[][[1]]
Gottfried Arnolds

Erklaͤrung/
Vom gemeinen
Secten-weſen/ Kirchen- und Abend-
mahl-gehen;
Wie auch
Vom recht-Evangel. Lehr-Amt/ und recht-Chriſtl. Freyheit:
Auff veranlaſſung
derer von
ERNEST. SALOM. CYPRIANI,
Extraord. Prof. Philoſ. Helmſt.

Vorgebrachten beſchuldigungen wider ſeine Perſon/
unpartheyiſch vorgetragen.


Leipzig/:
Bey Thomas Fritſch/1700.

[[2]][[3]]

Allen
Hohen und Niedern
OBRJGKEJTEN
an allen orten/

wuͤnſchet derAutor
diejenige vortreffliche Weißheit/
durch welche vormals
Salomo
ſein volck richtete/
und des Regenten-ſtuls
wuͤrdig ward:
damit durchgehends und allezeit Sie einen genauen
Unterſcheid
machen und halten moͤgen
zwiſchen
wahren und falſchen/
guten und boͤſen/
gerechten und ungerechten/
gottloſen/ heuchleriſchen/ und gottloſen
ſachen und perſonen/

inſonderheit zwiſchen
falſchen und Goͤttlichen
eiffer und eifferern/

nach dem ſinn
A 2Der
[[4]] Der
Allerhoͤchſten Majeſtaͤt
und ihrem
unveraͤnderlichem geſetz/
zu ſtraffen und zu belohnen/
zu verurtheilen und loß zu ſprechen/
zu verſtoſſen und zu ſchuͤtzen:

Und leget Denenſelben zugleich
mit geziemendem reſpect
dieſe ſchrifft vor augen/
nechſt demuͤthiger bitte/
daß ſie dem Allerfreyeſtem Goͤttlichem Weſen
nicht allein ſelbſt
frey und willig dienen/
ſondern auch andern/
(zu denen ihre feinde keine ſache/ als
uͤber ihren Gottesdienſt/ finden)
alſo frey und ohne gewiſſens-zwang
zu dienen
gnaͤdig verſtatten/
und endlich
eine unendliche freyheit und herꝛlichkeit
ererben moͤgen.


[[5]]

Vorbericht.


1.


ES iſt eine von denen aͤlteſten practiquen
der alten ſchlange/ daß ſie in ermange-
lung anderer Prætexte wieder die ewige
wahrheit und dero liebhaber/ eine ſache
uͤber ihrem
Gottesdienſt zu finden ge-
meinet hat. Jch will nicht viel ſagen
von dem erſten verfolger und moͤrder
dem Cain/ wie er ſeinen armen bruder bloß uͤber und bey dem
Gottesdienſt und opffer hingerichtet. Auch will ich kein lan-
ges Regiſter von allen denen perſonen machen/ die ſo wol zu
den zeiten der Patriarchen/ als nachmals unter Juden und
Heiden/ etwan mit mehrerm ernſt/ das Goͤttliche weſen ge-
ſuchet/ und daruͤber unter dem vorwand eines Religions-
Eiffers
von heuchlern oder gottloſen auffgefreſſen worden
ſeyn.


2. Sondern es wird mirnur vergoͤnnet ſeyn zu geden-
cken/ wie der Fuͤrſt dieſer welt ſolchen ſtreich ungleich aͤrger
hervorgeſucht und practiciret habe/ nach dem er bey geſchehener
einfuͤhrung des neuen geiſtlichen und innerlichen bundes (Je-
rem. XXXI.
31. u. f. Hebr. IIX. 8. u. f. Joh. IV. 23. 1. Joh. II. 22,
Rom XIII. 2. Cor. III.
14.) beſorgen muͤſſen/ er wuͤrde mit der
aͤuſſerlichen ſcheinheiligkeit/ ſuperſtition und heucheley/ des ge-
formten aͤuſſerlichen Gottesdienſtes und Operis operati die
A 3leute
[6] leute nicht mehr ſo ſcheinbahrlich beruͤcken koͤnnen. Dahero/
als ſo gar alle Propheten aus reflexion auff dieſen neuen bund
den aͤuſſerlichen Tempel-dienſt mit ſamt dem greulichen miß-
brauch gewaltig angriffen/ und ungeacht er doch von GOtt
ausdruͤcklich und umſtaͤndlich befohlen war/ dennoch ver-
warffen und die leute auffs in wendige geiſtliche und wahr-
hafftige wieſen: (davon wenigſtens Eſaias cap. I. XLIIX.
LXVI.
Jeremias cap. VI. und ſonderlich Daniels exempel cap.
VI.
5. und andere haͤuffig zeugen) So muſten ſie daruͤber um
GOttes willen leiden/ und wol gar das leben laſſen.


3. Er ſelbſt/ der Meiſter alles wahren Gottesdienſts/
CHriſtus hatte in den augen der Phariſaͤer und Schrifftge-
lehrten keine groͤſſere ſuͤnde gethan/ als da er ihren tempel und
aͤuſſerlichen heuchel-dienſt angriff/ vor ihren falſchen gloſſen
und menſchen-geſatz warnete/ davon der edle inwendige ſchatz
ſeines lautern Evangelii verduͤrbe: Hingegen dieſes all in
ernſtlich trieb/ und an ſtatt des alten ſauerteigs das arme volck
etwas beſſers und inwendiges lehrte. Und darum muſte
nicht allein er ſelbſt ſterben/ ſondern der wiederſtand erbte
gleichſam fort auff ſeine nachfolger: So daß der allererſte
Maͤrtyrer Stephanus/ unter den ſteinen ſterben muſte/ bloß
weil er behauptete/ der Allerhoͤchſte wohne nicht in kirchen
mit haͤnden gemacht/
ungeacht er dieſes nur aus der Schrifft
wiederholete und bewieß/ Ap. Geſch. VII. 48. 2. Chron. VI.
18. Eſai. LXVI. 1.


4. Als nachgehends die erſten Chriſten aus denen Juͤdi-
ſchen in die Heydniſche Laͤnder zerſtreuet wurden; war die-
ſes immer ihr erſtes/ daß ſie den leuten ihre vermeinte heilig-
thuͤmer/ ceremonie und aberglauben verleideten/ und davor
den wahren Gottesdienſt des lebendigen uͤberall in uns
ſelbſt gegenwaͤrtigen GOttes/
anprieſen/ wie aus der
Apo-
[7] Apoſtel Hiſtorie im 17. cap. bekantiſt. Hieruͤber geriethen ſie
nun bald mit den Heidniſchen Pfaffen in action, zumal nicht
allein ſie ſelbſt/ ſondern auch andere aus den tempeln blieben/
und jenen alſofort manches accidens entginge/ wie in der abbil-
dung der erſten Chriſten/ und in der vorbereitung der Kirchen-
Hiſtorie und ſonſt zu ſehen iſt.


5. Alſo entſtunden nun die vielfaͤltigen anklagen wieder
die erſten Chriſten/
daß die Heidniſchen Pfaffen ſo wol/
als die
Philoſophi, Profeſſores und Schul - leute bey
der Obrigkeit ſchrifftlich und muͤndlich ſich beſchwereten:
Warum doch die Chriſten weder haͤuſer zum dienſt der
anbetung auffbaueten/ noch Altaͤre machten?
(Arno-
bius init. Lib VI. adv. Gent.) item:
Warum ſie nicht allein ſelbſt
keine tempel haͤtten/ ſondern auch die andern kirchen als tod-
tengraͤber verachteten?
(Minutius Felix in Octav. p. 332. edit. He-
raldi
) Ja die Chriſten verdieneten unter andern auch damit
der Heiden zorn/ und die entſetzlichſten verfolgungen/ wenn ſie
dieſer mit ihren kirchen und tempeln ſpotteten und ſprachen:
Jhr ſuchet imCapitolio (oder im tempel allda) was ihr
doch vom himmel erwarten ſollet; Jhr zehlet im gebet die
kirchen-gewoͤlbe/ u. ſ. w.
(Tertull. Apol. cap. 24. \& 40.)


6. Wie aber bald darauff durch die vermengung Heidni-
ſcher und Chriſtlicher dinge auch die tempel und kirch-haͤuſer
bey dem verfall unter denen Chriſten auffkamen/ und damit
der alte greuel des aberglaubens und goͤtzendienſtes nach und
nach ſo arg als unter Heiden war; erweckte GOtt dennoch
immerhin ſolche zeugen/ die das gantze aͤuſſerliche ſchatten- und
heuchel-werck angriffen/ und daruͤber angeklagt wurden. Jch
will nicht wiederholen/ was ſchon von ſo manchen perſonen in
der Kirchen-Hiſtorie ſtehet/ welche des wegen als irrige und
kaͤtzer
[8] kaͤtzer ſind ausgeſtoſſen worden: Sondern es iſt gnug etliche
von ſolchen zu benennen/ die von denen Proteſtanten als hoch-
theure zeugen der wahrheit wieder die
Catholiquen angefuͤh-
ret und recommendiret werden.


7. Die Waldenſer hatten unter andern auch damit ein Cri-
men læſæ Majeſtatis clericalis
begangen/ wenn ſie die kirchen
ſtein- und ſtroh-haͤuſer hieſſen/ und ſich alſo davon herauß
lieſſen: Sie hielten eine gemauerte kirche eben ſo heilig
als eine ſcheune/ auch wohne GOtt nicht drinnen/ denn
er habe geſagt: Jch wohne nicht in tempeln von menſchen-
haͤnden gemacht. Das gebet ſey darinne nicht kraͤfftiger
als in einer kammer. Die zierrathen der kirchen waͤren
groͤſſere ſuͤnden ‒ ‒ ‒ ‒ CHriſtus habe ſeinen Juͤngern
nichts dergleichen hinterlaſſen u. ſ. w.
(Catalogus Teſt. Ve-
rit. Lib. XV. p.
535.) Welche und dergleichen zeugnuͤſſe die
Proteſtanten ſelbſt gebilliget/ erklaͤret und weiter bekraͤfftiget
haben. (Centur. Magdeb. l. c. Lucas Oſiander Hiſt. Eccleſ. Lib.
IV. Cent. V. cap. 13. \& 22. ac plures alibi nominati.
)


8. Wie viel aber dieſe und andere ſolche zeugen deßwegen
leiden muͤſſen/ und wie die Kirchen- und Schul-lehrer die un-
ter ihr joch gebrachte Obrigkeit zum blutvergieſſen wieder je-
ne auffgehetzet haben/ davon ſind alle Hiſtorien angefuͤllet. Nur
waͤre zu wuͤnſchen/ daß eben dergleichen tragœdien auch mit
veraͤnderten perſonen unter denen Proteſtanten niemals ge-
ſpielet worden waͤren/ und auch manche ſecten durch allzuheff-
tige gegenſaͤtze die gabe der unterſcheidung nicht verlohren haͤt-
ten/ damit man alſo unſere oder vorige zeiten von dieſem all-
gemeinem durchgaͤngigem uͤbel ausnehmen koͤnte/ da vom an-
fang der welt her die gottloſen und heuchler faſt keine

ſchein-
[9]ſcheinbahrere ſache wieder die andern finden koͤnnen und
moͤgen/ als von ihrem Gottesdienſt.


9. Es iſt aber offenbahr und klugen leuten aus den hiſtori-
en laͤngſt bekant/ daß bald nach dem anfang der ſpaltung und
trennung von der Roͤmiſchen kirche viel Lehrer ſich eben wie zu
Conſtantini zeiten die verfallende Chriſten in denen Heidni-
ſchen/ alſo jene in denen Paͤbſtiſchen kirchen/ in poſſeſſion und
und alſo feſt geſetzet/ dabey aber die wenigſten mißbraͤuche ab-
geſchafft/ und noch dazu neue unzulaͤngliche formen/ kirchen-
gebraͤuche und Ceremonien gemacht/ und daran jederman
verbinden und zwingen wollen. Und weil alsbald ihrer viele
der Roͤmſchen Cleriſey ihre ſtaats-ſtreiche/ ſonderlich die/ ob
wol zuweilen verdeckte/ doch meiſt ziemlich offenbahre herꝛ-
ſchafft uͤber die Obrigkeit abgelernet: iſt es ihnen durch die præ-
ſcription
und lange gewohnheit dermaſſen gelungen/ daß der ge-
meine kirchen-dienſt vor unumgaͤnglich noͤthig/ und ſelig ma-
chend geachtet worden/ und folglich von keinem menſchen ohne
verfolgung verlaſſen werden doͤrffen.


10. Daraus iſt erfolget/ daß nicht nur das unwiſſende ro-
he volck ſeinen gantzen himmel auff die kirchen und die darin-
nen von D. Heinrich Muͤllern benennte 4. hauptgoͤtzen/
beichtſtuhl/ altar/ tauffſtein und kantzel
gebauet/ auch die/ ſo
nur im geringſten anders geredet oder gethan/ als Atheiſten/ Ke-
tzer und Heiden angeſehen und tractiret hat. Sondern es haben
ſich auch Fuͤrſten und Herren offt zu verfolgung und verjagung
ſolcher leute durch die Cleriſey bereden laſſen/ und zwar unter
der beyſorge/ das kirchen-regiment ſey mit dem ſtaat ſo genau
verbunden/ daß dieſer ohne jenes nicht beſtehen/ und folglich
durch die genommene gewiſſens-freyheit im kirchen-weſenal-
le/ auch weltliche ordnung untergehen duͤrffte.


11. Hiezu iſt noch dieſes kommen/ daß wenn bey man-
Bchem
[10] chem Potentaten noch ein funcke der Gottesfurcht geblicket hat/
die Cleriſey ſo gleich denſelben auff lauter aͤuſſerliche weiſen ge-
fuͤhret/ wodurch man ſein gewiſſen (ihrer eiteln einbildung
nach) befriedigen und GOtt einen dienſt thun koͤnne. Jn wel-
cher einbildung denn ſolche Herren offt gewaltig wieder alle
zeugen der wahrheit geeiffert/ und alles geſtrafft und vertrieben
haben/ was nur einigen ſcrupel uͤber dem verderbten zuſtand der
kirchen und ihrer diener mercken laſſen, wie die Kirchen-Hiſto-
rie
ausweiſet.


12. Wenn aber nunmehro/ durch GOttes wunderbahre
hand/ vielen/ auch groſſen und hohen in der welt/ und ſonder-
lich in denen Proteſtantiſchen kirchen/ die augen auffgehen/ daß
ſie ihre bißherige verfuͤhrung und ſclaverey ſehen und mit haͤn-
den greiffen: Stehet dieſes anbrechende licht dem feind alles
guten/ und ſonderlich der freyheit/ durch aus nicht an. Und weil
es ihm an den ſubtilſten intriguen und ſcheinbahrſten verſteckte-
ſten ſtreichen noch nie gemangelt/ und wol ſiehet/ daß er in und
durch ſeine werckzeuge mit gar grober und hefftiger behau-
ptung ſeiner altenſaͤtze nicht mehr ſo wol fortkommen kan: So
greifft ers auff andere arth an. Er faͤngt nunmehro auch an/
mit uͤber das gemeine elend zuklagen/ als waͤre es ihm noch ſo
leid/ lernet allerhand frommſcheinende worte nachſchwatzen/
und will den leuten gar weiſen/ wie er auch vom wahren Chri-
ſtenthum
reden und ſchreiben koͤnne.


13. Hiedurch ſucht er ſich einen ſchein und Credit zu ma-
chen/ daß man glauben ſolle: Wan muͤſſe bey ſolchen klagen
nicht eben weiter gehen/ daß man entweder die ſachen in ihrem
rechten grundent decke/ oder gar zur Praxi der ſo lang auffin pa-
pier geſtandenen piorum deſideriorum, klagen und zeugniſſe
ſchreiten/ vielweniger das kirchen-weſen vor frey und nicht
hoͤchſtnoͤthig haltē wolte. Mit dieſer angenom̃enen heuchel und
ſchmei-
[11] ſchmeichel-larve ſuchet er ſeine raub-neſter und pallaͤſte in den
menſchlichen gemuͤthern zu bewahren/ weil er ſich vor dem ſtaͤr-
ckern fuͤrchtet/ welcher zu ſeinem tempel ſelbſt kom̃en und regie-
ren will. Dahero ſchreyet er das crucifige uͤber die/ welche GOtt
mehr als menſchen gehorſam ſeyn wollen/ und wenn er
etwas erbahrer heiſſen will/ ſuchet er eine ſache zu finden
uͤber ihrem Gottesdienſt.


14. Jch will aber hier nichts mehr davon gedencken/ ſon-
dern uͤbergebe hiermit allen Leſern/ und inſonderheit denen
hohen und niedern Obrigkeiten aller orthen/ dieſe wenige
bogen: Worinnen ich auff der gleichen alte gewoͤhnliche ankla-
gen meinetwegen rechenſchafft zu geben gedrungen werde. Es
iſt auff die unpartheyiſche Kirchen-hiſtorie bißher ſo viel er-
folgt/ daß da man derſelben auſſer elenden ſophiſtereyen (da-
mit man ſich zu allen zeiten wieder die gerade wahrheit be-
helffen wollen) nicht beykommen mag noch wird/ man die per-
ſon ſelbſt antaſtet/ und in ermangelung anderer ſachen etwas
von ihrem Gottesdienſt hervorſuchet.


15. Weiln mich aber dißfals ſo wol im natuͤrlichen/ als
Goͤttlichen rechten allzuviel und feſt gegruͤndet weiß/ auſſer
dem ich ſonſt nimmermehr dergleichen bekennen oder thun wuͤr-
de: Als ſind mir neulich die nachfolgende puncte zur beant-
wortung in die feder gefloſſen; Dabey dieſes einige an alle/ ſon-
derlich Proteſtirende Obrigkeiten/ mein ernſtlicher wunſch iſt:
Daß doch einmal in der that undpraxiuͤberall dasjenige
unter ihnen und durch dero ernſtlichen vorſchub lebendig
und kraͤfftig werde/ was insgeſamt wieder den Paͤbſti-
ſchen gewiſſens-zwang in Geiſt- und Goͤttlichen
dingen von
anfang her gelehret worden iſt. Damit nicht weiter ſolche all-
gemeine theure und ewige wahrheit von der freyheit der glau-
B 2bigen
[12]bigen durch die wiedrige praxin gekraͤncket und vernichtet/ die
armen gewiſſen geplaget und zum ſeufftzen gedrungen/ derer
tyranniſchengemuͤther boßheit geſtaͤrcket/ die ſchwachen vol-
lends zuruͤck geſtoſſen/ die andern aber zu ſpott und vorwurff
gereitzet werden moͤgen.


16. Wofern ich die zeit und muͤhe dran wenden wolte/
oder es auch unter denen vor noͤthig achtete/ welche ihre eigene
gewiſſens-freyheit ſelbſt gegen die Catholiquen behaupten/
auch ſo bald ſich einige frucht hervorthun ſolte/ noch im-
mer mehr mainteniren wuͤrden: koͤnte ich eine groſſe menge ſol-
cher gruͤnde und zeugniſſe aus allen zeiten/ Religionen und or-
then vorlegen. Allein ich hoffe und weiß/ daß der ewige Geiſt
GOttes ſelber diejenigen dahin lencken wird/ ſo auff ſeine
wirckungen im gewiſſen nur ein wenig mercken/ und vom
falſchen zorn- und eiffeꝛ-geiſt/ odeꝛ auch vom abeꝛglaͤubiſchen
Heuchelweſen nicht gantz verblendet und hingeriſſen ſind. Und
welche Obern dißfals nur einen verſuch thun/ und denen uͤber
dem gemeinen verderbnuͤß bekuͤmmerten gemuͤthern nur einige
freyheit und erquickung (bey ihrem inwendigen ſchweren kaͤm-
pfen und gebeth vor alle menſchen/ und ſonderlich vor die Obrig-
keit) auff eine zeitlang goͤnnen werden: die werden in der that
erfahren/ daß alle angegebene gefahr oder ſchaden/ durch inter-
eſſir
te auffwiegleriſche leute erdichtet/ und hingegen von ſol-
chen ſtillen im lande/ als denen treueſten unterthanen/
ein ungemeiner ſegen uͤber Obere und untere von GOtt gantz
gewiß erhalten werde.


17. Jmmittelſt und geſetzt/ daß einige ſich von falſchen
Propheten zu gewaltthaͤtigkeit dißfals mißbrauchen lieſſen/
wird dennoch der GOtt aller Goͤtter und der HErr aller
Herren
maͤchtiger werden denn alles/ und mit ſeiner hand
wunder beweiſen/ daß die feinde ſich ſchaͤmen/ ablaſſen/ und
ſeine
[13] ſeine verborgene und friedſame ſicher wohnen laſſen muͤſſen-
Es bezeugen ohne deme die geſchichte aller/ ſo wol Heidniſcher
als Paͤbſtiſcher verfolgungen/ daß durch die verſuchte daͤm-
pfung der Goͤttlichen wercke und zeugniſſe/ und durch den wie-
derſtand die gemuͤther immer duͤrſtiger und befeſtigter und die
ſache ſelbſt weiter bekandt und ausgebreitet/ auch ſo fort gar
allgemein worden. Dahingegen die Obern durch eine vaͤter-
liche gelindigkeit und indulgentz bey gewiſſens-ſachen in ihrem
eigenem gewiſſen ruhig und freudig/ von ihren unterthanen de-
ſto redlichereꝛ liebe und treue verſichert/ und insgemein wahrer
friede und Gottesdienſt bey behalten werden koͤnnen/ wie die er-
fahrung lehret.


18. Wenn auch gleich das gegentheil/ aus denen exem-
peln ſolcher moͤchte beſorget werden wollen/ welche zwar an-
fangs ſtille und unſchaͤdlich geweſen/ bald aber bey erlangter
macht und menge ſich meiſter gemacht. So moͤchte eben die-
ſes ja freylich von allen groſſen partheyen aus den hiſtorien
wahr ſeyn/ und nicht nur von kleinern ſecten/ als Menniſten/
Socinianern ꝛc. Alleine eben dieſes iſt der unterſcheid der ſecti-
rer/ von wahren unpartheyiſchen verborgenen und ſtillen im
lande.


19. Denn jene/ weil ſie einmal von liebe zu ſich ſelbſt/ und
ihren eigenen inventionen/ ſatzungen und eingebildeten erbau-
ungen eingenommen ſind/ koͤnnen nicht anders/ als auff alle er-
ſinnliche weiſe ihre (nach ihrer meinung allein ſeligmachende)
lehre mit liſt oder gewalt fortpflantzen/ und ausbreiten. Die-
ſe aber/ als unpartheyiſche bleiben allerdings unter aͤuſſerlicher
gemeinſchafft einer groͤſſern parthey/ halten dabey mit Petro
alle Gottfuͤrchtende und gerechte aus allem volck vor GOtt an-
genehm und ſelig/ und werden dahero/ wollen und koͤnnen auch
(vermoͤge des wahren ſinnes C Hriſti und ſeiner Apoſtel) nim-
mermehr eigenen anhang/ ſecten und hauffen/ formen oder
B 3wei-
[14] weiſen des Gottesdienſts/ als neue Babyloniſche thuͤrne ma-
chen. Sondern ſie bleiben unter dem aͤuſſerlichen gehorſam
der Obrigkeit nach wie vor/ und verlangen von ihnen nichts
mehr/ als die wolthat der Chriſtlichen Tolerantz und freyheit
in gewiſſens-ſachen. Von denen wahren lehrern aber wiſſen
ſie aus der ſchrifft/ daß ſie uͤber das volck weder herrſchen doͤrf-
fen noch wollen: Die falſchen fliehen ſie hingegen mit ſamt ih-
ren dingen/ als woͤlffe/ abermal nach der ſchrifft und dem exem-
pel aller rechten Chriſten.


20. GOtt aber wird ſelbſt durch wirckliche behauptung
ſeiner eigenen und gerechteſten ſache den außſchlag geben/ und
deroſelben foͤrderer und freunde augenſcheinlich ſchuͤtzen und
ſegnen/ die wiederigen/ aber treulich demuͤthigen und zu ei-
nem andern ſinn bringen!



Gottfried Arnolds
Beantwortung
Der
Cyprianiſchen Beſchuldigungen wider
ſeine perſon.
Das I. Capitel.


1.


ES iſt zwar aus wichtigen urſachen von mir geſchehen/
daß ich in dem II. Tomo der Kirchen-hiſtorie mich oͤf-
fen lich erklaͤren muͤſſen/ wie ich mich mit niemand
uͤber dieſem buche weiter in ſtreit einlaſſen wolle:
Nachdem ich zumal die erſte Wittenbergiſch gegenſaͤtze
ſo gar elend befunden/ daß es der muͤhe unwerth geſchie-
nen/ andern dergleichen wider ſprechern zu begegnen.


2. Al-
[15]

2. Allein ich habe mich gleichwol nirgends verbindlich gemacht/
diejenige verantwortung jemals zu unterlaſſen/ welche den grund und ur-
ſachen entweder der in mich gelegten hoffnung oder auch meines lebens und
verhaltens betreffen moͤchte. Abſonderlich/ weil dieſes niemand anders
thun/ und von meinem ſinn und wandel ſo gewiſſe rechenſchafft geben kan/
als ich ſelber: Jenes aber/ nemlich die unterſuchung der auſſerlichen ſtrei-
tigkeiten/ von tuͤchtigen gemuͤthern nach befindlicher nothdurfft nicht wird
unterlaſſen werden.


3. Da nun ein guter freund von freyen ſtuͤcken mir die nachſtehenden
erinnerungen uͤber Hn. Cypriani ſchrifft (wiewol ohne beygeſetzten na-
men/ welches ihm bey ſo groſſer feindſeligkeit der wieder ſprecher nicht zu
verdencken iſt) zu geſchicket hat/ in welcher dieſem gar deutlich die wahrheit
angewieſen iſt: So nehme ichs/ als eine ſchickung und vorſorge GOttes
vor ſ[e]ine wahrheit und ſache/ mit danck an/ und habe es allen unpartheyi-
ſehen Leſern hiemit durch den druck communiciren ſollen; Dieweil aber
Herr Cypriani auch die gerechte ſache und wahrheit/ durch einige verfaͤng-
liche anklagen wider meine perſon verdaͤchtig und verwerfflich zu machen
ſuchet: Als gibt er mir (nach erkaͤntniß des Goͤttlichen raths und wil-
lens) dadurch anlaß von dergleichen materien ſo wol insgemein/ als auch
wegen meines verhaltens in ſonderheit das jenige immer klaͤrer/ hiemit ein-
mal vor allemal oͤffentlich zu bekennen/ was nach der H. Schrifft/ der er-
ſten kirche/ ja auch nach Lutheri ſinn unwiedertreiblich gewiß und wahr-
hafftig bleibet. Und dieſes iſt hiebey meine abſicht/ da ich ſonſt gerne be-
kenne/ daß ich auffeinige beantwortung dieſer ſchrifft niemals gedacht ha-
be/ weil ich wol weiß/ daß dergleichen elende dinge mit der zeit in ſich ſelbſt
zergehen und zerfallen muͤſſen.


4. Zuvor aber wuͤnſche ich dem Hn. Cypriani und allen/ die dieſes le-
ſen/ daß unſer allgemeiner Schoͤpffer und Gutthaͤter ſein und ihre gemuͤther
von aller ſchaͤdlichen partheylichkeit und verkehrtē ſecten-liebe/ wie auch von
dem gifftigen neid und der daherentſtehenden zanckſucht durch den gemei-
nen liebes-geiſt befreyen und ſie dadurch tuͤchtig mache/ die wahrheit/ als
wahrheit zu faſſen und zu genieſſen/ ohne anſehen der perſon und vor-einge-
nommener meinung/ traditionen oder vaͤterlicher weiſen. Denn wer hie-
bey dieſen vorſatz und grund von GOtt erlanget/ der wird zu ſeiner befrie-
digung und zur gemeinen beſſerung verſtehen koͤnnen/ was ich ſagen will.


5. Vorserſte klager mich Her[r]Cypriani oͤffentlich an: Jch be-
kennete mich zu keiner
NB. ſecte/ und waͤre mit bitterm haß gegen
alle
ſecten angefuͤllet und auff geblehet: am 22. blat ſeiner allgemei-
nen
[16] nen anmerckungen. Hierauff antworte ich (I) Wenn Hr. Cyprian.
ſelbſt den ſonſt infamen und verhaſten titulderſecte auch der Lutheriſchen
Religion ohne bedencken gibt: So mag er niemand verdencken/ der wi-
der den ſchlimmen beynahmen eines Sectirers proteſtirt. Denn in der
ſchrifft und Lutheri verſion wird nur Phariſaſcher/ Saducaͤiſcher
und verderblicher
ſecten/itemder boͤſenrotten/ und rottenmacher/
als werckedes fleiſches gedacht/ Ap. Geſch. V. 17. XV. 5. XXVI. 5.
2. Pet. II. 1. 1. Cor. XI. 19. Gal. V. 20. Jud. v.
19. Daher auch
der Chriſten feinde dasjenige eineſecte/ als etwas arges nach ihrem be-
griff und zweck nenneten/ welches Paulus aber nur einen weg benamte/
und alſo jenes ſchmaͤh-wort tacitè declinirte/ Ap. Geſch. XXIV. 14.
c. XXI[I]X
23.


6. Zum II. Da nun das wort ſecte in der ſchrifft allezeit etwas boͤ-
ſes heiſt/ Hr. Cyprian. aber p. 38. vorgibt/ er pruͤfe ſo gar auch alle ſeine
gedancken nach der ſchrifft/ geſchweige ſeine worte: ſo muß er nothwen-
dig dieſen bibliſchen und zugleich jetzo famoſen verſtand dieſes namens bey
dieſer anklage verſtanden haben und alſo gelten laſſen. Folglich iſt ſeine be-
ſchuldigung ungereimt/ und findet bey keinem nur natuͤrlich-vernuͤnfftigen
menſchen ſtatt: indem mir niemand verargen kan/ daß ich mich zu keinem
boͤſen und infamen dinge bekenne/ ſondern es meide. Denn Lutherus
ſelbſt ſaget: Secten und rotten im glauben anrichten und folgen
heiſſe GOtt in viel Goͤtter theilen/ und ihm viel namen geben/

(Tom. IV. Altenb. p. 366. a.) ja in der that iſt und heiſt eineſecte nichts
anders/ als eine von GOtt offenbarlich verbothene trennung von der wah-
ren allgemeinen unſichtbaren Catholiſchen kirche/ und von deren haupt und
rechten gliedern/ Coloſſ. II. 19. Welches allerdings ein mit der liebe
GOttes und des naͤchſten ſtreitendes werck des fleiſches iſt/ Gal. V. 19.
20. Dahero ich ſelbſt wider alle Sectiriſche abſonderung/ ſelbſt-ge-
faͤlligkeit und eigene erhebung
im II. Th. der K. H. p. 726. num. 4.
vorlaͤngſt ernſtlich proteſtiret habe/ wie es Herꝛ Cyprian. ſelbſt pag. 7. an-
fuͤhret.


7. Vors III aber muß man hier nicht ſophiſtiſcher weiſe unter das ar-
ge ſecten-weſen die perſonen oder leute ſelbſt mit untermengen/ welche
bey dieſer oder jener parthey oder Religion gebohren und erzogen/ auch biß-
hero darinnen unter Goͤttlicher gedult blieben ſind. Denn wie dieſe als
nebenmenſchen von mir nach GOttes befehl geliebet werden muͤſſen/ auch
wol manche bey ihrer einfalt viel gutes von GOtt genieſſen und vor GOtt
wol ungleich angenehmer ſeyn koͤnnen/ als ich oder andere/ daß ihnen alſo
die
[17] die gemeine verderbniß und ſecte nicht eben ſchaden mag: Alſo haſſe ich ſie
durchaus nicht/ ſondern finde durch GOttes gnaden ſtaͤts ein ernſtlich
mitleiden und neigung meines gemuͤths gegen alle leute in der welt/ ſie
wahrhafftig aus ihrem elend frey und gluͤckſelig zu ſehen. Und weil ich nun
dieſes alſo auff mein gewiſſen vor der allſehenden Gottheit außſage und
verſichere: faͤllet Herꝛ Cypriani erſte haupt - anklage von ſelbſten weg/ und
wird zu einer unanſtaͤndigen verlaͤumdung. (Siehe hievon weiter die fol-
genden erinnerungen.)


8. Die andere beſchuldigung iſt/ ich ſeye nicht nur insgemein
keinerſecte zugethan/ oder keinSectirer/ ſondern auch inſonderheit kein
Lutheraner:
Jn der vorrede §. 4. und 10. Nun beweiſet ers zwar da-
ſelbſt mit nichts: und alſo wirds weder ein Catholique noch ſonſt jemand
auff ſein ſagen glauben. Es iſt aber auch dieſe klage aus jetztgedachtem
unterſcheid klar gnug abzulehnen/ und mir ohne dem weder ſchmaͤhlich
noch nachtheilig: Jedoch muß ich anderer wegen etwas hinzufuͤgen/ (zu-
mal Hr. Cyprian. eben hiedurch das abgelegte zeugniß der Kirchen-Hi-
ſtorie
zu vernichten ſuchet) damit er auch hierinnen ſeine unbeſonnenheit
erſehe.


9. So iſt nun (I.) mercklich/ daß andere Lutheraner ſelbſt mich
noch immer ausdruͤcklich unter ſich zu ſetzen pflegen. Der Autor der erinne-
rung
wider meine offenhertzige bekantniß (zu Wittenberg bey Chriſt.
Schroͤdern/ und alſo mit Cenſur der Theologen gedruckt) ſchreibet pag.
A. 2. ausdruͤcklich: Jch verlangete der Lutheriſchen kirche glied-
maß noch immer zu bleiben.
Und in dem letzten Oſter-meß-Cata-
logo
zu Leipzig 1700. ſtehet eines von meinen buͤchern gleich zu erſt unter
den Theologiſchen buͤchern AugſpurgiſcherConfeſſion, woraus mein
anklaͤger mercken mag/ daß er mit ſeinem bloſſen vorgeben kein gehoͤr/ auch
nicht einmal bey ſeines gleichen finde.


10. Wie denn auch (II.) bekant gnug iſt/ und ich niemals zu laͤug-
nen willens geweſen bin/ daß ich in der Lutheriſchen kirche gebohren und er-
zogen/ auff Lutheriſchen Univerſitaͤten ſtudiret und dociret/ ja biß dieſe
ſtunde unter und bey keiner andern Religion als unter den Lutheranern ge-
lebet und auch gepredigt habe/ und zwar allezeit unter ſolchen/ die ſich ſelbſt
vor γνησίως-Lutheriſch/ die Helmſtadter aber meiſt vor halb- oder gar keine
Lutheraner gehalten haben.


11. Jch bekenne auch (III.) frey und ungezwungen/ daß ich Lu-
theri
lehren und abgelegte zeugniſſe ſo wol wider das Antichriſtenthum
der verderbten Cleriſey/ als von dem lautern weg des Evangelii hoch und
Ctheuer
[18] theuer halte. Ja ich finde diejenige alte reineTheologie undReligion
in der praxi zum leben vor die beſte/ und mit dem wahrhafftigen Evange-
lio einſtimmig/ welche er gleich anfaͤnglich aus der H. Schrifft/ und denen
zeugen der wahrheit und Myſticis, ſonderlich dem Taulero und der Teut-
ſchen Theologie wieder hervor gezogen und gegen die Schulgelehrte be-
kandt hat. Davon ſeine vorrede uͤber diß letztere buͤchlein und der 23. brieff
an Spalatinum Tom. I. Epiſt. pag. 32. it. die worte Tom. I. Jenenſ. p.
86. zeugen/ ſo auch ſeine treuernſtliche nachfolger H. Wellerus, Sarcerius
und wenig andere noch mehr bekraͤfftiget/ und dagegen Melanchthonis
heidniſche dinge nicht geachtet haben. Und in ſolchem ſinn kan ich auff-
richtig ohne verſtellung thun/ was Lutherus in denen von Hn. Cyprian.
angefuͤhrten worten p. 20. aus Tom. II. Jen. Germ. p. 92 von denen præ-
tendi
ret/ die ſeine lehre im hertzen vor Evangeliſch halten. Nemlich:
Jch werffe den Luther nicht ſo gar hin/ ich wuͤrffe ſonſt ſeine lehre
auch mit hin/ die ich doch
(dißfals) fuͤr CHriſti lehre erkenne.


12. Allein ich kan auch (IV) nicht laͤugnen/ und habe bißhero aus
der hiſtorie augenſcheinlich erwieſen/ daß Lutherus ſelbſt nach der zeit durch
das elende gezaͤncke und andere verſuchungen von ſeiner erſten liebe und
krafft ziemlich abgekommen/ und daß die/ ſo ſich nach ihm genennet/ ſeine
erſte grundlehren faſt gantz verlohren/ ja noch dazu an andern verworffen
haben/ davon unten einige proben folgen ſollen/ und Hr. Cypriani ſelbſt iſt
klar gnug heraus gegangen/ wenn er alles in allenſecten verdorben zu
ſeyn bekennet: p. 2. §. 1. Dahero man ſich ferner hiebey derjenigen ſreyheit
nothwendig bedienen muß/ welche Lutherus ſelbſt Tom. II. Altenb. p.
755. a.
gibt/ wann er ſagt: Jch habs nicht gern/ daß man die lehre
und leute Lutheriſch nennet/
und muß von ihnen leiden/ daß ſie GOt-
tes wort mit meinem namen alſo ſchaͤnden. NB. item: Tom. II. Alt. p.
836. Jch bitte/ man wolle meines namens ſchweigen/ und ſich
nicht Lutheriſch/ ſondern
NB.Chriſten heiſſen: (welches er aus
I. Cor. III. 4. beweiſt/ und weiter ſetzt) Wie kaͤme ich armer ſtincken-
der madenſack dazu/ daß man die kinder CHriſti ſolte nach mei-
nem heilloſen namen nennen.
Und endlich Tom. II. Jen. Germ. p.
92. Manſolle jaNB.bey leibe nicht ſagen/ ich binNB.Lu-
theriſch/ oder Paͤbſtiſch: Denn derſelben keiner ſey vor uns ge-
ſtorben noch unſer Meiſter/ ſondern allein CHriſtus/ und ſolle
man ſich
NB.einen Chriſten bekennen.


13. Aus welchen allen (V) folget/ daß ſich diejenigen verfallenen
und elenden hauffen/ ohne dem geringſten grund und beweiß/ ja wider Lu-
theri
[19]theri willen und Proteſtation vor wahre Lutheraner ansgeben/ welche
doch in lehr und leben nicht die geringſte krafft und frucht von Lutheri er-
ſtem lauterm ſinn auffweiſen koͤnnen. Und daß dahero auch kein Evangeli-
ſcher Chriſt/ der das weſen des Evangelii von JEſu CHriſto hat und ge-
neuſt/ ſich nach jener gemeinen mißbrauch und falſchem ruhm/ in dieſem ih-
rem ſectiriſchem ſinn ihnen zu gefallen aus menſchlicheꝛ furcht oder hofnung
Lutheriſch nennen koͤnne/ zu mahlen/ nachdem dieſer name zu einer ſo offen-
bahren ſectirerey/ eigener erhebung und verdam mung aller andern men-
ſchen durch die gantze welt mißbrauchet worden/ daß nach obigen gruͤnden
§. 5. 6. 7. nichts geſundes/ oder nach Lutheri ſinn ſchmeckendes mehr dar-
an geblieben iſt. Sintemal dieſer an demim 6. §. benenntem ortgar wol
ſchreibet: Wennſecten und rotten auffhoͤren/ und manrecht in ei-
nerley geiſt/ glauben/ wort und weſen GOtt dienet/ ſo heiſt denn
GOtt Einer/ und ſein name Einer.


14. Hiezu kommt ferner (VI) das klare allgemeine verboth in
der Schrifft aus I. Cor. III. 4. welches Luther ſelbſt anziehet/ und nir-
mand verdrehen oder unkraͤfftig machen kan/ ſo wenig als des HErꝛn JE-
ſu befehl Matth. XXIII. 8. einige einſchraͤnckung bey denen leidet/ die
noch einige veneration vor GOttes wort haben. Wie denn die ſectiri ſche
namen auch denen hefftigſten eifferern ſo gar greulich bißweilen vorkom̃en
ſind/ daß Epiphanius ſelbſt (Hæreſi LXX. num. 15.) aus druͤcklich von
denen Audæanern ſaget: Es ſey recht entſetzlich/ daß die/ welche
doch in der kirche waͤren/ den namen der Chriſten veraͤnderten.
Da doch dieſe
NB.allein mit benamung Chriſti unter Chriſten
vergnuͤgetſey/ und
NB.alle fremde namen verwerſſe. Anſtatt
dieſes namens aber nennen jene ſich alſo
NBvon ihrem urheber/
und fodern ein kennzeichen von
NBdem namen eines bloſſen
menſchen/ welches
NBdurchaus nicht zuzugeben iſt. Dieſer kla-
re außſpruch eines alten beruͤhmten ketzermachers und ſectirers ſolte Herꝛ
Cypriani fein reifflicher bedacht haben/ ehe er ſeinen elenden ſinn p. 17. u. f.
ſo gar ſehr bloß gegeben/ und durchaus einen ſecten-namen allen leuten
auffzuhengen und anzuhefften den namen Chriſti aber wider Lutheri ſinn
auszurotten/ ſich unterſtanden haͤtte.


15. Zumal (VII) man ihn ja billich erſt fragen muͤſte: Zu welcher
parthey derer Lutheraner man ſich denn nun halten ſolle?
Ob zu
denen/ die noch zu Wittenberg auff Luthers catheder ſitzen und trotzen/
und ſich deswegen vor γνησίως oder auffrichtige Lutheraner ausgeben: oder
zu den Helmſtaͤdtern? Item: Ob man das Corpus Julium oder die For-
C 2mulam
[20]mulam Concordiæ beſchwoͤren und unterſchreiben ſoll? Die Wittenber-
ger ſind bißher handgreifflich durch ſo manche zeugniſſe ihres gaͤntzlichen ab-
falls von dem ſel. Luthero uͤberfuͤhret/ und daruͤber verſtummet/ die Helm-
ſtaͤdter ſind von jenen ſchon laͤngſt als Ketzer/ Neultnge/Syncretiſten/
ja als
Muhammetaner aus dem Lutherthum aus geſtoſſen/ und vor nicht-
oder falſch-Lutheriſche
erklaͤret/ auch von dem religions frieden ausge-
ſchloſſen worden/ weil ſie nach der vernunfft eine religions-eimgkeit anrich-
ten wollen/ und daß dieſe ſpaltung und ſectirerey noch daure/ muß Herꝛ
Cyprian. ſelbſt tacitè offenbaren/ wenn Er pag. 81. noch immer nach denen
Syncretiſtiſchen principiis wuͤnſchet und ſuchet/ (welches γνησίως Luthe-
rani
nicht thun) daß alle vorige ſchwuͤrigkeiten mit den Reformirten ver-
graben blieben/ u. ſ. f. ungeacht er ſelbſt unbeſonnener weiſe ſie auffs feind-
ſeligſte p. 78. u. f. anklaget.


16. Wo/ ſage ich/ ſoll man denn nun wahre Luther aner finden/ nach
denen man Lutheriſch heiſſen koͤnte? Soll man ſich mit ſeinem gewiſſen und
gantzen grund der ſeeligkeit an ſolche leute/ als infallibiles oder unbetrieg-
liche
binden laſſen/ die doch ſich ſelbſt untereinander verdammen oder ver-
ketzern? Solte nicht ein Jude/ Tuͤrcke/ Papiſt und dergleichen ſagen/ was
Chryſoſtomus ſetzet (Homil. XXXIII. in Act. Apoſt.) Jch wolte
gern ein Chriſt werden
(oder nach der heutigen redens-art/ mich Lu-
theriſch nennen) aber ich weiß nicht/ wem ich folgen ſoll. Es iſt
ſo gar viel zanckens/ ſtreitens/ und
diſputirens unter euch. Jch
weiß nicht/ welche lehre ich erwehlen/ oder welche ich vor die beſte
halten ſolle u. ſ. f.
Jngleichen was ein Lutheriſcher Juriſt D. Caſpar
Zieglerus
ſetzet/ (Comment. de Epiſcopis. præf) Jndem der hauffe
der Chriſten in gantz verſchiedene parten ohne einige hofnung der
vereinigung getherlet iſt/ ſo daß einer ſagt/ er folge
Luthero,der
andere
Calvino (Calovio oder Calixto) ſo weiß man kaum/ wer
CHriſtozugehoͤret;
und folglich kan man ſich auch nach keinem richten
oder nennen.


17. Oder ſoll man ſich zu einem ſolchen verdorbenen und verworre-
nen hauffen bekennen/ deſſen glieder nun ſelbſt unbeſonnen bekennen/ ſie
ſeyen eineſecte/ man muͤſſe ſich zu ihrer ſecte bekennen? wie Hr. Cypri-
ani
thut: oder zu einem ſolchem/ der ſelbſt in ſeinen anhaͤngern unverſchaͤmt
gnug/ wie Hr. Cyprian. herausplatzt/ und ſagt: Seine mutter ſey eine
hure/
und beweiſt es noch fein dazu aus der Schrifft p. 43. Oder ſoll ein
wahres kind GOttes und des obern Jeruſalems eine ſolche hure vor ſeine
mutter erkennen/ welche ihren kindern vergoͤnnet/ und als GOtt gefaͤllig
ein-
[21] eindruckt/ daßſie einander ſelbſt freſſen/ ruiniren/ und todtſchlagen? wie
nach der Gottloſen lehre derer zanck- Theologen (wider die erſten grund-
lehren CHriſti von der liebe des naͤchſten) in ſo vielen kriegen geſchehen/
und jetzo wiederum zwiſchen Lutheriſchen Potentaten geſchicht. Ja wel-
che auch ſelbſtihre haͤnde mit unſchuldigem blut ſo vieler zeugen GOttes
beſudelt/ und noch immer ihre rachgier und blutduͤrſtigkeit durch den miß-
brauch des brachii ſecularis ungeſcheuet offenbaret/ wie aus meiner kirchen-
hiſtorie zu ſehen/ und durch Hn. Cypriani arge ſchrifft nun wieder auffs
neue offenbahr worden iſt.


18. Da ſiehet ja nun der Autor allzuoffenbahrlich/ daß er keinen
rechtſchaffenen Chriſten durch ſeine ſophiſtereyen bereden koͤnne noch wer-
de/ daß er ſich Lutheriſch nennen ſolle und muͤſſe: und folglich wird er mit
ſeiner unbeſonnenen klage nicht auskommen/ daß ich kein Lutheraner
ſey/ und von dem Lutherthum ausgegangen:
Denn ich wiederho-
le nochmals kuͤrtzlich meine erklaͤrung. NachLutheriund ſeiner ge-
huͤlffen erſten lautern ſinn und vortragkan ich allerdings mich ſo
fern einen Evangeliſchen oder wieder alles grobe und ſubtile
Pabſthum
proteſtirenden/ ja auch einen Lutheraner nennen und
nennen laſſen/ und bin und bleibe
(auch wieder Hn. Cypriani danck
und willen) im Roͤmiſchen Reich des Religions-friedens (ver-
moͤge der mir durch GOttes verſehung von hohen Potentaten
ungeſuchtertheilten und von mir mit demuͤthigem danck erkand-
ten freyheit und ſchutzes
) faͤhig und theilhafftig. Nach dem offen-
bahren verderben aber und ſectiriſchen greuel des jetzigen Lutherthums habe
ich mit ihren wercken der finſternuͤß nichts zuthun/ und bin weder ein fal-
ſcher/ noch ein (im Wittenbergiſchen ſinn) γνησίως-Lutheraner/ noch ein
Syncretiſte, noch etwan dergleichen. Ja ich kan mich ſo wenig vor einen
Lutheraner im gemeinen verſtand/ als vor einen Tuͤrcken/ Hey-
den und Barbaren bekennen. Weil vorlaͤngſt in gantzen buͤchern von Lu-
thero, Fritſchio, Lubberto
und andern bewieſen iſt/ daß die Lutheraner
noch aͤrger als Heyden und Tuͤrcken ſeyn und leben. Und alſo iſt es zwar
wahr: Jch lebe unter Lutheranern und bin (mit den Juriſten zu reden) in
ihrem territorio, aber nicht de territorio illorum, ſo ferne nemlich ſie offen-
bahrlich verdorben und verfaͤlſcht ſind/ welches bald nach ſonderbahren um-
ſtaͤnden deutlicher werden ſoll.


19. Unter deſſen und ob man wol mit dem verderben einer ſecte keine
gemeinſchafft haben/ ſondern allerdings davon ausgehen ſoll und muß/ will
man anders von GOtt auffgenommen werden/ nach ſeinem klaren wort/ 5.
C 3Buch
[22] Buch Moſ. VII. 2. 1. Sam V. 1. 2. 1. Koͤn. XIIX. 21. Eſai. LII. 11.
Jerem. XV. 19. 2. Cor. VI.
14. u. f. ſo hat und behaͤlt man doch noch ge-
meinſchafft mit denen darinnen verborgenen des HErrn/ gleich wie mit
der gantzen Catholiſchen unſichtbahren kirche in der gantzen welt.
Dieſe gemeinſchafft iſt geiſtlich und unſichtbahr/ und kan dahero keinem
von einiger creatur diſputirt oder genommen werden/ ſie murre dawieder/
ſo lang ſie will.


20. Noch vielweniger kan jemand einen andern/ und alſo Herr
Cypriani mich zu einem rechten formalen ketzer machen ohne ausfuͤhrli-
chen und umſtaͤndlichen beweiß/ ob er noch ſo gerne wolte. Denn nach
dem er mich (ſeiner elenden meinung nach) aus dem Lutherthum hinaus-
geſtoſſen. So wirfft er mir (nach gemeiner mode) einen hauffen ketzer-
zunamen der Weigelianer/ Quaker, Socinianer ꝛc. hinten nach/ und
denckt/ nun ſeyich mehr als civiliter mortuus, und vor aller welt ein ketzer.
Jch will aber hievon noch unten im IV. Cap. etwas melden/ und das uͤbri-
ge den freund in der folgenden ſchrifft reden laſſen. Hier aber nur dieſes
eintzige erwaͤhnen: Der Herr Cypriani hat unwiſſend mir damit die ehre
angethan/ und das zeugniß oͤffentlich gegeben/ welches alle diejenigen von
den ketzermachern und ſectirern genoſſen/ ſo die wahrheit ohne menſchen-
anſehen geſchrieben haben. Er ſelbſt ſetzet p. 2. unter die zeugen des Lu-
theriſchen verfalls
Gerhardum, Meyfartum und andere: Dieſe aber
ſind/ wie Joh. Arnd, ausdruͤcklich von denen Lutheranern Weigelianer/
Roſencreutzer ꝛc. geheiſſen worden; Wie ich im II. Theil der Kirchen-
hiſtorie p. 467. 481. und ſonſten gewieſen. So ſiehet er nun/ daß es
nunmehr Synonyma und Ehren-titul worden ſeyn. Ein zeuge der
wahrheit/
(dazu ich mich zwar noch viel zu gering und elend weiß/ und
deßwegen nur anderer zeugnuͤſſe vorgeleget habe) und einWeigelianer/
Roſencreutzer oder
Quaker. Hingegen daß der name eines Ketzer-
machers oder meiſters/ eifferers/
orthodoxenfectirers/ rottenma-
chers u. ſ. f.
nunmehro vor der ehrbahren welt/ und ſonderlich verſtaͤndigen
Regenten/ beſorglich ſehr unangenehm ſey/ und noch vielmehr bey durch-
bruch des allgemeinen lichts werden ſolle. So viel von denen erſten ankla-
gen wegen der ſectirerey.



[23]

Das II. Capitel.
Von dem gemeinen Kirchengehen.


1.


JCh koͤnte dieſes punctes wegen zwar dabey beruhen/ was ich in
der bekaͤntniß von ablegung meinerAcademiſchenProfeſ-
ſion
und letztens in der ſechſten edition derſelben im II. anhang
vorgelegt habe. Jedoch weil dieſe Materie jetziger zeit immer mehr auffs
tapet zu kommenpflegt/ und viel gemuͤther entweder zweiffelhafft oder un-
gleich davon unterrichtet ſind: Will ich eine kleine zeit daran wenden/ je-
doch auſſer aller zanckſucht/ bloß zur gemeinen beſſerung/ und moͤglichſter
wegraumung derer auch ſcheinbahrſten vortheile.


2. So iſt nun des Autoris dritte klage uͤber mich/ daß ich in keine
kirche komme/
p. 22. Worauff ein geſcheider leſer folgende antwort ver-
nehmen wolle/ ob ich ſchon nicht eben die ſache vor ſo wichtig halte/ daß ich
mich muͤhſam entſchuldigen muͤſte. (I.) Jſt allerdings falſch/ was
er mir ſchuld gibt/ und zwar vielleicht nur vom hoͤren ſagen/ oder durch
feindſelige brieffe (deren er gedenckt) oder wol gar nur aus bloſſem arg-
wohn: Denn ich kan mit vielen glaubwuͤrdigen perſonen (auch etlichen
Orthodoxen Predigern) bekraͤfftigen/ daß ich auch in dieſen 2. jahren/
ſeit dem ich allhier lebe/ unterſchiedene/ an ſich unſchuldige actus Eccleſia-
fticos,
als da ſind/ predigen/ der tauffe als ein zeuge mit gebet beywoh-
nen/ und dergleichen) auff erforderung gerne verrichtet habe. Und da
ich jetzo als ein privatus nirgends (nach gemeiner Papiſtiſcher weiſe) ein-
gepfarret/ ſondern durch GOttes gunſt frey bin: pflege ich freilich nicht
eben an einem gewiſſen ort oder ſtand ex opere operato nach dem alten
ſchleudrian zu erſcheinen. Sondern ich hoͤre nach gelegenheit bald dieſen
bald jenen Prediger in einem oder dem andern kirch-hauſe mit an/ oder laſ-
ſe es auch woldann und wann nach meiner freyheit bleiben. Zumal von
mir die kirchen weder lediger noch gefuͤllter werden/ und immer noch unzeh-
lich viel ſchlaͤffer/ ſchwaͤtzer und ſonſt liederlich geſinde gnug hinein laͤufft/
daß ſich niemand annoch uͤber verlaſſung oder ledigkeit der kirchen beſchwe-
ren darff/ wie ehemals die Heidniſchen Pfaffen/ als CHriſtus bekandt
wurde/ thaten.


3. Wie ich nun gedachter maſſen allerdings inviele kirchen kom-
me/
alſo verſichere ich den Herꝛn Cypriani (II.) Daß es ihm nicht wuͤr-
de an-
[24] de angenehm fallen/ wenn ich dasjenige handgreiffliche elend und die ent-
ſetzliche thorheiten/ welche an allen orthen/ in den gemeinen predig-
ten und kirchen-dingen angemercket werden/ allhier zur probe und zum be-
weiß/ daß ich in die kirchen kaͤme/ anfuͤhren wolte. Der greuel der ver-
wuͤſtung iſt ſo groß und unlaͤugbahr allenthalben/ daß ſich ein nur natuͤr-
lich-redlicher menſch deſſen ſchaͤmen und wuͤnſchen moͤchte/ daß doch
ja kein anderer/ als blinde/ taube/ ſtumme und lahme in die Lutheriſchen
kirchen kommen moͤchten/ damit ſie nicht bewogen wuͤrden/ davon zu zeu-
gen. Ja es iſt zuver muthen/ daß nach und nach das bladt ſich umkehren/
und man nicht mehr/ wie Herꝛ Cypr. thut/ das kirchengehen vor ein kenn-
zeichen eines Chriſten moͤchte ausgeben duͤrffen/ ſondern der entgegenge-
ſetzten praxi wegen des allzuerſchrecklichen jammers nirgends wiederſte-
hen koͤnne.


4. Hingegen (III.) wuͤrde man ſich von hertzen erfreuen/ und mit
groſſem danck annehmen/ wenn man in denen kirchen CHriſtum JEſum
und ſeine Goͤttliche lehre lauterlich/ weißlich/ kraͤfftig und ohne menſchen-
tand in beweiſung des geiſtes und der krafft vortragen hoͤrte.


5. Wie denn auch (IV.) kein verſtaͤndiger und beſcheidener Chriſte
das kirchen-weſen an ſich ſelbſt gantz verwerffen/ oder dem unwiſſen-
den rohen volck/ welches auch aͤuſſere zucht und ordnung hoͤchſtnoͤthig hat/
das kirchengehen und dergleichen an ſich ſelbſt abrathen wird: Gleich wie
auch insgemein gar nie mand ſich deswegen vor heilig oder beſſer als ande-
re halten darf/ oder kan/ weil er nicht in die kirche gehe/ oder das verderbnuͤß
ein wenig kennen lerne. Aber das waͤre dabey zu wuͤnſchen/ daß die armen
leute auch in der kirche etwas gutes ins hertze kriegten/ daraus ſie wuͤrck-
lich erfuͤhren/ wie hart ſie in ihren natuͤrlichen greueln gefeſſelt und gefan-
gen liegen/ und wie ſehnlich ſie ihr ſchoͤpffer heraus zureiſſen begehre/ wenn
ſie ſich zu ihm wendeten. Ob aber dieſes bey den gemeinen predigten ih-
nen ins gemuͤth gedruckt/ und das kirchengehen alſo nuͤtzlich werde; da-
von weiſen leider alle ſtaͤdte/ flecken/ haͤuſer und menſchen allzuoffenbahr-
lich das gegentheil. Wers ſehen will/ darff nicht weitlauffen/ an ſonn-
und feyertagen ſieht mans wol.


6. Wir wollen doch (V.) um derer willen/ die mit Hn. Cypriani
aus dem kirchengehen einen character des Lutheriſchen Chriſtenthums/ und
mithin einen goͤtzen machen/ nur etliche aus ſagen und bekaͤntniſſe ihrer ei-
genen leute anhoͤren/ weil ich ſolche dinge in groſſer menge vorlaͤngſt noti-
r
et habe/ und ſie nur darff excerpiren laſſen. Die erſten klagen Lutheri
und anderer aus dem 16. jahrhundert ſind in der Kirchenhiſtorie im II.
theil
[25] theil. p. 116 u. f. haͤuffig zu ſehen. Jn dem 17. Seculo, bald um den an-
fang ſchrieb von dem Paͤbſtiſchenopere operatoder Lutheraner im kir-
chengehen
der Lutheriſche Profeſſor zu Altorff (ein Braunſchweiger
und Helmſtaͤdtiſcher D[i]ſcipul) Conr. Rittershuſius in lectionibus S. Lib.
III. cap.
12. Jch fuͤrchte/ es koͤnne auch jetzo von vielen allzuwahr
geſaget werden/ daß die kirchen - verſammlungen gar nicht aus
ernſt geſchehen/ ſich zu beſſern/ ſondern nur
NB.aus gewohnheit
und geboth/ oben hin/
item,daß ſie einander ſehen und ſich ſehen
laſſen.
Und bald darauff klagte ein Lutheriſcher Prediger und Superint.
zu Noͤrdlingen mitten unter den kriegsplagen: Wir muͤſſen mit unſe-
rer groſſen ſchande und ſchaden bekennen/ daß die himmel-ſchrey-
ende ſuͤnden auch bey uns
NB.im hoͤchſten ſchwange gehen. Wo
wird grauſame abgoͤtterey veruͤbet? Jn Teutſchland: Das ge-
geſchicht — von uns Evangeliſchen ſelbſt — wo iſt heucheley[?]
Jn Teutſchland. Da kan man ſich aͤuſſeꝛlich gar fromm und heilig
ſtellen/ man geht in die kirchen/ findet ſich ein in die betſtunde
— wenn aber der hertzenkuͤndiger hinein ſiehet/ ſo ſitztein ſchreck-
licher Phariſaͤer drinnen.
Matth. VI. 5. Wo iſt verachtung
GOttes und ſeines worts? u. ſ. f.
(Georg Albrecht im himmels - rie-
gel Conc. II. p. 147. u. f.)


7. Man hoͤre ferner. Was D. Joſua Stegmannus Theol. Doct.
und Prof. zu Rinteln von der ſchaͤndlichen heucheley der kirchgaͤnger ſaget
in ſeinem wahren Chriſtenthum/ p. 52. Es werden vielleicht diejeni-
gen ſich gerne wollen entſchuldigen/ daß ſie nicht aͤrger als die
Heiden ſeyn/ die da
NB.fleißig zur kirchen gehen/ gerne Gottes
wort hoͤren/ des jahrs etlichemal
confitiren und beichten/ ehr-
bahr leben/ und alſo ihrem beduͤncken nach alle ſtuͤcke des Chri-
ſtenthums an ſich haben. Mit ſolchen gedancken ruͤhmet und
erhebet ſich mancher/
(wie Herr Cypr.) als wenn in beſagten aͤuſ-
ſern wercken das Chriſtenthum beſtuͤnde. Aber es iſt
NB.ein bo-
trug des teuffels und der leute blindheit/
ꝛc. Ein anderer Luth. Pa-
ſtor Paulus Egardus
ſchreibt in Mundo immundo, oder falſchem Chriſten-
thum der welt Cap. VII. p. 32. von den falſchen Chriſten: Sie gehen zur
kirchen/ nicht aus liebe des HErrn und ſeines worts/ nicht im
geiſt/ nicht mit heiliger luſt und andacht/ ſondern nach ihrer al-
ten gewohnheit und weiſe/ zur geſellſchafft/ oder daß ſie geſehen
werden/ etwas neues hoͤren/ die zeit hinbringen/ und ſich mit an-
dern bereden und ihreſachen beſtellen. Da iſt nicht luſt/ liebe

Dund
[26]und willen ſich zu beſſern/ und in der gottſeligkeit zu wachſen.
Sie meinen/ wenn ſie nur zur kirchen gangen/ und ſich ſehen laſ-
ſen ſey alles wol. Siegehen
NB.in den aͤuſſern tempel/ in ſtein und
mauer-kirchen/ aber nicht in den innern tempel des hertzens u. ſ. f.


8. Unter den neuen Lutheriſchen Scribenten ſind dergleichen zeugniſſe
noch ungleich mehr zu finden/ davon ich nur etliche anzeigen will/ und zwar
aus ſolchen buͤchern/ welche unter ihnen bekandt und unverwerfflich ſind.
So bekennet ein Prediger bey Luͤbeck/ Henricus Lubbertus im tractat vom
kirchen bann p. 74. von denen Lutheranern ein AtheiſtiſchesEpicuriſches
weſen/ dabey ſie ſich zwar dann und wann zur kirchen und Abendmahl
hielten/
aber bey dem groſſen hauffen ſey es lauter ſpiegelfechten/
und geſchehenur vor den leuten/ das innerliche Chriſtenthum ſey
nicht dabey:
Wie er auch das Lutheriſche Heidenthum in einem ei-
genen buch noch neulich bewieſen hat. Der Herr Cantzler Fritzſch nennet
aus den Propheten die Lutheriſchen heuchel-Chriſten zau berer und goͤ-
tzendiener/
weil ihr opffer und Gottesdienſt/ NB.nur im aͤuſſerlichen
beſtehet/ im kirchgehen/ beichten/
com̃uniciren/ u. ſ. f. Bibl. ſeelen-luſt
p. 25. Der Prediger auf der Univerſitæt Roſtock Theoph. Großgebauer hat
in dem gantzen XI. Cap. ſeiner waͤchter-ſtimme p. 189. biß 222. bewie-
ſen: Daß der oͤffentliche elende uneꝛbauliche Gottesdienſt eine
urſache des ungeiſtlichen ungoͤttlichen weſens
in Lutheriſchen kir-
chen ſey. Zu geſchweigen/ was Scriver (welchen ich mit erlaubnuͤß
Hn. Cypriani nenne/ weil er ihm nicht eben ſo viel autoritæt will laſſen)
im ſeelen-ſchatz. 1. Th. p. 886. 1376. 1520. 1569. 1833. der ſo genandte
Juſtus Klaͤger/ in beſchreibung des jetzigen unlautern Lutherthums/ p.
20. u. f. Brunnemannus in jure Eccleſ. Lib. I. c. 1. p. 4. D. Henr. Muͤller
im punctiren von den 3. hauptgoͤtzen des Lutherthums/ und in ſei-
nen ſchriften durch gehends/ Ahaſverus Fritſchius hin und wieder/ Spenerus
und faſt unzehliche andere biß auff dieſe ſtunde davon geſagt haben.


9. Nun moͤchte zwar Herr Cypriani einwenden/ dieſes groſſen
mißbrauchs wegen bey dem gemeinen volck duͤrffe man eben die kirchen
nicht meiden. Allein wir wollen nun aus der Lutheraner eigenem munde
hoͤren/ daß ihr gantzes kirchen. weſen mißbrauch und greuel ſey/ weil dieje-
nigen/ ſo es treiben/ nemlich die Prediger/ ſelbſt mit ihren lehren und leben
nichts taugen. Die erſchreckliche klagen/ welche ſchon bald nach dem ur-
ſprung der Lutheraner von vielen unter ihnen publiciret worden/ kan man
in der K. H. im XVI. buch cap. 14. u. f. nachſchlagen. Wir wol-
len nur von ihren predigen etwas vernehmen/ da mit man abermal ſehe/ wie
vergeb-
[27] vergeblich ſie ſich heutiges tages beſchweren/ wenn man ſie nicht hoͤren
wolle.


10. Um das ende des XVI. Seculi ſchrieb D. Chytræus Prof.
zu Roſtock in Prolegom. Rhetor. von denen liederlichen predigten/ kurtz
und gut: Etliche Prediger ruͤhmen ſich/ ſie ſchuͤtten die predigten
aus dem ermel. Dieſe narꝛheit und faulheit ſolte ihnen wol mit
pruͤgeln ausgetrieben werden.
Und D. Ægidius Hunnius Prof. zu
Wittenberg in Meth. Conc. Tom. III. Opp. p. 1037. Etliche Predi-
ger haben luſt an hochtraben den hoffreden; andere
agiren aus lie-
derlichem ſinn auff der cantzel mehr einen pickelhaͤring/ als predi-
ger; andere bringen einen groſſen theil der predigt mit lateini-
ſchen ſpruͤchen zu/ etliche wiederholen ein ding immer. u. ſ. w.


11. Weiter hin hat der bekandte Dillherꝛ uͤber das thoͤrichte fabel-
werck in den predigten
hefftig geklagt in II. Th. der Poſtill p. 464. und
607. und Daniel Claſenius ſchrieb in ſeiner Religione Politica p. 26. Es
iſt wahr die
NB.taͤgliche erfahrung lehrets/ daß etliche im pre-
digamt nur zur pralerey predigen/ und ihre reden mit ein hauffen

diſputiren/critiſiren in fremden woͤrtern/allegiren vielerAuctorum
hiſtoͤrigen/ narrenpoſſen/ thorheiten/ lappalien/ und hochtra-
benden worten/ ſo gar zu ſchanden machen/ daß bißweilen der
gantze hauffe ins lachen ausbricht/ und redliche zuhoͤrer einen
eckel uͤber ſo thoͤrichten predigten haben.
Wie auch Paulus Egar-
dus
im falſchen Chriſtenthum p. 98. Sie (die Prediger) ſuchen ſich
ſelbſt und ihre eigene ehre/ daß ſie menſchen gefallen/ und machen
aus CHriſto eine ſubtile kunſt/ und befleißigen ſich/ daß ſie durch
ihre zierliche zunge/ durch artliche und kuͤnſtliche weiſe CHri-
ſtum predigen/ durch lateiniſche/ griechiſche/ ebraͤiſche ſpruͤche/
die ſie einfuͤhren ein groß anſehen erlangen/ und fuͤr gelehrte und
fuͤrtreffliche maͤnner gehalten werden. Alſo hangen ſie mehr an
ihrer kunſt und weißheit/ denn an CHriſto/ und ziehen alles in ih-
re vernunfft/
gloriren davon/ brauchen ſchoͤne und hohe worte/
aber im innern grund iſt nicht licht und wahr heit zu finden.
(Der
Herr Cyprian. kan hiebey bedencken/ mit was recht er ſolchen redlichen zeu-
gen noch rhetoriſche figuren andichten koͤnne p. 101. welche ſelbſt dawi-
der als einen greuel des Heidenthums geeiffert haben.


12. Noch ferner zeugethievon D. Henr. Muͤller in der vorrede uͤber
D. Luͤtkemanns harffe: Es fehlet leider !NB.uͤberall! vieler
(Prediger) worteſind nur ein wind ohne krafft/ geiſt und leben/
D 2voller
[28]vollerkunſt/ aber ohne brunſt/ mehr gerichtetNBzum verder-
ben/ als zum leben. Wie mancher redet/ nicht des HErꝛn/ ſon-
dern ſein eigen wort/
NBluͤgen/ und nicht wahrheit/ nicht was
ihm CHriſtus ins hertze geleget/ ſondern ein altes loſes weib. —
Wie mancher fuͤller ſeine zunge mit
NB.hoͤlliſchem gifft an/ be-
ſpeyet die cantzel mit gottloſen
affecten/ predigt nicht aus dem
geiſt/ ſondern aus dem fleiſche/ nicht aus GOtt/ ſondern
NB.
dem teuffel/ nicht zum leben/ ſondern zumNBtod/ u. ſ. w. Von
welchem gezaͤncke und aͤrgerlichen haͤndeln auff den cantzeln auch der Leipzi-
ger Juriſte Bened. Carpzovius ſelbſt viel klagt in Juris-Prud. Eccleſ. Lib. III.
tit. IX. def. 98.
§. 9. und der Wittenbergiſche Caſpar. Zieglerus in Cleri-
co renitente præf.
§. 3. Der die naͤrriſche pralerey derà la modepre-
diger abmahlt;
imgleichen der Franck furtiſche Brunnemannus, der ſon-
derlich das liederliche poſtillen reiten nebſt faſt unzehlich andern verab-
ſcheuet. Anderer/ zumal der neueſten Scribenten/ beyfall hierinnen zu ge-
ſchweigen.


13. Ob nun wol hier aus ſo wol als aus der erfahrung unlaͤugbar er-
hellet/ daß die Lutheriſchen Prediger durchgehends faſt nicht allein nichts
nutzen/ ſondern auch hoͤchſtſchaͤdlich ſeyn: ſo wollen wir doch noch etliche
teftimonia von den fruͤchten ihrer Prediger aus ihnen ſelbſt herholen. So
fraget der alte Rittershuſius in Lect. S. Lib. VI. cap. 13. Warum doch
bey ſo vielen predigten/ davon alle winckel voll waͤren/ gleichwol
ſo wenig gebauet wuͤrden/ und die boßheit der leute ſo hoch geſtie-
gen/ daß ſie nicht aͤrger werden koͤnne? Und antwortet ſelbſt dar-
auff: Die meiſte urſacheſey/ weil die alten mehr mit dem leben/
als reden gelehret/ ſo haͤtten ſie noch mehr eingang bey den leuten
gefunden.
Brunnemannus bekennet auch l. c. p. 293. Die predigten
helffen wenig/ weil ſie immer gehalten werden/ und die Prediger
allzukaltſinnig und gelind ſeyn/ welche denn der kirche mehr ſcha-
den/ als offenbar gottloſe.
Wie auch D. Kortholt in der ſchweren
buͤrde des pred. p. 14. und 58. Man haͤlt davor/ es beruhe hier nur
bloß darauff/ daß einer eine fertige zunge/ angenehme ſtimme/
und gut gedaͤchtniß habe/ damit er die aus der poſtill etwa ent-
lehnete predigt/ wol in den kopff faſſen/ und dem volck vorſagen
koͤnne. — Jch frage aber/ ob denn die manchfaltige ſeelen-ge-
fahr durch die bloſſe predigten/ wie ſelbige insgemein nach der red-
ner-kunſt abgefaſſet werden/ dergeſtalt abgewandt werde?


14. Man ſehe hievon weiter D. J. Andreæ hundertjaͤhriges beden-
cken/
[29] cken/ p. 178. u. f. Ant. Reiſeri Gravamina non injuſta, uͤber den zerruͤtteten
zuſtand des Evangeliſchen kirchen-weſens p. 107. u. f. Großgebauer l. c.
cap. VI. pertot. Scriver.
im Seelen-ſchatz im I. Th. p. 998. II. Th. p.
1188. Quenſted
en Ethicâ Paſtorali, hin und wieder/ ſonderlich p. 283.
da er weiſet/ wie die liederlichen Prediger offt billich von ihrenzu-
hoͤreꝛn ausgelachet und verachtet weꝛden/ weil ſie ſo viel unbeſon-
nenzeug herausgoͤcken.
Und p. 382. Wie derjenige mund nim-
mermehr GOttes mund heiſſenkoͤnne/ der liederliche/ naͤrriſche
und gottloſe dinge auff der cantzel ausſchuͤtte/ als ein hoff- und
tiſch-narꝛ
item p. 471. da er allerhand exempel ſolcher vollen Predi-
ger benennet u. ſ. f.


15. Nicht allein haben die Lutheraner ſelbſt ihre eigene gemeine verderb-
te predigt-art vor unnuͤtze und ſchaͤdlich bekant/ ſondern auch ihren gantzen
vermeinten Gottesdienſt alſo beſchrieben und verworffen/ und zwar/ weil
dieſer den wahren inwendigen Gottesdienſt nur hindere/ und auffhalte/ wie
ſchon aus obigen ſtellen klar iſt. Ja auch Lutherus ſelbſt redet allzuklar
hievon in der Kirchen - Poſtill. Feſt-Th. am kirchweih. p. 66. I. (edit.
Witteb.
1553.) Es ſey denn/ daß ihr die hertzen der menſchen von
dieſem gepraͤnge und aͤuſſer lichen larve errettet und frey machet/
wird CHriſtus keinen raum noch ſtatt in ihnen finden. Es muß
alles hinweg/ wenn anders CHriſtus in dir wohnen ſoll.
u. ſ. w.
Welches er uͤberall/ ſonderlich bey der materie von den kirch haͤuſern ſcharff
urgiret/ wie in der K. H. XVI. B. 11. c. 16. num. und ſonſt gewieſen
iſt. Ja in den Symboliſchen buͤchern ſelbſt/ nemlich in der Apologia A.
C.
in IIX. Artickul wird beſohlen: Man muͤſſe gottloſe lehrer ver-
laſſen/ weil ſie nicht die perſon CHriſti vertreten/ ſondern des Wie-
derchriſts.
Dieſer außſpruch ſtehet nicht umſonſt in einem Symboliſchen
buche.


16. Weil nun dieſes Lutheraner ſelbſt mit ſo klaren worten beken-
nen/ daß der gemeine kirchen-dienſt nicht allein an ſich ſelbſt unnoͤthig/ ſon-
dern auch nach ihrer heutigen praxi gar ſchaͤdlich/ verderblich/ toͤdtlich und
verdammlich ſey; ſo koͤnnen ſie ja keinen menſchen/ der daraus bleibet/ es
verargen/ vielweniger jemanden mit recht und fug dazu zwingen/ noͤthi-
gen oder verbinden/ am allerwenigſten aber aus ſolcher gebrauchten und
behaupteten gewiſſens- freyheit andere præjudicirliche ſchluͤſſe machen.
Da aber dieſes Hr. Cypriani wider mich dennoch ſich unterſtanden hat/
wird ſein ungereimtes vornehmen deſto billicher ſchon von allen geſcheiden
impartheyiſchen gemuͤ. hern vor nichtig erkant.


D 317. Jch
[30]

17. Jch will mich jetzund nicht in den ſtreit einlaſſen/ wie groß und
unumſchrenckt die freyheit eines wahren Chriſten von dem gemeinen kir-
chen - dienſt ſey und ſein muͤuſſe. Es haben dieſes vorlaͤngſt auch viel gelehr-
te unter denen Lutheranern ausgemachet/ daß der wahre Gottesdienſt
allein GOtt angehe/ daß dazu nicht eben an ſich ſelbſt eine ver-
einigung vieler leute zugleich noͤthig ſey/ daß dieſer keinem da-
durch heilſamer werde/ wenn viele mit einander dabey eins ſind/
daß daher auch wolin der ſtille und einſamkeit auſſer kirchen und
verſammlung GOtt gedienet werden koͤnne. Sie haben bewie-
ſen/ daß nachdem die leute gewiſſe
formen undceremonien im Got-
tes dienſter dacht/ zwar es wol fein ſtuͤnde/ wenn dieſe in einer

Republiqueeinfoͤrmig waͤren: Gleichwol aber doͤrfften ſich Re-
genten deswegen nicht eben aͤngſtlich bemuͤhen/ weil ſolcher un-
terſcheid die Religion ſelbſt nicht auffhebe/ noch vor ſich ſelbſt
uneinigkeit mache/ und alſo dem
Magiſtratkein ſchade davon er-
wachſe.


18. Auch hat dieſe grund-ſaͤtze niemand bißhero noch mit beſtand
umſtoſſen koͤnnen: Daß nach der natuͤrlichen Religion aller aͤuſ-
ſerlicher Gottesdienſt
indifferentund unnoͤthig ſey/ theils weil GOtt
„auff ſeiner ſeite als ein hertzenskuͤndiger/ und alſo ſolcher aͤuſſerlichen zei-
„chen der innern devotion nicht benoͤthiget ſey/ theils weil auff des men-
„ſchen ſeite der aͤuſſerliche Gottesdienſt mit der buͤrgerlichen ſocietaͤt keine
connexion habe/ und alſo dieſe durch unterlaſſung jener gar nicht lædiret
„werde/ ſondern ſich ein jeder dazu durch viel gewiſſere kennzeichen (als
das heuchleriſche ceremonien-weſen iſt) legitimiren muͤſſe/ nemlich durch
haltung deꝛ geſetze/ und leiſtung deꝛ ſchuldigen pflichten gegen andere/ u. ſ. w.
Vid. Puffend. de Habit. Relig. §. 3. \& 7. C. Thomaſ. Diſſ. de jure Principis
circa Adiaphora §. I. Item
ſitten-lehre cap. III. num. 31. u. f.


19. Aus dem Goͤttlichen offenbahrten willen und recht iſt bereits in
der abbildung aus fuͤhrlich dargethan worden/ daß der wahre Goͤtt-
liche dienſt geiſtlich/ innerlich/ und alſo frey/ an keinen orth/ zeit
oder andere umſtaͤnde gebunden ſey/
aus Rom. XII. 1. XIV. 17. u. f.
Jac. 1. 27. Rom. I. 9. Phil. III. 3. 1. Theſſ. I. 9. \&c. Siehe das II. B. 1. cap,
num.
1. u. f. p. 145. Und dieſes iſt eben daſelbſt/ wie auch in der Kirchen-
Hiſtorie im I. B. 2. cap. §. 5. und II. B. cap. 3. §. 4. aus durchgaͤngiger
beyſtimmung der alten dargethan worden/ wozu ich hie bey dieſer gelegen-
heit/ nur noch einen ſehr merck wuͤrdigen orth eines Alt-vaters fuͤgen will/
darinnen er ſehr weißlich die ungeuͤbten und rohen leute von geuͤbten und
wah-
[31] wahren erleuchteten oder auch ſtarcken Chriſten unterſcheidet/ und dieſe von
denen gemeinen aͤuſſerlichen kiꝛchen-uͤbungen gaͤntzlich freyſpricht/ alles aus
ſehr tieſſen und unlaͤugbahren gruͤnden.


20. So ſchreibet ein anſehnlicher und beruͤhmter Patriarch zu Anti-
ochia
(welchen die Lutheraner ſehr hoch halten/ und als Gottſeiig und er-
leuchtet ruͤhmen [vid. ex Evagrio Kortholtus Hiſt. Eccl. p. 228.]) nemlich
Anaſtaſius in ſeinem ὁδηγῷ oder wegweiſer in dem anhang/ oder 1. numero
der andern frage/ welche er alſo vorlegt: Welches ſind die wahren anbe-
ter/ welche GOTT anbeten/ daß ſie den vater im geiſt und
wahrheit verehren?
Darauff antwortet er mit wiederholung und ap-
probation
der bekaͤntnuͤß eines einſamen: Dieſer habe einem/ der ihn ge-
fragt/ warum er ſo lange in keine kirche und nicht zum Abendmahl
komme?
folgen der maſſen rede und antwort gegeben.


21. Alle zuſammenkuͤnffte/ (συνάξεις, oder auch Abendmahle)
oͤffentliche dienſte (λειτουργίαι,) und feyern werden deßwegen ge-
halten/ damit der menſch von ſeinen ſuͤnden rein werde/ und
GOtt in ihm wohne/ wie geſchrieben ſtehet: Jch will in ihnen
wohnen und in ihnen wandeln/
2. Cor. VI. und: Jch und der va-
ter werden zu ihm kommen/ und wohnung bey ihm machen.
Joh.
XIV.
Nachdem nun der menſch ein lebendiger (ἔμψυχος) tem-
pel GOttes worden iſt/ ſo gehet eine ſeele/ die
GOtt in ſich traͤgt
(ϑεοφόρος) von allem verlangen nach kirchen/ verſammlungen (oder
auch Abendmahl/ συνάξεων) und menſchlichem feyer ab: Denn ſie hat
inwendig in ſich den Vater und Sohn/ als den Hohenprieſter/ und den
geiſt als das wahre feuer. Sie hat in wendig das wahrhafftige
opffer vor GOtt/ einen zerknirſchten geiſt: inwendig iſt der
wahre Altar und der gnaden-ſtuhl der ſuͤnder/ geiſtlichethraͤ-
nen/ inwendig iſt das reich der himmel.
Denn das reich GOttes
iſt inwendig in euch: und hinfuͤro bringet ſie als mit geiſtlichen au-
gengeiſtliche opffer:
Denn GOtt iſt ein geiſt/ und die ihn anbeten/ die
muͤſſen ihn im geiſt und in der wahrheit anbeten/ Joh. IV.Denn alles/
was ſichtbahr iſt/ das iſt zeitlich/ wie Paulus ſagt/ es ſeye nun
opffer oder gaben: Was aber unſichtbahr iſt/ das iſt ewig:
Was
kein auge geſehen/ kein ohr gehoͤret hat/ und auff keines menſchen hertz ge-
ſtiegen iſt/ nemlich deſſen/ der ihm nicht gehorchet.


22. Hievon faͤhrt der Autor daſelbſt alſo fort: Solches ſind din-
ge/ welche uns GOtt bereitet/ und durch ſeinen geiſt offenbahret
hat/ der da in uns wohnet. Denn wir haben nicht den geiſt der

welt
[32]welt empfangen/ ſondern den der aus GOtt iſt: Daß wir ſehen/
was uns von GOtt geſchenck et iſt/ welches wir auch reden. Wer
alſo wuͤrdig worden iſt/ dieſes zu beſitzen/ als ein vergoͤtteter/
oder Goͤttlicher natur theilhafftig gemachter/ durch die einwoh-
nung Gottes in ihm: Der betet hinfuͤro Gott in ſich ſelbſt an/ und
leiſtet ihm ſeinen dienſt/ und ſiehet/ daß der tempel ſeines hertzens
GOttes altar ſey/ in welchem er die fuͤlle der Dreyeinigkeit woh-
nend ſchauet.
Aus dieſen worten machet Anaſtaſius hierauff folgenden
ſchluß und lehr-ſatz: Derohalben iſt die ruhe und ſtille die allergroͤſ-
ſeſte tugend/ als welche die urſache der erkaͤntnuͤß GOttes iſt/
nach dem der daſaget;
Seyd ſtille/ und ſehet/ daß ich GOtt bin! Pſ.
XLVI.
Dahero der HErꝛſelbſt/ wenn er die arth der ruhe und ſtille
lehret und dem liebhaber derſelben anzeiget/ ſo lehret er ihre
frucht:
du aber wenn du beteſt/ ſo gehe in dein kaͤmmerlein/ Matth. VI. u. ſ. f.


23. Um der kuͤrtze willen muß ich andere dergleichen uhraltezeugniſ-
ſe uͤbergehen/ zumal aus dem/ was bißhero vorgebracht/ uͤbergnug erhellet/
wie elend und nichtig die klage uͤber dem nicht zur kirche gehen in den au-
gen wolberichteter und gegruͤndeter gemuͤther ſey. So daß ich wol Lu-
thero
ſeine worte abborgen moͤchte/ aus der Kirchen-Poſtill. l. c. p. 67.
wenn der gute Herr Cypriani mit ſolchen klagen ausbricht/ die Luther da-
ſelbſt alſo ausdruckt: Wer biſtu denn? Wiltſtu uns lehren? ſageſt
du/ daß unſere
ceremonien und kirchen-gepraͤnge nichts ſeyn? He-
be dich/ du ketzer! haͤlteſtu nichts von unſerm kirchen - ſchmuck?
Hat nicht CHriſtus ſelbſt geſagt; mein haus iſt ein bethauß?

Auff ſolchen eiffer/ ſage ich/ moͤchte ich wol Lutheri folgende antwort ge-
brauchen/ und mich auff recht gut Lutheriſch alſo erklaͤren: Alſo gehets
daher/ deß muͤſſen wir gewaͤrtig ſeyn/ und nicht anders. Aber
NB.
mein CHriſius fraget nicht darnach. Er laͤſſet ſie daruͤber zan-
cken/ zuͤrnen und murren/ biß ſie auffhoͤren. Erwohnet gleich-
wol in deß in ſeinen heiligen tempeln/ und weiß/ daß ſie
(die ketzer-
macher) nichts wiſſen noch verſtehen. Was koͤnnen ſie dazu ſa-
gen/ unſere widerſacher/ daß CHriſtus ſpricht: daß
NB.die aͤuſ-
ſere gepraͤnge der tempel und kirchen/
NB.nun auffgehoͤret ha-
ben: u. ſ. w. — Das volck aber/ das CHriſto glaubet/ ſind alle
from̃/ und keinem geſetz/ ſonderlich
NB.was die kirchen-gepraͤnge
angehoͤret/ unterworffen. Darum ſo iſt der tempel oder kirche jetzt
bey ihnen nicht zum gebot verordnet. Denn ſie werden nicht ſpre-

chen:
[33]chen: hier iſts/ da iſts: ja es werdenNB.falſche Propheten
auffſtehen und ſagen. Siehe! hie iſt CHriſtus! Man findet ihn
im tempel/ u. ſ. f.


24. Diß/ ſage ich/ iſt meine gut Lutheriſche antwort und endliche
erklaͤrung/ dergleichen noch mehrere in der ſechſten edition meiner bekaͤndt-
niß/ worinne Hr. Cypriani ſeine unbeſonnene anklagen vernichtet finden
wird (die er pag. 6. und ſonſten ſehr ungereimt vortraͤgt) und nunmehro
gar ſicher glauben und zu frieden ſeyn kan/ daß ich recht Lutheriſch ſeye. Jn-
maſſen ich auch darinne mit Luthero willigſt einſtimme/ daß/ ob ſchon das
aͤuſſere kirchen-weſen jetzo weder gut noch noͤthig iſt/ dennoch desfals vie-
les von verſtaͤndigen in Goͤttlicher gedult ſo lange ertragen und uͤberſehen
werden koͤnne/ biß GOtt eine huͤlffe ſchaffet/ jedoch/ daß man ſich dabey
von der welt und ihrem goͤtzen- und heuchel-dienſt unbefleckt bewahre.
(Man kan hievon weiter den beſchluß des IV. Th. in der Kirchen-Hiſtorie
nach ſehen.)


25. Jch will im uͤbrigen wegen dieſes punktens ſo wenig/ als wegen
anderer mit jemand weiter diſputiren/ und daruͤber die wahre Religion
(oder verbindung meiner ſeele/ mit dem hoͤchſten gut/ zu unendlicher gluͤck-
ſeligkeit) verletzen oder verſaumen. Ein verſtaͤndiger hat an dieſer er-
klaͤrung ſchon gnug/ und weiß ohne dem/ daß kein wahrer Lehrer/
wenner auch noch ſo Goͤttlichen beruff/ und ein Apoſtoliſches
licht und leben haͤtte/ jemanden mit liſt oder gewalt in ſeine pre-
digten zwingen wuͤrde: jadaß
eo ipſo,und ſo bald er zwang und
noth daraus machte/ die wahrekrafft und frucht verlohren gien-
ge.
Einem unverſtaͤndigen aber muß der glaube mit ſchaden in die haͤnde
kommen. Zumal faſt nichts ſchwerer iſt/ als einen natuͤrlich-ehrbaren
und dabey in vaͤterlichen traditionen unterrichteten Phariſaͤer von ſeiner
aͤuſſerlichen ſchrifft gelehrtheit und tempel-gerechtigkeit ab und in die frey-
heit des wahren Evangelii
von CHriſto in uns zu bringen. Wie-
wol auch GOtt dieſes/ wie alles/ moͤglich iſt: Der menſch gebe ihm nur
ſein hertz und willen uͤber/ ſo wird er den tempel in ſich ſelbſt finden/
deſſen-ſchatten er lange von auſſen herum
geſuchet hatte.


EDas
[34]

Das III. Capitel.
Von dem gemeinen Abendmahl gehen.


1.


DJe vierte anklage des Hn. Cyprian. wider mich iſt in ſeiner vor-
rede §. 3. Daß ich mich des Heil. Sacraments des Altars
nicht bedienete/
wie er redet. Worauff kuͤrtzlich die antwort
iſt: (I.) Daßich allerdings nach CHriſti klaren worten und der erſten
Apoſtoliſchen kirche exempel und weiſe des HErꝛn Nachtmahl zu ſei-
nem gedaͤchtniß und verkuͤndigung ſeines todes halte/
und zwar zu
gar vielenmalen/ und viel oͤffter als ichs nimmer in der kirchen halten koͤn-
te. Jch verſtehe aber hierunter nicht nur das innerliche ſtaͤtswaͤhrende
Abendmahl/ des inwohnen den Jmmanuels aus der Offenb. Joh. III.
ſondern auch das aͤuſſere genieſſen des von CHriſto verordneten Brods
und Weins/ ob ſchon ohne die geringſten ceremonien und umſtaͤnde in
gehoͤriger einfalt des Geiſtes CHriſti: daß ſich alſo niemand hierinnen ei-
ner zweydeutig keit beſorgen darff.


2. Niemand aber wolle ſich an dieſe meine bekaͤntniß ſtoſſen/ oder
nach andern unnoͤthigen umſtaͤnden neugieriger weiſe forſchen/ weil es
doch niemanden hilfft oder ſchadet. Gnug/ daß ich jetzund klar beweiſen
werde/ das oͤffentliche und gemeine Abendmahl halten derer Lu-
theraner ſey in der praxi noch immer ſo uͤbel beſchaffen/ daß wer es im Goͤtt-
lichen licht erkennet/ allerdings entſchuldiget/ und ihm nicht zu verdencken
ſey/ wenn er davon bleibe. Wenn ich dieſes dargethan werde haben/ ſo
muß ich ferner auch zeigen/ ob und wie man freyheit in CHriſto habe ſein ge-
daͤchtnuß auſſer dem gemeinen mißbrauch auff alle zulaͤßige Chriſtliche wei-
ſe zu begehen.


3. So kan ich nun jederman/ und ſonderlich den Herꝛn Cypriani,
nach dem zeugniß meines gewiſſens in dem Heil. Geiſt vor der allwiſſenden
gottheit verſichern/ daß ich mich des oͤffentlichen Abendmahls enthalten/
nicht aus verachtung deſſelben/ ſondern allerdings eintzig und allein aus
hoch achtung.
Deutlicher zu reden; Jch halte des HErrn Abend-
mahl
und deſſen klare worte von demſelben ſo gar hoch und theuer und
ausnehmend groß: Daß ich eben deßwegen aus furcht und reſpect vor
Goͤttlichen dingen das gemeine mahl in denen kirchen nicht mitmachen
kan und darff/ weil dieſes durch zulaſſung aller auch abſcheulichſten offen-
bahren ſuͤnder/ nicht ein Sacrament oder heiliges geheimnuß iſt/ ſon-
dern
[35] dern gemein und von dem weſen und zweck des wahren Abendmahls un-
terſchieden wird.


4. Dieſes iſt (ungeacht aller kahlen entſchuldigungen) ſo gar
greifflich und aus taͤglicher Praxi durch gehends dermaſſen bekandt/ daß es
abermahl ſo wenig/ als das vorige vom kirch-weſen insgemein beweiſes
brauchte. Jedoch weil auch hierinne mancher gleichwol etwas unver-
ſchaͤmt laͤugnen/ oder bemaͤnteln und bekleiſtern moͤchte wollen; So will
ich wiederum genugſame zeugnuͤſſe bringen/ und zwar zur erſparung der
zeit und des raums/ nur etliche wenige von dem Lutheriſchen Abendmahl.
Denn von der beicht gedencket Hr. Cyprian nichts/ und dieſe iſt ohne dem
bißhero ſchon aus unwiedertreiblichen gruͤnden nach ihren greuelen dermaſ-
ſen auffgedecket worden/ daß es keines weitern zeugniſſes bedarff. Jn-
deſſen ſtehet auch ſchon ſo viel davon im IIX. B. der abbildung im 17. Cap.
und in der Kirchen-Hiſtorie hin und wieder/ daß es wegen des daranhan-
genden Abendmahls einen vorſchmack geben kan.


5. Aus denerſten und folgenden zeiten aber der Lutheriſchen kirche iſt
eben auch in der Kirchen-Hiſtorie mehr als zu viel anzutreffen/ was derſel-
ben mißbraͤuche weiſen kan. Zum Ex. daß die meiſten ohne buſſe und
glauben hingegangen
p. 132. im II. Theil. Daß die Prediger den
gewinn dabey geſuchet/
ibid. daß man ſich der Sacramente mit aller
leichtfertigkeit gebrauchet/ ohne alle andacht und beſſerung
p.
136. u. ſ. w. von dieſem letzten ſeculo aber iſt etwas mehr beyzufuͤgen/ nach
einem und anderm puncten/ und zwar erſtlich wegen der Communicanten
ſelbſt.


6. Da bezeugen nun oͤffentliche lehrer und andere mit klaren worten:
Es werde kein unterſcheid der wuͤrdigen und unwuͤrdigen ge-
macht. — Da ſeyn viele/ die ſolches/ ungunſt und feindſchafft
zu vermeiden/ unterlaſſen/ und wollens mit dem ſprichwort:
de
occultis non judicat Eccleſia,
entſchuldigen. (D. Stegmannus vom wah-
ren Chriſtenthum p. 45.) Mit dem aͤuſſerlichen Abendmahl ſey es
bey dem groſſen hauffen lauter ſpiegel-fechten; Zur beicht und
Abendmahl gehe man bey allem Epicuriſchen aͤrgerlichen boͤſen
weſen/ und begehre ſich nicht zu beſſern: CHriſtileib und blut
trete man unter die fuͤſſe/ wer ſtrafft die/ ſo ohne buſſe und beſſe-
rung zum Abendmahl gehen? Die trunckenbolde/ unverſoͤhn-
liche u. ſ. f.
(Lubertus vom bann Cap IIX. §. 4. u. ſ. f. p. 74.)


7. Manabſolvire wol in drey ſtunden 30. 40. biß 50. communi-
cant
en/ man laſſe wolſolche zu/ die von der Chriſtlichen religion/
E 2geſetz
[36]geſetz und Evangelio gar nichts wiſſen. (Davon exempel angefuͤh-
ret werden) ja ob ſie gleich die glaubens-artickul wuͤſten/ ſo ſehe
man doch/ daß ohne un[v]erſcheid frevelhaſſtige und wiſſentliche
ſünder zugelaſſen werden.
(Brunnemannus jure Eccl. p. 185. 186.)
Der angenſchein lehre es/ wie daß ehrwuͤrdige Sacrament
ſchaͤndlich
proſtituiret werde: Wer lege wolden vorſatz zu ſuͤndi-
gen vorher ab! — die beſſerung daure bey den meiſten biß auffm
abend. — Wers nicht glauben wolle/ moͤge nur die haͤuſer
viſiti-
r
en/ was vor boßheit/ verachtung des worts/ geitz/ ungerechtig-
keit/ ſchwelgerey/ u. ſ. f. vorgehe/ keiner habe ſo verzweiſſelt boͤſe
gelebet/ deꝛ nicht/ wenn er nur im letzten das Abendmahlgenom-
men/ vor heilig und gottſelig geprieſen werde.
(Idem ibid. p.
139.)


8. Sie (die falſchen Chriſten) gebrauchen das Abendmahl
allein/ daß ſie es gewohnet ſind/ des jahres 2. oder 3. mahl zum
Abendmahl zu gehen/ und halten alſo ihre jahres-zeit. Darnach
meinen ſie/ wenn ſie nur das Abendmahl empfangen nach altem
gebrauch/ ſo ſey alles gut genug. — Auch ſind/ die das Abend-
mahl nehmen/ daß ſie nicht verächter GOttes und ſeines wortes
und der
Sacramenten an geſehen werden (weil ſie nemlich ſonſt von der
Cleriſeygezwungen und aus dem lande gejagt wuͤrden. Siehe Carpz.
Lib. II. tit. 18. def. 295. 296. Lynker de Cœna S. cap. V. §. 26. VI. § 2.
Balduinum Caſ. Conſc. p.
8. 12.) Alſo muß der name/ ordnung und ge-
both CHriſti ein denckmahl ihrer bosheit/ ſchalck heit und untu-
genden ſeyn. Da ſind auch/ die andern zur geſellſchafft mitge-
hen/ oder daß ſie ſich in ihren neuen kleidern/ ſchoͤnem ſchmuck und
zierde ſehen laſſen. CHriſtus wird nicht geſucht und gemeinet/
ſondern die liebe der welt. — Da ſind auch/ die ſich von auſſen
fromm anſtellen/ aber nach empfahung des Abendmahls/ tre-
ten ſie wiederum in ihre alte ſchuhe/ und bleiben was ſie geweſen
ſind; Drum iſts nur eitel heucheley und ſchmeicheley. Da ſind
auch/ die/ wennſie ſich mit groben laſtern/ ehebruch/ hurerey/ dieb-
ſtahl und todtſchlag beſudelt/ meinen/ wenn ſie nur koͤnnen zum
Abendmahl gehen/ ſo ſey alles klar und vergeben. u. ſ. w.
Egar-
dus
im Fuͤrſten-recht Cap. IIX. p. 38. ſeqq.


9. Das Nachtmahl wird (von den Predigern) zu einem lau-
tern goͤtzen gemacht/ daß die leute auf das Sacrament fallen und
wiſſen keinen andern nutzen/ als daß ſie den wahren leib und blut

CHri-
[37]CHriſtiempfahen. Wer aber den empfaͤhet/ der werde darum
gewiß ſeelig/ wie ſie meinen/ derowegen wenn die leute etwa wol-
len verreiſen/ oder hochzeit machen/ oder ſchwangere weiber
ſind/ oder ſterben wollen/ ſo wird zum Sacrament geeilet. —
Weil denn alle welt/ auch die aͤrgſten buben/ gerne wolten/ daß
es ihnen wol gehe/ ſo iſts kein wunder/ daß das Abendmahl ſo
haͤuffig genommen/ und alſo zum
NB.goͤtzendienſt gemachet
wird.
Worauff des Apoſtels worte/ aus 1. Cor. XI. 20. 21. appliciret
werden/ daß manNB.nicht des HErren Abendmahl alſo (bey den
Lutheranern) halte/ ſondern NB.ein ſelbſt-zugerichtetes menſchliches
Abendmahl.
(Großgebauer waͤchter-ſtimm Cap. XI. p. 212. u. f.) Jch ent-
halte mich weiter mit anfuͤhrung ſolcher zeugniſſe fortzufahren/ und frage
nun verſtaͤndige und unpartheyiſche gemuͤther: Ob ein Chriſt/ der den Herrn
„JEſum wahrhafftig kennet/ und weſentlich in ſich wohnend und verei-
„niget hat/ ſich ſolcher dinge mit gutem gewiſſen/ und ohne befleckung
„koͤnne theilhafftig machen/ davon die lehrer ſelbſt nun in die 200. jahre her
„lauter durchgaͤngige mißbraͤuche/ greuel/ ſchanden und ſuͤnden haben?
„Alſo/ daß ſo gar an der gantzen handlung ſelbſt/ durch die ſchreckliche uͤber-
„ſchwemmung des boßhafften hauffens/ bey unendlicher nachlaͤßigkeit
„und frech heit der Cleriſey nichts gutes und unanſtoͤßiges blieben iſt. Ob
„man ein ſelbſt zugerichtetes menſchliches Abendmahl mit machen
„doͤrffe/ da man weiß/ es muͤſſe von rechtswegen des HErren Abend-
„mahl
ſeyn? Ob man die liederliche austheiler ſo wol/ als die gott-
„loſen nehmer
in ihrer boßheit mit ſeinem hinzugehen noch beſtaͤrcken/
„und ihre greuel mit derthat gutheiſſen koͤnne: Da die meiſten darunter
„offenbahrlich ſtadt- und land-kuͤndige ſaͤuffer/ ſpieler/ hurer/ ehebrecher/
„meineidige/ diebe/ geitzhaͤlſe/ ſchinder und ſchaber der armen/ tyrannen/ un-
„verſoͤhnliche/ zaͤncker/ laͤſterer/ und tauſenderley andere arten boͤſewichter
„ſind/ alles nach der Lutheriſchen Lehrer eigenem geſtaͤndnuͤß und ausſage?


11. Jch weiß gar wol/ daß man vulgò meinet/ die geſellſchafft ſolcher
leute koͤnne einen nicht beflecken oder præjudiciren. Allein geſetzt/ daß
es wahr waͤre/ ſo iſt doch die jetztge dachte beſtaͤrckung der gottloſen in
ihren greueln allein und ſchon vor ſich gnug/ einen gewiſſenhafften Chri-
ſten davon abzuhalten. Unterdeſſen hat GOtt dennoch auch uͤberhaupt
befohlen/ nicht allein denen lehrern/ daß ſie die frommen lehren ſollen ſich
ſondern von den boͤſen leuten Jerem. XV. 19. ſondern er hat auch allen
Chriſten deutlich und ohne bedingung ernſtlich gebothen/ nicht mit den
unglaubigen am fremden joch zu ziehen/
ſondern auszugehen/ und
E 3ſich
[38]ſich abzuſondern/ und kein unreines anzuruͤhren: Und zwar aus
dem unbeweglichen grunde: Weil beyderſeits keine gemeinſchafft ſeyn
koͤnne oder duͤrffe/ und weil GOtt ſie ſonſt nicht annehmen wuͤrde/
als kinder/
und alſo bey verluſt ihrer gluͤckſeligkeit. Eſai. LII. 11. 2. Cor.
VI.
14. — 18.


12. Hieruͤber mag nun Hr. Cypriani oder ein anderer ungehalten werden
oder nicht/ ſo kan ich Gottes wort und geboth nicht ſo muth willig brechen/
und wenn man auch 1000mal mit ſonderlingen und dergleichen um ſich
wuͤrffe/ oder den elenden behelff aller Judas bruͤder/ von Juda dem verraͤther
hervorſuchte. Genug/ daß ich auch hierinnen ebenfals gut Luthe-
riſch
bin und bleibe/ und daß man bekennet und thut/ was alle redliche
Chriſten laͤngſt bekandt und gethan haben. Denn alſo ſchreibet Luther
derbe gnug in der Kirchen-Poſtill/ erſtlich uͤberhaupt vom kirchen-weſen.
l. c. p. 68. Daß ſie eine noth daraus machen wollen/ als muͤſſe
es nicht anders ſeyn/
(wie Hr. Cyprian einen character eines Chriſten
daraus machet) und die gewiſſen dar ein knuͤpffen/ und ſolle ketze-
rey ſeyn/ wer andersthut: das wollen wir nicht leiden/ und dar-
an ſetzen leib und leben. Es ſoll dem gewiſſen beydes frey ſeyn/
ſonſt oder ſo in dieſem handel zu thun/ das und kein anders/ da
ſoll uns CHriſtus zu helffen!


13. Jnſonderheit aber binich mit Luthero eins/ da er ibidem uͤber
die Epiſt. IV. Sonnt. Adv. p. 49. b. (Edit. Luneb. p. 54.) ſetzet: wenn
der Pabſt
(es ſey nun ein Roͤmiſcher oder Lutheriſcher) gebeut zu beich-
ten/ Sacrament zu empfahen/ u. ſ. f. und will dar auffdringen/
man muͤſſe es thun aus gehorſam der kirchen: So ſoll man nur
friſch mit fuͤſſen darein treten/ und eben darum das wiederſpiel
thun/ daß ers gebothen hat/ auff daß die freyheit bleibe.
Denn/
ſetzet er dazu/ aus noth und gehorſam halten/ vertilgetglauben und
Evangelium/ ja es iſt verdammlich:
welches er dort auch auff das gan-
tze kirchenweſen uͤberhaupt weitlaͤufftig ziehet.


14. Noch klaͤrer redet erim II. Teutſchen Jen. Theil p. 1036. das
Sacrament kan nicht leiden/ daß man die leute hinzutreibtund
zwingt.
Und alſo vergreiffen alle diejenige ſich an CHriſto ſelbſt/ welche
die leute durch lands-verweiſung/ und harte drohungen darzu zwingen/
oder durch liſt und uͤberredungen treiben: Jndem ſie dadurch nur ihre ſe-
ct
e und vortheile zu befeſtigen/ aber keine greuel dabey abzuſchaffen/ oder
CHriſto etwas zu gefallen zu wagen luſt haben/ und damit von dem wah-
ren ſegens- und heils-quell immer weiter zuruͤck weichen.


15. Wie
[39]

15. Wie denn auch Lutherus ſelbſt das Abendmahl nicht eben vor noͤthig
zur ſeligkeit geachtet hat/ wenn er bekennet: CHriſtus hat nicht geboten
das Sacrament zu genieſſen/ er hats aber frey geſetzt zu nieſſen/
wer da will:
To. II. Jen. Germ. p. 107. a. und wiederum: du biſt nicht
verdammt/ ob du ohne Sacrament bleibeſt
(nemlich wenn du daran
zweiffelſt oder ſonſt uͤber andern umſtaͤnden ſcrupel haſt) Tom. III. Jen.
Germ. p.
68. Welches er im I. Tom. p. 521. noch einmahl geſetzt hat/
und dieſes kennzeichen hinzufuͤget/ dabey man ſolche leute erkennen/ und als
unſchuldig zu frieden laſſen ſolle: Wenn du dich im glauben/ GOttes
wort und liebe uͤbeſt:
Item im erſten Altenb. Theil p. 792. ſagt er: Es
ſollen alle Sacramenta frey ſeyn jedermann/ wer nicht getaufft
will ſeyn/ der laſſe es anſtehen: Wer nicht will das Sacrament
empfangen/ hat ſein wol macht fuͤr GOtt.
Auff den einwurff aber
vom zwang/ welchen er hernach anderswo zu billigen ſchiene/ iſt in der ge-
dachten bekaͤntniß (edit. ult.) geantwortet worden.


16. Vornemlich hat er die aͤuſſerlichen umſtaͤnde und ceremonien da-
bey verworffen/ wenn im geringſten darauff als et was noͤthiges geſehen
werde. Und deswegen hat ers vor frey geachtet/ wie/ wo/ und wenn
mans halten wolle/ und keines weges ein Sacrament des Altars ſo daraus
gemacht/ wie Hr. Cyprian. von mir als einen klage-punckt/ und als ein
groß crimen angibt/ daß ichs nicht auff dem Altar unter dem rohen
wuͤſten hauffen mitmachte/ worauff ihm denn gut Lutheriſch geantwortet
werden koͤnte/ aus Tom. II. Jen. Germ. p. 30. b.Mich wundert/ daß
dieſe kluge leute nicht bedencken/ daß Chriſtus in einem gaſthauß/
und nicht im tempel/ auff einem tiſch/ nicht auff einem Altar/ diß
Sacrament eingeſetzt und verbracht hat.
Man duͤrffte aber uͤber
ſolchen geringen ſachen und umſtaͤnden/ item, uͤber den hoſtien und derglei-
chen eben nicht ſtreiten/ wenn nur ſonſten die ſache ſelbſt richtig waͤre.


17. Alleine es iſt dennoch auch gut Lutheriſch/ wenn man mit ihm
bekennet und practiciret; Daß man diefreyheit behalten muͤſſe/ das
Sacrament mit und in geweiheten/ oder ungeweiheten kleidern/
gefaͤſſen/ und haͤuſern zu handeln/ und wer dieſe freyheit laͤugne/
oder einerley part
NB.ketzerey ſchelte/ der luͤge abermal/ und
NB.laͤſtere CHriſtum und ſein wort/ es ſey Pabſt/ Kayſer/ Fuͤrſt
oder Teuffel.
l. c. p 97. b. Daß er aber hierunter auch den nothfall verſtehe/
wenn bey gemeinem verderbniß und mißbrauch/ ein oder mehr Chriſten
des HErꝛn gedaͤchtniß (nach der freyheit wahrer kinder GOttes/ die ih-
nen keine creatur nehmen kan/ und nach einfaͤltiger weiſe und vorſchrifft der
erſten
[40] erſten Chriſten) halten/ bezeugen dieſe ſeine folgende und andere worte/
aus demſelben Tomo p. 101. a.


18. Er wolle denen nicht verwehren/ die beyderley geſtalt
genieſſen koͤnnen/ es ſey heimlich oder offenbar/ ohne daß ſie es

NB.beſondersthun/NB.nicht auff einem gemeinen Altar. —
Sey aber jemand ſchwach/ daß er lieber des gantzen Sacra-
ments entbehren wolle/ den ſolle man auch dulden/ und ihn ſei-
nes gewiſſens leben laſſen.
Und anderswo zeiget er deutlich an/ daß
die Prediger ſchuldig ſeyn/ die aͤrgerniſſe und den verkehrten gebrauch beym
Abendmahl abzuſchaffen/ und folglich/ daß gewiſſenhaffte ſeelen ſonſt nicht
dazu koͤnten beredet/ vielweniger gezwungen werden: Man koͤnte an-
richten/
ſchreibet er/ und dahin bringen/ daß man die/ ſo da recht
glauben/ koͤnte auff einen ortſondern/ — Das Sacrament ſoll
man nicht alſo unter die leute im hauffen werffen/ — Da muß
ichs nicht in zweiffel ſchlagen/ daß der/ dem ich das Sacrament
gebe/ das Evangelium gewiß gefaſſet habe/ und rechtſchaffen
glaube.
Tom. III. Germ. Jen. p. 158. b.Wenn man dieſe lehre woltrie-
be/ da wuͤrdeſtu ſehen/ daß wo jetzt 1000. zum Sacrament gehen/
da wuͤrdenihrer kaum 100 hingehen/ alſo wuͤrden
NB.der greu-
lichen ſuͤnden weniger/ — Die wir jetzt faſt eitel heiden ſind/
unter Chriſtlichem namen. Denn koͤnten wir von uns ſondern/
die wir an ihren worten erkenneten/ u. ſ. f.
Tom. II. Jen. Germ. p.
103. b.


19. Es wird freilich hiebey dieſes denen meiſten/ als etwas unge-
woͤhnliches und bey der heutigen unbeſchreiblichen vermiſchung aller greu-
el unmoͤgliches vorkommen/ daß man entweder in denen kirchen auch nur ei-
nigen unterſcheid und ſonderung der gottloſen von den andern machen/
oder in deſſen ausbleibung die Chriſtliche freyheit in ſonderbahrem brauch
dieſes gedaͤchtnuͤſſes behaupten koͤnne und ſolle: Jch wills auch keinem
blinden/ und blinden leiter verdencken/ wenn er dawieder eiffert und laͤ-
ſtert: Weil mir der unermeßliche abgrund der verderbten blinden natur be-
kandt iſt/ welche/ (weil ſie von kindes beinen an nichts beſſers gelernet und
geſehen) faſt nichts anders kan/ als laͤſtern/ was ſie nicht verſtehet. Jn-
deſſen aber laͤſt man andere davon diſputiren und ſcrupuliren/ ſo lange ſie
wollen: und genieſſet indeſſen wuͤrcklich und weſentlich allen geiſtlichen
ſeegen in himmliſchen guͤtern durch CHriſtum/ welchen weder tyrannen/
noch diſputirer (συζυτήται) und Schrifftgelehrten/ oder buchſtaͤbler
(γραμματεῖς,) 1. Cor. I. 20. weder diebe noch motten rauben koͤnnen:
Machts
[41] Machts alſo wie ein hungeriger/ der fein treuhertzig iſſet und trincket/ was
ihm der wirth ſelbſt eigenhaͤndig goͤnnet und gibt: und laͤſt unterdeſſen ein
paar ſchulleute immerhin diſputiren/ wo/ wie und wenn man nach altem
herkommen oder gemeiner manier die ſpeiſen genieſſen ſolle/ oder was ſonſt
dabey ex Phyſicis, Metaphyſicis \&c. daruͤber koͤnte ventiliret werden.


20. Will aber ein falſcher eifferer dieſes recht wahrer Chriſten/ als
Koͤnigl. Prieſtern diſputiren/ oder die Obrigkeit auffreitzen/ ſie ſollen jenen
dieſes Goͤttliche recht nehmen: So hoͤre ein vernuͤnfftiger/ was Bernhar-
dus
dißfals erinnert/ und bedencke/ welches einem Chriſtlichen Regenten
lieber ſeyn ſolte. Entweder/ wenn ſeine unterthanen/ bey ihren zu ſam-
menkuͤnfften ſich verbinden/ alles boͤſe zu meiden/ und GOtt und Chriſt-
lichen heiligen geſetzen einmuͤthiglich zu folgen/ zu dem ende auch das Mahl
des HErrn als ein band der einigkeit mit einander nehmen/ ſo wie es Plini-
us
ſchon von den erſten Chriſten erzehlet? Oder wenn ſie in ihren gelagen
und gaſtereyen (da es ehrbahr zugeht) mit unnuͤtzem geſchwaͤtz die zeit ver-
derben/ oder mit freſſen/ ſauffen/ ſpielen/ huren u. ſ. f. ihren leib/ vermoͤgen/
und alles zu nichte machen/ wie es bey den jetzigen unchriſten durchgehends
geſchicht? Dieſes letztere leidet und heget man ja offenbahrlich jetzo/ jenes
aber will man ſo wenig zugeben als damals die Heidenes denen Chriſten
zulieſſen/ und ſie deßwegen verfolgten (wie in der abbildung Th. l. p.
332. u. f. zuſehen) nur weil die Heidniſchen Pfaffen ihre einkuͤnfften und
ehren nicht miſſen wolten.


21. Daß es aber allerdings Chriſtlich und unaͤrgerlich ſey/ wenn
Chriſten unter einander alſo des HErrn tod verkuͤndigen: Saget der ge-
dachte von Lutheranern hochgehaltene Lehrer mit dieſen worten/ und ta-
delt den wiedrigen mißbrauch: (Apologia ad Gvilielmum Abb. p. 1130.
oper
) Wenn die alten einſamen zuAntoniizeiten (davon das leben der
a[n]vaͤter zu ſehen) einander ausli[e]be bißweilen beſuchten/ ſo nah-
men ſie von ein ander das brod der ſeelen ſo begierig/ daß ſie die
leibliche ſpeiſe daruͤber gantz vergaſſen/ und meiſt den gantzen
tag ungeſſen (wiewol am gemuͤthe geſaͤttiget) zubrachten. Und
dieſes war dierechte ordnung. — Jetzo aber/ wenn man zuſam-
men kommt/ ſo iſt da nicht vom Abendmahl des HErrn zu eſſen.
Denn da iſt niemand/ der das himmelbrodt ſuche oder gebe.
Man handelt nichts aus der Schrifft/ nichts von dem heil der
ſeelen/ ſondern man bringt unnuͤtz geſchwaͤtz/ leere worte und ge-
laͤchter auff diebahn. Jſſetman/ ſo ſtopfft man den halß mit
freſſen/ und die ohren fuͤllet man mit geſchrey/ u. ſ. w.


22. So gar arg als es damals im Pabſtthum zugangen iſt/ gehets
Fnoch
[42] noch jetzo nach vermeinter Reformation ungleich aͤrger im verkehrten Lu-
therthum zu. Dabey ſo wol Chriſtliche Obrigkeit/ als die Cleriſey/ ja
wol zu wuͤnſchen/ und zu foͤrdern hoͤchſt urſache haͤtten/ daß gottfuͤrchtende
gemuͤther nicht nur ingeheim GOtt unablaͤßig um beſſerung des gantz zer-
fallenen Regiments- und Kirchen-Weſens anrieffen/ ſondern auch in der
that den unbendigen rohen hauffen derer falſchen lehrer und zuhoͤrer mit
wuͤrcklicher entziehung von ihren gemeinen greueln beſchaͤmten/ und von
der nothwendigkeit einer aͤnderung mit worten und wercken alſo uͤberzeug-
ten. Denn ſollen die zeugen GOttes keine gemeinſchafft mit den
wercken der finſterniß
(dergleichen die gemeinen kirchendinge nach der
Lutheraner geſtaͤndnuͤß ſind) haben/ ſondern ſie vielmehr beſtraffen
oder uͤberweiſen.
Eph. V. 11. Und ſoll alſo GOttes wille und rath er-
fuͤllet werden; ſo muß man jene daran nichthindern/ ſondern foͤrdern.


23. Drum ſehe man nun zu/ welcher geiſt einen ſolchen regiere/ der
dergleichen ſorgfaͤltige Goͤttliche treue und vorſichtigkeit oͤffentlich als ein
groß verbrechen anklaget/ wieder ſein verſprechen mit ketzern/ ſonderlin-
gen/ neulingen u. ſ. f. auff ehrlich leute loßſchilt/ und den Magiſtrat zur ver-
folgung und blutvergieſſung auffreitzet. Gewiß der frevel iſt allen auff-
richtigen gemuͤthern ſo gar offenbahr/ daß ich weiter nicht noͤthig habe den
urſprung/ die manier und weiſe ſolcher anklaͤger auch in dieſem punct vom
Abendmahl zu entdecken. Auch die Regenten und dero Miniſtri ſind viel
zu klug/ daß ſie nicht die ſchulthorheit wiſſen und verachten ſolten/ wenn
ein jeder einfaͤltiger menſch meinet/ hohe Obrigkeit ſolle ſich als das
brachium ſeculare zum unſeligen Inſtrument und Executore ſeines unge-
reimten haſſes nach gefallen mißbrauchen laſſen. GOtt lob! Politici
ſind jetzo viel zu geſcheid und durch ſchaden gewitziget/ als das ſie ſich laͤn-
ger von der Pabſtentzenden Cleriſey/ vielweniger von erſt anfangen den
ſchulleuten beherꝛſchen und herumfuͤhren laſſen/ und jenen zu gefallen wei-
teregerichte/ wie ſonſt/ uͤber ſich ziehen werden.


24. So viel mag zur erlaͤuterung der anklage/ wegen des Abend-
mahlsgnug ſeyn. Jch will/ wie gedacht/ mit niemanden weiter uͤber die-
ſen/ oder andere puncte ſtreiten/ auch nicht uͤber der privat-communion,
und andern umſtaͤnden des Abendmahls. Denn ich halte weder dieſe noch
die oͤffentliche vor ſo unumgaͤnglich noͤthig/ daß ich einen goͤtzen draus
machte/ nachdem GOttes barmhertzigkeit eine ſtaͤtige inwendige nahrung
der ſeele an CHriſti gemeinſchafft uͤberfluͤßig darreichet. Sondern ich
bleibe in poſſeffion der wahren freyheit/ darein mich mein meiſter und Herꝛ
geſetzet hat/ und bin darinne gut Lutheriſch. Denn ich bekenne mit
Luthero aus angezogenen orthen: Man ſeye nicht verdammt/ wenn
man
[43]man ohne Abendmahl bleibe: Weil CHriſtus nicht gebothen/
ſondern frey geſetzet hat/ zu genieſſen/ wen da will.
Jch ſtimme
auch denen Lutheriſchen ſchul-Theologen gerne bey/ daß die aͤuſſerliche
nieſſung nicht
præciſèund ſchlechterdings zur ſeligkeit noth ſey:
Ja wenn auch gleich Lutherus endlich weder dieſe noch andere ſolche wahr-
heiten geſagt haͤtte: ſo bleibet doch CHriſtus mein einiger grund/ von
dem die ſchrifft mir und allen/ die zu ihm dieſen augenblick kommen wollen
zeuget. Joh. V. 39. 40.


Das IV. Capitel.
Von den uͤbrigen beſchwerungen wieder meine perſohn.


JCh wolte keine feder hievon weiter anſetzen/ weil ich alle ſolche an-
klagen/ (waͤren ſie auch viel haͤrter) gar nicht empfinde. Al-
lein die ſachen ſelbſt/ welche Hr. Cyprian. auff die bahn bringt/
achte ich werth/ zu gemeinem nutz ein wenig zu erlaͤutern/ weils eine gar ge-
ringe zeit und muͤhe erfordert.


2. Es doͤrffte jemand bey offterwehnter freyheit etwa gedencken:
Vielleicht iſts wahr/ was Cypr. p. 15. zur fuͤnfften anklage vorbringt/
daß du ein frey-geiſt biſt? Allein wenn alle die/ ſo die wahre freyheit des
gewiſſens behaupten frey-geiſter ſeyn/ ſo iſt (I.) Lutherus/ (vermoͤge ſeiner
obigen worte) einer der vornehmſten mit geweſen/ deſſen er ſich aber nie
geſchaͤmet hat. Daß ich von CHriſto/ den Apoſteln/ und allen bekennern
der wahrheit nichts ſage. (II.) iſt die ſache ſelbſt von dem Heiland ſeinen
glaubigen/ ſo theuer erworben/ und ſo tieff eingedrucket und zugeeignet:
Daß ſie ſich des namens frey-geiſt im heil. verſtand nicht ſchaͤmen koͤnnen
noch duͤrffen. Vielmehr wuͤnſchen ſie immer mehr mit der that und aus
lebendiger taͤglicher erfahrung zu bezeugen/ daß wo der geiſt des HErꝛn
wahrhafftig iſt/
daſelbſt nichts anders als freyheit ſeyn koͤnne. 2. Cor.
III.
17. Und wer zu der hoffnung und dem vorſchmack der herrlichen frey-
heit
als ein neugebohren kind GOttes beruffen iſt: Der laͤſſet ſich ſolche
weder beurtheilen noch nehmen/ ſondern wird allein durchs geſetz der
freyheit
von GOtt ſelbſt gerichtet.Rom. IIX. 21. Gal. IV. 31. v. 1.
13. 1. Cor. X. 29. Jac. II.
12.


3. Es moͤgen aber (III.) die/ welche dieſen namen zum ſcheltwort
brauchen/ in ihrem gewiſſen zuſehen/ und fuͤhlen/ ob ſie nicht noch knech-
te der ſuͤnden
ſeyn? und im knechtlichen geiſt unter den duͤrfftigen
ſatzungen gefangen liegen.
1. Cor. VII. 23, Gal. IV. 9. Coloſſ. II. 20.
F 2das
[44] das iſt/ ob ſie nicht um des brodts/ um ehre/ Titul und bequemlichkeit wil-
len/ ſich als ſclaven unter alle menſchen-traditiones, autoritates, vor-
ſchrifften und lehren ergeben/ und alſo biß dieſe ſtunde nicht wiſſen oder er-
fahren haben/ was die edle freyheit in CHriſto vor eine unſchaͤtzbahre/ in-
wendige gluͤckſeligkeit und trium phiren de ſieghaffte freude ſey keine tieffe-
re pruͤffung will ich ſolchen leuten/und ſonderlich dem Herrn Cypr. vorle-
gen. Denn die wahrhaffte/ wuͤrckliche/ undreelleinnerliche be-
freyung von dem geſetz der ſuͤnden und des todes
iſt ein geheimnuͤß/
das denen von der erden erkauſſten geſchencket wird/ welche durch alle
machten der finſternuͤß in und mit CHriſto tapffer durch kaͤmpffen/ und in-
wendig gantz frey werden von aller herꝛſchafft ihrer ſelbſt und aller creatur.


4. Dieſe Goͤttliche herrliche freyheit macht/ (IV.) daß man ihrer
nicht mißbrauchen kan noch darff/ und legitimiret ſich auch der geſtalt vor
denen neidiſchen verlaͤumderiſchen menſchen durch einen unſchuldigen ge-
brauch und wandel/ daß ſie ſich ihrer luͤgen und laͤſterungen endlich ſchaͤ-
men muͤſſen. Dahero auch ſolche gefreiete des HErren/ einen ernſten
abſcheu vor allen frechen und ungebrochenen actionen/ unweiſen ausbruͤ-
chen der verderbten ungetoͤdteten natur haben/ wenn ohne dem unterſcheid/
und ohne dem geiſt der weißheit/ alles verworffen/ verwirret/ und das gu-
te ſelbſt nicht beybehalten wird. Aus welchem falſchen grunde eben die-
ſer ſonſt unſchuldige name frey-geiſt bey hefftigen gemuͤthern zu einem
ſcheltwort gediehen iſt/ wie es mit viel andern ergangen.


5. Die ſech ſie anklage des Hn. Cypr. moͤchte ſeyn/ daß er mir aus
eben ſo falſchem grunde eine neue und eigene Religion andichtet/p. 5.
6. 7. 50. und 52. Wie ers noch etwas ehrbahr nennet/ da es ſonſt die groͤ-
bern ketzerey heiſſen. Dieſes wird er nun keinem geſcheiden menſchen uͤber-
reden koͤnnen; Ja auch leichtglaubige albere leute werden ihm kaum bey-
fall geben/ daß ich in ernſt eine eigene Religion oderſecte zu machen
ſuchte;
Daich (I.) meinen abſcheu faſt wieder nichts mehr und klaͤrer/
„(und zwar oͤffentlich/ und meinem alten Adam zu ſchlechter avantage in
„der welt) entdecket habe/ als wieder denſectiriſchen partheyiſchen
„greuel/
wenn einer ſich uͤber des andern oder vieler gemuͤth zum Herrn
„und meiſter geſetzt/ einen eigenen kirchen-ſtaat und verſammlungen for-
mir
et/ und die andern alle verdammet und verkaͤtzert hat. Hievon aber
ſehe ich/ daß der freund in folgenden erinnerungen gewieſen hat.


6. Vors (II.) iſt aus meiner obigen erklaͤrung am tage/ wie gern
„und auffrichtig ich dasjenige annehme und behalte/ was Lutherus, und
„mit ihm andere werckzeuge GOttes der welt aus und nach der H. Schrifft
„durch den geiſt CHriſti vorgeleget. Ja wie ich eines jeden/ auch des ge-
ringſten
[45] ringſten wahre Goͤttliche gabe/ lehre und erkaͤntnuͤß gebuͤhrendæſtimi-
re/ und hoͤher als die/ welcher etwa aus lauter erbarmung GOtt mich„
gewuͤrdiget hat/ halte/ ob ich wol keine dem HErrn und meiſter ſelbſt„
vorziehen/ oder als einen abgott anbeten darff. Wie ich ferner alle das„
gute
das noch in den ver derbtengemeinen uͤbrig ſeyn moͤchte/ es ſey„
ſo gering als es wolle/ in gehoͤriger beſcheidenheit beyzubehalten/ und zu„
gebrauchen ſuche. Und wie ich deßwegen mit der gantzen wahren
Catholiſchen oder allgemeinen unſichtbahren kirche durch die gan-„
tze welt/ in innerlicher gemeinſchafft zu ſtehen begehre/ und an das all-
gemeine haupt/
daran alle weſentliche glieder hangen muͤſſen/ mich
gerne ernſtlich halte; Zumalich mit Petro in der that und wahrheit er-
fahren habe/ daß wer GOtt fuͤrchte und gerechtigkeit wuͤrcke/ ihm
angenehm ſey/
und zwar in allem volck/ nicht nur in einer parthey oder
Religion/ Apoſt. Geſch. X.


7. Jch finde aber nicht noͤthig mehr hievon zu ſagen/ weil der arme
Hr. Cyprian. ſelbſt nicht wiſſen wuͤrde/ was er ſpecificiren und nach ſei-
nem gewiſſen ausſagen ſolte/ wenn auff ihn gedrungen wuͤrde zu ſagen/
Was er mir denn vor eineReligionbeylegte? Denn er redet ſelbſt ſehr
zweiffelhafft und ſchuͤchtern/ wenn er etwa eine ketzerey (welchen namen er
ſich doch ſchaͤmet zu gebrauchen/ weil der ketzermacher thorheit nun allzuof-
fenbar iſt) ſpecificiren will. Er wolte mich gern p. 23. u. 81. zu einem
Socinianer machen/ getrauet ſich aber doch nicht recht/ und ſuchet nur
verzwickt und hoͤniſch mit ſophiſtiſiren dem leſer einen verdacht zu erwe-
cken. Dabey er vorſetzlicher weiſe vergiſt und uͤbergehet/ was ich wider
dieſe offenbare calumnie am ende der vorrede uͤber denI.Theil der
Kirchen-Hiſtorie ſchon lange vorher von der unendlichen Gottheit
und Majeſtaͤt des hochgelobten Sohnes Gottes (der mir ſelbſt iſt
einwahrhafftiger GOtt und das ewige leben) und von der Gott-
heit des Heiligen Geiſtes/
bekandthabe/ und ferner bekennen will.


8. So wills ihm auch mit dem Quaker-namen nicht recht angehen/
p. 39. Da ihm ſeine Sophiſmata und fallacien abermal von dem gedach-
ten guten freunde entdecket ſind; ſonderlich wie uͤbel er von einer unpar-
theyiſchen erzehlung uñ benennung gewiſſer an ſich ſelbſt guter dinge ſtracks
auff billigung der ſecte ſelbſt ſchlieſſe zumal ſolcher geſtalt kein ſecten- und
ketzer-name in der welt waͤre/ den m[i]r Herꝛ Cyprian nicht auff den hals werf-
ſen koͤnte/ wenn man einen unpartheyiſchen Scribenten/ wegen ſeiner redli-
chen relationen ſo gleich unter jene alle mengen und ſetzen wolte. Es iſt
aber vor mich gut/ und vor Herꝛn Cyprian. ſehr gefaͤhrlich/ daß zufoͤderſt
GOtt/ und dann deſſen wahre freunde/ ja auch natuͤrlich kluge le[u][t]e das
F 3gegen-
[46] gegentheil urtheilen/ wiewol mir an jenem/ welches ich am gewiſſeſten und
heilſamſten habe/ zu voller gemuͤths-ruhe gnug iſt. Ein anderer ſehe zu/
wie es bey ſeinem blinden eiffer um ſein hertz ſtehe!


9. Ungeacht aber der Autor in der vorrede §. 3. vor billich und recht
bekennet/ und daher oͤffentlich verſpricht/ mir weder mit laͤſterungen
zu begegnen/ noch ſonſt unrecht zuthun:
So hat ers doch bald ver-
geſſen; und das gegentheil gethan. Wie bißhero durchgaͤngig/ und un-
ten von dem freunde unlaͤugbar bewieſen iſt. Er hats nicht laſſen koͤnnen/
daß er miꝛ nicht zum wenigſten ein par ketzeꝛ-namen haͤtte auffhaͤngen ſollen.
Er leget mir p. 39. faͤlſchlich Quaker-lehren bey/ und p. 49. ſpricht er/
ich waͤre in dieWeigelianiſche meinungen ſo tieff geſuncken/ daß ich
ſo bald nicht wieder her aus kommen wuͤrde.
Mitſolcher ketzerma-
cherey hat der elende Autor das eꝛſte ſpecimen vor und um Promotion zu ei-
ner extraordinar Profeſſion (wie mehr als zu bekandt iſt) abgelegt/ und
ſich zu fernern dergleichen laͤſterungen wieder ſein gewiſſen (welches
dieſe greuel vor unrecht erkennt und bekennet) und wider ſein verſpre-
chen
legitimiret. Es iſt leicht zu dencken/ wie gerne die anderen und aͤl-
tern eifferer es ſehen/ daß ein junger ſo ein faͤltig und unbeſonnen iſt/ und
dasjenige dißfals auff gerathe wol verſucht/ was ſie ſelbſt nicht/ und ein
kluger oder auch argliſtiger kopff ohne proſtitution aus zu fuͤhren getrauen:
inſonderheit der/ ſo es ihm bekandter maſſen SCHMIE Den helffen.


10. Allein ich bedaure ſein einfaͤltig gemuͤthe ernſtlich/ mein Herꝛ
Cypriane, daß er andern zu gefallen durch gehends des Heil. Geiſtes;
krafft und wirckungen in ſeiner Schrifft vor Quakerey und dergleichen/ und
alſo vor irꝛthum ſchilt. Auch wuͤnſche ich/ daß ihm nicht allein dieſer blin-
de eiffer nicht zugerechnet/ ſondern er auch mit der gleichen verſuch ungen zu
ſo gefaͤhrlichen laͤſterungen des Geiſtes JEſu CHriſti hinfuͤro auff
ewig verſchonet bleibe. Er wundere ſich nicht/ daß ich ſeine expreſſiones
alſo nenne: Dennich nehme mich ihrer vor meine perſon nicht um ein haar
an/ und wenn er mir auch ein ſolch curriculum vitæ geſtellet haͤtte/ als die
Juden oder Heiden denen erſten Chriſten gethan/ wie er wol unver ſchaͤmt
und heidniſch gnug dazu waͤre; Sondern ich will nur ihm und allen ſei-
nes gleichen auffrichtig zu bedencken vorlegen/ was ſolche zunamen und re-
den auff ſich haben/ ſo ferne ſie die ſache und materie ſelbſt betreffen.


11. Nach ſeiner jetztgen einbildung iſt Weigelius ein ketzer und irꝛ-
geiſt/
und ſeine meinungen ſind vom teuffel geweſen: Das wird er frey-
lich bejahen/ weiler ſie ſonſt vor Goͤttlich halten muͤſte/ tertium non da-
tur:
Nun nennet er meine p. 49. geſetzte worte Weigelianiſche meinun-
gen:
[47]gen: Das iſt ſo viel/ als: ſolche meinungen/ die als irrig vom teuf-
fel herkommen.
Er leſe aber meine worte noch einmal/ wie ich ſie um an-
derer willen wiederholen will: aus dem II. Theil der Kirchen-Hiſtorie p.
727. Da ich nach bekaͤntnuͤß meines uͤberdruſſes/ bey ſo vielen zerſtreuun-
gen ſage: Die liebe CHriſti ruhet nicht/ biß ſie uns gar in ſich gezo-
gen/ und gleichſam verſchlungen hat. Jn dieſe ſencken wir uns
zuſammen mit der gantzen verlornen und ausgearteten creaturin
hitziger innigſter begierde des geiſtes hinein/ und wollen auſſer
dieſer ewiglich keine andere durch ihre krafft ſuchen und haben/
nach dem wir lange gnug unſer ſelbſt geweſen.


12. Hierinne wird deutlich geſagt/ die liebe CHriſti ruhe nicht/
biß ſie uns gar in ſich gezogen/ und gleichſam verſchlungen habe:
Man ſencke ſich dahinein mit innigſter begierde des geiſtes/ und
wolle ewiglich keine andere haben u. ſ. f.
Dieſes aber iſt nichts an-
ders/ ja noch vielweniger/ als was die ſchrifft von dieſer liebe CHriſti ſagt:
Zum Ex. Die liebe Chriſtidringe einen liebhaber alſo/ daß er nie-
manden/ auch Chriſtum ſelbſt nicht nach dem fleiſch kenne/ weil
in Chriſto nichts gelte als eine neue ſchoͤpffung oder creatur/ das
alte aber vergangen und alles neu worden ſey.
2. Cor. V. 14. 17.
Item,
ein ſolcher lebe nicht mehr ſelbſt/ ſondern CHriſtus lebe in ihm/
Gal. II. 20. ſein leib ſey ein tempel GOttes/ und er ſey nicht ſein ſelbſt/
weil das geheimnuͤß/ CHriſtus in uns/ nun in ihm offenbahret ſey. Col.
I. 27. Gal. IV, 19. 2. Cor. XIII. 5. Rom. IIX. 10. 1. Joh. IV.
16. das le-
ben ſey verborgen mit CHriſto in GOtt.Col. IV. 3. Man ſey im
geiſt erfuͤllet
/ Eph. V. 18. Der Goͤttlichen natur theilhafftig 2.
Pet. I. 4. u. ſ. f.


13. So ſehe er nun/ wie fein er/ Hr. Cypriane, alle ſeine gedancken
nach der ſchrifft pruͤffe/ als er p. 38. ruͤhmet! Er erkenne aus der ſchrifft/
was er Weigelianiſche/ und alſo (ſeiner meinung nach) irrige/ teuffeli-
ſche meinungen geheiſſen/ und wen er gelaͤſtert habe! Er hat nicht mich noch
meine worte geſcholten; ſondern den ſinn und klaren ausdruck des
Heiligen Geiſtes
darinne verworffen: Er hat diejenige unendliche Gott-
heit/ die ihn heget/ und darinne er lebet und iſt/ geſpottet/ und gelaͤſtert.
Seinem alten Adam hat vor dem gehorſam des jochs CHriſti gegrauet
und beſorgt: hielt er vor wahr/ daß die liebe CHriſti einen dringe/ das
uͤberfluͤßige ſtudiren auff- und ſein hertz CHriſto zu ergeben/ ſo wuͤrde es um
zeitliche vortheile gethan ſeyn. Drum hat die vernunfft und ſchlange in
ihm zugefahren/ und alles beyzeiten verworffen. Dieſes ſageich nicht/ mich
weiß
[48] weiß zu brennen/ ſondern ihm ſeine ſuͤnden hiemit oͤffentlich zu benennen/
und alſo/ wie GOtt weiß/ aus treuem gemuͤthe und verlangen zu ſeiner
„wahrhafftigen bekehrung. Und wegen dieſer ſeiner einbildungen verſi-
„chere ich ihn auch vor Gott/ daß alle ſeine vermeinte Phariſæiſche werck-ge-
„rechtigkeit/ die er in dein aͤuſſerliehen kirchen-weſen und natuͤrlich erbah-
„rem weſen mag geſuchet haben/ die ſonderbahren Meriten vor ſeine ſecte
„oder Religion/und ſein gantzer vorrath der menſchlichen weißheit/
„vor deſſen allerreineſten augen nur koth/ und ſein eiffer falſch/ irrig und
„wieder Juden ihrer/ (die Chriſtum bey aller ihrer werckheiligkeit creutzig-
„ten/ Rom. X. 2. 3. 4.) nicht nach der erkaͤntnuͤß ſey/ daß er dahero un-
„umgaͤnglich die buſſe von den todten-wercken und ernſtlicher um-
„kehrung ſeines hertzens zu GOtt durch den geiſt JEſu (den er unver-
ſtaͤndig geſchmaͤhet) noͤthig habe/ nach der vorſchrifft des heiligen Goͤttli-
chen worts/ alsdann wuͤrde er erſtlich CHriſtum wahrhafftig zu erkennen
anfangen/ den er jetz und weder kennet noch liebet/ wie ſeine worte bezeugen.


14. Demnach wuͤnſche ich ernſtlich/ daß man ſich vor der hoͤchſten
Majeſtaͤt ernſtlich beugen/ GOtt um ſeinen Heil. Geiſt bitten/ ſeine eige-
ne vernunfft und willen verlaͤugnen/ und von dem vater in wahrer buſſe zu
dem Sohn ziehen laſſen moͤge Sodann wuͤrden die geſchehenen bekaͤnd-
niſſe von der inwohnenden krafft CHriſti nicht fremd/ und die predigt vom
creutz nicht thoͤricht vorkommen. Sondern man wuͤrde zum wenigſten
mit mehrer bedencklich keit und ehr-furcht von denen wirckungen GOttes
in der ſeele reden/ und wuͤrde die arme elende ereatur ſich nicht zum richter
uͤber ihres Schoͤpffers wercke ſetzen/ wodurch ſie ſich ſelbſt im eigen willen
der groſſen ſeligkeit/ die ſie noch hier haben koͤnte/ verluſtig machet.


15. GOtt wird ja weder nach unſerer aͤuſſern angenommenen ſecte
oder Religion/ noch nach dem eiffer vor eine menſchliche parthey fragen:
ſondern allein nach dem lebendigen einfaͤltigen glauben/ der inwendig in
uns ſeyn muß/ und nach der liebe zu dem HErꝛn JEſu/ und ſeinen wahren
gliedern. Denn in ihm gilt ja nichts/ als eine neue creatur/ und welche
nach dieſer regul (der neuen oder Wiedergeburth einher gehen/) uͤber die
iſt friede und barmhertzigkeit Gal. V. 6. VI. 15. Sonſt kan man (weder
hier noch dort) das Reich GOttes ſehen/ Joh. III. 3.


16. Darum laſt uns doch unſere natuͤrlich-ſectiriſche unart ablt-
gen/ weil wir keinen grund dazu auch in der Schrifft/ ſondern vielmehr
ernſtliche abmahnungen davon finden/ welches auch zum theil der alte G.
Calixtus
und andere wol erkandt und bewieſen haben. (Man ſehe nur/ wie
C. Hornejusalleſecten durch die nach folge der erſten kirche will
auffge-
[49] auffgehaben wiſſen. Lib. I. Hiſt. Eccl. cap. 1.) Laſt uns das band der
vollkommenheit ergreiffen/ und liebe und erbarmung an einander beweiſen:
Damit der friede in unſerm hertzen ſeinekleinode austheile/ und das ewige
leben bey uns bleiben koͤnne. Denn die erfahrung lehret es ja mit ſchaden/
daß die wort-kriege und fragen uͤber dem geſetz nur zanck gebaͤhren/ und
folglich unruhe und eitel boͤfe ding anrichten. Friede aber iſt und bleibet
uͤber dem/ der dem frieden nach jaget/ und daruͤber haͤlt/ weil diß kleinod
ernſtlich will gehalten ſeyn.


17. Hier faͤllt mir noch zuletzt diejenige beſchuldigung des Hn.
Cypr. ein/ welche niemand anders als ich ſelbſt beantworten kan/ nemlich/
als ob ich in die Hiſtorie meine vorgeſaſte meinungen getragen haͤtte. Da-
gegen nun verſichere ich den Hn. Cypriani und jederman hiemit oͤffentlich/
daß ich nimmermehr auff die geringſte ſpuhr gerathen ſeyn wuͤrde/ die ge-
meinen Ketzer-Hiſtorien in zweiffel zu ziehen/ wo ich nicht alſobald/ da ich
nach gewoͤhnlicher arth derer ſtudiren den/ die Antiquit aͤt unter ſuchet/ ſo
gar augenſcheinliche denckmahle von dem groſſen elend der groͤſſeſten kirch-
gemeinen gefunden haͤtte/ welche nach und nach durch weiteres nachleſen
unwiederſprechlich geſtaͤrcket worden. Alſo daß ich von dieſer ſache ſelbſt
ungeſcheut oͤffentlich ſagen darff: Was ich gezeuget habe/ das iſt recht vor
GOtt/ und er wirds noch ſelber mit der zeit nachdruͤcklich rechtfertigen/ be-
ſtaͤtigen und behaupten/ und wenn noch ſo viel buͤcher/ wieder die Kirchen-
Hiſtorie/ auch von ſolchen/ die noch bey der welt ein anſehen haben/ geſchrie-
ben wuͤrden!


18. Auch kan ich noch dieſes als wahrhafftig vor den augen GOttes
bekraͤfftigen/ daß ich die vor der Kirchen-Hiſtorie geſetzten allgemeinen
anmerck ungen
nicht etwa vor der Elaboration des buchs ſelber/ wie Hr.
Cypr. faͤlſchlich muthmaſſet p. 50. Sondern ich habe ſie etliche jahre her-
nach bey endigung des wercks erſt geſchrieben/ und alſo aus denen erzehlten
factis als general-obſervationes gezogen/ und voran zu ſetzen keine hinder-
nuͤß gefunden: Woraus der Hr. Cypr. ſiehet/ daß dieſe ſeine muthmaſ-
ſung ſo wol als alle andere darauff gebauete anſchuldigungen p. 50. u. f.
falſch und nichtig ſeyn.


19. Jch weiß/ eꝛ findet einzeugniß in ſeinem gewiſſen/ woduꝛch Gott ſich
von der ewigen allgemeinẽ wahrheit nicht unbezeuget laͤſt/ und der H. Geiſt
bekraͤfftiget/ daß geiſt wahrheit iſt. Dem wolle er doch um ſeinerer wuͤnſch-
ten gemuͤths-ruhe willen in ſeinem hertzen nachſpuͤhren und folgen/ weil
ja die erfahrung lehrt/ daß in keinem andern/ ob wol noch ſo gut ſcheinen-
den menſchlichen namen oder dinge/ in keiner ſchulweißheit/ oder kirchen-
Ggerech-
[50] gerechtigkeit wahrhafftige zufriedenheit und gluͤckſeligkeit/ ſondern gegen
CHriſtierkaͤntniß/ alles koth und ſchaden ſey und bringe. Man goͤnne
doch ſeiner armen ſeelen ſo viel frieden/ daß ſie ihrhoͤchſtes guth alleine ſu-
chen doͤrffe/ welches ſie in creaturen nicht findet; Man ſuche doch noch
hier mit ſeinem ſchoͤpffer in ernſtlick er zukehrzu ihm verſoͤhnt und einig zu
werden/ und halte ſich in ſo viel elenden vorurtheilen nicht laͤnger auff/ die
der ſatan unter dem namen der menſchen und ihrer meinungen/ ſecten/ diſ-
put
en/ ſatzungen und traditionen neben das wort GOttes ausgeſaͤet hat.
Man ſuche GOtt im geiſt zu dienen nach ſeiner foderung in der H. Schrifft/
und faſſe das wort begierig/ das ſo nahe iſt im mund und hertzen/ und da-
von alle maͤnner GOttes gezeuget haben/ welches auch weißlich lehret/ al-
le aͤuſſere dinge in Goͤttlicher gedult ſo lange tragen/ als es dem ſchoͤpffer
ſelbſt gefaͤllt.


20. Will man aber ja der ewigen liebe GOttes und dem zeugnuͤß ih-
res geiſtes noch nicht [r]aum geben/ ſo thaͤte man doch kluͤglich/ wenn man
ſich mit wiederſpruch und verwerffung des wahrenlichts nicht verſuͤndigte.
Es kan eine zeit kommen/ da man ſolche falſche ausſpruͤche/ die nach den
traditionen der menſchen abgefaſſet ſind/ gerne wiederruffen wolte/ aber
doch ein falſch geruͤchte daruͤber durchgehen muß. Der gute Hr. Cypr.
wird erfahren/ was ihm ſeine gegenſaͤtze gefruchtet/ und ob ſie im feuer der
Goͤttlichen gerechtigkeit beſtand haben.


21. Jch kan meines orthes aus treuer liebe zu dem in ihm liegenden
funcken der einfalt nicht anders/ als ihm einfaͤltigen gehorſam zu CHriſto
dem wort des vaterserbitten/ daßer doch nun zu CHriſto komme/ von dem
die ſchrifft zeuget Joh. V. 39. 40. Wodurch er aller ſeiner ſcrupel und ge-
nommener anſtoͤſſe uͤber der wahrheit loß/ und in denſelben ruhig werden
kan. Unterdruckt er aber noch laͤnger dieſes Goͤttliche licht/ in meinung/ es
ſey Quakerey und irꝛthum/ und bauet auff den einigen grund noch mehr heu
und ſtoppeln menſchlicher dinge; ſo wird er deſſen mit ſchmertzen ſcha-
den leiden. Bekennet eraber CHriſtum vor den menſchen/ wie dieſer ihn ſo
wol als alle menſchen gerne erleuchten will/ und deßwegen noch immer dar
auch an ſein hertz klopffet; ſo wird er ſelbſt und andere mit ihm bald ſich
unausſprechlich freuen/ und ſeine ſeele aus dem Sodoms-feuer zur beute
erretten.


22. Jch mag nun nichts weiter von ſeinen falſchen beſchuldigungen
gedencken/ denn die zeit wird und muß kommen/ da er ſich derſelben noth-
wendig vor GOTT und menſchen ſchaͤmen ſoll. Haͤtte er von mir etwas
gruͤndliches gewuſt/ oder die geringſte wuͤrckliche verfaͤlſchungin der Kir-
chen-
[51] chen-Hiſtorie gefunden; ſo haͤtte ihm ſein falſcher eiffer nicht zugelaſſen
es zu verſchweigen: Drum wirder auch dieſe unwahrheit gewiß gnug uͤber
lang oder kurtz vor GOtt bereuen und buͤſſen muͤſſen/ daß er die leſer bere-
den wollen/ wie viel boͤſes er von meinem leben und ſchreiben wiſ-
ſe.
(in der vorrede §. 3. u. p. 100. item p. 102.) Vor menſchen aber (ich
ſage von vernuͤnfftigen menſchen/ nicht aber von beſtialiſchen) verraͤth er
ſeine faule gruͤnde ſelber/ darauff er jenes gebauet/ nemlich feindſelige ca-
lumni
en/ die ihm etwa ein intereſſirter eifferer zugeſchrieben: Dergleichen
waffen er aber ſelbſt als unzulaͤßig bekennet p. 103. und dahero gerne und
mit fleiß damit zu hauſe blieben iſt; Von andern ſchwachheiten will ich
nicht ſagen/ wenn man zum Ex. von ignorantz in der Hiſtorie ſchwatzt/ da
man ſelbſt mit fremdem kalbe pfluͤget.


23. Er wehre und draͤhe ſich aber um/ ſo lange er will/ ſo wird er dem
uͤberzeugenden ausſpruch Gottes in ſeinem gemuͤthe nicht entgehen koͤn-
nen: Er mag freylich/ wenn er der zuͤchtigenden gnade Gottes nicht folget/
noch wol entweder ſelbſt/ oder mit andern/ viel zeit/ muͤhe/ und papier mit
neuen ſophiſtereyen verderben/ und ſich vor der welt verbrennen/ mich aber
ſchwartz machen wollen: Allein/ was wirds ihm in der zeit ſeiner heimſu-
chung anders ſeyn/ als noch mehr boͤſe Materie vor das freſſende und pein-
lich brennende feuer der Goͤttlichen gerechtigkeit? Beſſer und kluͤger thaͤt
er/ wenn er (an ſtatt laͤngerer wiederſtrebung gegen den anklopffenden
Heil. Geiſt) die durch ſeinen wiederſpruch abgenoͤthigte zeugnuͤſſe ihm zu
hertzen gehen/ und zu einer gluͤckſeligen veranlaſſung ſeiner buſſe gedeihen
lieſſe.


24. Will er aber dennoch halßſtarrig wieder ſo manche empfindliche
warnungen bleiben; ſo kan und wird er keine wahre ruhe in ſeinem her-
tzen haben/ er ſtelle ſich aͤuſſerlich an/ wie er wolle/ biß er GOtt gehorſam
wird: Jch will ihn bey ſeiner ſtreitſucht/ und ſeinen anſtifftern die freude
gerne goͤnnen/ daß ſie nur ſagen koͤnnen: Er hat gleichwol geantwortet:
Es wuͤrde mirs ein jeder geſcheider mann vor uͤbel halten/ wenn ich ſolcher
laͤppiſchen dinge wegen die edle zeit verderbte. Und ob wol noch ſo viel an-
dere klaͤffer/ Sophiſten und zaͤncker/ oder auch ehrgeitzige heuchler wieder
die Kirchen-Hiſtorie auffſtehen werden; So wird dennoch die wahrheit
wol bleiben/ und ihr werden dennoch die auffrichtigen anhaͤngen. GOtt
lob! daß die zeiten anbrechen/ da das ſchaͤndliche ſophiſtiſiren/ ſchul-ge-
zaͤncke/ und die gantze falſch-beruͤhmte kunſt derer ketzermacher/ ihnen nicht
viel ehre oder vortheile mehr abwirfft/ und die leute augen bekommen/ zu
ſehen/ was linck oder recht iſt. Mit der zeit werden ſolche ſchand- und laͤ-
G 2ſter-
[52] ſter-ſchrifften zu lauter maculatur werden: Wie jetzund ſchon guten
theils viel Poſtillen/ Diſputationes, ſtreitſchrifften/ Ariſtoteliſche logi-
qu
en und Metaphyſiquen denen Herrn buchhaͤndlern ſchon meiſt zum ein-
packen und fortſchicken noͤthigerer ſachen dienen.


25. Es thue nun Hr Cyprian. was er will: So wird GOtt ihm doch
allezeit und uͤberall vor ſeinem gewiſſen ſtehen/ und wieder ſein thun dar-
innen zeugnuͤß geben. Seine gedancken werden ſich ſtaͤts untereinander
verklagen/ wo er der wahrheit wiederſtrebt: und endlich werden auch die ver-
borgene tuͤcke ſeines hertzens/ die er jetzt wol noch nicht kennet/ ſo gar præ-
cisè
ihm vor augen liegen/ daß er nicht die geringſte ausflucht mit aller ſei-
ner ſchul, Philoſophie wird erdencken koͤnnen. Jndeſſen aber hat er ſchon
dieſer erſten ſchrifft wegen ſo viel im gewiſſen zuverantworten/ daß/ wenn
er nicht verblendet waͤre/ es einer langwuͤrigen rechnung vor dem gerechten
richter brauchte. Und wenn er wuͤſte/ was dieſes auff ſich haͤtte/ ſein ge-
wiſſen im blute des bundes remigen zulaſſen/ und zwar nur von einem ein-
tzigen todten werck/ bey taͤglicher buſſe/ durch das lebendige richtende
wort GOttes/ das ſeel und geiſt marck und bein durchſchneidet und zermal-
met (wie alle bußfertige in der ſchrifft davon zeugen) ſo wuͤrde er
nicht mehr ſchuld auff ſich laden/ ſondern die wenige ſtunden ſeines lebens
auff daß einige noth wendige wenden.


26. Doch ſage ich dis nicht/ als fuͤrchtete ich mich vor menſchlichen
ſchrifften/ und wenn ſie auch noch ſo haͤuffig hervorkaͤmen. Sondern ich re-
de nur aus erfahrung von der genauheit/ und dem ernſt (ἀποτομῇ Roͤm. XI.
22.) der ſcharffen gerechtigkeit unſers Schoͤpffers/ und verſichere/ daß
das heilige reine Goͤttliche weſen auch nicht einem gedancken/ geſchweige
worte oder gar laͤſter-worte ungerichtet und ungeſtraffet laſſe/ es komme
uͤberlang oder kurtz. Daß ich nicht ſage/ wie auch dieluͤgen von GOtt
durch wahrheit-liebende menſchen beſchaͤmet werden/ der Herꝛ Cyprian.
wird ſehen/ wie ihm die nach folgen den erinnerungen eines freundes Satis-
faction
geben: So wenig aber/ als ich deſſen ernſten ſinn und ausdruck bey
dieſem auffſatz habe wieder ſtehen koͤnnen; ſo wenig kan ich gut da-
vor ſeyn/ daß nicht andere mehr (welche hierinnen ohne mein dencken und
ſuchenihre arbeit angebothen) dieſe ſeine nun am tag liegende oder auch
kuͤnfftig von ihm oder andern herruͤhrendeſophiſmata und unwar-
heiten genau anatomiren moͤchten. Will man ſich daruͤber beſchweren/ ſo
gebe mans ſeiner eigenen unbeſonnenheit ſchuld/ und unterſtehe ſich hinfuͤ-
ro nicht mehr mit etlichen bogen gantze volumina anzugreiffen/ in mei-
nung/ nun muͤſte jedermann glauben/ es ſey alles uͤbern hauffen ge-
worf-
[53]worffen/ man habe mich genau gefaßt/ ꝛc. Jch aber werde mich
nicht weiter moviren/ und wenn 10. Folianten voll luͤgen und laͤſterungen
herauskämen. Die wiederſprecher moͤgen ſich indeſſen an denen bißheri-
genzeugniſſen ſatt eifferen/ daran ſie nach ihrem verkehrtem ſinn gnug zu
zancken finden/ biß ſie des laͤſterens muͤde werden.


27. Und hiemit beſchlieſſe ich dieſe ſache/ nicht/ wie Herꝛ Cyprian.
der den beſchluß mit rach fodern gemacht hat. Sondern ich uͤberlaſſe
ihn hiemit einer hoͤhern heilſamen
animadverſion! mein Herꝛ Cypri-
an,
und zwar alſo/ daß er ſelbiger nicht entgehen ſoll! Nemlich/ GOtt der
lebendige und allmaͤchtige Herꝛſcher/ wird mit ſeinem gemuͤth oder geiſt ſo
genau auff ihn achthaben/ (animô advertet) daß er ſeinen zuͤchtiger in
ſich wol fuͤhlen wird! Nicht aber zum boͤſen oder verderben/ ſondern zum
unwiederſprechlichen zeugniß in ſeiner ſeelen von ſeinem natuͤrlichen elend/
und deſſen noch immer waͤhrender unge brochener Herꝛſchafft uͤber ihn: Und
hiedurch zu treuer demuͤthigung des ſchwuͤlſtigen ſinnes/ und zu gewuͤnſch-
ter wircklicher errettung ſeines gefangenen gemuͤths aus dieſen ſchrecklichen
banden der ſuͤnden/ der welt und aller feinde ſeines wahren friedens. Die-
ſe ſache iſt ja important gnug und ihm noͤthig und vortheilhafftig/ mir aber
nur um ſeinetwillen lieb und angelegen: Darum muͤſſe nichts davon zu
rechter zeit verlohren gehen! Fiat!


Das V. Capitel.
Fernere Erklaͤrung vom Kirchen- und Abendmahl gehen.


NAch dem ich dieſes auffgeſetzet hatte/ erinnerte ich mich eines exem-
pels von einem gewiſſen zeugen der wahrheit/ welcher annoch in
einem Lutheriſchen Lehramt ſtehet/ und vor wenig jahren auff ver-
anlaſſung eben ſolcher beſchuldigungẽ die nachfolgende deduction auffgeſe-
tzet hatte/ und weil dieſe gar gruͤndlich und beſcheidentlich abgefaſſet/ auch
durch den druck niemals bekandt worden iſt: So will ich ſie wegen gleich-
heit der materien mit bey fuͤgen. Dabey ich hoffe der Herꝛ Autor werde/
da mir dieſe ſchrifft ohn ſein wiſſen einmal zu haͤnden kommen/ die Publica-
tion
ihm deſto weniger entgegen ſein laſſen/ jeweniger er der offenbarung
Goͤttlicher wahrheit und gerechtigkeit entgegen zu ſeyn pfleget. Zwar
wird der Leſer unterſchiedene ſtellen Lutheri und andere gruͤnde hierinnen
auch angezogen finden! Es kan aber eine heilſame ſache nicht offt gnug wi-
derholet und eingeſchaͤrffet werden/ zumal/ wenn ſie ohne dem lange gnug
G 3unter-
[54] unterdruckt geweſen iſt. Jndeſſen iſt der anfang und beſchluß dieſer ſchrifft
vorbey gelaſſen worden/ weil ſelbige eben zu dieſer ſache nicht gehoͤren/ ſon-
dern gewiſſe umſtaͤnde einer Lutheriſchen Stadt antreffen. Demnach
lautet der vortrag an ſich ſelbſt mit denen beweißgruͤnden alſo:


Damit ich die haupt-ſache an ihr ſelbſt deutlich anzeige/ war um ich
bißhero/ wegen beywohnung der oͤffentlichen verſammlung und

communion,mich in meinem gewiſſen beſchwert gefunden. So
iſt ſolches nicht geſchehen/ (1.) als wenn ich die oͤffentlichen verſamm-
lungen an ſich ſelbſt vor unrecht hielte/ und nur allein von bloſſen zuſam-
menkuͤnfften in den haͤuſern wiſſen wolte/ da nur etliche wenige ſich beyein-
ander erbauen ſolten. Jch halte oͤffentliche verſammlungen an ſich ſelbſt
vorein gutes/ liebliches und den Chriſten zukommendes werck/ ſonderlich
an ſolchen orten/ wo ſie das freye Exercitium eines oͤffentlichen cultus ha-
ben/ und wolte nichts mehr wuͤnſchen/ als daß ſolche groſſe und volckreiche
verſammlungen an allen orten waͤren/ dadurch GOtt rechtſchaffen moͤchte
geehret und gepreiſet werden. So iſt die urſache meiner entziehung auch
nicht/ (2) als wenn ich die art und weiſe der oͤffentlichen kirchen-verſamm-
lungen bey hieſiger und ander waͤrtigen gemeinden des Lutherthums
ſchlechter dings verwuͤrffe/ und an ſich in allen ſtuͤcken ſtraͤfflich achtete. Jch
erkeñe gar wol/ was Lutherus mit einrichtung ſolcherley art der oͤſſentlichen
verſammlungen intendiret und geſucht habe/ und waͤre nur zu wuͤnſchen/
daß ſeineꝛ gehabten guten intention alleꝛſeits in praxi ein ꝛechtes gnuͤgen da-
mit moͤchte geſchehen ſeyn oder noch geſchehē. So iſt auch die uꝛſache meiner
entziehung nicht/ (3) als wolte ich mich hiermit von der Evangeliſchen
Kirche oͤffentlich trennen und abreiſſen/ und einen neuen ſelbſt erwehlten
Gottesdienſt anſtellen; Jch kenne/ GOtt lob! die recht-Evangeliſche beſ-
ſer/ und gehoͤre darzu; ſo weiß ich auch/ daß die Evangeliſche Kirche/ welche
ſich GOtt noch biß auff den heutigen tag durch ſeinen Heiligen Geiſt in
rechtem glauben erhalten hat/ mich auch in dem HErꝛn als ihr wahres
mitglieder kennet und erkennen wird/ und will mich alſo ſo gar nicht von
ihr trennen/ ob ich gleich hoͤchlich wuͤnſche/ daß ſie von denen ſchandſie-
cken/ die ſie wider ihren willen tragen muß/ gereiniget ſeyn moͤchte. Ebe-
ner maſſen will ich auch keinen neuen ſelbſt-erwehlten Gottesdienſt anfan-
gen/ ſondern wuͤnſche vielmehr/ daß alle arten des heutigen Gottesdienſtes
dem alten einigen Apoſtoliſchen Gottesdienſt recht gemaͤß moͤchten/ erfun-
den werden. So iſt auch die urſache meiner entziehung nicht/ (4.) als
wenn ich den aͤuſſerlichen Sacramentlichen gebrauch des heiligen Abend-
mahls verachtete/ oder vor unrecht hielte/ und das Abendmahl mit CHri-
ſto nur
[55] ſto nur allein innerlich und geiſtlich halten wolte. Jch weiß/ GOtt lob!
auch ſchon beſſer/ was ich von dem aͤuſſerlichen Sacramentlichen gebrauch
halten und glauben ſoll/ habe es ja auch in waͤhrender zeit gebraucht/ und
halte es ſo hoch/ daß mich der ſchaͤndliche mißbrauch deſſen von hertzen be-
kuͤmmert/ da man nemlich an dem bloſſen aͤuſſerlichen hanget ohne das in-
nerliche. So iſt auch die urſache meiner entziehung nicht/ (5.) als wenn
ich das ordentliche Predigt-ammt/ und inſonderheit ein hieſiges Mini-
ſterium
verachtete/ alſo daß ich (wie einige mir faͤlſchlich beymeſſen wol-
len/) mich ihres ammtes und dienſtes/ weil ich ſie vor untuͤchtige fleiſch-
liche Miniſtros hielte/ nicht gebrauchen wolte. GOtt weiß/ daß ich
das ordentliche Predigtammt an ſich ſohoch ehre und achte/ als es jemand
ehren und achten kan; wuͤnſche auch von gantzem hertzen/ daß alle/ die
ſolches ammt fuͤhren/ es ſelbſt ſo hoch ehren und achten moͤchten/ als ich
es ehre und achte/ und die mich des Donatiſmi beſchuldigen-wollen/ daß
ich das Miniſterium malorum ſchlechter dinges und ohne allen unterſcheid
verwuͤrffe/ die muͤſſen durch eine deutliche folge mit ſolcher falſchen impu-
tation
mir ſelber zugeſtehen/ daß hingegen das Miniſterium piorum \& ſan-
ctorum
bey mir in groſſem werth ſeyn muͤſſe/ welches ja auch ſonder zweif-
fel wol das rechte und GOtt wolge faͤllige Miniſterium allein zu heiſſen ver-
dienet. Denn wo es wahr iſt/ was die Apologia Auguſtanæ Confeſſio-
nis in articulo de Eccleſia
mit ſolchem ernſt und nach druck beweiſet/ daß
die gottloſen/ ob ſie ſchon in der aͤuſſerlichen gemeinſchafft der kirchen ſtehen/
dennoch nur im propriè membra Eccleſiæ heiſſen/ ſo muß es ja auch wahr
ſeyn/ daß die gottloſen/ ob ſie ſchon in der aͤuſſerlichen gemeinſchafft der
kirchen ſtehen/ und ſich des oͤffentlichen kirchen-amts anmaſſen/ dennoch
nur impropriè Eccleſiæ miniſtri heiſſen. Denn/ wie koͤnte ich diejenigen
in CHriſto als rechte diener ſeiner gemeinde hochachten/ die CHriſtum in
ſeinem gliede verachteten und verſtieſſen/ es waͤre denn/ daß man von mir
begehrete/ daß ich entweder wieder mich ſelbſt ſtreiten/ oder einen ſchaͤndli-
chen heuchler abgeben ſolte. Jch will mich aber zu ihnen allen ein beſſers
verſehen/ und wo ſie mich in CHriſti liebe auffnehmen/ ſo will ich auch ſie
in gleicher liebe auffnehmen/ und will ihnen auch nach ihrem tragenden
amt gern und willig alle ſchuldige ehre darreichen/ und ſo weit ich nach mei-
nem gewiſſen und erkaͤntnuͤß vor GOtt an einem ieglichen unter ihnen be-
finde/ daß ſolches hochwichtige amt nach der richtſchnur und erforderung
des heiligen Evangelii von ihnen wuͤrdiglich gefuͤhret und in allen ſtuͤcken
gezieret werde. Denn gleich wie ich von ihnen ſo abſolute nicht begehren
kan/ daß ſie mich vor ein wahres glied CHriſti erkennen ſollen/ wo ſie mir
in wahr-
[56] in wahrheit etwas unchriſtliches erweiſen koͤnnen: Alſo werden ſie auch von
mir nicht anders begehren ſie vor rechtſchaffene diener der kirchen CHriſti/
zu erkennen/ als in ſo weit ſie die pflicht und wuͤrde dieſes heiligen amts
wuͤrcklich erfuͤllen/ und ſo wolgegen mich/ als gegen jederman/ der etwas
an ihnen deſideriren wollte/ ſich von allen einwendungen gnugſam zu li-
berir
en vermoͤgen; Gleichwie ich aber hertzlich und angelegentlich bitte/
daß/ ſo ein hieſiges Miniſterium einige wichtige motiven zu haben vermei-
nen ſollte/ um derer willen daſſelbige mich nicht vor CHriſti glied erkennen
koͤnte/ mir ſolche motiven zu meiner verantwortung Chriſt-freundlich von
ihme moͤchten entdecket und angezeiget werden: Alſo bin auch ich zugleich
erboͤthig/ daß/ wo es ihrer ſeits von mir verlanget und treulich verſprochen
wuͤrde/ alles in Chriſtlicher liebe (wie es knechten GOttes gebuͤhret) auff
und anzunchmen/ ſo ich etwas ſtraͤffliches an ihnen wahrgenommen zu
haben vermeinte/ ich alsdenn in aller Chriſtlichen beſcheidenheit auch hier-
uͤber meine geziemende erklaͤrung zu thun nicht ermangeln wolle. Jn-
zwiſchen ſo lange ich der liebe nach von ihrem ſaͤmtlichen Collegio hoffen
mag/ daß daſſelbe nach Chriſtlicher billigkeit zur abthuung alles bißheri-
ges mißverſtaͤudnuͤſſes und verdachts mit mir handeln und auff geſche-
hene meine Chriſtliche erklaͤrung mich als ein glied CHriſti auffzunehmen
ſich nichtweiter entbrechen werde; ſo lange habe ich noch keine urſache von
ihrem Miniſterio oder kirchen-dienſte mich ſo gaͤntzlich abzuziehen. Und
haben daher diejenigen/ die meine bißherige entziehung deſſen von unge-
ziemlicher verachtung deriviren wollen/ aus beſagtem ſich beſſer und gruͤnd-
licher zu informiren. Es ſind aber die rechten urſachen ſolcher mei-
ner entziehung
vornemlich aus nachfolgenden in meinem gemuͤthe ent-
ſtanden.


(1.) Jſt es klar und offenbahr am tage/ daß gleich wie der allergroͤ-
ſte hauffe/ der zu der Evangeliſchen kirche will gerechnet ſeyn/ auſſer
denen oͤffentlichen kirch-verſammlungen nicht Evangeliſch/ ſondern Heid-
niſch/ ja aͤrger als Heidniſch in allen herꝛſchenden ſuͤnden lebet; Alſo auch
derſelbe ſo gar in den oͤffentlichen kirch-verſammlungen ſolche ſeine ſchaͤnd-
liche unarth ſehen laͤſſet/ daß um deß willen ſchon von vielen jahren
herſo wol ſchrifftlich in den gedruckten Poſtillen/ als auch muͤndlich auff
den cantzeln die allgemeine klage hat muͤſſen angeſtimmet werden/ wie das-
jenige hauß/ welches ein bethhauß/ zur ehre GOttes ſeyn ſolte/ nunmehro
ein pachthauß/ ein hurhauß/ ein plauderhauß/ ein ſpotthauß/ ein richt-
hauß/ ein ſchlafhauß ꝛc. geworden ſey. Was aber bey der verſammlung
ſich insgemein erfinden laͤßt/ das verbirgt ſich inſonderheit auch nicht ein-
mal
[57] mal bey der wuͤrcklichen handlung des Heil. Abendmahls/ als da unter
denen Communicanten durch uͤbermachte uͤppigkeit und kleider-
pracht/ durch
alamodiſche minen und geberden/ durch weltliche
Præcedentz/complimenten/ durch fieiſchlichePræcedentz/ gedraͤngs
und daraus erwachſenden neid und eyfferſucht ein oͤffentlicher aͤrgerli-
cher greuel getrieben und des HErꝛn Abendmahl geſchaͤndet wird/ welches
doch unter andern auch darzu eingeſetzt iſt; Daß diejenigen/ die ſich zu dem
Evangelio bekennen/ nachdem von CHriſto bey dem fußwaſchen gegebe-
nen beyſpiel in hertzlicher einfaͤltiger liebe/ demuth und erniedrigung ſich
als glieder eines leibes bey dieſem Sacrament verbinden/ und durch wuͤrck-
liche thaͤtige beweiſung des an und in ihnen durch CHriſti todt ertoͤdteten
alten Adams des HErrn todt verkuͤndigen und beehren ſollen.


(2.) Jſt es klar am tage/ und nun ſo vielmehr als das vorhergehen-
de zu beklagen/ daß die heutige ſich Evangeliſch nennende maul-Chriſten
aus ſolchem ihrem ſchaͤndlichen beginnen/ welches ſie bey der oͤffentlichen
verſammlung und Communion bezeigen/ noch darzu einen wahren Chriſt-
lichen und mit der ſeligkeit gewiß verbundenen Gottesdineſt zu machen
ſich nicht entbloͤden; Denn ſie dencken alle/ daß es um ihre ſeligkeit gar
wol ſtehe/ wenn ſie nur an den ſonn- und feſt-tagen zur kirchen und an ih-
ren ſich vorgeſetzten zeiten zum Abendmahlgehen/ und bauen alſo ihr ver-
trauen auff ein aͤuſſerliches opus operatum, welches denn den gantzen
grund des heiligen Evangelii umreiſſet und eine erſchreckliche abgoͤtti-
ſche blindheit iſt. Daher heiſſet nach der leute und gemeinen faſt durch-
gehenden redensarth den Gottesdienſt verrichten ſo viel als in die
kirche gehen/ und fromm werden ſo viel als zur beicht und Abend-
mahl gehen/ und wer das nach ihrer weiſe ſo nicht mit macht/ der muß
um deß willen bey ihnen alſo fort vor einen unchriſten und veraͤchter
des Gottesdienſtes und Sacraments gehalten und geſcholten ſeyn.
Denn es iſt das vertrauen auff die oͤffentliche verſammlung und Com-
munion
in der Kirchen oder ſo genannten Gottes-hauſe ſo feſt in
dieleute eingewurtzelt/ daß auch die beſten gemuͤther/ die da erkennen/ daß
zu dem wahren Gottesdienſte mehr als ein aͤuſſerliches opus operatum ge-
hoͤre/ dennoch den heimlichen wahn bey ſich hegen/ als koͤnte der Gottes-
dienſt der auſſer der oͤffentlichen kirchen geſchiehet/ an ſich nicht ſo heilig/
kraͤfftig und GOtt wolgefaͤllig ſeyn/ wie derjenige/ der in der kirche ver-
richtet wurde: Welches ebener maſſen nach Lutheri und der Symboliſchen
buͤcher eigenerlehre gantz wider die art des wahren Evangeliſchen Gottes-
Hdienſtes
[58] dienſtes im Neuen Teſtament ſtreitet/ als welcher an und vor ſich ſelbſt an
keinen aͤuſſerlichen ort und tempelmehr gebunden iſt.


(3.) Jſt es auch klar am tage/ und iſt eine frucht des jetztgedach-
ten falſchen wahns/ daß man nebſt der geiſtlichen abgoͤtterey/ die man mit
dem Kirchen- und Abendmahl gehen treibet (wie denn in ſolchem verſtan-
de der beruͤhmte Roſtockiſche Theologus D.Heinrich Muͤller wegen des
ſchaͤndlichen mißbrauchs den Predigt-ſtuhl/ Tauffſtein/ Beichtſtuhl/
und Altar die 4. Kirchen-goͤtzen nennet) noch darzu einen neuen Paͤbſti-
ſchen gewiſſens-zwang auffgerichtet hat/ in dem man nicht allein die boͤſen
und unverſtaͤndigeu leute (die doch nur erſt in der kirche aus der Predigt
lernen ſolten/ was der rechte Gottesdienſt waͤre/ und ſo lange ſie nicht in
dem wahren leben des glaubens aus GOtt erfunden werden/ zu allem wah-
rem Gottesdienſt untuͤchtig ſind) ſolcher geſtalt dazu anhaͤlt/ daß ſie das
Kirchen-gehen als einen ſchon wircklichen und formalen Gottesdienſt zu
uͤben und anzuſehen gewohnen muͤſſen/ ſondern man auch fromme und er-
leuchtete Chriſten (die bereits juxta Hebr. XII. 22. zu der ſtadt des leben-
digen GOttes und zu dem himmliſchen Jeruſalem im geiſt gekommen ſind/
welche ſtadt keinen tempel hat als GOtt und das Lamm Apoc XXI. 22.)
zur obſervantz der angeordneten aͤuſſerlichen Gottesdienſte alſo noͤthi-
gen und zwingen will/ daß ſie ſolche als gewiſſens halber und als noͤthige
ſtuͤcke des Chriſtenthums ſchlechterdings zu halten ſollen verbunden ſeyn/
welches abermal wider das Evangelium und Lutheri eigene Lehr ſtreitet:
Dann es ſchreibet Lutherus Tom. VII. Witteb. f. 399. a. Von Teutſcher
meſſe und ordnung des Gottesdienſtes alſo: „Vor allen dingen will
„ich gar freundlich gebeten haben/ auch um GOTT es willen/ al-
„le diejenigen/ ſo dieſe unſere ordnung im Gottesdienſte ſehen
„oder nachſolgen wollen/ daß ſie ja kein noͤthig geſetz daraus ma-
„chen/ noch jemandes gewiſſen damit verſtricken oder fahen/ ſon-
„dern der Chriſtlichen freyheit nach ihres gefallens brauchen/
„wie/ wo und wie lange es die ſachen ſchicken und erfordern.
lb. fac.
„b.
ſchreibet er:Summa,wir ſtellen ſolche ordnung gar nicht um de-
„rer willen/ die bereits Chriſten ſind: Denn die beduͤrffen der din-
„gekeines/ um welcher willen man auch nicht lebt; ſondern ſie
„leben um unſert willen/ die noch nicht Chriſten ſind/ daß ſie uns
„zu Chriſten machen; Sie haben ihren Gottesdienſt im geiſt.
„Aber um derer willen muß man ſolche ordnung halten/ die noch
„Chriſten ſollen werden oder ſtaͤrcker werden. Gleichwie ein
„Chriſt der Tauffe/ des Worts und Sacraments nicht darff als

ein
[59]ein Chriſt/ denn er hats ſchon alles/ ſondern als ein ſuͤnder. Aller-‟
meiſt aber geſchichts um der einfaͤltigen und des jungen volcks‟
willen (welches ſoll und muß taͤglich in der Schrifft und GOt-‟
tes Wort geuͤbet und erzogen werden/ daß ſie der Schrifft ge-‟
wohnet/ geſchickt/ laͤuffig und kuͤndig drinnen werden/ ihren‟
glauben zu vertreten/ und andere mit der zeit zu lehren/ und das‟
Reich CHriſti helffen mehren. Um ſolcher willen muß man leſen/‟
ſingen/ predigen/ ſchreiben und tichten/ und wo es huͤlfflich und‟
foͤrderlich darzu waͤre/ wolte ich laſſen mit allen glocken darzu‟
laͤuten/ und mit allen orgeln pfeiſſen/ und alles klingen laſſen/‟
was klingen koͤnte. Dann daꝛum ſind die Paͤbſtiſchẽ Gottesdien-‟
ſte ſo verdam̃lich/ daß ſie geſetze/ wercke und verdienſte daraus‟
gemacht/ und damit den edlen glauben verdrucket haben/ und‟
dieſelben nicht gerichtet haben auff die jugend und einfaͤltigen/‟
dieſelben damit in der Schrifft in GOttes wort zu uͤben/ ſon-‟
dern ſind ſelbſt daꝛan beklieben/ und halten ſie als ihnen ſelbſt nu-‟
tze und noͤthig zur ſeligkeit/ das iſt der teuffel/ auff welche weiſe‟
die alten ſie nicht geordnet noch geſetzethaben.
Was nun von den
oͤffentlichen kirch-verſammlungen geſetzet iſt/ das iſt auch von dem H.
Abendmahl zu ſagen/ welches der HErꝛ ſeinen lieben Juͤngern zur erqui-
ckung eingeſetzet hat/ nun aber (gleichwie der glaube) jedermanns ding
worden iſt/ indem nicht allein die groben fleiſchlichen und unbekehrten welt-
hertzen bey dem heutigen groſſen verfall der rechten Chriſtlichen kirchen-
zucht einen freyen zutritt dazu habẽ/ und wo ſie zuweilen ſelber auſſen bleibẽ/
bey weltlicher ſtraffe darzu angehalten und getrieben werden; ſondern auch
from̃e Chriſtliche hertzen/ die ſolchen ſchaͤndlichẽ mißbrauch ſehen/ und daher
in der gemeinſchafft ſolcher boͤſen leutedes HErꝛn Abendmahl zu halten ſich
beſchwert finden/ odeꝛ auch in einem geiſtlichen glaubenskampffe ſtehen/ daß
ſie noch kein gewiſſes erkaͤndtniß bey ſich finden/ wie ſie ſolchen Sacrament-
lichen gebrauch des H. Abendmahls in einem wahren und feſtgegruͤndeten
geiſtlichẽ verſtande anzuſehen habẽ/ und daheꝛ in ſolchem iñeꝛn kampfe ohne
die voͤllige gewißheit und plerophorie des glaubens/ lieber des aͤuſſerlichen
gebrauchs ſich enthalten/ als ſich deſſen in ungewißheit und zweiffel bedienẽ
wollen/ an ſtatt/ daß man ſie in liebe mitleidend tragen/ ihren beaͤngſteten
gewiſſen rathen/ der Goͤttlichen gnaden wuͤrckung zur erlangung einer rech-
ten glaubens-feſtigkeit in ihnen zeit und raum laſſen/ und das daher bey ei-
nigen unwiſſendë entſtehende aͤꝛgeꝛniß weißlich abwenden ſollen/ im gegen-
theil dermaſſen dringet und treibet/ daß ſie auff eines jeden unzulaͤngliches
H 2einreden
[60] einreden alſobald ihre habende ſcrupel fallen laſſen/ und nach der eingefuͤhe-
ten ordnung und gewohnheit das Sacrament mit zu halten ſich bequemen
oder der landes-raumung und anderer ſtraffe gewaͤrtig ſeyn ſollen. Ob
nun das eine Evangeliſche weiſe ſey die leute zum Sacrament zu bringen/
laſſe ich alle wahre Evangeliſche Chriſten urtheilen. Es ſchreibet der theure
Lutherus/ daß man im predigen mit allem moͤglichem ernſt und eiffer dahin
trachten ſolle/ die leute vom Sacrament und allen aͤuſſerlichen ſtuͤcken
abzuwenden ſo lange/ biß ſie ſich Chriſten fuͤhlen und beweiſen/ den rechten
gebrauch verſtehen/ und hernach von ſich ſelbſt in einer hertzlichen glaubens-
„begierde daſſelbige ſuchen moͤgen/ und ſetzet darzu; Ach HErr GOtt/
„wenn man dieſe lehre wohl triebe/ da ſolteſtu ſehen/ daß wo
„jetzttauſend zum Sacrament gehen/ da wuͤrden ihrer kaum
„hundert hingehen; alſo wuͤrden der greulichen ſuͤnden weniger/
„die der Pabſt mit ſeinem hoͤlliſchen geſetz in die welt geſch wem-
„met hat/ ſo kaͤmen wir zu letzt wieder zu einer Chriſtlichen ver-
„ſammlung/ die wir jetzt faſt eitel Heiden ſind unter dem Chriſtli-
„chen namen; dann koͤnten wir von uns ſondern/ die wir an ih-
„ren wercken erkenneten/ daß ſie nicht glaubten noch liebeten/
„das uns jetzt noch unmoͤglich iſt.
Wie ſolche worte zu befinden
Tom. 2. Jenenf. Germ. fol. 103. fac. 6. \& fol. ſeq. und Tom. 7. Witteb.
„fol. 363. a. b.
woſelbſt er auch ſaget: Das Sacrament kan nicht
„leiden/ daß man die leute hinzu creibe und zwinge/ ſondern
„ſie ſollen durchs Evangeliumgelehret/ von ihnen ſelbſt aus
„hungrigem glauben darum bitten und dringen.
So unrecht es
nun iſt/ die ſaͤu/ die man von dem tiſch des HErrn abhalten ſolte/ dazu zu laſ-
ſen/ und gar darzu anzutreiben/ ſo unrecht iſt es auch/ wenn man from-
me Chriſtliche hertzen/ die nicht aus boͤſer muthwilliger verachtung/ ſon-
dern aus habenden ſchweren und wichtigen gewiſſens bedencken ſich des
aͤuſſerlichen oͤffentlichen gebrauchs des Sacraments enthalten/ auff ſolche
Paͤbſtiſche Arth und weiſe wieder ihr gewiſſen darzu noͤthigen und zwingen
will/ gleich als weñ es mit ſolchen offt aus dem tieffſten grunde der ſeelen bey
tiefſinnigen ernſtlichen und religieuſen gemuͤthern entſtehenden/ und weit
um ſich ſehenden gewiſſens-ſcrupeln/ die man nicht einmal allezeit mit
worten gegen einen andern genugſam und deutlich von ſich geben kan/ ſo ei-
ne leichte ſach waͤre/ daß ſich dieſelbe nach eines jeden ſinne flugs abwerf-
fen lieſſen. Es ſind zu weilen dergleichen ſcrupel ſo wichtig/ daß kein
menſch capabel iſt/ einer beaͤngſteten ſeele dieſelben zu benehmen/ biß ſie
GOtt ſelber mit der zeit davon errettet. Ja man hat wol exempel/ daß
die
[61] die aller-Chriſtlichſten gemuͤther/ die ſchon lange im Chriſtenthum und
vieler erfahrung geſtanden/ dennoch nach langer zeit in der pruͤfungs-ſtun-
de wol gar mit dem Atheiſmo und GOtteslaͤſterung wider ihren willen
ſind angefochten worden/ wie ſolt es denn nicht geſchehen/ daß uͤber dem
Sacrament/ welches die aͤuſſere vernunfft noch weniger faſſen kan/ der-
gleichen Anfechtung entſtehe. So nun der treue und weiſe ſeelen-hirte
CHriſtus es auch ſo machen wolte/ wie unerfahrne und uͤbelgeſinnete
ſeelen-hirten zu thun pflegen/ ſo muͤſten die armen ſchafe bald verzagen:
Aber Gott lob! daß die ſeinen nicht einen ſolchen Hohenprieſter an ihm ha-
ben/ der nicht koͤnte mitleiden haben mit ihrer ſchwachheit/ ſondern der ſelbſt
verſuchet iſt allenthalben/ gleich wie/ ſie doch ohne ſuͤnde/ und daher mitlei-
den haben kan uͤber die da unwiſſend ſind/ und irren/ nach dem er auch ſelbſt
mit ſchwachheit iſt umgeben geweſen/ Hebr. IV. 15. V. 2. Es ſchreibet S.
Paulus Rom. XIV.
22. 23. daß es eine verdammliche/ und aus dem un-
glauben gehende ſuͤnde ſey/ wenn man nur gemeine ſpeiſe mit zweiffel und
anſtoß des gewiſſens eſſe: Und man will fromme Chriſten noͤthigen/ daß
ſie das Sacrament mit anſtoß und zweiffel des gewiſſens und alſo im un-
glauben gebrauchen ſollen: Welches ja recht unver antwortlich iſt. Da-
her ſchreibet Lutherus bey gelegenheit dieſer jetzt angefuͤhrten worte Pauli
Tom. 3. Jenenſ. Germ. f.
68. Jſt jemand ſchwach und zweiffelt am„
Sacrament/ der laſſe ihm rathen/ und BLEJBEDJE-„
WEJL
ohne Sacrament/ laſſe die damit umgehen/ die ſicher„
ſind im gewiſſen. Du biſt nicht verdammt/ ob on ohne das Sa-„
crament bleibeſt.
Und Tom. 2. Jenenſ. Germ. fol. 101. fac. a. ſchrei-
bet er: Jſt jemand ſo ſchwach auff dieſer ſeiten/ daß er lieber das„
gantze Sacrament entbehren will/ denn nur in einer geſtalt neh„
men/ den dulte man auch/ und laſſeihn ſeines gewiſſens leben.„
Und
Tom. 1. Jenenſ. Germ. fol. 521. Dubiſt nicht verdammt/ ob du„
ohne das Sacrament bleibeſt/ wenn du dich ſonſt im glauben/„
Gotteswort/ und liebe uͤbeſt.
Und Tom. I. Altenb. von der beichte
fol. 792. Esſollen alleSacramentaFREY SEYN jederman/„
wer nichtget aufft will ſeyn/ der laß anſtehen/ wer nicht will das„
Sacrament empfangen hat ſein wol macht; Alſo wer nicht„
beichten will/ hat ſein auch macht fuͤr GOtt.
Item: Jn der Kir-
chen-Poſtill in explicatione der Epiſtelam 4. Adventlehret er gar/ daß
ein Chriſt/ den man mit geſetz und geboten unter dem vorwand
des ſchuldigen gehorſams der kirchen zum Sacrament und an-
dern dingenzwingen will/ eben um ſolches geboths willen/ gleich

H 3das
[62]das gegentheil thun ſolle/ damit die Chriſtliche freyheit bliebe.
Ja auch in der Vorrede des kleinen
Catechiſmi.da er ſehr wieder
die muthwilligen veraͤchter des Sacraments eyffert/ willer den-
noch die ſache durch aus nicht mit zwang und geſetz getrieben ha-
ben/ da man unter andern auch den leuten GEWJSSE
ZEJT/ ORT
und ANDERE DJNGE darzu vorſchreiben
will/ ſonderner zeiget gar fein/ wie man ſich bemuͤhen ſolle/ ſol-
che veraͤchter durch bewegliche vorſtellung aus Gottes wort da-
hin zu bringen/ daß ſie ohne geſetz das Sacrament von ſelbſt be-
gehren moͤchten/ wenn ſie aber immerfort boßhafftig der Goͤttli-
chen uͤberzeugung wiederſtrebeten/ man ſie alsdenn fahren laſ-
ſen und nur ihren elendenzuſtand ihnen unter augen ſtellen ſolle.
Worauffer beygefuͤget/ daß die Prediger/ welche die zuhoͤrer auff
eine andere arth und mit geſetzen zum Sacrament zwingen wol-
len/ SELBST SCHULD daran waͤren/ daß das Sacra-
ment verachtet werde/ und erinnert daher alle Prediger und
Pfarrherrn ernſtlich/ daß ihr amt unter dem Evangelio nun
gantz eine andere bewandtnuͤß habe/ als es unter dem Pabſtthum
gehabt haͤtte. Und obwol der L.
Lutherusin dieſer Vorrede auch
von einer gattung ſolcher leute gedencket/ die eine hohe Obrigkeit
wegenihrer wiederſpenſtigkeit mit landes-raumung belegen koͤn-
ne/ ſo iſt doch allhier nicht die rede von ſolchen perſonen/ die we-
geneiner habenden gewiſſens-beſchwerde dieſes oder jenes unter-
laſſen/ ſondern es giebt es der gantze
context,und ſonderlich im
Teutſchen/ daß er von dem groben dummen volckerede/ welches
er dem vieh vergleichet/ welches von dem Pabſtthum abgefallen
war/ und nun unter dem Evangelio in aller freyheit nach ſeinem
willen leben/ und gar keinen unterricht von Goͤttlichen dingen
annehmen wolte/
von ſolchen ſaget er/ daß ſie/ wo nichts an-
ders helffen will/ von ihren vorgeſetzten mit ſchaͤrffe/ zu einer
aͤuſſerlichen raiſon ſollten gebracht roerden/ nicht aber der meinung/ daß
man jederman zum glauben und wieder ſein gewiſſen zu etwas zwingen
ſollte/ darwieder er in den unmittelbar angehaͤngten worten nach druͤcklich
proteſtiret. Darum iſt es nun ſo gar eine groſſe und wichtige ſache ſich
vor einen rechten Evangeliſchen Lehrer und Seelen - Hirten auszugeben/
weil der zuſtand und unterſcheid der menſchlichen gemuͤther ſo gar manch-
faltig iſt/ und es daher groſſe weißheit erfordert mit einem jeglichen recht
umzugehen. Es heiſt auch hier: Duo cum faciunt idem, non eſt idem,
und
[63] und laſſen ſich nicht alle leute nach einem maſſe meſſen. Bey dem einen
kan die enthaltung vom Sacrament aus einem boͤſen/ bey dem andern aus
einem guten grunde kommen/ und wer das nicht recht zu pruͤffen weiß/ der
kan durch unweiſes verfahren einer ſeelen mehr ſchaden als nutzen anrich-
ten/ davon die ſchuld hernach auff ihn faͤllt/ daß er ſich unterſtehen will/
worzuer doch nicht tuͤchtig iſt. Es kan auch offt geſchehen/ daß derjeni-
ge/ der als ein wegweiſer einen andern fuͤhren will/ in Goͤttlichen dingen
weniger verſtand und erfahrung/ als derjenige/ der ſich als ein irrender
von ihm ſoll fuͤhren laſſen/ daher denn auff ſeiten des fuͤhrers offt groſſe
ſchwachheit unterlaufft/ die er aber nicht eher erkennen mag/ biß ihm GOtt
die augen oͤffnet. Nicht ſchreibe ich ſolches/ als wenn ich mich damit einer ſo
gꝛoſſen weißheit ruͤhmen wolte/ ſondeꝛn ich ſchꝛeibe es nur deßwegen/ daß ich
von der ſchwierigkeit ſolcher faͤlle meine meynung ausdrucken und meinen
ſinnrecht erklaͤren moͤge/ wie ich wuͤnſchete/ daß bey dergleichen faͤllen/
deren ſich zu dieſer zeit nicht wenig hie und da eraͤugnen zur abwendung vie-
les Unheils von allen denen/ die ſich ſeelen-hirten nennen/ moͤchte verfahren
werden/ zweiffele auch gar nicht/ daß E. Wohl-Ehrw. mir hierinn ihren
beyfall geben werden. Jch meines wenigen orths bin in erwegung deſſen/
da ich wol erkenne/ was auch mir ſelbſt in dieſem ſtuͤcke fehle/ oͤffters alſo
gedemuͤthiget worden/ daßich ſcheu getragen/ auch nur in gedancken mich
der tuͤchtigkeit eines oͤffentlichen hirten-ammts anzumaſſen/ ehe ich von
GOtt mit ſolcher darzu beduͤrfftigen weißheit begabet waͤre/ davon es
heiſſet/ daß ſie alles ſehe und durch alle geiſter gehe/ wie verſtaͤndig/
lauter und ſcharff ſie ſind/ Sap. VII. 23. welche Goͤttliche gabe der weißheit
zu ſolchem amte eines rechten ſeelen-hirten gewiß von noͤthen/ und unter de-
nen donis adminiſtrantibus nicht die geringſte/ aber gewiß gar ſeltzam iſt.


Dieſe 3. angefuͤhrte haupt-puncte nun ſind es geweſen/ die bißher vor
vielen andern mein gemuͤthe auff das hefftigſte bekuͤmmert/ und mir vieles
ſeuffzen ausgepreſſet haben. Daß ich es aber nicht bey der bloſſen bekuͤm-
merniß und ſeuffzen habe bewenden/ ſondern mich gar der oͤffentlichen kirch-
verſammlung und communion bißher zuentziehen mich dadurch bewegen
laſſen/ iſt aus folgenden motiven geſchehen.


(1.) Weil es einem rechtſchaffenem Chriſten oblieget/ ſich keiner
fremden ſuͤnden theilhafftig zu machen. Jndem nun ſolches verkehrtes we-
ſen eine groſſe verunehrung des heiligen namens GOttes/ ein offenbahrer
mißbrauch des H. Abendmahls und eine ſchaͤndung der Evangeliſchen
kirchen iſt/ ſo habe ich zwar keinen theil an der ſuͤnde ſelbſt/ gleichwol aber/
weil der hauffe der ſich Evangeliſch nennenden maul - Chriſten noch darzu
in den
[64] in den gedancken ſtehet/ als wenn ihr verkehrtes kirchen- und Abendmahl
gehen dem Evangelio ſo gar gemaͤß und ohne tadel waͤre/ daß ihrer gemein-
ſchafft mit gutem gewiſſen ſich niemand entziehen koͤnte und daher die or-
dentliche beywohnung ihres unordentlichen begehenden Gottesdienſtes uñ
Communion von ihnen alſo auffgenommen wird/ als muͤſte man auch no-
lens volens
ſolch ihr weſen gut heiſſen/ ſo habe ich um deß willen in meinem
gewiſſen bißher mich beſchweret gefunden/ der mit ſolcher unordnung/
mißbrauch und oͤffentlichen aͤrgerniß geſchehenden kirchen-verſammlung
und Communion beyzuwohnen/ damit ich mit ſolchen groſſen und ſchwe-
ren ſuͤnden keine gemeinſchafft haben/ noch durch meine beywohnung ſie
auff einerley weiſe darinn beſtaͤrcken moͤchte.


(2.) Weil es einem rechtſchaffenen Chriſten oblieget/ zu rettung der
thre GOttes und zur uͤberzeugung des unrechts aus liebe zu GOtt und ſei-
nes naͤchſten ſeligkeit auch an ſeinen theil ſolche oͤffentliche greul und aͤrger-
niſſe zu beſtraffen/ mir aber um der ordnung willen nicht frey geſtanden
hat/ in der gemeinde durch eine oͤffentliche wort-be ſtraffung dieſer meiner
Chriſtlichen pflicht ein genuͤgen zuthun/ ich auch bißhero ſonſt keinen an-
dern weg geſehen habe mein gewiſſen von dieſer obliegenden beſchwerde zu
befreyen; So habe ich (als der ich durch GOttes gnade unter die wah-
ren mitglieder dieſer hieſigen Evangeliſchen gemeinde zu gehoͤren verſichert
bin/ und daher um dasjenige/ was die gemeinde angehet mich nicht gantz
unbekuͤmmert laſſen kan) dasjenige/ was ich bißher durch worte nicht ha-
be thun koͤnnen/ durch ſolche entziehung anzeigen und damit zu verſtehen
geben wollen/ daß gleichwie der H. GOtt an ſolchem Gottesdienſte einen
eckel hat und in ſolche verſammlung nicht riechen will/ alſo auch einer glaͤu-
bigen ſeele/ in welcher GOtt wohnet/ und die nach GOtt geſinnet iſt/ uͤber
ſolchem verkehrten Gottes dienſt der ſich Evangeliſch nennenden maul- und
heuchel-Chriſten eben alſo zu muthe ſey/ als dabey man billig gleichwie
Paulus uͤber die damaligen/ alſo auch uͤber die heutigen mißbraͤu-
che und unordnungen ſich pruͤffen muß. Συνερχομένων ὑμῶν ἐπὶ τὸ αὐτὸ
ȣ͗[μ] ἔστι κυριακὸν δεῖπνον φαγεῖν d. i. ex verſione Lutheri: Wenn
ihr nun zuſammen kommt/ ſo haͤlt man da nicht des HErrn
Abendmahl/ und ex verſione Arabica ſecundùm translationem Latinam
Franc Junii: Vos igitur, quando unà coit[i]s, non comeditis \& bibitis, pro-
ut verè diebus Domini noſtri fecerunt Apoſtoli. 1. Cor. XI.
20. und kurtz
vorher: Ὀυκ [...]παΔνῶ, ὃ [...]ι εἰ[ς] τὸ κρεῖιτον, ἀλλ [ο]ἰς τὸ ἧττον συνέρχεσϑ [...] d. i. inter-
prete Luthero:
Jch kans nicht loben/ daß ihr nicht auff beſſere weiſe/ ſon-
dern auff aͤrgere weiſe zuſammen kommt/ v. 17. welches nicht auff die recht-
ſchaffenen in der Gemeinde/ ſondern auff die boͤſen und falſchen geſagt
wird.
[65] wird. Darzu kom̃t/ das Paulus 2. Theſſ. III. 6. denen ſaͤm̃tlichen glaͤubi-
gen in dem namen des HErrn JEſu CHriſtiexpreßè gebietet/ daß
ſie ſich entziehen ſollen/ von allem bruder/ der da unordig wandelt/ und
nicht nach der ſatzung des heiligen Evangelii/ welches eꝛ eben in dieſem Capi-
tel v. 14. beſtaͤtiget/ da er ſaget/ daß man mit einem ſolchen nichts ſolle zu
ſchaffen haben/
damit er ſchamroht werde/ nur daß man ihn nicht gaͤntz-
lich vor einen feind halte/ ſondern als einen bruder vermahne. Eben derglei-
chen gebot iſt auch 1. Cor. V. 11. 12. 13. zu befinden/ da Paulus mit beziehung
auff einen andern ſchon vorher davon geſchriebenen brieffe die glaͤubigen
nochmals ernſtlich vermahnet/ daß ſierichten ſollen/ was vor leute in
ihrer gemeinde waͤren/ und von ſich hinauß thun/ werboͤſe iſt/ weß-
halben er denn kurtz vorherſaget: Jch habe euch geſchriebe: Jhr ſolt
nichts mit ihnen zuſchaffen haben/ nehmlich ſo jemand iſt/ der ſich laͤſſet
einen bruder oder Chriſten nennen/ und iſt ein hurer/ oder ein gettziger/
oder ein abgoͤttiſcher/ oder ein laͤſterer/ oder ein trunck enbold/ oder ein
raͤuber/ mit demſelbigen ſolt ihr auch nicht eſſen. Von dieſem ernſt-
lichen und in namen des HErrn JEſu CHriſti an alle glaubige gerichte-
ten gebot kan ja wol niemand ſagen/ daß ſelbiges heut zu tage nicht mehr
gelte/ ſondern gleich wie es vornehmlich die vorſteher der kirchen zu Chriſt-
lichen und ernſtlichen kirchen-zucht verbindet/ welche auch daher ſelbſt fuͤr-
andern ein vorbild und exempel aller Chriſtlichen tugend ſeyn muͤſſen/
alſo verbindet es auch alle glaubigen inſon erheit/ daß ſie uͤber deſſen
obſervantz billig halten/ und zwar um ſo viel deſto mehr/ wenn ſie ſehen muͤſ-
ſen daß die hochnoͤthige kirchen-diſciplin ſo gar ins abnehmē kom̃en iſt/ daß
noch erſt druͤber muß diſputiret werdẽ;/ ob und wie fern die von Chriſtlicher
kirchen-zucht jetzt angefuͤhrten ſpruͤche (die wir ſchon laͤngſt in der praxi ſol-
ten getrieben haben) bey uns koͤnne gelten laſſen oder nicht/ wie es denn jetzo
alſo zu ſeyn niemand leugnen kan. Und finden ja daher glaͤubige Chriſten
dringende urſache/ alle hohe und niedere perſonen/ die das hoch wichtige amt
als vorſteher der kirchen uͤber ſich genommen haben um GOttes und JEſu
Chriſti willen wehmuͤthig anzuflehen/ daß ſie doch/ ſo viel an ihnen iſt/ das
groſſe elend und klaͤglichen verfall der rechten Chriſtlichen kirchen-zucht ſich
wollen laſſen tieff zu hertzen gehen/ damit die unſchuldigen gewiſſen from-
mer Chriſten unter ſolchen greulichen oͤffentlichen aͤrgerniſſen/ die der Evan-
geliſchen kirchen zur hoͤchſten proſtitution gereichen/ nicht laͤnger moͤgen
alſo beſchweret werden. Man bittet ja in den oͤffentlichen kirchen-gebeten/
daß GOtt den rotten und aͤrgerniſſen wehren wolle. Warum geſchiehet
es dann nicht? Hoͤret denn GOtt nicht? Liegt die ſchuld an Jhm oder
Jan uns?
[66] an uns? Oder warum will man denn das arme haͤufflein der gerechten der
rotten und des aͤrgerniſſes ſchuldigen/ welches die aͤrgerniſſe ſtraffet/ ſtuͤnd-
lich daruͤber ſeuffzet und kein anders aͤrgerniß giebet/ als daß es aus furcht
GOttes ſich dem aͤrgerniß wiederſetzen will/ und daruͤber von den rotten
der boͤſen leiden muß? Jch weiß Eure Wohl-Ehrw. werden nach dero
Chriſtlichem gemuͤthe mir nicht verargen/ daß ich aus gutem wolmeynen
mein hertz alſo gegen ſie ausſchuͤtte. Es iſt warlich aus dieſer ſache kein
ſchertz noch ſpott zu machen/ ſondern es iſt ein ernſtliches gebot unſers Herrn
JEſu CHriſti/ welches er bey ſchwerer verantwortung wil gehalten wiſ-
ſen/und ſo man auff der einen ſeiten nicht geſchehen laſſen will/ daß from̃e
Chriſten ſich der oͤffentlichen communion entziehen ſollen/ ſo ſoll man auch
auff der andern ſeiten mit ernſt darzu thun/ daß die aͤrgerniſſe aus dem we-
ge geraͤumet werden/ daruͤber Chriſtliche hertzen ſich ſo ſehr beſchweret fin-
den. Und weil die menge der boͤſen und frechen ſuͤnder nunmehro ſchon ſo
groß geworden/ daß faſt keine kirchen-zucht mehr platz finden kan/ ſo habe
ich mit ſolcher meiner entziehung andern glaubigen Chriſten zu bedencken
geben wollen/ ob nicht nach den umſtaͤnden dieſer zeit ſolchem heiligen ge-
bote Pauli auff ſolche arth ein gnuͤgen geſchehen koͤnne/ daß/ weil die wah-
ren gliedmaſſen der Evangeliſchen kirche/ ſo ſchwach ſind/ daß ſie die groſ-
ſe menge der boͤſen per legitimam excommunicationem von ſich nicht ab-
ſondern/ noch ſie dardurch beſchaͤmen moͤgen/ ſich daher die glaubigen
durch ſolche entziehung von jenen abſondern/ und ſie auff ſolche arth be-
ſchaͤmen moͤchten/ ſonderlich wenn ſelbſt die oͤffentlichen lehreꝛ und vorſteher
der kirchen nach der pflicht ihres ammts in dieſem heilſamen wercke der
beſtraffung denen rechtſchaffenen Chriſten auff ſolche weiſe befoͤrderlich
waͤren/ daß es ſeinen rechten nutzen und zweck erreichen koͤnte. Denn
daß ſolche entziehung von der communion der offenbahren unchriſten
zu einem aͤrgerniß und unfrieden außſchlagen wil/ dieſes mag durch recht-
ſchaffene lehrer wohl verhuͤtet werden/ wenn von ihnen derſaͤmmtlichen
gemeine/ welche ja ſo ſehr auff ihre Autoritaͤt zu ſehen pfleget die ſache nur
recht vorgeſtellet wird. Denn ich gebe zuerwegen/ ob nicht da einige from-
me Chriſten aus vorbeſagten urſachen der oͤffentlichen communion ſich ent-
halten an ſtatt des daher entſtehenden ſcandaliaccepti es zu groſſer erbau-
ung dienen koͤnte/ weñ rechtſchaffene lehrer mit nachdruck der gemeine vor-
hielten/ welcher geſtalt der mißbrauch des heiligen Abendmahls und des
kirchlichen Gottesdienſtes ſo groß waͤre/ daß einige fromme Chriſten nach
dem gebote Pauli gewiſſens halber mit ſolchen boͤſen leuten zu communici-
ren und andere geiſtliche gemeinſchafft zu pflegen/ billig bedencken truͤgen.
Wer
[67] Wer ſolte ſich wol alsdenn an ſolcher entziehung aͤrgern? Wuͤrde nicht
mancher boͤſer dadurch beſchaͤmet werden? Und haben alſo oͤffentliche leh-
rer und prediger wol zu zuſehen/ daß ſie nicht ſelbſt durch ungleiches untheil
und vorſtellung dasjenige den leuten zum aͤrgerniß machen/ was ſonſt zur
beſſerung gereichen koͤnte/ in welchen fall ſie auch hernach vor GOtt die
ſchuld des aͤrgerniſſes tragen muͤſſen.


Die einwuͤrffe/ welche ſonſt weiter wieder ſolche entziehung moͤchten
gemacht werden/ ſind nicht zulaͤnglich das recht der ſache an ſich ſelbſt um-
zuſtoſſen. Wolte man ſprechen: Es waͤre dieſes ein eingriff in das ſtraff-
amt ordentlicher Prediger/ ſo frage ich/ wer ſuchet durch ſolche entziehung
ihr ſtraf-ammt auffzuheben? wird es nicht vielmehr dadurch beſtaͤtiget?
Solte ſich nicht ein rechtſchaffener Prediger ſich daruͤber hocherfreuen/
wenn er noch in ſeiner gemeinde ſolche ernſtliche Chriſten findet/ die ſeine
predigt und zeugniß wieder das unheilige volck auff ſolche weiſe lecundiren/
abſonderlich da viel zuhoͤrer dencken/ als muͤſten ihre Lehrer nur ſo von
ammts wegen nicht aber aus nothdurfft ſtraffen/ ſo daß die gemeinde ſich
wircklich darnach beſſern muͤſte; weßhalben die loͤblichen exempel aus
dem mittel der zuhoͤrer zur beſtrafung ein groſſes vermoͤgen. Und wo iſt es ge-
gruͤndet/ daß das ſtraff-am̃t den oͤffentlichen Lehrern ſo gar alleine zukom̃e/
daß nicht die andern glaubigen in gebuͤhrender maſſe und ordnung auch
recht und fug darzu haben ſolten? Hat nicht Paulus nach obangefuͤhrten
worten in dem namen CHriſti allen glaubigen befohlen/ an dem unordent-
lich - wandelnden die bruͤderliche beſtraffung auszuuͤben? Wuͤnſchet er
nicht I. Cor. XIV. 24. Daß/ ſo welche von denen die gar auſſer der gemein-
ſchafft der kirchen ſind/ in die gemeinde der Chriſten kaͤmen/ ſie zu ihrer be-
kehrung durch das weiſſagen alleꝛ glied maſſen in deꝛ gemeinde moͤchtet uͤbeꝛ
zeuget/ geſtraffet und gerichtet werden? Wie vielmehr haben glaubige
Chriſten nebſt denen ordentlichen Lehrern recht und macht/ diejenigen zu
richten und zu ſtraffen/ die in der gemeinde als todte oder ungeſunde glied-
maſſen ſich befinden? Und ſolten ja demnach rechtſchaffene Lehrer die from-
men Chriſten in der gemeinde vielmehr ſelbſt darzu auffmuntern/ damit ſie
an denſelben viele mitgehuͤlffen und foͤrderer in dem wercke des Herꝛn ha-
ben moͤchten. So ſaget auch Paulus I. Cor. XII. 7. daß in einem jeg-
lichem wahren Chriſten die gaben des geiſtes ſich zum allgemeinen nutz er-
zeigen. Warum ſolte nun auch nicht die gabe des geiſtes in einem jegli-
chem glaubigen Chriſten durch bruͤderliche beſtraffung zum allgemeinen be-
ſten ihre mit - wirckung beytragen? Wolte man ſprechen: Es muͤſte zwar
freylich ein jegliches glied CHriſti an dem corpore Eccleſiaſtico ſeine wir-
J 2ckung
[68] ckung und geſchaͤffte haben/ aber in ſeiner ordnung/ und wuͤrde ſichs daher
nicht geziemen/ wenn die fuͤſſe ſich in die geſchaͤffte des haupts und der haͤn-
de einmiſchen wolten. So antworte ich erſtlich/ daß dieſes zwar freylich
alſo ſey/ aber es muͤſſen auch das haupt und die haͤnde ihre geſch aͤffte aller-
ſeits alſo ausrichten/ daß der leib nicht duͤrffe an ſtatt der haͤnde aus noth
ſich der fuͤſſe zu bedienen; zum andern kan man nicht ſagen/ daß die beſtraf-
fung der boͤſen in der gemeinde ein ſolches geſchaͤfte ſey/ welches nur einigen/
und nicht allen wahren gliedern des corporis Eccleſiaſtici in gewiſſer ord-
nung zukaͤme. Drittens frage ich/ wornach man denn die wuͤrde und das
geſchaͤffte der glieder CHriſti an ſeinem geiſtlichen kirchen-leibe zu beurthei-
len habe? Will man ſolches nach dem bloſſen aͤuſſerlichen anſehen und
character der perſonen judiciren/ ſo bekraͤfftigen wir dadurch der Pontiſi-
ciorum
ihre aͤuſſerliche Hierarchiam Eccleſiaſticam; ſoll es aber nach
dem maß des geiſtes geurtheilet werden/ wie es denn alſo geſchehen ſoll/ ſo
kan ein bauer hinter dem pfluge an dem geiſtlichen kirchen-leibe CHriſti
ein edler glied ſeyn/ als ein Koͤnig/ und ſoll man alſo die gabe GOttes in ei-
nem ſolchem nach aͤuſſerlichem ſchein geringem-aber in Chriſto edlem gliede
nicht verachten; Denn GOtt will ohne anſehen der perſon in ſeiner gabe
geehret ſeyn. Und ſo wir uns nach der Lehre Lutheri halten wollen/ ſo
muͤſſen wir es auch in dieſem ſtuͤck beweiſen/ und es Luthero nachthun/ wel-
cher in der Kirchen-Poſtill in explic. der Epiſtel Dom. 2. poſt Epiphan.
„den glauben/ und alſo auch die gabe des geiſtes in dem glauben/ ſo hoch
„will geehret haben/ daß Pabſt/ Concilia, alle Lehrer/ ja alle welt ſich dem
„geringſten glaubigen Chriſten/ wenn es auch ein kind von 7. jahren waͤre/
„das den glauben haͤtte/ ſich unterwerffen und ihn hoͤren ſollen/ weil Chri-
„ſtus ſpraͤche: Sehet zu/ daß ihr nicht verachtet der kleineſten einen/ die an
„mich glauben; item: Sie werden alle von Gott gelehret ſeyn: Nun aber zie-
„me ſichs nicht den zu verachten/ den GOtt ſelbſt gelehret haͤtte/ ſondern alle
welt ſolle ihn hoͤren. Und zwar was der theure Lutherus von andern mit
worten hier erfordert/ das hat er auch ſelbſt von ſeiner perſon in der that er-
wieſen/ und habe ich mit vergnuͤgen geleſen/ mit was vor demuth er ſeine
geſtellte kirchen-ordnung dem urtheil andereꝛglaubiger Chriſten unterworf-
fen/ wie Tom. VII. Witteb. fol. 392. zu ſehen iſt/ aus ſeinem unterricht/
welchen er an Nicolaum Hauſmannum, Biſchoffen zu Zwickau/ von einer
Chriſtlichen weiſe meſſe zu halten geſchrieben hat/ da er alſo redet: „Wir
bitten durch CHriſtum jedermann von hertzen/ ob ihm etwas beſſers
wuͤrde geoffenbaret/
daß er uns heiſſe iñe halten/ damit wir alle zuſam-
men thun/ und gemeiner ſache rathen. „Und ſol. 398. b. ſchreibet er:
So
[69] „So viel hab ich gehabt/ lieber frommer Nicolae, dir zu ſchreiben von
„den ordnungen und auswendigen gebaͤrden des Gottes dienſtes unſe-
„rer kirchen hier zu Wittenberg. Etliche ſind ein theil ſchon angerichtet und
„gehen im ſchwange daher/ etliche/ will CHriſtus ſeine gnade geben/ wollen
„wir auch bald zu ende bringen/ und erfuͤllen/ daß du habeſt ein muſter/
„oder fuͤrbild/ welchem du und andere/ wo es gefaͤllig ſeyn wird/ moͤ-
„gen nachfolgen. Wo nicht/ wiſſet ihr es beſſer zu machen/ ſo wollen wir
eurem geiſte/ der euch ſalbet und lehret/ gern ſtatt geben/ bereit ſeyn
„von euch und allen andern anzunehmen/ was nuͤtzlicher und fuͤglicher
iſt.“ O wie hoͤchlich waͤre es zu wuͤnſchen/ daß alle und jede heutige Vorſte-
her der kirchen/ die doch ſelber bekennen/ daß Luthero ſie am geiſt und ga-
ben bey weitem nicht gleich ſeyn/ ſolchen ſinn haͤtten/ es wuͤrde gewiß beſſer
um die Evangeliſche kirche ſtehen/ als es am tage iſt. Das grobe/ rohe
unchriſtliche und unverſtaͤndige volck kan man wol mit geſetzen pro autori-
tate
regieren/ aber gegen glaͤubige Chriſten ſoll man billich ein beſcheideners
tractament gebrauchen; denn ſie ſind kinder der freyen/ und der in ihnen
wohnet/ iſt uͤber alle geſetze. Und wiewol ſie ſich auch/ ſo viel es ihr ge-
wiſſen leidet/ aller menſchlichen ordnung unterwerffen/ ſo thun ſie es doch
ohne zwang/ in der freyheit/ allein um des HErrn willen. Und damit ich
wiederum auff das allen glaͤubigen nach ihrem theil zukommende recht der
Chriſtlichen beſtrafung komme/ ſo lehret Lutherus in der Kirchen- Poſtill
am H. drey Koͤnigs tage/ daß ein jedweder Chriſt vermoͤge des andern
gebots verbunden ſey/ alles falſche weſen/ und GOttesdienſt/ dadurch
der Goͤttliche name verunehret wird/ zu beſtraffen. Und am tage Stepha-
ni
er weiſet er durch Stephani exempel gegen die Papiſten gewaltiglich/ daß
ein jedweder Chriſt bey erheiſchender nothdurfft auch ſo gar die Obrigkeit
„und andere Superiores ſtrafen koͤnne/ wenn er alſo ſchreibet: Aus dreſem
„exempel lernen wir/ daß alle/ die da ſchweigen zu den ſuͤnden und uͤbertre-
„tung Gottes geboten/ Gott nicht lieb haben: Wo wollen denn die heuch-
„ler bleiben/ die auch die uͤbertrekung loben? It. die affterre der und die da la-
„chen und gerne hoͤren und reden von des naͤchſten uͤbel? Es entſchuldiget
„auch niemand/ daß der Pabſt in ſeinen tollen geſetzen verbeut/ und die
Papiſten lehren/ man ſoll die Obrigkeit nicht ſtraffen noch richten. Das
ſind ſatans lehren. Wen ſtraffet hier S. Stephanus? Sind es nicht die‟
Oberſten zu Jeruſalem/ und er iſt doch ein ſchlechter gemeiner mann/
kein Prieſter noch geweiheter. Ja er lehret uns damit/ daß ein jegli-‟
cher Chriſt
den Pabſt und Oberſten ſtraffen ſoll/ und ſchuldig iſt/ ge-‟
ſchweige denn/ daß ers nicht fug und macht haben ſolte. Und fuͤrnemlich‟
J 3ſind
[70] ſind ſie zu ſtraffen in den geiſtliehen ſuͤnden/ wie hier S. Stephanus ſie nicht„
ſtraffet von groben ſuͤnden/ ſondern von der gleißnerey/ daß ſie nicht glau-„
beten und dem Heil. Geiſt nur wiederſtrebeten: Denn darinn thun ſie am„
meiſten ſchaden/ verfuͤhren ſich und das volck mit ihren geſetzen und wer-„
cken. Alſo iſt der Pabſt/ Biſchoͤffe und alle Papiſten oͤffentlich zu ſtraf-„
fen als die halßſtarrigen gleißner/ die dem Heil. Geiſte wiederſtreben und„
kein geboth GOttes halten/ nur die Chriſtlichen ſeelen verrathen/ und„
morden/ darinne ſie CHriſti verraͤther und moͤrder ſind/ der dieſelben„
mit ſeinem blute erworben hat. So wir es nun den Papiſten nicht wol-
len gleich thun/ ſo ſollen wir auch denen glaͤubigen das recht der Chriſtlichen
beſtraffung nicht nehmen/ noch um aͤuſſerliches anſehens willen die gerin-
ge perſon unſerer mitchriſten. verachten/ wenn ſie etwas an uns zu be-
ſtraffen finden/ noch es machen/ wie die ſoͤhne Jacobs/ welche ihren juͤn-
gern bruder Joſeph als einen naͤrriſchen eingebildeten traͤumer verachte-
ten/ und als er von ſeinem vater ausgeſendet war/ zu ſehen/ wie es um ſie und
um ihre heerde ſtuͤnde/ da ſie von Sichem nach Dothan gangen waren/
uͤber ihn ergrimmeten/ ſo daß ſie erſt gar anſchlaͤge machten/ ihn zu toͤd-
ten/ hernach ihn in eine grube wurffen/ und hierauff gar unter die Midia-
niter verkaufften/ ſeinen bunden rock aber/ welchen ſie ihm ausgezogen hat-
ten mit bocksblut faͤrbeten/ und damit vor ihrem vater die mißhandlung an
ihren bruder bemaͤntelten. So man nun ferner einwenden wolte/ es waͤre
die entziehung von der oͤffentlichen verſam̃lung und com̃union eine anzeige
geiſtlicher hoffarth/ daß man ſich beſſer achtete/ als alle andere/ und dahe-
ro was ſonderbahres ſeyn oder anfangen wollte: Darauff antworte ich/
es iſt dieſes eine menſchliche muthmaſſung/ die ſehr betruͤgen kan/ und wer
da will/ daß andere von ihm/ ſo viel als moͤglich/ das beſte urtheilen ſollen/
ſoll auch von andern/ wo er keine klare und gewiſſe anzeige eines wiedrigen
hat/ ein gleiches urtheil faͤllen. Jch meines orths bin vor GOtt in mei-
nem gewiſſen frey/ daß ich durch bißherige entziehung meine ei-
gene ehre weder geſucht noch erlanget habe. So begehre ich auch nichts
ſonderliches zu haben/ ſondern wuͤnſche von gantzem hertzen/ daß viele/ ja
alle/ mit mir moͤchten in CHriſto gleich geſinnet ſeyn/ und ein jeder nach ſei-
nem gewiſſen zur allgemeinen beſſerung treulich beytrage/ was er erkennet.
Daß aber ſolches nicht eben von ſo vielen geſchiehet/ da kan ich nicht vor/
und in ſo weit es von mir geſchiehet/ in ſo weit ſchreibe ichs der Goͤttlichen
gnade zu/ die es machet/ und die ich weder wegzuwerffen noch vergeblich zu-
empfangen habe. Wolte man ſagen/ auff dieſe weiſe muͤſte ich doch gleich-
wol alle andere verdammen/ die mit boͤſen leuten zur communion und kir-
che
[71] che giengen/ ja ich muͤſte alle Prediger verdammen/ die den boͤſen leuten das
brodt und den kelch des HErrn reicheten. So dienet zur antwort. Was die
Prediger betrifft/ ſo iſts nicht ohne/ daß dieſe ſache von groſſer wichtigkeit
und mit ſchwerer verantwortung verknuͤpffet ſey. Es waͤre auch hierin-
ne auff ſeiten oͤffentlicher Prediger wol ein durchbruch vonnoͤthen gegen
ſolches uͤbel/ ſich mit GOtt zu ermannen/ und wer ſich hierinne zu ſchwach
findet/ der thaͤte an und vor ſich ſelbſt beſſer/ er nehme nicht auff ſeine ſchul-
tern/ was er nicht heben und tragen kan/ ſo hatte er deſto weniger verant-
wortung. Jedoch ſoll es ferne von mir ſeyn/ ſo ſchlechter dings um deß wil-
len alle prediger zu verdammen. Jch weiß/ daß noch viele rechtſchaffene
leute ſind/ die theils erſt im lehramte das gemeine verderben haben erkennen
lernen/ und daher in dieſem ſtuͤcke mit vielen ſeufftzen in furcht und zittern
handeln/ deꝛſelben wird auch deꝛ Herꝛ wegen ihres mißfallens und ſeufftzens
uͤber dieſe greuel am tage der heimſuchung noch in gnaden zu verſchonen
wiſſen. Was aber die frechen Prediger und alle andere vor ein ſchreckli-
ches gerichte treffen wird/ denen es ſo ein geringes iſt/ das brodt der kinder
Gottes vor die hunde und ſaͤue zu werffen/ und es hingegen den kindern wol
garzu entziehen/ das werden ſie zu ihrem ſchaden erfahren. E. Wol Ehrw.
zaͤhle ich mit unter die jenigen/ die uͤber den elenden zuſtand dieſer zeiten in ih-
rem theil hertzlich ſeufftzen/ ich meines wenigen orts empfinde auch den ſcha-
den Joſephs uͤberfluͤßig/ und habe es bißher faſt vor ohnmoͤglich gehalten/
daß ich nach den umſtaͤnden gegenwaͤrtiger zeit mit gutem gewiſſen ein
Prediger werden koͤnte. Wenn ichs aber noch werden ſollte/ ſo wird mir
GOtt gnade geben/ daß ich meine und auch andere ſeelen zur außbeute dar-
von bringe/ darzu ich gleichfals allen frommen Predigern GOttes gnade
hertzlich anwuͤnſche. Gleichwie ich nun fromme Prediger/ die wieder ih-
ren willen den ſauen das Sacrament mit ſeufftzen reichen/ deßhalben nicht
verdammen will/ ſondern eines jeglichen eigener verantwortung uͤberlaſſe/
und es alles GOtt anheim ſtelle/ der einem jeden nach ſeiner treue vergel-
ten wird. So verdamme ich auch die andern frommen Prediger nicht/ die
wieder ihren willen unter den ſaͤuen zu GOttes tiſche gehen/ weil ſie ſich
entweder hierinne nicht zu rathen wiſſen/ oder auch zu bloͤde/ und furchtſam
ſind die ſaͤue anzuruͤhren. Es ſind auch viele gute Chriſtliche gemuͤther/
welche noch im eꝛkaͤntniß ſchwach ſind/ und daher in ihꝛem gewiſſen uͤber die
communionem malorum nicht ſo leicht beſchweret werden. Ja ich hoffe
und glaube auch/ daß viele aus hieſiger gemeinde/ welche der geiſt dieſer
welt anjetzo noch auffhaͤlt/ von der welt wol noch ernſtlicher/ als von mir ge-
ſchehen/ zu GOtt ſich wenden/ und denen zum beſten iſt eben die Chriſtli-
che be-
[72] che beſtraffung und beſchaͤmung angeſehen/ daß ſie dadurch zur erkaͤntniß
kommen moͤgen; Bey den andern ſaͤuen aber/ die ſchon in verſtockten ſinn
dahin gegeben ſind/ und die da meinen/ daß ſie noch vor den kindern GOt-
tes recht uͤberley an GOttes tiſche haben/ iſt alles umſonſt und verlohren/
und was zu ihrer beſſerung geſchiehet/ das iſt zum zeugniß uͤber ſie. Wol-
te man ferner einwenden/ das gebot Pauli, daß man mit denen boͤſen und
falſchen Chriſten auch nicht eſſen ſollte/ waͤre nur vom leiblichen eſſen und
von anderer freundlichen gemeinſchafft in buͤrgerlicher Converſation zu-
verſtehen: So antworte ich/ daß dieſer verſtand ſo ſchlecht hin in den
worten Pauli ſchwerlich zu erweiſen ſey; ich laſſe zu/ daß Paulus das leib-
liche gemeine eſſen zugleich gemeinet habe/ allem er hat es nicht allein ge-
meinet/ ſondern es iſt ohne zweiffel das heilige Sacramentliche eſſen auch
mit includiret; weil vors erſte die abſonderung der boͤſen von Chriſtlicher
gemeinſchafft an des HErrn tiſche dem zweck Pauli zu der anbefohlenen be-
ſtraffung und beſchaͤmung der falſch-genannten bruder naͤher koͤmmt/ und
ich nicht glauben kan/ daß Paulus dieſelbigen/ die er als offenbahre grobe
ſuͤnder/ hurer/ geitzige/ abgoͤttiſche/ laͤſterer/ trunckenbolde und raͤuber
nennet/ nur von der buͤrgerlichen/ nicht aber von der Chriſtlichen gemein-
ſchafft (dero ſymbolum inſonderheit die Communio cuchariſtica ſeyn
ſoll) habe wollen abgeſondert wiſſen; Vors andere/ weil bey den erſten
Chriſten das Sacramentliche eſſen an des HErrn tiſche mit den gewoͤhn-
lichen Agapis oder liebes-mahlzeiten/ als mit einem gemeinen eſſen/ verbun-
den waren/ und alſo derjenige/ der von den Agapis nach Pauli befehl haͤtte
ſollen excludiret werden/ ſolcher geſtalt auch von dem Abendmahl des
HErrn ohne zweiffel waͤre excludiret worden/ weil es ja ſonſt abſurd waͤre/
mit denen das brodt des HErrn zu eſſen/ welche man nicht wuͤrdig halten
ſolte/ mit ihnen das gemeine brod zu eſſen. Auſſer denen Agapis aber wuͤr-
de es nicht eben wieder Pauli befehl geweſen ſeyn/ nach erheiſchender noth-
durfft der aͤuſſerlichen umſtaͤnde mit einem boͤſen Chriſten in buͤrgerlicher
gemeinſchafft zu eſſen. Und wenn wir die worte Pauli auff unſere zeiten
appliciren/ ſo wuͤrden die wahren Chriſten heute zu tage den entzweck der-
ſelben noch vielweniger erreichen/ wenn ſie die bloſſe buͤrgerliche converſa-
tion
der boͤſen Chriſten fliehen wollten/ als welche vielmehr nach den um-
ſtaͤnden dieſer zeit offt zur gelegenheit dienen kan/ dergleichen noch in ihren
ſuͤnden ſt [...]ckende leute auff guten weg zu bringen. Ja nachdem nunmehr
ſo ein groſſes theil der welt mit boͤſen Chriſten erfuͤllet iſt/ ſo muͤſten die
rechtſchaffene Chriſten beynahe die welt raͤumen/ wenn ſie der buͤrgerlichen
gemeinſchafft mit ſelbigen wolten entuͤbriget ſeyn. Hingegen iſt es jetzt
noch
[73] noch wol moͤglich/ daß rechtſchaffene Chriſten mit denen von ihnen erkann-
ten boͤſen die ſacram Communionem zu halten ſich entbrechen koͤnnen und
waͤre ſolches auch noch heut zutage an ſich ſelbſt ſo wol ein noͤthiges als
heilſames mittel der rechten Chriſtlichen beſtraffung/ wo es nicht andere
umſtaͤnde verhinderten und unfruchtbahr machten. Sonſt mag auch die-
ſe entziehung an ſich mit recht keine ſpaltung andem leibe CHriſti genennet
werden/ weil ja die boͤſen/ ſo lange ſie boͤſe ſind zu dem leibe CHriſti nicht
gehoͤren/ und ſolche entziehung vielmehr eben dahin angeſehen iſt/ daß der/
von der ſo groſſen menge der boͤſen zertrennete geiſtliche kirchen-leib des
HErꝛn zu einer beſſeꝛn vereinigung kommen moͤge. Was einige in diſer Ma-
terie
gleichniß weiſe anfuͤhren wollen/ als muͤſte man heute zu tage die Com-
munion
mit den gottloſen alſo anſehen/ als wenn man mit einem/ deſſen
gemeinſchafft man ſonſt fliehen wuͤrde/ an eines dritten tiſch geladen waͤ-
re/ der beyden zu gebieten haͤtte/ iſt auch nicht zulaͤnglich die entziehung der
glaͤubigen von der Communion der boͤſen zu wiederlegen. Denn es will
der HErr JEſus nach ſeinem wolgefaͤlligen willen ſolche boͤcke/ als boͤcke
mir den frommen an ſeinem tiſche nicht haben/ ſondern er hat ſeinen glaͤubi-
gen durch Pauli wort befohlen/ ſo viel an ihnen iſt/ ſie von der heiligen ge-
meinſchafft zu ihrer beſchaͤmung abzuhalten/ biß ſie ſich beſſern und wahre
buſſe thun. Das exempel Judaͤ Jſcharioths/ welches man hierbey auch
anzufuͤhren pflegt/ mag gleichfals nicht beweiſen/ daß die boͤſen ohne un-
terſcheid bey der Communione euchariſtica muͤſſen geduldet werden. Denn
erſtlich wird von den Gelehrten noch druͤber controvertiret/ ob Judas
wuͤrcklich bey dem Actu des eingeſetzten Abendmahls geweſen ſey oder
nicht. Zum andern/ wo Judas moͤchte darbey geweſen ſeyn/ ſo iſt es
doch nur als einvorbild anzuſehen/ wie es mit einmengung der boͤſen unter
die wahren Juͤnger CHriſti ergehen wuͤrde/ und wie es der HErr mit hei-
liger gedulttragen wuͤrde/ nicht aber/ wie es von rechts wegen ſeyn ſolle/ und
ſo wenig aus Judaͤ exempel zu erweiſen iſt/ daß man wiſſentlich mit recht
einen boͤſewicht zum Predigt-amt beruffen koͤnne/ ſo wenig laͤſſet ſich dar-
aus erweiſen/ daß man wiſſentlich die boͤſen mit recht in Chriſtliche ge-
meinſchafft nehmen koͤnne/ weil ſonſt alle Chriſtliche kirchen-zucht damit
au gehoben waͤre; Drittens war Judas nicht ein offenbahrer ſuͤnder/
ſondern er war ein verſtellter heuchler und heimlicher boͤſewicht/ welchen
die andern Juͤnger auch dazumal noch nicht gleich zu errathen wuſten/
als der HErr ihnen ſchon geſaget hatte/ daß einer aus ihrem mittel ihn ver-
rathen wuͤrde. So iſt auch viertens wol kein zweiffel/ daß Judas im
anfang ſeines beruffs von der gnade wuͤrcklich ſey ergriffen worden/ aber
Ker ver-
[74] er verlohr die gnade/ und ward eine ſchlange auff dem wege und gehoͤret
unter die/ davon Hebr. VI. 4. 5. 6. ſtehet/ die nach dem erkannten wege
der gerechtigkeit wieder abweichen: Alſo muß nun freylich die Chriſtliche
kirche ſolche heuchler in ihrer gemeinſchafft dulden/ die ſie wegen ihres gu-
ten aͤuſſerlichen ſcheins nicht alſo bald erkennen mag/ oder auch ſolche/ die
wuͤrcklich eine zeitlang auff dem guten wege geweſen ſind/ und hernach erſt
abtruͤnnige/ und verraͤther CHriſti werden; Solches aber kan man nicht
auff offenbahre Unchriſten und auff ſolche leute ziehen/ die noch nie zu ei-
nem rechten erkaͤntniß kom̃en ſind/ denn dieſelben ſoll eine wol conſtituirte
Chriſtliche Gemeinde biß zu ihrer rechten bekehrung und beſſerung von
der ſacra communione abhalten. Fuͤnfftens war dazumal unter den 12.
Juͤngern nur ein Judas/ jetzo aber ſind bey der communion zuweilen wohl
eher 12. Judæ als ein rechter Juͤnger Chriſti zu finden/ alſo daß zwiſchẽ dieſen
und jenen eine groſſe diſparitaͤt erſcheinet. Weñ Paulus 1. Cor. XI ſelbſt von
unwuͤrdigen communicanten ſaget/ das beweiſet abermal nicht/ daß ſolche
de jure ſeyn muͤſten/ und daß die Chriſtliche gemeinde ſie wiſſentlich in ſacra
communione
dulten ſolte/ welches ja wieder den eignen befehl Pauli ſtritte/
ſondern es beweiſet gleichfals nur dieſes/ daß etliche de facto ſeyn wuͤrden/
und weil die Chriſtliche gemeinde wegen des habenden guten ſcheins ſelbige
nicht allezeit ſo gleich moͤchte pruͤffen koͤnnen/ ſo ermahnet Paulus ſolche un-
wuͤrdige heuchler/ daß ſie ſich ſelber pruͤffen und den leib des HErrn
beſſer unterſcheiden ſolten/ damit ſie nicht zum gericht an den tiſch deß
HErꝛn kaͤmen. Jn erwegung des bißher geſagten iſt nun leicht zu erken-
nen/ daß aus meiner bißherigen Entziehung von der oͤffentlichen verſamm-
lung und communion ſich gar nicht ſchlieſſen laſſe/ als wenn ich einen ſol-
chen Puritaniſmum fovirte, daß ich in ſtatu militantis Eccleſiæ einen gantz
lautern und unvermiſchten zuſtand einer ſichtbarlichen Chriſtlichen kirchen
haben wolte. Jch weiß mehr alszu wol/ daß die voͤllige ſcheidung des wei-
tzens und des unkrauts der erndte vorbehalten ſey; Darauß folget aber
nicht/ daß um deßwillen eine Chriſtliche gemeinde die geziemende kirchen-
zucht unterlaſſen und das unkraut ſelber foͤrdern und hegen ſolle/ ſondern
ſo viel an ihr iſt/ iſt ſie ſchuldig/ nicht nach Paͤbſtiſcher/ ſondern nach Evan-
geliſcher arth und weiſe ſich von dem unkraute zu reinigen/ und die boͤſen von
ihrer gemeinſchafft abzuhalten/ und iſt es daher an und vor ſich ſelbſt nicht
unmoͤglich/ daß auch in ſtatu militantis Eccleſiæ eine ſolche ſichtbahrliche
gemeinde ſeyn koͤnne/ in welcher zum wenigſten keine grobe offenbahre un-
chriſten erfunden werden/ oder wo ſich welche finden/ ſie dennoch Chriſt-
lich beſtꝛaffet/ und ehe ſie rechtſchaffene fꝛuͤchte der buſſe zeigen/ ad ſacramen-
tum
[75]tum \& intimiorem Eccleſiæ communionem nicht admittiret werden. Al-
lein das gute/ was an ſich ſelber moͤglich iſt/ das koͤmmt nicht allezeit zu
wercke/ und pfleget es hingegen wohl zu geſchehen/ daß bey dem verfall der
aͤuſſerlichen kirchen die noch uͤbrige kirchen-zucht offt gar am unrechten or-
the angewendet wird/ und eh uͤber die frommen als uͤber die boͤſen gehet.
Was den einwurff betrifft/ daß die entziehung von oͤffentlicher verſamm-
lung und communion vielen zum aͤrgerniß und bey andern religions-ver-
wandten der Evangeliſchen kirchen zur beſchimpffung gereichete/ ſo iſt der
einwuꝛf vom aͤrgerniß ſchon oben beantwortet/ daß es nemlich nur ein ſcan-
dalum acceptum
ſey/ und daß durch eine gebuͤhrliche gute vorſtellung der
ſache von oͤffentlichen Predigern das daraus entſtehende aͤrgerniß gar wol
koͤnne verhuͤtet werden. Was aber die beſchimpffung unſerer Evangeliſchen
kirche bey auswaͤrtigen anlanget/ ſo entſtehet dieſelbe nicht daher/ wenn
dasjenige/ was ein oͤffentliches unrecht iſt/ von uns oͤffentlich geſtrafft und
von allen wahren gliedmaſſen der Evangeliſchen kirchen ihr mißfallen dar-
uͤber offenbahrlich bezeuget wird; ſondern daher erwaͤchſet vielmehr die be-
ſchimpffung/ wenn man das unrecht/ welches doch ſonſt ſchon faſt
jederman ſiehet/ wieder die wahrheit und billigkeit noch beſchoͤnigen und
bedecken will. Was endlich auch moͤchte eingewendet werden/ daß man
gleich wol um der boͤſen willen das von CHriſto eingeſetzte heilige
Abendmahl nicht gaͤntzlich hindan ſetzen/ noch wider
Paulier-
mahnung die Chriſtliche verſamlung verlaſſen/ noch GOtt dem
HErrn den ſchuldigen oͤffentlichen dienſt entziehen ſolte/
abſon-
derlich da unter denen com̃unicanten und kirchen-gaͤngern auch noch viele
fromme Chriſten waͤren/ von deren gemeinſchafft man ſich nicht zu entzie-
hen haͤtte: Dieſes beantworte ich ſolcher geſtalt/ daß ich dem einwurff in
theſi gerne recht und beyfall gebe/ in hypotheſi aber habe ich unterſchiedli-
ches zu regeriren. Eꝛſtlich bꝛinget die entziehung von deꝛ oͤffentlichen com-
munion
ſo gar nicht mit ſich/ daß ich um deßwillen das heilige Sacrament
gaͤntzlich hindan ſetzen muͤſte/ ſondern es ſtehet mir ja frey/ daſſelbige priva-
tim
entweder allein/ wie ich zu Halle gethan/ oder auch mit andern mir be-
kanten frommen Chriſten durch den dienſt eines ordentlichen kirchen-die-
ners nach eingefuͤhrter ordnung eben ſo wohl als publicè zu halten; und
wiewohl man ſagen moͤchte/ daß es beſſer waͤre der communion in oͤffentli-
cher gemeinde beyzuwohnen/ ſo iſt doch dieſes von keiner ſolchen nothwen-
digkeit/ daß es nicht wegen erheblicher gewiſſens-beſchwerde (welche auff
dieſer ſeite mit unter die caſus neceſſitatis zu referiren iſt) auch auſſer der
gemeine geſchehen koͤnte. Zweytens ſo wird auch durch ſolche entzie-
K 2hung
[76] hung das band der liebe und gemeinſchafft mit denen frommen hertzen/ die
ſich zur oͤffentlichen communion und kirchen-verſamlungen halten/ nicht
zerreiſſen/ ſondern die gemeinſchafft in geiſte CHriſti/ welche das rechte
band iſt/ bleibet vor GOtt im verborgenen unverruͤckt/ ſo lange CHriſtus
in mir und in ihnen iſt/ und wenn ich auch gleich nach eingefuͤhrter weiſe
der oͤffentlichen Communion und kirchen-verſammlung aͤuſſerlich beywoh-
nete/ ſo koͤnte ich dennoch dadurch mit denen in der gemeinde erfundenen
wahren glaͤubigen in keine genauere gemeinſchafft treten/ weil wir einander
aͤuſſerlich unbekant ſind/ und auch unſere gemeinſchafft in CHriſto nach
wie vor ohne erlangte aͤuſſerliche bekantſchafft nur eine gemeinſchafft im
geiſte bleibet. Drittens frage ich/ ob ein glaubiger Chriſt aneine ſolche
verſammlung (darinne der allergroͤſte hauffe boͤſe und von dem wahren
Evangeliſchen Gottes-dienſte im geiſte der kindſchafft noch entfrembdet iſt/
und welche ſo beſchaffen iſt/ daß nach Amos V. 21. 22. 23. der HErr in
ſolche verſammlung nicht riechen mag/ und in welcher die noch darunter
befindliche Chriſtliche hertzen ſo verſtecket und verborgen ſind/ daß man
ſolche nicht einmal kennet/ mit ſeinem gewiſſen alſo verbunden ſey/ daß er ſie
vor die eigentliche verſammlung der heiligen erkennen muͤſte/ welche er nach
Pauli vermahnung nicht verlaſſen ſolle? Weiter frage ich/ ob nicht vielmehr
aus dem loco Pauli Hebr. X. 25. deutlich erſcheine/ daß unſere oͤffentliche
und gewoͤhnliche kirchen-verſammlung nach ihrer art und weiſe keine ſolche
verſammlung ſey/ wie Paulus allhier beſchreibet/ weil ja die glaubigen
(welches doch der grund und medius terminus der vermahnung Pauli an
dieſem orte iſt) darinn keine freyheit haben/ ſich untereinander zu ermah-
nen mit wahrnehmung ihrer ſelbſt und reitzung zur liebe und guten wercken/
ſondern ſolches/ wenn es geſchehe/ als ein inſolens quid wuͤrde angeſehen/
und wol gar als eine ſchaͤdliche neurung beſtraffet werden; hingegen aber
nur immerfort ein einiger redet/ wie es ihn gut deuchtet/ und alle andere
Chriſten ſchweigen muͤſſen? Frage daher ferner/ ob nicht der ſpruch Pauli
nach den umſtaͤnden unſerer zeit (da die gewoͤhnlichen oͤffentlichen kirchen-
verſammlungen zwar an ſich in ihrer rechten ordnung gut/ und unverwerff-
lich/ dennoch aber in keiner ſolchen verfaſſung ſtehen/ daß glaubige Chri-
ſten durch ihre eigene gaben darinnen ſich untereinander erbauen und erwe-
cken moͤgen) Vielmehr zu einer ſolchen verſammlung anweiſe/ da wahre
glaͤubige Chriſten/ die an einem orte ſich befinden und als glaͤubige ein-
ander bekant und offenbar geworden ſind/ ſich in rechter liebe und gemein-
ſchafft der bruͤderlichen ermahnung fleißig zuſammen halten/ und durch die
gaben des geiſtes ſich untereinander zu ihrem wachsthum erbauen/ und ob
man
[77] man nicht daher auff jener ſeiten wieder Paulum ſtreite/ ſo man ſolche
Chriſtliche verſammlung der glaͤubigen Chriſten mißbilligen und wehren
will? Uber dieſes frage ich/ ob unſere oͤffentliche gewoͤhnliche verſammlung
auch in erweiſung deſſen was I. Cor. XIV. 23. — 33. geleſen wird/ einer
recht Evangeliſchen Chriſtlichen verſammlung aͤhnlich ſey? Wo dieſe fra-
gen wol erwogen werden/ ſo wird man klaͤrlich finden/ daß unſere oͤffentliche
gewoͤhnliche verſammlung zwar an ſich in ihrer rechten ordnung gut und
heilſam/ gleichwol aber bey weitem nicht hinlaͤnglich ſeyn/ daß glaͤubige
Chriſten/ die ſchon im geiſte zu einer ziemlichen ſtaͤrcke kommen ſind/ und
ſtaͤrckere ſpeiſe beduͤrffen/ ſo ſchlechter dings darbey acquieſciren und zu ih-
rem voͤlligen wachsthum und fortgang gnugſame foͤrderung dadurch er-
langen moͤgen. Ja/ was braucht es vielen beweiß? Habe ich doch oben
mit Lutheri eigenen worten ſchon erwieſen/ daß ſolche art der oͤffentlichen
verſammlung/ wie ſie noch jetzo im ſchwange gehet/ von Luthero keines we-
ges angeordnet ſey um derer willen/ die ſchon Chriſten ſind/ ſondern um de-
rer willen/ die noch gar ſchwach ſind/ und erſt rechte Chriſten werden ſollen/
daher ſie noͤthig haben durch einen ordentlichen prediger/ der darzu tuͤchtig
und beſtellet iſt/ von dem rechtſchaffenen Chriſtlichen weſen unterrichtet zu
weiden. Und damit ich noch mehr erweiſe/ wie tiefſ und gruͤndlich Luthe-
rus
dieſe ſache eingeſehen/ und was er mit dem in oͤffentlicher kirche ange-
ordneten Gottesdienſte eigentlich intendiret habe/ ſo will ich ſeine worte
anfuͤhren/ welche aus dem vor allegirten ſcripto von Teutſcher meſſe und
ordnung des Gottesdienſtes Tom. VII. Witteb. fol. 399. b. alſo lauten:
Es iſt dreyerley unterſcheid des Gottesdienſts und der Meſſe.‟
Erſtlich eine Lateiniſche zur beybehaltung der Lateiniſchen‟
ſprache vor die jugend/ zum andern/ iſt die Teutſche meſſe und‟
Gottesdienſt/ davon wir jetzt handeln/ welche um der ein-‟
faͤltigen laͤyen willen geordnet werden ſollen. Aber dieſe zwo‟
weiſen muͤſſen wir alſo gehen und geſchehen laſſen/ daß ſie oͤffent-‟
lich in den kirchen vor allem volck gehalten werden/ darunter‟
viel ſind/ die noch nicht glauben oder Chriſten ſind/ ſondern das‟
mehrere theil da ſtehet und gaffer/ daß ſie auch etwas neues ſe-‟
hen gerade als wenn wir-mitten unter den Tuͤrcken und Heiden‟
auff einem freyen platz oder felde GOttes dienſt hielten. Denn‟
hier iſt noch keine geordnete und gewiſſe verſammlung/ darinn‟
man koͤnte nach dem Evangelio die Chriſten regieren/ ſondern‟
es iſt eine oͤffentliche reitzung zum glauben und zum Chriſten-‟
thum. Aber die dritte weiſe die rechte art der Evangeliſchen‟

K 3ord-
[78]„ordnung haben ſolte/ muͤſte nicht ſo oͤffentlich auff dem platze
„geſchehen unter allerley volck/ ſondern diejenigen/ ſo mit ernſt
„wollen Chriſten ſeyn/ und das Evangelium mit hand und mund
„bekennen/ muͤſten mit namen ſich einzeichnen/ und etwa in einem
„hauſe alleine ſich verſammlen/ zum gebet/ zumleſen/ zu tauffen/
„das Sacrament zu empfahen/ und andere Chriſtliche wercke zu
„uͤben. Jn dieſer ordnung koͤnte man die/ ſo ſich nicht Chriſt-
„lich hielten/ kennen/ ſtraffen/ beſſern/ ausſtoſſen/ oder in den
„bann thun/ nach der regul CHriſti.
Matth. XIIX.Hier koͤnte
„man auch einer gemeine allmoſen den Chriſten aufflegen/ die
„man williglich gebe und austheile unter die armen nach dem
„exempel
Pauli 2. Cor. IX.Hier duͤrffte es nicht vielund groß ge-
„ſaͤnges. Hier koͤnte man auch eine kurtze ſeine weiſe mit der
„Tauffe und Sacrament halten/ und alles auffs wort/ gebet
„und auffdie liebe richten. Hier muͤſte man einen guten kurtzen

Catechiſmumhaben uͤber den glauben/ Zehen Gebot und Vater
„Unſer; kuͤrtzlich/ wenn man die leute und perſonenhaͤtte/ die
„MJT ERNST CHRJSTEN zu ſeyn begehreten/ die ord-
„nung und weiſe waͤre bald gemacht: Aber ich kan und mag noch
„nicht eine ſolche gemeinde oder verſam̃lung ordnen/ oder anrich-
„ten/ denn ich habe noch nicht LEUTE und PERSONEN
„dazu/ ſo ſeheich auch nicht viel/ die ſich dazu dringen. — Jn deß
„willichs bey den geſatzten zwo weiſen laſſen bleiben/ und oͤffent-
„lich unter dem volck ſolchen Gottesdienſt/ die jugend zu uͤben/
„und die andern zum glauben zu ruffen und zu reitzen/ neben der
„predigt helffen foͤrdern/ biß daß die Chriſten/ die mit ernſt das
„wortmeinen/ ſich ſelbſt finden und anhalten/ auff daß nicht eine
„rotterey darauß werde/ ſo ichs aus meinem kopfftreiben wolte/
„denn
NB.wir Teutſchen ſind ein wild/ roh/ tobend volck/ mit
„denen nicht leichtlich iſt etwas anzufangen/ es treibe dann die
„hoͤchſtenoth„
Eben dahin zielet es/ wann der theure Lutherus eod.
Tom. fol. 393. b. ad Nicol. Hauſmannum
ſchreibet: „Das Evangeli-
„um iſt die ruffende ſtimme in der wuͤſten/ die die unglaubige her-
„tzen zum glauben laden ſoll; aber die meſſe iſt eben der gebrauch
„des Evangelü/ und eine gemeinſchafft des Tiſches GOttes/ wel-
„ches allein denglaubigen gebuͤhret/ auch billich an geſondertem
„ort/ auſſerhalb denen unglaubigen geſchehen ſolte. Und
Tom.
„III. Jenenſ. fol.
169. ſchreibet er/ wie er es gerne wolte anrichten/
und
[79]und dahin bringen/ daß man die/ ſo da recht glauben/ koͤnte AUF‟
einen ort ſondern.“
Allein ob ſchon der liebe Lutherus wol geſehen
hat/ wie eine rechte Chriſtliche verſammlung ſeyn ſolte/ ſo hat er doch ſei-
nen wunſch nicht erfuͤllen moͤgen/ und hat ers alſo muͤſſen einrichten und
gehen laſſen/ wie es die umſtaͤnde ſeiner zeit haben leiden wollen. Dieſes
aber habe ich nicht angefuͤhret/ als wenn ich die ordnung der noch heute ge-
woͤhnlichen oͤffentlichen kirchen-verſammlung an ſich verwerffen wolte/
ſondern ich rede nur von den uͤberhand genommenen mißbraͤuchen/ die
gantz wieder Lutheri intention entſtanden ſind/ da nemlich das volck bloß
an dem aͤuſſerlichen ſteinern kirch-gebaͤude und an dem opere operato haͤn-
get/ und man die durch GOttes gnade ſchon weiter gefuͤhrte Chriſten
ſo ſchlechter dings mit im probation und unterſagung weiterer noͤthigen
und zu hoͤhern lectionen eingerichteter Chriſtlicheꝛ erbauungs-art nur ſtaͤts
an die milchſpeiſe und lehrſchule der ſchwachen und meiſtens gantz unver-
ſtaͤndigen verbinden will/ wodurch es denn geſchiehet/ daß ſo gar ſchlechter
wachßthum und foͤrderung des rechtſchaffenen Chriſtenthums bey uns
zu ſpuͤhren iſt/ weil die wahren glaͤubigen/ die denen unglaͤubigen nebſt den
ordentlichen kirchen-dienern als lichter vorleuchten ſollten/ dermaſſen un-
ter dem groſſen hauffen verſtecket ſind/ daß ſie nicht ans tagelicht kom-
men/ ihnen ſelbſt einander unbekannt bleiben/ und alſo aus mangel recht-
pflegender Chriſtlicher gemeinſchafft und erbauung der theuren gaben der
Goͤttlichen gnade/ die in manchen edlen ſeelen liegen/ indem ſie keine gnug-
ſame erweckung haben/ gleichſam muͤſſen verſauren und vergraben ſeyn.
Hingegen ſtehet der groſſe hauffe in dem wahn/ als waͤre der Heil. Geiſt
mit ſeinen hohen und reichen gaben bloß an die ordentlichen Prediger ge-
bunden/ und als muͤſte alles Goͤttliche erkaͤntniß von jederman nur faſt
eintzig und allein aus anhoͤrung ihrer oͤffentlichen predigten geſchoͤpffet
werden/ welche ein jedweder Chriſt ohne pruͤffung in allen ſtuͤcken muͤſte
annehmen/ und gut heiſſen; Gantz wieder Lutheri lehre/ welcher in der Kir-
chen-Poſtille in auslegung des Evangelii der Fruͤh-Chriſt-Meſſe ſo nach-
druͤcklich wieder die Papiſten beweiſet/ daß die lehre der oͤffentlichen Pre-
diger und Biſchoͤffe dem urtheil aller Chriſten in der gemeinde ſolle
unterworffen ſeyn/ nach der ordnung Pauli 1. Cor. XIV. da er ſaget:
Einer odeꝛzween ſollen auslegen die ſchrifft/ die andern ſollen richten;
und wo dem ſitzenden wird etwas offenbahret/ ſoll der erſte ſchweigen.
Daher denn der liebe Lutherus in eben dieſem loco klaget/ daß dieſe Chriſt-
liche/ Goͤttliche
und Apoſtoliſche ordnung durch den Paͤbſtlichen
geiſt gaͤntzlich umgekehret/ und hingegen eine gantz Heydniſche und Pytha-
goriſche
[80]goriſche weiſe auffgekommen waͤre/ durch welche man den geiſt gedaͤmpffet
und auff ſeiten des Cleri ſich die freyheit genommen haͤtte zu reden/ was
man wolte/ ohne daß ſie jemand durffte richten/ ihnen einreden und ſie
ſchweigen heiſſen. Von eben dieſer materia redet auch Lutherus am St.
Stephanus
tage/ da er zeiget/ daß eine rechte predigt (wie auch die celebri-
rung des heiligen Abendmahls) in einer verſammlung wahrer Chriſten
zugehen ſollte/ wie in einer freundlichen collation uͤbertiſche/ daher diejeni-
ge weiſe beſtraffet/ da unter rechten Chriſten allezeit nur einer allein will ge-
hoͤret ſeyn mit angehaͤngter abermaligen klage/ daß die erſte Apoſtoliſche
weiſe und ordnung 1. Cor. XIV. ſo gar verkehret waͤre/ welche auch der liebe
Lutherus nach ſeinem wunſche/ wie oben gezeiget/ nicht recht wiederhat koͤn-
nen anrichten. Alles dieſes fuͤhreich zu dem ende an/ daß wir von Luthero
ſelber lernen moͤgen/ wie unſere oͤffentliche gewoͤhnliche kirchen-ordnung
bey weitem diejenige vollkom̃enheit nicht habe/ die man ihr ins gemein bey-
leget/ und daß zu einer recht Evangeliſch-Chriſtlichen verſammlung gantz
eine andere verfaſſung gehoͤre/ ob gleich/ weiles (wie Lutherus klaget) an
perſonen dar zu fehlet/ keine hoffnung der rechten beſſerung zu machen iſt/
biß GOtt ſelber drein ſehen und helffen wird. Endlich und zum letzten ant-
worte ich/ daß durch die entzlehung eines Chriſten von der oͤffentlichen
Communion und verſammlung nach bißher angefuͤhrten motiven und ur-
ſachen/ der dienſt/ welchen ein Chriſt GOtt oͤffentlich leiſten ſoll/ nicht
auffgehoben werde; denn ich meine ja/ daß ein Chriſt/ der die oͤffentliche miß-
braͤuche und verunehrung des wahren Evangeliſchen Gottesdienſtes ſo
treulich zu beſtraffen/ und die algemeine beſſerung an ſeinem theil ernſtlich zu
befoͤrdern trachtet/ ſeinen glauben und Gottesdienſt oͤffentlich gnug be-
weiſe/ daher auch Lutherus am heiligen Dreykoͤnigtage alſo ſchreibet;
Wenn du Gotteswort treibeſt und foͤrderſt mit allem vermoͤgen/ und
uͤber ſolchen glauben und bekaͤntniß leib und leben gut und ehre
feeude
und gunſt daran ſetzeſt/ das heiſt recht gefeyert und den
ſabbath geheiliget/
da nicht du ſelbſt/ ſondern GOTGOTT allein in
dir wircket/ und du nur ein leidend-verfolgeter menſch biſt/ das dritte
ſtuͤck des Gottes-dienſtes/
im dritten gebot verfaſſet. Weil nun auch
Lutherus am Stephans-tage ſchꝛeibet/ daß wenn die leute in ſolche geiſtliche
abgoͤtterey verfallen waͤren/ daß ſie an dem opere operato hiengen/ und die
aͤuſſerlichen kirchen-gebaͤude aberglaubiſch ehreten/ es alsdenn gut waͤre/
daß um ſolcher abgoͤtterey willen alle kirchen und GOttes-haͤuſer auffein-
mal in aller welt verſtoͤhret wuͤrden/ und man lieber unter dem freyen him-
mel oder an andern orthen predigte/ ſo werde ich ja daran nicht geſundiget
haben/
[81] haben/ daß ich aus guter Chriſtlicher meinung zur beſtraffung ſolcher einge-
riſſenen geiſtlichen abgoͤtterey/ die mit den aͤuſſerlichen kirchen und kirchen-
gehen von dem groſſen hauffen getrieben wird/ nur bloß eine zeitlang der oͤf-
fentlichen kirchen-verſammlung (welche ich an ſich in ihrer habenden wuͤrde
nicht verachte) mich gewiſſens halber zu entziehen genoͤthiget gefunden.


Hiermit hoffe ich/ wird nun das an ſich rechtmaͤßige und Chriſtliche
fundament meiner bißherigen entziehung zur Gnuͤge dargethan und erwie-
ſen ſeyn. Dieweil ich aber bißher ſchon erfahren habe/ und auch noch
weiter vorher ſehe/ daß ich den durch ſolche entziehung geſuchten haupt-
zweck der mir in meinem gewiſſen obliegenden Chriſtlichen be-
ſtraffung nicht erreichen moͤge/ ſondern vielmehr ſelbſt daruͤber faſt bey
jederman vor ſtraͤfflich/ irrig/ verdaͤchtig/ ja gar als ein verraͤchter des Got-
tes-dienſtes ſoll angeſchen und gehalten ſeyn/ ſo habe ichzeithero hertzlich zu
GOtt geflehet/ mir einen andern weg zu zeigen/ den ich zur rettung meines
gewiſſens unanſtoͤßlicher ergreiffen moͤchte/ und habe dar auff in meinem
gewiſſen die freyheit/ und den ausſchlag alſo gefunden mich zur beweiſung
meiner Chriſtlichen bereitwilligkeit in allen moͤglichen ſtuͤcken jederman
nachzugeben/ und zur abwendung aller ferneren mißdeutungen folgender
maſſen zu erklaͤren/ daß ich nehmlich in erwegung jetzt angefuͤhrter Urſache
hinfuͤro nicht als aus zwang eines geſetzes/ ſondern mit freyem
Chriſtlichem heꝛtzen/
in der eꝛkaͤntniß und pruͤfung eines guten gewiſſens
und aus auffrichtiger liebe des naͤchſten der oͤffentlichen verſammlung nach
gewoͤhnlicher ordnung beywohnen wolle/ dabey mir aber dieſes behalte
und ausbitte. Erſtlich daß mir die freyheit gegeben werde/ in einer oͤf-
fentlichen gedruckten ſchrifft die haupt-urſachen beſcheidentlich anzuzeigen/
die mich bißher zur entziehung genoͤthiget/ und hinfuͤro der oͤffentlichen
verſammlung beyzuwohnen bewogen haͤtten; denn wo mir ſolche oͤffentli-
che darſtellung zu thun nicht wolte verſtattet werden/ ſo kan ich auch mein
gewiſſen nicht befriedigen/ als welches mir nach allen obangefuͤhrten ge-
wiſſensgruͤnden nicht zulaͤſſet ohne ſolche Chriſtliche oͤffentliche beſtraffung
in der gemeinſchafft ſo vieler groben unbußfertigen ſuͤnder das heilige Sa-
crament zu nehmen/ und mich des ſchaͤndlichen mißbrauchs in dem kirchli-
ehen Gottesdienſte durch ordentliche beywohnung theilhafftig zu machen;
ich wuͤrde auch dadurch uͤber die von mir erkante Goͤttliche wahrheit eine
allgemeine laͤſterung er wecken in dem meine bißherige entziehung ſtadt- und
landkuͤndig wordeniſt/ und ohne ſolche oͤffentliche declaration der wahren
beſchaffenheit jederman ſagen wuͤrde/ ich waͤre zuvor auff einen irrwege ge-
weſen/ haͤtte aber nun mein unrecht erkennen lernen/ und mich bekehret/
welches ich zum ſpott der wahrheit und zur beſtaͤrckung des boͤſen hauffens
Lin ſei-
[82] in ſeinem falſchen weſen und laͤſterung auch zur verunglimpffung anderer
kinder GOttes/ die mit mir ein gleiches gewiſſens-bedencken tragen/ nicht
kan geſchehen laſſen. Vors andere/ weil von mir verlanget wird/ daß
ich hinſuͤro den gewoͤhnlichen kirchen-verſammlungen beywohnen ſoll/ und
ich ſolches zu thun verſpreche/ ſo bitte ich gleichfals mir dieſes zu vorhero
darbey aus/ daß wenn ich in predigten/ oder ſonſt etwas wahrnehmen ſol-
te/ daruͤber ich einem R. Miniſterio mein bedencken zu eroͤffnen der noth-
durfft zu ſeyn nach meinem gewiſſen erachtete/ mir die freyheit moͤge gege-
benſeyn/ mit ihme daruͤber beſcheidentlich auſſer der verſammlung zu confe-
ri
ren. Sonderlich aber wuͤrde ſolches geſchehen/ wenn man zuweilen
vor der gantzen gemeinde in ſolchen materien allerley wiedrige elenchos ge-
brauchen wolte/ davon ich in meinem gewiſſen vor Gott ein anders uͤberzeu-
get waͤre/ und alſo erhebliche urſache haͤtte mein bedencken billich darwieder
einzubringen. Vors Dritte iſt mein angelegenes bitten/ daß E. hieſiges R.
Miniſterium
ſich auch nunmehro gegen mich erklaͤren wolle/ ob daſſelbe
mich hinfuͤro vor rechtglaubig zu halten ge ſinnet ſey: wolte es aber (deſſen
ich mich nicht verſehen wil) mich vor irrig erklaͤren/ ſo begehre ich billig
deſſen beweiß/ in welchem ſtuͤcke daſſelbe mich auff einiger Heterodoxie
befunden zu haben erachte/ und verlange einig und allein AUS HEJ-
LJGER SCHRJFT eine gruͤndliche conviction des imputirten
irꝛthums/ wiedrigen falls wuͤrde mir weder grund noch muth ermangeln/
diejenigen ſelbſt groſſer haupt-irꝛthuͤmer aus der ſchrifft zu uͤberfuͤhren/
welche von andern ohne urſache dergleichen urtheilen. Tantum.


So weit gehet die deduction des gedachten zeugens der wahrheit
von dem gemeinen kirchen- und Abendmahl gehen.


Das VI. Capitel.
Von dem recht Evangeliſchen Lehramt und der Chriſt-
lichen freyheit/ erleuchter Chriſten.


JCh wende mich aber ſchließlich zu etwas noͤthigers und dienlichers/
uñ damit ein unpartheyiſcher leſer in die ſer ſchrifft nicht mit bloſſen
ſtreit-ſachen allein occupiret werde/ welche bißher/ GOtt lob!
manchem einunertraͤglicher eckel worden ſind. So will ich allhier noch
ein auffrichtiges bedencken anfuͤgen/ worinnen mehr reeles und auff ge-
meinebeſſerung zielendes zu finden ſeyn wird. Es betrifft aber dieſes nicht
etwa alleine den verwirreten hauffen der welt-leute oder ihrer partheyen
und
[83] und verſammlungen/ davon zuvor die rede geweſen: Sondern es iſt eine
deutliche antwort auff die folgende frage/ welche manchmal unter ſolchen
perſonen vorfaͤllt/ die im erkaͤntniß des allgemeinen verderbens/ aus guter
meinung einige andere anſtalten vornehmen/ und ſolche andern allen vor
noͤthig achten. So moͤcht nun etwa auff folgende weiſe gefraget werden:
Auff was art eine Chriſtliche Gemeine an einem ort regieret
und gefuͤhret werden muͤſſe/ und ob ſolcher regierung alle
glieder derſelben/ inſonderheit der aͤuſſerlichen ordnung
nach unterworffen ſeyn/ oder ſich derſelben/ zu behauptung
ihrer Chriſtlichen freyheit/ entziehen koͤnnen?

Dieſe frage iſt allhier nach dem klaren ſinn GOttes in der Schrifft kuͤrtzlich
erlaͤutert/ und deswegen mit beygefuͤget/ damit ein jeder unpartheyiſcher
weiter ſchlieſſen und urtheilen koͤnne: Ob ein wahrhaſſtig gefreyeter
des HErꝛn/ nach Goͤttlichem recht an die gewoͤhnlichen aͤuſſerli-
chen
opera operatades verderbten kirchen-weſens gebunden und
gezwungen werden koͤnne;
Da er auch ſo gar von allen (auch ſchein-
barſten) menſchen-gebothen/ lehren und ordnungen in CHriſto frey
worden?


1. Dennoch iſt zufoͤrderſt und am meiſten zu beobachten/ daß hier
nicht die rede ſey von ſolchen/ die entweder ihr lebtagekeine wahre buſſe ge-
than/ oder nur noch im anfang ihrer zukehr zu GOtt ſtehen: ſondern vor-
nemlich von wachſenden und weiter fortgehenden Chriſten/ die nun-
mehro ihren hirten ſelbſt kennen/ wie Johannis kinder und die Theſſaloni-
cher (1. Theſſ. IV. 9. 1. Joh. II, 20. 27.) Woraus denn folgt/ daß auch
nothwendig die Hirten und Lehrer (als correlata) genauer und in eini-
gem hoͤhern grad anzuſehen ſeyn/ nach folgenden umſtaͤnden und puncten.


I. Der erſtepunct.
Vondenen Hirten und Lehreruſelbſt.


2. Werden dahero ſolche lehrer zufoͤrderſt von und durch den Heil.
Geiſtſelbſt geſetzet ſeyn muͤſſen/ (nach Apoſt. Geſch. XX. 28. Eph.
IV.
11.) und alſo von demſelben wircklich geſandt und reichlich geſalbet
zur noͤthigen beweiſung deſſelben geiſtes und ſeiner krafft I. Cor. II. 4. da-
hero wird ſich kein ſolcher hirte ſelbſt auffwerffen/ noch eigenmaͤchtig und
bloß aus veranlaſſung einer aͤuſſern Vocation ſich eines Rechts oder
Herꝛſchafft uͤber andere
anmaſſen/ welche nicht mit ſchmertzen geboren
ſind.


L 23. Solte
[84]

3. Solte ſie aber vom Heil. Geiſt geſetzet werden/ ſo wuͤrde/ dieſer
geiſt der weißheit nur ſolche erwehlen/ ausſondern/ und zu ſo Goͤttlichem
werck ſenden/ welche vor allen dingen an ſich ſelbſt/ nicht nur einige ſtuffen
der bekehrung/ ſondern die wahre neue geburt aus GOtt/ und mithin
das geheimniß/ CHriſtum inuns wircklich erfahren/ auch wol eine
zeitlang mit ihm inwendig umgangen und nach Apoſt. Geſchicht. X. 41.
Joh. XV.
27. ſein Abendmahl gegeſſen und getruncken haben/ ſintemal
dieſes das haupt-werck des lehr-amts iſt/ die ſeelen mit Johanne auff
CHriſtum zu weiſen/ welcher in ihnen durch ſeinen geiſt mitzeuget/ und an-
klopffet/ Joh. XXV. 26. 27. Offenb. III. 20. auch/ nachdem die hertzen
inwendig fuͤhlen und annehmen/ was von auſſen bezeuget wird/ in ihnen
ſich offenbahret: Coloſſ. I. 26. 27. Rom. IIX. 10. 2. Cor. XIII. 5.
Joh. XIV.
21.


4. Solche inwendig geuͤbte/ und erfahrne lehrer wuͤrden an ſich
ſelbſt alle oder doch die erſten und noͤthigſten Goͤttlichen ſtuffen (davon
der anhang an den Goͤttlichen Liebes-funcken etwas meldet) proceſſe
und kennzeichen der neuen geburt in Goͤttlichem licht erkant haben/ auch da-
hero den weſentlichen hoͤchſtnoth wendigen unterſcheid der erſten buſſe
von der voͤlligen wiedergeburt.
Dahero ſie denn nicht beydes ver-
mengen/ und damit ſich oder anderein gefahr ſetzen wuͤrden/ und durch
unzulaͤnglichen vortrag und ſtuͤckwercke von der weitern geburts-arbeit
auff- und abhalten. Jnmaſſen ſolche auff ihrer erſten bekehrung ſtehend
bleibende/ und immer in einem circul gleichſam umlauffende/ oder doch nur
im bloſſen wiſſen/ ohne weſentlichen wachsthum ſich auffhaltende gemuͤ-
ther weder ſelbſt wahre kinder in CHriſto zu zeugen/ noch die durch andere
lehrer gezeugete und fortwachſende weiter zu fuͤhren. Luc. VI. 39. Rom.
II. 19. Joh. V. 37. 1. Joh III.
6.


5. Ferner wuͤrde auch ein jeder Goͤttlicher lehrer eigene/ rechte und
aͤchte kinder nach dem geiſt erlangen und haben/ als ſiegel ſeines Apo-
ſtelamts
1. Cor. IX. 2. und nicht nur bloß auff fremden grund zu bauen/
und ein zucht-meiſter fremder kinder zu ſeyn ſich unterwinden. Rom. XV.
20. 1. Cor. IV. 15. Ebr. VI.
1. Alldieweil das gantze amt des Neuen
Teſtaments/ einig und allein auff eine geiſtliche ausgeburt ſiehet und
zielet/ als wodurch die andere und neue ſchoͤpffung (κτίσς) oder creatur
in CHriſto dargeſtellet wird. 2. Cor. V. 15. Eph. II. 10. Gal. IV. 9. 12.
15. 1 Cor. IV. 15. Philem. v.
10.


6. Dieſem nach wuͤrden ſolche geiſtliche vaͤter nicht daran gnug ha-
ben/ daß ſie eine und andere gottloſen durch ihr zeugniß geruͤhret/ und zu ei-
niger
[85] niger andacht/ beyſtimmung und reue gebracht hatten/ welches frey-
lich auch an ihm ſelbſt GOttes- und nicht eines menſchen werck iſt: Son-
dern ſie wuͤrden auch/ als ſelbſt neugebohrne und in CHriſto JEſu geſtal-
tete menſchen durch das inwendig eingepflantzte lebendige wort (Jacob. I.
21.) wircklich andere kinder mit ſchmertzen ausgebohren und zum
neuen leben des geiſtes maͤchtiglich erwecket haben. Angeſehen jene er ſte
bewegung
noch lange nicht eine wahre erneuerung des Heiligen Gei-
ſtes
ſeyn moͤchte/ als welche offte ſehr unbeſtaͤndig iſt/ oder wol hernach in
doppelte boßheit ausſchlaͤgt/ auch (wo ein ungeuͤbter fuͤhrer darauff be-
ruhet) gemeiniglich in heucheley/ nachaͤffung/ wort-gepraͤng und groſ-
ſen jammer verkehret wird/ nachdem der natuͤrliche menſch ſo gleich nach
ſeiner erſten uͤberzeugung erſtlich ein ziemlich grober heuchler zu werden pfle-
get/ ehe er nach langer zucht ein wahrer Chriſte wird.


7. Gleichwie nun aber das gantze Chriſtenthum nach ſeinem weſen
innerlich und geiſtlich iſt/ und bey deſſen auffrichtung durchs lehramt
alles zur herwiederbringung des innern bildes GOttes arbeiten ſol-
te: Alſo wuͤrde in allen und jeden nichts als JEſus CHriſtus der hoch-
gelobte Sohn GOttes und zwar der gantze CHriſtus (wie er ſich in
den hertzen offenbahren will) der einige weſendliche grund/ anfang/ mit-
tel und ende gehoͤret/ geſuͤhlet und erkandt werden. Jn betrachtung/ die-
ſes ewige alleinige wort des vaters in den ſeelen erwecket/ eingepflantzet/
formiret oder geſtaltet und ausgebohren werden muͤſte: Damit es nach
und nach/ durch alle ſtuffen und alter/ in dem gantzenProceßdes le-
bens/ leidens/ ſterbens und aufferſtehens JEſu
vor dem vater als
ein vollkommen mann in ihm dem haupte dargeſtellet werde/ wie dis
die ſumma der gantzen H. Schrifft/ und des Chriſtenthums iſt und blei-
bet.


8. Folglich wuͤrden ſich wahre Apoſtel JEſu CHriſtinicht auffhal-
ten mit menſchen-lehren/ neben- und ſtuͤck-wercken/ vernunfft-
ſchluͤſſen
oder aus der vernunfft und ſchrifft zuſammen gemengten for-
m
en. Vielweniger mit geſetzlichem/ aͤngſtlichem treiben der er gewiſſen
zu bloß aͤuſſerlichen guten wercken fromm ſeyn/
wie es aus natuͤrli-
chen kraͤfften ja ſehr hoch getrieben und gebracht werden mag/ und doch we-
der zur Evangeliſchen gnad und krafft/ noch zu CHriſto und alſo
zur wahren gerechtigkeit und ruhe fuͤhret/ ſondern nur als ein ſauerteig
der heucheley den gantzen teig verderbet.


9. Dagegen wuͤrden ſie mit Paulo uͤberall und allen CHriſtum in
denen hertzen zum grund anweiſen/ auſſer ihm nichts vor ſich ſelbſt wiſſen/
L 3geſchwei-
[86] geſchweige andere lehren/ ſondern einem jeden bezeugen/ daß in ihm alle
fuͤlle wohne 1. Cor. III. 10. 11. Col. l. 19. aus welcher man alles allein neh-
men muͤſſe/ Joh. I. 16. als dem lebendigen quell/ und nicht aus leeren
und loͤchrichten brunnen/ die ſelbſt von dem haupt-urſprung alles bet-
teln und holen muͤſſen. Jerem. II. 43. Eſai. LV. 1. u. f. Joh. IV. Matth.
XI. \&c.


10. Wann dann ſolche treue unter - hirten nicht ſich/ ſondern
CHriſtum predigten. 2. Cor. IV. 5. So wuͤrden ſie auch mit Johanne/
als des braͤutigams freunde ihre freude erfuͤllt ſehen/ daß dieſer die braut
nun ſelber haͤtte
und lehrete. Dahero wuͤrden ſie ihrem Herrn und all-
gemeinen meiſter (unter dem ſie alle hirten und ſchafe/ bruͤder und gleich
ſind/ Matth. XXIII. 8.) hertzlich gerne weichen/ wenn ſie ab- und er in
den ſeelen zunaͤhere. Vielweniger wuͤrden ſie wieder ſeine offt wunderba-
re fuͤhrungen (aus furcht ihr anſehen/ bedienung oder bequemlichkeit zu
verlichren) ſtreiten und murren oder auch ſcheel ſehen/ wenn die ſchaͤflein
nun nicht mehr durch ihre rede glaubten/ Joh. IV. 42. ſondern ſelbſt ſaͤhen
und erkenneten/
daß dieſer iſt ihr wahrhaſſtiger erloͤſer und CHriſtus/
deſſen ſtimme ſie nun kennen/ Joh. III. 27. 29. 30. Joh. X. 27.


11. Nochweniger wuͤrden treue haußhalter dis ſelbſt-ſtaͤndige wort
des vaters in denen hertzen (die es in ſich vom vater hoͤren und zu ihm kom-
men/ Joh. VI. 45.) an ſeinem ſchnellen lauff und wachsthum im gering-
ſten hindern/ am aller wenigſten koͤnten ſie deſſen Goͤttliche und der ver-
nunfft ſtaͤts anſtoͤßige wuͤrckungen in einfaͤltigen und annoch ſchwachen
unverſichtigen dum̃en ſchafen verſpotten/ durch herꝛſchſuͤchtiges hefftiges
tractament ſchwuͤrig und irre machten/ oder garverwerffen/ und alſo CHri-
ſtum/ als einen fels der aͤrgernuß erfahren/ wie die Phariſaͤer Luc. II. 34.
Matth. XXI. 44 XV. 12. \&c.
Sondern weil ſie von und in dem demuͤthi-
gen und ſanfften CHriſto gelehret waͤren (Matth. XI. 29. Eph. IV. 21.)
wuͤrden ſie auch die ſchwachen mit ſanfftmuͤthigem geiſtzurechte bringen/
die unwiſſende und irrenden durch den Heil. Geiſt gewinnen/ die wieder-
ſprechenden ertragen. Und das alles in Goͤttlicher gedult ohne eigen-
geſuch/ herſch-ſucht/ affterreden und liſtige raͤncke/ bloß aus und nach
dem lautern ſinn JEſu und dem exempel der Apoſtel: 1. Cor. IV. 9. u. f.
XV. 9. Eph. III, 8. Gal. VI. 1.


12. Der gantze grund hiezu liegt abermahl in der neuen geburth/
weil GOttes werck-zeuge hiedurch gegen ihrei tzt gebohrne kindlein gantz
vaͤterlich und muͤtterlich geſinnet ſeyn. Deßwegen ſie als geiſtliche
ſaͤugammen
zaͤrtlich/ treulich/ weißlich und mittleidig verfahren/ das
krancke
[87] krancke warten/ und vom ſterben mit abermahliger ſchmertzhafftiger
geburt
(Gal. VI. 19.) erretten/ das unerfahrne in GOtt bruͤnſtig ermah-
nen/ das kleinmuͤthige troͤſten und auffrichten. Alles aber gehet ohne
zweiffel dermaſſen empfindlich zu/ daß ſo manche ſchwere durchbruͤche und
wehen im geiſt dabey gefuͤhlet werden. Gal. I. — 1. Theſſ. II. 7. u. f. 1. Cor.
II.
3.


13. Hieraus iſt im gegentheil offenbar/ wo ſolches alles oder doch
das meiſte gegen die/ ſo wircklich irren oder doch vor irrig gehalten werden/
ermangelt/ daß es an der geiſtlichen inwendigen connexionverwand- und
gemeinſchafft
des geiſtes in CHriſto fehle. Denn weil einer uͤber den
andern kein mittleidiges gefuͤhl und zartes empfinden ſeines elendes hat:
So erwaͤchſt dahero ein ſtrenges herſchen uͤber das erbtheil (κλῆρος)
des HErrn/ Ezech. XXXIV. 4. 1. Petr. V. 3. eine angemaſte authorit aͤt/
und prætendirtes recht/ andere zu zuͤchtigen und zu fuͤhren/ u. ſ. f. 1.
Cor IV. 15.


14. Geſetzt aber/ daß man nicht anders uͤberzeuget waͤre/ als daß
man/ vermoͤge der aͤuſſerenvocation, des ſtandes/ characters u. ſ. f. uͤber
alle an ſolchen orth wohnende fromme/ obſchon von einem andern erweck-
te ſeelen/ em recht habe/ auch im gewiſſen aus guter meinung ſich vor ver-
bunden hielte/ ſie alle unter einerley uͤbungen oder ordnungen zubringen:
So iſt doch Pauli exempel hiebey ſehr untadelich und mercklich: Dieſer
wolte nicht auff einen fremden grund bauen/Rom. XV. 20. noch in
fremder arbeit oder regul ſich ruͤhmen
2. Cor. X. 15. 16. Dahero/
wenn einige von andern bekehrte CHriſten nun zu CHriſto gebracht/ und
mit dieſem bekandt worden waren/ ließ er ſie dieſem ihrem meiſter willig
uͤber/ und ſuchte keinen ruhm einiger muͤhe/ weißheit oder regierung von
ſolchen/ die einen andern zugebaͤhren ſo ſauer worden waren. Hingegen
ſuchte er immer neue und mehrere zu gewinnen/Rom. XV. 20. denen
Chriſtus noch nicht bekant war; mit jenen aber handelte er in der gleichheit/
als ein bruder beſcheidentlich/ und wolte ihr zucht meiſter ſo wenig ſeyn/
als er bey ſeinen eignen kindern ſolche zucht-meiſter oder herren ihres glau-
bens litte 1. Cor. IV. 15. 2. Cor. I. 24. Ja er handelte auch mit den ſeini-
gen nur durch bitte/ flehen und ermahnen/ zwar ernſtlich/ gewaltig und
Goͤttlich/ doch bruͤnſtig/ demuͤtig und mitleidig. Rom. XII. I. XV. 30.
1. Cor. IV. 16. 2. Cor. XI.
1. Apoſt. Geſch. XX. 31. 1. Theſſ. II. 11. 12. \&c.


15. Dieſes und noch vielein mehrers achte ich nach der ſchrifft dazu
noͤthig/ wenn ein haußhalter eine gemeine GOttes auffrichten oder auch
regieren will. Damit er vor allen dingen ſein eigen in- und auswendiges
hauß
[88]hauß (ſich ſelbſt und die ſeinen) Goͤttlich zu regiren wiſſe/ 1. Tim. III.
4. 5. 12. und zuvor ſelbſt lerne/ ehe er andere zu fuͤhren ſuche/ Sir. XIIX.
20. weil er gewiß ein groͤſſeres urtheil empfangen wird. Jac. III. 1.


16. Nun wolle der H. Geiſt/ ſelbſt in einem jeden die Application
und den ſchluß machen/ ſo/ wie er ohne anſehen der perſon die menſchen
zu richten pfleget: So wird man erkennen/ ob und welche der gleichen hir-
ten nach GOttes eignem hertzen/ und alſo zur regierung tuͤchtig/ und von
ihm ſelbſt gelehret ſeyn. Jndeſſen waͤre wol ernſtlich zu erwegen/ ob und
warum doch die theure und klare verheiſſung GOttes/ von unfehlbahrer
frucht des wortes nach dem fuͤrbild der Apoſtel biß dato ſo gar wenig oder
nicht erfuͤllet werde? Und ob es nicht unter andern an folgenden urſachen
meiſt oder durchgehends liege.


  • (a) Weil man ſelbſt in denen inwendigen wegen des geiſtes unerfah-
    ren/ und am inneren Reich GOttes entweder blind/ oder kaum ein wenig
    nach dem buchſtaͤblichen wiſſen oder hoͤren ſagen ſehend iſt.
  • (b) Weil/ da man kaum die erſten bewegungen der buſſe empfun-
    den/ oder ausgehalten/ man alſobald ſich unterfangen Lehrer zu ſeyn/ und
    bey denen aͤuſſern ſorgen und zerſtreuungen derer aͤmter immer auff den
    erſten bußuͤbungen ſtehen blieben/ ſich dabey vor neugebohren angeſehen/
    und die erfolgten vermehrungen des wiſſens bey einiger ſelbſt-erwehlter
    froͤmmigkeit und geſetzlichen guten wercke/ vor den wahren weſentlichen
    wachsthum in CHriſto gehalten.
  • (c) Weil man folglich nicht ſelbſt die weſentliche wahrheit oder das
    erſte paradieſiſche Goͤttliche leben und weſen in CHriſto (Eph. IV 20. 21.)
    erfahren noch zur neuen geburt in GOtt durch alle noͤthige kaͤmpffe ernſt-
    lich durchgebrochen/ am gantzen alten menſchen gekreutziget und ertoͤdtet/
    auch mit JEſu auffer ſtanden und ins himmliſche weſen verſetzet iſt. Son-
    dern wol die zuͤchtigungen und plagen der Goͤttlichen gerechtigkeit/ wo-
    durch ſie in die enge und zur umkehrung des gantzen menſchen treiben wol-
    len/ alleine vor das wahre inwendige creutz/ und eine ſelbſt gemachte
    fleiſchliche freyheit vor das leben des glaubens angenommen.
  • (d) Weil/ wenns mit einem Lehrer hochkommt/ man gemeiniglich
    nicht den gantzen CHriſtum/ ſondern nur ſtuͤckwerck und geſetzliche froͤm-
    migkeit prediget/ und zwar nicht in der Apoſtoliſchen einfalt/ bruͤnſtigkeit
    und freyheit des geiſtes/ ſondern meiſt nach menſchlicher vaͤterlicher weiſe/
    unter dem joch und ſchrancken derer ſatzungen und ceremonien/ ohne durch-
    bruch in die erſte lautere freyheit/ mit auffnehmung der ſchmach und leiden
    CHriſti
    [89] CHriſti bloß aus uͤberredung der vernunfft/ bey unfruchtbahrer beugung
    und verſtellung unter die weiſen und geſetze des wiederchriſts.
  • (e) Weil man auch in denen andern aͤuſſern dingen in ſo gewaltige
    hindernuͤſſe verwickelt ſtehet/ daß weder muth noch krafft und nachdruck
    ſich findet/ damit CHriſtus das reich der finſterniß in denen ſeelen mit
    macht zerſtoͤren/ und das wahre licht ſcheinen laſſen koͤnte/ geſtalt man
    meiſt in fremde unapoſtoliſche haͤndel/ auch wol der nahrung ſich ſtecken/
    und mit weltlichen ſorgen/ charactern und tituln belegen ließ/ daß die Apo-
    ſtoliſche reinigkeit/ einfalt und wahrheit/ noch nirgends offenbar wird/ ſon-
    dern man allerhand unanſtaͤndige/ ungoͤttliche perſonen præſentiren/ und
    immer mehr verſtellung/ argliſtigkeit/ vernunffts-griffe/ und politiſche
    ſtaats-maximen lernen und practiciren muß/ welcher gifft ſich denn auch
    in die lehrarth miſchet und alles verdrehet/ und verderbet.

17. Dahero der beruff und die prætenſiones, und rechte an die noch
erleuchtete ſeelen durch Apoſtoliſche und maͤchtige beweiſung des geiſtes
und der krafft nicht gerechtfertiget/ noch durch ausbreitung der erkaͤntniß
und ſalbung Chriſti verſiegelt werden kan: Jndem den HErren noch lan-
ge nicht eine wahre Apoſtoliſche gemeine geſammlet worden iſt.


18. Hingegen zeuget ein jeder freylich ſeines gleichen/ oder wol etwas
ſchlimmers/ in dem leider! ſo viel erbarmens-wuͤrdige ungeſtalte gebuhr-
ten und baſtarte ſich aͤuſſern/ welche denen Phariſaͤern und geſetz-lehrern
(Νομικοῖς) oder Schrifft gelehrten gleich/ des HErren JEſuim geiſt ge-
faͤhrlichſte feinde ſind/ wie dort jene Chriſti im fleiſch/ und ſchwerer ins
himmelreich kommen/ als die/ welche von ihnen vor boͤſe gehalten werden/
Matth. XXI. 31. Luc. VII. 30. Jndem dieſe ſich wol endlich arm und
CHriſti benoͤthiget erkennen moͤgen/ jene aber bey ihren angewohnten for-
men und auffgerichteter eigener gerechtigkeit (ſo ſich auff lauter geſetzte
uͤbungen/ menſchen-gebothe/ und aͤuſſere wercke gruͤndet) ſo reich ſind/
daß ſie den armen/ niedrigen und unanſehnlichen JEſum in ſeinen glie-
dern ſpotten und ſchmaͤhen/ deſſen reich nicht mit groſſem geſchrey/ pomp
und apparat kommt/ Luc. 17. 20. Eſai. XLII. 2.


Dieſe groſſe noth und gefahr mag noch in manchem eine ſo redliche
bekantniß erwecken/ daß er nebenſt allen hoͤhen/ auch das beſt ſcheinende
zu JEſus fuͤſſen endlich niederlegen/ und als ſchaden verlaͤugnen/ auch die
groſſe untuͤchtigkeit zur Goͤttlichen predigt erkennen moͤchte.


Der II. Punct.
Von der Gemeine und ihren Gliedern.


19. Auß den vorigen ſonderlich §. 5. u. f. iſt klar/ daß ein jeder
MGoͤttlicher
[90] Goͤttlicher Lehrer/ auch nothwendig mit der zeit ſelbſt eine ſolche gemein
CHriſto zugefuͤhret haben muͤſſe/ die der H. Geiſt durch ſeinen dienſt
gepflantzet habe. Oder wenn er ja unter eine fremde und durch andere vor
ihm geſammlete heerde kommt/ daß er ſich alſo erweiſe/ wie oben §. 11.
u. f. aus der ſchrifft zu ſehen iſt.


20. Nun iſt aber eine ſolche gemeine/ davon allhier die frage iſt/
und von der ſich einige entziehen ſollen (vermoͤge der erfahrung) gemi-
ſchet/
ſo daß ſie theils aus gutmeinenden/ einfaͤltigen/ redlichen ge-
muͤthern
beſtehet/ die ſich ernſtlich zu GOtt zu wenden ſuchen/ theils aus
verſtellten und doppelhertzigen (διψύχοις Jac. I. 8. c. IV. 8.) die aus an-
dern neben-anſichten/ oder einiger ſchwacher uͤber zeugung ſich zu den from-
men halten. Alle aber werden von dem lehrer zu gewiſſen aͤuſſeren ordnun-
gen und uͤbungen verſam̃let und angehalten/ und zwar aus wohlmeinen-
den abſichten/ und weilſolche ſeelen annoch die aͤuſſere zucht und ordnungen
ſehr noͤthig haben.


21. Wenn nun gefraget wird/ ob andere/ welche ihren Heyland bey
langer erfahrung und vereinigung genau (nicht aber nach dem wahn
nur) kennen/ ſich von der gemeine JEſu CHriſti entziehen moͤgen? So iſt
von ſolcher gemeine voraus zu ſetzen/ (a) daß zu ihrem grunde/ ja gantzem
weſen/ nichts anders geleget werde/ als JEſus CHriſtus ſelbſt/ 1.
Cor. III. 11. Eph. II. 2. 20. 1. Petr. II. v. 6. und zwar/ ſo fern er das innere
wahre einige leben derer glieder wircklich iſt/ nach §. 7. (b) daß auch
dieſer glieder inwendige geiſtliche einigkeit und gemeinſchafft das
einige wahre band ſo wohl untereinander/ Eph. IV. 3. 16. u. f. 1. Cor. XII. 4.
11. u. f. nicht aber auff einem bloß aͤuſſerlichem ſchein und wort-ſchall ge-
wohnter und gezwungener verſammlung oder ſectiriſcher conſpiration be-
ruhe und beſtehe.


22. An ſolcher wahren/ reinen/ heiligen/ Apoſtoliſchen gemeine wuͤrde
allerdings die verheiſſung unſers HErrn JEſu CHriſti erfuͤllet und klar be-
wieſen werden/ daß er mitten in und unter ihnen waͤre: Weil ſie auff er-
den eins worden/ und in ſeinem gebenedeyetem namen verſammlet waͤ-
ren. Matth. XIIX. 19. 20. Folglich koͤnte ſich kein einig wahres glied/
von dieſer innigſten geheimen/ und Goͤttlichen einheit und ge-
meinſchafft
trennen/ weil es ſich ſonſt von dem inwendigen leben und
haupt aller glieder ab- und ins verderben zoͤge. Joh. XVII. 11. 21. Phil.
III. 2. IV. 2. Eph. IV. 3. \&c.


23. Nun mag ein Gottesgelehter ſelbſt pruͤfen/ und ſehen/ ob eine
aus anfangenden bekehrten und heuchlern vermiſchte verſammlung nach
dem
[91] dem genauen ſinn des Heil. Geiſtes eine wahre gemeine JEſu CHriſti
ſey? Zumalen wenn aus begierde mehrere zu gewinnen/ jederman ohne
unterſcheid dazu gelaſſen/ und alſo ſo viel in gebrochene unreine geiſter
untermenget werden/ mit welchen man wederim gebeth noch ſonſten eins
werden mag noch darff.


24. Da demnach die frage uͤbrig bleibet/ ob ſich andere Chriſten von
dergleichen gemeinſchafft enthalten ſollen: So hebt folgender unterſcheid
wol allen zweiffel auff. Geubte und erfahrne Chriſten entziehen ſich we-
der einigem menſchen/ noch vielweniger einer gemeine mit ihrer vorbitte
und mittheilung der geiſtlichen oder leiblichen gaben/ vermoͤge des hoͤch-
ſten geboths von der liebe: Weil aber dieſes alles auch wol und viel kraͤffti-
ger offt in abweſenheit des leibes geſchehen kan: So wird niemand dieſe
von ihnen ſo ſtrenge und abſolutè fodern/ oder die aͤuſſere entfernung vor
eineinwendige entziehung anſehen. Angeſehen ja ein jedes gliedmaß des
leibes JEſu mit allen andern in der gantzen welt verbunden bleibt und ihre
gemeinſchafft geneuſt/ ob es ſchon nicht alle von angeſicht kennet geſchwei-
ge mit ihnen verſammlet wird.


25. Denckt man aber/ es ſolte doch niemand von ſolcher aͤuſſern ge-
meinſchafft derer ſich enthalten/ welche an einem ort zuſammen wohnen:
So waͤre wiederum zu erwegen/ ob nicht dieſe forderung daher ruͤhre/ weil
man noch nicht gruͤndlich auff das inwendige Reich Gotteſ; (Luc. I.
7.) und deſſen unſichtbahre rechte/ kraͤffte/ Communicationes, und herꝛ-
lichkeiten durch den Heil. Geiſt gewieſen ſey oder andere weiſe/ an welchen
ein wahrer Reichs-genoſſe ihm gerne genuͤgen laͤſſet. Jmgleichen/ ob
nicht ein zartes jetztgebohrnes kind eine ſo genaue empfindung von gegen-
waͤrtigen noch ungezogenen falſchen heuchleriſchen geiſtern habe/ daß ihm
bißweilen die groͤſte pein ſey/ unter einen ſo vermiſchten hauffen zu kommen.
Abſonderlich zu ſolcher zeit/ da es etwa ohne dem in inwendigen ſeltſamen
pruͤfungen und uͤbungen ſtehet/ und alſo zu aͤuſſern formen und ſatzungen
untuͤchtig iſt. Daß ich nicht gedencke/ was vor ungoͤttliche bloß menſchli-
che affectirte und unreine dinge bey manchen verſammlungen einem hellen
auge vorkommen duͤrfften.


26. Jn der erſten kirche haben erfahrne und geuͤbte Lehrer eben
dahero die anfangenden lehrlinge und catechumenos (dergleichen wol
die meiſten anjetzo auch lehrer ſelbſt ſeyn moͤchten) zur gemeinſchafft des
bruͤderlichen gebeths und der geheimnuͤſſe noch nicht zugelaſſen/ biß ſie da-
zu nach geraumer zeit erſt tuͤchtig erkandt wurden. Denn da zuvor in den
er ſten tagen nach CHriſt auffahrt durch des H. Geiſtes außgieſſung bald
M 2die
[92] die glaubigen alle einander in einerley glauben und erkaͤntnuͤß gleich/ und ein
hertz und ſeele wuͤrde/ Apoſt. Geſch. IV. 32. So muſten nachmals bey ab-
nahme ſolcher erſten krafft freilich ſolche ſtuffen und ſorten oder arten der
glaubigen gemacht werden/ wie anderswo oͤffentlich dargethan iſt.


27. Aus dieſen allen iſt unlaͤugbahr/ daß man allhier die glieder mit
genauem unterſcheid anzuſehen habe. (a) Die ungezogenen/ und im
wort und deſſen erſten buchſtaben unerfahrne ſeelen/ beduͤrffen nicht nur ei-
niger aͤuſſerlicher uͤbungen/ ſondern auch einer ſtaͤtigen zucht/ anwei-
ſung und auffſicht/ (dergleichen Paulus tag und nacht erwieß/ Apoſt.
Geſchicht XX. 31. und keine gute tage dabey genoß) alſo daß ſolche ſchon
einem lehrerſo viel zuthun machen koͤnten/ ehe er ſie mit ſchmertzen/ als neue
geſchoͤpffe darſtellen wuͤrde (wo er anders darzu tuͤchtig iſt) daß er ande-
rer ſtillen und von CHriſto ſelbſt erkandten Chriſten/ die GOtt im geiſt
nunmehro dienen/ wol daruͤber vergeſſen ſolte.


28. Auch iſt (b) nicht die frage von ſolchen jungen unmuͤndigen
oder vielmehr embryonibus und in der mutter noch liegenden kindlein/
welche zwar einige wuͤrckungen des HErrn JEſu in ſich erfahren/ aber
doch als unbefeſtigts noch manche ausbruͤche und ſchwach heiten der na-
tur an ſich ſehen laſſen. Denn entweder ſolche ſind von einem lehrer ſelbſt/
oder von andern erwecket. Jſt jenes/ ſo wird ihm die vater-treue ſchon die
gelindeſten/ weiſeſten und kraͤfftigſten mittel zeigen/ wodurch er ſie nach
dem geſetz der freyheit Apoſtoliſch/ und auch wol durch aͤuſſere ordnungen
weiter zum wachsthum fuͤhre. Jſt dieſes/ ſo moͤgen ſie durch einen un-
ſtraͤfflichen ſinn und wandel in CHriſto zuverſicht gewinnen/ daß ſie ſich
mit ſanfftmuͤthigem geiſt zu allen Apoſtoliſchen uͤbungen bewegen laſſen.


29. Jn Summa: der vollkommene lautere ſinn und weg des
groſſen Schaff-Hirten/
iſt allein von ihm verordnet und geſegnet/ daß
durch ſeinen geiſt die jetzt beſchriebene ſeelen entweder unmittelbar/ oder auch
vermittelſt GOttes gelehrter und neugeborner fuͤhrer in ſchrancken gehal-
ten und aufferzogen werden koͤnnen/ ſo lange ſienemlich ſolcher handleitun-
gen und vormundſchafften beduͤrffen.


30. Nachdem aber ſolche erben des reichs mit dem Heil. Geiſt
ſelbſt reichlich geſalbet/ von GOtt weiter gelehret/ und in der wahr-
heit ſtarck und feſte worden ſind: wird ſich freylich niemand unterwin-
den/ ihr pfleger oder vormund/ geſchweige zuchtmeiſter zu ſeyn. Gal. IV.
1. 2, 1. Theſſ. IV. 9. 1. Joh. II.
20. 27. Sondern jedermann wird ſich
uͤber ſie erfreuen/ wenn ſie ſo voller guͤtigkeit/ oder auch gar gelehrter ſind/
als alle ihre lehrer. Pſ. CXIX. 99. geſtalt es dieſen keine ſchande/ ſondern ei-
ne eh-
[93] ne ehre vor GOtt iſt/ wenn ihre juͤnger/ wie ihr meiſter/ und in gewiſſer maſ-
ſen vollkommen ſind. Luc. VI. 40.


31. Und von ſolchen erwachſenen perſonen bleibet hier die frage al-
lein uͤbrig/ und iſt offenbar/ daß ſie gefreyete CHriſti ſind/ bey deſſen geiſt
es allein ſtehet/ wenn und wie ſie noch aus heiligem rath annoch einer und
anderer denen minderjaͤhrigen zu gut gemachter ſatzung ſich unterwerf-
fen wollen. Welches denn auch jedem lehrer deſto traͤglicher/ und unan-
ſtoͤßiger vorkommen wuͤrde/ wenn er an ſolcher ſeelen ſtatt ſeyn/ und ihren
blutigen kampff/ und ſcharffe zucht uͤber allen dingen ausſtehen ſollte. Zu-
mal ja die natur lieber und leichter das aͤuſſere mitmachte/ als ein eintzigmal
an die inwendigen gebaͤhrungs- wehen ginge/ worinnen ſie ihren tod und
untergang wuͤrcklich findet.


32. Demnach iſt ohne weiteres wiederholen klar/ daß ſolche jetztbe-
ſchriebene ſeelen allein ausgenommen werden/ bey welchen das geſetz der
Goͤttlichen freyheitnichts anders wuͤrcken kan/ als den weſentlichen wachs-
thum im geiſt und leben JEſu/ und von auſſen ein beſcheidenes/ zuͤch-
tiges und ehrbahres weſen/
woraus man ſehe/ der wandel ſeye im him-
mel/ und das hertz bey dem rechten ſchatz.


33. Sintemal von denen geiſtern/ der vollkommenen gerechten auch
vollkommene tugend/ und wahre liebes-dienſte gelernet/ und nach Goͤtt-
lichem winck und krafft ausgeuͤbet werden. Alſo daß ein beſcheidener/
lieb-voller und demuͤthiger Chriſt ſolche vor unſtraͤfflich und Goͤttlich
geſinnet
erkennen wird: Geſetzt/ daß die vernunfft und eigen-liebe
noch manches an ihnen zu tadeln/ oder beflecken trachtet. Zumalen da
jene auch hierinnen CHriſti weißheit haben/ welcher denen Phariſaͤern
kein zeichen und wunder ſehen ließ/ wenn ſies foderten; Dahero er auch
den ſeinigen gebothen/ ihre perlen (oder ihre inwendige kraͤffte/ und tugen-
den) zu bewahren und nicht den ſaͤuen vorzuwerffen/ ſondern vor ihnen
zu verbergen.


Der III. Punct.
Von denen Ordnungen und Regierungen.


34. Dieſe pfleget man gemeiniglich ſchrifftmaͤßig und Goͤttlich
zu nennen. Von jenem werden wir im IV. punct ſuchen/ ob die
ſchrifft irgendwo eine ordnung melde/ die nicht der Chriſtlichen freyheit voͤl-
lig gemaͤß ſey. Jmgleichen ob einige ordnung aus der ſchrifft ohne die
krafft und beweiſung eben deſſelben geiſtes vorzulegen ſey/ durch wel-
chen die ſchrifft ſelbſt auffgeſchrieben iſt. Zu welchem hochwichtigen be-
M 3weiß
[94] weiß aber ein gantz neu geſchaffen hertz erfodert werden will/ anders
waͤre es eine ſolche lehre/ die nichts denn menſchen-geboth waͤre.


35. Durch das wort Goͤttlich aber werden alsbald alle von men-
ſchen
eigenmaͤchtig eingefuͤhꝛte und gewohnte uͤbungen ſatzungen und wei-
ſen allerdings ausgeſchloſſen: Als wieder welche der gantze neue bund durch-
aus ſtreitet/ und darinnen vornemlich von dem alten unterſchieden iſt. Ebr.
IIX.
10. 11. Wie Lutherus vor allen andern eiffrig erwieſen hat.


36. Solche Goͤttliche ordnungen aber muͤſſen nun allein von Gott
vorgelegetwerden/
und zwar entweder mittelbahr/ durch einen leh-
rer/ welcher denn ſolche/ als Goͤttlichen befehl und durch wahre Goͤttliche
beweiß-kraͤffte und gruͤnde legitimiren wuͤrde koͤnnen/ wollte er anders bey-
fall und folge finden. Oder es geſchiehet unmittelbahr/ da denn GOtt/
als das gerechteſte/ guͤtigſte/ allweiſeſte weſen/ nie etwasbefehlen wird/
das wieder einer eintzigen ſeelen jetzigen zuſtand/ wachsthum/ oder ſeines
Heil. Geiſtes wuͤrckung ſelbſt lieffe. Folglich wuͤrden dieſe Goͤttliche ord-
nungen lauter ſolche ſeyn/ die der lauterkeit und freyheit des geiſtes
durch aus gemaͤß/ und nach keinem theil oder umſtand entgegen waͤren.
Und ſolche pflegen nach der ſchrifft und erſahrung alſo weißlich und heilig-
lich eingerichtet zu ſeyn/ daß ſie zu keineꝛ langwuͤrigen gewohnheit oder
allgemeinen regul wuͤrden/ ſondeꝛn ſo bald ſie ihren zweck an deꝛ oder jeneꝛ
ſeelen erreichet/ gerne weichen/ und einem beſſern/ hoͤhern grad raum geben.


37. Weiter koͤnten auch ſolche Goͤttliche ordnungen die obere/ freye/
inwendige wirckung des geiſtes in den ſeelen nicht nur nicht hindern/
ſondern auch gewaltig foͤrdern. Und woferne er ja in einem hertzen nach
den umſtaͤnden anders zu wircken ſchiene/ als in dem andern/ zum exem-
pel/ eines treibt er zum aͤuſſern gebet/ das andere zum innern ſtillen dienſt des
geiſtes/ wiederum eines zum aͤuſſern liebes-dienſt an: So wuͤrde ſich doch
die einige harmonie des geiſtes darinn beweiſen/ daß eines dem andern dar-
innen freyheit goͤnnete/ und nicht wieder anderer ihre fuͤhrungen murrete.
(1. Cor. XII. gantz) Und wieder ſolche harmoniſche Goͤttliche ord-
nungen
iſt der H. Geiſt in den ſeinigen ſo gar nicht/ daß ſie auch ſich denen
menſchlichen ſo ferne nicht entziehen/ als lange ſolches durch den Herrn
und in ſeiner liebe und krafft (διὰ τὸν κύριον) geſchehen kan. 1. Pet. II. 13.
nur damit die unglaͤubigen uͤberzeuget und geſchweiget werden/ v. 15.
und man doch dabey ſeine inwendige geiſtliche freyheit behalte/ v. 16. Und
alſo iſt freilich GOtt ein GOtt der ordnung. 1. Cor. XIV. 33.


38. Die arten aber derer ordnungen durchzugehen iſt allzu-
weitlaͤufftig/ ingleichen/ wie ſolche mit zuziehung und beyſtimmung der
gemei-
[95] gemeine zu machen/ davon in der abbildung viel zu finden. Jnsgemein
aber iſt ordnung allerdings noͤthig/ ſo wol unter menſchen als Chriſten.
wie ſie aber unter dieſen Goͤttlich anzuſtellẽ ſey/ da gehoͤret weißheit und eine
him̃liſche temperatur zu/ ja ein gemuͤth/ welches faſt alle/ oder doch die mei-
ſten zuſtaͤnde/ abwechſelungen/ proben/ verſuchungen und grade der neuen
creatur genau erkundiget und ſelbſt durchgegangen hat. Damit man nicht
von jederman alles/ noch von ſchwachen die uͤbungen derer ſtarcken/ und
von ſtarcken die wege derer ſchwachen un weißlich und ungeſtuͤm prætendi-
re/ ſondern weil man die furcht des HErꝛn weiß/ mit den leuten ſchoͤn fahre/
oder ſie nur mildiglich uͤberzeuge/ 2. Cor. V. 11. damit nicht mehr ſchaden
als vortheil dem reiche CHriſti daraus erwachſe.


39. Woferne man aber hiebey die geringſte herſchſucht und eigne
wahl nur mit einigen geberden/ worten oder wercken ſehen lieſſe: So
koͤnten ſchwache anſtoͤßige gewiſſen leicht geaͤrgert und zum gegenſatz ver-
anlaſſet werden. Diejenigen aber/ ſo ſich dennoch zu bequemen ſcheinen/
moͤchten wol beſorglich dißfals mehr heimliche unreine abſichten hegen/
und weil ſie es um der menſchen willen thun/ auff heucheley/ bloſſe gewohn-
heit/ opus operatum und darinn geſuchte eigne gerechtigkeit gerathen/ da-
bey allerſeits dennoch nur ſtaͤtige innere verdammung in denen gewiſſen
bliebe. Jmmaſſen es alſo mit allen uͤbungen derer religionen und beſt-
ſcheinenden ſecten und partheyen ergangen/ daß ſie zwar erſtlich einen fei-
nen vorwand und ſchein der ordnung/ erbauung und zucht gehabt/
aber bald in ſo ſchnoͤde greuel außgeſchlagen/ die noch manchen durch eiffer
dawieder freſſen moͤchten.


40. Dieſes alles nun moͤche jederman behutſam und beſcheiden
machen/ keiner ſo theuer erkaufften ſeelen ein joch auffzulegen/ dazu ſie nicht
ſich ſelbſt verſtehen will. Denn obwol eine ſache durch den mißbrauch
nicht eben auffgehaben werden kan/ ſo lehret doch dieſer um Goͤttliche
klugheit und ſanfftigkeit
zu GOtt flehen. Er dringet auch einen
GOttes-gelehrten/ vielmehr auff das fuͤrbild derer erſten Lehrer zuruͤckzuſe-
hen/ welche die jungen an und fortwachſenden kindlein allein mit der lau-
tern milch des Evangelii nach der freyen anweiſung des geiſtes ſaͤugeten/
und nicht an alte gewohnheiten oder neue traditiones uͤber aͤuſſern dingen
bunden. Jn dem ſie wol an ſich ſelbſt erfahren gehabt/ daß die liberale
muͤtterliche zucht der weißheit nur zum frey willigen geſetz der GOttes-bru-
der- und gemeinen liebe anfuͤhre/ auch ſo fort alle krafft alſo bald dazu ſchen-
cke. Dahingegen wohl keine geringe kraͤnckung und marterthum der
gewiſſen ſeyn muß/ wenn eine inwendig in die enge gebrachte ſeele unter
ſtetem
[96] ſtetem innerm auffmercken/ wachen und beten/ durch des Heil. Geiſtes zucht
und trieb gehalten/ und dennoch zugleich auch denen aͤuſſern forderungen
derer menſchen gnug thunſoll: Dieweil ſie eben durch jene innere noͤthige-
re arbeit ipsô factô von dem aͤuſſern dienſt/ (der zuvor auch gut vor ſie war/
aber nun ſein ende hat) von GOtt losgeſprochen wird/ und zweyen Her-
ren nicht mehr dienen kan.


41. Wann aber nun ferner die frage abſonderlich von aͤuſſern ord-
nungen
ſeyn moͤchte/ ſo werden ohne zweiffel nicht nur die gemeinen kirch-
wege
verſtanden/ als von deren zwang Pauli urtheil ſchrecklich gnug iſt.
Gal. VI. 8. 12. Philip. III. 18. 19. Auch nicht eben nur ſolche privat-
uͤbungen und ordnungen/ die an gewiſſe zeit/ ort oder andere umſtaͤnde
binden/ als wovon auch geuͤbte Chriſten in GOttes wort frey geſpro-
chen
werden. Jn betrachtung alle ſolche geſetzliche wege denen wahren
kindern des freyen obern Jeruſalems (welche von und mit dieſer ihrer mut-
ter den leib und das weſen Chriſtum ſelbſt in ſich haben) icht nur verlei-
tet/ oder als unnuͤtze geachtet wird/ ſondern auch gar ernſtlich verbothen
ſind. Gal. IV. 9. 10. 11. Coloſſ. II. 16. 17. Alldieweil ſie bey ſolchem
ſchatten und ſtuͤckwercken ſo gar leicht ihres inwendigen kleinodes und ſcha-
tzes beraubet werden koͤnten/ auch von denen/ die ſich ſo geiſtlich als engel
anſtelleten/ Col. II. 17. 18. welches denn auch von ſolchen zuſammen-
kuͤnfften
nicht zu laͤugnen ſtehet/ wenn man nicht ſo wol die gabe des H.
Geiſtes/ wie die Apoſtel/ miteinander erwarten und erbitten/ als offt uͤber-
fluͤßige worte und heuchleriſche dinge zum ſchein oder ſich ſehen zu laſſen
treiben moͤchte.


42. So demnach alle dieſe anſtalten wegfallen/ ſo kan ich nicht ab-
ſehen/ was vor aͤuſſerliche ordnungen uͤberbleiben ſolten/ nemlich vor ſolche
genau beſchriebene und erkandte Chriſten. Zu malen der gantze neue bund
von einem geiſtlichen inwendigen reich und leben zeuget/ und die ſee-
len alleine darein verſetzet/ auch alſo befeſtiget und ewiglich beſtaͤtiget.
Sintemal die alte mauer lieber alles auswendige nur immer mitmachte/
abſonderlich/ wenn es etwas gleiſſend und ehrbar ſcheinet/ als ſich ein ein-
tzigmal unter das joch der inwendigen regierung und ordnung GOttes
ſelbſt bringen ließ: weil ſie bey dieſem ihrem abbruch und tod/ bey jenem
aber unterhalt/ polſter und decken findet. Deswegen ſie immer in denen/
die ihr eigen leben noch allzuzaͤrtlich lieben/ auffs aͤuſſere dringet/ und an-
dere neben ſich ziehet: da doch die klagen aller lehrer bezeugen/ wie wenig
oder nichts/ auch durch die beſt - ſchemenden anſtalten zur glorie CHriſti
JEſu beygetragen worden.


43. Jm-
[97]

43. Jmmittelſt/ und weil die alte natur auch im aͤuſſern ungeord-
net und ungezaͤhmt iſt/ ſo iſt freylich vor ſolche/ bey denen ſie noch nicht
gebrochen/ oder ſehr geſchwaͤchet iſt/ aͤuſſere zucht und ordnung gar
ſehr noͤthig.
Und zwar nicht nur in aͤuſſerlichen ubungen der ſeelen/ ſon-
dern auch in der arbeit des leibes/ worauff Paulus bey denen ungezoge-
nen drunge/ welche herumlieffen in die haͤuſer/ und vorwitz trieben mit lee-
rem geſchwaͤtz von der gottſeligkeit 2. Theſſ. III. 11. Solche leitete er auch
zur handarbeit/ und uͤberzeugte ſie durch ſein eigen exempel/ da er doch ſonſt
vor ſich ſelbſt wol wuſte von dem Altar/ dem er dienete/ ſich zu nehren.
Wie er denn auch nicht ohne unterſcheid/ einem jeglichen ſchlechthin leibli-
che arbeit herꝛſchender weiſe auffleget/ ſondern nur denen obbemeldten
leuten/ weil die andern von GOtt gelehrten (1. Theſſ. IV. 9.) ſchon ſelbſt
wuſten/ wie ſie ihre zeit am ſeligſten auskauffen/ und dem HErꝛn berechnen
koͤnten. Jm uͤbrigen ward er ſelbſt (bey allen ſeinen ermahnungen zu
aͤuſſerlicher zucht) ein knecht aller andern/ gleichwie Jeſus auch ſeinen
Juͤngern befahl/ der groͤſte ſolte ſeyn aller knecht und diener/ Matth. XX. 26.
Und diß mochte wol eine ſeine aͤuſſerliche zucht und ordnung heiſſen/
ſonderlich vor den ſo gerne herꝛſchenden Alten Adam.


44. Nichtsdeſtoweniger und obwol beſagter maſſen aͤuſſere ord-
nungen
gut ſind/ ſo ſind ſie doch an ſich ſelbſt nicht gnug noch hinlaͤng-
lich/
das inwendige reich in den ſeelen zu pflantzen: daferne nicht die bewei-
ſung des H. Geiſtes ſie unter die zucht deſſelben bringet. Denn wo man
nur mit einiger andacht und ruͤhrung/ oder gar aͤuſſerer verſtellung und un-
terwerffung allein zu frieden iſt/ ohne daß man ſie zu CHriſto und deſſen
wahrer lehre allein weiſe: da werden ihm keine ſchaͤfflein zugebracht. Jm
gegentheil koͤnte der Lehrer bey Goͤttlicher leitung der menſchen zu dem
in ihnen anklopffenden geiſt CHriſti (Joh. I. 9.) mancher beyſorge vor un-
ordnungen uͤberhoben ſeyn/ nachdem ihm der H. Geiſt zeugniß gebe/ wie
ſeine ſchaffe Chriſtum ſelber und gantz in ſich lebendig haͤtten und ken-
neten/
der ſie auch nun weiter/ ohne viel menſchliches treiben und anſtal-
ten ſelbſt ſo leiten wuͤrde/ daß er davon ruhm und wolgefallen habe.


45. Und eben hierinne liegt (meines erachtens) der gantze grund
von regierung der gemeine/ davon noch etwas zu melden iſt. Nem-
lich die regieren will/ muß (a) ſelbſt unter genauer ſtaͤtiger zucht des gei-
ſtes CHriſti/ correſpondentz und gemeinſchafft mit ihm in ſtillem geſamm-
leten hertzen geſtanden haben und noch ſtehen/ dieſelbe von der ſtimme eines
fremden (der vernunfft und ſchlangen) durch lange erfahrung genau un-
terſcheiden koͤnnen/ und in dem taͤglichen ſterben unterm aus- und inwen-
digen creutz JEſu dermaſſen gebeuget/ muͤrbe und niedrig gemacht ſeyn/
daß nicht der Lehrer/ ſondern CHriſtus durch ihn rede. Dahero man
Nin al-
[98] in allen ſeinen worten und wercken/ des/ der in ihm wohnet/ gewahr wer-
den muß/ wie nun nicht mehr er (der Lebrer) ſelbſt und die alte freche
ſtoltze und ungoͤttliche natur lebe/ nach Pauli fuͤrbild/ dem ſo gar alle
Chriſten/ geſchweige lehrer folgen ſolten/ Gal. II. 20. u. f. 2. Cor. XII. 19.
XIII. 13. Rom. XV, 18. 1. Cor. II. 13. XI. 1. 1. Theſſ. I.
6.


46. Uberdiß muß (b) er ſeine gantze lehre und alles thun/ allein
und bloß auff Chriſtum in uns/ und deſſen lebendige inwendige fuͤh-
rung richten. Gleichwie die ſchrifft auch deswegen von Chriſto zeuget/
daß man zu ihm komme. Joh. V. 39. 40. und ein jeder lehrer/ was er redet/
als GOttes wahrhafftiges durch ihn nur ſchallendes und in denen hertzen
ſeinen Goͤttlichen him̃liſchen urſprung erweiſendes wort rede/ 2. Pet. IV. 11.


47. Wenn alſo ein hirte ſelbſt unter ſtaͤtem Regiment und gehorſam
CHriſti ſtehet/ und andere dahin alleine weiſet: So wird auch ſein regie-
ren und fuͤhren Goͤttlich/
heilig/ ſanfft und beſcheiden/ und doch dabey
maͤchtig und heilſam ſeyn. Alsdenn wird er dem ertz-hirten in allen den
fuͤrgang
laſſen in denen ſeelen/ wie ihm der vater ſolchen gegeben hat/ Co-
loſſ. I.
18. Weil ohne dis haupt weder unterhirten noch ſchafe das leben ha-
ben Eph. I. 22. IV. 15. V. 23. Coloſſ. I. 18. II. 10. 19. und auch bey allem
wort und ſchein lebendig todt ſind offenbahr: III. 8.


48. Aus dieſer lautern Goͤttlichen regierung des H. Geiſtes/ koͤnte
nichts als unendlicher ſegen und wachsthum erfolgen/ weil da Goͤttliche
freyheit iſt/ wo dieſer gieſt des HErren iſt. 2. Cor. III. 17. Und diß iſt die
eintzige wahreregierungs art im N. Teſtament/ die durch den geiſt
CHriſti
in denen fuͤhrern geſchiehet/ auſſer welcher keine andere in der
ſchrifft und andern Gottesgelehrten zu finden. Denn dieſer werthe geiſt
gibt alsbald in denen hertzen zeugnuͤß von demjenigen wohlgefallen
GOttes/
welches etwa durch den mund eines lehrers angedeutet wird/
ſchencket auch zugleich die willigkeit/ einſtimmung/ folge und krafft
zur erfuͤllung und vollendung.
Da hingegen bey allen von menſchen/
auſſer und ohne klaren befehl GOttes auff gelegten ordnung alsbald ſich er-
äugnet die kraͤnckung/ daͤmpffung/ disharmonia und der wiederſpruch des
H. Geiſtes/ in denen/ da er wohnet und wandelt.


49. Dergeſtalt wird es niemanden eine ſchande ſeyn/ wo man ſich
annoch zu den fuͤſſen des einigen gemeinen meiſters niederzuſetzen anfaͤngt/
ſeine bloͤſſe/ blind- und thorheit erkennet/ und ſo lange vor ihm nichts wiſ-
ſend und ſtumm wird/ biß man CHriſtum in ſich gantz anders und von
fernen an lerne und kenne. Hier wuͤrde ein ſo gebeugter geiſt ſeine vorige
vermeſſenheit (nach Rom. II. 17. u. f.) ſchmertzlich in der ſtille beweinen/
alles eigenen herꝛſchens und regierens unter denen ſchmertzen der neuen aus-
geburth gerne vergeſſen/ und nur auch der geringſte im reich GOTTes zu
ſeyn
[99] ſeyn ſich unwuͤrdig achten. Hiebey moͤchte CHriſtus nach und nach in
uns ſeine eigene niedrige ſanffte geſtalt gewinnen/ und nach ſeiner weißheit
einen jeden ſelbſt zum gemeinen nutz ordnen und gebrauchen.


50. Alſo wuͤrde Paulus von ſeiner langbeſeſſenen Phariſaͤiſchen
weißheit und gerechtigkeit/ darinn er unſtraͤfflich und ſcheinheilig gnug ge-
lebet und gelehret hatte/ unter den gehorſam und das Regiment CHriſti
JEſu gebracht/ daß er bey ſo groſſer umkehrung alles vergaß und verlohr/
und nichts wuſte/ als JEſum/ und zwar den gekreutzigten. Apoſt Geſch.
XXIII. 1. XXIV. 16. Phil III. 6. ‒‒ 15. 1. Cor. II. 2. Durch welchen
weg ſeiner demuͤthigung er erſt tuͤchtig ward aus einem νομικῷ oder geſetz-
lehrer ein Apoſtel JEſu CHriſti zu werden/ und andere recht Goͤttlich zu
regieren. Und auſſer dieſem Proceß wird alles andere nicht zureichen/ die
vernunfft decke und ſchmuͤcke es auch noch ſo fein und gleiſſend aus: So
lang es in lehrern und zuhoͤrern irgendwo an dem weſendlichen grund und
eckſtein fehlet.


Der IV. Punct.
Von dem Verhalten bey denen Ordnungen.


51. Diß alles iſt aus vorhergehenden deutlich gnug zu erſehen/ und
hier nur in ſpecie nach einigen ſcrupeln zu erlaͤutern/ abſonderlich/ was die
unſchuldige wahre freyheit der Chriſten betrifft: Ein wahrer geiſtlicher
vater
wird nicht ſuchen/ ſolche kinder mit aͤuſſern laſten und geſetzen zu be-
legen/ welche er ſelbſt in CHriſto gezeuget hat: ſondern wie er ſie durch
die obere freyemutter/ die himmliſche weißheit/ als das neue Jeruſalem
(Gal. IV. 26. 31.) ausgebohren/ und in dem geiſt der freyheit zur freyheit
beruffen hat: Gal. V. 13. 2. Cor. III. 17. Alſo ſuchet er ſie inſonderheit zu
dem groͤſſeſten geſetz der liebe und der freyheit anzuhalten Jac. II. 8. 12.
und zwar alles in einem vaͤterlichen zarten liebes-affect, damit in ſolchen
ſeinen rechten kindern/ die ihm ſo viel ſchmertzen gekoſtet/ glaube und liebe
wiederum zu ihrer erſten unſchuld und reinigkeit auffwachſe/ als zeichen und
fruͤchte der geburth von oben.


52. Weil aber die vernunfft und gantze natur in denen anfaͤngern zu
aͤuſſerlichen Ceremonien und geſetzen ſehr geneigt iſt (wie an falſchen Chri-
ſten/ Juden und Heiden zuſehen) und darinnen ihre ruhe ſuchet/ damit ſie
nicht weiter und zum ſterben mit CHriſto unterm Evangelio fortgehen
duͤrffe: So werden auch ſolche gemuͤther billig deſto fleißiger auff die in-
wendige fuͤhrung und ordnung
des ertz - hirten und auffſehers/ zu dem
ſie allein bekehret werden muͤſſen/ 1. Pet. II. 25. angefuͤhret/ daß/ wenn ſie
ſein geiſt regieret/ ſie nicht mehr unter dem geſetz ſeyn Gal. V. 18. Denn
unter dieſer genauen auffſicht darff die falſche natur bey denen aͤuſſern ſa-
N 2chen
[100] chen nicht ſtehen/ und alſo ungezuͤchtiget und unertoͤdtet dahin gehen/ auch
nichts an ſtatt des lebendigen und wahren GOttes ſo viel bilder und ab-
goͤtterfaſſen. Welches freilich/ beſage der unleugbahren erfahrung bey vie-
len leider! geſchiehet/ die ungeacht aller aͤuſſerlichen anſtalten/ dennoch
in ihrer alten ſündlichen art/ nach wievor/ unveraͤndert bleiben/ und nur
die ſcheinbahren minen/ ſtellungen/ worte und einige heuchleriſche wercke
erlernen/ zur nahrung und decke ihres verſteckten ſchalckes/ oder auch um ei-
nes biſſen brods/ kleides oder befoͤrderung willen.


53. Dieſemnach moͤchte die wahre Evangeliſche freyheit in
ihren weſendlichen kindern nothwendig mit krafft erweckt und beybe-
halten werden/ weil ſolche nichts anders/ als das unſchuldige bild und
leben JEſu ſelbſt/ und alſo lauter freywillige opffer vor GOtt wircken kan/
vermoͤge ihres Goͤttlichen und reinen paradiſiſchen urſprungs 2. Cor. III.
17. Pſ. LI. 14. Pſ. CX. 3. Philem. v.
14. denn ſo bald nur der geiſt CHri-
ſti die ſo theuer erworbene und zubereitete erloͤſung in der ſeelen ins werck zu
ſtellen beginnet/ ſo bald wird ſie von dem joch aller anderer willen/ ſo wol
ihres eigenen als der menſchen/ inwendig frey und allein GOttes knecht/
Rom VI. 18. 22. geſetzt/ daß ſie aͤuſſerlich aus liebe und noth noch ſo ge-
fangen und gedruckt wuͤrde. Alsdann geneuſt ſie die privilegia. rechte und
vorzuͤge des inneren koͤnigreichs JEſu CHriſti und ihrer freyen him̃-
liſchen mutter/ welche auch die geiſtliche vaͤter/ ſaugammen und hauß-
halter
aufferden ihr unmoͤglich weigern koͤnnen/ als GOttes diener; hier
bleibet ſie niemanden nichts ſchuldig/ als die wahreliebe/ und iſt allein den
willē ihres mañes und braͤutigams/ uñ was damit einſtim̃et/ unterworffen.


54. Solche groſſe ſeligkeit iſt ſo wol als die inwendige gantze erloͤ-
ſung und alle ſchaͤtze des Evangelii von natur allen menſchen unbekant/ und
wird allein denen gezeiget/ und gegeben/ welche ſie vermoͤge ihrer hohen
koͤniglichen geburt
und daher ererbten großmuͤthigen klugheit weißlich
gebrauchen koͤnnen. Dannenhero haben alle wahre Lehrer zwar vor dem
mißbrauch ernſtlich gewarnet/ auch deßwegen den groſſen und herꝛlichen
gebrauch und nutzen der freyheit in Chriſto anzupreiſen kein bedencken
getragen Alldieweil ſie wohl wuſten/ daß ſo wenig der mißbrauch des gan-
tzen heilſamen Evangelii die glaͤubigen an dem wahren gebrauch/ und die
Lehrer an deſſen verkuͤngigung hindern mag/ ſo wenig auch an der Evange-
liſchen befreyung/ als dem haupt-theil der erloͤſung. Dahero nicht nur
in dem N. Teſtament ſo gar offt dieſe lehre wiederholet wird/ als Matth.
XVII. 26. Joh. IIX. 36. Rom. IIX. 21. VII. 3. 1. Cor. VI. 20. VII. 23.
IIX. 9. IX. 1. X. 29. Gal. V. 1. 13. 1. Pet. II. 16. Jac. I. 25. II.
12. u. ſ. f.
ſondern auch bey denen ſolgenden Lehrern/ davon die abbildung und Kir-
chen-Hiſtorie zu ſehen/ und bey Luthero hernach ſelbſt/ wie oben in II. und
III. cap. angefuͤhret iſt.


55. Wenn
[101]

55. Wenn demnach dieſe freyheit der glaubigen auff alles ſich er-
ſtrecket/ ausgenommen auf das geſetz CHriſti im geiſt/ nach welchem ſie
allein gerichtet werden/ 1. Cor. X. 29. Jac. II. 12. So extendiren ſie
auch dieſelbe nicht weiter/ als es dieſer reine und weiſe Geiſt JEſu in
ihnen thut/ und zulaͤſt. Dieſer aber leitet und dringet ſie ſaͤnfftiglich in
liebe (2. Cor. V. 14. Rom. IIX. 14.) zu freywilliger ungezwungener liebe
GOttes und des naͤchſten/ verhuͤtet auch alle gegebene aͤrgerniſſe und un-
ordnungen gewaltiglich. Ja wo auch etwas bey noch ungebrochenen ſeelen
von dergleichen ausbraͤche/ hebet ers durch ſeine zucht und beſtraffung un-
geſaͤumet auff/ und wendet alles zum beſten/ wozu denn auch offt die unguͤti-
gen urtheile anderer etwas heilſames beytragen/ und ein unvorſichtiges
kind weiter hin behutſam und beſcheiden machen koͤnnen.


56. Aus dieſen allgemeinen præſuppoſitis oder grundſaͤtzen/ ſon-
derlich aus dem III. punct und aus dem 4. u. f. num. des II. puncts iſt der
endliche ſchluß hievon ſchon gruͤndlich zu erkennen/ davon die ſumma dieſe
ſeyn moͤchte. Ein weſentliches glied der wahren unſichtbahren ge-‟
meine CHriſti darff/ kan und will nimmermehr von denen ordnun-‟
gen ſeines hauptes abgehen/
weil dieſe allein Goͤttlich ſind/ und‟
von ihrem urſprung alſo heiſſen. Der Apoſtoliſche ſinn und grund hie-‟
von iſt dieſer aus der Schrifft.


58. Wer ſich nicht in allen ſtuͤcken an diß haupt (CHriſtum‟
in ihm) in welchem der leib gewurtzelt iſt/ Col. II. 7. feſte haͤlt (κρα-‟
τῶν) der hat keine krafft daraus zum wachsthum GOttes/ Eph. IV.‟
15. 16. Coloſſ. II.
19. und hat auch keine geiſtliche gemeinſchafft mit‟
denen gliedern.


58. Nun aber/ wer an geboten und lehren der menſchen han-‟
get/ Matth. XV. 9. Coloſ. II. 22. (die zwar einen ſeinen ſchein der weiß-‟
heit haben/ aber doch nur ein eigenwilliger Gottesdienſt/ und ἐθελοθρη-‟
σκεία ſind/ v. 23.) derſelbe haͤlt ſich nicht an das haupt/v. 19. ſondern‟
wird bey allem aͤuſſerlichem ſelbſt-erwehltem dienſt/ (wenner noch ſo de-‟
muͤthig buͤckend/ geiſtlich und Engeliſch ſchiene v. 18. Eſ. II. 9) dennoch‟
heimlich auffgeblaſen/ von dem vernuͤnfftlichen ſiñ ſeines fleiſches v. 18.‟


59. Darum hat ein ſolcher auch bey allen aͤuſſerlichen dienſten/‟
dennoch keine inwendige gemeinſchafft mit dem haupt und wahren glie-‟
dern. Und folglich kan ein wahres ſich an die unſichtbahre gemeinſchafft‟
haltendes glied ohne derſelben verletzung oder verluſt wohl von dem aͤuſ-‟
ſern abgehen/ und ſeine freyheit darinnnen nach geſtalten ſachen brau-‟
chen/ und behaupten“


60. Zu erlaͤuterung dieſes iſt aus der erfahrung ſo viel anzumercken:
So bald der reine und alles durchſchauende geiſt der weißheit in ſeinem
N 3hei-
[102] heiligen innern tempel/ da er weſendlich wohnet/ ſolche kraͤffte und hoͤhen
der vernunfft/ und die daher entſtehende natuͤrliche herſchſucht/ mercket/
welche immer gern eine ἐθελοθρησκεί αν oder ſelbſterwehlten ſinnlichen ge-
formten dienſt GOttes (auch wol aus guter meinung und vorwand)
auffrichten will. So bald/ ſag ich/ diß ſich aͤuſſert/ kan der H. Geiſt auch
nicht auff eine ſtunde weichen/ unterworffen zu ſeyn denen/ die da die
ſelige freyheit in CHriſto auskundſchaffen und vernichten wollen/ auff
daß die wahrheit des Evangelii von der erloͤſung aus dem menſchen-joch
beſtehe. Gal. II. 45.


61. Sintemal es ja CHriſto und denen Apoſteln ein leichtes geweſen waͤre/ die leute
auff ſolche geformte aͤuſſere kirchen-wercke zu fuͤhren/ wenn ſie es nicht vor unzulaͤnglich und
ſchaͤdlich gehalten haͤtten. Es pfleget aber auchhingegen dieſen freywirckenden geiſt ſo
manche arbeit zu koſten/ ehe er die ſeinigen aus der angebornen und dem fleiſch faſt angeneh-
men knechtſchafft/ und duͤſtern gefaͤngniß der ſatzungen und gebraͤuche (dabey es der na-
tur ſo wenig muͤhe oder leiden gilt) in den weiten und lichten raum des freyen gnaden-
reichs JEſu verſetzet und erbohren: Weswegen er in ihnen nunmehro deſto ernſtlicher
auff der hut ſtehet/ ſie von zucht-meiſtern zu bewahren/ ob ſich auch deren 10000. ange-
ben ſolten/ weil ſolche doch keinen ſo vaͤterlichen ſinn erweiſen/ ſondern ihnen nur ein knech-
tiſch joch nach dem andern als nothwendig zum glauben uͤber den hals zu werffen ſuchen/ Gal.
IV.
19. Und alſo duͤrffen die an die ſchule JEſu gewieſene und gewoͤhnte juͤnger auff ewig
nicht mehr meiſter ſuchen/ denn JEſum CHriſtum/ welchem ſie ſich aus gan-
tzer macht anvertrauet haben/
und aus deſſen hand ſie niemand reiſſen ſoll. Matth.
XXIII. 8. 10 Joh. X.
27. 28.


62. Es moͤchte aber aus dieſen allen klar ſeyn/ ob und welche denn bey ſo geſtalten
ſachen nun etwas eigenes anfangen/ wie man gemeiniglich einwendet. Ob es nem-
lich die gliedmaſſen CHriſti thun/ welche von dem unſichtbaren haupt und gantzem leibe/
darein ſie gewurtzelt und erbauet ſind/ Coloſſ. II. 7. ewiglich nicht getrennet werden/ und
nimmermehr etwas eigenes ſuchen oder anfangen doͤrffen? (denn von ſolchen gliedern
blieb allein die frage oben uͤbrig/ mit außnehmung der ungezogenen/ ungeuͤbten und annoch
unbefeſtigten ſeelen) oder ob es diejenigen thun/ welche eine ἐθελοθρησκείαν oder ſelbſt-
erwehlten GOttes-dienſt nicht nur anrichten (welches an ſich ſelbſt gut gemeinet ſeyn
moͤchte) ſondern auch als eine allgemeine und noͤthige pflicht allen ohne diſcretion und
unterſcheid auff buͤrden wollen.


63. Rach dem klaren ſinn der ſchrifft heiſt nicht dasienige etwas eigenes/ was
von dem gemeinem gebrauch oder ſinn abgehet/ und etwas ſonderbares/ ungemei-
nes/ auſſerordentliches iſt: Denn ſonſt muͤſte dervorwurff aller Gottloſen wieder die
kleine herde CHriſti gelteu/ daß ſie von dem gemeinen breiten weg ihrer verſam̃lungen
und geſellſchafften in kirchen und ſonſt/ auff den ſchmalen und ungemeinen weg treten/
da ſie doch darinne nichts eigenes/ ſondern das gemeine beſte ſuchen.


64. Sondern das heiſt nach dem ſinn des H. Geiſtes etwas eigenes/ was nicht
von dem allgemeinen und einigen brunnen/ nemlich GOtt in CHriſto JEſu/ durch den
H. Geiſt weſentlich herſtammet/ in deſſen ausgedruckten willen und namen ange-
fangen/ gemittelt und vollendet wird/ und alſo auff dieſes gemeine hoͤchſte gut wieder fuͤh-
ret
und weiſet. Dahero denn in der ſchrifft alles ſolch eigenes auch gutſcheinendes ver-
worffen wird/ weil es aus dem eigenem falſch-Adamiſchen willen und leben entſtehet/ als da
iſt eigene gerechtigkeit derer geſetzlichen heuchleriſchen Juden in ihren ſatzungen und
formen
[103] formen/ Rom. X. 3. eigene wahl oder GOttes-dienſt/ Coloſſ. II. 18. eigener weg Eſai-
LIIX.
13. eigenes gutdůncken. und vorurihelle ohne und auſſer dem geiſt CHriſti (ſo
ſonderlich denen lehrern verboten iſt/ 1. Tim. V. 21. weil er alles mit zuziehung und bey-
ſtimmung der gemeine thun muß/ (wie in der abbildung erwieſen iſt.)


65. Wenn nun ein ſolch glied CHriſti/ das dem allgemeinen und groͤſten gebot
der liebe treulich nach koͤmmet/ von einigen ſonderbaren uͤbungen deren anderen meiſten
unſichtharen mitgliederu an einem ort aus obigen urſachen abgehet/ und indeſſen an dem
gemeinen haupt und leibe im geiſt mit bitten und flehen/ wachen und gehorchen hangen
bleibet: ſo kan es unmoͤglich etwas eigenes anfangen. Denn von ſolchen iſt aber-
mahl die frage uͤbrig/ nicht abermahl von ungebrochnen/ und in der eigenheit annoch
tieſſ ſteckenden gemuͤthern. Gegen beide arthen aber moͤchte ein Lehrer wol hochnoͤthig
haben/ die gemeine liebe wircklich in allen zu beweiſen/ damit auch die irrenden uͤberzeu-
get werden/ Er ſuche nicht ſeine eigene erfindungen/ ſaͤtze oder uͤbungen aus eigen-liebe
zu behaupten/ ſondern nur das was CHriſti iſt/Phil. II. 21. 1. Cor. IV. 2. 2. Cor. XI.
14. Alsdenn wuͤrden mit der zeit alle mißhelligkeiten von ſelbſt wegfallen/ und es diejenige
ſeele am beſten haben/ welche unverruͤckt an ihrem unmittelbahren haupte bey allen irrun-
gen und ausſchweiffen derer andern hangen blieben/ weil ſich dieſe dennoch endlich wieder
von ihren eigrnen wegen und duͤrfftigen particulier ſatzungen zum gemeinen und einigen
hauptquell einfinden muͤſſen/ und alſo auch das vereinigte glieb neben ſich erkennen.


66. Uberhaupt aber waͤre nun die wahre inwendige geiſtliche gemeinſchafft
vornehmlich und allezeit eben nicht in dem aͤuſſern umgang zu ſetzen/ weil das reich
CHriſti inwendig/ und die gemeine durch die gantze welt unſichtbarer welſe verbunden iſt.
Nach dieſer verwand- und gemeinſchafft kan ein glied unmoͤglich von dem andern inwendig
getrennet werden/ und ſo wenig als von dem gemeinen haupt/ baum und weinſtock/ ge-
ſetzt/ daß es nach dem aͤuſſern ſich entziehen muͤſte. Sintemal es dennoch bey ſol-
cher entziehung im geiſt die andern lieb und werth behalten/ bey dem HErrn verbitten/
und ſonſt alle pflichten eines heiligen gliedes erfuͤllen kan. Ob es gleich aͤuſſerlich kein ge-
raͤuſche/ ruͤhmens oder ſchwatzens davon machet. Zumahlen bey denen offt ſeltſa-
men führungen
der weißheit reden und ſchwelgen/ eſſen und nicht eſſen/ ausgehen
und daheime bleiben/ geſchaͤfftig und ruhig ſeyn/ ſeine gewiſſe zeit/ ſchrancken abwechſelungen
und periodum hat/ und doch alles dem Herrn geſcheben kan/ Rom. XIV. 3. u. f. Pred. S. III.


67. Solcher geſtalt wuͤrde der inwendige friede die kleinode der liebe und frendigkeit
in den kindern des friedens reichlich austheilen und vermehren/ Coloſſ III. 15. wenn man
allerſeits in Chriſto geiſtlich und him̃liſch geſinnet zu werden trachtete/ und alſo der geſunden
rede CHriſti in allem ſich gemaͤß bezeigete/ welche aus der heiligen Schrifft in ſeinen juͤn-
gern ein lebendiger brieff werden muß. 2. Cor. III. 3. Heb. IIX. 10. Dahero auch ſo dann
an ſtatt des beſorgten aͤrgerniſſes vor die ſchwachen deſto mehr vortheil eꝛwachſen koͤnte/
welche bey der aͤuſſern entzlehung derer etwas ſtaͤrckern uͤberzeuget wuͤrden/ wie ſie auch
nicht immer kinder bleiben/ ſondern zur wahren neuen geburth fortdringen/ und im
genauen inneren gehorſam CHriſti durchkaͤmpffen und wachſen muͤſten. Dafernezumal
ein treueꝛ hirte aus eigener eꝛfahrung kraͤfftiglich bezeugte/ wie die erſte bekehrung und deren
fortgang annoch nur ein ſtaͤublein ſeye gegen dem gantzen unermaͤßlichen meer derer reich-
thuͤmer/ ſchaͤtze und wunder in CHriſto/
die ein wachſender zweig an dieſem baum in
ſich zieben und genieſſen werde/ wenn er dem ziel nachjage/ und das kleinod duͤrſtiglich zu er-
greiffen ſuche. Ja daferne man auch zum wenigſten aus liebe und in Goͤttlich-klugem ſinn
das/ was aus ſchwachheit vorlaufft und zu aͤndern nicht ſtehet/ gegen jederman zum be-
ſten kehren
und deuten wolte: Moͤchte manauch nirgends uͤbervortheilet/ und vor Gott
beſchaͤmet/ ſondern in Chriſto allezeit ſieghafft werden und bleiben.


68. Schließ-
[104]

68. Schließlich wuͤrde auch der hirte und auffſeher unſerer ſeelen allenthalben
groſſe ehre/ freude und wonue haben/ wenn auch ein jeder oͤffentlicher Lehrer die etwa
ohne dem offenbahre untuͤchtigkeit zu dem am[t]des geiſtes und N. bundes tieffeinſche/
und ſo dann alle ſorge/ zeit und muͤbe dahin richtete/ ſelbſt in CHriſto wahrhafftig ein
neues geſchoͤpff und werckzeug zu werden/ ſintemal auch die/ ſo nach dem geſetz un-
ſtraͤfflich und eifferig ſeyn moͤgen/ erſtlich den proceß Pauli erfahren muͤſſen/ in grund-
licher umkehrung zur tieffſten kindes-niedrigkeit und einfalt von allen hoͤhen und eigenen
froͤmmigkeiten; ehe ſie von ihrem lehren eine Apoſtoliſche krafft und frucht erwarten/
und dem HErrn JEſu eine gemeine pflantzen koͤnnen. Anderer geſtalt wuͤrde CHri-
ſtus im geiſt
noch immer weiter in denen/ wo er ſo verborgen leben und herrſchen
will/ heimlich gekraͤncket/ gedaͤmpffet und verſpottet werden/ und zwar aus eifer vor das
geſetz/ das in geboten und ſtuͤckwercken beſtehet/ und alſo aus guter meinung/ eben
wie CHriſtus im fleiſch von den Phariſaern und Schrifft oder Geſetz-gelehrten.


69. Es iſt dieſe jetzige zeit eine ſo kummerliche geburts-zeit/ da ſo manches
kind biß an die geburt und an den durchbruch kommen iſt/ aber keine krafft weder in ſich/
noch bey andern/ auch lehren/ findet/ ausgebohren und zum wachsthum weiter gepfle-
get und genehret zu werden. Deſto hefftiger mag nun ſchreyen/ werda nur ſchreyen
kan/ daß der HErr wiederum hirten ſenden und bereiten wolle nach ſeinem hertzen/ wie
vorhin und in den jahren ſeines bundes. Damit alſo nicht abermal und immer grund
geleget werde/ ſondern eines immer weiter zur vollkommenheit fortfahre und andere
mit ſich ziehe/ die beiligen auch ferner zubereitet/ und der gantze leib CHriſti erbauet
weꝛde: biß daß wir alle in die einigkeit des glaubens und der erkaͤntniß des Sohnes Got-
tes hinankommen/ in dieſem vollkommenen mann/ in das maß des wachſenden alters
JEſu CHriſti. Heb. VI. 1. Eph. IV. 12. Coloſſ. I. 11. 1. Theſſ. IV. 1. 2. Pet. III. 18. u. ſ. f.


70. Denn eben zu ſolchem fortgang und wachsthum ſind die Lehrer gegeben/
Eph. IV. 11. damit die Chriſten nicht immer unbefeſtigte kinder bleiben oder unter allen
winden der Lehren/ menſchen gebothe und in circul lauffenden gewohuheiten behalten
werden v. 14. Sondern daß ſie in der wahrhafftigen liebe wachſen/ nemlich in CHri-
ſtum als das haupt/ und dergeſtelt ſein e[r]ſtaͤrckter maͤnnlicher leib/ durch ſeine geiſtes-
einheit im inwendigen Reich/ glorieus und herrlich/ im aͤuſſeren aber allen feinden for-
midabel
und wie die heeres ſpitzen ſchrecklich wuͤrde v. 15. 16.


71. Dieſes ſoll und wird der eintzige zweck und die beſtrehung derer ſeyn/ die Gott
ſelber ſendet: woruͤber ſie auch alles andere vorkoth und ſchaden achten werden/ nur da-
mit ſie mit denen/ die ſie boͤren/ Chriſtum Jeſum in ſich weſendlich empfangen/ und
durch alle deſſen ſtuffen und alter zuſehends wachſen/ biß ſie der aufferſtehung aus den
todten in ihm nach aller leyden gemeinſchafft triumphirend entgegen kommen.


72. Und ſo viel ſey dißmal geſchrieden zu beſcheidener offenbarung der in Chriſto
erkanten wahrheit vom recht-Evangeliſchen lehramte/ nicht aber zu weiteren gegenſatz
oder diſputen. Wie ich denn jederman bitte/ alles in ſolchem ſinn/ der dem ſinn des Herrn
JEſu aͤhnlich oder doch nachjagend iſt/ wol zu deuten/ und bey ſo groſſer noth in dieſer
zeit zu hertzen zu nehmen/ auch ſich nicht einzubilden/ als waͤren dieſes zu hohe dinge;
denn es nur die erſte duchſtaben und ſtuffen des wahren Evangelii ſtud/ und noch lange
nicht die unermeßliche geheimniſſe und wunder der hoͤhern gnade in der ſuͤlle Jeſu Chri-
ſti. Solte jemand hiedurch geruͤget/ oder an ſeinem vermeintẽ beruf und amte zweiffelnd
werdẽ/ dem wird die Goͤttliche traurigkeit eine niemals zu bereuende veraͤnderung brin-
gen von ſeiner vorigen Phariſaͤiſchen vermeſſenheit/ im eigenen wircken und
bauen/ zu gruͤndlich er demuͤthigung und zu einem gantz neuen lebendigen
weg nach einer unvergaͤnglichen Glorie.

Ende der Erklaͤrung.
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TextGrid Repository (2025). Arnold, Gottfried. Erklärung/ Vom gemeinen Secten-wesen/ Kirchen- und Abendmahl-gehen; Wie auch Vom recht-Evangel. Lehr-Amt/ und recht-Christl. Freyheit. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bq65.0