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Gedichte

herausgegeben von
Heinrich Chriſtian Boie.

mit Kupfern.
[figure]

Ceu duo nubigenae quum vertice montis ab alto
Deſcendunt Centauri.
  (Virg. Aen. VII. 674.
)

Leipzig: ,
in der Weygandſchen Buchhandlung.
1779.
[][]

Jnhalt.


  • Der Jrwiſch 1772. Fr. L. S. 3
  • Die Ruhe. 1772. Fr. L. 5
  • Der Harz. 1772. Fr. L. 8
  • An Buͤrger. 1773. Chr. 11
  • An den Abendftern. 1773. Fr. L. 14
  • Der Genius. 1773. Fr. L. 16
  • An Kurt, Freiherrn v. Haugwiz. Elegie 26 Jul. 1773. Chr. 18.
  • Die Natur 1773. Fr. L. 23
  • An meine ſterbende Schweſter Sophia Magdalena. 1773.
    Chr. 26
  • An meine Schweſter Sophia Magdalena, in ihrer Todes-
    krankheit, 1773. Fr. L. 28
  • An Lais. 1773. Fr. L. 30
  • Frauenlob. 1773. Fr. L. 32
  • An meine Schweſter Auguſte Luiſe. 1773. Chr. 36
  • Der Wegweiſer. 1773. Fr. L. 37
  • An den Mond. 1773. Fr. L. 38
  • An die Weende bei Goͤttingen. 1773. Fr. L. 39
  • Das Eine Groͤßte. 1773. Fr. L. 40
  • Selbſtverleugnung. 1773. Fr. L. 41
  • Die Blicke. An Dora. 1774. Chr. 42
  • Der Abend. An J. M. Miller. 1774. Fr. L. 45
  • Lied eines deutſchen Knaben. 1774. Fr. L. 47
  • Lied eines alten ſchwaͤbiſchen Ritters an ſeinen Sohn. 1774.
    Fr. L. 49
  • An Roͤschen 1774. Fr. L. 52
  • Kain am Ufer des Meeres. 1774. Fr. L. 53
  • An meine Geſchwiſter. 1774. Fr. L. 56
  • Anakreons zwoͤlfte Ode. 1774. Chr. 58
  • Anakreons vier und dreißigſte Ode 1774. Chr. 59
  • Mein Vaterland. An Klopſtock. 1774. Fr. L. 60
  • Romanze. 1774. Fr. L. 64
  • Die Traͤume. 1774. Fr. L. 69
  • Eliſe von Mansfeld. Eine Ballade aus dem zehnten
    Jahrhundert. 1775. Chr. S. 71
  • Lied eines deutſchen Soldaten in der Ferne. 1775. Fr. L. 85
  • Stimme der Liebe. 1775. Fr. L. 90
  • Lieben und Liebeln. 1775. Fr. L. 91
  • An die Unbekante. 1775. Chr. 92
  • Die Begeiſterung. An Voß. 1775. Fr. L. 94
  • Daphne am Bach. 1775. Fr. L. 97
  • Freimaͤurerlied bei der Aufnahme eines neuen Bruders.
    1775. Fr. L. 99
  • Freiheitsgefang aus dem zwanzigſten Jahrhundert 1775.
    Fr. L. 102
  • Bei Wilhelm Tells Geburtsſtaͤtte im Kanton Uri. 1775.
    Fr. L. 114
  • Das Ruͤſthaus in Bern. 1775. Fr. L. 116
  • Die Truͤmmer. 1775. Fr. L. 119
  • Bei einer Schweizerhochzeit, 1775. Fr. L. 121
  • Der Felſenſtrom. 1775. Fr. L. 124
  • An Lavater. 1775. Fr. L. 128
  • Der Mond. An meinen Bruder. 1775. Fr. L. 130
  • Lied an einen Freimaͤurer bei ſeiner Aufnahme. 1775. Chr. 131
  • Das Wiederſehn. An meine Schweſter H. F. Graͤfin
    von Bernſtorf. 1775 Fr. L. 135
  • Rundgeſang. 1775. Fr. L. 137
  • Homer. An Vater Bodmer. 1775. Fr. L. 140
  • Die Maͤdchen. An einen Juͤngling. 1775. Fr. L. 143
  • Lied in der Abweſenheit. 1775. Fr. L. 146
  • An die Grazien. 1776. Fr. L. 147
  • Die Schoͤnheit. 1776. Fr. L. 150
  • Lied eines Freigeiſtes. 1776. Fr. L. 154
  • Anakreons eilfte Ode. 1776. Chr. 156
  • — — drei und dreißigſte Ode. 1776 Chr. 157
  • — — fuͤnf und vierzigſte Ode. 1776. Chr. 159
  • Hellebeck, eine ſeelaͤndiſche Gegend. 1776. Fr. L. 161
  • An Juͤnglinge. 1776. Fr. L. S. 175
  • Die Thraͤnen der Liebe. 1776. Fr. L. 178
  • Bei Homers Bild. 1776. Fr. L. 180
  • Winterlied. 1776. Fr. L. 182
  • Buͤrger an Fr. Leopold, Grafen zu Stolberg. 184
  • Antwort an Buͤrger. 1776 Fr. L. 186
  • Badelied zu ſingen im Sunde. 1777. Fr. L. 190
  • Die Buͤſſende, Ballade. 1777. Fr. L. 192
  • An das Meer. 1777. Fr. L. 208
  • Theokrits achte Jdylle. 1777. Chr. 211
  • — — neunte Jdylle. 1777. Chr. 222
  • Die Meere. 1777. Fr. L. 226
  • Die ſpaͤten Herbſtblumen. 1777. Fr. L. 231
  • An den Verfaſſer von Stillings Jugend. 1778. Fr. L. 232
  • Orpheus und Eurydice. 1778. Fr. L. 234
  • Der wahre Traum, eine Ballade. 1778. Chr. 244
  • Hymne an die Sonne. 1778. Fr. L. 255
  • Schoͤnborn an Fr. L. Grafen zu Stolberg. 1778. 259
  • Der Geſang. An Schoͤnborn. 1778. Fr. L. 262
  • Hymne an die Erde. 1778. Fr. L. 267
  • Vor dem Schlummer. 1778. Fr. L. 285
  • Elegie an meinen Bruder. 1778. Fr. L. 286
  • Der ſiebende November. An meinen Bruder. 1778. Chr. 291
  • Die Foier der Erde. 1778. Fr. L. 299
  • Morgenlied eines Juͤnglings. 1779. Fr. L. 305
  • Abendlied eines Maͤdchens. 1779. Fr. L. 306
  • Nachruf des Juͤnglings. 1779. Fr. L. 309
  • An Lyde. 1779. Fr. L. 310
  • Der Tod. 1779. Fr. L. 312
  • An meinen Bruder. 1779. Chr. 315


[]

Die Entfernung der Dichter und des Herausgebers von
dem Druckorte werden einige Verſchiedenheiten der Rechtſchrei-
bung, Unrichtigkeiten der Jnterpunktion, und andre kleine
Fehler verzeihlich machen, von welchen die vornehmſten hier
angezeigt werden.


Seite 23. Zeile 5. nach Weib muß das, weg. 29. 13
nach Fruͤhlingsregen ein, 25. 6. Harmonieen. 37. 7.
nach Auge ein. 45. 14. nach Wonne ein, 46. 3. nach
Buſches das, weg. 54. 5. nach Schlund ein! 57. 6.
nach ſchlieſſen ein! 60. 11. nach nicht ein! 65. 2.
nach Stab ein; 72. 2. nach mir ein. Z. 4 nach wahrlich
ein! 75. 2. nach mein ein; 79. 2. nach hin ein;
Z. 10 nach Mitternacht ein! 94. 12. nach Himmelsluͤfte
ein, 99. 12. Pfaden. 103. 13. nach Wellen ein;
Z. 14 und S. 104 Z. 4. Felſenwaͤlzenden. 108 14 er-
ſchalle. 120. 16. nach fielen ein; 121. 11. Maͤgdlein.
122. 11. lieben. 124. 4 nach Felſenkluft ein. 128. 5.
Seees. 135. 11 bittrer. 140. 16. Harmonieen. 141. 9.
Simois. 148. 16. nach Deutſchlands ein, 151. 11. Me-
lodieen. 156. 3. nach Weiber ein: Z. 12 nach ſcherzen
ein, 166. 19. nach Schnee ein, 167. 6. nach Morven
ein. 168. 19. nach Silbergeſtaͤube ein; 169. 12. nach
nicht ein; 173. 15. nach vollen ein, 180. 10. nach
Stralenhand ein; 187. 21. Nachtigallen. 190. 13. Nym-
phen. 218. 5. nach Jupiter ein. 231. 9. klopfendem.
232. 8. nach belebt ein; 233. 7. nach Pfaff das, weg.
236. 14. Kocytus. 241. 13. nach Neſte ein; 243. 21.
vocabat. 263. 6. nach Augen ein. 265. 20. nach
Seele ein! 280. 13 nach Eilands ein.


Auſſerdem iſt oft wenn gedruckt, wo wann ſein ſolte, und
nach einem Ausrufungszeichen ſteht nicht allemal ein groſſer
Buchſtab da, wo die Deklamation einen erfordert. Die lez-
ten Zeilen jeder Strophe in den Oden S. 60 69. 128 und
135 ſind auch, durch ein Verſehen, nicht eingeruͤckt.


[[1]]

Gedichte
der Bruͤder
Chriſtian
und
Friedrich Leopold
Grafen zu Stolberg.



[[2]][[3]]
[figure]

Der Jrrwiſch.



Spiele nur immer, gaukelnder Betruͤger!

Spiele nur immer deine loſen Taͤnze,

Fluͤchtiges Dunſtkind, das des Wandrers
Fuͤſſe

Bruͤnſtig heranlockt;

[4]
Sproͤde dann fliehet, endlich ins Verderben

Reizet! Jch kenne dieſe Maͤdchenraͤnke,

Lernte ſie all’, aus deinen blauen Augen,

Flatternde Nais!


[5]

Die Ruhe.



Ob ſiege Machmud, oder ob Nikolas*)

Den Popen hoͤre; ob ſich der Biſchof Roms

Deſpotiſch aufblaͤh, oder knechtiſch

Lecke die Ferſe den Burboniden;

Ob dort ein ſchlauer junger Oktavius

Ein Volk bejoche, welchem noch Freiheit galt;

Ob hier, nach ſpaͤt gefundnen Rechten,

Koͤnige Habe des andern theilen;

Soll mich nicht kuͤmmern. Eine der Menſch-
lichkeit

Geweinte Thraͤne floß, da der Korſe juͤngſt

Den edlen Nacken bog, als ſeine

Schaaren ihm ſandte der Vielgeliebte.**)

[6]
Seitdem entſagt’ ich aller Mitwiſſenſchaft

Um ferne Schlachten und den erzwungenen

Vertrag, der oft mit feuchtem Oelzweig

Schlummernde Gluten verbarg, nicht
loͤſchte.

Komm, holde Ruhe, ſuͤſſe Geſpielin du

Der frohen Unſchuld! Leite mit deiner Hand

Den Juͤngling, der ſein ganzes Leben

Dir und der laͤchelnden Weisheit heiligt;

Und fruͤhen Weihrauch deinen Altaͤren ſtreut,

Den Hafen ſegnend, weil noch der Ozean

Jhm laͤchelt, eh die ſchwarze Woge

Prediget Rettung zugleich und Weisheit.

Dem ſpaͤten Opfrer oͤfnet ihr Heiligthum

Die Ruhe ſelten; Schlummer und Ekel taͤuſcht

Den muͤden Weltmann, ſtets von neuen

Wuͤnſchen und geiſſelnder Furcht gepeinigt.

[7]
Jn ſtille Thale wird ſie mich leiten, wenn

Der Sturmwind raſet, mir, wenn der Mittag
zuͤrnt,

Am Schattenufer kuͤhler Quellen,

Sitze bereiten im Duft der Roſe.

Jn heitrer Mondnacht wird ſie Geſaͤnge mich

Voll Einfalt lehren, reich an Empfindungen,

Bis Philomel’ aus ſchwanken Aeſten

Lauſchendes Schweigen umher verbreitet.

Des Baches Silber, welches vom ſanften Hang

Des Huͤgels murmelnd zwiſchen Violen rinnt,

Gleicht dann mein Leben, eine Welle

Folget der andern, ein Tag dem andern.

Voll Freuden jeder! jeder dem duͤſtern Pful

Zwar naͤher; aber ſieh! es entſtroͤmt dem Pful

Ein hellerer Kriſtall, als jener,

Welcher die Blume der Wieſe traͤnkte.


[8]

Der Harz.



Herzlich ſey mir gegruͤſt, werthes Cheruſkaland!

Land des nervigen Arms und der gefuͤrchteten

Kuͤhnheit, freieres Geiſtes,

Denn das blache Gefild umher!

Dir gab Mutter Natur, aus der vergeudenden

Urne, maͤnnlichen Schmuck, Einfalt und Wuͤrde
dir!

Wolkenhoͤhnende Gipfel,

Donnerhallende Stroͤme dir!

Jm antwortenden Thal wallet die goldene

Flut des Segens, und ſtroͤmt in den genuͤgſamen

Schooß des laͤchelnden Fleiſſes,

Der nicht kaͤrglich die Garben zaͤhlt.

[9]
Schaaſe weiden die Trift; auf der gewaͤſſerten

Aue bruͤllet der Stier, ſtampft das geſaͤttigte

Roß; die baͤrtige Ziege

Klimmt den zackigen Fels hinan.

Wie der ſchirmende Forſt deinem erhabenen

Nacken ſchattet! er naͤhrt ſtolzes Geweihe dir!

Dir den ſchnaubenden Keuler,

Der entgegen der Wunde rennt!

Dein wohlthaͤtiger Schooß, ſelten mit goldenem

Fluche ſchwanger, verleiht nuͤtzendes Eiſen uns,

Das den Acker durchſchneidet

Und das Erbe der Vaͤter ſchuͤzt.

Dir gibt reinere Luft, und die teutoniſche

Keuſchheit, Jugend von Stal; mooſigen Eichen
gleich,

Achten ſilberne Greiſe

Nicht der eilenden Jahre Flug.

[10]
Dort im wehenden Hain wohnt die Begeiſterung;

Felſen jauchzten zuruͤck, wenn ſich der Barden
Sang

Unter bebenden Wipfeln

Durch das hallende Thal ergoß.

Und dein Hermann vernahm’s! Sturm war
ſein Arm! ſein Schwert

Wetterflamme! betaͤubt ſtuͤrzten die trotzigen

Roͤmeradler, und Freiheit

Stralte wieder im Lande Teuts!

Doch des Heldengeſchlechts Enkel verhuͤlleten

Hermanns Namen in Nacht, bis ihn (auch er
dein Sohn!)

Klopſtocks maͤchtige Harfe

Sang der horchenden Ewigkeit.

Heil, Cheruſkia, dir! furchtbar und ewig ſteht,

Gleich dem Brocken, dein Ruhm! Donnernd
verkuͤnden dich

Freiheitsſchlachten! und donnernd

Dich unſterblicher Lieder Klang!


[11]

An Buͤrger.



Dir mich weihen? ich dir? ſtygiſche Furie,

Afterthemis, ich dir? die du mit Schlangenliſt

Unſer goͤttliches Recht, welches Natur uns gab,

Raubteſt, und mit Tigers Klau?

Ha! wie ſchallts am Altar! Bosheit und Ha-
derſucht,

Aemſig ſpaͤhend den Zwiſt, haͤmiſche Rachbegier,

Groll und gieriger Geiz, Vater des feilen Spruchs:

Ha, wie tobet die Hoͤllenbrut!

Und dein Nattergeziſch, ſchlaue Chikane, du

Misgeſchoͤpfe des argliſtigen Fremdlinges,

Ungenant von dem Volk, welches die Zunge ſpricht,

Die Thuiſkon und Mana ſprach!

[12]
Weß der aͤchzende Laut? — — Ach der be-
kuͤmmerten

Unſchuld Seufzer! Sie naht weinend der Goͤttin
ſich,

Fleht Erbarmen; umſonſt! Jhre verruchte Schaar

Schreckt mit grimmigem Hohn ſie weg!

O des goldenen Tags, da bei dem Volke Teuts

Noch Gerechtigkeit galt, noch, von der heiligen

Eiche Schauer umrauſcht, ſie in dem richtenden

Kreis ehrwuͤrdiger Vaͤter ſaß!

Da vom albernen Wahn lauter der hellere

Geiſt, und lauter vom Schwall wirrender Sazun-
gen,

Da noch Tugend, und du, Erbe Germaniens,

Treue, lehrtet den Biederſpruch!

Ach, entflohn iſt, entflohn laͤngſt die Gerechtigkeit

Vom entarteten Stamm! Wenigen Lieblingen

Laͤchelt Weihe nur noch, ſegnend, vom naͤchtlichen

Pol herab, die Geflohene.

[13]
Weihe laͤchelte ſie, edler Cheruſkaſohn,

Dir, o Buͤrger, der du heiligen Druden gleich,

Richtertugenden uͤbſt, heiligen Barden gleich,

Braga’s Kranz um die Locke ſchlingſt.


[14]

An den Abendſtern.



Ehmals winkteſt du mir, Fuͤhrer des ſchweigen-
den

Abends, Freuden herab, kurz, wie ſie Sterblichen

Laͤcheln, farbigen Blaſen

Aehnlich, hauchender Weſte Spiel!

Zwar mir waren ſie werth! werth, wie dem
lechzenden

Waizenhalme der Thau! aber ſie ſchwanden
bald!

Selten blicket dein Auge

Nun, und truͤber auf mich herab!

Huͤllen Schleyer dich ein? oder entquellen dir

Thraͤnen? Biſt du, wie ich, nagender Traurigkeit

Raub? Ein Erbe des Jammers?

Deine ſtralende Bruͤder auch?

[15]
Jſt das blaue Gewand leuchtender Sonnen voll,

Und mit Monden beſaͤ’t, nur ein Gewebe von

Elend? Toͤnen die Sphaͤren

Einer ewigen Klage Ton?

Oder bin ich allein elend? Du ſchweigeſt mir!

Unerbittlich auch du! dennoch ein Retter einſt,

Wenn du bringeſt den Abend,

Welchem folget kein Morgenroth!


[16]

Der Genius.



Den ſchwachen Fluͤgel reizet der Aether nicht!

Jm Felſenneſte fuͤhlt ſich der Adler ſchon

Voll ſeiner Urkraft! hebt den Fittig,

Senkt ſich, und hebt ſich, und trinkt die
Sonne!

Du gabſt, Natur, ihm Flug und den Sonnendurſt!

Mir gabſt du Feuer! Durſt nach Unſterblichkeit!

Dies Toben in der Bruſt! Dies Staunen,

Welches durch jegliche Nerve zittert,

Wenn ſchon die Seelen werdender Lieder mir

Das Haupt umſchweben, eh das nachahmende

Gewand der Sprache ſie umflieſſet,

Ohne den geiſtigen Flug zu hemmen!

[17]
Du gabſt mir Schwingen hoher Begeiſterung!

Gefuͤhl des Wahren, Liebe des Schoͤnen, du!

Du lehrſt mich neue Hoͤhen finden,

Welche das Auge der Kunſt nicht ſpaͤhet!

Von dir geleitet wird mir die Sternenbahn

Nicht hech, und tief ſein nicht der Oceanus!

Die Mitternacht nicht dunkel! Blendend

Nicht des vertrauten Olymps Umſtra-
lung!


Stolb. B
[18]

An Curt Freyherrn von Haugwitz.
Elegie.



Suͤſſer duftet die Flur, und kuͤhler hauchet der

Abend;

Nur ein welkendes Roth weilt am azurenen Weſt.

Stille thauet herab, und Ruh’, und ſanfte Be-

geiſtrung

Auf den einſamen Pfad, welchen der Waller

betrit.

Heſperus ſchaut auf ihn mit freundlichen Blicken

hernieder,

Liſpelt ſegnend ihm zu: Geh’ in Frieden dahin!

Jch auch wander’ umher, und ſuch auf einſamen

Pfaden

Ruh’ und lindernden Troſt fuͤr mein ſinkendes

Herz.

[19]
Ach vergebens! — O du der beſten Juͤnglinge

Beſter,

Den ich liebe, ſo ſehr, als ich zu lieben ver-

mag;

Dem die milde Natur der Gaben ſchoͤnſte, die ſelten

Sie verleiht, ein Herz zarter Empfindung,

verlieh;

Den ſie der Freundſchaft ſchuf, der Lieb’, und

ſtilleren Freuden;

Sanfte Melancholie, deine Feindinnen nicht!

Ach du windeſt dich los aus deines Freundes Um-

armung;

Scheideſt zoͤgernd von ihm — ach! auf ewig

vielleicht! — —

Alſo ſind ſie dahin, der Freundſchaft heilige Jahre,

Deren jeglicher Tag feſter und feſter uns band?

Alſo ſind ſie verbluͤht, die Veilchen, welche mir

oftmal

Deine gefaͤllige Hand ſtreut’ in den muͤhſamen

Weg?

Nein! ſie ſind nicht verbluͤht! Jn jeder heiteren

Stunde

Kehrt mir laͤchelnd zuruͤck jede genoſſene Luſt.

[20]
O dann ſollen mich oft Phantome der Abend’ um-

ſchweben,

Die, uns jeglichesmal taͤuſchend, zu fluͤchtig ent-

flohn!

Jezo wanderten wir, mit Fruͤhlingsruhe ge-

ſegnet,

Arm geſchlungen in Arm, bluͤhende Thaͤler

hinab;

Lagerten jezo uns hin am mooſigen Ufer des

Baches,

Und dem ſuͤſſen Geſchwaͤz horchte vertrau-

lich der Mond.

O, wie ſchmolz uns dann das Herz in ſanfter

Empfindung!

O, wie ſchmeckten wir dich, himmliſche Freund-

ſchaft, ſo ſuͤß!

Einſtens pfluͤckt’ ich zwo junge Vergißmeinnicht,

und ſtreute,

Wo am klaͤrſten er floß, ſie in den kraͤuſelnden

Bach.

Eine riß er hinweg; die andere weilt’ am Ufer!

Und du ſtarrteſt mich an; Thraͤnen bewoͤlkten

den Blick!

[21]
Jch verſtand dich! Auch mich ergrif der baͤngſte

Gedanke:

Ach! wenn einſt das Geſchick uns wie die

Blumen verſtreut!

So ſchlich Wehmut oft in unſere Freuden; ſo

ſproſſet

Jn dem Myrtengebuͤſch’ eine Zypreſſe mit

auf.

Oftmal ſtanden wir ſtill am ſchroffen Hange des

Felſen,

Muͤden Pilgern gleich, uͤber die Staͤbe gelehnt;

Und umhuͤllte mich dann der Nebel der ſchwarzen

Schwermut,

O ſo ſchuͤttet’ ich, Freund, dir in das deine

mein Herz!

Seufzend hoͤrteſt du mich, und jede Sorge, die

theilend

Du mir nahmeſt, erhob meine beklommene

Bruſt!

Phantaſie, wo gaukelſt du hin? — O Beſter,

nun leichterſt

Du nicht wieder die Laſt meiner beklommenen

Bruſt!

[22]
Ach nun fliehſt du! Verweil! daß in der lezten

Umarmung

Eine Thraͤne nur noch miſch’ in die meinige ſich.

Segen geleite dich, Freund! O ſei der Liebling

des Gluͤckes,

Jenes reineren Gluͤcks, welches der Weiſe

nur kent;

Sei deß Liebling, wie du der menſchenfreundlichen

Tugend

Und der Weisheit es biſt! Segen geleite dich,

Freund!


[23]

Die Natur.



Er ſey mein Freund nicht, welcher die goͤttliche

Natur nicht liebet! Engelgefuͤhle ſind

Jhm nicht bekant! Er kan mit Jnbrunſt

Freunde nicht, Kinder nicht, Weib, nicht
lieben!

Jhm bebte nie von trunkner Begeiſterung

Die ſtumme Lippe! Schauer begegneten,

Jn hoher Wallung, ſeiner Seele

Nie mit der ſteigenden Morgenſonne!

Jn deinen Wonnebecher, Allguͤtiger!

Entfielen niemal Thraͤnen des Dankes ihm!

Sein Erb’ iſt Taumel, oder Schlafſucht!

Wehmut und Wonne des Weiſen Erbe!

[24]
Er iſt kein Sohn der Freiheit! das Vaterland

Jſt Spreu dem Feigen! Sklave! Dich freite
nicht

Die Roͤmerſchlacht! zu meinen Fuͤſſen

Kruͤmme dich, Raupe, daß dein ich ſpot-
te! —

Jch ſeiner ſpotten? — weh mir! o zuͤrne nicht,

Du Vater Aller! Wirbel und Stolz ergrif

Den Mann von Staub, daß er des Staubes

Spottete, den er beweinen ſolte!

O ſey geſegnet, Thraͤne der Reue, mir!

Des Mitleids Thraͤne, mehr noch geſegnet, du!

Nun werden, wie nach Fruͤhlingsregen

Traulich die Blumen der Au mir laͤcheln!

Nur reinen Herzen duftet der Abendthau

Der bunten Lenzflur! Heilig nur ihnen ſind

Der Eiche Schatten! Deine Segen,

Einſamkeit, koͤnnen nur ſie ertragen!

[25]
Woll’ſt oft, o ſanfte Mutter der Weisheit, mich

Auf ernſte Pfade leiten, im Mondenſchein!

Wo nur der Denker tiefe Wahrheit

Schoͤpfet, und gluͤhender Stirne wallet!

Dann werden oft ſich ernſte Betrachtungen

Jn Harmonien wandeln; Begeiſterung

Wird mich erfuͤllen, daß die Thale

Hallen mein Lied und die Felſengaͤnge!

Wenn du mich fuͤrder leiteſt, Natur, ſo ſoll

Mein Lied dir jauchzen, weil ich ein Juͤngling bin!

Es ſoll dich feiern, wenn mit Silber

Kuͤrzere Locke die Scheitel ſchmuͤcket!


[26]

An meine ſterbende Schweſter
Sophie Mag dalene.



Roſenknoſpe! ſo ſchoͤn bluͤhete keine noch

Von den Toͤchtern des Mais, welchen der Mor-
genthau

Jn den duftenden Buſen

Schimmer traͤufelt und Lenzgeruch.

Und nun neigſt du herab, Roſe, dein lechzendes,

Ach, dein welkendes Haupt! — Wenige Son-
nen nur

Und du bluͤheſt, o Schoͤnſte,

Schoͤner wieder in Eden auf!

Labung thauen auf dich, kuͤhlende Labung dann

Lebensbaͤume hinab; Luͤfte der Sommernacht

Weht die Palme des Sieges

Dann entgegen der Dulderin!

[27]
Deiner Leiden entkeimt jedem ein bluͤhender

Zweig zum Kranze des Lohns, der dich umflech-
ten ſoll!

Wie ſo heiter, o Beſte?

Zeigt dein Engel den Kranz dir ſchon?

Weinend naht’ ich, und ſank ſprachlos an deine
Bruſt,

Laͤchelnd kuͤßteſt du mich, aber nur bitterer

Floß die Wehmut, und nezte

Deine Wange, Geliebteſte!


[28]

An meine Schweſter
Sophie Magdalene
in ihrer Todeskrankheit.



Blutige Thraͤnen haͤtt’ ich dir geweinet,

Ach! und Thraͤnen der Seele, wenn mein
Auge

Starrte, gleich dem Grame, den nie des
Troſtes

Kuͤhlung umwehte;

Haͤtte nicht Hofnung lange mich gehoben,

Wuͤrdeſt wieder geneſen! Ach ſie ſinket!

Meine Seele ſinket mit ihr! o laͤchle,

Erbin des Himmels,

[29]
Laͤchle mir Troſt aus deiner Ruhen Fuͤlle!

Troſt mit Wehmut vermiſcht! denn deine
Freuden

Kan ich, noch im daͤmmernden Thale wal-
lend,

Schwach nur empfinden!

Hoͤhere Pfade walleſt du und ſchaueſt

Schon am feſtlichen Himmel Gold und Pur-
pur!

Freueſt dich der nahenden Sonne! trinkeſt

Schon ihre Stralen!


[30]

An Lais.



Weil noch leicht, wie ein Nektartraum,

Dir das Leben verfliegt; weil noch der laͤchelnden

Hebe Pinſel, in Lebenskraft

Eingetauchet, den Mund aͤhnlich dem Morgenroth,

Roſenwallend die Wange malt;

Weil noch taͤglich dein Blick, hell, wie der Abend-

ſtern,

Aber treffend, wie Sirius,

Die hintaumelnde Schaar deiner Gefangnen

mehrt;

Darum trozeſt du, thoͤrige

Lais, kuͤnftiger Zeit, welche die fliegenden

Stunden bringen, Unkundige!

Wird dir ewig die Glut ſchmachtender Juͤnglinge,

Dir die Blaͤſſe der Eiferſucht

Ewig froͤhnen? Auch dich werden die Grazien

Einſt verlaſſen! der ſiegenden

Kuͤnſte jede! Dein Lenz ſchwindet auf neidender

[31]
Weſte Fittig! bald hauchen ſie

Deine Bluͤthen herab! dann wird die bulende

Lais ſeufzen: ihr roſigen

Tage, kommet zuruͤck! aber die roſigen

Tage flohen! Verhuͤlle dich,

Lais! daß der Triumph deiner Geſpielen dich,

Die Moral der Matrone dich

Nicht verfolge! der Hohn deiner Entfeſſelten

Dich nicht treffe! denn eiſern war

Deine Herrſchaft! dein Stolz freute der Thraͤ-

nen ſich,

Und der blaſſen Verzweifelung!

Nun ſind Thraͤnen der Schmuck dieſer verwel-

kenden

Wangen! Seufzer erheben nun

Ungeheiſſen die Bruſt! jeden erloͤſchenden

Schimmer deiner gefeierten

Augen ruͤſtet die Wuth! Lais, verhuͤlle dich!

Dein iſt Schande! Denn eiſern war

Deine Herrſchaft! Dein Stolz freute der Thraͤ-

nen ſich

Und der blaſſen Verzweifelung!


[32]

Frauen Lob.



Traun, der Mann iſt Neides werth,

Dem ſein Gott ein Weib beſcheert,

Schoͤn und klug und tugendreich,

Sonder Falſch, den Taͤublein gleich!

Seiner Wonne Maaß iſt groß!

Seine Ruhe wechſellos!

Denn kein Kummer nagt den Mann,

Den ſolch Weiblein troͤſten kan!

Gleich des Mondes Silberblick,

Laͤchelt ſie den Gram zuruͤck;

Kuͤßt des Mannes Thraͤnen auf,

Streut mit Blumen ſeinen Lauf.

[33]
Wenn ihn jaͤher Mut empoͤrt,

Er nicht mehr des Freundes hoͤrt,

Wenn von Zorn die Bruſt ihm gluͤht,

Und ſein Auge Feuer ſpruͤht;

O! dann ſchleicht ſie weinend nach,

Saͤnftigt ihn mit einem Ach!

Alſo kuͤhlt der Abendthau

Die verſengte Blumenau!

Keine Muͤhe wird ihm ſchwer!

Keine Stunde freudenleer!

Denn nach jeder Arbeit Laſt

Harret ſein die ſuͤſſe Raſt!

Engel foͤrdern ihre Ruh,

Druͤcken beider Augen zu!

Jhrer keuſchen Ehe Band

Knuͤpfte Gottes Vaterhand!

Stolb C
[34]
Gott ſchenkt ihren Soͤhnen Mut,

Fuͤr die Tugend reges Blut!

Staͤrket ihren jungen Arm,

Macht ihr Herz fuͤr Freiheit warm!

Mit verſchaͤmten Reizen bluͤhn

Jhres Bettes Toͤchter! gluͤhn

Mit der Mutter Unſchuld, rein

Wie ein Quell im Sonnenſchein!

Drob erfreut der Vater ſich,

Drob die Mutter inniglich;

Jhr vereintes Dankgebet

Preiſt den Geber fruͤh und ſpaͤt!

Gold hat keinen noch begluͤckt;

Falſcher Ehre Lorbeer druͤckt;

Wer nach Wuͤrden haſcht, greift Sand;

Wiſſenſchaft iſt oft ein Tand:

[35]
Aber Weiber giebt uns Gott!

Ohne ſie iſt Leben Tod!

Weiber leichtern jedes Joch!

Lieben uns im Himmel noch!


[36]

An meine Schweſter Auguſta Luiſe.



Beſte, du klagſt nicht: doch entſchleicht, ich weis es,

Mancher ſehnende Seufzer deinem Buſen,

Truͤbt dein blaues ſchmachtendes Aug’ ein
Schleier

Schweigender Wehmut.

Dir, die ſo zaͤrtlich meine Seele liebet,

Dir, ach zuͤrne nicht! ſchwieg ich ſeit dem bangen

Abſchiedskuſſe! Sage mir, beſtes Maͤdchen,

Sage, wie kont’ ich?


[37]

Der Wegweiſer.



Freundlicher Greis, wie du den Weg mich lehr-
teſt,

Alſo leite dich Gott zu jenen Huͤtten,

Deren Weg der kluͤgelnde Weiſe ſpaͤt und

Selten erforſchet!

Einfalt und Liebe ſprach dein ſanftes Auge,

Einfalt fuͤhret auch dorthin! Bruderliebe

Suͤhnt des Schwachen Jrrungen! ſei-
nen Fehlen

Donnert kein Richter!


[38]

An den Mond.



Schied dir ein Freund, o Mond? Du blickſt
ſo traurig

Durch die hangenden Maien! oder truͤbt dir

Mitleid deine Wange, weil dieſe Thraͤne

Flieſſen du ſaheſt?

O ſo erhelle meines Haugwitz Pfade,

Der dich ſchmachtend beſchaut! und fluͤſtr’
ihm freundlich:

An der Leine Kruͤmmungen weint dein
Stolberg

Thraͤnen der Sehnſucht!


[39]

An die Weende bey Goͤttingen.



Quelle, du biſt mir werther, denn des lauten,

Felſenſtuͤrzenden Stroms erzuͤrnte Woge!

Deinem leiſen Liſpel entſchluͤpfen ſuͤſſe

Freuden der Seele!

Freuden der Seele fliehn der Welt Getoͤſe,

Sind der Ruhe Geſpielen! lieben deine

Blumenthale, lieben, wie du, die Kuͤhle

Duftender Erlen!


[40]

Das eine Groͤſte.



Laͤndliche Ruhe Freundſchaft, Liebe kraͤnzen

Uns mit Blumen der Freude! Freiheit gibt

uns

Mannſinn! aber goͤttlich zu leben iſt

das

Einige Groͤſte!


[41]

Selbſtverleugnung.



Thraͤnen der Sehnſucht truͤben Daphnes Augen;

Jhren ſeufzenden Buſen hebt die Treue!

Sturm und Woge fernen von ihren
Kuͤſſen,

Welchen ſie liebet!

Wehende Weſte, bringet ihn den Kuͤſſen

Seines Maͤdchens entgegen! Hofnungs-
loſer

Liebe Schmerzen quaͤlen mich dann; doch
bringt ihn,

Wehende Weſte!


[42]

Die Blicke.
An Dora.



Roͤthliche, goldbeſaͤumte Wolken huͤllen

Jhre Stralen nicht mehr! Sie komt, die
Sonne!

Blickt allguͤtig laͤchelnde Freud’ und junges
Leben hernieder!

Schimmernder bluͤhn die thaubenezten Fluren;

Jedes zitternde Bluͤmchen athmet Freude,

Stralt in Regenbogen die Sonnenblicke
Lieblicher um ſich.

Himmliſcher aber laͤchelt mir das Auge,

Ach! das Grazienauge meines Maͤdchens!

Blicket mild ins Herz mir noch ungefuͤhlte,
Selige Freuden!

[43]
Wallendes Leben bebt durch jede Nerve,

Klopft in jeglichem Pulſe; frohe Schauer

Stroͤmen in die trunkene Seele namen-
Loſes Entzuͤcken!

Aber ach! Wehmut blickt mir oft ihr blaues

Auge! Wehmut und Truͤbſinn! dann entquellen

Sehnſuchtsſeufzer, thaut mir der Liebe
Zaͤhre

Ueber die Wange!

Duftige Nebel locket ſo die Sonne

Aus dem Blumengefild am Sommerabend;

Truͤbe ſteigt der wolkige Schleier, traͤufelt
Labende Kuͤhlung. — —

Blicke mir, meine Dora, blicke Wehmut

Mir ins liebende Herz! Auch ſie gewaͤhret

Suͤſſes namenloſes Gefuͤhl, der Liebe
Traute Geſellin!

[44]
Bis du mir einſtens (Ahndung liſpelt’s leiſe,

Ahndung, ach! die zur Hofnung noch nicht
reifte!)

Bis du Lieb’ im ſchmachtenden Auge, Liebe,
Liebe mir laͤchelſt!


[45]

Der Abend.
An Johann Martin Miller.



Wenn der Abend den See roͤthet, ſich han-
gende

Buchen ſpiegeln im See, und das bewegte
Schilf,

Und der einſame Nachen

Und das trinkende Wollenvieh;

Ruhe ſenket herab dann ſich auf thauenden

Luͤften, kuͤhlet den Wald, traͤnket die Blu-
menau,

Stimmt den ſingenden Landmann,

Und der floͤtenden Nachtigall

Liebe weinendes Lied; Wonne der thraͤnenden

Wehmut Schweſter, und du, ſuͤſſe Vergeſſen-
heit

Jedes rauſchenden Taumels

Ueberflieſſen die Seele mir!

[46]
Wankend irr’ ich umher unter den Duͤften der

Erle; jeglichen Buſch, jeden Bewohner des

Buſches, gruͤſſet des frohen

Auges ſchwimmende Zaͤrtlichkeit!

Auch das Bluͤmchen, der Wurm, welcher das
Bluͤmchen beugt,

Jſt mir inniglich werth! Gab ihm mein Va-
ter doch

Seine goldenen Schimmer,

Duͤfte jenem und Farbenglanz.

Lieblich laͤchelt der Mond! lieblich der Abendſtern!

Freund, ſie laͤchelten uns weiland am Ufer der

Leine, uns in der Laube,

Uns im Thale beym Silberquell!

Miller! truͤbt ſich dein Blick? Miller, mein
rinnendes

Auge truͤbt ſich in Nacht, welche kein freund-
licher

Mond mit Silber durchſchimmert,

Kein ſanftlaͤchelnder Abendſtern!


[47]

Lied eines deutſchen Knaben.



Mein Arm wird ſtark und groß mein Mut,

Gieb, Vater, mir ein Schwert!

Verachte nicht mein junges Blut;

Jch bin der Vaͤter werth!

Jch finde fuͤrder keine Ruh

Jm weichen Knabenſtand!

Jch ſtuͤrb’, o Vater, ſtolz, wie du,

Den Tod fuͤrs Vaterland!

Schon fruͤh in meiner Kindheit war

Mein taͤglich Spiel der Krieg!

Jm Bette traͤumt’ ich nur Gefahr

Und Wunden nur und Sieg.

[48]
Mein Feldgeſchrei erweckte mich

Aus mancher Tuͤrkenſchlacht;

Noch juͤngſt ein Fauſtſchlag, welchen ich

Dem Baſſa zugedacht!

Da neulich unſrer Krieger Schaar

Auf dieſer Straſſe zog,

Und, wie ein Vogel, der Huſar

Das Haus voruͤberflog,

Da gaffte ſtarr, und freute ſich

Der Knaben froher Schwarm:

Jch aber, Vater, haͤrmte mich,

Und pruͤfte meinen Arm!

Mein Arm iſt ſtark und groß mein Mut!

Gieb, Vater, mir ein Schwert!

Verachte nicht mein junges Blut;

Jch bin der Vaͤter werth!


[49]

Lied eines alten ſchwaͤbiſchen Ritters
an ſeinen Sohn,
aus dem zwoͤlften Jahrhundert.



Sohn, da haſt du meinen Speer;

Meinem Arm wird er zu ſchwer!

Nimm den Schild und dies Geſchoß;

Tummle du forthin mein Roß!

Siehe, dies nun weiſſe Haar

Deckt der Helm ſchon funfzig Jahr;

Jedes Jahr hat eine Schlacht,

Schwert und Streitaxt ſtumpf gemacht!

Herzog Rudolf hat dies Schwert,

Axt und Kolbe mir verehrt,

Denn ich blieb dem Herzog hold

Und verſchmaͤhte Heinrichs Sold!

Stolb. D
[50]
Fuͤr die Freiheit floß das Blut

Seiner Rechten! Rudolfs Mut

That mit ſeiner linken Hand

Noch dem Franken Widerſtand!

Nimm die Wehr und wapne dich!

Kaiſer Konrad ruͤſtet ſich!

Sohn, entlaſte mich des Harms

Ob der Schwaͤche meines Arms!

Zuͤcke nie umſonſt dies Schwert

Fuͤr der Vaͤter freyen Herd!

Sey behutſam auf der Wacht!

Sey ein Wetter in der Schlacht!

Jmmer ſey zum Kampf bereit!

Suche ſtets den waͤrmſten Streit!

Schone deß, der wehrlos fleht!

Haue den, der widerſteht!

[51]
Wenn dein Haufe wankend ſteht,

Jhm umſonſt das Faͤhnlein weht,

Trotze dann, ein feſter Thurm,

Der vereinten Feinde Sturm!

Deine Bruͤder fraß das Schwert,

Sieben Knaben, Deutſchlands werth!

Deine Mutter haͤrmte ſich

Stumm und ſtarrend, und verblich.

Einſam bin ich nun und ſchwach;

Aber, Knabe, deine Schmach

Waͤr mir herber ſiebenmal,

Denn der ſieben andern Fall.

Drum ſo ſcheue nicht den Tod,

Und vertraue deinem Gott!

So du kaͤmpfeſt ritterlich,

Freut dein alter Vater ſich!


[52]

An Roͤschen.



Trautes Roͤschen, ſieh, wie hell

Unter Geißblatt dieſer Quell

Durch Vergißmeinnichtchen flieſſet!

Reiſſender rauſcht dort ſein Fall,

Wo er mit des Donners Schall

Und des Thales Wiederhall

Ueber Felſen ſich ergieſſet!

Aber ſuͤſſer iſt er mir,

Mein herzliebſtes Roͤschen, hier,

Denn er gleichet unſerm Leben!

Seh’ ich ihn ſo ſanft und rein

Gleiten in des Mondes Schein,

Roͤschen, dann gedenk’ ich dein,

Und der Freude Thraͤnen beben!


[53]

Kain am Ufer des Meers.



Weh, o wehe mir! wohin

Treibt mich mein geſchlagner Sinn?

Gottes Stroͤme brauſen her

Abels Blut! es iſt das Meer!

Bis zur Erde leztem Rand

Hat die Rache mich gebannt!

Wo kein Jammer noch geklagt,

Hat mich Abels Blut gejagt!

Wehe mir! des Bruders Blut

Donnert in der wilden Flut!

Jn des Felſenufers Schall!

Jn der Grotten Wiederhall!

[54]
Wie den Stein das Meer umfleuſt,

So umſtuͤrmen meinen Geiſt

Seelenangſt und Qual und Wut,

Gottes Schrecken, Abels Blut!

Oefnet, Wogen, euren Schlund,

Denn der Muttererde Mund

Trank ſein Blut, da ich ihn ſchlug,

Und vernahm des Raͤchers Fluch!

Oefnet, Wogen, euren Schlund

Und enthuͤllet euren Grund!

Ach umſonſt! die Rache wacht

Auch im Schooß der alten Nacht!

Jn der tiefſten Tiefe Graun

Wuͤrd’ ich Abels Schatten ſchaun,

Wuͤrd’ ihn ſchauen, ob ich floͤh

Auf des hoͤchſten Berges Hoͤh.

[55]
Wuͤrde dieſes Leibes Staub

Aller Wirbelſtuͤrme Raub;

O ſo ſcheute Kain doch

Gottes Feuereifer noch!

Ohne Maaß und ohne Zahl

Wuͤtet meiner Seele Qual,

Sonder Grenzen ferner Zeit,

Waͤhret in die Ewigkeit.

Denn mich traf des Raͤchers Fluch,

Als ich meinen Bruder ſchlug,

Wehe! wehe! wehe mir!

Schrecken Gottes folgen mir!


[56]

An meine Geſchwiſter.



Wir wollen unſer Lebenlang

Uns ſuͤſſen Freuden weihen!

Der Wieſe Duft, der Waldgeſang

Soll immer uns erfreuen!

Uns gruͤnen Saaten, Trift und Hain,

Uns rauſchen Waſſerfaͤlle,

Uns mahlt des Himmels Wiederſchein

Roth, weiß und blau die Quelle.

Aus Blumenkelchen laͤchelt uns

Der ſuͤſſe Blick der Freude!

Wir ſehen ihn, und freuen uns

Wie Laͤmmer auf der Weide!

Es danket unſer frohe Blick

Dem Gott, der uns ins Leben

Gerufen, und ſo manches Gluͤck

Aus Vaterhuld gegeben!

[57]
So wallen wir auf ſanfter Bahn

Der Freude ſtets entgegen!

Uns laͤchelt mancher guter Mann,

Und giebt uns ſeinen Segen!

Auch iſt der Freunde Zahl nicht klein,

Die gern ſich an uns ſchlieſſen,

Wie ſelig iſt’s, ein Menſch zu ſeyn

Und Freundſchaft zu genieſſen!

O daß wir alle Hand in Hand

Durchs Leben koͤnten gehen,

Und unſer liebes Vaterland

Mit Thraͤnen wiederſehen!

Und an dem Ziele noch zugleich
(So wolle Gott es lenken!)

Mit Ruhe, reifen Fruͤchten gleich,

Das Haupt zur Erde ſenken!


[58]

An die Schwalbe.
Anakreons zwoͤlfte Ode.
Τισοι ϑέλεις ποιήσω.



Wie ſoll ich dich beſtrafen,

Du plauderhafte Schwalbe?

Soll ich die leichten Schwingen

Dir kuͤrzen? oder ſoll ich,

Wie Tereus that, die Zunge

Dir aus dem Schnabel reiſſen?

Aus meinen ſchoͤnen Traͤumen,

Mit deiner fruͤhen Stimme,

Mein Maͤdchen mir zu rauben!


[59]

Anakreons vier und dreiſſigſte Ode.
Μημε Φύγης, ὁρῶσα.
An mein Maͤdchen.



Ach flieh mich nicht, erblickend

Des Scheitels weiſſe Locken!

Und ach, weil dir die Blume

Der friſchen Jugend bluͤhet,

Verſchmaͤh nicht meine Liebe!

Du ſiehſt ja, wie in Kraͤnzen,

Geflochten unter Roſen,

Die weiſſen Liljen prangen!


[60]

Mein Vaterland, an Klopſtock.



Das Herz gebeut mir! ſiehe, ſchon ſchwebt,

Voll Vaterlandes, ſtolz mein Geſang!

Stuͤrmender ſchwingen ſich Adler

Nicht, und Schwaͤne nicht toͤnender!

An fernem Ufer rauſchet ſein Flug!

Deß ſtaunt der Belt und zuͤrnet und hebt

Donnernde, ſchaͤumende Wogen;

Denn ich ſinge mein Vaterland!

Jch achte nicht der ſcheltenden Flut,

Der tiefen nicht, der thuͤrmenden nicht,

Mitten im kreiſenden Strudel

Saͤnge Stolberg ſein Vaterland!

[61]
O Land der alten Treue! voll Muts

Sind deine Maͤnner! ſanft und gerecht!

Roſig die Maͤdchen und ſittſam!

Blitze Gottes die Juͤnglinge!

Jn deinen Huͤtten ſichert die Zucht

Den Bund der Ehe; rein iſt das Bett

Zaͤrtlicher Gatten, und fruchtbar

Jhre keuſchen Umarmungen.

Vom Segen Gottes triefet dein Thal,

Und Freude reift am Rebengebirg;

Singenden Schnittern entgegen

Rauſcht die wankende Halmenſaat.

Kolumbia, du weinteſt, gehuͤllt

Jn Trauerſchleyer, uͤber den Fluch

Welchen der lachende Moͤrder

Oeden Fluren zum Erbe ließ;

[62]
Da ſandte Deutſchland Segen und Volk:

Der Schooß der Jammererde gebar,

Staunte der ſchwellenden Aehren,

Und der ſchaffenden Fremdlinge!

Nach fernem Golde duͤrſtete nie

Der Deutſche; Sklaven feſſelt’ er nicht!

Jmmer der Schild des Verfolgten

Und des Draͤngenden Untergang!

Jch bin ein Deutſcher! (Stuͤrzet herab

Der Freude Thraͤnen, daß ich es bin!)

Fuͤhlte die erbliche Tugend

Jn den Jahren des Kindes ſchon.

Von dir entfernet weih’ ich mich dir,

Mit jedem Wunſche, heiliges Land!

Gruͤſſe den ſuͤdlichen Himmel

Oſt, und ſeufze der Heimat zu!

[63]
Auch greifet oft mein nerviger Arm

Zur linken Huͤfte; manches Phantom

Blutiger Schlachten umflattert

Dann die Seele des Sehnenden.

Jch hoͤre ſchon der Reiſigen Huf,

Und Kriegsdrommete! ſehe mich ſchon,

Liegend im blutigen Staube,

Ruͤhmlich ſterben fuͤr’s Vaterland!


[64]

Romanze.



Jn der Vaͤter Hallen ruhte

Ritter Rudolfs Heldenarm,

Rudolfs, den die Schlacht erfreute,

Rudolfs, welchen Frankreich ſcheute

Und der Sarazenen Schwarm.

Er, der lezte ſeines Stammes,

Weinte ſeiner Soͤhne Fall:

Zwiſchen Moosbewachsnen Mauern

Toͤnte ſeiner Klage Trauern

Jn der Zellen Wiederhall.

[65]
Agnes mit den goldnen Locken

War des Greiſen Troſt und Stab,

Sanft wie Tauben, weiß wie Schwaͤne,

Kuͤßte ſie des Vaters Thraͤne

Von den grauen Wimpern ab.

Ach! ſie weinte ſelbſt im Stillen,

Wenn der Mond ins Fenſter ſchien.

Albrecht mit der offnen Stirne

Brante fuͤr die edle Dirne,

Und die Dirne liebte ihn!

Aber Horſt, der hundert Krieger

Unterhielt in eignem Sold,

Ruͤhmte ſeines Stammes Ahnen,

Prangte mit erfochtnen Fahnen,

Und der Vater war ihm hold.

Stolb. E
[66]
Einſt beim freien Mahle kuͤßte

Albrecht ihre weiche Hand,

Jhre ſanften Augen ſtrebten

Jhn zu ſtrafen, ach! da bebten

Thraͤnen auf das Buſenband.

Horſt entbrante, blickte ſeitwaͤrts

Auf ſein ſchweres Mordgewehr;

Auf des Ritters Wange gluͤhte

Zorn und Liebe; Feuer ſpruͤhte

Aus den Augen wild umher.

Drohend warf er ſeinen Handſchuh

Jn der Agnes keuſchen Schooß;
„Albrecht nim! Zu dieſer Stunde

Harr’ ich dein im Muͤhlengrunde!„

Kaum geſagt, ſchon flog ſein Roß.

[67]
Albrecht nahm das Fehdezeichen

Ruhig, und beſtieg ſein Roß;

Freute ſich des Maͤdchens Zaͤhre,

Die, der Lieb’ und ihm zur Ehre,

Aus dem blauen Auge floß.

Roͤthlich ſchimmerte die Ruͤſtung

Jn der Abendſonne Stral;

Von den Hufen ihrer Pferde

Toͤnte weit umher die Erde

Und die Hirſche flohn ins Thal.

Auf des Soͤllers Gitter lehnte

Die betaͤubte Agnes ſich,

Sah die blanken Speere blinken,

Sah — den edlen Albrecht ſinken,

Sank, wie Albrecht, und erblich.

[68]
Bang’ von leiſer Ahndung ſpornet

Horſt ſein ſchaumbedecktes Pferd;

Hoͤret nun des Hauſes Jammer,

Eilet in des Fraͤuleins Kammer,

Starrt und ſtuͤrzt ſich in ſein Schwert.

Rudolf nahm die kalte Tochter

Jn den vaͤterlichen Arm,

Hielt ſie ſo zwei lange Tage,

Thraͤnenlos und ohne Klage,

Und verſchied im ſtummen Harm.


[69]

Die Traͤume.



Aus ſuͤſſem Schlummer weckte mich heut

Des jungen Tages roͤthender Stral;

Siehe, noch flatterten Traͤume

Um die Scheitel des Wachenden.

Jch will euch taͤuſchen! dacht’ ich, und ſchloß

Die Augenlieder, ſtreckte den Arm,

Athmete tiefer und lauſchte

Jhren leiſen Bewegungen.

Da ſchlich mir einer zwiſchen das Haar

Der halbgeſchloßnen Wimper, und ſchnell

Malte der laͤchelnde Bube

Vor dem Auge Dorinde mir.

[70]
Ein andrer ſchluͤpft’ ins horchende Ohr,

So ſchluͤpft die Schwalbenmutter ins Neſt,

Fluͤſterte fuͤſſe Geſpraͤche

Mit der Stimme Dorindens mir.

O weh! nun ward der Taͤuſcher getaͤuſcht,

Und traͤumte Liebetrunkner als je,

Bis die Fantome verſchwanden,

Und die Thraͤne der Sehnſucht rann!


[71]

Eliſe von Mannsfeld.
Eine Ballade aus dem zehnten Jahrhundert.



Wie viele ſehnten ſich nach dir,

Du kuͤhle, ſtille Nacht!

Nun haſt du ihnen Labung, Ruh

Und ſanften Schlaf gebracht.

Auch mir komſt du erwuͤnſcht; izt kan

Jch frei und einſam ſein,

Durch manchen tiefen Seufzer nun

Mir lindern meine Pein.

Ach Gott! was hab’ ich denn gethan,

Daß ſie ſo grauſam ſind?

Mein Vater nante mich ja ſtets

Sein liebes gutes Kind;

[72]
Und ihren beſten Segen gab

Die Mutter ſterbend mir,

Der wird im Himmel einſt erfuͤllt;

Doch wahrlich nicht auch hier.

Daß dieſer Segen ſich nur nicht

Jn Fluch verkehr fuͤr die,

Die ſo mich kraͤnken! Gott verzeih’

Es ihnen! Beßre ſie!

Ach, alles truͤg’ ich mit Geduld,

Wenn, Liebe, du nicht waͤrſt,

Die du durch hofnungsloſe Qual

Mein krankes Herz verzehrſt!

Kan ichs nicht dulden, nun wolan

So hab’ ich Einen Troſt:

Dann brichſt du, armes Herz! Drum ſei

Bis daß du brichſt, getroſt„ —

[73]
So eben kehrt’ ein Rittersmann

Von ſeinem Ritt zuruͤck,

Und komt, gefuͤhrt von ſeinem Pfad,

Hart an des Schloſſes Bruͤck.

Da dringt des Fraͤuleins Klageton

Jhm tief ins Herz hinein:

Er waͤhnt, um Huͤlfe fleh’ ſie ihn,

Und will ihr Retter ſeyn.

Voll Ungeduld und voll Begier

Umher ſein Auge gluͤht,

Bis endlich hoch am Fenſter er

Das Fraͤulein ſtehen ſieht.

„Ach Fraͤulein! ſprich, was jammerſt du?

Vertraue mir dein Leid:

Dies Schwert, der Arm, dies Leben ſei

Zu deinem Dienſt geweiht.„ —

[74]
„Ach, edler Ritter, Schwert und Arm

Jſt nicht, was mir gebricht;

Nur Troſt fuͤr mein beklomnes Herz:

Und ach, den haſt du nicht!„ —

„Entdecke mir dein kraͤnkend Weh,

Das wird dir Lindrung ſein,

Und meine Mitleidsthraͤne wird

Dir einen Troſt verleihn.„ —

„Du guter Juͤngling, hoͤre denn:

Jch eine Waiſe bin,

Und mit den lieben Eltern ſtarb

Mir Ruh und Freude hin;

Ein Ohm und eine Muhme jezt

An Eltern Statt mir ſind,

Die quaͤlen mich, daß Gott erbarm!

Und toͤdten ſchier ihr Kind.

[75]
Mein Vater war ein reicher Graf,

Nun iſt das Erbe mein,

O waͤr’ ich arm! dies ſchnoͤde Gut

Jſt Urſach meiner Pein.

Mein Oheim duͤrſtet Tag und Nacht

Nach meinem Hab’ und Gut,

Drum ſperrt in dieſen Thurm mich ein

Des harten Mannes Wut.

Hier bleib’ ich, droh’t er, wo ich nicht

Erwaͤhl’ am dritten Tag,

Ob ich den Sohn zum Ehemann,

Ob ich ins Kloſter mag.

Wie eilig waͤr’ die Wahl geſchehn,

Jch thaͤt den Schleier an,

Ach, liebte nicht mein junges Herz

Den beſten, ſchoͤnſten Mann.

[76]
Juͤngſt beim Turniere ſah’ ich ihn,

Jch ſah’ und liebt’ ihn gleich,

Wie frei, wie edel und wie kuͤhn!

Nicht Einer war ihm gleich.„ —

„Sei, edles Fraͤulein, gutes Muts,

Jns Kloſter ſolt du nicht,

Noch minder ſolt du ſein die Schnur

Vom alten Boͤſewicht.

Jch kan’s, ich will’s, ich rette dich,

Das iſt mein feſter Sinn,

Bring dich in deines Juͤnglings Arm,

So wahr ich Stolberg bin.„ —

„Du? Stolberg? o mein Leid iſt hin!

Mein Engel fuͤhrte dich;

Du biſt mein trauter Juͤngling, du!

Nach dem ich ſehnte mich.

[77]
Jezt ſag’ ich frei und offen dir,

Was ſchon mein Blick geſtand,

Als ich um deine Lanze juͤngſt

Den Eichenkranz dir wand.„ —

„O Gott! du? mein geliebtes Kind,

Eliſe Mannsfeld? O!

Dich liebt’ auch ich beim erſten Blick;

Noch keiner liebte ſo!

An meiner Lanze ſieh den Kranz,

Den ſie nun ewig traͤgt.

Ach, koͤnteſt du dein Bild auch ſehn,

So tief hier eingepraͤgt!

Jedoch was ſaͤumen wir? ich bring

Dich heim vor Sonnenſchein,

Und unſrer keuſchen Liebe ſoll

Nichts mehr im Wege ſein.„ —

[78]
„Von ganzer Seele lieb’ ich dich

O Juͤngling! aber doch

Straͤubt ſich mein jungfraͤulich Gefuͤhl

Beim raſchen Vorſaz noch.

Du kennſt die arge Welt; du weiſt

Wie im Triumphe ſie

Mir Stand, und Ehr’, und Tugend nimt,

Wenn ich mit dir entflieh.„ —

„O Maͤdchen, was iſt uns die Welt?

Laß immerhin ſie ſchrein;

Dein Beifall nur, mein Beifall nur

Soll unſer Richter ſein!

Und keiner deines Stammes ſoll

Vernehmen deine That,

Bis uns des Prieſters Segenshand

Zur Eh’ geweihet hat.

[79]
Auch fuͤhr’ als Gattin ich dich erſt

Jn meine Burg hinein;

Nun geht’s zu meiner Schweſter hin,

Da ſoll die Trauung ſein.

Wie wird mein liebes Guſtchen ſich

Der lieben Schweſter freu’n,

Wie wird des lieben Bruders Gluͤck

Jhr eigne Wonne ſein!

Eliſe, laß uns eilen; kom,

Gleich iſt es Mitternacht,

Der Mond, der jezt ſo hell uns ſcheint,

Hat bald den Lauf vollbracht.„ —

Nun ſchlich das Fraͤulein leiſen Tritts

Hinab den Windelſteig,

Bis unten ſie zum Fenſter kam,

Da ward ſie todtenbleich;

[80]
Doch ſchnell ergreift ſie wieder Herz

Und oͤfnet es behend,

Und wagt’s und ſpringt dem Ritter zu,

Der ihr entgegenrent.

Sein Maͤdchen druͤckt’ er ſprachlos jezt

Feſt an ſein klopfend Herz,

Fuͤr ungefuͤhlter reiner Luſt

Vergaß ſie allen Schmerz.

Dann hob er freudig ſie auf’s Roß,

Und vor ihr ſezt’ er ſich,

Sie ſchlang die weiſſen Arm um ihn;

Fort ging’s nun ritterlich.

Vom Roß und freudigem Gebell

Des treuen Greifs erweckt,

Lief ſchnell die Zof’ ans Fenſter hin,

Jhr Fraͤulein ſie erblickt.

[]
Figure 1. z. S. 81. I.

[figure]
[][81]
Sie tobt mit wildem Angſtgeſchrei

Klagt allen ihre Noth;

Der Alte ſchaͤumt, und flucht und ſchwoͤrt

Der Nichre Schmach und Tod.

Er fodert ſeine Saſſen auf,

Und eh’ der Tag begann,

Verlieſſen ruͤſtig ſie das Schloß;

Er fuͤhrte ſelbſt ſie an.

Jndeſſen war das Ritterpaar

Durch Anger, Wieſe, Feld,

Weit uͤber Berg und Thal und Forſt;

Vom guͤnſt’gen Mond erhellt.

Mit lautem Schaumgetoͤſe ſtuͤrzt

Die Bude vor ſie hin:
„Es geht, mein Kind, erzittre nicht!

Des Stroms ich kundig bin.„ —

Stolb. F
[82]
Der Rappe ſtuzt und hebt den Fuß

Und pruft den Fluß gemach,

Drauf ſtrebt er wiehernd durch, als waͤr’s

Nur ein Forellenbach.

Nun kommen ſie zum Schloß geſprengt,

Jn Himmelswonn’ entzuͤckt:

Beſchreib’s, wer eine Freude je

Wie dieſe war, erblickt.

Nun ſaſſen ſie beim frohen Mahl,

Der Becher gieng umher;

Ein Knappe kam: „Auf, edler Graf,

Der Mannsfeld ruͤcket her!„ —

Und Braut und Schweſter jammerten,

Zerrauften ſich das Haar;

Jndeß der Graf zu Pferde ſchon

Jn vollem Harniſch war.

[83]
Dem Zug’ er ſchnell entgegen kam,

Und rief dem Mannsfeld laut:
„Umſonſt iſt deine Muͤh; ſie iſt

Als Weib mir angetraut!

Und bin ich nicht aus edlem Stamm,

Deß Ruhm erſchallet weit,

Der Fuͤrſten unſerm Volke gab

Schon zu der Heiden Zeit.„ *)

Mit eingelegter Lanze ſprengt

Der Alte gegen ihn,

Sein Haufe folgt; erwartend bleibt

Der Ritter kalt und kuͤhn.

[84]
Und zieht ſein Schwert: Als Mannsfeld naht,

Verhaut er ihm den Stoß

Und haut, und haut den Schedel durch,

Daß er zur Erden ſchoß.

Die Reiſigen zerſtreuen ſich,

Und Stolberg eilt nach Haus,

Und ruht die lange ſuͤſſe Nacht

Jn Lieschens Armen aus.


[85]

Lied eines deutſchen Soldaten
in der Fremde.



Aus ferne Ufer hingebannt

Thut mir’s von Herzen weh,

Daß ich mein liebes Vaterland

Nicht mehr mit Augen ſeh.

Jch ſehne taͤglich mich zuruͤck,

Das laͤßt mir keine Ruh;

Jch werfe manchen naſſen Blick

Dem wilden Meere zu.

Das war zuvor nicht meine Art,

Jzt wein’ ich, wie ein Kind,

Daß oft am ſchwarzen Knebelbart

Die helle Thraͤne rint.

[86]
O wehe dem, der mich mit Trug

Jn dieſes Land gebracht;

Mein Leid verwandle ſich in Fluch,

Und quaͤl ihn Tag und Nacht!

Er trank mir zu auf Joſephs Wohl

Jn altem Rheinſchen Wein,

Goß bis zum Rand die Glaͤſer voll

Und ſchenkte weidlich ein,

Bis daß ich taumelte; da las

Der Bube Formeln her;

Jch ſang den Schwur beim vollen Glas,

Und trank und bat um mehr.

Da gab er mir ſein ſchnoͤdes Gold,

Und zahlte meine Zech.

Nun war ich in des Koͤnigs Sold,

Und muſte mit ihm weg.

[87]
Die lieben Eltern kuͤmmern mich;

Der Vater haͤrmt ſich ab,

Die Mutter weinet bitterlich

Und wuͤnſchet ſich ins Grab.

Und du, mein ſuͤſſes Hanchen, weinſt

Die blauen Augen roth;

Sie troͤſten dich, du aber meinſt

Dein Nikolas ſey todt.

All was du ſiehſt, das mahnet dich

An deinen Nikolas:

Die Linde, unter welcher ich

Mit dir im Schatten ſaß,

Der Weinſtock, welchen meine Hand

Fuͤr Hanchen auferzog,

Und fruͤh die zarten Reben band,

Und dir zur Laube bog.

[88]
Dort warfſt du mir mit loſer Hand

Die Beeren in den Mund;

Dort war es, wo wir Hand in Hand

Beſchwuren unſern Bund.

Wie war den Abend uns ſo wohl!

Jch fuͤhrte dich nach Haus;

So manche ſtille Thraͤne quoll

Auf deinen Blumenſtrauß.

So freundlich lachte Wald und Thal

Jn meinem Leben nicht!

Der Abendſonne rother Stral

Erhellte dein Geſicht!

Wie Turteltaͤubchen liebten wir,

Und theilten Freud’ und Noth;

Wir ſagten oft: uns wuͤrde hier

Nichts trennen als der Tod.

[89]
Nun ſeufz’ ich ſpat und ſeufze fruͤh:

Erbarm dich, lieber Gott!

Und rette mich, und rette ſie,

Durch einen ſanften Tod!


[90]

Stimme der Liebe.



Meine Selinde! denn mit Engelſtimme

Singt die Liebe mir zu: ſie wird die Deine!

Wird die Meine! Himmel und Erde
ſchwinden!

Meine Selinde!

Thraͤnen der Sehnſucht, die auf blaſſen Wangen

Bebten, fallen herab als Freudenthraͤnen!

Denn mir toͤnt die himliſche Stimme:
deine

Wird ſie! die Deine!


[91]

Lieben und Liebeln.



So manche Blondine, ſo manche Bruͤnette,

Weis noch nicht, ich wette,

Was lieben ſei,

Was liebeln ſei,

Oder haͤlt beides fuͤr einerlei;

Und gleichwol iſt der Unterſchied,

Wenn man das Ding bei Licht beſieht,

So groß, wie zwiſchen der chanſonnette,

Und dem herzlichen deutſchen Lied!


[92]

An die Unbekante.



An’s Maͤgdlein ſei dies Lied gericht’t,

Die mich nicht kent, und ich ſie nicht,

Nicht weis, in welchem Land ſie lebt,

Da doch mein Geiſt ſie ſtets umſchwebt.

Wenn ich aus dem Getuͤmmel bin,

Erfuͤllt ſie immer meinen Sinn;

Und wenn ich irre uͤber Land,

Geht ſie mit mir an meiner Hand.

Wenns wohl mir wird in Wieſ’ und Wald;

Der Mond durch lichte Wolken wallt,

Erhoͤht den ſeligen Genuß

Mein Maͤdchen mir durch manchen Kuß.

[93]
Oftmal, mir ſelber unbekant,

Druͤckt meine Hand dann ihre Hand;

Jch fuͤhl’s, und ſeufze, daß ihr Bild

Den heiſſen Wunſch ſo ſchwach erfuͤllt.

So ſehnlich ſucht’ ich, und ſo lang’!

Nun wird’s im Herzen truͤb und bang,

Daß ich das liebe gute Kind,

Das fuͤr mich da iſt, nimmer find.

Wenn, Beſte, du dies Liedchen ſiehſt,

Und dir vom Aug’ ein Thraͤnlein fließt,

Und ſeufzeſt leis: der gute Mann,

Wie ich ihm nachempfinden kan!

So glaub, daß du mein Maͤdchen biſt,

Das nur fuͤr mich geboren iſt,

Und liebe mich, und ſag es mir,

So eil ich, Beſte, froh zu Dir!


[94]

Die Begeiſterung.
An Voß.



Sie iſt da! die Begeiſtrung, da!

Heil mir, und reden kan die trunkne Lippe!

Von ſchneeigen Alpen

Schwebt, auf der Abendroͤthe Fluͤgel, ſie zu mir
herab,

Weilet nicht, fleugt auf,

Athmet, ihr blendendes Gewand

Geguͤrtet mit Regenbogen,

Umwunden ihr Haar mit geſtirntem Diadem,

Athmet freiere Luͤfte,

Himmelsluͤſte

Zeucht mich ihr nach,

Traͤnket mit Thau des naͤheren Himmels mich!

[95]
Heil mir, daß ich kenne

Die Stralende!

Heil mir, daß ſie wuͤrdiget

Jhres Fluges mich!

Goͤttin, ſo du mich fuͤhrſt,

Flieget, nichtiges Geſtaͤub,

Unter dem Fluͤgelſchlag meiner Phantaſei,

Sonne dahin und Stern! Milchſtraſſe dahin!

Heil mir, daß ich kenne

Die Flammende!

Daß kuͤhn ihr folget der Fluͤgelſchlag meiner
Phantaſei

Durch die Nacht durch und der Erde Bauch!

So die Goͤttin gebeut,

Oefnet ihr ſich der ſchwarze Schooß

Ewiger Finſterniß;

Es umrauſchet ihre Glieder das Gewand der
Nacht!

[96]
Flammenathmend erhellſt du Abgruͤnde vor mir
her;

Deine wehende Fackel zeiget und gebeut mir Flug!

Ha! wie den Fremdling ſtaunet an

Der Unterirdiſchen ſchuͤchternes Geſchlecht!

So ſtaunet an der Maulwurf das gezeigte Licht,

So ſtaunet an der Poͤbel,

Poͤbel in Purpur und gehuͤllt in Schulſtaub,

Den Erdehoͤhnenden Geſang

Der Begeiſtrung, und des Dichters, den nur ſie
gebar!


[99]

Freimaͤurerlied
bei der Aufnahme eines neuen Bruders.



Wackre Bruͤder, ſtimmet an,

Auf! begruͤßt den braven Mann,

Der in unſern freien Orden

Eben aufgenommen worden;

Der nicht weis, wie ihm geſchah,

Ob der Wunder, die er ſah!

Lieber Bruder, freue dich!

Wir auch freun uns inniglich.

So du als ein Maurer handelſt,

Auf der Weisheit Pfade wandelſt,

Huͤllet mit der Zeiten Lauf

Neue Wahrheit dir ſich auf!

[100]
Senke, Bruder, nicht den Blick

Jn die Finſterniß zuruͤck;

Forſche tiefer in die Wahrheit;

Von der Daͤmrung geh zur Klarheit;

Wandle ſicher; ſtrauchle nicht,

Bis du fleugſt, von Licht zu Licht!

Sei getroſt und achte nicht,

Was der Thor und Heuchler ſpricht;

Sie, die uns im Finſtern richten,

Luͤgen an die Wahrheit dichten,

Was gehn einen braven Mann

Alle Splitterrichter an?

Merke, was die Weisheit ſpricht:
„Thue recht, und zittre nicht!„

Ob ihm tauſend Feinde draͤuen,

Wird der Redliche nichts ſcheuen,

Weichet weder links noch rechts,

Fuͤhlt ſich goͤttlichen Geſchlechts.

[101]
Bruder, gieb uns deine Hand,

Unſrer Freundſchaft Unterpfand!

Unſer Buͤndniß zu erneuen

Soll ſich unſer Bruder freuen,

Maurer, ſchenkt die Glaͤſer voll!

Trinkt auf unſers Bruders Wohl!


[102]

Freiheitsgeſang
aus dem zwanzigſten Jahrhundert.



Sonne, du ſaͤumſt!

Sonne, du ſaͤumſt!

Weilen dich kuͤhlende

Wogen des Meeres?

Sonne, du ſaͤumſt!

Kom herauf zu uns! Es harret

Dein ein freies Volk!

Wende deine Feuerblicke

Von den Sklavenvoͤlkern ab!

Kom herauf zu uns! Es harret

Dein ein freies Volk!

[103]
Siehe ſie koͤmt!

Siehe ſie koͤmt!

Sie verguͤldet die Berge,

Sie roͤthet den Hain,

Und ſilbern rauſchet der Strom in das finſtre
Thal!

Wir ſahen dich einſt,

Rauſchender Strom,

Mitten im fliegenden Laufe gehemt!

Bebend und bleich,

Wehend das Haar,

Stuͤrzte der Tirannen Flucht

Sich in deine wilden Wellen,

Jn die Felſenwaͤlzende Wellen

Stuͤrzten ſich die Freien nach;

Sanfter wallten deine Wellen!

Der Tirannen Roſſe Blut,

Der Tirannen Knechte Blut,

Der Tirannen Blut!

Der Tirannen Blut!

Der Tirannen Blut,
[104] Faͤrbte deine blauen Wellen,

Deine Felſenwaͤlzende Wellen!

Das Schilfblat trof

Und die Weide von der Erſchlagnen Blut!

Um den krauſen Dornſtrauch wickelte ſich das
Gewand

Der Todten, wirrte ſich in ihm der Todten Haar!

An dem Hange des Felſen lag

Der Voͤlkerdraͤnger Karl mit ſtarrendem Arm;

Neben ihm ſchimmerte, zerſplittert, ſein Schwert,

Und uͤber ihm waͤlzte ſich ſchwer ſein verwunde-
tes Roß!

Es erſtickte der Laͤſterung Wort, und des
Befehls,

Jn der bangen Bruſt;

Halbverloͤſchend, noch wild, drehte ſich ſein Aug’
und bat

Jedes zuͤckende Schwert, jeden gehobnen Arm
um den Tod!

[105]
Aber verſagt ward ihm des Schwerts und der
Tod des Arms!

Der Soͤhne Deutſchlands erbarmte nicht einer
ſich ſein!

Zeichnete ſeine Stirne nicht Gottes Fluch?

Schwebte nicht, wie uͤber das Aas der Ad-
ler ſchwebt,

Schwebte nicht ſo, ſichtbar, uͤber ihm die Ra-
che des Herrn?

Drei Tage lag er blutig, und drei Naͤchte ſo,

Umflattert von der Raben Heer!

Die Zuckungen ſeiner Qualen ſcheuchten der Ra-
ben Heer;

Noch lebend ward er endlich naͤchtlicher Woͤlfe
Raub!

Es fiel, ach! es fiel,

Heinrich fiel,

Juͤngling und Held!

Es weinte die Mutter,

Weinten die Schweſtern;

[106]
Jm Grame ſtarb ſein junges Weib!

Ach, in ihrem keuſchen Schooſſe

Starb mit ihr ein Heldenkind!

Oede trauren um die Sproſſe

Seines edlen Heldenſtammes

Remlings anmutsvolle Thale

Und das alternde Kaſtell! *)

Nicht einer entrann

Von der Sklaven Heer!

Wie der Sturm mit herbſtlichem Laube

Quellen des Thales bedeckt,

So bedeckte lang und breit den Strom

Des Sklavenheeres Leichnam!

Die Heerde ſloh

Und duͤrſtend das Roß vom blutigen Strom.

Kein Sohn des Waldes nahte ſich ihm;

Nur der Rabe trank und der Adler und der Wolf!

Auf Bergen erſcholl der Sieger Geſang,

Und rollte freudige Donner ins Thal,
[107] Geſaͤnge der Jungfrauen toͤnten darein:

So floͤten Nachtigallen

Beim Felſenquell.

Hoch ſchwingt, tief ſchwingt, wild ſich umher

Der Adler des Geſangs!

Jn Blutgefilden weilen Geier unter ihm, denn
wir ſiegten oft.

Er eilet, er eilet, er ſchwebt

Ueber der lezten Schlacht mit ſteifem Fittig!

Es gluͤhte der Mittag; es rann

Heldenſchweiß auf zertretnes Gras;

Kuͤhlung des Waldes umwehete nur den Feind.

Drei Stunden wankte zwiſchen uns und ih-
nen der Sieg,

Wie roͤthlich die Saat wanket auf Huͤgeln hin
und her.

Da brachen hervor neue Schaaren aus des
Waldes Hoͤh,

Mit Waffengetoͤs und lautem Geſchrei!

Langſam, wie des Ozeanes Ebbe,

Wich der Freien linkes Heer!

[108]
Da ſprengten hervor,

Auf ſchaͤumenden Roſſen,

Wie zuͤckende Blize,

Zween Juͤnglinge, Stolberg ihr Name, Reiſige
hinter ihnen her!

Wie der Rhein von jaͤhen Felſen herab

Seine Donner ſtuͤrzet und ewigen Schaum,

Mit des Adlers Eile, des Meeres Schall,

So die Heldenſchaar auf den ſtaunenden Feind!

Stolberg fochten und ſanken dahin

Den ſchoͤnen Tod,

Den blutigen Tod,

Den Freiheitstod!

Keine feige Klag’ erſchall

Bei der Helden fruͤhem Fall!

Einer ihrer Vaͤter wuͤnſchte

Mit der heiſſen Juͤnglingsthraͤne

Sich ſchoͤnen, blutigen Freiheitstod!

Zitternd floſſen ins Silbergewebe

Der Harfe die Thraͤnen der Sehnſucht
hinab!

[109]
Siehe, da ſah er,

Jn heiliger Stunde,

Jenſeit Jahrhunderten,

Schlachten der Freiheit!

Sah die Heldenenkel fallen;

O wie ſchlug ſein Herz fuͤr Wonne!

Seine heiſſe Thraͤne ſtuͤrzte

Jn der Harfe Silberſturm!

Die Sonne war geſunken; der Abend

Kuͤhlte mit roͤthenden Fluͤgeln

Den alten Rhein;

Noch donnerte laut, noch blizte die Schlacht!

Von Zinnen des Himmels

Schauten, durch purpurne Wolken,

Hermann freudig, und Tell,

Luther und Klopſtock freudig herab auf un-
ſer Heer!

Athmeten uns zu

Feſten Entſchluß,

Staͤrke der Goͤtter und deutſchen Mut!

Die Feinde ſahn auf

Mit lechzenden Blicken
[110] Zur ſaͤumenden Daͤmrung!

Die Daͤmmerung kam;

Sie wankten, ſie wichen,

Sie goſſen ſich aus uͤber’s Gefild in zerſtreu-
ter Flucht!

Wir goſſen uns nach

Mit triefendem Schwert!

Sie hoften, es wuͤrde ſie huͤllen

Jm faltigen Mantel

Die ſchwarze Nacht;

Siehe da gieng ihnen auf uͤbers Tannengebirg

Der zuͤrnende Mond

Blutig und voll!

Verderbende Nacht!

Heilig und hehr

Dem freien Volke!

Mehr jedem Deutſchen, denn die Stunde der
Geburt!

Heilig und hehr,

Wie in den Armen der erroͤtheten Braut die
ſuͤſſe Nacht!

[111]
Auf Bergen erſcholl der Siegergeſang!

Der Helden Geſang, der Freien Geſang!

Und rollte freudige Donner ins Thal!

Geſaͤnge der Jungfrauen toͤnten darein:

So rauſchen Waſſerfaͤlle

Zum Donner des Meeres am Felſengeſtad!

Du biſt frei! du biſt frei!

Deutſchland, frei!

Stolz ſteheſt du da unter den Nationen um
dich her!

Wie der Brocken ſtolz, wenn der Morgenroͤ-
the Licht

Seine Scheitel roͤthet, noch finſter unter ihm

Liegen die Thale, und nur daͤmmern die Gipfel
um ihn her!

Willkommen, Jahrhundert der Freiheit!

Groſſes Jahrhundert, willkommen!

Du ſchoͤnſte Tochter der ſpaͤtgebaͤrenden Zeit!

Sie gebar dich mit Schmerzen, und ſprang
ſtaunend auf,

Da geboren war das maͤchtige Kind!

[112]
Zitternd nahm ſie dich in den muͤtterlichen Arm;

Freudige Schauer rauſchten ihre Glieder hinab
auf ihr Gewand;

Feierlich kuͤßte ſie deine Stirn,

Und Prophezeiung entquoll ihren Lippen, wie
ein Strom:

„Tochter, du nimſt hinweg deiner Mutter
Schmach!

Raͤchſt deiner Schweſtern weinenden Gram!

Unwillig kruͤmte jede ſich hinab ins Grab;

Denn in Locken der Jugend hofte jede zu fuͤhren
dein Schwert,

Zu halten deine Wage, Vergelterin!

Schon laͤchelſt du ſtolz an deiner Mutter Bruſt,

Schon flamt dein blauer rollender Blick,

Schon greifeſt du mich ſtark an mit der zarten
Hand;

Bald toͤnen um deine Wiege herum

Waſſengetoͤs und der Sieger Geſang!

Du waͤchſeſt ſchnell auf! ich ſehe dich ſchon

Jn ſchoͤner weiblichen Rieſengeſtalt,
[113] Mit zuͤckenden Wettern im vertilgenden Aug,

Mit wild hinſtroͤmendem goldenen Haar!

Donner entrollen deinem Fußtritt, und es ſtuͤr-
zen dahin

Die Throne, in die goldne Truͤmmer Tirannen
dahin!

Du gieſſeſt aus mit blutiger Hand der Freiheit
Strom!

Er ergeußt ſich uͤber Deutſchland; Segen bluͤht

An ſeinen Ufern, wie Blumen an der Wieſe
Quell.„


Stolb. H
[114]

Bei Wilhelm Tells Geburtsſtaͤtte
im Kanton Uri.



Seht dieſe heilige Kapell!

Hier ward geboren Wilhelm Tell!

Hier, wo der Altar Gottes ſteht,

Stand ſeiner Eltern Ehebett!

Mit Mutterfreuden freute ſich

Die liebe Mutter inniglich,

Gedachte nicht an ihren Schmerz,

Und hielt das Knaͤblein an ihr Herz!

Sie flehte Gott: er ſei dein Knecht;

Sei ſtark und muthig und gerecht!

Gott aber dachte: ich thu’ mehr

Durch ihn, als durch ein ganzes Heer!

[115]
Er gab dem Knaben warmes Blut,

Des Roſſes Kraft, des Adlers Mut,

Jm Felſennacken freien Sinn,

Des Falken Aug’ und Feuer drin!

Dem Worte ſein und der Natur

Vertraute Gott das Knaͤblein nur;

Wo ſich der Felſenſtrom ergeußt

Erhub ſich fruͤh des Helden Geiſt.

Das Ruder und die Gemſenjagd

Hat ſeine Glieder ſtark gemacht;

Er ſcherzte fruͤh mit der Gefahr,

Und wußte nicht, wie groß er war!

Er wußte nicht, daß ſeine Hand,

Durch Gott geſtaͤrkt, ſein Vaterland

Erretten wuͤrde von der Schmach

Der Knechtſchaft, deren Joch er brach!


[116]

Das Ruͤſthaus in Bern.



Das Herz im Leibe thut mir weh,

Wenn ich der Vaͤter Ruͤſtung ſeh;

Jch ſeh zugleich mit naſſem Blick

Jn unſrer Vaͤter Zeit zuruͤck!

Jch greife gleich nach Schwert und Speer;

Doch Speer und Schwert ſind mir zu ſchwer;

Jch lege traurig ungeſpant

Den Bogen aus der ſchwachen Hand.

Des Panzers und des Helmes Wucht,

Der Schild mit tiefgewoͤlbter Bucht,

Des ſcharfen Beiles langer Schaft

Zeugt von der Vaͤter Rieſenkraft!

[117]
Geſchwenkt von eines Helden Arm

Hat dieſer Panner manchen Schwarm

Der ſtolzen Feind’ in mancher Schlacht,

Wie ſcheues Wildpret, weggejagt!

Sie flohn und warfen aus der Fauſt

Die Fahnen, vom Gewuͤhl zerzauſt;

Die ſammelte des Kriegers Hand

Und hieng ſie auf an dieſe Wand!

Viel andre Beute zeuget noch

Vom blutig abgeworfnen Joch,

Von der Burgunder Heeres Macht

Und Uebermut und eitler Pracht!

Mit dieſen Stricken wollten ſie

Der Schweizer Haͤnde binden fruͤh,

Und eh’ die Sonne ſank ins Thal

Beſchien ſie noch der Stolzen Fall!

[118]
So, Schweizer! focht der Vaͤter Mut!

Es floß fuͤr euch ihr theures Blut!

Sie ſind des Enkeldankes werth!

Wohl dem, der ſie durch Thaten ehrt!


[119]

Die Truͤmmer.



Hier ſiehſt du eines Zwingherrn *) Haus

Geſtuͤrzt in Moder und in Graus;

Der Uhu hauſet drinnen.

Auf dieſer Staͤtte ruht ſein Fluch;

Hier that er manchen feilen Spruch,

Ließ Blut und Thraͤnen rinnen.

Er hat in mancher Taumelnacht

Den Raub des Tages durchgebracht,

Geſchwelget, bis es tagte.

Des Abends ſtand einmal allhier

Vor ſeines Schloſſes ſtolzer Thuͤr

Ein armes Weib, und klagte.

[120]
Der Herr iſt Gott! der Herr iſt Gott!

Er hoͤrt des ſtolzen Frevlers Spott

Und einer Witwe Klage;

Gott wog den Draͤnger und das Land;

Die Himmel ſahn in Gottes Hand

Die fuͤrchterliche Wage.

Ein Gottgeſandter Schauer ſchleicht,

Da ſeine leichte Schale ſteigt,

Jn des Tirannen Seele;

Jhm faͤllt der Becher aus der Fauſt;

Vor ſeinen bangen Ohren ſaußt

Das Hohngeziſch der Hoͤlle.

Die Huͤlfe Gottes eilet ſchnell,

Sie ruͤſtete den wackern Tell,

Das Vaterland zu retten;

Die Draͤnger fielen, dieſes Schloß,

Verſenkt in Schutt, bedeckt mit Moos,

Zeugt von zerbrochnen Ketten!


[121]

Bei einer Schweizerhochzeit.



Des ganzen Dorfes frohe Schaar

Fuͤhrt dort vom heiligen Altar

Ein neuvermaͤhltes Ehepaar.

Seht, wie die Freude feierlich

Des Mannes Haupt erhoͤhet,

Seht, wie verſchaͤmt und jungfraͤulich

Die junge Gattin gehet!

Der Greiſe Blick verjuͤnget ſich,

Die Knaben huͤpfen freudiglich,

Die Maͤdlein fluͤſtern unter ſich;

Die Eltern halten nicht zuruͤck
[122] Die Freude dieſer Stunde,

Sie ſtroͤmt aus ihrem naſſen Blick,

Sie toͤnt von ihrem Munde.

So manches Weib, das ihrem Mann

Von ganzem Herzen zugethan,

Sieht ihn mit hellen Thraͤnen an;

Sie mahnt ihn an den erſten Tag,

Der ihren Bund geſchloſſen;

Sie ſinnt mit ihm den Freuden nach,

Die dieſem Tag entfloſſen.

Jhr liebe Beide, freuet euch!

Es ſei kein Gluͤck dem euren gleich;

An wackern Kindern werdet reich,

An Soͤhnen bieder und voll Mut

Nach alter Schweizerſitte,

An Toͤchtern ſanft und keuſch und gut,

Die Zierde eurer Huͤtte!

[123]
Du ſeliges und theures Paar,

Du ſollſt im ſpaͤten Jubeljahr,

Bedeckt mit ſilbergrauem Haar,

Noch vielen Enkeln Muſter ſein

Von keuſcher Ehe Segen;

Sie werden einſt, wie ihr, ſich freun,

Und gehn auf euren Wegen!


[124]

Der Felſenſtrom.



Unſterblicher Juͤngling!

Du ſtroͤmeſt hervor

Aus der Felſenkluft

Kein Sterblicher ſah

Die Wiege des Starken;

Es hoͤrte kein Ohr

Das Lallen des Edlen im ſprudelnden Quell!

Wie biſt du ſo ſchoͤn

Jn ſilbernen Locken!

Wie biſt du ſo furchtbar

Jm Donner der hallenden Felſen umher!

[125]
Dir zittert die Tanne.

Du ſtuͤrzeſt die Tanne

Mit Wurzel und Haupt!

Dich fliehen die Felſen.

Du haſcheſt die Felſen,

Und waͤlzeſt ſie ſpottend, wie Kieſel, dahin!

Dich kleidet die Sonne

Jn Stralen des Ruhmes!

Sie malet mit Farben des himliſchen
Bogens

Die ſchwebenden Wolken der ſtaͤubenden
Flut!

Was eilſt du hinab

Zum gruͤnlichen See?

Jſt dir nicht wohl beim naͤheren Himmel?

Nicht wohl im hallenden Felſen?

Nicht wohl im hangenden Eichengebuͤſch?

[126]
O eile nicht ſo

Zum gruͤnlichen See!

Juͤngling, du biſt noch ſtark, wie ein Gott!

Frei, wie ein Gott!

Zwar laͤchelt dir unten die ruhende Stille,

Die wallende Bebung des ſchweigenden Sees,

Bald ſilbern vom ſchwimmenden Monde,

Bald golden und roth im weſtlichen Stral.

O Juͤngling, was iſt die ſeidene Ruhe,

Was iſt das Laͤcheln des freundlichen Mondes,

Der Abendſonne Purpur und Gold,

Dem, der in Banden der Knechtſchaft ſich fuͤhlt?

Noch ſtroͤmeſt du wild,

Wie dein Herz gebeut!

Dort unten herſchen oft aͤndernde Winde,

Oft Stille des Todes im dienſtbaren See!

[127]
O eile nicht ſo

Zum gruͤnlichen See!

Juͤngling, noch biſt du ſtark, wie ein
Gott!

Frei, wie ein Gott!


[128]

An Lavater.



Jm Roſenſchleier laͤchelt die Sonne noch

Von Schneegebirgen freundlich ins Quellenthal,

Und kuͤhler Abendwinde Fittig

Kraͤuſelt die Flaͤche des ſtillen Sees;

Nur deinen Pilgern laͤchelt die Sonne nicht,

Nur uns erfreut kein wehender Abendhauch.

Wir ſehn uns ſchweigend an, und ſenken

Wieder zur Erde die naſſen Blicke.

Noch lange wird die Stunde des Abſchieds mich

Umſchweben, welche, Beſter, von dir mich riß!

Wie ungleich ihren aͤltern Schweſtern!

Aber auch ſie mir auf ewig theuer!

[129]
Nun ſinkt die Sonne. Saͤume nicht, trauter
Mond!

O! kaͤm’ er ſanft und heiter, wie Pfennin-
ger,

So wollt’ ich hier, mit meinem Bruder

Nur, und mit Haugwitz, im Stillen weinen.


Stolb. J
[130]

Der Mond.
An meinen Bruder.



Der Mond, der uns ſo freundlich ſcheint,

War unſrer lieben Mutter Freund;

Er ſieht uns an mit ſanftem Blick,

Und denkt wol auch an ſie zuruͤck.

Er koͤmt zu uns von Alpen her,

Scheint unſern Schweſtern uͤbers Meer

Und ſieht von ſeiner hohen Bahn

Mit Einem Blick uns alle an.

So ſieht uns unſrer Mutter Blick;

Sie fleht zu Gott fuͤr unſer Gluͤck,

Und ſtralt in ſtiller Naͤchte Ruh

Uns ihren theuren Segen zu!


[131]

Lied an einen Freimaurer
bei ſeiner Aufnahme.



Mit Beben, wie die Freude bebet,

Und dankbar ſegnend dein Geſchick,

Von kuͤhner Ahndung neu belebet,

Voll Bruderliebe Herz und Blick;

So, Bruder, trit in unſre Mitte,

So ſchwoͤr den ſchauervollen Eid,

Und jeder iſt, nach Maurerſitte,

Dein Herzensfreund zu ſein bereit;

Und willig, Habe, Blut und Leben,

Nim dieſen Bruderkuß zum Pfand!

Fuͤr dich, und jeden hinzugeben,

Der ſich, wie du, mit uns verband.

[132]
Auch dir ſei Habe, Blut und Leben

Zu theur fuͤr deine Bruͤder nicht,

Mit Freud’ und Demut es zu geben,

Das, Bruder, iſt des Maurers Pflicht!

Ach! rauh und ſteil ſind unſre Pfade,

Und harte Kaͤmpfe kaͤmpfen wir;

Fliehſt du den Kampf fliehſt du die Pfade,

Dann wehe! wehe! wehe! dir.

Getroſt! du fliehſt ſie nicht. Beginne

Mit Mut und Vorſicht deine Bahn,

Und dringe zu des Gipfels Zinne,

Zu der nur Hochgeweihte nahn.

Die Staͤrke ſtuͤtze deine Rechte,

Wenn machtlos ſie im Streite ficht;

Des Jrrſals und des Zweifels Naͤchte

Erhelle dir der Weisheit Licht.

[133]
Schon ſank die Huͤlle! Sieh, es winket

Dir fern Aurorens junger Schein,

Doch grauer Nebel wallt und ſinket

Und huͤllt in Daͤmmerung dich ein!

So wallte Nebel einſt, und deckte

Des Tempels Heiligthum; es bebt

Der Soͤhne Levi Schaar; Sie ſchreckte

Gott, deſſen Schauer ſie umſchwebt.

Da ſchwiegen Pſalter, ſchwiegen Lieder;

Da flehte Salomon; da goß

Ein Strom des Lichtes ſich hernieder,

Der in des Weiſen Seele floß.

So quill’ auch dir des Lichtes Quelle,

Ergieß’ im vollen Strome ſich,

Verſcheuche Nebel, und erhelle

Und kraͤftig’ und belebe dich!

[134]
Wohl dir, in unſrer Bruͤder Kreiſe!

Wohl uns! wir feiern dieſen Tag!

Jhm folge, nach der Vaͤter Weiſe,

Ein froh bekraͤnzter Abend nach.

Bei unſerm Freudenmahl’ erneue

Der volle Becher unſer Band;

Die Freud’ erſchein’ uns! Wahrheit, Treue,

Und Sittſamkeit an ihrer Hand!

Dann ſchallen feſtlich unſre Lieder,

Wir trinken ferner Bruͤder Gluͤck,

Und blicken auf bedraͤngte Bruͤder,

Und lindern freudig ihr Geſchick.


[135]

Das Wiederſehen.
An meine Schweſter, H. F. Graͤfin von Bernſtorf.



Du biſt mir immer nah, und du fehleſt mir

Doch immer, Beſte, ſchwebeſt im Seelenflug

Um meine Seele, wenn ich wache,

Oder erſcheinſt mir im ſuͤſſen Traume.

Dein ſanftes Auge blicket dem Meere zu,

Das deine Bruͤder deinen Umarmungen

Entriß, ach! deine treue Thraͤne

Fiel in die meine beim Abſchiedskuſſe.

Jn bitrer Trennung labt der Gedanke mich,

Daß du mich liebeſt! ruͤhrt der Gedanke dich,

Daß ich dich liebe, wie nur ſelten

Schweſtern und Bruͤder einander liebten!

[136]
Dich freut der Flug des eilenden Jahres, dich

Des falben Ahorns fleckige Blaͤtter, dich

Der Liederleere Buſch mit ſeltnem

Raſſelnden Laube, vom Sturm durchſauſet.

So freute nie der nahende Fruͤhling dich

Von jungen Bluͤthen duftend und Thaugeruch,

Nicht ſo das helle Laub der Aeſte,

Schwankend von wiegenden Nachtigallen.

O Wiederſehen! Lieblich, wie Sonnenſchein

Nach Regen, ſchoͤn und freundlich, wie Abendroth,

Erwuͤnſcht, wie Morgenſonnen, Vorſchmack

Ewiger Freuden nach lezter Trennung!


[137]

Rundgeſang.



Froͤhlich toͤnt der Becher Klang

Jm vertrauten Kreiſe;

Lieblich ſchallt ein Rundgeſang

Nach der Vaͤter Weiſe!

Freunde, freut euch alle!

Freunde, trinket alle!

Singt mit lautem Schalle:

Traute Bruͤder, ſchenket ein!

Stoſſet an und trinkt den Wein!

Winde ſchwanke Reben mir

Um das Haar; ich winde

Epheu um den Becher dir,

Laͤchelnde Belinde!
[138] Laß den Becher rauſchen,

Wenn die Maͤgdlein lauſchen,

Ob wir Kuͤſſe tauſchen.

Traute Bruͤder, ſchenket ein!

Stoſſet an und trinkt den Wein!

Du dort, ſchenke maͤſſig ein!

Denn Erfahrung lehret,

Scherz und Freude ſcheucht der Wein,

Wenn er uns bethoͤret.

Ach, ſie fliehn erſchrocken

Aus zerſtoͤrten Locken

Von geworfnen Brocken!

Traute Bruͤder, ſchenket ein!

Stoſſet an und trinkt den Wein!

Wer mit Gegenliebe liebt

Freue ſich von Herzen;

Wen ſein Maͤdchen noch betruͤbt,

Hoffe Troſt nach Schmerzen;

Freund, beim Roſenbecher
[139] Leert vielleicht dein Raͤcher,

Amor, ſeinen Koͤcher!

Traute Bruͤder, ſchenket ein!

Stoſſet an und trinkt den Wein!

Neue Freuden gehn mir auf,

Glatter wird die Stirne,

Leicht wird meines Blutes Lauf,

Leichter mein Gehirne!

Seht, die Glaͤſer blinken!

Selbſt die Maͤdchen winken

Noch einmal zu trinken.

Traute Bruͤder, ſchenket ein!

Stoſſet an und trinkt den Wein!


[140]

Homer.
An Vater Bodmer.


Τῃ νυν, και σοι τουτο, γερον, κειμηλιον εςω· ()

Hom. II. XXIII.



Heil dir, Homer!

Freudiger, entflamter, weinender Dank

Bebt auf der Lippe,

Schimmert im Auge,

Traͤufelt, wie Thau,

Hinab in deines Geſanges heiligen Strom!

Jhn goß von Jda’s geweihtem Gipfel

Mutter Natur!

Freute ſich der ſtroͤmenden Flut,

Die voll Gottheit,

Wie der Sonnenbeſaͤte Guͤrtel der Nacht,

Toͤnend mit himliſchen Harmonien,

Waͤlzet ihre Wogen hinab in das hallende
Thal!
[141] Es freute ſich die Natur,

Rief ihre Goldgelockten Toͤchter;

Wahrheit und Schoͤnheit beugten ſich uͤber den
Strom,

Und erkanten in jeder Welle ſtaunend ihr Bild!

Es liebte dich fruͤh

Die heilige Natur!

Da deine Mutter im Thale dich gebar,

Wo Simonis in den Skamandros ſich er-
geußt,

Und ermattet dich ließ fallen in der Blumen
Thau,

Blickteſt du ſchon mit Dichtergefuͤhl

Der ſinkenden Sonne,

Die vom Thraziſchen Schneegebuͤrg,

Ueber purpurne Wallungen des Hellaͤſpon-
tos,

Dich begruͤßte, in ihr flammendes Geſicht!

Und es ſtrebten ſie zu greifen

Deine zarten Haͤnde,

Von ihrem Glanze roͤthlich, in die Luft empor!

[142]
Da laͤchelte die Natur,

Weihte dich, und ſaͤugte dich an ihrer Bruſt!

Bildete, wie ſie bildete die Himmel,

Wie ſie bildete die Roſe,

Und den Thau, der vom Himmel in die Roſe
traͤuft,

Bildete ſorgſam den Knaben und den Juͤng-
ling ſo!

Gab dir der Erfindung

Flammenden Blick!

Gab, was nur ihren Schoͤßlingen ſie giebt,

Thraͤnen jegliches Gefuͤhls!

Die ſtuͤrzende, welche gluͤhende Wangen nezt,

Und die ſanftere, die von zitternder Wimper

Rint aufs erbleichte Geſicht!

Gab deiner Seele

Einfalt der Tauben und des Adlers Kraft!

Gleich deinem Liede,

Sanft nun, wie Quellen in des Mondes Schein,

Donnernd und ſtark nun, wie der Katarakte
Sturz!


[143]

Die Maͤdchen, an einen Juͤngling.



Jch ſehe mit Schmerzen,

Du kenneſt die Kerzen

Kupidens noch nicht!

Du hoffeſt, mit Herzen

Der Maͤdchen zu ſcherzen;

Es reizet die Roſe dich, ehe ſie ſticht!

Zu ſpielen mit Roſen,

Zu kuͤſſen und koſen

Jſt lieblich und fein;

Du traueſt den Loſen,

Sie lachen und ſtoſſen

Ganz freundlich den Dolch in das Herz
uns hinein!

[144]
O Juͤngling, dann muͤſſen

Mit Thraͤnen wir buͤſſen,

Mit innigem Schmerz!

Es fliehen die Suͤſſen

Zu andern, und kuͤſſen

Auch ihnen Verzweiflung ins wehrloſe
Herz.

Sie koͤnnen mit Blicken

Die Herzen beſtricken,

Und ſcheinen ſo gut!

Kaum kehrſt du den Ruͤcken,

So winken und nicken

Die Falſchen, und freun ſich der wachſen-
den Glut.

Wenn endlich dich eine

Von Tuͤcken noch reine

Mit Zaͤrtlichkeit liebt;

So wiſſe, der kleine

Kupido hat ſeine

Geheimeren Raͤnke, wodurch er betruͤbt.

[145]
Oft ſpinnet er Faͤdchen

Am goldenen Raͤdchen,

Wie Haare ſo fein.

Kaum glaubſt du dein Maͤdchen

Zu halten am Draͤtchen,

So reißt es und laͤßt dich Bethoͤrten
allein!

Viel hab ich gelitten,

Hab dreimal geſtritten

Fuͤr Thraͤnen zum Sold;

Bei doͤrflichen Sitten,

Jn mooſigen Huͤtten,

Da wohnet die Liebe noch lauter, wie
Gold!


Stolb. K
[146]

Lied in der Abweſenheit.



Ach, mir iſt das Herz ſo ſchwer!

Traurig irr’ ich hin und her,

Suche Ruh und finde keine,

Geh aus Fenſter hin, und weine!

Saͤſſeſt du auf meinem Schooß,

Wuͤrd’ ich aller Sorgen los,

Und aus deinen blauen Augen

Wuͤrd ich Lieb’ und Wonne ſaugen!

Koͤnt’ ich doch, du ſuͤſſes Kind,

Fliegen hin zu dir geſchwind!

Koͤnt ich ewig dich umfangen,

Und an deinen Lippen hangen!


[147]

An die Grazien.



Leicht, wie Hauche des Abendwinds,

Schwebe leicht, mein Geſang! ſanft, wie des

Liebenden

Kuß von Lippe zu Lippe ſchwebt!

Wehe Duͤfte des Lobs, ſuͤſſer denn Weihrauchs

Duft,

Zum Altare der Grazien,

Junger Blumen Geruch, welche die Muſe mir

Jm geheimeren Thale las!

Laͤchelt immer mir zu, ſtimmet mein Saiten-

ſpiel,

Allbelebende Goͤttinnen!

Lehret meinen Geſang ſenken vom Himmel ſich,

Jn die Quelle der Schoͤnheit ſich

Tauchen, glaͤnzender dann ſteigen dem Himmel

zu!

[148]
Ach, die Blume des Liedes welkt

Jn dem Kranze des Ruhms, wenn ſie ein Sterb-

licher

Mit unheiligen Haͤnden pfluͤckt!

Pfluͤcket ihr ſie fuͤr mich, daß nicht der ſilberne

Sonnenſtralende Morgenthau

Jhr enttraͤufle, ſie nicht hangend gekraͤuſelte

Blaͤtter ſenke der Erde zu!

Euch ſoll kuͤnftig ein Hain bluͤhender Stauden,

euch

Meine Quelle geweihet ſein,

Euch mein mooſiges Dach, und die Bewohner

der

Stillen Huͤtte geweihet ſein!

Suchet ihr mir, und bald, unter den freundlichen

Toͤchtern Deutſchlands ein Maͤdchen aus,

Blau die Augen, ihr Haar golden, und ſchlank

ihr Wuchs,

Sanft die Seele, den Augen gleich,

Daß ſie Prieſterin ſei eurem Altare, fruͤh,

Wenn ihr roͤthend die Sonne winkt,

Jhr im leichten Gewand flattert die Morgenluft,

Und im wallenden Schleierflor!

[149]
Daß ſie Prieſterin ſei eurem Altare, ſpaͤt,

Wenn ihr winket der Abendſtern,

Und der Nachtigall Lied um den Altar ertoͤnt!

Wenn ein Kind ihr am Buſen haͤngt,

Wird ſie weihen das Kind euren Altaͤren; einſt

Wird die Tochter, die Enkelin

Euch noch ſingen mein Lied; dann werd’ ich

freudiger

Greis mit zitternden Thraͤnen noch

Mich am waͤrmenden Stral ſonnen, mit zit-

ternder

Hand noch ruͤhren mein Saitenſpiel,

Bis mit Laͤcheln mein Haupt ſanft in die Gru-

be ſinkt!


[150]

Die Schoͤnheit.



Wie freudig die Lerche

Schwebet entgegen

Dem roͤthenden Morgen,

So ſchwebet in melodiſchem Fluge des Geſangs,

Lieblichſte Tochter der Natur,

Schoͤnheit, meine duͤrſtende Seele dir nach!

Deine heimiſche Laube

Bluͤhet unter den Sternen nicht;

Aber auf Stralen des Himmels

Schwebeſt oft zu Sterblichen du hinab!

Laͤchelteſt mir oft,

Von purpurnen Wangen des Morgens,
[151] Oft vom Schimmer des Mondes,

Und vom Spiegel des Sees, den der Hain
umkraͤnzt,

Sanfte Ruh in die Seele,

Ahndungen und Himmelsgefuͤhl!

Ach, auf Wangen des Maͤdchens

Sah ich dich himliſcher noch!

Jn ſanftrollender Unſchuld

Jhrer ſchmelzenden Augen

Sah ich dich himliſcher noch!

Hoͤrte dich in den bebenden Melodien

Jhrer ſchwebenden Stimme!

Hoͤrte dich! ſah dich! fuͤhlte dich!

Und in Flammen der Liebs ......

Wehe mir! wehe!

Was bebt meine Seele

Ploͤzlich in die Ebbe des Geſangs zuruͤck!

Selinde!

Selinde!

Verſiegt bei deinem Bilde mein Geſang? ...

[152]
Stolberg ſei ein Mann!

Stroͤme wieder, Geſang!

Stroͤm’, ich beſchwoͤre dich bei deiner Kraft!

Denn die heimiſche Laube

Der ſeligen Goͤttin

Bluͤhet unter den Sternen nicht!

Himliſche Urſchoͤnheit!

Oder wie nennen die Unſterblichen dich,

Welche beſſer noch dich kennen, als Homer,

Plato, Klopſtock und Oſſian?

Biſt du der olympiſchen Tugend

Schweſter? oder ſie ſelbſt?

Selige Bewohner des Lichts,

Welche ſich ſonnen in deinem Stral,

Und mit ſchwellendem Segel

Schiffen auf der Wahrheit unendlichem Oceanus!

Weiſe der Erde

Stehn am ſandigen Ufer,

Freun ſich, wie Kinder,

Wenn die kleine Kentniß

Zappelt an der Angel ſchwankendem Rohr!

[153]
Laͤcheln, wie Kinder,

Ueber den weiſſen Schaum

Und die bunte Blaſe,

Ehe ſie am Geſtade zerplazt!

Lieber wall’ ich am Ufer,

Ruhig und Gedankenvoll!

So hoͤrt doch mein Ohr

Der ernſten Wogen rauſchenden Fall!

Es ſpaͤhet mein Blick

Die Argo, die einſt

Zum reineren Golde mich fuͤhrt!

Schweig indeſſen, Geſang!

Bis du einſt der Goͤttin,

Wie die Donau der Sonne,

Von ihrem Glanze golden und roth,

Freudig und donnernd entgegen ſtroͤmſt.


[154]

Lied eines Freigeiſtes.



Wenn auf der Verzweiflung Wogen ich bin,

Treibt rund mich umher mein wilder Sinn,

Er treibet mich kreuz, er treibet mich quer

Durch Klippen und Sandbaͤnke hin und her;

Und trieben nur vorwaͤrts die Stuͤrme mich weiter,

So wuͤrde mein Nachen mit Ehre zur Scheiter!

Zum Sturme ruf’ ich: Sei mein Genoß!

Zum Strudel: Nim du mich in deinen Schooß!

Doch Sturm und Strudel hoͤren mich nicht,

Kein Wetterſtral ſendet mir leuchtendes Licht,

Rund um mich ſchwimt alles in Mitternacht,

Die mich unthaͤtig und raſend macht!

[155]
Es draͤngen ſich Welten in meiner Bruſt,

Entſlamtes Verlangen, verderbende Luſt

Zu kneten die Elemente zuſammen,

Meer und Erde zu peitſchen mit Flammen.

O waͤr’ ich entfernt von Erd und See,

Hoch uͤber Arkturs und Orions Hoͤh!

Und ſaͤhe den Strom der Vernichtungen flieſſen,

Gleich Baͤchen die Himmel hinein ſich ergieſſen,

Und ſaͤh’ und hoͤrte all uͤberall

Geſchleuderte Truͤmmer und donnernden Fall

Und in den Himmelverſchlingenden Wellen

Scheitern die Erden, die Sonnen zerſchellen,

Und blieb’ hohnlachend noch uͤbrig allein

Und ſtuͤrzte mich dann in die Wogen hinein,

Es deckte mich Mitternacht, Truͤmmer und Graus

Und feierlich ſpielt’ ich mein Poſſenſpiel aus!


[156]

Anakreons eilfte Ode.
λεγουσιν ἁι γυναῖκες.



Es ſagen mir die Weiber

Anakreon, du greiſeſt;

Kom, nim den Spiegel, ſiehe,

Dein Haar iſt dir entfallen,

Und kahl iſt deine Stirne!

Mein Haar, ob ich’s behalte,

Mein Haar, ob’s mir entfalle,

Das weis ich nicht! das weis ich,

Daß einem Greiſen mehr noch

Gezieme froh zu ſcherzen

Je naͤher ihm die Parze.


[157]

Anakreons drei und dreiſſigſte Ode.
Συ μὲν φίλη χελιδων.
An die Schwalbe.



Du liebe kleine Schwalbe,

Du kehreſt jaͤhrlich wieder,

Und bauſt dein Neſt im Sommer.

Wenn dann der Winter nahet,

So fliehſt du zu dem Nile;

Doch Amor bauet immer

Sein Neſt in meinem Herzen.

Ein Amor iſt ſchon fluͤcke,

Das Ei verbirgt noch jenen,

Und dieſem birſt die Schale.

Ohn’ Ende ſchallt die Stimme

Der Neſtlinge, die pipen.

[158]
Die groͤſſern Amorn aͤtzen

Die kleinen Amoretten,

Und die Geaͤzten hecken

Geſchwinde wieder Junge.

Was ſoll ich wol erſinnen?

So viele Liebesgoͤtter

Vermag ich nicht zu hauſen!


[159]

Amors Pfeile.
Anakreons fuͤnf und vierzigſte Ode.
Ὁ ἀνὴρ ὁ τῆς Κυϑ [...]ρης.



Der Gatte Cythereens

Nahm Stal in Lemnos Eſſe,

Und ſchmiedet’ Amors Pfeile.

Die Spizen tauchte Cypris

Jn Honigſeim; doch Amor

That in den Honig Galle.

Juͤngſt kehrte Mars vom Treffen,

Schwang ſeine hohe Lanze,

Und ſpottel’ Amors Pfeile.

Sieh, der iſt ſchwer! ſprach Amor;

Du kanſt ihn ſelbſt verſuchen!

[160]
Mars nimt das kleine Pfeilchen

Und loſe laͤchelt Cypris:

Doch keuchend rief der Kriegsgott:

Schwer iſt er! Nim ihn wieder!

Doch Amor ſprach: Behalt ihn!


[161]

Hellebek,
eine ſeelaͤndiſche Gegend.
An
Ernſt Grafen von Schimmelmann
und
Emilie Graͤfin von Schimmelmann,
geborne Graͤfin von Ranzau.



Die mich oft auf wehenden Fluͤgeln des ro-
ſigen Morgens,

Oft in thauenden Duͤſten der Abendkuͤhle be-
ſuchte,

Die mir begegnet’ auf hangenden Pfaden der
heiligen Alpen,

Und auf gruͤnlichen Wellen des Sees im tanzen-
den Nachen

Mich ergriff, daß ich dem Sohne der Felſenkluft
zurief:
Stolb. L
[162] „Warum ſtuͤrzeſt du, Juͤngling, herab die don-
nernden Fluten

Jn den ſtilleren See? noch biſt du frei, wie
die Goͤtter!

Wie die Goͤtter, noch ſtark! dort unten harret
der Knechlſchaft

Ruhe dein! Enteile nicht, Juͤngling, dem naͤhe-
ren Himmel!„

O Begeiſtrung, wo warſt du, da ich, mit flehen-
der Stimme

Dich in mitternaͤchtlicher Stunde, vom Monde
beſchienen,

Einſam wallend am Ufer des Wogenrauſchenden
Meeres,

Jn der Fluten Geraͤuſch, im Schimmer der
Sterne dich ſuchte?

Sanft umſaͤuſelten mich und hehr die naͤchtlichen
Schauer;

Sinkendes Abendroth weilte noch uͤber Schwe-
dens Gebirge,

Und es tanzten die roͤthlichen Gipfel auf Wogen
des Nordmeers.
[163] Heller ſtralte der Sund, vom ſteigenden Monde
beſchienen;

Lieblich glitten auf beiden Meeren, mit ſchwel-
lendem Segel,

Schiffe, geruͤſtet mit ruhenden Blizen, und
huͤpfende Nachen,

Hier im Mondſchein, dort im ſterbenden Schim-
mer des Abends

Ueber mich wehten, auf hohem Geſtade, die
heiligen Buchen,

Deren kein nordiſcher Sturm, kein Sturm von
Oſten geſchonet.

Blizzerſchmetterten Wipfeln entſauſet feſtliches
Rauſchen,

Das mit Erinrung und Ahndung den ernſten
Waller erfuͤllet.

Ach, mir liſpelte freundlich die Stimme der jun-
gen Erinrung;

Denn hier ſah ich vor wenigen Stunden, mit
euch, ihr Geliebten,

Sinken die Sonn’ in Wogen des unermeßlichen
Meeres.

Siehe hier den Stein, an welchen Emilia hinſank,
[164] Stillerroͤthend vom Schimmer des Abends und
ſanften Gefuͤhlen.

Und wir ſanken zu ihren Fuͤſſen. Von Se-
ligkeit trunken

Jrrte dein Blick, o Freund! von ihren Augen
zur Sonne,

Von der Sonne zu ihren Augen! Dir ſtralte
ſie minder

Schoͤn in Wogen des Meers, als in Emiliens
Thraͤnen!

Ach! beim Anblick der Liebenden wandte mein
Bruder ſich, wiſchte

Eine Thraͤn’, und blickte nun wieder hinab auf
die Wellen.

Siehe, nun war die Sonne geſunken!
Nun ſauſten die Wipfel

Lauter, und lauter rauſchten ans Uſer die pur-
purnen Wogen.

Nun umſchwebten uns Bilder der Vorzeit; die
Leier von Selma

Toͤnet’ um uns, um uns die liebliche Stimme von
Kona.

[]
Figure 2. z. S. 164. II.

[figure]
[][165]
Da erhuben wir uns auf Lochlins hohem
Geſtade *)

Sahen jenſeit des Meers, am Fuſſe des Felſen-
gebirges,

Starno’s unwirtbaren Wohnplaz; dort lande-
te Fingal; dort ſah er

Agandecka; dort liebten ſich Fingal und Agan-
decka.

Ach! gleich einem Sterne, der finſtre Wolken
durchſchimmert,

Sah er das Fraͤulein zuerſt; in ihrem wallen-
den Buſen

Stieg das Bild des Helden empor wie die ſtei-
gende Sonne.

Starno laurte mit Raͤnken auf ihn; da bebte
des Fraͤuleins

Heimliche Thraͤne, da ſchlich ſie zu ihm in ſchwei-
gender Stunde:
„Sohn des hallenden Selma, dich will mein
Vater ermorden!

Fleuch! Dein harren im Walde verſteckt die
Soͤhne des Todes;
[166] Fleuch, und rette mich, Held, aus der Hand des
zuͤrnenden Vaters!„

Unbekuͤmmert gieng er zur Jagd, die Soͤhne
des Todes

Fielen durch ihn, und Gormal erſcholl von der
fallenden Ruͤſtung.

Starno blickte finſter umher: „Auf! rufet das
Maͤgdlein,

Daß ihr reiche die blutige Hand der Koͤnig
von Morven!„

Bleich erſchien, mit fliegendem Haar, das liebli-
che Maͤgdlein;

Seufzend hub ſich ihr Buſen, wie Schaum des
ſtroͤmenden Lubar;

Stille Thraͤnen entſtuͤrzten den niederblickenden
Augen.

Starno wandte ſein Haupt, und durchſtach ſie —
Agandecka

Fiel, wie rollender Schnee der Ronans Felſen
entgleitet;

Schweigend lauſchen die Haine der Stimme
des hallenden Thales.
[167] Fingal blickt’ auf die Helden umher. Da
flohen und ſanken

Lochlins Krieger. Er brachte das Fraͤulein mit
ſinkenden Locken

Auf ſein Schiff, und ſuchte die gruͤnende Kuͤſte
von Morven,

Dort erhebt ſich ihr Grab auf einem einſamen
Huͤgel;

Agandecka’s Wohnung umrauſchen die Wogen
des Weltmeers.

Oft umtoͤnte den Huͤgel die liebliche Stimme
von Kona,

Oſſians Leyer, mit ihr die Stimme der ſanften
Malvina!

So umwallten uns manche Geſichte der
grauenden Vorzeit.

Sie entſchwebten dem Wogengeraͤuſch des heili-
gen Meeres,

Dem Geſaͤuſel der Buchen, dem rothen und
thauenden Himmel.

[168]
Lange wallten wir noch am hohen Ufer,
und ſahen

Unter uns drei ruhige Huͤtten, ans ſteile Geſtade

Angelehnt, und freundlich genezt von der ſchmei-
chelnden Welle.

Laͤmmer weideten zwiſchen den Huͤtten im wan-
kenden Graſe,

Und am kuͤhlenden Born mit ſprudelndem Sil-
bergeſtaͤnbe,

Weiden und bluͤhende Flieder umſchatten die mit-
telſte Huͤtte.

Laͤchelnd weilte beim lieblichen Anblick Emiliens
Auge.
„Fromm ſind deine Bewohner, du mooſige Huͤt-
te!„ ſie ſprach es,

Und es ſuchet’ ihr Blick den Pfad zur mooſigen
Huͤtte.

Suͤſſe Schauer ergriffen dich, Freundin! o laß
dir erzaͤhlen,

Welche Schauer es waren, und wer die Schauer
dir ſandte!

Fromme Seelen, das wuſteſt du nicht! um-
ſchwebten dich leiſe,
[169] Wehten dir Empfindungen zu und liſpelten
freundlich.

Dieſe Baͤume waren noch nicht; auf
eben der Staͤtte

Waren Huͤtten gebaut, und waren Huͤtten ge-
ſunken,

Und in aͤhnlicher Wohnung, von aͤhnlichen Baͤu-
men umſchattet,

Lebte Sveno hier mit ſeinem Weibe Gotilde,

Seinen mutigen Soͤhnen und zart aufbluͤhenden
Toͤchtern.

Aecker hatten ſie nicht, ſie lebten von Fruͤchten
des Gartens,

Von der einzigen Kuh, dem Netze, der ſchwan-
kenden Angel.

Oftmal ſaſſen ſie hier, gekuͤhlt von thauenden
Luͤften,

Wenn die Abendſonne das flutende Weltmeer
erhellte,

Bis ſich uͤber den Sund die oͤſtlichen Schimmer
des Mondes
[170] Zitternd erhuben, und heimzukehren die Gluͤckli-
chen lockten.

Kummer kannten ſie nicht, nur Sorgen der
zaͤrtlichſten Liebe;

Einfalt deckte den frohen Tiſch, ihn wuͤrzte die
Freiheit,

Und es ſorgte kein Tag fuͤr ſeine juͤngere Bruͤder.

Vater! es bauet der Menſch ſein Haus; es
niſtet die Schwalbe

Jm Geſimſe; du naͤhreſt die Schwalbe; du
naͤhreſt den Menſchen!

Fruͤhe fuhr taͤglich Sveno ins Meer mit taͤu-
ſchendem Netze,

Oft die Soͤhne mit ihm, oft Weib und Toͤchter
und Soͤhne.

Alſo fuhren ſie einſt zuſammen, und freuten ſich
herzlich

Ueber den Mond und den Morgenſtern und
den kommenden Morgen.
„Sveno, wie gleitet der Nachen ſo ſanft!„ —
„So fuͤhrt uns, Gotilde,

Gott durchs Leben, hinuͤber ins Land der ewigen
Ruhe!„ —
[171] Freudig ſagt’ es der Mann, und thraͤnend erwie-
dert Gotilde:
„Wer von uns wird zuerſt, o Sveno, den an-
dern verlaſſen?

Wer von uns zulezt die Kinder als Waiſen ver-
laſſen?„ —
„Wie Gott will! — Nun ſo rudert, ihr Kna-
ben! Es ſchwellen die Fluten.„

Vater und Knaben ruderten raſch; es laͤchelte
weinend,

Auf die Augen verbergende Hand geſtuͤtzet, Gotilde.

Gott ſah ihre Thraͤnen und rief dem Winde,
Schon rauſchte

Hoͤher die Flut; ſchon brauſte der Sturm;
ſchon tobte die Windsbraut,

Daß das Segel zerriß, eh’ ſie’s zu ſenken ver-
mogten.

Vater und Knaben ruderten raſch; nun weinte
die Mutter

Laut empor; es weinten, wie ſie, die zagenden
Toͤchter,

Bis die Welle ſich thuͤrmender hub, den Nachen an
Felſen
[172] Warf, und Vater und Mutter und Kinder auf
einmal hinabſchlang.

Engel ſchwebten uͤber der Flut: ſo ſchwebet der
Bogen

Gottes uͤber der ſtaͤubenden Flut des ſtuͤrzenden
Stromes!

Ach! nun ſchweben mit ihnen die Seelen in
ſtralendem Fluge

Alle zugleich hinuͤber ins Land der ewigen Ruhe.

Jhre Leichen trennte das Meer nicht, und wiegte
ſie ſorgſam

Ans Geſtad, und weinend begrub ſie, unter den
Buchen,

Auf dem Huͤgel, der Nachbar, wo uns, im Hau-
che des Abends,

Heitre Gedanken des Tods und der Auferſtehung
umſchwebten.

Sonne, du ſteigſt, und ſinkeſt, um wieder
zu ſteigen! Einſt wirſt du

Sinken in ewige Nacht! Dann fragen ſich
wundernd die Sterne:
[173] „Warum ſaͤumt die leuchtende Schweſter im pur-
purnen Lager?

Weilt ſie im kuͤhlenden Bade des Meers?„ —
Jm Bade des Meeres

Weilt ſie nicht, und nicht in ihrem purpurnen Lager;

Sterne, ſie ſtarb! Einſt ſterbt ihr, wie ſie, ihr
Soͤhne des Lichtes!

Ach! die goldene Saat von Sonnen und Ster-
nen und Monden

Rauſchet entgegen der Sichel des Todes, und
neue Gefilde

Keimen empor, dereinſt mit neuen Saaten gekroͤnet,

Bis auch dieſe das rollende Jahr des Himmels
gereifet! —

Laß ſie rollen die Jahre des Himmels! mit
Saaten der Schoͤpfung

Und mit Erndten der Schoͤpfung ein jedes berei-
chert; wir werden

Saͤen ſehn und erndten, geſchmuͤckt mit ewiger
Jugend!

Solche Gedanken fuͤhrten uns heim; wir
freuten uns innig
[174] Unſers unſterblichen Lebens und unſrer ewigen
Freundſchaft!

Freunde! die Goͤttin verlaͤßt mich, ſonſt
ſaͤng’ ich die lieblichen Haine,

Sie mit Baͤchen gewaͤſſert, geſchmuͤckt mit Huͤ-
geln und Thalen,

Und die zwanzig Seeen mit Eichen und Buchen
umkraͤnzet.

Saͤnge Waldemars Huͤgel, wo, unter rauſchen-
den Eſchen,

Mancher Schauer der Vorzeit den ſinnenden En-
kel erhaſchet.

Ach Begeiſtrung! melodiſch erſcholl der
Flug deiner Ankunft;

Nun enteileſt du mir im ſchwebenden Saiten-
geliſpel;

Kehre wieder, und bald, aus deiner toͤnenden
Halle!


[175]

An Juͤnglinge.



Jhr froͤhlichen Juͤnglinge, hoͤret

Den froͤhlichen Juͤngling! Er lehret

Euch gluͤcklich und weiſe zu ſein.

Heut iſt mir’s im Herzen ſo helle!

Jch ſchoͤpfe die Freud’ aus der Quelle

Jn altem Hungariſchen Wein!

Auf wackre Geſellen, und traͤnket

Mit Freude die Seelen! Es kraͤnket

Den hoͤlliſchen Drachen das Gluͤck.

Doch huͤtet euch, Bruͤder! Er lauſchet,

Und wo ſich ein Juͤngling berauſchet,

Da grinzt er mit ſchielendem Blick!

[176]
Oft fuͤhrt er bei naͤchtlichen Fackeln

Die Reigen der Thoren; ſie wackeln

Frohlockend, und traͤumen nicht Harm.

Er fuͤhrt ſie im Taumel des Tanzes;

Noch duften die Blumen des Kranzes,

Schon haͤlt ſie die Lais im Arm.

Jch warne dich, flatternde Jugend:

Oft grenzet die Freude der Tugend

An giftiger Laſter Genuß.

So ſchleichet, im freundlichen Schatten

Der Pappel, auf bluͤhenden Matten,

Die Natter, und ſticht dich in Fuß.

Drum merke dir, was ich dich lehre:

Auf daß dich der Feind nicht bethoͤre,

So ſuche dir heut noch ein Weib!

Statt laͤnger zu flattern, erwaͤhle

Ein Maͤdchen mit lieblicher Seele,

Und eben ſo lieblichem Leib!

[177]
Es halte ſich jeder zur Schande,

Zu fliehn die holdſeligen Bande,

Womit uns ein Weibchen umſchlingt!

Sie fuͤhrt uns am roſigen Baͤndchen,

Mit ſamtnen liebkoſenden Haͤndchen,

Bis ſie in den Himmel uns bringt!

O Wonne, ſein Weibchen zu wiegen

Jn Armen der Liebe, zu liegen

Beim Weibchen in ſuͤſſem Genuß!

Jch achte, mit neidenden Blicken

Und ſchmachtendem Geiſterentzuͤcken,

Umſchweben die Engel den Kuß.

Jch haͤtt’ euch noch vieles gelehret;

Das Maͤdchen hier hat mich geſtoͤret;

Sie weckte den Trunknen dort auf.

Wart, Braune! Gleich wirſt du ihm buͤſſen!

Er ſtraͤft dich mit duftenden Kuͤſſen.

Und haſcht dich im wankenden Lauf!


Stolb. M
[178]

Die Thraͤnen der Liebe.



Traͤufle, mein ſuͤſſes Maͤdchen, dieſe Thraͤne

Auf die ſilberne Leier deines Stolberg!

Siz auf meinen Knien, und laß die Thraͤne

Ueber die Wange

Deines Geliebten rinnen auf die Saiten,

Daß ſie beben, wie deine Buſenbaͤnder,

Und daß meine Thraͤne mit deiner Thraͤne

Toͤnend ſich miſche.

Thraͤne der Liebe, ach! der ſtummen Wonne

Thraͤne! koͤnt’ ich ſie faſſen und verwahren!

Und mit ihr den erſten der Kuͤſſe, da du

Schuͤchtern dich umſahſt,

[179]
Dann um den Hals mir fielſt, und ſanft erroͤthend

Deine Lippen auf meine Lippen druͤckteſt!

Unſre Seelen huben ſich auf der Liebe

Seufzer, und ſchwebten,

Wonneberauſchet, auf des Kuſſes Fluͤgeln,

Wie, auf Hauchen des Weſtes, ſuͤſſe Duͤfte

Um die Wangen roͤthlicher, Thaubenezter

Bluͤthen des Apfels!


[180]

Bey Homers Bild.



Du guter, alter, blinder Mann,

Wie iſt mein Herz dir zugethan!

Nim dieſes Herzens heiſſen Dank

Fuͤr deinen goͤttlichen Geſang!

O haͤtt’ ich deiner Lieder Macht,

Jch rief dir durch der Graͤber Nacht!

Du kaͤmſt in Morgenroth gehuͤllt,

So hehr und freundlich, wie dein Bild,

Und reichteſt mir die Stralenhand,

Jch aber kuͤßte dein Gewand,

Doch bald ermannte mich dein Gruß

Zu Handſchlag und zu Lippenkuß.

[181]
Auch ſpraͤch ich: was ich hab’, iſt dein!

Trink, alter Halbgott, dieſen Wein!

Er roͤthet ſich in Morgenland,

Am allerfernſten Mohrenſtrand!

Nun traͤnkſt du des Oluͤmpos Luſt

Mit langen Zuͤgen in die Bruſt,

Jch laͤſ’ auf deinem Angeſicht:

Den neuen Nektar kannt’ ich nicht!


[182]

Winterlied.



Wenn ich einmal der Stadt entrinn,

Wird’s mir ſo wohl in meinem Sinn;

Jch gruͤſſe Himmel, Meer und Feld

Jn meiner lieben Gottes Welt!

Jch ſehe froh und friſch hinein,

So gluͤcklich, wie ein Voͤgelein,

Das aus dem engen Kerker fleugt,

Und ſingend in die Luͤſte ſteigt.

Auch ſieht mich alles freundlich an

Jm Schmuck des Winters angethan,

Das Meer, gepanzert, weiß und hart,

Der krauſe Wald, der blinkend ſtarrt.

[183]
Der lieben Saͤnger buntes Heer

Huͤpft auf den Aeſten hin und her,

Und ſonnet ſich im jungen Licht,

Das durch die braunen Zweige bricht.

Hier keimt die junge Saat empor,

Und gucket aus dem Schnee hervor;

Dort lockt des Thales weiches Moos

Das junge Reh auf ſeinen Schoos.

Natur, du wirſt mir nimmer alt

Jn deiner wechſelnden Geſtalt!

Natur, ſo hehr! ſo wunderbar!

Und doch ſo traut! und doch ſo wahr!

Auf, Atalante, renne friſch!

Jch wittre ſchon den frohen Tiſch!

Der goldne Haber harret dein!

Und mein der goldne deutſche Wein!


[184]

An
F. L. Grafen zu Stolberg
von
Gottfried Auguſt Buͤrger.



Friz! Friz! bei den Unſterblichen, die hold

Auch meinem Leben ſind! — Sie zeugen mir! —

Sieh, Angeſichts der Ritter unſers Volks

Und ihrer loſen Knappen, ſchreiteſt du

Zu Truz, mit Wehr und Waffen in mein Feld,

Und wirfſt den Fehdehandſchuh vor mich hin!

Ha! ſchauerte nun auch die Menſchlichkeit,

Wie Hektorn vor dem Ajax und Achill,

Vor dir mich an; huͤb ich ihn doch empor!

Bei Gott! bei Gott! Du Troziger, ich muß! —

So gelt es denn! Sieg gelt’ es, oder Tod! —

Denn wiſſe! keinem Knaben ſprichſt du Hohn,

Der ſeine erſten Waffen ſchwankend pruͤft.

[185]
Straff ſind die Sehnen meiner Jugendkraft;

Jch bin gewandt zu ringen; meinem Arm

Jſt Phoͤbus guͤldnes Schwert ein Halmenſpiel;

Den Silberbogen des Ferntreffenden

Weis ich zu ſpannen; treffe ſcharf das Ziel;

Mein Koͤcher raſſelt goldner Pfeile voll —

Wer mag einher in meiner Ruͤſtung gehn? —

Es gelte, Friz! Sieg gelt’ es, oder Tod! —

Du! huldigt dir Geſang und Sprach’ allein?

Und waltet nicht des Maͤoniden Geiſt

Auch uͤber meinem Haupt? Jch rang mit ihm,

Wie Herkuls Kraft mit Anteus Zauber rang.

Bezwang ich ihn nicht oben in der Luft? —

Jch komm’! ich komme dir! denn ehren mag

Ein ſolcher Widerſacher das Gefecht.

Wie wird des Sieges Blume meinen Kranz

Verherlichen! — Und gaͤbe mich der Rath

Der Himmelsherſcher dir auch unterthan,

So koͤnt’ ich doch von keiner edlern Hand,

Als deiner, ſterben, edler, ſtarker Held!

Auf! ruͤſte dich! Sieg gilt es, oder Tod!


[186]

Antwort
an
Gottfried Auguſt Buͤrger.



Η μεν εμαρναϑην εριδος περι ϑυμοςοροιο,
Ηδ αυτ εν φιλοτητι διετμαγεν αρϑμησαντε.


Dieſe Helden kaͤmpften aus heiſſer Begierde des Ruhmes,
Und dann ſchieden ſie wieder mit Freundſchaft aus einander.


Homer. Jlias 7.



Fried’ und Freude dem Saͤnger zuvor, und
traulichen Handſchlag!

Sieh, ich habe dein Zuͤrnen vernommen am fer-
nen Geſtade,

Hoͤrte den Fluͤgelſchlag deines Geſangs; melodi-
ſche Stuͤrme

Deiner Leier erhuben ihn hoch; ein Rieſenadler

Steht er vor mir, mit draͤuender Klaue, mit
ruͤſtigem Fittig;

Und ſchon zuͤrnt’ ich entgegen. Da ſaßte mich
Pallas Athaͤnaͤ
[187] Bei den goldnen Locken; ich wandte mich ſtraͤu-
bend; mein Auge

Staunte zuruͤck, vom Blize der goͤttlichen Augen
getroffen.

Sieh, ich bebte nicht dir; ich bebte der furcht-
baren Goͤttin.

Sie verſchwand; da war mir, als athmet’ ich
liebliche Duͤfte,

Laͤg’ am blumigen Hange des Helikon, unter der
Kuͤhlung

Wehender Schatten, an Aganippens Silberge-
ſaͤuſel.

Nun erwacht’ ich, und zuͤrnte nun wieder, und
grif zu der Leier.

Aber es hatte die juͤngſte der Muſen die Leier
umſtimmet,

Daß ſie nicht toͤnte wie ſonſt, wie Donner, wie
Stimmen der Meere,

Sondern wie Liſpel des wankenden Schilfes, wie
zaͤrtliche Klagen

Junger Nachtigalln auf bluͤhenden Zweigen der
Myrten.
[188] Und mir kehrte die Weisheit zuruͤck; ſie pfluͤckte
den Oelzweig

Den ich dir reiche; ſie redet durch mich; ver-
nim und ſei weiſe!

Siehe, zwar kraͤnzen uns Locken der Ju-
gend, doch rauſchet der Lorbeer

Ueber den Locken; es kuͤhlet die Palme den
Schweiß an der Stirne.

Fruͤh betraten wir beide den Pfad des ewigen
Ruhmes,

Fruͤh erreichten wir beide das Ziel. Auf trozen-
den Felſen

Stehn wir, und laͤcheln entgegen dem Strome
der kommenden Zeiten.

Hier beſuchen uns oft Kronions liebliche Toͤchter,

Lehren uns oft die eigne Leier beſeelen, und brin-
gen

Oſt herab vom Olymp die Harfe des Maͤoniden.

Laß uns beide das heilige Lied des goͤttlichen
Greiſen

Unſerm Volke ſingen; wir lieben den Goͤttlichen
Beide!
[189] Freund, gehabe dich wohl! ich kenne die rufen-
de Stimme,

Hoͤre wiehern die feurigen Roſſ’ am flammenden
Wagen;

Siehe, mir winket die Muſ’; ich folge der win-
kenden Goͤttin!


[190]

Badelied
zu ſingen im Sunde.



Es lockten mich nimmer

Die milderen Schimmer

Der Sonne ſo ſehr!

Die Abendluft hauchet;

Auf, Juͤnglinge, tauchet

Die Glieder ins Meer!

Hier, wo ſich zwei Meere

Begegnen wie Heere,

Stuͤrz’ ich mich hinab!

Mich Sterblichen gruͤſſen

Die Nympfen; ſie kuͤſſen

Die Hize mir ab!

[191]
Seht Titan, er ſinket

Jns Weltmeer, und winket

Noch flammend uns her!

Schamroͤthend erhebet

Sich Luna, und bebet

Auf oͤſtlichem Meer!

O ruͤhmliche Wonne,

Mit Mond und mit Sonne

Zu baden im Meer!

Die wallenden Gluten

Der purpurnen Fluten

So rund um uns her!


[192]

Die Buͤſſende.
Ballade.



Hoͤrt, ihr lieben deutſchen Frauen,

Die ihr in der Bluͤthe ſeid,

Eine Maͤhr’ aus alter Zeit,

Die ich ſelbſt nicht ohne Grauen

Euren Ohren kan vertrauen;

Denn mit Schrecken ſollt ihr ſchauen,

Wie ein Ritter ſonder Glimpf

Raͤchte ſeines Bettes Schimpf.

Jn den alten Biederzeiten,

Da noch Keuſchheit Sitte war,

Und ein Weib nicht um ein Haar

Durft’ aus ihrem Wege gleiten,

Kam ein Rittersmann von weiten,

Der zum Kaiſer ſolte reiten,

Von Navarra’s Fuͤrſt geſandt

Jn das heil’ge deutſche Land.

[193]
Einſt da Strom und Nachtwind brauſte,

Und ſein Roß ermuͤdet war,

Ward er eine Burg gewahr,

Wo ein deutſcher Ritter hauſte,

Deſſen Hof der Sturm durchſauſte,

Und der Ulmen Haupt zerzauſte;

Freudig leitet’ er ſein Roß

An das hochgethuͤrmte Schloß.

Laut klopft er ans Thor; es klappen

Jhm die Zaͤhn’, er war erſtarrt;

Denn des Winters Froſt war hart.

Bald erſchienen edle Knappen,

Forſchten nach des Fremdlings Wappen,

Hielten ſeinen treuen Rappen,

Fuͤhrten dann bei Fackelſchein

Jhn in den Palaſt hinein.

Stolb. N
[194]
Herzlich, nach der Deutſchen Weiſe,

Ging auf ihn der Deutſche zu:
„Kom, geneuß bei mir der Ruh

Nach der ſchweren Winterreiſe,

Und erquicke dich mit Speiſe!

Sieh, es glaͤnzt von Reif und Eiſe

Dir das Haupthaar und der Bart;

Auch iſt deine Hand erſtarrt.„ —

Bei der krummen Hoͤrner Schalle

Fuͤhrt’ er den erfrornen Mann,

Einen Windelſteig hinan,

Jn die kerzenvolle Halle.

Seine Vaͤter ſtanden alle,

Aus gegoſſenem Metalle,

Schoͤn gewapnet, ohne Zahl

Jn dem ungeheuren Saal.

[195]
Hier heißt er das Mahl bereiten,

Und ſchon ſizen ſie am Tiſch.

Unſre Helden trinken friſch,

Aus Pokalen und aus breiten

Tumlern, nach dem Brauch der Zeiten;

Rheinwein und Tokayer gleiten

Jn die Kehlen glatt hinein,

Welſcher und Burgunder Wein.

Aber mitten in der Freude

Oefnet eine Thuͤre ſich;

Stum und langſam feierlich,

Komt ein Weib in ſchwarzem Kleide,

Ohne Gold, Geſchmuck und Seide,

Abgehaͤrmt von bitterm Leide,

Mit geſchornem Haupte, ſchoͤn

Wie der blaſſe Mond zu ſehn.

[196]
Grauen uͤberfiel und Beben

Den Navarrer; er ward blaß;

Jhm entſank ein Doppelglaß,

Und er zweifelte, ob Leben

Waͤr’ im Weibe, ob ſie ſchweben,

Senken, oder ſich erheben

Wuͤrde, ein Geſpenſt der Nacht,

Das in grauſen Stunden wacht.

Aber naͤher kam ſie ihnen,

Sezte nun ſich an den Tiſch,

Aß zween Biſſen Brod und Fiſch,

Und ſie ſchellte; da erſchienen,

Mit des Mitleids truͤben Mienen,

Knappen, ihrer Frau zu dienen;

Einem winkt ſie; er verſteht

Jhren Jammerblick, und geht.

[197]
Und ſchon haͤlt er in der Linken

Einen Schaͤdel, ſpuͤlt ihn rein,

Gieſſet Waſſer dann hinein,

Haͤlt’s ihr ſchweigend dar zu trinken;

Ach! ſie laͤßt die Augen ſinken,

Sieht den naſſen Schaͤdel blinken,

Starret vor ſich, trinkt ihn aus,

Sezt ihn hin, und wankt hinaus.

„Jch beſchwoͤre dich, zu ſagen,„

Hub der fremde Ritter an:
„Was hat dir dies Weib gethan?

Wie kanſt du mit dieſen Plagen

So ſie martern? wie ertragen

Jhrer Thraͤnen ſtumme Klagen?

Sie iſt ſchoͤn, wie Engel ſind,

Und geduldig, wie ein Kind.„ —

[198]
„Fremdling, ſie iſt ſchoͤn! Jch baute

Auf die Schoͤnheit all mein Gluͤck;

Labte mich an ihrem Blick,

Wann ſie bei der ſanften Laute

From und liebend auf mich ſchaute!

Ach! mein ganzes Herz vertraute

Sonder Zweifeln ich ihr an,

War ein hochbegluͤckter Mann!

Jhre ſchoͤnen Augen logen!

Wer ergruͤndet Weibesſinn?

Jhre Liebe war dahin,

Einem Buben zugeflogen,

Den ich in der Burg erzogen!

Lange hat ſie mich betrogen;

Meines Herzens Lieb und Treu

Blieb ſich immer gleich und neu!

[199]
Als ich einſt von frohen Siegen

Unvermutet kam zuruͤck,

Ach! da ſah mein erſter Blick,

Der ſie fand nach langen Kriegen,

Sie in meinem Bette liegen

Mit dem Ehebrecher! Schmiegen

Thaͤt er wie ein Lindwurm ſich,

Doch ihn traf der Todesſtich!

Aber ſie fiel mir zu Fuͤſſen,

Flehend: „Herr, erbarme dich

Meiner, und erwuͤrge mich!

Laß mich mein Verbrechen buͤſſen!

Sieh, das Eiſen moͤgt’ ich kuͤſſen,

Das da ſoll mein Blut vergieſſen,

Und mich bald in jener Welt

Meinem Trauten zugeſellt!„ —

[200]
Jn dem Augenblick gedachte

Jch in meinem Zorne doch

Jhrer armen Seelen noch,

Und das Bild der Hoͤlle brachte

Schrecken in mein Herz; doch wachte

Meine Rache noch, und fachte

Meines Zornes Glut; ich ſprach:
„Buͤſſen ſollſt du meine Schmach!

Aber nicht mit deinem Leben! —

Denn was haͤtt’ ich deß Gewinn,

So du fuͤhrſt zum Teufel hin?

Nein, mit Thraͤnen, Flehn und Beben,

Magſt du nach dem Heile ſtreben,

Ob dir wolle Gott vergeben;

Aber Jammer, Angſt und Noth

Geb ich dir bis an den Tod!„

[201]
Da thaͤt ich ihr Haupt beſcheeren,

Nahm ihr Gold und Edelſtein,

Huͤllte ſie in Trauer ein,

Ungeruͤhrt von ihren Zaͤhren.

Welche Schmerzen ſie verzehren,

Magſt du von ihr ſelber hoͤren.

Faſſe dich, und folge mir

Hier durch dieſe Seitenthuͤr!„ —

Und er fuͤhrt’ ihn eine lange,

Steile, dunkle Trepp’ hinab.
„Ach! du fuͤhrſt mich in ein Grab!„ —

Rief der Ritter, und ward bange.
„Graut dir ſchon vor dieſem Gange?

Aber horch dem leiſen Klange

Einer Laute! Bei dem Klang

Singt ſie ihren Bußgeſang.„ —

[202]
„Halt! nun ſind wir an der Schwelle!„ —

Rief der Deutſche, ſtieß ans Schloß;

Raſſelnd ſprang die Feder los,

Und ſie ſahn ſie in der Zelle.

Von den Augen ſtuͤrzt die helle,

Gottgeweihte Thraͤnenquelle,

Flieſſet, aus zerknirſchtem Sinn,

Auf das ofne Pſalmbuch hin.

„Ach! wie iſt ihr Schickſal bitter!„

Ruft der Gaſt, und geht hinein.

Stracks fuͤhrt’ ihn an einen Schrein

Der geſtrenge Deutſche Ritter.

Wie getroffen vom Gewitter

Sieht er, hinter einem Gitter,

O, wer haͤtte das geglaubt?

Ein Gerippe ſonder Haupt.

[]
Figure 3. z. S. 202. III.

[figure]
[][203]
Als der Fremdling ſich ermannte,

Sprach der Deutſche: „Sieh den Mann,

Der dies Weib hier liebgewann,

Erſt fuͤr ſie im ſtillen brannte,

Dann ſein Feuer ihr bekannte;

Den ſie ihren Trauten nannte,

Der mit ſeiner Frevelthat

Mir mein Bett beſchimpfet hat!

Das iſt nun ihr groͤßtes Leiden,

Daß ſie ihren Ehemann,

Der ſolch Leid ihr angethan,

Muß beſtaͤndig um ſich leiden!

Jenes Anblick gab ihr Freuden

Sonſt, nun moͤgt’ ſie gern ihn meiden,

Doch ſie ſieht ihn, und beim Mahl

Jſt ſein Schaͤdel ihr Pokal.„ —

[204]
Ehe ſie das Weib verlaſſen,

Wuͤnſcht der Fremdling ihr Geduld,

Und Erlaſſung ihrer Schuld.

Sie antwortete gelaſſen

Mit geſenktem Blick, und blaſſen

Lippen: „Ritter, nicht zu faſſen

Jſt mit Worten mein Vergehn!

Deiner Magd iſt recht geſchehn!„ —

Freundlich wuͤnſchte ſie den Rittern

Gute Nacht! Sie gehen fort

Aus dem jammervollen Ort.

Bilder ihrer Angſt erſchuͤttern

Den Navarrer; ſie verbittern

Jhm den dunkeln Weg; es zittern

Seine Kniee; banger Schweiß

Ueberlaͤuft ihn, kalt wie Eis.

[205]
Endlich koͤmt er in ſein Zimmer.

Bang’ und kummervoll durchwacht

Er die lange Winternacht.

Ach! er ſah ihr Bildniß immer,

Wie ſie bei der Lampe Schimmer

Spielte, ſang und weinte. Nimmer

Ward wol je ein Weib geſehn,

Das ſo elend war und ſchoͤn.

Bei der goldnen Morgenroͤthe

Thaͤt er ſeine Ruͤſtung an,

Gieng hinein zum deutſchen Mann,

Nahm ihn bei der Hand und flehte,

Daß er, eh der Gram ſie toͤdte,

Aus dem Jammer ſie errette;

Sprach es, ſchwang ſich auf ſein Roß,

Und verließ das alte Schloß.

[206]
Jahre waͤhrten ihre Leiden;

Jhre helle Thraͤne ſank

Taͤglich in den bittern Trank,

Abgeſtorben allen Freuden,

Thaͤt ſie jedes Labſal meiden,

Thaͤt an ihrem Gram ſich weiden,

Sang den frommen Bußgeſang

Taͤglich bei der Laute Klang.

Endlich ruͤhrt’ ihr leiſes Stoͤhnen,

Und ihr demutvoller Schmerz

Des geſtrengen Mannes Herz.

Wer vermag ſich zu den Toͤnen

Leiſer Klage zu gewoͤhnen?

Ruͤhrender bewegen Thraͤnen

Einer ſtummen Dulderin

Jeden felſenharten Sinn.

[207]
Sieh, er ließ ſein raſches Draͤuen,

Jhr die ganze Lebenszeit

Anzufuͤgen ſolches Leid,

Sich aus Herzensgrunde reuen;

Nahm ſie in ſein Bett von neuen,

Thaͤt ſich weidlich mit ihr freuen;

Zeugte Soͤhne, ſtark von Art,

Toͤchter, wie die Mutter zart.

Unſre Frauen zu belehren

Hab ich ſolches kund gemacht,

Und in ſaubre Reimlein bracht;

Auch die Herrchen zu bekehren,

Die der Weiblein Herz bethoͤren,

Und ſich taͤglich bei uns mehren.

Tauſend Schaͤdel, die wir ſehn,

Solten auf dem Schenktiſch ſtehn.


[208]

An das Meer.



Du heiliges und weites Meer,

Wie iſt dein Anblick mir ſo hehr!

Sei mir im fruͤhen Stral gegruͤßt,

Der zitternd deine Lippen kuͤßt!

Wohl mir, daß ich, mit dir vertraut,

Viel tauſendmal dich angeſchaut!

Es kehrte jedesmal mein Blick

Mit innigem Gefuͤhl zuruͤck.

Jch lauſche dir mit trunknem Ohr,

Es ſteigt mein Geiſt mit dir empor,

Und ſenket ſich mit dir hinab

Jn der Natur geheimes Grab.

[209]
Wann ſich zu dir die Sonne neigt,

Erroͤthend in dein Lager ſteigt,

Dann toͤnet deiner Wogen Klang

Der muͤden Erde Wiegenſang.

Es lauſchet dir der Abendſtern,

Und winket freundlich dir von fern;

Dir laͤchelt Luna, wann ihr Licht

Sich millionenfaͤltig bricht.

Oft eil’ ich, aus der Haine Ruh,

Mit Wonne deinen Wogen zu,

Und ſenke mich hinab in dich,

Und kuͤhle, labe, ſtaͤrke mich.

Der Geiſt des Herrn den Dichter zeugt,

Die Erde muͤtterlich ihn ſaͤugt,

Auf deiner Wogen blauem Schooß

Wiegt ſeine Phantaſei ſich groß.

Stolb. O
[210]
Der blinde Saͤnger ſtand am Meer;

Die Wogen rauſchten um ihn her,

Und Rieſenthaten goldner Zeit

Umrauſchten ihn im Feierkleid.

Es kam zu ihm auf Schwanenſchwung

Melodiſch die Begeiſterung,

Und Jlias und Oduͤſſee

Entſtiegen mit Geſang der See.

Haͤtt’ er geſehn, waͤr um ihn her

Verſchwunden Himmel, Erd’ und Meer;

Sie ſangen vor des Blinden Blick

Den Himmel, Erd’ und Meer zuruͤck.


[211]

Theokrits achte Jdylle.


  • Daphnis,
  • Menalkas
  • und der Ziegenhirt.


Einſt im Gebirge begegneten ſich, ſo ſagen die
Hirten,

Daphnis weidend die Heerde der Kuͤhe, der
Schafe Menalkas,

Beide mit goldenen Locken, und beid’ in der Bluͤte
der Jugend;

Beide des Hirtengeſanges erfahren, beide der
Floͤte.

Als er Daphnis erblickte, begann zufoͤrderſt Me-
nalkas:

[212]
Menalkas.

Daphnis, Hirt der bruͤllenden Kuͤhe, wollen
wir ſingen?

Dich beſieg’ ich, das mein’ ich, im Singen, nach
eignem Behagen.

Daphnis erwiederte ſchnell, der ſchoͤne Daphnis,
und ſagte:

Daphnis.

Schaͤfer der wolligen Heerd’, o Floͤtenſpieler
Menalkas,

Nimmer beſiegeſt du mich, und wenn du erſtick-
teſt im Singen.

Menalkas.

Willſt du, daß wir uns pruͤfen und ſezen die Preiſe
der Wette?

Daphnis.

Gut! wir wollen uns pruͤfen und ſezen die Prei-
ſe der Wette.

[213]
Menalkas.

Aber was ſezen wir, ſprich, das wuͤrdig unſerer
waͤre?

Daphnis.

Jch eine Starke, du ſezeſt ein Lamm, ſo groß
wie die Mutter.

Menalkas.

Nein! ich ſeze, wahrlich, kein Lamm! der Vater
iſt ſtrenge,

Strenge die Mutter, ſie zaͤhlen, und jeglichen
Abend, die Heerde.

Daphnis.

Aber, was ſezen wir denn? was ſei die Beute
des Siegers?

Menalkas.

Jch eine ſchoͤne, ſie macht’ ich mir ſelbſt, neun-
ſtimmige Floͤte;
[214] Weiſſes Wachs verkleibet die Oefnung unten und
oben;

Dieſe ſez’ ich zum Preis, und nicht die Habe des
Vaters.

Daphnis.

Auch ich hab’ eine Floͤte, Menalkas, mit neun
Stimmen;

Weiſſes Wachs verkleibet die Oefnung unten und
oben;

Juͤngſt vereint’ ich die Fugen der Glieder; noch
ſchmerzet der Finger,

Dieſer Finger, welchen das Rohr, ſich ſpaltend,
verlezte.

Aber wer ſoll entſcheiden, und wer die Singen-
den hoͤren?

Menalkas.

Jenen Hirten der Ziegen, o Daphnis, laß ihn
uns rufen,

Deſſen weißlicher Hund dort bellt bei den huͤpfen-
den Kizlein.
[215] Und es riefen die Knaben, es kam ſie zu hoͤren
der Hirte;

Und es ſangen die Knaben, entſcheiden wolte der
Hirte.

Erſt begann, ſo fiel ihm das Loos, der Saͤnger
Menalkas,

Dann erwiederte Daphnis im Wechſelgeſange der
Hirten,

Singend ein laͤndliches Lied. Nun ſcholl die
Stimme Menalkas:

Menalkas.

Thaͤler und Stroͤme, Goͤttergeſchlecht! wenn je-
mal Menalkas,

Floͤtenkundig, ein Lied ſang, ein liebliches
Lied;

O ſo weidet nach ihrem Geluͤſten die Laͤmmlein,
und treibet

Daphnis die Kaͤlber herzu, find’ er die Fuͤlle,
wie ich!

Daphnis.

Quellen und Kraͤuter, ſuͤſſe Gewaͤchſe! wenn
aͤhnlich dem Liede,
[216] Welches die Nachtigal ſingt, toͤnet Daphnis
Geſang;

Meine Farren, o maͤſtet ſie mir! und fuͤhret
Menalkas

Seine Laͤmmer euch zu, lach’ ihm die uͤp-
pige Flur!

Menalkas.

Alles iſt Lenz, und alles iſt Trift! Es ſchwellen
die Euter,

Alle ſchwellen von Milch, welche die Saͤug-
linge naͤhrt.

Da, wo die ſchoͤne Phillis erſcheint, und wo ſie
verſchwindet,

Ach! da ſchmachten alsbald Schaͤfer und
Pflanze zugleich.

Daphnis.

Zwillinge ſaͤugen die Schaf’ und die Ziegen, es
fuͤllen die Bienen

Honig in Koͤrben, es traͤuft Honig die Ei-
chen herab,
[217] Da, wo wandelt die ſchoͤne Likoris; wenn ſie
entweichet,

Ach, dann ſchwinden hinweg, Hirt und Rin-
der hinweg!

Gatte der weiſſen Ziegen, o Geisbock! hin zu des
Waldes

Dichtem Schatten! und ihr Kizlein, erei-
let den Quell!

Dort iſt meine Likoris! ach eilt und ſagt ihr:
Die Goͤttin

Habe den Hirten geliebt! Venus Adonis
geliebt!

Menalkas.

Pelops Reiche begehr’ ich nicht, und nicht Ata-
lanta’s

Goldnen Apfel, und nicht Winde verhoͤhen-
den Lauf;

Aber ſingend, am Fuſſe des Felſen, in deiner
Umarmung,

Unſre Schafe, vereint, weiden am Meere
zu ſehn!

[218]
Stuͤrme ſind furchtbar den Baͤumen, und Duͤr-
ren furchtbar den Saaten,

Schlingen dem Vogel, und dir Neze, du
freies Gewild,

Zarter Maͤdchen Liebe dem Juͤngling, o Jupiter,
Vater!

Sage, lieb ich allein? liebſt du die Maͤdchen
nicht auch?

Alſo erſcholl die Stimme der Knaben in Wechſel-
geſaͤngen,

Und es begann das lezte der Lieder von neuem
Menalkas:

Menalkas.

Schone der ſaͤugenden Ziegen, o Wolf, und ſchone
der Kizlein;

Ach und meiner! des kleinen Begleiters der maͤch-
tigen Heerde;

Fix! dich haͤlt ein toͤdtlicher Schlaf, erwache!
gefeſſelt,
[219] Ziemt es dem Hunde des Hirten auf ſeiner Wache
zu ſchnarchen?

Saͤttiget, ſonder Scham, mit zartem Gras euch,
ihr Schafe!

Saͤttiget, ſaͤttiget euch, wolan! und fuͤllet die
Euter

Fuͤr das ſaugende Lamm und fuͤr den ſchaͤumen-
den Eimer.

Alſo ſang er: Daphnis begann mit lieblicher
Stimme:

Geſtern trieb ich die Rinder bei ihrer Grotte
voruͤber;
„Schoͤner Daphnis!„ rief, „o Schoͤner!„ das
ſpottende Maͤdchen;

Doch, ich ſchwieg, und erwiederte nichts der
beiſſenden Rede,

Sondern verfolgte den Pfad mit niedergeſchlage-
nen Augen.

[220]
Lieblich iſt die Stimme der Ferſe, lieblich ihr
Odem;

Lieblich bruͤllet das Kalb, und lieblich die Mutter
des Kalbes;

Lieblich iſt es im Sommer zu ruhen am flieſſen-
den Waſſer;

Eiche, du prangſt mit der Eichel! der Apfelbaum
mit dem Apfel,

Mit dem Kalbe die Kuh, mit ſeinen Kuͤhen der
der Hirte.

Alſo ſangen die Knaben; es ſprach der Hirte
der Ziegen:

Suͤß ſind deine Lippen, o Daphnis, lieblich die
Stimme;

Lieblicher iſt es dich ſingen zu hoͤren, als Honig
zu ſaugen.

Nim die Floͤten, du Sieger im Liede; du haſt
ſie gewonnen!
[221] Ach, und wenn du, weidend mit mir, mich leh-
ren es wolteſt;

Dieſe Ziege bekaͤmeſt du dann mit verſtuͤmmelten
Hoͤrnern,

Welche beſtaͤndig bis uͤber den Rand den Eimer
fuͤllet.

Das erfreute den ſiegenden Knaben; er
klatſcht’ in die Haͤnde;

Wie zu der Mutter huͤpfet das Reh, ſo huͤpfte
der Knabe.

Jenem aber verzehrte der quaͤlende Harm die
Seele.

Ach, er traurte! ſo trauert die Braut, die Neu-
vermaͤhlte.

Nun war Daphnis unter den Hirten der erſte
geworden,

Und es vermaͤhlte ſich fruͤh mit der Nymphe Nais
der Juͤngling.


[222]

Theokrits neunte Jdylle.
Daphnis. Menalkas. Der Hirt.



Der Hirt.

Singe, nach Hirtengebrauch; o Daphnis!
Es toͤne zufoͤrderſt,

Dein Geſang ertoͤne zufoͤrderſt; ihm folge Me-
nalkas!

Gebet den Kuͤhen die Kaͤlber, und gebet die Fer-
ſen den Stieren,

Daß ſie weiden zuſammen, und irren im Laube
der Buͤſche,

Graſend um uns herum! Kom, deine laͤndli-
che Weiſe

Singe du hier, und es halle von dort die Stim-
me Menalkas.

[223]
Daphnis.

Lieblich ſchallet die Stimme der Kuh, und lieb-
lich des Kalbes

Lieblich der Floͤte, lieblich des Hirten, und mei-
ne lieblich!

Nah iſt am klaren Bache mein Lager; da lie-
gen verbreitet

Weiſſer Kuͤhe glaͤnzende Haͤute, welche mir alle

Ach die Weidenden! ſtuͤrzte vom Felſengipfel der
Sturmwind.

Und ich achte nicht mehr den ſengenden Sommer,
als achtet

Ein Verliebter die Rede des Vaters, die Rede
der Mutter.

So ſang Daphnis, und alſo erwiederte ſingend
Menalkas:

Menalkas.

Aetna, meine Mutter! ich wohn’ in deinen
Gewoͤlben;

Schoͤn iſt meine Behauſung, und alles, welches
in Traͤumen
[224] Uns erſcheinet, iſt mein! ſo Schaf’ als Ziegen
die Fuͤlle,

Deren Felle mir liegen zu Haͤupten, und liegen
zu Fuͤſſen!

Flammen der Eiche fieden mein Mahl; es flam-
men im Froſte

Duͤrre Buchen am Heerd; ich achte ſo wenig
den Winter,

Als ein Zahnloſer achtet die Nuͤſſe, wenn Brey
iſt vorhanden.

Der Hirt.

Dieſe belohnt’ ich alsbald mit lautem Beifall,
und Gaben,

Einen Stab, mir erzeugt im Erbe der Vaͤter,
an Daphnis,

Sonder Wandel gewachſen, und ungetadelt vom
Kuͤnſtler;

Eine Muſchel an jenen, ein koͤſtliches Schnecken-
gehaͤuſe,

Deren Fleiſch ich gekoſtet, ſie findend im Kieſel
des Meeres;
[225] Fuͤnfen ſpendet ich’s aus. Er blies in die toͤ-
nende Muſchel.

Laͤndliche Muſen, ſeid mir gegruͤſſet! fluͤſtert, o
Muſen,

Mir das Lied, das ich juͤngſt den Hirten ſang;
auf der Weide,

Dichtet’ und ſang es ich ſelber den Hirten! oder
es ſproſſe

Mir an der Zungen Spize, die Luͤge zu ſtrafen,
ein Blaͤschen!

Hold iſt die Grille der Grill’, und hold die Bie-
ne der Biene,

Hold der Sperber dem Sperber; und mir der
Geſang und die Muſe.

Daß ſie mir immer die Huͤtte beſuchten! denn es
iſt ſuͤſſer

Nicht der erwachende Lenz, und der Schlummer,
ſuͤſſer der Biene

Nicht die Bluͤthen, als theuer die Muſen mir!
Denen ſie Freuden

Laͤchelnd blicken, die trozen dem Zauberbecher der
Circe.


Stolb. P
[226]

Die Meere.



Du ſchmeichelſt mein Ohr,

Jch kenne dein Rauſchen,

Deiner Wogen Sirenengeſang!

Oſtſee, du nahmſt mich

Oft mit ſchmeichelnden Armen

Jn den kuͤhlenden Schooß!

Du biſt ſchoͤn!

Nymphe, ſchoͤn!

Vertraute des waldigen Ufers,

Oft entſchluͤpfet der Weſt den Wipfeln des Hains,

Und ſchwebet uͤber dir hin mit gleitendem Flug!

[227]
Du biſt ſchoͤn!

Nymphe, ſchoͤn!

Aber die Goͤttin

Schoͤner als du!

Lauter, als du,

Donnert die Nordſee;

Steigend erhebt ſich und weiß und Geſtaderſchuͤt-
ternd ihr Fuß!

Staͤrker und freier, als du,

Tanzet ſie eignen Tanz,

Lauſchet nicht dienſtbar der Stimme

Herſchender Winde;

Steiget und ſinkt,

Wann, mit Wolken umſchleiert,

Jn geheimer Halle ſchlummert des Sturmes
Haupt!

Jch ſah die Kiele

Blizgewaſneter Schiffe
[228] Eilen uͤber ihr hin,

Wann die Flagge fank,

Und der zuͤngelnde Wimpel ſank

Und das Saͤuſeln in Hellebeks Buchen ſchwieg.

Wie nennet dich mein Geſang!

Nordmeer, Weltmeer, Goͤttin, Unend-
liche,

Erdumguͤrtende, Wiege der Allerleuchtenden

Sonne, des Himmelwandelnden

Mondes und zahlloſer

Sterne, die in melodiſchem

Tanze ſich ſpiegeln, wann ſteiget die Well’ und
hinab ſich ſenkt.

Auf deinen Waſſern

Schwebete Gottes Geiſt,

Als noch die Erde

Lag in trauernder Stille,

Mutterfreuden kante noch nicht!

Ueber dir wehet,
[229] Hehr und geheimnißvoll,

Flutend und ebbend,

Sichtbar noch des Allmaͤchtigen Hauch!

Auf hoher Entzuͤckung

Steigendem Fluͤgel

Flog dir entgegen mein Geiſt!

Goͤttin, ich flehte:

Nim mich, o Goͤttin,

Nim mich in deinen maͤchtigen Schooß!

Aber du eilteſt

Stolz mir und donnernd vorbei!

Da ſpaut’ ich die Fluͤgel

Des Wogendurchwallers,

Und ſchwebte zum ferneren Ufer hin,

Du donnerteſt lauter

Am Felſengeſtade;

Jch eilte hinan

Das Felſengeſtade,

Und eilte hinab;

Da ſaßt’ ich dich, Goͤttin,

Mit nervigem Arm

[230]
Jn der Felſenhalle!

Ueber mir hiengen

Draͤuende Gipfel;

Strudelnde Fluten

Draͤngten durch Kluͤfte der Felſen ſich durch!

Und wohl mir ward

Jn der Goͤttin Schooß,

An der Unſterblichen

Wallendem Buſen!

Heil dir, Heil,

Goͤttin, und Dank

Fuͤr den ſeligen Genuß

Jn der Felſenhalle!


[231]

Die ſpaͤten Herbſtblumen.



Liebliche Bluͤmchen, die am kalten Buſen

Noch das ſterbende Jahr mit Liebe hegte,

Die Novembers rauſchender, ſtarrer Fittig

Schonend vorbeiflog;

Seid mir geſegnet, Bluͤmchen! Jch verſtehe

Euren winkenden Wunſch; ich will euch pfluͤ-
cken!

An der Unſchuld klopfenden Herzen, Bluͤm-
chen,

Solt ihr verbluͤhen!

Duftet indeſſen ſuͤß, und liſpelt freundlich

Dieſen klopfenden Herzen ſanfter Unſchuld,

Daß der Freundſchaft zaͤrtliche Hand euch heute

Sorgſam gepfluͤckt hat!


[232]

An den Verfaſſer von Stillings
Jugend.



Dem Buͤchlein dein bin ich gar hold;

Jſt’s doch ſo rein, wie lauter Gold,

Voll Unſchuld, liebevoll und wahr,

Und wie der Morgenthau ſo klar,

Der an dem jungen Bluͤmchen bebt,

Das junge Bluͤmchen neu belebt;

Jm Troͤpflein ſchimmert hell und mild

Der Morgenſonne Flammenbild.

So ſpiegelt auch dein Buͤchlein klein

Der hohen Weisheit Himmelſchein,

Und traͤnket freundlich unſer Herz

Mit ernſter Freud’ und ſuͤſſem Schmerz.

[233]
Jch lebte gern im ſtillen Thal

Mit deinen Menſchen allzumal;

Jch ſaͤnge Wald und Strom und Au,

Und naͤhm ein Dortchen mir zur Frau,

Dein frommer weiſer Nikolas

Sah nicht durch ein getruͤbtes Glas,

Wie mancher Pfaff, den Sonnenſchein

Erhellt mit der Laterne ſein.

Der Einfalt und der Liebe Sinn

Sei unſer Kleinod und Gewinn!

Sie reichen uns den Wanderſtab,

Und fuͤhren laͤchelnd uns ins Grab.


[234]

Orpheus und Eurydice.
Virg. Georg. IV. 464 — 572.



Orpheus troͤſtete mit der gewoͤlbten Leier ſein
Sehnen,

Dich, du ſuͤſſes Weib! dich ſang er am einſamen
Ufer,

Dich mit dem kommenden, dich mit dem nieder;
ſinkenden Tage!

Durch die Taͤnariſchen Schluͤnde, durch die Pfor-
ten des Pluton,

Ipſe cava ſolans aegrum teſtudine amorem,

Te, dulcis conjux, te ſolo in littore ſecum,

Te, veniente die, te decedente canebat!

Taenarias etiam fauces, alta oſtia Ditis,

[235]
Durch den duͤſtern Hain, den ſchwarzes Grauen
umhuͤllet,

Ging er, hin zu den Manen, hin zum ſchrecklichen
Koͤnig,

Herzen nimmer vordem durch menſchliche Bitten
erweichet.

Sich, es erregte ſein Lied des Erebus nich-
tige Schatten,

Daß ſich von ihren Sizen die dunkeln Geſtalten
erhuben,

Zahllos, wie der Voͤgel Tauſende, welche der
Abend,

Et caligantem nigrâ formidine lucum

Ingreſſus, Manesque adiit, Regemque tremen-
dum,

Neſciaque humanis precibus manſueſcere corda.

At cantu commotae Erebi de ſedibus imis

Umbrae ibant tenues, ſimulacraque luce caren-
tum,

Quam multa in foliis avium ſe millia condunt.

[236]
Oder ein Ungewitter, von Bergen in Buͤſche
verſcheuchet.

Weiber und Maͤnner erſchienen, und abgeſchie-
dene Leichen

Edler Helden, noch unverlobter Jungfraun und
Knaben,

Und der Juͤnglinge, die dereinſt vor den Augen
der Eltern

Auf dem Scheiterhaufen die Flamme hatte ver-
zehret,

Welche nun alle ſchwarzer Schlamm und ſcheus-
liches Schilfrohr

Und der menſchenfeindliche traͤge Pful des Ko-
cythus

Veſper, ubi aut hibernus agit de montibus im-
ber;

Matres atque viri, defunctaque corpora vitâ

Magnanimûm heroum, pueri, innuptaeque
puellae,

Impoſitique rogis juvenes ante ora parentum;

Quos circum limus niger et deformis arundo

Cocyti, tardâque palus inamabilis undâ

[237]
Einſchleußt, und der Styx neunmal umherge-
goſſen.

Ja, es ſtaunte ſelber die Burg, es ſtaunten
des Todes

Tiefſte Schatten, die Schlangenumwundenen
Eumeniden,

Cerbers drei zum Bellen geoͤfnete Rachen ver-
ſtumten,

Und Jxions Rad blieb ſtehn bei ſeinem Geſange.

Siehe, ſchon ging zuruͤck, den Gefahren entron-
nen, ſchon nahte

Alligat, et novies ſtyx interfuſa coërcet.

Quin ipſae ſtupuere domus, atque intima
Lethi

Tartara, caeruleosque implexae crinibus angues

Eumenides, tenuitque inhians tria Cerberus ora,

Atque Ixionii cantu rota conſtitit orbis.

Iamque pedem referens caſus evaſerat
omnes,

[238]
Eurydice, wiedergeſchenkt den oberen Luͤften,

Orpheus folgend, ſo hatte Proſerpina ſelber ge-
boten,

Als unachtſame Thorheit ergriff den liebenden
Juͤngling,

Zwar ſo leicht zu verzeihn, wofern die Manen
verziehen!

Stehen blieb er, nun ſchon dem Lichte naͤher,
und wandte,

Ach! uneingedenk des Befehls und liebebe-
zwungen,

Sich nach ſeiner Geliebten um — des harten
Tirannen

Redditaque Eurydice ſuperas veniebat ad auras,

Pone ſequens, namque hanc dederat Proſerpina
legem,

Quum ſubita incautum dementia cepit aman-
tem,

Ignoſcenda quidem, ſcirent ſi ignoſcere manes.

Reſtitit, Eurydicenque ſuam, jam luce ſub ipſa;

Immemor, heu, victusque animi reſpexit — ibi
omnis

Effuſus labor, atque immitis rupta tyranni

[239]
Buͤndniß war gebrochen, und Orpheus Muͤhe
verſchuͤttet!

Dreimal ward ein Getoͤſe gehoͤrt im Averniſchen
Sumpfe.

Ach, rief ſie, durch wen, mein Orpheus! ſind
wir verloren?

Weſſen Wut ergreift mich! es ruft das grauſame
Schickſal

Mich zuruͤck, und Schlummer umhuͤllt die
ſchwimmenden Augen!

Lebe wohl! ſchon werd’ ich, in Nacht verhuͤllet,
ergriffen,

Meine ſchwachen Haͤnde, nicht mehr die Deine!
dir reichend.

Foedera, terque fragor ſtagnis auditus avernis.

Illa, quis et me, inquit, miſeram, et te per-
didit, Orpheu?

Quis tantus furor? en iterum crudelia retro

Fata vocant, conditque natantia lumina ſomnus!

Iamque vale! ſeror ingenti circumdata nocte,

Invalidasque tibi tendens, heu, non tua! palmas.

[240]
Sprach’s, und verſchwand, wie ein nichtiger
Rauch in die Luͤfte ſich miſchet,

Seinen Augen, und ſah ihn nicht mehr; vergebens
umarmt er

Leere Schatten; er wolte noch viel, und konte
nicht reden;

Wieder den Pful zu durchſchiffen verbot der Faͤhr-
mann des Orkus.

Ach, was ſolt’ er thun? zum zweiten mal war
ſie entriſſen!

Welche Thraͤnen konten die Manen und Goͤtter
erweichen?

Sieh, erkaltet ſchiffte ſie ſchon im ſtygiſchen Nachen!

Dixit; et ex oculis ſubito, ceu fumus in auras

Commiſtus tenues, fugit diverſa, neque illum

Prenſantem nequidquam umbras, et multa volen-
tem

Dicere, praeterea vidit, nec portitor Orci

Amplius ob jectam paſſus tranſire paludem.

Quid faceret? quo ſe, rapta bis conjuge, ferret?

Quo fletu manes, qua Numina voce moveret?

Illa quidem Stygia nabat jam frigida cymba.

[241]
Sieben nach einander gereihte Monden durch-
weint’ er

Unter einem Felſen, an Strymons oͤdem Ge-
waͤſſer;

Sein Geſang erſcholl in Schauerbringenden
Hallen,

Daß er zaͤhmte den Tiger, und ihm die Eiche
ſich neigte!

Wie im Pappelſchatten die klagende Philo-
mele

Jhre verlornen Kinder beweint, die ein grauſa-
mer Landmann

Sah’ und federlos entriß dem Neſte, die Mutter

Septem illum totos perhibent ex ordine menſes

Rupe ſub aëria deſerti ad Strymonis undam

Fleviſſe, et gelidis haec evolviſſe ſub antris

Mulcentem tigres, et agentem carmine quercus.

Qualis populca moerens Philomela ſub umbra,

Amiſſos queritur foetus, quos durus arator

Obſervans nido implumes detraxit, at illa

Stolb. Q
[242]
Jammert, die ganze Nacht ihr weinendes Lied
erneuend,

Und erfuͤllt die Gegend umher mit trauernder
Klage.

Venus beugte nicht mehr ſein Herz, und
nicht Hymenaͤus;

Einſam ging er umher an Tanais ſchneeigem
Ufer,

Auf Rhipaͤiſchen Feldern, die immer ſtarren vom
Reife,

Eurydice beweinend, beweinend des grauſamen
Pluton

Flet noctem, ramoque ſedens miſerabile carmen

Integrat, et moeſtis late loca queſtibus implet.

Nulla Venus, non ulli animum flexere Hy-
menaei,

Solus Hyperboreas glacies, Tanaïnque nivalem,

Arvaque Rhipaeis nunquam viduata pruïnis

Luſtrabat, raptam Euridicen atque irrita Ditis

[243]
Eitle Gunſt. Deß zuͤrnten verachtet Cikoniens
Weiber;

Bei den Feſten der Goͤtter, in naͤchtlicher Feier
des Bacchus,

Streuten ſie uͤbers Gefilde, zerriſſen, die Glieder
des Juͤnglings.

Da noch hat ſein Haupt, vom Marmornacken
geriſſen,

Als im mittelſten Strudel der flutende Hebrus
es waͤlzte,

Ausgerufen mit kalter Zunge: Eurydice!

Ach, mit fliehender Seele, Eurydice! gerufen,

Eurydice! ſchollen des ganzen Stromes Geſtade!

Dona querens: ſpretae Ciconum quó munere
matres,

Inter ſacra Deum, nocturnique orgia Bacchi,

Diſcerptum latos juvenem ſparſere per agros.

Tum quoque marmorea caput a cervice revolſum,

Gurgite cum medio portans Oeagrius Hebrus

Volveret, Eurydicen vox ipſa et frigida lingua

Ah miſeram Eurydicen anima fugiente volabat,

Eurydicen toto referebant flumine ripae.


[244]

Der wahre Traum.
Eine Ballade.



Wunderſam, durch Dunkelheiten,

Geht, allheilige Natur,

Deines Zaubertrittes Spur;

Ahndend folgen die Geweihten;

Aber ſieh, es irren, gleiten

Kluͤglinge, die ſelbſt ſich leiten,

Die des Duͤnkels Jrwiſchſchein

Zieht in Sumpf und Pful hinein.

Wohl mir, Goͤttin, daß zu deiner

Hochbegluͤckten Juͤnger Schaar,

Als die Mutter mich gebar,

Du mich laſeſt, von gemeiner

Bahn mich fuͤhrteſt, zu geheimer

Weisheit Pſad, wo heller, reiner

Jeder Wahrheit Urborn quillt,

Und des Forſchers Schmachten ſtillt.

[245]
Bald, als Feuerſaͤul’, erhebet

Sich dein Haupt gen Himmel; wir,

Voll Begeiſt’rung, folgen dir

Jn die Himmel, neu belebet:

Bald, als Wolkenſaͤul’, umſchwebet

Heilig Dunkel uns; dann bebet

Ahndungsſchauer, der uns mild

Lockt in Edens Duftgefild.

Oft, um muͤtterlich zu walten,

Lehr’ und Warnung zu verleihn,

Wenn Gefaͤhrlichkeiten draͤun,

Mut und Glaub’ in uns erkalten,

Bei der Rechten uns zu halten,

Huͤllſt du dich in Traumgeſtalten,

Liſpelſt, in des Schlummers Ruh,

Offenbarungen uns zu.

[246]
So noch geſtern. — Freunde, hoͤren

Sollt ihr ſtaunend, was geſchah,

Welches Traumgeſicht ich ſah;

Eu’r Vertrauen zu vermehren,

Soll euch dieſer Handſchlag ſchwoͤren,

Daß ich euch nicht will bethoͤren,

Wahrlich dieſer Traum nicht ſei

Ein Geſpinſt der Phantaſei.

Als ich ſanft und ſchlummernd ruhte,

Alles Kummers unbewußt,

Wol auf meines Weibes Bruſt,

Horcht, da kam mit hohem Mute,

Wie entſproßt aus edlem Blute,

Zu der Eich’, an der ich ruhte,

Schoͤn gewappnet, angethan

Nach der Ritter Brauch, ein Mann;

[247]
Reichte traulich mir die Rechte,

Traulich ſchlug ich drein, alsdann

Seine Red’ er ſo begann:
„Muͤſſig ruhſt du hier? Jch daͤchte,

Lieber, kaͤmſt mit mir; ich moͤchte

Wetten ſchier, wohin ich braͤchte

Dich, da ſolteſt du geſtehn,

Daß du nie ſo was geſehn.„

Sonder Saͤumen thaͤt ich wallen

Mit dem Ritter, der mich bald,

Wo am dunkelſten der Wald

Schattete, bald, nach Gefallen,

Leitete durch Felſenhallen,

Bald durch Truͤmmer wild verfallen,

Dann der ſchroffen Kluft entlang,

Dann bedroht vom Klippenhang.

[248]
Endlich langten wir zur Stelle,

Zu des Ritters Fehdeſchloß,

Das ein Zwinger rund umſchloß;

Bruͤcken, Warten, Zinnen, Waͤlle,

Pforten, Stein ſo Pfoſt’ als Schwelle,

Sicherten fuͤr Uberfaͤlle

Dieſe Burg; als wir davor,

Schloß von ſelbſt ſich auf das Thor.

Aus dem Thore ſchlich zur Linken,

Unterirdiſch, wuͤſt’ und bang,

Ein gewoͤlbter Niedergang;

Unterm Fuß, ſo thaͤt’s mir duͤnken,

Sah ich Leichenſteine blinken;

Aengſtlich folgt’ ich, ſahe ſinken

Eine Fallthuͤr; Leichenduft

Athmete die grauſe Gruft.

[]
Figure 4. z. S. 249. IV.

[figure]
[][249]
Saͤrge ſtanden hier die Fuͤlle.

Einer ſchoͤn von Marmelſtein

Hatt’ ein eigen Kaͤmmerlein.
„Hier in dieſes Grabes Stille,„

Sprach der Ritter, „iſt mein Wille,

Daß du ſeheſt, Freund, die Huͤlle

Des Gebeins, einſt weich und warm,

Ach! des Weibs in meinem Arm!„ —

Auf des Todtenmahles Mitte

War, von Silber, glatt und ſchoͤn,

Ein gediegner Kelch zu ſehn.
„Sage, Ritter, ſag’, ich bitte„ — —

Zuͤrnend blickt’ er, winkt’ und litte

Nicht zu enden, ſtieg drei Tritte,

Gab den Kelch mir, ſah mich an:
„Zittre nicht! Du biſt ein Mann!„

[250]
Kaum hatt’ er den Kelch gegeben,

Als es in dem Wunderding

Brauſend an zu gaͤhren ſing

Und mit Macht herauszuſtreben,

Gleich als ob der Traube Leben

Perlte drinnen; ſich erheben

Thaͤt alsbald der weiſſe Schaum

Hoͤher denn des Kelches Saum.

Aus dem Schaumgeſprudel ſtiegen

Holder Bluͤmlein drei heraus,

Wanden ſich in einen Strauß;

Schaum und Gaͤhrung ſanken, ſchwiegen.

Schwebend ſich im Kelche wiegen

Sah’ ich Roſ’ und Veilchen, ſchmiegen

Sich um beide, unſchuldweiß,

Das geliebte Kind des Mais.

[251]
Hold und lieblich duftend, bluͤhten

Meine Bluͤmlein; ploͤzlich gohr

Schaumgeziſch im Kelch empor;

Sauſend ſtieg’s, verſchlang mit Wuͤten

Meine Bluͤmlein; drauf verſpruͤhten

Giſcht und Blaſen, aͤngſtlich muͤhten,

Ach! nicht lieblich, wie zuvor,

Meine Bluͤmlein ſich hervor.

Aſchenfarb und welk, verblichen

Jede Schoͤne, ſuͤſſer Duft

Nun verkehrt in Grabesluft!

Todesſchweiß und Schauer ſchlichen,

Ob dem bangen, fuͤrchterlichen

Anblick, uͤber mich; entwichen

Waͤr ich ſchier. Der Rittersmann

Sah’s und hub zu reden an:

[252]
„Einſt hatt’ ich ein Weib! Beſingen

Thaͤt kein Dichter je ein Weib,

Schoͤn, wie ſie, an Seel und Leib;

Keinem Maler (hundert gingen

Stolz zum Werke!) thaͤt’s gelingen,

Sie auf Leinewand zu bringen;

Sie nur malte fein und glatt

Einſt ſich auf ein Roſenblat.

Einſt hatt’ ich ein Weib!„ (Es bebten,

Als er’s ſeufzte, perlenklar,

Thraͤnen an der Wimper Haar.)
„Lieb’ und Gegenliebe lebten

Jn uns; Ruh und Wonn’ umſchwebten

Uns, und Heiterkeit; die webten

Jn des Lebens Ungemach

Suͤſſe Freuden, Nacht und Tag.

[253]
Dennoch, ach! — der Weiber Herzen

Sind ein Raͤzel allzumal! —

Fand ſie Freude manchesmal,

Jhren trauten Mann zu ſchmerzen,

Kalt zu kuͤſſen, kalt zu herzen,

Und der Liebe ſein zu ſcherzen.

Meiner Liebe! warm und treu,

Jmmer alt und immer neu!„

Jmmer thaͤt das Wunder waͤhren

Jn dem Kelch; es ſaußte, ſtieg,

Bluͤhte, welkte, braußte, ſchwieg.
„Was dies Straͤuslein ſei, dies Gaͤhren,

Sollſt du,„ ſprach er, „ſtaunend hoͤren.

Dieſer Kelch faßt meine Zaͤhren,

Die der Liebe Freudendrang,

Und auch Gram, vom Ange zwang!„ —

[254]
Da erwacht’ ich bebend. Sehen

Thaͤt ich, ſtatt des Traumes Bild,

Nur mein Weiblein ſuͤß und mild.

Jhres Odems leiſes Wehen,

Jhres Buſens ſanftes Blaͤhen

Hieß mein Beben ſchnell vergehen.

Deine Warnung, Nachtgeſicht,

Dank der Liebe! ſchreckt mich nicht!


[255]

Hymne,
an die Sonne.



Sonne, dir jauchzet, bei deinem Erwachen,
der Erdkreis entgegen,

Dir das Wogengeraͤuſch des Erdumguͤrtenden
Meeres!

Fliehend rollet der Wagen der Nacht, in nichti-
ge Wolken

Eingehuͤllt, und ſchwindet hinab in die ſchauern-
de Tiefe.

Segnend ſtralſt du herauf, und braͤutlich kraͤnzet
die Erde

Dir die flammenden Schlaͤfen mit thauendem Pur-
purgewoͤlke.
[256] Alles freuet ſich dein! in ſchimmernde Feierge-
wande

Kleideſt du den Himmel, die Erd’ und die Flu-
ten des Meeres!

Siehe, du leiteſt am roſigen Gaͤngelban-
de den jungen

Freundlichen Tag; er huͤllt ſich in deine Saff-
rangewande,

Aber, wie wachſen ſo ſchnell die Kraͤfte des
himliſchen Juͤnglings!

Feuriger blickt er, er greift nach deinem ſtralen-
den Koͤcher,

Und ſchon ſchnellt er vom goldenen Bogen flam-
mende Pfeile!

Zuͤrne, Himliſcher, nicht! und ſoll dein Bogen
ertoͤnen,

O, ſo richte dein furchtbar Geſchoß auf des
Ozeans Fluten,

Auf der ſchneeigen Alpen herunter ſchmelzende
Gipfel,
[257] Und auf ſandige Wuͤſten, die Loͤwen und Tiger
durchirren!

Zuͤrne, Himliſcher nicht! Dir flehen der Voͤgel
Geſaͤnge;

Dir der ſaͤuſelnde Wald; und dir die duftende
Blume.

Wolleſt nicht des wehenden Zephyrs Fluͤgel ver-
ſengen!

Wolleſt nicht austrinken das Labſal kuͤhlender
Quellen!

Wolleſt vom zarten Graͤschen den kruͤmmenden
Tropfen nicht nehmen!

Sonne, laͤchle der Erd’, und geuß aus ſtra-
lender Urne

Leben auf die Natur! Du haſt die Fuͤlle des
Lebens!

Schoͤpfeſt, naͤher dem Himmel, aus himliſchen
Quellen, und duͤrſteſt

Selber nimmer! Als Gott, mit ſeiner Allmacht
umguͤrtet,

Wie mit guͤrtendem Schlauch ein Saͤmann, Son-
nen dahinwarf,
Stolb. R
[258] Millionen auf einmal, jede mit Erden umkraͤnzet,

Rief er, Sonnen, euch zu: verbreitet Leben
und Waͤrme

Auf die duͤrftigen Erden! Erbarmt euch der Duͤr-
ſtenden, daß ich

Mich am groſſen Abend des Himmels euer er-
barme!

Alſo rief er. Gedenke deß, o Stralende! Fruͤher,

Oder ſpaͤter komt der groſſe Abend des Himmels,

Da ihr alle, zahlloſes Heer von maͤchtigen Sonnen,

Werdet, wie Muͤcken am Sommerabend in Tei-
che ſich ſtuͤrzen,

Mit erbleichenden Stralen herunterfallen vom
Himmel!

Euer harren Gottes Gerichte! Gottes Erbarmung!

Waͤhne nicht zu vergehn! Der groſſe Geber des Le-
bens

Wird gefallne Muͤcken, gefallne Sonnen, in neues

Leben rufen! Wie du auf ſchwaͤrmende Muͤcken
herabſchauſt,

Schaut er ewig herab auf alle kreiſende Himmel!


[259]

An F. L. Grafen zu Stolberg,
von Schoͤnborn.



Der himliſche Adler, der Genius heiſſet,

Weht aus einander mit toͤnenden Fluͤgeln

Vor mir die Gewoͤlke, die liegen um den Hinblick

Jn die heiligen Fernen dort! Siehe, hebt auf

Sein heliwerdendes Haupt aus der herabſtroͤ-
menden Daͤmmerung,

Seinem Geliebten entgegen!

Hin in die Myriaden Tage!

Der Vergangenheit und der Zukunft Tage!

Die, zuſammengebunden im goldnen Aether-
bande,

Glaͤnzend kommen und ſtuͤrmend ihm vor das Antliz,

Wie der Sternenleib der himliſchen Jungfrau

Jn der Sonnenbahn, wo er wandelt!

[260]
„Ha, an mein Herz ſei gedruͤckt!„ ruft er aus,

Und brauſet auf ſein duftend Gefieder,

Wie ein bluͤhender Fruchtgarten im Fruͤhlings-
winde!
„An mein Herz, Geliebter du!

Ja du biſt es, an Gothlands Ufern dort!

Siehſt, wie der Fruͤhling den warmen Roſenleib

Jns ſchmelzende Meer legt!

Wie er losſchleußt die Baͤche,

Die vom Schlummer im welkenden Schilf

Aufheben ihr triefendes Haupt,

Und forttragen zwiſchen gruͤnenden Ufern

Auf ihren Schultern die zerbrochnen Glieder

Der Felſenketten, mit denen der Winter ſie
anſchloß!

Siehe! in dieſen aufgruͤnenden Fluren da!

Unter den werdenden Knoſpen des Haines dort!

Und der Gebuͤſche hier! wandelſt im aufwachen-
den Weltleben,

[261]
Jn ſingenden Stauden und toͤnendem Him-
mel du!

Trinkſt friſchen Roſenaͤther

Aus der Morgenroͤthe Purpurbrunnen!

Trinkſt aus jeder Blum’ im Thal,

Aus jeder Knoſp’ am ſproſſenden Haupte des
Hains,

Heiligen Nektar des Geſangs!

Und druͤckſt, wie eine Braut, die holde Natur

Mit Entzuͤcken ans Herz!

Fleugſt auf aus ihrem Wonneſchooß!

Und o! wie toͤnt dir der Fluͤgelſchlag, indem du
daherſchwebſt!

Und mit dir des Maͤoniden goͤttliches Heldenlied

Zu Thuiskons horchenden Enkeln!„


[262]

Der Geſang.
An Schoͤnborn.



Wie dem erwachenden Juͤnglinge ſchnell im

braͤutlichen Bette

Seine gaukelnden Traͤum’ auf nichtigen Fluͤgeln

entſchwinden;

Sonſt umirrten ſie, langſam ſchwebend, weilend

im Fluge,

Noch ſein Haupt, wenn ſchon der Roſenwangi-

gen Stunde,

Und dem erbleichenden Stern der Liebe ſein Auge

ſich aufſchloß;

Nun verſchwinden ſie ſchnell; denn neben ſich

ſieht der Begluͤckte,

[263]
Sein ſanftathmendes Weib, in ſchlummernden

Reizen der Jugend,

Lieblich wie den thauenden Abend im blumigen

Thale.

Ach! ſie erwacht! und oͤfnet Liebeſchmachtende

Augen,

Wonnetrunken begruͤßt ſie der Blick des feutigen

Juͤnglings,

Wie den erroͤthenden Mond die flammende Son-

ne begruͤſſet!

Wie dem Juͤnglinge dann die Traumgeſtalten

entflattern,

So enteilen auch mir die bunten Traͤume des

Tages,

Und wie Zephyr der hangenden Spinne Gewebe

zerwehet,

So entſchwindet auch mir das Gewebe geſchaͤfti-

ger Stunden,

Wenn der Entzuͤckung Sohn, der Geſang, in

goldenen Locken,

Toͤnend, von Harmonien umſaͤuſelt, melodiſch

einherſchwebt!

[264]
Und oft ſchwebt er vom Himmel herab! den

nahenden fuͤhl’ ich,

Meine Seel’ erhebet ſich dann in ſteigender Wal-

lung,

Wie das Meer ſich erhebt in der Kuͤhle des pur-

purnen Abends.

Neue Bilder ſchweben um ihn und junge Gedanken,

Wie mit zahlloſen Blumen der Lenz die Erde

beſuchet,

Und mit taufend Saͤngern des Hains in bluͤhen-

den Stauden!

Hohe Gedanken ſchweben um ihn, wie rund um

den Himmel

Flammende Sonnen mit gruͤngelockten Erden

umkraͤnzet,

Und mit Silberwangigen Monden! Mondſchein-

aͤhnlich

Leuchtet er manchmal ſanft und entlocket zaͤrtliche

Thraͤnen;

Und dann eilt er mit Flammen umguͤrtet, gleich

dem Kometen,

Wann er von Himmel zu Himmel im feurigen

Wagen daherrollt!

[265]
Sei mir gegruͤſſet, Geſang! ſo oft du vom

hohen Olympos

Zu mir koͤmſt! willkommen in jeder wechſelnden

Schoͤnheit!

Wenn du auf leiſe bebenden Wallungen ſanfter

Gedanken

Meine gleitende Seel’ in vertrauten Stroͤmen

einherfuͤhrſt,

Wo mir Freuden bluͤhen am Ufer, und Ruhe

mir ſchattet,

Oder, wenn du, maͤchtig mich fuͤhrend, in ſtuͤr-

mender Eile,

Ueber Meere ſtarker Gefuͤhle, ſonder Geſtade,

Meinen ſtaunenden Geiſt den kreiſenden Strudeln

entreiſſeſt,

Jzt mit flammenden Blizen die uͤberhangende

Draͤuung

Naͤchtlicher Wogen, und izt des Abgrunds Tie-

fen erhellend,

Sei mir immer gegruͤßt mit uͤberwallender Seele,

Heil dir, Goͤttlicher, Heil! Dir dank’ ich die

beſſern Minuten,

[266]
Wenn mein ewiger Geiſt, in ſeinen Kraͤften ſich

wiegend,

Schaffend winket, und ſchnell die neuen Schoͤp-

fungen toͤnen!

Heil dir, Goͤttlicher, Heil! Du fuͤhrteſt ſtra-

lenden Fluges,

Und auf Silbertoͤnenden Schwanenfluͤgeln, die

Seele

Meines trauten Schoͤnborn zu mir von der hor-

chenden Themſe!

Heil dir, Goͤttlicher, Heil! Du fuͤhreſt, ſtra-

lenden Fluges,

Und auf Silbertoͤnenden Schwanenfluͤgeln, die

Seele

Seines trauten Stolberg zu ihm vom Geſtade

des Nordmeers!


[267]

Hymne,
an die Erde.



Erde, du Mutter zahlloſer Kinder, Mutter
und Amme!

Sei mir gegruͤßt! ſei mir geſegnet im Feierge-
fange!

Sieh, o Mutter, hier lieg’ ich an deinen ſchwel-
lenden Bruͤſten,

Lieg’, o Gruͤngelockte, von deinem wallenden
Haupthaar

Sanft umſaͤuſelt, und ſanft gekuͤhlt von thauen-
den Luͤften!

Ach, du faͤuſelſt Wonne mir zu, und thaueſt mir
Wehmut

Jn das Herz, daß Wehmut und Wonn’, aus
ſchmelzender Seele,

Sich in Thraͤnen und Dank und heiligen Liedern
ergieſſen!

[268]
Erde, du Mutter zahlloſer Kinder, Mutter
und Amme!

Schweſter der allfreuenden Sonne, des freund-
lichen Mondes,

Und der ſtralenden Stern’ und der flammenbe-
ſchweiften Kometen,

Eine der juͤngſten Toͤchter der allgebaͤrenden
Schoͤpfung,

Jmmer bluͤhendes Weib des Segen traͤufelnden
Himmels! —

Sprich, o Erde, wie war dir, als du am er-
ſten der Tage

Deinen heiligen Schooß dem bulenden Himmel
enthuͤllteſt?

Dein Erroͤthen war die erſte der Morgenroͤthen,

Als er, im blendenden Bette von weichen ſchwel-
lenden Wolken,

Deine guͤrtende Binde mit ſiegender Staͤrke dir
loͤßte!

Schauer durchbebten die ſtille Natur, und tauſend
mal tauſend

Leben keimten empor aus der maͤchtigen Liebes-
umarmung.
[269] Freudig begruͤßten die Fluten des Meeres neuer
Bewohner

Mannigfaltige Schaaren; es ſtaunte der wer-
dende Wallfiſch

Ueber die ſteigenden Stroͤme, die ſeiner Naſen
entbraußten;

Junges Leben durchbruͤllte die Auen, die Waͤlder,
die Berge,

Jrrte bloͤckend im Thal, und ſang in bluͤhenden
Stauden,

Wiegte ſich ſpiegelnd am Quell, auf wankenden
Bluͤmchen, und girrte

Auf den Gipfeln der Ulme, die liebende Reben
umſchlangen;

Denn der edle Wiehrer nicht nur und der maͤch-
tige Loͤwe,

Nicht nur die Voͤgel des Hains, und ſummende
goldene Fliegen,

Tranken aus der Quelle des Lebens; Libanons
Zedern

Tranken auch; es tranken die Haine, die Blu-
men und Graͤschen,
[270] Jedes nach ſeinem Maaſſe, vom Lebentrunkne-
ren Menſchen

Bis zum Graͤschen im Thal und bebenden Sproͤs-
ling des Berges.

Alle ſterben und werden gefuͤhrt von Stufe zu
Stufe,

Durch unendliche Reihen beſtimter Aeonen, ſie
ſchleichen

Oder ſie fliegen, von Kraft zu Kraft! von Schoͤ-
ne zu Schoͤne!

Erde, dich liebt die Sonne, dich lieben die
heiligen Sterne;

Dich der himmelwandelnde Mond! So bald
du vom Schlummer

Dich erhebſt, und Thau aus duftenden Locken
dir traͤufelt,

Sendet die Sonne dir Purpur und Gold und
glaͤnzenden Safrau.

Daß du braͤutlich geſchmuͤckt erſcheinſt im Mor-
gengewande.
[271] O wie ſchimmerſt du dann im roſigen Schleier!
mit tauſend

Jungen Blumen umkraͤnzt, von ſilbernen Trop-
fen umtraͤufelt,

Und mit glaͤnzender Binde des blauen Meeres
umguͤrtet!

Aber, wenn dein Haupt zum ſuͤſſen Schlummer
ſich neiget,

Und in ſchattender Halle die Nacht die Glieder
dir kuͤhlet,

Siehe, dann laͤchelt der Mond, von ſeinem ein-
ſamen Pfade,

Sanfte Freuden dir zu, geſaͤugt am Buſen der
Stille,

Und dann ſingen die Sterne dir zu. Jn heili-
ger Stunde

Hoͤrt’ ich geſtern ihr Lied im Wehen woͤlbender
Buchen.

Einigen deiner Kinder, o Mutter! will ich erzaͤhlen,

Was im goldnen Reihentanze die Sterne dir
ſangen;

Alſo ſangen ſie, lauſcht ihr Lieblingskinder der
Mutter!

[272]
„Schlumre ſanft, o Schweſter, im kuͤhlen
duftenden Bette!

Schlumre, Geliebte, ſanft, auf daß du roſig erwa-
cheſt!

Wilde Stuͤrme muͤſſen dir nicht die Locken zerwehen,

Muͤſſen deine Stroͤme nicht uͤber die Ufer em-
poͤren,

Nicht den Wiegengeſang des rauſchenden Meeres
verſtimmen!

Hekla muͤſſe dich nicht, dich muͤſſe der Aetna nicht
wecken,

Ruhen muͤſſe der Bliz in ſchwarzen Guͤrteln der
Alpen,

Keine Wolke verbergen vor uns dein liebliches
Antliz,

Muͤſſe dir keine den Blick des freundlichen Mon-
des umſchleiern!

Leichtes Fuſſes muͤſſen vorbei die Stunden dir
tanzen,

Bis mit roſigem Finger die Morgenroͤthe dich
wecket.

Deine Kinder muͤſſen dich nicht im Schlummer
bekuͤmmern,
[273] Denn ſie ſchlummern mit dir. Die wenigen,
welche der Kummer

Von der Ruhe Lager verſcheuchte, troͤſtet mit milden

Blicken der ſanfte Mond, der mit den Weinenden
weinet,

Sich mit Freuenden freut, und liebend Lieben-
den laͤchelt!

Deine Kinder, welche das Meer auf Schiffen um-
tanzen,

Wollen wir waͤhrend der Nacht am ſtralenden
Gaͤngelband leiten,

Daß die Gleitenden nicht ein kreiſender Strudel
erhaſche!

Daß kein tuͤckiſcher Fels die eilenden Kiele verleze!

Schlumre ſanft, o Schweſter, im kuͤhlen duf-
tenden Bette!

Schlumre, Geliebte, ſanft, auf daß du roſig er-
wacheſt!„

Alſo ſangen die Stern’ und ſchimmerten freund-
lich; die Luͤfte

Bebten, wie mitertoͤnende Saiten der ruhenden
Leier,

Wenn ein preiſendes Chor den gewoͤlbten Tempel
durchhallet!

Stolb. S
[274]
Erde, wie biſt du ſchoͤn, mit Gottes Stroͤ-
men gewaͤſſert!

Wer vermag ſie zu ſingen? Die Zwillingshel-
den, den Ganges

Und den Jndus? Wer die rauſchenden Waſſer
des Euphrats?

Wer den ſegnenden Nil, der aus ungeſehener
Urne

Seine ſchwellende Fluten durch ſieben Muͤndun-
gen ausſtroͤmt?

Wer die herſchende Tiber? Den heldenberuͤhm-
ten Eurotas,

Welcher fruͤh die nervige Jugend Lakoniens ſtaͤlte?

Ach, wer bringt mich hinuͤber auf Adlers Fluͤgeln,
zu deinen

Rollenden Meeren, du maͤchtigſter Orellana! *)
du Rieſe

Unter den Fluͤſſen! dir ſtaunen die heiligen Flu-
ten des Weltmeers,

Wenn du, ſtark wie ein Gott, in den Ozean dich
ergieſſeſt!

[275]
Aber vor allen ſeid mir gegruͤßt im feiern-
den Liede,

Vaterlaͤndiſche Stroͤme! Du edle Donau! dem
Morgen

Stroͤmſt du erroͤthend entgegen, und gruͤſſeſt die
kommende Sonne,

Wenn ſie flammend ihr Haupt aus purpurnen
Wogen erhebet.

Wankende Saaten umrauſchen dich jaͤhrlich, und
freudiges Landvolk

Tanzet, mit blauen Blumen umwunden, an dei-
nem Geſtade,

Wenn der Abend auf dir mit falben Fittigen ru-
het,

Und die glaͤnzenden Sicheln dem winkenden Abend-
ſtern weichen!

Dir gebuͤhrt ein eigner Geſang, o Rhein-
ſtrom! vor allen

Fluͤſſen Deutſchlands biſt du mir werth! Dich
ſah ich als Knabe,
[276] Wo, mit umwoͤlkter Hand, die Natur, am gaͤn-
gelnden Bande,

Ueber Nebel und ſtuͤrmenden Winden und zuͤcken-
den Blizen,

Deinen wankenden Tritt auf zackiger Felſenbahn
leitet!

Mutiger rauſchet der Juͤngling einher, und ſeiner
Umarmung

Stuͤrzet die bruͤnſtige Reuß mit ſchaͤumenden
Wogen entgegen;

Zuͤchtig folgt ihm die Aar in langſam ſchlaͤngeln-
der Kruͤmmung.

O wie ſtuͤrzt er donnernd herab beim hallenden
Laufen!

Unter dir beben die Felſen; die gruͤnlichen Wogen
verhuͤllen

Sich in glaͤnzenden Schaum; der ſtaunende Wal-
ler vernimt nicht

Seiner eignen Bewundrung Geſchrei, und hei-
lige Schauer

Faſſen ihn, wie ſie die Felſen und zitternden Ei-
chen ergreifen.
[277] Ernſt, mit maͤnnlicher Kraft, theilſt du die Koſt-
nizer Fluten,

Eileſt Staͤdten vorbei, und traͤgſt auf maͤchtigem
Ruͤcken

Schwimmenden Reichthum, ſchuͤzeſt die Grenzen
des heiligen Reiches,

Und beſchenkſt die Ufer mit hangenden goldenen
Trauben!

O wie glaͤnzet die Freud’ in Hochheims Bechern!
ſie wandelt

Sich zum Lied’ im Munde des Dichters! brin-
get mir, Freunde,

Schnell des goldenen Weins, auf daß ich wuͤrdig
euch ſinge,

Wie die Nymphe des Mains den goͤttlichen Bu-
len umarmet!

Siehe, ſie fleußt ihm entgegen in ſanfter Wal-
lung, und bringt ihm

Edle Geſchenke, den Reichthum der fruchtbaren
Fraͤnkiſchen Fluren,

Bringt ihm ſilberne Tropfen des allbezaͤhmenden
Steinweins,
[278] Den an Wuͤrzburgs Felſen die heiſſere Sonne ge-
reift hat.

Solche Gaben bringt ihm die Nymphe mit be-
bender Liebe;

Aber er faßt ſie mit maͤchtigem Arm, und fuͤhrt
ſie hinunter,

Durch kriſtallne Hallen, in ſeine ſtille Behau-
ſung;

Glaͤnzender rollen die feiernden Wogen; die ſchoͤ-
nen Geſtade

Hallen weit umher vom Brautgeſange der Fluten!

Erde, wie biſt du ſchoͤn, mit wechſelnden Ber-
gen und Thaͤlern,

Mit ſanftrieſelnden Quellen geſchmuͤckt und ru-
henden Seen,

Mit gethuͤrmten Gebirgen, wo uͤberhangenden
Felſen

Hohe Tannen entwachſen und Stroͤme reiſſend
entſtuͤrzen,

Mit geweihten Einſiedleien, wo, unter dem
Schatten
[279] Freundlicher Buchen und dichtriſcher Eichen, die
hohe Begeiſtrung

Schwebet und weht im Saͤuſeln und Brauſen des
heiligen Haines,

Oder im Wogengeraͤuſch des Geiſterhebenden
Weltmeers!

Sanfte Ruhe wandelt in deinen friedſamen Tha-
len;

Steile Gebirge ſind reich an kuͤhnen Thaten und
Freiheit.

Sie, des Weiſen Wunſch, der Spott des kluͤ-
gelnden Sklaven,

Waͤhlte die ſchneeigen Alpen, um Mut und Ein-
falt zu ſegnen.

Heiliges Land, dich gruͤß’ ich aus uͤberwal-
lender Fuͤlle

Meines ſchwellenden Herzens! Wie ward mir
auf deinen Gebirgen,

Wie in deinen Thalen ſo wohl! Ach werd’ ich
dich nimmer

Wiederſehn? nicht mehr in deinen Seen mich ba-
den?
[280] Noch im ſchmelzenden Schnee an der Wiege maͤch-
tiger Fluͤſſe?

Gotthard, ſeh ich nimmer dich wieder? Dein fel-
ſiger Ruͤcken

Trieft von hundert Stroͤmen, die deiner Scheitel
entſtuͤrzen;

Auf dir hauſet Entſezen und Graun in Wolken
gehuͤllet,

Deine Pfade beſucht der bleiche ſtarrende Schwindel!

Sanfter biſt du, Natur, in Seelands bluͤhen-
den Fluren,

Goldne Saaten kroͤnen das Haupt des laͤchelnden
Eilands,

Seeland, ich liebe dich auch! in deiner Waͤlder
Umſchattung

Wohnet freundliche Ruh; ſie wohnt in gruͤnenden
Auen,

Und in ſpiegelnden Seen von hangenden Buchen
umkraͤnzet,

Dich umfleußt das heilige Meer, und waldige Huͤgel

Draͤngen kuͤhn ſich hervor von ſchaͤumenden Wo-
gen umrauſchet!

[281]
Zahllos ſind, o Erd’, und edel deine Ge-
ſchenke!

Deinen Kindern geben ſie Kraft und Nahrung und
Freude!

Laͤchelnd bluͤht die Verheiſſung des jungen Jahres
am Zweige,

Und der ſinkende Aſt erfuͤllt ſie mit ſchwellenden
Fruͤchten.

Siehe, bald lockt mich am Gipfel des Baums
die glaͤnzende Kirſche,

Und bald ladet mich ein die Labſal duftende Erd-
beer.

O, wie ſchmuͤckt der Sommer dein Haupt mit
farbigen Blumen,

Deren Balſam die Luft mir mit leiſen Fittigen
zuweht!

Gleich der Erdbeer, verbirgt ſich beſcheiden das
Veilchen; ein ſanftes

Maͤdchen ſuchet es auf und wiegt es am wallen-
den Buſen.

O, wer nennet ſie alle, die duftenden, farbigen
Freuden,
[282] Die dem gewaͤſſerten Thal’ und umwoͤlkten Ber-
gen entbluͤhen?

Sprich, Natur, wo tauchteſt du ein den ſchaffen-
den Pinſel,

Als du den Teppich der Alpen mit Enzianen be-
malteſt,

Deren glaͤnzendes Haupt mit dem Blau des Him-
mels ſich kleidet?

Wen entzuͤckt nicht die Lilie? o wie ſelig verweil
ich

Unter den lieblichen Schaaren der tauſendfaltigen
Nelken!

Siehe, dort koſet mit mir das duftende hangen-
de Geißblat,

Und es winket mir hier die kaum geoͤfnete Roſe!

Roſe, wer dich nicht liebt, dem ward im Leibe
der Mutter

Schon ſein Urtheil geſprochen, der ſanfteſten Freu-
den zu mangeln!

Jhn wird Philomelens Geſang zur Quelle nicht
locken,

Jhn kein liebender Blick des ſuͤſſen Maͤdchens
entzuͤcken!
[283] Roſe, dein Leben iſt kurz! Ach, klagt im wei-
nenden Liede,

Maͤdchen, klaget den Tod der ſchnell verbluͤhen-
den Roſe!

Sieh, ich hoff’ es zu dem, aus deſſen ſeg-
nendem Fußtritt

Sonnenſtralen und Roſen bluͤhn: erloͤſchenden
Sonnen

Und hinwelkenden Roſen verleiht er ewige Ju-
gend,

Wenn dereinſt die Stroͤme des Lebens dem him-
liſchen Urborn

Werden entflieſſen, in Fluͤſſ’ und Baͤch’ und Quel-
len vertheilet,

Und die ganze Schoͤpfung, verklaͤrt, Ein Himmel,
ihm laͤchelt!

Erde, harre ruhig der Stunde des beſſeren
Lebens!

Saml’ indeſſen in deinem Schooſſe die harren-
den Kinder!
[284] Siehe, noch werden dich oft die wechſelnden
Stunden umtanzen,

Dich mit blendendem Schnee und bluͤhendem Gra-
ſe noch kleiden!

Nimmer wirſt du veralten! Jm laͤchelnden Rei-
ze der Jugend

Werden ploͤzlich erbleichen die Sonnen, die Mon-
de, die Erden;

Wenn die Sichel der Zeit in der Rechten des Ewi-
gen ſchimmern

Und hinſinken wird, in Einem rauſchenden Schwun-
ge,

Dieſe Garbe der Schoͤpfungen Gottes, die Woͤl-
bung des Himmels

Den wir ſehn, mit tauſend mal tauſend leuchten-
den Sternen!


[285]

Vor dem Schlummer.



Traͤufle mir, ſuͤſſer Schlummer, in des Lebens

Bluͤte himliſches Thaues helle Tropfen!

Wehet, Luͤfte tagender Ahndung, wehet

Freundlich und leiſe,

Bis mir, im Stralenglanz, der Zukunft Sonne

Meine wogenden Seelenfluten roͤthe,

Und die leichten, fliegenden Traumgewoͤlke

Male mit Purpur!


[286]

Elegie an meinen Bruder
den 15. Okt. 1778.



Freudiger wuͤrde mein Geiſt, in treuer, ſuͤſſer

Umarmung,

Beſter, eilen zu dir, wie zur Quelle das Reh,

Wuͤrde, bebend und ſprachlos, von meiner Lippe

zur deinen,

Beſter, eilen zu dir, auf gefluͤgeltem Kuß.

Zaͤrtlicher bebte der Freundſchaft Bund auf Jo-

nathans Lippe

Nicht, im heimlichen Thal, wo er dem Lie-

benden ſchwur;

Zaͤrtlicher zitterte nicht an Benjamins Auge die

Thraͤne,

Als ſein Joſeph ihm lag an der klopfenden

Bruſt!

Aber, trennen uns nicht die ausgedehnten Ge-

filde?

Trennen Fluten uns nicht, rauſchend im herbſt-

lichen Sturm?

[287]
Sieh, ich eile zu dir auf toͤnenden Fluͤgeln des

Liedes,

An dem Tage, der dich deinen Liebenden gab;

Dich dem zaͤrtlichen Vater, der Freude weinen-

den Mutter,

Deinen Schweſtern und mir, deiner Luiſe

dich gab!

Zwar es wiegte mich da auf ihrem blumigen

Schooſſe

Mutter Erde noch nicht, Sonnen ſtralten mir

nicht,

Als in den jauchzenden Hallen des frohen Hauſes

die Stimme

Scholl: „ein Knaͤblein iſt da! freut euch!

ein Knaͤblein iſt da!„

Als der beſte der Vaͤter dich, gluͤhend im heiſſen

Gebete,

Hub zum Himmel empor, mit froh bebendem

Arm,

Als in laͤchelnder Ohnmacht, ſchon ſinkend, die

Mutter dich anſah,

Und erwachend dich ſand an der wallenden

Bruſt.

[288]
Als, ſchon zaͤrtlich, die lallende Schweſter, mit

huͤpfenden Fuͤſſen

Dein ſich freute, ſchon da in die Arme dich ſchloß!

Oft mit kindiſch ſorgſamer Hand die wankende

Wiege

Faßte, und von dir ſummende Fliegen vertrieb!

Spaͤter ward ich, und ſpaͤter die juͤngern Schwe-

ſtern geboren,

Und wir wuchſen empor freudig, wie Stauden

am Bach,

Kanten fruͤh die ſuͤſſeſten Freuden des Lebens, und

pfluͤckten

Jeden kleinen Genuß, der ſich im Schatten

verbirgt.

Ungeſondert lebt’ ich mit dir die Tage der Jugend;

Wenn ein Morgen uns ſchied, ſchied uns der

Abend nicht mehr.

Wie, aus Einem Born, von Einem Schatten

gekuͤhlet,

Zwillingsſtroͤme ſich hell ſtuͤrzen vom Felſen

herab,

Mit vereinter Kraft bald Tannen waͤlzen und Felſen,

Bald mit ſpiegelnder Flut ſchlaͤngeln im ruhi-

gen Thal;

[289]
Alſo floſſen auch uns vereint der Kindheit und Ju-

gend

Tage; jegliche Luſt theilten wir, jeglichen

Schmerz!

Jeden werdenden Wunſch, und jede heimliche Sorge,

Jedes Sehnen, das kein Fluͤgel der Hofnung

noch hub,

Jeden ahndenden Trieb, eh Selbſtbewuſtſein ihn

wiegte,

Fuͤhlten beide zugleich in der innerſten Bruſt!

Ach, nun ſind wir getrent! Zwar bringt der Fruͤh-

ling dich wieder;

Aber im ſauſigen Baum rauſchet noch herbſt-

liches Laub,

Wankend ſchuͤttelt ihr Haupt mit falben Locken die

Eſche,

Halb entkleidet vom Sturm, zittert erroͤthend

der Hain.

Eile, rollende Zeit, die Bahn des Jahres hin-

unter!

Steige, rollende Zeit, mit dem Fruͤhling em-

por!

Stolb. T
[290]
Fruͤhling, ſaͤuſle mir nicht im zarten Laube der

Buchen,

Ehe du bringeſt zuruͤck meinen Geliebten zu

mir!

Ehe die liebenden Schweſtern mit ihm, und ſeine

Luiſe

Kommen zur Schweſter zuruͤck! kommen zum

Bruder zuruͤck!

Siehe, ſchon wuͤnſchen euch her die roſigen Neffen

und Nichten,

Wenn ihr ſuͤſſes Geſchwaͤz Freuden der Zukunft

entlockt!

Eile, Winter, vorbei auf Schwanenfluͤgeln des

Schnees,

Komme, blumiger Lenz, ſaͤuſle die Lieben zuruͤck!


[291]

Der Siebente November.
An meinen Bruder.



Auf! mit des Adlers Schwingen, fleuch,

Hin zu ihm, mein Geſang, und mit dir

Mein frolockender Morgengruß!

Hin zu ihm, der mir iſt,

Was kein Sterblicher je Sterblichen war!

Roͤthliche Schimmer erwachen ſchon;

Sie verkuͤndigen den Tag,

Ach! den entzuͤckenden,

Der dich, Lieber, ins Leben rief!

Seht, wie er pranget im herbſtlichen Schmuck!

Feiernd naht er, und ſtolz, umtanzt

Von der Stunden Reigen, und begruͤßt

Von der Sonne, dem Mond und dem weilenden
Stern!
[292] Eile, der du mir ſchwebſt

Auf der lechzenden Lippe,

Bruderkuß!

Schnell gleit’ auf dem erſten Stral,

Feuervoll, und erquickend, wie er,

Hin zu ihm, der mir iſt,

Was kein Sterblicher je Sterblichen war!

Lagre behend auf ſeine Lippe dich,

Scheuche nicht den Morgentraum,

Der mit duftenden Kraͤnzen,

Der mit windenden Epheuranken

Feſſelt den Schlummernden!

Traͤufle deinen Honig, und laß das Bild,

Ach! mein Bild!

Vor ſeiner ahndenden

Seele ſchweben, und mit ihm

Schmachtende Sehnſucht, ach! nach mir!

[293]
Dann erweck ihn ungeſtuͤm, mit dem Fittigſchlag

Der Lieb, und ruf’ es laut

Mit Flammenwort ihm zu:

Daß er mir ſei,

Was kein Sterblicher je Sterblichen war!

Mein Bruder! Siehe, wie ſie bebt

Der Freude Zaͤhre,

Daß Du’s biſt, und daß Du

Mehr denn Bruder und Freund,

Daß du biſt

Meines Herzens Vertrauteſter!

Sage, keimte dir je,

Sproßte mir je ein Gedank,

Deſſen Huͤlle nicht Du

Hobeſt, nicht ich?

[294]
Wie, durch der heiligen Natur

Tief verborgne Wunderkraft,

Der unberuͤhrten Leier Saite bebt,

Wenn des Saͤngers Stimme den Ton

Der Bebenden hallt;

O! ſo ſtimte Mutter Natur

Unſrer Zwillingsſeelen

Jmmer toͤnende Harmonie!

Toͤnend, wenn das Feuerblut

Lodert in der Juͤnglinge Bruſt,

Toͤnend, wenn der Ruͤhrung Zaͤhre ſanft

Ueber die blaͤſſere Wange rinnt.

Ach! Du, der du mir biſt,

Was kein Sterblicher je Sterblichen war!

An der Begeiſtrung und der Muſe Hand,

Deiner Vertrauten, zu denen du ſprichſt:
„Du biſt meine Schweſter! und du

Biſt meine Braut!„ —

Oft beſucht ihr in ſtiller Nacht

Du, den Bruder, und du,
[295] Jn der einſamen Halle,

Deinen Wonneberauſchten,

Deinen Buhlen, o Goͤttliche! —

Ha! ich kenne ſie auch!

Schweſter, und Braut!

An ihrer Hand

Schweb’ ich zu dir,

Ueber Laͤnder und Meere, zu dir!

Schuͤtte dir aus

Mein uͤberſtroͤmendes Herz.

Bruder! uns iſt gefallen das Loos

Lieblich, unſer Erb’ iſt ſchoͤn!

Ach! aber warum traͤuft

Jn des Jubels Becher die Thraͤne?

Ach! warum ſind wir getrent?

Heute getrent?

[296]
Wie nach dem Thau das Sommergefild,

Wie die Sonne lechzet nach des Meeres Schoos,

Wie der Weinſtock nach der beſchattenden

Ulme ſtrebet;

O! ſo ſtreb’ ich, ſo lechz’ ich nach dir,

Der du mir biſt,

Was kein Sterblicher je Sterblichen war!

Kehre wieder, du der Freude Tag,

Segenſchwanger, und triefend

Deine Tritte von Milch,

Von Honig,

Und von der Rebe Blut!

Jmmer kom, die Schlaͤfe bekraͤnzt

Mit herbſtlichem Schmuck!

Ach bald nahet auch uns

Unſer Herbſt!

[297]
Auch er komme, die Schlaͤfe bekraͤnzt

Mit herbſtlichem Schmuck!

Und mit Fruͤchten, o! mit Fruͤchten,

Mit unvergaͤnglichen

Reich beſchwert!

Nimmer find’ uns dann, ſchoͤner Tag,

Wie heute getrent!

O! Erfuͤllung, Erfuͤllung,

Des ſehnlichſten Wunſches Erfuͤllung!

Hell blickt mein Aug

Jn der Zukunft Fern’, es ſpaͤht

Goldne Tag’ am Ende der Bahn!

Endlich komt der Winter einher,

Ein ſanfter freundlicher Greis,

Beut uns beiden die Hand, und fuͤhrt,

O der Wonn’! uns ungetrent

Dorthin, wo, unter Lebensbaͤumen,

Wo, in Lauben der Himliſchen,
[298] Ach! unter eurem Fruchtbelaſteten,

Ruhe gewaͤhrenden

Feigenbaume,

Dorthin, ach! wo, unter eurem

Freud’ und Schatten

Bietenden Weinſtock,

Beſter Vater! und du,

Die mich gebar, die mich ſaͤugte,

Beſte Mutter!

Wechſellos bluͤhet

Ewiger Lenz.


[299]

Die Feier der Erde.



Alles unter dem Monde,

Unter der Himmelwandelnden

Sonne, kennet und kante

Alles die Muſe;

Unter den Tiefen der Erde

Schwebet ihr Fittig,

Und willkommen iſt die kuͤhne Fremdling auch oft

Unter den Reigen der Himliſchen.

Dennoch erſcheinet ſie

Oft dem ſterblichen Dichter;
[300] Eilet dem rufenden

Zuͤrnend vorbei,

Aber beſuchet,

Ungerufen und laͤchelnd,

Oft im bebenden Mondenſchein,

Oft auf gluͤhendem Sonnenſtral,

Deine ruhenden Saͤuglinge,

Mutter Natur!

Staunend ſah ich und froh,

Wogenumdonnertes Hellebeck,

Wie der Winter und der Sommer zugleich

Schmuͤckten dein rauſchendes Haupt.

Staunend und froh

Weilten voruͤberwallende

Geiſter, die aus Orions

Fluren zu den Jnſeln der Pleias

Schwebten, und erkanten kaum

Der Erde Antliz, das ſie oft ſchon ſahn,
[301] Forſchten nach des rollenden

Jahres Alter, denn ſie ſahn

Auf der grauen ſchneeigen Scheitel,

Goldene, ſaͤuſelnde Locken des Hains!

Mir vertraute, ſie vertraute mir,

Die kundige Muſe

Das Geheimniß der Natur!

Es feiert die Erde

Heute den Tag ihrer Geburt,

Den ſie nach tauſend

Rollenden Jahren

Jmmer feiert!

Denn an dieſem Tage

Stieg ſie zuerſt,

Aus der heimlichen Halle der alten Nacht,

An der ſtralenden Hand des erſten der Morgen,

Laͤchelnd und erroͤthend, den Himmel hinan!

[302]
Es feiert die Erde

Dieſen Tag!

Sie berief zur Feier

Die Soͤhne des Jahrs!

Es erhub ſich im nordiſchen Thal

Der Winter nach kurzem Schlaf;

Schuͤttelte ſein Haupt, da ward bedeckt

Der Boden mit Schnee;

Gieng mit eilendem Rieſenſchritt,

Sezte den ſtarrenden Stralenfuß

Auf die thuͤrmenden Gipfel

Des hohen Schwediſchen Felſengebirgs;

Schritt uͤber’s Meer,

Trat auf’s Geſtade,

Wo ſein Bruder, der Herbſt,

Waltete im falben Hain,

Wo ſein Bruder, der Sommer,

Weilte in der Eiche gruͤnem Laub.

[303]
Es ſchmuͤckten die Bruͤder mit vereinter Hand

Die Feier der Erde;

Zartes Eis bedeckte die Flaͤche

Schimmernder Landſeen,

Und es kraͤuſelte ſich auf ihm der Buche goldnes
Haar!

Spiegelten ſich in ihm

Ellern, noch bekleidet mit des Fruͤhlings Schmuck,

Und rothe,

Nickende Beeren;

Duftender Feldroſen

Juͤngere Schweſtern,

Glaͤnzten vom Reife durch den gruͤnen Buſch.

Aus brauſenden Tiefen

Erhub ſein Haupt

Das heilige Nordmeer,

Staunend uͤber Seelands neuen Schmuck;

Aber zagend wich

Zuruͤck vom Geſtade die Oſtſee,

Fuͤrchtend, daß ſchon izt

Wuͤrde binden der Winter
[304] Mit kriſtallner Feſſel ihren blauen Arm,

Wuͤrde ſtuͤrmend zerſchellen

Schiffe, die ſich ihr

Vertrauten, und zahllos

Jhre weiſſen Fluͤgel oͤfneten dem Hauch des Windes.

Neuen Mut

Gab ihr die ſteigende Sonne,

Deren goldener Stral

Traͤufeln ließ, wie Thau,

Von gruͤnen Eichen den geſchmolznen Schnee

Jn der wankenden Blume glaͤnzenden Kelch!

Freudig ſangen und feirten Voͤgel des Hains,

Freudig ſinget und feiert mein Geſang,

Den ich fruͤh der heiligen Natur

Weihte, die Leier und Geſang mir gab!


[305]

Morgenlied eines Juͤnglings.



Wann Aurora fruͤh mich gruͤßt,

Mich mit Roſenlippen kuͤßt,

Scheuchet oft ihr Stralenſaum,

Von des Bettes weichem Pflaum,

Einen kleinen ſuͤſſen Traum.

Find’ ich dann mein Bettchen leer,

Ach! dann wird mein Herz ſo ſchwer,

Und ich gaͤb’ Aurorens Gruß,

Gaͤbe jeglichen Genuß

Gern fuͤr eines Weibchens Kuß.


Stolb. U
[306]

Abendlied eines Maͤdchens.



Wann des Abends Roſenfluͤgel

Kuͤhlend, uͤber Thal und Huͤgel,

Ueber Wald und Wieſe, ſchwebt;

Wann der Thau die Baͤume traͤnket,

Sich in bunte Blumen ſenket,

Und an jungen Aehren bebt;

Wann im Schalle heller Glocken

Heimwaͤrts ſich die Schafe locken,

Und im Gehn das Laͤmchen ſaugt;

Wann das Geißblatt ſuͤſſe Duͤfte

Jn dem Wehen leiſer Luͤfte

Labend mir entgegen haucht;

[307]
Wann die ſchweren Kuͤhe bruͤllen,

Gern die blanken Eimer fuͤllen,

Und die Dirne melkend ſingt,

Dann, auf ihrem bunten Kranze,

Leicht, als ſchwebte ſie im Tanze,

Suͤſſe Milch nach Hauſe bringt;

Wann die Erlen duftend ſaͤuſeln;

Wann die Muͤcken Teiche kraͤuſeln;

Wann der Froſch ſich, quackend, blaͤht;

Wann der Fiſch im Waſſer huͤpfet,

Aus der kalten Tiefe ſchluͤpfet,

Und der Schwan zum Neſte geht;

Wann, im Nachtigallenthale,

Hesper mit verliebtem Strale

Heimlich meine Quelle kuͤßt;

Wann, wie eine Braut erroͤthend,

Luna freundlich komt, und floͤtend

Philomele ſie begruͤßt:

[308]
Dann umſchweben ſuͤſſe Freuden,

Hand in Hand mit ſtillen Leiden,

Meinen Geiſt; mein Auge weint.

Wann die Thraͤn’ in Luna’s Schimmer

Bebet, weis ich ſelbſt nicht immer,

Was die ſtille Thraͤne meint.

Manche nannt’ ich Freudenthraͤnen,

Die vielleicht geheimes Sehnen

Dem getaͤuſchten Auge ſtahl;

Mancher leiſe Wunſch entbebte

Seufzend meiner Bruſt, und ſchwebte

Ungeſehn im Mondenſtral.

Jch beſchwoͤr’ euch, Abendluͤfte!

Jch beſchwoͤr’ euch, kuͤhle Duͤfte!

Hesper! Luna! Nachtigall!

Sagt, beſchleichet dieſes Sehnen

Mich allein mit ſolchen Thraͤnen

Jm geheimen Mondenſtral?


[309]

Nachruf des Juͤnglings.



Maͤdchen, frage nicht die Luͤfte,

Nicht die kuͤhlen Abendduͤfte!

Hesper, Luna, Nachtigall

Fuͤhlen nicht dein leiſes Sehnen,

Koͤnnen deuten keine Thraͤnen

Jm geheimen Mondenſtral.

Jch nur kan’s! ich kan’s, du Suͤſſe!

Maͤdchen, eil’ in meine Kuͤſſe!

Sauge Lieb’ um Liebe ein!

Wer da einſam will genieſſen,

Wird mit bittern Thraͤnen buͤſſen.

Laß mich dein auf ewig ſein!


[310]

An Lyde.



Sieh mich an und laͤchle, Suͤſſe!

Gieb mir deine Hand, und kuͤſſe

Deinen Trauten! Roth und blaß

Wallet zaͤrtliches Verlangen

Zitternd uͤber meine Wangen,

Und die Wimpern ſind mir naß.

[311]
Meine heiſſen Lippen beben;

Athme, Lyde, neues Leben,

Kuͤſſe Wonne mir hinein!

Lechzend ſinken meine Augen;

Laß aus deinem Blick ſie ſaugen

Honig, Milch und Labewein!


[312]

Der Tod.



Taͤuſch’ ich mich ſelber? oder toͤnt mir lieblich,

Wie der Nachtigall Lied, des Todes Name?

Wird mir auch ſein rauſchender naher Fittig

Schwanenflug toͤnen?

Trank ich nicht ſuͤſſen Nektar aus der Jugend

Freudeduftendem Becher, den die Freundſchaft

Mir mit Blumen, den die Natur mit Blu-
men

Laͤchelnd umwanden?

[313]
Freunde, den trank ich, und ihr freutet mein euch!

Wenn ich leere den Kelch des Todes, wollt ihr

Dann euch nicht der hoͤheren Freuden eures

Freundes erfreuen?

Freunde, wenn eure Thraͤne nur des Todes

Kelch nicht bitter, das Herz, wenn’s bricht,
nicht weich macht,

Krankheit mag mit ziſchenden Schlangen,
Schmerz mit

Dornen ihn kraͤnzen!

Zuͤrnt ihr, Geliebte? Hab ich denn dem Tode,

Daß er komme, gerufen? ſchlingt, wie Wein-
laub,

Nicht um meiner nervigen Jugend Glieder

Sich die Geſundheit?

[314]
Dennoch, wofern ich mich nicht taͤuſche, toͤnt mir,

Wie der Nachtigall Lied, des Todes Name!

Wird mir auch ſein rauſchender naher Fittig

Schwanenflug toͤnen?


[315]

An meinen Bruder.



Toͤnet Dir, toͤnt dir ohne Taͤuſchung, lieblich

Wie der Nachtigall Lied, des Todes Name,

Und wird Dir ſein rauſchender naher Fittig

Schwanenflug toͤnen?

Blumen umkraͤnzen, wie ſie Dir nur bluͤhen,

Deine wallenden Locken, und den Becher,

Den mit Goͤtterwein die Natur dir immer

Schaͤumender anfuͤllt:

[316]
Blumen des Bachs, der Wieſe pfluͤckt die Freund-
ſchaft

Dir, den ſtolzeren Lorbeer dir die Muſe,

Bald auch wird (ſchon roͤthelt ihr Roſen-
knoͤspchen!)

Liebe dich kraͤnzen.

Aber, o waͤhnſt du, daß der Liebe Roſe,

Selbſt der ſuͤſſeſten Liebe, wenn nun endlich,

Athemlos, mit ſchmachtendem, feuchtem
Auge,

Bebenden Lippen,

Die ſich zu matten, halbgekuͤßten Kuͤſſen

Kaum zu ſchlieſſen vermoͤgen! ach! an deinem

Trunknen Buſen, ſie, die du liebeſt, die
dich

Liebet, dahin ſinkt;

Waͤhnſt du, ſie dufte, dieſe Roſe, ſtaͤrker

Als das Rankengewebe, das, mit tauſend

Armen, uns, und kraͤuſelnden Sproſſen,
feſter

Stets uns umſchlinget?

[317]
Aufgang der Sonne flammet Dir des Todes

Fackel? Sie, die der Ranken keiner ſchonen

Und austrocknen wuͤrde die Borne meines

Lechzenden Lebens?

Daß, den du wuͤnſcheſt, ich nicht fuͤrchte, weiſt du!

Kanteſt lange den Durſt in meinem Herzen,

Heldentod einſt in der gerechten Feldſchlacht

Blutig zu ſterben!

Siehe, ſchon ſchwebt er! — Ha! ich kenne deines

Fittigs Todesgeſang! mich ſchreckt nicht,
Droher,

Deine Rechte! Trennung von meinen
Lieben,

Droher, die ſchreckt mich!

Leben, o leben will ich! wenn gleich oftmal

Schwarze Wolken mich huͤllen. Schweſtern,
Freunde,

Leben! mein braunlockiges Weib, mein
Bruder,

Leben, o leben!

[318]
Aber wenn, doch der Menſchheit Loos verbeut es!

Wenn zugleich dem vertrauten Haͤuflein winkte

Er, der Ruhegeber; ich ſaͤh’ ihn, laͤchelnd:
„Bruder, er ſchreckt nicht!„
[figure]
[[319]][[320]][[321]][[322]]
Notes
*)
Rußlands Schuzheiliger.
**)
Louis le bien-aimé.
*)
Das Geſchlecht der Stolberge gehoͤrte unter die 12
Edlen Haͤuſer der Vierfuͤrſten des ſaͤchſiſchen Reichs,
aus welchen zu Kriegszeiten Herzoͤge und Koͤnige er-
waͤhlt wurden, ehe Karl der Groſſe Sachſen er-
oberte.
*)
Die Mutter des Dichters war eine Graͤfin zu Ca-
ſtell-Remlingen.
*)
Zwingherren hieſſen in der Schweiz die Oeſterrei-
chiſchen Landvoͤgte.
*)
Siehe im Oſſian, das dritte Buch von Fingal.
*)
Orellana, der Amazonenfluß.

Dieses Werk ist gemeinfrei.


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Kolimo+

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2025). Collection 3. Gedichte. Gedichte. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bq1h.0