuer Blut rollt, die Ihr nach Euern Grundsätzen erzogen – ich könnte mit dem schaalen Trost mir gnügen lassen, daß ich nur der Gewalt unterlag, und unwillkührlich so schmachvolle Befleckung trug? Nein – verachtet mich nicht so tief, indem Ihr dies von mir glaubt, und gönnt mir die Freude, zu merken, daß mein letztes Stündlein nahet. Wohl mir, daß es erst schlägt, nachdem ich Euch wieder gesehn, und das schreckliche Geheimniß meines Schicksals Euch enthüllt habe. In Eure Hände lege ich das theuerste Kleinod einer Jungfrau nieder, das es nächst der Tugend giebt – meinen guten Namen. – Retten könnt' Ihr ihn nicht mehr – aber rächen!

Es war bei diesen letzten Worten dem Vater, als falle ein Tropfen Balsam kühlend in die brennende Wunde seines Innern, und Licht ging in der Nacht auf, die seine Zukunft verhüllte. Rache, Rache! ja, dieser Begriff gab Antwort auf die dunkle Frage seiner Seele, wie er förder ein so geschändetes, und seiner Zierde beraubtes Leben, als das seine, ertragen[169] werde. Er faßte die schon erkaltende Hand seines Kindes, von der er gehofft hatte, sie werde sanft einst am Abend seiner Tage das lebensmüde Auge ihm schließen, und in der glühenden Thräne mit der er sie benetzte, sprach ohne Laut das Gelübde sich aus, den schmählichen Untergang der Holden zu rächen.

Eilig sandte er seine Diener umher, seine Brüder herbei zu rufen, daß sie die gräßliche Geschichte vernehmen, noch einmahl seinen sterbenden Liebling sehen, und dann mit ihm berathschlagen möchten, auf welche Weise er am sichersten die Schandthat des Grafen zu ahnden vermöge. Aber ehe sie noch kommen konnten, war seine zarte Rose bereits verblichen.

Unterdessen hatte die Flucht des Fräuleins den Grafen furchtbar erschüttert, und aus der sicheren Ruhe empor geschreckt, in der er die Früchte seines Verbrechens zu genießen hoffte. Er ließ einen seiner Vertrauten gleichsam zufällig bei Hartwigs Bruder einsprechen, um zu erfahren, welchen Eindruck die Erscheinung der beschimpften Tochter auf den stolzen Vater, und auf die ganze, unbefleckte Ehre als das Element ihres Daseyns achtende Familie gemacht habe, und dieser traf gerade mit Hartwigs Boten zusammen, der die schreckliche Nachricht dieses Unglücks ihm hinterbrachte.

Außer sich im ersten Schmerz dieser tiefen Kränkung stieß Hartwigs Bruder die entsetzlichsten Verwünschungen gegen Adolph aus, und da dessen gleißnerischer Diener, um seine wahre Gesinnung in ihrem ganzen Umfang heraus zu locken, sich stellte, als [170] ob er die grrechte Entrüstung über solche Frevelthat theile, und gesonnen sey, ihm seinen Beistand zu gewähren, so hielt er die Drohung nicht zurück, diesen Schandfleck seines Hauses mit dem Blute des Verruchten abwaschen zu wollen. Hierauf warf er sich auf sein Pferd, um zu seinem unglücklichen Bruder zu eilen, und des Grafen Vertrauter kehrte mit den erschlichenen Nachrichten nach Segeberg zurück.

Zwar hatte Adolph wohl erwartet, von tiefer Betrübniß, und von Jammer und Wehklagen zu hören, nicht aber, daß der Zorn den Schmerz noch überwiegen, und die Kühnheit seiner Vasallen bis zu der Möglichkeit des Gedankens steigern werde, ihn zur Rechenschaft zu ziehen.

Schon weit genug vorwärts geschritten auf der Bahn des Verbrechens, und hinlänglich geübt in frevelhaften Handlungen, glaubte er seine Sicherheit durch eine rasche, Furcht und Scheu einflößende That begründen zu müssen.

Als er daher nun auch noch den Tod des Fräuleins und die bei ihrer Bestattung laut wiederholten Flüche ihrer Angehörigen, besonders des Bruders von Hartwig über ihn vernahm, ließ er diesen durch seinen Vertrauten unter einem listigen Vorwand in die Nähe von Segeberg locken, gefangen nehmen, und auf sein Schloß führen.

Hier ward ihm öffentlich unter dem Schein rechtlicher Anklage, im Schloßhof die Beschwerde des Grafen über so unziemende Aeußerungen bekannt gemacht, als Ankläger derselben, und zugleich als Zeuge der Elende ihm entgegen gestellt, der früher[171] schon unter der Maske der Theilnahme seine Gesinnungen erspäht, und nun ihn in die Falle gelockt hatte, und hierauf das Urtheil des Grafen, daß er enthauptet werden solle, auf der Stelle an ihm vollzogen.

Nicht sich mit der Ausübung dieser tyranischen That begnügend, fügte Adolph noch frechen Hohn zu seiner Grausamkeit. Das bluttriefende Haupt des Ermordeten in eine Schaale legend, sandte er es an Hartwig, mit dem Bedeuten, daß es gleichermaaßen allen denen ergehen solle, die es wagen würden, ihn zu schmähen, und seine Handlungen zu tadeln. Er glaubte durch diesen Trotz zu schrecken, und durch die Oeffentlichkeit, mit welcher er sich zu seinem gewaltsamen Verfahren bekannte, einen Schein des Rechts und der Bestrafung eines erlittenen Unglimpfs sich anzumaaßen, wenigstens durch Furcht vor seiner Macht und Willkühr die rachebrütenden Gedanken seiner Gegner in die Schranken demüthiger Unterwürfigkeit zurück zu lenken.

Aber er hatte sich verrechnet. Hartwig war von seinen Verwandten und Freunden umgeben, und wartete nur auf die Zurückkunft seines Bruders, um endlich einen Entschluß zu fassen, der ihm und seinem Hause Genugthuung brächte, als die Abgesandten des Grafen heransprengten, ihm die verdeckte Schaale zu überreichen.

Und als die Hülle sich verschob – als das ihm so nah verwandte Blut noch gleichsam warm ihm entgegen rauchte – als die drohenden Worte des Schändlichen, die diese Sendung begleiteten, wie [172] Hohngelächter der Hölle in sein Ohr hallten – – da zuckte jede seiner Muskeln vor grimmiger, lechzender, rasender Wuth, und das stiere Auge fest und unverwandt auf diesen jammervollen Anblick heftend, faßte er das rinnende Blut in seiner Hand auf, trank es, und sprach mit einem Tone, der – als sey er die Stimme des Weltgerichts – die Nerven der Umstehenden durchbebte: Saget dem Grafen, daß ich bei dem Blute meines Bruders, das ich jetzt gekostet, ihm schwöre, daß ich dessen Tod und den Schimpf, den er mir und meinem Geschlecht angethan, an ihm rächen wolle, so wahr mir Gott helfe, und ich von ächtem, makellosem Adel bin. Wenn ich diesen Eid breche, möge das Gespenst meiner geschändeten Tochter mich jegliche Nacht ruhelos umher jagen, das Blut, das ich eben trank, zu glühendem Erz in meinem Leibe werden, und meine Seele dereinst den höllischen Mächten anheim fallen.

Schaudernd wandten die Diener des Grafen sich ab, und spornten ihre Rosse heimwärts – und als sie wie auf Flügeln des Sturmwinds dahin flogen, war es ihnen, als folge ihnen der Donnerton seiner Stimme, und als lähme der Nachhall seines Fluches grausend jegliche Kraft in ihnen, und verlösche den Muth ihres Busens.

So verstört, und todtenbleich traten sie vor ihren Herrn, und verkündeten ihm, welcher Auftrag ihnen geworden.

Da ergriff auch ihn die unsichtbare Hand der Vergeltung mit eisigem Schauer, trieb das frische Roth von seinen Wangen, und machte sein Gebein [173] erbeben, als schüttele es Fieberfrost. Und die Ueberzeugung, daß Hartwig Wort halten werde, geistre ihn fortan gleich einer Furie durchs Leben, raubte ihm Nachts den gesunden Schlaf, oder verbitterte ihn durch ängstliche Träume, und ließ alle Genüsse, in denen er sonst schwelgte, ihm nun schaal und unschmackhaft erscheinen, die Lust der gegenwä tigen Stunde nicht genießend, weil er stets vor der kommenden erzitterte. Mit der sorgfältigsten Vorsicht suchte er der Möglichkeit jeder Gefahr zuvor zu kommen. Kein Unbekannter durfte ihm nahen, kein Gewaffneter vor ihm erscheinen, und stets, wenn er öffentlich sich zeigte, umgab ihn eine Schaar geprüfter Diener gleich einem sichern Wall, den der Feind erst durchbrechen mußte, um den Weg zu seinem Herzen zu finden.

So geizig, oder wenigstens habsüchtig er sonst war, so suchte er doch durch eine wahrhaft fürstliche Freigebigkeit diejenigen, denen er seine Sicherheit anvertraute, seinem Vortheil geneigt zu machen, und ihre Wachsamkeit für ihn stets rege zu erhalten.

Daher begab es sich, daß mehrere Jahre vergingen, ohne daß Hartwig den fest beschwornen Vorsatz seiner Rache auszuführen im Stande war. Denn wie mit eisernen Pallisaden hatte der Graf durch seine Wachen einen Kreis um sich gezogen, den weder List noch Gewalt zu durchdringen vermochte, und keiner, der ihn allein zu sprechen begehrte, erhielt Zutritt, er habe sich denn erst einer genauen Prüfung seiner Diener unterworfen, und seiner Waffen begeben.

[174] Unterdessen war Hartwigs treue Hausfrau gestorben, die seit dem Verlust der geliebten Tochter, in stiller Trauer sich verzehrend, stets gekränkelt hatte. Der Anblick ihrer Leiden, und die fromme Geduld, mit welcher sie dieselben trug, beschwichtigte fürs erste seinen Sinn, der sich an ihrem erbaulichen Krankenlager erweicht, und vom Irdischen abgezogen fühlte. Auch war es ihr tröstlich, ihn immer neben sich zu sehn. An der Pforte des Grabes dünkte so manches ihr anders, als in der Fülle der Gesundheit, und sie bemühte sich, die Duldsamkeit und stille Ergebung mit welcher die Nähe ihres Todes sie erfüllte, auch dem Gemüth des geliebten Gatten einzuflößen.

Lebhafter aber als ihre sanften Ermahnungen wirkte die Gewißheit auf ihn, daß, wenn er jetzt eine rasche That gegen Adolph unternähme, die unausbleiblichen Folgen derselben, den Frieden ihrer letzten Stunden vergiften würden.

Als nun aber die milden Augen sich schlossen, die so manchmal gleich zwei hehren Sternen Beruhigung in den Sturm seiner Leidenschaft blickten – als ihn nun nichts mehr band an den heimathlichen Heerd, jetzt so verödet – als er sich völlig verlassen, völlig vereinzelt im Leben sah, und daß alles durch Ihn, den seine Seele verabscheute – da wachten die Rachegedanken, die er bisher zur Ruhe verwiesen, weil sich keine Gelegenheit fand, sie in That zu verwandeln, mit verdoppelter Gluth wieder in ihm auf, und er brütete stets in seiner dumpfen Einsamkeit über Entwürfe, geeignet, ihn zum Ziel zu führen.

[175] Da vernahm er, daß des Grafen Leibjäger sehr oft früh vor Sonnenaufgang in einem nahe gelegenen Walde verweile, dem Wilde nachzuspüren, und hierauf baute er den Plan, mit dessen Ausführung er nicht säumte.

Er hatte im Stillen erforschen lassen, wo er sich gewöhnlich aufhielt, und als er einst wieder in aller Frühe kam, dem Waidwerk obzuliegen, fand er sich selbst umgarnt, und von der Mehrzahl überwunden, gefangen.

Hartwig befahl, ihm kein Leid zuzufügen, sondern nur sich seiner Kleider, seines Pferdes, und seines Hundes zu bemächtigen, ihn selbst aber einstweilen in des Waldes Stille festzuhalten, bis er wieder käme, ihn zu befreien.

Hierauf legte er den Rock des Jägers an, warf ein Reh über seine Schultern, und ritt, von dem Hunde begleitet, auf dem erbeuteten Pferde nach Segeberg, wo die Wache, die den Eingang des Schloßhofes hütete, ohne allen Widerstand ihn einließ.

Er band darauf sein Pferd an, und ging wie er wußte, daß es der Jäger zu thun gewohnt war, die Stiegen des Schlosses hinauf, die zu des Grafen Schlafgemach führten, als wolle er das erlegte Wild ihm zeigen. Mit dem Schweiße desselben hatte er sein Gesicht blutig gefärbt, um sich zu verstellen, und tief den geraubten Hut in die Augen gedrückt; daher glaubten die Diener wirklich, es sey ihr Gefährte, der Jäger, und ließen ihn sorglos und sonder Mißtrauen gewähren.

Als er nun in das Zimmer trat, das an das [176] Schlafgemach des Grafen gränzte, stand ein holdes Knäblein in Pagentracht, Wache haltend vor der Thür desselben. Es mochte nur erst wenige Jahre zählen, denn er war klein von Wuchs, und zart von Gliederbau, aber gereiften Geistes, und entschlossenen Muthes.

Als es ihn erblickte, rief er mir gellender Stimme: Wer bist Du, fremder Mann, der Du so blutig aussiehst, und so tiefe Furchen auf Deiner Stirn hast, als wollest Du schelten? Du bist nicht meines Herren Jäger, das sehe ich wohl; hebe Dich weg von hier, denn Du hast Böses im Sinn.

Da schleuderte Hartwig das Knäblein seitwärts und als es sich eiligst aufmachte, wieder zu kehren, und mit ausgespreizten Armen ihm tapfer den Weg zu versperren, stieß er ihm das Schwerd in den zarten Leib, daß das Blut an die Wand spritzte, und trat ungehindert in die Kammer.

Dort lag der Bösewicht in seinem Bette, und zitterte vor dem nahenden Gericht, denn er hatte des Knaben Reden und seinen Fall vernommen, aber feige, wie das Laster gewöhnlich ist, wenn die gerechte Strafe hereinbricht, regte er sich nicht zu Gegenwehr oder Widerstand, denn er wußte wohl, er sey nun verloren.

Und furchtbar, wie der Engel der Vergeltung schritt Hartwig auf sein Lager zu. Befiehl Dich Gott, denn Du mußt jetzt Deiner Missethat halber sterben, rief er, und bohrte ihm das Schwerdt, das noch von dem Blute des Kindes geröthet war, dreimahl in die Brust, daß ihm der Athem verging.

[177] Als er das gethan, ward er ruhiger, denn er fühlte, sein Eid sey gelöset, sein Werk vollbracht. Er wollte sich hinweg begeben. Wie er aber wieder hinaus trat ins Vorgemach, da wand sich der Kleine noch in Todeszuckungen zu seinen Füßen, und als er jezt still, leeren Sinnes ihn anschaute, erblickte er die Züge des Grafen mit den Mienen seiner Tochter in anmuthiger Verjüngung verschmolzen, und ihn schauderte, denn eine weissagende Stimme in seinem Innern sagte ihm, er habe den Grafen zwiefach erschlagen, und zugleich seinen eigenen Enkel umgebracht.

Da verhüllte er sein Angesicht, und ging hinab, und schwang sich wieder aufs Pferd, glücklich vom Schloß entkommend. Und als er den Jäger wieder frei gelassen, nahm er Abschied von seiner Heimath, und wallfahrtete nach Rom, wo der Pabst ihm auferlegte, zur Buße des verübten Todschlags alle seine Haabe und Güter der Ehre Gottes zu widmen. Er erbaute davon ein Kloster, und stattete es aus, und legte sich dann neben die Seinigen zur ewigen Ruhe. Graf Gerhard der Große aber, Adolphs Bruder, nahm Segeberg in Besitz, und regierte lange allda in Frieden.

[178]

Die heilige Athanasia
Legende.

Zu Anthiochia, in Syrien, lebte einst ein frommer Jüngling, Andronicus genannt, der sich mit Athanasia, einer holdseligen Jungfrau, vermählt hatte, die an irdischer Schönheit alle ihre Gespielinnen übertraf, und ihm außer großen Gütern noch jenen höheren, unvergänglicheren Reichthum zubrachte, der in einer reinen, Gott gefälligen Seele enthalten ist.

Beide Eheleute hatten sich gegenseitig nach ernster Prüfung und auf das Geheiß jener mystischen Stimme, die in der Tiefe des Gemüths über Wohl und Wehe entscheidet, aus tugendsamer Liebe gewählt; ihre Ehe war daher ein Muster frommer Treue und stillen Glücks, und als der Himmel sie mit zwei hoffnungsvollen Kindern segnete, glaubten sie den Gipfel der höchsten Lebensfreuden erreicht, und keinen Wunsch auf Erden mehr übrig zu haben.

[179] Um sich bei dem Gefühl der innigsten Zufriedenheit in der Demuth zu erhalten, und nicht unvermerkt, zum Nachtheil ihrer Seelen, vom Glanze weltlicher Eitelkeit geblendet zu werden, ordneten sie ihre Güter in drei Theile, den einen der Kirche, den andern der Armuth widmend, und mit dem dritten sich bescheiden gnügend zu einem einfach beschränkten Leben, das Wohlthätigkeit, Gebet und Milde schon hienieden mit goldenem Heiligenschein schmückte.

Wie indessen Leiden und Wiederwärtigkeiten die Klippen sind, an denen der Fuß des gemeinen Menschen strauchelt, die aber der Fromme in muthiger Geduld erklimmt, um dem Himmel näher zu kommen, so reiheten auch auf ihrem stillen Wege sich Dorn an Dorn, sie schmerzlich zu verletzen, und sie nahmen gelassen den herben Kelch dahin, den das Verhängniß ihnen bot, und murrten nicht über seine Bitterkeit, bis ein Schlag sie traf, schwer genug, mit ihrem ganzen Lebensglück auch ihre Zuversicht und ihren Glauben zu zertrümmern.

Die Kinder nämlich, die ihnen Gott gegeben, und die, gleich zweien Engeln an Leib und Seele bisher die höchste Freude der Elternherzen gewesen waren, erkrankten Beide, und zwar so heftig, das man an ihrem Aufkommen zweifeln mußte.

Die Mutter knieete trostlos an ihrem Lager, und flehete zu Gott, zwar nicht mit Worten, aber durch Ringen der Angst, und durch heiße Thränen, um ihre Erhaltung. Andronicus aber konnte den Anblick dieser Leiden nicht ertragen. Er wallfahrtete zu der Kirche des heiligen Julian, warf sich nieder vor dem[180] hochverehrten Bilde desselben, und rief mit väterlicher Inbrunst den Heiligen um die Genesung seiner Lieblinge an.

Alles war still um ihn her, da säuselte plötzlich ein süßer Wohlgeruch an ihm vorüber, und Harfenklänge drangen, wie aus weiter Ferne ertönend, zart und leise in sein Ohr. Verwundert erhob er das gesenkte Antlitz, neigte aber schüchtern es wieder zum Boden, denn in überirdischer Hoheit stand der Heilige neben ihm, und begrüßte ihn liebreich mit dem Zeichen des heiligen Kreuzes.

Stehe auf Andronicus! schrach er mit milder,Hoffnung in die Seele gießender Stimme: stehe auf, und erhebe dankend Dein Angesicht zu dem, den Du und ich im Staube verehren. Denn auf meine Fürbitte hat er Dir gewährt, was zum wahren Heile Deiner Kinder dient, und Du wirst von schwerer Krankheit sie genesen finden.

Da richtete Andronicus voll Entzückens sich auf – allein der Heilige war verschwunden. Getröstet ging er nun hinweg, und eilte, der theueren Gefährtin seines Lebens dies beruhigende Gesicht mitzutheilen. Als er aber über die Schwelle seines Hauses schritt, vernahm er Weinen und Klagen, und ohnmächtig ausgestreckt fand er Athanasien über die Leichen ihrer Kinder, deren Seelen Gott zu eben der Stunde zu sich genommen hatte, an der der Heilige Trost verheißend dem Andronicus erschienen war.

In dumpfer Betäubung stand der unglückliche Vater lange, und starrte die verblichenen Hüllen seiner [181] Lieblinge, und die, die sie ihm gebohren hatte an, welche niedergebeugt durch ihren Schmerz, selbst einer Todten glich. Da ging ein himmlisches Licht in seiner umnachteten Seele auf. So war das Leben denn die schwere Krankheit, von der ich sie genesen finden sollte, sprach er zu sich selbst. Gott hat mir gewährt, was zum wahren Heil meiner Kinder dient – sie hätten hienieden vielleicht die Reinheit ihrer Seelen verscherzt, und die dunkle Gruft des Grabes vor der ich zurückschauderte, ist der Hafen ihrer ewigen Rettung. – – Süßer Friede kam durch diesen Glauben in seine Brust. Er ermunterte sein Weib zu einer Hoffnung, die jenseits ihren Ankergrund sucht und findet – – aber ihre Verzweiflung wollte auf keinen Trost hören. Jammernd umfaßte sie stets aufs neue die geliebten Leichen, und foderte von dem Himmel, der sie ihr genommen, daß er auch ihren Lebensfaden zerreißen, und durch den Tod sie wieder mit denen vereinigen solle, die die Krone ihres Daseyns gewesen waren.

Da flehete Andronicus zu Gott um ein Wunder, die in Schmerz vergehende Mutter zu überzeugen, daß ein schöneres Loos, als das, auf Erden zu zu wallen, den Kindern ihrer Liebe geworden sey, und siehe! die Todten schlugen ihre geschlossenen Augen noch einmahl wieder auf, und blickten im Schimmer der Verklärung die Mutter an, ihre gefaltenen Händlein liebend zu der Trauernden erhebend, und einmüthig, mit Engelstönen, Worte der Milde und der Beruhigung zu ihrem Herzen sprechend.

Mutter! sprachen sie, laß Dein Weinen und [182] Dein Klagen, das durch die Macht der irdischen Bande, mit der wir Dir einst angehörten, uns zurückhält auf dem himmlischen Wege, dessen Gott so früh uns würdigte zu betreten. Denn Du vermeinst, vom Nebel der Sterblichkeit noch umfangen, es sey wünschenswerth, die zarten Knospen unserer jungen Leiber zur Blüthe sich entfalten zu sehn, und ahnest nicht, daß der Sturm der sie auf Erden gebrochen, die Liebe Gottes war, der uns den Himmel öffnete, um uns unter die Schaaren seiner Engel aufzunehmen. Trockne Deine Thränen, und wandele rein und unbefleckt den Weg zum Ziele – einst werden wir uns wieder sehn, und von der Glorie der Vollendung umgeben, Dich erwarten.

Da kam auch über Athanasia jener Frieden, der nicht mehr zagt und zweifelt, und sie richtete sich getröstet auf, und beugte sich ergeben unter die mächtige Hand der Vorsicht, die so tiefe Wunden ihr geschlagen, aber auch durch den Balsam wundervoller Beruhigung sie wiederum geheilt hatte. Und als sie die Kindlein in stiller Feier bestattet, und dem Schoos der Erde als heiligen Saamen wieder gegeben hatte, der nicht verweset, sondern in lichtere Regionen des Segens empor sprosset, bot sie dem geliebten Gatten den Pilgerstab, und foderte ihn auf, mit ihr nach Jerusalem zu wallen. Dort wo der Jordan rauscht, aus dessen reinen Fluthen der Weltheiland einst die Taufe empfing, wo der Oelberg grünt, und seine Leiden begannen – auf Golgatha, wo man ihn an's Kreuz schlug, damit sein martervolles Sterben die sündige Menschheit mit dem Himmel [183] versöhne – dort, wo jede Stelle Spuren heiliger Erinnerung trägt – dort hoffte sie den göttlichen Beruf, dem Himmel zu dienen, den sie jetzt klar in sich erkannte, in einem schönern Umfang zu erfüllen, als in der Heimath, wo alles sie an ihre verschwundenen Freuden mahnte.

Auch in Andronicus war eine heiße Sehnsucht nach Palästina erwacht, und freudig erkannte er selbst hier in diesem verborgenen Zusammentreffen ihrer Gedanken die Sympathie der Liebe, die von seinen geheimsten Wünschen stets ein zartes Echo in Athanasias Busen weckte. Er willfahrte daher der Geliebten, und zugleich sich selber, widmete all' sein übriges Geld und Gut der frommen Stiftung eines Krankenhauses, und nahm nur wenig mit sich, vertrauend auf den, der die Lilien auf dem Felde kleidet, und die jungen Raben speiset.

Als sie hinaus vor die Stadt kamen, in der der Kindheit Morgen ihnen gedämmert, und des Lebens Frühling ihnen gelächelt hatte, da wandten Beide sich noch einmahl um, und verweilten mit weinenden Augen auf ihren Mauren, die sie nimmer wieder schauen sollten; dann gingen sie gefaßt der schöneren Heimath entgegen, die ihre Frömmigkeit ihnen im Spiegel ihrer Zukunft zeigte.

Nicht ohne Mühseligkeit und Ungemach – unseren steten Begleiterinnen auf der Reise durchs Leben – erreichten sie das gelobte Land, und besuchten alle gebenedeiten Oerter desselben mit großer Andacht und tiefer Verehrung. Alsdann wandten sie sich nach Aegypten, denn Andronicus bezeigte Verlangen [184] die Einsiedler in der Wüste zu besuchen, und am Grabe der heiligen Märtyrer, die dort ruhen, zu beten. Gehorsam folgte ihm Athanasia, sich unzertrennlich mit ihm verbunden wähnend, wie der Schatten es mit dem Körper ist. Aber urplötzlich, als sie das große Kloster Laure in Alexandrien erreicht hatten, dem der fromme Daniel als Abt vorstand, und Andronicus in langer geheimer Berathung mit ihm sein Herz erleichtert und seine Wünsche ihm entdeckt hatte, wandte er sich zu dem Weibe seiner Jugend, ihr mit ernster Wehmuth die Hand reichend, und also zu ihr sprechend: hie laß uns scheiden, Du holdselige Gefährtin meiner Vergangenheit, und in dieser Trennung das schwerste Opfer bringey, das der Ewige vom schwachen Menschenherzen fodern kann. Abgesondert von einander, um uns nicht gegenseitig in frommer Selbstbeschauung zu stören, mögen unsere Pfade fortan durch's Leben gehen: wissen wir doch, daß sie einst sich wieder vereinigen werden, um sich niemahls mehr zu trennen.

Da erbebte die liebende Gattin im Innersten der Seele, und ging seitwärts, ihr weinendes Angesicht zu verhüllen, und Gott um Kraft anzuflehen, diese letzte, schwerste Prüfung zu ertragen. Und es gelang ihr, ihre Betrübniß zu überwältigen, und wieder hervor zu treten mit dem sanften Lächeln der Ergebung, und mit dem frommen Gruß der auf ewig scheidenden Liebe. Andronicus reichte ihr einen Brief des frommen Daniels an die Abatissin zu Thebaide, der ihr den Aufenthalt unter ihren Klosterfrauen sichern sollte. Er aber ließ sich im Kloster [185] Laure aufnehmen, und widmete die Tage, die ihm dort in abgeschiedener Zelle verflossen, strengen Bußübungen, der Selbstverläugnung und dem Gebete.

So waren zwölf Jahre verstrichen, die Athanasia, durch kein Gelübde gefesselt, aber freiwillig die Gebräuche ihres Klosters befolgend, in gleicher Andacht, wie er, doch immer noch mit seinem Bilde beschäftigt, und um ihn trauernd, verlebt hatte. Da regte sich wieder, wie einst, in beider Herzen dasselbe Verlangen, nemlich noch einmahl Jerusalem zu schauen, und Beide fleheten ihre Oberen um die Erlaubniß zu dieser Pilgerfahrt an, und erhielten sie, ohne zu ahnen, daß sie sich in diesem Wunsche begegneten.

Um ungefährdet zu reisen, legte Athanasia das Nonnengewand ab, und hüllte sich in eine Mönchskutte. Der heiße Himmelsstrich, unter dem sie während einer so langen Reihe von Jahren lebte, hatte ihre Wangen gebräunt, und Fasten und Gram die Rosen so wie die liebliche Fülle derselben hinweg getilgt. Tief gesunken, und vom Weinen erloschen war das einst so strahlende Auge, und wäre sie auch in ihrer ehemaligen Tracht erschienen, so hätte doch Keiner in ihrer abgezehrten, hingeschwundenen Gestalt die Schönheit wieder erkannt, welche einst in den Tagen des Glücks so lieblich blühte.

Als sie nun einsam ihren Weg dahin pilgerte, und die Gluth der Mittagssonne einst sengend auf ihre Scheitel fiel, wandte sie sich ab von dem Staub der Straße, um unter dem Schatten eines dichtbelaubten Baumes zu ruhen, der seitwärts im Felde stand. Aber als sie hin kam, blieb sie zweifelhaft stehen, ob [186] sie sich auch nähern dürfe. Denn ein Mann lag schlummernd unter seinem grünen Obdach, und nahm den wenigen Raum ein, der linde Kühlung versprach. Sie fühlte sich indeß im Innersten fest gehalten, und so trat sie zu ihm heran, und schauere ihm in das ruhige Angesicht, dessen Züge wunderbar zu ihrem Herzen redeten. Denn ach, es war Andronicus, der unvergeßliche Geliebte, und als sie ihn erkannte, sank sie freudig auf ihre Knie und betete leise aber mit glühender Inbrunst: Du hast ihn mir wieder gegeben, o Herr! gönne mir fortan, daß ich ihn nimmer mehr verlasse! –

Sich tiefer in ihre Kutte hüllend, setzte sie sich nun auf einen Stein zu seinen Füssen nieder, und Beruhigung in der Vorstellung findend, daß Gott sie mitleidsvoll zu der theueren Spur geleitet habe, die sie stets in Gedanken aufsuchte, glaubte sie sich ihrer ursprünglichen Bestimmung wieder gegeben, und sich berechtigt, den Gatten, dem sie am Altare Treue geschworen, auch bis zum Tode nicht zu verlassen. Nur nahm sie sich vor, unerkannt ihm zur Seite zu wandeln, um seinem Willen nicht zu widerstreben, und die fromme Ruhe, die er durch ihre Trennung vielleicht errungen hatte, auf keine Weise durch die Entdeckung, wer sie sey, zu unterbrechen.

Als Andronicus erwachte, wurde er den Fremdling gewahr, der zu seinen Füssen saß, ein Zweiglein in der Hand haltend, mit welchem er sorgsam während seines Schlummers ihm die störenden Insekten abgewährt. Für so freundliche Fürsorge ihm dankend, fragte ihn Andronicus nach dem Ziel seiner Wallfahrt, [187] und als Athanasia antwortete: ich pilgere nach Jerusalem, erwiederte Andronicus freudig: Dahin zieht auch mich das geheime Verlangen meiner Seele.

Muth fassend, sprach Athanasia hierauf: Da unser Weg derselbe ist, so gestatte, frommer Bruder! daß ich ihn an Deiner Seite zurück legen darf. Nicht will ich ungeziemend die heilige Stille stören, die Du vielleicht der Andacht gelobt hast, sondern schweigend neben Dir einher gehen, als wenn wir nicht beisammen wären.

Ohne Bedenken willigte Andronicus ein, und sie erhuben sich, und setzten still und betend ihre Wanderschaft fort, bis der späte Abend sie zur Ruhe einlud. Da fragte Andronicus seinen Begleiter wie er heiße? – und als dieser versetzte: Man nennt mich in meinem Kloster Bruder Athanasius, schwellte ein tiefer Seufzer des Gatten Brust, und er sagte leise: Du führst den Namen, der mir am theuersten ist auf Erden.

Sie sahen nun gemeinschaftlich die Gegend wieder, die sie einst in wehmuthsvoller Andacht durchpilgert hatten, und beteten an jeder durch große Erinnerungen geheiligten Stelle, bis der heiße Durst ihrer Seelen gestillt war, und sie sich anschickten, wieder heim nach Aegypten zu ziehen.

Als sie sich Alexandrien näherten, zitterte die treue Athanasia, denn sie wähnte, nun werde Andronicus Abschied von ihr nehmen wollen, und sie fühlte sich eben so schwach, gegen seinen Willen anzukämpfen, als seiner Nähe zu entsagen. Wirst Du nun in Dein Kloster zurückkehren, mein Bruder? [188] fragte sie zaghaft. Ja, versetzte Andronicus, doch nicht, um dort zu weilen, denn ich sehne mich, künftig in der Wüste unter den Einsiedlern Gott zu dienen. Nur will ich vorher noch den frommen Abt Daniel um seinen Segen zu diesem Vorhaben bitten. – Auch ich hege dies Verlangen, flüsterte Athanasia. O möge es Dir gefallen, mich nicht aus Deiner frommen Gegenwart zu verbannen. Von Deiner Frömmigkeit erbaut, werde ich mich neben Dir im Glauben stärken, und inniger Gott und seinen Heiligen dienen.

Wohl, versetzte Andronicus, auch mir ist es lieb, wenn Du still und gottselig förder bei mir leben willst; doch muß ich zuvor den Abt um die Erlaubniß dazu bitten. Von seinem Ausspruch hänge es ab, ob wir vereinigt bleiben, oder uns trennen sollen.

Er ging hierauf in's Kloster, und Athanasia blieb aussen an der Pforte, brünstig ihre Arme und Blicke und ihre Seele zu Gott erhebend. O möge Er nicht scheiden, was Du einst zusammen gefügt, betete sie, und ihr Wunsch ward erhört. Freudig kehrte Andronicus zurück, und brachte die Einwilligung des frommen Abtes, und sie gingen hin, und erbauten sich eine enge Klause in der Wüste, und bezogen sie unter strengen Bußübungen, in heiligem Schweigen, das selten ein Wort der Mittheilung unterbrach, demüthig Gott und seiner Verherrlichung ihr einsames Leben widmend.

Alle Dienste, welche ihre einförmige und mangelhafte Einrichtung bedurfte, nahm Athanasia zu leisten über sich, und da Andronicus sich dagegen [189] auflehnte, und sie mit ihr zu theilen begehrte, entgegnete sie: ich bin der jüngere, an Jahren, mein Bruder! es ziemt mir, Dich zu bedienen. Gedenke meiner dagegen vor Gott in Deinem Gebet. – Täglich ging sie aus, Wurzeln zum kargen Mahle zu sammeln, und Wasser aus der fernen Quelle zu schöpfen. Oft versah sie sein einsames Lager mit frischem Laube, und nicht selten streute sie duftende Blumen des Feldes in die öde Zelle des Geliebten, ihn durch ihren bunten Farbenglanz zu erheitern, und durch das labende Aroma edler Kräuter zu stärken.

Andronicus, ihren reinen Willen erkennend und ehrend, ließ sie gewähren, und so gingen ihnen in stiller Eintracht und Zufriedenheit abermahls zwölf Jahre vorüber, ohne das die leiseste Ahnung ihm zugeflüstert hätte, daß ein Weib, und zwar die geliebte Gattin seiner Jugend mit ihm die einsiedlerische Klause theile. Ihr tugendsamer Wandel wurde nach Verdienst von den Einsiedlern sowohl, als von den Klosterbrüdern gewürdigt, und der hochgelahrte Abt Daniel selbst erzeigte ihnen nicht selten die Ehre, bei ihnen einzusprechen, und sich mit ihnen in frommer Unterhaltung über die Nichtigkeit der Welt zu erheben, und durch die Betrachtung göttlicher Gegenstände zu erbauen.

Als er auch einst in der Absicht sich auf den Weg begab, die edlen Freunde zu besuchen, begegnete ihm Andronicus, in ängstlicher Eile, ihn zu rufen, weil Athanasius schwer erkrankt sey, und vor seinem Tode ihn zu sprechen begehre.

[190] Da verdoppelte der Abt seine Schritte, und hieß Andronicus zögernd nur ihm folgen, im Fall der Kranke mit ihm allein zu seyn, und vielleicht durch die Beichte seine Seele vor dem Scheiden zu erleichtern wünsche.

Als er hinein trat, gewahrte er den Tod in jedem eingesunkenen Zuge Athanasiens, und er verwunderte sich über die Thränen, die er über ihre bleichen Wangen strömen sah.

Wie, mein Bruder! sprach er, hängst Du so an dieser mangelhaften Welt, daß Du weinst, sie zu verlassen, da Du doch weißt, daß eine schönere sich Dir öffnen wird, Dich in den Schooß unvergänglicher Freuden aufzunehmen?

Da trocknete Athanasia ihre sich schon verdunklenden Augen, und antwortete: Ich weine nicht um meinetwillen, ehrwürdiger Vater, noch um die Herrlichkeiten einer Welt, von der mein Sinn sich längst freiwillig losgerißen hat. Aber ich weine, weil ich von meinem geliebten Bruder Andronicus scheiden muß, und ein Geheimniß für ihn in meinem Innern barg, das erst mein Tod ihm enthüllen darf. Wenn meine Seele denn dahin geschieden ist, so bitte ich, daß Ihr das Brieflein, welches Ihr unter meinem Haupte finden werdet, nehmet, um es in seine Hände zu geben, und daß Ihr versuchen wollet, ihn zu trösten.

Hierauf empfing sie mit großer Andacht die heiligen Sterbesacramente, nahm rührenden Abschied von dem Abte und von Andronicus, und verschied unter frommen Gebeten.

[191] Als sie nun gestorben war, gedachte Daniel ihrer Bitte, und erhob sanft ihr dahingesunkenes Haupt, den Brief hinweg zu nehmen, den er Andronicus reichte. Ahnungsvoll entfalltete dieser das Blatt, und las folgende Worte:

Geliebter meiner Seele! ich war Dein Weib Athanasia, das hienieden kein größeres Glück kannte, als bei Dir zu leben und zu sterben. Wenn meine unaussprechliche Liebe zu Dir Sünde war, so möge Gott sie mir vergeben; ich trete jetzt vor seinen Richterstuhl, sie ihm zu bekennen, und Dein zu harren – dort – wo unsere Kindlein weilen, und wo uns bald auch Dein seliges Hinscheiden Alle wieder vereinigen wird.

Trostlos, daß er nicht mehr vermochte, der Verklärten für ihre so lang verschwiegene Liebe und Treue zu danken, warf sich Andronicus über ihren Leichnam und benetzte ihn mit heißen Thrönen. Das dringende Zureden des Abtes, die Stätte so herben Schmerzes zu verlassen, und ihm in sein Kloster zu folgen, war umsonst. Denn er fühlte sich unauslöslich angekettet an den Boden, der über den Ueberresten seiner Gattin sich zum Grabe wölben sollte, und begehrte nichts mehr von der Zukunft, als eine Schlummerstätte an ihrer Seite.

Und diese wurde ihm bald. Denn als mit Palmenzweigen geschmückt, die Einsiedler und Klosterbrüder und viele der angesehendsten Bewohner Alexandriens herbei eilten, der Verblichenen die letzte Ehre zu erzeigen, und sie feierlich zur Erde zu bestatten, da fand man statt einer Leiche zweie, [192] denn der Tod hatte sich erbarmt, und Andronicus Wunsch bereits gewährt, ihn seiner frommen Gemahlin wieder zuzugesellen. Man senkte sie Beide in eine Gruft, und deckte den braunen Hügel mit Palmenblättern zu, und der Abt Daniel sprach den Segen über das nun auf ewig einander wieder gegebene Paar, das jetzt über die Drangsale des Lebens erhaben, in höheren Regionen sich seiner Liebe und seiner Wiedervereinigung erfreut.

[193]

Selbstverleugnung

Bis zu ihrem funfzehnten Jahr hatte Graf Balduin von Hohemstamm, Adelgunden, seine einzige Tochter in dem Kloster der Dominikanerinnen erziehen lassen, das nur wenige Meilen von seiner Burg entfernt; in Frankens gesegneten Fluren lag. Das Schicksal versagte ihm den Wunsch, durch Söhne seinen ehrenvollen Namen bis auf die ferne Nachwelt zu bringen, und sie war daher die einzige Freude seines Alters, so wie die einzige Erbin seiner Güter.

Einer zarten Knospe gleich, die nur erst halb geöffnet, bereits die herrlichste Blüthe verspricht, trat sie in sittsamer Unbefangenheit aus der Stille der heiligen Mauern in die Welt. Doch die geräuschvolle Fröhlichkeit, die auf dem gastfreien Schlosse des Grafen die edelsten Ritter Schwabens und Frankens fast unaufhörlich versammelte, schreckte sie in zaghafter[194] Schüchternheit tief in sich selbst zurück, da der Unterschied zwischen ihr und dem gewohnten, einförmigen Ernst des Klosterlebens so groß war.

Elisabeth, die Nichte ihres Vaters, zwar nur vier Jahr älter als sie, aber durch den steten Umgang mit der Welt und durch den Genuß der Geselligkeit mit einer seltenen Fülle von Erfahrung und Menschenkenntniß ausgestattet, nahm sich liebend, mit fast mütterlicher Fürsorge, des blöden Mädchens an, und suchte sie, die sich oft weinend nach der klösterlichen Einsamkeit zurück wünschte, mit den Vorzügen und Freuden des weltlichen Lebens auszusöhnen. Doch obgleich ihre freundlichen Bemühungen allmählig Hand in Hand mit den leisen Wirkungen der Zeit, ihre Thränen trockneten, so blieb doch ein Hang zur Schwermuth in ihr zurück, der keinen Zerstreuungen wich, und der sie oft aus der Mitte jugendlich munterer Kreise gleichsam unwillkührlich in die unbelebte Stille ihres verschwiegenen Kämmerleins zog.

Der Graf nahm bekümmert diese melancholische Stimmung seiner Tochter wahr, die mit ihrer Jugend und mit ihren Aussichten so sonderbar contrastirte. Er befürchtete, sie möchte Neigung zum Schleier in sich fühlen, und strebte, durch rauschende Lustbarkeiten sie aus dem Reich ihrer Träume in die Wirklichkeit zu ziehen. Adelgunde lieh sich mit kindlicher Ergebenheit seinen Wünschen, doch ihr Gemüth zur Freude zu stimmen, lag nicht in ihrer Macht, und wenn ihre Mienen sich auch zu lächeln zwangen, blickte dennoch eine innere Wehmuth stets [195] hinter dem matten Schein einer erkünstelten Heiterkeit hervor.

Ein glänzendes Thurnier sollte ihren sechzehnten Geburtstag feiern, und von nah und fern erwartete man die rüstigsten Kämpfer, die um das Glück streiten wollten, aus ihren Händen den Preis des Sieges zu empfangen.

Von edlen Jungfrauen umgeben, und fürstlich geschmückt durch den Reichthum ihres Vaters, aber mehr noch durch die Freigebigkeit der Natur, die ihr eine blendende Schönheit verliehen hatte, saß sie still und ernst auf dem Balcon, und sah den kühnen Uebungen der gewandten Ritter zu, als von weitem ein rascher Hufschlag dröhnend erklang, und ein Unbekannter, in schimmernder Rüstung auf einem Rappen einher sprengte.

Gleich einem Centaur schien er verschmolzen mit dem edlen Thier, das er ritt, und das stolz auf seine Bürde unter muthigem Gewieher seiner Leitung folgte, und ihn wie im Fluge dicht vor die Versammlung trug, wo er um die Erlaubniß anhielt, eine Lanze brechen zu dürfen. Hohe Federn nickten schwankend von dem glänzenden Helm herab, und eine reich gestickte, himmelblaue Schärpe umgürtete seine Hüften. Auf seiner Brust strahlte ein goldner Stern auf schwarzem Grunde, und der alte Denkspruch! Vernunft, Geduld und Zeit, macht möglich die Unmöglichkeit, schien die Devise seiner Wahl zu seyn; wenigstens las man diese Worte, zierlich geätzt, unterhalb des leuchtenden Sterns, der, wie der Hoffnung Schimmer, aus dem finsteren Gewölk [196] der Widerwärtigkeit hervordrang. – Jede seiner Bewegungen verrieth Anmuth, Kraft und Kühnheit, und sein stolzer Wuchs schien würdig, neben den Heroengestalten der Vorzeit prangend zu stehen.

Viele unter den kämpfenden Ritten hatte man als tapfer und unbezwingbar anerkannt; doch seinem Heldenarm mußten Alle weichen, und als er den letzten mit Riesenstärke aus dem Sattel gehoben hatte, erklärte man einstimmig ihn des ersten Preises werth.

Da stieg er vom Rosse, und öffnete das Visir, sich mit unerschrockener Zuversicht dem Fräulein nahend, das hold erröthend, ihn erwartete, das goldene Schwerdt in ihrer Hand, das der Dank des Thurnieres war.

Aber als er vor ihr stand – als ihr Blick sich zagend erhob, um in die süße Nacht seiner dunklen Augen zu schauen – als seine schönen Züge ihr so seelenvoll in der Fülle frischer Jugendblüthe entgegen glänzten – da drohte das Klopfen ihres Herzens sie zu ersticken, und sie mußte sich stützen auf die Lehne ihres Sessels, um nicht – ergriffen von einem nie gekannten, nie geahneten Aufruhr ihres Innern – vor ihm nieder zu sinken.

Auch der Ritter blickte betroffen, und gewaltsam erschüttert in ihr blühendes Angesicht, das von der Glorie der reinsten Unschuld verklärt, ihn anlächelte, und als sie endlich nach Fassung rang, und das Schwerdt ihm überreichte, empfing er es mit einem glühenden Blick, in dem die mächtig auflodernde Leidenschaft sich spiegelte, und ehrfurchtsvoll vor der Geberin sich neigend, flüsterte er leise die Worte ihr zu: Es gleicht [197] Euch, Fräulein, denn es ist schön, und verwundet tief.

Adelgunde, deren verschlossenes Wesen bisher jedem Ausbruch gewöhnlicher Rittergalanterie durch ein unfreiwilliges Gebieten stiller Ehrfurcht zurück gewiesen hatte, wurde von dem Ton der Liebe, der von seinen Lippen ihr entgegen wehte, wie von einer Flamme entzündet. Erinnerung, Sehnsucht, Hoffnung, Verlegenheit und Furcht bestürmten ihr Herz, das sich zum erstenmahl den seligsten Gefühlen des Lebens erschloß, und unfähig, sich aufrecht zu erhalten in dem Kampf, mit dem sie suchte, die Bewegungen ihres Gemüths der Menge zu verbergen, sank sie erbleichend und bewußtlos in die Arme der Fräuleins, die sie umringten.

Als sie wieder zu sich kam, befand sie sich in ihrem Gemach, sorglich umgeben von ihrem Vater und ihren Freundinnen, und vor allen von Elisabeth, die noch blaß und vor Schrecken bebend, sich bemühte, ihr beizustehn. Adelgunde klagte über Mattigkeit, und begehrte mit Elisabeth allein zu bleiben. Als sich alles entfernt hatte, winkte sie ihr, näher zu kommen, und schamhaft ihr Gesicht an ihrem Busen verbergend, lispelte sie leise: Wo ist er? –

Wer? meine Adelgunde! antwortete Elisabeth. Wer? Und Du kannst noch fragen, versetzte sie. Giebt es ausser Ihm noch etwas anderes, an das ich denken könnte?

Ja, sprach Elisabeth ernst, an die Unbescholtenheit Deines Rufs, den die leiseste Unbesonnenheit verdunklen kann, und vorzüglich an Deine jungfräuliche[198] Würde, die – wenn es auch die Welt nicht sieht und ahnet – Dir eine sittsame Bekämpfung jedes flüchtig aufwallenden Gefühls gebietet. Ermanne Dich, Adelgunde! Laß niemand vermuthen, daß ein plötzlicher Eindruck so heftig auf Dich gewirkt hat, denn es ziemt unserem Geschlecht, sich zu beherrschen, und nicht den Regungen des Augenblicks mit tadelnswerther Schwäche nachzugeben.

Den Regungen des Augenblicks? versetzte Adelgunde im Ton der Wehmuth. Ach, Elisabeth! ist es denn die Gegenwart, die mich so tief erschüttert hat, oder nicht vielmehr eine lange Vergangenheit, die sich an die vorige Stunde so schauerlich seltsam knüpfte? Denn was ich heute zum erstenmahl in süßer Wirklichkeit von Angesicht zu Angesicht sah, hat Jahrelang schon alle meine Träume erfüllt. Seitwärts in unserer Klosterkirche, wo ein veraltetes Bild die einzige Zierde der Capelle ist, die ein längst begrabener Ahnherr meines Vaters einst dem heiligen Georg weihte, da erblickt' ich zuerst die Züge, die nichts seitdem in meiner Seele hat verlöschen können. Keine Ampel brannte mild verklärend vor dem Heiligen, dem siegend der Kampf mit dem Lindwurm ein Spiel war – nur ich stellte zuweilen eine silberne Lampe vor ihm nieder, wenn ich mich allein in der Kirche befand, und heller schienen seine göttlichen Augen alsdann Beifall winkend, auf mich herab zu strahlen. Saß ich dann in meiner Zelle einsam bei der Spindel, oder im Gebete vertieft, so dünkte es mir oft, als wenn es neben mir rausche, und wie ein Schatten dämmerte seine Gestalt vor [199] mir auf, und störte mich in der Arbeit, und in der Andacht. Schlief ich, so begann mir ein neues Leben, und eine fremde, wunderbare Welt öffnete sich für mich. Mir war dann als wäre ich mitIhm allein auf der Erde. Da wandelten wir neben einander in seliger Eintracht, und bald reichte er mir Mirthen, bald Cipressen, die ich in Kränze flocht.

O wie hing ich an diesen Bildern, die wachend und träumend mich entzückten. Wie liebt' ich die Stille, die mir vergönnte, über sie nachzudenken, und wie ungern verließ ich meine trauliche Zelle, als der Befehl meines Vaters mich hierher rief! – Mit Thränen nahm ich Abschied vom heiligen Georg, vor dem ich oft sinnend auf meinen Knieen gelegen. Mit eigenen Händen hatte ich ihn längst vom entweihenden Staube, und vom Spinnengewebe gereinigt, und zum Lebewohl stiftete ich noch eine immer brennende Lampe ihm zu Ehren. Mit getheiltem Herzen kam ich ins väterliche Haus – – zurück zog mich die Sehnsucht zu meinem Heiligen, und schmerzlich süß banden michhier kindliche Pflichten und die Freundschaft zu Dir an mein Loos. – Doch nur den Anblick des Bildes entbehrte ich durch meine Versetzung aus dem Kloster – die inneren Erscheinungen dauerten fort, und es wird Dich nun nicht mehr befremden, daß es mich so gewaltsam ergriff, sie verkörpert, in der Wirklichkeit wieder zu finden.

Du hast mir nie von diesen Erscheinungen etwas anvertraut, liebe Adelgunde! erwiederte Elisabeth nach einigen Momenten des Nachdenkens. Ein sonderbares Spiel des Zufalls hat Deine Schwärmereien[200] begünstigt – laß Dich aber nicht irre machen durch die seltsamen Fügungen, mit denen Deine eigene Fantasie Dich täuscht. Denn wie fern ist jeder Zusammenhang zwischen Ritter Hugo von Lilienstein, dem heiligen Georg, und den Traumgestalten Deines Innern? Daher bekämpfe jetzt, wo es noch Zeit ist, diese übereilte Vorliebe für einen Wahn, die, wenn sie in Dir genährt wird, leicht Deine Ruhe untergraben könnte.

Bekämpfen, und immer nur bekämpfen ist Dein Wahlspruch, versetzte Adelgunde rasch, und eine kleine Anwandlung von Unwillen erhöhte dunkler die Gluthen ihrer Wangen. Lehre mich erst, wie ich es anfange, in mir zu vertilgen, was so tief sich in meine Seele geprägt hat, daß es mit meinem innersten Daseyn verschmolzen ist. Und warum überhaupt vertilgen? – Oft, wenn mein Vater das Verlangen äußerte, mich zu vermählen, und die Grafen und Ritter aufzählte, die, ohne daß ich es ahnete, um mich warben, da überlief mich ein Schauer bei dem Gedanken, einst einem Andern anzugehören, als dem Schatten, den ich so bedeutungsvoll in meinem Busen mit mir umher trug. Und nun – nun ich ihn gefunden habe, Ihn, den ich nicht in den Räumen des irdischen Lebens vermuthete – – nun soll ich mich zwingen, eine Neigung zu überwinden, die mir so heilig ist? O wie viel süßer, als mit sich selbst im Streit zu liegen, ist es, dem Zug zu folgen, den ein geheimer Entzweck unseres Schicksals uns ins Herz legte!

Wohl wär' es vielleicht süß, wenn Du ihm folgen[201] dürftest, antwortete die Freundin, aber hast Du auch geprüft, ob die Wünsche, die in Dir dämmern, Deiner würdig sind?

Wie, Elisabeth! könnte ein Auge wie das Seinige trügen? rief Adelgunde. Könnte der himmlische Ausdruck seines Angesichts eine Larve der Verstellung seyn, statt von einem reinen Gemüth den Abglanz der Güte und Milde zu empfangen, der so manchmahl, selbst in matten Träumen, mich entzückte, und mein ganzes Herz in hingebender Vertraulichkeit vor ihm aufschloß?

Das wäre leicht möglich, unerfahrene Schwärmerin, unterbrach sie Elisabeth, denn auch das Laster weiß oft seine gehäßigsten Seiten gleißnerisch hinter einem täuschenden Anstrich zu verstecken. Aber diesmahl hintergeht Dich die Ahnung nicht, die Hugos schöne Gestalt Dir als den Widerschein einer eben so schönen Seele darstellt. Ich kenne ihn – er ist der zärtlichsten Liebe, so wie der innigsten Achtung werth. Aber giebt es kein anderes Hinderniß, das eine ewige Kluft zwischen Dir und ihn befestigen könnte? – Das Gelübde der Verschwiegenheit verschließt meine Lippen – laß mich daher die schroffen Umrisse der Wahrheit, die Dich vielleicht verwundern werden, in ein Gleichniß hüllen, und kehre zurück in Dich, da es noch Zeit ist.

Denke Dir, Geliebte! daß eine Deiner Freundinnen schon lange in ihrem Garten eine seltene Blume mit treuer Liebe pflegte, und sie mühsam den Blicken des Neides und der Neugier verbarg; daß sie keine Hoffnung, keine Freude kannte, als die [202] Erwartung, sie einst stolz am Busen zu tragen – – daß sie den lächelnden Frühling unbeachtet verblühen ließ, und von allen Blumen, die er bot, keine wählte, weil nur die Eine, die sie liebte, ihre ganze Seele füllte – – ists dann Deiner würdig, wenn Du diese Blume, das heilige Eigenthum einer Anderen, mit räuberischer Handfür Dich brichst?

Adelgunde erblaßte. Ich verstehe Dich, flüsterte sie leise. Es giebt also eine Glückliche, der Hugo bereits gehört?

Eine Unglückliche Adelgunde, wenn Du Dich neben sie stellst, mit Deinen mächtigeren Reizen nach dem theueren Preis zu streben, sagte Elisabeth. Schon seit zwei Jahren hat Hugo im Geheim ihr den Bund einer unverbrüchlichen Treue beschworen. Ungünstige Umstände verhinderten noch ihre Verbindung, daher machte die Klugheit ihnen zur Pflicht, das tiefste Geheimniß über ihr Einverständniß zu beobachten. – Hugos Vater war vor vielen Jahren durch eine bittere Fehde mit dem Deinigen entzweit, und selbst als sie geendet hatte, dauerte ein unauslöschlicher Groll zwischen beiden fort. Jetzt, da er gestorben ist, wünschte Hugo, der an dem Vergangenen völlig unschuldig war, nachbarliche Verhältnisse anzuknüpfen, da seine Heirath vielleicht bald in seinem Weibe Dir eine willkommene Freundin geben wird. In dieser Absicht ist er unerkannt hierher gekommen, und seine Tapferkeit hat, ehe er sich noch nannte, die Theil nahme und das Wohlwollen Deines Vaters erregt. Betrachte ihn, wenn Du edelmüthig genug bist, es zuwollen, blos von dieser Seite. Suche durch [203] ein vernünftiges und nicht auszeichnendes Betragen gegen ihn jede aufkeimende Vermuthung unserer Gäste über den Zustand Deines Inneren zu widerlegen, und heiße ihn unbefangen und gleichgültig als einen neuen Bekannten willkommen, damit auch in ihm der schmeichelhafte Glaube verlösche, den Dein stummes Erröthen, Deine sprechenden Blicke, und Dein ohnmächtiges Dahinsinken nur allzu wahrscheinlich erweckt hat.

Ich will thun, was Dein Rath, Deine bessere Einsicht für mich wählt, seufzte Adelgunde, und bemühte sich, die hervorstürzenden Thränen zurück zu drängen. Eben so tief wie ich bisher die schauerliche Seligkeit meiner Träume verbarg, will ich auch die Regungen in mich selbst verschließen, die sein Anblick in mir geweckt hat. Aber wenn wir allein sind, darf ich doch von ihm sprechen? Und nicht wahr, Du ermüdest nicht, mir von ihm zu erzählen, von ihm, und der Beneidenswehrten, die er liebt? Sage mir, ob sie ihres Glückes werth ist – ob sie fühlt, welch ein schönes Loos ihr der Himmel gönnte, als der liebenswürdigste aller Männer sie zur Gefährtin seines Lebens erkohr? Sage mir auch, ob sie reizend ist, und ohne vor sich selbst zu erröthen, sich an die Seite des Herrlichen stellen darf?

Deine Schönheit überstrahlt sie weit, entgegnete Elisabeth. Nur die Innigkeit ihrer Gesinnungen, und eine feste Treue, die Zeit und Unglück bereits bewährt hat, kann sie gegen Deine Anmuth, gegen Deine herzgewinnende Lieblichkeit in die Waagschaale legen. Aber ihre Ansprüche sind gültiger – [204] ihre Liebe ist tiefer gewurzelt. Was Dir die Einbildungskraft schwärmerisch als Schattengestalten zeigte, hat die Wirklichkeit ihr zum Lohne langer Leiden verheißen. Denke daran, und erschüttere nicht durch Dein Dazwischentreten die Hoffnungen stiller Glückseligkeit, die ein liebendes Herz auf den ungestörten, ungetheilten Besitz des Geliebten gründete.

Du sollst mich immer Deiner Achtung werth finden! sagte Adelgunde, in einer Umarmung die leidenschaftliche Bewegung ihres Gemüths verbergend. Sie suchte sich zu sammeln, und begleitete Elisabeth hinab, wo in den Sälen ihres Vaters die Ritter sich zum fröhlichen Bankette versammelt hatten. Ihre Wiederherstellung und ihr Erscheinen in dem rauschenden Kreis erhöhte den allgemeinen Jubel, und sorgsam wachte sie über sich selbst, um die Rathschläge ihrer Freundin durch eine treue Befolgung derselben zu ehren. Ihr stiller als gewöhnlich in sich gekehrtes Wesen galt für eine natürliche Folge ihrer gehabten Ohnmacht, und niemand schien die Ursach zu ahnen, die ihr strahlendes Auge so ernst hinter den langen Wimpern zu Boden senkte.

Zurück gezogen in weite, ehrerbietige Entfernung hatte Ritter Hugo wohl zuweilen den Blick schmachtend zu ihr erhoben, allein unruhig wandte er ihn weg, wenn der ihrige flüchtig ihm begegnete, und beider Wangen erglühten dann unwillkührlich in sprachloser Verwirrung. Endlich nahete er sich ihr, und redete sie an, aber Adelgunde entfernte sich zitternd, und antwortete nicht, und stumm und bestürzt blieb der Ritter stehen, doch ohne ihr zu zürnen, da die [205] Wallungen seines Busens ihm das Geheimniß des ihrigen verriethen. Da flüsterte warnend Elisabeths Stimme in Adelgundens Ohr: weder aufsuchen noch ausweichen ziemt dem unbefangenen Mädchen. – In diesem Augenblick wurde zur Tafel geblasen, und erschrocken sah Adelgunde, ehe sie sich noch recht besinnen konnte, ihren Vater Hugo von Lilienstein ihr entgegen führen.

Der Tapferkeit gebührt der höchste Preis, Herr Ritter, sagte der Graf. Ihr habt im Thurnier den ersten Dank verdient – empfangt nun auch hier bei'm Gastmal, was ich nur dem Ausgezeichnetsten gestatte, und geleitet meine Tochter zur Tafel.

Er fügte bei diesen Worten Adelgundens bebende Hand in die Hand des Ritters, und unter Trompeten und Paukengetön ging sie schwindelnd an seiner Seite in den Speisesaal.

Als der weichgepolsterte Lehnstuhl sie in seine breiten Arme nahm, und ihre Verlegenheit unter dem verworrenen Geräusch der Anwesenden nicht bemerkt wurde, stieg ihr Muth ein wenig, und sie wagte, seitwärts nach ihrem Nachbar zu schauen. Aber furchtsam schlug sie das Auge nieder, als es rasch an ihm vorüberstreifend, ihr kund that, daß er wohl schon länger seine ausdrucksvollen Blicke auf sie gerichtet hatte.

Bin ich Euch noch immer ein Gegenstand des Schreckens, edles Fräulein? fragte er bescheiden. Sie bezwang mühsam einen Seufzer, und schüttelte wehmüthig das Haupt, doch ihre Lippen schwiegen. Auch Hugo erkühnte sich nicht weiter zu sprechen – in [206] tiefen Gedanken verloren, schien er unempfindlich gegen die gesellige Freude, die rings um ihn her in frohe Scherze sich ergoß, und ungeleert ließ er oft finster den blinkenden Pocal vorübergehen.

Als die Tafel aufgehoben war, zog sich Adelgunde in die Einsamkeit zurück. Ihr jungfräulicher Stolz empörte sich bei dem Gedanken, dem Jüngling vielleicht die Schwachheit ihres Herzens verrathen zu haben, und sie schauderte, trotz dem, was sie von seinen Verhältnissen wußte, sich oft auf den geheimen Wunsch, ihm zu gefallen, zu ertappen. Elisabeth bemühte sich, ihr krankes Gemüth zu heilen. Sie erschöpfte alle Hülfsquellen der Vernunft, der heitern Laune und der Gerechtigkeit, welche Selbstbeherrschung als eine bittere Pflicht gegen fremdes Eigenthum foderte, aber es gelang ihr nicht, der überspannten Fantasie der holden Schwärmerin eine andere Richtung zu geben, und obgleich völlig resignirt, waren doch alle ihre Gedanken sehnsuchtsvoll nur mit ihm beschäftigt.

Ein zweites Fest versammelte bald darauf wieder die Ritter im Schloße des Grafen, und unter ihnen befand sich auch Hugo von Lilienstein. Bleicher war sein Antlitz, wie damals, als er muthig im Lanzenbrechen unter den Andern hervorragte, wie die schlanke Tanne über niederes Gesträuch sich hebt, und ein wenig gedämpft schien die blendende Klarheit seiner Blicke. Alles dies, so wie der sinnende Ernst in seinen Zügen, entging der scharf beobachtenden Elisabeth nicht.

Ach, wie leicht würde es Dir werden, die Braut [207] aus seinem kämpfenden Herzen zu verdrängen, sagte sie. Sie ist nicht schön, und verliert, mit Dir verglichen, sich unbemerkt unter der Menge, wie das demüthige Veilchen neben der duftenden Rose verschwindet. Hugos reizbares Gefühl ist nicht gleichgültig gegen weibliche Anmuth und sittsame Liebe. Er hat das Schönere nicht gekannt, und darum mit übereilter Hingebung sein Gelübde der weniger Reizenden dargebracht. Kaum kann ich ihn verdammen, wenn er schwankt, und sich sehnt, aufzulösen, was er unbedachtsam knüpfte, denn schwer ists, Deiner Liebenswürdigkeit zu widerstehen, doch unmöglich wär es ihm den Schwur der Treue zu halten, wenn er ahnen könnte, welche zarte Neigung Dein Busen vergebens zu beherrschen strebt. Und wenn ich prüfe, ob der innere Gram, in dem seine Verlobte dahin welkt, oder die verschwiegene Gluth, die Dich verzehrt, die heiligsten Rechte auf seinen Besitz giebt – – dann verläßt mich die Sicherheit meines Urtheils, und ich weiß nichts mehr zum Vortheil der Unglücklichen anzuführen, als das, daß Hugo männlich strebt, seine Leidenschaft zu überwältigen, und daß er noch nicht das leiseste Verlangen gezeigt hat, die Fesseln zu zerreissen, die ihn an frühere Verhältnisse binden. Wer, Adelgunde, meinst Du, sollte Großmuth üben? Soll sie ein Kleinod, das sie besitzt, Dir selbst verläugnend aufopfern, oder wirst Du das, was Du besitzenkönntest, edelmüthig ihr überlassen.

Hab ich Dir nicht gesagt, daß Du mich immer Deiner Achtung werth finden sollst? antwortete Adelgunde. Wohl kannte ich damals den ganzen Umfang [208] meiner schweren Verpflichtung noch nicht, denn Hugo wird mit jedem Augenblick mir theurer – aber niemals werde ich den Frieden der Liebenden stören, und könnte er seine Pflicht vergessen, und in Worten wagen, vor mir auszusprechen, was er schüchtern bisher mich nur vermuthen ließ, so werde ich mit Verachtung die Liebe eines Treulosen zurückweisen, und im einsamen Schmerz – doch unbefleckt von Reue – vergehen.

Das Feuer, mit dem sie sprach, und die edle Begeisterung, von der sie durchdrungen war, gab ihrer Rede eine überzeugende Kraft, und eine Würde, die sie über sich selbst zu erheben schien.

Bist Du fest entschlossen, diesen Vorsatz zu halten? fragte Elisabeth.

Fest, erwiederte Agelgunde. Nimm zum Zeichen meines unerschütterlichen Willens, was unter meinem Schmucke mir das Liebste ist, die güldene Spange, die meine Mutter stets um den Arm trug, die ihr Seegen sterbend weihte, und die ich seitdem in ehrfurchtsvoller Erinnerung ihr zum Andenken trage. Bewahre sie heilig, bis der Ritter vermählt ist, und glaube mir, daß ich unverbrüchlich meinem Worte treu bleibe, bis Du selbst mir dies Pfand meines Versprechens zurück geben wirst. Hat die Kirche seinen Bund erst bestätigt – – dann zweifelst Du wohl selbst nicht mehr, daß die Ehrfurcht vor göttlichen Gesetzen sich mit meinem ernsten Beginnen vereinigen wird, um jeden vermessenen Wunsch in mir zu unterdrücken.

Sie wandelten während dieses Gesprächs am sandigen [209] Ufer des Mains dahin, und blieben plözlich überrascht stehen, als dicht vor ihnen, halb vom Gebüsch versteckt, ein Ritter auf einem bemooßten Steine saß, und mit seinem Schwerdte gedankenvoll in den Sand schrieb. Unvermerkt kamen sie näher – das Geschriebene hieß: Adelgunde, und der Ritter – warHugo. Er sprang bei'm Anblick der Mädchen betroffen auf, verlöschte eilig die Schrift, und schien tief erröthend, in ihren Augen zu forschen, ob sie den Namen gelesen hätten, dessen Züge seine Hand träumerisch in den Boden grub.

Warum so erschrocken, Ritter Lilienstein sagte Elisabeth. Ihr sollt nicht von uns gestört werden in Euerem Gedankenspiel.

Verlegen senkte er den sonst so muthigen Blick, doch ehe er noch eine Antwort finden konnte, waren die Freundinnen schon an ihm vorüber.

Weiß Hugo, daß Du sein Geheimniß kennst? fragte Adelgunde.

Wohl weiß er's, antwortete Elisabeth, aber was bringt Dich zu dieser Frage?

Sein Auge verrith mir's, versetzte jene. Es sank so beschämt vor dem Deinigen zur Erde, als habest Du ihn auf einem Verbrechen ertappt.

Hugo und Adelgunde sahen sich seit diesem Vorfall lange nicht. Er schien die Gefahren ihres Anblicks geflissentlich zu meiden, und hatte mehrere Einladungen des Grafen abgelehnt.

Er hat mich vergessen! seufzte Adelgunde. Nur der Zufall, keine Neigung, wie Du wähntest, führte seine Hand, als er meinen Namen in den Sand [210] schrieb – oder leicht, wie er im Sande verwehte, ist er auch in seiner Seele untergegangen.

Würde er Dich dann fliehen? sagte Elisabeth. Ich habe ihn gesehen – seine Gestalt ist so verändert – seine Mienen sind so trübe, seine Blicke so verstört! Es ist sichtbar, daß er mit sich selbst ringt, um eine heftige Leidenschaft zu überwinden, und dieser Kampf, dies ernstliche Bestreben, sein Herz zu der im Geist verletzten Pflicht zurück zu führen; – dies, Adelgunde, erhebt ihn bis zu Dir, und macht ihn Deiner Liebe werth.

Es vergingen einige Tage, während Elisabeth abwesend war, um eine kranke Freundin zu besuchen. Uebermorgen giebt Dein Vater ein Bankett, sagte sie, als sie zurückkehrte, zu Adelgunden. Auch Hugo wird daran Theil nehmen – sammele daher all Deinen Muth, um fröhlich dabei zu erscheinen, und denke meiner, denn diesmahl werd' ich nicht an Deiner Seite seyn.

Ohne Dich soll ich dem Feste beiwohnen? rief die Erschrockene aus, ach, was verlangst Du, Elisabeth? Du kennst meine Schwäche noch nicht ganz – nur aus dem Bewußtseyn, daß Du mich beobachtest, und daß Dein innerer Beifall mir jedes schmerzliche Opfer belohnt, schöpfe ich Muth und Kraft, mich würdig zu betragen.

Sey nicht ungerecht gegen Dich selbst, reine, edle Adelgunde, unterbrach sie die Freundin, liebevoll sie an den treuen Busen drückend. Ich war Dir nur das sichtbare Bild eines unsichtbaren Schutzgeistes, der Deine Seele, auch ohne mich, immerdar in heiliger[211] Unschuld umschwebt. Du bedarfst meiner nicht – vertraue nur Dir selbst, und Du wirst stets der Tugend getreu bleiben. Ich muß Dich heute schon verlassen. Hugos Braut entledigt sich eines Gelübdes in der Capelle zur gnadenreichen Jungfrau, und ich habe versprochen, sie zu begleiten. Aber das süße Amt, Dich zu schmücken, lasse ich mir übermorgen nicht ganz nehmen, und zum Beweis, daß ich auch in der Ferne mich Deiner erinnere, werde ich Dir einen Kranz senden, der Deine schönen Locken zieren soll.

Adelgunde wollte lange nicht einwilligen die geliebte Führerin von sich zu lassen, die ihr auf ihrem dornenvollen Wege so unentbehrlich schien – endlich gab sie ihren Bitten und Vorstellungen nach, aber obgleich ihre Trennung nur drei Tage dauern sollte, so flossen doch bittere Thränen in die Umarmung des Abschieds.

Der Tag des Banketts kam heran. Adelgunde war schon gekleidet, und erwartete nur noch den Kranz, den Elisabeth ihr verheißen hatte, ihr jugendliches Haupt damit zu schmücken. Da trat Ritter Hugo zu ihr herein, und sie erstaunte. Er überreichte ihr von blühenden Myrthen ein zierliches Gewinde, und aus dem dunklen Grün der Blätter glänzte es wie Gold hervor. Sie erkannte die Spange, die sie ihre Freundin zum Pfande ihres Versprechens gegeben hatte, und die jetzt den duftenden Kranz lieblich umschlang. Erbleichend nahm sie die räthselhafte Gabe – da ent deckte sie eine kleine Rolle Pergament, die in dem Geflechte befestigt war. Sie zog sie heraus, [212] und eine zweite, mit der Ueberschrift: An Hugo, fiel zur Erde. Er hob sie auf, und öffnete sie mit bebender Hand; Adelgunde las, und sank ohnmächtig nieder.

Nach einiger Zeit kamen ihre Dienerinnen in das Gemach, und fanden das Fräulein leblos auf der Erde, und Hugo zu ihren Füssen knieend, und – obgleich mit starren, weit geöffneten Augen – dennoch eben so bewußtlos, wie sie selbst. Man drängte sich um Beide, sie wieder zu sich zu bringen – die Blätter, die am Boden lagen, erklärten ihren Zustand. Man las:


An Adelgunde.


Wenn Adelgunde diesen Kranz um ihre Locken windet, verhüllt meine Stirn bereits der klösterliche Schleier, und mein Gelübde ist unwiderruflich Ich bin glücklich. Ein göttliches Feuer, das in meinen Adern lodert, hat die vergängliche irdische Flamme verdrängt, und nur dem Himmel gehören meine künftigen Wünsche. Nimm den Geliebten von meiner Hand – er ist Deiner würdig, und gehört von diesem Augenblick an Dir ganz, denn niemand hatte ein Recht auf ihn, als


Elisabeth.


An Hugo.


Hugo! erröthe nicht, wenn Du vernimmst, daß ich in Deinem Innern gelesen habe. Du liebst Adelgunden – – wisse noch mehr – Adelgunde liebt auch Dich. Ich sah Deinen schmerzlichen Kampf, [213] ob ich gleich schwieg, tief mit dem meinen beschäftigt. Jetzt hab ich mein Herz besiegt, und innerer Friede reicht mir beglückend seine himmlischen Palmen. Ich gebe Dir Deinen Schwur zurück, und opfere den meinigenGott, der allein Dich aus meiner Seele verdrängen konnte. Sey glücklich im Besitz des besten, zärtlichsten der Mädchen, und gedenke zuweilen segnend


Deiner Elisabeth.


Man rief mit Mühe Adelgunden ins Leben, und Hugo zur Besinnung zurück – beide nannten schmerzlich nur den Namen Elisabeth.

Sie trauerten lange um ihre edle Freundin, endlich knüpften sie den seligen Bund der Liebe. Mit der Würde eines höhern Wesens trug Elisabeth den Nonnenschleier, und wenn zuweilen, knieend vor dem Bilde des heiligen Georg, eine geheime Thräne ihr Auge befeuchtete, so trocknete sie sanft die überirdische Wonne, die das edelste Bewußtseyn gewährt.

Zweiter Band

[1]

Die beyden Pilger

Schon dämmerte es im Thale – nur auf den hohen Zinnen der Gebirge schimmerte noch der Wiederschein der Abendröthe im lichten Purpurglanz – – endlich erlosch auch er, und immer dichter webte sich die Hülle der Nacht.

Da wandelte Ritter Burckhardt von Unspunnen einsam unter den hohen Linden auf und nieder, die vor seiner Burg schon seit Jahrhunderten grünten, und trübe Gedanken beschäftigten unstät und wechselnd seinen Sinn. Bald starrte er finster zur Erde, als hoffe er aus ihrem Schooße hervorkeimen zu sehn, was sein sehnendes Herz vermißte – bald erhob er den Blick in die dunklen Wipfel der Bäume, die über ihm rauschten und säuselten. Sie waren Zeuge seines vergangenen Glücks gewesen, so wie seines jetzigen Schmerzes, und leise Seufzer des Mitleids dünkten ihm oft ihre flüsternden Zweige entgegen zu hauchen. Trat er hervor aus dem schwarzen Gewölbe ihrer Schatten, und der Himmel, von blitzenden Gestirnen durchwebt, spannte den azurnen [1]Teppich heiter über ihn aus, dann regte sich der Hoffnung sanftes Beben in seinem Herzen, und selige Träume von Wiedersehn verklärten die Schwermuth, die seit so lange schon wie ein Nebel, düster auf seiner Seele ruhte.

So verlohr er, in die innere Welt seiner Empfindungen vertieft, auch jetzt die Wirklichkeit aus den Augen, und fühlte sich von einer Bewegung des Schreckens ergriffen, als plötzlich eine klangvolle männliche Stimme ihn anredete, und zwei Pilger, streng verhüllt in härene Gewänder, mit Muscheln geschmückt, und den Hut tief ins Gesicht gezogen, im Schimmer des aufgehenden Mondes vor ihm standen.

Gelobt sey Jesus Christus! sprach der eine, und wie ein zartes Echo den Wohllaut anmuthiger Töne leise verdoppelt, so wiederholte schüchtern der zweite Pilgrim den Gruß seines Gefährten. – In Ewigkeit, Amen! erwiederte Ritter Burkhardt, sich fassend. Woher des Weges, lieben Leute, und wo gedenkt Ihr hin so spät in der Nacht? Wollt Ihr in meiner Burg der Ruhe pflegen nach mühevoller Wanderschaft, so tretet herein und erquickt Euch mit Speise und Trank, und genießt des Schlummers unter meinem Dache.

Ihr kommt unsern Bitten gütig zuvor, edler Herr, sprach der größere der Pilger.

Weit aus der Ferne führt uns die Pflicht her, durch eine fromme Wallfahrt ein Gelübde unserer Eltern zu lösen, und nicht auf ebenen Pfaden hat der heutige schwüle Tag uns über das schroffe Gebirge [2]geleitet. Besonders war mein Bruder, jünger und schwächer, wie ich, nahe daran, der Ermüdung zu unterliegen, als Eure Burg, einladend im Strahl des Mondes, uns winkte. So gönnet uns denn ein Nachtlager unter Eurem gastfreien Dache, daß wir neu gestärkt, morgen, wenn die heilige Frühe dämmert, weiter ziehen können.

Folgt mir, sprach Burkhardt von Unspunnen, indem er voran ging, den Dienern zu ihrer Bewirthung Befehle zu ertheilen. Schweigend schritten die Jünglinge hinter ihm her, und als sie eintraten in den hochgewölbten Saal, und der Kerzen helles Licht sie gleich einer Glorie umspielte, überraschte neben der ersten Blüthe des jugendlichen Alters die blendende Schönheit ihrer edlen, feinen Züge den Ritter, doch mehr noch eine gewisse Hoheit und Würde in allem, was sie thaten, die als das Kennzeichen einer nicht gemeinen Abkunft sich offenbarte. Die dunkelbraunen, strahlenden Augen des älteren Pilgers sprachen wie die Erinnerung einer längst verklungenen seligen Zeit zu seinem Herzen, und wenn er den Blick abwandte, fühlte er ihn schnell unwillkührlich zu der geheimnißvollen Tiefe zurückgezogen, in die ihr Anschauen sein Gemüth versenkte.

Eben so, mit diesen von zarter Milde gedämpften Flammen hatte die blühende Gattin in den Tagen seiner Jugend ihn angeblickt – mit diesem Lächeln ihn oft begrüßt, wenn er heim kam aus dem Gewühl der Schlachten, oder beladen mit der Beute der Jagd. – Ach – diese seelenvolle Anmuth ging als ein Erbtheil über auf die einzige Tochter, die sie [3]ihm hinterließ – – doch nur in Traumbildern schwebte die schon seit zwanzig Jahren entschwundene Gestalt derselben vor seiner Seele, wenn väterliche Sehnsucht ihr Andenken schmerzhaft in ihm erneuerte.

Sie setzten sich zum Mahle, aber die Rede stockte – trüber Ernst und schwermuthvolles Sinnen hielt den Mund des Wirths, und Theilnahme an seinem unverkennbaren Gram die Lippen der Gäste verschlossen, bis der Becher kreißte, und der edle Saft der Reben einen leichten Anschein von Heiterkeit in ihr finsteres Schweigen mischte.

Wohl ist es kühn, sprach der ältere Pilger, daß ich Fremdling es wage, nach der Trauer zu forschen, die gleich einem dunklen Gewölk auf Dir lastet; aber allzusichtbar sind ihre Spuren Deinen blaßen Wangen und Deinen lebensmüden Augen eingeprägt, als daß sie mir hätten entgehen können. Verzeihe daher, Herr! wenn Antheil und Verehrung, nicht das Streben jugendlicher Neubegierde mich drängt, Dich zu fragen, warum Du so allein hausest in diesen Hallen? warum keine Familie ihren liebenden Kreis um Dich schließt, und welch ein Leiden es ist, das – dem Schein nach vor der Zeit – Dein Haar gebleicht, und Furchen des Kummers in Dein Antlitz gegraben hat?

Guter Jüngling, versetzte der Ritter, was würde es Dir frommen, die Geschichte der Schmerzen zu kennen, die unverdienter Weise mich einem öden, einsamen Grabe entgegen führen. Denn noch stehst Du im lächlenden Frühling der Jahre, wo das ganze Leben nur als Zukunft still verschleiert vor uns [4]liegt, und wo keine Vergangenheit mit dumpfem Nachhall an unwiederbringlich verlohrene Freuden mahnt. Daher verschließe, so lange Du kannst, Dein Ohr der jammervollen Erfahrung, daß auch das Festeste, Heiligste, was die Natur mit ehrnen Banden an unser Innerstes schmiedete, sich feindselig von uns los reißt, wenn Leidenschaften, gleich Irrlichtern, den Sinn von der Bahn des Rechten in dunkele, bodenlose Ferne verlocken.

So suchte Ritter Burkhardt die Bitte des Pilgers zurück zu weisen; doch das dringende Verlangen desselben bestritt zärtlich flehend jede seiner Weigerungen. Der Ton seiner Stimme, der wie die verhallte Melodie eines einst besessenen Glücks süße Reminiscenzen in seinem Andenken erweckte, bestach ihn mächtig zum Vortheil des Fremdlings, und drang unwiderstehlich in sein lange verschlossenes Herz, es dem Vertrauen zu öffnen.

So vernimm denn, sprach er, was wie ein giftiger Wurm am Mark meines Lebens nagt, und wenn auch Dich einst das Loos der Menschheit ergreift, das so oft die Hoffnungen und Freuden unseres Daseyns vernichtet, so erinnere Dich dann meines Schicksals, und finde Trost in dem Gedanken, daß Du schwerlich unglücklicher werden kannst, als ich.

Ihr seht mich freilich jetzt so einsam und verlassen da stehn, wie einen Baum, den der Ungestüm eines schweren Wetters seiner Krone beraubt, und bis in den tiefsten Grund seiner Wurzel erschüttert hat. Aber glaubt mir – einst strahlten auch mir freundliche Sterne, und ich fühlte mich reich im Bewußtseyn [5]meiner Kraft und der Gaben, die vom Himmel mir verliehen waren. Mächtige Vasallen unterstützten meinen starken Arm, und machten mich furchtbar den Feinden, welche Neid, und der Schutz, den ich stets der hülflosen Jugend gewährte, mir zugezogen hatten.

Ueberfluß für mich und die Armen der ganzen Gegend brachte mein reiches Gebiet hervor, das sich fruchtbar bis an den weit entlegenen Rand der Gletscher erstreckt, und das – ach – einst, wenn mein graues Haupt unbeweint in's Grab sinkt – das Erbe eines Fremden wird.

Auch der herrlichste Segen der Erde wurde mir zu Theil, ein Weib, das schön und tugendsam, schon im Gewande der Sterblichkeit den Engeln zu vergleichen war, die denn auch bald, ihre Verwandtschaft anerkennend, meinen Armen sie entzogen, um sie unter sich aufzunehmen. Nur ein glückliches Jahr weilte sie an meiner Seite, da schlief sie ein zum besseren Leben, und der Schmerz über ihren Verlust würde mich in dieselbe Gruft gestürzt haben, die sie aufnahm, hätte sie mir nicht in einer Tochter ihr Ebenbild, und zugleich die herbe Pflicht hinterlassen, um dieses Kindes willen zu leben.

Alle Liebe, die ich der Mutter gewidmet hatte, alle Sorgfalt, alle Hoffnungen künftiger Freuden trug ich auf die Kleine über, in der, je mehr sie heranwuchs, je anmuthiger die schöne Gestalt meiner Gattin als eine verjüngte Fortsetzung ihres zu früh erloschenen Daseyns sich entwickelte.

Deshalb glaubte ich in stolzem Wahn, nicht ihre[6]Schönheit allein, sondern auch ihre Tugenden würden durch die Kraft des letztens Segens auf sie über gegangen seyn. Zwar stand ich noch im Lenz des Jünglingsalters, und sehnte mich oft nach einer treuen, liebenden Gefährtin meiner Tage – zwar wurden die lieblichsten und sittsamsten Jungfrauen des Landes mir angetragen zu einer zweiten Ehe: aber ich konnte das Bild der Vergangenheit nicht austilgen in meiner Brust, und wenn auch oft in stillen nächtlichen Träumen meine verklärte Ida mir erschien, mitleidsvoll mich bittend, meinem Gram Gränzen zu setzen, und ihre Stelle bald würdig auszufüllen, so verscheuchteein Blick auf meine Tochter jeden halb gereiften Entschluß wieder, und ich gelobte um ihrentwillen, einsam zu bleiben, indem ich hoffte, Kindesliebe und Kindestreue werde jegliches Opfer mir einst belohnen.

Doch diese Hoffnung war auf Sand gebaut, und schrecklich, schrecklich stürzte sie zusammen, als ich eben glaubte, sie erfüllt zu sehn. Wohl schmeichelte Ida, süß und kosend, jede Wolke von meiner Stirn – wohl pflegte sie mein in gesunden und in kranken Tagen mit aufmerksamer Sorgfalt – wohl schien ihr ganzes Bestreben nur dahin gerichtet zu seyn, meine Wünsche zu errathen, um ihnen zuvor zu kommen. Aber alles schwand einst wie eitel Trug und List, und diente nur dazu, mein Herz im rüstigen Mannesalter zu verwöhnen, damit es dann am späteren Lebensabend um so bitterer darbe und entbehre.

Durch tiefe Beleidigungen, die ich zwar gerächt, aber nicht verschmerzt hatte, war ich schon lange [7]mit Ruprecht, Freiherrn von Wädischwyl zerfallen, und ein finsterer Groll, den die geringste Veranlassung zum wüthenden Ausbruch lockte, glühte in seiner Brust, so wie in der meinen. Nicht mehr wagte er jedoch, den Fehdehandschuh mir hinzuwerfen, denn oft schon besiegt von mir und meinem gewaltigen Troß hatte er erfahren, daß ich der Mächtigere war; deshalb wählte er andere härtere Mittel, als Stahl und Eisen, um den Weg zu meinem wehrlosen Herzen zu finden.

Einst, von den Bewohnern des Hochgebirges aufgerufen, sie zu schirmen gegen feindlichen Ueberfall, kämpft' ich lange gegen die Schaaren Herzog Berchtolds von Zähringen, bis endlich die gerechte Sache siegte, und er ablassen mußte von seinem wüsten Begehren. Da bot er mir mit gleißnerischem Lächeln die Hand zur Versöhnung, und ich reichte ihm arglos die meine, nicht ahnend, daß Falschheit lausche unter so freundlichen Mienen.

Ehe Ihr heimzieht in Euere Burg, sprach er alsdann, so weilet einige Tage bei mir an meinem Hoflager, daß wir die Erinnerung an unseren gehabten Streit, wie den Streit selbst, ins Gold des Rheinweins versenken, das nach blutigem Kampf uns laben, und unsere Freundschaft stärken soll auf ewige Zeiten.

Ungern willigte ich ein, denn länger als ein Jahr war ich fern gewesen von den Hallen meiner Väter, und mächtig zog mich die Sehnsucht nach meiner Tochter in den Kreis der Heimath zurück – aber ich gab nothgedrungen nach, denn immer war ich[8]schwach, wenn sanfte Bitten sich mühten, meinen Sinn zu beugen, der stets eisern sich bewährte, wenn Gewalt und Trotz ihn zu unterjochen suchte.

Bald genug sah ich ein, daß ich besser paßte in das Gewühl der Schlachten, wo ein Mann etwas gilt, als unter das glatte Hofgesindel, das mich von jeher gemahnt hat, wie Schlangengezücht. Deutlich merkte ich, wie meine rauhe Sitte den abgeschliffenen Schranzen zu lachen gab. Doch der Herzog begegnete mir mit Achtung; das söhnte mich aus mit seiner Umgebung, die ich des Zornes nicht werth hielt, wenn ich bedachte, daß stets ein Schwarm niederer Insekten sich am Strahl der Sonne wärmt.

Als aber bald nach mir Ritter Ruprecht von Wädischwyl am Hoflager anlangte, mit Auszeichnung empfangen, und mir mehreremale gegenüber gesetzt wurde, da gab es böses Blut bei mir, denn ich mochte nicht mit dem Menschen aus einem Becher trinken, den ich haßte im Innersten meiner Seele.

Ich sagte daher dem Herzog Lebewohl – aber er wollte mich nicht ziehen lassen, ohne die Ursach meines schnellen Aufbruchs zu kennen, und ich gestand sie ihm offen, obgleich Ruprecht ihm zur Seite war.

Vereitelt nicht, wackerer Unspunnen, antwortete er, was ich mir so fröhlich ausgedacht hatte. Kein zufälliges Ohngefähr hat Euren Gegner hier an meinen Hof gebracht, sondern mein Wunsch, Euch mit einander zu versöhnen, hat ihn hierher gerufen. Gebt endlich die alte Zwietracht auf, und wenn mein Vorwort bei Euch gilt, so laßt mich werben um [9]Eure weltberühmte schöne Tochter für seinen einzigen Sohn, und löset so das unselige Gewirre Eures langen Unfriedens in feste Bande der Verwandtschaft auf.

Da flammte der Unwillen wie höllisches Feuer mir durch Mark und Gebein, und entrüstet rief ich aus: so sollt' ich meine köstlichste Perle in den Staub werfen? Nein, bei der Asche ihrer Mutter sey's geschworen, ehe ich sie mit der Brut meines Feindes vermähle, will ich lieber ihre Jugend unfruchtbar im klösterlichen Schleier welken sehen!

Eure Rede fordert Blut, unterbrach mich Ruprecht, doch des Herzogs Gegenwart hält mein Schwerdt in der Scheide, und die Zukunft wird mich an Euch rächen.

Traun! Ihr seyd kühn, Ritter Unspunnen, sprach der Herzog, und es dürfte Euch einst wohl noch gereuen, meinen Vorschlag so schnöde verworfen zu haben.

Wohl bin ich kühn, gnädigster Herr! antwortete ich, denn ich meine, so gut ich vor Gott frei die Wahrheit bekennen darf, darf ich es auch vor Fürsten. Allein da mein gerades Wesen Euch zu mißfallen scheint, so vergönnt, daß ich Abschied von Euch nehme, und hinziehe nach meinem Eigenthume, das nur zu lange schon meiner Obhut entbehret. – Es sey Euch unverwehrt, versetzte der Herzog und wandte sich kaltsinnig von mir.

Heiter schwang ich mich auf mein muthiges Roß, und athmete freier, als die fürstliche Burg weit hinter mir lag, und heimische Lüfte mir entgegen wehten.

[10]Doch bald – wehe mir! – erfuhr ich, daß des Herzogs Prophezeihung, die ich in Gedanken verlacht hatte, schreckbar in Erfüllung ging, denn noch heute da zwanzig Jahre seit dem Augenblicke verstrichen sind, wo er sie aussprach, noch heute bereue ich, daß mein tief eingewurzelter Haß mich abgeneigt zur Versöhnung mit Wädischwyl machte.

Als ich nun hier wieder einzog in den Sitz meiner Ahnen, befremdete mich die Todtenstille, die mich empfing. Wie ausgestorben war die Burg – nur meine Hunde sprangen mir liebkosend entgegen, meine Diener aber schienen sich mit scheuem Gewissen vor mir zu verstecken. Auch Ida nahte mir nicht, wie sonst, mich willkommen zu heißen, und vergebens rief ich sie so laut, daß die Wände vom Schall meiner Stimme erbebten, denn mein Herz hielt sich nicht länger, und meine heiße Sehnsucht lechzte nach ihrem Anblick. Endlich kam mein Burgvoigt herbei – ach – der gute Alte hatte mich nur deswegen vermieden, weil ihm grauete, durch seinen Bericht unermeßlichen Jammer auf mein Haupt zu häufen. Weh mir! weh noch einmahl, was mußt ich hören!

Den jungen Wädischwyl, Sohn meines Todtfeindes, hatte der Ruf von Idas Schönheit neugierig gemacht. Er umlauerte, lüstern nach ihrem Anblick, meine Burg, und gewahrte sie einst, als sie ausging, bei den Augustinerinnen in Interlachen Messe zu hören. Die heilige Stätte hielt das ruchlose Verlangen nicht im Zaum, das in ihm entbrannt war – er nahete sich meiner Tochter. Als ein glattzüngiger, einschmeichlender Bube wußte er den Weg zu ihrem [11] Ohr, und bald auch zu ihrem Herzen zu finden. Zwar wagte sie nicht, ihm gastlichen Eintritt über meine Schwelle zu gestatten, aber in den Klüften der Berge, und in dem Dunkel der Wälder begegnete sie ihm oft, bis sie endlich doch trotz des Abmahnens meines treuen Gesindes ihm auch vergönnte, innerhalb der Burg bei ihr einzusprechen.

Schwach ist das Herz eines Weibes, wenn Liebe es entzündet hat – schwach war auch Ida, und hörte nicht mehr auf die innere Stimme, die ihr mit meinem grimmigen Fluche drohte bei der vermessenen Wahl die sie getroffen. Und als der Verführer ihr vorspiegelte, eine schon unwiderruflich geschlossene Verbindung werde ich leichter verzeihen, als meine Einwilligung zu einer noch bevorstehenden geben, floh sie mit ihm aus der Freistätte jungfräulicher Zucht um sich auf ewig loszureißen von dem Herzen ihres trostlosen Vaters.

Der Schmerz dieser Erinnerung überwältigte den Ritter; Thränen perlten an seinen grauen Wimpern, und er bedurfte einiger Augenblicke, um Herr über die bittere Wehmuth zu werden, die sein Gemüth erfüllte.

Mein erstes Gefühl war Zorn, fuhr er nach einer langen Pause fort, die auch die gerührten Pilger mit keiner Sylbe zu unterbrechen wagten. Ich rief alle Strafen des Himmels herab auf die Schuldige, die ich gräßlich verwünschte, und rüstete mich und meine Vasallen, Rache zu nehmen an ihrem Entführer.

Aber auch diese letzte, traurige Genugthuung [12] ward mir vereitelt. Der Herzog schlug sich mit allen seinen Fahnen zu der Parthei meines Feindes – auf seinen Aufruf schlossen sich auch die Berner, das Verbrechen schirmend, an ihn an, und überwältigt von der Menge fühlten ich und die Meinigen unter blutigen Wunden, daß die Gerechtigkeit auf Erden eine feile Dirne ist, die den Sieg oft der Uebermacht, selten der guten Sache verleiht.

Dennoch erneuerte ich die Fehde wieder so oft ich mich erholt, und mit neuer Mannschaft gestärkt hatte, bis mich endlich des unnütz vergossenen Blutes jammerte, und ich heimzog, tief gekränkt, um still im Schlosse meiner Väter wie in einem Grabe, vor aller Welt mich zu verbergen. Keine Kunde von der Verlohrenen erreichte mich, denn streng hatte ich verboten, ihren Namen vor mir auszusprechen, bis endlich ein Zufall mir verkündete, sie sey mit ihrem Gatten gen Italien gezogen.

Seitdem lebt' ich allein, verzagend an der Menschheit und verzweiflend, meine Jahre hin. Doch bald erweichte das linde Wandeln der Zeit meinen erbitterten Sinn, und Sehnsucht, heißer wie ein Liebender nach der Verlobten sie empfindet, nagte schmerzlich an meinem Innern, und verlangte nach dem Wiedersehen meiner Ida. Oft, wenn ich in meiner trüben Einsamkeit nachsann über das Vergangene, widerrief ich, unter heißen Thränen der Reue, meinen Fluch, und bat Gott sammt allen Heiligen, den reichsten Segen über die Geliebte auszuschütten. – Aber ach, wer weiß, ob meine voreiligen Verwünschungen nicht furchtbar genug ihr [13] Haupt getroffen haben – ob sie nicht eben so elend, eben so verlassen, als ich, sich zurück wünscht an das Vaterherz, das nur für sie so liebend klopfte. Oder wer weiß, ob sie nicht schon längst den eisernen Todesschlaf schläft, denneinmal doch würde sie sonst wohl nachfragen, ob der alte Vater ihr nicht endlich verzeihen, und versöhnt sie an seine Brust drücken wolle. – –

Zwar – in den ersten Zeiten ihrer Flucht machte sie Versuche genug, meine Vergebung zu erlangen – aber ich hörte damals nur auf die Eingebungen meines Unwillens, nicht auf ihre flehenden Bitten – und als ich gestimmt war, sie endlich zu vernehmen – als ich mich geneigt fühlte, sie zu erhören, da verstummte sie, und überließ mich meinem Starrsinne, auf daß ich nicht nur der Trauer lähmendes Gewicht, sondern auch die Bitterkeit der Reue kennen lernen sollte.

Hätt' ich ihr verziehen, ach, so könnte ich mich jetzt vielleicht in blühenden Enkeln wieder aufleben sehn. Sie würden den Abend meines Lebens erheitern, den Schild meiner Väter führen, und mein Erbe einst besitzen, das jetzt Fremden zu Theil wird, wenn Miethlinge mein brechendes Auge geschlossen haben, und nur Thränen des Mitleids, nicht der kindlichen Zärtlichkeit mein einsames Todtenmaal benetzen.

Unverwandt, doch oft vom Thau der Wehmuth verdunkelt, weilte der Blick des älteren Pilgers während dieser Erzählung auf den gramerfüllten Zügen des Greises, doch länger ließ der Strom seiner Gefühle[14] sich nicht in's Innerste des Herzens zurück drängen. Er riß das Pilgerkleid auseinander, und siehe! ein braun gelockter Jüngling in Rittertracht war unter der täuschenden Hülle verborgen. Nieder warf er sich auf's Knie vor dem gebeugten Alten, und blickte mit Augen zu ihm auf, deren süße Macht hinreißender sprach, als Worte. Vater! rief er aus, wirst Du Deinen Enkel verstoßen, weil er den Namen Wädischwyl führt? Wirst Du den Fehl der Mutter noch an ihrem Kinde strafen? Sieh, ich bin Deiner Ida Sohn – bin gekommen, Dein Alter zu erleichtern, und der Fürsprecher Deiner Tochter zu seyn, die jetzt in den Gefilden der ewigen Seligkeit Gott um den Frieden Deiner Tage anfleht. Ach – sie hat schwer gebüßt für ihre Schuld, denn alle Wonnen der Erde wiegen das Glück eines reinen Gewissens nicht auf, das sie verlohr, als sie entfloh aus Deinem Hause. O vergieb ihr nun. Ich will gut machen, was sie verbrach, will Dir pflegen mit unermüdeter Sorge, will Deine Reisigen führen in Schlacht und in Sieg, wohin die Ehre und Dein Wille es heischt, will alles thun, was Liebe nur vermag, Dein Daseyn zu erheitern.

Wie vom Blitz getroffen, starr und unbeweglich, schauete Ritter Burkhardt ihn an, und wagte nicht sich zu regen, aus Furcht, der schöne Traum möchte entflattern. – Endlich überzeugte er sich, daß kein Spiel der Fantasie, sondern eine freundliche Wirklichkeit seine lang genährten Wünsche erfüllt habe, und jetzt wurden die Wallungen des Entzückens zu mächtig für sein nur an Gram und Kummer gewöhntes [15] Gemüth. Er sank ohnmächtig zurück – doch der junge Burkhardt sein Enkel, faßte ihn mit starken Armen, und aus der Pilgerkutte seines Gefährten schlüpfte eine goldlockige Jungfrau hervor, die zärtlich seine Bemühungen um den ehrwürdigen Greis mit ihm theilte.

Ihre gemeinschaftliche Hülfe rief bald sein entflohenes Bewußtseyn zurück, und als er sich wieder erholte und in die frommen blauen Augen des Mägdleins sah, das neben ihm stand gleich dem Engel der Unschuld und der Güte, und dann wieder den Blicken seiner Ida begegnete, mit denen ihr Sohn liebend und ehrfurchtsvoll ihn anlächelte – da wähnte er, bereits alle Leiden der Erde überwunden zu haben, und gestorben zu seyn, denn in sich und um sich fand er den Himmel.

Als er wieder stark genug war, um die Lösung jenes Räthsels hören zu können, zog Burkhardt von Wädischwyl den Schleier weg von der düsteren Vergangenheit, die seine Mutter der väterlichen Burg entlockt hatte.

Liebe war es, die nach langem schwerem Kampf sie in die Arme seines Vaters führte. Doch, was jedem Verhältniß auf Erden erst beglückend die Krone der Vollendung aufsetzt, innerer Friede und Gemüthsruhe folgten ihr nicht in die eigenmächtig gewählte Heimath, die durch des Vaters Fluch schaudernd ihr entheiligt schien.

Umsonst strebte sie, seinen gerechten Zorn zu versöhnen, aber zurückgeschreckt durch die Härte, mit der er jeden ihrer Versuche zurückwies, muthlos gemacht [16] durch das Bewußtseyn ihrer Schuld, wagte sie nicht mehr den Hoffnungen zu vertrauen, mit denen die Erinnerung seiner ehemaligen väterlichen Zärtlichkeit ihr schmeichelte, daß nämlich sein Herz sich noch einst ihr wieder zuwenden werde.

Sie folgte ihrem Gemahl nach Italien, wo reiche Besitzungen ihm zugefallen waren; doch weder die Bemühungen seiner Liebe noch der mildere Himmel, und die freundlichere Natur dieses Wunderlandes vermochte etwas über die Schwermuth, der sie sich hingab, und ihre Thränen flossen eben so bitter dort unter den blühenden Orangenhainen, wie vorher, wenn sie einsam wandelte in den dunklen Tannenwäldern ihres Vaterlandes. Selbst die Geburt ihres Sohnes wurde ihr nur eine Quelle des tieferen Schmerzes, so zärtlich sie ihn auch liebte. So pflegte auch Er an Mutterstatt meine Kindheit, dachte sie, wenn sie den Knaben sorglich auf ihren Armen trug, und in schlaflosen Nächten sein wartete. So opferte auch Er geduldig und froh den Balsam des gesunden Schlummers, und unterzog sich um meinetwillen jeder unsäglichen Mühe. Und ich – statt ihm zu vergelten, statt durch die Fülle der innigsten Liebe ihm zu lohnen, was er für mich that, ich betrübte ihn durch den schwärzesten Undank, und stürtzte vielmehr vor der Zeit sein grambeladenes Leben in die Gruft. –

Diese melancholischen Vorstellungen vertilgten jeden Reiz, der ihr Daseyn schmückte, und die Zeit erlöschte das düstere Colorit derselben nicht, sondern schärfte es mit allen Farben der grausenvollsten Wahrheit. [17] So ertrug sie ihre Existenz, ohne sie zugenießen, und als der Kummer über den Verlust ihres schmerzlich geliebten Gemahls sich zu der immerwährenden Pein innerer Vorwürfe gesellte, sank sie lebensmüde und erschöpft auf's Krankenlager, um es nicht wieder zu verlassen.

Ehe aber der Tod die dunkele Binde um ihr Auge wand, die nur jenseits, im Glanze der Verklärung sich wieder löset, berief sie ihren Sohn an ihr Sterbebett, und ließ ihn, gleich einer letzten Beichte, die Geschichte ihrer Verirrung und ihrer Reue vernehmen.

Gehe hin, sprach sie, so bald ich gestorben bin, und umfasse die Knie meines Vaters, wenn er noch lebt. Flehe ihn an, mir zu verzeihen, und seinen Fluch zurück zu nehmen, damit die Erde mir leicht sey, und Nesseln und Dornen mein einsames Grab nicht bedecken. Sage ihm, daß Trauer über seinen Zorn, und strenge Buße der Vergehung, welche ihn veranlaßte, selbst die Zufriedenheit meiner glücklichen Ehe, und das Entzücken der Mutterfreuden, die mir durch dich zu Theil wurden, mich nur unvollkommen schmecken ließen, und beschwöre ihn, seinen Groll aufzugeben, damit ich in einer bessern Welt wenigstens seiner Vergebung mich erfreuen darf.

Ihr Sohn gelobte es ihr feierlich unter kindlichen Thränen. Sie empfahl ihm ferner, sogleich nach ihrem Tode an das Hoflager des Herzogs von Zähringen zu gehn, der, um der Vorliebe willen, die er stets für das Haus Wädischwyl bewiesen, ihm, den unerfahrenen Jüngling, seinen Rath so wie seinen [18] Schutz in allen künftigen zweifelhaften Lagen seines Lebens nicht versagen werde.

Der junge Burckhardt befolgte gewissenhaft das Gebot seiner sterbenden Mutter, und als er ihren Leichnam dem Schoos geweihter Erde übergeben, und zahllose Messen für die Ruhe ihrer Seele gestiftet hatte, zog er hin, um dem Herzog sich darzustellen, und dann gen Unspunnen sich aufzumachen, das feindselig verschlossene Herz seines Großvaters zu erweichen.

Doch er fand in dem Herzog nicht mehr den fröhlichen, blühenden Mann, der seinem Vater kecken Beistand bei der Entführung seiner Mutter geleistet hatte, und der in den Tagen seiner Kraft leichtsinnig des Rechts spottete, wenn Laune, oder Partheilichkeit für Andere das Unrecht von ihm begehrte. Nahe dem Ziele seiner Laufbahn erschien manche Handlung der Vergangenheit ihm jetzt in einem ganz anderen Lichte als damals, wo er angetrieben von den Gelüsten des Augenblicks, sie verübte, und nur das Bestreben, wieder gut zu machen, so viel er vermochte, erhellte die trüben Stunden seines kränklichen Alters.

Zu einem, dem Himmel wohlgefälligen Sühnopfer seiner Sünden erkohr er Brunhilden, sein einziges Kind, indem er sie dem Klosterleben bestimmte. Das fromme Gebet reiner Unschuld, hoffte er, werde das Gewicht seiner Vergehungen mindern, und die Gunst höherer Mächte ihm wieder gewinnen. Brunhilden schien, vermöge ihres stillen, Gott ergebenen Sinnes das Loos zu gefallen, das er ihr erwählt [19] hatte, denn ihre Neigung zog sie mehr in das Verborgene einer ungestörten Einsamkeit, als in das Geräusch der Welt, das nur in Mißtönen zu ihrem Herzen sprach. Als er ihr daher bekannte, daß sein unruhiges Gewissen Erleichterung finden werde in dem Opfer ihrer jugendlichen Freiheit, gelobte sie freudig, es ihm zu bringen, und seitdem zog sie noch strenger ihr frommes Auge von dem wüsten Treiben der Erde ab, um es empor zum Himmel zu richten, dem sie sich widmete.

Doch sie hatte noch nicht geahnet, welche Fähigkeit der tiefsten Empfindung in ihrem Busen schlummerte. Der Liebe Regungen waren ihr fremd geblieben, wie der Hauch balsamischer Frühlingsluft der Blume, die im Zimmer hinter kalten Glasscheiben sich entfaltet, und keinen von allen den Rittern am Hofe ihres Vaters hatte sie in einer höheren Beziehung erblickt, als gleichgültige Diener zum Range ihrer Fürstin haben.

Da erschien Burckhardt von Wädischwyl – die erste, frische Jugendblüthe mit dem Ernst des Mannes, die Milde himmlischer Sanftmuth mit der Kraft des Helden in sich vereinend. Der Antheil, den der Herzog an seinem Vater genommen hatte, ging schnell auf den Sohn über, dessen Anblick jedes Auge, dessen Rede jedes Herz bestach, und als er ihn hinführte zu Brunhilden, ihn als den Sohn seines trautesten Jugendgenossen ihr darzustellen, und des Jünglings Blick strahlend, und doch so bescheiden, in ihre Seele drang – da verwandelte sich plötzlich die Ansicht der Welt in ihrem Innersten; da schwanden [20] Kloster und Schleier aus dem Bilde ihrer Zukunft, und sie fühlte die Ueberzeugung, daß auch das irdische Leben zarte, heilige Bande habe, die – einem Zaubergewebe gleich – leise und lieblich sie umstrickten.

Auch auf den jungen Ritter machte ihre Schönheit, und der reine Adel ihres Gemüths, der so unverkennbar aus jedem ihrer Züge hervorschimmerte, einen schnellen, und unauslöschlichen Eindruck. Sehnend hing sein Auge an ihren anmuthsvollen Bewegungen, wenn sie sittsam an ihm vorüberwandelte – schmachtend lauschte er auf den Ton ihrer Stimme, der wie Melodie ihm erklang – finster umwölkte sich seine Stirn, wenn sie aus den Sälen ihres Vaters sich zurückzog in ihr einsames Gemach, wohin nur zu oft und zu störend für ihre Ruhe sein Bild ihr folgte. Jeden Tag wollte er von dannen, zu erfüllen, was er seiner sterbenden Mutter versprochen hatte, und doch hielt ihn so süß, so allmächtig die Nähe der Geliebten, in der er sich so wonnevoll berauschte.

Endlich ermannte er sich, und beschloß, sich loszureißen, möge es dem blutenden Herzen auch kosten, was es wolle, denn hoch und unerreichbar, wie ihre Vollkommenheit sie über alle ihres Geschlechts erhob, stand sie auch als Tochter eines Fürsten, und als Gott geweihte Jungfrau vor ihm, wenn seine glühenden Wünsche mit einer Möglichkeit ihres Besitzes ihm schmeichelten.

Des Herzogs Blick, durch Erfahrung geschärft, hatte längst das Geheimniß ergründet, das Brunhilde[21] seufzend in ihrem Busen nährte, und das Burckhardt von Wädischwyl vergebens hinter eherner Festigkeit zu verbergen suchte. Auch über Unspunnens ödes, kinderloses Alter quälte ihn mancher Vorwurf seines Innern, denn sein Leichtsinn war's, der Idas Entführung einst begünstigte, und der späterhin der Verzweiflung des beraubten Vaters Hohn sprach. Könnt' ich auch hier wieder gut machen, was kein Gold der Erde ersetzt, sprach er nachdenkend zu sich selbst – könnt ich in Brunhilden ihm eine Tochter schenken, die – indem sie ihm wurde, was sie mir stets war – das Leid der Vergangenheit durch eine freudige Zukunft ihm vergessen machte – ach, so müßte der Himmel eben so wohlgefällig mir lächeln, als wenn ihre Jugend im Kloster, unter einsamen Gebeten verwelkt – im Kloster, wo sie jetzt der Andacht doch nur ein getheiltes Herz entgegen bringt.

Er hatte den Jüngling geprüft und fand ihn werth des theuersten Kleinods, das er besaß, daher reifte leise der Entschluß in ihm, die Liebenden zu beglücken; und als des Scheidens bange Stunde kam, und Wädischwyl mit mühsam unterdrücktem Schmerze Brunhilden nahete, ihr sein Lebewohl zu sagen – als seine Lippen stammelten, und, aller Anstrengung spottend, die umsonst bekämpfte Wehmuth eine heiße Thräne über seine Wangen jagte – – als auch Brunhilde stumm, blaß und bebend die Kraft nicht in sich fand, ein Wort des Abschieds leise ihm zu flüstern – als er schweigend ihre Hand ergriff, sie innig drückte und sich abwandte, um rasch [22] hinaus zu stürzen – da faßte der Herzog die sinkende Tochter auf, deren Lebenskraft in bleicher Ohnmacht erlosch, und er rief den Ritter zurück, und legte die Bewustlose an sein Herz, indem er sprach: nimm sie hin, und halte sie hoch als das theuerste Gut, das der Himmel dem Manne gewährt, als Dein Weib, und die treue Gefährtin Deiner künftigen Freuden und Leiden. –

Sprachlos starrte Wädischwyl ihn an, doch er begriff schnell, was er nicht kühn genug gewesen war, zu hoffen. Er hatte nur Thränen, keine Worte. In der Fülle des Entzückens, und in den Vorschmack seines Glücks verlohren, drückte er die holde Braut an seine Brust, und erwärmte ihre kalten Lippen mit dem ersten, schüchternen Kuß der Liebe.

Als Brunhilde die schönen Augen wieder öffnete, und sich von den Armen ihres Geliebten umschlossen sah, erröthete sie voll süßen Schreckens, und glaubte zu träumen. Doch ihr Vater legte segnend seine Hand auf ihr Haupt, und heiligte die Wonne, die ihr Herz durchschauerte. Aber bald erinnerte sie sich schmerzlich, dem Kloster geweiht zu seyn. Geh, sprach der Herzog, und löse Dein Gelübde, indem Du den Feind mir versöhnst, und durch kindliche Zärtlichkeit ihm ersetzest, was er durch mich verlohr. In Pilgerkleidern beginne mit Deinem Verlobten die Wallfahrt zu dem verlassenen, beleidigten Greis, und wenn Ihr, seines Alters schonend, Euch entdeckt habt, und er Dich aufnimmt als die Braut seines Enkels, dann will ich ein Kloster erbauen, und mit reiche. Stiftungen versehen, wo fromme [23] Jungfrauen an Deiner Statt dem Himmel dienen, und ihn bitten sollen, mir meine Sünden zu verzeihen.

Burckhard von Unspunnen lauschte gerührt der Rede, die dies alles ihm verkündete, dann zog er seinen Enkel an sein Herz, und erkannte ihn freudig an als ein Vermächtniß seiner Ida, das ihm heilig war. Zagend stand Brunhilde in einiger Entfernung, und harrete bange erzitternd seines Winkes. Dein Vater hat es bös mit mir gemeint, doch um der Tochter willen sey ihm verziehen! sagte der Alte endlich in tiefer Bewegung, und schloß auch sie in seine Arme. Auch gereut' es ihn niemahls, denn sie machte durch kindliche Ergebenheit und Sorgfalt wieder gut, was der Herzog an ihm verschuldet hatte, und sein trüber, stürmischer Lebenstag ging fortan im Kreis der Seinen in einen heiteren Abend über.

[24]

Die Erscheinung

Eine alte Tradition, in mehreren Urkunden der Vorzeit, jedoch abweichend von einander, und namentlich von Becherer noch in seiner Thüringschen Chronik erwähnt, gab mir den Stoff zu dieser Erzählung. Die Sage behauptet, daß die fromme Stiftung, wodurch Rheinswiga die Asche ihres Gatten zu heiligen, und seine Seele aus der Pein des Fegefeuers zu erretten suchte, das St. Nicolai Kloster gewesen sey, das früher auf dem St. Petersberge bei Eisenach gelegen war. Dort soll sie in stiller Andacht und Treue, in Almosenspenden und Seelenmessen bis an ihr Ende verharret, und dem von unstäten Qualen umhergetriebenen Geist ihres Gemahls endlich durch ihr anhaltendes Gebet Ruhe im Grabe verschafft haben.

Später wurde im Jahre 1140 dies Kloster durch Adelheid, Landgraf Ludwigs in Thüringen [25] Tochter, Enkelin Ludwigs des Springers, erweitert, nach Eisenach versetzt, und von ihr als Aebtissin bis an ihren Tod bewohnt.


Es herrschte einst ein mächtiger König in Albion in der Blüthe seiner männlichen Jahre, als der Tod ihm unvermuthet erschien, ihn hinweg zu führen aus dem Kreis der Lebendigen.

Ungern schied er daraus, denn sein Sinn hing an den Freuden der Welt, die gleich einem einzigen Kranze ihn mit allem umgaben, was das irdische Daseyn schmückt, und die schönste Blüthe desselben war Rheinswiga, seine Gattin, deren Huld und eheliche Liebe sich nur würdig mit ihr selber vergleichen ließ.

Vom Schmerz seines drohenden Verlustes wie von den Krallen der Verzweiflung ergriffen, beschwor sie vergebens die finsteren Mächte, ihr Leben als Opfer für das seinige anzunehmen. Denn aus der verhängnißvollen Urne, die die Schicksale der Sterblichen bestimmt, war das schönere Loos ihm gefallen, von der Geliebten beweint, leise dahin zu schlummern in jene bessere Welt, und ihr wurde das schrecklichere zu Theil: ihn verlieren und überleben zu müssen.

Als nun die erste Heftigkeit ihrer Betrübniß allmählig in mildere Wehmuth sich verlohr, und sie ihr Auge nicht mehr starr und unbeweglich in die [26] Tiefe seines Grabes senkte, sondern sie von lindernden Thränen erschöpft, Trost suchend es zum Himmel erhob, da flüsterte eine innere Stimme ihr zu, daß es doch noch ein Band gebe, sie auch getrennt von dem geliebten Gemahl auf ewig mit ihm zu vereinigen. Die Todtenfeier nemlich und die Treue, mit der sie sein Andenken ehre, bis ihr selbst die heiß gewünschte Stunde schlage, die ihren zarten Lebensfaden lösen werde, um ihn wiederum mit dem seinigen in einer besseren Welt zu verknüpfen.

Da berief sie ihre Diener und Frauen zusammen, deren Anblik sie lange in ihrer Einsamkeit gemieden hatte, und indem sie unter sie trat, umwallt vom dunklen Wittwenschleier, wie der bleiche Mond vom nächtlichen Gewölk, blickte sie schmerzlich lächelnd, obwohl mit weinenden Augen auf sie nieder, und sprach:

Ihr Getreuen, die Ihr meinen Kummer theilt, theilt auch das Mittel mit mir, das ihn zu lindern vermag. Viel – ja Alles hat das Schicksal mir genommen, denn wer seiner Liebe Glück verlor, dem ist fortan das Leben öde, wie eine Wüste, in der der Quell der Hoffnung und der Freude versiegt ist. Und doch muß ich die unsichtbare Macht verehren, die mein Herz zerriß, denn ihre Rathschlüsse kommen von oben, und eine höhere Weisheit lenkt jeden unserer Schritte auf dieser irdischen Dornenbahn. Daher beuge ich mich in demüthiger Unterwerfung unter die Hand, die mir so unheilbare Wunden schlug, aber ich hoffe, ewiger Schmerz, und nie zu stillende Trauer werde mir als einem schwachen Weibe gestattet [27] seyn, und die Gottheit nicht als Murren gegen ihren heiligen Willen beleidigen. Um nun nicht mit meinen unfruchtbaren Thränen bloß die Gruft des Geliebten zu benetzen, habe ich Euch zusammenberufen, um mich mit Euch zu einer würdigen Feier seines Todes zu vereinigen. Diese Lampe die ich ihm zum immerwährender Gedächtniß stifte, soll mich vierzig Tage und vierzig Nächte an seinem Grabe knien sehen, und nur wenn die Schwäche der Natur durch einen kurzen Schlummer unwillkührlich mein Auge schließt, oder karge Fastenspeise meine Lippen netzt, weil leider der sterbliche Mensch der Nahrung bedarf, nur dann sollen die Gebete unterbrochen werden, durch die ich den Himmel um die Ruhe seiner Seele beschwören will.

Und Ihr, meine Getreuen! Ihr sollet mich geleiten auf diesem ernsten Gange, und mit mir beten diese erste Nacht, und dann zurück gehen, um Allmosen auszuspenden an Arme und Verlassene, damit ihr Flehen im Geräuch der Welt sich mit dem meinigen in der Einsamkeit vereine.

Also sprach die Königinn, und Alle knieten vor ihr nieder mit tief bewegtem Gemüth, und baten, nicht nur diese eine Nacht, sondern während der ganzen, von ihrer treuen Zärtlichkeit bestimmten Zeit ihr betend zur Seite seyn zu dürfen; aber sie lehnte es ab mit sanften, jedoch ernsten Worten, und es blieb daher ihrem bereitwilligen Gefolge nichts übrig, als der Herrin zu gehorchen.

Als nun der Abend dämmerte, ergriff sie die Lampe, die bis dahin fromme Priester geweiht hatten[28] durch Segen und Gebet, und wandelte still, wie ein seliger Geist durch die Hallen ihres Schlosses der Schaar ihrer Diener voran, bis sie die Pforte des Grabgewölbes erreichten, in welchem die Gebeine ihres Herrn ruhten. Jeder ihrer Begleiter trug ein Fackel in der Hand, unter deren wehenden Flammen das stille Licht der Lampe gleich einem blassen Mondstrahl, der eine Feuersbrunst beleuchtet, seinen silbernen Schein verbreitete, und als sie der Gruft nahe waren, winkte Rheinswiga den übrigen schweigend, in einiger Entfernung zurück zu bleiben, knieete auf die Stufen des Grabmals nieder, und blieb liegen allda in stummer Trauer, bis der Hahnenruf ihr die Morgendämmerung verkündete, und sie sich erhob, um ihr Gefolg zu entlassen.

Traurig überließen ihre Getreuen sie der grauenvollen Einsamkeit, und ehrten durch stummen Gehorsam den fest ausgesprochenen Willen der Königin, die, als sie sich allein sah, ihren Thränen und Seufzern nicht mehr wehrte. Ach – die Krone war ihrem Haupte verblieben – aber den Aehrenkranz des häuslichen Glücks, die Myrthen zarter Liebe hatte das Schicksal ihr entblättert, und wie ein dunkler Strom, durch keinen Sonnenstrahl mehr erhellt, zog das Leben mit seiner untergegangenen Glorie in kalten Wellen ihrem müden Blick vorüber.

Da, als die dritte Mitternacht begann, drückte zuerst ein leiser Schlummer ihr das matte Auge zu, und knieend, ihr Haupt auf dem weißen Marmor des Grabes gestützt, schwand ihr Bewustseyn in wunderbar[29] verworrenen Träumen dahin, und überirdische Hoffnungen mischten sich in ihren Schmerz, so wie zuweilen, von den Engeln gesendet, Ahnungen himmlischen Glücks die Macht der Schwermuth lindern.

Da war's, als ob ein leiser Ton an ihrem Ohr vorüber schwirre, gleich dem Winde, der die Saiten der Harfe melodisch durchstreift, und ein stärkeres Klingen folgte nach, wie wenn Waffen sich berühren. Doch nicht rauh war der Ton, und nicht ungestüm wurde sie durch ihn aus ihrem kurzen Schlummer ermuntert.

Sie richtete sich auf, und blickte umher, aber alles war still, und sie vermeinte nur geträumt zu haben, als sie über sich einen grauen Duft gewahrte, gleich einer Wolke gestaltet. Ist's der Athem der Lampe, der sich so wunderbar gesammelt hat, dachte sie, oder dringen die Nebel der Frühe herein, die draußen über dem Meere duften – oder will ein Blendwerk mich vielleicht irre leiten in dem heiligen Berufe, den ich übe? – Sie schlug ein Kreuz an ihrer Brust, und zwang das erschrockene Auge fest und immer fester auf der Wolke zu verweilen, die sich leise niedersenkte, und menschliche Bildung annahm, aus der nach und nach die erblaßten Züge ihres Gatten sich entwickelten.

Dieser Anblick, statt ihr Entsetzen zu vermehren, durchschauerte nur durch die Wallungen einer frommen, hoffnungsvollen Freude ihr Herz bei'm Wiedersehen des Heißgeliebten. Denn sie wähnte, der Himmel habe ihn ihren Gebeten wiedergegeben. [30] Hoch aufathmend, wollte sie ihm nahen, und den Erstandenen an ihre Brust ziehen, aber wie der Hauch der Frühlingsluft entschwand er seufzend ihren Armen, und blieb vor ihr stehen, ein bleiches Dunstbild, nicht mehr dem Leben angehörend.

Da sträubte Schauder ihr Haar, und von grauenvollem Beben ergriffen, trat sie zurück, und rief Gott und seine Heiligen um Schirm und Schutz in dieser bänglichen Stunde an. Zittere nicht, Rheinswiga! ertönte eine dumpfe Stimme, zittere nicht, es ist kein Trugbild der Hölle, das Dich zu ängstigen Dir naht – es ist mein Geist, dem Deine treue Liebe vergebens Ruh im Grabe zu erbeten trachtet. Das Flehen reiner Unschuld beschwört selbst die himmlischen Mächte, und so ist es Dir gelungen, den Bann zu lösen, der jenseits des Meeres mich zur Strafe meiner Sünden in den Schoos eines öden Gebirges versenkte. Doch nicht, um mir bereits den Eingang zu jenem heiß ersehnten, ewigen Frieden zu eröffnen, der nur frommen, und Gott versöhnten Dahingeschiedenen zu Theil wird – sondern damit ich Dir die Stelle nur nenne, an die ich in steter Qual gefesselt bin, und damit dort Dein andächtiges Streben mir Linderung bringe – wenn ich sie auch nicht verdiene.

Nicht ohne schmerzliche Wehmuth vernahm Rheinswiga diese Worte, die wie aus einer Jammerbeladenen Brust zu ihrem Ohr drangen. Welch schweres Verbrechen sollte wohl Euer Gewissen belasten, mein theurer Herr, entgegnete sie, da Ihr doch im Leben der treueste Freund, der liebevollste Gatte, [31] der großmüthigste Herrscher über Eure Unterthanen waret? – Ihr habt nichts als Seegen neben der bitteren Trauer über Euren Verlust hinterlassen. Und hätte auch die Unvollkommenheit, die eine Bedingung unseres irdischen Wandels ist, in sündhaften Gedanken den reinen Spiegel Eurer Seele befleckt – die Beichte, der Ihr so oft Euer Herz erschlosset, würde ihn ja längst wieder ausgehellt haben, wie sie selbst in der Todesstunde Euch zu beruhigen schien.

Traurig schüttelte der königliche Schatten das Haupt. Wohl, sprach er, erleichtert die Beichte sündhaft beschwerte Gemüther von ihrer Bürde, wenn der Mensch frei in ihr und ohne Verstellung sein Innerstes enthüllt. Allein wie das ätzende Gift einer eiternden Wunde, dem der Ausfluß verwehrt ist, tiefer unter sich frißt, und allmählig jede Kraft der besseren Säfte zernagt, bis der Körper dahin sinkt in gräßlicher Zerstörung, so auch verstärkt Falschheit gegen Gott und seine Diener jedes Vergehen, bis zu spät die Reue aufwacht, und Verzweiflung das Gemüth in einen bodenlosen Abgrund hinab stürzt. Falsche Scham hielt mich zurück, mein Verbrechen zu bekennen, und ich meinte lange, wenn ich es aller Welt verschwiege, auch selbst dem Priester gegen über, der an des Ewigen Statt es nur zu verzeihen vermochte, es könne dadurch gleichsam ungeschehen aus der Reihe wirklich da gewesener Dinge verschwinden. So starb ich dahin, verstockt und unversöhnt mit dem Himmel, und jetzt, von ewiger Pein gefoltert, soll eine zwiefach schmerzliche Buße, als [32] mir im Leben hätte werden können, meine Strafe seyn, indem ich Dir, Du Reine, bekenne, wie unwerth ich Deiner Liebe war.

Grausend rieselte ein Fieberfrost durch Rheinswigas zarte Glieder, und in banger Erwartung, was sie vernehmen werde, verharrte sie in ihrem Schweigen.

So höre denn, fuhr der König fort, wie ich Dein Vertrauen betrog, und in schrecklicher Verirrung meiner Sinne den Fluch des Meineids über mich brachte.Liebe hatte unseren Bund geknüpft, und Jahre vergingen, ohne daß selbst in meinen leisesten Gedanken, Treue, diese ihre himmlische Stüzze in mir wankte. In frevelhaftem Uebermuth glaubt' ich mich, von Deinem Bilde erfüllt, über jede Versuchung erhaben, und statt der Gefahr auszuweichen, oder mich mit Verachtung von ihr abzuwenden, bot ich ihr überall keck die Stirne, und meinte in kühner Verblendung, ich sey unverführbar, wie der Felsen im Meere selbst der rauschendsten Brandung trotzt. Keine der Frauen und Jungfrauen, die Dich umgaben, wie eine Glorie von Strahlen die Sonne umgiebt, machte Eindruck auf mich – ich sah nur Dich, die sie alle überglänzte, und die durch den unvergänglichen Werth ihres Herzens mit jedem Tage mir theurer ward. Da überraschte mich einst auf der Jagd, in öder Wildniß, ein Weib – – oder war's ein höllisches Gespenst, von einem arglistigen Teufel abgesandt, um mich zu demüthigen in dem Glauben an meine Unfehlbarkeit, und mich so tief zu beugen, als thörichter Stolz [33] mich erhoben hatte. Verrätherisch vergaß ich in diesem Augenblik das Gelübde meiner ehelichen Treue, Deine himmlische Liebe, die mich so lauter beglückte, mich selbst – – und von zügelloser Leidenschaft hingerissen, brach ich den Eid, mit dem Herz und Sinn Dir zugeschworen hatte, Dir allein anzugehören. – –

Da zog Rheinswiga den Schleier über ihr erröthendes Angesicht, und obgleich verhüllt durch ihn, senkte sie dennoch sittig das Auge, das mit glühenden Thränen sich netzte – zu reden aber vermochte sie nicht.

Als ich aus dem wilden Rausche dieser lasterhaften Trunkenheit wieder zu mir kam, sprach der König weiter, bemächtigten sich Schaam und Reue, den Furien gleich, meines Innern. Verzweiflungsvoll überdacht' ich die ganze Größe meiner Schuld, doch, wie selten ein Laster allein bleibt, sondern gewöhnlich wuchernd sich vervielfältigt in der Seele, die ihm Raum gab, so wandte sich der brennende Unmuth, der mir gegen mich selbst geziemte, gegen die Verführte, die ich als Verführerin betrachtete, und indem ich in der Empörung meines rasenden Zorns mein Schwerdt ihr durchs Herz stieß, gesellt' ich zu der schweren Sünde, die ich begangen, auch noch die Sünde der Mordthat.

Seitdem vermochte reine Freude, wie ich siesonst empfunden, nicht mehr meine starre Brust zu erwärmen, aber Dich, Rheinswiga! liebt' ich inniger noch, als vorher, denn Schmerz und innerer Vorwurf machten mein Gefühl für Dich nur noch ehrfurchtsvoller [34] und lebendiger, und in Deiner engelgleichen Lauterkeit, in dem kindlichen Vertrauen, mit dem Du immer liebender Dich an mich Unwürdigen anschlossest, erblickt' ich Dich wie ein höheres Wesen über mir, eines tadellosen Gatten werth.

Oft drängt' es mich, zu Deinen Füßen das schreckliche Geständniß meiner Unthat Dir auszusprechen, um vielleicht Deine Vergebung als milden Balsam auf die nimmer heilende Wunde meines Gewissens zu empfangen. Aber die Furcht, dadurch wahrscheinlich auf immer den schönen Frieden Deiner Seele zu zerstören, Dein Vertrauen, Deine Achtung, Deine Liebe zu verlieren, war noch stärker in mir, als das Verlangen, durch diese herbste aller Selbstzüchtigungen vielleicht den Zorn des Himmels zu versöhnen.

So bemüht' ich mich denn, zu vergessen, und ohne selbst in meiner Todesstunde es zu beichten, nahm ich das Bewustseyn meiner Schuld mit hinüber in jenes dunkle Land, dessen Pforte das Grab ist, wo die Vergeltung mit gerechter Wage unserer wartet. Da fiel mir das Loos, schwer zu ertragen, und doch vielleicht noch zu gelinde für die Größe meiner Sünden, von Deutschlands wilden Wäldern umrauscht, in dem klippenvollen Schoos des Hörselbergs bey Eisenach, die Qualen des Fegefeuers ohne Linderung zu dulden, bis frommes Mitleid, ach, das ich von Dir kaum zu hoffen wage, an der Stelle, wo ich leide, eine der Buße geweihte Capelle errichten, und durch Seelenmessen und Werke [35] der Mildthätigkeit die Verzeihung des Himmels auf mein schuldiges Haupt herabflehen wird.

Es ziemt mir nicht, Euch zu richten, wohl aber, Euch zu verzeihen, mein theurer Herr! entgegnete endlich Rheinswiga, muthig der Liebe den Schmerz zum Opfer bringend, der ihre zarte Brust zerriß, und sich aufrichtend in dem Gefühl, auch nach dem Tode, und nach diesem Bekenntniß noch, das bitterer als der Tod war, ihm ihre unwandelbare Neigung beweisen zu können. Wenn menschliches Streben Eure Pein zu lindern vermag, o so rechnet fest darauf, daß die Liebe Eures Weibes nimmer ermüden wird, und daß alle Tage meiner Zukunft, so viele mir Gott auch zuzählt, nur Euch, der Trauer um Euren Verlust, und dem Gebet für die Ruhe Eurer Seele geweiht seyn sollen.

Da kündigte der Ruf der Hähne den Morgen an, und der Geist des Geliebten zerfloß wie Luft vor ihren Blicken. Und als es Tag ward, berief Rheinswiga ihre Getreuen, und ordnete alles an, was der ewige Abschied erforderte, den sie von ihrem väterlichen Eiland zu nehmen entschlossen war. Und in stiller Demuth zog sie hin über's Meer, und suchte die Stätte auf, die der König ihr bezeichnet hatte, wo sie Wort hielt, und durch ihre Frömmigkeit endlich den Himmel mit seiner Schuld versöhnte.

[36]

Das Kreuz von Granit
Eine schwedische Sage.

An den Küsten des Wenersees, im Herzen Schwedens, lebte ein friedliches Fischervolk, das sich durch seine Netze ernährte, und in frommer Einfalt, unbekannt mit dem Geräusch und den Lastern der großen Welt seine einsamen Tage verrinnen sah.

Die Natur lohnet es dem Menschen immer, der ihrer Leitung sich überläßt, und mit den stillen Freuden sich begnügt, die er an ihrem Busen findet. Blühende Gesundheit und Stärke war daher das Erbtheil, das diese Küstenbewohner von ihren Vätern empfingen, um es wieder ihren Kindern zu übertragen, und – obgleich kein anderer Spiegel, als die reinen Fluthen ihres See's ihre Reitze ihnen zurückstrahlte, so war doch als liebliche Zugabe, Schönheit, diese Tochter des Himmels, insbesondere dem weiblichen Geschlecht verliehen, und die Mädchen und Frauen glichen in ihrer tiefen Verborgenheit einem blühenden Blumenbeet, von steilen [37] Mauern umgränzt, und nur den Blicken der Sonne zugänglich, an denen sich ihre einsamen Kelche erschlossen.

Es mußte daher wohl ein ungewöhnlicher Reichthum an Anmuth seyn, welcher Thyra unter ihren Gespielinnen so auszeichnete, wie die duftende Rose in jugendlicher Pracht über niedere Wiesenblumen sich erhebt. Wenn sie unter ihnen wandelte, so war's, als bewege sich eine Göttin im Gefolge ihrer Nimphen, und wenn sie mit ihnen die wirthlichen Arbeiten des Hauses theilte, so wurde auch das niedrigste Geschäft durch die Art, wie sie es verrichtete, geadelt, und es schien, als empfänden selbst leblose Gegenstände den Zauber ihrer Lieblichkeit, denn alles fügte sich leicht, und ohne Widerstreben unter ihre ordnende Hand, die eben so geübt in der Spindel und Nadel, als in jeder häuslichen Beschäftigung war. Mild und freundlich gegen Jedermann war sie in holder Demuth sich ihrer Vorzüge nicht bewußt, und glaubte nur ihre Pflicht zu erfüllen, wenn sie allgemein, und mit Recht als das Muster jeder weiblichen Tugend, und insbesondere noch der kindlichen Liebe galt. Denn sie pflegte Ebba, ihrer Mutter, welche früh Wittwe geworden war, mit einer Sorgfalt und Innigkeit, daß diese durch das Glück, ein solches Kind zu haben, selbst die Trauer um den Verlust des geliebten Gatten gelindert fühlte.

Es war daher kein Wunder, daß Thyra, deren Anblik jedem Auge gefiel, deren Wandel jedes Gemüth erbaute, schon ehe die Knospe ihrer Jugendschönheit[38] sich zur vollen Blüthe entfaltet hatte, das Ziel der Sehnsucht manches Jünglings war, der sie zu besitzen wünschte. Auch entschied ihre Neigung schon frühe, und schloß, indem sie für ihr ganzes Leben wählte, den übrigen Kreis ihrer Bewerber, wollten sie sich nicht in Freunde umgestalten, von ihrer sittsamen Nähe aus. Garnim, einer der edelsten Jünglinge, schön und blühend in unentweihter jugendlicher Kraft, ward ihr Verlobter, und der Tag nahete bereits heran, der sie auf ewig verbinden sollte.

Thyra fühlte ganz die Seeligkeit, welche die Zukunft in den Armen des Geliebten ihr versprach. Aber nicht zu lauter Freude, nicht zu geräuschvollen Ausbrüchen des Entzückens war ihre sanfte Seele gestimmt. Nach Einsamkeit dürstend, suchte sie jetzt mehr als je die Stille der verschwiegenen Felsenklüfte, der Fichtenwälder auf, in denen nur das Säuseln der Luft, gleich leisen Seufzern der Liebe sich regte. Da saß sie oft, um unbelauscht von fremden Blicken ihren Träumen und Ahnungen sich hinzugeben. Süß erbebte dann ihr Busen in bräutlichem Vorgefühl, und manchmal warf sie sich nieder im frommen Gebet, den Himmel um seinen Beistand anzurufen, daß sie rein, wie sie ihr Daseyn begonnen, es auch zu enden vermöge, für Alle ein Quell des Seegens, für Garnim und ihre Mutter der Inbegriff jeglichen Glücks.

Trat sie dann hervor nach solchen Stunden der Weihe, sich den Ihrigen wieder zuzugesellen, und in erhöhter Thätigkeit sie für den Verlust der ihnen [39] entzogenen Zeit zu entschädigen, so schien die Erfüllung ihres Gebets ihr schönes Haupt zu verklären. Mit fast überirdischer Lust schaute der Bräutigam sie an, und jeder Blick der Mutter drückte Dank zu Gott aus, daß er die höchste aller Gaben ihr in dieser Tochter verliehen, während Nachbarn, gute Bekannte und Freunde sich liebevoll hinzudrängten, sich im Glanze ihrer himmlischen Milde und Freundlichkeit gleichsam zu sonnen.

Zwischen den Felsen, an deren dunkle Reihe sich ihre Wohnungen anlehnten, als wollten sich die leicht zu zerstörenden Hütten in ihren mächtigen Schutz vor den oft tobenden Stürmen begeben, wand sich ein einsamer Weg durch eine enge Schlucht in ein kleines Thal, wo in einer von der Natur geformten Grotte eine herrliche Quelle entsprang. Etwas entlegen war der Gang dahin und näher andere Quellen, wenn auch nicht so lauter. Daher füllten nicht täglich die Mägdlein und Frauen dort ihre Krüge, wo dem Kristall gleich, in nimmer ermattender Frische der helle Brunnen rann. Nur Thyra achtete niemals der größeren Mühe, da grössere Erquickung, wie sie wußte, aus seinen reinen Fluthen die Ihrigen labte. Täglich ging sie, aus ihm zu schöpfen, und fühlte sich oft gar wunderbar festgehalten dort, wo sie so gern verweilte, in der dämmerden Kühle des Felsengewölbes sich ausruhend und in süße Träume der Zukunft versinkend, die die Einsamkeit rings um sie her so begünstigte. Dicht neben dem Wasserstrahl, der durch den dunklen Granit [40] sich seine Bahn brach, und in ein breites Becken sich ergoß, lag ein Felsenblock, mit zartem Moos bewachsen, der ihr als Ruhebank diente. Oefters, wenn des Mittags Schwüle sie drückte, hatte hier ein kurzer Schlummer ihr müdes Auge geschlossen, und sie mit neuen Kräften ausgerüstet. Sonderbare Traumgestalten webten sich alsdann wohl manchmal vor ihren Sinn, und versetzten sie in eine unbekannte Welt, deren Bilder noch dann vor ihrer Seele standen, wenn sie sich schon wieder ermuntert hatte, um in die Geschäfte und Freuden des wirklichen Lebens zurückzukehren. Daher war diese Stelle ihr bedeutungsvoll und lieb – das Flüstern des Quelles sprach so harmonisch zu ihrem Herzen – der tiefe Schatten der Grotte, und die von der steten Bewegung des Wassers immer erfrischte Luft schnitt, wenn sie an heißen Sommertagen hineintrat, sie auf eine so ernste und feyerliche Weise von der sonnigen Aussenwelt ab, daß ihr dann zuweilen war, als wehe die leise Annäherung höherer Wesen im kühlen Hauche ihr vorüber, und als sey sie über die geheimnißvolle Schwelle hinüber geschritten, die in das Gebiet der Geister führt.

Es war am Vorabend ihres Hochzeitsfestes, wo sie der Sammlung und der sinnigen Einkehr in sich selbst nöthiger als jemahls zu bedürfen glaubte. Das Haus war besorgt, und nach der Sitte des Landes bereits festlich geschmückt, und mit grünen Tannenzweigen bestreut, den lieben Gast zu empfangen, der Morgen an ihrer Hand als Gatte einziehen, und künftig Freud' und Leid mit ihr und ihrer [41] guten Mutter theilen sollte. Denn Garnim wollte ihr zu Gefallen seine eigne Hütte verlassen, um fortan in der ihrigen zu wohnen, da die zärtliche Tochter sich nicht von ihrer Mutter, und diese nicht von der Stätte ihres ehemaligen Glücks zu trennen vermochte.

Er hatte bereits rüstig und behende seine Geräthschaften und Sachen hinüber geschafft, doch der jubelnde Frohsinn, mit dem dies geschah, verletzte heute Thyras feines Gefühl, ohne daß sie sich eigentlich Rechenschaft zu geben wußte, weshalb? Aber ihr dünkte die nahe Entscheidung ihres zeitlichen und ewigen Schicksals des tiefsten Ernstes und der stillen Betrachtung werth, und ob sie gleich eben so fest als Garnim glaubte, daß der Bund, den sie Morgen am Altare mit ihm zu schließen bereit war, ein reines und vollkommenes Glück ihr gewähren werde, so wechselte doch die mädchenhafte Scheu, mit der sie nun in Gedanken von ihrem jungfräulichen Stande Abschied nahm, mit den Schauern einer unerklärbaren, schmachtenden Wehmuth in ihrer Seele ab, daß sie nach Einsamkeit sich sehnte, um sich, wo möglich, selber zu verstehen.

Ob sich daher die Sonne gleich schon zum Untergang neigte, so ergriff sie dennoch entschlossen den Krug, um ihn noch einmahl an ihrer Lieblingsquelle zu füllen. Sie durfte nicht fürchten, daß die Abenddämmerung sich dichter weben, und vielleicht ihren Rückweg gefährden werde. Denn es war im Sommer, wo in ihrem Vaterlande die liebliche Abendröthe so lange am heiteren Himmel fortglimmt, bis [42] das Morgenroth den Osten färbt, und durch neue Gluten sie verdrängt. Deshalb wies sie, seltsam erschüttert, und fast geängstet von Garnims lieberfüllten Blicken ihn sanft zurück, als er sie begleiten wollte, und bat ihn, sie heute eine Stunde ruhig allein zu lassen. Bescheiden trat der Jüngling, der seine Verlobte eben so innig zu ehren als zu lieben wußte, zurück, und wagte es nicht einmahl, ihr mit den Augen zu folgen.

Aus dem Spiegel des See's, an dessen Ufer sie gedankenvoll dahin schritt, strahlte der Himmel gleichsam verdoppelt durch den schnellen Wiederschein der unmerklich sich regenden Wasserfläche hervor. Kein Lüftchen, nur dann und wann die schnalzende Bewegung einzelner Fische kräuselte in weiten, langsam sich verlierenden Ringen das blaue Gewässer, von der scheidenden Sonne vergoldet. Thyra blieb lange stehen, und überschaute mit Sehnsucht im Blick und in der Seele die ruhige Fluth, und die Küsten, von denen sie umschlossen war, und die jenseits die Entfernung in ihrem undeutlichen Nebel verhüllte. Dann wandte sie sich seufzend ab, als flüstere eine Ahnung des beklommenen Busens ihr zu, sie werde nimmer wieder eines ähnlichen Schauspiels sich erfreuen.

Jetzt schlug sie, immer tiefer in Gedanken versinkend, den Krug auf ihrem Haupte tragend, den Felsenweg ein, der zu dem endlichen Ziele ihrer Wanderschaft leitete. So spät hatte sie noch niemals der Quelle sich genaht – aber auch so ermattet und im Innersten ergriffen nimmer sie erreicht. Ein [43] heimliches Säuseln regte sich urplötzlich in den dunklen Fichten, die den Eingang überschatteten, und ein sonderbar melodischer, aber klagender Ton, als habe er sich von den Saiten einer Aeolsharfe regellos gelöst, schwirrte durch die Vertiefungen der Grotte, als sie eintrat, manch schlummerndes Echo zu leisen Klängen weckend.

Verwundert, hier Laute zu vernehmen, wo sonst die feierlichste Stille herrschte, sah sie sich um, den Ursprung derselben zu erforschen. Aber sie gewahrte nichts, und sie verstummten bald nachher sammt jedem schwachen Wiederhalle, der sie verdoppelt und verdreifacht ihrem lauschenden Ohr vorüber gehaucht hatte. Halb zweifelhaft, ob sie sich nicht vielleicht geirrt, ging sie zur Quelle, deren Rauschen heute wie zärtliches Kosen und Flüstern der Liebe ihr däuchte. Sie füllte ihren Krug, und als sie ihn wieder erheben wollte, war er dem müden Arm zu schwer. Sie fühlte ihre Kräfte erschöpft, und sank auf das schwellende Moos ihres gewöhnlichen Ruhesitzes nieder, um sich zu erholen. Da erklangen die Töne wieder harmonisch, wie von fernen Lüften getragen – ihr war, als ob der Duft köstlicher Specereien mit süßem Athem sie umwehe, ihren Sinnen schmeichlend, und mit mystischer Gewalt sie umstrickend – eine unbeschreibliche Müdigkeit senkte sich auf ihre schweren Wimpern, und wie von einem Zauberstab berührt, schloß sich ihr Auge zu festem, unwiderstehlichem Schlummer.

Als sie erwachte, war es tiefe Nacht um sie her. Thyra sprang auf, und rieb die trüben Augen, [44] sich gewaltsam ermunternd. Aber umsonst – sie schaute nichts als dichte Finsterniß, die sie umgab, und die ihr ein Räthsel war. Ungewiß, ob sie das Licht der Sehkraft verloren, oder ob wirklich eine so schwarze Dunkelheit sie umfange, tappte sie ängstlich umher, bis das eintönige Rieseln der Quelle ihr nach langem Besinnen sagte, wo sie sey. Sie strebte, nach der Richtung derselben den Ausgang zu erreichen, und suchte ihn an der Seite, wo er sonst war. Aber kalte, feuchte Felsenwände traten ihr überall starr entgegen, und ob sie gleich mehreremale sorgsam spähend im Kreislauf sich innerhalb der Grotte bewegt hatte, so wollte doch nirgends ein frischerer Luftzug, nirgends ein dämmernder Lichtstrahl ihr die Pforte verkünden, die hinaus ins Freie führte.

Endlich drang aus dem Hintergrunde des Gewölbes ein bleicher Schimmer durch eine der Felsenspalten. Zwar war er kein Bote des Tages, denn bläulich, gleich einer Schwefelflamme, spielte er um die finsteren Umrisse der grotesken Massen, die hier irgend eine Revolution in der Natur in grauer Urwelt einst aufthürmte. Aber Thyra begrüßte ihn dennoch freudig, da er die Hoffnung der Befreiung aus dieser bänglichen Gefangenschaft in ihr erweckte.

Der Schimmer kam näher, und plötzlich wich mit einem seltsamen Klang der Granit aus einander, und eröffnete ihrem staunenden Blick die Aussicht in einen langen, strahlenden Gang, der sich tief in den Schoos des Gebirges erstreckte, und der, aus [45] dem reinsten Bergkrystall bestehend, und glänzend erleuchtet, aus lauter kostbaren Edelgesteinen zusammen gefügt zu seyn schien.

Eine sanfte Harmonie nahete sich, immer vernehmlicher aus der Ferne hervordringend, und dieselben himmlischen Düfte, die schon früher ihre Nerven ergriffen hatten, schwammen berauschend von neuen um sie her. Doch Angst und Schrecken kämpften mit der Gewalt dieser zauberischen Eindrücke, und hielten jene Nüchternheit in ihr fest, die zum richtigen Beobachten so nöthig ist. Als aber Töne und Schimmer sich verstärkten, und ein Jüngling in überirdischer Schönheit, begleitet von zwei lächelnden Genien, welche köstliche Schaalen mit Erfrischungen trugen, vor sie trat, da erbebte sie im Schauer der verschlossenen Wunderwelt, ihre Kraft verließ sie, sie verhüllte ihr geblendetes Angesicht, und sank betäubt zu des Jünglings Füßen nieder.

Doch nicht lange dauerte dieser bewustlose Zustand, als sie sich sanft ins Daseyn zurückgerufen fühlte. Sie fand sich auf weichen Polstern in der Grotte wieder. An jeder Seite des Lagers kniete einer der Genien, hülfreich um sie beschäftigt, und vor ihr stand der Jüngling, den sie nun erst wagte, schüchtern, aber doch fest, ins Auge zu fassen.

Er war von männlicher Größe, aber von seiner Stirn strahlte eine Hoheit, aus seinen Blicken leuchtete eine Verklärung, die den Stempel einer höheren als menschlicher Abkunft trug. Milde Züge, von goldenen Locken wie von einer Glorie umwallt, gewannen ihm ein Zutrauen, das die unverkennbaren [46] Zeichen seiner Geisternatur in stetem Wechsel in Thyras zagendem Busen wieder zerstörten, und schwankend zwischen Furcht und Zuversicht, zwischen Wohlwollen und Abneigung, hob sie bittend ihre Hände zu ihm aus, und bat ihn um ihre Freiheit, deren sie auf eine so unerklärliche Weise beraubt sey.

Nicht Deine Freiheit, versetzte er, fordere von mir, holdes Kind, aber alles, was für ihren Verlust Dich entschädigen kann. Längst hab ich mich mit Wohlgefallen an Deinem Anblick geweidet, wenn Du kamst, in sittsamer Anmuth Wasser in meiner Grotte zu schöpfen. Je öfterer ich Dich sah, je süßer ward mir Deine Nähe, und manchmal hab' ich unsichtbar neben Dir gestanden, Dir Kühlung zuzuwehen, oder Deinen Schlummer zu bewachen, wenn Du hier niedersankst, von den Mühen des Tages ermüdet. Wie schmerzte es mich dann, Dich unter dem Drucke der Armuth und der Dienstbarkeit zu wissen, Dich, die zu herrschen verdient, und die künftig Niemanden mehr unterwürfig seyn soll, als – der Liebe. Ja, Dich unter allen Deinen Gespielinnen allein wünscht' ich mir stets zur Gefärthin meines unterirdischen Lebens. Und doch wollte nimmer die Stunde schlagen, in der ich Dir verkünden durfte, daß ich Dich liebe. Denn nur, wer sich nach Sonnenuntergang in mein Gebiet verirrt, räumt mir die Macht ein, ihm sichtbar zu erscheinen, und begiebt sich in meine Gewalt. Wenn der Abendthau die Fluren benetzt, und der Mond durch die dämmernden Wolken bricht, dann eilen wohl Sterbliche zur Ruhe, aber dann beginnt erst [47] die Zeit meiner Thätigkeit und Kraft. Denn mein Reich ist nicht ein Reich des Tages, sondern dunkel wie die Nacht, in der ich das eigentliche Element meines Daseyns finde.

Wer bist Du, Furchtbarer? unterbrach ihn Thyra schaudernd, und mit welchem Rechte darfst Du mich zurückhalten, wenn ich zu den Meinigen begehre?

Mit dem Recht des Stärkeren, entgegnete der Jüngling lächelnd, oder – wenn Du freundlich seyn willst – mit dem Recht, das mir die Liebe giebt, das Du aber durch Gegenliebe heiligen mußt. Du siehst in mir den König der Berggeister, der bereit ist, nicht nur seinen Thron, sondern auch seine Unsterblichkeit mit Dir zu theilen. Zwar weiß ich, daß sich Dein Herz nicht mehr frei glaubt – aber ich betrachte Deine Wahl als ein Werk der Beschränkung, die Dich in ihren Fesseln hielt, und segne den Zufall, der Dich kurz vor dem Augenblick, wo ich Dich auf ewig verlieren sollte, in meine Arme führt. Da wirst Du bald Deiner thörichten Neigung wie eines dumpfen Traumes vergessen, aus dem der helle Morgen Dich weckte, und im Glanz Deiner Zukunft soll Dir das Schattenbild einer dürftigen Vergangenheit untergehen.

Thyra fühlte sich durch diese Worte im Innersten beleidigt und gekränkt. Daß man an ihrer Treue gegen den Geliebten zweifeln konnte, dünkte ihr ein Verbrechen gegen diesen, so wie eine glänzendere Lage anzunehmen, sie zu wünschen, ja nur zu denken, ihrem dankbaren und genügsamen Gemüth [48] eine Versündigung gegen den Himmel schien, der ihr ein zwar mühevolles, aber durch manche Freude, und durch das Bewustseyn erfüllter Pflichten gesegnetes Loos verliehen hatte.

Sie drückte dem König ihren Abscheu über die kühne Sicherheit aus, mit der er seines Triumphs schon gewiß zu seyn glaubte, und indem sie im vollen Feuer des empörten und gemißhandelten Selbstgefühls ihn mit bitteren Vorwürfen über seine unwürdigen Vorschläge überhäufte, drang sie fest, und nicht mehr bittend, sondern mit dem ganzen gebietenden Stolz der Verachtung in ihn, die Pforten seines Felsenkerkers zu öffnen, und sie zu den Ihrigen zu entlassen.

Aber auf den Berggeist that ihr Zorn eine ganz andere Wirkung, als sie beabsichtigte, denn er erhöhte ihre Reize nur, und folglich auch sein Verlangen. Mit einem grausamen Lächeln verweilte sein Blick auf ihren Wangen, die in dunkler Glut entflammt waren – auf ihrem blendenden Busen, den der innere Aufruhr in rascheren Wallungen hob – auf ihrem blitzenden Auge, dem heiße Thränen des Unmuths entstürzten.

Beruhige Dich, Thyra! sprach er dann, und lerne die goldene Lebensregel, die du noch nicht zu kennen scheinst, und die gleichwohl über und unter der Erde ihren gediegenen Werth hat: in Unabänderliches ohne Murren Dich zu fügen. – Glaubst Du, thörichtes Kind, da das Glück nach langem Sehnen Dich endlich meiner Willkühr übergab, daß ich seine Gunst zurückweisen, und mich [49] selbst des Gutes berauben werde, nach dem ich so glühend trachtete? Nein, ich habe Mitleid mit Deiner kurzsichtigen Verblendung und werde nicht ablassen, Dich zur Annahme eines besseren Schicksals zu vermögen, als Dir ursprünglich im Schooße niedriger Dürftigkeit bestimmt war. Daher sammele Dich zu einem vernünftigeren Entschluß, als zu dem, mir zu widerstehen, und bedenke, daß die Thränen, die Dein schönes Auge zwecklos jetzt vergießt, für mich nicht nur Symbole Deines Schmerzes, sondern auch Deiner Ohnmacht sind.

Bei diesen Worten verschwand er, und die unglückliche Thyra glaubte sich mit der Verzweiflung allein, die ihre gemarterte Seele zerriß. Doch als sie lange vergeblich unter lauten Ausrufungen des Jammers gestrebt hatte, irgend eine Spalte zu finden, durch welche sie sich hindurch drängen, und so in's Freie gelangen könne, ertönte aus dem Hintergrunde der Grotte eine leis gedämpfte Stimme, die zu der Harfe sang:


Laß die Klagen, Holde! laß Dein Weinen,
Denn Dir winkt ein neidenswerthes Loos;
Schatten, die jetzt trübe Dir erscheinen,
Bergen Wonn' in ihrem dunklen Schoos,
Und erhoben auf des Herrschers Thron,
Wird Entzücken einst Dein schöner Lohn.

Es war einer der Genien, die den König der Berggeister begleitet hatten. Zürnend über die Verheißungen seines Liedes wandte sie nach einer anderen Seite sich hin, doch auch da drang eine zarte Melodie ihr entgegen, und der zweite Genius richtete, [50] im dumpfen Tone der Prophezeihung von der Laute begleitet, folgende Worte an sie:


Trau're nicht um das, was Du verloren,
Denn vergänglich, und ein Raub der Zeit
Ist die Treue dessen, den Du Dir erkohren,
Nur dem flücht'gen Erdentraum geweiht.
Während Du verschmachtest in der Sehnsucht Qual
Tröstet Garnim eine neue Liebeswahl.

Schweig, rief Thyra, nicht länger vermögend ihren Schmerz zu gebieten, aus, – schweig, verläumderisches Wesen, das Du, dem Maulwurf gleich, nur die Tiefen der Erde, nicht des Menschenschmerzens, kennst. Nimmer wird es Dir gelingen, meinen Glauben zu erschüttern.

Heftig weinend warf sie sich auf das Lager nieder, und verhüllte ihr Antlitz, sich ganz dem namenlosen Weh dahin gebend, das ihre Brust zerriß. Als sie nach einer langen Pause, durch Seufzen und Thränen ausgefüllt, sich wieder empor richtete, knieten die beiden Genien an ihrer Seite, nur durch stumme Wehmuth in ihren Zügen ihr Theilnahme verrathend, ohne daß sie wagten, durch Worte die tiefe Betrübniß der Unglücklichen zu unterbrechen.

Die symbolische Repräsentation der Unschuld im holden Wesen eines Kindes, spricht stets zu dem wunden Herzen, wenn es auch sonst, von Kummer ermattet, und vielfach betrogen, sich von den Menschen und ihren Täuschungen abwendet. Thyra konnte nicht mehr mit Unwillen auf die Knaben blicken, die – wenn sie gleich vielleicht schon über tausend [51] Jahre zählten – doch in ihrem Aeußeren mit dem unnachahmlichen Ausdruck kindlicher Unbefangenheit und Schuldlosigkeit bezeichnet, um die Gunst warben, ihr tröstlich seyn zu dürfen.

Sanft und kosend, wie das Wehen milder Frühlingslüfte sich in den Busen schmeichelt, bahnte sich ihr freundliches Geschwätz einen Eingang in der tiefbetrübten Thyra Ohr und Gemüth. Denn zart in den Zustand ihrer verletzten Seele eingehend, berührten sie nicht mehr die unbescheidenen Wünsche ihres Herrschers, oder den Wankelmuth irdischer Liebe und Treue. Nur durch liebevolle Bitten, daß sie sich beruhigen und für bessere Tage schonen möge, strebten sie den Sturm des Schmerzes in ihr zu beschwören, und wirklich gelang es auch ihrem wohlthuenden Zureden, Thyra's gewaltsame Aufregung zu besänftigen, und sie dahin zu bringen, daß sie einige Nahrung zu sich zu nehmen, und wenigstens zu schlummern – versuchte.

Ihre tiefe Ermattung, und das einförmige und unwillkührlich einwiegende Murmeln der Quelle lockte endlich den Schlaf herbei, der sonst rothgeweinte Augenlieder zu fliehen pflegt. Doch war er nicht erquickend, denn ängstliche Träume hatten sich mit ihm verbunden, und trübten die kurze Ruhe, die ihr zu Theil ward, durch Schreckensbilder der Gegenwart, und sehnsuchtsvolle Reminiscenzen der Vergangenheit. Nicht der purpurne Strahl der Frühe, vom jubelnden Chorgesang der Vögel begrüßt, weckte sie wie sonst in den goldenen Tagen ihrer Freiheit – nicht der von frischen Morgenlüften aufgeregte [52] See, dessen Wellen sich mit süß melancholischem Plätschern an dem Ufer, unter ihrem Kammerfenster brachen – nicht das muntere Gespräch der Nachbaren und Freunde, die nach ihren Netzen sahen, fröhlich die kleinen Boote abstießen, und dann singend tief hinein ruderten in den flüsternden See, mit anbrechendem Tage ihr harmloses Geschäft zu beginnen. Ach – eine Todtenstille, wie sie im Schoos des Grabes herrscht, umgab sie hier im öden Herzen des kalten Gebirges, nicht vom warmen Blick der Sonne, nur von zahllosen Kerzen, die ihn ersetzen sollten, erhellt. Bloß das monotone Rieseln der Quelle unterbrach diese tiefe Erstorbenheit – aber ihre kranke Fantasie fand nicht mehr wie sonst linde Kühlung und Wohlgefallen an ihrem Rauschen. Es dünkte ihr jetzt das Schlüpfen der Molche und Eidechsen über feuchtem Boden, oder das Winden und Zischen giftiger Schlangen aus verborgener Kluft – dumpf und düster drohten ihr die mit Pracht bekleideten Wände sie zu erdrücken, und heimtückisch schien jede zufällige Vertiefung des blendenden Krystalls sie anzugähnen, als lauschte in ihr ein böser Geist, auf ihren Untergang bedacht.

Sie behielt jedoch nicht viel Zeit, um diesen traurigen Vergleichungen nachzuhängen, denn die freundlichen Genien, die zu ihrer Bedienung angewiesen waren, nahten sich ehrerbietig, nach ihren Befehlen zu fragen, und bald erschien auch der Berggeist, heute wo möglich noch strahlender geschmückt, und noch dringender um sie werbend.

Thyra erneuerte ihre Bitte, ohne auf die seinige [53] einzugehen. Frei zu seyn, und aus der Fülle dieses Glanzes, den sie verachtete, in ihrer Armuth zu Mutter und Geliebten zurück kehren zu dürfen – das war der Inbegriff aller ihrer Wünsche – weiter er bat sie nichts vom Schicksal und von ihm.

Vergebens bemühte sich der König, sie seinen Absichten geneigt zu stimmen. Er verhieß ihr neben unerschöpflichem Reichthum und allen den Annehmlichkeiten, welche er gewährt, ewige Jugend und Schönheit, so wie ewige Liebe und Treue, die er ihr mit tausend Schwüren gelobte. Aber voll kalter Strenge wandte sich Thyra von jedem seiner Vorschläge ab. Es schien ihr Beleidigung ihrer Tugend, Verletzung ihrer Pflicht, daß sie – Garnims Verlobte – ihn auch nur anhörte, und bloß, daß es nicht freiwillig geschah, konnte sie in ihren eignen Augen entschuldigen.

Als Bitten und Verweigern noch lange im unaufhörlichen Cyclus sich folgten, ohne ein Resultat hervor zu bringen, und der König sah, daß an der ächten Treue eines weiblichen Gemüths jeder Versuch der Verführung und der Ueberredung scheitert, ermüdete seine Geduld, und ein heftiger Unwille braußte in seinem Liebe erglühten Herzen auf. Zürnend schüttelte er das lockige Haupt, und die Felsen erbebten im Schauer seines Unmuths – sein flammendes Auge durchzuckte mit Blicken, die dem vernichtenden Blitz glichen, die arme Thyra, die, zitternd zur Erde gesunken, nicht mehr wagte, ihnen mit den ihrigen zu begegnen.

Tödte mich, Herr! sprach sie im Tone der Ergebung. [54] Mein Leben ist in Deiner Macht, und willig bring ichs Dir zum Opfer, wenn es Dich beruhigen kann, denn das ist alles, was ich für dich zu thun vermag.

Den König rührte die sanfte Resignation ihrer Worte, die gelassene Geduld ihres Ausdrucks, und der Schrecken, der die Geängstigte durchbebte, entwaffnete bald seinen schnell vorübergehenden Zorn.

Stehe auf, sprach er besänftigt, Deine Festigkeit hat die meine überwunden. Du sollst wieder frei seyn, wenn Du fortfährst, es zu wünschen; nur sieh Dich erst um in meinem Reiche, damit Deine Beständigkeit noch höheren Werth gewinne. Denn erst die Ueberzeugung, wie viel Du ausschlägst mit meiner Hand, vergrößert das Opfer, das Du Deiner Liebe bringst, ins Unendliche.

Er richtete sich auf – seine Blicke waren wieder hold und lieblich, wie der Strahl der Sonne, von zartem Dunstgewölk mildernd umflort, denn die Schwermuth hüllte sie in ihren Schleier, und eine Thräne, rein wie Morgenthau, glänzte in ihnen.

Dankbar im Innersten bewegt, beugte Thyra jetzt ihre Knie vor ihm. Lieben konnt ich Dich nicht, rief sie entzückt, denn Garnim füllt meine ganze Seele, aber segnen werd' ich Deine Großmuth mein ganzes künftiges Leben hindurch, und den Himmel bitten, daß er eine Gefährtin Dich finden lasse, die die arme Thyra weit, weit in allem übertrifft, was Dir an ihr gefiel.

Aber – wenn Du nun frei würdest über kurz [55] oder lang, unterbrach sie der Berggeist, wenn Garnim – denn das Geschlecht der Menschen vergeht wie Gras auf dem Felde – wenn er vielleicht stürbe – könntest Du auch dann noch Dich mir versagen, Deines Eides selbst von dem entbunden, dessen Rathschluß wir alle verehren?

Thyra erbebte vor dem bloßen Gedanken, aber sie sann auf keine künstlich ausweichende Antwort, sondern ließ nur ihr Herz reden. Ich kann nur einmahl lieben, erwiederte sie, wäre Garnim nicht mehr, so würde ich seinem Andenken die Gefühle widmen, die jetzt ihm selbst gehören.

Nun wohl, sprach der Berggeist, es sey! Möge nimmer die Schlange der Reue ein Herz umwinden, das der Stempel einer so seltenen Beständigkeit ist.

An seiner Seite durchwandelte sie jetzt die Gemächer, die zu ihrer Wohnung bestimmt gewesen waren, und die in immer steigenderem Glanz sich vor ihr aufthaten. Doch ein Auge, das nach dem Wiedersehen des Geliebten schmachtet, hat nur einen vorübereilenden, umwölkten Blick selbst für die herrlichsten Werke der Kunst und der Pracht. Jede Minute, hier verloren im Anschauen eines sie mehr blendenden als rührenden Prunks dünkte ihrer zärtlichen Gesinnung ein Raub an Garnims Leben – und daher faßte sie Muth, und warf sich, selbst auf die Gefahr ihn von neuen zu erzürnen, dem Berggeist zu Füßen.

Verzeihe, bat sie, wenn mein stumpfer Sinn Dir eingesteht, daß er die Größe dieser Kostbarkeiten nicht zu würdigen weiß, und daß er sich hinaus [56] sehnt in die Dürftigkeit der Hütte, die meine Heimath ist, und wo die Meinigen jetzt hoffnungslos um mich trauern.

Auch das, versetzte der König, sey Dir gewährt. Nur noch erst das herrlichste von Allem, was sich in meiner Gewalt befindet, sollst Du sehen, ehe ich Dich entlasse.

Er zog hierauf einen purpurnen Vorhang hinweg, der mit Perlen und Edelgesteinen gestickt, eine der Wände mit reichem Faltenwurf verhüllte, und – ein Spiegel kam zum Vorschein, in welchem die erröthende Thyra – sich selbst erblickte. Verschämt wandte sie sich ab. Du spottest meiner, Herr! sagte sie leise.

Kannst Du den Anblick Deiner eigenen Schönheit nicht ertragen? sprach der Berggeist. Nun wohl, so will ich, statt Deiner holden Gestalt, ehe eine grausame Wirklichkeit sie Dir zeigt, die Bilder Deines Schicksals Dir vorüber führen.

Da erblickte sie im Spiegel die felsige Landschaft, wo ihre Hütte stand, vor ihr den See, in Mondenschein wogend. Aengstlich regte es sich in dem sonst so frühe schlummernden Dörflein – händeringend wandelte Ebba unter den Nachbarn umher, und schien sie um Beistand zu beschwören. Von allen Seiten kamen Bekannte mit muthlosen Geberden wieder – endlich naht auch Garnim, eine brennende Fackel in der Hand, sie erlöschend zu den Füßen der Mutter niederwerfend, und selbst dahin sinkend, erloschen wie sie, in dumpfer Betäubung der Anstrengung und des Schmerzes.

[57] Thyras Busen wallte im qualvollsten Mitgefühl der Sorge, die ihr plötzliches Verschwinden erregt hatte. Sie hätte die Felsenmauern durchdringen, und die Flügel des Adlers leihen mögen, um schnell den Trost ihrer Gegenwart in die blutenden Herzen ihrer Lieben zu senken. Aber eine unsichtbare Gewalt hielt sie fest, und im Spiegel veränderte sich die Scene.

Ebba, in tiefer Trauer, wankte gestützt auf Garnim in die Felsenschlucht, die zu der unglückseligen Quelle führte, wo Thyra ihre Freiheit verlohr. Fast unkenntlich war die Stelle des Eingangs, denn die colossale Masse, von starker Geisterhand davor gewälzt, schuf die sonst ihr so bekannte Stelle in einen wilden Schauplatz der Zerstörung um.

Alle jungen Leute ihres Dorfes standen – die Mädchen auf der einen, die Jünglinge auf der anderen Seite – dort; doch nicht wie sonst um sich in fröhliche Reihen zu ordnen, oder irgend ein munteres Fest der Jugend zu feiern. Trübsinnig und voll Wehmuth sahen sie, ebenfalls in Trauer gekleidet, die gebeugte Mutter an der Seite des unglücklichen Bräutigams heran schwanken, und alle weinten still, als Ebba von ihrem Schmerz überwältigt, an dem Stein niedersank, der, wie sie wähnte, ihrer Tochter Grab bedeckte.

Nach einem langen Verstummen, einzig durch Schluchzen und Thränen unterbrochen, trat der bleiche Garnim, der lange mit der Verzweiflung gekämpft, und endlich eine Fassung errungen hatte, welche der Ergebung glich, hervor, und alle Jünglige[58] folgten ihm, und trugen gemeinschaftlich in tiefer Stille und Trauer ein hohes Kreuz von Granit, das sie dort, wo sonst die Grotte sich öffnete, zum unvergänglichen Denkmal der Verunglückten, deren Name, und der Tag, an welchem sie verloren ging, von der Hand der Liebe in festen, hohen Zügen eingegraben war, aufrichteten.

Nach der Vollendung dieses traurigen Geschäfts, womit man der so schmerzlich Vermißten gleichsam die letzte Ehre erwies, warf sich Garnim auf seine Knie nieder, und umfaßte das Kreuz mit beiden Armen, sein weinendes Angesicht an den kalten Granit lehnend. Hierauf, langsamen Schrittes, nahten sich die Jungfrauen, jede einen Kranz in der Hand. In leisen Klagetönen begannen sie einen Trauergesang um die früh vom Schicksal ihnen entrissene theure Gespielin, und hingen, indem sie vorüber schritten, die blumigen Gewinde, von Thränen der Freundschaft und der Erinnerung benetzt, als Todtenopfer und als Zeichen ihres treuen Andenkens am Kreuze auf, ehe sie die fast in Jammer aufgelösete Mutter unterstützten, und sie mit sich wegführend, sich wieder entfernten.

Ebenso umgaben die Jünglinge ihren in Gram versunkenen Freund, hoben ihn auf, und leiteten mit sanfter Gewalt ihn von der Stelle hinweg, die, wie er mehreremale mit von Aechzen halb erstickter Stimme ausrief, das Grab seines ganzen, nun auf ewig verlornen Lebensglücks war.

Welch ein erschütternder Anblick für Thyra! Aber der Stolz, sich so geliebt, so betrauert zu sehen,[59] mischte Balsam in das Wehgefühl, mit dem sie die Leiden der Ihrigen ermaß, und die Hoffnung, sie bald durch die selige Ueberraschung eines unerwarteten Wiedersehns zu mildern, trocknete von ihren eigenen Wangen die Thränen, die ihr unwillkührlich entfallen waren.

Doch – ehe sie sich noch aus der halben Erstarrung ermuntern konnte, in die der Wechsel dieser sie so innig bewegenden Bilder sie versetzte, regte sich's von Neuem im Spiegel, und mit Erstaunen, das bald bis zum Entsetzen sich erhöhte, sah sie die nemliche Versammlung, die noch eben ihren Verlust betrauert hatte, in bunten Farben, festlich gekleidet, und mit den Mienen jugendlichen Frohsinns an sich vorüber ziehen. Bräutlich geschmückt führte Garnim ihre liebste Freundin, die er zu ihrer Nachfolgerin erkohren, an seiner Hand, und seine schmeichlenden Liebkosungen, seine zärtlich entflammten Blicke, der unverkennbare Ausdruck der Heiterkeit und des Glücks, der aus seinen noch kurz vorher so kummervollen Zügen leuchtete, gab ihr die unwidersprechliche Gewißheit, daß sie – nicht nur vergessen, sondern auch –ersetzt sey.

Mit einem Schrei, den krampfhafte Angst erpreßte, strebte sie vorwärts, dem fröhlichen Zuge Einhalt zu thun. Aber umsonst! Ohne es hindern zu können, sah ihr starres Auge ihn in die Kirche wallen – sah ihren Verlobten von des Priesters Hand zum neuen Bunde eingesegnet, zurückkehren, und die junge Frau in die geschmückte Hütte führen, die – wie sie gehofft hatte – der Tempel ih[60] res ehelichen Glücks seyn sollte. Ach – in diesen Augenblicken ging ein Schwerdt durch ihre Seele, und selbst das vermochte die Bitterkeit ihrer Empfindungen nicht zu lindern, daß sie wahrgenommen hatte, Garnim ehre demohngeachtet noch die Vergangenheit. Denn als der Hochzeitszug aus der Kirche über den ländlichen Friedhof ging, trat er seitwärts zu dem frischen Grabhügel, unter welchem Ebba ihren Kummer verschlief, und legte den Blumenstraus, den er am Busen trug, auf die braune Erde nieder. Da schien die Errinnerung voriger Zeiten sein Auge mit Wehmuth zu umfloren – aber nur momentan war diese Stimmung, die glücklicheren Gefühlen wich. Denn ihm winkte seine neue Liebe, und er folgte ihr mit seligem, von dem was er verloren, sich abwendendem Herzen.

Siehe, das ist der Lauf der Welt, in die Du Dich zurückzukehren sehnest, sprach der Berggeist, indem er den Vorhang wieder über den unglücklichen Spiegel fallen ließ, und sie mitleidig aus ihrer Betäubung zu ermuntern suchte. Es waren die Hauptmomente der Vergangenheit, die ich an Dir vorüber gehen ließ. Kannst Du noch wünschen, mich zu verlassen, um statt eines unvergänglichen Glücks, das hier Liebe und Beständigkeit, und Ueberfluß Dir bereiten will, Dir die schreckliche Ueberzeugung zu holen, daß Dir auf Erden nichts mehr übrig blieb, als allenfalls – – am Grabe Deiner Mutter zu weinen.

Ein Strahl der Hoffnung drang, als er so sprach, in die von der Verzweiflung umnachtete [61] Seele der unglücklichen Thyra. Er führte diese Schreckensbilder an mir vorüber? dachte sie. Ach, so waren sie gewiß ein Blendwerck der Hölle, hervorgerufen von seinen Zauberkünsten, um meine Festigkeit zum Wanken zu bringen. O Gott sei Dank! ich habe nur geträumt – wie konnt' ich auch zweifeln an meines Garnims Treue, die er so oft mit heiligen Eiden mir beschwur!

Verzeihe, Herr! sagte sie kalt und gefaßt, wenn ich mehr als je auf meinem Entschluß Dich zu verlassen, beharre. Was die Außenwelt mir bietet, kann nicht Dein Spiegel, kann nur das eigene Herz mir sagen – gönne ihm, daß es endlich nach den Beängstigungen, die ich hier gleich einer lebendig Begrabenen erlitten, den Frieden finde, den nur Freiheit ihm gewähren kann.

Beklagenswerthe! seufzte der Berggeist, so willst Du Dein Verderben? Denn ach – ich muß es Dir sagen – Du eilst in eine schaudervolle Oede, wo Du alles verstorben findest, was Du einst kanntest und liebtest, und wo neue Geschlechter seitdem entstanden, und wieder vergangen sind. Denn ein anderes Maas hat die Zeit hier in diesen unterirdischen Räumen, als oben, wo eine wandelbare Sonne sie in kurze Fristen theilt. Oft, öfterer als Du ahndest, hat sie ihren Kreislauf um die Erde vollendet, seit Du hier weiltest, und Du triffst nirgends mehr, was Du verließest. Selbst die leblose Natur ist anders seitdem geworden. Was als schwaches Reis Dich umschwankte, strebt jetzt kühn als Baum in die Wolken, mit verjährter Kraft dem Sturme [62] trotzend – selbst der See, der sonst neben Deiner Hütte rauschte, hat sein Bett verändert, und nach und nach den Grund untergraben, auf dem sie stand. Daher rückten die jetzigen Bewohner Deines Dörfchens höher hinauf, ihre Wohnungen zu erbauen, und Du findest sogar die Stätte nicht mehr, wo Du sonst glücklich warst, denn zur Wasserfläche ist der Boden geworden, der ehemals Dein Eigenthum trug.

Thyra antwortete ihm nicht. Bleibe bei mir, fuhr er fort im Tone der innigsten, schmelzendsten Zärtlichkeit. Ich kann das Geschehene nicht ändern, denn es ist außer meiner Macht, das Rad der Zeit, von einer höheren Hand bewegt, in seinem Fortrollen zu hemmen, denn auch wir Berggeister sind den ewigen Gesetzen unterthan, die ein erhabeneres Wesen über uns verhängt. Daher vermocht' ich es nicht zu wehren, daß bei Deinem Eintritt in mein Gebiet – Dir bewußtlos, welches Maaß sie umfange – die Zeit vorüberfloß, und durch ihren unabänderlichen Gang Dich auf immer von dem entfernte, was Deine Sehnsucht als das Ziel Deiner Wünsche Dir darstellte. Aber Ersatz, reichen, unüberschwenglichen Ersatz für das, was Du verloren hast, will ich Dir gewähren, wenn Du mir die Hand reichst, die sich Garnims längst schon schlummernder Staub doch nicht mehr aneignen kann.

Mit einem bitteren Lächeln wandte sich Thyra von ihm ab; der Stimme vertrauend, die in ihrem Busen ihr tröstlich zuflüsterte, daß er sie täusche. Ich habe keine Antwort mehr für Dich, erwiederte [63] sie, und wüßte außer der Wiederholung meiner Bitte, mich frei zu lassen, Dir nichts mehr im Leben zu sagen.

Ist dies Deine letzte Erklärung? fragte der König, und eine Thräne der Wehmuth brach den hellen Schimmer seines Blickes.

Meine letzte, antwortete Thyra fest.

Nun, so gehab Dich wohl, sprach er mit von Schmerz halb erstickter Stimme. Kehre ungehindert von mir zurück, um Dich selbst zu überzeugen, daß ich Dich nicht hinterging. Und wenn Du bestätigt findest, was ich Dir sagte, und Dich einsam und verlassen auf der Erde fühlst, so wende Dich zu mir – meine Arme sollen auch dann noch Dir offen seyn. Wenn Du zu der Zeit, wo Tag und Nacht sich scheidet, dreimahl mit einem Kieselsteine an diese Felsen klopfest, deren Inneres ich beherrsche, so werd' ich Dich vernehmen, und nicht säumen, Dein tief verwundetes Herz durch Liebe und Innigkeit zu heilen.

Er verschwand, und die Genien, einen Schleier in ihren Händen, nahten sich ihr traurig und leise. Süße Düfte hauchten sie berauschend an – sanfte Harmonien erklangen in der Ferne – eine seltsame Müdigkeit lagerte sich auf ihre Augenlieder – ihre Kräfte ermatteten, und ohne Widerstreben ließ sie von den Knaben bis zum Ruhebette sich geleiten. Da sank sie nieder – die Genien breiteten den Schleier über sie aus, und von den Wohlgerüchen in süße Betäubung gewiegt, und in den Schlummer gelullt von den leise dahin sterbenden Melodien, [64] schwebte dämmernd ihr Bewustseyn ins Reich der Träume hinüber.

Ihr war hierauf, als vernehme sie den Ruf der Hähne – Hundegebell, bald fern, bald nah, gesellte sich zu diesen Tönen – Vogelgesang zwitscherte wirbelnd dazwischen – Glockengeläute drang auf den Schwingen frischer Morgenlüfte in ihr Ohr, und bald ermunterte sie sich, schaute um sich her, und fand sich mit einem unaussprechlich seligem Gefühle im Freien. Ein blauer Himmel wölbte sich über ihrem Haupte – goldene Sonnenstrahlen blitzten wärmend durch die kühlen Schatten, und sie erkannte die Felsenschlucht, die zur Quelle führte, wiewohl etwas verändert. Denn wirklich vermißte sie manche der ihr wohlbekannten Baumgruppen, an deren Stelle jetzt kurzes Gesträuch sproßte, und wiederum hatten da, wo sonst nichts, oder nur niederer Anwuchs die kahle Felsenstirne deckte, himmelhohe Fichten Wurzel geschlagen.

Ein sonderbates Befremden durchbebte sie; doch dachte sie nicht lange nach über diese unbegreiflichen Neuerungen der Natur, die wie ein Wunder vor ihr standen, sondern raffte sich auf, um nach Haus zu gehen. Aber was glich ihrem Erschrecken, als sie jetzt plötzlich das Kreuz von Granit erblickte, das der verhaßte Spiegel ihr bereits gezeigt hatte. Mit grauem Moos bewachsen und verwittert, trug es die Spuren des hohen Alters; doch waren die Züge ihres Namens noch kenntlich und lesbar, und welke Kränze, die von ihm herabflatterten, ließen vermuthen, [65] daß irgend eine fromme Stiftung oder Bedeutung mit seinem Daseyn verbunden war.

Von banger Ahnung und seltsamem Zagen im Innersten ergriffen, setzte sie sich nieder, denn ihre Knie wankten, und schaudernd überflog ihr Auge die ganze Umgebung die ihr fremd und immer fremder dünkte. Eine andere Vegetation hatte unverkennbar die verdrängt, an deren Grün sich ehemals ihr Auge geweidet hatte – nur die Felsenmassen standen unverändert in eherner Dauer, als habe jene unsichtbare Hand, die Welten schafft und zertrümmert, sie für die Ewigkeit gegründet.

Da regte sich's in der Ferne, und im traulichen Wechselgespräch kam ein liebendes Paar heran geschritten, immer mit einander kosend, und nur mit sich beschäftigt. Deshalb gewahrte es die stille Thyra auch nicht, welche seitwärts hinter einem Wachholdergebüsch auf der Erde saß, und Alles beobachten konnte, ohne selbst gesehen zu werden.

Vergebens strebte sie, bekannte Züge zu erspähen. Das Pärchen war ihr völlig fremd – auch schien es nicht aus ihrem heimathlichen Dorfe herzukommen. Denn anders genestelt waren die Haare der Jungfrau, als die ihrigen, anders gefaltet der Kragen, anders geschürzt das luftige Gewand. Sie wuste nicht, daß keine Nationaltracht so dauernd besteht, daß nicht selbst im Schooße unzugänglicher Gebirge ein vorüberschreitendes Jahrhundert hie und da eine Eigenthümlichkeit derselben verwischen sollte.

Als die Liebenden das Kreuz erreicht hatten, knieten sie nieder, ihre Arme verschlungen, ihre Blicke[66] zum Himmel gerichtet. Gieb, gütiger Gott, daß wir glücklicher werden, als der Stifter dieses Kreuzes in seiner ersten Verbindung war, betete der Jüngling, und hielt fester die Hand seiner Geliebten. – Ach, es muß hart seyn, sprach die Jungfrau, so in der Blüthe des Lebens zu scheiden, wie die, zu deren Ehren dieser Stein errichtet wurde. Und eines so schaudervollen Todes zu sterben – zermalmt von einstürzenden Felsen, und so tief von ihnen begraben, daß selbst mondenlanges Forschen nicht die zerschmetterten Gebeine an's Licht förderte, um sie bestatten zu können. – Laß uns die arme Thyra beklagen, die so früh dahin mußte, unterbrach sie der Gefährte, und dann den Willen der Stiftung erfüllen, und für die Ruhe ihrer Seele beten. – Sie blieben lange in stummer Andacht liegen – endlich standen sie wieder auf, und das Mädchen reichte ihrem Geliebten einen Kranz, den er am Kreuz befestigte.

Jetzt erhob sich auch Thyra. Wachte oder träumte sie? – sie wußte es nicht – aber um es zu erfahren, trat sie entschlossen hervor.

Ihre tiefe Blässe, ihre fremdartig gewordene Tracht, und die Seltenheit einer unbekannten menschlichen Erscheinung in diesen einsamen Gebirgsgründen erschreckte das Brautpaar. Doch Thyra's sanfte Miene minderte bald die Furcht, die ihr unvermutheter Anblick erregte, und flößte ihnen Zutrauen ein. Die ungestümen Wallungen des eigenen, mit Tod und Leben ringenden Busens bekämpfend, fragte sie nach der Veranlassung dieses Denksteins, und [67] zutraulich ihr nahend, erzählten ihr nun beide, oft sich gegenseitig unterbrechend, ihre eigene Geschichte, so weit ein menschliches Auge nemlich sie zu ergründen vermochte. Ihren vermeintlichen Tod, den die Tradition dem Einsturze einer Felsenwand zuschrieb, Garnims Trauer um sie, die sich, als er endlich in einem hohen Alter, lebenssatt, und von Kindern und Enkeln umringt, starb, noch durch das Vermächtniß aussprach, daß jedes Brautpaar des Orts einen Beitrag zur Aussteuer aus seinem Nachlaß unter der Bedingung erhalten sollte, hier für Thyra's Seelenruhe zu beten, und das ihr geweihte Kreuz zu bekränzen – alles was ihr bereits der Spiegel des Berggeistes gezeigt hatte, und was sich ferner im Lauf des Lebens an diese Bilder reihte, führten die fröhlichen jungen Leute geschwätzig an ihr vorüber.

Aber wer bist Du? fragten sie theilnehmend, als Thyra während ihrer Erzählung immer bleicher und bleicher wurde. Ich bin Thyra, flüsterte sie, mit erlöschendem Ton – grabt mir ein Grab neben diesem Kreuze!

Entsetzen faßte die Liebenden, und scheuchte sie von ihr hinweg. Grausen sträubte ihr Haar empor – sie eilten Hülfe rufend ins Dorf und waren nur mit Mühe zu bewegen, in zahlreicher Begleitung wieder zurück nach der gefahrvollen Stelle zu kehren, wo ihnen, wie sie behaupteten, ein Geist erschienen war.

Da fand man Thyra niedergesunken am Kreuz, und mit matten Armen es umschlingend. Man überzeugte sich, daß sie dem Leben noch angehöre, und [68] wollte sie hinweg bringen, um durch sorgsame Pflege sie zu ermuntern. Allein sie verweigerte es. Denn wie die Lilie vom Sturm zerknickt, sich entblättert, so fühlte auch sie ihr Ende vor der Zeit heranrücken, und segnete die kalte Berührung des Todes, der mit starrer Hand ihr Herz ergriff. Sie theilte den Umstehenden ihre wunderbaren Schicksale mit, und ohne sich in das schimmernde Gebiet des Berggeistes in Glanz und Jugendglück, und all' die Freuden, die er ihr verheißen hatte, zurück versetzen zu wollen, verlangte ihr treues Gemüth von der Erde nichts mehr, als ein Grab – und das ward ihr gewährt unter dem Kreuz, das ihren Namen trug.

[69]

Die Familie Lohberg

Baron Lohberg, ein reicher Privatmann, hatte aus zwei verschiedenen Ehen zwei Söhne, die der Stolz und die Freude seines Alters waren.

Alexander, der Aelteste, vereinigte mit dem festen Sinne seines Vaters das südliche Feuer seiner Mutter, die eine Italienerin war, und die auch im rauhen Norden, wohin die Liebe sie verpflanzte, das Gepräge ihrer Nation rein und treu in sich bewahrt hatte, um es sterbend auf ihren Sohn zu übertragen.

Aus der zweiten Verbindung des Barons, die mehr ein Werk ruhiger Ueberlegung als der Leidenschaft war, war ihm ebenfalls ein Sohn herangewachsen, der seinem Bruder in der Gestalt, und in vielen Eigenschaften ähnlich, sich jedoch durch den stilleren Gang seiner Empfindungen und eine mildere Besonnenheit von ihm unterschied.

In dem Hause des Barons, das sowohl durch Eintracht und Familienliebe, als durch äußeren Glanz[70] sich auszeichnete, hatte Fräulein Emilie von Hohenholm, seine Mündel und die Nichte seiner zweiten Gemahlin, den Morgen ihrer Kindheit aufdämmern sehen, ohne zu fühlen, daß sie früh vereinzelt, als eine Weise, allein in der Welt stand, an die kein näheres Band der Verwandtschaft sie mehr knüpfte. Schönheit, Jugend, Reichthum, und eine seltene Vortrefflichkeit des Charakters, erhoben sie zu einer der ersten Parthien des Landes, und der Wunsch ihres Vormundes, sie dereinst als die Gattin seines Alexanders zu sehen, war um so natürlicher, da sie schon als Kind eine entschiedene Vorliebe für ihn zeigte.

Auch Alexander schien eine Innigkeit für sie zu empfinden, die auf eine zärtliche Neigung hindeutete, und die sich schon damals aussprach, als sie, noch unentwickelt, einer schönen Knospe glich, die nur in leisen Umrissen die herrliche Blüthe ahnen läßt, zu der sie sich entfalten wird. Seinen auflodernden Sinn wußten ihre kindischen Schmeicheleien oft zu besänftigen, und ohne daß sie noch die schwärmerische Tiefe seines Wesens zu fassen vermochte, hatte doch ihre einnehmende, mit einem so richtigen Tact verbundene Lieblichkeit eine gewisse Gewalt über ihn erlangt, die ihr mehr Rechte über ihn einräumte, als den übrigen Mitgliedern seiner Familie, ob er gleich an allen den Seinigen mit warmer Liebe hing. Auf dieses ihnen gleichsam angeborne Einverständniß ihrer Gemüther gründete sich die Hoffnung seines Vaters, daß die Zeit es noch mehr [71] befestigen, und einst in einer Verbindung auf ewig das Glück ihrer Herzen sicheren werde.

So hatte Emilie ihren sechszehnten Frühling erreicht. Alexander war sieben Jahre älter, und schien in der Fülle seiner blühenden Kraft, der Welt, über deren Gemeinheit er sich so weit erhob, das Ideal eines vollendeten Jünglings darzustellen.

In leichten Anspielungen hatte ihm der Vater schon oft das Verlangen verrathen, daß er sich nun zur Uebernahme seiner mütterlichen Güter entschliessen, und dann das Band noch fester schlingen möchte, das durch Emiliens Besitz ihm eine frohe Zukunft versprach. Allein Alexander gab sich das Ansehen, ihn nicht zu verstehen, und als der Vater sich endlich deutlicher erklärte, gestand er, daß er diesen Zeitpunkt noch einige Jahre weiter hinaus zu schieben wünsche, weil er den ruhigen Gleichmuth noch nicht in sich fühle, den das ernsthafte Verhältniß als Hausvater von ihm fordere.

»Mit unwiderstehlicher Allmacht, sagte er, zieht mich die Fremde an. Weite Reisen sind die Bedingung nur, unter der mein Inneres mir verspricht, mir selbst einst klar zu werden. Lange habe ich gekämpft gegen den unaufhaltsamen Trieb, der mich in ferne Länder lockt, aber ach, ich weiß nun keinen Wiegengesang mehr für diese ungestüme Sehnsucht, die in mir brennt, und für diese quälenden Wünsche, die auf Befriedigung dringen, und Haus und Stadt mir zu enge machen.«

»»So reise, mein Sohn, antwortete der Baron gütig, indem er ihn umarmte. Aus diesem [72] heftigen Begehren nach neuen Gegenständen wird allmählig das stillere Verlangen nach Heimath, und nach häuslichem Glücke hervorgehen, das Du bedarfst, wenn der friedliche Kreis Deiner künftigen Bestimmung Dir nicht beschränkt und drückend erscheinen soll. Reise einige Jahre, denn Emiliens Jugend gränzt ohnehin noch an zarte Kindheit. Schöner ausgebildet, und Deiner Liebe noch würdiger in ihrer Vollendung, wirst Du sie wieder finden, wenn Du zurückkehrst, um sie nie wieder zu verlassen.««

Mit allem Feuer der ihm eigenen Lebhaftigkeit ergriff Alexander den väterlichen Vorschlag, und betrieb die Ausführung desselben mit ungeduldiger Hast. Emilie vernahm die Nachricht seiner nahen Abreise mit einer Bestürzung, in der sie erst die Größe ihrer Neigung erkannte. Es regte sich in ihr ein dunkles Gefühl von Empfindlichkeit, daß sein Wille ihn von ihrem treuen Herzen weg zu den ungewissen Freuden hintrieb, die in der Ferne ihm winkten. Schon daß es außer ihr etwas gab, was ihn mächtiger anzog, als ihre Nähe, that ihr schmerzlich wehe, denn sie kannte kein größeres Glück als seine Gegenwart, und alle ihre Wünsche beschränkten sich auf seinen Anblick, auf sein Gespräch, und auf den seligen Gedanken, ihm werth zu seyn.

Mit welcher Trauer dachte sie sich daher das lange Entbehren seines Umgangs noch zu der kränkenden Entdeckung hinzu, daß nicht sie, sondern der Hang zu reisen, der Gegenstand jener unruhigen Sehnsucht war, die sie schon längst an ihm bemerkt[73] hatte. Doch eben daher, weil sie so ganz und einzig in ihm lebte, wurde es ihr durch die Stärke ihrer Gefühle leichter, in stiller Resignation die Trennung zu ertragen, die ihm einen unbekannten, schön geahneten Genuß zu gewähren versprach. Diesen Wunsch, den er so glühend im Herzen trug, ihm vereitelt zu sehen, hätte ihr fast noch weher gethan, als ihn so lange zu vermissen, denn ächte Liebe trägt weit leichter eigenes Leiden, als das des Geliebten. Darum verbarg sie die Betrübniß, mit der des Abschieds bitteres Vorgefühl sie erfüllte, und indem sie freundlich theilnehmend die Anstalten zu seiner Abreise betreiben half, brachte sie ihm ein stummes Opfer in der Verhüllung ihres Schmerzes, den sie unter einer mühsam erkämpften, ruhigen Aussenseite versteckte. Gefaßt sah sie ihn ziehen, und erst als er weg war, lösete sich die Beklommenheit ihres Innern in Thränen auf, die nach und nach den tiefen Kummer über seine Entfernung in eine sanftere Wehmuth verwandelten.

Jahre vergingen indessen; und obgleich die Zeit auch die schärfsten Umrisse unserer Gefühle allmählig mildert, so war doch in Emiliens Busen das Bild ihres Freundes nicht erloschen, nur sanfter unter dem Schleier einer langen Abwesenheit in ihrer Vorstellung geworden. Mehreremale hatte der Baron seinen Alexander freundlich an den Verlauf der Zeit gemahnt, die zu seinen Reisen bestimmt gewesen war; oft die Schilderung von Emiliens aufblühenden Reizen, und ihrer leisen Sehnsucht nach ihm mit dem Wunsche vereinigt, ihn wieder bei sich zu [74] sehen – aber Alexander hatte immer den Zeitpunkt seiner Heimkunft weiter hinaus gerückt, und es lag nicht in der Denkungsart des zärtlichen Vaters, ihn mit Strenge aus der Fülle des Genusses zurückzurufen.

Theodor, sein zweiter Sohn, strebte indessen mit dem glücklichsten Erfolge, dem häuslichen Kreise die Entfernung seines Bruders zu ersetzen. Seine Gefälligkeit, und sein anspruchloses, bescheidenes Wesen hatte einen zu günstigen Einfluß auf die Annehmlichkeiten des Familiencirkels, als daß man ihm nicht gern verziehen hätte, daß ihm das Feuer und die mächtige Fantasie Alexanders fehlte, die auch in leere Wüsten Glanz und Leben, und in die verblichenen Bilder der Alltagswelt bunte, glühende Farben zu zaubern wußte. Zwischen Emilien und ihm waltete jene ruhige Vertraulichkeit, die unter liebenden Geschwistern Statt findet. Nur mit mädchenhafter Schüchternheit berührte sie ihr Verhältniß zu seinem Bruder, das ihre Zukunft mit dem milden Rosenschimmer glücklicher Liebe übergoß. Aber die Innigkeit, mit der er ihre hoffnungsvollen Träume errieth, und ihre dämmernden Gefühle aus der Tiefe ihres ahnenden Herzens zu lichter Klarheit emporrief, machte ihr seinen Umgang lieb und nothwendig, da Niemand so wie Er verstand, den Ton zu treffen, der ihrer Stimmung das wohlthätige Gleichgewicht zwischen Heiterkeit und Wehmuth erhielt.

Einst kehrte Theodor in ungewöhnlicher Bewegung von einem Spazierritte zurück. Auch ihn zog [75] eine hingebende Anhänglichkeit näher zu Emilien, als zu seinen übrigen Verwandten, und er hatte ihr immer mit gewissenhafter Treue die wichtigsten Ereignisse seines bisher sehr ruhigen Herzens anvertraut. Ein dringenderes Bedürfniß der Mittheilung als jemahls schien ihn heute zu ihr hinzuführen, und als er sie nicht allein in ihrem Zimmer fand, wechselte eine so auffallende Zerstreuung mit einem so wunderbaren Tiefsinn in ihm ab, daß er, der sonst einen so gefälligen Antheil an jeder Unterhaltung nahm, diesmahl für alles verloren schien, was außer ihm vorging.

»Was ist Ihnen, Vetter? fragte Emilie erstaunt, als endlich die störende Gesellschaft sich entfernte. Etwas Ungewöhnliches muß Ihnen begegnet seyn, denn so sonderbar gespannt, so in sich gekehrt, und mit sich selbst beschäftigt sah ich Sie noch nie.«

»Ja! versetzte er mit Lebhaftigkeit, Sie haben ganz Recht, Emilie! Es ist mir wirklich etwas Ungewöhnliches begegnet, denn der Himmel hat sich vor mir auf gethan – – wenigstens hab' ich einen seiner Engel erblickt.«

Seine Augen glänzten, seine Wangen brannten, seine ganze Seele schien nur von dieser Erinnerung bewegt. Es kostete Mühe, ehe es Emilien gelang, ihn zu einer zusammenhängenden Erzählung zu bringen.

»Ich ritt – beantwortete er endlich ihre dringenden Fragen – meinen gewöhnlichen Lieblingsweg, die breite Landstraße, die mit Pappeln eingefaßt, durch grüne Wiesen und fruchtbare Felder am [76] Fuße der Weinberge sich nach Süden hinzieht. Der schöne Morgen lockte mich weiter und immer weiter, und unvermerkt erreichte ich ein Wirthshaus am Wege, das von dunklen Linden beschattet mir vor der Sonne, die jetzt höher heraufgestiegen war, einen willkommenen Zufluchtsort bot.

Ich setzte mich vor die Thür des Hauses und ließ mir ein Frühstück geben. Nach einiger Zeit rollte ein Reisewagen heran. Ohne besonders auf ihn Acht zu haben, sah ich ihn halten, und eine Dame aussteigen, die verschleiert, und von einem Kammermädchen begleitet, auf das Haus zukam, und an der anderen Seite der Thür auf der steinernen Bank Platz nahm, während das Mädchen bei der Wirthin einige Erfrischungen bestellte. Ein alter Bedienter war mürrisch bei dem Wagen geblieben.

Vielleicht hätte die Höflichkeit erfordert, mich der Dame zu nähern: aber ich unterließ es – ich weiß selbst nicht aus welcher innern Scheu, die bei'm genaueren Anblick ihrer schlanken Nimphengestalt mich faßte. Sie wandte ihr Gesicht zu mir, und schien mich mit Aufmerksamkeit zu betrachten. Ein Spitzenschleier wallte wie ein zarter Nebel über das blühende Antlitz, und ein schwarzes Reisekleid schmiegte sich eng und sittsam an die edle Form ihres schönen Körpers, den bei aller Fülle der Jugend gleichwohl eine fast ätherische Leichtigkeit schmückte.

Eine reizende Gestalt! dacht' ich noch ziemlich gleichgültig vor mich hin, aber als das Mädchen nun mit dem Frühstück herbei kam, und sie [77] den Schleier zurück schlug, der – wie Wolken den Glanz der Sonne hemmen – mir bisher den Anblick einer nie geahneten Schönheit verborgen hatte, dv verwirrten sich meine Gedanken, und wie in einem Meere voll unbeschreiblicher Seeligkeit ging alle Ruhe meines Herzens in dem Schimmer der großen göttlichen schwarzen Augen unter, mit denen sie mich ansah.«

»Vetter! Vetter! mit Ihnen ist es weit gediehen! rief Emilie lächelnd aus. Sie sind begeistert, wie ein Dichter in den Stunden der Weihe, wenn sein Ideal ihm vor der Seele schwebt.«

»Auch verrieth das kühnste Ideal das ich mir jemahls träumte, nicht die Hälfte der Anmuth – fuhr er fort – die über die harmonischen Züge meiner Unbekannten, über ihren zarten, lieblichen Wuchs, und über jede ihrer holdseligen Bewegungen ausgegossen ist.

Die unwillkührliche Ehrfurcht, die eine vollendete Schönheit immer einflößt, trieb mich empor von meinem Sitze. Ich stand ihr gegenüber wie im Traume, und wagte kein Wort; aber alles was ich fühlte, mußte in meinem Auge sich ausdrücken, denn sie schlug das ihre in süßer, lächelnder Verwirrung nieder, und erröthete tief.

Komm näher, Jakob! rief sie endlich dem alten Bedienten mit einer Stimme zu, die melodisch durch alle meine Nerven bebte. Frühstücke ein wenig: wir haben noch anderthalb Meilen bis zur Stadt. – Ich danke, gnädige Frau! antwortete Jakob finster – ich habe keinen Hunger. Das: [78] gnädige Frau, erschütterte mich schmerzlich. Im reinen Anschauen ihrer Liebenswürdigkeit verloren, hatte ich noch gar nicht daran gedacht, daß es Verhältnisse giebt, die ein solches Kleinod zum Eigenthum eines Einzigen weihen dürfen, statt ihm Altäre der Anbetung zu errichten. Und indem ich's dachte, durchdrang mich glühend die Ueberzeugung, wie beneidenswerth das Loos seyn muß, eine solche Frau zu besitzen.

Der Postillion hatte sich von seinen Pferden entfernt, um im Wirthshause alte Bekannte zu begrüßen. Die Fremde benutzte diese Zeit, da ihr vielleicht mein stummes Anstarren lästig fiel, um den Garten zu besehen. In der Hoffnung, etwas Bestimmtes über sie zu erfahren, näherte ich mich dem alten Diener, der jetzt die Zügel der Pferde hielt, und durch eine gewisse strenge Ehrlichkeit der Miene mir wohlgefiel. Aber es bedurfte manches lästigen Umweges, ehe ich die Frage nach dem Namen seiner Gebieterin auf eine schickliche Art einleiten konnte, denn seine ernste Einsylbigkeit war ganz geschaffen, die Neugierde unbefriedigt zurück zu weisen. Endlich gelang es mir doch, aus ihm heraus zu locken, daß sie die Wittwe eines Herrn von Brunnen sey, der nur kurze Zeit mit ihr verheirathet gewesen wäre.

Das Wort: Wittwe, an das sich der entzückende Gedanke ihrer Freiheit knüpfte, durchschauerte mich wie ein elektrischer Schlag. Halb ohne zu wissen, was ich that, ergriff ich eine Hand voll Geld, den Alten für diese theuere Nachricht zu belohnen: [79] aber er schüttelte unwillig das graue Haupt, und drehte sich von mir weg, ohne zu nehmen, was ich, so innig erfreut, ihm darbot. Jetzt hörte ich hinter mir ihr seidenes Gewand rauschen – dicht stand sie neben uns, und mit einer Lieblichkeit ohne Gleichen beugte sie sich im Gruße des Abschieds vor mir, und stieg ein.

Sie hatte im Garten einige dunkele Nelken gepflückt. Eine derselben war ihr entfallen. Ich hob sie auf, und drückte sie an mein Herz, und so sah ich ihrem Wagen nach, so lange, bis die Krümmung des Weges ihn meinen sehnenden Blicken entzog. Eine öde Leere schien mich jetzt mit einemmahle zu umfangen – ach, mir war zu Muth, als sey jede Möglichkeit eines künftigen Glücks mit ihr verschwunden. – Als ich nachher mein Pferd bestieg, und in fliegender Eil ihr nachsprengte, erreichte ich bald ihre Spuren wieder; aber ich hatte nicht die Kühnheit, mich ihr zu zeigen. Nur von Ferne folgte ich dem Wagen, und als sie plötzlich den schönen Kopf herausbeugte, um einem Bettler eine Gabe zuzuwerfen, durchzuckte mich das Wehen ihres Schleiers, wie die Nähe einer Gottheit, mit einem wunderbaren Gemisch von Anbetung, Sehnsucht und Entzücken.«

Emilie – die ihren Freund noch nie von einer ähnlichen Glut der Empfindung entzündet gesehen, ja, die ihn bisher bei der stillen Mäßigung seines Charakters nicht einmahl derselben fähig gehalten hatte – wußte nicht, ob sie sein Zutrauen mit Scherz oder ernster Theilnahme erwiedern sollte. Doch [80] bestach die Rührung, die sein feuchtes Auge verrieth, viel zu sehr ihn Mitgefühl, als daß sie ihm den kargen Trost hätte versagen mögen, sich herzlich über den Gegenstand vor ihr auszusprechen, der jetzt so einzig sein Gemüth erfüllte. Sie hörte ihm also mit Aufmerksamkeit zu, als er noch lange fortfuhr, in entzückten Ausrufungen die Schönheit seiner neuen Bekanntschaft zu preisen, und mit Vergnügen vernahm sie, was er erforscht hatte, daß nemlich die reizende Wittwe in einem Gasthofe der Stadt abgestiegen sey, und sich nach einer Wohnung in einem Privathause erkundigt habe, weil sie einige Monate daselbst zu bleiben gedenke.

Emiliens Neugier war rege geworden, und vermittelst der Gabe der Combination fühlte sie sich durch manche aufsteigende Erinnerung an Alexander fest mit dem Interesse der Leidenschaft seines Bruders verbunden. Denn nie hatte sie die Aehnlichkeit zwischen ihrem Geliebten und ihm in schärferer Bezeichnung wahrgenommen, als eben jetzt. Bisher erschien ihr Theodor nur wie der schwache Nachhall einer göttlichen Melodie, wenn sie ihn mit Alexander verglich, oder wie der matte Schattenriß einer hohen, herrlichen Gestalt – denn er war nur warm, wo jener brannte, nur innig, wo Alexander im höchsten Enthusiasmus schwärmte, nur gerührt, wo den Anderen ein wüthender Schmerz ergriff. Diese engeren Gränzen der Empfindung, welche die Natur ihm angewiesen hatte, dünkten ihr oft Beschränkung, und mit Erstaunen sah sie ihn jetzt aus ihr heraustreten, und mehr wie jemals mit dem geliebten [81] Bilde verschmolzen, das in ihrer Seele herrschte. Sie gelobte ihm freudig, Antheil an seinen Bemühungen zu nehmen, um die nähere Bekanntschaft der Frau zu machen, die er ihr als so liebenswürdig geschildert hatte. Denn wenn sie gleich einen großen Theil seiner Aeußerungen über sie auf Rechnung der partheyischen Verblendung schrieb, die eine schnell entstandene, aufbrausende Liebe zu begleiten pflegt, so blieben doch noch genug Reize an der lieblichen Gestalt übrig, die er vor ihren Geist hingezaubert hatte, als daß sie nicht erwartungsvoll hätte wünschen sollen, sie mit eigenen Augen zu erblicken. Auch waren die Umstände, die bei näherer Ueberlegung beiden mit Schwierigkeiten drohten, nicht so schwer zu überwinden, wie es in der Ferne schien. Im Gegentheile vereinigte sich Alles auf eine überraschende Weise, um ihren Wünschen zuvor zu kommen; denn nach einigen Tagen, in denen Frau von Brunnen eine sehr elegante Wohnung bezogen hatte, schickte sie an den Baron einen Brief seines Bruders, der Gesandter in Wien war, worin sie ihm auf das dringendste empfohlen wurde.

»Sie ist – schrieb der Gesandte – die höchst interessante Wittwe eines in dem letzten Kriege gebleibenen Offiziers, mit dem sie nur wenige Monate verheirathet war. Dieser Verlust, und Mangel an Liebe und Antheil in seiner Familie, gegen deren Willen er sich mit ihr verbunden hatte, bewogen sie, eine Gegend zu verlassen, die ihr nur Kummer und bittere Erinnerungen darbot, und ich hoffe mich nicht verrechnet zu haben, wenn ich [82] ihr den freundlichsten Empfang in Deinem Hause versprach, als ich ihr rieth ***** vor läufig zu ihrem Wohnorte zu wählen.«

Sobald der Baron diesen Brief gelesen hatte, ging er hin, die Bekanntschaft der Fremden zu machen. Ungeduldig sah Theodor seiner Zurückkunft und seinem Urtheil über sie entgegen, und es kostete ihm Mühe, sein Entzücken zu verbergen, als sein Vater, der sonst sehr karg in seinem Lobe war, mit ungewöhnlicher Wärme von der Liebenswürdigkeit der jungen Wittwe sprach. Die Nach richt, daß sie noch denselben Abend kommen werde, seine Mutter und Emilie kennen zu lernen, bewegte ihn mit alle der Unruhe, die eine keimende Leidenschaft mit sich bringt, und obgleich nur wenige Stunden ihn von dem Augenblicke ihres Wiedersehens trennten, so dünkten sie seiner ungestümen Erwartung doch zu lange, und zögernder als sonst ganze Tage zu verschwinden.

In Träumereien, von denen er sich selbst kaum Rechenschaft geben konnte, saß er den ganzen Tag im Gesellschaftszimmer, um ja den Moment nicht zu versäumen, wo sie herein treten werde, und jedes leise Geräusch, jeder Schlag der Uhr erfüllte ihn mit einer süßen Beklommenheit, die aus der Hoffnung ihrer Annäherung entsprang.

Emilie – die Vertraute seines zwischen Sehnsucht und Bangigkeit schwankenden Zustandes – belächelte ihn gutmüthig, denn begreifen konnte sie ihn nicht. Ihre Neigung zu Alexander war nur nach und nach in sanften Uebergängen entstanden, ohne [83] von den Schauern begleitet zu seyn, den der erste Eindruck der Liebe im menschlichen Herzen bewirkt, wenn er in den Jahren der vollsten Empfänglichkeit wie ein Blitz des Himmels trifft und zündet.

Unvermerkt und leise war das Gefühl, das sich jetzt so erschütternd der Seele ihres Freundes bemächtigte, in ihrem ruhigen Busen gereift, wie eine schöne Frucht, die im Sonnenschein des Jugendglückes aus der herrlichsten Blüthe des Lebens sich gestaltet. Daher konnte sie sich, wenn sie in ihr Inneres blickte, die Liebe nur als theure Nothwendigkeit und Nahrung ihres Daseyns denken – nicht despotisch, als gewaltsame Ueberraschung, wie sie Theodors unerwartetes Herz ergriffen hatte.

Sie wollte ihm eben ihr Befremden über die verschiedenen Wirkungen derselben Empfindung mittheilen, als das Rollen eines Wagens die Ankunft der schönen Fremden verkündigte. Neugierig, und mit prüfenden Blicken sah sir ihr entgegen – doch nicht die frische Gestalt, die ihr Theodor geschildert hatte, trat von allen Grazien der Gesundheit und der blühenden Jugend umringt, herein. Das Zögernde, Ungewisse ihres Ganges, die tiefe Blässe ihrer Wangen, und die matt gesenkten, durch dunkle Augenwimpern halb verschlossenen Augen sprachen, obgleich ihre bleichen Lippen schwiegen, mit rührender Beredsamkeit ein tiefes Leiden aus.

Der Baron führte sie zu seiner Frau, um sie ihr vorzustellen; er nannte ihr auch Emilien, welche sie mit holder Freundlichkeit begrüßte, aber Frau von Brunnen erwiederte nichts auf ihren zuvorkommenden[84] Empfang. Ein schmerzlicher Seufzer hob ihre Brust – ihr Blick schien zu brechen, und eine Ohnmacht streckte sie leblos auf den Teppich des Fußbodens nieder.

Die allgemeine Betroffenheit, die dieser unangenehme Zufall erregte, hinderte weder die Baronin, noch Emilien, ihr sogleich allen möglichen Beistand zu leisten. Auch Theodor erhielt schnell durch die Gefahr, in der ihm die reizende Frau zu schweben schien, so viel Unbefangenheit wieder, als möglich war, um zu ihrer Hülfe auf das eiligste Leute, und einen Arzt herbei zu rufen.

Man brachte sie in Emiliens Zimmer und legte sie auf das Sopha. Auch jetzt noch, dem Anschein nach von allem Leben verlassen, fand Emilie, daß die schwärmerische Begeistrung, mit welcher Theodor von ihrer Schönheit gesprochen hatte, keine Uebertreibung gewesen war, wie sie ihn vorher in Gedanken wohl beschuldigte.

Nur wenig Versuche hatte man gemacht, sie wieder ins Bewustseyn zurück zu rufen, als ein zartes Roth ihre Wangen färbte, und ihr stillstehender Puls sich wieder zu regen begann. Sie schlug die Augen auf, und sah Emilien, die hülfreich vor ihr kniete, mit einem Blicke an, der tief in ihre Seele drang. Traurigkeit, Dank und Verwirrung war der Ausdruck desselben, und eine himmlische Güte und Reinheit des Herzens leuchtete aus ihm hervor. Die Baronin, noch immer besorgt, beugte sich theilnehmend, nach ihrem Befinden forschend, zu ihr nieder.

[85] »Wie beschämt bin ich, Ihnen so viel Unruhe zu machen, sagte Frau von Brunnen mit leiser Stimme. Wohl habe ich den ganzen Tag befürchtet, dieser Zufall werde mir bevorstehen, aber da ich mich immer bemühe, mir nicht nachzugeben, traute ich mir Kraft genug zu, um wenigstens einen augenblicklichen Besuch bei Ihnen abstatten zu können. Und jetzt, da die Dumpfheit der Ohnmacht glücklich vorüber ist, und ich mich besser fühle, möchte ich ihr danken, denn sie hat die lästigen Schranken hinweg geräumt, die neue Bekannte von einander trennen. Ich bin Ihnen keine Fremde mehr, seit Sie Gelegenheit fanden, so freundlich für mich zu sorgen, und Sie erscheinen mir wie theuere, oft gesehene Verwandte, seit ich Ihren warmen Antheil so thätig empfunden habe.« – Sie reichte bei diesen Worten mit unwiderstehlicher Anmuth die eine Hand der Baronin, die andere Emilien, die sich liebevoll ihr entgegen neigte.

»Es hätte nicht dieser angstvoller Veranlassung bedurft – erwiederte die Baronin – um Ihnen zu zeigen, wie gern wir Sie in unserem Hause und in unsren Herzen aufnehmen.«

»Böse Frau! – setzte Emilie lächelnd hinzu – so sollten wir durch Sorge und Betrübniß gewahr werden, wie herzlich schon der erste Anblick Sie uns empfohlen hat? Sie müssen viel wieder gut machen, und nur durch Liebe läßt sich die Angst vergelten, die wir um Sie gehabt haben.«

Constanze, so hieß die Wittwe, richtete sich empor. [86] Sie war in tiefer Bewegung und sanfte Thränen glänzten in ihren großen, seelenvollen Augen.

»Wie rührt mich jedes ihrer Worte – rief sie aus – und wie wohlthätig ist ihre Freundlichkeit meinem furchtsam zagenden Gemüthe. Ach! mein Schicksal ist so sonderbar! Bei der Fähigkeit, ja, sogar bei dem Bedürfniß, mit allen Kräften meiner Seele zu lieben, hat es mich immer einsam in dem Gewühle der kalten herzlosen Welt gelassen, bis zu der seligen Zeit, wo ich das theure Wesen fand, das mein Alles ward. – Jetzt bin ich wieder allein – doch indem Sie mich so innig unter sich aufnehmen, erscheine ich mir nicht mehr isolirt, und ich sehe schon die Ahnung in Gewißheit verwandelt, daß jeder Tag, den wir zusammen verleben, uns fester mit einander verbinden wird.«

Auch in der Baronin und in Emilien regte sich die ser Glaube mit aller Kraft der Ueberzeugung, und vorzüglich fühlte sich die Letztere zu der holdseligen Frau hingezogen, da der Frühling des Lebens, in dem sie noch beide waren, durch die Uebereinstimmung jugendlicher Empfindungen und Ansichten noch nähere Bande um sie schlang, als um die Baronin, deren reiferes Alter ihrem Wohlwollen nicht den Anstrich zutraulicher, auf Gleichheit gegründeter Freundschaft, sondern einer mütterlichen Zuneigung lieh.

Theodor und sein Vater, die sich bescheiden zurückgezogen hatten, näherten sich jetzt, als sie erfuhren, Constanze befinde sich besser. Zwar schwebten zuweilen Wolken, wie der Schatten einer inneren, unbezwinglichen Trauer über ihren schönen Zügen –[87] zwar wollten sich ihre Augen oft mit Thränen füllen, die sie mühsam zurückdrängte, aber selbst unter dem Drucke des Leidens, und von Mattigkeit gebeugt, bezauberte sie die ganze Familie durch die stille Jungfräulichkeit und Würde einer reinen, gefühlvollen Seele, deren Spiegel ihr herrliches, jeden unverwahrloseten Sinn entzückendes Antlitz war.

Sie erinnerte sich, Theodor bei ihrer Ankunft schon begegnet zu haben, und bezeugte ihm mit verbindlichen Worten ihr Vergnügen, ihn wieder zu sehen, und ihn näher kennen zu lernen. Theodor wollte antworten – stockte – erröthete – und konnte nur wenig erwiedern. Doch drückte sich in der leidenschaftlichen Regung, die ihn durchschauerte, deutlich aus, daß jenes Zusammentreffen ihm nicht als flüchtiges Spiel des Zufalls, sondern als Wink einer höheren Bestimmung erschien, die dadurch über das Geschick seines ganzen Lebens entschieden hatte.

Constanze schien seine Verlegenheit zu übersehen, und nahm Abschied. Denn obgleich sie sich völlig erholt hatte, fühlte sie sich doch noch angegriffen, und bedurfte der Ruhe. Emilie begleitete sie nach ihrer Wohnung, und als sie sie dort der Pflege ihres Kammermädchens übergeben hatte, kehrte sie mit dem Versprechen von ihr zurück, sie künftig täglich zu sehen.

Sie fand, als sie nach Hause kam, ihre Verwandten in einem lebhaften Gespräch über Constanzen, an dem sie um so lieber Theil nahm, da ihr [88] Gemüth ganz von dem Eindrucke erfüllt war, den diese holde Erscheinung auf sie gemacht hatte.

Nie war, weder bei'm ersten Anblick einer neuen Bekanntschaft, noch bei einer genaueren Anneigung derselben ihr Herz, das sich sonst nur langsam, und bedingungsweise hingab, so eingenommen, ihr Auge so bestochen und ihr Geist so angezogen worden, als hier. Der edle Stolz in Constanzens Haltung, der aus ihren Blicken leuchtete, und auf ihrer freien Stirne thronte, gebot Achtung, denn er bezeichnete – sanft von Bescheidenheit umschleiert – das Bewustseyn ihres Werthes, und die Milde, die, auf Güte und Wahrheit gegründet, ihr Lächeln verklärte, flößte unwiderstehlich Liebe und Vertrauen ein.

Freudig bemerkte Emilie, wie übereinstimmend ihr Urtheil mit der Meinung der ganzen Familie war, und ohne einen störenden Mißlaut in ihrem Innern zu empfinden, hörte sie, über allen kleinlichen Neid erhaben, die Aeußerungen des ungetheilten Beifalls, mit welchen man die seltenen Vorzüge ihrer neuen Freundin erhob, bis auf einmahl ein düsterer Gedanke sie ernst in sich selbst zurückscheuchte, und sie verstummen machte.

Sie zog sich zurück in ihr einsames Zimmer, um ihm nachzuhängen. Ohne ihr noch recht klar geworden zu seyn, faßte er schon mit tiefer Angst ihr innerstes Leben. Unruhig ging sie auf und ab – sie schien sich selbst zu ermangeln – – der süße Frieden war gestört, der ihr sonst in der festen Zuversicht, mit der sie an Güte und Treue glaubte, überall nur den reinen Widerschein ihres eigenen [89] Sinnes zeigte. Zum erstenmahl ergriff ein schmerzliches Vorgefühl von Eifersucht ihre Seele, wenn sie bei Alexanders naher Zurückkunft sich Constanzen ihm gegenüber dachte.

»Wird er, der mich nie leidenschaftlich geliebt hat, dieser Anmuth widerstehen können? sagte sie zu sich selbst. Wird er Kraft genug haben, durch Zeit und Entfernung noch ruhiger in seinen Gefühlen für mich geworden, sein Auge diesen blendenden Reizen, sein Ohr der Melodie dieser Stimme zu verschließen, die – ach, ihrer Wirkung so gewiß – Liebe athmend, und Liebe erweckend in jede Seele dringt? –«

Die trübe Ahnung, die dieser bange Zweifel in ihr aufrief, verstärkte sich bei näherer Betrachtung in ihr zur Möglichkrit, ja, sogar zur bittersten Gewißheit; doch in dem Schmerze der Besorgniß, Alexandern vielleicht zu verlieren, fand sie endlich die Kraft wieder, zu handeln, um sich seinen Besitz zu erhalten.

Demungeachtet fühlte sie sich verstimmt durch die Einsamkeit, in der sie sonst immer mit jedem kleinen Zwiespalt in sich fertig wurde. Sie ging daher in den Sallon ihrer Tante zurück – nicht um unter Menschen zu seyn, denn sie wußte, daß jetzt niemand dort war – sondern um an Alexanders Bilde ihren gebeugten Muth zu erheben, und mit einem Blick in seine theueren Züge, jede Vorstellung in sich zu vertilgen, die den Charakter einer thörichten Furcht annehmen wollte.

Gerade der Thür gegenüber, in der vollen Beleuchtung [90] des Tagelichts, das von oben herab wie eine Glorie sich ergoß, schimmerte ihr in täuschender Aehnlichkeit die schöne Gestalt entgegen, die die Liebe so tief und fest in ihr Herz geprägt hatte. Alexander war in Lebensgröße von einem der geschicktesten Künstler seines Vaterlandes gemahlt. Stehend lehnte er, in leichter Jagdkleidung, das Gewehr in der Hand, der treue Hund zu seinen Füssen, an einem Baume, dessen halb verstorbener Stamm nur einzelne, mit falbem Laube geschmückte Zweige herab senkte. Auf dem verblichenen Grase des Fußbodens schienen die gelben, abgefallenen Blätter im Morgenthau zu glänzen, und die dichteren Gruppen des Waldes, so wie die ferne Prospective, die sich zwischen ihnen öffnete, kündigte in bunten Schattirungen den Herbst an.

Mitten aus dieser ernsten Darstellung des Welkens und des Vergehens, erhob er sich in männlicher Schönheit, ausgerüstet mit feuriger Kraft, als wolle er durch den Frühling seiner frischen Jugendblüthe einen erfreulichen Contrast mit der herbstlichen Jahrszeit bilden, welche in stiller Feier, fast schwermüthig aus der Gegend sprach, die ihn umgab. In seinem emporgerichteten Auge brannte die Flamme jener hohen Begeisterung, die auch alltägliche Gegenstände zu verklären weiß, und die stolze, edle Stirn schien eine Welt von Gedanken zu verhüllen.

Wie gern verlor sich Emilie im Anschauen dieser beseelten Leinwand, vor der sie schon oft ganze Stunden zugebracht hatte, mit Sehnsucht und [91] Trauer des Entfernten gedenkend. Süße Worte, aus der Tiefe des Herzens quellend, dünkten ihr, wenn sie ihn lange ansah, von seinen Lippen zu strömen, und sie legte ihnen dann ihre eigenen Empfindungen als Text unter, und träumte sich den Klang seiner Stimme hinzu.

Auch heute ging Friede und Freude aus seinen lächlenden Mienen auf sie über, und hell erleuchteten der Hoffnung Sterne ihr wieder den Himmel der Zukunft, der noch kurz vorher so umwölkt war. Sie erinnerte sich der Güte, mit der er ihre Kindheit gepflegt und erfreut, und der Vorzüge, die er ihr eingeräumt hatte, als sie, zu einem bedeutenderen Alter heran gewachsen, tieferen Sinn als allgemeines Wohlwollen in der Aufmerksamkeit ahnen durfte, die er ihr bezeugte. Zwar hatte sich seine Liebe nie mit der stürmischen Gewalt geäußert, mit der andere Leidenschaften ihn oft ergriffen; aber in der Ruhe seines Gefühls für sie schien ihr die Bürgschaft einer ewigen Dauer enthalten, und sie dankte dem Himmel, daß seine Neigung nicht einem flüchtigen Rausche, sondern der ernsten Besonnenheit glich.

Sie besuchte Constanzen den andern Tag, und fand sie völlig wieder hergestellt. Strahlen eines heiteren Geistes schimmerten zuweilen durch den duftigen Nebel, mit welchem eine innere Wehmuth ihre Seele umgab; doch war sie immer gleich liebenswürdig, in welcher Stimmung sie sich auch zeigte, und sie kam Emilien eben so anziehend in dem Nachhängen trüber Gedanken, als in den Ausbrüchen des [92] kindlichen Frohsinns vor, der der Grundton ihres Wesens schien, ehe Welt und Schicksale ihn verstimmt hatten.

Sie unterhielten sich lange und herzlich mit einander; doch berührte Constanze ihre ehemaligen Verhältnisse nicht, und eine leise Anspielung Emiliens, die einer Frage ähnlich war, ergriff sie zu schmerzhaft, um nicht deutlich auszudrücken, wie willkommen ihr die milde Schonung war, mit der Emilie von diesem Augenblicke an sorgfältig vermied, sie an die Vergangenheit zu erinnern.

Seitdem sahen sie sich täglich, und mit immer verstärkter Innigkeit und Liebe. Constanze beschränkte sich in ihrem Umgang ganz allein auf die Familie Lohberg, und wußte sehr bald sich jedem einzelnen Mitgliede desselben unentbehrlich zu machen. Die Trauer, die sie trug, war ihr eine Ursache der Entschuldigung, sich nicht in größere Zirkel einführen zu lassen, und ihre Talente, die, von Geist und Gefühl unterstützt, die Unterhaltung mit immer neuer Anmuth belebten, schufen eine freundliche Welt aus dem engen häuslichen Kreise.

Theodors Neigung, die gleich einem electrischen Funken beim ersten Anblick ihn erschüttert hatte, dauerte fort, und wurde um so fester, da die Vernunft die raschen Wallungen seines Herzens rechtfertigte. Doch umhüllte blöde Bescheidenheit seine Gesinnungen noch mit tiefem Schweigen, denn er fühlte, daß er nur durch treue, stumme Hingebung um Constanzens Gegenliebe werben dürfe, bis eine nähere Bekanntschaft ihr zeigen werde, daß er ihrer [93] würdig sey. Nur in Emiliens Herz legte er mit brüderlichem Vertrauen die Empfindungen des seinigen nieder, und sie nährte durch den Trost der Hoffnung die heilige Flamme seiner Liebe, indem sie Constanzens wohlwollende Gefälligkeit gegen ihn beobachtete, und auch für sich selbst Beruhigung aus dem Glauben schöpfte, sie werde nicht unempfindlich gegen so viel Güte und Anhänglichkeit bleiben.

Ob sie gleich Constanzens Verschlossenheit ehrte, so meinte sie doch, was ihre eigene Lage betraf,offen seyn zu müssen, um von den duftenden Rosen dieser Freundschaft jeden Dorn abzustreifen, der sie künftig verwunden könnte.

Als sie daher Constanzen bei ihrem nächsten Besuch aufmerksam auf Alexanders Portrait gemacht hatte, und diese mit stillem Antheil es betrachtete, sagte sie erröthend: »Durch das Original dieses Bildes werde ich einst diesem Hause noch näher angehören.«

Constanze schwieg, und wandte ihren Blick nicht weg von den schönen Zügen, die die Kunst mit allem Zauber des Lebens beseelt hatte. Emilie glaubte, sie habe sie noch nicht verstanden, und strebte, ihr deutlicher zu werden. Sie sprach von Alexanders Vorzügen mit frohem Stolze, und gestand freimüthig, daß es ihr höchstes Glück ausmache, mit ihm so gut als verlobt zu seyn.

Jetzt sah Constanze sich um; ihr Auge schwamm in Thränen. »Wie rühren mich die Hoffnungen eines liebenden Herzens, rief sie aus. Ach – so selten [94] sah ich sie erfüllt – und in ihrem Umsturze oft die schönsten Blüthen des Lebens begraben!«

Emilie wurde betroffen durch diese Worte, die ihr als ein zweifelnder Einwurf an der Gewißheit ihres künftigen Glückes erschienen.

»Wenn die Hoffnungen der Liebe, antwortete sie, wie bei Alexander und mir, sich auf tiefe Kenntnisse der Gemüther, auf gegenseitige Achtung und schon früh entwickelte Neigung gründen, und von allen äußeren Umständen begünstigt werden, läßt sich dann ihre Erfüllung nicht mit Zuversicht erwarten?«

»Ach, versetzte Constanze, der fromme, kindliche Glaube eines noch ungetäuschten Herzens zeigt uns unsere Wünsche immer im Spiegel der Möglichkeit: aber die Erfahrung lehrt – und oft so bitter – daß sie den bunten Seifenblasen gleichen, die spurlos in der Luft zerplatzen. Daher möchte ich Schillers ernste Worte: wer im Besitze ist, lerne verlieren! zum Wahlspruch eines jeden jugendlichen Sinnes machen. Denn die ahnungslose Ruhe, mit der man seinem Schicksal entgegen geht, erinnert mich stets an die Sorglosigkeit des Kindes in der griechischen Anthologie, das fröhlich unter Blumen spielt, während sich der Fels schon senkt, der es zerschmettern wird.«

»Und würde, um Ihr Gleichniß weiter auszuführen, erwiederte Emilie mit einiger Empfindlichkeit, eine schreckende Warnung den Felsen aufhalten können in seinem Laufe? oder würde sie nur in das letzte, heitere Spiel des Kindes das Beben der Angst [95] mischen, dem es, freudig dem Leben entgegen lächlend, entgeht, da es nicht ahnet, daß es schon dem Tode geweiht ist?«

»Wen die Warnung nicht mehr retten kann, dem würde sie allerdings mehr schaden, als nützen, sagte Constanze. Aber müssen wir dem Kinde gleichen? Müssen wir nicht vielmehr beklagen, daß keine hülfreiche Hand sich ausstreckte, es der Gefahr zu entziehen? und sollten wir nicht erschüttert durch sein Beispiel, uns selbst, und andere waffnen gegen die Härte des Geschicks, die uns begegnen könnte? – Auch wenn wir uns unter die wenigen Lieblinge des Glücks zählen dürfen, denen die Hoffnunghält, was sie verspricht – wird nicht die Fähigkeit, zu dulden und zu tragen, wenn wir sie in uns erwecken, den Genuß dereinst verschöneren, so wie sie allein vor dem Erliegen uns bewahren kann, wennVerlust oder Entbehren unser Loos seyn sollte? Und wem ist sie nöthiger zu erlangen, als einem Herzen, das noch im Morgentraume der ersten Liebe schwärmt? Sie allein, diese göttlichste der Leidenschaften, erhebt uns ja auf die Stufe der höchsten Vollendung, und zeigt uns den Umfang unserer inneren Würde, unserer Kraft, zu leiden und zu handeln, und der Fülle des Muthes, der alles durchsetzen kann, was er will, und – – was er muß

»In welches Nebelmeer hat ihre Fantasie meine heiteren Aussichten versenkt! sagte Emilie lächelnd. Beinahe hätte ich mich auf einige Augenblicke verirrt – allein welch ein Chaos von Melancholie [96] und Finsterniß umfing mich strafend, als ich von der hellen Bahn des Hoffens abwich. Gewiß, liebe Constanze! wollten Sie mich nur prüfen, ob ich auch fest genug bin, beharrlich dem Glücke zu vertrauen, da es mir eimahl die Hand geboten hat. Wohl sagt man, daß das menschliche Leben ein immerwährender Kampf mit Klippen ist, an welchen unsere liebsten Wünsche scheitern. Aber geht denn niemals Sieg aus dem Kampfe hervor? Ist jede Freude nur ein Pfand ihres künftigen Verlierens? Und wenn es so wäre – wie ich doch nicht glauben kann – ach! so möcht' ich lieber wie jenes ahnungslose Kind fröhlich spielend unter meinen Blumen sterben, als mich aufschütteln lassen aus dem goldenen Frieden seliger Unbefangenheit, um mich einem öden Daseyn ohne Blüthen und ohne Freuden zu erhalten.«

»Sie gehen in die Gedanken des Kindes ein, erwiederte Constanze. Aber hätte ein rettender Genius es auch unsanft aus seinen Spielen gerissen, so liegt doch in der Natur der Sache, daß es ihm gedankt haben würde, wenn späterhin sein Verstand sich entwickelt, und ihm zugerufen hätte, daß noch andere Blumen blühen, als die, die ihm damals zu Grunde gingen.«

»Lassen wir die Allegorieen! unterbrach sie Emilie. Sie verwirren nur den Begriff vom einfachen häuslichen Glücke, der vor meiner Seele schwebt, wenn ich an die Zukunft denke. Nicht romantisch, und unerreichbar ist das Ideal meiner Hoffnungen. Für Alexanders Zufriedenheit zu sorgen, [97] mich seines Zutrauens, und seiner Liebe zu erfreuen, und mich nach allen Eigenthümlichkeiten seines genialen Sinnes nachgebend zu richten – das wird das Geschäft und das Entzücken meines Lebens seyn – und warum sollte die Wirklichkeit es mir nicht gewähren?«

»Gutes Mädchen! seufzte Constanze, noch haben keine herben Erfahrungen Dir die rosenfarbene Binde vom Auge genommen, die in den Blüthenhainen der ersten Jugend Allem ihre liebliche Farbe mittheilt. Möge, wenn sie Dir entrissen werden soll, einesanfte Hand sie hinweg ziehen, und möge keine andere Sehnsucht Dein reines Herz schwellen, als die, die Dein Schicksal zu stillen vermag! Sehr oft aber – und weise ists, sich mit dieser Wahrheit bekannt zu machen – sehr oft reicht uns der Lauf der Welt Wermuth, wenn wir Honig erwarten, und was uns unser eigener Glaube oft wie eine glühende Sonne darstellte, ist zuweilen nur ein kaltes Nordlicht, das an den Polen der Erde schimmert, ohne zu wärmen.«

Sie war sehr bewegt, als sie dies sagte. Die stille Wehmuth ihres Tones und ihrer Worte durchdrang auch Emiliens Busen mit schmerzlichen Regungen, und sie bedurfte einiger Augenblicke, sich zu fassen, ehe sie weiter reden konnte.

»Muß ich das von Ihnen hören, Constanze! sprach sie alsdann, und blickte mit nassen Augen zu ihr auf. Ist diese Hoffnungslosigkeit, die Sie in mir erwecken wollen, nur eine trübe Ahnung meines Looses, oder das Resultat des Ihrigen? – [98] Sie haben zwar Ihre Vergangenheit in ein undurchdringliches Dunkel für mich gehüllt, und ich forsche nicht nach Geheimnissen – aber die vollendete Harmonie ihres Gemüths, und selbst einzelne Aeußerungen, die oft um so mehr Licht über die Tiefe des Inneren verbreiten, je unwillkührlicher sie hervorbrechen, schienen mir in schöner Klarheit darzulegen, daß Sie das höchste Glück des Daseyns gekannt und genossen haben. Warum zweifeln Sie, daß auch ich es erreichen kann?«

»Ich zweifele nicht, antwortete Constanze nach einigen Momenten des Nachdenkens. Ich möchte nur veranlassen, daß Sie nicht in der erträumten Sicherheit des ungewissen Glücks sich berauschen, da sie wie ein lähmendes Gift unsere inneren Kräfte fesselt, wenn wir sie bedürfen. Was meine individuellen Verhältnisse betrifft, o so ist es nicht Mangel an Liebe und Vertrauen, weshalb ich vor Ihnen schweige. Einst wird jeder Schleier fallen, der sie jetzt verbirgt, und gewiß, meine Emilie! Sie könnten in diesem Augenblick nichts bei der Mittheilung mannichfaltiger Familienbedrängnisse, Verwickelungen und Katastrophen gewinnen, die gute und böse Sterne oft über mich herauf führten. Sie glauben einmahl an mich. Meine Individualität – wenn auch nur undeutlich ausgedrückt – hat Ihr Wohlwollen erregt, und ihre Freundschaft erworben. So fasse ich Sie denn bei'm Worte, und die erste Probe derselben sey die Gewährung der Bitte: werden Sie niemals irre an mir

Sie umfaßte bei diesen Worten Emilien mit [99] Zärtlichkeit, und eine lange Pause, die ihre gegenseitige Rührung ausfüllte, endigte dies Gespräch.

Emilie hatte Theodor versprochen, nach und nach Constanzens Meinung von ihm zu ergründen. Ihr Herz war durch die vorige Unterhaltung noch zu bewegt, um auf einen gleichgültigen Gegenstand übergehen zu können. Sie wollte also jetzt von Theodor anfangen, aber Constanze blieb, in halber Selbstvergessenheit versunken, seitwärts bei Alexanders Büste stehn, und verglich sie mit seinem Bilde, das von der hohen Wand herab auf sie beide lächelte.

»Die Werke der plastischen Kunst haben freilich den Vorzug, daß man sie von allen Seiten betrachten kann, sagte sie nach langem Schweigen; aber dennoch ziehe ich die Malerei unendlich vor, denn nicht allein in der Bestimmtheit der Umrisse – auch in den Farben – spricht die Macht der innigsten Erinnerung zu unserem Herzen. Sehen Sie selbst, Emilie! der kalte, leblose Marmor hat sich in die Form Ihres Freundes gefügt; es sind seine Züge, es ist seine Haltung, nicht wahr? Es ist der kühne Schwung des Nackens, den kein Joch jemals gebeugt hat, noch beugen wird – aber dies geisterbleiche Weiß gießt Schauer in jede freundliche Täuschung, und der Hauch des Todes scheint uns aus den leeren Augenhöhlen anzuwehen, denen das Seelenvolleste des Menschen: der Blick mangelt. –

Wie ganz anders ist es hier – fuhr sie fort, indem sie auf das Bild zeigte – hier, wo uns warmes volles Leben entgegen strahlt. Starr und [100] nichts sagend ist dort das Auge, und hier schließt er uns flammend den ganzen Himmel einer schönen Seele auf, und vertieft uns mit sich in die innere, reiche Gedankenfülle, die sich sinnend in ihm ausspricht.«

Emilie hörte etwas beunruhigt ihr zu. Es that ihr wohl, daß Constanze Alexanders Liebenswürdigkeit anerkannte, ohne ihn noch selbst gesehen zu haben – aber neben der leisen Sorge, wie erst sein wirklicher Anblick auf sie wirken werde, dünkte ihr, als hätten ihre Worte durch die gefühlvollste Modulation der Stimme noch gehoben, die zarte Gränze jener Maßigung überschritten, die, ihrer Meinung nach, dem weiblichen Lobe eines Fremden gebührte. Sie verbarg indeß ihr leises Mißbehagen, und suchte die Unterredung nach ihrem Vorsatz zu lenken.

»Auch ich, sagte sie, ziehe dieses Portrait allen übrigen Abbildungen Alexanders vor, weil es mir ihn so ganz und treu darstellt, daß mir nichts ihm gegenüber zu wünschen übrig bleibt, als allenfalls – seine Zurückkunft. Aber auch die Büste hält mich oft fest, wenn ich flüchtig an ihr vorüber streifen will, und selbst auf seinen einfachen Schattenriß ruhen meine Blicke mit Liebe. Denn jede Aehnlichkeit mit ihm,wo sie mir auch begegnet, zieht mich an, als wäre es seine eigene Nähe. So hat Theodor, außer seinem unverkennbaren eigenthümlichen Werth für mich noch das besondere Interesse, daß er seinem Bruder so auffallend gleicht.«

»Ja, er gleicht ihm, versetzte Constanze, aber [101] auch hier muß ich wieder den Einfluß bemerken, den der Zauber der Farbe auf die ersten Eindrücke hat, die wir empfangen. Denn sind es nicht dieselben Züge, die gleichwohl eine ganz andere Bedeutung so verschieden belebt? Dieses männlich gebräunte Colorit, dies in kunstloser Anmuth gelockte Haar, das, dunkel wie die Nacht, Alexanders Haupt umkränzt, diese ernste Tiefe in seinem schimmernden Blicke – läßt sie nicht auf Energie, Kraft und Kühnheit einer hohen Seele schließen, während bei Theodor das helle Blond seiner Locken, und seine blauen, sanften Augen ihm nicht den Charakter der Stärke, sondern der Milde, beinahe der Weiblichkeit verleihen?«

Emiliens Gesicht überzog eine brennende Röthe. Trübe Furcht verschob den dichten Flor der Zukunft, und die Tage ihrer Wiedervereinigung mit Alexander, nach denen sie sich oft so innig gesehnt hatte, schauten jetzt aus der Ferne, wie drohende Gespenster, sie an, und erfüllten sie mit Grauen. Ihr war, als flüsterte eine untrügliche Stimme, wie die Stimme ihres Schicksals ihr zu, daß sich eine Neigung zu ihrem Geliebten in Constanzens Seele bildete, und sie sah schon im Geist den glühenden Funken derselben, durch seine baldige Gegenwart, zu hohen, unauslöschlichen Flammen angefacht.

Sie fühlte zwar mitten unter den Beängstigungen dieses Gedankens, daß jetzt der Zeitpunkt nicht sey, zu Theodors Vortheil zu sprechen. Doch wenn eine innere Erschütterung uns aus dem Gleichgewichte bringt, verfehlen wir oft – selbst mit dem richtigsten Tacte im Busen – den Gegenstand, so [102] wie den Ton, der dem Augenblicke am angemessensten ist.

»Es sind nicht nur dieselben Physionomien, sagte sie, es ist auch dieselbe Seele, die aus den Zügen der beiden Brüder spricht, und ihre innige Verwandschaft verkündet. Daß sie anders, und weicher motivirt bei Theodor erscheint, beweißt noch nicht, daß es ihm an jener Energie fehlt, ohne welche Sanftmuth nur Charakterlosigkeit seyn würde. Und wüßten Sie, Constanze, mit welcher Herzenswärme er schon im ersten Momente von Ihrem Anblick sich ergriffen fühlte, wie er rastlos strebte, Sie aufzusuchen, um Sie wieder zu sehen, ehe wir noch glauben konnten, Ihre Bekanntschaft auf einem geraden, sicheren Wege machen zu dürfen, und welch eine Höhe sein Gefühl seitdem für sie erlangt hat, so schüchtern es sich auch verbirgt, Sie würden einsehen, daß Sie ihm Unrecht thaten, wenn Sie an der Kraft seines Gemüthes zweifelten, und – – um ihn für diesen lieblosen Verdacht zu entschädigen, der sich so wenig mit ihrer Güte und Billigkeit verträgt – würden Sie mir vergönnen, ihn in Ihrem Namen ein Wort der Aufmunterung, und der Hoffnung zu sagen.«

Wie zuweilen die ruhige Klarheit des Himmels sich plötzlich verdunkelt, so umwölkte ein Ausdruck von Trauer Constanzens Gesicht, während Emilie sprach.

»Es würde mir wehe thun, antwortete sie, wenn Theodors Wohlwollen, daß ich so arglos erwiedert habe, nur ein versteckter Anspruch auf eine [103] höhere Neigung wäre, die nicht in meiner Macht steht, ihm zu geben. Ich schätze ihn hoch. Sein reiner Sinn, sein klarer Verstand und seine freundliche Gefälligkeit, haben ihn mir werth gemacht, und gern möcht ich ihn unter meine Freunde zählen; aber die unendliche Welt voll Glück und Hoffnung, die sich einst in meinem Herzen bewegte, ging aus einer Liebe hervor, wie sie nur einmahl im Leben empfunden werden kann. Die finstere Kluft der Trennung hat sie verschlungen – doch ihr Abglanz blieb wie eine ewige Morgenröthe in mir zurück, und erklärt meine innere Existenz durch die Erinnerung, die an die Stelle des Genusses getreten ist. Aber sie trennt mich auch zu gleicher Zeit von dem Kreise der wirklichen Welt, und macht es mir unmöglich, irgend eine Hoffnung zu gestatten, die sich vielleicht auf meine Gegenliebe, und den Wunsch, mich zu besitzen, gründen könnte.«

Emilie athmete leichter, als sie diese Worte, im Tone des entschlossensten Ernstes ausgesprochen, vernahm. Ob sie gleich mit Schmerz in ihnen fand, daß Theodors sehnliches Verlangen umsonst sey, so lag doch für sie das tröstende Bekenntniß in ihnen, daß Constanze, tief durchdrungen von dem Verluste des geliebten Gemahls, jedem Gedanken an die Möglichkeit eines neuen Verhältnisses entsagt hatte, und daß daher ihre Aeußerungen über Alexander nicht der Ausdruck einer keimenden Liebe, sondern einer für alles Schöne und Große empfänglichen Seele waren.

Sie beschloß, Theodor noch in der glücklichen [104] Unwissenheit zu lassen, in der die Hoffnung mit goldenen Versprechungen ihm zur Seite stand, denn sie wußte ihm keinen Ersatz für das gestörte Glück derselben zu gewähren, so innig auch die Theilnahme ihrer Freundschaft an jeder guten oder bösen Laune seines Schicksals war. Auch erwartete er nicht mit stolzem Selbstvertrauen Constanzens Besitz schnell als den Preis der Liebe zu erhalten, die er so warm und zart im Innersten seines Herzens nährte; nur das Recht, sich um sie bewerben, und ihre Neigung verdienen zu dürfen, strebte er zu erringen, und der gränzenlose Raum der Zeit schien ihm von rosigen Schranken umbaut, wenn er in der Ferne nur die Möglichkeit erblickte, dereinst zum Lohne seiner treuen Anhänglichkeit die Geliebte zu erlangen. Daß es seiner beharrlichen Ausdauer gelingen werde, vielleicht einst Constanzens Gesinnungen zu ändern, bezweifelte Emilie um so weniger, da sie es wünschte, Daher beruhigte sie ihn, indem sie ihm bewies, daß es nothwendig sey, nichts zu übereilen, und jene entscheidende Erklärung aufzusparen, bis er mit Zuversicht glauben könne, sie günstig aufgenommen zu sehen.

Theodor unterwarf sich völlig ihrem Rathe, und es genügte ihm einstweilen, sich in Constanzens Umgang selig zu berauschen, und die leisen Eigenthümlichkeiten ihres Charakters zu studiren, um allmählich den Weg zu finden, auf dem das Wohlwollen, das sie ihm bewies, sich in Gegenliebe verwandeln ließ.

So vergingen einige Monate, und Constanze wurde immer einheimischer in dem Hause, so wie in der Familie Lohberg, als ein Brief Alexanders unverhofft[105] seine Zurückkunft ankündete. Welch einen fröhlichen Aufruhr erregte diese Nachricht nicht in Emiliens Herzen! In wenig Tagen sollte sie ihn wiedersehen, ihn, an dessen Bild sich alle ihre geheimen Wünsche, alle ihre verschwiegenen Forderungen an Lebensglück und Freude knüpften! Sehnsuchtsvoll schwebten ihre Gedanken wie Schmetterlinge um die mannigfaltigen Blumen der Zukunft, die ihr schon im Geiste lieblich dufteten, und ihre Fantasie schmückte den Augenblick ihrer Wiedervereinigung mit ihm durch all' den Zauber der Liebe, die aus dem Meere der Hoffnung ihren Glauben schöpft.

Verändert, neu belebt und muthig blühte jede vorher leise trauernde Empfindung in ihr wieder auf, und nur daß Constanze ihr fehlte in der Zeit des nahenden Genusses, sie, die im trüben Entbehren die Leere ihres Herzens so oft, so liebevoll gefüllt hatte – nur dies allein raubte dem Glücke, in dessen Fülle sie ahnend schwelgte, den Kranz der Vollkommenheit. Denn Constanze war krank, und mußte fast seit einer Woche schon das Zimmer hüten, ohne daß ihr Zustand sich zu bessern schien. Zwar umwölkte Rückkehr trüber Melancholie ihre Seele mehr, als physisches Leiden ihren Körper ermattete, aber sie erklärte sich für unfähig, auszugehen, und die Vorstellung, jetzt durch die Angelegenheiten ihres eigenen Herzens verhindert zu werden, ihr alles das zu seyn, was sie ihr so gern gewesen wäre, mischte einen trüben Schatten in die helle Aussicht der kommenden Tage.

Endlich schlug die Stunde, die Alexander nach[106] einer fast vierjährigen Abwesenheit in den Kreis der Seinen zurückführte. Freudig, und doch voll inneren Bebens, liebend, aber nicht ohne Verlegenheit, empfing ihn Emilie, und seine erste Begrüßung, durch die Gemüthsbewegung eines jeden wie in einem Rausche hingenommen, ließ sie noch zu keiner klaren Erkenntniß gelangen, ob sie eben so warm und treu in seiner Seele fortgelebt habe, als er in der ihren. Als er aber in den ruhigeren Stunden, die auf diesen Freudensturm folgten, nur die herzliche Theilnahme und Aufmerksamkeit des nahen Verwandten und Jugendgenossen, nicht die innigeren Ansprüche, zu denen der Bräutigam gegen die künftige Gefährtin seines Lebens berechtigt ist, ihr zeigte, glaubte ihr argloser Sinn die schüchterne Bescheidenheit, die in ihr selbst jede ihrer leisen Annäherungen verschleierte, nicht das Aufgeben dieser Ansprüche wahr zunehmen. Die brüderliche Innigkeit, durch die er ihr gleichsam einen Ersatz für höhere Gefühle zu bieten schien, dünkte ihr der Vorbote einer näheren Erklärung, und unbesorgt sah sie dem Augenblick entgegen, wo seine eigene Zusicherung ihre Hoffnung erfüllen, und ihn auf ewig zu dem Ihrigen weihen werde. Daß er viel ernster, in sich gekehrter von seiner Reise zurückgekommen war, befremdete sie allerdings, doch geneigt, alles in Gedanken hinweg zu räumen, was ihrem innigsten Wunsche in den Weg zu treten schien, hielt sie für die Reife eines seitdem männlicher gewordenen Charakters, was der Tiefsinn eines schmerzlich beschäftigten Gemüthes war.

Der Baron, der an Constanzens schwankender [107] Gesundheit den lebhaftesten Antheil nahm, und sie oft besuchte, fand es nöthig, ihr jetzt auch seinen ältesten Sohn vorzustellen. Alexander machte einige Schwierigkeiten, doch gab er den Gründen der Schicklichkeit nach, die sein Vater ihm entgegen setzte, und begleitete ihn zu der schönen Wittwe, auf deren Bekanntschaft ihn schon die günstige Beurtheilung eines jeden einzelnen Mitgliedes seiner Familie hätte neugierig machen müssen.

Gern wäre Emilie Zeugin dieser ersten Zusammenkunft gewesen, um zu beobachten, welchen Eindruck zwei so ausgezeichnete Menschen auf einander ma chen würden, aber ihr Oheim forderte sie nicht ausdrücklich auf, an diesem Besuche Theil zu nehmen, und sie war halb und halb unzufrieden mit sich selbst, da sie ihre innere Spannung für eine Regung unbefugter Eifersucht hielt. Deshalb bestrafte sie sich, indem sie ihren Wunsch unterdrückte; doch nicht ohne Beklemmung sah sie Vater und Sohn weggehen, nicht ohne ungeduldige Erwartung sie wiederkehren.

Sie war zu befangen, um nach Alexanders Urtheil über Constanzen zu forschen, aber leise dankte ihr Herz es Theodor, der diese Mühe übernahm, und als sie sah, wie er mit unverkennbarer Wärme sowohl ihrer Schönheit, als der Anmuth, die aus ihrem Geist und Gemüth hervorging, Gerechtigkeit wiederfahren ließ, erinnerte sie das tiefe Weh, das sie empfand, wie sehr sie Ursache hatte, auf diese Schwäche ihres Herzens aufmerksam zu seyn.

Mißvergnügt, und unentschieden, ob sie es mit[108] sich, oder mit Constanzens Vollkommenheiten war, suchte sie die Einsamkeit auf, sich die schmerzliche Unruhe zu verweisen, mit der schon die leise Ahnung sie erschütterte, der Geliebte könne fremden Werth tiefer empfinden, als ihren eigenen. Wenn es wäre – sagte sie zu sich selbst – wenn diese Bekanntschaft, in der ich durch den nie vorher gekannten Genuß der Freundschaft meines Glücks Vollendung sah, die Zerstörung desselben bewirkte – – was bliebe mir übrig zu thun, oder zu hoffen? – –

Sie fand keine Antwort in sich auf diese Frage. Trostlos schien es rings umher im Leben sich für sie zu verdunklen, und nur aus Constanzens ihr so fest scheinendem Charakter, aus ihren Aeßerungen, die auf eine, selbst noch den Manen ihres Gatten geweihte Treue schließen ließen, entwickelte sich ihr der Glaube, sie könne wohl zu rasch, wie andere hoffen, in ihrem Fürchten gewesen seyn.

Als sie Constanzen wieder sah, war ihre Absicht, freimüthig zu fragen, wie Alexander ihr gefallen habe, aber sie fand sie so niederschlagen, so erschöpft an Kraft, daß Theilnahme an diesem Zustande jedes andere Gefühl in ihr verdrängte, und bange Besorgniß um sie sich ihres Herzens bemächtigte.

Mit Zartheit, aber doch mit der ganzen Wärme ihres liebevoll um sie bekümmerten Gemüths drang sie in sie, ihr das Leiden anzuvertrauen, das so sichtbar an ihrem Inneren nagte. Constanze brach in Thränen aus. »Eine schwere Schuld, wiewohl unwissentlich mir aufgeladen, lastet auf meiner [109] Seele, antwortete sie. O Emilie, schonen Sie meiner, und forschen Sie nicht weiter. Jetzt erfreue ich mich noch Ihrer Liebe, Ihres Antheils – – wüßten sie das Geheimniß, unter dessen Bürde meine Lebensblüthe dahin welkt – ach vielleicht würde selbst der Schmerz Sie nicht mit mir versöhnen, mit dem begangenes Un recht sich an mir rächt.«

»Begangenes Unrecht, eine schwere Schuld – ein Geheimniß, an dem ihre Lebensblüthe dahin welkt« – diese Ausdrücke erregten Emiliens Erstaunen, aber zu gleicher Zeit auch ihr zärtliches Mitleid. »»Sie sind zu hart gegen sich, Constanze! sagte sie. Denn wie könnte dieses reine Herz eine andere, als unwissentliche Schuld tragen, wie sie so oft die unvermeidliche Folge menschlicher Irrthümer ist? Was als innerer Vorwurf Sie zu quälen scheint, ist gewiß nur eine leicht verzeihliche Schwäche. Ich ehre zwar die geheimnißvollen Schranken, mit denen Sie ihr Innerstes umbauen, aber richten Sie sich auf, geliebte Freundin! und beruhigen Sie Ihr Gemüth, sonst erstürmt sie meine zudringliche Liebe doch, und zwar einzig nur, um Sie zu trösten, und um Ihnen zu zeigen, daß Sie das Unrecht, dessen Sie sich anklagen, nur gegen Sich selbst begehen.« – Constanze drückte Emilien dankbar die Hand und schwieg.

Wenige Tage nachher befand sich Emilie in einem wenig besuchten Zimmer ihrer Tante, wo eine feine weibliche Arbeit sie aufmerksam und still in einer der durch lange seidene Gardinen umschleierten Fenstervertiefungen fest hielt. Die Thür öffnete sich, [110] und ihre Tante trat mit dem Arzte herein, der als vieljähriger Hausfreund fast täglich einzusprechen pflegte, und auch Constanzen bei ihrer jetzt erschütterten Gesundheit, von der Familie Lohberg empfohlen worden war.

»Nicht um meinetwillen wünschte ich Sie zu sprechen, lieber Doctor – sagte die Baronin – denn ich befinde mich wohl. Aber um einmahl recht offen und ausführlich ihre Meinung über unseren lieben Fremdling zu hören, bat ich Sie, zu mir zu kommen. Schon zu lange für unsere Wünsche, entbehren wir den Umgang der interessanten jungen Frau, und der sichtbare Verfall ihres Aeußeren, das von tiefen Leiden zeigt, macht mich recht ernstlich besorgt um sie.«

»Es freut mich, diese Besorgniß, wo nicht völlig heben, doch mindern zu können, antwortete der Doctor. Es hat, wie ich hoffe, nichts mit Frau von Brunnen zu sagen.«

»So gern ich diese Versicherung auch glaube, versetzte die Baronin, so widerspricht doch ihr bleiches Ansehen, ihre tief liegenden Augen, und ihr Nachttisch, mit Arzneigläsern besetzt, nur allzu sehr Ihrer freundlichen Behauptung.«

»O, die Arzneigläser sind bei weitem nicht so wichtig, wie sie aussehen, entgegnete er lächelnd, denn sie enthalten nur unschuldige, der Seele durch den Anschein körperliche Hülfe wohlthuende Mittel, die ohne diese Beruhigung, welche sie gewähren, recht gut ungebraucht bleiben können.«

»Was soll ich davon denken? erwiederte Frau [111] von Lohberg mit Erstaunen. Seit wann verordnen Sie Medirin, ohne die volle Ueberzeugung, daß sie nöthig ist? und wie kommt es, daß Sie, der sonst so theilnehmend das geringste Leiden lindert, jetzt so gleichgültig das Daseyn eines größeren ableugnen, das sich so wahr und rührend in dem ganzen Wesen der lieben Kranken ausspricht?«

»Als wir neulich, unterbrach sie der Doctor mit einem satyrischen Lächeln, in Ihrem Garten den jungen Apfelbaum bewunderten, der, mit Blüthen bedeckt, wie eine Morgenröthe glühte, freuten wir uns alle seiner Schönheit. Nach einigen Tagen fanden wir ihn verändert; die Blüthen waren abgefallen – nur noch durch seine Blätter geschmückt, stand er da, nicht mehr ein Bild des Frühlings, sondern eine Hoffnung des Herbstes.«

»Sie sprechen in Räthseln für mich, fiel ihn die Baronin halb ungeduldig ins Wort. Was soll der Apfelbaum, wenn ich hören will was Frau von Brunnen fehlt.«

»Erlauben Sie, daß ich Ihnen das Räthsel löse, und mich dazu Ihrer eigenen Worte bediene, sprach der Doctor. ›Aus der abgefallenen Blüthe entwickelt sich die Frucht – das ist der Lauf der Natur.‹ – War dies nicht ihre Bemerkung, gnädige Frau, als Sie uns anderen über die so schnell verschwundene Blüthenpracht klagen hörten? Nun – ich wende diese Worte auf Frau von Brunnen an – der Keim eines neuen Lebens, der sich mir nach allen Umständen unter ihrem Herzen zu regen scheint, hat für jetzt die rosigen Wangen gebleicht, [112] und dem strahlenden Auge seinen Glanz genommen. Aber sie wird wieder aufblühen in Jugendfrische und neuer Kraft, wenn aus ihrer jetzt welkenden Blüthe die Frucht dem Lichte entgegen reift, die jetzt schmerzlich und ahnungsvoll ihren zarten Busen bewegt.«

»Was sagen Sie, Doctor!« rief die Baronin auf's tiefste erschüttert, indem sie, unfähig sich aufrecht zu erhalten, sich in einen Stuhl warf.

»Nichts weiter, als daß die Kränklichkeit der Frau von Brunnen in der Aussicht besteht, Mutter zu werden,« war die Antwort. Er rechnete ihr hierauf mit der ganzen Umsicht und dem Scharfsinne eines erfahrenen medicinischen Beobachters eine Menge Kennzeichen vor, die seine Vermuthungen bestätigten, fügte ihr muthloses Hingeben in die Unbehaglichkeiten ihres Zustandes, ihr Schweigen auf manche seiner Fragen, ihr stummes Erröthen bei seinen, leise ihr durch Anspielungen verrathenen Beschuldigungen hinzu, und die Baronin fand keine Gründe ihm entgegen zu setzen, als ihren festen Glauben an Constanzens Sittenreinheit, den schon fast Jahre langen Tod ihres Gemahls, und die innige Liebe, mit der sein Bild noch in ihrem Andenken zu leben, und daher sie eben so mächtig, als die Unschuld, deren Abglanz ihr ganzes Wesen umstrahlte, für jeden Fehltritt auf der gewiß unbefleckten Bahn des Lebens zu schützen schien.

Der Doctor wurde abgerufen – die Baronin entfernte sich mir ihm, und halb erstarrt von der schrecklichen Neuigkeit, die sie im gleichen Grade heftig fürchtete, und wiederum bezweifelte, kam Emilie [113] aus ihrem Schlupfwinkel hervor, sich im Nachsinnen zu verlieren: ob es möglich sey, oder nicht.

Sie konnte es nicht über sich gewinnen, Constanze wieder zu sehen, ehe sie mit sich selbst einig geworden war, ob sie über das Gehörte schweigen, oder sich durch eine offene Erklärung Berichtigung der wie eine bange Ahnung in ihr Gemüth gedrungenen Vermuthung, verschaffen wolle. Endlich – bei der Offenheit ihres Herzens, das nicht gewohnt war, seine tiefsten Bewegungen zu verhehlen – erschien es ihr als heilige Pflicht, keinen erniedrigenden Verdacht gegen ihre Freundin in ihrem Gemüthe zu dulden, und betrübt, daß eine solche Unterredung nöthig war, doch noch voll Glauben, daß sie sich rühmlich für Constanzen enden werde, ging sie zu ihr.

Sie fand sie auf ihrem Sopha liegend, bleich, an Kräften erschöpft, das matte Auge von einer rührenden Wehmuth umwölkt, doch, wie immer, ein freundliches Willkommen ihr entgegen blickend. Sie legte ein Buch neben sich nieder, in dem sie geblättert hatte. Es waren Schillers Gedichte.

Verlegen um einen Faden, an den das, was sie sagen wollte, sich leicht und natürlich knüpfen könne, ergriff Emilie nach den ersten Begrüßungen das Buch, und der Zufall ließ sie – die Kindesmörderin aufschlagen.

Sie las einige Strophen laut, und mit bewegtem Gemüth, doch dann unwillkührlich von einem Schauer ergriffen, legte sie es weg, und sagte sehr erschüttert: »Unter allen Schicksalen, die das weibliche [114] Daseyn physich und moralisch zu untergraben im Stande sind, ist meinem Mitgefühle immer das Loos einer Kindesmörderin das schrecklichste gewesen. Wenn ich bedenke, welch ein Grad von Verzweiflung dazu gehören muß, die sanfte Empfindung zu vernichten, die die Natur in den Busen jeder Mutter für ihr Kind gepflanzt hat; welch' einen entsetzlichen Abschied auf ewig von dem Gebiete der Hoffnung und des Glückes es verkündet, wenn sie selbst mit zitternden Händen die Knospe vernichtet, aus der, durch eine gesetzliche Verbindung geheiligt, nur erhöhte Wonne ihres Lebens sich entfalten würde, o dann muß ich die Unglücklichen bedauern, die als Opfer eines gränzenlosen Jammers sich selbst und ihre bessere Existenz in dem ihnen anvertrauten Pfande zerstören, wenn auch mein Innerstes vor ihrem Fehltritt zurückbebt.«

»Ich halte den Seelenzustand, der zu einem solchen Schritte führt, stets für eine Art von Wahnsinn, antwortete Constanze, aber sie haben Recht, Emilie, die Verzweiflung muß gräßlich seyn, aus der er seinen Ursprung nimmt.«

»Und bis der Schmerz diesen Gipfel erreicht, fuhr Emilie fort, bis jede Hoffnung erlöscht, die so lange wie möglich in der menschlichen Brust sich erhält – bis jede Aussicht verschwindet, und keine andere mehr sich öffnet, als die in eine unabsehbare Hölle des Elends, wo Schande und Verachtung wie Furien dem unglücklichen Schlachtopfer entgegengrinsen – ach bis dahin, wo endlich der letzte, schreckliche Entschluß in der zerrissenen Seele reift[115] – – welche Ewigkeit von Quaal ist wohl in einem solchen Zeitraume enthalten?«

»Ja, unterbrach sie Constanze, keinem männlichen Loose, wie verzweifelt es auch sey, ist wohl noch je ein so unendlicher Jammer gefallen.«

»Daß die Meinung auch so unbarmherzig richtet, sprach Emilie weiter. In einem Zustande, den bange Ahnung und körperliche Leiden gleich beunruhigend machen, den Trost der Liebe, die Theilnahme der Freundschaft entbehren zu müssen; in trostloser Verschlossenheit der Entwickelung seines fürchterlichen Geheimnisses entgegen zu gehen, und kein Ziel vor Augen zu haben, wo Erleichterung der Lohn namenloser Sorgen würde – o es ist zu viel, zu viel für die zarten Nerven, und die reizbaren Gefühle eines Weibes!«

Constanzens schönes Gesicht wurde bleicher und bleicher. »Nicht die Gefallenen allein, sagte sie, leeren den bitteren Kelch, den Sie da schildern. O Emilie, die Stunde ist gekommen, in der ich Ihnen mein ganzes Herz aufschließen muß. In Ihren Händen liege denn die Entscheidung meines künftigen Schicksals.«

»Was werd' ich hören müssen!« rief Emilie aus.

Mit der ganzen Würde der Unschuld, verschmolzen mit jener Demuth, die selbst unwissenlich begangene Fehler mit Reue büßt, richtete Constanze sich empor.

»Sie sehen in mir, sagte sie, nicht die Wittwe, sondern die Vermählte des Mannes, der meine [116] erste Liebe war, und ewig meine einzige bleiben wird. Frühzeitig wurde ich zur Waise, und lebte, unter dem Schutze eines Vormundes, der mich väterlich liebte, die fröhlichen, unbefangenen Jahre der ersten Jugend dahin. Mehrere Männer warben um meine Hand, und manchem hätte mein Vormund gern mich gegeben, doch für keinen sprach meine Neigung, und er verhieß meinem Herzen eine freie Wahl mit dem einzigen Vorbehalte, daß seine Vernunft sie billigen müsse.

Da, Emilie! erschien der Augenblick, der mächtig und entscheidend in mein Daseyn eingriff. Ein Verwandter meines Vormundes berührte auf einer Reise, auch Wien. Er wollte einige Tage bei uns zubringen – es wurden Monate daraus. Als ein freier fessellosser Jüngling nahte er sich mir zuerst, um bald als mein Gemahl sich und mir die süßen Fesseln der Liebe zu schmieden.

Wenn ich der seligen Zeit gedenke, die wie eine aufgehende Sonne damahls meinen Lebensfrühling zu vergolden schien – wenn ich die süße Sicherheit mir zurückrufe, in der ich nun mein Schicksal befestigt glaubte – das dankbare Gefühl gegen Gott, den ruhigen Hafen meiner Bestimmung erreicht, ohne noch vorher die Stürme des offenen Meeres gekannt zu haben – ach – dann möcht' ich diese Träume zurückfordern, um mich von neuen ihrer holden Täuschung hinzugeben!

Nicht lange dauerte sie, als eine bittere Wirklichkeit sie verdrängte. Denn als ich einst zärtlich nach der Familie meines Gatten forschte, als ich [117] mit Innigkeit in ihn drang, sie mir alle zu schildern, die durch Bande des Blutes und der Liebe seinem Herzen eng verbunden waren, und denen auch ich anzugehören hoffte, da gestand er mir, daß er ohne Wissen der Seinigen mir seine Hand gereicht – ja daß sogar eine von ihm gewählte Braut Rechte auf seinen Besitz gehabt habe, und noch zu haben glaube, da er über seine Verbindung mit mir das größte Geheimniß in seinen Briefen beobachtet – ja um seine Verwandten über seinen langen Aufenthalt an einem Orte zu täuschen sie aus Florenz, Rom und Neapel datirt, und die meinigen, durch die ich kindlich mich ihnen zu nähern strebte, alle unterschlagen habe.

Auch meinem Vormund hatte er auf eine ähnliche listige Weise seine eigentliche Verhältnisse verborgen, und späterhin jede schriftliche Mittheilung desselben an die Seinigen unterdrückt. Mit mir zugleich erfuhr auch er, daß es der Verlobte eines Anderen gewesen war, der es wagte, mir die Hand zum ewigen Bunde zu reichen.

Lassen Sie mich schweigen, Emilie! von dem Schrecken, der mich faßte. Hätte ich Kirchenraub mir angeeignet im unwissentlichen Frevel – ich wäre nicht entsetzlicher vor mir selbst zurückgebebt, als jetzt, wo ich fand, daß das Glück, in dem ich mich so beneidenswerth und reich gefühlt, ein unrechtmäßiger Besitz, und mir vom Himmel eigentlich nicht bestimmt war. O hätte die so unverdient Hintergangene, die sich wohl noch in den goldensten Träumen der Hoffnung wiegte, als diese Hoffnung schon [118] zerstört war – hätte sie meinen Schmerz, meine Verzweiflung gesehen, sie würde mir vergeben haben, daß ich als unschuldiges Werkzeug berufen wurde, ihr Glück zu vernichten.

Doch sobald ich dies traurige Geheimniß erfahren, und nur einigermaaßen so viel Fassung, als zum Handeln nöthig ist, errungen hatte, beschloß ich, durch eine freiwillige Buße den Himmel und die Betrogene zu versöhnen.

Nur dann, sprach ich zu meinen Gemahl, wenn es mir gelingt, das Vertrauen Deiner Verlobten zu gewinnen, und mit diesem Vertrauen den Muth, ihr zu gestehen, das ich in ihre Rechte trat, nur dann, wenn die Deinigen mir vergönnen, den Namen zu führen, den Dein Unrecht mir gegeben hat – nur dann bin ich wieder Dein, denn nicht mehr ein Raub, sondern geläutert und geheiligt ist dann mein Glück.

Vergebens bemühte sich mein Mann, mein aufgeregtes Gemüth zu beruhigen, und die Zweifel meines Gewissens durch die ganze Fülle seiner Liebe zu lösen; vergebens redete auch mein Vormund, von allem unterrichtet, mir zu, und bot sich zum Vermittler des nun einmahl Geschehenen an: ich nahm keine andere Einmischung an, als einen Empfehlungsbrief, der mir unter einem anderen Namen Zutritt zu der Familie meines Gatten verschaffte. Denn ich fühlte, daß die Ruhe meines Herzens nur aus dem Entsagen meines Himmels hervorgehen könne, und daß in diesen Himmel mich nur die Einwilligung [119] der getäuschten Braut, und der Eltern meines Mannes zurückführen dürfe.«

Mit gespannter Aufmerksamkeit, die zuletzt fast dem Erstarren glich, hatte Emilie zugehört; doch kein Laut ihrer immer bleicher werdenden Lippen unterbrach die Sprechende. Als aber Constanze, in Thränen zerfließend, sich aufraffte, plötzlich vor ihr niedersank, und ihre Knie umfassend ausrief: »O Emilie, vergieb mir! vergieb, daß Alexander mein Gemahl ist! vergieb es um des unschuldigen Kindes willen, das ich von ihm unter meinem Herzen trage.« Da umhüllte eine tiefe Ohnmacht ihr Auge, und entzog sie auf eine Zeitlang dem schrecklichen Erkennen ihres Schicksals.

Als sie wieder zu sich kam, waren Stunden verflossen; sie lag auf Constanzens Ruhebett, ihre Familie um sie her versammelt, und vor ihr knieend Alexander neben seiner Gattin, die in der Demuth ihres Schmerzens einer Heiligen glich. Die Nachricht, daß das Fräulein erkrankt sey, hatte sich bei der langen Dauer ihrer Bewustlosigkeit verbreitet, und besorgt um den gemeinschaftlichen Liebling des Hauses, waren ihre Verwandte herbei geeilt, sich von ihrem Zustande zu überzeugen.

Ihr erster Blick ruhte lange auf Alexander, der tief beschämt das Auge senkte, und die glühende Wange von ihr abwandte. Ruhiger begegnete Constanze, durch ihr Geständniß erleichtert, diesem Blicke, der nach einigen Momenten, von Thränen geschwellt, sich empor hob, als wolle er von oben herab Linderung ihres Schmerzes, und Kraft erflehen. Gewährung [120] dieser stummen Bitte schien sie zu stärken; sie richtete sich auf, faßte die Hand des so treu und heiß Geliebten, und führte ihn hin zu seinen Eltern, die ahnungsvoll, doch noch ununterrichtet, einer sonderbaren Crisis aller Verhältnisse entgegen sahen.

»Von Ihrem Seegen begleitet, sprach sie zu ihrem Oheim, sollte ich einst diese Hand empfangen, um freudig an ihr durchs Leben zu gehen; mir zum Eigenthum geweiht durch Ihre Liebe, Ihr Zutrauen zu mir, war Alexander längst, nicht wahr, mein zweiter Vater?

O dieser Seegen, fuhr sie fort, als der Baron schweigend ihre Fragen bejahte, dieser Segen, den sie mir versprachen, gehe über auf ein anderes Haupt, näher Ihrem Alexander, als das meine.« Sie winkte Constanzen herbei, welche niederknieete, ihr Gesicht verhüllend. »Hier zu Ihren Füßen, sprach sie weiter, liegt seine Gattin, die Mutter seines Kindes, die reine, würdige Gefährtin seiner Vergangenheit und seiner Zukunft, und fleht um Elternliebe, um Aufnahme in den Familienkreis, den sie schmücken wird – um Verzeihung für Alexander, der ihr verschwieg, daß Ihre Wünsche ihm ein anderes Loos bestimmten.«

Die Wirkung dieser Erklärung auf die Gemüther der Anwesenden läßt sich nur fühlen, nicht schildern. Lange noch empfand Alexander im leisen Vorwurfe, der für ihn in der stillen Zurückgezogenheit der Seinigen von ihm lag, die gerechte Strafe seiner Verstellung; und wenn sie auch Constanzen, der Billigkeit gemäß, um ihrer Liebenswürdigkeit [121] und Unschuld willen, zärtich als Tochter aufnahmen, so konnten sie doch nur schwer vergessen, daß dieser Platz Emilien gebührt hatte, die durch die heroische Kraft, mit der sie ihren Schmerz trug, immer klarer bewies, wie werth sie der würdigsten Auszeichnung gewesen sey.

Ob die alles lindernde Zeit auch ihr endlich den heilenden Balsam reichte, der so manche blutende Wunde schon schloß, ob die Gleichheit ihrer Schicksale, ob Achtung und Vertrauen – die so oft die schönen Stufen sind, die zu wahrer Liebe führen – ihr, wenn auch erst spät, in Theodor, und Theodor in ihr einen Ersatz für zertrümmerte Hoffnungen finden ließen: darüber schweigen meine Nachrichten; doch habe ich alle Ursache es zu vermuthen.

[122]

Liebe und kindliche Pflicht

Am westlichen Ufer des gesegneten Rügenlandes lag einst eine Burg, deren Felsenfuß das Meer umspühlte.

Von ihrer weit umherschauenden Warte überblickte man die blühende Gegend, und die wallende See, und stolz glänzten im Golde der Abendsonne ihre Zinnen fern hinaus, doch nicht gastlich den verirrten Piloten in einen friedlichen Hafen winkend, sondern drohend gleich einer tückischen Klippe, an der die Schiffe rettungsloser noch als an Sandbänken scheiterten.

Denn Ritter Jaromir, der Burgherr, übte nicht freundliche Rittersitte aus. Seeräuberei war sein Gewerbe, und die Quelle der Reichthümer, die er in frechem Uebermuth erwarb und vergeudete.

Wenn kein Segel auf der blauen Wasserfläche ihn blut- und beutegierig hinauslockte, streifte er in [123] verheerenden Zügen an den Küsten umher, um die wehrlosen Uferbewohner zu plündern. Nicht selten führte er auch die Söhne und Töchter des Landes mit sich hinweg, die Aermeren durch das Joch der Knechtschaft festzuhalten, die Reicheren nach einem stattlichen Lösegeld wieder frei zu geben. Denn niemand konnte ihn zur Rechenschaft ziehen, da Natur und Kunst seine Burg gegen jeden rächenden Angriff der geängsteten Landbewohner sicherte. Schattige Haine hüllten sie wie ein dunkler, undurchdringlicher Mantel ein, und gleich Zauberringen umgürteten in weiten Umkreisen sieben tiefe Graben sein Gebiet, und wechselten mit sieben, fast unersteigbaren Wällen. Von der Wasserseite schützte eine Reihe stets dort vor Anker liegender Schiffe mit bewaffneter Mannschaft ihn vor feindlichen Ueberfällen, und wie Todespaniere wehten seine Flaggen dem Seefahrer entgegen, den Sturm oder Unkunde in diese Gegend trieb, oder denen, die es wagen wollten, mit dem Schwerdt der Vergeltung ihn in seiner sträflichen Sicherheit zu stören.

Einsam, mit der Spindel, und mit Träumen der Wehmuth beschäftigt, lebten, während er raubend auszog, seine Gemahlin Jutta, und seine einzige Tochter Alwina daheim, mit Dank gegen den Himmel die kurze Ruhe genießend, die seine Abwesenheit ihnen gönnte. Nicht Liebe, und freie Wahl hatte die sanfte Jutta dem rauhen Jaromir vermählt. Er hatte sie einst auch, wie so viele ihr jetzt dienende Jungfrauen, gewaltsam dem Schoos der Heimath entrissen, und von Leidenschaft entbrannt, sie [124] zu dem traurigen Rang seiner Hausfrau erhoben. Nie hatte sie das verehrte Antlitz ihrer Eltern, nie der Geschwister liebenden Kreis, nie die frohe Schaar der Gespielinnen wieder gesehen, und völlig öde und freudenleer wären ihr die Jahre ihrer Jugend wie ein Traum vorüber gegangen, wäre nicht in Alwinen ein schönerer Frühling ihres Lebens ihr wieder aufgeblüht. An dieses einzige Kind knüpften sich alle ihre Hoffnungen und Freuden. Dem zarten Mitleid und der Tugend weihte sie früh schon ihr weiches Herz, und des Vaters Härte zu mildern, so gut die engen Schranken ihrer Gewalt es verstatteten, dünkte Mutter und Tochter der heiligste Beruf ihres Daseyns.

Daher löseten sie, wenn Jaromir auszog, die Ketten der Gefangenen, und gaben sie dem Sonnenlichte zurück, in dessen tröstendem Schimmer die Hoffnung ihnen wieder nahte, die in der finsteren Kerkernacht aus den Gemüthern der Verzweifelnden zu fliehen drohte. Sie labten sie mit Speise und Trank, obgleich der Geiz ihres Peinigers nur dürftige Nahrung ihnen bestimmt hatte. Freundliche Worte der Theilnahme und des Trostes, und die beruhigenden Klänge der Laute, die Alwina meisterhaft spielte, schufen den bitteren Gram in Wehmuth um, und versüßten ihnen die Schmach der Gefangenschaft, indem sie hellere Stunden in ihre Schwermuth webten.

Bisher bewog Alwinen nur reines Mitgefühl an fremden Schmerz Balsam in die Wunden zu träufeln, die die rohe Grausamkeit ihres Vaters [125] schlug – bald aber nahete die Stunde, wo ein wärmerer Antheil sie schüchtern ergriff, und wo in ihrem Herzen – bisher der Altar des tiefsten Friedens – der Liebe unauslöschliche Flamme sich zu entzünden begann. Denn Adolar, einer der kühnsten Ritter der Insel, hatte längst mit zehrendem Grimm auf die Verwüstungen geblickt, wodurch Jaromir, als eine Geißel des Meers, auch die blühenden Küsten verödete. Tief in dem für das Recht erglühenden Busen hatte er den Plan der Rache gebildet, und als neue Greuelthaten die Küstenbewohner in Jammer stürtzten, reifte plötzlich der Entschluß zur That, und begeistert von dem Unglück der Gemißhandelten, schien's ihm eine Eingebung von oben, die ihm befahl, die Waffen zu ergreifen.

Er raffte eine Schaar ihm Gleichgesinnter zusammen – doch nicht immer steht das Glück mit der Gerechtigkeit im Bunde; Jaromir vernahm hohnlachend die Ausforderung des Muthigen, und schwieg tückisch, der Festigkeit seiner Burg vertrauend. Erst als ihm die Kunde ward, daß Adolar mit seinen Getreuen bereits den dritten Graben durchschifft, bereits den dritten Wall erstiegen, erst da riß er grimmig das noch blutbefleckte Schwerdt hervor, und zog, den Untergang ihm schwörend, dem hochherzigen Jüngling entgegen.

Lange blieb der Streit unentschieden, und tapfer kämpfte das Recht gegen die Gewalt, doch endlich, wie so oft im Leben, siegte die letztere. Ein Schwerdtstreich, von Jaromirs eiserner Faust geführt, schlug eine tiefe Beule in Adolars Helm, und [126] stürtzte ihn, nicht verwundet, aber betäubt, zu den Füßen seines Gegners nieder. Wie das Raubthier brüllend seine Beute faßt, so fielen schnell die Räuber über ihn her, und trugen frohlockend ihn davon. Adolars Gefährten sahen ihren Anführer sinken – mit ihm sank zwar nicht ihr Muth, wohl aber ihre Hoffnung – noch einmahl versuchten sie, mit der Anstrengung ihrer letzten Kraft, ihn zu befreien, doch umsonst. Zu überlegen war die Anzahl der triumphirenden Räuber, und sie fielen Alle, ein vergebliches Opfer ihrer Treue.

Erst in den Hallen der Burg seines Feindes fand Adolar seine Besinnung wieder. Aber welche Besinnung! Lebensmüde, aus dumpfer Bewustlosigkeit sich ermunternd, erhob er das Auge, das sich im Freien, umringt von der Schaar seiner Reisigen, geschlossen hatte, und verlangend suchte er die Bilder des muthvollen Kampfes wieder, die damals die Macht der Ohnmacht so plötzlich in ihm erlöschte. Statt ihrer aber umgab ihn die Dämmerung eines weiten Gewölbes, wo des Tages Schein nur gebrochen und trübe wie ein wehmüthiger Abschiedsgruß der Freiheit durch die düsteren Bogenfenster zu ihm eindrang – Kerkerluft athmete seine Brust, und die bange Ahnung einer ewigen Hoffnungslosigkeit führte Kettengerassel seinem innern Ohr vorüber.

In diesen finsteren Minuten, wo ihm war, als müsse er scheiden von allem Glück der Vergangenheit und der Jugend nahte sich Alwina ihm, Trost bringend, und in himmlischer Milde, obgleich traurig, ihm zulächelnd. Heilenden Balsam in der [127] Hand, doch süßeren Balsam noch im Blicke, beugte sie sich zu ihm herab, und forschte nach seinen Wunden, innig sich freuend, sein lockiges Haupt unversehrt zu finden. Sie reichte ihm hierauf zur Stärkung einen Becher köstlichen Weines, aber erquickender labte ihn der Thau der Thränen, die mitleidig seinem Schicksale flossen.

Beruhigt Euch, Ritter! sprach sie sanft; Uns alle birgt sich auf der Lebensreise wohl zuweilen die Sonne hinter dunklem Gewölk – aber man sagt, sie strahle dann doppelt schön, wenn sie wieder hervorbricht.

Das Geräusch, daß ihre Rede unterbrach, paßte wenig zum Trost ihrer Worte, mit denen sie versuchte, Muth in Adolars umnachtete Seele zu giessen. Es war ihr Vater, der mit seinem Gefolge in die Burg einzog, und prahlerisch seines Sieges sich rühmte. Mit höhnischem Munde ertheilte er den Befehl, den Gefangenen in Ketten zu legen, und ihn in das Burgverlies zu werfen. Alwina durfte den Grausamen, die ihn vollstreckten, nicht Einhalt thun – sie bebte, als man ihn fortschleppte – doch tiefer drückte sich der Pfeil der Liebe in ihre Brust, als sie sah, daß in der unwürdigen Begegnung seine Heldenkraft sich wieder ermannte. Seine Augen schleuderten Blitze um sich her – Trotz mischte sich in das unfreiwillige Dulden, mit dem er unterlag, und selbst überwunden schien er noch Ueberwinder, denn edel war der männliche Stolz, mit dem er sein Schicksal trug.

Als man ihn hinweg geführt hatte, warf sich [128] Alwina heftig erschüttert in die Arme der Mutter. Jutta ahnete, was ihren Busen bewegte, aber sie vermochte nur durch Thränen zu zeigen, daß auch sie von dem dunklen Geschick des feurigen Jünglings ergriffen sey. Hülfe, Rettung ihm zu bringen, war ein vergeblicher Wunsch – doch sein Loos zu lindern, schien ihr möglich und erlaubt. Als daher Jaromir, vom Schlaf bezwungen, auf sein Lager sich streckte, bestach sie durch reiche Gaben den Burgvoigt, in dessen Macht es allein stand, den schweren Riegel von Adolars Kerkerthür hinweg zu schieben.

Von ihrer Tochter und ihren Dienerinnen begleitet, stieg sie die Stufen hinab, den Unglücklichen durch menschlichen Antheil und Trost zu erfreuen. Sie fanden ihn in das dumpfe Hinbrüten der schwärzesten Verzweiflung versenkt, doch – wie eine Erscheinung aus besseren Welten leise den Sturm irdischer Schmerzen beschwören würde – so verklärte Alwinens Anblick das Gewirr seiner melancholischen Träume, und sanft wurden seine Gedanken und Gefühle durch ihre wohlthuende Nähe von den bitteren Leiden der Zukunft abgezogen.

Alwina hatte keine Worte – sein Zustand brach ihr das Herz, und gerne hätte sie an seiner Statt dem goldenen Tageslicht entsagt, und für ihn die Ketten in dieser grauenvollen Einsamkeit getragen. Sie lösete ein Band von ihrem Busen, knüpfte es an die Lampe, die sie ihm brachte, und befestigte sie mit zitternder Hand an der feuchten Mauer. Dann schwang sie das Rauchfaß, um durch Weihrauchduft den giftigen Moderhauch zu verscheuchen, [129] der aus jeder Spalte der finsteren Kerkerwand, einem bösen Geiste gleich, hervordrang. Darauf breitete sie weiche Teppiche auf das dürftige Stroh, das ihm zur Ruhestätte dienen sollte, und als die Mutter ihm indessen freundlich zugeredet, ihm ihren Schutz, ihre fernere Sorgfalt verheißen hatte, folgte sie dem Wink derselben, sich mit ihr zu entfernen. Doch oft noch kehrte ihr liebestrahlendes Auge zurück zu dem Ritter, der ebenfalls nur mit Blicken ihr danken und folgen konnte.

Seidem war es das liebste Geschäft ihres Lebens, für ihn zu sorgen, wenigstens an ihn zu denken – und auch in seiner von Unwillen geschwellten Brust keimte Liebe zur Tochter neben glühendem Haß gegen den Vater. Sonst erseufzte sie schmerzlich, wenn Jaromir auszog zu rauben, denn sie wußte, daß Grausamkeiten seine Spur bezeichneten. Jetzt aber stählte die Liebe eigensüchtig ihr Herz gegen die bangen Ahnungen des Mitleids. Ungeduldig sah sie seine Seegel aufziehen, und freute sich, wenn die Wellen rauschten, von seinem hinwegeilenden Kiel durchschnitten. Dann stieg sie hinunter in die feuchte Gruft, wo er schmachtete, schloß seine Ketten auf, und leitete ihn empor, nicht ohne den verschwiegenen Wunsch in ihrer Seele, ihn so durchs Leben leiten zu dürfen.

Auch ihn ergriff oft dies Verlangen – nur stürmischer und heißer gestaltete es sich in dem männlichen Herzen. Sie erschien ihm, wenn sie in seinen Kerker eintrat, hülfreich ihm die zarte Hand zu bieten, wie ein Engel des Friedens, der gekommen [130] sey, ihn aus den Banden des Schmerzes zu befreien, und in ein besseres Daseyn hinüber zu führen. Und doch war ihr Besitz nicht das nächste Ziel seiner Sehnsucht.Freiheit dünkte ihm erst der Grund, der würdig sey, das Gebäude seines Glücks zu tragen, und mit all' der in sich zurückgedrängten Glut seiner feurigen Jugend strebte er, sich den Gedanken fest zu halten, daß es ihm einst noch gelingen werde, seine drückenden Bande zu zerreißen, und wieder frei die süße Luft seiner Heimath zu athmen.

Wenn seine Fantasie dann in der Stille der Einsamkeit dies Bild sich ausmahlte, dann erst dünkte ihm Alwina innig in sein Schicksal verflochten; denn unzertrennlich von allen Hoffnungen und Träumen seiner Zukunft fand er sie überall wieder, wohin auch der Blick seines Geistes sich wandte.

Nicht er allein sann auf Befreiung. Die Liebe, die in einem weiblichen Gemüth so uneigennützig der Zufriedenheit des Geliebten die schwersten Opfer zu bringen vermag, hatte längst Alwinens Streben auf den Punkt hingerichtet, von dem allein wahres Glück ihm beginnen konnte. Ohne sich selbst zu verhehlen, daß mit ihm der Zauber ihres Lebens entwich, suchte sie durch Bitten und Thränen die muthlose Mutter zu bewegen, sich mit ihr zur Erfüllung seiner Wünsche zu vereinigen.

Ein seltsam gewundener Gang, tief in den Schoos der Erde gegraben, und nur Jaromir und seinen Vertrautesten bekannt, leitete aus dem Burgverlies nach dem festen Lande. Hier barg er die [131] geraubten Schätze, und in jeder möglichen Gefahr, die nur allein von der Seeseite ihm zu drohen vermochte, blieb ihm in diesem unterirdischen Pfad eine rettende Ausflucht übrig. Eine gemauerte Thür, die sich kunstvoll um ihre Angeln drehte, verschloß den Eingang, indem sie ihn täuschend mit der übrigen Mauer verband, und eben so wälzte sich dort, wo der Weg nach vielfachen Krümmungen endlich hinaus ins Freie führte, ein Felsenblock, dem Anschein nach von der Natur dahin gestreut, auf den Druck einer Feder hinweg.

Auf diesen Gang, den Alwina nur selten und nie ohne Schauder betreten hatte, weil die Spuren mancher heimlichen Mordthat in den zerstreuten Gebeinen Erschlagener grausend ihr begegneten, baute sie den Plan, Adolar zu befreien. Mit Gold und Geschmeide erkaufte sie den Burgvoigt, ohne dessen Mitwirkung es ihr unmöglich gewesen wäre, ihren Entschluß auszuführen. Er wollte, den Zorn seines Herrn fürchtend, die Flucht des Jünglings theilen, und reich ausgestattet durch Alwinens Freigebigkeit in der Ferne einen Zufluchtsort suchen, der ihn vor Jaromirs Verfolgungen zu sichern im Stande wäre.

Ohne Adolar zu verrathen, was schon lange ihre Seele liebevoll für ihn mit zarter Sorge beschäftigte, hatte Alwina nur im Allgemeinen die Flamme seiner Hoffnung genährt – endlich, als alles bereit war, und eine stille Mitternacht jeden Laut des Lebens in der Burg beschwichtigt hatte, da empfing sie von Juttas Lippen den Kuß der Weihe zu ihrer muthigen That, und leise schlich sie [132] der Kammer des Vaters vorüber, hinab, wo auf der untersten Stufe der Burgvoigt schon ihrer harrte.

So geräuschlos wie möglich schob er den Riegel hinweg, und öffnete das gewichtige Schloß der Kerkerthür. Bei'm Schein der Lampe, die dort brannte, erblickte Alwina den Geliebten, sanft hingestreckt auf das Lager, das ihre Sorgfalt so weich ihm gebettet hatte. Ein süßer Traum schien seiner Seele vorzuschweben, und seine Züge mit himmlischem Lächeln zu beleben. Einige Minuten stand sie stumm, in sei nem Anschauen verloren. Vielleicht siehst du ihn zum letztenmahl, sprach sie zu sich selbst, und die Handlung, die seine Fesseln zerbricht, schmiedet dich auf ewig in die Ketten einer immerwährenden Hoffnungslosigkeit. – – Es wurde ihr klar, daß ohne ihn die Zukunft ihr öde seyn würde – doch sie schwankte nicht. Ihn zu retten, schien ihr ein heiligerer Beruf, als das Glück des eigenen Herzens zu bauen. – Wach auf, flüsterte sie ihm zu, die Stunde der Befreiung ist gekommen! – Freudig erschüttert richtete Adolar sich empor, und forschte nach dem dunklen Sinn ihrer Worte. Schnell jedoch begriff er sein Glück, und sprang auf, durch die Labyrinthe des rettenden Ganges schweigend von ihr fortgezogen. Vor ihnen her schritt der Burgvoigt mit der Lampe, deren Schimmer nur nothdürftig die grauenvolle Dunkelheit erhellte.

Stumm wandelten sie dahin, bis sie das Ende des Weges erreichten, wo Rettung, und – Trennung – ihrer wartete. Da schob sich der Felsenblock [133] zur Seite. Vor ihnen lag die Gegend frei und ruhig im Schein des Mondes, der aus zerrissenem Gewölk traurig auf sie hernieder blickte. Wir sind am Ziel, sprach Alwina, und Du bist frei! Geh – sey glücklich – und gedenke mein! –

Da warf sich der Jüngling vor ihr nieder, und zog die Zitternde leidenschaftlich an sein Herz. Dein gedenken? rief er aus, ja, hülfreicher Engel, das werd' ich in jedem Augenblick meines Lebens. Du giebst mir die Freiheit wieder, fuhr er fort – o thue noch mehr – gieb Dich selbst mir, damit diese Freiheit erst mir Seegen werde.

Alwina fühlte sich ergriffen von der Innigkeit seiner Rede, doch vergebens drang er in sie, ihn zu begleiten auf seiner Flucht, und in die Halle seiner Väter ihm zu folgen, um die Fluren der Heimath ihm als seine Gattin zum Paradiese umzuwandeln. Seine Bitten, seine Gründe, einem vollen, überströmenden Herzen entquollen, bahnten sich mit süßer Ueberredung den Eingang in ihr Inneres, und qualvoll war der Kampf, den sie in ihr erregten. Doch sie bestand ihn, muthig sich selber überwindend, und so mächtig auch die erwachten Gefühle sie bestürmten, so himmlisch ihr die Zukunft an seiner Seite, fern von den Gräueln des väterlichen Hauses winkte, so hielt doch die Erinnerung ihrer Pflicht, und der Gedanke an ihre Mutter mit eiserner Festigkeit sie zurück.

Ich werde Dir folgen, sprach sie mit abgewendetem Gesicht, aber nur im Geist, wo kein Gesetz es mir verbietet.

[134] So sollt' ich von Dir scheiden, rief Adolar aus, ohne die Hoffnung, Dich wieder zu sehen? Die Liebe war die Sonne, die mein Gefängniß erhellte – soll sie mir untergehen, jetzt, wo sie doppelt schön im Glanz der Freiheit mir zu leuchten vermag? Nein, Alwina! ich ehre Deine Strenge – ich will Dich nicht verleiten die Gebote jungfräulicher Zucht zu verletzen – – aber wenn es mir gelingt, meine muthigen Vasallen zu versammeln, wenn die Gefährten meiner Jugend sich an mich anschließen, und mich unterstützen im Kampf um das heiligste auf Erden, willst Du auch dann noch Dich mir versagen, wenn ich um Dich werbe bei Deinem Vater? Zwar nicht mit der Unterwürfigkeit eines liebenden Sohnes, sondern mit dem Schwerdte in der Hand, da dies allein mir den kostbarsten Preis meines Lebens erringen kann?

Bebend zwischen Angst und Hoffnung antwortete Alwina: ich werde Dir gehören, oder Keinem! Allein wirb mit Schonung um mich. – Ach – es ist mein Vater, Adolar! – wirb mit Schonung um mich, denn keiner blutbefleckten Hand darf ich die meinige reichen! –

Sie an sich reißend im Schmerz des Abschieds gelobte es der Jüngling mit einer glühenden Umarmung. Eile und flieh, flüsterte sie ihm zu, damit die Ueberzeugung, Dich gerettet zu wissen, mir das Weh der Trennung ertragen helfe! –

Langsam schwankte sie zurück, die matt brennende Lampe in der zitternden Hand haltend, und den Busen von stürmischen Vorstellungen bewegt. [135] Da strauchelte sie, und fiel – die Lampe erlosch – grauenvolles Dunkel umgab sie – – und als sie umher tappte, sich wieder aufzurichten, berührte sie die Gräuel und Schrecknisse dieses Orts – –

In Todesschweiß gebadet, und von Fieberfrost ergriffen, erreichte sie ihre einsame Kammer, wo sie sich halb bewustlos auf's Lager warf. Eine schauderhafte Vorbedeutung dünkte ihr in diesem Vorgang zu liegen – noch fühlte sie die furchtbare Kälte des morderfüllten Ganges – noch den feuchten Moder des Bodens, der ihr mit Blut getränkt schien – – ihre Gedanken verwirrten sich – die Hoffnung schwand aus ihrem Herzen, und in wilden Fantasien rasend fand sie am Morgen die zärtliche Mutter, als sie von Jaromirs Seite sich hinweg schlich, um zu forschen, ob es ihr gelungen sey, Adolar zu befreien.

Die Nachricht von Alwinens Zustande wurde dem Vater gebracht, und erfüllte ihn mit Schrecken und Sorge. Er liebte dies einzige Kind, so verschieden von ihr auch seine harte Gemüthsart war, und sie zu verlieren, war ihm ein Gedanke des Entsetzens. Daher wich er nicht von ihrem Bette, und so wurde es möglich, ihm drei Tage lang die Flucht seines Gefangenen und seines Burgvoigts zu verhehlen, da während dieser Zeit nur die Gefahr seiner Tochter seine Seele beschäftigte.

Am Mittag des vierten Tages schien Alwinens Krankheit Hoffnung zur Genesung zu geben. Ein Kräutertrank, von der erfahrenen Jutta ihr bereitet, hatte die Flammen ihres Blutes gekühlt, und [136] beruhigend auf ihre gereziten Nerven gewirkt. Mit dankbarer Rührung erkannte sie, als das Bewustseyn ihr wiederkehrte, den rauhen Vater, der besorgt und hülfreich, gleich einer Wärterin, ihr zur Seite saß, und mit freudigem Jauchzen den ersten Strahl ihrer wieder aufdämmernden Besinnung begrüßte Tief im Innern fühlte sie sich beschämt, gegen seine Wünsche gehandelt, und Adolar seiner Gewalt entzogen zu haben – doch bereuen konnte sie es nicht, und ahnungsvoll richtete sie ihre Sinne in die Zukunft, bald von dem Wechsel der Empfindungen, die ihr Gemüth durchschauerten, geängstigt, bald wieder erhoben. Da drang ein dumpfes Getöse aus der Halle herauf – Schwerdtergeklirr, verworrenes Geräusch, Geschrei um Hülfe, und Siegesjubel mischte sich in furchtbaren Lauten in einander, und sie erbebte, bang errathend, was dieses bedeutete.

Adolar nemlich war durch den unterirdischen Weg, dessen Eingang er sich bezeichnet hatte, hereingedrungen. Eine starke Anzahl Inselbewohner, freudig seinen Aufruf folgend, begleitete ihn vom lodernden Rachegefühl angetrieben. Wie ein mächtiger Strom aus seinen Dämmen tritt, so überschwemmten sie plötzlich unaufhaltsam die Burg, warfen Jaromirs Reisige nieder, und stürmten in das Innere der Gemächer, ihn selbst zu suchen, um ihn zur Rechenschaft zu ziehen.

Wir sind verrathen! Wir sind verloren! hörte Jaromir die Seinigen rufen. Schnell die Betäubung von sich abschüttelnd, mit der des erste Schrecken [137] ihn gelähmt hatte, stürtzte er hinaus, eilig seine Waffen ergreifend. Schon wälzte sich das Gefecht ihm entgegen – immer lauter, immer gräßlicher verwirrten sich die brüllenden Stimmen – immer näher klirrten die sausenden Hiebe – – da verstärkten sich plötzlich alle Töne zu einem furchtbaren Freudengeschrei, und tiefe Stille, wie sie in Gräbern herrscht, folgte darauf, bis nach einer Pause ein düsteres Gemurmel sich wieder erhob, und von neuen zu einem wilden Jauchzen der Freude heran schwoll.

Jetzt vermochte sich Alwina nicht länger zu halten. Die Spannung ihrer Seele gab dem ermatteten Körper Kraft – ihr war, als stehe sie an der Entscheidung ihres Schicksals, und der muthige Glaube, als könne sie helfen, lindern, retten – riß sie hinaus.

Allein welchem Grausen schritt sie entgegen! Ströme von Blut rauchten von dem mit Leichen bedeckten Boden zu ihr auf, und der gebrochene Blick eines Sterbenden, von der Wuth eines rohen Haufens umringt, traf sie wie Gottes Gericht. – Es war ihr Vater. – O meine Tochter! sprach er mit der Wehmuth eines auf ewig Scheidenden, und streckte seine Hände, Mitleid flehend in stummer Gebehrde, nach ihr aus. Rettung – Hülfe kam zu spät. Was hab ich gethan! rief sie mit dem Schrei des Entsetzens, und wie von einem Blitzstrahle des Himmels berührt, sank sie kraftlos zu Boden. Jetzt durchschaute sie mit einemmahle das Grauenvolle der kühn gewagten That, zu der Mitleid [138] und Liebe sie verleitet hatte. An der Befreiung ihres Geliebten hing das Leben ihres Vaters, der für seine längst verübten Grausamkeiten wohl mit dem Schmerze eines gewaltsamen Todes zu büßen verdiente, doch nicht durch seine Tochter. Das Unwiderrufliche war geschehen. – –

Vergebens hatte Adolar sich bemüht, dem tobenden Grimme Einhalt zu thun, der seine Gefährten gegen Jaromir entflammte. Blind und taub gegen alle seine Vorstellungen hörten sie nur auf die Stimme der Rache, die donnernd in ihrem pochenden Herzen von Wiedervergeltung sprach, und er war schon gefallen unter ihren vertilgenden Streichen, als Adolar noch immer strebte, in ihm den Vater seiner Alwina zu schützen und zu erhalten.

Als Alwina nach einer Weile wieder zu sich kam, schwieg rings umher das kriegerische Getöse und die Stille, die sie umfing, frischte leise die durch die Ohnmacht verwischten Bilder in ihrem Gedächtniß wieder auf. Sie befand sich auf einem Ruhebett. Adolar knieete blaß und schweigend zu ihren Füßen.

Keiner blutbefleckten Hand darf ich die meine reichen. War es nicht so, Adolar? fragte Alwina. – Adolar verhüllte sein Gesicht ohne zu antworten.

O könnt ich sie rein waschen mit meinen Thränen, fuhr sie fort, ewig, ewig sollten sie fließen! Aber ich kann nur mein Schicksal beweinen, nicht das verlöschen, was es unabänderlich zwischen uns gestellt hat.

[139] Nicht ich, sprach Adolar, war der Mörder Deines Vaters. Dein kindliches Gefühl zu schonen, hätte ich lieber das eigene Herz durchbohrt, als das Seine, das fremde Hände, nicht die meinigen, rachedürstend durchstießen. Soll ich nun büßen, was Andere verbrachen, da ich schuldlos bin?

In dem fürchterlichen Augenblick, versetze sie, wo meines Vaters blutiges Antlitz auf mich schaute mit gebrochenem Blick, entsagte ich in meinem Innern jeder Hoffnung auf eine selige Zukunft. Doch bereue ich nicht, Dich befreit zu haben – – auch ich werde bald frei seyn – – bis dahin laß mich einsam unser Unglück betrauern – störe mich nicht weiter, und lebe wohl! –

Sie winkte ihm, sie zu verlassen, und er gehorchte nach manchem vergeblichen Kampfe. Wie in eine Klosterzelle versperrt, lebte Alwina abgeschieden in ihrem einsamen Gemach die Tage hin, die ihr noch bestimmt waren, und niemand als Jutta sah und theilte ihre Thränen. Da erschien ihr, gleich einem Engel im Traume, ein freundlicher Genius, sanft senkend und verlöschend die trübe Fackel ihres Lebens. Jutta begrub in stiller Trauer das geliebte Kind, und mit ihm jede Freude ihres Daseyns. Sie suchte die von Jaromir unrechtmäßigerweise erworbenen Schätze unter die zu vertheilen, die er beraubt hatte, und die noch fähig waren, Ersatz anzunehmen – milden Stiftungen widmete sie das übrige, und sich selbst behielt sie nur ein Grab neben ihrer Tochter vor, das bald nach ihren Wünschen sie wieder mit ihr vereinigte.

[140] Adolar trauerte lange um die Geliebte seines Herzens, und um das Schicksal, das ihn sie nur finden ließ, um sie ihm wieder zu entreißen. Ritterlichen Uebungen, und den Geboten der Ehre widmete er seine künftigen Tage; doch die Liebe wand in den Lorbeerkranz, den Heldenmuth und Tapferkeit ihm erwarben, nun keine Myrthen mehr.

[141]

Adelaide St. Alban

An einem trüben, naßkalten Novembertage stand der Prediger Werner an seinem Fenster, und schaute nachdenkend hinaus in die weite Gegend, die der Herbst verödet hatte. Der Himmel war, wie mit grauem Flor bedeckt; die Erde alles jugendlichen Schmuckes beraubt – und wie schwermüthige Erinnerungen an eine bessere Zeit, wehte das welk herabgesunkene Laub, von feuchter Luft bewegt, umher.

An solchen Tagen durchdringt der Besitz oder die Entbehrung häuslichen Glücks tiefer als jemals das Herz, das fähig ist, seinen Werth zu empfinden. Die Natur, die in jeder anderen Jahreszeit freundlich ihre Mutterarme öffnet, scheint sie da erstarrt von uns abzuziehen. Sie lächelt nicht im Glanze der Auferstehung, wie im Frühling, wo alles neu belebt sich aus der Erde drängt; nicht in der Fülle ihres Reichthums, wie im Sommer, wo sie [142] den Ueberfluß ihrer bunten Gaben vor uns ausgießt; nicht wie im Anbeginn des Herbstes, den Milde noch bezeichnet. Ernst und schauerlich scheint sie, wie ein weites Grab, alles zu verschlingen, was sie an ihrem mütterlichen Busen nährte, und der Todesschlaf, in den sie versinkt, mahnt den Menschen an den eigenen, der ihm bevorsteht, und heftet ihn inniger an den Kreis der Seinen, wenn er sie lieben kann.

In Werner, der glücklich verheirathet war, regte sich bei'm Anblick der neblichen, freudenleeren Landschaft ein wohlthuendes Gefühl von Behaglichkeit, und der stille Gang seines häuslichen Lebens, den keine Jahreszeit aus seinem Gleise brachte, verschönerte den engen Raum seiner vier Wände so zauberisch, daß er ohne Neid den leichten Reisewagen vorüberrollen sah, den die gekrümmte Landstraße aus der Ferne näher brachte.

Oft zwar hatte schon der Klang der Posthorns ein leises Sehnen in ihm geweckt, das aus dem unbefriedigten Verlangen, zu reisen, entstand. Wie schön muß die Welt seyn, dachte er manchmal in seinem kindlichen Sinne, da das kleine Plätzchen, das ich von ihr bewohne, mir schon so viel gewährt! – Doch heute hörte er gleichgültig, oder beinahe mitleidig die lockenden Töne des Postillions. Wohl dem, der zu Hause bleiben kann, in diesem trüben, rauhen Wetter, sprach er zu sich selbst. Er schob den weichen Lehnstuhl näher zum Camin, in dem die wärmende Flamme loderte, und der heitere Blick, mit dem er die bequeme Ordnung seines kleinen [143] Zimmers übersah, enthielt ein innigeres Dankgebet an seine Laren, als Worte hätten ausdrücken können.

In diesem süßen Genuß einer sorgenfreien Ruhe störte ihn eine Bothschaft aus dem Wirthshause, das in einiger Entfernung von seiner Wohnung am Ende des Dorfes lag. Das Vertrauen, das er den guten, treuherzigen Landleuten einzuflößen wußte, hatte sie gewöhnt, in wichtigen und zweifelhaften Fällen um seinen Rath zu bitten; und auch jetzt bedurfte man seiner, da der Wagen, den er vorhin vorüberfahren sah, mit einer beinahe sterbenden Dame, deren Sprache niemand verstand, dort eingekehrt war.

Der Postillion hatte erklärt, daß er nicht weiter fahren wolle, da es wahrscheinlich sey, daß er sie nicht lebendig zur nächsten Station bringen werde, und er beunruhigte ihre dem Anscheine nach, letzten Augenblicke mit ungestümen Forderungen seines Trinkgeldes. Der ehrliche Wirth hatte ihn einstweilen befriedigt, aber Mangel und Unvermögen, der Kranken so beizustehen, wie ihr Zustand es verlangte, führte ihn zu dem Prediger, der sich sogleich aufmachte, mit ihm zu gehen.

Als er in den Gasthof trat, fand er die Fremde bleich, mit geschlossenen Augen, und völlig bewußtlos, auf einem Bette liegend. Er würde sie schon für todt gehalten haben, wenn nicht ein gewaltsamer, und unnatürlicher Frost von Zeit zu Zeit ihre zarten Glieder geschüttelt, und ihm angezeigt hätte, daß sie mit einem heftigen Fieber kämpfe.

[144] Sein erstes Geschäft war, nach einem Arzte zu schicken. Hierauf, als er einsah, daß die gutmüthigen Wirthsleute, selbst bei dem besten Willen nichts zu ihrer Erleichterung thun konnten, folgte er dem Geheiß der Menschlichkeit, das ihm gebot, die Leidende in seiner eigenen Wohnung aufzunehmen. Er ließ seine Frau, die ihm an Weichheit des Gefühls und an Güte glich, von diesen Entschluß benachrichtigen. Der Postillion, der schon mürrisch beschäftigt war, seine Pferde abzuspannen, wurde durch sein ernstes Zureden bewogen, die Kranke in ihrem Wagen, wohlverwahrt vor jedem Einfluß der rauhen Herbstluft, nach dem Prediger-Hause zu bringen, wo durch die theilnehmende Geschäftigkeit seiner Frau schon Alles zu ihrem Empfang bereitet war.

Man brachte die Kranke in einem sanft erwärmten Zimmer zu Bette. Der heftige Frost ihres Fiebers ging bald in brennende Hitze über, von lebhaften und wilden Fantasieen begleitet. Zum erstenmahl öffnete sie die Lippen um in verworrenen Worten, aber mit Tönen, die tief in jedes gefühlvolle Herz drangen, die Unermeßlichkeit eines Schmerzes zu verrathen, die ihr Innerstes zerriß. Sie sprach Französisch, doch mitunter auch gebrochenes Deutsch in schweizerischer Mundart. Es war kein Zusammenhang in ihren Reden, aber die tiefste Verzweiflung leuchtete aus ihnen hervor, und es war abwechselnd bald ein Bruder bald ein Gemahl, über dessen Grausamkeit sie sich in Ausrufungen des ungeheuersten Jammers beklagte. Die wunderbare, herzgewinnende Schönheit ihrer Gestalt, und ihrer Züge [145] erhöhte noch den Antheil, den ihre Hülflosigkeit erweckte. Noch im ersten Lenz der Jugend, schien sie einer holden Knospe zu gleichen, deren volle Entwickelung aber ein giftiger Wurm verhindert, der an ihrem Innern nagt.

Nach einigen Stunden, als der angekommene Arzt zweckmäßige Mittel verordnet hatte, legten sich die Wallungen ihres Blutes, und ein Strahl von Besinnung dämmerte in ihr auf. Sie sah befremdet rings um sich her, doch die milde Freundlichkeit des Predigers und seiner Gattin hatte nichts Zurückschreckendes für sie, und als Werner sie hierauf mit vieler Schonung anredete, erregte die Entdeckung, daß er sehr geläufig französisch sprach, eine leise Bewegung in ihr, die beinahe der Freude glich. Sie dankte ihm für seine Theilnahme, und bat ihn, das Maas seiner Güte voll zu machen, und ihr einen Geistlichen ihrer Religion zu verschaffen. Der Rosenkranz, den sie an ihrem Gürtel trug, ehe man sie entkleidete, hatte ihm schon früher angedeutet, daß sie Katholikin sey.

Es schmerzte Werner, ihr diese Bitte nicht gewähren zu können, da die Innigkeit, mit der sie sie that, das sehnliche, und vielleicht einzige Verlangen ihrer lebensmüden Seele aussprach. Er sagte ihr, daß sie sich mitten in einem protestantischen Lande befände, und daß nur in der neun Meilen weit entlegenen Hauptstadt eine katholische Gemeine sey. Er wolle jedoch, wenn sie es wünsche, einen Boten dorthin abfertigen, und er zweifle nicht, daß ein Priester ihrer Kirche zu ihrem Trost herbeieilen werde – nur [146] möchten vielleicht wegen der Entfernung mehrere Tage darüber hingehn.

Eine dunkle Trauer umwölkte das Antlitz der Fremden; doch wich sie bald einer stillen Resignation, wie nur Heilige sie üben, und mit Ruhe und Fassung in Ton und Blick versetzte sie: ich fühle mich so krank, daß es alsdann wohl zu spät seyn würde. Auch habe ich erst vor wenigen Tagen mit zerknirschtem Herzen meine Beichte abgelegt. – – Doch da meine Seele mir noch immer nicht gereinigt genug dünket, um vor Gott zu erscheinen, so wäre es mir ein süßes Labsal meiner letzten Stunden gewesen, einen Diener meiner Religion um mich zu haben. Indeß – es soll nicht seyn – und auch in diesem schmerzhaften Entbehren liegt eine Art von Busse, die die Größe meiner Sünden vermindern muß.

Nicht Neugierde, sondern das gut gemeinte Bestreben, ihr nützlich zu seyn, bewog Werner zu der Frage, ob sie vielleicht wünsche, ihrer Familie Nachricht von ihrer Krankheit zu geben, und ob sie deshalb über seine Feder gebieten wolle. Sehr bald aber bereuete er sein Anerbieten, als er den Eindruck wahrnahm, den es auf die Kranke machte. Furien der Erinnerung schienen sie anzufallen, und sichtbar kämpfte sie mit ihnen, um ihm antworten zu können.

Ich habe keine Familie, sagte sie nach einer Pause, mit allen Kennzeichen des Schmerzes und der tiefsten Ermattung. Nur in dem Frauenkloster zu ... in der Schweiz, und sonst nirgends in der Welt, kennt und liebt man mich. Wenn ich sterbe, so bitte ich Sie, der Schwester Agnese dort zu schreiben, [147] daß mich der Tod übereilt hat, als ich das Asyl wieder aufsuchen wollte, wo ich meine Kindheit und meine erste Jugend verstreichen sah. Schreiben Sie ihr, daß ich gewünscht hätte, in ihren Armen zu sterben, um ihr noch einmal für alle Liebe und Güte zu danken, und bitten Sie sie, daß sie in den frommen Stunden ihres Gebets meiner gedenken möge.

Ich hoffe von Ihrer Jugend, und von der Geschicklichkeit meines Freundes, sagte Werner, auf den Arzt hindeutend, daß Sie von ihrer Krankheit genesen werden. Sollte aber, da die Wege der Vorsicht unerforschlich sind, dieser traurige Fall wider mein Vermuthen eintreten: so werde ich, wenn Sie mir Ihren Namen anvertrauen wollen, mit aller Gewissenhaftigkeit eines ehrlichen Mannes Ihren Auftrag erfüllen.

Sie antwortete schaudernd, als erblickte sie die geöffnete Hölle: ich heiße Adelaide St. Alban. – Nach diesen Worten verstummte sie plötzlich, und mit Schrecken wurde man gewahr, daß eine Ohnmacht sie überfallen hatte. Nur mit Mühe rief man sie endlich ins Leben zurück.

Aus Allem, was Werner beobachtet hatte, konnte er schließen, daß irgend ein schreckliches Geheimniß, oder eine schwere Schuld ihre Seele belasten müsse. Als ihre jugendliche Natur, die sorgsame Pflege, und der Eifer des Doctors nach und nach die Gefahr besiegten, in der ihr Leben schwebte, verschaffte ihm die Gabe der Combination, mit der er ihre einzelnen Aeußerungen zu einem Ganzen reihete, und späterhin ihr volles inniges Vertrauen, den Faden [148] ihrer traurigen Geschichte, die man – als er bald hierauf starb – unter seinen Papieren aufgezeichnet fand.


In einem einsamen Frauenkloster in der Schweiz wurde Adelaide seit ihrem vierten Jahr erzogen – oder vielmehr, sie wuchs kunstlos wie die Blume des Feldes unter den beschränkten, aber gutherzigen Nonnen auf, denen sie übergeben war. Niemand als die Aebtissin wußte um ihre Herkunft; doch da man ein ansehnliches Kostgeld für sie bezahlte, und sie zuweilen mit glänzenden Geschenken überhäufte, so schlossen die übrigen, die sich mit aller Neugierde des Klosterlebens bemühten, den geheimnißvollen Schleier von ihrem Daseyn weg zu ziehen, daß sie von vornehmer Geburt, und aus einem reichen Hause abstammen müsse.

Wie dem auch seyn mochte, so überzeugte schon der erste Blick, den man auf Adelaiden warf, daß das Glück ihr bei ihrer Geburt gelächelt hatte, denn sie war mit Eigenschaften begabt, die weder Rang noch Reichthum erwerben können. Ein heller Verstand, der, ohne genährt zu werden, ihr dunkles Leben mit sanfter Klarheit erfüllte, ein reines Gemüth, in dessen heiliger Tiefe Kraft und Muth zu allem Guten schlummerte, und eine Gestalt, die der Göttin der Liebe würdig gewesen wäre, und die durch den unvermeidlichen Anstrich klösterlicher Sittsamkeit noch an Reizen gewann. – – Dies war die Ausstattung [149] die die Natur ihr verliehen hatte, als eine finstere Laune ihres Schicksals sie bestimmte, den Mai ihrer Jugend in öden Klostermauern zu verleben.

Doch unbekannt mit der Mannigfaltigkeit und den Freuden der Welt, vermißte Adelaide nichts in dem einförmigen Laufe ihres Daseyns. In stiller Selbstbeschauung erreichte sie unter mechanischen Beschäftigungen ihr vierzehntes Jahr, und weder ihre Vernunft noch ihre Einbildungskraft hatten eine andere Nahrung, als die, die sie aus den seltsamen Legenden der Heiligen gezogen, welches die einzige Lectüre war, die man ihr gestattete. Die leblosen Bilder dieser Heiligen, und der nicht viel bedeutendere Umgang frommer Matronen, die eng zusammengedrängten Wände ihrer verschwiegenen Zelle, und der beschränkte Umfang des Klostergartens waren daher ihre ganze Welt, und ihre Phantasie strebte nicht über diesen Kreis hinaus, sondern war nur bemüht, ihn sich mit aller ihr eigenthümlichen Lebendigkeit auszuschmücken.

Aus diesem Zustande ernster, andachtsvoller Träumerei scheuchte eine Nachricht sie auf, die alle Nonnen in Geschäftigkeit und in neugierige Erwartung versetzte. Die Aebtissin nemlich kündigte ihr plötzlich den nahen Besuch ihrer Mutter, der Wittwe eines reichen Gutsbesitzers im Elsaß, an, und zum erstenmahl erfuhr sie, daß außer dem Namen Adelaide ihr noch der Zusatz: St. Alban gebühre. Sie erzählte ihr ferner, daß ein frommes Gelübde ihre Mutter bewogen habe, sie so früh als möglich der Einsamkeit zu übergeben, und ermahnte sie dringend, [150] den inneren Beruf, den sie zu dieser heiligen Abgeschiedenheit fühle, ihr laut und freudig bei ihrer Ankunft zu bekennen, und ihr zu danken, daß ihre weise Verfügung sie einer Welt voll Sünden und Laster überhoben, und hierdurch mütterlich das Heil ihrer Seele gesichert habe.

Adelaide kannte sich selbst noch zu wenig um mit Sicherheit zu wissen, ob wirklich ein solcher Beruf, wie die Aebtissin behauptete, in ihrem Inneren für des Klosters eintönige Stille sprach. Indessen schien die Macht der Gewohnheit ihr ein Band der Neigung, das sie an ihre öde Lebensweise und an den langweiligen Cirkel der Nonnen knüpfte; und da eine unter ihnen, Schwester Agnese, ihr von ihrer ersten Kindheit an eine zärtliche Freundschaft eingeflößt hatte, so war sie im Genuß derselben mit ihrer Lage zufrieden, und fand die Vorstellung angenehm, sie unverändert sich zu erhalten.

Aber nicht ein frommes Gelübde, sondern der Wunsch, ihrem Sohn das ganze Vermögen zuzuwenden, hatte Frau von St. Alban bestimmt, Adelaiden dem Schleier zu widmen. Durch Erfahrungen und Schicksale erbittert und verhärtet, hatte sie all ihr Gefühl auf diesen einzigen Gegenstand niedergelegt, und der entschiedenste Haß hätte ihm nicht so gefährlich werden können, wie die Verblendung ihrer Mutterliebe, die beinahe der Abgötterei glich.

Victor, so hieß der Liebling ihrer Seele, berechtigte sie allerdings durch die glänzendsten Anlagen zu kühnen Hoffnungen, mit denen sie in die Zukunft schaute; aber es hätte eine strenge und vernünftige [151] Erziehung erfordert, um sie wohlthätig für ihn selbst und für andere zu entwickeln. Mit heftigen Leidenschaften geboren, lernte er kein höheres Streben kennen, als sie zu befriedigen, und daß Bemühen seiner Mutter, jeden Dorn des Entsagens aus seinem Wege hinweg zu räumen, und auch den leisesten seiner Wünsche in seinem Auge zu lesen, um ihn – koste es, was es wolle – zu erfüllen, nährte den Hang in ihm, der ihn schon früh zum Wüstling und zum Egoisten hinneigte.

Da Nachgeben, Schmeicheln und Verzärtelungen aller Art seinem begehrlichen Sinn unzählige Bedürfnisse aufgedrungen hatten, so war ein großes Vermögen nöthig, um ihm die verwöhnte Existenz auch künftig zu sichern, die er im Schoos des Ueberflusses führte. Als daher in seinem zehnten Jahr Adelaide wie ein Engel der Unschuld ins Leben trat, sprach die unnatürliche Mutter den Fluch einer ewigen Verbannung über sie aus; und da gerade zu dieser Zeit der Tod ihres Gemahls ihr ungetheilte Rechte über ihre Kinder gab, so schickte sie die Kleine ins Kloster, dessen Aebtissin sie kannte, um sie je eher je lieber in die traurige Lebensart einzuweihen, die sie ihr bestimmt hatte.

Auch war es jetzt nicht Sehnsucht, die lang Verstoßene wieder zu sehn, um ihr nachzugeben, was sie seit ihrer Geburt an Mutterliebe entbehrt hatte, sondern Neugierde, ob ihr Aeußeres, das schon in ihrem vierten Jahre durch seine Lieblichkeit entzückte, sich wirklich so anmuthsvoll entfaltet habe, als es damals dies versprach, und vor Allen der Wunsch, ein [152] kleines Kapital zu ihrem künftigen Unterhalte im Kloster niederzulegen, um dem geliebten Victor, der jetzt die Güter übernehmen sollte, die lästige Nothwendigkeit eines Jahrgehalts zu ersparen.

Wie sehr erstaunte aber Frau von St. Alban, als Adelaidens blendende Reize jede ihrer Erwartungen übertrafen. Sie konnte sich nicht abläugnen, daß ihre Sucht zu glänzen, durch diese Tochter vielleicht eben so viel Befriedigung finden könne, als durch ihren Sohn; ja, sie war sogar überzeugt, daß Adelaide sich nur in der großen Welt zu zeigen brauche, um auch ohne Aussteuer eine der ersten Parthieen zu thun. Aber das unvortheilhafte Licht, das die Ungerechtigkeit sie ohne Mitgift zu vermählen, auf ihren partheiischen Karakter werfen würde, hielt sie ab, einen Entschluß zu fassen, zu dem die Vorstellung sie bewegen wollte, wie grausam es sey, so viel Schönheit und Anmuth in einem Kloster zu begraben.

Obgleich Adelaide eine Fremde, die sie nie vorher gesehen, und von der sie nie gehört hatte, unmöglich in dem Grad lieben konnte, wie ein so inniges Naturverhältniß es von ihr forderte, so unterließ sie doch nichts, was ihre Mutter das tiefe Gefühl kindlicher Verehrung zu beweisen im Stande war, und ihre angeborene Holdseligkeit gab selbst dem abgemessenen Zoll der Pflicht den milden Schein der Liebe. Frau von St. Alban wankte oft in ihrem Vorsatz, wenn sie sich so unwiderstehlich von Adelaidens Liebenswürdigkeit angezogen fand; doch der Gedanke, Victor irgend einen Genuß des Reichthums [153] zu entziehen, oder ihm irgend eine Möglichkeit zu rauben, jede seiner üppigen Laune und Wünsche befriedigen zu können, hielt sie wie Adelaidens böser Genius zurück, wenn sich das Verlangen in ihr regte, sie mit sich in die Welt zu nehmen. Auch überredete sie die unbefangene Zufriedenheit, welche Adelaide mit ihrem Zustande bewies, daß sie – auch mit einem besseren Loose bekannt – vielleicht dennoch den Schleier vorziehen würde.

Sie reiste daher wieder ab, nachdem sie, ihrer Meinung nach, Adelaidens Geschick auf immer hier an diese öde Stätte befestigt hatte – doch konnte sie nicht unterlassen, ihrem Victor bei ihrer Zurückkunft ein so schimmerndes Bild von den Reizen seiner Schwester zu entwerfen, daß er es lächelnd und ungläubig für Uebertreibung erklärte. Vergebens behauptete sie, daß Adelaide alle weiblichen Schönheiten überstrahle, denen er jemahls gehuldigt habe – er hörte nicht auf, an ihren fabelhaft scheinenden Erzählungen zu zweifeln. Doch wurde seine Phantasie entflammt, und seine Neugierde aufgeregt, und um zu entscheiden, ob er wirklich einem Engel, oder nur ein gewöhnliches Mädchen zur Schwester habe, beschloß er, gelegentlich selbst eine Reise in die Schweiz zu machen, um sich mit eigenen Augen zu überzeugen. Aber schon früher, als dies geschehen konnte, wollte Frau von St. Alban sich das Vergnügen machen, ihn von der Wahrheit ihrer Schilderung zu überführen. Sie gab heimlich einem geschickten Maler in Straßburg den Auftrag, nach dem Aufenthalte ihrer Tochter zu reisen, um ihr [154] mit Einwilligung der Aebtissin, ihr Portrait zu verschaffen, und ehe ein Monat verging, war es in ihren Händen.

Zwar konnte selbst der glänzendste Aufward der Kunst den ganzen Umfang ihrer Schönheit nicht darstellen; aber auch der schwache Abriß derselben war mehr als hinreichend, um ihre Behauptungen zu rechtfertigen. Victors freudig betroffene Ueberraschung gestand ihr auch ohne Worte ein, daß er jetzt jede ihrer Beschreibungen glaube. Er verschlang das Portrait mit seinen flammenden Augen, und brach in enthusiastische Ausrufungen der Bewunderung aus. Hierauf trug er es in sein Zimmer, und als er allein war kniete er nieder vor dem lieblichen Bilde, und murrte zürnend gegen das Schicksal, das ein so reizendes Geschöpf ihm nur zur Schwester gab.

Alle seine sonstigen Beschäftigungen und Freuden wurden ihm gleichgültig, und nur der leise Wiederschein von Adelaidens göttlicher Anmuth erfüllte sein Gemüth mit allen Regungen einer heftigen Sehnsucht, und eines ungestümen, wilden Verlangens. Doch wenn er in ihrem Anschauen verloren mit brennender Ungeduld wünschte, die Natur möchte alle diese Reize nicht an sie sondern an die künftige Gefährin seines Lebens verschwendet haben: dann stiegen neue Zweifel vor ihm auf, um seine innere Glut zu mäßigen. Vielleicht, dachte er dann, ist es nur ein Ideal des Malers das nirgends existirt. Vielleicht hat er einige gewöhnliche Annehmlichkeiten der Jugend mit dieser Glorie übergossen, die nur der schaffende Geist des[155] Künstlers in so reicher Fülle leihen kann. – Umsonst aber suchte er durch diese Vorstellung die Flamme seiner Einbildungskraft zu löschen; sie loderte nur um so höher und zehrender auf, je mehr er kämpfte sie zu ersticken.

Sorgsam verhehlte er indessen seiner Mutter, mit welcher Allmacht das Bild Adelaidens ihn ergriffen hatte. Er schämte sich der strafbaren Leidenschaft, die durch den Anblick dieser stummen Leinewand in ihm entstanden war; und obgleich geübt, jede Schwierigkeit zu überwinden, die seinen Begierden in den Weg trat, so schien doch hier sein Muth ohnmächtig wie sein Wille. Er verfiel nach und nach in eine tiefe Schwermuth. Frau vvn St. Alban, die ihn vergötterte, strebte vergebens darnach, die Ursache zu ergründen; und da sein hartnäckiges Schweigen ihr keinen Blick in sein Herz gestattete, so bemühte sie sich, wenigstens durch aufheiternde Zerstreuungen seine ehemalige Munterkeit zurückzurufen. Doch alles verfehlte die gehoffte Wirkung auf ihn. Nur als sie ihm eine Reise vorschlug, willigte er mit hastigem Ungestüm ein, und traf Anstalten, um seinem Vorgeben nach – einige Monate in Paris zu verweilen.

Allein nicht nach Paris ging der Weg, auf dem der böse Geist ihn fortriß, der sein Innerstes beherrschte.Sehen wollte er, ob nur eine Täuschung der Kunst die Ruhe seines Herzens zertrümmert habe, oder ob die Erde wirklich so reich sey, ein so himmlisches Meisterstück der Natur zu besitzen, und dann – wenn er sie wirklich so fand – er wußte nicht, [156] was er dann beginnen würde, aber ihm schauderte vor dem Aufruhr seines ganzen Wesens, wenn er diese Möglichkeit sich ausmalte.

So kam er, von einem einzigen alten Bedienten begleitet, in der Gegend an, wo das stille Asyl der Frömmigkeit lag, unter dessen Dache Adelaide lebte. Er umirrte es mehrere Tage in allen Richtungen, ohne einen bestimmten Entschluß fassen zu können. Endlich ermannte er sich, und ging mit dem Vorsatz an die Pforte, unter dem Namen Montfaucon Einlaß zu begehren. Man führte ihn ins Sprachzimmer, wo er Fräulein St. Alban zu sprechen verlangte, weil er als ein vertrauter Freund ihres Hauses Aufträge von ihrer Mutter an sie habe.

Adelaide erschien, und befragte ihn mit einiger Zaghaftigkeit um das Befinden ihrer Mutter. Er überreichte ihr im Namen derselben einige Geschenke, und log ihr mit aller Gewandheit eines feinen Weltmanns eine sehr wahrscheinliche Geschichte vor, die ihn in dem innigsten Verhältniß zu ihrer Familie darstellte, und ihre anfängliche Schüchternheit bald in unbefangenes Zutrauen verwandelte.

Wie weit erhob die Wirklichkeit sie über den schwachen Schatten ihres Bildes! Kaum konnte er seine Blicke von den seelenvollen Augen wegwenden, in denen der Schimmer eines lebendigen Geistes mit der holden Sanftmuth der reinsten Unschuld verschmolzen war. Ihre Züge, vollkommen regelmäßig und durch eine unbeschreibliche Lieblichkeit sich der Seele unauslöschlich einprägend: ihre Gestalt, die Grazie, Leichtigkeit [157] und Würde vereinigte, und die frische Blüthe unentweihter Jugend, die auf ihre Wangen die zartesten Rosen hauchte – alles dies hätte auch ohne den Ausdruck eines kindlich demüthigen und heiligen Gemüths jedes Herz ihr gewonnen, und jedes Urtheil für sie bestochen.

Auch auf Adelaidens unerfahrnes, unverwahrtes, sich selbst noch kaum bewußtes Gefühl machte seine männlich schöne Gestalt, und das Einschmeichelnde seines ganzen Wesens einen tiefen Eindruck. Außer den Ordensgeistlichen, die das Kloster besuchten, und außer den armen und kranken Wanderern, die zuweilen einsprachen, um ein Almosen zu erbitten, hatte sie noch keinen Mann gesehen, und er, der den Zauber der glücklichsten Bildung noch durch alle Künste des Gefallens zu verstärken wußte, erschien jetzt wie ein Halbgott vor ihrer Seele, die sich – als die Schicklichkeit ihn zwang, seinen Besuch zu endigen – in sehnsuchtsvolle Träume seines Andenkens vertiefte.

Als Victor allein war, überließ er sich ganz den heftigen Empfindungen, die Adelaidens Nähe in ihm verdoppelt hatte. Gewohnt, sich keinen Wunsch zu versagen, fehlte es ihm nur an Gründen der Entschuldigung, wodurch er jedes Mittel zu heiligen strebte, das ihm – sey es auch das gewaltsamste – zur Erreichung seiner Zwecke diente. Auch hier mußte die Erinnerung an die Geschichte der Patriarchen und an die Begebenheiten des frühesten Zeitalters das innerliche bessere Gefühl übertäuben helfen, das sich gegen den Wunsch ihres Besitzes [158] sträubte, den er nun kühn genug war, sich selbst zu gestehn. In Adelaidens sprechenden Blicken und in ihrem jungfräulichen Erröthen hatte er sein Glück gelesen, und jeder Einwurf der sittlichen Vernunft und der Moral dünkte ihm nur ein Hirngespinnst des Vorurtheils zu seyn.

Zwar sah er ein, daß er nur im Dunkel des größten Geheimnisses seinen Plan ausführen dürfe; aber bei der Leichtgläubigkeit seiner Mutter, und seinem ungemessenen Einfluß über sie, traute er sich zu, ihr verbergen und überreden zu können, was er für nöthig hielt.

Er foderte daher den andern Tag die Aebtissin zu einer geheimen Unterredung auf, sagte ihr, daß Frau von St. Alban ihm erlaubt habe, um die Hand ihrer Tochter zu werben, und sie in das mütterliche Haus abzuholen, und daß sie das für ihren künftigen Unterhalt bestimmte Kapital ihr als ein Zeichen ihrer Erkenntlichkeit für die gehabte Mühe der Erziehung überlasse. Das Wappen seiner Mutter, das er in einem Ringe führte, legitimirte ihn bald in den Augen der einfältigen, mit allen Weltintriguen unbekannten Nonne. Sie willigte ohne Bedenken ein, ihm Adelaiden zu übergeben, und kündigte dieser im Herrn von Montfaucon ihren künftigen Gemahl an.

Die liebliche Verwirrung, mit der Adelaide diese Nachricht vernahm, erhöhte ihre Reize wie seine Liebe. Sie verließ an seiner Hand das Klostet nicht ohne Thränen, aber mit der inneren Ueberzeugung, daß die Vereinigung mit ihm sie trocknen werde. Doch, [159] statt wie sie geglaubt hatte, sie zu ihrer Mutter zu führen, sagte er ihr, daß er erst dringende Geschäfte in Paris abthun müsse, ehe er sie nach dem Elsaß bringen könne, und daß der Wunsch und das Gebot der Frau von St. Alban es ihr zur Pflicht mache, sich sobald als möglich mit ihm zu vermählen. Adelaide hörte ihm mit der frommen Folgsamkeit eines arglosen Kindes zu, und glaubte jedem seiner Worte. Ein umherwandernder Priester war leicht dazu überredet, ihre Hände in einander zu fügen, und unmittelbar nach dieser feierlichen Ceremonie setzten sie die Reise nach Paris fort.

Welch eine süße Trunkenheit des höchsten Entzückens ruhte auf den ersten Zeiten dieser frevelhaften Verbindung! Nie hatte Victor in den rauschenden Freuden seiner früheren Jahre gefühlt, wie reich das Leben ist wenn wahre Liebe es beglückt. Mit jedem Augenblick enthüllten sich ihm neue, herrliche Eigenschaften Adelaidens, und selbst ihre Unwissenheit, ihre völlige Neuheit auch in den gewöhnlichsten Vorfällen des Lebens verbreitete einen Zauber mehr über ihr ganzes Wesen. Welch ein Genuß für ihn, ihr die Welt nach und nach aufzurollen, wie ein noch nie gesehenes Gemälde voll bunter, Erstaunen erregender Gestalten und Farben, und sich an den kindlichen Ausbrüchen ihrer Verwunderung und ihres Vergnügens zu weiden! An ihrer Seite wurde selbst ihm, dem Uebersatten, das Leben wieder neu, und nur leise wagte sich dann und wann in einer einsamen Stunde ein innerer Vorwurf seiner Strafbarkeit an ihn heran.

[160] Aber die Zeit war nicht fern, die ihn fürchterlich wecken sollte aus dem neidenswerthen Taumel seines Glücks. Vergebens glaubte er seine Mutter ununterrichtet von seinen Verhältnissen. Sie hatte an dem alten Bedienten ihm einen Beobachter mitgegeben, den ihr strenger Befehl verpflichtete, jede seiner Handlungen auszuspähen, um sie ihr mitzutheilen. Uebertriebene Zärtlichkeit hatte sie zu diesem geheimen Auftrag bewogen – aber ach, welche gräßliche Entdeckung ging aus seinem pünktlichen Bestreben, ihr zu gehorchen, hervor! – Sein erster Brief verkündigte ihr, daß, statt nach Paris zu reisen, sein Herr den Weg nach der Schweiz eingeschlagen habe – daß er in sonderbarer Gemüthsstimmung, gleichsam uneins mit sich selbst, das Kloster .... umschwärmt, endlich es besucht, und in Begleitung einer wunderschönen Nonne es verlassen habe, mit der, wie er vermuthe, er seit einiger Zeit durch eine heimliche Heirath verbunden sey. Sie wären hierauf wirklich nach Paris gereist, und er glaube, da sie sich längst eine Schwiegertochter gewünscht habe, daß sein junger Herr sie bei seiner Zurückkunft mit seiner schönen Gemahlin überraschen wolle.

Frau von St. Alban las diesen Brief mit einem Entsetzen, als enthielte er ihr Todesurtheil. Schwarze Ahnungen bemächtigten sich ihrer, und wie ein Flor fiel es jetzt von ihren Augen, als sie die auffallende Veränderung überdachte, die seit der Ankunft von Adelaidens Portrait in ihrem Sohne vorgegangen war.

Doch noch hatte keine Gewißheit ihre ängstlichen[161] Vermuthungen bestätigt. Eilig sendete sie einen sichern Boten nach dem Kloster ab, um Nachricht von ihrer Tochter einzuziehen. Er kam wieder und brachte die schreckliche Botschaft, daß ein junger, schöner Mann, der ihr Wappen in seinem Ringe getragen, seinem Vorgeben nach mit ihrer Bewilligung sich für Adelaidens Bräutigam erklärt, sie mit sich genommen, und sich wahrscheinlich mit ihr verheirathet habe.

Eine tiefe Ohnmacht warf die unglückliche Mutter zu Boden. – Sie sah ein, daß ihre Partheilichkeit, und ihre gränzenlose Nachsicht gegen jede Laune und Begierde Victors die erste Veranlassung dieses fürchterlichen Verhängnisses sey. Ohne Grundsätze in ihm zu befestigen, nur immer mit dem Entgegenkommen der Erfüllung aller seiner Wünsche ihm schmeichlend, und so schon in früher Kindheit die Kraft in ihm lähmend, durch die der Mensch allein vermag, seine Leidenschaften zu zügeln, hatte sie selbst durch ihre Schwäche und Verzärtelung ihn auf den Weg geleitet, der jetzt so herbe Dornen für sie trug, und dies vermehrte ihren tödlichen Jammer. Kaum blieb ihr noch so viel Zeit übrig, dem Frevler zu schreiben, daß ihr Fluch auf dieser verbrecherischen Verbindung hafte, als ein Nervenschlag ihr Leben endigte.

Victor erhielt in derselben Stunde ihren Brief und die Zeitung ihres Todes. Dies erschütterte zuerst den festen Bau seines häuslichen Glücks; doch konnte es noch nicht in Trümmern fallen, denn Adelaidens unnachahmliche Sanftmuth, ihre Lieblichkeit [162] und die Hingebung, mit der sie an ihm hing, waren mächtige Grundpfeiler, die es stüzten. Aber sein Gewissen erwachte, und zeigte ihm überall, wo er ging und stand, die sterbende Gestalt seiner Mutter. Mitten in dem geräuschvollen Paris wandelte er wie in einer Einöde, umher: – er hoffte Linderung seines Zustandes von der Veränderung der Luft und der Gegenstände, und reisete ab.

Nach und nach entdeckte er schonend Adelaiden den Tod ihrer Mutter. Sie hatte sie zu wenig gekannt, um ihren Verlust tief betrauern zu können; doch weihte sie mit kindlicher Herzlichkeit ihr einige Thränen, und fühlte sich inniger als je an Victor gekettet, als sie sah, daß er in dumpfer Schwermuth ihren Schmerz mit ihr theilte.

Ein innerer Widerwille hielt ihn ab, nach Elsaß auf seine Güter zu gehn. Er schweifte lange umher, einen Wohnort zu finden, der seinem Geschmack entsprochen hätte. Endlich nöthigte mitten in Deutschland Adelaidens Zustand ihn, zu bleiben. Sie sollte Mutter werden, und als die Gefahr nun überstanden war, und ein lieblicher Knabe ihm in ihren Armen entgegenlächelte, lösete sich seine dunkle Melancholie in milde Wehmuth auf, und die Rachegeister, die ihn unablässig umschwebten, schienen versöhnt durch die Heiligkeit des neuen Bandes, das ihn jetzt an die Mutter seines Sohnes knüpfte.

Ihm gefiel die romantisch wilde Lage des kleinen Städtchens, wo er zuerst wieder das lang unterbrochene Gefühl innerer Beruhigung gekostet hatte. Ein sam lebte er dort an der Seite der Geliebten, [163] suchte ihre Abkunft zu vergessen, und weidete sich an der holden Entwickelung seines Kindes, das wie eine schöne Knospe dem Sonnenstrahl des Lebens sein Daseyn öffnete. Adelaide gebar ihm einen zweiten Sohn, und schien dadurch sein Glück zu verdoppeln.

So vergingen drei Jahre, ehe sich die Macht der Zeit an ihm bewährte, die nach und nach selbst den vollsten Kranz der Freude entblättert, wennLeichtsinn ihn gewunden hat. Ihn, dessen Sinn schon frühe das Getöse der Welt für stillere Genüsse abstumpfte, ermüdete die Einförmigkeie des häuslichen Lebens, als sie aufhörte, für ihn den Reiz der Neuheit zu haben. Er fühlte jetzt mitten im Kreis der Seinigen eine Leere, die ihn ungeduldig in das Gedränge bunter Zerstreuungen trieb; und so wie er sich anfangs von jeder Berührung der Außenwelt zurückgezogen hatte, um ganz dem Glück der Liebe zu leben, so hätte er sich jetzt gewaltsam losreißen mögen, um in geräuschvollen Abwechselungen von dem finsteren Grübeln zu genesen, das sich in eben dem Grad in ihm verstärkte, in dem die Zufriedenheit mit seiner Lage abnahm.

Noch war seine Liebe zu Adelaiden nicht erloschen; die erste Glut derselben hatte sich nur in sanfte Wärme verwandelt, die nicht mehr loderte, aber dennoch sein Innerstes durchdrang, und ihrem hohen, reinen Werth Gerechtigkeit widerfahren ließ. Jemehr indessen die Begeisterung der Leidenschaft der ernsteren Besonnenheit wich, mit der die Vernunft jetzt seine Schritte prüfte, jemehr verschwanden die Sophismen, mit denen er sonst oft [164] das innere Strafgericht in seiner Brust in Schlummer gewiegt hatte, und wie einen nagenden Wurm trug er eine stumme, kalte, wortlose Verzweiflung mit sich umher.

Unaufschiebliche Geschäfte riefen ihn nach einer langen Abwesenheit endlich auf seine Güter zurück. Er durfte nicht wagen, Adelaiden mit sich zu nehmen, und mit Rührung sah er, wie diese erste Trennung seit ihrem Beisammenleben ihr liebendes Herz so tief verwundete. Dankbare Wehmuth im Erkennen der treuen, hingebenden Liebe, die sie ihm bewies, preßte auch aus seinen Augen Thränen des Abschieds. Er umarmte sie mit all dem Feuer, das in den ersten Zeiten ihrer Verbindung in ihm geflammt hatte – er drückte auch seine Kinder mit väterlicher Innigkeit an seine Brust, und wie zwei lächelnde Genien der Unschuld beschworen sie den Sturm, der durch so manche Vorstellung erregt, in ihm tobte.

Als er aber zurückkehrte in die nun für ihn verödete Heimath, wo jeder Gegenstand, den er erblickte, die Erinnerung an die unbeschreibliche Liebe seiner Mutter in ihm erneute – als er nach den kleinsten Umständen ihres Todes forschte, und hörte, daß sie trostlos gestorben sey, da umschwebte ihn das Bewußtseyn, sie getödtet zu haben, überall drohend in der Gestalt ihres zürnenden Schattens – alle guten Geister wichen von ihm, und er überließ sich ganz den unnennbaren Qualen seines Gewissens, die ihn niederbeugten.

Endlich ging in der Nacht seiner Seele wie ein matter Lichtstrahl – dem Verirrten tröstlich – die [165] Möglichkeit auf, durch Reue und freiwilliges Entsagen der Asche seiner Mutter ein würdiges Todtenopfer zu bringen. Der neu ausgebrochene Krieg schien trostverheißend ihn auf das blutige Schlachtfeld zu winken, um da unter dem Donner der Kanonen die laute Stimme zu übertauben, die ihn anklagte, und schon war der Entschluß, sich von Adelaiden loszureißen, halb und halb in ihm gereift, als er, finster nachdenkend über die Art und Weise, wie er es anfangen sollte, zu ihr zurück kam.

Eine ahnungsvolle Bangigkeit beklemmte sein Herz, als er über die häusliche Schwelle schritt, die ihn sonst zum Genuß so süßer, selbst die Bitterkeit der inneren Vorwürfe oft überwiegenden Freuden leitete. Alles war still und öde – nirgends vernahm er das frohe Geräusch seiner Kinder – nirgends Adelaidens melodische Stimme. Der Schauer einer düsteren Ahnung wehte ihm aus den leeren Zimmern entgegen, bis er endlich im innersten Cabinet seiner Frau Töne einer leisen Bewegung vernahm. Ungeduldig riß er die Thür auf, doch wie zu Stein erstarrt blieb er an dem Eingang stehen, denn das erste, was er erblickte, waren die Särge seiner beiden Kinder, und Adelaide, die mit wild aufgelöstem Haar, vom Schmerz beinahe ihrer Sinne beraubt, vor ihnen knieete, und dumpf und thränenlos die Leichname ihrer Lieblinge umfaßte.

Ein bösartiges Fieber hatte bald nach seiner Abreise beide ergriffen, und sie hinweg gerafft. Dieses grausame Spiel des Zufalls dünkte ihm das Gericht[166] einer rächenden Gottheit. Schaudernd stürzte er ins Zimmer und warf sich auf die Leichen der Knaben, die auch im Tode noch lächelnd zu schlummern schienen. Sie waren kalt wie Eis. Ihre Berührung rief seine volle Besinnung wieder zurück, aber nur, um zu verzweifeln, und um in Adelaidens schuldloses Herz den Dolch noch schärferer Qualen zu stoßen. O ewige Vorsicht, rief er aus, du züchtigst mich hart, aber gerecht! – – Der Ton seiner Stimme erweckte wie eine Melodie aus besseren Sphären Adelaidens Seele aus dem Abgrund des tiefsten Jammers. Sie richtete sich auf, und schwankte ihm entgegen, aber er stieß sie mit Heftigkeit zurück. Weg, Unglückliche! schrie er, deine Liebkosungen sind Lockungen der Hölle. Geh in dein Kloster zurück, und thue Buße – oder verbirg dich in den Gräbern deiner Kinder; denn ich bin dein Bruder, und die Strafe des Himmels wird uns beide vernichten! – –

Adelaide sank auf die Leichen ihrer Kinder zurück. Starre Betäubung fesselte ihr Bewußtseyn, und ihre Glieder, und als sie nach einigen Stunden erst wieder zu sich kam, meinte sie aus einem schrecklichen Traum zu erwachen. Doch die Verstörung ihres Hauses, die öde Grabesstille, die sie umgab, und die Angst, die sich in dem Bemühen ihrer Leute um sie verrieth, ließen ihr namenloses Elend nach und nach aus dem wohlthätigen Nebel des Zweifels in die fürchterliche Klarheit der Ueberzeugung hervortreten, und ein Brief, den man ihr von der nächsten Station, von reichen Wechseln begleitet, von [167] Victor überbrachte, vollendete ihr Unglück und ihr Schicksal.


»Ich habe das entsetzliche Geheimniß vor dir ausgesprochen, schrieb er, und ich kann es eben so wenig widerrufen, als dir den Frieden deines Lebens ersetzen, den ich zerstört habe. Wende dich an Gott, der den unschuldig Leidenden tröstet – seine Strafe möge nur auf mich zermalmend niederfallen. Verzeihe deinem unglücklichen Bruder, den du niemahls wieder sehen wirst, und freue dich der Erfüllung seines Wunsches, wenn du hörst, daß eine feindliche Kugel den Weg zu seinem Herzen gefunden hat.«


Victor St. Alban.


Adelaide versank in jenes dumpfe Hinbrüten, das die innere Lähmung einer von Gram belasteten Seele ausdrückt. Nach und nach kehrte ihr Gefühl zurück, doch sie wurde sich dadurch ihres Schmerzes nur in seinem ganzen, ungemessenen Umfang bewußt. Rings um sie her war schauerliche Finsterniß im Leben; nur wie ein milder Stern strahlte die Erinnerung ihres friedlichen Klosters in ihr umdunkeltes Gemüth, und sie eilte dem Trost der Freundschaft und der Religion entgegen, der dort ihrer wartete. Ein fanatischer Priester aber, dem sie beichtete, erfüllte ihre kranke Fantasie mit allem Schrecken der Verdammniß, und beunruhigte ihr von Kummer zerrissenes Herz so gewaltsam, daß unterwegs ihr zarter Körper den Quallen ihres geängstigten Geistes unterlag. Nur die thätige Hülfe und Pflege, die [168] sie in dem Hause des menschenfreundlichen Werners fand, brachte sie vom Rande des Grabes zurück, um die einzige Heimath noch zu erreichen, die es für sie in der Welt gab. Dort, unter dem erhebenden Einfluß eines milder gesinnten Dieners ihrer Kirche, erlangte sie jene Seelenruhe wieder, welche sie zu dem Uebergang in eine bessere Welt würdig vorbereitete, und nach einigen Jahren legte sie ihr müdes Haupt zum letzten Schlummer nieder. Victor hatte in der ersten Schlacht den Tod, den er suchte, gefunden.

[169]

Rufaldino

Es lebte einst in Welschland ein geistlicher Herr, der Rufaldino hieß, und seiner Gelehrsamkeit und Frömmigkeit wegen allgemein verehrt, und zu hohen Ehrenstellen befördert war.

Der Schein der Tugenden aber, der mit einem lichten Nimbus ihn schmückte, war nur einem blendenden Mantel zu vergleichen, der um so sicherer die wahre Gestalt seines lasterhaften Lebens verbarg, je täuschender er seine Vergehungen zu umhüllen wußte. Denn, während er, geübt in den Künsten der verworfensten Heuchelei, nach einem fleckenlosen Ruf trachtete, gestattete er sich im Stillen alle Ausschweifungen, die den Menschen überhaupt und zwiefach den Geistlichen entehren, der nicht nur durch das Wort der Lehre, sondern auch durch das Beispiel seines eigenen Wandels würdig auf den Kreis weltlichen Treibens zu wirken, berufen ist.

[170] Die geistlichen Aemter, die er verwaltete, gaben ihm Gelegenheit, sich zwanglos an jede Familie anzuschließen, deren Seelsorge ihm vertraut war. Allein er mißbrauchte dieses ehrwürdige Vorrecht, indem er die Frauen und Töchter der Häuser, die sich ihm gastfrei öffneten, verführte, und – wenn Ueberdruß an die Stelle seiner wilden Leidenschaft trat, oder er Verdacht, und Rache zu befürchten glaubte – so schloß ein kunstvoll zubereitetes Gift den unglücklichen Opfern seiner Begierde die Lippen, und sandte die, oft durch teufelische List Betrogenen in das dunkle Land, aus dem keine Anklage mehr den Sünder hienieden erreichen kann.

So hatte er die Jahre seiner Jugend, und seines männlichen Alters erreicht, und – weit entfernt, Reue zu empfinden – sich seiner schändlichen Thaten auch noch im Nachhall der Erinnerung mit einer solchen Behaglichkeit erfreut, daß – da er sich Niemanden mittheilen durfte – er ein Tagebuch hielt, in das er mit den kleinsten Umständen jede seiner lasterhaften Handlungen verzeichnete, um dereinst seinem Gedächtnisse zu Hülfe zu kommen, und sich an dem Schattenbilde genossener Lust noch zu weiden. Dieses Buch, kostbar in schwarzen Sammet gebunden, und mit Gold und funkelnden Edelsteinen verziert, ruhete stets auf seiner sündlichen Brust, und wer es sah, hielt es für ein Brevier, dessen der heilige Mann sich in den Stunden seiner Andacht bediene.

Da begab es sich, daß eine Mutter mit ihren Töchtern nach Rom zog, wo Rufaldino lebte, und[171] – schon vor ihrer Ankunft von dem Rufe seiner Tugend und Weisheit wie von dem milden Strahl durchglüht, den die Sonne aus ihrer Höhe auf die niedere Erde herab sendet – nichts sehnlicher wünschte, als seine Bekanntschaft. Hohen Standes – sie war aus einem alten, gräflichen Geschlecht – hatte der Wittwenschleier ihr die Freuden der Welt alle mit seinem düsteren Flor umhüllt, und nur durch ihre Kinder, zwei zarte unschuldsvolle Mägdlein, hielt sie sich noch an das Leben gebunden, das seit dem Verlust des geliebten Gatten ihr verödet schien. Wunderbare Schicksale, Ungerechtigkeiten der Menschen und Täuschungen seiner Hoffnungen und Wünsche hatten vor der Zeit sein blühendes Daseyn dem Grabe zugeneigt, und kein irdisches Verlangen loderte seitdem mehr in ihrer, dem Glücke abgestorbenen Brust, als das, ihm zu folgen, nachdem es ihr gelungen seyn werde, ihre Kinder vor den Fallstricken der Arglist und der Verführung zu sichern, die um so furchtbarer ihnen drohten, da Schönheit, Unerfahrenheit und Reichthum ihre Mitgift waren.

Welche Beruhigung mußte es daher nicht dem liebenden Mutterherzen gewähren, in Rufaldinos gepriesenem, und bald durch das Zutrauen, das er ihr einzuflößen wußte, bewährtem Charakter einen Schutz und Schirm ihrer Lieblinge in den Stürmen der Welt zu erkennen, denen sie nun bald die Hülflosen Preis geben sollte. Als sie auf ihre Bitte sein Versprechen empfangen hatte, sich mit väterlicher Treue der Verlassenen annehmen zu wollen, zog diese Zusicherung die letzten Dornen aus ihrem [172] Sterbelager, und ruhig schied sie aus einem Leben, an welches nur noch diese Sorge sie gekettet hatte.

Beatrice und Bianca, so hießen die zarten Blüthen, welche der reinsten ehelichen Liebe entsprossen waren, standen gefaßter neben der Leiche der so unaussprechlich geliebten Mutter, als Rufaldino bei ihrem tiefen kindlichen Gefühl vermuthet hatte. Denn schon früher durch das Leiden der Verehrten zu Ernst und stiller Einkehr in sich selbst gewöhnt, war ein Plan in ihren jungen Seelen gereift, dessen Ausführung ihnen den willkommensten Hafen einer ungestörten Ruhe zu erschließen schien.

Sie wollten nemlich dem Klosterleben ihre künftigen Tage widmen, und in gottseliger Einsamkeit sich zu dem höheren Berufe vorbereiten, dem ihre Eltern so frühe gefolgt waren. Rufaldino hörte, als er sich über ihre Zukunft mit ihnen beredete, voll geheimer Freude diesen Ausspruch über ihr Schicksal, den sie mit Kraft und Festigkeit ihm kund thaten. Innerhalb der klösterlichen Mauern schienen sie ihm ein sichereres Opfer seiner Lüste zu seyn, als im Gewühl der Welt, wo gefährliche Nebenbuhler sich um ihre Gunst hätten bewerben, und sie durch die Magie der Liebe in den Zauberkreis einer glücklichen Ehe bannen können, den zu überschreiten es weit mehr Mühe und Anstrengungen kostete, als die Schwelle der geweihten Stätte, die seiner Willkühr stets offen stand, ohne das dadurch der mindeste Argwohn erregt ward.

Er billigte daher vollkommen ihren Plan, und da sie es seiner besseren Einsicht überließen, das Kloster [173] zu wählen, das er für ihre Wünsche am angemessensten hielt, so erkor er eines, dessen geheime Sittenverderbniß seiner sträflichen Absichten begünstigte, da die Bewohnerinnen desselben ihm durch das Einverständniß einer lasterhaften Vertraulichkeit sämmtlich unterthan, und aus Furcht vor der gerechten Strafe gezwungen waren, ihm bei neuen Ankömmlingen in Allem was er wünschte, Beistand zu leisten.

Noch einmahl besuchten die jungen Gräfinnen den Grabhügel ihrer Mutter, ihn mit Blumen schmückend, und mit Thränen benetzend – – sahen sich noch einmahl weit umher in der freien, herrlichen Natur, die sie nun bald mit der Beschränkung enger Mauern zu vertauschen gedachten – athmeten mit vollen Zügen noch zu guterletzt den Balsam der Luft unter säuselnden Pinien und duftenden Orangen ein, und sagten dann, Hand in Hand sich an den Ort ihrer Bestimmung verfügend mit ruhig ergebenem Sinne der Welt und ihren trügerischen Freuden auf ewig Lebewohl.

Aber ach, statt dort, wo die Palme des Friedens ihnen zu winken schien, dies Kleinod eines höheren Lebens wirklich zu finden, wartete nur Schmerz und Schmach der Unschuldigen, bis eine grausame Todesart ungerechter Weise das reine Morgenroth ihrer kaum erst angebrochenen Jugend in allzufrüher Nacht erlöschen ließ.

Kaum hatten sie sich selbst die Rückkehr in des. Kreis bürgerlicher Geselligkeit verschlossen, wo die Gesetze sie vor den Verfolgungen eines heuchlerischen [174] Bösewichts gesichert hätten, als er die Maske der Scheinheiligkeit abwarf, und in seiner wahren Gestalt sich ihnen zeigte.

Die holden Neulinge in den Künsten der Verführung, unbekannt mit dem leisesten Schein der Unsitte, verstanden nicht, welche widrige Absichten sein lüsternes Begehren sich vorgesetzt hatte; aber die unentweihte Scheu heiliger Unschuld in ihnen wandte sich dennoch schaudernd von seiner Freundlichkeit ab, die ihnen kein Zutrauen einflößte, und an die Stelle ihrer kindlichen Hinneigung zu ihm trat Schüchternheit, und späterhin, als er immer zudringlicher ward, Verachtung. Gleichwohl ehrten sie in ihm immer noch dir Vergangenheit zu sehr, um ihn durch eine Anklage seiner Unwürdigkeit ins Verderben stürzen zu wollen. Ihre sterbende Mutter hatte sie seiner Obhut anempfohlen – freilich, weil sie ihn nicht kannte – aber das letzte Gebot ihrer nun verstummten Lippen, ihn als ihren Vater zu betrachten, war ihnen demohngeachtet zu heilig, um ihn der Strafe der wahnsinnigen Verirrung Preis zu geben, für die sie sein Benehmen hielten.

Indeß, weder die Festigkeit, mit der sie sich den Versuchungen entzogen, durch welche er sie theils zu bezwingen, theils zu überlisten strebte, noch der schonende Edelmuth ihres tiefen Schweigens konnte den Verworfenen anderen Sinnes machen, und er versuchte zuletzt noch das einzige Mittel, das ihm übrig blieb, durch Drohungen nemlich ihren Muth zu erschüttern. Hindeutend auf seine Macht und seinen Einfluß lies er sie die schrecklichsten Gefahren [175] für sich ahnen, wenn er auftreten werde, sie der Zauberei und mancher ihnen nicht einmahl dem Namen nach bekannten Laster zu beschuldigen. Er betheuerte ihnen mit den vermessensten Schwüren, daß der ganze Convent, statt ihnen Beistand zu gewähren, sich – völlig abhängig von ihm – mit ihm vereinigen werde, seiner anklage Glauben zu verschaffen, und daß sie, falls sie ferner sich weigerten, ihn zu erhören, unvermeidlich einem schmählichen Tode als Opfer fallen würden.

Die beiden Schwestern sahen sich an, und jede las den Ausdruck ihrer eigenen Gefühle, ihrer eigenen Gedanken in den Blicken der anderen. Da reichten sie sich, einverstanden in himmlischer Duldsamkeit und Ergebung, die Hände, lächelten getrost der dunklen Zukunft entgegen, und erwiederten einstimmig: Gottes Wille geschehe; wir weichen nimmer von seinem Wege!

Da steigerte sich Rufaldinos Leidenschaft bis zur Wuth, und mit den schauderhaftesten Verwünschungen der Unschuldigen verließ er sie, ihnen den Untergang verheißend.

Die Schwestern blieben mit einander allein. Jede blickte schweigend seitwärts, und mochte den schwer beladenen Busen nicht durch Worte seiner Bürde entladen, bis ein tiefer Seufzer Beatricens Bianca bewog, nach ihr hinzuschauen, sich ihr zu nähern, und sie in die Arme zu schließen.

Graut Dir vor dem Sterben? flüsterte sie in das Ohr der Weinenden. – – Nein, o nein! erwiederte diese. Ich weiß, das Grab ist nur ein [176] Ruhebettlein, auf dem wir schlummern, um seliger zu erwachen. Aber mir graut vor den Qualen, die vielleicht unserer harren – vor dem Flecken der auf unserem Namen haften – vor der Schande, die so unverdient uns in die Gruft begleiten wird.

Da erhob die stärkere Bianca den stillverklärten Blick zu jenen Höhen, wo der Mensch ein unsichtbares Auge ahnet, das selbst in das Verborgenste der Herzen eindringt. Dort, sagte sie leise, und deutete hinauf, dort werden wir nicht mißverstanden, und seldst in den Flammen des Scheiterhaufens, den wir vielleicht als Märtyrerinnen der Tugend betreten müssen, wird das Gefühl, recht gehandelt zu haben, uns Kühlung zuwehen.

Eine dumpfe Stille herrschte um sie her, und – Hohn und Schadenfreude in ihren Mienen – näherten sich ihnen die Nonnen, die zu verdorben waren, um nicht zu wünschen, daß sie sich ihnen hätten gleichstellen mögen, und in boshaften Anspielungen strebten sie, das grauenvolle Bild des Schicksals, das ihnen bevorstand, früher noch vor ihren Blicken zu entrollen, als die zögernde Wirklichkeit es that.

Denn es dauerte mehrere Tage, ehe selbst Rufaldinos mächtige Stimme sich den Eingang zu bahnen vermochte, der zu seinem schauderhaften Zwecke führte. Endlich war es ihm gelungen, seine Verläumdungen in eine öffentliche Anklage zu sammeln. Es erschien eine geistliche Commission im Kloster, die Schwestern zu verhören, und als sie demuthsvoll, aber unerschütterlich fest beharrten, die [177] Unwahrheiten, mit denen man sie lästerte, abzuläugnen, traten entflammt von Neid über die längst verlorne Reinheit der Seele, welche sie mit ihrem stillen Heiligenschein schmückte, die Nonnen sämmtlich als Zeuginnen gegen sie auf, und behaupteten einstimmig, durch Rufaldino vorbereitet, auf das was sie sagen sollten, daß sie den Teufel leibhaftig mit Pferdefuß und Klauen gesehen, wie er vertraulich bei den Schwestern aus und eingegangen sey, und wie es nicht zu bezweifeln stehe, daß er mit beiden in einer strafbaren Gemeinschaft lebe.

Es hätte kaum in jenem barbarischen, verfinsterten Jahrhundert, in welchem sich diese Geschichte zutrug, dieses allgemeinen Zeugnisses bedurft, um die gräflichen Jungfrauen zum Feuertode zu verdammen.

Als sie sahen, daß die Lüge über ihre gerechte Sache triumphirte, sagten sie nichts mehr zu ihrer Vertheidigung. Blicke und Arme emporgehoben zu dem, der mit der Unschuld ist, auch wenn tiefes Leiden hienieden ihr die Dornenkrone des Märtyrerthums reicht, fanden sie sehr bald den Muth und die würdige Fassung, deren sie zu ihrem letzten Gange bedurften, und Hand in Hand traten sie ihn an, ohne zu beben.

Es war auf einer weiten Ebene ein hohes Gerüst erbaut und mit Holz und Strauchwerk umgeben worden. Pech und Schwefel hatte die dürren Reiser noch brennbarer gemacht, und rings umher standen die Schergen mit lodernden Fackeln bereit, den Scheiterhaufen anzuzünden, sobald die vermeinten [178] Verbrecherinnen an die Pfähle befestigt seyn würden, die aus seiner Mitte hervorragten.

Rufaldino stand im engsten Kreise der Zuschauer, sein Auge mit teuflischer Rachgier und Schadenfreude an den Qualen derer zu weiden, die seine unreinen Triebe verschmäht hatten. Da erschienen die holden Jungfrauen, gleich zweien Engeln, denen nur die Flüglein fehlten, um dieser unvollkommenen Erde zu entschweben, und die durch Schmerz und Marter erst den Kelch des Lebens bis auf die Hefen leeren sollten, um zu dem Himmel zu gelangen, der ihre wahre Heimath war.

Ruhig und furchtlos standen sie da, und schauten hinab auf die Menge, die sich heran drängte, ihr Leiden und Sterben zu sehen, und statt die Flüche, mit denen man sie lästerte und verunglimpfte, sprachen ihre betenden Lippen den Segen der Verzeihung aus. Herr! vergieb ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun, seufzten Beide einmüthig aus voller Brust. – Da leckten die Flammen mit blaulichen Zungen an dem trockenen Gerüst, und das Gesträuch entzündete sich, und vermählte die schwarze Rauchwolke mit der purpurnen Glut, die der Rache geweihten Opfer zu verzehren. Beatricens Lockenfülle – denn noch standen sie im Noviciat, das den klösterlichen Jungfrauen bis zum Tage der Einkleidung den Schmuck der Haare erlaubt – ward zuerst von der Gewalt des Feuers ergriffen. Gleich einem goldenen Strahlenschein, zur Heiligen sie verklärend, flatterten die reichen Locken brennend um ihr liebliches Angesicht, bis die Bande, die sie an [179] die Marterstätte fesselten, in Asche zerfielen, und sie dem Tod in die glühend nach ihr ausgestreckten Arme sank.

Bianca aber stand noch unversehrt; es war, als ob die Lüfte mit kühlem Athem die Schmerzen des Feuertodes von ihr abwehrten, oder wenigstens linderten. Denn lange nachher, als schon die Schwester gleich einer welken Blume vor der Schwüle dahin gesunken war, blieb ihr Sprache und Bewußtseyn, bis Rufaldinos teufeliches Grinsen ihrem Auge begegnete, und sein Hohngelächter, wie aus der Hölle schallend, zu ihrem Ohr drang. Da erhob sie ihre Stimme, und rief ihm zu mit Tönen, die bereits aus höheren Sphären hernieder zu klingen schienen: Gehe in Dich, Rufaldino, und demüthige Dich vor Gott, den Du beleidigt hast, und der dem Verläumder nur dann verzeiht,wenn er sich bessert. Uns hast Du die Pforten einer schöneren Welt aufgethan, und den Weg uns abgekürzt, der zum Ziele führt. Daher scheiden unsere Geister nicht zürnend von hinnen, und mein letzter Hauch soll für Dich beten, daß der Himmel Dir Kraft verleihe, durch Reue und Buße Deine Seele vor der ewigen Verdammniß zu bewahren.

Als sie dies gesprochen hatte, hüllte der Rauch gleich einem grauen Schleier, ihr blühendes Antlitz ein, und sie neigte es sterbend, gleich der Lilie, die der Sturm in ihrer Schöne zerbricht.

In Rufaldinos Herz aber warf ihr Scheideblick die ersten Funken einer Reue, die keine weltliche Lust mehr zu übertäuben vermochte. Er zog sich in die[180] Einsamkeit zurück, aber allenthalben umschwebten ihn die Schatten der Hingemordeten – in jedem Säuseln der Luft glaubte er ihre letzten Seufzer – in jedem Traumgesicht, das ihn ängstete, die ernste Warnung zu vernehmen, mit der Bianca für immer ihre Lippen schloß. Alle seine früheren Verbrechen wachten in seinem Gedächtniß von dem Schlummer auf, in welchen Zügellosigkeit und stets wechselnde Zerstreuung sie gewiegt hatte, und überall, wohin der innere Blick sich kehrte, forderten die gräßlichsten Bilder seiner begangenen Handlungen ihn auf, in sich zu gehen, um weltlicher und ewiger Strafe zu entrinnen, und – da die Vergangenheit nicht mehr ungeschehen zu machen war – wenigstens eine minder lasterhafte Zukunft zu beginnen.

So heilig auch die Verschwiegenheit der Beichte ist, so wagte Rufaldino doch nicht ihrem Siegel seine schwarzen Geheimnisse anzuvertrauen. Denn er hatte – auch hier sträflich handelnd – oft die gränzenlose Offenheit gemißbraucht, welche die Religion dem Beichtenden zur Pflicht macht, und manches, auf diese Weise in sein Ohr niedergelegte Bekenntniß zu frevelhaften irdischen Zwecken benutzt, oder auch verrathen. Noch war er, ob er gleich schon anfing vor sich selbst zu schaudern, nicht zerknirscht genug, um die mit Demüthigung und Verachtung verbundene Buße, die die Kirche ihm ganz gewiß auferlegen würde, ehe sie ihm Absolution zu ertheilen ermächtigt war, Angesichts Roms zu tragen, das bisher bewundernd zu dem hohen Glanze seiner geistlichen Würden und zu der scheinbar unbefleckten [181] Moralität seines Charakters emporgeschaut hatte. Er entschloß sich daher zu einer Wallfahrt nach Loretto, um dort das schreckliche Verzeichniß seiner Uebelthaten, das er, es sein Tagebuch benennend, auf der Brust trug, irgend einem frommen Priester zur Durchsicht zu geben, um – als sey er nur der Abgeordnete dessen, der jene chronologisch aufgeführten Verbrechen wirklich begangen habe – erst zu hören, ob und in welchem Grade ihm geistlicher Trost und geistliche Strafe zu Theil werden würde, und dann, von dieser drückenden Sündenlast im Namen eines anderen absolvirt, erleichtert zurückzukehren, und – wie er sich vorzunehmen glaubte – ein besseres Leben zu beginnen.

Als er nun ankam, dort, wo die Mutter aller Gnaden schon so manchen Schuldigen und Bedrängten, der sich in wahrer Reue zu ihren Füßen demüthigte, getröstet und aufgerichtet entließ, um künftig einen reineren Weg zu betreten, da wollte auch ihm die Hoffnung dämmern, daß es möglich sey, von der Schwere seiner Schuld entbunden zu werden. Aber feige, wie das Laster stets ist, wenn ihm Gefahr droht, folgte er seinem Vorsatz, sich nicht selbst zu den Unthaten zu bekennen, deren gräßliches Register er dem Priester übergab, sondern behauptete, er sey von einem römischen Fürsten abgesandt, in seinem Namen die Pönitenz zu thun, die er ihm auferlegen werde.

Der Priester las; doch je mehr er sich in die schändliche Heimlichkeit dieses Büchleins vertiefte, je mehr bemächtigte sich Entsetzen und Grausen seiner, [182] und je unglaublicher kam es ihm vor, daß ein Mensch in dem so kurzen Zeitraum vergänglicher Jugendblüthe alle diese Sünden habe begehen können.

Ihr thut sehr übel, sprach er entrüstet zu Rufaldino, daß Ihr der tiefste Verworfenheit Eure Mitwirkung leiht, denn, so groß auch die Gewalt der Kirche ist, den Gefallenen wieder zu erheben und zu entsündigen, so liegt es doch außer ihrer Macht, ein solches Scheusal, wie der ist, in dessen Namen Ihr erscheint, durch den Segensspruch der Vergebung wiederum in ihren Schooß zurückzuführen. Hierauf warf er das in jeder Hinsicht schwarze Buch mit Abscheu zur Erde, und entfernte sich.

Wenn mich die Menschen verlassen, seufzte Rufaldino aus zerrissener Seele, ach so wirst Du Dich meiner doch annehmen, Du Hochgebenedeite! deren Mitleid ja die ganze Welt, folglich auch mich umfaßt.

Tief gebeugt an Leib und an Gemüthe nahte er dem Hochaltare, um dort, zu ihren Füßen in feurigen Gebeten seine Reue, und seine besseren Vorsätze für sein künftiges Leben auszusprechen. Aber als er sich niedergeworfen hatte, und das zur Erde geneigte Antlitz erhob, am Anblick der Himmlischen sich zu stärken und zu ermuthigen, da ergriffen ihn plötzlich die Schrecken der Verzweiflung, denn es schien ihm, als habe die Mutter Gottes ihr leuchtendes Antlitz von ihm gewandt, und kehre ihm den Rücken, wie wenn sie seiner verpestenden Nähe sich entziehen wolle. Diese entsetzliche Wahrnehmung entriß ihm im wüthenden Schmerz die [183] Hülle der Verborgenheit, unter der er seine eigentliche Gestalt bisher zu verstecken strebte, und indem er unter gräßlichen Verwünschungen seines lasterhaften Gemüths bekannte, daß er es selbst sey, der alle diese Gräuel begangen, blieb er ohne Nahrung und ohne Trost an den Stufen des Altars liegen, bis nach dreien Tagen der von Höllenangst gemarterte Körper zu Tode ermattete, und seine schwarze Seele entfloh.

[184]

Der treue Hund

In einer der gesegnetsten Fluren des Breisgau erheben sich aus dunklem Gebüsch die Trümmern eines Klosters, das treue Liebe vor Jahrhunderten gründete. Der Riesenarm der Zeit hat seine Mauern gestürzt – Nesseln und Dornen wuchern üppig jetzt da, wo einst in einsamer Zelle die fromme Stifterin ihre Seele auf den Schwingen der Andacht zum Himmel erhob, und das tiefe, unauslöschliche Weh ihrer Trauer durch Hoffnung auf eine Zukunft gelindert fühlte, wo keine Trennung mehr ist. Dort, wo der silbernen Ampeln Schimmer den Hochaltar gleich einer Glorie umgab, selbst die Schwermuth der Mitternacht verklärend, weilt jetzt nur noch zuweilen des Mondes bleiches Licht auf dem Ueberrest ehemaliger Pracht und Größe, und das Gekrächze der Eulen und Raben allein unterbricht da, wo sonst die Töne des feierlichem Requiem [185] erklangen, die unbelebte Stille. Nur in einer Seitencapelle, welche die Stifterin ausschließlich ihrem eigenen Schmerz geweiht hatte, und wo sie oft ihre Thränen verbarg, wenn sie – im Andenken des Geliebten verloren – heiße Gebete für die Ruhe seiner Seele zum Himmel schickte, hat sich mangelhaft, wie damals die Kunst nur in rohen Umrissen zu bilden vermochte, und halb verwittert, in Stein geprägt, ihre Gestalt erhalten, wie sie in strenger Klostertracht vor dem Gekreuzigten knieet, neben sich den treuen Hund, der ihr einst schreckliches Licht gab im schaudervollen Dunkel ihres Schicksals.

Arme Veronica! Zu allen Ansprüchen auf ein glänzendes Loos berechtigt, beneidet von den Töchtern des Landes, deren Krone Du warst, angebetet von den Rittern Deiner Zeit, die Dich zu besitzen sich sehnten, ging Dir die Morgenröthe eines würdigen Glücks nur auf, um schnell in finsteren Gewitterwolken zu verschwinden, und eine lange, öde Nacht hüllte Dein blühendes Leben ein, und entzog Dir die Sonne der Liebe, die so schön Dir gelächelt hatte! – Jetzt noch, wo nichts mehr von Dir übrig ist, als der kalte Stein, der Deine Züge auf die Nachwelt brachte, rührt die Erinnerung Deiner Leiden, als Volkssage, wehmuthsvoll jedes fühlende Herz, und hofnungslose Liebe, die oft zu den Trümmern Deiner Stiftung wallfahrtet, bethaut noch jetzt Dein Grab mit den stillen Thränen des Mitleids.

Veronica von Velding war die reichste Erbin des Breisgaus, und mit dem Ansehen, so wie mit [186] dem Vermögen ihres Vaters, durfte nur Ritter Budo von Stetten sich messen. Die Burg, auf der er hausete, lag unfern des Schlosses, wo Veronica im Schooß der Häuslichkeit und der Familienliebe empor wuchs, und die dunklen Forste des Freiherrn von Velding erstreckten sich bis hart an den Zwinger seiner Veste. Oft gaukelte das leichtfüßige Reh in kühner Sicherheit an ihm vorüber; oft wühlte der wilde Eber trotzig die Erde zu seinen Füßen auf, und er durfte nicht den tödtenden Wurfspieß ergreifen, weil der Boden, den er westlich von den Zinnen seiner Thürme übersah, das Eigenthum seines Nachbars war. Schon manchmal hatte Budo, ein rauher, ungestümer Mann, mismuthig die finstere Stirn gerunzelt, wenn er in seiner Lieblingsleidenschaft, der Jagd, sich durch die Rechte eines Anderen gehemmt sah, und vergeblich waren alle seine Vorschläge gewesen, durch Kauf oder Tausch die ihm so wohlgelegenen Wälder des Freiherrn an sich zu bringen. Als ihm daher – noch in den Jahren der Kraft – die Gattin starb, und Veronica indessen in züchtiger Schönheit das Alter der Jungfrau erreicht hatte, wähnte er sie und ihren Vater zu ehren, wenn er mit dunkelhafter Zuversicht sich ihr nahte, ihr den erledigten Platz seiner Hausfrau anbietend.

Wohl war es dem Freiherrn ein süßer Gedanke, seine Tochter mir dem verbunden zu wissen, der, nächst ihm, der mächtigste Ritter des Breisgaus, und noch außerdem ein Mann war, dessen Tapferkeit in Fehden wie in Turnieren glänzend sich [187] bewährt hatte. Aber Veronicas Herz war schon vergeben, und das Glück des einzigen Kindes dünkte ihm heiliger, als jeder irdische Vortheil. Walther von Rynach, ein junger Ritter im Gefolge des Herzogs von Zähringen, hatte durch seine Anmuth und Milde die Liebe des Fräuleins erworben, und Monden waren bereits vergangen, seit sie, selig im wechselseitigen Anschauen, der stummen Neigung sich freuten, der weder er noch sie Worte des Geständnisses zu leihen wagten.

Walther war arm – nur die Natur, nicht das Glück, hatte ihn mit blendenden Gaben überschüttet, und ein Schwerdt, das er muthig zu führen wußte, war seine ganze väterliche Erbschaft. Fern lag ihm daher die Möglichkeit die Heißgeliebte zu besitzen, denn sein Stolz lehnte sich auf gegen die leiseste Voraussetzung des Eigennutzes, mit der gemeine Ansichten des Lebens seine Bewerbung vielleicht hätten schmähen können. Wär' es möglich gewesen, sie zu erkämpfen – o mit welchem Entzücken würde er sich der drohendsten Gefahr entgegen gestürtzt – mit welcher Seligkeit selbst durch das Blut seines Herzens sie erkauft haben! – – Aber im demüthigenden Bewußtseyn seiner Armuth vor ihren Vater treten, und die Hand zu verlangen, die, wie ihm schien, nur eines Königs würdig war – das überstieg seine Kräfte, so wie seinen Muth, und wenn oft die Gluth der Leidenschaft hingebend zu dem Mädchen seiner Liebe ihn hinzog, wandte sein Ehrgefühl ihn schmerzlich von der reichen Erbin wieder ab.

[188] Auch Veronica schwieg in holder Sittsamkeit, und harrte seiner Erklärung, ohne sie zu beschleunigen – und als sie ausblieb, zürnte sie dennoch nicht, da die innere Ueberzeugung ihres Busens ihr sagte, daß sie geliebt sey.

Der Morgen der ersten Jugend ist gewöhnlich rein von begehrlichen Wünschen, die erst in der Mittagshöhe des Lebens aus dämmernden Ahnungen sich gestalten. Auch Veronica war zufrieden mir ihrem Zustand, und träumte nicht von höheren Freuden, bis Budos Bewerbung dringend von ihrem Vater unterstützt, sie lehrte, daß jetzt der Augenblick gekommen sey, der ihr Glück vollenden und befestigen, oder auf ewig vernichten könne.

Als sie daher nach mancher väterlichen Ermahnung vernommen hatte, daß Budo einer der ehrenfestesten, reichsten und angesehensten Ritter des Breisgaus sey, daß seine Burgen wohlgebaut und bemannt, seine Truhen gefüllt, seine Felder fruchtbar, seine Waldungen mit Wild gesegnet, und das Loos seiner künftigen Hausfrau der Himmel auf Erden sey – da benutzte sie zagend eine Pause in den Lobeserhebungen ihres Vaters zu der bescheidenen Einwendung, daß es ihr unmöglich sey, ihn zu lieben.

Vielleicht, fuhr sie fort, den Blick gesenkt, damit die Flamme des befürchteten Unwillens in seinen Zügen nicht ihren mühsam errungenen Muth verzehre, vielleicht würde mein Auge nicht blind gegen Budos Vorzüge, mein Ohr nicht taub gegen seinen Antrag seyn, wenn ich nicht den schon gesehen hätte, dem ich allein anzugehören im Stande bin.[189] Still und selig habe ich lange mein Geheimniß mit mir umhergetragen – – jetzt ruft die Furcht, Ihr möchtet für Eigensinn halten, was nur der innere, unumstößliche Glaube meines Herzens ist, es kühn ans Licht, und ich bekenne Euch frei, mein Vater, ich werde mich nie gegen Euren Willen vermählen, aber auch nie gegen meinen eigenen.

Und wer ist der, der es wagt, um Dich zu freien, und der als Brautwerber auftreten darf neben Budo von Stetten, fragte der Freiherr.

Nicht als Brautwerber tritt er auf, versetzte das Fräulein, denn neben all' den Eigenschaften, welche Helden zieren, neigt seine kindliche Einfalt und Demuth ihn zu Verschlossenheit hin, und seine Lippen haben stets schüchtern gegen mich geschwiegen, wenn seine Blicke auch sprachen. Aber wollt Ihr wissen, wen ich unter allen Männern liebend mir erkohren habe, so vernehmt es, und schenkt meiner Wahl Euren Beifall; es ist Walter von Rynach.

Zwar zog des Freiherrn Stirn sich in düstere Falten, als Veronica den unbemittelten Jüngling ihm nannte, der noch vor wenig Jahren Edelknabe des Herzogs, und erst seit Kurzem mit dem Ritterschlage begnadigt war. – Doch neben das Bild seiner Armuth und seines geringen Ranges stellte sich die Erinnerung an seine ächt adelichen Sitten, an seinen frommen, muthigen Wandel, und an sein edel bescheidenes, eines besseren Looses würdiges Gemüth. Alle Einwendungen der kalten abwägenden Vernunft und des Stolzes wußte glühende Beredsamkeit der [190] Liebe von Veronicas Lippen zu überwinden, und als sie erst vom Vater die Erlaubniß erlangt hatte, Ritter Budo mit freundlichen Worten, aber fest und für immer abfertigen zu dürfen, vergönnte er ihr bald nachher auch zu hoffen, und dem Flüstern ihres Herzens zu vertrauen, das eine schöne Zukunft ihr prophezeihte.

Ritter Budo war eben so erstaunt, als erzürnt über die abschlägige Antwort, mit der Veronica seinen Antrag erwiederte. Nur der Wunsch, das Jagdrevier des Freiherrn nach Gefallen benutzen zu können, hatte ihn Anfangs bewogen, sich zu seinem Eidam anzubieten. Seit er aber das Fräulein in der Fülle ihrer Anmuth und Schönheit gesehen hatte, schien das Eis seiner unempfindlichen Brust vor dem warmen Sonnenschein ihrer Blicke dahin zu schmelzen, und bald fand er sein Inneres so ganz von ihrem Liebreitz umstrickt, daß er sie zu der Gefährtin seines Lebens erkieset haben würde, auch wenn weder Wälder noch Güter ihre Mitgift gewesen wären. Zum Erstenmahl drang in sein rauhes Gemüth eine Ahnung des Zaubers, der die Welt regiert – doch wüst und stürmisch, wie er selbst, waren die wilden Regungen, die er Liebe nannte. Veronica, deren weiches Herz keines Menschen Hoffnung vereiteln konnte, ohne den Balsam des Trostes in die unvermeidlichen Wunden zu gießen, suchte auch jetzt durch Freundlichkeit den bittern Schmerz zu lindern, den Ritter Budo unverholen bei ihrer abschlägigen Antwort zeigte.

Es darf Euch nicht beleidigen, Herr Ritter, [191] sprach sie sanft, daß ich Verzicht leiste auf die Ehre, die Ihr mir zugedacht hattet, denn ich bin bereits in den Banden einer Liebe, die meine Freiheit fesselt. Schenkt mir, da ich Euch nicht näher angehören kann, Euer Wohlwollen, und laßt mich freundschaftlich Theil nehmen, wenn Ihr einer Anderen, und vielleicht Würdigeren, als ich, bald den Platz einräumt, dessen Ihr mich werth hieltet.

Ritter Budo ließ sich nicht mit diesem Bescheide begnügen. Männliche Eitelkeit schmeichelte ihm, daß Veronica ihn gewiß erhört haben würde, wenn nicht eine voreilig geschlossene Verbindung sie hindere, und als die Festigkeit wahrer Liebe in ihr jedem Sturm, durch den er ihren Entschluß erschüttern wollte, widerstand, zog er sich – dem noch zur Zeit Unbekannten, der ihm im Wege stand, grimmig in seinem Herzen Rache drohend – auf seine Veste zurück.

Walther von Rynach ahnte indessen nicht, welch ein schöner, frühlingsheller Tag über seinem stillen Leben aufging. Der Freiherr von Velding, aufmerksam gemacht durch Veronica's Vertrauen, beobachtete ihn seitdem mit scharf prüfenden Blicken, und durch die Gluthen der Liebe, die er im Busen des Jünglings lodern sah, erhob sich mächtig und gebietend jener edle Stolz, der, auf wahren Werth gegründet, ihn trotz der Leidenschaft in den ernsten Schranken des Schweigens erhielt. Da trat einst der Freiherr zu ihm hin, als er aus bescheidener Ferne mit schmachtenden Blicken Veronica's leisester Bewegung folgte.

Traun! sprach er, ich hätte nicht geglaubt, der Freiwerber meiner eigenen Tochter werden zu müssen.[192] Aber es scheint, Ritter Rynach, daß Euch die Augen mangeln, um zu bemerken, wie herzlich sie Euch liebt. Euch – oder Keinem – hat sie gelobt ihre Hand zu reichen. Geht denn hin zu ihr, und sprecht:ich sey es, der den Bräutigam ihr sende.

Schwindelnd von dem nie gehofften, aber mit ganzer Seele gewünschten Glück, stand Walther einige Augenblicke starr und unbeweglich, und meinte, es sey ein Traum, der mit himmlischer Täuschung seine Sinne umfange. Doch der Freiherr führte die erröthende Braut ihm zu, und in ihrer schüchternen Umarmung fühlte er die Wirklichkeit der Wonne, die selig bis in alle Himmel ihn erhob.

Bald ward es bekannt, wem das große Loos gefallen war, Veldings reiche und liebliche Tochter zu besitzen. Viele mißgönnten dem Bräutigam sein Glück, aber keiner unter den Abgewiesenen entbrannte in grimmigerem Zorn über diese Nachricht, als Budo, dessen Eigendünckel Walther von Rynachs Ansprüche so unermeßlich tief unter den seinigen erblickte.Diesem Jüngling, der oft, wenn er bei'm Gastmahl traulich an des Herzogs Seite geladen war, als Edelknabe hinter seinem Sessel gestanden, und auch ihn auf einen Wink seines Herrn in tiefer Unterwerfung bedient hatte – ihm – um dessen Kinn erst damals weicher Flaum sich kräuselte, als sein gewaltiger Bart in der Höhe des männlichen Alters fast wiederum zu erbleichen begann – ihm sollte er nachstehen in der Erfüllung seines glühenden Wunsches – ihn im ungestörten [193] Besitz eines Kleinods erblicken, welches zu erlangen er sich vergebens bestrebt hatte? – – Diese Vorstellung nagte wie ein Geyer an seinem Herzen, und Rache, heiße unversöhnliche Rache schwur sein gekränkter Hochmuth und seine zurückgewiesene Liebe dem Beneideten, den Veronica zärtlich begünstigte.

Der Tag der Vermählung rückte heran, doch er, den – als er in der Ferne noch weilte – Veronica mit sehnendem Verlangen herbei wünschte, er schien jetzt, von dumpfen Ahnungen begleitet, ihr zu nahen, und leises Grauen mischte sich in das hochzeitliche Entzücken, dem sie entgegen sah. Oft schauerte sie ängstlich empor aus dem Arm des Geliebten, denn in seltsamer Täuschung war ihr, als dränge sich zuweilen ein körperloser Schatten gleich einem dunklen Gewölk zwischen ihn und sie, und wenn sie Walter aufmerksam machte auf diese düstere Erscheinung, suchte er zwar ihre Furcht zu zerstreuen, indem er sich bemühte, ihrer zu spotten; doch sein schmerzlich erzwungenes Lächeln, und seine bleichen Wangen verriethen ihr unwillkührlich, daß auch er das Schreckbild geschaut hatte, und daß er, gleich ihr, in bangem Zagen es nicht zu deuten wußte.

Endlich sollte die morgende Sonne die Weihe ihres Bundes bescheinen – doch die Pflichten seines Dienstes riefen Walter den Abend vorher zum letztenmahl an das Hoflager des Herzogs, und es dünkte seiner Verlobten, als könne sie, selbst für diese kurze Zeit, sein Lebewohl nicht ertragen.

Auch Walther war von Bildern der Schwermuth[194] umringt, doch muthig kämpfte er dagegen, und lächelte männlich über ihre kindische Sorge, wie er es nannte. Morgen, flüsterte er in den letzten Kuß der Liebe, morgen beginnt der Tag, der uns auf ewig vereint, und dann trennt mich nichts mehr von Dir, meine Geliebte! – Morgen – seufzte Veronica, von namenloser Angst ergriffen – ach, wer steht mir für morgen, wenn ich heute Dich lassen muß! –

Noch einmahl lächelte Walter ihr zu, ehe er die Stuffen hinab ging, doch Wehmuth hüllte gleich einem trüben Nebel den Schimmer liebender Freundlichkeit in seinem feucht umwölkten Blick – noch einmahl faßte er ihre Hand so heftig, daß der goldene Ring der Treue in stürmischem Druck sie verletzte, und als er mit seinen Lippen sie berührte, waren sie kalt, wie die Lippen eines Todten.

Veronica trat tief erschüttert und beklommen hinaus auf den Söller, und sah, wie er auf den wiehernden Rappen sich schwang, und, von seiner Dogge umbellt, von dannen sprengte. Vor der Zugbrücke bäumte sich schnaubend der edle Hengst, als scheue er, sie zu betreten – doch Walther, der mit Kraft und Geschicklichkeit die widerstrebendsten Rosse zu bändigen wußte, zwang ihn hinüber, und gleich einen Pfeil flog er dahin, und verschwand im Dickicht des Waldes.

Lange hörte Veronica noch den hallenden Hufschlag, der den Geliebten von ihr entfernte – doch als er immer leiser erklang, und endlich in der Stille des Abends sich verlor – da konnte sie ihrer [195] Angst nicht mehr gebieten, und brennende Thränen, welchen sie nicht wehrte, stürtzten aus ihren Augen.

Schlaflos ging der größte Theil der Nacht an Veronica vorüber, und als endlich der Schlummer seinen Balsam über sie ausgoß, bildete sich ein Traum vor ihren Sinnen, aus dem sie mit Beben erwachte.

Walther von Rynach nemlich erschien ihr in bleicher Gestalt, von Leichentüchern umhüllt, und mir der Rechten schweigend zur Erde deutend. An der blutigen Linken glänzte der Ring der Verlobung ihr entgegen. Dreimahl strebte er, ihr zu nahen, doch, wie von einer unsichtbaren Gewalt bezwungen, wich er dreimahl wieder zurück, und als ein verworrenes Hahnengeschrei den Morgen verkündete, zerfloß er in leere Luft vor ihren Blicken.

Jammernd sprang das Fräulein vom Lager – doch Aurora erhob sich eben glühend am östlichen Horizont, und ihr milder Purpur strahlte Besinnung, Hoffnung und Zuversicht freundlich in ihr umdüstertes Gemüth. Sie öffnete das Fenster – mit Wohlgerüchen geschwängert drang die Morgenluft zu ihr herein, und wehte, wie mit den Fittigen eines Engels, frischen Muth in ihre Seele. Daß der Schmerz der Liebe bei'm Abschied sie bewegt, und daß ihre Fantasie durch dunkele Bilder die melancholische Stimmung des vorigen Abends auch im Traume fortgesetzt hatte, dünkte ihr jetzt natürlich, und sie lächelte über sich selbst. Ermüdung zog sie zum Ruhebett zurück, und sanft war der Schlaf, der zu unauslöschlichem Wehe sie stärkte.

Zubereitungen zu der Feier des Tages, den sie [196] für den schönsten ihres Lebens hielt, beschäftigten sie wohlthätig zerstreuend nach ihrem zweiten, ruhigeren Erwachen. Der Mittag rückte heran – zahlreiche Gäste, die geladen waren, nach der Trauung an einem großen Bankett Theil zu nehmen, langten glückwünschend an – Alles war bereit – nur der Bräutigam fehlte noch, um die feierliche Ceremonie zu beginnen. Oft stahl sich Veronica hinweg aus dem geräuschvollen Schwarme, um den spähenden Blick hinauszusenden auf den Weg, auf dem er kommen mußte, und mit jeder Stunde, die zögernd, vom Bleigewicht vergeblicher Erwartung belastet, vorüber schlich, ward ihr Blick trüber, und quälender die Angst ihres Busens.

Der Freiherr, ihr Vater, erzürnt über die scheinbare Geringschätzung des Jünglings, den Veronica's Wahl so geehrt hatte, verbarg seinen Unwillen nicht länger, und – indem er im Ausbruch desselben seiner Tochter Besorgnisse tadelte, vermehrte er ihren Schmerz noch durch bittere Bemerkungen über Walthers ungebührliches Zaudern.

Endlich gewahrte der Thurmwächter einen Ritter fern im Staub der Heerstraße. Neue Hoffnung ergoß bei dieser Nachricht sich gleich einem belebenden Strom in den zagenden Busen der Braut – – doch wehe! – er war es nicht, dem ihr Herz entgegen schlug. Ein Ritter aus dem Gefolge des Herzogs von Zähringen war's, der, von seinem Herren abgesendet, mit einer goldenen Gnadenkette den Bräutigam an seinem Ehrentage schmücken sollte. Von ihm vernahm man, daß Walther in aller Frühe [197] sich auf sein Roß geworfen, und, nur von seiner Dogge begleitet von dannen gesprengt sey. Böse Träume, vertraut' er seinem treuen Diener, hatten ihn aus dem nächtlichen Schlaf gescheucht, und Schrecknisse mancher Art ihn auch wachend um seine Ruhe betrogen. Im Rausche des Sturms glaubt' er klagende Stimmen zu vernehmen, und das Geschrei der Eulen dünkte ihm grauenvolles Unheil zu verkünden. Sein sicher ausgehangenes Schwerdt riß plötzlich um Mitternacht von der Mauer sich los, und stürtzte klingend auf den Boden, und als er es aufhob, fand er es wunderbar gespalten. Finstere Ahnungen bemächtigten sich sein, und die trübe Stimmung, in der er Veronica verlassen hatte, erhöhte seine Sehnsucht nach ihrem Anblick. Nur in ihrer Nähe, glaubte er, könne die Unruhe seines Busens sich stillen; daher machte er sich auf, ehe sie ihn erwarten konnte, seinen frühen Morgengruß ihr zu bringen.

Eine allgemeine Bestürzung bemächtigte sich der Versammlung, und des Freiherrn Unwille über den saumseligen Bräutigam lösete sich nun in bange Besorgniß auf. Denn Niemand durfte jetzt länger bezweifeln, daß nicht irgend ein Unfall ihn abgehalten habe, seine ihm so theure Verbindlichkeit zu erfüllen. Man sandte Boten nach allen Seiten aus, seine Spuren zu erforschen. Bleich, stumm, und ohne Bewegung, wie ein Marmorbild lag Veronica in einem Sessel, und der Myrthenkranz in ihren Locken, so wie das goldgewirkte Brautgewand schien ihres jammervollen Zustands zu spotten.

[198] Abend war es seitdem geworden, und noch sah man keinen der Boten wiederkehren. Der Freiherr schickte von Neuem Leute aus, die mit Fackeln den Wald durchsuchen mußten, und in ängstlicher Spannung harrte man, lauschend auf jedes Geräusch, der Entscheidung. Endlich hörte man das Winseln eines Hundes vor den Pforten der Halle. Das ist Rynachs Dogge, verkündete der Freiherr mit einem Freudengeschrei – o so ist er selbst auch nicht weit, und unsere Angst war vergebens!

Er ließ das treue Thier herein, doch mit erneutem Schrecken bemerkte er, daß es mit Blut bespritzt war. Der Hund nahete sich Veronicas Sessel, und indem er von Neuem zu winseln begann, legte er in ihrem Schoos etwas nieder, was er bisher fest in seinen Zähnen gehalten, und knurrend gegen jeden Versuch, es ihm zu entreißen, vertheidigt hatte.

Veronica schien durch seinen Anblick aus dem dumpfen Traum der Verzweiflung zu erwachen – doch ach – was glich ihrem Entsetzen, als sie betrachtete, was er als das Pfand eines unabänderlichen Elends ihr brachte!

Es war die abgehauene Hand eines Mannes, und der goldene Ring der Verlobung, der, mit Blut bedeckt, noch fest am Finger saß, sprach ohne Worte die Jammerbotschaft vor ihr aus: der Geliebte ist ermordet! – Mit einem lauten Geschrei, das die Nerven der Versammlung zerriß, ergriff sie die ihr verheißene, schmählich vom schönsten Körper getrennte Hand, an der sie gehofft hatte, [199] fröhlich durchs Leben zu gehen, und indem sie mit starrem Blick sie beschaute, sank sie bewustlos, wie eine Sterbende, zur Erde.

In diesem Augenblick regte sich eine dumpfe Bewegung in der Ferne, und heulend raffte der matt zu ihren Füßen gesunkene Hund sich wieder auf, und strebte nach der Thür. Man öffnete ihm, und ein schreckliches Schauspiel bot sich der Gesellschafft dar. Der röthliche Schimmer der Fackeln zerstreute weit umher die graue Dämmerung, und auf einer Tragbahre von grünen Zweigen trugen die Knappen den endlich gefundenen zerstümmelten Leichnam Walthers von Rynach herbei.

Seine grauen Haare zerraufend stürtzte sich der Freiherr über den Todten. O mein Sohn, rief er aus, Trost und Hoffnung meines Alters – einziges Glück meines armen, bejammernswerthen Kindes! so mußten wir Dich wiedersehen! – – Seine schmerzlichen Klagen weckten Veronica aus dem todtenähnlichen Schlummer ihrer Ohnmacht. Doch sie erhob sich nur, um von Neuem auf die Leiche ihres Geliebten nieder zu sinken. Man brachte sie in ihr Gemach, und übergab sie der Sorgfalt ihrer Frauen. Die Angst, auchsie zu verlieren, riß den Freiherrn von dem Körper seines Eidams hinweg, denn Tod oder Wahnsinn, fürchtete er, würde die Folge ihres Unglücks seyn.

Doch wie ein wohlthätiger Regen die brennende Wüste erquickt, so machten lindernde Thränen ihrem Schmerze Luft, und in stillem Gebet fand sie die Kraft, ihr Schicksal zu ertragen. Sie selbst [200] traf Anstalten, Walthers traurige Ueberreste würdig zu bestatten. Gefaßt und ruhig, aber wie das Bild eines unauslöschlichen Grams, saß sie an seiner Bahre, und weidete sich im Anschauen der holden Züge, die selbst der herbe Todeskampf nicht entstellt hatte, und die nun bald im kühlen Schooß der Erde ein frühes Grab bedecken sollte. Oft lächelte sie wehmüthig, in das tiefe Meer ihrer Gedanken versunken – oft auch weinte sie – doch schnell trocknete dann der Glaube einer ewigen Wiedervereinigung ihr Auge, und muthig richtete sie es empor in die Ferne des Himmels, wo sie in jedem blitzenden Stern die Wohnung ihres Freundes ahnend begrüßte. Als endlich die Stunde schlug, wo sie sich trennen mußte von dem geliebten Leichnam, um ihn seiner Ruhestätte zu übergeben, entfernte sie alle lästigen Zeugen, und, niederknieend, am Sarg des Todten, gelobte sie in seine abgehauene blutige Hand ihm ewig unverbrüchliche Treue. Dann stand sie auf, küßte seine bleichen Lippen zum letztenmahle, und indem sie winkte, ihn hinweg zu tragen, hatte sie nun den schwersten Schmerz des Lebens überwunden.

Zu der tiefen Wittwentrauer, die sie hierauf anlegte, jeder hellen, freudigen Farbe auf immer entsagend, fügte sie auch für ihre Wohnung ein schwarzes Gewand, und gern saß sie in dem düster behangenen Gemache, das sie nur verlies, um die Messe zu hören, die sie täglich für die Seelenruh ihres Walthers gestiftet hatte. Keinen Gästen ward der Zutritt mehr gestattet, und nur ihr Vater, und – [201] das Vermächtniß ihres Verlobten: sein treuer Hund – theilten ihre Einsamkeit.

So war ein Jahr vergangen. Abgezehrt von stillem Leide, schien sie nur noch der Schatten ihrer ehemaligen blühenden Gestalt zu seyn – gleichwohl schmückten sie die unvergänglichen Grazien der Anmuth und der Güte noch jetzt mit ihren nimmer verwelkenden Reizen, und rührender und herzgewinnender war der Eindruck, den ihr resignirter Kummer, ihr tief in's Innere zurückgedrängter Schmerz unter der sanften Hülle der Geduld machte, als ehemals, wo sie in der Fülle der Schönheit und Gesundheit glänzte. Der Mörder ihres Glücks war, trotz der sorgsamen Nachforschungen des Freiherrn, unentdeckt geblieben. Auch vernahm man keinen Wunsch nach Rache von ihr. Das fürs ganze Leben Verlorne hätte selbst die furchtbarste Genugthuung ihr nicht wieder geben können, und ihre Gedanken verweilten in steter Trauernur bei dem Todten – nicht bei dem, dessen Schwerdt meuchlerisch ihn ihr geraubt hatte. Die Burg ihres Vaters, sonst der Aufenthalt der Gastfreiheit und des geselligen Vergnügens, war jetzt verödet, da Veronica's tiefe Melancholie jeden Besuchenden zurückwies. Doch als einst, von einem zahlreichen Gefolge begleitet, Ritter Budo von Stetten vor der Zugbrücke hielt, und dringend Einlaß begehrte, glaubte der Freiherr von Velding ihn nicht abweisen zu dürfen, und gewährte ihm die erbetene Unterredung.

Stolz und zuversichtlich trat der Ritter in die schwarz behangene Halle, die noch immer des Hauses [202] unauslöschliche Trauer bezeugte. Wie? sprach er zu dem Freiherrn, der gebeugt und düster ihm entgegen schritt, noch immer die Farbe der Nacht an diesen Wänden? Giebt es denn nur einen Mann auf Erden, der Eurer Tochter würdig war? Dieser Jüngling, der kühn, von des Fräuleins Gunst beschirmt, sich eindrängte in ein Glück das ihm nicht gebührte – soll er nicht wie ein Anderer endlich vergessen schlummern bei den Todten? Soll er stets fortleben in Eurem Schmerze, und auch als modernde Leiche noch Rechte der Lebenden genießen? – Ich habe Veronica's Leid geehrt, doch jetzt – ich gesteh' es Euch – kam ich in der Hoffnung hierher, sie der Vernunft wiedergegeben zu finden. »Ich bin bereits in den Banden einer Liebe, die meine Freiheit fesselt,« sprach sie zu mir, als ich früher um sie warb, und ich mußte zurücktreten. Nun sind sie gesprengt, diese Bande – – Staub und Asche ist der, der damals hochbegünstigt über mich triumphirte, und die alte Neigung in meiner Brust ist nicht erloschen. Als Veronica's Freier seht Ihr mich wiederkehren, und ich werde mich bemühen, ihr den Verlust des unglücklichen Walthers zu ersetzen.

Ich zweifle nicht an Euren löblichen Absichten, Herr Ritter, versetzte der Freiherr, aber ich darf Euch keine Hoffnung machen. Nimmer wird meine Tochter sich vermählen, denn wie nur Walther ihre Liebe im Leben besaß, so gehört sie ihm auch noch im Grabe. Damit Ihr aber seht, daß die Ehre, Euch meinen Schwigersohn zu nennen, mir schätzbar [203] und willkommen wäre, so sollt Ihr aus ihrem eigenen Munde bestätigen hören, was ich so eben Euch gesagt habe. Zwar zeigt sie ihr Angesicht schon längst nicht mehr den Freunden meines Hauses, sondern lebt allein, in ihrer Kammer, nur dem Wehe, das an ihrem Herzen nagt – aber ich will ihr bei meinem väterlichen Ansehen gebieten, hierher zu kommen; sehet dann selbst zu, was Ihr über sie vermöget.

Er sandte einen Diener mit dem Befehl an Veronica, augenblicklich zu erscheinen, und bald darauf trat sie herein, vom langen Trauerschleier umflossen, bleich, wie der Mond aus nächtlichen Gewölken hervorblickt. Ernst und Würde war in ihrer Haltung, in ihren Mienen und in ihren halb verklärten Blicken, so wie in ihren abgezehrten Zügen stand eine ewige Verzichtleistung auf jede irdische Freude geschrieben.

Sie nahte sich ihrem Vater, um zu erfahren, was er begehre; in diesem Augenblick aber fuhr der Hund ihres Geliebten, der seitdem gleich ihrem Schatten sie nie verließ, mit gräßlichem, von Heulen untermischten Gebell, auf Budo los, und packte ihn mit scharfen Zähnen an der Kehle.

Heftig erschrocken, und vor Schmerz wimmernd, suchte er sich loszuringen, allein umsonst. Nur um so tiefer drangen die Zähne des ergrimmten Thiers, gleich spitzigen Dolchen in sein Fleisch – nur um so peinlicher rieselte sein Blut zur Erde. Halb erwürgt unterlag er der Angst, und rief mit aufgehobenen Händen um Hülfe. Doch Veronica, deren [204] Stimme der Hund allein gehorchte, wehrte ihm nicht. Ein convulsivisches Zittern durchflog ihre zarten Glieder, und hoher Purpur flammte auf ihren eingesunkenen Wangen. O mein Vater! rief sie aus, eine entsetzliche Vermuthung dringt in meine Seele. Gewiß ist's der Mörder meines Verlobten, den ich jetzt vor mir sehe, und nicht eher will ich ihn befreien, bis er verspricht, zu bekennen. – Ritter Budo, von Pein und Schrecken übermannt, schrie: Ja, ich will Alles gestehen – ich hab' ihn ermordet – nur rettet mich um Gotteswillen aus den Klauen dieser wüthenden Bestie! – Auf der Stelle lockte Veronica, tödtlich erblassend, den Hund an ihre Seite, der ungern seinen Raub losließ, und noch oft Miene machte, ihn von Neuen wieder zu packen.

Halb zerfleischt und erschöpft sank Budo zur Erde. Das scharfe Gebiß des Hundes hatte ihn tödlich verletzt, und mit den Strömen seines Bluts fühlte er sein Leben dahin rinnen. Wunderbar ergriffen vom Arm der Vergeltung mitten in seiner trotzigen Sicherheit, hatte der Wille, so wie die Kraft zum Läugnen, ihn verlassen. Er verlangte einem Priester, um sein von mannichfaltigen Sünden belastetes Herz durch die letzte Beichte zu erleichtern, und ächzend legte er das Geständniß ab, daß von Neid und wilder Eifersucht getrieben, er Walther von Rynach, der ihm am Morgen seines Vermählungstages im Walde begegnet sey, durch trauliches Gespräch überlistet, meuchlerisch durchbohrt, und nach hartnäckigem Wiederstande durch viele beigebrachte [205] Wunden ermordet habe. Schon damals hatte nur sein rasches Roß ihn den Verfolgungen des treuen Hundes entzogen.

Nach diesem Bekenntniß strebte er noch, Veronica um Vergebung zu bitten, aber zu spät. Der Tod, den er vor einer Stunde noch fern von seinem sündigen Haupte wähnte, verschloß jetzt seine Lippen, und schauernd entfloh seine Seele, um vor dem Throne des ewigen Richters zu erscheinen.

Mit der Bewilligung ihres Vaters erbaute Veronica ein Kloster auf der Stelle, wo ihr Geliebter sein Leben unter den Streichen des Mörders verblutet hatte. Dort errichtete sie ihm ein Denkmal, das sie oft mit frommen Thränen bethaute. Jeden Tag wurden Messen für den Frieden seiner Seele gelesen, und als sie die letzte kindliche Pflicht erfüllt, und ihren Vater begraben hatte, zog sie selbst in's Kloster, und widmete ihre wenigen noch übrigen Jahre der Andacht, und dem unauslöschlichen, wehmüthigen Andenken des Geliebten.

[206]

Die Königstochter aus der Fremde
Legende.

Zu der Zeit, als der fromme Bischof Basilius in Rom auf dem päbstlichen Stuhl saß, verbreitete sich in alle Länder das Gerücht seines heiligen Wandels, und seiner nimmer befleckten Keuschheit und Tugend.

In stillen Unterhaltungen mit Gott und seinen Heiligen floß gleich einem anhaltenden Gebet sein Leben dahin, und wenn weltliche Geschäfte ihn zuweilen aufriefen aus dem Feuer seiner Andacht, so kehrte er seine Gedanken nur auf das irdische wüste Treiben der Welt, um die Menschen durch Wohlthaten oder Trost zu beglücken. Daher durfte frei die Armuth ihm nahen, und Leiden des Körpers und der Seele fanden Linderung bei seiner unbegränzten Barmherzigkeit.

[207]Als er auch einst in seiner verschwiegenen Kammer vor Gott sich demüthigte in stillem Gebet, meldete man ihm, daß eine Jungfrau auf der Schwelle des Pallastes kniee, und bei ihm zu beichten begehre.

Der fromme Basilius, der nicht Zeit hatte, den oft sträflichen Heimlichkeiten der Beichte sein Ohr zu leihen, ließ sie deshalb an die Priester verweisen, denen das Amt oblag, die sündhaften Gewissen der Menschen von ihren Schmerzen zu entbinden, allein die Jungfrau erwiederte: daß sie weit aus der Ferne hergekommen sey, um dem hochverehrten Bischof Basilius die Tiefe ihres Busens aufzuschließen, und daß sie nur ihm allein ihre Geheimnisse zu vertrauen und nur aus seinem Munde Beruhigung zu erlangen vermöge.

Hierauf willfahrte der Bischof ihrem Begehren, und erhob sich von seinen Knieen, die Jungfrau zu empfangen, die sittsam und verschämt herein trat, im dunklen Pilgerkleide, den mit Muscheln geschmückten Hut tief in das rosige Antliz gedrückt, und den Stab der Wallfahrt in ihren bebenden Händen.

Sie warf sich nieder vor dem frommen Bischof, und küßte, von ihren Thränen benetzt, seine ihr dargebotene Rechte.

Wer bist du, meine Tochter? fragte Basilius, sie liebreich aufhebend, und welche Bürde belastet bei so jungen Jahren schon dein Gewissen, daß du meinst, nur ich selbst könne sie dir vergeben?

Heiliger Vater, versetzte die Fremde, drückt denn allein die Sünde den Geist des Menschen nieder, oder vermag nicht auch der Widerwärtigkeiten Last ihn zu[208]beugen? Kein sträflicher Wandel, der Buße heischt, führt mich zu Euren Füßen, sondern nur das Verlangen, daß Ihr mich schützen möget gegen jegliche Unbill, und der Wunsch, daß meine fromme, aber zaghafte Gesinnung sich stärken und befestigen mag in Eurer heiligen Nähe. Denn wisset, ich bin eines Königs Tochter, und weit aus der Fremde her hab ich an diesem Stabe einen beschwerlichen Weg durchpilgert, Euer hochverehrtes Angesicht zu schauen. O nicht zum Erstenmahl erblicken Euch heute meine Augen.So dachte ich mir Eure milden Züge, wenn ich nachsann, welche Gestalt der Himmel wohl gewählt haben möchte, um sie als Hülle der edelsten Seele zu ehren.So strahlten gleich Sternen in dunkler Nacht, Eure Blicke Muth und Hoffnung in mein umwölktes Gemüth, ehe ich ihnen noch in der Wirklichkeit begegnete – so, heiliger Vater, so und nicht anders, wie ich Euch vor mir sehe, seyd Ihr mir lange schon erschienen, wachend oder im Traume, wenn ich allein war, und schon damals ging mein ganzes Herz vor Euch auf, als Ihr mir nur nahe waret in meinen Gedanken, die sich stets mit Euch beschäftigten.

Wenn es mir, dem demüthigen Knecht Gottes, vergönnt seyn soll, das Gute in Dir vor Wanken zu bewahren, so weiß ich es Deiner Einbildungskraft Dank, die dich schon früh so wunderbar mit meinem Anblick vertraut hat, entgegnete der Bischoff. Aber laß hören, welche Unbill Du denn befürchtest auf Erden, und worin ich Deine zaghafte Gesinnung zu befestigen vermag.

[209]Edler Herr, sprach die Pilgerin, ich habe Euch schon gesagt, daß ich aus fürstlichem Geblüt entsprossen bin. Auserzogen in allen Wollüsten des Throns strebten meine königlichen Eltern, von der Welt verblendet, meinen Sinn nur auf die vergängliche Krone zu richten, durch die man herrschet, dieweil man lebet. Aber zur Demuth neigte sich stets mein Gemüth, und frühe regte sich schon Ekel an irdischem Thun und Lassen in meinem Inneren. Als ich nun heranblühte zu jungfräulichen Jahren gedachte der König, mein Vater, mich zu vermählen. Gewohnt, mich seinen Wünschen mit kindlichem Gehorsam, obschon oft mit geheimen Widerstreben zu fügen, wagt' ich keine Weigerung, wiewohl ich lieber in klösterlichen Mauern meine Tage der Einsamkeit gewidmet hätte. Als daher der königliche Prinz, dem ich bestimmt war, an meines Vaters Hof kam, um mich zu werben, nahm ich zitternd das Ringlein von seiner Hand, und ging dann in den dunkelen Wald, zu weinen, und um ein nachgebendes Herz zu beten.

Als ich nun knieete unter einer Eiche, die ihre knorrigen Aeste weit umher verbreitete, rauscht es plötzlich in ihrem Wipfel, und wie ein grüner Regen säuselten unzählige Blätter auf mich hernieder, mich zu wecken aus dem seligen Rausch meiner Andacht. Da blickt' ich empor, und sah ein Dunstbild, gleich dem heiligen Andreas gestaltet, oben in den Lüften zwischen den Zweigen des Baumes schweben. Das rief mit ernster Stimme zu mir herab: »Siehe wohl zu, wem Du Dich vermählst mit Leib und Seele, denn Fluch lastet auf der Ehe, die nicht Liebe knüpft, [210]unddieser ists allein auf Erden, den Du lieben kannst.«

Da schaut' ich wie in einem Spiegel Euer Antlitz, heiliger Vater, das freundlich, gleich der Morgensonne, mir lächelte, und plötzlich umgeschaffen dünkte mir das Innerste des Busens, denn das Sehnen nach Abgeschiedenheit und Stille hatte sich in glühendes Verlangen nach Eurem Wiedersehn, und nach der Süßigkeit Eurer Liebe verwandelt.

Du thust nicht wohl, meine Tochter, erwiederte Basilius ernst, daß du so unziemend die strafbaren Wünsche deines Herzens in Worte kleidest; doch bist du gekommen, der weltlichen Eitelkeit Ade zu sagen, und das Aergerniß eines solchen Geständnisses durch Reue und Buße zu versöhnen, so sieh mich bereit, Dir beizustehen in Allem, was den Schiffbruch Deiner Seele verhindern kann. Denn es ist nicht genug, den Leib vor schnöder Entweihung zu hüten; auch das Gemüth muß sich rein erhalten in Worten und Gedanken, vor Gott und vor sich selbst.

Als der Bischoff so sprach, entfiel der Pilgerin der leicht befestigte Hut, und unverhüllt stand sie da in rosiger Jugendschönheit, edle Perlen der Rührung im funkelnden Auge, und wie von einer Glorie von goldenen Locken umflossen. Der Bischoff schauderte fast, ob ihrer unaussprechlichen Anmuth. So hatte nimmer Weiberschönheit noch die fromme Ruhe seines Herzens in stürmische Bewegung gebracht – doch er wandte den Blick strenge und enthaltsam von ihr ab, und fuhr fort, wiewohl mit sanfterem Ton der Stimme: »Du hast noch nicht [211]geendet, edle Jungfrau! Sage mir, was ferner noch geschah, und wie Du dem Werben Deines Verlobten, und dem Gebote Deiner Eltern Dich entzogest?

Als ich zurückkehrte in meines Vaters Schloß, sprach die Königstochter, erklärte ich den Meinigen, daß ich nimmer meine Hand dem Prinzen geben könne, weil mein Herz einen Bräutigam erkohren habe, dem ich allein auf Erden anzugehören wünsche.

Da ergrimmte mein Herr Vater sehr, und fuhr mich an mit rauhen Worten, und als ich auf meinem Entschluß beharrete, schlug er mich sogar, daß mein Blut unter seinen Streichen zur Erde floß. Doch mir dünkte seine strafende Hand leicht, denn ich litt ja um den, dessen Bildniß liebreich in meinem Busen schimmerte. Wie nun weder Drohungen noch Züchtigungen, noch selbst das zärtliche Flehen meiner vielgeliebten Mutter meinen Sinn zu erweichen vermochte, sperrte man mich in ein düsteres Gefängniß, auf daß die Zeit meinen störrischen Sinn zu brechen versuche. Doch ich war nicht allein in meinem öden Kerker. Oft verklärten sich die finsteren Wände mir mit himmlischem Glanze, und die Strahlen eines überirdischen Lichts, die zu mir eindrangen, bildeten Eure Gestalt, und Euere Züge, und Trost brachte mir Eure beglückende Nähe selbst in der trostlosen Beschränkung einer von allen Menschen geschiedenen Einsamkeit.

So waren zwei Jahre langsam an mir vorübergegangen – doch während mein Leib gefangen [212]war, schwebte frei die Seele in glückseligeren Regionen einher, und genoß in Träumen, was die Wirklichkeit ihr versagte. Schon wähnte ich, mein Kerker werde mir einst auch zum Grabe dienen, da ließ der Wächter, der meiner hütete, vergeßlicherweise die Thüre meines Gefängnisses offen, und mir war plötzlich, als winke die frische Luft der Freiheit mich hinaus aus diesen dumpfen Mauern, dorthin, wo sie weht – und ich floh eiligst, irrete lang im Elend umher, und endlich hab ich in Pilgertracht das Ziel erreicht, nach dem ich schmachtete.

Hier zu Euren Füßen, heiliger Vater, seht mich knieen. Ist es eine Sünde, für Euch in den Flammen unauslöschlicher Liebe entbrannt zu seyn, so lehrt mich sie büßen, aber begehrt nicht, mit rauher Hand sie zu verlöschen, denn Ihr würdet meinen inneren Himmel dadurch zerstören. Mit Fasten und Gebet will ich mein Fleisch kreuzigen – nur verdammt mich nicht zur Reue. Denn heilig wie Ihr selbst ist mir die Leidenschaft, die gleich einer Eingebung von Oben mich durch Wälder und Wüsten, durch Berge und Thäler zu Euch führte, zu Euch, dessen wirklicher Anblick sie auf ewig befestigt hat.

Der fromme Bischoff hatte sich noch nie in einer schwierigeren Lage befunden. Er räusperte sich, und wußte kaum, was er vor Verlegenheit beginnen sollte. Es dünkte ihm rauh und lieblos, mit strengen Worten so treu ergebene Gesinnungen nieder zu schlagen, und sündlich schien es ihm wieder, sie zu nähren durch Freundlichkeit und Güte. Er wollte einen finsteren Blick auf die Königstochter werfen, [213]doch ihr Auge strahlte ihn an, wie eine warme Sonne, und das erkünstelte Eis seiner Mienen fing plötzlich an zu schmelzen vor dem Zauber ihrer unvergleichlichen Schönheit.

Viel und mancherlei, stammelte er verwirrt, sind der Anfechtungen auf Erden, aber schön ists, sie zu bekämpfen, wenn es uns auch schwer fällt. Gehe daher in ein Kloster, meine Tochter, und ziehe Deine Gedanken ab von irdischen Wünschen, auf daß die Sünde nicht länger in dir triumphire.

Was Ihr mir gebietet will ich ohne Murren thun, versetzte die Jungfrau mit einer Stimme, die immer melodischer und seelenvoller gleich einem Syrenengesang in den Busen des Bischoffs drang. Aber entlaßt mich nicht so gleichgültig, als hätte mein Geständniß nur Eure herbe Verachtung erregt. Gebt mir nur Euren Segen mit in die ewige Abgeschiedenheit, der ich mein junges Leben opfere, und als das Zeichen der Weihe gönnt mir die Gunst, das Eure Lippen nur einmahl die meinigen berühren, auf daß doch ein Augenblick in meinem Daseyn sey, an den ich zurück denken darf, dankbar für das hohe, unüberschwengliche Glück, das er enthält.

Was begehrst Du, Versucherin? sprach Basilius erbebend, doch die verbotene Lust glühte in ihm gleich einer sengenden Flamme und verzehrte jede Kraft, die Bitte der Königstochter zu verweigern. Wunderbare Wallungen wirbelten sein Blut in wildem Kreislauf durch alle Pulse – vor seinen Augen tanzten im Regenbogenschimmer die Gegenstände umher, und unwillkührlich streckten sich zitternd seine Arme [214]aus, die blühende Jungfrau zu umfassen, um den begehrten Kuß auf ihre Lippen zu drücken.

Da säuselte leise, wie ein kühler Hauch des Mittags Schwüle erfrischt, der Ton eines Seufzers von dem hohen Marienbild herab, das in einer Vertiefung der Wand stehend, so oft der Gegenstand der inbrünstigsten Andacht des Bischoffs gewesen war, und als er erschrocken hinaufblickte zu der Hochgebenedeiten, sah er ihre göttlichen Augen von dem Thau einer irdischen Thräne verdunkelt, und die immer brennenden Kerzen, die er ihr zu Ehren auf dem Altar zu ihren Füßen gestiftet hatte, waren erloschen, und füllten das Gemach mit bläulichem Dampfe.

Nimm Dein Opfer zurück, Basilius, sprach sie mit himmlischer aber trauriger Stimme, denn als du mit reinem Gemüth diese Kerzen mir weihtest, waren sie mir eine wohlgefällige Spende Deiner Frömmigkeit – jetzt aber verletzen sie, gleich Irrlichtern, auf Sümpfen erzeugt, flackernd mein verklärtes Auge, und sie sollen nicht Deinen Fall beleuchten.

Da schlug Basilius in sich. Wie ein Nebel erhob es sich vor seinen Sinnen, und als er schaute was aus der Königstochter geworden sey, lächelte sie zwar noch immer in übermenschlicher Schönheit ihn an, doch mit Entsetzen sah er den Pferdefuß unter ihrem faltenreichen Gewand hervorragen, und es wurde ihm klar, daß der Böse nur die Gestalt einer Jungfrau angenommen hatte, ihn zu versuchen, und ihn um die Ehre rühmlich erkämpfter Heiligkeit zu bringen.

[215]Hebe Dich weg von mir, Satan! rief er mit zerknirschtem Herzen, und des Mägdleins lockende Gestalt verwandelte sich plötzlich in eine hohe, zischende Schwefelflamme, die prasselnd in die Erde sank, als er ein Kreuz schlug, sich vor ihr zu verwahren.

Da stürzte der Bischoff nieder auf seine Kniee, und zerfloß fast in Thränen der Reue, doch als er nach langem, schmerzlichen Gebet sein Auge schüchtern wieder erhob zu dem Antlitz der Mutter aller Gnaden, lächelte ihre Miene ihn wieder an, und ohne menschliche Hülfe hatten sich von neuem die Kerzen auf ihrem Altar entzündet. Das verehrt' er als ein Zeichen, daß seine Schwäche ihm vergeben sey, und alle seine noch übrigen Lebenstage brachte er zu, um durch rüstigen Kampf mit der Sünde sich mit der Gottheit und sich selber zu versöhnen.

Fußnoten

1 Wallensteins Tod. Dritter Aufzug, erste Scene, Seite 55.


Notes
Der Erzählungen erschienen seit etwa 1810 einzeln in verschiedenen Taschenbüchern und Zeitschriften. Bibliographisch nachweisbar sind: »Die Nimpfe des Rheins« in: Taschenbuch zum geselligen Vergnügen, herausgegeben von Wilhelm Gottlieb Becker, Leipzig (Georg Voß) 1812; »Selbstverläugnung« in: Taschenbuch der Liebe und Freundschaft gewidmet, für das Jahr 1813, herausgegeben von Stefan Schütze, Frankfurt am Main (Friedrich Wilmans); »Die beiden Pilger« in: Taschenbuch der Liebe und Freundschaft gewidmet, für das Jahr 1814, herausgegeben von Stefan Schütze, Frankfurt am Main (Friedrich Wilmans). Erstdruck der Sammelausgabe: Schleswig (Königl. Taubstummen-Institut) 1822.
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TextGrid Repository (2011). Ahlefeld, Charlotte von. Gesammelte Erzählungen. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0001-D783-E