[][][]
UND SEIN JAHRHUNDERT.
DES LITERARISCHEN UND KÜNSTLERISCHEN LEBENS IN SEVILLA,
TITELKUPFER UND ZWANZIG ILLUSTRATIONEN.
VERLAG VON MAX COHEN \& SOHN (FR. COHEN)
1888.
[[II]]
— that Armado hight,
For interim to our studies, shall relate
In high-born words the worth of many a knight
From tawny Spain, lost in the world’s debate.
Love’s Labour’s lost.
[[III]]
SEINER MAJESTÄT
FRIEDRICH
DEUTSCHEM KAISER
KÖNIG VON PREUSSEN
EHRFURCHTSVOLL GEWIDMET.
[[IV]][[V]]
INHALTS-VERZEICHNISS
DES
ERSTEN BANDES.
- Erstes Buch.
Einleitung.
Des Künstlers Bedeutung 3. — Die Galerien 11. — Quellen und
Literatur 13. — Die Stadt Sevilla 22. — Die literarische Gesellschaft
und die Dichter 29. — Die Malerei des Mittelalters 35. — Die Ma-
nieristen 42. — Roelas 52. — Herrera 56. — Pacheco 63. — Seine
„Kunst der Malerei“ 69. — Das Bildnisswerk 72. — Venezianische Ma-
lerei; El Mudo 74. — El Greco 76. — Schule von Toledo; Maino und
Tristan 80. — Anhang: Ein Gespräch über die Malerei 85. - Zweites Buch.
Die Jugendjahre.
(1599—1629.)
Die Familie 107. — Lehrjahre 110. — Volksfiguren 126. — Der
Wasserträger von Sevilla 128. — Küchenstücke 133. — Apokryphen 136.
— Kirchenbilder 141. — Die heil. Jungfrau und der Evangelist Jo-
hannes 142. — Die Epiphanie 145. — Die Hirten 148. — Kameraden:
Zurbaran 151. — Alonso Cano 155. — Die beiden Reisen an den
Hof 158. — Anstellung 165. — Die Stadt Madrid 168. — Kunstver-
kehr 172. — Das alte königliche Schloss 178. — Malerische Ausstat-
tung 185. — Philipp IV 191. — Früheste Bildnisse 197. — Don
Carlos 205. — Olivares 207. — Dessen Bildnisse 211. — Carl Stuart
215. — Die italienischen Maler des Königs 217. — Carducho’s Ge-
spräch über die Malerei 223. — Die Vertreibung des Moriscos 230. —
Rubens in Spanien 235. — Sein Einfluss auf Velazquez 246. — Der
Bacchus 255. — - Drittes Buch.
Die erste Romfahrt.
(1629—1631.)
Nach Italien 267. — In Venedig 272. — Tintoretto 273. — Rom im
Jahre 1630 279. — Kunst und Künstler 283. — Die Gemälde der
zwölf Meister 291. — Selbstbildniss 295. — In der Villa Medici 296. —
Titusbogen 299. — Die Schmiede Vulkans 301. — Der bunte Rock
Josephs 308. — Neapel; die Königin Maria 311. — Ribera 319. - Viertes Buch.
Die Tage von Buen Retiro.
(1631—1648.)
Hofämter und Gehalt 329. — Buen Retiro 334. — Gemäldeaustattung
342. — Saal der Reiche 346. — Parkansichten 351. — Aranjuez 352. —
Die Uebergabe von Breda 354. — Die spanische Jagd 370. — Jagd-
bilder 375. — Die Saujagd 378. — Die Hirschjagd 386. — Die drei
Jäger; der Infant Don Fernando 389. — Jägermeister 394. — Rubens’
Gemälde für die Torre de la Parada 397. — Cano in Madrid 401. —
Murillo 406. — Das Krucifix von S. Placido 415. — Christus an der
Säule 421.
[[VII]]
Verzeichniss der Illustrationen
des ersten Bandes*).
- 1. Selbstbildniss des Velazquez nach dem Gemälde in der kapito-
linischen Galerie, radirt von Forberg, Titelkupfer. - 2. Sevilla im 17. Jahrhundert. Zinkätzung nach Merian 22
- 3. Bildniss des D. Fadrique de Rivera, im Kopfleisten. Nach
einer Bronzeplatte 85 - 4. Der Wasserträger von Sevilla (London) 129
- 5. Die Epiphanie 146
- 6. Ansicht des Alcazar von Madrid im 17. Jahrhundert. Nach
einer Zeichnung von F. Justi 178 - 7. Plan des Hauptgeschosses der königl. Wohnung nach einer
alten Zeichnung 184 - 8. Bildniss Philipp IV in ganzer Figur 191
- 9. Bildniss des Olivares nach dem Stich von Pontius 208
- 10. Bacchus (Los Borrachos) 256
- 11. Ansicht des Titusbogens 267
- 12. Ansicht aus der Villa Medici 297
- 13. Die Schmiede des Vulcan 305
- 14. Die Königin Maria von Ungarn in Berlin (Zinkätzung nach
Zeichnung von P. Halm) 313 - 15. Der Tritonenbrunnen in Aranjuez 353
- 16. Die Uebergabe von Breda 360
- 17. Gruppe aus der Saujagd in London, nach Zeichnung von
Williamson 385 - 18. Bildniss des Cardinalinfanten Ferdinand als Jäger 392
- 19. Bildniss des Juan Mateos (?) in Dresden 396
- 20. Das Crucifix von S. Placido 416
- 21. Christus an der Säule (London) 424
[[VIII]]
ZUSÄTZE UND BERICHTIGUNGEN.
S. 25. Z. 10 l. Tomàs Mercado. — S. 37. Z. 7 zu Nufro Sanchez: einem
Schüler Mercadante’s. — S. 151. Z. 5 v. u. die „Trinidad“ ist die „Krönung der
Maria“. — S. 180 Anm. Güemes Willame. — S. 206. Z. 26 l. in welcher der
Handschuh mit einem Finger nachlässig hängt. — S. 210. Z. 13 Corner. — S. 218
Z. 12 v. u. Cristofano Allori. — S. 233 Anm. Die Unterschrift des Malers ist
Band II, 233 zu lesen. — S. 239. Z. 10 l. Johann Friedrich der Grossmüthige.
— S. 267 Anm. El peregrino en su patria. — S. 342. Z. 5 Baccio del Bianco. —
S. 416. Z. 17 Mateo Cerezo.
[[1]]
ERSTES BUCH.
EINLEITUNG.
Des Künstlers Bedeutung — Die Galerien — Quellen und Literatur —
Die Stadt Sevilla — Die literarische Gesellschaft und die Dichter —
Die Malerei des Mittelalters — Die Manieristen — Roelas und Herrera
— Pacheco — El Greco und die Schule von Toledo — Ein Gespräch
über die Malerei.
1
[[2]][[3]]
Diego de Silva
Velazquez
dieser Name war vor hundert Jahren diesseits der Pyrenäen
noch wenig gehört worden, am wenigsten in Deutschland. Der
Kreis der Maler erster Ordnung schien längst geschlossen, und
Niemand ahnte, dass im fernen Westen, in den Schlössern von
Madrid und Buen Retiro die Rechtstitel eines Künstlers verborgen
waren, der auf einen Sitz unter jenen oberen Göttern vollen An-
spruch hatte. Er war freilich aus dem spanischen Vasari in die
Abrisse der Künstlerleben übergegangen; aber erst im späten
achtzehnten Jahrhundert hat ein deutscher Maler zuerst ihm Platz
und Provinz in der Universalkarte der neueren Malerei gegeben.
Raphael Mengs, der in seinen Schriften die klassischen Meister
pries und zergliederte und eine Neugeburt der Kunst durch deren
Verschmelzung und durch das Studium der Antike träumte, wäh-
rend er in seinen Werken einer der letzten und mattesten Eklek-
tiker blieb, als er im Jahre 1761 den königlichen Gemäldeschatz
musterte, sah sich nicht ohne Aufregung (denn er hatte das Auge
des Malers) Einem gegenüber, der von allen die ihm bisher vor-
gekommen, ihm selbst am unähnlichsten war. In dem was der
Sachse den „Stil der Natur“ nannte, fand er ihn selbst denjenigen
über, welche ihm bisher als dessen Bannerträger gegolten
hatten, Tizian, Rembrandt, Gerhard Dow. „Die besten Muster des
natürlichen Stils, so schrieb er im Jahre 1776 an Anton Ponz,
den Periegeten spanischer Kunst, sind die Werke des Diego
Velazquez, durch das Verständniss von Licht und Schatten, durch
die Luft zwischen den Dingen, welche das wichtigste Stück sind
in diesem Stil, weil sie die Vorstellung der Wahrheit geben.“
Was hier Mengs in seiner Weise aussprach, ist schon der
Eindruck der Zeitgenossen gewesen. Als der Kammermaler
Philipps IV das Bildniss seines Sklaven Juan Pareja im Jahr des
Jubiläums im Pantheon zu Rom ausstellte, sagten die Maler nach
[4]Erstes Buch.
der Mittheilung des dort anwesenden Deutschen Andreas Schmidt:
Alles übrige, altes und neues sei Malerei, dieses Bild allein
Wahrheit. Und dieses Wort hatte 1650 wol mehr zu bedeuten,
als irgendwann vorher oder nachher. Es drückt auch das Ideal
des Meisters selbst aus und wahrscheinlich wörtlich. Dasselbe
hört man noch heute die Künstler sagen vor dem Bildniss des
damals regierenden Innocenz X, welches er, wie schon zwanzig
Jahr früher sein eigenes Bildniss, in der „Kapitale der Kunst“
zurückgelassen hat. Von dem Eindruck dieser ausserordentlichen
Pabstfigur, die ich im Frühjahr 1867 zum erstenmale in der Ga-
lerie Doria sah, datirt auch (wenn ich mich selbst anführen
darf) mein Interesse an Velazquez, und damit der erste Anstoss
zu den Reisen und Studien, aus welchen dieses Buch hervor-
gegangen ist.
Velazquez gehört zu denen, die mit keinem andern verglichen
werden können. Wer solche Leute in eine kurze Formel fassen
will, wird in Allgemeinheiten und Superlative verfallen. Dem
Hofmaler Carl III. war er der erste der Naturalisten; „wenn die
Malerei, sagt Charles Blanc, nur eine zweite Geburt der Schöpfung
wäre, Velazquez würde ohne Widerspruch der grösste Maler
sein.“ Waagen, der ihn noch in hohem Alter kennen lernte,
schien er den Realismus der spanischen Schule in seiner ganzen
Einseitigkeit, aber auch in seiner grössten Vollkommenheit zu
repräsentiren. Er kann sich aber nicht enthalten hinzuzufügen:
„Ja, insofern es darauf ankommt, die Menschen, wie sie sind, in
grösster Lebendigkeit der Auffassung, in höchster Treue in Form
und Farbe mit der seltensten Meisterschaft des ganz freien und
breiten Vortrags wiederzugeben, stehe ich nicht an, ihn für den
grössten Maler zu halten, welcher je gelebt hat.“ Beulé nannte
ihn den grössten Coloristen überhaupt, W. Bürger endlich le
peintre le plus peintre qui fût jamais.
Man hat Devotion und Mystik als das eigenthümliche und be-
herrschende Merkmal der spanischen Kunst bezeichnet, dies könnte
richtig sein von ihren Stoffen und von der strengen Kirchlichkeit
der Künstler. Aber wer will behaupten, dass Spanien sich in
der religiösen Malerei mit Italien messen kann? Wo sind seine
Giotto, seine Fiesole und Perugino? Vergebens sucht man nach
einem Denkmal, das sich der Sixtinischen Madonna und der Disputa,
oder der Anbetung des Lamms in Gent und Tizians Asunta an
die Seite stellen kann, so wenig wie Spanien einen Dante und Mil-
ton hervorgebracht hat. Sie haben den einen und einzigen Murillo,
[5]Velazquez.
sein geistiger Gehalt ist vergleichbar dem von Devotionsmalern
wie Guido, Carlo Dolce, Sassoferrato, was ihn weit über diese
hinausrückt, ist die glückliche Einführung heimathlicher Volks-
typen, Farben und Lichter in die überlieferten Stoffe, sein Na-
turalismus, sein kindlich-liebenswürdiger Character.
Was den Ausländer in den religiösen Bildern Spaniens fesselt,
ist weniger der Reichthum der Empfindung und die Tiefe der
Symbolik, als ein Zug des Ernstes, der Einfalt, der Redlichkeit.
Ihre Künstler waren weit entfernt die heiligen Gegenstände blos
als Vorwand zu betrachten, um reizvolle Motive anderer Art
einzuschmuggeln: aber sie bedachten sich nicht, in mittelalter-
licher Unbefangenheit, sie in ihre spanische Welt zu übertra-
gen. Daher das oftmals bizarre, seltener abstossende, meist
durch kernige Eigenart anziehende Wesen dieser spanischen
Kirchenmalerei, das bisweilen zu einer Ueberschätzung ihres
künstlerischen Werthes geführt hat.
Schon im fünfzehnten Jahrhundert findet man die Retablo-
maler der Provincialschulen, angeregt durch Niederländer, auf
ähnlichen Bahnen, damals in den engen Schranken „gothischer“
Kunst. Der eindringende Italianismus hat diesen Anfängen echt
nationaler Malerei ein rasches Ende bereitet. Die Spanier be-
kannten sich ein Jahrhundert lang zum Idealismus: sie haben mit
grosser Mühe nur gleichgültige Werke geliefert. Dann folgte
die Rückkehr zu dem entgegengesetzten System, aber jetzt mit
ganz anderem Kunstvermögen. Dieses System hat stets die
Wirkung gehabt, Eigenthümlichkeit zu befreien, weil es auf die
wahre Quelle, die nächstliegende Natur hinweist und das Talent
auf eigene Füsse stellt. Aber gerade diese rein, ja schroff spa-
nischen Meister, die, mit einer Ausnahme, nie im Ausland gewe-
sen sind, haben die Runde durch die Welt gemacht und die Vor-
stellung von dem geschaffen, was man Spanische Schule nennt.
Sie gehören zum Bild des Zeitalters Philipp IV, von dem Leopold
Ranke sagt: „Seine Zeit, durch politische Misserfolge und finan-
zielle Misswirthschaft so traurig, hat sonst ungleich mehr spa-
nische Farbe als die früheren.“
In dieser Gruppe war Velazquez der folgerichtigste im Prin-
cip, die grösste technische Kraft und das feinste Malerauge.
Keine Ausnahme also, wie er vom stofflichen Gesichtspunkt, als
der einzige fast ganz weltliche Maler Spaniens bezeichnet werden
konnte, sondern der spanischste unter den spanischen Malern.
Die Spanier besassen seit mehr als einem Jahrhundert einen
[6]Erstes Buch.
Staat im modernen Sinne, dessen Maschine aber die ungestörte
Fortdauer vieler Elemente mittelalterlicher Kultur vertrug. Aus
der Reibung des nüchteren, modernen, klassisch geschulten Ver-
standes mit dieser Traumwelt ging das, wenn auch nicht einzig
gute, doch gewiss unvergleichlichste und unterhaltendste Werk
ihrer und vielleicht der ganzen neuern Dichtung hervor. Damals gab
es keine Antecamera, in der nicht ein Don Quixote lag; dieses Buch
war als Novität in den Händen der jungen Leute, welche die
„Schule von Sevilla“ begründeten. Miguel Cervantes, der wie
Leonardo die Erfahrung die Mutter aller Wissenschaften nannte,
und die Geschichte für heilig erklärte, „weil sie wahrhaftig ist,
und wo die Wahrheit ist, da ist Gott“1) — er besass in seinem
reichen Geist ein gut Stück Vulgärrationalismus, das was Schle-
gel den „prosaischen Winkel in seinem poetischen Gemüth“
nannte. Ein solcher prosaischer Winkel aber findet sich überall
in spanischer Dichtung und Kultur. Neben dem fahlen dürren
Ross der Romantik trabt der Esel praktischer Volksweisheit.
Ihr einziges Epos war nur das Tagebuch eines Indianerfeldzugs,
„die unbestochene Relation eines Augenzeugen, von der Wahr-
heit abgenommen und nach ihrem Maasse zugeschnitten“2). Ihre
wo nicht älteste, doch am meisten gelesene und gedruckte Comödie
war Celestina. Quevedo’s „grosser Schelm“ und die Picarosro-
mane sind auch im Detail der Trivialität nicht überbotene Vorläufer
des von den heutigen Südfranzosen aufgebrachten realistischen
Romans. Während dem grand siècle Frankreichs die Aufrich-
tung der Regeln des antiken Drama’s in verschärfter Fassung
voraufging, so eröffnete Lope das Jahrhundert des spanischen
Drama’s mit einer Kündigung der Kunstregeln, mit einer Kapi-
tulation des auch dort eingeführten klassischen Geschmacks vor
dem Brauch Spaniens, dem „Beifall des Pöbels“, der barbarischen
Comödie, wie er selbst cynisch sagt, welche das Thun der Men-
schen und die Sitten des Jahrhunderts nachahmt3). Diese Dra-
matiker haben die alten Ideen von Ehre, Liebe und Loyalität in
spitzfindigen Verwickelungen und in schimmernder Sprache ver-
herrlicht; aber der Dichter des Jahrhunderts und des Hofs, den wir
in diesem Buch kennen lernen werden, „ein Dichter wenn es je
einen gegeben hat“, Calderon, enthält nicht nur den Geist seiner
[7]Velazquez.
Zeit, sondern auch ein Bild der Sitten und des Costüms, der
Scenen auf Gassen und Plätzen, in Park und Kirche, in Palast
und Posade, wie es aus Chroniken und Memoiren nicht besser
zusammenzubringen ist1); und in der Lebensweisheit des Dichters
des Lebenstraums und der Andacht zum Kreuz ist mehr Men-
schenkenntnis und gesunder Menschenverstand, als in manchen,
die sich zur Religion der reinen Humanität bekennen. Dieser
Vertheidiger des „Adels der Malerei“ sagt auch, „die Maler seien
weiter nichts als Nachahmer der grossen Natur.“
Woher ist dieser Zug in das spanische Wesen gekommen?
Ist er ein Erbstück der iberischen Ureltern? ein Erzeugniss
von Boden und Clima? Oder ist er in jenem Umtausch der
Eigenschaften, wie ihn der Kampf mit sich bringt, von ihren jahr-
hundertelangen Zwingherrn auf sie übergegangen? „Der Araber,
sagt Dozy, hat wenig Phantasie und keine Erfindung, aber eine
Vorliebe für das Wirkliche und Positive. Die arabischen Dichter
beschreiben was sie sehen und erleben, aber sie erfinden nichts“2).
So nennt Cervantes die Rittergedichte Lügenbücher (libros
mentirosos). Hätten die Araber Maler haben können, sie würden
wahrscheinlich Bildnisse, Jagden, Festspiele und Sittenbilder ge-
malt haben, wie wir sie im Justicia-Saal der Alhambra sehen,
aber, wie ich glaube, von Spaniern gemalt. Dieser Zug ist auch
der spanischen Malerei von heute eigen, die sich ohne eigent-
lichen Zusammenhang mit der Vergangenheit ganz frei ge-
bildet hat.
Wie dem auch sei, diese Eigenschaft hat sich zur rechten
Stunde ein Auge als Organ zubereitet, das für die Aufnahme
der sichtbaren Erscheinung mit ungewöhnlicher Vollkommenheit
angelegt war. „Man glaubt bei ihm die Natur in einer Camera
obscura zu beobachten.“ Völlig gebunden in der Wahl der
Stoffe durch seine amtliche Stellung, scheinen ihn insgeheim
nur seine optisch-malerischen Probleme zu interessiren. Oft
zog ihn das schwer fassbare und darstellbare an, was aber zugleich
das nächste und alltäglichste war, wie das allverbreitete Tages-
licht: er hat Aufgaben sich gestellt, auf die man erst in der
neuesten Zeit wieder gekommen ist. Richtig ist freilich, dass
dafür auch wenige so enthaltsam gewesen sind im Gebrauch der
[8]Erstes Buch.
Phantasie, die Gelegenheit Schönheit zu verewigen so wenig be-
nutzt haben, wenige auch für das Verlangen der menschlichen
Natur nach jenem Nichtseienden, das uns für die Wirklichkeit
tröstet, so wenig gesorgt haben.
Aber seine Porträts, Landschaften, Jagdstücke und alles was
er gemacht hat, kann als Vergleichungspunkt gebraucht werden,
an dem man die Grade oder Reste conventioneller Schlacke in
andern abmisst. Das Medium, durch welches er die Natur sah,
verschlang, um ein physikalisches Bild zu gebrauchen, weniger
Farbenelemente als das anderer. Wie neben dem elektrischen
Licht auch sonst weiss scheinende Flammen farbig aussehen, so
verlieren neben den seinigen die Werke der Naturalisten; neben
Velazquez erscheint Tizians Colorit conventionell, Rembrandt
phantastisch und Rubens mit einer Dosis manierirter Unnatur
behaftet.
Wenn er weniger als alle anderen in die Dinge hineinlegte,
so zog er dafür mehr als alle aus ihnen heraus. Niemand hat
wie er mit Dürers Grundsatz Ernst gemacht, dass „wahrhaftig
die Kunst in der Natur steckt; wer sie heraus kann reissen, der
hat sie“. Darauf beruht ihr Rang. Unter dem Eindruck der spa-
nischen Galerie des Louvre schrieb ein Deutscher: „Wenn es ihm an
Flügeln fehlte, um sich über die Wolken emporzuschwingen, und
den übermenschlichen Ausdruck dieser Regionen zu vergegenwär-
tigen, so war er vielleicht der grösste von allen, deren Füsse je
die Erde berührten. Seine Gemälde wurden erhaben durch
Ausdruck und Charakter, und bekamen oft eine hochpoetische
Farbe, wo er nichts als wahr und naturgetreu sein wollte. Ve-
lazquez legte in das einfachste Portrait mehr Poesie und Schwung,
als viele anderen Historienmaler in ihre symbolischen Composi-
tionen hineinlegen“1).
Was er nun sah, das brachte er auf die Leinwand mit stets
wechselnden, ja vom Augenblick eingegebenen Mitteln, die dem
Praktiker oft ein Räthsel sind. Uebrigens, wie er die Erschei-
nung sah, war das Ungewöhnliche, weniger aber ein besonderes
Geheimniss der Technik. Seine Mittel waren oft überaus einfach,
wie die durch welche Rembrandt in seinen Radirungen jene
unnachahmlichen Effekte erzielte. Man hat gesagt, „das geistige
Wollen des Künstlers sei aufs engste an das technische Vermö-
gen der Darstellung gebunden“, aber ebenso wahr ist, dass dem
[9]Velazquez.
Genie (wie der Natur) noch immer für das was es sah und wollte,
auch die Mittel nicht gefehlt haben1). Die italienische Malerei
des vierzehnten Jahrhunderts würde schwerlich anders geartet
sein, wenn die neue Oeltechnick schon bekannt gewesen wäre,
und der grosse Holländer wäre wohl nicht unmöglich gewesen,
wenn er sich mit irgend einem andern Medium hätte zurecht-
finden müssen. Dem grossen Haufen derer, die den Pinsel füh-
ren, imponirt Velazquez vor allem durch den äussern Schein jener
Mittel, als der geistreichste Praktiker, d. h. der mit dem wenig-
sten am meisten zu sagen weiss, und man vergisst oft, dass ihm
dies nur Mittel zum Zweck war.
Daher auch sind die Gemälde des Velazquez von nie ver-
sagender Anziehungskraft. Von keinem kann man soviel bei-
sammen sehen, ohne Ueberdruss. Denn er ist fast in jedem Bilde
neu. Er hat nicht wenige Bilder gemalt, deren jedes sui generis
ist, auf dessen Variationen anderwärts ganze Existenzen gegrün-
det worden wären. Der Zauber des Lebens, den sie ausüben,
liegt im äusserlichsten und im innerlichsten: im Schimmer der
Hautoberfläche und im Ausstralen des Willens, im Schein des
athmenden, pulsirenden Augenblicks und in der Tiefe des
Charakters. Treffend sagt J. C. Robinson, „dass seine Werke
auf alle Zeiten, auch die entferntesten, so lange sie existiren,
eine Wirkung ausüben werden, so mächtig, dass man in der Erinne-
rung die Vorgänge wirklich miterlebt zu haben glauben könne“2).
Deshalb eignet sich das Werk des Velazquez für eine
monographische Behandlung. Man kann sogar sagen, dass
jedes einzelne seiner Werke zu einer solchen reizt. Andern sind
ohne Zweifel weit bedeutendere und erbaulichere Stoffe zuge-
fallen, andere haben ein höheres Mass von Schaffenskraft mitbe-
kommen. Andern haben eindringlichere Töne und berauschendere
Akkorde zu Gebote gestanden. Neben den Coloristen der vene-
[10]Erstes Buch.
zianischen und niederländischen Schule erscheint der Spanier
prosaisch und nüchtern. Ja wir wüssten keinen, der den Unvor-
bereiteten so wenig ansprechen kann. Aber eins hatte er voraus.
Bei vielen liegt das Grosse mehr im Arsenal ihrer bewunderns-
würdigen Darstellungsmittel, denen sie jedweden Stoff anzupassen
wissen, als in der Arbeit, die sie dem Einzelnen zuwenden, in der
Geisteskraft, mit der sie aus jedem Gegenstand eigens die in ihm
latente Kunst herausdestilliren. Wenn ihre Kunst uns stets be-
rückt: das einzelne Werk gewinnt uns nur halben Antheil ab.
Da ist nun der Spanier in jedem Bilde neu und eigen, in
der Erfindung wie in der Technik. Für den Geschichtsforscher
sind die Werke dieses „Geheimsekretärs der Natur“1) Urkunden
der Zeit; dem Philosophen zeigen sie seinen Hauptgegenstand,
den Menschen, wie im Hohlspiegel; sie sind aufregend für den
ausübenden Künstler, und ihre Details bestehen vor dem Auge
des Anatomen wie des Sportsmanns und des Schusters.
Seine Werke besitzen die Eigenschaft in besonderem Grade,
welche Palomino als die „Kanonisation“ eines Kunstwerks bezeich-
net: die Originalität. In den grossen Historienbildern ist keine
Anknüpfung an früheres zu entdecken; sie sind auch unnach-
ahmlich geblieben. Was ihn aber von allen andern im eminenten
Sinne originellen Malern unterscheidet, das ist ihre Einfalt, ihre
ungefärbte Naturwahrheit. Seine beiden optischen Meisterwerke
sind Erinnerungen an gesehene Situationen der trivialsten und
beschränktesten Art. Denn sonst beruht der Eindruck der Ori-
ginalität auf einer übermächtigen Subjectivität, die jedem Zug
ihren Stempel aufdrückt.
Das Interesse, die Begeisterung, welche wir Kunstwerken
der Vergangenheit widmen, gründet sich wol nicht bloss auf die
historische Wissbegier, auch nicht auf die praktische Nützlichkeit
solcher Studien; sie dürfte selbst von der Stellung in dem müssi-
gen Streit über den Vorzug des Alten und Modernen ziemlich
unabhängig sein. Die Maler sagen, sie könnten von den Alten
technisch nichts mehr lernen; jedenfalls verhält es sich in dieser
Beziehung mit ihrer Kunst anders als z. B. mit dem Kunstge-
werbe. Der Reiz der alten Denkmäler liegt in der hier nieder-
gelegten besondern Erscheinung der Menschheit, der geistig-
körperlichen, die durch gewisse Verhältnisse von Zeit, Bildung
und Race bedingt, so wenig wie diese Verhältnisse je wiederkehren
[11]Velazquez.
wird. Was wir suchen und was uns fesselt, ist also eine Er-
gänzung der Anschauung unserer eigenen Natur, die an jedem
Einschnitt der Zeit nur bruchstückweise in die Erscheinung tritt.
Darin liegt der Werth und die Unersetzlichkeit der griechischen
Plastik für uns. Daher der Zug unsers Jahrhunderts nach der
christlichen Kunst des Mittelalters, in der eine eigenthümliche
uns verloren gegangene Empfindungswelt niedergelegt ist. Wenn
eine solche Cultur in die Vergangenheit zurücksinkt, so gewinnt
sie oft eine Art Werthschätzung, die von derjenigen zur Zeit
ihrer Lebendigkeit sehr verschieden ist.
Auch jene Zeiten des Cervantes und Murillo, wo das spa-
nische Wesen sich für eigene Stoffe und Denkweisen auch eigene
Formen schuf, kann als ein wenn auch beschränktes Stück Mensch-
heit gelten, das seine Nische in deren Pantheon verdient, nicht blos
sein Gefach im Archiv historischer Funde. Auch die Denkmäler
dieses spanischen Wesens und das Interesse an ihnen hat an dem
Punkt seine Weltwanderung begonnen, wo es im lebendigen
Dasein zerfiel.
Die Galerien.
Velazquez (und seinen Verehrern) ist das seltene Glück be-
schieden gewesen, dass die bedeutendere Hälfte seiner Werke
noch an einem Ort — dem ihrer Entstehung — beisammen ge-
blieben ist. Sie sind nur aus den Schlössern in das Museum
des Prado gewandert. Dank der geringen Veränderlichkeit
ihrer Farbenschichten, der trocknen Luft Madrids und der langen
Verschonung mit Galeriedirectoren alten Schlags, sind sie auch
von einer Erhaltung, die man sich nicht besser wünschen kann.
So kann man dort das Werk einer vierzigjährigen Künstlerlauf-
bahn in allen Wandlungen vergleichen, dort wo Land und Leute,
im Süden typischer und stetiger als bei uns, den Kommentar
dazu schreiben. Denn das Leben allein nimmt den Staub und
die Starre weg, welche die Zeit über die Kunstwerke verhängt.
Auch die Zeit und Umgebung ihrer Entstehung lässt sich mit
voller Anschaulichkeit, in Personalien, Zuständen und Aeusser-
lichkeiten jeder Art, aus archivalischen, chronikalischen und dich-
terischen Quellen wieder hervorrufen. Wie oft begegnet man in
Büchern, Depeschen und Versen jener Zeit Schilderungen, die
auf Gemälde des Velazquez gemünzt scheinen; wie oft in den
weiten, einsamen, entwaldeten Thälern castilischer Berge erkennt
[12]Erstes Buch.
man jene Landschaften wieder, mit ihrem klaren, satten, cyanblauen
Luftton, in die er seine schimmernden Reiterbilder versetzt, oder in
den engen Gassen seiner Städte einen Bauer, einen Bettler, der
aus einem Rahmen des Velazquez herausgeschritten scheint.
Das Museum selbst ist ein Theil dieses Commentars: dort sieht
man die Gesellschaft, die Berge, die Parks in denen er sich
bewegte, die Erzeugnisse italienischen Pinsels die er bewunderte
und studirte und von denen er einige selbst mitgebracht und auf-
gestellt hatte.
Nur wenige bedeutende Stücke sind durch Brand von
Schlössern und Kirchen zerstört worden; Vieles aber ist in den
Stürmen zu Anfang des Jahrhunderts ins Ausland gewandert,
und wohl alles, was sich in Privatbesitz befand. Zu einem voll-
ständigen Ueberblick seines Schaffens gehört die Kenntniss dieser
zweiten zerstreuten — und beweglichen — Hälfte seiner Werke.
Niemand bilde sich ein, diesen Maler zu kennen, der die in Eng-
land befindlichen Werke nicht aufgesucht hat. Während das
Madrider Museum allerdings immer ohne Nebenbuhler bleiben
wird als Besitzer aller der fünf grossen Historien und der Reiter-
bilder: so fehlen ihm dagegen manche merkwürdige Stücke, ja
ganze Klassen von Darstellungen. Dahin gehören die Volks-
und Küchenstücke seiner andalusischen Zeit, wie der Wasserträger
bei Lord Wellington, ferner die Typen der hohen Klerisei, wie
der Papst im Palast Doria und der Cardinal in Frankfurt; und mit
einer Ausnahme, die grossen Bildnisse spanischer Damen und das
Unicum seiner Venus. In lieblichen, mit allem Schmelz zarter Ju-
gend und schimmerndem Schmuck ausgestatteten Kinderbildern
übertrifft die Galerie des Belvedere Madrid. Endlich sind die
Scenen der Jagd und der Reitbahn alle in England und last not
least die wenigen echten Originalskizzen.
Die guten Velazquez ausserhalb Spaniens darf man nicht
gerade in den grossen Galerien suchen. Nirgends erscheinen die
vielregierten öffentlichen Museen so im Nachtheil gegenüber den
Erfolgen der Privatliebhaberei. Die Nationalgalerie Englands
besitzt nur die Ruine der Saujagd, zwei wenig merkwürdige
Darstellungen Philipp IV und die Hirten, welche als Jugend-
werk und Nachahmung zwar von biographischem Werth sind,
aber nicht gerade geeignet, von der Art des Meisters einen
Begriff zu geben. Erst seit Kurzem ist dieser durch ein Ge-
schenk, den Christus an der Säule, dort würdig vertreten.
Obwol fast alle beweglichen Werke des Velazquez, sowie des
[13]Die Galerien.
Murillo und Zurbaran, in unserm Jahrhundert, und meist in Lon-
don, auf dem Markt erschienen sind, obwol bei den Liebhabern
Englands schon im vorigen Jahrhundert der Geschmack an den
Spaniern verbreitet war, obwohl englische Maler wie Wilkie, Bur-
net die Geistesverwandtschaft zwischen Velazquez und den briti-
schen Porträtisten bemerkt hatten, und diess die einzigen grossen
Maler waren, die noch zu haben waren, auch englische Schrift-
steller zuerst ihren Werth aller Welt veranschaulicht hatten: so
schien es doch nicht in den Sternen geschrieben zu sein, dass
Bilder der britischen Nationalgalerie zur Zierde gereichen sollten,
die wie wenige sich im Stande gezeigt haben, auch der Kunst
der Gegenwart zu denken zu geben, und nicht bloss einer
historischen Liebhaberei des Tages dienen, um später einmal
die Magazine zu füllen. Man stelle sich eine Generalausstellung
der in England zerstreuten Velazquez vor, wie die in Man-
chester war1), und der Gedanke drängt sich auf, dass London
eine spanische Galerie hätte haben können, die mit der von Ma-
drid wetteifern möchte.
Indessen ist es auf dem Kontinent nicht besser gegangen.
Die Galerie des Louvre hat eine ebenfalls sehr gleichgültige
Wiederholung des königlichen Jägers, ein Atelierbild und eine
kleine Skizze; die Ermitage mit Ausnahme einer Wiederholung
des Pabstkopfs lauter zweifelhafte Stücke. Alle echten guten
Bilder stammen aus altem Erbe und sind meist erst von
Kennern wieder entdeckt worden; das Dutzend Bildnisse des
Belvedere, die drei Modenesischen der Dresdener Galerie; auch
die Münchener Pinakothek besitzt fast blos den einen Olivares
aus dem Schlosse zu Schleissheim. Handzeichnungen sind sehr
selten; nur in die Sammlung der Nationalbibliothek zu Madrid
kamen einige aus dem Nachlass Valentin Carderera’s; und sehr
merkwürdige finden sich in der von Cean Bermudez dem Instituto
Asturiano seiner Vaterstadt Gijon vermachten Sammlung.
[14]Erstes Buch.
Literatur.
Des Malers Name kommt zuerst gedruckt vor in den Gesprächen des
Vincenz Carducho (1633) bei der Aufzählung der Gemälde des könig-
lichen Palastes1); die ältesten ganz zuverlässigen Nachrichten über sein
Leben aber enthält die „Malerkunst“ seines Schwiegervaters Pacheco
(1648); die Beschreibung der ersten italienischen Reise, mit der die
Mittheilung schliesst, ist wol brieflichen Aeusserungen entnommen2).
Vierundsechszig Jahre nach seinem Tod erschien die ausführliche Bio-
graphie Palomino’s im Museo pictórico (1724). Dieser spanische Maler-
biograph war aber bereits seit 1678 in Madrid beschäftigt, seit 1688
Maler des Königs; er sah in den Palästen noch alles wie es Velazquez
zurückgelassen hatte, er benutzte die Archive und die Aufzeichnungen
von Künstlern, die jenem nahe gestanden hatten, wie des Juan de Alfaro3).
Er konnte noch aus der vollen lebendigen Ueberlieferung schöpfen, und
in der That beschränkt sich alles, was Spätere hinzugethan haben, auf
kleine Correkturen und Zusätze. Aus dem Museo stammt alle Kunde
über Velazquez und seine Collegen ausserhalb Spaniens bis in unser
Jahrhundert. Seine Lebensbeschreibungen wurden 1739 ins Englische,
1749 ins Französische und 1781 auch ins Deutsche (Dresden) übersetzt;
d’Argenville’s Biographie (1745) ist nur ein Auszug. Antonio Ponz in
seiner Kunstreise (Madrid 1772 ff.) brachte einige Beschreibungen von
Bildern; Cean Bermudez benutzte für sein Diccionario Aufzeichnungen
von Zeitgenossen, wie die des Malers Lazaro Diaz del Valle (1659), die
noch abschriftlich in Privatbesitz vorhanden sind. Die „Discurse“ eines
andern gleichzeitigen Kunstgenossen, Jusepe Martinez, neuerdings her-
ausgegeben von Valentin Carderera (1866), enthalten gleichfalls einen
hierhergehörigen Abschnitt (S. 116—9).
Eine bekannte und definirbare Grösse in der Republik der Künstler
und Kunstfreunde konnte er erst werden in diesem Jahrhundert, und
zwar durch zwei Ereignisse. Das eine war der Entschluss König Fer-
dinand VII, die Gemälde der nur wenigen oder nur flüchtig zugäng-
lichen königlichen Schlösser zu Madrid und San Ildefonso in einem
[15]Quellen und Literatur.
Museum zu vereinigen (1819), das andere die Zerstreuung eines Theils
seiner Gemälde seit den Kriegszeiten über Frankreich und England. Selbst
auf das schon früher im Ausland vorhandene ist man erst seitdem aufmerk-
sam geworden: manche Bilder in Frankreich und Italien, in den Schlös-
sern des österreichischen Kaiserhauses, in der Dresdener Galerie u. a.
waren früher theils unzugänglich oder liefen unter falschen Bezeichnun-
gen, besonders des Rubens; nur der Pabst im Palast Pamfili hat stets
den richtigen Namen behalten.
Seitdem wissen von Velazquez auch noch andere als die Gelehrten:
er ist in den Kunstkreisen von Paris und London eine wolbekannte und
vielgenannte Persönlichkeit geworden, welche die ausübenden Künstler
mindestens ebenso wie die Kenner, die Käufer und die Dokumenten-
sucher beschäftigt.
Voran ging England, Dank dem lebhaften Reiseverkehr und einer
Vorliebe für die spanische Schule, die schon im vorigen Jahrhundert in
Privatgalerien nicht fehlte. Richard Cumberland der Maler schildert
uns noch den Eindruck der Velazquez im neuen Bourbonenpalast. Die
erste lesbare Biographie verdankt man Sir William Stirling Maxwell,
einem schottischen Baronet (geb. 1818, † 1878). Sie erschien in den
„Annalen der Künstler Spaniens“, London 1848, S. 576—688, dann
in besonderer Ausgabe. Stirling ist auch als Schriftsteller ein Edelmann
im grossen Stil, nicht bloss darin, dass er seine Bücher nicht in den
Handel gab. Sein Werk gehört zu denen, wo man sich immer in der
besten Gesellschaft fühlt. Es wendet sich allerdings an den verwöhnten
Geschmack des englischen Publicums, und liest sich wie ein Essay
Macaulay’s, ist „boudoirfähig“; aber er citirt mit der Gewissenhaftigkeit
eines geschulten Historikers. Auf kleinem Raum giebt er erstaunlich
viel entlegene, immer interessante Daten und Curiosa: wie sie nur ein
solcher Bibliophile (seine spanische Bibliothek war (und ist) ohne gleichen
in Europa) zusammenbringen konnte; „eine Olla potrida, sagt Ford,
stuffed with savouries, den nationalen Knoblauch nicht zu vergessen“.
Doch war Sir William weit mehr Historiker, Heraldiker und Literator
als Kenner, wiewol ein geschickter Zeichner. Er verweilt lieber bei
graphischen Schilderungen grosser Staatsaktionen und Feste, als bei
künstlerischen Verfahrungsweisen, die Prosper Mérimée unter seinen zahl-
reichen Notizen vermisste1). Diese Annalen, die er übrigens sehr jung
verfasste, sind doch nur eine elegante Umschreibung jener Palomino und
Bermudez, in englischer Sauce, im Grund nichts andres, als was der
arme Fiorillo einst in Göttingen zu stande brachte (1806); nur belebt
[16]Erstes Buch.
durch die Lichter und Farben seiner Reiseeindrücke und die grossen
Perspectiven der Geschichte, die ihm vertraut war.
Der liebenswürdige Begleiter auf Reisen in Spanien, Richard Ford
(1796), dessen Reisehandbuch (zuerst 1845), voll Belesenheit in alten und
neuen Autoren, gewürzt mit Humor, Sarcasmus, Volkskenntniss, Sym-
pathie, von der Luft des Ortes durchweht, in dieser Klasse von Büchern
einzig dasteht, war mehr Kenner als Stirling, obwol seine Charakteristiken
heute für etwas optimistisch gelten. Sein Artikel Velazquez in der Penny
Cyclopaedia ist das beste was dort über diesen geschrieben ist.
Stirling’s Biographie wurde auch ins Deutsche (Berlin 1856) und
von G. Brunet ins Französische übersetzt mit räsonnirendem Catalog von
W. Burger 1865. Wenn jenes Werk vorzugsweise aus Büchern geschöpft
war, so sind Theodor Thoré’s Aperçus ganz aus dem Umgang mit den
Originalen gewonnen; sie sind wie eine stenographirte Causerie in Aus-
stellung und Galerie. Dieser taktfeste Kritiker moderner und alter Maler,
der meist den Nagel auf den Kopf traf, war bekanntlich sogar Bahn-
brecher in der Methode des Gemäldestudiums, und dass er an dem
Ringen der Kunst der Gegenwart leidenschaftlich Antheil nahm, hat
seine Schilderungen nur belebt. Er war einer von jenen geborenen
Malern, die nur mit der Feder gearbeitet haben, und seine Feuille-
tonaphorismen sind zuverlässiger als manche gelehrte Bücher; seine ge-
flügelten Worte haben unwiderstehliche Ueberzeugungskraft, weil sie nur
die erste Empfindung ausdrücken, welche das Schreibtischfieber des Mo-
nographisten oft verfälscht.
An ähnlichen treffenden Bemerkungen ist die französische Literatur
nicht arm; ich nenne nur Charles Blanc und Théophile Gautier. Die
schätzbaren Artikel Paul Leforts, des besten Kenners der spanischen
Schule in Frankreich, in der Gazette des Beaux-Arts, sind jetzt in einem
illustrirten Bande vereinigt worden.
Seit den sechziger Jahren haben denn auch die Landsleute unseres
Malers Vorarbeiten veranstaltet für eine durch das in den spanischen
Archiven vergrabene Urkundenmaterial vervollständigte Biographie ihres
jetzt am höchsten geachteten Künstlers. Von drei in günstiger Stellung
für solche Arbeiten befindlichen Dokumentensammlern wurden seit etwa
zwanzig Jahren Monographien vorbereitet und zum Theil schon 1870 und
74 öffentlich angekündigt. Indessen haben diese Forschungen nicht
die Ergebnisse geliefert, die man hoffen konnte; von Aufschlüssen
über Gemälde ist wenig zum Vorschein gekommen; man muss sich
begnügen mit Aktenstücken über Hoftitel, Gehalt und amtliche Berichte
aus dem Palastmarschallamt über Miseren. Bis jetzt ist nicht ein einziger
Brief des Malers gefunden worden; und doch hat er mit Rubens, mit
[17]Quellen und Literatur.
dem Maler aus Murcia, D. Nicolas de Villacis korrespondirt. Eine
bedeutende Entdeckung würde die neuerdings ans Licht gezogene
Memorie über die Gemälde im Escorial sein, aber sie ist mehr als
zweifelhaft.
Zuerst hat der Bibliothekar des Königs, D. Manuel Zarco del
Valle, ein hervorragender Bücherkenner, in den Documentos inéditos
eine Anzahl der wichtigeren Aktenstücke des Palastarchivs abgedruckt;
er versprach damals eine Arbeit, welche äusserst merkwürdige Dokumente
enthalten sollte, mit Benutzung sehr seltener Drucke des siebzehnten
Jahrhunderts, Nachrichten von unbekannten Gemälden, nach Aufzeich-
nungen von Zeitgenossen1).
Am meisten hat sich um diese Studien verdient gemacht d. Gre-
gorio Cruzada Villaamil (geb. 1832 † 1885), der Herausgeber der einzigen,
aus Mangel an Theilnehmern eingegangenen spanischen Kunstzeitschrift
El Arte en España (1862—1870) und Verfasser der Schrift über Rubens
als spanischen Diplomaten (Madrid 1876). Er hat die für das Studium
der spanischen Malerei dieser Zeit so wichtigen und seltenen Malerbücher
des Carducho und Pacheco (fast unauffindbar) wieder abgedruckt, und
die Akten des Ordensarchivs von Uclés über Velazquez Adelsprobe ver-
öffentlicht (1874). Er stand fast allein mit diesem gemeinnützigen
Charakter seiner Schriftstellerei, in einer Gelehrtenrepublik, wo die Ca-
binete der Bücher- und Urkundensammler oft der Höhle des Löwen glei-
chen, in welche viele Spuren hinein und keine herausführen, und wo
in luxuriösen Bibliophilen- u. a. Publikationen die Kunstgeschichte, mit
sehr seltenen Ausnahmen, leer ausgeht. Villaamil hatte ein dokumen-
tirtes Leben des Malers in den Druck zu geben begonnen, wovon mir
neun Bogen vorliegen, als den kräftigen und auch politisch thätigen
Mann ein plötzlicher zu früher Tod seinen Freunden entriss.
Der ausführliche, sehr geschickt gearbeitete, ja in der Form
musterhafte erste Theil des Katalogs des Prado-Museums von d. Pedro
de Madrazo y Kuntz (Madrid 1872) enthält ausser einem gedrängten
und aus den fleissigen Studien des Verfassers im Palastarchiv mit
einigen neuen Daten bereicherten Lebensabriss, sorgfältige Beschreibungen
der Gemälde, brauchbar besonders für das Kostüm, und die Angabe ihrer
wechselnden Aufstellungen in den königlichen Schlössern. Für diesen
Band, der der einzige geblieben ist, erhielt d. Pedro von Isabella II. tau-
send Goldstücke. Zahlreiche Artikel des ungemein fruchtbaren Literaten
und hochgestellten Staatsbeamten in seinen „Juwelen der Malerei“, in der
Illustrirten Zeitung, in der Pariser Revue L’Art sind die Vorläufer
2
[18]Erstes Buch.
einer demnächst zu erhoffenden Arbeit, für die er sich ohne Zweifel in
einer sehr günstigen Lage befindet. Die Galerie des Prado ist unter
der Leitung seines Vaters d. José (dessen schöne, am Hofe Ferdinands VII
gefeierte Gemalin eine Tochter des deutschen Malers Kuntz in Rom war)
ausgewählt und aufgestellt worden; jener besass selbst eine Gemälde-
galerie, die von den Söhnen an den Bankier Salamanca verkauft wurde;
er hat die königliche Sammlung in einem lithographischen Prachtwerk
herausgegeben. Diese ist seitdem in einer Art Erbpacht der Familie
verblieben; auch nachdem sie durch die Revolution von 1868 aus dem
Museo del Rey ein Museo nacional geworden war, eine Annexion, die
Alfons XII edelmüthig bestätigte. — Gewiss eine vortreffliche Situation,
um Kenner wo nicht durchs Auge, so doch durchs Ohr zu werden.
Der Advocat und Bibliophile d. Francisco Asensio in Sevilla hat in
einer Schrift über Pacheco1) die Urkunden der Kirchenbücher mitgetheilt
und kürzlich dessen von ihm wiederentdecktes und erworbenes Bildnisswerk
phototypisch herausgegeben, — die ergiebigste Quelle für die Kennt-
niss der damaligen Gesellschaft Sevilla’s. Ich habe den Text seiner
Zeit noch in einer Abschrift der Bibliothek der historischen Akademie
benutzt.
Neuerdings ist an Velazquez (und Murillo) eine Arbeit gewandt
worden, wie man sie wohl für mehr Künstler haben möchte, ich meine
das merkwürdige Buch von Charles B. Curtis in New-York2), mit welchem
Amerika auf der Arena des kunstgeschichtlichen Studiums erschienen
ist. Dies Werk seltener Liebe und eines wohl zwanzigjährigen
Sammelfleisses beabsichtigt eine beschreibende Zusammenstellung alles
dessen, was jemals auf den Namen des Velazquez (wenigstens durch die
Druckerpresse) getauft worden ist, nebst der Geschichte der Bilder,
ihren Preisen und dem Verzeichniss aller Reproductionen, von welchen
Curtis wohl die vollständigste vorhandene Sammlung besitzt. Der Verfasser
hat grundsätzlich von einer kritischen Sichtung abgesehen, die freilich
denen die sein Buch gebrauchen viel vergebliche Wege erspart haben
würde, aber auch seine eigene Mühe mehr als verdoppelt und das
Buch dem Ideal, welches der heutigen Kunstgelehrsamkeit vorzuschweben
scheint, sehr nahe gebracht hätte. Zu den besonders gescheiten Eigen-
schaften des Werkes gehört, dass er ihm die Form gegeben hat die für
den Inhalt passte: die eines Katalogs, während andere aus dem Material,
das für einen räsonnirenden Katalog allenfalls hingereicht hatte, eine
[19]Quellen und Literatur.
Geschichte machen zu können glaubten. Er könnte mit Börne sagen:
„Ich hätte sie (die Nummern) und die Leser ebenso leicht an eine ge-
meinschaftliche Galerenkette der Langeweile schmieden können.“ Uebri-
gens beweisen die wenn auch sparsam ausgesäten Zweifel und Vermu-
thungen, dass dem trefflichen Mann auch kritischer Scharfsinn wenn er will
zu Gebote steht. — Sein Buch überhebt das gegenwärtige der Mühe,
ein Verzeichniss der Werke zu geben.
Wenn Richard Ford im Jahre 1848 constatirte, dass „die Deut-
schen ihren üblichen genauen und kritischen Fleiss diesem Gegenstand
(der spanischen Malerei) noch nicht zugewandt hätten,“ so lag darin
ein Wink, den aber bis jetzt Niemand beachtet hat. Zwei Reisen
unserer verdienten Meister Passavant und Waagen, brachten ein kleines
Buch des erstern und einige Artikel des letztern; in diesen stehen auch
Bemerkungen über Velazquez.
Der Verfasser fühlte sich bei seinem ersten ohne bestimmte oder lite-
rarische Absichten unternommenen Besuch in Spanien (1872) von diesem
Meister besonders gefesselt; er ist oft in das Land zurückgekehrt, meist
aber um sich auf andern Gebieten der dortigen Denkmälerwelt umzusehen,
welche vielleicht mehr den Reiz und Vortheil des Unerforschten hatten.
Zuweilen schien es ihm als ob ein Werk über Velazquez mehr für spa-
nische Leser — und Federn — sei. Aber nach solchen Pausen, wo
er die Arbeit bei Seite legte, ist er immer wieder zu dem Gegenstand
hingezogen worden, und so ist endlich, fast wider seinen Willen, dieses
Buch zustandegekommen. Heutzutage hat das Recht zu einer Malerbio-
graphie nur wer durch unermüdliches Studium der Originale sich eine
Basis der Kennerschaft verschafft hat; der Verfasser hat alle Werke von
denen er erfahren, auch die in Italien, Russland und besonders in
England zerstreuten, wiederholt zu sehen gesucht. Die Zeit und Mühe
die hier bloss auf Schärfung des Auges, auf Gewinnung eines Urtheils
über oft nicht einmal bedeutende Stücke oder Begründung einer Ab-
erkennung in ein paar Zeilen gewandt werden muss, werden die beur-
theilen, welche ähnliche Arbeiten gemacht haben.
Obwol archivalische und dergleichen Studien für uns nur Ruhe-
pausen sind neben der eigentlichen Arbeit des Studiums der Bilder, der
Regeln und der Technik der Kunst: so sind diese Intermezzos für das
vorliegende Buch doch zuweilen recht lang ausgefallen. Die Inventare
der königlichen Schlösser z. B., aus welchen, um nur einen Punkt zu nen-
nen, über Velazquez Thätigkeit als Galerieorganisator Aufschluss zu
gewinnen ist, mussten eigenhändig abgeschrieben werden. Die spanischen
Correspondenzen der Archive Italiens (Venedig, Neapel, Florenz, Mo-
dena u. a.) gewährten ausser einigen den Meister betreffenden Briefen
[20]Erstes Buch.
viele Daten, welche auf die in der Lebensgeschichte berührten Personen
und Zustände oft überraschendes Licht werfen. Die Biographie eines
Künstlers, der in diesem Maasse Spiegel seines Zeitalters ist, würde ohne
Orientirung in dem letztern wie das Fragment einer verlorenen Hand-
schrift sein. Aber diese Orientirung muss man suchen nicht in Geschichts-
werken, um banale kulturhistorische Einleitungen zu schreiben, sondern
in den Tagebüchern, Depeschen und Comödien der Zeit.
Die Reisen jenseits der Pyrenäen gaben auch Gelegenheit zu einiger
Kenntniss von Land und Leuten, die zum vollen Verständniss der Kunst-
werke ebenfalls nicht zu entbehren ist. Velazquez sollte dort nicht bloss
in Madrid studirt werden, obwol ausser Madrid kaum etwas von ihm
zu finden ist. Wenn die erste Eigenschaft eines Werkes der nach-
ahmenden Künste Wahrheit ist (besteht doch dessen Genuss eigentlich
in der Wiedererkennung), wie kann man ein Urtheil haben, ohne
das zu kennen was der Künstler vor Augen hatte. Zwar die Dons mit
den golillas und die Damen in den vertugadines sind an den Ufern
des Manzanares nicht mehr zu finden; aber die Race und die Scholle
ist noch wenig verändert. — Oft hört man Dinge unnatürlich nennen,
bloss weil man sie nie gesehen hat; man setzt auf Rechnung des Künstlers
was im Gegenstand lag; man verfolgt die Descendenz der Motive als
seien sie Arcana einer Kastenüberlieferung, während sie vor Jedermanns
Augen lagen; man nennt eine Auffassung steif oder roh, affektirt oder
ideal, wo es sich um ganz ehrliche Protokollirung der Wirklichkeit han-
delt. Die angeborene Geberdensprache des Südländers erscheint dem
Nordländer pantomimisch, und manierirte Beweglichkeit bloss weil sie
formlos und aufgeregt ist, als Puls des Lebens. So wurden z. B. in
einem neusten Machwerk die Landschaften unsers Malers mit aufgehäng-
ten Draperien verglichen, obwohl bei jedem, der im castilischen Hochland
reist, auf Schritt und Tritt ihre Erinnerung hervorgerufen wird.
Noch ein Wort über Anordnung und Ausstattung!
Die Geschichte eines Künstlers ist vor allem die Geschichte seiner
Werke, und es kostet nicht die wenigste Mühe, die letzteren zu placiren,
wo äussere Zeugnisse im Stich lassen. In unserm Fall sind wir nicht
so glücklich daran wie etwa bei Rembrandt oder Ribera, aber auch
nicht so rathlos wie bei Murillo. Die grossen Wandlungen der Malweise
stehen fest. Aber mit Gewalt alle Bilder auf Jahr und Monat datiren
wollen, würde zu Selbsttäuschungen führen. Wie selten (man möchte
sagen, nur zufällig) bestätigen nachfolgende äussere Aufschlüsse die
Deduction! Eine Gruppe von Erscheinungen nimmt bei anhaltender
Beschäftigung unwillkürlich eine gewisse Verkettung im Innern an, und
man fühlt sich zuletzt seiner Sache so gewiss, als habe man dem Mann
[21]Quellen und Literatur.
bei der Arbeit über die Schulter gesehen; aber das wahrscheinliche
ist selten die Wahrheit. Abgesehen von der hier empfehlenswerthen sokra-
tischen Weisheit des Nichtwissens ist es ganz lehrreich, die gegenständ-
liche Ordnung gelegentlich mit der chronologischen wechseln zu lassen.
Die Feststellung der sogenannten „Entwicklung“ lenkt die Aufmerksam-
keit zusehr auf gewisse mit den Altersstufen zusammenhängende Wand-
lungen, die bei allen mehr oder weniger typisch ähnlich sind, aber
das innere Wesen ihrer Kunst wenig berühren.
Bei den von R. Brend’amour gearbeiteten Holzschnitten sind ausser
Zeichnungen von Künstlern, meist die Photographien von J. Laurent und
die Meisterwerke Braun’s zu Grunde gelegt worden, aber mit Benutzung des
lithographirten Galeriewerks, der ältern Kupferstiche und der Radirungen
Maurá’s, wo jene im Stich liessen. Diese Bilder sollen Illustrationen sein,
nicht Publicationen! Sie sollen nur das Maass von Stütze gewähren,
welches die Phantasie des Lesers nicht entbehren kann; man wird ihm
doch nicht zumuthen den photographischen Apparat zu dem Buche hinzuzu-
kaufen. Ein Prachtwerk nach heutigen Mustern wollte ich nicht bringen,
auch wenn die Möglichkeit sich geboten hätte. Das Buch ist die Arbeit
eines Schriftstellers der sich Leser wünscht, kein Text zu einem Bilder-
buch, wo der Verfasser wie ein Jahrmarktsbarde die Historien mit dem
Stocke zeigt. Ein Buchtext soll auf eignen Füssen stehen; und wenn
die Kunst zuweilen Gedanken in Gestalten umgesetzt hat, warum sollte
es nicht erstrebenswerth sein, wenn auch in unendlicher Annäherung,
das Anschauliche in die andere Welt der Worte zu übersetzen! Vor den
Originalen würde eine solche Uebersetzung freilich nicht geniessbar sein.
[22]Erstes Buch.
Sevilla.
Ludovicus Nonnius.’
Es ist ein allgemein menschlicher, wiewol in sehr wechseln-
der Stärke verbreiteter Trieb, bei Personen, die einen tiefen
Eindruck zurückgelassen haben, mögen sie nun bleibendes für
Nation und Menschheit geschaffen haben, oder nur der Spielball
eines ausserordentlichen Geschickes gewesen sein, sei es endlich
dass wir sie bloss geliebt haben, die Aeusserlichkeiten und die
Umgebung ihrer Existenz kennen zu lernen. Wir fragen nach dem
Platz wo sie geboren, nach den Bergen deren Luft sie als Kin-
der geathmet, und wollen neben ihrem Grabe stehn; wir erkun-
digen uns nach ihren Vorfahren, Lehrern und Kameraden. Diesem
Trieb ist es Gebrauch geworden, in Biographien Rechnung zu
tragen, besonders bei Menschen deren Wirkungskreis der Phan-
tasie angehört.
Dieses Bedürfniss beruht auf einem einfachen psychologischen
Gesetz und hat an sich gar nichts zu thun mit der wissenschaft-
lichen Absicht (durch die man solche Abschweifungen zu recht-
fertigen sucht), den Menschen und sein Werk nach Zeitbegrif-
fen und dem ursächlichen Zusammenhang zu erklären. Die
zufällige Oertlichkeit wo Jemand die Hand des Schicksals in
seinem Leben erfahren hat, der Baum der dort stand, der Ruf
eines Vogels, der Qualm eines Feuers gräbt sich unauslöschlich
[23]Sevilla.
ein, und diese bedeutungslosen Dinge erhalten die magische Kraft,
jenes Erlebniss und den damaligen seelischen Zustand herauf-
zubeschwören.
Jenes wissenschaftliche und dieses associative Interesse ste-
hen sogar oft in umgekehrtem Verhältniss. Je grösser ein Mensch
gewesen, je weiter die Verbreitungskreise sind, welche das letz-
tere Interesse um ihn beschreibt, desto weniger ist er ein Pro-
dukt seiner Umgebung. Wir sagen, wenn wir seinen Namen
nennen: die Zeit nannte ihn Colombo, Raphael, Shakespeare, und
geben damit zu verstehen, dass das Zeiträumliche Nebensache
ist. Gleichwol ist jener Cultus der Zufälligkeiten vollkommen
berechtigt. So weiht die Kirche dem Vater ihres Stifters
Tempel und veranstaltet Pilgerfahrten nach dem heiligen Grab,
obwol sie glaubt, dass der Heiland vom Himmel gekommen und
dahin zurückgekehrt sei.
In dem folgenden Abschnitt dieses Buchs soll also von
der Stadt Sevilla und ihrer Gesellschaft, von den Wechseln des
Geschmackes vom fünfzehnten bis zum siebzehnten Jahrhundert,
von den Künstlern die im Beginn des letztern den Ton angaben,
die Rede sein. Wäre dies alles so bekannt, und soviel darüber
geschrieben worden wie z. B. über Florenz, so würde dieser
Theil ungeschrieben geblieben sein. Aber in der Lebensgeschichte
unseres Malers müssen eine Menge Dinge und Personen genannt
werden, mit denen wenige Leser eine deutliche Vorstellung ver-
binden würden, und es wäre unhöflich ihnen zuzumuthen, sich eine
kleine Bibliothek zu leihen oder zu kaufen. Ein gutes Buch sollte
nichts sagen als das was aus ihm selbst klar und deutlich ist.
Was Sevilla in früheren Tagen gewesen, das braucht man
bis jetzt noch nicht bloss in Archiven auszugraben, oder aus Ruinen
zu ahnen. Noch steht der Minaret des Jaber und der Orangen-
hof der Moschee mit der puerta del perdon; der Alcazar Don Pe-
dros mit seinem Garten, der noch heute als königliches Haus dient,
wie der Palatin zur Zeit der Ottonen; und die Kathedrale, welche
die Domherrn während einer Sedisvacanz zu errichten beschlossen
hatten, nach der Sage in einer Art babylonischer Aufwallung:
„Lasset uns eine Kirche bauen, so gross dass uns die Nachwelt für
Narren halten soll“1). Diess ist jedenfalls gut erfunden, andalusisch
und von echt spanischem Humor im Ausdruck. Es ist ein Bau
ohne Baumeister und Erbauer, ein Werk vieler Geschlechter
[24]Erstes Buch.
von Domherrn, Dechanten und Erzbischöfen, und einer Colonie
fremder und einheimischer Künstler.
Diese Bauwerke beweisen dass Sevilla lange vor Columbus
die blühendste und schönste Stadt der Monarchie war, wie Alar-
con sagt, „die Ausnahme der Zeiten und der Neid der Städte“1).
Navagero fand es den italienischen Städten ähnlicher als irgend
eine andere Stadt des Reichs. Sevilla, schreibt der Florentiner
Serrano, gilt, als Hauptstadt der besten Provinz, und durch seinen
Handel allgemein für die reichste Stadt Spaniens (7. Februar 1637).
Sevilla war von jeher stolz auf seinen Reichthum und auf
seine Devotion, auf die Eleganz seiner Wohnungen und die
grandiosen Werke der Barmherzigkeit, auf die Schönheit seiner
Frauen und die Tapferkeit seiner Edlen. Nicht immer war
Sevilla eine Stadt von Sybariten gewesen; lange erhielt sich der
Geist der vom Norden gekommenen Geschlechter der Recon-
quista. Man betrachte die Grabmäler der Rivera und Ponce de
Leon in der Universidad: da ist die Schlummerstatue des Grün-
ders Per Afan de Rivera, gestorben 1423 im 105. Lebensjahr,
„der (wie die Inschrift sagt) sein Leben verzehrte im Dienst
Gottes, im Krieg gegen die Mauren und im Dienst von fünf
Königen“, und seines Sohnes Diego Gomez „der sein ganzes
Leben im Mohrenkrieg verbrachte“.
Sevilla war eine Welthandelsstadt geworden. „Es wäre ein
ebenso grosses Wunder, sagt Alarcon, in Madrid einem Frauen-
zimmer zu begegnen das nicht bettelt, wie in Sevilla einem Cava-
lier, der nicht eine Ansteckung vom Handelsmann2) hätte“. In der
ersten Zeit kamen Schiffe bis zu vier- bis fünfhundert Tonnen den
Guadalquivir hinauf und löschten die Ladung am Molo, der Torre
de oro. Die Flut stieg bis zwei Meilen über Sevilla hinauf. Ihr
Handel führte nach dem Norden Oel, Wein, Zitronen und Oran-
gen, nach Kastilien Goldstoffe, Doppeltaffet und Sammet, das
Seidengewerbe beschäftigt noch immer Tausende3).
So kam es, dass im Lauf des sechzehnten Jahrhunderts
der Reichthum mit unerhörter Raschheit zunahm, als die Stadt
das grosse und einzige Thor des Verkehrs mit der neuen Welt
[25]Sevilla.
wurde, und die Silberflotten erst hier, später in San Lucar und
Cadiz aus- und einliefen. Hier wurden die Wimpel und Stan-
darten gemalt, welche Spaniens Schild über die Weltmeere tru-
gen. Die Casa de Contratacion hatte die Gerichtsbarkeit über
den Verkehr mit den Colonien, und die grossen Kaufherren das
Monopol des überseeischen Handels. Sie beherrschten die alten
Handelsstädte der Mittelmeerländer und selbst des Nordens,
deren Kaufleute ihre Waaren nach diesem Hauptstapelplatz
der damals weltbeherrschenden Halbinsel brachten. „Sevilla,
sagt Thomas Moncada, ist die Hauptstadt aller Kaufleute der
Welt: vor kurzem noch lag Andalusien am Ende der Erde, jetzt
ist es ihr Mittelpunkt geworden“1). Die Einkünfte und Zollein-
nahmen, der Werth des Besitzes, die Volkszahl stieg. Dieser Han-
del hatte ganz neue Bevölkerungsschichten herangezogen. Es
gab nun drei scharf unterschiedene Klassen: die Eingeborenen,
Nachkommen der Colonisten und der Reste der alten Einwohner,
Adel und Volk, gemessen, tapfer, begütert, von ihren Einkünften
oder ihrer Hände Arbeit lebend, die nicht ausser Land gingen.
Die fremden Geschäftsleute: von ihren Kolonien sind noch die
Strassennamen übrig: deutsche, vlämische, französische, italieni-
sche. Endlich die Müssiggänger, die Fracasso’s, die Spieler,
aus denen gelegentlich Banden zum Kampfe gegen die Moris-
ken geformt wurden. Das alles fand kaum Platz: „Hier ist selbst
der Strom bewohnt, wie in China“.
Eine allmähliche Umwandlung des Lebens und der Gestalt
der Stadt folgte. Die Schätze Indiens, sagt Zúñiga2), zogen den
Handel aller Völker an, und brachten eine Ueberfülle alles dessen
was in der Welt köstlich heisst, in Kunst und Natur“. Gerade die
Regierung Philipp III, in welche die Jugend des Velazquez fällt,
bezeichnet der Chronist als die Epoche dieser Veränderung, es
war die Zeit der grossen Stiftungen, der Hochfluth des Unter-
nehmungsgeistes. „Bald, sagt er, begann sich in allen Stücken
eine andere Welt zu zeigen“. Das waren seine halcyonischen
Tage!
Das Reich erblickte in Sevilla, wo, wie Lope sagt, „zweimal
alljährlich der gesammte Unterhalt Spaniens landet3),“ seine allge-
meine Hülfe (socorro) und die gemeinsame Hoffnung seiner Städte4).
[26]Erstes Buch.
Sie lieferte im siebzehnten Jahrhundert zwei Drittel des baaren
Geldes für die Halbinsel1); „die Erwartung seiner Galeonen, sagt
Zúñiga, hält die Nationen Europa’s in Spannung, die jetzo leider
dabei mehr interessirt sind als Spanien und Sevilla, wohin das
meiste kommt und wo das wenigste bleibt“2).
„Dieses Gold aber, sagt Pedro de Medina, war die Beloh-
nung für den wahren Glauben; wie der Herr Salomo mit Gold
und Silber ausrüstete, um den Tempel zu bauen, d. h. die Un-
gläubigen in den Schooss der Kirche zu bringen.“[3)] Kirche und
Börse waren damals noch sehr nahe Nachbarn. Ehe die Lonja
fertig war, versammelten sich die Kaufleute auf dem durch Stufen
erhöhten Raum vor der Kathedrale. In der Strasse darunter wur-
den die Versteigerungen gehalten: Silbersachen, Sclaven, Stoffe,
Kunstschränke, Gemälde: wie im Tempel der Libitina, sagt
Rodrigo Caro. Unter den Wohlthätigkeitsanstalten war der
grösste Palast der Stadt, das Hospital de la Sangre, gegründet
von Da. Catalina de Rivera und ihrem Sohn D. Fadrique. Dieses
Haus hatte nach und nach für fünfzigtausend Dukaten an from-
men Werken gestiftet.
Sevilla war auch eine sehr katholische Stadt. Seit der Re-
conquista verwandelten sich ihre arabischen Paläste in Klöster4).
„Ihr grösstes Prärogativ ist die Andacht zur Königin der Engel,
jener angeborene Glaube an die unbefleckte Empfängniss, für
deren Definition die Bewegung von ihr ausging.“ Sevilla besitzt
drei colossale mittelalterliche Madonnengemälde, die noch heute
von Gelehrten, deren Glaube stärker ist als ihre Archäologie, auf
die altchristliche, westgothische Zeit zurückgeführt werden, Bilder,
wie sie keine christliche Nation sich rühmen dürfe zu besitzen.
Trotz alledem, und trotz der italienisch-humanistischen Bildung
und Dichtung, für die man damals schwärmte, war Sevilla eine
Stadt von orientalischem Grundwesen geblieben, und ist es bis
heute. Seine marmorgepflasterten patios, belebt von Brünnlein
mit Blumenpyramiden und von balsamischen Gerüchen durchduftet,
erscheinen dem Nordländer, wenn er, durch seine engen labyrin-
[27]Sevilla.
thischen Gassen sich windend, in den offenen Zaguan hineinsieht,
wie Scenerien arabischer Märchen. Noch vernehmen wir in den
Melodien des Volkes die schwermüthigen arabischen Weisen, und
Tänze sind aus den Kirchen noch nicht verschwunden. Diese
Feste, Masken, Tänze und Processionen erschienen den Fremden
jederzeit ganz im Geschmack des Ostens, — all’ uso antico moresco
del paese1). In den Gemächern, die sich um diese patios legen,
standen Schränke mit Marketeriearbeit aus Cedern- und Rosen-
holz, Ebenholz und Elfenbein, Schildpatt und edlem Metall, die fein-
sten indischer Arbeit aus Goa; chinesische Emailgefässe, farben-
prächtige Vögel der Tropen. Um die Wände liefen Azulejos mit
Metallreflexen, flandrische und mexikanische gewirkte Tapisserien,
corduanische Ledertapeten wurden dort aufgehängt, und den
Boden bedeckten persische Teppiche. Jetzt haben sich die Museen
mit diesen immer seltener werdenden Herrlichkeiten angefüllt.
Selbst die christlichen Tempel waren bis ins 16. Jahrhundert
ein Gemisch von Moschee und Kirche, neben gothischen Portalen
und Chorpolygonen erhoben sich Glockenthürme mit Hufeisenbo-
gen, Kreuzgewölbe wechselten mit Artesonado-Decken. Die letz-
teren gebraucht der Dichter Luis de Leon als Beispiel des sei-
nem frommen Sinn bedenklichen Zaubers dieser Mudejar-Kunst
— el dorado techo . .
del sabio Moro, en jaspes sustentado.
Aber die Casa de Pilatos des Fadrique Enriquez de Rivera
(1533) hatte diesen Maurenstil mit den heiligsten Erinnerungen
der Christenheit verknüpft. Nach den arabischen und gothischen
Stilformen war die italienische Renaissance erschienen, aber auch
sie hatte dem Geist des Ortes nicht widerstanden; sie berauschte
sich in figürlicher und ornamentaler Phantastik. Jetzt herrschte
freilich der strenge nüchterne Cinquecentostil des Herrera, in
dem der Tempel Mercurs gebaut wurde. Nun vermochte man
nur noch mit den Augen eines Vignola zu sehn, und man ver-
stand nicht mehr, was das abgelaufene Halbjahrtausend geschaffen.
Lope bewundert das Monument der heiligen Woche als Sevilla’s
höchste Merkwürdigkeit2). Doch verbreiteten die Werke der Vor-
zeit über die Stadt auch in den Augen dieser neuen Menschen ein
[28]Erstes Buch.
poetisches Helldunkel. „Memphis Castiliens“ nennt Tirso Sevilla1).
Noch war die Schöpferkraft nicht versiegt, noch ein kostbares
Geschenk hatte die Stadt bereit für Spanien und die Menschheit:
seine Malerschule.
Sevilla war auch eine lustige Stadt, regocijadísima y vistosa
nennt sie das Reisejournal Philipp IV (1624). Damals waren
seine Gefilde und die Ufer des Stromes weit reicher als heute
mit Gärten bedeckt. Navagero fand sie noch dünn bevölkert,
und viele Gärten lagen innerhalb der Mauern. Dieser Venezianer
ist entzückt über die Parks mit ihren dichten Hainen von
Cedern, Orangen und Myrten, besonders die paradiesischen der
Karthause2) und von S. Gerónimo de Buena vista. Sie ver-
dankten aber mehr der Natur als der Pflege. Sie dehnten sich
tief ins Land (el compas de Sevilla) aus. So bot sich von der
westlichen Anhöhe (montañeta), wo die Ajarafe beginnt, ein An-
blick dar, den nach Rodrigo Caro, „der Pinsel des geschicktesten
Malers wiederzugeben verzagen müsste.“ Wenn man Lesern
spanischer Comödien die Alameda des Herkules nennt, oder die
Barken und das Gestade, welches der Sohn des Columbus mit
Alleen bepflanzte, oder den Garten des Alcazar (den wonnigsten
Ort Spaniens nennt ihn der genannte Italiener), so bevölkern
sich ihnen diese Orte mit Scenen romantischer Abenteuer.
Denn in Sevilla, sagt Calderon, tauchen hundert neue Geschich-
ten in jeder Nacht auf3). Hier lebte und wurde vom Teufel
geholt Don Juan Tenorio, der „Spötter von Sevilla“. Die Mutter
der Waisen und den Mantel der Sünder nennt es Mateo Aleman4).
Die grünen Säle des Alcazar bezeichnet der Dichter jenes Burla-
dor als die Schule der Liebe; er lag dicht an der Börse; „hier
schienen die Dichtungen von den Gärten des Admet und
Alkinous keine Fabel mehr; er ist die Börse der Frauen5)“. Um
den Schritt von der Andacht zur Lebenslust zu machen, brauchte
man nur die Schiffbrücke nach der Triana zu überschreiten, „in der
sich die getrennten Theile der Stadt die Hände reichen“. Zu
beiden Seiten wimmelte es von grossen und kleinen Fahrzeugen.
[29]Die Dichter.
Triana war die Stadt der Fremden, voll schöner Gärten, hübscher
Häuser und sauberer Strassen, die Stadt der Spielhäuser und
der Posaden, wo immer viele und vornehme Gäste zu treffen
waren, weil man da ungestört von Polizei und Nachbarn sich
unterhalten konnte1). Sie waren der Lieblingsausflug der Sevilla-
nerinnen, die in Barken herüberkamen, gerudert von buntge-
putzten Fergen. Dort waren die Buden der Töpfer und der
Glasbläser, von hier aus verbreitete sich der Schimmer dieser
Keramik über Kirchen und Paläste von Spanien und Portugal.
Zuweilen kamen Zeiten, wo der Schatten des Todes über
die Stadt zog, wie in den ersten Jahren und in der Mitte des
Jahrhunderts, als die Pest dort wüthete. Im Jahre 1649, erzählt
der modenesische Gesandte, fanden im Schrecken dieses Todes
auf einmal siebentausend Eheschliessungen statt, von denen die
mit amancebadas gelebt2). Als Philipp III im Jahre 1619 nach
Lissabon zog mit seinem Hof, verliess ein Schiff mit vierzig Cour-
tisanen die Stadt, „in reichen Kleidern und Juwelenschmuck“,
um zu dem Hof zu stossen; sie wurden von Corsaren nach der
Berberei geschleppt3).
Aber neben der Meleket des Himmels forderte auch Moloch
noch seine Opfer. Die Verbreitung mystisch krankhafter Ver-
irrungen des religiösen Gefühls enthüllten die Ereignisse des
Jahres 1623, als zehntausend Personen in sechs Monden wegen
Ketzerei verhaftet wurden, Alumbrados, von denen die In-
quisition, erschreckt durch die Zahl, „nur sieben Rädelsführer
sammt einer dieser Ketzer Beata auf den Scheiterhaufen ge-
legt, die übrigen aber mit verdienter Lebensstrafe verschonte“4).
Die Dichter.
Seit der Mitte des sechszehnten Jahrhunderts war auch in der
gebildeten Gesellschaft Sevillas italienische Cultur durchgedrun-
gen. Nachdem Antonio von Lebrija (1444 † 1522) das lateinische
Studium in Andalusien begründet hatte, entwickelte sich durch
das Lesen italienischer Dichter und Schriftsteller eine neue Welt
[30]Erstes Buch.
von Empfindungen und Literaturformen innerhalb der uner-
schütterten katholischen Ueberlieferung. Mit jener Verkennung,
die jede Zeit für ihre nächste Vorgängerin hat, ging man oft an
den früheren dichterischen und künstlerischen Schöpfungen vorbei,
auch an dem was heute für uns allein den Zauber von Sevilla
ausmacht, vertiefte sich in die Erinnerung altrömischer Tage, und
vergoss poetische Thränen über deren Untergang. Rodrigo Caro
(aus Utrera, 1573 † 1647), der Geschichtsschreiber Sevillas und
seiner varones ilustres, lateinischer Epigraphiker, ist der Verfasser
einer Ode auf die Ruinen von Italica (Altsevilla), die Francisco
de Rioja nur umarbeitete und in einigen der besten Strophen
kopirte. Sie trauerten in der Todtenstille des verfallenen Amphi-
theaters und träumten von dem einstigen Beifallsbrausen des
„grossen Volkes“, welches die Thaten der Fechtersclaven be-
jubelte! klagten über die „stolzen Statuen, welche die gewalt-
thätige Nemesis herabstürzte“. Ein Sonett desselben Inhalts
dichtete Pedro de Quirós, und Juan de Arguijo besang die
Ruinen Carthago’s, Troja’s und den Tod Cicero’s . . . .
Der gefeiertste Dichter Sevillas, Hernando de Herrera, el
divino (1534 † 1597) folgte ganz den Pfaden Boscan’s und Gar-
cilaso’s, ihm zufolge des grössten spanischen Dichters, ausser dem,
nach Lomas de Cantorál (1578), Spanien kaum einen Dichter des
Namens werth hervorgebracht haben sollte. Nach Pacheco war
Herrera der erste, der die Sprache zu ihrer Höhe erhob. Der
Beneficiat von S. Andrés fand auch seine Laura in Doña Leonor
de Milan, Gräfin von Gelvez, „welche, in Anbetracht dass er ein
so erhabener Dichter war, diese Huldigungen mit Gutheissen
ihres Gemahls gestattete“. Ihm galt das Sonett als die schönste
dichterische Form spanischer wie italienischer Sprache.
Welche Titel! Gigantomachie (Herrera), Hercules, Psyche,
zwölf Bücher in rima suelta, Tod des Orpheus in Octaven (letzterer
von Malara), derselbe Gegenstand von Jauregui. In jenem Her-
kules in achtundvierzig Gesängen und in Octaven, dem Don
Carlos gewidmet, war „alles treffliche versammelt, was er in
griechischen und römischen Dichtern gefunden“.
Pedro de Mexia († 1555), der einst in Salamanca die ge-
fürchtetste Klinge schlug, dem Carl V in Augsburg (1548) die
1)
[31]Die Dichter.
Erzählung seines Lebens auftrug und der mit Luis Vives einen
lateinischen Briefwechsel führte, hat später, als er kränkelnd, von
jahrelangem Kopfschmerz geplagt, auf vier Stunden Schlaf be-
schränkt, zu Hause sitzen musste, eine jener beliebten Miscellen-
sammlungen meist aus alten Schriftstellern in der Art des Macro-
bius verfasst: Silva de varia leccion, die in viele Sprachen über-
setzt wurde und im 16. und 17. Jahrhundert in Jedermanns Händen
war; geistreiche Ausdrucksweise (agudeza) und Schmelz (dulzura)
schreibt Pacheco seinen Versen zu.
Der witzigste Kopf war Balthasar del Alcazar († 1606), der
Verehrer des Martial und Horaz (el Marcial sevillano). Pacheco
gesteht, dass er, ein spanischer Boswell, alle seine Aussprüche
aufschrieb, wenn er ihn besuchte; einmal meinte Balthasar: „Ich
wünschte du wärst mein Sclave“. Er überrascht uns sogar mit
kecken Trinkliedern, die er auch komponirte. „Er war mit wenig
Worten witzig, und machte mit einem Wort das frostigste Gericht
schmackhaft, indem er mit scheinbaren Nachlässigkeiten den
Gaumen reizte. Das blosse Hinrollen seiner Verse bestrickt
das Ohr“.
Diese gelehrten Dichter wandten sich auch der aufstreben-
den Bühne zu. Das Auftreten des Lope de Rueda (seit 1544),
eines Sevillaner Goldschlägers, hatte dort das volksthümliche
Theater begründet. Zwei grosse Bühnen wurden im Anfang
des siebzehnten Jahrhunderts erbaut: eine hölzerne und eine ge-
mauerte mit Marmor. Jener Juan de Malara, der „bätische
Menander“ († 1571), mit Francisco de Medina († 1615) Lehrer des
griechischen und lateinischen, erst in der Calle de Catalanes,
dann in der Alameda, damals Laguna genannt, schrieb zahlreiche
Comödien und Tragödien, geistlichen und weltlichen Inhalts,
„mit bewundernswürdigen Exempeln [und] Betrachtungen, voll von
Sinnsprüchen, Oden und elegischen Versen, in lateinischer und
spanischer Sprache“. Er verfasste in Madrid (1566) auf Philipp II
Geheiss Verse für die vier Unterweltbilder (furias) Tizians im
Schloss. Seine Comödien sind ebensowenig erhalten wie die des
Gutierrez de Cetina († 1560), welche in Prosa und Versen ge-
schrieben waren. Pacheco berichtet, dass sein Schauspiel La
bondad divina mit ausserordentlichen Kosten in Scene gesetzt
wurde. Er hatte in Italien und Flandern gefochten, war mit
Carl V in Tunis gewesen und bei seinem Bruder, einem der Con-
quistadoren, in Mejico. Er hatte aus Welschland nicht bloss Bles-
suren und Gold mitgebracht, sondern, wie Herrera sagt, „die
[32]Erstes Buch.
Schönheit und Grazie Italiens; in Wollaut, Zärtlichkeit und Glut
werde ihm keiner den Platz unter den Ersten verweigern.“
Das bestätigen einige reizende kleine Madrigale, in welchen er
den Garcilaso nachahmte. Mehr Glück hatten die Comödien des
Juan de la Cueva, die erhalten sind. —
Doch lag die Pedanterie bei diesen Leuten nur in dem
mythologisch-classischen Apparat. Sie schrieben sich Canzonen, in
welchen sie sich Damon und Vandalio nannten, aber in ihrem Leben
und Wesen ist nichts von den bekannten Zügen der Humanisten.
Es waren selbstgemachte Männer, die sich mitten im Strom des
Lebens bewegten, sie konnten fechten, kommandiren, segeln,
beten, sich kasteien, Geschäfte führen; nichts banausisches,
nichts philiströses ist an ihnen. Die Schilderung welche Pacheco
von Herrera entwirft, zeigt das Gegentheil des Charakters
italienischer und deutscher Literaten. „Er hasste die Schmeichelei
und nahm nie Geschenke von den Grossen, er entzog sich denen,
die ihm solche angeboten hatten; er trank keinen Wein, ging
nie ein auf Gespräche über anderer Privatleben, und mied
die Orte wo solche gepflogen wurden. Er nahm es übel, wenn
man ihn Poet nannte, obwol er viel an seinen Sachen feilte und
den Rath seiner Freunde erbat, denen er sie vorlas.“ Er starb,
bevor er sie gedruckt hatte, und ohne Pacheco’s Pietät wären
sie uns verloren. Baltasar del Alcazar diente in den Galeren des
D. Alvar de Bazan, und Cetina „war der Köcher des Mars so
lieb wie die Leier Apollos.“ „Noch nie, behauptete Don Quixote,
hat die Lanze die Feder stumpf gemacht, noch die Feder die
Lanze“ (I, 18).
Ein Typus solcher Männer war Argote de Molina (1548
† 1598), der Spross einer Reihe von Matamoros, die sich von
dem Eroberer Cordobas ableiteten. Nachdem er sich mit dreizehn
Jahren bei der Vertheidigung des Peñon de Velez, dann bei der
Rebellion von Granada, in den Galeren Spaniens, endlich im Krieg
von Navarra an der Spitze eines Häufleins Sevillaner Cavaliere
Lorbeern gepflückt, schuf er sich in seinem Hause, Cal de Francos,
neben Rüstkammer und Marstall ein Museum, in dem literarische
Schätze des spanischen Mittelalters, auf Reisen gesammelt, nie-
dergelegt waren: der Conde Lucanor, das Jagdbuch Alfons XI,
das Reisewerk vom grossen Tamerlan. Hier begann er eine
Geschichte des andalusischen Adels: „sein Zeugniss reicht allein
hin zur Beglaubigung einer Thatsache“. Diess sein Camarin war
geschmückt mit Mythologien und Bildnissen berühmter Männer,
[33]Die Dichter.
für die er Sanchez Coello gewonnen hatte; Philipp II stattete ihm
hier einen vertraulichen Besuch ab.
Für die vaterländische Vorzeit, Familiengeschichte, Sprich-
wörtersammlungen, selbst für Romanzen, Glossen und coplas,
hatten sie immer noch Platz. Zum Herzen dringende Klänge findet
Herrera erst in Oden auf die Schlacht bei Lepanto, auf D. Seba-
stians von Portugal Untergang, auf den heil. Ferdinand, Medrano
in dem Sonett auf die Thronentsagung Karl V; aber merkwürdig,
hier sind sie von der Poesie der Psalmen und Propheten inspirirt,
wie denn der grösste Lyriker Spaniens, Luis de Leon, ganz aus
dieser Quelle schöpfte.
Fremd war diesem spanischen Humanismus die Gleichgül-
tigkeit oder Abneigung gegen das kirchliche Institut. Der Erz-
bischof de Castro († 1600), obwol ein Kirchenregent von stren-
gen Grundsätzen und Character, erscheint als Mäcen der Maler
und Dichter; der Latinist und Alterthümler Maestro Francisco
de Medina war sein Secretär, Rodrigo Caro sein Hausgenoss,
und Herrera bot er vergebens Würden und Pfründen an. Der
Musiker Guerrera, der Maler Pablo de Cespedes von Cordoba
und der Kanonikus und Licentiat Francisco Pacheco der Ohm,
der beste lateinische Dichter Sevilla’s, waren gern gesehene
Gäste im erzbischöflichen Palast und an der Tafel. In der Haupt-
stadt Andalusiens wird es kein Wunder nehmen, unter den Theo-
logen die Kanzelredner am reichsten vertreten zu sehen. Pa-
checo schildert zehn Celebritäten, darunter einen christlichen De-
mosthenes, den Carmeliter Juan de Espinosa, der vierzig Jahre
hindurch der Prediger der Gelehrten und Geistlichen war. Fer-
nando de Santiago nannte Philipp II den Goldmund (pico de oro)
als er ihm auf seinem letzten Schmerzenslager predigte; er dankte
ihm mit den Worten: „Nie habe ich, als Trost für meine Qualen,
eine Stunde von so viel Genuss und Ruhe gehabt“. Er hat noch
vor Philipp IV gepredigt. Der Augustinerprior Pedro de Val-
derrama theilte seine vierzehn Arbeitsstunden zwischen Studiren,
Predigen, Regieren und Bauen. Ohne Mittel unternahm er grosse
Klosterbauten und führte sie durch, in Malaga, Granada, Sevilla:
„er wolle Gott Häuser bauen, damit Er ihm einst eines gebe.“
Nur ein profunder Gelehrter begegnet uns unter so vielen
Asceten und Rednern, Benito Arias Montano (geb. 1498), der
Meister der biblischen Wissenschaft (Maestro de erudicion sa-
grada) am Escorial und Beherrscher von elf lebenden und todten
Sprachen; die ersteren sprach er mit dem richtigen Accent. Phi-
3
[34]Erstes Buch.
lipp II riss ihn mehrmals aus seiner halb gelehrten, halb asceti-
schen Musse auf der Peña de Aracena, jener reizenden Wildniss
(cuya aspereza es amenísima, Zúñiga), wo er seine Blumen pflegte;
er übertrug ihm die Polyglotte (Biblia regia), die in der planti-
nischen Officin erschien. Sechs Jahre widmete er ihr in Ant-
werpen, mit elf Stunden täglicher Arbeit.
Es war der Sohn des Columbus, Hernan Colon, der die pa-
triotische Idee hatte, der Stadt und dem Domkapitel eine Biblio-
thek von 20,000 Bänden als dauerndes Vermächtniss zu stiften,
die er, obwol kein reicher Mann, auf Reisen in ganz Europa
mit dieser Bestimmung gesammelt hatte.
In solchen Museen bezog sich die Unterhaltung auch auf
die Künste; die Kupferstiche der deutschen und italienischen
Schule waren hier wolbekannt. Francisco de Medina († 1615),
der in Italien gewesen war, gründete sich in der Vorstadt eine
weltliche Einsiedelei, wo er ausser Münzen und Gemälden sel-
tene Drucksachen und Denkwürdigkeiten der Vorzeit und Gegen-
wart sammelte. Pacheco der Maler sagt von ihm: „Er war nicht
blos Kenner, er war unerreicht in der Erklärung und Beurthei-
lung der Kunstwerke, in der Wahl der besten und treffendsten
Ausdrücke, die der spanischen Sprache zu Gebote stehn, darin
war er weit über die elegantesten (cultos) Sprecher seiner Zeit.“
Ut pictura poesis. — Zwar hatten die Maler zum Glück keine
Gelegenheit Gigantomachien und Psychenovellen zu malen; aber
noch gründlicher als die Poeten hatten sie sich der bisherigen
Dialekte gegen das fremde Idiom entäussert. Wie Hernando
de Hozes1) meinte, seit Garcilaso und Boscan die toskanischen
Maasse in die spanische Sprache eingeführt, sei alles frühere in
den altspanischen Versformen geschriebene oder übersetzte so
in der Achtung gesunken, dass es wenige mehr des Lesens werth
hielten: so sprachen nun die tonangebenden Künstler und geist-
reichen Köpfe von der Beseitigung der gothischen Barbarei
durch die ersten Romfahrer2); ja selbst die Renaissance eines
Diego de Siloe liessen sie nur als Uebergangsstufe gelten.
Cervantes sagte von Jauregui’s Uebersetzung des Aminta,
man sei in glücklichem Zweifel, was das Original und was die
Uebertragung, und Tasso soll die Gedichte Herrera’s unter seinem
Kopfkissen gehabt haben, um die Grösse unserer Sprache in
[35]Die mittelalterliche Kunst.
ihnen zu bewundern. So halfen spanische Maler den italienischen
Freskisten in Trinità de’ Monti, in der Cancellerie und im Vorsaal
der sixtinischen Kapelle, und man kann keine Spur nationaler Art
in ihrem Antheil entdecken; einige blieben ganz dort, wie Ru-
viales. Die Gemälde der Meister des neuen Stils in Sevilla sind
voll von Entlehnungen und Erinnerungen aus Italien. Wie
Herrera von der hohen Poesie fordert, Ausdrücke, welche dem Ge-
danken einen vertraulichen, gewöhnlichen Ton geben, zu verban-
nen, wie das Spanisch dieser Dichter sich mit fremden, der italieni-
schen und lateinischen Sprache entnommenen Ausdrücken, Wen-
dungen und Wortstellungen füllt: so verschwindet die reiche
Localfarbe der mittelalterlichen Maler, vergebens sucht man
nach Volkstypen und -Geberden, nach örtlich eigenen Motiven
und Tönen: diese Werke könnten eben so gut in Utrecht oder
Florenz gemalt sein. —
Doch in der Jugendzeit des Künstlers, der im folgenden ge-
schildert werden soll, waren diese Sterne des italo-hispanischen Par-
nass schon im Verbleichen begriffen. Ein ganz neuer, im Grunde
aber alter, nationaler Geschmack regte sich. In Calderon’s Tagen
galten Sonette schon für altmodisch: er konnte von den „bereits ent-
schlummerten Erinnerungen des Boscan und Garcilaso“ sprechen1).
Die mittelalterliche Kunst.
Wer zum erstenmale einen andalusischen Ort betritt, wird
die Empfindung haben, dass ein Wechsel des Schauplatzes statt-
gefunden hat. Das Bild ist farbiger, bewegter, klangvoller, hei-
terer. Hat man denn erst jetzt die Grenzmark Spaniens über-
schritten? Dem unwiderstehlichen Einfluss dieser südlichen Natur
konnten auch die nordspanischen Eroberergeschlechter sich nicht
entziehen. Der Reconquista war die Colonisation (poblacion ist
im Spanischen noch heute die Bezeichnung für Ortschaft) auf dem
Fusse gefolgt; doch brauchte es geraume Zeit, bis das Klima
den Charakter verändert hatte; und noch länger, bis die mit der
Kirche eingeführte Malerei zu einem vollkommenen Werkzeug
südspanischen Wesens umgebildet worden war. Die neuen Herren
[36]Erstes Buch.
verpflanzten zwar ihre herrliche Sprache, sogar, sagt man, mit
asturischem Accent, nach Andalusien, aber die eigenen Kunst-
übungen, die sie mitbrachten, kommen kaum in Betracht. Nur
selten will es uns vorkommen, als ob auch schon vor dem Jahr-
hundert Murillo’s hier weichere Linien Antlitz, Gestalt und Bewe-
gung umflössen, als entzündeten sich hier wärmere Farben, und
als ob morgenländische Phantasie nicht mit den Mauren das
Meer überschritten habe.
Die grosse Bauzeit der arabischen Gebieter fällt kaum ein
halbes Jahrhundert vor deren Sturz, und die christliche Kunst
lebte die anderthalb Jahrhunderte nach der Eroberung durch Ferdi-
nand den Heiligen (1248) im Schatten der Exmoschee (seit 1171
erbaut) und ihres Minarets (1184—96). Die Kirche bezog die grosse
und die zahlreichen kleinen Moscheen, man baute fort im nunmehr
christlich-maurischen (mudejar) Stil. Die Könige von Kastilien
richteten sich ein in dem prachtvoll aber ohne Wechsel im Stil um-
gebauten maurischen Königsschloss. S. Ana in der Triana, eine
Gründung Alfons X, ist der einzige namhafte Bau nordischen Cha-
rakters. Das abendländisch christliche Gepräge gewann man durch
Einsetzung einiger mageren Elemente der Gothik in die Moschee.
Da den bildenden Künsten in der muhammedanischen Ueberliefe-
rung kaum ein Platz vergönnt war, so begreift sich das äusserst
provincielle, halbbarbarische Niveau des bildnerischen Schmuckes.
Von der Malerei dieser Zeit geben eine dunkle Spur die
grossen Wandbilder der Madonna. Die Antigua der Kathedrale
soll schon das Cultusbild der verchristlichten Moschee gewesen
sein; aber sie, wie die Virgen del Coral in S. Ildefonso und die
von Rocamador in S. Lorenzo verläugnen trotz der Uebermalungen
nicht ihre Herkunft von der gothischen Malerei des vierzehnten
Jahrhunderts. Diese seltenen Denkmäler haben übrigens zahlreiche
Parallelen in grossen Statuen, die für die Kirchen dieses Stils
wahrscheinlich von den Bauhütten selbst besorgt wurden. In
Sevilla selbst gibt es zwei Madonnenstatuen, die Virgen de las
batallas von Elfenbein, und die Virgen de la vega, die auf den
heiligen Eroberer zurückreichen. Diesem Stil gehört auch das Re-
liquiarium Alphons X an, die Tablas alfonsinas. Das erste Grab-
denkmal von wirklichem Bildniss- und Kunstwerth verdankt die
Cathedrale einem Nordfranzosen; es ist der Erzbischof Cervantes
(† 1457) von Lorenzo Mercadante de Bretaña.
Da erfolgte im Jahre 1401 der kühnsten Beschlüsse einer,
die je ein mittelalterliches Domkapitel gefasst hat: der Neubau
[37]Die mittelalterliche Kunst.
einer gothischen Kathedrale von unerhörtem Flächenraum
(1403—1508). Ihre Ausführung und Ausstattung zog einen Strom
von Meistern der anderen Provinzen und des Auslands herbei.
Seitdem verdrängte der niederdeutsche Einfluss und Geschmack
den maurischen und französischen. Die Glasmaler waren sämmt-
lich Niederländer. Die fünfzig Reliefs der Chorstühle von Nufro
Sanchez (1475—78) sind sinnig ja launig erfundene Scenen von we-
nigen aber fein gezeichneten Figürchen, verwandt den Compositio-
nen der Kleinmeister und Illustratoren des folgenden Jahrhunderts.
In dem Riesenretablo, den Danchart entwarf (1482; vollendet 1526)
dringt am Schluss schon der italienische Stil ein: der Florentiner
Domenico Alessandro war daran betheiligt. Das beste Stück
darin ist die Pietas hoch oben, von Pedro Fernandez Aleman.
Die erkennbarste Persönlichkeit unter diesen Imagineros ist,
Dank der neusten Forschung, Pedro Millan.[1)] Zwar seine Haupt-
arbeiten in dem im Jahre 1511 eingestürzten Cimborio, für den er
mit dem Florentiner Michael und jenem Fernandez Aleman Statuen
geliefert, sind verloren. Aber die Virgen del pilar in deren
Kapelle ist die edelste Madonnenstatue in Sevilla, eine hohe ernste
Spanierin, und ihr Jesusknabe vielleicht der wahrhaftigste unter
den tausenden niños spanischer Kirchen. Als der Pisaner
Niculoso das Spitzbogenportal von S. Paula im Robbiastil arbeitete,
lieferte ihm Millan die Modelle für die Figürchen. Wahrschein-
lich kam er durch diesen Italiener auf die dort selten verwandte
Thonplastik; sie förderte seinen naturalistischen Hang und seine
Abwendung von der scharfbrüchigen Manier. Die Statuen an
den beiden Westportalen der Kathedrale, grämliche Prälaten
und Apostel mit kugelrunden Nasen, munter lächelnde Dämchen
mit kleinen vorquellenden Halbmondaugen sind noch sehr gothisch
empfunden; der Deutsche denkt an den Dom zu Naumburg. Eine
so wunderliche Mischung der Kunst dreier Nationen ist bezeich-
nend für die Welthandelsstadt, aber auch für die spanische Kunst
überhaupt.
Diess Vorwalten des niederdeutschen Elements ist noch
bemerklicher in der Malerei.
Bekanntlich ist die flandrische Oelmalerei nirgends so früh
eingedrungen als in Spanien, nirgends ist sie so rasch dem ein-
heimischen Geschmacke angepasst worden, von nirgendher sind
Bestellungen in Brügge und Antwerpen so oft erfolgt. Noch
[38]Erstes Buch.
heute geben manche Kirchen Andalusiens hiervon einen Eindruck,
auch nachdem der Churriguerismus, diese Kirchenpest, mehr als
ein Jahrhundert dort getobt hat.
Bereits dreizehn Jahre nach Vollendung des Genter Altar-
werkes taucht in Barcelona der Retablo Luis de Dalmau’s auf
(1445), des treuen und ältesten Nachahmers Jan van Eyck’s, das
frühste Oelgemälde Spaniens. Bald darauf tritt in Zamora und
Salamanca Fernan Gallegos auf; und in Andalusien Juan de
Cordova, dessen Verkündigung in der dortigen Moschee (1475)
mit morgenländischer Pracht ausgestattet ist.
Isabella die Katholische hat drei niederländische Maler an
ihrem Hof gehabt; sie bestimmte einen Theil ihrer Andachtsbilder
der Kirche von Granada; noch ist in der Capilla Real das
Triptychon des Dierick Bouts, die Kreuzigung, übrig geblieben.
Noch andere Niederländer kamen über die Pyrenäen und liessen
sich bleibend nieder; in ihren Tafeln findet man bei der bewahrten
heimischen Malführung spanische Typen und Trachten, Land-
schaften und Bauten. In Palencia malte Juan de Flandes den
Hochaltar; er hatte vorher mit Meister Miguel lange im Dienst
Isabellas gearbeitet. In Andalusien finden wir wenn nicht ihn
selbst, doch einen ihm verwandten Stammgenossen der Schule
von Brügge in dem Maler der merkwürdigen acht Tafeln der
Johanniterkirche zu Marchena, der Stadt der Ponce de Leon.
Noch später hat der Minister Carls V, Francisco de los Cobos,
die von ihm gegründete Kirche S. Salvador zu Ubeda mit sechs
flandrischen Triptychen bedacht; sie sind jetzt in der Sacristei
vereinigt.
Durch die Entdeckung eines wolbezeugten Retablo in der
Kirche S. Julian zu Sevilla im Jahre 1878, von der Hand des Juan
Sanchez de Castro, ist wahrscheinlich geworden, dass die Anfänge
der Schule von Sevilla auf niederländische Anregung zurück-
gehen. In richtiger Ahnung hatte ihn Stirling den Morgen-
stern der Schule genannt. Neuerdings haben Gelehrte die Zu-
lässigkeit letzteren Begriffs bestreiten wollen; aber Schule be-
deutet ja nichts als die Angehörigkeit einer stetigen Reihe an
eine Stadt oder Landschaft, und durchaus keine unvermischte
Descendenz. Vor Sanchez wäre es freilich gewagt, aus zerstreu-
ten Denkmälern, deren Ursprung theils dunkel ist, theils in
weite Ferne weist, Etappen einer städtischen Kunstschule her-
stellen zu wollen.
Nach jenem Triptychon der Madonna mit S. Petrus und Hie-
[39]Die mittelalterliche Kunst.
ronymus hat Sanchez den Niederländern die Oeltechnik und den
Naturalismus abgesehen; freilich ist von seiner unbehülflichen
Zeichnung bis zu der Genauigkeit und Feinheit seiner Vorbilder
noch mehr als ein Schritt. Sein heil. Christoph in derselben
Kirche (1484) ist auch in der Uebermalung noch zu erkennen:
ein harter, kraushaariger Bauernkopf, vielleicht ein Ferge des
Guadalquivir: enger Schädel, kurze Stirn und voller Hinter-
kopf, grosse runde schwarze Augen und geschwungene Braunen,
starke Backenknochen und Lippen, dünner Bart und zurücktreten-
des Kinn. Auch von seinem Sohn Pedro hat sich eine Tafel mit
der Grablegung gefunden (Galerie Lopez Cepero); und die trost-
lose Pietas des Juan Nuñez, wahrscheinlich seines Schwiegersohnes
(Sacristei de los cálices) wetteifert in trocknem Fleiss und asceti-
scher Herbigkeit mit den niederrheinischen Nachahmern des
Dierick Bouts. Der heil. Bartholomäus, die Mittelfigur in dessen
Retablo in der S. Annenkapelle der Kathedrale (1504), ist ein spani-
scher Vollblutmönch, von heroischen Zügen, reichem schwarzen
wallenden Bart und Haar und feurigem Blick, ein Mann von dem
Holze, aus dem man Conquistadoren, Schmuggler und Toreros
macht, ein Mann, der vielleicht bei der Eroberung Granada’s das
Schwert geschwungen.
Die Richtung auf Beherrschung der äussern Erscheinung,
der Drang nach genauer Nachahmung im Ganzen und Einzelnen
war in der Kultur des Jahrhunderts begründet. Der nordische
Einfluss hat der spanischen Kunst diese Richtung zwar nicht ge-
geben, aber in unberechenbarer Weise gefördert.
Eine vielseitig kenntliche Gestalt giebt es in dieser Zeit,
Alejo Fernandez, von dessen Leben man freilich nur weiss, dass
er im Jahre 1508 zur Bemalung und Vergoldung des Retablo
mayor aus Cordoba berufen wurde. Sein grosses Werk dort,
der heil. Hieronymus im Kloster S. Marta ist verschwunden;
vielleicht aber ist der Christus an der Säule mit dem reuigen
Petrus im Museum ein Ueberbleibsel seiner ersten Wirksamkeit.
Nach dem Namen seines Bruders Jorge Fernandez Aleman, der
mit ihm kam, scheint er niederdeutscher Herkunft gewesen zu sein.
Von ihm bewahrt die Kathedrale vier grosse Tafeln, Scenen
aus dem Marienleben: die Begegnung an der goldnen Pforte,
die Geburt, die Darstellung im Tempel, in der dunklen Sakristei
des Hochaltars; und die Epiphanie in der grossen Sakristei,
Werke einzig in ihrer Art1).
[40]Erstes Buch.
Frühere fanden in ihnen die manera alemana; Deutsche
wurden neuerdings durch den grossen Wurf der Gewänder an
die florentinische Schule erinnert; jetzt erklärt man dort ihre Ge-
stalten für „rein spanisch“. Mir schien die Erziehung dieses
Fernandez flandrisch. Flandrisch ist die Farbe, der ehrliche An-
schluss an die Natur in jedem Stück, schon ohne Kleinlichkeit, aber
nicht ohne eine gewisse starre stramme Härte. Das blasse Mädchen
mit dem grünen goldgestickten Kopftüchlein (Geburt) scheint aus
Antwerpen mitgekommen; die Madonna kann in Zügen, Haltung
und Seitenblick ihre Herkunft aus der Schule des Nordens
nicht verläugnen. Aber in den geistigen Reibungen jener bunt-
gemischten Künstlerkolonie hat der Maler sich dem dortigen Ge-
schmack angepasst, und der neuen Welt des Südens mehr und
mehr geöffnet. Die Durchblicke gewölbter Hallen, vor denen seine
Gestalten sich bewegen, sind im plateresken Stil des Felipe de Bor-
goña, mit maurischen Einzelheiten; die Aussichten in Stadt und
Berge sind andalusisch; das Gold verräth den estofador. Bei
niedern Personen scheint er zuweilen Modelle des halbafrikani-
schen Pöbels der Triana vor sich gehabt zu haben; der heil. Bal-
thasar ist ein Emir. Wahrlich, Köpfe von dieser Mannichfaltig-
keit ohne Wiederholung, von solcher Kraft, Harmonie und Le-
bendigkeit der Physiognomik sind in dem nun folgenden Jahr-
hundert der „Wiedergeburt“ der Kunst in Sevilla kaum wieder
gesehen worden.
In der mit seinem Namen bezeichneten Virgen de la rosa,
einer Maria mit dem Kind und anbetenden Engeln im Trascoro
von S. Ana in der Triana, ist das flandrische Wesen freilich sehr
zurückgetreten. Ein freier, fliessender Linienzug (die schönen
Hände!), helle zarte Modellirung im Perlton, ein vornehmer
Typus: kleine Stirne, lange gebogene Nase, sehr kleiner Mund,
volles Kinn; reiche Brokatgehänge und goldene Gewandsäume.
Nicht bloss dieser wegen denkt man an alte Venezianer, wie
Carlo Crivelli, nur ist dessen metallische Schärfe mit Weichheit
vertauscht. Man steht hier vor einem Räthsel, wie es uns die
spanische Kunst jedoch nicht selten aufgiebt. Unter jenem
Himmel sind die Wandlungen im Leben des Einzelnen wie zwischen
zwei Geschlechtern oft tiefgehend und plötzlich.
Gemälde dieser Art sind aber nicht selten, und vielleicht
werden sich einst noch einige als Arbeiten des Fernandez fest-
stellen lassen. Die acht Ordensstifter und Kirchenlehrer in
S. Benito de Calatrava sind nach demselben System gemalt,
[41]Die mittelalterliche Kunst.
jedoch alterthümlicher. Der Retablo der Capelle im Colleg
des Maese Rodrigo zeigt in seinen zahlreichen Einzelfiguren
Köpfe von gequälter Durcharbeitung der Züge und des Aus-
drucks, lebhafte, fast heftige Bewegungen. Bekannt ist die
landschaftlich und mit Nebenscenen reich ausgestattete Klage
in der Kapelle Sa. Cruz von Pedro Fernandez de Guadalupe (1527).
Wer aber jener Jungfrau mit der weissen Rose ebenbürtige
Gestalten kennen lernen will, der muss sich in kleine Provinzial-
städte bemühen. In Ecija, Marchena, Carmona u. a. dürfte ihn
manche Ueberraschung erwarten. In S. Jago zu Ecija, in S. Juan
zu Marchena (über demselben Altar, wo jene acht flandrischen
Tafeln stehen) sieht man, auf den schrägen Seitenrahmen,
sechs Heiligenfiguren, die sich den edelsten florentinischen und
venezianischen des Quattrocento wohl an die Seite stellen können;
besonders die heiligen Frauen. Tadellose Verhältnisse, edle, von
sinnlichem Reiz geläuterte Schönheit — in Antlitz, Hals, Händen —
eine stille stolze Hoheit die zugleich Anmuth ist: selten ist das
Ideal der Heiligen, der Märtyrin so rein, so wahr interpretirt wor-
den1); wahrlich, ein wahrer Schatz der Erinnerung sind diese ver-
gessenen Gestalten in den vergessenen Kirchen jener wenig selbst
von Einheimischen gesehenen Orte2). Man kann sich der Frage
nicht enthalten, warum man auf diesem Wege nicht noch eine Zeit
lang fortgegangen ist? Die Kunst jener bescheidenen Meister
hat nur wenige Jahrzehnte bestanden, um einem langen Jahr-
hundert frostig gelehrter Manier Platz zu machen. Anderthalb
Jahrhunderte später hat ein begnadigter Künstler die echte
spanische Heilige wiedererweckt, aber sie hat mehr Antheil am
Erdgeist.
Das folgende Zeitalter, ganz in Anspruch genommen von
neuen und schweren Aufgaben, hat die mittelalterliche Malerei
[42]Erstes Buch.
der Vergessenheit geweiht. Die Zeit der Zurbaran und Murillo,
die in ihnen wahlverwandte Züge hätte entdecken können, hat
meiner Ansicht nach daran nichts geändert. Ein halbes Jahr-
hundert nach dem Hingang dieses Fernandez wurde alles was
das Mittelalter bis auf Michelangelo in Bildhauerei und Malerei
hervorgebracht, für abscheulich (abominable) erklärt; „was hässlich
ist, ohne Kunst und Schwung (brio) nennt man flandrisch“
(Pacheco I, 51. 315). Der diess schrieb, hat zwar Vasari’s und
van Mander’s Bericht über die van Eyck’s, ihre Erfindung
und ihr Hauptwerk übersetzt und sogar einen Hymnus (silva)
des Enrique Vaca de Alfaro auf Jan’s Bildniss eingerückt (II, 62);
aber (ein im Heroenkultus nicht seltener Widerspruch) die damals
noch zahlreich in seiner Nähe befindlichen Werke dieser Schule
keiner Beachtung werth gehalten. Er nennt den Begründer der
Schule von Sevilla nur, wo er ein kräftiges Beispiel nöthig hat für
die ihm anstössigen Unbefangenheiten in heiligen Gemälden, wie
den Engel Gabriel im Chormantel mit den Figuren der Apostel
und des Auferstandenen1). Der Name des Fernandez kommt in
seinem an Personalien so reichen Werke nicht vor. Und Pablo
de Céspedes, der eine warme archäologische Pietät für alt-
christliche Kunst bezeugt, meint, sein und seines Gleichen Haupt-
verdienst habe im Vergolden und Bemalen der Holzschnitzereien
bestanden. Die alte Zeit war ihm nur „die Asche, aus welcher
der Phönix unsrer Zeit sich erheben sollte“2).
Die Manieristen.
Die Renaissance hielt ihren Einzug in Sevilla im ersten
Jahrzehnt des sechszehnten Jahrhunderts. Damals arbeitete
der Florentiner Michael das Denkmal des Erzbischofs Mendoza
(1509), und der Pisaner Niculoso Francisco lieferte Terracotten
im Robbiastil; im Jahre 1519 bestellte Don Fadrique de Rivera
in Genua die Denkmäler seiner Eltern, die reichsten Beispiele
des italienischen Grabmalstils, die Spanien besitzt. Aber im
dritten Jahrzehnt sieht man bereits den plateresken Stil von
dem Spanier Diego de Riaño und seinen Genossen mit voller
Meisterschaft und in eigenartigem Gepräge gehandhabt. Es ist
die Entstehungszeit jener statuenreichen Prachtbauten und Pracht-
[43]Die Manieristen.
räume: des Rathhauses, der grossen Sakristei und der könig-
lichen Kapelle.
Da war es kein Wunder, wenn der bestechendste Theil der
neuen Kunst, die Ornamentik bereits in die noch im flandro-
hispanischen Stil gemalten Tafeln des Fernandez eindringt. Aber
erst um die Mitte des Jahrhunderts erscheinen Gruppen rein
italienisch geschulter Maler, und drängen die verkümmernden
Nachzügler der gothischen Zeit zurück; jeder Zusammenhang mit
der Vorzeit ist nun zerrissen. Es war zu derselben Zeit als die
Jesuiten in Sevilla einzogen (1554).
Diess ist die glorreiche Epoche, zu der man am Schluss
des Jahrhunderts bereits mit Epigonenempfindungen emporsah.
In Castilien war es schon früher Tag geworden. Alonso Berru-
guete, der im Jahre 1520 aus Italien zurückkam und am Hof des
Kaisers sich zeigte, und Gaspar Becerra sind „die ausserordentli-
chen Männer, welche die Barbarei, die dort noch immer sich be-
hauptete, verbannt haben“.
So schrieb im Jahre 1585 Juan de Arphe y Villafañe, als
er in Sevilla an der grossen Custodia arbeitete. Seine Familie,
die aus Deutschland kam, hat in drei Geschlechtern die Gold-
schmiedekunst an den grossen Kathedralen Spaniens in Händen
gehabt, und in jenen drei Stilformen: der spätgothischen deut-
schen Art, der plateresken der Renaissance und der neuklassi-
schen, ihre idealen Silbertempel im freien Flug architektonischer
Phantasie gedichtet.
Der letzte der Arphe brach mit dem malerischen Stil der
Diego de Siloe und Covarrúbias; dieser, heisst es, war zwar an-
geregt durch die Bramante und Alberti, konnte aber das Mo-
derne (Gothische) nicht ganz vergessen. So wurde diesen Wer-
ken, denen Einheit des Gusses gewiss nicht fehlt, die herabsetzende
Bezeichnung eines Mischstils (mezcla) angehängt. Seine Worte
über die Wandlungen des Geschmacks bis auf den Escorialstil
blieben das Leitmotiv aller Schriftsteller bis auf unser Jahr-
hundert.
Das Lehrgedicht dieses „spanischen Cellini“, in drei Bü-
chern, in Prosa und Octaven, Varia comensuracion, 1585, ist
das Manifest des spanischen Cinquecento. Gesetzmässigkeit, Ver-
bannung von Willkür und Phantastik, Sparsamkeit in der Orna-
mentik. Er will die Maasse lehren, von den Menschen und Bau-
werken bis auf die Kirchengeräthe, deren Krone, jene Riesen-
monstranzen, der Ruhmestitel seiner Familie waren.
[44]Erstes Buch.
Das Studium der Proportionen und des Nackten wurde der Leit-
stern der Malerei; man machte die Schönheit zu einer Funktion der
Zahlen. Alonso Berruguete hatte die vollkommenen Proportionen
der Alten, von zehn Gesichtslängen, aus Italien mitgebracht; er
fand anfangs Widerspruch, aber ihm folgte Gaspar Becerra, einst
Gehülfe Vasari’s in der Cancellerie auf Trinità de’ monti, der in
Rom die Zeichnungen zu der Anatomie des Dr. Juan de Valverde
(1554) angefertigt hatte.
Dies war die Zeit, wo die Spanier nach Rom und Florenz
wanderten, und einen Theil ihres Lebens, wohl auch ihr ganzes
Leben dort blieben.
„Alle die grossen Männer, schreibt Pacheco (El Arte I. 411 f.),
die Spanien in der Bildhauerei und Malerei besessen hat, ein
Berruguete, Becerra, Machuca, der Stumme, Meister Campaña,
Vargas, der Ruhm unserer Stadt, nachdem sie in unglaublichen
Anstrengungen das Beste ihres Lebens in Italien verzehrt, trach-
tend mit ihrem mehr als menschlichen Geist ein ewiges Anden-
ken von sich zu hinterlassen, wählten den Weg Michelangelo’s,
Raphael’s und deren Schule.“
Und Pablo de Céspedes feierte Bonarroti als den neuen
Prometheus und verglich ihn mit Pindar; eine Grazie wie die
Raphaels sei nie gesehen worden und werde nach seinem Glau-
ben auch nie wieder gesehen werden; Correggio scheine seine
Gestalten vom Himmel geholt zu haben. „Jeder Pinsel bescheide
sich ihm nachzustehn.“ Freilich nennt er auch die beiden Zuc-
cari, seine Meister, „das wahre Archiv des Schatzes dieser Kunst“.
Aber Michelangelo ist es, der das Rund der Erde erleuchtet hat
und die Alten weit übertroffen: er hat den Primat in allen
drei Künsten, und wer nicht bei ihm lernt, wird wenig Kraft
(nervio) haben und noch weniger Anmuth.“
Bei der ersten Einführung des neuen Stils in Sevilla sieht
man indess noch mehr Ausländer, und zwar Niederländer, als
Einheimische auf dem Schauplatz. Nachdem in der gothischen
Zeit Steinmetzen, Glasmaler, Bildschnitzer zur Ausstattung spani-
scher Kirchen gekommen waren, folgte jetzt eine Einwande-
rung von Malern. Schon vor diesen Romanisten hatten einige
Vidrieros die italienische Art sich angeeignet; Arnao de Flan-
des und Arnao de Vergara lieferten seit 1534 eine lange Reihe
von Jahren durch die grossen Fenster: figurenreiche, pomphafte
Compositionen nach italienischen Mustern, in prächtiger plateres-
ker Einrahmung; im Lazarus z. B. ist die Benutzung Sebastian
del Piombo’s zu erkennen.
[45]Die Manieristen.
Zu derselben Zeit als Vargas nach achtundzwanzigjähriger
Abwesenheit ganz italianisirt nach Sevilla zurückkam, Vicente
Joanes Macip nach Valencia, als Simon von Châlons in Avignon
auftrat, Heemskerk Holland mit seinen Carricaturen Michelangelo’s
überschwemmte, erschienen mehrere Niederländer dieses Bekennt-
nisses in Andalusien. Juan Tellez, Herzog von Osuna, liess in
den fünfziger Jahren die merkwürdige weitläufige Gruftkirche der
Colegiata zu Osuna durch ein Consortium von Holländern aus-
statten. Unter einer grossen Zahl verschiedener Hände in zwei
Dutzend kleinen Gemälden, findet man zwei bezeichnet, Gerald
Wytvel de Utrecht, und Hernandus Stormius Ziriczeensis Faciebat
1555, in dem man hier einen Nachahmer jenes Heemskerk er-
kennt. In seinem grossen Retablo der Evangelistenkapelle der
Kathedrale, am Orte gemalt, sind die auf Wolken schwebenden,
silhouettenartigen Gestalten der vier Evangelisten dem Stich des
Agostino Veneziano entlehnt; die heiligen Jungfrauen von Se-
villa in der Predella dagegen haben noch ganz niederdeutsche
Typen, während der heil. Gregor am Altar die romanische Her-
kunft nicht verläugnet. So vermittelt hier ein Holländer den
Spaniern Julio Romano1). In einer völlig abweichenden Manier
malte zu derselben Zeit Franz Frutet, auch Frutos Flores ge-
nannt. Sein Hauptwerk, den Retablo mit der Kreuzigung und
dem heil. Bernhard vor der Mutter Gottes, lieferte er für das
Hospital S. Cosmas und Damian. Von fern scheint es in der
Art des Michael Cocxcyen; genauer besehen übertrifft er ihn
weit in Mannichfaltigkeit der Köpfe von den edelsten Formen bis
zu Pöbelfratzen, alles in sauberen Umrissen, mit viel Wechsel
heller, meist gebrochener Farben. Die dem Spasimo und Burg-
brand entlehnten Figuren sind von jeher aufgefallen.
Alle liess weit hinter sich, durch Vielseitigkeit der Studien
und Stilformen wie durch Erfolge, der Brüsseler Peeter de Kem-
peneer (von Kempen), dort Maese Pedro Campaña genannt (nach
Pacheco 1588 im 98. Jahre dort verstorben). Er war einer von
denen die, nachdem sie die Schule der Heimath durchgemacht,
sich auf italienischen Reisen eine eigene, nach Bedürfnis wandel-
bare Art schufen. Zum erstenmale taucht er auf als Decorations-
maler an dem Triumphbogen beim Einzug Carl V. in Bologna
(1530). Dann studirte er die Alterthümer: Pacheco besass noch
[46]Erstes Buch.
manche seiner „gelehrten Federzeichnungen“: keiner hat sich später
in seinen Gemälden so eng an die alten Statuen, besonders in der
Draperie angelehnt. Er war auch Bildhauer, und einige Gestalten
in S. Ana der Triana sind gemalte Marmorbilder. Aber in sei-
nem Meisterwerk, dem Retablo des Mariscal (1553) erkennt man
tiefgehende Studien Raphaels, dessen Linie wenige damals so
nahegekommen sind. Mit einer glücklicheren Natur vor Augen
als Scorel und Orley, konnte er diese römischen Formstudien
durch die Anschauung lebendiger Natur vor seinen Augen, bele-
ben. Diese „Opferung Mariä“ in der Kapelle des Mariscal ist
ein Denkmal des die Kunst jener Zeit beherschenden Schön-
heitscultus: ein Garten schlanker, blühender, klassisch vollkom-
mener Gestalten und Köpfe1).
Am treuesten hatte er von der vaterländischen Mitgift die
Bildnisskunst bewahrt. D. Pedro Caballero und die Seinigen in
der Predella, werden noch heute von den Spaniern als Typen des
Adels vom alten kastilischen Schlag bewundert. In Festigkeit der
Linien und der Plastik, in Grösse und Feinheit der Charakteristik
Holbein nahestehend, übertreffen sie weit alles was das Jahrhundert
sonst dort im Bildnissfach hervorgebracht hat. Hier allein ist er
vollkommen befriedigend.
Gleichwol hat er am stärksten zu den Sevillanern gesprochen
durch dasjenige Werk, in dem altflandrische Strenge und michel-
angeleske Formen sich in eigener Weise verschmelzen, der
Kreuzabnahme von Sa. Cruz (1648). Hier ist er mit germanischer
Aneignungsfähigkeit auf die ascetische Empfindungsweise seiner
Nachbarn eingegangen; er ist spanischer als die Spanier.
Von bronzener Schärfe und Härte, von metallisch-düsterem
Schimmer sind die unheimlichen Figuren dieser Tafel, merkwürdig
abstechend von der sonnigen Helle des Mariscalretablos. In
der langsam herabschwebenden Gestalt des Heilandes, der in
grausig zufälliger Aeffung des Lebens Auge, Antlitz und Arme
den Frauen zukehrt, in der zurückgebeugten Mutter, die wie
im Ecce Homo des Correggio von der beginnenden Lähmung er-
griffen scheint, und mit den vor Entsetzen gläsernen Augen das
Todtenantlitz anstarrt, hat Campaña sich an Bedürfnisse religiöser
Aufregung gewandt, von deren Verbreitung die zahlreichen Zerr-
bilder des „göttlichen“ Morales ein Zeugniss liefern. Pacheco ge-
stand, dass er sich fürchte mit diesem Bilde im Dunkeln allein
[47]Die Manieristen.
zu bleiben; und Murillo, todkrank, liess sich in das benachbarte
Kirchlein tragen, „er wolle warten bis die heiligen Männer den
Erlöser herabgesenkt hätten“. Die kleinere Redaction der Compo-
sition in San Lucar de Barrameda gibt uns die rein niederländische
Version. de Kempeneer hatte in vierundzwanzig Jahren auch für
andere Städte Andalusiens Retablos gemalt: ausser in Carmona,
in S. Jago zu Ecija, und in der Moschee des Abderrahman: in
der Capelle der Asuncion und in der Taufkapelle1).
Nach der Ansicht der dortigen Kunstrichter war jedoch an
Campaña und den übrigen seiner Nation noch immer etwas von
dem trockenen flandrischen Wesen haften geblieben; ihnen fehlte
die „gute Manier“, d. h. die freien, grossen, bewegten Umrisse
der „römisch-florentischen Schule“. Diese entspricht der Eleganz
im Schreiben, ihre Quelle ist Raphael mit seiner göttlichen Ein-
falt und unvergleichlichen Majestät; aber er hat sie gelernt von
Bonarroti, dem „Vater der Malerei“, der im Nackten über-
menschlich war.
Diese buena manera hat Luis de Vargas aus Italien mitge-
bracht. Er war das „Licht der Malerei“, ihr Jakob — wegen
seiner langen Wanderungen in der Fremde, „seiner schönen Ra-
hel zu Liebe“. Er war in Rom eingezogen am 6. Mai 1526, mit
den Horden des Connetable von Bourbon: Graecia capta! „Sein
grösstes Geschenk an Sevilla war die Freskomalerei“, ein Ge-
schenk, das freilich nicht auf den zweiten Erben kam. Leider
sind seine Wandgemälde fast alle sogut wie untergegangen: von
den kolossalen Figuren an der Giralda, die damals „wegen Gross-
heit der Zeichnung und Noblesse“ für die vornehmste Zierde der
Stadt galten, sieht man nur noch Spuren. Sein „Jüngstes Gericht“
in der Casa de Misericordia zeigt, dass er seine Kräfte über-
schätzt hatte, dieses gleichgültige Machwerk ist kaum ähnli-
chen Versuchen der frühsten niederländischen Romanisten zu
vergleichen.
Seine Hirten in der Kathedrale, wo er sich noch als An-
fänger bezeichnet (Tunc discebam 1555) sind doch, weil noch aus
frischer Erinnerung Roms gemalt, das Bild, wo er am freisten
ist von Manier und reich an wirklich schönen und edlen Köpfen.
[48]Erstes Buch.
Einige Typen und der tiefe braune Ton der Schatten weisen
wieder aut Sebastian del Piombo.
Seine gefeiertste Schöpfung daselbst, Maria den alttestament-
lichen Gerechten im Gefängniss des Limbus erscheinend, ist die
Bearbeitung einer Vasari’schen Composition, die der Franzose
Philipp Thomassin gestochen hat. Der Name La gamba war
von dem ausgestreckten Bein des Protoplasten hergenommen;
mit wie bescheidenen Proben der neuen Kunst des Nackten konnte
man damals Aufsehen machen! Die Körper beider Stammeltern
sind allerdings mit weit feinerer und echterer Natürlichkeit gemalt
als die Colosse des Aretiners. Eva, eine etwas üppige Blondine,
geberdet sich anständiger und geschmackvoller als die seines
Vorbildes, welche eine Stiefschwester der Leda und der Nacht
Michelangelos ist. Die Kinder sind raphaelisch; die Madonna
in den Wolken hat starke correggeske Verkürzungen; ihr dem
Adam zugewandter Blick ist jedoch kalt und stolz. In der „Klage“
in S. Maria la blanca (1564) ist er bereits ins grausenhaft leere
verfallen.
Sein Erfolg dürfte zum Theil darauf beruhen, dass er dem
Sinnlichschönen unter mystischen Namen Einlass verschaffte.
Seine Geberdensprache und sein Ausdruck ist indess frostig und
gemacht, seine Gesichter aus zweiter Hand, seine Compositionen
gedrängt. Sein Schüler Villegas, der auch Raphaels Kinder
nachahmt (heil. Familie in S. Lorenzo), ist nur ein schwacher
Abdruck des Meisters.
Der Leser hat schon errathen, was für Meister er hier vor
sich hat. Allgemeine, wolabgemessene Formen, gleichgültige,
characterlose Gesichter, Trachten nach Gelegenheiten anatomische
Kenntnisse zu zeigen, Verkürzungen, Ausnutzung der Bildfläche,
um schwierige Aufgaben der Perspektive zu lösen, völlige Unter-
ordnung der Farbe. An vielen ihrer Werke würde man in
Italien und den Niederlanden vorbeigehn, und man thut es öfters
auch in Spanien, ehe man die Namen ihrer Urheber nachgelesen
hat. Es kostet Mühe zu verstehen, was den Zeitgenossen an
diesen Wiederherstellern der Malerei so gross erschien, wir ver-
gessen die Anstrengungen, welche es ihnen kostete, so lang-
weilig zu malen. Nur die Ehrlichkeit im Verhältniss zum Gegen-
stand haben sie vor ihren auswärtigen Verwandten voraus.
Man bemerkt auch, dass für fast jedes bedeutende Bild ein
italienisches Original aufzuweisen ist, und der Kupferstich, der
es nach Spanien verpflanzt hat. Marc Anton und die Ghisi
[49]Die Manieristen.
waren dort wolbekannt und gesucht; Pacheco nennt die Wierx,
Egidius Sadeler und Lucas Kilian; Céspedes sagt, die Stiche
nach Spranger seien überall verbreitet. Merkwürdig ist, dass
lebendige und echte Italiener unter diesen Bastarden in Sevilla
kaum vorkommen. Der einzige ist der kümmerliche Mateo Perez
de Alesio (da Lecce), der zur Herstellung des grossen Christoph
verurtheilt wurde (1584). Er sollte zu Vargas gesagt haben:
„Dein Bein ist mehr werth, als mein grosser Christoph“, was
jedenfalls nicht übel erfunden ist.
Ein etwas späterer, persönlich merkwürdiger Künstler war
der Racionero von Cordoba, Pablo de Céspedes (1538 † 1618).
Er kam zweimal nach Rom; das erstemal lebte er dort sieben
Jahre lang in enger Verbindung mit Cesar de Arbasia, einem
Italiener, der später in Malaga und Cordoba (Sagrario) Fresken
ausgeführt hat, Arbeiten von weit mehr Erfindung und Tempe-
rament als die seiner spanischen Zeitgenossen; besonders in
grossen Raum- und Lichtwirkungen.
Später kam Céspedes als Freund und Beistand des unglück-
lichen, verketzerten Erzbischofs Carranza nach Rom, er nahm
wahrscheinlich der Sicherheit wegen nach seiner Rückkehr die
Weihen. Er half Zuccaro an den Fresken in Trinità de’ monti
und Araceli und widmete den antiken, christlichen und modernen
Kunstschätzen Roms ein begeistertes Studium. Seinen besten
Klang verdankt der Name dieses gelehrten und hochgebildeten
Mannes den ebenso wahr wie warm empfundenen, klangvollen
Strophen eines Gedichtes über die Malerei. Die Fragmente,
welche Pacheco gerettet hat, geben uns die Gewissheit, dass wir
das beste didaktische Gedicht der spanischen Sprache verloren
haben. In der Malerei unterscheidet ihn von seinen Gleichge-
sinnten der Zug nach mächtigen, heroischen Gestalten, Würde
im Gebahren, Kraft und Tiefe in Farbe und Schatten. Aber
nur selten hat er erreicht was seinem Geiste vorschwebte; wie
in der heil. Conversation in der S. Annenkapelle der Kathedrale
von Cordoba. Die welche ihre Charakteristiken aus Büchern
schöpfen, werden uns wahrscheinlich noch ferner erzählen, dass
er, „der grosse Nachahmer der schönen Manier des Correggio,
den Andalusiern das Licht im Incarnat aufgesteckt habe und
einer der besten Coloristen Spaniens gewesen sei“ (Pacheco).
Die, welche bloss ihren Augen folgen, werden sagen, seine
grossen Malereien in Cordoba, Sevilla (die vier Allegorien im Ka-
pitelsaal) und Madrid (Akademie) zeigen den Romanismus beson-
4
[50]Erstes Buch.
ders von Seiten seiner Gesuchtheit und Langweiligkeit. Sein
Schicksal war die „grosse Manier“, mit der Rom es ihm angethan
hatte. Als ihr gläubiger Adept hat er nach tiefen Studien
nichtssagende Geberden und Gesichter von öder Allgemeinheit
kunstvoll zusammengestellt, während er der Natur gewissenhaft
aus dem Wege ging. „Weisst du denn nicht, dass ein Bildniss
nicht ähnlich sein darf? Es genügt, dass man einen kunstge-
rechten Kopf gemacht hat.“ Das Lob einer prächtigen Vase
in seiner Cena verdross ihn so, dass er sie kassirte, vielleicht
fühlte er, dass der unvorsichtige Bewunderer eine bittere Wahr-
heit gesagt hatte.
Céspedes zeigt uns diese spanischen Cinquecentisten in
ihren Tugenden und Schwächen. Ihre Studien waren gründlich
und wissenschaftlich, ihre Kunstideale hoch, ihre Bildung uni-
versell und fein. Aber das Allgemeine nahm ihre ganze Kraft
in Anspruch, und für den Blick ins Leben blieb ihnen keine Zeit
übrig. Ihre Physiognomien, ihre Mimik, ihre Gruppirung ist nach-
geahmt, gemacht, prätentiös, und meist ohne einen Hauch von
Natur. Ihre Heimath war Rom: das volksmässige Wesen war ihnen
abhanden gekommen. Den Späteren erschienen sie in höherem Licht
als die Genossen des glorreichen Zeitalters Karl V; in der That
passten sie an den Hof des Kaisers, der umgeben von italienischen,
deutschen und spanischen Staatsmännern und Generalen in seinem
Weltreich allgegenwärtig war, in dessen Gefolge man Boscan
und Garcilaso sah, unter dem Machuca einen plumpen Renaissance-
palast in die Alhambra gepflanzt, und Berruguete eine solche
Rolle spielte, dass man die Ornamentik dieser Zeit nach ihm
benannt hat. —
Es fehlt jedoch auch nicht an Spuren, dass die „gute Manier“
bei den Zeitgenossen doch nur getheilten Beifall fand. Er-
zählungen von Aufträgen, deren Ausführung nicht befriedigte,
und die mit tieferer Berücksichtigung des heiligen Gegenstandes
wiederholt werden mussten, wie Becerra’s Soledad, Juan Macip’s
Concepcion; der Streit Berruguete’s mit den Benediktinern in
Valladolid, Greco’s mit dem Kapitel von Toledo, die ascetischen
Uebungen, mit denen man sich auf die Arbeit vorbereitete —
diess alles deutet darauf hin, dass es den aus den entkirchlichten
Schulen Welschlands Heimkehrenden Mühe kostete, den Weg zum
Herzen ihrer Landsleute zu finden.
In diese Zeit fallen jene Namen, die ebenso berühmt ge-
worden sind durch einige unvergängliche Werke, wie durch Ver-
[51]Die Manieristen.
irrungen, die in der Geschichte der neueren Kunst beispiellos
dastehen. Die Verzerrungen und Convulsionen jenes Berruguete
im Retablo von S. Benito, die schwerfälligen Verrenkungen eines
Juan de Juni, die entsetzlichen Vampyrgestalten des Morales, die
Gespenster und Kautschukfiguren des Greco, letztere in zahl-
losen Wiederholungen verbreitet, beweisen, wie rasch sich ihr
mitgebrachtes Kapital von Kenntnissen und Geschmack er-
schöpfte, und wie sie auf die Naivetät ihres Publikums lossündi-
gen konnten1). Vielleicht aber auch, dass sie der Gleichgültigkeit,
der ihr gelehrter Stil begegnete, durch kräftige Reizmittel bei-
zukommen suchten. Während in der Kunst des vorigen Jahr-
hunderts der Weihrauchduft sich mit einem frischen Hauch von
Gegenwart und Leben mischt, so kämpft hier sinnlicher Reiz
mit fleischabtödtendem Asketismus.
Wenn sie unter dem erdrückenden Einfluss der Italiener
Sinn und Takt für das Nationale verloren hatten, so musste früher
oder später der Widerspruch erwachen, der im siebzehnten
Jahrhundert zum Wiederaufleben des spanischen Geistes ge-
führt hat. Schon Felipe de Guevara, ein Zeitgenosse Karl V.
hatte die Nachahmung als Hauptverderb (estrago) der Talente
Spaniens bezeichnet.
Am Schlusse des sechszehnten Jahrhunderts ruht diese
Malerei nur noch auf den schwachen Schultern von Nachzüglern
wie Pacheco und Alonso Vazquez. Die letzte That des Diez
y seis war der Tumulo Philipp II, bei dem die besten Kräfte der
drei Künste und der Poesie vereint wirkten; es war auch die
Leichenfeier der Epoche. In der Vierung der Kathedrale erhob
sich ein mächtig ernster Bau im Herrerastil; über dorischem
Untergeschoss eine kreuzförmige jonische Säulenhalle und dann
das Achteck mit Bogen, Kuppel, Laterne, Obelisk und der
Weltkugel mit dem Phönix, alles belebt mit Gemälden und Bild-
säulen. Die besten Statuen waren von einem jungen Bildschnitzer,
Martines Montañés. Diesem war es beschieden, den Geist der
erlöschenden Schule in anderer Gestalt in das kommende Jahr-
hundert hinüberzuführen. Seine von klassisch geläutertem Formen-
sinn und schwermüthigem Ernst beseelten, wenn auch etwas ein-
förmigen Figuren und Gruppen gewannen aber einen dem italieni-
schen System fremden, neuen und volksthümlichen Reiz durch die
Anwendung einer goldschimmernden Bemalung mit Oelfarben.
[52]Erstes Buch.
Juan de las Roelas
(geb. um 1558 † 1625).
In die beiden ersten Jahrzehnte des siebzehnten Jahrhun-
derts fiel die Hauptthätigkeit dieses noch nicht verdientermassen
gewürdigten, in Sevilla (nach Palomino) von flandrischen Eltern
geborenen Malers. Cean Bermudez hatte von ihm den Eindruck,
dass er, „besser als alle Andalusier die Regeln der Zeichnung
und Komposition verstanden habe“, zutreffender würde man von
ihm sagen können: er war der erste wirkliche Maler, den das
sechszehnte Jahrhundert dort hervorgebracht hat. Seine Anfänge
und Wandlungen sind dunkel: es giebt Gemälde von ihm,
die noch nach dem individualitätslosen, frostigen System der
Manieristen gemacht sind. Aber seine bekannten Hauptwerke
schienen selbst den verwöhnten Künstlern des vorigen Jahrhun-
derts von „venezianischer Farbe, grosser Kraft und Anmuth“.
Die beiden Elemente, deren Verschmelzung den Character der
Sevillaner Malerei der nächsten Generation ergab: Naturalismus
und Mystik, hat er zuerst zusammengebracht. Aber erst spät
scheint er diesen Stil gefunden zu haben, man sagt natürlich, in
Italien. Aber in seinen Formen, seiner Empfindungs- und Mal-
weise ist eine eigene Legirung spanischen und flandrischen We-
sens; vielleicht ist er wegen dieses fremden Beigeschmackes
nicht recht zur Geltung gekommen.
Er hat alle die Lieblingsstoffe spanischer Devotion mit
eigner Erfindung und grossem Erfolg bearbeitet, und fast jedes
Stück zeigt ihn von einer neuen Seite. Er hat stämmige, zuwei-
len derbe Figuren und breite wohlgenährte Gesichter, die bald
andalusisch bald aber auch germanisch anklingen. Seine Ge-
schichten sind voll Leben, eine unverwüstliche Heiterkeit durch-
dringt sie, in feierlichen Akten der heiligen Geschichte und Glo-
rien, wie in vertraulichen Scenen der heiligen Familie, und selbst
in Märtyrerbildern. Seine Engelchöre, blühende, blonde, rosen-
bekränzte Landmädchen mit runden weissen Schultern und vollen
Armen sind trunken von Licht, Musik und Festfreude. Vor die-
ser ganz Rubens’schen Heiterkeit unseres Klerikers fällt die oft
schauerliche Ascetik der Frühern, wie der nüchterne bange Ernst
seiner Nachfolger, wie des Zurbaran, merkwürdig ab, obwol sie
Laien waren.
[53]Juan de las Roelas.
Was aber das wichtigste ist, Roelas war der erste Maler
des Helldunkels in Sevilla, ja er hat es zum Schwerpunkt seiner
Kunst gemacht. Sein System ist ganz eigenthümlich: er ver-
bannt die grauen, braunen und schwarzen Schatten; er modellirt
die Hauptfiguren in einem warmen, bald gelblichen bald röth-
lichen Ton, mit lebhaften, gesättigten, durchsichtigen Farben1):
bald in unmittelbarem Lichtauffall, bald als Silhouette in einem
warmen Halbton; dann aber durchbricht er die Scene mit einem
ausgedehnten, sonnenbeleuchteten Mittelgrund, dem ein die Wolken
durchdringendes Himmelslicht (un rompimiento de gloria) gegen-
übersteht. Die Spanier fanden in diesem System ein colorido atici-
anado, allein bei einer gewissen Aehnlichkeit des Tons hat er doch
eine verschiedene Art der Lichtökonomie und Composition. In dem
Chiaroscuro, in dem grandiosen Wurf seiner Gestalten, die er
als sei ihm der Rahmen zu eng, in den vordersten Grund drängt
und seitlich und unten noch beschneidet, in seiner einfach maje-
stätischen Draperie, in der Weichheit des Incarnats, welche
seinen Landsleuten von jeher auffiel (dulzura y suavidad, Cean
Bermudez; blandura, Jusepe Martinez) erinnert er eher an die
Schule von Parma, z. B. Schidone. Allein die volksthümlich-ge-
müthliche Unbefangenheit hat etwas dem Norden verwandtes.
Seine frühsten datirten Werke, die vier Scenen des Marien-
lebens, welche er in Olivares malte (1603), wo er eine Pfründe
besass, haben kaum etwas von seiner Eigenart, aber seltsamer
Weise auch die letzten, mit denen er dort seine Laufbahn beschloss:
die Gründung von S. Maria Maggiore mit der Figur Pabst
Pius V, für den Hochaltar gemalt, und die Hirten (1624). Vielleicht
indess liegt hier nur ein Missverständniss der sehr lückenhaften Be-
richte vor. Gewiss ist, dass er sich zuerst Beifall erwarb durch
seine Interpretation des Lieblingsmysteriums der Sevillaner, der
purísima. Sie schwebt in Wolken von Engeln umgeben, über einer
Meeresbucht mit den landschaftlich vertheilten Symbolen. Das stei-
nernste, trübste und schläfrigste dieser Bilder scheint am meisten
angesprochen zu haben, wir finden es unverändert in Sevilla (Mu-
seum), Madrid (Akademie), San Lucar, Dresden, ja sogar in Italien,
im Kloster von Monte Cassino. Später belebt sich das Bild, eine
träumerische Lieblichkeit bringt uns die Himmlische näher, er
findet den Zauber der langen gesenkten Lider, mit den dunklen
Wimpern (Sevilla, Akademie); zuweilen nimmt es die stille reine
[54]Erstes Buch.
Einfalt altflämischer Meister an (Taufkapelle der Kathedrale),
da taucht auf einmal der goldene Schein wieder auf; zuweilen
steht ein Verehrer unten (in dem wenig glücklichen Berliner
Exemplar der abstossend hässliche Fernando de Mata). Doch
blieb er in dieser Gestalt immer etwas hieratisch, und so gefiel er
seinen Landsleuten besser als in seinen freieren, mehr und mehr
in Licht und Farbe sich entzündenden Bildern. Dieser ersten
Zeit gehört auch der Tod des Hermenegildus im Hospital de la
Sangre an. Der Unterschied zwischen den Bildern dieser ersten
Manier und den nun folgenden ist ausserordentlich gross.
Der Santiago in der Schlacht bei Clavijo (Cathedrale, 1609),
dieser im kampflustigen Castilien zu einem Cid verweltlichte
Apostel (ein zweiter Würgengel des Sanherib, sagt Lope) wie
er im weissen Mantel, die weisse Fahne schwingend, auf dämo-
nischem Schimmel, wie eine Windsbraut, in das Gewühl über-
einander stürzender und zerhauener Mohren hineinbraust und
aus dem Bild heraus; im Hintergrund ein Meer von hundert-
tausend Reitern; dieser sagrado adalid ist eine Gestalt von dort
noch nicht gesehener Gewalt der Bewegung und des Helldunkels:
er ist von der Folgezeit, die sich auf Leidenschaftlichkeit etwas
zu Gute that (wie von Francisco Ricci in Santiago zu Madrid)
nicht von ferne erreicht worden.
Sein Tod des heil. Isidor von Sevilla (in dessen Kirche), eine
Scene zugleich liturgisch feierlich und pathetisch unmittelbar, ist
dagegen ein Versuch, den figurenreichen Vorgang in vollem Tages-
licht einer hellen Kirche zu malen, deren Perspektive wie ein Spie-
gelbild erscheint (denn ebendort sollte die Geschichte stattgefunden
haben). Es ist ein Klerusstück, in dem uns Wesen und Gebahren
spanischer Geistlichen und Laien bei Funktionen von berufenster
Hand vor Augen geführt wird: Zurbaran scheint hier anticipirt.
Die Erzählung ist rein realistisch; aber er hat in dem sterben-
den Greis die unendliche, vergeistigende Arbeit eines langen
Lebens von That und Gedanken ausgedrückt, während Domeni-
chino z. B. in seinem heil. Hieronymus nur den widrigen physischen
Verfall malte.
Die Marter des Apostels Andreas (aus der Kapelle der
Flamländer in S. Thomas, im Museum) ist im Geschmack der
pasos, mit allem Pomp einer heiligen Schaffotscene: Paschas,
geschäftseifrigen Henkersknechten, grinsenden Buben, verschüch-
terten Gläubigen. Die ausführliche Physiognomik der gemeinen
Männer im Vordergrund, die lebhaften Farben (gelb, orange,
[55]Juan de las Roelas.
karmin), die duftig bläuliche, lichte Thalmulde mit den Bergen
dahinter erinnert noch mehr als an Ribera, an Quinten Metsys.
Ich hörte dort äussern: Diese Apostelgestalt ist kein Spanier.
In Folge eines Streites über das Honorar wurde das Bild nach
Flandern geschickt: man schätzte es dort zu einem dreifach
höheren Preis (3000 Dukaten) als der vom Künstler gestellte war.
Die Befreiung des Petrus (in dessen Kirche) ist von einer
michelangelesken Grossheit und Breite der Figuren, die hier
von einem visionären gelblichen Halblicht übergossen sind. Von
ferne glaubt man erst den versinkenden Petrus vor dem Heiland
zu sehn: es ist der Ausbruch des Dankgefühls; Spätere wie
Spagnoletto malten hier nur das Aufschrecken aus dem Schlafe.
Sein Pfingsten (im Hospital de la Sangre) ist dort unerreicht
als Darstellung einer Versammlung voll apostolischer Würde,
aber unter der Maske der unverfälschtesten Volkstypen. Keine
Rhetorik der Geberden, keine Treibhausschwärmerei: nur jenes
fast heitere Hochgefühl, welches die wahre Steigerung der geistigen
Potenz begleitet. Der ausserordentliche göttliche Zustand, der
in jenem Lichterguss über sie gekommen ist, erscheint nach
aussen in einem ruhigen, seligen Behagen. Hier fällt ein warmes
mildes Licht aus der Stralensonne auf den Halbkreis des Vor-
dergrunds, während die dahinter in Dämmerung eintauchen.
Zuweilen hat er auch Scenen mit einer wunderlichen Mischung
mystischer Symbolik und häuslich vertraulicher Motive, die so
sehr im Geschmacke der Zeit war und durch die Kupferstiche
jener Niederländer verbreitet wurde. Das Kind Maria, einen
Miniatur-Codex am Schooss der Mutter Anna studirend, in himmel-
blauem sternbesätem Kleid und mit goldenem Krönchen; Rosen,
Nelken und Vergissmeinnicht, Zuckerwerk auf der Kommode, in
deren Schubladen man reichen Spitzenschmuck entdeckt, diess ist
das Bild (im Museum), welches ihm die Censur des bigotten und
eifersüchtigen Pacheco zuzog. Er nennt ihn geübt (ducho) in der
Farbe, aber mangelhaft im Decorum (II, 198).
Sein Meisterwerk aber, und das höchste was die Malerei in
Sevilla vor Murillo geschaffen, ist das Mittelbild im grandiosen
Retablo der ehemaligen Jesuiten- jetzt Universitätskirche; das
Mysterium des Neujahrstags. Es wäre ein vollkommenes Bild,
wenn es einfacher wäre, aber es sind eigentlich fünf Bilder in
eins geschmiedet. Besonders die Gemälde mit Glorien nehmen
sich bei Roelas immer aus wie der Blick in den Durchschnitt
eines Hauses. Aber die Maria ist ein wonniges Bild zarter, hoher
[56]Erstes Buch.
vornehmer Weiblichkeit, den Blick gesenkt, wie verschämt, bei
dem barbarischen Akt, und in einem Schmelz goldigen Tons, der
mehr noch als an Tizian, an einige Frauenbildnisse Rembrandts
gemahnt.
Wer sich eine Uebersicht von dem Reichthum der maleri-
schen Mittel des Roelas und seiner Erfindungsgabe verschaffen
will, der sollte die Kirche der Descalzos in San Lucar de Barra-
meda besuchen, aber nur an einem sonnenhellen Tage. Hier
wird er mehr als ein Dutzend von Gemälden seiner Hand ent-
decken, neun über dem Hochaltar, die verschiedensten Stoffe der
Evangelien und der Heiligenlegende behandelnd1). Da ist ein
männlich schöner Täufer, predigend, ein jugendlicher, freudig er-
gebener Laurentius, ein mächtiger todter Christus von Engeln ge-
halten, und mercenarische Märtyrer. Die anmuthig feine, gnädige
Madonna, die grossartig schöne h. Katharina, bei der man zuerst
an die Zingarella denkt, bis man im Dunkel den Henker sieht,
dem sie ihren Nacken beut; die lieblich blühende h. Agnes kann
man hier vergleichen mit der alterthümlich strengen purisima.
Dieser Mann begab sich im Jahr 1615 nach Madrid, und
bewarb sich um die durch Tod erledigte Stelle eines pintor del
rey. Der armselige Bartolomé Gonzalez wurde ihm vorzogen.
Dieser war freilich ein Bildnissmaler, die Hauptbeschäftigung
der königlichen Maler damals. Von Roelas sind keine Bild-
nisse bekannt.
Francisco de Herrera
(1576 † 1656.)
Während Roelas weder zu seiner Zeit noch heute viel Glück
gehabt hat (Caviar für das Volk), so ist Herrera der Aeltere,
Architekt, Maler in Fresko, Oel und Tempera, Graveur, Radirer
und Kupferstecher, augenscheinlich ein Günstling der „Jetztzeit“.
[57]Francisco Herrera.
Den Spaniern gilt er als Schöpfer ihres Nationalstils. Diese seine
Bedeutung scheint zuerst im Zeitalter des Raphael Mengs ent-
deckt worden zu sein. „Er war, sagt Cean Bermudez, der erste,
welcher in Andalusien jene furchtsame Mache abschüttelte, an
der unsere Maler solange klebten, und sich einen neuen Stil
schuf, welcher den Geist der Nation offenbart“. Deshalb hat
man unter sein Bildnis in der Biblioteca Colombina gesetzt:
Formó un nuevo estilo, propio del genio nacional. Man hat diesen
Wink dann am Schreibtisch weiter ausgesponnen: „Keine Spur
italienischer Nachahmung, kein Zugeständniss an die Kunst der
Vergangenheit“; „die Befreiung der Schule von Sevilla ist der
Gedanke seines Lebens“1). Schon als Jüngling ein wilder Men-
schenfeind, hat er sich in der Einsamkeit autodidaktisch gebildet,
ein reiner Naturalist von Haus aus, voll Verachtung der eng-
herzigen, kleinlichen Theorie der Schule des Vargas, die ihm bei
seinem Lehrer Luis Fernandez geboten wurde. Noch in der
neuesten Geschichte der Schule2) wird man umrauscht von
Titanisch, Genius, Wunder und Michelangelo. „Alle enthält er
bereits in sich, Velazquez, Murillo, Cano, wenn auch in etwas
roher (tosca) Form, aber mit der Kraft und Würde des Genius.
Er ist der erste der dort die Pforten des Naturalismus aufschloss.“
Man versteht diese Eingenommenheit, wenn man liest, wie
Herrera sich vor der Staffelei geberdet haben soll. „Er zeich-
nete mit angebrannten Rohrstäben und malte mit Borstenpinseln
(brochas). Ja, wenn er einmal von seinen Schülern im Stich ge-
lassen wurde, was zuweilen der Fall war, so liess er die Lein-
wand von einer Magd untermalen (bosquejar), welche jene mit
Riesenpinseln und Besen (brochones y escobas, man denkt an
den balai ivre Eugène Delacroix’), beschmierte, und ehe die
Farbe trocknete, formte er dann mit dem Pinsel Gestalten und
Gewänder.“
Vollendet wird das Bild dieses Patriarchen der Impressionisten
durch den Charakter des Menschen. Denn so rauh, hart und
unverträglich war er (rigido é indigesto, de poca piedad nach
Palomino), dass seine eigenen Kinder der Hölle dieses Vater-
hauses entflohen: die Tochter ging ins Kloster, der Sohn Franz
nach Italien, — wobei er sechstausend pesos mitnahm. Seine Ge-
[58]Erstes Buch.
schicklichkeit in der Kunst des Graveurs missbrauchte er zur
Falschmünzerei, und entzog sich der Justiz im Asyl des Jesuiten-
kollegs S. Hermenegildo, dessen Altarbild er malte. Als nun der
junge König Philipp IV die Kirche im Jahre 1624 besuchte,
nach dessen Maler fragte und die traurige Geschichte erfuhr,
da sagte er: „Darin bin ich Richter und Partei“, und liess sich
den Flüchtling kommen. „Wer eine so grosse Geschicklichkeit
besitzt, erklärte er, der sollte sie nicht missbrauchen; — wozu
hat der Gold und Silber nöthig? Geht, Ihr seid frei, nur hütet
Euch vor Rückfall.“
Solche Urtheile müssen gespannt machen auf die Arbeiten
dieses Faustmalers, und wir wenden uns zu der, welche uns
als die „allseitigste Schöpfung“ (produccion mas completa) gerühmt
wird, dem grossen Jüngsten Gericht in der Pfarrkirche von S. Ber-
nardo. In einer Scene dieser Art musste er ja ganz in seinem
Element sei. Aber wir finden uns enttäuscht, wenn auch nicht
zu seinem Nachtheile.
Die Hauptgruppe ist hier der himmliche Senat, ein grosser
Halbkreis nach Art der Disputa, mit dem Richter in der Mitte.
Aber dieser erhebt die Rechte segnend, nach den Erlösten hin,
die Linke legt sich um das Kreuz, nichts ist da von jenem Zorne
des Bonarroti, der (wie Pacheco sagt) alles vernichten und ver-
zehren zu wollen scheint. Es ist der sanfte Menschensohn der
Theologie Raphaels, auch mit der seitlichen Neigung des Hauptes.
In dem himmlischen Hof erkennt man sofort jene Pfingstversamm-
lung des Roelas wider, nur sind die Schatten dunkler, die Blicke
gespannter, die Typen mannichfaltiger, zuweilen trivial, aber nie
gemein, stets kraftvoll, treuherzig. Charakterköpfe sind darunter,
einige sogar im damaligen Haar- und Bartschnitt. Und dann ein
persönlicher Zug geht durch alle: der tiefe, das ganze Bewusst-
sein erfüllende Ernst des Augenblicks, alle hängen mit Augen
und Geist an dem Weltrichter, die Stille dieser furchtbaren Mi-
nute gleichsam sichtbar machend.
Dagegen ist der untere Theil in abgekürzter Form abge-
funden; links eine Gruppe von armen Sündern und Teufeln;
rechts die Auferstandenen, dichtgedrängt harrend, wie Soldaten
beim Appell. Davor steht der grosse, ritterliche, etwas prosaische
S. Michael, das schneidige Schwert erhoben; er ist die in die
Augen springendste Figur dieses Theils, das übrige zurückschie-
bend . . . . Wo ist nun etwas vom Improvisator? Cean Ber-
mudez lobt „die Kunst der Composition, die Contraste der Fi-
[59]Francisco Herrera.
guren, das Gleichgewicht der Gruppen, das Erhabene und Phi-
losophische des Ausdruckes“.
Colorit und Helldunkel sind die des Roelas, nur mit etwas
stärkern Accenten. Das von links einfallende Licht theilt das
gewaltige Bild und modellirt die Gestalten schärfer; die Farbe
ist pastoser, unverschmolzener, braune Striche helfen nach.
Noch mehrere bemerkenswerthe Gemälde sind in dieser
Weise gemalt, z. B. der bisher unbeachtet gebliebene h. Ignaz
vor dem Altar, in der Universidad, unten vor den Schranken die
Gemeinde, in der fast fanatischen Andacht des devoten Spaniers;
die Engelkinder, welche den Celebranten umflattern, Rauchfässer
schwingend, sind bei allem Eifer echte Kinder. Diese seine mu-
sicirenden und blumenstreuenden Engel sind die Geschwister
derjenigen des Roelas; frische rothbackige Riesenkinder, mit
runder grosser Stirn, runden hellen Augen, derber Stumpfnase,
Rosenmund und langen Semmellocken, die über der Stirn auf-
steigen und am Hals sich hinabringeln.
Diese Werke geben eine Vorstellung von der Malerei des
Herrera, durch welche er seinen Ruf begründete und sich, wie
Jusepe Martinez versichert, die „allgemeine Achtung der Sach-
verständigen erwarb“. Aus ihnen hat Palomino, der älteste Bio-
graph, seine Charakteristik geschöpft (Museo III, 314). Ihm er-
schien Herrera’s Art (casta) ganz italienisch und von grosser
Zeichnung und Kraft des Helldunkels, durch diese und die ge-
diegene Paste werden seine Figuren plastisch (de bulto).
Die Wahrheit scheint also, dass das, was Herrera von der
Kunst der Malerei besass, von Roelas stammte, der nach Sevilla
kam und auf seiner Höhe stand, als jener dreissig Jahre alt war
(1607)1). Freilich nennt ihn Niemand als seinen Lehrer, aber wie
weit die Uebereinstimmung beider geht, beweist die Thatsache,
dass das Pfingstfest des Roelas von so erfahrenen Kennern wie
Cean für Herrera gehalten worden ist. Das Eigene des Herrera
ist nur sein Temperament.
Als ihm aber der Erfolg Selbstgefühl verliehen, als er sein
Publicum kennen gelernt hatte, meldete sich die jeder Gebunden-
heit widerstrebende Natur, und allmählich empfand er alle For-
men als lästige Hemmung. Vielleicht war ihm die Freskotechnik
bequemer, in der er längst untergegangene Arbeiten geliefert
[60]Erstes Buch.
hat. An die rasche Anfüllung grosser Wandflächen gewöhnt,
machte ihn das umständlichere Verfahren der Leinwand ungedul-
dig. Er stellte Versuche an mit einem einfachern System. Zuerst
scheint er auf ein Chiaroscuro in der Art des Caravaggio gekom-
men zu sein, vielleicht ohne dessen Gemälde gesehen zu haben;
jedenfalls war er der erste, der dort die unvermittelten Schatten-
massen der italienischen Naturalisten angewandt hat. Beweis
ist ein grosses Bild der Galerie Lopez Cepero1), auch ein Pfing-
sten, das er, als habe er geglaubt, dass man ihn darin nicht
wiederkennen würde, ausnahmsweise unterzeichnet und datirt hat.
Der Apostelverein ist hier in den Hintergrund verlegt; aber
ganz vorn sieht man eine aufgeregte Gruppe von sieben gewal-
tigen Männern, in starken Contraposten verschlungen; wie es
scheint, die Festfremden, welche den Eindruck der Zungenredner
in mächtigen Geberden beurkunden. Dabei ein überaus einfach-
grosser Wurf der Gewänder, breite Flächen tiefer, doch noch
farbiger Schatten mit kurzen rauchigen Grenzen, ohne Mitteltöne,
auf ganz hellem Grund. Dies Stück mag den jungen Leuten mehr
zu schaffen gemacht haben, als alles was er sonst gemalt hat.
Auch der herkömmliche Kreis der Gegenstände wurde ihm
zu eng.
Man wusste aus Palomino, dass Herrera zuerst Sittenbilder
(bodegoncillos, Buden- oder Küchenstücke) gemalt habe, ein Ge-
schmack der wol mit einem Hang zum Tavernen- und Zigeuner-
leben zusammenhing. Solche profane Sachen sind in Spanien
meist nicht mehr zu finden, sie sind unter der Legion der Ignoti
verschwunden. Doch ist die Art des Herrera so auffallend, dass
es möglich war, ein merkwürdiges Stück dieser Art wiederzu-
erkennen; es ist der blinde Musikant in der Gräflich Czernin’schen
Galerie zu Wien (Nr. 64). Es sind Halbfiguren: der Greis spielt
eine Bauernleier (lira rustica, Vielle) wie man sie heute noch
bei Savoyarden findet; sein jugendlicher Führer hält den Schlapp-
hut den Vorübergehenden hin, deren Bewegungen der schwarz-
haarige Dickkopf mit halb kläglichem, halb lauerndem Blick seiner
braunen Glotzaugen verfolgt. Es ist ganz mit seinem teigigen
Pinsel, und in den Gesichtern und Händen mit vielen unverschmol-
zenen und schmutzigen Tinten, aber fester Hand gemalt, und kann
sich, so verschieden die Technik, neben jedem Niederländer sehen
[61]Francisco Herrera.
lassen. Dieses Werk, sowie das Louvrebild und vielleicht der
merkwürdige Kopf in München (Pinakothek 1295) sind das ein-
zige was von Herrera auf dem Continent bekannt ist.
Realistische Neigungen fanden immer bequemen Spielraum
in den Mönchsgeschichten, mit welchen die Kreuzgänge angefüllt
wurden. Herrera malte in S. Buenaventura, ausser den noch
erhaltenen Mönchsfiguren der Decke, vier Scenen aus dem Le-
ben des Titularheiligen, denen Zubaran vier andere hinzufügte.
Drei sind jetzt in dem Landhaus The Grove bei Watford zu
sehen, wohin sie der Earl von Clarendon aus Spanien mitbrachte.
Die Mönchsköpfe und Mönchsgeberden in dem Convent der däm-
merigen Kirche, das Bild der Hidalgos-Familie vom Lande u. a.
sind hier mit unerhörter Naivetät aus dem Leben aufgegriffen;
mit den ihm eigenen, lockeren, rundlichen Contouren, in einem
schimmernden gelb- und grünlich-grauen Helldunkel.
Ein Genrebild ist im Grunde auch der reuige Petrus in der
Sacristei der Kathedrale von Sevilla. Es ist ein alter Bauer, der
vielleicht das Unglück gehabt hat im Zorn Jemand todtzuschlagen,
und nun von der Angst der Hölle überfallen ist. Unter einer
kahlen, vordringenden Stirn, zwischen starken Backenknochen
sitzen kleine schwarze Augen, aber in einem so harten Gesicht
vermögen Empfindungen nicht zu spielen: die Zerknirschung
spricht bloss aus der Bewegung des Kopfes und den in den
Schoss gesunkenen, gefalteten, knorrigen Händen.
Die beiden ungeheuren Lienzos im Museum zu Sevilla,
der heil. Hermenegild und der heil. Basilius geben eine Vor-
stellung von der Verwilderung der er später anheimfiel und
lassen jene Legende, die Cean von „alten Malern“ hörte (die
achtzig Jahre nach Herreras Tod geboren sein müssen), doch
glaublich erscheinen. Durch sie hat er vornehmlich den Weg
zum Herzen der Modernen gefunden. Es sind wüste borrones;
wie ein Tobsüchtiger seine Kleider, hat er die Regeln der Kunst
von sich geschleudert. Die Ausdehnung in die Tiefe streichend,
schichtet er seine Riesenpuppen auf, in einer Fläche, übereinander,
alle nach vorn gewandt, auf Wolken sitzend wie auf einem Ge-
rüst, mit ihren runden Eulenaugen ins Leere starrend. Welche
künstlerische Qualität ist in diesen Sudeleien noch übrig geblie-
ben? Nicht einmal coloristische Unmittelbarkeit vermag man zu
loben, denn es sind weder Farben- noch Helldunkelwirkungen
in ihnen zu entdecken. Auch keine Physiognomien: es giebt keinen
leererern, platteren Christus.
[62]Erstes Buch.
Nur jener nachlässig-gewaltige Wurf der Gestalt, in einer
„tumultuarischen“ Orgie des Pinsels, erinnert daran, dass man
doch die Trümmer eines grossen Talents vor sich hat.
Zuweilen übt die Innervation dieses stark angelegten, wenn
auch maasslosen Geistes eine dämonische Wirkung. Diese hat wol
dem „heil. Basilius, seine Lehre diktirend“ den Ehrenplatz in der
Salle carrée des Louvre verschafft. Zwei Flügelbilder dazu sind in
der Galerie von San Telmo. Der funkelnde Blick des Kirchen-
vaters ins Unendliche, die erhobene Hand mit der Feder, be-
zeichnet die Inspiration, den Augenblick, wo ein göttlicher Gedanke
auf die Schwelle des Bewusstseins tritt. Um ihn, oder vielmehr
neben und unter ihm sitzen aufhorchende Nachschreiber, keine
geringeren als S. Bernhard, Petrus Martyr, und der Grossinquisitor
Diego, Bischof von Osma. Unheimliche Gestalten in ihren zuge-
spitzten Kapuzen, winkenden weissen Mitren, vor uns aufsteigend
wie die Könige in der Höhle zu Forres. Es ist als sei der Moder
und die Spinneweben der Unterwelt an ihnen hängen geblieben.
Es ist der Fiebertraum eines Gefangenen des heil. Uffiz, der, vor
einer Schaar Richter und Schreiber, im siedenden Gehirn auf
und abtanzend, seine abgefolterten Geständnisse als verdam-
mende Anklage aufs Papier fliessen sieht.
Im Greisenalter, als Siebziger (1647) hat er noch seine vier
umfangreichsten Gemälde, einst im Salon des erzbischöflichen
Palastes, auf die Leinwand geworfen: das Mannah, das Wasser
aus dem Felsen, die Hochzeit zu Cana und das Wunder der
Brote und Fische. Man sieht, nur das Colossale, Volksmengen,
vermochte seine alternde, aber noch immer gewaltige Hand in
Bewegung zu setzen. Das vierte dieser Bilder war einmal im
Treppenhaus der Academie von Madrid aufgetaucht. Unter
einer mächtigen schattenden Eiche sitzt der Heiland, die grossen
glänzenden Augen gen Himmel gerichtet, mit sakramentaler
Feierlichkeit segnend, neben ihm aufgereiht die Jünger. In der
flachen Thalmulde des Mittelgrundes hatte er mit Glück die Fünf-
tausend anzudeuten gewusst. Zuletzt trieb es ihn noch nach
Madrid, wo er 1656 starb. —
Herrera ist nicht der „Erfinder eines neuen Stils“, denn sein
wahrer, echter Stil ist nur die Sprache des Roelas, gesprochen
von einem Künstler grundverschiedenen Naturells. Auch hat er
nicht der Sevillaner Schule zur Freiheit verholfen, die man in
den Arbeiten des Roelas nicht vermisst. Wir finden sogar in
seinen Werken keine Gestalt von solcher Furie wie den S. Jago,
[63]Francisco Pacheco.
keine Köpfe von mehr Realistik wie die Köpfe im heil. Andreas,
und wenig von den sehr feinen und mannichfaltigen Lichtwirkungen,
die Roelas zu Gebote stehen. Kein Maler von Sevilla ist auf-
zuweisen, der seinen Stil angenommen hätte. Auch kann man ihn
kaum einen Naturalisten nennen, wenn er auch Sittenbilder gemalt
hat, denn er war in der Regel zu heftig um sich an das Modell
zu binden; er malte meist sich selbst, und malte aus dem Kopfe.
Wir vermögen überhaupt dieser freien Manier (libertad y fran-
queza) keinen so hohen Werth beizumessen. Man spricht von ihr
als sei sie der heilige Geist der Kunst, und doch ist sie nur eine
Manier wie jede andere, und leicht von Nachahmern abzusehen.
Spanisch ist sie höchstens, weil sie der Bequemlichkeit zusagt.
Francisco Pacheco.
(1571 † 1654.)
Während Roelas und Herrera neue Wege suchten, ver-
theidigte ein ganz anders gearteter Mann in Lehre, Schrift und
wie er wol meinte, auch im Bild, die absterbende Zeit, freilich
nicht ohne die Ahnung, tauben Ohren zu predigen, und bald
mit Zugeständnissen an die Neuerer — Francisco Pacheco, einst
Mitschüler Herrera’s bei Luis Fernandez.
Unter den Namen im spanischen Künstlerlexicon sind wol
wenige, die der Genius der Malerei so kärglich bedacht hatte,
so vielseitig sein Talent war, denn er war auch Dichter, Bio-
graph, Archäolog und Kunsttheoretiker. Er macht bisweilen
mehr den Eindruck eines denkenden Liebhabers, eines kalten
Schwärmers mit dem Kopf, den sein Naturell ganz auf die Be-
theiligung an der Kunst mit der Feder zu führen schien. Aber
diese gelehrten Mühen lösten bei ihm einen schaffenden Drang
aus, der ebenso unwiderstehlich war, wie die Werkzeuge spröde.
Ein zäher Wille unternahm den endlosen Kampf mit den Hinder-
nissen der Natur, und die aufgewandte, methodische Arbeit er-
zeugte, ausser den errungenen Fertigkeiten, ein starres Selbstge-
fühl, das durch öftere, öffentliche Controversen genährt wurde
und ihm den Muth gab, im Wettlauf mit Stärkern, ohne die Gefahr
dieser Nähe zu ahnen, die halsbrechendsten Aufgaben zu über-
nehmen, — Aufgaben, vor denen zu zagen schon ein Fünkchen
jenes Geistes nöthig gewesen wäre, der Pacheco fehlte. Sein
phantasieloser, langsamer und kleinlicher Kopf hätte ihn zu
kleinen Bildnissen, zum Stillleben und Sittenbild allenfalls befähigt;
[64]Erstes Buch.
aber er besass nichts von der Selbsterkenntniss derer, die sich
bescheiden, im Beschränkten, Anspruchlosen, Eigenartiges, Ge-
nügendes zu schaffen.
Vielleicht wäre er doch nicht emporgetaucht, ohne die ge-
sellschaftliche Stellung, welche er dem Ansehen seiner Familie
und seines Ohms, des Licenciaten gleichen Namens verdankte,
des Domherrn und Humanisten, der die bildlichen Darstellungen
für Arphe’s Custodia angab, die Giralda, den h. Christoph, und
den Catalog der Prälaten Sevilla’s mit lateinischen Inschriftversen
versah, und dessen Distichen noch jetzt unter den Reliefs des Ante-
cabildo zu lesen sind. Von ihm erbte er die hohen geistlichen
Verbindungen; dazu kam die Gunst des Mäcenas von Sevilla, des
Herzogs von Alcalá: Urtheile der Freundschaft, ja begeisterte
Gedichte, die ihm von wirklichen Dichtern und vornehmen Gönnern
zuflossen, erstickten jeden Zweifel an sich selbst.
Pacheco, aufgewachsen unter den Denkmalen und Erinne-
rungen von Stadt und Provinz (auch sein Name ist altiberisch), nie
im Ausland gereist, widmete sich mit warmem Sonderpatriotismus
der Localforschung, künstlerischen und decorativen Arbeiten,
wie der dem Klassicismus eigentlich zuwiderlaufenden Polychro-
mirung der Holzschnitzereien. Er geriet darüber in Streit mit
seinem Freunde Montañes, in dem er sonst einen Geistesverwandten
verehrte; er verfocht gegen ihn die Bemalung durch Fachmänner
statt durch die Bildschnitzer selbst. Er suchte (seit 1600) die
bisher übliche polirte Bemalung in glänzenden Oelfarben mit
Gold (platos vidriados nennt er diese encarnaciones de polimento)
zu verdrängen durch matte Farben (encarnaciones mates) mit
Schattirungen, wozu er landschaftliche Hintergründe fügte. Hierin
aber hatte er den Volksgeschmack gegen sich, und einige der
von ihm polychromirten Werke scheinen später neubemalt wor-
den zu sein. Zuerst in S. Clemente (Nuñez Delgado’s Johannes
der Täufer), dann an Hauptwerken des Montañes, dem heil.
Domingo für Portacoeli, dem Crucifix der Karthause (in der
kleinen Sacristei der Cathedrale), dem heil. Hieronymus in Santi-
ponce u. a., hatte er Muster seiner Technik gegeben; das merk-
würdigste Werk dieser Art aber waren die beiden noblen, leben-
athmenden Köpfe zu den Statuen des heil. Ignaz (nach der
Todtenmaske von 1556) und des Franz Javer, in der Casa professa,
jetzt Universitätskirche (1610). Dann berichtet er uns, wie er als
junger Mann (1594) die fünf, 30 und 50 Ellen langen Standarten
von carmoisinrothem Damast für die Indienfahrer bemalt habe,
[65]Francisco Pacheco.
mit dem Wappen der Monarchie und Santiago als Matamoros.
Ferner, wie er sich an den bronzefarbenen Figuren des Tumulus
Philipp II in der Kathedrale betheiligt (1598).
Die Historienmalerei begann er mit den Geschichten des
heil. Ramon Nonnatus vom Orden der beschuhten Mercenarier
für deren Kreuzgang, in Gemeinschaft mit seinem Freunde Ilde-
fonso Vazquez. Dieser war einer der letzten von der Fahne
der Vargas und Mohedano, ein flotterer Zeichner und gewand-
terer Componist als Pacheco. Der Gegenstand, Bilder aus dem
heroisch-heiligen Abenteurerleben dieser Retter der Christen-
sclaven, war kein undankbarer.
Von den sechs Stücken unseres Francisco sieht man zwei im
Museum von Sevilla, eines in dem von Barcelona: die Berufung
des Hirtenknaben Ramon durch die heilige Jungfrau, die Ein-
schiffung an der spanischen Küste, den Abzug der befreiten
Schaaren. Schülerhafte Steifheit der Figuren, eine zusammen-
geflickte Composition, blecherne Falten fallen in dieser hektischen
Malerei besonders auf; er quält sich, mit Vazquez gleichen
Schritt zu halten. Die Engel, welche die Schaafe während der
Berufung bewachen, geberden sich wie Pensionsfräulein auf
dem Lande.
Nur die Scene der Einschiffung, wo der Heilige
dem Schürgen auf die Schulter steigt, mit dem Kahn, in dessen
Steuermann Asensio den Cervantes erkennen wollte, (der 1598
und 99 in Sevilla war,) ist ganz dem Leben abgesehen, ein Strand-
bild; hier hatte seine Nüchternheit einen glücklicheren Griff ge-
than, als je der geschicktere, aber manierirte Vazquez.
Im Jahre 1616 malte er im Auftrag des Maestro Francisco
de Medina für das Hospital von Alcalá de Guadaira einen heil.
Sebastian, jetzt in der Pfarrkirche dieses Namens. Die Scene,
wo der christliche Soldat nach überstandener Marter von der
Matrone Irene unter dem Schutze der Finsterniss aufgesucht und
gepflegt wird, ist mehrmals von namhaften Malern dargestellt
worden. Die Nacht, die bange Atmosphäre der Verfolgung, der
misshandelte Jünglingskörper in tödtlicher Betäubung, die emsige
Sorge der tieferschütterten Frauen — das war eine Aufgabe für
die Schidone, Spagnoletto, Delacroix. Was macht daraus dieser
Kunstverbesserer, den die Sonne Andalusiens — nicht erwärmt hat?
Im sauberen, aufgeräumten Krankenzimmer des Hospitals von
Alcalá liegt ein Mann in frischer Wäsche im neugemachten Bett,
5
[66]Erstes Buch.
eine blaugestreifte Bouillontasse in der Hand; vor ihm eine Frau
mit dem regungslos blassen Gesicht, dem überwachten Blick der
Krankenwärterin; eine kleine Magd legt Verbandzeug auf den
Teller. Ueber dem Sessel hängt die reiche Offiziersuniform; an
der Wand die als Reliquie aufbewahrten Pfeile, die Insignie.
Durchs offene Fenster sieht man in der Ferne die vorhergegan-
gene grausame Scene. Das Bild erinnert an die wunderlich
trivialen Votivgemälde beglaubigender Wunder, wie man sie bei
Canonisationen in St. Peter aufgehängt sieht. Dennoch fesselt es
durch eine gewisse Wahrheit, wenn auch Wahrheit unterster Ord-
nung, wie eine Ortsgeschichte erzählt mit der treuherzig um-
ständlichen Plattheit des Dorfchronisten1).
Pacheco’s Jugend war noch in die Zeit gefallen, wo man
sich mit der „römisch-florentinischen Schule“ in Reih und Glied
zu stellen suchte. Er widmete aus der Ferne den grossen
Italienern eine glühende Verehrung, er erzählt, dass er Raphael
„seit seinem zehnten Jahre, in Folge eines geheimen Naturtriebs
stets nachgeahmt habe, unter dem Eindruck seiner herrlichen
Erfindungen und besonders einer getuschten Handzeichnung“,
deren glücklicher Besitzer er geworden war2). Sein besonderes
Vorbild war Pablo de Céspedes, wie er selbst, Dichter, Künstler,
Archäolog.
Diese Verehrung, diese Studien waren aber nicht bloss
akademische. Er fühlte von Zeit zu Zeit die Anwandlung, sich
seinen Heroen an die Seite zu stellen, ja ihre Werke in einzel-
nen Punkten zu korrigiren.
Don Fernando de Rivera, Herzog von Alcalá, der vielleicht
von dem Palast del Te in Mantua gelesen hatte, vertraute im Jahre
1603 Pacheco eine Deckenmalerei in diesem Geschmack, im Haupt-
geschoss des „Hauses des Pilatus“, für tausend Dukaten. Der
Freskotechnik nicht kundig, malte er in Tempera auf Leinwand;
in eine Flächendecoration, Grotesken auf schwarzem Grund, setzte
er Fabeln: fast lauter schwebende und stark verkürzte Figuren in
der Horizontalperspektive. Es waren: die Apotheose des Her-
[67]Francisco Pacheco.
kules, Ganymed, Asträa, Perseus, Phaeton und Ikarus. Also
glückliches oder verfehltes Trachten nach Oben. In einem Mittel-
rund stehen die Zwölfgötter, paarweise, in der Wurmperspektive,
wo die nackten Leiber in der Zusammenschiebung wie gedrech-
selte Balustren aussehen. Der nüchterne, ängstlich fromme Herr
wollte es dem kecksten, leichtfertigsten, mit zeichnerischen
Schwierigkeiten (wie mit dem Anstand) scherzenden Julio gleich-
thun: es scheint ihm aber selbst bei seinem Ikarusflug angst
geworden zu sein:
Doch der hochverehrte Pablo in Cordoba pries die Schöpfung
und erhielt den Dank dafür in einem Sonett.
Geläutert sieht man diese erste Manier in der grossen Ver-
kündigung, die er gerade über das Meisterwerk des Roelas im
Retablo der Jesuitenkirche zu setzen hatte. Das Bild verräth
unsägliche Studien, besonders auch in der Farbenstimmung, um
die sich die Manieristen bisher kaum bekümmert zu haben
schienen. Es ist in vollem Licht und mit hellen klaren Tinten
gemalt; Orange und Blau sind Hauptcontraste; in den Engelge-
wändern sieht man Triaden (blau, gelb, rosa). Aber wie konnte
ein vecino de Sevilla (wie er sich auf dem Titel seines Buches
nennt) eine Drahtpuppe wie diesen Gabriel in die Welt schicken!
Und solche Küstermienen!
Pacheco war schon nahezu ein Vierziger, als er sich wenig-
stens zu einer Reise an den Hof entschloss (1611). Hier in
Madrid nun und im Escorial sah er seine verehrten Italiener
zum erstenmale im Original. Er schloss Freundschaft mit dem
hispanisirten Italiener Vincenz Carducho (nuestro íntimo amigo
I, 128). Er besuchte in Toledo den Greco, der damals schon
ganz absurd geworden war; seine frühesten noch venezianischen
Meisterwerke, seine jetzigen Fieberphantasien und seine Parado-
xien versetzten ihn in nicht geringe Aufregung.
Diese Reise hatte für ihn mehr als eine Folge. Der zähe
Principienmann war doch zu sehr Künstler, um sich solchen
Eindrücken zu verschliessen. Seine Palette, sein Pinsel schienen
seitdem vertauscht, die Erfindung wird natürlicher, die steinerne
Manier belebt sich, die scharfe, glatte, helle, magere Behandlung
weicht einer breiteren, pastosen, derbkörnigen; einfallendes Licht
giebt Relief, ein markiger Pinsel zeichnet Schattenstreifen und
Glanzlichter. Schon in den vier kleinen Bildnissen der Predella
unter dem noch harten, ziegelfarbigen Tod des heil. Albert von
[68]Erstes Buch.
1612, in der Galerie Lopez Cepero, bemerkt man den wärmeren
Ton, frischere Auffassung, sprechende Augen. Von dunkeler Hal-
tung ist das vieltafelige Altarwerk der Pfarrkirche zu Brenes
bei Carmona.
Er eröffnete nun eine Malerschule, und sein Haus begann
ein Sammelpunkt von Künstlern und Kunstfreunden zu werden,
besonders geistlichen, bis an sein Ende. „Sein Atelier, sagt Ro-
drigo Caro, war eine förmliche Akademie der Gebildetsten von
Sevilla und der Fremden.“
Sein Selbstgefühl kannte keine Grenzen mehr, nun liess es
ihm keine Ruhe sich an dem bedenklichsten Vorwurfe der
Kirchenmalerei zu versuchen, dem Jüngsten Gericht. In seinem
Buch stehen vier Gutachten theologischer Sachverständigen über
dieses für die Nonnenkirche von S. Isabel für 700 Dukaten ge-
malte Bild (1614). Viele Abweichungen von der Ueberlieferung
hatte er angebracht; die heidnischen Figuren, welche das Werk
Bonarroti’s entstellten, die mittelalterlich-phantastischen Zuthaten
(der Höllenrachen) waren ausgemerzt. Die Auseinandersetzungen
dieses Ceremonienmeisters des jüngsten Tags erinnern an Over-
beck, wenn er Sonntagmorgens über die Symbolik seiner Car-
tons den Gästen des Ateliers Homilien hielt. Lernend ist er ins
Grab gestiegen. Der Erzengel Michael (1637) in San Alberto
(nach der Revolution von 1868 nach London gebracht) fiel auf
durch die grosse Kraft der Farbe bei alter Härte des Pinsels1).
Er ist noch von dem aufgehenden Gestirn Murillo’s Zeuge ge-
wesen: denn er starb 1654. Er erlebte also jenes Ereigniss: die
Offenbarung der heiligen Jungfrau in der Gestalt der wahren
Töchter seiner Nation. Ob er auch an dieser Freiheit Aergerniss
genommen hat? Die Purisima Pacheco’s in dem Gemälde mit
dem Bildniss des Dichters Miguel Cid (Sacristei de los cálices)
war wenigstens von der neuen Incarnation himmelweit verschie-
den: ein langes, langweiliges, hässliches, gedunsenes, schläfriges
Nonnengesicht.
[69]Die Kunst der Malerei.
Die „Kunst der Malerei“.
Dass ein Maler wie der eben geschilderte ein Buch schreiben
werde, hätte der mit dem Personal dieses Literaturzweigs be-
kannte voraussagen können. Wie alles was er unternahm lang-
athmig ist, so war auch dieses Buch ein Lebenswerk, das ihm
aber glücklicherweise noch im höchsten Alter zu drucken ge-
lungen ist1). Für den Abschnitt über die heiligen Bilder z. B.
hat er seit 1605 Aufzeichnungen gemacht. Verschiedene Schichten
sind zu unterscheiden; während der Kern den strengen Tendenzen
des vorigen Jahrhunderts folgt, haben sich später Ansichten und
Maximen des Naturalismus wie Schlingpflanzen jenem Stamm an-
gerankt.
Die Arte Pacheco’s war eine Arbeit nicht bloss des Malers,
des Technikers, sondern auch des Gelehrten. Vom letztern hat
sie die Gründlichkeit, den Geschmack am Quellenmässigen. Für
jeden Punkt wird auf die kompetenste Autorität zurückgegangen,
Fachmännern jeder Art das Wort ertheilt. Die Fragen kirch-
licher Archäologie sind mit den Freunden in der Kutte berathen
worden; der Abschnitt über die Bilderverehrung ist ein theolo-
gischer Traktat. Die scholastische Ideenlehre entnimmt er dem
Jesuiten Diego Meléndez (I, 224). Bei der Rangfrage der Malerei
werden die juristischen Definitionen der Ehre angezogen; für
keine Sache haben die spanischen Maler öfter zur Feder gegriffen
als für die ihnen so widerwärtige Gleichstellung mit dem Hand-
werk bei Gelegenheit der Besteuerung ihrer Honorare (alcabala).
Für ästhetische Begriffe werden die alten Rhetoren (Cicero vom
decorum und honestum) angezogen. Aber selbst in seinem eigen-
sten Fach hat er lieber die lehrreichsten Stellen, „die Auktorität“
der Italiener eingerückt, von Alberti und Leonardo, bis auf
L. Dolce, Paolo Pini u. a. Dürer und van Mander werden über-
setzt. Die Trockenheit des Lehrvortrags wird, dem Stoffe ge-
ziemend, unterbrochen durch Einschaltung von Poesien, didakti-
scher und beschreibender Art, die uns zum Theil schätzbare Stücke
andalusischer Dichter erhalten haben. Dass uns der Paragone nicht
geschenkt wird, versteht sich von selbst.
[70]Erstes Buch.
Das Buch ist darum noch nicht eine blosse Compilation von
rein literarischem Niveau, nein, es trägt das Colorit einer Künstler-
arbeit, in Interessen, Urtheilen, Ausdrücken, und steht in Gehalt
und Lebendigkeit doch über jenen phrasenhaften Machwerken
der Italiener, die nur der Buchmachereitelkeit ihre Entstehung
verdanken. Am werthvollsten sind die zahlreichen Notizen über
spanische Künstler, welche einen Einblick geben in die Parteiun-
gen, Streitfragen und Losungsworte von damals. Von manchen
Controversen würde man, da die Ultraradikalen und Knownothings
jener Tage, Dank dem Sieb der Zeit, der Vergessenheit ver-
fallen sind, keine Ahnung haben. Hier wo er selbst Partei war,
gewinnt seine Sprache Wärme und Farbe. Kurz während man
oft kaum die Geduld übrig hat seine Bilder anzusehen, liest
man das Buch mit wachsendem Interesse, besonders da es auch
in reinem, klarem Spanisch geschrieben ist. Wir lernen da einen
Mann kennen, beschränkt und allseitig, peinlich streng und
liberal, Kosmopolit und advocatus patriae, Humanist und im
Vertrauen des heil. Uffiz. Die verächtlich von dem Buch gesprochen
haben, bewiesen damit, falls sie es gelesen haben, dass sie nicht
einmal im stande waren, es zu gebrauchen; seine Benutzung in
gegenwärtiger Schrift wird den Beweis liefern, wie verfehlt es
war, es „ein ebenso gelehrtes wie unnützes Werk“ zu nennen1).
Der Abschnitt, auf welchen er selbst am meisten Werth
legte2), eine Art Kanon der heiligen Bilder, ist freilich voll von
Wunderlichkeiten. Seine Absicht war (wie sein Temperament)
kritisch: das Factum von den Entstellungen der Zeit zu säu-
bern, das echte Bild des Alterthums zu gewinnen. Sein höchster
Ehrgeiz war, dass man ihn des Ehrennamens für werth halte,
den Petrarca im Triumph des Ruhms dem Homer ertheilt:
primo pittor delle memorie antiche.
Er übt auch an einigen der beliebtesten Legenden, wie des
heil. Georg, Christoph, eine vielen gewiss unbequeme Kritik.
Die Wahrheit gehe über die Kunst, ja über das Bedürfniss der
Frommen. „Die kirchlichen Bilder sind ein Volksbuch, aber es
soll ein wahres Buch sein . . . . Leider lieben gerade die her-
vorragenden Künstler die Freiheit ihrer Ideen gar zu sehr, un-
geduldig das Joch der Vernunft abschüttelnd; in ihren Werken
[71]Die Kunst der Malerei.
sieht man mehr Geschicklichkeit (valentia) als kirchlichen Takt.
Jene von Roelas, später von Rubens und Murillo so liebenswürdig
behandelte Gruppe der h. Anna als Elementarlehrerin ihres
Kindes, ist heterodox, „weil Maria von ihrer Empfängniss an
Vernunft, Willensfreiheit, Contemplation, eingegossene natürliche
und übernatürliche Wissenschaft besessen hat“. „Zu tilgen aus
dem Gedächtniss“ ist das Bild der heiligen Sippe. Das Mittel-
alter mit seinen Anachronismen kommt übel weg. Das liebliche
Motiv des Kinderpaares Jesus und Johannes ist eine Ausgeburt
der Einfalt und Unwissenheit (II, 276). Er preist Dürer, der die
heiligsten Füsse der Maria nie gezeigt habe. „Dank sei der
heiligen Inquisition, welche diese Freiheit zu korrigiren ge-
bietet.“
Hier nimmt er uns also manches Schöne, aber er schenkt uns
Ersatz. Er kennt das Menu des von den Engeln Christo in der Wüste
servirten Mahls (eines seiner Gemälde); er stellt die Werkzeuge
bei der Geisselung, mittels authenticirter Reliquien fest; beschreibt
den Apostel Paulus, als hätte er ihn selber gesehen1). Er scheint
überall dabeigewesen zu sein. Nur aus Rücksicht auf den lehr-
haften Zweck der Bilder als Volksbücher gestattet er Abwei-
chungen von der Geschichte, z. B. vom Liegen beim Abendmahl,
erlaubt der Erkennbarkeit wegen den Bischöfen der Urzeit Mitren
und Tiaren.
Ein Blick auf die kirchliche Malerei der nächsten Zeit reicht
hin, diese vermeintliche Reform als die todtgeborene Grille eines
Pedanten zu kennzeichnen. Dieser ehrliche Mann hatte keine
Ahnung, dass gerade die Freiheit die innigste, wahrste, noch
heute in unverwelkter Frische lebendige Metamorphose des
spanischen Cultusbildes bringen werde. Er hielt die Sache der
religiösen Malerei bei den Jungspaniern für verloren. „Wieviele
sind auch nur im Stande diese meine Zeugnisse (documentos) zu
verstehen. O Jammer ohne Hoffnung der Besserung!“ —
Wie hätte das heil. Uffiz einem Vertrauenswürdigeren als er
das Amt des Malervogts (alcalde veedor del oficio de pintores)
übertragen können! Es geschah im Jahre 1616 im Kapitelsaal,
sein College war Juan de Uceda. Sie hatten die Gemälde
[72]Erstes Buch.
heiliger Dinge zu besichtigen, von den bei öffentlich ausge-
stellten (in der Feria, auf den Stufen der Lonja) vorkommenden
Vergehen oder Versehen (descuidos) dem heiligen Amt Anzeige
zu machen.
Kein Mensch war gleichwol weniger zum Inquisitor geboren.
Er hielt Dürer, mit dessen Leben, Person und Werken er sich aufs
eingehendste beschäftigt hatte, für einen Mann seines Glaubens,
ja er stellte ihn den ascetisch angehauchten Vargas und Juanes
an die Seite. An etwa dreissig Stellen des Werkes erwähnt er
Meister Albrecht, er nennt ihn mehrmals den Grossen, ja er
führt die Sterne in folgender Reihenfolge auf: Bonarroti, Raphael,
Durero. Es hat wol überhaupt keinen wärmeren und ehrfurchts-
volleren Verehrer des Nürnbergers gegeben, als Francisco Pacheco,
obwol er ihm natürlich die buena manera abspricht. Dieser
Cultus gründete sich ebenso auf die in seinen Blättern sichtbare
Erfindungs- und Darstellungskraft als auf den Eindruck der
Grösse und Reinheit des Menschen, die er ebenfalls noch mehr
als aus Büchern, aus dem Studium der Werke gewonnen hatte.
Wol ein Beweis dass für den aufrichtig frommen Menschen in
jeder Religion das Criterium der Religiosität (hier der Katholicität)
stets innerlicher Art sein wird. Der Kern aller Religion,
das Gefühl des Ewigen, ist unter allen Gebräuchen und Kunst-
sprachen der Kirchen und Sekten derselbe; das können die
Heisssporne des Streits nicht fassen, weil sie selten über die
Vorhöfe des Tempels hinauskommen. Deshalb konnte der treue
Anhänger Martin Luthers dem Freund der Jesuiten und Klienten
der Inquisition als católico y santo gelten, und die äussern Zeug-
nisse fielen gegenüber dieser erlebten Thatsache der Geistes-
einheit nicht ins Gewicht. —
Weit erfreulicher waren Pacheco’s Bemühungen im Fach
des Bildnisses. Durch Talent, Sinn für Individualität und Liebe
zur Heimath war er auf diesen Zweig gekommen, er hat ihn auf
verschiedenartige Anlässe gepflegt. Seine wenigen erhaltenen
Oelbildchen zeigen die Bekanntschaft mit den Hofporträtisten;
dem ihm geistesverwandten Sanchez Coello hat er zugesehen,
wie er seine Bildnisse in Abwesenheit der Personen ausmalte
(II, 139). Ferner erzählt er von 150 Miniaturbildnissen, von denen
er das seiner Frau Maria de Parama auf einem Rundtäfelchen
für das beste hielt. Der schätzbarste Theil seines ganzen Lebens-
werkes aber besteht in den Büsten bedeutender Sevillaner, von
denen er eine Auswahl, hundert, zu veröffentlichen gedachte.
[73]Die Kunst der Malerei.
Wir hörten schon von jener Bibliothek des Argote de Mo-
lina; Rodrigo Caro hatte über die berühmten Männer von Sevilla
geschrieben, Pacheco wollte beides, Bild und Biographie verei-
nigen. Er erzählt, wie er die Stunden, welche andere der Erho-
lung widmen, zur Anfertigung dieser Bildnisse benutzt habe,
„als eine Unterhaltung frei von Pflicht“. 170 hatte er gesammelt,
darunter auch einige Frauen. Bereits im Jahre 1599 war die
Sammlung zum vorläufigen Abschluss gebracht; diese Jahreszahl
trägt das Titelblatt: Libro de descripcion de verdaderos retratos de
ilustres y memorables varones. Bis ins Alter hat er sie vervoll-
ständigt.
Die Blätter sind mit schwarzer und rother Kreide (dos lapices)
gezeichnet, in reichen Rahmen, die mit Feder und Tusche im
damaligen Renaissancegeschmack entworfen sind. Die Embleme
darin wechseln nach dem Beruf der Personen. Das Vorbild
waren Holzschnittwerke wie die dort verbreitete Basler Ausgabe
der Elogia des Jovius (1577). Die Manier aber hat viel Aehn-
lichkeit mit den Zeichnungen des Ottavio Leoni, die er indess
erst später kennen lernte; diese sind ungleich lebendiger. El
Padovano, wie er ihn nennt, hatte unter Gregor XV und Ur-
ban VIII die hervorragendsten Persönlichkeiten von Hof und
Stadt gezeichnet, mit Kreide auf blaues Papier mit weissen
Lichtern und auch rothen Fleischtönen (II, 135). Bekannt sind seine
Künstlerbildnisse aus Bellori’s Werk (1731). Pacheco war für
sein Unternehmen günstig gestellt durch seine gesellschaftlichen
Beziehungen und sein starkes „Organ der Verehrung“. Freilich
wird das geistliche Element sehr bevorzugt (⅗ des Ganzen).
Ausserdem finden sich sieben Poeten, drei Maler, zwei Musiker,
ein Wundarzt, ein Geschützgiesser und zwei Haudegen aus dem
Kriege von Granada.
Die Authentie ist ungleich: nach seinem eigenen Geständ-
niss (II, 143) hat er mehrere nach blossen Schilderungen gezeich-
net, „um sie eines so ehrenvollen Platzes nicht zu berauben“,
Andere scheinen aus der Erinnerung, die Mehrzahl jedoch nach
Aufnahmen gemacht zu sein. Endlich sind alle genau in eine
Grösse und Form gebracht. Die Veröffentlichung mag an den
Kosten des Stichs und der Unauffindbarkeit mässiger Kupfer-
stecher gescheitert sein.
Die Lebensabrisse (epitome) bestehen aus gutgewählten, immer
dankeswerthen, ganz zuverlässigen Daten, Aussprüchen, Anek-
doten. Von den Dichtern dieser Zeit würde man ohne ihn nicht
[74]Erstes Buch.
mehr kennen als ihre Verse, und auch diese hat ja er zum Theil
gerettet. Vergleicht man sie mit denen seiner Nachfolger, von
dem gelehrten Nicolas Antonio, dem Verfasser der Bibliotheca
Hispana (1672) an bis auf Fermin Arana de Varflora (Hijos de
Sevilla 1791) so muss man gestehn, dass Pacheco hier den Künst-
ler nicht verläugnet hat: er gab uns wirkliche Porträts, farben-
reich, individuell, statt magerer Lexiconartikel.
Das Werk soll nach seinem Tode unter mehrere Liebhaber
vertheilt worden sein; es war eine Zeitlang verschollen, in einem
Kloster versteckt; bis der Advocat Francisco M. Asensio in Se-
villa im Jahre 1864 einen Band mit 56 Artikeln ausfindig machte
und erwarb, für 800 Duros. Die romanhafte Geschichte dieser
Bibliophilenthat steht in seinem Büchlein über Pacheco. Nach
sechszehnjähriger Ueberlegung hat er Zeichnungen und Text in
einem phototypischen Prachtwerk veröffentlicht.
Venezianische Malerei.
Der Magnetpol des spanischen Geschmacks schien bereits
im Mittelalter mehr nach Nordosten zu liegen. Man denke an
das Verhältniss zur gothischen Baukunst, im Vergleich mit den
Italienern. Welche Reihe von Kathedralen erster Ordnung!
welche Gründungen, Salamanca, Segovia bis tief ins sechszehnte
Jahrhundert neben der schon eingedrungenen Renaissance. Wenn
man ihre wechselnden Neigungen in der Malerei abwägt, so dürfte
sich die Waagschale mehr zu Gunsten der Niederländer als
ihrer romanischen Vettern neigen, nicht nur im fünfzehnten, auch
im siebzehnten Jahrhundert. Aus demselben Grunde waren ihnen
die Schulen Norditaliens wahlverwandter als die römisch-floren-
tinische. Wir sehen ja, was sie zu und nach der Zeit, als
Bonarroti und Raphael ihren Siegeszug hielten, zu Stande ge-
bracht haben, kaum aber kommen sie mit Venedig und
Parma in Berührung, so haben sie Glück. Norditalien (Gallia
cisalpina) hat seine Racenverschiedenheit von Toscana und Rom,
seine Verwandtschaft mit Südfrankreich und Catalonien, wie in der
Sprache so auch in der Malerei nie verläugnet. Dort galt mehr
die Natur als das Ideal, mehr die Farbe als die Zeichnung,
mehr Grazie und Bewegung als Schönheit, mehr der malerisch-
perspektivische Schein als das architektonische Gesetz. Die
Valencianer Ribalta und sein Schüler Ribera waren in Parma
[75]Venezianische Malerei.
gewesen; die Sevillaner begegneten sich mit den Lehren des Lom-
barden Michelangelo Amerighi; die ersten welche mitten in der
Herrschaft des Romanismus zum Herzen ihrer Landsleute sprachen,
gingen von Venedig aus.
Die Beziehungen des Malers von Cadore zu Kaiser Karl
und seinem Sohn (seit 1530) hatten eine Anzahl von Meisterwerken
nach der Residenz gebracht; Philipp suchte auch Paul Veronese
für San Lorenzo zu gewinnen. Die kirchlichen Stücke Tizians
im Escorial konnten auf die in jene Oede gebannte Malergesell-
schaft nicht ohne Wirkung bleiben. Fast gleichzeitig mit Tizians
Ableben, im Jahre 1575 ist in Spanien, an zwei unabhängigen
Punkten, zuerst venezianisch gemalt worden.
Der berufenste Maler unter den Einheimischen der Escorial-
colonie war der Navarrer Juan Fernandez Navarrete aus Logroño
(geb. um 1526), wegen seiner früh entwickelten Taubheit „der
Stumme“ genannt. Wie jene andalusischen Romanisten hatte er
die beste Zeit seines Lebens in Italien und Rom verbracht; das
Bildchen, welches er Philipp II als Probe seiner Geschicklichkeit
überreichte, die feine, hell und kühl gemalte Taufe Christi (Prado
905) ist ganz „raphaelsche Schule“, oder, wenn man lieber will,
Julio Romano. Der König liess ihn nun (seit 1569) eine Reihe
grosser Bilder für S. Lorenzo malen: plastisch gedachte Einzel-
figuren, meist in strenger Zeichnung und Modellirung, mit wol-
durchdachten Attitüden und Verkürzungen, mager impastirt,
hart und kalt wie die Natur seiner Berge. Aber die dort ein-
treffenden Werke des alten Tizian, das Abendmahl, der heil.
Laurentius, erregten die schlummernde koloristische Ader. Wäh-
rend er im Santiago, im heil. Hieronymus (1570) dem Michelangelo
nachstrebt, in der heiligen Familie (im oberen Claustro) den
Zuccaro (nach C. Cort) benutzt, überrascht er in der Geisselung
durch ein Passionsstück in der Art der Mailänder Dornenkrönung,
und die Bestattung des heil. Laurentius ist ein Nachklang des
berühmten Nachtstückes in der Jesuitenkirche zu Venedig und im
Escorial. Obwol bereits nahe an den Fünfzigen, hatte er sein
mühsam errungenes System aufgegeben; er führte nun den
Pinsel, als hätte er das Atelier im Biri grande besucht. Diese
Wandlung ist am auffälligsten in den sechs Apostelpaaren, mit
bergigen Landschaften, welche er für die Seitenaltäre der
Escorialkirche malte (1575—78). Philipp II sah sich im Besitz
eines Vasallen, der mehr Maler war als die mit schwerem Gold
[76]Erstes Buch.
herangezogenen Fremden. Aber „ach, das Leben ist am Ziele,
und die Kunst noch kaum begonnen“; er starb 1579, und keiner
zeigte sich im Stande, seinen Bogen zu spannen.
El Greco.
Ein Beweis der Anziehungskraft venezianischer Art für
spanische Augen ist der Beifall, welchen die Gemälde des Greco
dort fanden. Zu derselben Zeit wo im Escorial zum erstenmal
ein Navarrer tizianisch malte, erschien in Toledo ein Grieche
aus Kreta, der sich, wie jener Schiffersohn aus Milo, Antonio
Vassilacchi, genannt l’Aliense (ἁλιεύς Fischer?), die Malerei der
Lagunenstadt an ihrer Quelle zu eigen gemacht hatte. Stets
unterzeichnete er in griechischer Schrift, aber mit lateinischer
Uebertragung seines Taufnamens Kyriakos:
Δομήνικος Θεοτοκόπουλος Κρὴς ἐποίει.
Der Ueberlieferung gilt er als Schüler Tizians und wol
mit Recht.
Dieser Mann ist ebenso merkwürdig durch sein ausser-
ordentliches malerisches Genie und durch den Anstoss, den er
der spanischen Malerei gab, wie durch die beispiellose, und in
der That pathologische Entartung der Manier, der er in der
Folge verfiel. Die bisherigen Biographen kennen ihn nur von
seinem Auftreten in Spanien an (1575), aber es giebt noch genug
beglaubigte Bilder aus seiner italienischen Zeit, die sich den
besten Sachen der venezianischen Schule anreihen. Obwol von
sehr besonderer Physiognomie, haben sie lange, da Niemand
von seiner Existenz wusste, als Tizian, Paul Veronese, Bassano,
ja Barocci cursirt. Es sind theils Bildnisse, theils figurenreiche,
lebhaft bewegte Scenen aus den Evangelien, im kecken Strich
und in den Geberden Tintoretto ähnlich, aber reicher in der
Charakteristik und pastos-farbiger. Durchblicke über marmor-
gepflasterte Plätze, längs einer Palastflucht, in die Berge, geben
ihnen einen stark venezianischen Accent. Von Michelangelo ist
er berührt worden, wie manche Aktfiguren beweisen, und was
das seltsamste ist, alte byzantinische Erinnerungen verfolgen ihn
in Erfindung und Gruppirung.
In der Galerie zu Parma ist die Heilung des Blindgeborenen,
von der eine veränderte, aber unbezeichnete Wiederholung in
der Dresdener Galerie, dort Leandro da Bassano genannt (N. 280).
[77]El Greco.
Mehrmals hat er die Tempelreinigung dargestellt: ein grosses
Exemplar, einst in der Sammlung Buckinghams, ist jetzt im
Besitz der Gräfin Yarborough als Paul Veronese1). Seine um-
fangreichste Schöpfung aber ist die Entkleidung des Heilandes
auf dem Kalvarienberg, früher in der Galerie Manfrin, Barocci
genannt. Christus steht in der Mitte, ein Bild erhabener Erge-
bung, die grossen glänzenden Augen emporgewandt; zur Linken,
tiefer, drei edle Frauengestalten, zur Rechten ein Mann mit dem
Bohrer über das Kreuz gebückt. Dahinter thürmen sich die
Köpfe und Büsten der nachdrängenden Schaar auf, in eisenklir-
render Bewegung; ihr Führer, der gepanzerte Hauptmann, steht
zur Rechten Christi, der Mensch, welcher den rothen Mantel
packt, zur Linken2). Es dürfte sich schwerlich ein Werk der
venezianischen Schule finden, welches diesen Espolio an Reich-
thum von Gesichtsstudien überträfe.
Dass er damals ein Bildnissmaler erster Ordnung war, be-
weist die Halbfigur des Miniaturmalers Julio Clovio († 1578)
in den Studj zu Neapel, welche in Parma als Selbstportrait galt.
Ebenso die Studie eines Lichteffekts: Der Knabe welcher
eine Kohle anbläst3). Jenes Bildniss giebt eine Vermuthung
an die Hand über die bisher völlig dunklen Schicksale Domenicos
in Italien. Vielleicht hatte er sich bei dem hochbejahrten Clovio,
der sich einen Macedonier nennt, als stammverwandt eingeführt.
Eines seiner vorzüglichsten Jugendwerke, eine Wiederholung
jener Tempelreinigung in kleinem Maassstab, mit besonderer Pracht
der Architektur und kunstreichen Details, verräth den Miniatur-
maler4). In dem vorhin erwähnten grossen Exemplar sieht man
in der Ecke rechts vier Halbfiguren, nämlich den alten Tizian,
Michelangelo, einen Greis, wahrscheinlich Clovio, und einen jun-
gen Mann, der mit dem Zeigefinger auf sein Gesicht weist: er
selbst? Will er jene als die Männer bezeichnen, denen er sich zu
Dank verpflichtet fühlt? Sein Jugendleben war jedenfalls ein
[78]Erstes Buch.
reiches gewesen; Pacheco, der ihn im Alter kennen lernte, nennt
ihn einen „grossen Philosophen“, voll geistreicher Aussprüche,
und Verfasser einer Schrift über Malerei, Bildhauerei und Bau-
kunst.
Im Jahre 1575 also erscheint er in Toledo, das er nicht
wieder verliess († 1614). In diesen vierzig Jahren entfaltete er
eine kaum übersehbare Thätigkeit und füllte Castiliens Kirchen
mit Altarwerken, die Säle der Prälaten und Ritter mit Bild-
nissen. Aber nur in den allerersten hat er die venezianische
Mitgift bewahrt. Das frühste Werk, wegen dessen er wohl
nach der Tagostadt gekommen war, ist der Retablo der Kirche
S. Domingo de Silos, wo auch die architektonische Einrahmung
und die Statuen von ihm herrühren; das Mittel- und Hauptbild ist
die Asunta1). Die Bestandtheile des Altarbildes der Frari keh-
ren wieder, aber bereits ins Spanische übersetzt. Die Empor-
schwebende breitet in ekstatischer Erschütterung, waagerecht beide
Arme aus. Die Apostel sind Männer aus den Bergen von Toledo;
die stürmische Aufregung jenes Gestaltengewoges Tizians ist
verschwunden; als Castilier äussern sie den Eindruck auch des
Ausserordentlichen mit Würde, in langsam feierlicher, runder
Arm- und Fingersprache. Das Bild ist mit unglaublicher Kraft
des Helldunkels, mit reich wechselnden, tief glühenden Farben
auf die Leinwand geschleudert.
Diese Leistung eröffnete dem Griechen den Weg zur Kathe-
drale. Aufgefordert für den neuerbauten geräumigen Saal der
Sakristei das Hauptbild zu liefern, beschloss er seinen Christus
auf dem Calvarienberg im Grossen auszuführen. Diess sein Haupt-
und Meisterwerk, an einem Ehrenplatz in der reichsten Kirche
Spaniens aufgestellt, gab dort zum erstenmale eine Vorstellung
von der Kunst Tizians, seiner plastischen Kraft, seinem Leben in
Licht und Farbe, seinem Naturalismus. Theotokopuli kam sich
in seiner Eigenschaft als Colorist wie ein König vor. (S. S. 100.)
Auf der Höhe dieses Werkes hat er sich nicht halten
können. Berauscht vom Beifall, unbeirrt durch Kunstgenossen
oder Beurtheiler, vor denen er sich zu fürchten gehabt hätte, in
seinem Künstlerstolz gekränkt (!) durch das Lob, „er male wie
Tizian“, verfiel er in jene wüste Manier, wo nur noch, wie in
[79]El Greco.
den Reden eines „zerstörten, edlen Geistes“, zuweilen Blitze des
Genius in wundersamen Physiognomien, verwegenen Pinselzügen
hervorstrahlen. Seine nervopathische Natur bedurfte eines stärkeren
Luftdruckes als andere, diesen hatte er in Rom und Venedig ge-
habt, im Verkehr mit jenen Gewaltigen, denen ihm noch kurz vor
ihrem Hintritt nahe zu treten vergönnt gewesen war; da fand er
für alles in sich wahlverwandte Züge. Im verfallenden Felsennest
Toledo1), künstlerisch vereinsamt, sank er; er malte wie ein Träu-
mender und nahm die verzerrten Gebilde eines kranken Gehirns
für Offenbarungen.
Mit fiebernden Fingern dreht er Modellfigürchen mit Kaut-
schukgliedern, von zwölf Kopflängen, die er vor sich authängt
und in unwahrscheinlichen Farbenzusammenstellungen, z. B. hell-
blau und gelb, oft bloss weiss und schwarz-violett auf die Lein-
wand säbelt.
Nur im Bildniss blieb noch ein Schimmer von dem was er
einst gewesen. Das des Pompeo Leoni zu Keir in Schottland, das
des greisen Cardinals Quiroga (?) in der Sakristei der Kathedrale
zu Valladolid2) geben noch einen guten Begriff von ihm, wäh-
rend leider gerade die Stücke des Pradomuseums sehr manierirt
sind. Indess so leichenhaft in der Farbe, so schattenhaft unwirk-
lich diese Skizzen scheinen: sobald man ihm seine Sonderbar-
keiten nachsieht, wird man doch finden, dass er Typus, Mienen,
Gebahren, Ton dieser Cavaliere, Räthe, Damen, Prälaten, Asketen,
ganz impressionistisch freilich, aber charakteristisch wie noch keiner
bis dahin aufzufangen gewusst hat. Gewiss ist, die Zahl beweist
es, dass diese Herren sich mit Genugthuung darin wieder erkannt
haben; für Philister wären sie freilich nicht gewesen. In S. Tomé
sieht man ein grosses Bild, das in Spanien sonderbarer Weise
für sein Meisterwerk gilt, obwol es in seiner schlimmsten Art
gemalt ist. Eine Versammlung von Ordensrittern, in der schwar-
zen Tracht des Hofes Philipp II, wohnen der Bestattung des
Grafen Orgaz bei, dessen Leiche von zwei Gespenstern, in wel-
chen man die heil. Augustin und Stephanus erkannte, in die Gruft
gesenkt wird. „Um dieses Bild, heisst es, versammelten sich oft
[80]Erstes Buch.
die Toledaner, stets neues entdeckend in den Bildnissen so vieler
bekannter Ritter.“ In der That, wenn man diese steifen, cere-
moniösen Gesten ansieht, diese unbeweglich gravitätischen Blicke,
mit denen die Cavaliere den Eindruck einer Geistererscheinung
aufnehmen, und sich vorstellt, wie Italiener oder Niederländer
ein solches Thema auf Noten gesetzt haben würden, so wird
man gestehn, dass der Fremde einen guten Blick für nationale
Wunderlichkeiten besessen hat.
Ein Theil seiner Beliebtheit gründete sich wol auf die Kin-
der- und Frauenköpfe. Hier hatte er freilich am Tajo (espejo
de rostros bellos, Tirso) beneidenswerthe Modelle. In den zu-
rückgeworfenen runden Köpfen seiner Kinder und Mädchen,
auf langen Hälsen, in diesen tiefen leuchtenden schwarzen Augen,
dem schmollenden Mund, dem vollen runden Kinn, dem warmen
Elfenbeinton, ist kindliche Lebensfülle und Naivetät eigen mit
keimender Leidenschaftlichkeit gepaart. Unerreicht ist der melan-
cholische Zauber seiner bleichen Frauenköpfe, mit ihren unergründ-
lichen träumerischen Augen, bald in Spitzenmantille, bald im
Nonnenschleier; man versteht hier den Dichterruf der Toleda-
rinnen1).
Wie Schwärmer und Sektirer den schöpferischen Erneuerern
der Zeiten vorangehn, so ist dieser hispanisirte Grieche ein Vor-
läufer der Meister des folgenden Jahrhunderts gewesen.
Die Schule von Toledo.
El Greco, obwol allezeit ein vielbegehrter Lehrer, hat doch
keine Nachahmer gefunden. Die, welche man als seine Schüler
kennt, haben ihm wol nur die Elemente der Kunst, oder An-
regungen ganz freier Art zu danken. Bloss nach dem Aussehen
ihrer Arbeiten würde man sie (mit Ausnahme eines einzigen,
des schwachen Pizarro) kaum mit ihm in Zusammenhang bringen.
Ein Verhältniss, das in der spanischen Malerei nicht selten ist.
Pedro Orrente aus Montealegre in Murcia (geb. um 1570 † 1644
[81]Die Schule von Toledo.
zu Toledo) hat auch in dieser Provinz und in Valencia gearbeitet.
Er ist der einzige, der neben andern Manieren zu Zeiten auch
eine venezianische Physiognomie hat, und diese scheint er aller-
dings in Toledo angenommen zu haben. In demselben Saal,
für den der Meister den Cuadro de las vestiduras malte, sieht
man das Wunder der heil. Leocadia, ferner die Hirten, die
Könige. In ihnen ist eine schattenhafte Aehnlichkeit mit dem
Veroneser. Dann aber entdeckte er in den Bassano’schen Stücken
eine Gattung, deren Volksreime seinem schlichten Wesen wahl-
verwandter waren als die pomphaften Stanzen Paolo’s. Der Ge-
schmack an Landschaften, Hirten- und Beleuchtungsstücken
war in Spanien lange fast allein durch diese Bassano’s befrie-
digt worden, deren Zahl noch heute dort Legion ist. So wurde
denn die Nachfrage nach unserem spanischen Bassano sehr
lebhaft; seine Bildchen waren in jenem Jahrhundert ein unent-
behrliches Ausstattungsstück der Camarines bis hinauf in die
königlichen Lustschlösser. Sie sind oft mit seinem Vorbild, ja
mit Tizian verwechselt worden, obwol seine Farbe dünner und
zarter ist und durch einen gelben Ton neutralisirt wird. Viele
sind sogar gehaltvoller als seine einförmigen Vorbilder: selten
wird man in ihnen Erfindung, gute landschaftliche Motive, sinnige
Beobachtung des Landlebens (novedad y capricho) vermissen,
und dem Vieh wird er mehr gerecht als irgend einer, ausser
den Holländern natürlich.
In den beiden andern Schülern, Toledanern, ist die venezia-
nische Descendenz ganz verwischt. Die Werke Juan B. Maino’s,
eines Predigermönchs in S. Pedro Martire, später am Hof Phi-
lipp IV, sind sehr selten; er liebte nach Martinez die Bequem-
lichkeit, auch müssen sie ihm viel Zeit gekostet haben. Sein
Kapitalwerk waren die vier grossen pascuas in jener Kirche,
die man noch im aufgelösten Nationalmuseum beisammen sah1).
Venezianisch war hier höchstens der naturalistische Zug und
der bunte Reichthum der Trachten; an den Greco erinnerten
bloss die kleinen Engelchöre. Dagegen glaubte man in der
ungewöhnlichen Vollendung, bis zu glänzender Rundung, in der
6
[82]Erstes Buch.
pastosen Farbenschönheit und Heiterkeit, das Bestreben zu er-
kennen, den Extravaganzen des Meisters so weit als möglich
auszuweichen. In ihnen fühlt man sich von der dünnen klaren
Luft Toledo’s umweht, die scharf abgegrenzte Formen schafft.
Er liebt die gesunden, kraftvollen Gestalten und Köpfe der Ge-
birge, die er in malerische Stellungen und Ansichten versetzt
und mit dem Phlegma des Stilllebenmalers in ritterlichen und
Volks-Trachten auf die Leinwand bringt. Seine Maria ist eine
frische, stumpfnasige Blondine, mit der Milch- und Rosenfarbe
eines Landmädchens. Die reichen afrikanischen, flandrischen
und castilischen Costümstücke geben diesen Bildern den Lokalton
des in seiner Bauphysiognomie noch heute halbmaurischen To-
ledo. Sehr merkwürdig ist das wie es scheint ganz unabhängige
Zusammentreffen im Gesammteindruck mit Caravaggio, aber in
dessen erster guter, heller Manier; kaum je ist dem Lombar-
den einer so nahe gekommen, wie dieser spanische Dominikaner,
bis auf die Liebe zu gelben Stoffen und die superben, gepanzerten
Soldatenfiguren in der Wache am Grabe. Martinez nennt ihn
natürlich dessen Schüler.
Einige Spuren lehren ihn dann auch als ausgezeichneten
Bildnissmaler kennen. In der Galerie D. Sebastians sah man
einen röthlich blonden Mann in Halskrause, den man ohne die
Unterschrift als Arbeit eines Holländers angesprochen hätte.
Das Bildniss eines Juristen, Diego Narbona, gestochen nach seiner
Zeichnung von Maria Eugenia de Beer, sieht wie ein Velazquez
aus1).
Mehr als von Maino wird von Luis Tristan (geb. um 1586
† 1640) gesprochen, den Theotokopuli selbst für seinen besten
Schüler gehalten haben soll; obwol er, wie die Seltenheit seiner
Werke beweist, „vom Glück nicht nach Verdienst belohnt wurde“
(Martinez, 185). Von dem Lehrer ist indess weiter keine Spur
in ihm zu entdecken, als die etwas schlanken Proportionen, mit
breiter Brust und kleinem Kopf, und die starke Muskulatur
einiger Nuditäten. Die von seinem Kunstcharakter in den
Büchern cursirende Vorstellung ist vollkommen erträumt; statt
seine etwas abgelegenen, beglaubigten Werke aufzusuchen (nur
Stirling hat ihn einer Reise nach Yepes für werth gehalten), hat
man seine Charakteristik auf Schlüsse gebaut, gezogen aus dem
[83]Die Schule von Toledo.
Lob des Greco und des Velazquez so wie aus apokryphen Bildern
in Madrid, die man ihm wieder auf Grund jener Schlüsse bei-
legte1). Sein Hauptwerk in Yepes, der Altar der Nonnenkirche
von S. Clara in Toledo, die Enthauptung des Täufers im Carmen
Descalzo, selbst der etwas rohe heil. Franz im Louvre geben
von ihm eine deutliche, von jenem Phantom abweichende Vor-
stellung, zu der das Urtheil der alten Schriftsteller übrigens
ganz stimmt.
Während aber der Mudo und el Greco nach unseren Begriffen
Coloristen waren, so ist Tristan ein Chiaroscurist. Ein grelles
Oberlicht erhellt in scharfen Umrissen die Hauptgestalten, deren
schwärzliche Schatten in den dunklen Grund versinken. Nur ver-
steht er nicht die Kunst der Massen, er zerreisst die Flächen
durch gehäuftes, kriechendes Gefältel. Ueberhaupt liebt er starke
Accente in Form und Farbe, wie in Beleuchtung. Seine heiligen
Historien haben einen nationalen Zug von Ernst und selbst Adel;
seine Erfindung, seine Geberden sind nicht ohne Leichtigkeit;
aber die Köpfe bleiben etwas allgemein und wenig bedeutend;
den Frauen jedoch fehlt eine gewisse Feinheit und Anmuth kei-
neswegs. Man merkt ihm die Uebergangszeit an: er hat nicht
mehr die gelehrte Zeichnung der Manieristen und erst halb den
Geschmack der Natur und des Modells. — Uebereinstimmend hier-
mit nannten ihn Zeitgenossen einen „zweiten Caravaggio“,
und Martinez behauptet sogar, dass er bei Ribera studirt habe;
aber Tristan malte sein Hauptwerk in Yepes im Jahre 1616, als
jener noch im Sold seines Schwiegervaters Dutzendarbeiten lie-
ferte. Dass Tristan ganz unabhängig auf seinen Chiaroscurostil
kam und darin den Sevillanern voraneilte, beweist, dass er, wenn
auch kein bedeutender, doch auch kein ganz „obscurer“ Künstler
gewesen ist, wie man ihn genannt hat.
Einen günstigen Begriff von ihm als Bildnissmaler giebt die
Halbfigur des Cardinals Sandoval im Wintersaal des Kapitels
von Toledo, wohl das beste Stück jener stattlichen Prälaten-
galerie. Die gute Beobachtung des Künstlers zeigt sich in der
dem Erzbischof vielleicht eigenthümlichen Haltung des Kopfs und
dem Blick ruhiger Penetration in den grossen dunklen Augen des
[84]Erstes Buch.
während des Malens in Gedanken verlorenen Mannes. Merkwürdig
ist, dass selbst hier im Bildniss keine Spur von venezianischem
Verfahren ist. Genaue, saubere Zeichnung bei Einheit des Gusses,
ein gleichmässiger emailartiger Fleischton, in den die modelliren-
den Schatten, die minutiös gemalten Härchen mit zartem Schwarz
eingetragen sind, wie bei nordischen Bildnissmalern der alten Zeit.
[85]Dialog über die Malerei.
Anhang.
Dialog über die Malerei.
(Aus dem Spanischen.)
- Eutifron, ein alter Maler.
- Calimaco, ein Baumeister.
- Trasimaco, ein junger Maler.
- Filostrato, Hausmeister.
- Tisbe.
Ort: Casa de Pilatos in Sevilla, zuerst in der Bibliothek, dann in einem Kabinet.
Zeit: 1631 am Vorabend Allerheiligen1).
I.
Prolog: die Rivera.
Filostrato. Willkommen im Tempel der Musen! In dieser däm-
merigen stillen Halle wird es Euch vielleicht nicht unerwünscht sein, ein
Stündchen auszuruhen und bei einem Becher Manzanilla des Gesprächs
über das Gesehene zu pflegen.
Eutifron. Wahrlich, dieser hohe, braune, tiefernste Ledersessel,
mit der reichen Rückenlehne granadinischer Arbeit scheint mir zu win-
[86]Anhang.
ken wie der gastliche Genius des Orts. Wir haben ja nur einen kleinen
Kreis im Raum durchmessen; aber meine Müdigkeit behauptet, dass wir
mehr als eine Tagereise hinter uns haben.
Calimaco. Waren wir nicht im weltbeherrschenden kaiserlichen
Rom, und im fernen Osten an der Stätte der Passion, und in den mit
dem Reich der Mauren längst versunkenen Schlössern der Almohaden!
Der grosse Patio mit seinen luftigen, wenn auch ungleichen Bogen, den
vierundzwanzig Säulen, dem Janusbrunnen in der Mitte, und den vier
hehren Marmorgöttinnen in den Ecken, gleich Feen, welche die Geheim-
nisse dieses Wunderalcazar aufschliessen sollen; die schattigen runden
Nischen der oberen Galerie mit den vierundzwanzig Büsten römischer
Kaiser; der Garten mit der Grotte der Susanna, den Brunnen und den
drei Hallen, mit den Mauern voll Inschrifttafeln und Reliefs des ehr-
würdigen Alterthums; die Heroen und Götter auf Säulenschäften von
Porphyr, Verde und Marmor; die Halle des Prätoriums von Jerusalem,
mit den schimmernden Azulejos, den Wappenschildern darin und der
vergoldeten Alfarje- [getäfelten] Decke; der Hahn des Petrus; die Kapelle,
noch erbaut in der alten Weise der Crestería; das Treppenhaus mit der
Kuppel und ihrer Artesonadowölbung [Stalaktiten]; endlich die alten und
neuen Juwelen christkatholischer Malerei; — wahrhaftig, hier verstehe
ich zum erstenmale nicht, warum wir uns über die Kürze des Lebens
beklagen. Denn haben wir nicht Jahrhunderte durchlebt? Der diess
Werk ersann, muss etwas von der heimlichen Kunst des Don Yglano von
Toledo besessen haben.
Trasimaco. Mein Auge späht vergebens nach einem Bildniss des
Erbauers zwischen so vielen.
E. Die Marmorgestalten des D. Pedro Henriquez und seiner Frau
Doña Catalina de Rivera findest du in der Karthause1); sein Sohn hat
sie in Genua selbst bestellt; und dort sind noch andere Grabmäler seiner
Ahnen, die alle die Eigenschaften besassen, mit denen Reiche geschaffen
und gemehrt werden, und edle Häuser für jahrhundertelange Dauer
gegründet. Auch das Bildniss des Vollenders dieses Hauses, D. Fadrique
findest du dort, von welscher Meisterhand gravirt in der Bronzeplatte
seines Pantheon. In diesen Zügen erräth auch der stumpfsinnigste den
[87]Dialog über die Malerei.
Herrschergeist in der hohen Stirn, und in Auge und Mund die strenge
Religiosität des Jerusalempilgers, der hier nach selbstgenommenen Maassen
die grosse Station anlegte, die von seinem Hause bei S. Estevan durch
das Carmonathor nach dem Humilladero der Cruz del Campo führt1).
Aber auch auf dieser heiligen Reise hatte er die Musen nicht zurück-
gelassen. In dem merkwürdigen Gefolge, das er sich gewählt, war der
Wiedererwecker der Kunst des Plautus und Terenz bei uns, der Kapell-
meister Juan de Encina2).
F. Hier nun befinden wir uns im Adyton des Baues, den der erste
Marques von Tarifa [D. Fadrique] vor nunmehr 98 Jahren vollendete,
und nur sechs Jahre genoss! Denn hier seht Ihr die Urne, welche einst
in der Trajanssäule verschlossen war, und die Asche des grossen bäti-
schen Kaisers, des Sohnes von Altsevilla bewahrte3). Die Asche zwar
wurde verschüttet, als verwegene Neugier sie aufbrach (wie mir mein
Grossvater erzählte), sie vermischte sich mit der Erde des Gartens;
zum Glück war es doch seine vaterländische, spanische Erde, zu der
nun die Reste ihres grossen Sohnes zurückgekehrt sind.
E. Urna muy honrada! Aber wie war es möglich, dass die Stadt
Rom sich diese kostbaren Erinnerungen und Reliquien entführen liess?
C. Der heilige Pabst Pius V liebte die heidnischen Erinnerungen
und Bildwerke nicht und wollte das heilige Rom und seinen Palast von
ihnen säubern. Er entfernte die Statuen aus dem Theater des Belvedere
im Vatican [1560] und schenkte sie dem Kapitol. Sein Vorgänger
Paul III hatte bei dem Einzug des unbesiegten Kaisers Carl den Schutt
[88]Anhang.
um die Basis der Trajanssäule wegräumen und zweihundert Häuser
des Forum Ulpianum nebst zwei Kirchlein entfernen lassen; die hierbei
gefundenen Bildwerke gab Pius V dem Neffen und Nachfolger des
Erbauers dieses Hauses, dem ersten Herzog von Alcalá, D. Pedro
Afan, der damals Vicekönig von Neapel war. Von ihm, einem warmen
Liebhaber der Bildhauerei, sind alle diese Marmorwerke des grossen
Alterthums hierhergebracht worden. Noch weit mehr würde hier ver-
sammelt sein, wenn nicht das Schiff, welches seine Schätze von Neapel
hierherführte, von Corsaren gekapert worden wäre; diese warfen die
Steine ins Meer. Darunter war die Sammlung der Vasen und Münzen
des grossen Antiquars Adrian Spadafora, und die Statue der Parthenope,
die Jahrhunderte lang gegenüber der Kirche S. Stefano in Neapel stand.
Dieser D. Perafan war nach dem Urtheil der Italiener der beste Vice-
könig den Neapel gehabt hat, er hat sein Leben unter den dreizehn-
jährigen Anstrengungen und Aufregungen seines Amts verzehrt. Er
war staatsklug, ohne Wandel, fromm, und eifrig für die Rechte des
Königs, auch gegenüber denen, wo am meisten Muth und Weisheit
dazu gehört, sie zu verfechten. Von den Bauten, Strassen, Brücken
und Brunnen, die er geschaffen, reden zahlreiche Marmorverse im
ganzen Reiche, und zugleich von der jetzt unter uns verlorenen Eleganz,
mit der er die Sprache Ciceros und Lucans schrieb. D. Perafan war
der Grossoheim des jetzigen Herzogs, der 1584 geboren ist und schon
als Kind seinem Grossvater, als dritter Herzog, folgte. Aber ihn kennt
Niemand besser als unser Freund.
E. In der That hat mein hochverehrter Gönner und ich darf
wol sagen Freund alle Tugenden seiner Vorväter geerbt. Er ist ein
vollkommener Lateiner, Doctor en letras, und führt auf seinen Reisen
nicht nur eine ansehnliche Bibliothek, sondern auch Gelehrte und Künstler
mit sich. Don Fernando ist sogar selbst Maler. Als er Urban VIII
im Jahre 1625 in ausserordentlicher Gesandtschaft die Glückwünsche
unsers Königs zu seiner Thronbesteigung nebst kostbaren Geschenken
spanischer und indischer Kunst überbrachte, empfing ihn S. H. in der
Sala Regia von S. Pedro. Er führte seinen Maler Diego Cincinnati bei
dem Pabste ein, den Sohn jenes Romulo, den wir alle aus dem Escorial
kennen. S. Heiligkeit liess sich von ihm aufnehmen, in ganzer Figur,
im Sessel, und machte ihn zum Ritter des Christusordens.
F. Unsere Bibliothek hier ist voll von Zeugnissen seiner Liebe zu
den Wissenschaften und Künsten. Da steht die 1607 in Rom gedruckte
Uebersetzung von Tasso’s Aminta, die unser Juan de Jauregui ihm wid-
mete. Sie liest sich wie ein zweites Original. Hier unseres alten
Comödiendichters Juan de la Cueva Examen poético, das einzige Lehr-
[89]Dialog über die Malerei.
buch der Dichtkunst, das wir besitzen, mit derselben Widmung vom
Jahre 1606. Jene Reihe dort von dreissig Folianten enthält die Schrift-
stücke und Privilegien, die er selbst, in Familienangelegenheiten am
Hofe verweilend, in den Archiven der Benedictiner- und Cistercienser-
klöster Castiliens gesammelt hat. Ein grosser Theil der Bibliothek aber
stammt von dem gelehrten Hebraisten und Gräcisten, dem Doctor Lucian
Negron, dem die Prüfung der Bücher für das h. Uffiz oblag, und der
die Bücherei des Meister Ambrosio Morales, des Historiographen der
Krone Kastiliens und Philipp II, überkommen hatte. — Hier liegt ein
ganz neues Büchlein, gedruckt zu Neapel in diesem Jahr: La Favola
di Mirra, in Ottave rime; es stammt von seinem Sohne Don Fernando,
der fast noch ein Knabe ist. Aber noch mehr interessirt uns Künstler
diess italienische Tagebuch unsers Luis de Vargas, des Lichts der
Malerei, toscanisch geschrieben. Darin hat er alles gezeichnet was er dort
sah, Städte, Tempel, Trachten und Hosterien, und wenn er müde war, die
Karavanen und Maulesel.
Tr. Was ist das für ein seltsames Bild an der Wand dort, über
dem Bufete mit den Münzen, Medaillen und Ringen?
E. Es stellt eine griechische Hochzeit vor, und ist die genaue
Copie des schönsten und grössten Gemäldes, das aus dem griechischen
Alterthum auf uns gekommen ist. Selbiges wurde unter Pabst Paul V
im Jahre 1606 beim Ausgraben eines verschütteten Hauses in der Nähe
des Palastes von Monte Cavallo an einer Wand entdeckt, und die
Freskofarben waren damals wie neu, obwol sie 1600 Jahre alt waren.
Der Neffe Clemens VIII, Cardinal Pedro Aldobrandini, hat es in einem
Speisesaal seines dortigen Gartens aufgestellt und durch hölzerne Thüren
geschützt. Diess weiss ich aus einem Briefe des Herzogs vom Jahre
1625 an mich, in dem er das Bild genau beschreibt; die Copie hat er
damals in Rom anfertigen lassen. Die kleinen Tafeln zur Seite stammen
ebenfalls aus Rom und sind Mosaikgemälde; der Papagei zwischen
Kirschen und Blumen ist antik, der h. Franciscus modern. Damals
liess der Pabst die metallene Decke des Pantheon abbrechen, um sich
von der Bronze sein Grabmal giessen zu lassen, nebst Kanonen für die
Engelsburg; eine Reliquie ist dieser mächtige Nagel, anderthalb Ellen
lang, den der Herzog damals kaufte1). Er bereiste ganz Italien und
besonders Venedig.
[90]Anhang.
Tr. Ich bin gespannt darauf, was der Herzog aus Neapel mit-
bringen wird. Er wird gewiss nicht mit leeren Händen zurück kommen.
F. Als er am 26. Juli 1629 dort einzog, wurde er als der Frie-
densengel des Reichs begrüsst, und als er abreiste, begleiteten ihn
die Segnungen des Volks . . . . Er ist schon seit dem Sommer in
Spanien.
E. Ist er denn so bald abberufen worden?
F. Nicht förmlich abberufen. Ueber der Sache schwebt noch ein
Geheimniss. Als die Königin von Ungarn im vorigen Jahre in Neapel
erschien, kam es zwischen unserm Vicekönig und dem Mayordomo mayor
Ihrer Majestät, seinem Vorgänger, zu Meinungsverschiedenheiten. Der
Herzog von Alba verklagte ihn in der Folge in Madrid. Er ward auf-
gefordert, sich persönlich zu rechtfertigen; sollte inzwischen aber sein
volles Gehalt von 20000 Ducaten fortbeziehen, und der Graf Monterey
inzwischen das Reich verwalten. Aufgebracht und seiner guten Sache
sicher, machte er sich so eilig auf den Weg, dass man für gut fand,
ihm zwei Couriere nach Valencia und Barcelona entgegenzuschicken,
mit der Weisung, sich vorläufig in zwölf Meilen Umkreis von der
Hauptstadt fernzuhalten. So wohnt er jetzt in Guadalajara. Die Ver-
wandten hoffen seine Wiedereinsetzung, für die auch der Kaiser und der
König von Ungarn ihren Einfluss verwandt haben sollen. In der That
schrieb er Ende September hierher von Madrid, wohin er gerufen worden
war und im Kloster S. Felipe incognito wohnte. Er hatte eine zweistündige
Audienz bei dem Conde Duque gehabt; und erwartete nach einiger Zeit
zum Handkuss befohlen zu werden und dann nach Neapel zurückzu-
kehren. Aber die Don Gaspar kennen, zweifeln sehr daran. Denn die
Anklage Albas dürfte wol von dem Minister nur als Vorwand in Scene
gesetzt worden sein, der seinem Schwager, dem Grafen Monterey längst
das Vicekönigthum versprochen haben soll. Don Emanuel ist am 14. Mai
am Posilipp gelandet und wird sobald nicht fortgehn.
Tr. Dann können wir wol hoffen, dass der Herzog für immer zu
uns zurückkehren wird, denn
por Sevilla solamente
se puede, amigo, dejar.
[Tirso de Molina, el burlador de Sevilla II.]’
F. Doch die schon sinkende Sonne des Wintertags erinnert uns,
die noch übrigen hellen Stunden zur Besichtigung der Zimmer mit Ge-
mälden zu verwenden. — — Hier befinden wir uns in dem Cabinet
(camarin), wo unser Herzog gern verweilte; die Deckengemälde, die,
wie ich sehe, schon aller Blicke auf sich gezogen haben, sind Ovids
[91]Dialog über die Malerei.
Metamorphosen entlehnt und das kühne und gelehrte Meisterwerk
unsers „bätischen Apelles“ [S. 66 f.].
E. Meine jungen Freunde werden sich vielleicht wundern, mich
auf dem Wege dieser heidnischen Darstellungen anzutreffen, wie sie die
Cabinete der Grossen dieser Welt anfüllen. Diese Werke athmen oft
ebensoviel Leben und Ueppigkeit wie Zeichnung und Colorit. Sie er-
ringen nicht nur hohen Lohn, sondern noch grössern Ruhm. Ich be-
neide ihnen keineswegs solche Ehren und solchen Gewinn [a. a. O. I. 354].
en la de Dios él sabe lo que costa(Argensola).’
Aber der Herzog war vor Jahren für diese Werke der Italiener
sehr eingenommen, und legte mir Zeichnungen und Kupfer von Jorge
und Diana Ghisi nach den Gemälden Julio Romano’s im Palast del Té
zu Mantua vor, um mir einen Begriff zu geben von der Manier, in der er
diese Fabeln gemalt haben wollte, bei denen er übrigens symbolische
Gedanken im Sinne hatte. — Aber was ist das für ein neues Bild, das
dort an der Wand steht?
F. Es ist der Ritter Sankt Georg mit der Infantin und dem Drachen,
ein Versuch meiner Base hier, Srita Guadalupe de Ynsausti é Iztueta,
die vor sieben Jahren mit ihrem Oheim, Musiker des Königs, bei des
letzteren Reise nach Andalusien hieher kam, wo Alonso Vazquez auf ihr
schönes Talent aufmerksam wurde. Sie wohnt bei dem Oheim im
Alcazar, wo der Conde Duque, der dessen Alcaide ist, ihm den Posten
eines Portero mayor gegeben hat.
E. Die Señorita verdient alles Lob. Das Mädchen ist in der
guten Manier gezeichnet; das Motiv des windgeschwellten Gewandes ist
gar nicht übel. Es erinnert mich an eine schwebende Muse, die in San-
tiponce vor mehreren Jahren in einer römischen Grotte aufgedeckt wurde.
Bei dem Perseus scheint sie den schönen Stich des Cornelio (Cort) be-
nutzt zu haben, den dieser nach einem Gemälde des grössten Miniatur-
malers aller Zeiten, des Macedoniers Julius Clovius im Jahre 1578 in
Kupfer gearbeitet hat. Solche Benutzung welscher und flämischer Kupfer-
stiche ist bei unsern Malern sehr üblich, und bei den ersten Versuchen
in der Composition, wie hier, sogar ganz in Ordnung; anders muss
unser Urtheil freilich lauten, wenn wir berühmte Meister sich auf diese
Art die Erfindung erleichtern sehen.
Tr. Ihr sagtet Perseus, Meister?
Tisbe. Es ist nicht der heil. Georg, sondern eine Geschichte,
welche ich in unserm in diesem Jahre wiedereröffneten Coliseo aufführen
sah, El Perseo, Tragicomödie von Lope de Vega. Es ist der Halbgott
[92]Anhang.
Perseus, der die Tochter des Königs Cepheus, Andromeda, am Strand
von Joppe von dem Drachen befreit.
E. Ihr könnt die Geschichte lesen in Ovid’s Transformaciones,
IV. und V. Buch, von dem die Uebersetzung des Antonio Perez de
Sigler in der Bibliothek ist, gedruckt zu Salamanca im Jahre 1580.
Ti. Komisch ist es doch, wie die blinde Heidenwelt [la ciega
gentilidad a. a. O. I, 186] in ihren Fabeln die Geschichte unseres hei-
ligen Ritters so genau nachgeäfft hat, — noch ehe sie geschehen war.
E. Diese Geschichte des heiligen Georg mit dem Drachen, mein
Kind, verdient keineswegs das Ansehn der durch das Zeugniss glaub-
würdiger Schriften und die Ueberlieferung unserer Kirche geheiligten
Historien. Von der sechsten Synode ist das Lesen seiner fabelhaften
Legende sogar verboten worden. Pius V. hat die besondere Lection
von ihm im Brevier streichen lassen. Damit will ich nicht sagen, wie
die Ketzer sich erdreistet haben zu behaupten, dass S. Georg nichts
weiter sei als jener erdichtete Halbgott, den die Nachgiebigkeit gegen
den Aberglauben mit dem Heiligenschein umgeben habe. Gelebt hat
er allerdings. Die Wahrheit, wie sie Baronius hat, ist, dass er unter
Dioclezian im Jahre 297 durch Abschlagung des Kopfes die Palme des
Märtyrthums errungen hat. Er trieb mit dem Kreuzeszeichen die
Teufel aus den Götzenbildern des Apollo und bekehrte die Kaiserin
Alexandra. Das Bild aber mit dem Drachen ist keine Geschichte, darf
indess von uns als heiliges Sinnbild beibehalten werden. Der Drache ist
der höllische Feind, aus dessen Rachen er durch die Predigt des Evan-
geliums viele Seelen befreite. Das Mädchen mit dem Lamm ist die
Kirche, die Braut des unbefleckten Lammes. Dieses Bild sollte uns
daran erinnern, dass wir als Soldaten Christi kämpfen sollen für den
Glauben gegen Ungläubige und Ketzer. [A. a. O. II, 291.]
Tr. Ich freue mich, Meister, dass wir den heil. Georg doch noch
malen dürfen, ohne Schaden für unsere Seele. Aber, um auf das Bild
der Señorita zurückzukommen, Ihr scheint es doch etwas zu kühl ge-
lobt zu haben. Die Andromeda hätte D. Pelegrin 1) nicht graziöser
zeichnen können. Wie sich die durchlebten Erschütterungen, das
gegenwärtige Entsetzen, der Kampf von Furcht und Hoffnung, in dem
bleichen, zarten Antlitz abspiegeln und mischen!
E. O ja! . . Ganz brav! . . Freilich, ob die Sache auch in der
That und Wahrheit sich so ausgenommen hat? Ich habe seit meinen
frühen Jahren mit besonderer Neigung aus Büchern und dem Mund ge-
[93]Dialog üker die Malerei.
lehrter Herren, besonders denen in der Casa profesa, gar vieles in Be-
treff der Wahrheit und des wörtlich authentischen Sachverhalts (puntualidad)
der profanen Fabeln wie der heiligen Geschichten zu erforschen und zu
erfahren getrachtet. Die, welche mir bei diesem Unternehmen meines
Lebens geholfen haben zu nennen, würde mich Zeit und Gedächtniss
im Stich lassen. Auch unser Herzog hat mir, als er Vicekönig von Cata-
lonien war, im Jahre 1622, werthvolle Zeugnisse in uralten Bildwerken
geschickt für die grösste meiner Entdeckungen, die Darstellung des
Gekreuzigten mit vier Nägeln. — So erinnere ich mich grade über un-
sere Fabel ein Gespräch gehabt zu haben mit dem würdigen D. Fran-
cisco de Rioja, der Ehre dieser Stadt, dem tiefsinnigen Dichter, gelehr-
ten Chronisten S. Majestät und Beisitzer des heil. Uffiz.
Ti. Seine reizenden Silvas über Nelke, Rose und Jasmin weiss
ich auswendig.
E. Da erfuhr ich zu meinem Erstaunen, dass diese Andromeda
gar keine Griechin, sondern eine Aethioperin war. Wie ungenau ist es
also, sie weiss und schön zu malen, — wie hier geschehen ist. Indess
dass die Maler die Lügen vermehren, ist nicht so erstaunlich, und in der
Poesie kann man eher Toleranz üben als in den Geschichten unseres
Glaubens.
II.
Die Alten und die Jungen.
Ti. Wie muss man es nur anfangen, um solche Fehler zu meiden,
und sich vor dem Unglück einer Censur des heiligen Amts zu behüten?
E. Wenn ich meine eigene Praxis anführen darf — und ich kann
mich rühmen, auf diesem Wege für einige hochbedeutende Vorwürfe
ganz neue, abweichende Darstellungen zuerst gefunden zu haben, denen
die ausführliche Billigung einer Reihe eminenter Auktoritäten zu Theil
geworden ist — so würdet Ihr, wenn Euch eine Historie aufgetragen ist,
zunächst aus Büchern und von Gelehrten Aufschluss suchen über die
Art, wie sie darzustellen ist. Seid ihr darüber im Reinen, so baut das
Ganze im Geiste auf und bringt es sofort aufs Papier. Macht aber
mehrere, drei bis vier solcher Ideen (intentos), und wählt aus diesen
nach Eurem eigenen und der Gelehrten Urtheil die besten aus.
Tr. Ihr sagtet doch selbst einmal, Meister, dass diese Gelehrten,
Nichtkünstler, die sich darauf beschränken über die Kunst sprechen zu
lernen und über die Arbeit und Uebung der Hand sich erhaben dünken,
den Künstlern unausstehlich (molestos) sind. Wie oft haben nicht wir,
sondern die Knaben, welche die Farben reiben, gelacht über ihre ebenso
[94]Anhang.
zuversichtlichen wie ungereimten Urtheile und die wunderlichen Aus-
drücke dieser Kenner, die mit sehenden Augen blind zu sein schienen.
E. Da hast du freilich so Recht! Der grösste Gelehrte, den Se-
villa und vielleicht die Halbinsel je besessen hat, der Urheber der grossen
Polyglotte Philipp II, Arias Montano, unser wortgewaltigster und geschmack-
vollster Dichter Herrera, und selbst der beste Beurtheiler der Malerei
unter den Laien, den ich gekannt, mein verehrter Freund Francisco de
Medina, alle diese drei haben sich einst vor meinen Augen aufs gröb-
lichste verhauen. Jener erste Sprachenkenner seiner Zeit feierte den
Villegas 1) vor den grössten Malern in Italien und Flandern, von dem
doch weder im Leben noch im Tode gesprochen worden ist. Der Her-
zog Don Fernando machte eine Ausnahme, die Bescheidenheit des so
grossen und einsichtsvollen Fürsten hat mich oft gerührt. — Ein Bei-
spiel von der Schwierigkeit des Kennerurtheils ist dieses Bild der
Kreuzigung.
Tr. Das würde ich unbedingt für eine Arbeit des berühmten
Flamenco erklären, der den Retablo mayor von S. Ana in der Triana ge-
malt hat, und jetzt sehe ich auch den Namen auf dem Rahmen.
E. Auch ich schrieb es Maese Pedro 2) zu, als es mir der Herzog
zeigte, der es selbst bei dem reichen Kaufmann Pedro de Yebenes ge-
funden und theuer erworben hatte. Später aber fand sich anderswo
ein altes Familienbild, welches übrigens härter und weniger gut, sonst
aber absolut übereinstimmend gemalt, und das Original war. Indess
beschlossen wir den Namen Campaña doch darauf zu lassen.
Tr. Aber warum sollen denn also wir Wissenden uns mit einem
Consejo der Unwissenden umgeben? Die Eingeweihten die anhören,
welche sich in den Vorhöfen der Kunst herumtreiben?
E. Die Gelehrten sollen ja nicht über die Kunst mitreden, nur
die Wahl und Disposition der Geschichte und das Uebliche sollen sie
nach Quellen und Gründen bestimmen. Ich zeige stets die Ideen zu
meinen Historien einem Priester und befolge seinen Rath. … Nach
diesem soll man die schönsten, zweckentsprechendsten Köpfe aus der
Natur aussuchen und in Oel auf Papier und imprimirte Leinwand malen,
in den erforderlichen Geberden. Dagegen die Extremitäten, wie Arme,
Hände, Beine, und das übrige Nackte braucht man bloss nach der
[95]Dialog über die Malerei.
Natur auf blaues Papier mit Kohle, Rothstift oder Kreide zu zeichnen
und die Lichter weiss aufzuhöhen. Was die Gewandung betrifft ....
Tr. Dieser Weg, wenn ich mir erlauben darf Euch zu unter-
brechen, Meister, scheint mir denn doch ein wenig umständlich, jeden-
falls passt er nicht zu Jedermanns Temperament. Mich dünkt, das
Feuer der Eingebung, der Brio, ohne den das Werk, wie Leonardo zu
sagen pflegte, zwiefach todt ist, müsste auf dem langen Wege erkalten.
Die helle Flamme dieses göttlichen Feuers wird an den Studien und
Versuchen sich verzehren, und für die Hauptsache, die Malerei, werden
kaum ein paar glimmende Kohlen übrig bleiben. Ich würde bei meiner
Jugend Euch nicht so ins Angesicht zu widersprechen wagen, wenn ich
nicht jetzt viele unserer Maler ein ganz anderes Verfahren befolgen sähe,
und mit dem grössten Erfolg bei den Aficionados. Sie meinen, wenn
man sich hinreichende Richtigkeit des Auges und Sicherheit der Hand
in der Nachahmung der Natur erworben habe, dann möge man mit dem
ausgedachten Bilde im Kopf nur getrost und ohne weitere Präliminarien
die Leinwand mit Farben bedecken. So hat es Zorzon gemacht, wie
ich in den Malergeschichten des Mannes von Arezzo gelesen habe.
E. Wer Dir das gesagt hat, hat Dir einen recht liederlichen Rath
gegeben, mein Junge. Leider hat die Sucht nach dem leidigen Mammon,
die stärker wirkt als die Ehre der Wissenschaft, gar Viele heute auf
diesen beklagenswerthen Weg der Leichtigkeit verlockt. Er schmeichelt
der Bequemlichkeit, und oft ist die letzte Triebfeder erbärmliche Nach-
lässigkeit [miserable negligencia. a. a. O. I, 409].
Tr. Ihr ereifert euch, Meister, und richtet strenge. Ihr wisst
selbst am besten, wie wenig dies Euer Richten vielen gegenüber gerecht
ist. Was ich sagte, habe ich von einem Manne, den Ihr und die Meisten
nicht liebt, von dem aber Unbefangene aller Farben sagen, dass die sei-
nige die Malerei der Zukunft ist, und einer grossen Zukunft.
E. Lassen wir die Personen und die Beweggründe! A fructibus
eorum cognoscetis eos. Sehen die Schulen heutiges Tages nicht aus wie
die Sekten der Ketzer? Statt der Einheit der alten Zeit, die der Ein-
heit des Glaubens glich, schlägt jeglicher seinen eigenen Weg ein, wie die
Füchse des Simson, von denen unser göttlicher Dichter Prudentius sagt:
nunc haeresis flammas vitiorum spargit in agros(Diptychon 18).’
Da sind Lehrer, welche die einfältigen Schüler belehren, nein, verkehren
(instruyendo, no, destruyendo), mit geborgten Umrissen, ohne Uebung im
Zeichnen, frisch drauf los Gemälde zu komponiren. Ja ich kannte einen,
und er bildete sich ein kein kleines Ingenium zu sein, der seinen Jüngern
verbot, nach Vorbildern zu zeichnen, sie antrieb, ohne Grundsätze, ohne
[96]Anhang.
Wissen und Nachahmung, die Ungereimtheiten aufs Papier zu bringen, die
ihnen durch den Kopf fuhren. Indess, ich will nicht zornig werden …
ich weiss, dass Du die Arbeit nicht scheust. Du weisst was Apelles
meinte: Wenn du es auch nicht gesagt hättest, dein Werk sagt mir, wie
schnell du es gemalt hast. Wer Raphael nachahmen will, der muss ein
Leben lang zeichnen. ....
Tr. Ihr nennt uns immer Raphael, Michelangelo und Durero. Das
waren göttliche Männer, ohne Zweifel. Aber sollen wir denn ewig bei
den Italienern in die Schule gehen? Wir haben es nun ein Jahrhundert
lang gethan. Sagt nicht Euer Bonarroti selbst, Wer immer nachfolgt,
kommt nie voran. Sie hatten längst ihren Dante und Petrarca, nun
haben auch wir unsern Garcilaso und Herrera. Wir haben freilich einen
Raphael, wie die Valencianer ihren Juanes nennen, einen Michelangelo,
wie Berruguete heisst, einen Tizian in Sanchez Coello. Sollten wir
nun nicht auch Maler bekommen, die wie der Autor der Geschichte
des sinnreichen Junkers der Mancha, nur sich selbst ähnlich sind?
Sollten vor allem wir Andalusier, hier im reichsten, schönsten, gott-
seligsten und lustigsten Sevilla nicht unsre eignen Pfade zum Tempel
des Ruhmes und der Unsterblichkeit finden können?
E. Ein schöner Pfad zum Tempel der Unsterblichkeit! Nicht nur
das Schöne verachten sie, es scheint ihre Hauptsorge, Hässlichkeit und
Wildheit und blöde Dummheit zu erkünsteln! [a. a. O. I, 394.] Wie
eine Sage klingt es was ehedem von der Kunst gesagt wurde: ein Mittel
und Werkzeug sei sie zum höhern Flug. — Jene Titel übrigens sind nur
poetische Ausdrucksweisen. Wenn mich der Phönix [Lope] den bätischen
Apelles nannte, so war dies gewiss für mich zu viel Ehre, wie ich selbst
denn mit mehr Recht den Mudo den spanischen Apelles nannte.
Tr. Doch nicht alle malen erkünstelte Hässlichkeit. Oder nennt Ihr
diese Aldeana (Bäuerin) hässlich und wild, die uns so oft für Engel ge-
dient hat. Da steht sie, brünett (morena) mit ihrem gleichmässig bräun-
lichen, matten Teint, schwarzen Augen, schwarzen Haaren (wie es
Anakreon gern sah), etwas blöde, aber Kopf und Herz und vor allem
die Zunge am rechten Fleck; naturwüchsig in ihren Manieren, nach der
Sitte ihres Dorfs. Was sagte Michelangelo zu jenem Spanier, der in
Rom die Antiken kopirte? „Giebt es auch lebendige Menschen und
Thiere in Spanien?“ fragte er.
E. Aber nun stellt einmal diese Dame von Alonso Sanchez dane-
ben, oder hier Da. Juana Cortes, zweite Herzogin von Alcalá, die Luis
de Vargas malte, mit ihrer weissen und rosigen Haut, Goldhaar, Saphir-
augen, wie es die Dichter wollen, voll Verstand und Witz, angethan mit
verschiedenartigen Stoffen, — ist sie nicht ein reizenderer Gegenstand
[97]Dialog über die Malerei.
für’s Auge, nimmt sie nicht den Geist ganz anders gefangen? Nein,
mit dieser Königin und Herrin, die so schwer zu erobern ist, wegen ihrer
Hohheit, kann es denn doch das Modell nicht aufnehmen.
Tr. Dennoch scheint mir diese Labradora von mehr spanischem
Blut, als manche Prinzessin von Geblüt. Nehmt es nicht übel, diese
Römerinnen, nach deren Vorbild wir unsere gemeine spanische Natur
veredeln sollen — ich zweifle nicht, dass wir am Tiberufer allen Bei-
stand S. Antonius des Abts gegen ihre Blicke anzurufen nöthig haben
würden — aber hier, an die Ufer des Baetis verpflanzt, scheinen sie mir
etwas welk geworden zu sein. Ich begreife nicht, dass Euer spanisches
Blut nicht in Wallung kommt, wenn vor unsern Augen, wie kürzlich hier
in Sevilla geschehen, wo wir die estatuas estofadas eines Montañes be-
wundern, zwei spanische Bildhauer, J. Ba. Vasquez und Diego de Pes-
quera Kupferstiche der beiden Zuccaro in Stein nachahmten [a. a. O. I, 68].
E. Hombre! Ihr werdet in der That mein Blut in Wallung brin-
gen! es giebt keinen besseren Spanier diesseits der Sierra Morena als
dieses graue Haupt. Ich war es der mein Leben damit zugebracht die
Erinnerung und die Ebenbilder unsrer grossen Männer der Nachwelt zu
retten. Ich habe die Werke unsers grössten Dichters vom Untergang
bewahrt — obwol es nicht meines Amtes war. Ich habe der guten
Sculptur neues Licht und Leben gegeben. Ich bin es der die spanische Art
vertritt in diesem Zeitalter des Verfalls. Und alle die grossen Männer,
die unser Spanien gehabt hat, von Alonso Berruguete bis auf Luis
de Vargas, die Glorie unsers Vaterlandes, nachdem sie während ihrer
besten Lebensjahre in Italien gearbeitet, erkoren sich, wie ihre Werke be-
weisen, den Weg des Michelangelo, des Raphael, der da voll ist von
Zeichnung, von Schmelz (suavidad), Schönheit, Tiefe und Kraft, weit
abgewandt von der verworrenen und gesudelten Malerei, die weder die
Art der Alten nachahmt, noch die Wahrheit der Natur. Dadurch
machten sie Spanien reich, gossen Licht aus, wurden von Königen ge-
ehrt. In ihnen sollen wir wie in einem Crystallspiegel unsere Fehler
betrachten (a. a. O. I, 412).
Tr. Wenn es also ein Glaubensartikel der Kunst ist, bei den
Italienern in die Schule zu gehn, gut, so sei es! Aber warum nennt
Ihr immer nur Michelangelo, Raphael. Für unfehlbar haltet Ihr sie
doch auch nicht? Ihr stimmtet ja sonst ganz dem Aretino bei, der in
Dolce’s Gespräch die heidnischen Fabeln und Unschicklichkeiten im
Jüngsten Gericht einem strengen Gericht unterzieht.
E. Das bezieht sich auf die Geschichte, nicht auf die Kunst.
Es giebt keine körperliche Bewegung, die nicht in diesem bewunderns-
würdigen Werk ausgedrückt ist [a. a. O. I, 15].
7
[98]Anhang.
Tr. Nun denn, Auktorität gegen Auktorität, Italiener gegen Italiener.
Die Venezianer fallen wol ebenso schwer in die Waage wie die Floren-
tiner. Unser staatskluger König D. Philipp II, der sich am besten
in seinem Reich auf Gemälde verstand, hat er sich nicht Jahr aus Jahr
ein die Bilder Tizians kommen lassen? Und obwol der hochselige Herr
ebenso ökonomisch war, wie jener Alte von Cadore goldgierig, so sind
sie doch immer gut Freund geblieben. Schon der unbesiegte Kaiser
wollte nur von ihm gemalt sein. Und während jener den Pablo Veronese
für den Escorial zu bekommen trachtete, hat er bereut Euern florentinischen
Zuccaro gerufen zu haben und seine Bilder fortnehmen lassen. — Ich
sehe hier keinen Tizian, wol aber zwei schöne Bassano’s. Das ist ein
Thiermaler, so ausgezeichnet, dass es oft sicherer ist, seine Bestien
nachzuahmen, als die auf dem Felde, weil er sie auf eine so leichte
und praktische Manier gebracht hat. Stehen nicht seine Skizzen höher
im Preis als die mühsam ausgeführten Werke andrer?
E. Ein grosser Maler, der Bassano! wer bezweifelt es? Von
Hirtenstücken, Vieh auf der Weide; ein vortrefflicher Mann. Alle seine
Figuren haben eine Tracht, die Volkstracht der Zeit, und die muss für
alle Historien herhalten, wie auch dieselben Modelle für alle Figuren
dienen. Denn der Greis, der Knabe, das Kind, das Weib, sind die-
selben Gestalten, in allen Handlungen: und da gebraucht er freilich
mehr Tuch als Nacktes, mehr Schuhe als Füsse, er zeigt kaum einen.
Die Sachen sind das Entzücken der Bezahler; aber ich frage, was ist
das Alles im Vergleich mit der Tiefe und Grossheit des Nackten
eines Michelangelo! — Das gebe ich zu, dass diese Venezianer ver-
standen haben, Schule zu machen. Da haben wir unsern Pedro Orrente,
einen wackeren Historienmaler, der indess entdeckte, dass er seine
Rechnung besser finde auf den Pfaden des Bassano. Ich beeile mich
hinzuzufügen, dass er seine eigene Manier hat, nach der Natur. Mit
solchen Nachahmungen nähren sich viele Maler heutzutage. Des Bassano
Art bleibt ja so zu sagen an den Leuten kleben, ohne dass sie sich
besonders anzustrengen und viel zeichnen zu lernen brauchen [a. a. O.
I, 410]. Das geht nicht so bei allen. In Rom verbietet man den
Knaben nach Michelangelo zu zeichnen.
Tr. Von Tizian könnt Ihr das mit den Schuhen nicht sagen.
Da seht seine Danae, seine beiden Dianen, seine Antiope, seine Venus,
die Seine Majestät im Alcazar verborgen hält. Ist da vielleicht das
lautere Schönheitsgold mit den erdigen Schlacken der Spinnerei und
Schusterei versetzt? Hat nicht Euer Michelangelo selbst von ihm ge-
sagt, als er S. Heiligkeit Paul III aufnahm, dass Er allein malen könne?
Und ist Tizian nicht der Erfinder jener bestrickenden Manier, die heute
[99]Dialog über die Malerei.
alle Künstler und Kenner anbeten? Der pintura á borrones? Sagt man
nicht bei uns, wenn Gemälde geistreich unausgeführt sind, es seien
borrones de Ticiano?
E. Ja Tizian ist das Haupt der venezianischen Akademie, und
ihr grösster Mann nach dem Bekenntnisse aller. Er ist, das sage auch
ich, die Quelle des Colorits, sein Pinsel eine zweite Natur. Mit
dem Namen glaubt Ihr wol einen Stoss geführt zu haben, der schwer
zu pariren ist. Aber eben der Tizian hat in seinen besten Jahren sehr
vollendet gemalt. Und was man seine borrones nennt, sind zum Theil
Meisterstriche (golpes), mit grossem Geschick an passenden Stellen hin-
geworfen. Jene geklecksten Werke aber waren die Arbeiten seines
Greisenalters. Ein Bruder des Alonso Sanchez, der in Tizians Hause
gewesen war, erzählte mir in Madrid, Tizian habe oft ausgezeichnete
Sachen zum Leidwesen derer die es mit ansahen, durch seine borrones
verpfuscht. Bejahrte Maler kommen ganz natürlich auf solche borrones,
um sich die Arbeit zu erleichtern. Aus Altersschwäche, und weil das
ermüdete Auge und die zitternde Hand nicht lange bei der peinlichen
Vertreibung der Farben aushält. Es kann auch vorkommen, dass Jemand
solche golpes anbringt, um mit Leichtigkeit zu prahlen, und die Mühe
die es ihm gemacht hat, zu verstecken [a. a. O. I, 413 ff.]. Aber es
kommt nicht her von einer neuen und aparten Meisterschaft.
Tr. Sollten wir nicht einmal von den Auktoritäten absehn und
mit Gründen und Grundsätzen streiten?
E. Nichts kann mir lieber sein. Beginnen wir also methodisch,
mit den obersten Definitionen. Die Malerei ist die Kunst, welche lehrt
mit Linien und Farben nachzuahmen.
Tr. Wenn also die Definition Ausdruck des Wesens der Sache
ist, so gehört doch die Farbe zum Wesen der Malerei.
E. Das läugne ich! Die Zeichnung ist die substantielle Form der
Malerei. Die Farbe ist ein blosses Accidens. Polidor, ein sehr achtungs-
werther Maler, hat nur in schwarz und weiss gemalt, weil er annahm,
dass diese Kunst in Helldunkel und Zeichnung beschlossen sei. — Die
grosse Wirksamkeit der Farbe will ich damit jedoch keineswegs in
Abrede stellen. Sie drückt der Kunst die letzte Vollendung auf. Aber
das Colorit fällt nicht unter unfehlbare Gesetze wie die Zeichnung, und
gestattet folglich ein gewisses Maass von Willkür. Diese Willkür erhält
noch einen bedenklichen Zusatz durch die Bequemlichkeit der Oelmalerei,
die immer noch Wegnahmen und Aenderungen gestattet. Zu Fresco
und Tempera gehört völlige Sicherheit und Entschlossenheit. Deshalb
pflegte, wie mir mein Gönner und Freund Pablo de Cespedes aus dem
Mund von Ohrenzeugen erzählte, Michelangelo, der heilige Greis, zu
[100]Anhang.
weinen, dass man die Tempera aufgebe [a. a, O. II, 20]; mit der Ma-
lerei sei es am Ende, sagte er. Auch Pablo meinte, ohne die Oelma-
lerei würden uns manche Pfuscher erspart geblieben sein.
Tr. Ich sollte meinen, gerade weil das Colorit nicht nach Re-
geln zu lernen ist, müsste es schwerer und folglich edler sein. Mein
hochverehrtes Vorbild, Domingo Theotocópuli, ein Sohn der Insel Creta,
gross geworden zu Venedig, als die Sonne der Kunst im Zenith strahlte,
dann Herrscher der Malerei im kaiserlichen Toledo, hielt das Colorit in
der That für schwerer als die Zeichnung. Und der verstand zu zeichnen!
E. Es war ein Paradoxon des Greco, und nicht sein ärgstes.
Er sagte mir einmal, als ich ihn im Jahre 1611 in Toledo besuchte,
„Michelangelo, der war ein guter Mann, aber malen hat er nicht ge-
konnt“. … Er entfernte sich von der landläufigen Ansicht der Künstler,
weil er in allem ebenso absonderlich war, wie in seinem Malen [a. a. O.
I, 318].
Tr. Ueberlassen wir indess die substantiellen Formen und Acci-
denzien den Baccalaureis von Salamanca! Wir Maler können uns unter
diesen tiefsinnigen Worten nun einmal nichts denken. Mir genügt, dass
auch Ihr doch die Vollkommenheit unserer Kunst nicht ohne Farben
denken mögt. Und was gehört nach Eurem System zur Vollkommen-
heit der Farbe?
E. Doch wol Schönheit oder Harmonie derselben, zarte Ueber-
gänge (dulzura), Hervorragung und Rundung. Aber die Rundung (relievo)
ist das wichtigste, wie schon Leon Battista Alberti gelehrt und nach ihm
Leonardo; sie entschädigt sogar, wie die Erfahrung zeigt, für das Fehlen
der ersten zwei.
Tr. Diese Erklärung passt mir vollkommen. Dann aber müsst
Ihr auch zugeben, dass die Borronesmaler und Naturalisten in dem
wesentlichsten Stücke die ersten sind. Nehmt jenen heil. Hieronymus
des Jusepe Ribera, oder jenen Kopf des heil. Andreas dort: erscheinen
nicht alle andern neben ihnen gemalt, und sie allein Leben?
F. In Osuna sah ich kürzlich in der Colegiata eine Kreuzigung,
die der ebenso grosse wie unglückliche Don Pedro Giron 1) dorthin ge-
schickt hatte, der mit seinem königlichen Auge diesen Mann entdeckt
und aus seinem Dunkel hervorgezogen hat; und alles was sonst noch
da war von Italienern, Fabrizio Santa Fede, dem Cavalier d’Arpino,
habe ich ganz vergessen anzusehn.
E. Ich läugne nicht, dass dieser Ribera heute in der Praxis der
Farben den Primat behauptet und in Neapel mit seinen herrlichen Wer-
ken unserer Nation Ehre macht. Deshalb hat auch unser Herzog von
[101]Dialog über die Malerei.
Alcalá so viel von ihm an sich gebracht, als er bekommen konnte. Indess
kannst Du diesen gelehrten und präcisen Zeichner und Modellirer doch
nicht mit deinem Greco vergleichen.
Tr. Gegen keinen habe ich Euch öfter, lebhafter sprechen hören
als gegen den Greco, dessen grausame Sudeleien, wie Ihr sie nennt,
uns zum warnenden Exempel zeigen, wie Originalitätssucht einen be-
gabten Menschen an die Thüre des Tollhauses führen kann. Aber
müsst Ihr nicht selbst sagen, dass dessen Köpfe aus der Leinwand
herauskommen und sprechen, trotz ihrer Schwefel- und Veilchen-Tinten
und der schroff hingesäbelten Pinselstriche!
E. Ich habe nicht in Abrede stellen wollen, dass dieser Grieche
unter die Zahl der grossen Maler gehört, und erinnere mich auch einiger
Sachen von seiner Hand, so hervorspringend (relevadas) und lebendig, in
seiner bekannten Manier freilich, dass sie denen der grössten Meister
gleichkommen [a. a. O. I, 393]. Aber damit ist für deine Sache nichts
gewonnen, denn erstens —
Tr. Ich bin ganz Ohr!
E. Erstens hat er nur aus Eitelkeit den Schein der Bravour
erkünstelt. Ich habe selbst gesehn, wie er seine Gemälde nicht nur
sorgfältig skizzirte, Cartons, Thonmodelle dafür anfertigte, sondern auch
sie wiederholt übermalte. Was sagen dazu die Hoffärtigen und Bequemen?
Solchen Fleiss trifft man bei Riesen, und Zwerge wollen mir kommen mit
Leichtigkeit und Schnelligkeit? Also um genial zu scheinen, hat er
die Bilder schliesslich mit jenen golpes übersät, welche sie in den Ele-
mentarzustand zurückzuversetzen scheinen. Eigentlich heisst das Arbei-
ten um arm zu sein.
Tr. Und Numero zwei?
E. Numero zwei sehe ich gar nicht ein, warum das Relief nur auf
diesem Wege zu erreichen sein soll. Wie willst Du mir beweisen, dass
das vollendete, das verschmolzene Bild weniger Relief haben müsse, als
das skizzenhafte und gehackte? Correggio, der grösste Colorist meiner
Ansicht nach, den ich mir in diesem Stück allezeit zum Muster vorge-
stellt habe [a. a. O. I, 419], wie er auch das Vorbild unseres grossen
Cespedes war, ist zugleich Meister in Verschmelzung und sfumato. Aber
wenn Du ein Beispiel aus der jetzigen Naturalistenschule lieber willst,
ist in diesem Gemälde der Artemisia Gentileschi, das ihr der Herzog
in Rom abkaufte, [a. a. O. I, 128], weniger Kraft und Relief, weil es so
glatt ausgeführt ist?
Tr. Aber Ihr werdet doch nicht läugnen, dass es Können (valentia)
und Geschick zeigt, viel und hurtig zu malen, ohne so viel Mühe. Die
Malerei ist eine freie Kunst. Sie ist es, weil in ihr nichts sclavisches
[102]Anhang.
ist, nichts handwerksmässiges. Sagtet Ihr nicht selbst, wenn wir über
den Vorrang der Bildhauerei und Malerei disputirten, dass die letztere
edler sei, weil ihr nicht so viel körperliche Arbeit anklebe? Darum ist
sie des hidalgo würdig, und selbst Könige haben sie nicht verschmäht,
wegen der Gemüthsruhe, der Sauberkeit, dem Genuss, den sie beim
Malen fanden. Endlich, für einen phlegmatischen Deutschen oder Hol-
länder mag jene fleissige Manier passen, nicht für uns Andalusier, die mit
einem hellen, raschen, glücklichen, feurigen Temperament vom gütigen
Himmel beschenkt sind.
E. Es giebt keinen königlichen Weg zur Meisterschaft, auch
keinen andalusischen. Die grössten, die in Wahrheit übermenschlichen
Genies haben auch übermenschlich gearbeitet. Kunst bleibt Kunst. Kunst
wirkt nicht zufällig, um den Aristoteles doch noch einmal anzubringen.
Tr. Ich bestreite dass die neue Manier weniger Kunst ist. Die
Malerei á borrones, die auf das Sehen aus einiger Entfernung berechnet
ist, hat ihre eigenthümliche Kunst und Berechnung. Wir arbeiten mehr
mit dem Kopf, um was wir schauen, das innere Gemälde, mit sowenig
Arm- und Zeitarbeit wie möglich auf die Leinwand zu bringen. Omnes
artes in meditatione consistunt, damit man sehe, dass ich auch citiren kann.
E. Deshalb halte ich es auch, beiläufig bemerkt, für erlaubt, an
Festtagen zu malen. Fray Bartolomé de Medina, Professor zu Sala-
manca bestätigt diess, weil die Malerei eine freie, keine knechtische Be-
schäftigung sei.
Tr. Und der Künstler sieht wohl (worüber der Laie sich leicht
täuscht), dass in den Figuren des alten Tizian und Tintoretto mehr
Kenntniss des Körpers und seiner Bewegungen, mehr Gesetzmässigkeit
ist — so formlos und unordentlich es in der Nähe aussieht, als in den
Flamländern, bei welchen die Brokatstoffe und die Tapeten, die azulejos
und die Spiegel, die Haare und die Blümchen so genau und unüber-
trefflich wiedergegeben sind, mit einem Wort die todte Natur, während
die Bewegungen conventionell, kalt und hölzern sind, und die Grazie
ihnen auch nicht im Traum erschienen ist.
E. Ich bin kein Advokat der Flamländer und der Gothen. In
jeder unserer Kirchen können wir ja sehen, wie bis auf die Zeiten
Michelangelos gemalt worden ist. Wie der grosse Racionero sagt:
Ich habe auch allezeit gepredigt, die trockne flämische Manier zu fliehen
und zu verabscheuen; was indess jetzt kaum mehr nöthig ist. Auch
[103]Dialog über die Malerei.
das ist richtig, dass einigen unserer gefeiertsten Maler, z. B. dem gött-
lichen Morales (der heilige Lukas verzeihe den Ochsen, die ihn göttlich
genannt haben) bei all seiner zarten Verschmolzenheit das Beste der
Kunst und das Studium der Zeichnung gefehlt hat. Die gute Manier
hat auch dem grossen Dürer und dem Maese Campaña gefehlt.
Tr. Nach solchen Lehren der Geschichte könnt ihr nun doch
nicht läugnen, dass die fleissige Manier von wesentlichen, des Genies
würdigeren Dingen ablenkt, die Hand zaghaft, das Auge kleinlich macht
und uns um das Höchste: Relief und Bewegung betrügt.
E. Keineswegs! Kein Mensch wird mir einreden, dass nicht unser
höchstes Ziel sein sollte: Der Natur zu gleichen, d. h. in der Ferne und
Nähe lebendig zu erscheinen. Vollendet in der Nähe, und hervorsprin-
gend aus dem Rahmen, sich rundend aus der Ferne. Wenn das eine
Bild nur aus der Ferne täuscht, und das andere von fern und nahe,
so ist doch wohl das zweite das beste. So malte Juan de Encina.
[Van Eyck; a. a. O. I, 415.]
Tr. Ohne allen Zweifel. Nur ob das so leicht beisammen zu haben
ist? Ich bekenne, dass ich es nicht aus der Philosophie begründen und
mit Worten erklären kann, aber ich sehe es mit Augen: dass das Relief
und die Rundung, noch mehr der Glanz und Schimmer nie in den ver-
schmolzenen Gemälden den Grad der Wahrheit hat wie in den borro-
nes. Und wenn nothwendig eins gegen das andere in der Waagschale
steigen oder sinken muss, so gestehe ich, ich werde stets auf der Seite
jener alten Venezianer, des Greco und des Herrera sein, mit ihrer
frappanten Plastik und unmittelbarem Leben, ihrer Lichtkraft und ihrem
Impasto der Farbe, und gern auf das Lob derer verzichten, die ein
Bild nur geniessen können, wenn sie ihre Nasenspitze mit der grossen
Brille auf der Leinwand spazieren führen.
E. Noch mancherlei könnte ich erwidern; aber ich sehe, hier
spricht der Einfluss der Sterne, der stärker ist als Gründe und Grund-
sätze. Auch ich habe übrigens nie verkannt, dass die höchste Stufe
der Kunst nicht denkbar ist ohne Leichtigkeit. Ich sprach hier vielleicht
etwas für mich selbst und meine Praxis; aber auch aus Pflichtgefühl,
weil mir die Zukunft unsrer Schule am Herzen liegt, für die ich auch
mit verantwortlich bin. Aber ich will dem Genius keine Schranken
setzen. Eines schickt sich nicht für alle. Wer weiss was für Kräfte der
Geist Gottes uns noch erweckt. —
Aber wir sitzen ja schon fast im Dunkeln, und die Glocke des
Angelus ertönt von San Pedro her. Señor Filostrato, wie unermess-
lich sind wir Euch verbunden…
F. Ich hoffe auf Wiedersehn zur Weihnachtszeit! Denn hinter all
[104]Anhang.
diesen Rahmen, die in dieser Stunde nur noch schwarze Flächen ein-
schliessen, ist noch Stoff für mannichfaltigen Genuss und Anlass zu einem
Appendix solcher tiefsinnigen Gespräche, deren Datum ich nie vergessen
werde, denn sie haben mir ein ganz neues Licht aufgesteckt.
E. „Nicht satt wird das Auge vom Sehen, das Ohr vom Hören“,
sagt der Prediger Salomo. Ich hoffe wir sind auch noch nicht satt
unsrer Gesellschaft. Lasst uns zur Kathedrale wallen, wo diesen Abend
der Organist einige schöne Moteten Francisco Peraza’s spielen wird.
F. O die lasst uns nicht versäumen. Der allein war ein Musiker,
und alle anderen sind Handwerker in Tönen 1) (oficiales).
Tr. Er hatte einen Engel in jedem Finger 2).
[[105]]
ZWEITES BUCH.
DIE JUGENDJAHRE.
(1599—1629.)
Die Familie — Die Lehrjahre — Volksfiguren — Kirchenbilder —
Zurbaran und Cano — Die beiden Reisen an den Hof — Die Anstel-
lung — Madrid — Kunstverkehr — Das königliche Schloss — Philipp IV
— Olivares — Die Hofmaler — Die „Moriscos“ — Rubens in Spanien —
Der „Bacchus“.
[[106]][107]Die Familie.
Die Familie.
Diego Rodriguez de Silva Velazquez hat das Licht der
Welt erblickt zu Sevilla, in demselben Jahre wie van Dyck, 1599,
ein Jahr nach Zurbaran und Bernini, zwei nach Sustermans, drei
vor Calderon und Alonso Cano.
Er war der Sohn des Juan Rodriguez de Silva und der
Doña Gerónima Velazquez, und wurde am 6. Juni in der Pfarr-
kirche von S. Pedro von deren Cura, dem Licenziaten Gregorio
de Salazar getauft. Pathe ist Pablo de Ojeda, aus der Colacion
(Pfarrsprengel) der Magdalena. Wahrscheinlich war er am Tag
vorher geboren, in dem Hause Nr. 8, Calle de Gorgoja 1).
Von jeher wurde erzählt, dass der Vater von einer alten
Familie Portugals abstammte, die einst hoch in Würden und reich
an Thaten für die Krone, nun lange verarmt war, und dass
die Grosseltern nach Sevilla gezogen waren (Palomino). Aber
erst durch die Veröffentlichung der Aktenstücke aus dem Ordens-
archiv von S. Jago in Uclés ist man näher über diese Familie
unterrichtet worden 2).
Diego Rodriguez de Silva und seine Frau Doña Maria Ro-
driguez kamen aus Oporto nach Sevilla, wo ihnen ein Sohn Juan
geboren wurde, der Vater des Malers. Die Mutter war die Toch-
ter des Juan Velazquez aus Sevilla und der Doña Catalina de
Zayas, Tochter des Andrés de Buenrostro. Beide Familien wur-
den zum niederen Adel (hidalgos) von Sevilla gezählt, und nach
dem Zeugniss Zurbaran’s sind in beiden Familiaren des heiligen
Uffiz vorgekommen, was als Beweis fleckenlosen Stammbaumes
galt; das Don ihrem Namen vorzusetzen hatten sie indess kein
Recht.
Die väterlichen Vorfahren gehörten zu einem Zweig der in
der Provinz Minho e Douro verbreiteten Familie der Silva.
[108]Zweites Buch.
Nach dem Zeugniss einiger nach der Revolution der Krone Spa-
niens treu gebliebenen Edlen jenes Reichs lag ihr Stammsitz
(solar), die Quinta de Silva, acht bis neun Meilen von Porto und
drei Meilen von dem Benediktinerkloster Tibães.
Der Ahnherr der Silva’s war der Spanier D. Guterre Alde-
rete de Silva, der ein Nachkomme D. Fruella’s, Königs von Leon
genannt wird. Er half Ferdinand dem Grossen bei der Ein-
nahme Coimbras, und liess sich um 1040 in der Umgegend von
Valença nieder, in dem „Thurm“, der von ihm Torre da Silva
heisst. Sein Sohn ist der in der Adelsprobe genannte D. Payo
Guterres da Silva, Gouverneur von Portugal für Alphons VI;
er war ein Patron des Benediktinerordens und erbaute oder er-
neuerte das grosse Kloster Tibães (1080) sechs Kilometer nörd-
lich von Braga 1). Zu diesen Silva’s gehören in Portugal viele
Adelshäuser, darunter Marquezes und Condes. Die Familie, sag-
ten damals die Zeugen, sei eine der angesehensten des König-
reichs; der Marques de Colares nennt einen Matias da Silva, Pre-
bendado der Kathedrale von Braga, die einst mit Toledo um den
Vorrang stritt; Pedro da Silva Sampaya, Inquisitor von Lissabon,
Pedro da Silva de Paina, Familiar des h. Uffiz u. a. — Uebrigens
ist der Name einer der verbreitetsten in Portugal; das Schrift-
steller-Lexicon weist unter vielen weltlichen und kirchlichen Au-
toren auch einige gelehrte Rabbinen Silva auf.
Um das Jahr 1660 lebten in Porto noch Verwandte der
Sevillaner Silva’s, galten dort als ritterbürtig, und bekleideten
demgemäss Ehrenämter, wie das eines Polizei-Commissärs (verea-
dor); sie waren Mitglieder der angesehenen Brüderschaft der
Misericordia. Carreño erzählte, dass er im Palast einmal einem
Calatravaritter Morexon Silva begegnet sei, der den Maler be-
suchen wollte und sich dessen Vetter nannte.
Der eigentliche Name unseres Malers ist also Silva. Un-
geachtet dieser an Vornehmheit nichts zu wünschen übrig liess,
hat Diego den Namen seiner Mutter, Velazquez, als Hauptnamen
angenommen, obwol er sich zu unterzeichnen pflegte: Diego de
Silva Velazquez. Aber bereits bei der Taufe seiner Tochter
Juana (1619) heisst er im Kirchenbuch Diego Velazquez, und
ebenso in der königlichen Ernennung (1623). Wahrscheinlich
geht dieser Namenswechsel auf eine Verabredung der Eltern
[109]Die Familie.
zurück: Silva war der Name einer fremden eingewanderten Fa-
milie, Velazquez der einer altsevillanischen. Dieser Brauch oder
Missbrauch, den mütterlichen Zunamen anzunehmen, ja den des
mütterlichen Grossvaters oder Oheims, war besonders in Anda-
lusien verbreitet und veranlasste oft rechtliche Verwicklungen.
Der Vater des Dichters Luis de Góngora aus Cordoba hiess Argote.
Familieninteresse, zuweilen Eitelkeit waren die Beweggründe.
Manche Familien erhielten so „des Hauses Schild und Name“
durch die Erbtochter. Oft war das mütterliche Erbe oder Ma-
jorat an die Bedingung des Namens geknüpft. In Calderon’s
Mañana sará otro dia verbietet ein zorniger Vater seinem Sohn
das Haus, weil dieser, das Erbe der Mutter beanspruchend, nicht
nur deren Namen annimmt, sondern zugleich den des Vaters weg-
lässt. War der mütterliche Name der eines grossen Adelsge-
schlechtes, so konnte mancher schwer der Versuchung wider-
stehen, sich Guzman oder Manrique zu nennen. Es wird einmal
als Zeichen von Charakter gelobt, dass Jemand den dunklen
Namen des Vaters beibehält, während alle seine minder ver-
dienstvollen Brüder den vornehmklingenden der Mutter sich bei-
legten. Doch giebt es auch Ausnahmen. Der Vater des Malers
Juan Antonio Escalante hiess Fonseca.
Der Name Diego Velazquez hatte einen guten Klang von
den Tagen der Reconquista und der Conquistadoren her: so hiess
der eine jener Cistercienser, welche den Orden von Calatrava
gründeten, seiner wird in den Acta Sanctorum rühmend gedacht;
ferner der Eroberer und erste Statthalter der Insel Cuba. Der
Personenname Velasco, woraus durch die alte Genetivendung der
Geschlechtsname Velazquez wird, war in Spanien und Portugal
sehr häufig; in den spanischen Bischofslisten kommt Velascus
zuerst in Leon vor (966. 975). In Portugal, wo er meist Valasco,
Valasquiz lautet (im elften Jahrhundert ein Gil Valasquiz), nimmt
er später die durch Ausfall der Liquida verkürzte Form Vaasco,
Vasco an, nach Analogie von Pelayo, Payo; Melendez, Mendez;
Venegas, Vegas. Deshalb ist der volle Name Valasco dort selten
geworden, aber Vasco hat sich auch als häufiger Vorname be-
hauptet, während Velasco in Spanien nur Familienname ist. Er
ist auch im spanischen Künstlerlexikon nicht selten: fünf Velasco
und fünf Velazquez. Der merkwürdigste Namensvetter unseres
Künstlers aber ist jener Velascus in der Signatur des grossen
Gemäldes des Pfingstfestes in Santa Cruz zu Coimbra, vielleicht
der hervorragendste Maler der altportugiesischen Schule, doch
wol nicht identisch mit dem halbmythischen Grão Vasco.
[110]Zweites Buch.
Der Ursprung dieses Namens scheint noch nicht aufgeklärt.
Die Ableitungen von dem baskischen bela, vela Rabe, Velasco
viele Raben 1); von dem altdeutschen Namen Wala, Waller; von dem
schon auf dem Concil des Wamba (675) genannter Vela, (wovon
Velez), was nach einigen identisch wäre mit Vigila, sind nicht
wahrscheinlich oder überzeugend. Wäre die letztere Ableitung
richtig, so würde der Name gleichen Ursprung haben mit dem
vielleicht ältesten spanischen Malernamen — aus der Zeit der
Erobererreiche — dem Mönch Vigila scriba, der den Codex von
Albelda im Escorial im Jahre 975 geschrieben hat und die
darin befindliche Bildnisstafel gemalt; auf ihr kommen neun
Büsten, darunter sechs gothische Könige und Königinnen vor 2).
Der Name Diego gilt für eine Form von Jago, Jakob; er
lautet im portugiesischen Thiago, und latinisirt Didacus; so hat
Velazquez auf einigen Gemälden signirt. Rodriguez ist der go-
thische Name Roderich.
Die Familie scheint doch nicht arm gewesen zu sein, der
Maler hatte schon in Sevilla einen Sclaven, und seine Collegen
von dort versichern, dass er nie für Geld gemalt habe. Zurbaran
bezeugt, dass sie stets auf dem Fuss von Edelleuten und von
ihrem Einkommen gelebt haben, und als solche geachtet wurden 3).
Die Erinnerung an den alten Adel der Familie war wol
nicht ohne Einfluss auf seine Lebensziele. Sie erklärt die Sehn-
sucht nach dem Hof und die für seine Kunst nicht vortheilhaften
Bewerbungen um Hofämter. Bei den noch immer herrschenden
Vorurtheilen der Adelskaste gegen das Malerhandwerk lässt es
aber auch auf die Stärke des Triebs in dem Knaben schliessen,
wenn er sich so früh zu dieser Laufbahn entschliesst, wobei die
Rücksicht auf materielles Fortkommen gewiss kaum mit in Be-
tracht kam.
Die Lehrjahre.
Ueber den Knaben Diego fehlen die üblichen Vasarianek-
doten. Man liest nur, dass er von seinen Eltern mit der „Milch
[111]Die Lehrjahre.
der Gottesfurcht“ auferzogen sei, und dass er die lateinische Schule
(buenas letras) besuchte, wo er sich seiner Zeit in den Sprachen
und der „Philosophie“ nicht wenig hervorgethan habe. Aus
seinem späteren Erfolg am Hof zu schliessen, hatte er zeitig
nicht nur Latein gelernt, sondern auch das was zu einem Cavalier
gehört. „Aber obwol er Trieb, Talent und Gelehrigkeit für
jegliche Wissenschaft verrieth, so zeigte er diese Dispositionen
doch in weit höherem Grade für die Malerei. Seine Schulhefte
dienten ihm als Skizzenbücher (borradores).“ Man erwartet nun
von dem Widerstand des Vaters zu hören, von seiner Geringschät-
zung der Malerei als der hidalguia ermangelnd, und wie dann
der Knabe die erste Prüfung seines Charakters, der Entschieden-
heit seines Berufs bestanden habe. Allein der alte Silva war
freidenkender als Messer Lodovico Bonarroti. Das Schicksal,
das sein Wege stets eben machte, hat ihm auch diesen Kampf
erspart. „Sein aufgewecktes Wesen brachte den Eltern eine
hohe Meinung von seinen Gaben bei.“ Sie hatten also den
Eindruck, dass der Knabe es auf diesem Wege zu etwas bringen
müsse, sie konnten nicht widerstehn, „sie liessen ihn seiner
Neigung folgen“. Von Stund an gab er die andern Studien auf.
Diese frühe Neigung wird durch die Bilder geweckt worden
sein, welche er, sobald er die Augen öffnete, in den Gottes-
häusern vor sich sah. Aber welche unter den Tafeln des
eben vergangenen Jahrhunderts haben die funkelnden braunen
Augen des schönen schwarzlockigen Knaben angezogen? Ist er
ergriffen gewesen von dem alterthümlichen Zauber jener gold-
glänzenden Tafeln der Schule des Sanchez de Castro, voll selt-
samer und holdseliger Gesichter und curioser Garderobe? 1). Hat
er in dem ehrenfesten Mariscal mit den Seinen zuerst das Wun-
der des Fortlebens längst begrabener Menschen im Spiegel der
Oelmalerei angestaunt? Hat er in Roelas Werken die Macht des
Helldunkels geahnt? Man wird es wol nie erfahren.
Die Frage nach dem besten Lehrer war einfach. Personen,
denen man in solchen Dingen ein Urtheil zutraute, riethen zu
Herrera, der damals, in der Mitte der Dreissige, in voller Schaffens-
kraft stand. Aber der heftige und rohe Mann scheuchte den
feinen Knaben bald fort, und nun schickte man ihn zu Pacheco.
Bei diesem hielt er um so länger aus, fünf volle Jahre; dann
wurde er sein Schwiegersohn, im Jahre 1618. Nimmt man an,
[112]Zweites Buch.
dass er ein Jahr bei Herrera blieb, so würde er als dreizehn-
jähriger (1612) in dessen Akademie eingetreten sein.
Trotz dieser Jugend und trotz der Kürze der Lehrzeit, ist
seit Cean die ziemlich allgemeine Annahme, dass er Herrera
den ersten Anstoss zu der Malweise verdankte, durch die er in
den Annalen der neueren Malerei gross und einzig dasteht. Da
Herrera, wie man sagt, die Freiheit der Manier dort entdeckt
hat, was liegt näher, als dass Velazquez, das unerreichte Ideal
geistreicher Faktur, von diesem enfant terrible spanischer Colo-
risten die Taufe mit dem Geist und Feuer empfing. Es war der
immer tiefgehendste erste Eindruck 1).
Gegen diese Wahrscheinlichkeit lässt sich doch einiges
einwenden. Die Aehnlichkeit beider Manieren ist eine ganz allge-
meine, vage. Die Freiheit der Hand lag im Zug der Zeit,
sie hat schon lange vor Herrera in den Werken des Greco den
Castiliern gefallen. In dem ersten Jahrzehnt seiner Meister-
jahre ist von dieser „Freiheit des Pinsels“ wenig zu sehn. Erst
viel später, in Madrid, allmählich, unter besondern Verhältnissen,
eigentlich erst in seiner zweiten Lebenshälfte ist er auf jene
Vortragsweise gekommen. Zunächst findet man eine eng ans
Modell gebundene Zeichnung und harte Plastik, ganz entgegen
den lockeren Contouren der aus einer ungestümen Phantasie auf
die Leinwand geschleuderten Figuren des Herrera. Seine ersten
Werke geben uns den Eindruck einer kühlen, besonnenen, ganz
auf Erfassung der sichtbaren Erscheinung in ihren grossen Verhält-
nissen und besondern Feinheiten gerichteten Künstlernatur. Was
konnte einem solchen Lernbgierigen der verwilderte „Michelangelo
von Sevilla“ nützen, der nur noch namenlose Riesen von unde-
finirbarem Charakter nach seinem Ebenbilde ins Dasein rief, die
in Wolken hausen und von Wolkenlicht umflossen sind. Eine
Beobachternatur begegnete hier einem Visionär. Jedenfalls war
es ein Glück, dass ihn Herrera abstiess. Ein vierzehnjähriger,
der für Ungebundenheit (soltura) schwärmt, fängt an wo er en-
digen sollte. Uns scheint, dass ihm Herrera höchstens genützt
[113]Die Lehrjahre.
hat durch das Beispiel seiner Sittenbilder; da zeigte er ihm eine
Nebengattung, wo er seinem natürlichen Hang nachgehen konnte.
Wäre nun der grössere Künstler immer auch der bessere
Lehrer, so könnte man hier den figürlichen Ausdruck „vom
Pferd auf den Esel“ anwenden. Der feurige andalusische Rappe
hatte ihn abgeworfen, auf dem vorsichtigen Grauschimmel hat
er den langen Weg bis zur Meisterschaft ohne Störung zurück-
gelegt. Auch Lope in seinem „Lorbeer des Apollo“, wo mit
lauter Licht gemalt ist, macht letzteren doch zu einem kleinen Licht:
y adonde Herrera es sol, Pacheco estrella.
Verschiedener geartete Männer hat es wol nie nebeneinander
gegeben, als diese beiden Francisco’s. Jener war ein geborner
Maler, ein Maler von Temperament, dieser ein vielseitig gebil-
deter und begabter Mann, aber so wenig Maler, dass er sich viel
mehr einbildete auf die Orthodoxie seiner Werke, als auf das
was ihn als Künstler allein hätte bekümmern dürfen. Bei Herrera
war damals bereits alles Improvisation, bei Pacheco wurde kein
Schritt gethan ohne einen Blick auf die §§ und die Commissions-
berathung. Auf den unverträglichen einsiedlerischen Recken
folgte eines jener kleinen Männchen, die den Mund nicht aufthun
können, ohne eine grosse oder kleine Berühmtheit namhaft zu
machen, deren Freund sich nennen zu dürfen sie immer so glück-
lich sind. Wer, die Augen noch voll von des Schülers lebenath-
menden lienzos im Museo des Prado, vor des Schwiegervaters höl-
zerne Heiligen tritt, wird wol mit Richard Ford ausrufen: Gar
keinen Einfluss irgendwelcher Art kann Pacheco auf den Stil seines
Schülers ausgeübt haben! 1).
Er war damals noch in gehobener Stimmung nach der
Vollendung und den vernommenen Lobeserhebungen seines
Jüngsten Gerichts (1614). Dann wurde der heil. Sebastian unter-
nommen. Was mag der siebzehnjährige im stillen gedacht haben,
als er ihm dabei zusah? Warum war der gute Mann nicht bei
jenen kleinen Bildnissen berühmter Zeitgenossen geblieben, statt
sich mit seiner schwachen Barke auf diess hohe Meer zu wagen?
Später soll er einmal gesagt haben, als man ihm vorwarf, dass
er nicht ernstere Gegenstände mit mehr Reiz und Schönheit
male, in welchen er Raphael nacheifern könne: er wolle lieber
der erste sein in jenem groben Fach als der zweite im feinen 2).
8
[114]Zweites Buch.
Hat er von ihm also nur gelernt, wie es nicht zu machen
sei? Wie konnte er überhaupt fünf Jahre in diesem „goldenen
Kerker der Kunst“, wie Palomino seine Akademie nennt, aus-
halten? Nur um seiner Rahel willen?
Schon damals gab es manche in Sevilla die da meinten,
dass es mit diesem Pacheco nichts sei. Man denke an den grau-
samen Spottvers auf sein Crucifix, wo die Gläubigen belehrt
werden, dass „nicht die Liebe, sondern Pacheco den Heiland so
kläglich zugerichtet habe“:
Herrera, der als Greis in Madrid den Jüngling, den er einst
von sich weggetrieben, als Maler S. Majestät wiederfand, scheint
Aeusserungen gethan zu haben, die das Verdienst der Erziehung
für sich in Anspruch nahmen. Wenigstens kann folgender Pro-
test Pacheco’s so gedeutet werden (I, 134). „Da die Ehre des
Meisters grösser ist, als die des Schwiegervaters, so war es recht,
die Keckheit dessen zurückzuweisen, der diesen Ruhm sich an-
massen will, und dergestalt mir die Krone meiner letzten Jahre
rauben.“ Er nennt Herrera nicht, aber er hat ihn ja, wie eigentlich
auch Roelas, in der mit Personalien sonst so freigebigen Maler-
kunst auf vielsagende Art todtgeschwiegen. In dem Bildniss-
werk, wo Vargas, Campaña und Cespedes ein Denkmal gesetzt
wird, fehlen beide.
Um über diesen Punkt ein Urtheil zu erhalten, kommt es
aber weniger an auf die Gemälde Pacheco’s, als auf seine Lehr-
methode (enseñanza). Und über diese giebt uns sein Buch glück-
licherweise die vollständigsten Aufschlüsse, von den allgemeinen
Grundsätzen an bis auf die Technik der einzelnen Pigmente.
Pacheco war, als Lehrer mindestens, kein Pedant. Je weniger
er selbst ein schaffender, stilbildender Meister war, desto geringere
Gefahr war vorhanden, den Schülern Uniformität aufzudrängen.
Ein Kleinigkeitskrämer war er in der archäologischen Etikette;
sonst aber freidenkend. Man traut seinen Augen kaum, wenn
man ihn am Schluss seiner mühsam zusammengestellten Methodik
also vernimmt: „Aber alles was hier gesagt worden ist, und was
noch gesagt und bewiesen werden könnte, macht keineswegs
den Anspruch, die welche nach dem Gipfel der Kunst ringen,
[115]Die Lehrjahre.
an diese Gesetze und Wege zu fesseln. Es mag noch andere
Methoden geben (leichtere und bessere vielleicht): was wir aus-
geübt und in den Schriftstellern bewährt gefunden haben, das
schreiben wir, ohne den guten Köpfen Taxe und Schranken zu
setzen.“ Pacheco war also ein Lehrer, wie ihn ein reichangeleg-
ter Schüler sich wünschen mag.
Zugleich aber hatte ein solcher den Vortheil, eine strenge
Schule durchzumachen. Wie die grossen Italiener des Cinquecento.
„Die Zeichnung ist Seele und Leben der Malerei; Zeichnung,
insbesondere der Umriss ist das Schwerste, ja sie hat eigentlich
keine andere Schwierigkeit. Hier gilt es Tapferkeit und Beharr-
lichkeit. Hier haben selbst die Riesen ihr Leben lang zu ringen,
ohne dass sie auch nur für einen Augenblick die Waffen ablegen
dürften.“ Ohne sie ist die Malerei ein ganz gemeines Handwerk.
Ihre Verächter sind Bastarde der Kunst, Schmierer und Kleckser
(empastadores y manchantes).
Die Spitze gegen die Bravour- und Geniemaler ist hier
offenbar. Der Maler soll nach allseitiger Vollendung streben.
In den Werken der Meister (er nennt hier nicht bloss die von
ihm natürlich über alle gefeierten „Zeichner“, sondern auch Tizian
und Correggio) „sieht man das Gegentheil von dem, wonach der
Malerpöbel von heute trachtet, nämlich: Viel Zeichnung, viel
Ueberlegung und Takt, viel Tiefsinn, Wissen und Anatomie,
viel Zweckvollkommenheit und Wahrheit in den Muskeln, viel
Unterscheidung in den Arten des Tuchs und der Seide, viel Voll-
endung in den Theilen, in Zeichnung und Farbe, viel Schönheit
und Abwechslung in den Gesichtern, viel Kunst in Verkürzungen
und Perspektive, viel Findigkeit (ingenio) in der Anpassung der
Beleuchtung an den Ort, kurz viel Sorge und Fleiss in der
Entdeckung und Enthüllung der Dinge, die am schwersten zu
beherrschen sind“.
Sein phantasieloses Naturell hatte ihn, wie man sieht, auch
auf einige ganz realistische Maximen geführt. „Ich halte mich
an die Natur für Alles, und wenn ich sie für jeden Theil und
ununterbrochen vor Augen haben könnte, um so besser würde
es sein“. Er ging deshalb ab von der in Sevilla üblichen Me-
thode, welche die Gewandung nach dem Gliedermann und die
Figuren nach plastischen Kleinmodellen zu malen empfahl. Nach
Feststellung der Skizze machte er zu allen Köpfen Oelstudien
nach ausgewählten Modellen, die Kleider stets nach dem Leben,
die Extremitäten nach Kreidezeichnungen mit aufgehöhten Lich-
[116]Zweites Buch.
tern. Auch untermalte er das Gemälde im grossen ohne Hülfe
der Quadratur, um die Leichtigkeit nicht einzubüssen.
Das wichtigste Stück im Colorit ist das Relief. Das Bild
soll aus dem Rahmen hervorspringen, von nahe und fern leben-
dig, und sich zu bewegen scheinen. Seine Kraft und Rundung
übt auf das Auge eine so mächtige Wirkung, dass es selbst
für den Mangel so bedeutender Dinge, wie Schönheit (der Ver-
hältnisse) und Farbenreiz (suavidad) entschädigen kann. Deshalb
geht er so weit, es mit Alberti und Leonardo für den vornehm-
sten Theil der Kunst zu erklären (II, 9).
Endlich aber räth er, wenn man, nach Beendigung des Ele-
mentarunterrichts, als Vorbereitung zum Schaffen, sich in Wieder-
gaben grosser Maler versuchen wolle, „stets die Manier zu wählen,
die zu unserem Naturell und zu unserer Neigung passt, am besten
die eines Meisters“. Also kein Eklekticismus.
In diesen Worten sind Grundsätze niedergelegt, nach denen
in der That die Gemälde des Velazquez gearbeitet sind, der hier
nach den Worten, nicht nach den Werken seines Meisters that.
Einige passen so genau, als hätte er sie selbst geschrieben.
Besonders seine Bemerkungen über Bildnissmalerei verdienen
hier einen Platz. Der Bildnissmaler wird, wie der Poet, geboren.
Die erste, unentbehrlichste Eigenschaft des Bildnisses ist ohne
Zweifel die Aehnlichkeit; aber sie ist künstlerisch ein geringes
Verdienst, sie liegt auch im Bereich des Dilettanten. Man soll
die Fehler zwar nicht verstecken, aber es auch nicht machen
wie die, welche wie toll darauf sind, auffällige Unschönheiten zu
betonen. Um ein guter Bildnissmaler zu sein, muss man mehr
sein, denn die, welche das Porträtiren ausschliesslich betreiben,
pflegen sich nur an einen vagen Gesammteindruck zu halten
(el aire de la persona); in den Theilen vernachlässigen sie das
Individuelle; ihre Stücke haben alle Familienähnlichkeit. Man
soll seine Ehre darin suchen, in der guten Manier der Farbe,
der Kraft und des Reliefs zu arbeiten; dann wird das Bildniss
auch dem mit der Person unbekannten Genuss bereiten; in ihm
leben dann beide, das Original und der Maler fort, es verkündet,
wer beide waren.
Man nehme ein Zimmer nach Norden. Die Morgenstunden
(9—12) sind die besten, wo keine anderweitigen Beschäftigungen
uns zerstreut haben. Man wähle die linke Seite, wegen des
milden Lichts; die Schattenflecken missfallen den Frauen. Die
wahre Nachahmung liegt in der Umrisslinie (II, 134); ich kann
[117]Die Lehrjahre.
einem Bildniss bloss durch die Linie Aehnlichkeit geben. Darauf
gründet sich die Musterhaftigkeit der Dürer’schen gestochenen
Bildnisse. Auch muss man diese Linie gleich so richtig setzen,
dass sie nicht verändert zu werden braucht, und ja nicht die
Aehnlichkeit der malenden Ausführung überlassen.
Weniger Bedeutung hat es, dass Velazquez in seinen reli-
giösen Gemälden die zuweilen wunderlichen Vorschriften des Alten
meist befolgt hat, z. B. in der Darstellung des neugeborenen
Heilandes als Wickelkind, in den vier Nägeln des Crucifix
u. a. m. —
Hiernach dürfte W. Bürger doch Recht behalten, wenn
er glaubt, dass Velazquez dem Pacheco die Feinheit und Correkt-
heit seiner Zeichnung verdankt habe 1). Die allgemeine Verken-
nung dieses Verhältnisses scheint auf einem Vorurtheil zu be-
ruhen. Kritiker, deren Beschäftigung zum Theil darin besteht,
aus den Sandschichten der Zeitprodukte die Goldkörner wahrer
Kunst „auszuwaschen“ und nach dem Werth zu sortiren, erwerben
sich durch Uebung des Auges einen Sinn für das Genialische,
die Meisterhand, und eine entsprechende Geringschätzung der
Eigenschaften, die für Galeriebilder weniger empfehlend sind.
Sie glauben, der werdende Künstler bedürfe auch solcher ge-
nialischer Lehrer. Die Geschichte zeigt das Gegentheil. Wie
wenig glücklich waren oft die grossen Männer mit ihren Schü-
lern und Verehrern, wie erfolgreich die langsamen, methodischen
und mechanischen Geister. Die spanische Schule enthält mehrere
Beispiele der Art. Luis Fernandez, von dem schon Cean kein
Bild bekannt war und den Palomino in seine Malerleben nicht
einmal aufgenommen hat, war der Lehrer Herrera’s und Pacheco’s;
[118]Zweites Buch.
Pedro de las Cuevas (geb. 1568 † 1635), von dem Niemand
ein Gemälde gesehen, hat einen grossen Theil der namhaftesten
Maler der Madrider Schule in die Kunst eingeführt; und der
schwache Juan del Castillo lehrte Murillo, Cano und Moya die
Malerei. Wie merkwürdig ist aber hier die Parallele mit
Rubens! Den geistreich rohen Adam van Noort, dem er un-
zweifelhaft künstlerisch verwandt war, hat er bald verlassen,
um sich dauernd und eng an Otto van Veen anzuschliessen,
den Gelehrten, Poeten, Allegoristen und Gentleman, wo künst-
lerische Sympathie undenkbar schien.
Wie Liebe und Freundschaft, so beruht auch das Verhält-
niss von Meister und Jünger neben einem Fond von Gleichar-
tigkeit auf einem Gegensatz. Der starken Ichheit des Genius
ist eine überspannte Subjektivität weniger passend, als der me-
chanische Kopf, die langsame, analytische Natur, welche seinen
Drang nach dem Unbekannten an das wolthätige und unentbehr-
liche Gesetz gewöhnt. Solche vertreten in der Künstlererziehung
das allgemeine Element, welches ebenso wichtig, vielleicht wich-
tiger ist als das persönliche, die Berührung mit congenialen Na-
turen. Zeichnung und Perspective, Modellirung und Farben-
technik, diess Fundament und die Kernmauer der Kunst, über-
liefert der gründliche Schulmeister, der geübte Experimentirer.
Das Genie wird durch pedantische Zucht nicht geknickt, und
ihm genügen zur Entzündung Funken: eine Zeichnung, ein
Kupferstich, wie sie überall hinkommen.
Wenn man auch von Pacheco nichts wüsste, der spätere
Velazquez würde auf einen Meister von diesem Schnitt schliessen
lassen. Nicht nur wegen der allseitig guten Fundirung und der
soliden Kenntnisse: auch die Leichtigkeit, das Gleichgewicht der
Kräfte pflegt eine Frucht methodischer Gymnastik zu sein.
Von allen frühern Malern in Spanien war dem späteren Ve-
lazquez gewiss keiner verwandter, als Theotokopuli. Pacheco
hatte ihn im Jahre 1611 besucht, trotz seines Abscheus vor
jenen wüsten Skizzen (crueles borrones) erkannte er sein Genie an.
Die Aeusserung des Greco ihm gegenüber, Michelangelo sei ein
guter Mann gewesen, aber malen habe er nicht gekonnt, hat dem
jungen Velazquez gewiss zu denken gegeben. Domenico war zu
seiner Zeit, in Toledo, als Portraitist ebenso beliebt, wie später
unser Diego am Hofe. Es hat sich indess bis jetzt keine Spur
gefunden, die über des Malers der golilla Ansicht von dem Maler
[119]Die Lehrjahre.
der gorguera Licht gäbe. Bloss in einem spätern kirchlichen
Bild sind Anklänge an den Greco zu erkennen. Anders steht es
mit dessen Schüler, Luis Tristan.
Palomino hat darüber eine Stelle, die wie gute Ueberliefe-
rung aussieht. Nachdem er von Anregungen durch italienische
Gemälde gesprochen hat, fährt er fort: „Diejenigen aber, welche
sein Auge am wahlverwandtesten berührten, waren die des Tri-
stan, weil dieser eine Richtung hatte, die zu seinem eignen Na-
turell stimmte, wegen der Eigenheit (estraño) der Ideen und
der Lebhaftigkeit seiner Erfindungen. Aus diesem Grunde er-
klärte er sich für dessen Nachahmer und verliess die Art seines
Lehrers. Hatte er doch sehr bald eingesehen, dass für ihn eine
so laue Malerei und Zeichnung, mochte sie noch so gelehrt sein,
nicht passe; weil sie seiner hohen, das Grosse liebenden Natur
entgegen war.“ (Museo III, 323.)
Es ist unterhaltend, die durch diese Stellen veranlassten
Glossen der Autoren zu lesen, denen, mit einer Ausnahme, Tristan
ganz unbekannt war. Einige, wie Cumberland, Viardot, Adolphe
Siret, Madrazo u. a. sind so klug, ihn mit einer höflichen Ver-
beugung abzufertigen. „Das Lob des Velazquez, die Ehre sein
Vorbild gewesen zu sein, sind hinreichend, ihm einen dauernden
Namen zu sichern.“ Andere, denen es Bedürfniss war, tiefer ein-
zudringen, haben Tristan nach jener Stelle apriori construirt.
Wie mag Tristan ausgesehen haben, um dem Velazquez gefallen
zu können? Tristan war ein Schüler des Greco, des verwilderten
Venezianers; wir werden ihn uns als einen geläuterten, einen zah-
men Greco zu denken haben. „Greco, sagt W. Bürger, hat die
Technik der venezianischen Schule in Spanien eingeführt, Tristan
war gewissermaassen das Medium zwischen ihm und Velazquez.“
Das [vermeintliche] Bildniss im Prado beweist es: „es setzt den
Greco fort und lässt den Velazquez ahnen“. In der kleinen
Skizze des heil. Hieronymus mit der offen gebliebenen rothen
Untermalung, findet er „die freie touche und helle Farbenscala“,
die ihm Velazquez entlehnt habe. J. C. Robinson erklärt die
Notiz für ein Missverständniss des faselnden Schwiegervaters (in
dessen Buch aber nicht einmal der Name Tristans vorkommt).
Velazquez habe aus den untergeordneten Eigenschaften in den
Arbeiten des Tristan zu Sevilla den weit höheren Charakter des
Greco schätzen gelernt, dessen Sachen er dann in Madrid sah.
Denn sein reifer und vollkommener Stil sei vielmehr auf des letz-
teren Werke, als auf die seines obscuren Schülers Tristan gebaut.
[120]Zweites Buch.
Stirling endlich, der Tristans Hauptwerk gesehen, hat dessen
Art gleichwol nicht ganz zutreffend geschildert. „Wenn auch
an Originalität der Erfindung dem Greco nicht zu vergleichen,
war er doch ein besserer Colorist —“; aber die ersten guten
Arbeiten des Greco enthalten die ganze venezianische Ueberlie-
ferung, von der in Tristan keine Spur geblieben ist. „Velazquez
hat von dessen glänzender Färbung gelernt, seiner Palette einige
brillante Tinten hinzuzusetzen“, — aber kein Maler war, zumal im
Anfang, glänzenden Farben so abgeneigt wie Velazquez. Endlich
nennt er Tristans Typen vulgär, ja die Madonna roh (coarseness);
aber man präge sich die feine, anmuthig ernste, huldvolle Maria
in den Magiern von S. Clara ein und vergleiche damit die haus-
backene Frau in Velazquez gleichnamigem Gemälde im Prado.
Dessen Werke nahmen erst nach seiner Rückkehr aus Italien
(1631) allmählich den freien Strich an, in dem man Aehnlichkeit
mit Greco finden kann. Bis dahin aber folgte er dem System
der Naturalisten. Der junge Maler, der sich mit seinen Alters-
genossen dem Chiaroscurismus zuneigte, entdeckte wahrschein-
lich in Tristan den einzigen Landsmann, der dieses System be-
reits befolgte. Und wenn er auf dem Wege nach Madrid Toledo
und dessen Kapitelsaal besucht hat, so begreift sich auch die
Eingenommenheit des Porträtisten für Tristan. Da von Gemälden
des letztern in Sevilla nichts bekannt ist, so wird er ihn erst auf
dieser Reise kennen gelernt haben, aber damals hatte er seinen
ersten Stil bereits gefunden.
Man sieht auch aus diesem Beispiele, wie die spanische
Malerei damals von selbst auf die Spuren der italienischen
Naturalisten gekommen ist. Was in Italien nur eine kurze, tumul-
tuarische Kampagne gewesen war, unternommen von Abenteurern,
gefolgt von einer ebenso vorübergehenden Invasion bei den an-
deren Nationen, das wurde, an den Ufern des Baetis, ein „gol-
denes Zeitalter“, das Spanien seine besten Maler gegeben hat.
Aber ist dieser spanische Naturalismus durch den Anstoss von
Italien her ins Leben gerufen worden? Pacheco scheint es an-
zudeuten. Er nennt den Ribera denjenigen, „der heute in der
Praxis der Farben den Primat behaupte“ (II, 84); er führt den
Caravaggio, diesen valiente imitador del natural, mehrmals auf,
und einmal in einer Reihe mit seinem Schwiegersohn. Da wo
er empfielt, sich für alles und allezeit an die Natur zu halten,
sagt er: „So machte es Miguel Angel Caravacho, und man sieht
es an seiner Kreuzigung Petri (obwol es eine Kopie ist) mit
[121]Die Lehrjahre.
welchem Glück; so machte es Jusepe de Rivera, denn seine
Figuren und Köpfe erscheinen neben allen den grossen Gemäl-
den, welche der Herzog von Alcalá hat, lebendig und das übrige
gemalt, obwol sie Guido von Bologna zum Nachbar haben
[grade wie in der Kasseler Galerie]. Und mein Schwiegersohn,
welcher denselben Weg geht, an dem sieht man auch den
Unterschied von den andern, weil er allzeit die Natur vor Augen
hat“ (II, 15 f.).
Von Originalen Caravaggio’s, die damals in Andalusien ge-
wesen wären, ist auch sonst nichts bekannt. Der Herzog von
Osuna, welcher Ribera aus seiner Dunkelheit hervorzog, hat frü-
hestens nach seiner Rückkehr aus Neapel (1620) dessen Werke
nach seinem Familiensitz und in die dortige Colegiata, wo die
Familiengruft ist, gebracht. Sie sind noch heute da zu sehn:
das Hauptstück ist eine Kreuzigung. Aber Velazquez’ in diesem
Stil gemalte Epiphanie trägt schon die Jahreszahl 1619, und in
Sevilla scheint man Ribera zuerst aus den von Osuna’s Nachfol-
ger Alcalá (1631) mitgebrachten Stücken kennen gelernt zu haben.
Hiernach kann die Anregung zu dem neuen Stil nicht von Ribera
gekommen sein. —
Im ersten Buch sind die Vorbilder geschildert worden, welche
die jungen Talente im Anfang des Jahrhunderts umgaben: aber
auf dem Weg den sie einschlugen sahen sie sich von allen diesen
Vorbildern im Stich gelassen. So leicht wiegen alle Lehren und
Muster gegenüber dem Zug und Geist der Zeit.
Belege für diesen Satz kommen in Zeiten grosser Wand-
lungen des Geschmacks öfter vor als man denkt; ich möchte
hier eine allgemeine Bemerkung anknüpfen.
Gewiss ist die Hauptaufgabe auch der Kunstgeschichte, den
ursächlichen Zusammenhang der Erscheinungen festzustellen; aber
man sollte nicht vergessen, dass es äussere und innere, einzelne
und allgemeine Ursachen giebt. Aehnlichkeit, ja Gleichheit des
Stils und der Mache, oder gar bloss des Geschmacks und der
Gegenstände aufzeigen, heisst noch nicht, den Nachweis eines
Zusammenhanges, einer Abhängigkeit erbringen. Zu jeder Zeit
liegen, bei räumlich oder national getrennten Schauplätzen, ge-
wisse Darstellungsformen und -Tendenzen, ebenso wie Stoffe, in
der Luft und werden, ohne äussere Berührung, von mehr als
einem gefunden. Ganz so wie in den Wissenschaften Entdeckun-
gen und in der Mechanik Erfindungen oft von mehreren unab-
hängig gemacht werden. Jedes Zeitalter vermacht eben dem fol-
[122]Zweites Buch.
genden ein Erbe latenter Kräfte, fortbildungsbedürftiger Formen,
beunruhigender Fragen. Deshalb ist die Unähnlichkeit von Künst-
lern zweier Menschenalter an demselben Ort bei engem Zusam-
menhang erheblich grösser, als der Unterschied gleichzeitiger an
verschiedenen Orten bei völliger Unbekanntschaft. Schüler sehen
Lehrern, unter deren Dach sie jahrelang gearbeitet, sobald sie
sich auf eigene Füsse stellen, sehr unähnlich; Meister derselben
Epoche aus verschiedenen Nationen, die nie von einander gehört,
sehen einander oft zum Verwechseln ähnlich. So hat man (um
bei dem nächstliegenden zu bleiben) die Werke des Velazquez
zuweilen Rubens getauft; und umgekehrt Sustermans, Daniel
Crespi, Strozzi, F. Voet, Snayers u. a. Velazquez genannt; die
Aehnlichkeit seiner Bildnisse mit Terborch, selbst Anklänge an
Franz Hals und andre Holländer ist bemerkt worden; aber noch
nie ist ein Sanchez Coello, Greco, Roelas und Herrera mit Velaz-
quez verwechselt worden, der unter ihren Werken aufwuchs.
Doch selbst wo eine wirkliche Berührung nachzuweisen wäre, ist
damit noch nicht gesagt, dass der eine durch den andern zu dem
gemacht worden ist, was er ist.
Diese Bedeutung der Zeit bemerkt man ebenso bei der
Masse wie bei den hervorragenden Geistern, nur dass jene ihr
unterliegt, diese sie schaffen und beherrschen. Das Neue reisst
die Menge hin; Eitelkeit, Leerheit haben stets den Instinkt der
neuesten Mode. Die Natur braucht aber auch einige Wenige, um
Neues aufs Tapet zu bringen und von ausgefahrenen Bahnen abzu-
lenken. Diese stattet sie sich besonders aus und vergisst nicht,
ihnen jene starkgefügte Persönlichkeit, jene Initiative zu geben,
welche sie vom Zufall (über den sie nicht Herr ist) soviel als
möglich unabhängig macht. Diese Kraft der Initiative ist was
man Genie nennt. Das sind die Menschen, welche wegen ihrer
grossen, auf ihrer Person beruhenden Wirkung allein eine beson-
dere Geschichte verdienen.
Dieses Genie ist also nicht erworben, nicht durch ein glück-
liches Zusammentreffen äusserer Umstände hervorgebracht. Wo-
mit noch nicht gesagt ist, dass es etwas Uebernatürliches sei,
nicht einmal, dass es sich von den übrigen qualitativ und nicht
bloss gradweise unterscheidet. Aber wie selbst das blosse Ta-
lent auch ohne alle äussere Aufmunterung, ja in der leersten und
feindseligsten Umgebung sich Bahn bricht, so werden dem Genie
Lehrer und Vorbilder seine Richtung weder geben noch es
ablenken von seinem vorherbestimmten Ziel. Wenn es auch in
[123]Die Lehrjahre.
zeitlicher und örtlicher Gestalt erscheint, es selbst ist kein Product
der Zeit und Umgebung. Die letztere liefert nur die Elemente,
aus denen sich der Charakter aufbaut. Diese Hauptursache verliert
man beim Schürfen nach kleinen Ursachen oft aus dem Auge.
Der äusseren Einwirkungen sind unendlich viele, der Zahl
und Art nach. Wer sich nun die Mühe nimmt, die Umgebung
eines Mannes auf die Möglichkeit dieser Einflüsse zu studiren,
der wird, wenn er etwas von Induction gehört hat, auch die Er-
scheinungen mit in Rechnung zu ziehen haben, an welchen der
Werdende gleichgültig oder ablehnend vorübergegangen ist. Die
Abwägung von Anziehung und Abstossung wird darauf führen,
dass hier eine gewisse Entschiedenheit der Wahl und der Wider-
standskraft vorliegt, die annehmen lässt, dass er auch diejenigen,
deren Einwirkung er sich überlassen hat, nur ausgezeichnet hat,
eben weil sie mit seiner ursprünglichen Richtung übereinstimmten.
Gewiss, der Historiker hat Einflüsse und Aneignungen in
der Erzählung der Lehrjahre mit Fleiss aufzusuchen; aber zeit-
gemäss dürfte wol der Rath sein, den Eifer in der Entdeckung
obscurer Ascendenten glanzvoller Grössen etwas zu mässigen.
Monographisten arbeiten dadurch oft ihrem eigenen Inter-
esse entgegen, indem sie den Punkt übersehen, der mehr als
alles andere ihren Heros erheben würde. Être maître, sagte
W. Bürger, c’est ne ressembler à personne. Man sollte also bei
wirklichen Meistern eigentlich an Niemand erinnert werden —
statt an alle. In dem vielverzweigten Gewächs der Kunst lassen
sich freilich für jeden Zug irgendwo Anknüpfungspunkte ent-
decken, und wer sich darauf verlegt, wird, bei gutem Willen,
selbst bei einem Bonarroti, soviele finden können, dass der gläu-
bige Leser zuletzt ausruft:
„Was ist nun an dem ganzen Kerl Original zu nennen?“
Man sollte sich aber erst über die Erfordernisse eines Be-
weises verständigen, wozu mehr gehört als „an etwas erinnert“
zu werden; auch wird man finden, dass die wirklichen Entleh-
nungen meist gegenständliche oder nebensächliche Einzelheiten
betreffen.
Jemehr es aber gelingt, einem Meister wirklich nahe zu
kommen und ihn durch unermüdliches Fragen zum Sprechen zu
bringen, desto strenger erscheint er in seinen Werken wie in eine
eigene Welt eingeschlossen. Um mich scholastisch auszudrücken,
jenes Allgemeine von Stamm, Schule und Zeit, das er von andern
hat, mit andern theilt und auf andere vererbt, ist nur sein secun-
[124]Zweites Buch.
däres Wesen (δϵύτϵρα οὐσία), das Individuelle, Idiosynkrasische
seine erste Substanz (πρώτη οὐσία).
Das Merkmal des Genius ist also die Initiative; aber Manche
scheinen ihre Arbeit für misslungen zu achten, wenn sie, selbst
bei einem Raphael am Ende, einen Rest übrig behalten, wo die
Kette abbricht. Teniers muss durch Rubens auf seine Bauern-
stücke gekommen sein; dem fruchtbarsten Genremaler, gewiss
also einem von Haus aus, wird nicht soviel Spontaneität zuge-
traut, um in Scenen, die er stets vor Augen hatte, die malerische
Brauchbarkeit mit eigenen Augen herauszufinden!
Jemand kann einen ihm verwandten Lehrer bekommen, aber
er hätte seinen Weg so ziemlich gemacht auch ohne ihn. Zu-
weilen findet er ihn nicht. Dann macht er die Schule durch
und übt seine Kräfte; aber diese Lehrjahre fördern nur den
Drang, seine eigene Art des Sehens und Bildens zu reifen. Das
durch den Widerspruch geschärfte Bewusstsein seiner Eigenart
ist dann die werthvollste Gabe, welche der Schüler dem Lehrer
verdankt. Auch wo kein Widerspruch erregt wird, muss, je ur-
sprünglicher die Persönlichkeit, je ausgiebiger die erfinderische
Kraft, um so heftiger die Ungeduld sein, bloss zu wiederholen,
desto rascher wird er das Dargebotene verbrauchen und nicht
ruhen, bis er, im Bereich des Möglichen, das gefunden hat, was
sich zu dem Früheren verhält — ungefähr wie die Complemen-
tärfarbe.
Vielleicht macht ein solcher Jüngling sogar sehr viele und
ausgedehnte Reisen im Reich seiner Kunst, und sieht da noch
mit ganz anderen Augen wie unser einer. Aber nicht um sich
seine Kunst zusammenzulesen. Er erfährt hierbei Einwirkungen,
aber es sind im Grunde nicht hervorbringende, sondern Gelegen-
heitsursachen (Causae occasionales), welche sein ursprüngliches
und unveränderliches Wesen zum Hervortreten reizen. Dieses
wird auch sobald er als Meister auftritt, alsbald klar und deutlich
sich zeigen (sonst besässe er überhaupt keins). Es wird auch
durch die nachfolgenden Wandlungen, die bedingt sind durch
Alter und wachsende Beherrschung der Werkzeuge nicht wesent-
lich geändert werden; daher die secundäre Bedeutung der soge-
nannten Entwicklungsgeschichte.
Wenn man nur die Augen aufmacht, wird man diese An-
sicht wol im Leben aller grossen Maler bestätigt finden, nicht
bloss bei Michelangelo’s und Correggio’s.
Wol kaum einer unter ihnen hat die Grössen der Vergangen-
[125]Die Lehrjahre.
heit soviel studirt und sogar kopirt als Pietro Paolo Rubens.
Dennoch wird man kein Element seiner Malweise (ich sage nicht,
einzelne Figuren und Motive) aufzeigen können, das er nicht von
Haus aus hätte. Was ihm Italien und die Antike gegeben haben
könnte, wäre ein Zug der Freiheit und Grossheit: aber man
braucht nur den Kopf des Mannes anzusehen, um zu fühlen, dass
er gerade diesen Zug mit auf die Welt gebracht hat. Andere
haben diess erlangt auch ohne Italien, wie Murillo, unter trocknen
Pedanten. Der italienische Formenadel hat seinen derbsinn-
lichen Geschmack nicht gemässigt, sind doch in den ersten Jahren
nach der Reise seine Gestalten am brutalsten. Wenn etwas in
Italien damals die Maler bestrickte, selbst die Bologneser trotz
ihres Schulhasses, so war es die Manier der tenebrosi; Rubens
hat sie mit Interesse betrachtet und studirt, aber sie haben ihn
von seinem diametral entgegengesetzten Licht- und Farbengefühl
nicht abgelenkt. Tizian, den er dutzendweise kopirt hat, ist er
nur im vagsten Sinne verwandt, im Grund ganz andren Geistes:
von demjenigen Italiener aber dem er am ähnlichsten ist, Barocci,
kommt in seinem Nachlass nichts vor, obwol er seit Goltzius in
den Niederlanden wolbekannt war und nachgeahmt wurde.
So wird auch das Neueste, ästhetisch werthvolle, künstlerisch
einnehmende, dem jungen Mann, und wäre er so lernbegierig
wie Raphael, nicht ein einziges Element zuführen, das nicht in
seiner vis repraesentativa universi präformirt wäre. So ist z. B.
Melozzo mit seiner Horizontalperspective, die auf norditalienischem
Boden entsprungen war und dort ziemlich unabhängig von Lom-
barden und Venezianern gepflegt worden ist, an Raphael,
trotz seines universellen Zugs und, obwol er die bewunderns-
würdigen Fresken in SS. Apostoli vor Augen hatte, spurlos ab-
geglitten. —
Wie jede Kunst ausser ihren stets wechselnden geschicht-
lichen Bestandtheilen auch einen unveränderlichen Kern hat, weil
sie in der unveränderlichen Natur unserer Sinne und in der
ebenso unveränderlichen der Erscheinung begründet ist, so hat
sie auch gewisse typische Strahlenbrechungen, denen typische
Organisationen der Künstler entsprechen. Diese kehren zu allen
Zeiten wieder, wo der stets und überall vorhandene Keim des
Kunsttriebs Raum und Luft bekommt, ziemlich ähnlich unter
den verschiedensten Bedingungen. Von jeher hat man Doppel-
gänger moderner Maler in den griechischen zu sehen geglaubt,
obwol die letzteren nur aus mageren Berichten bekannt sind.
[126]Zweites Buch.
Dieselbe Erscheinung zeigt sich auch sonst in der Geschichte
des menschlichen Geistes. So treten gewisse Grundformen phi-
losophischer Erklärung der Welt und die ihnen entsprechenden
Intelligenzen überall hervor, wo philosophirt wird, unter den
disparatesten Verhältnissen, in Griechenland, Indien, im ara-
bischen und christlichen Mittelalter, in der neueren Zeit, selbst
in der jetzigen Naturwissenschaft. Sie sind in der Beschaffen-
heit der Welt und des menschlichen Verstandes begründet, und
können nicht aus zufälligen zeitlichen und biographischen Um-
ständen abgeleitet werden.
Es ist als ob die Natur jene ausserordentlichen Organisa-
tionen im Vorrath hätte und wenn sie sie braucht, in die Zeit
hineinwürfe. Oft ähneln sie sich wie Geschwister, obwol sie
durch Jahrtausende getrennt sind, während sie denen, unter
welchen sie aufgewachsen sind, die ihnen Meissel und Pinsel
in die Hand gegeben, fremd sind. Sie gleichen Gestirnen, die
sehr weite Bahnen durchkreisen und erst nach Jahrhunderten
wieder in die Erdnähe kommen.
Volksfiguren.
Von den ersten selbständigen Versuchen des jungen Malers
stehen im Buche seines Schwiegervaters einige Nachrichten.
Der vorsichtige Mann wird über seinen ehemaligen Schüler, jetzt
angesehenen Hofmaler, gewiss nichts gedruckt haben, was diesem
nicht aus der Seele geschrieben war. Die Bemerkungen Pacheco’s
beziehen sich auf die Bodegones-Malerei.
Diese war gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts in
Sevilla aufgekommen, und wol nicht bloss ein Erzeugniss des
steigenden Luxus. Es sind Scenen aus der Wirthschafts- und
Küchensphäre, Strassenfiguren, aber mit starker Betonung des
Elements des Stilllebens: Küchengeräth, Esswaaren, todte Vögel
und Fische. Der wiederauflebende Trieb, der Sichtbarkeit näher
auf den Leib zu rücken, führte die Maler auf Studien nach
dieser ihnen am bequemsten gelegenen „Natur“, und aus den
Studien wurden „Stücke“. Fünfzig Jahre früher waren die Hol-
länder so zu ihren Keucken- Stücken gekommen, Pieter Aertsen
war nach Van Mander auf diesem Wege Meister in der Farben-
[127]Volksfiguren.
mischung geworden 1). Auch der Bildnissmaler Michel de
Mierevelt soll damit angefangen haben. Mit welchem Behagen
man das Treiben der niedern Klassen beobachtete, zeigt die oft
bis zum Läppischen und Unflätigen gehende Kleinmalerei der
Schelmenromane. Ihr gleichzeitiges Aufkommen ist gewiss nicht
zufällig. Im Geburtsjahr unseres Malers war das erste und beste
Werk dieser Art erschienen, der Guzman de Alfarache des
Sevillaners Mateo Aleman (wenn man von dem kleinen Vorspiel,
dem Lazarillo de Tormes des Mendoza (1553) absieht). Ihm folgte
1605 die Picara Justina des Perez de Leon, der Marcos de Obregon
des Vicente Espinel (1615) und viele andre. Wer die Erlebnisse
des unsterblichsten aller Ritter in den Ventas der Mancha und
unter den Hirten der Sierra morena hätte malen wollen, würde
in diesen Bodegones ein Vorbild gefunden haben. Wer in dor-
tigen Dörfern campirte, kann noch heute ihre Originale sehen
und hier den unverfälschten Geschmack altspanischen Wesens
geniessen, zu dem er, nach allen Qualen der Gegenwart, mit um
so mehr Behagen in der Erinnerung zurückkehrt.
Die Cabinetmaler des siebzehnten Jahrhunderts in Nieder-
land waren Virtuosen, die sich an ein reiches Publikum von
lockern Sitten und sehr feinem Geschmack wandten; die Komik
ihrer Bilder beruht zum Theil auf dem Kontrast des Gegen-
standes mit der unendlichen, und doch so geistreich versteckten
Kunst. In jenen spanischen Sittenbildern fällt zunächst nur die
blanke nüchterne Wahrheit auf. Von Majolicaschüsseln mit
Metallreflexen, Silbergeräth und Kunstschränken ist nichts darin
zu spüren. Sie sind mehr den ältern niederländischen Sachen des
Brueghel, des Beukelaer, jenes Aertsen verwandt, in welchen
das Volksleben gröber und reizloser, aber unmittelbarer und
bunter erscheint, als in der jüngeren Schule.
Der alte Herrera hatte diese bodegoncillos seinen Söhnen
gelehrt. Der eine, el Rubio, zeichnete auch Figürchen in der
Art Callot’s; der später als Kirchenmaler berühmt gewordene
Francisco machte sich sogar in Rom einen Namen mit seinen
Fischstücken; er hiess dort der Fischhispanier (lo Spagnuolo
delle pesce). Die Altgesinnten sahen sauer auf diese plebejische
Kunst, und widerlegten die Maler der Fischmärkte bereits
[128]Zweites Buch.
durch das Citat des griechischen Pyreikos, genannt der Ryparo-
graph. Denn auch die gelehrten Kunstliebhaber Spaniens wussten
damals oft mehr Bescheid in den Annalen der griechischen Malerei,
als zu Hause, wie Guevara’s Schrift beweist. So dachte eigentlich
auch Pacheco 1), aber dann fiel ihm sein lieber Diego ein und er
setzte besänftigend hinzu: „Sind denn diese bodegones für gar
nichts zu achten? Nein, sie sind gewiss sehr zu achten, d. h.
wenn sie gemalt sind wie Velazquez sie malte, der sich durch
dieses Fach so hoch erhob, dass er Niemanden sonst neben sich
Platz liess. Sie verdienen hohe Schätzung, denn mit diesen Ele-
menten (principios) und mit den Bildnissen fand er die wahre Nach-
ahmung der Natur und ermuthigte viele durch sein mächtiges
Beispiel . . . . Nämlich die Figuren müssen tüchtig gezeichnet
und gemalt sein, und ebenso lebendig erscheinen wie die todte
Natur; dann bringen sie ihrem Künstler höchste Ehre.“
„Er hielt sich einen Bauernjungen als Lehrling (aldeanillo
aprendiz), der ihm gegen Bezahlung als Modell diente, in ver-
schiedenen Geberden und Posituren, in Weinen und Lachen,
mit allen erdenklichen Schwierigkeiten. Nach dem zeichnete
er viele Köpfe mit Kohle und weiss gehöht auf blaues Papier,
und ähnliche nach vielen anderen Eingeborenen (naturales). Da-
durch gewann er seine Sicherheit im Treffen“.
Das Hauptgemälde dieser Klasse, das zuerst berühmt und zu
den Meisterwerken gerechnet wurde, war
Der Wasserträger von Sevilla.
(42″ × 31½″.)
Er brachte diess Bild mit an den Hof, und bei der Ein-
richtung des neuen Lustschlosses Buen Retiro 2) wurde es zum
Zimmerschmuck dort ausersehen. Später wanderte es in den
[129]Volksfiguren.
neuen Bourbonenpalast; hier sah es 1755 der Italiener Caimo im
„Saal der Serenaten“, nebst vielen andern Werken des Meisters;
es war damals das gefeiertste 1). Auch Mengs erhob die künst-
lerische und biographische Bedeutung des Bildes 2). Man könne
darin sehn, „wie sich Velazquez in seinen Anfängen der Nach-
ahmung der Natur unterwarf, indem er alle Theile vollendete
Der Wasserträger von Sevilla.
9
[130]Zweites Buch.
und ihnen diejenige Kraft gab, die er in ihnen zu sehen glaubte,
durch die wesentlichen Unterschiede von Licht und Schatten“.
Dieses Urtheil des „grössten Malers des Jahrhunderts“ erhöhte
das Ansehen des Gemäldes, es wurde unter den schönen Stich
von Blas Amettler gesetzt. Desshalb (oder weil die Hauptfigur
sein Landsmann war) packte es Joseph Bonaparte, als er aus
Madrid floh, mit zu den bourbonischen Kleinodien und dem Geth-
semane des Correggio. Nach der Katastrophe von Vitoria
schenkte beide Ferdinand VII dem Herzog von Wellington; sie
befinden sich in Apsley-house.
Die Figur des „Corsen“ war gewiss in Sevilla sehr bekannt,
und der junge Mann, der seine Brauchbarkeit als Modell bald
heraushatte, mochte ihm manchen Maravedi zugewendet haben,
um ihn für seine Absichten geschmeidig zu machen.
Seit der „Asistente“ D. Francisco Zapata, Graf Barajas
im Jahre 1574 aus dem ungesunden Sumpf Laguna die „Alameda
des Herkules“ geschaffen hatte mit ihren Brunnen und Alleen,
hatten sich die grossen Nachtpromenaden zu Wagen und zu
Fuss hierhergezogen; bei Festen spielte da eine Kapelle von
Bläsern und Hoboisten 1). Die Besprengung des Lustortes im
Sommer wurde dem Corps der Aguadores übertragen, unter
denen ein eigener Alguazil Friede und Ordnung hielt. Die Leute
waren meist Franzosen, welche der amerikanische Verkehr dort-
hin zog, unsrer war ein Corse. Für ihre Dienste erhielten sie
die Erlaubniss das Wasser das ganze Jahr über in die Wohnungen
zu bringen. Es geschah in grossen Steinkrügen auf Eseln. Das
vortreffliche Wasser kam in Röhren aus dem „Brunnen des
Erzbischofs“, so genannt von dem Garten an der alten Strasse
nach Cordoba, eine viertel Meile vor der Stadt, der dem Prälaten
Don Remondo gehört hatte 2).
Zum vollen Eindruck des Bildes gehört die associative —
patriarchalisch-orientalische — Köstlichkeit des reinen Quellwas-
sers im wasserarmen Andalusien mit seinem afrikanischen Sommer.
Unser Corse, ein fünfziger, steht vor einem Tischchen, und legt
die breite Hand an den Bauch seines grossen Wasserkrugs. Der
Korkstöpsel hängt an einer Schnur. Mit der Rechten hält er
[131]Volksfiguren.
das schöne gefüllte Kelchglas am Fuss, das ein feiner blonder
Knabe, seitwärts über den Tisch vorgebeugt (ein Lieblingsmotiv)
am Hals fasst. Zwischen beiden taucht im Schatten ein gleich-
altriger aber schwarzhaariger Trinker auf, das Gesicht halb in
einer Irdenkanne begraben.
Dieser Wassermann ist ein starker, soldatisch aussehender
Kerl, mit hochgewölbter Brust, von strammer Haltung, was durch
die Profilansicht recht zur Geltung kommt. Der grobe braune
Kittel fällt faltenlos, fast kegelförmig; die weiten Aermel hat
er abgestreift, und der Hemdsärmel beweist, dass er auf saubres
Leinen hält 1). Das lederfarbene Gesicht hat trotz des an Wange
und Hals gesammelten Fetts etwas hartes, starres; starke Stirn
mit zwei Lagen Höker, kleines tiefliegendes, schmalgespal-
tenes Auge, eine fast gerade, breitrückige, spitze Nase, einge-
zogener Mund und keilförmiger Bart um den Mund — das ist
das Profil.
Man denkt bei dieser Gestalt an Steinbilder in der Spitz-
bogennische einer Familienkapelle; wie gut trüge diese Brust
den Stalhpanzer, fasste diese mächtige Hand Schwert — oder
Geissel. Die Ebenbilder jener Steinschläfer findet man ja selten
bei ihren heutigen Namenserben, zuweilen aber unter den Nach-
kommen ihrer ehemaligen Leibeigenen.
Mit diesem starren, bronzenen, durch das von links einfallende
Licht scharf beleuchteten Profil kontrastirt die elastische Figur,
das edle doch noch weiche Gesicht des hübschen Knaben, mit
seinem Streiflicht und Reflexlicht und der Grazie der verkürzten
Seitenneigung.
Diess erste durchaus originelle Werk ist noch ganz nach
dem System der Herausführung der Figuren aus dunkler Tiefe
ans Licht gearbeitet. Scenerie ist nicht vorhanden, der Grund
finster. Das Ganze macht den Eindruck eines tenebroso, aber
Schatten und dämmerhafte Partien sind etwas stumpf geworden in-
folge der in dieser ersten Zeit noch verwandten Okergrundirung.
Alles trauert unter einem dicken Firniss. Im Licht ist die Be-
handlung rein und stark pastos: die Züge des vollen Pinsels im
Gesicht des Corsen sind plastisch, wie bei Spagnoletto. Diess
wettergebräunte Gesicht ist in einem Lederton, ohne alle Farben-
[132]Zweites Buch.
nüancen. Die breite, sichere, mit möglichst wenigen Zügen mo-
dellirende Malführung ist bereits vollkommen da.
Obwol das Detail so sparsam ist und durch Farblosigkeit
und Wertlosigkeit des Materials wenig anzieht, so wird es doch
gefallen durch die absolute Wahrheit in Form, Textur und Ton.
Z. B. des Kittels, der wol ein halbes Leben lang Sonne und
Regen mitgemacht hat, des Holztisches, des gelben Krugs mit
den Kreislinien von der Drehscheibe her und den weichen Dallen,
vielleicht zur Befestigung irgend eines Rings; des spiegelnden
Crystallglases. Nichts ist malerisch müssig: die mächtige Rundung
des Krugs dient als Abschieber; der Kelch, der Hemdärmel
als Lichtsammler und Lichtreflectoren vor den dunklen Flächen.
Wie hoch solche Bambochadas, selbst wenn sie wenig mehr
als Studien waren, geschätzt wurden — als Reliquien des grossen
Meisters, geht aus den ausführlichen Beschreibungen hervor,
deren sie Palomino werth gehalten hat (Museo pictorico III, 322).
„Zwei Arme, die an einem dürftigen Tischchen speisen, darauf
verschiedene Irdengefässe, Orangen, Brod u. a., alles mit merk-
würdiger Sorgfalt beobachtet.“ Dies ist vielleicht das andere
Bild in Apsley-house; es scheint eine Studie in verkürzten Ge-
sichtern. In einer kahlen, schwarzen Spelunke sitzt ein junger
Mensch, in verlorenem Profil, eine braune Schale, die vielleicht
einen Rest Chokolade enthält, an den Mund setzend; sein Ge-
fährte, den Kopf auf dem Arm, scheint über dem Tisch eingenickt.
Es ist eine Küchensiesta nach beendigter Mahlzeit und Reini-
gung des Geschirrs. Ein Krug mit Apfelsine darauf, ein umge-
stülpter Mörser, ein Teller, drei Untertassen über einer umge-
stürzten Schale, grüne Glasflasche mit Strohmantel. Die völlig
reizlose Scene ist in einem erdig dintigen Ton breit und be-
stimmt hingesetzt 1).
„Ein schlechtgekleideter Junge, der Geld zählt und mit den
Fingern rechnet, dahinter ein Hund, verschiedene Fische auf dem
Tische beschnüffelnd; dabei ein römischer Kohlkopf (lechuga) und
ein umgestürzter Kessel; links ein Bazar mit zwei Tischen, darauf
Häringe, Brot auf einem weissen Tuch; auf dem andern zwei
weisse Teller und ein grünglasirter Oelkrug.“ Dieses Stück muss
[133]Volksfiguren.
etwas gutes gewesen sein, denn es war bezeichnet, aber damals
schon sehr mitgenommen.
Im dritten sah man einen bedeckten siedenden Topf über
dem Kohlenbecken, nebst viel Küchengeräth, dabei stand der
Küchenjunge mit einem Krug in der Hand und einer Weiber-
haube (escofieta) auf dem Kopf, „eine sehr lächerliche Figur“.
In der Sammlung des Violinisten Mauro Dalay, den Elisabeth
Farnese nach Spanien mitgebracht hatte, von wo er 1731 nach
Parma zurückkehrte, war ein Stück mit zwei Facchinen an einem
Tisch, es kostete damals 30 Dublonen 1). Marie Louise schenkte
Goya den „Jungen Suppe essend“; dies Bild wurde mit der Samm-
lung des Stechers V. [Pelequer] 1867 im Hôtel Drouot für 2930 Francs
verkauft.
Die Alte mit dem Eierkuchen.
(39″ × 46″)
Ein dem Aguador ebenbürtiges, eigentliches Küchenstück ist
neuerdings zum Vorschein gekommen, und aus der Sammlung
J. C. Robinson’s in die von Mr. Francis Cook zu Richmond über-
gegangen: die alte Frau bei der Bereitung des Eierkuchens
(tortilla). Vielleicht ist diess das dritte von Palomino erwähnte
Bild, wenn man ihm eine Ungenauigkeit in der Beschreibung
nachsehen will. Die Hand des Meisters ist nach der völligen
Uebereinstimmung mit dem „Wassermann“ unzweifelhaft.
Das Gemälde giebt uns einen deutlichen Einblick in des
jungen Mannes Gesinnung, Verfahren und Können. Wol noch
nie bis dahin hatte ein Spanier sich zu einem so anspruchlosen
Gegenstand herabgelassen. Die enge, rauchgeschwärzte Küche,
das bescheidenste Geräth einer andalusischen Bauernwirthschaft,
die wenigen Gaben der Natur, deren der mässige Südländer be-
darf, eine steinalte Bäuerin und ein hässlicher Küchenjunge. Diese
bodega sieht mehr der magern als der fetten Küche des alten
Peter Brueghel ähnlich.
Die Hauptfigur, die Frau, steht, im Profil, vor dem rothen
Topf über dem Feuer, in dem zwei Eier brozeln, ein drittes hält
sie in der Linken, und in der Rechten den Rührlöffel. Sie blickt
horchend, mit offenem Mund, auf den Knaben, der wahrscheinlich
über seinen Einkauf berichtet. Diese Gestalt wird dem Gast spani-
scher Posaden nicht fremd sein. Es ist eine jener in der Arbeit
[134]Zweites Buch.
alt gewordenen, rastlosen, immer grollenden und klagenden
Frauen, die aber, im Grunde vom besten Temperament, fast mütter-
lich des Fremden sich annehmen, sein unverständliches Spanisch
laut verhöhnen und sein Nomadenleben bejammern. Eingesunkene
Augen mit abgehetztem Blick, unter der freien Stirn kurze krumme
Nase, lange Oberlippe, die Farbe noch brauner durch die weisse
toca. Der Knabe hat einen afrikanischen Typus: kurze unten
vordringende Stirn, starke Backenknochen, gepletschte Nase, auf-
geworfenen Mund, zurückweichendes Kinn, alles durch Oberlicht
nicht vortheilhafter. Aber es ist ein ordentlicher, reinlicher Bursch,
die Haare über die Stirn gekämmt und grad abgeschnitten; die
kupfrigen Hände gut geformt.
Ganz ebenso wichtig wie das Personal war dem Maler das
Inventar seiner Küche, in nüchternem weissem Tageslicht sich
präsentirend. Der blanke Messingmörser mit dem Stösser
auf dem Küchentisch, das gelbglänzende Kupfergeschirr, ein
Teller mit Zwiebeln, spanischem Pfeffer und Messer, der rothe
Wein, die braune Oelkanne mit dem grünen Glasurmantel, der
weissglasirte Topf mit den blauen Blumen, die Waage und das
Strohkörbchen an der Wand, die Melone u. s. w. — das Alles ist
mit dem Ernst eines Stilllebenmalers wiedergegeben. Die Behand-
lung ist bei aller prosaisch fleissigen Accuratesse keineswegs
kleinlich; ein sicherer, voller Pinsel setzt Contour und Fläche in
wenigen Strichen hin. Nichts hat der Maler hinzugethan. Da ist
keine präparirte Beleuchtung (das Feuer hätte die schönste Ge-
legenheit geboten), nichts vom Haut-goût raffinirter Gemeinheit
und Unsauberkeit, nichts von geschäftsmässigen Modellen oder
malerischen Atelier- und Costümfiguren, nichts von Herablassung:
bloss Ehrlichkeit. Es ist ein Stückchen Wirklichkeit, das aber
einen Kreis von Eindrücken, Erinnerungen an Land und Leute
ausstrahlt.
In derselben Galerie wird noch ein anderes Stück, der
Bettler mit der Weltkugel, dem Meister beigelegt — diesmal
irrig. Ein alter Saufbruder setzt, uns anlachend, seinen vier-
henkligen Weinkrug auf eine grosse Kugel, als Emblem seiner
Hafisphilosophie. Die Kugel spiegelt eine Scene in der Art
Teniers; eine hübsche Landschaft mit hohem Himmel, Ferne und
Wald, vorn ein strohgedecktes Wirthshaus und eine Zecherge-
sellschaft am Tisch davor. Dieses Gemälde zeigt in allen Stücken
wie Velazquez nicht gemalt hat. Die mit leichtem, dünnem,
kurzem Strich auf trübem braunem Grund schwach deckende
[135]Volksfiguren.
Art weist auf die niederländische Verfallzeit, zu der auch das
Costüm der seitwärts stehenden Cavaliere passt.
Zufälliger Weise kann man vergleichen, wie Spanier ein
solches Sujet behandelten. In der Galerie zu Rouen befindet
sich ein Gemälde, das dort dem Meister zugeschrieben wird
(N. 351), über das sich aber die Kritik, sonst so freigebig mit
Apokryphen, wohl am unrechten Platz skeptisch geäussert hat 1).
Freilich ist gerade das Gesicht arg verschmiert, augenscheinlich
um einen Riss zuzudecken, der durch die Wange geht; wahr-
scheinlich hatte ein muntrer Jüngling auf die etwas provocirende
Grimasse des Mannes in seiner Weise reagirt.
Ein hagerer Mann von stark spanischem Typus, Kniestück,
nach rechts stehend, aber das Gesicht mit höhnischem Lachen
uns zugewandt, den linken Arm keck in der Seite. Auf dem
Tisch vor ihm steht ein Erdglobus, ruhend in einem auf vier
Pföstchen stehenden Ring. Daneben zwei Bücher. Auf diese
Kugel deutet die linke Hand nachlässig von oben herab, mit
lothrecht ausgestrecktem Zeigefinger, einem äusserst sprechenden
Gestus, der sogar einen schmutzigen spanischen Ausdruck der
Verachtung bezeichnet. Es ist also ein Cyniker, dessen Philoso-
phie übrigens sein gewählter Anzug nebst Frisur Lügen straft.
Wenn man annähme, dass er die nationale Geringschätzung der
Geographie ausdrücken wolle, würde man ihn sogar undankbar
nennen müssen, denn das Gold seines Gönners, mit dem er diese
schäbige Eleganz bestreitet, war doch wol über das grosse Wasser
nach Sevilla gekommen.
Der Kopf passt zu der Geberde. Kleine stechende schwarze
Augen, unter buschigen Brauen, schmale zurückliegende Stirn,
stark ausladende Römernase, kräftiger Mund, aus dem zwei Rei-
hen Zähne hervorblinken, sorgfältig nach damaligem Schnitt ge-
kräuseltes schwarzes Haar und dicker aufwärts gedrehter Schnurr-
bart. Es ist der hagere Kopf eines Münchhausen. Er trägt einen
breiten fallenden Spitzenkragen, und auf dem rechten Arm ruht
der gelbe, mit besonderer Sorgfalt gelegte und modellirte Mantel.
Dieser sowie die dünne Paste, die nachgedunkelten Schatten
und die erhaltenen Fleischtheile (die Hand), vor allem das Aplomb
in Contour, Stellung und Plastik stimmen mit dem Aguador.
[136]Zweites Buch.
Ansprechend und wahrscheinlich echt ist ein bloss theil-
weis ausgeführtes Bild 1). Ein liebliches Kind von etwa drei
Jahren, in gestreiftem Kleidchen, vielleicht sein eigenes Töchter-
chen, sitzt hinter einem Tisch vor einer Silberschüssel mit Trauben,
von denen es eine an den Mund hält. In die Ferne blickend,
scheint es die Qualität zu kosten, der kleine Schlecker. Links,
hinter ihm, sieht ein Mann herüber, wieder in seitlicher, etwas
verkürzender Neigung des Gesichts; mit dem Blick des treuen
Hüters. Sein Kopf ist fast fertig ausgearbeitet: grau, weiss,
roth ineinander, es ist jener Typus mit starken Brauen und ein-
gedrückter Nase. Der Kopf des Kindes ist auf dem braunen
Grund leicht skizzirt, mit breiten halbdeckenden weissen Strichen
und genährten dunkeln, fast wie ein Sepiastück; neben etwas grün
sind die warmen Fleischtöne nur durch eine Spur Roth in Lippen
und Nase vertreten; über die blonden Locken geht das Band
des Mützchens. Die eine Hand ist nur in breiter brauner Contour
vorhanden, die andere scheint ein Spielzeug zu halten; das Tisch-
tuch ist nur zur Hälfte durch einen weissen waagerechten Strich
angedeutet.
Aehnlich behandelt ist der Studienkopf einer Blinden in
der Gallerie Raczynski (N. 17), ein Geschenk des D. Fran-
cisco de Asis. Die festgeschlossenen kleinen Augen scheinen
die einer Blindgebornen. Ein auf die Brust gesenkter, edelge-
formter Kopf von dunkelbraunen, schräg über die Stirn gehenden
dichten Locken umwallt, hohe Stirn, grade Nase, schmale Ober-
lippe. Diese Studie ist mit mehr Farbentönen als die bisherigen
Stücke trefflich modellirt. Einen ähnlichen Kopf glaubt man in der
Staffage der Ansicht von Zaragoza, links, zu erkennen. (17″ × 12″.)
Apokryphen.
Da solche Sachen dafür galten, dass mit ihnen die „höchste Ehre“
zu verdienen war, auch einige zweihundert Jahre lang königliche
Gemächer geziert haben, so kann man sich denken, wie lebhaft seiner
Zeit das Angebot gewesen ist, und wieviele solcher Schöpfungen längst
vergessener Dunkelmänner neuerdings als Velazquez auf den Markt ge-
bracht worden sind. Jede spanische Leinwand, auf der Küchengeschirr
oder ein grinsender Junge vorkam, hiess ein Bodegon von Velazquez.
[137]Apokryphen.
Die verschiedensten Sorten schlechter und mittlerer Malerei sind hier
vertreten. Der Katalog Curtis zählt deren etwa siebzig auf (acht aus
der Galerie Aguado). Schwerlich ein Dutzend von ihnen mögen mit
dem Meister zusammenhängen. Aus den beschriebenen echten kann man
hinreichende Gründe für ihre Verdammniss gewinnen.
Ausser der schlichten, vollkommenen Wahrheit (die aber oft gar
zu gütig bescheinigt wird, sobald nur der Gegenstand recht platt
ist), erreicht mit den einfachsten Mitteln, gehören zu den Kennzeichen
der Echtheit die breite und für die Jugend des Malers merkwürdig feste
Hand in äusserer und innerer Zeichnung, die Nüchternheit der Farbe,
die Sparsamkeit des Impasto und die sehr durchstudirten Gewandmotive.
Aber bei aller Niedrigkeit der Sphäre ein sehr bestimmter Geschmack
— in dem Kreis der Modelle, in dem recht haushälterischen Inventar
der „todten Natur“, in der Geringschätzung wolfeiler Effekte, endlich
in dem Bedürfniss, diese anspruchlosen Studien durch gewisse Motive
der Anordnung, Verkürzung und des Helldunkels auf den Rang eines
Kunstwerks zu erheben. Nichts Rohes, Improvisirtes ist je von seiner
Hand gekommen. —
Wer die echten Bodegones aufmerksam betrachtet hat, wird viele
Gemälde schon nach der blossen Beschreibung der Malweise, manche
sogar nach der des Gegenstandes getrost dem Meister absprechen können.
Ueber die folgenden urtheile ich indess nach eigener Anschauung. Der
Leser kann diese einmalige Probe einer Kritik der Pseudovelazquez
überschlagen.
In solchen Apokryphen verfolgt uns natürlich jener lachende Bauern-
bursche. Der Junge mit der Orangenblüte im Belvedere zu Wien (Nr. 623)
hat seine Taufe wol nur dieser Notiz zu verdanken; Ton des Fleisches,
Farbenauftrag und Stil sind dem Meister ganz fremd. Diess Bild scheint
die ausgeführte Improvisation eines Malers, der bloss das groteske
Grinsen eines schwachsinnigen Knaben naturgetreu auffangen wollte, was
ihm auch unübertrefflich gelungen ist. Diese leere Grimasse drückt die
plötzliche, berauschende Wirkung des starken süssen Blütendufts auf
ein schwaches Gehirn aus. Dabei presst er die Hand ans Zwerchfell,
zeigt die Wunderblume triumphirend, und reisst — mit einem Ah!
den Mund auf, wobei zwei Reihen ungleicher Zähne — mit Speichel-
faden — zum Vorschein kommen. Das Bild passte in einen psychia-
trischen Bilderatlas. Sollte es eine Studie Caravaggio’s sein, von dem
eine solche Figur im Besitz des Grafen Tassis erwähnt wird? 1).
[138]Zweites Buch.
Da es einmal Velazquez hiess, hat man natürlich hineingesehn:
„eine gesunde, robuste Farbe, den Glanz und das Leben des Fleisches,
wenn auch die Modellirung, sehr durchwühlt, sehr geschrieben, oft in
Trockenheit verfalle, so sehr gehe er auf Präcis ion und peinliche Richtig-
keit aus“ 1).
Auch in Paris, im Besitz eines Forschers spanischer Malerei
befindet sich der lachende Rüpel, nur hat Gesicht und Technik mit
der des Wiener Blumenfreunds gar keine Aehnlichkeit. Jener stammt
aus der Sammlung Pedro Ximenez de Haro in Madrid. Das schmale,
widrige Fuchsgesicht eines Hanswurstes, das eine Auge spöttisch gekniffen,
die Hand vorwärts zeigend: schon von weitem verräth sich diess flau
gezeichnete und liederlich gemalte Bild mit seinen stumpf-rothbraunen
Flächen als ein Machwerk der Verfallzeit. In solchen skizzenhaften Bildern,
wo auf fuchsigem Grund Fleich und Draperie wie verschlissene Lumpen
hängen, und kein Strich des Borstenpinsels Verständniss der Formen
entdecken lässt, glauben Viele den flotten Vortrag des Meisters zu
erkennen.
Das grosse Küchenstück im Museum zu Valladolid (140. 1, 50 × 2,10,
von Laurent photographirt) ist eine geschmacklose, diesmal mit dickem
trübem Farbenteig gemalte Aufhäufung von Früchten, Gemüsen, Vögeln,
Fischen, zu der Koch und Köchin noch weitere Massen herbeischaffen.
Das hübsche Mädchen wendet sich freundlich dem jungen Koch zu;
die Hände sind jedoch abscheulich. Auch hier erblickte man, durch
die Brille des Namens, „die richtige Farbe, den wahren Ton absolut und
beziehungsweise“, bekennt indess, „dass die Gleichwerthigkeit jedes Theils
und jedes Stücks, ohne sous-entendu und Opfer, die unterschiedslose
Vergeudung der Werthe, Kraftgrade und Accente, zu einer trocknen,
scharfen, fast abstossenden Malerei verleitet habe, ohne Relief, Um-
hüllung und Pläne“. Kann man mit mehr kennermässigem Wortschwall
das Wort croûte umschreiben? schlagender die Unklugheit, dieses Stück
dem Maler zuzutheilen, ausdrücken?
Mit einem grossen Bauernstück, das auf der Manchester-Ausstellung
erschien, sind noch ganz andere Kritiker als die angeführten dem Mei-
ster zu nahe getreten 2). Eine an der Erde sitzende Frau hält ihr Kind
auf dem Schooss, das mit einer Traube spielt, daneben, auf dem Rücken
ausgestreckt, ein alter bärtiger Bauer, der es anlacht, und ein junger,
[139]Apokryphen.
der nach der Traube greift. Diess in der Erfindung ansprechende Bild
(joviale et réjouissante peinture) ist, abgesehen von dem ganz fremd-
artigen Aussehen, doch zu unbeholfen in Bewegung und Gruppirung,
zu trocken, und zu schwer in den Schatten. W. Bürger wurde wie viele
bestochen durch seine Schwachheit für muntere Mache (vive pratique),
obwol ihm der grobe (grossière) Strich und Ton, so verschieden von
der späteren Feinheit (délicatesse) des Malers nicht entging.
Besser war ein Musikantenstück in der Galerie Salamanca, nach
dem Katalog aus der Galerie „Don Celestino’s“. Eine Gruppe blinder?
Geigen- und Guitarrespieler, gelbe, schlechtgenährte Landstreicher, in
der Mitte der Barde, links der herauslachende Knabe mit dem Instrument
unterm Arm. Die Breite, Sicherheit und Schlichtheit des Vortrags, die
gute Gruppirung, die dünne unscheinbare Farbe, die Streiflichter über
den Gesichtern, liessen die Benennung weniger sinnlos erscheinen;
dennoch erreichte das Bild im Jahre 1875 nur 1600 Francs, während
das folgende 4980 erzielte.
Diese Schmauserei (comilona) von drei Personen, mit aufgehängten
Würsten, Rippenstücken, Speckseiten, stammte aus der Galerie des D.
Sebastian Martinez in Cadiz, wo sie Ponz nebst zwei anderen sah 1).
Das zweite war ein Pescadería (Fischstück) mit drei Halbfiguren, das
dritte eine Mahlzeit von vier Personen, mit Wildpret, Vögeln u. s. w.,
angeblich mit denselben Gesichtern wie die Borrachos. Jenes erste war
ein roh componirtes, derb geschmiertes, unappetitliches Bild, nicht anzie-
hender durch widerwärtige Halunkengesichter. Vielleicht hatte sie alle
drei ein reicher Metzgermeister nach seinen Ideen bestellt. Ein Feuilletonist
fordert uns auf zu bewundern „die grobe Wirklichkeit in tastbarem Zu-
stand auf die Leinwand geklebt, wie man ein Relief an die Wand klebt;
diese rohe und kraftvolle Trivialität, geknetet wie mit dem Bossirbein;
einen Borstenpinsel, der im schmierigen Bart wühlt, das offene Maul
aufritzt, den Augenschlitz fältelt und alle Runzeln eines dicken gebräun-
ten Leders beschreibt, endlich als Baucis die unheimlich hässliche Wir-
thin eines Kehlabschneiders“ u. s. w. 2).
Solche Beschreibungen, in deren schon durch das blosse Ohr den
nervus vagus anreizenden Eigenschaften der Kritiker lauter Merkmale der
Unechtheit und zugleich eine Satire auf sich selbst niedergeschrieben
hat, muthen dem kaufenden Publikum zu, Erzeugnisse eines an-
geblich unerreichten Meisters anzustaunen, von denen sich die Letzten
unter den Tausenden, die jährlich im Salon Aufnahme finden, sagen
[140]Zweites Buch.
dürfen, dass sie bei gutem Willen allenfalls ebenso scheusslich malen
könnten. Heiter ist es, wie das in den Ateliers aufgefangene, für Ca-
binetstücke des Pinsels gemünzte Malerjargon mit Kennermiene auf
Strass übertragen wird, den anzusehen der Taxator selbst keine Ge-
duld gehabt hätte, wenn er nicht zufällig durch eine berühmte Galerie
hindurchgegangen wäre, und der Name, Dank einem schneidigen Kunst-
händler, daran hängen geblieben wäre.
Zwei Gemälde im Museum zu Palermo (Nr. 4. 79) gehören zu den
Ignoti, die wie gemacht scheinen, entdeckungssüchtige Forscher in eine
täuschende Aufwallung zu versetzen. Es sind Hirtenstücke, mit no-
vellistischen Bestandtheilen, und für Süditaliener sehr gründlich aus-
studirten und ausgeführten Ziegen, Schaafen, Pferden und Hunden, in
einer Manier, die dem Rosa di Tivoli nahesteht. Die Malweise hat
aber viel Aehnlichkeit mit den Naturalisten, und bei einer Gruppe muss
Jedem das Paar rechts im „Bacchus“ in den Sinn kommen. Sie sind auch
von mehreren dem Meister zugeschrieben worden, bei genauerer Prüfung
aber findet man doch nichts von seiner besonderen Art. Es sind wahr-
scheinlich Arbeiten eines sicilischen Bukolikers, von dem dort noch
andere Gemälde vorkommen, wo die Thiere von derselben Hand, die
Figuren aber viel geringer sind: Orpheus (1017 „Giuseppe Salerno“) und
ein Hirtenstück (353, „französische Schule“). Da nun von jenen beiden
Pendants das eine holländisch, das andere spanisch heisst, so haben
wir hier vier Bilder derselben Hand unter vier Nationalschulen vertheilt!
Einige gut gemalte Volksfiguren eines Unbekannten, die jenen echten
in der Auffassung nahe stehen, begegnen in englischen Sammlungen. Sie
sind in einem kupfrigen, mattschimmernden Ton gemalt. Die Köchin
ein Weinglas spülend, bei dem Herzog von Bedford; ein Schäfer, eine
Bauerndirne, bei der Gräfin Yarborough; der schlafende Knabe, bei Ed-
ward A. Leatham, Esq. Der von L. Gruner 1826 gestochene Schäfer
ist Velazquez ganz fremd. (Curtis 81, o. l. q. 78. 81, a.)
Unter den zahlreichen Stücken, deren Urheber wol nie entdeckt
werden dürften, finden sich doch auch einige von einem kenntlichen
Meister, der diesen Kreisen seine Anregung verdankte, obwol sein Wir-
kungskreis Cordova wurde. Antonio del Castillo y Saavedra (geb. 1603),
der 1626 nach Sevilla kam, lernte hier den Bodegonesgeschmack kennen;
er warf sich besonders auf die Bauern- und Hirtenstücke. Nach ihrer
Zahl scheinen diese seine Cabañas sehr beliebt gewesen zu sein. „Er
begab sich aufs Land und zeichnete Hütten, Ochsen, Wagen und alle
Werkzeuge des Ackerbaues, mit allen Zufälligkeiten und Einfällen der
Natur; diese malte er dann mit grosser Wahrheit“. Wie die Bassanos
übertrug er diese Art auf biblisch-legendarische Scenen, die er im Stil
[141]Kirchenbilder.
des historischen Genre behandelte und mit reicher landschaftlicher Sce-
nerie ausstattete. Die Verleugnung Petri im Museum zu Cordoba ist
eine echte Quartierscene in der Art des A. le Duck. Seine reichste
und besterhaltene Folge ist die Geschichte Josephs in sechs Bildern, im
Museum zu Madrid (2068—73), dort von Jemanden, dem solche Bilder
des hervorragendsten Meisters der Schule von Cordoba ganz unbekannt
waren, Pedro de Moya genannt, obwol sie mit diesem seltenen grana-
dinischen Maler die denkbar grösste Unähnlichkeit haben. In der Er-
findung und Composition, nicht in der Farbe, erinnern sie an die
Vorgänger Rembrandts. In Sevilla sah ich die Zeichnung eines treff-
lichen Bildes, die Jünger zu Emaus, Halbfiguren, das früher für Velaz-
quez galt und unter diesem Namen ins Ausland verkauft wurde; es
stellte sich aber heraus, dass es von Antonio del Castillo war.
Kirchenbilder.
Die Annalen von Sevilla im Anfang des Jahrhunderts liefern
redende Beiträge zur Erklärung des Verfalls Spaniens. Da
scheint es, dass die Stadt, wenn es in diesem Zuge fortging, in
einem Jahrhundert in eine Thebais verwandelt sein müsse. Unter
dem schwachköpfigen Philipp III (el tercero santo) und seinem
Lerma erhoben sich die Klöster in Zahl und Umfang, wie nie
vor- und nachher; den in der Welt lebenden Christen wurden
ihre Städte zu eng. In die ersten zwölf Jahre des Jahrhunderts
(1600—11) fallen nicht weniger als neun Klostergründungen 1).
Sie erfolgten in der Regel nach langem und hartnäckigem Wider-
stand der Stadt wie des Erzbischofs und Kapitels, welches stets
„Berge von Schwierigkeiten“ machte. Aber gegen Mönchszähig-
keit und das Geld gottseliger Witwen giebt es keine Rettung.
Die Maler freilich konnten sich diese Zustände gefallen
lassen. Auch der junge Diego begann seine Meisterjahre als
Kirchenmaler, und sogleich mit ehrenvollen Aufträgen. Seine
ersten Gemälde entstanden wol unter den Auspicien Pacheco’s,
der sie gewiss als Eröffnung einer Laufbahn ansah, welche die
glorreiche eines Luis de Vargas erneuern werde. Der junge
Mann selbst kann sich damals seine Zukunft nicht anders vorge-
stellt haben. Des frommen Herrn gute Verbindungen bahnten
ihm sofort den Weg in eines der angesehensten Klöster. Diese
[142]Zweites Buch.
Erstlinge bezogen sich auf einen Kultus, der in Sevilla so eben
einen ausserordentlichen Aufschwung genommen hatte.
Am achten September 1613, dem Tage von Mariä Geburt,
hatte ein Predigermönch die Meinung seines Ordens von der
Empfängniss Mariä vertheidigt, und durch das Aergerniss das
er gegeben eine Volksbewegung aufgeregt, welche die Geist-
lichkeit mit Eifer in die Hand nahm. Der Erzbischof de Castro
ordnete eine Procession an als Zeugniss für die unbefleckte
Empfängniss; alle Pfarrkirchen, Klöster, Bruderschaften, selbst
die Mulatten und Neger veranstalteten wochenlange Feste.
Eine Gesandtschaft an den König wurde beschlossen, die Befür-
wortung der Definition des Dogmas beim päpstlichen Stuhl zu
erbitten. Die Boten waren der Kanonikus D. Mateo Vazquez
de Leca und Bernardo de Toro. Dieser hatte den von Miguel
Cid gedichteten Vers (cuarteta) auf Noten gesetzt; täglich wurde
er von Gross und Klein auf den Gassen gesungen 1). Die beiden
Herren erreichten wirklich ein Breve Paul V. (21. August 1617),
welches wenigstens den öffentlichen Vortrag der weniger frommen
Meinung untersagte.
Um diese Zeit nun war es, wo auch unser Maler, nach dem
Vorbild seines Lehrers, den Tribut seines Pinsels der Allerrein-
sten darzubringen beschloss. Die beschuhten Carmeliter (Carmen
calzado) bewohnten eines der stattlichsten Gotteshäuser der Stadt.
Es ist im Unabhängigkeitskrieg verwüstet und geplündert worden,
und heute Kaserne. Von dem grossen Kreuzgang mit Fuss-
boden von Genueser Marmorplatten und reichen Thonfliesen
(alicatados) führte eine breite Marmortreppe hinauf in den Kapitel-
saal. Für diesen waren zwei zusammengehörige Gemälde be-
stimmt: Johannes der Evangelist auf Patmos, dem die Gestalt
des Weibes auf dem Halbmond, verfolgt vom Drachen erscheint:
und diese Gestalt selbst, welche als Bild jenes Mysteriums
sanctionirt worden war. Beide Stücke (54″ × 40″), die zuerst
von Cean Bermudez erwähnt werden, wurden in den Tagen der
Zerstörung von dem in dieser Beziehung hochverdienten Dom-
herrn Lopez Cepero gerettet, und in der Folge (1809) dem eng-
lischen Gesandten Sir Bartle Frere überlassen, in dessen Familie
sie sich noch befinden.
[143]Kirchenbilder.
Diess war nun ein Gegenstand, der nur im Anschluss an
die Ueberlieferung dargestellt werden konnte; sonst hätte auch
ein vorzügliches Kunstwerk mehr Anstoss als Beifall erwarten
dürfen. Für poetische Erfindung war kein Platz, für malerische
war die Zeit noch nicht gekommen. Ein Anfänger also, der
seine Studien an Köchen und Strassenfiguren gemacht, und dem
ein Censor wie sein Schwiegervater zur Seite stand, musste
sich hier in keiner geringen Verlegenheit befinden. Der Ge-
genstand war überdies schon von den ersten Malern in ange-
sehenen Bildern behandelt worden.
Die „unbefleckte Empfängniss“ wurde damals nur noch
symbolisch versinnlicht. Die historische Darstellung des Mittel-
alters, die Begegnung der Eltern an der goldenen Pforte, oder
die vorhergegangenen Engelserscheinungen entsprachen nicht
mehr der Empfindungweise des Zeitalters. Man legte jene Vision
der Apokalypse zu Grunde: eine in Wolken schwebende Gestalt,
das Bild jungfräulicher Reinheit, über dessen theologische Be-
deutung Sinnbilder Aufschluss gaben. In den spanischen Dar-
stellungen ist der Blick gesenkt und ernst, lange blonde Haare
fallen über die Schultern, die Hände gekreuzt auf der Brust oder
erhoben und mit den Fingerspitzen sichberührend, um das Haupt
Sonnenlicht, ein Kranz von zwölf Sternen. Die Symbole suchte
man, zur Vermeidung des Hieroglyphischen, malerisch zu
verschleiern, indem man sie in einer Landschaft vertheilte, die
etwa den Eindruck eines englischen Parks macht.
Einen Punkt gab es jedoch, in dem der junge Meister
wagte, sich auf eigene Füsse zu stellen. Unter den Merkmalen,
die Pacheco in seinem Kanon aufstellte (II, 189 f.) war auch eines,
das nicht symbolisch war: „Ihre Leibesschönheit, sagte er, war
ein Wunder“. Das ist leicht zu malen in Versen, schwer für
die Augen, die ungläubiger sind als die Ohren. Das Mysterium
fiel hiernach in die Competenz der Idealisten, und jene Roma-
nisten hatten auch ein Ideal beabsichtigt, obwol man es ihnen
kaum ansieht.
Diesen kümmerlichen Idealismus konnte Velazquez nicht
mitmachen. Er wusste nur nach Modellen zu malen und hätte
schwerlich begriffen, wie man die Natur korrigiren könne. Er
wählte ein Mädchen aus dem Volke, ein Kind der Armuth wahr-
scheinlich, die allein sich dazu verstanden; ein ordentliches Kind,
das dieses Geschäft wol auch als frommes Werk betrachtete.
[144]Zweites Buch.
Nur ein „süsses Kindergesicht“ kann man darin nicht finden 1). Es
ist eine ganz unbedeutende, farblose Physiognomie: kurze Stirn,
starke Backenknochen, zurückweichendes Kinn, der gesenkte
Blick auf den Punkt gerichtet, den der Maler ihr geheissen zu
fixiren. Nur ihre schwarzen Haare sind vorschriftsmässig ins
röthlich blonde (color do oro) übertragen worden; gegen den Kanon
ist die Farbe des Kleides, das nicht weiss, sondern ein schwaches
violett ist: keine gute Zusammenstellung mit dem blauen Mantel.
Er hatte eine moza de venta zur Himmelskönigin gemacht.
Solche Modelle armer Mädchen wählte auch der gleichaltrige
und gleichgesinnte Francisco Zurbaran für seine heiligen Frauen,
obwol etwas hübschere und von mehr Race. Es sind niedliche,
etwas spitze Köpfchen mit schwarzen Augen, aus denen aber
nur die Beschränktheit ihres Verstands- und Gemüthslebens spricht.
Dass eine so nüchterne und leere Gestalt, ohne Adel, Grösse,
Schönheit und Leben in diesen Tagen der Hochfluth marianischer
Devotion geschaffen wurde, verschuldete nicht bloss die Jugend
des Malers oder sein Mangel an Beruf für religiöse Kunst.
Fromme Schwärmerei allein vermag Bildwerken noch nicht einen
Funken Leben einzuhauchen, und, wie die oben citirte cuarteta
des Miguel Cid beweist, auch Versen nicht.
Der himmlische und landschaftliche Hintergrund ist jetzt
ganz versunken und unscheinbar geworden infolge des Durch-
wachsens des Grundes.
Auch in dem zweiten Gemälde des Sehers Johannes schloss
sich der Maler in der Erfindung eng an die Ueberlieferung.
Johannes der Evangelist wurde von Alters her dargestellt
beim Empfang dieser Vision, im Mittelalter als hochbetagter
Greis (wie ihn noch Memlinc malte), im sechzehnten Jahrhundert
als lockiger Jüngling. Die Insel Patmos gab den Vorwand zu
einer reichen Waldlandschaft. So in dem durch mehrere Kupfer-
stiche (z. B. Johann Sadelers) verbreiteten Gemälde des Martin
de Vos, das auch von Italienern nachgestochen wurde. Wie in
diesem Blatt, sitzt Johannes auch in unserer Leinwand rechts am
Rand der Bildfläche. Die Linke im aufgeschlagenen Buch, doch
den Zeigefinger aufhorchend erhoben, die Rechte mit der Feder
[145]Die Epiphanie.
schwebend gehalten. Haupt und Blick wendet er zurück und
nach oben, wo in Wolken der siebenköpfige Drache erscheint,
der in Verfolgung des sonnenbekleideten Weibes mit dem em-
porringelnden Schweif die Sterne vom Himmel fegt. Zur Linken
der Adler.
Wie im Bilde des Weibes hat Velazquez auch hier zum
Träger der Rolle ein Modell gewählt, dem die Eigenschaft des
Ungewöhnlichen nicht abzusprechen ist. Es ist ein junger Mensch
mit den harten sinnlichen Zügen des dunkeln Welttheils. Nie-
drige enge Stirn unter kurzgeschorenen schwarzen Haaren, dicke
ebensolche Augenbrauen, starke Kinnladen, wulstige rothe
Lippen mit dunklem Bärtchen, zwischen denen unregelmässige
Zähne sichtbar werden. Unser Sevillaner geht also noch weiter
als Caravaggio, der sich wenigstens wolgeborene Modelle aus-
suchte, und als Ribera, dessen Typen doch im Bau immer mäch-
tig sind. Diesem Jüngling hat er eine grobe weisse Tunica
gegeben und den violetten Mantel über den Schooss geworfen.
Die aus den vorherbesprochenen und den folgenden hin-
reichend bezeugten Werken bekannte Hand kündigt sich hier
schon an: mit breitem vollen Pinsel sind vollkommen sicher
Umriss und Modellirung (z. B. der Extremitäten) hingesetzt. Zu
beachten ist, dass er auch die bisher gebrauchten dünnen, in
scharfen, senkrecht parallelen oder gebrochenen Linien fallenden
Stoffe mit dicken, breite und stumpfe Falten werfenden ver-
tauschte.
Die Epiphanie
(203 × 125)
ist das Gemälde, welches in der Galerie des Prado den Meister
(Nr. 1054) eröffnet. Es trägt die Jahreszahl 1619; woher es in
die königliche Sammlung kam, ist nicht bekannt. Vor den
Erstlingen zeichnet es sich aus durch die grosse Kraft der
Farbe und des Helldunkels. Jene ist pastos, und im Ton ernst,
fast düster: neben dunkelgrün und stahlblau, das beliebte gelb
und orange; das rothe Kleid der heiligen Jungfrau hat ein in
violett fallendes Carmoisin. Die Schatten sind so dunkel (zum Theil
gewiss so geworden), wie sie später nicht mehr vorkommen. Die
Typen, sämmtlich Bildnisse, sind mit Sorgfalt für ihre Rollen
gewählt; die Gewandung, besonders die Mäntel in der ge-
10
[146]Zweites Buch.
diegenen Durchführung des Aguador; der Page hinter dem
Mohren hat ganz die Wendung des Knaben in diesem Bild.
Die Scene ist als Nachtstück gedacht, nur am Horizont
Die Anbetung der Könige.
dämmert der kalte, gelbliche Schein des ersten Morgens. Auf die
rechts ziemlich hoch sitzende Maria fällt ein scharfes Licht. Dieses
Licht wird durch die schneeweise leinene toca und den Kragen
des Kindes stark zurückgeworfen. Die Unterordnung der Ver-
[147]Die Epiphanie.
ehrer unter diese Hauptgruppe ist betont durch ihre Abwendung
von der Lichtquelle — den Schatten auf ihren Gesichtern.
Die Madonna ist schöner beabsichtigt als in jenem ersten Ver-
such. Eine blutjunge, hübsche, beschränkte Bauersfrau, doch eine
unverfälschte Spanierin, mit edelgebogener Nase. An den Schläfen
schmale schwarze Haarflechten. Ihre dunkeln Wimpern sind ge-
senkt, aber von dem Zauber, den noch Roelas solchen demüthig
sanften Augen gab, ist keine Spur da: auch hat ihr Blick nichts
von Mutterfreude. Man glaubt diese Figur in einem Landstädt-
chen Morgens am Gemüsemarkt so sitzen gesehen zu haben.
Das faltenreiche dicke Kleid ist ein Winterrock, es war ja De-
cember. Ihre Hände sind derbknochig, stark genug den Pflug
zu führen und nöthigenfalls den Stier bei den Hörnern zu fassen.
Mit beiden umschliesst sie fest das kerzengrad hingehaltene
Wickelkind. Denn es ist ein ordentliches Wickelkind, nach der
Vorschrift Pacheco’s, der ganz empört war, wenn er das neuge-
borene Kind nackt der Winternacht ausgesetzt sah. Der heil.
Joseph, der rechts neugierig heraufschaut, ist ebenfalls ein häss-
liches, hartes Bauernprofil.
Wenn Jemand dem Maler diese Niedrigkeit seiner heiligen
Familie vorgehalten hätte, so würde er wahrscheinlich mit Michel-
angelo entgegnet haben: Diese heiligen Personen waren arm
und niedrig. Wer aber gemeint hätte, dass ihm vornehme Typen
versagt gewesen, den konnte er auf die beiden knieenden Kö-
nige verweisen. Hier, das sieht man, ist er auf einmal in seinem
Fahrwasser. Es sind eigentlich seine ältesten nachweislichen
Bildnisse. Sie stimmen in der Behandlung ganz mit dem Portrait
des finstern Mannes in der Halskrause (Prado 1103), wenn dieser
nicht gar zu dem einen gesessen hat. Solche Bildnisse waren
seit Campaña in Sevilla nicht gesehen worden. Der vorderste,
jüngere, von etwas vollen Formen, könnte einen Domherrn aus
altem Geschlecht vorstellen; der Greis dahinter einen Ordens-
komthur. Auch der Mohr ist ein Fürst in seinem Stamm. Wie
ihre Lineamente die echter hidalgos sind, so hat auch ihre Devo-
tion die Würde, das unbewegliche, fast finstere Phlegma des
Spaniers von Stand.
Die Composition ist ganz in den Vordergrund gedrängt,
wahrscheinlich um Raum für recht grosse Figuren zu gewinnen.
Diese werden an beiden Seiten vom Rahmen durchschnitten, der
zu eng erscheint. Und da die Madonna durch das ungedämpfte
grelle Licht sehr hervorkommt, so scheint der vordere Magier
[148]Zweites Buch.
sogar von aussen in die Bildfläche hineinzustreben. In dem litho-
graphischen Galeriewerk ist das Gemälde breiter; die Figuren
setzen sich noch fort; ist es beschnitten worden?
Die Hirten.
(7' 7″ × 5' 6″).
Wahrscheinlich werden jene Gestalten, welche der junge
Maler für Johannes und Maria ausgab, manche nicht besonders
entzückt haben, die von früherer Zeit her bei heiligen Per-
sonen an Vornehmheit in Form und Ausdruck gewöhnt waren.
Er mag einmal das Bedürfniss eines Wegweisers empfunden
haben, der Gleichheit des künstlerischen Bekenntnisses mit einem
gewissen Ansehen in kirchlichen Darstellungen verband. Und die-
sen fand er in Joseph Ribera. Wenn er auch seinen „Naturalismus“
nicht von diesem gelernt hat, so hat er ihn doch einmal wenig-
stens sich zum Vorbild genommen. Diess beweist das Vorkommen
ganz persönlicher Typen des Valencianers in der Natividad1). Bei
den bisher besprochenen Gemälden ist von dessen Studium keine
Spur.
Maria sitzt links und zeigt das Kind indem sie es aufdeckt
den Hirten. Aller Blicke, auch Joseph’s konvergiren nach ihm in
nahen Radien; die Köpfe stehen eng und steil übereinander.
Von der Thür her nähert sich im Dämmerlicht ein Mädchen mit
Taubenkorb, ganz rechts bläst ein Junge die Flöte.
Obwohl ebenfalls ein Nachtstück, obwohl der Stoff auf niedere
Modelle führte, sind doch die Instrumente etwas feiner gestimmt,
als in der Huldigung der Könige. Das Impasto ist dünner, die
Farbe reicher und heiterer, die Schatten heller und farbiger, der
Ausdruck belebter, die Typen der heiligen Personen edler, die
kunstvollere Composition rundet sich mehr in die Tiefe. Man
sieht links einen mächtigen Säulenschaft mit verzierter Basis.
Die Absicht etwas besonderes zu liefern ist auch in der
Ausführung von gleich mässiger Sorgfalt erkennbar. Dies ist wol
[149]Die Hirten.
das fleissigste Bild das er gemalt hat; es giebt eine Vorstellung
von der allseitigen Gründlichkeit, auf die in der Schule des
Schwiegervaters gehalten wurde. Dennoch ist darin nichts müh-
sames, nichts unsicheres. Gesicht und Hände der Madonna hätte
Sassoferrato nicht in zarter verschmolzenen Uebergängen mo-
dellirt. Die Bodegonesstudien sind erkennbar: den Brodkorb,
die Strohbündel, die Hühner, das Schaaffell, das an den Beinen
zusammengeknebelte Lämmchen hätte Niemand damals so machen
können. Die dralle Bauerndirne mit den Tauben auf dem Kopf
erinnert an Berchem.
Wenn Stirling meint, solche Figuren könnten den Zigeunern
der Triana entnommen sein, so hat er nicht ganz genau ge-
sehen: diese Hirtengesellschaft ist überhaupt nicht dem Leben,
sondern eben wörtlich Spagnoletto abgesehen. Deshalb nannte
R. Ford das Bild eine Kopie Ribera’s. Der in seinen braunen
Mantel gehüllte, gelassen herabblickende, edle S. Joseph, die ge-
müthliche alte Frau, der Junge mit dem scrophulösen Mund (in Ri-
bera’s Johannes dem Evangelisten oft wiederholt), der Flötenbläser
mit dem schalkhaften Lächeln (ein Nachklang aus seinen Jugend-
jahren in Parma), alles diess sind Sevilla fremde, dem Ribera
zu allen Zeiten geläufige Modelle.
Nur die Maria ist eigen. Hier ist die Absicht am deut-
lichsten, sie höher zu rücken, über die Umgebung hinaus. Das
Antlitz hat mehr Grösse und Fülle als das vorige, dem in-
dess Viele doch den Vorzug geben werden. Eine wolgebildete,
gesunde, blühende Frau, das Oval grösser, voller; zarte Haut.
Die glatten weissen Hände mit ihrem Linienfluss und ihrer Run-
dung ohne Falten und Knöchel, sind sichtlich kontrastirt mit
der ungefügen, faltigen, rothen Elementarhand der Hirten, der
welken gelben der Greisin und dem derb knabenhaften des
Jungen. Augenscheinlich hat er für diese Hände vier verschie-
dene Modelle benutzt. Vornehme Abkunft hat nicht erst Lord
Byron an den Händen erkannt. —
Und doch hat er gerade in der Maria sein Vorbild nicht
verstanden.
Ribera hat die Hirten sehr oft gemalt, im Anschluss an
Correggio (1630); besonders rein und edel in dem Bilde der Seo
von Valencia (1634), im Escorial, und nicht lange vor seinem Tode
(1650, im Louvre). Hier versetzt er uns unter einen rauhen
Hirtenstamm der benachbarten Abruzzen, breite, starkknochige
Natursöhne in Röcken von Schaafpelz. Nur an einer Stelle aber
[150]Zweites Buch.
soll ein Strahl des Sterns von Bethlehem durchdringen. Seine
Maria ist anderen Geschlechts, das liest man nicht bloss in den
feinen Linien ihrer Züge. In dem Augenblick, wo sie das
Kind enthüllt, durchstrahlt ein Gedanke, jenen unfassbar, ihr
Inneres, und entrückt sie der Gegenwart: das bedeutet jener
stille, feierliche Blick der grossen, dunklen Augen nach oben.
Der Valencianer, von Haus aus ein noch härterer Realist als
der Sevillaner, war von der idealen Sonne Italiens erwärmt.
Der Maria des Velazquez fehlt dieser Zug. Diese hübsche,
stattliche Mutter bleibt die praktische Zimmermannsfrau. Ge-
wohnt in ihren Haushaltungsgeschäften zu leben, denkt sie auch
hier über den Augenblick nicht hinaus. Sie deckt das Kind so
vorsichtig auf, als fürchte sie eine Erkältung, und dabei sieht
sie scharf und etwas verlegen (mit eingezogenen Mundwinkeln)
auf die herandrängenden Bauern mit den Bestien. Ob sie es
gut sehn? Aber dass sie sich nur nichts herausnehmen! So zeigt
man den dazu Berechtigten den neugeborenen Thronerben. Sie
thut es nicht einmal mit Grazie: man sehe den spitzen Winkel
des Arms! Auch ist sie, obwohl eine Handwerkerfrau, vornehmer
als diese Campagnolen, vor denen sie sich dem Erguss der Mutter-
freude nicht überlassen mag. Aber wie kann sie, in der Nacht
der Geburt, ihr Kind aufdecken, ohne zuerst auf das Kind zu
sehn? Das fühlte Correggio! Der Eindruck des gemeinen Wochen-
bettbesuchs wird vollendet durch das kunstgerechte Wickel-
püppchen, das allerdings diessmal bequem daliegt, mit seinem
niedlich hübschen aber noch ganz stupiden Köpfchen und den
zierlichen goldenen Löckchen. Wahrlich, diess ist der Tief-
punkt der Ernüchterung in der Darstellung der Weihnacht. Die
letzten Akademiker, ein Mengs, ein Rotari sind Hymnendichter,
wenn auch phrasenhafte, neben dieser spanischen Prosa. —
Wie oft bei Jugendwerken hat man nicht verstehen wollen,
dass ein Künstler in seinen Anfängen sich oft sehr unähnlich sieht.
Als diese „Hirten“ im Louvre waren, hörte man von Madrid her,
„dass kein Kenner dieses Bild dem Meister zuschreiben werde;
es sei eher ein früher Zurbaran, und nicht einmal ein würdiger
Repräsentant“ 1).
[151]Kameraden: Zurbaran.
Das Gemälde ist jetzt durch Firniss getrübt: die rothen
Partien (glücklicher Weise auch der zwischen Maria und dem
Hirten sich breit machende Ochse) sind matt und flach geworden.
Es scheint, dass das was den Maler bei diesen beiden Haupt-
kirchenbildern seiner Jugendzeit besonders interessirte, ihr Cha-
rakter als Notturno war. Die umgebende Nacht, die scharfen
Schlagschatten würden an eine künstliche Lichtquelle denken
lassen; aber dafür ist der Ton des Lichts zu weiss und kalt;
die Farbe in den Schatten zu satt, während sie in den Lichtern
verblasst. Auch die jede Milderung der Gegensätze durch ein
Luftmedium ausschliessende Naherückung der Figuren führt darauf,
dass es ihm allein um Plastik, und zwar mit den stärksten Mitteln
zu thun war, selbst auf Kosten der Wahrscheinlichkeit.
Kameraden: Zurbaran.
In Zeiten, wo Altes versinkt und neue Keime sich zum
Lichte drängen, ist oft der Einfluss der gleichaltrigen, suchenden
Genossen wichtiger als der der Meister. Schon die Jahreszahlen
mussten auf die Vermuthung führen, dass der junge Diego mit
einigen später berühmt gewordenen Namen der dortigen Künstler-
schaft verkehrt habe. Wirklich ist durch protokollirte Zeugnisse
festgestellt, dass zwei der hervorragendsten ihm befreundet waren:
Alonso Cano und Zurbaran 1). Beide geben auch an, dass sie seine
Eltern gekannt, also im Hause verkehrt haben; und das Verhält-
1)
[152]Zweites Buch.
niss zerfiel auch nicht, als Velazquez die Vaterstadt verliess: er hat
sich später der Jugendfreunde erinnert, und sie an den Hof gezogen.
Vergegenwärtigt man sich die damaligen Arbeiten dieser
Triarier, so gewinnt man den Eindruck eines Verhältnisses, ähn-
lich dem, welches ein Jahrhundert früher in Venedig zwischen
Giorgione, Palma und Tizian bestand. Gleichgesinnte, aus der-
selben Schule hervorgegangene Jünglinge von sehr verschie-
dener Geistesart, deren wechselseitige Wirkung nicht leicht zu
bestimmen ist.
Der kaum ein Jahr jüngere Francisco Zurbaran war geboren
am 7. November 1598 zu Fuente de Cantos. Keine scharfge-
zeichnetere, homogenere, die Tendenzen spanischen Wesens in
dieser Zeit nachdrücklicher zur Schau tragende Gestalt giebt es
als diesen Bauernsohn aus Estremadura. Wenig hat er andern
zu verdanken. Er soll ein Schüler des Klerikers Roelas gewe-
sen sein; doch wüssten wir unter dessen so verschiedenartigen
Werken nur eins, das auf den künftigen Maler der Klerisei und
Möncherei Eindruck gemacht haben könnte (S. 54). Seine Manier
hat er gewiss nicht von Roelas. Er fusst von Anfang an in einer
ganz andern Zeit, ist von einem andern Geschlecht als jener viel-
seitige, geschmeidige Priester. Wie bei Allen dieser neuen Ge-
neration, war bei Zurbaran, doch bei ihm am stärksten, der Zug
der Einheit ausgeprägt. Sie sind durch Einseitigkeit gross ge-
worden. Die Maler des vorigen Jahrhunderts pflegten Leute
von umfassenden, literarischen, technischen Studien zu sein;
vielgereist; sie kannten die Geschichte ihrer Kunst und Italien,
sie waren Gelehrte, Devote, Dichter. Die von der Art Zurba-
rans waren nichts als Maler, sie blieben zu Hause, bekümmerten
sich weder um lebende noch todte Kollegen, überhaupt war ihnen
die ganze Kunst, mit Ausnahme des Kantons, den sie beherrsch-
ten, einerlei. Bei jenen ist die Biographie interessanter als ihre
Werke, sie sind bedeutender als Menschen denn als Künstler;
ihre Worte besser als ihre Thaten. Die neuen waren höchstens
ausserdem noch Cavaliere. Aber ihre Bilder schlugen sofort
alles, was jene Denker mit unsäglichen Studien fertig gebracht.
„Die schönen Worte, meinte schon Felipe de Guevara, Gentilhom-
bre de boca Kaiser Karl V, müssen wol zu allen Zeiten den Bör-
sen der Liebhaber nachtheilig gewesen sein; denn Reden und
Thun treffen selten in einer Person zusammen“ 1).
[153]Zurbaran.
Zurbaran’s Talent muss früh zur Reife gediehen sein, denn
er stand mit zwanzig Jahren bereits in solchem Ansehn, dass
ihm der Marques de Malagon den gewaltigen Retablo der St.
Peterskapelle der Kathedrale übertrug, zur Rechten der Capilla
Real (vollendet und bezeichnet 1625). Um dieselbe Zeit setzt
man schon sein Hauptwerk, die Apotheose des heil. Thomas von
Aquino, für dessen Kolleg. Hier ist sein bekannter Stil schon
völlig fertig. Auf hellem Grund stehen die Figuren, meist in
dünnen Farben von discreter Sättigung, den breiten Atelier-
schatten wie einen Mantel mit sich führend. Es ist aber ein durch
Reflexlicht gleichmässig gedämpfter Schatten, ohne Drucker, die
Lichter dagegen von feinem Glanz durchwoben; überall werden
Flächen blendend weissen Leinens angebracht. Die Architektur,
weiträumiges, ernst-nüchternes Cinquecento, mit Durchblicken in
sonnenhelle Plätze, Strassen und patios; die Landschaft weit, mit
tiefem Augenpunkt, flachhügelig, kahl, öde.
Dieses Altarwerk der S. Peterskapelle, vielleicht unter Ve-
lazquez’ Augen entstanden, schliesst sich in der Anordnung aufs
engste an Vorbilder des Mittelalters. In der Mitte thront in
kolossaler Grösse und Vorderansicht der Apostelfürst mit der
Tiara. Bei der Schlüsselertheilung (in der Predella) kniet er an
der Spitze der Apostelreihe, wie in Raphaels Karton, aber es
sind frostig triviale Gestalten. Das Merkwürdige ist wie er sich
hier mit ganz idealen Figuren zurechtgefunden hat, ohne Com-
promiss. Seine Maria ist ein liebliches, befangenes Landmädchen,
die Schönste des Thals, die Maikönigin, erkoren im Auto als
heilige Jungfrau aufzutreten und über der glänzenden blonden
Lockenperücke die Krone des Himmels zu tragen. Sein Schöpfer
ist ein gewaltiger Alter mit hoher Stirn, weissem gekräuselten
Haar und Bart, beschatteten, grämlich zur Welt herabgesenkten
Augen. So könnte man sich den Geist eines unerreichbaren, in
ewigem Schnee begrabenen Alpengipfels vorstellen. Gegenüber
dem rüstigen Allein- und Selbstherrscher des Mosaismus und
des Islam stellt sich der Spanier den Schöpfer vor als einen im
höchsten Greisenalter befindlichen Saturn. Die lange Ewigkeit,
1)
[154]Zweites Buch.
die Sorgen der Verwaltung seiner tollen, ihm vom Teufel verdor-
benen Welt, die Aufsicht des himmlischen Hofs mit seinen kaum
übersehbaren stets zu berücksichtigenden Zwischeninstanzen,
sind in diesem grimmigen Greisenhaupt geschrieben.
Damals standen sich Zurbaran und Velazquez sehr nahe.
Das Bild der Hirten in der Galerie Montpensier verräth wie das
Gemälde gleichen Inhalts von letzterem, den Eindruck Ribera’s:
es ist der einzige Fall, wo beide Nachahmer waren. Der Estremeño
war mit einem Auge für das Individuelle begabt, das dem des
Sevillaners keineswegs nachstand. Der Cyklus des heil. Bona-
ventura 1) allein, besonders die beiden Stücke des Louvre, ent-
hält soviel bedeutende Köpfe, dass sich das halbe Lebenswerk
eines Bildnissmalers von Profession damit bestreiten liesse. Und
noch mehr: neben diesen Köpfen wird alles was man daneben
sieht, conventionell, schattenhaft. Die Geringschätzung der Phan-
tasie war bei ihm noch auffallender als bei Velazquez, seine Ge-
bundenheit an das Modell, seine realistische Ehrlichkeit pedan-
tisch. Er musste jedes Gesicht porträtiren, Zug für Zug; jede
Gestalt hat ihm gerade so gesessen, gestanden, gekniet, jeder Ge-
wandstoff hat genau so über dem Gliedermann gehangen. Diess
war keine Unbeholfenheit, es war ein Gesetz, das er sich auf-
erlegte. Denn bei alledem ist er ein Künstler, der aus ganzem
Holze schneidet, der das Ganze im Auge hat, im grossen Stil
zeichnet und modellirt.
Und im Gegenstand war er kein Naturalist. Keine Scene
aus dem gemeinen Leben hat er je zu malen sich herabgelassen,
kaum ein Porträt. Sie würden ihn ebenso gelangweilt haben,
wie seine Heiligen die Beschäftigung mit weltlichen Dingen. Er
lebte nur in den Actis Sanctorum.
Dagegen war Velazquez zwar als Künstler ungleich freier
schon damals, er sah sich in das Bildungsgesetz, ja in das Innere
seiner Menschen hinein, sodass er sie nachzuschaffen scheint.
Aber er sehnte sich die Zeitgenossen zu malen in ihrer eigenen
Rolle, nicht bloss als Spieler in Mysterien, nach dem Programm
der Theologen.
Und so sind ihre Wege bald auseinandergegangen. Der
[155]Alonso Cano.
Sevillaner strebte fort, aus dem Halbdunkel der Kirchen und
Klöster, an das grelle Licht des Hofes: Zurbaran ist zuweilen
Sevilla zu grossstädtisch gewesen. Er schlug seine Staffelei am
liebsten in den Monasterien auf, in jenem Felsennest der unzu-
gänglichen Wildniss von Estremadura, Guadalupe; da war er in
seinem Element. Er soll nach Palomino einmal in sein Heimaths-
dorf entflohen sein; das Ayuntamiento von Sevilla schickte eine
Depution ab ihn zurückzuholen.
Daher änderte Velazquez seine Manier gar bald, Zurbaran
beharrte fast sein ganzes Leben bei dem, was man bei andern
den „ersten Stil“ nennt. Er war aus härterem Stoff als sie alle
und besass den richtigen Principienfanatismus des Romanen.
Alonso Cano.
Um dieselbe Zeit kam ein junger Mensch mit funkelnden
Augen, auffahrendem Wesen und Cavaliersmanieren aus Granada,
seiner Vaterstadt (seine Eltern stammten jedoch aus der Mancha).
Er war der Sohn eines Architekten und Retablozimmerers, und
sollte sich in dieser Kunst bei dem damals angesehensten Meister
der Estofadosculptur in Andalusien, Martinez Montañes vervoll-
kommnen. Dieser hat nie einen ergebeneren und begabteren
Schüler gehabt: er war bald seine rechte Hand. Die drei Al-
täre in der Kirche des Klosters S. Paula beweisen, dass er ihm
seine Kunst vollständig abgesehen hatte. Diese Kunst blieb
Alonso auch immer die bequemste; man erkennt die bildnerische
Erziehung in seinen späteren Gemälden, am meisten in der Er-
findung. Schon damals trieb es ihn auch, die Schwesterkunst
zu lernen, er trat bei Pacheco ein, und hier mag er mit Velaz-
quez Freundschaft geschlossen haben. Aber er hielt es nur acht
Monate aus, versuchte es dann bei Juan de Castillo, der freilich
jenem an Langweiligkeit nichts nachgab; endlich, sagt man, auch
bei dem alten Herrera. Die Malerei machte ihm immer mehr
zu schaffen als die Plastik, was man freilich seinen einfach und
leicht gemalten Rahmen nicht ansieht. Er sagte später, wenn er
Palette und Pinsel bei Seite warf und zu Modellirstab und
Schnitzmesser griff: er wolle sich nun ausruhen.
Der Cano der späteren Jahre, der Cano von Madrid und
Granada, der Cano der Bücher, wird gewöhnlich als eine Aus-
nahme in der spanischen Malerei geschildert. Er ist der Idealist,
[156]Zweites Buch.
der grosse Zeichner, sagt man, oder, im andalusischen Redestil,
weil er in den drei Künsten gearbeitet, der spanische Michel-
angelo (also der zweite!). Von diesem Cano nun war damals
noch wenig zu sehen. Aber es fehlt nicht an Spuren dass
die Erfolge seiner Altersgenossen ihm keine Ruhe gelas-
sen haben, dass er sich in der neuen Manier hat versuchen
wollen. Man betrachte die „beiden Johannes“ im Retablo der
Universität, dem Meisterwerk des Roelas, oben in der Ecke.
Es sind derbe Figuren von breiten Zügen, grossen Augen, mit
dunklen schweren Schatten auf hellem Grund. Noch merkwür-
diger ist ein Bild der heil. Agnes im Berliner Museum (Nr. 414 B).
Bei diesem Gemälde sieht man, was ein Monogramm werth ist,
ohne das hier Niemanden Alonso Cano eingefallen sein würde,
so völlig gleicht die heilige Dame in der Malweise Zurbaran.
Vermuthlich stammt sie aus dieser Zeit.
Diese Heilige, fast Kniestück, hat ein so schönes, so be-
strickend andalusisches Frauengesicht, voll Unschuld, Träumerei
und Melancholie, dass man versucht ist zu glauben, es sei seine
Inés, zu der er vielleicht (wie Novalis) geglaubt hat mehr Reli-
gion als Liebe zu haben. Es ist der später von Murillo hervor-
gezogene Typus, nur herber; er kommt hier zum erstenmale in
einem Kirchenbild zum Vorschein. Die reine, vortretende Stirn
ist umrahmt von braunen Haaren, geordnet fast nach damaliger
Mode. Die Nase mit breitem Rücken oben, ist wenig ausladend,
dafür dringen die grossen braunen Augen eigen hervor, sie blicken
ins Unendliche, wie staunend, als stände ein Gedanke dahinter,
der in der Einbildungskraft unwiderstehlich um sich greift und
sie der Erde entrückt. Der geschlossene Mund hat einen Zug
von dem Schmerz und der unerbittlichen Festigkeit des Märty-
rers. Der Scheitel ist von Perlenschnüren umwunden und trägt
ein Krönchen, ein Schleier weht hinten um den Kopf: er ist
das einzige Bewegte in diesem farbigen Steinbild, das sich in
lebhaften Farben und kräftigen Schatten auf ganz hellem Grund
aufrichtet. Die Hände sind keineswegs schlank und glatt wie
in seinen späteren Arbeiten; die Linke fasst die Palme wie einen
Speer. Weder von der Malerei noch vom Typus, findet sich in
seinen späteren Werken eine Spur.
Alonso’s Degen flog allezeit rasch aus der Scheide. Und
so trieb ihn ein blutiger Strauss bald aus Sevilla fort. Den
Sebastian de Llano y Valdés hatte er in die rechte Hand ver-
wundet und gelähmt. Dieser Maler, dessen uns bekannte
[157]Alonso Cano.
Werke freilich alle mit viel späteren Jahreszahlen versehen
sind, ist unserer Gruppe verwandt. Er ist der einzige, der den
italienischen Naturalisten auch in der Erfindung gleicht. Seine
Specialität waren biblische Geschichten, in dramatischer Situation
und sittenbildlicher Auffassung, längliche Gruppen von Knie-
stücken, in klarer Färbung, mit schönen Costümen und gefälligen
Charakteren, in der Weise des Honthorst und Mattia Preti.
Sie schienen etwas profan für Kirchen, daher sind sie selten
geworden 1).
[158]Zweites Buch.
Zwei Reisen nach Madrid.
Nach Ablauf seiner fünf Lehrjahre bei Pacheco (1613—18)
war unser Diego in noch engere Beziehungen zu seinem Meister
getreten. Dieser hatte eine, wie es scheint, einzige Tochter,
Joana de Miranda; er kam auf den Gedanken, die Gelegenheit
nicht vorbeigehn zu lassen, einem so wolgesitteten und vielver-
heissenden Jüngling von guter Familie die Zukunft des Kindes
anzuvertrauen. „Nach fünf Jahren Erziehung und Unterweisung
verheirathete ich ihn mit meiner Tochter, bestimmt durch seine
Jugend, Reinheit und guten Anlagen, und die Hoffnung seines
natürlichen und grossen Genies“ (I, 134). Die Vermählung fand
statt am 23. April 1618 in S. Miguel, in demselben Jahre, an
dessen erstem Tage Murillo in der St. Magdalenenpfarrei zu
Sevilla getauft wurde. Unter den Zeugen findet sich der Name
des Dichters und Licenziaten Francisco de Rioja. Die Frucht
der Ehe waren zwei Töchter, beide in Sevilla geboren, Francisca,
am 18. Mai 1619, und Ignacia, am 19. Januar 1621. Letztere wurde
wegen Lebensgefahr der Mutter und des Kindes im Hause ge-
tauft. Ihr Pathe war Juan Velazquez de Silva. (Asensio, Pa-
checo. 28 ff.)
Eine solche Verbindung des neunzehnjährigen, nicht vermö-
genden Jünglings lässt schwerlich auf hochfliegenden Ehrgeiz
schliessen. In jenen ersten Jahren ehelichen Glücks mag ihm
auch wol keine andere Zukunft vorgeschwebt haben, als die
eines Provinzialmalers.
Ueberblickt man indess jene Bilder, die aus seiner vier
bis fünfjährigen Thätigkeit in der Vaterstadt übrig sind, so kann
man sich des Eindruckes nicht erwehren: So viel Anklang sie
schon wegen der Neuheit des Stils und des echt nationalen
cachet finden mochten: allmählich musste in dem jungen Maler
die Frage aufsteigen: ob nicht sein Schutzgeist noch andere Aus-
sichten für ihn habe, als die, fünfzig Jahre lang solche Bilder
[159]Zwei Reisen nach Madrid.
zu malen, bei denen doch Gegenstand und Darstellung nicht
recht aufeinander passten.
Da kam ein Ereigniss, ganz geeignet neue Zukunftspläne
aufzuregen. Die Nachricht von dem unerwarteten Tode Philipp III
(am 31. März 1621), der plötzliche Wechsel in Personen und Re-
gierungssystem nach der Thronbesteigung seines fünfzehn-
jährigen Sohnes setzte alle Unzufriedenen, Emporstrebenden in
die lebhafteste Bewegung. Alle jene Erzählungen von der an-
gesehenen Stellung, den ganz besonderen Gnadenbezeigungen,
welche die Maler des Hauses genossen hatten, von Tizian, eigent-
lich von Jan van Eyck an, bis auf A. Mor und Sanchez Coello,
— Erzählungen, die unter allen Theilen der Malerbiographie in
den Künstlerkreisen am sorgsamsten überliefert und mit Ueber-
treibungen weiter erzählt wurden, — sie stiegen vor ihm auf,
als mächtiger Antrieb sein Glück auf diesem Wege zu versuchen 1).
Selten ist wol der Weg zum financiellen und politischen
Bankerot eines Staats mit so viel guten Vorsätzen gepflastert
gewesen, wie unter dieser Regierung. Die Depeschen der Ge-
sandten aus dieser ersten Zeit hallen alle den Eindruck wieder,
den der Mantuaner Bonatti in die Worte fasst: die Umwälzungen
die dieser Tod zur Folge hat, sind von der Art, dass man sagen
kann: Mondo nuovo.
Der Kronprinz, dessen lebhafter frühentwickelter Verstand,
bei all seinem ernsten und gesetzten Wesen, Niemand entging,
war bis zuletzt durch den Herzog von Uceda vom Staatsrath
ausgeschlossen und selbst in seinem Privatleben unter lästiger
Kontrolle gehalten worden. Der angesammelte Groll, den die
Günstlingsherrschaft der Lerma in ihm entfacht, formte sich zu
entschiedenen Vorsätzen, als er hören musste, wie sein sterben-
der Vater bitteren Gewissensvorwürfen über seine Regierung
oder vielmehr Nichtregierung Ausdruck gab, und dem Beicht-
vater vorhielt, dass er sich selbst und ihn getäuscht habe. Als-
bald entlud sich über die Lerma und ihren Anhang ein ver-
nichtendes Gewitter königlicher Ungnade. Der junge Monarch
erklärte, er gedenke souverän zu regieren, Minister und Diener
wolle er, keine Kumpane und Günstlinge; er verlangte die aus-
[160]Zweites Buch.
gefertigten Depeschen zu lesen, ihm allein stünden Wahl und Ent-
scheid zu; Ehren und Gnadengeschenke habe er allein und un-
mittelbar zu vergeben, und an die es verdienten. Man staunte
über seinen Fleiss in Geschäften; er setzte die Audienzstunde
viel früher, und hörte alle ohne Unterschied an, mit seltener Ge-
duld. „Es ist zu verwundern, schreibt Khevenhiller, wie S. M.
einsam und in allerlei kindischen intertenimenti unter den Wei-
bern auferzogen worden, dass Sie jetzt in den despachi so emsig
und fleissig, und in den Antworten de improviso so subtil und
richtig sein.“ Weniger enthusiastisch wurde es aufgenommen,
als er sich in kriegerischem Geiste aussprach. Er fragte ob
denn die Holländer keine Unterthanen? keine Rebellen? keine
Ketzer seien? — Mit solchen aber sei an keinen Frieden zu den-
ken. Er werde sein eigenes Silber versetzen. Er wollte selbst mit
ins Feld. Als man ihm von der politischen Weisheit Philipp II
sprach, rief er: Ich will die Heiligkeit meines Vaters haben, die
Staatsklugheit meines Grossvaters, und den kriegerischen Geist
des Urgrossvaters! Eine Censorenjunta für Reform der öffent-
lichen Sitten wurde eingesetzt. Der Pater Florentia, der eine
Schrift über das Günstlingsregiment verfasst hatte, rief in einer
Predigt: „Spanien und die Welt sind erlöst“. Und jener Oester-
reicher sagt: der junge König hat diese wenige Tage ganz
Spanien in eine neue Model gegossen. (Ann. Ferd. IX, 1265.)
Besonders in Sevilla mögen damals bei Vielen Hoffnungen
sich geregt haben. Der gentilhombre de cámara des jungen
Königs, der Graf von Olivares, hatte früher in Sevilla gelebt,
wo schon sein Vater Alcaide des Alcazar gewesen war; er hatte
sein Haus zu einem Sammelpunkt der Dichter und Gelehrten
gemacht, ja selbst Verse verbrochen, die er jetzt verbrannte.
Unter denen die er ausgezeichnet, war jener Gevatter unsers
Malers, Francisco de Rioja. Als Olivares drei Jahre später
mit dem Könige wieder nach Andalusien kam, nahm er ihn mit
an den Hof, und seitdem hat ihm Rioja während seines langen
Ministeriums als ergebener Diener und rechte Hand für ernste
und heitere Geschäfte zur Seite gestanden; als Publicist gegen
die Aufständischen in Katalonien, wie als Preisrichter bei einem
poetischen Wettkampf in Buen Retiro (1637). Später ist er,
enttäuscht von Hof und Welt, nach Sevilla zurückgekehrt, „wo
das Klima menschlicher und heiterer ist“, und in den geistlichen
Stand getreten; er wurde Racionero der Kathedrale und Inquisitor.
Bei der Nachwelt aber erweckt sein Name nur die Erinnerung
[161]Zwei Reisen nach Madrid.
einiger der fliessendsten und wolklingendsten Gedichte der Schule,
Liebeslieder im italienischen Geschmack des Herrera, und einer
„Epistel“, in welcher er mit dem echten Accente des Selbster-
lebten dem desengaño Worte giebt, und mit Kummer der Jahre
gedenkt, wo er „in der alten Kolonie der Laster gelebt, ein
Augur der Mienen eines Günstlings“. Da nennt er die Hoffnungen
des Hofs „Kerker wo der Ehrgeizige stirbt und dem Klügsten
graue Haare wachsen“.
Damals lebte Rioja in der Nähe von S. Clemente, neben
einem schönen Garten, den Lope, im Jahre 1621 sein Gast, besang.
Er war ein Freund und Gesinnungsgenosse Pacheco’s, der mehrere
seiner Dichtungen, die sich auf Malerisches beziehen, sowie einen
Discurs über die Vier Nägel, in seinem Buch aufbewahrt hat.
Darunter ist eine Umschreibung der Lampsonius’schen Verse
auf das Bildniss des Quinten Metsys und eine artige Ausführung
des Einfalls des Libanius von dem Maler, der ein Bild des Apollo
auf widerstrebendes Lorberholz (Daphne) malen wollte 1).
Dieser Hausfreund, der Velazquez bald nach Madrid folgte,
mag bei den Berathungen über den grossen Schritt das ent-
scheidende Wort gesprochen haben.
Man kann sich denken, dass der Schwiegervater, der Mann
ausgebreiteter Verbindungen, mit Empfehlungen an die bei Hof
ansässigen Sevillaner nicht gekargt hat. Unter denen, die den
jungen Mann in Madrid freundlich aufnahmen (agasajado) nennt
er die Brüder D. Luis und D. Melchor del Alcázar. Diese Fa-
milie zählt im sechszehnten Jahrhundert mehrere Berühmtheiten;
von diesen beiden ist indess wenig näheres bekannt. Sie sind
aber nicht zu verwechseln mit zwei gleichnamigen Männern,
die oft im „Malerbuch“ angeführt werden und deren Lebensbe-
schreibung im Bildnisswerk steht. Melchor del Alcázar, geb. 1502,
war ein angesehener Jurist, einer der Veinticuatro und Vice-
castellan des Alcazar (teniente de Alcaide). Sein guter Stil er-
regte die Aufmerksamkeit Philipp II, der aber im mündlichen
Vortrag den „Sevillanischen Cicero“ nicht wiedererkannte. Sein
Bruder war der Epigrammatiker Baltasar (S. 31). Der älteste der
sieben Söhne Melchor’s war der gelehrte Jesuit Luis del Alcazar
(† 1613). Von unserm Melchor erfährt man nur, dass er eben-
falls Dichter war (flórido ingenio sevillano) und im sieben und
dreissigsten Jahre (1625) zu Madrid starb. Pacheco rückt ein
11
[162]Zweites Buch.
Gedicht von ihm ein, die Künstleranekdote von den fünf Mädchen
des Zeuxis 1).
Von grossem Nutzen war Velazquez die Adresse eines hohen
Sevillaner Geistlichen, des Kanonikus und maestro de escuela an
der Kathedrale, D. Juan de Fonseca y Figueroa († 1627). Er be-
kleidete den angesehenen Posten eines sumiller de cortina. Dieses
Hofamt, wie schon sein französischer Name (somellier) anzeigt,
burgundischer Herkunft, wurde von mehreren Geistlichen verwal-
tet. Sie hatten die Gebetbücher zu verwahren, sagten dem Wo-
chenkaplan die Stunde der Messe an, begleiteten den König in
die Kapelle und standen neben dem Baldachin, dessen Vorhang
sie auf- und zuzuziehen hatten. Es war also ein Ceremonienamt,
wurde aber wegen seines Einflusses nur Männern von Stand und
Ansehn ertheilt; es hat den Weg zum Kardinalat gebahnt, z. B.
dem Gerónimo Colonna 2). Figeroa trat in der Folge in die
Diplomatie; in demselben Jahre erhielt er eine Mission nach
Parma zur Beglückwünschung des jungen Herzogs; der geheime
Auftrag war, die italienischen Fürsten für das spanische Interesse,
besonders in Betreff Valtellin’s zu gewinnen und über die dies-
seitigen Pläne zu beruhigen. Er war ein Freund der Malerei
und malte selbst, z. B. ein Bildniss des Francisco de Rioja. Er
gedachte auf dieser Reise einen lang gehegten Wunsch zu er-
füllen, Rom, Neapel und Sicilien zu sehen 3).
Es wurden nun Schritte gethan, dem jungen Maler die Auf-
nahme des Königs zu verschaffen. Dies galt als das einfachste
Mittel zu raschem und dauerndem Erfolg bei den Grossen. Arte-
misia Gentileschi sagte dem Massimo Stanzioni, dass er die Bild-
nisse ansehn müsse als Mittel, sich die Gunst derer zu erwerben,
die ihm später nützen könnten 4). Diesmal hatten Velazquez’
Gönner keinen Erfolg.
Dagegen malte er im Auftrag seines Schwiegervaters den
Dichter Luis de Góngora, der jenem wahrscheinlich für sein
Bildnisswerk noch fehlte. Dies Porträt wurde in der Hauptstadt
sehr gelobt. Ob es dasselbe ist, welches jetzt im Prado (1085)
hängt, ist nicht gewiss. Ein gut gezeichneter, aber trocken und
[163]Zwei Reisen nach Madrid.
mager gemalter, nicht intakter Kopf, der wenig characteristische
Merkmale seiner damaligen Malweise hat.
Góngora war schon ein Sechziger. Obwol er eine Pfründe
der Kathedrale von Cordoba genoss (er war früh in den geist-
lichen Stand getreten), so lebte er doch seit dreissig Jahren am
Hofe, mit sehr bescheidenem Erfolge; Lerma hatte ihm eine
capellanía de honor verschafft. Er hat dem gezierten (culto) Stil
des Zeitalters den Namen gegeben: der Marini und Lohenstein
Spaniens. — Das Bildniss ist ein Charakterkopf ersten Ranges,
in dem man eher einen Casuisten oder Penitenciario als einen
Poeten vermuthen würde. Ein langgezogener Kopf von mächti-
gem, stilvollem Knochenbau: hochgewölbte, jetzt kahle Stirn,
lange Hakennase, an der Wurzel stark vorspringend, ernster
verschlossener Mund mit sauer herabgezogenen Winkeln, dünner
Schnurrbart, langes vordringendes Kinn, der Nase sich entgegen-
krümmend. In diesen strengen, schweren, verschlossenen Zügen,
mit dem misstrauisch forschenden Blick der blinzelnden, von Fal-
ten starker Gedankenarbeit umzogenen Augen wird Niemand
Anmuth und Einfachheit suchen. Wol aber passen sie zu dem
Satiriker und Erotiker, zu dem Bilderschwulst und den laby-
rinthischen Gedankenspielen der Culteria. Auch scheint etwas
darin von Gedrücktheit, eine Folge des langen Antichambrirens
dieses Séneca nuevo, wie ihn Lope nannte 1).
Figueroa verlor indess seines jungen Freundes Interessen
nicht aus den Augen. Wahrscheinlich gleich nach seiner Rück-
kehr von der italienischen Reise brachte er die Sache wieder
bei dem Minister Olivares zur Sprache, und im Frühjahr 1623
traf ein Brief von ihm ein, in welchem er, auf dessen Verlangen,
eingeladen wurde, nach Madrid zurückzukehren. Eine Reise-
unterstützung von fünfzig Dukaten wurde gewährt. Der Schwie-
gervater schloss sein Haus und begleitete ihn, „um Zeuge seines
Ruhmes zu sein“, den er vorausahnte. In Figueroa’s Haus wohnte
und speiste er.
Im selben Jahre kam ein zehnjähriger Knabe mit seinem
[164]Zweites Buch.
Vater, dem Alcalden von Abilés in Asturien nach der Haupt-
stadt. Er wollte Maler werden und wurde dem als Lehrer be-
liebten Pedro de las Cuevas übergeben. Vierzig Jahre später
ist er der Nachfolger des Velazquez geworden: Juan Carreño
de Miranda.
Velazquez malte das Bildniss seines Gönners Figueroa, das
verschollen ist. Noch am Abend des Tages, wo es vollendet
wurde, nahm es der junge Graf Peñaranda, der Kämmerer des
Infanten D. Ferdinand mit ins Schloss. „In einer Stunde sah es
der ganze Palast“, die Infanten und der König, „eine seltene
Anerkennung“ (calificacion). Es wurde beschlossen, dass er D.
Ferdinand aufnehmen sollte; in der Folge aber schien es pas-
sender, dass er erst S. Majestät selbst male. Diese Aufnahme wurde
indess durch die wichtigen Geschäfte (grandes ocupaciones) des
Königs verzögert, — wahrscheinlich ist der Besuch des Prinzen
von Wales gemeint.
Erst am 30. August fand der König Zeit zu sitzen, für eine
Reiterfigur in natürlicher Grösse. Dies Werk fand den Beifall
S. M., der Infanten und des Olivares, der in seinem energischen
Stil erklärte, der König sei bis dahin noch nicht porträtirt worden.
„Seine Excellenz der Graf Herzog unterhielt sich zum erstenmal
mit ihm, feuerte ihn an, indem er ihn an die Ehre des Vater-
landes erinnerte, und versprach ihm, dass er allein S. M. por-
trätiren solle, und dass alle anderen Bildnisse weggenommen
werden würden. Er hiess ihn sein Haus nach Madrid bringen“.
Hierauf führte Velazquez das Bild aus. „Alles war nach
der Natur gemalt, auch die Landschaft“. Es war fünf Ellen
hoch, ungefähr 3½ breit. In der Calle mayor, gegenüber S. Fe-
lipe wurde es öffentlich ausgestellt, „zur Bewunderung der Re-
sidenz, und dem Neide derer von der Kunst, wovon ich Zeuge
bin“ 1). Pacheco dichtete ein Sonett darauf, und ein langes Elo-
gio der Sevillaner Jerónimo Gonzalez de Villanueva.
Es scheint, dass das Gemälde später, als es durch andere
Reiterbilder des Rubens und des Urhebers selbst verdunkelt
worden war, wenig mehr geachtet wurde, vielleicht am wenig-
sten von letzterem, der an dem etwas trockenen und harten Stil
seiner Anfänge keinen Geschmack mehr finden mochte. Im
Jahre 1686 finden wir es aus den königlichen Gemächern entfernt,
in die Amtswohnung des Hofmarschalls (aposentador de palacio)
[165]Die Anstellung.
in dem Schatzhause gebracht und seines Rahmens beraubt 1).
Seitdem kommt es nicht mehr vor und ist wahrscheinlich im
Brande von 1734 untergegangen. Man würde viele der späteren
Bildnisse des Königs hingeben, um dieses noch zu besitzen.
Die Anstellung.
Seine Aufnahme in den königlichen Dienst erfolgte am
6. Oktober 1623 2). Er erhielt zwanzig Dukaten monatlich aus
der Kasse der kön. Schlösser und Villen. Nach Pacheco war
die besondere Bezahlung der einzelnen Arbeiten versprochen;
auch Arzt, Apotheker und Chirurg waren eingeschlossen. Ferner
erhielt er alsbald noch 300 Dukaten Unterstützung (ayuda de
costa), und eine Pension von weiteren 300 aus einer Pfründe,
wozu indess der Dispens Urban VIII. erst 1626 eintraf. Die
Wohnung in der Stadt wurde auf 200 veranschlagt. Auch sein
Vater wurde versorgt; er erhielt in sieben Jahren drei Secreta-
riatsposten mit tausend Dukaten Gehalt. Das Atelier (obrador) der
pintores de cámara lag im Erdgeschoss (cuarto bajo) des Schlosses,
in der „Wohnung des Prinzen“. Diese Summen waren ver-
glichen mit dem Gehalt der bisherigen Hofmaler bedeutend,
E. Caxesi erhielt nur 50000 Maravedis (etwa 367 francs) jährlich,
Gonzalez 6000!
Der vierundzwanzigjährige Jüngling hatte nach kurzer Fahrt
sein Ziel erreicht; er war in die merkwürdige, etwas bunte Suc-
cession der Bildnissmaler des spanischen Königshofs eingetre-
ten. Grosse Namen sah er unter seinen Vorgängern, aber es
waren Italiener und Niederländer gewesen, neben denen die
Spanier eine ziemlich ärmliche Figur machten. Carl V. verglich
Tizian mit dem Apelles Alexander des Grossen; andere Maler
hatten nur seine blasse, missgeformte, eisige Maske gesehen;
Tizian hauchte etwas geistiges hinein: die Kaltblütigkeit des
Feldherrn in der Schlacht, den durchdringenden Verstand des
[166]Zweites Buch.
grössten Staatsmanns seiner Zeit, die olympische Apathie des
Herrschers zweier Welten. Ihn hatte er nach Augsburg kom-
men lassen, wie jenen Aretiner Medailleur Leoni nach Brüssel.
Sie sind beide bis an ihren Tod im Dienst des Hauses festge-
halten worden, beider Bildnisse des Kaisers waren das Beste
was sie in diesem Fach geschaffen haben.
Philipp II. hat den Maler von Cadore unaufhörlich beschäf-
tigt; aber dieser hatte ihn nur als Prinz in Augsburg gesehen,
sein Bildniss nach der Schlacht von Lepanto (1572) war ein
Phantasiegemisch von Jugend und Alter. Die eigentlichen Chro-
nisten seines Hofes waren Anton Mor und Alonso Sanchez
Coello. Mor, obwol in der Malführung von den Italienern kaum
berührt, hat gleichwol etwas von dem freieren Hauch, der Würde
und Anmuth venezianischer Bildnisse. Er war ein Cavalier nach
dem Herzen der Spanier (aire grave y majestuoso) und verkehrte
auf so vertrauliche Art mit dem schwerzugänglichen Monarchen,
dass er den Verdacht der Inquisition wachrief. Sein kühler Ton,
seine unendliche Ausführlichkeit im Detail des Costüms passte
zu dem förmlichen und prachtliebenden Hof. Dreimal wurde er
berufen, die Bräute Philipps zu malen, einmal nach London; er
hat uns auch dessen merkwürdige Schwestern und die Schön-
heiten des Hofes bewahrt; und nirgends bekommen wir einen
höheren Begriff von der Feinheit und allseitigen Durchführung
seiner Charakteristik, als in diesen lebensvollen Damenfiguren
des Pradomuseums. Neben ihm malte zur Zeit der Elisabeth
von Valois die Cremoneserin, Sofonisbe Anguisciola.
Der Portugiese Sanchez Coello, von dessen Einfluss bei
Hof die Malerlegende unglaubliche Dinge erzählte, war in Wirk-
lichkeit ein armer Schlucker und ziemlich charakterloser Künstler.
Anfangs schloss er sich eng an Mor, von dem seine Bildnisse
ohne Uebung des Blicks nicht leicht zu unterscheiden sind; nur
fehlt ihm die Lebendigkeit und die eingehende Individualisirung.
Sie sind treu in der bleibenden Form, allgemein in Ausdruck,
Geberden und — Händen. Dann nahm er etwas an von venezia-
nischer Faktur, man hat seine Köpfe zuweilen für venezianisch
gehalten; dennoch sind diese weniger schätzbar als jene, in welchen
er holländert.
Sein Schüler Pantoja de la Cruz war der geist- und leblose,
peinlich fleissige und steife Maler des Hofs jenes schwachköpfigen
Philipp III; in seiner Zeit steht er wie ein Anachronismus. Sein
Erbe (er starb 1610) wurde Bartolomé Gonzalez (seit 1617), einer
[167]Die Anstellung.
der drei Kollegen, die Velazquez vorfand. In seinen glatten
und schülerhaften Machwerken sind nur die Mängel Pantoja’s
geblieben: dessen zartes, dünnes, mit den alten Niederländern wett-
eiferndes Traktament ist schwerfällig geworden. In den letzten
Jahren noch hatte Gonzalez die Familie Philipp III in elf grossen
Bildnissen in ganzer Figur für das Pardoschloss gemalt. Er
verhält sich zu seinem Vorgänger, wie dieser zu Coello und
wie Coello zu Mor. Er ging mit den Hofporträtisten in der-
selben Progression abwärts wie mit ihren hohen Originalen.
Philipp IV war kein besserer, nur unglücklicherer Regent
als sein Vater; aber das Wiederaufleben des nationalen Geistes
brachte dem Hof den grössten Bildnissmaler spanischer Abkunft.
Dieser hat nur einen ebenbürtigen Nachfolger gehabt, aber mehr
als ein Jahrhundert später: Goya. Die Bildnissmaler des letzten
Habsburgischen Schattenkönigs, Carreño, del Mazo waren auch
nur Schatten des Velazquez.
Der regierende König eignete sich ganz die Gewohnheit
vertraulichsten Verkehrs mit seinen Malern an, zu der sein
finsterer Grossvater den Ton angegeben hatte. Durch die ge-
heimen Gänge konnte er jederzeit, auch in Abwesenheit des
Künstlers, ins Atelier gelangen, denn er hatte für jedes Gemach
des Palastes den Schlüssel. Eines Tages, erzählt der Florentiner
Bernardo Monanni, fand sein Landsmann Cosimo Lotti, der auch
in der Casa del Tesoro arbeitete, alle seine Sachen so verstellt,
„dass er, obwol Ingenieur, die Architektur nicht begriff“. Er
öffnet ein Kästchen und findet von seiner florentinischen Wurst
(salsicciotto) die Hälfte abgeschnitten und dabei das allerhöchste
Autograph: la mitad para nosotros tomamos, la otra por limosna
os la dexamos. Yo el Rey.
In Velazquez’ Atelier stand ein Sessel für S. M., um ihm mit
Musse zuzusehn; er kam fast jeden Tag. „Kaum glaublich“ fand
der alte Pacheco solche Freundlichkeit und Leutseligkeit, mit
der ihn ein so grosser Monarch behandelte 1). Diese beständige
Gegenwart des Königs konnte nicht ohne Einfluss bleiben auf
seine Art zu malen, denn die Herren, sagt Martinez, sehen mehr
auf Raschheit als Güte der Arbeit; schon Philipp II, wenn er bei
seinen Malern eintrat, fand meist, dass sie viel zu wenig fertig
[168]Zweites Buch.
gebracht hatten 1). Da die grosse Maxime der spanischen Könige
war, zu thun was die Vorfahren, und besonders der Kaiser ge-
than hatten, so ist diess Verhältniss eigentlich die Erfüllung
einer Regentenpflicht: die Vervollständigung der Aehnlichkeit
mit den Ahnen; dieselben Anekdoten wiederholen sich nun.
Die Stadt Madrid.
Velazquez war und blieb bis an seinen Tod Bürger (vecino)
Madrids. Als Diener des Königs erhielt er von diesem ausser
Gehalt auch freie Wohnung. Er hatte zwar sein Atelier im Pa-
last, im östlichen Flügel, und später als Schlossmarschall eine
Amtswohnung in der östlich an den Alcazar stossenden Casa
del tesoro; aber seine Privatwohnung war in der Stadt. Das
Haus das er wenigstens in den vierziger Jahren bewohnte, lag
in der Calle de Concepcion Gerónima und gehörte einem Pedro
de Yta 2). Philipp II, als er zur Ermunterung der Bauthätigkeit
den Hauseigenthümern ungewöhnliche Vergünstigungen gewährte,
hatte der Krone die freie Verfügung über ein zweites Geschoss
jedes Hauses vorbehalten; deshalb gab es so viele einstöckige
Häuser in Madrid. Dieses königliche Stockwerk verlieh er seinen
Hof-, aber auch Staatsbeamten, z. B. den Räthen, und dem Per-
sonal der Gesandtschaften.
Der Name jener Strasse existirt noch heute, sie ist eine
Nebenstrasse der Strasse von Toledo, im Herzen des mittelalter-
lichen Madrid, und führt ihren Namen von dem Kloster der Hi-
ronymitinnen (Monasterio de monjas jerónimas de la Concepcion de
Na. Sa.), welches eine Oberkammerfrau der Königin Isabella,
Da. Beatriz Galinda, genannt La Latina, im Jahr 1504 gründete.
Zu beiden Seiten des Hochaltars sieht man ihr und ihres Gatten
Francisco Ramirez Mamordenkmal im Renaissancestil. Die Façade
des Klosters im spätgothischen Stil der Reyes católicos ist be-
achtenswerth, der Architekt war ein „neuer Christ“ Hazan. Die
einzige Kirchenfaçade in Madrid, die des Ansehens werth, ist
das Werk eines Morisken.
[169]Die Stadt Madrid.
Des Malers täglicher Weg nach dem Palast ging über die
von Philipp III kürzlich neugebaute Plaza mayor durch die Calle
mayor nach der Plaza de palacio. Diese Calle mayor war die
grosse Pulsader; der Lieblingsaufenthalt der galanes, schönen
Damen und Abenteurer jeder Ordnung. Hier vergassen (nach
Alarcon) selbst die Sevillaner ihre Alameda; sie ist das Indien der
alten Welt, d. h. ein umgekehrtes Indien, wo man das Gold rasch
los wird 1).
Das Madrid der Zeit des Velazquez hat sich im Grundriss bis
auf den heutigen Tag wenig verändert, wie ein Blick auf den
grossen Antwerpener Plan zeigt. Nur neue Quartiere haben sich
um diesen Kern gelegt. Schon damals hiess die Puerta del Sol
der Nabel der Hauptstadt 2), und der Prado war die Abendpro-
menade der feinen Welt. Diess Madrid war eine Schöpfung
Philipp II (seit 1561). Bisher war es eine kleine mittelalterliche
Stadt gewesen, seit 1083 endgültig den Mauren abgewonnen,
denen es als Vorposten von Toledo gedient. In der Reisebe-
schreibung Leo’s von Rozmital (1466) wird es, als Station
zwischen Getafe und Alcalá, mit einer Zeile abgefertigt 3). Die
Umwandlung zur Grossstadt vollzog sich mit erstaunlicher Rasch-
heit. In der Beschreibung des Pedro de Medina vom Jahre 1548 4)
in der es heisst, dass der königliche Palast im Bau begriffen sei,
ist dieser Stadt eine Seite (fol. 88 b) gewidmet; ihre Merkwür-
digkeiten bestanden in gesunder Luft, gutem Wein, Brunnen
und Feuerstein (pedernal). In der zweiten Ausgabe (1595) sind
sieben Seiten hinzugekommen.
Diese Gesundheit des Klima’s allein hat Madrids Glück ge-
macht. Der Kaiser hatte bei seinem ersten Besuch den heil-
samen Einfluss des reinen trocknen Luftzugs des Tafellands
auf seine gichtische Constitution empfunden und dort zu resi-
diren beschlossen. Diese Luft, der es seinen arabischen Namen
[170]Zweites Buch.
verdanken soll 1), wurde durch die Winde der Sierra de Guadarrama
und noch mehr durch die mächtigen Wälder temperirt; noch
im Jahre 1582 nennt sie Argote de Molina „ein gutes Revier
für Sauen und Bären“. Damals wählte man es zum Sommer-
aufenthalt; heute ist sein Klima unter allen Städten Spaniens
das verderblichste. Die Wälder sind zur Zeit Philipp IV ver-
schwunden. Schon im Jahre 1640 machte sich der Holzmangel
empfindlich fühlbar, man fand nöthig, Baumpflanzungen vorzu-
schreiben, besonders an Flüssen, und führte das Sprichwort an,
„dass die Franzosen an die Vergangenheit, die Italiener an die
Zukunft, die Spanier nur an die Gegenwart denken“.
Philipp II mathematischem Geist leuchtete die Lage „im
Nabel seiner Reiche“ ein. Der Neubau wurde mit echt spanischem
Leichtsinn betrieben, die Linien der Strassen blieben dem Zufall
überlassen; trotz des vorzüglichen Materials von Holz und Stein
baute man eilfertig aus Lehm, wie man es noch jetzt in kastilischen
Landstädten sieht, und um die Luft rein zu halten, verzichtete
man auf die Abtritte. Daher war Madrid die schmutzigste und
übelriechendste Stadt Europas 2).
Nach und nach verliess der Adel Toledo und Valladolid
und baute sich Paläste 3). Der leichte Verdienst lockte die er-
werbende Klasse an; „Mancher erdreistet sich (sagt Medina)
zu dem Grafen Gevatter zu sagen, dessen Land er vor kurzem
hinter dem Esel verlassen hatte“. Aber da der Unterhalt für
Menschen und Vieh aus weiter Ferne herbeigeschafft werden
musste, war das Leben schon unter Philipp II theurer als in Rom.
Nachdem Philipp III es noch einmal mit Valladolid versucht
[171]Die Stadt Madrid.
hatte, nahm unter seinem Sohn die Bauthätigkeit einen fieber-
haften Aufschwung. Die Fremden strömten herzu, vielstöckige
Häuser mit Balkons an allen Fenstern erhoben sich, deren In-
sassen sich nicht kannten; man sagte, hier sei eine Wand von
der andren weiter entfernt als Valladolid von Gent, und wer
Morgens ausgehe, erkenne Abends seine Strasse und sein Haus
nicht wieder 1). In ähnlichen Hyperbeln schildern die Dichter
die Raschlebigkeit: Frauen, Häuser und Trachten verwandeln
sich vor unsern Augen; und es giebt nichts dauerndes hier als
den Wechsel. „Der grosse Mann der, kaum todt, Abends fort-
gefahren wird, ist morgen vergessen, und Niemand hat Zeit
deinem Sarg eine Erdscholle nachzuwerfen 2)“. Es versteht sich,
dass die Damen das alles himmlisch fanden. Calderon lässt es
uns sagen durch seine Eugenia: ihr ist der Staub, Koth und
das Wagengerassel der Madrider Gassen theurer als der duftigste
Blumengarten 3).
Ungeachtet der Charakterlosigkeit der baulichen Physio-
gnomie des modernen Madrid, das z. B. keine bemerkenswerthe
Kirche besitzt, mit Ausnahme von S. Gerónimo (dessen Abbruch
neuerdings mit Mühe verhindert wurde), und dessen banale
Strassen an die Nichtigkeit französischer Provinzialstädte erinnern,
hatte die spanische Hauptstadt im siebzehnten Jahrhundert einen
besonderen Reiz: ihren kosmopolitischen Zug.
Was dem Ankömmling zuerst auffiel, war in der Kapitale
dieser streitbaren Monarchie eine ganz offene Stadt zu finden,
ohne Mauern, Thore und Gräben. Die Mauern mit den 130
Thürmen waren bei der Erweiterung nach und nach weggebrochen
worden oder zerfallen. Daher vergleicht Gongora die Stadt mit
dem Nil, wie dieser keine Ufer für seine Gewässer, so leidet
Madrid keine Mauern für seine Häuserexpansion 4). Madrid war
damals noch ein Mittelpunkt der europäischen grossen Politik.
[172]Zweites Buch.
Das Wachsthum dieses Emporkömmlings, der das altehrwürdige
herrliche Toledo verdrängte, fällt parallel mit der Zeit, wo Spa-
nien aus seinen nationalen und von der Natur vorgezeichneten
Grenzen heraustrat und die Tendenz zur Universalmonarchie
nahm. Ein Hof, der seine Statthalter nach Flandern, der Lom-
bardei, Neapel, Sicilien und Amerika schickt, muss ein welt-
städtisches Wesen bekommen. Tirso nennt Madrid den „Uni-
versalplatz“, die „Weltkarte“, die „ganze Welt“. „Sie ist, sagt
Calderon, das Vaterland aller, die in ihrer kleinen Welt, Ein-
geborene und Fremde, gleich geliebte Söhne sind“. Die Spanier,
die von ihrem Land als dem „Schutz und Zepter der Welt“
träumten, waren stolz auf diess „edle Gasthaus aller Fremden“ 1).
Die Madrider werden als gesprächig, höflich und gefällig ge-
rühmt, diess überraschte in einem Land, in dessen Ortschaf-
ten sonst die Fremden mit Steinwürfen begrüsst zu werden
pflegten 2). Es war schon damals die „Sphäre“ nicht nur der
Schönheit, sondern auch des verfeinerten Lebensgenusses 3). Die
Stadt am Mansanares war trotz ihrer schwerzugänglichen Lage
eine Art Weltbazar besonders für Luxusartikel. Wer pessimi-
stisch gestimmt war, nannte es das Neue Babylon, wo die schärf-
sten Köpfe in der Vielheit der Sprachen verwirrt werden; das
Hospital, wo man Sünden auffängt wie Beulen, und von Glück
zu sagen hat, wer gesund herauskommt 4). —
Da konnte es nun auch nicht an lebhaftem Kunstverkehr
fehlen.
Kunstliebhaberei, Kunstverständniss und Kunstunterhaltung
waren damals in Madrid bereits Ueberlieferung. Ja wenn man
[173]Die Stadt Madrid.
an Philipp II und seine Umgebung (ich nenne nur Granvella)
zurückdenkt, so fühlt man sich jetzt schon in einer Zeit der Epi-
gonen. Die Kabinette und Ateliers der Italiener Pompeo Leoni
und Jacomo Trezzi aus Mailand, mit ihren Münzen, Anticaglien,
Gemälden und Handschriften gehörten einst zu den Sehenswür-
digkeiten des Hofes, an denen kein Fremder von Stand vorbei-
ging. Jedoch nach der Pause der zwei Jahrzehnte Philipp III,
dessen geistige Nullheit auch hier einschläfernd gewirkt hatte,
kam unter seinem jungen Nachfolger alsbald wieder etwas Be-
wegung in diesen Verkehr.
Vincenz Carducho hat in seinen Dialogen einige werthvolle
Andeutungen über die damalige Liebhaberwelt Madrids aufbe-
wahrt (S. 333 ff.). Sein Buch erschien 1633, jene Schilderung
aber muss früher aufgesetzt worden sein, da Monterey noch
dort ist, der im Jahre 1628 nach Italien ging. Er hätte seinem
Bericht noch mehr als bloss allgemeines Interesse geben können,
wenn er sich nicht aus Uebermass von Rücksichtnahme enthalten
hätte, die einzelnen Gemälde namhaft zu machen; aber er fürch-
tete Eifersucht zu erregen (por excusar ocasiones y celos S. 341).
Auch hier ist der italienische Einfluss unverkennbar. Mehrere
unter den kunstsinnigen Grossen waren in Italien gewesen: der
ehemalige Vicekönig von Neapel, Juan Alfonso Pimentel, Graf
von Benavente; Juan de Tassis, Graf von Villamediana, der Ober-
postmeister; zwei Italiener gehören zum Hofgesinde Philipp IV,
der florentinische Bildhauer (besonders in Pferden) und Edle Ru-
tilio Gaxi (er hatte den burgundischen Posten eines Acroy), von
dem die Modelle zu mehreren Madrider Brunnen herrührten, und
der schon genannte Römer Crescenzi.
Auf grösstem Fuss und mit fürstlichem Luxus hatten ihre
Paläste eingerichtet zwei Verwandte des Ministers, Monterey und
Leganés. Das sind die, welche (wie Novoa sagt) „Alcazare
bauten für reiche Tapisserien und kostbare Kupferstiche der
Ersten, die Brüssel und Rom besassen“. Von Diego Mexía de
Guzman, später Marques de Leganés, dem Schwiegersohn Spi-
nola’s, wusste man, dass er mit Widerstreben nach den hohen
auswärtigen Posten ging, die ihm ohne Verdienst und trotz Miss-
erfolgen zufielen, denn sein Herz hing an den Schätzen seines
Hauses zu Madrid, mit den seltenen Uhren und Spiegeln, den
Sekretären von ausgesuchter Marketeriearbeit und dem Artillerie-
museum, den Gemälden und den Lustgärten 1). D. Emanuel de
[174]Zweites Buch.
Fonseca y Zúñiga, Graf von Monterey errang sich in der Folge
unter den Plünderern Neapels die Palme. „Wozu, ruft Novoa,
dessen Werk den Neid und Hass athmet, welchen das Treiben
dieser Günstlinge geweckt, hat uns Monterey’s Aufenthalt in
Neapel gedient, als den Vorrath von Silber, Juwelen, Tapeten
und Gemälden zu vermehren?“ Schon damals besass er eine
schöne Sammlung, darin war die Röthelzeichnung des Cartons
der Badenden von Michelangelo.
Der Geschmack der Sammler war noch etwas in der Rich-
tung unserer alten fürstlichen Kunstkammern: Waffensäle, vene-
zianische Gläser (für die Gesandten der Republik ein Mittel die
Herren vom Hofe geschmeidig zu machen), Sekretäre, flandri-
sche Tapisserien, Medaillen, Kupferstiche, illuminirte Breviere,
Zimmeraltärchen, kostbare Drucke, Elfenbeinschnitzereien (Espina),
musikalische und mathematische Instrumente. Die Malerei an-
langend war den Künstlern schon damals das antiquarische Vor-
urtheil verdriesslich; „die Sense des Todes, sagt Carducho, muss
erst das beglaubigende me fecit darunter setzen; die Sichtbarkeit
der Person löscht das Verdienst des Werks aus.“
Von besonderem Interesse ist seine Schilderung von Zirkeln
und Conversationen der Kenner und Freunde der Kunst. In einem
ungenannten Hause fand man sich Abends zusammen, um Ge-
mälde, Zeichnungen, Modelle, Statuen „mit viel Geschmack und
Kenntniss zu besprechen und umzutauschen“. Da zeigte sich
Kennerschaft „aller Originale Raphael’s, Correggio’s, Tizian’s, Tin-
toretto’s, Palma’s, Bassano’s“, und auch der Lebenden. Die besten
Künstler fanden sich ein, desgleichen Herren vom Stande, die
an solchem virtuoso divertimiento Geschmack fanden. Ausser
Gemälden sah man „Rüstungen und Degen berühmter Waffen-
schmiede, damascirte Dolche, Arbeiten von Bergkrystall, Schreib-
tische, Pyramiden und Kugeln von Jaspis und Glas“. (Diese
Kunst der Arbeit in deutschem Bergkrystall und Halbedelsteinen
hatte Jacomo Trezzo eingeführt). Der Herr des Hauses war
grade damit beschäftigt, ein Tauschobjekt (unas ferias) zusam-
menzustellen, über das er mit dem Admiral von Kastilien, D.
Juan Alfonso Enriquez de Cabrera eine Verabredung getroffen
hatte. Es bestand in einem Originale Tizian’s, sechs Köpfen
von Anton Mor, zwei Broncestatuen und einer kleinen Feld-
1)
[175]Die Stadt Madrid.
schlange. Der Admiral hatte ihm die gute Kopie eines Baccha-
nals von Caracci überlassen. Sie sahen dort auch eine Madonna
Raphael’s aus dem Kloster der Barfüsser-Carmeliterinnen in
Valladolid, die Monterey gehörte, welcher sie nach Italien mit-
nehmen und restauriren lassen wollte. Es war die noch heute
oft in Spanien und in Valladolid vorkommende Madonna della
Rosa. (Prado 370.)
Diese Tauschgeschäfte müssen sehr beliebt gewesen sein.
Denn da man dort seiner Liebhabereien, Studien und Ansichten
rascher müde wird als anderwärts, so konnte man ja durch
Ablassung eines Stückes, an dem man sich sattgesehen, ohne
Kosten neues bekommen; besonders unter Leuten, bei denen
Geldgeschäfte nicht standesgemäss waren.
Auch an andern Gelegenheiten gute Sachen zu erwerben,
fehlte es in Madrid nicht. Nachlässe Verstorbener wurden von
der Familie inventarisirt und taxirt; man nahm heraus was sie
behalten wollte, und das übrige wurde im Hause zum öffentlichen
Verkauf aufgestellt, mit angehefteten Preisen. Solche Almonedas
fanden selbst nach dem Ableben der königlichen Personen statt;
die grösste, die es je gegeben, war die Philipp II, seit 1608.
Sie zogen sich oft Jahre lang hin. Man konnte hier die besten
Sachen der Reichsten und Vornehmsten wiederholt und mit
Musse in Augenschein nehmen. Der Graf Harrach, der in der
zweiten Hälfte des Jahrhunderts zweimal als Gesandter an den
spanischen Hof kam, giebt in seinem höchst merkwürdigen Tage-
buch auch von diesen Almonedas Nachricht; im Lauf von fünf
Jahren nennt er nicht weniger als zwanzig, fast alle von Adligen.
Aus ihnen stammen mehrere Bilder der Gräflich Harrach’schen
Gallerie in Wien 1). Die Preise überstiegen oft das Doppelte des
Marktwerthes, aber man konnte auch abhandeln, und nach Ver-
lauf einiger Zeit wurden die Erben milder.
Neben denen, welche aus Eitelkeit und Frohndienst der
[176]Zweites Buch.
Mode sammelten, gab es auch echte Liebhaber. Das lebhaft ge-
färbte Bild eines solchen entwirft Quevedo 1). Juan de Espina
war nach ihm das Muster eines Kunstfreunds, und ausserdem ein
wahrer Philosoph. Feinheit und Gründlichkeit der Kenntnisse,
Findigkeit und Ausdauer im Suchen, Nichtachtung der Preise
(er hatte fünftausend Dukaten Einkünfte); Auswahl des „Unbe-
zahlbaren“ und Geschmack in der Aufstellung, stete Offenheit
des Hauses für Künstler und Gelehrte. „Er konnte jeden Gast
fragen nach Geschmack und Beschäftigung, und dieser sicher
sein, dass sich etwas für ihn finde. Dort gewann man die Stun-
den, die man anderwärts verlor, und der Tag verging, ohne dass
man die Schritte zählte“. Ein tiefsinniger Grübler, galt er für
einen Magier und ist als solcher sogar auf die Bühne gebracht
worden.
„Er allein bewahrte in seinen Gemächern Gemälde, welche
die Macht und Herrschaft der Nepoten in Rom und die Grösse
der Potentaten nicht aufzuspeichern vermochte; er hat mit
grossem Aufwand in seinem Haus das seltenste vereinigt, was Alle
in den verschiedensten Provinzen besassen; und Jahre lang war
dieses Haus ein Auszug (abreviatura) der Wunder Europa’s, auf-
gesucht von den Fremden, zu grosser Ehre unsrer Nation, die
oft vielleicht nichts weiter von Spanien erzählten, als die Erinne-
rung an ihn.“
In dasselbe Jahr, wo Velazquez nach Madrid übersiedelte,
fällt der Besuch des Prinzen von Wales, Carl, der dort vom
17. März bis zum 9. September verweilte 2). Nach Lope de
Vega brachte er „mit merkwürdigem Eifer alle Gemälde zusam-
men die zu haben waren, er schätzte und zahlte sie mit über-
mässigen Preisen“. Jenem Espina suchte er denn auch sein
Kleinod, die zwei Bände Handschriften mit Zeichnungen des
Leonardo da Vinci abzuhandeln, aber ohne Erfolg; der Besitzer
hatte sie nach seinem Tode dem Könige bestimmt; vierzehn
Jahre später liess der Graf Arundel darnach forschen, der sie
auch erhielt. Diese stammten aus der Almoneda des Pompeo
Leoni († 1608), in der Andrés Velazquez einen kleinen (einen
Fuss hohen) auf Kupfer gemalten Correggio davongetragen hatte,
eine Madonna mit dem Kinde und dem heil. Joseph; der Prinz
[177]Die Stadt Madrid.
bot ihm vergebens 2000 Escudos; aber der König kaufte ihn
selbst und machte ihn dem Gast zum Geschenk 1). Damals war die
Almoneda des Grafen von Villamediana noch offen. Dieser Mann
von glänzendem Geist war am 21. August 1622 auf Anstiften
des Königs in seiner Kutsche erschossen worden, man weiss
nicht genau, ob wegen seiner satirischen Gedichte von unerhörter
Keckheit und Bosheit, oder wegen seiner verwegenen Galanterien
mit der jungen Königin. Er war sechs Jahre in Neapel und
Florenz gewesen, von wo er Gemälde, Waffen und Alterthümer
mitbrachte. Als der neuernannte Erzbischof von Burgos, Fer-
nando de Azevedo sich in Madrid verabschiedete, schenkte er ihm
einen Tizian von tausend Escudos Werth, „damit er sich seiner
in Burgos erinnere“. Jener Verkauf fand statt an der Puerta
del Sol, gegenüber S. Felipe el Real. Oft kam der Prinz in
das Haus des D. Gerónimo Fures y Múñoz, eines Sammlers und
Erfinders gemalter Sinnbilder (empresas), um dessen Cabinet von
Gemälden und Originalzeichnungen der grossen Italiener zu sehn.
Dieser schenkte ihm acht Gemälde und eine Anzahl kunstreicher
Waffen. Aus Crescenzi’s Sammlung erhielt er später durch
Cottington ein Gemälde Rosso’s, den Streit der Musen und
Pieriden (Louvre 369) für 400 Dukaten. Der Prinz fand auch
an spanischen Malern Geschmack. In seiner Sammlung kommen
Stillleben vor von dem als Blumenmaler sehr geschätzten, jetzt
verschollenen Juan Labrador († 1600); ferner ein Nachtstück der
„Hirten“ von Pedro Orrente.
Gelegenheit gute Sachen aus Privatbesitz zu sehen, gaben
auch die grossen Kirchenfeste, wie Fronleichnam, S. Johannis.
Da wurden die Balkons mit Tapisserien behängt, im Erdge-
schoss von der Strasse aus sichtbare Altäre errichtet, geschmückt
mit Blumen, grünen Zweigen, Gemälden, Paramenten und Lich-
tern, vor denen man sang, spielte und tanzte.
12
[178]Zweites Buch.
Der alte Palast.
Hof und Palast von Madrid.
Velazquez gehörte also nun zum Hof des Königs von Spanien,
er war dessen Hausgenosse geworden. Seine Existenz war fort-
an in den unabänderlichen Gang dieses Hoflebens hineingezogen,
das sich mit der Regelmässigkeit der Himmelskörper zwischen
Palast und Villa, Festen und Ceremonien in Madrid, Landlust
und Jagd im Pardo, Escorial, Balsain und Aranjuez abspielte.
Denn „der spanische König weiss Tag für Tag, was er sein
ganzes Leben hindurch thun wird“. Seine Freiheit und Ruhe
hatte er für immer hingegeben; nur in Italien hat er sie wieder
gekostet. „Rasch leben und langsam sterben“ hiess es hier,
und die Haupterlebnisse waren Enttäuschungen (desengaños de
palacio (Calderon).
Trasnochar, ir á dormir
al amanecer, y morir despacio.
(Alarcon, los favores del mundo. II, 2.)’
Allen die ihm dienten, gab Seine Majestät in Palast und
Stadt Wohnung und Kost, bis auf die Wachen, an tausend Perso-
nen. Sie erhielten in den Speisekammern täglich ihren Mund-
vorrath: Fleisch, Geflügel, Wildpret, Fisch, Chocolade, Früchte,
Eis, Brot und Oel, Kerzen und Kohlen. Zum Theil wurden
auch Arzt und Apotheker bezahlt. Sie kosteten ihn jährlich eine
Million Escudos; bloss die Wachskerzen 60,000 Dukaten.
[179]Hof und Palast von Madrid.
Der spanische Hof, schreibt Boisel 1), ist kein Hof im Sinn
des französischen und englischen; er ist ein Privathaus und führt
ein abgeschlossenes (serrée) Leben. Die Habsburger haben bis
zum Untergang der Linie die Ordnung und Einrichtung des
Hofs von Burgund beibehalten, die sehr verschieden war von
der alten, einfachen und billigen Hofhaltung der castilischen
Monarchen. Der König nannte sich Nachfolger und Erbe des
Hauses Burgund. In dem Hof dieser Philippe lebte der Hof
Philipps des Guten und Karls des Kühnen fort, in seinen Gepflo-
genheiten und in seiner Prunkliebe, in seinen Aemtern und Titeln.
Der Monarch speiste allein, die Königin und jeder Infant hatten
ihren Hofstaat, ihre „Familie“ für sich 2). Ein Theil des Hofes
hiess Casa de Borgoña; Rechnungen und Bücher des Palastes
wurden nach burgundischer Art geführt, die Namen der Hof-
chargen waren zum Theil burgundisch 3).
Diese Aemter, welche nicht gekauft, sondern vom Könige
geschenkt wurden, waren die Ziele des Ehrgeizes verschiedener
Ordnung, sie dienten als Köder, um den Adel von seinen
Schlössern in die Hauptstadt zu locken. Die Spanier alten
Schlags hatten die Einführung dieses fremdartigen und kost-
spieligen Hofwesens anfangs nicht ohne Aergerniss mit ange-
sehn. Noch im fünften Jahre Philipp II wagten die Cortes von
Castilien vorzustellen: „Euer Haus von Burgund ist mit so über-
mässigen Ausgaben verknüpft, dass man mit selbigen ein Reich
erobern könnte: sie verschlingen den grössten Theil der Renten
des königlichen Patrimoniums. Das Schlimmste aber ist der
Schaden und Nachtheil fürs Reich: dass die Gebräuche und
Sitten Castiliens vergessen werden und des spanischen Volkes
Kräfte so geschwächt, erschöpft und ausgesogen, dass es Ew.
Maj. jetzt nur noch wie der Pelikan mit seinem Herzblut
dienen kann“. —
Der Name des alten Alcazar von Madrid wird oft im
Lauf dieser Erzählung genannt werden. Ihr Held ist über
ein Menschenalter lang seine breiten und engen Treppen auf-
[180]Zweites Buch.
und abgestiegen und hat seine endlosen Gänge durchmessen;
ein grosser Theil seiner Werke war für dortige Gemächer be-
stimmt und sein Atelier befand sich hier; er hat seine künstlerische
Ausstattung geleitet.
Der Wunsch in diesem längst untergegangenen Gebäude
etwas orientirt zu sein, wird sich also öfters aufdrängen. Und
da Niemand unter den Hunderten von Künstlern und Gelehrten,
die in ihm gelebt und verkehrt haben, auch nicht einmal nach
dem Brande des 24. November 1734 sich bemüssigt gesehen hat,
der Nachwelt ein Bild desselben zu erhalten, so wird der fol-
gende Versuch einer Beschreibung, gemacht mit Hülfe von In-
ventaren, Reisebeschreibungen und des Fragments eines alten
Grundrisses 1), wol für keine ganz undankbare Mühe gelten.
Es ist der Palast, in dessen nordwestlichem Thurm Franz I
gefangen gehalten wurde und den Besuch seines Besiegers em-
pfing, wo die Tragödie des D. Carlos sich abspielte und das
Testament des letzten Habsburgers unterzeichnet wurde, welches
den Thron dem Enkel Ludwig XIV überantwortete. Wenn das
von J. B. Sacchetti seit 1737 auf derselben Stelle und in der-
selben imposanten Lage am Westende der Stadt, neuerbaute
Bourbonenschloss durch Einheit des Plans und prunkvollen Stil
das alte übertrifft, so entbehrt es doch des nationalen Charak-
ters und ist arm an geschichtlichen Erinnerungen. Seit es dem
Museum die Gemäldeschätze abgegeben hat, gehört sein Inneres
nicht mehr zu den ersten Sehenswürdigkeiten der spanischen
Hauptstadt.
Die Gründung des Alcazar von Madrid verliert sich in die
Nacht der maurischen Zeiten. Seit den frühsten Tagen haben
die castilischen Könige gelegentlich in Madrid gehaust und im
Pardo gejagt, aber ihr Palast stand an der Stelle des von der
Prinzessin Juana, Tochter Carl V, zur Erinnerung an ihr Ge-
burtshaus gegründeten Klosters der Descalzas reales (königlichen
Barfüssernonnen). Der Alcazar war nur das Kastell oder die
feste Burg, im Westen durch den Abhang nach dem Mansa-
nares, an den übrigen Seiten durch Graben und Mauern ge-
schützt. Im Jahre 1109 hatte er dem marokkanischen Heer des
Almoraviden Tejufin widerstanden; der Name Campo del Moro
(Mohrenlager) war dem Garten unter dem westlichen Abhang
[181]Der alte Palast.
verblieben. Nach dem Neubau durch Peter den Grausamen im
14. Jahrhundert lesen wir von grossen Ceremonien und Staats-
aktionen; aus jener Zeit stammten die festen Rundthürme. Unter
dem prachtliebenden Juan II tagten in der Sala rica die Cortes
von Castilien (1419). Hier wurden die Gesandten Frankreichs
empfangen. Damals sahen seine Mauern glanzvolle Feste und
trotzten Belagerungen; er war der Schauplatz der den spanischen
Thron entwürdigenden Scenen des Lebens Henrique IV, der ihm
seine letzte Gestalt gab. Vierhundert Mann behaupteten ihn
(1476) gegen das Heer Isabellas unter Infantado. Die „katho-
lichen Könige“, die dort im Jahre 1477 einzogen, haben ihn nicht
bewohnt, aber am Freitag sprachen sie dort öffentlich Recht.
Zum letztenmal hat er einen Sturm ausgehalten, als die Comu-
neros ihn besetzt hielten (1520—21).
Diese mittelalterliche Feste von Madrid reiht sich im
Plan ganz den sonst bekannten Schlössern an. Ein Viereck mit
grossen runden Eckthürmen und Höfen, nach aussen lange Ga-
lerien, mit Erkerthürmchen, von spitzen Helmen bekrönt, vielen
kleinen und einer grossen Fensterreihe mit Balkons, nach
Innen die Wohnungen und Säle, die ihr Licht von den offenen
Terrassen (Loggien) des Hofs empfingen. Das Mauerwerk war
unregelmässig.
Als der Kaiser nach Niederwerfung des Aufstands der Ge-
meinen dort zu residieren beschlossen hatte, ordnete er einen zeit-
gemässen Umbau an; er selbst hat ihn nie bewohnt. Dieser
Umbau, begonnen von Alonso de Covarrúbias aus Toledo, fort-
geführt von Luis de Vega ist erst von dem Sohne, Regent seit 1543,
und dem Enkel zu einem gewissen Abschluss gebracht worden 1);
der innere Ausbau der grossen Gemächer und ihre Ausstattung
war sogar ein Werk Philipp IV und seiner Baumeister. Diese
modernisirte Burg ist das habsburgische Schloss, der „Alcazar
der Philippe“, der zwei Jahrhunderte bestanden hat.
Die erhaltenen Stiche zeigen das Werk und den Stil der
neueren Zeit in den beiden Höfen und in der Haupt- oder Süd-
façade. Der Neubau bestand hauptsächlich in der Erweiterung
des südlichen und Eingangs-Flügels durch einen parallelen, dessen
Tiefe verdoppelnden Anbau. Diess lehrt ein Blick auf den Grund-
[182]Zweites Buch.
riss: die überaus starke Zwischenwand, welche die beiden Folgen
von Gemächern im südlichen Flügel trennte, war die alte Aussen-
mauer. An der Kante des mächtigen, viereckigen, südwestlichen
Pavillons, des Thurms Philipp II, sieht man noch den alten
runden Eckthurm hervorragen, jetzt zurückgeschoben in die
Flucht der Westseite. Die Gemächer, welche in diesem neuen
Theil angelegt wurden, sind die grossen Prachtsäle, aposentos prin-
cipales, wie sie Philipp II nannte, von denen bei der Aufstellung
der Gemälde so oft die Rede ist: der Südsaal oder Saal der
Königin über dem Garten der Kaiser, der „Neue“ oder Spiegel-
saal über dem Hauptthor; der zuletzt erbaute achteckige oder
Kuppelsaal (Sala ochavada), die Tribuna.
Während dem von Westen der Hauptstadt sich Nähernden,
über dem steilen, wüsten, von Regenströmen zerrissenen Abhang
nach dem Mansanares und dem Park hin eine thurmreiche,
trotzige, mittelalterliche Bastille entgegenragte, sah der von der
Stadt aus, durch die Calle mayor über den Palastplatz (jetzt
plaza de armas) Kommende die vornehme, ganz regelmässige
Façade eines Cinquecento-Palastes, wie er passte für das Für-
stenhaus einer loyalen Residenz. Nur wenige Hellebardiere fand
man am Thor, denn der spanische König ist hinreichend geschützt
durch sein treues Volk. Jener grosse freie Platz war das Werk
Philipp II. Er hatte den bis dahin von engen Gassen, Privat-
gärten und zwei Kirchen eingeschlossenen Alcazar freigelegt.
Die Kirche S. Gil war anderswohin verpflanzt worden; S. Mi-
guel de la Sagra erstand neu in der Palastkapelle. Diesen Pa-
lastplatz begrenzten nach Süden die Marställe; der einzige von den
Bauten Philipp II noch übrige Rest, die heutige Rüstkammer
(Armeria) gehörte zu diesen Cavallerizas.
Diese moderne Front war aus weissen Hausteinen aufge-
führt, und von zwei mächtigen, viereckigen und vierstöckigen
Pavillons aus Ziegelsteinen flankirt, deren westlicher von dem
genannten König, der östliche (la Torre de la Reina) erst
zur Zeit der Minderjährigkeit Carl II aufgeführt wurde. Ein
breites, dreifenstriges Portalstück mit Giebel im Herrerastil
theilte die Façade in zwei zwölffenstrige Hälften. Ueber dem
Erdgeschoss mit kahlen Mauern und starkvergitterten Fenstern er-
hoben sich zwei Stockwerke, das obere das höhere, beide reich ge-
schmückt mit Pilastern, Fensterverkleidungen und -Verdachungen
von weissem Marmor, nebst vergoldeten Balkons, das Werk Phi-
lipp III? Da man indess von Räumlichkeiten eines zweiten, über
[183]Der alte Palast.
dem piso principal gelegenen, ja noch stattlicheren Geschosses
nichts liest, da ferner die Höhe der grossen Säle bei Annahme einer
Zwischendecke im Verhältniss zu den Längenmassen des Grund-
risses gedrückt erscheinen würde, so wird man auf die Annahme
geführt, dass mindestens jene Prunksäle durch beide Ordnungen
der Aussenseite hindurchgegangen sind, und also zwei Reihen
Fenster gehabt haben, — was möglicherweise im ursprünglichen
Plan nicht vorgesehen war.
Die Hauptaxe des mächtigen Baues war also von Süden
nach Norden orientirt; in ihr lag, im Hauptgeschoss, die Palastka-
pelle S. Miguel, welche die beiden grossen Höfe und zugleich die
beiden Haupttheile, die Wohnungen des Königs und der Königin
schied. Man trat oder fuhr durch einen gewölbten Gang (zaguan)
in den ersten, östlichen, grösseren Hof. Hier lagen unten die
Wohnungen des Kronprinzen, der Infanten und der Guardajoyas;
oben die Gemächer der Königin und der Prinzessinnen, die besten
Wohnräume des ganzen Baus. Dann trat man in den zweiten
Hof der Wohnung des Königs. Diese Höfe machten auf Fremde
den Eindruck klösterlicher Kreuzgänge. Die etwas engen Bogen
der untern Halle ruhten auf leichten jonischen Säulen von grauem
Marmor, die obere Galerie hatte flaches Gebälk, wie im Palast
zu Valladolid. Der Stil gehört den dreissiger Jahren an, es
ist noch der leichte, bramanteske des Covarrúbias, sehr abweichend
von den schweren Hallen, die Philipp II im Escorial aufführte.
Im zweiten Hof war der Verkehr sehr belebt und öffentlich.
Seine Arkaden waren von Kram- und Bücherbuden, Juwelier-
läden besetzt; auch Maler stellten hier ihre Sachen aus 1). Dazwi-
schen strömten die aus und ein, welche in den Rathssälen zu
thun hatten. Denn im unteren Geschoss lagen die Geschäfts-
und Audienzzimmer der zehn Räthe von Castilien und Aragon,
Italien, Portugal und Flandern; des Staatsraths, des Ordens-
raths u. a. Von ihnen hiess der Hof el patio de las covachuelas
(eigentlich Kellerchen). Dahinter lag die königliche Sommer-
wohnung (cuarto bajo de verano). Eine breite Treppe (scala maestra)
von demselben grauen Marmor, mit enggestellten dünnen, blauen
und vergoldeten Balustren führte nach dem stillen, vornehmen
Stockwerk (cuarto y aposento de S. M.; cuarto alto). Man betrat
zuerst (im Nordflügel) die Säle der Wachen (Sala de guardias),
der spanischen, der deutschen, der burgundischen und walloni-
[184]Zweites Buch.
schen oder Bogenschützen (archeros). Sie lagen zwischen der
oberen Loggia des Hofs und dem langen schmalen Saal der
Nordgallerie (galeria del cierzo). Diese Galerie endigte in dem
nordwestlichen Thurm, den König Franz von Frankreich be-
wohnte, später der des „Hermaphroditen“ genannt.
Hier an der Westseite begannen dann die grossen Staats-
zimmer: der Saal der Consultas, der Audienzsaal, der Speisesaal,
die „Audienz des Präsidenten“. Hier tagten die Cortes, der
König berieth mit dem Rath von Castilien, empfing und hörte
die Gesandten und Cardinäle, ertheilte den Orden des goldenen
Vliesses und ernannte die S. Jagoritter, empfing den Eid der
Vicekönige und capitanes generales, wurde Morgens vom Nuntius
und den Gesandten zum Gang in die Messe erwartet und nahm
die Fusswaschung und Speisung des Gründonnerstags vor 1). Nach
dem Hof zu lag die Antecamara, früher war hier auch die Guarda-
ropa. Im Westflügel befand sich die königliche Winterwohnung.
Für ihre Gemächer war die alte Westgalerie zum Theil verbaut wor-
den, Graf Harrach sagt, sie habe „schlimmen Eingang und lauter
kleine Zimmer“. Sie war geschmückt mit Fresken, Tapisserien
und vergoldeten Decken; Fussboden und Lambris mit Azulejos be-
kleidet. Sie reichte bis zu dem südwestlichen oder goldenen
Thurm (torre dorada, torre de despacho). Hier aber athmete man
auf: eine überraschende Ansicht von Stadt und Ebene er-
öffnete sich.
Zwischen dem Hof und den modernen Prachtsälen der Süd-
façade lag der längste Saal des Schlosses, die alte Südgalerie,
oder der Comödiensaal (170 × 35 kastilische Fuss), bestimmt
für Feste, Maskeraden und die öffentliche königliche Tafel; daher
„Sala de fiestas publicas“ genannt. Später wurde im Osten ab-
getrennt die pieza del cancel, wo die Königin mit ihren Damen
die Messe hörte, denn sie lag vor der Kapelle; sowie das Schlaf-
gemach der Majestäten. Es folgte ein quadratischer gewölbter
Saal, an seiner Decke die früher der Königin Maria von Ungarn
gehörenden vier Unterweltsbilder Tizian’s: die Pieza de las furias.
Sie gehörte schon zu den Gemächern der Königin.
Die vornehmen Italiener, welche den Palast zu Philipp II
und III Zeit sahen, sprechen sich nicht sehr günstig aus über
den Gesammteindruck des Innern. Man merkte den Räumen
[]
[][185]Der alte Palast.
die Anpassung an den mittelalterlichen Bau und die spanische
Neigung zum Dunkel an. Venturini meint, es sei kein gutes
Zimmer darin, umgekehrt wie in den Palästen Roms, wo es kein
schlechtes gebe. Namen wie pieza oscura deuten auf einen Haupt-
mangel. Durch Thüren, an deren Sturz man in kurzen lateini-
schen Inschriften die Namen Carl V und Philipp II las 1), mit den
Jahreszahlen 1539 und 1561, trat man in Zimmer, die ihr spär-
liches Licht bloss durch die Thür von der „Terrasse“ des Hofs
empfingen, oder durch ein einziges, kleines, hohes Fenster;
manche waren niedrig und ganz dunkel, und alle von „schlech-
ter Architektur“.
In der Richtung nach Osten schlossen sich an den Alcazar
die Wirthschaftsgebäude, Küche, Bäckerei und das Schatz-
haus (Casa del Tesoro), wo die Wohnungen und Ateliers der Künst-
ler waren. Von diesen Anbauten ist keine Spur geblieben. Der
Gesammtcomplex enthielt fünfhundert Wohnräume. —
Was wir von den Geheimnissen des untergegangenen Al-
cazar gern erfahren möchten, ist die Art der malerischen Aus-
schmückung aus der Zeit, wo Velazquez unter die Palastange-
hörigen aufgenommen wurde. Danach könnte man die Umge-
staltung des Innern beurtheilen, welche im Lauf der Regierung
Philipp IV unter seiner Mitwirkung stattgefunden hat. Das erste
Inventar dieses Königs (1636) fällt freilich in eine Zeit, wo die
Reform schon begonnen hatte. Indess führen Beschreibungen aus
der Zeit Philipp II und aus dem Jahre 1599 auf die Vermuthung,
dass bis zum Jahre 1623 die Grundzüge der alten Einrichtung
sich erhalten hatten.
1. Der vornehmste Wandschmuck nach damaligen Begriffen
waren die figurirten Tapeten (paños historiados). Die Spanier
des Mittelalters behingen ihre Prunkzimmer mit in Wasserfarben
bemalten Tüchern (sargas). Die Wandmalerei galt nur als noth-
dürftiger Ersatz. Zwar gab es zu Philipp II Zeit auch Webstühle
für Tapisserien, aber die Bedürfnisse der königlichen Schlösser
wurden fast allein durch die flandrischen Kunstanstalten von
Arras, Brügge und Brüssel bestritten. Alle Beschreibungen
spanischer wie portugiesischer Paläste dieser Zeit schildern die
in Sälen, Galerien und Kapellen aufgehängten flandrischen
[186]Zweites Buch.
Tapisserien von Seide und Gold. Den Höhepunkt erreichte dieser
Luxus um die Mitte des Jahrhunderts unter Carl V 1). Diese
Art des Zimmerschmucks hatte den Vortheil der Beweglichkeit:
sie gingen nicht wie Fresken mit den Mauern zu Grunde, sie
konnten im Sommer abgenommen und zusammengerollt werden,
die kostbarsten wurden für besondere Feste reservirt und auf
Reisen mitgenommen. Lope, scherzhaft über den Ursprung
dieses Geschmackes philosophirend, meint, sie sollten andeuten,
dass im Palast die Wände Ohren haben 2). Von dem Reichthum
der im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert eingeführten
und bestellten flandrischen Tapisserien gibt der noch jetzt vor-
handene und bei Festen im Palast zur Verwendung kommende
Vorrath einen Begriff. Beim Tode Carl II wurden sie unter 93
Nummern, meist Serien, inventarisirt. Diese Schätze setzten fremde
Gäste in Erstaunen; Gramont nennt in seinen Memoiren die Ta-
pisserien des königlichen Schlosses „viel schöner als die der
Krone Frankreichs“ und gibt ihre Zahl auf achthundert an. Er
sagte später einmal zu Philipp V, er möge deren vierhundert
verkaufen, um seine Soldaten (oder Schulden) zu bezahlen; er
würde noch genug behalten für vier Schlösser wie das seinige.
Bei grossen Kirchenfesten, beim Fronleichnamfest oder wie
z. B. am 21. Juli 1624 bei Gelegenheit eines Ketzergerichts,
wurden die grossen Höfe und die Corridore des Palastes mit
Tapisserien behängt. Dazwischen liessen die königlichen Per-
sonen Altäre aufbauen, für welche die Schatzkammer ihre Silber-
und Goldgefässe, Kassetten und Tischchen von edlen Steinen ent-
leerte, die Orden von Madrid, ja die Kirchen Toledos und der
Escorial beisteuern mussten. Venturini sah in der Guardaropa
diese „Haufen (cataste) indischer und vlämischer Tapeten“ längs
den Wänden, daneben Holzmodelle spanischer Städte, ein Magazin
von Ebenholz und roth ausgeschlagene, gold- und perlenge-
stickte Sessel. Sie vergegenwärtigen die Wandlungen des
niederländischen Geschmacks von Roger van der Weyden bis
zum Eindringen der italienischen Cartons und weiter. Für jedes
Bedürfniss war gesorgt; es gab religiös symbolische Darstellungen,
[187]Der alte Palast.
Moralitäten, Allegorien, Passions- und Apostelgeschichten; Pa-
triarchen- und Römerhistorien; mythologisch-erotische Scenen
und die Grossthaten des Hauses, den Feldzug Carl V noch Tunis
und die Campagnen des Erzherzog Albrecht. Graf Harrach sah
in der Palastkapelle die Apokalypse, im Comödiensaal Tunis, in
des Königs Winterwohnung die Passion von „A. Dürer“ und
„sehr schöne und gute“ von Rafael 1).
2. Im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert hatte durch
Italiener hier und da die Freskomalerei Eingang gefunden, aber
nie ist sie in so grossem Umfang angewandt worden wie unter
Philipp II; unter dem vierten Philipp ist sie erloschen. Carl V
hatte 1546 den Tocador in der Alhambra durch Julio de
Aquilés im römischen Groteskengeschmack des Johann von
Udine ausmalen lassen: diese Decorationsweise liebte auch Phi-
lipp II. Wäre er nicht durch den Escorial abgelenkt worden,
er würde wol das ganze Schloss in diesem Stil mit Fresken
bedeckt haben. Eine freilich verworrene Beschreibung des von
ihm bevorzugten westlichen Flügels des Alcazars hat der Maler
Vincenz Carducho aufbewahrt (Diálogos 345 ff.). Der König
verwandte hier seine Italiener aus der Escorialcolonie, Romulo
Cincinato, den Bergamasco, Patricio Caxesi; die leitende Haupt-
rolle aber war dem Andalusier Gaspar Becerra aus Baeza zuge-
fallen, der viele Jahre in Rom gelebt hatte. Von ihm war der
im Loggiengeschmack bemalte Gang, der vom Audienzsaal in die
Westgalerie führte, und das Zimmer der „Vier Elemente“. Einen
glücklichen Raum für solche phantastische Erfindungen gaben
die halbkreisförmigen Erkergemächer dieser Galerie, nach dem
Parke zu. In einem ihrer Cubos hatte Becerra die Sieben freien
Künste gemalt, er enthielt das Bauarchiv des Königs in vergol-
deten Nussbaumschränken. Einige Säle im Pardoschloss, beson-
ders aber die „untere Zelle des Priors“ im Escorial (von Cinci-
nato) gibt eine gute Vorstellung von dieser Art Zimmermalerei.
Die grösste Pracht aber entfaltete der italienische Geschmack
im goldenen Thurme. Die Wände waren bekleidet mit Stuck
„weiss wie Alabaster“ und Gold; die Stockwerke durch eine be-
queme Wendeltreppe verbunden; man sah in einem Zimmer
ovidische Verwandlungen. Hier befand sich die Bibliothek ca-
stilischer, französischer und italienischer Werke 2). Es war der
[188]Zweites Buch.
Lieblingsaufenthalt des Königs in Madrid, sein Blick beherrschte
hier die getreue Residenz und die Ebene mit den alten Jagd-
gründen, bis zum Escorial und dem Guadarramagebirge.
3. An Staffeleibilder war in dem decorativen System der
damaligen Architekten wenig gedacht worden. Man scheint sich
nur langsam mit der Vorstellung vertraut gemacht zu haben,
Tafelbilder, Oelgemälde zum vornehmsten Schmuck der Gemä-
cher zu wählen und sich in den bewohnten Räumen mit dem
Besten was man besass zu umgeben. Die kostbaren, hochge-
schätzten Stücke wurden mehr aufgehoben als aufgestellt: wie
die Werke der Edelmetall- und Kleinkunst blieben sie in Ca-
bineten verschlossen.
Das bei dem Tode Philipp II verfasste Inventar zeigt diese
Sitte noch in voller Herrschaft. Die Gemälde befinden sich in
den beiden Räumen des Guardajoyas (Kronjuwelenkammer), in
der Contaduria (Rechnungskammer), und in dem Schatzhaus (Casa
del Tesoro). Sie zerfallen in zwei Klassen, Andachtsbilder und
Bildnisse. Die pinturas de devocion, unter welchen das Altarbild
der Palastkapelle, die Cocxcyen’sche Copie des Genter Altar-
werks oben an steht, sind meist Triptychen, Retablos der alt-
niederländischen Schule, Votivbilder, deren schon Isabella die
Katholische viele besass. Die wenigen italienischen sind von
Tizian: die Dolorosa und das Eccehomo auf Probirstein, die heil.
Margaretha mit dem Drachen, der Sündenfall. Viele waren in
der Kapelle und in den kleinen Oratorien des Palastes.
Die zahlreichen Bildnisse stellten Mitglieder des Hauses
und verwandte oder berühmte Fürstlichkeiten der Zeit dar, nebst
einigen Feldherrn und Hofnarren. Die besten waren von Tizian,
Antonio Mor und Sanchez Coello. Jene Meisterwerke venezia-
nischer Bildnisskunst, Tizians Carl V zu Pferd, später die Haupt-
zierde des Spiegelsaals und von den Gesandten in den Berichten
über ihre Audienz gepriesen, das Bildniss Philipps mit dem
Infanten Diego nach der Schlacht bei Lepanto, das Bildniss
Carl V. mit der Dogge, standen im Schatzhaus. Dazwischen
sah man die Phantasien des Hieronymus van Aeken, die der
König so vollständig gesammelt hatte, und antike Köpfe.
Mit diesen Stücken aber war der Gemäldevorrath noch
lange nicht erschöpft. Eine sehr grosse Zahl, wovon freilich
wenig übrig geblieben ist, diente zur Belebung der Gänge und
Galerien des Schlosses, wenn im Sommer die Tapisserien
entfernt wurden. Diese aber wählte man mehr nach gegenständ-
[189]Der alte Palast.
lichem Interesse, zur Belehrung, Erheiterung, zur Erinnerung an
Ruhmesthaten. Es waren Schlachten und Triumphzüge, Jagden,
Städtebilder und Curiositäten. Ein deutscher Reisender sah im
Mai 1599 in der Nordgalerie und dem Comödiensaal Ansichten
der grossen Städte des Reichs und Flanderns sowie der Lust-
häuser von Jorge de las Viñas; in jener u. a.: die Schlacht bei
Mühlberg mit der Passirung der Elbe; die Schlacht bei Alcacer
Quibir, wo Don Sebastian und sein portugiesisches Heer unterging,
die Bildnisse des Königs, seines Oheims Ferdinand und des Don
Carlos, die Könige Emanuel und Sebastian von Portugal, den
Landgrafen von Hessen, den Conquistador D. Pedro Melendez,
und venezianische Schönheiten. Im Comödiensaal den Einzug
Carls V in Rom, seine Schlachten, den Einzug Alba’s in Por-
tugal1).
Eine grosse Zahl wurde auf den Treppen und in den langen
geheimen Gängen untergebracht. Diese pasadizos machten es dem
Könige möglich, unsichtbar zwischen den entferntesten Punkten
des Gebäudekomplexes zu verkehren, oder hinein und heraus
zu kommen, z. B. in die Gärten. Man liest, dass Philipp II seine
Maler, Mor und Coello, in der Casa del Tesoro im Schlafrock
(batas) zu überraschen pflegte. Sein Enkel liess sich auf den
Rath des Jesuiten P. Florentia sogar Gänge zimmern, die zu
Horchekammern (escuchas) neben den Rathssälen führten. Diese
unzugänglichsten von allen Wänden des Palastes waren zur Ver-
treibung allerhöchster Langeweile durch unabsehbare Reihen oft
werthvoller Gemälde belebt. Der längste dieser Gänge war der
aus dem Palast über Strassen und Plätze nach dem von der
Königin Margaretha gegründeten Kloster der Encarnacion er-
baute, vergleichbar dem Corridore von den Uffizien nach dem
Pitti; er enthielt im Jahre 1700 490 Gemälde. Die königlichen
Damen verrichteten dort ihre Andacht; die Priorin war eine
angesehene Person und mischte sich gelegentlich in die Politik2).
Ein Beispiel ist jedoch vorhanden, eine von wenigen ge-
sehene Anlage gab es in dem Schloss des „Dämons des Südens“,
wo man sich nach den Villen Roms versetzt glaubte, und Mei-
[190]Zweites Buch.
sterwerke italienischer Farbenkunst den Platz gefunden hatten,
den sie verdienten.
Auf einer Terrasse unter der Südgalerie und dem goldenen
Thurm lag der „Garten der Kaiser“, ein Parterre mit Spring-
brunnen, so genannt nach marmornen Kaiserbildern von Caesar
bis auf Domitian, sämmtlich doppelt. Die eine Serie waren
Halbfiguren, Kopien römischer Bildhauer nach Antiken, denen
noch Carl V beigesellt war. Sie waren, nebst dem Bronzeab-
guss des Dornausziehers ein Geschenk des Kardinals Gio. Ricci
von Montepulciano (1561) und von den Künstlern selbst nach
Madrid gebracht worden. Die andere Serie hatte der König
kurz darauf von Pabst Pius V erhalten. Daneben sah man die
Bronzebildnisse des Königs und seines Stiefbruders D. Juan de
Austria, wahrscheinlich von Leone Leoni. In den gewölbten
Räumen (cuadras) an diesen Gärten waren die besten Gemälde
aufgehängt, die Philipp II besass, die „Fabeln“, welche Tizian
für ihn gemalt hatte: die beiden Dianenbäder, die Venus mit dem
Orgelspieler und die mit Adonis, Danae, Europa, Tarquin und
Lucrezia, Perseus und Andromeda. Hier stand auch der Tisch
von florentinischer Mosaik, den der Legat Bonelli, Neffe Pius IV,
ihm geschenkt hatte. Dies war der Anfang und Kern jener un-
vergleichlichen Tiziansäle, die Philipp IV und Velazquez schufen.
Diese Gemälde wie die meisten des Schlosses hatten schmale
schwarze Rahmen (en marco negro).
An der Nordostseite lagen die Lustgärten: der Garten der
Priora, der des Königs und der Königin. Noch erhalten ist, am
Fuss des Abhangs nach dem Mansanares zu, jener offene Park
(Jardin del Moro; Bosco di palazzo vecchio). Er war der Lieb-
lingsspaziergang von Adel und Volk an den Frühlingsmorgen im
April und Mai, wo man sang, Harfe spielte, scherzhafte Verse
vortrug und im Gras frühstückte. Auch die Königin ging an
Sommerabenden mit ihren Damen nach dem Fluss hinunter. Dieser
Park war übrigens nichts als ein wilder Wald, in dessen Wipfeln
die Krähen hausten, welche Carl V aus den Niederlanden hierher-
gebracht hatte. An der Nordseite, unter den Fenstern der Galerie
del cierzo wurde im Sommer ein „römisches Amphitheater“ er-
richtet, wo Thiergefechte stattfanden. Sonst diente für die gros-
sen, mehr öffentlichen Hoffeste, Rohrspeertourniere, Stiergefechte,
der Palastplatz. Weiter, jenseits des Mansanares, breitet sich
der grosse Park der Casa del Campo aus, deren Terrain Phi-
lipp II 1558 angekauft hatte.
[191]Philipp der Vierte.
Philipp der Vierte.
Nicht selten begegnet der Name eines Künstlers eng ge-
sellt dem eines Fürsten. Der eine gab Ehre, Rang und Un-
abhängigkeit, gegen
eine mehr oder we-
niger hohe Prämie
Dienst; der andere,
bei Lebzeiten einen
Beitrag zur Unter-
haltung, später ein
Stück Unsterblich-
keit. Die launen-
hafte Zeit, das Grosse
verdunkelnd, das Un-
bedeutende hell be-
leuchtend, ist par-
teiisch für die Figu-
ren, an welche die
Kunst ihren magi-
schen Finger gelegt
hat. „Wir Maler,
meint der alte Palo-
mino, nehmen kei-
nen so niedrigen
Rang ein, dass wir
nicht im Stande wä-
ren, Gnadenbezei-
gungen zu gewäh-
ren, sogar den Kö-
nigen1).
Kaum ein Bei-
spiel so langer und
enger Verbindung
dürfte zu finden sein,
wie die zwischen Phi-
lipp IV und Velaz-
[192]Zweites Buch.
quez In ihrem Beginne zählte der Maler vierundzwanzig, der König
achtzehn Jahre (geb. 8. April 1605). Jener hat fast nur für den
König gemalt und hat ihn wol mehr gemalt, als irgend ein an-
derer Hofmaler seinen Herrn. Eine merkwürdige Reihe würde
es geben, wenn man diese Bildnisse aus allen Ländern an einem
Ort zusammen bringen könnte! Wie er den König von Jahr zu
Jahr begleitet, vom achtzehnten bis zum sechszigsten: ein
erschreckend einförmiges Thema, ausser für den, der es für der
Mühe werth hält, die Wechsel der Jahre, die Spuren der Schick-
sale, verschlungen mit den Wandlungen der Hand des Künstlers
zu verfolgen. Der Venezianer Basadonna sagte von Philipp IV:
„In der Uhr seiner Regierung versieht er bloss das Geschäft
des Stundenzeigers, der selbst ohne jede eigene Bewegung,
nur durch die Räder der Minister bewegt wird“1). Für uns sind
diese Bildnisse auch der Jahreszeiger für die Geschichte des
Malers.
Hat es irgend Jemanden gegeben, den diess Gesicht ge-
fesselt? Und auf die Züge fällt noch ein Schatten der unglück-
lichsten Regierung, die Spanien, vielleicht die neuere Geschichte
erlebt hat. Gleichwol sind die Galerien begierig nach dem Be-
sitz eines dieser Bildnisse; und man wundert sich, dass man ein
neu gefundenes Exemplar immer wieder mit Interesse betrachtet.
Ist denn in der Kunst der Gegenstand nichts, die Sprache alles?
Philipp IV war gewiss eins der merkwürdigsten Exemplare
des Roi fainéant, und durch die Art wie Kraft und Schwäche
in ihm gemischt waren, ein Problem.
Man kann ihn zu den von der Natur begünstigten Menschen
rechnen. Nach dem Urtheil aller war er der erste Cavalier
seines Hofes, der tadelloseste, festeste Reiter in den Turnieren,
der sicherste Schütze und rüstigste Jäger. Als Regent war er
beseelt vom besten, reinsten Willen. Er besass eine so vollkom-
mene Selbstbeherrschung, dass man ihn, ungeachtet seines
eigentlich lebhaften Temperaments, kaum je zornig oder ausge-
lassen gesehen hat. Eine ungetrübte, fast zärtliche Freundschaft
verband ihn mit seinen Geschwistern. Man hatte noch keinen
spanischen König gesehen, der so human gegen seine Diener
war (familiare soavità). „Die Güte, sagt Zane, hat ihn sich er-
koren, ihr eigenes Bild zu formen.“ Er hatte nichts vom Des-
poten; als er, ein zwanzigjähriger Jüngling, bei seiner Ankunft
[193]Philipp der Vierte.
in Saragossa die dort von Philipp II in Folge der Perez’schen
Händel errichtete, von den Aragonesen mit Ingrimm betrachtete
Bastille bemerkte und deren Bestimmung erfuhr, wandte er sich
sofort zu Olivares: „Graf, nehmt dieses presidio weg; ich will
nicht, dass meine jetzigen treuen Vasallen in dieser Weise ge-
kränkt werden.“ Sein gutes Herz zeigte sich in dem verzwei-
felten Kummer, als er einmal auf der Jagd durch Zufall einen
Bauern erschossen hatte. Gegen Bluturtheile hatte er ein solches
Widerstreben, dass die Gerechtigkeit darunter zu leiden schien,
troppo clemente nennt ihn Zorzi. Gut katholisch mit seinem Haus,
war in ihm nichts von der Bigotterie des Vaters und Gross-
vaters. Zweifelhafter ist sein Verdienst als Held zahlloser ga-
lanter Abenteuer, die sich indess meist unter dem Stand be-
wegten, der ihm am nächsten lag. Zane weiss, dass man ihm
zweiunddreissig natürliche Kinder zuschrieb, von denen er acht
anerkannt hatte.
Dabei war er ohne Zweifel ein Mann von vielseitigem Ta-
lent, wenn auch in Schilderungen der Zeitgenossen, eines Cal-
deron z. B., höfisch-dichterische Uebertreibung natürlich abzu-
ziehen ist1). Im Carneval von 1636 hatte er für das Fest in
Buen Retiro eine Arie componirt, die nach dem Zeugniss des
toskanischen Gesandten „nicht bloss Laien gefiel, sondern auch
von den Maestri gelobt wurde“. Er spielte leidenschaftlich gern
in den improvisirten Comödien (comedias de repente), die im
engsten Kreise des Schlosses, in den Gemächern der Königin
gegeben wurden. Man traute ihm sogar zu, dass er unter einem
Ingenio de esta corte verborgen sei, von dem einige noch erhaltene
Comödien herrühren. Er lernte Sprachen und las Geschichtswerke,
er hatte eine Uebersetzung von Guicciardini begonnen. Die
spanischen Kunstschriftsteller nennen mit Lob allerlei Gemälde
und Zeichnungen von ihm, die längst verschollen sind, und von
denen das Richtige wol Zane gesagt haben mag, „dass wenn
sonst die Werke den Meister loben, hier der Meister es ist, der
der Arbeit ihren Werth gibt“. Doch gesteht ihm auch dieser
13
[194]Zweites Buch.
Italiener einige Kenntniss der Malerei zu1). Er hatte einen
guten Lehrer gehabt in dem Dominikaner Maino. Dass er einen
mehr als gewöhnlich scharfen Blick besass, dafür gibt es mehrere
Belege, z. B. sein Urtheil über Raphaels Spasimo, das dem flo-
rentinischen Gesandten auffiel. Als diess Bild im September 1661
in Madrid eintraf, vermisste er darin die Hand des Meisters.
„Das ist keins der besten Werke Raphaels“, sagte er2).
Philipp IV hatte die höchsten Begriffe vom Beruf des spa-
nischen Königs, er war ein Musterkönig der Form nach, aber
die Enthaltung von der ersten königlichen Pflicht hatte er sich
zu einer Art Gewissenssache gemacht. Friedrich der Grosse, als
ihm d’Argens die Etikette Ludwig XV beschrieb, meinte, wenn
er König von Frankreich wäre, möchte er einen zweiten König
ernennen, der das alles an seiner Stelle thäte: ein solcher Rey
por ceremonia, wie ihn die Spanier nannten, war dieser Philipp.
Seine einzige Regentenhandlung war, dass er die Günstlinge
seines Vaters entsetzte und bestrafte, um dann seinen Günstling
an ihre Stelle zu setzen, — und dass er diesen einmal gewechselt
hat. Sechs Stunden täglich widmete er den Geschäften, d. h.
er las die Consulten durch und unterzeichnete sie, — aber er
schien ein Gelübde abgelegt zu haben, nichts zu prüfen, noch
irgend einen Punkt zu verwerfen. Er vertraute der Meinung
seiner Räthe allezeit mehr als der eignen, wenn auch wol-
erwogenen Ansicht: ja er fürchtete sich vor dem eigenen Ge-
wissen und glaubte, es sei sicherer, durch das Votum seiner
Räthe zu irren, als durch eigene Entscheidung. Ein fast unum-
schränkter Monarch, der vierzig Jahre am ersten Ressort der
Staatsmaschine steht, den erschütterndsten Wechselfällen zusieht,
erfüllt vom Gefühl seiner Verantwortlichkeit, seiner Würde, und
der sich dabei versagt, selbst einzugreifen, das ist gewiss eine
erstaunliche Erscheinung3). Die Schicksalsschläge, welche dieser
Regierung folgten, waren nicht minder ausserordentlich.
[195]Philipp der Vierte.
Das königliche Ansehn war aber damals ein so unbeding-
tes, dass der Träger der Krone auf einen grenzenlosen Credit
von Loyalität loshausen konnte, ohne sich um irgend eine
Deckung durch Verdienste Sorge machen zu müssen. Heute
wird den Königen knapp das Maass von Anerkennung gewährt,
das sie sich täglich verdienen. „Der König von Spanien, sagt
Zane (22. März 1657) ist stets frei seinem Volke die Lasten auf-
zuerlegen, die ihm beliebt, denn stets ist wunderbarer Weise
möglich, dass jenes sie erträgt. Obwol es nichts stärkeres giebt
als das Unmögliche, so ist doch noch grösser die Schwärmerei
der Castilier für den Namen ihres Königs, der seine Gründe
(ragioni) auch über das Mögliche hinaus gebrauchen kann.“
Erfreulicher und glücklicher erscheint dagegen Philipp
und sein Hof, wenn wir uns von der Politik abwenden. Er kam
in die Zeit des wiedererwachenden Nationalgeschmacks. Be-
neidenswerther Mann, dem es nur ein Wort kostete, nur einen
Wunsch (und auch dieser wurde ihm oft abgenommen), um in
wenigen Tagen ein Stück von Calderon oder Rojas über ein von
ihm beliebtes Thema aufgeführt zu sehen! Um in einer Erho-
lungsstunde wie von Feenhänden ein Meisterwerk der Malerei
vor seinen Augen entstehn zu sehen. Das goldene Zeitalter der
spanischen Bühne fiel in die Zeit dieses leidenschaftlichen Thea-
terfreundes, der schon als neunjähriger Knabe (1614) mit den
meninas in einem mythologischen Stück den Cupido gespielt
hatte1). Weltbekannte Namen der Literaturgeschichte standen
in seinem Hofalmanach! Hatte er hier wenigstens wirkliches Ver-
dienst, oder nur Glück?
Man hat alle die kleinen Aussprüche, Anekdoten und Re-
gierungshandlungen gesammelt, die für seine Liebe, seine För-
derung der Kunst sprechen2). Wie er seine grossen Bühnen-
dichter zu Rittern gemacht und den Falschmünzer Herrera in
Sevilla begnadigt; wie er die leonardesken Thüren am Silber-
retablo von Valencia „golden“ genannt; bei dem h. Bruno des
Pereira in der Strasse Alcalá immer langsam fahren liess; und
auf einer Reise nach Valencia in Murviedro verweilte, um die
Ruinen Sagunts zu durchforschen3); wie er von dem im Grana-
diner Kapitel angefochtenen „Pfründner“ Alonso Cano gesagt,
[196]Zweites Buch.
„ob er nicht, wenn er studirt hätte, vielleicht Erzbischof von
Toledo geworden wäre“; wie er den Gemäldeschatz seiner Schlös-
ser verdoppelte; wie Quevedo sein Sekretär, Góngora sein Kaplan,
Velez de Guevara sein Kammerherr, Antonio de Solis sein Mi-
nister gewesen sei, und Bartolomé Argensola Historiker für die
Krone Aragon. Aber so reich war das Land an Talenten, so
verbreitet poetisches Geschick bei Geistlichen und Staatsbeamten,
dass es schwer für ihn gewesen wäre, bei der Wahl seiner Die-
ner Dichter und Schriftsteller auszulassen. Und man vergisst
das tragische Geschick eines Quevedo.
Man glaube nicht, dass ein schlechter Regent noch immer
gut genug ist für einen grossen Patron der Kunst. Wem in
seinem Beruf, der Regierung, Wille und Initiative fehlen, der
wird auch der Kunst nicht viel nützen. Es giebt Mäcene und
Mäcene; von einem Julius II, ohne den die Welt die sixtinische
Kapelle und die Stanzen nicht besässe, bis zu einem Nero (wider-
lich auftauchend in Gemälden der Gegenwart!) ist eine ge-
waltige Kluft. Die Künstler bedürfen ebenfalls eines Herr-
schergeistes zum Empfang grosser Impulse, — wenn ein grosses
Zeitalter aufgehn soll. Eine Herrschernatur, selbst wenn ihr das
ästhetische Organ versagt ist, wird ihnen grössere Dienste
leisten können, als der genusssüchtige und eingebildete Dilettant,
oder der psychopathische Phantast. Die Geschichte predigt es
in jedem Zeitalter. „Der Lorbeer Apollo’s grünt nie so frisch,
als wenn er vom Blute des Mars gedüngt ist.“ Jene Eigen-
schaften fehlten Philipp auch hier ganz und gar. Niemand wird
sich dem Eindruck verschliessen, dass sich mit Malern wie sie
Spanien damals hervorgebracht, ganz andere Dinge hätten er-
reichen lassen als das, was sie in Castilien hinterlassen haben.
Die Honorare, welche für dauernde Werke der hohen Kunst
gewährt und nicht einmal ausgezahlt wurden, sind verschwindend
klein im Verhältniss zu den Millionen, die man für ganz ephemere
Dinge vergeudete. „Er baute S. Isidro, den imposantesten
Tempel Madrids, und die Carmeliterkirche“ (1639). Aber jetzt
ist auch dort nur eine Stimme, wie unwürdig selbst diese Kirchen
einer Hauptstadt Spaniens sind.
Das Verdienst Philipps beschränkt sich wol darauf, dass
er zu der Minderzahl unter den nicht regierenden Souveränen
gehört, die ausser für Sport, auch für die feinen Genüsse Ge-
schmack und Urtheil besassen. Das war ein Erbstück von seinem
Grossvater Philipp II, mit dem er sonst wenig Aehnlichkeit hatte.
[197]Philipp der Vierte.
Diese Neigung wurde von seinen Ministern, Vicekönigen, Diplo-
maten bemerkt und benutzt um ihn zu unterhalten und an sich
zu fesseln. Die Mediceer sandten ihm nicht nur Statuen, sondern
auch Ingenieure, Musiker, Architekten, und dadurch fiel ein
Schimmer florentinischer Cultur auf die noch in etwas mittel-
alterlichem und moreskem Stil gehaltenen Festlichkeiten der
steifen königlichen Schlösser. Das Verdienst einiger Grossen
ist alles, was damals für die Kunst geschehen ist. Die Berufungen,
die Aufträge, die Bauten, die Gemäldeankäufe waren Ideen des
Conde Duque, des D. Luis de Haro, des Grafen Monterey, der Me-
dina de las Torres und Cárdenas1). Diese Herren aber vermochten
die mangelnde Initiative des Königs nicht zu ersetzen, und auch
sie, welche armselige Figur machen sie neben den Fonseca,
Alcalá, Mendoza, Cisneros des vorigen Jahrhunderts! Man denke
an Philipp II! Wie er die Talente aufspürte und zu monu-
mentalen Werken antrieb! Welche Pläne er für die Umgestaltung
der Hauptstadt entworfen hatte! Der Bau des Escorial hat ihn
abgezogen, aber dennoch hinterliess er in Madrid grössere Spu-
ren als sein Enkel, selbst an jenem Alcazar, den dieser vier und
vierzig Jahre bewohnte und beständig verändern liess.
Eigenes Loos, der „Apelles“ dieses thatenlosen Achill zu
sein!2) 37 Jahre lang dasselbe Bild zu malen! Denn das An-
gesicht Philipps hat in diesen 37 Jahren eine wundersame, er-
schreckende Gleichförmigkeit. In der schwarzzeidenen Hoftracht,
im Jagdhabit, im kriegsmässig complicirten Campagneanzug, im
weissen Atlasstaat, in goldtauschirter Stahlrüstung, in Kirchen-
gala, — knieend, stehend, zu Ross — stets schaut der stereotype
Kopf hervor. — Nur im eigentlichen Amtskleid seines Standes,
im Königspurpur, oder im Ordenskleid des goldenen Vliesses,
hat er sich nie malen lassen. — Zwar wechselt der Kopf vom
magern zum robusten, vom frischen, glatten Jünglingskopf zu
dem von Leidenschaften verarbeiteten des Mannes und zu dem
bleiern erstarrten, gedunsenen des Alters, aber augenblicklich
ist er auch von ferne erkennbar. Das längliche Oval mit dem
weisslich bleichen Teint, dem kalt phlegmatischen Blick der gros-
[198]Zweites Buch.
sen blauen Augen unter der steilen Stirn, zwischen blondem, steif
gekräuseltem Haar; mit den starken, platten Lippen und dem massi-
ven Kinn. Ueber dem allen der Ausdruck des jede Annäherung
ablehnenden, jede Aeusserung verschliessenden Stolzes. Nur
einmal, in der Mitte dieser Zeit hat sich das Gesicht thatenlustig
belebt; aber gleich darauf sinkt es wieder zurück in Starrheit
und Apathie. In 37 Jahren ist er keinmal aus seiner Rolle ge-
fallen, — auch als das Feuer die Coulissen ergriff. Man sagt,
er habe nur dreimal in seinem Leben gelacht; dagegen liessen
sich zwar, wenn es der Mühe werth wäre, Beweise beibringen;
allein Calderon spielt im „Arzt seiner Ehre“ offenbar darauf an1).
Wie mag jenes verlorene grosse Reiterbild von 1623 aus-
gesehen haben, mit welchem Velazquez einen so durchschlagen-
den Erfolg erzielte? Davon können eine Reihe Figuren und Halb-
figuren aus jenen Jahren einen Begriff geben.
Aeusserlich und stofflich schliessen sie sich ziemlich eng an
die früheren Darstellungen königlicher Personen. Stellung
und Geberde sind viel mehr etikettemässig als malerisch, die
Ausführung ist sorgfältig und verräth eine Kenntniss aller Einzel-
heiten der Toilette, die vor den Fachmännern der Civil- und
Militärgarderobe des Hofs bestehen würde; sie könnten daraus
nach Stoff und Façon wiederhergestellt werden. Keine Künstler-
einfälle in malerisch zufälligen Attitüden lockern die strenge Con-
vention, wie die welche sich von van Dyck seine Gönner ge-
fallen liessen. Diese Porträts scheinen die Dynastie der Anton
Mor, Sanchez Coello und Pantoja fortzusetzen. Ja vergleicht
man sie mit denen des Utrechters, so wird man den Eindruck
haben, dass dieser sich in Stellung, Beschäftigung der Hände,
Ausdruck mehr Freiheit erlaubte. Jener ist durchweg ceremoniös
und apathisch, der sosiego überzieht die Züge wie die Schminke
die des Schauspielers in der Charakterrolle. Nur die Wendung des
Kopfes und der oft scharfe Seitenblick belebt sie. Auf diesen
Blick ist der Hauptnachdruck gelegt. Es ist ein merkwürdiger,
magischer Blick, der den Beobachter unbeweglich, kalt fixirt,
ihm überallhin folgt, aber doch in keine persönliche Beziehung
zu ihm tritt. Seine Menschen machen keine Conversation mit
dem Betrachter, wie jene lebhaften Bildnisse eines Lorenzo Lotto,
eines Moroni und Moreto. Sie gehn nicht aus sich heraus. Es
[199]Philipp der Vierte.
ist der Blick des Herrschers, der Audienz giebt, der seine Va-
sallen so ansieht, dass er sie nie wieder vergisst, der dafür gilt,
dass er sie durchschaut und sich ihrer Vergangenheit erinnert,
der sie die Majestät empfinden lässt.
Ein auffälliger Unterschied liegt auch im Costüm. Nach
den Bildnissen der Zeit Philipp III fällt ihre Einfachheit auf.
Diese Einfachheit sollte die Signatur des neuen Regiments der
Reform und Oeconomie sein. Darin suchte man die Originalität,
welche jede neue Regierung sich im Gegensatz zu ihrer Vor-
gängerin geben muss. Der Hauptschlag traf das stolze Gebäude
der Spitzenkrausen (gorguera, lechuguilla), welche die „Prag-
matik“ vom 11. Januar 1623 verbot. Sie machte der kurzen,
völlig glatten, gestärkten oder durch Drähte steif erhaltenen,
fast waagerechten golilla Platz, welche die Absagung der Eitel-
keit symbolisirte. Die Damen mussten sich zu der blaugestärk-
ten Tüllkrause bequemen. Denn „diese holländischen Kragen,
sagt Céspedes, hatten dem Land jährlich mehrere Millionen ge-
kostet: das Silber nahmen uns die Fremden ab, und liessen uns
dafür, wie Wilden, unsere schmähliche (torpe) Eitelkeit“1). Mit
den Tellerkrausen fielen die Mützen (gorra), die kurzen Mäntel,
die calzas atacadas (die am Gürtel angenestelten engen Knie-
hosen) und die langen Bärte, in diesem für die Annalen der
spanischen Schneiderkunst denkwürdigen Jahre 1623. Die Herren
des Hofes beklagten das Ende altspanischer Würde und Glan-
zes2). Um diese Luxusgesetze durchzusetzen, musste der König
selbst vorangehen. Er erschien plötzlich mit gesuchter Ein-
fachheit, wie derselbe Hofhistoriograph sagt, „nach dem Vorbild
seiner Ahnen“ (d. h. der alten Könige von Castilien), „die sich
zur Schlichtheit (llaneza) bekannten, und entsagte dem kost-
spieligen Putz, der dem Elend des Vaterlandes die Thore geöffnet
hatte“3).
[200]Zweites Buch.
Einfachheit scheint nun auch für die Hofporträtisten das Lo-
sungswort geworden zu sein. Gegen die Farben ist man mindestens
gleichgültig; die meisten dieser Bildnisse sind fast nur mit Schwarz
und Weiss gemalt; wo die Stoffe lebhafte Localfarben hatten,
werden diese möglichst gedämpft. Dagegen ist alles aufgeboten
— und geopfert — für die plastische Wirkung. Das Licht
fällt von links in den geschlossenen Raum, und erhellt in breiten
Flächen die Gestalt, nur Schattenpunkte und Schattenstreifen
übriglassend. Ohne ein Minimum von Schatten glaubte der
Maler, der die Venezianer noch nicht studirt hatte, würde die
Figur ins Flache fallen. Diese Schatten sind zwar scharf ab-
gesetzt, aber durch Reflexlicht erhellt, und oft so zart, dass
man sieht, der Maler ist auf dem Wege zum Schattenlosen.
Vielleicht aber besorgte er auch, dass eine ganz helle Ge-
sichtsfläche die einzelnen Theile isolirt, kleinlich, ja wie an-
geheftet erscheinen lasse. Schatten dienen nicht bloss dem
Relief, sie können auch dem Antlitz Einheit, Zusammenhang
und Harmonie, ja Geist geben. Der obere Schatten der Au-
genhöhlen, seine Verbindung mit dem der Schläfen, der Backen-
knochen und den Haaren macht das Auge grösser. Der
Schattenstreifen welcher die Form der Stirnwölbung markirt,
zu den Augenbrauen einbiegt, an der Nase herabsteigt und
noch einmal im Kinn herausspringt, bildet eine grosse continuir-
liche Linie, die wie eine verstärkte Contour, characteristische
Formen zu veranschaulichen bestimmt ist. Die Betonung des
oberen Augenbogens, der Unterlippe und des Kinns geschah nicht
bloss der Aehnlichkeit wegen: nach der Ansicht der Physiog-
nomiker ruht in diesen Theilen der Ausdruck der Würde.
Die Figur ferner ist alles, die Umgebung nichts. Später
giebt er Bildnissen in ganzer Figur landschaftliche Fernen,
Zimmerdurchblicke. Hier ist der Grund, ausgenommen ein Ende
von Tisch und Stuhl, völlig leer. Manchmal sind Fussboden und
Wand kaum unterschieden. Diese leere Fläche ist in einem neu-
tralen, kühlen, hellgrauen Ton, der jedoch den Eindruck einer
unbestimmten Tiefe macht. Nur eine hellere und dunklere Hälfte
bemerkt man, durch eine Diagonale getrennt. In der dunklen
steht der Kopf, auf den das meiste Licht gesammelt ist. Auch
hat er unterlassen, den dünnen Beinen durch beschattete Umge-
bung Festigkeit zu geben. Die Figur erscheint wie im Leeren:
zwar sieht man ihren Schlagschatten, aber er scheint an keinem
Körper zu haften.
[201]Philipp der Vierte.
Dieser helle Grund war eine Neuerung des Velazquez.
Seine Vorgänger in Spanien, von Mor an, ebenso wie die Ve-
nezianer, zogen den bequemen dunklen Grund vor. Die Bild-
nisse des Bergamasken dürfte er kaum gekannt haben.
Beides, das einseitig scharfe Licht und die Unterdrückung
alles Zerstreuenden, sind sehr wirksame Mittel, dem Auge die
Gestalt mit der Gewalt der Realität aufzudrängen. In dieser
Sammlung und Concentrirung des Blicks liegt ein Geheimniss
dieser Bildnisse. Wie Beschwörer das Zimmer verhängen, mit
Qualm erfüllen und das Auge an einen Punkt bannen, um es für
die Erscheinung empfänglich zu machen. In der That erscheint
ja, wenn man einen Gegenstand scharf fixirt, die Umgebung nebel-
haft; und ein bedeutendes Gesicht lässt alles umher vergessen.
Es liegt darin also eine feinere Schmeichelei, als in dem System
der späteren französischen Bildnissmaler, mit ihrem Luxus be-
deutungsvollen und blendenden Details. Wir können diese Bilder
nicht mit dem Leben vergleichen, aber wir haben den Eindruck
einer Treffsicherheit, ja Rücksichtslosigkeit in Umrissen und Mo-
dulationen, welche an die Unfehlbarkeit der Photographie er-
innert. Das Medium der künstlerischen Person, dessen verän-
dernder und nivellirender Einfluss auf das Modell sich sonst von
selbst zu verstehen scheint, scheint hier keine Brechung zu ver-
ursachen.
Aber in diesen scharfen Linien, in dieser statuenhaften Form,
ist das ewig bewegliche, augenblickliche, das Leben festge-
halten; aus ihr blickt uns der Mensch an, sich selbst offenbarend,
wie einst, als er so vor dem Maler stand.
Das Brustbild (Prado 1071. 57 × 44), den achtzehnjährigen
König darstellend, ist für die Originalaufnahme zu dem Reiterbild
gehalten worden. Die Züge haben noch einen Rest vom Knaben-
haften. Er sieht aus wie ein wenig aufgeweckter junger Engländer,
bei dessen Erziehung mehr auf Sport als auf Latein und Mathematik
gewandt worden ist. Die blonden Haare sind sorgfältig frisirt und
geölt, über der Stirn in einer waagrechten Welle gerollt, an den
Schläfen gekräuselt, eine geschlängelte Locke legt sich ins Ge-
sicht. Der breite Mund giebt dem Gesicht etwas stupid sinn-
liches. Es scheint, dass es bei einem solchen Kopf mit dem Eifer
für die Geschäfte bald zu Ende sein werde. Die Büste blieb un-
vollendet, erst viel später wurde die Rüstung mit der rothen
Schärpe hinzugemalt. Von Rubens sehe ich keine Spur.
[202]Zweites Buch.
In der Figur mit der Bittschrift (Ebenda 1070. 2,01 × 1,02),
stimmt der Kopf so genau mit dem vorigen überein, dass man
ihn ohne eine leichte Abmagerung für eine Wiederholung halten
würde. Der König steht, ganz in Schwarz, neben einem rothge-
deckten Tisch, auf dem der hohe Hut liegt. Eine hagere phleg-
matische Figur, in äusserst gravitätischer Haltung (portato grave),
diesem „Geheimniss des Körpers zur Verschleierung der Mängel
des Geistes“. Man vermisst den sanften (placido) gütigen Aus-
druck, den die Gesandten in Philipps Gesicht fanden, und der
von einer klangvollen angenehmen Stimme begleitet wurde. So
stand er, unbeweglich, wenn er Audienz ertheilte, nur der Arm
bewegte sich, wenn er den Hut lüftete, ohne Mienenspiel kamen
die wenigen, abgemessenen, allgemeinen, stereotypen Antworten
aus seinem Munde.
Die Hände sind gut geformt, wolgenährt, weiss, vornehm, und
trefflich modellirt, wie die der Madonna in den „Hirten“. Die
Linke ruht am Degen, nicht an der Tischecke (daher im Tische
kein perspectivischer Fehler!). Die herabhängende Rechte hält
eine Depesche. Oder ist es eine Bittschrift? Er pflegte die Me-
moriale entgegenzunehmen, wenn er sich morgens begleitet vom
Nuntius und den Gesandten in die Kapelle begab; händigte sie
aber sofort den Räthen ein. Königliche Bildnisse mit solchen
Papieren scheinen früher nicht vorzukommen; soll es ein Be-
kenntniss zur Regentenpflicht sein, das Versprechen selbst zu re-
gieren, die unmittelbare Beziehung zu den Vasallen andeuten?
Der König ist der erste Beamte! Die Gedanken früherer, be-
sonders grösserer Zeitalter beherrschen noch oft als Anspruch,
Form, Theorie die folgenden, ganz verwandelten. So haben wir
hier den Roi qui s’ amuse, den Rè cerimonioso (Querini), der be-
harrlich die Maske des nüchternen, schlichten, unermüdlichen Ge-
schäftsmannes vornimmt, seinen Grossvater Don Felipe el pru-
dente kopiert, der die Eitelkeiten verachtete und die Welt mit
einem Blatt Papier regierte1).
Solche breite, weisse, wolmodellirte Hände kommen bei
[203]Philipp der Vierte.
dem Maler später nicht mehr vor. Künstlern, welche auf Einheit
der Wirkung ausgehen, sind die Hände nie bequem gewesen.
Sie machen dem Antlitz in Farbe und Ausdruck Concurrenz. Die
deutschen und niederländischen Porträtisten des sechszehnten Jahr-
hunderts freilich fürchteten diese zerstreuende Wirkung so wenig,
dass sie die Hände in pantomimisch lebhaftem Fingerspiel plastisch
täuschend vordrängten; sie nöthigen das Auge sich mit ihnen zu
beschäftigen und beunruhigen es, da man nicht immer sieht was
sie wollen. Auch bei van Dyck sollen sie viel vorstellen, aber da
er sie zugleich kokett und schablonenhaft behandelt, so ist die
Wirkung eher fade. Velazquez ist immer mehr darauf aus sie
unschädlich zu machen. Ausser der überlieferten, conventionellen
Fesselung in bedeutungsloser Function, an Stuhllehne, Degen-
koppel, steckt er sie in Handschuhe verschiedener Art, lässt sie
halb verschwinden in einem weissen Taschentuch, schliesst die
geschwätzigen Finger fest zusammen in einem faustartigen,
eigentlich unschönen Griff, oder lässt sie im skizzenhaften Embryo-
zustand, fertigt sie ab mit einer leeren Contour.
Auch die Beine sind eine Verlegenheit des Bildnissmalers,
besonders bei solchen kurzen Wämsern und enganschliessenden
weissen Strümpfen. Im vorigen Jahrhundert nahmen Monarchen
und Feldherrn gern die auseinanderstehende, gespreizte Pose Hein-
rich VIII an, wie man sie z. B. noch an Mor’s Bildniss Maximi-
lian II im Prado sieht. Jetzt rückt man sie nicht nur nahe bei-
sammen, man nimmt die Figur von der Schmalseite, so dass sich
die Beine fast ganz decken. In Folge davon erscheint die Ge-
stalt überaus schlank. Die Täuschung ist so vollkommen, dass Phi-
lipp IV, der nach den Zeitgenossen zwar zierliche (gracile) und
ebenmässige, aber mittlere (mediana) Verhältnisse hatte, lang
aussieht; und man ist erstaunt, beim Nachmessen kaum sieben
Kopflängen zu finden. In derselben Absicht ist der Kopf nahe
an den obern Rand gerückt, was die Figur ebenfalls höher macht.
Die beschriebene Stellung findet sich übrigens auch bei Nieder-
ländern, z. B. in dem kleinen Bildniss des Winterkönigs von
Gonzales Coques in der Bridgewater Galerie (Nr. 155) und sehr
oft bei Gerhard Terburg, dessen Bildnisse in ganzer Figur wie
ins kleine und feine übertragene Velazquez des ersten Stils aus-
sehn. W. Bürger, dem diese Aehnlichkeit zuerst auffiel, glaubte,
da Terburg in Madrid gewesen sein soll, Nachahmung annehmen
zu können, worin ihm ein Kenner des holländischen Malers,
W. Bode beitritt. Die in den schwarzen Mantel gehüllte Gestalt,
[204]Zweites Buch.
ohne Handlung, in der Mitte der weiten leeren grauen Fläche,
gleich einer geschliffenen Marmorplatte, der phlegmatische Stolz,
nur in holländischer Version, der roth ausgeschlagene Lehnsessel
oder Tisch mit dem Hut darauf, — sollten diese und andere
Uebereinstimmungen das Maass des Zufälligen überschreiten?
Velazquez war übrigens im Bildniss nur Dolmetscher des spa-
nischen Hofstils; auf diesen muss auch Terburg in seinem
Verkehr mit Peñaranda in Münster eingegangen sein. Bekannt
ist, wie die unabhängigen Holländer ihren früheren Tyrannen
gern die vornehmen und hochfahrenden Allüren absahen.
Ein Zug der bei allen diesen Bildnissen sofort auffällt, ist
der hohe Augenpunkt. Während Tizian sass, so stand Velaz-
quez bei der Aufnahme. Deshalb sind die Linien des meist hellen
Dielenbodens stark ansteigend, aber bei der geringen Ausfüh-
rung perspektivisch nicht überzeugend. Die Figur scheint auf
einem Dache, auf den Zehen zu stehen, zuweilen gar zu schwe-
ben. Gleichwol liegt das Gesicht, wie bei den Malern Venedigs
über dem Augenpunkt: wahrscheinlich stand der König auf einer
Estrade. Die Venezianer hatten schon den niedrigen Horizont
eingeführt, fast im Niveau der Füsse, weil er der Figur Grösse
giebt, ohne dass sie freilich, in malerisch berechtigter Inconse-
quenz, auch das Gesicht nach diesem tiefen Augenpunkt zeich-
neten, welches sonst zu stark verkürzt erscheinen würde1).
Solche Bildnisse geben zwar eine deutliche Vorstellung von
der ersten Manier, doch wird man den Eindruck haben, dass sie
jenen Enthusiasmus nicht ganz begreiflich machen. Diess scheint
eher der Fall zu sein bei einem königlichen Porträt das nach
England gekommen ist und zur Zeit Mr. R. S. Holford gehört,
in Dorchesterhouse2).
Es kann nur wenig später entstanden sein, als das vorher-
gehende. Der junge König, bei dem der Keim des bigote schon
deutlicher ist, steht in ähnlicher Wendung, aber vollständig
equipirt fürs Feld. In der Rechten den Kommandostab, die
Linke an der Koppel des waagerecht stehenden Degens. Ueber
dem Ringpanzer, von dem nur ein Stückchen unter dem Hals
[205]Don Carlos.
hervorsieht, liegt ein gelbes Lederkoller; dazu kommen braune
Lederhandschuhe, lange enge Lederstiefel mit goldenen Sporen.
Carmoisinrothe, goldgestickte Schärpe, mit steifer, weit abstehen-
der Schleife; goldgestickte Aermel und weite Kniehosen. Der
hellgraue Filzhut mit Repphuhnfedern, breitem faltigen Band
und einer grossen Perle liegt auf dem Tisch.
Wäre ein Soldatenkönig, ein rey batallador zu malen ge-
wesen, der Künstler hätte keine passendere Figur erfinden
können. Er scheint im Begriff sich in den Sattel zu schwingen
und an der Spitze seiner Kastilier ins Feld zu rücken. In diesen
ersten Jahren sprach er immer davon, er wolle in den Krieg,
nach Frankreich, den Fusstapfen Carl V folgen1), sein Bruder
sollte die Regierung übernehmen. Auf dem dünnen Unter-
satz der Beine breitet sich die Gestalt im Mantel aus, wie
die Krone einer Pinie. Der Kopf mit dem festen Seiten-
blick hat etwas mehr Geist. Es ist nicht der durch Geschäfte
und Etikette gelangweilte Neuling auf dem Thron, sondern der
Meister der gineta. In dem Ganzen ist etwas soldatisch und zu-
gleich hispanisch Steifes, das dort gewiss ebenso gefiel wie an-
derwärts Lebhaftigkeit und Huld.
Auch der malerische Eindruck ist neu. Auf dem Hin-
tergrund von warmem tiefem Asphaltbraun, tritt die helle
Figur, mit ihrem vielen Ledergelb vortrefflich heraus. Das Ge-
sicht mit seinen blassen, durch Schattenlinien scharf accentuirten
Formen hat den unbestritten hellsten Ton. Die rothen und gold-
gestickten Theile bringen den erforderlichen Reichthum. Am
stärksten springt durch die um ihn gehäuften Schatten der
rechte Arm mit dem Generalstab hervor. Diess Bild hat trotz
der noch nicht überwundenen Härte etwas tiziansches.
Wenig später wird das Bildniss des zwei Jahre jüngern
Bruders des Königs, des etwa zwanzigjährigen Don Carlos ge-
malt sein (Prado 1073. 1,91 × 1,03; geboren zu Madrid den
14. September 1607). Er gleicht seinem Bruder, nur ist der Un-
terkiefer besser gerundet, die Augen kleiner. Die Züge machen
einen von Rubens Bildniss abweichenden Eindruck, das freilich
nur aus dem Stich des Peter de Jode bekannt ist: ein geist-
reiches Profil von scharfen Linien, dem Kaiser von allen seinen
Nachkommen am ähnlichsten2).
[206]Zweites Buch.
Von diesem in seinem fünfundzwanzigsten Lebensjahre ver-
storbenen Prinzen liest man, dass er, von den drei Brüdern der
kräftigste, für klug, lebhaft, ja leidenschaftlich galt. Beim Tode
des Erzherzog Albrecht (1621) hatte man ihn nach Flandern
schicken wollen, damit er sich an der Seite der Statthalterin
Witwe in die Verwaltungsgeschäfte einlebe, und dereinst ihr
Nachfolger werden könne. Olivares wusste ihn von den Geschäften
völlig auszuschliessen, ja er verhinderte seine Vermählung, weil
er den Einfluss einer fremden Prinzessin fürchtete; er wuchs auf
ohne jeglichen Unterricht. Aus der Zeit unsers Bildes entwirft
Mocenigo folgende Schilderung. „Er ist so zurückhaltend im
Gespräch und beobachtet eine solche Unterwürfigkeit gegen
seinen Bruder, von dem er sich nie einen Schritt entfernt, dass
man nicht weiss, was für Neigungen er haben mag. Dieselben
Junker, welche dem König in der einen Woche aufwarten, dienen
in der zweiten dem Infanten. Er speist mit S. Maj., folgt ihm
überall hin, und ist stets bei ihm wie sein Schatten. Allein
lässt er ihn nur, wenn der König die Consulten durchsieht oder
mit dem Grafen Herzog in Geschäften zusammen ist. Kurz er
lebt in immerwährender Gefangenschaft.“ So ist denn auch sein
Bildniss wie aus der Gussform des brüderlichen hervorgegangen.
Nur ist es dunkler gehalten: auf rostbraunem Grund tritt die in
reiche schwarzseidene Hoftracht gehüllte Gestalt und das bron-
zene Antlitz dämmerhaft hervor. Glatt gewellte und gedrehte
Haare, eine schön modellirte rechte Hand, welche den Hand-
schuh mit einem Finger nachlässig hält, die verhüllte linke den
nach vorn offenen grossen Hut fassend. Es ist ein Zug von
Verachtung im Spiel der Muskeln um den Mund: er leistete im
sosiego erhebliches, selbst italienische Diplomaten zuweilen ver-
blüffendes1). Er starb im Juli 1632 an einem Fieber, das nach
Zuan Corner einem Streit mit Olivares folgte. Ja man glaubte
noch Schlimmeres2). Nach Capecelatro hatte er sterbend den
König vor seinen „bösen Räthen“ gewarnt.
[207]Olivares.
Olivares.
Gleich bei der Uebersiedlung unseres Malers nach Madrid
begegnet der Name des Ministers, ohne dessen dauernde Gunst
seine nunmehrige Stellung am Hofe und in der Nähe des Mo-
narchen nicht denkbar gewesen wäre. Da Velazquez fast nur
für den König arbeitete, und der Minister alles, was diesen und
sein Haus betraf, bis auf die Kleiderordnung, persönlich leitete
und erfand, so wird man wol bei allen wichtigeren Vorfällen
dieser Künstlergeschichte seine Hand vermuthen dürfen. Im
einzelnen weiss man sehr wenig von beider Beziehungen. Der
Toscaner Averardo de’ Medici nennt Velazquez im Jahre 1629
seinen favorito1). Man darf glauben, dass der Künstler diesen
sonst fast in allen Beziehungen ungünstig beurtheilten Mann nur
als treuen und eifrigen Gönner und Freund kennen gelernt hat,
und dass Don Gaspar in seinem jungen Landsmann nicht bloss
den geistvollen Maler, der an sein Konterfei nicht weniger wie
an das seines Herrn das Beste seiner Kunst zu wenden pflegte,
nicht bloss den geschmackvollen Berather bei zahlreichen Unter-
nehmungen, sondern auch den ehrenhaften, redlichen Menschen
geschätzt hat. In Gunst und Hass extrem, hat er oft für seine
Freunde mehr gethan, als sie von ihm hofften2). Wie hätte der
Maler auch jenen bangen entscheidenden Augenblick vergessen
können, als ihn nach Ablegung seiner Probe vor dem Hof der
Graf mit einem Worte über alle Nebenbuhler wegrückte. Seine
Dankbarkeit zeigte sich später nach dem Sturz des Günst-
lings.
Don Gaspar Guzman, geboren zu Rom 1587, war der zweite
Sohn des Grafen Enrique, Gesandten bei Sixtus V, Vicekönigs
von Sicilien und Neapel, und Alcaide (Schlosshauptmann) des
Alcazar von Sevilla. Seine Mutter war eine Fonseca (Gräfin
Monterey). Der Grossvater Don Pedro, ein General Carl V, war
der erste Graf von Olivares3). „Er ist zu Rom geboren, sagt
Khevenhiller, sonst ist sein Vaterland Andalusien, und beim spa-
nischen Hofe erzogen worden, daher denn natura, patria et edu-
[208]Zweites Buch.
catione abgeführt und arg genug sein soll1)“. Don Gaspar war
dem geistlichen Stand bestimmt gewesen, er hatte in Salamanca
seine Studien gemacht, dann eine Commende des Calatrava-
Ordens erhalten; — da starb sein älterer Bruder. Als nunmeh-
riger Erbe des Majorats vertauschte er die „Toga der Schule“
mit Mantel und Degen, heirathete seine Base, die alte verwach-
sene und hässliche Tochter des Vicekönigs von Peru, Ines de
Zúñiga (1607) und zog nach Sevilla, um seinen Gütern nahe zu
sein. Hier lebte er Jahre lang ganz den Neigungen, zu denen
ihn Naturell und Vorbildung hinzogen. Der Alcazar Don Pedro
des Grausamen wurde ein Sammelplatz der Gelehrten und Dich-
ter; er galt für prachtliebend, verschwenderisch und ritterlich.
Der Herzog von Lerma zog ihn 1615 nach Madrid und gab
ihn dem Prinzen als gentilhombre de cámara. In der Folge hat
er oft versucht, ihn im guten oder bösen wieder los zu werden.
Langsam bahnte er sich den Weg zum Vertrauen. Als Philipp III
starb, sah er seine Stunde gekommen2). Zuerst war er des
jungen Königs rechte Hand nur in den Zerstreuungen. Die Ge-
schäfte besorgte sein Oheim Zúñiga. Er suchte, und mit Erfolg,
zwischen dem König und der Königin, die anfangs im zärtlich-
sten Verhältniss gelebt hatten, Unfrieden zu säen. Dann machte
er rasch den Uebergang von dem privado puro zu dem privado
aguado, wie sie Alarcon in seinem Stück Los pechos privilegiados
so ergötzlich gegenüberstellt3). Philipp machte ihn zum Herzog
von San Lucar, daher der Name Conde Duque. Er hatte bereits
die „Mitte des Lebenswegs“ erreicht, ohne in die Staatssachen
hineingesehen zu haben. Man war daher in Madrid erstaunt, als
verlautete, dass dieser lustigste Cavalier des Hofes angefangen
habe, sich mit Geschäften zu befassen. „Olivares, schreibt der
Mantuaner Bonatti am 5. Juli 1621, ist mächtiger als je“. Die
unter Lerma üblichen Geschenke wurden streng verpönt; Niemand
bestritt, dass seine Hände rein seien4); dafür aber vertauschte er
[209]Olivares.
dessen verbindliche Manieren mit einem dort an solcher Stelle un-
erhörten, hochfahrenden, herauspolternden (scabrosità), unhöflichen
(malcriato) Benehmen gegen Personen auch vornehmen Standes,
also dass er schon in diesem ersten Jahre den „allgemeinen
Hass“ auf sich lud, und man laut nach seiner Entfernung vom
Hofe rief. Wer hätte damals geahnt, dass noch volle zweiund-
zwanzig Jahre seiner Herrschaft bevorstanden! Ueber keinen
Minister sind so viele Pasquille ausgeschüttet worden: „Jeder-
mann wünschte seinen Tod“; ja man wünschte des Königs Tod
(das musste dieser selbst lesen), um den Minister loszuwerden.
Denn seit dem Ableben Zúñiga’s (im Oktober 1622) war er ohne
Nebenbuhler. Schon im Frühjahr hatte er den Stempel (estam-
pilla) der königlichen Namensunterschrift, in Folge dessen leerte
sich die Antecamara. Als einmal nur zwei Bittsteller erschienen
waren und der König sein Befremden äusserte, führte ihn der
Ayuda de cámara an ein Fenster und zeigte auf den Schwarm,
der vor den Gemächern des Olivares ab- und zuströmte. Um
dem jungen Mann einen niederschlagenden Eindruck vom Um-
fang der Regierungssorgen zu geben, erschien er oft belastet
mit Schriftstücken, einen Kranz von Memorialen hinter dem
Hutband (Rè de papelli!), aus Busen und Gürtel zog er Consulten;
wenn er ausfuhr, nahm er Bücher und Mappen mit Registern
zu sich. Deshalb nannte man ihn bei Hofe el espantajo de los
Reyes. Wirklich aber that er alles, um das Versäumte nachzu-
holen. Er entsagte den Vergnügungen, seine Tafel wurde frugal,
seine Einrichtung schlicht, er arbeitete Tag und Nacht, sodass
man sich wunderte, wie er es vertrug; er erhob sich eine Stunde
vor der Sonne. Oft empfing er die Gesandten im Bett, wenn er
von den Geschäften ausruhte oder eine Purganz nahm. Philipp
konnte nicht mehr ohne ihn sein, Don Gaspar’s erster Gang
morgens war zu ihm; traf er ihn im Bett, so trug er ihm kniend
das Programm des Tages vor, ebenso kam er nach dem Essen
und vor dem Schlafengehen. Für die Ausführung des Planes,
den gekrönten Knaben (für den er eine schwärmerische Ver-
ehrung zur Schau trug) von der Regierung abzulenken, war
Niemand vorbereiteter als dieser alte Bachiller von Salamanca,
der auch in seinem dornenvollen Ministerleben lebhafte Bezie-
hungen zu geistreichen Männern wie Quevedo und Gongora
unterhielt. Zahlreiche Dedicationen führen seinen Namen, z. B.
Lope’s Circe, Argensola’s Fortsetzung der Zurita’schen Annalen,
der Petron von 1629. — Seine grosse Bibliothek brachte er in
14
[210]Zweites Buch.
die Palastwohnung, welche sich unter den Gemächern des Königs
an der Westseite befand; nach seinem Fall wurde sie in hundert
grossen Kisten weggeschafft. Die einzigen Geschenke, die man
wagen konnte ihm anzubieten, waren Kunstwerke und Gemälde 1).
Die grossen Decorationsbilder des Rubens in seiner Kirche zu Loe-
ches, jetzt in Grosvenor House, waren ein Geschenk des Königs.
Diess waren die Anfänge des Staatsmanns, von dem man
gesagt hat, dass er die Monarchie um mehr Länder gebracht
habe, als je ein Eroberer ihr gewonnen, — des trotzigen und
unglücklichen Nebenbuhlers Richelieu’s, den er beneidete, fürch-
tete und vergebens zu stürzen trachtete, — des Günstlings, der
seinen König beherrschte „nicht wie ein Minister, sondern als
unbeschränkter Lenker aller Staatsgeschäfte“ (Correr), — eines
jener Schicksalsmenschen, wie sie abwärtsgehenden Staaten ihr
böser Genius bescheert.
Die Bildnisse, welche Velazquez am Anfang und Ende
seiner Laufbahn von ihm gemacht hat, gehören zu den ersten
Charakterköpfen der neuern Porträtmalerei.
Dieser Charakter war in hohem Grade labyrinthisch. Sein
raschfassender durchdringender Verstand, sein Muth, sein Eifer
ist nie bezweifelt worden. Er glaubte wol selbst, nur für das
Interesse seines Königs zu wirken, welchen er, dem vorausgreifend
wozu er ihn zu machen sich getraute, El grande genannt hatte.
In ihm hatte der von Carl V Spanien eingeimpfte Instinkt der
Universalherrschaft noch einmal Gestalt gewonnen. Doch solche
Ziele sind bei Menschen dieser Art unzertrennlich von persön-
lichem Ehrgeiz.
Aber er besass kein politisches Temperament, und sein Un-
glück war wol, dass er ohne staatsmännische Schule ans Ruder
kam. Sein Kopf war bizarr und launenhaft, unberechenbar,
borracho nannte ihn eine Satire; geblendet durch das Neue,
ohne Takt in der Wahl seiner Räthe. Er setzte sich beim Be-
ginn eines Unternehmens über die Schwierigkeiten weg, und
verlor die Haltung bei Misserfolgen, welche er solange als es
ging nicht glaubte. Er weinte dann; der König selbst musste
ihn trösten. Das alles unbeschadet einer blinden und tauben
[211]Olivares.
Hartnäckigkeit, mit der er auf falschem Wege auch unter den
drohendsten Vorzeichen fortschritt. Er besass eine orginelle, im Ge-
schmack der Zeit starkgefärbte, bald sarkastische, bald zelotische,
nicht uninteressante Beredsamkeit, und liebte sich reden zu hören,
aber die Heftigkeit seiner Ergüsse wies auf ein überreiztes Ge-
hirn. Was half ihm sein Misstrauen gegen alle Menschen, seine
machiavellistische Unbedenklichkeit in der Wahl der Mittel, wenn
er seine Leidenschaften verrieth! Ein Wort reichte ja hin,
um vor dem Gesandten dessen König, Nation, Minister mit wilden
Schmähungen und Drohungen zu überhäufen. Er war empfindlich,
und verstand keinen Scherz; devot dabei nicht bloss, sondern stark
melancholisch und abergläubisch. Er sprach von der Welt und
ihrer Grösse wie ein Kapuziner und hatte in seinem Zimmer
eine Bahre, in die er zuweilen hinein stieg, unter den Klängen
eines De profundis. Er beneide, rief er, das Loos des niedrigsten
Palastkehrers (barrendero). Man glaubt in seinem Wesen die
geistlichen Anfänge durchscheinen zu sehn: es ist etwas pfäffisches
in dem Hang zu indirekten Mitteln und zur Kabale, in der glühen-
den Herrschsucht und Rachsucht, in seinen weitschweifigen Ab-
kanzlungen. Vor Blutvergiessen zeigte er Scheu. Am Ende
hätte er doch Erfolg gehabt, wenn seine Politik von der Unter-
strömung der Zeit getragen gewesen wäre. Aber sie fiel in die
schon eingetretene, unaufhaltsame Rückbewegung Spaniens von
seiner vorübergehenden Weltmachtstellung zu den natürlichen
Grenzen, die es im Mittelalter besessen. —
Im Museum zu Madrid, und soviel mir bekannt in Spanien,
befindet sich nur ein Bildniss des Conde Duque von des Meisters
Hand, das der letzten Zeit seines Lebens angehört. Aber sollte
Velazquez seinen Gönner im Lauf von zwei und zwanzig Jahren
nur einmal aufgenommen haben? Ausser dem etwas eitlen Ori-
ginal selbst, werden nicht die Grossen des Hofs, selbst auswärtige
Fürsten das Bildniss des furchtbaren Mannes erbeten haben?
Ebenso begreiflich ist freilich, dass diese Bildnisse nach seinem
Sturz verschwanden. Wer mochte die verhasste finstre Gestalt
nun noch in seiner Nähe sehen. In der That sind im Ausland
ausser zahlreichen gleichzeitigen Atelierbildern und Kopien noch
mehrere unzweifelhafte Originale nachweisbar, auch gibt es Kupfer-
stiche nach verschollenen Originalen des Velazquez.
Die übriggebliebenen Gemälde und Stiche zerfallen in zwei
Gruppen. Die einen, wenig zahlreich, stellen ihn dar von der
[212]Zweites Buch.
Mitte der dreissig bis zum vierzigsten Jahre, sie sind im ersten
Stil des Meisters und bei weitem die ansprechendsten. Ein
prachtvoller Kopf von starken aber edlen Zügen, hinter denen
man eher einen Condottiere des dreissigjährigen Kriegs, als den
red- und schreibseligen Intriganten der hohen Politik und In-
tendanten der menus plaisirs S. M. vermuthen würde.
So möchte man sich den glorreichen Ahnherrn Guzman el
Bueno vorstellen, dessen Züge vielleicht in diesem seinem unkrie-
gerischen Nachkommen wieder aufgelebt waren. „Er ist von
Person ansehnlich, sagt Khevenhiller, und sieht einem römischen
Kaiser gleich.“ Es sind darin noch die Spuren jenes von Voiture
geschilderten „grossen schöngewachsenen Cavaliers, des galant-
sten Mannes am Hof, und des besten Reiters in ganz Spanien“.
Im Aufgang seiner Macht zeigt ihn das Bildniss in Dorche-
ster House, wahrscheinlich aus der Sammlung des Hauses Alta-
mira, welches den Herzogtitel von San Lucar erbte. Es ist das
bedeutendste Bildniss in dem frühsten, Sevillaner Stil, und weil man
diesen nicht kennt, hat man es bezweifelt 1). Die mit Schärfe beob-
achteten und mit Feinheit ausgedrückten Eigenheiten der Figur
und des Kopfes, die Exactheit, mit der das von dem Minister
und dem Maler gemeinsam ausgearbeitete Ganze von Attitüde, Co-
stüm und Insignien wiedergegeben ist, machen die Figur zu
einem Compendium der Biographie, gemalt wie die Charakteristik
eines Mocenigo.
Auf hellgrauem Grund steht der stattliche Mann dreiviertel
nach links gewandt, ganz in schwarz, der durchdringende Seiten-
blick dem Betrachter folgend. Ueber der hohen Stirn, mit ihren
stark ausgeprägten Höckern, (besonders dem mittlern) sitzt bereits
die Perücke. Abwärtsgekrümmte Nase, schmale etwas einge-
zogene Oberlippe, vortretendes Kinn (entsprechend dem hohen
starken Hinterkopf), kurzer viereckig geschnittener Bart. Der
Ausdruck ist ernst (im Einklang mit dem langen und breiten schwar-
zen Mantel), ja etwas matt. Dieser hängt elegant lose über
der linken Schulter und lässt die Figur fast ganz frei. Die starke
rechte Hand stützt sich auf den Tisch mit rothsammtner Decke;
sie fasst eine grademporstehende Reitgerte, das Abzeichen des
[213]Olivares.
Oberstallmeisters (Caballerizo mayor). Dieses einflussreichste
Hofamt, das einst Ruy Gomez und Lerma besassen, war der
Schlüssel zur Beherrschung und Bewachung des Monarchen. Er
scheint seines Winkes gewärtig, aber es ist auch ein selbstbe-
wusster Blick, der zu sagen scheint: Todo es mio. Die Linke,
breit und schwerfällig, legt sich um die von dem Mantel ver-
deckte Degenkoppel. Auch der Degen ist unsichtbar, macht
sich aber in der Silhouette des Mantels bemerklich, den er hinten
emporstösst. Aus dem Gürtel sieht der goldene Kammerherrn-
schlüssel hervor. Ein mit vergoldeten Blättern bekleidetes
Bandelier geht über die Brust; auf Wams und Mantel ist das
grüne Kreuz des Alcántaraordens genäht. Auf dem Tisch liegt
der Hut mit Juwelenagraffe und der Kommandostab. Die Be-
handlung erinnert an die „Hirten“. Die Zeichnung ist fest und
nicht ohne Härte, die Ausführung bei dünnem Impasto klar und
verschmolzen; die Rundung durch breite helle Schatten erzielt.
Das Bildniss erscheint wie ein vielsagendes Pendant zu dem
Philipp’s: der blutjunge, unwissende, wolmeinende, nur auf Damen,
Sport und Repräsentation bedachte Fant, und der durchtriebene,
mit allen Hunden gehetzte alte Fuchs. Den Beifall, den es fand,
beweisen die noch vorhandenen Wiederholungen 1). Noch früher,
denn die Perücke fehlt, ist das Original des prächtigen Stichs von
Paul Pontius, zu dem Rubens die emblematische Umgebung
entwarf 2). Nach Smith’s Catalog ist die von Velazquez geschickte
Vorlage eine Grisaille gewesen. In den ersten Abdrücken reicht
der Kinnbart nur bis zur golilla. Die Haare sind dünn und
auf dem Scheitel durchscheinend. Er trägt eine Rüstung mit
(karmoisinrother) Schärpe. Die Zeichnung ist von Pontius treu
wiedergegeben, aber in dem Glanz der Gesichtsflächen und dem
[214]Zweites Buch.
lebhaften Blick erkennt man die Schule des Rubens. Nach den
lateinischen Versen sollte man darin zugleich den tiefen, ernsten,
redlichen Staatsmann und den geistreichen Kopf verehren 1).
Auf dem Sockel mit dem Distichon des Caspar Gevartius,
an dessen Seiten zwei geflügelte Knaben mit den Emblemen der
Minerva und des Herkules sitzen, steht das Piedestal mit dem
Wappen, und darüber das Bildniss in einfachem elliptischem
Rahmen von Perlschnüren, den Palmzweige umschlingen, nebst
Fackeln und Posaunen. Ueber dem Bildniss sieht man eine
Symbolgruppe, welche das Ziel andeutet, das hinter dieser
frons serena sich verbirgt: der Erdglobus, bekrönt vom be-
schwingten Lorbeerkranz, und darüber der Abendstern von der
Schlange eingeschlossen: die Weltherrschaft Hesperiens bis ans
Ende der Tage, die aber, wie die Olive verheisst, zugleich der
Weltfriede ist 2).
Endlich giebt es noch ein sehr bizarres Bildniss in ganzer
Figur, im Besitz des Herzogs von Villahermosa in Madrid, das
aber von anderer Hand und vor der Ankunft des Velazquez ge-
malt wurde. Diese Gestalt, mit dem noch mehr zwischen den
Schultern sitzenden Kopf auf wuchtigem Oberkörper, den schwe-
ren Goldketten und Goldsporen berührt wie eine Comödienfigur.
Vielleicht aber drückt sie das überspannte Wesen des Mannes
naiver aus (wenn auch karikirt) als jene würdevolleren Interpre-
tationen. Das rothe Kreuz von Calatrava, ein Räthsel für die
Antiquare, weil Olivares sonst den grünen Alcántaraorden trägt,
und man nicht Ritter zweier Orden sein konnte, hat die Ver-
muthung veranlasst, es sei das Bildniss seines Bruders. Allein
man konnte Orden wechseln und umtauschen und diess war bei
Olivares der Fall gewesen. Der Marques von Castel Rodrigo
[215]Der Prinz von Wales.
hatte ihm im Jahre 1623 seine Alcántara-Kommende, die 12000
Dukaten werth war, abtreten müssen, und war durch eine Kom-
mende des Christusordens mit Zuschuss entschädigt worden. Der
König selbst sagte es einst dem Dichter-Diplomaten Fulvio
Testi, Ritter von S. Maurizio e Lazzaro, als er ihm das Habit
von Santiago geben wollte 1).
Olivares hatte krumme Schultern, und wenn man dem
Stich von Pedro Perret in einer ihm gewidmeten Beschreibung
von Konstantinopel Vertrauen schenken darf, so entsprach seine
Figur keineswegs Voiture’s Schilderung 2). Die Toilettenkünste
des Malers haben diess verschleiert. —
Zu den ersten Aufnahmen, die Velazquez in Madrid machte,
gehört auch das Bildniss Carl Stuarts, damaligen Prinzen von
Wales, der im Jahr seiner Uebersiedlung an den Hof jene ro-
mantische Brautfahrt unternommen hatte. Der Prinz sass ihm
kurz vor seiner Abreise; es kam nur zu einer Skizze, die er mit
einem Geschenk von hundert Escudos belohnte; auch soll er
dem Maler „besondere Beweise von Zuneigung“ gegeben haben.
Diese Skizze wird in keinem seiner Inventare erwähnt; vor
einigen Jahren hat ein Engländer mit ihrer vermeintlichen Wieder-
entdeckung viel Staub aufgewirbelt. Für den spanischen Hof war
dieser Aufenthalt des kunstbegabten und kunstverständigen Prinzen
nicht ohne Folgen: sein Enthusiasmus für Gemälde, besonders
Venezianer, mag des jungen Königs Aufmerksamkeit auf den
Werth seiner ererbten Schätze gelenkt haben. Als er im Jagd-
schloss des Pardo das berühmte Bild der Antiope von Tizian
sah, die „Venus des Pardo“ mit der grossartigen Alpenlandschaft,
sprach er davon in solchen Ausdrücken, dass der König nach
den Grundsätzen spanischer Courtoisie sich für verpflichtet hielt,
sie ihm zum Geschenk zu machen. Er befahl durch ein „Dekret“
vom 11. Juni dem Marques de Flores Dávila, das Bild dem Bal-
tasar Gerbier, Maler des Admirals von England zuzustellen, „weil
[216]Zweites Buch.
er gehört habe, der Prinz finde Geschmack daran“ 1). Der Mar-
ques fertigte den Befehl an den Conserge des Pardo, Carlos Bal-
duin, jedoch erst drei Wochen später aus (1. Juli). Dieses Bild
gehörte zu den höchstgeschätzten; als Philipp III die Nachricht
vom Brande des Schlosses erhielt, in welchem die besten Bilder,
besonders die Bildnissgalerie Philipp II untergingen, war seine
erste Frage nach diesem Tizian gewesen; er sagte: „das ist ein
Trost, denn das übrige wird man wieder machen“ 2).
Nach dem Katalog der Gemäldesammlung Carl I von Bathoe,
hatte er von Spanien noch mitgebracht: das Mädchen mit dem
Pelzmantel, wahrscheinlich das Bild, welches in die Sammlung
Crozat und von da in die Ermitage kam, einen Johannes den
Täufer mit dem Rohrkreuz, vorwärts zeigend, und das Bildniss
Carl V mit dem irischen Hunde. Letzteres hat der spanische
Gesandte später aus seinem Nachlass zurückgekauft. Nach Car-
ducho aber hatte ihm der König auch mehrere der Mythologien
aus dem Tiziangemach hinter dem „Kaisergarten“ zum Geschenk
gemacht; der Hofmaler sah die beiden Dianenbäder, die Danae
und die Europa „mit dem übrigen“ bereits eingepackt (encajados).
Er ist abgereist ohne sie mitzunehmen, vielleicht weil sein Ent-
schluss, die Verbindung abzubrechen, schon gereift war. Jedoch
scheint noch sechs Jahre später Sir Francis Cottington Versuche
angestellt zu haben, die Bilder loszumachen 3).
Diese Geschenke und Ankäufe waren der Anfang einer
Galerie, die später die erste Tiziansammlung Europas wurde.
Fünf Jahre später wurde die Gonzaga-Galerie in Mantua von ihm
erworben. Wo er die Originale nicht bekommen konnte, liess er
kopiren; durch den zu diesem Zwecke von ihm besoldeten Michel
Cross im Palast zu Madrid und im Escorial, und durch den Minia-
turmaler Peter Oliver. Kopien waren übrigens schon damals in
Madrid leicht zu haben; der Graf Harrach, als er in Begleitung
Carreño’s den Alcazar sieht, findet dort einen Maler, der solche
[217]Die Italiener am Hofe.
im Vorrath verfertigt, er kauft von ihm vier Guido’s und zwei
kleine Correggio’s 1).
Die Italiener am Hofe.
In diesen Jahren malte Velazquez sein erstes Historienbild,
eine Episode aus der Geschichte der letzten Vergangenheit.
Das Bild, das als theilweise allegorisch ein Unicum war, ist
gänzlich verloren gegangen, seine Geschichte wäre also mit
wenigen Zeilen abgethan. Aber die Umstände seiner Entstehung
eröffnen eine Perspective auf die Zustände und Bestrebungen
der dortigen Künstlerwelt und die Stellung des Malers zu ihr,
die von nicht bloss biographischem, sondern allgemein ge-
schichtlichem Interesse ist.
Nach seinem ersten Erfolge sollte es scheinen, als habe
er dort vor collegialischen Unannehmlichkeiten ohne Sorge sein
können. Aber man sieht nun, dass dem nicht ganz so war. Er
hatte einen Boden betreten, wo Erfolge, äusserliche oder reelle,
Wirkungen nach sich zu ziehen pflegten, die ihn daran erinnerten,
dass er eben am Hofe war. Ein Schriftsteller der Zeit versichert
uns, es gebe jetzt in Madrid so viele glänzende Talente und
kühne Farbenkünstler, dass man mit ihnen viele Städte ja Reiche
versorgen könne; an Wettbewerb und Eifersucht konnte es also
nicht fehlen. Die Aburtheilung des künstlerischen Verdienstes
lebender und verstorbener war ein beliebter Unterhaltungsstoff
ausgewählter Kreise der Hauptstadt; und die ausserordentlich
wenigen, denen es glückte aufzusteigen, konnten auf scharfe
Kritik gefasst sein. Empfindliche Reden und Klassificationen
sind nun auch Velazquez nicht erspart geblieben.
An der Spitze dieser madrider Malergemeinde standen die
letzten Ausläufer der Künstlerkolonie des Escorial, die man
unter dem vorigen Könige noch zahlreich versammelt sah bei
der Ausmalung des Lustschlosses Pardo. Es waren drei Italiener,
denen denn auch die vielerstrebten wenn auch spärlich dotirten
Posten der Hofmaler (pintor del rey) zugefallen waren. Velazquez
fand im Jahre 1623 als Kollegen ausser Gonzalez, die zwei
Italiener Vicencio Carducho und Eugenio Caxesi. Carducho
war in Florenz geboren, aber mit seinem viel ältern Bruder Bar-
tolomeo ganz jung nach Spanien gekommen; der andere war
[218]Zweites Buch.
der Sohn eines Aretiners, aber zu Madrid im Jahre 1577 ge-
boren. Nach dem Tode jenes Gonzalez war ein dritter nach-
gerückt, Angelo Nardi, der aber seine Ausbildung in Italien
empfangen hatte und erst gegen 1615 herübergekommen war.
Velazquez hatte also drei Künstler toscanischer Herkunft neben
sich, Männer, die sich ohne Zweifel, wenn auch der eine Italien
nie gesehen hatte, noch als Italiener fühlten, eng befreundet waren,
viele Arbeiten gemeinsam ausgeführt hatten, und im Stillen von
der angeborenen Ueberlegenheit ihrer Nation in Kunstsachen über-
zeugt waren. Und wirklich, in Wissen, in Gewandtheit, in Frucht-
barkeit konnte Niemand gegen sie aufkommen. Ihre Arbeiten
in den reichsten und vornehmsten Heiligthümern, dem Sagrario
von Toledo, in Guadalupe und manchen Stiftungen reicher Kirchen-
fürsten geben Zeugniss von ihrem Ansehen. Sie sind auch
schriftstellerisch, theils in Originalwerken, theils als Uebersetzer
italienischer Grundbücher für die Verbesserung der Kunster-
ziehung in Spanien thätig gewesen. Aber sie haben sich dann mit
angeerbter Geschmeidigkeit — wie ja Jeder thun muss der dort
bestehen will — dem spanischen Wesen angepasst. Aus ihren Ge-
mälden würde wahrscheinlich Niemand Italiener errathen. Obwol
ferner ihr Sprecher jene Escorialzeit die Epoche nennt, „wo
die wahre Kenntniss und Schätzung der Kunst in Spanien ein-
geführt wurde“, und obwol zwei von ihnen enge Verwandt-
schaftsbande mit Malern Philipp II verknüpften, so hat ihr Stil
doch mit jenen ihren ältern Verwandten und mit den Escorial-
malern Pellegrini, Zuccari, Cambiasi nichts gemein. Dem Wechsel
der Zeiten konnten sie sich nicht entziehen, obwol sie die Ge-
genwart als eine Verfallzeit betrachteten. Vicencio Carducho’s Ge-
mälde haben mit denen seines Bruders Bartolomeo so wenig Aehn-
lichkeit, wie die des Alessandro Allori und Matteo Rosselli mit
denen des Angiolo Bronzino und Rossi. Weder das starke Stilge-
fühl jener von ihm gepriesenen Manieristen mit ihren Kontra-
posten und Idealformen, noch die Gelehrtheit und Gewaltigkeit
der Zeichnung, noch die helle, kalte, bunte, schillernde Färbung
wird man bei ihnen finden. Wol aber begegnet uns manches,
was sie nach der Theorie für werthlos zu halten scheinen, man sieht
sie, wenn auch mit Widerstreben und Halbheit, gelegentlich zum
volksthümlichen Individualismus, zur Ausführlichkeit in Neben-
dingen, zu starken Farben- und Lichteffekten heruntersteigen.
Bei alledem kann man sich nicht verbergen, dass unter ihren
Werken sehr wenige tiefer zu fesseln im Stande sind.
[219]Der Italiener am Hofe.
Eugenio Caxesi’s Vater war jener Patrizio, den der spa-
nische Gesandte Requesens in Rom nebst Romulo Cincinnato
für Philipp II angeworben hatte (1567), und der die fünf Ord-
nungen des Vignola übersetzte (1593). Eugen’s Mutter aber war
eine Spanierin, Casilda de Fuentes, Tochter des Juan Manzano,
Zimmermeister des Escorial. In seinen Gemälden bemerkt man
breite Schattenmassen mit Zurücksetzung der Mitteltöne wie der
Farben, Nationaltypen und eine gewisse düstere grandeza. Nach
seinen Gemälden der Passion in der Hauptkirche zu Alcalá
würde man ihn zu den tenebrosi zählen. Seine Madonna ist eine
Castilierin mit starken Brauen und kleinen schwarzen Augen
(Museum des Prado 698). Man darf ihn wie seine Collegen
nicht nach manchen decorativen Schnellmalereien beurtheilen;
doch verlohnt es der Mühe, den Weg nach S. Antonio de los Por-
tugueses zu suchen, um seiner heiligen Elisabeth und Engracia
willen, zwei klösterlich strengen und einfachen, aber königlichen
Gestalten, ihre Legende in geistreicher Skizze des Hintergrundes.
Sein Agamemnon im Salon nuevo des Palastes wurde auf tausend
Dukaten taxirt (von denen er nichts erhielt), auf ihn hatte er
viel Zeit und Mühe gewandt; er ist untergegangen 1). Mehr Glück
hat ein Gemälde aus der Geschichte der Gegenwart gehabt,
wovon später; es verräth seinen Anschluss an das System des
Malers, dem er damals als Nebenbuhler entgegentrat.
Der Florentiner Angelo Nardi hatte vor den andern
voraus, sich neuerdings in Italien, nach den Grundsätzen der bo-
logneser Akademie wahrscheinlich, besonders an den Venezianern
gebildet zu haben; er brachte einen frischen Zug der Gegenwart
in die Schule 2). Den besten Begriff von ihm giebt der Gemälde-
cyclus in der von Juan Ba. Monegro erbauten Rundkirche der
Bernhardinerinnen zu Alcalá, die er für deren Gründer, den Car-
dinal Erzbischof von Toledo, D. Bernardo de Sandoval y Roxas
(† 1618) unternommen hatte und nach seiner Unterschrift 1621
vollendete. Das Werk fand solchen Beifall, dass er sofort einen
ähnlichen noch umfassenderen Auftrag von dessen Auxiliarbi-
schof D. Melchor de Vera erhielt, fünfzehn Gemälde für die
Kirche desselben Ordens zu Jaen, und einen dritten von dem
[220]Zweites Buch.
erzbischöflichen Sekretär D. Sebastian de Herrera für die Ca-
pelle der Empfängniss in La Guardia.
Dort in Alcalá malte er sieben grosse Altarbilder und zwei
für die Seitenwände der Capilla mayor. Da sieht man einen
Künstler, der sich alle Darstellungsmittel der Italiener nach
dem Recept der Caracci zu eigen gemacht hat. Die gelehrte
Zeichnung der römischen Schule verschmilzt mit den malerischen
Effekten der Norditaliener, dem starken Helldunkel und den
kühnen Verkürzungen Tintoretto’s, der Pracht der Farben
und Kostüme Paolo’s. Sein jugendlich schöner S. Sebastian,
sein gewaltiger gekreuzigter Petrus ragen unter vielen Akten
ähnlicher Art hervor. Sein heil. Laurentius, seine Asunta sind
voll von Studien nach Tizian. Abwechslung in der Erfin-
dung, Lebhaftigkeit der Erzählung, starke Bewegungsmotive
(das springende Pferd mehrmals) geben diesen Gemälden Inter-
esse. Vor allem bediente er sich mit Glück des Helldunkels zur
Markirung der Pläne, zur Hervordrängung oder Zurückschie-
bung seiner Hauptfiguren; endlich zu Nachtstücken und Glorien,
die ein wolberechnetes Oberlicht auf die Gruppen unten senden.
Der Erfolg dieses Werkes mag Philipp IV bestimmt haben,
ihn zum Hofmaler zu ernennen (am 4. Juni 1625), zunächst ohne
Gehalt. Denn er wollte die Saläre der Hofmaler in Zukunft
eingehen lassen und nur ihre Arbeiten einzeln bezahlen. Aber
im Jahre 1631 schuldete ihm der Hof bereits 22,536 Realen!
Dem König war seine Bildererfahrung willkommen für die Be-
stimmung der ihm von Italien geschickten Gemälde.
Der dritte und bedeutendste unter den „Malern des Königs“
(seit 1609) war Vicencio Carducho, ein geborener Florentiner,
dessen Bruder Bartolomé dem Zuccaro an der Kuppel des
florentiner Doms geholfen hatte. Dieser war der Erzieher und
Lehrer Vicencio’s. Seine wenigen hinterlassenen Gemälde (z. B.
das Abendmahl und die Kreuzabnahme im Museum) sind von
allen Werken dieser Escorialmaler die reinsten und gewissen-
haftesten, sie zeigen in der Farbe noch den Geschmack der
Schule des Andrea del Sarto. Man nannte Vicencio den Uni-
versalerben seiner Kunst: die Wahrheit ist, dass der Bruder
ungleich höher steht, so verschwindend die Zahl seiner Werke
ist neben denen des Jüngeren.
Vicencio hatte ganz die Constitution der grossen italieni-
schen Praktiker, ihre Beweglichkeit und Anpassungsfähigkeit,
ihre erstaunliche Arbeitskraft. Seine Bilder sind, was Zahl und
[221]Die Italiener am Hofe.
Flächenraum betrifft, von keinem Spanier erreicht worden. Sie
kommen sogar im Auslande vor: in Dresden, in der Ermitage,
in der Esterhazygalerie. Da er ein guter Lehrer war, so konnte
er sich für die Ausführung so umfassender Werke nach Zeich-
nungen und Skizzen zahlreicher Schüler bedienen. Von seinem
Geschick mit der Feder ist seine Schrift über die Malerei
ein Denkmal. Er tritt uns darin entgegen als ein ernster
Mann, mit strengen Principien und hohen Begriffen von der
Würde seiner Kunst. Sein Bildniss, das Sir W. Stirling besass,
und das auch, jedoch nach einer anderen Aufnahme, in diesem
Buche gestochen ist, zeigt einen Langkopf mit hoher Stirn, von
fast ascetischem Ernst, schwere starkknochige Hände. Seinen
Gemälden, besonders den frühsten (h. Franciscus in Valladolid
1606, Predigt des Täufers in der Akademie 1610) merkt man es
an, dass er in Valladolid als Theatermaler begonnen hatte. In
den Gemälden des Retablo von Guadalupe hat er starke Be-
leuchtungseffekte, in den Geschichten des h. Juan de Mata (Ga-
lerie D. Sebastian’s) dagegen die farbenheitre Art der zweiten
florentinischen Schule. Methodisch ist er darauf ausgegangen,
für die Lieblingsstoffe spanischer Devotion die bei seinem Pub-
likum wirksame Darstellung zu finden. Diese klösterlichen Ge-
stalten in den geflickten Kutten, mit ihren erregten Geberden
und verzückten Blicken; die in irisirenden Lichtbahnen gaukeln-
den blonden, etwas süsslichen Engelkinder und die huldreiche
aber gezierte Madonna, kommen uns vor wie talentvolle, aber
ohne Inspiration unternommene Versuche dessen, was später Mu-
rillo, nicht nur spanisch, sondern allgemein menschlich ansprechend
erreicht hat. Carducho’s Ausdruck ist schwächlich, seine Action
theatralisch, sein Affekt erzwungen.
Gerade um die Zeit, wo er in unsere Erzählung eintritt,
hatte er den grössten Auftrag seines Lebens übernommen: die
fünfundfünfzig Karthäusergeschichten in Oelgemälden grössten
Formats für den Kreuzgang der Cartuja von Paular. Sie wurden
bei der Exclaustration in das Nationalmuseum von S. Trinidad zu
Madrid geschleppt; einige der besten waren auch nach dessen Auf-
lösung noch in der oberen Galerie des „ministerio del fomento“
zu sehen. Für diese Arbeit erhielt er in vier jährlichen Quoten
(1628—32) sechstausend Dukaten. Ausser den Kreidezeichnungen
auf blauem Papier, mit Weiss gehöht, hat er auch Farbenskizzen
dazu gemacht. In der schottischen Nationalgalerie sieht man
unter dem Namen des Velazquez den „Traum des Pabstes“, ein
[222]Zweites Buch.
geistreiches Bildchen, das mehr von ihm verspricht, als die aus-
geführten Gemälde halten. Die reichen rothen Tinten des Vorder-
grundes mit dem päpstlichen Zelte, die tiefgesättigte reizende
Landschaft dahinter — alles von einem Silberschimmer durch-
woben — geben ein Ganzes, das jene Benennung entschuldbar
macht.
Liest man Carducho’s Buch, so erwartet man ein Werk,
vielleicht von strengem Stil, vielleicht in flotter Manier, etwas wie
Le Sueur, mit dem nicht bloss Sir W. Stirling, sondern selbst Fran-
zosen die Gemälde von Paular zu deren Vortheil verglichen ha-
ben! Das Gegentheil ist der Fall. Der spanische Geschmack war
selbst einem so systematischen Kopf wie Vicencio zu mächtig.
Die Composition zeigt allerdings viel Kunst, die weissen Kutten
der hohen Mönchsgestalten sind trefflich durchstudirt. Aber das
am meisten bemerkenswerthe an diesen Bildern ist gerade das,
was er in der Theorie herabsetzt: die episch-farbige Fülle der
Erzählung und der Nebendinge; der Reichthum der Scenerie
in luftiger Architektur, weiten, reichstaffirten, castilischen Ve-
duten, Kloster- und Bauerntypen, die gemüthlichen, schwärme-
rischen, grässlichen Motive der Mönchslegende. Der verdammte
Raymund ist eine Scene von Hofmann’scher Grausigkeit.
Carducho hatte, um den spanischen Klosterstil loszubekommen,
eine Reise nach Valencia gemacht, wo er von Ribalta’s Werken
gehört hatte, und eine zweite Reise nach Granada, wo der Kar-
thäuser Juan Sanchez Cotan († 1627), einst Genosse von Paular,
dieselben Geschichten in dem heiligen Hause vor dem Thore von
Elvira gemalt hatte. Der Italiener hat die Bilder des ganz in der
Geschichte seines Ordens lebenden Frayle stark benutzt; ja der
toscanische Stolz verstand sich dazu, die frommen Phantasiege-
bilde des Mönchsmalers geradezu zu kopiren. Jedem, der S.
Trinidad besucht, werden zwei „minnigliche“ Madonnengestalten
auffallen, Erscheinungen, mit denen der h. Bruno, das zweitemal
in der Sterbestunde, begnadigt wurde. Sie haben nichts von
spanischer Frauenart; aber Sir W. Stirling meint, „wenige Ca-
stilier hätten die zarte und sinnige Schönheit seiner heiligen Jung-
frauen erreicht“ (Annals I, 423). Nun, diese Madonnen sind
nichts weiter als treue Kopien der devoten Schöpfungen jenes
mystischen Fray Juan in Granada. Wieviel kälter, bühnenhafter
ist Carducho’s eigene Madonna in seinem besten Altarbild, der
pomphaften, lichtdurchglühten Annunziata in der Encarnacion zu
Madrid! wo er auf der Höhe seiner Farbenkunst steht.
[223]Die Gespräche über die Malerei.
Carducho ist, wie seiner ganzen Zeit, der Stil verloren ge-
gangen, den er in seinem Buch predigt, ihm fehlt die grosse
Persönlichkeit, welche ein Künstler dieses Bekenntnisses haben
muss. Aber man vermisst auch die Wahrheit der Natur, zu der
er sich nur herablässt, die Wahrheit der Empfindung und Ueber-
zeugung. Daher bleiben seine Werke gleichgültig, trotz des
Wissens und der vielseitigen Geschicklichkeit. —
Die Gespräche über die Malerei.
Unsere drei Toscaner also, bis dahin als die besten geltend
in Madrid, überall hin gerufen wo man Sachen erster Güte
haben wollte, sahen plötzlich einen jungen Mann aus der Provinz
neben sich, beschenkt mit Hofämtern und Renten, so hoch in
Gunst, wie es seit Philipp II Tagen keinem Maler begegnet war.
Zwar kam er ihnen nicht ins Gehege; um die Retablos und die
Plafonds der Schlosszimmer bewarb er sich nicht. Allein die
Wunden der Eitelkeit sind bittrer als die des Eigennutzes. —
Worauf gründete sich denn dieser Erfolg? Wo waren die Rechts-
titel des wahren Künstlers? Bildnisse, Küchenstücke — nichts
weiter, — Sachen eher geeignet am wahren Künstlerberuf Zweifel
zu erwecken. Er hatte ja noch gar nicht bewiesen, dass er mit
ihnen überhaupt einen Wettlauf unternehmen könnte. Bald sah
man zwei Lager sich gegenüberstehn. Vicencio hatte sich
öfters darüber ausgesprochen; endlich schrieb er seinen Groll
und seine Anklage auf, und fand Gelegenheit, sie in einem Buche
allgemeinen Inhalts anzubringen (S. 19). Seine Diálogos sind
zwar erst 1633 erschienen; aber das was darin an die Adresse
der Gegenwart gerichtet ist, hat er gewiss Jahrelang gepredigt.
Cean Bermudez nennt sie das beste Buch über die Malerei
im Spanischen (I 251). Glaubt man doch seinen Mengs zuweilen
darin sprechen zu hören. Wol ist es in einer klaren, lebendigen,
vom estilo culto freien Sprache geschrieben; es vertritt seine
These mit Ueberzeugung und Folgerichtigkeit, und ist als schrift-
stellerische Leistung selbst seinen Landsleuten dieses und des
vorigen Jahrhunderts überlegen. Auch hat er mehr Geist als
Pacheco, nur fehlt die Unmittelbarkeit, die Fülle von Original-
notizen. Dort der Künstler, der mit seinen Augen sieht, für
keine Eigenart mit seiner Anerkennung geizt, auch wenn er sich
selbst widerspräche: hier der stolze Manierist und Parteimann,
[224]Zweites Buch.
sehend mit seinen Principien, ganz in seiner Praxis aufgehend, ohne
Sinn für fremde Art, besonders der Vergangenheit. Die Annalen der
Kunst haben für ihn Interesse höchstens als Fundgrube für Zeug-
nisse der Ehren, die den Künstlern gebühren. Seine Schilderung
Italiens aus dem Munde eines zurückgekehrten Reisenden, mit der
er sein Buch eröffnet, ist aus Vasari excerpirt; aber der Spanier
Pacheco wusste weit mehr von Florenz, als dieser Florentiner.
Seine Unwissenheit über das „moderne Athen, die wahre Her-
berge unsrer Kunst“, ist schülerhaft. Er schreibt den Glockenthurm
von S. Maria del fiore dem Cimabue, den Perseus dem Bramante
zu, und nennt Fiesole unter den Bildhauern. Und wie ist er im
Leben seines vergötterten Michelangelo zu Hause! Er lässt seinen
Reisenden die Statue Julius II. an S. Petronio in Bologna sehen,
nennt die Statue Lorenzo’s de’ Medici Octaviano (S. 50) und
hält den David für „gleich bewundernswürdig“ mit dem Hercules
des Bandinelli.
Die äussere Veranlassung des Buchs war folgende. Die
Maler Castiliens wurden seit dreissig Jahren von Zeit zu Zeit in
Aufregung versetzt durch die Ansprüche der Steuerbeamten, sie
zu einer Auflage heranzuziehen, die in Castilien bei allen Kauf-
geschäften vom Preis erhoben wurde. Diese alcabala war nach
Morosini’s Relation unter Philipp II zu einer unerträglichen Höhe
aufgeschraubt worden. Sie betrug 8 bis 10 Prozent von jeder Kauf-
summe, bis herab auf Eier und Salat, und derselbe Gegenstand ver-
fiel ihr wol mehremale am selben Tag. Die Folge war, dass die
Gemeinden sich mit der Finanzbehörde zu einer Abfindungssumme
einigten, die dem Staate im Jahre 1581 immer noch viertehalb
Millionen in Gold eintrug. — Die Steuerbeamten der Ortschaften
belästigten auch die Maler. Domenico Theotocopuli, als er 1600
nach Illescas berufen worden war, hatte sich zuerst dem dortigen
alcabalero wiedersetzt, und von dem Finanzrath (Consejo de ha-
cienda) zu Madrid Recht bekommen. Das Widerwärtige dieser
Steuer für die Künstler lag nicht bloss in der Geldschädigung,
mehr noch in der Gleichstellung ihrer, wie sie glaubten, freien
Kunst mit der Lohnkunst. Das Verhängniss dieses Volks war
seit der Zeit der Gothen die Geringschätzung von Handel und Ge-
werbe: die Künstler, welche in intime Berührung mit den Grossen
und dem Hof kamen, brachten solche Steuern in die peinlichsten
Lagen. Juristischer Scharfsinn, historische Belesenheit, Metaphysik
der schönen Künste wurden in Bewegung gesetzt, die besten
Federn der angesehensten Ingénios de la corte gewonnen, um sie
[]
Der Conde Duque Olivares.
Nach Velazquez und Rubens.
[][225]Die Gespräche über die Malerei.
von diesem Pfahl im Fleisch zu befreien. Nicht viel weniger als
ein Drittel unsres Buches nehmen die sieben Gutachten ein, welche
den Antrag der Maler bei dem Finanzcolleg befürworten sollten.
Darunter waren Namen wie Lope de Vega und Jauregui. —
Der Process wurde zu ihren Gunsten entschieden. —
Diese Streitfrage giebt zum Theil die Stimmung der Diálogos,
die voll sind von Jeremiaden über die Geringschätzung der Kunst
in Spanien, ein altes, schon von Francisco de Holanda behandeltes
und dem Michelangelo in den Mund gelegtes Thema. Damit wech-
seln Beispielsammlungen für die Ehren der Kunst, vom Alterthum
bis auf das erstaunliche Register (im achten Buche) der Mäcene,
Liebhaber und Sammler der Stadt Madrid. Die Erregtheit des
beifallbedürftigen Künstlergemüths oscillirt zwischen diesen
entgegengesetzten Vorstellungen. Er glaubte dabei für eine
Lebensfrage der Kunst einzutreten. Denn alles Steigen und
Sinken der Kunst hängt ab von der Achtung und Gunst der
Könige und Monarchen 1). Und einer seiner Sachwalter, der Jurist
Juan de Butron, meint, Spanien fehlten nicht Talente oder Stu-
dien, sondern Schutz, Belohnungen, Gönnerschaften 2).
Indess diese Steuerfrage war doch nur die gelegentliche,
äusserliche Tendenz des Buchs; ein viel tieferes Anliegen des
Verfassers ist die Auseinandersetzung mit dem Naturalismus.
Sein Hass gegen diesen entspringt dem „Eifer für die Hochhal-
tung der Malerei, der Angst vor ihrem Ruin“ 3). Er lässt den
jungen Freund sein Befremden äussern, wo denn in dem vorge-
tragenen Lehrgebäude jene Art der Malerei bleibe, „so lebendig
und natürlich, dass sie alle in Bewunderung und Erstaunen setzt,
und die darin besteht, dass man die Sache, die man nachmachen
will, vor Augen sich stellt und behält“. Diese Frage giebt dem
Meister das Stichwort zu einer heftigen Polemik. Das besondere
Interesse des Systems einer Künstlerpartei wird sofort mit jener
allgemeinen Angelegenheit, dem Kampf für die Noblesse der
Malerei solidarisch gemacht. Der Gedankengang ist folgender:
Die Würde, die wir für unsere Kunst beanspruchen, verdankt
sie ihrem intellektuellen Charakter, ihrer „Wissenschaftlichkeit“.
15
[226]Zweites Buch.
Das grosse (dritte) Zeitalter, die Epoche Michelangelo’s und
Raphaels, war das Zeitalter der wissenschaftlichen Regeln und
Vorschriften, der docta pintura. Bonarroti war der Meister der
Meister durch sein Wissen; die Absicht des Pabstes seine Reste
in S. Peter beizusetzen, war eine Huldigung der Wissenschaft er-
wiesen 1). Ist denn unser Schaffen nicht ein geistiger Vorgang? nicht
unsere Arbeit eine contemplative? Ist es nicht die innere Malerei,
welche das Bild fertig macht? Und darauf allein gründet sich
ihr Anspruch, den privilegirten „freien Künsten“ sich an die Seite
zu stellen. Deshalb sind die bilderreichen Poeten unsrer Zeit, —
er nennt u. a. Calderon, Lope, Camoens, aber vor allen Góngora,
wahre Maler 2).
Ist also der echte Künstler ein Denker, ein Dialektiker,
der mit Feder und Bleistift „behauptet, beweist, widerspricht,
schliesst“: so ist dagegen der Naturalist ein Leser, der nicht
mehr denkt, als was er im Buche findet. Wenn man bloss die
Natur vor Augen malt, wo bleibt da für den Geist Platz? Die
Kunst wird Sache der Uebung, der Handfertigkeit, d. h. Hand-
werk. Jene „Wahrheit und Lebendigkeit“, welche die Laien so
besticht und hinreisst, sie ist eine Funktion der blossen „potentia
operativa“. Diejenigen welche ohne Skizze, mit einem Stückchen
Kreide auf der imprimirten Leinewand entwerfen und sofort
ohne Verbesserungen, Angesichts der Natur zum Malen schreiten,
ja oft die eine Hälfte der Figur fertig haben, ohne dass sie
wissen wie die andere Hälfte aussehen wird: sie sind keine Künst-
ler, sondern „wie ein Fürst in Madrid sie nannte, Sektirer“.
Diese sind es, die die Malerei in Misscredit bringen. Vor allen
aber die Genremaler, d. h. die welche den Pöbel malen, „schä-
digen die Kunst und sammeln sich selbst wenig Ehre“.
Hat denn also Meister Aristoteles sich geirrt, als er der
theoretischen Thätigkeit die Kunst als praktischen Zustand ent-
gegenstellte? Carducho kann nicht läugnen, dass zwischen Wissen
und Machen ein Unterschied ist, dass das Gemachte allein, das
Verwirklichte (el actuado) verstanden wird und Beifall findet.
Aber die Logik lehrt: der Gebrauch der Wissenschaft ist nicht
Wissenschaft. Der Naturalismus aber ist bloss Gebrauch und
Uebung, ohne die Kunst die geübt werden soll. Daher schliesst
ihn unser Autor aus der Klassification der Malerei aus.
[227]Die Gespräche über die Malerei.
Wer könnte freilich läugnen, dass diese naturalistischen Ge-
mälde Leben athmen? Aber diese Lebendigkeit hat keinen
grossen Werth. Wir sehen es an den Werken der Heroen der
Vergangenheit. Ihnen fehlt „diese rasche (pronta) Lebhaftigkeit,
diese aufregende (afectuosa) äussere Wahrheit.“ Unsere Zeit
wähnt über sie fortgeschritten zu sein. Aber das worauf sie sich
etwas zu gute thut: „Naturnachahmung, Farbe, Lebendigkeit,
Landschaft, Obst, Thiere“, das ist von jenen Gewaltigen für
Tand gehalten worden. Das Zeitalter das in ihnen seine
Grösse sucht ist eine Epoche raschen Sinkens. Michelangelo und
Raphael sind die „Säulen des Herkules“.
„Zeichnen und wieder Zeichnen, Speculiren und noch mehr
Zeichnen, das ist das Geschäft des Malers. Skizziren, auswi-
schen, skizziren, nulla dies sine linea, das ist der Weg zur
Grösse. Im Erfinden und Componiren, in den guten Formen und
Proportionen besteht die Kunst. Zeichnung ist das Fundament
und das Ganze der Malerei, ihre lebengebende Sonne.“ Sie
macht das gute Bild; die Farbe schmückt und unterstützt es.
Aber ihre Reize können von der Wahrheit ablenken und viele
Irrthümer verdecken. Die venezianische Schule, welche allezeit
nach Schönheit und Leichtigkeit des Colorits trachtete, ver-
schmähte die Zeichnung, weil sie die Denkarbeit floh. Von ihr
sagt man, dass es grosse Coloristen seien und wenig Zeichner,
grosse Praktiker und schlechte Theoretiker. —
Man sieht wol, von dem Trieb nach dem Schauen und Bil-
den der Sichtbarkeit und ihrer offenbaren Geheimnisse, von der
ernsten Arbeit jener Entdecker auf dem Ocean optischer Reize, —
diesem wahren Gegenstück wissenschaftlichen Forschergeistes
— davon hat der dürre Schulstolz des Manieristen keine Ahnung.
Allezeit mit seinen „Maschinen“ beschäftigt, hat er nie Zeit ge-
habt, um die Gunst der grossen Mutter Natur zu werben. Was
ist ihm Natur? Nur ein Mittel zum Zweck. Man soll ihr zuweilen
einen Blick schenken, um den Erfindungen der Phantasie Frische
zu geben, die (wie er doch fühlt) in jenem Aether des reinen
Denkens schwindsüchtig werden würden. „Die Natur dient zur
Erinnerung, als Weckerin der Vergesslichkeit; sie ist eine Nah-
rung, welche die Geister der Phantasie belebt und entschlum-
merte, erstorbene Ideen ins Gedächtniss zurückführt.“
Diess sind die Grundsätze Carducho’s und seiner Freunde;
auf sie stützen sich seine heftigen Angriffe gegen den Zeitge-
schmack und seine düstern Warnungen.
[228]Zweites Buch.
„Ein falscher Prophet ist erstanden, dessen Ankunft wohl
als Prophezeiung des Ruins und des Endes der Malerei ange-
sehen werden kann (S. 203 f.). Ein Eiferer für unsere Kunst hat
gesagt: Gleich wie am Ende dieser sichtbaren Welt der Anti-
christ mit seinen erdichteten Wundern und ungeheuerlichen Thaten,
die aber trügerisch-falsch, ohne Wahrheit und Dauer sind, zahl-
reiche Völker ins Verderben hineinziehen wird, indem er sich für
den wahren Christus ausgiebt: also ist jetzt ein Anti-Michelangelo
erstanden, der mit seiner gesuchten und äusserlichen Nachahmung,
seiner wundersamen Lebendigkeit, vielen Leuten aller Art hat
vormachen können, dass das die gute Malerei sei, und seine
Weise und Lehre die richtige; so hat er sie vom Weg der Un-
sterblichkeit abgewandt. Er hat mit seiner neuen Speise und
ihrer starkgewürzten Brühe eine solche Lüsternheit und Zucht-
losigkeit (golosina y licencia) aufgeregt, dass man zweifeln muss,
ob die Natur im Stande sein werde, den starken Stoff zu ver-
dauen und nicht ein Schlagfluss folgen werde. „Wer hat je ge-
malt und es so gut gemacht, wie dieses Monstrum von Geist
und Talent, fast ohne Regeln, Lehre, Studien, bloss mit der
Kunst seines Genies und mit der Natur vor Augen?“
Aber wie besteht dieser Naturalismus, wo er an die höhe-
ren Aufgaben herantritt? „Wahrlich, wer eine Auferweckung des
Lazarus, eine Verklärung Christi unternimmt ohne Ideen, nach
der Natur, der gleicht einem Blinden, der einen Blumenstrauss
sammeln will. Was ist denn Natur? Ist es der Taffet, die Lein-
wand, das Irdengeschirr, die Brote, die Früchte, die Vögel, das
Thier, das unvernünftige und das vernünftige? Der schwarze
Hintergrund thuts hier nicht, diese beliebte und wolfeile Aus-
kunft, um die Figuren hervorspringen zu lassen und die Augen
zu alarmiren (hacer ruido)! Wo will er finden die zärtlich hei-
ligen Thränen des Heilandes, seinen Ernst voll Liebe und Macht,
das Ebenmass des „Schönsten unter den Menschenkindern?“ Wo
das anbetende Staunen des Lazarus? Wo den in Thränen ver-
hüllten Jubel und Dank der beiden Schwestern, der geschäftigen
und der gedankenvollen? Das ist unmöglich ohne Wissenschaft;
und mit ihr findet sich alles“.
Das fühlt der Naturalist und darum wählt er sich solche
religiöse Stoffe, welche ihm Anknüpfungspunkte bieten. Aber
man sehe, mit wie feinem Takt er sich seiner Aufgabe entledigt.
Es ist der Besuch Christi bei den zwei Schwestern Martha und
Maria. „Da sind Vorräthe aufgespeichert von Kapaunen, Pfauen
[229]Die Gespräche über die Malerei.
und Hammeln, Obst und Schüsseln, dass man es eher für eine
Schlemmergarküche hält, als für ein Hospiz der Heiligkeit, für
eine Handlung zärtlich sorgender Aufmerksamkeit. Mir graute
förmlich vor der Unvernunft dieses Malers (Rubens?), der im
Stande war, ein solches Bild aus Geist und Händen hervorzu-
ziehen“ (S. 265).
Es giebt freilich auch Stoffe, denen der Naturalismus wie
auf den Leib geschnitten ist; aber bringen diese unserer Kunst
Ehre? Küchenstücke (bodegones) mit niedrigen und ganz ge-
meinen Gedanken, Trunkenbolde (borrachos), Gauner im Spiel und
dgl., wo der grosse Aufwand von Denkkraft darin besteht, dass
es dem Maler gefällt, vier freche Strolche und zwei ausgelassene
Weibsbilder abzukonterfeien, zum Schaden der Kunst und mit
wenig Ruhm des Künstlers (S. 253)?
„Welch eine Rahel, im geflickten unsaubern Mieder, übelm
und unschicklichem Kopfputz, unter rauchgeschwärztem Dach,
mit Katze und Hund im Schatten eines dreifüssigen Bänkchens
mit Krügen und Tellern darauf, oder einem zerzausten Rocken
von der Sierra!“ (S. 148).
Nun bleibt noch die letzte Verschanzung, das Bildniss.
Da giebt es doch keine andere Methode, als die mit der Natur
vor Augen? — Gewiss, aber das Bildniss ist auch ein Fach von
untergeordnetem Werth. „Kein grosser und ausserordentlicher
Maler ist je Bildnissmaler gewesen!“ (S. 127). Denn ein solcher
wird die Natur durch Vernunft und gelehrte Gewöhnung verbes-
sern. Beim Bildniss aber muss er sich dem Modell, sei es gut
oder schlecht, unterordnen, mit Verleugnung seiner Einsicht und
Verzicht auf Auswahl (sin mas discurrir ni saber). Und das ist
nur mit Zwang gegen seine Minerva möglich, für einen der Geist
und Blick an gute Formen und Verhältnisse gewöhnt hat. Car-
ducho verspottet den gegenwärtigen Missbrauch der Bildnissma-
lerei. Wie Francisco de Holanda will er diese Kunst für bedeu-
tende Regenten, Wohlthäter der Menschheit, Heilige aufbehalten
wissen. Der Mangel an Selbstachtung bei den Künstlern ist die
Ursache dieses Missbrauchs. Wie anders Tizian, der, als Philipp II
sein Bildniss verlangt, sich mit dem des Königs in der Hand
malt! Indem er es hinhält, will er sagen, er selbst sei nicht
werth, dass man so viel Wesen von ihm mache. Er will
sagen: der Ort, die Ehre, welche diesem Gemälde erwiesen wird,
gilt dem Bildniss S. Majestät, nicht meinem (S. 250).
Man sieht, es ist derselbe leidenschaftliche Ton, der in Mal-
[230]Zweites Buch.
vasia’s Werk angeschlagen wird. Der Feind ist derselbe; doch
ist der Standpunkt ein anderer. Carducho steht der italienischen
Akademie fern: in seinem Werke kommt nicht einer von den da-
mals so gefeierten Namen der bolognesischen Schule vor. Wie
hätte auch in Spanien der Eklekticismus aufkommen können,
da die Heroen fehlten, aus denen man hätte wählen müssen.
Carducho’s System ist der alte, römisch-florentinische Manieris-
mus des sechzehnten Jahrhunderts.
Die Vertreibung der Moriscos.
Niemand wird diese lebhaften Ausfälle lesen, ohne den Ein-
druck zu haben, dass sie auf bestimmte Personen gemünzt sein
müssen. Von einer Schule dieser Richtung in der Hauptstadt
ist uns nichts bekannt; und die Naturalisten in Sevilla oder gar
im fernen Italien würden ihn schwerlich in solche Aufregung ver-
setzt haben. Da er aber voraussehen musste, dass jeder Leser in
Madrid bei dem, was er von bodegones, borrachos, Bildnissen, von
der Methode ohne Cartons von der Natur auf die Leinwand zu
entwerfen u. s. w. gesagt hatte, an den begünstigten Hofmaler
denken werde, so würde er gewiss dieser Deutung, wenn sie
nicht seine Absicht war, vorgebeugt haben, wie z. B. Pacheco
gethan hat. Carducho hat in seinen Dialogen nur einmal den
Velazquez genannt, in der Notiz über den neuen Spiegelsaal
des Alcazar, wo er die Autoren der grossen Gemälde offenbar
nur nennt, um neben Tizian, Rubens u. a. auch seinen und seines
Freundes Caxesi Namen anzubringen 1). Nun ist ja freilich sein
Buch erst 1633 in die Presse gegeben, aber dass Reden wie die
angeführten den sogleich zu erzählenden Streit veranlasst haben,
glaube ich aus folgendem schliessen zu können.
Der Maler Jusepe Martinez, der als Freund des Velazquez
es wissen konnte, erzählt 2), dass ebensolche Aeusserungen in
Bezug auf Velazquez wie die angeführten über Bildnissmalerei,
bei dem Könige angebracht wurden. D. Diego aber stand be-
reits in dem Grade der Gunst, wo die hohen Herrn solche Ohren-
bläsereien zunächst dem Angegriffenen vertrauen. Man werfe
ihm vor, äusserte Philipp eines Tags, dass er nichts weiter als
[231]Die Vertreibung der Moriscos.
Köpfe malen könne. Der Maler erwiderte: Diese Herren machen
mir ein grosses Kompliment: ich wenigstens kenne keinen, der
einen Kopf gut zu malen verstände. Aber er beruhigte sich nicht
dabei: so wenig er die Ansicht seiner Collegen über den Werth
der Köpfe theilte, so wusste er sich doch Manns genug, auch
auf dem Boden der historischen Malerei einen Gang mit ihnen
wagen zu können.
Man kam auf den Einfall einer Concurrenz, eines Maler-
tourniers, und vielleicht war es Velazquez selbst, der dem Könige
diese ritterliche Form des Austrags vorschlug.
Der König stellte also ein Thema aus der Nationalgeschichte,
das seine vier Maler, Carducho, Cajesi, Nardi, Velazquez jeder
in derselben Grösse behandeln sollten: drei Ellen (varas) Höhe,
fünf Breite 1). Eine Kommission hatte über den Sieger zu entschei-
den. Gegenstand und Preisrichter waren so gewählt, dass sich
beide Parteien nicht beschweren konnten.
Es war die unter dem Vater des Königs ausgeführte Ver-
treibung der Moriscos aus Valencia (1609). Die Politik hatte
schon lange zu einer solchen Massregel gegen den unversöhn-
lichen Feind im Herzen des Landes gedrängt; durchgesetzt wurde
sie durch den Glaubenseifer des Erzbischofs Ribera von Valencia,
einer der Leuchten der spanischen und der katholischen Prälatur.
Diese verhängnissvolle That galt natürlich dem damaligen Spanier
mit seiner Ueberzeugung von der Unfehlbarkeit des überlieferten
politisch-kirchlichen Systems für das glorreichste Ereigniss des
Jahrhunderts, die letzte Besiegelung der Befreiung von der
afrikanischen Invasion, für die heroische That eines heiligen
Königs:
al Africa pasó (sentencia justa),
despreciando sus bárbaros tesoros,
las últimas reliquias de los moros.
Lope, corona tragica, 1627.’
Freilich bedeuteten diese „Barbarenschätze“ nicht viel weni-
ger als den Wolstand eines Reichs, denn die Austreibung von hun-
derttausenden einer fleissigen Landbevölkerung war nur ein Glied
in der Kette selbstmörderischer Handlungen, durch die Spanien
[232]Zweites Buch.
seinen Marsch zur politischen Ohnmacht beschleunigte. Seine
Majestät der Zufall, die Verachtung der „Barbarenschätze“ ironisch
beim Wort nehmend, wollte, dass zur selben Zeit die Kunde von
der Wegnahme der Silberflotte durch die Holländer, bei den
azorischen Inseln, eintraf. —
Eine solche Begebenheit, weit vertheilt in Raum und Zeit,
mit Ursächlichkeiten entfernter und verwickelter Natur, konnte
natürlich nur durch eine repräsentative, wo nicht allegorische
Aktion vorgestellt werden, und dazu gehörte Einbildungskraft.
Die Italiener hatten gesagt: „Wenn ein solcher Praktiker eine
Sache eigener Erfindung und aus eigenem Fond machen soll, ohne
die Natur vor Augen, wenn Gedächtniss und Phantasie den Hän-
den Gelegenheit geben sollen, das Vermögen ihres Herrn zu zeigen:
wie baar und bloss enthüllt sich dann seine Dürftigkeit und ge-
ringes Wissen!“ 1). Diess war hier der Fall: Philipp III war
todt, Velazquez hatte ihn nie gesehen, das Kostüm war veraltet,
der Schauplatz, die Meeresküste fern. Auf der andern Seite
war es ein spanischer Stoff, manche gab es, die die Personen
und Scenen noch gesehen hatten. Mit Maschinen nach den
Recepten eines Caxesischen Agamemnon wäre diesen schwerlich
gedient gewesen.
In dem Gemälde stand der König in der Mitte, in Rüstung
und weissem Anzug, ihm zur Rechten eine Figur der Hispania
in römischer Tracht, thronend am Fuss eines Gebäudes, in der
Rechten Schild und Speer, in der Linken Aehren, — wohl
die einzige allegorische Figur, die Velazquez gemalt hat. Phi-
lipp III weist mit dem Kommandostab nach der Küste. Dorthin
werden Mauren jedes Alters und Geschlechts, wehklagend, von
Soldaten escortirt. Die Einschiffung geht im Hintergrund vor sich.
Zu Schiedsrichtern waren, als Bürgschaft der Unparteilich-
keit, ein Spanier und ein Italiener gewählt worden: der Domi-
nikaner aus Toledo, Maino, und der Römer Crescenzi, die beide
in den Kunstangelegenheiten des Hofs viel zu sagen hatten.
Gio. Battista Crescenzi, einer römischen Adelsfamilie ent-
sprossen, hatte selbst die Malerei bei Pomarancio gelernt; später
aber der Baukunst sich zugewandt. Der liebenswürdige junge
Edelmann gewann sich die Gunst Paul V, der ihn zum Soprain-
tendente seiner Bauten machte. Baglioni 2) rühmt seine Höflich-
[233]Die Vertreibung der Moriscos.
keit auch im Verkehr mit Untergebenen, seine Uneigennützigkeit
und Förderung der Talente. Der spanische Minister in Rom, Car-
dinal Zapata, der ihn durch den Bruder, den Cardinal Crescenzi
kennen gelernt hatte, überredete ihn mit nach Spanien zu gehn.
Er stellte ihn Philipp III vor, der ihm die Ausführung der von
dem Erbauer des Escorial ihm hinterlassenen Grabkapelle (Pan-
theon) übertrug. Des Königs Tod verzögerte das Werk, aber
Crescenzi bekam unter dem Nachfolger die Oberleitung der
königlichen Bauten und als Vorsteher der Junta de obras y bos-
ques (seit 1630) auch die anderer künstlerischer Unternehmungen
am Hofe. Er wurde zum Marques de la Torre und S. Jagoritter
ernannt.
Die Entscheidung fiel zu Gunsten des Velazquez aus. —
Als im Anfang der dreissiger Jahre der neue Spiegelsaal
mit den Balkons über dem Hauptthor der Façade des Alcazar
eingerichtet wurde, wo die ersten Meisterwerke vereinigt waren,
erhielten die „Moriscos“ hier ihren Platz, neben Tizians Carl V,
Rubens Philipp II und IV. Zu ihren Seiten sah man indess auch
eine Zeit lang den Scipio des Carducho und die Cressida des
Caxesi — gewiss mehr als genug Ehre für beide 1). — Im
Inventar von 1686 wird das Gemälde zu 600 Dublonen taxirt.
Auch in der 1701 aufgestellten Testamentaría Carl II wird es
genannt. Zuletzt sah und beschrieb es Palomino, 1724 2). Seit-
dem verschwindet es aus den Inventaren. Die Angabe, dass
es Sebastiani aus dem grossen Saal der Könige in Buen Retiro
entführt habe 3), verdient keinen Glauben. Es wird in dem Brand
des Schlosses 1734 untergegangen sein. Auch keine Zeichnung
oder Kopie hat sich gefunden. Möglich ist jedoch, dass das
merkwürdige Gemälde jenes Maino, die „Bai von Brasilien“ (wovon
später) sich an die Composition anlehnte.
So oft und heftig Naturalismus und Manierismus gegen-
einander geprallt sind, niemals ist man wieder auf diese hispa-
nische Idee eines Malergefechts verfallen.
Wol in keinem Jahrhundert ist in Malerkreisen so viel
[234]Zweites Buch.
und so tragisch von grossen „Kämpfen“ gesprochen worden,
als in dem unsrigen. Es schien zuweilen als ob von dem Erfolg
einer neuen Manier nicht nur die Gesundheit der Kunst, sondern
die Moral und die Zukunft von Nation und Menschheit abhänge.
Hier haben wir auch einen Kampf, der mit den tiefsten Prin-
cipiendebatten hätte ausgefochten werden können. Die Art wie
es geschehen ist, hatte jedenfalls den Vortheil, dass die heutzu-
tage unvermeidliche Wort- und Papiervergeudung erspart blieb.
Nichts vom Qualm hochtönender Phrasen, aus denen Verfolgungs-
und Grössenwahn herausklingt; nichts von der Malerei der „Neu-
zeit“, der messianischen Zeit, die in jedem Menschenalter ange-
kündigt wird und noch ehe ihre Propheten graue Haare bekom-
men, schon ein kleiner grauer Ring in dem Dämmerungskreis
der alten Zeit geworden ist, wo nicht in Nacht des Vergessens
versunken. Nur die Herstellung eines Meisterwerkes.
Vielleicht wäre es anders gekommen, wenn Carducho’s
Wunsch, eine Akademie in Madrid zu gründen (Diálogos 38), ver-
wirklicht gewesen wäre. Obwol es nicht geschah, hat sich doch
die Madrider Schule bis ans Ende des Jahrhunderts so ziemlich
auf der Höhe gehalten, nicht arm an eigenthümlichen Gesichtern.
Boshaft wäre es zu behaupten, dass sie diess dem Aufschub
jenes Planes verdanke. Nachdem es nämlich im achtzehnten
Jahrhundert unter den Bourbonen, und in Sevilla schon in diesem
geschehn, soll fortan von grossen Malern dort weniger mehr
gehört worden sein als zuvor; auch sollen Akademien zu Zeiten
Conservatorien abgewirthschafteter Manieren gewesen sein, Para-
siten des Kunstlebens gleichsam, Tummelplätze für solche, die
neben dem Talent für Farbe ein noch grösseres für „Einflüsse“
haben.
Velazquez hat sich gewiss nicht als Parteihaupt gefühlt,
nach Art der Modernen, die Rembrandts „Anatomie“ nicht be-
wundern können, ohne einen Seitenblick auf Raphaels „Philo-
sophie“ zu werfen 1). Er vertrat nur seine persönliche Art, neben
der er noch vielen andern Platz gönnte. Drei Jahre nach seinem
Sieg über diese Italiener hat er eine Studienreise nach Rom
gemacht. Beim Anblick der sixtinischen Kapelle hat er gewiss
nicht, wie sein gefeierter lebender Landsmann, bloss gesagt:
esto no sirve. Die langen Beziehungen zu seinem Lehrer, Vater
[235]Rubens in Madrid.
und Freund, die Gelegenheit zur Bekanntschaft mit der Malerei
der Vergangenheit in dessen Hause, mögen ihn zeitig gewöhnt
haben, Wissen und Geschmack von Praxis zu scheiden; während
er hier nur seinem Genius und dem Nationalgeschmack folgte,
war er dort weitherzig, wenigstens (wie Leibnitz von sich sagte)
kein esprit désapprobateur. Die Wahrheit stiftet keine Sekten.
Auch Carducho und Genossen indess, obwol der erstere ja
in der Folge seinen ganzen Groll und Protest vor das Publicum
gebracht hat, haben sich nicht in den unfruchtbaren Schmoll-
winkel zurückgezogen. Wenigstens fehlt es nicht an Zeichen,
dass sie in der Folge der naturalistischen Methode Zugeständnisse
gemacht haben. In der Gnade des Monarchen sind sie natür-
lich durch diesen Process nicht gestiegen. Als Caxesi im Februar
1631 um Erhöhung seines kärglichen Gehalts einkommt, auch
mit Rücksicht auf die ihm seit langen Jahren geschuldeten Hono-
rare, schreibt Philipp an den Rand: No es tiempo de crecer sala-
rios (Keine Zeit Gehalte zu erhöhen), und als Carducho aus
ähnlichen Gründen um eine kleine Sinecure bittet, heisst es:
pida otra cossa (Soll um etwas anderes bitten 1).
Rubens in Madrid.
(1628—29.)
Das Jahr 1628 brachte Velazquez ein in mehrfacher Bezie-
hung aufregendes, vielleicht auch einflussreiches Ereigniss: den
neunmonatlichen Besuch des Rubens am Hof zu Madrid.
Ein Wort über die der Kunst fremde Veranlassung 2).
Längst war in dem Meister von Antwerpen der Wunsch
erwacht, die Länder des Südens, die er in seiner Jugend bereist,
noch einmal wiederzusehen. In Italien, dem Land genussreicher
Studienjahre, waren die Ideale seiner Kunst. Bei so ausser-
ordentlicher Produktivität musste zu Zeiten der Trieb erwachen,
auch wieder aufnehmend den Geist aufzufrischen durch Schöpfen
an der Quelle. Er hoffte von der Statthalterin Isabella Urlaub
nach Italien zu erhalten. Aus einem Briefe Buckingham’s vom
4. April 1628 geht hervor, dass schon damals von einer „Sen-
dung nach Spanien“ gesprochen worden war.
[236]Zweites Buch.
Einen unverhofften Anlass sollte ihm die hohe Politik ver-
schaffen, zu der ihm in den letzten Jahren gelungen war in Be-
ziehungen zu treten. Die Gelegenheit kam von England. Seit dem
Anfang des Jahres 1627 hatte der englische Minister durch Bal-
thasar Gerbier Rubens, dem Vertrauten der Infantin, Mitthei-
lungen machen lassen über den Wunsch der englischen Regie-
rung, mit Spanien Frieden zu schliessen. Man sieht nun, wie er
die Aktenstücke, in deren Besitz er gelangt ist, zu benutzen
sucht, um eine Sendung nach Madrid zu bekommen. Natür-
lich wollte der dortige Staatsrath, oder Olivares, sobald schien
dass es England Ernst sei, von jenen Schriftstücken genauere
Kenntniss haben. So schrieb der König am 1. Mai 1628 an seine
Tante. Der Maler erklärte sich nun erbötig, die Briefe zu
übergeben, bemerkte jedoch, dass er selbst dabei nöthig sei, um
sie zu erklären, und schlug vor, Philipp möge eine Vertrauens-
person bezeichnen, der er sie in Brüssel vorlegen könne, oder
aber, wenn es S. M. beliebe, man möge ihn selbst nach Madrid
rufen. Das Interesse der Infantin hierfür gewann er durch die
Aussicht, ihr die Bildnisse der Neffen und Nichten zu bringen,
die sie nie im Leben gesehen hatte; auch einige für den König
ausgeführte Arbeiten könnte er dann persönlich übergeben. Der
spanische Staatsrath (in dem auch der Kunstfreund und Verehrer
des Rubens, Leganés sass) erklärte sich mit dem letztern Vor-
schlag einverstanden (4. Juli); der König fügte dem Beschluss
noch die Bemerkung hinzu, „man solle Rubens nicht zureden zu
kommen, sondern ihm die Entscheidung anheimstellen“ 1), d. h.,
er soll wissen, dass seine Anwesenheit der spanischen Regierung
geschäftlich ganz einerlei ist, dass ihm aber der König, der seine
Absichten wol errathen hat, darin gern freie Hand lässt; die
Reise ist seine Privatangelegenheit.
Zu verwundern wäre es, wenn diess Auftreten des flämischen
Malers als diplomático español ganz ohne Murren des spanischen
Formalismus hingenommen worden wäre. In einem Brief des Königs
an die Infantin vom 15. Juni 1627 wird diesem Aergerniss in
starken Worten Ausdruck gegeben. „Ich glaube Ew. Hoheit sagen
zu sollen, dass ich sehr übel vermerkt habe, wie als Minister so gros-
ser Materien ein Maler hereingebracht wird, eine Sache die für diese
Monarchie, wie leicht begreiflich, etwas sehr Herabsetzendes hat,
[237]Rubens in Madrid.
denn die Reputation muss darunter leiden, wenn ein Mensch von so
wenig Rang (de tan pocas obligaciones) Minister ist, den die Gesand-
ten aufsuchen müssen, und der Vorschläge von solcher Wichtigkeit
macht. Wenn ja freilich dem Antrag stellenden Theile die Wahl
der Mittelsperson nicht zu verwehren ist, und wenn es für Eng-
land keine Bedenken (inconveniente) hat dass diese Mittelsperson
Rubens ist, so sind selbige diesseits dafür um so erheblicher.“
Die Statthalterin erwiederte hierauf, dass ja auch Gerbier ein
Maler sei, und dass wenig darauf ankomme, ob die Verhand-
lungen durch ihn eingefädelt würden, da deren Fortführung ja
natürlich Personen von Gewicht (graves) übertragen werden
würde. Hierbei hat man sich denn auch in Madrid vollständig
beruhigt.
Die Statthalterin sandte hierauf Rubens ab, der auf Befehl
Philipp IV mit der Post und in solcher Eile und Geheimniss reiste,
dass er weder den spanischen Gesandten und den flandrischen
Geschäftsträger, noch seine Freunde Peiresc und Dupuy in Paris
gesprochen hat. In der zweiten Woche des September traf er
in der Hauptstadt ein.
Rubens kam also an den spanischen Hof als etwas weniger
denn ein Geschäftsträger, und als etwas mehr denn ein Kourier,
als höherer Dolmetscher der Depeschen die er überbrachte.
Nachdem er in einer Sitzung des Staatsraths vom 28. September
dieser Aufgabe sich entledigt, ist er, da ja inzwischen (am 20.)
auch ein englischer Agent eingetroffen war, vor jenen personas
graves zurückgetreten, er hat von nun an, was gewiss sein
Wunsch war, ganz seinem wahren Beruf leben könne. Das be-
weist die quantitativ ganz erstaunliche Thätigkeit die er nun
entfaltete. —
Wenn Rubens seinen Besuch dort vor 25 Jahren in guter
Erinnerung bewahrt hatte, so war auch er in Madrid keineswegs
vergessen. Von jener Zeit her besass man von ihm Werke, die
an Bedeutung weder den Bildnissen noch den Historien, die er
später dorthin lieferte, nachstehen. Darunter war die grosse
Anbetung der Könige, welche kürzlich Philipp IV aus dem Nach-
lass des 1621 hingerichteten Rodrigo Calderon sich angeeignet
hatte, und das Reiterbild des Herzogs von Lerma, das damals
im Palast zu Valladolid war, und das, wenn der Reisende Mon-
conys die Ansicht der damaligen Zeit wiedergiebt, für eines der
merkwürdigsten Gemälde in Spanien galt 1). Ein noch nicht ge-
[238]Zweites Buch.
löstes Problem ist das Riesengemälde der Himmelfahrt Mariä,
früher in der Kirche der Franciskanerinnen zu Fuensaldaña,
jetzt im Museum zu Valladolid. Man nimmt sich oft nicht die
Mühe es ernstlich zu prüfen, weil es durch eine fremdartige
Art in Ton und Modellirung zurückstösst, obwol grade diese
sich ähnlich in dem sehr frühen Apostolat der Pradogalerie findet.
Aber nachdenklich macht doch die Meisterschaft der Zeichnung,
der in spätern Werken vermisste Wechsel in der Charakteristik,
die vollendete Beherrschung des stürmisch bewegten und doch
ohne jede Störung so klar geordneten Figurengewoges, vor allem
die ungewöhnliche Schönheit dieser Welt von herrlichen Jüng-
lings- und Kindergestalten. —
Was auch seine bestimmten Absichten gewesen sein mögen
— Studien des dortigen italienischen Gemäldeschatzes, umfas-
sende Aufträge — gewiss ist, dass er seine Zwecke vollständig
erreicht hat.
Er selbst schreibt Peiresc am 2. December: „Ich halte mich
hier wie überall eifrig ans Malen, und habe bereits das
Reiterbildniss Seiner Majestät aufgenommen, zu deren grossem
Beifall und Zufriedenheit, denn er findet augenscheinlich ganz
besondere Freude an der Malerei, und nach meiner Ansicht ist
dieser Fürst mit den schönsten Gaben ausgestattet. Ich kenne
ihn schon aus persönlichem Verkehr, denn da ich Zimmer im
Palast habe, so besucht er mich fast täglich. Ich habe auch die
Köpfe der ganzen königlichen Familie gemacht, treu mit voller
Bequemlichkeit in ihrer Gegenwart, im Auftrag der durchlauch-
tigen Infantin, meiner Herrin.“
Den vollständigsten Bericht aber über seine Thätigkeit ent-
hält das Buch Pacheco’s; derselbe kann nur von Velazquez selbst
herrühren, er wird dem Schwiegervater diese kostbaren Notizen
für dessen Werk aufgesetzt haben 1).
„Er brachte für die Majestät unseres Katholischen Königs
Philipp IV acht Gemälde mit von verschiedenem Inhalt und Um-
fang, welche in dem Neuen Saal neben andern herrlichen Stücken
aufgestellt sind. In den neun Monaten, die er in Madrid weilte,
hat er, ohne seine wichtigen Geschäfte zu vernachlässigen, und
obwol er einige Tage an der Gicht litt, viel gemalt, so gross
ist seine Geschicklichkeit und Leichtigkeit. Zuerst nahm er den
König, die Königin und die Infanten auf in Halbfiguren, um
[239]Rubens in Madrid.
sie nach Flandern mitzubringen; er machte fünf Bildnisse
Seiner Majestät, darunter eines zu Ross nebst andren Figuren,
mit grosser Meisterschaft (valentía). Er porträtirte dann auch
die Infantin [Margaretha] in den Barfüsserinnen in mehr als Halb-
figur und fertigte davon Kopien. Von Privatpersonen machte
er fünf bis sechs Bildnisse. Er kopirte alle Sachen Tizians, die
der König hat, als da sind die beiden Bäder [der Diana], die
Europa, Adonis und Venus, Venus und Cupido, Adam und Eva
u. a.; und von Bildnissen: das des Landgrafen [Philipp von
Hessen]. des Herzogs von Sachsen [Johann Friedrich], des Alba,
des [Francisco de] Cobos, eines venezianischen Dogen [Gritti] und
viele andere Gemälde auch ausser denen, welche der König be-
sitzt. Er kopirte das Bildniss König Philipp II [nach Tizian]
in ganzer Figur und Rüstung. Er veränderte einige Sachen in
dem Bilde der Anbetung der Könige von seiner Hand, welches
im Palast ist; er machte für D. Diego Mexía [später Marques
de Leganés], einen grossen Verehrer von ihm, ein Gemälde der
Empfängniss, von zwei Ellen Höhe, und für D. Jaime de Cárde-
nas, Bruder des Herzogs von Maqueda, einen Evangelisten Jo-
hannes in Lebensgrösse. Es scheint unglaublich, wie er in so
kurzer Zeit und bei so vielen Geschäften so viel hat malen
können.
„Mit Malern verkehrte er wenig, nur mit meinem Schwieger-
sohn (mit dem er vorher Briefe gewechselt hatte) schloss er
Freundschaft, er äusserte sich sehr günstig (favoreció mucho)
über seine Werke wegen seiner Bescheidenheit. Sie besuchten
zusammen den Escorial.
„Kurz, die ganze Zeit wo er am Hof war, bezeigten Seine
Majestät und die grossen Minister, seiner Person und seinem
Talent viel Werthschätzung. Und S. M. begnadigte ihn mit
dem Posten eines Sekretärs des geheimen Raths am Hofe zu
Brüssel, für Lebenszeit, mit Vererbung auf seinen Sohn Albert;
sie bringt tausend Dukaten jährlich ein. Nach Beendigung seiner
Geschäfte, als er sich von S. M. verabschiedete, gab ihm der
Conde Duque einen Ring im Namen des Königs, zwei tausend
Dukaten an Werth“. —
Zunächst sind über die hier genannten Gemälde einige Er-
klärungen zu geben.
Wenn man erfährt, dass Rubens bereits vor der Reise mit
Velazquez Briefe gewechselt hat, so liegt die Vermuthung nahe,
dass es sich darin um jene acht mitgebrachten Gemälde handelte.
[240]Zweites Buch.
Die Angabe dass sie im Neuen Saal (Salon de los espejos) auf-
gestellt wurden macht es möglich, ihre Gegenstände zu bestim-
men. Das Inventar von 1636 verzeichnet hier:
- Die Versöhnung Jakobs mit Esau. (Münchener Pinakothek Nr. 751?,
gestochen von P. de Balliu 1652). - Mucius Scaevola vor Porsenna (war beim Fürsten Kaunitz?).
- Achill unter den Töchtern des Lycomedes von Ulyss entdeckt
(Prado 1582). - Samson schlägt die Philister mit dem Eselskinnbacken.
- Kain’s Brudermord.
- Die Eberjagd (Pinakothek Nr. 781?).
- Die Hirschjagd.
- Simson zerreisst den Löwen (gestochen von Quellyn d. ä. und
Franz van den Wyngaerde?). - Davids Kampf mit dem Bären (gestochen von Panneels).
- Der Satyr [nicht Saturn!] mit dem Tiger (gestochen von W.
Hollar?). - Ceres und Pomona mit dem Fruchthorn (Prado 1585).
Nur zwei befinden sich also noch in Madrid, Achill und
Ceres. Da diese Gemälde sich dem Inhalt nach ganz denjenigen an-
schliessen, welche Rubens später in Antwerpen im Auftrag des
Königs gemalt hat, zum Theil für denselben Saal, so wächst die
Wahrscheinlichkeit, dass er bereits diese acht auf Bestellung
geliefert, und sie wird zur Gewissheit durch die ausdrückliche
Angabe des florentinischen Gesandten in Madrid 1).
Dass Rubens nicht alle diese Stücke erst für Philipp IV
komponirt hat, sondern zum Theil mit seinem alten Vorrath
räumte, ist wenigstens in einem Fall nachzuweisen. Den Achill
hatte er bereits vor zehn Jahren Sir Dudley Carleton, dem eng-
lischen Gesandten im Haag, angeboten. Er bezeichnete ihn da-
mals als „Werk seines besten Schülers (van Dyck?), ein über-
aus reizendes Bild und voll von vielen sehr hübschen Mädchen“ 2).
[241]Rubens in Madrid.
Sir Dudley zeigte sich jedoch für die Reize dieser schönen, aber
nicht ganz echten Griechinnen unempfindlich. Hier nun wird
er den von dem Engländer verschmähten Ladenhüter denn
doch noch an den König von Spanien los.
Anlass zum Nachdenken giebt ferner der Umstand, dass
ein Theil dieser Gemälde schon zu Lebzeiten Philipps wieder
aus dem Spiegelsaal entfernt wurde: das Inventar von 1686
weist an ihrer Stelle später gelieferte Sachen auf: den Raub der
Sabinerinnen und die darauffolgende Schlacht, Perseus und An-
dromeda, die Madonna in einem Blumenkranz. Der Verdacht
liegt nahe, dass jene Gemälde wenig befriedigten, und dass Rubens
sich wol auch hier, vielleicht nach seinen Erinnerungen vom Jahre
1603, eine zu geringe Vorstellung von dem Urtheil der Spanier
gemacht hatte; nach seinem Briefe scheint er erst dort das leb-
hafte Interesse des Königs für die Malerei bemerkt zu haben.
Ja er bekam eine solche Achtung vor dem Kunstverständniss
des Hofs, dass er sich ausbat, seine grosse Epiphanie, die in
der rohen Art seiner Frühzeit war, übermalen zu dürfen; er erwei-
terte sie auch und machte daraus fast ein neues Bild.
Die erste Arbeit, die Rubens in Madrid unternahm, nach-
dem er in dem Malerquartier des Palastes, im cuarto bajo del
principe sein Atelier eingerichtet, war das Reiterbildniss Seiner
Majestät. Auch dieses kam in den Spiegelsaal, also in die Nähe
von Tizians Carl V. Der König war dargestellt „in Rüstung,
auf einem Kastanienbraunen, mit der rothen Schärpe, Kommando-
stab, schwarzem Hut mit weissen Federn; in der Höhe die Erd-
kugel, gehalten von zwei Engeln und der Fides, die das Kreuz
darauf setzt und dem König einen Lorbeerkranz beut; auf der
einen Seite ist die göttliche Gerechtigkeit, welche den Blitz auf
die Feinde schleudert, auf der andern unten ein Indianer, welcher
den Helm trägt“. Die Uebereinstimmung dieser Beschreibung
des wahrscheinlich im Brand des Schlosses von 1734 unterge-
gangenen Bildes mit dem grossen „Velazquez“ in den Uffizien
hat schon Villaamil bemerkt; nur ist das letztere nicht, wie er
meint, eine übermalte Kopie, noch weniger ist es ein Gaspar de
Crayer, sondern, wie ich anderwärts gezeigt, ein gutes Bild der
Madrider Schule, wahrscheinlich von Carreño im Anschluss an
jenen Rubens gemalt, aber nach einer neuen Aufnahme des wohl
zwanzig Jahre älteren Monarchen.
Rubens wurde ferner die seltene Gunst zu Theil, die „Köpfe“
der gesammten königlichen Familie nach dem Leben aufnehmen
16
[242]Zweites Buch.
zu dürfen: die Königin also, die Brüder Ferdinand und Carl, die
Schwester Maria. Die Königin Isabella verstand sich schwer
dazu Malern zu sitzen, die Infantin hatte selbst Velazquez noch
nicht gemalt. Aber diese Bildnisse waren ja für die hoch-
verehrte greise Tante in Brüssel bestimmt. Auch malte er die
Suor Margarita im Barfüsserinnenkloster, eine andere Tante der
königlichen Geschwister. Sie war eine Tochter Maximilian II
und dort eine Person von Einfluss, der jeder Fremde von Stand
seine Aufwartung machte. Von allen diesen zehn Bildnissen
scheint, nach dem Schweigen der Inventare, keins in der Familie.
geblieben zu sein; von denen des Königspaars und des Cardinal-
infanten behielt Rubens Exemplare für sich, die sich in seinem
Nachlass fanden (Nr. 113. 115. 116. 123).
Das beste mir bekannte Bildniss des Königs ist das in gan-
zer Figur im Palast Durazzo zu Genua. Er steht in schwarzseide-
ner Tracht in einem Saal, der sich durch die grosse Balkonthür
nach einem Jagdgrund öffnet, zur linken zwei Säulenschäfte, die
zum Theil durch einen schweren Vorhang aus dunkelrothem und
Goldstoff verdeckt sind. Die Linke ruht am Degen, die Rechte
hält den schwarzen Handschuh. Nur ein leichter Flaum bedeckt
die Lippen. Während hier Majestät in Haltung und Miene be-
absichtigt ist, machen andere Wiederholungen, z. B. die Halb-
figur in der Pinakothek (787) mehr den Eindruck einer charakter-
schwachen Persönlichkeit, eines leichtlebigen Jünglings, der sich
nach Abschüttelung des Zwangs und der Spionage seines kron-
prinzlichen Daseins willenlos von den Wogen geistig-sinnlicher
Genüsse schaukeln lässt.
In München ist auch das Bildniss der Königin (788), von
dem die Ermitage (560) eine prächtige Wiederholung besitzt.
Isabella hält Fächer und Tuch, über der Brust hängt ein
doppeltes Perlenband bis zur Taille herab, mit einem Rubin in
viereckiger Goldfassung, an dem eine grosse Perle befestigt ist.
Die Stiche von P. Pontius und Louys, im Kostüm übereinstim-
mend, zeigen erhebliche Verschiedenheit der Züge. Der Infant
Ferdinand, dessen Bildnisse aus der späteren niederländischen
Zeit, kenntlich an den langen blonden Locken und dem Schnurr-
bart, so häufig sind, trug damals kurzgeschorenes Haar: so sieht
man ihn im Alter dieses Jahres und in Cardinalstracht in der
Pinakothek (Nr. 789) und im Palast Doria zu Genua, in dem
herrlichen Gigantensaal, gegenüber dem alten Andreas, zwischen
den Fenstern. — Von dem Infanten Don Carlos war schon die
Rede (S. 206).
[243]Rubens in Madrid.
Der Schwerpunkt indess seiner Thätigkeit in diesen merk-
würdigen Monaten lag nicht in den Bildnissen oder Historien.
Er erbat sich vom Könige die Erlaubniss, die Tizians des Schlosses
für sich kopiren zu dürfen. Mit Staunen sah Philipp zu, wie
unter den Händen dieses seltensten unter den tausenden von
Kopisten aller Nationen, welche sie seit Jahrhunderten belagern,
eines nach dem andern dieser durch die Zeit schon etwas ge-
dämpften Prachtstücke neu erstand, immer um einige Grade er-
höht in Brillanz der Farbe und des Lichts, belebt im Ausdruck
und vergröbert in den Formen. Der König konnte sich nicht
satt daran sehen, er hat später, obwol er die Originale besass,
aus Rubens Nachlass eine Anzahl dieser Kopien ankaufen
lassen.
Pacheco nennt fünf grosse Mythologien nebst dem „Sünden-
fall“, und sechs Bildnisse; aber diess ist nur die Hälfte. Gewiss
ein merkwürdiger Beweis seiner Verehrung des venezianischen
Meisters, einer Verehrung, die ebenso warm wie treu war.
Denn er hatte bereits vor einem Vierteljahrhundert diese Samm-
lung in Italien begonnen: in Rom kopirte er bei den Ludovisi
die beiden Bacchanalien (jetzt in Stockholm: vielleicht die vor-
züglichsten), in Florenz den Cardinal Hippolyt von Medici, in
Mantua die beiden Bildnisse der Isabella von Este. Sein Wunsch
scheint gewesen zu sein, in der fürstlichen Wohnung zu Ant-
werpen sich mit dem ganzen Werk Tizians zu umgeben; auch
zehn Originale Tizians besass er, oder glaubte sie zu besitzen 1).
Andere Maler hätten sich mit kleinen Skizzen beholfen, ihm war
nichts leicht als das Grosse (Sainsbury S. 61). Das befremdliche
ist, wie ein Künstler, längst gewohnt im Strom des Schaffens
zu leben, hierzu die Selbstverleugnung und Geduld findet; nicht
weniger seltsam, aber bezeichnend ist es, dass er in jener Fund-
grube malerischer Motive, die Spanien damals noch mehr war
als heute, sich mit alten italienischen Bildern Monatelang ein-
schliesst, ohne der Umgebung einen Blick zu schenken. Aber
Rubens war der Sohn seines Jahrhunderts, eines Jahrhunderts
der Epigonen, wenigstens in den Ländern romanischer Zunge.
Wie die Caracci, deren Grundsätze auch er, nur mit mehr Geist
befolgte, suchte er die Quelle wahrer Kunst mehr in den Mustern
der Vorzeit als in der lebendigen Natur. Bei solcher Fruchtbar-
keit wäre letzteres auch ein viel zu umständlicher Weg gewesen.
[244]Zweites Buch.
Ihm war es ein Genuss, in dieser intimsten Weise mit dem
Venezianer zu verkehren, vor dessen Rahmen ihm seine Malerei
doch nur wie ein etwas verwilderter Spätgeborener vorkommen
musste.
Man hat früher vermuthet 1), dass diese Kopien für den
König von England bestimmt gewesen seien, der ja auf eben die-
selben Stücke einst ein Auge geworfen hatte, und sich in der
That dort Kopien anfertigen liess (S. 216). Möglich ist, dass
er an seinen Gönner gedacht hat, dass eine Anregung von dort
vorlag. Aber keines ist in Carl Stuarts Sammlungen nachzuweisen:
Rubens hat sich nie von ihnen getrennt, sie fanden sich sämmt-
lich in seinem Nachlass. Sie waren ihm wol auch werth als Er-
innerungen an jene glücklich freien Tage in Italien und zuletzt
hier, als Gast der spanischen Königsburg.
Das Inventar seines Nachlasses nennt noch folgende nach Madrider
Tizians von ihm verfertigte Kopien:
- Die Venus mit dem Spiegel.
- Die Bildnisse Carl V und der Kaiserin Isabella von Portugal,
zweimal, das einemal auf einem Bild vereinigt. Hier waren sie
in schwarzer Hoftracht dargestellt, die Hände ruhend auf
einem Tisch mit rother Decke, ein Brevier haltend; zwischen
ihnen stand eine Uhr. Diess verlorengegangene Bild Tizians
stammte aus Yuste, kam von da in den Prado und befand
sich zu Rubens Zeit im Schlafzimmer des Königs im Erdge-
schoss. - Das Bildniss des Königs Ferdinand in voller Rüstung, die Rechte
auf dem Helm (Prado 499) - Alphons von Ferrara mit dem grossen Hund (Prado 452). Beide
damals in der Südgallerie. - Das verlorene Bildniss des Herzogs Francesco Sforza von 1534
in ganzer Figur, voller Rüstung, und mit dem Kommandostab;
zur Zeit Philipp II im Schatzhaus, damals im „Gang über dem
Ordensrath“. - Der Hofzwerg in rothem Damastkleid mit dem Spiess in der
Rechten und der rothen, hermelinbesetzten Mütze in der
Linken; ebenfalls verschollen. - Ausserdem werden noch angeführt sechs Bilder, die nicht gut
zu bestimmen sind: Ein gewisser grosser Mann mit dem
[245]Rubens in Madrid.
Hut (oder Hund?); vier venezianische Buhlerinnen; das Ge-
mälde einer Braut 1).
Dagegen hat Rubens, der klassische Maler der Jesuitende-
votion, in dem erzkatholischen Spanien weder für den König
noch für eine Kirche christliche Bilder gemalt; nur jene zwei
für Leganés und Cárdenas sind bekannt. Erst später sandte er
dem Hospital seiner Nation in Madrid ein vorzügliches Werk,
das ganz von seiner Hand war. Es ist die Marter des heil. An-
dreas und befindet sich noch in der neuerbauten Kapelle jenes
Hospitals. Wenn er in der Wahl heiliger Bilder dem Zug seines
Herzens folgte, ergriff er gern Stoffe, wo physische Qual oder
schmachtende Wollust mit mystischer Verzücktheit sich mischte.
Als er am Abend seines Lebens für das ihm als Schauplatz der
Kindheit werthe heilige Köln ein eigenhändiges, mit besondrer
Liebe gearbeitetes Werk stiften wollte, ersann er ein Gemälde,
das man als den Triumph des Grässlichen bezeichnen kann. So
malte er für Madrid den Apostel wie er, nachdem er zwei Tage
lang, umgeben von seinen Getreuen, am Kreuze gehangen, auf
Befehl des Proconsuls losgebunden werden soll, aber auf sein
Gebet von einem himmlischen Glanz verhüllt und der Umgebung
entrückt seinen Geist aufgiebt. Wenig Bilder giebt es, die so
geistreich gemalt sind: das himmlische Licht kämpft mit dem
irdischen Dunkel wie mit einem ungestüm bewegten Meer.
Nur ein Gemälde ist bekannt, das ihm eine spanische Scenerie
eingegeben hat; es ist zugleich eine Erinnerung an sein Zusam-
mensein mit Velazquez, der ihn auf dem Ausflug nach dem Es-
corial begleitete. Bei dieser Gelegenheit erklommen sie einen
Gipfel der unwirthlichen Sierra, welche das Kloster Philipp II
beherrscht. Von der Höhe der Sierra tocada (so genannt von ihrer
beständigen Verschleierung in Wolken), dem schneebedeck-
ten Gipfel der Sierra S. Juan en Malagon, nahm er eine Skizze
des Escorial auf, der hier in der Tiefe zu einem Schmuckkäst-
chen verkleinert erscheint, „mit dem Dorf und der Allee, Fres-
neda mit den beiden Teichen, der Strasse nach Madrid, das am
Horizont auftaucht“. „Das Gebirge, schreibt er im April 1640
an B. Gerbier, ist sehr hoch und steil, und schwer herauf wie
herunter zu kommen; wir sahen die Wolken tief unter uns,
[246]Zweites Buch.
während der Himmel über uns klar und heiter war. Oben ist
ein grosses Holzkreuz, das man von Madrid leicht erkennt, und
eine kleine Kirche Sankt Johann, wo ein Eremit lebt, der hier
mit seinem Esel zu sehen ist. Seitwärts ist ein Thurm und
Haus, wo der König öfters hinging wenn er jagte. Viel Roth-
wild kam uns vor.“
Nach dieser Skizze wurden später mehrere Gemälde gemacht,
eins, nach Rubens selbst von einem sehr gewöhnlichen Maler,
Peter Verhulst, sah Edward Norgate. Letzterer schilderte es
Carl I so lebhaft, dass dieser den Wunsch nach seinem Besitz
aussprach. Rubens, obwol er es nicht für würdig erklärte, unter
den Wundern des königlichen Cabinets zu erscheinen, liess es
unter seiner Leitung von dem Landschafter vollenden. Diess ist
vielleicht das beim Earl of Radnor in Longford Castle befind-
liche sehr grosse Exemplar. Ein andres fand sich im Nachlass;
auch die Dresdener Galerie besitzt eins.
Rubens Einfluss auf Velazquez.
Von Pacheco hören wir, dass Rubens, der auf seiner ersten
Reise eine so grundschlechte Meinung von den spanischen Malern
erhalten hatte, diesmal in seinem Schwiegersohn einen wenigstens
kennen lernte, an dessen Person nicht nur, sondern auch an
dessen Arbeiten er Geschmack fand. „Er äusserte sich sehr
günstig über seine Bilder wegen seiner Bescheidenheit“, so drückt
er sich etwas seltsam aus, als sei die Bescheidenheit eine Mit-
ursache wenigstens des gezollten Beifalls. Nach der Ueberliefe-
rung des Hofs freilich sollte Rubens, laut dem spätern Zeugniss
des Gaspar de Fuensalida, ihn anerkannt haben als das was er
immer galt im Palast: „den grössten Maler den es giebt und ge-
geben hat in Europa“ 1). Sein Name wird in Rubens Briefen
nicht genannt, aber wir haben deutliche Winke über ihre Be-
ziehungen in jenem Stich von Pontius (S. 214) und in den um-
fangreichen Bestellungen in Antwerpen, die nicht ohne Velazquez
Mitwirkung erfolgt sein können.
Ich habe die Daten über Rubens zweiten Besuch in Madrid
zusammengestellt, um den Leser in Stand zu setzen, sich von
[247]Rubens Einfluss auf Velazquez.
dem Eindruck, den er auf Velazquez gemacht haben kann, eine
Vorstellung zu bilden. Man hat neuerdings aus dieser Begeg-
nung einen wichtigen Wendepunkt in seiner Manier abgeleitet,
ja den eigentlichen Velazquezstil auf die Lehren und die Nach-
ahmung des Rubens zurückgeführt, und es wäre nichts erstaun-
liches, wenn er demnächst in Catalogen geradezu bezeichnet
würde als „Schüler des Herrera, Pacheco und Rubens“. Da es
unsere Ueberzeugung ist, dass Velazquez das was sein Verdienst
als Maler begründet, nur sich selbst zu verdanken hat, so ist es
für die Biographie von Wichtigkeit, sich hierüber zu verstän-
digen.
Schon Layard (Quarterly Review 1872, October) fand in dem
angeblich damals gemalten Bildniss Philipp IV (Prado 1071) eine
auf Rubens Rath erfolgte Veränderung der Malweise; besonders
in den wärmeren und durchsichtigen Fleischtinten, wenn auch
ohne jenes Glanz.
Jean Rousseau in seinen Peintres flamands en Espagne hat
das Museum zu Madrid den Eindruck gegeben von einem Unter-
schied zwischen den Gemälden vor und nach dem Rubens’schen
Besuch. Offenbar datiren, sagt er, von Rubens seine schönsten
Eigenschaften: die bezaubernde und ritterliche Freiheit der Aus-
führung, die bewunderungswürdige Geschmeidigkeit seiner Tinten,
die köstliche Frische und das Licht, welches sie unter allen Mei-
stern der Welt auszeichnet; der strenge Pacheco habe ihn nichts
derart lehren können. — Warum muss es ihn denn Jemand ge-
lehrt haben? Um ihn das Licht im sonnverbrannten Spanien
sehen zu lassen, musste also der Mann aus dem nebligen Nieder-
land kommen.
Auch Spanier haben sich diese Hypothese gefallen lassen.
Villaamil in seinem mehrerwähnten Buch (S. 141) glaubt, „der
Einfluss sei klar bewiesen durch das Gemälde, welches er an der
Seite des Rubens zu malen begann und endete; ein Gemälde,
das sowohl durch Gegenstand wie Anordnung, Natürlichkeit,
Kraft des Lichts und Stärke des Ausdrucks, der Farbe und
Zeichnung eine neue Aera im Stil des Velazquez bezeichne,
und sehr an die Macht der glühenden Farben des flämischen
Malers erinnere: die Borrachos.“
Diess war natürlich den Panegyristen Wasser auf die Mühle:
„Die nützlichste Unterweisung war das Arbeiten vor seinen Augen,
dem Neophyten (!) die Proceduren zu zeigen, durch welche er den
unvergleichlichen Glanz erreichte. … Die Borrachos offenbaren
[248]Zweites Buch.
die Umwandlung (transformation), welche sein Urheber durch-
machte, sie scheinen an vielen Stellen (hat der Verfasser sie ge-
sehn?) die glühenden Töne wiederzustrahlen, welche unter dem
Pinsel des Antwerpener Meisters hervorbrachen.“
Dass um diese Zeit in seinem Stil eine Veränderung vor-
ging, ist richtig; man wusste längst, dass die Grenzscheide zwi-
schen der ersten und zweiten Manier um das Jahr 1630 fällt. Die
frühesten Bilder erscheinen neben denen des Rubens und neben
seinen eigenen spätern hart, nüchtern, dunkel in den Schatten;
die bald folgenden in allverbreitetem Licht, malerisch in Umriss
und Rundung. Allein unmittelbar an den Besuch des Rubens
schloss sich ja die Reise nach Italien, und das erste Bild, welches
nach den neuen Grundsätzen gemalt ist, der Vulcan, kam aus
Rom. Inzwischen war er in Venedig gewesen, hatte in Tizian
und Tintoretto, wie er sagte, das „Gute und Schöne“ gefunden.
Hält man also die Wandlung nicht hinreichend erklärt durch das
innere Reifen seines Anschauungsvermögens in den herrlichsten
jugendlichen Mannesjahren und unter dem Segen der Freiheit
Italiens, nun so hätte man diess wolbezeugte Studium, diese Ver-
ehrung der Venezianer. Hier fand er die Modellirung des Nack-
ten in vollem Licht, hier den unverschmolzenen Strich, kurz den
malerischen Stil in unerreichten Mustern, die auch die Muster
des Rubens gewesen waren.
Man beruft sich aber auf die Borrachos, die vor der Reise,
unter den Augen des Rubens gemalt seien. Sie beweisen das
Gegentheil. Sie sind ja noch ziemlich nach dem System der Natu-
ralisten gearbeitet, mit den scharfen Contouren und dunklen
Schatten des einseitigen Atelierlichts. Im Madrider Museum
hängt der zwei Jahre später in Italien gemalte Vulcan ihnen
grade gegenüber, und da kann auch ein stumpfes Auge sehn,
wie die Grenzlinie beider Manieren zwischen beiden herläuft. Es
ist allerdings schon von Mengs bemerkt worden, dass die Borra-
chos in einem etwas freieren Stil gemalt sind, als z. B. der
Wassermann von Sevilla; aber ein solcher Fortgang von Befan-
genheit zu Leichtigkeit erklärt sich durch ein dazwischenliegendes
Jahrzehnt. Hätte Velazquez etwas von Rubens annehmen wollen,
so war es die Behandlung der Schatten, wo sein Verfahren
damals wirklich mangelhaft war. Er bediente sich des pastosen
Auftrags und des Bolus der Caracci, wodurch die dunklen Sei-
ten seiner frühern Bilder gelitten haben. Dass er mit der durch-
sichtigen Braununtertuschung des Niederländers den Schatten
[249]Rubens Einfluss auf Velazquez.
Klarheit und Reflexlicht verleihen konnte, das hätte ihm als
Maler vor allen Dingen einleuchten müssen.
So bliebe nur der Gegenstand! Man könnte zwar sagen,
dass Bacchus und sein bocksfüssiger Anhang nicht von Rubens
entdeckt worden sind, dass letzterer seit mehr als einem Jahr-
hundert in der sogenannten Berrugueteornamentik sogar an
christlichen Altären sein Wesen getrieben hatte; dass ein Haupt-
element des Rubens’schen Bacchanals, das lascive fehlt. Allein
es mag sein, der Schwarm von Fabelwesen, mit dem er die könig-
lichen Schlösser überschwemmte, kann Velazquez gereizt haben,
sich auch in diesen Stoffen einmal zu versuchen; in der That da-
tiren die ihm als Künstler werthen Darstellungen des Nackten seit
diesem Jahre. Allein das ist auch Alles. Wir denken uns, er
habe diese flämisch-welschen Götter, Halbgötter und Ungeheuer
mit ähnlichem Humor betrachtet, wie etwa Rembrandt, als er
seinen Ganymed erfand. Er wollte zeigen wie er sich ein solches
Gelage vorstellte. Man sehe neben dem lustigen Getümmel des
flämischen Komus das schwere Phlegma und den trivialen
Cynismus dieser castilischen Bacchusbrüder; ihre stupende In-
dividualisirung neben jenen Atelierfiguren, stereotyp wie Ab-
güsse!
Wenn man aber den spätern Velazquezstil von Rubens
herleiten will, so vergisst man die Regel der alten Schulphilo-
sophen: qui bene distinguit, bene docet. Wer sich das Schauspiel
einer starken Kontrastwirkung zwischen Coloristen verschaffen
will, der muss beide nebeneinander sehn. Die Factur des Rubens
ist frei und die des Velazquez ist frei, aber die Freiheit beider hat
nicht die mindeste Verwandtschaft. Der Ton des Rubens ist hell
und der des Velazquez ist hell, aber dieser ist der kühle Silber-
ton des allverbreiteten Tageslichts mit möglichster Zurückstellung
der Farbe, jener ein harmonischer Farbenlärm, mittelst gesät-
tigtster, lichtgetränkter Tinten und durchleuchteter Schatten; dort
hervorgebracht mit der grössten Einfachheit, hier mit Verschwen-
dung der Mittel. Kurz, wir wundern uns vielmehr, dass er sich
so völlig frei gehalten von dem übermächtigen Einfluss dieses
Künstlers, dem sonst die ganze Schule von Madrid mehr oder
weniger nachgegeben hat.
Es liegt hier also wieder ein Fall der Sucht nach Ein-
flüssen vor. Nicht weil man auf rätselhafte, erklärungsbedürf-
tige Thatsachen trifft, forscht man nach Ursachen und Berüh-
rungen; nein, weil man von einer Begegnung liest, folgert man
[250]Zweites Buch.
einen Einfluss und sucht nun dessen Wirkungen um jeden Preis
herauszuklauben.
Versuchen wir uns das Verhältniss beider Männer nach der
Wahrscheinlichkeit zu vergegenwärtigen!
Gewiss das Auftreten dieses ungewöhnlichen Mannes in Ma-
drid konnte nicht verfehlen den Hofmaler aufzuregen. Bisher war
er der Erste dort gewesen. Vor vier Jahren hatte der Minister
erklärt, nur er dürfe fortan Seine Majestät malen. Jetzt sah er
sich zeitweise diess sein Privileg entzogen; er war gleichsam
suspendirt. Der Fremde hatte sein Zelt im Palast aufgeschlagen.
Die Majestäten und Hoheiten kamen ihm zu sitzen, die aller-
höchsten Atelierbesuche waren auf ihn übergangen. Der Ugier
de Cámara war nur der Cicerone des Malerdiplomaten, des Ver-
trauten im Rathe der Staatsmänner.
Auch für einen nichts weniger als neidisch und niedrig
denkenden Character war das eine Prüfung. Auf Männer die
nicht mehr jung und elastisch waren, haben ähnliche Erlebnisse
eine vernichtende Wirkung geübt. Claudio Coello wurde durch
die Ankunft des Luca Giordano so erschüttert, dass er die
Verdunkelung seines Sterns nicht überlebte. Antonio del Castillo,
als er in Sevilla die Werke seines früheren Kameraden Murillo
sah, rief: Ya murió Castillo! (Ihr könnt mich begraben!); und
er war Prophet. Als Velazquez drei Jahre später aus Italien
zurückkehrend, dem König seine Aufwartung machte, hat er
ihm sehr gedankt, dass er sich inzwischen von keinem andern
Maler habe aufnehmen lassen 1).
Göthe sagt, gegen grosse Vorzüge giebt es kein andres Ret-
tungsmittel als Liebe. Ein Jüngling, der noch nichts ist, könnte sich
wol glücklich geschätzt haben, Rubens vorläufig als Farbenreiber
zu dienen. Ein Künstler, bisher durch untergeordnete Umgebung
im Wachsthum gehemmt, entschliesst sich noch einmal von vorn
anzufangen, wie Murillo, als er von van Dyck hörte. Velazquez
war wenig älter als Murillo, da dieser Pedro de Moya traf und
sich vornahm umzulernen, und Rubens stand auf der Mittags-
höhe seines Ruhms.
Allein Velazquez gehörte zu den glücklichen, einfach und
bestimmt angelegten Naturen, die von Anfang ihrer selbst und
zielbewusst ihren Lebensweg gehn; er hatte die Malerei, die
für ihn passte, bald erkannt, sich Mittel und Wege selbst erdacht,
[251]Rubens Einfluss auf Velazquez.
auch bereits dafür eine Lanze gebrochen und weit Erfahrenere
aus dem Feld geschlagen. Noch viel blieb ihm übrig zu sehen,
zu lernen und vielleicht zu bewundern. Aber er wird nicht alles
zu machen wünschen, was er bewundert, er ist überhaupt ein
Mann der nicht wünscht, sondern will.
Und nun sollte es scheinen, als ob er doch von Rubens Er-
scheinung nicht so geblendet zu sein brauchte, wie man als
selbstverständlich annimmt.
Zunächst brachte Rubens ihm keine Ueberraschung. Wir
nannten die Werke, welche Madrid schon von ihm besass. Das
Reiterbildniss Lerma’s hat er schwerlich in seinen späteren Por-
träts übertroffen. Diese Stücke wogen die acht Bilder die er
jetzt mitbrachte, wohl mehr als auf.
Rubens hat sich ferner von seiner glänzenden Seite, dem
fuego y sublimidad de la invencion, wie die Spanier sagten, dort
gar nicht gezeigt. Seine fünfundzwanzig Kopien nach Tizian
mochten ihnen imponiren als Leistung nordischer Arbeitskraft;
ein Künstler musste sich fragen, warum er statt Uebersetzungen
aus dem italienischen ins flämische zu machen, nicht lieber durch
Leben und Natur, Land und Leute sich zu Originalgedichten
inspiriren lasse.
Dann aber begegnete er ihm auch auf seinem eigensten
Felde der Bildnissmalerei. Nichts lehrreicheres giebt es als die
Vergleichung von Arbeiten verschiedener Meister nach dersel-
ben Person und aus derselben Zeit. Wenn man die Bildnisse
des Rubens und Velazquez von Personen des spanischen Hofs,
Malern, Porträtisten, Kunstfreunden vorlegt in Photographien,
Stichen, so ist der Ausspruch immer: Hier ist die Natur und
das Leben sans phrase; dort die Manier. Auch Leben freilich,
aber das Leben des Malers, sein Geist.
Man nehme diese Isabella von Bourbon. Die edle Tochter
Heinrich IV war nicht gerade eine Schönheit. Unter einer hohen
breiten Stirn zwei grosse, ernste, kalte Augen, ein Zug von ver
fehltem Lebensglück und Langeweile, der stille Verdruss einer
glänzenden Gefangenschaft. Das Untergesicht etwas kurz zusam-
mengedrückt, ein wenig hängende Unterlippe, die Wangen unten
anschwellend. So zeigt sie Velazquez. In der Paraphrase dieses
Textes bei Rubens wird daraus eine freundliche, von Gesundheit
und Glück strahlende Schöne mit junonischen, von geselligem
Behagen wie trunkenen Augen und dem ihm geläufigen etwas
spitz zurückweichenden Oval.
[252]Zweites Buch.
Oder der neunzehnjährige Cardinalinfant. Velazquez hat
ihn um diese Zeit als Jäger, Rubens in Cardinalstracht mit dem
Brevier dargestellt. Dort ein bleicher, etwas blutleerer, aufge-
schosster Jüngling von strammer Haltung, aus dessen vom Fieber
ermatteten Augen jedoch klarer Verstand spricht, die Keime der
tüchtigen Eigenschaften, die später so überraschend hervortraten.
Und nun sehe man den Rubensschen Cardinal mit dem gebeug-
ten Nacken, den sinnlich vorquellenden Augen, hinter denen
kein Gedanke liegt, dem dicken, weichen Mund: das Bild eines
schlaffen Genussmenschen.
Der König selbst ist zwar wiederkennbar an den constanten
Zügen, aber die Ecken der bei ihm so auffallenden Familienmaske
sind verflacht, die Blässe des sinkenden Geschlechts, die mit ihm
gleichsam verwachsene steife Grandeza, der kalte, verschlossene,
phlegmatische Stolz, wo ist er geblieben in diesem frischen ob-
wol etwas indolenten Lebemann?
Velazquez hat seine Menschen im Aeussern und Innern
durchstudirt, ihre Erscheinung aufgefasst nach jener indivi-
duellen Gesetzmässigkeit, die selbst dem Missgeformten etwas
Nothwendiges verleiht: Temperament, tonus der Nerven, Mischung
der Säfte ihnen abgesehen, die eigenartige spanische morgue
darüber gelegt. Bei ihm fühlt man sich vor einer Realität, vor
Menschen einer uns neuen Art, wenn auch vielleicht nicht sym-
pathisch, doch anreizend, sie zu deuten. In Rubens vermisst
man diese Achtung vor der Besonderheit: er passt die Züge, je
nachdem verschönernd oder herabziehend, dem seine Phantasie
beherrschenden Formentypus an; er ertheilt ihnen dieselbe phy-
sische Constitution, denselben Ausdruck sinnlichen Wohlbefindens
und gutmüthiger Offenheit. Man sagt, ein schöner Rubens, und
sagt damit alles. Wir sollten denken, diese Bildnisse brauchte
Velazquez nicht zu fürchten, kaum zu studiren. Was er schätzte
war Verdad, no pintura. Hier sah er nur pintura, eine blendende,
berauschende freilich, aber wie man damals sagte, eine Malerei
de pratica. Eine Kunst, die in allen Stücken auf die stärksten Wir-
kungen aus war, immer etwas die Grenzen der natürlichen Wahr-
heit überschreitend, in Farbe, Licht, Charakter und Mimik. Der
Spanier wird sie betrachtet haben, etwa wie der Geschichtschreiber
einen historischen Roman. Dieser wird vielleicht höflich sagen: So
etwas könnte ich nicht machen; und bescheiden verschweigen,
dass er so etwas nicht machen wollte, wenn er es könnte. Un-
gefähr so scheint sich Velazquez geäussert zu haben; denn Pa-
[253]Rubens Einfluss auf Velazquez.
checo erzählt, dass Rubens seine Bescheidenheit gefiel. Diese
Tugend ist eine der weniger geschätzten; doch sollen auch grosse
Männer zuweilen bescheiden gewesen sein, Condivi nennt sogar
Michelangelo modestissimo. Wahrscheinlich weil sie, auch wenn
sie sich beschieden haben Fachmänner zu sein, doch immer etwas
über ihr Fach hinaussehn und daher andere Grössenmassstäbe
kennen, als die in ihr Fach eingeengten, denen die gütige Natur
aber zum Ersatz Selbstgefühl gegeben hat:
it gives in large recruits of needful pride. (Pope.)’
Dieses Bewusstsein höherer Maassstäbe äussert sich gern in
einem Anflug von Humor und Ironie, die ja der Form nach Be-
scheidenheit ist. Der Beschränktheit fehlt diess attische Salz:
sie ist immer pathetisch und voll von Gefühl ihrer Wichtigkeit,
auch wenn sie Kleinigkeiten treibt.
Der wirkliche Einfluss des Rubens scheint sich also auf das
zu beschränken, was auch die alten Biographen angegeben haben.
Seine Unterhaltung fachte den alten Wunsch neu an, Italien zu
sehen, seine eifrige Copierthätigkeit befestigte die Ueberzeugung,
dass er die venezianische Kunst an der Quelle studiren müsse:
der König erkannte seine Gründe an, er gewährte den Urlaub.
Doch nein, es giebt ja noch eine andere Art von Einfluss
als diejenige, deren Constatirung man jetzt als Hauptaufgabe
einer Künstlergeschichte betrachtet. Das sind jene Begegnungen,
wo man durch eine grosse Persönlichkeit gezwungen wird, sich
ihrer zu erwehren, wo das Gefühl der Fremdartigkeit den Instinkt
der Eigenartigkeit weckt, und da wo andere sich selbst ver-
lieren, den Muth eigenen Wegs und eigener Ueberzeugung fasst.
Das war der Fall des Velazquez.
Vielleicht gerade weil beide so verschieden waren, in Be-
gabung und Naturgefühl, wie in Temperament und Moral der
Kunst, haben sie Gefallen aneinander gefunden und, wie Pacheco
versichert, Freundschaft geschlossen. Velazquez als künstleri-
schem Leiter bei der Ausstattung der königlichen Häuser konnte
es nur freuen, mit solchem Material zu arbeiten, wie das, welches
man von Rubens erhielt. Neid war dem Charakter beider fremd,
einen Zusammenstoss im „Kampf um den Raum“ gab es für sie
im Grunde nicht.
Velazquez war eigentlich ein Maler ohne Publicum, da er
nur für Philipp IV malte. Er war somit, wie es scheint, sehr
abhängig; auf der andern Seite aber auch wieder frei vom Dienst
[254]Zweites Buch.
der Menge, der oft dem Künstler verhängnissvoller wird als
Fürstendienst. Denn er konnte leicht dem Monarchen für Unter-
nehmungen die ihm nicht passten, andere als empfehlenswerth
erscheinen lassen; und ebenso leicht auf das was er um der
Kunst willen gern gemacht hätte, dessen Interesse lenken. So
kam er nicht in die Lage Dinge zu malen, die von ehrlich gründ-
lichen Naturstudien ablenkten, noch in Versuchung, dem Ge-
winn zu lieb mit seinem Künstlergewissen zu transigiren.
Der Beweis liegt in seinen Werken. Kaum kommen Ar-
beiten vor, die ihn nicht irgendwie als Kunstproblem interessirt
haben, stets schöpft er die Darstellung aus dem Gegenstand, der
ihm nie bloss Gelegenheit ist, seine glänzenden Mittel zu ent-
falten. Er war eine stolze, phlegmatische Natur, vom Temperament
des Empirikers, ein „Experimentalmaler“. Ein Edelmann, dem
es nicht einfällt dem Betrachter entgegenzukommen, oder gar ihn
zu bestechen; er stösst ihn eher ab, in seinen feinsten Sachen ist
er kaum verstanden worden.
Rubens gehörte zu denen, die, wie in Italien Bernini, ihrem
Zeitalter das Gepräge geben. Eine grosse Natur, die strebt zu
herrschen wohin sie kommt. Von Paris, London, Madrid, Genua
konnte er sprechen wie Cäsar. Wer aber seine Zeit beherrschen
will, muss mit ihr Fühlung haben, er wird in Wechselbeziehung
zu ihr treten, wie könnte er sonst ein Anziehungspunkt werden.
Da ist es wichtig, in welche Zeit er kommt, und an welche Ten-
denzen der Zeit er sich wendet. Man muss Hof und Adel des
siebzehnten Jahrhunderts kennen, um seine Malerei zu verstehen 1).
Das Herz Philipp IV hatte er ganz gewonnen. Der ge-
krönte Wüstling, dessen Leben zwischen galanten Abenteuern,
wochenlangen Festen, wilden Jagden und frommen Ceremonien
wechselte, scheint in seinen Schöpfungen einen poetischen Wie-
derschein des eigenen Daseins gefunden zu haben. Wie ein
moderner Prinz (the snob royal) entdeckte er vielleicht mit den
fortschreitenden Jahren das Geheimniss weiblicher Schönheit in
den drei F (fair, fat, forty) flämischer „Fleischklumpen“. Er
liess ihm nun keine Ruhe mehr mit Aufträgen, und auch jene
freien Darstellungen, die Rubens für sich behielt, wanderten aus
seinem Nachlass nach Madrid, dessen Museum für diese Seite
des Meisters wichtig ist.
[255]Die Borrachos.
Die Borrachos.
Während dieses ersten Aktes seines Lebens am Hofe wird
der Maler des Königs sich ganz dem Bildniss gewidmet haben.
Kirchenbilder, Sittenbilder wurden bei Seite gesetzt. Durch das
Bildniss hatte er seine Stellung gewonnen, er musste darauf
bedacht sein, sie durch Vervollkommnung in diesem Fach zu er-
halten, denn nirgends langweilt man sich schneller als am Hof.
Aber am Schluss dieses ersten Lustrums nahm er die alten Stu-
dien wieder auf, und zwar für ein ihm neues Fach, eine „Mythologie“
oder Fabel. Es ist ein ländliches Bacchusfest, wo der jugendliche
Gott, zwischen zweien seines Gefolges auf der Tonne thronend,
einen engen Kreis alter Zechbrüder traktirt und bekränzt 1).
Ueber die Entstehungszeit dieses Gemäldes geben die Akten-
stücke des Palastarchivs Auskunft. Am 18. September 1628 hatte
der König, der ihm wenigstens die Honorare für die Gemälde
schuldig geblieben war, eine Zulage gewährt. Sie bestand in
der „Tagesration der Kammerbarbiere, nebst den sonstigen Ver-
günstigungen“ (emolumentos) und betrug zwölf Realen täglich;
dazu kam ein jährlicher Anzug für neunzig Dukaten. Der Maler
hatte hierauf in Betreff jener Rückstände quittirt und zugleich
im Voraus in Betreff der Bildnisse, die ihm der König in Zu-
kunft aufgeben werde 2).
Nun aber erhält er zehn Monate später (22. Juli 1629) auf
einmal 400 Dukaten in Silber, davon 300 „auf Abschlag“ (á quenta)
seiner Werke, und hundert für ein Gemälde des Bacchus, „das
er für den Dienst S. M. gemacht hat“ 3). Da er sich nun kurz
vorher in Betreff aller früher gelieferten Arbeiten für zufrieden-
gestellt (satisfecho) erklärt hatte, so wird eine nach diesem Termin
honorirte Arbeit auch nach demselben gemacht sein. Vielleicht
war es diese Leistung, wodurch er dem König den Reiseurlaub
[256]Zweites Buch.
abgewann. Letzterem hatte sie ganz besonderes Vergnügen ge-
macht: er liess sie in seinem Sommerschlafzimmer aufhängen.
Vielleicht stellte er in Aussicht, im klassischen Land mehr
solcher Göttergeschichten liefern zu können. Man hat also nicht
ohne Wahrscheinlichkeit vermuthet, dass ihm unter jener Form
die Reiseunterstützung gewährt wurde, die Pacheco auf gerade
400 Dukaten angiebt 1).
Dieses Werk ist schon als Seltenheit schätzbar: das einzige
Saufstück des Velazquez, man kann hinzusetzen (wenn man nur
gute Bilder berücksichtigt) der spanischen Schule. Man denkt
sich die Spanier in der Regel als Antipoden der Deutschen und
Niederländer in diesem Punkt. Den Spaniern sei Trunkenheit
noch verächtlicher als den Italienern und Franzosen. Borracho
war einst dort ein so böses Wort wie Hahnrei und schlimmer
als Narr 2). Es gehörte zu den Beleidigungen, die, wie der Schlag
ins Gesicht mit Hand, Hut oder Schnupftuch, nicht durch Zwei-
kampf, sondern durch Todtschlag gerächt wurden. Pasquillanten
fanden keinen kränkenderen Ekelnamen für den verhassten Mi-
nister 3). Es genügte Jemanden nur einen Fall von Betrunkenheit
zu beweisen, um seine Verwerfung als Zeuge zu bewirken 4).
Allein selbst die Spanier haben jederzeit verstanden, auch
dieses Laster scherzhaft zu nehmen. In der Fundgrube volks-
mässigen Humors, den Schelmenromanen, fehlt nicht das Trink-
gelage mit äusserster Deroute. Die Andalusier, hierin weniger
streng denkend (wie die Perser im Islam) werden von den Ca-
stiliern u. a. borrachos genannt. Die Lieder des Baltasar del
Alcazar sind allerdings eine Rarität in der spanischen Lyrik,
aber hinreichend zum Beleg, dass die Ader da ist 5). Der Hof
Philipp IV war auch in diesem Punkt freidenkender. Wie Kö-
nigin Bessy an dem dicken Ritter Geschmack fand und selbst
eine Falstaffiade veranlasste: so liest man in Briefen aus der
Residenz von hohen Belustigungen, wo man Rüpel aus den
corrales (Höfen der Comödienhäuser) in den Palast holte und
[]
[][257]Die Borrachos.
zum Ergötzen der Damen betrunken machte. Tirso der Komö-
diendichter in der Kutte lässt durch seinen Carrasco die Tole-
daner auffordern, statt dem h. Rochus Sankt Noah Feste zu feiern:
es calidad, no es locura(La Villana de la Sagra I, 11).’
Leonardo lud sich zuweilen Bauern ein, liess sie sich be-
trinken und erzählte ihnen spasshafte Geschichten, dann eilte er
ins Nebenzimmer, ihre Grimassen zu skizziren. Velazquez hatte
das vielleicht gelesen, er fischte sich Männer aus dem Volke auf,
wie sie bis dahin noch nicht auf der Leinwand gesehen worden
waren und brachte sie in die für ein Bacchusstück geeignete
Situation und Stimmung. Die Gesellschaft ist ziemlich bunt: ein
Soldat, ein Dudelsackpfeifer, ein Bettler und einige schwer de-
finirbare Senioren. Sind es Lastträger (mozos de cordel), oder
Küfer, oder abgedankte Lanzknechte, aus denen Landstreicher
geworden sind, — wie umgekehrt die Armee sich aus Land-
streichern rekrutirte? Oder die „Blüthe der Tuna“, das eisgraue
Laster? Vielleicht aber sind es nach des Malers Meinung nur
arme alte Bauern, Söhne der Sierra, von ehernen Knochen,
unter harter Arbeit und rauhen Stössen des Lebenswinds verwet-
tert, zwei Menschenalter lang geröstet von trockner Sommer-
sonnengluth und gepeitscht von eisigen Stürmen. Diese sind es,
welchen die Sendung des fremden Gottes gilt, nicht müssigen
Schwelgern. Dem Tagelöhner bringt er einen Lichtstrahl in
sein dunkles Dasein, „Freiheit im Reich der Träume“, dieser
Wohlthäter der Menschheit.
Dieser Wohlthäter ist, wenn man bloss das Bild hier fragte,
ein junger Lebemann, der von seiner guten Gesellschaft gelang-
weilt, ein Bedürfniss der Herablassung empfindet und einen
neuen Sport entdeckt in dem Jubel des Deus nobis haec otia fecit
dieses zusammengekehrten Häufleins armer Teufel — ihrem breiten
Lachen, grotesken Geberden und dem aufgewühlten Schlamm
ihres Rothwälsch. „Ich war (denn Prinz Heinz’ Schilderung passt
darauf wie gegossen) mit drei bis vier Ochsenköpfen zwischen
drei bis vier Oxhöften. Ich habe den allertiefsten Ton der Leut-
seligkeit angeschlagen. Ja Mensch, ich habe mit einer Rotte
von Küfern Brüderschaft gemacht, und kann sie alle bei ihrem
Taufnamen nennen“. Der umgestürzte Becher am Boden entglitt
wahrscheinlich dem knienden Soldaten, der eben für sein Probestück
bekränzt wird 1). Nachdem wird der Toast getrunken werden, für
17
[258]Zweites Buch.
den Gläser und Schalen bereits erhoben sind. Der Mann mit dem
Dudelsack wird den Tusch blasen. Der erste der alten Adepten
grinst, mit noch unversehrt schimmerndem Gebiss, in der Wonne
des vor ihm aufglänzenden Spiegels der vollen Schale, im Vor-
genuss des höchsten Moments des Ordensfestes. Zugleich leiht
er dankbar das Ohr dem Spass seines Altersgenossen, der ihm
die Hand auf die Schulter legt. Der Spass scheint auf unsre
Kosten gemacht, und wenn wir ihn hörten, wir würden ihn kaum
wiedererzählen. Der dritte, im Profil, erwartet, den Kelch erhoben,
mit dem vergnügten Blick einer treuen Dogge zum Chef auf-
sehend, das Zeichen zum brindis.
Wir gemüthlichen Germanen haben Maler von Volksstücken,
bei denen fast in jedem Bild Jeder lacht oder lächelt: der
Spanier hat fast nur diess einzigemal Lachen gemalt; aber wo
ist je das Lachen übermüthiger Weinlaune in den Linien und
Furchen eines alten Kopfs mit so wenig Verlust und Verzerrung
aufgefangen, gemalt worden 1). Wilkie sass oft stundenlang
vor diesem Bilde, das er allen andern des Meisters vorzog. End-
lich, ermüdet, erhob er sich mit einem Seufzer (ouf!).
Dieser Bacchus eröffnet den seltsamen Olymp unsres Malers.
Andre haben in solchen Stoffen das Allgemeine und Conventio-
nelle schwer vermieden, bei ihm bricht das spanische Wesen
gerade hier am dreistesten durch. Nach der Methode des Cer-
vantes nimmt er den Mythus beim Wort. Er fragt sich: was
würde es wol für eine Scene geben, wenn der junge Gott auf
seinen Siegeszügen einmal in unsern Thälern ankäme? Was
für Gläubige würden sich um ihn schaaren? Wie wird er aus-
sehn, dem in Gesellschaft von Winzern und Winzerinnen am
wolsten ist, der sich am einsamen Meeresstrand seine Frau
aufliest? Wenn andre sich in fremde Phantasie- und Glaubens-
welt hineinstudiren und deren Zustände nachfühlen, so ist dem
Spanier sein Land die Welt, und nur das gewinnt Recht zu
existiren, was sich völlig naturalisirt.
In jenem Jahrhundert wurde diese Scene sonst viel gelehrter
dargestellt. Aber wer vermag heute noch etwas zu machen aus
1)
[259]Die Borrachos.
dem faden Bacchanal des Cavalier Massimo mit seinen reizlosen
neapolitanischen Tänzerinnen im Madrider Museum, oder aus den
Schemen des Nicolaus Poussin in ihrem Basreliefmarsch. Obwol
dieser gelegentlich einen trunkenen Silen gemalt hat, der dem
Ribera’schen die Palme der Gemeinheit streitig macht 1). Neuer-
dings hat man Bacchanale gemalt, die archäologischen Dissertatio-
nen an Erudition gleichkommen: wir erinnern uns eines gesehen
zu haben, wo sich die Melancholiker eines vornehmen Irrenhauses
ein Fest zu geben schienen. Aber Scenen, die den Menschen in
Zusammenhang mit seinem materiellen Boden und dessen Gaben
zeigen, mit dem „Erdgeist“, wie der alte Vilmar sagte, können
nicht genug Lokalgeschmack haben. Besonders dürfen wir ihn
beglückwünschen, dass er uns mit jenen bocksbeinigen Scheu-
salen verschont hat, die sich seit der Renaissance wie ein Schwarm
apokalyptischen Ungeziefers über die Gefilde der drei Künste
ergossen haben. Trotzdem ist dieses Bacchanal, das manche
eine Parodie genannt haben, griechischer vielleicht als der Maler
selbst gewusst hat. Die Griechen haben den Werth alter Trun-
kenbolde stets gewürdigt. In den tanzenden Satyrn der Villa
Borghese und des Lateran haben wir dieselben groben Knochen,
eckigen Schädel, kleinen Augen, starken Backenknochen und
kurzen Borstenhaare. Wenn die Jugend („Trunkenheit ohne Wein!“)
mit dem Stempel der Trunksucht widerlich ist, so liegt in der Wein-
seligkeit dieser Greise der tiefsinnige Humor des lachenden
Philosophen. Nur ist hier alles aus dem prestissimo des helleni-
schen Komus in das lento spanischen Phlegmas übersetzt. Die
Sprünge und Drehungen jener Satyre des Myron gleichen denen
des wilden Stiers; das träge Behagen unserer Küfer dem Treiben
eines Rudels Sauen in sumpfiger Waldschlucht. —
Obwol die Ceremonie unter freiem Tageshimmel vor sich
geht, ist sie doch in Atelierlicht gesetzt. Sie scheinen in einer
[260]Zweites Buch.
dunklen Taverne zu sitzen, die durch ein Fenster links erleuchtet
wird. Das hellste Licht ist gesammelt auf die Hauptfigur, deren
Hautweisse es zurückstrahlt. Damit kontrastiren die vier wetter-
gebräunten Häupter in scharfer, wie gemeisselter Modellirung,
ihre Licht einsaugenden, vertragenen, braunen und gelben Män-
tel und Wämser. Endlich folgen vier Figuren im Schatten, aus
dem einige helle Nasenspitzen und Stirnhöcker auftauchen.
Wer den Maler im Nackten beurtheilen will, muss sich
diesen jugendlich weichen obwol robusten Bacchuskörper ansehn.
Der überschneidende Arm, das vortretende Knie, der vom Reflex
des rothen Mantels beleuchtete Unterschenkel, — hier muss man
sagen, dass er in diesem Stück kaum noch etwas zu lernen hatte;
Vertrautheit mit dem organischen Gefüge gesellt sich zur Wahr-
heit des Scheins, der natürlichen Zartheit einer jugendlichen
Hülle, ihrer farbigen Frische und ihrem Glanz.
Die schwache Seite der Malerei sind die Schatten und die
dunkeln Stoffe. Die Untermalung mit Rothbraun hat mehreren
Theilen, ja ganzen Figuren in der Modellirung geschadet. Der
kauernde Zapfer ist fast nur Silhouette. Die Blätter des Wein-
stocks sind dicke braune Massen. Auch der Hintergrund hat die
Haltung verloren. Hier dürfte aber wol durch Reinigung Ab-
hülfe geschafft werden können.
Verglichen mit späteren Historien fällt die Beengung im
Raum auf. Die dicht zusammenhockenden Figuren sind stark
nach vorn gedrängt, sie haben keinen Raum um sich (keine
respiracion), weder vor, noch über, und scheinbar auch nicht
hinter sich, denn der jetzige Grund wirkt wie eine blaugetünchte
Wand. Man könnte fragen, ob der Vorgang nicht anfangs in
einem Gewölbe gedacht sei; wirklich ist die Gebirgslandschaft
nachträglich um die Figuren herumgemalt und ganz in der Art
der spätern Reiterbilder.
Doch ist der Gesammteindruck durch diese Nachdunklung
wenig gestört. Da die Hauptfiguren mit ihren breiten Lichtpar-
tien in voller Kraft bestehen, so gewinnen sie sogar durch den
Kontrast mit jenen gesunkenen Flächen.
Auch die Komposition ist wolerwogen. Die Rundung des
engen Kreises, der strahlende nackte Gott neben den beman-
telten Alten, der Schenke als Abschieber, die Gruppe des Herzu-
tretenden mit dem Musikanten, welche die Reihe einrahmend
abschliesst, der Contrapost des zurückgelehnten Begleiters mit
dem vorgebeugten Knienden, und dergleichen mehr verrathen
[261]Die Borrachos.
eine Menge Ueberlegungen, die sich hinter dem Schein des Zu-
fälligen verbergen.
Das Bild bezeichnet also einen Höhepunkt. In Kraft,
Bestimmtheit und morbidezza der Modellirung, in Plastik der Ge-
stalten, im Wechsel der Beleuchtungsgrade, in Ausdruck und
Leben der Züge gab es eigentlich keinen Schritt darüber hinaus.
Warum war das Bild also das erste und letzte seiner Art? Wäre
so etwas damals in Niederland gemalt worden, so würde heute
wahrscheinlich jede Galerie ihre Borrachos besitzen. Liebhaber
und Kunsthändler würden geschworen haben, dieser Maler dürfe
und könne nie etwas anderes malen als Bacchanalien, und er
wäre damit ein reicher Mann geworden. Aber Velazquez fand
an Selbstwiederholungen keinen Geschmack, auch wenn seine
Stellung ihm gewinnbringende Ausnutzung seiner Erfindungen
erlaubt hätte. Niemals wieder hat er eine Kneipe gemalt. Die
Verehrer des Bildes mussten sich also mit Wiederholungen und
Kopien zufrieden geben 1).
Es giebt zwei Wiederholungen, die beide in mehr als einer Be-
ziehung noch ungelöste Räthsel sind. Das eine ist das Bild im
Museum zu Neapel, in der Grösse des Originals. Viele Gemälde-
freunde verdanken ihm ihren einzigen, unvergesslichen Eindruck
von dem unvergleichlichen Genie des spanischen Malers. Es ist in
einer mir sonst nicht vorgekommenen Guachetechnik gearbeitet;
die Pigmente sind in einer teigartigen Masse stückweis auf Lein-
wand aufgetragen, die Stücke soviel als möglich einer Farbe ent-
sprechend, ringsum bemerkt man erhöhte Rändchen. Nicht min-
der merkwürdig ist, dass man selbst mit der Photographie des
Originals in der Hand nichts von den Merkmalen einer Kopie ent-
decken kann; ja noch mehr, die hellere und echt velazquische
Haltung scheint ursprünglicher als in dem nachgedunkelten Ori-
ginal in Madrid, dessen getrübte Theile, besonders die Land-
schaft, man nach dieser Wiederholung ergänzen kann. Es scheint
[262]Zweites Buch.
kaum denkbar, dass das merkwürdige Bild ohne Antheil des
Meisters entstanden sei.
Auch das zweite Exemplar, gewöhnlich als Skizze bezeich-
net, stammt aus Neapel, wo es der englische Gesandte, Lord
Heytesbury, von einem Kunsthändler Simone kaufte. Es ist
sogar bezeichnet und datirt, der Name steht, in zierlicher Schrift
auf dem Blatt eines zerrissenen Büchleins, links an der Ecke
Diego V .. zquez f.
1634 [nicht 1624].
Man hat nun zwar gesagt, wie sollte der Maler eine Skizze
bezeichnet haben, er, der kaum zwei oder drei seiner grossen Ge-
mälde bezeichnet hat! Ist es wahrscheinlich, dass er vier Jahre
zwischen dem Entwurf und der 1628 erfolgten Ausführung des
Bildes verstreichen liess?
Diese Zweifel beruhen auf Unkenntniss des Gemäldes. Es
ist keine Skizze 1), sondern ein sauber vollendetes Bildchen, das
an die Bassanos erinnert. Und zwar ein Bildchen, das zwar
Idee und Gruppirungsschema der grossen Leinwand entlehnt, in
den Einzelheiten aber als eine „gänzlich umgearbeitete Ausgabe“
derselben bezeichnet werden kann. Zwei Figuren zur Linken,
der Schenke mit der Vase und der Satyr, das Paar rechts, sind
weggelassen, ein Mohrenknabe ist hinzugefügt; die übrigen Rol-
len aber sind nach anderen Modellen gearbeitet.
Die Bacchusknechte sind keine Bauern und Landstreicher
mehr; sie gehören den bessern Klassen an, vielleicht dem niedern
Hofgesinde. Die Figuren sind dünner, die Köpfe spitzer, Tracht
und Frisur hauptstädtisch. Auch überlassen sie sich nicht jener
ungebundenen Faschingsheiterkeit; ihr Gebahren schmeckt nach
dem Klienten und Tellerlecker, jenem Schweif von Vetterschaft,
welcher den Granden von Castilien anzuhängen pflegte. Dem-
gemäss drängen sie sich auch nicht gemüthlich aneinander,
sondern sitzen in angemessenen Zwischenräumen, wie es sich
bei einem Ordenskapitel schickt.
Während die Gäste etwas befangen sind, ist der Amphitryo um
so aufgeräumter; die Gesellschaft, bei der dort das Hauptvergnü-
gen war, ist hier wol mehr das Objekt, mit dem er sich amüsirt.
Es ist nicht der verschlemmte Thunichtgut, schon zu blasirt für
ein homerisches Gelächter; nein, ein urgesunder Faun mit Voll-
[263]Die Borrachos.
mondsgesicht, feisten Curven von den Backen nach dem vollen
Kinn, mit einem Grinsen, welches die Augen zusammenkneift, den
Mund öffnet und eine lange Reihe Elfenbeinzähne zum Vorschein
bringt. Er sitzt statt auf dem Fass auf einem Stühlchen, und
ein Laubgewinde mit weissen Blüthen geht wie eine Schärpe
quer über den nackten Oberkörper. Links steht eine grosse
Amphora, rechts ein Fass, auf dem ein Kelchglas mit Rothwein
blinkt.
Der knieende Kerl neben ihm trägt einen rundlichen Kopf
mit kurzer schmaler Stirn, mongolischen Backenknochen und
schielenden Augen, komisch selbst im Zustand der Nüchternheit;
hier noch durch des Rausches seligen Blödsinn. Der folgende
mit dem Kranz sieht aus wie ein rostig gewordener Lebemann,
mit magerem Schnurr- und Kinnbärtchen, und der sauersüsslich
ergebenen Schmarotzermiene. Unter ihm sieht der Negerkopf
hervor, über dem Rücken des Knieenden. Der Dritte (ein Profil)
ist ein gelber Hungerleider, mit zurückliegender Stirn und Kinn,
und hohlen Wangen.
Ist aber die Eigenhändigkeit des Bildchens auch zweifellos?
Das kann man nicht behaupten. In der Malweise spricht zwar
nichts dagegen, man wird aber auch nicht ganz überzeugt. Die
Figuren sind Spanier und gehören nach dem Kostüm in diese
Jahre. Eine Reinigung der Leinwand und besseres Licht könnte
vielleicht zu einem bestimmteren Urtheil verhelfen.
Eine neue Verwicklung bringt die Signatur. A priori ver-
dächtig, sieht sie eigentlich ganz vertrauenerweckend aus,
nach Kalligraphie und unbefangenem Zug; freilich ist der Ver-
gleich mit unzweifelhaften Signaturen des Meisters unmöglich.
Aber die Hauptzahl wird verschieden gelesen. Alle bisherigen
Angaben haben 1624; mir schien es 1634, worin mir W. Bode
beitritt. Die 3 lässt sich an etwas wie eine 2; man scheint das
untere Ende der Figur für das harmlose Zöpfchen einer 2, ein
Ornament genommen zu haben, während es meinem Eindruck
nach ein organisches Gebilde ist, das eine etwas eckige 3 er-
giebt.
Je nachdem würde sich das Urtheil über die „Skizze“ ganz
verschieden stellen. 1624 wäre sie ein erster Versuch, vielleicht
der recuerdo eines lustigen Collegiums. Im Fall 1634 könnte man
sich vorstellen, die gentile Zechbruderschaft sei auf die Idee
verfallen, die berühmten Borrachos als lebendes Bild zu stellen
und diesem heiteren Augenblick in einem Gemälde Dauer geben
[264]Zweites Buch.
zu lassen. Oder eine hohe Person habe sich in dieser Weise
auf Kosten einiger als notorische Bacchusverehrer geltenden
Schranzen einen Scherz gemacht. Der Stil der Skizze passt
mehr zu 1624. Dann wäre es eine Verwandlung in absteigender
Linie, aus einem Palamedes in einen Brouwer, wo das Gesinde
oder die Landstreicher nach aufgehobener Tafel die Plätze der
Herren besetzen, mit besserem Durst und Humor. Freilich dass
aus dem entschieden weniger glücklichen ersten Versuch, nach
vier Jahren, durch diesen Process unser Meisterwerk entstanden
sei, wird manchem auch nicht gefallen, der ein Gemälde wie die
Borrachos sich nur als idée primesautière denken möchte. Nur
die Hauptperson, der Gott, der ohne Ansehen der Person Edel-
leute und Lumpen heimsucht, wäre in dem ersten Wurf glück-
licher gerathen.
[[265]]
DRITTES BUCH.
DIE ERSTE ROMFAHRT.
(1629—1631.)
Nach Italien — In Venedig — Rom im Jahre 1630 — Kunst und
Künstler — In der Villa Medici — Die Schmiede des Vulcan — Neapel —
Ribera.
[[266]][267]Nach Italien.
Der Titusbogen.
Nach Italien
zu kommen, war ein Lebenswunsch jedes gebildeten Spaniers im
siebzehnten Jahrhundert, — wie heute nach Paris. Nicht ohne
feinen Spott sagt einmal Lope, freilich aus dem Munde eines
Narren, dass man in Frankreich geboren sein möchte, in Italien
leben und in Spanien sterben; das erste wegen des reinen Adels
und des nationalen Königs, das zweite wegen der Freiheit und
Fruchtbarkeit, das dritte für den Glauben, der in Spanien so
gewiss, so katholisch, so wahrhaftig ist1).
Wenn Velazquez’ Kollegen italienischer Abkunft von Flo-
renz dem modernen Athen, von Italien dem Waffenplatz der
Kunst sprachen, so war das für ihn kein neues Evangelium.
Wer im Hause Pacheco’s seine Lehrjahre verbracht hatte, der
hätte, sollte man denken, sobald er konnte, alles im Stich lassen
müssen, um nach Rom zu kommen. Hier muss man sich die
Perspektive herzustellen versuchen, in der den Spaniern in den
ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts ihre künstlerische Ver-
gangenheit erschien. Die Gruppe, welche uns heute allein vor-
[268]Drittes Buch.
schwebt, wenn spanische Malerei genannt wird, und die jene
Perspective völlig zugedeckt hat, sie war damals erst im Ent-
stehen begriffen. Das ganze Mittelalter war in Finsterniss ver-
sunken, eine Morgenröthe brach an in der Zeit Isabella der Ka-
tholischen, aber der helle Tag ging erst auf, als die spanischen
Maler aus Rom zurückkamen, voran Alonso Berruguete, der schon
ein Künstlerleben hinter sich hatte, als er im Jahre 1520 wieder
in Saragossa auftauchte. Er hatte einst in Florenz noch ein
Gemälde des Filippino vollendet und zählte zu den jugendlichen
Verehrern Michelangelo’s während seines glorreichen Aufgangs,
am Carton von Pisa hatte er gelernt was Zeichnen sei. Dann
liess er im Vaterland die anmuthig bewegten Gestalten Raphaels
auf Tafeln, Bonarrotis starkbewegte Propheten in Alabaster-
statuen wieder aufleben. Und hatte nicht Philipp II bei der Aus-
stattung seines Escorial sich hauptsächlich italienischer Hülfe
bedient? Sieben namhafte Maler waren gekommen, ohne die Ge-
hülfen. Der einzige fast, der das Panier der spanischen Schule
dort hochhielt, Juan Fernandez de Navarrete, er wurde doch
auch aus Italien dorthin gerufen. Und heute noch, war nicht
ein Spanier, jener Valencianer Ribera, in Italien gross geworden
und herrschte dort in Neapel über die einheimischen Maler?
Der Zug der jungen spanischen Maler nach Italien war in
der That gross. Aber schon damals machte man die Bemer-
kung, dass nur reife Künstler (que tenian asegurado el genio)
dort Förderung empfingen. Die Meisten, betäubt von jenem „er-
staunlichen Labyrinth von Wundern“, verloren Monate, Jahre,
ehe sie Athem schöpften, unfähig etwas zu unternehmen; sie
kamen endlich zurück, um ihren Dünkel als Romfahrer zur
Schau zu tragen und das Heimische zu verachten. Aber zuwei-
len starben sie aus Verdruss. Sie erfuhren zu ihrem Schaden,
dass es besser sei die Schulen Hispaniens, als die Hosterien
Roms zu besuchen1).
Velazquez hatte den König schon mehremale um Urlaub
ersucht, dieser war ihm auch versprochen worden. Der Besuch
des Rubens, die gemeinschaftliche Betrachtung der italienischen
Gemälde im Escorial fachte den Wunsch neu an, vielleicht hat
Rubens selbst bei Philipp IV ein Wort eingelegt. Die Gesichts-
punkte, nach denen dieser die italienischen Meister studirt hatte,
[269]Nach Italien.
mochten Velazquez noch mehr einleuchten, als die veralteten
Tendenzen seines Schwiegervaters. Sein Gedanke war gewiss
nicht, dort umzulernen; die Italiener der Gegenwart waren ihm
ohne Zweifel gleichgültig. Aber unbezwinglich musste doch die
Neugier sein, jene Namen, von deren Preis ihm seit seinen Kna-
benjahren die Ohren klangen, einmal mit eigenen Augen zu sehen.
Und dann, denen die ihm zusagen würden, einige Winke für
seine Weise und seine Ziele abzusehn.
„Endlich ertheilte der König, am 28. Juni, den Urlaub (licen-
cia), feuerte ihn an und schenkte ihm vierhundert Silberdukaten;
auch Fortzahlung des Gehalts wurde gewährt. Und als er sich
vom Conde Duque verabschiedete, gab ihm dieser weitere zwei-
hundert Dukaten in Gold, eine Medaille mit des Königs Bildniss
und viele Empfehlungsschreiben“ (cartas de favor)1).
Nun traf es sich, dass gerade um diese Zeit der Horizont
Italiens durch Kriegswolken verfinstert war. Diese Ereignisse
sind auf die Reise von Einfluss gewesen. Es waren die Jahre
des mantuanischen Erbfolgekriegs. Der Kaiser, der sich als
Lehnsherr der Markgrafschaft betrachtete, hatte die nach dem
Tod Vincenzo Gonzaga’s (1627) erfolgte Besitzergreifung des
Herzogs von Nevers übel vermerkt und den Sequester über Man-
tua ausgesprochen. Carl Emanuel und der spanische Gouverneur
von Mailand verständigten sich über die Theilung von Mont-
ferrat, Gonzalvo de Cordoba belagerte dessen Hauptstadt Casale.
Eine ganz neue Wendung nahmen die Dinge in diesem Jahr
(1629) durch das Erscheinen Frankreichs auf dem Kriegsschau-
platz, das nach der Einnahme von La Rochelle freie Hand be-
kommen hatte. Nach der Wegnahme von Susa hatte Carl Ema-
nuel mit Richelieu sich vertragen, ein Defensivbündniss kam zu
Stande zwischen Ludwig XIII, Venedig, dem Pabst und Nevers,
dem auch Savoyen beizutreten versprach; der Herzog bewog
Gonzalvo die Belagerung von Casale aufzuheben.
Die Folge dieser Wendung war die Entschliessung des
Madrider Hofs mit dem Kaiser gemeinsam vorzugehen. Colalto
überschritt die Alpen; mit ihm zusammen sollte der grosse Feld-
herr operiren, der vor kurzem aus den Niederlanden, dem vierzig-
jährigen Schauplatz seiner Thaten, am 24. Februar 1628 in
Madrid eingetroffen war: Ambrosius Spinola.
Spinola stand damals auf dem Gipfel seines Ruhms. Der
[270]Drittes Buch.
grosse Name, den er sich durch die Belagerung von Ostende
(1604) erworben, war durch die Einnahme von Breda (1624) mit
Glanz aufgefrischt worden. Er war der einzige Feldherr, in den
man zu Madrid völliges Vertrauen setzte, der letzte grosse Heer-
führer, den Spanien noch hatte, „in der grossen Theuerung von
Capacitäten für das Generalcommando“1). Sein Wunsch wäre
gewesen, die Arbeit langer Jahre mit einer Pacification der
Niederlande zu beschliessen; nur mit Widerwillen und auf die
dringenden Bitten des Königs entschloss er sich den Oberbefehl
in Italien zu übernehmen. Sein Auftrag war Casale zu nehmen
und dann Frieden zu schliessen. Lemos hatte gesagt: Wenn wir
den Marchese Spinola machen lassen, so werden wir Frieden,
Ehre und alles Gute haben. Alle seine Forderungen gestand
man zu: er wurde zum Gouverneur von Mailand und Capitan
general ernannt, mit 36000 Ducaten Gehalt in Kriegszeiten. „Seine
Autorität, sagt der Genuese G. B. Saluzzi, ist die grösste, die je
einem Minister verliehen worden ist, den alten Herzog Alba
und Don Juan de Austria einbegriffen, denn er ist mit unbe-
schränkter Vollmacht zu Krieg und Friedensschluss, sowie zu
Bündnissen versehen.“ Vor seiner Abreise hatte noch die Hoch-
zeit seiner Tochter Polissena mit D. Diego Mexía (Leganés) im
königlichen Palast, in den Gemächern der Königin und in Gegen-
wart beider Majestäten stattgefunden: seine Söhne, der General
Philipp und der Erzbischof Augustin von Granada waren herbei-
geeilt, den Vater noch einmal zu sehn.
Diesem Manne wurde nun Velazquez vorgestellt, mit ihm
sollte er die Reise nach Italien machen. Es hatten sich noch
angeschlossen der Admiral D. Alvar Bazan, Marques de S. Cruz,
der Herzog von Lerma, und der Abate Scaglia. Diese fuhren
mit dem Feldherrn in demselben Wagen nach Barcelona, wo
neun Galeren ihrer warteten.
Olivares hatte unseren Maler mit Einführungsbriefen mehr
als nöthig versehen; auf sein Geheiss schrieb der Secretär des
Staatsrats D. Juan de Villela allen italienischen Gesandten am
Hof. Velazquez erhielt von ihnen Empfehlungsschreiben für
Venedig und die kleinen italienischen Höfe, Rom und die Le-
gaten in Ferrara und Bologna. Da bei den gespannten Verhält-
nissen diese kurzen und förmlichen Schriftstücke aber wol nicht
hinreichten, um den italienischen Fürsten Klarheit über seine
[271]Nach Italien.
Person zu verschaffen und ihr Misstrauen zu beseitigen, zumal
da er ja mit der Galere des spanischen Generals gekommen
war, so fügten die Gesandten ihren Depeschen noch gleich-
zeitige vertrauliche Informationen bei, von welchen eine schon be-
kannt war1), die venezianische; die für Parma und Florenz be-
finden sich im farnesischen und mediceischen Archiv. Die De-
pesche des Residenten von Parma, Flavio Atti beweist, dass man
ihn wirklich im Verdacht hatte, neben seiner Kunst zugleich
Spionengeschäfte zu betreiben2).
Serenissima Madama Signora Patrona mia perpetua..
An diesem selben Tage habe ich an den Herzog meinen Herrn
einen Begleitbrief geschrieben für Diego Velasquez Vscero und Kammer-
maler S. M., der nach Italien geht um (wie er sagt) sich in seiner Kunst
als Maler zu vervollkommnen. Er nimmt Briefe mit vom Nuntius für Rom
und von allen andern Gesandten. — [chiffrirt:] Ich behaupte, er kommt
als Kundschafter, ebenso wie Carlo Pu . . ghin (?), der ebenfalls Diener des
Königs ist und nach Mailand geht; dessen Geschäft ist in der That Spio-
niren. — Sie reisen mit dem Marchese Spinola nächsten Sonntag. Das
Billet, welches der Herr Graf von Olivares an Don Gio: de Vilela
schrieb, damit dieser ihm Briefe von allen Ministern der Mächte für den
genannten Diego Velasquez besorge, habe ich gesehen. — [chiffrirt:]
Immerhin mag sich hinter dieser List auch die Absicht verbergen, dem Ma-
ler eine kleine Ernte zuzuwenden, indem er von Jedem Geschenke bekommen
soll. Wahr ist freilich — er malt in den Gemächern S. M., und ich
habe ihn da oftmals malen sehen, und seine Specialkunst ist die Bild-
nissmalerei. Vscero di Camera bedeutet etwas mehr als Portier und we-
niger als agiutante di camera, denn das ist er nicht und mit diesem Amt
hat er nichts zu thun. Er geht vor dem Becher des Königs her, wenn
dieser zu Mittag oder zu Abend speist. S. M. sieht ihm oft zu beim
Malen. Diess ist die Information, welche ich geben kann, damit man
wisse, wie er zu behandeln ist. Ich weiss nicht, ob der Maler Amidano
ihn kennt; der könnte seine Bekanntschaft machen — [chiffrirt:]
wobei man dem Amidano zu verstehen geben kann, dass er in seinen Reden
klug sei — womit ich in demüthiger Ehrerbietung verharre
Di V. A. S.
Madrid den 26. Juni 1629.
beständiger Diener
Flavio Atti.
[272]Drittes Buch.
„Velazquez, berichtet Pacheco, schiffte sich in Barcelona am
St. Lorenztag (den 10. August) ein; am 23. landeten sie in Genua“.
Die Landung fand aber schon am 20. statt. Spinola wohnte im
Hause der Herzogin Spinola, seiner Schwester, und blieb nur
wenige Tage dort.
In Venedig.
Velazquez ist wahrscheinlich mit Spinola bis Mailand ge-
reist, wo dieser noch im August eintraf.
Nur ein Spanier von so harmloser Natur wie Velazquez,
und für den der König oder der Minister sich persönlich inter-
essirten, konnte damals hoffen, in der Lagunenstadt unangefoch-
ten zu verkehren, oder gar einen längeren Aufenthalt gestattet zu
bekommen. Alvise Mocenigo, der Gesandte in Madrid, hatte
deshalb an den Senat geschrieben; er bemerkt, dass seine Reise
keinen Verdacht erwecken könne; er habe offenbar den Urlaub
nur erbeten, um sich in seiner Kunst zu vervollkommnen. Auf
Olivares’ Befehl habe der Staatssekretär, D. Juan de Vegliella
ihn um Pass und Empfehlungsschreiben an Giorgio Contarini
und Vincenzo Grimani ersucht.
Als er in Venedig ankam, (es war unter der Regierung
des Dogen Gio. Cornaro), hörte und sah man nichts als Aushe-
bungen und Truppenschau. Die Regierung machte mit Erlaubniss
des Sultans Werbungen und Proviantankäufe in Albanien. Die
Gereiztheit gegen die Spanier war so hoch gestiegen, dass der
Gesandte, in dessen Hause Velazquez wohnte und an dessen
Tafel er speiste, ihm bei seinen Ausgängen Diener zum Schutz
mitgab. Die Spanier waren dort nie beliebt, die Feindseligkeiten
des Herzogs von Osuna und die geheimnissvolle Verschwörung
noch in frischem Andenken; sie selbst machten kein Hehl daraus,
dass ihnen die Republik von S. Marco ein Dorn im Auge war.
Spanien besass drei der reichsten und schönsten Provinzen Italiens
und hielt die Souveräne der andern Staaten durch Pensionen
in mehr oder weniger dauernder Vasallenschaft. Venedig war
der einzige völlig freie Staat, seine Verfassung schloss das Auf-
kommen einer ausländischen Partei aus. Die Vicekönige und
Gesandten pflegten auf eigene Hand antivenezianische Politik zu
machen und eine viel stärkere Sprache zu führen, als der Hof in
Madrid billigte; die Hauptleute aber und das Palastgesinde über-
boten noch ihre Herren. Das Asylrecht gab ihnen Gelegenheit
[273]In Venedig.
den Staat zu verhöhnen; z. B. 1624, als Benavides von Venedig
abwesend war, wurde das Gesandtschaftshotel zu einem Sammel-
platz von Verbannten, Bravos und Verurtheilten, die von da
ihre Streifzüge machten. So wurden unter Connivenz des Sekretärs
Irles fünf Sträflinge, auf dem Wege zur Galere, von solchen
Abenteurern mit Hülfe der Dienerschaft befreit, in den Palast
gerettet, und dann in Civilkleidern vom Fenster dem Volk ge-
zeigt, „als Beweis des Privilegs“. Die feindselige Stimmung
stieg aufs höchste zur Zeit des mantuanischen Erbfolgekriegs.
Venedig war damals die Haupttriebfeder der antispanischen Liga.
Man trug sich in Wien mit Anschlägen auf die Terra Ferma,
und der spanische Gesandte hatte gesagt: Aut Roma, aut Car-
thago delenda est. Die Italiener schlossen, dass mit den Spaniern
Freundschaft unmöglich sei, weil sie nur Sklaven oder offene
Feinde haben wollten.
Ueber seine damalige Beschäftigung in Venedig haben
wir bloss eine Notiz Palomino’s. „Sehr gefielen ihm die Gemälde
von Tizian, Tintoretto, Paolo und andern Künstlern jener Schule,
daher er unablässig zeichnete, die ganze Zeit die er dort zu-
brachte; namentlich machte er Studien nach der berühmten Kreu-
zigung Tintoretto’s [in der Scuola di S. Rocco] und kopierte die
Communion der Apostel, welche er dem Könige verehrte. [S. 151
Anm.] Nur der Krieg verhinderte ihn, viel länger dort zu bleiben.“
Auch nach allen sonstigen Daten muss Tintoretto ihn be-
sonders gefesselt haben. Darin stimmte er mit dem Geschmack
der Zeit überein. Tintoretto, nun ein Menschenalter todt, hielt
noch immer Maler und Publicum unter seinem Bann. „Alle die
nach ihm blühten, ergaben sich seinem Stil“. Die Scuola di S.
Rocco, deren Guardian Joseph Cagliari ein Neffe Paolo’s war,
blieb der Sammelplatz und die Akademie der Aufstrebenden, be-
sonders der Fremden (Deutschen); sie galt für die Schule, wo
man Composition, Grazie, stramme Zeichnung (stringatura),
Ordnung und Entgegensetzung (staccatura) der Lichter und
Schatten lernen müsse. Die Zahl der Zeichnungen und ge-
malten Kopien nach den Gemälden dieser Scuola war gross.
Die Platten Agostino Caracci’s nach der Kreuzigung liess Daniel
Nis vergolden. Noch sah man in seiner Wohnung das Studir-
zimmer, jenes schwerzugängliche Heiligthum, wo er auf Ideen
Jagd gemacht; die kleinen Modelle von Wachs und Thon
kopirte, in Häuschen, Fenster setzte, aufhing, um sie für seine
Entwürfe zu benutzen.
18
[274]Drittes Buch.
Tintoretto gehört zu denen, die zu allen Zeiten ebenso heftige
Bewunderer wie Hasser gehabt haben, erstere unter den Künstlern,
letztere besonders unter Laien. Die einen fühlen sich verletzt
durch sein Verfahren mit den Gegenständen, seinen Leichtsinn;
die andern sehen nur das malerische Genie, die unerschöpfliche Ge-
staltungskraft. Zu den erstern gehörte Pacheco1), zu den letztern
sein Schwiegersohn, obwol dessen ruhiges Beobachtertemperament
von dem feurigen Wesen des Komponisten und „Maschinisten“
so grundverschieden war. Zu der Art Malerei, die Velazquez
gross gemacht hat, fehlte ihm zwar nicht das Talent (wie seine
Bildnisse beweisen) aber das Phlegma und — die Zeit. Dem
Schweif der Tintorettoschwärmer, die damals in Venedig ihr
Wesen trieben, war der Naturalismus ein Greuel; wer kein
Stilmaler (manieroso) ist (sagt Marco Boschini, der die Gesinnung
und das Rothwelsch dieser Leute auf die Nachwelt gebracht hat),
der ist ein Schuhflicker.
Da giebt es Leute, Naturalisten nennen sie sich, wenn die eine
Gestalt malen wollen, so streifen sie in den Gassen herum und quälen
die Nachbarn: dein Gesicht ist just meine Idee, das wird einen herr-
lichen Effekt machen in der Figur, die ich unter den Händen habe.
Sind sie an der Arbeit, so darf Niemand herein, wie bei den Buben
wenn sie an ihrem Pensum sitzen, weil sie sich schämen, ihre Taschen-
spielerkünste (stregarie) zu verrathen. Da sieht es aus, wie bei den
Schwarzkünstlern: Püppchen, Kleidungstücke, Waffen, Modelle, Beine,
Büsten, Ketten u. s. w. Das sind keine Maler, sondern Abschreiber, Pinsel-
pfuscher (strupia peneli) — die die Natur in den Sack stecken; Gesandte,
die ihren Vortrag an den König vom Blatt ablesen. Nein, wer kein
Stilmaler ist, der ist ein Schuhflicker! Wer so seine Sachen stückweis,
strichweis, gliedweis macht, bekleistert das edle Handwerk. Wenn sie
den Jupiter malen sollen, so konterfeien sie einen Schürgen, aus einem
Küchenbürschchen (cestariol, Knabe der mit dem Körbchen auf den
Markt geht) machen sie einen Ganymed, aus einem sonnverbrannten Bauern
Apollo, und für Diana dient ihnen Dortchen Lakenreisser (Doratia de
Caracupana)“2).
In der Beschreibung des Escorial von Francisco de los San-
tos3) steht ein Abschnitt über das aus dem Nachlass Carl I er-
[275]In Venedig.
worbene Gemälde der Fusswaschung, welches noch jetzt im Ka-
pitelsaal hängt. Diese Beschreibung des Theologen sieht aus wie
vorgesagt von einem Maler, und der Pater hat auch in der Vor-
rede bemerkt, dass er sich fachmännischer Hülfe bei seiner Ar-
beit bediente. Velazquez hatte eben dieses und andre Gemälde
dort neu aufgestellt.
Tintoretto’s Darstellung dieser rührenden, von einer Todes-
ahnung eingegebenen Handlung Jesu wird heute wol Jedermann
abstossend, fast frivol erscheinen. Es sieht aus als ob eine Gesell-
schaft am heissen Sommertag, nach einem Gelage, sich ins Bad
stürzen wolle und nicht schnell genug der Schuhe, Strümpfe, Hosen
entledigen könne. Der Künstler, hingerissen von dem Gedanken
eines blendenden Dekorationsstücks, hat mit den Mitteln einer alles-
vermögenden Kunst auf die täuschendste und zugleich reizendste
Art die Wandfläche geöffnet, das Auge durch eine schimmernde
Perspective von Prachtbauten, auf Marmorflächen und Wasser-
spiegeln in die Ferne gelockt. Die in der offnen Halle zer-
streuten Figuren scheinen hauptsächlich da, um zur Anschauung
der Tiefenverhältnisse des prächtigen Architekturbilds eine
Hülfe zu geben. Nichts gleicht dem Zauber dieses offnen, sonnen-
beschienenen Saals mit den roth und blauen Schachbrettflächen,
der Palastflucht mit den Arkaden dahinter, den Säulenreihen
um den Canal, den im Grund ein Thorbau abschliesst.
Von diesem Bild, bei dem Pacheco die Haare zu Berge ge-
standen hätten, sagt jene Beschreibung, nachdem eben von der
„Perle“ Raphaels die Rede gewesen: „Es folge an zweiter Stelle,
doch nicht als etwas geringeres, die Leinwand von Christi
Fusswaschung seiner Jünger in der Nacht des Abendmahls. Sich
selbst übertraf hier der grosse Jacopo Tintoretto! Es enthält
die herrlichsten Motive (caprichos), und ist in Erfindung und
Ausführung staunenswerth. Schwer überzeugt sich der Beschauer,
dass es bloss Malerei ist. So gross ist die Kraft der Farbe und
die Anordnung der Perspective, dass er glaubt, man könne da
eintreten und herumgehn auf dem mit verschiedenfarbigen Platten
belegten Boden, durch deren Verjüngung die räumliche Tiefe
so gross erscheint; und dass zwischen den Gestalten die Luft
cirkulire. Alle sind von der lebendigsten Angemessenheit an die
ihnen gegebene Handlung. Der Tisch, die Stühle, ein Hund
der da hingesetzt ist, sind Wahrheit, keine Malerei. Die Leichtig-
keit und Eleganz (gala) mit der es gearbeitet ist, wird den ge-
wandtesten Praktiker erschrecken, und um es mit einem Worte
[276]Drittes Buch.
zu sagen, jedes Gemälde, neben diese Leinwand gestellt, wird,
indem die Befangenheit in der Malerei an ihm hervortritt, die
Thatsache, dass hier die Wahrheit ist, ins Licht setzen.“
Dieses merkwürdige Künstlerurtheil, das allein die Darstel-
lungskraft schätzt und die Interpretation des Gegenstandes,
die dem Laien eins und alles ist, gar nicht bemerkt, kann zugleich
als Bekenntniss des Malers über sein eigenes Ideal betrachtet
werden, das er vielleicht durch Tintoretto bestätigt fand. Die
Dehnung des Raums in die Tiefe, die Luft zwischen den Dingen,
die Wahrheit der Gegenstände, die Leichtigkeit und Lockerheit
der Pinselführung, die caprichos der Stellungen, die Durchsichtig-
keit des Ausdrucks, die Scene nicht wie ein Werk der Berech-
nung, sondern wie das Ding selbst erscheinend, d. h. ohne Phrase
und überlieferten Apparat — diese Merkmale sind ja wie ge-
münzt auf den spätern Stil unsres Malers.
Diese Virtuosität der Raumbeherrschung wird ihm auch an
der grossen Kreuzigung imponirt haben. Hier ist er wie der
Kapellmeister, der ein Riesenorchester überhört und beherrscht.
Die Bändigung dieser Versammlung, deren verschiedenwerthige
Gruppen in Blicken, Bewegungen, Linien, in concentrischen Krei-
sen geordnet, alle nach dem in einsamer Höhe ragenden Kreuz
konvergiren, die Bewegung, durch Vorführung dreier Zeitmomente
in den drei Kreuzen noch verstärkt — das alles erfüllt doch zu-
gleich den Beschauer mit der Ahnung eines sich vollziehenden
Vorgangs der Geistergeschichte, des Weltopfers, um das sich,
bewusst und unbewusst, ein Universum typischer Menschen, Er-
regungen, Gedanken als Zeugen schaart.
Das Studium der Compositionsweise des Venezianers könnte
man in den wenigen grossen Historien des Spaniers wol vermu-
then. Man findet seine Contraposte vorgebeugter und abgewandter
Stellungen, mit den geneigten, verkürzten, beschatteten Gesich-
tern. Tintoretto legte augenscheinlich selbst am meisten Gewicht
auf diese Disposition bewegter Gestalten nach Gesichtspunkten
der Entgegensetzung und mit Betonung der Richtung in die
Tiefe. Seine Werke wirken so stark von dieser Seite, dass man
(zumal bei der Verschlechterung vieler) meist übersieht, was für
ein bedeutender Colorist er war. Neben dem farbenreichen
Paolo vertrat er dort die Tonmalerei, darin ein Verwandter
Rembrandt’s. So sind im Wunder des hl. Marcus alle Farben
da, aber wie gebettet in Helldunkel, getaucht in jenen grünlich
goldigen Ton, dessen ruhiger Harmonie manches Auge vor der
[277]In Venedig.
rauschenden Musik des Veronesers den Vorzug giebt. Der Spa-
nier hat auch einige Tintoretto’s Palette verwandte Noten: das
Cyanblau, das gebrochene Karmin, die Orangetöne, obwol seine
Haltung hell und kühl ist. Auch die sonnige Durchbrechung des
Raumes findet sich ähnlich wie in dem schönsten Stück, das wir
in Deutschland von ihm haben, dem Gastmahl der Martha in der
Galerie zu Augsburg; und das seitlich einfallende Sonnenlicht
auf blonden Köpfen, wie in der Hochzeit von Salute.
Wir vermuthen, dass er auch die Bildnisse nicht übersehen
hat. Verwandt in der Auffassung, zeigten sie ihm das was ihm
vorschwebte, erreicht mit ganz andern Mitteln. Wie kalt und
hart müssen ihm seine bisherigen Figuren vorgekommen sein,
als er jenen Nobili im Dogenpalast gegenüberstand. So plastisch
denkmalartig sie sind, sie zeigen den Maler doch auch im Schaf-
fen. In Tizian’s Bildnissen ist jede Spur des Werdens verschwun-
den, bei seinem Schüler sieht man, wie der Pinsel mit dem er-
regenden Spiel der Züge, den bleibenden mehr als den vorüberge-
henden, ringt. Nach Feststellung der Flächen trägt er die Theile
ein mit vielen, sehr verschiedenfarbigen, unverschmolzenen Stri-
chen, Punkten; Falten und Furchen, Venen und Haare, Farben-
wechsel der Gesichtshaut einschreibend, endlich das Ganze mit
einem Lasurbad erwärmend und verschmelzend.
Tizian ferner gab seinen Personen gewisse persönlich be-
zeichnende Geberden und Blicke, und die Beeinflussung durch
die Umgebung, — das Würdegefühl des Amts, Erregung
durch die Gesellschaft, die Unterhaltung im Studio, die Pose vor
dem Kolleg, das Gebieterische der Macht. Ueber allem liegt die
Eleganz der grossen Gesellschaft. Tintoretto begnügt sich meist
mit den einfachen allgemeinen und herkömmlichen Attitüden
des grossen Bildnisses; da ist nichts weiter als der trockene Ernst
der Geschäftsmiene, das zugeschlossene Aeussere bei der Cere-
monie, die Selbstvergessenheit im Nachsinnen. Aber welche
hohe Einfachheit und Wahrheit, ohne Spur von Eitelkeit, z. B.
in jenen im vollem Licht gemalten Bildnissen der Galerie Colonna!
Auch wo sie einnehmend, überredend, herrisch erscheinen, ist es
mehr Charakter und Gewöhnung, als Augenblick und Absicht.
Welche wundervolle Greisenköpfe — die Anzeichen des Verfalls
bei ungebrochenem Willen, die Ermattung der Jahre und die
Gewohnheit der Anspannung, der starre Stolz und die verbind-
liche Form: welche Lebensgeschichte ist darin geschrieben; sol-
chen Menschen kann nur der Tod das Steuer der Geschäfte aus
der Hand reissen! —
[278]Drittes Buch.
Einiges über Velazquez’ Weg von Venedig nach Rom bringt
Pacheco (I, 157), leider nur Aeusserlichkeiten, über seinen Ver-
kehr mit Kardinälen u. dergl. „Er nahm die Route über Ferrara,
wo er Briefe an den päbstlichen Legaten und Governatore, Cardinal
Sacchetti, früher Nuntius in Spanien, überreichte und ihm die
Hand küsste. Briefe an einen andern Cardinal gab er nicht ab.
Jener nahm ihn wol auf und bot ihm Palast und Tafel an; er ent-
schuldigte sich bescheiden (?), dass er zu der gewöhnlichen Zeit
nicht zu speisen pflege, gleichwol aber wenn Seine Illustrisima [die
Cardinäle haben erst in diesem Jahre den Titel Eminenz erhalten]
es nicht wohl vermerken sollte (era sentido), so werde er gehor-
chen und von seiner Gewohnheit abgehn. Darauf hin sandte dieser
einen spanischen Cavalier seines Haushaltes, für ihn und seinen Die-
ner eine Wohnung zurecht zu machen und ihm dieselben Gerichte
aufzutragen, die für seine eigene Tafel gekocht wurden, und die
Sehenswürdigkeiten zu zeigen. Er blieb allda zwei Tage, und
am letzten Abende, als er sich von dem Cardinal verabschieden
wollte, behielt dieser ihn über drei Stunden bei sich sitzen und
unterhielt sich mit ihm über verschiedene Dinge. Auch hiess er
seinen Begleiter Pferde für morgen bestellen und der musste ihn
sechszehn Meilen bis Cento begleiten. Hier hielt er sich nur
kurz auf, speiste gut und verabschiedete sich dann von seinem
Führer. Er nahm den Weg nach Rom über Bologna und
U. L. F. von Loretto. In Bologna hielt er sich nicht auf, gab
auch keine Briefe ab an die Cardinäle Ludovisi und Spada, die
dort waren.“
Er muss also sehr ungeduldig gewesen sein, nach Rom zu
kommen, denn er reiste auch an Florenz vorbei, wo er anfangs
beabsichtigt hatte sich aufzuhalten, wie er denn auch durch den
toskanischen Gesandten bei Hofe empfohlen war, und erwarten
konnte, vom Grossherzog Ferdinand II wol aufgenommen zu
werden. Vielleicht scheute er die Winterreise über den Apennin,
vielleicht war ein frommes Gelübde im Spiel. Der Gesandte
Averardo de’ Medici schickte dem Empfehlungsbrief einen Com-
mentar an den Erzbischof von Pisa voran (22. Septbr. 1629),
in dem es folgendermassen heisst:
„Vor mehreren Tagen habe ich Empfehlungsbriefe einem Maler ge-
geben, der ein Günstling des Königs und des Grafen von Olivares ist,
Namens Diego Velasches, der mit dem Marchese Spinola nach Italien
gereist ist, zuerst die Lombardei und Venedig sehen will, und so-
dann nach Florenz und Rom kommt. Wenn er erscheint, so möchte ich,
[279]Rom im Jahre 1630.
dass ihm weder zuviel noch auch zu wenig Ehre widerführe.
Irgend ein Maler müsste ihn als bei sich logiren. Ihre Hoheiten und
die Prinzen mögen sich ihm gnädig erweisen, und mag es auch über-
flüssig sein, den Herrn Grafen an irgend etwas zu erinnern, so wünschte
ich doch, dass alle fürstlichen Personen ihn mit einem ganz runden Ihr
anredeten (di un Voi muy redondo)1), weil er, wie gesagt, ein Günstling
des Königs und des Grafen ist, und ausserdem dass er Uscier di camera
ist, viel intimen Verkehr am Hofe hat, und ich wollte nicht, dass er sich
bei den Höflingen hier und bei Ihren Majj. selbst rühme, von unserm
Fürsten Vostra signoria erhalten zu haben oder eine grössere Höflich-
keit als sich für einen Maler gehört: ich würde den Rath geben, dass
der Grossherzog sich sein Porträt von ihm machen liesse und ihm dann
eine Halskette mit seinem Medaillon schenkte, indem er ihm gegenüber
träte mit der Würde eines Königs (gravità di Rè), und ihn gut behan-
delte in der Art seines Standes (nel genere della sua professione): weil man
bei den niederen (bassi) Spaniern ebensoviel verliert, wenn man sie zu
wenig als wenn man sie zu hoch ehrt“.
Rom im Jahre 1630.
Velazquez kam nach Rom im sechsten Jahre der Regie-
rung Urban VIII. „Viel Gunstbezeigungen erfuhr er da von dem
Cardinal [Francesco] Barberini, des Pabsts Neffen, auf dessen Be-
fehl er im vaticanischen Palast Wohnung erhielt. Man gab ihm
die Schlüssel einiger Zimmer, der Hauptsaal war in Fresko aus-
gemalt, und zwar der Raum über den Tapeten, mit biblischen
Geschichten von Federigo Zuccari, u. a. Mose vor Pharao, wel-
che Cornelius [Cort] gestochen hat. Aber er gab diese Woh-
nung auf, weil sie sehr aus dem Weg lag und um nicht so allein
zu sein. Ihm war es genug, dass ihn die Wache ohne Schwie-
rigkeit einliess, wenn er zeichnen wollte, z. B. das Jüngste Ge-
richt Michelangelo’s oder die Sachen Rafael’s. Dort erschien
er viele Tage lang, und machte grosse Fortschritte!“
Nach dem was er etwa von jenem Cardinal Sacchetti, na-
[280]Drittes Buch.
mentlich aber in Künstlerkreisen vernommen hatte, war Rom
damals für Leute wie ihn das gelobte Land. Die Regierung des
geistreichen Florentiners Maffeo Barberini (hiess es) und seines
hochgebildeten, jedem edlen Interesse wohlgeneigten Neffen war
die goldene Zeit aller Bestrebungen des Friedens. Aber das
Schauspiel welches ihm die heilige Stadt bot, musste die Besorg-
niss erwecken, dass das Kriegstheater, das er im oberen Italien
rasch durchflogen und dessen Nähe ihn aus Venedig weggetrie-
ben, demnächst nach Rom verlegt werden würde. Seit drei
Jahren wurde an der Befestigung der Stadt gearbeitet: die En-
gelsburg, die Alexander VI zuerst zur Feste der Vaticanischen
Stadt umgeschaffen hatte, wurde dem Fortschritt der Zeit ge-
mäss verstärkt, mit Basteien umgeben, armirt und verproviantirt:
der Corridor Borgia’s, der von der päbstlichen Wohnung dahin
führte, von den angeklebten Häusern befreit. Man musste an
die Gefangenschaft Clemens VII vor hundert Jahren denken.
Die sechs vaticanischen Thore wurden bis auf zwei geschlossen;
Borgo und Lungara befestigt. Unter der Bibliothek war ein
Arsenal angelegt, von dem Evelyn meint, kein Fürst Europa’s
könne einer besser ausgestatteten Bibliothek des Mars (für
40000 Mann!) sich rühmen.
Viele spotteten über diesen kriegerischen Eifer S. Heiligkeit
gegen unerfindliche Feinde und Angriffe. Andere führten als
böses Vorzeichen an, dass die Tor de’ Conti auf dem Quirinal,
ein Bau Innocenz III, im September 1630 zum Theil eingestürzt
war, und erinnerten an das Wort Wallenstein’s, dass Rom seit
hundert Jahren nicht geplündert sei. Die Beraubung des Pan-
theons war gerade im Werk; aber wahrscheinlich hat es Velaz-
quez noch in seinem Bronzeschmuck gesehen, und ohne die
„Eselsohren des Bernini“, von dem es die neueste Zeit befreit
hat.
Die Stadt war voll von Kriegsvolk und Waffenlärm. Die
römischen Grossen, die Cardinäle, die Botschafter sassen in ihren
Palästen umgeben von hunderten gewaltthätiger Trabanten, die
sie auf ihren Tages- und Nachtausgängen begleiteten, zuweilen
nach Art der Barone des Mittelalters auf den Strassen rauften
und Leute auf dem Platz liessen.
Noch befremdlicher kam es ihm als gutem Katholiken vor
zu vernehmen, gegen wen diese Feuerschlünde gerichtet sein
sollten, und welcher Ausdrücke man sich unter seinen Lands-
leuten gegen Seine Heiligkeit bediente. In dem Augenblick, wo
[281]Rom im Jahre 1630.
der Niedergang des Protestantismus besiegelt schien (am 6. März
1629 erschien das Restitutionsedikt), sah man das Haupt der
Kirche im Lager der Feinde ihrer eifrigsten Vorkämpfer. Ur-
ban VIII hatte Ludwig XIII aufgefordert für die Freiheit Italiens
einzutreten und ihm sein Heer zur Verfügung gestellt. Die Bar-
berini waren gut italienisch gesinnt. „Wie schön wäre es gewesen,
so äusserte der Cardinal Francesco dem Venezianer Pesaro ge-
genüber am 1. Mai 1630 in der Villeggiatur am Albaner See,
wenn Florenz, Genua, Venedig und der Pabst sich zu einem
Staatenbund wie die Schweiz vereinigt hätten; dann hätte Italien
nach aussen Sicherheit, im Innern Gleichgewicht bekommen; die
Freistaaten hätten in des Pabstes Rechte nicht übergegriffen,
und für ihn wäre es eine geordnete Schranke gewesen (consti-
tuzione di continenza).“
Urban VIII florentinischer Witz traf in vertraulichem Gespräch
besonders spanische Figuren. Als im Juni die neuen Cardinäle
Sandoval, Spinola, Albornoz und Pamfili in Rom ankamen, sagte
er: „Seine Katholische Majestät hat, um Uns Furcht einzujagen,
einen Stummen und einen Zwerg Uns hergesandt“; denn Spinola
stotterte, Sandoval war klein von Statur, wie Monterey1), und
Pamfili war unbestritten der hässlichste im h. Colleg. Spanische
Cardinäle fanden den Pabst nie in der Gebelaune.
Der spanische Gesandte, D. Emanuel de Fonseca, Graf
Monterey, erschien selten am Hof Seiner Heiligkeit2). Der Pabst
liebte sich reden zu hören und liess Niemand zum Wort
kommen; der Venezianische Gesandte sagte einmal auf dem
Wege zum Quirinal: er gehe S. Heiligkeit eine Audienz zu geben.
Unser Maler konnte sich indess über seine Aufnahme nicht
beklagen. Diess verdankte er dem Cardinal Francesco, dem
Gönner aller Talente, der ausserdem persönliche Ursache hatte,
sich den vom Madrider Hof empfohlenen gefällig zu zeigen.
Er war im Sommer 1626 als Cardinallegat und Nuntius dort mit
aussergewöhnlichen Ehren empfangen und bewirthet worden; er
hatte die Infantin Maria Therese, die zukünftige Gemahlin Lud-
wig XIV getauft.
Liest man die Briefe aus Rom während des Jahres, wo Ve-
[282]Drittes Buch.
lazquez dort lebte, so überzeugt man sich doch, dass die Politik
nicht alles verschlungen oder, wie sie pflegt, verdorben hatte.
In dem Augenblick vor dem neuen Ausbruch des unerschöpf-
lichen Kriegkraters im Norden, als Richelieu mit dem Schweden-
könig verhandelte, konnte man in Rom leben wie in einem Ar-
kadien — für Poeten, Schauspieler und Komponisten, Antiquare
und Literaten, Bildhauer, Architekten und Maler. Die berühmten
Bienen, früher Bremsen, des Barberini’schen Wappens wurden
auf die „attische Biene“ gedeutet. Urban VIII verbot auch das
jedenfalls unattische Tabakschnupfen in der Kirche. Es war eigent-
lich eine kleine unverdiente Tücke des Schicksals, dass die Ver-
urtheilung Galilei’s und die Geschichte mit dem Pantheon in diese
Regierung fiel. Rom hiess „der Probirstein der Geister“. Sah
man genauer zu, so war der allgemeine Ton sehr unpolitisch.
Weder S. Heiligkeit, noch sein geschäftsführender Neffe, weder
der französische, noch der spanische Gesandte waren von Herzen
bei den Geschäften. Eingefleischte Diplomaten wie der Venezianer
Pesaro nannten das la stupidezza di questa corte1). Derselbe aber
meint doch auch, bei dem Genuss, Urban VIII sprechen zu hören,
könne man sich des Wunsches nicht erwehren, man möchte der
Pflicht ihn auf die Politik zu bringen, enthoben sein. Wenn er
im Sommer nach Castel Gandolfo ging, hielt er vorher ein
Consistorium, um den Cardinälen den Mund zu stopfen und sie
zu verhindern, ihm dorthin zu folgen. Hier fand man ihn be-
schäftigt mit der Ausgabe seiner lateinischen Gedichte und den
Plänen des neuen Palastes; er wollte diess Besitzthum der apo-
stolischen Kammer zur Freude seiner Nachfolger verschönern.
Den Cardinalnepoten interessirte seine Bibliothek, Gallerie und die
neuentdeckten Statuen mehr als Montferrat und Casale, und
Monterey ereiferte sich öfter für seine Comödianten, Concerte
und Gemälde als für jene Streitobjekte, über die damals Berge
von Depeschen geschrieben wurden. Das Hauptinteresse des
tiefverschuldeten Mannes war, in Italien zu bleiben, und von Rom,
dessen Luft ihm nicht bekam, nach Sicilien zu kommen.
Wenn des Pabstes Selbstliebe und Familiensinn nicht zu
nahe getreten wurde, so kam auch in der Politik der optimistische
Grundzug seiner kerngesunden Natur zum Vorschein. Im Januar
hatte er von D. Francesco Colonna den alten Familiensitz Pa-
lestrina seinem Hause erworben; als er dort einzog, im Oktober,
[283]Kunst und Künstler.
erschien ein Regenbogen über der Stadt, sofort improvisirte er,
anspielend auf den Italien günstigen Frieden von Regensburg,
den Trino:
Und als der Kaiser sich bequemte den Herzog von Nevers
endlich doch mit Mantua zu belehnen, erschien an der Façade
des Palastes Causeo am Platz Monte d’oro eine Reihe von Graf-
fitgemälden, in der Mitte Urban VIII, wie er mit der Linken
Ludwig XIII und Ferdinand II Hände verbunden hält und die
Rechte segnend erhebt.
Kunst und Künstler.
Kein Theil der neueren Kunst ist besser oder wenigstens
graphisch und plastisch anschaulicher bekannt, als die römische
in der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts. Die Zeit der
Borghese, Ludovisi, Barberini lebt noch heute (leider muss man
jetzt verbessern: lebte bis ganz vor kurzem) in den Gärten, Ga-
lerien, Palästen, denen sie mit Erfolg ihres Namens Andenken
anvertraut hatten. Diess war die Zeit, wo das moderne Rom seine
Gestalt bekam, welche es bis auf die zerstörenden Sandwehen der
neuesten Zeit bewahrt hatte. Und was wir in den Geschichten
von Worten der Menschen jener hochgebildeten Zeit lesen,
das glauben wir oftmals aus ihrem eigenen Munde zu vernehmen,
so vertraut sind uns ihre Züge durch geistvolle Bildnisse und
Büsten. Deshalb, um das künstlerische Rom dieser Zeit dem
Leser vorzuführen, braucht man eigentlich bloss Namen zu nennen.
Das was als Malerei der Gegenwart damals in Rom gefeiert
wurde, konnte Velazquez kaum interessiren. Der Glanz der
Akademie, die in Rom ihre Hauptwerke — die grossen Fresken
— gestiftet hatte, von jeher nur ein silberner, war damals schon
im Erlöschen. Die Caracci waren todt, Domenichino, wie sich
bald darauf zeigte, als er die Arbeit am Tesoro in Neapel über-
nahm, erschöpft; Guido hatte längst Rom verlassen. Aber wäh-
rend man glaubte, „dass die Caracci in der Kunst andern keine
Stelle mehr zu besetzen übrig gelassen hätten“ (Albano): so regte
sich in der That schon ein anderer Geist. Die vor einem Lustrum
vollendeten Fresken Guercino’s in der Villa Ludovisi gefielen
[284]Drittes Buch.
durch Kraft des Helldunkels und malerische Erfindung vor allem
was bis dahin in der Schule geschaffen worden war. Bei Albano
selbst hatte der idyllisch-arkadische Geschmack den heroischen ver-
drängt. Wie ihn, so zog auch Poussin sein Genie zu kleinen
Figuren mit landschaftlicher Behandlung. In diesem Jahre war
es, wo er sich, bereits sechs Jahre civis romanus, mit Anne Marie
Dughet verheirathete. Claude, gleichaltrig mit Velazquez, war
vor zwei Jahren, am S. Lukastage, in Rom wieder eingetroffen.
Wir stehen in der Morgenröthe des goldenen Zeitalters der
Landschaftsmalerei. — —
„Nachdem ich mich von den Strapazen des langen Ritts ausgeruht
hatte, und in unserer Kirche S. Maria del Monserrat die h. Messe ge-
hört, auch die Grabsteine einiger Maler unserer Nation alldort betrach-
tet hatte, begab ich mich nach Trinità de’ Monti in den Palast des
Monsignor Monaldeschi, den seit kurzem Don Emanuel, unser Gesandter,
bezogen hat, um ihm das Schreiben seines Schwagers des Conde Duque
zu übergeben. In seiner Antecamera, wo ich etwas lange warten musste,
traf ich einen feinen Mann, dem ich sein Handwerk nicht anmerkte;
es war nämlich ein Schauspieler, aber zugleich Comödiendichter, Namens
Sancho de Paz, der schon zehn Jahre in Italien lebt. Er gab mir zu
verstehn, dass S. Excellenz an Hypochondrie leide und sehr fürchte,
dass die Staatsgeschäfte nachtheilig auf seine Gesundheit wirkten; aber
für Leute wie uns (!), für virtuosi habe er immer Zeit. Jetzt wolle er
sich eine Empfehlung an den Grossherzog von Florenz holen. Er pries
die Serenaten, die er häufig zum Besten gebe, obwol die Nachtmusiken
hier eigentlich von der Polizei verboten seien. Endlich wurde ich herein-
gerufen. S. Excellenz lag im Bett, hatte aber hundert Fragen an mich,
besonders in Betreff der Heirath und der Reise der Königin von Ungarn.
Als ich mich verabschiedete, sprach er sein Bedauern aus, dass er mich
jetzt nicht bei Hofe einführen könne; aber er komme selten in den
Vatican, die Manieren Seiner Heiligkeit gefielen ihm nicht. Nach der
Plünderung von Mantua durch die Kaiserlichen würden wir überall mit
giftigen Blicken angesehn. Ich würde aber als Maler und Empfohlener
seines Schwagers bei dem Cardinalneffen Francesco, der für mich die
Hauptperson sei, nichts merken von der schweren Wolke allgemeiner
Ungnade, die sich über unsere Nation niedergelassen habe. Nachdem
ich auch Ihrer Excellenz Doña Leonor de Guzman die Hand geküsst
hatte, die mich zu einer Comödie im Palast einlud, eilte ich nach Piazza
Barberini. Seine Illustrissima Cardinal Francesco bereitete mir eine Auf-
nahme, wahrlich mehr wie einem Freunde denn einem Fremden; er
[285]Kunst und Künstler.
zeigte mir selbst mehrere seiner besten Sachen, über die er wie ein
Kenner sprach; jedoch unterbrach er diese Discurse öfters, um bei der
Erinnerung an seinen Besuch als Legato a latere in Madrid vor vier
Jahren (1626) zu verweilen; wie ihm unser 21jähriger Monarch mit
seinen Granden an die Porta de Alcalá Abends entgegen geritten sei;
und was für ein schönes Zimmer mit Seiden- und Goldtapeten man ihm in
der Casa del Tesoro eingerichtet, neben dem Alcazar Seiner Katholischen
Majestät. Er führte mich in eine Kapelle, wo das ihm von der er-
lauchten kleinen Infantin [Maria Theresia] verehrte Altarfrontal war, und
der Messornat von Goldstoff mit Besatz von Ambraleder. Auch zeigte
er mir ein Gemach, wo die kostbare Chinaeinrichtung angebracht war,
die ihm damals S. Majestät geschenkt hatte; ja er erinnerte sich noch,
dass ich es gewesen, der höchstderselben kleines Bildniss in Diamanten-
einfassung gemalt, das er ebenfalls damals mitgebracht hatte 1). Ich erlaubte
mir zu versichern (was die Wahrheit ist), dass er sich die Liebe und
Begeisterung aller Herren unseres Hofes erobert habe; und nicht minder
das Andenken der Damen, durch mille cose curiose di devotione. Er er-
kundigte sich alsdann nach meinen Wünschen, und da ich ihm sagte,
dass ich nur Studien halber gekommen sei, glaubte er, dass mir dann
eine Wohnung im Vatican am liebsten sein werde, hier sei die wahre
Akademie für die Maler aller Welt. Er versprach mir einen seiner
Gentilhuomini oder Monsignori am nächsten Tage zu schicken, der mich
dorthin geleiten solle. Er hoffe auch, mir die Ehre einer Sitzung seines
Oheims zu verschaffen, die dieser grosse Mäcen di tutte le virtù fremden
Künstlern gern gewähre. Vor zwei Jahren habe der Hofmaler des
Gran Duca [Sustermans] diese Gnade gehabt. Ich dachte an den leider
zu früh hingerafften Sohn Madrids [Diego Cincinati S. 88].
„Meine Ungeduld, den grössten Tempel der Christenheit zu sehen,
führte mich noch denselben Nachmittag nach Sankt Peter, das vor sieb-
zehn Jahren vollendet worden ist. Das Innere ist von magischer Helle,
aber noch lange nicht ausgestattet mit Marmor, Gemälden und Bild-
werken, wie längst der Tempel von S. Lorenzo [Escorial], der ihm nach-
gebildet ist. Das bemerkenswertheste Denkmal ist das bronzene Grab
Paul III von Guglielmo della Porta. Es steht unter der Kuppel in der
Nähe des südwestlichen Pfeilers, von allen Seiten frei mit vier Marmor-
figuren von göttlicher Schönheit, wahrlich Michelangelo’s würdig. Von
[286]Drittes Buch.
demselben Porta ist der Baldachin über der Confession. Wir gingen auch
in die Mosaikfabrik, wo wir Marcello Provenzale aus Cento damit be-
schäftigt fanden, das Schiff des Petrus von Meister Giotto wiederherzu-
stellen. Diess war, als man es in dem Hof der alten Basilica abgenommen
hatte, zerbrochen worden; bisher befand es sich an der Mauer des Pa-
lastes, dem Wetter ausgesetzt. Jetzt, nachdem die Figur des Petrus,
des Fischers und des Winds ergänzt worden sind, soll es in die neue
Vorhalle über den Eingang kommen.
„Man sprach viel von den grossen Plänen des Lorenzo Bernini, der
ganz in meinem Alter ist. Da er im Anfang dieses Jahres zum Ar-
chitekten der vaticanischen Basilica und des apostolischen Palastes er-
nannt worden ist und Seine Heiligkeit ihn sehr liebt, so werden diese
Pläne nicht auf dem Papier bleiben. Nach seiner Erhebung soll er zu
ihm gesagt haben: „Es ist ein grosses Glück für den Cavalier, den Car-
dinal Maffeo Barberini als Pabst zu sehen, aber weit grösser ist das
unsrige, dass der Cavalier Bernini in unserm Pontifikate lebt.“
„Am folgenden Tag in der Früh hörte ich die h. Messe in unserer
Nationalkirche S. Jago an der Piazza Navona. Ich traf dort einen
Jesuitenpater aus Salamanca, mit dem ich die Kapelle S. Diego besah,
wo Francesco Albani seine ersten Malereien hier ausgeführt hat, nach den
Cartons des Hannibal, dessen Kräfte damals für die Freskomalerei nicht
mehr ausreichten 1). Da die Kirche S. Maria della Pace in der Nähe
liegt, so schlug mir der Pater vor dorthin zu gehen, wo derselbe Maler,
der eben wieder nach Rom zurückgekehrt sei, an der Decke über dem
Hochaltar arbeite. Wir sahen in der Sakristei Cartons zu einem Fries
von lieblichen Engelkindern. Als wir von da in die Kirche der Anima
gingen, trafen wir einen Deutschen Namens Sigismundo Laire aus Bayern,
der seit lange von unsern Vätern von der Gesellschaft beschäftigt wird.
Er zeigte uns in seiner Wohnung eine Menge feiner Bildchen auf Lapis,
Smaragd, Carneol, besonders aber Kupfer, nach den Originalen, die diese
Stadt von S. Lucas besitzt, und die unsere Glaubensboten mit nach
Indien nehmen. Wir unterhielten uns hier lange von der Künstlerrepublik
Roms. Der Pater erzählte mir von den Annehmlichkeiten des Lebens
der Maler in Rom, mit dem in dieser Beziehung keine Stadt der Welt
verglichen werden könne. Es sei in der That, wie die Römer sagten,
die Stadt des Talents und der Ehre (la città di Virtù e d’ Honore).
[287]Kunst und Künstler.
Wie viele hätten ihre langen unsteten Wanderjahre hier für immer ab-
geschlossen. Hier entdeckten sie neue Pfade ihrer Kunst, sie genössen
Freiheit nach ihres Herzens Lust, fänden Arbeit und Gönner die Fülle.
Ausländer würden den Einheimischen nicht nachgesetzt, Neuerer fänden
keine Schwierigkeit, neben den angesehenen alten Herren aufzukommen.
Er bestätigte mir, was ich so oft von unserm Marques de la Torre
[Crescenzi] in Madrid gehört, dessen Familie vielen Künstlern die Mittel
zu ihrer Ausbildung und Beschäftigung gewährt; man rühmte mir auch
den Marchese Vicencio Giustiniani. Die Maler würden hier mit Ritter-
kreuzen geschmückt, zuweilen einer mit mehreren nacheinander (wie der
Cavalier d’Arpino), Cardinäle höben ihre Kinder aus der Taufe (z. B.
Domenichino’s), sie bauten sich Paläste. Er rieth mir indess, nicht ihre
Gesellschaft aufzusuchen. Sie würden zu sehr verwöhnt. Sie schienen
zu erwarten, dass Päbste und Cardinäle bei ihnen antichambrirten, was
auch manchmal der Fall sei; den meisten sei am wohlsten in den Ho-
sterien und manche (wie Celio) seien ungeniessbare Sonderlinge. Andere
spritzten wie Kröten bei jeder Berührung ihre satirische Galle aus gegen
alle lebenden Collegen und oft auch gegen grosse Künstler der Vorzeit;
etliche seien durch Grössenwahn oder weibische Empfindlichkeit unaus-
stehlich. Als Paul V dem Guido erlaubt hatte den Hut aufzubehalten,
prahlte er hernach, er würde es auch ohne die Erlaubniss in der Folge
gethan haben. Die Geschichte vermehrte noch meine Abneigung gegen
diesen Spieler, der sich meiner Ansicht nach von allen seiner Schule
am meisten von der gesunden Wahrheit entfernt hat, in der Farbe ge-
wiss, aber auch im übrigen.
„Ich fragte nun nach dem Padovaner [Ottavio Lioni], dessen feine
und charaktervolle Bildnisse in punktirter Manier mit der Nadel ich
bei Dir gesehen hatte; hörte aber dass er im vorigen Jahre, 52 Jahre
alt, gestorben sei. Dagegen war Antonio Tempesta noch am Leben, er ist
74 Jahre alt. Keinen grösseren giebt es jetzt dort in Jagden, Triumph-
zügen und Reiter-Schlachten. Da es Zeit war aufzubrechen, so wandten
wir uns nach dem Monte Cavallo, wo wir den grossen Cavalcadenfries
von seiner Hand in der Loggia des päbstlichen Palasts sahen. Die Rede
kam dann auf Michelangelo von Caravaggio, aber der ehrwürdige Herr
sprach von diesem uomo fantastico e bestiale (so nannte er ihn), wie
Vicencio [Carducho] in Madrid, doch schien die Abneigung noch mehr dem
Schweif zu gelten, der hier in Rom von ihm zurückgeblieben ist. Seine
besten Sachen würde ich bei dem Marchese Vicencio in der Via S. Luis
sehen, der jungen Leuten gerne Gelegenheit gebe, diese Vorbilder der na-
türlichen Malerei zu studiren; er nannte einen Mailänder Francesco Parone,
den wir dort finden würden. Einer von diesen, ein hier geborener
[288]Drittes Buch.
Venezianer Tommaso Luini, kopire den Meister auch sonst so genau,
dass man ihn „il Caravaggino“ nenne. Meistens wären es Lombarden,
wie Gio. Serodine; aber einer seiner wildesten turcimanni sei ein Römer,
Prospero Orsi. Keiner aber reiche an Monsù Valentin [† 1632], den
sogar der Cardinal Francesco (bei den Barberini scheine jetzt schon
die blosse französische Nationalität eine Empfehlung) ins Herz geschlossen
und ihm ein Gemälde für Sankt Peter verschafft habe. Das Verdienst
gebühre ihm unstreitig, dass er für die Nachwelt die Gesellschaft auf-
bewahrt habe, in der sie sich alle am wohlsten fühlten, auch der welcher
die Kuppel von Sankt Peter und die welche sonst nur visioni di angeli
malten. — Ueberhaupt, fuhr er fort, drängen sich seit einiger Zeit die
forastieri in auffallender Weise in den Vordergrund. In Neapel sehe
man die Einheimischen, sonst so eifersüchtig, im Gefolge eines kleinen
Valencianers, wol nicht bloss weil er im Palazzo Reale residirt, sondern
weil er in Kraft und Schönheit des Pinsels alle hinter sich lässt. Da
sei am Hofe des Granduca Ferdinand II Justus Sustermans, als Bild-
nissmaler ohne Nebenbuhler. Auch der andere jetzt am Hof des Katho-
lischen Königs geschätzte flamenco [Rubens] habe ja hier seinen Aus-
gang genommen; noch keiner von da oben habe sich der guten italienischen
Manier mit soviel Glück angenähert.
„Nachdem wir in einer Hosteria an Piazza Navona gespeist hatten,
die Gemälde und Münzen in den Buden betrachtet und über die Re-
den der Quacksalber gelacht, verabschiedete ich mich von meinen Be-
gleitern und kehrte in den Albergo zurück, um zu ruhen. Darauf begab
ich mich nach der Piazza S. Trinidad, wo mich der Gentilhombre des Cardi-
nals an dem Brunnen mit seinem Wagen treffen wollte. Dieser vor kurzem
enthüllte Brunnen hat die seltsame Form einer Barke und ist die letzte
Arbeit Pedro Bernini’s, der vor wenigen Monaten starb, des Vaters
jenes Lorenzo. Im Vatican angelangt, stiegen wir in den Hof S. Damaso’s
hinauf, und nachdem wir die Grotesken Raphaels betrachtet hatten, ging
Don Roque zu der Wache, die er anwies, mir jederzeit den Eintritt zu ge-
statten, wenn ich nach dem Jüngsten Gericht Michelangelo’s, oder nach
den Sachen Raphaels zeichnen wolle. Vor diesen trafen wir viele junge
Maler, die das grosse Gemälde studirten, wo die Theologie mit der
Philosophie in Einklang gesetzt wird und in der Mitte das höchste Gut
auf dem Altar steht, ebenso wie das gegenüber, wo der Urbinate den
h. Paulus vorgestellt hat, wie er zu Athen den Philosophen predigt.
Wir gingen dann noch weiter hinauf, und kamen in einen ungeheuer langen
Gang, der Corridor der Cleopatra genannt. Er wurde vor mehr als zwei-
hundert Jahren von Julius II gebaut, um die Wohnung Alexander VI mit
dem Ritiro im Garten oben auf dem Hügel zu verbinden. Dieser Gang
[289]Kunst und Künstler.
ist 300 Palmen lang und ganz kürzlich von Seiner Heiligkeit wiederher-
gestellt worden. Da die Nachmittagskühle bereits eingetreten war, so
schlug D. Roque vor, auf das Dach des gewölbten Corridors zu steigen
und auf diesem nach dem Ritiro hinaufzugehn, wo wir die wunder-
vollste Aussicht (wahrlich ein Belvedere) auf die heilige Stadt und die
Campagna geniessen würden. Nachdem wir etwa die Hälfte des Wegs
gemacht hatten, öffnete sich auch zur Linken unten der Blick in den
geheimen päbstlichen Garten der Pinie. Am Ende angelangt, stiegen
wir wieder herab und kamen heraus bei der Statue der sterbenden
Cleopatra, die am Ende des Corridors über einem Brunnen aufgestellt
ist. Von da traten wir in einen von hohen Mauern umschlossenen
viereckigen Garten, mit reizenden Blumenbeeten, zwischen denen die
Flussgötter Nil und Tiber, sowie eine kauernde Venus aufgestellt waren.
Auch in acht Nischen der Mauern sind griechische Marmore, darunter
der Laokoon. Dann besahen wir das Zimmer, in dem ich durch die
Gnade des Cardinals beherbergt werden sollte. Die Umgebung kann sich
mein Herz nicht herrlicher wünschen, aber der Ort ist doch gar zu ab-
gelegen und einsam. Das Zimmer ist ein Theil des alten Palazzetto di
Tor de’ venti, den Raphaels Freund Bramante Lazzeri gebaut hat. Wir ver-
weilten und ruhten lange in einem grossen aber etwas dunklen Saal,
(er hat nur drei Fenster) und betrachteten die mit bizarrer Erfindung ge-
malten sechszehn Historien des Federigo Zuccari, welche die Geschichte
von Moses und Pharao darstellen. Sie gaben mir von diesem Maler
einen bessern Begriff, als die schwachen Arbeiten im Escorial. Ueber
einem Gesims, das von jonischen Pilastern, zwischen denen Tapeten auf-
gehängt sind, getragen wird, erheben sich zwanzig bekleidete Termini
[Karyatiden] von weissem Stuck auf Piedestalen mit Fruchtschnüren;
zwischen diesen Figuren sind die sechzehn Gemälde. Das letzte Ge-
mälde, die Erwürgung der Erstgeburt, ist von Barocci und unvoll-
endet. Diese Gemälde hat der Cardinal Emulio für Pius IV ausführen
lassen 1). Da mir der Saal gefiel und auch der Gedanke an die von
Seiner Majestät unternommenen neuen Einrichtungen im Alcazar nahe
lag, so liess mir D. Roque die Schlüssel zu dieser päpstlichen Woh-
nung zurück. In der Nähe ist eine alte Kapelle, die Innocenz VIII im
Jahre 1490 Johannes dem Täufer weihte; über der Thür ist er dar-
19
[290]Drittes Buch.
gestellt knieend vor der h. Jungfrau, die von vielen Heiligen umgeben
ist. Alle Wände und auch die Gewölbe sind von Meister Andrea aus
Mantua [Mantegna] in Fresko ausgemalt. Man sieht da einen prächtigen
Garten, in dem viele Höflinge beschäftigt sind die königliche Tafel
(des Herodes) anzurichten und mit Laubgewinden und Blumen zu be-
kränzen, in der Mitte ist ein prachtvoller Credenztisch mit goldenen
Schüsseln. Damit beschloss ich mein heutiges Tagewerk; wir gingen
hinaus durch den boscareccio.“ —
Ueber den weitern Verlauf von Velazquez’ römischem Leben
lassen wir seinen Schwiegervater reden 1). „Als er den Palast und
die Vigna der Medici auf Trinità de’ monti gesehn, fand er, dass
hier der beste Platz sei für Studium und Sommeraufenthalt.
Denn es ist der höchste und luftigste Ort, und sehr vorzügliche
Statuen zum kopiren giebt es auch. Und so ersuchte er den
Grafen Monterey, er möge doch bei dem Herzog von Florenz zu
erreichen suchen, dass ihm dort zu wohnen gestattet werde.
Zwar war es nothwendig, an den Herzog selbst zu schreiben,
dieser aber erlaubte es. Zwei Monate wohnte er dort, bis ihn
ein Tercianfieber zwang hinunterzuziehen in die Nähe der Woh-
nung des Grafen. Dieser nahm sich seiner während der Tage
der Krankheit sehr an, sandte ihm seinen Arzt und Arzneien auf
eigene Rechnung, und befahl dass ihm alles nach seinem Wunsche
in seinem Hause hergerichtet werde, ausser vielen Geschenken
von Delicatessen und öftern Andenken (recuerdos).“ —
Nicht weit von dem hispanischen pintor de cámara, auf dem
Monte Pincio, wohnte ein andrer fremder Maler, premier peintre
du Roy. Ob Nicolaus Poussin und Diego Velazquez, wie Stir-
ling ausmalt, einander nahegekommen sind? Oertlich, wol mög-
lich. Jene Studien römischer Villen und Ruinen versetzen uns
an Punkte, wo von jeher Fremde aller Nationen und Schulen
sich befreundet haben. Velazquez hat zwar nie heroische Land-
schaften komponirt, aber über den weiten, einsamen, menschen-
leeren, tiefblauen Gebirgsthälern, von den schroffen und kah-
len Höhenzügen seiner Sierren herab weht ein ähnlicher nur
wilderer Geist, wie in Poussins römischen Landschaften, obwol
an diesen die ordnende Kunst ungleich mehr Antheil hat.
Allein es ist nicht wahrscheinlich, dass sie sich gekannt
haben. Beide suchten die Kollegenschaft nicht auf. Die grossen
Männer wandeln eben auf dieser Erde noch nicht Arm in Arm
[291]Die zwölf Gemälde.
wie in Elysiums Alleen. Diese romanischen „Brudernationen“
trennte dazumal nicht bloss der Krieg und der Wettkampf ihrer
Eifersucht: mehr noch das Selbstgefühl und die Selbstgenüg-
samkeit ihrer Kultur.
Beider Sehnsucht richtete sich nach Rom, und beiden wurde
sie erfüllt im dreissigsten Jahre; dem einen nach hartem Kampf.
Auch der Franzose ward, nur ohne sein Zuthun, ja mit Wider-
streben an den Hof gezogen, und gewann die Gunst des Cardinal-
ministers und des Königs, der ihm einmal sagte, sein Abendmahl
sei ihm so lieb wie seine Kinder. Aber er sehnte sich in seiner
Tuilerienwohnung nach Rom, und die Rückkehr erleichterte der
Tod seiner Gönner. Velazquez führte wol eher Wissbegier als
Werdelust nach Italien und er studirte die Antike und Michel-
angelo mehr wie ein vornehmer Liebhaber. Während selten ein
Künstler so unberührt von römischen Einflüssen von dannen gezo-
gen ist, so giebt es keinen Maler, der so wie Poussin seine ganze
Kunst aus den Trümmern der Alten, den Poeten, der römischen
Landschaft sich neu erschaffen. Jener seine Weise fertig mit-
bringend, am spanischen Platz und in der Villa Medici malend,
ganz wie im Cuarto bajo des Alcazar; dieser die Malerei vom Fun-
dament aus sich neu construirend; losgelöst von Vaterland, Amt,
Nationalität, Ueberlieferung, seinem Ideal nachgehend, einer ma-
niera magnifica, zu der auch die Grösse des Gegenstandes: Hel-
dengeschichten, Schlachten, göttliche Dinge gehören; erste Regel,
die Minutien zu vermeiden; die Farbe nur Schmeichelei zur
Ueberredung der Augen 1). So kehrt jener bald zurück an den
förmlichsten Hof der Welt, um fortzufahren zu arbeiten als
Hofbeamter, — dieser blieb, zu schaffen frei wie ein Dichter. Den
Idealisten, der Malerei und Plastik für eine einzige Kunst er-
klärte, hätte W. Bürger (S. 4) als Antipoden des Velazquez
nennen können: le peintre le plus sculpteur qui fut jamais.
Die zwölf Gemälde.
Hier begegnet uns eine Nachricht, die, wenn sie sich als
glaubwürdig erwiese, unseren Vorstellungen von dem Verhältniss
des Velazquez zu Roms Künstlerwelt mehr Bestimmtheit geben
[292]Drittes Buch.
würde. Cean Bermudez (Diccion. V, 170 f.) hat die fragliche
Notiz zuerst in seine Biographie aufgenommen, wenn auch
zweifelnd. Der Maler hätte zwölf Künstlern, den besten die es
in Italien gab, ebensoviele Gemälde in Auftrag gegeben für seinen
König, und sie auch nach Spanien mitgenommen. Die Nachricht
stammt aus einem Buche des Francisco Preciado 1), der am
Ende des vorigen Jahrhunderts Direktor der spanischen Aka-
demie in Rom war, dieser aber hat sie aus Sandrart’s Teutscher
Akademie 2). Der Frankfurter Maler sagt von einer Mitwirkung
des Velazquez bei dem Auftrag nichts; hat Preciado diese bloss
angenommen, weil sie zu dem ihm, aber viel später ertheilten
Auftrag, in Italien Gemälde für Philipp IV anzukaufen, passte?
Deshalb verlegt er die Geschichte in die Zeit der zweiten Reise;
schon Cean hat aber bemerkt, dass damals (1649) mehrere jener
Maler nicht mehr am Leben waren (Valentin † 1634, Cav. d’Arpino
† 1640, Domenichino † 1641, Guido † 1642, Lanfranco † 1647).
Auch hatte damals Sandrart bereits Italien verlassen. Sie könnte
also nur in diese erste Reise fallen.
Unserem Sandrart war das Unternehmen so lebhaft im Ge-
dächtniss geblieben, weil es der Glanzpunkt seiner Wanderjahre
gewesen war. Er hatte sich rasch bei den Malern Roms einge-
führt, indem er zu der üblichen Willkommsmahlzeit alle vor-
nehmen Künstler, vierzig an der Zahl, persönlich einlud und
sich mit Franzosen und Italienern, Deutschen und Niederländern
in ihren Sprachen unterhielt. Er wurde bald darauf, obwol
ein ganz junger Anfänger, nachdem er sich durch zwei Gemälde
bekannt gemacht, „unter diejenigen berühmtesten Künstler in
Italien gezählt, welche die zwölf Stücke für den König in His-
panien, von gleicher Grösse, nach dem Leben, verfertigen soll-
ten. Da er dann sein Werk so glücklich zu Ende gebracht,
dass es für eins der besten von Cardinälen, Herzogen, Fürsten
und Liebhabern in Rom geschätzt wurde, als man sie, am Festtag
U. L. F. von Constantinopel, während der Procession ausstellte“.
Er giebt auch die Gegenstände an, ausgenommen bei dreien,
die nicht fertig geworden waren und bei der Procession fehlten:
[293]Die zwölf Gemälde.
des Cav. Joseph von Arpino, des Massimo Stanzioni und des
Orazio Gentileschi. Es waren folgende, die er auch lobend be-
schreibt:
- Guido, Paris die Helena ans Ufer begleitend.
- Guercino, Dido auf dem Scheiterhaufen.
- Pietro da Cortona, Raub der Sabinerinnen; „für das köstlichste
Werk dieses Meisters erkannt“. - „Valentin von Colombi“, die fünf Sinne, in einem Zimmer bei
der Tafel, in Form einer freundlichen Conversation. - Sacchi, „die göttliche Fürsichtigkeit auf einem majestätischen
Stuhl, zwischen vielem umstehenden himmlischen Frauenzim-
mer göttlicher Tugenden gesessen“. - Lanfranco, Diana, Calisto und Actäon.
- Domenichino, Diana, „allen vorigen wo nicht vorzuziehen, doch zur
Wette entgegenzusetzen“. - Poussin, die Pest.
- Sandrart, Seneca’s Tod, bei Fackelbeleuchtung.
Ist nun jene Vermuthung einer Mitwirkung des Velazquez
wahrscheinlich zu machen? — Von Seiten der Zeit lässt sich nichts
einwenden. Alle waren um 1630 am Leben, von kaum einem
lässt sich das Alibi beweisen. Zwei Gemälde sind auch nach
anderweitigen Angaben grade damals entstanden: Poussins Pest
1630, Guercino’s Dido 1631. Die Gegenstände mythologischer
Natur stimmen zu dem Geschmack Philipp IV, der aus andern
Aufträgen dieser Art bekannt ist.
Befremdlich ist freilich, dass kein einziges von den zwölf
Gemälden an seinen Bestimmungsort gelangt ist, denn in den
königlichen Inventaren ist keines erwähnt, wol aber sind von
den meisten (vielleicht von allen) die ersten Käufer und Besitzer
bis auf den heutigen Tag nachzuweisen. Sie sind meist in Rom
geblieben. Der Raub der Helena von Guido und die Dido von
Guercino sind noch heute im Palast Spada. Letztere soll für die
Königin Anna von Frankreich bestimmt gewesen sein, und war
in Bologna drei Tage ausgestellt 1). Der Raub der Sabinerinnen
vom Cav. d’Arpino kam aus dem Palast Sacchetti in die Kapitols-
galerie. Die Pest Poussin’s wurde nach Félibien 2) für sechzig
Scudi einem Bildhauer Mattheo verkauft, später erwarb sie der
[294]Drittes Buch.
Herzog von Richelieu; Sandrart selbst bemerkt, dass sie „nach-
gehends zu Rom für tausend Cronen geschätzt, angenommen
und bezahlt worden“. Ist mit der Diana Domenichino’s das be-
rühmte Bild im Palast Borghese gemeint, das für den Cardinal
Borghese gemalt war, von dem also eine Wiederholung verlangt
worden wäre? Letzteres müsste auch von Sacchi’s Bild ange-
nommen werden, denn die Beschreibung passt auf das Decken-
fresko der Divina Sapienza im Palast Barberini. Die fünf Sinne
Valentins kamen aus der Angerstein-Sammlung in die Galerie
von Bridgewater House. Den Seneca Sandrarts erhielt sein
Gönner Giustiniani, und mit dessen Galerie das Berliner Museum
diess Jugendbild eines deutschen Malers aus der traurigsten
Zeit unsers Vaterlandes (N. 445). Neuerdings ist es an das Museum
zu Erfurt abgegeben worden, doch darf sich der brave Frank-
furter damit trösten, dass sein patriotischer Name mit grossen
Goldbuchstaben in den Fries der Nationalgalerie gesetzt wurde.
In einer Bildnissfigur der städtischen Galerie zu Frankfurt von
1636, die in der frühern Art des Velazquez gestellt ist, sieht man
eine Büste des Seneca.
Die neun Gemälde müssten also zwar vollendet, aber nicht
abgesandt worden sein, wahrscheinlich weil das Honorar aus-
blieb. Monterey, ein grosser Gemäldefreund, hat kurz darauf
als Vicekönig auch die besten Künstler Neapels mit solchen
Aufträgen bedacht. Er war aber ein schlechter Haushalter, man
sagte, er lebe glänzender als sein König; er hatte sich in Rom
dergestalt in Schulden gestürzt, dass sein Verbleib dort unhalt-
bar geworden war 1). Die Absendung der Gemälde wird also
hieran gescheitert sein, und sie wurden, wie man bei Poussin
sieht, von den geldbedürftigen Künstlern zum Theil zu Schleu-
derpreisen anderweitig abgegeben. Von Sandrart hat Monterey
jedoch zwei andere Gemälde im Auftrag des Cardinal Barberini
nach Madrid befördert, einen hl. Hieronymus und eine Magdalena
in der Wüste.
Die Möglichkeit lässt sich wohl nicht bestreiten, dass der Ge-
sandte sich des Rathes des Velazquez bei der Auswahl der
Maler und seiner Hülfe bei den Unterhandlungen mit ihnen
[295]Selbstbildniss.
bedient hat. Sein Schwiegervater Pacheco hat freilich kein Wort
davon; aber Velazquez mag von einer Sache, die ein so schmach-
volles Ende genommen, nicht gerne gesprochen haben.
Selbstbildniss.
Von einem Selbstporträt, welches Velazquez nach dem Be-
richt seines Schwiegervaters in Rom gemalt hat, schien ausser
eben dieser Nachricht keine Spur vorhanden zu sein.
Pacheco erwähnt es zweimal in dem Leben seines Schwie-
gersohns (I, 8): „Neben den anderen Studien machte er in Rom
ein herrliches Selbstbildniss, welches ich besitze, mit Bewunderung
der Kenner und zur Ehre der Kunst“. Und dann im dritten
Buch (Cap. 8): „Ich übergehe mehr als hundertfünfzig meiner
Bildnisse in Farben, um auf das meines Schwiegersohns hinzu-
weisen, gearbeitet in Rom und gemalt in der Manier des grossen
Tizian, und (wenn es gestattet ist so zu sprechen) nicht geringer
als dessen Köpfe.“
Das Gemälde ist früh verschollen, und auch von einer Kopie
ist nie etwas gehört worden. Alle sonstigen Bildnisse zeigen
ihn in vorgerücktem Alter. Hier wäre nun der Platz, der Frage
nahe zu treten, ob das von Otto Mündler als Velazquez er-
kannte Bildniss der Kapitolsgalerie nicht doch dieses verloren
geglaubte Porträt sei. Müssige Zweifel haben ja so wenig Werth
wie müssige Behauptungen. Schon der Entdecker nannte es
„ein Werk seiner jungen Jahre“. Obwol es (nach J. Burckhardt)
„modellirt ist wie mit einem Hauch“: so lassen doch die breiten,
dunklen Schatten an der verkürzten Seite des Gesichts nur an
diese Zeit denken. Ein so einfaches Brustbild, in weitem Talar
oder Hausrock, an dem nur der Kopf ausgeführt ist, würde Pa-
checo wol nicht famoso genannt haben; aber es kann die Ori-
ginalaufnahme sein, nach der jenes Geschenk gearbeitet wurde.
Da Stil und Zeit passen, die Wahrscheinlichkeit für seine
Entstehung in Rom spricht, so hängt die Entscheidung von der
Aehnlichkeit ab. Das einzige unzweifelhafte Selbstbildniss ist
das in den Meninas. Hier sieht der Maler freilich etwas anders
aus. Aber es liegen fast dreissig Jahre dazwischen; und in den
unveränderlichen Theilen ist nichts zu entdecken was die Selbig-
keit ausschlösse. Die Formen sind nur stärker ausgearbeitet, die
feinen Züge des jungen Mannes, vielleicht des Reconvalescenten
[296]Drittes Buch.
(die glänzenden Augen!) sind voller geworden. Der Kopf er-
scheint verändert durch den Schnitt der Haare. Diese, später
dichter und in kegelförmigem, schlichtem Fall die Schläfen be-
deckend, sind nach der Mode der dreissiger Jahre sorgfältig ge-
kräuselt, in sanfter Wellenlinie, nach links tiefer, über die Stirn
gestrichen, dann (durch den Hut) glatt angedrückt, ums Ohr in
künstlichem Gelock ausgebreitet. Dagegen stimmen Stirn, Nase
und Unterlippe überein.
Was das Bildniss von den übrigen des Meisters und von
Selbstbildnissen überhaupt unterscheidet, ist die Bewegung der
Augen, die statt des üblichen Seitenblicks grad aus sehen, wie in
einen Spiegel. Dieser Blick sowie die leise Neigung des Kopfs
auf die linke Schulter und nach vorwärts findet sich auch in jenem
Selbstbildniss der Meninas. Aus dem etwas träumerischen Blick
spricht ein offener, einfacher, bescheidener Charakter.
Das Brustbild steht auf hellgelbem Grunde, gemalt fast nur
mit Schwarz, Weiss und etwas Carmin. Aber die Haltung ist
jetzt durch den braungewordenen Firniss, besonders an den
schattigen Theilen stark verändert worden.
Ist unsre Vermuthung richtig, so wäre es eine eigene fast
einzige Gunst des Zufalls, die seinem Bildniss auf dem römischen
Kapitol einen Platz gegeben hat. Als er vor dem Titusbogen
sass, hat er das schwerlich geahnt.
In der Villa Medici.
Die Villa Medici baute an der Stelle der lucullischen Gärten
im Jahre 1560 Annibale Lippi für den Cardinal Gio. Ricci von
Montepulciano; nach dessen Ableben wurde sie vom Cardinal
Ferdinand von Medici erworben und mit der weltberühmten
Statuensammlung bereichert. Sie besass im Jahre 1629 noch
alle ihre Antiken, von welchen erst 1677 die Venus, der Schleifer
und die Ringergruppe nach der Tribuna der Uffizien gewandert
sind. Nur die in der dem Garten zugewandten Façade im an-
tiquarischen Geschmack des 16. Jahrhunderts eingelassenen
Sarcophagreliefs und Büsten sind von dem alten Vorrath ge-
blieben. Der Mercur des Gian Bologna stand auf einem Brun-
nen; die fünfzehn Statuen der Niobegruppe, im Jahre 1583 ent-
deckt, am Ende der grossen Allee gegen Norden in einer
von vier Pfeilern getragenen Halle von zwanzig Fuss Durch-
messer, kreisförmig gruppirt um ein aufspringendes Ross. Seine
[297]In der Villa Medici.
Heiligkeit selbst hatte diess Werk in eleganten Distichen ge-
priesen 1).
Diese römischen Vignen haben nicht am wenigsten dazu
beigetragen, die in Rom zusammenströmenden Künstler auf die
Landschaftsmalerei zu lenken, besonders die im Anfang des Jahr-
hunderts angelegte Villa Borghese. Evelyn nennt sie an elysium
of delight. Nichts glich einem ersten, nach langer Land- oder
Seefahrt, auf dieser Höhe der Villa Medici erlebten sonnigen
Morgen, wenn das Auge
über dem Häusermeer
Roms schweifte, die Luft
erzitternd von den Gloc-
ken, ringsum Blumenduft,
tiefdunkle Laubwände,
Bienensummen. Es war
als könne es nie wieder
Nacht werden, als sei der
ewige Sabbath schon an-
gebrochen.
Auch Velazquez hat
zwei Punkte seiner Villa
als Gegenstücke aufge-
nommen 2). Diese Skizzen
versetzen uns in die ersten
glücklichen Tage, die er
fern von Kriegstoben und
Hofdienst, in unbehellig-
Villa Medici.
tem Genuss dieses herrlichen Stückchens Erde verlebte. Ihr
unvollendeter Zustand erinnert an die Kürze dieser Tage:
latet anguis in herba. Sie sind mit spitzem Pinsel und scharf
aneinandergesetzten Tinten hingeworfen; ausgeführt könnten sie
entzückend sein; jetzt hat die Phantasie nachzuhelfen. Sie sind
die einzigen Stücke dieser Classe, welche ganz seine Hand zei-
gen; allen andern, ähnlichen fehlt die Klarheit und die Unver-
änderlichkeit der Farbe.
An dem einen dieser Punkte begegnete er einer Be-
kannten aus dem Belvedere: der Cleopatra-Ariadne. Sie
[298]Drittes Buch.
schien ihn beruhigen zu wollen, dass er jenen unvergleichlichen
Ort verlassen. Die Statue war in einer kleinen marmornen Loggia,
unter hohem Bogen; durch die Seitenöffnungen mit Brüstungen
genoss man einen Blick auf die Cypressen (verdes obeliscos1)
der borghesischen Gärten. Die Loggia war wie ausgedacht
als Rahmen dafür. Durchs Epheulaub dringt das grelle Licht
der getünchten Wand; es klingt wieder in den weissschimmern-
den Gebäuden der Villa gegenüber.
An dieser Vedute freut sich ein Cavalier in dunklem Hut
und Mantel. Im Vordergrund steht ein grosser, nachlässig an-
gezogener Mann mit Halskrause, langem Mantel und weissem
Kopftuch, zu einem Arbeiter in Hemdsärmeln gewandt, der sich
verbeugend mit grossen Schritten herankommt. Vielleicht stellt
er ihn zu Rede, was der Hund von forastiere da mache. — Die
Statue der Ariadne befindet sich jetzt sehr restaurirt im Palast
Pitti, in dem grossen Saal des Giovanni di S. Giovanni. Eine
dritte Wiederholung kam später nach Madrid und ist im Erdge-
schoss des Prado aufgestellt.
Das Motiv des zweiten Bildchens ist der Contrast einer
weissgetünchten Halle, bekrönt von einer Marmor-Balustrade,
mit den tiefdunklen Steineichenmassen darüber, durch welche in
schmalen Spalten das weissglühende Licht des Himmels bricht.
Die dreifache Oeffnung der Wand mit dem auf jonischen Säulen
ruhenden Bogen in der Mitte, ganz ähnlich jener Loggia, ist mit
einem elenden Bretterverschlag vernagelt; rechts in der Nische
eine Statue. Es ist die Halle vor der Terrasse des Belvedere,
wo jetzt die Copien der Niobiden stehen, vom Parterre aus
gesehn.[3)] Steht man vor dieser Wand, unter den grossen Pinien,
so schneidet der Palast den Anblick und das Geräusch der
Stadt völlig ab. Andre hätten einen solchen Punkt von den unwür-
digen Zuthaten und dem gemeinen Volk gesäubert, mit feiner Ge-
sellschaft, bunt wie die Blumenparterres staffirt. Der Spanier
giebt uns die freilich auch mit zum genius loci gehörende Ver-
nachlässigung und Verbauerung, der diese fürstlichen Anlagen
dort im zweiten Geschlecht zu verfallen pflegten. Auf der [299]In der Villa Medici.
Balustrade oben, wo sonst Römerinnen sich fächelten, hängt
eine knoblauchduftende, schwarzäugige ragazza ihre schadhafte
Wäsche zum trocknen auf (wo hängt sie nicht?) und bemüht
sich die Herzenserleichterungen zweier Lümmel zu verstehn, dort
unten an den Buxhecken, die eigentlich bestimmt waren, von den
seidenen Talaren einherschwebender Monsignori und geheimer
Kämmerer gestreift zu werden. Eine Herme hinter dem Bux hat
sich als zweiter Horcher hinzugesellt. —
Auf beiden Bildchen kommen Statuen vor, auch ihretwegen
hatte Velazquez sich die Wohnung gewünscht. Ihr Zauber
beruht ganz auf diesem Ensemble. Ein halbverwilderter Garten,
ein weissschimmerndes Stück Architektur, das schon auf dem
Weg ist den Naturmächten zu verfallen, etwas Menschengewürm
und einige Marmorfiguren, halb antik, halb modern italienisch durch
ihre dreist und unwissend angeklebten Ergänzungen. Da stan-
den sie auf den von den Jahrtausenden zugeschütteten Ruinen-
feldern, über dem Boden, wo sie geschaffen, bewundert, ange-
gebetet worden waren, der sie begraben hatte, und dem sie
wieder entstiegen waren, gefärbt vom Goldton des Gewesenen,
umklungen von den elegischen Harmonien des Verfalls, jener Mi-
schung immer jungen Lebens der Natur und eines Todes, über
dem noch ein Hauch ewiger Jugend schwebt. Werden die
Statuen in die sicheren Säle gerettet und die Ruinen abgeräumt,
so ist der Zauber dahin, und man versteht nicht mehr, wie diese
Steine Mignon mitleidig ansehen konnten. —
Ein drittes Andenken dieser ersten römischen Monate ist
die Ansicht des Titusbogens. Die Ausführung dürfte weder am
Ort gemacht noch ganz vom Meister sein; unter dem Himmel
Roms würde sie schwerlich einen so trüben Ton bekommen
haben, der sich aber in Landschaften seines Schülers Mazo findet.
Von diesem Denkmal sah man damals nur noch das Thor
nebst den zwei Kompositsäulen und dem Fries mit der Inschrift-
tafel, eingeschlossen von den Mauerresten der mittelalterlichen
Burg, zu der die Frangipani diess Trümmerfeld umgebaut hatten;
in jenen Zeiten diente er als Thorburg. Bekanntlich ist der Bo-
gen erst seit 1822 wieder frei gemacht und die zerstörten Seiten
von Travertin wiederhergestellt worden. Der Maler hat seinen
Stand genommen an der Seite nach dem Kolosseum zu, in der Axe
der hier durchgehenden Via Sacra. Links ganz vorn sieht man
noch die Ecke der längst abgebrochenen Turris cartularia. Rechts
eine mittelalterliche Mauer in der Flucht des Klosters S. Fran-
[300]Drittes Buch.
cesca Romana, das ihn mit der im Jahre 1615 von Lombardo
erbauten Façade der Kirche verband. An der andern Seite, wo
nur ein schmaler Mauerfetzen, wie ein Strebepfeiler, stehen ge-
blieben war, sieht man durch nach der östlichen Umfassungsmauer
der Farnesischen Gärten. Die darüber hervorragenden dichtge-
drängten Massen von Pappeln, Lorbeern, Cypressen, erweckten in
dieser staubigen Wüste eine wohlthuende Vorstellung von Park-
frische, stiller Abgeschlossenheit, Wasser und vergangenen gros-
sen Tagen. Im Vordergrund erhebt sich links eine schlanke, bis
auf die hohe dünne Krone abgeästete aber von Epheu umrankte
Birke, welche in die helle Fläche zwischen Denkmal und Mauer
hineingepasst ist. Gegenüber rechts in der Ecke sitzt auf ge-
waltigem Marmorblock ein Bursch mit Schlapphut, der seinen
paar Schaafen und Ziegen auf der Schalmei vorbläst.
Es ist ein schmales dunkles Stück Vordergrund mit vorge-
legter Querwand, durch die nur das Thor des Bogens einen Blick
in Ferne und Licht eröffnet. Darin sieht man links, stark verkürzt,
die Nordseite der Orti Farnesiani mit dem Fronton des Vig-
nola; dann zwei von den drei Säulen des Castortempels, zuletzt
die weiss schimmernden Häuser des Aufgangs zum Kapitol
(Via di Campidoglio) und die Ecke des Tabulariums 1).
Vor dem Bogen stehen zwei Cavaliere, die jene wunder-
sam lebendigen und authentischen Reliefs einer der grössten Ka-
tastrophen der Weltgeschichte betrachten. Dieser Ideenverbin-
dung verdanken wir wahrscheinlich auch die Skizze.
Es ist ein Stück des alten Campo Vaccino, das nun längst
verschwunden ist. Diess grösste Trümmer- und Erinnerungsfeld
Italiens war bis in unser Jahrhundert zugleich ein unvergleich-
liches Landschaftsbild: der Kreislauf der Zeiten hatte die uralte
Hirtenscenerie der Anfänge des Bauernstaats zurückgebracht.
Tausende haben hier über das Tasso’sche Thema Cadono le città
geträumt, von Vorzeit, Gesetzen der Geschichte, Landschafts-
malerei und Menschenloos. Der Ameiseneifer der neuesten For-
schung hat inzwischen die blanken Knochen oder Knochensplitter
dieses Kadavers blossgelegt und mit Taufscheinen versehen;
leider auch auf die Lebenden neuen Brodem tödtlicher Fieberluft
entfesselt. Et plurima mortis imago.
[301]Die Schmiede Vulcans.
Die Schmiede Vulcans.
Während dieser römischen Monate hat Velazquez sein Amt
als Kammermaler Philipp IV nicht vergessen. Zwei grosse Hi-
storien hat er ihm mitgebracht, die Schmiede Vulcans und den
bunten Rock Josephs. Es scheinen Pendants: der entlarvte und
der gelungene Betrug; auch sind sie grösstentheils mit Be-
nutzung derselben Modelle gemalt. Nicht ohne Spannung wird
man diesen Werken gegenübertreten: der Einfluss Italiens
und Roms muss sich hier zeigen. Seit drei Jahrhunderten
kommt in allen Leben grosser Maler eine Phrase vor, die
Altmeister Vasari aufbrachte: den Einen hat zur Vollkommen-
heit nur gefehlt, dass sie Rom, Raphael und die Antike ge-
sehen; die Andern sind zur Vollkommenheit erst durchgedrun-
gen, als sie Rom, Raphael und die Antike sahen. Die jedem
Germanen und Gallier anhaftende ästhetische Erbsünde könne
nur auf dieser Pilgerfahrt abgewaschen werden.
In dem ersten und Hauptbild haben wir nun wirklich eine
homerische Göttergeschichte, ja der distinguirteste der Götter
ist wo nicht die Hauptperson, doch Wortführer. Es ist ein lor-
beerbekränzter, von weiter Strahlenglorie umflossener Apollo, das
beschattete, verlorene Profil auf dem hellen Lichtschein sich ab-
zeichnend, in wallendem goldigem Mantel. So tritt er in die
Werkstatt und offenbart dem hinkenden Feuerbeherrscher mit
geheimnissvoll geschäftiger Geberde das von seinem allsehenden
Auge ausgespähte Familienunglück. Beide Hände, die erhobene
und die gesenkte, weisen mit dem Zeigefinger nach verschiedenen
Richtungen: „Hier kam Er, dort Sie her“. Eine vorherige An-
meldung hat nicht stattgefunden, auch ist er sofort ïn medias res
getreten, denn Hephästos steht noch da mit der Zange in der
Linken und dem Hammer in der rechten Hand, nur den Kopf
hat er ihm zugewandt, um die Kunde mit starr aufgerissenen
Augen zu verschlingen. So eifrig eilig sogar hat es der Gott
des Tags gehabt, dass er indiscret seine Neuigkeit in Hörweite
der vier Schmiedeknechte, selbst des hinten am Blasebalg be-
schäftigten ausschüttet. Denn auch diese sind mitten in der dröh-
nenden Arbeit plötzlich bewegungslos erstarrt, ihre acht Augen
konvergiren nach dem goldgelockten Erzähler, mit dem Familien-
interesse des Gesellen an den Thaten der Frau Meisterin. „Ein
Strahl in fünffachem Reflex!“ könnte man mit dem Cicerone
[302]Drittes Buch.
sagen. Es ist also der „kritische Wendepunkt“ zwischen zwei
Bewegungen; denn bevor eine Minute vergeht, wird es Car-
ramba! hervordonnern, und der Hammer auf den Amboss nieder-
schlagen — in Ermangelung des Kopfes des abwesenden Haus-
freundes. Denn eine so griechische Rache, wie die welche der
homerische Hephästos sich gönnte, wird man diesem mageren
Eckkopf mit den harten Backenknochen und schwarzen Glotz-
augen schwerlich zutrauen.
Der Gegenstand ist uns nirgends sonst vorgekommen. Wie
er darauf verfiel? Philipp, den sein Bacchus so entzückt hatte, wird
mit König Theseus im Sommernachtstraum gesagt haben: „Noch
’mal brüllen!“ und da Velazquez keinen Bacchus mehr hatte, so
dachte er an einen seiner göttlichen Vettern. Das Schema der
Composition ist dasselbe, ein offener Halbkreis von Figuren rechts,
eine Hauptperson davortretend. In dem dargestellten Affekt lag
ein noch feineres komisches Motiv. Auch erwartete man von
einem Romfahrer Studien des Nackten in mannichfaltiger Bewe-
gung. Dafür hatte man längst zu der Cyklopenschmiede gegriffen:
Tizians Gemälde in Brescia, welches im Stich Cornelius Corts erhal-
ten ist, das Caravaggio’s im Cabinet De Reynst, von Jeremias
Falck gestochen, waren ihm wohl bekannt. Vielleicht hat er
die Skizze schon aus Madrid mitgebracht.
Als Maler lag ihm das besonders Anziehende dieses
Stoffes selbstverständlich in den Ansichten des Nackten. Die
Sorgfalt der Arbeit verräth unverkennbar, dass es seine
Absicht war, sich hier, in der Freiheit und Musse Roms, unter
dem Eindruck der Kapelle Michelangelo’s, einmal völliges Ge-
nüge zu thun in Darstellung des menschlichen Körpers. Später
fand er wohl kaum wieder die Musse zu einer solchen Arbeit.
Seine Modelle sind gemeine, kräftige Kerle, ähnlich in Grösse,
Verhältnissen und Körperfülle, verschieden in Alter, Stellungen
und Ansichten, mit feiner Abwechslung in Ton der Haut und Be-
leuchtung. Apollo hat die gewähltesten und jugendlichsten For-
men, Vulcan die eines hageren Alten. Der vom Rücken gesehene
Cyclop ist augenscheinlich auf gut Glück aufgerafft; hier sind die
Beine nicht gut gestellt, der Schwerpunkt im rechten zu weit
nach links geschoben. Es ist ein Bild ganz nach des Künstlers
Herzen, ein Bild wie es sich der Maler wünscht, wenn er einmal
frei athmen und die Kunst um der Kunst willen ausüben will.
Sein und Schein, die Kenntniss der Muskulatur und die Wahr-
heit der äusseren Schale, sind in gleicher Weise berücksichtigt;
[303]Die Schmiede Vulcans.
hier ist die Linie der Naturwahrheit zwischen gelehrt plastischer
oder anatomischer Härte eines Michelangelo und malerisch wei-
cher Unbestimmtheit bei den Venezianern. Die zartverschmolzene,
fleissige Durchführung, wo nirgends die Arbeit des Pinsels sicht-
bar bleibt, sollten die sich ansehn, die sich Velazquez als einen
Bravourmaler vorstellen.
Neu dabei und ihm offenbar in Italien aufgegangen ist die
Lossagung von dem Helldunkel der Naturalisten. Die tiefen, scharf
abgesetzten Schatten sind fort. Und doch war ja diese Scene
wie ausersehen zu einem caravaggesken Prachtstück: Höhle,
Kohlenfeuer, rothglühendes Eisen, Strahlenkranz. Die Tendenz
in möglichst vollem Licht zu modelliren, tritt also hier bei einem
wenig Handhabe bietenden Gegenstand auf, aber mit vollem Erfolg:
der Gestaltenkreis hebt sich vor der hellgrauen Wand mit frap-
panter Deutlichkeit ab und geht in die Tiefe auseinander. Zu
jenem Zweck hat er mehrere Lichtquellen angenommen. Das
direkte Hauptlicht fällt, wie die Schlagschatten beweisen, von
vorn links, wahrscheinlich durch eine offene Thür. Das breite
Fenster gegenüber hat Nordlicht, wie das tiefe, jetzt fast nächt-
liche Blau anzudeuten scheint. Endlich der Nimbus Apollo’s.
Die hellste Partie im Ganzen ist der erhobene Arm des Gottes.
Die gegenüberstehenden Gesellen und Vulcan erhalten mehr oder
weniger von diesem direkten Licht. Dasselbe ist stark genug,
um der Höhle bis in die letzten Winkel Reflexlicht zu geben und
auch die Schattenseiten der Männer demgemäss mehr oder minder
aufzuhellen. Bei dem Chef ist das Helldunkel gedämpft, damit das
stechende, zornfunkelnde Auge aus der Dämmerung hervordringe.
Jede Figur hat ihre eigene Note in Licht und Schatten.
Apollo in der Schmiede des Vulcan, der Gott des Lichts
in der Höhle des Schmieds: ist das nicht das Sinnbild des Sieges
des Tageslichts über das künstliche Atelier- und Kellerlicht,
über die braunen und schwarzen Nachtgespenster der tenebrosi
und der Bologneser Akademiker? 1).
Das Feuer war unter sehr ungünstigen Umständen zu ma-
len; und wie hat der Maler diese Aufgabe gelöst! Das rothglü-
hende Ende ist mit dem Spatel aufgestrichen, die Lohe zwischen
die Schattentheile zweier Figuren gestellt und der schwarze
Hammer mitten davor gesetzt. Die Lichter auf dem Stahl, den
[304]Drittes Buch.
Gelenkknochen und Muskelschwellungen, dem orange Mantel
haben reliefartigen Farbenkörper, die Halbtöne sind dünn aufge-
tragen, in den Schatten ist eine durchsichtige, braune Unter-
tuschung benutzt. Das Eisengeräth: Werkzeuge und in Arbeit
begriffene Waffenstücke, heben kontrastirend Ton und Weichheit
des Nackten. Die Kleidungsstücke sind über das fast fertige
Nackte gemalt, dessen Pinselstriche darunter erkennbar sind.
Zu Modellen hat er offenbar keine Italiener, sondern, nach
den Gesichtern, Spanier gehabt — wahrscheinlich aus dem Haus-
halt des Gesandten — auch die Frisur mit den an den Schläfen
herüberhängenden, gekräuselten Löckchen ist spanisch. Die Ge-
sichter sind zum Theil hässlich genug, aber die Körper haben
etwas von dem nervigen, elastischen Bau des torero. Athletische
Kraft erscheint bei diesen Leuten oft in dünneren, ja geschmeidige-
ren Formen als Durchschnittsstärke bei nordischen Racen; sie
ist hier mit einer Oekonomie in der Masse bestritten, die von der
Knochen- und Fleischexpansion gefeierter Stilmaler auffallend
abweicht, bei deren Menschen es zuweilen den Anschein hat,
als hätten sie zuviel an sich selbst zu schleppen. Das sind jene
montañeses von Biscaya und Asturien, die man dort so oft
Wunder zäher Ausdauer, Lastenbewältigung und Gewandtheit
ausführen sieht, wie man sie ihrem kleinen Körper nicht zutraut.
Eine Besonderheit unseres Malers ist endlich die Abneigung
gegen realistische Kleinlichkeit im Detail. Hier war sein Form-
gefühl ganz verschieden von dem eines andern tüchtigen Malers
des Nackten, Ribera. Dieser gehörte auch zu denen, welchen
ihre anatomische Lehrzeit stets nachhing. Er folgt den Muskel-
fasern mit dem Strich, er liebt die ausgearbeiteten und zer-
klüfteten Formen des Alters, er verweilt am eingehendsten bei
den schwierigen vielgegliederten Extremitäten, an denen man
seine Hand am sichersten erkennt. Velazquez umgekehrt war
das wichtigste die Wahrheit der grossen Flächen, „wo alles ist
und nichts erscheint“, wie Winckelmann sagte. Von Händen und
Füssen würde er am liebsten nur Eindruck und Gesammtcontour
geben: die trennenden Einschnitte der Zehen und Finger, die
Gelenkwinkel werden nur angedeutet. Noch weniger lässt er
sich ein auf die Falten und Schwielen dieser Theile, oder auf
die Unterschiede der der Luft ausgesetzten gebräunten und der
bekleideten weissen Hauttheile. —
Ausser dieser fachmässigen Ausgiebigkeit bot der gewählte
Stoff aber auch eine Handhabe für das Publicum: das novellistische
[305]Die Schmiede Vulcans.
Motiv, jenes für den damaligen Spanier unerschöpfliche Thema
der celos. Ueber die Eifersucht könnte man ja aus den Drama-
tikern ein ansehnliches Buch zusammenstellen. Die sofortige
Wirkung des Gemäldes beruht auf dem unerreichten Ausdruck
der Ueberraschung, der punktuellen Fassung des kritischen
Moments, dem was Leonardo die prontitudine nannte. So ge-
Die Schmiede Vulcans.
berden sich keine gestellten Modelle, sondern Menschen die, wie
eben dieser verlangte, sich unbeobachtet glauben. Es ist die augen-
blickliche Suspension der heissen, kombinirten Arbeit durch die
blitzschnelle Absorption der psychischen Kraft; der Zeitpunkt des
Stillstands und der Sammlung vor der leidenschaftlichen Entla-
dung. Dieser einer Lähmung ähnliche Zustand ist ausgedrückt
in regungslos dastehenden Personen, deren Hände durch
schwere Werkzeuge gefesselt sind, ohne jede Phraseologie
vorräthiger Mimik. Wie klug es übrigens war diess novellistische
Element hineinzubringen, sieht man bei Vergleichung anderer
Darstellungen, z. B. jener Cyklopenschmieden Tizians oder Cara-
vaggio’s. Sie machen den Eindruck von Aktgruppen, Vorlagen
für Zeichenschulen.
Die dramatische Zugabe enthält zugleich ein komisches
Pfefferkorn. Velazquez behandelt die homerischen Götter, wie
20
[306]Drittes Buch.
Shakespeare im Troilus die trojanischen Helden, er überträgt
den Mythus in den trivialsten Stil der Nationalcomödie. Er
hat seine Modelle nicht bloss zu Studien benutzt, um den kon-
ventionellen Schulformen etwas Naturfrische zu geben: nein, er
bringt ihre sehr gewöhnlichen Porträts, nicht bloss in den Ge-
sichtern unbefangen auf die Leinwand.
Dadurch kam der komische Kontrast hinein zwischen den
vornehm-klassischen Namen und der Familiarität einer Gegen-
wart bescheidenster Stufe. Parodie indess, welche zuweilen die
Reaktion war auf anspruchsvoll hohle Formphrase, lag dem
Maler wol fern. Er nahm wieder den Mythus beim Wort. Er liest
von einem Welterleuchter, dessen tägliche Beschäftigung ist, am
Firmament spazieren zu fahren und sich von schönen Mädchen
umtanzen zu lassen; er kann sich ihn nur vorstellen wie einen
Tänzer in den Mythologien des Corral del principe etwa. So
war es ihm unmöglich den Gott der Eisenindustrie anders denn
als Schmied zu malen. Ein Opernschmied, ein Cyklopenballet
nach akademischen Kontraposten war nicht seine Sache. Er
hat auch wohl ein lahmes Modell, mit etwas verkrümmter Wir-
belsäule ausfindig gemacht.
Der Fremde, der in Rom, wie der Pilger nach den sieben
Basiliken, so der Reihe nach zu dem Apollo in Guido’s Aurora,
zu dem belvederischen u. s. w. gewallfahrtet ist, und die Sätze
seines Führers aus der Metaphysik und Archäologie der Schön-
heit an ihnen konstatirt hat, nimmt an einem Jüngling Apollo
mit so einfältigem Profil Aergerniss. „Unter dem Schatten des
Vatican, mit den Mustern des Phidias und Raphael zur Hand,
ist es schwer verständlich, wie Velazquez einen so unedlen (ignoble)
Apollo malen konnte“, meint Sir W. Stirling. „Ihm fehlte die
Phantasie, klagt ein anderer, und die ideale Kraft.“ R. Ford
schien es, „dass dieser Spanier, zum Erweis seiner Unabhängig-
keit, seine niedrigste Abschrift (transscript) der Natur noch herab-
gedrückt habe, um dem Idealen und Göttlichen selbst unter
den Schatten Roms zu trotzen 1).“ Man könnte noch hinzufügen,
dass selbst der trotzige Spagnoletto und zwar in demselben
Jahre 1630 einen Apoll mit Marsyas gemalt hat, eine herrliche
Gestalt, in seinem lichtschimmernden Kolorit, die den Beweis
[307]Die Schmiede Vulcans.
erbringt, dass auch ein Naturalist die ausgesuchtesten For-
men der Antike gebrauchen kann, denn dieser Apollo ist dem
belvederischen nachgebildet. Es giebt indess auch in Rom nicht
wenige Apollostatuen, die schlimmer sind als unser spanischer,
z. B. zwei in der Villa Ludovisi, welche wie alte Castraten aus-
sehn, und jeden gesunden Menschen anekeln müssen. So haben
also Alterthum und Modernità sich, was den Apollo angeht,
nichts vorzuwerfen.
Wie dem auch sei, diese Geschmackspriester können über-
zeugt sein, dass Velazquez die Schönheit der Antike ebenfalls ge-
kannt und gefühlt hat, wünschte er doch auch um ihretwillen in
der Villa Medici zu wohnen. Auch hätte er griechische Profile
ebenso richtig zeichnen können, wie viele andere, um die sich
Niemand bekümmert. Wir glauben auch nicht, dass selbst die
Römer einst sein Bild so blind schülerhaft beurtheilt haben.
Auf jeden Unbefangenen wird es schon damals einen ähnlichen
Eindruck gemacht haben, wie etwa Adolf Menzels Eisengies-
serei auf uns. Richard Cumberland, obwol er im Zeitalter des
neuklassischen Zopfs schrieb, doch ein Maler, fand gerade, dass
der Gegenstand dem Künstler Gelegenheit gegeben habe, seine
Kunst im vollsten Umfang zu zeigen. Aber man hat oft gemeint,
die wahre Kritik bestehe nicht darin, seinen echten Eindruck
zu Wort kommen zu lassen, sondern angesichts der Kunstwerke
ästhetische Compendien im Gedächtniss aufzuschlagen, und „sich
die Augen auszustechen, um besser durchs Fernrohr zu sehn.“
Es liesse sich hier eine Predigt halten über den Undank
des Publicums. Man bescheinigt mit schwülstigen Lobsprüchen
die Langeweile, welche das correkt befolgte Recept verursacht
hat und straft mit hofmeisterlichen Belehrungen die gute Unter-
haltung, die einem abgenöthigt wurde. Statt dem Manne zu dan-
ken, dass er auch in der Villa Medici kein akademisches Wasser
in seinen Wein gegossen, dass er die langweiligste Klasse mo-
derner Bilder mit einem Stück bereichert hat, das Niemand ohne
Lachen ansieht (obwol diess Lachen, wie der gracioso der Co-
mödie, nur eine Zugabe des höflichen Malers war für die, wel-
chen der Genuss seiner ernsten künstlerischen Arbeit nicht ge-
nügt hätte): statt dessen hält man ihm eine Lektion über den
Apoll von Belvedere. —
Der in diesem Bild gegebene mythologische Anstoss wirkt
übrigens noch später fort. Nach Jahren hat er uns auch anver-
[308]Drittes Buch.
traut, wie er sich die beiden Schuldigen vorstellte, die hier
hinter der Scene bleiben. Diese antiken Stoffe haben ihn mehr
beschäftigt als man sich denkt. Die schaffende Gegenwirkung
zeigt freilich keine Spur von griechischem Formgeschmack und
Stil der Sculptur. Ihn fesselte die charakterisirende Kraft der
Alten und das komödienhafte Element, das ja schon in Homers
leiser Ironie anklingt; aber auch einzelne künstlerische Motive
antiker Bildwerke. Er empfand den unwiderstehlichen Trieb
des Uebersetzens. Seine Uebersetzung war in rimas sueltas,
nicht in Hexametern, zu denen wir gründlichen Deutschen unsre
geduldige Sprache einexercirt zu haben stolz sind 1).
Das zweite Gemälde, welches Velazquez aus Rom mit-
brachte, der bunte Rock des Joseph2), hat dieselbe Grösse wie der
Vulcan, dieselbe Figurenzahl, dasselbe Kompositionsschema, und
ist grossentheils nach denselben Modellen gearbeitet. Nur zwei
[309]Der bunte Rock Josephs.
Figuren sind entkleidet; die Gründlichkeit ihrer Modellirung ist
von jeher bemerkt worden 1). Die Scene geht vor sich in einer
luftigen, ganz leeren Halle, mit schachbrettartigem Marmorboden
und zwei grossen Fenstern nach den blaugrünen Sträuchern eines
Gartens. Hier ist über einem Fussschemel (tarima) ein prachtvoller
Teppich ausgebreitet, und in dem Sessel, unter einem Vorhang,
im kühlen, von starkem Reflexlicht erhellten Schatten sitzt der
alte Herr, dem eben die verabredete Historie vorgetragen wird.
Diese Figur ist neu; ein alter Judenkopf mit kleinen Augen,
langer Nase, die Arme ausbreitend und erhebend mit der Ge-
berde jähen Schreckens bei dem Anblick des Blutes, das
keine zweifelnden Gedanken aufkommen lässt. Wieder also eine
Hauptfigur, der die übrigen zugewandt sind, nur ist es hier nicht
der Erzähler, sondern der Hörer, der Betroffene, das Opfer.
Obwol für die Nebenfiguren dieselben Urbilder dienten, so ist
doch ihr Eindruck niedriger. Zwei, wahrscheinlich die unver-
schämtesten, sind als Sprecher mit dem Hemd und dem bunten
Rock voran geschickt worden. Sie sind die gemeinsten Figuren
die Velazquez gemalt hat. Zwei dummdreiste Schnauzen; während
sie laut und gleichzeitig auf den Alten einreden, mischt sich in
ihren Blicken und Wendungen Frechheit, Angst vor Entlarvung
und Bestreben kläglich auszusehn. Möglich ist indess auch, dass
diese zwei die Hirten sind, welche nach dem Text mit den Kleidern
vorangeschickt wurden. Die andern aber müssen die Brüder
sein, nach der eigenen Erklärung des Velazquez 2). Zwei stehn
etwas zurück, im Schatten, der eine schlau und furchtsam hin-
überschielend, der andere verlegen an den Nägeln kauend. Der
Mann in der Ecke links (Ruben?) rauft sich die Haare; der
Maler hat uns mit seinem Gesicht verschont; wie im Vulcan ist
diese vorderste Figur abgewandt.
Das Bild ist in drastischer Wirkung dem ersten eben-
bürtig. Beckford fand darin sogar „ein Gemälde von tiefstem
Pathos; den erhabensten Beweis ausserordentlicher Gaben in Ve-
lazquez!“ Die Arbeit ist ebenso sorgfältig, in Technik wie
Ausführung. Das reiche Detail der Schmiede fehlt; er hat sich
[310]Drittes Buch.
nicht einmal die Mühe gemacht, den Rock bunt zu malen. Das
Bild steht auf dem Niveau der Halunkenstücke eines Monsù
Valentin, aber ohne die entschiedenen Farben.
Auch in der Beleuchtung ist es als Gegenstück des Vulcan
gedacht. Das Licht, das dort von vorn und links fiel, kommt
hier von hinten rechts. Es ist sonniger und wärmer, aber auch
den dunklen Schatten ist mehr Spielraum gegeben, die Figuren
sind in Licht und Schatten vertheilt, und diese Schatten sind
schwer und stumpf geworden; neuerdings hat es durch Restau-
ration gelitten.
[311]Die Königin Maria.
Neapel.
Die Königin Maria.
Im Anfang des Winters 1630, als die Zeit der Abreise
heranrückte, erhielt Velazquez von Madrid den Auftrag, dem
König ein Bildniss seiner Schwester Maria mitzubringen, nun-
mehr Gemalin Ferdinands, Königs von Ungarn. Die Ver-
mählung war schon am 5. April 1629 durch Vollmacht in Madrid
vollzogen worden; aber die Vorbereitungen zur Reise hatten
das ganze Jahr in Anspruch genommen. Wegen der Pest in
Oberitalien wurde der Umweg über Neapel genommen, wo ihr
Aufenthalt vier Monate betrug. Am 13. August hatte der Ein-
zug stattgefunden, der Aufbruch erfolgte am 18. December. Der
Wunsch ein gutes Bildniss seiner Lieblingsschwester zu besitzen,
muss Philipp IV also erst spät gekommen sein, denn eine so
lange Dauer ihres Aufenthalts in Italien war nicht vorauszusehn.
Maria Anna de Austria, geboren 1606 zu Valladolid, war die
jüngere Schwester der Infantin Anna, der ältesten von den Ge-
schwistern, die im Jahre 1615 mit Louis XIII vermählt und seit-
dem ihrer Familie fremd geworden war. Beide Schwestern werden
von den Zeitgenossen als anziehend geschildert, Blondinen von
sehr weisser Haut; doch übertraf Anna an Schönheit weit Maria 1),
bei welcher der damalige habsburgische Typus, in jener kaum
erkennbar, stark ausgeprägt war. Marie hatte dagegen ein
lebhafteres Temperament, schärferen Verstand und Eigenwillen.
Ihre Erscheinung schildert ein Brief aus diesem Jahre (13.
April), den der toscanische Gesandte Michelangelo Baglioni an
Ferdinand II von Medici richtete, welcher ihn der Königin nach
Barcelona entgegengeschickt hatte. „Sie empfing mich stehend,
[312]Drittes Buch.
an der Wand neben dem Fenster … Sie trug ein Kleid von
schwarzem Sammet mit Goldstickerei. Ihr Kopfputz war hüb-
scher als ihr Anzug. Es ist ein Engelsgesicht (una faccia de
angelo), der schönsten Frauen eine, die ich in meinem Leben sah:
sehr weisse Haut, blonde Haare, mehr ins weisse als golden,
echt königliche Miene, das Kinn ein wenig vorstehend, der Schopf
hoch zugespitzt und gekräuselt, aber mit dem Kamm aufge-
löst. Sie hörte meinen Vortrag aufmerksam an und antwortete
freundlich, aber so leise, dass ich mit grosser Mühe kaum einige
Worte verstand.“ Der Abate Scaglia nennt sie sehr liebens-
würdig (gentilissima), fand, dass sie sich auch sehr gut ausdrücke
(parla molto bene) und anmuthig bewege. Vor sieben Jahren,
als Carl Stuart um ihretwillen jene abenteuerliche Brautfahrt
nach Madrid unternahm, war sie gewiss noch anziehender ge-
wesen. Buckingham schrieb damals an König Jakob: „Ohne zu
schmeicheln, ich glaube, es giebt kein holderes Geschöpf (sweeter
creature) auf der Welt“. Und doch hatten die Engländer sie nie
in so reizenden Situationen gesehn, wie wenn sie bei intimen Fa-
milienfesten erschien, z. B. als der Geburtstag ihres Bruders
im Frühlingsmonat 1622 zu Aranjuez mit Maskentanz und Schau-
spiel gefeiert wurde, wo der Italiener Julio Cesar Fontana die
Scenerie erfunden und Juan de Tassis Graf von Villamediana
eine romantische „Fiesta“ Gloria de Niquea gedichtet hatte 1).
Hier stellte sie, umgeben von fünfundzwanzig Hofdamen, die
Titelrolle dar, während die neunzehnjährige Königin Isabella, als
Göttin der Schönheit, von ihrem Wagen aus einer Nische zusah.
„Sie spielte die Hauptrolle, schreibt der dabei anwesende Mo-
denese G. B. Ronchi, mit soviel Geschick, dass die Gräfin Lemos
voller Sorgen ist. Sie fürchtet Ihre Hoheit gewinne an dieser
Kunst mehr Geschmack als gut ist.“ Schon damals galt das
sechzehnjährige Mädchen bei den Diplomaten für einflussreich;
Olivares wollte sie durch Heirath entfernen, denn sie war „für
ihr Alter sehr klug und galt viel bei dem König“ 2).
Jenen Engländern machte sie einen mehr flämischen als spa-
nischen Eindruck; aber was die klassischen Nationaltugenden
ihres Geschlechts betrifft, so nahm sie es mit jeder schwarzäugi-
[313]Die Königin Maria.
gen Castilierin auf, auch ging sie mit dem grössten Widerwillen
ins Ausland. Sie war eine kühne Jägerin, Gongora singt in einer
seiner Canzonen von dem Eber, den diese Cintia española mit der
Büchse zur Strecke brachte. Bei der stürmischen Landung in
Genua gab sie allen
ein Beispiel der Be-
herztheit, sie war ge-
wiss nicht „nervös“ 1).
Als sie dem Prinzen
von Wales bei jener
Fahrt im Prado zum
erstenmale begeg-
nete, und der König
sie neckte: „Das ist
dein Galan; was hat
deine Schönheit für
eine Macht, aus so
fernen Landen hat
sie ihn hierherge-
lockt“; fragte sie
trocken, ob er katho-
lisch sei: „Nie werde
ich einen Ketzer hei-
rathen; lieber nehme
ich den Schleier bei
den Barfüsserinnen,
um Ew. Majestät In-
teresse zu retten.“
Baglioni beschreibt
ihre Tagesordnung
in Barcelona: Kir-
Die Königin Maria von Ungarn.
chenbesuche an den Indulgenztagen, Speisung armer Frauen in
den Fasten, Fusswaschung eines Knaben, Besteigung des Mon-
serrat zu Fuss und auf des Abts Esel; Privatstiergefechte mit
burlesken Kostümen und Erfindungen; Uebung der von Madrid
mitgebrachten Ballete. Puntillosa bis zum äussersten.
Doch um auf Velazquez Sendung nach Neapel zurückzukom-
men. Der König hatte sich also in dem Augenblick, wo seine
Schwester das Reich für immer verlassen sollte, erinnert, dass
[314]Drittes Buch.
er kein gutes Bildniss von ihr besass, und dass sie sich im Be-
reich seines Malers befand. Wir wissen nicht, wer das Bildniss
gemalt hat, das Olivares bereits im Jahre 1625 dem Erzherzog
Ferdinand gesandt hatte 1). Das Porträt des Rubens war nach
Brüssel gekommen. Im Jagdschloss Pardo befand sich eins unter
den elf Bildnissen der Familie Philipp III von Bartolomé Gon-
zalez 2), und im Palast in der Südgalerie ein anderes unter sechs
derselbigen von einem gewissen Villandrando, aber beides waren
Bilder aus ihren Kinderjahren. Nach Velazquez’ Tode fand sich
in der von ihm innegehabten Palastwohnung im cuarto bajo del
principe, vn Retrato de la Sra. Infanta Reyna de Vngria3).
Zwei Gemälde können das in Neapel gemalte Bildniss sein;
ein Brustbild (keine Skizze!) in der Pradogallerie (Nr. 1072)
und das in ganzer Figur im Berliner Museum. Von dem ersten
war eine geringe Copie in der Sammlung Salamanca. Das Ber-
liner Bild soll auch aus dem königlichen Palast stammen, es hat
die Inventarnummer 471, durch Oberst von Schepeler kam es 1851
in die Suermondt’sche Sammlung und mit dieser 1872 nach Berlin;
bis dahin hiess es Isabella von Bourbon. Es ist kein so be-
deutendes Bild, wie es die Schriftsteller, welche für Suermondt
schrieben, darstellen. Das Madrider Brustbild hiess im ersten
Catalog (1828 Nr. 262) noch „Bildniss einer unbekannten Dame
in der ersten Manier des Velazquez“, in der Folge (z. B. 1845)
(Nr. 135) Königin Isabella. Die spätere Umtaufe, der sich der
Berliner Catalog anschloss, gründet sich auf die Unvereinbarkeit
mit dem sichern Reiterbildniss der letztern (Nr. 1067), auf die
Familien-, ja Geschwisterähnlichkeit mit ihren Brüdern, und
die Uebereinstimmung der Zeit. Zur Vollständigkeit des Be-
weises gehörte nur noch die Vergleichung mit einem authent-
ischen Conterfey der Infantin selbst; ein solches schien neuerdings
zum Vorschein gekommen in einer Miniatur, angeblich des Bal-
thasar Gerbier, welche Buckingham aus Spanien mitbrachte 4).
[315]Die Königin Maria.
Allein diess ist das schwache flaue Machwerk eines Dilet-
tanten, wo nicht aus dem Gedächtniss gemalt. Zahlreiche Kupfer-
stiche giebt es von ihr; der von J. Louys nach Soutman’s Zeich-
nung geht wol auf Rubens zurück; der von Wolfgang Kilian
scheint noch ein Jugendbild, vielleicht jenes Gonzalez; der nach
van Dyck (welcher sie aber nie gesehen hat) von Corn. Galle
d. j. stellt sie als Kaiserin und gealtert dar; alle sind erheblich
von einander verschieden, doch widersprechen sie wenigstens
unserm Bilde nicht: am meisten passt dazu der Merian’sche im
Theatrum Europäum.
Beide Bildnisse, das im Prado und das im alten Museum
am Lustgarten, stimmen vollkommen überein. Nur eins kann
das Original sein, welches, ist nicht leicht zu sagen; doch dürften
die Verhältnisse der im Aufbruch begriffenen Hofgesellschaft in
Neapel und des nur zu kurzem Besuch eingetroffenen Malers
kaum zur Ausführung einer ganzen Figur Zeit gelassen haben.
Er wird also den Kopf dort gemalt haben, die Figur aber nur
skizzirt. Die Ausführung der letzteren geschah in Madrid, wahr-
scheinlich viel später, vielleicht erst nach dem im Jahre 1646
erfolgten Tode der Kaiserin, der ihren Bruder so tief erschütterte.
Man könnte vermuthen, jenes wol nicht zur Aufstellung gekom-
mene Bild, welches sich 1660 in der Wohnung des Malers be-
fand, sei unsere Figur und kurz zuvor noch in Arbeit gewesen.
Es ist ein bleiches, kluges, kaltes Gesicht, Blick und Haltung
stimmen zu dem überlieferten Charakter einer festen, stolzen,
bigotten, indess wenn sie wollte, auch anmuthigen und ge-
winnenden Person. Letzteres würde noch bereitwilligere Zu-
stimmung finden, wenn der Maler nicht über die Züge das Eis
jenes etikettemässigen sosiego verbreitet hätte, und gewisse aller-
dings characteristische Formen der Nase und des Mundes mit einer
trocknen Schärfe markirt. Er hatte ein unglückliches Auge,
würden die Frauen sagen, für solche Spiele der plastischen Natur,
die ihn mehr interessirten als das Geheimniss der Harmonie in
der Schönheit. Diese Unterlippe in Verbindung mit dem Schat-
ten unter der Nase — dem einzigen Schatten im Gesicht — bringt
einen nicht gerade erfreulichen Zug von Verachtung hinein.
4)
[316]Drittes Buch.
Dagegen gewinnt das Antlitz durch die Frisur, das einzige nicht
geschmacklose in der Toilettenkunst der Zeit und für lange
Zeit die letzte, welche noch bloss mit der Natur und deren Farbe
arbeitete. Die blonden Haare, in hundert Löckchen gekräuselt
und aus der Stirn gestrichen, sind über dem Scheitel auf-
gethürmt und mit einem kleinen schwarzen Spitzenschleier um-
wunden, an den Seiten des Gesichts dagegen vorgedrängt: letz-
teres erscheint nahezu viereckig umrahmt: man liebte die graden
Linien.
Auch die Tracht stimmt zu der Zeit; ganz dieselbe begegnet
wunderlicher Weise wiederholt bei ihrer Schwägerin Isabella,
deren Bildnisse in Kopenhagen und sonst man neuerdings mit dem
ihrigen verwechselt hat, wie man früher sie selbst Isabella taufte.
Auch die Damen hatten sich dem von Olivares befohlenen Ge-
schmack der Einfachheit zu fügen. Die Porträts der prachtlie-
benden Königinnen Philipp II und III gehörten zu den reich-
sten Kostümbildern des Jahrhunderts. Nur der Grabstichel der
Wierx konnte sie einigermassen wiedergeben 1). Die mächtigen
Spitzenkragen, in welchen das Haupt wie eine Ananas in einer
Filigranschale lag, die Kapuze mit buntem Seidenfutter, die per-
lenbesäten, farbenheitern Roben, die kostbaren, selbst figürlichen
Schmuckstücke (z. B. Amor, der Phönix) in Haaren und Ohren,
an Hals und Brust, Arm und Finger u. a. wurden jetzt verboten,
und so streng, dass die Alguazile sie den Damen auf der Strasse
confiscirten. So sieht man nun statt der Mühlsteinkragen mit
flandrischen Kanten, Tüllkragen, gestärkt und mit blauen Pulvern
gefärbt, für die Maler zwar bequemer, aber auf den Bildnissen
wie ein Fleck, Kopf und Brust trennend.
Die ernste nussbraune Farbe des Kleides, mit Stich in
Olivengrün, wird belebt durch goldbrochirten Besatz und augen-
förmige, mit weisser Seide gepuffte und mit Goldlitzen ge-
säumte Schlitze (acuchillado). Der einzige Schmuck ist die gol-
dene Halskette mit dem Medaillon zweier die Hostie anbeten-
der Engel. Diess schwere Kleid fällt völlig faltenlos über das
Binsengestell; der lange Schneppenleib, die Achselstücke, die
zweiten, offnen Aermel erinnern an den Bau eines Käfers. Die
ganze Figur gleicht einer Glocke, die oben in einem bemalten
[317]Die Königin Maria.
Gesicht endigt. Ein solches grünes Kleid trug sie beim thränen-
reichen Abschied von Madrid 1). Nur Gesicht und Hände bleiben
von der menschlichen Gestalt übrig; aber auch die Mühe den
Händen Ausdruck zu geben, wurde dem Maler abgenommen
durch die übliche Inbeschlagnahme der Stuhllehne und das Ein-
graben ins Taschentuch. Diess letztere war vielleicht ein Werth-
stück von vielen hundert Dukaten 2). So erscheint das Gesicht,
wie bei mittelalterlichen Heiligenbildern, als einziger lebendiger
Punkt in einer ihm fremdartigen Umgebung.
Wenn das Costüm zum Jahre 1630 passt, so verräth dagegen
der Pinsel Gewohnheiten späterer Jahre. Der Vortrag ist breit
und leicht, die Hand mit dem Tüchlein sieht den erstaunlich
skizzenhaften Händen der Infantinnen der folgenden Generation
nicht unähnlich. Das brennende Scharlachroth des Vorhangs
ist unerhört bei dem Meister, der für solche Möbel immer ein
mehr oder weniger trübes, in violett spielendes Purpurroth ge-
braucht. Ebenso selten ist das feurige Roth der Grundirung,
das zuweilen in kleinen Sprüngen, am meisten unter dem weissen
Tuch erkennbar ist. Um diess Roth gehörig zu decken (was übri-
gens gelungen ist) musste die Farbe sehr solide aufgetragen
werden, und, wie meist, ist auch hier das Verschiedenartigste
mit einer Farbe, gelbbraun mit Stich ins Grüne bestritten.
Auch der sonst roth bezogene Sessel hat einen warmen Leder-
ton. Diess Grün, erhellt durch den Brokat, auf dem grelle Reflex-
schimmer ausgesät sind, giebt mit Roth einen lebhaften Kon-
trast. Nur das Gesicht kommt dabei in Nachtheil: wenn es durch
Helligkeit hervortritt, so entbehrt es der Selbstständigkeit im Ton.
Denn da es, nicht bloss in den blonden Haaren, dem Anzug ho-
mogen ist, zum Theil auch neutral grau, so fehlt ihm die Wider-
standskraft und es verfällt, durchs Roth, dessen grünlicher Kom-
plementärfarbe. Dadurch kommt ein metallischer Ton in das
Bild, der durch die deckenden und reflectirenden Farben noch ge-
steigert wird und mit jenen starren Formen des Kostüms gegen
das warme Leben conspirirt.
[318]Drittes Buch.
Der so schroff spanische Charakter des Bildnisses der In-
fantin Maria fällt noch mehr auf, wenn man es mit dem ihrer
Schwester von Frankreich vergleicht. Von Anne d’Autriche,
die meist nur in wenig ansprechenden Porträts ihres corpulenten
Witwenstandes verbreitet ist, giebt es auch ein jugendlicheres Bild-
niss, von keinem geringeren als Rubens. Er muss dieses Bild-
niss in einer seiner glücklichsten Stunden gemalt haben und, nach
der seltenen Abwesenheit seiner Manier in Frauenbildern, mehr
als sonst bei hohen Herrschaften üblich, in Gegenwart des Ori-
ginals.
Wie doch aus den einander so ähnlichen Schwestern durch
den Geschmack zweier Nationen so völlig unähnliche Erschei-
nungen werden konnten!
Viel lebenswärmer als auf Roth musste die blonde Gestalt her-
vortreten auf dem dunkelgrünen Vorhang mit den goldenen Lilien!
Am Hof von Paris durfte der schönste Hals und Nacken frei
sich zeigen, umrahmt von den Curven des Kelchs eines fächer-
förmig emporstehenden Spitzenkragens; während der Kopf der
Schwester abgeschnitten auf dem Tüllkragen liegt. Ein milder,
anspruchsloser, gütiger Blick galt nicht für der Würde nach-
theilig; und eben so wenig ein bequem vornehmes Sitzen, statt
jenes fast militärisch strammen Stands. Das dunkle Kleid mit
der schlichten Schleife, das Perlenhalsband beweist, dass man
bereits Einfachheit für den besten Schmuck der Schönheit, selbst
der gekrönten, hielt.
Rubens durfte endlich die wunderschönen Hände der Königin
förmlich ausstellen, ohne jeden Ring oder Armband. Von ihnen
sagte Madame de Motteville: „ihre Hände und Arme waren von
erstaunlicher Schönheit, und ganz Europa hat ihr Lob verkün-
digen hören, sie hatten, ohne Uebertreibung, die Weisse des
Schnees“. Man sehe nun die Hand, welche sich bei Velazquez
über die Armlehne legt. Sie ist eckig und kümmerlich, das Ge-
gentheil schöner Linien, und erinnert fast an eine im Krampf
gekrümmte Hand.
Und so erscheint also hier die phlegmatischere und beschränk-
tere Anna belebt und verschönert durch französische Grazie und
eine keinen beengenden Vorschriften unterworfene Kunst, wäh-
rend die Reize der lebhafteren und aufgeweckteren Maria in der
Erstarrung altspanischer Etiquette wie gebunden blieben 1).
[319]Jusepe Ribera.
Jusepe Ribera.
Während dieser ersten Anwesenheit in Neapel besuchte
er auch den seit einem Jahrzehnt als Hofmaler der Vice-
könige in angesehener Stellung lebenden Ribera, in seiner ge-
räumigen Wohnung gegenüber S. Francesco Xaver (jetzt
S. Ferdinando).
Zwar Pacheco erwähnt diesen Besuch nicht; erst Cean hat
die Notiz, man weiss nicht woher. Indess wenn Velazquez auch
kein Verlangen gehabt hätte, den berühmtesten Maler seiner
Nation persönlich kennen zu lernen, er hätte ihm kaum vorbei-
gehn können. Ribera hatte von Osuna die Oberleitung aller
künstlerischen Arbeiten im Palazzo Reale erhalten, und dort resi-
dirte damals die Königin Maria. Fremde Maler pflegten ihn
aufzusuchen, z. B. unser Sandrart, denn er war auch einer der
besten Führer in den Palästen und Kirchen Neapels. In Rom
musste er oft von ihm gehört haben, er war erst vor kurzem
(wahrscheinlich 1628) in die Akademie von S. Luca aufgenommen
worden. Der Kampf um die Ausmalung der Kapelle des Tesoro
im Dom, der seit achtzehn Jahren die Malergilden beider Städte
aufregte, war eben in ein akutes Stadium getreten; denn fast
gleichzeitig mit Velazquez war Domenichino endlich nach Neapel
gekommen; bald darauf folgte Lanfranco, um die Freskobemalung
der Kuppel im Gesù vorzunehmen.
Aber auch abgesehn von dem Wunsch über diese verworrene
Angelegenheit wol informirt zu sein, gab es wol kaum Jeman-
den in Italien, mit dem es Velazquez so gereizt hätte, sich über
Fragen der Malerei zu verständigen. Er hatte sich jetzt ganz
von der dunklen Manier seiner ersten Jahre freigemacht. Nun
aber stand seine frühere Art in naher Beziehung zu Ribera; er
hatte ihn sogar nachgeahmt: Pacheco schrieb nach Nennung
1)
[320]Drittes Buch.
Ribera’s noch 1648: „Und mein Schwiegersohn befolgt denselben
Weg“ (II, 16).
Wie erstaunte er, als ihm gerade von dieser Seite eine Be-
stätigung seiner neuen Methode zu Theil wurde! Als er ihn mit
Verehrung von den Malern des sechszehnten Jahrhunderts reden
hörte, den finstern Chiaroscuristen als Schöpfer ganz lichter,
farbenschöner, sonniger Bilder kennen lernte, in welchen Tizian’s
Kunst wiederaufgelebt schien, während er zu verstehen gab,
dass jener dunkle und schreckliche Stil ein Zugeständniss an den
Modegeschmack sei.
Freilich fehlt über die Begegnung beider Männer jeder Be-
richt. Allein ich glaube, man wird meiner Vermuthung Wahr-
scheinlichkeit nicht absprechen. Wie dieser Mann wirklich ge-
dacht hat, darüber ist man neuerdings durch den ganz glaubwür-
digen Bericht eines Zeitgenossen belehrt worden 1). Diese authen-
tischen Aeusserungen, zusammen mit einem sorgfältigen Studium
seiner Werke geben ein ganz anderes Bild von ihm, als die
Ueberlieferung. Die Kunstgeschichte malt ihn als einen Natu-
ralisten, „Faustmaler“, Verächter der grossen Vorfahren; und
was noch schlimmer ist, als das eingebildete, eifer- und herrsch-
süchtige, neidisch-intriguante, gegen seine Kollegen sogar ge-
waltthätige Haupt einer Camorra. Aber Ribera ist mehr als
andere ein Stiefkind der Ueberlieferung: diesen Mann, der sich
nie durch kupplerische Speculation auf die rohe Sinnlichkeit
des Zeitalters erniedrigt hat, kannten wir nur aus den im That-
sächlichen unzuverlässigen, in der Gesinnung feindseligen Auf-
zeichnungen der Neapolitaner. Das ist aber noch nicht alles:
auch die Urkunden seiner Kunst sind in weitestem Umfang ver-
fälscht worden: Schulbilder und Nachahmungen überschwemmen
unsere Galerien, und selbst das wenige was echt ist, gehört der
geringwerthigeren Hälfte seines Werks an; in Deutschland giebt
es von ihm nur zwei vorzügliche Bilder; da ist es kein Wunder,
dass noch Niemand Lust gehabt hat, seine „Rettung“ zu unter-
nehmen, ja nur sich mit ihm zu beschäftigen.
Es war im Jahre 1625, als ihn der Maler Jusepe Martinez
aus Saragossa in Neapel aufsuchte. Da Leute wie er überhaupt
nicht viele Ideen im Kopf zu haben pflegen, so darf man anneh-
men, dass er zu Velazquez ungefähr dasselbe gesagt hat, wie
[321]Jusepe Ribera.
das was uns Martinez aufgeschrieben hat. „Ich empfing, sagt
er u. a., von ihm (nach seiner sonderbaren Sitte nennt er nicht
den Namen) viel Artigkeit: er zeigte mir einige Cabinete und
Galerien der grossen Paläste; alles machte mir unendlich viel
Vergnügen, aber weil ich von Rom kam, erschien mir alles klein;
denn in dieser Stadt dreht sich alles mehr um Militär und Ka-
vallerie als um Dinge der zeichnenden Kunst. So sagte ich zu
meinem Landsmann, und so bestätigte er mir.“ Ganz so ge-
fällig übrigens erwies er sich auch gegen Joachim von Sandrart 1),
der ihn „höflich“ nennt; er habe ihn zum Cavalier Massimo be-
gleitet, einem Künstler also, gegen den er nach der Lästerchronik
als gehassten und überlegenen Rivalen einen Streich ehrloser
Tücke verübt haben sollte.
Nicht weniger widersprechen seine Aeusserungen den land-
läufigen Vorstellungen von ihm als einem naturalistischen Know-
nothing. „Ich fragte ihn, erzählt der saragossaner Maler weiter,
ob er nicht Sehnsucht empfinde nach Rom zu kommen, um die
Originalgemälde seiner früheren Studien wieder zu sehn. Da
seufzte er tief auf und sagte: Nicht nur sie wieder zu sehen ver-
langt mich, sondern sie von neuem zu studiren. Denn das sind
Werke die sehr oft studirt und durchdacht werden müssen. Frei-
lich malt man jetzt nach anderm Kurs (rumbo) und anderer
Praxis. Dennoch wenn man sich nicht auf diese Basis des Stu-
diums gründet, so wird es leichtlich ein schlimmes Ende nehmen,
zumal in den Historien, welche der Polarstern der Vollkommen-
heit sind; und darin unterweisen uns die vom unsterblichen Ra-
phael im heiligen Palast gemalten Geschichten; wer diese Werke
studirt, wird sich zum wahrhaften und vollendeten Historienmaler
bilden“ 2).
Diese Worte, fügt Martinez hinzu, zeigten mir wie wenig
zutreffend jenes Gerede war, wonach dieser grosse Maler sich
rühmen sollte, dass keiner der Alten und Neuen seine unüber-
treffliche Malerei erreicht habe.
21
[322]Drittes Buch.
Jusepe Ribera hatte sich unter italischem Himmel und, wie
so viele fremde Maler, unter den wechselnden Einwirkungen eines
freien Wanderlebens zum Künstler durchgearbeitet. Es war ein
Beweis seltener Kraft des Charakters, wenn das Ergebniss eine
künstlerische Durchbildung war, wie er sie besser kaum in
strengster Schule hätte empfangen können. Wahrscheinlich
waren es die Lehren und Erzählungen seines Meisters Ribalta
in Valencia, die ihn auf die lombardische Schule hingewiesen
hatten; er hatte sich nach Parma gewandt, und so in Correggio
vertieft, dass eine dort von ihm ausgemalte Kapelle damals oft
von Reisenden für eine Arbeit dieses Meisters gehalten wurde 1).
Diess war der ursprüngliche Spagnoletto. Allein seit Correggio
war der Geschmack in Italien ein ganz anderer geworden. Das
Publikum dieses Jahrhunderts verlangte derbere Kost als Poesie
des Lichts, heiter unbefangene Umdichtung kirchlicher Legenden
bloss nach dem freien Kanon von Schönheit und Liebreiz. Cara-
vaggio’s, auch eines Lombarden, neue Art machte selbst im
Schooss der Schule von Bologna einen stärkeren Eindruck als
die dort aufgerichteten erhabenen Muster der Vorzeit: Guido,
Guercino gingen zu der plastischen, pastosen Manier über. Zwar
dem Gründer des „Naturalismus“ waren jene anspruchlosen,
echt malerischen Motive aus dem alltäglichen Leben nach nieder-
ländischer Art die liebsten; er war glücklich in Wahl frischer,
hübscher, jugendlicher Modelle. Aber die Mehrzahl der Besteller
verlangte Realitäten ganz anderer Art. Die Zeit war gross in
der Technik der Folterkammer. Agostino Caracci hatte die
Schindung des hl. Bartolomäus mit dem Phlegma einer anato-
mischen Demonstration dargestellt, Poussin in kunstgerechter Ab-
haspelung des Darms des hl. Erasmus den Preis der Grässlich-
keit und Geschmacklosigkeit gewonnen, Guido in der Kreuzigung
des Petrus das Muster eines Henkerstücks gegeben, und Dome-
nichino in der rührenden Scene des letzten Abendmahls des hl.
Hieronymus den Kirchenvater als Bild der Greisenhaftigkeit
im ekelhaftesten Verfall darstellen zu müssen geglaubt. Ribera,
der anfangs nur den Antrieben seines malerischen Gefühls ge-
folgt war und in Folge dessen mit Noth zu kämpfen hatte, lernte,
dass wer seine Zeit beherrschen will, ihr dienen muss. Er
[323]Jusepe Ribera.
studirte Caravaggio und wurde, ohne ihn persönlich gekannt zu
haben, sein geistreichster Schüler. Da ihm als Spanier auch reali-
stische Auffassung und melancholische Devotion nicht fremd war,
so liess er im Fach des ascetischen Naturalismus bald alle Zeitgenos-
sen hinter sich zurück. Er gab seinen Märtyrbildern einen Localton
des Schaffots, seinen Köpfen und Gestalten eine Energie des Reliefs
und Gelehrsamkeit der Modellirung, seinen Geberden eine stilvolle
Mächtigkeit und oft ein tiefes Pathos, dass viele erklärten, die
Unzulänglichkeit aller übrigen sei hier Ereigniss. Wenn also
malerisches Gefühl und früheste Eindrücke den lombardo-venezia-
nischen Schulen angehörten, wenn seine gründliche Kunstbildung
ihn mit Verehrung gegen die Werke des Vatikan erfüllte, so hatten
ihn Zeitgeist und Interesse zu einem tenebroso gemacht. Aber
diese seine Arbeiten erfreuten sich einer solchen Nachfrage,
dass er erst zu ihrer Vervielfältigung durch die Nadel griff,
dann die Mithülfe von Schülern in Anspruch nahm. Sie machen
die Mehrzahl seiner Werke aus; aber wenn sie ihm Weltruf und
glänzendes Einkommen verschafften, bei der Nachwelt haben sie
ihm empfindlich geschadet, sie haben die besseren Werke seiner
ersten lichten Manier in Vergessenheit gebracht. Diese hat er
aber nie verlernt: sie begegnet uns nicht nur im Anfang, son-
dern auch in der Mitte und ganz am Schluss seiner Laufbahn.
Die Concepcion in dem Montereykloster zu Salamanca (1635)
überragt alles was Guido und Murillo in der Interpretation dieses
Mysteriums erreicht haben; sein Meisterwerk, die Communion der
Apostel in San Martino (1651) war eine der tiefempfundensten
religiösen Schöpfungen des Jahrhunderts. —
Ribera führte seinen Gast in eine neue grosse Kirche, S. Tri-
nità maggiore, um ihm das erste öffentliche Werk zu zeigen,
das ihm nach seinem Emportauchen aus dem Dunkel anvertraut
worden war. Den Auftrag von drei Historien aus dem Leben
des hl. Ignatius verdankte er seinem ersten Gönner und Entdecker,
Osuna, oder vielmehr dessen Beichtvater. Derselbe hatte den
schönen h. Antonius mit dem Jesuskind veranlasst, der lange eine
Kapelle von S. Francesco Xaverio geziert hat 1).
Man sieht hier den früheren Soldaten und hidalgo, den
feurigen phantastischen Basken, der durch einen plötzlichen Ent-
schluss zum Mönch umgewandelt ist, aber sich noch etwas unge-
[324]Drittes Buch.
stüm linkisch benimmt. Da kniet er, mit weit ausgebreiteten Armen,
in fast wilder Entschlossenheit, während ihm in einer Strahlensonne
das Monogramm Jesu gezeigt wird; dort wendet er sich über-
rascht, entzückt, fast verlegen um nach dem hohen Besuch
U. L. F., die ihn beim Schreiben der Constitutionen überrascht;
hier huldigt er mit seinen Gefährten in soldatischer Subordination
dem Stellvertreter Christi. Man sieht wie frisch noch Ribera’s
parmensische Erinnerungen waren: das berühmte Porträt Paul III
von Tizian im farnesischen Palast ist in das Bild aufgenommen.
Historische Farbe, Wahrheit der Charaktere lassen also nichts
zu wünschen übrig; aber was war das für seinen Begleiter neben
diesem lichtblauen Himmel mit den goldenen Wölkchen des
nahenden Abends, diesen blonden, blühenden, wilden Himmelskin-
dern, und der jugendlichen Madonna, die mütterlich, huldvoll, an
ihr Kind sich anschmiegt, das nach dem wunderlichen Heiligen
forschend das Köpfchen zurückdreht. Jenes „Colorit Tizian’s“,
welches die Caracci zur Nachachtung vorgeschrieben hatten, aber
Niemand mehr verstand, hier war es wieder gefunden. In diesen
drei Bildern war nichts dunkel als Augen und Talar des Hei-
ligen; etwas lichteres, farbenschöneres hatte Velazquez aus
diesem Jahrhundert in Italien nicht gesehn.
Das Atelier am Anfang der Strasse Toledo enthielt eine
seltsame Gesellschaft. Der Pittor di Corte war damals sehr
in Anspruch genommen durch den Vicekönig, Herzog von Alcalá.
Da Ribera fast alle seine Werke datirte, so lässt sich das Inventar
fast für jedes Jahr feststellen. Im Jahre 1630 veranschaulichte
es die „zwei Seelen“, welche in seiner Brust wohnten. Da sah
man einen Apoll mit Marsyas 1), ein Studium jugendlicher Männ-
lichkeit; der Silberglanz der Haut, die grünlichen Halbtöne, die
goldenen Haare zu einer eigenen Harmonie gestimmt auf dem
Grund des schimmernden purpurnen Mantels; eine herrliche Ge-
stalt, an der man sah (wenn man es aus den Marmorköpfen
nicht schon wüsste, die man oft zu den Füssen seiner Blutzeugen
erblickt oder in der Hand des blinden Bildhauers Gambazo,
Prado 1003), dass auch er im Cortile delle statue seine Andacht
verrichtet hat. Man vergleiche die fade Gestalt Apollos in
der Galerie des Luxemburg. Das Nachtstück der Hirten war
[325]Jusepe Ribera.
eine Erinnerung an S. Prospero in Reggio: Maria beugt sich
lächelnd über das Kind 1).
Daneben stand eine Curiosität, das Bildniss einer bärtigen
Frau aus den Abruzzen, Maddalena Ventura mit ihrem Mann,
das Kind an der Brust; es war für den Vicekönig bestimmt 2).
Für denselben gelehrten Herrn waren Bilder von Bettelphi-
losophen, einer „Archimedes“ gescholten (Prado 1010, bz. 1630),
er sah aus wie eine Caricatur Michelangelo’s. Seit einiger Zeit
hatte er ein ganz besonders unheimliches Modell angenommen:
eine Hünengestalt mit starkem breitem Schädel, dicken schwarzen
Brauen, tückischen Augen und eingedrückter Nase, einen Kerl
den Lavater ohne Belastungszeugen der Galere bestimmt haben
würde. Dieses Ungeheuer ist am unverfälschtesten aufbewahrt in
dem hl. Rochus (Prado Nr. 1000, bz. 1631); es lag aber bereits
dem Träumer Jakob (ebenda Nr. 982 von 1626) zu Grunde, und
ist noch in dem Elias der Karthause von S. Martino (1638) wie-
derzuerkennen.
Jener Schläfer mit der Himmelsleiter wird so wenig durch
Lage und Beleuchtung wie durch seine Physiognomie anziehen.
Aber über der Oede ringsum, die in meilenweiter Ferne durch
tiefblaue Hügel begrenzt wird, breitet sich ein Tageshimmel
aus mit grauem Gewölk, zwischen dem ein sanfter goldener
Lichtstrahl herabsteigt. Nur bei scharfem Sehen unterscheidet
man darin kleine lichte Elfen. Es ist nur der natürliche Sonnen-
schein, aber man sehe sich in dem Saal Isabella II um bei allen
Glorienmalern, ihr Licht wird sich neben diesem wie getünchte
Wand ausnehmen. Dieser Patriarch ist aus dem frühsten Jahr,
in dem datirte Gemälde Spagnoletto’s vorkommen, 1626, aus
demselben wie die Himmelfahrt der Magdalena in der Akademie
von S. Fernando, das erste Beispiel jenes schwermüthigen
Frauentypus, der bei ihm viele Jahre lang wiederkehrt, mit seinen
grossen, dunklen träumerischen Augen, und den langen Händen
mit den dünnen Fingern; in ruhigem Zauber kaum von italieni-
schen Malern dieses Jahrhunderts erreicht. —
Irren wir nicht, so nahm Velazquez einen berichtigten und
günstigen Eindruck von Ribera mit nach Madrid. Die überaus
[326]Drittes Buch.
zahlreichen Gemälde, welche sich in den nächsten Jahrzehnten
in dem königlichen Palast und im Escorial sammelten, meist in
bewohnten Gemächern, zeigen wie er dort Mode geworden war.
Das Museum des Prado allein besitzt noch 58, der Escorial 16
Stücke; aber viele der interessantesten sind verloren: die my-
thologischen und alltestamentlichen. Unter den ausgewählten
Meisterwerken des „Spiegelsaals“ befanden sich: Jael und Sisera,
Delila und Samson, wozu eine feine Zeichnung im Museum von
Cordoba ist. Wie eigen und wahr empfunden er auch mythologische
Katastrophen zu behandeln wusste, davon giebt der Tod des
Adonis eine Vorstellung, der einst im Palast war und vielleicht
von dort in die Galerie Corsini zu Rom kam. Das Schicksal
des grossen „Triumphs des Bacchus“ ist schon erwähnt worden
(S. 259) 1). Diese und ähnliche Bilder würden, wenn sie erhalten
wären, in die Einförmigkeit der jetzt dort fast allein noch ver-
tretenen Heiligenfiguren eine erfreuliche Abwechslung gebracht
haben.
In Neapel hat sich Velazquez wahrscheinlich nach Spanien
eingeschifft. „Nach anderthalb Jahren Abwesenheit, so erzählt
Pacheco, kehrte er zurück und traf zu Anfang 1631 in Madrid
ein. Er wurde vom Conde Duque sehr wohl aufgenommen. Auf
sein Geheiss verfügte er sich sogleich zum Handkuss S. M. und
dankte ihm sehr, dass er sich von keinem andern Maler habe
aufnehmen lassen. S. M. war sehr erfreut über seine Rückkehr“.
Für diesen scheint er auch einige Gemälde gekauft zu haben:
wenigstens werden in einer Quittung von 1634 neben dem Vul-
can und Joseph, eine Danae von Tizian, eine Susanna von Cam-
biasi und ein Bassano genannt.
[[327]]
VIERTES BUCH.
DIE TAGE VON BUEN RETIRO.
(1631—1648.)
Hofämter — Buen Retiro — Die Uebergabe von Breda — Die grossen
Hofjagden und die Jägerbildnisse — Cano und Murillo —
Christusbilder.
[[328]][329]
Achtzehn Jahre
lebte Velazquez von jetzt an ohne Unterbrechung am Hofe
Philipp IV. Diess war die Zeit seiner besten Manneskraft. Nach
der Arbeit der Schule, dem Suchen und den Versuchen der Lehr-
jahre, nach den Lorbeern und Anfechtungen der ersten Meister-
jahre, hatte er diese italienische Pause gehabt — für den höheren
Menschen ist ja die wahre Ruhe Wechsel in der Bewegung. In
der Kunstwelt Italiens hatte er frei aufgeathmet, war seiner selbst
völlig gewiss geworden, und hatte, durch Aufnehmen, neue Schaf-
fenslust gewonnen.
Diese achtzehn Jahre fallen zusammen mit der zweiten Hälfte
des grossen Kriegs, in dem auch Spanien seine letzte Kraft mitein-
gesetzt hat, und nach dem es aus der Reihe der Grossmächte ver-
schwand. Am Hof merkte man wenig von diesem Niedergang,
ausser in der Finanzklemme, die aber dort chronisch war. Die
Menschen, sagt ein Comödiendichter, pflegen immer guter Dinge
zu sein, wenn sie auf dem Wege sind sich zu ruiniren. Der zer-
störende Krieg fand in Madrid seinen lautesten Wiederhall in
den Siegesfesten, wo Phantasie und Luxus sich fortwährend über-
boten. Mit der lange vergeblich ersehnten Geburt eines Thron-
erben war Freude und Leben im königlichen Hause eingezogen;
neben ihm blühte ein liebliches Prinzesschen auf, dem eine von
beiden, die kaiserliche oder die Krone von Frankreich, man
wusste noch nicht welche, zugedacht war. Ein Lustschloss und
ein Jagdschloss entstanden, welche die Kunstwelt im weitesten
Umkreis in Bewegung brachten: alles was die Halbinsel, Flan-
dern, Italien von Talenten und Kunstwerken übrig hatte, wurde
herbeigeholt. Besonders die erste Hälfte dieser Zeit, die dreis-
siger Jahre, waren wol die glücklichsten, welche Velazquez und
Philipp IV erlebt haben. Der Hofmaler stand im Vordertreffen
eines Heers von Talenten, nahe dem Ohre des Monarchen, aber
ohne die Anfechtungen, welche ein amtlich Vorgesetzter zu be-
fahren gehabt hätte. Da er Niemanden den Raum vertrat, nur
[330]Viertes Buch.
darauf aus war alle aufs beste zu verwenden, zu fördern, so kann
man sein Leben gewiss ein fruchtbares und glückliches nennen.
Aber ebendesshalb vielleicht ist wenig daraus zu erzählen.
Die Urkunden berichten ausser der Verheirathung seiner Toch-
ter nur die Ernennungen zu Hofämtern, die Gehaltserhöhungen
und Abschlagszahlungen, die Reisen mit dem Hofe.
Biographien der Vergangenheit sind Produkte der Quellen,
sie spiegeln in ihrer fragmentarischer Ungleichheit deren Vorzüge
und Mängel ab. Das wichtigste fehlt oft ganz, und das nichtige
drängt sich ausführlich und authentisch vor. Wenn der Künstler
selbst Veranlassung gehabt hätte, sein Leben zu erzählen, zu
welcher Klasse von Biographien hätte die seinige wohl gehört?
Wir fürchten, es würde wenig darin stehen von seinen Werken:
Maler wie er sprechen nicht gern von dem was sie weggegeben
haben; aber als echter Hofmann würde er wol die Gnaden be-
richtet haben, deren Akten die Archive bewahren, und die Feste
an denen er mitgeholfen. Für Kunstfreunde und Künstler liegt
das Leben eines Malers in seinen Werken, in den Wandlungen
der Darstellungsformen und der Technik. Welch ein Buch würde
es geben, wenn man die Historie eines jeden Bildnisses kännte,
den Anstoss, die Sitzungen, die Urtheile (deren Spuren in vielen
pentimenti), die Anerkennung und Anfeindung! Jedes wäre eine
kleine Novelle. Aber wir erfahren nicht einmal die Jahreszahlen!
Es giebt indess noch andere Erlebnisse als die der Familie,
der Berufsthätigkeit und der Erfolge oder Misserfolge im Leben.
Wir denken, ein Künstler, der in der grossen Welt lebt und deren
Personen zu studiren hat, würde, wenn er das erzählte, was
die lebendigsten Erinnerungen zurückgelassen hat, wie Gœthe,
auch von dem reden, was er als Zuschauer der grossen Zeit-
bühnen erlebt hat, obwol er da nur einer unter Tausenden war
— der Bühne der Geschichte und der idealen Bühne der Dich-
tung und Kunst. Denn das ist es doch, weshalb man am Ende
sich sagt, dass es der Mühe werth gewesen ist zu leben. Wenn
man die Chronik von Hof und Hauptstadt aufschlägt, dann ge-
winnen die leeren Rahmen dieser Jahre Gestalt und Farbe; da
liegen die Begebenheiten, quarum pars magna fuit.
Aemter und Gehalt.
Velazquez hat in diesen Jahren zu seiner Stelle als Kammer-
maler nach und nach mehrere Aemter bekommen. Zum kleinsten
[331]Aemter und Gehalt.
Theil waren sie von der technisch-administrativen Klasse, der
Mehrzahl nach blosse Hofämter. Ihre Funktionen betrafen den
täglichen Dienst der Majestät und das Ceremoniell des Palastes.
Sie waren die bequemste Form, ihm Einkommenzuschüsse zu ge-
währen, und zugleich Ehrentitel, die einem Hofmann unentbehr-
lich sind, um seine gesellschaftliche Stellung zu festigen und zu
erhöhen. Man erinnert sich, dass schon Jan van Eyck bei Philipp
dem Guten varlet de chambre war. Zu jener Zeit war der Maler
Juan van der Hamen archero, d. h. von der burgundischen Leib-
wache; der florentiner Bildhauer Rutilio Gaxi einer der zwan-
zig acroys oder gentilhombres de la casa, welche den König in die
Kirche und bei Festen begleiteten 1).
Schon vor der italienischen Reise war er zum Ugier de cámara
(Leibthürhüter) ernannt und als solcher (am 7. März 1627) beeidigt wor-
den. Der Gehalt betrug 428,000 maravedis. Nach Palomino war der
Posten höchst ehrenvoll, nach dem Parmenser Flavio Atti bedeutete er
etwas mehr als Portier und weniger als Unterkämmerer (ayuda de cámara).
Ihr Stand war am Eingang der Antecámara im Westflügel des Alcazar.
Ein solches Amt gab Gelegenheit zu interessanten wie lästigen Bekannt-
schaften und Vertraulichkeiten. — Hierauf folgten die S. 255 erwähnten
Vergünstigungen.
Durch königliches Dekret vom 18. Mai 1633 erhält er un paso de
vara de alguazil de casa y corte, d. h. das Recht der Uebertragung des
Stabs oder Amts eines Gerichtsdieners des obersten Gerichtshofs von
Castilien. Nach Palomino wurde dieser paso auf 4000 Dukaten be-
rechnet; Vicencio Carducho war sein Gesuch um eine solche vara (13. Ok-
tober 1631) abgeschlagen worden. Das arabische Wort Alguazil be-
zeichnet den Träger des Gerichtsstabs (vara alta de justicia). Der Leser
kennt diese Schrecken der pícaros aus dem Gil Blas von Santillana; aber
solche Häscher waren Alguazile niederer Ordnung (menores). Hier
haben wir den Alguazil mayor, ihrer vier gehörten zum Personal jener
corte, deren Präsident der oberste Justizbeamte des Staats war.
Im Jahre 1634 erhielt er tausend Dukaten für 18 von Francisco
de Rioja taxirte Gemälde, zu welcher ausser den S. 326 genannten, ein
Bildniss der Königin und des Prinzen, und mehrere Landschaften,
Blumen- und Küchenstücke gehörten.
Im Anfang desselben Jahres vermählte Velazquez seine einzige
[332]Viertes Buch.
Tochter Francisca mit dem Maler Juan Bautista Martinez del Mazo;
ihm trat der Schwiegervater bei diesem Anlass seinen Posten des Ugier
de cámara ab, am 30. Januar.
Vielleicht erhielt er als Ersatz und Beförderung die Stelle eines
ayuda de guardaropa, die zu seinem Beruf schon in näherer Beziehung
stand, denn die Guardaropa enthielt die Mobilien, Gemälde, Kunst-
schränke, Tapisserien, welche bei Ausstattung der Gemächer verwandt
wurden.
Am 16. Oktober 1636 reicht er eine Bittschrift ein um Auszahlung
von 15,803 Realen, der Summe des ihm schuldigen Gehalts, der unter-
bliebenen Zahlungen für königliche Bauten (obras reales) und des Werthes
eines nicht gelieferten Anzugs; die Gemäldehonorare seien nicht mit
einbegriffen. Die Gewährung seines Gesuchs werde ihn in Stand setzen,
das aufgetragene grosse Gemälde in der Torre de la Parada auszu-
führen; er sei in grosser Noth (se halla en mucha necesidad).
Im Jahre 1637 erhält er 1100 Reales de plata auf Rechnung seiner
Arbeiten aus dem Fiskus (en el dinero de la cámara) durch den Herzog
von Medina de las Torres; und am 19. August 5000 Realen durch eine
Ausfertigung des Protonotars von Aragon, Villanueva, für frühere und
zukünftige Arbeiten. Diess könnte die ayuda de costa von 500 Silber-
dukaten sein, die Palomino erwähnt.
Durch Dekret vom 27. Februar 1640 gewährt ihm der König einen
Jahresgehalt von 500 Dukaten, zahlbar vom 1. März an, aus dem Fond
der täglichen Ausgaben der königl. Speisekammer (en los ordinarios de
la despensa de casa real), und zwar auf Rechnung seines früheren Gut-
habens und zukünftiger Arbeiten, solange bis jenes getilgt ist.
Dann folgt das oficio eines Escribano, acrecentado en el repeso mayor
de corte (Schreiber bei dem Oberwaageamt), nach Palomino 6000 Dukaten
werth; ein Gegenstück zu jenem paso de vara.
Im Jahre 1643 wird er Ayuda de cámara, ohne Ausübung (sin
ejercicio). Diese Ayudas waren Personen von Geburt; wenn sie Dienst
hatten, schliefen sie in der Nähe des Königs; sie trugen einen schwarzen
Schlüssel im Gürtel, „so gross wie ein Kellerschlüssel“, während die
gentilhombres de cámara einen vergoldeten besassen. Diesen Schlüssel,
bemerkt Palomino, wünschen sich viele Ordensritter; nach ihm hatte er
ihn schon vor jener Ernennung erhalten.
Durch ein Dekret vom 9. Juni 1643 wird er Direktorialassistent
der königl. Bauten (para que debajo de la mano del Marqs. de Malpica
asista a la superintendencia de las obras particulares q̃ Su Majdseñalare).
Im Jahre 1646 Ayuda de cámara mit effectivem Dienst.
Am 22. Februar 1647 wird er zum Inspcctor und Zahlmeister des
[333]Aemter und Gehalt.
achteckigen Saals ernannt (veedor y contador de la pieza ochavada). Um
diese Zeit erhält er auch eine geräumige Wohnung (vivienda capaz) in
der Casa del Tesoro, ohne den aposento in der Stadt zu verlieren.
Am 11. Mai 1647 klagt er, dass man ihm das Salär für die Ar-
beiten seit Johannis 1645 schulde und bittet, ihn aus irgend welchem
Fond zu bezahlen, die activ Dienenden sollten den Almosenempfängern
und den Pensionären vorangehn.
Im Jahre 1648 stellt er vor, dass sein Malergehalt von 1630—34,
seine Gemälde-Honorare von 1628—40 ausstehen und berechnet sein
Guthaben auf 34,000 Realen, nach Abzug der 500 Dukaten von 1640.
Er beantragt Erhöhung seines Gehalts auf 700 Dukaten, die ihm auch
gewährt wird. —
Diese Aktenstücke geben einen Einblick in die Finanzzu-
stände des spanischen Hofs, — die übrigens nie ein Geheimniss
gewesen sind. Il Rè non paga nessuno (der König bezahlt Nie-
manden) schreibt Baglioni am 19. November 1630. Nach Giusti-
niani’s Relation von 1649 war freilich der königliche Palast ein
solcher Schlund, dass wenn alle Gehälter hätten pünktlich aus-
gezahlt werden sollen, die alljährliche Goldernte Amerika’s nicht
ausgereicht hätte; bloss die Livreen kosteten 130,000 Dukaten.
Die Privatschatulle (borsillo) belief sich auf zweitausend Dukaten
monatlich, aber Philipp IV war nicht freigebig; nach Querini
(1656) „weil, was man einem gebe, vielen genommen werde“.
Alle Renten waren den Genuesen verpfändet. „Es giebt keinen
Stand, schreibt Alvise Corner im Jahre 1624, keinen Rang und
keinen Privilegirten, der pünktlich Befriedigung erlangen könnte,
selbst den Wachen des Königs, die stets um ihn sind, steht ihr
Sold von drei Jahren aus. Man stelle sich die Indulgenzen,
die Beschwerden, die Abzüge vor. Als besondere Gnade kann
man eine Anweisung seines Credits auf eine der Münzen des
Reichs erhalten, die vielleicht hundert Meilen von Madrid ent-
fernt ist. Hier wird aber nur Kupfer geprägt, und wenn man
hinkommt, ist nicht einmal das Metall vorräthig, denn alles was
gemünzt ist wandert gleich nach Madrid für die Bedürfnisse des
königlichen Hauses; ausserdem liegen bereits hundert An-
weisungen bereit. So verkauft man gern wenn auch mit Schaden
seinen Credit!“
Bei Personen die in Gunst standen, wie unser Maler, liess
man sich zuweilen zu Transaktionen herab; er erhält dann eine
Gehaltserhöhung, erklärt sich für befriedigt, sein Guthaben für
erloschen und verzichtet auf zukünftige Honorare.
[334]Viertes Buch.
Buen Retiro.
Seit dem vierten Jahrzehnt des siebzehnten Jahrhunderts
kann man kaum spanische Geschichten lesen, ohne dem Namen
Buen Retiro zu begegnen. Die Chronik des Hofs und der
Stadt, die Werke der Dichter und Maler sind eng mit diesem
Lustort verknüpft. Als Calderon in der Johannisnacht 1636 hier
die grosse Comödie mit der Beschreibung der drei Welttheile
aufgeführt hatte, verlieh ihm Philipp IV das Ritterkreuz von
Santiago, „unter allgemeinem Beifall der Residenz“1). Hier hatte
sich das Treiben des burgundisch-spanischen Hofs, an dessen
Spitze ein zerstreuungsbedürftiger Fürst stand, den sein Mini-
ster nicht zu Athem kommen lassen wollte, eine den veränderten
Sitten entsprechende Bühne geschaffen. Die Phantasie der Inge-
nieure Toscana’s und die Neuerungen seiner Musiker, das Genie der
spanischen Theaterdichter, die Gewandtheit der Madrider Maler,
die hier zu Decorateuren wurden, endlich die zum Kunstwerk
umgewandelte Natur, das alles wurde zu ephemeren, berauschen-
den Schöpfungen aufgeboten und vereinigt, nicht zum Heil der
einzelnen Künste. Die Schauspieler waren ausser denen von Fach,
zuweilen die Majestäten selbst und ihre Grossen, ja die Räthe
und Sekretäre. Auch die Historienmalerei hat zur Ausschmük-
kung der Gemächer mitgeholfen. Ihre Werke, wie die der
Dichtkunst am wenigsten kostend, waren wie diese das einzige von
höherem Werth — fast das einzige auch was von Buen Retiro
übrig geblieben ist.
Noch am Schluss des Jahrhunderts sah man hier Werke
des Velazquez aus allen Zeiten seiner Künstlerlaufbahn: den
Wasserträger von Sevilla, die Schmiede des Vulcan, die grossen
Reiterbilder seines Königs und dessen Vaters mit ihren Ge-
mahlinnen, das des Kronprinzen; die Uebergabe von Breda; aus
seinen letzten Jahren auch die königlichen Frauengestalten,
welche dem Hof des alternden Monarchen Anmuth verliehen.
Seit Madrid Residenz war, befand sich sein beliebtester Spa-
[335]Buen Retiro.
ziergang an der Ostseite. Im heutigen „Salon des Prado“, wo all-
abendlich im Sommer tausende aller Stände im Licht der zauberi-
schen „Nächte von Madrid“ sich baden, genoss man schon zu Phi-
lipp II Zeit (wie Perez de Messa 1595 schreibt) „im Winter die
Sonne und im Sommer die Kühle“. In dem zweitausend Fuss lan-
gen, hundert breiten Weg fuhren steifgeputzte Damen langsam auf
und ab, umschwärmt von Cavalieren auf ihren Andalusiern.
Zwischen den drei Pappelallen, verbunden durch blühendes Ro-
sengezweig, spielte Abends Musik und vier Brunnen erfrischten
die Luft, ihr versprengtes Wasser schützte vor Staub. Auf dem
Rasen, im Schatten der Bäume wurde getafelt und geliebt. Der
Prado war auch unter diesem strengen Regiment ein Tempel
der Cythere1).
Diese Promenade beherrschte vom Hügel gegenüber der
Stadt das Kloster S. Gerónimo und sein gothischer Tempel, mit
weitem Garten und Oelberg. Von Heinrich IV anderswo ge-
gründet, aber unter Isabella hierher versetzt, stand es von jeher
in enger Beziehung zum Hofe. In der Kirche tagten 1510 die
Cortes von Castilien, hier wurde dem Erbprinzen gehuldigt. Um
das Altarhaus lag eine königliche Wohnung (el Cuarto (viejo)
oder Retiro de S. Gerónimo), von wo die Könige und die Köni-
ginnen, auch fürstliche Gäste und Gesandte ihren Einzug in die
Stadt hielten, wohin jene bei Trauerfällen und in der heiligen Woche
sich zurückzogen. Philipp II hatte das Haus durch Juan Bau-
tista Toledo neu aufführen lassen, je dreissig Zimmer für sich
und die Königin, mit Galerien, Thürmen, Lustgärten, Gräben,
nach dem Vorbild, sagt man, eines Landhauses, das er in Eng-
land mit Maria Tudor bewohnt. Auch fremde Besucher wurden
hier untergebracht2).
Unter seinem Nachfolger war noch ein dritter Anziehungs-
punkt dieser Gegend entstanden, der Palast, Garten und Platz
des Herzogs von Lerma, der von Philipp III für Feste der Plaza
mayor vorgezogen wurden. Bei den Dichtern erscheint er als
Lieblingszuflucht romantischer Schwärmerei:
[336]Viertes Buch.
despertad á mi niña, porque me escuche(Tirso, Don Gil. I).’
Quevedo fand ihn in seinem spätern Verfall lieblicher als in
seinem Glanze1).
Der gegenwärtige Günstling hatte, treu dem neuen System
der Oekonomie, die Gepflogenheit des freigebigen Vorgängers,
den König in seinen eigenen Villen und Palästen zu unterhalten,
nicht fortgesetzt, zum Verdruss des verwöhnten Hofes. Jetzt,
nach zehn Jahren, sah er aber doch, dass er zu der alten Me-
thode zurückkehren müsse. Philipp sollte aus dem finstern
alten Alcazar, der Brutstätte melancholischer Grillen, herausge-
bracht werden. Die Familie seiner Frau besass in der Nähe des
Prado einen Garten, er selbst hatte sich hier einen kleinen Park
mit Vogelhaus angelegt, an der huerta de S. Gerónimo, wo er
in harmloser Unterhaltung mit Fasanen, Schwänen und seltenen
Hühnern von den verdrussreichen Geschäften aufathmete. Diese
Gärten gewährten einen schönen Blick über die Stadt. Er kam
auf den Einfall, seinen Gallinero zu vergrössern und zu einem
ländlichen Lustort für den König, am Thor der Residenz, umzu-
schaffen. Er kaufte die umliegenden Grundstücke an, nahm den
Mönchen einen Theil ihres Oelbergs, liess sich von der Stadt be-
schenken, bis er den Umkreis einer Meile zusammen hatte. Es
war die Anhöhe in der ganzen Länge des Prado, von der Heer-
strasse von Alcalá bis zur Atochakirche, nach Osten bis zum
Bach von Valnegral. Seine Pläne hüllte er in tiefes Geheimniss,
Niemand wusste wie er hinkam, was er mit der Schaar von Bau-
leuten, Gärtnern, Erdarbeitern beabsichtigte. „Als ich zum ersten-
male dort war, schreibt der Venezianer Corner am 7. Decem-
ber 1633, war noch keine Idee von diesem Bau, in weniger als
zwei Jahren ist alles fertig geworden2)“. Man hatte geglaubt, es
handle sich um einen Garten3), es stellte sich heraus, dass er ein
[337]Buen Retiro.
zweites Aranjuez mit Palast, Theater, Plaza, Weiher und Park
gewollt. Ausserordentliche Hindernisse hatten sich entgegen-
gestellt: das Terrain war ungleich, dürr und sandig; man musste
Berge abtragen und Thäler ausfüllen, Wasserströme in Röhren
von den Bergen (Chamartin) herleiten, „einen Brunnen für jede
Blume“; aber der Sand von Madrid ist der dankbarste für den
Kunstgärtner. Nicht geringer war der Widerstand, den das Un-
ternehmen bei Hoch und Niedrig fand1). Die Madrider murrten,
dass dem Verkehr mit dem Land, wie im Westen durch die Casa
del campo, nun auch im Osten dieser breite Schlagbaum vorge-
schoben werden sollte. Der Adel war empört über den schamlosen
Verkauf der hohen Aemter und Ordenstitel, die Reichen, weil
sie für die Ausstattung aufs naivste gebrandschatzt, die Stadt,
weil sie zu hohen Anleihen genöthigt wurde, die alten Hofleute,
weil die Schlösser von Aranjuez und Pardo geplündert und die
Bauten unterbrochen wurden. Das Volk stiess noch lange nach
dem Tode des Olivares, bei einem Brande (1653) Flüche gegen
sein Andenken aus, der diesen Palast mit dem Blut und Schweiss
der Armen gebaut habe. „Man verkauft, sagt Quevedo, dem
armen Landmann den Pflug, um Ew. Majestät überflüssige Bal-
kons zu bauen.“ Der König, der ja unter seinem Schlosse die
Casa del Campo mit Weihern und Park besass, meinte selbst,
hier hätte man mit soviel Geld wunderbare Erfolge erzielen
können.
Zum erstenmal hört man von einem Hoffest in diesen Ge-
filden im Jahre 1631, als Olivares und seine Frau den König in
die Monterey’schen Gärten zur Feier der Johannisnacht luden.
Quevedo, Antonio de Mendoza und Lope schrieben dazu zwei
Comödien; die schöne und tugendhafte Schauspielerin Maria Ri-
quelma begrüsste Philipp in Versen. Die eine Comödie führte den
ominösen Titel Quien mas miente, medra mas (Wer am meisten
lügt, kommt am meisten vorwärts). Bei der Geburt eines kö-
niglichen Neffen, Ferdinand, des Sohnes seiner Schwester Maria,
empfing der Gründer seinen Herrn zum erstenmal (1. Oktober 1632),
indem er ihm den Schlüssel des Alkaide auf silberner Schüssel über-
reichte, dieses Amt war ihm natürlich übertragen worden. Der
alte Name Gallinero wurde verboten, und ein Stein im Prado
22
[338]Viertes Buch.
aufgestellt, wonach der Ort fortan Casa del Buen Retiro de la
Magestad Sua heissen sollte. Am 9. Januar 1633 wurde das
Oratorium einer Einsiedelei von drei Bischöfen geweiht, denn
die Kapelle ist der erste Raum, den die spanischen Könige in
ihren Häusern einrichten. Und so erschien am 1. December der
König mit dem ganzen Hof, um die neue Villa durch eine grosse
Quadrille auf dem Theaterplatz zu eröffnen; auf andalusischem
Schecken, in gesticktem nussbraunem Sammtrock, dem Geschenk
der Königin, mit blauweissem Federbusch (der Farbe der In-
fantin Isabella), rother Schärpe, grossem Schild und bewimpelter
Lanze, ritt er mit Olivares parejas. Buen Retiro, schrieb damals
Serrano, wird dasselbe sein was Monte Cavallo im Verhältniss
zu Sankt Peter. —
Von dieser Schöpfung des Conde Duque ist seit der mili-
tärischen Besetzung des Retiro in den Kriegen dieses Jahrhun-
derts wenig mehr übrig.
Nur das älteste Denkmal jener Gegend, S. Gerónimo mit
seinem verfallenen Kreuzgang, hat alle Stürme überdauert, und
nordwärts ragt noch das merkwürdige Thor del Angel hervor,
an den neuen Eingang versetzt. Die Klosterleute wurden öfter
zu den Theatervorstellungen in den Einsiedeleien eingeladen,
wie sie ihrerseits gerne denen, welche in der Villa Vorrath für
Busse angehäuft hatten, ihre Pforten öffneten. „Denn hier, sagt
Serrano, wechseln Ceremonien, Audienzen, Etiketten mit andäch-
tigen Exercizien und Geisslungen, wie Schlaf und Wachen, eines
ruft das andere hervor“ (10. Dec. 1633).
Der neue Palast schloss sich nordostwärts an das Kloster
und zwar unmittelbar an das Haus Philipp II. Er bildete ein
grosses Quadrat von 120 Fuss, mit dreizehn Fenstern und
Balkons im ersten, fünfundzwanzig im zweiten Stockwerk, nebst
vier Thürmen in den Ecken.
Diese Gebäude waren weder solid noch schön, von billig-
stem Material, die kleinen schmucklosen Fenster, die langen
engen Zimmer schienen eher für ein Kloster als für einen Lust-
ort zu passen. Der Stil war noch nüchternes Cinquecento.
Dem Architekten Crescenzi war es ein Nagel zum Sarg; die
besten Ideen hatte der Florentiner Lotti angegeben1).
[339]Buen Retiro.
Noch sieht man im wüsten Felde ein Stück des Palast-
vierecks, den Nordflügel, mit einem der Eckthürme: das jetzige
Artilleriemuseum1). Diess ist der alte Salon de los Reinos, mit
Spiegelgewölbe, vergoldeten Arabesken und reichlichem Licht von
beiden Seiten; benannt von den Wappen der damals der Krone ge-
hörigen Reiche unter dem Gewölbe: einst geschmückt mit den
zwölf Kriegsstücken, welche die Thaten der Generale Philipps
des Grossen erzählten, dessen Bild hoch zu Ross dazwischen
hing. Zurbaran hatte eine Art Accompagnement dazu gemalt in
den zwölf Thaten des Herkules. Hier wurden die letzten Cortes
von 1789 gehalten, welche die Abschaffung des salischen Gesetzes
verkündigten. — Nach Osten schloss sich der Flügel des Theaters
an (el Coliseo de las Comedias), und das noch erhaltene Ballhaus
(el cason), wo später Luca Giordano die Stiftung des Ordens des
goldenen Vliesses in der Allegorie der Decke malte. Der
Haupthof war im Jahre 1637 mit steinernen Portiken und Log-
gien umgeben worden. Nordwärts lag der grosse Platz, wo sich
in den Quadrillen der Rohrspeerturniere und im Parejasreiten die
Künste der hohen Schule entfalteten und die Stiergefechte tobten.
Aber auch diese Fläche genügte noch nicht, und man schuf im
Jahre 1637 für die Feste zur Feier der Kaiserwahl Ferdinand III,
des Schwagers des Königs, das „Grosse Theater“, nach dem
florentiner Berichterstatter ein Platz von 230 Schritt Länge und
190 Breite2). Ein Berg musste geebnet und die letzten Wälder der
Umgegend abgetrieben werden für die Schaugerüste, mit den
beiden Reihen silber- und goldschimmernder, mit Teppichen
behängter Balkons und tausenden von Wachskerzen in Glas-
laternen.
Dieser Gebäudekomplex stand dem Anblick offen nach der
Seite des Prado und der Stadt; an allen übrigen war er vom
Park umschlossen. Im Osten lag der grosse Stern, wo bedeckte
Gänge in einen achteckigen Platz (Ochavado) mündeten. Meist
in der Peripherie dieses Parks standen zerstreut die Einsiedeleien
1)
[340]Viertes Buch.
(ermitas), die der heil. Inés und Magdalena am Nordende, des
heil. Bruno und des Täufers Johannes, wo Olivares hauste und
mit dem Alchymisten Vincenzo Massimi Gold machte. Es waren
kleine Villen, mit Kapelle, Aussichtsthürmchen und Vogelhaus,
Labyrinthen, Grotten und Weihern und andern invenzioni bos-
chereccie. Die merkwürdigste war die südöstliche des heil. An-
tonius, welche Diego Suarez, Sekretär von Portugal, vom Kauf-
preis der Titel und hidalguías seiner Nation erbaut hatte. Sie
stand an der Stelle der heutigen Fuente de la China, mitten im
Wasser.
Die Blumengärten lagen theils offen, theils in den Höfen,
die schönsten an der Ostseite des Palasts, von den Mauern des
alten Klosters beginnend — der Garten des Prinzen, der Kö-
nigin und des Königs; neben diesem mittlern stand seit 1642 die
grosse Reiterstatue des regierenden Königs von Pietro Tacca.
Den Flor lieferte der Süden: Ende 1633 kamen dreizehn Wagen-
ladungen aus Valencia, in der ganzen Welt zusammengesucht;
selbst hier musste Italien helfen: der Cardinal Pio di Savoia in
Rom schickte seinen Gärtner Fabrizio mit Blumenzwiebeln, zehn-
tausend Dukaten werth.
„Hier sieht man farbenglühende Beete, wo der Rosmarin
Buchstaben formt, welche das Geheimniss ihrer verschlungenen
Blumen erklären. Ueber Vasen (tiestos) bemalter Talavera, die
das feinste Silber beschämen, erglühen Kronen von Nelken
umgeben von Basilien, gleich als sei die Erde österlich ge-
schmückt mit roth und grün geblümtem Taffet. Da sind
spiegelklare Quellen, Pfade gesäumt mit Rosen und Jasmin;
purpurn von den abgefallenen Blättern der Nelken; Anger, denen
Arabien alle seine Lilien überlassen zu haben scheint. Keine
erdenkliche Wonne, die diese Gärten nicht in sich schliessen.“
Im Winter verirrte sich zuweilen ein Sommertag hierher: da sah
man die Beete im Flor, die kahlen Bäume voll Orangen, Calvil-
äpfeln, aragonesischen Birnen, Balsambüchschen und Zucker-
werk, den Weinstock voll Trauben und die Ufer voll Melonen1).
Sieben bis acht Teiche, auf Terrassen, durch sechs Fuss
breite, tiefe Kanäle (rio) verbunden, dienten zu Gondelfahrten.
Von diesen Wasserbauten ist noch übrig das grosse Bassin
(estanque grande oder ria, 1006 × 443 Fuss). Wenn sein Wasser
[341]Buen Retiro.
abgelassen wird, soll man noch die Grundmauern der alten
Bühne sehen, die sich auf der eliptischen Insel befand. Zuweilen
nämlich wurde das Theater vor dem grossen Weiher aufge-
schlagen: da sah man Nymphen und Tritonen um Galatea in
ihrem Element sich tummeln.
Die Glorie von Buen Retiro war sein Theater; alle Wun-
derlande der Phantasie schienen hier nacheinander Wirklichkeit
werden zu sollen. Das Glück schenkte dem Unternehmer nicht
nur die Dichter von ewigem Ruhm, sondern auch Meister der
Scenerie, die in Europa nicht ihres gleichen hatten, und Musiker,
welche in Florenz, der Geburtsstätte der Opera italiana, ihre
Schule durchgemacht hatten. Die Briefe der dreissiger Jahre
sind voll von Namen italienischer Musikanten. Die Comödie
Dafne war vielleicht eine Bearbeitung der ersten Oper, die vor
vierzig Jahren (1594) Ottavio Rinuccini am Arno auf die Bühne
gebracht. Der König hatte einen hohen Begriff von den Festen
in Florenz; er äusserte wohl forschend gegenüber den ihn be-
komplimentirenden Herrn von dort, „diese Unterhaltungen müss-
ten ihnen bei der Erinnerung an Florenz sehr gewöhnlich vor-
kommen“. Allerdings meinte der Commendatore Serrano, aber
doch wol um den Mediceern zu schmeicheln, „was dort ein Wun-
der dünke, würde in dem Stanzone de’ commedianti zu Florenz
untergeordnet erscheinen“1). Die Radirungen Callots, Israel
Silvestre’s geben eine Vorstellung von dem was dort geleistet
wurde.
Im Jahre 1628 war Cosimo Lotti, ein Jünger Bartolotti’s, der
die magischen Künste der Bühne erfand, in Madrid erschienen.
Ihn begleitete Pier Francesco Candolfi, als maestro legnajuolo,
und zwei Gärtner der Giardini Boboli. Von ihm stammte der
Komödiensaal, mit den Vorrichtungen zur Oeffnung der Bühne in
den Park, wo dann die von künstlichem Licht erhellten Blumen-
gärten und Grotten erschienen; die Programme der Aufzüge,
Triumphwagen und Maskeraden; die Perspectiven und die schwe-
benden Gruppen, wie in den Komödien Dafne und Circe. In
Calderon’s Circe (August 1635) erstand auf der Insel der Ria ein
Hain mit Brunnen und Vulkanen, Thieren und Avernusschatten,
wo Circe auf dem Delphinwagen im Wasser heranrauschte, den
[342]Viertes Buch.
Bann zu brechen. Aber Lotti lieferte dem Hof auch die Monu-
mente für den Gründonnerstag und Apparate für die Quaran-
tore1).
Nach Lotti’s Ableben sandte Ferdinand II (1651) den Maler
Baccio del Banco (1604 † 1656), einen Schüler Galilei’s, früher
zu Prag in Wallenstein’s Diensten. In Kühnheit und Sicherheit
zauberischer Verwandlungen übertraf er seinen Vorgänger. Das
ausserordentlichste wol was in dieser Art geschaffen worden ist,
war der Perseus des Calderon. Hier sah man Meere, Schiffbrüche,
Erdbeben, Verwandlungen von Weibern in Statuen und umge-
kehrt, fliegende Amoretten, die Schmiede des Vulcan mit mu-
sikalischem Hammerschlag der Cyklopen, und Glorien des Olymp.
Calderon, als er Baccio’s Zurüstungen mitangesehen, war ganz
betäubt zu dem Könige geeilt, er meinte S. M. werde sich Bett
und Mahlzeit mitnehmen müssen, denn die Vorstellung werde
acht Tage dauern. Sie lief ohne eine Minute Stockung in we-
nigen Stunden ab. Sechs und dreissigmal wurde der Perseus wie-
derholt und die Gäste wallfarteten zweihundert Meilen weit her2).
Es handelte sich darum, die eilig hergestellten Räume
so auszustatten, wie es sich für einen König von Spanien und
einen so verwöhnten König gehörte. Diese zweite Hälfte der
Aufgabe schien so schwer wie die erste, aber Don Gaspar ver-
stand sie sich sehr leicht zu machen. Zunächst wurde der König
überredet, seine eigenen Häuser zu besteuern; nur aus den
Palästen seiner Hauptstadt und des Pardo hat er sich nichts
nehmen lassen. Man holte aus dem Garten und Palast von
Valladolid, aus Aranjuez, aus Lissabon selbst, was beweglich
war. Obwol Philipp II einst versprochen hatte, dass aus dem
dortigen Palast nichts fortgenommen werden dürfe, entführte man
jetzt die reichen Tapisserien, „die jenes Reich zu seinem Stolz
(ostentacion) und zur Erinnerung an die Grösse seiner alten Für-
sten bewahrte, und die das Beste waren was man dort hatte“3).
[343]Buen Retiro.
Im August 1634 brachte man aus Aranjuez die berühmte Bronze-
statue Leone Leonis „Carl V mit der Ketzerei zu seinen Füssen“,
und dem abnehmbaren Harnisch, ebenso die seiner Gemahlin
Isabella, Philipp II und seiner Tante Maria von Ungarn; später
(1638) die antiken Büsten. Eine Statue des Königs selbst, die er
für die Façade des neuen Gefängnisses bestimmt hatte, wanderte
jetzt in den Garten.
Dann aber wurden die Granden, die Finanzpächter, meist
Genueser, die Herren des Hofs zum Verkauf, noch lieber zur
Schenkung der besten, altererbten oder selbsterworbenen Stücke
ihrer camarines eingeladen. Da Olivares für seine Person keine
Geschenke annahm, so kann man sich vorstellen, wie leicht man-
chem das Herz wurde, als sich dieser neue Weg aufthat, ihm ge-
fällig zu sein. Der Herkules, auf dessen mächtigen Schultern
die Last der grossen Staatsmaschine ruhte, hörte jetzt lieber von
den Festen des Carneval und der Johannisnacht in seinem Retiro,
von kostbaren bufetes, florentinischen Mosaiktischen und alten
Tapeten, als von Geschäften, deren Vortrag ihn verstimmte; man
sah den schweren, finstern Mann mit Staunen im Kreis von Buf-
fonen und Comödianten. Manche aber zitterten auch. Der Au-
ditor Tejada liess in der Geschwindigkeit seine besten Gemälde
kopiren, und täuschte wirklich den einsammelnden Condestabile;
im Palast wurde freilich der Betrug entdeckt. Das reichste Haus
in dieser Beziehung war das des Leganés, dessen Schätze aus
Flandern, Deutschland, Italien, der ganzen Welt zusammenge-
bracht waren; ihn rettete seine Frau, die alles für ihre Mitgift
und einzige Habe erklärte und die Commissäre zum Rückzug
bewog. Ihr Mann kaufte sich los mit einer kostbaren Tapisserie.
Die Kapelle stattete der Präsident von Castilien aus; D. Fadrique
de Toledo erhielt für die Porzellaneinrichtung eines Gemachs
19000 Escudos, und für eine Tapete 25000; er gab sie erst heraus,
als er das Geld in Händen hatte (7. Dec. 1633).
Es war Herkommen, dass im Kabinet des Königs immer
ein Schränkchen mit Dublonen stand. Auf Antrieb des Ministers
vereinigten sich die Herrn der Junta de obras y bosques, der Oydor
Gonzalez und mehrere Günstlinge, im Ganzen sechzig Personen,
S. Majestät ein solches studiolo zu verehren. Es war von Eben-
holz, Elfenbein und Krystall; Schlösser und Schlüssel, Säulchen und
Statuetten von Gold und Silber, und in jedem Schubfach lagen
fünfhundert Goldstücke (zusammen dreissigtausend) nebst einem
Zettel mit der Geber Namen.
[344]Viertes Buch.
Gute Bilder schenkte grade damals der Zufall. Ende 1633
kamen von Neapel zwölf Wagenladungen, die Monterey zusam-
mengebracht hatte; dabei ging Buen Retiro nicht leer aus1).
Als der König im Herbst 1638 von der Jagd in den Forsten von
Guadalajara zurückkam und bei Olivares in Loeches einkehrte,
verehrte ihm der Wirth einige wenige aber werthvolle Bilder,
die er von seinem Schwager erhalten, „darunter ein berühmter
Tizian“, wahrscheinlich die Bacchanalien, — die indess nicht in
die Villa kamen. Des Königs Bruder, der Cardinalinfant Fer-
dinand sandte im Jahre 1637 sieben lebensgrosse Bronzestatuen
der Planeten, die in Lüttich erbeutet worden waren2); und im
Frühjahr 1638 traf sein Ayuda de Cámara ein, der einen Wagen
mit 112 Gemälden brachte, Fabeln, Landschaften und Genrebilder,
die für Buen Retiro und für die Torre de la Parada gesammelt
und gemalt worden waren.
Dann wurden die einheimischen Künstler für kleine und
grosse Gemälde in Anspruch genommen. Auch Spanien besass
damals einige wenige Maler in Cabinetformat. Olivares fand,
dass die bei den Grossen Madrids so beliebten Landschaften
des Orrente im Geschmack der Bassano sich gut für den neuen
Palast eigneten und liess sie (nach Palomino) zu dem Zwecke
überall zusammensuchen, an zwanzig fanden sich, die besten
waren alttestamentliche Scenen. Der Madrider Juan de la Corte
(1597 † 1660) malte zahlreiche Fabeln und biblische Historien als
Landschaft-Staffagen, aber seine Arbeiten sind nicht galerie-
fähig befunden worden. Im Jagdschloss Riofrio bei San Ilde-
fonso sind noch einige zu sehen. Bedeutender muss Collántes
gewesen sein, wie seine Vision Ezechiels mit der Auferstehung
der Todten in einer Ruinenscenerie (1630) beweist, und sein
Brand Troja’s (jetzt im Museum zu Granada).
[345]Buen Retiro.
Als Hauptleistung jedoch war den Malern Madrids ein Unter-
nehmen zugedacht, dessen Stoffe der Weltbühne unmittelbarster
Gegenwart entnommen waren. Die grossen Kriege, in deren Mitte
diese Schöpfung des Friedens entstand, sollten durch eine Aus-
wahl der für Spanien günstigen Aktionen vorgeführt werden.
Nichts konnte populärer sein. Madrid war gewohnt, sich für
seine Abgelegenheit vom Schauplatz der Völkerschlachten Mittel-
europa’s zu entschädigen, indem es die Katastrophen dieses
Kriegs auf der Bühne an sich vorüberziehen liess. So hatte Cal-
deron die Belagerung und den Fall von Breda (1625), Lope den
Tod des Schwedenkönigs (1633), Calderon und Antonio Coello
die Thaten Wallensteins (1634) 1), Quevedo den Sieg von Nörd-
lingen 2), ein Ungenannter die Siege des Infanten Ferdinand von
1638 auf die Bühne gebracht. Die brennende Aktualität dieser
dramatisirten Zeitungsberichte, die Menge echtester Scenen von
Marsch, Lager und Gefecht (wo Dichter und Schauspieler viel-
leicht mit gewesen waren), der Wechsel gröbster Realität mit
[346]Viertes Buch.
allegorisch-mythologischem Spuk, Musik und Geistern, Grosses
und Burleskes nebeneinander, die aristophanische Keckheit in Ein-
führung lebender hoher Personen, die Staats- und Kriegsgeheim-
nisse ausplauderten — diess alles gab ein wunderliches Ganze,
das aber dem Geschmack aller Klassen entsprach. Lope hatte
in seinem Gustav Adolf nicht nur die Schweden mit wenig
Respekt von kaiserlichen und katholischen Majestäten räsonniren
lassen; er hatte selbst letztern die Regeln guten Regiments ge-
predigt; die Infantin ernste Fragen mit dem Hofnarren er-
örtern lassen. In den „Siegen des Jahres 1638“ trat ein Weib
aus dem Volke auf, das den Cardinalinfanten aus der Ferne
liebte, ihm folgte und zwei Bildnisse desselben in Cardinals- und
in Offiziertracht auf dem Leibe trug. Es lag im Interesse des
Ministers, durch solche Spiele den Geschmack am Krieg zu
nähren und die Führer populär zu machen. Das Publikum hielt
auf Wahrheit, und als Lope den D. Gonzalo und Santa Cruz
ungeschichtlicher Weise in die Lützener Schlacht einführte, brach
ein Sturm von Entrüstung los.
Jene grossen Historien für den Saal „der Königreiche“ ent-
hielten zwölf Schlachten und Landungen, Belagerungen und Ent-
sätze; sie vertheilten sich unter neun Feldherrn — und sieben
Maler. Sie gehörten sämmtlich der laufenden Regierung an;
aber die Glorien, welche jene Neune umstrahlten, sammelten sich
doch auf das Haupt des Conde Duque, der den König meist zu
diesen Kriegen verleitet hatte. Da sah man Siege über Hollän-
der und Engländer, über protestantische Liga und italienische
Conföderirte, in alter und neuer Welt. Merkwürdig war, wie
man bei solcher Zerrüttung noch soviele militärische Erfolge
erzielte. In den Cortes von 1638, wo sich ergab, dass man seit
1632 über 72 Millionen Dukaten für Kriegszwecke verbraucht
hatte, ohne die Geschenke von Neapel und Sicilien, erklärte
ein gewisser Juan de Castilla, solche Thaten hätten ihres gleichen
nicht in irgend welchen Zeiten der Monarchie; man solle bei
S. M. beantragen, er möge Olivares, dessen Eifer und Sorge
man sie verdanke, die Gunst gewähren, einmal des Jahres an
seiner Tafel mit zu essen 1).
Die Auswahl der Begebenheiten hatte natürlich dieser selbst
getroffen, die Künstler wird wol Velazquez mit dem alten Zeichen-
[347]Buen Retiro.
lehrer des Königs, Juan Bautista Maino ausgesucht haben, der
selbst das Titelblatt gleichsam übernahm.
Die frühste Nachricht von dem Unternehmen verdanken
wir dem florentinischen Gesandten Serrano (28. April 1635); sein
Register giebt hier und da Auskunft, wo uns das Inventar und
die Beschreibung des Ponz (VI, 115) im Stich lässt. Zwei Stücke
fehlen in seiner Liste: der in diesem Jahre erfolgte Entsatz von
Valencia del Po durch Coloma, und die Einnahme von Acqui durch
Feria 1). Als die Botschaft von Nördlingen kam, war die Reihe
schon voll; diese Verherrlichung eines Spanien neu aufgegan-
genen Feldherrngestirns musste anderwärts untergebracht werden.
1. Ein Gemälde, das merkwürdigste von allen, stellt die Zurück-
weisung eines Einfalls im Mutterlande dar, die Landung der Engländer
bei Cadiz im Jahre 1625, und ihre Vertreibung auf die Schiffe durch
den Commandanten, D. Fernando Giron; es ist von Eugenio Caxesi
gemalt (Prado 697). „Der tapfere alte Don Fernando (so erzählt
Khevenhiller den hier dargestellten Vorgang), hat sich in einen Trag-
sessel gesetzt und durch seine Sklaven vor sechshundert seiner auser-
korenen Soldaten hertragen lassen, und achttausend Engländer, so in
einer Squadron gestanden, in der Hoffnung, der Kommandant von Xeres
werde ihm zu Hülfe kommen, angegriffen. Die Engländer haben sich
anfangs mit valor erzeigt und dem Don Fernando zweimal durch seinen
Sessel geschossen, hernach aber sind sie gewichen und mit grosser
Confusion den Schiffen zugelaufen, da ihrer gar viel ersoffen.“ (Annales
Ferdin. X, 1034).
Dieser Vorfall hatte eine unbeschreibliche Aufregung in der Provinz
und in Madrid verursacht. Man sah sich zum erstenmale im eigenen
Hause bedroht. Der König war mit Mühe zurückgehalten worden zum
Schauplatz hinzueilen. Die Erregung allgemeiner Opferwilligkeit gab
Olivares willkommene Veranlassung, Oel in das fast erloschene Feuer
nationaler Kriegslust zu giessen; er machte den Versuch dem Reiche
die Gewährung einer Art stehenden Heeres abzugewinnen. Der kurze
Zwischenfall hatte ihm selbst den Titel eines Generals der Cavallerie
von Spanien eingetragen.
2. Es folgte ein Stück aus dem Krieg gegen Holland: die Ueber-
gabe der Festung Breda (5. Juni 1625) an den Marchese Ambrogio
Spinola; neben ihm sieht man noch den Leganés zu Ross. Dieses
ebenso vorzügliche Werk war von dem jungen José Leonardo.
[348]Viertes Buch.
3. Aus dem deutschen Krieg waren drei Affären gewählt; die
Schlacht bei Fleurus in Belgien, einer der glänzendsten Siege der Spanier
in diesem Kriege (1622), gewonnen durch den Urenkel des gran
capitan, D. Gonzalo de Córdoba, über die Liga (Nr. 676).
4. Der Entsatz von Costnitz und
5. Die Einnahme von Rheinfeld durch den Herzog von Feria (1633);
alle drei sind von Vicencio Carducho (677 und 678). Sie sind die
schwächsten von allen. Da sieht man, dass das Urtheil in jenem Wett-
streit wenigstens ihm gegenüber nicht ungerecht gewesen sein kann.
6. Die italienischen Feldzüge waren vertreten durch die Einnahme
von Acqui durch denselben Feria (1626), von Leonardo (Nr. 768);
7. den Entsatz von Genua, mit der Begegnung des Dogen und
des Marques von Santa Cruz, von Antonio Pereda1), und
8. den Entsatz von Valencia del Po durch D. Carlos Coloma,
von Juan de la Corte (1635). In diesem Bilde hatte Velazquez den
Kopf des Feldherrn hinein gemalt, „der sich unter den übrigen unheim-
lich heraushob“ (a. a. O). Diess Bild war später in der Sammlung
Altamira; der jetzige Aufenthalt der beiden letzteren ist unbekannt.
9. Endlich nicht weniger als vier Episoden aus den Kriegen
in Amerika gegen die Holländer; ihre Vertreibung aus der Insel
S. Martin durch den Marques de Caderita von Eugenio Caxesi; 10. die
Wiederbesetzung der Insel S. Cristóval (der Insel des Columbus) 1626
durch D. Fadrique de Toledo, von Feliz Castello (Nr. 695) und
11. Die Einnahme von Puerto Rico durch den Admiral D. Bal-
tasar de Alfaro, von demselben (Nr. 694).
12. Das letzte Bild war von Maino. Er hatte sich die Wiedererobe-
rung der Stadt S. Salvador in Brasilien vorbehalten, die am 10. Mai 1624
von den Holländern unter dem Admiral Jacob Willekes genommen
worden war. Dargestellt ist die Landung des Don Fadrique de Toledo
in der Bai von Brasilien (Baya de todos los santos), die man von einem
Hügel aus übersieht, und die Einnahme der Festung. Gegenüber auf
steiler Höhe ragt S. Salvador, mit dem Palast des Gouverneurs, rechts be-
merkt man den Pfad, vom Landungsplatz sich hinaufwindend, auf dem
die Holländer die Festung überrumpelt hatten; am Fuss des Berges
Batterien. Die Landung wird von den Spaniern im Handgemenge gegen
Holländer und Indianer errungen, unter dem Schutz der Kanonen ihrer
[349]Buen Retiro.
Schiffe. Aber diese Vorgänge treten so zurück gegen die zwei grossen
Scenen des Vordergrundes, dass man sie fast übersieht 1).
Der Maler durfte sich erlauben, eine Art Schlüssel zu allen diesen
Geschichten denen, die ihn verstehen wollten, diskret in die Hand zu
geben. Auf einer Bühne rechts, die wahrscheinlich auf eine Insel
(Taperica) gegenüber San Salvador verlegt ist, sieht man unter dem
Baldachin, statt der Schauspieler, eine Tapisserie mit allegorischer Hand-
lung, in reicher Groteskeneinfassung. Der sehr jugendliche König, in
reich vergoldeter Rüstung, steht in der Mitte zwischen Minerva, aus deren
Hand er einen grossen Palmzweig empfängt, und Olivares, ebenfalls in
kriegerischer Tracht, der ein langes von Oelzweigen umwundenes Schwert
hält; beide setzen ihm einen Lorbeerkranz auf. Die Männer treten nieder-
geworfenen Unholden auf den Leib: Abfall und Ketzerei. Davor steht
die eigentliche Hauptperson, der Feldherr Don Fadrique, der wie der
Bänkelsänger auf der Messe seine Mordgeschichte, der Menge die be-
deutungsvolle Gruppe erklärt. Vor der Bühne drängt sich ein Parterre
von Unterthanen, kniend, mit erhobenen Händen, die etwas voreilig für
den als Preis all dieses Blutvergiessens erwarteten Frieden zu danken
scheinen. Unser Predigermönch hat es aber, seinem Ordensnamen ge-
treu, für christliche Pflicht gehalten, neben der Apotheose der Götter
dieser Erde in dem köstlichen Gewebe, auch die Kehrseite solcher Glorien,
diese aber in voller Lebendigkeit, daneben zu setzen, indem er das
menschliche Elend, mit dem diese Decoration bezahlt wird, concret
veranschaulichte. Ein schwer verwundeter Soldat liegt links von der
Bühne am Boden, arme Weiber erweisen ihm Samariterdienste, eine
verzweifelte Mutter mit Kindern, ein weinender Knabe tritt herzu. Der
Aermste ist nur eine Nummer aus der Summe von Tausenden, die
jenes Publicum so gleichgültig auszusprechen pflegte, wie die Summe der
Dukaten, die ihm gleichfalls abgepresst wurden. Diese Gruppe ist
künstlerisch das Beste in dem ganzen Cyklus. Es sind also eigentlich
drei Bilder, die historisch treue Ansicht der Aktion, mit dem See-
und Landungsgefecht, die Schlachtfeldepisode und die Apotheose Phi-
lipp IV. Dass er die Allegorie, die hier unentbehrlich war, aus dem
Leben weg in einen paño historiado verlegt, zeugt von Geschmack.
Merkwürdig ist der äusserst blasse Ton des Bildes, selbst in den Figuren
des Vordergrunds, besonders verglichen mit den sonstigen farbenkräftigen
[350]Viertes Buch.
Gemälden des Künstlers (S. 82 f.). Dieser Ton soll wahrscheinlich die
Lichtwirkung des tropischen Tages darstellen.
In den meisten Bildern ist die Aktion in den Hintergrund gerückt,
und der General in lebensvollem Bildniss mit seinem Stab auf der Anhöhe
füllt allein den Vordergrund aus. Diese grossen Figuren retten den
malerischen Charakter der Bilder, in denen das topographisch-taktische
Element mit möglicher Genauigkeit gewahrt werden sollte.
Der Einfluss des Velazquez scheint in diesen Gemälden un-
verkennbar. Der Erfolg seiner Moriscos diente den Malern als
Lehre. Den Fernando Giron mit Stab hätte er selbst kaum
lebendiger einführen können. Die beiden Stücke des Leonardo
erinnern sogar an seine Palette. Wir lasen, dass er einen Ge-
neralskopf selbst hineingemalt hatte. Später hat er eine dieser
Aktionen, ohne Zweifel weil sie ihn nicht befriedigte, eigen-
händig wiederholt und neben Leonardo’s Bild aufgehängt. Und
so hat das Unternehmen des Conde Duque zur Entstehung des
besten Kriegs- und Historienbilds der spanischen Schule den
Anstoss gegeben.
Diese zwölf Erfolge schienen dem Leiter der spanischen
Politik wol nur als ein Vorspiel zu ganz andern Ereignissen,
welche die nächste Zukunft enthüllen sollte. In demselben Jahre,
wo wir die erste Nachricht von dem Unternehmen erhalten,
wurde der Krieg mit Frankreich erklärt. Auch dieser Kampf,
der die Kraft Spaniens für immer brechen und dem alten Ruhm
seiner Infanterie ein Ende bereiten sollte, hatte noch einige glän-
zende Siege aufzuweisen, die jenen in seinem Spielerglauben be-
stärkten. Hatten nicht die Pariser 1636 von den Höhen des
Montmartre den Dampf der brennenden Dörfer der Picardie ge-
sehn, welche die Nähe des Cardinalinfanten und des Thomas von
Savoyen ankündigten? War nicht 1638 das Heer Condé’s, als es
den spanischen Boden zu betreten gewagt, von dem belagerten
Fuenterabia zuletzt in wilder Flucht zu den Schiffen geeilt?
Siegesfeste wie die, welche jetzt in dem grossen Theater von
Buen Retiro gefeiert wurden, waren in Spanien noch nicht ge-
sehn worden. Um einen melancholischen König zu zerstreuen,
wurden oft in einem Abend hundertausende verschleudert, während
die Soldaten in den blutgedüngten Feldern Flanderns und der
Lombardei hungerten, und Generale ihre Feldzugspläne aufgeben
mussten, weil Madrid keinen Succurs schicken wollte. Berauscht
durch diess prachtvolle Gaukelspiel meinte man in Madrid, die
Zeiten Carl V kämen wieder, und noch grösser. Das Jahr 1638
[351]Parkansichten.
nannte man das glücklichste Philipp IV und am Schluss dessel-
ben wurde ein Stück, Las victorias del año 1638 aufgeführt. Ein
Jahr also, ehe über diesem Belsazargelage plötzlich die Flam-
menschrift aufleuchtete, die im Abfall von Portugal, in der
Empörung Kataloniens den Zerfall des Reichs Philipp II an-
kündigte 1).
Parkansichten.
Von manchen Punkten der Gärten von Buen Retiro, sowie
der ältern Parks giebt es noch Ansichten aus jenen Tagen. Ei-
nige solche Stücke in der frühern Galerie Salamanca hatten we-
nigstens den Werth von Veduten. Wenn der Gartenstil etwas
abgezirkelt war, so herrschte doch unter dem Publikum nicht
steife Langweile. Zwischen Fontänen, Lauben und Rundtempel-
chen, hohen Taxusmauern mit Nischen bewegen sich neben
den Gästen Rehe ohne Scheu. Auf Rasenteppichen sitzen Da-
men, Blumen pflückend und Sträusse bindend, auf der Guitarre
klimpernd und den schwülstigen Galanterien der vor ihnen ge-
stikulirenden Cavaliere lauschend. Andere, malerisch freie An-
sichten werden von den Inventaren Velazquez zugeschrieben. Sie
sind meist sehr skizzenhaft, auch nachgedunkelt, aber man sieht,
was dem Maler vorgeschwebt hat: sie erwecken Erinnerungen
an alle Zauber südlicher Gärten. Von den grossen klaren
hellen Landschaften in den Reiterbildern fallen sie merklich
ab durch den stumpfen braunen Ton, besonders im Baumschlag;
auch die klecksige, ungenügende Andeutung der Figuren fällt
auf nach den feingezeichneten der Jagden. Sie haben Aehn-
lichkeit mit den Landschaften Mazo’s, vor denen sie aber die
einfach-schöne Erfindung auszeichnet.
In zwei stark beschädigten Skizzen vermuthet man den Park
von Buen Retiro (Nr. 1111 und 1112). Hinter einer Balustrade,
in deren Mitte ein Pfau sitzt, breitet sich der grosse Weiher
[352]Viertes Buch.
aus, dessen stille Fläche die Ufer sehr klar spiegelt. Eine
Barke mit rotmützigen Ruderknechten wartet am Ufer. Links
steht ein Cavalier, dem eine Dame aus dem Mantel heraus die
Hand reicht. Gegenüber schaut eine weisse Marmorstatue von
ihrem Postament herab.
Das Gegenstück hat den Blick von der Terrasse auf einen
weissen Palast mit zwei Flügeln. Vorn Jupiter mit dem Donner-
keil. An der Balustrade der Terrasse lehnt ein Paar. Links
vorn sitzt eine Frau mit ausgeschnittenem Kleid im Gras, vor
sich einen Korb mit Rosen und ein Kind.
Zwei viel grössere und ausgeführtere Parkbilder versetzen
uns auf die Insel von Aranjuez, diese Oase in der Wüste Casti-
liens, die Schöpfung Philipp II.
Nr. 1109 ist eine Ansicht der berühmten Fontäne, des Tri-
tonenbrunnens, der jetzt, in verstümmeltem Zustand, im Jardin
del Moro unter dem Schloss aufgestellt worden ist. Eine Gruppe
schlanker weisser Erlen mit ihren dünnen Kronen, über und
über mit Epheu behängt und eine Art Gitter formend, durch
welches das lichte Blau und Abendgold des klaren Himmels
einströmt, umringen und beschatten ein grosses viereckiges
Becken, in dessen Mitte aus der Riesenmuschel auf dreieckiger
Basis ein weisser Marmorbrunnen kühn emporstrebt 1). Er wurde
gespeist vom Wasser des Tajo. Säulengruppen, von Nymphen als
Karyatiden umringt, tragen zwei Schalen, die untere mit einem
Relief schwimmender Sirenen, an Delphine sich anklammernd.
Im Gipfel sendet eine Figur den Wasserstrahl empor, der in das
obere Becken herabsinkt, über den Rand in Silberfäden die
untere Schale füllt, und aus dieser in die Muscheln überspringt,
welche drei Tritonen, auf Schilde gestützt, auf der Schulter
tragen. Noch vier kleine Wasserstrahlen steigen aus den Ecken
des Bassins empor.
Diesen Tritonenbrunnen liess nach der Inschrift auf der
Basis der König 1657 hier aufstellen 2).
Im Wurzelmoos am vordersten Stamm sitzt eine Dame, der
ihr Cavalier einen Rosenstrauss überreicht. Zwei andere, die
[353]Parkansichten.
ebenfalls ihre stolzen Schultern zeigen, sitzen im Gras mit einem
grossen Blumenkorb beschäftigt, vielleicht sind es die Nymphen
der Flora, „die hier regiert und alle ihre Schätze ausstreut“. Es
ist also Frühling, denn vor der Sommersonnenglut verschwinden
rasch die Blumen. Vom Brunnen her kommt ein Mädchen mit
Rosen im Kleid. Rechts steht ein Franciscaner mit einem Herrn
in schwarzem Mantel im Gespräch. Die Vögel schreien hier so
laut, dass man
vor Horchern
unbesorgt sein
kann. Unbe-
greiflich ist das
Missverhält-
niss der Staf-
fage zu dem
Brunnen, die
Figuren vorn
sind kleiner,
als die kaum
lebensgrossen
Statuen hin-
ten. Diess, so-
wie der trübe
Ton, lässt auf
Antheil jenes
in der Per-
spective ganz
naiven Mazo
schliessen.
Der Tritonenbrunnen.
Das zweite Bild führt an den Eingang der Calle de la Reina
(Nr. 1110). So hiess die eine starke Meile lange, 22 Fuss breite,
schnurgerade Allee von mächtigen Ulmen, „viel höher, sagt Gra-
mont, als alle die ich in Niederland gesehn.“ Sie wölben sich zu
einem für die Sonnenstrahlen undurchdringlichen Tunnel. Am
Ende durchbohrt ein sonniges Pünktchen das Dunkel; die Reisen-
den der Zeit behaupten, dass man nicht bis zum Ende sehen
könne. Loisel fand beim Durchgaloppiren eine Stelle, wo man
es an keiner Seite konnte. Die Allee beginnt am Palastthor
und wird zweimal vom Tajo durchschnitten, bevor sie sich im
Dickicht verliert, „wo edle Ulmen und Trauerweiden über die
23
[354]Viertes Buch.
stille Wasserfläche sich beugen“ 1). Dies ist unser Punkt, links
glänzt der Fluss. Drei sechsspännige Hofkutschen sind im Be-
griff durch die von Parkhütern geöffneten Barrièren einzufahren;
viele Cavaliere machen Spalier. Das Bild ist ganz verdunkelt 2).
Zwei kleine Bildchen, die Consul Meade mit andern (Cur-
tis 63 f.) aus Spanien mitgebracht haben soll, und die ich in
Sir W. Stirling’s Haus in London sah, sind augenscheinlich Stu-
dien zur Staffage solcher Parkansichten. W. Burger hatten sie
sehr gefallen, er rühmt die rareté exquise, puissance de ton, einem
tropischen Blumenstrauss gleich Duft ausströmend; eine kleine
Novelle entspinne sich. Zwei im Gras sitzende Damen im Ge-
spräch mit einem Cavalier; eine Dame und ein Herr sich gegen-
übersitzend, und eine zweite Dame ihnen den Rücken kehrend 3).
Sie schienen mir indess breiter, dunkler und stumpfer als ähn-
liche Gruppen des Meisters, ihr Werth lag im unverändert er-
haltenen Zustand der ersten Skizze. —
Die gute Gesellschaft von Madrid hatte noch nicht entdeckt,
dass der Zweck solcher paradiesischer Lustörter sei, täglich zu
einer bestimmten Stunde, in betäubendem Lärm, Staub und Ge-
dränge sich gegenseitig ihre Wagen, Pferde und Garderoben zu
zeigen.
Die Uebergabe von Breda
(el cuadro de las lanzas)
steht unter den wenigen grossen Compositionen des Meisters
zweifellos oben an durch das Interesse des Gegenstandes, — wenn
auch andere durch malerische Feinheiten den Kenner noch mehr
fesseln werden. Sie ist auch das Werk, in welchem uns der Mensch
im Künstler näher tritt als sonst. Ueber die Zeit fehlen bis jetzt
Nachrichten; wir reihen es hier zunächst des Inhalts wegen an;
es gehörte zu den Kriegsstücken im Salon de los reinos von
Buen Retiro.
[355]Die Uebergabe von Breda.
Die Belagerung von Breda galt für das grösste strate-
gische Ereigniss der Zeit, ein Kapitel in der Geschichte der
Belagerungskunst, das der Belagerung von Ostende, der bisher
gefeiertsten Leistung desselben Feldherrn gleichgestellt wurde.
Für die wiedereröffnete kriegerische Politik gegen die General-
staaten schien es ein vielversprechender erster Erfolg.
Breda, in Nordbrabant nahe der Grenze Hollands gelegen,
„das rechte Auge Hollands“ 1), war 1567 von Alba besetzt, zehn
Jahre später vom Grafen von Holach wiedergenommen, an
Hautepenne wiederverloren worden und 1590 durch List in die
Hände der Oranier gefallen. Es galt den Spaniern als „Boll-
werk (antemurale) Flanderns“; nun war es ihnen ein Pfahl im
Fleisch: das „Asyl der Verschwörer“, das Ausfallsthor gegen
Brabant, eine Bedrohung Antwerpens. Es war der Familien-
sitz der Oranier, die hier ein schönes befestigtes Schloss mit
wolgepflegtem Park besassen, Moriz nannte es seine Tempe. In
der Kirche war ein prächtiges Denkmal Engelbert II, des Ge-
nerals Carl V, der der Stadt zwölf Kanonen geschenkt hatte;
hier empfing Wilhelm von Oranien den Prinzen Philipp auf seinem
Besuch in Flandern (1552). Von Natur stark war es in den
letzten Jahren zu einer Musterfestung gemacht worden, Moriz
verwies darauf in allen einschlägigen Fragen; hier bestand eine
Kriegsakademie, besucht von Franzosen, Deutschen und Eng-
ländern; die Besatzung war die Elite der alten Soldaten der
Staaten.
Im Jahre 1624 stand auf spanischer Seite fest, dass etwas
unternommen werden müsse. Die Pause des deutschen Kriegs
erlaubte den Zuzug kaiserlich-liguistischer Truppen. Der Plan
diesen für uneinnehmbar geltenden Platz anzugreifen, fand im
Kriegsrath fast allgemeinen Widerspruch. Die kampflustigen
Kapitäne erschraken bei der Aussicht einen Winter hindurch,
Jahre lang hier still zu liegen. Aber von Madrid soll das lako-
nische Billet gekommen sein: Marques — sumais Bredá — Yo
el Rey. Spinola simulirte ein Unternehmen gegen Grave und
überraschte seine Offiziere mit dem Befehl vor Breda zu rücken.
Der Kalkul war hier alles. „Mit dem Ingenieur und Ritter von
S. Jago, Giovanni de’ Medici, schreibt Khevenhiller 2), hat er sich
oftmals viele Stunden eingesperrt, und ihre Rechnung, was die
[356]Viertes Buch.
Belagerung koste, was für Zeit draufgehe, was für Kriegsbereit-
schaft vonnöthen sein würde, gemacht, und alle Accidentien so
einfallen möchten, ausgesonnen, auch hernach bekannt dass sie
in allem zugetroffen.“
Eine Zeitlang wurde über das Unternehmen gespottet. Spi-
nola hatte gleichzeitig mit der Armee Morizens zu thun und sich
vor den Belagerten zu wahren, die keinen Schuss vergeblich ab-
gaben. Eine Kugel schlug in sein Zelt, eine andere riss seinem
Pferd die Zaunstange weg. Die Schwierigkeiten der Verpro-
viantirung waren ungeheuer. Es wurde ein Doppelwall aufge-
führt mit 70 Schanzen und Basteien, innerhalb betrug ein Marsch
fünf Stunden. Um den kleinen Krieg abzuschneiden, wurde
ein Theil der Umgegend unter Wasser gesetzt. Seine Ar-
beitskraft schien übermenschlich. Er selbst wollte später (in
der Tafel der Kirche zu Breda) nur seiner Wachsamkeit (vigi-
lantia) das Gelingen danken. Er verdoppelte sich wie Cäsar, er
fastete Tage lang, schlief im Soldatenzelt, und behielt stets
seinen heitren Gleichmuth. Moriz starb vor dem Ende der Be-
lagerung, seine letzte bekümmerte Frage war nach Breda. Sein
Nachfolger Heinrich Friedrich unternahm einen Versuch zum Ent-
satz im Mai, als die Lebensmittel zu Ende gingen; er musste
sich nach blutigem Kampf zurückziehen.
Die Augen der Welt waren auf diesen Punkt gerichtet;
denn es war als wäre nicht eine Stadt, sondern ein Reich der
Kampfpreis; ausser Niederländern und Spaniern kämpften Ita-
liener, Deutsche und Franzosen. Die zwei grössten Feldherrn
der Zeit haben hier miteinander gerungen, beider Namen stand
auf dem Spiel 1). So sagte der Prinz Wladislaus von Polen, der
zum Besuch im Lager erschienen war 2). Später traf auch Herzog
Wolfgang von Pfalz-Neuburg ein, der von Madrid kam. So trat
hier wieder der Charakter hervor, den dieser endlose Krieg ange-
nommen, von dem der Erzherzog Albrecht gesagt hatte, es sei kein
Krieg mehr dessen Zweck der Sieg, sondern eine Kriegsakademie 3).
[357]Die Uebergabe von Breda.
Die Bedingungen der Uebergabe waren die ehrenvollsten
die je Belagerten zugestanden worden sind, sie waren sehr gegen
das Gefühl des Heers, und Spinola war durch einen aufgefan-
genen Brief von der äussersten Noth der Besatzung unterrichtet.
Er glaubte ihre Tapferkeit und Ausdauer verdiene diese Aner-
kennung; die Erwägung der Wechsel des Kriegsglücks, die Er-
innerung an die frühere Mässigung des Oraniers gab den Aus-
schlag. Der greise Gouverneur Justin von Nassau, ein natür-
licher Bruder Morizens, mit allen Offizieren und Soldaten „sollen,
wie tapfern Kriegsleuten gebührt, ausziehen mit ihrem vollen
Gewehr und in guter Ordnung; das Fussvolk mit fliegenden
Fahnen und Trommelschlag, Kugel im Munde, mit brennenden
Lunten; die Reiterei mit fliegenden Cornetten, Trompetenschall,
gewaffnet und beritten, wie im Feldzug.“ Auch wurden vier
Kanonen und zwei Mörser bewilligt; alles Mobiliar der Oranier;
Amnestie für die Bürger u. s. w.
Diese Kapitulation wurde am 2. Juni 1625 unterzeichnet, der
Auszug und die Uebergabe der Schlüssel fand am 5. statt. Die
Besatzung, der Gouverneur zu Pferde, verliess die Stadt durch
das Thor von Herzogenbusch; den Marsch eröffnete und schloss
die Reiterei, die aber fast alle Pferde verloren hatte. Sonst be-
fanden sich die Leute in sehr gutem Stand, ja sie machten eine
bessere Figur als die Belagerer 1). Der Zug ging nach dem
Quartier des Barons von Balançon, dessen Befestigungslinie man
für den Zweck durchbrochen hatte. Hier erwartete Spinola den
Kommandanten, umgeben von Fürsten, Edelleuten und Offizieren
zu Pferd. Die Ceremonie erfolgte wie sie auf unserm Bilde
dargestellt ist. —
Einem solchen Ereignisse musste ein langnachhallendes Echo
folgen. Schon bei der Eröffnung der Belagerung war man be-
dacht gewesen, die schnellem Vorgehen gewidmeten Schöpfungen
der Angriffs- und Vertheidigungstechnik durch die zeichnenden
Künste der Nachwelt zu erhalten. Auf den Wunsch der Statt-
halterin Isabella war Jacques Callot von Nancy ins Lager be-
rufen worden. Hier sammelte er die jetzt in der Albertina zu Wien
aufbewahrten Skizzen zu seinem grössten Kriegsbild, das jedoch
wesentlich eine topographische, sicher unter Anleitung der dor-
tigen Ingenieure gefertigte Darstellung ist 2).
[358]Viertes Buch.
Als die Nachricht am Morgen des 15. Juni in Madrid eintraf,
war (nach Alvise Corner) ein Jubel, wie nicht seit dem Tage
von Lepanto. Im Palast schickte man sich grade an zum Gang
in die Kapelle; der König ersuchte den Nuntius das Te Deum
zu singen, welches dann auch in allen Kirchen Madrids angestimmt
wurde. Spinola erhielt die grosse Commende von Castilien des
S. Jagoordens. Die Spanier schrieben den Erfolg ihrer „unbe-
sieglichen Macht“ zu, und Olivares rief, „dieser Erfolg ist
gegen die Kräfte der ganzen Welt errungen“, mit einem Sei-
tenblick auf den venezianischen Gesandten. Diese Auffassung
vergegenwärtigt Calderon’s Schauspiel. Die spanischen Haupt-
leute und Mannschaften, ihre wilde Kampflust, ihre Verachtung
andrer Nationen und ihren Ketzerhass, ihren jeder Prüfung stand-
haltenden Humor, konnte nur ein Poet zeichnen, der diese Feld-
züge selbst mitgemacht hatte. Gute Informationen sind darin
verarbeitet, nur die Feldherrn haben zuviel von der schwülstigen
Rhetorik der Don Espadachin. Zu Spinola’s Seite steht auch
ein Gonzalo de Cordoba, der Urenkel des gran capitan, die
Namen Bazan, Pimentel werden gebührend verherrlicht; es fehlt
nicht an Ausfällen auf die Italiener und Vläminger (flinflones). In
Wirklichkeit war die Einnahme von Breda ja das Werk italie-
nischer Strategik und Ingenieurkunst, und zum Theil selbst ita-
lienischer Bravour. Denn im Würfelspiel des Kriegs war auch
die einzige grosse blutige Aktion, die Zurückweisung der letzten
ernstlichen Bedrohung dieses Meisterwerks der Belagerungskunst
durch Heinrich Friedrich, den Italienern unter Carlo Romá allein
zugefallen. In Spanien vergisst man immer, wenn man von der
militärischen Befähigung der Italiener abschätzig redet, wie viel
von eignen Erfolgen auf Rechnung der Neapolitaner und Lom-
barden kommt. Diese Nation, sagt Vendramin (Relation von 1595),
hat für sich allein nie Glück gehabt, nur mit andern hat sie sich
gut bewährt. —
Bereits im Anfang der dreissiger Jahre befanden sich zwei
sehr grosse, ebenfalls topographisch-fachmässige Darstellungen, im
Palast. In der einen, im „Sommer-Geschäftszimmer des Königs“
aufgestellt, stand der Marques de Leganés einen Zettel mit der
Beschreibung in der Hand; die andere zeigte im Vordergrund
den Besuch der Statthalterin Infantin Isabella nach der Ueber-
2)
[359]Die Uebergabe von Breda.
gabe. Letztere war ein Gegenstück zur Belagerung von Ostende
(Prado 1675). Auch eine kleinere Darstellung wird aufgeführt 1).
Noch jetzt besitzt das Museum des Prado zwei Bilder derselben
Klasse (1671 und 1675 a), die zu einer Suite von niederländischen
Belagerungsstücken des Malers Peeter Snayers gehören; das
eine ist eine militärperspectivische Ansicht Breda’s mit Umgegend;
das andere gilt für das Bild des Inventars von 1636: die Köpfe
der historischen Personen sind von kundiger Hand retouchirt.
Eine malerische Darstellung durch madrider Kräfte wurde
erst zehn Jahre nach dem Ereigniss für den Saal von Buen
Retiro unternommen. José Leonardo aus Calatayud in Aragon
war ein Schüler des Eugenio Caxesi, dessen Mithülfe man bei
der Jugend des erst neunzehnjährigen Malers wohl annehmen
darf.
Zur rechten Seite ist der Hintergrund freigelassen; man
sieht den Ausmarsch der Besatzung, und die an der Seite des
Wegs aufgestellten spanischen Truppen als Zuschauer. Links
im Vordergrund auf einer Erhöhung hält Spinola mit Leganés,
beide zu Pferde, neben ihnen steht noch ein wohlbeleibter Offizier
und hinter diesem der unvermeidliche Hanswurst. Beide Reiter
verdecken fast vollständig das berittene Gefolge, über dem ein
Lanzenwald aufsteigt. In der Mitte der Leinwand, etwas zurück
steht das Pferd des Gouverneurs, daneben drei untergeordnete
Personen. Justin von Nassau kniet vor seinem Besieger, in
jeder Hand einen Schlüssel hinhaltend.
Alle diese Figuren sind vortreffliche Studien, Leganés stimmt
völlig überein mit dem Bildniss des van Dyck. Aber das Ganze
gab zu ernsten Ausstellungen Anlass. Der zerstreuten Kompo-
sition fehlt die Würde und Feierlichkeit, welche man von der
aufregenden Schlussceremonie eines solchen Kampfs forderte.
Die Begegnung beider Feldherrn ist wie zufällig; der Gouverneur
kniet wie ein Supplikant, der den Zug des siegreichen Generals
am Wege abgepasst hat und sein Schicksal bang von der Gnade
des Siegers erwartet.
Nach den Berichten der Augenzeugen waren beide abge-
stiegen. Spinola erwartete den Kommandanten umgeben von
[360]Viertes Buch.
einem „Kranz“ von Fürsten und adligen Offizieren 1); und dieser
erschien mit seiner Familie, Verwandten und vornehmen Zöglin-
gen der Kriegsakademie, die bei der Belagerung mit einge-
schlossen worden waren. Spinola begrüsste und umarmte den
Kommandanten mit freundlichem Blick (humaniter salutans) und
mit noch freundlicheren Worten, in welchen er die Tapferkeit und
Standhaftigkeit der langen Vertheidigung rühmte.
Und nun sehe man diese Gestalt hoch zu Ross, die dem
im Staub knienden Manne, einem Bilde der Demüthigung, die Hand
über den Hals des Pferdes zustreckt, mit der echt kastilischen,
aber bei dem genuesischen Edelmann übel angebrachten Miene
eisig kalten Stolzes; wie kein siegreicher Feldherr, auch ein Alba
nicht, einem besiegten gegenüber tritt.
Was besonders den Spott der Madrider herausgefordert haben
muss, war die Erscheinung des Leganés als des einzigen Auser-
wählten neben Spinola, eine Ehre die er wol nur dem Umstand
verdankte, dass er kurz darauf dessen Tochter geheirathet hatte.
Des Leganés, dem man nachsagte, dass er gar kein Soldat sei,
was er denn auch später, als ihm wichtige Führerrollen anver-
traut wurden, zum Schaden seines Landes bewiesen hat. —
Alle diese Ausstellungen hätten nun doch wol keine ver-
besserte Edition der „Uebergabe von Breda“ bewirkt, wenn
nicht noch besondre persönliche Antriebe dazu gekommen wären.
Auf jener Seefahrt von Barcelona nach Genua im Jahre 1629
war Velazquez dem Spinola nahegetreten; die gleich nachher
erfolgte tragische Katastrophe, die Belagerung von Casale, muss
ihm näher gegangen sein, als anderen Zeitgenossen, die uns nicht
ohne Bewegung schildern, wie Spinola schmählich preisgegeben
wurde, und in seiner Feldherrnehre gekränkt, mit umdüstertem
Geiste unterging. Wahr empfunden ist Quevedo’s Sonett:
Auch der Maler wollte ihm, an seinem bescheidenen Theil,
ein Denkmal setzen, indem er der wahren Gestalt des edlen Man-
nes, eines der humansten Führer seiner Zeit, so wie nur er es
konnte, Dauer gab. Die Verfälschung seines Andenkens durch
jene steife, essigsaure Figur Leonardo’s war, weil unritterlich, doch
[]
Die Uebergabe von Breda.
[][361]Die Uebergabe von Breda.
auch unspanisch. Vielleicht hatte er auf dem Schiffe ein Skizze des
Generals genommen; wenn auch keinesfalls den Gedanken zu
diesem Bilde schon gefasst; denn warum hätte er sich nicht bei
der Vertheilung der Kriegsstücke von Buen Retiro gemeldet?
Nebenbei wollte er wol ein Beispiel geben, wie eine solche Action
malerisch zu behandeln sei.
Es ist nicht mehr der etwas spitze, feine Kopf aus der
Zeit von Ostende, auch nicht das Bild ruhiger Vollkraft dieses
Schlachtendenkers, wie in dem Gemälde von Mierevelt; es ist
der Kopf mit grauen Haaren und hoher Stirn, wie ihn die schönen
Bildnisse des Rubens und besonders des van Dyck uns vor-
führen 1). Er hatte in Madrid wiederholt Fieberanfälle zu über-
stehn gehabt, von denen er sich nur langsam erholte. Aber
Velazquez konnte den Zügen auch jenes Leben einhauchen, das
dem Maler nur in vertrautem Verkehr sich aufschliesst. Seine
nicht bloss verneinende Kritik der Darstellung Leonardo’s wird
Olivares oder den König auf den Gedanken gebracht haben, ihm
eine zweite Darstellung der Rendicion de Bredá aufzutragen, wo-
fern der Wunsch nicht von ihm selbst ausgegangen ist.
Die im Wesen des Meisters begründete Maxime der
Einheit, Einfachheit bestimmt auch diese Komposition. Nur der
Moment der Uebergabe der Schlüssel und was damit zusammen-
hängt; alles andere in strengem Bezug darauf; die Ansicht der
Festung fehlt; ihr Punkt liegt am linken Ende der Leinwand.
Dagegen erscheinen nun beide Feldherrn mit dichtgedrängtem
Gefolge, das wir uns jenseits des Rahmens zu Tausenden er-
weitert denken. Denn die Raumfüllung giebt den Eindruck der
Menge; aber auch der Bedeutung des Vorgangs. Der Gouverneur
war an der Spitze der die Mitte der ausrückenden Besatzung bilden-
den Infanterie im Quartier bei Tetteringen eingetroffen, wo ihn Spi-
nola erwartete. Dort steigen beide ab; es öffnet sich der Kreis.
„Alle treten zurück“, und entblössen schweigend das Haupt. Die
Handbewegung des hellbeleuchteten Vlämingers, dem ein Ka-
[362]Viertes Buch.
merad etwas zuraunen will, scheint Stille zu gebieten. Justin geht
auf Spinola zu, aber dieser kommt ihm entgegen; indem der
Gouverneur ihn anredet und den Schlüssel hinhält, beugt jener
sich vor und legt ihm die Hand auf die Schulter. — In Blick
und Gestus liegt eine Verschmelzung vornehmer Eleganz, natür-
licher Gutmüthigkeit und italienischer Feinheit. Der siegreiche
Feldherr fühlt mit dem tapfern Manne, der diesen schweren Schritt
thut, und will ihm das Bittere nehmen 1). Auch wer die Rela-
tion nicht kennt, wird aus dem Bild alles so herauslesen, wie
es geschrieben steht. Die Worte sind nicht überliefert, doch
können Calderon’s Versen richtige Mittheilungen zu Grund liegen.
Danach hätte Justin von Nassau von dem Schmerz dieses
Moments gesprochen; nicht verhehlt, dass er in solchem Ausgang
nur das Werk des im Krieg waltenden Schicksals sehe, welches
auch die stolzesten Reiche niederwerfen kann. Und Spinola
rühmte seine Tapferkeit: die Tapferkeit des Besiegten ist des
Siegers Ehre 2). Der Commandant sieht dem General aufmerksam,
wie überrascht ins Auge. Von ihm hat dem Maler schwerlich
ein Porträt vorgelegen; er war ein Greis; insigni canitie vene-
rabilis sagt Hugo.
Die Wahl einer rein menschlichen, noblen Regung zum her-
vorstechendsten Motiv ist ein Zug, auf den nicht Jeder ge-
kommen wäre. So hat der griechische Maler der Alexander-
schlacht (die nicht bloss in den Lanzen und den Pferden an dieses
Werk erinnert) den unterliegenden Darius erhoben, der die eigne
Noth über dem sich für ihn opfernden Vasallen vergisst.
Die Namen derer, welche in der nächsten Nähe des Feldherrn
standen, werden genannt; es ist nicht einer von den sechsen darun-
ter, welche der Madrider Katalog mit ebenso billiger wie müssiger
Geschichtskenntniss aufzählt. Es waren der Prinz Wolfgang von
[363]Die Uebergabe von Breda.
Neuburg, D. Gonzalo de Cordoba, der Graf von Salazar, Graf
Heinrich van Berghe (Vérgas) und zwei sächsische Prinzen. Dann
folgten dreissig Oberste. Der Maler konnte sich indess hier Frei-
heiten gestatten oder Rücksichten nachgeben. Der Alte links,
welcher sich mit beiden Händen auf einen Stock stützt, ist
vielleicht der Chef des Quartiers, wo der Akt stattfand, Albert
Arenbergh, Baron von Balançon, Kommandeur der vlämischen
Reiterei, dem bei der Belagerung ein Bein abgeschossen wurde,
— eine Lieblingsfigur Calderon’s. Der zweite in Rüstung könnte
nach den Linien des Gesichts Wolfgang sein, der freilich bei
van Dyck noch keine so kahle Stirne hat. Der alte längliche
Kopf hinten erinnert allerdings an den nicht genannten D. Car-
los Coloma, Chef der Infanterie, der dort seit 1588 von der Pike
auf gedient hatte. Der junge Mann rechts vom Pferd ist gewiss
nicht Velazquez; durch den Hut auf dem Kopf ist er von dem
engeren Kreis ausgeschlossen.
Der Gouverneur konnte mit keiner so glänzenden Corona auf-
treten; ihn begleitete einer der Geisseln, Carl Philipp Le Comte,
seine Gemahlin, Söhne und Neffen, und ein Sohn des Prinzen
Emanuel von Portugal, eines Sprösslings der Tochter Wilhelms
von Oranien Emilia und des Bastards Antonio. In Folge der
Diagonalstellung der Axe kam diese Gruppe in eine vom Be-
trachter abgewandte Stellung. Dass diese Seite den Nieder-
ländern angewiesen wurde, war schon dadurch gegeben, dass
der Maler hier als Modelle fast nur Troupiers hatte.
Dieser niederländischen Truppe sieht man die zwölfmonat-
liche Belagerung wenig an; die feindlichen Offiziere zollten ihnen
offen ihre Bewunderung.
Ein gewöhnlicher Beobachter hätte die Augen der Umste-
henden auf die beiden Feldherrn konvergiren lassen, vielleicht
die Phraseolgie einer wohlfeilen Geberdenrethorik hinzugefügt.
Hier sieht man auf spanischer Seite ausser dem neugierig den
Kopf umdrehenden Reitknecht nur den alten Oberst mit dem
Stock den Gouverneur fixiren. Er muss sich die Leute einmal
ansehn, die ihm sein Bein abgeschossen haben. Alle andern
sehen nach verschiedenen Richtungen auseinander. Passavant
hielt das für eine „zerstreute Composition“. Aber wo das Ohr
so stark in Anspruch genommen ist, wendet sich der Blick ab,
damit die Sammlung der psychischen Kraft auf das Gehörte
nicht durch das Auge zerstreut werde.
[364]Viertes Buch.
Die Spanier, mit dem ihnen eignenh Plegma, verrathen fast
mit keiner Miene und Bewegung irgend welche Regung des
Innern; lebhafter ist die Mimik der Holländer.
Kaum braucht daran erinnert zu werden, wie Pferde, Co-
stüme, Waffen mit dem Blick des Sachkundigen, unübertreff-
lich in Farbe und Textur wiedergegeben sind. Sie allein kön-
nen das Auge lange beschäftigen. Die weite aufgebauschte
Façon der niederländischen Mode hätte Franz Hals nicht besser
getroffen. Wie vielsagend sind z. B. die Stiefel, beziehungs-
weise Füsse Spinolas und des Kommandanten. Solches Kostüm
wird jeder Historienmaler dem Velazquez beneiden, wenigstens
den unersetzlichen Vortheil, die Menschen in ihm sich bewegen
zu sehen. Heute hat man nur die Wahl zwischen dem Leben
in unmalerischer und nach wenigen Jahren lächerlicher Mode-
tracht, und archäologischen Puppen.
Verlässt man nun diesen engeren und Hauptkreis, so be-
merkt man hinter den Spaniern eine Reihe von Lanzenträgern,
nebst Fähnrich (alférez) und Flötenspieler. Ausser Hörweite keh-
ren sie der Scene den Rücken zu und betrachten die Vorüber-
ziehenden. Etwas sonderbar nehmen sich aus die 29 Lanzen von
Eschenholz (nach denen das Bild benannt wird), die fast mathe-
matisch lothrecht mehr als ein Drittel von Landschaft und Him-
mel durchschneiden. Man hat sie geschmacklos gefunden. Aber
bei ihrem Anblick schlug jedes Spaniers Herz. Ihr starrer Paral-
lelismus war das Symbol der Mannszucht, welche die spanische
Infanterie so lange zum Schrecken Europa’s gemacht hatte.
Wenige Jahre waren ins Land gegangen nach der Ausstellung
des ersten Gemäldes von Leonardo, als dieses eiserne „Aehren-
feld“1) in der Schlacht bei Rocroy (1643) von Condé niederge-
mäht wurde, — um sich nicht wieder aufzurichten.
Ungeachtet der Anfüllung des Vordergrunds hat sich der
Maler eine sehr weit auseinandergehende Fernsicht zu verschaf-
fen gewusst. Der Hintergrund gehört zu den nicht am wenigsten
gepriesenen Schönheiten des Gemäldes. In den Zwischenräumen
beider Massen erblickt man die im hellen Licht des Junimorgens
[365]Die Uebergabe von Breda.
vorbeimarschirende Besatzung. Hinter ihnen ragen wieder die
Lanzen der spalierbildenden Spanier. Den Mittelgrund schliesst
ab eine Schanze der innern Enceinte. Die links davon aufqual-
mende Rauchmasse entsteigt einem grossen Brande, vor dem Ge-
stalten, Fahnen, sich bewegen; diese Dampfsäulen, die auch sonst
die Quartiere bezeichnen, rühren von Freudenfeuern und Sal-
ven her.
Die in der dunstigen Atmosphäre dieses wässerigen Tief-
landes etwas verschwimmenden Einzelheiten der Ferne sind topo-
graphisch richtig disponirt, ganz so wie in der grossen Lein-
wand von Snayers. Der Punkt in der Mitte ist die Station des
Paul Baglioni. Die Wasserfläche zur Linken mit dem durchschnei-
denden Damm (dem „schwarzen Damm“) ist ein Theil der künst-
lichen Ueberschwemmung, durch welche Spinola sich vor der
umschwärmenden Entsatzarmee Ruhe verschaffen wollte. In
der Ebene dahinter sieht man die Silberschlange der Merka,
die in der Stadt das Flüsschen Aa aufnimmt. Die mehr als
zehn Meilen entfernte See ist natürlich nicht sichtbar.
Alles ist wie ein Aufathmen die Natur selbst scheint, im
Wehen der Morgenlüfte, ein neues Leben des Friedens, der
Hoffnung zu verheissen. —
Noch ein Blick auf das Künstlerische! „Das Werk, sagt
Mengs, enthält alle die Vollkommenheit, deren der Stoff fähig
war, und alles ist mit der höchsten Meisterschaft ausgedrückt“1).
Der Eindruck grosser Massen ist mit wenigen Figuren, der
einer unermesslichen Ausdehnung auf sehr beengter Fläche ge-
wonnen. Der geniale Kolorist hat hierzu soviel beigetragen wie
der Zeichner. Die Komposition vereinigt crystallklare Durchsich-
tigkeit der Erzählung mit allen Eigenschaften malerischer Grup-
pirung: Gleichgewicht der Massen bei Aufhebung der Ein-
förmigkeit durch die Diagonale, Concentration des Interesses
in der Hauptperson und abgestufte Unterordnung der übrigen.
[366]Viertes Buch.
Das Farbensystem ist das der Reiterbilder. Himmel und
Ferne mit ihren breiten, kühlen, grün-blauen Flächen, durch-
zogen vom weissen Schimmer des Wassers und Pulverdampfs,
geben den Grund für die warmen, farbig satten Figuren des
Vordergrunds, mit ihren rothbraunen Schatten, bis zu dem mäch-
tigen Schecken in der Ecke rechts. Auch hier ist für lichte
Punkte gesorgt, in dem Prinzen mit dem weissen sonnenbe-
leuchteten Wams (man wird an Rembrandts „Nachtwache“ er-
innert), im Glanz der Rüstung und Schimmer goldgestickter Seide;
im weissen Mantel der abschliessenden Figur rechts, der weiss
und hellblau karrirten Fahne. Die stärkste Lichtöffnung hat der
Maler in die Mitte und den Mittelgrund verlegt, in die vorbei-
defilirenden Truppen; diese Stelle giebt ihm zugleich den hellen
Grund für die zwei Protagonisten. Das Licht kommt von links,
also Südosten (denn die Uebergabe fand um zehn Uhr morgens
statt) und fällt den Spaniern ins Gesicht. Der hellste Punkt in
allen Gesichtern ist die Stirn Spinola’s. Alles ist von Luft um-
flossen, schwebt im Luftmeer.
Es ist eine militärische Ceremonie, aber eine Ceremonie, in
welcher eine lange Epopöe von Kämpfen, wo zwei gewaltige
Gegner unter Aufbietung aller Kräfte der Elemente und mensch-
lichen Verstands und Willens miteinander rangen, beschlossen
und besiegelt wurde. Alles, was diese starken, klugen und
kühnen Männer gearbeitet haben — mit jener Veste als Kampf-
preis — dessen Pathos drängt sich in diesem Moment, einem mili-
tärischen Sakrament gleichsam, zusammen.
Aber die Wellenkreise der Gedanken die es anregt, sie
schwingen noch weiter, von der Vergangenheit nach der Zukunft.
Die Gestalten des Velazquez, hier noch mehr als sonst reprä-
sentativ, beleuchten in einem Strahl das ganze Bild jenes
Weltkampfs zweier Völker und Religionen. Hier wurde von
der Hand eines spanischen Hofmalers ein spanischer Erfolg ge-
feiert, errungen durch Zusammenwirken von vier Nationen, unter
der Führung eines Genueser Condottieren. Dieser spanische Gene-
ralissimus macht der Bravour eines holländischen Kommandanten
sein Kompliment, eines Ketzer- und Rebellenchefs nach den
Begriffen seines Staats. Der Enkel jenes Philipp, welcher die
Hand des Meuchelmörders gegen den grossen Wilhelm aufrief,
er hat seinen Maler mit diesem Bild beauftragt, wo ein Nach-
folger Alba’s einen Oranier begrüsst und rühmt. Hat der
Schöpfer dieses Bildes damals schon jene Stimmung ausdrücken
[367]Die Uebergabe von Breda.
wollen, die bald nachher siegte, als man sich dort mit dem Gedan-
ken vertraut gemacht hatte, die vereinigten Provinzen als souverä-
nen Staat anzuerkennen und ihre Gesandten in der Königsburg
Philipp II zu empfangen? Wir wissen es nicht.
Jemand hat behauptet, auch als er das Museum in Madrid
gesehen hatte, „dass es Velazquez für alle in das Gebiet der
höheren geistigen Sphäre der Kunst fallende Aufgaben durchaus
an den erforderlichen Eigenschaften gefehlt habe“ 1). Den Be-
weis dieses strengen Urtheils sollen die religiösen und mytholo-
gischen Bilder beibringen.
Aber was heisst „höhere geistige Sphäre der Kunst?“
Ist es Gedanken- und Programmmalerei? wie die im Plafond des
goldschimmernden sechszehnsäuligen Saals im Palast Serra zu
Genua, wo Ambrosius Spinola, ein Elias, zwischen allegorischen
Damen zum Himmel fährt? Hätte die Minerva mit dem Hahne,
Herkules mit dem Grabscheit2) und der Flussgott Merka dabei
sein müssen?
Oder ist es der Ausdruck seelischer Vorgänge und der Ver-
stand der Anordnung, auf die man sonst die Grösse Raphaels
gründete? Wir glauben, dass die Uebergabe von Breda sich in
diesem Punkte wol neben dem Zimmer des Heliodor sehn lassen
kann. Es hat aber Kritiker gegeben, denen es schon ärgerlich
gewesen wäre, dass Velazquez nur den 5. Juni 1625 malte.
Wenige Historienbilder enthalten sowenig Geistloses (d. h.
Phrase und Schablone); an wenige ist soviel Geist (künstlerisch
und menschlich) gewandt worden; wenige geben so viel zu
denken, und noch wenigere lassen wie dieses einen Künstler von
wahrem Geistesadel erkennen. —
Ausnahmsweise finden sich mehrere Skizzen für Einzelfiguren.
In der Sammlung der Biblioteca nacional (Mittlere Bände III, 22)
ist eine Kohlenskizze auf weiss Papier, wo die Umrisse mehr
unbestimmt versucht als in festen Linien entworfen sind. Die
Hauptfigur ist der Reitknecht hinter dem Pferd Spinola’s, dessen
unverdeckte Figur gezeichnet ist, den rechten Arm in die Seite ge-
stemmt. Daneben rechts, nur halb so gross, der horchende Jüngling,
der hier zwei Finger erhebt. Auf der Rückseite desselben Blatts,
viel kleiner, in ganz stumpfer, schwacher Contour, Spinola. Ausser-
[368]Viertes Buch.
dem in dem kleinen Band I, 14 eine kleine Umrisszeichnung des
die Büchse schulternden Soldaten. Die Zeichnung im Louvre
aus Mariette’s Sammlung hat dagegen reine, feste Umrisse. Es
könnte der erste Gedanke sein. Hier sieht man das Pferd, und
die Hauptgruppe nebst den spanischen Herrn, ohne die holländische
Hälfte. Die sogenannte Farbenskizze, bekannt aus dem geist-
reichen Artikel Théophile Gautier’s, ist nur eine jener so oft
vorkommenden Kopien, — was man übrigens schon nach der
Beschreibung ahnt. Denen, welche durch Entdeckungen dieser
Art glücklich gemacht werden, will ich ein Gemälde nennen, in
dem man die erste Anregung für das Schema der Composition
finden könnte. Bei dem Einzug des Cardinalinfanten Ferdinand
in Antwerpen (im Mai 1635) hatte Rubens die Decorationen ent-
worfen; an der Arcade bei der Kirche S. Georges war u. a. zu
sehen die so oft gemalte Begegnung des Infanten mit seinem
Namensvetter und Schwager, dem Könige von Ungarn, am Vor-
abend der Schlacht bei Nördlingen (2. September 1634). Jedem
Besucher der Pradogalerie wird unser Gemälde einfallen
beim Anblick dieser von van Tulden ausgeführten und auch
radirten Skizze im Belvedere (1163). Dieselbe Diagonale, die
beiden vorgebeugten Figuren, die Gruppen der Offiziere aus
denen sie hervortreten, das Pferd mit dem Reitknecht rechts als
Zurückschieber. Der Infant wird dafür gesorgt haben, Skizzen
dieser Rubens’schen Entwürfe nach Madrid gelangen zu lassen.
Wie leicht konnte indess eine so einfache Compositionsform ge-
funden werden! sogar von Benjamin West in der Landung Carl II
in Dover.
Die Uebergabe von Breda wird zum erstenmal aufgeführt
in dem nach dem Tode Carl II (1701) aufgestellten Inventar von
Buen Retiro und zu 500 Dublonen geschätzt1). Sie hing in ver-
goldetem Rahmen zwischen dem Gemälde desselben Gegenstands
von Leonardo und dem Entsatz Genua’s von Pereda. Von 1772
an erscheint sie im neuen Palast, in der Antecamara der Infantin,
Spinola heisst Leganés!2) Im Inventar Carl III von 1789 (Pieza
de vestir) ist die Taxe 120,000 Realen. Das Bild befand sich
[369]Die Uebergabe von Breda.
ohne Zweifel von Anfang an in Buen Retiro; fänden sich frühere
Inventare dieses Lustorts, so würde man vielleicht Daten über
die Entstehungszeit erhalten. Bis jetzt fehlt es an allen Zeug-
nissen. Die Meinung, dass es 1647 gemalt sei, ist eine reine Ver-
muthung.
Diese Frage ist nicht so leicht zu beantworten. Die Wahl
des Gegenstandes würde am besten kurz nach der Mitte der
dreissige passen, bald nach Aufstellung der zwölf Feldherrnbilder
im Salon des Retiro. Das Gemälde gleichen Inhalts von José
Leonardo gehörte in der Malerei, in den Köpfen und Einzel-
heiten zu den besten des Cyclus. Was die Kritik herausforderte
waren weniger künstlerische als stofflich-geschichtliche Unge-
hörigkeiten. Aber Fehler verlieren durch Zeit und Gewöhnung
ihr Anstössiges. Ferner war die Einnahme von Breda schon am
Ende der dreissiger Jahre durch aufregende Ereignisse glück-
licher und unglücklicher Art in den Hintergrund gedrängt wor-
den. Ein kecker Einfall Condé’s und die Belagerung einer Grenz-
festung war glänzend zurückgewiesen worden; aber kurz darauf
ging Portugal verloren und der catalonische Aufstand führte zur
Occupation einer grossen Provinz durch die Franzosen. Noch
mehr, Breda war nach zwölf Jahren (1637) von den Holländern
wiedergenommen worden, und unter wenig ehrenvollen Umstän-
den für die Spanier1). Die berühmte Belagerung konnte jetzt
nur peinliche Empfindungen wecken. Ihre wiederholte Vorfüh-
rung würde besser zu dem kriegerischen, hoffnungsvollen Geist
des vierten Jahrzehnts passen.
Nun aber scheint der Stil des Gemäldes auf eine spätere
Zeit zu führen. Die Breite und Lockerheit des Pinsels kündigt
den dritten Stil an. Aber jenes signirte und datirte Porträt des
Admirals Pulido, welches Palomino als Exempel der Bravour
(valentia) anführt, wo er mit langen Borstenpinseln für den Ein-
druck aus der Ferne arbeitete, fällt schon in’s Jahr 1639.
Sucht man nach demselben System gemalte Werke, so fällt
der Blick natürlich auf die Reiterbilder. Da ist nun das einzige
sicher datirte der Prinz Balthasar, schon um 1635 gemalt. Diess
ist im Eindruck ähnlich, in der Malführung schärfer und dünner,
im Ton lichter. Olivares Reiterporträt muss ungefähr ein Lustrum
24
[370]Viertes Buch.
vor seinem Sturz (Januar 1643) entstanden sein. Das ammeisten
verwandte Philipp IV wird zwar ins folgende Jahrzehnt gesetzt,
aber diese Datirung beruht auf der irrigen Voraussetzung, dass
die Nachricht von einem auf der Reise von 1644 nach dem
Kriegsschauplatz gemalten Bildniss sich auf diess Reiterbild be-
ziehe; es dürfte nicht später als 1638 fallen, als die Statue
Tacca’s im Werk war.
Hiernach scheint mir, dass die Entstehung von Breda 1647
viel zu tief angesetzt wird. Wer eine so complicirte Maschine
aus einem Guss herstellen will, wird zu einer resoluteren, feuri-
geren, pastoseren Behandlung greifen müssen, als gewöhnlich.
Man hat bemerkt1), dass der Maler nur mit Lokalfarben gear-
beitet hat, zugleich satt, saftig, und zart, durchsichtig; es lassen
sich kaum zwei Gesichter von demselben Teint finden.
Die spanische Jagd.
Zu derselben Zeit als Olivares nach seinem Kopf dem Kö-
nige eine Villa baute und einrichtete, hatte dieser nach eignem
Geschmack ein Schlösschen sich ersonnen, das von der Schö-
pfung des valido sehr verschieden war. Es war von bescheidener
Grösse, kostete wenig, lag abgelegen im Gehölz, war nur für
vertrauteste Umgebung, und sollte mit guten neuen Bildern
einiger wenigen, aber der ersten Maler, ebenfalls nach eignen
Gedanken angefüllt werden.
Im meilenweiten Wildpark des Pardo lag ein ehrwürdiges
Jagdschloss, das Carl V neugebaut hatte. Der grosse Brand von
1608 hatte bloss seine Kunstschätze theilweise zerstört. Ein
Viereck mit Eckthürmen, eine kleine Burg; aber die mit Winter-
grün bedeckten Mauern, der breite Graben voll Blumenbeete
gaben ihm ein seiner Bestimmung entsprechendes Angesicht.
Hier war einst die unvergleichliche Bildnissgalerie der Zeitge-
nossen Philipp II. Im Innern sind nur einige Freskomalereien
des Becerra und Genossen von der alten Gestalt vor 1608 noch
übrig geblieben,
Eine halbe Meile östlich davon hatte der Kaiser einen Thurm
gebaut, zum Absteigen und Essen auf den Fahrten nach den
Forsten von Balsain hoch in der Sierra. Diese Torre de la parada
[371]Die spanische Jagd.
(Haltethurm) umgab jetzt Philipp IV mit einem Doppelgeschoss,
„gleich einem guardainfante um den Leib“1). Der Plan scheint
um die Mitte der dreissiger Jahre entstanden zu sein; wenigstens
beglückwünscht der Cardinalinfant Ferdinand in einem Brief aus
Douai vom 20. November 1636 seinen Bruder zu der prächtigen
Idee; obwol er als erfahrener Jäger besorgt ist, dass der Bau
mitten in den querencias (Wildgehegen) die Jagd verscheuchen
könnte.
Noch weiter inmitten eines Waldes hatte Ferdinand selbst
die Zarzuela sich gebaut, ein Landhaus, von dem eine neue Art
musikalischer Dramen den Namen erhielt.
Diese Schlösser standen im Herzen eines uralten Jagdreviers.
Längst ehe Madrid unter den Provincialstädten nur genannt
wurde, lag für die Könige von Castilien und Leon in diesen
Eichengründen der Hauptanziehungspunkt der spätern Residenz.
Schon im Jagdwerk Alphons XI gilt Madrid als „sehr königliches
Jagdrevier für Sauen im Winter“2). Hier wurden noch zu Phi-
lipp IV Zeit die drei grossen jährlichen Hofjagden (las grandes
monterías) gehalten. Sie dauerten acht Tage, der Jägertross
belief sich auf dreihundert Personen, die Kosten wurden zusam-
men auf 80000 Escudos berechnet. —
Von der alten spanischen Jagd, ihren Bräuchen und Aem-
tern, Festen und Abenteuern könnte Jemand, der Gelehrter und
Waidmann wäre, ein merkwürdiges Buch schreiben. Was wir
davon lesen ist uns meist fremd geworden und bedarf des Kom-
mentars wie ein alter Text.
Die Scenen die Velazquez gemalt hat, sind eines ihrer
treusten und klarsten Urkundenfragmente.
Die hohe Jagd (la caza de monte), erklärt der Herzog im
Don Quixote (II, 34), ist die nothwendigste körperliche Uebung
für Könige und Fürsten; denn sie ist das Abbild des Kriegs.
„Wie das Waffenhandwerk die Hauptsäule ist, sagt Mar-
tinez de Espinar, welche die Monarchie trägt, schirmt und
mehrt, so ist die Jagd im Frieden die nützlichste Uebung,
die vollendete Schule und das lebendige Abbild des Kriegs und
seiner Härte. Sie macht die Sinne wachsam, die Muskeln be-
[372]Viertes Buch.
weglich, die Gliedmassen straff, sie feuert die Lebensgeister an
und erhebt das Herz; in ihr verliert man die Scheu vor Blut
und das Grauen vor dem Tode.“ Kein Wunder wenn im mittel-
alterlich spanischen Staat, dessen erstes Geschäft ruheloser Krieg
war, die Jägerei eine sehr ernste Angelegenheit, der Oberjäger-
meister (montero mayor) die erste Person am Hof war. Jagd-
werke gehören zu den frühsten und umfangreichsten Denkmalen
der kastilischen Sprache. Neuerdings will man ein Jagdwerk
Sancho des Weisen von Navarra Los paramientos de la caza vom
Jahre 1180 in Pamplona entdeckt haben1). Alphons XI liess ein
Libro de monteria (um 1342—50) zusammenstellen, das auch eine
Geographie der zahlreichen Reviere von Castilien, Leon und
Granada enthält. Kein Literaturzweig weist soviele vornehme
Namen auf, von dem Prinzen Juan Manuel, dem Enkel Ferdinand
des Heiligen bis auf Argote de Molina und den Dichter Moratin.
Die Spanier hielten ihre Jagd für die kühnste und gewand-
teste (la mas brava y agil de todas). Der Cardinalinfant Ferdi-
nand, nachdem er in der Lombardei gejagt, konnte von dort an
seinen königlichen Bruder schreiben: „Gegen die Jagd in Aran-
juez und im Pardo ist alles hier nur Spass“ (burla). Als er
freilich die Jagd in Brabant mitgemacht, meint er: die Jagd ist
hier weit tapferer als in Spanien; ich weiss nicht warum, denn
da es dort so viel heisser ist, erwartet man das Gegentheil2).
Alle spanischen Fürsten waren tüchtige Jäger, sie mochten
gelehrt oder unwissend, Staatsmänner oder Simpel, Gewaltmen-
schen wie Pedro I oder Schwächlinge wie Carl II sein. Juan I
von Aragon hiess El cazador. Auch von Carl V und Philipp II hat
die Jagdchronik gefährliche Abenteuer mit den groben Sauen
aufbewahrt3).
Auch die Damen betheiligten sich lebhaft. Es giebt Bild-
nisse königlicher Damen mit Treibjagen im Hintergrund. Als
Bären im Revier des Mansanares gemeldet wurden, erschienen
sofort Isabella die Katholische und Ferdinand mit Lanzen und
Wurfspiessen bewehrt am Platz. Die Töchter Philipp II, Isabella
und Catalina erschlugen die Wölfe (welche damals in Netze ge-
[373]Die spanische Jagd.
lockt wurden) mit Keulen von Eschenholz. Der gewöhnliche
Jagdsport der Damen aber war die Kaninchenjagd, mit Spür-
hunden und Flinten. Auf solchen Jagden folgten den Hofdamen
heimlich ihre galanes, was, wenn es bekannt wurde, Verweisung
vom Hof zur Folge hatte.
Die Liebe zur Jagd war allen Klassen eigen, jeder mochte
hier gerne Virtuos sein, und mit franqueza in schweren Stücken
sich zeigen; Reiche und Lumpen lernten Vögel im Flug, Hasen
und Kaninchen im Lauf treffen, vom trabenden Pferde herab.
Jeder fühlte sich als kompetenter Kunstrichter. Indess die könig-
lichen Jagdpartien waren nur sehr wenigen zugänglich, sie blieben
auf den intimsten Kreis beschränkt. Selbst fürstliche Gäste, die
in Buen Retiro oder in der Casa del tesoro einlogirt wurden,
nahm man selten mit. Denn „bei den tagelangen Fahrten und
dem Alleinsein war zuviel Gelegenheit für Vertraulichkeit und
‚Humanität‛, die in Spanien nicht gebräuchlich war, ausser bei
nahen Verwandten und sehr grossen Fürsten.“ Nur bei den ein-
gestellten Jagden im Pardo strömten die Schaulustigen aus der
nur zwei Meilen entfernten Hauptstadt herbei, und suchten etwas
von diesem unvergleichlichen und aufregenden Schauspiel, in dem
die Majestät selbst Protagonist war, zu erhaschen.
Den Jagdhofstaat nennt der Venezianer Girolamo Giustiniani
ein Heer. Er vertheilt sich unter das alte kastilische Haus, zu
dem die monteria gehörte mit dem Montero mayor, immer einem
Granden, an der Spitze, und das burgundische Haus, die Schützen
(ballesteros), deren Haupt der Caballerizo mayor war. Die Re-
viere zwischen denen sich der Jahreslauf der Jagd bewegte,
waren der Escorial, Balsain (das spätere S. Ildefonso), Escalona,
Ventosilla del Tago, Toledo und vor allem Aranjuez, wo Dam-
und Schwarzwild und Hühner in solchem Ueberfluss waren, dass
der Umkreis von sechs Meilen „ein Thiergarten schien“.
Philipp IV war der rüstigste und verwegenste Jäger seiner
Zeit, und in diesem Stück sogar Erfinder. Bereits als dreizehn-
jähriger hatte er in Gegenwart seines Vaters und seiner Gemahlin,
von dem Falben Guijarrillo herab einen Keiler abgefangen. Und
noch an der Schwelle des Greisenalters, eine Ruine, verdiente
er sich den donnernden Beifall der Jagdgesellschaft, als er ein
mächtiges Thier im Pardo mit der Lanze durchbohrte. Einer
seiner Meisterschüsse ist zum Gegenstand eines besondern Schrift-
chens gemacht worden. In einem Thiergefecht des Palastplatzes
hatte der Stier alle seine Mitkombattanten aus dem Felde ge-
[374]Viertes Buch.
schlagen, er stand als Sieger im Kreis der weggescheuchten
oder zerissenen Thiere, darunter Bären und die Könige der
afrikanischen Wüste. Um dem Spiel einen würdigen Schluss zu
geben, befahl der König plötzlich seine Büchse zu bringen. In
einem Nu hatte er Hut und Mantel zurechtgerückt, angelegt und
das Thier niedergestreckt; also dass das Publikum sich kaum
besonnen hatte um was es sich handelte, als es schon den Blitz
des Pulvers ja, heisst es, das Blut eher fliessen sah als den
Knall hörte1).
Nach dem Zeugniss eines Fachmanns vom Jahre 1644 hatte
er damals über 400 Wölfe, 600 Hirsche und noch mehr Dam-
wild, 150 Sauen geschossen, in der Chronik der spanischen Jagd
unerhörte Zahlen2).
„Wenn alle seine Treiber und Schützen vor Erschöpfung
nicht mehr mitkommen, so fragt er mit Verwundrung und Lachen,
warum sie sich so matt stellen? Tage, Monate lang habe ich
6, 8 bis 12 Stunden täglich mit ihm gejagt, aber nie ihn müde
gesehen“. Niemand hat ihn wol mit solcher Ueberzeugung für
einen grossen Mann gehalten, als der diese Worte schrieb, der
Oberbüchsenspanner (ballestero mayor) Juan Mateos, Verfasser
des Werks über Ursprung und Würde der Jagd3). „Obwol,
sagt er hier (S. 19), die welche die Könige nie gesehen haben,
noch wissen was sie thun, sich einbilden sie seien von Zucker-
teig (alcorça) und keine Menschen, so sind sie doch Menschen
und mehr Menschen (d. h. Männer) als andere. Von ihrer Ge-
burt an kennen sie keine Stunde Nichtsthun (ocio); als Kinder
müssen sie lernen; dann unterweist man sie in allen Künsten.
Und wenn die welche in mehr Dingen geübt sind (esercitados),
auch mehr sind (son para mas), so sind die Könige mehr als
alle übrigen. Denn stets sind sie in Thätigkeit, und nie haben sie
einen Tag Musse. Wenn wir nach einem vollen Tage Jagd uns
um neun Uhr zur Ruhe begeben, so erledigt er noch bis zwei
und drei Uhr morgens Geschäfte.“
Er erzählt ferner, dass sein Herr eine neue kühne Art der
Saujagd aufgebracht habe, gegen den Rath seines Oberjäger-
meisters (cazador mayor) und unser aller. Während die rüstigsten
[375]Die spanische Jagd.
Jäger damals zwanzig Spürhunde (sabuesos) und zwei bis drei
Hatzhunde (lebreles) gebrauchten, nahm er nur wenige Spürhunde.
Einmal als er eine Sau abgefangen, die sich in dem trocknen
mit Wurzeln bedeckten Bette eines Baches versteckt hatte und
von den Saupackern nur am Schwanz gefasst werden konnte,
sagte er triumphirend zu seinen Jägern:
„Was macht es mir aus (que mas me da) ob ich die Sau
abfange (alancear, mit der Lanze), gepackt von den Hatz-
hunden oder bloss gestellt von den Stöberern? Und hört was
ich euch befehle: von heute an sollt ihr nicht mehr als zwei
Finder (ventores) loslassen, die ihr auf die Fährte gehn und
sie bestätigen.“ Ich entgegnete: „Sire, sie laufen in unwegsame
Gründe, wo die Pferde nicht hinkommen können; E. M. darf sich
nicht in Gefahr begeben, und das Leben aufs Spiel setzen.“ —
‚Schweigt, rief er, denn eure Sache ist es zu wissen, wohin das
Wild flieht, nicht was die Könige thun können; denn die sind
so tapfer zur That, wie mächtig im Gebieten. Wenn die Herrn,
wie ihr sagt, sonst gejagt haben mit vielen Spür- und Hatzhun-
den und das Schwein abgefangen haben mit der Saufeder, so
reite ich ein besseres Pferd als sie, und bin schuldig mehr zu
leisten als sie, wenn die Gelegenheit ruft. Und demgemäss be-
fehle ich, dass ihr fortan, so wie ihr Hunde in Bereitschaft habt,
die die Sau decken, also auch Pferde vorräthig haltet, damit
wenn das aufgerissen ist welches ich reite, ich ein anderes be-
steige, ihr zu folgen; denn ich will ihr nicht den Fang geben,
wenn sie krank geschossen ist.‛ — Und so geschieht es jetzo“. —
Diess war wol die längste Rede die er in seinem Leben gehalten.
Es ist eine Art Finderjagd, die für gefahrvoll und anstrengend
gilt. Dieser Hang zur einsamen Jagd war vielleicht ein deutsches
Erbtheil.
Jagdbilder.
Die Jagd hatte ihre Heldenthaten und ihre grossen Aktionen,
ihre Curiositäten und Trophäen; die Malerei, als deren fasslichste
Bestimmung immer galt, bedeutende, der Zeitlichkeit unter-
worfene Erscheinungen der Vergänglichkeit zu entziehen, wurde
berufen, den Glanzmomenten der Jagd Dauer zu verleihen. Solche
Bilder gehörten zu den Theilen der Profanmalerei, die in Spa-
nien von jeher gepflegt wurden. Ihr Platz war in den Jagd-
schlössern. Sie sind wohl zu unterscheiden von jenen nach rein
[376]Viertes Buch.
malerischen Gesichtspunkten erfundenen Jagdstücken der Paul
de Vos, Rubens, Snyders, neben denen sie sich ausnehmen wie
Chronik neben Romanze.
In den Inventaren des Pardoschlosses sind verzeichnet Jagden
auf Wölfe, Bären, Löwen, Tiger, Steinböcke und Büffel, Falken
und Hühner, letztere mit dem Deckgarn (buitron), und endlich
die Jagd auf Kaninchen (denen Spanien seinen Namen verdankt),
noch heute die verbreitetste. Auch gab es dort Scenen dieser
Art auf Tapisserien. Die merkwürdigsten unter den historischen
Jagden waren die beiden grossen Hofjagden von Lucas Cranach,
welche der Churfürst Johann Friedrich von Sachsen im Jahre 1544
im Park bei Morizburg dem Kaiser und andern Reichsfürsten zu
Ehren veranstaltet hatte, Kesseljagden, wo die Hirsche in ein
stark strömendes Wasser getrieben werden, in dessen Uferge-
sträuch die Fürsten, lebensgetreue Bildnisse, sich aufgestellt haben,
bewaffnet mit der Armbrust, die in Deutschland noch lange nach
Einführung der Feuerwaffen so beliebt war (Prado 1304 und 5).
Eine Wiederholung befindet sich im Schloss Morizburg.
Keiner von den Nachfolgern des Kaisers hat seine Jagd-
erlebnisse so oft malen lassen als Philipp IV. Es waren die
grossen Ereignisse seines Daseins; sie wurden von den Gesandten
in ihren Depeschen beschrieben. Am Schluss einer Jagd im
Prado, wo er mit fünf Edlen zu Ross sich mit einem Keiler
herumgeschlagen, der sich „wie ein Löwe wehrte und sämmtliche
Pferde aufriss“, an dem er seine Lanze zerbrach, sagte er:
Dieser Tag ist einer der denkwürdigsten (célebres), welche die
Jagd gehabt hat. Ein Beweis für das Ansehen der niederlän-
dischen Maler ist der Umstand, dass man sich auch für diese
Gedenkbilder zum Theil an sie wandte. Die unentbehrlich-
sten Vorlagen wurden dann von Madrid herübergeschickt. Mit
solchen Jagdstücken beauftragte der Cardinalinfant Ferdinand
den Maler Peter Snayers in Antwerpen (1637); „es machte,
schreibt er, Velada viel Mühe, die Skizzen dem Maler zu er-
klären“1). Hier sieht man den Jäger als Staffage eines tiefen,
lauschigen, bläulichen Waldinnern, das mehr einen flandrischen
als kastilischen Eindruck macht. In einem Kaminstück (sobrechi-
menea) der Torre (Prado 1664) sah man, wie der König abge-
stiegen, seinen Begleitern vorangeeilt und der angeschossenen
Sau allein ins Dickicht gefolgt war, wo er im Begriff ist dem
[377]Jagdbilder.
von den lebreles gepackten Thier mit der Saufeder den Fang zu
geben. Eine Verwegenheit, die ihm Abends die Königin und
die Herren „ehrerbietig verweisen“1). In dem Gegenstück (ebenda
1665) zielt er mit der Büchse auf eingekreistes Damwild; im
Grund hält das berittene Gefolge2).
Auf einem verlorenen sehr grossen Bild von Snayers, einst
in der Torre de la parada, sah man den König neben seinem
verendenden Pferd stehn, während die Brüder herbeieilten, ihm
die ihrigen anzubieten3). Diese Scene ist auch in dem Werk
des Mateos zu Fol. 12 gestochen; eine ähnliche oder dieselbe
beschreibt der toscanische Gesandte. Auch der Ausritt zur Jagd
findet sich dargestellt4) und ein grosses Jagen mit Tüchern5).
Velazquez hat dem Könige auch die merkwürdigen Hirsch-
geweihe malen müssen, welche dieser erbeutet. Die Inventare
von 1636 und 1686 nennen eine cuerna de venado in Oel gemalt,
das zweitemal schon stark beschädigt, mit einem Zettel: „Die-
sen tödtete Unser Herr Philipp IV“. Das Gegenstück eines
Hirschkopfs, den man dem Kaiser aus Deutschland gebracht,
zeigt, dass selbst diese Kleinigkeit auf einen Präcedenzfall ge-
[378]Viertes Buch.
gründet war1). Der Friedensfürst hatte in seiner Galerie „einen
alten Hirten mit einer todten Füchsin zu Füssen“, angeblich von
Velazquez2).
Tela real.
Neben diesen vom Zufall dargebotenen, in der Wildniss der
alten kastilischen Reviere vor wenigen oder keinen Zeugen be-
standenen Thaten der hohen Jagd, erschien der König auch als
Hauptjäger in ihren solennen Festen, die zugleich Schauspiele für
die Damen und den Hof waren. Zu diesen eingestellten Jagden lud
man vornehme Gäste ein, denen Spanien in seiner Glorie gezeigt
werden sollte, z. B. im Januar 1638 die Duchesse de Chevreuse,
1640 die Prinzessin von Carignan. Letztere beschreibt sehr aus-
führlich der toskanische Gesandte3). Diess sind die einzigen unter
den grossen Hoffesten, welche echte Künstler berufen wurden dar-
zustellen. Andere Feste sind nur aus den Depeschen der Diplo-
maten und aus Büchern bekannt, obwol sie doch für Maler sehr
verlockend gewesen sein müssen. In den Stiergefechten der
plaza mayor und de palacio stritten damals noch die Edelleute
des Hofs von ihren Trabanten begleitet, während sie heute zu
einer Geldspeculation von Virtuosen niedrer Herkunft herabge-
sunken sind, die sich zum Theil an die barbarischen Instinkte
der Massen wenden. Von ihnen hat ein Spanier gesagt: Ohne sie
wären wir die letzte der gebildeten Nationen, mit ihnen sind wir
die erste der barbarischen. Im Rohrspeerturnier (cañas) und
im Parejas-Reiten entfalteten sich die Künste der hohen Schule,
die Pracht und Phantasie der Kostüme.
Jene grandes monterias schlossen die Hülfe von Flandern
aus. Die eigenthümlichen Bräuche, die Menge lebender Personen,
[379]Tela real.
die dabei vorgeführt werden mussten, forderten vom Darsteller
Kenntniss des Sports, die Treffsicherheit des grossen Bild-
nissmalers und das Genie Callot’s für räumliche Austheilung
von hunderten charakteristischer Figürchen. Wenige Bilder ha-
ben unserm Maler wol soviel Mühe gekostet. Zu keinen finden
sich so viele Vorstudien, besonders der Zuschauergruppen, die
man zuweilen für selbständige Gemälde gehalten und so gedeu-
tet hat. Der Auftraggeber wollte ein exaktes Bild sehn, wie
eine Momentphotographie, und so sehn sie in der That aus: aber
ein Mann wie Velazquez malt keine Hofzeitung: nur Maler
vermögen zu beurtheilen, wieviel versteckte Kunst und Berech-
nung darin enthalten ist. Ein Theil der Figuren sind Skizzen
für grosse Bildnisse gleichwerthig.
Es gab in den königlichen Schlössern früherer Jahrhunderte
mehrere grosse Saujagden, darunter mindestens zwei, die Velaz-
quez zugeschrieben wurden. Die Entstehungszeit und die Wan-
derungen der einzigen erhaltenen sind daraus nicht sicher zu
ermitteln1). Sie befinden sich natürlich im heutigen klassischen
Lande des Sports, England. Das grosse Gemälde für die Torre
de la parada, von dem der Maler in dem Gesuch vom Jahr 1637
(S. 332) spricht, ist wahrscheinlich eine solche Jagd.
„Die Saujagd, schreibt der Cardinalinfant Ferdinand aus
Brüssel den 21. Januar 1638, ist die grösste Jagd von allen.“
Nach Juan Mateos und Martinez de Espinar hat sich über alle
[380]Viertes Buch.
andern dieser Klasse erhoben die zu Pferd, wegen der Entschlos-
senheit und Gewandtheit die dazu gehört, und wegen der Stra-
pazen und Gefahren, welche die Schwierigkeit des Bodens und
die Furchtbarkeit des Wildschweins bedingt, das schneidiger
(executivo, leichter annimmt) ist als selbst der spanische Stier und
„giftig von Odem und Hauer“ (colmilla).
Lange umfassende Vorbereitungen waren erforderlich zu
einer eingestellten Saujagd (monteria de jabalí en tela cerrada).
Ein Theil des Reviers wurde mit Tüchern von Hanf „wie mit
einer Mauer“ eingekreist, und das Wild durch Anlegung eines
Fütterungs- oder Köderplatzes (cebadero) angekirrt. In der damals
schon wildarmen Umgebung von Madrid musste man wohl zwei
Meilen Umkreis, ein halbes Revier (medio monte) umspannen.
Solche telas hatte Carl V aus Deutschland eingeführt und damit
diese Art Jagd. Nur der König konnte sich dieses kostspielige
Vergnügen erlauben. Die einzelnen Stücke waren 36—40 Schritte
lang, wurden miteinander durch Holzknöpfe verbunden und mit-
telst Ringen an Fichtenstangen mit Haken aufgehängt, der untere
Saum aber in der Erde vergraben. Jene Stangen wurden wie
bei Zelten durch zwei, eine äussere und innere gestützt. Man
brauchte zwölf, neuerdings zwanzig Wagen Leinwand, die Olivares
aus Flandern kommen liess. Quevedo meint, man könne damit
den Entsatz einer Festung bestreiten1). Ein Thor von zweihun-
dert Schritt Breite wurde offen gelassen, und wenn man genug
Thiere eingetrieben hatte, vorsichtig geschlossen. Im Jahre 1638
bestätigte man vierzig, von denen man die stärksten acht aus-
wählte. Dann wurde ein Kampfplatz im Centrum jenes einge-
kreisten Reviers gesucht, der eben, ohne Löcher und gern sumpfig
gewählt wurde, und die hundert Schritt im Durchmesser haltende
contratela (von den Italiern serraglio genannt) mit doppelter, drei
Ellen hoher Tuchwand gestellt. Die Eichen wurden der Pferde
wegen abgeästet.
Diese Contratela sieht man auf dem Gemälde errichtet um
eine amphiteatralische Thalmulde, wie ein Krater. Gegenüber
erhebt sich der steile, von Schluchten zerrissene, mit düstern
Eichen bedeckte Abhang; hie und da wirft der blosse gelbe
Sand blendendes Sonnenlicht zurück; in der Mitte breitet sich
[381]Tela real.
die helle Arena aus, wo mehrere Gruppen berittener Jäger
vollen Platz haben sich zu tummeln, Staubwolken aufwirbelnd.
Davor der schmale Vordergrund diesseits der Contratela, mit dem
bunten Saum des wachehaltenden Trosses und vornehmer Zu-
schauergruppen. Ueber allem der blaue Himmel mit blendend-
weissen Wölkchen.
Zur Zeit Philipp II erschienen die Herren in der Arena mit
nacktem Stossdegen (estoques), die Sau im Kampf (á batalla) ab-
zufangen. In unsrer Vorstellung haben sie den Degen mit der
horquilla oder media luna vertauscht, Stangen von Fichtenholz,
ähnlich dem garrochon der Stierkämpfer, mit gabelförmigen kur-
zen Zinken (die des Königs vergoldet). Diese Gabel wurde der
Sau in das Gebräch gesetzt, um sie vom Pferde abzudrängen.
Wahrscheinlich um den Sport zum Schauspiel zu verlängern
Gewandtheit und Kraft zu entfalten. Die Sauen wurden aufge-
trieben, verfolgt, abgedrängt, verwundet, bis sie, ermattet, auf-
hörten anzugreifen. Dann erschienen Jäger zu Fuss mit der gan-
zen Meute, den Rüden (alanos) und fingen sie ab: der Abend
vereinte Jäger und Meute unter des Königs Fenster zum Geweide.
Es ist also eine Art Plänklerjagd, ganz so wie im Stiergefecht
die picadores und banderillas dem espada vorangehn, nur dass da
der matador die Hauptperson ist. Der König hat die horquilla
eben einem heranstürmenden Keiler in die Seite gesetzt. Wenn
die Stange zerbrach, so reichte ihm der Oberjägermeister, der
Condestabile von Castilien, eine neue. Bei der Jagd zu Ehren
der Chevreuse verbrauchte er ein Dutzend. Die Helden des
Tags sind sehr leicht skizzirt, aber man erkennt Philipp IV an
den paar Punkten, die sein Gesicht vorstellen, sofort. Er hält
rechts wegen der Nähe der Damen. Neben ihm Olivares als
Caballerizo mayor. Unser Hofbüchsenspanner Mateos kommt
hinter ihm. Wäre hier wirklich jene Jagd von 1638 dargestellt,
so könnte der auf dem Schimmel hinter dem Minister nicht Ferdi-
nand sein. Aber der baarhäuptige auf dem ruhigstehenden Pferde
in der zweiten Gruppe links von S. M. dürfte Don Luis de Haro
sein, der mit seinem Vater, dem Marques del Carpio anwesend
war. Am andern Ende umringen fünf Reiter die von zwei Rüden
am Ohr gepackte Sau. Die Pferde sind schmächtiger als die
prachtvollen Thiere der grossen Reiterbilder, die zu kostbar
waren, um hier geopfert zu werden.
Ausser den Jägern befinden sich in der Arena noch einige
grosse dunkelblaue Kutschen mit breiten niedrigen Glasfenstern
[382]Viertes Buch.
vorn, und Oeffnungen an den Seiten; zwischen rothen Vorhängen
erkennt man Damen, in der zweiten die Königin Isabella. Die
Maulthiere sind natürlich ausgespannt und entfernt worden. Die
Damen würden es gewiss sehr übel genommen haben, wenn man
ihnen einen sichern Platz ausserhalb gegeben hätte. Die Sauen
machten zuweilen unglaublich hohe Sprünge, deshalb bekamen
die Damen selbst Gabeln, sie abzuwehren. Uebrigens hielten
zwei Jäger mit Spiessen neben der Kutsche der Königin Wache.
In dem Museum des Instituto Asturiano zu Gijon ist die
Zeichnung einer solchen Kutsche von Velazquez, die auch ver-
öffentlicht ist.
Obwol das Gemälde bis jetzt bei Lebzeiten des Malers in
den Inventaren nicht nachzuweisen ist, so kann man doch mit
Sicherheit sagen, dass es in dieser Zeit, wahrscheinlich gegen
Ende der dreissiger Jahre entstanden ist. Die Behauptung des
Madrider Katalogs (S. 642), der es nach der zweiten italienischen
Reise setzt, wird schon durch die Anwesenheit des Olivares hin-
fällig. Solche Festlichkeitsbilder will man unmittelbar nach der
Veranlassung; man malt nicht nach zehn Jahren eine längst ver-
flossene Jagd mit längst und gern vergessenen Personen.
Malerisch betrachtet ist das Publikum eigentlich wichtiger
als die Komödianten. Die Rollen sind gewissermassen vertauscht:
Majestät und Granden arbeiten sich ab im Staub, der Unterthan
nebst dem Tross geniesst das Schauspiel, ja achtet es zuweilen
nicht einmal der Mühe werth sich umzudrehen. Man macht
sich’s im Gras bequem, oder kehrt, Hofchronik besorgend, den
illustren Gladiatoren den Rücken. Diese Gruppen verdienten
in einem grossen Stich ans Licht gezogen zu werden. Man
könnte daraus einen hübschen Atlas machen: tipos de la corte,
tipos castellanos del XVI. Da seht den Bauer unter dem Baume
rechts, der mit Elnbogen und Thorax dem geduldigen Rücken
seines lieben Grauen aufliegt: ist es nicht Sancho Panza? Zwei
Racker im Gras, einer den Wasserkrug an den Mund setzend,
scheinen sie nicht eine Skizze Murillo’s? Der Bettelmann im
braunen Mantel, mit beiden Händen auf seinen Stock gestüzt,
ist gewiss ein privilegirter Kapitalist, der die Herrn mit Würde
auffordert, sich ihr Guthaben beim lieben Gott durch seine Ver-
mittelung zu vermehren. Dann der Reiter, der seine Gerte an den
harten Flanken seines eigensinnigen Maulthiers zerschlägt,
während sein escudero von hinten schiebt. Zwei Cavaliere die
sich correkte Complimente machen. Die Gruppe sachkundiger
[383]Tela real.
Hundejungen neben dem Rüdemann (montero de trahilla), ge-
schaart um den schönen, von einer jener Sauen aufgerissenen
Saupacker. Man glaubt nicht, dass es soviele sind, wie sie da
verstreut stehn, ohne eine Spur von Gruppirungsrecepten, oder
Ausfüllfiguren; doch zählt man, selbst nach Abzug der nur an-
gedeuteten Köpfe, über hundert Figuren, draussen etwa sechszig,
fünfzig innerhalb der Tücher.
Unter allen ist durch Beleuchtung, Farbe und Isolirung be-
tont die Gruppe der zwei (oder drei) Hofleute in grauem und
scharlachnem Mantel mit dem Geistlichen, vielleicht dem Jagd-
kaplan. Sie stehn abgewandt von der Jagd, sie haben wichtigere
Dinge zu besprechen, sie sind Meilen entfernt von den Leuten
in ihrer Hörweite. Ueberhaupt kann der Kontrast dieser in allen
Klassen sich verständig und würdig benehmenden Jagdgenossen
mit heutigen Scenen des Publikums beim Turf in seiner hyste-
rischen Aufgeregtheit nicht grösser gedacht werden.
Es ist unmöglich in so kleinem Raum soviel Inhalt zusam-
menzudrängen 1). In diesem Streifen ist mehr von Costüm- und
Charakterfiguren, Typen von Stand und Metier, Motiven male-
rischer Stellungen, als im ganzen Oeuvre gefeierter Genremaler,
die als ihres Publikums sichere Regisseure stets dasselbe Pup-
penpersonal tanzen lassen. —
Ferdinand VII schenkte das Bild, nachdem Goya eine Kopie
davon gemacht (Prado 1116), dem englischen Gesandten Sir Henry
Wellesley (1810—13), dem späteren Lord Cowley. Dieser verkaufte
es 1846 für 2200 £ an die Nationalgalerie. Es hatte sehr gelitten,
wahrscheinlich bei dem Palastbrand, und musste nun gründlich
restaurirt werden, d. h. an schadhaften Stellen übermalt, rentoilirt
und gebügelt. Eine phantastische Schilderung, die der Maler
Lance, der es sechs Wochen lang in der Cur gehabt, von seiner
Neuschöpfung gab, veranlasste eine parlamentarische Untersu-
chung. „Sechs Wochen lang bearbeitete der englische Künstler
die castilische Ruine, hier eine Wunde heilend, dort ein Loch
zuflickend, Bäume, Gras, Himmel und Figuren hervorholend,
Rossen zu Reitern und Reitern zu Rossen verhelfend, ja aus
eigener Phantasie eine Mauleselgruppe vorn hervorzaubernd, auf
einer Stelle von der Grösse eines Blattes Schellenpapier.“ Indess
bei der Confrontirung des Bildes musste er gestehn, dass er in
[384]Viertes Buch.
dieser Schilderung stärkere Farben aufgetragen habe als auf der
Leinwand, und dass von jenen armen Mauleseln echte Ohren,
Hälse, Rücken als Unterlage seiner wundärztlichen Kunst geblie-
ben waren. Ein Vergleich mit der von Stirling besorgten Durch-
zeichnung der angefochtenen Theile nach Goya’s Kopie ergab
volle Uebereinstimmung, ausgenommen in Kleinigkeiten, nur neben
dem Reiterpaar vorn in der Mitte hatte er einem Fussgänger
ein Ross unter die Beine geschoben. Der Anblick der Lein-
wand wird Jedermann überzeugen, dass von einer Uebermalung
keine Rede sein kann. Die Farbe ist voll feiner und breiter
Risse, durch Putzen sind viele Figuren zu Schatten geworden,
der Baumschlag ist nachgedunkelt.
Eine Vorstellung von dem ursprünglichen Zustand giebt eine
abgekürzte — Wiederholung oder ein erster Versuch? — in
Hertford House (24 × 42). Sie stammt aus der Northwick-Ga-
lerie. Hier fehlen die Damenkutschen und die unbedeutendere
grössere Hälfte der Zuschauerschaft; die andere Hälfte stimmt
wörtlich überein. Alles ist frischer, farbiger, bestimmter.
Jene Hauptgruppe muss bekannte und angesehene Persön-
lichkeiten vorgestellt haben. Man hat daraus ein eigenes Bild
gemacht. Lord Grantham, 1771—83 Gesandter in Madrid, brachte
es mit, Gainsborough kopirte es, jetzt besitzt es Earl Co wper.
Die Figuren sind ein Drittel länger und stehn ganz einsam, wie
Verschwörer, unter einem gewölbten Raum, der sich nach einer
bergigen Landschaft öffnet. Die Bäume zeigen die Schule, die
Farbe aber ist schwer und trüb.
Zu den auf grossen Jagden gemalten Studien dürften auch
zwei breit und skizzenhaft gemalte Schulbildchen gehören, die
aus der Sammlung eben jenes Lord Cowley stammen und in die
Sammlung des Herrn Wesendonk in Berlin kamen. Ein Jagd-
frühstück in der Wildniss; einige Herrn im Gras vor einer Ser-
viette mit Gabelfrühstück; einige greise pordioseros haben sich
mit dem Witterungssinn der Fliege eingefunden und werden mit
guten Brocken und sogar dem köstlichen Wein aus dem Becher
der Herren glücklich gemacht. Andere, abgewandt sitzend, spähen
und winken in die Ferne. Das zweite Stück stellt einen alten
montero de trahilla dar, der am Boden sitzend zwei ungeduldige
Jagdhunde an der Leine hält, die ein Zwerg in schwarzer Hof-
tracht zu beruhigen sucht. —
Der Platz wo die Saujagd stattfindet, wird gewöhnlich als
der sogenannte hoyo (Grube) im Pardo bezeichnet. In den In-
[385]Tela real.
ventaren des Schlosses von 1772 und 1789 werden zwei Jagd-
stücke des Velazquez aufgeführt, die Jagd der Wolfs- oder
Fanggrube (la caza llamada del oyo); in der Torre de la pa-
rada sah man denselben Gegenstand von Cornelis de Vos ge-
malt (la monteria de el fosso) auf einer sieben Ellen langen
Leinwand 1). Aber jene Bilder waren viel grösser als das
unsrige, und der Kunstausdruck bezeichnet eine von der kö-
niglichen Tücherjagd
ganz verschiedene
Jagd. Die Monteria
del hoyo war nach
Martinez (S. 175) kei-
ne ritterliche Jagd,
sondern eine Art
Volks- und Noth-
jagd. Sie bestand in
einem Massenmord
des Wilds, zu dem
sich die armen Um-
wohner grosser Re-
viere zuweilen ver-
einigten, um sich
und ihre Fluren vor
der Ueberfluthung
des Hoch- und Raub-
wildes zu retten. Zu
dem Zweck wurde
eine Grube von drei
Klafter Tiefe und
Gruppe aus der Saujagd.
ebensoviel Durchmesser angelegt. Ein von Astgeflecht ein-
geschlossener Lauf, dreihundert Schritt lang, führte auf die
Grube; er erweiterte sich bis mitten in das Revier und wurde
zuletzt von lebendigen Wänden der Bauern abgelöst. In
diese Bahn wurde das Wild gelockt, vorwärts gehetzt und
25
[386]Viertes Buch.
stürzte am Ende in die Tiefe. Es war kein edles, doch immerhin
für den Jäger merkwürdiges Schauspiel, das verschiedene Ge-
bahren der Thiere (Wölfe, Damwild, Sauen und Füchse) ihrem
Charakter gemäss zu beobachten, wenn sie sich in dem engen
Raum ohne Aussicht auf Entkommen eingeschlossen fanden.
Der König hat an drei Orten, in Aranjuez, in Valvelada und
Real de Mansanares geruht diese Jagd mitanzusehn; für ihn
und die Königin waren Stühle gestellt, die Damen sassen auf
Teppichen.
Die Hirschjagd
hat mehr als die vorige den Charakter eines Schauspiels, ja eines
Fechterspiels; überhaupt ist sie als Bild bewegter, figuren- und
farbenreicher. Auch die Landschaft ist ansprechender als jener
tiefe, düstere Krater. Der Schauplatz ist der Saum eines Parks,
von dem man weithin in die offene Ebene blickt. An dem herr-
lichen Hochwald erkennt man Aranjuez. Hier wurden im Mai
die grossen Hirschjagden gehalten. Links schieben sich dichte
Baummassen vor, durch deren dunkles Grün die Nachmittags-
sonne glänzt; weiterhin entsteigen dem Dickicht Cypressen, den
wenig bewölkten Himmel durchschneidend; dazwischen eine
Kapelle, ein Weiher, ein Pavillon; dann, rechts die Ebene, in
der Mitte von einem Sonnenstreifen durchschnitten; die Ferne ist
von flachen, abgeplatteten Hügeln begrenzt.
Auch diese Jagd weicht erheblich ab von den üblichen
Monterias de venados, wie sie Argote de Molina schildert. Das
ahnungslose Damwild wurde mit Vorsicht und List im Umkreis
einer Meile eingeschlossen; der Tücherring allmählich verengert,
bis man es in einer Stallung von dem Umfang eines Stierstalls
(toril) beisammen hatte. Diese öffnete sich in einen ebenfalls
von Tüchern eingeschlossenen Lauf (carrera) von 40 Schritt Breite
und 400 Länge; durch ihn wurden die Thiere von den Wind-
hunden vorwärts getrieben bis an eine mit Laub bekränzte
Tribüne (enramada), in der die hohen Zuschauer Platz nahmen.
Vor ihr wurden früherhin die Hatzhunde losgelassen, welche sie
anfielen und zerrissen. Die Neuerung, die man hier dargestellt
sieht und welche Martinez de Espinar (S. 133) beschreibt, besteht
darin, dass die Fürsten und ihre Grossen nicht mehr Zuschauer
sind, sondern Matadore. Den Genuss des Zusehens überlassen sie
den Damen. Unmittelbar unter der Bühne haben sie sich aufge-
[387]Die Hirschjagd.
stellt und versuchen die ankommenden Thiere mit ihren Jagd-
messern abzufangen.
Den Vordergrund durchschneiden also schräg der Länge
nach die beiden weissen Tücherstreifen jenes eingeschlossenen
Laufs, in welchen berittene Treiber die Hirsche gejagt haben.
An ihrem Ende steht ein mit rothem Tuch ausgeschlagenes
Schaugerüst (tabladillo), auf dem zwölf Damen, darunter drei in
Klostertracht sitzen. Die Damen tragen ausgeschnittene Kleider,
jedes von anderer Farbe. Die vorn in der Mitte auf rothem
Kissen mit abgewandtem Antlitz, in gelbem Kleid und mit weissen
Schleifen im Haar ist wahrscheinlich Isabella von Bourbon. Unter
der Tribüne haben sich in den Schranken vier Cavaliere aufge-
stellt, der König, seine zwei Brüder und der Minister. Voran
Seine Majestät, gefolgt von dem unvermeidlichen Olivares; die
zwei vordern schwenken die Jagdmesser rückwärts, während
die hinteren ihre Waffe wie zielend vorstrecken. Die höchste
Anspannung schneidiger Geistesgegenwart wurde hier erfordert;
„man dachte die heranstürmenden Thiere in der Mitte zu spalten,“
konnte aber froh sein einem die Sehnen der Läufe zu durch-
schneiden; oft setzten sie über die Cavaliere hinweg, selten ge-
lang es einige zur Strecke zu bringen. Die Bahn läuft unter der
Damentribüne her, unter und hinter der die etwa durchgekom-
menen Thiere ergriffen und getödtet werden. Drei haben einen
Hirsch am Geweih gepackt; Hunde werden mit Stöcken abge-
halten sich auf die am Boden hingestreckten erlegten Thiere
zu stürzen. Man sieht, die Damen geniessen den frisch und
warm aufsteigenden Blutgeruch.
Diese carrera de gamos war ein sehr selten befohlenes, aber
um so höher gehaltenes und gesuchtes Hoffest.
Zu den Seiten der Bahn bewegt sich ein zahlreiches, aus
Personen aller Stände, Edelleuten, Jägern, frohnenden Bauern,
biedern Bürgern und Bauern der Nachbarschaft, Lakaien und
Marketendern bestehendes Publicum. Vorn etwa achzig Personen.
Jene berittenen Treiber machen ausserhalb längs der Bahn Halt
und betrachten sich, Hut in der Hand, das Schauspiel. Einer ist
abgeworfen worden, das Pferd geht durch.
Die vornehmste Person im Vordergrund ist ein junger wol-
gewachsener Herr, mit rothweissem Federbusch, in etwas verkürz-
tem Profil, breitem gesticktem Kragen, gelben Stulpstiefeln; viel-
leicht ein fürstlicher Gast. Vor ihm steht ein schwarzer Krauskopf
mit runden starken Zügen, baarhaupt; in der Nähe eine rothe
[388]Viertes Buch.
Karosse mit schwarzem Deckel, ein Schimmel und ein Falber,
dessen Reiter man für unsern Martinez de Espinar gehalten hat.
Zwischen die Vornehmen drängt sich, unbelästigt durch klein-
liche Polizei, das Volk (keine zwei Plätze!) und betrachtet
sich Seine Majestät wie einen diestro. Gute Väter, die ihr Söhn-
chen rittlings auf die Schultern gesetzt haben. Am besten sieht
ihn ein Wicht, der ein Loch in der Leinwand entdeckt hat und
mit gebeugten Knien durchblinzelt. Ein plumpknochiger Neger-
zwerg mit breitem Hut, Säbelbeinen, führt einen mächtigen Rüden
mit schwarz und weissgestreiftem Kopfe an der Leine. Ausser
den unentbehrlichen Bettelbuben links in der vordersten dunklen
Ecke der Aguador in rothem Rock und ein Markedenter mit
Schinken. Auch hier drehen die Hauptgruppen der Vornehmen
der Jagd den Rücken zu. Gaffen, Staunen, loyale Aufregung
ist unter ihrem Stand, das überlassen sie den Leuten „ohne
Geburt.“ —
Ein Urtheil über dieses Gemälde ist nicht leicht, aus äusseren
und inneren Gründen. Ohne Zweifel kommt es aus dem Obrador
des Velazquez, aber seine Hand ist weniger ins Auge springend
als in der Saujagd. Die Figuren schienen mir eingehender behan-
delt, die braunen Schatten etwas mehr durchgewachsen, obwol der
Gesammteindruck frischer und heiterer ist. Gewiss kann ein
Werk von so schwieriger und meisterhafter Anordnung von Nie-
mand als dem Meister construirt sein. Aber es erscheint erst in
einem sehr späten Inventar (des Palasts von 1772) unter seinem
Namen. Dagegen führt ein ebenso beschriebenes Jagdstück in
der Torre de la parada (1714) den Namen Seniers [Snayers] und
ein drittes im alten Schloss (1686) den des Schülers Juan Ba. del
Mazo 1). Joseph Bonaparte nahm es mit und verkaufte es Mr. Ba-
[389]Die drei Jäger.
ring; es befindet sich noch heute in Bath House, im Besitz
Lord Ashburtons.
In dem Inventar des Alcazar von 1686 wird dem Velazquez
auch ein grosses Treibjagen auf Wölfe zugeschrieben, das ebenso
hoch wie die Hirschjagd taxirt wurde 1).
Die drei Jäger.
In der Torre de la parada, in demselben siebenten Saal,
wo die Reihe der grossen Jagdstücke hing, sah man auch drei
Figuren des Königs, seines Bruders D. Ferdinand und seines Söhn-
chens Balthasar, im Jagdanzug, mit Hunden, auf dem Anstand. Sie
wanderten nach der Verwüstung des Schlösschens nach Madrid,
standen im Bourbonenpalast im cuarto des Infanten Javier und sind
jetzt im Prado 2). Aber auch das Palastinventar von 1686 führt,
gleichzeitig also, zwei Jägerbildnisse der ersteren auf, in dem
Zimmer des Thurms nach dem Park zu, das ebenfalls ganz für
Jagdstücke bestimmt war. Beide, vielleicht alle drei müssen also
in Wiederholungen existirt haben. In der That fehlt es auch
heute nicht an solchen.
Obwol die drei Bildnisse genau die gleiche Höhe haben, in
Anordnung, Tracht, Landschaft sehr übereinstimmen, und in den
Abwechslungen, z. B. dem Fassen der Schusswaffe, den Hunde-
racen, dem Baum des Vordergrunds aufeinander berechnet scheinen,
so können sie doch nicht gleichzeitig entstanden sein. Der Prinz
ist nach der Altersangabe (Anno aetatis suae VI.) gegen 1635
aufgenommen, um dasselbe Jahr der etwa dreissigjährige Vater,
zu einer Zeit wo Ferdinand längst (1632) Spanien verlassen hatte.
Nach dem sehr jugendlichen Gesicht dürfte ihn Velazquez sogar
vor seiner italienischen Reise gemalt haben. Dieser leiden-
schaftliche Jäger und neunzehnjährige Erzbischof Primas hatte
wohl zuerst ein retrato de cazeria von sich sehen wollen. Als er
[390]Viertes Buch.
schon Jahre lang in der Ferne weilte, und das Conterfei des ihm
treu ergebenen Bruders dem König soviel theurer geworden war,
kam dieser auf den Gedanken, sich selbst zur Erinnerung an
glückliche Tage in den Jagdgründen des Pardo und in der
Zarzuela als Gegenstück malen zu lassen. In den Annalen der
königlichen Porträtmalerei war diess Kostüm, soviel mir bekannt,
neu. Der sechsjährige Prinz verdiente sich damals die ersten
Sporen in den montes, er schloss sich als dritter an.
Der Infant Ferdinand kommt nur an dieser Stelle im Werk
des Malers vor. Alle seine zahlreichen, in vielen Galerien auch
ausser Spanien verbreiteten Bildnisse sind von Niederländern 1)
und aus den letzten Lebensjahren, die er in Flandern verbrachte
(1636—41). Er hatte das Glück Rubens, van Dyck, Gaspar de
Crayer und die ersten Stecher der Rubens’schen Schule zu
seiner Verfügung zu finden. Das bestechendste ist das Reiter-
bild im Prado von Rubens selbst, das feinste, vornehmste und
letzte das von van Dyck (Nr. 1321).
Ferdinand, der zweite Sohn Philipp III und der Margaretha
von Oestreich, wurde am 16. Mai 1609 im Escorial geboren. Als
neunjähriger Knabe erhielt er das Erzbisthum Toledo, dessen
beträchtliche Renten man der Krone zuwenden wollte, und
zwei Jahre später (1620) den rothen Hut, den ihm der Cardinal
Zapata im Palast zu Madrid überreichte. Er gehört zu der Zahl
der acht, die vor dem vierzehnten Jahr Cardinäle wurden, die
übrigen ausser einem gehören der ersten Hälfte des sechzehnten
Jahrhunderts an. Aber noch weniger als bei seinem Vorgänger
und Oheim, dem Erzherzog Albrecht, der als neunzehnjähriger
den Purpur empfangen, und bei der Vermählung mit Isabella
(1598) resignirt hatte, waren seine Neigungen geistlich. Doch
liess er sich auch wol später als Cardinal malen; denn er hat
nach dem Uebergang in die politisch-militärische Laufbahn doch
den capello behalten.
Gleich nach dem Tode Albrechts (1621), im Anfang der
Regierung Philipp IV, dachte man daran, einen der jüngern
Brüder, zuerst Carlos, nach Flandern zu schicken, um dort nach
Landesart erzogen zu werden und dereinst der Statthalterin nach-
zufolgen. Schon am 7. September 1623 wurde in einer geheimen
königlichen Verfügung Ferdinand designirt. Im Dezember 1626
[391]Die drei Jäger.
schreibt der farnesische Orator, er werde den Cardinalshut auf-
geben und nach Flandern gehn, und Rubens meldet am 1. Juli
1627 Dupuy als grosse Neuigkeit, Ferdinand komme, um sich
bei seiner Tante in die Geschäfte einzuleben. Er machte kein
Hehl aus Neigung und Abneigung. Als er mit dem Bruder im
Jahre 1629 zum erstenmal in den Staatsrath eingeführt wurde,
sagte er nichts als die Worte: „Ew. Majestät nehme mir diess
Cardinalskleid, denn ich will in den Krieg“ 1). Am Hof tadelte
man, dass die beiden rüstigen Prinzen eingesperrt, unter Weibern
aufwüchsen. Olivares war die Ursache der jahrelangen Ver-
zögerung seiner Sendung. Er fürchtete den Einfluss des fernen,
selbständig und selbstbewusst auftretenden Prinzen, der ihn
hasste, noch mehr als seine Gegenwart. Endlich hatte Isabella,
die ihr Ende (sie starb 1633) nahe fühlte, geschrieben, wenn man
ihn nicht schicke, werde Flandern verloren gehn. Am 12. April
1632 reiste er von Madrid, in Begleitung seiner Brüder, nach
Barcelona, um sich ein Jahr in der Verwaltung Kataloniens
einigermassen vorzubereiten; darauf verliess er Spanien für immer.
Er war der wolgebildetste und begabteste der drei Brüder,
ohne eine Spur von der Indolenz, mit der die Familie seit Phi-
lipp III behaftet schien. Man war erstaunt über seine Rast-
losigkeit in Geschäften und im Felde. Er theilte mit dem König
die Leidenschaft für die Jagd, den Hang zur Galanterie und die
Liebe zur Malerei, wie er denn selbst zeichnete. Im November
1639 erlegte er in den Brüsseler Forsten einen Eber, der acht
Hunde getödtet, vier verwundet, zwei Pferde zerrissen hatte,
„der, wenn ich ihn fehlte, mich und Herrera über den Haufen
geworfen hätte, denn er stürzte auf uns los wie ein Stier“. So
hatte er nicht unterlassen, bei seinem Aufenthalt in Mailand den
durch ihre Zahl, Grösse und Wildheit berühmten Schweinen von
Aulegio einen Besuch abzustatten. Die ihm nahe getreten, nannten
ihn „den freundlichsten und manierlichsten Prinzen den der Him-
mel uns seit Jahrhunderten geschenkt hat“ 2).
In unserm Bild gehört jedoch kaum mehr als der Kopf der
Aufnahme von 1628 an. Ein bartloser schlanker Jüngling; das
bleiche Gesicht erhält durch schmale Schatten, welche beson-
[392]Viertes Buch.
ders die starkgebogene Nase accentuiren, Relief, die Mütze wirft
einen durch Wiederschein erhellten Schlagschatten über die Stirn.
Die Haare, später in goldblonden Wellen auf die Schulter fal-
lend, sind kurz geschoren; etwas von Fiebermattheit liegt über
den glänzenden grossen Augen und den Zügen, die geistreicher
Der Infant Ferdinand.
sind als beim Bruder.
Obwol er physisch zarter
erscheint als dieser, so
merkt man doch, dass
mehr vom Stoff des Herr-
schers in ihm steckt, nach
Intelligenz und Wille.
Alles übrige trägt die
Signatur einer späteren
Zeit. Man bemerkt die Um-
risse des übermalten brei-
ten, fallenden Spitzenkra-
gens (valona), an dessen
Stelle die golilla gesetzt
ist. Die Landschaft, in
hell-kühlem, blaugrauem
Ton, ist sehr frei und breit
hingeworfen, aber der
Eindruck ist so erreicht,
dass man die Luft jener
Berge zu athmen glaubt.
Der fette Farbenauftrag
mit reichlicher Beimi-
schung von weiss wurde
wahrscheinlich gewählt,
um alte Bestandtheile ge-
hörig zu decken.
Es scheint die Frage aufgeworfen werden zu können, ob nicht
auch die zwei andern Bildnisse ihren jetzigen Zustand noch spä-
ter als 1635 erhalten haben. In dem königlichen fehlt es nicht
an Spuren der Uebermalung und pentimenti. Das linke Bein
war weiter vorgesetzt; die Flinte länger; die Pumphosen weiter
aufgebauscht. Unter der in die Seite gestemmten linken Hand
ist ein grosser Jagdbeutel (?) zugedeckt worden. Das Bildniss
des Prinzen endlich ist im Vergleich mit dem im Alter wenig
verschiedenen Reiterbild erheblich flotter und pastoser gemalt,
[393]Die drei Jäger.
wie ein rascher Umguss, mehr aus freier Phantasie, als nach der
Natur gemacht.
Beide Bilder scheinen in Figur und Umgebung dem umgemal-
ten Porträt Ferdinands angepasst. Alle stehn unter einer Eiche (die
auf dem letzteren am dünnsten ist), die Hunde befinden sich noch in
Ruhe, ohne Witterung, in Erwartung des Schusses. Sie sitzen
neben dem Jäger, bei Ferdinand ein mächtiger zimmtfarbiger
Spürhund, von dem Bau der riesigen Windhunde, des Schreckens
der Wanderer in der Nähe andalusischer Gehöfte; bei dem König
eine mächtige Dogge (mastiff), bei dem Prinzen ein Zwergwindhund
(galguillo) und ein schöner zum Schlaf hingestreckter Hühner-
hund. Schwerlich dürfte sich unter Malern ein gründlicherer
Kenner und Beobachter des Jagdhundes finden. Auch die Tracht
ist bis auf Kleinigkeiten dieselbe. Jagdmütze, über das eine Ohr
zurückgeschoben oder aufgekrempt; Wams von dunkler ge-
blümter Seide, darüber Lederkoller oder Mäntelchen mit falschen
Aermeln, lange Lederhandschuhe, weite Kniehosen, Feldstiefel.
Der Prinz stützt trutzig die kleine Büchse auf den Rasen, der
König hält das schwere lange Gewehr (escopeta) im herabhän-
genden Arm, die Linke gelassen in der Seite; der Infant hat
sie gefällt, im Begriff anzulegen.
Der Wildstand liegt inmitten der Berge, vielleicht in
der Umgegend des Escorial; in der Ferne die Sierra. Der
Standort ist an einem Abhang, der in mehreren Profilen nach
dem Grund zu skizzirt ist. Zuerst folgt eine leere abschüssige
Fläche von hellem Sand oder verdorrtem Rasen, dahinter
dunkles Gebüsch. Am freisten ist der Blick bei D. Balthasar.
Da sieht man im Mittelgrund einen mit spärlichem Eichen-
unterholz bewachsenen Berg mit Burg; zuletzt noch ein Stück
Ebene mit Städtchen dicht am Fuss der Kette. Ueberall Ein-
klang zwischen Figur und Umgebung, in der Austheilung der For-
men, Werthe und hohen Lichter. Die in den Wolken aufblitzen-
den, durch die Zweige dringenden Sonnenblicke stehn in fein
berechneten Beziehungen zu den hohen Lichtern im Antlitz, den
weissen Flecken und Glanzstellen an dem treuen Begleiter zu
Füssen des Waidmanns.
Die Wiederholung des königlichen Jägers im Louvre 1) ist
interessant, weil sie in ihrem fast monochromen Charakter den
[394]Viertes Buch.
Zustand der braunen Untermalung veranschaulicht; in der Land-
schaft ist ein schwacher Ansatz zu Lokaltinten erkennbar. Der
König hat die Mütze abgenommen. Das Gesicht ist fertig ge-
macht, aber in einem weichen, eintönig gelblichen Incarnat, ganz
abweichend von dem plastischen und sehr frischen, gesund ge-
rötheten Kopf des Pradobilds. Das Fehlen dieses lebenathmen-
den Hauttons ist ein Erkennungszeichen des Schulbildes oder
der Kopie, mehr noch als der Strich.
Von zweien der Jägermeister, welche bei der Organisation
der beschriebenen Grandes monterias wol die Hauptarbeit gethan
haben, und deren Bücher uns bei deren Erklärung so nützlich
waren, Mateos und Martinez, den Ersten ihres Fachs in spanischen
Landen 1), sind Bildnisse auf uns gekommen, als Schmuck eben
dieser Jagdwerke. Das ältere, von Pedro Perete fein gestochen,
steht als Rundbildchen von 41 Millimeter Durchmesser auf dem
Titel des „Ursprungs und der Würde der Jagd“, 1634. (Cean in
dem Artikel über diesen Stecher nennt den Kopf unbegreiflicher
Weise Olivares.) Das andere befindet sich als Vollbild gegen-
über dem Vorwort der Arte de Ballesteria, 1644, gestochen von
Juan de Noort (0,17 × 0,13). Die Umschrift lautet: Alonso Mar-
tinez de Espinar, que da el arcabuz a Su Magestad, y Aiuda de
camara del Principe Nuestro Señor, de su edad de 50. Años2). Von
demselben Stecher ist das Bildniss des Prinzen vor der Dedi-
cation, wahrscheinlich nach Velazquez.
Beide sind überaus ernste Männer von stark soldatischem
Aussehn. Fuan Mateos ist ein ältlicher Herr, die dünnen Haare
in die schon freie Stirn gestrichen, korpulentes, gefurchtes Ge-
sicht, mit etwas schweren Augenlidern, daher wie erstorbenem
Blick, bigote und spitzem Knebelbart, kurzem Hals. Alonso
Martinez ist ein eckiger, harter, hagerer Kopf (gens dura Ibera)
mit kurzer und enger, stark zurückliegender Stirn, abgeplattetem
Schädeldach, hervortretendem Jochbein, starkgeschwungenen
1)
[395]Die drei Jäger.
Brauen, tiefliegenden Augen und gespanntem Seitenblick, breiter
gebogner Nase. Ein Mann, gehärtet in den Strapazen kasti-
lischer Reviere.
Diesen Kopf hat Carderera wiederzuerkennen geglaubt in
dem Bildniss des Museums Nr. 1105 (0,74 × 0,44). Eine gewisse
allgemeine Aehnlichkeit ist da, aber nicht mehr. Das Oval des
Oelbildes, oben schmal, breitet sich in der untern Hälfte birn-
förmig aus, der Kopf des van Noort’schen Kupfers weicht ebenda
zurück und erhält durch die vorstossenden Backenknochen die
mongolische Rhombenform. Ist die Identität zweifelhaft, so ist
die Urheberschaft des Velazquez in diesem ganz in braunem Ton,
übrigens mit fester Hand gemalten Brustbilde sehr unwahrschein-
lich; man sieht keines seiner besondern Merkmale.
Ein anderes Gemälde, in welchem man eine wenn auch
nicht ganz überzeugende Aehnlichkeit mit dem Medaillonstich
des Mateos finden könnte, ist dagegen ein unzweifelhaftes
Original des Meisters. Ich meine den Unbekannten in schwarzem
Anzug der Dresdener Galerie Nr. 697, von den drei dort unter
dem Namen des Velazquez aufgeführten modenesischen Bildnissen
das einzige allerseits als echt anerkannte 1). (1,8 × 0,89½.)
Betrachten wir zunächst diess Bildniss allerersten Rangs.
Der kräftige Mann von strengem Ausdruck und strammer
Haltung ist eine Figur, die man nicht leicht vergisst. Dünne,
kurzgeschorene, schwach gekräuselte Haare; buschige fast dro-
hend gerunzelte Brauen das Auge überschattend, die Stirnhaut
herabgedrängt und eine tiefe Horizontalfalte bildend, welche
Stirn und Nase auseinanderschneidet. Diese Furchen scheinen die
Spuren dreissigjähriger Gewohnheit des Befehlens. Der Seiten-
blick der dunklen glanzlosen Augen etwas von oben herab, als
ob er geringschätzig Jemandes Maass nähme. Unter der aufge-
stülpten Nase der graue Schnurbart. Ein grämlicher Zug um
den Mund, an dem die breite, plattgedrückte Unterlippe auffällt,
endlich der gallige Teint (auch die Lippen sind fahl), vervoll-
ständigen den Eindruck eines Mannes, der eine Geissel für seine
[396]Viertes Buch.
Umgebung, vielleicht für sich selbst war, und nur mit Wider-
willen sich bequemte, dem Maler eine Sitzung zu gestatten.
Hohe Brust, mächtige gesenkte Arme, wie man sie an Bildnissen
von A. Mor und Pourbus findet. Beide Hände ziehen den auf
der linken Schulter hängenden Mantel um die Hüften an, wie
ein Wink zum Aufbruch. Diese Hände sind aber ganz leer ge-
Juan Mateos (?)
lassen; die linke ruht am
Degengefäss, der weisse
Fleck ist der Glanz des
Degenknopfs, der von der
Hand verdeckt wird. Im
Gürtel steckt ein Dolch.
Der Kopf ist gemalt
mit wenigen Farben und
markigem Pinsel, auf weis-
sem Grund, der an der
golilla, am Knebelbart
und rechten Aermel durch-
sieht. Das warme tiefe
Braun des Auges ist auch
verwandt für die schma-
len Schatten der Augen-
ecken, der Nase, des fal-
tigen Halses, und in eini-
gen derben breiten Strichen zur Markirung der verkürzten Hälfte
des Gesichts; endlich ist dem linken Theil des Hintergrunds damit
Tiefe gegeben, und hier ist einmal die Farbe zersprungen. Mit
einfachen Mitteln (auch das prachtvolle Ohr trägt dazu bei) ist
dem aus dem Dunkel hervortretenden gelben, faltigen Kopf eine
Plastik gegeben, wie sie Velazquez nie übertroffen hat.
Niemand der diesen Dresdener Velazquez im Kopf hat, wird
den Titel jenes Jagdbuchs des Juan Mateos aufschlagen, ohne
an ihn zu denken. Der Bau, die Züge, der grämliche Blick, die
Tracht stimmen; nur ist er in dem Medaillon gealterter, matter,
und zwischen den Augen fehlen die grimmigen Runzeln. Wenn
man die öftere Willkür der Stecher in Rechnung zieht, so würde
diess nicht gegen die Vermuthung entscheiden. Natürlich müsste
man das Gemälde mehrere Jahre vor 1634 setzen 1).
[397]Die Gemälde für die Torre de la Parada.
Die Gemälde für die Torre de la Parada.
Der Schluss dieses langen Jagdartikels führt noch einmal
auf dessen Anfang und das Jagdhaus Philipp IV, den „Halte-
thurm“ zurück. Seine Herrlichkeit war von noch kürzerer Dauer
als die Buen Retiro’s. Das Haus wurde schon im Erbfolgekrieg
(1710) verwüstet und geplündert, einige Gemälde gingen damals
zu Grunde, die erhaltenen wurden meist nach Buen Retiro ver-
setzt. Jetzt dient es den Parkwächtern als Wohnung. Sein
Name würde vergessen sein, wenn es nicht in die Biographie
des Rubens eingeschrieben wäre, und auf Anlass der zahlreichen
Gemälde, die das Inventar des Pradomuseums vermehrt haben,
oft erwähnt würde.
Philipp IV Gemäldeliebhaberei war nie so unersättlich ge-
wesen, wie im zweiten Lustrum der dreissiger Jahre. „Der
König, schreibt Sir Arthur Hopton am 26. Juli 1638, hat in diesen
zwölf Monaten eine unglaubliche Zahl alter und trefflicher neuer
Gemälde erhalten, besonders die Bacchanale Tizian’s“ 1). Diess von
ihm selbst erdachte Haus sollte nicht wie Buen Retiro bei seinen
alten Schlössern betteln gehn. Die Jagdbilder und einige grosse,
später zu nennende Figuren seines Kammermalers Velazquez
waren aber nur ein sehr kleiner Theil des entworfenen Programms.
Die Reise des Infanten Ferdinand, die Nachricht, dass er
demnächst in Antwerpen eintreffen werde, brachte ihn oder Ve-
lazquez selbst auf den Gedanken, die Ausführung ganz nieder-
ländischen Händen anzuvertrauen, was soviel hiess als Rubens.
Die Erinnerung an dessen Besuch vor acht Jahren, an seine er-
staunliche Arbeitskraft wurde aufgefrischt durch eine Sendung
fünfundzwanzig niederländischer Bilder von dort an die Königin.
Darunter war von ihm selbst eine Dianenjagd, andere Stücke
hatte er mit Snyders zusammen gearbeitet. Für ein Landhaus, wo
man Hof und Geschäfte vergessen will, passte nur die „poetische
Malerei“, d. h. die Welt der Fabel und Ovids; der Hauptschmuck
der Wände von zwölf Sälen, acht im obern, vier im Erdgeschoss,
1)
[398]Viertes Buch.
sollten Mythologien sein. Dazwischen über Fenstern und Thüren
Thierbilder von Paul de Vos.
Der König hatte wie immer Eile. Er liess eine beschrei-
bende Liste (memorias) der Sujets aufstellen, so dass der Maler
kaum seine Vorräthe verwerthen konnte; und dieser Zusammen-
stellung lag ein gewisser Plan zu Grunde. Wegen Abweichun-
gen im Einzelnen musste angefragt werden. Die Sachen sollten
rasch fertig gestellt werden, wie Decorationen zu einem Einzug.
Rubens war das im Stande, obwol sein Arm damals schon durch
die Gicht angegriffen war: er hat nicht viel länger als ein Jahr
zu vierzig Bildern gebraucht. Am 20. November 1636 schreibt
Ferdinand aus Douai, er sei schon damit beauftragt, und einige
Stücke habe er selbst in Angriff genommen; „er und alle übrigen
arbeiten ohne eine Stunde Zeit zu verlieren“; er selbst treibe an;
am 7. December 1637 sind sie abgegangen.
In einem Zug hatte er die Skizzen zu allen gemacht, sie sind
noch grösstentheils in Madrid, einige auch in der Galerie. Dann
wurden diese Skizzen unter etwa zehn junge Antwerpener Maler,
seine Schüler, jedoch bereits seit kurzem Meister, vertheilt. Ru-
bens hat ihnen die Ausführung ganz überlassen; deshalb hat er
weit die meisten auch nicht, wie er sonst pflegte, unter seinem,
sondern unter ihrem Namen ausgehn lassen, eine mitgeschickte
Liste nannte sie alle. Vielleicht diente ihnen das als Sporn. Einige
gehören zu seinen bekanntesten Schülern: Jordaens, van Tulden,
Quellinus (von ihm nennen die Inventare nicht weniger als zehn),
Cornelis de Vos. Ausserdem Jan Cossiers, Thomas Willeboirts
Bossaert, Jan van Eyck, Jan van Bockhorst, genannt Langejan
(„Borkens“), Jakob Peter Gouwi (auch Joui geschrieben), Simon
Peter Tilmans („Pedro Simon“) 1).
Seine eigene Firma bestimmte er für sechs 2). Sie unter-
scheiden sich erheblich von den übrigen, deren einige wie den
Orpheus des van Tulden, Hippomenes und Atalante von Gouwi
man gleichwol früher Rubens zugeschrieben hat. Dieser Unter-
schied aber liegt nur in der Arbeit, nicht in der Erfindung, deren
[399]Die Gemälde für die Torre de la Parada.
Rubens’schen Ursprung man übrigens mit Zuversicht behaupten
konnte, auch ohne von dem Vorhandensein jener Originalskizzen in
den Palästen der Herzöge von Osuna und Pastrana, sowie einer
bestätigenden Angabe des Infanten 1) etwas zu wissen. Es wurde
also ein bestimmter Unterschied gemacht zwischen solchen Ge-
mälden, die er von den Schülern malen liess, und nachdem er sie
übergangen, als die seinigen weggab, und solchen, die obwol
von ihm skizzirt, unter den Namen der Gehülfen ausliefen. Aber
auch von der Art, an der man sonst diese Schüler erkennt, ist
in ihnen wenig zu sehn; schwerlich würde Jemand ohne die Na-
men der Inventare ihre Hand herausgefunden haben. Sie dienten
ihm pünktlich wie Schulpferde: sie waren nur sein eigener, ver-
vielfältigter Arm.
Nachgeschickt wurde im Februar 1639 ein Gemälde, an das
nur er selbst Hand anlegen konnte: das Urtheil des Paris. Hier
hatte er mit der ganzen Vorurtheilslosigkeit des Hofmanns,
durch die Reize seiner jungen Frau Helene als Venus die spa-
nischen Gönner entzücken wollen, und mit vollem Erfolg. Denn
Ferdinand, obwol er die Göttinnen „gar zu nackt“ findet, meint,
nach dem Ausspruch aller Maler sei es das beste was er je ge-
malt, und seine Frau „vom besten was es jetzt hier giebt“ (de lo
mejor que hoy hay aquí).
Diese vierzig Stücke gefielen so, dass sofort ein neuer Auf-
trag geschickt wurde, achtzehn kleine und vier grosse, letztere
von umfassender Erfindung. Bei ihrer Ausführung hat Rubens
der Tod überrascht; man könnte sagen: er ist mit dem Pinsel
in der Hand für den König von Spanien gestorben.
Um diese merkwürdige Leistung, den letzten grossen Cyklus
den Rubens gemalt hat, zu beurtheilen, darf man nicht vergessen,
dass die Bilder als zusammenhängende Folge und ohne fremd-
artige Nachbarschaft gesehen werden sollten. Nicht von einem
kritischen und durch aufgedrungene unpassende Massstäbe ver-
wirrten Galeriepublikum, sondern in einem Jagdhaus von einer
Jagdgesellschaft, in den Pausen zwischen wilden Ritten, Büchsen-
geknall und Halali. Ferner waren die für uns so langweiligen
ovidischen Verwandlungen dazumal in Madrid ebenso populär
[400]Viertes Buch.
wie in dem klassisch gelehrten Niederland. Kaum gab es ein
grosses Fest, wo nicht der Olymp, der Parnass, der Dianenhain
sich im Theater von Buen Retiro niederliessen. Diese wilden
Jagden der Cynthia und Atalante, diese Nymphen und Satyrn,
diese Kämpfe der Lapithen und Centauren, es waren die Legen-
den der Götter, denen dort im rauschenden Leben der Jagden,
Turniere und Liebesabenteuer geopfert wurde. Diese Stücke
waren aber auch wie wenige geeignet, die unerschöpfliche Phan-
tasie des Meisters zu entfesseln. Sie gaben ihm neue und dra-
matische Vorwürfe, in welchen er auf dem schwindelnden Gipfel-
punkt der Bewegung, der Leidenschaft und zuweilen des Gräss-
lichen steht. Wol nur ein an Stiergefechte gewöhntes Publikum
konnte Darstellungen wünschen und geniessen, wie jenes „Gast-
mahl des Tereus“, vielleicht die grausigste Scene die Rubens
ersonnen hat. —
Da die Rede so oft auf „Rubens in Spanien“ gekommen
ist, so wird die Notiz nicht ohne Interesse sein, dass es auch
einen Spanier gegeben hat, der ganz den Stil des Meisters sich
angeeignet hatte. Der Hauptmann D. Miguel Manrique, in Flan-
dern geboren, hatte dort Rubens studirt, man sagt sogar, seinen
Unterricht genossen. Letzteres möchte man glauben, wenn man
in Malaga, wo er sich später niederliess, seine grossen Gemälde
kennen lernt. Ausser einer trefflichen Kopie des berühmten
Gastmals der Magdalena für das Victoriakloster, jetzt in der
Kathedrale, sieht man eine Himmelfahrt Mariä in der Sakristei
und eine Stiftung nebst Glorification des Mercenarierordens in
dessen Kirche, wol das bedeutendste Gemälde, welches die
Stadt besitzt. Dieser kunstfertige Kriegsmann war auch der
erste, welcher den aus Madrid gebürtigen D. Juan Niño de Gue-
vara (1632 † 1698) in die Malerei einführte; später freilich schloss
dieser sich ganz dem Alonso Cano an. Das Rubens’sche Wesen
klingt nur noch nach in den derben Formen der Köpfe und in
figurenreichen religiösen Allegorien, wie man sie in der Au-
gustinerkirche zu Granada sieht, der Hauptstätte seiner Thä-
tigkeit.
[401]Alonso Cano in Madrid.
Alonso Cano in Madrid.
(1637—1651.)
Durch die Gründung und Ausschmückung von Buen Retiro
kam neue Bewegung in die Künstlergemeinde Spaniens; ihre
Wellenkreise erreichten auch Andalusien. Nicht selten mag Ve-
lazquez in der Lage gewesen sein, sich alten Bekannten oder Un-
bekannten von den Ufern des Baetis gefällig zu zeigen, zuweilen
auch sich ihrer zu erwehren. Nach Palomino (III, 347) haben
allezeit Künstler jeden Fachs die gebührende Achtung und Unter-
stützung bei ihm gefunden. Dieser Theil seiner stillen Wirk-
samkeit liegt in der Detailgeschichte der zahlreichen Unterneh-
mungen Philipp IV wohl für immer begraben.
Nach und nach sah der „Sevillianer“ (so nannte man ihn
bei Hof) viele der alten Gesichter wieder um sich, die ihm
einst dort nahe gestanden hatten, Alonso Cano, Zurbaran,
Herrera. Zurbaran scheint schon früh nach Madrid gekommen,
sicher wenigstens bei Hofe bekannt geworden zu sein; er unter-
zeichnet sich bereits 1633 auf dem Retablo der Karthause von
Xeres als pintor del Rey. Später malte er die Thaten des Her-
kules für den Saal der Königreiche in Buen Retiro. Im Jahr
1639 erhielt er den Auftrag, in Sevilla zwölf Vergolder für die
Arbeiten im Salon grande des Alcazar anzuwerben; man suchte
kunstgeübte Hände im ganzen Reich zusammen. Ein andrer
Jugendfreund traf in der Hauptstadt ein mitten in der Hochflut
des Enthusiasmus für den neuen Lustort.
Im Jahrhundert des grossen Kriegs blühte das Soldaten-,
Schlacht- und Henkerstück; die Maler nahmen soldatische Ma-
nieren an, und thaten sich mindestens ebensoviel darauf zu Gute,
eine schneidige Klinge zu führen wie einen flotten Pinsel; die
Eigenschaft, die hier und dort geschätzt wurde, war die bravura.
Damals war es wo Franz Hals, dessen Striche wie Säbelhiebe
fallen, seinen biedern Harlemern jene unnachahmlichen heraus-
fordernden Blicke, jenes trotzige Sichbreitmachen und jene Eln-
bogenvorstösse gab, welche unsere friedlichen Gelehrten so ent-
zücken, dass sie „laut auflachen vor Lust, dass so etwas gemalt
werden kann“.
Im Jahre 1644 war es, wo die beiden ersten Fracassas spa-
nischer und italienischer Zunge in Madrid beisammen waren,
Matthias Preti, der calabresische Cavalier, der im Gefolge des
26
[402]Viertes Buch.
Nuntius Panciroli gekommen war, und unser alter Freund Alonso
Cano, der, wie bereits erzählt, wegen eines blutigen Handels im
Jahre 1637 hatte das Weite suchen müssen. In beider Lebens-
buch geben solche Mordgeschichten die Veranlassungen der Sce-
nenwechsel.
Alonso war von seinem Schulkameraden Velazquez, den er
laut eigenem Zeugniss seit 1614 kannte, wol aufgenommen und dem
Minister empfohlen worden. Er verschaffte ihm gothische Königs-
figuren für den alten Comödien-, auch Bildnisssaal genannt, sowie
Gemälde für die von Philipp IV erbaute Hauptkirche S. Isidro.
Er wurde pintor del rey, und sogar Zeichenlehrer des Kronprin-
zen. Madrid wurde also der zweite, mittlere Schauplatz seiner
Thätigkeit, wie Sevilla der erste gewesen, und Granada der letzte
sein sollte. Sein Credit bei Hofe war gross 1).
Keiner jener Maler gehörte in dem Maasse wie Cano in die
Hauptstadt; nur hier fand er Elnbogenraum für sein Treiben,
Beschäftigung für seinen unruhigen, der Anregung bedürftigen
Geist. Er schien aus einem jener Mantel- und Degenstücke zu
kommen, deren Cavaliere, wenn sie aus dem Hause gehn wollen,
erst ihr Testament machen müssen. Bei dem allen war er sehr
devot, er erscheint bald als Majordomus der Bruderschaft U. L. F.
der Schmerzen; wenn er einem penitenciado des hl. Uffiz begeg-
nete, wich er der Berührung aus, und schleuderte seinen Mantel
zu Boden, wenn letzterer eine solche Befleckung davongetragen
hatte 2). Nur der Künstlerstolz setzte seiner Devotion Schranken:
er verfiel in hundert Dukaten Strafe, weil er die Procession der
heiligen Woche nicht mitmachen wollte, wo die Maler mit den
alguaziles de corte zu gehn hatten. Dabei war er noch immer
galant, und von unbegrenzter Liebenswürdigkeit gegen Freunde
und Schüler, denen er gelegentlich seine Entwürfe überliess und
ihre Bilder vollendete.
Auch die national-standesgemässe Faulheit fehlte diesem
Spiegel der huidalguía nicht. Hätte er eine mässige Rente ge-
[403]Alonso Cano in Madrid.
habt, er würde ein Liebhaber-Dilettant geworden sein. Er malte,
setzte seine alten Schnitzarbeiten fort, lieferte barocke Zeichnun-
gen für das Monument der heiligen Woche (in S. Gil) und für
den Triumphbogen am Guadalajarathor beim Einzug der Königin
Marianne (1649). Noch lieber aber war ihm das Entwerfen; seine
zierlichen Skizzen sind von kleinem Umfang, auf weiss Papier
mit der Feder umrissen und mit Sepia oder Tusche schattirt;
er zeichnete alles was er malen wollte mehrmals und vieles was
er nicht malte. Belästigte ihn ein Bettler, so warf er eine solche
Skizze aufs Papier und schickte ihn damit zu einem Bekannten,
der sie ihm abkaufen werde. Seine liebste Betheiligungsart an
der Kunst aber war, Kunstsachen, Kupferstiche anzusehn, er
liess die Arbeit stehn und lief hin wo er hörte, dass etwas
der Art zu sehn war. Das regte ihn dann zum Nachbilden an,
denn reine Erfindung war ihm zu mühsam. Obwol die Benutzung
fremder Kupferstiche dort etwas sehr gewöhnliches war, so fiel
sie doch bei einem Manne seines Rufs auf; er bediente sich sogar
der Vignetten auf den fliegenden Blättern der coplas; er sagte:
er erlaube andern es mit ihm ebenso zu machen. Deshalb
ist Cano’s Malerei so schwer zu charakterisiren, wie die der
eklektischen Caracci.
Sein Johannes auf Patmos (im Prado) ist nach dem hl. Hie-
ronymus des Ribera gemacht; seine Soledad in der Kathedrale
zu Granada ist eine allerdings durch den Ausdruck der Trost-
losigkeit beachtenswerthe Uebertragung der Estofado-Statue des
Becerra in Madrid; sein Noli me tangere in der Esterhazy-
galerie eine freie Kopie nach Correggio (in Madrid), der auch in
seiner büssenden Magdalena (S. Miguelscapelle, Granada) durch-
klingt, und in manchen Geberden, Verkürzungen, und dem Tu-
mult seiner Engelkinder; die Rosenkranzmadonna in Malaga
wäre ohne Bekanntschaft mit der Madonna des heil. Sebastian von
Tizian (im Vatican) nicht entstanden; der Engel mit dem todten
Christus im Prado ist eine freie Nachbildung von Paolo’s Meister-
werk (in der Ermitage), bei Johannis dem Täufer und Paulus hat
er sich auch in die mächtigen Formen und flammend bewegten
Linien des Rubens hinein gefunden.
Kein Maler ist wie Cano darauf ausgegangen, die umständ-
liche Arbeit der Malerei zu vereinfachen und abzukürzen. Die
Komposition kann man sich nicht simpler denken. Die meisten
damals in Madrid entstandenen Stücke sind Einzelfiguren, gemalte
pasos, Christus an der Säule, Christus den hingefallenen Mantel
[404]Viertes Buch.
suchend, der Kreuzträger, der Gekreuzigte, die ruhende Maria
mit dem Kind, Joseph mit dem Kind. Beliebte Gegenstände,
wie die Immaculata, wiederholte er wie Abdrücke, in Plastik und
Malerei; er borgte nicht nur von andern, sondern auch von sich
selbst. Bei Visionen (Johannes der Evangelist, S. Benedict, S. Bern-
hard) sind die himmlischen Erscheinungen wie Nippesfigürchen,
die hoch in den Wolken schweben, oder als Statuetten an der
Wand befestigt sind. In jenen grossen Passionsfiguren erleichtert
er sich das Antlitz durch Schatten und Verkürzungen, in Gruppen
durch Gebrauch des verlorenen Profils. Die Umgebung mög-
lichst leer und decorativ. Was die Technik betrifft, so benutzt
er für die Schatten den rötlichen Okergrund und streicht die
Lichter mit kaltem, kalkigem Weiss auf. Diese Technik hat er
in Granada eingeführt.
Eine Folge dieser Bequemlichkeit war, dass bei keinem nam-
haften spanischen Maler so vieles leere, unlebendige, unbedeutende,
ja unglückliche und geschmacklose vorkommt. Einige seiner Ma-
donnen sind ein wahres Deficit von Schönheit und Ausdruck, Leben
und Grazie, und dieses Deficit wird nicht einmal durch Realitäten
niederer Ordnung vergütet. Eine hölzerne Figur, deren Ober-
theil in dem schweren blauen Mantel wie in einem Gefäss steckt;
ein Kopf mit rundlichen Seitenwänden und hohem Scheitel,
Augen die schläfrig und leer vor sich hinstarren; eine platte
Nase, nach unten aufgetriebene Wangen, ein mürrischer Mund.
Wunderlich ist das bei ihm, wie bei Moretto, so oft vorkom-
mende Schielen nach der Seite. Das sind Mängel, welche durch
die feinen, schön gezeichneten Hände kaum aufgewogen werden.
Man wird dieses Urtheil selbst vor seinem Hauptwerk dieser Art,
der Concepcion in der Sacristei von S. Isidro, schwerlich über-
trieben finden, wo er, wahrscheinlich durch Velazquez angeregt,
den Eindruck des reinen Lichts gesucht, aber verfehlt hat.
Wer nun, angereizt von seinem als Glaubenssatz überlieferten
Ruf, sich anschaulich von „des einzigen idealen Malers spanischer
Schule“ Grösse überzeugen will, dem kann es gehn wie einem
Supplikanten bei Hofe ohne Geld und Gönner; die Hoffnung
führt ihn von Madrid nach Sevilla, von Sevilla nach Granada,
und von da nach Malaga, und er ist nahe daran die Geduld zu
verlieren und jenen Cano der Kunstbücher für einen Mythus zu
erklären, zu vergessen, dass er doch zuweilen inspirirte Augen-
blicke gehabt hat. Diesen verdanken wir einige wenige Stücke
von tieferer Anziehungskraft; darunter gehört die Maria im Dom
[405]Alonso Cano in Madrid.
zu Sevilla, mit dem gesenkten Blick und den schattenden Wim-
pern; jener Christus mit dem Todesengel im Prado, der Heiland
auf dem Steine des Calvarienbergs mit dem traurigen Blick über
die Schulter in S. Ginés. Die Gestalten des Erlösers verrathen
doch seine bildhauerischen Studien des Nackten und die Kenntniss
edler Formen; sie sind ohne anatomische Prätensionen zart und
wahr modellirt. So sieht man dass ihm, wenn er wollte, Zeich-
nung, Pathos, Farbe und Anmuth zu Gebote stand, nur blieb
sein reiches Können meist latent, — Dank jener Nationaltu-
gend. —
Man muss hier beachten, dass Viele die über Cano günstiger
urtheilen, besonders über seinen Idealgehalt, Bilder im Auge
gehabt haben, die ihm gar nicht gehören, z. B. die Ruhe auf der
Flucht in der Karthause bei Granada, und die entzückende
Madonna in der Unterkapelle der Sacristei von Cordoba. Diese
holdseligen, reinen, in Form und Gefühl echt südspanischen Ge-
bilde sind von Fray Atanasio, genannt Bocanegra.
Ins Jahr 1644 fällt eine noch nicht ganz aufgehellte Geschichte,
die einen Schatten auf Cano’s Leben warf und sein Bleiben in
Madrid unhaltbar machte. Man fand eines Morgens seine Frau
in ihrem Bett durch viele kleine Messerstiche getödtet; der
Verdacht fiel zuerst auf sein Modell, einen Italiener, dann aber
auf ihn selbst. Er war ihr untreu geworden, und wollte sich,
sagte man, mit der andern verheirathen. Gewarnt entfloh er
nach Valencia; kam aber zurück und lebte eine Zeitlang ver-
steckt; fiel endlich doch der Justiz in die Hände und bestand
die peinliche Frage tapfer, ohne einen Laut. Die rechte Hand
blieb auf Philipp IV Befehl verschont. Der Schrecken dieses
Erlebnisses, das Verlangen nach Ruhe und Sicherheit mögen ihn
bestimmt haben, sich um eine Pfründe (racion) an der Kathedrale
seiner Heimathsstadt zu bewerben. Er stellte dem Kapitel vor,
dass neben so vielen Musikanten auch ein Maler der Kirche
nützlich sein könne. Von nun heisst er der Racionero, doch
blieb er auch im geistlichen Gewand der Alte, er lebte in Un-
frieden und Processen mit dem Kapitel. Was er dort gemalt hat,
gehört zu seinem besten; die Gemälde im Chor mit ihren schma-
len röthlichen Halbtönen und breiten Lichtflächen, beide wärmer,
farbiger als sonst, stehen den besten Bildern der bolognesischen
Schule nicht fern; die Asunta hat wolwollende Fremde an Guido
erinnert. Er starb hier 1667.
[406]Viertes Buch.
Murillo in Madrid.
Zu den neuen Gesichtern unter jenen Besuchern des Velaz-
quez gehörte ein armer Jüngling, der im Jahre 1643 wahrschein-
lich mit Maulthiertreibern die Reise von Sevilla nach der Haupt-
stadt gemacht hatte, vertrauend auf seinen Stern. Doch kam
er nicht wie die übrigen, um bei Hofe sein Glück zu machen,
sondern um zu lernen, obwol er dazu fast schon zu alt war,
wenn auch nicht nach den Jahren. Er war ein Dutzendmaler, aber
der Trieb nach Höherem war in ihm unwiderstehlich geworden.
Hören wir noch einmal wie es Bartolomé Murillo bisher er-
gangen, um zu verstehen was Velazquez ihm gewesen ist.
Er war Dank den Anzeichen seines Talents früh zu einem
guten Maler in die Lehre gegeben worden, demselben, der auch
Alonso Cano’s Meister gewesen war, Juan de Castillo (geb. 1584).
Dieser war einer der Nachzügler der Manieristen; ein Maler
ohne Eigenschaften und Fehler: etwas unbedeutende Atelierge-
sichter, dem gefälligen, ruhigen, sanften zugewandt, nicht ohne
Geschick in Composition, in Wirkungen von Licht und Luft.
So erscheint er uns in seinem Hauptwerk, den Altartafeln der
Kirche S. Juan de Alfarache, die früher der Kirche S. Juan de
la Palma gehörten, und in den Stücken des Museums von Sevilla.
Als Castillo im Jahre 1639 nach Cadiz ging, heisst es. sah
sich Murillo, der ihm also wol bis dahin gedient hatte, völlig
mittellos. Er begann für die Messbuden der Feria zu arbeiten,
um sich satt essen zu können.
Wie er damals gemalt hat, darüber geben seine Biographen
keine Auskunft. Bilder dieser Art verschwinden wie Tropfen
im Sumpf des Namenlosen. Nur selten mag man ihn eines Auf-
trags etwa für die Ecke irgend eines Kreuzgangs, der Billigkeit
wegen, gewürdigt haben. Ponz und Cean Bermudez wurden
noch drei solche Werke gezeigt. Eins stand in einem Winkel
des Dominikanerkollegs Regina Coelorum1).
Dieses Gemälde hat mit allen seinen bekannten späteren
Werken keine Aehnlichkeit. Es ist in hellem heiterem Ton,
glatt, fleissig und flach gemalt. Ein Programmbild, getreu dem
[407]Murillo in Madrid.
Diktat irgend eines Insassen der Regina nebst Sprüchen in
Farben nachgeschrieben. Einem Fray Lauterio, der sich über
einen theologischen Dorn quält, erscheint auf sein Gebet die
Patronin des Klosters, welche die Gelegenheit benutzen will,
dem heil. Thomas etwas angenehmes sagen zu lassen, zwischen
letzterem und dem heil. Franz von Assisi, der dem Fray räth:
Crede huic, quia eius doctrina non deficiet in aeternum. Dieser
öffnet die Summa und findet seine Zweifel gelöst. Die blonde,
milde Madonna, mit Krone, blauem Mantel und reicher Agraffe,
gleicht dem Phantasiegebilde eines andächtigen Fraile; die Engel
sind hübsche natürliche Kinder. Und die Hände beweisen dass
er Geschmack hat.
Aber für Murillo schlug eine Stunde der Erweckung, wie
die Theologen sagen. Ein früherer Schulkamerad, Pedro de Moya,
kam aus den flandrischen Feldzügen zurück und erzählte ihm
von den Malern des Nordens, deren Arbeiten er in der Musse
der Winterquartiere sich angesehn. Unter ihnen hatte ein ge-
wisser van Dyck einen solchen Eindruck auf ihn gemacht, dass
er den Entschluss gefasst, ihn in England aufzusuchen. Leider
sei er etwas spät gekommen, denn jener starb schon nach sechs
Monden. Er schilderte seinem Mitschüler, der inzwischen so
dunkle Pfade gewandelt, mit andalusischen Redefiguren die Ehre,
die er noch in der elften Stunde gehabt, dem Maler-Cavalier,
dem Tafelgenossen der Fürsten und Grossen Englands nahe zu
treten, er sprach von der Pracht, dem Feuer und dem rauschen-
den Leben Rubens’scher lienzos. Originale Sir Anthony’s wird
er schwerlich mitgebracht haben, und seine eigenen Versuche
waren dem lernbegierigen Freunde kaum geeignet, eine Vor-
stellung davon zu geben, aber er konnte ihm gewiss manches
schöne Blatt voll Oelflecken von Paul Pontius oder Schelte van
Bolswert zeigen.
In Granada sind noch einige Bilder Moya’s, der lediglich
diesem Besuch die Ehre verdankt, in der Geschichte genannt
zu werden, und sich eine Anzahl interessanter Bilder beigelegt
zu sehen, von denen er nicht geträumt hat. Im Museum der Knabe
Jesus, welcher der heil. Therese die Dornenkrone aufsetzt.
In der Kathedrale Na. Sa. de Guia einem heil. Bischof er-
scheinend, über dem Altar dieses Namens. Ziemlich flüchtige
Bilder, von etwas mehr modellmässigen Gesichtern als bei jenem
Castillo; aber eine Spur van Dycks ist in ihnen nicht zu ent-
decken, und man würde nach dem rothen Ton der Schatten und
[408]Viertes Buch.
Halbschatten nicht vermuthen, dass er je über die Ateliers von
Granada hinausgekommen sei1).
Wie dem auch sei, der Besuch Moya’s brachte den Stein
ins Rollen. Der schon lange mit sich Krieg führende Murillo
überzeugte sich, dass es so nicht weiter fortgehn könne. Aber
in Sevilla fand er keinen Weg, den Kreis, in den er sich ge-
bannt sah, zu durchbrechen. Er wollte nach Madrid. Was er
dort gesucht hat, ist ihm vielleicht selbst nicht ganz klar ge-
wesen. Aber ein solcher Entschluss in Folge einer aufregenden
Unterhaltung ist ganz im Charakter dieser Menschen des ersten
Eindrucks. Vielleicht hörte er, dass sich dort Originale van Dycks
befanden. Es lebte sogar ein Niederländer dort, Philipp Deriksen,
der im Rubens’schen Stil malte2). Aber bei seiner Dürftigkeit,
ohne Gönner, von seinen Kunstgenossen vielleicht gar nicht als
ebenbürtig angesehn, wie sollte er hinkommen? Hier war
die Schnellmalerei seine Retterin in der Noth. Er kaufte ein
grosses Stück Leinwand, spannte sie in einen Rahmen und be-
malte sie mit vielen kleinen pinturas de devocion, die er den
cargadores de las Indias brachte. So diente er der Erbauung
vieler Gläubigen in Mexico und Peru und gewann für sich den
Reisepfennig. Niemanden sagte er etwas von der Reise.
So erschien denn Bartolomé, vierundzwanzigjährig, eines
Tages im ersten Patio des Alcazar zu Madrid, vom wochen-
langen Ritt hinlänglich sonnenverbrannt, und mit seinen dichten
schwarzen Haaren und dem etwas mitgenommenen Mantel und
Hut, von leidlich zigeunerhafter Erscheinung, und fragte nach dem
cuarto del principe. Hier stellte er sich dem „Sevillano“ vor.
Die Situation hat dramatischen Reiz. Wäre der Kammermaler
S. M. einer jener grossen Männer gewesen, bei denen der junge
Mensch wol schon öfters angeklopft hatte, so würde er Bartolomé
nach mehrmaligen Bestellungen auf einen passendern Tag, und
nach langem Warten mit einer seiner wichtigeren und be-
schäftigteren Mienen angenommen haben, oder vielmehr im Vor-
beigehn, im Vorzimmer bei ihm stehen geblieben sein. Nachdem
er ihn von unten bis oben mit dem Blick gestreift, besonders auf
[409]Murillo in Madrid.
dem Anzug mit Interesse verweilend, würde er ihn zunächst zur
Aufschliessung seines Herzens durch die Mittheilung ermuntert
haben, dass er in einer Viertelstunde S. Excellenz dem Mayor-
domo S. M. einen Vortrag zu halten habe über irgend welche
im Retrete S. M. aufzulegende neue Kissen, worauf er ihn mit
allen Geberden absoluter Zerstreutheit anzuhören geschienen,
dann aber der Audienz ein Ende gemacht habe, indem er unter-
brach: „Ja, mein lieber Freund, ich sehe da freilich, dass Euch
alle Vorbildung fehlt, und was Ihr bisher getrieben habt, ist
schlimmer als nichts; und (nach Vorrechnung der Jahre der
erforderlichen Curse) bei Euerm Alter und Euern Verhältnissen
möchte ich Euch doch rathen wol zu bedenken, quid humeri
valeant“.
Unser Kammermaler aber hat in dem jungen Menschen
(der ihm mit andalusischer Beredsamkeit seine Sehnsucht, seine
Noth, seinen guten Willen schilderte) nur gesehn, was nicht alle
Tage vorkommt, und Gedanken der Eifersucht lagen ihm so
fern, dass er über die Entdeckung ganz glücklich war. Er gab
ihm das Beste was er zu geben hatte, Rathschläge, die sich auf
sorgfältige persönliche Information gründeten, Winke die das
Geheimniss seiner eigenen Künstlerlaufbahn enthielten. Er er-
öffnete ihm den Zutritt zu den Schlössern, wo damals bei den
langen Abwesenheiten des Königs in Zaragoza selten gute Ge-
legenheit zum Studiren war.
Velazquez konnte die Lage des Landsmanns verstehen. Dessen
Lehrer war ja ein Maler ungefähr vom Schlag seines Schwieger-
vaters. Er selbst hatte neben der Schule versucht sich seine
Wege zu bahnen; das war grade zu der Zeit als Murillo geboren
wurde. Wo fehlte es nun? Talent, Leichtigkeit, Geschmack, Ein-
gebung, Wille, selbst Schule war da, so viel man wollte. Nicht
Flügel (wie Bacon sagt), sondern Blei war ihm nöthig; d. h. die
„Unterwerfung des Geistes unter die Dinge“. So erklärte ihm
der Hofmaler seine eigene frühere Methode, zeigte ihm den
Wassermann von Sevilla, predigte ihm das Evangelium der
Natur, in deren Buch auch die Seligen des Paradieses und die
Wunder der Heiligen verborgen seien; man müsse sie bloss
herauszuholen wissen. Das Wunder der Malerei aber sei nach
den alten Meistern das Relief: seine Gestalten seien bunte Schatten.
Das Relief müsse er um jeden Preis suchen, zuerst meinetwegen
mit den einfachsten und kräftigen Mitteln: schwarz und weiss.
Wenn er sich eine Vorstellung davon machen wolle, wie man
[410]Viertes Buch.
dabei ein recht katholischer Maler sein könne nach hispanischer
Façon, so möge er sich den Spagnoletto ansehn.
Dass diess ungefähr seine Rathschläge waren, zeigt der
Erfolg. Als er wieder zu Hause war, sah er plötzlich Bilder,
wo er bisher keine geahnt hatte. Das Werk, welches Murillo
gleich nach der Rückkehr übernahm, sind die Minoritengeschichten
im kleinen Klosterhof von S. Francisco, die Wunder des heil.
Diego von Alcalá, der einst auf Philipp II Betrieb kanonisirt
worden war. In diesen elf, nun in alle Länder, ja Welttheile
zerstreuten Bildern1) sah man die Bettler und Bettelmönche, die
Strassenkinder, die Dons und die Kleriker von Sevilla, ohne
jede fremden Brillengläser. Da wird aus einem Küchenstück die
Ekstase eines Heiligen gemacht; aus einem Schwarm von Bettler-
modellen nach dem Muster der Lazzaroni Riberas jene Armen-
mahlzeit, wo S. Diego das gracias „auf seine Rechnung nimmt“.
Seinen Läusejungen im Louvre könnte man, wäre er etwas
magerer gemalt, für eine Figur des Velazquez halten, in der
„Anbetung der Hirten“ traf er mit dem Valencianer zusammen.
„Seine Nachbarn, lesen wir, wussten nicht, woher er diesen neuen,
meisterlichen und unbekannten Stil habe“. Aber es fiel ihnen
nicht ein, dass er eine auswärtige Akademie besucht habe. „Sie
meinten, er habe sich zwei Jahre lang zu Hause eingeschlossen
und nach dem Leben studirt, so habe er diese Geschicklichkeit
erlangt.“ Auch die ältern Schriftsteller, die ihn noch erlebt hatten,
wie Palomino, der ihn gesehn, wenn auch nicht gesprochen hatte,
urtheilten so. Dieser sagt, er habe in Madrid die Natur studirt,
und nennt ihn neben Caravaggio als Beispiel, wie man ohne be-
deutende Lehrmeister und ohne Vorbilder ein grosser Maler wer-
den könne: durch das Studium der Natur, freilich unterstützt
von einem hohen Genie und natürlichem Geschmack. Nur einige
unbedeutende Elemente (ligeros principios) und was das blosse
Auge den Werken der Alten absehn konnte, verdankte er andern2).
[411]Murillo in Madrid.
Wüsste man von dieser Reise nichts, man würde unbedenk-
lich den zwanzig Jahre ältern Zurbaran für sein Vorbild erklä-
ren, der wirklich auf dem eben beschriebenen Wege zu ähn-
lichen Resultaten gekommen war. Eigene, uns unbekannte Ver-
hältnisse müssen obgewaltet haben, welche die Berührung beider
Männer verhinderten. Zurbaran hatte in den dreizehn Jahren
von 1625—38 mit einer bei seinem peinlichen System erstaun-
lichen Fruchtbarkeit Klöster und Kirchen Andalusiens und
Estremadura’s mit seinen grossen Gemäldecyklen angefüllt1).
Von da ab aber ist eine Lücke in seiner Chronologie. Man liest,
er sei in seinen Geburtsort Fuente de Cantos zurückgekehrt.
Aus dem Jahre 1644 kennen wir von ihm einen Retablo in der
Kirche zu Zafra, wenige Meilen von seinem Geburtsort.
Wenn man eine Vermuthung aussprechen darf, so wäre es
die, dass nichts geringeres als das grosse Ansehn des Hofmalers,
der Eindruck den Murillo vor dessen Werken hatte, dass er hier
zu dem grössten Maler der Nation gekommen sei, vermocht hat,
seine Vorurtheile gegen den Naturalismus zu brechen. Er war
sehr fest in den Gewöhnungen seiner devot-charakterlosen
Manier befangen. Aus Carducho’s, Pacheco’s Büchern erfährt
man von dem Anstoss, den das neue Verfahren erregte. Nach-
dem Murillo aber einmal durch Gründe und Thatsachen über-
zeugt worden war, warf er sich ohne zurückzusehn in den neuen
Weg. Er tritt nun zunächst als tenebroso auf, mit finstern Schatten,
trübgelbem Lichtschein, Tinten aus der kalten Hälfte des Spec-
trums, mit Typen von einer Hausbackigkeit, von einer Nüchtern-
heit im Ausdruck, neben der Spagnoletto edel und schwungvoll
erscheint. Es zeigte sich nun, dass doch eine gute Dosis spanischen
Phlegma’s und spanischen Positivismus in ihm gesteckt hatte.
Seine Gassenbuben verspotten mit ihrer ungenirten Natürlichkeit
alles, was es sonst ihres gleichen giebt, obwol sie an der Luft
und Sonne Andalusiens geformt und gefärbt und in ihrer natür-
lichen, man möchte sagen, animalischen Grazie unerreicht sind.
Von diesen Melonen, Weintrauben, Krügen und Kesseln kann jeder
Stilllebenmaler lernen; sein Pinsel scheint da in denselben Teig
getaucht, aus dem die Natur die Dinge knetete.
Die Weisen des vorigen Jahrhunderts singen uns freilich
ein ganz anderes Lied. Nach ihnen ist Murillo ein Beispiel, wie
[412]Viertes Buch.
man in Gemäldegalerien ein grosser Maler werden kann. Er
hat seinen Stil in den Sälen des Alcazar und Escorial und in
den Palästen der Granden zusammengelesen, wo er, wie Palomino
erzählt, viele Stücke des Tizian, van Dyck und Rubens kopirte,
ohne das Zeichnen nach den Gypsabgüssen der Antike und das
Vorbild der grossen Manier und Korrektheit des Velazquez zu
vernachlässigen (Museo III, 420). Von diesen sechs Elementen
(Spagnoletto mit eingeschlossen) wäre also dasjenige eine Mischung,
was man Stil des Murillo nennt. Niemand wird zweifeln, dass
er sich diese Meister recht gründlich angesehn, dass er sich vor
ihnen im Staub gebückt, dass er sie mit Pinsel und Palette
studirt hat. Hätte er aber aus ihnen seinen Stil zusammensetzen
wollen, wie hundert Jahre später der Ritter Mengs, so würde er
nur die Reihe der Vincenz Carducho, Carreño oder Cerezo ver-
mehrt haben, die in der That in den königlichen Galerien ge-
worden sind was sie sind, und in Farbe und Strich ihren Vor-
bildern oft recht nahe gekommen sind. Jene Kritiker glaubten
das X eines Künstlercharakters zu begreifen, indem sie eine Glei-
chung aufstellten, deren Werthe aus mindestens einem halben
Dutzend Namen der Vergangenheit bestanden. Heute ist der
Eklekticismus möglichst discreditirt; aber die Theorie der Ein-
flüsse ist um so beliebter, denn der mechanische Geist kann
sich das Werden des Genies nur analog der Funktionsweise
seines eigenen Kopfs vorstellen.
In der That versetzen solche Studien, solche Berührungen
mit grossen Genossen den wahren Künstler in jenes Spiel
von Anziehungen und Abstossungen, wo im Kampf gegen deren
mächtigen Einfluss (durch den die Nachahmer alles sind was sie
sind) die Eigenart zum Dasein entbunden wird. Der fünfund-
zwanzigjährige Murillo mag sich in den Sälen des Alcazar als
Nichts vorgekommen sein; aber er sagte sich zugleich, wenn ihm
durch ein Wunder ein Instrument gleich denen dieser Hochbe-
gnadigten bescheert würde, dann würde er ganz andere Akkorde
anschlagen, ein ganz neues Blatt den Annalen der Kunst hinzufügen.
Man sehe ihre Bilder nebeneinander: Wollte man angeben
wie unähnlich sie einander sind, man würde nicht zu Ende kommen.
Wie weit ab liegt seine hochgestimmte Licht- und Farbenglut
von dem kühlen Silberton seines Berathers! Wie wenig verwandt
ist sein duftiges Chiaroscuro, seine offene helle Begeisterung der
grimmigen, verschlossenen Leidenschaftlichkeit des Valencianers
und dessen schroffen Gegensätzen, oder der trüben Weiner-
[413]Murillo in Madrid.
lichkeit eines van Dyck! wie verschieden sein romanischer Takt
für Form und Maass von den Ausschweifungen des Rubens in
Formen, Geberden und Farben!
Von diesen zwei nachträglichen Lehrjahren in der Haupt-
stadt hat er also grade das Gegentheil dessen was sonst üblich
war mitgebracht: die Abschüttelung alles Conventionellen. Eine
Reinigungskur von Manier sind sie ihm gewesen. Darauf beruht
der Erfolg jenes claustro chico, dessen Scenen man noch heute
für ganz autochthon ansprechen möchte1). Was den Sevillanern
darin merkwürdig schien, war die ganz neue Unbefangenheit,
mit der hier Figuren und Physiognomien, die Jedermann ver-
traut waren, in der Legende auftraten, die Leichtigkeit der Hand,
welche diese Mönchsgeschichten hingeschrieben, und die das Nie-
gesehene und Unmögliche so wahrscheinlich erzählte wie das
was man täglich auf der Strasse sah. Sie sagten, bis auf Murillo
habe man dort nicht gewusst was Malen sei.
Später hat er freilich noch etwas höhere Melodien erklingen
lassen. Da kam der Geist des Lichts über ihn und der Qualm
der düstern Manier zerstob. Aber seinen besondern Reiz, seinen
Welterfolg auch in den gefeiertsten Schöpfungen späterer Jahr-
zehnte verdankte er jener naturalistischen Krisis in Madrid unter
der Führung des Velazquez.
Die Freude an der Gestaltung auch des Geringsten giebt
selbst den vornehmsten Stoffen das unversiegliche Interesse
fürs Auge. Wo die Sichtbarkeit nichts ist als die nun einmal
unvermeidliche „Sprache“ für den Gedanken, die Erscheinung,
zu der sich der Geist von der Höhe seiner Ideen, wenn auch
noch so gefällig, herablässt, da wird die Malerei immer mit
Langeweile in der Wurzel behaftet bleiben.
Und ferner, das Evangelium ist zwar griechisch verfasst,
aber es klang einst seinen Lesern nicht wie griechisch. Indem
Murillo wie Rembrandt in die Schichten des Volks sich begab,
wo auch die heilige Geschichte gespielt hat, übersetzte er Bibel
und Akten der Heiligen in den Volksdialekt. Die Personen des
Neuen Testaments waren keine Götter und Helden; er entdeckte
dass das spanische Bauernkind besser die Himmelskönigin im
Mysterium, im Auto spiele als die grossen Tragödinnen Italiens.
[414]Viertes Buch.
Man liest, jedoch nicht bei den alten Biographen, er habe auch
nach Italien gewollt; Velazquez habe ihm auch hierzu seine Un-
terstützung angeboten. Nun, für ihn wäre es wol nichts so ausser-
ordentliches gewesen, auch diese Reise zu wagen. Wo die In-
dienfahrer gingen und kamen, was waren da Civitavecchia und
Neapel. Aber früh hinein getrieben ins Schaffen, konnte er je
länger je weniger bloss geniessend und studirend den Pinsel
führen. Zwei Jahre hatte er es ausgehalten, dann war er von
dieser seiner ersten und letzten Reise nach der Heimath zurück-
gekehrt. Die Kritiker Mengs’scher Confession sagten, dass ihm
die italienische Reise allein gefehlt habe, um der spanische
Raphael zu werden. Die Geschichte lässt eine andre Lehre
durchblicken. Jene Vargas, Céspedes, die sich dort ihren welt-
bürgerlichen Stil geholt, die Welt hat sie nie bemerken wollen.
Murillo, dem nur in seiner Provinz wol war, der nur für seine
Nachbarn arbeitete, aus ihnen seine Ideale holte, der am
wenigsten nichtspanisches in sich aufnahm, er ist der interna-
tionalste Maler seiner Nation geworden.
Diess ist der Maler, der die finstern Ringmauern ihrer
Klöster und die dämmrigen Pfeilerwälder der Kirchen schon
vor fast zwei Jahrhunderten durchbrochen hat und seinen Umzug
durch die Welt gehalten. Denn er hat jedenfalls die Kunst
besessen sich die Gunst aller zu gewinnen, die Gabe der
Sprache, welche allen Nationen und Zeiten, allen Ständen und
selbst Glaubenssekten verständlich klingt. Er entdeckte in den
Gestalten seines Volks zuerst das was dauernd und überall ge-
liebt werden kann; er nahm dem Wunder das Widernatürliche
und der Schwärmerei das Krankhafte; unter seiner anmuthigen
Hand wurde aus den Gesichten, den Verzückungen und Mönchs-
grillen etwas das wie allgemein menschlich aussieht. In einer Zeit
der Lüge und Verschrobenheit ist er stets wahr geblieben; in
einem Jahrhundert verschnörkelten Ungeschmacks hat er uns
Gestalten reiner ungekünstelter Natur gezeigt, Bewohner glück-
licher arkadischer Gefilde, die uns von seinem Hispanien ein ganz
andres Bild geben, als das den traurigen Annalen seiner Geschichte
entnommene.
[415]Das Krucifix von San Placido.
Christusbilder.
Das Krucifix von San Placido.
Seit seiner Uebersiedelung nach der Hauptstadt hatte Ve-
lazquez die kirchliche Malerei aufgegeben, wahrscheinlich aus
Mangel an Aufforderungen und Zeit, wie an Beruf. Besondere
Veranlassungen mögen es gewesen sein, die ihn nach einer
Pause von etwa drei Lustren wieder zu religiösen Gegenständen
zurückführten. Aber wenn er in jener klösterlich-geistlichen Um-
gebung und unter grossen Vorbildern gleichgültige, wenig origi-
nelle, zum Theil wunderliche Sachen zu Tage gefördert hatte:
jetzt bringt er uns aus diesem wenig geistlichen und geistig
leeren Luftkreis des Hofs Werke, die nicht bloss durch Neuheit
der Auffassung, sondern auch durch allgemein bezeugte Mäch-
tigkeit der Wirkung überraschen. Es sind zwei, ein von jeher
bekanntes und ein erst neuerdings zum Vorschein gekommenes
Gemälde. Das erstere, das Krucifix galt bis vor Kurzem für eine
Ausnahme: „Hätte er dies Krucifix nicht gemalt, sagt Graf de Ris,
man würde glauben er thue seinem Genius Gewalt an, wenn er
religiöse Gegenstände malte.“ W. Bürger fand darin etwas
Shakespearisches; er nennt es terrible. „Nie ist diese grosse
Agonie mächtiger dargestellt worden“, lautet Stirling’s oft ange-
führter Ausspruch, obwol es keine Agonie, sondern der Tod ist.
Cumberland meint, diese eine Figur hätte hingereicht, ihn un-
sterblich zu machen. Endlich hat man, wol ohne sich viel dabei
zu denken, von „Erhebung in die obersten Höhen der Stilmalerei“
gesprochen.
Velazquez schloss sich der damals beliebten, auch bei den
grossen Italienern und Niederländern vorkommenden Darstel-
lung des Gekreuzigten in vollkommener Einsamkeit an. Diese
war dem Mittelalter fremd; wol das frühste Beispiel von Meister-
hand war das kleine Crucifix Dürer’s in der Dresdener Galerie.
[416]Viertes Buch.
Zwischen jenen Zeilen voll warmer Bewunderung kann
man doch lesen, dass das Werk die Schreiber zu gleicher
Zeit wenigstens befremdet hat. Unter einem Crucifix im
Shakespeare’schen Geist denkt man sich etwas anderes. Ein
Nachtstück, mit verfinstertem, von schweren Wolken bedeck-
tem Himmel, aus dem ein trüber Strahl mit Mühe zu dem ster-
Das Krucifix von San Placido.
benden Antlitz dringt;
in bangem nächtlichem
Schweigen wie unter
dem Fluch der vollbrach-
ten Missethat ausgebrei-
tete Gefilde in der Tiefe;
Sturm in der Mitte. Wie
es van Dyck und seinem
in diesem Bild schauer-
lichen spanischen Nach-
ahmer Mateo Corezo vor-
schwebte; ein Werk wie
Murillo’s heil. Franz vor
dem Gekreuzigten.
Nun aber steht ein
Werk vor uns, in welchem
dies alles weggestrichen
ist. Die Gestalt am Holz
steht in der Leere einer
fast schwarzen Fläche:
mit der Verfinsterung ist
Ernst gemacht: „wie eine Elfenbeinschnitzerei auf schwarzsammt-
nem Leichentuch“.
In dem regelmässigen noch jugendlichen Körper bemerkt
man auch keinen Versuch, die Folgen der martervollen Lage und
des Todeskampfs auszudrücken: des Hängens, der Streckung und
Zerrung der Glieder und Muskeln, der letzten krampfhaften Bewe-
gungen des Lebens, wie bei anderen Malern üblich. Die Beine ruhen
auf dem Stützbrett, die Arme sind nur angeheftet, nicht belastet.
Vom Tod ist nichts da als die marmorne Erstarrung 1) und selbst
diese denken wir uns eigentlich hinzu, denn der Künstler malte
offenbar mit einem lebenden Modell vor Augen, an das er sich
[417]Das Krucifix von San Placido.
genau gehalten hat. Die Gestalt steht wirklich so da, wie ein
Modell dastehn würde, oder wie in Passionsspielen der Schau-
spieler, nur dass man bei diesem doch die Anzeichen der uner-
träglichen Lage mit Beunruhigung wahrnehmen würde.
Dabei die strengste Symmetrie. Keine schräge Stellung
des Kreuzes, wie sie in der Rubens’schen Schule beliebt ist;
kaum eine Neigung des Kopfes nach der einen Schulter;
dieses starre Gleichmaass wird durch die nebeneinandergestellten
Füsse mit den zwei Nägeln vollendet.
Das Bild ist eben mehr plastisch als malerisch gedacht; pla-
stischer als selbst ähnliche Gemälde des Bildhauers Alonso Cano.
Hat man die ebengenannten Werke in der Erinnerung, mit ihren
undulirenden Formen, dem Wechsel tiefer brauner Schatten mit
Streiflichtern, rötlichen Reflexen, so wird der ruhig weiche, gelb-
liche Ton der zart und hell modellirten Gestalt auffallen.
Indess hat die Mache sonst nichts von Imitation der Pla-
stik; verfehlt hat es Beulé, den Vergleich Stirling’s übertreibend,
die Kopie einer Elfenbeinarbeit genannt. Musso fand grade
bemerkenswerth, dass der schwarze Grund keine Härte erzeuge.
Noch weniger vermag ich irgend eine Reminiscenz an das Crucifix
von Cellini zu sehn. Das für plastische Wirkung so vortheil-
hafte Seitenlicht hat er nicht verwerthet, und mehr auf die
Wahrheit einer jugendlich weichen Oberfläche, der unmerklichen
Uebergänge, als auf Hervorspringen der Knochen- und Muskel-
struktur Werth gelegt.
Dagegen sind die leblosen Aeusserlichkeiten sehr sorgfältig,
doch ohne Kleinlichkeit veranschaulicht. Die Maserung der gut
gehobelten Balken, Astknoten, ja das ausgeschwitzte Harz des
Nadelholzes, die übrigens sparsamen, geronnenen Blutstropfen,
die Dornenkrone, die Tafel mit der dreisprachigen Inschrift, sind
mit der Treue eines Quattrocentisten wiedergegeben.
Ist also das Gemälde bloss eine Modellstudie? Hat ihn wie
viele vor ihm der Gegenstand nur als Gelegenheit zu einer
Studie des Nackten interessirt?
Woher aber dann jener Eindruck so verschiedener Betrach-
ter? — Diese Wirkung verdankt das Bild, sagt man, einem Zug,
dem einzigen, der die strenge Symmetrie unterbricht. Das in
der plötzlichen Erschlaffung des Todes auf die Brust gesunkene
Antlitz ist der einzige dunkle Theil; aber der Schatten allein ge-
nügte dem Künstler noch nicht. Als das Haupt niedersank, wälz-
ten sich die langen braunen Locken der rechten Seite nach vorn,
27
[418]Viertes Buch.
glitten über die Stirne, verhüllten, bis auf die Mitte der
Brust herabsinkend, wie ein schwerer schwarzer Schleier das
Auge und die rechte Seite des Gesichts. Der Eindruck dieser
halben Verschleierung ist mehr ein geahnter, gefühlter als ver-
standener, aber unwiderstehlich. Dies ist der eine, dem Künst-
ler durch einen Zufall aus dem unbekannten, unbewussten Dun-
kel der schaffenden Phantasie in den Pinsel geflossene, dämo-
nische Zug des Bildes.
Man sagt uns, dieser Zug sei nicht das Eigenthum des
Malers, sondern einem kleinen Bilde des Luis Tristan entlehnt,
das früher in der Galerie Salamanca in Vista alegre zu sehen
war; die Zeichnung dazu soll ein Pariser Sammler haben. Wenn
dieses Crucifix dem Tristan mit ebensoviel Grund zugeschrieben
worden ist, wie die Gemälde im Museum zu Madrid, so braucht
man kaum zu bedauern, es nicht gesehn zu haben. Es wird wie
in hundert ähnlichen Fällen eine kleine Kopie nach Velazquez
gewesen sein, wie sie sonst dem Publikum als Originalskizzen
aufgebunden werden. Um sie zu etwas besserm als einer Kopie
zu machen, schrieb sie Jemand dem von Velazquez gelobten
Toledaner zu. Burger bemerkt dabei, „um Velazquez in diesem
seltsamen und erhabenen Werk wiederzuerkennen, müsse man
in die Chronologie seines Talents eingeweiht sein: hier also wissen,
dass sein Christus von Tristan abstamme!“ Der pariser Kritiker
wusste nicht, dass sich Velazquez nie weiter von diesem Chiaros-
curisten entfernt hat, als in unserm Bilde. Es ist sehr gediegen in
einem hellen, unübertrefflich wahren Fleischton gemalt1), der
besonders in der unteren Hälfte, mit einem ernsten, zarten
Schleier von Grau gedämpft ist.
Velazquez der besser als irgend einer zu wissen glaubte
was dazu gehört, um auch den einfachsten Gegenstand „gut zu
malen“, d. h. der Natur nahe zu kommen, konnte wohl nicht im
Ernst unternehmen, ein Krucifix naturwahr, wahrscheinlich dar-
zustellen. Das lässt sich nicht erdenken. Noch weniger traute
er sich zu, den Ausdruck des sterbenden Gottes mit dem Pinsel
zu erreichen. Er vertraute, dass hier das Gefühl der Kunst ent-
gegenkommen werde, welches in dem Angedeuteten oft mehr
liest als in dem Ausgesprochenen. Daher der Schatten, die Ver-
kürzung des Antlitzes, der zufällige Schleier. Es ging ihm wie
[419]Das Krucifix von San Placido.
jenem Griechen, als er den Achäerkönig beim Opfer seiner Toch-
ter malen sollte. Im übrigen begnügt er sich, ein gut gebautes
männliches Modell (delicado verlangte Pacheco I, 250) in die
überlieferte Stellung zu setzen. Es hat nicht die sonst, auch von
Montañes, Cano, Murillo gewählten edel-hageren, schlanken
Formen. Irre ich nicht, so beruht die Wirkung des Gemäldes
zum Theil auf dieser Zurückhaltung des Künstlers, der sich
gewiss seiner Aufgabe gegenüber nicht bloss als Künstler
fühlte. Der Devotion, der Pietät ist wenig gelegen an einer
künstlerisch bedeutenden Interpretation oder Instrumentirung,
aber sie schätzt wörtliche Treue, authentische Züge; daher der
Cultus der Andenken, Reliquien, Daten. Als ob ein solcher Ge-
genstand in der schlichtesten, äusserlichen, aber authentischen
Vergegenwärtigung am stärksten wirke. Als ob alle Zuthaten
des empfindenden Künstlers, alle Mittel der Darstellung, die
Begleitung der bewusstlosen Natur selbst, diesen Eindruck nur
zerstreuen könnten. Wie ein Charfreitagsprediger damit begann:
heute möge er lieber den Gekreuzigten auf die Kanzel stellen
und herabtreten. Ein Bildhauer der es zum erstenmale sah,
meinte, es scheine ein Devotions-, ein Wallfahrtsbild. Und diess
führt auf den archäologischen Punkt. Sein gelehrter Schwie-
gervater hatte es als eine Art Lebensaufgabe angesehn, die
opinion de los cuatro clavos zu erneuern und zu beweisen, gegen die
seit dem Anfang des dreizehnten Jahrhunderts herrschende Ueber-
lieferung der drei Nägel1). Abgesehen von den Werken des
h. Lucas und Nicodemus berief er sich auf die Bronze Fran-
coni’s nach einem bonarrotischen Modell, die der Maler Céspedes
am Halse trug; auf eine Zeichnung Dürer’s in dem Band Phi-
lipp II, wahrscheinlich dem Brevier Granvella’s. Welche Freude
für den alten Mann, vielleicht die Erfüllung eines lange gehegten
Wunsches, als sein Schwiegersohn, diese „ehrwürdige und
alte“ Darstellung nun durch ein Meisterwerk wiedereinführte.
Ihm folgten Alonso Cano (im Bild der Akademie) und Ribera
in dem Crucifix zu Vitoria von 1643, wo die Füsse aber gekreuzt
sind2).
[420]Viertes Buch.
In diesen dreissiger Jahren war die „Andacht zum Kreuze“
in Madrid besonders aufgeregt. Das Gerücht war ausgestreut
worden (1633), die Juden hätten ein Krucifix gepeitscht, und dies
habe sich laut und vernehmlich beklagt. Das Haus der Frevler
wurde dem Erdboden gleichgemacht, und kein Ende nahmen die
Sühnungsfeste, die nächtlichen Processionen mit Fackeln; es
bildete sich eine Congregation del bendito Cristo de la Fe. Bloss
für die an Kirchen angehefteten spanischen und lateinischen
Verse wurden mehrere hundert Ducaten verausgabt. —
Das Gemälde war bis zum Jahre 1808 in der Sacristei des
Benediktinerinnenklosters von S. Placido, einem dürftigen, nur
durch ein kleines vergittertes Fenster erhellten Raum, wo es
Ponz und Cumberland sahen. Die Gründerin dieses Klosters,
Da. Teresa de Silva war mit ihrem Vetter, dem Sohn eines der
reichsten Granden, des Protonotars von Aragon, D. Gerónimo
de Villanueva, Marques von Villalba verlobt gewesen. Kurz vor
der Hochzeit wurde die Verbindung plötzlich aufgelöst, die junge
Dame nahm den Schleier und baute jenes Kloster mit dem Geld
des Ex-Bräutigams. Die neue Stiftung wurde sehr beliebt bei
Hofe, Olivares, das Königspaar machten der liebenswürdigen
Suor Teresa öfters Besuche. Unter der Leitung des Beichtvaters
und Benedictiners Fray Francisco Garcia Calderon schien die
fromme Anstalt sogar Erscheinungen ausserordentlicher Gnaden-
wirkungen zu Tage zu fördern, die aber bald bei dem heiligen
Amt gerechte Bedenken erweckten1). Es verurtheilte den Fray
zu ewiger Reclusion, verbannte die Priorin auf vier Jahre und
vertheilte die Schwestern in andere Klöster (1633). Aber es war
unerträglich, dass die königliche Familie und der Hof in einem
Hause verkehrt haben sollten, dem der Makel einer solchen Sen-
tenz anklebte. Nach fünf Jahren gelang es dem Einfluss des
Ministers und des Protonotars, eine Revision des Processes durch
den Rath der Suprema zu bewirken, die mit Kassation jenes
Urteils und Wiederherstellung der Angeschuldigten endigte (1638).
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Velazquez bei dieser Gele-
genheit veranlasst wurde, das Bild für das Kloster zu malen2).
[421]Christus an der Säule.
Neuerdings hat das Krucifix ein Seitenstück erhalten: eine
Episode aus dem Sturm des Leidens, der jener Todesruhe
vorherging, den
Christus an der Säule.
Dieses Gemälde, erst seit fünf Jahren öffentlich zugäng-
lich, kann wol als die merkwürdigste Vermehrung des bisher
bekannten Bilderschatzes des Meisters bezeichnet werden. Vor
fünfundzwanzig Jahren zu Madrid erworben, hatte es schon bei
seiner ersten Ausstellung in Manchester (1857) und in der British
Institution (1860) vielfach tiefen Eindruck gemacht1), doch auch
Zweifler an seiner Echtheit gefunden, — wie es oft das Schick-
sal neuentdeckter Originale ist. Das Dunkel, aus dem es nach
mehr als zwei Jahrhunderten Vergessens plötzlich auftaucht, ist
räthselhaft; vielleicht war es, ursprünglich Andachtsbild, als Fami-
lieneigenthum fortgeerbt worden, ohne dass man den Kunstwerth
beachtete. Seitdem blieb es wieder über zwanzig Jahre in einem
Privathause verborgen, und so konnte vielen Freunden des
Velazquez keine grössere Ueberraschung begegnen, als die bei
seinem Erscheinen in der Nationalgalerie, der es Sir John Savil
Lumley geschenkt hat.
Ein religiöses Bild, völlig von den sonst bekannten seiner
Hand abweichend, in der Verwebung gegenwärtigen Lebens
mit dem Wunderbaren und der heiligen Geschichte mehr mittel-
alterlich als modern; eine Passionsscene (paso) die, soviel man
wusste, so nie dargestellt war, ein Werk endlich, in welchem
einmal des Meisters religiöses Empfinden hervortritt. Und von
diesem Werk findet sich in alten Nachrichten und Inventaren
2)
[422]Viertes Buch.
keine Spur. Es hat in der That soviel Ungewöhnliches, dass man
es (wie mir selbst begegnet) nach der Photographie bezweifeln
konnte: der Anblick des Gemäldes aber, der Farbe und Malfüh-
rung schlägt alle Bedenken nieder. Nachdem dieser Artikel ge-
schrieben war, habe ich allerdings auch eine Studie zu dem Ge-
mälde gefunden.
Alle Kirchenbilder des Meisters, frühere wie spätere,
schliessen sich in Stoff, Auffassung und Aufbau an die Ueber-
lieferung, zum Theil an bestimmte Vorbilder. Sie machen keinen
Anspruch auf Erfindung, nur Modell und Malsystem sind des
Künstlers Eigenthum. Nicht so hier.
Es ist eine Episode der Passion, zwischen Geisselung und
Dornenkrönung, Ecce homo. Die Kriegsknechte haben sich nach
Vollbringung ihrer Henkerarbeit entfernt und das Opfer sich
selbst überlassen, aber die Handwurzeln vom Säulenschaft los-
zubinden vergessen. Am Boden liegen die Zeugnisse der über-
standenen Misshandlung: Ruthen, blutbefleckte Geisseln aus
Lederriemen, kleine Zweige, die sich beim Gebrauch abgelöst.
Jetzt ist er auf den Boden gesunken, aber die gefesselten Arme
bleiben fast waagerecht ausgestreckt; er sitzt auf der Erde,
das Antlitz dreht sich nach links und erscheint nun voll nach
vorn gewandt, die Wirkung des Ueberstandenen und das Pein-
volle dieser Lage des todesmatten Körpers mit erschütternder
Wahrheit ausdrückend. Solche qualvolle Stellungen hat Ribera
in seinen Martern des heil. Sebastian in mehreren Wandlungen.
Derartige Episoden der Passion, im Evangelium nicht bekannt,
wurden ausgedacht und gefolgert, um durch das Neue, durch
Eingehen in detaillirte Umstände, eine heftigere Wirkung zu er-
zielen, als von dem oft Wiederholten erwartet wurde. Z. B. Jesus,
nach der Geisselung, der Nacktheit sich schämend, sucht mit
Mühe die ringsum hingeworfenen Kleider zu erreichen und anzu-
legen. So stellt ihn Alonso Cano dar in einer lebensgrossen Figur
der Akademie von S. Fernando; er macht einen Schritt nach dem
Mantel, den er mit beiden ausgestreckten Armen an sich nimmt.
Nach Alonzo de Villegas (Flos sanctorum, Barcelona 1760, p. 57)
war es der Plan seiner Feinde gewesen, dass er unter der Züchti-
gung, die der Statthalter in guter Absicht befohlen hatte,
sterben sollte; sie hatten ihn in der That, als er nach Empfang
von fünftausend Geisselhieben in Ohnmacht gefallen war, für
todt liegen lassen. Diess sei dann von beschaulichen Gemüthern
(contemplativos) weiter ausgesponnen worden. Sie banden ihn
[423]Christus an der Säule.
los, er stürzte zu Boden; aber durch den Fall zu sich kommend,
erhob er sich und suchte die Kleider. Ayala in seinem Pictor
Christianus eruditus (Madrid 1731, p. 153) erwähnt diese Scene
nicht einmal. Man machte sie noch herzbrechender, indem man
Jesus, zu schwach um sich aufzurichten, am Boden mit Händen
und Knien sich nach dem Mantel hinschleppend darstellte.
Solche Bilder erfindet die Volksandacht, oder frommer Eifer er-
findet sie für dieselbe; langsam dringen sie, wenn überhaupt, in
die Hände wirklicher Künstler.
Zur künstlerisch-poetischen Gestaltung, zur Leitung, Mil-
derung des Eindrucks gehört dessen Aufnahme in das Bild
selbst. Zuweilen wird neben den einsamen Heiland der kniende
reuige Petrus gestellt; z. B. in dem Gemälde der alten Schule
von Cordoba, wo das Stifterpaar zu beiden Seiten der Säule kniet
(S. 39), und in der Tafel des Morales in S. Isidro. Oder es sind
Engel hinzugetreten. Dem von allen Verlassenen blieb nur der
Antheil dieser Wesen der unsichtbaren Welt, Genien des Mit-
leids gleichsam: der zeitlose Schmerz der Christenheit selbst in
der Sprache der Kunst. Zwei solche Engel stehen neben Christus
in dem Murillo zugeschriebenen Bilde der Francis Cook’schen
Sammlung zu Richmond. Der eine legt die Hand auf den Arm
des Genossen, der die Hände gefaltet, die Augen von Weinen
geröthet, verloren steht in das unglaubliche Schauspiel: Christus
mit dem letzten Rest von Kraft an der Erde sich fortarbeitend.
Diese Engelgruppe wäre in ihrer Einfachheit und Wahrheit wol
Murillo’s würdig.
Auch Pacheco hatte sich mit dieser Scene des seine Klei-
der an sich nehmenden Schmerzensmanns beschäftigt; ein
Schreiben vom 13. Oktober 1609 an Fernando de Cordoba giebt
eine weitläufige Beschreibung seiner Auffassung und der leiten-
den Grundsätze (El Arte de la Pintura I, 248—55). Christus
soll, des tieferen Eindrucks wegen, das Gesicht nach dem Be-
trachter zu kehren; Schamgefühl, die Wirkung der Misshand-
lungen an einer zartgebauten, würdevollen Gestalt sollen ausge-
drückt werden; die blutigen Striemen auf die beschattete Seite,
den Rücken beschränkt werden; die Säule hoch sein, die am Bo-
den zerstreuten Marterwerkzeuge vierfach u. s. w. Die blosse
Beschreibung hatte den Luis del Alcazar zu einem lateinischen
Gedicht begeistert.
Am nächsten kommen der Idee des Velazquez zwei Ge-
mälde, das eine spanischen, das andre italienischen Ursprungs.
[424]Viertes Buch.
In der Kirche der Merced descalza in Sanlúcar de Barrameda
(S. 56) in einer dunklen Capelle rechts am Eingang steht über
dem Altar ein grosses Bild, das überdiess zu geschwärzt ist, um
den Meister (Roelas?) zu erkennen. Auch hier ist ein Engel
herzugetreten, aber mit einem Knaben an der Hand dem er den
Christus an der Säule.
hingefallenen Heiland zeigt, welcher den Mantel zu erreichen
sucht. Das Kind drückt die Hände an die Brust.
Das andre Motiv der zusammengebrochenen, oder -brechen-
den, aber durch den Strick gehaltenen Gestalt kommt in dem
Gemälde des Bernardino Luini in S. Maurizio (Monasterio maggiore)
zu Mailand vor. Zwei Knechte sind im Begriff ihn loszubinden,
nur der linke Arm ist noch am Elnbogen fest. Aber hier
ist der Heiland ohnmächtig geworden; die Beine knicken kreuz-
weis zusammen; das Haupt sinkt auf die Schulter, der linke Arm
hängt völlig schlaff herab. Während also der Spanier ein letztes
Zusammennehmen der Willens- und Muskelkraft wählte, hat der
Lombarde den viel zarteren Körper in dem Augenblick des völ-
ligen Entweichens der Beherrschung der Glieder und des Bewusst-
seins dargestellt. Die Bewegung ist transitorischer, ja pa-
[425]Christus an der Säule.
thologisch; die Theile geben eckige rechtwinklige Linien, was
übrigens an sich nicht zu tadeln wäre, sofern es die gewollte
Situation schlagend ausdrückt, denn im Interesse der Wahrheit
soll die Kunst unschöne Linien nicht scheuen. Auch die Auf-
nahme der Lebenden ist gewissermassen vertreten: die heilige
Katharina steht zur Linken, den Stifter vorstellend, dessen Aktion
indess bloss conventionell ist. Auf der andren Seite wendet sich
der heil. Stephan der andächtigen Gemeinde zu.
Bei Velazquez ist die andächtige Person, wie in Sanlúcar,
ein blonder Knabe in langem weissem gegürtetem Hemd, der
von einem Engel — seinem Schutzengel — hereingeführt und
auf den von allen verlassenen Heiland hingewiesen wird. Der
Engel steht hinter dem Kinde, das auf seinen Wink niederge-
kniet ist und die Hände gefaltet hat, so wie auf den Flügeln
mittelalterlicher Triptychen Schutzpatrone die Stifter einführen
und der Madonna empfehlen.
Die Lage liesse sich auch so erklären. Der Heiland lag er-
schöpft am Boden: der Strick ist lang genug dazu, jetzt hat er
sich mühsam aufgerichtet, um das Kind zu sehn und ihm in mög-
lichster Haltung zu antworten. Er dreht den Kopf und die
Augen nach ihm hin. Dieses ist ganz hingenommen von dem
Jammeranblick; die Neigung des Köpfchens auf die rechte Schul-
ter ist gewählt, um Auge und Antlitz des Gefesselten besser ge-
genüber zu haben. Was das Kind sieht, ist es nicht vermögend
zu fassen, noch weniger hat es Worte seine Empfindung auszu-
drücken; aber das Herz spricht. Wenn man das Gemälde auf-
merksam betrachtet, bemerkt man eine dünne weisse Linie, einen
Strahl, der von der Stelle wo das Herz liegt zum Ohre Jesu geht:
„mein Herz vernahm,
was du verschwiegen dachtest im Gemüthe“.
Das alles giebt sich so schlicht, wie wenn man einen wirk-
lichen Vorfall sähe. Hätte man bloss das Kind und seinen Be-
gleiter (ohne die Flügel) vor sich, man würde sagen: es ist ein
Kind das von einer Verwandten an das Sterbebett seines Vaters
geführt wird, um ein Gebet für dessen Ruhe zu sprechen.
Wenn die sonst bekannten religiösen Darstellungen des
Malers gleichgültig liessen, so hat man das aus dem Wesen
seiner Kunst gefolgert. Ihm versagte Hand und Phantasie, wenn
es etwas darzustellen galt, wo ihn das Modell im Stich liess.
Hier gesteht man, dass diese Folgerung voreilig war.
[426]Viertes Buch.
Der Engel ist übrigens ein Bildniss. Die kurze grade Stirn,
die dünne eingezogene Nase, selbst der hohe Schopf und die
über die Ohren hervorgedrängten lockigen dichten Haare nach
damaligem Geschmack lassen daran keinen Zweifel. Aber das
gesenkte Auge, die wie dem Weinen nahe etwas vorgeschobenen
Lippen verrathen den bangen Druck des Augenblicks.
Dieser Blick ist fein empfunden. Das natürlichere wäre,
dass das Auge der zeigenden Hand folgte. Aber er scheut sich
selbst hinzusehen, damit der Schmerz nicht ausbreche.
In der Handzeichnungen-Sammlung des Instituto Asturiano
zu Gijon, einem Vermächtniss von Cean Bermudez an seine Va-
terstadt1), befindet sich eine Kohlenzeichnung, mit breiten Stri-
chen flüchtig skizzirt, welche eine Modellstudie ist zu diesem
Engel. (Nr. 410, 218 × 115 mm.) Stellung, Bewegung, Costüm
stimmen genau, nur hat die Hand das Kleid bis ans Knie herauf-
gezogen, und der Kopf ist anders. Das Modell hat kurzge-
schnittene Haare, der Hinterkopf ist hoch und eckig, die Nase
gerade, kein Ausdruck, die Hände blosse Umrisse. Da das Ge-
mälde in Spanien unbekannt war, auch die Zeichnung wenig
Anhalt zu einer Attribution giebt, so muss die Benennung auf
Grund alter Ueberlieferung gemacht sein. Das Costüm ist viel-
leicht der Figur eines Passionsspiels entlehnt. Sollte das kreuz-
weise Band zur Befestigung der Flügel gedient haben?
Vielleicht ist es ein Votivbild, geweiht von Eltern, die ihr
Söhnchen in der Andacht zum leidenden Heiland zu malen ge-
lobt hatten.
Sehr ungewöhnlich ist die Gestalt Christi. Selten ist selbst in
den der Nachahmung der Antike ergebenen Schulen ein körper-
lich mächtigerer Christus geschaffen worden. Man wird vielleicht
an den Christus der Minerva erinnert; aber hier ist der Eindruck
des Athletischen noch gesteigert durch den Kopf, der ganz ab-
weichend von dem Typus, breit und platt ist. Die kurze und
zurückliegende Stirn, mit starken Höckern am Augenbogen (sie
erscheint noch enger durch die über die Schläfen gestrichenen
dunklen gelockten Haare), erinnert an den griechischen Herakles;
dazu das starke Jochbein, die Wellenlinien von Nase und
Mund. Wie ein gewaltiger Kämpfer, ein Simson, überwältigt
von der Uebermacht, dessen Kraft allein dem Dulden so
[427]Christus an der Säule.
unerhörter Qualen gewachsen ist. Vielleicht hatte der Maler in
Rom Studien gemacht an einer der Statuen aus der zweiten
attischen Schule, wie dem sogenannten Antinous (Hermes) des
Belvedere. Vielleicht wählte er solche Formen, weil ein uner-
träglicher Zustand, wo die Kraft bis nahe an die Grenze des Zu-
sammenbrechens in Anspruch genommen wird, bei augenschein-
lich ausserordentlicher Widerstandskraft weniger peinlich wirkt.
Das Gemälde muss in der mittlern Zeit gemalt sein;
manches führt auf den Anfang, anderes auf das Ende dieser zwei
Jahrzehnte. Die Modellirung des Nackten steht dem Vulcan
nicht fern; die Hände sind schon in der letzten skizzenhaften
Art modellirt, die Finger des Kindes z. B. mit verschieden ab-
getönten, unverschmolzenen, an den Spitzen ausfahrenden Stri-
chen; der rechte beschattete Fuss ist nur angedeutet. Bemerkens-
werth ist die sorgfältige Behandlung des verschiedenen, kräftigen
Haarschmucks der drei Köpfe.
Wenn der Gegenstand befremdlich ist, so erscheint dagegen
in Farbengefühl und Formenbehandlung die Eigenart des Mei-
sters selten so charakteristisch. Wer die alte Malerei nur aus
der Nationalgalerie kennte, würde hier den Eindruck einer gros-
sen, von allen andern völlig abgesonderten, in einem Unicum ver-
tretenen Schule haben. Es giebt wol kein Gemälde, das obwol
keineswegs farblos (das Braunorange und Stumpfkarmoisin des
Engelkostüms sind ihm eigenthümlich), in einem so entschieden
grauen, schwärzlich grauen Ton gemalt ist. Es ist als habe nach
dem Furchtbaren, das hier vorgegangen, die trauernde Natur,
wie nach einem Vulcanausbruch, einen feinen Aschenregen über
die Scene gestreut. Wie warm goldig, tizianisch erscheint dort
daneben das Nackte in der Pietas Ribera’s; wie blühend Murillo!
aber beide auch in solcher Nachbarschaft fast konventionell. Man
sieht sich vergebens um, wo ein Arm gemalt wäre, wie die aufge-
streiften des Engels. Vielleicht in der Michelangelo zugeschriebe-
nen Grablegung; aber in unserem Bild ist bei gleicher Formenwahr-
heit, die Weiche, Geschmeidigkeit und der durchschimmernde Ton
einer jugendlichen Haut mehr beachtet. Diess Grau wird auch
in den für ihn sehr tiefen Schatten nie undurchsichtig. Die
Gesichtsfarbe Christi ist bläulich wie bei Erstickenden, die Horn-
haut blaugrau. Die nackten Formen sind mit breitem, vollem
Pinsel in grossen einfachen fliessenden Zügen über den wie
es scheint rothbraunen Grund (von dem keine Spur durchdringt)
impastirt, und die Schatten über den hellen Fleischton gelegt.
[428]Viertes Buch.
Jene scheinen in der Nähe vor dem Auge zu zerfliessen, tritt
man zurück, so staunt man über ihre Genauigkeit und Wahrheit.
Man gewinnt den Eindruck, dass er die ihm vor Augen stehende
Natur nicht bloss nachgebildet, sondern auch verstanden hat, —
dass er von der Bestimmtheit des Gewussten zur Unbestimmtheit
des Gesehenen ging, vom Sein zum Schein.
[][][][]
Photographieen von A. Braun \& Co. und J. Laurent, mit Benutzung graphischer Re-
productionen, von R. Brend’amour in Holz geschnitten.
cortada á su medida. La Araucana I, 3.
s. XVII fundado en las comedias de Calderon. Madrid 1881. Julio Monreal,
Cuadros viejos. Madrid 1878.
Leipzig 1876 S. 40.
are replete with such intense and vivid realism that, as long as the world endures,
and they remain in evidence, they will probably commend themselves to the observer
in as complete earnest as at the first moment of their production. The pictures of
Velazquez have this in common with photographs, that they impress the mind
with such a powerful sense of actuality, as almost to suggest to the beholder, in
their after-remembrance, the having assisted at the visible passages of human action
represented. J. C. Robinson, Memoranda on fifty pictures. London 1868 S. 43.
collection de leurs tableaux (Velazquez et Murillo). W. Burger, Trésors d’art en
Angleterre. Bruxelles 1860.
127. 135.
polio varios Libros, y Papeles muy cortesanos; entre ellos algunos Apuntamientos
de Velazquez, su maestro … que nos han sido de mucha utilidad para este tra-
tado. 353 á quien se debe lo mas principal de esta Historia.
Asensio. Sevilla 1876.
Curtis. London 1883.
amigos I.
Idem, El semejante de sí mismo I.
schrift des Britischen Museums. Noch im Jahre 1673 hatte Sevilla 405 Seidenwebstühle.
sich nur im Ausland. Man verglich Spanien mit dem arkadischen Esel, der Gold
trägt und Disteln frisst.
Fol. 51 ff.
Prinzen im Jahre 1657 (28. November).
mento, la mayor del cielo nennt er dieses kalte Werk, ebenda.
su honra II. Lugar tan acomodado á hallar aventuros, que en cada calle y tras
cada esquina se ofrecen mas que en otra ninguna. D. Quixote I, 14.
monatlich.
kannt waren, sind dem biographischen Bildnisswerk des Pacheco entlehnt, der diese
Männer grösstentheils persönlich kannte: wir befinden uns also in der geistigen
Atmosphäre der Jugendzeit unseres Malers.
baridad que en España havia. Varia comensuracion. L. 2.
no está en uso, dispertando
las ya dormidas memorias
del Boscan y Garcilaso. Calderon, Antes que todo es mi dama I.
gebracht worden waren, zum erstenmal bei Tageslicht zu sehen.
christlichen Religion in dem Fresco Veit’s im Frankfurter Museum.
Während diese köstlichen Denkmäler der altspanischen Schule nirgend erwähnt
werden, hat man z. B. die werthlosen Wandmalereien in Santiponce in einer wun-
derlichen, ja unverständlichen Weise gepriesen und copiren lassen. Es sind auf einem
schlechten Grund von lockerem Mörtel und Stroh mit schlechten Farben gemalte
Heiligenfiguren, an denen sämmtliche Köpfe weggekratzt sind. Man hat nicht gesehn,
dass das noch ganz erhaltene Abendmahl im Refectorium von derselben Hand ist,
wahrscheinlich der eines zurückgebliebenen Wandermalers, oder eines klösterlichen
Dilettanten.
Verkündigung in der Galerie des Sor. Sebastian Fina y Calvo zu Sevilla.
Rochus und Sebastian in der Sacristei und die Stifter in den nördlichen Porteria
der Kirche gehörten.
ángel que está en el claustro de S. Pablo, en una Salutacion de Maese Pedro.
welche Hugo Toman in Prag besitzt, das einzige mit seinem vlämischen Namen
bezeichnete Werk, PETRVS KEMPENER. Sie ist von miniaturartiger Feinheit,
ergreifender Stimmung und ohne alle Manier in der Zeichnung. — Zu dem Chri-
stus eine Zeichnung in Gijon.
Herzogs Emanuel von Medina Sidonia und seiner Frau Juana de Sandoval, und
wurden erst 1629 nach dem Tod des Malers vollendet. Die Kirche stösst an den
Palast Montpensier, der an der Stelle des frühern Klosters steht. Dieses Haupt-
werk ist nicht nur von Cean Bermudez, sondern selbst in der gelehrten Beschrei-
bung der Stadt San Lucar von Pedro Madrazo in: Sevilla y Cadiz, Barcelona 1884
S. 815 ff. vergessen worden. Dagegen steht im Catalog des Prado-Museums noch
immer der Moses (1121), der ihm ganz fremd ist.
Jamais le Caravage ni Ribera, ces deux grands praticiens, n’ont eu une exécution
plus ferme, un dessin plus arrêté, une couleur plus puissante.
kein sicheres Urtheil, jedenfalls hat es mit seiner spätern Art gar keine Aehnlichkeit.
zeichnungen der Biblioteca nacional in Madrid. Hier hat der Patient einen Blick des
Entsetzens: er sieht sich noch auf Erden, nachdem er schon das Zeitliche gesegnet.
Bez. 7 de octubre 1615. Die Heiligenfiguren im Pradomuseum (1608) gehören zu
seinen frostigsten und hölzernsten Arbeiten.
ein Geistesverwandter!
berbia pintura — es del tamaño natural y se vé en ella gran fuerza de tintas y
dureza de pincel.
gegeben von G. Cruzada Villaamil. Madrid 1886. 2 Bände. Nach dieser Ausgabe
habe ich citirt.
ticas II, 622 hat dies Urtheil P. Madrazo’s noch mit andern Gründen widerlegt.
Judennase, langer graulicher Bart; bei der Hinrichtung war sein Kopf von einem
durchsichtigen Schleier umwunden; als Binde der Augen diente die toca, die ihm
Plautilla verehrte.
about 32 figures in this picture, four whereof are the pictures of Titian, Ra-
phael etc. A catalogue of the curious collection of pictures of G. Villiers, Duke of
Buckingham. London 1758. p. 3.
0,44. a. m. 0,73. Die Composition erinnert an eine Mosaik im Dom zu Monreale.
venez. Schule 48 u. 34.
der Infant D. Sebastian, ein feiner Kenner und eifriger Sammler, es befindet sich
zur Zeit in Pau.
á quien beberle apetece,
que à los hombres entontece,
y à las hembras sutiliza. Tirso, En Madrid y en una casa.
tional-Gallery, ist eine verkleinerte Wiederholung.
que dá España á la hermosura
toledana, á la blandura
tratable, en mi humilde cara
su fama calificara! Tirso, No hay peor sordo I.
gen wurden an Provincialmuseen abgegeben; obwol es im Prado genug grosse Ge-
mälde gibt, die ihnen hätten Platz machen können. Will man zeigen, dass in Ma-
drid keine nationalen Vorurtheile herschen, weil man gehört hat, dass im Hôtel
Drouot alte spanische Gemälde zweiten Rangs keine hohen Preise mehr erzielen?
Nr. 674. Von dem seltenen Stich der holländischen Künstlerin ist ein Exemplar
in der Nationalbibliothek.
ist; das Bildniss eines alten Mannes (Nr. 1048) von einem Maler der Tintoretto
sich angesehn hat; einen phantastischen Mönchsconvent in der Akademie, jetzt
richtig dem Genueser Al. Magnasco wiedergegeben; ein Bildniss des Lope in der
Ermitage u. a.
nicht unwillkommen sein; es giebt eine Vorstellung von dem Ideenkreis und den
Streitfragen, welche die Maler Sevilla’s in den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts
bewegten. Das Gespräch ist mit Benutzung der Malerkunst des Pacheco, der unter
dem Namen Eutifron eingeführt ist, verfertigt worden, wie die nachgewiesenen
Stellen beweisen.
Gonzalo del Mena, war ein Museum der Sculptur. Die Franzosenkriege und noch
mehr die so barbarisch ausgeführte Exclaustration hatten sie beraubt und dem Unter-
gang überantwortet, vor dem sie nur die Einrichtung zur Thonwaarenfabrik durch
den Engländer Pickman rettete. Ausser den Resten der Rivera, ihrer Beschützer,
schloss sie einst die des Columbus in sich, bis zu deren Ueberführung nach West-
indien.
des ehemaligen Professhauses der Jesuiten, jetzt Universidad, versetzt worden. Das
„Haus des Pilatus“ ist der vom Volksmund eingeführte Name des Familien-
palastes der Henriquez de Ribera, später Herzöge von Alcalá; er ist dann an die
Medina Celi übergegangen. Dieser Bau ist das bedeutendste Denkmal der Ver-
bindung des christlich-maurischen (mudejar) und des gothischen, und beider mit
dem Renaissancestil, welches Andalusien besitzt. Sein Gründer war D. Pedro
Henriquez († 1492); den meisten Antheil an dem Bau aber hat wol dessen Sohn
D. Fadrique († 1539), dessen Namen mit der Jahreszahl 1533 auf einer Portada
steht. Er bereiste drei Jahre lang Palästina, zog am 4. August 1519 in Jerusalem
ein und bestellte auf der Rückreise jene prachtvollsten Proben italienischer Renais-
sanceskulptur in Spanien, bei Pedro Gazini und Antonio Maria de Aprilis de Charona.
Vollendet und namentlich mit antiken Sculpturen ausgestattet hat den Palast dessen
Neffe D. Per Afan, erster Herzog von Alcalá und Vicekönig von Neapel, wo er
1571 starb. Die obige Vignette ist nach der Figur auf jener Bronzeplatte ge-
macht.
diverse gentilezze di Spagna, e dell’ Indie ancora . . Il duca d’ Alcalá è partito
questa mattina per Napoli. Deve anco gionger a Venezia per curiosità di veder
cotesta città, prima del suo incaminarsi in Spagna. Depeschen des venez. Gesandten
vom 6. Sept. 1625 und 14. Februar 1626.
der Bibliothek des Escorial.
Mariae in der Kathedrale und den englichen Gruss in S. Lorenzo, † 1597. Vgl.
Arte II, 153 f.
bekannte Maler aus Brüssel, vgl. a. a. O. II, 161.
(† 1598) hatte sich mit achtzehn Jahren um die vielerstrebte Racion des Organisten
beworben, und sie durch Lösung der halsbrechenden Aufgaben gewonnen, die ihm
der Kapellmeister Francisco Guerrera in Gegenwart des Erzbischofs de Castro
stellte. Das Wort vom „Engel in den Fingern“ stammt von dem Kapellmeister
Philipp II, Felipe Rugier. Er componirte zahllose Kirchenlieder, villancicos, chan-
zonetas und motetas; das spanische Orgelspiel verdankte ihm nach Pacheco „Grazie
und primores“. Jener Guerrera, aus Sevilla (1527 † 99), der Sohn eines Malers,
war der fruchtbarste Componist seiner Zeit für Kirchenmusik, besonders Messen,
Magnificate und Psalmen. „Es giebt keine Kirche in der Christenheit, die nicht
seine Werke besässe und hochschätzte“.
richterliche Endwort. Aber diess lag ausserhalb des Gedankenkreises der damaligen
Kunstgelehrten. Das Recht dessen was die Spanier hier borrones nennen, und sonst
manejo libre y magisterioso, die Italiener bravura di tocco, des flotten, unver-
schmolzenen Pinselstrichs, gründet sich auf optische Beobachtungen, nach welchen
gewisse plastische, farbige und Licht-Erscheinungen besser herauskommen, wenn man
das Zusammengehn der Theile, Striche und Farben, dem Vorgang im Sehorgan
überlässt, statt sie schon im Bilde zu bewerkstelligen, was allerdings der Natur-
wahrheit entsprechen würde. Es ist also dieselbe Thatsache, auf der der Vorzug
der Linienmanier in den graphischen Künsten vor der Crayon-Manier, Schwarzkunst
und Lithographie beruht. Diess ist der Grund, weshalb jene Maler sorgfältig
vollendete Gemälde nachträglich mit solchen golpes übergingen. Da aber abgesehen
hiervon Bravour, geistreicher Pinselstrich und drgl. keinen malerischen Werth
haben und kein Zeichen höherer Begabung sind, so war der Aerger des Alten be-
rechtigt gegen die, welche Unfertigkeit und künstliche Rohheit zum Kriterium des
Genies machten und damit eigentlich der Faulheit nach dem Mund redeten.
Cruzada Villaamil aus dem Archivo histórico nacional in Madrid. Vgl. S. 81 ff.
moderno. Lisboa 1862. IX, 365 ff. 576 ff.
1809, neu S. Sebastian 1881, 95.
dades III, 510 ff.
y de los abuelos tiene noticia se tratavan y sustentavan de la misma suerte, Rev. Eur. 107.
pupil, improved indeed by a higher quality of touch and intention. Ford, Penny
Cyclopaedia. Il y contracta l’habitude d’une exécution libre, énergique et fière, qui
tranchait avec le faire timide des peintres d’Andalousie, et à force de voir son
maître réussir par l’audace, il s’accoutuma lui-même à une manière pleine de fran-
chise et de vigueur. Charles Blanc, Historie des peintres. Velazquez, en quien dió
el primer impulso con su titánica fuerza. Sentenach, a. a. O. 54.
cadeza. Palomino III, 323.
que Velazquez a dû d’acquérir la finesse et la correction de son dessin, si précis
dans les mouvemens, si ferme dans les attaches, si expressif dans sa liberté. Trésors
d’art en Angleterre. Bruxelles 1860. 122. Obige Zusammenstellung lehrt was von
solchen Urtheilen zu halten ist, wie das von Menendez y Pelayo, Historia de las ideas
estéticas II, 584, wo er diese Tractate über die bildenden Künste „pobres, raquíticos
y desmedrados“ findet, und was noch schlimmer sei, „en tan palmaria contradiccion
con lo que el arte de aquellas centurias practicaba, guiado sólo por el instinto del
genio.“ Aber wie die Musik ihren Generalbass hat, der sogar in den Bereich der
Mathematik fällt, so kann eine Arte de la pintura wenigstens nicht lesbar sein wie
die Ars amandi oder eine Aesthetik. Die bildenden Künste haben ein breites tech-
nisches und wissenschaftliches Fundament, und Gemälde kann man nicht machen
wie Verse und akademische Reden, aus dem Tintenfass oder mit dem puren Instinkt
des Genius.
leven, so eygentlijck alle de verwen treffende, dat het natuerlijck geleeck te wesen:
met welck veel te doen, hij wel den alder vasten Meester in zijn verwe vermenghen
oft temperen is geweest, di men oyt heeft ghevonden. Het Schilder Boeck. f. 162 D.
risa. II, 125. „Die Kunst an und für sich, sagt Goethe, ist edel, deshalb fürchtet
sich der Künstler nicht vor dem Gemeinen. Ja indem er es aufnimmt, ist es schon
geadelt, und so sehen wir die grössten Künstler mit Kühnheit ihr Majestätsrecht
ausüben.“
Aguador de mano de Velazquez llamado el dho aguador el corzo de Seuilla con
marco dorado y negro tassada en diez doblones. Testamentaria de Carlos II. Buen
Retiro 1700.
a un fanciullo, disegnato, e colorito finissimamente. Lettere di un vago italiano
I, 152 f. Pittburgo.
gettò ne’ suoi principj alla imitazione del naturale, col finire tutte le parti, e dar
loro quella forza che gli pareva vedere in quella, considerando la differenza essen-
ziale che è tra le parti illuminate e le ombre; cosicché questa medesima imitazione
del naturale lo fece dare un poco nel duro e nel secco. Mengs, lettera a d. A.
Ponz. 51.
der Alameda bei dem Earl of Clarendon, das aus der Zeit, aber nicht von der
Hand des Velazquez ist.
A la Haye 1692. II, 76.
ner Kittel, durch den man Brust und Bauch sieht: con las costras, y callos duros
y fuertes. So zerlumpt erscheint der Aguador in Manuel de la Cruz’ Costümbildern,
hier trägt er den Krug auf dem Kopf.
Una pintura que significa una mesa, con su Bagilla y un canturo; y dos medias
figuras sentadas á ella; de vara y tercia de largo, y vara escasa de cayda; original
de Velazquez. Ponz Viage VI, 35. Obiges Bild nach Curtis 30″ × 50″.
tisch gefunden. Les musées de province 1852. I, 124. Auch Curtis ist es entgan-
gen. Im Catalog: Portrait d’un homme dissertant sur la mappemonde.
son und durch ihn an Mr. Salting (29″ × 23″.).
di un giouine con un fior di melarancio in mano. Bellori, Vite etc. p. 214.
Knabe in der Ermitage (423) echt.
Listowel.
á voces, Reina escogida,
diga que sois concebida
sin pecado original. Sein Bildniss von Pacheco ist S. 68 erwähnt.
führlich. The solemnity and depth of expression in the sweet girlish face is very
striking; the more so, that it is not a beautiful face etc. Pacheco schrieb 13 bis
14 Jahre vor.
sich zur Nachahmung bequemt hat, befand sich von jeher im Palast des Grafen
del Aguila zu Sevilla, von dem es Baron Taylor 1832 für 4800 L. erwarb; aus
Louis Philipp’s spanischer Galerie ward es 1853 um 2050 L. für die Nationalgalerie
angekauft (Nr. 253). Eine Darstellung desselben Gegenstandes verbrannte 1832 im
Kapitelsaal zu Plasencia.
andere biblische Darstellungen sind allerdings apokryph. Der Tod des heil. Joseph
aus der Houghtongalerie (in der Ermitage), der gemeine Loth aus der Galerie Orleans
verdienen keine Besprechung, und sollten nicht in alle Ewigkeit an der Spitze
des Katalogs fortgeführt werden, wenn auch mit?. Die Findung Moses im Castle
bild von Orazio Gentileschi; Hiob auf dem Aschenhaufen, einst in der Kartause
zu Xeres, wurde schon von Ponz (Viage XVII, 279) bezweifelt. Die interessante
Befreiung des Petrus mit dem weiten unterirdischen Kerkergewölbe und Gruppen
grausam gefesselter Gefangenen und Soldaten in ihrer Mitte, in der Galerie Francis
Cook zu Richmond, die früher Velazquez, neuerdings Cano hiess, ist eine Kopie
des Gemäldes von Carlo Bononi aus Ferrara (1569, † 1632) in den Uffizien Nr. 112.
Auch in den Inventaren der königlichen Schlösser aus dem vorigen Jahrhundert
werden ihm mehrere Bilder dieser Klasse fälschlich beigelegt; die Veronica (damals
in S. Ildefonso und Aranjuez) ist ein Strozzi (Prado Nr. 406); ferner kommt eine
grosse „Ehebrecherin vor Christus“ vor; eine heil. Barbara und die Dreieinigkeit,
wahrscheinlich ein Spagnoletto. Nur ein kleines Abendmahl (¾ × ½ varas) kommt
bereits in dem von seinem Schwiegersohn del Mazo im Jahre 1666 aufgestellten
Inventar vor. Den „Johannes in der Wüste“ (Curtis 18) habe ich nicht gesehen;
Ford und Stirling rühmten ihn als echt, Bürger verwirft ihn.
veces en un sugeto. Comentarios 26. Aehnlich Diderot im Salon: Mais dites-moi
où cette brute de Vanloo a trouvé cela; car c’était une brute. Il ne savait ni pen-
ser, ni parler, ni écrire, ni lire. Méfiez-vous de ces gens qui ont leurs proches
pleines d’esprit, et qui le sèment à tout propos. Ils n’ont pas le démon.
Cyclus ist von mir zuerst in den zwei Gemälden des Louvre (558 f.), einem im
Berliner Museum (404 a) und einem in der Dresdener Galerie (627) nachgewiesen
worden. S. Jahrbuch der preussischen Kunstsammlungen 1883.
der Kathedrale zu Sevilla, Capelle S. Joseph ist die Berufung des Matthäus (1665)
und der Streit Jesu mit den Pharisäern.
alli la Corte, donde todo floreció, con muchos del Tuson, muchos Grandes, muchos
Titulados, muchos Prelados, muchos Caballeros, gente principal, y sobre todo Rey
mozo, recien casado. Guzman de Alfarache I, 2, 1.
molto honorevole, e che ha portato altri al cardinalato. Depesche vom 24. Dec. 1656.
im Turiner Archiv.
Churtons’ über Góngora (London 1862) befindet sich ein guter Stich nach der Replik,
die damals Henry Reeve gehörte. Sie soll aus der Sammlung Sir W. Hamilton’s
in Neapel stammen, kam in den Besitz des Kunstschriftstellers Ottley, und wurde
dann als Bildniss Gondomar’s verkauft. Sie stimmt genau mit dem Madrider Bild
überein.
cavallo al natural con Baston en la mano derecha Original de mano de Diego Ve-
lazquez en un lienzo de 5 v. de alto, 3½ ancho poco mas o menos, sin marco.
que se ocupe en lo que se le ordenare de su profesion etc. Documentos inéditos
55, 398. Der Dukaten beträgt 11 Realen oder 375 Maravedis.
monarca. Pacheco I, 139. Olivares habe ihm auch einmal den Königl. Leibarzt
geschickt.
Pedro de Yta en la calle de la Concepcion Gerónima, que tiene de aposento el
dho Diego Velazquez. Dokument des Palastarchivs.
mejorarse. La Calle mayor, cosecha de toda la buscona gente. Tirso, Por el sotano
y el torno. Las Indias de nuestro polo, si hay Indias de empobrecer, yo tambien
Indias la nombro. Alarcon, las paredes oyen.
oppidum locis campestribus in colle jacet, non admodum amplum.
Neue Ausgabe von Diego Perez de Messa, Prof. der Mathematik zu Alcalá, 1595.
et sano, et di sito fertile. Venturini, Viaggio 1571 (Handschrift). Bei der Ein-
nahme durch Ramiro II (939) kommt der Name Magerita zuerst vor. Es muy sana
el clima de M., por frio y seco. Tirso, En M. y en una casa.
festgeworden war. „Non avendo necessarii ó latrine in casa, gittano tutto quello
che noi solemo mandar per essi dalle strade, e dalle finestre avanti le loro porte,
et dove passano, il che è pero di manco biasimo che’l veder come si veggono et
per spesso gl’huomini, e talhora anco qualche femina far il loro agio publicamente
per dette strade il giorno, mostrando arditamente la faccia come fossero della
scuola di Diogene“ Venturini, a. a. O. Tirso, Quien calla otorga I, 7 sagt, man
werde krank von seinen nächtlichen Dünsten.
Tirso, En Madrid y en una casa I, 8.
Calderon, No hay cosa como callar. Está una pared aquí de la otra mas distante
que Valladolid de Gante. Tirso, La celosa de sí misma.
mugeres, caras y ropas. a. a. O. Calderon, Los empeños de un acaso III. Lope, Al
pasar del arroyo III. En M., sin ser Jordan, las mas viejas (casas) se remozan.
Tirso, La celosa.
ese nombre pueden dalle . . . . Es todo el mundo esta villa. Tirso, En M. y en
una casa I, 8. A M., famosa corte, que la mapa del mundo es. Ders., La Villana
de la Sagra. Que es España amparo y cetro del mundo, noble hospedage de
todos los forasteros. Calderon, Amigo, amante y leal I. En Madrid, patria de
todos, pues en su mundo pequeño son hijos de igual cariño naturales y extran-
geros. Ders., El maestro de danzar.
y la hermosura. Calderon, No siempre lo peor es cierto II.
ingenio mas sutil. Calderon, Hombre pobre I.
Es hospital la corte, venturoso el que sano de ella escapa. Peganse como
bubas los pecados. Tirso, El pretendiente al reves. III, 10.
del domìcìlio, alhajas y verjeles alrededor de Madrid.“
Andrea und drei Tizians (10. März 1674); in der des Joseph Gonzalez kauft er
15 Stücke, „gar wolfeil“ (27. Sept.); in einer ungenannten „ein Altarl mit zwei
Thüren“ aus der Schule Dürers (21. Mai); „in meiner Gasse die drei musicirenden
Mädchen“ (Catalog 169); in der des Peñaranda die Belagerung von Valenciennes
von P. Snayers (23. Feb. 1677); etliche Bilder in der des Marques de los Velez
(20. Jan. 1698). (Tagebücher des Grafen Ferdinand Bonaventura von Harrach (im
gräflich Harrach’schen Archiv zu Wien), deren Benutzung mir der jetzige Graf
Harrach aufs liebenswürdigste gestattete.)
abgedruckt.
servations concerning pictures \& paintings in England 1650 \& 52, wird dieser
sbozzo als in Mr. Bayley’s Besitz befindlich erwähnt, nebst der „Schule des Amor“.
Vielleicht ist es das Bild in Petworth. Waagen, Treasures III, 43.
getreten. Relazione di Spagna 1605, Magliabechiana 5077. 60.
cava (Oberschenk), s. de paneteria (Oberküchenmeister), guardamangel und contralor
(Hofküchenschreiber); grefier (Hofzahlmeister), ugier de vianda, portero de may-
son, acroy.
Königs) verdanke ich der Güte des Sor. Guemes Willamez, Archivar des Palasts.
von 1738 kam: Aedes Maurorum quas Henricus IV composuit Carolus V ampli-
ficavit Philippus III ornavit ignis consumpsit etc.
Madrid. M. 1629. p. 331. Mesonero Romanos, El antiguo Madrid I, 135 ff. M. 1881.
HISPAN. REX.
MDXXXIX.
doer, Relazione di Spagna 1557.
De avisar de que tras dellas Siempre algun vivo escuchó.
(El perro del hortelano II, 3.)
Tunis, Scanderbeg, Columbus, Magellães und viele Prälaten.
Handschrift im Britischen Museum.
consejo de órdenes; Pieza angosta sobre el panadero (Bäckerei); sobre las cocinas
de los hospedajes; Paso que hay de este pasadizo á la escucha del consejo de órdenes.
tan infimo estado, que no seamos capaces de hacer alguna merced, aun á los
mismos Reyes.
Con el pincel es segundo
autor de naturaleza;
las claúsulas mas suaves
de la música penetra.
En efecto de las artes
no hay alguna, que no sepa,
y todas, sin profesion,
halladas por excelencia.
Calderon, la banda y la flor.
He became the best artist of the house of Austria, sagt Stirling ohne irgend eines
dieser Produkte gesehn zu haben S. 512. Daselbst die Aufzählung.
mandato à S. Mtà. dal Sigr. Conte d’ Aiala Vicere di Sicilia, et alla Mtà. S. non
parue delle migliori opere di quell’ huomo. Et questo è il quadro per il quale
alcuni Palermitani si erano ammutinati mesi sono. Cioli, 28. Sept. 1661.
principalissimo requisito de’ Re. Basadonna 1653.
den Galerie- und Parlamentscommissionen nach moderner Schablone, die oft nur
in der Boz’schen Kunst, how not to do it, hervorragendes zu leisten pflegen.
Mensch ist pasible animal: „y el Rey, contra el órden y arte, no quiere reir.“
Reformacion de trages.
senza calze, gorre, e cappe sarà bandita la gravità, lo splendore e’l decoro da pa-
lazzo. So schreibt der Bischof von Modena am 28. Mai 1622.
aber Münzen und Kupferstiche, z. B. in Vasconcellos’ Königen von Portugal
(1621 von Corn. Galle), in Davila’s Beschreibung von Madrid (1623), in einem
Blatt den König zu Pferd darstellend, mit dem Wahlspruch Una Fides. Bez.
Kieser exc. Dan: Meisn. Comm. Boh.
Vetter. Sie kam in das Haus Altamira, wurde von den Franzosen mitgenommen,
von Louis XVIII zurückerstattet, und mit jener Sammlung zu London 1827 ver-
kauft, für £ 29, 18 s. Sie befindet sich jetzt in W. R. Bankes’ Landsitz Kingston
Lacy. S. Curtis Nr. 116. Bezeichnet R. PHE. 4. Das Bildniss im Palast des
Duque de Villahermosa zu Madrid, in ungefähr demselben Alter, ist eine alte
Schulkopie. Es stammt von dem Herzog von Narros.
S. 35 f. Der Maler Wilkie nannte Velazquez „Teniers on a large scale“.
Bildniss der Sammlung von Alton Towers sein, wo der König nach Passavant
(Kunstreise II, 118) einen Löwen zu seinen Füssen hatte.
Atti 1623. Farnes. Archiv.
honore, per quanto comporta il gran sussiego di questi gran principi. Pellegrino
Berlacchi, Vescovo di Modena, 4. April 1622.
von dem „grünen Kreuz“ an dem er gestorben (en cruz verde padeció) und der
lanceta. Es ist das Alcántarakreuz des Olivares gemeint.
Kaisers oben an der Wand; auf dem Tisch liegt ein Helm und ein Buch, auf
dessen Schnitt steht: EPIT. CAR. V. (Bibl. nacional.)
deutenden Zügen, streng herrischem Blick, majestätischer Haltung, Nr. 1129.
todo es mío. — „¿Todo?“ — Todo, sin faltar nada.
der mezzano de’ gusti; der „gewässerte“ ist der Lastträger der Regierung:
— que es del peso del gobierno
un lustroso ganapan.
Depesche Atti’s im Farnes. Archiv.
il gusto del Conte Duca, col donargli alcuna pittura isquisita, che egli n’ė assai
vago, et è di natura che ama le blandizie. G. B. Ronchi an den Herzog von Mo-
dena, 15. Sept. 1630.
auf der Mr. Charles Scarisbricks (Mai 1861) nur 262 £ 10 s. 85″ h. 51″ br. Curtis
Nr. 171. Exhibition of Old Masters 1887. In der Ecke unten links steht El
Conde Duque.
Huth. Sie war aus einer Madrider Sammlung in die spanische Galerie Louis
Philipps gekommen, und wurde 1865 für £ 325 10 s. von Henry Farrar gekauft.
Die Figur hat dieselbe Grösse, aber die Leinwand ist kleiner (81″ h. 43″ br.).
Die andere Replik kam aus der Sammlung König Wilhelms von Holland in
die Ermitage (Nr. 421). Sie ist später, aber auf unser Bild gebaut; das Antlitz
wurde zeitgemäss verändert. Das pentimento am Knie deutet auf Uebermalung. In
dem schielend ausgefallenen Zug der Verbindlichkeit, in dem fast greisenhaft faltigen
Leder der Hände, in dem verworrenen Fall der Tischdecke und im Ton erkennt
man den Antheil eines Schülers.
Paul. Pontius Sculp.
Pondus adest; mixta stat gravitate Lepor etc.
gestochen worden, von der andern Seite, die Engel sind weggelassen und bloss die
von ihnen gehaltenen Embleme geblieben. Ebenso ist nach Pontius’ Stich das Blatt von
Matthäus Merian gearbeitet, welches sich in der dem Minister gewidmeten Frank-
furter Ausgabe des Petron befindet. Nach dem Jahr 1629 dieser Ausgabe (Extrema
editio ex musaeo D. Josephi Gonsali de Salas) ist Pontius’ Stich vor Rubens’ Reise
nach Madrid (1628) gemacht. Auch würde Rubens, wenn dort der Plan des Stichs
entstanden wäre, gewiss den Grafen selbst aufgenommen haben. Später war auch
die Frisur anders; wie in dem Stich von P. de Jode, wo er fast grade so aus-
sieht, aber bereits die Perücke trägt. Hier hält er in der Linken eine Depesche.
altra era cosa ordinaria, e che si sfilava quì di passo in passo, poichè il Sig. Co:
Duca medesimo era passato dall’ abito di Calatrava a quello d’ Alcantara. Fulvio
Testi, Depesche vom 10. August 1636 im modenes. Archiv.
Almosnino Hebreo. Traducido p. Jacob Causino. Madrid 1638. Er spiesst eine
Chimäre. „Cor meum, vigilat.“
Gervier, pintor del Almirante de Inglaterra, la pintura de la Venus que está en
esta casa, de la cual había entendido tenia gusto el Principe de Gales etc. Villaa-
mil, handschriftliches Leben des Velazquez.
königliches Wort, das etwas an den Consul Mummius erinnert.
gett allso thos of Titian, wch I left in ye Palace ye Ist time. Cottington an Endy-
mion Porter. 2. Nov. 1629. Sainsbury, Rubens 293.
nien, mit Arbeiten für die königlichen Schlösser beschäftigt (ebenda); er muss
also um 1615 herübergekommen sein.
cidas de los Reyes y Monarcas S. 86.
Werk ist unter den spanischen Schriften über Malerei wol das unergiebigste.
lich Franc. Albano bei Malvasia, Felsina II, 144 (il precipitio, e la totale ruina).
pincel lo que dibuja su pluma. S. 146.
von Velazquez „with respect and admiration“ gesprochen habe. Annals I, 418.
tamaño [wie Rubens Sabinerinnen] la Expulsion de los Moriscos por el Sr. Rey
D. Phelipe terçero original de mano de Diego de Velazquez.
Regi Cathol. Regum Pientissimo, Belgico, Germ. Afric. Pazis, \& Justitie Cultori;
publice Quietis assertori; ob eliminatos feliciter Mauros, Philippus IV robore ac vir-
tute magnus, in magnis maximus, animo ad maiora nato, propter antiq. tanti Pa-
rentis \& Pietatis observantiaeque ergo Trophaeum hoc erigit anno 1627.
Babolain S. 153.
Histoire politique et diplomatique de Rubens. Bruxelles 1877.
suyo, lo disponga. Gachard a. a. O. 92.
otto quadri di pittura di sua mano, ordinatili per servo. di S. Mtà., da porsi in
questo Palazzo. Depesche vom 25. September 1628 im Archivo Mediceo.
28. April 1618. Man sieht, Rubens preist seine Werke in ganz kaufmännischem
Stil an. Wie er nicht zu stolz war, mittelmässige von ihm übergangene Schüler-
arbeit unter seinem Namen bei seinen Verehrern anzubringen, so zeigte er wenig
Empfindlichkeit, wenn sie ihm zurückgeschickt wurde, wie mit der Löwenjagd für
Carl I geschah, vgl. Sainsbury, S. 52 ff.
en la mano derecha un abentador de palma y una punta de una hoja verde en los
pechos. Inventar von 1636. Pieza en que S. M. negocia en el cuarto bajo de verano.
mayor pintor que ay ni auido en Europa y que asi lo confesó Rubens, vn gran
pintor Flamenco quando vino a esta corte. Revista Europea 1874. II. 275.
l’on y monte, on est bien forcé d’être charlatan; sans quoi, l’assemblée vous jette
des pierres. Chamfort, maximes et pensées.
dem unter Mitwirkung von Velazquez’ Schwiegersohn aufgestellten Inventar von 1665.
por la despensa de mi casa vna raçion cada dia en espeçie, como la que tienen
los Barberos de mi Cámra., en consideraçion de qe. se auia dado satisfecho de
todo lo que se le deuia hasta aquel dia de las obras de su ofiçio qe. avia hecho
para mi seruicio, y de todas las qe. adelante hiçiese.
inéditos 55, 398 f.
amor II.
te mire la festiva gente En sus convites dulce y regalado A ti, de alegres vides
coronado, Baco, gran padre domador de oriente, He de cantar.
kards. R. Ford, Penny Cyclopaedia, Art. Velazquez. — The success of the artist in
seizing a laugh and fixing it on the canvass, without converting it into a grimace,
is an unparalleled triumph of skill. Curtis 18.
Der picaro findet es, nachdem alle abgefallen sind, auf der Erde.
mäldes im Museum zu Neapel, dort zwei Jahre vor dem Landsmann in Madrid auf
seinen Silen gekommen. Eigentlich ist dieser Silen nicht „abscheulicher“ als der
griechische. Um Ribera in solchen Darstellungen zu beurtheilen, müsste man seinen
grossen „Triumphzug des Bacchus“ besitzen, der sich noch im Anfang des acht-
zehnten Jahrhunderts im Schloss zu Madrid befand. Er war 12 castilische Fuss
lang und 7½ hoch. Fragmente des im Brand des Schlosses stark mitgenommenen Werks
waren in Buen Retiro (1772), darunter der Kopf des lorbeerbekränzten Gottes und
„drei todte Köpfe“ auf einen weissgedeckten Tisch. Zwei andere Fragmente, die soge-
nannte Sibylle und der Bacchuspriester sind noch im Pradomuseum (1011 u. 12).
Nordgalerie versetzt und bei des Königs Tode zu dreihundert Dukaten taxirt.
1686 steigt es auf 400, 1702 nach dem Tod Carl II auf 200 Dublonen = 24000 Rea-
len. Nach dem Brand erscheint es ohne Rahmen, hatte also vermuthlich gelitten;
es kommt nach Buen Retiro, kehrt unter Carl III in den neuen Palast zurück, wo
es Goya 1780 auf 40000 Realen schätzt. Letzterer hat es radirt, und Mengs
Schwiegersohn Carmona in Kupfer gestochen, aber nicht in seiner guten pariser,
sondern in seiner schlechten spanischen Manier; keines von beiden Blättern giebt
den Charakter der Zeichnung wieder. — Grösse: 165 × 225.
Treasures IV, 387. Grösse: 32″ × 39″.
drid 1776.
Zeit passt.
Neapel.
segondo.
vi pensano molto, e vi mettono grandissima considerazione, stimando sempre che
tutto quell’ onore che fanno ad altri, sia un levarlo à sè stessí. Morosini, Relazione
di Spagna 1581. Tirso sagt:
que el vos en caballeros
es bueno para escuderos. La huerta de Juan Fernandez I, 1.
Olivares, in der Kirche der Minerva nicht gegrüsst hatte. und deren Vetter gesagt,
er würde, wenn er dabei gewesen, den Colonna gefordert haben, sagte dieser: für
seinesgleichen habe er den Stock. Depesche Pesaro’s vom 11. August.
Diamanti di valore di Scudi, alcuni lavori della China per formar, et ripartir stanze,
cose curiosissime, et di gran stima. Die Diamantengarnitur jenes Bildnisses wurde
auf 10000 Scudi geschätzt.
zum grössern Theil aber in die städtische Galerie von Barcelona gebracht worden.
riano) und enthält die Bronzen und Goldsachen. Er liegt rechts von der grossen
Nische, welche das alte Theater des Belvedere abschloss. Die Fenster gehen auf
die jetzige Sala delle muse des Museums. Der Aufgang ist aus dem Cortile der
Statuen.
maestri. In G. P. Bellori, le vite de’ pittori. Rom 1728, p. 300 ff.
y práctica de la pintura, escrita por Parrasio Tebano, Pastor arcade de Roma.
Madrid 1789. S. 192.
fol. S. 9 f.
Lioni. Roma 1731. p. 92.
modi, con quali si trattiene in questa Corte per l’aria, e per li debiti, che ha con-
tratto, ha havuto la permissione di partire. Depesche Zuane Pesaro’s vom 22.
Juni 1630.
1726. p. 137.
tain in the midst. Here is also a row balustrated with white marble, covered ever
with the natural shrubs, ivy, and other perennial greens, divers statues and heads,
being placed as in niches. Evelyn’s Diary.
ruinas etc. Antwerpen 1562. Prospectus colossei cum aedibus et variis ruinis illi
contiguis.
seien Grobschmiede der Mancha. Quarterly Review 1872. Ford, Penny Cyclopædia.
Buen Retiro zuerst erwähnt; aber da selbiges das erste dieses Orts ist, und
das Gemälde in den Inventaren des königl. Schlosses bis dahin nicht vorkommt, so
wird es wol gleich bei der kurz nach der Rückkehr des Velazquez erfolgten Grün-
dung jenes Lustorts dorthin gebracht worden seien. „Una pinttura de tres Varas de
largo y dos y media de alto con la fragua de Bulcano quando Apolo le dio quenta
del Adulterio de su muger original de Velazquez con marco negro tasada en 160
doblones.“ Von da kam es in den neuen Palast; unter Carl III befand es sich
in dem Ankleidezimmer (pieza de vestir) und wurde 1789 zu 80,000 Realen taxirt.
Eine interessante Skizze mit Veränderungen, mit fettem, flottem Pinsel gemalt,
sah ich bei Chevalier de Stuers, damals Gesandten des Königreichs der Niederlande
in Madrid; ob eine Skizze des Meisters, darüber konnte man schwer einig werden.
Grösse des Originals 2,23 × 2,50.
Francisco de los Santos, Madrid 1681, fol. 66 f. und auf zwei Folioseiten beschrie-
ben; es befand sich im Kapitel des Vicar, aber nach Palomino (III, 330) war es
anfangs mit dem Gegenstück, der Vulcanschmiede, im Schloss von Buen Retiro
aufgestellt worden. Dort erwähnt es auch Ximenes (Descripcion 1769), ebenda
befindet es sich noch heute (N. 341). In der von seinen Söhnen an den Bankier
Salamanca verkauften Sammlung José Madrazo’s war eine sogenannte „Wiederholung“,
wo das Hündchen schläft, statt bellt. In der alten Kirche S. Miguel zu Cordoba
ist eine Kopie im Presbiterio zur linken des Altars. Das Pendant ist eine
seltsame Darstellung der Grabtragung nach Evang. Johannis 19, 40, welcher Vers
als Rechtfertigung gross darunter gesetzt ist. Der Todte ist nämlich wie eine
Mumie eingewickelt vom Kopf bis zu den Füssen. Diese Kirche wurde im Jahre
1749 von dem Bischof Cebrian umgebaut.
para la Notomia. F. de los Santos a. a. O.
Hermanos de Joseph; y la razon que dan es, que le oyeron dezir al Autor, que
uno de los que pintó aquí, es Rúben, que se mostró mas piadoso que sus Her-
manos …; y otro Simon, y assi los demas. Ebenda.
cia. Depesche des Venezianers Padovano aus Neapel v. 6. August.
drid 1634. 40.
bischof von Tarantasia, v. 6. April 1623: assai per la sua età prudente.
Aermeln, die eine Hand ruhte auf dem grünen Tisch, die andere hielt ein Taschen-
tuch; Landschaft. In der zweiten Folge trug sie ein rothes (colorado) Kleid, und
hielt einen Fächer.
Ecke oben steht: This is the picture of the Infanta of Spain that was brought over
by the Duke of Bucks. She was to have married Kìng Charles I. Ein feiner Stich,
stellt die Infantin zu Pferd dar: The portraiture of the Most Excelent Princes Maria
of Austria; darunter eine Liste der englisch-spanischen Heirathen seit dem Conquest.
Brit. Mus. — Grösse des Pradostücks 0,58 × 0,44; der Berliner Figur 2,00 × 1,06.
werth aus dieser Zeit gehören zwei charakteristische Frauenbildnisse in Hamptoncourt,
wahrscheinlich von Pantoja de la Cruz. South Gallery 622 und 642. „Sir A. More.“
des Bischofs Gandolfo vom 4. Januar 1630 aus Madrid.
könne, und das von einer verstorbenen Braut herrührte, bietet dem Grossherzog
Ferdinand II sein Agent Paolo di Sera in Venedig für 200 Ducaten an (Brief vom
6. Febr. 1648, Medic. Archiv).
(Nr. 1610) noch heute „Bildniss einer Prinzessin vom königlichen Hause von
Frankreich“ heisst. Diess Gemälde befand sich im Jahre 1686 in der Galeria del
cierzo: „Otra pintura de vara y media de alto del Retrato de la Reyna madre de
francia Da. Ana de mano de Rubens.“ Wahrscheinlich weil es so einfach, rein
und schön war, wurde es weniger bemerkt als viele, die durch ihre Manierirtheit dem
gewöhnlichen Geschmak mehr entgegenkommen. Wir haben es dort lange und wie-
derholt betrachtet, während wir dem steifen und düstern Reiterbild Carl I von van
Dyck kaum einen Blick schenkten.
public. p. D. Valentin Carderera. Madrid 1866. S. 33 ff.
que son obras tales, que quieren ser estudiadas y meditadas muchas veces, que
aunque ahora se pinta por diferente rumbo y práctica, si no se funda en esta base
de estudios parará en ruina fácilmente, y en particular en sus historiados, que son
el norte de la perfeccion que dije, en la que nos enseñan las historias del inmortal
Rafael pintadas en el Sacro Palacio; el que estudiare estas obras, se hará historia-
dor verdadero y consumado S. 35.
Kirche war S. Maria Blanca de’ PP. Scalzi. Aus jener Zeit ist dort nur noch ein
ganz verdorbenes Bild des hl. Martin geblieben, in S. Andrea.
gute Kopie, eine Originalreplik (?) ist in der Akademie von S. Fernando zu Madrid.
Schlaf- und Sterbezimmer Philipp IV. Später in den Galerien des Infanten D. Luis
de Borbon und Salamanca’s, 1874 zu Paris für 2000 Fr. verkauft, bez. 1630.
Weber in Hamburg; bez. 1630. Auch ein Evangelist Matthäus fällt in dieses Jahr,
Palomino III, 313.
nicht aufgestellt oder abhanden gekommen, bez. 1631.
geleitet“. Dieses Gemälde befindet sich im Escorial N. 442 und heisst jetzt A.
Vaccaro, ist aber ebenso wie die Epiphanie im Palast (N. 574) daselbst und die
Auferstehung Christi im Prado (N. 517) ein Werk des Pietro Novelli, genannt il
Morrealese, des namhaftesten sicilianischen Malers dieses Jahrhunderts, der in Madrid
nicht bekannt scheint.
de Austria. Madrid p. 42. Eine Anzahl der Dokumente veröffentlicht Zarco del
Valle, Documentos LV, 398 ff.
Madrid, Pinelo, zu diesem Jahre. Die Comödie war wahrscheinlich die von dem
Florentiner Serrano in seinem Brief vom 21. Juni beschriebene: Le fatiche e forze
di Ercole, wo drei Compagnien, zusammen vierzig Schauspieler mitwirkten, und die
Cosimo Lotti in Scene gesetzt hatte.
Et merito Veneri sacer est et amoribus aptus,
Aptus adulterio et plantandi cornua campus.
H. Cock, Mantua Carpentana, publ. p. Morel-Fatio. Madrid 1883.
mana con una fontanina in mezzo, et qui presso una retirata da stato sotto volta,
con un’ altra fontanina, di sopra vi sono stanze commode etc.
mas hoy al que te ve desengañado,
que cuando frecuentada en tu ventura. (Quevedo, obras III, 6.)
en cuya idea á fuerza del cuidado
fué á penas dicho, quando fué formado. Lope, Versos á la primera fiesta
del palacio nuevo (5. Oktober u. flg. 1632). Obras sueltas IX, 236. Viage del
Parnasso.
Serrano 11. Sept. 1632.
7. Dec. 1633. Serrano sagt, man hätte mit dem Geld un buon nervo d’esercito an
einem nothwendigen Punkt halten können.
serviva a questa Maestà d’ Architetto maggiore, e le fatiche, che durava nell’ edifi-
zio dei sepolcri regii dell’ Escoriale, ma più nelle Fabrica del Buen Retiro, per la
Pedro Texeira, reproducirt von dem geographisch-statistischen Institut, Madrid 1881,
kann man sich über Buen Retiro orientiren.
havergli abbreviata la vita. In tanti anni che ha servito alla Maestà sua, deve haver
conseguito poco, poichè ha lasciato de’ debiti. Florent. Depesche vom 17. März
1635. Die andern Architekten waren Tejada, Gomez de Mora, Alonso Carbonell.
22. December 1638.
et a me parono assai inferiori a quelle che si fanno costà allo stanzone de’ Com-
medianti. Serrano 5. März 1650.
florentinischen Gesandten, vom 15. April und 6. August 1628, 19. November 1630,
28. Februar 1632, 25. Juni 1633, 4. und 11. März 1634, 2. Juni und 4. August 1635,
24. Mai 1636, 21. Feb. 1637.
Schreiben von 1652 im Archiv der Este zu Modena. Beider Leben bei Bal-
dinucci.
wahrscheinlich die „Sphären“.
wieder: es sind wahrscheinlich die fünf grossen Stücke der Geschichte Johannes
des Täufers vom Cavalier Massimo (Prado 306—8), einige Mythologien, Stillleben
vom Cavalier Recco, Fruchtstücke von Giuseppe Ruoppoli; römische Scenen von
Lanfranco: eine Naumachie und ein Kaiseropfer; endlich die vier Tartarusriesen
und anderes von Spagnoletto.
rico XIV. 23. Juni 1637. In do. Palazzo si vanno accomodando tutte le cose
venute del superbo presente che mandò quà l’Infante Cardinale, tra le quali partico-
larmente sono sette statue di bronzo di giusta statura e fattura eccelente, che
rappresentano li sette pianeti. Florent. Depesche vom 27. Juni 1637.
Ermordung (15. Februar) aufgeführt, ein Beweis vielleicht, wie wenig man doch in
Madrid über die geheimen Pläne des Wiener Hofs informirt war. Serrano schreibt
am 4. März: Si compose per due gran poeti qui unitamente, Calderon et Cuello,
una commedia, che rappresenta le prodezze del duca di Frisland, et prima di
recitarsi, come è già seguito più volte dai comici pubblici, perchè trattava di pr̃pi
viventi, acciò non si offendesse nesso. et non si narrasse cosa all’ uso poetico,
troppo lontana dalla verità, fu fatta rivedere dal consiglio di stato, et in fine
approvata. Ha dato gran gusto per il buon modo, con che rappresenta le fazzioni
di guerra, et in partre. la rotta del Re di Suezia, celebrando il suo valore, della
Regina sua moglie, et lor capni. ancora. Del Frisland poi parla con gran decoro,
mostrandolo formar squadroni, dar ordini militari, batterie, assalti, battaglie, rotte,
stragi, et ogni notabile, et valoroso successo vero, o verisimile: soprattutto lo-
dando sempre, non dicendo male di nessuno. Solte. si è osservato che non nomina mai,
nè in ben nè in male, il Rè di Francia, nè francese alcuno. Et tessendo le soprede.
azioni mescolate di allegro, et malinconico, con musiche, apparenze d’ ombre a suo
tempo, et altre invenzioni, è riuscita la più dilettevole poesia, che si ha veduta da
un pezzo in quà. Die Katastrophe Wallensteins war wahrscheinlich die Ursache,
dass diese Komödie unterdrückt wurde; die Nachricht seiner Ermordung brachte
ein Courier von Mailand den 25. März.
della quale resta incaricato à D. Francesco di Quevedo, Cavaliere di S. Jago et buon
poeta, intorno à che per far opera di gusto, et con intermedj apparenti, è un
mese che egli quasi rinchiuso in casa, travaglia con grande studio, e vorrà cor-
rispondere al concetto che si hà del valore suo, e d’ altre opere che ha fatte.
Florent. Depesche vom 30. Sept. 1634.
Feria, und die Einnahme von Juliers durch Spinola, — die wahrscheinlich aufge-
geben wurden.
des Marquis zeigt den völligen Ausdruck des spanischen Charakters zu einer Zeit,
wo sein Stolz berechtigt war, aber durch feine Sitten gemildert wurde“. Rehfues,
Spanien, 1813. I 118 f.
pacificacion de los Estados de Flandes. Serrano nennt es „la recuperazione della
Baya nel Brasil,“ ebenso Ponz; das Inventar von 1701: la toma del Brasil,
und als Maler Un religioso doménico flamenco.
hispanische Löwe, ohne seine Höhle zu verlassen, durch sein blosses Schnauben und
Schütteln der Mähne Europa erbeben und um Gnade flehen lässt:
Desde su cueba española
el Leon con su nariz,
marchita flores de lis (Frankreich),
mata moscas con la cola (Urban VIII)
y con una hebra sola
de las muchas de su clin
ata á Savoya en Turin,
y sin hacer otra arma
miserere canta Parma
y Olanda Ilora su fin.
et Fontaine Darangouesse, Dess. el grauè sur les lieux. Paris 1665.
fuente = este año del Sr. de 1657 = siendo Gobernador D. Garcia de Brizuela
y Cárdenas. Auf dem Bilde: por mandado de su mag. añ. 1657.
Travels throngh Spain. London 1787. II, 130.
1,48 × 2,23. Nr. 1110, 2,45 × 2,02.
femme assise; on ne voit pas l’Amour, mais il y est. Dans l’autre, les mêmes per-
sonnes à peu-près; mais, à l’écart du couple, est assise une seconde femme, qui
tourne le dos. Est-ce que la Jalousie aurait suivi l’Amour?
Dyrrhachium Pompeius: Non recusare se, quin nullius usus Imperator existima-
retur, si sine dedecore exercitus Spinolae discessisset. H. Hugo, Obsidio Bredana.
Antv. 1629. 59.
alterutrius existimatione. A. a. O. 36.
non per vincere: Siri, Memorie III.
in nostris splendor. Hugo 119.
Wien 1884. S. 122 ff.
con la descripcion del sitio el Marques de Leganés. 8' breit. In der „pieza en
que S. M. negocia en el cuarto bajo de verano“. Das zweite mit Isabella in der
Kutsche war 9' breit. In der „pieza del cuarto bajo antes de la del despacho“.
Das kleine Bild kam später in das Lustschloss Zarzuela.
Wiederholung, dem Geldorp Gortzius zugeschrieben, ist in der Galerie zu Darm-
stadt (Nr. 277). Das Bildniss von Rubens, intelligent und geistreich, ist im Palast
Marcello Durazzo zu Genua, eine Wiederholung in der Galerie zu Braunschweig,
eine Copie in der Nostitzgalerie zu Prag; gestochen ist es von Peter de Jode. Van Dyck
hat ihn mehrmals gemalt, das Exemplar aus dem Palast Balbi zu Genua und
mehrere andere sind jetzt in England (van Dyck Ausstellung 1887); der Stich in
der Iconographie ist von Lucas Vorsterman.
qui ferait presque souhaiter de perdre une ville pour lui en rendre les clefs. P. L.
Imbert, L’Espagne. Paris 1875. 212.
No hay temor que me fuerce
á entregarla, pues tuviera
por menos dolor la muerte.
Aquesto no hasi do trato,
sino fortuna, que vuelve
en polvo las monarquias
mas altivas y excelentes.
Esp. Justino, yo las recibo,
y conozco que valiente
sois; que el valor del vencido
hace famoso al que vence.
Mr. Solvay lässt ihn sich ausdrücken nach seinem Geschmack: Mon brave, vous
vous êtes bien battu; consolez-vous, cela ira mieux une autre fois. (!)
tuando las hastas de las lanzas, que no este expresado con el mayor magisterio.
Carta à Ponz, Viage VI, 201. Bossuet nennt diese carrés espagnols — carrés
vivants, semblables à des tours, mais à des tours qui sauraient réparer leurs brèches.
M. Lucien Solvay versteht mehr von Komposition als Mengs. In seinem durch
originelle Schreibweise spanischer Künstlernamen bemerkenswerthen Werke L’art
espagnol, Paris 1887 heisst es p. 190: Breda, très-défectueuse au point de vue de
la composition; p. 184 Breda pèche évidemment — par le manque d’effet dans la
distribution de la lumière et la résonnance des tons.
Bredana.
dorado del Marques de Espinola reziuiendo las llaves de una plaza original de
Diego Velazquez.
reciuiendo las Ilaves.
siendo la plaza mas fuerte de Europa. So schreibt der Cardinalinfant dem Könige,
den 18. September 1637.
mit Graf Trautson beschreibt. „Es ist gar ein herziges Häusel“.
de montería del Rey d. Alfonso XI, herausgegeben von J. Gutierrez de la Vega.
Madrid 1877. II, 225.
1639 an Philipp IV.
Werks, p. 39 f.
40. F. 157 f.
tiners Serrano vom 20. August 1635: à piede tra i cani, dirupi et macchie con il
pugnale et sua propria mano lo finì di uccidere, con molto risico di restar offesa
la Ma. S. dall’ animale, et asprezza del sito.; che pero col rispetto conveniente
ne fu ripresa dai signori etc.
des Earl of Clarendon, welche für Velazquez galt, Curtis Nr. 58. Stirling, Annals
II, 683: Philipp IV, in a shooting dress and white hat, brings his gun to his shoul-
der with his accustomed gravity and deliberation.
schloss gebracht und damals auf 8 doblones taxirt. Dieselbe Scene in einem Ge-
mälde des Madrider Schlosses, Alkoven des Thurms nach dem Park zu: Un pais
donde esta el Rey No. Sr. d. Phelipe quarto apeado de su cavallo rendido y
caido y le ofrezen los suyos sus hermanos los señores Infantes don Carlos y don
Fernando. Pintura flamenca. 10 doblones. Inventar von 1686. — Depesche im
Mediceischen Archiv vom 5. Februar 1633.
Begleitung von Kavalieren und Damen zur Jagd ausreitet, mit Waldhintergrund
(Nr. 1661, 1,95 × 3,02).
König neben seinen beiden Brüdern, der Königin und einer Infantin, an einem
Winkel der Tücher, dem Schweine, Hasen, Rehe, Füchse zugetrieben und in den
Schuss gebracht werden.
quez con un rotulo que dice: Ese mató el Rey No. Sr. Felipe 40. Primera
pieza del pasadiço sobre el consejo de hórdenes. 1636. Später im pasadizo de la
Encarnacion, stark mitgenommen. Falsch wird im Pradokatalog auf solche Hirsch-
köpfe bezogen folgende Angabe in den Inventaren von 1666 und 1686, pasillo de
la Madonna: Catorze cabezas en ocho quadros pequeños de mano de Velazquez
á 30 Ds. cabeza. Zusammen 4,620 Realen. Die Taxe wäre zu hoch; es müsste
cabezas de venado heissen; in demselben Gang sind meist venezianische Porträts,
und auf jene 14 folgen „zwei Köpfe von Tintoretto von derselben Grösse“. Es
sind mit Curtis 89e Bildnisse zu verstehen.
Serrano’s vom 4. Februar 1640.
jabalíes Philipp IV von Velazquez vor, 3½ varas breit, 2 hoch, taxirt zu 150 do-
blones. Sie hing in dem Thurmgemach nach dem Park zu. Diese Maasse stimmen
mit denen des Gemäldes der Nationalgalerie (10' 3″ × 6' 2″). — Gleichzeitig
aber befand sich laut der Testamentaria Carl II (1701) am Ende des Jahrhunderts
in dem siebten Zimmer der Torre de la parada eine Tela real de javalies con
orquillas, von derselben Breite (3½ Ellen), neben drei gleichgrossen Jagdstücken,
nämlich der Wolfsjagd, der Hühnerjagd (caza de buitron) und dem oben erwähnten
Jagdabenteuer mit dem Keiler, der des Königs Pferd aufriss. Im Jahre 1714 steht
an der Stelle der Hühnerjagd die grosse Hirschjagd. Nur das erste Stück wird
dem Velez, Velazquez zugeschrieben, die übrigen einem bald Arniens, bald Arinente,
bald Seiniers geschriebenen Maler, der meiner Ansicht nach Peter Snayers ist.
Diese Bilder wurden nach der Verwüstung der Torre in das Pardoschloss über-
geführt. — Im achtzehnten Jahrhundert finden wir im Neuen Schloss (1747) eine
Cazeria de Javalies Philipp IV im Pardo, Original des Velazquez, von denselben
Maassen; und 1772 eine ebensolche im Buen Retiro. — Ponz sah ein solches Bild
im „grossen Saal“ des Schlosses; er nennt es Una diversion de caza en el Pardo,
en que hay figuras chicas de mucha naturalidad y gusto.
pudieran enviar socorro á una plaza.
Quevedo, á S. M. el Rey Fel. IV. Obras III, 498.
small a scale“. Stirling Annals 1373.
de mano de Cornelio de Vos, 7 Ellen lang, taxirt 180 doblones. Im Jahre 1714
wird das Bild la caza del oyo genannt und nach dem Pardoschloss gebracht. Im
neuen Schloss, 1772: Paso del quarto del Sr. Inf. D. Luis: von Velazquez: Una
cazeria del Sr. Phelipe 40. que llaman comunmente la del oyo (4 Ellen br., 2½ h.).
Ebenda 1789, Pieza de Trucos: La caceria de Felipe IV. en el parque llamada del
oyo, taxirt 30,000 Realen.
negros = La una de una Monteria de Benados en el sitio de Aranjuez de mano
de F. B. del Mazo. 150 doblones. Das zweite ist die Wolfsjagd; das dritte das
S. 377 beschriebene Jagdabenteuer. Alcazar, Alcobe de la torre que cae al parque.
1714. Un lienzo grande pintada una caza de gamos con telas que el Rey
y sus hermanos matauan los gamos a cuchilladas y la Reyna estaua sentada con
sus Damas en un tablado de mano de Seniers. 200 doblones. Torre de la pa-
rada, pieza Ia.
1772. Un quadro de una Cazeriá del Sor. Phe. 40. con unas vahías de lienzo
entre las quales un tabladillo, y en él la Reyna con sus Damas; y en termino prãl
corren algunos coches, y figuras, de 3 varas de largo y 2¼ de cayda Original de
Velazquez. Palacio real, Antecámara de la Princesa. Die Nummer 381 dieses In-
ventars steht noch auf dem Gemälde in Bath House. 72″ × 96″.
150 Doblones. Alcoba de la Torre que cae al Parque.
1701. Una battida de Lobos con redes, 3½ Ellen breit, von Arniens
(? Snayers). 130 Doblones. Torre de la parada. Pieza Ia.
1714. Un lienzo grande en que esta pintada una Batida de Lobos con redes
como se hacian antiguamente. Ebenda.
1,91 × 1,03.
jungen Erzbischofs von Francisco Aguirre.
Flavio Atti, 18. Jan., im farnes. Archiv zu Neapel.
secoli in quà. Römisches Tagebuch von Ameyden, 30. Nov. 1641. (Kön. Bib-
liothek zu Berlin.)
hat. Es wurde 1862 von O. Mündler für 23000 francs erworben. Das Stück der
Suermondtgalerie Nr. 413 b ist eine schlechte Kopie. Von Ferdinand war eine gute
se hizo poca caza, saliendo tan tarde al campo, y faltando dos personas tan im-
portantes como Juan Mateo y Alonso.
bibliothek zu Madrid erworbenen Sammlung Carderera’s, wahrscheinlich aus einer
spätern Auflage der Arte.
Colnaghi. Die Figur aus der Galerie Salamanca, von Herzog Fernan Nuñez ange-
kauft, ist viel kleiner, und nicht vom Meister.
Rubens und hiess später Tizian. Es stammte aus dem Nachlass des Prinzen Cesare
Ignazio von Este, 1713 (Campori Raccolta di cataloghi, Modena 1870. S. 310), wo
es richtig als Monsù Valasco bezeichnet war (Inventar vom 16. Juni 1685). Vielleicht
war es eins der zwei Bildnisse, die früher in einem Verzeichniss verkäuflicher Bilder
des Cesare Cavazza, Guardaroba della Casa Estense vorkommen (a. a. O. 436. Due
ritratti del Valaschi. dob. 60). Meisterhaft gestochen von Ernst Mohn.
den Grafen Villamediana am 21. August 1622 in seiner Kutsche tödtlich traf. Cotarelo
Mateos, und der piemontesische Orator Germonio (30. August d. J.) un giovine
nerbuto, e di polso gagliardo.
antwerpsche Schilderschool. Antwerpen 1883. 922. Ueber Jan van Eyck s. Max
Rooses, Antw. Schilderschool. Ebenda 1879. 514. Tilmans erwähnt Houbracken,
De groote Schouburgh II. 88.
des Tereus (1581); der Raub der Proserpina (1580); Jupiter und Juno (verloren);
Orpheus und Eurydice (1588); Mercur und Argos (1594).
für bildende Kunst 1880. Diceme las tiene ya repartidas á los mejores pintores,
pero que él las quiere dibujar todas. Brief Ferdinands aus Brüssel vom 6. Dez.
1636. S. den Anhang.
einer Bewerbung, wird er genannt „pintor grande en esta facultad; traça para todo
genero de retablos y otras obras de ensamblage y adornos con grande primor.“
(Simancas, Junta de obras y bosques, 26. August 1643.)
activum nicht sattelfest scheint, verwechselt penitenciado mit penitenciario, und
macht aus Cano einen grossen Hasser des heil. Uffiz, zur Erbauung seiner Leser.
brieflichen Mittheilung Sidney Colvin’s, bei Joseph Prior, Tutor von Trinity
College, dieses Gemälde zn sehn.
man im Vertrauen auf die Kenntniss spanischer Maler im Madrider Katalog ihn
nach dem Cyklus der Geschichte Josephs (von Antonio del Castillo) beurtheilen wollte,
wurde schon erwähnt (S. 140).
Carmelitas descalzas zu Toledo.
kaiserlichen Gesandten und Gemäldeliebhabers, Grafen Ferdinand Bonaventura von
Harrach, der auch der erste Nichtspanier ist, der Murillo’s Namen nennt. Er war
im August 1677 in Sevilla. „In einem kleinen Gang haben sie mir gewisse Bilder
von einem Maller Morillo genannt gezeigt, so noch hier lebt, vndt seindt gar guet.“
Auch die Gemälde in der Caridad sah er, sie haben ihm „sehr woll gefallen“
(21. und 22. August).
estudio de el natural.
in Xerés 1635, Mercenarios descalzos in Sevilla 1636, Guadalupe 1638.
Ribera, Velazquez herausgefunden! Darauf baut Ch. Blanc an seinem Schreibtisch
die Behauptung, es sei hier nur ein „éclecticisme heureux“ zu erkennen.
comme un Holbein. Imbert.
ficiales. José Musso y Valiente, Text zu der Coleccion litográfica III.
syrischen Evangeliariums in der Laurenziana von 586 hat die vier Nägel. (Labarte
Pl. LXXX). Schon Walter sagt: Man sluoc im drie negel dur hende und ouch dur füeze.
war, dass es aus glatten Balken bestand, der Hauptstamm war von Cypressenholz,
die Arme aus Fichten- und Olivenholz, das Stützbrett aus Ceder, die Tafel aus Bux!
einer Depesche vom 16. Juli 1628, mit dem ich den Leser verschonen will. Die
Relation der Inquisition von Toledo in F. Eyssenhardt, Mittheilungen aus der
Stadtbibl. zu Hamburg III. 1886.
Kloster 20000 Francs für das Bild zu bieten. Es kam in die Hände der Gräfin
general tone, but in the simplicity of the composition. The resignation of the
saviour and the silent awe of the child — for his heart only speaks — cannot
fail to leave a deep and yet painful impression on all who have beheld it.
Athenæum 1860 I. p. 859. — National Gallery Nr. 1148; 6'4″ × 5'8″.
schickte (1826), wo es auf 20,000 Francs geschätzt wurde; als sie starb, übernahm
es ihr Schwager, Herzog von S. Fernando auf seinen Erbantheil und schenkte es
Ferdinand VII. Falsch ist, die Gräfin habe, als es in der Kapelle ihres Palasts
zu Boadilla war, das Stück mit Schlange und Schädel ansetzen lassen. Diess
findet sich schon im Stich von Carmona. — Prado 1055. 2,48 × 1,69.
war bestimmt für den Unterricht in den mathematischen Wissenschaften.
- Rechtsinhaber*in
- Kolimo+
- Zitationsvorschlag für dieses Objekt
- TextGrid Repository (2025). Collection 3. Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bq2d.0