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ZUR
LEHRE VOM LICHTSINNE.

SECHS MITTHEILUNGEN
AN DIE
KAISERL. AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN IN WIEN


ZWEITER UNVERÄNDERTER ABDRUCK.
WIEN.:
DRUCK UND VERLAG VON CARL GEROLD’S SOHN.
1878.
[]

Erste Mittheilung.
Über successive Lichtinduction.


(Vorgelegt in der Sitzung am 8. Juni 1872.)


§. 1.
Vorbemerkungen.


Als ich vor einigen Jahren an die Herausgabe des zweiten
Abschnittes einer monographischen Arbeit „über das binoculare
Sehen“ 1) gehen wollte, welcher Abschnitt die binocularen Licht-
empfindungen zu behandeln hat, kam ich sehr bald zu der
Überzeugung, daß der Erfolg meiner Bemühungen ein sehr
zweifelhafter sein müsse, wenn ich nicht zuvor die jetzt herr-
schenden Theorien der Lichtempfindung überhaupt einer ausführ-
lichen Kritik unterworfen hätte. Da diese Kritik für mich zu-
gleich den Versuch einer Widerlegung vieler, jetzt fast allgemein
verbreiteter Ansichten mit sich gebracht hätte und deshalb eine
ziemlich umfassende Arbeit geworden wäre, so unterließ ich sie
damals gänzlich, womit mir freilich auch die Fortsetzung der
erwähnten Monographie vorerst unmöglich gemacht war.


Seitdem hat mich die fortgesetzte Beschäftigung mit physio-
logischen und psychologischen Fragen immer mehr in der Über-
zeugung bestärkt, daß jene moderne Richtung der Sinnenphysio-
logie, welche insbesondere in der „Physiologischen Optik“ von
Helmholtz den scharfsinnigsten Ausdruck gefunden hat, uns
nicht zur Wahrheit führt, und daß, wer der Forschung auf diesem
Gebiete neue Wege erschliessen will, sich zuerst freimachen muß
von den jetzt herrschenden Theorien.


Die Unzulänglichkeit der letzteren hat meiner Ansicht nach
ihren wesentlichsten Grund in der spiritualistischen oder, wie
Hering, Lehre vom Lichtsinne. 1
[2] man sie euphemistisch bezeichnet hat, „psychologischen“ Behand-
lung von Fragen, die, wenn sie überhaupt mit Erfolg erörtert
werden sollen, physiologisch untersucht werden müssen. Es zieht
sich durch die moderne Sinnenphysiologie in ähnlicher Weise ein
verhängnißvolles Vorurtheil, wie früher durch die Physiologie
überhaupt. Wie man nämlich einst alles, was man nicht physio-
logisch untersuchen konnte oder wollte, aus einer Lebenskraft
erklärte, so erscheint jetzt auf jedem dritten Blatte einer physio-
logischen Optik die „Seele“ oder der „Geist“, das „Urtheil“, oder
der „Schluß“ als deus ex machina, um über alle Schwierigkeiten
hinweg zu helfen. Wie es ferner in der That noch unzäh-
lige Lebenserscheinungen gibt, die früher, und zwar selbstver-
ständlich ganz überflüssiger Weise, wenn auch zuweilen recht
scharfsinnig, aus der Lebenskraft erklärt worden sind, und die
wir uns auch heute noch mit unserer ganzen Physik und Chemie
nicht annähernd klar machen können, so gibt es auch noch zahl-
lose Sinnesphänomene, die wir für jetzt einer eigentlich physio-
logischen Untersuchung noch nicht unterwerfen können, und
diese sind für die spiritualistische Physiologie ein sehr dankbares
Gebiet, das ihr vorerst Niemand streitig machen wird. Daß aber
auch zahlreiche Erscheinungen, die schon jetzt eine physiolo-
gische Untersuchung zulassen, noch immer mit psychologischen
Gemeinplätzen abgethan werden, ist wohl zu bedauern.


Im Gegensatze zu dieser spiritualistischen Richtung, welche
sich begnügt, die Gesetze der Sinneserscheinungen, so weit sie
nicht bereits physiologisch erklärt sind, aus der Eigenthümlichkeit
des menschlichen Geistes abzuleiten, habe ich mich von Anfang
an auf den physiologischen Boden gestellt und mich bemüht, die
Phänomene des Bewußtseins als bedingt und getragen von or-
ganischen Processen anzusehen und Verlauf und Verknüpfung
der ersteren aus dem Ablauf der letzteren zu erläutern, soweit
dies eben bis jetzt überhaupt möglich ist. Es ist nicht meine
Absicht, hier den tief greifenden Unterschied ausführlicher dar-
zulegen, welcher zwischen meiner Auffassung, sowie meiner Art,
die Probleme der Sinnenphysiologie zu behandeln, und jener jetzt
vorwaltenden spiritualistischen Ansicht und ihrer Methode besteht.


Dieser Unterschied wird dem aufmerksamen Leser schon in
der vorliegenden kleinen Abhandlung, noch mehr aber in den fol-
[3] genden ersichtlich werden. Ich betone denselben jetzt hauptsäch-
lich deshalb, um schon hier Einspruch zu erheben gegen die
Bezeichnung, welche man meiner Theorie des Binocularsehens
neuerdings zu geben pflegt. Helmholtz hat dieselbe nämlich
als die „nativistische“ bezeichnet, im Gegensatze zu der von ihm
vertheidigten, welche er die „empiristische“ nennt. Diese Be-
zeichnungen sind durchaus nicht zutreffend, denn sie machen
einen ganz nebensächlichen Punkt zur Hauptsache. Zwischen
„Nativismus“ und „Empirismus“ besteht kein grundsätzlicher,
sondern nur ein gradweiser Unterschied. Wenn uns, um dies hier
abermals auszusprechen, die Organe angeboren sind, so sind es
bis zu einem gewissen Grade auch ihre Functionen, das müssen
selbst die strengsten „Empiristen“ zugeben; und anderseits hat
es nie einen „Nativisten“ gegeben, der den gewaltigen Einfluß
geleugnet hätte, welchen Gebrauch und Übung auf die Functionen
unserer Organe und insbesondere der Sinnesorgane hat. Es kann
sich also zwischen „Nativisten“ und „Empiristen“, soweit sie
wirkliche Physiologen sind, nur darum handeln, ob man die
Grenzen des Angebornen weiter oder enger zu ziehen habe. Der
Spiritualist freilich wird immer geneigt sein, das Gebiet des An-
gebornen einzuengen, um für den menschlichen Geist einen freie-
ren Spielraum zu gewinnen und denselben als möglichst unab-
hängig von seiner organischen Grundlage darstellen zu können.
Daher sind die Spiritualisten mit Vorliebe auch „Empiristen“.


„Empirismus“ und „Nativismus“ sind also keine Gegensätze,
solange nur ihre Methode eine wahrhaft physiologische bleibt.
Dies wird besonders einleuchtend, wenn man bedenkt, daß der
nativistische Physiolog im Grunde auch Empirist ist, insofern er
nämlich dasjenige, was der jetzt sogenannte Empirismus als einen
Erwerb des individuellen Lebens ansieht, als einen Erwerb des
Lebens aller jener zahllosen Wesen betrachtet, mit welchen das
jetzt lebende Individuum in aufsteigender Linie verwandt ist und
von welchen es das ihm Angeborne geerbt hat. Dagegen liegt
zwischen der spiritualistischen und der physiologischen Methode
eine tiefe Kluft. Denn es ist ein ganz grundsätzlicher Unter-
schied, ob ich die Gesetze der Regungen des Bewußtseins aus
den Gesetzen der Bewegungen des organischen Stoffes abzuleiten
suche, oder ob ich mir diese Mühe erspare und kurzweg sage,
1 *
[4] jene Gesetze sind eben eine Eigenthümlichkeit des Geistes oder
der Seele, und es ist z. B. etwas sehr verschiedenes, ob ich die
Erscheinungen des Contrastes auf eine Reaction der Nerven-
elemente zurückführe oder sie aus der Natur „des menschlichen
Geistes“ erkläre.


Diesen tiefgreifenden Unterschied der Methoden nicht er-
kannt oder wenigstens nicht anerkannt zu haben, das ist’s, was
ich meinen wissenschaftlichen Gegnern fast zum Vorwurfe machen
möchte. Freilich, hätten sie ihn recht erkannt, so wären sie wohl
kaum meine Gegner.


Es gibt noch immer unter den Naturforschern manchen heim-
lichen Anhänger der Lebenskraft, aber kein Naturforscher, der
diesen Namen mit Ehren trägt, wird es heute wagen, die Lebens-
kraft als einen Factor in die Mechanik der Lebensprocesse
rechnend einzuführen. Und mehr verlange ich auch von der
spiritualistischen Physiologie nicht. Möge sie im Stillen und in
philosophischen Abhandlungen ihren Ansichten über die Natur
des menschlichen Geistes nachhängen, als ein Erklärungsprincip
darf sie den letzteren nicht in die Sinnenphysiologie einfüh-
ren, wenn sie sich nicht eines methodischen Fehlers schuldig
machen will.


Man kann allerdings die Erscheinungen des Bewußtseins
ohne alle Rücksicht auf ihr organisches Substrat untersuchen,
man kann sie sichten, ordnen, allgemeine Gesetze ihres Verlaufes
und ihrer Verknüpfung abstrahiren und dann die Einzelphänomene
ableitend aus diesen Gesetzen erklären. So ist im wesentlichen
zeither die philosophische Psychologie verfahren, soweit sie als
rein empirische überhaupt etwas Positives leistete. Wir haben
auf diesem Wege schätzbare Kenntnisse gewonnen; weit sind
wir aber im Ganzen nicht gekommen. Es ist eben nicht besonders
zweckmässig, sich über die Bewegungen eines Spiegelbildes den
Kopf zu zerbrechen, wenn man den gespiegelten Körper selbst
in seinen Bewegungen untersuchen kann. Wo das letztere noch
nicht möglich ist, bleibt freilich nichts anderes übrig, als das
Erstere zu thun.


Ganz anders, als diese philosophische Psychologie, welche
bisher im Wesentlichen nur eine descriptive war, verfährt die
physiologische Psychologie, oder wie ich sie lieber nennen möchte,
[5] die Physiologie des Bewußtseins. Sie betrachtet die Be-
wußtseinsphänomene als Functionen physischer Vorgänge, und
indem sie bei der Untersuchung der ersteren immer zugleich
auch die letzteren im Auge behält, fließt ihr die Erkenntniß aus
doppelter Quelle: das physische Ereigniß macht ihr das psy-
chische verständlich und das psychische Ereigniß wirft umge-
kehrt sein Licht auf das physische.


§. 2.
Beschreibung des negativen Nachbildes einer hellen
Scheibe auf dunklem Grunde
.


Betrachtet man bei mässiger Beleuchtung mit beiden Augen
unverrückten Blickes den irgendwie bezeichneten Mittelpunkt
einer kleinen hellen Scheibe auf weit ausgedehntem dunklen
Grunde eine Viertel- bis ganze Minute lang, schließt dann die
Augen und schützt sie noch ausserdem vor dem Eindringen des
Lichtes durch die Lider, so sieht man auf dem Grunde des mehr
oder weniger dunklen Sehfeldes eine meist noch dunklere Scheibe
scharf begrenzt und umgeben von einem lichten Hofe. Seine
größte Helligkeit hat dieser Lichthof, wie ich ihn nennen
will, in unmittelbarer Nähe des Nachbildrandes, und es nimmt
seine Helligkeit in centrifugaler Richtung mehr oder weniger
rasch ab, um sich schließlich unmerklich in den dunklen Grund
zu verlieren.


Jeder Laie, den ich den Versuch anstellen ließ, bestätigte
das Angegebene. Da aber ausserdem bei diesem Versuche vieler-
lei anderes zu beobachten ist, dessen Beschreibung mehrere
Seiten füllen könnte, so bekommt man von Laien, wenn sie ir-
gend zu beobachten verstehen, gewöhnlich auch noch Mitthei-
lungen über die dabei auftretenden subjectiven Farben, über den
Helligkeitswechsel, das vorübergehende Verschwinden, die schein-
baren Bewegungen des Nachbildes u. a. m. Alles dies kommt
hier noch nicht in Betracht, da ich zunächst nur auf das Gewicht
legen will, was jeder Laie angibt, wenn man ihn nur zur Be-
schreibung des Gesehenen auffordert.


Aus meiner eigenen, übrigens auch von Anderen bestätigten Erfah-
rung will ich zur näheren Erläuterung vorläufig nur noch folgendes hinzu-
fügen:


[6]

Der lichte Hof des Nachbildes der weißen Scheibe ist, wenn bei
mäßiger Beleuchtung experimentirt wird, im Allgemeinen um so heller und
breiter, je länger die Scheibe fixirt wird. Nach sehr langer Fixation sehe
ich ihn sogar intensiv leuchtend. Vorübergehend reducirt er sich bisweilen
auf einen schmalen hellen Saum, um bald nachher sich wieder auszubreiten,
und was dergleichen Wechselphänomene mehr sind. Immer aber ist, sofern
nur das Nachbild der Scheibe überhaupt deutlich sichtbar ist, auch der
mehr oder minder breite Lichthof vorhanden.


Das Nachbild der Scheibe selbst kann in seiner Helligkeit im Ver-
gleich zu der des allgemeinen Grundes variiren, so viel aber steht fest, daß
es immer dunkler erscheint als der lichte Hof. Die Farben des Nachbildes
und seines Lichthofes sind sehr verschieden, je nachdem man den Versuch
bei natürlicher oder künstlicher Beleuchtung anstellt, worauf erst später
eingegangen werden kann.


Vor der Anwendung einer irgend starken Beleuchtung muß bei die-
sem wie bei allen folgenden Versuchen ganz besonders gewarnt werden,
weil man dadurch nicht blos seine Augen angreift, sondern, was das eigent-
lich Wesentliche ist, ganz andere und sozusagen unreine Resultate bekommt.
Wie es nicht zweckmäßig wäre, die Untersuchungen über den Wärmesinn
damit zu beginnen, daß man übermäßige Hitze oder Kälte auf die Haut
wirken ließe, so ist es auch methodisch falsch, die Netzhaut mit intensivem
Lichte zu blenden, wenn man ihre sozusagen normale Thätigkeit unter-
suchen will. Wenn bei unserem Versuche das Nachbild der Scheibe sich
nicht in der beschriebenen Weise zeigt, sondern ein deutlich entwickeltes
positives Nachbild sich dauernd oder mehrmals wiederkehrend bemerklich
macht, so war die Beleuchtung für das Versuchsauge zu stark.


Endlich sei noch besonders betont, daß der beschriebene, wie auch
die folgenden Versuche, mit beiden Augen gleichzeitig anzustellen sind.
Das Experimentiren mit nur einem Auge bedingt eine überflüssige Compli-
cation durch den Wettstreit der Sehfelder.


§. 3.
Der Lichthof des dunklen negativen Nachbildes
fordert eine physiologische Erklärung
.


Das im Vergleich zu seiner Umgebung dunkle Nachbild
der hellen Scheibe, wie man es bei unserem Versuche gewinnt,
erklärt man jetzt bekanntlich daraus, daß die vom Lichte der
Scheibe getroffene Netzhautstelle ermüdet sei und deshalb nach
Bedeckung der Augen durch die innern Reize minder stark er-
regt werde, oder anders gesagt, ein schwächeres Eigenlicht ent-
wickele, als die übrige Netzhaut. Das ist also zwar eine phy-
siologische Erklärung des negativen Nachbildes, nicht aber des
Lichthofes. Von dem letzteren sagt die Ermüdungstheorie nichts,
und sie kann es auch nicht, weil sie eben ganz ausschließlich
nur auf das negative Nachbild berechnet ist.


[7]

Da also diese physiologische Theorie der Nachbilder zur
Erklärung des Lichthofes nicht ausreicht, so pflegt man letzteren
„psychologisch“ zu erklären. So sagt Helmholtz in seiner
physiologischen Optik S. 360: „Es kann das negative Nachbild
sogar im ganz dunklen Gesichtsfelde sichtbar werden, indem es
hier als eine Verminderung der Helligkeit des Eigenlichtes der
Netzhaut erscheint. In der Regel erscheint dann dieses Eigenlicht
selbst in der nächsten Umgebung des dunklen Nachbildes durch
Contrast mit diesem etwas heller“. Helmholtz nimmt also den
Lichthof des dunklen Nachbildes für eine Folge des simultanen
Contrastes, und da er diesen rein psychologisch, d. h. aus einer
Urtheilstäuschung erklärt, so bot sich ihm für eine eigentliche
Untersuchung des Phänomens kein Anlaß.


Mir ist dagegen dieser Lichthof als eine durchaus ebenso
merkwürdige Thatsache erschienen, wie das negative Nachbild
selbst, und ich habe mich mit jener psychologischen Erklärung
umsoweniger begnügen können, als man ganz mit demselben
Rechte auch das negative Nachbild selbst psychologisch erklären,
d. h. sagen könnte, die relative Dunkelheit des Nachbildes sei
die Folge davon, daß man die Helligkeit dieser Stelle im Ver-
gleich zu ihrer früheren viel größeren Helligkeit unterschätze.


Für mich würde übrigens die psychologische Erklärung des
erwähnten Lichthofes aus dem simultanen Contraste schon des-
halb hinfällig sein, weil ich den Hof des Nachbildes auch dann
sehe, wenn das letztere eben einmal gar nicht dunkler ist als
der Grund überhaupt, obwohl es dunkler ist als der Hof. Aber
angenommen, Andere könnten diese nur unter besonderen Um-
ständen auftretende Erscheinung nicht sogleich bestätigen, so
ist doch überhaupt nicht einzusehen, warum, wenn es sich nur
um ein falsches Urtheil handelte, dieses Urtheil uns nur
über den Helligkeitsgrad der nächsten Umgebung
des Nachbildes und nicht über den des ganzen Grun-
des überhaupt täuschen sollte
. Die ganz gesetzmässige
räumliche Begrenzung, innerhalb welcher sich das angebliche
falsche Urtheil äußert, sollte, so meine ich, denn doch dazu
auffordern, auch nach örtlichen Ursachen zu suchen und nicht
gleich zum Übersinnlichen seine Zuflucht zu nehmen, das heißt
auf jede wirkliche Erklärung zu verzichten.


[8]

Die spiritualistische Physiologie behauptet also, daß das
Eigenlicht der Netzhaut zwar an der Stelle des Nachbildes in
Folge der Ermüdung schwächer, daß es aber in der unmittel-
baren Umgebung durchaus nicht heller sei, als auf der übrigen
Netzhaut, daß wir vielmehr nur urtheilen, es sei in der Nähe
des Nachbildes heller, weil letzteres dunkler ist, als der Grund
im Allgemeinen. Warum wir aber so urtheilen, wird nicht weiter
erklärt, denn die Contrasterscheinungen sind eben eine Eigen-
thümlichkeit des menschlichen Geistes.


Wenn ich nun auch überzeugt war, daß der beschriebene
Lichthof ebenso wie zahllose andere Contrasterscheinungen in
einer geänderten Thätigkeit der betroffenen Netzhautstelle be-
gründet sei, so schien es mir doch immer sehr schwer, die An-
hänger der spiritualistischen Theorie zu meiner Ansicht zu be-
kehren, weil ich mir sagen mußte, daß wer sich durch Erklä-
rungen, wie die oben angeführte, überhaupt befriedigt findet,
auch um spiritualistische Hilfssätze nie verlegen sein wird, wenn
der Hauptsatz Einwendungen erfährt; denn schließlich läßt sich
jedes Sinnesphänomen in allen seinen Einzelheiten aus der Eigen-
thümlichkeit des menschlichen Geistes ableiten mit demselben
Rechte oder Unrechte, mit welchem man jede beliebige Natur-
erscheinung aus der Allmacht des Schöpfers erklären kann. Ich
bemühte mich daher, für meine eigene Ansicht entscheidende
experimentelle Beweise beizubringen, d. h. für die blosse An-
schauung und ohne irgend welchen Appell an das physiologische
Gewissen des Experimentirenden den Beweis zu erbringen, daß
der lichte Hof um ein dunkleres Nachbild in einer gesteigerten
Entwickelung des sogenannten Eigenlichtes der betroffenen Netz-
hautstellen, also wirklich physiologisch begründet sei.


Unter Netzhaut oder Netzhautstelle möchte ich hier, wie in dieser
Abhandlung überhaupt, nicht blos die im Augapfel selbst gelegenen Theile
des nervösen Sehapparates, sondern auch die mit der eigentlichen Netzhaut
in näherer Verbindung stehenden Nervenfasern und Hirntheile verstanden
wissen, soweit nämlich dieselben beim Zustandekommen einer Lichtempfin-
dung mit betheiligt sind. Wir wissen bis jetzt noch nichts Sicheres über
den Ort des psychophysischen Processes, an welchen die Lichtempfindung
unmittelbar geknüpft ist. Wenn ich daher von Reaction oder veränderter
Thätigkeit einer Netzhautstelle spreche, müßte ich, um nichts zu präjudi-
ciren, eigentlich jedesmal hinzufügen: „Beziehentlich derjenigen
Opticusfasern und Hirntheile, welche beim Zustandekommen
[9] der Empfindung des auf jene Netzhautstelle wirkenden Licht-
reizes mit betheiligt sind“
.


§. 4.
Wenn die Lichthöfe zweier benachbarten dunklen
negativen Nachbilder ineinandergreifen, so ver-
stärken sie sich gegenseitig in ihrer Helligkeit
.


Wenn es richtig ist, daß der helle Hof um ein dunkles
negatives Nachbild, durch eine erhöhte Entwickelung von Eigen-
licht an der betroffenen Netzhautstelle bedingt ist, so läßt sich
erwarten, daß, wenn wir dieser Netzhautstelle eine doppelte Ver-
anlassung zur gesteigerten Entwickelung des Eigenlichtes geben,
dieses letztere nun auch um so heller und entschiedener sich be-
merkbar machen werde.


Nehmen wir also zwei gleichgroße Quadrate weißen Papiers
vom ungefähren Durchmesser der vorhin benutzten Scheibe, und
legen sie parallel neben einander auf einen möglichst tief-
schwarzen Grund derart, daß die beiden einander zugewandten
Seiten etwa 4 Mm. von einander abstehen. Hierauf fixiren wir
einen in der Mitte des dunklen Zwischenraumes der beiden Qua-
drate gelegenen und irgendwie fein bezeichneten Punkt in der
oben beschriebenen Weise. Im Gesichtsfelde der nachher voll-
ständig gedeckten Augen erscheinen uns dann die negativen Nach-
bilder der beiden Quadrate in ganz analoger Weise, wie vorhin
das negative Nachbild der weißen Scheibe, beide umgeben von
hellen Höfen gleich dem oben beschriebenen, und in der That
bemerken wir, daß der Zwischenraum der beiden qua-
dratischen Nachbilder im Allgemeinen intensiver
leuchtet, als die übrigen Theile der hellen Höfe
.
Ich sage „im Allgemeinen“, weil infolge der Wandelbarkeit des
Phänomens wohl ab und zu eine Phase eintritt, bei welcher
dies nicht so entschieden ist; aber man merke wohl, daß dies
eben nur vorübergehend der Fall und im Übrigen die größere
Helligkeit der Stelle, wo gleichsam beide Höfe sich decken, eine
so constante und leicht zu beobachtende Erscheinung ist, daß
jeder intelligente Laie sie wahrnimmt. Im Beginne der Beobach-
tung des Nachbildes können die Lichthöfe überall so hell er-
[10] scheinen, daß die noch größere Helligkeit des lichten Zwischen-
raumes der quadratischen Nachbilder nicht sogleich auffällt, so-
bald aber die Lebhaftigkeit des ganzen Bildes nachläßt, tritt jene
deutlich hervor, und am schlagendsten ist diejenige Phase der
Erscheinung, bei welcher die Nachbilder der Quadrate ganz ver-
schwinden, und nur noch der frühere Zwischenraum zwischen
beiden fortleuchtet und als heller Streifen auf einem gleich-
mäßig dunkeln Grunde erscheint. Laien haben mir ihr Erstaunen
ausgedrückt, als sie dies sahen. Denn daß sie im Nachbilde die
Quadrate wiedersehen, wenn auch in veränderter Beleuchtung,
überrascht sie zwar auch, sofern sie noch nie auf Nachbilder
geachtet haben, aber daß sie bei diesem Versuche nur einen
Streifen sehen, dem gleichsam nichts Reales im Vorbilde ent-
spricht, erweckt ihnen neues Staunen.


Um die größere Helligkeit der Stelle des Grundes, wo die
beiden Lichthöfe sich decken, zu erklären, werden die Anhänger
der spiritualistischen Theorie wahrscheinlich sagen, unser Urtheil
werde hier doppelt stark gefälscht, weil ihm dazu von zwei Seiten
her durch die dunkeln Nachbilder der Quadrate Veranlassung
gegeben werde, etwa so, wie man eine falsche Nachricht um so
sicherer glaubt, wenn man gleichzeitig von zwei Seiten belogen
wird. Was aber die Thatsache betrifft, daß man den im Vor-
bilde dunkeln Zwischenraum auch dann noch leuchtend sieht,
wenn die negativen dunkeln Nachbilder gar nicht mehr gleich-
zeitig sichtbar sind, sondern man außer dem hellen Streifen nur
noch einen gleichmäßigen dunkeln Grund sieht, so müßte die
spiritualistische Theorie behaupten, daß, nachdem man einmal,
verführt durch den Contrast, die falsche Idee gefaßt habe, dieser
Theil des Gesichtsfeldes sei heller als alles Übrige, man sich
nun von diesem Irrthum nicht sobald wieder losmachen könne,
wenn auch die veranlassenden Ursachen der Täuschung bereits
verschwunden sind; wie man denn in der That eine Lüge auch
dann noch glauben kann, wenn die Lügner bereits wieder fort
sind.


Hier böte sich nun für die Spiritualisten ein Anknüpfungspunkt, um
auch die positiven Nachbilder in analoger Weise „psychologisch“ zu erklären.
Bekanntlich gibt ein lichter Streifen auf dunklem Grunde, wenn man ihn
kurze Zeit betrachtet hat, im Gesichtsfelde des nachher geschlossenen Auges
ein deutliches, wenn auch rasch vorübergehendes Nachbild, welches eben-
[11] falls hell auf dunklem Grunde erscheint, ganz so wie bei unserem Versuche
der dunkle Zwischenstreif zwischen den Quadraten. Wenn man nicht wüßte,
wie man sich das Nachbild erzeugt hat, so könnte man in der That beide
Phänomene durchaus verwechseln, da abgesehen von der Dauer ein wesent-
licher Unterschied nur in der Erzeugungsweise beruht. So gut nun die
Spiritualisten sagen können, daß bei unserem Versuche der helle Streif nach
dem Verschwinden der dunklen Nachbilder deshalb noch eine kurze Weile
sichtbar sei, weil wir uns nicht schnell genug von unserem falschen Urtheil
über die Helligkeit dieser Stelle des Gesichtsfeldes frei machen können, so
gut könnten sie auch sagen, man sehe nach kurzer Betrachtung eines hellen
Streifens auf dunklem Grunde auch nach Schluß der Augen darum noch
eine Weile einen entsprechenden hellen Streifen im Gesichtsfelde, weil wir
uns nicht schnell genug von der ursprünglich richtigen Ansicht frei machen
können, daß die entsprechende Stelle des Gesichtsfeldes wirklich durch
Licht gereizt werde. Die Spiritualisten würden durch die gegebene „psycho-
logische“ Erklärung der jetzt verbreiteten physiologischen Hypothese über-
hoben, welche den Grund der positiven Nachbilder in einer Fortdauer der
Erregung der betreffenden Netzhautstellen sucht, und in die spiritualistische
Theorie käme auf diese Weise etwas mehr Zusammenhang und Consequenz
der Durchführung.


Ich habe mir diese kleine Abschweifung erlaubt, um zu zeigen, daß
es nicht schwer ist, psychologische Erklärungen zu geben, und um diese
Art Erklärungen im Interesse des Folgenden in’s richtige Licht zu setzen.
Vielleicht ist jetzt wenigstens bereits so viel erreicht, daß durch den hier
besprochenen Versuch Einer oder der Andere zu zweifeln beginnt, so daß
der Versuch des folgenden Paragraphen schon günstigere Bedingungen vor-
findet.


Nehmen wir statt der beiden kleinen weißen Quadrate zwei
beliebig größere, ebenfalls um circa 4 Mm. von einander ab-
stehende, so bleibt die Erscheinung in Bezug auf den im Nach-
bilde hellscheinenden Mittelstreif im Wesentlichen ganz dieselbe.
Nimmt man die Quadrate so groß, daß sie fast an die Grenze
des Sehfeldes reichen, so gilt immer noch für diesen Mittelstreifen
dasselbe, wenn man auch die jetzt auf den peripherischen Netz-
hauttheilen gelegenen Ränder der Quadrate gar nicht mehr sieht.
Man hat dann eigentlich nur das negative Nachbild eines
dunklen Streifens auf weit ausgebreitetem hellen
Grunde
vor sich, wovon der nächste Paragraph handelt.


§. 5.
Beschreibung des negativen Nachbildes eines
dunklen Streifens auf hellem Grunde
.


Legt man einen etwa 4 Mm. breiten Streifen mattschwarzen
Papieres auf einen weit ausgebreiteten rein weißen Grund und
[12] fixirt fest seine durch einen weißen Punkt bezeichnete Mitte
eine Viertel- bis ganze Minute lang, so bemerkt man nachher im
dunklen Sehfelde der geschlossenen und gedeckten Augen einen
hellen Streifen. Indem ich nun wieder von den Farben des
Streifens und ihrem Wechsel, von etwa vorhandenen schmalen,
andersfarbigen Säumen, von der verschiedenen Helligkeit des
Nachbildes an verschiedenen Stellen, von seinem Phasenwechsel
etc. völlig absehe, betone ich hier nur zweierlei: die unter
günstigen Umständen sehr intensive Helligkeit des Nachbildes
und das Fehlen eines dem oben (§. 2) beschriebenen Lichthofe
entsprechenden dunklen Hofes. Man könnte nämlich nach Ana-
logie des Lichthofes der dunkeln negativen Nachbilder jetzt einen
entsprechenden dunkeln Hof um das helle negative Nachbild
erwarten, ganz besonders in Hinblick auf die psychologische
Erklärung, welche von jenem Hofe gegeben wurde. Denn der
Contrast zwischen dem hellen Nachbilde und dem dunkeln Grunde
ist hier im Allgemeinen noch bedeutender, als bei unserem ersten
Versuche und der Grund erscheint keineswegs absolut schwarz,
vielmehr in einer mässigen und zuweilen sogar sehr mässigen
Dunkelheit, daher denn die Dunkelheit dieses Grundes in der
unmittelbaren Nähe des zuweilen sehr hell leuchtenden Nach-
bildes sehr wohl durch „Contrast“ verstärkt werden könnte.
Wenn es nun auch vorkommt, daß Einzelne zwar nicht von
selbst, aber doch auf besonderes Fragen, zugeben, daß die aller-
nächste Nachbarschaft des Nachbildes etwas andersartig erscheint
als der übrige Grund, so ist dies doch bei Laien nur eine Aus-
nahme, und sie bestätigen, daß von einem Vergleiche dieser Er-
scheinung mit dem lichten Hofe des dunkeln negativen Nach-
bildes nur entfernt die Rede sein könne. Und was mich selbst
betrifft, so kann ich letzterem nur beistimmen, wobei ich mir
jedoch die genaue Erörterung dieses Punktes vorbehalte. Hier
will ich eben nur von dem sprechen, was Jeder sozusagen mit
Händen greifen kann. Das Wichtigste bei dem ganzen Versuche
ist nämlich die große Helligkeit des Nachbildes, welche sich
unter günstigen Umständen zu einem intensiven Leuchten steigert.


Sehen wir nun, wie man jetzt dieses Phänomen erklärt. Im
Anschlusse an Fechner’s Theorie sagt Helmholtz, S. 363:
„Was die negativen Bilder im ganz verdunkelten Gesichtsfelde
[13] betrifft, so lehrt der Augenschein, daß sie durch Verringerung
des Eigenlichtes der Netzhaut zu Stande kommen. Dieses Eigen-
licht also, welches wir aus der Wirkung innerer Reize auf den
Sehnervenapparat herleiten müssen, unterliegt den Wirkungen
der Ermüdung ebenso wie der Eindruck des äußeren Lichtes.“
Auf unsern Versuch übertragen, will dies sagen, daß die ganze
Netzhaut mit Ausnahme der Stelle, auf welcher das Bild des
schwarzen Streifens lag, ermüdet wurde, daß darum im Sehfelde
des geschlossenen Auges nur die unermüdete Netzhautstelle noch
das ungeschwächte Eigenlicht zeigt, während dasselbe auf der
ganzen übrigen Netzhaut sehr vermindert ist.


Dieser bis hierher allerdings ganz physiologischen Erklärung
widerspricht nun aber die unbefangene Anschauung insofern, als
uns das negative helle Nachbild viel heller erscheint, als sonst
unter normalen Verhältnissen das Eigenlicht der Gesammtnetz-
haut, auch wenn wir die Augen eine Viertel- bis ganze Minute
geschlossen und somit die Netzhaut gleich lange ruhen liessen,
als bei unserem Versuche den größten Theil derselben. Um nun
diese im Vergleich zur gewöhnlichen Helligkeit des Eigenlichtes
höchst auffallende und bisweilen förmlich leuchtende Helligkeit
des negativen Nachbildes zu erklären, greift man wieder zum
„falschen Urtheil“. Der starke Contrast, so sagt man, zwischen
der Helligkeit des Nachbildes und der Dunkelheit des übrigen
Gesichtsfeldes, welche Dunkelheit jetzt infolge der Ermüdung viel
größer sei als gewöhnlich, lasse uns das Nachbild für viel heller
halten, als es wirklich ist. Man fügt wohl auch hinzu, daß diese
falsche Beurtheilung der Helligkeit des Nachbildes dadurch unter-
stützt werde, daß wir irrigerweise annehmen, das Gesichtsfeld sei
im Allgemeinen nicht dunkler, als es sonst bei geschlossenen
Augen ist, und daß wir in Folge dessen die Helligkeit des Nach-
bildes um ebensoviel überschätzen, als wir die Dunkelheit des
Grundes unterschätzen.


Es ist nun, wie ich aus vielfacher Erfahrung weiß, gegen-
über solchen Erklärungen ganz erfolglos, sich auf die unbefangene
Anschauung zu berufen, welche Jedem zeigt, daß das negative
Nachbild des schwarzen Streifens viel heller erscheint, als der
innere Lichtnebel selbst dann, wenn wir die Augen viel länger
als eine Minute geschlossen liessen. Denn mit Hilfe der „falschen
[14] Urtheile“ kann man eben auch Hell in Dunkel, Weiß in Schwarz
verkehren. Dagegen aber läßt sich glücklicherweise der Versuch
so anordnen, daß er gestattet, das helle negative Nach-
bild ganz direct mit einem objectiv Hellen zu ver-
gleichen und somit seine Lichtstärke gewissermaßen
zu messen
. Es ist dies eine Versuchsweise, die sich auf viele
andere subjective Licht- und Farbenerscheinungen anwenden läßt,
welche durch sogenannten successiven und simultanen Contrast
entstehen, eine Versuchsweise, welche wegen ihrer schlagenden
Beweiskraft einem lange geführten Streite ein Ende machen
wird. Daß dabei auch die Young’sche Farbentheorie ihr Ende
findet, ist ein weiterer Vortheil der erwähnten Versuchsmethode.


§. 6.
Vergleichung der subjectiven Helligkeit eines nega-
tiven Nachbildes mit einer objectiven Helligkeit
.


Machen wir die eine, z. B. rechte Hälfte des Gesichtsfeldes
sehr dunkel, die andere hell und lassen außerdem durch die
helle linke Hälfte einen etwa 4 Mm. breiten, ebenfalls sehr dunklen
Streifen quer hindurch gehen, so daß er rechtwinkelig auf die
scharfe Grenzlinie beider Hälften des Gesichtsfeldes trifft, so er-
halten wir ein Vorbild, wie es Fig. 1 sehr verkleinert darstellt.
Der Punkt a wird nun binocular ¼—1 Minute lange fixirt und
sodann werden die Augen geschlossen und verdeckt. Man sieht
dann im Nachbilde die rechte Hälfte des Sehfeldes heller, die
linke dunkler, beide getrennt durch eine scharfe Linie, in deren
Nähe die Helligkeit der rechten Sehfeldhälfte wesentlich größer
ist als im Übrigen, und zwar derart, daß diese Helligkeit in un-
mittelbarer Nähe der Grenzlinie am größten ist und allmälig in

Figure 1. Fig. 1.


[figure]
Figure 2. Fig. 2.


[figure]

[15] eine schwächere, aber weiterhin gleichmäßige Helligkeit über-
geht. Dieser hellste Theil der rechten Hälfte entspricht dem
oben beschriebenen Lichthofe. Quer durch die linke, jetzt dunk-
lere Hälfte des Sehfeldes zieht sich ferner das helle Nachbild vom
dunklen Querstreifen des Vorbildes, und zwar ist dessen
Helligkeit noch größer als die des eben erwähnten
Grenztheiles der rechten Sehfeldhälfte
. Letztere näm-
lich entspricht einem einfachen Lichthofe, während im Nachbilde
des dunklen Querstreifens zwei Lichthöfe sich decken.


Um nun die subjective Helligkeit dieses Querstreifens mit
einer objectiven Helligkeit zu vergleichen, bringe ich unmittelbar
nach Schluß der Augen an die Stelle des Vorbildes (Fig. 1) ein
Gesichtsfeld, dessen linke Hälfte tiefdunkel ist, während die
rechte Hälfte eine sehr mäßige Helligkeit hat. Die Grenzlinie
beider Hälften hat wieder genau dieselbe Lage wie im Vorbilde
(siehe Fig. 2). Auf diesen Grund werfe ich nun mein Nachbild,
indem ich einen Punkt a′ fixire, welcher dem Punkte a des Vor-
bildes der Lage nach entspricht.


Die ganze linke Netzhauthälfte und denjenigen Theil der
rechten, welcher dem dunklen Querstreifen des Vorbildes ent-
spricht, traf während der Betrachtung des letzteren kein oder
wenigstens nur äußerst schwaches Licht, daher diese Netzhaut-
theile ausruhen konnten; die rechte Netzhauthälfte aber, mit Aus-
nahme der, dem Querstreifen entsprechenden Stelle wurde be-
leuchtet und ermüdet. Blicken wir nun auf den Punkt a′ des
zweiten Gesichtsfeldes (Fig. 2), so wird jetzt die linke, also durch
die vorhergehende Ruhe empfindlicher gewordene Netzhauthälfte
von der Helligkeit der rechten Hälfte des Gesichtsfeldes getroffen,
die rechte, ermüdete Netzhauthälfte aber bekommt gar kein oder
nur äußerst schwaches Licht. Demnach müßte uns nach der
Ermüdungstheorie die linke Sehfeldhälfte sehr dunkel erscheinen,
denn das auf ihr erscheinende Licht wäre ja nur das in Folge
der Ermüdung sehr schwache Eigenlicht der rechten Netzhaut-
hälfte (wenn wir von dem äußerst schwachen objectiven Lichte
absehen, welches diese Netzhauthälfte bei nicht ganz vollkom-
mener Einrichtung des Versuches erhält). Eine Ausnahme macht
die Stelle des Nachbildes vom Querstreifen, an welcher uns, da
hier die Netzhaut ausruhen konnte, das ungeschwächte Eigen-
[16] licht der Netzhaut erscheinen müßte. Die rechte Sehfeldhälfte
aber müßte relativ sehr hell erscheinen, denn hier trifft objec-
tives Licht die ausgeruhte Netzhauthälfte, und gegen dieses,
unter den günstigsten Bedingungen empfundene objective Licht
müßte nach der Ermüdungstheorie das doch immer schwache
Eigenlicht, welches wir im Nachbilde des Querstreifens sehen,
sehr matt erscheinen.


Vergleichen wir nun aber die subjective, nur
durch das Eigenlicht bedingte Helligkeit des Quer-
streifennachbildes mit der objectiven Helligkeit der
rechten Hälfte des Gesichtsfeldes, so finden wir die
letztere bei irgend passenden Versuchsverhältnis-
sen nicht nur nicht größer als die erstere, sondern
das Nachbild des Querstreifens erscheint uns nahe-
zu gleich hell, oder ebenso hell oder heller und im
günstigsten Falle sogar viel heller als die rechte
Gesichtsfeldhälfte
, mit anderen Worten, das Eigenlicht
der zuvor ermüdeten Netzhautstelle, welche dem
Nachbilde des Querstreifens entspricht, ist im gün-
stigen Falle heller als das objective, noch dazu von
der durch vorhergegangene Ruhe empfindlich ge-
machten Netzhauthälfte empfundene Licht
.


Um den günstigsten Fall, wo das subjective Licht des Nachbildes
heller erscheint als das objective, leicht herbeizuführen, benützt man als
rechte, helle Hälfte des Gesichtsfeldes (Fig. 2) einen großen Bogen weißen
Papieres, als linke Hälfte z. B. ein großes Stück schwarzen Sammtes, und
beleuchtet das Gesichtsfeld durch eine leicht zu regulirende Lichtquelle,
z. B. eine Lampe mit stellbarem Dochte oder eine Gasflamme. Dreht man
während der Fixation des Punktes a′ den Docht langsam herab oder den
Gashahn zu, so kommt man bald zu der Grenze, wo das Nachbild des Quer-
streifens auf dem schwarzen Sammte heller leuchtet als das weiße Papier.


Hat man nach Betrachtung des Vorbildes (Fig. 1) rasch das
Gesichtsfeld in der beschriebenen Weise gewechselt, so erscheint
zuweilen anfangs selbst bei passend abgeschwächter Beleuchtung
die ganze rechte Hälfte des Gesichtsfeldes (aus später zu bespre-
chenden Gründen) so hell, daß die noch größere Helligkeit des
Nachbildes vom Querstreifen zunächst noch nicht auffällt. Bald
aber läßt die Helligkeit der rechten Gesichtsfeldfläche nach, die
des Streifennachbildes wird immer auffallender und übertrifft, wie
[17] gesagt, die des weißen Papieres. Durch ein etwaiges vorüber-
gehendes Verschwinden des ganzen oder einzelner Theile des
Nachbildes wird sich der kundige Beobachter nicht irre machen
lassen; für die Beweiskraft des Versuches ist es ohne Bedeutung.


Diese Beweiskraft aber ist eine schlagende; denn bisher
hat, wie gesagt, die spiritualistische Physiologie immer behauptet,
die große Helligkeit der negativen Nachbilder dunkler Objecte
im geschlossenen Auge sei in Wirklichkeit gar nicht vorhanden,
vielmehr sei sie eigentlich nicht größer als die Helligkeit des
gewöhnlichen Lichtnebels oder Eigenlichtes der geschlossenen
Augen. Unsere Vorstellung von der Helligkeit und vom Weißen
sei eben relativ, und wenn das ganze Sehfeld in Folge der Er-
müdung recht dunkel sei, so nehme man schon das an und für
sich schwache Eigenlicht einer einzelnen nicht ermüdeten Netz-
hautstelle für etwas sehr Helles oder Weißes. Genau derselbe
Erregungszustand der Netzhaut, genau dasselbe Eigenlicht, sollte
uns das einemal den Eindruck des Dunklen, das anderemal den
Eindruck des Hellen machen, je nachdem von den umgebenden
Netzhauttheilen der Eindruck des Hellen oder Dunklen kam.
Für die reine Empfindung des Hell und Dunkel, des Schwarz
und Weiß hatte man schon längst keinen Sinn mehr; diese Em-
pfindungen dienten angeblich nur dazu, das geistige Spiel der
„Vorstellungen“ vom Weißen und Schwarzen in Bewegung zu
setzen. Dieselbe „Empfindung,“ die uns jetzt die „Vorstellung“
des Schwarzen erweckte, sollte im nächsten Augenblicke die des
Weißen hervorrufen, je nachdem eben die spiritualistische Physio-
logie das eine oder das andere für ihre Erklärungen nöthig hatte.


Unser Versuch macht nun die Probe auf’s Exempel. Auf der
einen Seite haben wir das reine Eigenlicht des Streifennachbil-
des, auf der andern die Empfindung, welche uns ein objectiv
Helles auf einer, noch dazu durch vorhergehende Ruhe empfind-
licher gewordenen Netzhauthälfte macht, wir können die nur
subjectiv erhellten Theile des Sehfeldes mit den zugleich objectiv
erhellten direct vergleichen, und nun zeigt sich unwiderleglich,
daß Jene im Rechte waren, welche an der Überzeugung fest-
hielten, daß das Weiße oder Lichte, welches man im geschlos-
senen Auge sieht, so gut ein Weißes oder Lichtes ist als das-
jenige, welches man offenen Auges wahrnimmt.


Hering, Lehre vom Lichtsinne. 2

[18]

§. 7.
Schlußfolgerungen.


Der im vorigen Paragraph besprochene Versuch läßt sich
natürlich vielfach variiren; es kommt eben nur darauf an, den
Gedanken einer directen Vergleichung des subjectiven Lichtes
mit dem objectiven zur Durchführung zu bringen. Hätte ich vom
Leser voraussetzen dürfen, daß er von vornherein mit mir der
Annahme geneigt sei, eine lebhafte subjective Lichtempfindung,
wie sie bei den bisher beschriebenen Versuchen beobachtet wird,
könne nicht lediglich aus falschen Urtheilen entstehen, sondern
müsse ihren physiologischen Grund im Sehorgane selbst haben,
so hätte ich freilich meine Darlegung ganz anders beginnen
können. Bei der großen Verbreitung aber, welche gegenwärtig
die spiritualistische Theorie gewonnen hat, mußte ich zunächst
solche Versuche herausgreifen, welche keinen Zweifel mehr da-
gegen aufkommen lassen, daß die besprochenen subjectiven
Lichterscheinungen aus den Eigenschaften unseres Sehorganes
und nicht aus dem Übersinnlichen zu erklären sind. Ehe ich aber
diese Erklärung versuche und eine Theorie der gesammten Licht-
empfindung entwickele, ist noch eine große Reihe anderweiter
Thatsachen zu besprechen. Für diesmal will ich mich darauf
beschränken, aus den bisher angeführten Versuchen ein allge-
meineres Gesetz abzuleiten, auf welches sich die später zu er-
örternde Theorie mit zu gründen haben wird.


Wir sahen aus den drei obigen Versuchen, daß, wenn wir
irgend ein Helles auf dunklem Grunde längere Zeit fixirt hatten,
nachher im Sehfelde der geschlossenen und gedeckten Augen die
Conturen des im Vorbilde Hellen uns wieder erschienen, aber
jetzt eine relativ dunkle Fläche einschlossen und von einer Um-
gebung abgrenzten, deren Helligkeit in unmittelbarer Nähe des
Nachbildes am größten war und sich dann allmälig abstufte,
um in die wieder dunklere Grundfärbung des übrigen Sehfeldes
überzugehen. Ich bezeichnete diese, unter Umständen sehr große
Helligkeit der nächsten Umgebung des dunkleren Nachbildes als
den Lichthof. Um mich an den Sprachgebrauch anzuschließen,
welcher von inducirten Farben spricht, die ich später auch aus-
führlich zu erörtern haben werde, will ich das Licht des Licht-
[19] hofes um ein relativ dunkles negatives Nachbild als inducirtes
Licht
bezeichnen, und zwar als successiv inducirtes Licht,
weil die gewöhnlich sogenannte Farbeninduction eine simultane
ist. Wie man sich gewöhnt hat, von simultanem und successivem
Contraste zu sprechen, so kann ich im Anschluß an diesen Ge-
brauch auch von simultaner und successiver Licht-
induction
sprechen, um welch’ letztere es sich hier allein
handelt.


Die successive Lichtinduction findet an jeder Netzhautstelle
statt, wo bei Betrachtung des Vorbildes Helles und Dunkles an-
einander grenzten, und zwar induciren die im Vorbilde hellen
Theile das Licht auf jene Theile des Sehfeldes, die im Vorbilde
dunkel waren, so daß letztere nun im Nachbilde des geschlossenen
Auges heller erscheinen.


Das successiv inducirte Licht ist am stärksten in unmittel-
barer Nähe der im Vorbilde hell gewesenen Theile und nimmt
mit der Entfernung von der Grenze allmälig ab (Lichthof). Die
Stärke und Ausbreitung des inducirten Lichtes hängt ab von der
Stärke des Lichtes der im Vorbilde hellen Theile, von der mehr
oder minder großen Dunkelheit der dunkleren Theile des Vor-
bildes, von der Dauer der Betrachtung des Vorbildes, vom Orte
der Netzhaut, auf welchem das Licht inducirt wurde, und endlich
von dem jeweiligen Zustande der Netzhaut.


Die Gesetze, nach welchen diese Factoren die Stärke und
Ausdehnung des successiv inducirten Lichtes bestimmen, sind
mir erst zum Theile annähernd bekannt und sollen erst später
genauer erörtert werden.


Ich habe im Obigen einige besonders einleuchtende Beispiele
der successiven Lichtinduction gleichsam aus dem Zusammen-
hange verwandter Erscheinungen herausgerissen und einzeln be-
schrieben, um zunächst nur den Beweis zu führen, daß erstens
ein Theil der Netzhaut den andern in seiner Thätigkeit bestimmt,
und nicht jedes Netzhaut-Element ein von seinen Nachbarn un-
abhängiges Einzelwesen darstellt, eine Behauptung, welche wie-
derholt aufgestellt, aber nie zu allgemeiner Anerkennung ge-
bracht worden ist; und um zweitens darzuthun, daß das soge-
nannte Eigenlicht der Netzhaut schon innerhalb streng physio-
logischer Grenzen eine bedeutende Intensität gewinnen kann.
2 *
[20] Wenn ich dann in den nächsten Mittheilungen den simultanen
und successiven Contrast zwischen Hell und Dunkel an einigen
ebenfalls besonders einleuchtenden Beispielen erörtert haben
werde, wird es möglich sein, die successive Lichtinduction aus
allgemeinen Gesichtspunkten zu betrachten und sie dem physio-
logischen Verständnisse viel näher zu rücken. Die Wichtigkeit
aber der hier besprochenen Thatsachen für die Lehre von den
negativen Nachbildern im geschlossenen Auge dürfte schon jetzt
einem Jeden ersichtlich sein; denn daß die Ermüdungstheorie
unfähig ist, die letzteren erschöpfend zu erklären, ist durch das
Obige bereits genügend erwiesen.


Absichtlich habe ich in dieser gewissermaßen vorläufigen
Mittheilung keine Rücksicht auf diejenigen Ansichten genommen,
welche der meinigen mehr oder minder verwandt sind, und werde
dies auch in den folgenden Mittheilungen nur ausnahmsweise
thun, vielmehr die Vergleichung meiner Versuche und meiner
Theorie mit denen anderer Forscher bis dahin verschieben, wo
ich erstere in ihren Grundzügen dargelegt haben werde.


[[21]]

Zweite Mittheilung.
Über simultanen Lichtcontrast.


(Vorgelegt in der Sitzung am 11. December 1873.)


§. 8.
Ein Beispiel für den Contrast zwischen Hell und
Dunkel
.


Um die Wirkung des simultanen Contrastes in recht schla-
gender Weise mit einfachen Mitteln sichtbar zu machen, halte
man einen schmalen Streifen dunkelgrauen Papiers vor einen
tiefdunklen Hintergrund und betrachte fest einen irgendwie mar-
kirten Punkt des Streifens.


Schiebt man sodann zwischen den Streifen und den dunklen
Hintergrund ein großes Blatt weißen Papiers, so erscheint der
Streifen auf dem nunmehr hellen Grunde viel dunkler als zuvor;
entfernt man das weiße Papier wieder, so wird der Streifen so-
fort wieder heller. Der scheinbare Helligkeitswechsel des grauen
Streifens ist hiebei höchst auffällig.


Wenn man fest zu fixiren versteht, so ist die Einmischung
des successiven Contrastes bei dem Versuche ausgeschlossen.
Kleine Schwankungen des Auges, welche sich durch ein plötz-
liches Dunkler- oder Hellerwerden der Ränder des grauen Strei-
fens verrathen, beeinträchtigen das Wesentliche des Versuches nicht.


Den dunklen Untergrund kann man sich durch ein großes Stück
schwarzen Sammtes herstellen; den Streifen schneidet man am besten von
schwarz durchgefärbtem, nicht glänzendem Papier. Dasselbe ist im Ver-
gleiche zum Schwarz des Sammtes dunkelgrau zu nennen. Das gewöhnlich
als grau bezeichnete Papier ist für diesen Versuch, wie auch für die folgen-
den, bei weitem nicht so zweckmäßig, weil es zu hell ist.


Daß der Wechsel der Pupillenweite nicht die wesentliche Ursache der
verschiedenen scheinbaren Helligkeit des Papierstreifens ist, läßt sich zeigen,
[22] wenn man das eine Auge schließt, dicht an das andere einen kleinen Schirm
mit einer Öffnung anbringt, die kleiner ist als die Pupille bei hellster Be-
leuchtung, und dann den Versuch wiederholt. Auch vor beide Augen zu-
gleich kann man je einen solchen Schirm mit kleinem Loche anbringen;
doch ist dies ziemlich umständlich.


§. 9.
Die beschriebene Contrastwirkung fordert eine
physiologische Erklärung
.


Die spiritualistische Theorie erklärt den Helligkeitswechsel
des grauen Streifens bekanntlich aus einem falschen Urtheile.
Die eigentliche Empfindung, welche durch das Netzhautbild
des grauen Streifens erzeugt wird, soll ganz dieselbe sein, wenn
der Streifen auf hellem, wie wenn er auf dunklem Grunde er-
scheint, aber unser Urtheil soll anders ausfallen, wenn wir
einen hellen, als wenn wir einen dunklen Grund neben dem Strei-
fen sehen, und dieses Urtheil soll die Vorstellung bestimmen,
die wir uns von dem Grau des Streifens machen.


Es kommt vor, daß uns ein und derselbe Mensch groß
erscheint, wenn wir ihn neben einem viel kleineren, und ein an-
dermal klein, wenn wir ihn neben einem viel größeren sehen.
Wir sind, wie man sagt, nicht im Stande, die Größe eines Men-
schen in der Erinnerung so festzuhalten, daß wir den späteren
Eindruck mit dem früheren sicher vergleichen und die Gleichheit
der Größe beider Eindrücke festzustellen vermöchten.


Helmholtz1) führt dieses Beispiel einer Contrastwirkung
als ein Analogon für die Erscheinungen des Lichtcontrastes an.
Ein und dasselbe Grau erscheint uns nach dieser Auffassung
neben Weiß dunkler, neben Schwarz heller, weil wir den ersten
Eindruck nicht genügend festzuhalten und seine Identität mit
dem zweiten zu erkennen vermögen.


Diesem unvollkommenen Gedächtnisse aber läßt sich zu
Hilfe kommen, wenn man den Wechsel des Grundes, auf wel-
chem der graue Streifen erscheint, recht rasch vollzieht. Einige
Augenblicke müßte man nach allen sonstigen Erfahrungen die
Erinnerung an den ursprünglichen Eindruck doch festhalten
können. Aber der Versuch lehrt das Gegentheil. Hat man den
[23] grauen Streifen anfangs auf weißem Grunde gesehen und zieht
nun plötzlich das weiße Papier weg, so hellt sich ebenso
plötzlich der Streifen auf
, und schiebt man das weiße
Papier rasch wieder vor, so verdunkelt sich der Streifen
ganz plötzlich
. Diese raschen Änderungen der Empfindung,
dieses An- und Abschwellen der Helligkeit, welches als sol-
ches
empfunden und nicht erst nachträglich erschlossen wird,
spricht sehr gegen obige Erklärung. Gesetzt, man habe neben
einen Menschen mittlerer Größe erst einen sehr kleinen gestellt
und lasse nun plötzlich an die Stelle des letzteren einen sehr
großen treten, so müßte man den Menschen von mittlerer Größe
im strengsten Sinne des Wortes urplötzlich zusammenschrumpfen
sehen, wenn der oben gebrauchte Vergleich wirklich ganz zu-
treffend sein sollte.


Die Unzulässigkeit einer Erklärung unseres Versuchs aus
der Unmöglichkeit einer sicheren Vergleichung des früheren Ein-
druckes mit dem späteren wird endlich ganz zweifellos, wenn
wir den Versuch so abändern, daß die beiden Phasen desselben
nicht nacheinander, sondern nebeneinander erscheinen.


Zu diesem Zwecke schneide man sich aus dem grauen (un-
vollkommen schwarzen) Papiere zwei lange, etwa 4 Mm. breite
Streifen, welche jedoch an beiden Enden noch durch ein queres
Stück so zusammenhängen, daß der Abstand beider Streifen
etwa 12 Mm. beträgt. Diesen Doppelstreifen lege man auf den
tiefschwarzen Grund, befestige ihn an beiden Enden und markire
auf dem Grunde einen Punkt, der genau in der Mitte zwischen
beiden Streifen liegt. Während man nun diesen Punkt fest fixirt,
schiebe man ein weißes Blatt, dessen Rand immer parallel zu
den Streifen gehalten wird, an letzteren heran und unter dem
einen Streifen hindurch bis dicht an den Fixationspunkt.


Wenn man in der Nähe der beiden Befestigungspunkte je ein Stück-
chen Pappe unter die Streifen schiebt, oder die Enden der Streifen von
vornherein auf Pappstückchen klebt, so liegen die Streifen dem Grunde
nicht mehr dicht an, und es läßt sich leicht ein Papier unter dieselben
schieben.


In dem Augenblicke, wo das weiße Papier unter dem einen
Streifen erscheint, verdunkelt sich dieser plötzlich, und man kann
nun seine Helligkeit mit der des anderen nach wie vor auf dunk-
lem Grunde erscheinenden direct vergleichen, immer natürlich
[24] ohne Verrückung des Fixationspunktes. Die Differenz in der
Helligkeit der beiden Streifen ist hier fast ebenso auffallend, wie
der Helligkeitswechsel des einen Streifens beim vorigen Ver-
suche, und eine wesentliche Einwirkung des successiven Con-
trastes ist bei einiger Übung im Fixiren ebenfalls ausgeschlossen.


Demgemäß wird man jetzt nach einer anderen psycholo-
gischen Erklärung greifen und sagen müssen, daß die beiden
Streifen verschieden erscheinen, weil die scheinbare Helligkeit
jedes Streifens nach der Helligkeit des ihn umgebenden Grundes
beurtheilt werde, nicht aber nach der des entfernter liegenden
anderen Streifens. Die hieraus resultirenden falschen Vorstel-
lungen seien zu zwingend, als daß die wirkliche Gleichheit
beider Streifen zur Wahrnehmung kommen könne, obgleich jetzt
eine directe Vergleichung ihrer beiderseitigen Helligkeit mög-
lich ist.


Diese Erklärung setzt voraus, daß die Vergleichung der
Helligkeiten zweier Netzhautbilder um so unsicherer wird, je
weiter dieselben auf der Netzhaut von einander entfernt sind.
Offenbar hat diese Annahme schon einen stark physiologischen
Beigeschmack, denn sie macht das Vergleichungsvermögen des
menschlichen Geistes wenigstens mit abhängig von der relativen
Lage des zu Vergleichenden auf der Netzhaut. Daß aber gleich-
wohl auch diese Erklärung unzulässig ist, lehrt der folgende
Paragraph. Der darin beschriebene Versuch fußt auf der Über-
legung, daß, wenn die beiden, den grauen Streifen entsprechen-
den Netzhautstellen trotz der gleichen objectiven Helligkeit der
Streifen verschieden erregt sind, sie sich auch in Betreff der
Nachwirkung dieser verschiedenen Erregung, d. h. im Nachbilde
verschieden verhalten müssen. Sehen wir nun, was dieses Nach-
bild lehrt.


§. 10.
Vom Nachbilde einer Contrastempfindung.


Man schneide sich zwei 3—4 Cm. lange und ½ Cm. breite
Streifen von dunkelgrauem (unvollkommen schwarzem) nicht
glänzendem Papier und lege dieselben auf einen zur Hälfte
weißen, zur anderen Hälfte tiefschwarzen Untergrund derart,
daß auf jeder Seite der Grenzlinie ein Streifen und zwar parallel
[25] der letztern und mindestens 1 Cm. von ihr entfernt zu liegen
kommt.


Dann fixire man einen auf der Grenzlinie und zwischen
den Streifen gelegenen markirten Punkt ½ bis 1 Minute lang.
Man bemerkt hierbei zuerst, daß der eine Streifen viel heller
erscheint wie der andere, und daß ferner diese auffallende Hellig-
keitsdifferenz allmälig wieder abnimmt, eine Erscheinung, die
erst später besprochen werden kann. Schließt und verdeckt man
sodann die Augen, so bemerkt man entweder sofort oder doch
sehr bald das negative Nachbild. Die im Vorbilde helle Hälfte
des Grundes erscheint jetzt als die dunklere, die im Vorbilde
dunkle als die hellere, und zu beiden Seiten der Grenzlinie er-
scheinen die Nachbilder der beiden Streifen.


An den letzteren fällt nun sogleich auf, daß sie eine sehr
verschiedene Helligkeit zeigen, trotzdem daß die Streifen des
Vorbildes objectiv gleich hell waren. Der früher heller erschei-
nende Streifen ist im Nachbilde der dunklere und umgekehrt,
und zwar ist die Helligkeitsdifferenz der Streifen
im Nachbilde im Allgemeinen viel größer, als sie
im Vorbilde erschien
.


Die psychologische Erklärung dieser verschiedenen Hellig-
keit der beiden Streifennachbilder müßte ganz analog derjenigen
sein, welche oben von der verschiedenen scheinbaren Helligkeit
der Streifen im Vorbilde gegeben wurde. Hienach würde sich
die Erscheinung daraus erklären, daß die beiden an sich gleich
hellen Streifennachbilder deshalb verschieden erscheinen, weil sie
auf ungleichem Grunde liegen, der eine auf der zuvor ermüdeten
und deshalb nun dunkler, der andere auf der nicht ermüdeten
und deshalb heller empfindenden Netzhauthälfte.


Unverträglich hiermit erscheint zunächst die Thatsache,
daß die Helligkeitsdifferenz der beiden Streifen im Nachbilde
größer ist als im Vorbilde. Denn ihre verschiedene Helligkeit
soll ja hier wie dort nur resultiren aus der verschiedenen Hellig-
keit beider Hälften des Grundes; je größer letztere Verschieden-
heit, desto größer muß nach der psychologischen Erklärung auch
die der Nachbilder sein und umgekehrt. Wenn also die Hellig-
keitsdifferenz der Streifen im Nachbilde größer ist, als im Vor-
bilde, so müßte auch die Helligkeitsdifferenz der Grundhälften
[26] gleichzeitig immer größer erscheinen. Letzteres aber ist nicht
der Fall. Überhaupt zeigt sich, sobald man nur darauf achtet,
daß im Nachbilde die Helligkeits-Differenz der
Streifen gar nicht immer gleichzeitig mit der Hellig-
keitsdifferenz der Grundhälften wächst und abnimmt
,
sondern man erkennt sofort, daß eine gewisse gegenseitige Un-
abhängigkeit beider Helligkeitsdifferenzen besteht. Bekanntlich
verklingen die negativen Nachbilder allmälig, tauchen wieder auf,
verschwinden wieder u. s. f. Diese verschiedenen Phasen laufen
aber nicht in allen Theilen eines zusammengesetzten Nachbildes
gleichzeitig ab, sondern ein Theil verblaßt eher und erscheint
zu anderer Zeit wieder als der andere, und zwar erfolgt dies
alles nicht regellos, sondern, wie später gezeigt werden wird,
nach ganz bestimmten Gesetzen. So verhält es sich nun auch
bei unserem Nachbilde, und man erkennt hiebei, daß die
Grundvoraussetzung der oben gegebenen psycholo-
gischen Erklärung gar nicht erfüllt ist
, weil die Zu-
und Abnahme der Helligkeitsdifferenz der Streifen im Nachbilde
gar nicht derjenigen der Grundhälften parallel geht, sondern bald
langsamer oder schneller als diese, bald sogar in entgegen-
gesetzter Richtung verläuft
.


Daher läßt sich sogar bei jedem Versuche wiederholt be-
obachten, daß die Helligkeitsdifferenz der Streifen
im Nachbilde eine zeitlang größer ist als die der
Grundhälften
, daß also das hellere Streifennachbild noch
heller erscheint als die helle Hälfte des Grundes, das dunkle
noch dunkler als die dunkle Grundhälfte. Dies läßt sich in
keiner Weise als eine Contrasterscheinung im psychologischen
Sinne auffassen. Wie paradox eine solche Auffassung wäre, wird
recht anschaulich, wenn man wieder auf das oben erwähnte Bei-
spiel einer Contrastwirkung zurückgreift. Man denke sich zwei
ganz gleich große Menschen (die beiden angeblich gleichen Er-
regungszustände oder Empfindungen der Streifen im Nachbilde)
und zwar nicht weit von einander stehend; ferner neben dem
einen noch einen oder mehrere Riesen (die Helligkeit der helleren
Grundhälfte), neben dem anderen noch einen oder mehrere
Zwerge (die Dunkelheit der dunkleren Grundhälfte). Unter
solchen Umständen wäre es zwar denkbar, daß der zwischen
[27] den Riesen stehende mittlere Mensch etwas kleiner erschiene als
der gleich große bei den Zwergen stehende; undenkbar aber ist
es, daß dieser scheinbare Größenunterschied der beiden gleich
großen mittleren Menschen größer werden könne, als der wirk-
liche Größenunterschied zwischen den Riesen und Zwergen selbst,
und daß also der neben den Zwergen stehende mittlere Mensch
im Contraste zu diesen noch größer erscheinen könne als die
nicht weit davon befindlichen Riesen, und der neben letzteren
stehende mittlere Mensch noch kleiner als die Zwerge. Vom
Standpunkte der psychologischen Theorie ist es durchaus ge-
stattet, diese Parallele zwischen Größencontrasten und Hellig-
keitscontrasten zu ziehen, denn jene Theorie erklärt ja beide aus
demselben psychologischen Gesetze.


Vollends aber wird der psychologischen Erklärung aller
Boden durch folgende Thatsache entzogen.


Wenn die Lebhaftigkeit des Nachbildes schon etwas nach-
gelassen hat, tritt ein- oder mehrmal eine Phase desselben ein,
bei welcher die Helligkeitsdifferenz der Grundhälften ganz ver-
schwindet, doch aber die beiden Streifennachbilder ganz deutlich
erscheinen, und zwar das eine heller und das andere
dunkler als der rechts und links gleichhelle Grund.
Hier kann also von Contrastwirkung überhaupt nicht
mehr die Rede sein, weil die conditio sine qua non
derselben, nämlich die verschiedene Helligkeit des
Grundes gar nicht mehr vorhanden ist
.


Dies beweist nun, daß die verschiedene Helligkeit der
Streifennachbilder ihren Grund in einem verschiedenen Erre-
gungszustande der entsprechenden Netzhautstellen haben muß,
und hieraus folgt wieder, daß diese beiden Netzhautstellen auch
während der Betrachtung des Vorbildes verschieden erregt wur-
den; denn die verschiedene Nachwirkung fordert hier auch eine
verschiedene Vorwirkung, und es wäre durchaus nicht einzu-
sehen, warum die beiden Netzhautstellen, wenn sie durch das
Vorbild ganz gleich erregt worden wären, im Nachbilde eine
so verschiedene Erregung und zwar in ganz gesetzmäßiger Weise
zeigen sollten. Somit kommen wir schließlich zu dem Ergebniß,
daß im Vorbilde die objectiv gleichen Streifen des-
halb verschieden hell erscheinen, weil die beiden
[28] entsprechenden Netzhautstellen
1)sich wirklich in ver-
schiedener Erregung befinden
.


Es ist bemerkenswerth, daß bei dem beschriebenen Nachbildver-
suche die etwaige Ungeübtheit des Beobachters im Fixiren die wesentlichen
Erscheinungen beeinträchtigen, nicht aber sie begünstigen oder gar selbst
hervorrufen könnte. Gesetzten Falls nämlich, der Blick schwankte bei Be-
trachtung des Vorbildes erheblich hin und her, so würde die Netzhautstelle,
welche nur durch das Licht des grauen Streifens auf weißem Grunde ge-
reizt werden soll, zugleich Licht von den anstoßenden Theilen dieses weißen
Grundes empfangen und also stärker „ermüdet“ werden, als dies bei strenger
Fixation der Fall wäre. Umgekehrt würde die Netzhautstelle, welche das
Bild des anderen Streifens trägt, weniger ermüdet werden, als bei strenger
Fixation. Da nun nach der Ermüdungstheorie stärker ermüdete Netzhaut-
stellen im geschlossenen Auge dunkler erscheinen als minder ermüdete, so
müßte das Nachbild des auf hellem Grunde liegenden Streifens als das
dunklere erscheinen, während doch das Gegentheil der Fall ist.
Dieser Umstand macht den beschriebenen Versuch besonders werthvoll und
beweisend, und muß den Anfänger, der etwa das oben Angegebene nicht
gleich bestätigen könnte, zu dem Bedenken veranlassen, ob er nicht durch
schlechtes Fixiren den Erfolg des Versuches selbst vereitelt hat.


Was den Einwand betrifft, daß derlei Versuche in ihren Resultaten
viel zu wechselnd und unsicher seien, um große Beweiskraft zu haben, so
muß er ganz entschieden zurückgewiesen werden, denn ich habe alle hier
beschriebenen Versuche nicht blos selbst angestellt, sondern auch von ver-
schiedenen Laien wiederholen lassen. Der Geübte sieht freilich mehr als der
Anfänger, aber die Hauptsachen sieht auch der Anfänger sogleich, wenn er
nur einigermaßen zu beobachten versteht. Unsicherheit und Zufälligkeit
der auf die oben beschriebene Weise erzeugten Nachbilder kann auch nicht
zugegeben werden, denn dieselben folgen ganz strengen Gesetzen, und wenn
man einmal das Zufällige auszuscheiden gelernt hat, so kann man jeden
intelligenten Laien solche Versuche anstellen lassen. Wenn manche Oph-
thalmologen behaupten, sie erhielten nie deutliche Nachbilder, so beweist
dies nur, daß sie sich solche nie methodisch erzeugt haben. Als es sich
noch nicht von selbst verstand, daß jeder Anatom oder Physiologe unter
dem Mikroskop zu beobachten verstehen müsse, wurde auch häufig von denen,
die selbst nicht mikroskopiren konnten, gegen die Resultate der mikrosko-
pischen Forschungen eingewandt, dieselben seien zu unsicher und durch zu
viele Fehlerquellen getrübt, als daß man ihnen Zutrauen schenken dürfe.


Sollte Jemand bei dem oben beschriebenen Versuche nicht sogleich
alles das sehen, was ich beschrieben habe, so wird er doch sogleich Einiges
davon sehen und dann sehr bald auch das Übrige, wenn er sich nur die
Mühe nimmt, den Versuch öfter, bei verschiedenen Beleuchtungen und mit
grauem Papiere von verschiedenen Helligkeiten anzustellen. Den zu diesen
Versuchen nöthigen Sinn für Hell und Dunkel hat Jeder, der nicht augen-
krank ist. Wo freilich der Farbensinn in’s Spiel kommt, trifft man größere
individuelle Verschiedenheiten.


[29]

Die oben beschriebenen einfachen Versuche gestatten die
mannigfachsten Abänderungen. Ich habe eine Form für dieselben
gesucht, in welcher sie Jeder mit möglichst einfachen Mitteln so-
fort anstellen kann. Die Wenigen, welche gegenwärtig der spiri-
tualistischen Theorie des Contrastes nicht beipflichten, werden
vielleicht meinen, daß es viele andere Versuche gebe, welche
jene Theorien ebenso zwingend widerlegen. Ich muß aber be-
merken, daß alle mir bisher bekannt gewordenen Versuche oder
vielmehr die Beschreibungen derselben, sich doch, wenn auch
oft gezwungener Weise, irgend einer von jenen psychologischen
Erklärungen unterwerfen lassen, welche die Spiritualisten so er-
finderisch entwickelt haben. Ich lege deshalb Gewicht darauf,
die Versuche so eingerichtet zu haben, daß sie die psychologische
Erklärung geradezu ad absurdum führen, d. h. daß die Bedin-
gung, von welcher nach der psychologischen Erklärung die Con-
trastwirkung abhängen soll, in diesem Falle gar nicht gegeben
ist, während doch die Wirkung selbst deutlich hervortritt.


§. 11.
Der simultane Contrast beruht darauf, daß die Licht-
empfindung einer Netzhautstelle nicht blos von der
Beleuchtung der letzteren, sondern auch von der Be-
leuchtung der übrigen Netzhaut abhängt
.


Der vorige Paragraph hat bewiesen, daß die Netzhautstelle,
welche vom Lichte des auf weißem Grunde gelegenen grauen
Streifens beleuchtet wurde, anders empfand, als die vom gleich
hellen Lichte des Streifens auf schwarzem Grunde beleuchtete.
Diese Verschiedenheit der Empfindung bei gleichem Reize konnte,
wie gezeigt wurde, nur darauf beruhen, daß die Erregung der
fraglichen Netzhautstelle nicht blos von ihrer eigenen Beleuch-
tung, sondern zugleich von der Beleuchtung der umgebenden
Netzhaut abhing. Die heutige Physiologie ist gewöhnt, die ver-
schiedene Stärke der Reaction, welche auf gleich starke Reizung
eines Organes erfolgen kann, aus einer verschiedenen Erreg-
barkeit
des letzteren zu erklären. Im Anschluß an diese Auf-
fassung könnte man auch sagen, daß die Contrastwirkung darauf
beruhe, daß die Erregbarkeit und demnach mittelbar auch die
[30] Erregung einer Netzhautstelle eine Function der gleichzeitigen
Beleuchtung der übrigen Netzhaut oder wenigstens der Nach-
barstellen sei. Hienach würde uns der graue Streifen auf weißem
Grunde deshalb dunkler erscheinen, als auf schwarzem Grunde,
weil die Erregbarkeit der entsprechenden Netzhautstelle durch
gleichzeitige starke Beleuchtung ihrer Umgebung herabgesetzt wird.


Eine eigentliche Erklärung ist damit zwar nicht gegeben,
aber die Ursache der Contrastwirkung wird durch diese Auffas-
sung wenigstens auf physiologischen Boden verlegt und mit an-
deren Thatsachen der Physiologie in Analogie gebracht.


Dem entsprechend drückte J. K. Becker1) das Gesetz der
Contrastwirkung folgendermaßen aus: „Irgend ein Theil der
Netzhaut ist für neue Lichteindrücke empfänglicher, wenn die
Umgebung nur schwache Lichteindrücke empfängt, als wenn sie
stärkere empfangen würde.“ Mach hingegen nimmt nicht eine
Hemmung der Erregbarkeit an, sondern eine Hemmung des Ab-
flusses der Erregung in’s Sensorium. Er sagt nämlich2): „Es ist
nicht unwahrscheinlich, daß von der Erregung einer Netzhaut-
stelle desto mehr oder weniger in das Sensorium abfließen
könne, je weniger, beziehungsweise mehr, die ganze Netzhaut
erregt ist.“


„Die Erregungen zweier Stellen versperren sich sozusagen
gegenseitig den Abfluß in’s Sensorium.“


Das Wesentliche dieser Bemerkungen Becker’s und Mach’s
scheint mir jedoch lediglich darin zu liegen, daß sie nach einer
physiologischen Erklärung suchen. Im Übrigen kann ich weder
der einen noch der andern Auffassung ganz beipflichten.


§. 12.
Der simultane Contrast als negative Lichtinduction.


Erinnern wir uns desjenigen, was ich in meiner ersten Mit-
theilung über die successive Lichtinduction vorgebracht habe, so
ergibt sich eine interessante Beziehung zwischen dieser und dem
simultanen Contraste.


[31]

Auch die Erscheinungen der successiven Lichtinduction
lehrten uns, daß die Empfindung einer Netzhautstelle nicht blos
von ihrer eigenen Beleuchtung, sondern auch von der Beleuchtung
ihrer Nachbarn abhängt. Es verrieth sich dies bei der successiven
Lichtinduction dadurch, daß eine gar nicht oder nur äußerst
schwach beleuchtete Netzhautstelle, deren Umgebung stark be-
leuchtet wurde, im negativen Nachbilde eine viel stärkere Hellig-
keit zeigte, als eine solche, deren Nachbarn zuvor nicht beleuchtet
wurden. Die Contrasterscheinungen haben uns umgekehrt gelehrt,
daß die Helligkeitsempfindung einer schwach beleuchteten Netz-
hautstelle herabgemindert wird, wenn ihre Umgebung stärker
beleuchtet wird.


Der Herabsetzung der Helligkeitsempfindung
oder „Erregung“ während der Betrachtung des Vor-
bildes entspricht nun die Steigerung der Hellig-
keitsempfindung oder Erregung im Nachbilde, und
die successive Lichtinduction erscheint somit als
Gegensatz der simultanen Contrastwirkung
, als die in
ihr Gegentheil umgeschlagene Wirkung des Simultancontrastes.
Umgekehrt könnte man die simultane Contrast-
wirkung als simultane negative Lichtinduction be-
zeichnen
.


Hienach liegt es auch sehr nahe, einen innigen causalen
Zusammenhang zwischen beiden Erscheinungen anzunehmen und
die während der Dauer des Contrastes stattfindende Herabmin-
derung der Helligkeitsempfindung (Erregung oder Erregbarkeit)
geradezu als die Ursache der nachher eintretenden Steigerung an-
zusehen.


Durch den von mir früher gegebenen Nachweis, daß die
successive Lichtinduction einen physiologischen Grund haben muß,
erlangt nun auch die Forderung einer physiologischen Erklärung
des simultanen Contrastes noch größere Berechtigung, denn man
könnte aus den Thatsachen der successiven Lichtinduction, wenn
man dieselbe als physiologisch begründet ansieht, die Erschei-
nungen des simultanen Contrastes a priori ableiten.


[32]

§. 13.
Die simultane Contrastwirkung nimmt ab mit dem
gegenseitigen Abstande der contrastirenden Netz-
hautstellen
.


Die Untersuchung der successiven Lichtinduction lehrte,
daß die Helligkeit des inducirten Lichtes abnahm mit der Ent-
fernung von derjenigen Stelle, von welcher aus das Licht indu-
cirt wurde. Bei der Beziehung, welche wir soeben zwischen suc-
cessiver Lichtinduction und simultanem Contraste gefunden haben,
können wir nun schließen, daß auch die Contrastwirkung oder
negative Lichtinduction abnehmen werde mit der Entfernung von
derjenigen Netzhautstelle, von welcher aus das negative Licht
oder die Verdunklung inducirt wird. Zum Beweise dafür, daß
es sich wirklich so verhält, will ich einen einzigen, leicht zu
improvisirenden Versuch anführen; denn der Satz selbst wird
weder von den Spiritualisten noch von den Vertretern der physio-
logischen Hypothese bestritten, und mancherlei Beweise für den-
selben sind von verschiedenen Seiten bereits beigebracht worden.


Man lege zwei 4 Cm. lange und ½ Cm. breite Streifen
dunkelgrauen Papiers auf einen tiefdunklen Grund parallel neben-
einander bei einem gegenseitigen Abstande von etwa 1 Cm. In
der Mitte und auf mittlerer Höhe zwischen beiden Streifen mache
man auf dem Grunde eine Marke. Nachdem man dann seine
Augen einige Zeit geschlossen gehalten hat, fixire man diese
Marke und schiebe ein großes weißes Blatt von der Seite bis
dicht an den einen Streifen heran. Man wird bemerken, daß
dieser Streifen fortan deutlich dunkler erscheint, als der andere.
Zur Controle schiebe man dann das weiße Blatt von der an-
deren Seite her an den anderen Streifen, und sofort wird dieser
als der dunklere erscheinen. Ob man gleichzeitig mit der Ver-
dunklung des einen Streifens auch eine Veränderung des andern
bemerkt oder nicht, ist hier vorerst gleichgiltig; denn der Ver-
such beweist jedenfalls, besonders wenn man ihn etwas variirt,
daß die Contrastwirkung in der Nähe stärker ist, als bei größe-
rem Abstande.


Wenn man sich übrigens in der Beobachtung kleinerer
Helligkeitsunterschiede einigermaßen geübt hat oder auch nur
[33] auf die Erscheinungen des simultanen Contrastes zu achten an-
fängt, so findet man allenthalben Bestätigungen des erwähnten
Satzes. Man lege z. B. ein kleines weißes Papierschnitzel auf
einen tiefschwarzen Grund und fixire, nachdem man seine Netz-
häute etwas ruhen gelassen hat, einen Punkt des Schnitzels;
dann sieht man ganz deutlich, daß der Grund in unmittelbarer
Nähe des Schnitzels deutlich schwärzer erscheint als die übrige
Fläche. Dieses tiefere Schwarz erstreckt sich viel weiter als
das bei einiger Übung sehr kleine Gebiet, innerhalb dessen das
Bild des Schnitzels sich wegen der kleinen Schwankungen der
Augen verschiebt, so daß das tiefere Schwarz der Umgebung
sich nicht aus dem successiven Contraste erklären läßt. Doch
darf man, besonders bei starker Beleuchtung, die Betrachtung
nicht zu lange fortsetzen, weil sich dann die Erscheinungen
der simultanen positiven Lichtinduction einmischen, welche erst
später zu besprechen sein werden.


Der hier nachgewiesene Parallelismus zwischen der simul-
tanen Contrastwirkung und der successiven Lichtinduction läßt
sich übrigens noch anderweit nachweisen, doch kann dies erst
später erörtert werden.


§. 14.
Schlußbemerkungen.


Es ist von besonderem Interesse, daß wir in der Beobach-
tung der successiven Lichtinduction ein neues Mittel gefunden
haben, um den simultanen Contrast zu untersuchen, wenn auch
nur in seinen Nachwirkungen. Diese Nachwirkungen, da sie in
gesetzmäßiger Beziehung stehen zu ihren Vorwirkungen, näm-
lich den Contrastwirkungen, lassen uns allerlei Schlüsse auf die
letzteren machen. Dies ist besonders deshalb von Wichtigkeit,
weil die Nachbilder des geschlossenen Auges eine in vielen Be-
ziehungen reinere, von Nebenumständen weniger beeinflußte
Beobachtung gestatten, als die Bilder des offenen Auges. Im
Nachbilde eines Papierstreifens z. B. sehe ich nicht das Korn des
Papiers, nicht seine kleinen Knickungen oder Biegungen, nicht
Staubkörner oder Fasern, mit einem Worte, ich sehe nicht ein
Papier, welches sich von seinem Grunde abhebt, sondern nur
Hering, Lehre vom Lichtsinne. 3
[34] ein Stück Sehfeld, welches anders leuchtet als seine
Umgebung
.


Alle die rein mechanisch erfolgenden Associationen, welche
durch die eben angeführten Nebenumstände ausgelöst werden,
fallen im Nachbilde weg; die Helligkeit und Färbung des Strei-
fens fesselt allein meine Aufmerksamkeit. Ähnlich wie die Nach-
bilder verhalten sich in dieser Beziehung die rotirenden Scheiben,
weil sie viel homogenere Lichtflächen geben, als andere Objecte.
Deshalb lassen sich auch, wie bekannt, Beobachtungen über
Helligkeitsunterschiede und Contraste an solchen Scheiben viel
besser anstellen, als mit den oben beschriebenen Methoden.
Gleichwohl habe ich es vorgezogen, zunächst nur solche Ver-
suche vorzuführen, welche Jeder ohne besondere Apparate an-
stellen kann. Wer die Erscheinungen des simultanen Contrastes
an rotirenden Scheiben oder Cylindern untersuchen will, findet
hiezu in Mach’s Abhandlungen „über die Wirkung der räum-
lichen Vertheilung des Lichtreizes auf die Netzhaut“ 1) die beste
Anleitung.


Die von ihm angestellten Versuche, welche sich (stofflich,
wenn auch nicht intellectuell) an einen von Helmholtz2) an-
gegebenen Versuch anschließen, sind, soviel ich sehe, das Beste
und Exacteste, was bisher auf diesem Gebiete geleistet wurde,
und ich werde später vielfach darauf zurückzukommen haben.
Mach fordert, wie ich schon oben erwähnte, für die von ihm
aufgestellten Gesetze der Contrastwirkungen ebenfalls eine phy-
siologische Erklärung, ich glaube aber nicht, daß in dem von
Mach beigebrachten interessanten Versuchsmaterial, aus wel-
chem er jene Gesetze abstrahirt, für die Spiritualisten eine zwin-
gende Veranlassung liegen wird, ihre Theorie aufzugeben; denn
die Gesetze Mach’s sagen im Grunde auch nichts anderes aus,
als was die spiritualistische Theorie ebenfalls annimmt, wenn
auch nicht auf Grund einer so exacten Untersuchung, nämlich:
daß Helles und Dunkles oder Helleres und minder Helles sich
gegenseitig heben und zwar umsomehr, je größer ihr Helligkeits-
unterschied ist und je näher sie einander sind. Wenn sich dies,
[35] wie die Spiritualisten meinen, sozusagen von selbst versteht, weil
es als eine Eigenthümlichkeit des menschlichen Geistes keiner
weiteren Erklärung bedarf, oder keiner solchen zugänglich ist,
so sind eben auch alle Beobachtungen Mach’s damit erklärt,
denn sie lassen sich sämmtlich a priori aus obigem Satze ab-
leiten.


Ebensowenig glaube ich, daß die oben beschriebenen Ver-
suche, obwohl ich ihnen zwingende Beweiskraft zuerkenne, hin-
reichen werden, um eine so weit verbreitete und tief eingewur-
zelte Theorie zu verdrängen. Dies kann nicht durch einzelne
Gegenversuche, sondern nur durch eine andere Theorie geschehen,
welche nicht blos die simultanen Contrastwirkungen, sondern das
ganze große Gebiet der Lichtempfindung umfaßt und dadurch,
daß sie alle wesentlichen Thatsachen dieses Gebietes unter einen
und zwar physiologischen Gesichtspunkt bringt, den Beweis liefert,
daß sie der Wahrheit näher liegt, als die jetzige Theorie der Ge-
sichtsempfindungen, welche aus physiologischen Hypothesen und
spiritualistischen Erklärungen zusammengewürfelt ist.



[[36]]

Dritte Mittheilung.
Über simultane Lichtinduction und über successiven
Contrast.


(Vorgelegt in der Sitzung am 18. December 1873.)


Über simultane Lichtinduction.


§. 15.
Beschreibung eines Falles von simultaner Licht-
induction
.


Man stelle sich ein Gesichtsfeld her, welches zur Hälfte
hellweiß, zur andern Hälfte tiefschwarz ist, also z. B. aus einem
großen Bogen weißen Papiers und aus schwarzem Sammt be-
steht, und fixire anhaltend einen markirten Punkt der Grenz-
linie beider. Je länger man hinblickt, desto deutlicher sieht man
das ursprünglich tiefe Schwarz in Grau übergehen, während
gleichzeitig eine Abnahme der Helligkeit des Weißen, doch min-
der deutlich, zu bemerken ist. Der Helligkeitszuwachs der
schwarzen Fläche ist am größten in unmittelbarer Nähe der
Grenzlinie und nimmt mit der Entfernung von dieser anfangs
ziemlich rasch, im weiteren Verlaufe des Versuches aber lang-
samer ab und breitet sich schließlich immer deutlicher über die
ganze schwarze Fläche aus.


Da es schwer ist, den Fixationspunkt längere Zeit ganz fest-
zuhalten, so bemerkt man häufig ein plötzliches helles Auf-
leuchten des Randes der weißen Fläche oder man sieht umge-
kehrt am Rande der schwarzen Fläche plötzlich einen tiefdunklen
Streifen; dies sind die bekannten Erscheinungen des successiven
Contrastes. Sieht man am Rande der weißen Fläche den lich-
teren Saum, so erscheint die übrige weiße Fläche, besonders in
nächster Nähe dieses Saumes, grauer als zuvor; sieht man den
tiefschwarzen Saum an der schwarzen Hälfte, so erscheint die
[37] übrige schwarze Fläche, und zwar besonders in unmittelbarer
Nähe des Saumes noch heller.


An jedem Stückchen schwarzen Papiers, welches man auf
eine helle, weiße Fläche legt, macht man ganz analoge Be-
obachtungen.


Da bei solchen Versuchen überall da, wo helle und dunkle
Flächen zusammenstossen, bei lange dauernder Fixation die
dunklen Theile sich mehr und mehr mit Licht überziehen, so will
ich im Anschlusse an die gebräuchlichen Bezeichnungen diese
Erscheinung als simultane Lichtinduction benennen.


§. 16.
Die simultane Lichtinduction läßt sich nicht als
bloße Ermüdungserscheinung auffassen
.


Die halb physiologische, halb psychologische Erklärung,
welche die spiritualistische Theorie von der beschriebenen Er-
scheinung gibt, ist folgende:


Infolge der zunehmenden Ermüdung, welcher die vom
Weißen beleuchtete Netzhauthälfte unterworfen ist, erscheint
dieses Weiß zunehmend lichtschwächer oder grauer. Dem ent-
sprechend wird die Contrastwirkung zwischen diesem Weiß und
dem Schwarz immer schwächer, und nimmt letzteres scheinbar
an Helligkeit zu. Dieser Schein wird noch dadurch begünstigt,
daß es nicht möglich ist, ganz fest zu fixiren. Denn infolge
der unwillkürlichen Blickschwankungen schiebt sich abwechselnd
bald ein schmaler Streif des Weißen auf die Netzhauthälfte, die
zuvor Schwarz sah und daher relativ ausgeruht ist, bald ein
schmaler Streif des Schwarzen auf die zuvor durch das Weiß er-
müdete Netzhauthälfte. Im ersten Falle sieht man den entspre-
chenden Streifen des Weißen wieder in der ursprünglichen Hellig-
keit, und dagegen erscheint das übrige Weiß im Contraste noch
grauer; im andern Falle sieht man den Streifen des Schwarzen
viel dunkler als das übrige Schwarz, weil es jetzt auf einen
stark ermüdeten Netzhauttheil fällt, und im Contraste hierzu er-
scheint uns die übrige schwarze Fläche noch heller, am meisten
in unmittelbarer Nähe des tief dunklen Saumes.


Diese Erklärung legt also ein besonderes Gewicht auf das,
was ich nur als nebensächlich erwähnt habe, nämlich auf das
[38] durch Blickschwankungen erzeugte Erscheinen eines hellweißen
oder tiefschwarzen Saumes, und sie muß dies thun, weil sie nur
hieraus erklären kann, warum das Schwarze gerade in unmittel-
barer Nähe des Weißen am hellsten erscheint, obgleich man ver-
muthen sollte, daß es hier in Folge des Contrastes am aller-
dunkelsten erscheinen müßte.


Einem, der längere Zeit gut fixiren kann, wird in der That
das zeitweilige Auftreten des tiefschwarzen oder hellweißen Saumes
nur den Eindruck des Nebensächlichen machen, weil es eben eine
immer rasch vorübergehende Erscheinung ist, während das oben
als wesentlich Bezeichnete dauernd sichtbar ist. Ferner läßt
sich durchaus nicht bestätigen, daß das Weiß des bisweilen auf-
tretenden hellen Streifens nur so hell sein soll, wie anfangs
die ganze weiße Fläche, vielmehr erscheint es viel heller; und
andererseits sieht man den tiefschwarzen Saum, wenn er einmal
auftritt, keineswegs dunkler als die schwarze Fläche im Anfange,
sondern nur etwa ebenso schwarz. Aber auf das, was man wirk-
lich sieht, kommt im Grunde genommen bei den spiritualistischen
Erklärungen überhaupt nicht viel an, sondern auf das, was man
unbewußt dabei denkt; und man wird also sagen, daß wir uns
nur infolge eines falschen Urtheils den hellen Saum heller als
das ursprüngliche Weiß, und den dunklen nur ebenso schwarz
wie das ursprüngliche Schwarz vorstellen.


Ich will nun hier nicht weiter auf eine kritische Analyse
der psychologischen Erklärung eingehen, weil der Leser das, was
ich zu sagen hätte, schon aus meinen früheren Mittheilungen er-
rathen kann, sondern ich will sogleich an die experimentelle
Widerlegung jener Erklärung gehen.


Man klebe auf eine weiße, hellbeleuchtete und weit aus-
gebreitete Fläche einen etwa 1 Cm. breiten Streifen von matt-
schwarzem Papier oder Sammt und auf den Mittelpunkt des
Streifens ein sehr kleines Schnitzel weißen Papiers, welches als
Fixationspunkt zu dienen hat. Nachdem man diesen Punkt ½
bis 1 Minute lang fixirt hat, mindere man rasch die Beleuchtung
(durch Herabdrehen des Lampendochtes, Zudrehen des Gashahnes
oder Verkleinerung der Oeffnung, durch welche das Licht in’s
Dunkelzimmer fällt). Hierbei bemerkt man deutlich, wie der
schwarze Streifen rasch heller, der weiße Grund rasch dunkler
[39] wird, und sobald die Beleuchtung hinreichend gemindert ist,
erscheint der schwarze Streifen heller als der weiße
Grund
.


Wenn man diese auffallende Erscheinung lediglich aus der
Ermüdung erklären will, muß man annehmen, daß hier die Er-
müdung durch das anfangs helle Weiß des Grundes so bedeu-
tend geworden sei, daß nunmehr das lichtschwächer gemachte
Weiß eine schwächere Lichtempfindung auslöst als der schwarze
Streifen, welcher, besonders bei der abgeschwächten Beleuchtung,
nur Licht von verschwindend kleiner Intensität aussendet; dies
heißt also mit anderen Worten, daß die vorher von Weiß be-
leuchteten Netzhauttheile derart gelähmt sind, daß ein mäßiger
Lichtreiz nicht einmal mehr im Stande ist, eine Empfindung aus-
zulösen, welche der Empfindung des Eigenlichtes auf dem nicht
ermüdeten Netzhauttheile gleichkommt.


Mit diesem unvermeidlichen Zugeständniß wäre wenigstens
die Erkenntniß gewonnen, daß das Eigenlicht der Netzhaut unter
passenden Umständen eine Helligkeit zeigt, welche größer ist,
als die Helligkeit eines, von einer zuvor ermüdeten Netzhaut-
stelle empfundenen schwachen objectiven Lichtes.


Zur Erläuterung dieses wichtigen Satzes will ich hier noch einen
Versuch einschalten.


Man stelle sich ein Gesichtsfeld her, welches z. B. zur rechten Hälfte
hellweiß, zur linken tiefschwarz ist und fixire einen hervorstechend mar-
kirten Punkt der Grenzlinie ½—1 Minute lang. Sodann lasse man rasch
das Gesichtsfeld um 90° um den Fixationspunkt drehen, so daß nunmehr
die weiße Hälfte nach unten zu liegen kommt. Sehr bald zeigt sich dann
die Wirkung des successiven Contrastes: das linke untere Viertel des Ge-
sichtsfeldes erscheint am hellsten, das rechte obere am dunkelsten oder viel-
mehr schwarz, die beiden andern sind heller als das letztere, dunkler als
das erstere.


Gesetzten Falls nun, das rechte untere Viertel erschiene, wie das
meistens der Fall ist, heller als das linke obere, so braucht man nur die
Beleuchtung fortschreitend zu mindern, um sehr bald zu erreichen, daß das
linke obere Viertel entschieden heller wird, als das rechte untere. Auf er-
sterem aber erscheint nur das Eigenlicht des nicht ermüdeten Netzhaut-
viertels, auf dem rechten untern Viertel dagegen das schwache objective,
aber von einem ermüdeten Netzhautviertel empfundene Licht. Jenes
Eigenlicht erweist sich also stärker als das schwache objec-
tive Licht
.


Auch hier, wie bei allen derartigen Versuchen, bemerkt man, daß
die Erscheinung verschiedene Phasen durchmacht, und daß dasjenige, was
[40] ich soeben beschrieben habe, nur in einer bestimmten, aber mehrmals wie-
derkehrenden Phase am deutlichsten ist.


Wir kommen jetzt zurück auf unsern Versuch mit dem
schwarzen Streifen auf weißem Grunde. Derselbe erschien nach
längerer Fixation heller als der weiße Grund, wenn wir die Be-
leuchtung bis zu einem gewissen Grade vermindert hatten. Um
nun zu wissen, ob diese seine relativ große Helligkeit auf einer
Lichtinduction beruht, oder, wie die psychologische Erklärung
will, nur darauf, daß die übrige Netzhaut infolge großer Er-
müdung das schwache weiße Licht noch schwächer empfindet,
als der nicht ermüdete Netzhautstreifen die sogenannten inneren
Reize 1), müssen wir das Eigenlicht dieses Streifens vergleichen
mit dem Eigenlichte einer andern, ebenfalls nicht ermüdeten
Netzhautstelle, deren Nachbarschaft aber nicht stark beleuchtet
und also einer etwaigen Lichtinduction weniger oder gar nicht
ausgesetzt war.


Zu diesem Zwecke kann beispielsweise folgende Abänderung
des Versuches dienen.


Wir kleben den 1 Cm. breiten, schwarzen Streifen auf einen
größeren weißen Streifen, welcher ihn nach allen Seiten um
etwa 2 Cm. überragt, und legen dann diesen weißen Streifen auf
einen weit ausgebreiteten schwarzen Grund. Oder wir schneiden
aus der Mitte eines 5 Cm. breiten und 7 Cm. langen weißen
Streifens einen Streifen von 1 Cm. Höhe und 3 Cm. Länge aus
und legen ersteren auf den schwarzen Grund. Beidenfalls mar-
kiren wir uns durch ein sehr kleines weißes Papierschnitzel die
Mitte des schwarzen Streifens und fixiren dieselbe ½—1 Minute
lang. Dann mindern wir die Beleuchtung und kommen dadurch
bald dahin, wo der schwarze Streifen heller erscheint
als der schwarze Grund, obwohl beide objectiv
gleich dunkel und die ihnen entsprechenden Netz-
hautstellen also, wie man sagt, gleich wenig er-
müdet sind
.


Die viel größere Helligkeit des schwarzen Streifens im
Vergleich zu der des schwarzen Grundes tritt besonders schla-
gend hervor, wenn man zum Vergleiche nicht die Theile des
[41] Grundes wählt, welche unmittelbar an das Weiße grenzen, denn
diese Theile waren ja auch der simultanen Lichtinduction unter-
worfen, sondern die entfernteren Theile.


Da der Versuch ziemlich große Übung im festen Fixiren
fordert, so wird Mancher durch das Aufblitzen der hellen Säume
des Weißen gestört werden. Ein Solcher kann sich dann da-
durch helfen, daß er die Beleuchtung auf Null herabsetzt oder
die Augen ganz schließt. Denn im Grunde bleibt der
Versuch auch dann noch ebenso beweisend, obgleich
es sich dann gar nicht mehr um die simultane, son-
dern um die successive Lichtinduction handelt
, welche
ich in meiner ersten Mittheilung besprochen habe. Ohnedies
wird ja der Leser schon erkannt haben, daß die successive
Lichtinduction nichts weiter ist, als die deutlicher
hervortretende Fortsetzung der simultanen
.


Die letztbeschriebene Abänderung des Versuches, wobei
man also nur noch das negative Nachbild vor sich hat, ist nun
deshalb besonders beweisend, weil dabei das Nachbild nach
einiger Zeit in eine Phase tritt, bei welcher man nichts mehr
sieht, als nur das hellleuchtende Nachbild des
schmalen, schwarzen Streifens auf einem gleich-
mäßig dunklen Grunde
, während man nach der Ermü-
dungstheorie vielmehr entweder das dunkle Nachbild des weißen,
in der Mitte ausgeschnittenen Streifens auf gleichmäßig hellerem
Grunde oder aber gar nichts sehen müßte.


Die Vertreter der Ermüdungstheorie dürfen nicht einwenden, daß
die oben beschriebene Erscheinung aus einer verschiedenen Ermüdbarkeit
der centralen und der peripheren Netzhaut zu erklären sei, denn daß hierin
nicht der wesentliche Grund der Erscheinung liegt, geht aus dem in §. 6
meiner ersten Mittheilung beschriebenen Versuche hervor. Man fixire den
Punkt a des in Fig. 1 verkleinert dargestellten Gesichtsfeldes ½—1 Minute
lang, schließe und verdecke dann die Augen, und man wird finden, daß
das Nachbild des schwarzen Querstreifens viel heller erscheint, als der sym-
metrisch gelegene Theil des Grundes auf der andern Sehfeldhälfte, und auch
hier wird man Phasen erhalten, wo der Unterschied zwischen rechter und
linker Sehfeldhälfte ganz undeutlich wird, während das Nachbild des Quer-
streifens allein hell auf dunklerem Grunde erscheint. Oder man fixire die
Grenzlinie eines zur Hälfte schwarzen, zur andern weißen Gesichtsfeldes,
während auf letzterer noch ein schwarzer Streifen parallel zur Grenzlinie
und nicht weit von ihr gelegen ist, und man wird im negativen Nachbilde
des geschlossenen Auges ganz Analoges, wie bei den andern Versuchen, be-
obachten.


[42]

Die beschriebenen Versuche haben gelehrt, daß dunkle
Felder auf hellem Grunde bei längerer Fixation deshalb immer
heller werden, weil von der umgebenden hellen Fläche Licht auf
sie inducirt wird, welches immer deutlicher hervortritt, je mehr
man die objective Beleuchtung mindert. Denn dieses Heller-
werden trat nur an denjenigen objectiv dunklen Stellen beson-
ders deutlich hervor, welche an objectiv helle Flächen angrenzten
oder von solchen umgeben waren, während doch die Ermüdung
auf allen dunklen Theilen der Netzhaut gleichmäßig ausge-
schlossen blieb: Beweis, daß das simultan inducirte
Licht wirklich auf einer veränderten Erregung und
Empfindung, nicht aber auf einer durch unbewußte
Schlüsse hervorgerufenen falschen Vorstellung be-
ruht
.


§. 17.
Vom Zusammenhange zwischen dem simultanen
Contraste, der simultanen und der successiven
Lichtinduction
.


Die Veränderung, welche die Erscheinungen der simultanen
Lichtinduction zeigten, wenn die objective Beleuchtung gemindert
wurde, lehrte uns schon, daß die simultane Lichtinduction ohne
scharfe Grenze in die successive übergehen kann, und es wurde
dadurch anschaulich gemacht, wie beide Erscheinungen im Grunde
identisch sind. Daher müssen die innigen Beziehungen, welche,
wie ich in §. 12 meiner zweiten Mittheilung hervorhob, zwischen
successiver Lichtinduction und simultanem Contraste bestehen,
auch zwischen diesem und der simultanen Lichtinduction vor-
handen sein, was denn auch bei den vorhin beschriebenen Ver-
suchen ganz deutlich hervortritt. Der Zusammenhang aller drei
Vorgänge ist nämlich dieser: Im Beginne der fixirenden Be-
trachtung einer Grenzlinie zwischen Hellem und Dunklem er-
scheint das Dunkle, besonders in unmittelbarer Nähe des Hellen,
noch dunkler, als es bei Abwesenheit des Hellen erscheinen würde
simultaner Contrast —; setzen wir aber die Fixation
längere Zeit fort, so nimmt die anfängliche Verdunklung wieder
mehr und mehr ab und geht allmälig in eine Erhellung über,
die abermals in unmittelbarer Nähe der Grenzlinie am deut-
[43] lichsten ist — simultane Lichtinduction —; diese Erhel-
lung endlich bleibt noch längere Zeit sichtbar, auch wenn wir
das objectiv Helle als die veranlassende Ursache entfernen oder
die Helligkeit desselben stark herabsetzen oder das Auge schließen
successive Lichtinduction. — Mit andern Worten, der
simultane Contrast schlägt bei fortgesetzter Fixation allmälig in
sein Gegentheil um, und diese sozusagen negative Phase des
Simultancontrastes dauert auch nach Abschwächung oder Ent-
fernung des objectiv Hellen noch eine gewisse Zeit hindurch fort.


Dies ist in den gröbsten Umrissen der Zusammenhang
zwischen den bis jetzt geschilderten drei Vorgängen, welche, wie
ich zeigte, alle drei und jeder für sich beweisen, daß die Erre-
gung und Empfindung einer Netzhautstelle nicht blos von der
eigenen, sondern auch von der Beleuchtung der übrigen Netzhaut
abhängt.


Über successiven Lichtcontrast.


§. 18.
Die Erklärung des successiven Contrastes aus der
Ermüdung ist unzureichend
.


Hat man einen Streifen weißen Papiers auf schwarzem
Grunde eine Zeit lang fixirt und entfernt dann rasch den Streifen,
so erscheint im Allgemeinen die entsprechende Stelle des Grundes
dunkler als zuvor. Die übliche Erklärung hiefür ist bekanntlich
folgende: Die vom Lichte des weißen Streifens beleuchtete Netz-
hautstelle wird stärker ermüdet, als die übrige Netzhaut, und
empfindet darum nach Entfernung des Streifens das schwache
Licht des schwarzen Grundes noch schwächer, als die übrige
Netzhaut.


Die nähere Beobachtung des ganzen Verlaufes eines solchen
Nachbildes lehrt jedoch, daß diese Erklärung durchaus nicht zu-
reichend ist.


Erstens nämlich nimmt das negative Nachbild keineswegs
stetig an Deutlichkeit ab, sondern schwindet zwar allmälig und
verschwindet endlich ganz, aber nur um nach einiger Zeit und
ohne jeden äußeren Anlaß wieder hervorzutreten, verschwindet
abermals und kehrt nochmals wieder etc.; und zwar ist der zeit-
[44] liche Ablauf aller dieser Phasen des Nachbildes kein regelloser,
sondern folgt bestimmten Gesetzen. Zweitens kommt es vor, daß
das negative Nachbild in gewissen Phasen eigent-
lich gar nicht dunkler erscheint als der Grund, son-
dern nur dunkler als die nächst umgebenden Theile
des Grundes
: alles Thatsachen, welche leicht zu bestätigen
sind und sich aus der Ermüdung nicht nur nicht erklären lassen,
sondern sogar gegen die Annahme sprechen, daß es sich hier
um eine bloße Ermüdungserscheinung handle.


Legt man auf einen hellen weißen Grund einen tief dunklen
Streifen und fixirt letzteren anhaltend, so sieht man nach Ent-
fernung desselben die entsprechende Stelle des Grundes bedeu-
tend heller, und auch dieses Nachbild nimmt nicht stetig an
Helligkeit ab, sondern erscheint nach dem erstmaligen Ver-
schwinden ein- oder mehrmals wieder, ehe es endgiltig ver-
klingt.


Blinzeln, Bewegungen des Auges etc. stören einigermaßen den ge-
setzmäßigen Verlauf der Nachbilderscheinungen und sind deshalb möglichst
zu vermeiden. Daß aber das periodische Verschwinden und Wiedererscheinen
der Nachbilder nicht lediglich durch derartige zufällige Störungen bedingt
ist, erkennt man schon, wenn man solche Versuche öfter anstellt, und ins-
besondere wird es durch längere Versuchsreihen erwiesen, weil dabei die
Zufälligkeiten immer mehr hinter der Gesetzmäßigkeit zurücktreten. Ich
muß mich also mit Aubert gegen Helmholtz erklären, welcher das
periodische Verschwinden der Nachbilder lediglich auf Zufälligkeiten zu-
rückführen will.


Ganz unverträglich mit der Ermüdungshypothese ist ferner
die Thatsache, daß selbst sehr deutliche negative Nachbilder in
deutliche positive übergehen können. Fixire ich z. B. eine Gas-
flamme etwa 20 Min. lang und blicke dann auf ein hell beleuch-
tetes weißes Papier, so entwickelt sich mir zuerst ein, abge-
sehen von der sonstigen Färbung, fast schwärzlich zu nennendes
negatives Nachbild, welches aber nach einiger Zeit in ein deut-
lich positives übergeht, um nachher wieder negativ zu werden.
Hier habe ich also die betreffende Netzhautstelle sehr stark
„ermüdet“, und dennoch empfindet sie nach einiger Zeit das
helle Weiß des Papiers noch heller, als die nicht durch das
Flammenbild ermüdete Netzhaut.


Je schwächer der Grund leuchtet, auf welchem man ein
negatives Nachbild sich entwickeln läßt, desto leichter wird es
[45] vorübergehend positiv; am leichtesten natürlich bei verschlos-
senen und verdunkelten Augen. Absichtlich aber habe ich den
ungünstigsten Fall angeführt, bei welchem das Nachbild auf
einer hellen weißen Fläche positiv werden muß. Auch diese
vorübergehende Umwandlung negativer Nachbilder in positive
folgt bestimmten Gesetzen und ist keineswegs auf zufällige
mechanische oder psychische Einflüsse zurückzuführen.


Indessen will ich gern zugeben, daß sich die Ermüdungs-
hypothese gegenüber diesen Einwendungen durch allerlei Hilfs-
hypothesen helfen könnte, und es sollen diese Einwendungen
hier zunächst nur lehren, daß jene Hypothese nur diejenigen
Phasen der Nachbilder berücksichtigt, welche eben zu ihr passen,
die andern aber, welche an sich genau ebenso wichtig sind, ganz
und gar unerklärt läßt.


Aber wenn es auch alle diese noch unerklärten Phasen
nicht gäbe, schon allein die Helligkeitsverhältnisse gerade der-
jenigen Phasen, auf welche sich die Ermüdungshypothese aus-
schließlich stützt, würden eindringlich genug gegen dieselbe
zeugen.


Man betrachte eine weit ausgedehnte, weiße und hell be-
leuchtete Fläche 20 bis 30″ lang und suche sich Rechenschaft
zu geben von der Helligkeitsabnahme, welche die Fläche wäh-
rend dieser Betrachtung erleidet. Dann nehme man einen schma-
len, weißen Streifen von derselben Helligkeit wie jene Fläche,
lege ihn auf einen dunklen Grund, und nachdem man mehrere
Minuten die Augen ausruhen ließ, fixire man einen Punkt des
Streifens ebenso lange wie zuvor die weiße Fläche. Hierauf
blicke man wieder auf die letztere, und man wird einen dunkel-
grauen Streifen sehen, dessen scheinbare Helligkeitviel
geringer ist, als die scheinbare Helligkeit der weißen
Fläche nach 30″ langer Betrachtung war
. Man mache
den Versuch in umgekehrter Reihenfolge, und man wird wieder
dasselbe Ergebniß haben.


Jeder Unbefangene wird nach diesen Versuchen erstaunt
sein, zu hören, daß dem Weiß, welches er auf der hellen Fläche
nach 30″ langer Betrachtung sieht, genau dieselbe Empfindung
zu Grunde liege, wie dem Dunkelgrau, welches ihm in dem, auf
[46] der hellen Fläche sichtbaren Nachbilde des 30″ lang betrachteten
hellen Streifens erscheint, und daß nur seine unbewußten falschen
Schlüsse der Grund seien, daß er sich beide, an sich gleiche Em-
pfindungen so verschieden vorstelle.


Nach der spiritualistischen Theorie nämlich sollen wir die
bei anhaltender Fixation einer weißen Fläche eintretende Ab-
nahme der Helligkeitsempfindung nur deshalb nicht in ihrem
vollen Maße wahrnehmen, weil wir die ursprüngliche Hellig-
keitsempfindung nicht zum Vergleiche daneben haben. Wenn
wir dagegen das negative Nachbild des weißen Streifens auf der
weißen Fläche sehen, so kann die Empfindung der ermüdeten
Netzhautpartie mit derjenigen der unermüdeten unmittelbar ver-
glichen werden, und deshalb soll uns nun der große Unterschied
beider Empfindungen erst zum Bewußtsein kommen.


Mit demselben Rechte, mit welchem die spiritualistische
Theorie alle successiven Contrasterscheinungen oder negativen
Nachbilder einzig und allein aus der Ermüdung für Weiß er-
klärt — soweit es sich nicht um Farben im engeren Sinne handelt
— könnte man dieselben Erscheinungen auch aus der Ermüdung
für Schwarz erklären.


Wie nämlich eine weiße Fläche bei längerer Betrachtung
immer dunkler erscheint, so erscheint eine schwarze Fläche
dabei immer heller. Wenn nun Einer annehmen wollte, die Em-
pfindung des Hellen oder Weißen beruhe nicht auf einer im Ver-
gleich zum Ruhezustand der Netzhaut gesteigerten Erregung
derselben, sondern darauf, daß die Empfindung des Dunklen
oder Schwarzen, durch welche sich das innere Leben (der Stoff-
wechsel oder wie man will) der Netzhaut manifestire, durch
das äußere Licht mehr oder minder gehemmt werde, welche
Hemmung man eben als gemindertes Dunkel, d. h. als Hellig-
keit empfinde: so würde er unter Beihilfe der unbewußten fal-
schen Urtheile und Schlüsse alle Erscheinungen des successiven
Contrastes ebensogut erklären können, wie dies jetzt aus der
angenommenen Ermüdung für Weiß geschieht. Und wenn gar
Einer käme und sagte, das „Sensorium“ ermüde für die von
der Netzhaut her erweckte Empfindung des Dunklen ebenso
leicht, als für die von ebendaher erweckte Empfindung des
Hellen, so würde er noch leichteres Spiel und gar nicht nöthig
[47] haben, so künstliche Hilfshypothesen zu machen, wie sie jetzt
gemacht werden müssen.


§. 19.
Vom Antheile der successiven Lichtinduction an den
Erscheinungen des successiven Contrastes
.


Wer häufig Nachbilder im geschlossenen Auge beobachtet
hat, wird wissen, daß in Fällen, wo ein deutliches negatives
Nachbild eines gut fixirten, hellen Objectes auf dunklem Grunde
eigentlich gar nicht zur Entwicklung kommt, doch die Umrisse
des hellen Objectes häufig im verdunkelten Gesichtsfelde des ge-
schlossenen Auges wieder zu erkennen sind an mehr oder min-
der breiten, nach der einen Seite scharf absetzenden, nach der
andern verwaschenen Streifen, welche sich vom dunklen Grunde
durch etwas größere Helligkeit unterscheiden lassen. Hat man
z. B. die Grenzlinie eines zur linken Hälfte dunklern, zur rechten
Hälfte hellern Gesichtsfeldes wenige Secunden lang bei schwacher
Beleuchtung fixirt und schließt dann die Augen, so beschränkt
sich öfters das negative Nachbild im geschlossenen Auge ledig-
lich auf einen senkrecht durch das Gesichtsfeld gehenden Nebel-
streif, welcher nach rechts scharf abgeschnitten ist, nach links
hin verschwimmt, während der Grund allenthalben gleich dunkel
erscheint. Oft stellt sich das negative Nachbild wenigstens im
Beginne seiner Entwicklung in dieser Weise dar, und erst nach-
her bemerkt man eine stärkere Verdunklung der rechten Ge-
sichtsfeldhälfte, beginnend von dem Streifen und sich weiter
und weiter nach rechts verbreitend, während die linke Hälfte
ebenfalls vom Streifen her allmälig heller wird.


Der Leser, welcher meine früheren Mittheilungen kennt,
weiß bereits, daß dieser nebelhafte, die Grenze des negativen
Nachbildes der weißen Fläche markirende Streifen die Folge einer
unter den angeführten Bedingungen nur schwachen Lichtinduc-
tion und also die erste Andeutung jenes „Lichthofes“ ist, wel-
cher immer das negative Nachbild eines hellen, auf dunklem
Grunde betrachteten Objectes im Sehfelde des geschlossenen
Auges umgibt.


Nicht die größere Dunkelheit der zuvor stärker erregten
(ermüdeten) Netzhautstellen ist es also, durch die sich das ne-
[48] gative Nachbild in solchen Fällen zuerst verräth, sondern der
durch die Induction erzeugte Lichthof: das inducirte Licht zeich-
net hier zuerst und bisweilen allein die Umrisse des betrachteten
hellen Objectes auf dem sonst gleichmäßig dunklen Sehfelde
des geschlossenen Auges ab.


Hieraus geht, auch wenn wir von der successiven Licht-
induction weiter gar nichts wüßten, die hohe Bedeutung der-
selben für die Entwicklung der negativen Nachbilder hervor.


In der That, mit größerem Rechte, als die jetzige Theorie
alle negativen Nachbilder aus der Ermüdung ableitet, ließen sie
sich aus der successiven Lichtinduction erklären, wenn man sich
dazu verstehen wollte, die unbewußten Schlüsse zu Hilfe zu
nehmen.


Man lege auf einen weit ausgebreiteten, schwarzen Grund
zwei große weiße Blätter so, daß sie vom schwarzen Grunde
nur einen Streifen von 1 Cm. Breite frei lassen. Dann mache
man auf der Mitte dieses Streifens eine kleine, weiße Marke und
fixire dieselbe einige Zeit. Wenn man dann rasch die beiden
weißen Blätter wegnimmt oder besser wegnehmen läßt, so er-
scheint auf dem nun schwarzen Grunde das negative Nachbild,
welches im inducirten Lichte leuchtet. Je länger die Fixation
des Vorbildes währte, desto heller ist im Allgemeinen das
Nachbild.


Aus der Ermüdungshypothese erklärt sich dieses manchmal
geradezu leuchtende Nachbild nur höchst gezwungener Weise
unter Beihilfe der spiritualistischen Contrastlehre. Der Unbe-
fangene wird die Erklärung aus der Lichtinduction viel entspre-
chender finden, denn er wird nur ungern glauben, daß das helle
Nachbild, welches er sieht, eigentlich noch dieselbe Empfindung,
dasselbe Schwarz ist, welches er gleich beim ersten Blick auf
dem schwarzen Streifen sah.


Nun mache man den entgegengesetzten Versuch: man lege
große schwarze Blätter in der oben beschriebenen Art auf einen
weißen Grund und fixire anhaltend den weißen Streifen. Dann
entferne man rasch die schwarzen Blätter und man wird das
negative Nachbild sehen als dunkleren Streifen auf hellem Grunde.
Je länger die Betrachtung des Vorbildes, desto dunkler dieses
Nachbild.


[49]

Wollte man auch dieses Nachbild lediglich aus der suc-
cessiven Lichtinduction erklären, so müßte man sagen, der helle
Streifen im Vorbilde habe Licht auf die zuvor dunklen Theile
der Netzhaut inducirt, welches inducirte Licht sich nach Entfer-
nung der schwarzen Blätter zu dem nun sichtbar werdenden ob-
jectiven Lichte gleichsam hinzuaddire, daher die früher dunklen
Theile des Gesichtsfeldes jetzt heller erscheinen müssen, als der
Streifen. Dieser selbst werde eigentlich nicht dunkler empfun-
den, als zu Anfang der Betrachtung, sondern erscheine uns nur
so im Contraste gegen die hellere Umgebung.


Aber der Unbefangene müßte jetzt diese Erklärung des
dunklern negativen Nachbildes aus der bloßen Lichtinduction
ebenso unannehmbar finden, als vorhin die Erklärung des hel-
lern negativen Nachbildes aus der Ermüdung, und zwar auch
wieder deshalb, weil der Augenschein so stark dagegen spricht.
Denn jenes dunkle Nachbild erscheint eben grau oder sogar
dunkelgrau, nicht aber weiß, und es ist schwer, Jemandem ein-
reden zu wollen, daß das, was er dunkelgrau sieht, eigentlich
ebenso weiß von ihm empfunden wird, wie anfangs der weiße
Streifen zwischen den schwarzen Blättern. Gern glaubt Jeder,
daß sein Auge ihn über die wirkliche Helligkeit des Streifens
täuschen könne, und daß wirklich der weiße Grund auch an
Stelle des Nachbildes nicht dunkler ist, als anderswo, aber daß
sein Urtheil, und noch dazu ein „unbewußtes“, ihn so über
seine Empfindung täuschen könne, das glaubt er nicht so
leicht.


Ich würde in der That denselben Fehler begehen, welchen
ich vorhin der jetzt geltenden Theorie vorwarf, wenn ich, nach-
dem ich das thatsächliche Vorhandensein der successiven Licht-
induction erwiesen habe, nun alle Erscheinungen des successiven
Contrastes daraus erklären wollte; es galt aber, hier nochmals
darzuthun, wie leicht alle Räthsel der Empfindung zu lösen
sind, wenn man sich je nach Bedarf spiritualistischer Ausflüchte
bedient.


Daß eine Netzhautstelle, auf welche äußeres Licht einge-
wirkt hat, im Allgemeinen eine schwächere sogenannte Erreg-
barkeit für dieses selbe Licht hat, als eine zuvor nicht von
diesem Licht getroffene Stelle, dies will ich durchaus nicht be-
Hering, Lehre vom Lichtsinne. 4
[50] streiten, sondern werde später diese Veränderung der Erregbar-
keit ausführlich zu erörtern haben. Dagegen aber darf nun auch
auf Grund dieser Mittheilungen verlangt werden, daß die suc-
cessive Lichtinduction und ihre sehr wesentliche Mitwirkung bei
den Erscheinungen des successiven Contrastes anerkannt werde.


§. 20.
Schlußbemerkungen.


Durch die vorliegende und die beiden früheren Mitthei-
lungen hoffe ich im Leser wenigstens so viel Zweifel an der
Richtigkeit der jetzt herrschenden Theorie der Gesichtsempfin-
dungen erweckt zu haben, als nöthig ist, um für eine neue
Theorie zugänglich zu werden.


Ich hätte, wenn ich nicht Furcht vor der Ermüdung des
Lesers gehabt hätte, von den zahlreichen Thatsachen, welche
mit jener Theorie nicht in Einklang zu bringen sind, noch so
manche anführen und insbesondere die Erscheinungen der In-
duction und des Contrastes auch noch an den Farbenempfin-
dungen erläutern können. Aber ich halte es für zweckmässiger,
nunmehr sogleich die Grundzüge meiner Theorie selbst darzu-
legen und dann aus derselben nach und nach die Thatsachen
gruppenweise zu entwickeln. Was die Farben (im engern Sinne)
betrifft, so sei hier nur soviel bemerkt, daß die Erscheinungen
der Induction und des Contrastes sich ebenso wie zwischen
Schwarz und Weiß oder Dunkel und Hell, auch zwischen Blau
und Gelb und zwischen Grün und Roth erzeugen lassen, so daß
man im Allgemeinen alle in diesen Mittheilungen angegebenen
Versuche in’s Farbige übersetzen kann, wenn man festhält, daß
sich Schwarz zu Weiß verhält wie Blau zu Gelb und wie Grün
zu Roth.


[[51]]

Vierte Mittheilung.
Über die sogenannte Intensität der Lichtempfindung
und über die Empfindung des Schwarzen.


(Vorgelegt in der Sitzung am 19. März 1874.)


§. 21.
Von der sogenannten Intensität der Licht-
empfindung.


Wenn es sich darum handelt, für die verschiedenen Eigen-
schaften unserer Empfindungen passende und strenge Begriffe und
Bezeichnungen zu erhalten, so ist das erste Erforderniß, daß
man diese Begriffe lediglich aus den Empfindungen selbst abziehe
und es streng vermeide, die Empfindung mit ihren physikalischen
oder physiologischen Ursachen zu verwechseln, oder irgend ein
Princip der Eintheilung dem Gebiete der letzteren zu entnehmen.
Es ist auffällig, daß gegen diese eigentlich selbstverständliche
Forderung noch immer verstossen wird, und daß wir daher viel-
fach bei Malern eine objectivere Auffassung der Gesichtsempfin-
dungen finden, als bei Physikern und Physiologen, ja daß sogar
im gemeinen Sprachgebrauche in mancher Beziehung größere
Klarheit über den hier zu behandelnden Gegenstand herrscht
als in der Literatur der physiologischen Optik.


Jede Gesichtsempfindung erinnert uns mehr oder minder
lebhaft an andere Gesichtsempfindungen, jede hat mit gewissen
anderen eine ganz besondere Ähnlichkeit. Darauf beruht die
innere Verwandtschaft der Gesichtsempfindungen untereinander
und die Möglichkeit, sie von dem großen Kreise der Empfin-
dungen überhaupt als ein besonderes Empfindungsgebiet abzu-
grenzen. Wir sind auch meistens im Stande, sofort anzugeben,
worin diese Ähnlichkeit oder Verwandtschaft hauptsächlich liegt,
und was eigentlich das tertium comparationis ist.


4 *
[52]

Letzteres darf freilich nicht in den physikalischen oder
physiologischen Bedingungen der Gesichtsempfindungen gesucht
werden, denn über diese sagt ja die Empfindung an sich zunächst
noch gar nichts aus. Die Ähnlichkeit zweier Gesichtsempfin-
dungen darin zu suchen, daß beide durch Ätherschwingungen
veranlaßt, oder daß beide von der Netzhaut her erweckt werden,
wäre ebenso falsch, als die Ähnlichkeit zweier Neger darin fin-
den zu wollen, daß beide in Afrika erzeugt sind. Das tertium
comparationis ist vielmehr in den gegebenen Empfindungen
selbst zu suchen.


Denken wir uns die ganze Reihe der Übergänge vom tiefsten
Schwarz bis zum lichtesten Weiß, so sind dies offenbar lauter
in sich nahe verwandte Empfindungen, und wir sind auch gar
nicht in Zweifel, worauf diese ihre Verwandtschaft vorzugsweise
beruht. Wir sagen, alle Empfindungen dieser Reihe sind heller
als das Schwarz am einen, dunkler als das Weiß am andern
Ende der Reihe. In zweifacher Hinsicht also haben alle diese
Empfindungen etwas Gemeinsames; erstens haben sie alle, ver-
glichen mit dem reinen Weiß, etwas Dunkles, Schattiges oder
Schwärzliches, andererseits haben sie, verglichen mit dem reinen
Schwarz, alle etwas Helles oder Weißliches; mit andern Wor-
ten, jede dieser Übergangsempfindungen erinnert uns zugleich
an Weiß und Schwarz, nur überwiegt hier mehr das eine, dort
mehr das andere, oder das eine findet sich nur spurweise, das
andere deutlich u. s. f.


Betrachten wir das Grau, welches in der Mitte der ganzen
Reihe liegt und also von Schwarz und Weiß gleichweit entfernt
ist, so können wir nicht sagen, daß wir in demselben eigent-
liches Weiß oder eigentliches Schwarz sehen, sondern wir haben
eine sowohl vom Weiß als vom Schwarz verschiedene Empfin-
dung, eine Empfindung besonderer Qualität, sehen aber doch
in diesem Grau gewissermaßen Helligkeit und Dunkelheit, Weiß
und Schwarz zugleich, beide gleichsam abgeschwächt. Nur das
reine Weiß und Schwarz scheinen mit einander fast keine Ähn-
lichkeit zu haben, sondern wir fassen sie vielmehr als Gegen-
sätze auf. Worauf dies beruht, ist hier nicht weiter zu unter-
suchen; vielmehr will ich gerade darauf Gewicht legen, daß
[53] uns diese beiden Empfindungen ganz besonders verschieden er-
scheinen.


Da Schwarz und Weiß oder Dunkel und Hell genau ge-
nommen nicht Eigenschaften der Aussendinge, sondern zunächst
nur Eigenschaften unserer Empfindung sind, so ist es gestattet,
von schwarzen oder dunklen und von weißen oder hellen Empfin-
dungen zu sprechen. In diesem Sinne kann man auch die ganze
Reihe der Übergangsempfindungen vom reinsten Schwarz zum
reinsten oder lichtesten Weiß als die schwarzweiße Empfin-
dungsreihe
bezeichnen, weil alle Empfindungen dieser Reihe
nur Schwarz und Weiß in verschiedenen Verhältnissen der Deut-
lichkeit, aber keine andere Farbe enthalten.


Verfolgen wir nun diese Übergänge vom Schwarzen nach
dem Weißen hin, so sehen wir, wie die Empfindung Schritt für
Schritt ihre Qualität ändert, wie das Schwarz allmälig in Grau
und dieses weiterhin in Weiß übergeht; wir sehen, wie die Em-
pfindung des Schwarzen mehr und mehr beeinträchtigt, verunrei-
nigt oder verdrängt wird durch das mehr und mehr sich vor-
drängende Weiß, oder wie, wenn wir vom Weiß zum Schwarz
zurückgehen, umgekehrt das Weiß mehr und mehr verunreinigt
oder verdrängt wird durch das immer stärker hervortretende
Schwarz.


Wenn nun Einer sagen wollte, daß unter solchen Verhält-
nissen die Empfindung auf der einen Seite, nämlich im tiefsten
Schwarz, gleich Null sei, und daß ihre Intensität nach der an-
dern Seite hin wachse und endlich im reinsten Weiß ihr Maximum
habe, so könnte ein Anderer mit demselben Recht sagen, daß die
Empfindung im reinsten Weiß gleich Null sei und im tiefsten
Schwarz ihre höchste Intensität erreiche. Denn während der
Eine so verfährt, als ob das Schwarz gar nicht vorhanden wäre,
verführe der Andere ebenso mit dem Weiß, und eines wäre so
richtig oder falsch wie das andere. Wer ohne alle Voraussetzungen
an die Untersuchung seiner Gesichtsempfindungen geht, darf ja
noch gar nichts davon wissen, daß dem Weißen objectives Licht
entspricht, dem Schwarzen aber nicht; und wenn der Eine sich
von der Voraussetzung leiten läßt, daß das objective Licht die
Empfindung des Weißen erzeuge, so könnte der Andere behaupten,
dieses Licht hemme ihm blos die Empfindung des Schwarzen,
[54] und das reinste Weiß sei nichts anderes als die Empfindung der
vollständigen Hemmung der Schwarzempfindung. Beide Voraus-
setzungen wären gleich unerlaubt, denn wir sollen eben die Em-
pfindungen zunächst ohne alle derartige Voraussetzungen unter-
suchen.


Da man also mit demselben Rechte von einer Intensität der
Empfindung des Schwarzen oder Dunklen, wie von einer Inten-
sität des Weißen oder Hellen sprechen kann, so muß man ent-
weder den Ausdruck „Intensität“ ganz fallen lassen und sagen,
daß in der beschriebenen Empfindungsreihe die Empfindung
Schritt für Schritt ihre Qualität ändere, und muß die ganze
Scala der Empfindungen zwischen Weiß und Schwarz in der-
selben Weise auffassen, wie die Farbenscala, welche von einer
gesättigten Farbe, z. B. dem Roth, zu einer andern, z. B. dem Gelb,
führt, oder man muß in der schwarzweißen Empfin-
dungsreihe zwei Intensitätsscalen annehmen, deren
eine dem Weißen oder Hellen, die andere dem Schwar-
zen oder Dunklen entspricht.


Nun wird man vielleicht einwenden wollen, daß man es
anders gar nicht gemeint habe, als man von der Intensität der
Lichtempfindung sprach. Das Schwarz könne zwar allenfalls
eine Gesichtsempfindung, aber gewiß nicht eine Lichtempfindung
genannt werden; und es verstehe sich von selbst, daß mit jedem
Wachsthum des Positiven eine entsprechende Abnahme des Ne-
gativen einhergehe.


Aber worin liegt dieses angeblich Positive der Empfindung
des Weißen gegenüber dem Schwarzen? Lediglich darin, daß
wir, Dank der alltäglichen Erfahrung und der physikalischen
Optik, mehr Positives von den Vorgängen wissen, welche die
weiße Empfindung, als von denen, welche die schwarze Empfin-
dung bedingen. Als bloße Empfindung ist Schwarz ganz ebenso
positiv wie Weiß, und wenn man durchaus die eine dieser beiden
Empfindungen als positiv, die andere als negativ bezeichnen will,
so kann man ebenso gut das Schwarz wie das Weiß positiv
nennen. Übrigens aber besteht zwischen diesen beiden Empfin-
dungen gar nicht dasselbe Verhältniß, wie zwischen positiven
und negativen Größen in dem jetzt üblichen mathematischen
Sinne, denn jene Empfindungen heben sich nicht gegenseitig auf,
[55] sondern geben durch ihre Verbindung ein Product besonderer
Qualität. In jedem Grau empfinden wir Weiß und Schwarz zu-
gleich, aber keines von beiden vollständig, wie wir im Kinde
zugleich Vater und Mutter, doch aber weder den ganzen Vater
noch die ganze Mutter sehen.


Wer also ohne alle physikalischen und physiologischen Vor-
aussetzungen an die Thatsachen des Gesichtssinnes herantritt,
kann nicht sagen, daß Grau eine intensivere Empfindung sei
als Schwarz u. dergl. m.; er kann nur sagen, daß er in der
schwarzweißen Empfindungsreihe am einen Ende das Schwarz,
am anderen das Weiß am reinsten empfindet, und daß er,
wenn er die Übergänge vom Schwarz zum Weiß durchläuft, das
Schwarze immer mehr durch Weiß verdrängt oder verunreinigt
sieht und umgekehrt.


Will man die in der einen Richtung mehr und mehr wach-
sende Reinheit des Weiß als wachsende Intensität bezeichnen,
so muß auch die in der andern Richtung wachsende Reinheit
des Schwarz ebenso bezeichnet werden. Sind aber zwei Inten-
sitätsreihen in der gegebenen Empfindungsreihe zugleich anzu-
nehmen, so heißt das nichts anderes, als daß alle Übergänge
vom Weißen zum Schwarzen als Mischungen derjenigen beiden
Empfindungen angesehen werden können, welche an den beiden
Enden der Reihe am reinsten hervortreten. Die Bezeichnungen
„Intensität“, „Stärke“ oder „intensive Größe“ (Fechner) lassen
sich also auf die besprochene Empfindungsreihe, für welche sie
besonders häufig angewandt worden sind, nur unter der Bedin-
gung gebrauchen, daß man jedem einzelnen Gliede der
Reihe zwei Intensitäten zugesteht und das Verhält-
niß angibt, in welchem hier die Intensitäten der
beiden Empfindungen des Schwarz und Weiß zu ein-
ander stehen,
wobei man also Schwarz und Weiß als relativ
einfache Empfindungen von den Übergängen zwischen beiden
als gemischten Empfindungen unterscheidet.


Wenn den einzelnen Stufen der schwarzweißen Empfindungs-
reihe eine Intensität im jetzt üblichen Sinne des Wortes zuge-
schrieben werden könnte, so müßte es denkbar sein, daß diese
Intensität sich änderte; denn andernfalls hätte die Anwendung
des Begriffes der Intensität hier keinen Sinn. Wie aber soll
[56] sich z. B. ein bestimmtes Grau seiner Intensität nach ändern?
Eine Änderung ist, abgesehen von der Beimischung anderer
Farben, nur denkbar durch ein deutlicheres Hervortreten des in
ihm enthaltenen Schwarz oder Weiß, dadurch aber würde das
gegebene Grau in ein anderes Grau verwandelt, welches in der
schwarzweißen Empfindungsreihe weiter nach dem Weiß oder
nach dem Schwarz hin liegt. Wollte man aber sagen, das reine
Weiß, welches das eine Ende der Reihe bildet, sei doch einer
Steigerung seiner Intensität fähig, so wäre eine solche auch
wieder nur unter der Voraussetzung denkbar, daß dieses Weiß
noch nicht ganz frei wäre von jeder Verunreinigung mit Schwarz,
daß also noch nicht jede Spur von Schatten oder Dunkelheit
daraus getilgt wäre.


Will man daher nicht Schwarz und Weiß als relativ einfache
Empfindungen ihren Übergängen als gemischten entgegenstellen
und jeder Übergangsstufe zwei Intensitäten zuschreiben, so hat
es überhaupt keine Berechtigung, von Intensität dieser Empfin-
dungen im üblichen Sinne des Wortes zu sprechen; denn jede
Änderung, welche an diesen Empfindungen vorkommt, ist dann
lediglich als eine qualitative anzusehen. Ein bestimmtes Grau
kann nicht grauer werden, sondern nur weißlicher oder schwärz-
licher (heller oder dunkler), und Weiß kann [nur] weißer werden,
wenn die übriggebliebenen Spuren von Grau oder Schwarz daraus
verschwinden.


Wie inconsequent man gegenwärtig bei der Anwendung des Begriffes
der Intensität auf die Gesichtsempfindungen verfährt, lehrt u. a. auch Fol-
gendes. Die einzelnen Stufen der Farbenreihe, welche man erhält, wenn
man beispielsweise gesättigtes Roth und Gelb in verschiedenen Verhält-
nissen auf dem Farbenkreisel mischt, oder jene Übergänge, welche im
Spectrum zwischen dem äußersten Roth und dem Gelb liegen, bezeichnet
man als Farbentöne, das soll heißen als qualitativ verschiedene
Lichtempfindungen. Gleichwohl besteht hier zwischen Roth und Gelb eine
analoge Beziehung, wie bei den schwarzweißen Empfindungen zwischen
Schwarz und Weiß. Der möglichst gesättigten oder reinen Farbe am einen
Ende der gegebenen Empfindungsreihe mischt sich mehr und mehr von der
anderen Farbe bei, in der Mitte sehen wir ein Orange, in welchem beide
Farben etwa gleich deutlich oder undeutlich hervortreten (daher wir das
Orange auch als rothgelb oder gelbroth bezeichnen), dann überwiegt mehr
und mehr die andere Farbe und kommt endlich im reinen Gelb ausschließ-
lich zur Geltung. Auch hier finden wir also jede Stufe der Reihe qualitativ
von ihren Nachbarn verschieden, und deshalb könnte man hier mit dem-
[57] selben Rechte wie bei der schwarzweißen Empfindungsreihe von Intensitäten
reden, nur hätte man ebenfalls zwei entgegengesetzte Intensitätsreihen an-
zunehmen. Am einen Ende ist das Roth am intensivsten, am andern das
Gelb, und in den Zwischenstufen finden sich alle möglichen Verhältnisse
der Intensitäten der beiden Farben.


Daß man die Übergänge vom Roth zum Gelb als rein qualitative
Änderungen der Empfindung, die Übergänge vom Schwarz zum Weiß aber
als bloße Änderungen der Intensität der Empfindung auffaßte, hatte seinen
Grund lediglich darin, daß man sich stets mehr an die physikalische Ur-
sache der Empfindungen als an diese selbst hielt. Finden wir doch in der
physiologischen Optik von Helmholtz unter dem Titel „die Lehre von den
Gesichtsempfindungen“ ein Capitel über „die einfachen Farben“, ein anderes
über „die zusammengesetzten Farben“ und ein drittes über „die drei Grund-
farben“. Rothgelb, Blaugrün, Blauroth, aus denen jeder Unbefangene zwei
Farben zugleich heraus erkennt, wie schon der Name sagt, werden da zu
den einfachen Farben gezählt, das Weiß ist dagegen unter den zusammen-
gesetzten Farben besprochen, und eben daselbst das Schwarz; Violett,
welches ganz offenbar Roth und Blau zugleich enthält, ist als eine Grund-
farbe bezeichnet: kurz ein Farbenverständiger, der nichts von Physik wüßte,
würde den Sinn einer solchen Eintheilung, die dem natürlichen System der
Gesichtsempfindungen überall zuwiderläuft, nie erfassen können. In einem
physikalischen Handbuche hat jene sonderbare Eintheilung noch eine ge-
wisse Berechtigung, denn den Physiker interessirt die Gesichtsempfindung
nur insofern, als sie eine Reaction auf Ätherschwingungen verschiedener
Wellenlänge und Amplitude ist; daß aber die Physiologen jene Eintheilung
ebenfalls annahmen, war ein großer Fehler. Eine Consequenz dieses Fehlers
war u. a. auch die Behauptung, daß jeder Farbe außer einem bestimmten
Sättigungsgrade noch ein bestimmter Intensitätsgrad zukomme, was genau
genommen eine Tautologie ist.


§. 22.
Von der Bezeichnung der Lichtempfindungen durch
Zahlen- oder Größenverhältnisse.


Es läßt sich nie behaupten, daß ein reines, tiefes Schwarz,
welches wir eben sehen, das reinste ist, welches wir überhaupt
empfinden könnten, oder daß ein reines, helles Weiß, wie z. B.
das der Sonnenscheibe, das reinste und hellste ist, welches über-
haupt zu empfinden wäre. Eine Steigerung der Reinheit, d. i.
im ersten Falle der Dunkelheit, im anderen der Helligkeit, ist
wenigstens denkbar. Deshalb läßt sich auch jenes Schwarz und
Weiß, welches wir an die beiden Enden der schwarzweißen Em-
pfindungsreihe gestellt dachten, nur definiren als das reinste,
tiefste Schwarz und das reinste lichteste Weiß, welches man
sich denken kann; aber es ist nicht möglich, bestimmte Be-
[58] dingungen anzugeben, unter welchen man diese reinsten Empfin-
dungen wirklich hat. Scharfe reale Grenzen für die schwarz-
weiße Empfindungsreihe gibt es also nicht, ebensowenig wie man
beim süßesten Geschmacke wissen kann, ob nicht vielleicht ein
noch süßerer möglich wäre.


Theoretisch genommen, muß es ein Grau geben, welches
von dem idealen, absolut reinen Schwarz und Weiß gleichweit
entfernt ist, mit beiden gleich sehr verwandt erscheint, vom einen
ebensoviel enthält als vom andern. Dies ist denknothwendig.
Wir könnten dieses Grau als das mittlere oder neutrale Grau be-
zeichnen, als ein Grau von gleicher Helligkeit und Dunkelheit.
Auch ist ersichtlich, daß ein solches Grau wirklich unter unsern
Empfindungen vorkommen muß und daß es nicht wie das ab-
solut reine Schwarz oder Weiß nur gedacht werden kann. Frei-
lich aufzeigbar ist dieses bestimmte Grau vor der Hand noch
nicht, und wir können vorerst noch nicht die Bedingungen an-
geben, unter welchen die Empfindung gerade von diesem Grau
entstehen muß, ebensowenig wie man genau dasjenige Mischungs-
verhältniß eines süßen und eines sauren Stoffes angeben kann,
bei welchem der saure Geschmack gerade ebenso stark ist als
der süße. Aber dieses unser Unvermögen der genauen Bestim-
mung des Grades der Reinheit, oder, wenn man so will, des
Mischungsverhältnisses der Empfindungen beweist nichts gegen
das wirkliche Vorkommen solcher Empfindungen, in welchen Süß
und Sauer oder Schwarz und Weiß gleich deutlich oder undeut-
lich enthalten sind. Denn der rein saure Geschmack läßt sich
durch stetige [Veränderung] des Verhältnisses, in welchem man
Süßes und Saures mischt, mehr und mehr in einen erst süßlich
sauren, dann säuerlichsüßen und endlich rein süßen überführen,
womit schon gesagt ist, daß es eine Mittelstufe geben muß,
auf welcher Süß und Sauer gleich stark in der Empfindung ent-
halten sind, wenn wir auch diese Stufe nicht genau, sondern
nur annähernd zu bestimmen vermögen. So gibt es auch schwarz-
weiße Empfindungen, von welchen jeder sofort sagen wird, daß
sie dem Schwarzen näher stehen als dem Weißen, und andere,
von denen Jeder meint, daß sie dem Weißen näher verwandt
sind als dem Schwarzen, und hieraus folgt, daß es auch eine
[59] bestimmte schwarzweiße Empfindung geben muß, in welcher
Schwarz und Weiß gleichwerthig sind.


Diese mittlere oder neutrale graue Empfindung, deren wirk-
liches Vorkommen also zweifellos ist, wollen wir uns genau in
die Mitte der schwarzweißen Empfindungsreihe gestellt denken.
In ihr ist, da Schwarz und Weiß hier gleich deutlich empfun-
den werden, das Verhältniß
Weiß : Schwarz oder W : S, d. i.


Es leuchtet sofort ein, daß zwischen diesem mittlern Grau
und dem reinsten Weiß genau ebensoviel verschiedene Empfin-
dungsqualitäten oder Mischungsverhältnisse liegen müssen, wie
zwischen ebendemselben Grau und dem reinsten Schwarz; denn
dieselbe Rolle, die auf der einen Seite das immer mehr hervor-
tretende Weiß spielt, kommt auf der andern Seite dem Schwarz
zu, und wie auf der einen Seite das Schwarz mehr und mehr
zurücktritt, so auf der andern Seite das Weiß. Im absolut reinen
Weiß wäre das Verhältniß
im absolut reinen Schwarz wäre

Zwei Empfindungen, welche von dem mittlen Grau
nach rechts und links gleichweit abliegen und also in gleichem
Grade von diesem Grau verschieden sind, lassen sich ausdrücken
durch reciproke Werthe. So muß es ein Hellgrau geben, in
welchem ist, und diesem wird in der andern Hälfte der
Reihe ein Dunkelgrau entsprechen müssen, in welchem
Beide werden gleichweit vom mittlen Grau ab liegen, denn in
dem Maße, wie im einen das Weiß über das Schwarz, überwiegt
im andern das Schwarz über das Weiß. Alle Werthe von 1 bis
∞ werden also allen denkbaren Übergangsstufen vom mittlen
Grau (= 1) bis zum reinsten Weiß (= ∞) entsprechen, und alle
Werthe von 1 bis 0 allen denkbaren Übergängen vom mittlen
Grau bis zum reinsten Schwarz. Ebensogut aber könnte man alles
umkehren und überall die reciproken Werthe einsetzen, so daß
[60] die Werthe zwischen 1 und ∞ den Übergängen vom mittlen Grau
bis zum reinsten Schwarz, die Werthe zwischen 1 und 0 den
Übergängen von demselben Grau bis zum reinsten Weiß ent-
sprächen. Denn es ist, da es sich nur um Verhältnisse und nicht
um Größen handelt, gleichgiltig, ob man das Weiß oder das
Schwarz zum Nenner des als Bruch geschriebenen Verhältnisses
macht, und zwischen 1 und ∞ liegen genau ebensoviel mögliche
Verhältnisse wie zwischen 1 und 0, denn die letzteren sind die
reciproken Werthe der ersteren.


Denken wir uns jetzt alle Übergangsempfindungen vom
reinsten Schwarz bis zum reinsten Weiß auf der Geraden s w
(Fig. 3) gelegen,

Figure 3. Fig. 3.


[figure]

so daß der Endpunkt s dem reinsten Schwarz, der Endpunkt w
dem reinsten Weiß und der Mittelpunkt m dem mittlen Grau
entspricht. Auf dieser Geraden als Abscissenaxe können wir uns
für jeden Punkt derselben, d. h. für jede schwarzweiße Empfin-
dung, die Deutlichkeit des in derselben enthaltenen Weiß oder
den Grad ihrer Verwandtschaft mit Weiß durch eine nach oben,
den Grad ihrer Verwandtschaft mit Schwarz durch eine nach
unten gehende Ordinate versinnlichen, so daß das Verhältniß
der beiden Ordinaten dem Verhältnisse der beiden Verwandt-
schaftsgrade oder dem Mischungsverhältnisse von Weiß und
Schwarz entspricht. Da hiebei auf die absolute Größe dieser +
und — Ordinaten nichts ankommt, sondern nur ihr Verhältniß
von Bedeutung ist, so können wir im Endpunkte s eine — Or-
dinate s s′ von beliebiger Länge errichten, im Endpunkte w eine
gleich lange + Ordinate w w′, und s mit w′, w mit s′ durch
[61] je eine Gerade verbinden. Legen wir nun durch einen beliebigen
Punkt der Geraden s w eine Senkrechte, so wird sie von den Linien
s w′ und w s′ geschnitten, und das Verhältniß der hiedurch be-
stimmten Ordinaten gibt uns das Verhältniß, welches in der
entsprechenden Empfindung zwischen dem Schwarz und Weiß
besteht. So entsprechen z. B. die auf der Linie s w markirten
Punkte d und h den beiden oben erwähnten grauen Empfindungen,
in welchen das Verhältniß zwischen Weiß und Schwarz gleich
½ (ein Dunkelgrau), beziehungsweise 2/1 (ein Hellgrau) ist.


Die Linie s w′ versinnlicht uns also das Ansteigen der Deut-
lichkeit, mit welcher das Weiß in der Empfindung hervortritt,
je weiter wir uns dem reinen Weiß nähern, die Linie s′ w die
entsprechende Abnahme der Deutlichkeit des Schwarz.


Übrigens aber versteht sich, daß jeder Punkt der Linie s w
schon durch seine Lage auf derselben das Verhältniß darstellt,
insofern das Verhältniß seiner Abstände von s und w immer das-
selbe ist wie das der beiden in ihm errichteten Ordinaten, wo-
bei sein Abstand von w der negativen, sein Abstand von s der
positiven Ordinate entspricht.


Will man nur die sogenannte Helligkeit einer schwarz-
weißen Empfindung oder den Grad ihrer Verwandtschaft mit
dem reinen Weiß numerisch bestimmen, so kann man dies da-
durch, daß man den Antheil des Weiß an der gegebenen Em-
pfindung durch das Verhältniß ausdrückt, in welchem die weiße
Partialempfindung zur schwarzweißen Totalempfindung steht.
Im mittlern Grau z. B. ist W = S, folglich das Verhältniß der
Partialempfindung Weiß zur Totalempfindung Grau wie 0,5 : 1
oder kurzweg 0,5, da die Totalempfindung hier, weil es wieder
nur auf Verhältnisse ankommt, immer gleich 1 gesetzt werden
kann. Im oben erwähnten Hellgrau ist dann die Hellig-
keit = 0,666 …, im erwähnten Dunkelgrau = 0,333 …,
im idealen Weiß = 1, im idealen Schwarz = 0 zu setzen. In
ganz entsprechender Weise läßt sich die Dunkelheit jeder schwarz-
weißen Empfindung oder der Grad ihrer Verwandtschaft mit dem
reinen Schwarz bezeichnen, und man erhält dann für jede be-
[62] liebige schwarzweiße Empfindung einen Dunkelheitswerth, welcher
sich mit ihrem Helligkeitswerthe zu 1 ergänzt.


Setzen wir die Länge der Linie s w (Fig. 3) = 1, so ent-
spricht für jede beliebige durch einen Punkt auf dieser Linie re-
präsentirte Empfindung der Abstand dieses Punktes von s dem
Helligkeitsgrade, der Abstand von w dem Dunkelheitsgrade der
Empfindung.


Wenn es nun auch in keinem Falle möglich ist, genau an-
zugeben, an welchen Punkt der Linie s w eine gegebene schwarz-
weiße Empfindung gehört, so sind wir doch im Stande die un-
gefähre Lage der Empfindung auf dieser Linie zu bestimmen.
Die Hauptsache aber ist, daß die hier gegebene numerische und
graphische Darstellung der ganzen Mannigfaltigkeit der zwischen
Schwarz und Weiß gelegenen Empfindungen uns für die folgen-
den Untersuchungen von großem Werthe und ein treffliches
Mittel zur Bezeichnung der Qualität, Helligkeit oder Dunkelheit
dieser Empfindungen sein wird.


Für besonders wichtig halte ich es ferner, daß durch diese
Art der Bezeichnung ganz anschaulich wird, in welchem Sinne
man allein berechtigt ist, von einer Intensität oder Helligkeit
der Lichtempfindung zu sprechen. Losgelöst von der Beziehung
zu dem gleichzeitig empfundenen Schwarz oder Dunkel hat die
Empfindung des Weißen oder Hellen keine reale Existenz. Denn
das absolut reine Weiß ist uns wie gesagt unbekannt, und keine
wirkliche Empfindung ist derart, daß wir behaupten könnten,
eine noch weißere oder hellere d. h. noch besser von jeder Spur
des Schattigen oder Dunkeln gereinigte Empfindung sei un-
möglich.


§. 23.
Die Empfindung des eigentlichen Schwarz entsteht
wie die des Weiß unter dem Einflusse des objectiven
Lichtes.


Nach dem gemeinen Sprachgebrauche ist Schwarz ebenso
gut eine Farbe wie Weiß, und man spricht von einem reinen
Schwarz ebenso wie von einem reinen Weiß. Auch die Physio-
logie hat sich bereits dazu verstanden, das Schwarz als eine
Empfindung zu bezeichnen, statt es, wie früher öfter geschah,
[63] als die Abwesenheit jeder Lichtempfindung zu definiren, eine
Definition, die ebenso unbrauchbar ist, wie die Definition des Grün
als der Abwesenheit jeder Rothempfindung oder die Definition
der Kugel als der Abwesenheit jedes andern Raumgebildes.


Wenn aber auch die heutige Physiologie zugibt, daß Schwarz
eine „wirkliche“ Empfindung sei, so ist sie doch keineswegs ge-
neigt, diese Empfindung als eine dem Weiß, Grün, Roth etc.
durchaus analoge Qualität der Gesichtsempfindung anzusehen,
weil sie sich das Sehorgan bei der Empfindung des Schwarz im
Zustande der Ruhe, bei den übrigen Gesichtsempfindungen aber
im Zustande der Thätigkeit denkt. Gleichwohl ist es eine That-
sache der alltäglichen Erfahrung, welche ich jedoch noch nir-
gends besonders betont gefunden habe, daß die eigentlich
schwarze Empfindung erst unter dem Einflusse des
äußern Lichtreizes zu Stande kommt,
wie ja auch die
weiße Empfindung für gewöhnlich durch objectives Licht her-
vorgerufen wird; nur mit dem Unterschiede, daß sich die weiße
Empfindung unter dem directen, die schwarze aber unter dem
indirecten Einflusse des Lichtreizes entwickelt, nämlich durch
den sogenannten simultanen oder successiven Contrast. Von
pathologischen Zuständen des Sehorganes und von den Empfin-
dungen im Traume sehe ich hierbei ab.


Man lege auf einen beliebigen Tisch ein Stück schwarzen
Sammtes und stelle sich so davor, daß er nicht glänzend er-
scheint, dann wird man ein ziemlich tiefes Schwarz sehen. Nun
schließe und verdecke man die Augen beliebig lange und vergleiche
die Farbe des Gesichtsfeldes mit dem soeben gesehenen Schwarz:
man wird zugeben müssen, daß die allerdings auch dunkle Farbe
des Gesichtsfeldes dem Schwarz des Sammtes nicht nahe kommt,
möge man die Augen noch so lange geschlossen halten.


Man gehe aus einem hellen Zimmer in ein ganz dunkles
und man wird in den ersten Secunden vielleicht ein ziemliches
Dunkel, wenn auch kein tiefes Schwarz empfinden, bald aber
wird sich dasselbe mehr und mehr aufhellen, auch wenn keine
Spur von Licht in das Dunkelzimmer fällt, und nach längerem
Aufenthalte in demselben sieht man alles Mögliche, nur kein
reines Schwarz.


Man gebe sich, wenn man in einer finstern Nacht in einem
[64] dunklen Zimmer aus dem Schlafe erwacht, Rechenschaft von
seiner Gesichtsempfindung, und man wird sagen müssen, daß
dieselbe durchaus nicht schwarz sei, gleichviel ob man die Augen
offen oder geschlossen hat. Genug, man erhält die Empfindung
eines tief-dunklen Schwarz nur dann, wenn man daneben die
des Hellen hat oder die letztere kurz zuvor an derselben Stelle
hatte, am besten wenn beide Bedingungen zugleich erfüllt sind,
wenn man also z. B. ein Stück weißes Papier auf ein größeres
Stück schwarzen Sammtes legt, das Papier bei nicht zu greller
Beleuchtung einige Zeit fixirt und dann auf den schwarzen Sammt
blickt; an der Stelle des negativen Nachbildes erscheint dann
der Sammt in besonders tiefem Schwarz.


Wenn man alle diese Thatsachen bedenkt, muß man sich
wundern, wie man die Empfindung des Schwarzen als diejenige
definiren konnte, welche der ruhenden, nicht durch Licht gereizten
Netzhaut eigenthümlich ist. Gerade das Auge, welches vor jedem
äußeren Lichtreize sorgfältig und so lange geschützt wurde, bis
jede Nachwirkung der vorhergegangenen Erregung durch Licht
verklungen ist, gerade dieses empfindet durchaus kein Schwarz,
sondern hat Empfindungen, welchen man eine ziemlich bedeu-
tende Helligkeit zuschreiben muß, und welche nach längerem
Aufenthalte im absolut dunklen Raume dem Weiß fast ebenso
nahe verwandt sind wie dem reinen Schwarz. Ich darf mich hier
auch auf Aubert und dessen „Physiologie der Netzhaut“ berufen,
ein durch die reiche Fülle interessanter und mit großer Objec-
tivität geschilderter Beobachtungen ausgezeichnetes Werk.


Aubert sagt 1): „Der Grund des Gesichtsfeldes erscheint
bald nach dem Eintritt in das Finstere gleichmäßig dunkel, aber
nicht tief schwarz; wenn ich mir schwarzen Sammt lebhaft vor-
stelle, so scheint mir der Grund des Gesichtsfeldes dagegen
heller.“ Weiterhin beschreibt Aubert die mannigfachen subjec-
tiven Lichterscheinungen (Lichtpunkte und Lichtlinien, wandelnde
Nebelstreifen, Nebelballen etc.), welche er in dem Dunkelzimmer
beobachtete, und sagt von denselben: „Diese Erscheinungen fangen
schon in den ersten Minuten nach dem Eintritt in’s Finstere an
und dauern ununterbrochen fort; sie werden bald lebhafter, na-
[65] mentlich die wallenden Nebel und der centrale helle Nebel sowie
die Helligkeit des Grundes, bald matter, scheinen aber nach
mehr als dreistündigem Aufenthalte immer eine große Lebhaftig-
keit zu erreichen.“


Die jetzt üblichen, mit den Thatsachen so wenig in Einklang
stehenden Ansichten über das Schwarz erklären sich daraus, daß
man erstens bei der Untersuchung der Gesichtsempfindungen sich
nicht zunächst lediglich an diese hielt, sondern sogleich ihre
physikalischen Ursachen mit hineinzog, daher denn die Empfin-
dung des Weißen oder Hellen, weil sie meist durch äußeres
Licht erzeugt wird, als etwas Positives der Empfindung des
Schwarzen als etwas Negativem entgegengestellt wurde; und
zweitens daraus, daß spiritualistische Hypothesen in die Em-
pfindungslehre eingemengt wurden. Man bemerkte wohl, daß
die Empfindung des vor äußerem Lichte geschützten Auges kein
eigentliches Schwarz sei, man betonte sogar den „innern Licht-
nebel“, legte aber doch auf die höchst bemerkenswerthe That-
sache, daß man ein tiefes Schwarz im Allgemeinen nur im er-
leuchteten Raume sieht, weiter kein Gewicht, weil man meinte,
dieses tiefe Schwarz sei nur eine durch simultane
Contrastwirkung erzeugte Täuschung und existire
hier nur in der Vorstellung, nicht aber als eigent-
liche Empfindung
. Nur das durch successiven Contrast ent-
standene Schwarz ließ man als eine, dem Zustande der Netzhaut
wirklich entsprechende und nicht blos durch falsche Schlüsse
vorgetäuschte Empfindung gelten, weil man annahm, daß die
ermüdete Netzhaut ein geringeres Eigenlicht und daher ein rei-
neres Schwarz zur Empfindung bringen müsse, als die nicht er-
müdete. Hierbei aber übersah man, daß man bei blos succes-
sivem Contraste, z. B. also nach längerer Betrachtung eines hellen
Objectes auf dunklerem Grunde, im geschlossenen Auge kein
Schwarz sieht, welches an Tiefe dem irgend gleich kommt, welches
man sieht, wenn man im erleuchteten Raume das negative Nach-
bild eines hellen Objectes auf einer begrenzten dunklen Fläche
sich entwickeln läßt, daß also die Netzhaut partiell beleuchtet
sein muß, wenn sie das tiefste Schwarz empfinden soll.


Die im Gesichtsfelde des verdunkelten Auges ausgebreitete
Empfindung hat man sich zeither vorgestellt wie eine schwarze,
Hering, Lehre vom Lichtsinne. 5
[66] in der menschlichen Seele aufgestellte Tafel, auf welcher dann
durch äußeres Licht oder durch innere Reize weiße und bunte
Bilder gemalt und wieder weggewischt werden. Je dicker das
Weiß und die Farben aufgetragen werden, desto heller erscheint
das Weiß, desto gesättigter die Farben und desto weniger scheint
der schwarze Grund durch. Im Übrigen hat man sich um diese
schwarze Tafel nicht weiter gekümmert, sondern nur die Bilder
auf derselben studirt.


Nun lehrt aber die unbefangene Analyse der Gesichtsem-
pfindungen, daß das Schwarz oder Dunkel ganz ebenso variabel
ist, als das Weiß oder Hell, und daß die eine Empfindung durch-
aus dieselbe Berücksichtigung verdient wie die andere. Bedenkt
man dazu, daß, wie soeben gezeigt wurde, nicht blos die weiße
sondern auch die schwarze Empfindung eine Function der Be-
leuchtung der Netzhaut ist, so ergibt sich die Nothwendigkeit,
dem psychophysischen Zustande oder Processe, welcher der Em-
pfindung des Schwarzen entspricht, dasselbe Interesse zuzuwen-
den, wie dem andern, welcher die Empfindung des Hellen bedingt.


§. 24.
Über Hell und Dunkel, verglichen mit Weiß und
Schwarz
.


Mit Absicht habe ich im Obigen die Worte Weiß und Hell,
Schwarz und Dunkel als ganz gleichwerthige benützt, obwohl
sie dies nach dem Sprachgebrauche nicht durchaus sind. Treffend
bemerkt Helmholtz, 1) daß wir immer „die Neigung haben zu
trennen, was in der Farbe oder dem Aussehen eines Körpers von
der Beleuchtung und was von der Eigenthümlichkeit des Körpers
selbst herrührt“. Dem entsprechend pflegen wir die Worte hell
und licht, dunkel und finster vorherrschend, wenn auch durchaus
nicht immer, in Bezug auf die Art der Beleuchtung, die Worte
weiß, grau und schwarz in Bezug auf die Eigenschaften der so
erscheinenden Außendinge anzuwenden.


Wenn auf einen Theil eines weißen Papiers ein Schatten
fällt, so nennen wir den beschatteten Theil nicht grau, sondern
dunkler, obwohl das Licht, welches er aussendet, genau dieselbe
[67] Intensität und Zusammensetzung haben kann, wie das von einem
grauen Papiere ausgehende; und wenn wir auf ein graues Papier
mittelst eines spiegelnden Körpers reflectirtes Licht fallen lassen,
so nennen wir die hellere Stelle des Papiers nicht weiß, sondern
nur heller, obwohl sie vielleicht genau dasselbe Licht gibt, wie
ein daneben liegendes weißes Papier. Der Verschiedenheit der
Bezeichnung entspricht hierbei eine Verschiedenheit der Wahr-
nehmung. Das Dunkel, welches im Grau gesehen wird, ist mit
dem gleichzeitig darin enthaltenen Weiß vollständig zu einer
Empfindung besonderer Qualität verschmolzen; das Dunkel aber,
welches als Schatten auf dem Weiß erscheint, wird als ein be-
sonderes, über dem Weiß liegendes Etwas aufgefaßt, durch
welches hindurch wir noch das Weiß zu sehen meinen. Analog
verhält es sich mit einem auf grauem Papiere mittelst eines
Spiegels erzeugten helleren Flecke, insofern hier das Helle, wel-
ches zu dem schon vorhandenen Grau hinzukommt, mit diesem
nicht zu einem helleren Grau oder zu Weiß verschmilzt, sondern
gesondert als blosses Licht aufgefaßt wird, welches dem Grau
äußerlich aufliegt, und unter welchem wir noch das Grau zu
sehen meinen.


Solche Fälle, in denen der gleiche Reiz je nach den Neben-
umständen zu ganz verschiedenen Wahrnehmungen führt, sind
auf den verschiedenen Sinnesgebieten bekanntlich sehr häufig,
und man pflegt zu sagen, daß dabei die „Empfindung“ eine ver-
schiedene „Auslegung“ erfahre, oder daß das gegebene Empfin-
dungsmaterial durch unbewußte Schlüsse zu verschiedenen „Vor-
stellungen“ verarbeitet werde. Hiebei wird offen oder versteckt
die Annahme gemacht, daß die Empfindung etwas mehr Körper-
liches, die Auslegung der Empfindung oder die Verarbeitung
derselben zu Vorstellungen etwas mehr Geistiges sei. Diese An-
nahme aber ist vom Standpunkte der Physiologie entschieden
zurückzuweisen, denn sie führt dazu, die ganze Mannigfaltig-
keit der psychischen Processe in zwei große Classen zu theilen,
nämlich in solche, welche direct und unmittelbar, und in solche,
welche nur mittelbar von den Zuständen des Nervensystems ab-
hängig und daher mehr als Producte einer freien Geistesthätigkeit
anzusehen sind. Es entspricht diese Theilung des gesammten
psychischen Materiales ungefähr der alten Unterscheidung von
5 *
[68] Seele und Geist. Sie ist der Ausfluß eines Spiritualismus, wel-
cher sich mit der Physiologie abzufinden sucht, indem er der-
selben die „reinen Empfindungen“ opfert, dafür aber die „Vor-
stellungen“ ganz für sich und den Geist reservirt wissen will.


Wenn ich mich oben dahin aussprach, daß dasselbe objec-
tive Licht je nach den Nebenumständen bald als eine Eigenschaft
(Farbe) der Aussendinge, bald aber als Licht oder Dunkel
(Schatten, Finsterniß) wahrgenommen werden könne, so wollte
ich damit nicht gesagt haben, daß trotz dieser verschiedenen
Wahrnehmung doch die Empfindung, entsprechend der Gleichheit
des Reizes, in beiden Fällen dieselbe sei. Vielmehr meine ich,
daß die Empfindung in beiden Fällen wesentlich verschieden ist,
was trotz gleichem Reize deshalb möglich ist, weil die Licht-
empfindung nicht blos eine Function des Reizes und der jeweiligen
Beschaffenheit der zunächst getroffenen nervösen Theile ist, son-
dern auch mit abhängt von der Beschaffenheit der zum Sehact
in Beziehung stehenden Hirntheile, in welchen die optischen Er-
fahrungen des ganzen Lebens gleichsam organisirt enthalten sind.
Wie der Klang, welchen ein Clavier gibt, wenn man eine Taste
desselben anschlägt, nicht blos abhängt von den Schwingungen
der Saiten, welche der Schlag direct trifft, sondern auch von der
Resonanz des ganzen Instrumentes, was bei aufgehobener Däm-
pfung am offenbarsten, aber auch sonst immer der Fall ist: so
ist auch die Empfindung, welche ein äußerer Reiz in uns erweckt,
nicht blos abhängig von der Nervenfaser, welche zunächst vom
Reize getroffen wird, sondern ist zugleich das Ergebniß der Re-
sonanz unseres ganzen Sensoriums. Ein scheinbar unbedeutender
Nebenumstand hebt gleichsam den Dämpfer von gewissen Saiten
ab und läßt sie mit anklingen, so daß der Charakter der Em-
pfindung ein wesentlich anderer wird.


Es ist richtig, daß diese große Resonanzfähigkeit unseres
Gehirns die Untersuchung der Beziehungen zwischen Reiz und
Empfindung ausserordentlich erschwert, und wir vermögen uns
nur dadurch einigermaßen zu helfen, daß wir unter den mög-
lichst einfachen Bedingungen beobachten und nur solche Em-
pfindungen vergleichen, welche unter annähernd gleichen Bedin-
gungen gewonnen wurden. Angewendet auf unsern besondern Fall
bedeutet diese Regel, daß wir zunächst nur solche Gesichtsem-
[69] pfindungen mit einander vergleichen sollen, welche in analoger
Weise von uns „ausgelegt“ werden. Wir dürfen also, wenn es
sich um die Gleichheit oder den Unterschied zweier Helligkeiten
oder Dunkelheiten handelt, nicht ein als Licht empfundenes Hell
oder ein als Schatten oder Finsterniß empfundenes Dunkel ver-
gleichen mit einem als Körperfarbe empfundenen Weiß, Grau
oder Schwarz.


Da es viel schwieriger ist, scharf begrenzte Schatten oder
Lichter von beliebiger Form und Helligkeit oder Dunkelheit zu
erzeugen, so habe ich die handgreiflichsten Erscheinungen der
Induction und des Contrastes auf Grund von Versuchen mit
weißem, grauem und schwarzem Papier beschrieben. Aber alle
diese Versuche lassen sich auch auf weißen oder grauen Flächen
mit Hilfe darauf geworfener Lichter oder Schatten anstellen, und
deshalb war es gestattet, Weiß und Hell, Schwarz und Dunkel
zunächst als für unsere Versuche gleichwerthig anzusehen, und
dies um so mehr, als ich überall das Hauptgewicht auf die im
geschlossenen und verdunkelten Auge beobachteten Nachempfin-
dungen gelegt habe, bei welchen es einen Unterschied zwischen
Licht, Hell und Weiß, oder zwischen Finster, Dunkel und Schwarz
nicht mehr gibt.


Dies alles gilt jedoch nur von den farblosen Empfindungen;
denn die Helligkeit oder Dunkelheit einer farbigen Empfindung
hängt nicht lediglich von dem Verhältnisse des in ihr mit ent-
haltenen Schwarz und Weiß ab.


Um Mißverständnisse zu vermeiden, war ich zu dieser
kurzen und deshalb vielleicht oberflächlich scheinenden Erörte-
rung genöthigt. Der in diesem Paragraphen besprochene Gegen-
stand erfordert freilich eine viel ausführlichere, gründlichere
Besprechung, die ich später auch zu geben gedenke. Hier wollte
ich nur meinen Standpunkt in dieser Frage kurz bezeichnen.


[[70]]

Fünfte Mittheilung.
Grundzüge einer Theorie des Lichtsinnes.


(Vorgelegt in der Sitzung am 23. April 1874.)


§. 25.
Vorbemerkungen.


Obwohl eine Theorie des Lichtsinnes eigentlich alle Gesichts-
empfindungen zu berücksichtigen hat, will ich doch hier zunächst
nur die Empfindungen des Weiß, Schwarz und der Übergänge
vom einen zum anderen in Betracht ziehen, also nur die nicht
farbigen oder, wie ich sie in §. 21 genannt habe, schwarzweißen
Empfindungen. Später werde ich dann die Farbenempfindungen
im engeren Sinne einer gesonderten Erörterung unterwerfen.


Freilich mischen sich allenthalben und besonders in den
Nachbildern des geschlossenen Auges die Farben mit ein, aber
ich werde bei allen solchen mehr oder minder deutlich gefärbten
Empfindungen von der Farbe ganz absehen und mich nur an das
halten, was man als Weißlichkeit oder Schwärzlichkeit der Em-
pfindung bezeichnen kann. Später wird sich zeigen, daß diese
gesonderte Betrachtung der nicht farbigen Gesichtsempfindungen
auch ihre volle theoretische Berechtigung hat.


Man hat die weiße oder farblose Lichtempfindung als eine
Mischempfindung auffassen wollen, weil sie durch die gleich-
zeitige Einwirkung sogenannter complementärer Lichtarten auf
die Netzhaut hervorgerufen wird. Da man indessen im Weiß
weder Gelb und Blau, noch Roth und Grün, noch sonst zwei
complementäre Farben zugleich sieht, sondern das Weiß höch-
stens in Gelb oder Blau, Roth oder Grün, nie aber in zwei
Complementärfarben gleichzeitig spielt, so erscheint die Bezeich-
nung des Weiß als einer aus Roth und Grün, oder Gelb und Blau,
oder aus allen Farben zugleich gemischten Empfindung unzu-
[71] lässig und ist in der That nur aus der begrifflichen Vermen-
gung der Empfindungen mit ihren physikalischen Ursachen ent-
standen. Auch hat nicht Jeder, der das Weiß als eine gemischte
Empfindung bezeichnete, damit sagen wollen, daß hier wirklich
Empfindungen gemischt seien, sondern nur, daß man, um die
Empfindung des Weißen zu erzeugen, Licht von verschiedener
Wellenlänge mischen müsse. Diese aus der gleichzeitigen Ein-
wirkung mehrerer Strahlenarten erzeugte Empfindung kann sehr
wohl als eine einfache Resultante mehrfacher physikalischer Ur-
sachen angesehen werden.


Auch die Young-Helmholtz’sche Hypothese ließe sich
nur in diesem Sinne einigermaßen annehmbar finden. Denn wenn
man einem Unbefangenen, und hätte er auch z. B. als Maler einen
hochentwickelten Farbensinn, sagen wollte, Weiß sei eine zu-
sammengesetzte Empfindung, in welcher man zugleich Roth,
Grün und Violett und zwar alle drei gleich stark empfinde, so
würde er mit einem ungläubigen Kopfschütteln, oder wenn er
vor der Zuverlässigkeit der Wissenschaft keine besondere Hoch-
achtung fühlte, mit einem Lächeln antworten. Daß in einem
Dreiklange drei Töne von verschiedener Höhe enthalten sind,
hört Jeder, der auch nur einigermaßen musikalisch geübt ist,
aber aus einem und demselben Weiß das Roth, Grün und Violett
herauszuempfinden, ist beim besten Willen Niemand im Stande.


Für den, der ohne physikalische oder physiologische Vor-
aussetzungen an die Untersuchung seiner Gesichtsempfindungen
geht, ist Weiß eine Empfindung eigener Art, ebenso wie Schwarz,
Roth, Grün, Gelb und Blau. Es kann dem Weiß von der einen
oder andern, oder auch von mehreren der letztgenannten Empfin-
dungen etwas beigemischt sein, so daß es an dieselben mehr
oder minder deutlich erinnert; aber wenn wir uns diese beige-
mischten Spuren anderer Empfindungen wegdenken, so bleibt
eine Empfindung von ganz eigenartiger, reiner Qualität zurück,
welche durchaus den Eindruck des Einfachen macht und welche
als etwas Zusammengesetztes aufzufassen der Unbefangene gar
keine Veranlassung findet. Ganz dasselbe gilt aber auch von der
Empfindung des Schwarzen.


Da sich der Physiolog alle Empfindungen als bedingt und
getragen von physischen Processen des Nervensystems denken
[72] muß, weil sonst jede weitere physiologische Untersuchung zweck-
los wäre, so muß er auch sogenannte psychophysische Processe
oder Bewegungen annehmen, welche den Empfindungen des
Schwarzen, des Weißen und aller Übergänge zwischen beiden
entsprechen. In welchem Theile des Nervensystems diese psycho-
physischen Processe localisirt zu denken sind, läßt sich noch
nicht sagen. Genug, es muß irgendwo im nervösen Apparate
des Auges und den damit in functioneller Beziehung stehenden
Hirntheilen die Substanz gesucht werden, mit deren Veränderung
oder Bewegung die Empfindung verknüpft ist. Diese Substanz
könnten wir als die psychophysische Substanz des Sehorganes
beziehentlich des Gehirns bezeichnen. Kürzer wird es sein, sie
als Sehsubstanz zu benennen, weil die Gesichtsempfindungen
an sie gebunden und unmittelbar durch sie gegeben sind. Ob
diese Sehsubstanz nur im Gehirn oder zugleich im Sehnerven
und in der Netzhaut, und in welchen histologischen Bestand-
theilen derselben sie zu suchen ist, dies alles bleibt vorerst da-
hingestellt.


Es ist ersichtlich, daß wir aus der Art und dem Verlaufe
unserer Gesichtsempfindungen zunächst nur Schlüsse machen
können auf den Verlauf der psychophysischen Processe, welche
in der Sehsubstanz ablaufen; denn mit diesen sind die Empfin-
dungen unmittelbar und gesetzmäßig verknüpft zu denken. Können
wir auf diese Weise die Gesetze des psychophysischen Geschehens
in der Sehsubstanz bis zu einem gewissen Grade feststellen, so
ist es dann erst an der Zeit, die Gesetze des functionellen Zu-
sammenhanges zwischen jenen psychophysischen Processen und
den Aetherschwingungen zu suchen. Der umgekehrte Weg, wel-
cher von den Aetherschwingungen ausgeht, hat bis jetzt, so weit
es sich nicht blos um die Schicksale der Lichtstrahlen in den
optischen Medien, also lediglich um eine Application der physi-
kalischen Optik auf’s Auge handelte, noch zu keinem Ergebnisse
geführt; wir wissen gar nicht, was weiter geschieht, wenn ein-
mal die Lichtwellen in die Netzhaut eingedrungen sind. Dagegen
haben wir allerdings durch zahlreiche physikalische Untersu-
chungen die werthvollsten Aufschlüsse über die Beziehungen
zwischen Ätherschwingungen und Lichtempfindungen erhalten.
Aber hierbei wurden, und zwar vorerst ganz zweckmäßigerweise,
[73] alle physiologischen Mittelglieder und insbesondere die psycho-
physischen Processe einfach übersprungen.


Nur die psychophysischen Untersuchungen, insbesondere
Fechner’s, nehmen eingehendere Rücksicht auf die physiologi-
schen Zwischenglieder, besonders insofern als Fechner ein Gesetz
der functionellen Beziehung zwischen der psychophysischen Bewe-
gung und der sogenannten Intensität der Empfindungen aufstellte,
das nach ihm benannte psychophysische Gesetz, dessen
Giltigkeit ich aber nicht blos für den Gesichtssinn,
sondern für alle Sinnesgebiete bestreiten muß
.


§. 26.
Vom Wesen der psychophysischen Processe.


Wenn man sich von der Natur der psychophysischen Pro-
cesse eine Vorstellung machen will, so hat man von vornherein
die Wahl zwischen solchen inneren Bewegungen der psycho-
physischen oder kurzweg psychischen Substanz, welche ohne
Änderung der chemischen Zusammensetzung ablaufen, und
solchen Bewegungen, welche sich zugleich als Änderungen der
chemischen Zusammensetzung darstellen. Der Physiolog der
Gegenwart kann jedoch nicht mehr in Zweifel sein, wofür er
sich zu entscheiden hat. Denn die allgemeine Nervenphysiologie
hat hinreichend erwiesen, daß jede Bewegung oder Thätigkeit
der nervösen Substanz dieselbe zugleich chemisch alterirt, und
auf die Annahme chemischer Änderungen stützen sich alle unsere
Vorstellungen von der Erregbarkeitsänderung, Ermüdung und
Wiedererholung nach der Thätigkeit.


Wie Du Bois-Reymond eine rein physikalische Hypothese
über die Vorgänge in der Nervenfaser aufstellen konnte, wird da-
durch begreiflich, daß er im Grunde nur auf die Erklärung dessen
ausging, was ihm der Multiplicator über die Vorgänge im Nerven
aussagte. Hätte er für die Veränderungen des Nerven ein so
feines chemisches Reagens gehabt, wie er im Multiplicator ein
elektrisches besaß, so hätte er eben eine chemische Hypothese
gemacht. Einen triftigen Einwand gegen meine Behauptung, daß
sich nach unseren jetzigen Kenntnissen die Thätigkeit der psycho-
physischen Substanz nicht gut ohne gleichzeitige chemische
[74] Änderungen denken läßt, bildet die Hypothese Du Bois-Rey-
mond
’s jedenfalls nicht.


Auch die in Fechner’s Psychophysik entwickelte Hypothese,
nach welcher alle psychophysischen Processe als oscillatorische
Bewegungen einer nicht genauer zu bezeichnenden wägbaren oder
unwägbaren Substanz aufgefaßt werden, darf nicht gegen obige
Behauptung angeführt werden. Denn erstens steht diese Hypo-
these der ganzen Natur der Sache nach bis jetzt nur auf einer
schmalen empirischen Basis, und zweitens läßt dieselbe, obwohl
sie eine rein mechanische ist, doch den chemischen Processen
ihre Bedeutung für das psychische Geschehen und nimmt die-
selben gleichsam mit in sich auf.


Wie man sich auch zu diesen Fragen stellen mag, soviel
ist sicher, daß das fortwährende Vorhandensein chemischer Pro-
cesse in jeder lebendigen und daher reizbaren Substanz eine
Thatsache, und der Stoffwechsel die allgemeinste uns bekannte
Eigenschaft des Lebendigen ist.


Dies zum Nachweise der principiellen Berechtigung der
folgenden Theorie, welche zunächst an das chemische Geschehen
in der Nervensubstanz anknüpft. Eine bestimmte Ansicht dar-
über, ob wir in diesem chemischen Geschehen wirklich die eigent-
liche psychophysische Bewegung erfassen, oder ob sich noch ein
Mittelglied zwischen diese und die Empfindung gleichsam ein-
schiebt, will ich für diesmal nicht ausgesprochen haben. Auch
wollte ich mit dieser kurzen Auseinandersetzung durchaus nicht
eine eigentliche Untersuchung der schwierigen Frage nach der
Natur der psychophysischen Bewegung geben, sondern nur zeigen,
daß der Physiolog volles Recht hat, das Leben der Nervensub-
stanz zunächst als ein chemisches aufzufassen, und ebenso das
der psychophysischen Substanz, welche ja, wenn man nicht ein
neues, völlig unbekanntes Mittelglied einschieben will, ganz
oder theilweise mit der Nervensubstanz identificirt werden muß.


§. 27.
Die Gesichtsempfindung als psychisches Correlat
der chemischen Vorgänge in der Sehsubstanz
.


Daß das Licht im nervösen Apparate des Sehorganes che-
mische Veränderungen erzeugt, dürfte nach dem Gesagten wohl
[75] nicht bestritten werden. Was man Ermüdung und überhaupt
Erregbarkeitsveränderung dieses Apparates nennt, beruht ja nach
der allgemeinen Ansicht hier wie überall auf chemischer Ver-
änderung der erregbaren Substanz. Selbst Fechner, welcher
die von den Physikern Herschel, Melloni und Seebeck für
die Erregung der Netzhaut durch Licht aufgestellte Resonanz-
theorie weiter zu entwickeln suchte, sah sich veranlaßt, der che-
mischen Einwirkungen des Lichtes auf die Nervensubstanz zu ge-
denken und sie mit einzurechnen. 1)


Die durch das Licht im Sehorgane erweckten chemischen
Vorgänge dachte man sich zunächst in der Netzhaut localisirt.
Wenn aber gewisse Hirntheile an der Herstellung der Gesichts-
empfindungen und -vorstellungen mit betheiligt sind, so müssen
jene chemischen Vorgänge der Netzhaut ihrerseits wieder in der
Substanz des Sehnerven chemische Änderungen hervorrufen, und
diese wieder in der Hirnsubstanz. Weil wir aber, wie schon
gesagt, nicht wissen, ob wir die ganze nervöse Substanz des
Sehorganes, oder nur einen Theil derselben, und letztern Falls,
welchen Theil wir als die eigentliche psychophysische Sehsubstanz
anzusehen haben, so müssen wir uns vorerst mit der allgemeinen
Annahme begnügen, daß die Ätherschwingungen im nervösen
Sehapparate überhaupt chemische Änderungen auslösen, welche,
mag die Kette dieser chemischen Processe lang oder kurz, aus
gleichartigen oder ungleichartigen Gliedern zusammengesetzt sein,
schließlich zur Empfindung führen.


Was man sich übrigens auch zeither für Vorstellungen über
Art und Ort der im Sehorgane ablaufenden Processe machte, ein
Mangel war allen gemeinsam: immer dachte man sich nur die Em-
pfindungen des Hellen oder Weißen — von der Farbe will ich,
wie gesagt, ganz absehen — als bedingt und getragen von ge-
wissen Änderungen der Sehsubstanz; die Empfindung des Dunklen
oder Schwarzen wurde in Betreff ihres physiologischen oder
psychophysischen Correlates ganz vernachlässigt. Wie dies kam,
und zu welchen Widersprüchen überhaupt die einseitige Berück-
sichtigung der Helligkeitsempfindung führte, habe ich in meiner
vorigen Mittheilung (§§. 21 — 23) ausführlicher auseinander-
[76] gesetzt. Die dort entwickelten Thatsachen zwingen uns nun-
mehr, dieses einseitige Verhalten bei der Untersuchung der Ge-
sichtsempfindungen aufzugeben, und beiden Hauptvariablen der
Gesichtsempfindung, dem Dunklen oder Schwarzen ebensowohl
wie dem Hellen oder Weißen, die gleiche Berücksichtigung zu
schenken.


Ich habe in §. 21 dargelegt, wie alle Empfindungen der
schwarzweißen Empfindungsreihe in zweifacher Weise unterein-
ander verwandt erscheinen, zweierlei Momente gemeinsam haben,
nämlich die Helligkeits- und die Dunkelheitsempfindung, das
Schwarz und das Weiß; und wie ferner jedes Glied dieser Em-
pfindungsreihe sich charakterisiren läßt durch das Verhältniß,
in welchem diese beiden Momente in der gegebenen Empfindung
enthalten sind. Wenn wir nun nach dem physischen Correlate
jener Empfindungen, nach den ihnen zu Grunde liegenden
psychophysischen oder psychochemischen Processen fragen, so
hat die Annahme, daß das physische Correlat der schwärzesten
Empfindung nichts weiter sei, als der niederste Intensitätsgrad
desselben Processes, welcher in seiner höchsten Intensität die
hellste oder reinste weiße Empfindung bedingt, nicht nur nichts
für sich, sondern erscheint sogar als ungemäß und widerspruchs-
voll. Denn diese Annahme fordert für zwei offenbar grundver-
schiedene Qualitäten der Empfindung eine und dieselbe Art des
psychophysischen Processes. Unsere ganze Psychophysik fußt
aber auf der Annahme, daß zwischen physischem und psychischem
Geschehen ein gewisser Parallelismus bestehe, und daß insbe-
sondere verschiedenen Qualitäten der Empfindung auch verschie-
dene Qualitäten oder Formen des psychophysischen Geschehens
entsprechen. 1)


[77]

Wenn wir also nicht gleich beim ersten Schritte in dies
schwierige Gebiet eine Hypothese einführen wollen, welche mit
der Grundvoraussetzung der ganzen Psychophysik in einem noch
ungelösten Widerspruche steht und jedenfalls für andere ganz
willkürliche und theoretisch unwahrscheinliche Annahmen ein
schlimmes Präcedens gibt, so müssen wir die jetzt übliche An-
sicht aufgeben, und wir können dies um so leichter als sich eine
andere Hypothese bietet, welche mit der erwähnten Voraus-
setzung der Psychophysik durchaus im Einklange ist und zu-
gleich den Forderungen, welche vom Standpunkte der allgemeinen
Nervenphysiologie an solche Hypothesen gestellt werden dürfen,
weit besser genügt, als die jetzige Theorie. Diese Annahme aber
ist folgende:


Den beiden Qualitäten der Empfindung, welche
wir als Weiß oder Hell und als Schwarz oder Dunkel
bezeichnen, entsprechen zwei verschiedene Quali-
täten des chemischen Geschehens in der Sehsub-
stanz; und den verschiedenen Verhältnissen der
Deutlichkeit oder Intensität, mit welcher jene bei-
den Empfindungen in den einzelnen Übergängen
zwischen reinem Weiß und reinem Schwarz hervor-
treten, oder den Verhältnissen, in welchen sie ge-
mischt erscheinen, entsprechen dieselben Verhält-
nisse der Intensitäten jener beiden psychophysischen
Processe
.


1)


[78]

Man wird nach einiger Überlegung gerne zugestehen, daß
diese Annahme die einfachste überhaupt mögliche ist, weil sie
die denkbar einfachste Formel für den functionellen Zusammen-
hang zwischen physischem und psychischem Geschehen setzt.


Aber sie genügt auch allen Anforderungen, welche die all-
gemeine Nervenphysiologie stellen kann. Wir müssen im ner-
vösen Sehapparate eine Substanz annehmen, welche unter dem
Einflusse des einfallenden Lichtes eine Änderung erleidet, und
diese Änderung, möge sie sich physikalisch charakterisiren lassen,
wie sie wolle, ist doch, wie die Nervenphysiologie annehmen
muß, zugleich ein chemischer Vorgang. Hat die Einwirkung
des Lichtes aufgehört, so kehrt die veränderte (mehr oder min-
der „ermüdete“) Substanz früher oder später in ihren ursprüng-
lichen Zustand zurück. Diese Rückkehr kann wieder nichts an-
deres sein, als eine chemische Änderung in entgegengesetzter
Richtung. Will man die unter dem directen Einflusse des Lichtes
stattfindende chemische Veränderung der erregbaren Substanz als
eine partielle Consumtion auffassen, so muß man die Rückkehr
zur früheren Beschaffenheit als eine Restitution bezeichnen, will
man erstere als einen Spaltungsproceß, so muß man letztere
als einen synthetischen Proceß ansehen etc.


Den letzteren Proceß, durch welchen die lebendige orga-
nische Substanz den durch Erregung oder Thätigkeit erlittenen
Verlust wieder ersetzt, pflegt man auch als Assimilirung zu
bezeichnen und ich will diesen Ausdruck beibehalten. Bei der
Erregung oder Thätigkeit bildet nun jede lebendige und erregbare
organische Substanz nach allgemeiner Annahme gewisse chemische
Producte. Das Entstehen dieser Producte will ich analog als den
Proceß der Dissimilirung bezeichnen.


Die soeben ausgesprochenen Sätze über Assimilirung (A)
und Dissimilirung (D) der organischen Substanz sind den Er-
fahrungen der allgemeinen Physiologie und der Nervenphysiologie
insbesondere entnommen und haben sich also ganz unabhängig
von unserer Hypothese entwickelt. Ihre Richtigkeit vorausgesetzt,
ist durchaus nicht einzusehen, warum blos die eine Art des che-
mischen Geschehens in der Sehsubstanz, nämlich der Dissimili-
rungsproceß, eine psychophysische Bedeutung haben soll, die
andere, der Assimilirungsproceß, aber nicht. Die übliche Ansicht,
[79] daß nur der unter dem directen Einflusse des Lichtes stattfin-
dende chemische Proceß, die Dissimilirung, empfunden werde,
ist offenbar einseitig und ungerechtfertigt; dagegen erscheint es
von vornherein angemessen, beiden Arten des chemischen Pro-
cesses gleich großen Werth für die Empfindung zuzuschreiben.
Dies führt aber zu nichts anderem, als zu der oben aufgestellten
Hypothese. Denn wir brauchen dieselbe nur noch dahin zu
präcisiren, daß der Empfindung des Weißen oder
Hellen die Dissimilirung, der Empfindung des
Schwarzen oder Dunklen die Assimilirung der Seh-
substanz entspricht
, und die Hypothese genügt dann, wie
ich zeigen werde, nicht nur den Thatsachen der Empfindung,
sondern auch den Anforderungen der allgemeinen Nerven-
physiologie.


Wenn meine Hypothese richtig ist, so haben wir in den
Gesichtsempfindungen ein Mittel, den Ernährungsproceß der Seh-
substanz und seine zwei Hauptfactoren, die Dissimilirung und
Assimilirung, genau zu beobachten. Nicht also handelt es sich
fortan nur darum, daß vom Auge dem menschlichen Geiste ein
Complex von Empfindungen übergeben wird, die derselbe dann
mit Hilfe richtiger und falscher Urtheile oder Schlüsse zu Vor-
stellungen verarbeitet, sondern was uns als Gesichts-
empfindung zum Bewußtsein kommt, ist der psy-
chische Ausdruck oder das bewußte Correlat des
Stoffwechsels der Sehsubstanz
.


Für diesen Stoffwechsel haben wir also ein Reagens von
großer Empfindlichkeit, nämlich unser Bewußtsein. Freilich,
über die Art der chemischen Verbindungen oder Zersetzungen
sagt es uns zunächst noch nichts aus, wohl aber verräth es uns
den ganzen zeitlichen Verlauf der Assimilirung und Dissimilirung,
das Gesetz ihrer Abhängigkeit von einander und von den Äther-
schwingungen, das Steigen und Sinken der Erregbarkeit der Seh-
substanz und die Abhängigkeit dieser Erregbarkeitsänderungen
von der Dissimilirung und Assimilirung. So erst wird das Ca-
pitel von den Gesichtsempfindungen zu einem wahrhaft integri-
renden Abschnitte der Physiologie, während es bisher nothwen-
digerweise mehr physikalische und philosophische Erörterungen
enthielt, als eigentlich physiologische.


[80]

Auf Grund obiger Hypothese kommen wir, wie das Folgende
lehren wird, zu einer ganzen Reihe von Sätzen über Ermüdung,
Erregbarkeit und Stoffwechsel der Sehsubstanz, welche mit ge-
wissen Sätzen der allgemeinen Nervenphysiologie in Einklang
stehen; wir gelangen aber auch dazu, diesen Sätzen zum Theil
einen schärferen Ausdruck zu geben, sowie gewisse neue Sätze, die
sich als Consequenz unserer Hypothese ergeben, auch an anderen
erregbaren Substanzen zu prüfen, kurzum es erschließt sich ein
Weg zur Fortentwicklung der allgemeinen Nervenphysiologie,
weiterhin der Physiologie der „erregbaren“ Substanzen, und in
letzter Instanz der Lehre vom organischen Leben überhaupt.
Daß dieser Weg nicht unfruchtbar ist, hoffe ich in späteren Mit-
theilungen über verschiedene Capitel der Physiologie darzuthun.


Wir haben unsere Sinnesempfindungen so ausgiebig benützt,
um unsere Außenwelt zu erkennen und sie uns dienstbar zu
machen, benützen wir sie nun auch, um das stoffliche Geschehen
unseres eigenen Körpers zu erforschen, indem wir mit
ihrer Hilfe zuvörderst das untersuchen, was wir
nicht, wie die Außendinge, nur mittelbar, sondern
unmittelbar empfinden, nämlich den Stoffwechsel
unseres Nervensystems
.


§. 28.
Ableitung einiger Folgesätze.


In meiner vierten Mittheilung war ich durch eine von jeder
physikalischen oder physiologischen Voraussetzung unabhängige
Analyse der Gesichtsempfindungen zu dem Satze gelangt, daß
jede farblose Gesichtsempfindung bestimmt ist durch das Ver-
hältniß des in ihr merkbaren Schwarz zum gleichzeitig darin
merkbaren Weiß, und daß durch dieses Verhältniß die Qualität
(Helligkeit oder Dunkelheit) jeder schwarzweißen Empfindung
gegeben ist.


Wenden wir hierauf die im vorigen Paragraphen aufgestellte
Hypothese an, so kommen wir zu dem weiteren Satze, daß
die Art
(Helligkeit oder Dunkelheit) einer farblosen Ge-
sichtsempfindung bestimmt ist durch das Verhält-
niß, in welchem die Intensität oder Größe der Dis-
[81] similirung der Sehsubstanz zur Intensität oder
Größe ihrer gleichzeitigen Assimilirung steht
.


Hieraus folgt weiter, daß dem Grau, welches ich als
das mittle oder neutrale bezeichnet habe, derjenige
Zustand der Sehsubstanz entspricht, in welchem
Dissimilirung und Assimilirung gleich groß sind,
so daß die Menge der erregbaren Substanz dabei
constant bleibt
;


daß ferner bei jeder helleren Empfindung die
Dissimilirung größer ist als die Assimilirung, so
daß dabei die erregbare Substanz abnimmt und
zwar um so rascher, je größer das Verhältniß
oder je heller die Empfindung ist, und um so mehr,
je länger sie andauert
;


daß dagegen bei jeder Empfindung, welche
dunkler ist als das mittle Grau, die Dissimilirung
kleiner ist als die gleichzeitige Assimilirung, so
daß dabei die erregbare Substanz zunimmt, und
zwar um so rascher, je dunkler die Empfindung ist,
und um so mehr, je länger sie andauert
.


Was bedeutet nun die Zu- oder Abnahme der erregbaren
Substanz?


Nennen wir alle Reize, welche die Dissimilirung der Seh-
substanz begünstigen, die Dissimilirungsreize oder D-Reize,
und entlehnen wir aus der allgemeinen Physiologie den Satz, daß
die Größe der Reaction, mit welcher ein Organ auf einen Reiz
antwortet, mit abhängt von der Menge der in ihm enthaltenen
und vom Reize getroffenen erregbaren Substanz, so kommen wir
zu dem weiteren Satze, daß die Größe der durch einen
D-Reiz (z. B. Licht) bedingten Dissimilirung nicht
blos abhängt von der Größe des Reizes, sondern auch
von der jeweiligen Quantität der im gereizten Theile
enthaltenen und vom Reize getroffenen erregbaren
Substanz
.


Das Vermögen einer erregbaren Substanz, durch Reize in
den Zustand der Erregung zu gerathen, d. h. auf diese Reize durch
bestimmte chemische Processe zu antworten, nennen wir ihre
Hering, Lehre vom Lichtsinne. 6
[82] Erregbarkeit. Demnach können wir das Vermögen der Sehsub-
stanz, auf die D-Reize mit der Dissimilirung zu reagiren, als
ihre D-Erregbarkeit bezeichnen und nun obigen Satz auch
so aussprechen:


Jede Zunahme der erregbaren Substanz bedingt
eine Steigerung, jede Abnahme eine Herabsetzung
der D-Erregbarkeit im entsprechenden Theile des
Sehorganes
.


Daraus folgt weiter, daß die Empfindung des mitt-
len Grau ein Gleichbleiben, jede hellere Empfin-
dung eine Abnahme, jede dunklere eine Zunahme
der D-Erregbarkeit des betreffenden Theiles bedingt
.


Werden gleichzeitig an zwei Stellen von zu-
nächst gleicher D-Erregbarkeit Empfindungen ver-
schiedener Helligkeit oder Dunkelheit erzeugt, so
hat nach Schluß der Reizung die Stelle der helleren
(minder dunklen) Empfindung immer eine kleinere
D-Erregbarkeit als die Stelle der minder hellen
(dunkleren) Empfindung,
gleichviel ob eine oder beide
Empfindungen heller oder dunkler waren als das neutrale Grau;
und zwar ist der zurückbleibende Unterschied der D-Erregbar-
keit um so größer, je größer der Unterschied zwischen den
Helligkeiten der beiden Empfindungen oder zwischen den Werthen
der beiden entsprechenden Verhältnisse und war.


Wie nach dem Gesagten die jeweilige Größe der Dissimili-
rung abhängig ist einerseits von der Größe des Reizes, ander-
seits von der Quantität der im gereizten Theile vorhandenen er-
regbaren Substanz, so wird man von vornherein behaupten dürfen,
daß auch die Assimilirung nicht mit immer gleichbleibender In-
tensität stattfindet, sondern, daß auch sie eine variable, von be-
stimmten Bedingungen abhängige Größe hat.


Denn offenbar setzt der Proceß der Assimilirung voraus,
daß einerseits die dazu nöthigen chemischen Bedingungen, d. h.
gewisse Stoffe, anderseits gewisse physikalische Bedingungen (etwa
eine gewisse Temperatur) gegeben sind. Je nachdem das, was
die Assimilirung begünstigt, mehr oder weniger vorhanden ist,
wird dieselbe rascher und reichlicher oder langsamer und spär-
[83] licher erfolgen. Das zur Assimilirung nöthige, im Sehorgan vor-
handene, durch die Assimilirung stetig verbrauchte und vom
Blute immer wieder ersetzte A-Material wird mehr oder weniger
erschöpft werden können, sobald sein Verbrauch stärker ist, als
der gleichzeitige Wiederersatz aus dem Blute. Ferner wird die
Größe der Assimilirung vielleicht auch mit abhängen von der
jeweiligen Menge der assimilirenden erregbaren Substanz. Aus
alledem liesse sich schon ganz theoretisch eine Reihe von Sätzen
über Steigerung oder Herabsetzung des Assimilirungsvermögens
oder der A-Erregbarkeit, über A-Reize im Gegensatze zu den
D-Reizen etc. ableiten. Indessen will ich mich vorläufig nur auf
solche Sätze aus der allgemeinen Nervenphysiologie beziehen,
welche bereits allgemein angenommen sind, und werde nur in
§. 35 auf diese Verhältnisse kurz zurückkommen, ihre ausführliche
Erörterung aber für später vorbehalten.


§. 29.
Vom Gewichte der Gesichtsempfindungen.


Wenn die Helligkeit oder Dunkelheit einer farblosen Ge-
sichtsempfindung lediglich abhängt von dem Verhältniß der Dis-
similirung zur gleichzeitigen Assimilirung und also unab-
hängig ist von der absoluten Größe der entsprechen-
den psychophysischen Processe,
so fragt sich, welche
Bedeutung dieser absoluten Größe zukommt.


Ohne hier näher auf diese der allgemeinen Psychophysik
angehörige Frage einzugehen, will ich mich bemühen, sie in der
Kürze vorläufig zu beantworten.


Die absolute Größe eines gegebenen psychophysischen Pro-
cesses bestimmt — um hier einen neuen Ausdruck einzuführen
— das Gewicht der entsprechenden Empfindung. Liegen einer
Empfindung, wie z. B. dem Grau, zwei gleichzeitige psychophy-
sische Processe verschiedener Qualität zu Grunde, so gibt die
Summe der Größen beider Processe das Gewicht der resultirenden
oder Mischempfindung. Die Deutlichkeit, mit welcher in einer
solchen zusammengesetzten Empfindung jede einzelne relativ
einfache Empfindung hervortritt, hängt ab von dem Verhältnisse,
in welchem ihr eigenes Gewicht zum Gesammtgewichte der resul-
tirenden oder zusammengesetzten Empfindung steht. So ist, wie
6 *
[84] wir sahen, die Helligkeit oder Weißlichkeit einer grauen Em-
pfindung bestimmt durch das Verhältniß des Gewichtes der
weißen Empfindung (oder der Größe der Dissimilirung) zum
Gesammtgewichte der grauen Empfindung, d. h. zur Summe der
Gewichte der weißen und der schwarzen Empfindung (oder der
Größen der Dissimilirung und der Assimilirung).


Ist eine schon zusammengesetzte Empfindung, wie z. B. Grau,
wieder eine Componente einer noch complicirteren Verbindung,
z. B. des Graublau, so hängt die Deutlichkeit, mit welcher das
Grau in dieser Empfindung hervortritt, wieder ab von dem Ver-
hältnisse, in welchem das Gewicht der grauen Empfindung zum
Gesammtgewichte der grau-blauen steht. 1) Tritt z. B. in einer
solchen Empfindung das Blau, Weiß und Schwarz gleich deutlich
hervor, so beruht dies darauf, daß die blaue, die weiße und die
schwarze Empfindung gleiches Gewicht haben. Eine solche Em-
pfindung kann man auch auffassen als bestehend aus zwei Theilen
neutralen Grau und einem Theil Blau. Der Charakter oder die
Qualität einer Empfindung ist also unabhängig von ihrem Ge-
sammtgewichte, aber bestimmt durch das Verhältniß der Einzel-
gewichte der sie zusammensetzenden einfachen oder relativ ein-
fachen Empfindungen, und das Gewicht einer schwarz-weißen
Empfindung gewinnt demnach erst dann Bedeutung, wenn sie
mit andern Gesichtsempfindungen zusammentritt oder überhaupt
insofern, als ihre Beziehungen zu den gleichzeitigen anderweiten
psychophysischen Processen in Betracht kommen.


Der sachkundige Leser wird aus dem Gesagten schon das
allgemeine psychophysische Grundgesetz erkannt haben, von
welchem ich im Gegensatze zu Fechner ausgehe. Dieses Gesetz
besagt, daß die Reinheit, Deutlichkeit oder Klarheit
irgend einer Empfindung oder Vorstellung abhängt
von dem Verhältnisse, in welchem das Gewicht der-
selben, d. i. die Größe des entsprechenden psycho-
physischen Processes, steht zum Gesammtgewichte
aller gleichzeitig vorhandenen Empfindungen und
Vorstellungen
(oder wie man sonst die psychischen Zu-
[85] stände nennen will), d. i. zur Summe der Größen aller
entsprechenden psychophysischen Processe
.


Die meisten Empfindungen, welche wir als einfache hinnehmen, sind
höchst zusammengesetzt; diejenige Partialempfindung, welche das größte
Gewicht hat, gibt der Totalempfindung ihren Charakter und Namen. Sinkt
der Bruchtheil, welcher vom Gesammtgewichte einer Empfindung auf eine
ihrer Componenten kommt, unter einen gewissen Werth, so sind wir nicht
mehr im Stande, diese Componente als solche herauszufühlen. Gleichwohl
wirkt auch eine so schwache Componente an der Empfindung mit und be-
stimmt mit ihren Charakter, ihre Qualität. Fechner würde sagen, die Par-
tialempfindung bleibe „unter der Schwelle“. So ist jede Gesichtsempfindung,
wie ich später darzuthun suchen werde, aus mehreren einfachen Empfin-
dungen zusammengesetzt, und wenn ich hier die Empfindungen der schwarz-
weißen Reihe als nur binäre Empfindungen hingestellt habe, so geschah es
vorläufig im Interesse der Einfachheit der Darstellung. Im Schwarz und
Weiß sind eben die gleichzeitig mit empfundenen Farben „unter der Schwelle“,
weil ihr relatives Gewicht zu klein ist.


§. 30.
Über den Unterschied zwischen Erregbarkeit und
Empfindlichkeit
.


Die allgemeine Physiologie ist auf Grund zahlreicher Erfah-
rungen zu dem Satze gelangt, daß die Erregung wächst mit der
Größe des Reizes, und zwar versteht sie hiebei unter Reiz immer
einen D-Reiz und unter Erregung die Dissimilirung. Denn mit
den A-Reizen und mit der von denselben abhängigen Assimilirung
hat sich die Physiologie bis jetzt nicht eingehender beschäftigt,
obwohl die Assimilirung ein Proceß von derselben Bedeutung ist,
wie die Dissimilirung, und man daher eigentlich zwei verschie-
dene Arten der Erregung zu unterscheiden hat.


Wenn nun die Helligkeit einer farblosen Gesichtsempfindung
abhängt von dem Verhältnisse dieser beiden immer gleichzeitig
in der Sehsubstanz stattfindenden Erregungen, nämlich der Dissi-
milirung (D) und der Assimilirung (A), so ist ersichtlich, daß
die D-Erregbarkeit kein Maaß der Empfindlichkeit für Helligkeiten
sein kann.


Gesetzten Falls die Empfindung des mittlen Grau, dessen
Helligkeit nach meiner Bezeichnung (vergl. §. 22) gleich 0·5 ist,
sollte derart verändert werden, daß sie um ein eben Merkliches
an Helligkeit gewänne, so wäre dies, ganz theoretisch genommen,
[86] auf sehr verschiedene Weise möglich. Erstens nämlich durch
Steigerung der Dissimilirung (D), während A unverändert bleibt,
zweitens durch Minderung von A bei unverändertem D, drittens
dadurch, daß D steigt, während zugleich A abnimmt oder eben-
falls, aber weniger als D zunimmt, viertens endlich durch Ab-
nahme von A bei gleichzeitiger aber minder großer Abnahme von D.
In allen diesen Fällen nämlich würde das Verhältniß oder
größer werden, und daher die Helligkeit der Empfindung zu-
nehmen.


In dem besonderen Falle, wo die Änderung der Empfin-
dung durch äußeres Licht, also durch einen D-Reiz herbeigeführt
wird, fallen schon einige dieser Möglichkeiten weg, weil hiebei
immer eine Steigerung der Dissimilirung eintritt, und es sich
daher nur noch fragt, ob dabei die Assimilirung gleich bleibt oder
abnimmt, oder ebenfalls, aber schwächer als D, zunimmt, Je
nachdem das eine oder das andere der Fall ist, wird trotz
gleicher D-Erregbarkeit ein größerer oder kleinerer
Lichtreiz nöthig sein, um einen und denselben Hel-
ligkeitszuwachs der Empfindung herbeizuführen
.


Aber selbst wenn die Assimilirung während der Zunahme
der Dissimilirung ganz unverändert bliebe, würde doch ein und
derselbe Zuwachs zur letzteren das eine Mal eine eben merkliche
Veränderung der erwähnten mittelgrauen Empfindung bewirken
können, das andere Mal nicht, und das dritte Mal eine viel stärkere
Veränderung. Es wird dies nämlich mit abhängen von der abso-
luten Größe der schon bestehenden Assimilirung und Dissimili-
rung, d. h. von dem Gewichte der anfänglichen Empfindung.


Gesetzten Falls, die der gegebenen Empfindung des neutralen
Grau entsprechende D und A sei je 100, so ist das Geammt-
gewicht der Empfindung gleich 200, die Helligkeit gleich 0 · 5.
Stiege jetzt die Dissimilirung auf 101, so würde das Gesammt-
gewicht der Empfindung auf 201 und die Helligkeit auf
… steigen.


Wäre dagegen die anfängliche Größe von A und D je gleich
200, und wüchse D ebenfalls um 1, so daß sie gleich 201 würde,
[87] so stiege die Helligkeit auf …, d. i. nur
etwa um die Hälfte des vorigen Zuwachses.


Je größer überhaupt das Gewicht der schon be-
stehenden Empfindung ist, ein desto größerer D-
Zuwachs ist, unveränderte A vorausgesetzt, erfor-
derlich, um eine eben merkliche Veränderung dieser
Empfindung herbeizuführen
.


Wollen wir als Maaß der Empfindlichkeit den
kleinsten Reizzuwachs benützen, welcher eine eben
merkliche Helligkeitszunahme einer gegebenen Em-
pfindung bedingt, so haben wir also außer der D-
Erregbarkeit und der Helligkeit der Empfindung,

auf welche man bisher allein Rücksicht genommen hat, auch
noch das Gewicht der anfänglichen Empfindung und
die etwaige gleichzeitige Änderung der Assimili-
rungsgröße mit zu berücksichtigen
. Daß endlich auch
noch der sonstige psychophysische oder psychische Zustand in
Betracht kommt, versteht sich von selbst.


§. 31.
Über den Zustand und die Empfindungen des Seh-
organes nach längerem Aufenthalte im Finstern
.


Da auch das durch längere Zeit vor jedem äußern Reize
geschützte Sehorgan uns nicht die Empfindung eines absoluten
Schwarz, sondern viel hellere Empfindungen gibt, so war man,
um diese als Eigenlicht oder als innerer Lichtnebel bezeichneten
Empfindungen zu erklären, zur Annahme stetig fortwirkender
innerer Reize genöthigt, und folgerecht ergab sich hieraus der
Satz, daß das Sehorgan sich nie im Zustande voll-
ständiger „Ruhe“ befindet
.


Von vornherein war ferner wahrscheinlich, daß das voll-
ständig verfinsterte Sehorgan sich schließlich mit den sogenannten
inneren Reizen derart in’s Gleichgewicht setzen werde, daß sich
eine gewisse Constanz seines Zustandes und insbesondere ein an-
näherndes Gleichbleiben seiner Empfindlichkeit herstellen werde.
Denn während man annahm, daß die äußeren Reize die Netz-
[88] haut ermüden, durfte man nicht dasselbe auch von den inneren
Reizen gelten lassen, soweit sie nur nicht eine krankhafte In-
tensität haben; sonst wäre es ja nicht denkbar gewesen, daß
das durch äußere Reize ermüdete Sehorgan sich trotz der immer
vorhandenen inneren Reize erholen und allmälich wieder auf das
Maximum seiner Empfindlichkeit kommen kann.


In der That hat Aubert1) durch directe Versuche erwiesen,
daß beim Aufenthalt im Dunkeln die Empfindlichkeit zwar an-
fangs rasch, später aber nur noch sehr langsam wächst, und daß
sich also wahrscheinlich eine annähernde Constanz der Empfind-
lichkeit früher oder später herstellt. Wie nun die jetzige Theorie
annehmen muß, daß bei diesem Zustande die erregbare Sub-
stanz in dem Maaße, als sie durch die inneren Reize verbraucht
wird, sich durch einen gleichzeitigen Restitutionsproceß
wieder ersetzt, so nehme auch ich an, daß hierbei Dissimi-
lirung und Assimilirung annähernd gleich groß
sind
.


Je länger wir uns also im ganz dunklen Raume aufhalten,
desto mehr müßte sich nach meiner Theorie das sogenannte
Eigenlicht der mittlen Helligkeit (= 0 · 5) nähern, und sobald das
völlige Gleichgewicht zwischen Dissimilirung und Assimilirung
hergestellt wäre, müßte die Empfindung des mittlen Grau selbst
eintreten.


Wirklich haben wir nun, wie schon früher (§. 23) betont
wurde, nach längerem Aufenthalte im Finstern nicht die Empfin-
dung des Schwarzen, sondern bedeutend hellere Empfindungen;
aber es ist die Wirkung der inneren Reize keine constante und
nicht einmal gleichzeitig in allen Theilen des Sehorganes dieselbe,
so daß jene mittle Empfindung nicht nach Zeit und Raum stetig
vertheilt sein kann. Vielmehr schwankt die Empfindung hin und
her, und wir müssen uns begnügen, nachgewiesen zu haben, daß
das Sehorgan, wenn seine Dissimilirung und Assimilirung an-
nähernd gleich groß sind, von der Empfindung des Schwarzen
ungefähr ebenso weit entfernt ist, als von der des Weißen.


Bedenke ich die durchschnittliche Gesichtsempfindung,
welche ich nach längerem Aufenthalte im Finstern, also z. B.
[89] nach dem Erwachen während der Nacht im finstern Zimmer habe,
so muß ich zugestehen, daß mir dieselbe trotz ihrer Helligkeit
doch dem tiefsten Sammtschwarz, wie ich es im erleuchteten
Raume sehen kann, immer noch näher verwandt erscheint, als
dem Weiß der Sonnenscheibe. Dies scheint meiner Behauptung,
daß jene Empfindung durchschnittlich dem mittlen Grau von
der Helligkeit 0 · 5 gleiche, zu widersprechen. Doch ist der
Widerspruch wohl nur scheinbar. Gäbe es nämlich Lichtstrahlen,
welche in unserem Auge ganz analoger Weise die Assimilirung
förderten, wie die wirklichen Lichtstrahlen die Dissimilirung
steigern, und könnten wir solche Lichtstrahlen mit derselben
Intensität auf die Netzhaut wirken lassen, wie wir es mit den
Sonnenstrahlen vermögen, so müßten wir dadurch die Empfin-
dung eines Schwarz bekommen, welches an Tiefe oder Inten-
sität ganz außerordentlich selbst das tiefste wirklich empfundene
Sammtschwarz überträfe und geradezu blendend wäre. Aber
solche als A-Reiz wirkende Lichtstrahlen gibt es nicht, die
innern A-Reize aber sind immer verhältnißmäßig schwach; sie
wirken nie in so concentrirter Weise, wie es günstigen Falls das
äußere Licht vermag.


Da wir also von den nur denkbaren dunklen Empfindungen,
welche schwärzer als Sammtschwarz sind, gar keine Vorstellung
haben, eben weil sie erfahrungsgemäß nicht vorkommen und
nach meiner Theorie auch nicht vorkommen können, so ist be-
greiflich, daß uns das mittle Grau oder die mittle Helligkeit dem
Sammtschwarz näher zu stehen scheint, als dem hellsten wirk-
lich zur Empfindung kommenden Weiß.


§. 32.
Erklärung des simultanen Contrastes.


Stellen wir bei einer mittlen Beleuchtung und mit gesun-
den, nicht zuvor geblendeten Augen die in meiner zweiten Mit-
theilung beschriebenen Contrastversuche an, so ergibt sich, daß,
wenn ein Theil des Sehorganes durch Licht gereizt wird, die
übrigen Theile und insbesondere die Nachbartheile dunkler em-
pfinden als vorher.


Von vornherein gestattet die in §. 27 aufgestellte Hypothese
eine mehrfache Erklärung dieser Thatsache. Das Dunklerwerden
[90] der Empfindung in der Umgebung des Hellen läßt sich nämlich
ebensowohl ableiten aus einer unter dem indirecten Einflusse des
Lichtreizes eingetretenen Minderung der Dissimilirung als aus
einer Steigerung der Assimilirung (von den denkbaren Combina-
tionen beider Wirkungen ganz abgesehen). In beiden Fällen
müßte eine Verdunklung der Empfindung und als secundäre
Wirkung eine Erhöhung der D-Erregbarkeit in der Umgebung
des Hellen eintreten. Ich werde in den folgenden Paragraphen
Thatsachen zur Unterstützung der Annahme beibringen, daß bei
dieser Verdunklung durch Contrast eine Steigerung der Assimi-
lirung an den verdunkelten Stellen stattfindet, und will daher
schon hier von dieser Annahme ausgehen.


Diese Zunahme der Assimilirung ist nun, wie die Versuche
lehren, am stärksten in unmittelbarer Nähe der durch äußeres
Licht gereizten Stellen, nimmt mit der Entfernung rasch ab,
läßt sich aber nicht bestimmt begrenzen und findet wahrschein-
lich auch in den entfernteren Theilen, wenngleich hier in kaum
oder bisweilen gar nicht merklicher Weise statt. Den zeitlichen
Verlauf derselben lasse ich hier vorläufig unberücksichtigt.


Es läßt sich demnach folgender Satz aussprechen: Auf
partielle Reizung durch Licht reagirt nicht nur der
getroffene Theil, sondern auch dessen Umgebung
und zwar der direct gereizte Theil durch gesteigerte
Dissimilirung, die (indirect gereizte) Umgebung
durch gesteigerte Assimilirung derart, daß letztere
Steigerung in der unmittelbaren Nähe der beleuch-
teten Stelle am größten ist und mit dem Abstande
von derselben rasch abnimmt
.


Hieraus erklärt sich nun, warum wir im beleuchteten Raume
an den finstern Stellen wirkliches Schwarz sehen (vergl. §. 23),
während wir im verdunkelten Auge hellere Empfindungen haben,
obgleich die inneren D-Reize dort wie hier wirksam sind, und
die schwarz empfindenden Stellen des offenen Auges noch dazu
immer etwas äußeres Licht empfangen.


Denn ich habe zwar zunächst angenommen, daß nur ein-
zelne Stellen der Netzhaut ausschließlich beleuchtet seien, und
die übrigen ganz finster, aber dieser Fall tritt in Wirklichkeit
nie ein, weil im Auge immer Licht über die übrige Netzhaut zer-
[91] streut wird, und weil überdies unter den gewöhnlichen Umstän-
den auch von den sogenannten ganz dunklen Theilen des sicht-
baren Raumes stets ein schwaches Licht zurückgeworfen wird.


Durch die Steigerung der Assimilirung an den
nicht vom Bilde der hellen Objecte getroffenen
Stellen wird nun für gewöhnlich verhütet, daß das
zerstreute Licht wahrgenommen wird
.


Das zerstreute Licht ist am stärksten in der Nähe eines
hellen Netzhautbildes und bedingt hier das Übergreifen der Be-
leuchtung über die Grenzen des eigentlichen Bildes (objective
Irradiation).


Dadurch, daß die Steigerung der Assimilirung
in unmittelbarer Nähe der beleuchteten Stelle am
größten ist, wird auch die Wahrnehmung dieses
relativ starken zerstreuten Lichtes größten Theiles
unmöglich gemacht
. Auf diesen günstigen Einfluß des simul-
tanen Contrastes hat schon Mach1) aufmerksam gemacht, ohne
ihn jedoch physiologisch genügend erklären zu können.


Das zerstreute Licht wird also innerhalb ge-
wisser Grenzen unschädlich gemacht, das helle
Netzhautbild bekommt schärfere Umrisse und wird
durch die Verdunklung des Grundes stärker ge-
hoben
.


In extremen Fällen genügt allerdings die geschilderte Stei-
gerung der Assimilirung nicht mehr, um das zerstreute Licht
ganz unsichtbar zu machen, immerhin aber wird es gedämpft.
Übrigens aber hält die Contrastwirkung nicht lange an, sondern
schlägt bei fester Fixation früher oder später in ihr Gegentheil
um. (Vergl. den folg. §.)


Da man jedoch beim gewöhnlichen Sehen seinen Blick fort-
während über die Außendinge hin und her bewegt, so hat die
beschriebene Einrichtung noch einen weiteren großen Vortheil.
Wie auch das Bild eines hellen Objectes auf der Netzhaut wan-
dert, immer trifft es die Stelle, auf welche es übertritt, gleichsam
zu seinem Empfange vorbereitet. Denn die in der Umgebung des
[92] Bildes sehr schnell erfolgende Steigerung der Assimilirung er-
höht zugleich ebendaselbst die D-Erregbarkeit und das helle
Bild findet also bei seiner Wanderung immer eine

(relativ oder absolut) gesteigerte D-Erregbarkeit vor.
Nach kurzem Aufenthalte an einer Stelle läßt es
dieselbe mit verminderter D-Erregbarkeit zurück,
wirkt aber von seinem neuen Platze aus begünsti-
gend auf die Assimilirung jener Stelle zurück und
hilft dazu, deren frühere D-Erregbarkeit wieder
herzustellen
. Dabei wird durch die Steigerung der Assimili-
rung und die entsprechende Verdunkelung zugleich jene Hellig-
keit rascher gedämpft, welche hinter einem bewegten hellen
Netzhautbilde zurückbleibt und welche man aus einer Nachdauer
der Erregung zu erklären pflegt.


Es werden aber, wie ebenfalls in meiner zweiten Mittheilung
besprochen worden ist, nicht blos dunkle Theile des Sehfeldes
durch Contrast absolut dunkler, sondern auch helle absolut
heller.


Wenn es richtig ist, daß auf Reizung eines Theiles die
anderen Theile des Sehorganes durch vergrößerte Assimilirung
reagiren und zwar hauptsächlich die Nachbartheile, so folgt,
daß, wenn zwei Nachbartheile gleichzeitig durch
Licht gereizt werden, sie gegenseitig ihre Assimili-
rung unterstützen
. In Folge dessen wird das Verhältniß
oder an beiden Stellen ein kleineres, als es sein würde,
wenn diese gegenseitige Förderung der Assimilirung nicht be-
stände, und die Empfindung wird dem entsprechend minder hell,
als sie sonst sein würde. Man kann also sagen, daß gleich-
zeitig gereizte Stellen sich gegenseitig in ihrer
Helligkeit beeinträchtigen oder so zu sagen ver-
dunkeln, um so mehr, je näher sie einander sind,
d. h. zugleich, daß sie gegenseitig ihre erregbare
Substanz vor zu raschem Verbrauche schützen
.


Wenn ein heller Theil von ebenfalls hellen Theilen umgeben
ist, so erfährt seine Assimilirung von allen Seiten her eine Unter-
stützung und erscheint daher minder hell, als wenn er von dunklen
[93] Theilen umgeben wäre: hierauf beruht die Steigerung der
Helligkeit durch Contrast
.


Es erklärt sich nun, warum helle Objecte auf dunk-
lem Grunde heller erscheinen, wenn sie ein kleines,
als wenn sie ein großes Netzhautbild geben
. Man
lege einen Bogen grauen Papieres auf sammtschwarzen Grund
und in einiger Entfernung davon auf denselben Grund einen
schmalen Streifen desselben Papieres, so wird dieser Streifen
deutlich heller erscheinen als der ganze Bogen. Streifen und
Bogen dürfen bei diesem Versuche keine Knickungen haben und
müssen von feinem Korne sein oder aus größerer Entfernung
aber bei scharfer Acomodation betrachtet werden. Hierher ge-
hört auch folgender Versuch von Mach1):


„Legt man auf einen unbegrenzten schwarzen Grund ein weißes Qua-
drat, so zeigt dies eine gewisse Contrasthelligkeit.“ Schneidet man nun aus
der Mitte desselben ein kleines Quadrat aus und legt es daneben, „so bleibt
die Gesammthelligkeit des Gesichtsfeldes dieselbe. Die Helligkeit des Weiß
wächst jedoch. Dies deutet,“ wie Mach fortfährt, „auf eine Wechselwirkung
der Netzhautstellen und zwar auf eine desto stärkere, je näher sich die
Netzhautstellen sind. Es geschieht eben in dem Versuche nichts anderes,
als daß einige schwarze Stellen einigen weißen näher rücken.“ Dieser
Versuch beweist zugleich, daß die scheinbare Helligkeit eines hellen Papier-
bildes nicht blos abhängt von dem „Verhältniß der Lichtquantität der ge-
sammten Netzhaut und des Papierbildes“, woraus Mach2) das scheinbare
Gleichbleiben eines und desselben Papierweiß trotz verschiedener Helligkeit
der Beleuchtung erklären wollte, denn bei dem eben beschriebenen Ver-
suche bleibt ja dieses Verhältniß dasselbe und nur die Vertheilung des
Lichtes ändert sich. Das scheinbare Gleichbleiben desselben Papierweiß bei
verschiedenen Beleuchtungen erklärt sich aus der Adaptation des Sehorganes,
und diese beruht, wie ich später zeigen werde, auf einem, unter dem Ein-
flusse des dauernd wirkenden Lichtreizes sich herstellenden, neuen annähern-
den Gleichgewichte zwischen Dissimilirung und Assimilirung.


Am eindringlichsten zeigt folgender Versuch die Erhellung
durch Contrast. Man halte ein größeres Stück schwarzen Pa-
pieres gegen den blauen oder graubewölkten Himmel, steche
aber zuvor ein feines Loch in das Papier, etwa 1 Cm. weit vom
[94] Rande desselben, und vergleiche dann die Helligkeit des Him-
mels mit der des leuchtenden Punktes; ersterer ist mäßig hell,
letzterer leuchtet intensiv. Hieraus erklärt sich mit die große
scheinbare Helligkeit der Sterne trotz ihrer objectiven Licht-
schwäche. Alle diese Versuche setzen feste Fixirung voraus.


Wenn man eine beschränkte Stelle einer be-
liebig hellen oder dunklen Fläche eben merklich er-
hellt oder
(z. B. durch Schatten) verdunkelt, so beruht
die Merklichkeit dieser Veränderung
nach dem Gesagten
keineswegs blos auf der Zu- oder Abnahme der Hel-
ligkeit der betroffenen Stelle
, wie man dies zeither an-
genommen hat, sondern auch auf der Ab- oder Zunahme
der Helligkeit ihrer Umgebung
. Dies kommt bei den
üblichen Methoden zur Messung der Unterschiedsempfindlichkeit
sehr in Betracht.


Alles, was von dem Contraste zwischen Hell und Dunkel
gesagt worden ist, gilt selbstverständlich auch von Contrasten
zwischen Hell und Minderhell, Dunkel und Minderdunkel, was
ich hier nicht weiter ausführen will.


Ich lasse vorläufig ganz dahingestellt, ob die indirecte Wirkung des
Lichtreizes blos darauf beruht, daß er die Assimilirung der Umgebung und
besonders der gereizten Stelle selbst begünstigt, oder ob er etwa gleich-
zeitig auch die Dissimilirung der Umgebung herabsetzt. Dies würde die
Erscheinungen zwar dem Maße, nicht aber der Richtung nach ändern.
Später werde ich bei der ausführlichen Erörterung der Contrasterschei-
nungen darauf zurückkommen. Hier beabsichtige ich nur eine kurze Skiz-
zirung meiner Theorie.


Die zunächst räthselhaft erscheinende Thatsache, daß das Licht nicht
nur direct auf den von ihm getroffenen Theil, sondern auch indirect auf
die übrigen und insbesondere die Nachbartheile wirkt, muß man, wie jede
Thatsache, einfach hinnehmen. Denn daß eine solche indirecte Wirkung
und überhaupt eine Wechselwirkung der einzelnen Theile des Sehorganes
besteht, habe ich in meinen früheren Mittheilungen über Contrast und In-
duction bewiesen. Die Sache verliert viel von ihrer Räthselhaftigkeit, wenn
man bedenkt, daß es im Bereiche des physikalischen und chemischen Ge-
schehens zahlreiche Analogien dafür gibt, besonders da, wo es sich um Aus-
lösung von Kräften handelt.


Man denke sich z. B., die Ätherschwingungen lösten an der gereizten
Stelle einen chemischen Proceß aus, durch welchen Wärme frei würde, so
wäre denkbar, daß diese Wärme nun ihrerseits die Assimilirung unter-
stützte und zwar nicht nur an der beleuchteten Stelle, sondern in Folge der
Fortleitung der Wärme auch, jedoch schwächer, in der Umgebung. Ich be-
[95] merke aber ausdrücklich, daß dies nur ein Bild sein soll, und daß
sich solcher Bilder viele machen ließen.


§. 33.
Erklärung der simultanen und successiven Licht-
induction
.


Wie in meiner dritten Mittheilung (über simultane Licht-
induction) näher auseinandergesetzt ist, überzieht sich ein dunkler
Grund, auf welchem sich helle Theile befinden, mehr und mehr
mit subjectivem Licht, wenn man eine Stelle längere Zeit fixirt
hat. Diese Erhellung des Grundes beginnt an der Grenze der
hellen Theile und breitet sich allmälig immer weiter aus, wäh-
rend zugleich die hellen Theile immer dunkler werden.


Diese von mir sogenannte simultane Lichtinduction ist eine
nothwendige Folge der anfänglichen Contrastwirkung. Durch die
Reizung und gesteigerte Dissimilirung in den beleuchteten
Theilen wird in den übrigen die Assimilirung gesteigert, was
sich durch die subjective Verdunklung derselben verräth. Diese
Steigerung der Assimilirung hat nun an den dunklen Stellen
eine Zunahme der erregbaren Substanz und also auch der D-
Erregbarkeit zur Folge. Die fortwirkenden innern Reize und
das schwache von dem dunklen Grunde zurückgeworfene oder
von den hellen Theilen zerstreute Licht bewirken daher eine
immer mehr zunehmende Dissimilirung, während die Assimilirung
nicht zu-, sondern vielmehr allmälich wieder abnimmt. Hieraus
folgt, nach meiner Theorie, eine Wiederzunahme der
scheinbaren Helligkeit an den vorher durch Contrast
verdunkelten Stellen
.


Handelt es sich nicht um Hell und Dunkel, sondern um
Hell und Minderhell, Minderdunkel und Dunkel, so ist der Ver-
lauf im wesentlichen derselbe; der anfangs durch Contrast mit
dem Helleren etwas abgeschwächte Grund nimmt wieder an Hel-
ligkeit zu, der durch Contrast mit dem Minderdunklen noch mehr
verdunkelte dunkle Grund wird wieder minder dunkel.


Da, während der Grund sich durch simultane Induction
aufhellt, zugleich die helleren Theile wegen der unter dem Ein-
flusse des Reizes stattfindenden Abnahme der erregbaren Sub-
stanz und der D-Erregbarkeit allmälich minder hell werden, so
[96]tritt früher oder später der Fall ein, daß die Hellig-
keit des Grundes eben auf denselben Grund ge-
stiegen ist, auf welchen gleichzeitig die Helligkeit
der helleren Theil herabgesunken ist: jetzt fliessen
Grund und hellere Theile unterschiedslos zusammen
,
oder wie man zu sagen pflegt, die hellen Theile verschwinden.
In den peripherischen Theilen tritt dies schneller ein als in den
centralen, doch fordert der Versuch sowohl dort als insbesondere
hier Übung im dauernden festen Fixiren; denn jede Bewegung
des Auges verschiebt die hellen Bilder auf der Netzhaut und
ihre Umrisse treten jetzt in Folge des successiven Contrastes mit
um so größerer Deutlichkeit hervor. Der Ungeübte wird des-
halb besser thun, auf einer hellen Fläche eine Anzahl verwaschen
begrenzter Schatten zu erzeugen, oder ein weißes Papier über
einer russenden Ölflamme hin und her zu führen. Bei fester Fixa-
tion einer solchen Fläche, auf der Helleres und Dunkleres ab-
wechseln, wird er bald Alles die gleiche Helligkeit annehmen sehen.


Hört die Beleuchtung der hellen Theile auf, so können sie
nicht mehr begünstigend auf die Assimilirung in den umgebenden
Theilen wirken, die Assimilirung sinkt daher hier sofort, während
die Dissimilirung unter dem Einflusse der innern D-Reize nicht nur
fortbesteht, sondern auch wegen der gesteigerten D-Erregbarkeit
entsprechend stark ist. Nach unserer Theorie folgt, daß nun das
Verhältniß oder ein größeres, d. h. die Empfindung heller
wird. Daher erscheinen nach langer Fixation einer Fläche, die
Helles auf dunklem Grunde zeigt, im nachher verdunkelten Auge
die vorher dunklen Theile hell und wie ich gezeigt habe, unter
günstigen Umständen geradezu leuchtend hell: dies ist die suc-
cessive Lichtinduction
.


§. 34.
Erklärung des successiven Contrastes.


Ich will das Wesentlichste der Erscheinungen des succes-
siven Contrastes an vier Cardinalversuchen erläutern, welche zum
Theil schon früher erwähnt worden sind.


1. Man lege auf einen weißen Grund zwei tiefschwarze
Blätter oder mit schwarzem Sammt überzogene Cartonblätter
[97] derart, daß sie nur einen 1 Cm. breiten weißen Streifen frei-
lassen, und fixire letzteren ½—1 Minute lang. Dabei wird man
bemerken, daß die ursprüngliche Helligkeit des Weiß allmälig
nachläßt. Entfernt man aber plötzlich die schwarzen Blätter, so
erscheint der unmittelbar vorher noch weiße Streifen dunkelgrau.
Diese plötzliche Verwandlung des Streifens ist nach meiner
Theorie die nothwendige Folge der plötzlichen hellen Beleuch-
tung seiner Nachbarschaft; die Dissimilirung der letzteren wird
plötzlich gesteigert und wirkt nun ihrerseits von zwei Seiten her
begünstigend auf die Assimilirung an der Stelle des Streifens.
Vor der Entfernung der schwarzen Blätter war das Gegentheil
der Fall; auf die Nachbarschaft des vom Weiß des Streifens be-
leuchteten Theils wirkte nur spärlich zerstreutes Licht dissimili-
rend, dagegen wurde vom Streifen her die Assimilirung begün-
stigt und die D-Erregbarkeit gesteigert. Wird nun plötzlich das
Licht des weißen Grundes neben dem Streifen sichtbar, so wirkt
es um so stärker dissimilirend. An der Stelle des Streifens hat
dagegen die erregbare Substanz und mit ihr die D-Erregbarkeit
abgenommen, die Dissimilirung und das Gewicht der Empfin-
dung ist trotz gleichbleibendem Reize kleiner geworden, und die
plötzliche Steigerung der Assimilirung wirkt nun um so stärker
verdunkelnd.


Der beschriebene Versuch ist eine zweckmäßige Abände-
rung des bekannten Versuches, bei welchem man nach längerer
Fixation eines hellen Objectes auf dunklem Grunde den Blick auf
eine weiße Fläche richtet.


Daß es paradox ist, zu behaupten, der Streifen werde un-
mittelbar nach Entfernung der schwarzen Blätter noch ebenso
hell empfunden, wie kurz zuvor, und er scheine nur in Folge
eines falschen Urtheils dunkler, beziehungsweise im günstigsten
Falle sogar schwärzlich, dies habe ich schon in §. 19 hervor-
gehoben. Man kann deshalb auch ein solches negatives Nachbild
nicht blos aus der „Ermüdung“, d. h. der gesunkenen „Erregbar-
keit“ für äußeres Licht erklären.


2. Legt man auf einen schwarzen Grund zwei große weiße
Blätter, so daß sie wieder nur einen schmalen Streifen des
Grundes freilassen, und fixirt den letztern ½ Minute lang, so
wird er anfangs sehr dunkel erscheinen und allmälig etwas heller
Hering, Lehre vom Lichtsinne. 7
[98] werden (simultane Lichtinduction), sobald man aber die beiden
weißen Blätter schnell entfernt, weißlich erscheinen. Dies be-
ruht auf der schon erklärten successiven Lichtinduction. Der
Versuch ist nur eine Abänderung des Versuches, bei welchem man
ein schwarzes Object auf weißem Grunde fixirt und dann auf
einen schwarzen Grund blickt. Daß das plötzliche Hell- oder
Weißlichwerden des kurz vorher noch schwarzen Streifens sich
nicht aus der „Ermüdung“ seiner Umgebung erklären läßt, wurde
schon in meiner ersten Mittheilung gezeigt.


3. Lege ich einen schmalen weißen Streifen auf schwarzen
Grund, fixire denselben eine Weile und ziehe ihn dann rasch weg,
oder schiebe ein gleich schwarzes Blatt darüber, so erscheint nun
das Schwarz an der Stelle des früheren Streifens dunkler und in
der nächsten Umgebung heller als kurz vorher.


Während der Betrachtung des weißen Streifens wurde in
seiner Umgebung die Assimilirung gesteigert, an der Stelle des
Streifens aber nahm die D-Erregbarkeit ab, während eine irgend
erhebliche A-Ermüdung, d. h. Erschöpfung des Assimilirungs-
materials (siehe den folg. §.) nicht stattfand. Deshalb erscheint
zwar bei genauer Beobachtung im ersten Momente nach Entfer-
nung des weißen Streifens an seiner Stelle ein schwach grauer
(das positive, jetzt aus dem Fortklingen der Erregung erklärte
Nachbild), sehr schnell aber wird die Stelle ganz schwarz, wäh-
rend ihre Umgebung sich aufhellt, weil hier die vorhergegangene
Unterstützung der Assimilirung weggefallen ist und das schwache
Licht der schwarzen Fläche sowie die inneren Reize jetzt eine
gesteigerte D-Erregbarkeit finden.


4. Fixire ich einen schwarzen Streifen auf weißem Grunde
und ziehe nach einer Weile den Streifen rasch weg oder schiebe
ein gleich weißes Blatt darüber, so sehe ich an Stelle des
schwarzen Streifens ein Weiß, das viel heller und reiner ist,
als das Weiß der übrigen Fläche und besonders von seiner
nächsten Umgebung absticht, welche häufig schmutzigweiß oder
hellgrau erscheint (Dunkelhof). Während der Betrachtung des
schwarzen Streifens wurde nämlich im entsprechenden Theile
des Sehorganes die Assimilirung von zwei Seiten her gesteigert,
daher das anfängliche tiefe Schwarz des Streifens; in nächster
Umgebung des Streifens aber fand eine stärkere Herabsetzung der
[99]D-Erregbarkeit als in den übrigen Theilen statt, weil die Assimi-
lirung nur von der einen Seite, nicht von allen Seiten her unter-
stützt wurde. Das Licht, welches dann plötzlich auf den vorher
dunklen Theil des Sehorganes fällt, findet also hier eine ge-
steigerte D-Erregbarkeit vor, bewirkt daher eine relativ starke
Dissimilirung, welche ihrerseits wieder begünstigend auf die
Assimilirung der Nachbarschaft wirkt. Theils wegen dieser stär-
keren Assimilirung, theils wegen der schwächeren Dissimilirung
erscheinen nun diese Nachbartheile dunkler als die übrige weiße
Fläche.


In diesen vier Versuchen sind die wesentlichsten und be-
kanntesten Erscheinungen der negativen Nachbilder des offenen
Auges oder des successiven Contrastes enthalten; das fernere
Detail möge später ausführlich erörtert werden. Man sieht aber
schon aus der hier gegebenen Skizze, wie ausgiebig sich aus
meiner Theorie alle diese Erscheinungen erklären lassen, und zu-
gleich, wie ungenügend die bisherigen Erklärungen waren.


§. 35.
Über die Ermüdung des Sehorganes.


Wenn durch Einwirkung eines Lichtreizes die Dissimilirung
der erregbaren Substanz unmittelbar gesteigert wird und dadurch
wieder mittelbar, obwohl in schwächerem Maße, auch die Assi-
milirung der beleuchteten Theile, so muß nicht nur die Menge
der erregbaren Substanz in diesen Theilen abnehmen, sondern
es kann auch der Vorrath an Assimilirungsmaterial dann sich
mindern, wenn der Verbrauch desselben unter dem indirecten
Einflusse des Reizes rascher stattfindet, als der gleichzeitige
Ersatz aus dem Blute erfolgen kann. Hört dann die Reizung
plötzlich wieder auf, so sinkt nicht nur die Dissimilirung auf ein
Maß zurück, wie es der geminderten erregbaren Substanz und
den fortwirkenden inneren Reizen entspricht, sondern es sinkt
auch die Assimilirung, weil sie nicht mehr durch die indirecte
Wirkung des Reizes unterstützt wird. Wenn nun aber die Größe
der Assimilirung mit abhängig ist von der Menge des zur Assi-
milirung bereitstehenden Materiales, und dieses durch die vor-
angegangene Reizung erheblich gemindert ist, so kann in Folge
dessen die Assimilirung nach Schluß der Reizung noch schwächer
7 *
[100] werden als die Dissimilirung, was im verdunkelten Auge eine
Nachempfindung bedingen muß, welche heller ist als das neutrale
Grau. Allmälig wird sich dann das mehr oder weniger erschöpfte
Assimilirungsmaterial wieder aus dem Blute ergänzen und da-
mit auch die Assimilirung wieder zu-, die Helligkeit der Nach-
empfindung wieder abnehmen.


Es ist also unter dem Einflusse des Lichtreizes
eine doppelte Art der Ermüdung des beleuchteten
Theiles denkbar; die eine verräth sich durch eine
geminderte D-Erreg barkeit und beruht auf der Ab-
nahme der erregbaren Substanz, die andere ist die
Folge der mehr oder minder großen Erschöpfung des
Assimilirungsmateriales. Wir können diese beiden
Arten der Ermüdung als D-Ermüdung und A-Ermü-
dung unterscheiden
. Es ist diese Unterscheidung nicht blos
für die Physiologie der Sehsubstanz, sondern auch für die der
irritablen Substanzen überhaupt unentbehrlich.


Blickt man in die Sonne, so erhält man im nachher ver-
dunkelten Auge ein lang andauerndes helles Nachbild. Man er-
klärt es jetzt, wie alle solche positiven Blendungsbilder, aus
einer Fortdauer der Erregung. Nun sollte man meinen, daß,
wenn dies richtig ist, beim Einfallen neuen Lichtes, z. B. beim
Blicke auf eine helle weiße Fläche, diese Erregung noch gestei-
gert werden und das Nachbild noch heller erscheinen müßte als
im geschlossenen Auge; statt dessen aber erscheint es vielmehr
dunkler und manchmal sehr viel dunkler.


Wenn ich eine schwarze Scheibe auf weißem Grunde ½ —
1 Minute lang fixire, und dann die Augen verdunkle, so sehe ich
ein helles Nachbild der Scheibe; dasselbe leuchtet im inducirten
Lichte und zwar oft ebenso hell wie das positive Nachbild der
Sonne. Blicke ich dann auf eine hellweiße Fläche, so wird dieses
helle Nachbild noch viel heller. Es tritt also, verglichen mit dem
vorigen Versuche, das gerade Gegentheil ein.


Die Helmholtz’sche Theorie muß sich aus diesem auf-
fallenden Widerspruch durch die unbewußten „falschen Urtheile
und Schlüsse“ heraushelfen, indem sie annimmt, das im verdun-
kelten Auge helle Blendungsnachbild der Sonne werde, wenn man
auf eine helle Fläche blickt, wirklich noch heller „empfunden“ als
[101] vorher im verdunkelten Auge, aber man halte es gleichwohl für
dunkel oder schwärzlich, weil man jetzt seine Helligkeit mit der
viel größeren Helligkeit der übrigen weißen Wand vergleiche;
im Gegensatze zu diesem Weiß erscheine Einem nun das Nach-
bild dunkel, während man es im geschlossenen Auge im Gegen-
satz zu dem „Eigenschwarz“ der Netzhaut für hell halte. Diese
psychologische Theorie verkehrt also hier entschiedenes Dunkel
in angebliches Hell. Umgekehrt verfährt sie mit dem Nach-
bilde der schwarzen Scheibe, welches im verdunkelten Auge eben-
falls hell ist. Von diesem behauptet sie, es werde eigentlich
schwärzlich empfunden, d. h. es habe nur jene sehr schwache
Helligkeit, welche der Augengrund zeigt, wenn man das Auge
½—1 Minute lang verdunkelt hatte; man halte aber gleichwohl
das Nachbild für hell leuchtend, weil die übrige Netzhaut wegen
der vorangegangenen Ermüdung noch viel dunkler sei als ge-
wöhnlich. Daß häufig bei diesem Versuche der Augengrund im
nachher verdunkelten Auge gar nicht dunkler ist als gewöhnlich,
sondern manchmal sogar heller, wird dabei übersehen. Hier
verkehrt also diese Theorie entschiedenes Hell in angebliches
Dunkel.


Überhaupt nimmt diese Theorie der Nachbilder, wie sie
hauptsächlich Helmholtz entwickelt hat, auf die wirkliche oder
absolute Helligkeit und Dunkelheit der Nachbilder gar keine
Rücksicht, sondern fragt nur nach der relativen 1); sie erklärt
nur, warum in einem positiven oder negativen Nachbilde das
Nachbild heller oder dunkler ist als der Grund; wie hell oder
dunkel aber beide sind, kümmert sie nicht.


Meine Theorie hingegen erklärt, was man wirklich sieht,
also auch warum z. B. das helle positive Nachbild der Sonne
dunkel, das helle negative Nachbild der schwarzen Scheibe noch
heller wird, wenn man auf eine helle Fläche blickt.


Letzteres habe ich schon oben erklärt. Während der Be-
trachtung der schwarzen Scheibe auf hellem Grunde wurde die
Assimilirung und damit die D-Erregbarkeit an der dunklen Stelle
gesteigert. Nach Schluß der Reizung bewirken daher die innern
D-Reize hier eine stärkere Dissimilirung und das neu hinzukom-
[102] mende Licht findet eine größere D-Erregbarkeit an dieser Stelle
vor als im übrigen. Daraus folgt die Helligkeit des Nachbildes
und die Steigerung dieser Helligkeit, wenn man auf eine weiße
Fläche blickt. Während der Betrachtung der Sonnenscheibe
findet dagegen an der direct gereizten Stelle nicht nur eine sehr
starke Dissimilirung, sondern auch eine sehr bedeutende, wenn-
gleich minder starke Assimilirung statt; durch erstere wird die
erregbare Substanz und das D-Vermögen stark gemindert,
durch letztere das vorhandene A-Material rasch verbraucht.
Hieraus resultirt nachher im verdunkelten Auge eine Empfindung,
welche auf einer nur schwachen Dissimilirung unter dem Einflusse
der innern Reize und auf einer noch schwächeren Assimilirung
beruht, also eine Empfindung, die zwar hell ist, aber ein sehr
kleines Gewicht hat. Lasse ich nun starkes Licht auf die ganze
Netzhaut fallen, so bewirkt dieses an der Stelle des Nachbildes
wegen der hier stark herabgesetzten D-Erregbarkeit eine nur
sehr kleine absolute Zunahme der Dissimilirung, die Assimilirung
dieser Stelle aber wird von der ganzen übrigen Netzhaut her
durch die große Dissimilirung derselben sehr unterstützt, und
da wegen der Kleinheit der Dissimilirung nur ein kleiner abso-
luter Zuwachs der Assimilirung nöthig ist, um letztere größer
werden zu lassen als erstere, und das Nachbild entsprechend zu
verdunkeln, so geschieht dies bei starker Beleuchtung wirklich,
obwohl das Assimilirungsmaterial an dieser Stelle so stark er-
schöpft ist.


Wenn man die ganze Netzhaut grell beleuchtet, indem man
z. B. gegen eine weit ausgebreitete sonnenbeschienene Wand
blickt, oder die geschlossenen Augen gegen die Sonne wendet,
und man verdunkelt dann die Augen, so sieht man keineswegs
ein tiefes Schwarz, sondern längere Zeit einen Lichtnebel, der
viel heller ist, als der nach längerer Ruhe des Auges sichtbare.
Dies hat ebenfalls seinen Grund in dem starken Verbrauch des
A-Materiales während der Reizung.


Die soeben angeführten und zahlreiche andere Thatsachen,
welche sich aus der Annahme einer besonderen A-Ermüdung
unter dem Einflusse des Lichtes erklären, liefern mir umgekehrt
auch den Beweis für die Richtigkeit der im §. 32 gemachten An-
nahme, daß der Lichtreiz nicht blos unmittelbar durch Steige-
[103] rung der Dissimilirung, sondern auch mittelbar durch Steigerung
der Assimilirung in dem gereizten Theile und dessen Umgebung
wirkt; dies hat die A-Ermüdung der gereizten Stelle zur Folge,
an welcher diese indirecte Wirkung am stärksten ist.


In die unerschöpfliche Mannigfaltigkeit der Nachbilder im
geschlossenen Auge kommt Ordnung und Klarheit, wenn man
neben der D-Ermüdung zugleich die A-Ermüdung in Rechnung
zieht. Berücksichtigt man hierbei auch immer die Wechselwirkung
der einzelnen Theile, welche im verdunkelten Auge unter dem
Einflusse der inneren Reize ganz analog stattfindet, wie im
offenen, dem Lichtreize ausgesetzten Auge, bedenkt man, daß
diese Wechselwirkungen in der Nähe der Conturen immer am
stärksten sind, wodurch die „Säume“ und „Randscheine“
(Fechner) der Nachbilder entstehen, so ist man hinreichend
ausgerüstet, um die Untersuchung dieser Erscheinungen da wie-
der aufzunehmen, wo sie Fechner leider abbrechen mußte, und
auf Grund der classischen Untersuchung dieses Forschers weiter
zu bauen. Meine späteren Mittheilungen werden, wie ich hoffe,
diese Behauptung mehr und mehr rechtfertigen. Hier wollte
ich nur den leitenden Faden zeigen, der, wie ich meine, durch
dieses Labyrinth von Erscheinungen führen kann.


Selbstverständlich kommt die A-Ermüdung oder Minderung
des A-Vermögens auch bei den in den früheren Paragraphen be-
sprochenen Erscheinungen vielfach in Betracht. Da ich aber die
Darstellung nicht gleich vom Anfang an auch durch Berücksich-
tigung dieses Factors, der dort nur das Maaß, nicht die Richtung
der Erscheinung ändert, compliciren wollte, so habe ich vorläufig
davon abgesehen.


§. 36.
Über Plateau’s Theorie.


Ich habe im Obigen nur auf die jetzt ziemlich allgemein
angenommene und insbesondere von Helmholtz entwickelte
Theorie kritische Rücksicht genommen, die Theorie Plateau’s
aber ganz vernachläßigt. Derselbe Vorwurf, den ich der erst-
genannten Theorie machen mußte, daß sie nämlich einen Theil
der Thatsachen aus dem Zusammenhange der übrigen heraus-
reißt und mit der Erklärung dieses Theiles das Ganze erklärt
[104] zu haben meint, trifft in noch höherem Maße die Plateau’sche
Theorie.


Nach Plateau kehrt die durch äußere Reize „aus ihrem
Normalzustande gerissene und plötzlich sich selbst überlassene
Netzhaut gleich einer Feder durch eine Oscillationsbewegung in
ihren Normalzustand zurück, so daß der Eindruck wechselweise
in die beiden entgegengesetzten Zustände übergeht.“ 1) Als solche
entgegengesetzte Zustände sieht er Weiß und Schwarz, sowie je
zwei complementäre Farben an, sonderbarerweise aber so, daß
zwar Schwarz als negativer Zustand dem Weiß als positivem
entgegengestellt wird, eine und dieselbe Farbe aber bald als
positiver bald als negativer Zustand aufgefaßt wird, je nachdem
sie objectiven oder rein subjectiven Ursprungs ist. Das abwech-
selnde Verschwinden und Wiedererscheinen der Nachbilder im
verdunkelten Auge, sowie die Contrast- und Inductionserschei-
nungen, welche letztere er von der physikalischen Irradiation
nicht streng scheidet, bildeten die Ausgangspunkte seiner Theorie.


Abgesehen davon, daß die ganze Theorie im günstigsten
Falle nur auf ein zutreffendes Bild, nicht aber auf eine eigent-
liche Erklärung hinauslaufen würde, ist es nicht einmal zutref-
fend, daß die „Oscillationen“ immer um den Normalzustand
(dies wäre mein mittles Grau) erfolgen. Ferner läßt Plateau
aus zwei complementären Farben bald Weiß bald Schwarz ent-
stehen, je nachdem sie objectiv oder subjectiv sind. Er stützt sich
dabei lediglich auf einen Versuch, aus welchem man, wie schon
Fechner angab, wenn man ihn etwas abändert, ebenso gut das
Gegentheil von dem beweisen kann, was Plateau damit be-
weisen wollte. Plateau’s Behauptung, daß zwei complementäre
Farben, je nachdem sie objectiv oder subjectiv sind, Weiß oder
Schwarz erzeugen können, ist ebenso willkürlich und paradox,
wie die Behauptung von Helmholtz, daß ein und derselbe
Zustand einer Stelle des Sehorganes bald weiß bald schwarz
wahrgenommen werden kann, je nachdem die Umgebung der
Stelle dunkler oder heller erscheint, als die letztere selbst.


Analog der zeitlich ausgebreiteten, nahm Plateau auch
räumlich ausgebreitete Oscillationen der Netzhaut an. Hierbei
[105] stützte er sich auf die Irradiation, welche er für rein subjectiv
nahm, und auf die Contrasterscheinungen. Eine Erklärung der
letzteren war damit auch nicht gegeben, sondern nur eine bild-
liche Umschreibung und Zusammenstellung der Thatsachen.


Ich verkenne nicht das Verdienst Plateau’s, erkannt zu
haben, daß Schwarz und Weiß auf physiologischen Gegensätzen
und nicht blos auf graduellen Verschiedenheiten desselben phy-
siologischen Processes beruhen; auch stimme ich ihm, wie die
folgenden Mittheilungen zeigen werden, darin bei, daß comple-
mentäre Farben physiologische Gegensätze sind. Wer aber letz-
teres annehmen will, darf consequenterweise nicht annehmen,
daß complementäre Farben sich zu Weiß oder Schwarz ergänzen,
und noch weniger, daß dieselben complementären Farben zu-
sammen bald Weiß und bald Schwarz geben.


Im jedem Irrthum liegt etwas Wahres, und so enthält auch
die Plateau’sche Oscillationstheorie ebenso wie die Ermüdungs-
theorie selbstverständlich viel Richtiges. Gerade auf diejenigen
Thatsachen, welche Helmholtz gar nicht zu erklären vermag
und deshalb nur psychologisch umschreibt, stützt sich die Theorie
Plateau’s. Daß sich die Vorzüge beider Theorien bei gleich-
zeitiger Vermeidung ihrer Fehler in einer umfassenderen Theorie
vereinigen lassen, dafür liefert, wie ich meine, die hier aus neuen
Gesichtspunkten entwickelte Theorie den Beweis.


§. 37.
Schlußbemerkungen.


Ich bin weit entfernt zu glauben, daß die hier entwickelte
Theorie endgiltig richtig ist, doch meine ich, daß sie der Wahr-
heit wesentlich näher kommt, als die jetzt übliche. Im Einzelnen
wird manches noch zu verbessern sein, und der Grundgedanke
der ganzen Theorie wird später, auch wenn er richtig ist, den
weiteren Fortschritten der Chemie und Physik entsprechend an-
ders ausgedrückt werden müssen. Ferner wird gerade mein Be-
streben, an die jetzt geltenden Sätze der allgemeinen Nerven-
physiologie möglichst anzuknüpfen, es später bedingen, daß die
fortschreitende Erkenntniß des Wesens der Nerventhätigkeit auch
diese Theorie modificiren wird.


[106]

Auch möchte ich die hier vorliegende Skizze nur als Pro-
gramm für die späteren ausführlichen Mittheilungen betrachtet
wissen. Wenn sie auch das Ergebniß langer Beschäftigung mit
dem Gegenstande ist, so ist doch dieser Gegenstand selbst fast
unerschöpflich, und insbesondere sind durch die im Wesentlichen
aus den Hauptphänomenen abgeleitete Theorie eine große Menge
Specialfragen neu angeregt oder wenigstens der Untersuchung
erst zugänglich geworden, die sich nur durch größere und zum
Theil messende Versuchsreihen erledigen lassen.


Wie ich mich bemüht habe, bei meinen psychologisch-opti-
schen Untersuchungen nie die Fühlung mit der allgemeinen Phy-
siologie und besonders der Nervenphysiologie zu verlieren, so bin
ich auch der Meinung, daß die letztere durch Untersuchungen,
welche nach der Methode der vorliegenden geführt werden, be-
deutend gefördert werden könne. Denn ich war immer der An-
sicht, daß die großen Aufgaben, welche der Physiologie und
insbesondere der Nervenphysiologie gestellt sind, am zweck-
mäßigsten, ähnlich einer Tunnelbohrung, von zwei Seiten zu-
gleich in Angriff genommen werden, nämlich nicht nur von der
physikalisch-chemischen Seite, sondern auch von der psychischen.
Die Richtung, in welcher von beiden Seiten gearbeitet werden
muß, ist bereits klar vorgezeichnet, und das ideale Ziel, wo
dereinst die Arbeiter zusammentreffen sollen, kennen wir auch.
Dieses Ziel ist zugleich die Grundvoraussetzung der ganzen
Arbeit. Als Ziel genommen ist es die Erkenntniß des causalen
Zusammenhanges alles physischen Geschehens auf der einen,
alles psychischen Geschehens auf der anderen Seite; als Voraus-
setzung genommen ist es die gesetzmäßige Abhängigkeit beider
Arten des Geschehens von einander.


[[107]]

Sechste Mittheilung.
Grundzüge einer Theorie des Farbensinnes.


(Vorgelegt in der Sitzung am 15. Mai 1874.)


§. 38.
Das natürliche System der Farbenempfindungen.


Der Grundsatz, daß die Mannichfaltigkeit der Licht- und
Farbenempfindungen zunächst nur auf Grund ihrer inneren Ver-
wandtschaft zu ordnen sei, führte (vergl. meine IV. Mittheil.)
zur Einordnung aller farblosen Gesichtsempfindungen in eine
Reihe, welche ich nach ihren beiden Endgliedern als die schwarz-
weiße bezeichnet habe. In analoger Weise lassen sich nun auch
die farbigen Empfindungen in Reihen ordnen. Wir wir nämlich
im Grau, trotz seiner besonderen Qualität, doch eine offenbare
nahe Verwandtschaft zum Schwarz und Weiß bemerken und
gleichsam beide zugleich darin sehen, so sehen wir auch z. B.
im Violett Roth und Blau zugleich, nur keines voll entwickelt,
was sich auch dadurch verräth, daß wir es unbedenklich als
Blauroth oder Rothblau bezeichnen.


Alle Farben nun, welche zugleich Roth und Blau, wenn
auch in den verschiedensten Verhältnissen, zu enthalten scheinen,
lassen sich in eine Reihe ordnen, deren beide Endglieder einer-
seits das reinste Roth, anderseits das reinste Blau sind. Ana-
loges gilt von allen blaugrünen, gelbrothen und gelbgrünen
Farben.


Denken wir uns eine Farbenreihe, welche in stetiger Folge
erstens alle Übergänge vom Gelb zum Grün und weiterhin vom
Grün zum Blau enthält und also dem zwischen Gelb und Blau
gelegenen Theile des Spectrums entspricht, so haben alle Glie-
der dieser Reihe mit Ausnahme der Endglieder (Gelb und Blau)
etwas Gemeinsames darin, daß sie sämmtlich Grün enthalten.
[108] Das reine Grün aber bildet einen ausgezeichneten Punkt in der
Reihe insofern, als es sich von allen Farben der einen Seite
dadurch unterscheidet, daß es kein Gelb, von den Farben der
anderen Seite dadurch, daß es kein Blau enthält. Es entspricht
demnach der Stelle in der Reihe, wo die Beimischung von Gelb
eben ganz aufgehört, aber die Beimischung von Blau noch nicht
erkennbar begonnen hat. Für diese Empfindung also, welche
weder Blau noch Gelb (noch Roth) enthält, haben wir deshalb
auch einen besonderen Namen; denn Gelbblau oder Blaugelb
könnten wir sie nicht nennen, weil wir eben in ihr nicht diese
beiden Farben zugleich, sondern keine von beiden sehen. Die
relative Einfachheit dieser grünen Empfindung verglichen mit
der Zweifarbigkeit ihrer Nachbarn, verschafft ihr eine ausge-
zeichnete Stelle in der genannten Farbenreihe.


Man könnte meinen, daß diese Eigenthümlichkeit nur dem
Grün des Spectrums zukomme, daß es aber sonstwo ein Grün
geben könne, welches, wenn es auch vorherrschend grün sei,
doch zugleich in’s Blaue und Gelbe spiele. Aber dies ist bekannt-
lich nicht der Fall. Man betrachte irgend ein beliebiges Grün,
und man wird es entweder für reines Grün nehmen, oder man
wird finden, daß es entweder in’s Blaue sticht oder in’s Gelbe,
nie aber in beide Farben zugleich. Die sogenannten Schiller-
farben machen von dieser Regel selbstverständlich nur eine schein-
bare Ausnahme. Wenn man ein Grün, das man für reines ge-
nommen hat, neben Blau hält, so wird es vielleicht einen Stich
in’s Gelbe annehmen, wenn man es neben Gelb hält, einen Stich
in’s Blaue; legt man es aber zwischen Blau und Gelb, so wird
es wieder rein erscheinen, oder, wenn dies nicht der Fall ist,
entweder in’s Gelbe oder in’s Blaue spielen und wieder nicht in
beide Farben zugleich.


Solche Farben, die gleichsam ohne jeden Beigeschmack
einer anderen Farbe vorkommen können, oder wenn sie einen
solchen deutlich erkennbar haben, doch nur in eine, nie aber in
zwei andere zugleich spielen können, gibt es außer dem Grün
nur noch drei, nämlich Roth1), Blau und Gelb. Gelb kann
[109] in’s Rothe oder in’s Grüne, nicht aber in’s Blaue, Blau nur ent-
weder in’s Rothe oder in’s Grüne, Roth nur entweder in’s Gelbe
oder in’s Blaue spielen. Diese vier Farben kann man also mit
vollem Rechte, wie dies schon Leonardo da Vinci that, als
einfache oder Grundfarben bezeichnen. Deshalb hat auch die
Sprache für sie einfache und nicht von farbigen Naturkörpern
entlehnte Bezeichnungen, mögen dieselben ursprünglich entlehnt
worden sein oder nicht.


Alle übrigen Farben können wir insofern zusammenge-
setzte
oder Mischfarben nennen, als sich immer zwei Farben
in ihnen zugleich erkennen lassen. Mehr als zwei einfache
Farben aber lassen sich aus keiner zusammengesetz-
ten Farbe herausempfinden
.


Anders ausgedrückt heißt dies, daß einerseits Roth
und Grün, andererseits Gelb und Blau nie gleich-
zeitig in einer Farbe deutlich bemerkbar sind
.


Warum sich dies so verhält, ist von vornherein nicht einzu-
sehen, aber es ist so. Es kann Einer einen bereits hochent-
wickelten Farbensinn haben, ohne daß er sich diese merkwürdige
Thatsache schon zum Bewußtsein gebracht hat. So gut es Farben
gibt, in denen man zugleich Roth und Gelb sieht, so gut sollte
es doch auch Farben geben können, in denen man zugleich Roth
und Grün sieht. Denn die rothe Empfindung zeigt doch (abge-
sehen von den physikalischen und physiologischen Bedingungen,
unter denen sie entsteht) zur grünen so viel und so wenig einen
Gegensatz wie zur gelben. Und wenn wir auch zwischen Roth
und Grün einen besonderen Gegensatz bemerken könnten, was
aber durchaus nicht der Fall ist, so wäre dies doch noch immer
kein hinreichender Grund, die gleichzeitige Anwesenheit beider
Farben in einer Mischfarbe auszuschliessen. Weiß und Schwarz,
ebenfalls zwei einfache oder Grundempfindungen des Sehorganes,
fassen wir gern als gegensätzlich auf, und doch glauben wir
beide zugleich im Grau zu empfinden. Warum soll es also
keine Farbe geben, die zugleich Roth und Grün, oder Gelb und
Blau zu enthalten scheint? Eine Antwort hierauf ist vorerst
unmöglich.


In den Lehrbüchern der Physik ist freilich zu lesen, daß
Roth und Grün, wie auch Gelb und Blau zusammen Weiß geben.
[110] Aber dies hat nur Sinn, wenn man unter Roth und Grün nicht
Empfindungen, sondern Ätherschwingungen versteht. Denn zu
sagen, im Weiß werde gleichzeitig Roth und Grün, oder Gelb und
Blau so empfunden, wie man im Violett gleichzeitig Roth und
Blau empfindet, wäre doch paradox.


Es muß irgendwie in der Natur unseres Sehorgans begründet
sein, daß das Vorhandensein einer deutlich rothen Empfindung
die deutlich grüne an derselben Stelle ausschließt, das Vorhan-
densein der blauen die gelbe und umgekehrt. Denn logisch läßt
sich die Thatsache nicht begründen, und vorerst ist es ganz gut
denkbar, daß es noch einmal gelingt, Bedingungen herzustellen,
unter welchen uns eine z. B. aus Roth und Grün gemischte Em-
pfindung entsteht, oder daß es Wesen gibt, welche eine solche
Empfindung öfter haben.


Um einen kurzen Ausdruck für die sich gegenseitig aus-
schließenden Grundfarben zu haben, will ich sie wegen ihres
sozusagen feindseligen Verhaltens zu einander Gegenfarben
nennen.


Von einer Farbe zu ihrer Gegenfarbe läßt sich keine stetige
Reihe von farbigen Übergängen bilden, wenn man nicht eine
dritte Grundfarbe zu Hilfe nimmt. Vom Roth zum Blau oder
Gelb läßt sich eine stetige Reihe von Übergangsfarben her-
stellen, zum Grün aber nur dann, wenn man z. B. das Roth
erst in’s Blau und dieses wieder in’s Grüne übergehen läßt. Statt
des Blau könnte man aber auch das Gelb benützen.


Im sogenannten Farbencirkel wird dies Alles unmittelbar
anschaulich. Man erhält einen solchen bekanntlich, wenn man
einen Kreis in seine Quadranten theilt, an jeden Theilpunkt eine
der vier Grundfarben derart anbringt, daß zwei Gegenfarben
sich diametral gegenüber liegen, und dann auf jeden Quadranten
in stetiger Reihe die Übergangsfarben derjenigen beiden Grund-
farben aufträgt, welche an seinen Endpunkten liegen. Ein sol-
cher Farbenkreis enthält alle überhaupt vorkommenden Farben
oder Farbentöne.


Jede einfache Farbe hat wieder eine einfache,
jede Mischfarbe wieder eine Mischfarbe als Gegen-
farbe
.


[111]

§. 39.
Von den Farbennuancen.


Jeder beliebige Farbenton kann in sehr verschiedener
Reinheit auftreten. Man nennt im gewöhnlichen Leben die
möglichst rein erscheinende Farbe wohl auch gesättigt. Wir
könnten also die verschiedenen Grade der Reinheit auch als
Grade der Sättigung bezeichnen; nur müßten wir bedenken,
daß wir dann auch mit demselben Rechte von gesättigtem Weiß
und Schwarz sprechen könnten. Auf die einseitige Verwendung
des Begriffes der Sättigung in der modernen Farbenlehre komme
ich anderwärts zurück. Jedenfalls drückt das Wort Reinheit das,
worauf es ankommt, treffender aus, als das Wort Sättigung.


Die Beimischungen, durch welche die Reinheit eines em-
pfundenen Farbentones beeinträchtigt wird, sind nur die schwarz-
weißen Empfindungen, denn jede Beimischung einer anderen
Farbenempfindung würde den Ton, nicht die Reinheit der ge-
gebenen Farbe ändern. Eine Grundfarbe kann allerdings eigent-
lich auch durch eine andere verunreinigt werden, aber das pflegt
man eben eine Änderung des Tones zu nennen. Wie eine ab-
solut reine Farbenempfindung sein würde, wissen wir nicht, denn
alle wirklich vorkommenden Farbenempfindungen sind mehr oder
weniger unrein.


Die Verunreinigung einer Farbe kann durch jedes beliebige
Glied der schwarzweißen Empfindungsreihe stattfinden. Mischt
sich einer Farbe eine dem Weiß naheliegende Empfindung dieser
Reihe bei, so wird die Farbe weißlich, Beimischung einer sehr
dunklen schwarzweißen Empfindung macht die Farbe schwärz-
lich, Beimischung einer dem mittlen Grau naheliegenden Empfin-
dung läßt die Farbe in’s Graue spielen.


Alle diese Übergänge zwischen einer ideal reinen Farbe
einerseits und einem beliebigen Gliede der schwarzweißen Em-
pfindungsreihe anderseits will ich, um einen bereits üblichen
Ausdruck zu benutzen, als Nuancen der Farbe bezeichnen.
Wir haben also schwarze, weiße, hellgraue, dunkelgraue, mittel-
graue etc. Nuancen jeder Farbe zu unterscheiden.


Denkt man sich ein gleichseitiges Dreieck, an dessen einer
Ecke eine absolut rein gedachte einfache oder zusammengesetzte
[112] Farbe, an dessen beiden anderen Ecken das ideale Weiß einer-
seits, das ideale Schwarz anderseits liegt, so lassen sich auf der
Fläche dieses Dreiecks alle überhaupt denkbaren Nuancen der
gewählten Farbe, z. B. des Grün in stetigen Übergängen unter-
gebracht denken. Auf jeder der schwarzweißen Seite parallelen
Geraden, die ich in das Dreieck lege, kann ich alle Nuancen
von gleich großer Reinheit oder Unreinheit untergebracht denken,
auf jeder zur grünschwarzen Seite parallelen Linie alle Nuancen
von gleicher Weißlichkeit, auf jeder zur grünweißen Seite paral-
lelen Linie alle Nuancen von gleicher Schwärzlichkeit.


In jedem Punkte dieses Nuancirungsdreieckes ist dann die
Reinheit oder Sättigung der entsprechenden farbigen Empfindung
dem Abstande von der schwarzweißen Seite, die Weißlichkeit
dem Abstande von der grünschwarzen Seite, die Schwärzlichkeit
dem Abstande von der grünweißen Seite proportional.


So viele Farbentöne, so viele Nuancirungsdreiecke sind
möglich.


Mit den möglichst reinen Farben des Farbenkreises und
den Übergängen jeder einzelnen Farbe zu jedem beliebigen Gliede
der schwarzweißen Reihe, also mit den Farbentönen und
allen ihren Nuancen sind, praktisch genommen, alle
überhaupt vorkommenden farbigen Empfindungen er-
schöpft.


Denn möge sich nun eine Farbenempfindung ändern wie
sie wolle, so kann sie nur entweder ihren Ton oder ihre Rein-
heit ändern, und letzteren Falls kann sie nur entweder mehr oder
minder schwärzlich oder weißlich oder graulich werden.


Ich sagte, daß mit den Farbentönen und ihren Nuancen alle farbigen
Empfindungen praktisch genommen erschöpft sind; theoretisch genommen
sind sie es nicht, weil, wie schon gesagt wurde, a priori nicht einzusehen
ist, warum es nicht auch Empfindungen geben soll, in denen zwei Gegen-
farben zugleich enthalten sind, obwohl uns in Wirklichkeit kein solcher
Fall sicher bekannt ist. Man muß bedenken, daß wir in einem Empfin-
dungsgemische — und jede wirklich vorkommende Gesichtsempfindung ist
ein solches — immer nur die besonders hervorstechenden einfachen Empfin-
dungen auch besonders bemerken, daß aber mancherlei darin enthalten sein
kann, was deutlich zu unterscheiden uns nicht möglich ist, obwohl es doch
zum Gesammtcharakter des Empfindungsgemisches, d. h. zu dessen Qualität
einen gewissen Beitrag liefern kann. So scheint es mir von vornherein
fraglich, ob im sogenannten reinen, d. h. farblosen Grau wirklich nur Weiß
[113] und Schwarz enthalten ist, wenn es auch an keine Farbe deutlich erinnert
und ich eben nur jene beiden einfachen Empfindungen herausfinden kann.
Gesetzten Falls, die vier andern einfachen Gesichtsempfindungen, d. h. die
vier Grundfarben wären mit darin enthalten, aber äußerst schwach, und
wären daher gleichsam unter der Schwelle, so würde ich sie doch nicht
herausempfinden können. In der That macht mir reines Grau den Eindruck
einer gewissen Farbigkeit, obwohl ich neben dem Schwarz nnd Weiß keine
einzige Farbe deutlich darin zu bemerken vermag.


Auf solche möglicherweise vorhandene, aber unter der Schwelle be-
findliche Beimischungen ist im Obigen nicht Rücksicht genommen.


Eine Kritik dessen, was man jetzt unter Lichtstärke (Helmholtz)
oder Intensität (Aubert), Sättigung (Helmholtz) und Nuance
(Aubert) einer Farbe versteht, werde ich später ausführlich geben und die
Widersprüche aufdecken, in welche man dadurch gerathen ist, daß man
immer wieder die Empfindung mit ihren physikalischen Ursachen ver-
mengte.


§. 40.
Von der Helligkeit und Dunkelheit der farbigen
Empfindungen
.


Jede wirklich vorkommende farbige Empfindung, sei sie nun
durch homogenes Licht oder durch Pigmente oder sonstwie ent-
standen, hat etwas Schwärzliches und Weißliches in sich und
erscheint deshalb dem Schwarz und Weiß verwandt, bald mehr
dem einen, bald mehr dem andern, bald beiden gleichviel. Diese
beiden Empfindungen sind eben jeder Farbenempfindung beige-
mischt, wenn auch in sehr verschiedenem Verhältniß.


Gäbe es absolut reine Farbenempfindungen, was nicht der
Fall ist, so würden uns diese dem reinen Weiß eben so wenig
verwandt erscheinen als dem reinen Schwarz; vom letzteren
würden sie sich ebenso lebhaft unterscheiden wie das Weiß, und
vom Weiß ebenso sehr wie das Schwarz. Dies ist eine logische
Nothwendigkeit. Denn Empfindungen, die gar nichts Gemein-
sames hätten, wären an sich incommensurabel. Zwei absolut
reine Grundempfindungen aber würden, abgesehen von ihren zeit-
lichen und räumlichen Eigenschaften, wirklich nichts Gemein-
sames haben. Dem absolut reinen Roth stände das absolut reine
Blau oder Grün ebenso unähnlich gegenüber wie das absolut
reine Weiß. Darauf, daß die absolut reinen Farben ebenso wie
das Weiß sämmtlich gar keine Spur von Schwarz enthalten
würden, liesse sich kein Verwandtschaftsverhältniß dieser ganz
Hering, Lehre vom Lichtsinne. 8
[114] schwarzlosen Empfindungen gründen, denn Süß und Sauer ent-
halten auch keine Spur von Schwarz. Ebenso könnte daraus,
daß die absolut reinen Farben gleich dem idealen Schwarz gar
kein Weiß enthalten würden, keine Verwandtschaft dieser absolut
weißlosen Farben untereinander abgeleitet werden.


Aber allerdings kann man die Begriffe der Helligkeit und
Dunkelheit, die bei den farblosen Empfindungen identisch sind
mit der Weißlichkeit [und] Schwärzlichkeit, dahin erweitern, daß
man alle Gesichtsempfindungen, mit Ausnahme des absoluten
Schwarz, mehr oder minder hell nennt, und alle, mit Ausnahme
des absoluten Weiß, mehr oder minder dunkel. Eine absolut reine
Farbenempfindung wäre hienach hell und dunkel zugleich oder
gleich hell wie dunkel und zwar deshalb, weil sie eben so wenig
eine Spur vom Schwarz als vom Weiß enthalten würde. Demnach
wäre die absolut reine Farbe in Bezug auf Helligkeit und Dunkel-
heit gleichwerthig mit dem neutralen oder mittlen Grau, welches
ebenfalls gleich hell wie dunkel ist, nur mit dem Unterschiede,
daß die reine Farbe deshalb gleich hell wie dunkel ist, weil sie
vom Weiß so wenig enthält wie vom Schwarz, nämlich gar
nichts, während das neutrale Grau deshalb gleich hell wie dunkel
ist, weil es gleich viel Weiß wie Schwarz enthält.


Wir können demnach sagen, daß die absolut reinen Farben,
gleich dem mittlen Grau, Empfindungen von gleich großer Hellig-
keit wie Dunkelheit, oder von mittler Helligkeit oder Dunkel-
heit sein würden.


Diese Überlegung gestattet nun, ganz bestimmt anzugeben,
wovon das abhängt, was man im gemeinen Leben die Helligkeit
einer Farbenempfindung nennt.


Eine farbige Empfindung wird bei gleichbleibender Reinheit
oder Sättigung heller, wenn sich das Verhältniß des gleichzeitig
in ihr empfundenen Weiß und Schwarz zu Gunsten des Weiß
ändert, dunkler, wenn es sich zu Gunsten des Schwarz ändert;
anders gesagt, wenn die der Farbenempfindung beigemischte
schwarzweiße Empfindung, ohne ihr Verhältniß zur ersteren zu
ändern, weißlicher oder schwärzlicher wird.


Mindert eine farbige Empfindung ihre Reinheit oder Sätti-
gung dadurch, daß die ihr beigemischte schwarzweiße Empfin-
dung, ohne aber dabei ihre Helligkeit (Weißlichkeit und Schwärz-
[115] lichkeit) zu ändern, stärker hervortritt, so kann dabei die Farbe
heller oder dunkler werden, oder auch gleich hell bleiben. Letz-
teres dann, wenn die beigemischte schwarzweiße Empfindung das
mittlere Grau ist; heller wird sie, wenn die beigemischte Em-
pfindung weißlicher ist als mittles Grau, dunkler, wenn sie
schwärzlicher ist als mittles Grau.


Mehrt sich die Sättigung oder Reinheit einer Farbe dadurch,
daß die beigemischte farblose Empfindung, ohne ihre Helligkeit
zu ändern, mehr zurücktritt, so ändert sich die Helligkeit der
farbigen Empfindung gar nicht, wenn die Beimischung mittelgrau;
die Helligkeit wird kleiner, wenn die Beimischung weißlicher,
sie wird größer, wenn die Beimischung schwärzlicher ist, als das
mittle Grau.


Aus dem Gesagten läßt sich nun auch leicht ableiten, ob
und wie eine farbige Empfindung ihre Helligkeit ändert, wenn
sich nicht nur ihre Reinheit, sondern zugleich auch die Hellig-
keit der ihr beigemischten farblosen Empfindung ändert. In dem
oben beschriebenen Nuancirungsdreiecke liegen alle Nuancen der
betreffenden Farbe, die gleich hell wie dunkel oder mittelhell
und mitteldunkel sind, auf einer Geraden, welche die farbige
Ecke des Dreieckes mit dem Mittelpunkte der schwarzweißen
Seite verbindet, und auf jeder Geraden, welche ich parallel zu
dieser Linie in das Dreieck gelegt denke, befinden sich Nuancen
von gleicher Helligkeit, und zwar ist die Helligkeit jeder belie-
bigen Nuance proportional dem Abstande der Helligkeitslinie, auf
der sie liegt, von der schwarzen Ecke des Dreieckes.


Es kann also eine Farbe, während sie reiner oder gesättigter
wird, das einemal heller, das anderemal dunkler werden und
anderseits kann sie ohne Änderung ihrer Reinheit heller oder
dunkler werden.


Da man somit unter dem Hellerwerden einer farbigen Em-
pfindung eine Zunahme bald der Weißlichkeit, bald der Rein-
heit versteht, unter dem Dunklerwerden eine Zunahme bald der
Schwärzlichkeit, bald der Reinheit, so taugt dieser Doppelsinnig-
keit wegen der Begriff der Helligkeit oder Dunkelheit nicht zu
präcisen Bezeichnungen.


Meiner Behauptung, daß die absolut reinen Farben alle gleich hell
und gleich dunkel sein würden, scheint der Umstand zu widersprechen, daß
8 *
[116] die Spectralfarben, welche sich den absolut reinen mit am meisten nähern,
eine so verschiedene Helligkeit zeigen. So ist beispielsweise das Gelb im
Spectrum des zerstreuten Tageslichtes viel heller als das Blau. Dies hat
aber seinen Grund darin, daß dieses Gelb viel mehr Weiß enthält als das
Blau, wie man dies auch sofort erkennt. Da nun das Gelb oder das Blau
der Pigmente eben auch nichts weiter ist, als zurückgeworfenes Spectral-
gelb oder Spectralblau, nur noch stark versetzt mit gemischtem farblosen
Lichte, so ist begreiflich, daß auch die gelben Pigmente durchschnittlich
heller erscheinen als die blauen. Daher kann das Vorurtheil entstehen, daß
auch die absolut reinen Farben verschiedene Helligkeit besitzen würden.
Eine später zu gebende physiologische Analyse des Spectrums wird dies
näher zu erörtern haben.


§. 41.
Von der numerischen Bezeichnung der farbigen
Empfindungen
.


Dasselbe Princip, nach welchem im §. 22 die einzelnen
schwarzweißen Empfindungen bezeichnet wurden, läßt sich auch
auf die farbigen Empfindungen anwenden.


Keine der vier Grundfarben kommt, auch wenn sie im Tone
ganz rein wäre, jemals wirklich rein zur Empfindung, sondern
hat immer einen Zusatz von Schwarzweiß, d. h. also jede Em-
pfindung vom Tone einer Grundfarbe ist ternär zusammengesetzt.
Ihre Qualität läßt sich daher ausdrücken durch ein dreiglie-
driges numerisches Verhältniß, welches dem Verhältnisse der
Deutlichkeit der drei gemischten einfachen Empfindungen ent-
spricht. So bedeutet die Gleichung
Blau : Weiß : Schwarz = 1 : 1 : 1
eine Empfindung, welche aus zwei Theilen mittlem Grau
(1 Schwarz + 1 Weiß) und einem Theile Blau, oder aus gleichen
Theilen Weiß, Schwarz und Blau gemischt ist, an alle drei
gleich stark erinnert, mit allen dreien gleich sehr verwandt ist.


Die Reinheit einer Grundfarbe ergibt sich schon aus
dem Verhältnisse, in welchem das der Farbe entsprechende Glied
des dreigliedrigen Verhältnisses zur Summe der beiden anderen
Glieder steht. Dies Verhältniß wäre für die oben erwähnte
Farbe Blau : (Weiß + Schwarz) = 1 : 2. Da es überhaupt nur
auf Verhältnisse ankommt, und man deshalb die Gesammt-
empfindung immer = 1 setzen kann, so läßt sich die Reinheit
der Farbe, in unserem Falle ihre Bläue, ausdrücken durch das
[117] Verhältniß, in welchem das blaue Glied zur Summe aller drei
Glieder steht, also durch ⅓ = 0,33.


Wenn man will, kann man die so bestimmte Reinheit der
Farbe auch ihre Intensität nennen. Es ist dies eben ein
Ausdruck, der für die Empfindung nur Sinn hat in Beziehung
auf die neben der Farbe empfundene schwarzweiße Beimischung.


Die Helligkeit einer farbigen Empfindung vom Tone
einer Grundfarbe findet man, wenn man das der Grundfarbe ent-
sprechende Glied hälftet und die eine Hälfte zum schwarzen, die
andere zum weißen Gliede des Verhältnisses addirt; das Ver-
hältniß des so vermehrten Weiß zum vermehrten Schwarz weist
der ganzen Empfindung diejenige Helligkeit zu, welche die ent-
sprechende schwarzweiße Empfindung haben würde. Wir erhalten
also in unserem Falle
das ist dasselbe Verhältniß zwischen Weiß und Schwarz, wie es
im mittlen Grau besteht, dessen Helligkeit = 0,5 ist.


Die Helligkeit eines absolut reinen Blau würde hienach auch
= 0,5 sein, seine Reinheit aber nach dem oben Gesagten = 1.


Enthält die farbige Empfindung nicht blos eine Grundfarbe,
sondern ein Gemisch zweier Grundfarben, und ist sie demnach
quaternär zusammengesetzt, so wird sie durch ein viergliedriges
Verhältniß bezeichnet, wie z. B.
dies ist also eine dunkle Nuance des Violett. Addirt man hier
die beiden farbigen Glieder, so bekommt man Rothblau = 8, und
kann nun mit diesen 8 Rothblau ganz ebenso verfahren, als wäre
dies Rothblau eine Grundfarbe. Die Reinheit der Farbe ergibt
sich dann aus dem Verhältniß
und ist
Die Helligkeit aber ergibt sich aus dem Verhältniß
und ist


[118]

Auch die Schwerpunktconstruction, welche im Übrigen viel
Verwirrung in der Farbenlehre verschuldet hat, läßt sich an-
wenden, um diese Verhältnisse anschaulich zu machen. Man
denke sich die drei Ecken des oben beschriebenen Nuancirungs-
dreieckes der gegebenen Grund- oder Mischfarbe belastet mit
den drei Gliedern des Verhältnisses
und construire den Schwerpunkt des im Übrigen schwerlosen
Dreieckes; die Lage dieses Punktes im Dreieck gestattet nach
§. 39 die Reinheit, nach §. 40 die Helligkeit der gegebenen
Farbennuance zu finden.


§. 42.
Hauptsätze einer neuen Theorie des Farbensinnes.


Wir sind durch eine meiner Ansicht nach ganz vorurtheils-
freie Analyse der Gesichtsempfindungen zur Annahme von sechs
einfachen oder Grundempfindungen gelangt, von welchen zwei,
nämlich Weiß und Schwarz, bereits früher erörtert wurden. Es
gilt jetzt, die dort entwickelte Theorie der schwarzweißen oder
farblosen Gesichtsempfindungen durch eine Theorie der farbigen
zu ergänzen. Ich theile hier sofort die Hauptsätze derselben mit.


Die sechs Grundempfindungen der Sehsubstanz
ordnen sich zu drei Paaren: Schwarz und Weiß, Blau
und Gelb, Grün und Roth
.


Jedem dieser drei Paare entspricht ein Dissimi-
lirungs- und Assimilirungsproceß besonderer Qua-
lität, so daß also die Sehsubstanz in dreifach ver-
schiedener Weise der chemischen Veränderung oder
des Stoffwechsels fähig ist
.


Die Richtigkeit dieser Vordersätze vorausgesetzt, eröffnen
sich nunmehr zwei Möglichkeiten. Entweder die drei Arten des
Stoffwechsels stehen zu einander in gegenseitiger Abhängigkeit,
oder jede derselben verläuft unabhängig von der anderen. Die
letztere Möglichkeit ist nicht nur die einfachere, sondern stimmt
auch, so weit ich bis jetzt sehe, mit den Thatsachen. Deshalb
kann ich auch die Sehsubstanz gleichsam als ein Gemisch dreier
chemisch verschiedener Substanzen ansehen, deren jede (wenig-
stens innerhalb der hier in Betracht kommenden Grenzen) unab-
[119] hängig von den beiden andern zu dissimiliren und zu assimiliren
vermag. Diese Auffassung vereinfacht die Darstellung wesent-
lich, und nur deshalb ziehe ich sie der andern und im Grunde
vielleicht richtigeren Auffassung vor, nach welcher die Sehsub-
stanz eine ganz homogene Substanz darstellt, die jedoch dreier
verschiedener Arten der Dissimilirung und Assimilirung fähig ist.


Unter diesem Vorbehalte kann ich drei verschiedene
Bestandtheile der Sehsubstanz
unterscheiden, welche ich
als die schwarzweiß empfindende, die blaugelb emfin-
dende
und die rothgrün empfindende Substanz be-
zeichnen will.


So gut man aber im übertragenen Sinne von rothen, gelben
etc. Strahlen spricht, kann man auch die drei Substanzen kurz-
weg als die schwarzweiße, blaugelbe und rothgrüne unterschei-
den und erstere als die farblose den beiden anderen als den
farbigen entgegensetzen.


Für die schwarzweiße Sehsubstanz, welche also jetzt an
die Stelle der in der fünften Mittheilung als Sehsubstanz über-
haupt bezeichneten Substanz tritt, habe ich angenommen, daß
ihre Dissimilirung dem Weiß, ihre Assimilirung dem Schwarz
entspricht; für die blaugelbe und rothgrüne Substanz
lasse ich vorerst ausdrücklich dahin gestellt sein,
welche Farbe die D-Farbe und welche die A-Farbe
ist. — Die drei Substanzen setzen nicht zu gleichen
Theilen die Sehsubstanz zusammen, vielmehr ist die
schwarzweiße Substanz viel reichlicher im Sehorgan
enthalten als die beiden anderen, und auch diese
beiden sind unter sich nicht gleich
.


Wie in der schwarzweißen Substanz fortwährend gleich-
zeitig Dissimilirung und Assimilirung stattfindet, so auch in den
beiden anderen Substanzen. Aber entsprechend der verschie-
denen Quantität der drei Substanzen ist im Allgemeinen
auch die Dissimilirung und Assimilirung der schwarzweißen Sub-
stanz viel bedeutender als die der beiden farbigen Substanzen, und
daher auch das Gewicht der immer gleichzeitig vorhandenen
sechs Grundempfindungen ein sehr verschiedenes: relativ groß
das der schwarzen und weißen, sehr klein das der vier farbigen
Grundempfindungen.


[120]

Daher treten die farbigen Empfindungen nur unter besonders
günstigen Umständen über die Schwelle, im Übrigen werden sie
von der gleichzeitigen schwarzweißen Empfindung übertönt.


Alle Strahlen des sichtbaren Spectrums wirken
dissimilirend auf die schwarzweiße Substanz, aber
die verschiedenen Strahlen in verschiedenem Grade.
Auf die blaugelbe oder die grünrothe Substanz da-
gegen wirken nur gewisse Strahlen dissimilirend,
gewisse andere assimilirend und gewisse Strahlen
gar nicht
. Jede der drei Substanzen sieht also sozusagen ihr
besonderes Spectrum; im wirklichen Spectrum liegen diese drei
Partialspectren gleichsam über- oder ineinander. Das Spectrum
der schwarzweißen Substanz ist am weißesten oder hellsten im
„Gelb“, und nimmt nach beiden Seiten an Helligkeit ab. Das
Spectrum der blaugelben Substanz zerfällt in zwei Theile, einen
gelben und einen blauen; beide Theile sind geschieden durch
eine Stelle, welche für die blaugelbe Substanz lichtlos ist, das
ist die Stelle des reinen „Grün“. Das Spectrum der grünrothen
Sustanz zerfällt in drei Theile, einen mittleren grünen und zwei
rothe Endtheile. Dem entsprechend enthält es zwei Stellen,
welche für die grünrothe Substanz lichtlos sind, d. i. die Stelle
des reinen „Gelb“ und des reinen „Blau“. Das Totalspectrum
der Sehsubstanz hat also drei physiologisch ausgezeichnete Punkte,
das sind diejenigen, wo außer dem Weiß nur eine Grundfarbe
sichtbar ist, nämlich das reine Gelb, Grün und Blau. Das
eigentliche Roth ist im Spectrum äußerst schmal, denn das
Spectralroth enthält viel Gelb.


Der erste Theil des Spectrums vom Roth bis zum reinen
Gelb ist also (wenn wir vom Schwarz und den unter der Schwelle
befindlichen Gegenfarben der sichtbaren Farben absehen) gemischt
aus Weiß, Roth und Gelb; der zweite Theil vom reinen Gelb bis
zum Grün ist gemischt aus Weiß, Gelb und Grün, der dritte
Theil von Grün bis Blau aus Weiß, Grün und Blau, der vierte
endlich aus Weiß, Blau und Roth. Im reinen Gelb, Grün und Blau
erscheint außer der entsprechenden Grundfarbe nur noch Weiß.


Gemischtes Licht erscheint farblos, wenn es
sowohl für die blaugelbe als für die rothgrüne Sub-
stanz ein gleichstarkes Dissimilirungs- wie Assimi-
[121] lirungsmoment setzt, weil dann beide Momente sich
gegenseitig aufheben, und die Wirkung auf die
schwarzweiße Substanz rein hervortritt
.


Zwei objective Lichtarten, welche zusammen Weiß geben,
sind also nicht als „complementäre“, sondern als antago-
nistische
Lichtarten zu bezeichnen, denn sie ergänzen sich
nicht zu Weiß, sondern lassen dieses nur rein hervortreten, weil
sie als Antagonisten sich gegenseitig ihre Wirkung unmöglich
machen.


Da die Größe der Dissimilirung oder Assimilirung, welche
durch einen Lichtreiz in einer der drei Substanzen bedingt wird,
ebensowohl von der Intensität des Reizes als von der Erregbar-
keit abhängt, so haben wir entsprechend den drei Substanzen
oder Qualitäten des Stoffwechsels in der Sehsubstanz auch drei
verschiedene Arten der D-Erregbarkeit sowie der A-Erregbar-
keit, also im Ganzen sechs verschiedene Arten der Erregbarkeit
zu unterscheiden, die wir kurzweg als die schwarze, weiße,
grüne, rothe, blaue und gelbe Erregbarkeit
unter-
scheiden können.


Jede dieser sechs Erregbarkeiten ist eine variable Größe
und insbesondere ist eine D-Erregbarkeit keineswegs immer gleich
groß wie die entsprechende A-Erregbarkeit, vielmehr kann das
Verhältniß beider ein sehr verschiedenes sein.


Daher kann auch ein und dasselbe objective Lichtgemisch
nicht nur bald heller und bald dunkler, sondern auch bald
irgendwie farbig und bald farblos erscheinen, je nach den Ver-
hältnissen der eben vorhandenen sechs Erregbarkeiten, welche
das bedingen, was ich die Stimmung des Sehorganes
nennen will.


§. 43.
Vom Gewichte der Farbenempfindungen.


Wenn, wie oben angegeben wurde, die farbigen Sehsub-
stanzen von der farblosen an Masse übertroffen werden, so folgt,
daß auch die Größe ihrer Assimilirung und Dissimilirung und
entsprechend das Gewicht der zugehörigen Empfindungen im
Allgemeinen kleiner sein wird als die Größe der farblosen Assi-
milirung und Dissimilirung, beziehentlich das Gewicht der ent-
[122] sprechenden schwarzweißen Empfindung. Nehmen wir an, das
Sehorgan sei lange verdunkelt gewesen, und es habe sich ein
Zustand desselben hergestellt, bei welchem die Dissimilirung
nicht blos in der farblosen Substanz (vgl. §. 31), sondern auch
in jeder farbigen eben so groß wie die Assimilirung, und also
das Sehorgan gleichsam in neutraler Stimmung ist, so wer-
den jetzt in der Gesammtempfindung des Sehorganes je zwei
Gegenfarben gleich stark enthalten sein, aber das Weiß und
Schwarz stärker als die vier Grundfarben.


Die Empfindung, welche diesem Zustande des Sehorgans
entspricht, habe ich als das mittle Grau bezeichnet und dasselbe
zunächst als eine nur binär, nämlich aus Schwarz und Weiß
gemischte Empfindung angesehen. Aber genau genommen ist
dies nicht richtig; denn es sind in dieser Mischempfindung auch
die vier Grundfarben enthalten, jedoch so schwach, daß sie nicht
über die Schwelle, d. h. nicht deutlich erkennbar hervortreten,
und nur die Verwandtschaft dieses Grau mit dem Schwarz und
Weiß offenbar ist (vgl. §. 39).


Daß wir nun Roth und Grün oder Gelb und Blau nie gleich-
zeitig in einer Mischfarbe enthalten sehen, wie etwa im Violett
das Roth und Blau, hat seinen Grund darin, daß durch soge-
nanntes farbiges Licht immer nur einer von zwei Gegenfarben
zu einem relativ starken Gewichte verholfen werden kann. Denn
wenn wir zu einem eben wirkenden farbigen Lichte anderes
Licht in mäßiger Menge beimischen, welches für sich allein die
Gegenfarbe erwirken würde, so schwächen wir damit wegen der
antagonistischen Wirkungen beider Lichtarten zunächst die Wir-
kung des ersten Lichtes, mindern also das Gewicht der ersten
Farbe ohne die Gegenfarbe zu verstärken und erreichen somit
das Gegentheil von dem, was wir beabsichtigten. Enthielte das
gemischte Sonnenlicht auch Strahlen, welche assimilirend auf
die schwarzweiße Substanz wirkten, könnten diese Strahlen bis
zur Netzhaut gelangen und wäre ihre assimilirende Wirkung
eben so stark wie die dissimilirende der wirklichen Sonnen-
strahlen, so würden wir solches Sonnenlicht auch nicht mittelst
der schwarzweißen Substanz und also gar nicht sehen; wie wir
ja auch das im passenden Verhältnisse gemischte blaue und gelbe
Licht mittelst der blaugelben Sehsubstanz nicht sehen.


[123]

Lassen wir das Licht von einem der drei ausgezeichneten
Punkte des Spectrums, also z. B. das rein grün erscheinende
Licht auf das neutral gestimmte Sehorgan wirken, so verstärkt
es die schon vorhandene schwache grüne Empfindung, zugleich
aber auch die weiße. Mit dem Hervortreten der grünen Empfin-
dung ist also zugleich eine Verstärkung der weißen gegeben und
es entsteht eine Mischempfindung, in welcher außer dem Grün
auch das Weiß gewichtig und nebstdem auch noch das Schwarz
als die Assimilirungsfarbe der schwarzweißen Substanz mehr oder
minder deutlich erkennbar ist (vgl. §. 39), während die rothe,
gelbe und blaue Empfindung unter der Schwelle bleiben. So
kommt es, daß selbst die Spectralfarben durchaus nicht rein,
sondern immer sehr merklich mit einer schwarzweißen Empfin-
dung versetzt sind. Denn was von den grünen Strahlen gesagt
wurde, läßt sich auf jeden andern Theil des Spectrums über-
tragen, gleichviel ob seine Strahlen nur eine oder beide farbige
Sehsubstanzen erregen.


Noch unreiner erscheinen die Pigmentfarben, weil sie ge-
mischtes Licht zurückwerfen, in welchem nur gewisse Licht-
arten mehr oder minder geschwächt sind. Zu der farbigen Wir-
kung derjenigen Strahlen, welche hiebei nicht durch antago-
nistische Strahlen neutralisirt sind, kommt also nicht nur die
Wirkung eben jener Strahlen auf die schwarzweiße Substanz,
sondern auch noch die Wirkung des ganzen übrigen neutral-
gemischten und daher nur die schwarzweiße Substanz erregen-
den Lichtes.


Gemischtes Licht, welches uns einen schönen farbigen Ein-
druck macht, wird gleichwohl durch einen Zusatz von farblosem
Lichte leicht fast oder ganz farblos, weil die farbige Empfindung
schon von vornherein stark mit einer farblosen versetzt ist.


Sehr instructiv ist in dieser Beziehung der folgende leicht herzu-
stellende Versuch. Man lege auf einen Tisch, der vor einem Fenster steht,
ein Stück schwarzen Sammtes und darauf ein kleines Stück weißen Papiers.
Zwischen letzterem und dem Fenster stelle man eine farbige Glastafel senk-
recht auf den Tisch, so daß das Papier deutlich in der Farbe des Glases,
z. B. schön blau erscheint. Dann wird dieses Papier theils von dem blauen
Lichte beleuchtet, welches durch das Glas gegangen ist, theils von dem
farblosen Lichte, welches von den Wänden des Zimmers etc. zurückgeworfen
wird. Nimmt man dann einen kleinen Spiegel zur Hand und richtet ihn
[124] so, daß ein Theil des weißen Lichtes vom bewölkten Himmel auf das Pa-
pier reflectirt wird, so erscheint dieses plötzlich fast oder ganz weiß. Durch
diesen Zusatz farblosen Lichtes wird die weiße, nicht aber zugleich auch
die blaue Empfindung verstärkt, und das Verhältniß des Gewichtes der letz-
teren zum Gewichte der Gesammtempfindung so ungünstig, daß das Blau
fast oder ganz unter die Schwelle gedrängt wird.


Selbst die Spectralfarben verbleichen rasch und werden
sehr weißlich, wenn man eine Linie des Spectrums fest fixirt.
Denn die Erregbarkeit der farbigen Substanzen sinkt, wie in
§. 46 weiter erörtert wird, unter dem gleichsam concentrirt wir-
kenden Reize sehr rasch, während die gleichzeitig erregte schwarz-
weiße Substanz immer noch eine relativ starke weiße Empfindung
bedingt.


Auch die schwarze Empfindung, wie sie in gar nicht oder
sehr schwach beleuchteten Theilen des Sehorgans durch Contrast
mit dem Weiß der Umgebung erzeugt wird, hat im Vergleich zu
schwachen farbigen Empfindungen ein sehr in Betracht kommen-
des Gewicht. Daher kann man unter passenden Umständen eine
schwache Farbenempfindung unter die Schwelle drängen, wenn
man an derselben Stelle die schwarze Empfindung durch Contrast
verstärkt.


Man nehme z. B. eine mattgeschliffene Glastafel und halte sie, mit
der mattgeschliffenen Seite nach oben zunächst horizontal über einen Tisch,
der mit schwarzem Sammt belegt ist. Auf diese Glasplatte lege man ein
2—3 Cm. breites Quadrat von sehr dunkelfarbigem und ganz undurch-
sichtigem
Papier, dessen bezeichneten Mittelpunkt man fixirt. Durch
eine entsprechende Neigung der Glasplatte wird man die (einseitig voraus-
gesetzte) Beleuchtung dieses Quadrates so abschwächen können, daß man
die Farbe desselben nur eben noch deutlich erkennt. Schiebt man jetzt ein
weißes Papier zwischen Glasplatte und Tisch, so erhellt sich die matte Glas-
tafel, das Papierquadrat aber wird viel dunkler oder schwärzer und seine
Farbe unsichtbar. Man braucht nun das weiße Papier nur bald wieder zu
entfernen, um die Farbe sofort wieder sichtbar zu machen. Durch die Er-
hellung der Umgebung des farbigen Quadrates wird an der ihm entspre-
chenden Stelle des Sehorgans die Empfindung des Schwarzen erheblich ver-
stärkt (vergl. §. 32), die ohnehin schwache Farbenempfindung kommt da-
durch in ein noch ungünstigeres Verhältniß zur jetzt gewichtiger gewordenen
Gesammtempfindung und sinkt demnach unter die Schwelle.


Läßt man das weiße Papier zu lange zwischen Glas und Tisch oder
macht man den Versuch mehrmals rasch hinter einander, so mischt sich
successiv inducirtes Licht an der Stelle des Papierquadrates störend ein.


Im Allgemeinen sind also die Bedingungen für das deutliche
Hervortreten der Farben beim gewöhnlichen Sehen sehr ungünstig,
[125] denn immer wird an den hellen wie an den dunklen Stellen
die Farbenempfindung durch die schwarzweißen Empfindungen
stark verunreinigt und oft ganz unter die Schwelle gedrückt.
Gegenfarben können an einer und derselben Stelle gar nicht
gleichzeitig über die Schwelle treten, sondern entweder nur eine
Grundfarbe oder ein Gemisch zweier, welche nicht Gegen-
farben sind.


Günstiger gestalten sich schon die Verhältnisse im ver-
dunkelten Auge, weil hier die schwarzweißen Empfindungen
kein so großes Gewicht haben als im offenen. Ist daher eine
farbige Sehsubstanz in Folge innerer Ursachen oder durch vor-
hergegangene Reizung mittelst äußeren Lichtes erheblich aus der
neutralen Stimmung herausgebracht worden, so kann die da-
durch begünstigte Farbe leichter über die Schwelle treten. Die
Nachbilder im verdunkelten Auge zeigen daher häufig deutliche
Farben.


Am günstigsten sind die Umstände, wenn die schwarzweiße
Substanz zuvor intensiv erregt wurde und nun nicht nur ihre
D-Erregbarkeit, sondern auch durch indirecte Wirkung die A-
Erregbarkeit herabgesetzt und die spontane Dissimilirung und
Assimilirung sehr schwach geworden ist. Die dann im ver-
dunkelten Auge erscheinenden Blendungsbilder zeigen bisweilen
so gesättigte schöne Farben, wie kaum das Sonnenspectrum.
Da nämlich in dem zuvor gesehenen sehr hellen Lichte, wenn
es auch wegen des starken Übergewichtes der farblosen Empfin-
dung weiß erschien, doch die antagonistischen Strahlen sich
fast nie vollständig neutralisiren, so wurde auch die farbige
Sehsubstanz dadurch mehr oder weniger, wenn auch verhältniß-
mäßig schwach erregt, und im nachher verdunkelten Auge ver-
räth sich die nicht neutrale Stimmung der farbigen Substanzen
durch Farbenempfindungen, die, obwohl an sich von kleinem
Gewichte, doch im Vergleich zu der jetzt sehr schwachen schwarz-
weißen Empfindung erheblich sind und daher deutlich hervor-
treten können.


Bei solchen Beobachtungen ist es mir übrigens öfters vorgekommen,
als ob man bei gewissen Phasen des Blendungsbildes wirklich zwei Gegen-
farben zugleich sähe, und ich finde auch bei andern Beobachtern dahin zu
deutende Bemerkungen. Indessen traut man bei einer so ungewöhnlichen
[126] Erscheinung seinen eigenen Augen nicht, und es besteht auch die Möglich-
keit, daß hiebei beide Farben in einem und demselben Bezirke des Sehfel-
des zwar sichtbar sind, aber doch nicht eigentlich in einander, sondern
neben einander, so daß beide in kleinen Raumintervallen miteinander ab-
wechseln.


Immer ist festzuhalten, daß jede Gesichtsempfindung, sie
sehe aus wie sie wolle, ein Gemisch der sechs Grundempfin-
dungen ist. Diejenige Grundempfindung, welche das relativ stärkste
Gewicht hat, gibt der Gesammtempfindung hauptsächlich Cha-
rakter und Namen. Ist eine Grundempfindung so stark im Über-
gewichte über alle anderen, daß letztere gar nicht bemerkbar
hervortreten, so nähert sie sich dem Ideal der Reinheit, welches
aber in Wirklichkeit nie gegeben sein kann.


§. 44.
Von der Umstimmung der durch farbiges Licht ge-
reizten Theile des Sehorgans
.


Wenn das Sehorgan längere Zeit vor äußeren Reizen ge-
schützt bleibt, so nimmt es mehr oder minder vollständig jene
neutrale Stimmung an, bei welcher in allen drei Substanzen die
Assimilirung und Dissimilirung gleich groß, und wie wir ergän-
zend annehmen wollen, auch jede D-Erregbarkeit ebenso groß
ist wie die entsprechende A-Erregbarkeit.


Die hie bei stattfindende Dissimilirung ist, ganz theoretisch genommen,
das Product zweier Factoren, nämlich der eben vorhandenen D-Erregbar-
keit und der innern D-Reize. Ebenso ist die Assimilirung das Product aus
der A-Erregbarkeit und den A-Reizen. Aus der Gleichheit von Dissimi-
lirung und Assimilirung folgt also nicht nothwendig die Gleichheit der D-
und A-Erregbarkeit. Indessen will ich, da es gegenüber den äußeren Reizen
vielmehr auf die Erregbarkeiten als auf die schon vorhandenen inneren
Reize ankommt, für die neutrale Stimmung auch gleichgroße D- und A-
Erregbarkeit jeder Substanz annehmen. Ich darf dies um so eher, als wir
über die sogenannten inneren Reize eigentlich gar nichts wissen und es
vielleicht unrichtig ist, sie mit den äußeren zu parallelisiren. Man kann
wenigstens vorläufig die Sache auch so auffassen, als sei es in der Natur
der erregbaren Substanz begründet, auch dann, wenn sie keinem äußeren
oder inneren Reize unterworfen ist, immer in schwachem Grade zu dissi-
miliren und zu assimiliren.


Die Größe dieser spontanen Dissimilirung und Assimilirung wäre
dann zugleich ein Maaß für die Disposition der erregbaren Substanz zu der
unter dem Einflusse äußerer Reize stattfindenden Dissimilirung oder Assimi-
lirung, d. h. ein Maaß der D- und A-Erregbarkeit.


[127]

Damit das zunächst in neutraler Stimmung gedachte Seh-
organ ein gemischtes Licht als farblos empfinde, ist nöthig, daß
dieses Licht sowohl für die rothgrüne als für die blaugelbe Sub-
stanz ein annähernd gleich großes Assimilirungs- wie Dissimi-
lirungsmoment setze, wobei ich das Moment dem Product aus
Reiz und Erregbarkeit gleichsetze.


Solches gemischtes Licht nun, welches dem neutral ge-
stimmten Sehorgane farblos erscheint, will ich objectiv farb-
los
oder kurz farbloses Licht nennen.


Eben dasselbe Licht aber wird z. B. grünlich erscheinen
können, wenn die rothgrüne Substanz nicht mehr neutral ge-
stimmt, sondern ihre grüne Erregbarkeit größer ist als die rothe.
Denn in Folge dessen würden Assimilirungs- und Dissimilirungs-
moment nicht mehr gleich groß sein, und ein kleines Moment,
welches gleich der Differenz beider Momente ist, wird nun zu
Gunsten des Grün zur Wirkung kommen.


Wenn irgend ein Theil des zuvor neutral gestimmten Seh-
organs durch farbig erscheinendes Licht nicht übermäßig gereizt
wird, so wird die Stimmung dieses Theiles immer derart ge-
ändert, daß die Erregbarkeit für die eben empfundene Farbe
abnimmt und nach Schluß der Reizung kleiner ist, als die Er-
regbarkeit für die Gegenfarbe. Jedes gemischte Licht, welches
vorher farblos empfunden worden wäre, wird jetzt mit einer
Beimischung dieser Gegenfarbe, oder, wenn zuvor ein Gemisch
zweier Grundfarben gesehen wurde, mit einer Beimischung beider
Gegenfarben gesehen. Hiebei aber ist keineswegs nöthig, daß
diese beiden subjectiven Gegenfarben jetzt in demselben Verhält-
nisse gemischt erscheinen, wie in der zuvor gesehenen Misch-
farbe die beiden objectiven Farben. Denn jenes Verhältniß der
subjectiven Gegenfarben hängt ganz von den eingetretenen Er-
regbarkeitsänderungen der beiden farbigen Substanzen ab, welche
nur zufällig genau in einem solchen Verhältnisse stattfinden
könnten, daß die subjectiven Gegenfarben wieder dasselbe Mi-
schungsverhältniß hätten.


Schon aus diesem Grunde ist die Farbe, welche das objective Weiß
und Grau im successiven Contraste zu einer zuvor gesehenen Farbe an-
nimmt, nicht immer genau das, was man die Complementärfarbe der
letzteren zu nennen pflegt. Größere Abweichungen treten nothwendig dann
[128] ein, wenn die farbigen Sehsubstanzen des ganzen Sehorgans unter dem
Einflusse der herrschenden Beleuchtung eine so zu sagen künstliche Stim-
mung angenommen haben, wie dies sowohl bei natürlicher als künstlicher
Beleuchtung immer mehr oder minder der Fall ist. (Siehe §. 46 über die
Adaptation.)


Ist durch mäßige Einwirkung z. B. grünen Lichtes auf
einen Theil des Sehorgans die Stimmung dieses Theils verändert
worden, und blickt man nun auf eine blaue oder gelbe Fläche,
so mischt sich an der umgestimmten Stelle die Gegenfarbe des
Grün subjectiv bei, und das Gelb oder Blau erscheint röthlich.
Denn das von einem Pigmente zerstreute Licht ist gemischtes
Licht, und diesem gegenüber verhält sich der umgestimmte Theil
des Sehorgans analog wie gegenüber farblosem gemischtem Lichte.


Zur Erklärung der Thatsache, daß nach farbiger Reizung der ge-
reizte Theil für die Gegenfarbe erregbarer ist, als für die Reizfarbe, bietet
meine Theorie mehrere Wege. Obwohl ich nun auch hier der zukünftigen
eingehenden Untersuchung keineswegs vorgreifen will, so erscheint es mir
doch zweckmäßig, in ähnlicher Weise, wie ich dies in der vorigen Mitthei-
lung gethan habe, zu zeigen, wie sich die Erscheinungen des successiven
Contrastes leicht der Erklärung aus meiner Theorie unterwerfen lassen.
Denn ich bekomme dadurch Gelegenheit zu zeigen, einen wie tiefen Ein-
blick in alle Phasen des Stoffwechsels der Sehsubstanz wir erwarten dürfen,
wenn wir aus den Gesichtspunkten, welche die Theorie bietet, an die feinere
Untersuchung der Einzelerscheinung gehen.


Wird die zuvor neutral gestimmte rothgrüne Substanz durch solche
Strahlen gereizt, welche ihre Dissimilirung steigern, so wird während
der Dauer der entsprechenden Empfindung die rothgrüne Substanz abneh-
men, und folglich nach Schluß der Reizung die Erregbarkeit des gereizten
Theiles für diese Farbe vermindert sein. Hierüber kann kein Zweifel sein,
wenn die Vordersätze der Theorie richtig sind, und dies würde schon ge-
nügen, um die Art oder Richtung der Umstimmung des gereizten Theiles
zu erklären, wenn wir nur annehmen, daß die A-Erregbarkeit während der
Reizung unverändert bleibe. Wenn sich aber auch die A-Erregbarkeit unter
dem indirecten Einflusse des Reizes ändert, so bleiben zwei Möglichkeiten;
erstens die, daß sie ebenfalls abgenommen hat, aber viel weniger als die
D-Erregbarkeit, oder aber zweitens, daß sie sogar zugenommen hat. Dies
lasse ich hier dahingestellt sein, weil es nur untersucht werden kann,
wenn zugleich die Stärke und räumliche Ausbreitung des Reizes und der
Zustand der Umgebung der gereizten Stelle mit berücksichtigt wird.


Wird umgekehrt die zuvor neutral gestimmte rothgrüne Substanz
durch farbiges Licht gereizt, welches ihre Assimilirung steigert, so
wird dadurch die erregbare Substanz vermehrt und zugleich die D-Erreg-
barkeit gesteigert. Dies reicht hin, um zu erklären, warum nach Schluß
der Reizung die D-Erregbarkeit, also die Erregbarkeit für die Gegenfarbe
größer ist als die A-Erregbarkeit. Hätte sich zugleich in Folge des rascheren
[129] Verbrauchs von Assimilirungsmaterial die A-Erregbarkeit etwas vermindert,
so würde dies eine noch größere Differenz der beiden Erregbarkeiten nach
Schluß der Reizung bedingen.


§. 45.
Von der Umstimmung des ganzen Sehorgans bei
theilweiser Reizung durch farbiges Licht.


In meinen früheren Mittheilungen habe ich den Beweis
geführt, daß bei partieller Reizung des Sehorgans nicht blos im
gereizten Theile und unter der directen Wirkung des Reizes,
sondern auch im übrigen Sehorgane und insbesondere in der
nächsten Umgebung der direct gereizten Stelle Veränderungen
unter der indirecten Wirkung des Reizes eintreten, durch welche
die Erscheinungen des simultanen Contrastes, sowie der simultanen
und successiven Lichtinduction bedingt sind. Während ich aber
bisher die Contrast- und Inductionserscheinungen nur in Bezug
auf die schwarzweiße Sehsubstanz erörtert habe, gilt es nun auch,
die beiden andern Sehsubstanzen zu berücksichtigen, den simul-
tanen Farbencontrast und die Farbeninduction zu erklären.


Wir sahen früher, daß bei nicht übermäßiger Beleuchtung
einer Stelle des Sehorgans das übrige Sehorgan und besonders
die nächste Nachbarschaft der gereizten Stelle sich in Folge in-
directer Wirkung des Reizes mehr oder minder verdunkelt. Wie
hiebei in der Umgebung der durch farbloses Licht gereizten
Stelle das Schwarz deutlicher hervortritt, so wird bei Reizung
durch farbiges Licht in der Umgebung des gereizten Theiles die
Empfindung der Gegenfarbe verstärkt und unter günstigen Um-
ständen auch über die Schwelle gehoben.


Infolge dessen ändern sich dann auch die Erregbarkeits-
verhältnisse der Umgebung der gereizten Stelle, denn die Empfin-
dung einer beliebigen Grundfarbe bedeutet nach unserer Theorie
auch eine Aenderung des Verhältnisses der Erregbarkeiten zu
Ungunsten der empfundenen Farbe und zu Gunsten ihrer Gegen-
farbe. Nach Schluß der Reizung und der beschriebenen Contrast-
wirkung wird also an der direct gereizten Stelle die Erregbarkeit
für die Reizfarbe kleiner sein als die Erregbarkeit für ihre Gegen-
farbe, in der Umgebung der direct gereizten Stelle aber wird das
Gegentheil der Fall sein.


Hering, Lehre vom Lichtsinne. 9
[130]

Lassen wir jetzt auf die ganze Netzhaut Licht fallen, welches
bei neutraler Stimmung des Sehorganes farblos erscheinen würde,
so erscheint es nun farbig, und zwar an der zuvor gereizten Stelle
in der Gegenfarbe (successiver Contrast), während es im Uebrigen
und besonders in der nächsten Umgebung in die zuvor während
der Reizung empfundene Farbe spielt (successive Induction). Was
hier von einer Grundfarbe gilt, das gilt auch von den Gemischen
zweier.


Auf Grund des hier Gesagten lassen sich nun alle Erschei-
nungen des simultanen und successiven Farben-Contrastes er-
klären.


Ist die unter dem directen Einflusse des Reizes empfundene Farbe
eine D-Farbe, so läßt sich das Hervortreten der Gegenfarbe in der Um-
gebung auf ganz analoge Weise für die farbigen Substanzen erklären, wie
dies früher für die farblose Sehsubstanz geschehen ist, insbesondere also
daraus, daß die Steigerung der Dissimilirung an der gereizten Stelle eine
Steigerung der Assimilirung in der Umgebung bedingt. Die in schwachem
Maaße immer vorhandene Empfindung der zugehörigen A-Farbe gewinnt
dadurch an Gewicht und tritt unter günstigen Umständen über die Schwelle.


Meine Theorie gestattet aber auch eine andere Erklärung, die jedoch
zweckmäßig erst bei Gelegenheit der ausführlichen Untersuchung der Con-
trasterscheinungen erwogen wird. Es könnte nämlich die Erscheinung der
Contrastfarbe auch auf eine Minderung der Dissimilirung, oder auf gleich-
zeitige Steigerung der Assimilirung und Herabsetzung der Dissimilirung
zurückgeführt werden (vergl. §. 32).


Jedenfalls aber würde, und das ist mir hier die Hauptsache,
die entsprechende farbige Sehsubstanz und also auch die
D-Erregbarkeit in der Umgebung des direct gereizten Theiles
zunehmen und hier die D-Erregbarkeit nach Schluß der
Reizung größer sein müssen als die A-Erregbarkeit.


Ist umgekehrt die Farbe, welche die Contrastwirkung hervorbringt,
eine A-Farbe, so tritt ein Fall ein, welcher bei den farblosen Empfin-
dungen insofern nicht möglich ist, als für die schwarzweiße Substanz das
Licht nur einen D-Reiz bildet. Am einfachsten erscheint die Annahme, daß
in der Umgebung der farbig gereizten Stelle die Dissimilirung derselben
farbigen Substanz etwas gesteigert wird, deren Assimilirung unter der
directen Einwirkung des Lichtreizes gesteigert ist, und daß dadurch die
entsprechende D-Farbe sichtbar wird. Aber auch durch eine Minderung
oder Hemmung der Assimilirung in der Nachbarschaft der gereizten Stelle
ließe sich das Auftreten der Gegenfarbe allenfalls erklären. Im einen wie
im andern Falle würde durch die Contrastwirkung in der Um-
gebung der farbig gereizten Stelle die betroffene Substanz
und damit zugleich ihre D-Erregbarkeit gemindert werden
und nach Schluß der Reizung die Erregbarkeit für die A-Farbe
größer sein als für die D-Farbe.


[131]

Der Nachweis, daß der simultane Farben-Contrast und die
Farben-Induction wirklich auf einer Wechselwirkung der einzelnen
Theile des Sehorganes beruhen, läßt sich in ganz ähnlicher Weise
führen, wie dies in Betreff der farblosen Lichtempfindungen in
meinen früheren Mittheilungen geschehen ist. Alle dort ange-
führten Versuche lassen sich gleichsam in’s Farbige übersetzen.
Nur muß man dabei Sorge tragen, daß man den Contrast und
die Induction zwischen hell und dunkel möglichst ausschließt,
weil sonst schwache Farbenempfindungen durch die farblosen
unter die Schwelle gedrückt werden. Objective Gegenfarben, mit
denen man gleichzeitig arbeitet, müssen ungefähr gleich hell
sein, und ebenso müssen farblose Felder oder farbloser Grund
etwa von derselben Helligkeit sein, wie die Farben, nämlich grau,
nicht weiß oder schwarz. Zu Versuchen über simultanen Con-
trast eignen sich die möglichst reinen Farben weniger als stark
nuancirte, weil bei Anwendung der ersteren der simultane Con-
trast oft sehr rasch in die simultane Induction umschlägt oder
die Zerstreuung des farbigen Lichtes über das eigentlich farbige
Bild hinaus so stark ist, dass die subjective Contrastfarbe gar
nicht dagegen aufkommen kann. Günstig sind demzufolge für
die Erscheinung der Contrastfarben auch jene Versuchsbedin-
gungen, welche man zur Erzeugung der subjectiv farbigen Schatten
herzustellen pflegt.


§. 46.
Über die große Vergänglichkeit der farbigen
Empfindungen im Vergleich zu den farblosen.


Aus dem, was im §. 43 über das Gewicht der Farbenempfin-
dungen und in den beiden letzten §§. über die Erregbarkeits-
änderung der farbigen Sehsubstanzen gesagt wurde, erklärt sich,
daß die Farbenempfindungen so sehr vergänglich sind, genauer
gesagt, daß sie so leicht unter die Schwelle kommen. Ein kleines
farbiges Quadrat auf ungefähr gleich hellem farblosen Grunde
verliert bei fester Fixirung eines Punktes sehr bald an Reinheit
der Farbe und verschwimmt endlich unterschiedslos mit dem
Grunde, wobei dieser gewöhnlich unterdessen (durch simultane
Induction) etwas von der Farbe des Quadrats angenommen hat,
und somit Quadrat und Grund in gleichem Tone schwach gefärbt
9 *
[132] erscheinen. Am schnellsten tritt dieses Verschwinden kleiner
farbiger Felder beim indirecten Sehen ein, später beim directen.
Uebrigens aber blitzen die Ränder des farbigen Feldes und des
Grundes in Folge kleiner Blickschwankungen immer wieder in
der Farbe des Quadrates, beziehentlich in der Gegenfarbe auf.


Sehr belehrend sind in dieser Beziehung folgende Versuche:
Man lege ein kleines farbiges Feld auf einen etwa gleich hellen
grauen Grund und fixire fest einen Punkt des ersteren. Von Zeit
zu Zeit beschatte man vorübergehend das farbige Feld in mäßigem
Grade dadurch, daß man zwischen dasselbe und die Hauptlicht-
quelle des Zimmers einen undurchsichtigen Schirm oder auch
nur die Hand schiebt. Man wird dann schon nach kurzer Fixi-
rung im Momente der Beschattung die Farbe des farbigen Feldes
auffallend unrein werden und auch oft den Farbenton ändern
sehen. Jetzt entferne man den Schirm wieder, fixire aber fort.
Bei nochmaliger Beschattung kann das farbige Feld unsichtbar
werden, weil es unterschiedslos mit dem Grunde zusammenfliest;
bei der dritten Beschattung kann es farblos erscheinen, bei der
vierten schon in einer ganz anderen Färbung, in welcher immer
die Gegenfarbe der ursprünglichen Farbe deutlich oder ausschließ-
lich enthalten ist. Verschließt man das Auge nur eine Weile
und blickt dann auf das noch beschattete Feld, so erscheint
es wieder in seiner ursprünglichen Farbe.


Man kann auf diese Weise die Folgen der fortschreitenden
Erregbarkeitsänderungen an der Stelle des farbigen Feldes so-
wohl als in seiner Umgebung auf jeder beliebigen Stufe ihrer
Entwicklung sichtbar machen.


Zu genauerer Untersuchung bedient man sich zweckmäßig eines
Zimmers, welches nur eine, leicht zu verändernde Lichtquelle hat. Im Fenster-
laden eines dunklen Zimmers läßt man z. B. die von Aubert 1) angegebenen
quadratischen Diaphragmen einsetzen, die durch einen Schieber beliebig ver-
kleinert und vergrössert werden können. Diese höchst zweckmäßigen Dia-
phragmen gestatten eine sehr genaue und meßbare Regelung der Lichtstärke.


Selbst die Spectralfarben können in ihrer Gegenfarbe gesehen werden.
Fixirt man eine Linie im Spectrum des zerstreuten Tageslichtes, so ver-
blassen die Farben zusehends. Verengt man sodann den Spalt hinreichend,
so schlägt, während die Spectrallinien noch deutlicher werden, die fixirte
Farbe in einen, die Gegenfarbe mehr oder weniger deutlich enthaltenden Ton
[133] um. Ein kurzer Verschluß des Auges genügt, um nachher die Farbe wieder
zu sehen trotz der Lichtschwäche des Spectrums. Um den Versuch rein zu
haben, muß man die übrigen Farben abblenden.


Nicht minder interessant als das Verschwinden der Farbe
begränzter farbiger Felder bei fester Fixirung ist das Verschwin-
den einer in der allgemeinen Beleuchtung überwiegenden Farbe;
denn eine schwachfarbige Beleuchtung erscheint meist farblos.


Der Ausdruck weißes oder farbloses Licht hat, wie oben
gezeigt wurde, nur Sinn in Beziehung auf die eben vorhandene
Stimmung des Sehorgans; denn dasselbe gemischte Licht kann
je nach dieser Stimmung bald farbig und bald farblos erscheinen.
Ich habe dasjenige Licht farblos genannt, welches bei neutraler
Stimmung des Sehorgans farblos erscheint. Diese Stimmung ist
jedoch fast nie vorhanden. Gleichwohl erscheint uns das Tages-
licht wie das künstliche Licht meist farblos, d. h. wir sehen
einen sogenannten weißen Gegenstand bei diesen verschiedenen
Beleuchtungen immer wieder weiß.


Angenommen, das zuvor neutral gestimmte Sehorgan er-
öffnet sich einem Außenraume, dessen Beleuchtung nicht farblos
ist, weil in derselben z. B. die gelbwirkenden Strahlen nicht
ganz neutralisirt sind, so wird man das fast überall vorhandene
Gelb nur im Anfange und auch da nur verhältnißmäßig schwach
bemerken. Letzteres deshalb, weil jede objective Farbe, ebenso
wie das Weiß, wegen der Wechselwirkung der einzelnen Theile
des Sehorgans an Reinheit und Deutlichkeit verliert, wenn sie
über einen großen Theil der Netzhaut verbreitet ist (vergl. §. 32);
ersteres aber wegen der sehr bald eintretenden Adaptation
des Sehorgans für die allgemein verbreitete Farbe. Dieselbe be-
steht im angeführten Falle darin, daß in der gelbblauen Substanz
die Assimilirung durchschnittlich wieder ebenso groß wird wie
die Dissimilirung, und daher das Sehorgan in Bezug auf die
eben herrschende Beleuchtung
so zu sagen wieder neutral
gestimmt ist. Für ein solches künstlich neutral gestimmtes
Sehorgan ist also die, dem natürlich neutral gestimmten Seh-
organ farbig erscheinende Beleuchtung wieder farblos.


Nehmen wir an, die vorherrschende gelbe Farbe, welche das Auge
im angenommenen Falle fast allenthalben sieht, sei eine D-Farbe, so wird
in allen Theilen des Sehorganes die blaugelbe Sehsubstanz und mit ihr die
[134] Erregbarkeit für Gelb abnehmen, daher auch das von den gelbwirkenden
Strahlen gesetzte Erregungsmoment immer kleiner und schließlich ebenso
groß werden, wie das Erregungsmoment der blauwirkenden Strahlen. Dann
aber werden sich beide Momente vollständig aufheben. Ob hiebei auch die
blaue Erregbarkeit durch indirecte Wirkung der anfänglichen gelben Er-
regung sich ändert, ist vorerst gleichgiltig, denn immer müssen schließlich
beide Erregungsmomente gleich werden.


Wäre umgekehrt die in der Beleuchtung vorherrschende gelbe Farbe
die A-Farbe der blaugelben Substanz, so würde unter ihrem Einflusse diese
Substanz und damit die D-Erregbarkeit, d. h. Erregbarkeit für Blau zu-
nehmen. Die Folge ist wieder, daß das an sich schwächer vorhandene blau
wirkende Licht bald ein stärkeres und schließlich ebenso großes Erregungs-
moment setzt, wie das gelbwirkende, womit die erregende Wirkung des ge-
mischten Lichtes auf die blaugelbe Substanz zu Ende ist.


Man braucht nur ein Stückchen weißen Papiers auf schwarzen
Grund zu legen, einige Zeit zu fixiren und dann durch einen
zwischen das Papier und die vorherrschende Lichtquelle gescho-
benen Schirm zu beschatten, so sieht man auf dem Papier die
einfache oder zweifache Gegenfarbe der in der Beleuchtung eben
vorherrschenden Farbe. Bei Gaslicht erscheint das Papier blau,
bei Tageslicht je nach dem Stande der Sonne, der Bläue oder
Bewölkung des Himmels etc. verschieden, grün, grüngelb oder gelb.


Bei allen Versuchen über Farbencontrast oder Farbenin-
duction muß man die, durch Adaptation für die meist etwas
farbige Beleuchtung veränderte Stimmung des Sehorgans mit be-
rücksichtigen, denn die Gegenfarbe der eben in der Beleuchtung
vorherrschenden, wenn auch unsichtbar gewordenen Farbe, mischt
sich bei jeder günstigen Gelegenheit mit ein und tritt sogleich
über die Schwelle, sobald das Gesammtgewicht der eben unter-
suchten Empfindung hinreichend klein ist, wie dies bei gedämpfter
Beleuchtung oder auf dunklem Grunde häufig, ganz besonders
aber im verdunkelten Auge der Fall ist.


§. 47.
Über die Young’sche und Plateau’sche Theorie.


Jede Gesichtsempfindung läßt sich, wie ich oben dargelegt
habe, ganz bestimmt bezeichnen, wenn man sechs Variable an-
nimmt, d. h. die sechs einfachen oder Grundempfindungen. Die
nächstliegende Annahme ist nun die von uns gemachte, daß
diesen sechs psychischen Variablen sechs physiologische
[135] Variable entsprechen. Ausgehend von dem in §. 27 erörterten
Grundgedanken, daß jedem Psychischen ein Physisches entsprechen
müsse, und unter Annahme der schon von Leonardo da Vinci,
Aubert
u. A. betonten einfachen Farben (Roth, Gelb, Grün, Blau)
kam daher schon Mach1) zu dem Resultate, daß es nicht drei,
sondern vier „Grundfarbenempfindungen“ geben und daß außerdem
„für die Empfindung Weiß und Schwarz ein besonderer physio-
logischer Proceß statuirt werden müsse“. „Denn im Weiß ist
keine andere Farbe erkennbar. Wenn demselben auch in der
Netzhaut mehrere Erregungen entsprechen, der letzte Vorgang
in der physiologischen Kette, welcher den einfachen phy-
sischen
Proceß der Empfindung Weiß bedingt, muß einfach
gedacht werden wie dieser.“ Die qualitative und nicht blos quan-
titative Verschiedenheit des Schwarz und Grau vom Weiß hat
Mach nicht besonders betont; auch fußen alle seine Erörterungen
noch auf dem psychophysischen Gesetze Fechner’s.


Die Young’sche Theorie müsse also, meint Mach, dahin
modificirt werden, daß an Stelle von drei jene vier Grundfarben
gesetzt werden. Allerdings würde dadurch jene Theorie mit dem
natürlichen Farbensystem in viel besseren Einklang gebracht,
und insofern war Mach’s Annahme ein wesentlicher Fortschritt.
Aber der Hauptfehler der Young-Helmholtz’schen Theorie
bleibt bestehen. Denn dieser liegt darin, daß diese Theorie nur
eine Art der Erregbarkeit, Erregung und Ermüdung kennt, näm-
lich die von mir mit D bezeichnete, und daß sie das antagonistische
Verhalten gewisser Lichtstrahlen zum Sehorgan verkennt; daher
sie das Weiß aus „complementären“ Lichtstrahlen nicht dadurch
entstehen läßt, daß sie sich in ihrer Wirkung auf die farbigen
Sehsubstanzen aufheben, sondern dadurch, daß sie sich zu
Weiß ergänzen.


Ein entschiedener Fortschritt war der Versuch Young’s, die
große Mannichfaltigkeit der Licht- und Farbenempfindungen auf
einige wenige physiologische Variable zurückzuführen. Der
richtige Grundgedanke aber erfuhr eine falsche Durchführung,
weil man sich dadurch irre leiten ließ, daß es in der That mög-
lich ist, mit Hilfe dreier, passend gewählter Arten homogenen
[136] Lichtes alle Farbentöne, wenn auch nicht alle Sättigungsgrade
derselben zur Empfindung zu bringen. Da die Strahlen des
spectralen Roth nicht auf die rothgrüne, sondern auch wenn-
gleich schwächer auf die blaugelbe Substanz erregend wirken,
so braucht man diesen Strahlen nur die nöthige Menge grüner
Strahlen beizumischen, um die Wirkung der rothen Strahlen
auf die rothgrüne Substanz zu neutralisiren und ein, allerdings
sehr weißliches Gelb in der Empfindung übrig zu behalten.
Nimmt man dagegen als dritte Grundfarbe das Violett, so thut
man insofern etwas Überflüssiges, als man das darin enthaltene
Roth nicht mehr nöthig hat, sondern nur das Blau. Das Blau
erhält man gleichwohl, wenn man die Wirkung der violetten
Strahlen auf die grünrothe Substanz durch Zusatz von Grün neu-
tralisirt.


Sehen wir ab von dem richtigen Grundgedanken, von wel-
chem die Young’sche Hypothese ausgeht, so bleibt nicht viel
Gutes mehr von ihr zu berichten. Insbesondere vermag sie jene
Thatsachen, welche man als die Hauptstütze der Theorie be-
trachtet hat, nämlich die „complementären“ Nachbilder und die
Farbenblindheit gar nicht genügend zu erklären. Eine große
Reihe von Erscheinungen aber, die aus der Young’schen Theorie
zu erklären bisher gar nicht versucht worden ist, findet in der
neuen Theorie leicht ihre Erklärung.


Zur Erklärung der „complementären“ Nachbilder nimmt
Helmholtz eine unter dem Einflusse vorangegangener farbiger
Reizung entstandene ungleiche Erregbarkeitsänderung oder Er-
müdung der drei Faserarten an. Diese Erklärung genügt in
vielen Fällen, wenn man sich nur an den Farbenton des Nach-
bildes hält, seine Helligkeit oder Dunkelheit aber, d. h. das Ver-
hältniß des immer gleichzeitig vorhandenen Weiß und Schwarz
ganz vernachlässigt. Aber auch der Farbenton der Nachbilder
läßt sich häufig auf diese Weise gar nicht erklären.


Ich will dies hier vorläufig nur an einem einzigen Beispiel erläutern.
Man lege auf einen farbigen, z. B. grünen Grund zwei große Blätter, welche
gleich hell wie der Grund und ungefähr „complementär“ zum Grün gefärbt
sind, derart daß diese rothen Blätter nur einen centimeterbreiten Streifen
vom grünen Grunde zwischen sich lassen. Einen Punkt dieses Streifens
fixire man 1—1½ Minuten lang. Entfernt man dann rasch die rothen Blätter,
so erscheint der Streifen, der soeben noch deutlich grün war, in einem sehr
[137] schmutzigen Roth. Die grüne Farbe des Streifens verwandelt sich also
lediglich infolge der Entfernung der rothen Blätter in ihre, allerdings sehr
verunreinigte Gegenfarbe (vergl. §. 34).


Zur Erklärung solcher Fälle benützt Helmholtz die „falschen Ur-
theile“, indem er sagt, der Streifen werde gar nicht roth, sondern nach
wie vor grün empfunden, aber im Gegensatze zu dem ungewöhnlich
satten Grün der Umgebung roth vorgestellt. Im Contrast zu einem so
intensiven Grün halte man das durch Ermüdung sehr abgeschwächte Grün
des Streifens nicht blos für nicht grün, sondern sogar für röthliches Grau
Durch diese „psychologische“ Erklärung kann also Roth in Grün und über-
haupt jede Farbe in ihre Gegenfarbe verkehrt werden.


Aber ebenso, wie ich früher für die schwarzweißen Empfindungen
die Haltlosigkeit derartiger Erklärungen nachgewiesen habe, läßt sie sich
auch für die farbigen darthun. Die Versuche über Contrast und Induction,
die ich für Weiß und Schwarz beschrieben habe, lassen sich, wie schon er-
wähnt wurde, auch mit je zwei Gegenfarben anstellen, wenn man mit mög-
lichst neutral gestimmten Sehorgane arbeitet oder die Umstimmung des-
selben durch die eben herrschende Beleuchtung mit einrechnet.


Sehr schlagend sprechen meiner Meinung nach die Erfah-
rungen an Farbenblinden gegen die Young’sche Theorie,
obwohl man gerade in ihnen eine Stütze der Theorie gefunden
zu haben glaubte. Was man jetzt einen Rothblinden nennt,
ist vielmehr ein Roth-Grünblinder, d. h. es fehlt ihm die
rothgrüne Sehsubstanz. Dem entsprechend sieht er farblos, was
Andern in einer der beiden Grundfarben Roth oder Grün er-
scheint; in allen Roth oder Grün enthaltenden Mischfarben aber
sieht er nur das Gelb oder Blau. In seinem Sonnenspectrum
liegen nur zwei Partialspectren, das schwarzweiße und das gelb-
blaue. Die Stelle des Grün erscheint ihm farblos und theilt sein
Spectrum in eine gelbe und eine blaue Hälfte. Reines Gelb und
reines Blau nebst Schwarz und Weiß genügen also, um alle ihm
vorkommenden Farben daraus zu mischen.


Ob es solche absolut Roth-Grünblinde gibt, weiß ich nicht;
schon wenn die Menge der rothgrünen Substanz abnorm gering
ist, werden alle ihr zugehörigen Empfindungen unter die Schwelle
kommen können, und die wesentlichsten Erscheinungen der
sogenannten Rothblindheit auftreten.


Die Widersprüche, in die man sich, wie die neue Literatur
über diesen Gegenstand zur Genüge zeigt, immer wieder ver-
wickelt, so oft man die Farbenblindheit aus der Young’schen
Theorie erklären will, lösen sich, soviel ich bis jetzt sehe, leicht
[138] bei der Erklärung aus meiner Theorie, wie ich später selbst zu
zeigen gedenke.


Auch der Plateau’schen Theorie liegt ein richtiger Ge-
danke zu Grunde, insofern sie von der schon alten Annahme gegen-
sätzlicher Zustände des Sehorganes ausgeht, und ein weiterer
Vorzug dieser Theorie liegt darin, daß sie den simultanen Con-
trast physiologisch zu erklären sucht. Aber jede ersprießliche
Durchführung der Theorie müßte sofort an der paradoxen An-
nahme Plateau’s scheitern, daß „complementäre“ Farben sich zu
Weiß ergänzen, wenn sie objectiv, zu Schwarz, wenn sie nur
subjectiv gegeben sind, was sich, wie bereits Fechner zeigte,
schon durch kleine Abänderungen derjenigen Versuche wider-
legen läßt, durch welche es Plateau zu beweisen suchte.


§. 48.
Schlußbemerkungen.


Ehe ich diese Mittheilungen über die Grundzüge einer neuen
Theorie des Licht- und Farbensinnes schließe, möchte ich noch
einmal in der Kürze die Hauptpunkte derselben hervorheben,
damit nicht etwa über einer Discussion untergeordneter, hier nur
flüchtig und vielleicht mangelhaft erörterter Nebendinge die
Hauptsache aus dem Auge verloren werde.


Die vorliegende Theorie, obwohl zunächst gegründet auf
eine möglichst vorurtheilsfreie Analyse der Gesichtsempfindungen
wurzelt doch sehr wesentlich mit in gewissen Grundgesetzen,
welche ich aus den Erscheinungen des organischen und des psy-
chischen Lebens überhaupt abstrahirt habe und freilich hier nur
nebenbei behandeln konnte, nämlich einerseits in dem im §. 29
ausgesprochenen psychologischen Grundgesetze, aus welchem sich
die wichtige Feststellung des Begriffes der Qualität und des Ge-
wichtes der Empfindungen ergab, und andererseits in dem Satze,
daß jede lebendige und erregbare Substanz, entsprechend den
in ihr gleichzeitig stattfindenden Dissimilirungs- und Assimili-
rungsprocessen, auch eine oder mehrere specifische D-Erregbar-
keiten und ebenso viele A-Erregbarkeiten besitzt, und daß man
demgemäß auch die D-Reize von den A-Reizen zu unterscheiden
[139] habe, die D-Ermüdungen von den A-Ermüdungen etc. Erst
durch diese Auffassung kommt meiner Ansicht nach Zusammen-
hang in zahlreiche Sätze der Physiologie überhaupt und insbe-
sondere der Nerven- und Muskelphysiologie, so wie etwas Licht
in die Erscheinungen des psychischen Lebens.


Was nun die Licht- und Farbenlehre insbesondere betrifft,
so ist zuerst das auf die innere Ähnlichkeit der Empfindungen
gegründete natürliche System der Gesichtsempfindungen zu be-
tonen, worin jeder Empfindung ihre Stelle bestimmt ist durch
das Verhältniß, in welchem die sechs Grundempfindungen (deren
mehrere unter der Schwelle sein können) gleichsam gemischt
erscheinen; ferner die Gruppirung der sechs Grundempfindungen
zu drei Paaren von Gegenfarben.


Hieran reiht sich als fundamental wichtig die Auffassung
der Gesichtsempfindungen als des psychischen Correlates der Er-
nährungsvorgänge oder des Stoffwechsels in der Sehsubstanz,
welche Auffassung zur Unterscheidung von D- und A-Empfin-
dungen, und weiter zu dem Satze führt, daß jede D-Empfindung
eine Abnahme, jede A-Empfindung eine Zunahme der Sehsub-
stanz bedeutet. Entsprechend den drei Paaren einfacher oder
Grundempfindungen werden drei Arten des Dissimilirungs- und
Assimilirungsprocesses der Sehsubstanz und drei Arten specifischer
A- und D-Erregbarkeit angenommen. Die Farblosigkeit des
aus „complementären“ Lichtarten gemischten Lichtes wird aus
dem antagonistischen Verhalten solcher Lichtarten erklärt.


Zum ersten Male wird ferner methodisch und umfassend
der Nachweis geführt, daß die einzelnen Theile des nervösen
Sehorganes in inniger functioneller Wechselbeziehung stehen,
welche Wechselbeziehung als eine gegenseitige Beeinflussung des
Stoffwechsels aufgefaßt wird, derart, daß wenn an einer ge-
reizten Stelle größer wird, es in der Umgebung kleiner wird
und umgekehrt, so daß nach der Reizung beide Theile in ent-
gegengesetztem Sinne in ihrer Erregbarkeit verändert sind.


Diese Sätze und ihre Folgerungen boten nun zwar die
Möglichkeit, jede der erwähnten Erscheinungen zu erklären, aber
es zeigte sich dabei, daß öfters für eine und dieselbe Erscheinung
[140] zunächst mehrere Erklärungen denkbar waren, und daß die Ent-
scheidung über die richtige späteren Detailuntersuchungen vor-
behalten werden mußte. Hierin wird man vielleicht einen
Mangel der Theorie sehen, aber ganz mit Unrecht. Denn dieser
scheinbare Mangel ist durchaus im Wesen der Sache begründet
und vielmehr ein Vorzug der neuen Theorie, insofern als jede
Theorie, die weniger Variable einführt, als zur Erklärung aller
Erscheinungen nöthig sind, zwar den scheinbaren Vorzug größerer
Einfachheit, aber den wirklichen Nachtheil der Unzulänglich-
keit hat.


Was wir in einer Gesichtsempfindung unmittelbar auffassen,
ist das Verhältniß der entsprechenden D- und A-Processe
zu einander, denn durch dieses ist die Qualität der Empfin-
dung bedingt. Die Veränderung der Empfindung gibt uns also
auch zunächst nur Aufschluß über die Veränderung jenes Ver-
hältnisses, nicht aber über die absoluten Veränderungen der ein-
zelnen Glieder jenes Verhältnisses. So kommt es, daß man bei
der Erklärung so oft zunächst die Wahl hat zwischen einer
Steigerung der Assimilirung und einer Hemmung oder Minderung
der Dissimilirung und umgekehrt. Aber die Theorie gibt selbst
Mittel und Wege in die Hand, durch eingehendere Untersuchungen
auch die Veränderungen der einzelnen Glieder jenes Verhält-
nisses festzustellen. Infolge dessen vermag man dann mit Hilfe
dieser Theorie auch Einzelheiten zu erklären, die den bisherigen
Theorien ganz unzugänglich waren.


Derartige Untersuchungen aber sind, sobald man durch sie
über die Hauptphänomene hinaus zu den feineren Einzelheiten
vorzudringen sucht, sehr zeitraubend, weil die Stimmung des
Sehorganes eine so sehr labile und die Beleuchtung eine so va-
riable ist, daher es schwer wird, oft hintereinander immer wieder
dieselben Versuchsbedingungen herbeizuführen.


Obgleich ich selbst sehr gut weiß, wie viel hier noch zu
thun ist, habe ich es doch für zweckmäßig gehalten, stellenweise
schon hier die Erklärung des Details zu versuchen, nur um zu
zeigen, daß und wie sie möglich ist. Wenn ich hiebei einige-
male besondere Annahmen machen mußte, so waren dies doch,
worauf ich Gewicht lege, keine von außen hergeholten Hilfshypo-
[141] thesen, sondern das Hypothetische lag nur in der vorläufigen
Bevorzugung einer von mehreren Möglichkeiten, welche sich fol-
gerichtig aus der Theorie entwickeln ließen. Spätere ausführ-
lichere Erörterungen einzelner Fragen werden mir Gelegenheit
geben, diese vorläufigen Erklärungen entweder als die richtigen
zu erweisen oder durch bessere zu ersetzen. Die Hauptsätze der
Theorie werden dadurch, wie ich hoffe, nicht alterirt werden.


[][][][]
Notes
1).
Die Lehre vom binocularen Sehen. Leipzig 1868.
1).
Physiol. Optik. S. 393.
1).
Vergl. meine Anmerkung zu §. 3. S. 8.
1).
Poggendorff, Annal. d. Physik. Ergänzungsbd. V. S. 305.
2).
Mach, Sitzungsber. d. k. Akad. d. Wiss. 57. Bd. 1868. S. 11.
1).
Sitzungsber. d. k. Akad. d. Wiss. 52—57. Bd.
2).
Physiologische Optik, S. 413.
1).
Beziehentlich außerdem das Minimum von objectivem Licht,
welches von dem schwarzen Streifen bei so schwacher Beleuchtung ausgeht.
1).
Physiologie der Netzhaut. S. 333.
1).
Physiol. Optik. S. 287.
1).
Psychophysik, II. Theil, S. 283.
1).
Obwohl sich dies eigentlich für jeden, der eine gesetzmäßige
functionelle Beziehung zwischen Psychischem und Physischem, Empfindung
und Nervenproceß annimmt, von selbst verstehen sollte, ist es doch viel-
fach außer Acht gelassen worden, und selbst Fechner, obwohl er von
derselben Voraussetzung geleitet wird, macht doch, wie mir scheint, zu
wenig Anwendung von derselben. Mach bezeichnet diese Grundvoraus-
setzung der ganzen Psychophysik blos als „ein heuristisches Princip der
psychophysischen Forschung“; aber sie ist mehr, sie ist die conditio sine
qua non aller solchen Forschung, wenn sie Früchte tragen soll. Mach be-
merkt (Über d. Wirk. d. räuml. Vertheil. d. Lichtreizes auf die Netzhaut.
1).
Sitzungsber. d. Akad., 52. Bd., 1868): „Jedem Psychischen entspricht ein
Physisches und umgekehrt. Gleichen psychischen Processen entsprechen
gleiche physische, ungleichen ungleiche. Wenn ein psychischer Vorgang
sich auf rein psychologischem Wege in eine Mehrheit von Qualitäten a, b, c
auflösen läßt, so entsprechen diesem eine ebenso große Zahl verschiedener
physischer Processe α, β, γ. Allen Details des Psychischen correspondiren
Details des Physischen.“ Wenn ich davon absehe, daß hierbei keine Rück-
sicht darauf genommen ist, daß psychophysische Processe von sehr ver-
schiedener Größe dieselbe Empfindung geben können, weil es überall nicht
auf die absolute Größe dieser Processe, sondern lediglich auf ihr gegensei-
tiges Verhältniß ankommt (vergl. §. 29), so kann ich diesen Worten Mach’s
vollständig beipflichten.
Auf demselben Princip beruhte schon meine Theorie des Raumsinnes
der Netzhaut. Mach ist der Einzige, welcher dem Grundgedanken derselben
beigepflichtet hat.
1).
Über den psychophysischen Proceß, welcher der blauen Empfindung
entspricht, wird erst bei Erörterung des Farbensinnes zu sprechen sein.
1).
Physiologie der Netzhaut. S. 37.
1).
Über die Wirkung der räuml. Vertheilung des Lichtreizes auf die
Netzhaut. (Sitzungsber. d. k. Akad. d. Wiss. 52. Bd. 1865.)
1).
Über die physiologische Wirkung räumlich vertheil-
ter Lichtreize
. IV. Abhandl. Sitzungsber. d. Wiener Akad. d. Wissensch.
57. Bd., S. 11. 1868.
2).
Über die Abhängigkeit der Netzhautstellen von ein-
ander
. Vierteljahrschrift für Psychiatrie. 1868.
1).
Vergl. insbesondere Helmholtz, Physiologische Optik. S. 363.
1).
Über das Phänomen der zufälligen Farben. Poggendorff (Annal.
d. Physik 32. Bd. 1834, S. 543).
1).
Dieses reine Roth entspricht nicht dem Spectralroth, welches gelb-
lich ist.
1).
Physiologie der Netzhaut. S. 44.
1).
Über die Wirkung der räumlichen Vertheilung des Lichtreizes auf
die Netzhaut. Sitzungsber. d. k. Akad. d. Wiss. 52. Bd. 1865.

Dieses Werk ist gemeinfrei.


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Kolimo+

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TextGrid Repository (2025). Collection 3. Zur Lehre vom Lichtsinne. Zur Lehre vom Lichtsinne. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bqb5.0