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So ſey denn noch einmal freudig gegrüßt, du ſchöner Tag, an dem
unſere Fahne, des mächtigen Deutſchlands majeſtätiſches Panner, nach
langer Demüthigung zum erſten Male wieder entfaltet war. Ja es war
ein ſchöner, und zugleich ein ernſter Tag, wo dreißigtauſend Deutſche
nur von Einem Gedanken beſeelt, nur von Einer tiefen Ueberzeugung
durchdrungen waren, von der Ueberzeugung: »das große Vaterland
müße von Schimpf und Elend endlich einmal zu Ruhm und Glück auf-
erſtehen, Deutſchland müße bald wiedergeboren werden.« — Was die
Diplomaten den Völkern ſo eifrig zu verbergen ſuchen, daß die Noth
unſeres Landes und das Unglück des ganzen europäiſchen Welttheils nicht
natürlich ſey, ſondern vielmehr durch ein unſinniges und despotiſches Re-
gierungsſyſtem herbeigeführt werde, daß dieſes verwüſtende Syſtem,
welches die Bevölkerung eines ganzen Welttheils unbeſchreiblich elend
macht, ſeine Hauptſtütze nur in der Zerriſſenheit und der Unterdrückung
Deutſchlands habe, und daß wir daher unſere Freiheit und Nationalein-
heit nicht blos des eigenen Glückes, ſondern noch mehr der Beruhigung
und dauerhaften Organiſation Europa’s wegen zu erringen ſtreben müßen,
daß ohne die Freiheit Deutſchlands die Freiheit keines andern Volks denk-
bar ſey, und daß namentlich die Völker im Oſten durch uns befreit werden
müßen — alles dieſes hatte die große patriotiſche Verſammlung tief gefühlt
und klar erkannt. Daher die lebhafte Sympathie für Polen, daher die [ein-
müthige]
Ueberzeugung, daß die Sache dieſer edlen Nation von der unſri-
gen unzertrennlich ſey. An dem Tage, wo zur Wiederaufrichtung des
vereinigten freien Deutſchlands der Grundſtein gelegt wurde, mußte
nothwendig auch das brennende Verlangen kund werden, für die Mär-
tyrer der europäiſchen Freiheit, die ritterlichen Polen, nicht blos zu ſpre-
chen, ſondern auch einmal zu handeln. Dieſes Verlangen äußerte ins-
5
[66] beſondere unſer wackrer Fitz, Bürger zu Dürkheim, in einer Rede,
die allgemein Anklang fand. Wir wollen daher das zweite Heft der
Feſtbeſchreibung mit der Rede dieſes Patrioten eröffnen:


 

So viel uns Deutſchen, im Allgemeinen, bei unſerem jetzigen Zuſtand
noch zu wuͤnſchen und zu erringen uͤbrig iſt, ſo muͤſſen doch alle unſre
Klagen und Wuͤnſche in den Hintergrund treten, wenn wir an das Schick-
ſal der edlen polniſchen Nation denken.


Ich glaube daher, daß es ganz an ſeinem Orte iſt, bei dem heu-
tigen deutſchen Maifeſte, bei welchem wir mehrere der edelſten Glieder
dieſer Nation in unſrer Mitte erblicken, — die Frage vorzulegen und zu
eroͤrtern: Ob es denn, wie bisher bei uns Deutſchen, immer nur allein
bei der innigen Theilnahme an ihrem Schickſale verbleiben ſoll, oder
ob wir mehr fuͤr ſie thun koͤnnen und ſollen! —


Es ſchwellt mir die Bruſt, wenn ich daran denke, daß der erſte feſte
Entſchluß, die ſchoͤnſte und edelſte Handlung zu vollbringen, — welche die
Muſe der Geſchichte in Erz graben, und die Choͤre der guten Geiſter in
dem Himmel jubelnd verkuͤnden wuͤrden, — wenn, ſage ich, der erſte
feſte Entſchluß, eine ſo edle That zu vollbringen, als die iſt: Polens
Befreiung vom Joche des Tyrannen, von der heute verſammelten Menge,
an dieſem feſtlichen Tage, aus Hambachs Schloß-Ruinen ausgehen
wuͤrde! —


Denn ſo lange dieſe edle Nation unter einem ſo furchtbaren Joche
der Tyraney leidet, ſo lange ihre edelſten Glieder als Verbannte in
Frankreich leben, und ein größerer Theil in den Wuͤſten Sibiriens ſchmach-
ten muß, ſo lange kann kein andrer Gedanke in meiner Seele auf-
kommen, als der, — das Schickſal der ungluͤcklichen, dreimal bedauerungs-
werthen polniſchen Nation gemildert zu ſehen. Und ich bin gewiß, dieſes
Gefuͤhl theilen alle die hier ſind, und Millionen von wackern Maͤnnern
unſrer und andrer Nationen mit uns. — Und trotz dieſem Gefuͤhle der
Millionen, ſollte es blos bei dem weibiſchen Gewinſel des Mittleids
bleiben?! Trotz dieſen Millionen, die ſich fuͤr Polen und dadurch fuͤr
die Sache der ganzen Menſchheit erheben koͤnnten, — ſehen wir ruhig
zu, wie das Ungeheuer in Menſchengeſtalt, auf dem ruſſiſchen Throne,
durch ſeine Schergen, die edelſte Nation von Gottes Erde vertilgen
laͤßt! — ſehen zu, wie er tauſende von Familien nach Sibirien ſchickt,
ihnen Vermoͤgen, Namen und Ehre raubt, und ſonſtige Grauſamkeiten
an ihnen veruͤbt, welche auszuſprechen, ſich das menſchliche Gefuͤhl empoͤrt.
So daß der groͤßte Theil der Nation in eine ſolche Lage verſetzt wurde,
[67] wo der Tod wuͤnſchenswerther als das Leben iſt. — Und warum
muͤſſen ſie alles dieſes erdulden? — Weil ſie ſich von dem Joche eines
Tyrannen befreien wollen, der ihre heiligſten Menſchenrechte mit Fuͤßen
trat, der nach Laune und Willkür den Geſetzen des Landes Hohn ſprach.
Und dies thaten ſie in einer Zeit, wo in Frankreich durch die Juli-Re-
volution ein Stern der Hoffnung fuͤr alle unterdruͤckte Voͤlker aufgegan-
gen war. Sie thaten es zu einer Zeit, wo des Czaren Macht ſich an den
Grenzen Polens zuſammen gezogen hatte, um mit den Polen vereint —
(wie Er irrig glaubte) und vielleicht noch andern abſoluten Maͤchten,
Frankreich, und mit ihm alle liberalen Ideen zu bekriegen und zu unter-
druͤcken. — Und haͤtten dieſe Maͤchte alsdann den Sieg davon getra-
gen, was waͤre aus unſern conſtitutionellen Verfaſſungen geworden!? —
Sie waͤren uns alle genommen, und an ihrer Stelle herrſchten nun ab-
ſolute Gewalten, ja vielleicht die ruſſiſche Knute! —


Daß es nicht geſchehen, daß wenigſtens dieſer Kampf, den wir
heute jeden Tag in den einzelnen Theilen von Deutſchland durch Fuͤr-
ſten und ihre Helfer im Kleinen fuͤhren ſehen, noch nicht in zwei Jahren im
Groſen begonnen, dies haben wir Polen zu verdanken. — So waren ſie
auch dieſesmal, wie ſchon vor 150 Jahren gegen die Tuͤrken, — unſere
Retter von dem Joche der Tyranney! Und wir Millionen Maͤnner
deutſcher und anderer Nationen ſollten ruhig zuſehen, wie man Polen
dem ruſſiſchen Reiche einverleibt, wie deſſen edelſte Bewohner theils im
Ausland darben oder in Sibirien dem Hungertode preis gegeben ſind, und wie
der zuruͤckgebliebene Theil durch ruſſiſche Inſtitutionen ſeiner Rationalitaͤt
beraubt werden ſoll. — Und wir, die den innigſten Antheil an Polens
traurigem Schickſal nehmen, wir ſollen ihnen nicht mehr als
Mitleid und Bewunderung zollen duͤrfen!? — weil es
die Politik unſrer Fuͤrſten nicht erlaubt, daß wir that-
kraͤftig fuͤr ſie wirken
. — O! dann zieht fort ihr Polen, zieht fort
nach Amerika, nach dem Lande der Freiheit, wohin ſchon ſo viele freie
Maͤnner gezogen, die das Joch des Despotismus und der Tyranney nicht
ertragen konnten, und die Edelſten unſrer und andrer Nationen werden
euch folgen, und von dort aus ihr armes Vaterland bedauern, deſſen Be-
wohner nicht verdienten frei zu werden, weil ſie ein edles Volk durch
Tyrannen-Macht untergehen ließen, das ſie retten konnten. —


Doch nein! — ſo weit wird es mit uns noch nicht gekommen ſeyn! —
wir wollen zuerſt unſre deutſchen Bruͤder auffordern, und die andern
Nationen werden uns folgen, in allen deutſchen Laͤndern Unterſchriften
von Maͤnnern zu ſammeln, welche bereit ſind, Gut und Blut fuͤr die Be-
[68] freiung Polens zu opfern, und wenn ihre Zahl groß genug geworden,
dann einen unſrer Fuͤrſten bitten, ſich an unſre Spitze zu ſtellen zu dem
Kampfe fuͤr die Rechte einer vor den Augen der civiliſirten Welt grenzen-
los elend gemachten Nation. — Und die Fuͤrſten muͤſſen es zulaſſen, wenn
noch ein Funke von Menſchlichkeit in ihrer Bruſt lodert, — ja, ich hoffe,
[zu] ihrem eignen Beſten, ſie werden es thun. — Denn ſorgen wir nicht in
Zeiten dafuͤr, daß dem Vergroͤßerungs-Syſtem des nordiſchen Coloſſes gegen
Weſten hin ein Damm entgegen geſetzt werde, ſo haben wir fruͤher oder
ſpaͤter gleiches Loos mit Polen zu erwarten. Und wie koͤnnten wir einen
ſtaͤrkeren Damm errichten, als wenn wir Polen wieder herzuſtellen ſuchen!
Daher friſch zur That! — Laſſet Adreſſen an alle deutſche Volkſtaͤmme
und an alle andere Nationen ergehen, worinnen ſie zur Theilnahme an
dieſem heiligen Kampfe aufgefordert werden, und kein Fuͤrſt wird euch
hierin hindern koͤnnen, noch wollen. Denn — ohne Polens Freiheit, keine
deutſche Freiheit! ohne Polens Freiheit kein dauernder Friede, kein Heil
fuͤr alle andern europaͤiſchen Voͤlker! — Drum fodert auf zum Kampfe
fuͤr Polens Wiederherſtellung, es iſt der Kampf des guten gegen das boͤſe
Princip! — es iſt der Kampf fuͤr die edle Sache der ganzen Menſchheit! —
Es iſt das Suͤhn-Opfer welches die civiliſirten Voͤlker jetziger Zeit, den
Enkeln der großen polniſchen Nation bringen muͤſſen, — um den Schand-
fleck wieder abzuwaſchen, welchen die ſcheußliche Politik des vorigen Jahr-
hunderts durch die Theilung Polens dem deutſchen Namen aufgedruͤckt hat!«


Der Verſammlung ward nun die Freude zu Theil, einen edlen Po-
len, Franz Grzymala, auf der Rednerbühne begrüßen zu können, der
über den Zuſtand Europa’s und das grauſame Unterdrückungsſyſtem
der Könige mit ergreifender Wahrheit ſprach. Die Rede dieſes eben
ſo thätigen als einſichtsvollen Polen, welche uns leider bei dem Ab-
druck dieſes Heftes noch nicht mitgetheilt war, machte großen Eindruck
auf die ganze Verſammlung, insbefondere tief empfunden wurde die ge-
wiß wahre Behauptung: daß kein Volk reifer ſey, die freieſte Verfaſ-
ſung dauerhaft bei ſich zu begründen, als das deutſche Volk. Veranlaßt
durch die hohe ehrenvolle Erwartung eines Polen von unſerem deut-
ſchen Vaterlande ſprach jetzt Chriſt. Scharpff aus Homburg, der
tapfre Mitarbeiter an der deutſchen Tribüne:


Deutſche Männer!


Unſer Vaterland war in Schmach und politiſche Ohnmacht verſun-
ken; es hat die Schmach von ſich geworfen, es iſt aus dem unwürdigen
Schlafe erwacht, die Blicke Europa’s ſind wieder auf daſſelbe gerichtet. —
Die Begeiſterung, mit welcher das deutſche Volk die Revolution des
[69] Juli begrüßte, die Aufſtaͤnde in Heſſen, Braunſchweig, Sachſen ꝛc. ꝛc.
die edle Theilnahme an dem Schickſale Polens, dann die mächtig ſich
erhebende öffentliche Meinung, genährt durch eine entſchiedene Oppoſi-
tion, und zur Begeiſterung geſteigert durch die Gründung des deutſchen
Vaterlandsvereins, Alles dies mußte die Freunde und Vertheidiger der
Freiheit zu hohen, herrlichen Erwartungen berechtigen. Dieſe Erwar-
tungen wären jetzt ſchon erfüllt, hätten damals die Völker ihre vortheil-
hafte
Stellung eben ſo ſchnell begriffen, als die Könige ihre mißliche
Lage erkannten. Die Könige ſchloſſen ein enges Bündniß, ſie befürch-
teten: es gelte den Kampf auf Leben und Tod; — während die Völker
der Täuſchung ſich hingaben: die Forderungen der Vernunft und der
Civiliſation müßten endlich jetzt vor den Thronen Gehör finden. Und
ſo gelang es denn wiederum der Heuchelei der Machthaber, die Völker zu
betrügen, denn noch war es nicht klar geworden, daß mit dem Unſinn,
der auf den Thronen ſitzt, mit der künſtlich und gewaltſam vererbten
Barbarei aus einer Zeit, die in Ruinen liegt, — eine vernünftige und red-
liche Verſtändigung unmöglich ſey. — Das Volk wußte nicht, daß Ver-
nunft von Seiten eines legitimen Fürſten Selbſtverrath an der eigenen
Majeſtät wäre, deſſen ſich kein gekröntes Haupt ſchuldig machen kann. —
Die Machthaber ſahen den Untergang ihrer jetzigen Herrſcherweiſe vor-
aus, wenn ſie den Forderungen der Vernunft und der Civiliſation nach-
gäben: jedes Zugeſtändniß wäre ja ein Schritt näher zur Volksſouveräni-
tät!— Darum: wo ein Zugeſtändniß dennoch gemacht werden muß, iſt
es voll von Trug: die Freiheit wird zur Feſſel, ſobald das Volk ernſt-
lich davon Gebrauch machen will: das Volk hat keine Garantie für
ſeine Rechte! — So lange noch irgend ein Schein für die Möglichkeit
abſoluter Herrſchaft vorhanden iſt, muß die aufſtrebende Freiheit der
Völker im engen Zwinger veralteter Staatsformen gefeſſelt bleiben; die
Anerkennung des Rechts und der Vernunft, wird bis zur letzten, drin-
gendſten Stunde verſchoben, indeß Elend, Verarmung und Unterdrückung
von Millionen der morſchen Herrſchaft zur Stütze dienen. Glücklich der
Fürſt, hat der morſche Bau wenigſtens bis zu ſeinem Lebensende gehal-
ten! — Er konnte das Maas ſeiner Sünden in Ruhe häufen, er hat
ruhig in der ſturmbewegten Zeit ſein Volk und ſein Land regiert, er
kann wohlgefällig von feilen Höflingen ſich beklatſchen laſſen. — Und
ſollte auch, ſtatt der Thränen des Volks, der Fluch der lebenden und
kommenden Geſchlechter ſeinem Namen folgen, er hat genug des Ruhmes:
er hat zu Gunſten der meuteriſchen Canaille keines einzigen Rechtes ſeiner
fürſtlichen Krone ſich begeben! — Der Bund zu London, wie der Bund
[70] zu Frankfurt, beobachtet in dieſem Sinne jeden Schritt der unter-
drückten Völker und »Ruͤckwärts« ertönt der ſchmachvolle Ruf, ſobald ſie
erkennen, daß der Schritt ein Schritt zur Freiheit iſt: »Rückwärts«
iſt auch der Inhalt aller ihrer Protokolle und Beſchlüſſe, die ſanctionirt
durch die Macht der Bajonette, in Europa als Völkerrecht gelten ſollen.
Wehe dem Volke, das durch die fromme Gerechtigkeitsſprache dieſer
diplomatiſchen Inquiſitionsgerichte ſich täuſchen läßt! Die Emanzipation
der Völker zu hindern, iſt das oberſte Geſetz dieſer Verbündeten, und die
Zugeſtändniſſe, die Einer oder der Andre zu machen gezwungen iſt, wer-
den zurückgenommen, ſobald die Möglichkeit des Gewaltſtreichs erkannt
wird. — Aus Allem dem aber ſollten die Völker die Lehre ziehen: daß
ſie vom Regime des bon plaisir vergeblich einen beſſern Zuſtand der
Dinge erwarten. — Der beſte Fürſt von Gottes-Gnaden iſt ein geborner
Hochverräther an der menſchlichen Geſellſchaft, und erſt dann iſt ein
beſſerer Zuſtand der geſellſchaftlichen Ordnung zu hoffen, wenn ſtatt der
Bundestags- und Conferenzmänner die Repräſentanten des befreiten
Deutſchlands und die Vertreter der freien, unabhängigen Völker Eu-
ropa’s zu Congreſſen zuſammentreten. Nichts zu hoffen aber iſt von der
jetzigen Kabinetspolitik und der europäiſchen Diplomatie, welche auf das
Recht der Bajonette geſtützt, unberufen ſich anmaßen, über das Schick-
ſal der Völker nach Laune und Intereſſen der einzelnen Machthaber zu
entſcheiden. Die Anarchie, vor der man zurückſchreckt, der traurige Zu-
ſtand der Verwirrung und Ungewißheit, der aller Länder Europa’s ſich
bemächtigt, ſie ſind die natürliche Frucht des verkehrten Syſtems dieſer
Gewalthaber. — Deutſche Männer, gegen Diejenigen, welche Körper
und Geiſt in trauriger Zwingherrſchaft gefeſſelt halten, welche durch
Verarmung und Verdummung die Völker zu ohnmächtiger Ruhe zwin-
gen wollen, gegen ſie ſprecht das »Schuldig« aus, wenn über kurz oder
lang, der unſelige Zuſtand Europa’s und unſers unglücklichen Vater-
landes, ſtatt auf dem Wege friedlicher Reform, in gewaltſamer Umwäl-
zung das Heilmittel ſucht. — Werft einen Blick auf die 15 Jahre der
Täuſchung und Unterdrückung, durch welche unſer ſchönes Deutſchland
verarmt und entwürdigt iſt: das freie Wort war immer verfolgt; Han-
del und Gewerbe ſind gefeſſelt und vernichtet, und wo etwas zu ihrem
Beſten geſchieht, da iſt es auf Koſten und zum Ruin des nächſten Grenz-
nachbars, der unſer deutſcher Mitbruder iſt (allgemeiner Beifall); der
Landmann, durch Steuern, Zehnten, Frohnden, Gilt und Zins für
kleine und große Zwingherrn, verarmt und verſchuldet, muß Hütte,
Acker, Heimath, wo er glücklich ſeyn könnte, verlaſſen, will er
[71] mit Weib und Kindern nicht Hungers ſterben. Dieſem Allen abzuhel-
fen verſprach die deutſche Bundesakte, verſprachen die deutſchen Fürſten
in den Tagen ihrer Bedrängniß, ſie wiſſen nichts mehr von den Ver-
ſprechungen, aber o der Schmach! achtzehn Jahre nachdem das deutſche
Volk Gut und Blut geopfert, dieſe Fürſten von napoleoniſchem Despo-
tismus zu befreien, rufen dieſelben die Ordonanzen Napoleons, mit dem
Blute Palms beſudelt, Napoleons nie geſetzlich ſanctionirte Decrete, die
den Despoten vom Throne geſtürzt haben, rufen ſie zur Unterdrückung
der deutſchen Preßfreiheit und perſönlichen Freiheit zurück. Dies, deutſche
Männer, iſt empörend und ſchmählig! — Jetzt oder nie gilt es, daß
Deutſchland zeige, ob es werth ſey, aus dieſem Zuſtande der Entwürdigung
herauszutreten, oder ob es werth ſey einer noch ſchimpflicheren Skla-
verei! — Durch rege allgemeine Theilnahme an der Ehrenſache des
Vaterlandes, an dem herrlich begonnenen Kampfe der Freiheit gegen
den Abſolutismus, der Volksſouveränität gegen die Souveränität der
Könige, kann der Zuſtand des Rechts und der Vernunft in Deutſchland
und durch Deutſchland in Europa begründet werden, durch Trägheit
und Gleichgültigkeit beim Rufe des Vaterlandes ſiegt die Sache der
Könige, der Zuſtand der Gewalt und der Unvernunft, in Deutſchland
und durch Deutſchland auch im übrigen Europa. Zwiſchen Freiheit und
Knechtſchaft, zwiſchen dem Zuſtand des Rechts oder der Gewalt, der
Vernunft oder der Unvernunft iſt die Wahl gegeben; — erkämpft das
deutſche Volk Freiheit, Recht und Vernunft, dann Heil unſerm Vater-
lande, Heil den unterdrückten auf uns vertrauenden Völkern Europa’s! —
Siegen Knechtſchaft, Gewalt und Unvernunft, dann iſt Unglück und
Schande unſer Loos. Der Genius des Vaterlandes walte, daß nicht
über kurz die Völker Europa’s ausrufen: Unglück und Schande über
Deutſchland, es iſt nicht werth der Freiheit, nicht werth eines beſſern
Zuſtandes, es verdient unter den Bajonetten des Abſolutismus zu ver-
ſtummen, es verdient unter die Knute des ruſſiſchen Czars den Nacken
zu beugen! Deutſche Männer, in eurer Macht liegt es zu verhüten,
daß dieſer ſchmachvolle Ruf nicht über unſer Vaterland ergehe! Es lebe
Deutſchland, das einige, ſtarke, freie Deutſchland lebe hoch!« —


Nach dieſen ernſten, tiefergreifenden Worten ſprach wieder ein Pole,
Oranski:


Das unläugbare Zeichen der Reife eines Volkes iſt das Bedürfniß
des öffentlichen Lebens. Das deutſche Volk fühlt das großartige Be-
[72] dürfniß, verſammelt ſich zu berathen über das Intereſſe des gemeinſamen
Vaterlandes. Das heutige Feſt iſt der erſte Akt der Mündigkeit des
deutſchen Volkes. Aber meinen Sie, daß Sie hier unbemerkt, unbe-
obachtet bleiben können? Feſte ſollen nur auf Befehl der Fürſten, zur
Ehre der Fürſten veranſtaltet werden, das Volk ſoll keinen eigenen
Willen, keine eigene Stimme haben. Meinen Sie, daß Sie den
Schutz der Geſetze gegen die Rache der beleidigten Machthaber anrufen
können? Die Geſetze, verfertigt von den Ariſtokraten, ſanktionirt durch
die Despoten, dienen nur der Uebermacht, nur den Unterdruͤckern, —
die Waffen ſtillen den Klageruf der Völker. Die nordiſchen Bar-
baren werden kommen, um die Rebellen zu züchtigen, — die wilden Hor-
den überſchwemmen das glückliche Land der Deutſchen, zerſtören die
Städte, verbrennen die Dörfer, die Hufe der koſakiſchen Pferde zer-
treten die blühenden Weinberge der ſtolze Sieger feiert auf demſel-
ben Ort das Feſt der Zerſtörung, — man verwandelt die Bühne in ein
Blutgerüſte. Es bleibt dann kein Mittel der Rettung, als der Auf-
ſtand der Völker, der freien, der mündigen Völker. Der Ruf der
Freiheit tödtet die Despoten, die Waffen der Söldlinge fallen vor
dem Angeſicht der freien Männer[.] Wie in Rom die Brutusdolche, ſo
müſſen alsdann die Hermannsſchwerter vor allen Tirannen blitzen, — die
hundert Köpfe des Ungeheuers würden dann auf einmal fallen. »Geduld«
war lange der Wahlſpruch des deutſchen Volkes, die Zeit des Han-
delns iſt da. — Dem Erwachen der muthigen Thatkraft der Völker ein
Lebehoch! dem heiligen Bunde der Völker ein Lebehoch!«


In den Pauſen zwiſchen dem Vortrage vorſtehender Reden wurden
wieder verſchiedene patriotiſche Lieder geſungen. Wir theilen hier einen
aus dem Polniſchen überſetzten, und dann einen von dem wackern Fitz
gedichteten Geſang mit:


1.
Der Polen Mai.


(Ueberſetzt aus dem Polniſchen.)


Bruͤder laßt uns geh’n mitſammen

In des Fruͤhlings Blumenhain,

Laſſet unſre Herzen flammen

Hier im innigſten Verein.

Lieber Mai, holder Mai! —

Winters Herrſchaft iſt vorbei! —

[73]
Einſt in ſolchen Maientagen

Ward ein Kleinod uns geſchenket,

Muß das Herz nicht feurig ſchlagen

Wenn es jener Zeit gedenket?

Gott verleih! Gott verleih!

Daß erbluͤh’ ein ſolcher Mai.

Ach es haben Feindes Maͤchte

Dieſes Kleinod uns geraubt,

Von dem theuerſten der Rechte

Kaum zu ſprechen uns erlaubt.

Truͤber Mai, truͤber Mai! —

Wenn ein Volk nicht froh, nicht frei.

Von dem Joche des Tyrannen

Suchten wir uns zu befreien,

Manche Schlachten wir gewannen

Glaubten ſchon daß frei wir ſeyen.

Sangen frei, komm herbei

Du erſehnter Freiheits-Mai.

Doch! wir mußten unterliegen

Feindes-Uebermacht und Raͤnken,

Moͤge Gott, der uns zu ſiegen

Nicht vergoͤnnt, den Tod uns ſchenken.

Truͤber Mai, truͤber Mai! —

Wenn ein Volk in Sclaverei! —

Eine Hoffnung knuͤpft ans Leben

Uns verbannte Polen wieder,

Unſre Freiheit zu erſtreben

Werden helfen deutſche Bruͤder!

Gott verleih, daß es ſey!

Dankfeſt dann dem neuen Mai!

2.
Deutſches Mailied.


Als Erwiederung auf das polniſche Mailied.
(Mel.: Wo Kraft und Muth ꝛc.)


Hoͤrt deutſche Bruͤder Polens Klage

Sie dringt an jedes Mannes fuͤhlend Herz;

Wem nicht der Polen trauervolle Lage

Erpreſſet ein Gefuͤhl von Schaam und Schmerz,

Den mag ich nimmer Bruder nennen,

Er kann fuͤr Edles nie entbrennen; —

Er machet Schand der deutſchen Nation,

Ihm zeige jeder Biedre Spott und Hohn!

Der Polen Hoffnung iſt auf euch gerichtet,

Sie fleh’n zu euch um Huͤlf’ in ihrer Noth;

Das Reich der Polen hat der Czar vernichtet,

Und Tyrannei treibt mit den Edeln Spott.

[74]
Und deutſche Maͤnner koͤnnten ſehen

Daß Polens Reich ſoll untergehen!? —

Es braͤchte Schand der ganzen Nation,

Die Nachwelt ſpraͤch’ von uns mit Spott und Hohn,

Doch! — wer von Knechtſchaft andre will befreien

Muß ſelbſt ein edler freier Mann auch ſeyn;

Und viele unſrer deutſchen Bruͤder weihen

Ihr Gut und Blut der Willkuͤhr falſchem Schein.

Doch laß’t uns heut die Hoffnung naͤhren:

Sie wird Erfahrung bald bekehren;

Dann machen wir die edlen Polen frei

Und bringen Fluch der Ruſſen-Tyrannei.

O! Bruͤder naͤhrt die edlen Freiheits-Flammen,

Dies edle Feuer tief in eurer Bruſt,

Ja! — halten wir in Eintracht nur zuſammen,

Und jeder ſey ſich ſeiner Kraft bewußt!

Dann muß die gute Sache ſiegen

Das Schlechte muß ihr unterliegen.

Und es erſcheinet bald [ein] ſchoͤner Mai

Wo Deutſche, Polen, jauchzen: wir ſind frei.

O! — ſuͤße Hoffnung, du kannſt mich nicht truͤgen,

Daß Deutſchland werde kraͤftig bald erſteh’n,

Geſchichte muͤßte, und der Zeitgeiſt luͤgen,

Wenn unſre Sache koͤnnte untergeh’n.

Wir wollen Menſchen-Recht erringen

Wir wollen, und es muß gelingen:

Dies ſchwoͤren wir beim Deutſchen Feſt im Mai,

Wir wollen — alle Voͤlker ſeyen frei.

Jubel und Heiterkeit, gepaart mit tiefen patriotiſchen Gefuͤhlen,
belebte die große Verſammlung, in einzelnen Gruppen hatten belehrende
Unterhaltungen ſtatt, dichter aber drängten ſich die Zuhörer, wenn
von der Tribüne oder andern zweckmäßigen Punkten öffentlich geſprochen
wurde. Von den vielen Reden, die jetzt noch bis zum ſpäten Abend
gehalten wurden, theilen wir ferner mit:


Rede von Barth aus Rheinbaiern.


„Vor uns liegt ein gluͤcklich Hoffen,

„Liegt der Zukunft goldne Zeit,

„Steht ein ganzer Himmel offen

„Reift der Freiheit Seeligkeit“!

So rief dir, mein deutſches Volk, dein gluͤhend begeiſterter, kriegeriſcher
Saͤnger, in einer ernſten, hohen Zeit zu; und ſie begeiſtern uns heute
wieder dieſe warmen anfeuerenden Toͤne, ſie erhalten einen bedeutungsvollen
mahnenden Klang dieſe unſterblichen Worte des deutſchen Saͤngers,
[75] entquollen einer Zeit, reich an Druck, Muth und vernichtenden Kaͤmpfen! —
„Vor uns liegt ein gluͤcklich Hoffen!“ ſo ruft der gigantiſche Geiſt der Zeit,
der mit erſchuͤtterndem Tritte uͤber die Erde ſchreitet, an den Huͤtten,
an den Pallaͤſten, an den Thronen! und der warme Menſchenfreund jaucht
ihm trunken entgegen, und der knirſchende Despotismus huͤllet ſich dichter
in den blutigen Purpur und mit ſchielendem, zitterndem Blicke, mit angſtlich
ſtockendem Herzen, dem Schritt des erhabnen Geiſtes folgend lauert die
verſchrumpfte Politik: ob durch Waffenſchall und markloſe Drohungen der
Gewaltige nicht betaͤubt werden koͤnnte! Und er ſteht, das gluͤhende Auge
in die Ferne gerichtet, den nervigen Arm emporgehoben, er ſteht harrend,
ob ihr ihm folget, aus dieſer truͤben, druͤckenden Daͤmmerung, in den lachen-
den Tag, dem er euch entgegen fuͤhren will. Mitbuͤrger! Maͤnner! Soͤhne
des Vaterlands! raffet euch auf mit lautern, ſtarken Herzen, pruͤfet die
heiligen Momente, die gewichtig in ihren Folgen wie Jahrtauſende ſind, —
und dann weihet euch, weihet euch auf Tod und Leben, den heiligſten
Intereſſen der Menſchheit! — Erkennet die Wuͤrde, den Adel eurer Be-
ſtimmung, der Himmel rief euch zu großen Zwecken ins Leben, er
erſchuf euch fuͤr dieſe Zeit! Und vor Allen du ruͤſtige, edle, begeiſterte
vaterlaͤndiſche Jugend, auf deren Muth, deren Thatkraft die verkuͤndete
gluͤckliche Zukunft gebaut iſt, mit frohen, von kuͤhnen Entſchluͤſſen geſchwell-
ten Herzen trete zuſammen, mit unbrechbarem diamantnem Muthe ruͤſte
dich! ſiehe ſchon bricht es uͤber die dunklen Berge, das Morgenroth eines
neuen Jahrtauſends, — das Morgenroth einer gluͤcklichen, freien, veredelten
Zeit, aber finſtere Wolken druͤcken ſich uͤber das aufſtroͤmende Licht, und
der Maͤnner-pruͤfende Sturm bricht in den anbrechenden Morgen. Dränge
deine ehernen Reihen um den heiligen Altar der Freiheit, und ſchuͤtze die
auflodernde Flamme, und wenn ſie nahen die finſtern Verbuͤndete des Ab-
grunds, dann leuchte, ein verderbender Wetterſtrahl, in ihre kalte Maſſen,
und ſiege mit deinem reinen Blute, in deinem menſchenbegluͤckenden geheiligten
Unternehmen —“


Und ihr, die ihr mit Wort und That, die heiligſten Empfindungen
des Menſchen erweckt; die ihr dem aufſtrebenden Volke die hilfreiche Hand
bietet, die ihr es mit ſeinen Menſchen- und Staatsbuͤrgerrechten bekannt
und vertraut macht; wuͤrdige, edle Volks- und Menſchenfreunde, er-
hebt eure belehrende, anfeuernde Rede, ſtärker und waͤrmer, rufet auf
mit der Stimme der Zeit, erhaltet veredelt die erweckten Geſinnungen,
macht den Menſchen reif fuͤr die Opferungen, welche der große Moment
von ihnen fordert; — nicht mit der Sprache der Verachtung, mit der un-
geſchmuͤckten energiſchen Rede der Wahrheit rufet ſie hinauf in eure Rei-
[76] hen, ſie hoͤren, ſie folgen euch gerne. — Freiheit und Vaterland — ja ſehet
Kleinglaͤubige, wie die Welt bei dieſen Worten aufhorcht, wie die Herzen
lodern in den Huͤtten, hinter dem Pfluge. — Von dem feurigen Gallien
bis zum ernſten kraͤftigen Norden ſchon durchwaͤrmen dieſe großen Ideen
alle Gemuͤther, Aller Bruſt! —


Und auch euch gilt dieſer Ruf, Bruͤder in Preußen, die ihr lange
ſchon ſtolz darauf, ein beſonderes Volk zu heißen, mit dem deutſchen In-
treſſen nichts mehr gemein zu haben ſcheint, auch euch gilt er, euch,
die ihr gluͤcklich und zufrieden in einem Staate hin lebt, der euch keine
andre Gewaͤhr fuͤr perſoͤnliche Freiheit leiſtet, als die, welche der blinde
Zufall in der Perſon eines guten Fuͤrſten gibt. — Auf denn, wer unter
euch in koͤniglicher Demuth noch nicht vertrocknet, und in fuͤrſtlicher Gnade
noch nicht abgeſtorben iſt!


Die Menſchheit ſchließt einen hohen, heiligen Bund, eine Gewaͤhr
fuͤr Licht und Freiheit, einen Vernichtungs-Bund gegen Despotismus und
Bonzenthum, einen Bund auf Tod und Leben, ſegnend den der die
heilige Zeit ergreifend, dem leidenden Volke aufhilft, verfluchend und
zerſchmetternd die Werke und Gebaͤude der Willkuͤhr, der blinden Unter-
wuͤrfigkeit, der Sclaverei und des Pfaffenthums. —


Und du Geber der lichten Vernunft, der ſittlichen und [vernuͤnftigen]
Freiheit, des ſtaͤhlernen, maͤnnlichen Muthes, ſiehe herab auf deine
Menſchheit, laß hervorwachſen aus unſern Handlungen, unſern Graͤbern,
Segen, Freiheit, Veredlung fuͤr die Folgezeit, fuͤr Jahrhunderte, Jahr-
tauſende, und verleih uns Kraft, auszuringen den großen heiligen Kampf,
bis die erſterbende Hand ſinkt, und das Auge bricht unterm Sieges-
Donner! —


Und du erhabene, eindringende Wahrheit, du Stimme des mahnen-
den, ſich erhebenden Volkes, noch einmal draͤnge dich mit deinem erſchuͤt-
ternden Donner, an die purpurnen Ruheſtellen, an die uͤppigen Polſter
der ſchwelgenden Großen, in die finſtern Zellen der gleißenden Pfaffen,
noch einmal rufe ſie auf — im Namen der zuͤrnenden Menſchheit —
wegzuwenden die frevelnde Hand von den heiligſten Guͤtern des Buͤrgers,
einzutreten in den erhabenen Verband gegen die verruchten Waffen des
Despotismus und des blinden Aberglaubens. —


Rede von Brüggemann aus Preußen.
Deutſche Mitbürger
!


Vielleicht erregt es euer Mißfallen, daß ein Jüngling ſich zur Tri-
büne drängt, wo ergraute Männer im Kreiſe ſitzen. — Verzeihet mir! —
[77] Ich will nicht eingehen in die Mängel unſrer Staatseinrichtungen, nicht
ſprechen über das Einzelne der Mittel ihnen abzuhelfen, das Alles ge-
hört nur vor den Rath erfahrungsreicher Männer. Aber es gibt
gewiſſe Ideen, die die Geſchichte und die Entwickelung der ganzen
Menſchheit beſeelen, und dieſe geben ſich oft am ungetrübteſten in der
hoffnungsreichen, gläubigen Seele der Jugend kund. Hat nicht wirklich
eine ſolche Ahnung — die ſchon lange in den Herzen der Jugend lebte —
jetzt die Gebildeten des ganzen Volks begeiſtert und auch dieſes be-
geiſternde Feſt hervorgerufen? Ich ſpreche von der Einheit des
Vaterlandes
? — — Das macht mir Muth, das treibt mich unwi-
derſtehlich es zu wagen, und die Welt-Anſicht, die Hoffnungen der
deutſchen Jugend, wie ich ſie kenne und wie ſie in mir leben, an
dieſem Auferſtehungsfeſte meines Volkes, laut zu verkünden. Euch
vor allem, ältere Männer, auch euch deutſche Frauen und Jungfrauen
und euch ihr lieben Altersgenoſſen bitte ich um freundliche Nachſicht. —


Mitbürger! Schon die Achtung vor unſrer Vernunft zwingt uns
eine unſterblich ſich fortbildende Menſchheit anzunehmen, damit unſer
Daſeyn nicht als zwecklos erſcheine. — Die Geſchichte beſtätigt dieſe
Anſicht. Das folgende Geſchlecht iſt der Erbe des Vorigen und was
wir Gutes pflanzen, das wird noch lange fortwähren zum Heil unſerer
Kinder und Enkel. — — Wollen wir aber dieſe unſre höhere Lebens-
Aufgabe vollſtändig erkennen, ſo müßen wir den Gang der Geſchichte er-
forſchen.


In den Staaten des Alterthums war der Menſch nicht Privatmann,
nicht Familienglied, nur Bürger, alle ſeine Tugend hatte ihren Grund
im Patriotismus. — Sobald dieſe Staaten eine Beute von Tyrannen
wurden, waren die Völker rettungslos verloren. — Das Unglück der
neuern Völker entſtand aus dem andern Extrem. Zu eiferſüchtig auf
individuelle und häusliche Freiheit, kümmerten ſie ſich wenig um das
öffentliche Staatsleben. Blieb der Einzelne mit ſeiner Familie in Ruhe,
ſo dachte er wenig an den Staat. — Deshalb gelang es den Herrſch-
ſüchtigen leicht, den Völkern allmählig alle öffentliche Freiheit zu rauben,
und den Staat in ein Familien-Beſitzthum, den freien Mann — in einen
hörigen Unterthanen zu verwandeln.


Die Zeiten der Feudalität ſchildere ich nicht weiter, — mögen dieſe
Ruinen einer in unmenſchlichem Frohndienſte erbauten Ritterburg das
Bild jener Zeit herauf führen. — — Allein wie Aberglauben und Un-
wiſſenheit ſtets Knechtſchaft, Eigennutz und Kaſten-Geiſt erhalten und
fördern, ſo erzeugt und fördert Aufklärung dagegen Freiheit, Gerechtig-
[78] keit und Vaterlandsliebe. — Als Reformation und Buchdrucker-
kunſt
die Menſchen einigermaßen zum Nachdenken brachten, da war für
immer der blinde Glaube und blinde Gehorſam vernichtet;
und als vollends die freie Preſſe ihr Licht in das finſtere Staats-
gebäude trug, als ſie den Sinn für die öffentlichen Angelegenheiten
weckte, da war die Grundlage der Zukunft — der Volksherrligkeit
für immer unerſchütterlich gelegt. — Zuerſt leuchteten in England die
Morgenſtrahlen eines ſchönern Tages, aus der Nacht des Mittelalters.
Aber der Tag wurde heller — dieſe ariſtokratiſche Freiheit genügte nicht
mehr — Freiheit und Gleichheit — ward das Loſungswort, erſt
in Amerika, dann in Frankreich. Gleichheit! mit dieſem einfachen,
klaren, durchgreifenden Prinzip — iſt Freiheit und Gerechtig-
keit
erſt möglich. — Weg mit Privilegien und Vorrechten! — Weg
mit den Gleichgewichtstheorien und dem ſtändiſchen Wirrwarr! Der
Bürgerwille iſt Geſetz — dies wird vollſtrecket in der Bürger Auftrag
und Sold! — Begeiſtern kann die Idee der Gleichheit noch nicht, ſie
kann blos die Hinderniſſe des Beſſern umreißen, wahrhaft bauen, das
muß eine höhere, die Idee der Nationalität, der Volksherrlichkeit. —
Dieſe ſchließt Freiheit und Gleichheit nothwendig ſchon ein.
Dieſe große Idee beherrſcht unſer Jahrhundert; — ſie führte die be-
wunderungswürdigen polniſchen Schaaren; ſie wird Deutſchland vereini-
gen; ſie wird ganz Europa zu Freiſtaaten geſtalten: dieſer Idee hat
die deutſche Jugend ſich mit Gut und Blut verſchworen. —


Unſer Vaterland, geehrte Mitbürger! ſcheint dazu beſtimmt, dieſe
Idee der Volksherrlichkeit zuerſt ins Leben zu führen. Deutſchland,
das Herz Europa’s ſoll dann, als mächtiger, volksthümlicher Freiſtaat,
mit ſchirmender und ſchützender Liebe über die Wiedergeburt des übri-
gen Europas wachen. Polen wird es herſtellen, Italiens Vereinigung
beſchirmen, das franzöſiſche Belgien mit Frankreich, das deutſche Elſaß
und Lothringen wieder mit Deutſchland verbinden, Ungarns Freiheit
und Selbſtſtändigkeit achten, und wird ſtolz ſeyn auf die Achtung und
Liebe der dankbaren Völker. Von Deutſchland aus iſt das abgelebte
Alterthum vernichtet; von Deutſchland aus iſt die Reformation, und
mit ihr die Freiheit in die neue Welt gekommen; von Deutſchland aus
ſoll Volksgeiſt und Vaterlandsliebe unter die Nationen gebracht werden.


Von jeher war der deutſche Charakter feſt, innig und rein.
Schon Tacitus iſt voll von dem Lobe unſerer Vorfahren. Freiheitsſinn
und Tapferkeit waren ihre Tugenden, dieſe lehrten ihre Prieſter, hierin
[79] glänzten ihre Götter. In Volksverſammlungen ordneten ſie ihre An-
gelegenheiten — gerade, frei und einfach. Wenig Geſetze hatten ſie,
und ungehemmt wollten ſie die perſönliche Freiheit. In allen ihren Ein-
richtungen lag ein tiefes und ernſtes Gemüth. Vor allem war die Fa-
milie in Sittſamkeit und Keuſchheit eine unverſiegbare Quelle der rein-
ſten Freuden für den Mann, ein Wonneziel für den wehrbaren Jüng-
ling, das er durch würdige Thaten zu verdienen trachtete.


So waren unſere Vorfahren, und noch liegen dieſelben Elemente
der Feſtigkeit, der Innigkeit und Reinheit in unſerm Volke.
Ich weiß es, ungläubig und zweifelnd verweiſ’t man auf die jetzige Lage
deſſelben. Da liegt das tapfere Volk von 30 Millionen, zerriſſen von
einer Handvoll emporgekommener Feudalherren, ausgeſtrichen [aus] der
Reihe der Großmächte, verhöhnt von ſeinen Nachbarn; da liegt es und
harret geduldig, bis der Barbar längſt der Oſtſee heraufziehet und
Lübeck und Hamburg zu ſeinen Stapelplätzen macht, und durch die Knu-
tenknechte Deutſchlands Cultur zertreten läßt, da ächzet das freiſinnige
Volk von 30 Millionen ſtumm unter dem Befehl von einigen 30 zittern-
den Zwingherrn, während man ſeine Freunde in Ketten wirft und zu
lebenslänglichen Unterſuchungen verdammt, während man Gewerbe und
Handel durch Mauthen vernichtet, die Kinder gegen die Eltern bewaff-
net und Spionen und Maitreſſen der Bürger Schweiß und Blut ver-
praſſen. Ich gebe zu, Deutſchlands Volk beſitzt eine große, eine unbe-
greifliche Langmuth; allein Alles kündigt an, daß ſie zu Ende geht.
Glaubt vielleicht Jemand in Frankreich den Hoffnungsſtern erſtehen zu
ſehen? Frankreich mag beweglicher, raſcher zur That und weniger ge-
duldig ſeyn, der Deutſche aber iſt andauernder und entſchiedener, was
er beginnt, das vollendet er auch ganz; mag Frankreichs Bevölkerung
ſcheinbar politiſch gebildeter ſeyn, ſie iſt nur neugieriger; nirgends iſt
mehr wahre Bildung und gediegene Aufklärung als in Deutſchland.
Iſt hier erſt das öffentliche Intereſſe angeregt, ſo wirds auch ernſter
genommen und geſunder beurtheilt, als bei dem franzöſiſchen Volke; —
Mag Frankreich beſtändig von edlen Redensarten über Freiheit und Na-
tionalität überfließen; mag ſeine Vaterlandsliebe, ſeine Eitelkeit oft hell
aufflackern; des Deutſchen Gefühl iſt tiefer und nachhaltiger, ſeine
Vaterlandsliebe iſt eine heilige — nie verlöſchende Gluth. Die Theil-
nahme an dem Schickſale der Polen bezeichnet die beiden Völker. —
Vor allem — Mitbürger! bedenkt, welche Fortſchritte unſer Vaterland
in ſo kurzer Zeit gemacht hat. Noch zu Anfange dieſes Jahrhunderts
ſtanden wir den Franzoſen an Vaterlandsliebe unendlich nach, wenig noch
[80] kümmerte uns das öffentliche Wohl. — Aber ſeit 15 Jahren — welche
Veränderung! Freilich ſuchten die Regierungen die volksthümlichen Re-
gungen zu unterdrücken; — allein wie wenig iſt das gelungen! Vor
allem bei der Jugend hatten dieſe Gefühle tiefe Wurzel geſchlagen, und
ſchon 1817 gelobte ſie feierlich bei der Reformations- und Befreiungs-
feier — auf der Wartburg, (das Vorſpiel unſers Maifeſtes) nie dieſe
Gluth ausſterben zu laſſen, und immer dieſen Gedanken »der Einheit
des deutſchen Vaterlands« weiter und weiter zu verpflanzen, bis er endlich
ſiegreich ans Licht treten könne.


Beinahe fünfzehn lange Jahre mußte ſie ihren heiligſten Glauben,
ihr heißeſtes Sehnen dem Spotte der ungläubigen Welt preis geben;
aber ſie verzweifelte nicht am Vaterlande. Immer troſtloſer ſchien ſich
für Europa Alles zu geſtalten, immer mehr wollten Zweifel die Hoffenden
beängſtigen; aber dieſe glaubten an eine Vorſehung, — ſie glaubten
an ein Fortſchreiten der Menſchheit, — ſie glaubten an eine Offenbarung
in der Geſchichte und wankten nicht. — Der Kanonendonner der
Tuillerien veränderte die ganze Ausſicht. Was im Stillen gereift war —
das wurde jetzt offenbar. — Die Einheit Deutſchlands, die vor kurzem
noch als Schwärmerei verſchrien war, iſt jetzt der Wunſch und die Hoff-
nung aller Gebildeten des Volkes. Auf welchen Standpunkt hat ſich
die öffentliche Meinung in Kurheſſen erhoben, das noch vor zwei Jahren
ſchlief! Wie ſchreiten Braunſchweig und Naſſau fort! Und Rhein-
baiern, das jetzt allen als Muſter vorleuchtet in Patriotismus, das
heute unſerem Volke dies herrliche Feſt bereitete, — war nicht ſelbſt dieſem
Rheinbaiern noch vor zwei Jahre die Idee der Volksherrlichkeit fremd?
glaubten nicht damals ſogar noch Viele — nur [bei] Frankreich ſey für ſie
Freiheit und Glück zu finden? — So verbreitet ſich in Deutſchland die
politiſche Bildung mit unbegreiflicher Schnelligkeit weiter und weiter und
tiefer und tiefer. Welchen innigen Antheil nehmen nicht, in den geſeg-
neten Theilen unſers Vaterlandes, ſelbſt Frauen und Jungfrauen an
der Sache des Rechts und der Freiheit; mit welcher zarten Achtung
und innern Verehrung haben ſie die polniſchen Helden empfangen: welche
andächtige Sehnſucht, — welche heilige Beſorgtheit erfüllet ſie, — wenn
ſie von der Befreiung und Einigung des deutſchen Volkes hören! —


Gewiß ein Blick auf die jetzige Lage unſeres Vaterlandes darf uns
nicht [kleinmüthig] machen, im Gegentheil, er gibt uns neuen Muth und
neue Stärke. Die Jugend, die in den traurigen Jahren von 27 bis 30
nicht verzweifelte, ſie iſt jetzt allem Zweifel unzugaͤnglich.


So alſo iſt unſre Anſicht von der Menſchheit:


[81]

Daß ſie im Ganzen wenigſtens immer mehr ſich entwickeln zu Tugend
und Gluͤck; — daß jede Zeit und jedes Volk ihre beſondere Aufgabe
hierbei haben; daß die Aufgabe der neuen Völker iſt — das vereinzelnde
Familienleben, mit einem einigenden Volksleben harmoniſch zu verbin-
den; daß dieſe Fortbildung hindurchgehe — durch Vernichtung des Des-
potismus, dann des ſtaͤndiſchen Ariſtokratismus, zur Gruͤndung der
Volksherrlichkeit; daß die Ernenung Europas in dieſem Sinne die Aufgabe
unſers Jahrhunderts, und daß [Deutſchlands] Einheit hiezu der Anfang
und die Aufgabe der jetzigen Generation ſei, woran ſie Alles unbedingt
zu ſetzen durchaus berufen und verpflichtet iſt. —


Wie aber ſollen wir dem großen Ziele nachſtreben, auf welchem Wege
dahin gelangen? In den Staaten, wo es Verfaſſung und Geſetze giebt,
ſo lange die Machthaber die Geſetze achten und nicht verdrehen und
mißbrauchen — reichet der geſetzliche Weg aus. Die Aufklaͤrung iſt die
große Feder in der Entwickelung der Menſchheit, die freie Preſſe ihr beſtes
Foͤrderungs-Mittel — und die endliche Vollſtreckerin der erkannten
Wahrheit iſt die Allmacht der oͤffentlichen Meinung, jene wunderbare
Kraft, die von den Staatstheoretikern gar nicht in Anſchlag gebracht wird,
und doch allein Bewegung in die todte Maſchine bringt. Allein wenn
die freie Preſſe vernichtet, die Geſetze verhoͤhnt, und die Mittel zur
Menſchheitsbildung abgeſchnitten werden? — dann, ja dann iſt keine
Wahl mehr, jedes Zoͤgern iſt dann feiger Verrath an der Vernunft, der
Tugend, der Menſchheit, dann: um mit dem Koͤnig von Preußen zu
ſprechen: „dann iſt der Kampf ein Kampf der Nothwehr, der alle Mittel
heiligt, die ſchneidendſten ſind die beſten; denn ſie beenden die gerechte
Sache am ſiegreichſten und ſchnellſten.“


Wohlan, verſammelte Mitbuͤrger! Alſo nicht allein unſer und
unſerer Kinder Noth in dieſem geſegneten Lande, nicht allein die empoͤren-
de Uebermacht unſrer Ariſtokraten und Volksverraͤther, nicht allein unſ[e]r
zeitlicher Vortheil und unſer gutes Recht verlangen Vernichtung dieſes
fluchwuͤrdigen Zuſtandes, ſondern unſre ganze Stellung in der Geſchichte,
unſre ganze Bedeutung in der Menſchheits-Entwickelung ſetzet uns un-
abweisbar die heilige Pflicht in einem freien Volksreiche die Tugend und
Menſchheit, die durch Tyrannei und Pfaffenthum zur Thierheit nieder-
gedruͤckt iſt, bei unſerm Volke zunaͤchſt, und dadurch in ganz Europa,
wieder aufleben zu laſſen. Was vor 15 Jahren die Jugend beſchworen,
das mag heute das ganze Volk beſchwoͤren: Stets die Begeiſterung
fuͤr die Einheit des Vaterlandes in uns lebendig zu erhalten, und nach
6
[82] Kraͤften uͤberall bei unſern deutſchen Mitbruͤdern anzufachen; ſtets nach
Kraͤften ſelbſt lehrend, oder die Lehrer des Volks und die freie Preſſe
auf alle Weiſe unterſtuͤtzend, die ſchlichte, einfache Wahrheit, ohne Ver-
kruͤppelung zur Foͤrderung wahrer Aufklaͤrung zu verbreiten; ſtets mit
eiſerner Strenge den Luͤgengeruͤchten, den Apoſteln der Sklaverei und
Schlechtigkeit, den Lehren der Selbſtſucht entgegen zu treten; und ſollte
es zu Gewaltthaten kommen, nie im Drange der Zeiten einen deutſchen
Bruderſtamm zu verlaſſen, ſondern alle zu ſchuͤtzen gegen die Eingriffe ihrer
Gewalthaber; Uneinigkeit, Traͤgheit und Feigheit fuͤhren zur Knechtſchaft
Aller!


Dieſen deutſchen Mai-Bund wollen wir ſchließen, hier wo des Vater-
lands ſchönſte Gefilde vor uns ausgebreitet liegen, hier unter dem Wehen
unſerer alten deutſchen Reichsfahne, und Kinder und Enkel ſollen noch
aus allen Gauen des freien, großen Vaterlandes hieher zur heiligen
Staͤtte wallfahrten!


Rede von Deidesheimer, Bürger aus Neuſtadt.
Freunde und Mitbürger
!


Indem ich es nach ſolchen Maͤnnern, die an dieſer Stelle vor mir
geſprochen haben, noch wage, meine Worte an Sie zu richten, kann mich
nur meine glühende Liebe für geſetzliche Freiheit und für unſer deut-
ſches Vaterland entſchuldigen. —


Und ſo rede ich denn ohne Furcht und ohne Scheu, zu Ihnen
meine Freunde, die, wenn auch nicht von gleichen Hoffnungen beſeelt,
doch gewiß alle im Herzen zu einem Zwecke vereint, hier auf den Trüm-
mern eines Denkmals der Feudalherrſchaft und des ſchrecklich richtenden
Bauernkriegs ein Feſt zu feiern gekommen ſind. —


Ein Feſt, dem man alle nur erdenkliche Hinderniſſe in den Weg zu
legen ſuchte, — Hinderniſſe wahrſcheinlich entkeimend einem finſtern Bunde
von Menſchen, die Feind jeder Regung des freien Bürgerſinns, noch
im neunzehnten Jahrhunderte, eben ſo trotzig als vergeblich und nutzlos,
dem Geiſte der Zeit entgegenarbeiten. Wie dieſe Ruine bei ihrem Ein-
ſturze Einzelne beſchädigen konnte, ohne deßhalb den feſtlichen Tag zu
ſtören, ſo werden dieſe Freunde der Finſterniß wohl noch einzelne Ver-
theidiger des Lichts und der Wahrheit verfolgen, ohne aber deshalb
den Tag der Freiheit aufzuhalten.


Ich ſpreche hier von einer Parthei, die während vierzig Jahren
nichts nützliches und zeitgemäßes gelernt, und keine ihrer Voreltern-
Thorheiten vergeſſen hat; von jener ſchädlichen Bandwurmsbrut, die
[83] heute noch in dem freieſten Lande Europa’s — in England — Stock-
prügel unter die königlichen Vorrechte gezählt wiſſen will, und die, gilt
es ihr eigne[s] Intereſſe, mit lächerlicher Grimaſſe, doch geſchickt genug,
um den unerfahrenen Haufen zu täuſchen, ſtets Thron und Altar im
Munde führt.


Doch, was ſage ich, ſcheinen doch ſelbſt Regierungen, die zwar
ſtets und überall ihre freiſinnige Handlungsweiſe hervorzuheben ſuchen,
den eben gerügten Grundſätzen, von denen ſie ſich durch Worte gerne
losſagen möchten, in der That zu huldigen. Dies bezeugt am deutlich-
ſten, neben allen jenen politiſchen Glaubensbekenntniſſen, und jenen halb
und dreiviertelsoffiziellen Machwerken, das Verbot dieſes ſchönen Feſtes
und die damit verbunden geweſenen empörenden Maßregeln. —


Und was, frage ich, haben Regierungen, die nach feſtgeregelten und
feſtbeſtimmten Grundſätzen die Landesgeſchäfte zu verwalten haben, blei-
ben ſie nur dieſen Grundſätzen getreu, was haben ſie zu fürchten? —


Betrachtet dieſe Gegend, dieſes herrliche Land, dieſe mit Städten,
Dörfern und Flecken beſäeten geſegneten Fluren, die wie ein Garten
Gottes vor unſern Blicken ſich ausbreiten, die ſo ganz dazu geſchaffen
ſcheinen, das Herz zu ſanftern Gefühlen zu ſtimmen; betrachtet dieſes,
laßt eure Blicke in die Ferne ſchweifen, wo die jenſeitigen Berge den
Blick auf unſer großes Vaterland weiterhin eröffnen, — wer von Euch
würde wohl ſo leichtſinnig oder muthwillig, wie es durch das
Benehmen der Regierung leicht hätte geſchehen können, die mordbrenne-
riſche Fackel eines Bürgerkriegs in dieſes Paradies ſchlendern wollen,
des verderblichſten Kriegs, der nur ein Land verwüſten kann? — Ruhig
ſieht wohl im Felde der Soldat ſeinen Kameraden neben ſich hinfallen,
ein ganz anderes aber iſt es, wenn auf öden Brandſtätten, die unbe-
erdigten Leichen der Bürger und Jünglinge Verweſungsgeruch verbrei-
ten, wenn Bäche und Flüſſe uns die ermordeten Leichen von Greiſen,
Kindern und Jungfrauen zuführen. — Wem graut nicht vor dieſem
gräßlichen Gemälde! — Kein Bürger wird muthwillig oder leicht-
ſinnig
ſolch ſchreckliches Unglück über unſer Haupt herbeiführen! —


Nein und abermals nein! — Nur ein verknöchertes Ariſtokratenherz
wäre dazu fähig, nur Ariſtokratenwahnſinn könnte ſolch ein hölliſches
Schauſpiel bereiten, — und mit Freuden ein friedliches Volk, nachdem
man ihm von allen Seiten «Bundesbrüderlich« ſeine beſten Erwerbsquel-
len verſtopft, es in ſeinen heiligſten Rechten gekränkt, vollends zur
Verzweiflung bringen und durch Mordknechts-Banden zur Sklaverei zu-
rücktreiben! —


[84]

Ja nur von dieſer Seite haben wir alles zu fürchten, dieſes be-
weiſ’t Geſchichte und Erfahrung.


Sandte nicht jener kindesmörderiſche Philipp von Spanien den
ruhigen aber aufgeklärten Holländern und jenen feuerigen Flanderern
zuerſt einen verſchmitzten freiheitsmörderiſchen Pfaffen, den verhaßten
Granvella, und zuletzt den blutigen Alba, jenes Scheuſal der
Menſchheit?


Hetzte nicht in unſern Tagen der erbärmliche Pfaffen-Karl von
Frankreich den nichtswürdigen, Vaterland und Wohlthäter verrathen-
den Marſchall, auf ſein tapferes, nur ſeine Rechte vertheidigendes
Volk? Darum ſehen wir uns vor, auch bei uns würden ſich bei ähn-
lichen Gelegenheiten, ähnliche Werkzeuge finden; auch wir könnten viel-
leicht Granvella’s, Alba’s und Raguſa’s gegen uns wüthen
ſehen. —


Wohl ſteht mancher unſerer Fürſten weit über jenen Tyrannen, von
Gottes-Gnaden mit ihren feilen Knechten; mancher mag viel-
leicht, ich will es glauben, daß Beſte ſeines Volkes wollen; allein die
Mißgriffe, die einem Fürſten die Bahn des Ruhmes geſchloſſen, könnten
ihn leicht bei der Mißkennung des Volkscharakters, und den Herz und
Gemüth vergiftenden Einflüſterungen jener ſchädlichen Schmeißfliegen
des Hofs, jener unwürdigen Büdgetfreſſer, zu immer Argerem ver-
[l]eiten, und ſo am Ende eine Kataſtrophe herbeiführen, durch welche die
Perlen ſeiner Krone wahrſcheinlich auf immer erlöſchen würden. —


Wie geſagt, es könnte leicht dahin kommen, auch ohne abſolut böſen
Willen, durch bloße Mißkennung des Volkscharakters und Mißgriffe in
der Regierungsweiſe. — Leicht kann man eine Heerde Schafe vor ſich
hertreiben, der Stier zieht ſeinen Pflug ohne Widerſtand, aber mit
dem Menſchen muß man menſchlich, mit einem Volke rechtlich und ſittlich
verfahren.


Wir wünſchen unſere Verfaſſung zu erhalten, die uns Freiheit der
Rede und der Preſſe ſichert, und auch wohl zu Freiheit des Handels
und Vernichtung der Wohlſtand und Sitten verderbenden Zwiſchen-
Mauthen führen muß. —


Darum Freunde laßt uns feſt aneinanderhalten; wird Einer in ſeinen
Rechten gekränket, ſo ſeyen wir es alle! —


Wir wollen keine Revolution, wir wollen aber unſere Rechte —
unſere Freiheiten, die uns geſetzlich garantirt ſind, die auch unſer Fürſt
feierlich und freiwillig beſchworen hat, die wollen wir erhalten, in ihrer
ganzen Ausdehnung erhalten. — Wer auch nur das Kleinſte davon ver-
[85] letzt, der iſt meineidig, der ſey unſer gemeinſchaftlicher Feind; entſtehe
dann auch daraus was da wolle.


Der Sieg muß uns werden, ſchließen uns auch Feinde von allen
Seiten ein, blitzen auch Lanzen und Schwerter fern und nah und über-
all. Freunde ihr kämpft dann für Eltern, Weiber, Kinder, für euere
Nachkommenſchaft, und ſchützet und bewahret Euer Heiligſtes, während
Ihr zugleich euere Güter, euere Habe vertheidiget; euere Gegner treibt
nur ein hohles Wort des Herrſchers und die Knute ihrer Herrn, nicht
ihr Gemüth. Ja noch mehr, ſelbſt aus den Reihen unſerer vermeinten
Gegner würden Streiter für die heilige Sache hervorgehen, denn auch
dort ſind viele, deren Herz beſſern Gefühlen huldigt.


Vor allem aber befleißen wir uns der feſteſten Eintracht und Ord-
nung; dieſe zu erhalten muß unſer Streben ſeyn, um ſo mehr, da viel-
leicht ſo mancher es gerne ſähe, wenn Unordnung entſtände, um ſeine
Geſpenſter- und Gewiſſensfurcht alsdann rechtfertigen zu können.


Darum ſey jetzt ſchon und bleibe immer unſer Wahlſpruch:
»Es lebe die Freiheit«
»Es lebe die Ordnung!«


Rede von Becker, Bürger aus Frankenthal.


Deutſche Mitbürger!


Volksbelehrung, gegenſeitige Aufklärung, Ermun-
terung zur Einigkeit
ſind unſere Aufgaben; dieſe zu löſen, müſſen
wir feſt und entſchieden wirken. Wir müſſen wachen, daß alle Verſuche,
die Erringung eines großen freien Deutſchlands zu hindern, vereitelt
werden. Wir wiſſen, daß die Umtriebe der Regierungen auf die Unter-
[d]rückung der Völker hinzielen; wir wiſſen, daß die Regierungen um
[ſ]o thätiger ſind, je dringender die Völker zeitgemäße, ihrer Würde
[entſprechende] Reformen verlangen; wir wiſſen, daß ſie in der Unter-
drückung und Entwürdigung der Menſchheit gehen ſo weit ſie können,
[ich] ſage ſo weit ſie können. Fragen wir: wie weit können ſie
(die Regierungen) gehen? ſo müſſen wir alle einſtimmig antworten
ſo lange die Regierungen die Geſetze ungeſtraft verhöhnen, ſie ungehindert
mit Füßen treten können, ſo lange unſere Forderungen unbeachtet bleiben
dürfen: ſo lange können die Regierungen gehen ſo weit ſie
wollen, und aus uns machen was ſie wollen
. Millionen ſind
auf dem Wege zur Entwicklung bürgerlicher Freiheit, eine Handvoll
Junker wagt es, entgegen zu treten, und während die Handvoll Jun-
ker Gewalt über Gewalt übt, dulden es Millionen. O Schande unſerer
[86] Zeit! — Wir können proteſtiren, aber was nützen Proteſtationen, was
iſt davon zu hoffen? Die Regierungen hören eben ſo wenig auf Prote-
ſtationen, als auf die mächtige Oppoſition der öffentlichen Meinung.
Proteſtationen waffen- oder wehrloſer Bürger ſind in den Augen der
Regierungen nur lächerliche Vorſtellungen; wenn wir daher proteſtiren,
ſo muß es uns auch Ernſt ſeyn, unſere Forderungen durchzuſetzen. Die
gerechteſten Anſprüche der Völker werden als unſtatthaft abgewieſen,
und nur die hochverrätheriſchen Verfügungen der Regierungen unterthä-
nigſt vollzogen werden, ſo lange die Völker unbewaffnet der rohen Ge-
walt blosgeſtellt ſind. Zum Schutze unſrer Perſon, unſrer Ehre und
unſres Eigenthums, zur Erhaltung unſrer Rechte und zur Erringung
der wahren Würde der Menſchheit bedürfen wir nicht blos einer freien
Verfaſſung, ſondern auch einer kraftvollen Garantie der Verfaſſung
Die beſte Garantie wäre eine allgemeine Bürgerbewaffnung. Betrach-
ten wir den Stand der Dinge wie er jetzt iſt, ſo müſſen wir auf die
ſchlimmſten Fälle vorbereitet ſeyn.


Mitbürger! Wenn heute die Regierungen, in der Meinung, die
Freiheit mit einem Streiche zu erſticken, unſre Volksmänner, die Vor-
kämpfer für Recht und Freiheit, mit Gewalt uns entreißen wollten,
könnten wir es dulden? Könnten wir es unvorbereitet mit Erfolg ver-
hindern? Können wir ſie, unſre Volksmänner, ſorglos den Gerichten
überlaſſen? Ja, wir haben herrliche Beiſpiele der Appellationsgerichte
in Baiern, aber kann dies uns auf die Dauer beruhigen? Sehen wir
nicht, wie die ehrenvollen Männer dieſer Gerichte von der ſchamloſen
Willkür verfolgt, abgeſetzt und verſetzt werden? Wir ſehen ihre Stellen
von, für die Volksſache incompetenten, für die Sache der Volksverrä-
ther aber competenten, Fürſtenknechten erſetzen. So iſt das Richteramt
dann überlaſſen dem Schläger über den Erſchlagenen, dem Verräther
über den Verrathenen! — Das Erhabenſte wird das Opfer launiſcher
Ungeheuer, das Opfer einer Höllenbrut! Wird ſich die Londoner Con-
ferenz eher auflöſen als bis Belgien ſeinen Todesſtoß erhalten? bis Ita-
lien in ſein Grab zurückgewieſen? — Und Polen? — Was nicht im ge-
drückten Heldenlande durch den Barbarismus, das geht im freien —
Frankreich durch das Juſte-Milieu zu Grunde. Dahin iſt jenes Polen,
das zweimal Europa gerettet, es iſt dahin! Und die undankbaren Söhne
Europa’s können es dulden, wie ihre Retter zu Grunde gehen! Dies
Mitbürger, iſt das Schickſal Einzelner, dies das Schickſal der Natio-
nen in den Händen der „von Gottes Gnaden“!


Hoffet nichts von Fürſten, und proteſtirt nicht mehr, denn hinter
[87] den Verfügungen der Regierungen ſind Bajonette, hinter unſern Pro-
teſtationen aber iſt nichts. Darum können die Regierungen
gehen ſo weit ſie wollen und aus uns machen was ſie
wollen
. Es bleibt klar, daß nur die Waffen der Bürger vor ſolchem
Unheil das Vaterland bewahren, daß nur bewaffnete Bürger compe-
tente Richter gegen Laune und Willkür ſeyn würden: — Die Deutſchen
ſind Sklaven, ſeitdem der Bürger keine Waffe mehr trägt. Die Waffe
war die Zierde des freien Mannes, jetzt tragen ſie nur Knechte.


Sind wir bewaffnet, ſo werden die Regierungen nicht mehr ſo keck
ſeyn, geſetzwidrige Verfügungen zu erlaſſen. Dann können die Re-
gierungen nicht mehr gehen ſo weit ſie wollen und nicht
mehr aus uns machen was ſie wollen
.


Unſer Loſungswort ſey: Das Beſte hoffend, auf’s Schlimm-
ſte gefaßt ſeyn. Es ſteh’ Einer für Alle und Alle für
Einen im heiligen Kampfe
!


Fragen wir, meine Mitbürger, wie weit wir ſeit den Juli-Tagen
in der Erringung würdevoller Rechte vorwärts geſchritten oder in der
Erhaltung der beſtehenden geſchützt waren, ſo werden wir einſehen, daß
wir rückwärts gekommen. Iſt nicht bei uns im Rheinkreiſe die Preß-
freiheit geſetzlich garantirt? und wurde nicht die freie Preſſe, das
deutſche Gemeingut, vor den Augen von ganz Deutſchland in Feſſeln
geſchlagen? Müſſen nicht unſere Journaliſten in Baden Schutz ſuchen,
wo die Preßfreiheit, verglichen mit der bei uns geſetzlich beſtehenden nur
Preßzwang iſt. Drum, deutſche Bürger, tretet zuſammen, verlanget
einſtimmig die Benutzung und Handhabung der beſtehenden Geſetze, ru-
fet einſtimmig, deutſche Mitbürger: »Es erſcheine der Weſtbote«! »Es
erſcheine die Tribüne«! Auf, deutſche Bürger, und ſchwöret, daß, wenn
unabhängige Gerichte die Geſetze verrathen, euer competenter Arm die
ſelben ſchütze:


»Denn unter Preßzwang geht Deutſchland verloren,

Durch Freiheit der Preſſe wird’s wiedergeboren.«

Ja, deutſche Männer, wenn wir mit Ernſt und Beharrlichkeit,
mit Muth und Ueberzeugung das hohe Ziel zu erringen ſtreben, dann
iſt es nicht mehr fern. Keine Macht der Erde wird uns aufhalten!


Alle Grau’n der Nacht verſchwinden,

Wenn der Freiheit Morgenröthe glüht;

Und ein Deutſchland groß und frei erblüht,

Wenn die Männer kräftig ſich verbinden.

Deutſchland lebe! dieſer goldne Schimmer,

Seiner Freiheits-Fahne bleiche nimmer!

Hoch lebe Freiheit, Deutſchland lebe hoch!“

[88]

Dank dir, freiheitglühender Bürger Frankenthals! Denken und
ſprechen, nur einmal Tauſende wie du, dann iſt die Wiedergeburt
Deutſchlands vollendet, ein freies deutſches Vaterland errungen.


Noch andere Redner hatten bald da, bald dort zahlreiche Gruppen
um ſich verſammelt. Man ſprach vielfach von dem jetzt lebhaft erwach-
ten Vertrauen auf die Kraft des deutſchen Volkes. Unter andern be-
merkte Eduard Müller aus Mainz:


Was berechtigte auch zu dem Mißtrauen in unſre eigne Kraft, und zu dem
uͤbertriebenen Vertrauen auf ein Volk, das nach ſeinen glaͤnzenden 3
Juli-Tagen zuruͤck ſank, ſo ſchnell tiefer zuruͤckſank als je? Die Helden
des Juli, die Patrioten ſind verfolgt, in Gefaͤngniſſen vergraben; Karliſten,
Ariſtokraten aller Farben, unverfolgt, ſogar [unterſtuͤtzt]; die auffallendſten
Verſchwoͤrungen der Abſolutiſten ungeſtraft! Zu welchen Hoffnungen
berechtigen dieſe Erſcheinungen in Frankreich? Belgien, Italien, Spanien
ſind getaͤuſcht; Polen, das edle, ungluͤckliche Polen, das in hundert Schlach-
ten das Blut ſeiner Heldenſoͤhne fuͤr Frankreich vergoſſen, von Frankreichs
Miniſter Sebaſtiani verrathen, kann zur Lehre dienen, daß man nicht
feſter ſtehe, als auf eigner Kraft. Das jetzige Frankreich hat ſeine Ehre
im Auslande gebrandmarkt, es rette ſeine Ehre wieder, das Volk erhebe
aufs Neue ſeinen ſtarken Arm, ſeine Feinde zu zerſchmettern, und das Zutrauen
wird wiederkehren. Fern ſei von mir, daß ich eine Nation fuͤr immer
verdamme. Mag Frankreich von Neuem ſich befreien, dann wollen
wir die Franzoſen als Bruͤder umarmen, mit ihnen kaͤmpfen fuͤr die
hoͤchſten Guͤter, fuͤr Recht, Freiheit und Buͤrgergluͤck. Aber verſteht mich
wohl! — mit ihnen, nicht unter ihnen wollen wir kaͤmpfen. Jedes fuͤr
Freiheit kaͤmpfende Volk, ſei uns ein Brudervolk! aber ſtreng achte jedes
Volk die Nationalitaͤt anderer Voͤlker! Ohne Franzoſenfeind zu
ſein, warne ich nur vor unklugem Zutrauen zu unſern Nachbarn’
und vor entehrendem Mißtrauen in unſre eigne Kraft, in die Kraft
unſers eigenen Volkes.


Unſer deutſches Volk, obgleich zerſplittert, zeichnete ſich ſtets aus
durch feſte Willenskraft, und Tapferkeit. Die Tapferkeit einzelner
deutſchen Volksſtaͤmme, gab den meiſten Laͤndern Europas ihre Namen.
Die Franken, Frankreich; die Normannen, der Normandie; die Burgun-
der, Burgund, die Angeln, England; die Longobarden der Lombardei
u. ſ. w.; Von Deutſchland ging das Licht der Reformation aus, das
Pfaffenthum ſtuͤrzend, oder wenigſtens ſchwaͤchend; von Deutſchland, und
zwar dem benachbarten Mainz, ging aus die Buchdruckerkunſt, die Licht-
bringerin. Die moͤrderiſchen Kaͤmpfe wurden weniger moͤrderiſch durch
[89] der Deutſchen Erfindung des Schießgewehrs. Wiſſenſchaft und Bildung
bluͤhen in Deutſchland, faſt jeder Erwachſene kann wenigſtens leſen,
ſchreiben, rechnen, und Kraft wohnt in uns, wenn wir nur wollen! —


Wie einſt durch die Deutſchen das Roͤmerreich fiel, das der Welt
gebot, und in unſern Tagen die Großmacht Napoleons geſtuͤrzt wurde,
ſo werden auch Rußlands Knutenmacht, Preußens Pfiffigkeit und Oeſtreichs
Abſolutismus durch deutſche Kraft zu Schanden werden. Nur Vertrauen
in euch ſelbſt und vor Allem Einigkeit, und der Sieg iſt unſer gegen
jede deſpotiſche Macht der Erde.«


Die belebten Zirkel, welche ſich während dieſer und ähnlicher pa-
triotiſchen Unterhaltungen gebildet hatten, wurden unter andern auch
durch ein von Chriſtian Bork in Mannheim gedichtetes Lied erfreut,
welches deßhalb von uns mitgetheilt wird:


So oft der Mai nach winterlichen Tagen,

Die Fluren ſchmuͤckt mit ſeinem Bluͤthenkranz,

Beginnt das Herz in froher Luſt zu ſchlagen,

In jedem Auge ſtrahlt der Freude Glanz;

Mit neuem Muth, mit ſeligem Behagen

Draͤngt alles ſich hinaus zu Spiel und Tanz,

Und jedem iſt’s Beduͤrfniß ſich des Maien

In tiefer Seele herzlich zu erfreuen.

Uns iſt ein Mai, ein herrlicher erſchienen,

Der Freiheit Mai im deutſchen Vaterland.

Das kahle Unrecht will er uns verſuͤhnen,

Von Fruͤhlingsbluͤthen ſchimmert ſein Gewand;

Soll er kein Lied, kein frohes Feſt verdienen?

Die freien Buͤrger reichen ſich die Hand,

Sie ſchwuren ſich mit heiligem Betheuern

Dem deutſchen Mai ein herrlich Feſt zu feiern.

Willkommen denn, ihr edlen Geiſter alle

Die dieſes Feſtes hoher Sinn vereint,

Euch toͤnt der Gruß im lauten Jubelſchalle,

Und dieſer Gruß iſt herzlich wohl gemeint.

Wir ſtehen hier in rechtbeſchirmter Halle,

In die des Himmels freie Sonne ſcheint;

Umſchlinget euch mit treuen Maͤnnerarmen

Und laßt das Herz an ihrem Strahl erwarmen.

Voruͤber iſt die Zeit der finſtern Maͤchte,

Der ſchnoͤden Bosheit und der Tyrannei;

Zu Trotz dem falſchen, heuchelnden Geſchlechte

Erglaͤnzt im Morgenroth der Deutſchen Mai.

Der brave Buͤrger greift nach ſeinem Rechte,

Denn im Geſetz nur iſt der Buͤrger frei;

Das Joch der Willkuͤhr kann er nicht mehr tragen,

Er darf es nicht und galt’s ein blut’ges Wagen.

Er will die Freiheit im Vernunft-Gewande,

Nicht wie der Pobel ſeine Goͤttin malt,

[90]
Er ſucht ſie nicht im wilden Voͤlkerbran[de],

Die Hehre, deren Antlitz Frieden ſtrahlt,

Sie wandelt ſchon im deutſchen Vaterlande,

Sie hat dem Rechte ihren Zoll bezahlt,

Sie traͤgt den Segen laͤngſt verblich’ner Ahnen,

Und ihre Stimme iſt ein heilig Mahnen.

Am Rechte balten, das iſt kein Vergehen,

Sein Recht verlangen, ziemt dem deutſchen Mann.

Es muß des Wortes Heiligkeit beſtehen,

Und dem Geſetz darf keine Willkuͤhr nah’n.

Feſt, wie die Berge gegen Sturmes Wehen,

Stemmt ſich die Wahrheit gegen truͤben Wahn,

Sie ſteigt empor aus dumpfer Nebel Grauen,

Ihr herrlich Antlitz will der Deutſche ſchauen.

Es hat der Deutſche kuͤhn das Schwert gezogen,

Als Tyrannei ſein Vaterland bedroht,

Gefahr und Drangſal hat er nicht erwogen,

Er [weihte] ſich mit Stolz dem Heldentod,

Und als ſo manches Fuͤrſtenwort gelogen,

Trug er gedultig was die Zeit ihm bot,

Verwelken ſah er ſeine Bluͤthenkraͤnze,

Doch Alles in der Welt hat ſeine Grenze.

Jetzt thut es Noth ein ernſtes Wort zu ſagen,

Die Zeit der traͤgen Duldung iſt vorbei.

Die Tyrannei droht an das Schwert zu ſchlagen,

Die Freiheit mahnt mit himmellautem Schrei;

Drob wollen wir als Deutſche nicht verzagen,

Wer nur das Recht will, der iſt wirklich frei,

Und freien Muth in freier Bruſt zu zwingen,

Wird keiner Macht, wird keiner Liſt gelingen.

Drum ſeid gegruͤßt, am ſchoͤnſten unſrer Tage,

Es iſt ein Gruß aus warmer Freundesbruſt,

Pruͤft euer Recht auf unverfaͤlſchter Wage,

Und ſeid ihr ſeines vollen Werth’s bewußt

Dann ſtehet feſt, beſchirmt die freie Sprache,

Beſchuͤtzet ſie, nie duldet den Verluſt;

Denn ſoll der Freiheit heil’ger Sieg gelingen

So muß das Wort des freien Mannes klingen.

Es wurden jetzt noch mehrere paſſende Toaſte gebracht, darunter
ſich folgender von Ludwig Frey aus Neuſtadt auszeichnete:


»Der deutſchen Freiheit, der Freiheit, die Europa’s Völkern Ret-
tung verkündet, vor der Fürſten und deren Schergen wie Sklaven zit-
tern; der Freiheit, unter deren ſtolzem Panier wir heute verſammelt
ſind, uns zu beſprechen, zu belehren und zu berathen; der Freiheit durch
das große Werk der deutſchen Reform! Dieſer Freiheit ein donnerndes,
ein ewiges Hoch!« —


Endlich ſprachen noch die unerſchrockenen Patrioten Hochdörfer,
Lobbauer, Widmann
und Stromeyer. Wir freuen uns, auch
[91] die Reden von Widmann und Stromeyer hier mittheilen zu
können:


Rede von Widmann.


Deutſche Männer! Erlauben Sie mir, einige wenige Worte zu
ſprechen.


Es iſt eine nur kurze Zeit, wo ſich nicht blos für Deutſchland,
ſondern für Europa ein beſſeres Loos zu bereiten ſchien, zu jener Zeit
nämlich, als die Juli-Sonne aufging und ihre Strahlen nicht nur
über Deutſchland, ſondern über ganz Europa verbreitete. So ſchien
es, und es war leider nur Schein! — Anſtatt daß die Freiheit er-
blühte, ſproßte die Knechtſchaft hervor und ſchwärzte ſich ein durch die
erbärmliche franzöſiſche miniſterielle Krämerpolitik. Die muthige, frei-
heitliebende franzöſiſche Nation hatte in den Tagen des Juli das Prin-
zip des göttlichen Rechtes und der Legitimität, dieſes Prinzip des Un-
ſinnes und der Völkerbedrückung, in ſeinen Grundfeſten erſchüttert, und
die Volksſouverainität, das heißt die Herrſchaft des Volkes und die
der Vernunft proklamirt. Dieſe Proklamation ward in England, Spa-
nien, Italien, Deutſchland, Polen und überall mit allgemeinem Enthu-
ſiasmus aufgenommen, die Völker ſtimmten aus volleſter Ueberzeugung
ein. Millionen waren die Verbündeten Frankreichs, in deren Herzen
das für Freiheit begeiſterte Feuer brannte, und der Haß grollte gegen
die Bedrücker und Betrüger der Menſchheit. Es galt, die Triebfedern
in Bewegung zu ſetzen, und die Seſſel, worauf die Junker und Ariſto-
kraten thronten, ſtürzten krachend zuſammen, und der Hochaltar war
erbaut, worauf der Göttin der Freiheit geopfert wurde. Frei wären
die Völker geweſen, die Freiheit hätte die Reiſe um die Welt gemacht.
Allein man verſtand den Augenblick nicht zu benützen; man beſtand
hartnäckig auf dem Frieden, die Ehre und den Ruhm der franzöſiſchen
Nation befleckend, das gegebene Wort, die Patrioten des Auslandes zu
unterſtützen, brechend, die den Polen ſchuldige Pflicht ſchnöde verläug-
nend, und ihre Nationalität auf mittelbare Weiſe vernichtend; man zö-
gerte und zauderte, bis ſich die von Furcht zuſammengeſchlagenen, mit
ſchwerer Schuld beladenen, von böſem Gewiſſen gefolterten Kabinette,
die den Kopf verloren hatten, vom Schrecken ſich erholten: ſie lagen in
Ohnmacht darnieder und die Kammerdiener rieben den Kabinetsprinzen-
Eſſig um die rathloſe Schläfe der gekrönten Häupter. Allmählich er-
wachten ſie aus der betäubenden Ohnmacht, und zitternd ſahen ſie, wie
die Völker, die die Kette von der eiſernen Stange geriſſen hatten,
[92] woran ſie geſchmiedet waren, flugs den Hammer ſuchten, um den Ring
zu zerſchlagen, der noch nicht vom Halſe geloͤst war. Nun ging die
Ariſtokratie raſch an das Werk, im Geheimen und Verborgenen, auf
[den] erbärmlichſten Schleichwegen, um die Kette wieder zu faſſen und
das Volk an die alte Stange zu feſſeln. Es iſt das Streben der Ka-
binete, die Völker der Sklaverei zuzuführen: ich könnte Hunderte von
Thatſachen aufzählen, ich übergehe ſie, da ſie Allen bekannt ſind, um
die ſchmerzliche Wunde nicht von Neuem aufzureißen. Das Gefühl
empört ſich über die Weiſe, wie man die Hoheit des Menſchen mit
Füßen tritt. Man wird auf der betretenen Bahn fortfahren und ſich
beſtreben, das erſchütterte Prinzip des göttlichen Rechtes und der Le-
gitimität wieder feſt zu begründen, um durch daſſelbe die Völker mit
der Knute zu peitſchen. Nach menſchlicher Berechnung iſt der Krieg
unvermeidlich; Frankreich wird von dem Norden angegriffen werden,
um vorerſt in dieſem Lande, dann in den übrigen Ländern die Knecht-
ſchaft wieder einzuführen; der Krieg wird ein Kreuzzug gegen die Frei[-]
heit aller Völker, alſo auch gegen die der Deutſchen ſeyn.


Aber, Patrioten! was iſt dann unſere Pflicht? Dann umgürte ſich
jeder mit dem Schwerte und rufe die übrigen Patrioten zur Wehre,
und die Sturmglocke töne durch alle deutſche Gauen und rufe zum
Kampfe für Recht und für Freiheit. Fluch jedem deutſchen Manne, der
das Schwert ſich nicht umgürten und dadurch dem Norden die Herr-
ſchaft über Deutſchland verſchaffen würde. Dieſe Herrſchaft würde die
entſetzlichſte Bedrückung ſeyn; das Vermögen würde geplündert, die
Jugend in den Schlachten dahingewürgt, die Unſchuld geſchändet, der
freiſinnige Mann geſchoren und gezeichnet, gleich den Thieren, nach Sibi-
rien getrieben werden; die Freiheit wäre um Jahrhunderte zurückgeführt,
und die ſchwärzeſte Nacht würde die ſchändlichſten Gräuel bedecken.
Darum, verſammelte Patrioten! ſeyen wir ſtets wach auf dem Poſten,
beleben wir zugleich unſeren Sinn für alles was wahr, gut und ſittlich
iſt, damit wir das Erkannte mit Macht verlangen; möchte ein wahrer,
deutſcher Nationalſtolz in uns erſtehen, der bei Anerkennung der eigenen
Würde die der übrigen fremden Nationen nicht verläugnete; möchte
insbeſondere die Repräſentanten der öffentlichen Meinung die Ueberzeu-
gung durchdringen, daß die Begründung eines glücklichen materiellen
Wohlſtandes und einer volksthümlichen Sittlichkeit bedingt ſey durch die
politiſche Freiheit, durch die Freiheit Deutſchlands in föderativer re-
publikaniſcher Verfaſſung. Hoch lebe die Freiheit und Einheit Deutſch-
lands in dieſer demokratiſchen Verfaſſung!«


[93]

Rede von Stromeyer.


Lange Jahre lag das Vaterland in Schmach; lag unſer Volk in
Finſterniß und in naͤchtlichem Schlummer. Es iſt erwacht und an lich-
tem Tage ſeh’ ich Tauſende teutſcher Maͤnner vor meinen hocherfreuten
Blicken ſich als Bruͤder, als Söhne eines gemeinſamen Vaterlandes be-
gruͤßen. Ja das teutſche Volk iſt ſtark und der Freiheit wuͤrdig; es waͤre
ungerecht, auf ſeinen Namen die Schmach zu laden, die nur eine Schuld
ſeiner Koͤnige iſt. Seht, ſie haben unſere heilige Vatererde in Fetzen
zerriſſen; ſie haben durch Mauthlinien und Grenzkordons das große Volk
geſchieden; ſie haben die [Staͤmme] des teutſchen Volkes ihrer Namen
beraubt, wie es der grauſame Selbſtherrſcher ſeinen polniſchen Schlacht-
opfern thut, bevor er ſie in Sibiriens Bergwerke ſchickt, und ſie haben
uns mit den Namen der Zwingherrnhaͤußer gebrandmarkt. Und dennoch
hat der Teutſche ſeine gemeinſame Abſtammung niemals vergeſſen! Dennoch
ſehen wir bei dem erſten Rufe, der im Namen der Freiheit und Nationalitaͤt
ergangen iſt, die Tauſende und abermals Tauſende unter dem wieder-
ſtandenen Banner des teutſchen Volkes ſich verſammeln! Wenn dieſer
Anblick uns mit der ſtarken Hoffnung von des Vaterlandes Wiedergeburt
erfuͤllt, ſo duͤrfen wir uns nicht verhehlen, daß er auch zu den ernſteſten
Betrachtungen Anlaß giebt. Nicht die Freunde allein ſehen dieſe zahlreiche
Verſammlung, auch die lauernden Feinde des Volkes richten hieher ihre
Blicke; ſie ſchaudern zuſammen vor der Kraft des wiedererwachten Volkes
und fuͤrchterlich hallt in ihren Ohren der Fluch, den ein von heißer Be-
geiſterung gluͤhender Redner an dieſem Orte uͤber ſie geſprochen; fuͤrch-
terlicher noch ertoͤnt in ihren Ohren der Nachruf der Tauſende, die von
gluͤhendem Haſſe durchdrungen ſind gegen alle, die ſie als Feinde des
Vaterlandes betrachten. Werden ſie nicht, wenn die verſammelten Freunde
in die entfernten Thaͤler ihrer Heimath zerſtreut ſind, wie damals nach
dem Feſte von Wartburg, neue Demagogen- Jagden anſtellen und eure
beſten Freunde dem politiſchen Ketzergericht und der ſichern Verdammung
uͤberliefern? — Wird nicht die junge wiedererwachende Freiheit in dem
Blute ihrer beſten Vertheidiger erſticken? —


Es thut Noth, daß ihr gegen Angriffe euch verwahret, es thut des
Entſchluſſes Noth, die Grundſaͤtze, zu denen die Freunde der Freiheit ſich
mit Ueberzeugung bekennen, im eintretenden Fall auch mit Gut und Blut
zu vertheidigen. Wer nicht mit ganzer Seele und aus allen Kraͤften die
Freiheit und Wiedergeburt des Vaterlandes verlanget, der moͤge aus die-
ſem Kreis entſchloſſener Vaterlandsfreunde entweichen; wer aber bereit
iſt, das Vaterland und ſeine kraͤftigſten, waͤrmſten Freunde mit Gut und
[94] Blut zu beſchirmen, der erhebe mit mir ſeinen Arm und ſchwoͤre; daß er
mit Gut und Blut ſchirmen wolle das Vaterland und
deſſen Freunde vor jeder Gewalt von innen und außen
!
(allgemeine Beiſtimmung mit erhobenen Armen).


Solche Geſinnung und Thatkraft macht uns frei von Willkuͤhr und
Bedruͤckung; und da wir uns ſelbſt freigeſprochen, ſo ſeien auch fortan
verbannt aus dem Munde des Volkes die Namen der Zwingherrnhaͤuſer,
nach denen es ſich bisher benannte; — die teutſche Stimme allein gelte
fortan in Teutſchland; die teutſche Farbe ſei unſer Schmuck und ein einiges
Teutſchland unſer Ziel! Es lebe die teutſche Nation! es lebe die
Freiheit!« —


Die große Verſammlung ſtimmte allgemein dem heiligen Gelübde
bei, für die geſetzliche Durchführung der Reform unſeres Vaterlandes
kein Opfer zu ſcheuen. — Spät am Abend begaben ſich endlich die Ver-
ſammlten nach Neuſtadt an der Haardt zurück, wo die Feſtlichkeiten des
Tages mit mehreren Bällen beendiget wurden. — Die Mehrzahl der An-
weſenden hatte Neuſtadt zwar am 28. Mai früh wieder verlaſſen, allein
das Feſt dauerte doch noch bis zum 1. Juni fort, und es waren vom
28. bis zum 31. Mai täglich wieder viele Tauſende auf dem Schloſſe
Hambach verſammelt. Auch an dieſen Tagen hörte man von mehreren
ausgezeichneten Männern gediegene Reden, namentlich von dem Deputir-
ſten Schüler. Es iſt eine große hiſtoriſche Merkwürdig-
keit, daß während aller dieſer Feſttage, bei einer Ver-
ſammlung von ſo vielen Tauſenden, auch nicht der kleinſte
Zwiſt, nicht die geringſte Unordnung vorfiel. So ſehr
war das Volk von der Würde und Heiligkeit des großen
Nationalfeſtes ergriffen und durchdrungen, ſo ſehr be-
währte es ſeine Mündigkeit für politiſche Einheit und
Volkshoheit
!


Am 1. Juni wurde endlich das Feſt dadurch geſchloſſen, daß die Feſt-
ordner, in Begleitung der Neuſtadter Bürgergarde und vieler Bürger,
die auf dem Schloſſe Hambach aufgeſteckten beiden Fahnen, die deutſche
und die polniſche, feierlich in die Stadt zurückbrachten. Es wird einſt
geſchichtlichen Werth erlangen, den Namen des Deutſchen zu kennen, der
unſere Fahne zum erſten Male wieder getragen hat; wir bemerken daher,
daß der Oekonom Abreſch, ein junger feuriger Patriot, die Ehre hatte,
Deutſchlands Panner zu tragen. Auch die polniſche Fahne trug ein
edler deutſcher Jüngling, Ludwig Müller aus Neuſtadt. Bei der Ab-
nahme der Fahnen auf dem Schloſſe Hambach hielten zwei Polen, Grzy-
[95] mala und Zatwarnicki, treffliche, ergreifende Reden, die wir hier mit-
theilen:


Rede von Grzymala.


Männer Deutſchland’s! die Ihr dieſe polniſche Fahne zur Ehre un-
ſeres Volkes hier aufgepflanzt habt, bewahrt dieſelbe auf! — Möge die
Vorſehung geſtatten, daß bald der Augenblick komme, wo wir,
in dem großen Kampfe der Völker gegen den Abſolutismus, von Euren
Händen dieſes theure Panner wieder erhalten, um unter demſelben,
ringend für die Freiheit, zu ſiegen oder zu ſterben. Verlaſſen und ver-
rathen von den Fürſten und Regierungen, (die uns unſerm rachgierigen
Feinde preißgegeben haben), vertrauen wir heute im Angeſichte des
Himmels, im Angeſicht der Repräſentanten der deutſchen Volksſtämme
unſere heilige Sache, die Sache der allgemeinen Freiheit, den Völ-
kern
, den unterdrückten und nach wahrer Freiheit ſtre-
benden
Völkern, und insbeſondere Euch wackere Deutſche, die Ihr ſo
wie wir, zu allen Opfern für die Sache der Freiheit bereit ſeyd.


Es lebe die wahre Freiheit, auf die Volkshoheit geſtützt! — Es
lebe die brüderliche Freundſchaft aller nach Freiheit ringenden Nationen!
Es lebe das große vereinigte Deutſchland! —


Rede von Zatwarnicki.


Deutſche!


Eure Liebe für die allgemeine Freiheit, euer Enthuſiasmus für alles
Schöne und Erhabene, dieſe entſchiedene Bereitwilligkeit, Blut und
Gut der Wiedergeburt Deutſchlands zum Opfer zu bringen, muß das
Herz und beſonders eines Polen Herz im Innerſten ergreifen. Was der
Pole für den Deutſchen fühlt, können Euch, meine Herren, die weni-
gen Worte meines edlen Landsmannes, des Kapitains Alexander Laski
ſagen. —


Als hier auf dieſem heiligen Berge, vor Gott und den Tauſenden,
die hier verſammelt waren, unſerm Vaterlande ein lautes Lebehoch ge-
bracht wurde, antwortete er: »Ich ſchwöre Euch, daß wir Polen bereit
ſind, für die deutſche Fahne unſer Blut zu vergießen.«


Von den Gefühlen dieſes tapferen Bürgerſoldaten iſt jeder Pole
durchdrungen! — Für wahr, es wäre nicht das Erſtemal, daß Polens
Söhne für Deutſchlands Freiheit geblutet hätten. Die Worte hätten
vielleicht auch keine Kraft und Wichtigkeit, wenn ihnen nicht Thaten
vorangegangen wären. Brauche ich zu erinnern, daß die heutigen Polen
die Enkel derer ſind, welche unter Sobieski Deutſchland und die be-
[96] drohete Chriſtenheit gerettet haben? — Fraget die Geſchichte, und ſie
wird Euch überzeugen, daß Polen ein fortbrennendes Opfer auf dem
Altare der Menſchheit ſeit Jahrhunderten geweſen iſt. Und vor dieſem
letzten Kampfe, ihr wiſſet es wohl, gegen wen der Knutenkaiſer ſeine
Schaaren gerüſtet hatte. In der größten Gefahr befand ſich die euro-
päiſche Civiliſation. Polen, ſeinem heiligen Berufe folgend, warf ſich
in den blutigſten Kampf, und opferte ſich für Europa! Seine Kinder
ſchmachten jetzt in Sibirien, und in den Berggruben des grauſamſten Des-
poten. Einigen iſt es gelungen, der Verfolgung zu entkommen. Dieſe
hatten und haben noch der gaſtfreundlichſten Aufnahme ſich unter euch
zu erfreuen. Mit [Achtung] und Liebe kommt ihr den Unglücklichen ent-
gegen. Es ſind die erhabenſten Gefühle, die des Menſchen Bruſt be-
ſeelen, diejenigen, die Menſchen und Nationen verbrüdern. Nie waren
zwei Nationen eine der andern würdiger, als die Deutſche und die
Polniſche; nie war zwiſchen Völkern ein ſchönerer und feſterer
Bund geſchloſſen, als jetzt zwiſchen Deutſchen und Polen. Möge er
unſere ſpäteſten Nachkommen noch beglücken!« —


Es war beſchloſſen worden, beide Fahnen dem älteſten der Feſtord-
ner, Deputirten Schopman zur Aufbewahrung zu übergeben.


Bei dieſer Gelegenheit ſprach der für geſetzliche Freiheit wacker ar-
beitende Notär Müller aus Neuſtadt:


Indem wir die Fahne, das Symbol der Einigung Deutſchlands,
des Geiſtes des Feſtes, abnehmen, und dem Senior der Feſtordner,
unſerm geachteten Mitbruder zur Verwahrung übergeben, beendigen
wir nur die äußere Feierlichkeit, — der Geiſt des Feſtes, wie er von
uns und allen aͤchten deutſchen Patrioten ausgeſprochen worden, wehe
immerdar, und pflanze ſich fort in jedem deutſchen Herzen und Ge-
muͤth, er belebe, er ſtaͤrke uns, zum muthigen ausdauernden Kampfe
fuͤr Freiheit und Volksrechte. — Es lebe das verbruͤderte einige, freie
Deutſchland!«


Bei dem Empfange der glorreichen und ehrwürdigen Panner zweier
mächtiger Nationen hielt nun der würdige Veteran Schopman fol-
gende Rede:


Meine Herren!


So waͤre denn das Hambacher Feſt, das bei manchen Schwachen,
große Beſorgniß erregte, in wuͤrdiger Weiſe beſchloſſen, zur Beſchaͤmung
aller Derer, die demſelben unreine Zwecke unterlegen wollten.


Moͤge der von allen gutgeſinnten Deutſchen hier ausgeſtreute Samen
[97] diejenigen Fruͤchte tragen, deren Erzielung unſer Zweck war: naͤmlich
moͤge der Deutſche ſich nicht mehr als Baier, Badner, Heſſe, Wuͤrtemberger,
Sachſe, Brandenburger ꝛc., ſondern blos als Deutſcher betrachten, und ſich
ſo zu der politiſchen Hoͤhe wieder erheben, die Deutſchland bei der gegen-
waͤrtigen Zeit ſo nothwendig iſt, und auf welcher dereinſt unſre Vaͤter
ſtanden.


Zugleich wird das ſo eben ſich endigende Feſt Deutſchland den Charakter
des Rheinbaiern naͤher entwickeln; es wird daſſelbe uͤberzeugen, daß, wenn
man deſſen Inſtitutionen auf eine ungeſetzliche Weiſe und durch Gewalt-
ſtreiche verletzen wollte, er ſich maͤnnlich, ja! wenn es ſeyn muß, Ge-
walt mit Gewalt erwiedernd, zu vertheidigen wuͤßte; daß er aber auch
wenn man ſolche nicht verletzet, ſich ruhig und wuͤrdevoll zu benehmen weiß.
Bei der groͤßten Ordnung ſprach ſich jeder nur im Geiſte und Sinne
dieſes fuͤr Deutſchland ſo bedeutungsvollen Feſtes aus, [und] dies wird
der ſchoͤnſte Triumph dieſer Tage bleiben.


Sie wollen mir als dem älteſten Mitglied der Feſtordner die deut-
ſche und die polniſche Fahne zur Aufbewahrung übergeben. Ich nehme
ſie an, als Zeichen der Verbrüderung der beiden Völker. Moͤge der
Glanz unſers Banners von nun an die Herzen aller ächten Deutſchen er-
leuchten und in allen Gauen Deutſchlands als Sonne aufgehen. Dieſe
gehe aber nicht allein über alle deutſche Männer auf[,] ſondern leuchte
über alle Völker Europa’s. Denn alle nehmen Antheil an den Folgen
des Feſtes. Hoch mögen mit Deutſchland alle Völker leben, hoch! und
dreimal hoch! —


Zugleich wurde im Namen der bei dem Feſte anweſenden Polen noch
folgende Adreſſe übergeben:


An die deutſchen Patrioten, die das Volksfeſt auf dem
Schloſſe Hambach den
27. Mai 1832 gefeiert.


Der Polen Herzen ſind erfreut durch den neuen Beweis des Mit-
gefühls und der Brüderlichkeit, der nach der wahren Freiheit ringenden
Deutſchen. Während der großen Feier (der Wiedergeburt Deutſchlands
gewidmet) wehte die polniſche Nationalfahne neben der deutſchen. Tau-
ſende aus verſchiedenen Gauen Germaniens haben das theure Symbol
unſerer unglücklichen Nation mit Jubel begrüßt. Eure Redner haben
mit brüderlichem Mitgefühl und der dem großen Unglücke gebührenden
Achtung, der blutigen Aufopferung des polniſchen Volks, in dem gro-
ßen Kampfe für die Freiheit, erwähnt. Dieſer feierliche Akt kann in
uns nur die Ueberzeugung befeſtigen, daß die Deutſchen in unſerer
7
[98] Sache ſtets die Sache der Freiheit Deutſchlands, der Freiheit Euro-
pa’s erblicken.


Empfanget, Ihr hochherzigen Maͤnner Deutſchlands, von uns Po-
len, die dieſer bedeutungsvollen Volksfeier beigewohnt, in dieſen Wor-
ten den Ausdruck des uns erhebenden Gefühls, bei dem großen Gedan-
ken der Verbrüderung beider Nationen. Empfanget unſern Dank auch
Ihr, edle Frauen und Jungfrauen Neuſtadts für die, den Polen ſo
große Erinnerungen zurückrufende, Volksfahne, das ſchätzbare Werk
Eurer Hände, ein Wahrzeichen Eurer und aller edlen deutſchen Frauen
Sympathie für unſere Sache, für die Sache der Menſchheit.


Neuſtadt an der Haardt, den 28. Mai 1832.


  • Franz Grzymala. Cyprian Wolski (Major). B. Zatwar-
    nicki. Michael Tadens Dembinski. Jan. Cynski. Alexandre
    Suretoslawski. Xavier Kijenski (Kap.) Valentin
    Krosnowski. Ignace Chodkiewicz. Edmund Korabiewicz.
    Fergüß (Major). Leon Mazurkiewicz. Wiszkowski.
    Alexandre Laski (Kap.) Taege. Julius Wislouch.

Dieſe Adreſſe war mit folgendem Schreiben begleitet:


  • An die hochverehrlichen Feſtordner des deutſchen Na-
    tionalfeſtes auf dem Schloſſe zu Hambach den

    27. Mai 1832.

Beauftragt von unſern Landsleuten, die dem deutſchen Volksfeſte
zu Hambach beigewohnt, dieſe Adreſſe an die deutſchen Patrioten
zu überreichen, erachten wir für unſere Pflicht, deren Original in
Eure Hände niederzulegen, mit der Bitte: »dieſelbe zum Andenken an
»die Verbrüderung beider Nationen und Euer edles Mitgefühl für
»unſere Sache, neben der polniſchen Fahne, die bei dem Volksfeſte
»wehte, aufzubewahren.«


Empfangen Sie hiemit, hochachtbare Männer, den Ausdruck unſe-
rer brüderlichen Hochſchätzung.


Neuſtadt an der Haardt, den 1. Juni 1832.


Franz Grzymala. B. Zatwarnicki.


[99]

Und ſo iſt denn das erſte große Nationalfeſt der Deut-
ſchen wieder gefeiert worden, gekommen iſt der ſchoͤne Tag,
wo Repraͤſentanten aller Buͤrderſtaͤmme vereiniget waren, um
uͤber die Angelegenheiten unſeres großen Vaterlandes zu be-
rathen. Aber was hoͤchſt wichtig iſt, nicht blos auf dem
Schloſſe Hambach, ſondern in mehreren deutſchen Gauen hat
man den 27. Mai als den Tag der Wiedergeburt des Vater-
landes gefeiert; ſelbſt in Paris wurde der große Tag von
den dort anweſenden Deutſchen, im Vereine mit gleichgeſinn-
ten Franzoſen, Polen, Italienern, Spaniern, Portugieſen
und Ungarn, unter dem Vorſitze Lafayettes feſtlich begangen.
Ein ſolches Ereigniß muß [von] wichtigen Folgen fuͤr unſer
Volk begleitet ſeyn. Denn es iſt zur klaren Anſchauung aller
einſichtsvollen Patrioten gekommen, daß die Grundreform
Deutſchlands ein dringendes unabweisliches Beduͤrfniß ſey.
„Wir muͤßen die Reform bald haben, wir muͤßen ſie ſehr
bald haben,“ — dieß war die Ueberzeugung aller auf dem
Feſte zu Hambach verſammelten Vaterlandsfreunde. Eben
darum darf aber die Wirkung des großen Tages ſich nicht
blos auf die Steigerung und weitere Verbreitung patriotiſcher
Gefuͤhle beſchraͤnken, ſondern das bedeutungsvolle National-
feſt muß fuͤr die Wiedergeburt Deutſchlands ein beſtimmtes
poſitives Reſultat zu Tage foͤrdern. — Wir muͤßen den [27.]
Mai als den Tag anſehen koͤnnen, an welchem zu dem kuͤnf-
tigen politiſchen Baue unſeres Vaterlandes der Grundſtein
gelegt wurde, wir muͤßen von dem 27. Mai ſagen koͤnnen,
daß in Folge der Ereigniſſe dieſes Tages die Patrioten aller
deutſchen Staͤmme bruͤderlich verbunden wurden, um eine
Grundform Deutſchlands auf geſetzlichem Wege durchzufuͤhren.
Alle Polemik zwiſchen den aufgeklaͤrten Patrioten uͤber feinere
Nuͤancen in den politiſchen Meinungen muß fortan verſchwin-
den, allen perſoͤnlichen Streitigkeiten der Volksmaͤnner ſofort
[100] ein Ende gemacht werden: alles ſoll nur auf ein Ziel, auf die
Grundreform Deutſchlands hinwirken: die politiſche Oppoſi-
tion aller deutſchen Staͤmme ſoll daher concentrirt und nach
einem beſtimmten Plane geregelt und geleitet werden: kein
deutſcher Stamm ſoll ſich ausſchließen, ein jeder ſoll viel-
mehr die Maͤnner ſeines Vertrauens beſtimmen, ſich mit den
ausgezeichnetſten Patrioten der uͤbrigen Staͤmme zu verſtaͤn-
digen und zu vereinigen, damit in dieſer Weiſe ein geiſti-
ger Centralpunkt gewonnen wuͤrde, welcher die Grundreform
Deutſchlands auf geſetzlichem Wege auszuwirken und zu die-
ſem Behufe die geſammte legale Oppoſition zu leiten geeignet
und berufen waͤre. Einer ſolchen Vereinigung geiſtiger Kraͤfte
wuͤrde dann die Macht gegeben ſeyn: 1) fuͤr die Nothwen-
digkeit der Grundreform Deutſchlands, durch die Preſſe, oͤffent-
liche Reden, oder andere erlaubte Belehrungsmittel die oͤffent-
liche Meinung aller deutſchen Volksſtaͤmme zu gewinnen und
ſodann 2) durch den Ausdruck der oͤffentlichen Meinung, ins-
beſondere durch Adreſſen, Motionen bei Staͤndeverſammlun-
gen und Provinziallandtagen, ſowie durch andere erlaubte
Mittel die Einwilligung der Regierenden zur Durchfuͤhrung
der Reform auszuwirken. Die bruͤderliche patriotiſche Verei-
nigung wuͤrde ſich in dieſer Weiſe gewiß bald uͤber ganz
Deutſchland erſtrecken, wenn alle Maͤnner ſich die Hand rei-
chen, die das Vertrauen der einzelnen Stämme genießen.
Ein aus Mitgliedern aller Bruͤderſtaͤmme zuſammen zu ſetzen-
des Comite koͤnnte ſodann die legale Oppoſition in allen
deutſchen Laͤndern, namentlich alle Oppoſitionsjournale nach
einem beſtimmten geregelten Plane leiten und nicht nur auf
Aufklaͤrung aller Volksklaſſen, ſondern auch:


  • 1) auf Bildung von patriotiſchen Geſellſchaften der Maͤn-
    ner und Juͤnglinge, Frauen und Jungfrauen in allen
    Provinzen und bedeutenden Staͤdten Deutſchlands,

[101]
  • 2) auf bruͤderliche Verſtaͤndigung mit andern Voͤlkern uͤber
    die wahren Intereſſen Europa’s und endlich
  • 3) auf großartige Vermehrung des Fonds zur Unter-
    ſtuͤtzung der freien Preſſe, zur Verbreitung belehrender
    Schriften und Journale, ſowie zur Befoͤrderung ande-
    rer patriotiſcher Unternehmungen

mit Erfolg hinweiſen. Auf ſolche Weiſe wuͤrde dann das
große Werk der deutſchen Reform, ohne allen Zweifel durch
unſere eigene Kraft ohne fremde Einmiſchung gelingen, es wuͤrde
insbeſondere auf voͤllig erlaubtem Wege zu Stande gebracht
werden. Darum wenden wir uns im Namen des Vaterlandes
an alle die großen Deutſchen welche das Vertrauen der ver-
ſchiedenen Bruͤderſtaͤmme genießen. In ihrer Hand liegt jetzt
das Schickſal unſeres Volkes. Die Zeit zum Handeln iſt
gekommen. Wollen alle die Maͤnner, die am politiſchen
Himmel Deutſchlands, als Sterne erſter Groͤße glaͤnzen,
zur Wiedergeburt des Vaterlandes in vorbemerkter Weiſe ſich
vereinigen, ſo iſt das Gelingen des großen Werkes verbuͤrgt.
Zu Euch, ihr gefeierten Maͤnner des Volkes in den verſchie-
denen deutſchen Wahlkammern, dann zu Euch, die ihr ſonſt
durch Vertheidigung der Volksſache oder durch anderes patri-
otiſches Wirken das Vertrauen des Volkes in den einzelnen Pro-
vinzen erworben habt, endlich zu allen denen, die den Willen
und die Kraft fuͤhlen, fuͤr das Vaterland etwas zu wirken,
zu Euch allen erheben wir unſere Stimme und beſchwoͤren
Euch zur Reform Deutſchlands, auf geſetzlichem Wege, innig
euch zu verbinden und dem Streben unſerer großen Zeit eine
feſte ſichere Richtung zu geben. Niemand iſt ſo anmaßend,
zu fordern, daß man beſtimmte Doctrinen blindlings unter-
zeichne. Ihr ſollt vielmehr erſt unter einander berathen und
beſchließen, welche Reform dem Vaterlande die heilſamſte ſei.
Eure tiefen Einſichten werden uͤber die Grundſaͤtze der Re-
[102] form, wie ſolche in der oͤffentlichen Meinung aller Bruͤder-
ſtaͤmme den meiſten Anklang finden wuͤrde, ſehr bald ſich
vereinigen. Ihr habt dann die Macht, die abweichenden
Nuͤancen in den politiſchen Anſichten zu verſchmelzen, und die
Mitglieder aller freiſinnigen politiſchen Confeſſionen zur plan-
maͤßigen Verfolgung eines gemeinſchaftlichen Zieles zu vereini-
gen. Deutſchland wird dann durch eigene Kraft zu Macht und
Groͤße emporſteigen. Das Vaterland ruft: [naͤhert], vereiniget
euch, ſetzt euch bald gegenſeitig in geiſtigen Rapport. Laßt
nicht von euch ſagen, daß ihr wegen Meinungsverſchieden-
heit oder wegen perſoͤnlichen Ruͤckſichten, vielleicht aus
Ängſtlichkeit, Vorliebe oder Haß, von der Vereinigung fuͤr
die Reform Deutſchlands abgehalten wurdet, und daß nichts
im Stande war, euch zu vermoͤgen, die Ereigniße mit feſter
Hand zu leiten und dem Streben einer großen Zeit eine ſichere
Richtung zu geben. Nein! ihr werdet das nicht von euch
ſagen laſſen. Das Vaterland darf euch vertrauen. Wir
duͤrfen mit freudiger Hoffnung ausrufen:


Es bluͤhe und gedeihe die Grundreform
Deutſchlands
!


Wir ſchließen die Beſchreibung der großen Tage, die
in der Bruſt aller Anweſenden ſo heiße Wuͤnſche fuͤr des
Vaterlandes baldige Erloͤſung erweckten, am wuͤrdigſten mit
folgendem von Siebenpfeiffer gedichteten Geſange:


Am deutſchen Rhein, was blitzt vom Berg hernieder

In’s ſchwarzumflorte Thal?

Erſtand ein Chriſt, ein Völkerheiland wieder?

Zuckt dort ein Himmelsſtrahl?

Und welche Sterne locken her die Weiſen?

Was lockt der Menſchen Schaar?

Will ſich ein Gott im Feuerbuſche weiſen?

Wird dunkle Zukunft klar?

[103]
Ein Gotteskind wohl iſt’s, trägt Vaters Stempel,

Welt-Heil im Augenlicht;

Geboren iſt’s im weiten Völkertempel,

In Himmels Angeſicht.

Der Freiheit Kind, dem Sklavenſchooß entwunden,

Liegt, trotz dem Heil’genſchein,

Ach! mit Tyrannenketten feſtgebunden,

Zum Ew’gen dringt ſein Schrei’n.

Das Kind, das, frei erzeugt, in Feſſeln ſchmachtet,

Das Kind im Nachtgewand,

Das trotz dem Strahlenkranz ſo tief verachtet,

Iſt unſer — Vaterland.

O Vaterland! Du biſt es, das im Glanze,

Mit magiſcher Gewalt —

Du biſt es, deſſen Haupt im Gotteskranze

Vom Rhein ſo leuchtend ſtrahlt.

Und was die Männer treibt aus fernen Landen,

Iſt deutſche Kraft und Muth;

Das Vaterland zu löſen von den Banden,

Weih’n ſie ihm Hauch und Blut.

O Ewiger! laß dieſe Sterne blitzen

In Deutſchlands dunkle Nacht,

Daß ſie erbeb’ auf ihren Nebelſitzen,

Der Dränger finſtre Macht.

Du ſiehſt den Bund — wer will ihn noch verdammen? —

Trägt er nicht deine Spur?

Keuſch iſt das Herz, rein ſind des Geiſtes Flammen,

Geheiligt unſer Schwur.

Drum wird’s vollbracht; der Männer heilig Glühen

Iſt uns ein Unterpfand:

Hinſinkt Gewalt, der Freiheit Funken ſprühen,

Aufjauchzt das Vaterland.

[104]
Auf! auf! Ob auch die Hölle mit dir ränge,

Empor, o Vaterland!

Erhebe dich! hörſt du die Siegesklänge,

O deutſches Vaterland?

Erhebe dich! Ein Gott zerreißt der Knechtſchaft Bande,

Wenn dein Entſchluß geſtählt:

Der Deutſchen Ruhm dann tönt von Land zu Lande,

Und Freiheit! jauchzt die Welt.
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Dieses Werk ist gemeinfrei.


Rechtsinhaber*in
Kolimo+

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2025). Collection 3. Das Nationalfest der Deutschen zu Hambach. Das Nationalfest der Deutschen zu Hambach. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bq98.0