Die Ruhe.
Ob ſiege Machmud, oder ob Nikolas
*) Den Popen hoͤre; ob ſich der Biſchof Roms
Deſpotiſch aufblaͤh, oder knechtiſch
Lecke die Ferſe den Burboniden;
Ob dort ein ſchlauer junger Oktavius
Ein Volk bejoche, welchem noch Freiheit galt;
Ob hier, nach ſpaͤt gefundnen Rechten,
Koͤnige Habe des andern theilen;
Soll mich nicht kuͤmmern. Eine der Menſch-
lichkeit
Geweinte Thraͤne floß, da der Korſe juͤngſt
Den edlen Nacken bog, als ſeine
Schaaren ihm ſandte der Vielgeliebte.
**) [6]Seitdem entſagt’ ich aller Mitwiſſenſchaft
Um ferne Schlachten und den erzwungenen
Vertrag, der oft mit feuchtem Oelzweig
Schlummernde Gluten verbarg, nicht
loͤſchte.
Komm, holde Ruhe, ſuͤſſe Geſpielin du
Der frohen Unſchuld! Leite mit deiner Hand
Den Juͤngling, der ſein ganzes Leben
Dir und der laͤchelnden Weisheit heiligt;
Und fruͤhen Weihrauch deinen Altaͤren ſtreut,
Den Hafen ſegnend, weil noch der Ozean
Jhm laͤchelt, eh die ſchwarze Woge
Prediget Rettung zugleich und Weisheit.
Dem ſpaͤten Opfrer oͤfnet ihr Heiligthum
Die Ruhe ſelten; Schlummer und Ekel taͤuſcht
Den muͤden Weltmann, ſtets von neuen
Wuͤnſchen und geiſſelnder Furcht gepeinigt.
[7]Jn ſtille Thale wird ſie mich leiten, wenn
Der Sturmwind raſet, mir, wenn der Mittag
zuͤrnt,
Am Schattenufer kuͤhler Quellen,
Sitze bereiten im Duft der Roſe.
Jn heitrer Mondnacht wird ſie Geſaͤnge mich
Voll Einfalt lehren, reich an Empfindungen,
Bis Philomel’ aus ſchwanken Aeſten
Lauſchendes Schweigen umher verbreitet.
Des Baches Silber, welches vom ſanften Hang
Des Huͤgels murmelnd zwiſchen Violen rinnt,
Gleicht dann mein Leben, eine Welle
Folget der andern, ein Tag dem andern.
Voll Freuden jeder! jeder dem duͤſtern Pful
Zwar naͤher; aber ſieh! es entſtroͤmt dem Pful
Ein hellerer Kriſtall, als jener,
Welcher die Blume der Wieſe traͤnkte.
Der Harz.
Herzlich ſey mir gegruͤſt, werthes Cheruſkaland!
Land des nervigen Arms und der gefuͤrchteten
Kuͤhnheit, freieres Geiſtes,
Denn das blache Gefild umher!
Dir gab Mutter Natur, aus der vergeudenden
Urne, maͤnnlichen Schmuck, Einfalt und Wuͤrde
dir!
Wolkenhoͤhnende Gipfel,
Donnerhallende Stroͤme dir!
Jm antwortenden Thal wallet die goldene
Flut des Segens, und ſtroͤmt in den genuͤgſamen
Schooß des laͤchelnden Fleiſſes,
Der nicht kaͤrglich die Garben zaͤhlt.
[9]Schaaſe weiden die Trift; auf der gewaͤſſerten
Aue bruͤllet der Stier, ſtampft das geſaͤttigte
Roß; die baͤrtige Ziege
Klimmt den zackigen Fels hinan.
Wie der ſchirmende Forſt deinem erhabenen
Nacken ſchattet! er naͤhrt ſtolzes Geweihe dir!
Dir den ſchnaubenden Keuler,
Der entgegen der Wunde rennt!
Dein wohlthaͤtiger Schooß, ſelten mit goldenem
Fluche ſchwanger, verleiht nuͤtzendes Eiſen uns,
Das den Acker durchſchneidet
Und das Erbe der Vaͤter ſchuͤzt.
Dir gibt reinere Luft, und die teutoniſche
Keuſchheit, Jugend von Stal; mooſigen Eichen
gleich,
Achten ſilberne Greiſe
Nicht der eilenden Jahre Flug.
[10]Dort im wehenden Hain wohnt die Begeiſterung;
Felſen jauchzten zuruͤck, wenn ſich der Barden
Sang
Unter bebenden Wipfeln
Durch das hallende Thal ergoß.
Und dein Hermann vernahm’s! Sturm war
ſein Arm! ſein Schwert
Wetterflamme! betaͤubt ſtuͤrzten die trotzigen
Roͤmeradler, und Freiheit
Stralte wieder im Lande Teuts!
Doch des Heldengeſchlechts Enkel verhuͤlleten
Hermanns Namen in Nacht, bis ihn (auch er
dein Sohn!)
Klopſtocks maͤchtige Harfe
Sang der horchenden Ewigkeit.
Heil, Cheruſkia, dir! furchtbar und ewig ſteht,
Gleich dem Brocken, dein Ruhm! Donnernd
verkuͤnden dich
Freiheitsſchlachten! und donnernd
Dich unſterblicher Lieder Klang!
An Buͤrger.
Dir mich weihen? ich dir? ſtygiſche Furie,
Afterthemis, ich dir? die du mit Schlangenliſt
Unſer goͤttliches Recht, welches Natur uns gab,
Raubteſt, und mit Tigers Klau?
Ha! wie ſchallts am Altar! Bosheit und Ha-
derſucht,
Aemſig ſpaͤhend den Zwiſt, haͤmiſche Rachbegier,
Groll und gieriger Geiz, Vater des feilen Spruchs:
Ha, wie tobet die Hoͤllenbrut!
Und dein Nattergeziſch, ſchlaue Chikane, du
Misgeſchoͤpfe des argliſtigen Fremdlinges,
Ungenant von dem Volk, welches die Zunge ſpricht,
Die Thuiſkon und Mana ſprach!
[12]Weß der aͤchzende Laut? — — Ach der be-
kuͤmmerten
Unſchuld Seufzer! Sie naht weinend der Goͤttin
ſich,
Fleht Erbarmen; umſonſt! Jhre verruchte Schaar
Schreckt mit grimmigem Hohn ſie weg!
O des goldenen Tags, da bei dem Volke Teuts
Noch Gerechtigkeit galt, noch, von der heiligen
Eiche Schauer umrauſcht, ſie in dem richtenden
Kreis ehrwuͤrdiger Vaͤter ſaß!
Da vom albernen Wahn lauter der hellere
Geiſt, und lauter vom Schwall wirrender Sazun-
gen,
Da noch Tugend, und du, Erbe Germaniens,
Treue, lehrtet den Biederſpruch!
Ach, entflohn iſt, entflohn laͤngſt die Gerechtigkeit
Vom entarteten Stamm! Wenigen Lieblingen
Laͤchelt Weihe nur noch, ſegnend, vom naͤchtlichen
Pol herab, die Geflohene.
[13]Weihe laͤchelte ſie, edler Cheruſkaſohn,
Dir, o Buͤrger, der du heiligen Druden gleich,
Richtertugenden uͤbſt, heiligen Barden gleich,
Braga’s Kranz um die Locke ſchlingſt.
Stolb. B
An Curt Freyherrn von Haugwitz.
Elegie.
Suͤſſer duftet die Flur, und kuͤhler hauchet der
Abend;
Nur ein welkendes Roth weilt am azurenen Weſt.
Stille thauet herab, und Ruh’, und ſanfte Be-
geiſtrung
Auf den einſamen Pfad, welchen der Waller
betrit.
Heſperus ſchaut auf ihn mit freundlichen Blicken
hernieder,
Liſpelt ſegnend ihm zu: Geh’ in Frieden dahin!
Jch auch wander’ umher, und ſuch auf einſamen
Pfaden
Ruh’ und lindernden Troſt fuͤr mein ſinkendes
Herz.
[19]Ach vergebens! — O du der beſten Juͤnglinge
Beſter,
Den ich liebe, ſo ſehr, als ich zu lieben ver-
mag;
Dem die milde Natur der Gaben ſchoͤnſte, die ſelten
Sie verleiht, ein Herz zarter Empfindung,
verlieh;
Den ſie der Freundſchaft ſchuf, der Lieb’, und
ſtilleren Freuden;
Sanfte Melancholie, deine Feindinnen nicht!
Ach du windeſt dich los aus deines Freundes Um-
armung;
Scheideſt zoͤgernd von ihm — ach! auf ewig
vielleicht! — —
Alſo ſind ſie dahin, der Freundſchaft heilige Jahre,
Deren jeglicher Tag feſter und feſter uns band?
Alſo ſind ſie verbluͤht, die Veilchen, welche mir
oftmal
Deine gefaͤllige Hand ſtreut’ in den muͤhſamen
Weg?
Nein! ſie ſind nicht verbluͤht! Jn jeder heiteren
Stunde
Kehrt mir laͤchelnd zuruͤck jede genoſſene Luſt.
[20]O dann ſollen mich oft Phantome der Abend’ um-
ſchweben,
Die, uns jeglichesmal taͤuſchend, zu fluͤchtig ent-
flohn!
Jezo wanderten wir, mit Fruͤhlingsruhe ge-
ſegnet,
Arm geſchlungen in Arm, bluͤhende Thaͤler
hinab;
Lagerten jezo uns hin am mooſigen Ufer des
Baches,
Und dem ſuͤſſen Geſchwaͤz horchte vertrau-
lich der Mond.
O, wie ſchmolz uns dann das Herz in ſanfter
Empfindung!
O, wie ſchmeckten wir dich, himmliſche Freund-
ſchaft, ſo ſuͤß!
Einſtens pfluͤckt’ ich zwo junge Vergißmeinnicht,
und ſtreute,
Wo am klaͤrſten er floß, ſie in den kraͤuſelnden
Bach.
Eine riß er hinweg; die andere weilt’ am Ufer!
Und du ſtarrteſt mich an; Thraͤnen bewoͤlkten
den Blick!
[21]Jch verſtand dich! Auch mich ergrif der baͤngſte
Gedanke:
Ach! wenn einſt das Geſchick uns wie die
Blumen verſtreut!
So ſchlich Wehmut oft in unſere Freuden; ſo
ſproſſet
Jn dem Myrtengebuͤſch’ eine Zypreſſe mit
auf.
Oftmal ſtanden wir ſtill am ſchroffen Hange des
Felſen,
Muͤden Pilgern gleich, uͤber die Staͤbe gelehnt;
Und umhuͤllte mich dann der Nebel der ſchwarzen
Schwermut,
O ſo ſchuͤttet’ ich, Freund, dir in das deine
mein Herz!
Seufzend hoͤrteſt du mich, und jede Sorge, die
theilend
Du mir nahmeſt, erhob meine beklommene
Bruſt!
Phantaſie, wo gaukelſt du hin? — O Beſter,
nun leichterſt
Du nicht wieder die Laſt meiner beklommenen
Bruſt!
[22]Ach nun fliehſt du! Verweil! daß in der lezten
Umarmung
Eine Thraͤne nur noch miſch’ in die meinige ſich.
Segen geleite dich, Freund! O ſei der Liebling
des Gluͤckes,
Jenes reineren Gluͤcks, welches der Weiſe
nur kent;
Sei deß Liebling, wie du der menſchenfreundlichen
Tugend
Und der Weisheit es biſt! Segen geleite dich,
Freund!
Die Natur.
Er ſey mein Freund nicht, welcher die goͤttliche
Natur nicht liebet! Engelgefuͤhle ſind
Jhm nicht bekant! Er kan mit Jnbrunſt
Freunde nicht, Kinder nicht, Weib, nicht
lieben!
Jhm bebte nie von trunkner Begeiſterung
Die ſtumme Lippe! Schauer begegneten,
Jn hoher Wallung, ſeiner Seele
Nie mit der ſteigenden Morgenſonne!
Jn deinen Wonnebecher, Allguͤtiger!
Entfielen niemal Thraͤnen des Dankes ihm!
Sein Erb’ iſt Taumel, oder Schlafſucht!
Wehmut und Wonne des Weiſen Erbe!
[24]Er iſt kein Sohn der Freiheit! das Vaterland
Jſt Spreu dem Feigen! Sklave! Dich freite
nicht
Die Roͤmerſchlacht! zu meinen Fuͤſſen
Kruͤmme dich, Raupe, daß dein ich ſpot-
te! —
Jch ſeiner ſpotten? — weh mir! o zuͤrne nicht,
Du Vater Aller! Wirbel und Stolz ergrif
Den Mann von Staub, daß er des Staubes
Spottete, den er beweinen ſolte!
O ſey geſegnet, Thraͤne der Reue, mir!
Des Mitleids Thraͤne, mehr noch geſegnet, du!
Nun werden, wie nach Fruͤhlingsregen
Traulich die Blumen der Au mir laͤcheln!
Nur reinen Herzen duftet der Abendthau
Der bunten Lenzflur! Heilig nur ihnen ſind
Der Eiche Schatten! Deine Segen,
Einſamkeit, koͤnnen nur ſie ertragen!
[25]Woll’ſt oft, o ſanfte Mutter der Weisheit, mich
Auf ernſte Pfade leiten, im Mondenſchein!
Wo nur der Denker tiefe Wahrheit
Schoͤpfet, und gluͤhender Stirne wallet!
Dann werden oft ſich ernſte Betrachtungen
Jn Harmonien wandeln; Begeiſterung
Wird mich erfuͤllen, daß die Thale
Hallen mein Lied und die Felſengaͤnge!
Wenn du mich fuͤrder leiteſt, Natur, ſo ſoll
Mein Lied dir jauchzen, weil ich ein Juͤngling bin!
Es ſoll dich feiern, wenn mit Silber
Kuͤrzere Locke die Scheitel ſchmuͤcket!
An Lais.
Weil noch leicht, wie ein Nektartraum,
Dir das Leben verfliegt; weil noch der laͤchelnden
Hebe Pinſel, in Lebenskraft
Eingetauchet, den Mund aͤhnlich dem Morgenroth,
Roſenwallend die Wange malt;
Weil noch taͤglich dein Blick, hell, wie der Abend-
ſtern,
Aber treffend, wie Sirius,
Die hintaumelnde Schaar deiner Gefangnen
mehrt;
Darum trozeſt du, thoͤrige
Lais, kuͤnftiger Zeit, welche die fliegenden
Stunden bringen, Unkundige!
Wird dir ewig die Glut ſchmachtender Juͤnglinge,
Dir die Blaͤſſe der Eiferſucht
Ewig froͤhnen? Auch dich werden die Grazien
Einſt verlaſſen! der ſiegenden
Kuͤnſte jede! Dein Lenz ſchwindet auf neidender
[31]Weſte Fittig! bald hauchen ſie
Deine Bluͤthen herab! dann wird die bulende
Lais ſeufzen: ihr roſigen
Tage, kommet zuruͤck! aber die roſigen
Tage flohen! Verhuͤlle dich,
Lais! daß der Triumph deiner Geſpielen dich,
Die Moral der Matrone dich
Nicht verfolge! der Hohn deiner Entfeſſelten
Dich nicht treffe! denn eiſern war
Deine Herrſchaft! dein Stolz freute der Thraͤ-
nen ſich,
Und der blaſſen Verzweifelung!
Nun ſind Thraͤnen der Schmuck dieſer verwel-
kenden
Wangen! Seufzer erheben nun
Ungeheiſſen die Bruſt! jeden erloͤſchenden
Schimmer deiner gefeierten
Augen ruͤſtet die Wuth! Lais, verhuͤlle dich!
Dein iſt Schande! Denn eiſern war
Deine Herrſchaft! Dein Stolz freute der Thraͤ-
nen ſich
Und der blaſſen Verzweifelung!
Frauen Lob.
Traun, der Mann iſt Neides werth,
Dem ſein Gott ein Weib beſcheert,
Schoͤn und klug und tugendreich,
Sonder Falſch, den Taͤublein gleich!
Seiner Wonne Maaß iſt groß!
Seine Ruhe wechſellos!
Denn kein Kummer nagt den Mann,
Den ſolch Weiblein troͤſten kan!
Gleich des Mondes Silberblick,
Laͤchelt ſie den Gram zuruͤck;
Kuͤßt des Mannes Thraͤnen auf,
Streut mit Blumen ſeinen Lauf.
[33]Wenn ihn jaͤher Mut empoͤrt,
Er nicht mehr des Freundes hoͤrt,
Wenn von Zorn die Bruſt ihm gluͤht,
Und ſein Auge Feuer ſpruͤht;
O! dann ſchleicht ſie weinend nach,
Saͤnftigt ihn mit einem Ach!
Alſo kuͤhlt der Abendthau
Die verſengte Blumenau!
Keine Muͤhe wird ihm ſchwer!
Keine Stunde freudenleer!
Denn nach jeder Arbeit Laſt
Harret ſein die ſuͤſſe Raſt!
Engel foͤrdern ihre Ruh,
Druͤcken beider Augen zu!
Jhrer keuſchen Ehe Band
Knuͤpfte Gottes Vaterhand!
Stolb C
[34]Gott ſchenkt ihren Soͤhnen Mut,
Fuͤr die Tugend reges Blut!
Staͤrket ihren jungen Arm,
Macht ihr Herz fuͤr Freiheit warm!
Mit verſchaͤmten Reizen bluͤhn
Jhres Bettes Toͤchter! gluͤhn
Mit der Mutter Unſchuld, rein
Wie ein Quell im Sonnenſchein!
Drob erfreut der Vater ſich,
Drob die Mutter inniglich;
Jhr vereintes Dankgebet
Preiſt den Geber fruͤh und ſpaͤt!
Gold hat keinen noch begluͤckt;
Falſcher Ehre Lorbeer druͤckt;
Wer nach Wuͤrden haſcht, greift Sand;
Wiſſenſchaft iſt oft ein Tand:
[35]Aber Weiber giebt uns Gott!
Ohne ſie iſt Leben Tod!
Weiber leichtern jedes Joch!
Lieben uns im Himmel noch!
Lied eines alten ſchwaͤbiſchen Ritters
an ſeinen Sohn,
aus dem zwoͤlften Jahrhundert.
Sohn, da haſt du meinen Speer;
Meinem Arm wird er zu ſchwer!
Nimm den Schild und dies Geſchoß;
Tummle du forthin mein Roß!
Siehe, dies nun weiſſe Haar
Deckt der Helm ſchon funfzig Jahr;
Jedes Jahr hat eine Schlacht,
Schwert und Streitaxt ſtumpf gemacht!
Herzog Rudolf hat dies Schwert,
Axt und Kolbe mir verehrt,
Denn ich blieb dem Herzog hold
Und verſchmaͤhte Heinrichs Sold!
Stolb. D
[50]Fuͤr die Freiheit floß das Blut
Seiner Rechten! Rudolfs Mut
That mit ſeiner linken Hand
Noch dem Franken Widerſtand!
Nimm die Wehr und wapne dich!
Kaiſer Konrad ruͤſtet ſich!
Sohn, entlaſte mich des Harms
Ob der Schwaͤche meines Arms!
Zuͤcke nie umſonſt dies Schwert
Fuͤr der Vaͤter freyen Herd!
Sey behutſam auf der Wacht!
Sey ein Wetter in der Schlacht!
Jmmer ſey zum Kampf bereit!
Suche ſtets den waͤrmſten Streit!
Schone deß, der wehrlos fleht!
Haue den, der widerſteht!
[51]Wenn dein Haufe wankend ſteht,
Jhm umſonſt das Faͤhnlein weht,
Trotze dann, ein feſter Thurm,
Der vereinten Feinde Sturm!
Deine Bruͤder fraß das Schwert,
Sieben Knaben, Deutſchlands werth!
Deine Mutter haͤrmte ſich
Stumm und ſtarrend, und verblich.
Einſam bin ich nun und ſchwach;
Aber, Knabe, deine Schmach
Waͤr mir herber ſiebenmal,
Denn der ſieben andern Fall.
Drum ſo ſcheue nicht den Tod,
Und vertraue deinem Gott!
So du kaͤmpfeſt ritterlich,
Freut dein alter Vater ſich!
Kain am Ufer des Meers.
Weh, o wehe mir! wohin
Treibt mich mein geſchlagner Sinn?
Gottes Stroͤme brauſen her
Abels Blut! es iſt das Meer!
Bis zur Erde leztem Rand
Hat die Rache mich gebannt!
Wo kein Jammer noch geklagt,
Hat mich Abels Blut gejagt!
Wehe mir! des Bruders Blut
Donnert in der wilden Flut!
Jn des Felſenufers Schall!
Jn der Grotten Wiederhall!
[54]Wie den Stein das Meer umfleuſt,
So umſtuͤrmen meinen Geiſt
Seelenangſt und Qual und Wut,
Gottes Schrecken, Abels Blut!
Oefnet, Wogen, euren Schlund,
Denn der Muttererde Mund
Trank ſein Blut, da ich ihn ſchlug,
Und vernahm des Raͤchers Fluch!
Oefnet, Wogen, euren Schlund
Und enthuͤllet euren Grund!
Ach umſonſt! die Rache wacht
Auch im Schooß der alten Nacht!
Jn der tiefſten Tiefe Graun
Wuͤrd’ ich Abels Schatten ſchaun,
Wuͤrd’ ihn ſchauen, ob ich floͤh
Auf des hoͤchſten Berges Hoͤh.
[55]Wuͤrde dieſes Leibes Staub
Aller Wirbelſtuͤrme Raub;
O ſo ſcheute Kain doch
Gottes Feuereifer noch!
Ohne Maaß und ohne Zahl
Wuͤtet meiner Seele Qual,
Sonder Grenzen ferner Zeit,
Waͤhret in die Ewigkeit.
Denn mich traf des Raͤchers Fluch,
Als ich meinen Bruder ſchlug,
Wehe! wehe! wehe mir!
Schrecken Gottes folgen mir!
Mein Vaterland, an Klopſtock.
Das Herz gebeut mir! ſiehe, ſchon ſchwebt,
Voll Vaterlandes, ſtolz mein Geſang!
Stuͤrmender ſchwingen ſich Adler
Nicht, und Schwaͤne nicht toͤnender!
An fernem Ufer rauſchet ſein Flug!
Deß ſtaunt der Belt und zuͤrnet und hebt
Donnernde, ſchaͤumende Wogen;
Denn ich ſinge mein Vaterland!
Jch achte nicht der ſcheltenden Flut,
Der tiefen nicht, der thuͤrmenden nicht,
Mitten im kreiſenden Strudel
Saͤnge Stolberg ſein Vaterland!
[61]O Land der alten Treue! voll Muts
Sind deine Maͤnner! ſanft und gerecht!
Roſig die Maͤdchen und ſittſam!
Blitze Gottes die Juͤnglinge!
Jn deinen Huͤtten ſichert die Zucht
Den Bund der Ehe; rein iſt das Bett
Zaͤrtlicher Gatten, und fruchtbar
Jhre keuſchen Umarmungen.
Vom Segen Gottes triefet dein Thal,
Und Freude reift am Rebengebirg;
Singenden Schnittern entgegen
Rauſcht die wankende Halmenſaat.
Kolumbia, du weinteſt, gehuͤllt
Jn Trauerſchleyer, uͤber den Fluch
Welchen der lachende Moͤrder
Oeden Fluren zum Erbe ließ;
[62]Da ſandte Deutſchland Segen und Volk:
Der Schooß der Jammererde gebar,
Staunte der ſchwellenden Aehren,
Und der ſchaffenden Fremdlinge!
Nach fernem Golde duͤrſtete nie
Der Deutſche; Sklaven feſſelt’ er nicht!
Jmmer der Schild des Verfolgten
Und des Draͤngenden Untergang!
Jch bin ein Deutſcher! (Stuͤrzet herab
Der Freude Thraͤnen, daß ich es bin!)
Fuͤhlte die erbliche Tugend
Jn den Jahren des Kindes ſchon.
Von dir entfernet weih’ ich mich dir,
Mit jedem Wunſche, heiliges Land!
Gruͤſſe den ſuͤdlichen Himmel
Oſt, und ſeufze der Heimat zu!
[63]Auch greifet oft mein nerviger Arm
Zur linken Huͤfte; manches Phantom
Blutiger Schlachten umflattert
Dann die Seele des Sehnenden.
Jch hoͤre ſchon der Reiſigen Huf,
Und Kriegsdrommete! ſehe mich ſchon,
Liegend im blutigen Staube,
Ruͤhmlich ſterben fuͤr’s Vaterland!
Romanze.
Jn der Vaͤter Hallen ruhte
Ritter Rudolfs Heldenarm,
Rudolfs, den die Schlacht erfreute,
Rudolfs, welchen Frankreich ſcheute
Und der Sarazenen Schwarm.
Er, der lezte ſeines Stammes,
Weinte ſeiner Soͤhne Fall:
Zwiſchen Moosbewachsnen Mauern
Toͤnte ſeiner Klage Trauern
Jn der Zellen Wiederhall.
[65]Agnes mit den goldnen Locken
War des Greiſen Troſt und Stab,
Sanft wie Tauben, weiß wie Schwaͤne,
Kuͤßte ſie des Vaters Thraͤne
Von den grauen Wimpern ab.
Ach! ſie weinte ſelbſt im Stillen,
Wenn der Mond ins Fenſter ſchien.
Albrecht mit der offnen Stirne
Brante fuͤr die edle Dirne,
Und die Dirne liebte ihn!
Aber Horſt, der hundert Krieger
Unterhielt in eignem Sold,
Ruͤhmte ſeines Stammes Ahnen,
Prangte mit erfochtnen Fahnen,
Und der Vater war ihm hold.
Stolb. E
[66]Einſt beim freien Mahle kuͤßte
Albrecht ihre weiche Hand,
Jhre ſanften Augen ſtrebten
Jhn zu ſtrafen, ach! da bebten
Thraͤnen auf das Buſenband.
Horſt entbrante, blickte ſeitwaͤrts
Auf ſein ſchweres Mordgewehr;
Auf des Ritters Wange gluͤhte
Zorn und Liebe; Feuer ſpruͤhte
Aus den Augen wild umher.
Drohend warf er ſeinen Handſchuh
Jn der Agnes keuſchen Schooß;
„Albrecht nim! Zu dieſer Stunde
Harr’ ich dein im Muͤhlengrunde!„
Kaum geſagt, ſchon flog ſein Roß.
[67]Albrecht nahm das Fehdezeichen
Ruhig, und beſtieg ſein Roß;
Freute ſich des Maͤdchens Zaͤhre,
Die, der Lieb’ und ihm zur Ehre,
Aus dem blauen Auge floß.
Roͤthlich ſchimmerte die Ruͤſtung
Jn der Abendſonne Stral;
Von den Hufen ihrer Pferde
Toͤnte weit umher die Erde
Und die Hirſche flohn ins Thal.
Auf des Soͤllers Gitter lehnte
Die betaͤubte Agnes ſich,
Sah die blanken Speere blinken,
Sah — den edlen Albrecht ſinken,
Sank, wie Albrecht, und erblich.
[68]Bang’ von leiſer Ahndung ſpornet
Horſt ſein ſchaumbedecktes Pferd;
Hoͤret nun des Hauſes Jammer,
Eilet in des Fraͤuleins Kammer,
Starrt und ſtuͤrzt ſich in ſein Schwert.
Rudolf nahm die kalte Tochter
Jn den vaͤterlichen Arm,
Hielt ſie ſo zwei lange Tage,
Thraͤnenlos und ohne Klage,
Und verſchied im ſtummen Harm.
Eliſe von Mannsfeld.
Eine Ballade aus dem zehnten Jahrhundert.
„Wie viele ſehnten ſich nach dir,
Du kuͤhle, ſtille Nacht!
Nun haſt du ihnen Labung, Ruh
Und ſanften Schlaf gebracht.
Auch mir komſt du erwuͤnſcht; izt kan
Jch frei und einſam ſein,
Durch manchen tiefen Seufzer nun
Mir lindern meine Pein.
Ach Gott! was hab’ ich denn gethan,
Daß ſie ſo grauſam ſind?
Mein Vater nante mich ja ſtets
Sein liebes gutes Kind;
[72]Und ihren beſten Segen gab
Die Mutter ſterbend mir,
Der wird im Himmel einſt erfuͤllt;
Doch wahrlich nicht auch hier.
Daß dieſer Segen ſich nur nicht
Jn Fluch verkehr fuͤr die,
Die ſo mich kraͤnken! Gott verzeih’
Es ihnen! Beßre ſie!
Ach, alles truͤg’ ich mit Geduld,
Wenn, Liebe, du nicht waͤrſt,
Die du durch hofnungsloſe Qual
Mein krankes Herz verzehrſt!
Kan ichs nicht dulden, nun wolan
So hab’ ich Einen Troſt:
Dann brichſt du, armes Herz! Drum ſei
Bis daß du brichſt, getroſt„ —
[73]So eben kehrt’ ein Rittersmann
Von ſeinem Ritt zuruͤck,
Und komt, gefuͤhrt von ſeinem Pfad,
Hart an des Schloſſes Bruͤck.
Da dringt des Fraͤuleins Klageton
Jhm tief ins Herz hinein:
Er waͤhnt, um Huͤlfe fleh’ ſie ihn,
Und will ihr Retter ſeyn.
Voll Ungeduld und voll Begier
Umher ſein Auge gluͤht,
Bis endlich hoch am Fenſter er
Das Fraͤulein ſtehen ſieht.
„Ach Fraͤulein! ſprich, was jammerſt du?
Vertraue mir dein Leid:
Dies Schwert, der Arm, dies Leben ſei
Zu deinem Dienſt geweiht.„ —
[74]„Ach, edler Ritter, Schwert und Arm
Jſt nicht, was mir gebricht;
Nur Troſt fuͤr mein beklomnes Herz:
Und ach, den haſt du nicht!„ —
„Entdecke mir dein kraͤnkend Weh,
Das wird dir Lindrung ſein,
Und meine Mitleidsthraͤne wird
Dir einen Troſt verleihn.„ —
„Du guter Juͤngling, hoͤre denn:
Jch eine Waiſe bin,
Und mit den lieben Eltern ſtarb
Mir Ruh und Freude hin;
Ein Ohm und eine Muhme jezt
An Eltern Statt mir ſind,
Die quaͤlen mich, daß Gott erbarm!
Und toͤdten ſchier ihr Kind.
[75]Mein Vater war ein reicher Graf,
Nun iſt das Erbe mein,
O waͤr’ ich arm! dies ſchnoͤde Gut
Jſt Urſach meiner Pein.
Mein Oheim duͤrſtet Tag und Nacht
Nach meinem Hab’ und Gut,
Drum ſperrt in dieſen Thurm mich ein
Des harten Mannes Wut.
Hier bleib’ ich, droh’t er, wo ich nicht
Erwaͤhl’ am dritten Tag,
Ob ich den Sohn zum Ehemann,
Ob ich ins Kloſter mag.
Wie eilig waͤr’ die Wahl geſchehn,
Jch thaͤt den Schleier an,
Ach, liebte nicht mein junges Herz
Den beſten, ſchoͤnſten Mann.
[76]Juͤngſt beim Turniere ſah’ ich ihn,
Jch ſah’ und liebt’ ihn gleich,
Wie frei, wie edel und wie kuͤhn!
Nicht Einer war ihm gleich.„ —
„Sei, edles Fraͤulein, gutes Muts,
Jns Kloſter ſolt du nicht,
Noch minder ſolt du ſein die Schnur
Vom alten Boͤſewicht.
Jch kan’s, ich will’s, ich rette dich,
Das iſt mein feſter Sinn,
Bring dich in deines Juͤnglings Arm,
So wahr ich Stolberg bin.„ —
„Du? Stolberg? o mein Leid iſt hin!
Mein Engel fuͤhrte dich;
Du biſt mein trauter Juͤngling, du!
Nach dem ich ſehnte mich.
[77]Jezt ſag’ ich frei und offen dir,
Was ſchon mein Blick geſtand,
Als ich um deine Lanze juͤngſt
Den Eichenkranz dir wand.„ —
„O Gott! du? mein geliebtes Kind,
Eliſe Mannsfeld? O!
Dich liebt’ auch ich beim erſten Blick;
Noch keiner liebte ſo!
An meiner Lanze ſieh den Kranz,
Den ſie nun ewig traͤgt.
Ach, koͤnteſt du dein Bild auch ſehn,
So tief hier eingepraͤgt!
Jedoch was ſaͤumen wir? ich bring
Dich heim vor Sonnenſchein,
Und unſrer keuſchen Liebe ſoll
Nichts mehr im Wege ſein.„ —
[78]„Von ganzer Seele lieb’ ich dich
O Juͤngling! aber doch
Straͤubt ſich mein jungfraͤulich Gefuͤhl
Beim raſchen Vorſaz noch.
Du kennſt die arge Welt; du weiſt
Wie im Triumphe ſie
Mir Stand, und Ehr’, und Tugend nimt,
Wenn ich mit dir entflieh.„ —
„O Maͤdchen, was iſt uns die Welt?
Laß immerhin ſie ſchrein;
Dein Beifall nur, mein Beifall nur
Soll unſer Richter ſein!
Und keiner deines Stammes ſoll
Vernehmen deine That,
Bis uns des Prieſters Segenshand
Zur Eh’ geweihet hat.
[79]Auch fuͤhr’ als Gattin ich dich erſt
Jn meine Burg hinein;
Nun geht’s zu meiner Schweſter hin,
Da ſoll die Trauung ſein.
Wie wird mein liebes Guſtchen ſich
Der lieben Schweſter freu’n,
Wie wird des lieben Bruders Gluͤck
Jhr eigne Wonne ſein!
Eliſe, laß uns eilen; kom,
Gleich iſt es Mitternacht,
Der Mond, der jezt ſo hell uns ſcheint,
Hat bald den Lauf vollbracht.„ —
Nun ſchlich das Fraͤulein leiſen Tritts
Hinab den Windelſteig,
Bis unten ſie zum Fenſter kam,
Da ward ſie todtenbleich;
[80]Doch ſchnell ergreift ſie wieder Herz
Und oͤfnet es behend,
Und wagt’s und ſpringt dem Ritter zu,
Der ihr entgegenrent.
Sein Maͤdchen druͤckt’ er ſprachlos jezt
Feſt an ſein klopfend Herz,
Fuͤr ungefuͤhlter reiner Luſt
Vergaß ſie allen Schmerz.
Dann hob er freudig ſie auf’s Roß,
Und vor ihr ſezt’ er ſich,
Sie ſchlang die weiſſen Arm um ihn;
Fort ging’s nun ritterlich.
Vom Roß und freudigem Gebell
Des treuen Greifs erweckt,
Lief ſchnell die Zof’ ans Fenſter hin,
Jhr Fraͤulein ſie erblickt.
[][figure]
[][81]Sie tobt mit wildem Angſtgeſchrei
Klagt allen ihre Noth;
Der Alte ſchaͤumt, und flucht und ſchwoͤrt
Der Nichre Schmach und Tod.
Er fodert ſeine Saſſen auf,
Und eh’ der Tag begann,
Verlieſſen ruͤſtig ſie das Schloß;
Er fuͤhrte ſelbſt ſie an.
Jndeſſen war das Ritterpaar
Durch Anger, Wieſe, Feld,
Weit uͤber Berg und Thal und Forſt;
Vom guͤnſt’gen Mond erhellt.
Mit lautem Schaumgetoͤſe ſtuͤrzt
Die Bude vor ſie hin:
„Es geht, mein Kind, erzittre nicht!
Des Stroms ich kundig bin.„ —
Stolb. F
[82]Der Rappe ſtuzt und hebt den Fuß
Und pruft den Fluß gemach,
Drauf ſtrebt er wiehernd durch, als waͤr’s
Nur ein Forellenbach.
Nun kommen ſie zum Schloß geſprengt,
Jn Himmelswonn’ entzuͤckt:
Beſchreib’s, wer eine Freude je
Wie dieſe war, erblickt.
Nun ſaſſen ſie beim frohen Mahl,
Der Becher gieng umher;
Ein Knappe kam: „Auf, edler Graf,
Der Mannsfeld ruͤcket her!„ —
Und Braut und Schweſter jammerten,
Zerrauften ſich das Haar;
Jndeß der Graf zu Pferde ſchon
Jn vollem Harniſch war.
[83]Dem Zug’ er ſchnell entgegen kam,
Und rief dem Mannsfeld laut:
„Umſonſt iſt deine Muͤh; ſie iſt
Als Weib mir angetraut!
Und bin ich nicht aus edlem Stamm,
Deß Ruhm erſchallet weit,
Der Fuͤrſten unſerm Volke gab
Schon zu der Heiden Zeit.„
*) —
Mit eingelegter Lanze ſprengt
Der Alte gegen ihn,
Sein Haufe folgt; erwartend bleibt
Der Ritter kalt und kuͤhn.
[84]Und zieht ſein Schwert: Als Mannsfeld naht,
Verhaut er ihm den Stoß
Und haut, und haut den Schedel durch,
Daß er zur Erden ſchoß.
Die Reiſigen zerſtreuen ſich,
Und Stolberg eilt nach Haus,
Und ruht die lange ſuͤſſe Nacht
Jn Lieschens Armen aus.
Lied eines deutſchen Soldaten
in der Fremde.
Aus ferne Ufer hingebannt
Thut mir’s von Herzen weh,
Daß ich mein liebes Vaterland
Nicht mehr mit Augen ſeh.
Jch ſehne taͤglich mich zuruͤck,
Das laͤßt mir keine Ruh;
Jch werfe manchen naſſen Blick
Dem wilden Meere zu.
Das war zuvor nicht meine Art,
Jzt wein’ ich, wie ein Kind,
Daß oft am ſchwarzen Knebelbart
Die helle Thraͤne rint.
[86]O wehe dem, der mich mit Trug
Jn dieſes Land gebracht;
Mein Leid verwandle ſich in Fluch,
Und quaͤl ihn Tag und Nacht!
Er trank mir zu auf Joſephs Wohl
Jn altem Rheinſchen Wein,
Goß bis zum Rand die Glaͤſer voll
Und ſchenkte weidlich ein,
Bis daß ich taumelte; da las
Der Bube Formeln her;
Jch ſang den Schwur beim vollen Glas,
Und trank und bat um mehr.
Da gab er mir ſein ſchnoͤdes Gold,
Und zahlte meine Zech.
Nun war ich in des Koͤnigs Sold,
Und muſte mit ihm weg.
[87]Die lieben Eltern kuͤmmern mich;
Der Vater haͤrmt ſich ab,
Die Mutter weinet bitterlich
Und wuͤnſchet ſich ins Grab.
Und du, mein ſuͤſſes Hanchen, weinſt
Die blauen Augen roth;
Sie troͤſten dich, du aber meinſt
Dein Nikolas ſey todt.
All was du ſiehſt, das mahnet dich
An deinen Nikolas:
Die Linde, unter welcher ich
Mit dir im Schatten ſaß,
Der Weinſtock, welchen meine Hand
Fuͤr Hanchen auferzog,
Und fruͤh die zarten Reben band,
Und dir zur Laube bog.
[88]Dort warfſt du mir mit loſer Hand
Die Beeren in den Mund;
Dort war es, wo wir Hand in Hand
Beſchwuren unſern Bund.
Wie war den Abend uns ſo wohl!
Jch fuͤhrte dich nach Haus;
So manche ſtille Thraͤne quoll
Auf deinen Blumenſtrauß.
So freundlich lachte Wald und Thal
Jn meinem Leben nicht!
Der Abendſonne rother Stral
Erhellte dein Geſicht!
Wie Turteltaͤubchen liebten wir,
Und theilten Freud’ und Noth;
Wir ſagten oft: uns wuͤrde hier
Nichts trennen als der Tod.
[89]Nun ſeufz’ ich ſpat und ſeufze fruͤh:
Erbarm dich, lieber Gott!
Und rette mich, und rette ſie,
Durch einen ſanften Tod!
An die Unbekante.
An’s Maͤgdlein ſei dies Lied gericht’t,
Die mich nicht kent, und ich ſie nicht,
Nicht weis, in welchem Land ſie lebt,
Da doch mein Geiſt ſie ſtets umſchwebt.
Wenn ich aus dem Getuͤmmel bin,
Erfuͤllt ſie immer meinen Sinn;
Und wenn ich irre uͤber Land,
Geht ſie mit mir an meiner Hand.
Wenns wohl mir wird in Wieſ’ und Wald;
Der Mond durch lichte Wolken wallt,
Erhoͤht den ſeligen Genuß
Mein Maͤdchen mir durch manchen Kuß.
[93]Oftmal, mir ſelber unbekant,
Druͤckt meine Hand dann ihre Hand;
Jch fuͤhl’s, und ſeufze, daß ihr Bild
Den heiſſen Wunſch ſo ſchwach erfuͤllt.
So ſehnlich ſucht’ ich, und ſo lang’!
Nun wird’s im Herzen truͤb und bang,
Daß ich das liebe gute Kind,
Das fuͤr mich da iſt, nimmer find.
Wenn, Beſte, du dies Liedchen ſiehſt,
Und dir vom Aug’ ein Thraͤnlein fließt,
Und ſeufzeſt leis: der gute Mann,
Wie ich ihm nachempfinden kan!
So glaub, daß du mein Maͤdchen biſt,
Das nur fuͤr mich geboren iſt,
Und liebe mich, und ſag es mir,
So eil ich, Beſte, froh zu Dir!
Freimaͤurerlied
bei der Aufnahme eines neuen Bruders.
Wackre Bruͤder, ſtimmet an,
Auf! begruͤßt den braven Mann,
Der in unſern freien Orden
Eben aufgenommen worden;
Der nicht weis, wie ihm geſchah,
Ob der Wunder, die er ſah!
Lieber Bruder, freue dich!
Wir auch freun uns inniglich.
So du als ein Maurer handelſt,
Auf der Weisheit Pfade wandelſt,
Huͤllet mit der Zeiten Lauf
Neue Wahrheit dir ſich auf!
[100]Senke, Bruder, nicht den Blick
Jn die Finſterniß zuruͤck;
Forſche tiefer in die Wahrheit;
Von der Daͤmrung geh zur Klarheit;
Wandle ſicher; ſtrauchle nicht,
Bis du fleugſt, von Licht zu Licht!
Sei getroſt und achte nicht,
Was der Thor und Heuchler ſpricht;
Sie, die uns im Finſtern richten,
Luͤgen an die Wahrheit dichten,
Was gehn einen braven Mann
Alle Splitterrichter an?
Merke, was die Weisheit ſpricht:
„Thue recht, und zittre nicht!„
Ob ihm tauſend Feinde draͤuen,
Wird der Redliche nichts ſcheuen,
Weichet weder links noch rechts,
Fuͤhlt ſich goͤttlichen Geſchlechts.
[101]Bruder, gieb uns deine Hand,
Unſrer Freundſchaft Unterpfand!
Unſer Buͤndniß zu erneuen
Soll ſich unſer Bruder freuen,
Maurer, ſchenkt die Glaͤſer voll!
Trinkt auf unſers Bruders Wohl!
Freiheitsgeſang
aus dem zwanzigſten Jahrhundert.
Sonne, du ſaͤumſt!
Sonne, du ſaͤumſt!
Weilen dich kuͤhlende
Wogen des Meeres?
Sonne, du ſaͤumſt!
Kom herauf zu uns! Es harret
Dein ein freies Volk!
Wende deine Feuerblicke
Von den Sklavenvoͤlkern ab!
Kom herauf zu uns! Es harret
Dein ein freies Volk!
[103]Siehe ſie koͤmt!
Siehe ſie koͤmt!
Sie verguͤldet die Berge,
Sie roͤthet den Hain,
Und ſilbern rauſchet der Strom in das finſtre
Thal!
Wir ſahen dich einſt,
Rauſchender Strom,
Mitten im fliegenden Laufe gehemt!
Bebend und bleich,
Wehend das Haar,
Stuͤrzte der Tirannen Flucht
Sich in deine wilden Wellen,
Jn die Felſenwaͤlzende Wellen
Stuͤrzten ſich die Freien nach;
Sanfter wallten deine Wellen!
Der Tirannen Roſſe Blut,
Der Tirannen Knechte Blut,
Der Tirannen Blut!
Der Tirannen Blut!
Der Tirannen Blut,
[104] Faͤrbte deine blauen Wellen,
Deine Felſenwaͤlzende Wellen!
Das Schilfblat trof
Und die Weide von der Erſchlagnen Blut!
Um den krauſen Dornſtrauch wickelte ſich das
Gewand
Der Todten, wirrte ſich in ihm der Todten Haar!
An dem Hange des Felſen lag
Der Voͤlkerdraͤnger Karl mit ſtarrendem Arm;
Neben ihm ſchimmerte, zerſplittert, ſein Schwert,
Und uͤber ihm waͤlzte ſich ſchwer ſein verwunde-
tes Roß!
Es erſtickte der Laͤſterung Wort, und des
Befehls,
Jn der bangen Bruſt;
Halbverloͤſchend, noch wild, drehte ſich ſein Aug’
und bat
Jedes zuͤckende Schwert, jeden gehobnen Arm
um den Tod!
[105]Aber verſagt ward ihm des Schwerts und der
Tod des Arms!
Der Soͤhne Deutſchlands erbarmte nicht einer
ſich ſein!
Zeichnete ſeine Stirne nicht Gottes Fluch?
Schwebte nicht, wie uͤber das Aas der Ad-
ler ſchwebt,
Schwebte nicht ſo, ſichtbar, uͤber ihm die Ra-
che des Herrn?
Drei Tage lag er blutig, und drei Naͤchte ſo,
Umflattert von der Raben Heer!
Die Zuckungen ſeiner Qualen ſcheuchten der Ra-
ben Heer;
Noch lebend ward er endlich naͤchtlicher Woͤlfe
Raub!
Es fiel, ach! es fiel,
Heinrich fiel,
Juͤngling und Held!
Es weinte die Mutter,
Weinten die Schweſtern;
[106]Jm Grame ſtarb ſein junges Weib!
Ach, in ihrem keuſchen Schooſſe
Starb mit ihr ein Heldenkind!
Oede trauren um die Sproſſe
Seines edlen Heldenſtammes
Remlings anmutsvolle Thale
Und das alternde Kaſtell!
*)Nicht einer entrann
Von der Sklaven Heer!
Wie der Sturm mit herbſtlichem Laube
Quellen des Thales bedeckt,
So bedeckte lang und breit den Strom
Des Sklavenheeres Leichnam!
Die Heerde ſloh
Und duͤrſtend das Roß vom blutigen Strom.
Kein Sohn des Waldes nahte ſich ihm;
Nur der Rabe trank und der Adler und der Wolf!
Auf Bergen erſcholl der Sieger Geſang,
Und rollte freudige Donner ins Thal,
[107] Geſaͤnge der Jungfrauen toͤnten darein:
So floͤten Nachtigallen
Beim Felſenquell.
Hoch ſchwingt, tief ſchwingt, wild ſich umher
Der Adler des Geſangs!
Jn Blutgefilden weilen Geier unter ihm, denn
wir ſiegten oft.
Er eilet, er eilet, er ſchwebt
Ueber der lezten Schlacht mit ſteifem Fittig!
Es gluͤhte der Mittag; es rann
Heldenſchweiß auf zertretnes Gras;
Kuͤhlung des Waldes umwehete nur den Feind.
Drei Stunden wankte zwiſchen uns und ih-
nen der Sieg,
Wie roͤthlich die Saat wanket auf Huͤgeln hin
und her.
Da brachen hervor neue Schaaren aus des
Waldes Hoͤh,
Mit Waffengetoͤs und lautem Geſchrei!
Langſam, wie des Ozeanes Ebbe,
Wich der Freien linkes Heer!
[108]Da ſprengten hervor,
Auf ſchaͤumenden Roſſen,
Wie zuͤckende Blize,
Zween Juͤnglinge, Stolberg ihr Name, Reiſige
hinter ihnen her!
Wie der Rhein von jaͤhen Felſen herab
Seine Donner ſtuͤrzet und ewigen Schaum,
Mit des Adlers Eile, des Meeres Schall,
So die Heldenſchaar auf den ſtaunenden Feind!
Stolberg fochten und ſanken dahin
Den ſchoͤnen Tod,
Den blutigen Tod,
Den Freiheitstod!
Keine feige Klag’ erſchall
Bei der Helden fruͤhem Fall!
Einer ihrer Vaͤter wuͤnſchte
Mit der heiſſen Juͤnglingsthraͤne
Sich ſchoͤnen, blutigen Freiheitstod!
Zitternd floſſen ins Silbergewebe
Der Harfe die Thraͤnen der Sehnſucht
hinab!
[109]Siehe, da ſah er,
Jn heiliger Stunde,
Jenſeit Jahrhunderten,
Schlachten der Freiheit!
Sah die Heldenenkel fallen;
O wie ſchlug ſein Herz fuͤr Wonne!
Seine heiſſe Thraͤne ſtuͤrzte
Jn der Harfe Silberſturm!
Die Sonne war geſunken; der Abend
Kuͤhlte mit roͤthenden Fluͤgeln
Den alten Rhein;
Noch donnerte laut, noch blizte die Schlacht!
Von Zinnen des Himmels
Schauten, durch purpurne Wolken,
Hermann freudig, und Tell,
Luther und Klopſtock freudig herab auf un-
ſer Heer!
Athmeten uns zu
Feſten Entſchluß,
Staͤrke der Goͤtter und deutſchen Mut!
Die Feinde ſahn auf
Mit lechzenden Blicken
[110] Zur ſaͤumenden Daͤmrung!
Die Daͤmmerung kam;
Sie wankten, ſie wichen,
Sie goſſen ſich aus uͤber’s Gefild in zerſtreu-
ter Flucht!
Wir goſſen uns nach
Mit triefendem Schwert!
Sie hoften, es wuͤrde ſie huͤllen
Jm faltigen Mantel
Die ſchwarze Nacht;
Siehe da gieng ihnen auf uͤbers Tannengebirg
Der zuͤrnende Mond
Blutig und voll!
Verderbende Nacht!
Heilig und hehr
Dem freien Volke!
Mehr jedem Deutſchen, denn die Stunde der
Geburt!
Heilig und hehr,
Wie in den Armen der erroͤtheten Braut die
ſuͤſſe Nacht!
[111]Auf Bergen erſcholl der Siegergeſang!
Der Helden Geſang, der Freien Geſang!
Und rollte freudige Donner ins Thal!
Geſaͤnge der Jungfrauen toͤnten darein:
So rauſchen Waſſerfaͤlle
Zum Donner des Meeres am Felſengeſtad!
Du biſt frei! du biſt frei!
Deutſchland, frei!
Stolz ſteheſt du da unter den Nationen um
dich her!
Wie der Brocken ſtolz, wenn der Morgenroͤ-
the Licht
Seine Scheitel roͤthet, noch finſter unter ihm
Liegen die Thale, und nur daͤmmern die Gipfel
um ihn her!
Willkommen, Jahrhundert der Freiheit!
Groſſes Jahrhundert, willkommen!
Du ſchoͤnſte Tochter der ſpaͤtgebaͤrenden Zeit!
Sie gebar dich mit Schmerzen, und ſprang
ſtaunend auf,
Da geboren war das maͤchtige Kind!
[112]Zitternd nahm ſie dich in den muͤtterlichen Arm;
Freudige Schauer rauſchten ihre Glieder hinab
auf ihr Gewand;
Feierlich kuͤßte ſie deine Stirn,
Und Prophezeiung entquoll ihren Lippen, wie
ein Strom:
„Tochter, du nimſt hinweg deiner Mutter
Schmach!
Raͤchſt deiner Schweſtern weinenden Gram!
Unwillig kruͤmte jede ſich hinab ins Grab;
Denn in Locken der Jugend hofte jede zu fuͤhren
dein Schwert,
Zu halten deine Wage, Vergelterin!
Schon laͤchelſt du ſtolz an deiner Mutter Bruſt,
Schon flamt dein blauer rollender Blick,
Schon greifeſt du mich ſtark an mit der zarten
Hand;
Bald toͤnen um deine Wiege herum
Waſſengetoͤs und der Sieger Geſang!
Du waͤchſeſt ſchnell auf! ich ſehe dich ſchon
Jn ſchoͤner weiblichen Rieſengeſtalt,
[113] Mit zuͤckenden Wettern im vertilgenden Aug,
Mit wild hinſtroͤmendem goldenen Haar!
Donner entrollen deinem Fußtritt, und es ſtuͤr-
zen dahin
Die Throne, in die goldne Truͤmmer Tirannen
dahin!
Du gieſſeſt aus mit blutiger Hand der Freiheit
Strom!
Er ergeußt ſich uͤber Deutſchland; Segen bluͤht
An ſeinen Ufern, wie Blumen an der Wieſe
Quell.„
Stolb. H
Bei einer Schweizerhochzeit.
Des ganzen Dorfes frohe Schaar
Fuͤhrt dort vom heiligen Altar
Ein neuvermaͤhltes Ehepaar.
Seht, wie die Freude feierlich
Des Mannes Haupt erhoͤhet,
Seht, wie verſchaͤmt und jungfraͤulich
Die junge Gattin gehet!
Der Greiſe Blick verjuͤnget ſich,
Die Knaben huͤpfen freudiglich,
Die Maͤdlein fluͤſtern unter ſich;
Die Eltern halten nicht zuruͤck
[122] Die Freude dieſer Stunde,
Sie ſtroͤmt aus ihrem naſſen Blick,
Sie toͤnt von ihrem Munde.
So manches Weib, das ihrem Mann
Von ganzem Herzen zugethan,
Sieht ihn mit hellen Thraͤnen an;
Sie mahnt ihn an den erſten Tag,
Der ihren Bund geſchloſſen;
Sie ſinnt mit ihm den Freuden nach,
Die dieſem Tag entfloſſen.
Jhr liebe Beide, freuet euch!
Es ſei kein Gluͤck dem euren gleich;
An wackern Kindern werdet reich,
An Soͤhnen bieder und voll Mut
Nach alter Schweizerſitte,
An Toͤchtern ſanft und keuſch und gut,
Die Zierde eurer Huͤtte!
[123]Du ſeliges und theures Paar,
Du ſollſt im ſpaͤten Jubeljahr,
Bedeckt mit ſilbergrauem Haar,
Noch vielen Enkeln Muſter ſein
Von keuſcher Ehe Segen;
Sie werden einſt, wie ihr, ſich freun,
Und gehn auf euren Wegen!
Stolb. J
Lied an einen Freimaurer
bei ſeiner Aufnahme.
Mit Beben, wie die Freude bebet,
Und dankbar ſegnend dein Geſchick,
Von kuͤhner Ahndung neu belebet,
Voll Bruderliebe Herz und Blick;
So, Bruder, trit in unſre Mitte,
So ſchwoͤr den ſchauervollen Eid,
Und jeder iſt, nach Maurerſitte,
Dein Herzensfreund zu ſein bereit;
Und willig, Habe, Blut und Leben,
Nim dieſen Bruderkuß zum Pfand!
Fuͤr dich, und jeden hinzugeben,
Der ſich, wie du, mit uns verband.
[132]Auch dir ſei Habe, Blut und Leben
Zu theur fuͤr deine Bruͤder nicht,
Mit Freud’ und Demut es zu geben,
Das, Bruder, iſt des Maurers Pflicht!
Ach! rauh und ſteil ſind unſre Pfade,
Und harte Kaͤmpfe kaͤmpfen wir;
Fliehſt du den Kampf fliehſt du die Pfade,
Dann wehe! wehe! wehe! dir.
Getroſt! du fliehſt ſie nicht. Beginne
Mit Mut und Vorſicht deine Bahn,
Und dringe zu des Gipfels Zinne,
Zu der nur Hochgeweihte nahn.
Die Staͤrke ſtuͤtze deine Rechte,
Wenn machtlos ſie im Streite ficht;
Des Jrrſals und des Zweifels Naͤchte
Erhelle dir der Weisheit Licht.
[133]Schon ſank die Huͤlle! Sieh, es winket
Dir fern Aurorens junger Schein,
Doch grauer Nebel wallt und ſinket
Und huͤllt in Daͤmmerung dich ein!
So wallte Nebel einſt, und deckte
Des Tempels Heiligthum; es bebt
Der Soͤhne Levi Schaar; Sie ſchreckte
Gott, deſſen Schauer ſie umſchwebt.
Da ſchwiegen Pſalter, ſchwiegen Lieder;
Da flehte Salomon; da goß
Ein Strom des Lichtes ſich hernieder,
Der in des Weiſen Seele floß.
So quill’ auch dir des Lichtes Quelle,
Ergieß’ im vollen Strome ſich,
Verſcheuche Nebel, und erhelle
Und kraͤftig’ und belebe dich!
[134]Wohl dir, in unſrer Bruͤder Kreiſe!
Wohl uns! wir feiern dieſen Tag!
Jhm folge, nach der Vaͤter Weiſe,
Ein froh bekraͤnzter Abend nach.
Bei unſerm Freudenmahl’ erneue
Der volle Becher unſer Band;
Die Freud’ erſchein’ uns! Wahrheit, Treue,
Und Sittſamkeit an ihrer Hand!
Dann ſchallen feſtlich unſre Lieder,
Wir trinken ferner Bruͤder Gluͤck,
Und blicken auf bedraͤngte Bruͤder,
Und lindern freudig ihr Geſchick.
Homer.
An Vater Bodmer.
‘Τῃ νυν, και σοι τουτο, γερον, κειμηλιον εςω·’ ()Hom. II. XXIII.
Heil dir, Homer!
Freudiger, entflamter, weinender Dank
Bebt auf der Lippe,
Schimmert im Auge,
Traͤufelt, wie Thau,
Hinab in deines Geſanges heiligen Strom!
Jhn goß von Jda’s geweihtem Gipfel
Mutter Natur!
Freute ſich der ſtroͤmenden Flut,
Die voll Gottheit,
Wie der Sonnenbeſaͤte Guͤrtel der Nacht,
Toͤnend mit himliſchen Harmonien,
Waͤlzet ihre Wogen hinab in das hallende
Thal!
[141] Es freute ſich die Natur,
Rief ihre Goldgelockten Toͤchter;
Wahrheit und Schoͤnheit beugten ſich uͤber den
Strom,
Und erkanten in jeder Welle ſtaunend ihr Bild!
Es liebte dich fruͤh
Die heilige Natur!
Da deine Mutter im Thale dich gebar,
Wo Simonis in den Skamandros ſich er-
geußt,
Und ermattet dich ließ fallen in der Blumen
Thau,
Blickteſt du ſchon mit Dichtergefuͤhl
Der ſinkenden Sonne,
Die vom Thraziſchen Schneegebuͤrg,
Ueber purpurne Wallungen des Hellaͤſpon-
tos,
Dich begruͤßte, in ihr flammendes Geſicht!
Und es ſtrebten ſie zu greifen
Deine zarten Haͤnde,
Von ihrem Glanze roͤthlich, in die Luft empor!
[142]Da laͤchelte die Natur,
Weihte dich, und ſaͤugte dich an ihrer Bruſt!
Bildete, wie ſie bildete die Himmel,
Wie ſie bildete die Roſe,
Und den Thau, der vom Himmel in die Roſe
traͤuft,
Bildete ſorgſam den Knaben und den Juͤng-
ling ſo!
Gab dir der Erfindung
Flammenden Blick!
Gab, was nur ihren Schoͤßlingen ſie giebt,
Thraͤnen jegliches Gefuͤhls!
Die ſtuͤrzende, welche gluͤhende Wangen nezt,
Und die ſanftere, die von zitternder Wimper
Rint aufs erbleichte Geſicht!
Gab deiner Seele
Einfalt der Tauben und des Adlers Kraft!
Gleich deinem Liede,
Sanft nun, wie Quellen in des Mondes Schein,
Donnernd und ſtark nun, wie der Katarakte
Sturz!
Stolb. K
An die Grazien.
Leicht, wie Hauche des Abendwinds,
Schwebe leicht, mein Geſang! ſanft, wie des
Liebenden
Kuß von Lippe zu Lippe ſchwebt!
Wehe Duͤfte des Lobs, ſuͤſſer denn Weihrauchs
Duft,
Zum Altare der Grazien,
Junger Blumen Geruch, welche die Muſe mir
Jm geheimeren Thale las!
Laͤchelt immer mir zu, ſtimmet mein Saiten-
ſpiel,
Allbelebende Goͤttinnen!
Lehret meinen Geſang ſenken vom Himmel ſich,
Jn die Quelle der Schoͤnheit ſich
Tauchen, glaͤnzender dann ſteigen dem Himmel
zu!
[148]Ach, die Blume des Liedes welkt
Jn dem Kranze des Ruhms, wenn ſie ein Sterb-
licher
Mit unheiligen Haͤnden pfluͤckt!
Pfluͤcket ihr ſie fuͤr mich, daß nicht der ſilberne
Sonnenſtralende Morgenthau
Jhr enttraͤufle, ſie nicht hangend gekraͤuſelte
Blaͤtter ſenke der Erde zu!
Euch ſoll kuͤnftig ein Hain bluͤhender Stauden,
euch
Meine Quelle geweihet ſein,
Euch mein mooſiges Dach, und die Bewohner
der
Stillen Huͤtte geweihet ſein!
Suchet ihr mir, und bald, unter den freundlichen
Toͤchtern Deutſchlands ein Maͤdchen aus,
Blau die Augen, ihr Haar golden, und ſchlank
ihr Wuchs,
Sanft die Seele, den Augen gleich,
Daß ſie Prieſterin ſei eurem Altare, fruͤh,
Wenn ihr roͤthend die Sonne winkt,
Jhr im leichten Gewand flattert die Morgenluft,
Und im wallenden Schleierflor!
[149]Daß ſie Prieſterin ſei eurem Altare, ſpaͤt,
Wenn ihr winket der Abendſtern,
Und der Nachtigall Lied um den Altar ertoͤnt!
Wenn ein Kind ihr am Buſen haͤngt,
Wird ſie weihen das Kind euren Altaͤren; einſt
Wird die Tochter, die Enkelin
Euch noch ſingen mein Lied; dann werd’ ich
freudiger
Greis mit zitternden Thraͤnen noch
Mich am waͤrmenden Stral ſonnen, mit zit-
ternder
Hand noch ruͤhren mein Saitenſpiel,
Bis mit Laͤcheln mein Haupt ſanft in die Gru-
be ſinkt!
Die Schoͤnheit.
Wie freudig die Lerche
Schwebet entgegen
Dem roͤthenden Morgen,
So ſchwebet in melodiſchem Fluge des Geſangs,
Lieblichſte Tochter der Natur,
Schoͤnheit, meine duͤrſtende Seele dir nach!
Deine heimiſche Laube
Bluͤhet unter den Sternen nicht;
Aber auf Stralen des Himmels
Schwebeſt oft zu Sterblichen du hinab!
Laͤchelteſt mir oft,
Von purpurnen Wangen des Morgens,
[151] Oft vom Schimmer des Mondes,
Und vom Spiegel des Sees, den der Hain
umkraͤnzt,
Sanfte Ruh in die Seele,
Ahndungen und Himmelsgefuͤhl!
Ach, auf Wangen des Maͤdchens
Sah ich dich himliſcher noch!
Jn ſanftrollender Unſchuld
Jhrer ſchmelzenden Augen
Sah ich dich himliſcher noch!
Hoͤrte dich in den bebenden Melodien
Jhrer ſchwebenden Stimme!
Hoͤrte dich! ſah dich! fuͤhlte dich!
Und in Flammen der Liebs ......
Wehe mir! wehe!
Was bebt meine Seele
Ploͤzlich in die Ebbe des Geſangs zuruͤck!
Selinde!
Selinde!
Verſiegt bei deinem Bilde mein Geſang? ...
[152]Stolberg ſei ein Mann!
Stroͤme wieder, Geſang!
Stroͤm’, ich beſchwoͤre dich bei deiner Kraft!
Denn die heimiſche Laube
Der ſeligen Goͤttin
Bluͤhet unter den Sternen nicht!
Himliſche Urſchoͤnheit!
Oder wie nennen die Unſterblichen dich,
Welche beſſer noch dich kennen, als Homer,
Plato, Klopſtock und Oſſian?
Biſt du der olympiſchen Tugend
Schweſter? oder ſie ſelbſt?
Selige Bewohner des Lichts,
Welche ſich ſonnen in deinem Stral,
Und mit ſchwellendem Segel
Schiffen auf der Wahrheit unendlichem Oceanus!
Weiſe der Erde
Stehn am ſandigen Ufer,
Freun ſich, wie Kinder,
Wenn die kleine Kentniß
Zappelt an der Angel ſchwankendem Rohr!
[153]Laͤcheln, wie Kinder,
Ueber den weiſſen Schaum
Und die bunte Blaſe,
Ehe ſie am Geſtade zerplazt!
Lieber wall’ ich am Ufer,
Ruhig und Gedankenvoll!
So hoͤrt doch mein Ohr
Der ernſten Wogen rauſchenden Fall!
Es ſpaͤhet mein Blick
Die Argo, die einſt
Zum reineren Golde mich fuͤhrt!
Schweig indeſſen, Geſang!
Bis du einſt der Goͤttin,
Wie die Donau der Sonne,
Von ihrem Glanze golden und roth,
Freudig und donnernd entgegen ſtroͤmſt.
Hellebek,
eine ſeelaͤndiſche Gegend.
An
Ernſt Grafen von Schimmelmann
und
Emilie Graͤfin von Schimmelmann,
geborne Graͤfin von Ranzau.
Die mich oft auf wehenden Fluͤgeln des ro-
ſigen Morgens,
Oft in thauenden Duͤſten der Abendkuͤhle be-
ſuchte,
Die mir begegnet’ auf hangenden Pfaden der
heiligen Alpen,
Und auf gruͤnlichen Wellen des Sees im tanzen-
den Nachen
Mich ergriff, daß ich dem Sohne der Felſenkluft
zurief:
Stolb. L
[162] „Warum ſtuͤrzeſt du, Juͤngling, herab die don-
nernden Fluten
Jn den ſtilleren See? noch biſt du frei, wie
die Goͤtter!
Wie die Goͤtter, noch ſtark! dort unten harret
der Knechlſchaft
Ruhe dein! Enteile nicht, Juͤngling, dem naͤhe-
ren Himmel!„
O Begeiſtrung, wo warſt du, da ich, mit flehen-
der Stimme
Dich in mitternaͤchtlicher Stunde, vom Monde
beſchienen,
Einſam wallend am Ufer des Wogenrauſchenden
Meeres,
Jn der Fluten Geraͤuſch, im Schimmer der
Sterne dich ſuchte?
Sanft umſaͤuſelten mich und hehr die naͤchtlichen
Schauer;
Sinkendes Abendroth weilte noch uͤber Schwe-
dens Gebirge,
Und es tanzten die roͤthlichen Gipfel auf Wogen
des Nordmeers.
[163] Heller ſtralte der Sund, vom ſteigenden Monde
beſchienen;
Lieblich glitten auf beiden Meeren, mit ſchwel-
lendem Segel,
Schiffe, geruͤſtet mit ruhenden Blizen, und
huͤpfende Nachen,
Hier im Mondſchein, dort im ſterbenden Schim-
mer des Abends
Ueber mich wehten, auf hohem Geſtade, die
heiligen Buchen,
Deren kein nordiſcher Sturm, kein Sturm von
Oſten geſchonet.
Blizzerſchmetterten Wipfeln entſauſet feſtliches
Rauſchen,
Das mit Erinrung und Ahndung den ernſten
Waller erfuͤllet.
Ach, mir liſpelte freundlich die Stimme der jun-
gen Erinrung;
Denn hier ſah ich vor wenigen Stunden, mit
euch, ihr Geliebten,
Sinken die Sonn’ in Wogen des unermeßlichen
Meeres.
Siehe hier den Stein, an welchen Emilia hinſank,
[164] Stillerroͤthend vom Schimmer des Abends und
ſanften Gefuͤhlen.
Und wir ſanken zu ihren Fuͤſſen. Von Se-
ligkeit trunken
Jrrte dein Blick, o Freund! von ihren Augen
zur Sonne,
Von der Sonne zu ihren Augen! Dir ſtralte
ſie minder
Schoͤn in Wogen des Meers, als in Emiliens
Thraͤnen!
Ach! beim Anblick der Liebenden wandte mein
Bruder ſich, wiſchte
Eine Thraͤn’, und blickte nun wieder hinab auf
die Wellen.
Siehe, nun war die Sonne geſunken!
Nun ſauſten die Wipfel
Lauter, und lauter rauſchten ans Uſer die pur-
purnen Wogen.
Nun umſchwebten uns Bilder der Vorzeit; die
Leier von Selma
Toͤnet’ um uns, um uns die liebliche Stimme von
Kona.
[][figure]
[][165]Da erhuben wir uns auf Lochlins hohem
Geſtade *)Sahen jenſeit des Meers, am Fuſſe des Felſen-
gebirges,
Starno’s unwirtbaren Wohnplaz; dort lande-
te Fingal; dort ſah er
Agandecka; dort liebten ſich Fingal und Agan-
decka.
Ach! gleich einem Sterne, der finſtre Wolken
durchſchimmert,
Sah er das Fraͤulein zuerſt; in ihrem wallen-
den Buſen
Stieg das Bild des Helden empor wie die ſtei-
gende Sonne.
Starno laurte mit Raͤnken auf ihn; da bebte
des Fraͤuleins
Heimliche Thraͤne, da ſchlich ſie zu ihm in ſchwei-
gender Stunde:
„Sohn des hallenden Selma, dich will mein
Vater ermorden!
Fleuch! Dein harren im Walde verſteckt die
Soͤhne des Todes;
[166] Fleuch, und rette mich, Held, aus der Hand des
zuͤrnenden Vaters!„
Unbekuͤmmert gieng er zur Jagd, die Soͤhne
des Todes
Fielen durch ihn, und Gormal erſcholl von der
fallenden Ruͤſtung.
Starno blickte finſter umher: „Auf! rufet das
Maͤgdlein,
Daß ihr reiche die blutige Hand der Koͤnig
von Morven!„
Bleich erſchien, mit fliegendem Haar, das liebli-
che Maͤgdlein;
Seufzend hub ſich ihr Buſen, wie Schaum des
ſtroͤmenden Lubar;
Stille Thraͤnen entſtuͤrzten den niederblickenden
Augen.
Starno wandte ſein Haupt, und durchſtach ſie —
Agandecka
Fiel, wie rollender Schnee der Ronans Felſen
entgleitet;
Schweigend lauſchen die Haine der Stimme
des hallenden Thales.
[167] Fingal blickt’ auf die Helden umher. Da
flohen und ſanken
Lochlins Krieger. Er brachte das Fraͤulein mit
ſinkenden Locken
Auf ſein Schiff, und ſuchte die gruͤnende Kuͤſte
von Morven,
Dort erhebt ſich ihr Grab auf einem einſamen
Huͤgel;
Agandecka’s Wohnung umrauſchen die Wogen
des Weltmeers.
Oft umtoͤnte den Huͤgel die liebliche Stimme
von Kona,
Oſſians Leyer, mit ihr die Stimme der ſanften
Malvina!
So umwallten uns manche Geſichte der
grauenden Vorzeit.
Sie entſchwebten dem Wogengeraͤuſch des heili-
gen Meeres,
Dem Geſaͤuſel der Buchen, dem rothen und
thauenden Himmel.
[168]Lange wallten wir noch am hohen Ufer,
und ſahen
Unter uns drei ruhige Huͤtten, ans ſteile Geſtade
Angelehnt, und freundlich genezt von der ſchmei-
chelnden Welle.
Laͤmmer weideten zwiſchen den Huͤtten im wan-
kenden Graſe,
Und am kuͤhlenden Born mit ſprudelndem Sil-
bergeſtaͤnbe,
Weiden und bluͤhende Flieder umſchatten die mit-
telſte Huͤtte.
Laͤchelnd weilte beim lieblichen Anblick Emiliens
Auge.
„Fromm ſind deine Bewohner, du mooſige Huͤt-
te!„ ſie ſprach es,
Und es ſuchet’ ihr Blick den Pfad zur mooſigen
Huͤtte.
Suͤſſe Schauer ergriffen dich, Freundin! o laß
dir erzaͤhlen,
Welche Schauer es waren, und wer die Schauer
dir ſandte!
Fromme Seelen, das wuſteſt du nicht! um-
ſchwebten dich leiſe,
[169] Wehten dir Empfindungen zu und liſpelten
freundlich.
Dieſe Baͤume waren noch nicht; auf
eben der Staͤtte
Waren Huͤtten gebaut, und waren Huͤtten ge-
ſunken,
Und in aͤhnlicher Wohnung, von aͤhnlichen Baͤu-
men umſchattet,
Lebte Sveno hier mit ſeinem Weibe Gotilde,
Seinen mutigen Soͤhnen und zart aufbluͤhenden
Toͤchtern.
Aecker hatten ſie nicht, ſie lebten von Fruͤchten
des Gartens,
Von der einzigen Kuh, dem Netze, der ſchwan-
kenden Angel.
Oftmal ſaſſen ſie hier, gekuͤhlt von thauenden
Luͤften,
Wenn die Abendſonne das flutende Weltmeer
erhellte,
Bis ſich uͤber den Sund die oͤſtlichen Schimmer
des Mondes
[170] Zitternd erhuben, und heimzukehren die Gluͤckli-
chen lockten.
Kummer kannten ſie nicht, nur Sorgen der
zaͤrtlichſten Liebe;
Einfalt deckte den frohen Tiſch, ihn wuͤrzte die
Freiheit,
Und es ſorgte kein Tag fuͤr ſeine juͤngere Bruͤder.
Vater! es bauet der Menſch ſein Haus; es
niſtet die Schwalbe
Jm Geſimſe; du naͤhreſt die Schwalbe; du
naͤhreſt den Menſchen!
Fruͤhe fuhr taͤglich Sveno ins Meer mit taͤu-
ſchendem Netze,
Oft die Soͤhne mit ihm, oft Weib und Toͤchter
und Soͤhne.
Alſo fuhren ſie einſt zuſammen, und freuten ſich
herzlich
Ueber den Mond und den Morgenſtern und
den kommenden Morgen.
„Sveno, wie gleitet der Nachen ſo ſanft!„ —
„So fuͤhrt uns, Gotilde,
Gott durchs Leben, hinuͤber ins Land der ewigen
Ruhe!„ —
[171] Freudig ſagt’ es der Mann, und thraͤnend erwie-
dert Gotilde:
„Wer von uns wird zuerſt, o Sveno, den an-
dern verlaſſen?
Wer von uns zulezt die Kinder als Waiſen ver-
laſſen?„ —
„Wie Gott will! — Nun ſo rudert, ihr Kna-
ben! Es ſchwellen die Fluten.„
Vater und Knaben ruderten raſch; es laͤchelte
weinend,
Auf die Augen verbergende Hand geſtuͤtzet, Gotilde.
Gott ſah ihre Thraͤnen und rief dem Winde,
Schon rauſchte
Hoͤher die Flut; ſchon brauſte der Sturm;
ſchon tobte die Windsbraut,
Daß das Segel zerriß, eh’ ſie’s zu ſenken ver-
mogten.
Vater und Knaben ruderten raſch; nun weinte
die Mutter
Laut empor; es weinten, wie ſie, die zagenden
Toͤchter,
Bis die Welle ſich thuͤrmender hub, den Nachen an
Felſen
[172] Warf, und Vater und Mutter und Kinder auf
einmal hinabſchlang.
Engel ſchwebten uͤber der Flut: ſo ſchwebet der
Bogen
Gottes uͤber der ſtaͤubenden Flut des ſtuͤrzenden
Stromes!
Ach! nun ſchweben mit ihnen die Seelen in
ſtralendem Fluge
Alle zugleich hinuͤber ins Land der ewigen Ruhe.
Jhre Leichen trennte das Meer nicht, und wiegte
ſie ſorgſam
Ans Geſtad, und weinend begrub ſie, unter den
Buchen,
Auf dem Huͤgel, der Nachbar, wo uns, im Hau-
che des Abends,
Heitre Gedanken des Tods und der Auferſtehung
umſchwebten.
Sonne, du ſteigſt, und ſinkeſt, um wieder
zu ſteigen! Einſt wirſt du
Sinken in ewige Nacht! Dann fragen ſich
wundernd die Sterne:
[173] „Warum ſaͤumt die leuchtende Schweſter im pur-
purnen Lager?
Weilt ſie im kuͤhlenden Bade des Meers?„ —
Jm Bade des Meeres
Weilt ſie nicht, und nicht in ihrem purpurnen Lager;
Sterne, ſie ſtarb! Einſt ſterbt ihr, wie ſie, ihr
Soͤhne des Lichtes!
Ach! die goldene Saat von Sonnen und Ster-
nen und Monden
Rauſchet entgegen der Sichel des Todes, und
neue Gefilde
Keimen empor, dereinſt mit neuen Saaten gekroͤnet,
Bis auch dieſe das rollende Jahr des Himmels
gereifet! —
Laß ſie rollen die Jahre des Himmels! mit
Saaten der Schoͤpfung
Und mit Erndten der Schoͤpfung ein jedes berei-
chert; wir werden
Saͤen ſehn und erndten, geſchmuͤckt mit ewiger
Jugend!
Solche Gedanken fuͤhrten uns heim; wir
freuten uns innig
[174] Unſers unſterblichen Lebens und unſrer ewigen
Freundſchaft!
Freunde! die Goͤttin verlaͤßt mich, ſonſt
ſaͤng’ ich die lieblichen Haine,
Sie mit Baͤchen gewaͤſſert, geſchmuͤckt mit Huͤ-
geln und Thalen,
Und die zwanzig Seeen mit Eichen und Buchen
umkraͤnzet.
Saͤnge Waldemars Huͤgel, wo, unter rauſchen-
den Eſchen,
Mancher Schauer der Vorzeit den ſinnenden En-
kel erhaſchet.
Ach Begeiſtrung! melodiſch erſcholl der
Flug deiner Ankunft;
Nun enteileſt du mir im ſchwebenden Saiten-
geliſpel;
Kehre wieder, und bald, aus deiner toͤnenden
Halle!
An Juͤnglinge.
Jhr froͤhlichen Juͤnglinge, hoͤret
Den froͤhlichen Juͤngling! Er lehret
Euch gluͤcklich und weiſe zu ſein.
Heut iſt mir’s im Herzen ſo helle!
Jch ſchoͤpfe die Freud’ aus der Quelle
Jn altem Hungariſchen Wein!
Auf wackre Geſellen, und traͤnket
Mit Freude die Seelen! Es kraͤnket
Den hoͤlliſchen Drachen das Gluͤck.
Doch huͤtet euch, Bruͤder! Er lauſchet,
Und wo ſich ein Juͤngling berauſchet,
Da grinzt er mit ſchielendem Blick!
[176]Oft fuͤhrt er bei naͤchtlichen Fackeln
Die Reigen der Thoren; ſie wackeln
Frohlockend, und traͤumen nicht Harm.
Er fuͤhrt ſie im Taumel des Tanzes;
Noch duften die Blumen des Kranzes,
Schon haͤlt ſie die Lais im Arm.
Jch warne dich, flatternde Jugend:
Oft grenzet die Freude der Tugend
An giftiger Laſter Genuß.
So ſchleichet, im freundlichen Schatten
Der Pappel, auf bluͤhenden Matten,
Die Natter, und ſticht dich in Fuß.
Drum merke dir, was ich dich lehre:
Auf daß dich der Feind nicht bethoͤre,
So ſuche dir heut noch ein Weib!
Statt laͤnger zu flattern, erwaͤhle
Ein Maͤdchen mit lieblicher Seele,
Und eben ſo lieblichem Leib!
[177]Es halte ſich jeder zur Schande,
Zu fliehn die holdſeligen Bande,
Womit uns ein Weibchen umſchlingt!
Sie fuͤhrt uns am roſigen Baͤndchen,
Mit ſamtnen liebkoſenden Haͤndchen,
Bis ſie in den Himmel uns bringt!
O Wonne, ſein Weibchen zu wiegen
Jn Armen der Liebe, zu liegen
Beim Weibchen in ſuͤſſem Genuß!
Jch achte, mit neidenden Blicken
Und ſchmachtendem Geiſterentzuͤcken,
Umſchweben die Engel den Kuß.
Jch haͤtt’ euch noch vieles gelehret;
Das Maͤdchen hier hat mich geſtoͤret;
Sie weckte den Trunknen dort auf.
Wart, Braune! Gleich wirſt du ihm buͤſſen!
Er ſtraͤft dich mit duftenden Kuͤſſen.
Und haſcht dich im wankenden Lauf!
Stolb. M
An
F. L. Grafen zu Stolberg
von
Gottfried Auguſt Buͤrger.
Friz! Friz! bei den Unſterblichen, die hold
Auch meinem Leben ſind! — Sie zeugen mir! —
Sieh, Angeſichts der Ritter unſers Volks
Und ihrer loſen Knappen, ſchreiteſt du
Zu Truz, mit Wehr und Waffen in mein Feld,
Und wirfſt den Fehdehandſchuh vor mich hin!
Ha! ſchauerte nun auch die Menſchlichkeit,
Wie Hektorn vor dem Ajax und Achill,
Vor dir mich an; huͤb ich ihn doch empor!
Bei Gott! bei Gott! Du Troziger, ich muß! —
So gelt es denn! Sieg gelt’ es, oder Tod! —
Denn wiſſe! keinem Knaben ſprichſt du Hohn,
Der ſeine erſten Waffen ſchwankend pruͤft.
[185]Straff ſind die Sehnen meiner Jugendkraft;
Jch bin gewandt zu ringen; meinem Arm
Jſt Phoͤbus guͤldnes Schwert ein Halmenſpiel;
Den Silberbogen des Ferntreffenden
Weis ich zu ſpannen; treffe ſcharf das Ziel;
Mein Koͤcher raſſelt goldner Pfeile voll —
Wer mag einher in meiner Ruͤſtung gehn? —
Es gelte, Friz! Sieg gelt’ es, oder Tod! —
Du! huldigt dir Geſang und Sprach’ allein?
Und waltet nicht des Maͤoniden Geiſt
Auch uͤber meinem Haupt? Jch rang mit ihm,
Wie Herkuls Kraft mit Anteus Zauber rang.
Bezwang ich ihn nicht oben in der Luft? —
Jch komm’! ich komme dir! denn ehren mag
Ein ſolcher Widerſacher das Gefecht.
Wie wird des Sieges Blume meinen Kranz
Verherlichen! — Und gaͤbe mich der Rath
Der Himmelsherſcher dir auch unterthan,
So koͤnt’ ich doch von keiner edlern Hand,
Als deiner, ſterben, edler, ſtarker Held!
Auf! ruͤſte dich! Sieg gilt es, oder Tod!
Antwort
an
Gottfried Auguſt Buͤrger.
Η μεν εμαρναϑην εριδος περι ϑυμοςοροιο,
Ηδ αυτ εν φιλοτητι διετμαγεν αρϑμησαντε.
Dieſe Helden kaͤmpften aus heiſſer Begierde des Ruhmes,
Und dann ſchieden ſie wieder mit Freundſchaft aus einander.
Homer. Jlias 7.
Fried’ und Freude dem Saͤnger zuvor, und
traulichen Handſchlag!
Sieh, ich habe dein Zuͤrnen vernommen am fer-
nen Geſtade,
Hoͤrte den Fluͤgelſchlag deines Geſangs; melodi-
ſche Stuͤrme
Deiner Leier erhuben ihn hoch; ein Rieſenadler
Steht er vor mir, mit draͤuender Klaue, mit
ruͤſtigem Fittig;
Und ſchon zuͤrnt’ ich entgegen. Da ſaßte mich
Pallas Athaͤnaͤ
[187] Bei den goldnen Locken; ich wandte mich ſtraͤu-
bend; mein Auge
Staunte zuruͤck, vom Blize der goͤttlichen Augen
getroffen.
Sieh, ich bebte nicht dir; ich bebte der furcht-
baren Goͤttin.
Sie verſchwand; da war mir, als athmet’ ich
liebliche Duͤfte,
Laͤg’ am blumigen Hange des Helikon, unter der
Kuͤhlung
Wehender Schatten, an Aganippens Silberge-
ſaͤuſel.
Nun erwacht’ ich, und zuͤrnte nun wieder, und
grif zu der Leier.
Aber es hatte die juͤngſte der Muſen die Leier
umſtimmet,
Daß ſie nicht toͤnte wie ſonſt, wie Donner, wie
Stimmen der Meere,
Sondern wie Liſpel des wankenden Schilfes, wie
zaͤrtliche Klagen
Junger Nachtigalln auf bluͤhenden Zweigen der
Myrten.
[188] Und mir kehrte die Weisheit zuruͤck; ſie pfluͤckte
den Oelzweig
Den ich dir reiche; ſie redet durch mich; ver-
nim und ſei weiſe!
Siehe, zwar kraͤnzen uns Locken der Ju-
gend, doch rauſchet der Lorbeer
Ueber den Locken; es kuͤhlet die Palme den
Schweiß an der Stirne.
Fruͤh betraten wir beide den Pfad des ewigen
Ruhmes,
Fruͤh erreichten wir beide das Ziel. Auf trozen-
den Felſen
Stehn wir, und laͤcheln entgegen dem Strome
der kommenden Zeiten.
Hier beſuchen uns oft Kronions liebliche Toͤchter,
Lehren uns oft die eigne Leier beſeelen, und brin-
gen
Oſt herab vom Olymp die Harfe des Maͤoniden.
Laß uns beide das heilige Lied des goͤttlichen
Greiſen
Unſerm Volke ſingen; wir lieben den Goͤttlichen
Beide!
[189] Freund, gehabe dich wohl! ich kenne die rufen-
de Stimme,
Hoͤre wiehern die feurigen Roſſ’ am flammenden
Wagen;
Siehe, mir winket die Muſ’; ich folge der win-
kenden Goͤttin!
Die Buͤſſende.
Ballade.
Hoͤrt, ihr lieben deutſchen Frauen,
Die ihr in der Bluͤthe ſeid,
Eine Maͤhr’ aus alter Zeit,
Die ich ſelbſt nicht ohne Grauen
Euren Ohren kan vertrauen;
Denn mit Schrecken ſollt ihr ſchauen,
Wie ein Ritter ſonder Glimpf
Raͤchte ſeines Bettes Schimpf.
Jn den alten Biederzeiten,
Da noch Keuſchheit Sitte war,
Und ein Weib nicht um ein Haar
Durft’ aus ihrem Wege gleiten,
Kam ein Rittersmann von weiten,
Der zum Kaiſer ſolte reiten,
Von Navarra’s Fuͤrſt geſandt
Jn das heil’ge deutſche Land.
[193]Einſt da Strom und Nachtwind brauſte,
Und ſein Roß ermuͤdet war,
Ward er eine Burg gewahr,
Wo ein deutſcher Ritter hauſte,
Deſſen Hof der Sturm durchſauſte,
Und der Ulmen Haupt zerzauſte;
Freudig leitet’ er ſein Roß
An das hochgethuͤrmte Schloß.
Laut klopft er ans Thor; es klappen
Jhm die Zaͤhn’, er war erſtarrt;
Denn des Winters Froſt war hart.
Bald erſchienen edle Knappen,
Forſchten nach des Fremdlings Wappen,
Hielten ſeinen treuen Rappen,
Fuͤhrten dann bei Fackelſchein
Jhn in den Palaſt hinein.
Stolb. N
[194]Herzlich, nach der Deutſchen Weiſe,
Ging auf ihn der Deutſche zu:
„Kom, geneuß bei mir der Ruh
Nach der ſchweren Winterreiſe,
Und erquicke dich mit Speiſe!
Sieh, es glaͤnzt von Reif und Eiſe
Dir das Haupthaar und der Bart;
Auch iſt deine Hand erſtarrt.„ —
Bei der krummen Hoͤrner Schalle
Fuͤhrt’ er den erfrornen Mann,
Einen Windelſteig hinan,
Jn die kerzenvolle Halle.
Seine Vaͤter ſtanden alle,
Aus gegoſſenem Metalle,
Schoͤn gewapnet, ohne Zahl
Jn dem ungeheuren Saal.
[195]Hier heißt er das Mahl bereiten,
Und ſchon ſizen ſie am Tiſch.
Unſre Helden trinken friſch,
Aus Pokalen und aus breiten
Tumlern, nach dem Brauch der Zeiten;
Rheinwein und Tokayer gleiten
Jn die Kehlen glatt hinein,
Welſcher und Burgunder Wein.
Aber mitten in der Freude
Oefnet eine Thuͤre ſich;
Stum und langſam feierlich,
Komt ein Weib in ſchwarzem Kleide,
Ohne Gold, Geſchmuck und Seide,
Abgehaͤrmt von bitterm Leide,
Mit geſchornem Haupte, ſchoͤn
Wie der blaſſe Mond zu ſehn.
[196]Grauen uͤberfiel und Beben
Den Navarrer; er ward blaß;
Jhm entſank ein Doppelglaß,
Und er zweifelte, ob Leben
Waͤr’ im Weibe, ob ſie ſchweben,
Senken, oder ſich erheben
Wuͤrde, ein Geſpenſt der Nacht,
Das in grauſen Stunden wacht.
Aber naͤher kam ſie ihnen,
Sezte nun ſich an den Tiſch,
Aß zween Biſſen Brod und Fiſch,
Und ſie ſchellte; da erſchienen,
Mit des Mitleids truͤben Mienen,
Knappen, ihrer Frau zu dienen;
Einem winkt ſie; er verſteht
Jhren Jammerblick, und geht.
[197]Und ſchon haͤlt er in der Linken
Einen Schaͤdel, ſpuͤlt ihn rein,
Gieſſet Waſſer dann hinein,
Haͤlt’s ihr ſchweigend dar zu trinken;
Ach! ſie laͤßt die Augen ſinken,
Sieht den naſſen Schaͤdel blinken,
Starret vor ſich, trinkt ihn aus,
Sezt ihn hin, und wankt hinaus.
„Jch beſchwoͤre dich, zu ſagen,„
Hub der fremde Ritter an:
„Was hat dir dies Weib gethan?
Wie kanſt du mit dieſen Plagen
So ſie martern? wie ertragen
Jhrer Thraͤnen ſtumme Klagen?
Sie iſt ſchoͤn, wie Engel ſind,
Und geduldig, wie ein Kind.„ —
[198]„Fremdling, ſie iſt ſchoͤn! Jch baute
Auf die Schoͤnheit all mein Gluͤck;
Labte mich an ihrem Blick,
Wann ſie bei der ſanften Laute
From und liebend auf mich ſchaute!
Ach! mein ganzes Herz vertraute
Sonder Zweifeln ich ihr an,
War ein hochbegluͤckter Mann!
Jhre ſchoͤnen Augen logen!
Wer ergruͤndet Weibesſinn?
Jhre Liebe war dahin,
Einem Buben zugeflogen,
Den ich in der Burg erzogen!
Lange hat ſie mich betrogen;
Meines Herzens Lieb und Treu
Blieb ſich immer gleich und neu!
[199]Als ich einſt von frohen Siegen
Unvermutet kam zuruͤck,
Ach! da ſah mein erſter Blick,
Der ſie fand nach langen Kriegen,
Sie in meinem Bette liegen
Mit dem Ehebrecher! Schmiegen
Thaͤt er wie ein Lindwurm ſich,
Doch ihn traf der Todesſtich!
Aber ſie fiel mir zu Fuͤſſen,
Flehend: „Herr, erbarme dich
Meiner, und erwuͤrge mich!
Laß mich mein Verbrechen buͤſſen!
Sieh, das Eiſen moͤgt’ ich kuͤſſen,
Das da ſoll mein Blut vergieſſen,
Und mich bald in jener Welt
Meinem Trauten zugeſellt!„ —
[200]Jn dem Augenblick gedachte
Jch in meinem Zorne doch
Jhrer armen Seelen noch,
Und das Bild der Hoͤlle brachte
Schrecken in mein Herz; doch wachte
Meine Rache noch, und fachte
Meines Zornes Glut; ich ſprach:
„Buͤſſen ſollſt du meine Schmach!
Aber nicht mit deinem Leben! —
Denn was haͤtt’ ich deß Gewinn,
So du fuͤhrſt zum Teufel hin?
Nein, mit Thraͤnen, Flehn und Beben,
Magſt du nach dem Heile ſtreben,
Ob dir wolle Gott vergeben;
Aber Jammer, Angſt und Noth
Geb ich dir bis an den Tod!„
[201]Da thaͤt ich ihr Haupt beſcheeren,
Nahm ihr Gold und Edelſtein,
Huͤllte ſie in Trauer ein,
Ungeruͤhrt von ihren Zaͤhren.
Welche Schmerzen ſie verzehren,
Magſt du von ihr ſelber hoͤren.
Faſſe dich, und folge mir
Hier durch dieſe Seitenthuͤr!„ —
Und er fuͤhrt’ ihn eine lange,
Steile, dunkle Trepp’ hinab.
„Ach! du fuͤhrſt mich in ein Grab!„ —
Rief der Ritter, und ward bange.
„Graut dir ſchon vor dieſem Gange?
Aber horch dem leiſen Klange
Einer Laute! Bei dem Klang
Singt ſie ihren Bußgeſang.„ —
[202]„Halt! nun ſind wir an der Schwelle!„ —
Rief der Deutſche, ſtieß ans Schloß;
Raſſelnd ſprang die Feder los,
Und ſie ſahn ſie in der Zelle.
Von den Augen ſtuͤrzt die helle,
Gottgeweihte Thraͤnenquelle,
Flieſſet, aus zerknirſchtem Sinn,
Auf das ofne Pſalmbuch hin.
„Ach! wie iſt ihr Schickſal bitter!„
Ruft der Gaſt, und geht hinein.
Stracks fuͤhrt’ ihn an einen Schrein
Der geſtrenge Deutſche Ritter.
Wie getroffen vom Gewitter
Sieht er, hinter einem Gitter,
O, wer haͤtte das geglaubt?
Ein Gerippe ſonder Haupt.
[][figure]
[][203]Als der Fremdling ſich ermannte,
Sprach der Deutſche: „Sieh den Mann,
Der dies Weib hier liebgewann,
Erſt fuͤr ſie im ſtillen brannte,
Dann ſein Feuer ihr bekannte;
Den ſie ihren Trauten nannte,
Der mit ſeiner Frevelthat
Mir mein Bett beſchimpfet hat!
Das iſt nun ihr groͤßtes Leiden,
Daß ſie ihren Ehemann,
Der ſolch Leid ihr angethan,
Muß beſtaͤndig um ſich leiden!
Jenes Anblick gab ihr Freuden
Sonſt, nun moͤgt’ ſie gern ihn meiden,
Doch ſie ſieht ihn, und beim Mahl
Jſt ſein Schaͤdel ihr Pokal.„ —
[204]Ehe ſie das Weib verlaſſen,
Wuͤnſcht der Fremdling ihr Geduld,
Und Erlaſſung ihrer Schuld.
Sie antwortete gelaſſen
Mit geſenktem Blick, und blaſſen
Lippen: „Ritter, nicht zu faſſen
Jſt mit Worten mein Vergehn!
Deiner Magd iſt recht geſchehn!„ —
Freundlich wuͤnſchte ſie den Rittern
Gute Nacht! Sie gehen fort
Aus dem jammervollen Ort.
Bilder ihrer Angſt erſchuͤttern
Den Navarrer; ſie verbittern
Jhm den dunkeln Weg; es zittern
Seine Kniee; banger Schweiß
Ueberlaͤuft ihn, kalt wie Eis.
[205]Endlich koͤmt er in ſein Zimmer.
Bang’ und kummervoll durchwacht
Er die lange Winternacht.
Ach! er ſah ihr Bildniß immer,
Wie ſie bei der Lampe Schimmer
Spielte, ſang und weinte. Nimmer
Ward wol je ein Weib geſehn,
Das ſo elend war und ſchoͤn.
Bei der goldnen Morgenroͤthe
Thaͤt er ſeine Ruͤſtung an,
Gieng hinein zum deutſchen Mann,
Nahm ihn bei der Hand und flehte,
Daß er, eh der Gram ſie toͤdte,
Aus dem Jammer ſie errette;
Sprach es, ſchwang ſich auf ſein Roß,
Und verließ das alte Schloß.
[206]Jahre waͤhrten ihre Leiden;
Jhre helle Thraͤne ſank
Taͤglich in den bittern Trank,
Abgeſtorben allen Freuden,
Thaͤt ſie jedes Labſal meiden,
Thaͤt an ihrem Gram ſich weiden,
Sang den frommen Bußgeſang
Taͤglich bei der Laute Klang.
Endlich ruͤhrt’ ihr leiſes Stoͤhnen,
Und ihr demutvoller Schmerz
Des geſtrengen Mannes Herz.
Wer vermag ſich zu den Toͤnen
Leiſer Klage zu gewoͤhnen?
Ruͤhrender bewegen Thraͤnen
Einer ſtummen Dulderin
Jeden felſenharten Sinn.
[207]Sieh, er ließ ſein raſches Draͤuen,
Jhr die ganze Lebenszeit
Anzufuͤgen ſolches Leid,
Sich aus Herzensgrunde reuen;
Nahm ſie in ſein Bett von neuen,
Thaͤt ſich weidlich mit ihr freuen;
Zeugte Soͤhne, ſtark von Art,
Toͤchter, wie die Mutter zart.
Unſre Frauen zu belehren
Hab ich ſolches kund gemacht,
Und in ſaubre Reimlein bracht;
Auch die Herrchen zu bekehren,
Die der Weiblein Herz bethoͤren,
Und ſich taͤglich bei uns mehren.
Tauſend Schaͤdel, die wir ſehn,
Solten auf dem Schenktiſch ſtehn.
An das Meer.
Du heiliges und weites Meer,
Wie iſt dein Anblick mir ſo hehr!
Sei mir im fruͤhen Stral gegruͤßt,
Der zitternd deine Lippen kuͤßt!
Wohl mir, daß ich, mit dir vertraut,
Viel tauſendmal dich angeſchaut!
Es kehrte jedesmal mein Blick
Mit innigem Gefuͤhl zuruͤck.
Jch lauſche dir mit trunknem Ohr,
Es ſteigt mein Geiſt mit dir empor,
Und ſenket ſich mit dir hinab
Jn der Natur geheimes Grab.
[209]Wann ſich zu dir die Sonne neigt,
Erroͤthend in dein Lager ſteigt,
Dann toͤnet deiner Wogen Klang
Der muͤden Erde Wiegenſang.
Es lauſchet dir der Abendſtern,
Und winket freundlich dir von fern;
Dir laͤchelt Luna, wann ihr Licht
Sich millionenfaͤltig bricht.
Oft eil’ ich, aus der Haine Ruh,
Mit Wonne deinen Wogen zu,
Und ſenke mich hinab in dich,
Und kuͤhle, labe, ſtaͤrke mich.
Der Geiſt des Herrn den Dichter zeugt,
Die Erde muͤtterlich ihn ſaͤugt,
Auf deiner Wogen blauem Schooß
Wiegt ſeine Phantaſei ſich groß.
Stolb. O
[210]Der blinde Saͤnger ſtand am Meer;
Die Wogen rauſchten um ihn her,
Und Rieſenthaten goldner Zeit
Umrauſchten ihn im Feierkleid.
Es kam zu ihm auf Schwanenſchwung
Melodiſch die Begeiſterung,
Und Jlias und Oduͤſſee
Entſtiegen mit Geſang der See.
Haͤtt’ er geſehn, waͤr um ihn her
Verſchwunden Himmel, Erd’ und Meer;
Sie ſangen vor des Blinden Blick
Den Himmel, Erd’ und Meer zuruͤck.
Theokrits achte Jdylle.
- Daphnis,
- Menalkas
- und der Ziegenhirt.
Einſt im Gebirge begegneten ſich, ſo ſagen die
Hirten,
Daphnis weidend die Heerde der Kuͤhe, der
Schafe Menalkas,
Beide mit goldenen Locken, und beid’ in der Bluͤte
der Jugend;
Beide des Hirtengeſanges erfahren, beide der
Floͤte.
Als er Daphnis erblickte, begann zufoͤrderſt Me-
nalkas:
[212]Menalkas.
Daphnis, Hirt der bruͤllenden Kuͤhe, wollen
wir ſingen?
Dich beſieg’ ich, das mein’ ich, im Singen, nach
eignem Behagen.
Daphnis erwiederte ſchnell, der ſchoͤne Daphnis,
und ſagte:
Daphnis.
Schaͤfer der wolligen Heerd’, o Floͤtenſpieler
Menalkas,
Nimmer beſiegeſt du mich, und wenn du erſtick-
teſt im Singen.
Menalkas.
Willſt du, daß wir uns pruͤfen und ſezen die Preiſe
der Wette?
Daphnis.
Gut! wir wollen uns pruͤfen und ſezen die Prei-
ſe der Wette.
[213]Menalkas.
Aber was ſezen wir, ſprich, das wuͤrdig unſerer
waͤre?
Daphnis.
Jch eine Starke, du ſezeſt ein Lamm, ſo groß
wie die Mutter.
Menalkas.
Nein! ich ſeze, wahrlich, kein Lamm! der Vater
iſt ſtrenge,
Strenge die Mutter, ſie zaͤhlen, und jeglichen
Abend, die Heerde.
Daphnis.
Aber, was ſezen wir denn? was ſei die Beute
des Siegers?
Menalkas.
Jch eine ſchoͤne, ſie macht’ ich mir ſelbſt, neun-
ſtimmige Floͤte;
[214] Weiſſes Wachs verkleibet die Oefnung unten und
oben;
Dieſe ſez’ ich zum Preis, und nicht die Habe des
Vaters.
Daphnis.
Auch ich hab’ eine Floͤte, Menalkas, mit neun
Stimmen;
Weiſſes Wachs verkleibet die Oefnung unten und
oben;
Juͤngſt vereint’ ich die Fugen der Glieder; noch
ſchmerzet der Finger,
Dieſer Finger, welchen das Rohr, ſich ſpaltend,
verlezte.
Aber wer ſoll entſcheiden, und wer die Singen-
den hoͤren?
Menalkas.
Jenen Hirten der Ziegen, o Daphnis, laß ihn
uns rufen,
Deſſen weißlicher Hund dort bellt bei den huͤpfen-
den Kizlein.
[215] Und es riefen die Knaben, es kam ſie zu hoͤren
der Hirte;
Und es ſangen die Knaben, entſcheiden wolte der
Hirte.
Erſt begann, ſo fiel ihm das Loos, der Saͤnger
Menalkas,
Dann erwiederte Daphnis im Wechſelgeſange der
Hirten,
Singend ein laͤndliches Lied. Nun ſcholl die
Stimme Menalkas:
Menalkas.
Thaͤler und Stroͤme, Goͤttergeſchlecht! wenn je-
mal Menalkas,
Floͤtenkundig, ein Lied ſang, ein liebliches
Lied;
O ſo weidet nach ihrem Geluͤſten die Laͤmmlein,
und treibet
Daphnis die Kaͤlber herzu, find’ er die Fuͤlle,
wie ich!
Daphnis.
Quellen und Kraͤuter, ſuͤſſe Gewaͤchſe! wenn
aͤhnlich dem Liede,
[216] Welches die Nachtigal ſingt, toͤnet Daphnis
Geſang;
Meine Farren, o maͤſtet ſie mir! und fuͤhret
Menalkas
Seine Laͤmmer euch zu, lach’ ihm die uͤp-
pige Flur!
Menalkas.
Alles iſt Lenz, und alles iſt Trift! Es ſchwellen
die Euter,
Alle ſchwellen von Milch, welche die Saͤug-
linge naͤhrt.
Da, wo die ſchoͤne Phillis erſcheint, und wo ſie
verſchwindet,
Ach! da ſchmachten alsbald Schaͤfer und
Pflanze zugleich.
Daphnis.
Zwillinge ſaͤugen die Schaf’ und die Ziegen, es
fuͤllen die Bienen
Honig in Koͤrben, es traͤuft Honig die Ei-
chen herab,
[217] Da, wo wandelt die ſchoͤne Likoris; wenn ſie
entweichet,
Ach, dann ſchwinden hinweg, Hirt und Rin-
der hinweg!
Gatte der weiſſen Ziegen, o Geisbock! hin zu des
Waldes
Dichtem Schatten! und ihr Kizlein, erei-
let den Quell!
Dort iſt meine Likoris! ach eilt und ſagt ihr:
Die Goͤttin
Habe den Hirten geliebt! Venus Adonis
geliebt!
Menalkas.
Pelops Reiche begehr’ ich nicht, und nicht Ata-
lanta’s
Goldnen Apfel, und nicht Winde verhoͤhen-
den Lauf;
Aber ſingend, am Fuſſe des Felſen, in deiner
Umarmung,
Unſre Schafe, vereint, weiden am Meere
zu ſehn!
[218]Stuͤrme ſind furchtbar den Baͤumen, und Duͤr-
ren furchtbar den Saaten,
Schlingen dem Vogel, und dir Neze, du
freies Gewild,
Zarter Maͤdchen Liebe dem Juͤngling, o Jupiter,
Vater!
Sage, lieb ich allein? liebſt du die Maͤdchen
nicht auch?
Alſo erſcholl die Stimme der Knaben in Wechſel-
geſaͤngen,
Und es begann das lezte der Lieder von neuem
Menalkas:
Menalkas.
Schone der ſaͤugenden Ziegen, o Wolf, und ſchone
der Kizlein;
Ach und meiner! des kleinen Begleiters der maͤch-
tigen Heerde;
Fix! dich haͤlt ein toͤdtlicher Schlaf, erwache!
gefeſſelt,
[219] Ziemt es dem Hunde des Hirten auf ſeiner Wache
zu ſchnarchen?
Saͤttiget, ſonder Scham, mit zartem Gras euch,
ihr Schafe!
Saͤttiget, ſaͤttiget euch, wolan! und fuͤllet die
Euter
Fuͤr das ſaugende Lamm und fuͤr den ſchaͤumen-
den Eimer.
Alſo ſang er: Daphnis begann mit lieblicher
Stimme:
Geſtern trieb ich die Rinder bei ihrer Grotte
voruͤber;
„Schoͤner Daphnis!„ rief, „o Schoͤner!„ das
ſpottende Maͤdchen;
Doch, ich ſchwieg, und erwiederte nichts der
beiſſenden Rede,
Sondern verfolgte den Pfad mit niedergeſchlage-
nen Augen.
[220]Lieblich iſt die Stimme der Ferſe, lieblich ihr
Odem;
Lieblich bruͤllet das Kalb, und lieblich die Mutter
des Kalbes;
Lieblich iſt es im Sommer zu ruhen am flieſſen-
den Waſſer;
Eiche, du prangſt mit der Eichel! der Apfelbaum
mit dem Apfel,
Mit dem Kalbe die Kuh, mit ſeinen Kuͤhen der
der Hirte.
Alſo ſangen die Knaben; es ſprach der Hirte
der Ziegen:
Suͤß ſind deine Lippen, o Daphnis, lieblich die
Stimme;
Lieblicher iſt es dich ſingen zu hoͤren, als Honig
zu ſaugen.
Nim die Floͤten, du Sieger im Liede; du haſt
ſie gewonnen!
[221] Ach, und wenn du, weidend mit mir, mich leh-
ren es wolteſt;
Dieſe Ziege bekaͤmeſt du dann mit verſtuͤmmelten
Hoͤrnern,
Welche beſtaͤndig bis uͤber den Rand den Eimer
fuͤllet.
Das erfreute den ſiegenden Knaben; er
klatſcht’ in die Haͤnde;
Wie zu der Mutter huͤpfet das Reh, ſo huͤpfte
der Knabe.
Jenem aber verzehrte der quaͤlende Harm die
Seele.
Ach, er traurte! ſo trauert die Braut, die Neu-
vermaͤhlte.
Nun war Daphnis unter den Hirten der erſte
geworden,
Und es vermaͤhlte ſich fruͤh mit der Nymphe Nais
der Juͤngling.
Theokrits neunte Jdylle.
Daphnis. Menalkas. Der Hirt.
Der Hirt.
Singe, nach Hirtengebrauch; o Daphnis!
Es toͤne zufoͤrderſt,
Dein Geſang ertoͤne zufoͤrderſt; ihm folge Me-
nalkas!
Gebet den Kuͤhen die Kaͤlber, und gebet die Fer-
ſen den Stieren,
Daß ſie weiden zuſammen, und irren im Laube
der Buͤſche,
Graſend um uns herum! Kom, deine laͤndli-
che Weiſe
Singe du hier, und es halle von dort die Stim-
me Menalkas.
[223]Daphnis.
Lieblich ſchallet die Stimme der Kuh, und lieb-
lich des Kalbes
Lieblich der Floͤte, lieblich des Hirten, und mei-
ne lieblich!
Nah iſt am klaren Bache mein Lager; da lie-
gen verbreitet
Weiſſer Kuͤhe glaͤnzende Haͤute, welche mir alle
Ach die Weidenden! ſtuͤrzte vom Felſengipfel der
Sturmwind.
Und ich achte nicht mehr den ſengenden Sommer,
als achtet
Ein Verliebter die Rede des Vaters, die Rede
der Mutter.
So ſang Daphnis, und alſo erwiederte ſingend
Menalkas:
Menalkas.
Aetna, meine Mutter! ich wohn’ in deinen
Gewoͤlben;
Schoͤn iſt meine Behauſung, und alles, welches
in Traͤumen
[224] Uns erſcheinet, iſt mein! ſo Schaf’ als Ziegen
die Fuͤlle,
Deren Felle mir liegen zu Haͤupten, und liegen
zu Fuͤſſen!
Flammen der Eiche fieden mein Mahl; es flam-
men im Froſte
Duͤrre Buchen am Heerd; ich achte ſo wenig
den Winter,
Als ein Zahnloſer achtet die Nuͤſſe, wenn Brey
iſt vorhanden.
Der Hirt.
Dieſe belohnt’ ich alsbald mit lautem Beifall,
und Gaben,
Einen Stab, mir erzeugt im Erbe der Vaͤter,
an Daphnis,
Sonder Wandel gewachſen, und ungetadelt vom
Kuͤnſtler;
Eine Muſchel an jenen, ein koͤſtliches Schnecken-
gehaͤuſe,
Deren Fleiſch ich gekoſtet, ſie findend im Kieſel
des Meeres;
[225] Fuͤnfen ſpendet ich’s aus. Er blies in die toͤ-
nende Muſchel.
Laͤndliche Muſen, ſeid mir gegruͤſſet! fluͤſtert, o
Muſen,
Mir das Lied, das ich juͤngſt den Hirten ſang;
auf der Weide,
Dichtet’ und ſang es ich ſelber den Hirten! oder
es ſproſſe
Mir an der Zungen Spize, die Luͤge zu ſtrafen,
ein Blaͤschen!
Hold iſt die Grille der Grill’, und hold die Bie-
ne der Biene,
Hold der Sperber dem Sperber; und mir der
Geſang und die Muſe.
Daß ſie mir immer die Huͤtte beſuchten! denn es
iſt ſuͤſſer
Nicht der erwachende Lenz, und der Schlummer,
ſuͤſſer der Biene
Nicht die Bluͤthen, als theuer die Muſen mir!
Denen ſie Freuden
Laͤchelnd blicken, die trozen dem Zauberbecher der
Circe.
Stolb. P
Die Meere.
Du ſchmeichelſt mein Ohr,
Jch kenne dein Rauſchen,
Deiner Wogen Sirenengeſang!
Oſtſee, du nahmſt mich
Oft mit ſchmeichelnden Armen
Jn den kuͤhlenden Schooß!
Du biſt ſchoͤn!
Nymphe, ſchoͤn!
Vertraute des waldigen Ufers,
Oft entſchluͤpfet der Weſt den Wipfeln des Hains,
Und ſchwebet uͤber dir hin mit gleitendem Flug!
[227]Du biſt ſchoͤn!
Nymphe, ſchoͤn!
Aber die Goͤttin
Schoͤner als du!
Lauter, als du,
Donnert die Nordſee;
Steigend erhebt ſich und weiß und Geſtaderſchuͤt-
ternd ihr Fuß!
Staͤrker und freier, als du,
Tanzet ſie eignen Tanz,
Lauſchet nicht dienſtbar der Stimme
Herſchender Winde;
Steiget und ſinkt,
Wann, mit Wolken umſchleiert,
Jn geheimer Halle ſchlummert des Sturmes
Haupt!
Jch ſah die Kiele
Blizgewaſneter Schiffe
[228] Eilen uͤber ihr hin,
Wann die Flagge fank,
Und der zuͤngelnde Wimpel ſank
Und das Saͤuſeln in Hellebeks Buchen ſchwieg.
Wie nennet dich mein Geſang!
Nordmeer, Weltmeer, Goͤttin, Unend-
liche,
Erdumguͤrtende, Wiege der Allerleuchtenden
Sonne, des Himmelwandelnden
Mondes und zahlloſer
Sterne, die in melodiſchem
Tanze ſich ſpiegeln, wann ſteiget die Well’ und
hinab ſich ſenkt.
Auf deinen Waſſern
Schwebete Gottes Geiſt,
Als noch die Erde
Lag in trauernder Stille,
Mutterfreuden kante noch nicht!
Ueber dir wehet,
[229] Hehr und geheimnißvoll,
Flutend und ebbend,
Sichtbar noch des Allmaͤchtigen Hauch!
Auf hoher Entzuͤckung
Steigendem Fluͤgel
Flog dir entgegen mein Geiſt!
Goͤttin, ich flehte:
Nim mich, o Goͤttin,
Nim mich in deinen maͤchtigen Schooß!
Aber du eilteſt
Stolz mir und donnernd vorbei!
Da ſpaut’ ich die Fluͤgel
Des Wogendurchwallers,
Und ſchwebte zum ferneren Ufer hin,
Du donnerteſt lauter
Am Felſengeſtade;
Jch eilte hinan
Das Felſengeſtade,
Und eilte hinab;
Da ſaßt’ ich dich, Goͤttin,
Mit nervigem Arm
[230]Jn der Felſenhalle!
Ueber mir hiengen
Draͤuende Gipfel;
Strudelnde Fluten
Draͤngten durch Kluͤfte der Felſen ſich durch!
Und wohl mir ward
Jn der Goͤttin Schooß,
An der Unſterblichen
Wallendem Buſen!
Heil dir, Heil,
Goͤttin, und Dank
Fuͤr den ſeligen Genuß
Jn der Felſenhalle!
Orpheus und Eurydice.
Virg. Georg. IV. 464 — 572.
Orpheus troͤſtete mit der gewoͤlbten Leier ſein
Sehnen,
Dich, du ſuͤſſes Weib! dich ſang er am einſamen
Ufer,
Dich mit dem kommenden, dich mit dem nieder;
ſinkenden Tage!
Durch die Taͤnariſchen Schluͤnde, durch die Pfor-
ten des Pluton,
Ipſe cava ſolans aegrum teſtudine amorem,
Te, dulcis conjux, te ſolo in littore ſecum,
Te, veniente die, te decedente canebat!
Taenarias etiam fauces, alta oſtia Ditis,
[235]Durch den duͤſtern Hain, den ſchwarzes Grauen
umhuͤllet,
Ging er, hin zu den Manen, hin zum ſchrecklichen
Koͤnig,
Herzen nimmer vordem durch menſchliche Bitten
erweichet.
Sich, es erregte ſein Lied des Erebus nich-
tige Schatten,
Daß ſich von ihren Sizen die dunkeln Geſtalten
erhuben,
Zahllos, wie der Voͤgel Tauſende, welche der
Abend,
Et caligantem nigrâ formidine lucum
Ingreſſus, Manesque adiit, Regemque tremen-
dum,
Neſciaque humanis precibus manſueſcere corda.
At cantu commotae Erebi de ſedibus imis
Umbrae ibant tenues, ſimulacraque luce caren-
tum,
Quam multa in foliis avium ſe millia condunt.
[236]Oder ein Ungewitter, von Bergen in Buͤſche
verſcheuchet.
Weiber und Maͤnner erſchienen, und abgeſchie-
dene Leichen
Edler Helden, noch unverlobter Jungfraun und
Knaben,
Und der Juͤnglinge, die dereinſt vor den Augen
der Eltern
Auf dem Scheiterhaufen die Flamme hatte ver-
zehret,
Welche nun alle ſchwarzer Schlamm und ſcheus-
liches Schilfrohr
Und der menſchenfeindliche traͤge Pful des Ko-
cythus
Veſper, ubi aut hibernus agit de montibus im-
ber;
Matres atque viri, defunctaque corpora vitâ
Magnanimûm heroum, pueri, innuptaeque
puellae,
Impoſitique rogis juvenes ante ora parentum;
Quos circum limus niger et deformis arundo
Cocyti, tardâque palus inamabilis undâ
[237]Einſchleußt, und der Styx neunmal umherge-
goſſen.
Ja, es ſtaunte ſelber die Burg, es ſtaunten
des Todes
Tiefſte Schatten, die Schlangenumwundenen
Eumeniden,
Cerbers drei zum Bellen geoͤfnete Rachen ver-
ſtumten,
Und Jxions Rad blieb ſtehn bei ſeinem Geſange.
Siehe, ſchon ging zuruͤck, den Gefahren entron-
nen, ſchon nahte
Alligat, et novies ſtyx interfuſa coërcet.
Quin ipſae ſtupuere domus, atque intima
Lethi
Tartara, caeruleosque implexae crinibus angues
Eumenides, tenuitque inhians tria Cerberus ora,
Atque Ixionii cantu rota conſtitit orbis.
Iamque pedem referens caſus evaſerat
omnes,
[238]Eurydice, wiedergeſchenkt den oberen Luͤften,
Orpheus folgend, ſo hatte Proſerpina ſelber ge-
boten,
Als unachtſame Thorheit ergriff den liebenden
Juͤngling,
Zwar ſo leicht zu verzeihn, wofern die Manen
verziehen!
Stehen blieb er, nun ſchon dem Lichte naͤher,
und wandte,
Ach! uneingedenk des Befehls und liebebe-
zwungen,
Sich nach ſeiner Geliebten um — des harten
Tirannen
Redditaque Eurydice ſuperas veniebat ad auras,
Pone ſequens, namque hanc dederat Proſerpina
legem,
Quum ſubita incautum dementia cepit aman-
tem,
Ignoſcenda quidem, ſcirent ſi ignoſcere manes.
Reſtitit, Eurydicenque ſuam, jam luce ſub ipſa;
Immemor, heu, victusque animi reſpexit — ibi
omnis
Effuſus labor, atque immitis rupta tyranni
[239]Buͤndniß war gebrochen, und Orpheus Muͤhe
verſchuͤttet!
Dreimal ward ein Getoͤſe gehoͤrt im Averniſchen
Sumpfe.
Ach, rief ſie, durch wen, mein Orpheus! ſind
wir verloren?
Weſſen Wut ergreift mich! es ruft das grauſame
Schickſal
Mich zuruͤck, und Schlummer umhuͤllt die
ſchwimmenden Augen!
Lebe wohl! ſchon werd’ ich, in Nacht verhuͤllet,
ergriffen,
Meine ſchwachen Haͤnde, nicht mehr die Deine!
dir reichend.
Foedera, terque fragor ſtagnis auditus avernis.
Illa, quis et me, inquit, miſeram, et te per-
didit, Orpheu?
Quis tantus furor? en iterum crudelia retro
Fata vocant, conditque natantia lumina ſomnus!
Iamque vale! ſeror ingenti circumdata nocte,
Invalidasque tibi tendens, heu, non tua! palmas.
[240]Sprach’s, und verſchwand, wie ein nichtiger
Rauch in die Luͤfte ſich miſchet,
Seinen Augen, und ſah ihn nicht mehr; vergebens
umarmt er
Leere Schatten; er wolte noch viel, und konte
nicht reden;
Wieder den Pful zu durchſchiffen verbot der Faͤhr-
mann des Orkus.
Ach, was ſolt’ er thun? zum zweiten mal war
ſie entriſſen!
Welche Thraͤnen konten die Manen und Goͤtter
erweichen?
Sieh, erkaltet ſchiffte ſie ſchon im ſtygiſchen Nachen!
Dixit; et ex oculis ſubito, ceu fumus in auras
Commiſtus tenues, fugit diverſa, neque illum
Prenſantem nequidquam umbras, et multa volen-
tem
Dicere, praeterea vidit, nec portitor Orci
Amplius ob jectam paſſus tranſire paludem.
Quid faceret? quo ſe, rapta bis conjuge, ferret?
Quo fletu manes, qua Numina voce moveret?
Illa quidem Stygia nabat jam frigida cymba.
[241]Sieben nach einander gereihte Monden durch-
weint’ er
Unter einem Felſen, an Strymons oͤdem Ge-
waͤſſer;
Sein Geſang erſcholl in Schauerbringenden
Hallen,
Daß er zaͤhmte den Tiger, und ihm die Eiche
ſich neigte!
Wie im Pappelſchatten die klagende Philo-
mele
Jhre verlornen Kinder beweint, die ein grauſa-
mer Landmann
Sah’ und federlos entriß dem Neſte, die Mutter
Septem illum totos perhibent ex ordine menſes
Rupe ſub aëria deſerti ad Strymonis undam
Fleviſſe, et gelidis haec evolviſſe ſub antris
Mulcentem tigres, et agentem carmine quercus.
Qualis populca moerens Philomela ſub umbra,
Amiſſos queritur foetus, quos durus arator
Obſervans nido implumes detraxit, at illa
Stolb. Q
[242]Jammert, die ganze Nacht ihr weinendes Lied
erneuend,
Und erfuͤllt die Gegend umher mit trauernder
Klage.
Venus beugte nicht mehr ſein Herz, und
nicht Hymenaͤus;
Einſam ging er umher an Tanais ſchneeigem
Ufer,
Auf Rhipaͤiſchen Feldern, die immer ſtarren vom
Reife,
Eurydice beweinend, beweinend des grauſamen
Pluton
Flet noctem, ramoque ſedens miſerabile carmen
Integrat, et moeſtis late loca queſtibus implet.
Nulla Venus, non ulli animum flexere Hy-
menaei,
Solus Hyperboreas glacies, Tanaïnque nivalem,
Arvaque Rhipaeis nunquam viduata pruïnis
Luſtrabat, raptam Euridicen atque irrita Ditis
[243]Eitle Gunſt. Deß zuͤrnten verachtet Cikoniens
Weiber;
Bei den Feſten der Goͤtter, in naͤchtlicher Feier
des Bacchus,
Streuten ſie uͤbers Gefilde, zerriſſen, die Glieder
des Juͤnglings.
Da noch hat ſein Haupt, vom Marmornacken
geriſſen,
Als im mittelſten Strudel der flutende Hebrus
es waͤlzte,
Ausgerufen mit kalter Zunge: Eurydice!
Ach, mit fliehender Seele, Eurydice! gerufen,
Eurydice! ſchollen des ganzen Stromes Geſtade!
Dona querens: ſpretae Ciconum quó munere
matres,
Inter ſacra Deum, nocturnique orgia Bacchi,
Diſcerptum latos juvenem ſparſere per agros.
Tum quoque marmorea caput a cervice revolſum,
Gurgite cum medio portans Oeagrius Hebrus
Volveret, Eurydicen vox ipſa et frigida lingua
Ah miſeram Eurydicen anima fugiente volabat,
Eurydicen toto referebant flumine ripae.
Der wahre Traum.
Eine Ballade.
Wunderſam, durch Dunkelheiten,
Geht, allheilige Natur,
Deines Zaubertrittes Spur;
Ahndend folgen die Geweihten;
Aber ſieh, es irren, gleiten
Kluͤglinge, die ſelbſt ſich leiten,
Die des Duͤnkels Jrwiſchſchein
Zieht in Sumpf und Pful hinein.
Wohl mir, Goͤttin, daß zu deiner
Hochbegluͤckten Juͤnger Schaar,
Als die Mutter mich gebar,
Du mich laſeſt, von gemeiner
Bahn mich fuͤhrteſt, zu geheimer
Weisheit Pſad, wo heller, reiner
Jeder Wahrheit Urborn quillt,
Und des Forſchers Schmachten ſtillt.
[245]Bald, als Feuerſaͤul’, erhebet
Sich dein Haupt gen Himmel; wir,
Voll Begeiſt’rung, folgen dir
Jn die Himmel, neu belebet:
Bald, als Wolkenſaͤul’, umſchwebet
Heilig Dunkel uns; dann bebet
Ahndungsſchauer, der uns mild
Lockt in Edens Duftgefild.
Oft, um muͤtterlich zu walten,
Lehr’ und Warnung zu verleihn,
Wenn Gefaͤhrlichkeiten draͤun,
Mut und Glaub’ in uns erkalten,
Bei der Rechten uns zu halten,
Huͤllſt du dich in Traumgeſtalten,
Liſpelſt, in des Schlummers Ruh,
Offenbarungen uns zu.
[246]So noch geſtern. — Freunde, hoͤren
Sollt ihr ſtaunend, was geſchah,
Welches Traumgeſicht ich ſah;
Eu’r Vertrauen zu vermehren,
Soll euch dieſer Handſchlag ſchwoͤren,
Daß ich euch nicht will bethoͤren,
Wahrlich dieſer Traum nicht ſei
Ein Geſpinſt der Phantaſei.
Als ich ſanft und ſchlummernd ruhte,
Alles Kummers unbewußt,
Wol auf meines Weibes Bruſt,
Horcht, da kam mit hohem Mute,
Wie entſproßt aus edlem Blute,
Zu der Eich’, an der ich ruhte,
Schoͤn gewappnet, angethan
Nach der Ritter Brauch, ein Mann;
[247]Reichte traulich mir die Rechte,
Traulich ſchlug ich drein, alsdann
Seine Red’ er ſo begann:
„Muͤſſig ruhſt du hier? Jch daͤchte,
Lieber, kaͤmſt mit mir; ich moͤchte
Wetten ſchier, wohin ich braͤchte
Dich, da ſolteſt du geſtehn,
Daß du nie ſo was geſehn.„
Sonder Saͤumen thaͤt ich wallen
Mit dem Ritter, der mich bald,
Wo am dunkelſten der Wald
Schattete, bald, nach Gefallen,
Leitete durch Felſenhallen,
Bald durch Truͤmmer wild verfallen,
Dann der ſchroffen Kluft entlang,
Dann bedroht vom Klippenhang.
[248]Endlich langten wir zur Stelle,
Zu des Ritters Fehdeſchloß,
Das ein Zwinger rund umſchloß;
Bruͤcken, Warten, Zinnen, Waͤlle,
Pforten, Stein ſo Pfoſt’ als Schwelle,
Sicherten fuͤr Uberfaͤlle
Dieſe Burg; als wir davor,
Schloß von ſelbſt ſich auf das Thor.
Aus dem Thore ſchlich zur Linken,
Unterirdiſch, wuͤſt’ und bang,
Ein gewoͤlbter Niedergang;
Unterm Fuß, ſo thaͤt’s mir duͤnken,
Sah ich Leichenſteine blinken;
Aengſtlich folgt’ ich, ſahe ſinken
Eine Fallthuͤr; Leichenduft
Athmete die grauſe Gruft.
[][figure]
[][249]Saͤrge ſtanden hier die Fuͤlle.
Einer ſchoͤn von Marmelſtein
Hatt’ ein eigen Kaͤmmerlein.
„Hier in dieſes Grabes Stille,„
Sprach der Ritter, „iſt mein Wille,
Daß du ſeheſt, Freund, die Huͤlle
Des Gebeins, einſt weich und warm,
Ach! des Weibs in meinem Arm!„ —
Auf des Todtenmahles Mitte
War, von Silber, glatt und ſchoͤn,
Ein gediegner Kelch zu ſehn.
„Sage, Ritter, ſag’, ich bitte„ — —
Zuͤrnend blickt’ er, winkt’ und litte
Nicht zu enden, ſtieg drei Tritte,
Gab den Kelch mir, ſah mich an:
„Zittre nicht! Du biſt ein Mann!„
[250]Kaum hatt’ er den Kelch gegeben,
Als es in dem Wunderding
Brauſend an zu gaͤhren ſing
Und mit Macht herauszuſtreben,
Gleich als ob der Traube Leben
Perlte drinnen; ſich erheben
Thaͤt alsbald der weiſſe Schaum
Hoͤher denn des Kelches Saum.
Aus dem Schaumgeſprudel ſtiegen
Holder Bluͤmlein drei heraus,
Wanden ſich in einen Strauß;
Schaum und Gaͤhrung ſanken, ſchwiegen.
Schwebend ſich im Kelche wiegen
Sah’ ich Roſ’ und Veilchen, ſchmiegen
Sich um beide, unſchuldweiß,
Das geliebte Kind des Mais.
[251]Hold und lieblich duftend, bluͤhten
Meine Bluͤmlein; ploͤzlich gohr
Schaumgeziſch im Kelch empor;
Sauſend ſtieg’s, verſchlang mit Wuͤten
Meine Bluͤmlein; drauf verſpruͤhten
Giſcht und Blaſen, aͤngſtlich muͤhten,
Ach! nicht lieblich, wie zuvor,
Meine Bluͤmlein ſich hervor.
Aſchenfarb und welk, verblichen
Jede Schoͤne, ſuͤſſer Duft
Nun verkehrt in Grabesluft!
Todesſchweiß und Schauer ſchlichen,
Ob dem bangen, fuͤrchterlichen
Anblick, uͤber mich; entwichen
Waͤr ich ſchier. Der Rittersmann
Sah’s und hub zu reden an:
[252]„Einſt hatt’ ich ein Weib! Beſingen
Thaͤt kein Dichter je ein Weib,
Schoͤn, wie ſie, an Seel und Leib;
Keinem Maler (hundert gingen
Stolz zum Werke!) thaͤt’s gelingen,
Sie auf Leinewand zu bringen;
Sie nur malte fein und glatt
Einſt ſich auf ein Roſenblat.
Einſt hatt’ ich ein Weib!„ (Es bebten,
Als er’s ſeufzte, perlenklar,
Thraͤnen an der Wimper Haar.)
„Lieb’ und Gegenliebe lebten
Jn uns; Ruh und Wonn’ umſchwebten
Uns, und Heiterkeit; die webten
Jn des Lebens Ungemach
Suͤſſe Freuden, Nacht und Tag.
[253]Dennoch, ach! — der Weiber Herzen
Sind ein Raͤzel allzumal! —
Fand ſie Freude manchesmal,
Jhren trauten Mann zu ſchmerzen,
Kalt zu kuͤſſen, kalt zu herzen,
Und der Liebe ſein zu ſcherzen.
Meiner Liebe! warm und treu,
Jmmer alt und immer neu!„
Jmmer thaͤt das Wunder waͤhren
Jn dem Kelch; es ſaußte, ſtieg,
Bluͤhte, welkte, braußte, ſchwieg.
„Was dies Straͤuslein ſei, dies Gaͤhren,
Sollſt du,„ ſprach er, „ſtaunend hoͤren.
Dieſer Kelch faßt meine Zaͤhren,
Die der Liebe Freudendrang,
Und auch Gram, vom Ange zwang!„ —
[254]Da erwacht’ ich bebend. Sehen
Thaͤt ich, ſtatt des Traumes Bild,
Nur mein Weiblein ſuͤß und mild.
Jhres Odems leiſes Wehen,
Jhres Buſens ſanftes Blaͤhen
Hieß mein Beben ſchnell vergehen.
Deine Warnung, Nachtgeſicht,
Dank der Liebe! ſchreckt mich nicht!
Hymne,
an die Sonne.
Sonne, dir jauchzet, bei deinem Erwachen,
der Erdkreis entgegen,
Dir das Wogengeraͤuſch des Erdumguͤrtenden
Meeres!
Fliehend rollet der Wagen der Nacht, in nichti-
ge Wolken
Eingehuͤllt, und ſchwindet hinab in die ſchauern-
de Tiefe.
Segnend ſtralſt du herauf, und braͤutlich kraͤnzet
die Erde
Dir die flammenden Schlaͤfen mit thauendem Pur-
purgewoͤlke.
[256] Alles freuet ſich dein! in ſchimmernde Feierge-
wande
Kleideſt du den Himmel, die Erd’ und die Flu-
ten des Meeres!
Siehe, du leiteſt am roſigen Gaͤngelban-
de den jungen
Freundlichen Tag; er huͤllt ſich in deine Saff-
rangewande,
Aber, wie wachſen ſo ſchnell die Kraͤfte des
himliſchen Juͤnglings!
Feuriger blickt er, er greift nach deinem ſtralen-
den Koͤcher,
Und ſchon ſchnellt er vom goldenen Bogen flam-
mende Pfeile!
Zuͤrne, Himliſcher, nicht! und ſoll dein Bogen
ertoͤnen,
O, ſo richte dein furchtbar Geſchoß auf des
Ozeans Fluten,
Auf der ſchneeigen Alpen herunter ſchmelzende
Gipfel,
[257] Und auf ſandige Wuͤſten, die Loͤwen und Tiger
durchirren!
Zuͤrne, Himliſcher nicht! Dir flehen der Voͤgel
Geſaͤnge;
Dir der ſaͤuſelnde Wald; und dir die duftende
Blume.
Wolleſt nicht des wehenden Zephyrs Fluͤgel ver-
ſengen!
Wolleſt nicht austrinken das Labſal kuͤhlender
Quellen!
Wolleſt vom zarten Graͤschen den kruͤmmenden
Tropfen nicht nehmen!
Sonne, laͤchle der Erd’, und geuß aus ſtra-
lender Urne
Leben auf die Natur! Du haſt die Fuͤlle des
Lebens!
Schoͤpfeſt, naͤher dem Himmel, aus himliſchen
Quellen, und duͤrſteſt
Selber nimmer! Als Gott, mit ſeiner Allmacht
umguͤrtet,
Wie mit guͤrtendem Schlauch ein Saͤmann, Son-
nen dahinwarf,
Stolb. R
[258] Millionen auf einmal, jede mit Erden umkraͤnzet,
Rief er, Sonnen, euch zu: verbreitet Leben
und Waͤrme
Auf die duͤrftigen Erden! Erbarmt euch der Duͤr-
ſtenden, daß ich
Mich am groſſen Abend des Himmels euer er-
barme!
Alſo rief er. Gedenke deß, o Stralende! Fruͤher,
Oder ſpaͤter komt der groſſe Abend des Himmels,
Da ihr alle, zahlloſes Heer von maͤchtigen Sonnen,
Werdet, wie Muͤcken am Sommerabend in Tei-
che ſich ſtuͤrzen,
Mit erbleichenden Stralen herunterfallen vom
Himmel!
Euer harren Gottes Gerichte! Gottes Erbarmung!
Waͤhne nicht zu vergehn! Der groſſe Geber des Le-
bens
Wird gefallne Muͤcken, gefallne Sonnen, in neues
Leben rufen! Wie du auf ſchwaͤrmende Muͤcken
herabſchauſt,
Schaut er ewig herab auf alle kreiſende Himmel!
An F. L. Grafen zu Stolberg,
von Schoͤnborn.
Der himliſche Adler, der Genius heiſſet,
Weht aus einander mit toͤnenden Fluͤgeln
Vor mir die Gewoͤlke, die liegen um den Hinblick
Jn die heiligen Fernen dort! Siehe, hebt auf
Sein heliwerdendes Haupt aus der herabſtroͤ-
menden Daͤmmerung,
Seinem Geliebten entgegen!
Hin in die Myriaden Tage!
Der Vergangenheit und der Zukunft Tage!
Die, zuſammengebunden im goldnen Aether-
bande,
Glaͤnzend kommen und ſtuͤrmend ihm vor das Antliz,
Wie der Sternenleib der himliſchen Jungfrau
Jn der Sonnenbahn, wo er wandelt!
[260]„Ha, an mein Herz ſei gedruͤckt!„ ruft er aus,
Und brauſet auf ſein duftend Gefieder,
Wie ein bluͤhender Fruchtgarten im Fruͤhlings-
winde!
„An mein Herz, Geliebter du!
Ja du biſt es, an Gothlands Ufern dort!
Siehſt, wie der Fruͤhling den warmen Roſenleib
Jns ſchmelzende Meer legt!
Wie er losſchleußt die Baͤche,
Die vom Schlummer im welkenden Schilf
Aufheben ihr triefendes Haupt,
Und forttragen zwiſchen gruͤnenden Ufern
Auf ihren Schultern die zerbrochnen Glieder
Der Felſenketten, mit denen der Winter ſie
anſchloß!
Siehe! in dieſen aufgruͤnenden Fluren da!
Unter den werdenden Knoſpen des Haines dort!
Und der Gebuͤſche hier! wandelſt im aufwachen-
den Weltleben,
[261]Jn ſingenden Stauden und toͤnendem Him-
mel du!
Trinkſt friſchen Roſenaͤther
Aus der Morgenroͤthe Purpurbrunnen!
Trinkſt aus jeder Blum’ im Thal,
Aus jeder Knoſp’ am ſproſſenden Haupte des
Hains,
Heiligen Nektar des Geſangs!
Und druͤckſt, wie eine Braut, die holde Natur
Mit Entzuͤcken ans Herz!
Fleugſt auf aus ihrem Wonneſchooß!
Und o! wie toͤnt dir der Fluͤgelſchlag, indem du
daherſchwebſt!
Und mit dir des Maͤoniden goͤttliches Heldenlied
Zu Thuiskons horchenden Enkeln!„
Der Geſang.
An Schoͤnborn.
Wie dem erwachenden Juͤnglinge ſchnell im
braͤutlichen Bette
Seine gaukelnden Traͤum’ auf nichtigen Fluͤgeln
entſchwinden;
Sonſt umirrten ſie, langſam ſchwebend, weilend
im Fluge,
Noch ſein Haupt, wenn ſchon der Roſenwangi-
gen Stunde,
Und dem erbleichenden Stern der Liebe ſein Auge
ſich aufſchloß;
Nun verſchwinden ſie ſchnell; denn neben ſich
ſieht der Begluͤckte,
[263]Sein ſanftathmendes Weib, in ſchlummernden
Reizen der Jugend,
Lieblich wie den thauenden Abend im blumigen
Thale.
Ach! ſie erwacht! und oͤfnet Liebeſchmachtende
Augen,
Wonnetrunken begruͤßt ſie der Blick des feutigen
Juͤnglings,
Wie den erroͤthenden Mond die flammende Son-
ne begruͤſſet!
Wie dem Juͤnglinge dann die Traumgeſtalten
entflattern,
So enteilen auch mir die bunten Traͤume des
Tages,
Und wie Zephyr der hangenden Spinne Gewebe
zerwehet,
So entſchwindet auch mir das Gewebe geſchaͤfti-
ger Stunden,
Wenn der Entzuͤckung Sohn, der Geſang, in
goldenen Locken,
Toͤnend, von Harmonien umſaͤuſelt, melodiſch
einherſchwebt!
[264]Und oft ſchwebt er vom Himmel herab! den
nahenden fuͤhl’ ich,
Meine Seel’ erhebet ſich dann in ſteigender Wal-
lung,
Wie das Meer ſich erhebt in der Kuͤhle des pur-
purnen Abends.
Neue Bilder ſchweben um ihn und junge Gedanken,
Wie mit zahlloſen Blumen der Lenz die Erde
beſuchet,
Und mit taufend Saͤngern des Hains in bluͤhen-
den Stauden!
Hohe Gedanken ſchweben um ihn, wie rund um
den Himmel
Flammende Sonnen mit gruͤngelockten Erden
umkraͤnzet,
Und mit Silberwangigen Monden! Mondſchein-
aͤhnlich
Leuchtet er manchmal ſanft und entlocket zaͤrtliche
Thraͤnen;
Und dann eilt er mit Flammen umguͤrtet, gleich
dem Kometen,
Wann er von Himmel zu Himmel im feurigen
Wagen daherrollt!
[265]Sei mir gegruͤſſet, Geſang! ſo oft du vom
hohen Olympos
Zu mir koͤmſt! willkommen in jeder wechſelnden
Schoͤnheit!
Wenn du auf leiſe bebenden Wallungen ſanfter
Gedanken
Meine gleitende Seel’ in vertrauten Stroͤmen
einherfuͤhrſt,
Wo mir Freuden bluͤhen am Ufer, und Ruhe
mir ſchattet,
Oder, wenn du, maͤchtig mich fuͤhrend, in ſtuͤr-
mender Eile,
Ueber Meere ſtarker Gefuͤhle, ſonder Geſtade,
Meinen ſtaunenden Geiſt den kreiſenden Strudeln
entreiſſeſt,
Jzt mit flammenden Blizen die uͤberhangende
Draͤuung
Naͤchtlicher Wogen, und izt des Abgrunds Tie-
fen erhellend,
Sei mir immer gegruͤßt mit uͤberwallender Seele,
Heil dir, Goͤttlicher, Heil! Dir dank’ ich die
beſſern Minuten,
[266]Wenn mein ewiger Geiſt, in ſeinen Kraͤften ſich
wiegend,
Schaffend winket, und ſchnell die neuen Schoͤp-
fungen toͤnen!
Heil dir, Goͤttlicher, Heil! Du fuͤhrteſt ſtra-
lenden Fluges,
Und auf Silbertoͤnenden Schwanenfluͤgeln, die
Seele
Meines trauten Schoͤnborn zu mir von der hor-
chenden Themſe!
Heil dir, Goͤttlicher, Heil! Du fuͤhreſt, ſtra-
lenden Fluges,
Und auf Silbertoͤnenden Schwanenfluͤgeln, die
Seele
Seines trauten Stolberg zu ihm vom Geſtade
des Nordmeers!
Hymne,
an die Erde.
Erde, du Mutter zahlloſer Kinder, Mutter
und Amme!
Sei mir gegruͤßt! ſei mir geſegnet im Feierge-
fange!
Sieh, o Mutter, hier lieg’ ich an deinen ſchwel-
lenden Bruͤſten,
Lieg’, o Gruͤngelockte, von deinem wallenden
Haupthaar
Sanft umſaͤuſelt, und ſanft gekuͤhlt von thauen-
den Luͤften!
Ach, du faͤuſelſt Wonne mir zu, und thaueſt mir
Wehmut
Jn das Herz, daß Wehmut und Wonn’, aus
ſchmelzender Seele,
Sich in Thraͤnen und Dank und heiligen Liedern
ergieſſen!
[268]Erde, du Mutter zahlloſer Kinder, Mutter
und Amme!
Schweſter der allfreuenden Sonne, des freund-
lichen Mondes,
Und der ſtralenden Stern’ und der flammenbe-
ſchweiften Kometen,
Eine der juͤngſten Toͤchter der allgebaͤrenden
Schoͤpfung,
Jmmer bluͤhendes Weib des Segen traͤufelnden
Himmels! —
Sprich, o Erde, wie war dir, als du am er-
ſten der Tage
Deinen heiligen Schooß dem bulenden Himmel
enthuͤllteſt?
Dein Erroͤthen war die erſte der Morgenroͤthen,
Als er, im blendenden Bette von weichen ſchwel-
lenden Wolken,
Deine guͤrtende Binde mit ſiegender Staͤrke dir
loͤßte!
Schauer durchbebten die ſtille Natur, und tauſend
mal tauſend
Leben keimten empor aus der maͤchtigen Liebes-
umarmung.
[269] Freudig begruͤßten die Fluten des Meeres neuer
Bewohner
Mannigfaltige Schaaren; es ſtaunte der wer-
dende Wallfiſch
Ueber die ſteigenden Stroͤme, die ſeiner Naſen
entbraußten;
Junges Leben durchbruͤllte die Auen, die Waͤlder,
die Berge,
Jrrte bloͤckend im Thal, und ſang in bluͤhenden
Stauden,
Wiegte ſich ſpiegelnd am Quell, auf wankenden
Bluͤmchen, und girrte
Auf den Gipfeln der Ulme, die liebende Reben
umſchlangen;
Denn der edle Wiehrer nicht nur und der maͤch-
tige Loͤwe,
Nicht nur die Voͤgel des Hains, und ſummende
goldene Fliegen,
Tranken aus der Quelle des Lebens; Libanons
Zedern
Tranken auch; es tranken die Haine, die Blu-
men und Graͤschen,
[270] Jedes nach ſeinem Maaſſe, vom Lebentrunkne-
ren Menſchen
Bis zum Graͤschen im Thal und bebenden Sproͤs-
ling des Berges.
Alle ſterben und werden gefuͤhrt von Stufe zu
Stufe,
Durch unendliche Reihen beſtimter Aeonen, ſie
ſchleichen
Oder ſie fliegen, von Kraft zu Kraft! von Schoͤ-
ne zu Schoͤne!
Erde, dich liebt die Sonne, dich lieben die
heiligen Sterne;
Dich der himmelwandelnde Mond! So bald
du vom Schlummer
Dich erhebſt, und Thau aus duftenden Locken
dir traͤufelt,
Sendet die Sonne dir Purpur und Gold und
glaͤnzenden Safrau.
Daß du braͤutlich geſchmuͤckt erſcheinſt im Mor-
gengewande.
[271] O wie ſchimmerſt du dann im roſigen Schleier!
mit tauſend
Jungen Blumen umkraͤnzt, von ſilbernen Trop-
fen umtraͤufelt,
Und mit glaͤnzender Binde des blauen Meeres
umguͤrtet!
Aber, wenn dein Haupt zum ſuͤſſen Schlummer
ſich neiget,
Und in ſchattender Halle die Nacht die Glieder
dir kuͤhlet,
Siehe, dann laͤchelt der Mond, von ſeinem ein-
ſamen Pfade,
Sanfte Freuden dir zu, geſaͤugt am Buſen der
Stille,
Und dann ſingen die Sterne dir zu. Jn heili-
ger Stunde
Hoͤrt’ ich geſtern ihr Lied im Wehen woͤlbender
Buchen.
Einigen deiner Kinder, o Mutter! will ich erzaͤhlen,
Was im goldnen Reihentanze die Sterne dir
ſangen;
Alſo ſangen ſie, lauſcht ihr Lieblingskinder der
Mutter!
[272]„Schlumre ſanft, o Schweſter, im kuͤhlen
duftenden Bette!
Schlumre, Geliebte, ſanft, auf daß du roſig erwa-
cheſt!
Wilde Stuͤrme muͤſſen dir nicht die Locken zerwehen,
Muͤſſen deine Stroͤme nicht uͤber die Ufer em-
poͤren,
Nicht den Wiegengeſang des rauſchenden Meeres
verſtimmen!
Hekla muͤſſe dich nicht, dich muͤſſe der Aetna nicht
wecken,
Ruhen muͤſſe der Bliz in ſchwarzen Guͤrteln der
Alpen,
Keine Wolke verbergen vor uns dein liebliches
Antliz,
Muͤſſe dir keine den Blick des freundlichen Mon-
des umſchleiern!
Leichtes Fuſſes muͤſſen vorbei die Stunden dir
tanzen,
Bis mit roſigem Finger die Morgenroͤthe dich
wecket.
Deine Kinder muͤſſen dich nicht im Schlummer
bekuͤmmern,
[273] Denn ſie ſchlummern mit dir. Die wenigen,
welche der Kummer
Von der Ruhe Lager verſcheuchte, troͤſtet mit milden
Blicken der ſanfte Mond, der mit den Weinenden
weinet,
Sich mit Freuenden freut, und liebend Lieben-
den laͤchelt!
Deine Kinder, welche das Meer auf Schiffen um-
tanzen,
Wollen wir waͤhrend der Nacht am ſtralenden
Gaͤngelband leiten,
Daß die Gleitenden nicht ein kreiſender Strudel
erhaſche!
Daß kein tuͤckiſcher Fels die eilenden Kiele verleze!
Schlumre ſanft, o Schweſter, im kuͤhlen duf-
tenden Bette!
Schlumre, Geliebte, ſanft, auf daß du roſig er-
wacheſt!„
Alſo ſangen die Stern’ und ſchimmerten freund-
lich; die Luͤfte
Bebten, wie mitertoͤnende Saiten der ruhenden
Leier,
Wenn ein preiſendes Chor den gewoͤlbten Tempel
durchhallet!
Stolb. S
[274]Erde, wie biſt du ſchoͤn, mit Gottes Stroͤ-
men gewaͤſſert!
Wer vermag ſie zu ſingen? Die Zwillingshel-
den, den Ganges
Und den Jndus? Wer die rauſchenden Waſſer
des Euphrats?
Wer den ſegnenden Nil, der aus ungeſehener
Urne
Seine ſchwellende Fluten durch ſieben Muͤndun-
gen ausſtroͤmt?
Wer die herſchende Tiber? Den heldenberuͤhm-
ten Eurotas,
Welcher fruͤh die nervige Jugend Lakoniens ſtaͤlte?
Ach, wer bringt mich hinuͤber auf Adlers Fluͤgeln,
zu deinen
Rollenden Meeren, du maͤchtigſter Orellana!
*)du RieſeUnter den Fluͤſſen! dir ſtaunen die heiligen Flu-
ten des Weltmeers,
Wenn du, ſtark wie ein Gott, in den Ozean dich
ergieſſeſt!
[275]Aber vor allen ſeid mir gegruͤßt im feiern-
den Liede,
Vaterlaͤndiſche Stroͤme! Du edle Donau! dem
Morgen
Stroͤmſt du erroͤthend entgegen, und gruͤſſeſt die
kommende Sonne,
Wenn ſie flammend ihr Haupt aus purpurnen
Wogen erhebet.
Wankende Saaten umrauſchen dich jaͤhrlich, und
freudiges Landvolk
Tanzet, mit blauen Blumen umwunden, an dei-
nem Geſtade,
Wenn der Abend auf dir mit falben Fittigen ru-
het,
Und die glaͤnzenden Sicheln dem winkenden Abend-
ſtern weichen!
Dir gebuͤhrt ein eigner Geſang, o Rhein-
ſtrom! vor allen
Fluͤſſen Deutſchlands biſt du mir werth! Dich
ſah ich als Knabe,
[276] Wo, mit umwoͤlkter Hand, die Natur, am gaͤn-
gelnden Bande,
Ueber Nebel und ſtuͤrmenden Winden und zuͤcken-
den Blizen,
Deinen wankenden Tritt auf zackiger Felſenbahn
leitet!
Mutiger rauſchet der Juͤngling einher, und ſeiner
Umarmung
Stuͤrzet die bruͤnſtige Reuß mit ſchaͤumenden
Wogen entgegen;
Zuͤchtig folgt ihm die Aar in langſam ſchlaͤngeln-
der Kruͤmmung.
O wie ſtuͤrzt er donnernd herab beim hallenden
Laufen!
Unter dir beben die Felſen; die gruͤnlichen Wogen
verhuͤllen
Sich in glaͤnzenden Schaum; der ſtaunende Wal-
ler vernimt nicht
Seiner eignen Bewundrung Geſchrei, und hei-
lige Schauer
Faſſen ihn, wie ſie die Felſen und zitternden Ei-
chen ergreifen.
[277] Ernſt, mit maͤnnlicher Kraft, theilſt du die Koſt-
nizer Fluten,
Eileſt Staͤdten vorbei, und traͤgſt auf maͤchtigem
Ruͤcken
Schwimmenden Reichthum, ſchuͤzeſt die Grenzen
des heiligen Reiches,
Und beſchenkſt die Ufer mit hangenden goldenen
Trauben!
O wie glaͤnzet die Freud’ in Hochheims Bechern!
ſie wandelt
Sich zum Lied’ im Munde des Dichters! brin-
get mir, Freunde,
Schnell des goldenen Weins, auf daß ich wuͤrdig
euch ſinge,
Wie die Nymphe des Mains den goͤttlichen Bu-
len umarmet!
Siehe, ſie fleußt ihm entgegen in ſanfter Wal-
lung, und bringt ihm
Edle Geſchenke, den Reichthum der fruchtbaren
Fraͤnkiſchen Fluren,
Bringt ihm ſilberne Tropfen des allbezaͤhmenden
Steinweins,
[278] Den an Wuͤrzburgs Felſen die heiſſere Sonne ge-
reift hat.
Solche Gaben bringt ihm die Nymphe mit be-
bender Liebe;
Aber er faßt ſie mit maͤchtigem Arm, und fuͤhrt
ſie hinunter,
Durch kriſtallne Hallen, in ſeine ſtille Behau-
ſung;
Glaͤnzender rollen die feiernden Wogen; die ſchoͤ-
nen Geſtade
Hallen weit umher vom Brautgeſange der Fluten!
Erde, wie biſt du ſchoͤn, mit wechſelnden Ber-
gen und Thaͤlern,
Mit ſanftrieſelnden Quellen geſchmuͤckt und ru-
henden Seen,
Mit gethuͤrmten Gebirgen, wo uͤberhangenden
Felſen
Hohe Tannen entwachſen und Stroͤme reiſſend
entſtuͤrzen,
Mit geweihten Einſiedleien, wo, unter dem
Schatten
[279] Freundlicher Buchen und dichtriſcher Eichen, die
hohe Begeiſtrung
Schwebet und weht im Saͤuſeln und Brauſen des
heiligen Haines,
Oder im Wogengeraͤuſch des Geiſterhebenden
Weltmeers!
Sanfte Ruhe wandelt in deinen friedſamen Tha-
len;
Steile Gebirge ſind reich an kuͤhnen Thaten und
Freiheit.
Sie, des Weiſen Wunſch, der Spott des kluͤ-
gelnden Sklaven,
Waͤhlte die ſchneeigen Alpen, um Mut und Ein-
falt zu ſegnen.
Heiliges Land, dich gruͤß’ ich aus uͤberwal-
lender Fuͤlle
Meines ſchwellenden Herzens! Wie ward mir
auf deinen Gebirgen,
Wie in deinen Thalen ſo wohl! Ach werd’ ich
dich nimmer
Wiederſehn? nicht mehr in deinen Seen mich ba-
den?
[280] Noch im ſchmelzenden Schnee an der Wiege maͤch-
tiger Fluͤſſe?
Gotthard, ſeh ich nimmer dich wieder? Dein fel-
ſiger Ruͤcken
Trieft von hundert Stroͤmen, die deiner Scheitel
entſtuͤrzen;
Auf dir hauſet Entſezen und Graun in Wolken
gehuͤllet,
Deine Pfade beſucht der bleiche ſtarrende Schwindel!
Sanfter biſt du, Natur, in Seelands bluͤhen-
den Fluren,
Goldne Saaten kroͤnen das Haupt des laͤchelnden
Eilands,
Seeland, ich liebe dich auch! in deiner Waͤlder
Umſchattung
Wohnet freundliche Ruh; ſie wohnt in gruͤnenden
Auen,
Und in ſpiegelnden Seen von hangenden Buchen
umkraͤnzet,
Dich umfleußt das heilige Meer, und waldige Huͤgel
Draͤngen kuͤhn ſich hervor von ſchaͤumenden Wo-
gen umrauſchet!
[281]Zahllos ſind, o Erd’, und edel deine Ge-
ſchenke!
Deinen Kindern geben ſie Kraft und Nahrung und
Freude!
Laͤchelnd bluͤht die Verheiſſung des jungen Jahres
am Zweige,
Und der ſinkende Aſt erfuͤllt ſie mit ſchwellenden
Fruͤchten.
Siehe, bald lockt mich am Gipfel des Baums
die glaͤnzende Kirſche,
Und bald ladet mich ein die Labſal duftende Erd-
beer.
O, wie ſchmuͤckt der Sommer dein Haupt mit
farbigen Blumen,
Deren Balſam die Luft mir mit leiſen Fittigen
zuweht!
Gleich der Erdbeer, verbirgt ſich beſcheiden das
Veilchen; ein ſanftes
Maͤdchen ſuchet es auf und wiegt es am wallen-
den Buſen.
O, wer nennet ſie alle, die duftenden, farbigen
Freuden,
[282] Die dem gewaͤſſerten Thal’ und umwoͤlkten Ber-
gen entbluͤhen?
Sprich, Natur, wo tauchteſt du ein den ſchaffen-
den Pinſel,
Als du den Teppich der Alpen mit Enzianen be-
malteſt,
Deren glaͤnzendes Haupt mit dem Blau des Him-
mels ſich kleidet?
Wen entzuͤckt nicht die Lilie? o wie ſelig verweil
ich
Unter den lieblichen Schaaren der tauſendfaltigen
Nelken!
Siehe, dort koſet mit mir das duftende hangen-
de Geißblat,
Und es winket mir hier die kaum geoͤfnete Roſe!
Roſe, wer dich nicht liebt, dem ward im Leibe
der Mutter
Schon ſein Urtheil geſprochen, der ſanfteſten Freu-
den zu mangeln!
Jhn wird Philomelens Geſang zur Quelle nicht
locken,
Jhn kein liebender Blick des ſuͤſſen Maͤdchens
entzuͤcken!
[283] Roſe, dein Leben iſt kurz! Ach, klagt im wei-
nenden Liede,
Maͤdchen, klaget den Tod der ſchnell verbluͤhen-
den Roſe!
Sieh, ich hoff’ es zu dem, aus deſſen ſeg-
nendem Fußtritt
Sonnenſtralen und Roſen bluͤhn: erloͤſchenden
Sonnen
Und hinwelkenden Roſen verleiht er ewige Ju-
gend,
Wenn dereinſt die Stroͤme des Lebens dem him-
liſchen Urborn
Werden entflieſſen, in Fluͤſſ’ und Baͤch’ und Quel-
len vertheilet,
Und die ganze Schoͤpfung, verklaͤrt, Ein Himmel,
ihm laͤchelt!
Erde, harre ruhig der Stunde des beſſeren
Lebens!
Saml’ indeſſen in deinem Schooſſe die harren-
den Kinder!
[284] Siehe, noch werden dich oft die wechſelnden
Stunden umtanzen,
Dich mit blendendem Schnee und bluͤhendem Gra-
ſe noch kleiden!
Nimmer wirſt du veralten! Jm laͤchelnden Rei-
ze der Jugend
Werden ploͤzlich erbleichen die Sonnen, die Mon-
de, die Erden;
Wenn die Sichel der Zeit in der Rechten des Ewi-
gen ſchimmern
Und hinſinken wird, in Einem rauſchenden Schwun-
ge,
Dieſe Garbe der Schoͤpfungen Gottes, die Woͤl-
bung des Himmels
Den wir ſehn, mit tauſend mal tauſend leuchten-
den Sternen!
Elegie an meinen Bruder
den 15. Okt. 1778.
Freudiger wuͤrde mein Geiſt, in treuer, ſuͤſſer
Umarmung,
Beſter, eilen zu dir, wie zur Quelle das Reh,
Wuͤrde, bebend und ſprachlos, von meiner Lippe
zur deinen,
Beſter, eilen zu dir, auf gefluͤgeltem Kuß.
Zaͤrtlicher bebte der Freundſchaft Bund auf Jo-
nathans Lippe
Nicht, im heimlichen Thal, wo er dem Lie-
benden ſchwur;
Zaͤrtlicher zitterte nicht an Benjamins Auge die
Thraͤne,
Als ſein Joſeph ihm lag an der klopfenden
Bruſt!
Aber, trennen uns nicht die ausgedehnten Ge-
filde?
Trennen Fluten uns nicht, rauſchend im herbſt-
lichen Sturm?
[287]Sieh, ich eile zu dir auf toͤnenden Fluͤgeln des
Liedes,
An dem Tage, der dich deinen Liebenden gab;
Dich dem zaͤrtlichen Vater, der Freude weinen-
den Mutter,
Deinen Schweſtern und mir, deiner Luiſe
dich gab!
Zwar es wiegte mich da auf ihrem blumigen
Schooſſe
Mutter Erde noch nicht, Sonnen ſtralten mir
nicht,
Als in den jauchzenden Hallen des frohen Hauſes
die Stimme
Scholl: „ein Knaͤblein iſt da! freut euch!
ein Knaͤblein iſt da!„
Als der beſte der Vaͤter dich, gluͤhend im heiſſen
Gebete,
Hub zum Himmel empor, mit froh bebendem
Arm,
Als in laͤchelnder Ohnmacht, ſchon ſinkend, die
Mutter dich anſah,
Und erwachend dich ſand an der wallenden
Bruſt.
[288]Als, ſchon zaͤrtlich, die lallende Schweſter, mit
huͤpfenden Fuͤſſen
Dein ſich freute, ſchon da in die Arme dich ſchloß!
Oft mit kindiſch ſorgſamer Hand die wankende
Wiege
Faßte, und von dir ſummende Fliegen vertrieb!
Spaͤter ward ich, und ſpaͤter die juͤngern Schwe-
ſtern geboren,
Und wir wuchſen empor freudig, wie Stauden
am Bach,
Kanten fruͤh die ſuͤſſeſten Freuden des Lebens, und
pfluͤckten
Jeden kleinen Genuß, der ſich im Schatten
verbirgt.
Ungeſondert lebt’ ich mit dir die Tage der Jugend;
Wenn ein Morgen uns ſchied, ſchied uns der
Abend nicht mehr.
Wie, aus Einem Born, von Einem Schatten
gekuͤhlet,
Zwillingsſtroͤme ſich hell ſtuͤrzen vom Felſen
herab,
Mit vereinter Kraft bald Tannen waͤlzen und Felſen,
Bald mit ſpiegelnder Flut ſchlaͤngeln im ruhi-
gen Thal;
[289]Alſo floſſen auch uns vereint der Kindheit und Ju-
gend
Tage; jegliche Luſt theilten wir, jeglichen
Schmerz!
Jeden werdenden Wunſch, und jede heimliche Sorge,
Jedes Sehnen, das kein Fluͤgel der Hofnung
noch hub,
Jeden ahndenden Trieb, eh Selbſtbewuſtſein ihn
wiegte,
Fuͤhlten beide zugleich in der innerſten Bruſt!
Ach, nun ſind wir getrent! Zwar bringt der Fruͤh-
ling dich wieder;
Aber im ſauſigen Baum rauſchet noch herbſt-
liches Laub,
Wankend ſchuͤttelt ihr Haupt mit falben Locken die
Eſche,
Halb entkleidet vom Sturm, zittert erroͤthend
der Hain.
Eile, rollende Zeit, die Bahn des Jahres hin-
unter!
Steige, rollende Zeit, mit dem Fruͤhling em-
por!
Stolb. T
[290]Fruͤhling, ſaͤuſle mir nicht im zarten Laube der
Buchen,
Ehe du bringeſt zuruͤck meinen Geliebten zu
mir!
Ehe die liebenden Schweſtern mit ihm, und ſeine
Luiſe
Kommen zur Schweſter zuruͤck! kommen zum
Bruder zuruͤck!
Siehe, ſchon wuͤnſchen euch her die roſigen Neffen
und Nichten,
Wenn ihr ſuͤſſes Geſchwaͤz Freuden der Zukunft
entlockt!
Eile, Winter, vorbei auf Schwanenfluͤgeln des
Schnees,
Komme, blumiger Lenz, ſaͤuſle die Lieben zuruͤck!
Der Siebente November.
An meinen Bruder.
Auf! mit des Adlers Schwingen, fleuch,
Hin zu ihm, mein Geſang, und mit dir
Mein frolockender Morgengruß!
Hin zu ihm, der mir iſt,
Was kein Sterblicher je Sterblichen war!
Roͤthliche Schimmer erwachen ſchon;
Sie verkuͤndigen den Tag,
Ach! den entzuͤckenden,
Der dich, Lieber, ins Leben rief!
Seht, wie er pranget im herbſtlichen Schmuck!
Feiernd naht er, und ſtolz, umtanzt
Von der Stunden Reigen, und begruͤßt
Von der Sonne, dem Mond und dem weilenden
Stern!
[292] Eile, der du mir ſchwebſt
Auf der lechzenden Lippe,
Bruderkuß!
Schnell gleit’ auf dem erſten Stral,
Feuervoll, und erquickend, wie er,
Hin zu ihm, der mir iſt,
Was kein Sterblicher je Sterblichen war!
Lagre behend auf ſeine Lippe dich,
Scheuche nicht den Morgentraum,
Der mit duftenden Kraͤnzen,
Der mit windenden Epheuranken
Feſſelt den Schlummernden!
Traͤufle deinen Honig, und laß das Bild,
Ach! mein Bild!
Vor ſeiner ahndenden
Seele ſchweben, und mit ihm
Schmachtende Sehnſucht, ach! nach mir!
[293]Dann erweck ihn ungeſtuͤm, mit dem Fittigſchlag
Der Lieb, und ruf’ es laut
Mit Flammenwort ihm zu:
Daß er mir ſei,
Was kein Sterblicher je Sterblichen war!
Mein Bruder! Siehe, wie ſie bebt
Der Freude Zaͤhre,
Daß Du’s biſt, und daß Du
Mehr denn Bruder und Freund,
Daß du biſt
Meines Herzens Vertrauteſter!
Sage, keimte dir je,
Sproßte mir je ein Gedank,
Deſſen Huͤlle nicht Du
Hobeſt, nicht ich?
[294]Wie, durch der heiligen Natur
Tief verborgne Wunderkraft,
Der unberuͤhrten Leier Saite bebt,
Wenn des Saͤngers Stimme den Ton
Der Bebenden hallt;
O! ſo ſtimte Mutter Natur
Unſrer Zwillingsſeelen
Jmmer toͤnende Harmonie!
Toͤnend, wenn das Feuerblut
Lodert in der Juͤnglinge Bruſt,
Toͤnend, wenn der Ruͤhrung Zaͤhre ſanft
Ueber die blaͤſſere Wange rinnt.
Ach! Du, der du mir biſt,
Was kein Sterblicher je Sterblichen war!
An der Begeiſtrung und der Muſe Hand,
Deiner Vertrauten, zu denen du ſprichſt:
„Du biſt meine Schweſter! und du
Biſt meine Braut!„ —
Oft beſucht ihr in ſtiller Nacht
Du, den Bruder, und du,
[295] Jn der einſamen Halle,
Deinen Wonneberauſchten,
Deinen Buhlen, o Goͤttliche! —
Ha! ich kenne ſie auch!
Schweſter, und Braut!
An ihrer Hand
Schweb’ ich zu dir,
Ueber Laͤnder und Meere, zu dir!
Schuͤtte dir aus
Mein uͤberſtroͤmendes Herz.
Bruder! uns iſt gefallen das Loos
Lieblich, unſer Erb’ iſt ſchoͤn!
Ach! aber warum traͤuft
Jn des Jubels Becher die Thraͤne?
Ach! warum ſind wir getrent?
Heute getrent?
[296]Wie nach dem Thau das Sommergefild,
Wie die Sonne lechzet nach des Meeres Schoos,
Wie der Weinſtock nach der beſchattenden
Ulme ſtrebet;
O! ſo ſtreb’ ich, ſo lechz’ ich nach dir,
Der du mir biſt,
Was kein Sterblicher je Sterblichen war!
Kehre wieder, du der Freude Tag,
Segenſchwanger, und triefend
Deine Tritte von Milch,
Von Honig,
Und von der Rebe Blut!
Jmmer kom, die Schlaͤfe bekraͤnzt
Mit herbſtlichem Schmuck!
Ach bald nahet auch uns
Unſer Herbſt!
[297]Auch er komme, die Schlaͤfe bekraͤnzt
Mit herbſtlichem Schmuck!
Und mit Fruͤchten, o! mit Fruͤchten,
Mit unvergaͤnglichen
Reich beſchwert!
Nimmer find’ uns dann, ſchoͤner Tag,
Wie heute getrent!
O! Erfuͤllung, Erfuͤllung,
Des ſehnlichſten Wunſches Erfuͤllung!
Hell blickt mein Aug
Jn der Zukunft Fern’, es ſpaͤht
Goldne Tag’ am Ende der Bahn!
Endlich komt der Winter einher,
Ein ſanfter freundlicher Greis,
Beut uns beiden die Hand, und fuͤhrt,
O der Wonn’! uns ungetrent
Dorthin, wo, unter Lebensbaͤumen,
Wo, in Lauben der Himliſchen,
[298] Ach! unter eurem Fruchtbelaſteten,
Ruhe gewaͤhrenden
Feigenbaume,
Dorthin, ach! wo, unter eurem
Freud’ und Schatten
Bietenden Weinſtock,
Beſter Vater! und du,
Die mich gebar, die mich ſaͤugte,
Beſte Mutter!
Wechſellos bluͤhet
Ewiger Lenz.
Die Feier der Erde.
Alles unter dem Monde,
Unter der Himmelwandelnden
Sonne, kennet und kante
Alles die Muſe;
Unter den Tiefen der Erde
Schwebet ihr Fittig,
Und willkommen iſt die kuͤhne Fremdling auch oft
Unter den Reigen der Himliſchen.
Dennoch erſcheinet ſie
Oft dem ſterblichen Dichter;
[300] Eilet dem rufenden
Zuͤrnend vorbei,
Aber beſuchet,
Ungerufen und laͤchelnd,
Oft im bebenden Mondenſchein,
Oft auf gluͤhendem Sonnenſtral,
Deine ruhenden Saͤuglinge,
Mutter Natur!
Staunend ſah ich und froh,
Wogenumdonnertes Hellebeck,
Wie der Winter und der Sommer zugleich
Schmuͤckten dein rauſchendes Haupt.
Staunend und froh
Weilten voruͤberwallende
Geiſter, die aus Orions
Fluren zu den Jnſeln der Pleias
Schwebten, und erkanten kaum
Der Erde Antliz, das ſie oft ſchon ſahn,
[301] Forſchten nach des rollenden
Jahres Alter, denn ſie ſahn
Auf der grauen ſchneeigen Scheitel,
Goldene, ſaͤuſelnde Locken des Hains!
Mir vertraute, ſie vertraute mir,
Die kundige Muſe
Das Geheimniß der Natur!
Es feiert die Erde
Heute den Tag ihrer Geburt,
Den ſie nach tauſend
Rollenden Jahren
Jmmer feiert!
Denn an dieſem Tage
Stieg ſie zuerſt,
Aus der heimlichen Halle der alten Nacht,
An der ſtralenden Hand des erſten der Morgen,
Laͤchelnd und erroͤthend, den Himmel hinan!
[302]Es feiert die Erde
Dieſen Tag!
Sie berief zur Feier
Die Soͤhne des Jahrs!
Es erhub ſich im nordiſchen Thal
Der Winter nach kurzem Schlaf;
Schuͤttelte ſein Haupt, da ward bedeckt
Der Boden mit Schnee;
Gieng mit eilendem Rieſenſchritt,
Sezte den ſtarrenden Stralenfuß
Auf die thuͤrmenden Gipfel
Des hohen Schwediſchen Felſengebirgs;
Schritt uͤber’s Meer,
Trat auf’s Geſtade,
Wo ſein Bruder, der Herbſt,
Waltete im falben Hain,
Wo ſein Bruder, der Sommer,
Weilte in der Eiche gruͤnem Laub.
[303]Es ſchmuͤckten die Bruͤder mit vereinter Hand
Die Feier der Erde;
Zartes Eis bedeckte die Flaͤche
Schimmernder Landſeen,
Und es kraͤuſelte ſich auf ihm der Buche goldnes
Haar!
Spiegelten ſich in ihm
Ellern, noch bekleidet mit des Fruͤhlings Schmuck,
Und rothe,
Nickende Beeren;
Duftender Feldroſen
Juͤngere Schweſtern,
Glaͤnzten vom Reife durch den gruͤnen Buſch.
Aus brauſenden Tiefen
Erhub ſein Haupt
Das heilige Nordmeer,
Staunend uͤber Seelands neuen Schmuck;
Aber zagend wich
Zuruͤck vom Geſtade die Oſtſee,
Fuͤrchtend, daß ſchon izt
Wuͤrde binden der Winter
[304] Mit kriſtallner Feſſel ihren blauen Arm,
Wuͤrde ſtuͤrmend zerſchellen
Schiffe, die ſich ihr
Vertrauten, und zahllos
Jhre weiſſen Fluͤgel oͤfneten dem Hauch des Windes.
Neuen Mut
Gab ihr die ſteigende Sonne,
Deren goldener Stral
Traͤufeln ließ, wie Thau,
Von gruͤnen Eichen den geſchmolznen Schnee
Jn der wankenden Blume glaͤnzenden Kelch!
Freudig ſangen und feirten Voͤgel des Hains,
Freudig ſinget und feiert mein Geſang,
Den ich fruͤh der heiligen Natur
Weihte, die Leier und Geſang mir gab!
Stolb. U
Abendlied eines Maͤdchens.
Wann des Abends Roſenfluͤgel
Kuͤhlend, uͤber Thal und Huͤgel,
Ueber Wald und Wieſe, ſchwebt;
Wann der Thau die Baͤume traͤnket,
Sich in bunte Blumen ſenket,
Und an jungen Aehren bebt;
Wann im Schalle heller Glocken
Heimwaͤrts ſich die Schafe locken,
Und im Gehn das Laͤmchen ſaugt;
Wann das Geißblatt ſuͤſſe Duͤfte
Jn dem Wehen leiſer Luͤfte
Labend mir entgegen haucht;
[307]Wann die ſchweren Kuͤhe bruͤllen,
Gern die blanken Eimer fuͤllen,
Und die Dirne melkend ſingt,
Dann, auf ihrem bunten Kranze,
Leicht, als ſchwebte ſie im Tanze,
Suͤſſe Milch nach Hauſe bringt;
Wann die Erlen duftend ſaͤuſeln;
Wann die Muͤcken Teiche kraͤuſeln;
Wann der Froſch ſich, quackend, blaͤht;
Wann der Fiſch im Waſſer huͤpfet,
Aus der kalten Tiefe ſchluͤpfet,
Und der Schwan zum Neſte geht;
Wann, im Nachtigallenthale,
Hesper mit verliebtem Strale
Heimlich meine Quelle kuͤßt;
Wann, wie eine Braut erroͤthend,
Luna freundlich komt, und floͤtend
Philomele ſie begruͤßt:
[308]Dann umſchweben ſuͤſſe Freuden,
Hand in Hand mit ſtillen Leiden,
Meinen Geiſt; mein Auge weint.
Wann die Thraͤn’ in Luna’s Schimmer
Bebet, weis ich ſelbſt nicht immer,
Was die ſtille Thraͤne meint.
Manche nannt’ ich Freudenthraͤnen,
Die vielleicht geheimes Sehnen
Dem getaͤuſchten Auge ſtahl;
Mancher leiſe Wunſch entbebte
Seufzend meiner Bruſt, und ſchwebte
Ungeſehn im Mondenſtral.
Jch beſchwoͤr’ euch, Abendluͤfte!
Jch beſchwoͤr’ euch, kuͤhle Duͤfte!
Hesper! Luna! Nachtigall!
Sagt, beſchleichet dieſes Sehnen
Mich allein mit ſolchen Thraͤnen
Jm geheimen Mondenſtral?
An meinen Bruder.
Toͤnet Dir, toͤnt dir ohne Taͤuſchung, lieblich
Wie der Nachtigall Lied, des Todes Name,
Und wird Dir ſein rauſchender naher Fittig
Schwanenflug toͤnen?
Blumen umkraͤnzen, wie ſie Dir nur bluͤhen,
Deine wallenden Locken, und den Becher,
Den mit Goͤtterwein die Natur dir immer
Schaͤumender anfuͤllt:
[316]Blumen des Bachs, der Wieſe pfluͤckt die Freund-
ſchaft
Dir, den ſtolzeren Lorbeer dir die Muſe,
Bald auch wird (ſchon roͤthelt ihr Roſen-
knoͤspchen!)
Liebe dich kraͤnzen.
Aber, o waͤhnſt du, daß der Liebe Roſe,
Selbſt der ſuͤſſeſten Liebe, wenn nun endlich,
Athemlos, mit ſchmachtendem, feuchtem
Auge,
Bebenden Lippen,
Die ſich zu matten, halbgekuͤßten Kuͤſſen
Kaum zu ſchlieſſen vermoͤgen! ach! an deinem
Trunknen Buſen, ſie, die du liebeſt, die
dich
Liebet, dahin ſinkt;
Waͤhnſt du, ſie dufte, dieſe Roſe, ſtaͤrker
Als das Rankengewebe, das, mit tauſend
Armen, uns, und kraͤuſelnden Sproſſen,
feſter
Stets uns umſchlinget?
[317]Aufgang der Sonne flammet Dir des Todes
Fackel? Sie, die der Ranken keiner ſchonen
Und austrocknen wuͤrde die Borne meines
Lechzenden Lebens?
Daß, den du wuͤnſcheſt, ich nicht fuͤrchte, weiſt du!
Kanteſt lange den Durſt in meinem Herzen,
Heldentod einſt in der gerechten Feldſchlacht
Blutig zu ſterben!
Siehe, ſchon ſchwebt er! — Ha! ich kenne deines
Fittigs Todesgeſang! mich ſchreckt nicht,
Droher,
Deine Rechte! Trennung von meinen
Lieben,
Droher, die ſchreckt mich!
Leben, o leben will ich! wenn gleich oftmal
Schwarze Wolken mich huͤllen. Schweſtern,
Freunde,
Leben! mein braunlockiges Weib, mein
Bruder,
Leben, o leben!
[318]Aber wenn, doch der Menſchheit Loos verbeut es!
Wenn zugleich dem vertrauten Haͤuflein winkte
Er, der Ruhegeber; ich ſaͤh’ ihn, laͤchelnd:
„Bruder, er ſchreckt nicht!„
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