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Hiſtoriſche Entwickelung
der heutigen
Staatsverfaſſung
des
Teutſchen Reichs


[figure]
Zweyter Theil
von 1558. bis 1740.

Goͤttingen,:
im Verlage der Wittwe Vandenhoeck,
1786.

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Wenn die hiſtoriſche Entwickelung der heutigen
Staatsverfaſſung des Teutſchen Reichs, wo-
von ich hier den zweyten Theil liefere, ihrer Abſicht
und erhabenen Veranlaßung nur einigermaßen ein
Gnuͤge leiſten ſollte; ſo brachte es die Natur der
Sache mit ſich, daß die hier in Betrachtung kom-
menden Gegenſtaͤnde mit dem Fortgange der Zeiten
immer zahlreicher wurden, und, je neuer ſie ſind, je
unmittelbarer ſie auf unſern jetzigen Zuſtand wirken,
deſto ausfuͤhrlicher ſie behandelt, deſto heller ſie ins
Licht geſetzt werden mußten; — ſo wie in einer per-
ſpectiviſchen Ausſicht die uns naͤheren Gegenſtaͤnde
ſich unſerm Auge ungleich genauer und entwickelter
darſtellen als die entferntern. — Das iſt die Ur-
ſache, warum dieſer zweyte Theil kaum einen Zeit-
raum von zwey Jahrhunderten faſſen konnte, an
ſtatt daß der erſte Theil, ohne an der Bogenzahl
groͤßer zu ſeyn, ſich uͤber ſechzehn Jahrhunderte hin-
aus erſtreckte, — freylich je hoͤher uͤber unſere Zei-
ten hinauf, deſto gedraͤngter, deſto weniger mit
a 2Dar-
[]Vorrede.
Darſtellung aller einzelnen Stuͤcke, wie ſie ſich ſonſt
vielleicht naͤher betrachtet zergliedern ließen. — Ich
denke nicht, daß es einer weitern Entſchuldigung be-
duͤrfen wird, warum dieſer zweyte Theil noch nicht
den Beſchluß des ganzen Werkes enthaͤlt. Der
dritte Theil, der den Ueberreſt dieſer hiſtoriſchen
Entwickelung kaum noch von einem halben Jahrhun-
derte vor ſich hat, wird den gegenwaͤrtigen und vo-
rigen Theil an Groͤße doch nicht erreichen; es muͤßte
dann ſeyn, daß einige Bemerkungen vom Zuſtande
des Teutſchen Reichs, wie es jetzt wuͤrklich iſt, die
ich vielleicht als Reſultate oder zum Theil auch als
Ergaͤnzungen der vorhergegangenen hiſtoriſchen Ent-
wickelung hinzufuͤgen werde, eine groͤßere Bogen-
zahl einnehmen moͤchten, als ich mir jetzt noch vor-
ſtelle. Ein Regiſter uͤber das ganze Werk gedenke
ich am Ende deſſelben zum bequemeren Gebrauche
des ganzen Buches hinzuzufuͤgen.


Goͤttingen den 15. Jun. 1786.


Johann Stephan Puͤtter.


Inhalt
[]

Inhalt.


  • Sechſtes Buch der neueren Zeiten dritter
    Abſchnitt von Carls des V. Abdankung bis zum
    Weſtphaͤliſchen Frieden 1558-1648. S. 1-48.
  • I. Von Ferdinand dem I. und Max dem II.
    1558-1576. S. 1-8.
  • I. Erſtes Beyſpiel einer Reſignation des regierenden
    Kaiſers. S. 1. — II. Erneuerung der Wahlcapitulation
    und Churverein. S. 2. — III. Abgang der Kaiſerkroͤnung
    zu Rom. S. 3. — IV. V. Ende der Kirchenverſammlung
    zu Trient. S. 3. — VI. Unabgeſtellt gebliebene Mißbraͤu-
    che der catholiſchen Kirche. S. 4. — VII. Gegenſeitige
    Beſchwerden der Catholiſchen und Proteſtanten. S. 6. —
    VIII. Wilhelms von Grumbach Unternehmungen gegen
    Wuͤrzburg, und damit verbundene Gothaiſche Unruhen.
    S. 6. — IX. Dadurch veranlaßter Deputationstag und
    gemeinſamer Reichskreistag. S. 7.
  • II. Von den erſten Jahren der Regierung K.
    Rudolfs des II. 1576-1582. Recht der Erſtgebuhrt
    im Hauſe Oeſterreich und mehr anderen Haͤuſern;
    und Veraͤnderungen in den Stimmen des Reichs-
    fuͤrſtenrathes mit dem Jahre 1582. S. 9-13.
  • I. Einfuͤhrung des Rechts der Erſtgebuhrt im Hauſe
    Oeſterreich, allem Anſehen nach von Max dem II. S. 9. —
    a 3II. Eben
    []Inhalt.
    II. Eben dergleichen Verordnungen erſchienen nach und nach
    in mehreren fuͤrſtlichen und graͤflichen Haͤuſern. S. 11. —
    III. Einfluß des Rechts der Erſtgebuhrt auf die Zahl der
    weltlichen Stimmen im Reichsfuͤrſtenrathe. S. 11. — IV.
    Zufaͤllige Richtſchnur dieſer Zahl vom Jahre 1582. her.
    S. 12.
  • III. Anfang neuer Religionsirrungen unter Ru-
    dolf dem II. S. 14-22.
  • I. Spaniſche und jeſuitiſche Rathſchlaͤge. S. 14. —
    Niederlaͤndiſche Unruhen. S. 15. — II. Weitere Trennung
    der Lutheriſchen und Reformirten durch das ſo genannte Con-
    cordienbuch. S. 15. — III. Jeſuitiſche Angriffe auf die
    Verbindlichkeit des Religionsfriedens. S. 16. — IV. V.
    Aufgeſtellte Grundſaͤtze zur Behauptung einer gewaltſamen
    catholiſchen Gegenreformation. S. 17. — VI. Deren Er-
    folg in Steiermark und Wuͤrzburg, S. 17. — VII. und,
    nach etlichen Religionsveraͤnderungen, im Badiſchen. S.
    18. — VIII. Verdraͤngung der Proteſtanten zu Aachen.
    S. 19. — IX. X. Durchſetzung des geiſtlichen Vorbehalts
    im Erzſtifte Coͤlln und Hochſtifte Straßburg. S. 19. — XI.
    Bedenkliche Lage der mit Proteſtanten beſetzten Stifter in
    Ober- und Niederſachſen. S. 20. — XII-XIV. Bewe-
    gungen uͤber den neuen Gregoriſchen Calender. S. 21.
  • IV. Neuer Streit uͤber des Reichshofraths con-
    currirende Gerichtbarkeit mit dem Cammergerichte.
    S. 22-29.
  • I. Streit uͤber die Gerichtbarkeit des Reichshofraths
    bey Gelegenheit der Achtserklaͤrung der Stadt Donawerth
    und einer Heſſiſchen Succeſſionsſtreitigkeit. S. 22. — II.
    Urſpruͤngliche Vorzuͤge des Cammergerichts. S. 23. — III.
    Bedenklichkeiten in Anſehung des Reichshofraths, ſofern er
    Gerichtbarkeit ausuͤben ſollte. S. 24. — IV. Einleitung
    der Sache in der Frage: ob der Kaiſer neben dem Cammer-
    gerichte noch eine Gerichtbarkeit habe? S. 25. — V. Rich-
    tige Beurtheilung dieſer Frage S. 25. — VI. ſelbſt nach
    dem wahren kaiſerlichen Intereſſe. S. 26. — VII. Un-
    gluͤckliche Hemmung der Cammergerichtsviſitation 1588.
    S. 27.
    []Inhalt.
    S. 27. — VIII. Was anfangs ſcheinbarblendende Vor-
    theile zu bewaͤhren ſchien, erhielt ſich doch nicht in der Fol-
    ge. S. 28. — IX. Concept der Cammergerichtsordnung
    1613. S. 28.
  • V. Succeſſionsſtreitigkeiten im Hauſe Oeſter-
    reich und uͤber Juͤlich und Berg, unter Rudolf dem
    II. und Matthias. Anfang des dreyßigjaͤhrigen
    Krieges. S. 30-34.
  • I. Bewegungen uͤber die kuͤnftige Succeſſion in den Erb-
    ſtaaten des Hauſes Oeſterreich. S. 30. — II. Weitausſe-
    hender Succeſſionsſtreit uͤber Juͤlich und Berg ꝛc. S. 31. —
    III. Gegenſeitige Buͤndniſſe beider Religionstheile unter den
    Namen Union und Lige. S. 31. — IV. Des Kaiſer Mat-
    thias Thronfolge und Wahlcapitulation. S. 32. — V.
    Umſchlag der Juͤlichiſchen Sache durch Verunwilligung der
    Haͤuſer Brandenburg und Pfalzneuburg; S. 32. — des
    letztern Religionsveraͤnderung. S. 32. — VI. Thaͤtlichkei-
    ten zu Prag, und damit unerwartet eroͤffneter Anfang des
    dreyßigjaͤhrigen Krieges. S. 34.
  • VI. Fortgang des dreyßigjaͤhrigen Krieges unter
    Ferdinand dem II. bis zum Prager Frieden 1619-
    1635. S. 34-41.
  • I. Schlacht bey Prag. Deren Folge, Achtserklaͤrung
    des Churfuͤrſten von der Pfalz. S. 34. — II. Uebertra-
    gung der Pfaͤlziſchen Chur an das Haus Baiern. S. 35. —
    Damit auf ewig gehemmte bisherige Religionsgleichheit der
    Churfuͤrſten. S. 36. — III. Andere Fortſchritte gegen Ba-
    dendurlach und Heſſencaſſel. S. 36. — Von Tilly unter-
    ſtuͤtzte catholiſche Gegenreformation. S. 36. — IV. Kaiſer-
    liches Reſtitutionsedict gegen die Proteſtanten. S. 36. —
    V. Verungluͤckte Unternehmung des Koͤnigs in Daͤnemark.
    S. 38. — Friede zu Luͤbeck. S. 38. — VI. Einzige noch
    uͤbrige proteſtantiſche Macht in Schweden, S. 38. — VII.
    die Guſtav Adolf uͤber alle Erwartung geltend macht, S.
    38. — VIII. auch ſein Tod im Siege bey Luͤtzen nicht
    gleich unterbricht, — bis nach einer Niederlage bey Noͤrd-
    a 4lin-
    []Inhalt.
    lingen Churſachſen zu Prag Frieden ſchließt. S. 39. — IX.
    Inhalt des Prager Friedens. S. 39. — X. Deſſen erſter
    Erfolg. S. 40.
  • VII. Letzte Auftritte des dreyßigjaͤhrigen Krieges
    unter Ferdinand dem II. und III. vom Prager Frie-
    den bis zum Weſtphaͤliſchen Frieden 1635-1648.
    S. 41-48.
  • I. Bruch der Krone Frankreich, und erneuertes Gluͤck
    der Schwediſchen Waffen. S. 41. — II. Reichstag zu Re-
    gensburg, und Abſicht des Kaiſers, die Reichsſtaͤnde von
    den beiden Kronen zu trennen. S. 42. — III-VII. Son-
    derbarer Querſtrich, den ein einziges Buch, der Hippoli-
    thus a Lapide,
    darin gemacht, S. 42. — VIII. nebſt
    noch einer wichtigen Veraͤnderung, die mit dem Tode des
    Churfuͤrſten von Brandenburg vorgieng. S. 46. — IX.
    Im Reichsabſchiede 1641. mußte ſchon nachgegeben werden,
    Muͤnſter und Osnabruͤck an ſtatt Coͤlln und Luͤbeck zu den
    Friedenscongreſſen zu beſtimmen. S. 46. — X. Friedens-
    praͤliminarien zu Hamburg. S. 48. — XI. Reichsdeputa-
    tionstag. — Fortgang und Ende der Weſtphaͤliſchen Frie-
    denshandlungen zu Muͤnſter und Osnabruͤck. S. 48.
  • Siebentes Buch. Der neueren Zeiten
    vierter Abſchnitt vom Weſtphaͤliſchen Frieden 1648.
    S. 49-154.
  • I. Friedenshandlungen wegen der vereinigten
    Niederlande und der Schweiz. Andere vom Frie-
    den ausgeſchloſſene Maͤchte: Spanien, Portugall,
    Lothringen. S. 49-53.
  • I. Friede zwiſchen Spanien und den vereinigten Nie-
    derlanden. S. 49. — II. III. Deſſen Erfolg in Anſehung
    des Teutſchen Reichs. S. 50. — IV. Abgebrochene Frie-
    denshandlungen zwiſchen Spanien, und Frankreich und Por-
    tugall; wie auch zwiſchen Frankreich und Lothringen; —
    doch
    []Inhalt.
    doch wurden dieſe Maͤchte als gegenſeitige Bundesgenoſſen
    im Osnabruͤckiſchen Frieden mit eingeſchloſſen. S. 51. —
    V. Bewilligte Unabhaͤngigkeit der Schweiz. S. 52.
  • II. Friedenshandlungen uͤber die Gnugthuung
    fuͤr die beiden Kronen Schweden und Frankreich,
    und uͤber die davon abgehangenen Compenſations-
    forderungen. S. 53-59.
  • I. Gemeinſchaftlicher und beſonderer Inhalt der beiden
    Friedensſchluͤſſe zu Muͤnſter und Osnabruͤck. S. 53. — II-
    IV.
    Gnugthuungsforderungen der Krone Schweden an Land
    und Leuten, und einigen vorzuͤglichen Gerechtſamen. S.
    54. — V-VII. Davon abgehangene Verguͤtungen der
    Haͤuſer Brandenburg, Mecklenburg und Braunſchweig-Luͤ-
    neburg. S. 56. — VIII. Ganz beſondere nur dem Hauſe
    Heſſencaſſel zugeſtandene Vortheile. S. 58. — IX. Gnug-
    thuung der Krone Frankreich. S. 59.
  • III. Friedenshandlungen uͤber die Amneſtie.
    S. 60-63.
  • I. Schwierigkeiten wegen der Amneſtie, S. 60. — II.
    die der Kaiſer nur von 1630. oder 1627. her geſtatten woll-
    te, jedoch der Regel von 1618. nachgeben mußte; S. 60. —
    III. nur mit beſonderer Beſtimmung wegen der in den kai-
    ſerlichen Erblanden confiſcirten Guͤter; S. 61. — IV. wie
    auch wegen der Pfaͤlziſchen Reſtitution, S. 62. — V. und
    vieler noch beſonders benannten Partheyen. S. 62. — VI.
    Beſondere Entſcheidung der Irrungen des Hauſes Heſſen. —
    Aber unentſchieden gelaßene Juͤlichiſche und Donawerthiſche
    Sache. S. 63.
  • IV. Friedenshandlungen uͤber die Religionsbe-
    ſchwerden. S. 64-82.
  • I. Ein Hauptgegenſtand des Friedens waren die Be-
    ſchwerden der Reichsſtaͤnde, wegen derer eigentlich der Krieg
    gefuͤhret war; — ſowohl politiſche als Religionsbeſchwer-
    den; — letztere wurden nur im Osnabruͤckiſchen Frieden
    a 5behan-
    []Inhalt.
    behandelt. S. 64. — II. Allgemeine Beſtaͤtigung des Re-
    ligionsfriedens mit Inbegriff der Reformirten. S. 65. —
    III. Beſtimmung des Verhaͤltniſſes zwiſchen Lutheriſchen und
    Reformirten; S. 65. — IV. wovon man die Beyſpiele
    theils vom Brandenburgiſchen, theils vom Zerbſtiſchen und
    Hanauiſchen vor Augen hatte. S. 66. — V. VI. Zwiſchen
    Catholiſchen und Evangeliſchen verglichenes Entſcheidungs-
    ziel des Jahrs 1624. S. 67. — VII. inſonderheit in Anſe-
    hung der geiſtlichen Stiftungen, S. 68. — VIII. und
    der geiſtlichen Gerichtbarkeit, S. 69. — IX. die uͤbrigens
    nebſt dem ganzen Dioeceſanrechte uͤber die Proteſtanten von
    neuem voͤllig aufgehoben wurde. S. 70. — X. Gleichmaͤ-
    ßige Beſtimmung wegen der Religionsuͤbung S. 71. — XI.
    und Hausandacht; S. 71. — XII. nur mit beſonderer Aus-
    nahme der kaiſerlichen Erblande. S. 72. — XIII. Eigene
    Erwehnung der Reichsritterſchaft. S. 72. — XIV-XVI.
    Beſondere Beſtimmung des Religionszuſtandes der Reichs-
    ſtaͤdte. S. 73. — XVII. Solchemnach erwuchs in den be-
    ſonderen Teutſchen Staaten allerdings ein ſehr ungleiches
    Verhaͤltniß der verſchiedenen Religionen. S. 74. — XVIII.
    XIX.
    In Anſehung des geſammten Reichs ward aber eine
    vollkommene gegenſeitige Gleichheit beider Religionen feſtge-
    ſetzt; S. 75. — XX. wo ſichs thun ließ, ſelbſt mit voͤllig
    gleicher Anzahl Perſonen von beiden Religionen; S. 76. —
    XXI. XXII. oder doch ſo, daß in Faͤllen, da ſich beide Re-
    ligionstheile trennten, nicht die Mehrheit der Stimmen, ſon-
    dern nur guͤtliche Vergleichung gelten ſollte, S. 77. —
    XXIII. XXIV. es moͤchte von Religionsſachen oder anderen
    Gegenſtaͤnden die Frage ſeyn; S. 79. — XXV. nicht aber,
    daß drey Religionen unter einander gegenſeitige Rechte haben
    ſollten, — da von Lutheriſchen und Reformirten unter ſich,
    auf Catholiſche und Proteſtanten unter ſich kein Schluß gilt,
    S. 80. — XXVI. Andere Religionen ſind darunter nicht
    begriffen. S. 81.
  • V. Friedenshandlungen uͤber der Reichsſtaͤnde
    politiſche Beſchwerden, ihre landesherrlichen Rech-
    te betreffend. S. 82-85.
  • I. Befeſtigung der Landeshoheit uͤberhaupt S. 82. —
    II. mit Inbegriff des Rechts der Buͤndniſſe. S. 83. — III.
    Zu-
    []Inhalt.
    Zugleich geſicherter Beſitz der Reichspfandſchaften. S. 84. —
    IV. Befeſtigter Zuſtand der Reichsſtaͤdte, Reichsritterſchaft
    und Reichsdoͤrfer. S. 85.
  • VI. Friedenshandlungen uͤber die Reichstags-
    rechte und Cammergerichtsverfaſſung. S. 86-95.
  • I. Antrag der beiden Kronen wegen der nothwendig zu
    erfordernden Einwilligung des Reichstages mit dem freyen
    Stimmrechte der Reichsſtaͤnde in wichtigen Reichsſachen.
    S. 86. — II. Vergebliche kaiſerliche Bemuͤhungen dage-
    gen. S. 87. — III. Der Reichsſtaͤdte entſcheidendes Stimm-
    recht, S. 88. — IV. mit der Re- und Correlation zwi-
    ſchen den drey reichsſtaͤndiſchen Collegien, S. 89. — V.
    ohne daß eine Mehrheit der Stimmen unter dieſen drey Col-
    legien ſtatt findet. S. 89. — VI. Fuͤr das Cammergericht
    feſtgeſetzte Religionsgleichheit der Beyſitzer, S. 90. — VII.
    und darnach eingerichtete Praͤſentationen, S. 91. — VIII.
    mit Vorbehalt der Freyheit einzelner evangeliſchen Staͤnde in
    catholiſchen Kreiſen. S. 91. — IX. Praͤſidentenſtellen am
    Cammergerichte. S. 92. — X. Cammerrichtersſtelle. S.
    93. — XI. Religionsgleichheit der Canzleyperſonen S. 94.
  • VII. Friedenshandlungen den Reichshofrath be-
    treffend. S. 96-103.
  • I. Des Reichshofraths Concurrenz mit dem Cammer-
    gerichte wurde fuͤr bekannt angenommen, und nur den Vor-
    wuͤrfen entgegengearbeitet. S. 96. — II. Zur Proceß-
    ordnung ſollte die Cammergerichtsordnung dienen, S. 97. —
    III. und eine eigne Reichshofrathsordnung gemacht wer-
    den, — die Ferdinand der III. hernach fuͤr ſich machen
    ließ. S. 98. — IV. Die Religionsgleichheit blieb ebenfalls
    eingeſchraͤnkt. S. 99. — V. Eine Viſitation ſollte erſt
    kuͤnftig berichtiget werden. S. 99. — VI. VII. Zum Rechts-
    mittel ſollte eine Reviſion gleich der am Cammergerichte ſtatt
    finden. S. 101.
  • VIII. Friedenshandlungen uͤber einige Puncte in
    Anſehung beider hoͤchſten Reichsgerichte. S. 104-117.
  • I. Aufrechthaltung der Auſtraͤgalinſtanz und anderer
    Vorrechte in Anſehung des Gerichtsſtandes. S. 104. —
    II. Verweiſung einiger Sachen an den Reichstag. S. 104. —
    III-VII. Aus dieſer Stelle nachher erwachſener Streit: ob
    dem Cammerrichter in Faͤllen einer Stimmengleichheit eine
    entſcheidende Stimme gebuͤhre? S. 105. — VIII. IX.
    Hemmung der Mehrheit der Stimmen, wenn einmuͤthige
    Stimmen des andern Religionstheils dagegen ſind. S. 108. —
    X. Grab des ehemaligen Fuͤrſtenrechts, da der Weſtphaͤliſche
    Friede es nur in des Kaiſers Belieben ſtellt, in wichtigeren
    Sachen das Gutachten einiger Staͤnde zu fordern. S. 110. —
    XI. XII. Einfluß dieſer Verordnung auf die Deutung einer
    andern Stelle der Cammergerichtsordnung, vermoͤge deren
    dem Kaiſer das Erkenntniß in Sachen, die ganze Fuͤrſtenthuͤ-
    mer betreffen, vorbehalten wird. S. 111. — XIII. Noch
    ſtand damit in Verbindung die Frage von der Art und Wei-
    ſe, gegen Reichsſtaͤnde Achtserklaͤrungen zu erkennen, S.
    113. — XIV. die erſt 1711. entſchieden worden. S. 113. —
    XV. XVI. Von Reichshofrathsgutachten. S. 114. — XVII.
    Von kaiſerlichen Landgerichten. S. 116.
  • IX. Einige Sachen, ſo noch von dem Friedens-
    congreſſe auf den naͤchſten Reichstag zur Eroͤrterung
    und Entſcheidung verwieſen wurden. S. 118-139.
  • I-III. Vorzuͤglich wurden noch auf den naͤchſten Reichs-
    tag verwieſen die Errichtung einer beſtaͤndigen kaiſerlichen
    Wahlcapitulation, S. 118. — IV. V. und die Art, wie kuͤnf-
    tig mit Roͤmiſchen Koͤnigswahlen zu Werk gegangen werden
    ſollte. S. 120. — VI. Mehr [...]andere Gegenſtaͤnde benann-
    te der Friede, als eine Sportelordnung, Verbeſſerung des
    Reichsjuſtitzweſens, der Reichspolizey, S. 122. — VII.
    und des Reichsſteuerweſens. S. 122. — VIII-XII. Fer-
    ner war die Rede von ordentlichen und auſſerordentlichen
    Reichsdeputationen; S. 124. — XIII-XVII. wie auch
    von Directorien in reichsſtaͤndiſchen Verſammlungen. S.
    129. — XVIII-XX. Endlich unter aͤhnlichen Gegenſtaͤn-
    den, die erſt vom naͤchſten Reichstage ihre Erledigung zu
    erwarten haben ſollten, war hauptſaͤchlich noch das Poſt-
    weſen begriffen, wie es das Haus Taxis in Aufnahme ge-
    bracht hatte; S. 133. — XXI. theils in Colliſion mit der
    dem
    []Inhalt.
    dem Freyherrn von Par verliehenen Oeſterreichiſchen Land-
    poſt und kaiſerlichen Hofpoſt, S. 135. — XXII-XXV.
    theils mit anderen reichsſtaͤndiſchen Territorialpoſten. S. 136.
  • X. Friedensexecutionshandlungen und Forde-
    rungen der Schwediſchen Militz. S. 140-154.
  • I. II. Schwierigkeiten, die ſich wegen Vollziehung des
    Friedens hervorthaten. S. 140. — III. Unerwartete For-
    derung der Schwediſchen Kriegsvoͤlker, S. 141. — IV.
    die auf fuͤnf Millionen Thaler verglichen, S. 142. — V.
    und auf ſieben Kreiſe vertheilt wurde. S. 143. — VI.
    Aehnliche Forderung von Heſſencaſſel. S. 143. — VII. Ab-
    rede, was ſonſt gleich nach unterzeichnetem Frieden zu deſ-
    ſen Vollziehung geſchehen ſollte, S. 143. — VIII. unter
    andern, wie die Schwediſchen Gelder terminsweiſe bezahlt,
    und dagegen Plaͤtze geraͤumt und Kriegsvoͤlker abgedankt wer-
    den ſollten. S. 144. — IX. Kuͤnftige reichsgrundgeſetzli-
    che Kraft des Friedens, S. 145. — X-XII. mit deſſen
    ausbedungener Gewaͤhrleiſtung fuͤr alle Theilhaber des Frie-
    dens, S. 145. — XIII. vermoͤge deren ein Schwerdt das
    andere in der Scheide erhalten muß. S. 147. — XIV.
    Truͤbe Ausſichten, die ſich gleich nach geſchloſſenem Frieden
    zeigten. S. 148. — XV. Kaiſerliche Befehle zur Vollzie-
    hung des Friedens. S. 149. — XVI. Widriger Schluß
    des Congreſſes zu Muͤnſter. S. 149. — XVII. Executions-
    handlungen zu Prag und Nuͤrnberg. — Executionshaupt-
    receß. S. 150. — XVIII. Selbigen zufolge angeſetzte
    Reichsdeputation, und deren Reſtitutionsverzeichniſſe. S.
    151. — XIX. Nunmehrige Conſiſtenz des Friedens. S.
    152. — XX. Endlich auch noch gehobene Schwierigkeiten
    wegen der pfaͤlziſchen Reſtitution in Anſehung des Erzamts,
    S. 152. — XXI. und der Stadt Frankenthal. S. 153.
  • Achtes Buch. Der neueren Zeiten fuͤnfter
    Abſchnitt von den Folgen des Weſtphaͤliſchen Frie-
    dens und Ende der Regierung Ferdinands des III.
    1648-1657. S. 155-254.
  • I. Regierungsform des Teutſchen Reichs uͤber-
    haupt, wie ſie nunmehr durch den Weſtphaͤliſchen
    Frieden erſt recht befeſtiget worden. S. 155-166.
  • I. Merklich veraͤnderte Verfaſſung des Teutſchen Reichs,
    S. 156. — II. wie es nunmehr aus lauter beſonderen
    Staaten beſtand, — nur noch unter einem Oberhaupte ver-
    einiget; S. 156. — III. ganz anders, als in Frankreich,
    da die Koͤnige immer ihre Cammerguͤter behalten, und zu-
    letzt alles wieder mit der Krone vereiniget haben; S. 157. —
    IV. ohne daß weder Carl der V. noch die Ferdinande das
    ruͤckgaͤngig machen koͤnnen, was endlich der Weſtphaͤliſche
    Friede voͤllig befeſtigte. S. 158. — V. So ward Teutſch-
    land ein zuſammengeſetzter Staatskoͤrper, S. 159. — VI.
    VII.
    der jetzt anders im Ganzen, anders in ſeinen einzelnen
    Theilen zu betrachten iſt. S. 160. — VIII. Letztere ſind
    lauter beſondere Staaten, — von einander eben ſo unter-
    ſchieden, wie die verſchiedenen Europaͤiſchen Staaten. S.
    161. — IX. X. Daraus entſpringt noch ein beſonderer
    Unterſchied der mittelbaren und unmittelbaren Mitglieder des
    Teutſchen Reichs, S. 162. — XI. XII. und des Verhaͤlt-
    niſſes, worin beide unter der kaiſerlichen Regierung ſte-
    hen; — inſonderheit in Anſehung der kaiſerlichen Reſervat-
    rechte, S. 164. — XIII. oder in Anſehung deſſen, was
    vor den Reichstag gehoͤret; S. 165. — XIV. deſſen Schluͤſſe
    erſt durch Genehmigung des Kaiſers die Kraft verbindlicher
    Reichsgeſetze erlangen. S. 166.
  • II. Verfaſſung der beſonderen Teutſchen Staa-
    ten, wie ſie durch den Weſtphaͤliſchen Frieden erſt
    voͤllig ihre Conſiſtenz bekommen; inſonderheit Ver-
    faſſung der Laͤnder, wo Landſtaͤnde ſind. S. 167-
    171.
  • I. Nicht nur von Seiten des Kaiſers, ſondern auch
    von Seiten der Landesobrigkeiten in den beſondern Teutſchen
    Staaten gilt von Rechtswegen kein Deſpotismus. S. 167. —
    II. Jeder beſondere Staat hat zwar ſeine eigne Autono-
    mie; S. 167. — III. jedoch mit unbenommener Zuflucht
    zum
    []Inhalt.
    zum hoͤhern Richter. S. 168. — IV. Der meiſten Landes-
    herren Gewalt iſt uͤberdies durch Landſtaͤnde eingeſchraͤnkt.
    S. 168. — V. Nur einige Laͤnder, die urſpruͤnglich nur
    aus mehreren Doͤrfern beſtanden, haben gar keine Landſtaͤn-
    de. S. 170. — VI. In einigen fehlt auch wohl eine oder
    andere Gattung derſelben, z. B. Praͤlaten oder Ritterſchaft.
    S. 170. — VII. Hin und wieder werden nur noch Depu-
    tationstage gehalten; oder ſind auch alle landſtaͤndiſche Ver-
    ſammlungen aus dem Gange gekommen. S. 170.
  • III. Beſondere Beſchaffenheit der geiſtlichen Laͤn-
    der. S. 172-182.
  • I. In den geiſtlichen Laͤndern machen die Domcapitel
    den erſten Landſtand aus, oder vertreten auch wohl uͤber-
    haupt die Stelle der Landſchaft. S. 172. — II. Sie er-
    richten beſondere Wahlcapitulationen mit den geiſtlichen Fuͤr-
    ſten. S. 173. — III. Wenn kein Coadjutor zum voraus
    gewehlt iſt, fuͤhren ſie in der Seidsvacanz die Regierung.
    S. 174. — IV. Auch ſonſt haben ihre Vorrechte großen
    Einfluß auf die Verfaſſung der geiſtlichen Laͤnder. S. 174. —
    V. Sind ſie gleich nicht Grundherren oder Miteigenthuͤmer
    des Landes; ſo bekleiden doch Domherren meiſt wichtige
    Stellen im Lande. S. 175. — VI. Einiger Unterſchied,
    nachdem Prinzen oder Edelleute geiſtliche Fuͤrſten werden.
    S. 176. — VII. Vortheile adelicher Familien, deren Ver-
    wandte Biſchoͤfe oder auch nur Domherren ſind. S. 176. —
    VIII. Manche Stifter ſind fuͤrſtlichen Haͤuſern auf lange
    Zeit nach einander zu Theil geworden. S. 177. — IX.
    Sonſt gibt es gemeiniglich oͤftere Abwechſelungen in der Re-
    gierung, — und eben deswegen weniger Gleichfoͤrmigkeit
    in Grundſaͤtzen. S. 177. — X-XII. Außerdem ſind die
    geiſtlichen Laͤnder mit ſtarken Abgaben nach Rom beſchwert.
    S. 178. — XIII. Alles das macht einen merklichen Unter-
    ſchied zwiſchen dem Wohlſtande geiſtlicher und weltlicher Laͤn-
    der. S. 182.
  • IV. Einige Eigenheiten der Teutſchen Verfaſſung,
    wie ſie inſonderheit von den Zeiten des dreyßigjaͤh-
    rigen Krieges und Weſtphaͤliſchen Friedens her merk-
    lich geworden. S. 183-194.
  • I. Vortheile der Teutſchen Verfaſſung, daß unſere Lan-
    desherren eigentlich nur die Gewalt haben ſollen gutes, nicht
    boͤſes zu thun. S. 183. — II. III. Nur der Wahn, Herr
    des Landes zu ſeyn, und eine ungluͤckliche Nacheiferungs-
    ſucht hat oft uͤble Folgen. S. 184. — IV. Vor den Zeiten
    des dreyßigjaͤhrigen Krieges war unter den Fuͤrſten noch eine
    ganz andere Lebensart. S. 185. — V. Der Aufwand fieng
    aber ſchon an merklich zu ſteigen. S. 186. — VI. VII.
    Auf dem Weſtphaͤliſchen Friedenscongreſſe entſtand vollends
    der Streit uͤber Rang und Excellenz zwiſchen republicani-
    ſchen und churfuͤrſtlichen Geſandten, S. 187. — VIII-X.
    und die Churfuͤrſten ſetzten ſich Koͤnigen gleich. S. 188. —
    XI. XII. Das veranlaßte aber wieder Nacheiferung der Fuͤr-
    ſten und anderer Staͤnde. S. 191. — XIII. Einige Haͤu-
    ſer wurden ſelbſt durch den Weſtphaͤliſchen Frieden merklich
    vergroͤßert. — Auch bequemten ſich immer mehrere das
    Recht der Erſtgebuhrt einzufuͤhren, S. 193. — XIV. und
    die Nachgebohrnen nicht ſowohl mit einer eignen Botmaͤßig-
    keit, als nur mit jaͤhrlichen Geldzahlungen zu verſorgen.
    S. 193.
  • V. Merklich veraͤnderter Zuſtand der meiſten
    Staͤdte ſeit den Zeiten des dreyßigjaͤhrigen Krieges
    und Weſtphaͤliſchen Friedens. S. 195-206.
  • I. II. Die Teutſchen Staͤdte kamen faſt alle mit dem
    Verfall der Hanſe und der Handlung in große Abnahme.
    S. 195. — III. Dazu kamen die auſſerordentlichen Unfaͤlle
    des dreyßigjaͤhrigen Krieges; S. 197. — IV. wovon ſich
    wenige Staͤdte haben erholen koͤnnen. S. 198. — V. Auf
    Landtagen zogen ſie uͤberdies gegen Praͤlaten und Adeliche
    meiſt den kuͤrzern, S. 199. — VI-XI. inſonderheit in An-
    ſehung der Steuerfreyheit und Landesſchulden. S. 199. —
    XII-XV. Auch kamen die meiſten Landſtaͤdte in weit groͤßere
    Abhaͤngigkeit von ihren Landesherren, als in vorigen Zei-
    ten. S. 203.
  • VI. Verfaſſung der Reichsſtaͤdte, wie ſie durch
    den Weſtphaͤliſchen Frieden recht befeſtiget worden.
    S. 207-212.
  • I. Alle Reichsſtaͤdte haben eine republicaniſche Regie-
    rungsform. S. 207. — II. III. nur mehr oder minder
    ariſtocratiſch; S. 208. — IV. zum Theil auch wohl demo-
    cratiſch. S. 209. — V. Einige haben noch Ueberbleibſel
    ehemaliger Reichsvogteyen. S. 210. — VI. Uebrigens hat
    eine jede Reichsſtadt jetzt ihre Landeshoheit. S. 211. —
    VII. Der Kaiſer erhebt aber noch eine jaͤhrliche Steuer aus
    einigen Reichsſtaͤdten; — uͤbt auch ſonſt wohl noch mehr
    Gewalt uͤber Reichsſtaͤdte als uͤber andere Reichsſtaͤnde aus.
    S. 211.
  • VII. Verfolg der Geſchichte nach dem Weſt-
    phaͤliſchen Frieden. Roͤmiſche Koͤnigswahl. Reichs-
    hofrathsordnung. Reichsabſchied 1654. S. 212-
    225.
  • I. Roͤmiſche Koͤnigswahl Ferdinands des IV. S. 212. —
    II. Juͤngſter Reichsabſchied. S. 213. — III. IV. Reichs-
    hofrathsordnung. S. 214. — V. Der Reichsſtaͤnde Erin-
    nerungen dawider, und daruͤber erfolgtes kaiſerliches De-
    cret. S. 216. — VI. Der juͤngſte Reichsabſchied gedenkt
    des Reichshofraths nur in wenigen Stellen; in den meiſten
    ſpricht er nur vom Cammergerichte. S. 217. — VII. Die
    heutigen Cammerzieler nehmen hier ihren Anfang; S. 218. —
    VIII. wie auch das heutige Praͤſentationsweſen. S. 219. —
    IX. X. Um die Reviſion am Cammergerichte wieder in Gang
    zu bringen ward eine Viſitation beſchloſſen, die von fuͤnf
    Claſſen, jeder von 24. Staͤnden vorgenommen werden ſoll-
    te, die aber erſt nach 100. Jahren zu Stande kam und doch
    verungluͤckte. S. 220. — XI. Die Anzahl der Rechtsſa-
    chen am Cammergerichte verminderte ſich inzwiſchen durch
    erhoͤhete Appellationsſummen und Privilegien; S. 221. —
    XII. wogegen Verſchickung der Acten geſtattet, oder eigne
    Oberappellationsgerichte angelegt werden mußten. S. 223. —
    VIII. XIV. Erneuerte Executionsordnung, und den Reichs-
    ſtaͤnden geſtattete Beyziehung der Unterthanen zu Unterhal-
    tung noͤthiger Feſtungen und Beſatzungen. S. 224.
  • VIII. Streit der beiden Religionstheile uͤber das
    ſo genannte Simultaneum. S. 226-239.
  • I. II. Unter dem Namen Simultaneum kam die Frage
    auf: ob ein catholiſcher Landesherr zum Vortheile ſeiner Re-
    ligion in einem evangeliſchen Lande, wo im Jahre 1624.
    keine catholiſche Religionsuͤbung geweſen, dieſelbe einfuͤhren
    koͤnne? S. 226. — III. Der Weſtphaͤliſche Friede geſtat-
    tet dergleichen nur zwiſchen Lutheriſchen und Reformirten,
    S. 227. — IV. oder in wiedereingeloͤſeten verpfaͤndeten
    Laͤndern, S. 228. — V. oder wo Herr und Land von ei-
    nerley Religion ſind. S. 229. — VI. Nur in dieſem Falle
    bleibt es beym Reformationsrechte als einem Territorialrech-
    te; wo Herr und Land verſchiedener Religion ſind, gilt bloß
    das Entſcheidungsjahr. S. 230. — VII. Beides ſind zwey
    neben einander beſtehende Regeln; nicht jenes Regel, dieſes
    Ausnahme. S. 230. — VIII. Sonſt kann man auch nicht
    ſagen, daß evangeliſche Unterthanen behalten, was ſie ha-
    ben, wenn ihnen das Simultaneum aufgedrungen wird. S.
    231. — IX. Hier gilt auch nicht die Vergleichung mit
    Fremdlingen von anderer Religion, die nur aus Gnaden
    aufgenommen ſind. S. 232. — X-XII. Alles das erlaͤu-
    tern die beſonderen Faͤlle, die gleich anfangs vorgekommen
    ſind, — von Hildesheim, S. 233. — XIII. von Pfalz-
    ſulzbach, S. 236. — XIV. von Hoͤxter, S. 237. —
    XV. von Wertheim; S. 237. — XVI. wobey man von
    catholiſcher Seite immer ſtuffenweiſe zu Werke gieng. S. 238.
  • IX. Fortgeſetzte collegialiſche Berathſchlagungen
    des evangeliſchen Religionstheils. S. 240-247.
  • I-III. Bey den Berathſchlagungen, welche die evan-
    geliſchen Reichsſtaͤnde uͤber das Simultaneum und andere
    Religionsbeſchwerden anzuſtellen hatten, bekam Churſachſen
    von neuem das Directorium zu fuͤhren. S. 240. — IV.
    So bekam das Corpus der evangeliſchen Staͤnde ſeine heu-
    tige Verfaſſung, S. 242. — V. wozu der Weſtphaͤliſche
    Friede den Grund der Gerechtſame, als Corpus zu handeln,
    voͤllig befeſtiget hatte, S. 242. — VI. ſo gut, wie jeder
    Reichskreis ein Corpus ausmacht. S. 243. — VII. Erſt
    in neueren Zeiten hat man angefangen, den Namen Corpus
    anzufechten; S. 244. — VIII. IX. wobey jedoch die Evan-
    geliſchen große Urſache haben zu beharren. S. 246.
  • X. Stimmen der ſeculariſirten Laͤnder und eini-
    ger neuen Fuͤrſten auf dem Reichstage berichtiget.
    Neuer Deputationstag und Tod des Kaiſers. S.
    248-254.
  • I. II. Im Reichsfuͤrſtenrathe bekamen die evangeliſchen
    Biſthuͤmer eine eigene Querbank. S. 248. — III. Die
    ſeculariſirten Laͤnder kamen von der geiſtlichen Bank zur welt-
    lichen hinuͤber, — als namentlich Bremen, S. 249. —
    IV. Verden, S. 249. — V. Halberſtadt, Minden, Schwe-
    rin, Camin, Ratzeburg, Hirſchfeld, S. 250. — VI. Ei-
    nigen neuen Fuͤrſten wurde zwar Sitz und Stimme geſtattet;
    S. 250. — VII. aber mit erheblichen Verwahrungen fuͤr
    die Zukunft. S. 251. — VIII. IX. Womit nunmehr der
    Reichsfuͤrſtenrath vollends ſeine geſchloſſene Anzahl Stimmen
    bekam, S. 251. — X. indem jetzt auch die Curiatſtimmen
    der Grafen und Praͤlaten auf den heutigen Fuß kamen. S.
    253. — XI. Ende des Reichstages 1654. und Anfang der
    Reichsdeputation 1655. S. 254.
  • Neuntes Buch. Der neueren Zeiten ſechs-
    ter Abſchnitt von den Kaiſern Leopold und Joſeph
    dem I. 1657-1711. S. 255-374.
  • I. Interregnum und erſte Regierungsjahre Leo-
    polds; inſonderheit Anfang des ſeitdem immerwaͤh-
    rend gewordenen Reichstages und deſſen Verfaſ-
    ſung 1657-1670. S. 255-270.
  • I. Streit zwiſchen Churbaiern und Churpfalz uͤber das
    Rheiniſche Reichsvicariat. S. 256. — II. Thaͤtlichkeiten,
    die daruͤber auf dem Wahlconvente vorfielen. S. 257. —
    III. Wahl Leopolds, und deſſen Wahlcapitulation. —
    Vergleich zwiſchen Churmainz und Churcoͤlln uͤber das Kroͤ-
    nungsrecht. S. 257. — IV. Pyrenaͤiſche und Oliviſche Frie-
    densſchluͤſſe. — Unabhaͤngigkeit des Herzogthums Preuſ-
    ſen. S. 258. — V. Rheiniſche Allianz und andere reichs-
    ſtaͤndiſche Buͤndniſſe. — Ueberwaͤltigung der Stadt Muͤn-
    b 2ſter.
    []Inhalt.
    ſter. S. 258. — VI. Anfang des Reichstages, der ſeitdem
    immerwaͤhrend geworden iſt. S. 259. — VII. Damit ver-
    aͤnderte Geſtalt des Reichstags, da derſelbe jetzt aus lauter
    Bevollmaͤchtigten beſtehet; S. 260. — VIII. die jetzt als
    Geſandten behandelt werden. S. 261. — IX. Die chur-
    fuͤrſtlichen Comitialgeſandten wurden ſelbſt als Ambaſſadeurs
    characteriſirt, und genoſſen viele Vorzuͤge vor den fuͤrſtli-
    chen. S. 262. — X. Daruͤber ſind aber vielerley Colliſio-
    nen entſtanden. S. 263. — XI. XII. Im Namen des Kai-
    ſers erſcheinen beym Reichstage Commiſſarien, — ein Fuͤrſt
    als Principalcommiſſarius und ein Concommiſſarius. S.
    264. — XIII. Durch jenen laͤßt der Kaiſer die Hauptpro-
    poſition bey Eroͤffnung des Reichstages thun, und in der
    Folge Commiſſionsdecrete an das Reich ergehen. S. 265. —
    XIV. Vielerley Ceremonielſtreitigkeiten, ſo es ehedem am
    Reichstage gegeben, und zum Theil noch gibt; S. 266. —
    XV. imgleichen Rangſtreitigkeiten. — Ein beſonderes Bey-
    ſpiel davon bey Gelegenheit des ehemaligen Geſundheittrin-
    kens. S. 267. — XVI. Verſchiedene Arten der Legitima-
    tion der Geſandten durch Creditive und Vollmachten. S.
    268. — XVII. Geſandten auswaͤrtiger Maͤchte, — deren
    Creditive ſind nur an die Staͤnde oder deren Geſandten ge-
    richtet. S. 269. — XVIII. Einige neue Fuͤrſten dieſer
    Zeit. S. 270.
  • II. Reichsangelegenheiten der Jahre 1670-1672.;
    inſonderheit das erweiterte Recht der Landſteuer und
    einige unterjochte Staͤdte betreffend; auch nun in
    Gang gekommene beſtaͤndige Kriegsruͤſtung. S.
    271-282.
  • I. Verordnungen zum Vortheile der Reichsſtaͤnde in
    Anſehung ihrer Landſteuern. S. 271. — II. Deren Aus-
    dehnung auf die Legationskoſten zu reichsſtaͤndiſchen Ver-
    ſammlungen. — Dadurch erleichterte Fortwaͤhrung des
    Reichstages — und doch in der Folge verminderte Zahl der
    Comitialgeſandten. S. 272. — III. Noch verlangte weite-
    re Ausdehnung der Landſteuern; S. 273. — IV. die aber
    der Kaiſer, zur Sicherung mancher Landſchaften gegen De-
    ſpotismus, verſagte. S. 274. — V. Nur das ward be-
    willi-
    []Inhalt.
    williget, was in jedem Lande rechtmaͤßig hergebracht ſey,
    und die Landesvertheidigung erfordere. S. 274. — VI.
    So waren in vielen Laͤndern ſchon Fraͤuleinſteuern und an-
    dere Beytraͤge zu Ergaͤnzung der Cammereinkuͤnfte uͤblich.
    S. 275. — VII. Auſſerdem blieb billig der Grundſatz: daß
    kein Reichsſtand ſeinen Unterthanen ohne ihre Einwilligung
    Steuern auflegen duͤrfe. S. 276. — VIII. Mit Bewilli-
    gung der Landſchaften ward jetzt in verſchiedenen Laͤndern
    Acciſe eingefuͤhrt. S. 276. — IX-XI. Verſchiedene Staͤd-
    te hatten um dieſe Zeit noch das Schickſal ihre bisherige
    Freyheit zu verliehren, — als Erfurt, — Magdeburg, —
    Braunſchweig. S. 277. — XII. Doch retteten ſich noch
    die Staͤdte Bremen und Coͤlln. S. 278. — XIII. Ueber
    die Juͤlichiſche Succeſſionsſache zwiſchen Churbrandenburg
    und Pfalzneuburg errichteter Vergleich, S. 279. — XIV.
    doch ohne die Weſtphaͤliſche Kreispraͤſentation zum Cammer-
    gerichte und die Juͤlichiſche Stimme im Fuͤrſtenrathe in Gang
    zu bringen. S. 279. — XV-XVIII. Anfang einer beſtaͤn-
    digen Kriegsverfaſſung in den groͤßeren Teutſchen Staaten.
    S. 279.
  • III. Reichsangelegenheiten der Jahre 1672-1679.
    Beſetzung der Reichsgeneralitaͤt. Reichskrieg mit
    Frankreich und Nimweger Friede. S. 283-291.
  • I. II. Zum Reichskriege, wie der mit Frankreich jetzt
    zum Ausbruche kam, mußten jedesmal die Contingente be-
    williget, und die Reichsgeneralitaͤt beſtellt werden. S. 283. —
    III. Wegen der letztern gab ein beſonderer Vorfall Anlaß,
    daß der catholiſche Religionstheil ſich des im Weſtphaͤliſchen
    Frieden gegruͤndeten Rechts, die Mehrheit der Stimmen zu
    hemmen, bediente. S. 284. — IV. Zu den Nimweger Frie-
    denshandlungen ward dem Kaiſer vom Reiche Vollmacht ge-
    geben; — doch einzelnen Staͤnden vorbehalten, den Con-
    greß zu beſchicken; S. 286. — V. woruͤber die Fuͤrſten
    den Churfuͤrſten im Geſandtſchaftsrechte gleich zu kommen
    ſuchten. S. 287. — VI. Von den Friedenshandlungen ſelbſt
    erfuhr das Reich nichts, bis ſie vollendet waren, — da
    dem Reiche nichts uͤbrig blieb, als den geſchloſſenen Frie-
    den zu genehmigen. S. 288. — VII. Unter den Friedens-
    bedingungen war der Verluſt der Grafſchaft Burgund, S.
    288. — VIII. nebſt der Stadt und dem Erzſtifte Biſanz.
    b 3S. 289.
    []Inhalt.
    S. 289. — IX. Aus Philippsburg wurde eine Reichsfe-
    ſtung. S. 290. — X. Einige Ceſſionen an die Haͤuſer
    Braunſchweig und Brandenburg, — welchem letztern in der
    Folge noch die Anwartſchaft auf Oſtfriesland und auf die
    Grafſchaft Limburg in Franken gegeben wurde. S. 291.
  • IV. Unmittelbare Folgen des Nimweger Frie-
    dens 1679-1685.; inſonderheit neu eingerichtete
    Reichskriegsverfaſſung und Aſſociation der Kreiſe.
    S. 292-297.
  • I. Widriger Erfolg des Nimweger Friedens, — un-
    ter andern mit Anlegung der Franzoͤſiſchen Reunionscam-
    mern, S. 292. — II. Conferenz zu Frankfurt. — Ueber-
    rumpelung der Reichsſtadt Straßburg. — Neue Reichs-
    kriegsverfaſſung, S. 293. — III. IV. mittelſt Vertheilung
    eines allenfalls doppelt oder dreyfach ins Feld zu ſtellenden
    Kriegsheeres von 40. tauſend Mann auf die zehn Kreiſe-
    S. 293. — V. VI. Beſondere Verhaͤltniſſe der Kreiſe Chur-
    rhein, Oberrhein, Baiern und Oeſterreich in Anſehung die-
    ſer Reichskriegsverfaſſung. S. 295. — VII-IX. Anfang
    und Fortgang der Aſſociation der Kreiſe. S. 296.
  • V. Abgang der Pfalzſimmeriſchen Churlinie, und
    deren Folgen 1685-1697. Neuer Reichskrieg mit
    Frankreich, und Ryßwickiſcher Friede. S. 298-
    306.
  • I. Tod des Churfuͤrſten Carls von der Pfalz, womit
    die bisherige Simmeriſche Churlinie ein Ende nahm. —
    Gegen die folgende Pfalzneuburgiſche Churlinie unterſtuͤtzte
    Frankreich Anſpruͤche der Herzoginn von Orleans; — wor-
    uͤber es zuletzt zum neuen Reichskriege mit Frankreich kam,
    dem erſt der Ryßwickiſche Friede ein Ende machte. S. 298. —
    II. Neue Schwierigket bey der Art dieſer Friedenshandlun-
    gen. S. 299. — III. Durch den Frieden erhielt das Reich
    an Kehl eine neue Reichsfeſtung, verlohr aber Straßburg
    und andere reunirte Orte jenſeits des Rheins. S. 300. —
    IV-IX. Wegen der an dieſer Seite des Rheins in Beſitz ge-
    nom-
    []Inhalt.
    nommenen Orte, die Frankreich zuruͤckgeben mußte, ward
    im vierten Artikel des Friedens eine dem evangeliſchen Reli-
    gionsweſen ſehr nachtheilige Clauſel eingeruͤckt: daß die ca-
    tholiſche Religion an ſolchen Orten bleiben ſollte, wie ſie
    jetzt ſey; — ganz gegen den Inhalt des ſonſt zum Grunde
    gelegten Weſtphaͤliſchen Friedens, und gegen die vermoͤge
    der Wahlcapitulation darauf in Beziehung geſtandene Reichs-
    inſtruction. S. 300. — X. Gleichwohl erfolgte die Unter-
    ſchrift des Friedens, wiewohl nur von drey evangeliſchen
    Deputirten, S. 303. — XI. und die Ratification durch
    ein Reichsgutachten, nur mit Beyfuͤgung eines Poſtſcriptes
    auf Verlangen der Proteſtanten. S. 304. — XII. Am
    Reichstage kam es aber noch zu weiteren Widerſpruͤchen;
    S. 305. — XIII. zumal da es um 1922. Orte galt, wor-
    in der Religionszuſtand unter dem Schutz dieſer Clauſel ver-
    aͤndert wurde. S. 305.
  • VI. Veraͤnderter Religionszuſtand in der Pfalz.
    Erledigung der Anſpruͤche der Herzoginn von Or-
    leans. Streit uͤber die Churfolge in der Pfalz
    1685-1697. S. 306-318.
  • I. II. Unter den catholiſchen Landesnachfolgern in der
    Pfalz ward die catholiſche Religion zum Nachtheil der evan-
    geliſchen gar ſehr beguͤnſtiget. S. 306. — III. Ein Ver-
    trag, den das Haus Brandenburg im Jahre 1705. mit Chur-
    pfalz ſchloß, half zwar etwas, mußte aber doch ſchon ſehr
    vieles nachgeben. S. 309. — IV. In der Folge wurden
    die Proteſtanten in der Pfalz doch noch immer mehr ver-
    draͤngt und beſchweret; S. 311. — V. inſonderheit da faſt
    alle Dienſte bey Hof und im Lande nur mit Catholiſchen be-
    ſetzt wurden. S. 314. — VI. Andere proteſtantiſche Laͤn-
    der nahmen ſowohl Pfaͤlzer als Franzoͤſiſche Fluͤchtlinge, die
    nach der Wiederrufung des Edicts von Nantes ihr Vater-
    land verließen, willig auf. S. 314. — VII. VIII. Ent-
    ſcheidung der Anſpruͤche der Herzoginn von Orleans. S.
    315. — IX. Streit uͤber die Ordnung der Nachfolge in der
    Pfaͤlziſchen Chur. — Von nun an mehr berichtigte Be-
    griffe von der Linealfolge nach dem Rechte der Erſtgebuhrt.
    S. 317.
  • VII. Vielerley andere Succeſſionsfaͤlle 1685-
    1697. S. 318 324.
  • I. Abgang des Hauſes Pfalzveldenz. S. 318. — II.
    Mehr andere zuſammengeſtorbene Haͤuſer durch Abgang ein-
    zelner Linien, als der Altenburgiſchen und Jenaiſchen im
    Hauſe Sachſen, S. 319. — III. IV. und der Guͤſtrowi-
    ſchen im Hauſe Mecklenburg. — Dieſer letztere veranlaßte
    nicht nur einen Succeſſionsſtreit, ſondern auch einen Streit
    zwiſchen dem Kaiſer und den Niederſaͤchſiſchen kreisausſchrei-
    benden Fuͤrſten wegen der Execution. S. 319. — V. Ver-
    gleich zwiſchen Mecklenburg-Schwerin und Strelitz uͤber
    die Guͤſtrowiſche Succeſſion. S. 320. — VI. Noch andere
    Succeſſionsirrungen wegen Oldenburg und Delmenhorſt. S.
    321. — VII. Irrungen zwiſchen Daͤnemark und Holſtein-
    gottorp wegen Schleswig. S. 321. — VIII. Churbran-
    denburgiſche Anſpruͤche auf Liegnitz, Brieg und Wohlau, wie
    auch auf Jaͤgerndorf, — und Vergleich daruͤber. S. 322. —
    IX. Abgang des Hauſes Sachſen-Lauenburg, und darauf
    erfolgte Succeſſionsſtreitigkeiten. S. 323.
  • VIII. Einige neue Linien im Hauſe Sachſen, und
    verſchiedene neue Fuͤrſten 1685-1697. S. 324-328.
  • I. Durch die vielen Succeſſionsfaͤlle ward die Zahl der
    regierenden Haͤuſer nach dem Rechte der Erſtgebuhrt ſehr
    vermindert. — Nur im Hauſe Sachſen entſtanden von neuem
    mehrere Linien. S. 324. — II. III. Im Churhauſe Sach-
    ſen gab es neue Nebenlinien zu Weiſſenfels, Merſeburg, Zeiz.
    S. 325. — IV. Im herzoglichen Hauſe bildeten ſich ſieben
    neue Linien zu Gotha, Coburg, Meinungen, Roͤmhild, Ei-
    ſenberg, Hildburghauſen, Saalfeld. S. 326. — V. Durch
    kaiſerliche Standeserhoͤhungen wurden viele Grafen zu Fuͤr-
    ſten gemacht. — Einige neue Fuͤrſten gelangten auch zu
    Sitz und Stimme im Fuͤrſtenrathe. S. 327.
  • IX. Erhebung des Hauſes Hannover zur neun-
    ten Chur 1692-1708. S. 329-333.
  • I. II. Wie die Errichtung einer neuen Chur fuͤr Han-
    nover nebſt der Wiedereinfuͤhrung der Boͤhmiſchen Chur zu-
    erſt in Bewegung gekommen? S. 329. — III. Schwierig-
    kei-
    []Inhalt.
    keiten und Widerſpruͤche, die ſich dabey ereignet. S. 330. —
    IV. V. Wie ſolche nach und nach gehoben, und endlich die
    Sache zu Stande gebracht worden? S. 331. — VI. unter
    andern mit der Verſicherung, daß kuͤnftig keine neue Chur
    ohne Einwilligung des geſammten Reichs errichtet werden,
    S. 332. — VII. und daß auf den Fall, wenn nach Ab-
    gang des Hauſes Baiern etwa vier evangeliſche Churfuͤrſten
    ſeyn wuͤrden, eine catholiſche uͤberzehlige Stimme ſtatt fin-
    den ſolle. S. 332.
  • X. Religionsverhaͤltniß der Reichsſtaͤnde und ih-
    rer Stimmen; inſonderheit wenn evangeliſche Reichs-
    ſtaͤnde catholiſch geworden. S. 334-356.
  • I. Viele bisher vorgegangene und noch weiter erfolgte
    Religionsveraͤnderungen einzelner Reichsſtaͤnde gaben erheb-
    lichen Stoff zu neuen Betrachtungen; — wovon deswegen
    hier ein chronologiſches Verzeichniß von XLI. ſolchen Faͤllen
    eingeruͤckt wird. S. 335. — II. Verſchiedenheit dieſer Faͤlle
    in Vergleichung mit den Religionsveraͤnderungen des XVI.
    Jahrhunderts, und in Anſehung ihrer Umſtaͤnde und Folgen.
    S. 341. — III. IV. Das catholiſch gewordene Haus Pfalz-
    neuburg konnte zum Beyſpiele dienen, wie vortheilhaft es
    war, nachgebohrne Herren mit Pfruͤnden und Stiftern zu
    verſorgen, die vermoͤge des geiſtlichen Vorbehaltes nur in ca-
    tholiſchen Haͤnden ſeyn konnten; S. 342. — V. aber auch,
    was Laͤnder, die bisher evangeliſch geweſen waren, von ca-
    tholiſch gewordenen Landesherren oder von Nachfolgern von
    dieſer Religion zu erwarten hatten, S. 344. — VI. und zu
    weſſen wahrem Vortheile das alles abzweckte. S. 345. — VII.
    Auch in Anſehung der Reichstagsſtimme ſchien ſeit dem An-
    fange der Religionstrennung ein jeder Reichsſtand ſich zu ſei-
    nen Glaubensgenoſſen gehalten zu haben. S. 345. — VIII.
    Es ſchien alſo auch billig, daß ein catholiſch gewordener Lan-
    desherr, oder ein catholiſcher Landesnachfolger, deſſen Land
    bisher evangeliſch geweſen, ſich nun wieder zum catholiſchen
    Religionstheile halten koͤnnte. S. 346. — IX. X. Allein
    in jenen Faͤllen waren Herr und Land einerley Religion ge-
    weſen; jetzt ſollte bloß auf die Perſon des Landesherrn geſe-
    hen werden; S. 347. — XI. da doch auf die Laͤnder bil-
    lig mit zu ſehen iſt; S. 349. — XII. zumal da jetzt nicht
    b 5mehr
    []Inhalt.
    mehr Reichsſtaͤnde in Perſon, ſondern nur durch Geſandten
    in reichsſtaͤndiſchen Verſammlungen zu erſcheinen pflegen.
    S. 350. — XIII. Nur bey vermiſchten Reichsſtaͤdten, wie
    Augsburg, und Laͤndern, wie Osnabruͤck, kann eine abwech-
    ſelnde Religionseigenſchaft reichsſtaͤndiſcher Stimmen ſtatt
    finden; aber nicht bey Religionsveraͤnderungen, die bloß ein
    Landesherr fuͤr ſeine Perſon vornimmt. S. 350. — XIV.
    Bey Curiatſtimmen wurde auf den groͤßten Theil der Mit-
    glieder geſehen, S. 351. — XV. ſo daß die Praͤlaten und
    Schwaͤbiſchen Grafen fuͤr catholiſch, die Wetteraniſchen,
    Fraͤnkiſchen und Weſtphaͤliſchen Grafen fuͤr evangeliſch gerech-
    net wurden. S. 351. — XVI. XVII. Noch eine beſondere
    Frage entſtand uͤber das Oberrheiniſche Kreisdirectorium,
    ob jetzt in dieſem vermiſchten Kreiſe beide ausſchreibende Fuͤr-
    ſten Worms und Pfalz catholiſch ſeyn koͤnnten? S. 352. —
    XVIII-XXI. Als endlich der Churfuͤrſt von Sachſen catho-
    liſch wurde, ſtellte er eine Religionsverſicherung aus, daß
    weder im Lande, noch in reichsſtaͤndiſchen Verſammlungen
    deshalb eine Veraͤnderung vorgehen ſollte. S. 353. — XXII.
    Mit dem Ausgange des XVII. Jahrhunderts ward endlich
    auch die bisherige Verſchiedenheit des Calenders der beiden
    Religionstheile gehoben. S. 356.
  • XI. Erhebung des Hauſes Brandenburg zur koͤ-
    niglichen Wuͤrde von Preuſſen 1701. Ueberhaupt
    jetzt merklicher Unterſchied zwiſchen Reichsſtaͤnden,
    die Kronen tragen, und anderen. S. 357-363.
  • I. Neu errichtete Krone von Preuſſen. S. 357. — II.
    Deren Einfluß in Teutſchen Sachen. S. 358. — III. Ue-
    berhaupt jetzt vermehrte Anzahl ſolcher Reichsſtaͤnde, die zu-
    gleich Koͤnige ſind. S. 359. — IV. Deren Verhaͤltniß zu
    anderen, die es nicht ſind, S. 359. — V. inſonderheit
    in Anſehung der Throbelehnungen, S. 360. — VI. und des
    Reichstagsceremoniels. S. 361. — VII. Verſchiedenheit
    des Verhaͤltniſſes, worin die Kronen ſelbſt zur Teutſchen
    Reichsſtandſchaft ſtehen. S. 362. — VIII. Ganz beſonde-
    re Eigenſchaft der in einer Perſon vereinigten Reichsſtand-
    ſchaft und koͤniglichen Wuͤrde von Boͤhmen. S. 362.
  • XII. Neue Kriege in Norden und Suͤden; und
    deren Einfluß in die Teutſche Reichsverfaſſung 1700-
    1705. S. 364-367.
  • I. Zwey neue Kriege, der Nordiſche Krieg, und der
    Spaniſche Succeſſionskrieg. — Nur in den letztern wurde
    das Teutſche Reich mit verwickelt. S. 364. — II. Aber
    auch der Nordiſche Krieg zog ſich zu Zeiten auf Teutſchen
    Boden; — wobey das Recht der Buͤndniſſe mit auswaͤrti-
    gen Maͤchten ſelbſt eine Ausnahme vom Landfrieden zu ma-
    chen ſchien. S. 365. — III. Mit dem Spaniſchen Suc-
    ceſſionskriege kam die Aſſociation der Kreiſe wieder in Be-
    wegung, S. 366. — IV. wie auch ein Vorſchlag die Reichs-
    contingente auch in Friedenszeiten beſtaͤndig zu unterhalten, —
    die jedoch nicht voͤllig zu Stande kam. S. 366.
  • XIII. Kurze Regierung Joſephs des I. 1705-
    1711. und deren Merkwuͤrdigkeiten fuͤr die Teutſche
    Reichsverfaſſung. S. 368-374.
  • I-VII. Irrungen mit dem paͤbſtlichen Stuhl uͤber das
    kaiſerliche Recht der erſten Bitte und deſſen Ausuͤbung ohne
    ein paͤbſtliches Indult dazu abzuwarten. S. 368. — VIII.
    Achtserklaͤrung der Churfuͤrſten von Coͤlln und Baiern, und
    des Herzogs von Mantua. S. 371. — IX. Neue Berath-
    ſchlagungen uͤber die beſtaͤndige Wahlcapitulation. — Be-
    richtigung des Eingangs und Schluſſes derſelben, und der
    Artikel von Achtserklaͤrungen und Roͤmiſchen Koͤnigswahlen.
    S. 372. — X. Verwandelung der Herrſchaft Mindelheim
    in ein Reichsfuͤrſtenthum zum Vortheile des Herzogs von
    Marlborough. S. 372. — XI. Andere neue Fuͤrſten, ſo
    aber vergeblich um Sitz und Stimme ſich bemuͤhten; —
    denn auf ſolchen Fall meldeten ſich jetzt auch alte Fuͤrſten um
    Vermehrung ihrer Stimmen, — und in der Wahlcapitula-
    tion ward die Sache noch mehr, als zuvor, eingeſchraͤnkt.
    S. 373.
  • Zehntes Buch. Der neueren Zeiten ſie-
    benter Abſchnitt von Kaiſer Carl dem VI. 1711-
    1740. S. 375-454.
  • I. Ende des Spaniſchen Succeſſionskrieges mit
    dem Badiſchen Frieden, und fernere Geſchichte der
    Ryßwickiſchen Clauſel. S. 375-382.
  • I. Umſchlag in der Spaniſchen Succeſſionsſache, da
    das Engliſche Miniſterium veraͤndert wurde, und zwey To-
    desfaͤlle des Dauphins und des Kaiſer Joſephs derſelben eine
    andere Geſtalt gaben. S. 375. — II. So wurde Carl der
    VI. zwar Kaiſer; aber zwiſchen England und Frankreich wur-
    den ſchon geheime Friedensbedingungen berichtiget. S. 376. —
    III. Praͤliminarien zu London gezeichnet. — Friedensſchluͤſ-
    ſe zu Uetrecht. S. 377. — IV. Kaiſer und Reich nahmen
    daran keinen Theil. S. 377. — V. Der Kaiſer ſchloß aber
    einſeitig zu Raſtadt, S. 378. — VI. und mit Vollmacht
    des Reichs zu Baden. S. 378. — VII-IX. Nur wegen
    der Ryßwickiſchen Clauſel gab es neue Irrungen, da man
    ſchon 1711. Schwierigkeit machte, die Ausnahme des Ryß-
    wickiſchen Friedens von den 1690. benannten Friedensſchluͤſ-
    ſen zuzugeſtehen, S. 379. — X. und zu Uetrecht die Sache
    nicht geruͤhrt war. S. 381. — XI. Die evangeliſchen
    Reichsſtaͤnde wiederholten deswegen ihren Widerſpruch dage-
    gen bey Genehmigung des Badiſchen Friedens, S. 382. —
    XII. aber ohne den gewuͤnſchten Erfolg, — bis erſt 1734.
    die Herſtellung des vorigen Zuſtandes zugeſaget wurde.
    S. 382.
  • II. Neue Religionsbeſchwerden nach dem Badi-
    ſchen Frieden, bis zu einem daruͤber im Werk gewe-
    ſenen Vertrage im Jahre 1720. S. 384-389.
  • I. Mit dem Badiſchen Frieden ſchien die bisherige Un-
    gewißheit, worin man wegen der Ryßwickiſchen Clauſel noch
    bis dahin ſeyn mußte, aufzuhoͤren, S. 384. — II. alſo der
    Muth
    []Inhalt.
    Muth zu Schriften und Unternehmungen gegen die Proteſtan-
    ten von neuem zu wachſen; S. 385. — III. inſonderheit in
    der Pfalz, wo jetzt den Reformirten ihr Catechismus und die
    heilige Geiſtkirche zu Heidelberg genommen wurde. S. 387. —
    IV. Durch gegenſeitige Repreſſalien ward zwar der Churfuͤrſt
    von der Pfalz davon zuruͤckgebracht; — aber ein kaiſerliches
    Commiſſionsdecret veranlaßte ein ſtandhaftes Vorſtellungs-
    ſchreiben des geſammten evangeliſchen Religionstheils. S.
    387. — V. Die Beſorgniß eines Religionskrieges ward
    noch durch eine vom Hauſe Hannover vermittelte Convention
    gehoben, — vermoͤge deren vorerſt alles auf den Fuß des
    Badiſchen Friedens hergeſtellt, und dann weiter auf die Zei-
    ten der vorigen Friedensſchluͤſſe und Entſcheidungsziele zu-
    ruͤckgegangen werden ſollte. S. 388. — VI. Allein die Voll-
    ziehung dieſer Convention unterblieb, und benahm ihr damit
    ihren Beſtand. S. 389. — VII. Sehr widerrechtlich hat
    man nachher das Jahr 1714. fuͤr ein neues Entſcheidungs-
    ziel ausgeben wollen. S. 389.
  • III. Mißhelligkeiten uͤber einige Faͤlle, da das
    evangeliſche Corpus auf dem Reichstage in partes
    gegangen 1712-1727. S. 391-408.
  • I. Vier Faͤlle, worin auf dem Reichstage beide Religi-
    onstheile ungleicher Meynung waren, gaben zu neuen Strei-
    tigkeiten Anlaß. S. 392. — II. Dieſe vier Faͤlle betrafen
    a) die Religionsgleichheit einer Reichsdeputation, welche die
    Toggenburger Sache in der Schweiz vermitteln ſollte; S.
    392. — III. b) eine von der Reichsſtadt Coͤlln begehrte Mo-
    deration ihrer Reichsanlagen; S. 393. — IV. c) das Erz-
    ſtallmeiſteramt, ſo dem hauſe Hannover aufgedrungen wer-
    den ſollte; S. 393. — V. d) die Vollziehung eines Reichs-
    deputationsurtheils, vermoͤge deſſen Churpfalz die Herrſchaft
    Zwingenberg an eine evangeliſche adeliche Familie zuruͤckgeben
    ſollte, wowider Churpfalz einen Recurs an den Reichstag ge-
    nommen hatte. S. 394. — VI-VIII. In dieſen Faͤllen woll-
    ten die Catholiſchen behaupten, es muͤßte eine Religionsſache
    ſeyn, wenn man in partes gehen wollte. S. 395. — IX.
    Ferner wollte man behaupten, es koͤnnte nicht anders geſche-
    hen,
    []Inhalt.
    hen, als wenn alle evangeliſche Reichsſtaͤnde ganz einmuͤthig
    waͤren; S. 398. — X. da doch ſonſt ein jedes reichsſtaͤndi-
    ſches Corpus nach Mehrheit der Stimmen Schluͤſſe faſſet,
    S. 398. — XI. XII. und hier nicht wie bey den Reichsge-
    richten eine Ausnahme vorgeſchrieben iſt. S. 399. — XIII.
    Selbſt als zwey Partheyen ſind beide Religionstheile zu be-
    trachten, wenn gleich nicht immer alle Staͤnde von einer
    Religion ganz einmuͤthig zuſammenhalten. S. 401. — XIV.
    Sonſt wuͤrde dieſes Huͤlfsmittel der Proteſtanten gegen die
    Mehrheit der catholiſchen Stimmen bald vereitelt werden. S.
    402. — XV. XVI. Es iſt auch nicht noͤthig, allezeit ſchon
    vor Ablegung der einzelnen Stimmen die Geſammterklaͤrung
    von ſich zu geben, — wenn es nur vor Abfaſſung des
    Schluſſes geſchieht. S. 403. — XVII-XIX. Die Wir-
    kung der Trennung eines Religionstheils beſteht darin, daß
    der andere mit der Mehrheit der Stimmen nicht zu des erſtern
    Nachtheil etwas durchſetzen kann; S. 404. — XX. wobey
    nicht nur das evangeliſche Corpus ſeine Erhaltung, ſondern
    in der That die Ruhe von ganz Teutſchland gewinnt. S.
    406. — XXI. Von Seiten der Catholiſchen iſt in der Ge-
    neralmajors-Sache 1672. alles obige auch ſchon ſo gehalten
    worden. S. 407. — XXII. Eine merkwuͤrdige Schrift, wo-
    zu ſich das ganze evangeliſche Corpus bekannt, hat das alles
    in helles Licht geſetzt. S. 408.
  • IV. Schickſale des Cammergerichts unter Leo-
    pold und Carl dem VI. S. 409-419.
  • I. II. Die Verordnungen, die der Weſtphaͤliſche Friede
    und juͤngſte Reichsabſchied vom Cammergerichte gemacht hat-
    ten, konnten wegen Abgangs der Cammerzieler nicht zur
    Vollziehung kommen. S. 409. — III. IV. Ueberdies muß-
    te das Cammergericht wegen Einaͤſcherung der Pfalz von
    Speier nach Wetzlar fluͤchten. S. 410. — V. VI. Hier ent-
    ſtand vollends ein Juſtitium, das eine auſſerordentliche Viſi-
    tation zuwege brachte. S. 411. — VII. VIII. Auf deren
    Bericht kam es in Gang ſowohl die Zahl der Aſſeſſoren, als
    ihre Beſoldung zu vermehren. S. 412. — IX. X. Um 25.
    Aſſeſſoren mit 4000. Gulden beſolden zu koͤnnen, wurden die
    Cammerzieler von 2. zu 7. erhoͤhet. S. 413. — XI. Dar-
    unter
    []Inhalt.
    unter waren aber viele ungangbare Poſten, S. 414. —
    XII. und vom Berliner Hofe wurden die Cammerzieler nur
    auf den alten Fuß fortgezahlt. S. 414. — XIII. Alſo konn-
    ten wuͤrklich nur 17. Aſſeſſoren ſeyn, — woraus ein neues
    Uebel der Sollicitatur entſtand. S. 415. — XIV. Mehrere
    Praͤſentirte ſchoſſen alſo immer uͤber, und mußten warten,
    bis erſt von neuem Stellen leer wuͤrden. S. 416. — XV.
    Unter den 25. Aſſeſſoren ſollten ohnedem zwey neue von Boͤh-
    men und Hannover mit begriffen ſeyn. S. 417. — XVI.
    Dagegen hatte es aber auch noch Schwierigkeit mit den Weſt-
    phaͤliſchen Kreispraͤſentationen S. 418. — XVII. und mit
    der abwechſelnden Praͤſentation der evangeliſchen Kreiſe. —
    Welches alles erſt 1782. erlediget iſt. S. 418.
  • V. Verhandlungen uͤber die Frage von der Ge-
    richtbarkeit der hoͤchſten Reichsgerichte in evangeli-
    ſchen geiſtlichen Sachen. S. 420-438.
  • I-III. Auf Veranlaſſung eines abgeſetzten evangeliſchen
    Predigers zu Wetzlar kam es bey der Viſitation des Cammer-
    gerichts zur Sprache: ob in proteſtantiſchen geiſtlichen Sa-
    chen die Gerichtbarkeit des Cammergerichts gegruͤndet ſey?
    S. 421. — IV. V. Sowohl der Religionsfriede als der
    Weſtphaͤliſche Friede hat die geiſtliche Gerichtbarkeit, wie ſie
    bis dahin war, uͤber die Proteſtanten aufgehoben, ohne eine
    neue Art der geiſtlichen Gerichtbarkeit an deren Stelle zu
    ſetzen. S. 422. — VI. Der Weſtphaͤliſche Friede hat na-
    mentlich die ganze geiſtliche Gerichtbarkeit mit allen ihren
    Gattungen uͤber die Proteſtanten aufgehoben. S. 423. —
    VII. Damit fiel auch der Anſtand weg, den man nach dem
    Religionsfrieden noch wegen der proteſtantiſchen Eheſachen
    gemacht hatte, — deren Annehmung dem Cammergerichte
    doch ſchon 1570. verboten ward. S. 424. — VIII-X.
    Dabey hat es nun der Weſtphaͤliſche Friede gelaſſen, — und
    was von Eheſachen gilt, gilt auch von anderen Gegenſtaͤnden
    der geiſtlichen Gerichtbarkeit. S. 425. — XI. Ueberhaupt
    erfordert auch hier die voͤllige Gleichheit beider Religionsthei-
    le, daß gegen Evangeliſche und Catholiſche bey Reichsgerich-
    ten einerley Verhaͤltniß ſtatt finde. S. 426. — XII. Daß
    evan-
    []Inhalt.
    evangeliſche Reichsſtaͤnde in ihren geiſtlichen Sachen keinen
    hoͤheren Richter haben, macht nach der Teutſchen Verfaſſung
    keine ſo große Anomalie. S. 427. — XIII. Unſere Reichs-
    ſtaͤnde werden auch in anderen Faͤllen in ihren eignen Sachen
    oft von ihren eignen Gerichten gerichtet, — zumal mit ge-
    ſtatteter Verſchickung der Acten. S. 428. — XIV. Auch
    von Appellationen ſind ſie uͤberhaupt haͤufig befreyet. S.
    428. — XV. Nichtigkeitsklagen koͤnnen zwar in peinlichen
    Sachen ſtatt finden, wenn gleich nicht darin appellirt werden
    kann. S. 429. — XVI-XVIII. Allein das ſetzt doch vor-
    aus, daß der Beklagte unter den Reichsgerichten ſtehe. —
    So wenig aber das bey catholiſchen Biſchoͤfen in ihren geiſt-
    lichen Sachen der Fall iſt, ſo wenig auch bey proteſtantiſchen
    Reichsſtaͤnden. S. 429. — XIX-XXII. Ohne allen Grund
    wird dem entgegengeſetzt, daß die evangeliſchen Reichsſtaͤnde
    ihre geiſtliche Gerichtbarkeit vermoͤge ihrer Landeshoheit aus-
    uͤbten. S. 431. — XXIII. Selbſt auf die Foͤrmlichkeit eig-
    ner Conſiſtorien koͤmmt es nicht an, ſondern auf die eigentli-
    che Natur und Beſchaffenheit der geiſtlichen Sache an ſich.
    S. 433. — XXIV. Bey Catholiſchen iſt es noch uͤbler, daß
    nicht einmal der Landesherr helfen kann, wenn ſeine Unter-
    thanen von geiſtlichen Gerichten bedraͤngt werden. S. 434. —
    XXV. Wollten die Proteſtanten auch nur in Nichtigkeitsfaͤl-
    len den Weg an die Reichsgerichte geſtatten, wuͤrde doch
    ſelbſt die Graͤnze zwiſchen Nichtigkeit und anderen Beſchwer-
    den mit Sicherheit ſchwer zu beſtimmen ſeyn. S. 435. —
    XXVI. Das evangeliſche Corpus hat deswegen mit Recht
    hieruͤber Schluͤſſe gefaſſet. S. 436. — XXVII. Selbſt der
    Reichshofrath hat dieſe Gruͤnde in vorigen Zeiten nicht ver-
    kannt. S. 437. — XXVIII. Die Proteſtanten wuͤrden alle-
    mal ungemein hiebey verliehren; die Reichswohlfahrt wuͤrde
    aber nicht dabey gewinnen. S. 438.
  • VI. Weitere Folgen des Nordiſchen und Spa-
    niſchen Succeſſionskrieges. Errichtung der pragma-
    tiſchen Sanction, und deren Einfluß auf die oͤffent-
    lichen Angelegenheiten. S. 439-447.
  • I. II. Folgen des Nordiſchen Krieges. — Heſſiſche
    Thronfolge in Schweden. S. 439. — III. Bremen und
    Verden koͤmmt an das Haus Hannover, — Stettin an
    Preuſſen. — Schleswig behaͤlt der Koͤnig in Daͤnemark.
    S. 440. — IV. Zur voͤlligen Beylegung der Spaniſchen
    Succeſſionsſache wird einem Spaniſchen Prinzen die Anwart-
    ſchaft auf Toſcana, Parma und Piacenza ertheilt, — wo-
    zu das Teutſche Reich ſeine erbetene Einwilligung gibt. S.
    441. — V. Zum Vortheile ſeiner weiblichen Nachkommen
    errichtet Carl der VI. ſeine pragmatiſche Sanction, S. 441. —
    VI. und laͤßt ſeines Bruders Joſephs Toͤchter Verzicht lei-
    ſten; S. 442. — VII. bewirkt auch die Garantie derſelben
    von Spanien, Großbritannien, Daͤnemark und dem Teut-
    ſchen Reiche; S. 444. — VIII. geraͤth jedoch uͤber die Pol-
    niſche Koͤnigswahl in einen neuen Krieg mit Frankreich, S.
    444. — IX. bis endlich in den mit dieſer Krone geſchloſſe-
    nen Praͤliminarien auch die Franzoͤſiſche Garantie theuer er-
    kauft wird. S. 445. — X. Auf eben den Fuß erfolgt auch
    ein foͤrmlicher Friedensſchluß, — deſſen Genehmigung zwar
    vom Reiche begehret, aber durch des Kaiſers Tod unterbro-
    chen wird. S. 446. — XI. Die Aufhebung der Ryßwicki-
    ſchen Clauſel war inzwiſchen ſchon beym Anfange des Krieges
    auf dem Reichstage verabredet und beſchloſſen. S. 446.
  • VII. Einige Reichsgeſetzgebungen uͤber Hand-
    werksmißbraͤuche und das Muͤnzweſen. Beſchluß
    dieſer kaiſerlichen Regierung. S. 448-454.
  • I. Seit dem Weſtphaͤliſchen Frieden waren Reichsgeſetz-
    gebungen immer ſeltener geworden. S. 448. — II. Jetzt
    kam es doch noch zu einem Reichsſchluß zu Abſtellung der
    Handwerksmißbraͤuche. S. 449. — III. Ueber das Muͤnz-
    weſen hatte man zu ſpaͤt angefangen zweckmaͤßige Einrich-
    tungen zu treffen. S. 449. — IV. Denn erſt 1559 hatte
    man eine Reichsmuͤnzordnung errichtet, S. 451. — V. da
    ſchon ſo vielerley Muͤnzſorten im Gange waren, S. 451. —
    VI. daß nebſt Gulden und Kreuzern doch noch Thaler und
    Groſchen geſtattet werden mußten. S. 451. — VII. Die
    Vorſchriften der Reichsgeſetze vom innern Gehalte der Muͤn-
    zen
    []Inhalt.
    zen wurden auch nicht befolget. S. 452. — VIII. Einige
    Reichsſtaͤnde errichteten deswegen vertragsmaͤßig erſt den
    Zinniſchen, hernach den Leipziger Fuß, S. 452. — IX. mit
    beſonderer Beſtimmung einiger Goldmuͤnzen. S. 453. —
    X. Im Reiche kam aber der 24. Guldenfuß auf. S. 453. —
    XI. Jetzt machte ein Reichsgutachten den Leipziger Fuß zum
    Reichsmuͤnzfuße. — Allein der Tod des Kaiſers unterbrach
    auch dieſes Geſchaͤfft. S. 453. — XII. Beſchluß dieſer
    kaiſerlichen Regierung mit einem Commiſſionsdecrete wegen
    eines Preuſſiſchen Einbruchs ins Luͤttichiſche. S. 454.

Sechſtes[]

Sechſtes Buch.
Der neueren Zeiten dritter Abſchnitt
von
Carls desV.Abdankung
bis
zum Weſtphaͤliſchen Frieden
1558—1648.


I.
Von Ferdinand dem I. und Max dem II.
1558—1576.


I. Erſtes Beyſpiel einer Reſignation des regierenden
Kaiſers. — II. Erneuerung der Wahlcapitulation und Chur-
verein. — III. Abgang der Kaiſerkroͤnung zu Rom. —
IV. V. Ende der Kirchenverſammlung zu Trient. — VI. Un-
abgeſtellt gebliebene Mißbraͤuche der catholiſchen Kirche. —
VII. Gegenſeitige Beſchwerden der Catholiſchen und Proteſtan-
ten. — VIII. Wilhelms von Grumbach Unternehmungen
gegen Wuͤrzburg, und damit verbundene Gothaiſche Unruhen.—
IX. Dadurch veranlaßter Deputationstag und gemeinſamer
Reichskreistag.


Die Regierung, die Ferdinand derI. als Kai-I.
ſer fuͤhrte, hatte gleich anfangs das beſon-
dere, daß ſie nicht, wie gewoͤhnlich nach dem Tode,
P. Entw. d. Staatsverf. Th.II. Aſon-
[2]VI. Neuere Zeit. Ferd. I—III. 1558-1648.
ſondern nach der Reſignation ſeines Vorgaͤngers
ihren Anfang nahm. Dieſes erſte Beyſpiel in
ſeiner Art konnte in ſoweit dazu dienen, ein Her-
kommen zu begruͤnden, daß ein Kaiſer ſeine Re-
gierung niederlegen koͤnne, ohne erſt dazu eine
Einwilligung des Reichstages oder auch nur der
Churfuͤrſten zu beduͤrfen; daß aber, was die Art
und Weiſe betrifft, eine feierliche Erklaͤrung an
das churfuͤrſtliche Collegium daruͤber erforderlich
ſey, wie ſie Carl der V. durch eine eigne Geſandt-
ſchaft thun ließ.


II.

Die Wahlcapitulation, die Ferdinand ſchon
im Jahre 1531. als Roͤmiſcher Koͤnig beſchworen
hatte, war auf den Fall gerichtet geweſen, wenn
er nach dem Tode ſeines Bruders zur Regierung
kommen wuͤrde. Weil ſich jetzt der Fall nicht erſt
nach dem Tode, ſondern nach der Reſignation
Carls des V. ereignete; ſo nahm das churfuͤrſtli-
che Collegium davon Anlaß, Ferdinanden beym
Antritt ſeiner kaiſerlichen Regierung von neuem
eine Capitulation vorzulegen; (wie doch ſeitdem,
wenn Roͤmiſche Koͤnige zur Regierung gekommen
ſind, nicht wieder geſchehen iſt, da man es bey
derjenigen, die bey der Roͤmiſchen Koͤnigswahl
beſchworen iſt, zu laßen pflegt.) Die Hauptſache
war wohl diesmal, daß man die Erwehnung des
Religionsfriedens, der inzwiſchen geſchloſſen war,
der nunmehrigen kaiſerlichen Wahlcapitulation aus-
druͤcklich einruͤckte. Eben das geſchah auch in
der Churverein, die diesmal von den Churfuͤrſten
mit mehreren Zuſaͤtzen erneuert wurde; (wie ſie
ſeitdem bis auf den heutigen Tag im Gange ge-
blieben iſt.)


Eine
[3]1) Ferd. I. Max II. 1558-1576.

Eine Unzufriedenheit, die der Pabſt uͤber Fer-III.
dinanden aͤußerte, weil er als Roͤmiſcher Koͤnig
den Religionsfrieden geſchloſſen hatte, und ein
Widerſpruch, den er gegen die Niederlegung der
Regierung von Seiten Carls des V. einlegte, weil
ſeiner Meynung nach ſolche in ſeine Haͤnde haͤtte
geſchehen ſollen, hatte fuͤr den paͤbſtlichen Stuhl
den widrigen Erfolg, daß Ferdinand unterließ, die
kaiſerliche Kroͤnung, wie bisher gewoͤhnlich,
und noch von Carl dem V. geſchehen war, zu
Rom zu empfangen. In der Folge iſt dieſe Kroͤ-
nung daruͤber ganz in Abgang gekommen. Sonſt
war weder unter dieſer noch unter der folgenden
Regierung Max desII., den ſein Vater Ferdi-
nand zum Roͤmiſchen Koͤnige hatte wehlen laßen,
und der wieder die Roͤmiſche Koͤnigswahl ſeines
Sohns Rudolfs des II. zu Stande brachte, eine
erhebliche Veraͤnderung in der Verfaſſung des Teut-
ſchen Reichs wahrzunehmen.


Nur das Ende der Trientiſchen Kirchen-IV.
verſammlung,
das noch in Ferdinands Regie-
rung fiel, war ſo beſchaffen, daß an ſtatt der
Hoffnung, die man ſich noch immer von einer Wie-
dervereinigung der Religion gemacht hatte, die
Scheidewand zwiſchen der catholiſchen und evan-
geliſchen Kirche durch die zu Trient gefaßten
Schluͤſſe noch ungleich ſtaͤrker, als vorher, gemacht
war. Viele Saͤtze, die bisher unter den Catho-
liſchen ſelbſt noch als problematiſch angeſehen wa-
ren, hatten die Trientiſchen Praͤlaten zu Glaubens-
artikeln gemacht, und ſo, wie alle andere, fuͤr
die, ſo nicht damit uͤbereinſtimmig daͤchten, mit
ihrem Fluche (anathema eſto) beleget.


A 2Fer-
[4]VI. Neuere Zeit. Ferd. I—III. 1558-1648.
V.

Ferdinand ſelbſt hatte Muͤhe, nur dafuͤr zu
wachen, daß nicht die geiſtliche Gewalt zum Nach-
theile der catholiſchen weltlichen Maͤchte noch wei-
ter um ſich griff, wie man es zu Trient gut vor
hatte, an ſtatt der Reformation der Kirche, die
ſelbſt catholiſche Maͤchte von der Kirchenverſamm-
lung erwarteten, vielmehr das Blatt umzuwenden,
und auf eine Reformation oder noch groͤßere Ein-
ſchraͤnkung der weltlichen Maͤchte zu denken. Man-
ches von der Art wandte Ferdinand noch gluͤcklich
ab. Verſchiedentlich wurde aber doch auf eine
indirecte Art der Weg dazu gebahnet. So war
z. B. in Eheſachen bisher in den meiſten Laͤndern
Rechtens geweſen, daß Ehen, wenn ſie ohne elter-
liche Einwilligung eingegangen waren, als null
und nichtig auch von weltlichen Gerichten hatten
aufgehoben werden koͤnnen. Um auch dieſe Gat-
tung Eheſachen den weltlichen Gerichten zu ent-
ziehen, ward zu Trient feſt geſetzt, daß Ehen des-
wegen nicht fuͤr nichtig gehalten werden ſollten,
wenn ſie gleich ohne der Eltern Einwilligung ein-
gegangen waͤren. Das catholiſche Teutſchland
hat ſich nun zwar bequemt, die Schluͤſſe der Trien-
tiſchen Kirchenverſammlung anzunehmen. Ver-
ſchiedene andere catholiſche Reiche haben ſie aber
entweder gar nicht angenommen, oder doch nicht
anders als mit Vorbehalt ihrer Freyheiten.


VI.

Noch einige Jahre vorher, ehe das Concilium
zu Trient zu Ende gieng, hatte Ferdinand (1559.)
den Begriff der Kirchenreformation vom Jahre
1548. erneuern laßen, worin zwar das Hauptwerk
der Lehre der catholiſchen Kirche ungeaͤndert blieb,
jedoch viele Andaͤchteleyen uͤbergangen und nicht ge-
billiget
[5]1) Ferd. I. Max II. 1558-1576.
billiget waren. Das Concilium machte aber kei-
nen Gebrauch davon, und war ſo weit entfernt,
in ſolchen Dingen, die alle aufgeklaͤrte Catholiken
als Mißbraͤuche erkannten, die aber der Geiſtlich-
keit und inſonderheit den Moͤnchsorden vortheilhaft
waren, einige Aenderung zu treffen, daß vielmehr
nach geendigter Kirchenverſammlung ſowohl die
laͤngſt geruͤgten Ablaßmißbraͤuche als die Moͤnchs-
bruͤderſchaften und andere Erfindungen des mitt-
lern Zeitalters ſelbſt durch Befoͤrderung der Jeſuiten
nicht nur im Gange erhalten, ſondern zum Theil
noch weiter ausgedehnt wurden (a).


Zwi-
A 3
[6]VI. Neuere Zeit. Ferd. I—III. 1558-1648.
VII.

Zwiſchen den Catholiſchen und Proteſtan-
ten
aͤußerten ſich zwar auf jedem Reichstage ſchon
gegenſeitige Beſchwerden, da inſonderheit jene
uͤber die fortgehende Einziehung der Kloͤſter, letz-
tere uͤber den geiſtlichen Vorbehalt klagten. Auch
kam die Trennung zwiſchen Lutheriſchen und Refor-
mirten noch immer mehr zur Sprache. Jedoch
unter dieſen beiden Regierungen blieb es noch da-
bey, daß uͤberhaupt der Religionsfriede in ſeiner
Kraft erhalten wurde. Vergleicht man damit
die Verfolgungen, welche die Proteſtanten in den
Niederlanden und in Frankreich auszuſtehen hat-
ten, ſo kann man nicht verkennen, daß es theils
den perſoͤnlichen Geſinnungen Ferdinands des I. und
Max des II., theils dem gluͤcklichen Gleichgewichte
der catholiſchen und evangeliſchen Churfuͤrſten zu-
zuſchreiben war, daß Teutſchland noch ſo ruhig blieb.


VIII.

Ein Vorfall, der noch in oͤffentliche Unruhen
ausbrach, war nicht ſowohl der Religionstrennung
zuzuſchreiben, als vielmehr noch ein wahres Ueber-
bleibſel der ehemaligen Fauſtrechtsgeſinnungen.
Ein
(a)
[7]1) Ferd. I. Max II. 1558-1576.
Ein Fraͤnkiſcher Reichsritter, Wilhelm von Grum-
bach,
hatte den Biſchof Melchior von Wuͤrzburg in
ſeiner eignen Reſidenz erſchießen laßen, und her-
nach nicht nur mittelſt Belagerung der Stadt
Wuͤrzburg das Domcapitel zu einem Vergleiche ge-
noͤthiget, ſondern auch den Herzog Johann Fried-
rich den Mittlern von Gotha dergeſtalt eingenom-
men, daß derſelbe ihn in Gotha und in dem da-
zu gehoͤrigen Schloſſe Grimmenſtein aufnahm, und
auf den Fall eines Angriffs ſowohl zur Gegenwehr
als zu anderen Unternehmungen weitausſehende
kriegeriſche Anſtalten machte. Der Sache wurde
nur damit ein Ende gemacht, daß ſowohl wider
den Herzog von Gotha als wider Grumbachen und
alle ſeine Helfershelfer die kaiſerliche Achtserklaͤrung
ergieng, deren Vollziehung dem Churfuͤrſten von
Sachſen aufgetragen wurde, der nach einer kurzen
Belagerung endlich Gotha und Grimmenſtein in
ſeine Gewalt bekam, worauf Grumbach nebſt eini-
gen ſeiner Genoſſen am Leben geſtraft, und der
ungluͤckliche Herzog von Gotha auf Zeitlebens in
Gefangenſchaft nach Oeſterreich abgefuͤhrt wurde.


Dieſe Unruhen, die in ihrer Art die letztenIX.
waren, gaben unter andern Anlaß, daß von einer
Verordnung, die ſchon in den Reichsabſchieden
1548. 1555. 1559. auf ſolche Faͤlle gemacht war,
Gebrauch gemacht wurde, indem an ſtatt eines
vollſtaͤndigen Reichstages nur die Churfuͤrſten und
von wegen der Fuͤrſten, Praͤlaten, Grafen und
Reichsſtaͤdte nur einige deputirte Staͤnde zu einem
ſo genannten Deputationstage zuſammen berufen
wurden, um deſto geſchwinder, wie es dergleichen
eilende Faͤlle erforderten, die noͤthigen Schluͤſſe faſ-
A 4ſen
[8]VI. Neuere Zeit. Ferd. I—III. 1558-1648.
ſen zu koͤnnen. Der Deputationsabſchied, der
diesmal unterm 18. Maͤrz 1564. zu Worms er-
richtet wurde, enthielt einige nuͤtzliche Verfuͤgun-
gen, wie die Kreisanſtalten gegen ſolche landfrie-
densbruͤchige Unruhen noch wirkſamer gemacht
werden ſollten. Inſonderheit ward darin bemerk-
lich gemacht, daß zu Zeiten eine große Anzahl Reu-
ter und Knechte unter blinden Namen ohne einige
Anzeige des Kriegsherrn, oder auch unter dem
Vorwande, das Kriegsvolk dieſem oder jenem Po-
tentaten zuzufuͤhren, aufgebracht wuͤrden, zu Zeiten
auch dergleichen Kriegsvolk ohne Vorwiſſen und
Erlaubniß einer ordentlichen Obrigkeit ſich ſelbſt-
eignes Vorhabens zuſammenſchluͤge, und ganze Laͤn-
der mit Verſammlungen, Muſterplaͤtzen, Lagern,
Durchzuͤgen, Brandſchatzungen und Pluͤnderungen
beunruhigte. Wogegen allerdings Auftraͤge an
die Kreisoberſten jeden Kreiſes das einzige wirk-
ſame Mittel ſchienen. Ueber das alles wurde im
Jahre 1567. von wegen ſaͤmmtlicher Kreiſe (nur
den Burgundiſchen ausgenommen) noch eine eigne
allgemeine Reichskreisverſammlung zu Erfurt gehal-
ten, wo man die Ueberbleibſel jener Unruhen vollends
zu berichtigen ſuchte (b). Damit iſt auch ſeitdem
die innere Ruhe von Teutſchland gegen landfrie-
densbruͤchige Unternehmungen von der Art mehr
befeſtiget worden.


II.
[9]2) Rud. II. bis 1582. Erſtgebuhrt.

II.
Von den erſten Jahren der Regierung K. Ru-
dolfs des II. 1576 — 1582. Recht der Erſtge-
buhrt im Hauſe Oeſterreich und mehr anderen
Haͤuſern; und Veraͤnderungen in den Stimmen
des Reichsfuͤrſtenrathes mit dem Jahre 1582.


I. Einfuͤhrung des Rechts der Erſtgebuhrt in dem Hauſe
Oeſterreich, allem Anſehen nach von Max dem II. — II.
Eben dergleichen Verordnungen erſchienen nach und nach in
mehreren fuͤrſtlichen und graͤflichen Haͤuſern; — III. Einfluß des
Rechts der Erſtgebuhrt auf die Zahl der weltlichen Stimmen
im Reichsfuͤrſtenrathe. — IV. Zufaͤllige Richtſchnur dieſer
Zahl vom Jahre 1582. her.


Nach Max des II. Tode aͤußerte ſich zuerſt imI.
Hauſe Oeſterreich eine Veraͤnderung, die
wahrſcheinlich auf einem von demſelben errichteten
neuen Hausgeſetze beruhete. Bis dahin war nehm-
lich, ſo oft ein regierender Herr vom Hauſe meh-
rere Soͤhne hinterlaßen hatte, von dieſen eine Thei-
lung vorgenommen worden; ſo, daß zwar das
eigentliche Herzogthum Oeſterreich nach Vorſchrift
des Gnadenbriefes K. Friedrichs des I. vom Jahre
1156. immer ungetheilt nur nach dem Rechte der
Erſtgebuhrt vererbt worden war, aber doch die
uͤbrigen Laͤnder des Hauſes, als Steiermark, Ty-
rol u. ſ. w. vertheilet waren, und juͤngeren Soͤh-
nen und deren Nachkommen zu einem Sitze gedient
hatten, um ebenfalls als regierende Herren leben
zu koͤnnen. So hatte nach einem Teſtamente, das
Ferdinand der I. am 25. Febr. 1554. errichtet, und
ſeine Soͤhne durch einen beſonderen Vertrag am
A 51. Maͤrz
[10]VI. Neuere Z. Ferd. I—III. 1558-1648.
1. Maͤrz 1564. genehmiget hatten, Max der II.
zwar Ungarn, Boͤhmen und Oeſterreich fuͤr ſich
alleine bekommen. Aber ſeine Bruͤder waren doch
auch regierende Herren, Ferdinand in Tyrol und
den Vorderoeſterreichiſchen Landen, Carl in Steier-
mark, Kaͤrnthen, Krain. Hingegen von ſechs
Soͤhnen, die Max der II. hinterließ, bekam nur
der Erſtgebohrne, Rudolf der II., Land und Leute
zu regieren. Den uͤbrigen war nur ihr ſtandes-
maͤßiger Unterhalt angewieſen, oder ſie wurden auf
andere Art verſorgt. Alſo laͤßt ſich aus dem Er-
folge urtheilen, daß Max der II. das Recht der
Erſtgebuhrt
durch eine neue allgemeinere Ver-
ordnung eingefuͤhrt haben muß, obgleich dieſe Ver-
ordnung ſelbſt, ſo viel ich weiß, noch zur Zeit nicht
bekannt geworden iſt. Seine Nachkommenſchaft
hat jedoch nicht lange den Genuß davon gehabt,
da ſie ſchon mit der erſten Generation ein Ende
nahm. Sein Bruder Ferdinand in Tyrol hinter-
ließ zwar Soͤhne, aber aus einer unſtandesmaͤßi-
gen Ehe mit eines Augsburgiſchen Patricien Toch-
ter, Philippine Welſerinn; Daher den Kindern
dieſer Ehe weder das vaͤterliche Erbtheil, noch der
erzherzoglich Oeſterreichiſche Titel zu Theil wurde.
Die Steiermaͤrkiſche Linie hat den Stamm hernach
alleine fortgeſetzt, und in Carls Sohne und Enkel,
den beiden Ferdinanden dem II. und III., alle
Staaten der Teutſchen Linie des Hauſes Oeſterreich
vereiniget; außer daß Ferdinands des II. Bruder
Leopold nach Abſterben des mit der Welſerinn ver-
maͤhlten Erzherzog Ferdinands einen Theil der Ty-
roliſchen Verlaßenſchaft bekam, und wieder auf ſei-
nen Sohn, Ferdinand Carl, vererbte, der erſt 1662.
ohne maͤnnliche Nachkommenſchaft geſtorben iſt.


Nach
[11]2) Rud. II. bis 1582. Erſtgebuhrt.

Nach und nach kamen jetzt in mehr fuͤrſtli-II.
chen und graͤflichen Haͤuſern Primogeniturver-
ordnungen
zum Vorſchein, als in Mecklenburg
1573., in Braunſchweig-Wolfenbuͤttel 1582., in
Baiern 1588., in Pfalzzweybruͤcken 1591., in
Lippe 1593., in Sain-Wittgenſtein 1593., in
Heſſendarmſtadt 1606., in Holſteingottorp 1608.,
in Naſſauoranien 1618., in Wied 1624., in
Lothringen 1625., in Heſſencaſſel 1628. u. ſ. w.
Doch waren auch viele Haͤuſer dem Rechte der
Erſtgebuhrt noch ſo entgegen, daß ſie glaubten,
es koͤnne mit dem bibliſchen Spruche: ”Sind wir
dann Kinder, ſind wir auch Erben,” nicht beſte-
hen, und deswegen vielmehr einen Fluch darauf
legten, wenn auch nur ihre Nachkommen dieſe Art
der Erbfolge einzufuͤhren ſich in Sinn kommen
laßen wollten.


Eine der Folgen des haͤufiger eingefuͤhrten RechtsIII.
der Erſtgebuhrt aͤußerte ſich bald darin, daß nach
und nach mehr fuͤrſtliche Haͤuſer erloſchen, weil
nicht mehr, wie bey fortgeſetzten Theilungen, meh-
rere Bruͤder ſich ſtandesmaͤßig vermaͤhlen und ihren
Stamm fortſetzen konnten. Inſonderheit wurde es
bald in den weltlich fuͤrſtlichen Stimmen auf
dem Reichstage
merklich, daß ſie an der Zahl
abnahmen, wenn immer weniger regierende Herren
im Fuͤrſtenrathe erſchienen. Bisher hatte es zum
Vortheile des weltlichen Fuͤrſtenſtandes demſelben
oft ein Uebergewicht uͤber die geiſtlichen Fuͤrſten
verſchafft, daß man die Stimmen nach der Anzahl
der erſcheinenden Perſonen zehlte. Bey den geiſt-
lichen Fuͤrſten war dieſe Anzahl einmal wie das
andere unveraͤnderlich. Auf der weltlichen Bank
ver-
[12]VI. Neuere Z. Ferd. I—III. 1558-1648.
vermehrte ſich die Anzahl der Stimmen bey jedem
Todesfall, wenn ein Vater mehr Soͤhne hinterließ,
die ſich in die vaͤterlichen Lande theilten. So galt
z. B. ganz Heſſen nur fuͤr eine Stimme, ſo lange Phi-
lipp der Großmuͤthige lebte, der es allein in Be-
ſitz hatte. Als hernach ſeine vier Soͤhne ſich in
Caſſel, Marburg, Rheinfels und Darmſtadt ver-
theilten, konnten ſie vier Stimmen im Fuͤrſtenrathe
fuͤhren. So wie das Recht der Erſtgebuhrt mehr
in Gang kam, verlohr ſich dieſer Vortheil.


IV.

Doch eben dieſe Umſtaͤnde hatten vielleicht ei-
nigen Antheil daran, daß unter dieſer kaiſerlichen
Regierung die ganze Reichstagsverfaſſung, was
die Zahl der fuͤrſtlichen Stimmen betrifft, eine an-
dere Wendung nahm. Ohne daß man Urſache
und Umſtaͤnde genau angeben kann, ſcheint der
Reichstag 1582. fuͤr die folgende Zeit eine ganz
neue Richtſchnur abgegeben zu haben. An ſtatt,
daß bisher die Zahl der weltlichen Stimmen, nach-
dem in einem Hauſe bald mehr, bald weniger re-
gierende Herren waren, veraͤnderlich geweſen war,
indem man immer nur die erſcheinenden Perſonen
zehlte; ſo wurde in der Folge mehr auf die Laͤn-
der, als auf die Perſonen, geſehen. Und zwar
gerade, wie zufaͤlliger Weiſe die Zahl der Stimmen
auf dem Reichstage 1 [...]82. ſich verhalten hatte;
ſo ward ſie nachher immer beybehalten. Waren
damals mehrere Linien, ſo blieben auch fuͤr die
Zukunft eben ſoviel Stimmen, wenn gleich die Li-
nien zuſammen ſtarben, wie z. B. der Fall im
Hauſe Braunſchweig-Luͤneburg war, das damals
mehrere Linien in Calenberg, Zelle, Wolfenbuͤttel
und Grubenhagen hatte, wovon zwey bald hernach
erlo-
[13]2) Rud. II. bis 1582. Erſtgebuhrt.
erloſchen, deren Stimmen aber doch im Fuͤrſten-
rathe ihren Fortgang behalten haben. Hatte hin-
gegen im Jahre 1582. ein Land nur einen Herrn,
der hernach mehrere Soͤhne, die ſich wieder ver-
theilten, hinterließ; ſo blieb auf dem Lande doch
nur eine Stimme haften. Das war z. B. der
Fall im Hauſe Anhalt, da der Fuͤrſt Joachim Ernſt
1582. noch ganz Anhalt hatte, ſeine Soͤhne aber
1586. vier regierende Linien zu Deſſau, Bern-
burg, Coͤthen, Zerbſt ſtifteten, und doch nur eine
Stimme behielten. Oder wenn nach 1582. auch
die Beſitzer eines Landes ganz ausſtarben, und das
Land einem andern Fuͤrſten zufiel, ſo wurde doch
die vorige Stimme fortgefuͤhrt, wie z. B. der Fall
gleich im Jahre 1583. mit den gefuͤrſteten Grafen
von Henneberg, die damals ausſtarben, und ſeit-
dem noch mit Pommern, Leuchtenberg, und mehr
anderen Laͤndern ſich zugetragen hat; an ſtatt daß
mit allen Laͤndern, deren Beſitzer vor 1582. aus-
geſtorben, auch ihre Stimmen erloſchen ſind, wie
die Beyſpiele von Kaͤrnthen, Steiermark, Krain,
Teck, und unzehlig andere davon zum Beweiſe
dienen.


III.
[14]VI. Neuere Z. Ferd. I—III. 1558-1648.

III.
Anfang neuer Religionsirrungen unter Rudolf
dem II.


I. Spaniſche und jefuitiſche Rathſchlaͤge. — Nieder-
laͤndiſche Unruhen. — II. Weitere Trennung der Lutheri-
ſchen und Reformirten durch das ſo genannte Concordien-
buch. — III. Jeſuitiſche Angriffe auf die Verbindlichkeit des
Religionsfriedens. — IV. V. Aufgeſtellte Grundſaͤtze zur
Behauptung einer gewaltſamen catholiſchen Gegenreforma-
tion. — VI. Deren Erfolg in Steiermark und Wuͤrzburg, —
VII. und, nach etlichen Religionsveraͤnderungen, im Badi-
ſchen. — VIII. Verdraͤngung der Proteſtanten zu Aachen. —
IX. X. Durchſetzung des geiſtlichen Vorbehalts im Erzſtifte
Coͤlln und Hochſtifte Straßbutg. — XI. Bedenkliche Lage
der mit Proteſtanten beſetzten Stifter in Ober- und Nieder-
ſachſen. — XII-XIV. Bewegungen uͤber den neuen Gre-
goriſchen Calender.


I.

Der groͤßte Unterſchied zwiſchen Rudolfs des II.
und den beiden vorigen Regierungen zeigte
ſich bald darin, daß der Kaiſer fuͤr ſeine Perſon
wenigen Antheil an Geſchaͤfften nahm, und ſich
von Eingebungen des Spaniſchen Hofes und jeſui-
tiſcher Rathſchlaͤge lenken ließ. Nach dem An-
fange, der in den Niederlanden und in Frankreich
ſchon gemacht war, ſollte nun die Reihe auch an
Teutſchland kommen, um ſowohl da als in den
Niederlanden die evangeliſche Religion gaͤnzlich zu
vertilgen. In den Niederlanden kam es daruͤber
zur genauern Vereinigung zwiſchen ſieben Provin-
zen, die am 23. Jan. 1579. eine Union zu Uetrecht
mit einander ſchloſſen, und in deren Gefolg am
26. Jul. 1581. der Krone Spanien den Gehorſam
voͤllig aufkuͤndigten. Daruͤber behielten die Thaͤt-
lich-
[15]3) Rud. II. neue Relig. Unruhen.
lichkeiten, die ſchon ſeit dem Jahre 1568. hier
zum Ausbruch gekommen waren, einen ſolchen
Fortgang, daß erſt nach einem 80. jaͤhrigen Kriege
dieſe Sache zum Frieden kam. Bis dahin war
ſehr natuͤrlich, daß dieſe Niederlaͤndiſche Unru-
hen
ſich oft in Teutſche Sachen verflochten. Den
Teutſchen Proteſtanten konnte das Schickſal der
Niederlaͤnder nicht gleichguͤltig ſeyn. Der kaiſer-
liche Hof und der catholiſche Religionstheil hielten
es meiſt mit der Krone Spanien. So fanden
beide Theile bey jeder Gelegenheit eine gewiſſe
Willfaͤhrigkeit zu gegenſeitigen Unterſtuͤtzungen.


Fuͤr die Proteſtanten war es ein großes Un-II.
gluͤck, daß die theologiſchen Streitigkeiten, die ſich
ſchon zwiſchen Luthern und Zwingli hervorgethan
hatten, durch Johann Calvin zu Genf noch viel
weiter getrieben wurden, und nach Melanchthons
Tode unter den Theologen in Ober- und Nieder-
ſachſen in große Gaͤhrungen ausbrachen, denen
man nur dadurch abhelfen zu koͤnnen glaubte, wenn
man ſich uͤber ein neues ſymboliſches Buch ver-
einigte, zu dem ſich alle Kirchen- und Schuldiener
der evangeliſchen Kirche bekennen ſollten. Ein ſol-
ches Concordienbuch, wie man es nannte, wo-
zu ein Tuͤbingiſcher Theologe, Jacob Andreaͤ, den
Hauptentwurf gemacht hatte, brachte man nach
muͤhſamen Unterhandlungen mehrerer Jahre im
Jahre 1580. im Kloſter Bergen bey Magdeburg
zu Stande. Man ſetzte darin uͤber alle Saͤtze,
die unter den Theologen von beiden Partheyen
bisher beſtritten waren, ſolche Beſtimmungen feſt,
daß dadurch zwiſchen Lutheriſchen und Reformir-
ten beynahe eben eine ſolche Scheidewand gezogen
wur-
[16]VI. Neuere Z. Ferd. I—III. 1558-1648.
wurde, als das Concilium zu Trient zwiſchen Ca-
tholiſchen und Proteſtanten gethan hatte. In den
meiſten Teutſchen evangeliſchen Laͤndern wurde die-
ſes Concordienbuch zwar eingefuͤhrt, aber doch nicht
in allen. Viel weniger fand es in Daͤnemark
und England den gehofften Beyfall. Inzwiſchen
entſtand eben daruͤber zwiſchen den Lutheriſchen und
reformirten Staͤnden in Teutſchland ein der gemei-
nen Sache der Proteſtanten aͤußerſt nachtheiliges
Mißverſtaͤndniß. Selbſt das gluͤckliche Gleichge-
wicht, ſo bisher die drey evangeliſchen Churhoͤfe
gegen die drey geiſtlichen gehalten hatten, litt gar
ſehr durch das uͤble Vernehmen, das ſich zwiſchen
Churſachſen und Churpfalz hervorthat, da letzteres
zur reformirten Parthey gehoͤrte, und derſelben
treu blieb.


III.

Alle dieſe Umſtaͤnde wußten inſonderheit die
Jeſuiten vortrefflich zu benutzen. Sie glaubten
jetzt, ohne Scheu behaupten zu koͤnnen, daß der
Religionsfriede an ſich nicht nur nicht zu Recht
beſtaͤndig und hoͤchſtens nur ein Bedingungsweiſe
eingegangenes, aber nun laͤngſt entkraͤftetes Tem-
poralwerk ſey, ſondern daß er jetzt auch uͤberall
nicht mehr in Anwendung gebracht werden koͤnne; —
auf die Reformirten nicht, weil die Lutheriſchen
ſelbſt ſie nicht fuͤr ihre Glaubensgenoſſen anerkaͤnn-
ten; — auf die Lutheriſchen auch nicht, weil ſie
ſich nicht mehr an der alleine im Religionsfrieden
zum Grunde gelegten Augsburgiſchen Confeſſion
hielten, ſondern ein neues ſymboliſches Buch, die
Concordienformel angenommen haͤtten, wovon der
Religionsfriede nichts wuͤßte.


Sie
[17]3) Rud. II. neue Relig. Unruhen.

Sie behaupteten uͤberdies, mit eben dem Rechte,IV.
wie ehedem ein Churfuͤrſt von Sachſen, ein Land-
graf von Heſſen und andere evangeliſche Reichs-
ſtaͤnde in ihren Laͤndern und Gebieten die evange-
liſche Religionsuͤbung eingefuͤhrt haͤtten, koͤnnten
jetzt catholiſche Landesherren, die evangeliſche
Unterthanen haͤtten, denſelben ihre Religions-
uͤbung wieder nehmen, und ſie zur catholiſchen
zuruͤckzubringen; zumal da ohnedem der Guͤltig-
keit der Erklaͤrung, die Ferdinand der I. zum
Vortheile der Freyſtellung des Gottesdienſtes fuͤr
evangeliſche Unterthanen unter catholiſchen Landes-
herren ertheilet hatte, widerſprochen wurde.


Wenn man die Frage aufwarf, ob es auchV.
recht ſey, allenfalls Gewalt zu brauchen, um Pro-
teſtanten in den Schooß der catholiſchen Kirche
zuruͤckzubringen; ſo wurde in jeſuitiſchen Schriften
der Unterſchied gemacht, daß es zwar unrecht ſeyn
wuͤrde, wenn man Juden oder Tuͤrken zum Chri-
ſtenthume zwingen wollte, weil ſolche noch nicht
zur chriſtlichen Kirche gehoͤrten. Aber Proteſtan-
ten ſeyen einmal durch die Taufe ſchon Glieder
der chriſtlichen Kirche geworden, und alſo ſchuldig,
zu glauben, was die Kirche glaube, oder koͤnnten
widrigenfalls mit allen moͤglichen Zwangsmitteln
dazu angehalten werden. Das ſey ohnedem ihr
eigenes Beſtes, und verhalte ſich eben ſo, wie man
einen raſenden Menſchen oder einen, der im hitzi-
gen Fieber liege, zu ſeinem eignen Beſten binde und
zwinge, um Arzney zu nehmen, und ſich und an-
dern nicht zu ſchaden.


Durch ſolche Gruͤnde unterſtuͤtzt, durch denVI.
lebhafteſten Haß gegen alles, was Ketzer hieß, an-
P. Entw. d. Staatsverf. Th.II. Bge-
[18]VI. Neuere Z. Ferd. I—III. 1558-1648.
gefeuert, und belebt durch den Eifer ſo vielen Men-
ſchen, die ſonſt verdammt ſeyn wuͤrden, die Se-
ligkeit zu verſchaffen, ſich ſelbſt aber damit ein
Verdienſt fuͤr die Ewigkeit zu erwerben, — fien-
gen jetzt catholiſche Fuͤrſten an, eine ſo genannte
Gegenreformation in ihren Laͤndern vorzuneh-
men. Das Schickſal traf inſonderheit die Pro-
teſtanten in den Oeſterreichiſchen Erblaͤndern unter
dem Erzherzog Carl von Steiermark, und die im
Wuͤrzburgiſchen, wo der Biſchof Julius in den
Jahren 1585 — 1587. ſich ſchmeichelte uͤber 100.
tauſend Menſchen zu ſeiner Kirche zuruͤckgebracht
zu haben, und wo diejenigen, die ſich nicht be-
quemen wollten, ſowohl aus ſeiner Reſidenz als
aus 120. Orten ſeines Biſthums nebſt ihren Pre-
digern gewaltſam vertrieben wurden.


VII.

Auch an anderen Mitteln und Kuͤnſten wurde
nichts geſpahret, wo man es nur moͤglich ma-
chen konnte, Perſonen von Stande, oder auf die
ſonſt etwas ankam, zum Uebergange zur catho-
liſchen Kirche zu bewegen, oder Kinder aus ver-
miſchten Ehen in der catholiſchen Religion erziehen
zu laßen. So ward erſt Johann Piſtorius, ein
Rath des Marggrafen Jacobs von Baden-Hoch-
berg,
catholiſch, und darauf auch dieſer Marg-
graf ſelbſt, der auch ſchon in ſeinem Landesan-
theile die catholiſche Religion wieder einfuͤhrte;
wiewohl das nicht von Beſtand war, weil er fruͤh-
zeitig ſtarb, und ſein Bruder Ernſt Friedrich her-
nach wieder der evangeliſchen Religion ihren freyen
Lauf ließ. Aber in Baden-Baden ward Phi-
lipp der II. von ſeiner Mutter Anverwandten ca-
tholiſch erzogen, und ſein Vetter und Nachfolger
Eduard
[19]3) Rud. II. neue Relig. Unruhen.
Eduard bekannte ſich ebenfalls zur catholiſchen
Religion. Daruͤber kam es auch im Badiſchen
zu Veraͤnderungen zum Nachtheile der evangeli-
ſchen und zum Vortheile der catholiſchen Religion.


Fuͤr evangeliſche Einwohner in ReichsſtaͤdtenVIII.
gab es keine beſſere Ausſichten, da zu Aachen den
ſeit 1567. aus Antwerpen dorthin gefluͤchteten
reformirten Buͤrgern ſowohl ihre Religionsuͤbung,
als die ſeit 1574. ſchon erlangte Rathsfaͤhigkeit
durch eine kaiſerliche Commiſſion abgeſprochen wurde.


Um endlich den geiſtlichen Vorbehalt zumIX.
Nachtheile der Proteſtanten durchzuſetzen, wurde
in zwey namhaften Faͤllen alles angewandt, und
die Abſicht gluͤcklich erreicht. Im Erzſtifte Coͤlln
hatte der Churfuͤrſt Gebhard, gebohrner Truchſeß
von Waldburg, am 19. Dec. 1582. ſich oͤffentlich
zur reformirten Religion bekannt, und den 2. Febr.
1583. ſich mit der Graͤfinn Agnes von Mansfeld
trauen laßen; in der Meynung, des geiſtlichen
Vorbehalts ungeachtet doch das Erzſtift zeitlebens
beyzubehalten. Er wurde aber mit Huͤlfe Spani-
ſcher aus den Niederlanden dorthin gezogener Voͤl-
ker genoͤthiget, das Erzſtift mit dem Ruͤcken anzu-
ſehen, und dem an ſeine Stelle ernannten Prin-
zen Ernſt von Baiern zu uͤberlaßen.


Nicht beſſer gieng es dem Prinzen JohannX.
Georg von Brandenburg, der im Jahre 1592. zu
Straßburg von den dortigen Domherren, deren
damals 14. evangeliſch, 7. catholiſch waren, jedoch
mit Widerſpruch der letzteren zum Biſchof erweh-
let, aber auch bald genoͤthiget wurde, dem von
B 2den
[20]VI. Neuere Z. Ferd. I—III. 1558-1648.
den catholiſchen Domherren ihm entgegengeſetzten
Prinzen Carl von Lothringen zu weichen.


XI.

In den Erz- und Hochſtiftern des Ober- und
Niederſaͤchſiſchen
Kreiſes, als in Magdeburg,
Bremen, Halberſtadt, Verden, Luͤbeck, Minden,
Schwerin, Camin, Ratzeburg, Merſeburg, Naum-
burg, Brandenburg, Havelberg, waren meiſt
Herren von den Haͤuſern Sachſen, Brandenburg,
Braunſchweig, Mecklenburg, Pommern und Hol-
ſtein in Beſitz. Aber ihre Lage konnte nicht an-
ders als ſehr bedenklich werden, ſobald es ſich
anließ, daß der geiſtliche Vorbehalt mit Gewalt
wuͤrde durchgeſetzt werden.


XII.

Noch vermehrten ſich die Mißhelligkeiten bei-
der Religionstheile, als ein neuer Calender, der
unter dem Anſehen des Pabſts Gregors des XIII.
ſeit dem 15. Oct. 1581. in den catholiſchen Staa-
ten eingefuͤhrt war, auf dem Reichstage 1582. fuͤr
ganz Teutſchland in Antrag kam, aber nur von
den catholiſchen Staͤnden, nicht von den evange-
liſchen angenommen wurde. Der bisherige Julia-
niſche Calender (noch von Julius Caͤſar her) war
allerdings unrichtig; das Sonnenjahr war darin
zu 365. Tagen 6. Stunden berechnet, an ſtatt daß
es einige Minuten weniger betrug. Dieſes machte
nach dem Verlaufe ſovieler Jahrhunderte ſchon
einen Unterſchied von 10. Tagen aus, die man da-
her in dieſem Gregoriſchen Calender vom 5. bis
zum 15. Oct. 1581. auf einmal uͤberſchlug, um
wieder in eine richtige Ordnung zu kommen.


XIII.

Die Richtigkeit und Erheblichkeit dieſer aſtro-
nomiſchen Berechnung ſah freylich nicht ein jeder
ein;
[21]3) Rud. II. neue Relig. Unruhen.
ein; ein beruͤhmter Rechtsgelehrter, Andreas Gail,
that daruͤber den Ausſpruch: Mit dem neuen
Calender iſt es Narrenwerk. Das Hauptwerk kam
aber darauf an: ob eine paͤbſtliche Vorſchrift hier-
in den Ausſchlag geben koͤnne? Weil von Berich-
tigung des Calenders auch die Beſtimmung der
Zeit des Oſterfeſtes und anderer Feiertage abhieng,
ſo ſah man es als einen kirchlichen Gegenſtand an.
Auf der Kirchenverſammlung zu Coſtnitz war des-
wegen ſchon davon die Rede geweſen. Endlich
hatte man zu Rom ſelbſt einige Aſtronomen die
Sache berechnen laßen. Und ſo glaubte der Pabſt,
die Sache aus ſeiner Gewalt durchſetzen zu koͤn-
nen. Das fand natuͤrlicher Weiſe bey allen pro-
teſtantiſchen Maͤchten Widerſpruch. Die Proteſtan-
ten blieben daher uͤberall bey dem bisherigen alten
Calender; zehlten alſo ihre Monathstage um 10.
Tage ſpaͤter, als die Catholiſchen.


In Reichen und Staaten, wo nur einerleyXIV.
Religionsverwandte waren, hatte es am Ende nicht
ſo viel zu bedeuten, welchem Calender man folgte.
Aber in einem Reiche, wie in Teutſchland, wo
auf dem Reichstage und bey vielen anderen Gele-
genheiten catholiſche und evangeliſche Staͤnde bey-
ſammen waren, oder in Staͤdten, wo von beider-
ley Religionen Einwohner waren, konnte es nicht
anders als vielerley Verwirrung machen, wenn
der eine Theil Oſtern, Pfingſten, Weinachten,
Neujahr u. ſ. w. zehn Tage eher oder ſpaͤter als
der andere feierte; ohne zu gedenken, was in an-
deren Dingen, die auf gewiſſe Tage beſtimmt wa-
ren, als in Wechſelſachen, Meſſen, Jahrmaͤrkten
u. ſ. w. fuͤr Irrungen daraus entſtehen mußten.
B 3Es
[22]VI. Neuere Z. Ferd. I—III. 1558-1648.
Es konnte alſo nicht fehlen, daß bloß der Unter-
ſchied des alten und neuen Calenders vielfaͤltig neuen
Stoff zu Beſchwerden und Streitigkeiten bald zwi-
ſchen Herren und Unterthanen, bald zwiſchen Mit-
buͤrgern einer Stadt, abgeben mußte.


IV.
Neuer Streit uͤber des Reichshofraths concur-
rirende Gerichtbarkeit mit dem Cammergerichte.


I. Streit uͤber die Gerichtbarkeit des Reichshofraths
bey Gelegenheit der Achtserklaͤrung der Stadt Donawerth
und einer Heſſiſchen Succeſſionsſtreitigkeit. — II. Urſpruͤng-
liche Vorzuͤge des Cammergerichts. — III. Bedenklichkeiten
in Anſehung des Reichshofraths, ſofern er Gerichtbarkeit
ausuͤben ſollte. — IV. Einleitung der Sache in der Frage:
ob der Kaiſer neben dem Cammergerichte noch eine Gericht-
barkeit habe? — V. Richtige Beurtheilung dieſer Frage —
VI. ſelbſt nach dem wahren kaiſerlichen Intereſſe. — VII. Un-
gluͤckliche Hemmung der Cammergerichtsviſitation 1588. —
VIII. Was anfangs ſcheinbarblendende Vortheile zu bewaͤhren
ſchien, erhielt ſich doch nicht in der Folge. — IX. Concept
der Cammergerichtsordnung 1613.


I.

Endlich kam unter dieſer Regierung auch das
wieder zur Sprache, daß Faͤlle, die ſich zur
Ausuͤbung der kaiſerlichen Gerichtbarkeit eigneten,
nicht mehr dem Cammergerichte alleine uͤberlaßen
wurden, ſondern auch der Reichshofrath der-
gleichen Sachen an ſich zog, und ſelbſt ſolche Aus-
ſpruͤche, die ehedem die Kaiſer nur nach gehaltenem
Fuͤrſtenrechte zu thun pflegten, jetzt fuͤr ſich alleine
unternahm. So geſchah es, daß die Stadt Dona-
werth,
eine zum Schwaͤbiſchen Kreiſe gehoͤrige
evangeliſche Reichsſtadt, weil ſich ihre Einwohner
einer
[23]4) Rud. II. Reichshofrathsgerichtb.
einer gegen den bisherigen Beſitzſtand eigenmaͤch-
tig unternommenen Kloſterproceſſion widerſetzt hat-
ten, ohne große Umſtaͤnde in die Acht erklaͤrt, und
die Vollziehung dieſer Acht nicht dem Schwaͤbiſchen
Kreiſe, ſondern dem Herzoge von Baiern aufgetra-
gen wurde, der ſich bald der Stadt ſo zu bemaͤchti-
gen wußte, daß ſie daruͤber aus einer evangeliſchen
Reichsſtadt in eine catholiſche Landſtadt verwan-
delt wurde. Und ſo nahm der Reichshofrath auch
eine Klage des Hauſes Heſſendarmſtadt gegen
Heſſencaſſel
an, da jenes wegen der unter beiden
Haͤuſern in Streit gediehenen Succeſſion im erle-
digten Marburgiſchen Antheile mit Vorbeygehung
der Auſtraͤgalinſtanz ſich gerade an den kaiſerlichen
Hof wandte. Worauf in der Folge immer meh-
rere Rechtsſachen am Reichshofrathe angebracht
und vorgenommen wurden.


Die Sache konnte fuͤr jeden Reichsſtand, derII.
daruͤber nachdachte, nicht gleichguͤltig ſeyn. Das
Cammergericht war einmal dasjenige Gericht,
woruͤber Kaiſer und Reich ſich vereiniget hatten,
daß es die kaiſerliche Gerichtbarkeit in der hoͤchſten
Inſtanz ausuͤben ſollte, ohne daß man daran ge-
dacht hatte, daß außer dem Cammergerichte noch
an irgend einem andern Orte, als allenfalls nur
an einem unter des Kaiſers perſoͤnlichen Vorſitz
mit Reichsſtaͤnden ſelbſt beſetzten Fuͤrſtenrechte,
kaiſerliche Rechtsſpruͤche ſtatt finden koͤnnten. Da-
bey war dem Cammergerichte eine durch viele Reichs-
geſetze beſtimmte Proceßordnung vorgeſchrieben,
woran die Reichsſtaͤnde inſonderheit bey den jaͤhr-
lichen Viſitationen des Cammergerichts noch immer
Verbeſſerungen zu veranlaßen, gute Gelegenheit
B 4hat-
[24]VI. Neuere Z. Ferd. I—III. 1558-1648.
hatten. Selbſt was die Mitglieder des Gerichts
betrifft, hatten die Reichsſtaͤnde es in ihrer Ge-
walt, ſowohl durch die Praͤſentationen, die ſie zu
vergeben hatten, dafuͤr zu ſorgen, daß Maͤnner,
zu denen ſie Zutrauen haben konnten, an das Ge-
richt kamen, als auch bey den Viſitationen ein
wachſames Auge daruͤber zu halten, daß ein jeder
ſeine Pflicht nicht aus den Augen ſetze, oder allen-
falls einer jeden beſchwerten Parthey noch ein foͤrm-
liches Rechtsmittel der Reviſion offen ſtand.


III.

Der Reichshofrath beſtand hingegen aus lau-
ter Perſonen, die nur der Kaiſer nach eignem Wohl-
gefallen annahm, und in ſeiner unbeſchraͤnkten
Abhaͤngigkeit hatte, ohne daß hier weder an ein
reichsſtaͤndiſches Praͤſentationsrecht, noch an eine
Viſitation und Reviſion, noch an Beobachtung
einer ſtrengen Proceßordnung zu denken war. Die
ganze Einrichtung des Reichshofraths war auch von
ſeinem erſten Urſprunge her nicht fuͤr Juſtitzſachen
gemacht, ſondern ſo, wie ein Staatsminiſterium
eingerichtet zu ſeyn pfleget, deſſen Weſen nur dar-
in beſteht, daß es ſeinem Herrn in vorkommen-
den Faͤllen ſo, wie es demſelben am vortheilhafte-
ſten iſt, zu rathen hat, die Entſcheidung ſelbſt je-
doch dem Willen des Herrn uͤberlaßen muß. Der
Reichshofrath war von Anfang an darauf einge-
richtet, daß er uͤber die ihm vorkommenden Sachen
dem Kaiſer ſchriftliche Gutachten erſtatten, und die
Entſcheidung darauf von der Perſon des Kaiſers
oder aus dem kaiſerlichen Cabinete erwarten ſollte.
Was konnte jeder Reichsſtand hieruͤber fuͤr Be-
trachtungen anſtellen, wenn er ſich jetzt den Fall
gedachte, daß eine ihn betreffende Rechtsſache am
kaiſer-
[25]4) Rud. II. Reichshofrathsgerichtb.
kaiſerlichen Hofe zur Entſcheidung kommen moͤchte?
Wie mußte aber vollends den Proteſtanten zu
Muthe werden, da ſie wußten, daß am Reichs-
hofrathe nicht, wie am Cammergerichte, auch evan-
geliſche Mitglieder, ſondern nur catholiſche Reichs-
hofraͤthe waren, und da ſie bald erfuhren, daß der
Einfluß, den Jeſuiten und Spaniſche Miniſter auf
das kaiſerliche Cabinet hatten, auch in Entſchließun-
gen auf Reichshofrathsgutachten oder in anderen
unmittelbaren Einfluͤſſen auf dieſes hohe Collegium
nicht unwirkſam blieben?


In einem Schriftwechſel, den die Donawer-IV.
thiſche Achtserklaͤrung veranlaßte, kam es am erſten
hieruͤber zur Sprache. Man ſuchte die Streitfrage
ſo einzulenken: ob der Kaiſer mit dem Cammer-
gerichte noch eine concurrente Gerichtbarkeit
habe? Man ſuchte alſo nicht ſowohl das Reichs-
hofrathscollegium, als die Perſon des Kaiſers ſelbſt
hier zum Gegenſtande aufzuſtellen. Nun hieß es:
der Kaiſer habe ſeine Gerichtbarkeit zwar dem Cam-
mergerichte aufgetragen, aber (wie jetzt mit jeſui-
tiſchſcholaſtiſchem Scharfſinn diſtinguirt wurde)
nicht abdicativiſch, ſo, daß er ſich ſeiner Gericht-
barkeit damit ganz begeben oder derſelben ganz ent-
ſaget haͤtte; ſondern nur communicativiſch habe
der Kaiſer dem Cammergerichte ſeine Gerichtbar-
keit mitgetheilt, ohne daß ihm die Haͤnde gebun-
den waͤren, auch noch neben dem Cammergerichte
eben dieſe Gerichtbarkeit auszuuͤben.


Nach richtigen Grundſaͤtzen eines geſundenV.
allgemeinen Staatsrechts, aus der Natur des Ju-
ſtitzweſens geſchoͤpft, und mit der beſonderen Ver-
B 5faſ-
[26]VI. Neuere Z. Ferd. I—III. 1558-1648.
faſſung des Teutſchen Reichs geſchichtsmaͤßig ver-
glichen, haͤtte es nicht ſchwer fallen koͤnnen, dar-
auf zu antworten: daß allerdings die Ausuͤbung
der kaiſerlichen Gerichtbarkeit, wie ſie am Cammer-
gerichte geſchehen ſolle, einmal von Kaiſer und
Reich durch gegenſeitige reichsgefetzliche Ueberein-
kunft dergeſtalt feſtgeſetzt ſey, daß ohne ebenmaͤßige
gegenſeitige Einwilligung beider Theile nicht wie-
der davon zuruͤckgegangen werden koͤnne, und alſo
der kaiſerliche Hof fuͤr ſich alleine dieſem einmal
mit den Staͤnden verglichenen hoͤchſten Reichsge-
richte nicht noch ein anderes an die Seite zu ſetzen
berechtiget ſey.


VI.

Im Grunde waͤre ſelbſt das wahre kaiſerliche
Intereſſe
beſſer dabey gefahren, wenn man es
bey dem verglichenen Cammergerichte gelaßen, und
daſſelbe nur deſto mehr in Aufnahme zu bringen
geſucht haͤtte. Je vollkommener man dieſes Ge-
richt haͤtte machen koͤnnen, um deſſen Erkenntniſſe
uͤber alle Vorwuͤrfe zu erheben, je mehr wuͤrde
das kaiſerliche Anſehen dabey gewonnen haben,
da es allerdings keine gruͤndlichere Stuͤtze als an
Handhabung einer gerade durchgehenden Gerechtig-
keit haben konnte. So aber ließ man das Cam-
mergericht vielmehr ſinken, obgleich auch deſſen
Erkenntniſſe unter des Kaiſers alleinigem Namen
und Siegel ausgefertiget wurden.


VII.

Was inſonderheit dem Cammergerichte unter
dieſer Regierung einen unwiederbringlichen Stoß
gab, beſtand darin, daß man die jaͤhrlichen ordent-
lichen Viſitationen deſſelben aus dem Gange kom-
men ließ. Nach der bisherigen Einrichtung, da
immer
[27]4) Rud. II. Reichshofrathsgerichtb.
immer ſieben Reichsſtaͤnde nach der Ordnung, wie
ſie auf dem Reichstage Sitz und Stimme hatten,
dazu kamen, waren gemeiniglich unter den ſieben
Staͤnden mehr catholiſche als evangeliſche, ohne
daß letztere, wenn ſie ſich uͤber partheyiſches Ueber-
ſtimmen beſchwerten, Gehoͤr fanden. So waren
noch 1587. bey der damaligen Viſitation und Re-
viſion fuͤnf catholiſche und nur zwey evangeliſche
Staͤnde; nehmlich 1) Churmainz, 2) Churſachſen,
3) Salzburg, 4) Herzog Johann Caſimir zu Sach-
ſen, 5) Praͤlaten, 6) Schwaͤbiſche Grafen, 7)
Reichsſtadt Coͤlln, wovon nur die zwey Stimmen
vom Hauſe Sachſen auf evangeliſcher Seite waren.
Fuͤr das Jahr 1588. folgten nun in der Ordnung
des reichstaͤglichen Sitzes 1) Churmainz, 2) Chur-
brandenburg, 3) Magdeburg, 4) Marggraf Georg
Friedrich von Brandenburg, 5) Praͤlaten, 6) Wet-
terauiſche Grafen, 7) Reichsſtadt Regensburg.
Darunter waren ganz zufaͤlliger Weiſe einmal um-
gekehrt nur zwey catholiſche Stimmen (Churmainz,
und Praͤlaten), die uͤbrigen fuͤnf hingegen evan-
geliſch. Um dieſe Mehrheit der Stimmen auf
evangeliſcher Seite nicht zur Wuͤrklichkeit kommen
zu laßen, wurde der Fortgang dieſer Viſitation
zuruͤckgehalten, und daruͤber dieſe herrliche Anſtalt
auf unuͤberſehliche Zeit ins Stecken gebracht (c).
Womit das Cammergericht in einen Verfall gerieth,
der dem kaiſerlichen Anſehen eben ſo ſehr, als den
daſelbſt in Rechtsſachen verwickelten Partheyen zum
Nachtheil gereichte.


Frey-
[28]VI. Neuere Z. Ferd. I—III. 1558-1648.
VIII.

Freylich waren es ſcheinbarblendende Vor-
theile,
ſolche wichtige Sachen, wie die bereits
erwehnte Marburgiſche Succeſſionsſache, und die
noch wichtigeren Faͤlle, die bald hinzukamen, von
der Juͤlichiſchen Erbfolge und von den Zwiſtigkei-
ten im Hauſe Baden und mehr anderen evange-
liſchen Haͤuſern unmittelbar an den kaiſerlichen Hof
zu ziehen, und nach deſſen Staatsabſichten zu
lenken. Allein am Ende mißlangen doch meiſt ſelbſt
dieſe ſo ſcheinbar angelegten Verſuche. Und was
war nicht ſchon damit verlohren, daß man Bloͤße
gab, gegen kaiſerliche Rechtsſpruͤche Beſchwerden,
die jeder Unbefangener nicht fuͤr ungegruͤndet hal-
ten konnte, zu veranlaßen!


IX.

Fuͤr das Cammergericht wurde noch auf dem
Reichstage 1598. eine nuͤtzliche Verfuͤgung getrof-
fen, die aber auch bis jetzt noch nicht ihre voͤl-
lige Wirkung gehabt hat. Es waren nehmlich
ſeit dem Jahre 1555., da die Cammergerichts-
ordnung unter Carl dem V. das letztemal promul-
girt war, in den nachherigen Viſitationsſchluͤſſen
und Reichsabſchieden ſoviele Zuſaͤtze und Veraͤn-
derungen erfolget, daß man faſt bey jeder Stelle
der Cammergerichtsordnung erſt muͤhſam nachfor-
ſchen mußte, ob man ſie noch als Geſetz anfuͤh-
ren koͤnnte, oder ob nicht ein neueres Geſetz eine
Aenderung darin gemacht habe. Es ward daher
beſchloſſen, einigen Cammergerichtsbeyſitzern den
Auftrag zu geben, daß ſie die Cammergerichts-
ordnung mit Einſchaltung ſolcher neuen Verbeſſe-
rungen und Zuſaͤtze von neuem umarbeiten ſollten.
Dieſe Umarbeitung iſt geſchehen, und ſchon im
Jahre 1603. dem Churfuͤrſten von Mainz zuge-
ſtellt,
[29]4) Rud. II. Reichshofrathsgerichtb.
ſtellt, auch von ſelbigem dem Reiche vorgelegt
worden. Man hat ſie aber im Jahre 1613. nur
unter dem Titel: Concept der verbeſſerten
Cammergerichtsordnung,
drucken laßen (d),
damit ſie noch erſt von einer Viſitation aufs neue
durchgeſehen, und dann nach Befinden von Kaiſer
und Reich mit der geſetzlichen Kraft verſehen wer-
den koͤnnte. So weit iſt es aber bis auf den
heutigen Tag damit nicht gediehen. Die dama-
ligen Zeiten waren am wenigſten dazu gemacht,
ein ſolches Werk zu Stande zu bringen, das ru-
hige Zeiten und uͤbereinſtimmende Geſinnungen des
Kaiſers und der Staͤnde erforderte.


V.
[30]VI. Neuere Z. Ferd. I—III. 1558-1648.

V.
Succeſſionsſtreitigkeiten im Hauſe Oeſterreich
und uͤber Juͤlich und Berg, unter Rudolf dem II.
und Matthias. Anfang des dreyßigjaͤhrigen
Krieges.


I. Bewegungen uͤber die kuͤnftige Succeſſion in den
Erbſtaaten des Hauſes Oeſterreich. — II. Weitausſehender
Succeſſionsſtreit uͤber Juͤlich und Berg ꝛc. — III. Gegen-
ſeitige Buͤndniſſe beider Religionstheile unter den Namen
Union und Lige. — IV. Des Kaiſer Matthias Thronfolge
und Wahlcapitnlation. — V. Umſchlag der Juͤlichiſchen
Sache durch Verunwilligung der Haͤuſer Brandenburg und
Pfalzneuburg; — des letztern Religionsveraͤnderung. —
VI. Thaͤtlichkeiten zu Prag, und damit unerwartet eroͤffneter
Anfang des dreyßigjaͤhrigen Krieges.


I.

Schon unter Rudolf dem II. kam außer den
ſchon erwehnten Haͤndeln von Coͤlln, Aachen,
Donawerth, Heſſen, u. ſ. w. noch immer eine Un-
ruhe uͤber die andere zum Ausbruch. Selbſt im
Hauſe Oeſterreich kam es zu weit ausſehenden
Bewegungen, da man damit umgieng, nach Ru-
dolfs Tode mit Uebergehung ſeines Bruders Mat-
thias gleich der Steiermaͤrkiſchen Linie, zu deren
Religionseifer man mehr Vertrauen hatte, die
Succeſſion zuzuwenden; dem aber Matthias durch
eigne Beſitzergreifungen in den Jahren 1608. und
1611. noch zuvorzukommen wußte. Woruͤber
auch die Proteſtanten ſowohl in Oeſterreich als
in Boͤhmen und Schleſien neue Religionsverſiche-
rungen erhielten.


Der
[31]5) Rud. II. u. Matth. Succeſſ. Str.

Der wichtigſte Vorfall ereignete ſich aber nochII.
mit dem Tode des letzten Herzogs Johann Wil-
helms von Juͤlich († 1609. Maͤrz 25.). Auf die
damit eingetretene Erledigung der betraͤchtlichen
Laͤnder Juͤlich, Berg, Cleve, Mark, Ravensberg
und Ravenſtein war man ſchon von mehreren Jah-
ren her aufmerkſam geweſen, weil man voraus
wußte, daß ſoviele Haͤuſer, als Churſachſen, Chur-
brandenburg, Pfalzneuburg, Pfalzzweybruͤcken,
die Saͤchſiſchen Herzoge von der Ernſtiſchen Linie
und der Marggraf von Burgau Anſpruͤche darauf
machen, und ſich ſchwerlich in Guͤte daruͤber ver-
einigen wuͤrden. Dieſe Sache wurde doppelt weit
ausſehend, da zwar der Churfuͤrſt Johann Sigis-
mund von Brandenburg und der Pfalzgraf Phi-
lipp Ludewig von Neuburg am 31. May 1609.
ſich einsweilen uͤber eine gemeinſchaftliche Inte-
rimsregierung verglichen hatten; der Kaiſer aber
den Erzherzog Leopold zum Sequeſter ernannte, der
auch die Feſtung Juͤlich ſchon in ſeine Gewalt be-
kam, bis erſt im Sept. 1610. Franzoͤſiſche und
Hollaͤndiſche Huͤlfsvoͤlker zum Vortheil jener beſitzen-
den Haͤuſer ihn daraus vertrieben.


Unter dieſen Umſtaͤnden kam es ſchon amIII.
3. Febr. 1610. uͤber alle die Vorfaͤlle, wodurch die
evangeliſchen Reichsſtaͤnde ſich beſchwert hielten,
zu einer Union derſelben, zu deren Haupte der
Churfuͤrſt Friedrich der IV., hernach ſein Sohn und
Nachfolger Friedrich der V. erklaͤret wurde; aber
bald kam es auch zu einer derſelben entgegenge-
ſetzten catholiſchen Lige, wovon Herzog Max von
Baiern das Haupt wurde, ohne daß ſich einige
Hoffnung zum Vergleiche anließ, da alle in ſol-
cher
[32]VI. Neuere Z. Ferd. I—III. 1558-1648.
cher Abſicht angeſtellte Zuſammenkuͤnfte und Unter-
handlungen fruchtlos abliefen.


IV.

Nach Rudolfs des II. Tode ward zwar ſein Bru-
der Matthias, dem er ſchon bey lebendigem Leibe
zuletzt alle ſeine Erblande hatte abtreten muͤßen,
ganz ruhig zum Kaiſer erwehlet; außer daß einige
das erſtemal in ſeine Wahlcapitulation zum Vor-
theile der Churfuͤrſten neu eingeruͤckte Stellen einen
Widerſpruch der Fuͤrſten gegen dieſe Wahlcapitu-
lation veranlaßten. Aber alle uͤbrige oͤffentliche
Angelegenheiten blieben noch in ihrer vorigen Gaͤh-
rung. Nur in einer derſelben ereignete ſich ein
ganz unerwarteter Umſchlag, und an einem andern
Orte, wo man ſichs gewiſſermaßen am wenigſten
verſehen haͤtte, kam endlich ein Kriegsfeuer, das ſich
gar nicht uͤberſehen ließ, zum voͤlligen Ausbruch.


V.

Jener Umſchlag ereignete ſich in der Juͤlichi-
ſchen Sache,
da der Prinz Wolfgang Wilhelm
von Pfalzneuburg (Philipp Ludewigs aͤlteſter Sohn)
vom Churfuͤrſten von Brandenburg, zu deſſen Toch-
termann er beſtimmt war, zu Cleve uͤber Tafel
eine Ohrfeige bekam, und daruͤber ſich an den
Bairiſchen Hof wandte, wo er ſich 1613. mit einer
Schweſter des Herzog Maximilians vermaͤhlte, und
am 23. May 1614. catholiſch wurde (e). Damit
nahm
[33]5) Rud. II. u. Matth. Succeſſ. Str.
nahm vorerſt die Juͤlichiſche Sache eine ganz an-
dere Wendung, indem Pfalzneuburg von nun an
den Beyſtand des catholiſchen Religionstheils und
der Krone Spanien hoffen durfte. Hernach iſt
aber außerdem dieſe Religionsveraͤnderung an ſich
ſelbſt fuͤr einen betraͤchtlichen Theil von Teutſch-
land noch eine Quelle vieler wichtigen Revolutio-
nen geworden. Man hoffte zwar anfangs, da
der Vater Philipp Ludewig noch lebte, daß die
Religionsveraͤnderung auf das Land keinen Einfluß
haben wuͤrde. Allein Philipp Ludewig uͤberlebte
dieſen Vorfall nicht lange mehr († 1614. Aug. 12.).
Wie hernach Wolfgang Wilhelm am 21. Febr.
1615. als regierender Herr nach Neuburg kam,
ließ er nicht nur die Schloßkirche gleich von neuem
weihen und zum catholiſchen Gottesdienſte einrich-
ten, ſondern auch ſonſt im ganzen Lande die ca-
tholiſche Religionsuͤbung einfuͤhren. Seine Bruͤ-
der, Auguſt und Johann Friedrich, die vermoͤge
vaͤterlichen Teſtaments in Sulzbach und Hilpolt-
ſtein ihre eigne Anſitze hatten, blieben zwar evan-
geliſch. Aber vermoͤge der Hoheit, die Wolfgang
Wilhelm als der Erſtgebohrne auch in dieſen Ge-
bieten behauptete, ließ derſelbe auch da bald ge-
waltſame Anſtalten zur catholiſchen Gegenreforma-
tion machen. (In der Folge werden wir hoͤren,
wie dieſe Neuburgiſche Linie hernach 1685. ſelbſt
zum Beſitz des Churfuͤrſtenthums Pfalz gekommen,
und auch da beynahe den ganzen Religionszuſtand
veraͤndert hat.)


Doch

(e)


P. Entw. d. Staatsverf. Th.II. C
[34]VI. Neuere Z. Ferd. I—III. 1558-1648.
VI.

Doch weder die durch dieſe Pfaͤlziſche Religions-
veraͤnderung veranlaßte Beſchwerden, noch die Juͤ-
lichiſche, noch eine der andern bisher angefuͤhrten
einzelnen Streitſachen, ſondern ein ganz beſonderer
Vorfall, da es uͤber Beſchwerden wegen Ueber-
tretung der Boͤhmiſchen Religionsverſicherungen
zu Prag zu Thaͤtlichkeiten kam, machte den An-
fang des unſeligen Krieges, den ſchon der Name
des dreyßigjaͤhrigen als einzig in ſeiner Art in un-
ſerer Geſchichte auszeichnet.


VI.
Fortgang des dreyßigjaͤhrigen Krieges unter Fer-
dinand dem II. bis zum Prager Frieden 1619-
1635.


I. Schlacht bey Prag. Deren Folge, Achtserklaͤrung des
Churfuͤrſten von der Pfalz. — II. Uebertragung der Pfaͤl-
ziſchen Chur an das Haus Baiern. — Damit auf ewig
gehemmte bisherige Religionsgleichheit der Churfuͤrſten. —
III. Andere Fortſchritte gegen Badendurlach und Heſſencaſ-
ſel. — Von Tilly unterſtuͤtzte catholiſche Gegenreforma-
tion. — IV. Kaiſerliches Reſtitutionsedict gegen die Pro-
teſtanten. — V. Verungluͤckte Unternehmung des Koͤnigs
in Daͤnemark. — Friede zu Luͤbeck. — VI. Einzige noch
uͤbrige proteſtantiſche Macht in Schweden, — VII. die Gu-
ſtav Adolf uͤber alle Erwartung geltend macht, — VIII. auch
ſein Tod im Siege bey Luͤtzen nicht gleich unterbricht, —
bis nach einer Niederlage bey Noͤrdlingen Churſachſen zu
Prag Frieden ſchließt. — IX. Inhalt des Prager Frie-
dens. — X. Deſſen erſter Erfolg.


I.

Sobald mit der Schlacht auf dem weiſſen Berge
vor Prag (1620 Oct. 29., Nov. 8.) das
Gluͤck der Waffen ſich zum Vortheile Ferdinands
des
II. anließ, wurde gleich der Entwurf gemacht,
den
[35]6) Ferd. II. 30. jaͤhr. Kr. bis 1635.
den Churfuͤrſten von der Pfalz (Friedrich den V.)
dafuͤr, daß er ſich hatte geluͤſten laßen, die ihm
von den mißvergnuͤgten Boͤhmiſchen Landſtaͤnden
angetragene Krone anzunehmen, mit der Achts-
erklaͤrung
zu zuͤchtigen. Die Schwierigkeit, die
ſelbſt der damalige Reichshofrathspraͤſident, Graf
von Hohenzollern, machte, war nicht vermoͤgend,
ihren Ausſpruch zuruͤckzuhalten, wie ſie vom Spa-
niſchen Miniſter Ognate und von jeſuitiſchen Rath-
gebern an die Hand gegeben war. Selbſt der
Fortgang des Kriegsgluͤcks beguͤnſtigte die Voll-
ziehung dieſer Acht nicht nur in der Oberpfalz, die
gleich damals dem Herzoge von Baiern zugedacht
ward, ſondern auch in der Unterpfalz am Rheine,
die, nach einem ſchon von Spaniſchen Kriegsvoͤl-
kern gemachten Anfange, mit der Eroberung von
Heidelberg und Manheim (1622. Sept. Nov.)
gaͤnzlich vom General Tilly uͤberwaͤltiget wurde.


Dieſe Umſtaͤnde wurden unverzuͤglich dazu be-II.
nutzt, auf einem ſo genannten Chur- und Fuͤrſten-
tage, den Ferdinand der II. noch zu Ende des Jah-
res 1622. nach Regensburg ausſchreiben ließ, die
bisherige Religionsgleichheit der ſechs Churfuͤrſten
auf ewig zu unterbrechen, indem mittelſt eines am
13. (23) Febr. 1623. durch Mehrheit der Stim-
men gefaßten Schluſſes die bisherige Pfaͤlziſche
Chur auf Baiern uͤbertragen
wurde. Der
Kaiſer hatte wohlbedaͤchtlich keinen vollſtaͤndigen
Reichstag hierzu beſchrieben, ſondern nebſt den
Churfuͤrſten nur einige wenige Fuͤrſten, von denen
er keinen Widerſpruch beſorgen durfte. Die Chur-
fuͤrſten von Sachſen und Brandenburg erſchienen
zwar nur durch Geſandten, welche die Sache zum
C 2Be-
[36]VI. Neuere Z. Ferd. I—III. 1558-1648.
Berichte an ihre Hoͤfe ſtellten. Allein auch dieſe
beiden Churhoͤfe wurden in den Jahren 1624. und
1626. nach einander dazu vermocht, ihre Ein-
willigung dazu zu geben. Auffallend war es, daß
weder auf des geaͤchteten Churfuͤrſten Sohn, noch
Bruͤder, noch Stammsvettern des Hauſes Pfalz
einige Ruͤckſicht genommen, ſondern mit aller deren
Uebergehung die Chur an einen weit entferntern
Stammsvetter eines ganz andern Stammes uͤber-
tragen wurde. Aber jene Abſicht, die Religions-
gleichheit der Churfuͤrſten auf ewig aufzuheben,
kann das alles begreiflich machen. Wenn je ein
von weitem angelegter Entwurf gelungen iſt, ſo
war es dieſer.


III.

Nun kam die Reihe auch an die Haͤuſer Ba-
dendurlach und Heſſencaſſel, denen jetzt mit widri-
gen Erkenntniſſen in ihren Angelegenheiten vom
Reichshofrathe zugeſetzt wurde. Hauptſaͤchlich
aber ward der General Tilly, wie ſonſt kein Feind
mehr gegen ihn unter Waffen ſtand, noch dazu
beſtimmt, nunmehr die catholiſche Gegenrefor-
mation
mit Zwangsmitteln, wo man ſie noͤthig
fand, gegen evangeliſche Unterthanen catholiſcher
Landesherren zu unterſtuͤtzen, und ſowohl Biſthuͤmer
und Erzbiſthuͤmer oder Abteyen und Domherren-
ſtellen, die ſchon in evangeliſchen Haͤnden waren,
als andere von evangeliſchen Landesherren oder
Reichsſtaͤdten eingezogene oder mit evangeliſchen
Perſonen beſetzte Stifter und Kloͤſter wieder in
catholiſche Haͤnde zuruͤckzubringen.


IV.

Da vollends auch der Koͤnig in Daͤnemark,
dem ſich der Niederſaͤchſiſche Kreis noch mit neuen
Kriegs-
[37]6) Ferd. II. 30. jaͤhr. Kr. bis 1635.
Kriegsruͤſtungen in die Haͤnde geworfen hatte, am
27. Aug. 1626. bey Lutter am Barenberge von
Tilly geſchlagen war; ergieng endlich am 6. Maͤrz
1629. ein ſchon geraume Zeit in Bereitſchaft ge-
haltenes foͤrmliches Reſtitutionsedict, vermoͤge
deſſen alles, was von Stiftern oder Kloͤſtern und
Kirchen, nach der Catholiſchen Meynung wider-
rechtlich, in evangeliſche Haͤnde gekommen war,
auf catholiſchen Fuß wieder hergeſtellt werden ſollte.
Auch ſollten catholiſche Staͤnde an der in ihren Lan-
den vorzunehmenden Reformation nicht gehindert,
und uͤberall keine andere als der ungeaͤnderten Augs-
burgiſchen Confeſſion Verwandte geduldet werden.
Die Vollziehung dieſes Edicts folgte, ſo weit man
reichen konnte, bald auf dem Fuße nach. Unter
andern wurden jetzt dem Erzherzoge Leopold Wil-
helm, dem der Erzherzog Leopold ſchon 1625. die
Biſthuͤmer Straßburg und Paſſau reſignirt hatte,
nicht nur das Biſthum Halberſtadt und die Abtey
Hirſchfeld eingeraͤumt, ſondern auch das Erzbis-
thum Magdeburg, mit Hindanſetzung des daſelbſt
an ſtatt des bisherigen Adminiſtrators poſtulirten
Saͤchſiſchen Prinzen Auguſts, vom Pabſte ange-
wieſen. Ueberhaupt konnten die Proteſtanten aus
damaligen jeſuitiſchen Schriften (f) am beſten ab-
nehmen, was ſie noch ferner zu erwarten hatten.


Die
C 3
[38]VI. Neuere Z. Ferd. I—III. 1558-1648.
V.

Die Diverſion, die inzwiſchen der Cardinal
Richelieu wegen der Succeſſion in dem eben er-
ledigten Herzogthum Mantua in Italien veranlaßt
hatte, und der Friede, den hierauf der Kaiſer am
12. May 1629. zu Luͤbeck mit dem Koͤnige in
Daͤnemark ſchloß, machten in allem dem ſo we-
nig Aenderung, daß der Koͤnig vielmehr ſich an-
heiſchig machen mußte, der Teutſchen Reichsſachen
ſich nicht weiter, als in Anſehung des Herzog-
thums Holſtein, annehmen zu wollen. Selbſt die
Herzoge von Mecklenburg, die unter dem Vor-
wande, weil ſie Daͤniſche Voͤlker in ihrem Lande
aufgenommen hatten, in die Acht erklaͤret waren,
und deren Herzogthum der Kaiſer ſo gar dem Ge-
neral Wallenſtein verliehen hatte, wurden nicht
einmal im Luͤbecker Frieden mit eingeſchloſſen.


VI.

Der einzige Koͤnig in Schweden blieb noch
uͤbrig, dem alle dieſe Unternehmungen nicht gleich-
guͤltig ſeyn konnten. Allein den achtete man zu
Wien ſo wenig, daß vielmehr gerade gegen ihn
noch die Hauptabſicht dahin gieng, in dem Kriege,
den er mit den Polen fuͤhrte, den letzteren bey-
zuſtehen, und allenfalls mit einer Flotte auf der
Oſtſee ſelbſt in Schweden einzubrechen. So weit
war der Kaiſer entfernt, Guſtav Adolfen auch nur
als Koͤnig in Schweden zu erkennen, und auch
nur ſeine Geſandten zu den Luͤbeckiſchen Friedens-
handlungen zuzulaßen.


VII.

Doch eben dieſer Guſtav Adolf war es, der
allein noch zur Rettung der Teutſchen Freyheit und
der evangeliſchen Religion beſtimmt zu ſeyn ſchien.
Durch einen von Richelieu bewirkten ſechsjaͤhri-
gen
[39]6) Ferd. II. 30. jaͤhr. Kr. bis 1635.
gen Stillſtand mit Polen von dieſer Seite geſichert,
hatte er ſein geuͤbtes Kriegsheer kaum auf Teut-
ſchen Boden hinuͤber gefuͤhret, als ſeine Fortſchritte
gerechtes Erſtaunen verurſachten. Konnte er gleich
die Tillyſche Zerſtoͤhrung von Magdeburg nicht hin-
dern, weil er ſich erſt den Beſitz von Pommern
verſichern, und die feſten Plaͤtze in Brandenburg
und Sachſen erſt mit dem Degen in der Fauſt weg-
nehmen mußte; ſo bekam er doch mit dem Siege,
den er nunmehr in Verbindung mit den beiden Chur-
fuͤrſten von Sachſen und Brandenburg am 7. Sept.
1631. bey Leipzig uͤber Tilly erfocht, auf einmal
eine ſolche Ueberlegenheit, daß ihm jetzt ſowohl in
die kaiſerlichen Erblande als in ganz Teutſchland
der Weg offen ſtand.


Der zweyte am 6. Nov. 1632. bey Luͤtzen uͤberVIII.
den General Wallenſtein erfochtene Sieg wurde zwar
durch Guſtav Adolfs eignes Leben nur zu theuer
erkauft. Aber unter dem an ſeine Stelle getretenen
Feldherrn, dem Herzoge Bernhard von Weimar,
und unter dem Schwediſchen Canzler, Axel Oxen-
ſtiern, blieben die Sachen doch noch im gluͤcklichen
Zuge, bis eine Niederlage, die ſich Bernhard am
27. Aug. (7. Sept.) 1634. bey Noͤrdlingen zuzog,
die uͤblen Folgen hatte, daß die Schweden bis
nach Pommern zuruͤckmußten, und Churſachſen
inzwiſchen am 30. May 1635. zu Prag einen fuͤr
die Proteſtanten ſehr untroͤſtlichen Frieden ſchloß.


Vom Inhalte dieſes Prager Friedens iſt hierIX.
nur folgendes zu merken. Alle Stifter, die nach
dem Paſſauer Vertrage, und alle unmittelbare
Stifter, die auch vorher eingezogen worden, ſollten
noch 40. Jahre bleiben, wie ſie am 12. Nov. 1627.
C 4gewe-
[40]VI. Neuere Z. Ferd. I—III. 1558-1648.
geweſen. Dabey ſollte es auch in Zukunft bleiben,
ſofern nicht in den 40. Jahren ein anderes vergli-
chen wuͤrde. Das Erzſtift Magdeburg ſollte der
Saͤchſiſche Prinz Auguſt auf Zeitlebens, das Bis-
thum Halberſtadt ſollte der Erzherzog Leopold Wil-
helm behalten. Eine Amneſtie ſollte vom Jahre
1630. her ſtatt finden, mit ausdruͤcklicher Aus-
ſchlieſſung der Boͤhmiſchen und Pfaͤlziſchen Haͤndel.
Durch einen Nebenreceß ward die Lauſitz mit voͤlli-
gem Eigenthume an Churſachſen uͤbertragen.


X.

So wenig dieſe Friedensbedingungen den Wuͤn-
ſchen und Hoffnungen, die man ſich vorher gemacht
hatte, entſprachen, ſo wurden doch die meiſten
Staͤnde noch in eben dem Jahre 1635. nach einan-
der genoͤthiget, ſich zum Beytritt zu dieſem Prager
Frieden zu bequemen. Namentlich geſchah das nach
einander (1635. Jul. 4.) von der Stadt Frankfurt
am Main und von mehreren zu Straßburg verſam-
melten Fuͤrſten und Grafen, (Jul. 6.) von der Stadt
Erfurt, (Jul. 20.) vom Herzoge Wilhelm von Sach-
ſenweimar, (Jul. 29.) von den Herzogen von Meck-
lenburg, wie auch von den Herzogen Auguſt und
Georg von Braunſchweig-Luͤneburg, (Aug. 13.)
vom geſammten Niederſaͤchſiſchen Kreiſe, (Aug. 26.)
von den Hanſeſtaͤdten, (Aug. 27.) von dem Chur-
fuͤrſten von Brandenburg u. ſ. w. Dem Herzoge
von Wuͤrtenberg ließ man den Frieden nicht ein-
mal angedeihen; die Wuͤrtenbergiſchen Kloͤſter wur-
den vielmehr, mit Abſchaffung der darin angeleg-
ten Schulen, den Catholiſchen wieder eingeraͤumt.
Der Marggraf von Badendurlach meldete ſich nicht
einmal, ſondern hielt ſich lediglich an Frankreich.
Der Landgraf Wilhelm von Heſſencaſſel ließ ſich
uͤber
[41]7) Ferd. II. u. III. 30. jaͤhr. Kr. bis 1648.
uͤber Annehmung des Friedens zwar in Unterhand-
lungen ein, die aber langſam von ſtatten giengen.


VII.
Letzte Auftritte des dreyßigjaͤhrigen Krieges unter
Ferdinand dem II. und III. vom Prager Frieden
bis zum Weſtphaͤliſchen Frieden 1635-1648.


I. Bruch der Krone Frankreich, und erneuertes Gluͤck
der Schwediſchen Waffen. — II. Reichstag zu Regensburg,
und Abſicht des Kaiſers, die Reichsſtaͤnde von den beiden
Kronen zu trennen. — III-VI. Sonderbarer Querſtrich,
den ein einziges Buch, der Hippolithus a Lapide, darin ge-
macht, — VII. VIII. nebſt noch einer wichtigen Veraͤnderung,
die mit dem Tode des Churfuͤrſten von Brandenburg vor-
gieng. — IX. Im Reichsabſchiede 1641. mußte ſchon nach-
gegeben werden, Muͤnſter und Osnabruͤck an ſtatt Coͤlln und
Luͤbeck zu den Friedenscongreſſen zu beſtimmen. — X.
Friedenspraͤliminarien zu Hamburg. — XI. Reichsdeputa-
tionstag. — Fortgang und Ende der Weſtphaͤliſchen Frie-
denshandlungen zu Muͤnſter und Osnabruͤck.


In der mißlichen Lage, worin der Prager FriedeI.
die Freyheit des Teutſchen Reichs und der
evangeliſchen Religion geſetzt hatte, war es fuͤr beide
ein Gluͤck, daß nunmehr ſelbſt Frankreich gegen die
Spaniſchen Niederlande losbrach, und daß, nach
einer von Frankreich wieder vermittelten Verlaͤnge-
rung des Schwediſchpolniſchen Stillſtandes auf an-
derweite 26. Jahre (1635. Sept. 12.), auch die
Schwediſchen Waffen wieder im Felde das Ueber-
gewicht gewannen. Unter Ferdinand demIII.
wurde von 1639. an der Schauplatz des Krieges
von der Schwediſchen Hauptarmee mit dem beſten
Erfolge meiſt immer in des Kaiſers eigne Erblande
verſetzt. Eben das geſchah vom Herzoge Bern-
C 5hard
[42]VI. Neuere Z. Ferd. I—III. 1558-1648.
hard von Weimar am Rheine, inſonderheit in
Elſaß, unter dem Vorſchub eines Subſidientracta-
tes, den die Krone Frankreich am 27. Oct. 1635.
mit ihm geſchloſſen hatte. Davon waren aber auch
die Fruͤchte, daß nach ſeinem Tode die Krone Frank-
reich ſeine Eroberungen ſich zu eigen machte, und
deſto eifriger an dem weitern Fortgange des Krie-
ges Theil nahm.


II.

Jetzt machte Ferdinand der III. noch einen Ver-
ſuch, ſich mit den geſammten Reichsſtaͤnden zu
ſetzen, um mit vereinigten Kraͤften die beiden frem-
den Maͤchte Frankreich und Schweden vom Teut-
ſchen Boden wegzuſchaffen. Nachdem ſeit dem
Jahre 1613., in einer Zeit von 27. Jahren, kein
Reichstag mehr war gehalten worden, hielt Fer-
dinand endlich im Jahre 1640. wieder einen Reichs-
tag zu Regensburg,
wo ſich nicht geringe Hoff-
nung anließ, jene Abſicht vielleicht erreichen zu
koͤnnen. Der Kriegsdrangſale muͤde, und zum
Theil vielleicht von uͤbertriebenen Vorſtellungen
des Verhaͤltniſſes zwiſchen Teutſchen Reichsſtaͤnden
und der Majeſtaͤt des Kaiſers eingenommen, ſchie-
nen viele Reichsſtaͤnde nicht abgeneigt, den kaiſer-
lichen Geſinnungen ſich zu fuͤgen.


III.

Eine Unternehmung, die der Schwediſche Ge-
neral Banner mitten im Winter auf die Regens-
burgiſche Reichsverſammlung wagte, gieng zwar
nicht nach Wunſch von ſtatten. Aber deſto erheb-
licher war der Querſtrich, den hier in den kaiſer-
lichen Entwuͤrfen ein einziges Buch machte; —
ein Buch, das deswegen in hiſtoriſcher Entwicke-
lung der Teutſchen Reichsverfaſſung eben ſo ſehr,
als manche Kriegs- und Friedensgeſchichte, eine
Stel-
[43]7) Ferd. II. u. III. 30. jaͤhr. Kr. bis 1648.
Stelle verdienet. Ein gewiſſer Bogislaus Phi-
lipp Chemnitz, deſſen Vater Martin Chemnitz (ein
Sohn eines ehemaligen beruͤhmten Lutheriſchen
Theologen gleiches Namens) erſt in Stettin, her-
nach in Schleswig geheimer Rath und Canzler ge-
weſen war, der vielleicht von ſeinem Vater zu die-
ſem Zwecke dienliche Collectaneen geerbt hatte, und
der uͤbrigens zwar auch ſtudiert, aber ſelbſt erſt
Hollaͤndiſche, hernach Schwediſche Kriegsdienſte
genommen hatte, — dieſer Mann ſchrieb eben
damals in Lateiniſcher Sprache ein Buch von der
wahren Staatsbeſchaffenheit des Teutſchen Reichs
(de ratione ſtatus in imperio noſtro Romano-
Germanico.)
Der Lateiniſche Titel ſollte das
ausdruͤcken, was die Franzoſen Raiſon d’ Etat
nennen. Seine Hauptabſicht ſchien dahin gerich-
tet zu ſeyn, den Teutſchen Reichsſtaͤnden das Vor-
urtheil zu benehmen, als ob das Teutſche Reich
eine ſolche Fortſetzung des ehemaligen Roͤmiſchen
Reichs waͤre, daß der Inhalt des Roͤmiſchjuſtinia-
niſchen Geſetzbuches noch jetzt dazu gebraucht werden
koͤnnte, um das Teutſche Reich ſich als eine ſolche
Monarchie, wie das ehemalige Roͤmiſche Reich,
vorzuſtellen, und einem Kaiſer Ferdinand ſolche Ma-
jeſtaͤt und Hoheitsrechte, wie ſie weiland Kaiſer Ju-
ſtinian ausgeuͤbt habe, beyzulegen. Nach ſeiner
Vorſtellung ſollte in Teutſchland eigentlich eine ari-
ſtocratiſche Regierung ſtatt finden, und die wahre
Majeſtaͤt des Reichs vielmehr auf der geſammten
Reichsverſammlung, als auf der Perſon des Kai-
ſers, haften.


Mit ſolchen Grundſaͤtzen beleuchtete er nunIV.
nicht nur die Reichsverfaſſung im Ganzen, ſon-
dern
[44]VI. Neuere Z. Ferd. I—III. 1558-1648.
dern auch mit Durchgehung der wichtigſten ein-
zelnen Hoheitsrechte, als der geſetzgebenden Ge-
walt, des Rechts in Anſehung der Religion, Kriegs
und Friedens, Juſtitzweſens, Steuerweſens, Muͤn-
ze u. ſ. w. In allem bemuͤhet er ſich die irrigen
Vorſtellungen der bisherigen Schriftſteller und
Staatsmaͤnner, und zugleich die wahren Gebre-
chen der Teutſchen Reichsverfaſſung mit ihren
Quellen und Urſachen an Tag zu legen. Dann
thut er aber auch Vorſchlaͤge, wie denſelben abzu-
helfen ſey; — aber mit unter ſo abſcheuliche Vor-
ſchlaͤge, daß er ſo gar in die Worte ausbricht:
Man ſolle gegen die Kinder des verſtorbenen Ty-
rannen (ſo nennt er Ferdinand den II.) geſammter
Hand die Waffen ergreifen, ſein ganzes Haus
vom Teutſchen Boden vertreiben, und ſeine Laͤn-
der confiſciren. Am Ende ſagt er: ”Viele, die
das Herz nicht am rechten Orte haben, werden ſich
wundern, daß wir ſelbſt gegen den Kaiſer die Feder
fuͤhren. Aber ſchon lange ſind wir bereit geweſen,
gegen jenes unſerm Vaterlande und altvaͤterlicher
Freyheit ſo gefaͤhrliches Haus, ſo lange ſich noch
eine Ader in uns reget, mit der Feder oder mit
dem Schwerdte zu fechten. Man nehme uns das
Leben, den Himmel wird man uns doch nicht
rauben; und ſo werden wir doch frey vom Joche
die Welt verlaßen” ꝛc.


V.

Im erſten Abdruck erſchien das Buch 1640.
zu Stettin in Quart, unter dem verkappten Namen:
Hippolithus a Lapide. Der Wendiſche Name
Chemnitz ſoll einen Stein bedeuten; der Vorname
Philipp war nur mit wenigen Veraͤnderungen der
Buchſtaben in Hippolithus verwandelt. Alſo
hatte
[45]7) Ferd. II. u. III. 30. jaͤhr. Kr. bis 1648.
hatte der Verfaſſer ſeinen wahren Namen ſo ſehr
eben nicht verſteckt. Dennoch ſind wenige ver-
kappte Schriftſteller ſo lange verborgen geblieben,
wie dieſer. Er hat hernach 1648. und 1653.
noch eine ausfuͤhrliche Geſchichte des Schwediſch-
Teutſchen Krieges geſchrieben, und iſt als Schwe-
diſcher Hiſtoriograph, nachdem ihn die Koͤniginn
Chriſtina noch geadelt und mit einem Gute be-
ſchenkt hatte, 1678. geſtorben.


Das Buch wurde zu Wien gleich verboten undVI.
verbrannt; aber in Holland, unter der Aufſchrift
Freyſtadt 1647. 12., deſto haͤufiger nachgedruckt,
und uͤberall verbreitet, und begierig, nur zu ſehr
mit Beyfall, geleſen. Noch in den Jahren 1712.
und 1720. ſind Franzoͤſiſche Ueberſetzungen davon
erſchienen; noch 1761. eine Teutſche mit eben ſo
bitteren Anmerkungen in zwey Octavbaͤnden. Nicht
leicht hat ein litterariſches Product ſo großen Ein-
druck in Staatsverhaͤltniſſen gemacht, wie dieſes.
Gleich damals that es merkliche Wirkung gegen die
kaiſerliche Abſicht, die bisherigen Geſinnungen der
Reichsſtaͤnde zu deſto groͤßerer Anhaͤnglichkeit an
den kaiſerlichen Hof gegen die auswaͤrtigen Kronen
zu benutzen. In der Folge hat es fuͤr das ganze
Studium des Teutſchen Staatsrechts beynahe Epo-
che gemacht. Sowohl Fuͤrſten und Churfuͤrſten als
ihre Staatsraͤthe fiengen an ſich jetzt in einem ganz
andern Lichte als bisher zu betrachten. Unbemerkt
floͤßten ſich ſolche Grundſaͤtze von einem Zeitalter
zum andern ein.


Das alles aber gleich damals noch mehr geltendVII.
zu machen, haͤtte nichts gelegener kommen koͤnnen,
als
[46]VI. Neuere Z. Ferd. I—III. 1558-1648.
als der gerade um eben die Zeit eingetretene Todes-
fall des Churfuͤrſten Georg Wilhelms von Bran-
denburg
(† 1640. Nov. 21.). Derſelbe war von
ſeinem Miniſter, Grafen von Schwarzenberg, ganz
nach den Abſichten des kaiſerlichen Hofes gelenket
worden. Die Befehlshaber in ſeinen Feſtungen
ſtanden ſo gar in kaiſerlichen Pflichten. Den Schwe-
diſchen Abſichten wurde hingegen zu Berlin immer
entgegen gearbeitet, weil ſie auf Beybehaltung des
Herzogthums Pommern gerichtet zu ſeyn ſchienen,
das nach Abgang des letzten Herzog Bogislavs den
Vertraͤgen nach dem Hauſe Brandenburg zufallen
ſollte.


VIII.

Der neue Churfuͤrſt Friedrich Wilhelm, der
zwar damals erſt 20. Jahre alt war, aber ſich bald
den Beynamen des Großen erwarb, nahm gleich
ganz andere Grundſaͤtze an. Vor allen Dingen
machte er ſich Meiſter von ſeinen Feſtungen, und
los von aller bisherigen Abhaͤngigkeit vom kaiſer-
lichen Hofe. Mit Schweden ſetzte er ſich hingegen
auf einen ſolchen Fuß, daß, wenn die Krone Schwe-
den vom Hauſe Brandenburg ein Opfer verlangte,
er auf ihren Beyſtand zur hinlaͤnglichen Entſchaͤ-
digung rechnen konnte, hingegen die gemeine Sache
der Teutſchen Freyheit und der evangeliſchen Reli-
gion nicht darunter leiden durfte.


IX.

So ward der im Sept. 1640. von Ferdinand
dem III. perſoͤnlich eroͤffnete Reichstag am 10. Oct.
1641. zwar mit einem Reichsabſchiede beſchloſ-
ſen, worin noch ein und anderes nach des Kaiſers
Wuͤnſchen durch Mehrheit der Stimmen eingeruͤckt
war; aber ohne daß es in der Folge Beſtand hatte.
Ver-
[47]7) Ferd. II. u. III. 30. jaͤhr. Kr. bis 1648.
Verſchiedene Puncte wurden ſchon ganz anders ge-
faſſet, als es nach dem Sinne des kaiſerlichen Ho-
fes haͤtte gefaſſet werden ſollen. Inſonderheit was
den Ort betraf, wo allenfalls die Friedenshandlun-
gen mit den beiden Kronen Frankreich und Schwe-
den vorgenommen werden ſollten, hatte ſchon Ferdi-
nand der II. die Sache ſo einzuleiten geſucht, daß mit
Frankreich zu Coͤlln unter paͤbſtlicher, mit Schweden
zu Hamburg oder Luͤbeck unter Daͤniſcher Vermitte-
lung die Unterhandlungen vor ſich gehen ſollten.
Wegen allerley Colliſionen, die zwiſchen den paͤbſt-
lichen und proteſtantiſchen Botſchaftern entſtehen
moͤchten, ſchien es nicht wohl thunlich, den Friedens-
congreß nur an einem Orte zu eroͤffnen. Zu Wien
brachte man aber gern zwey von einander entfernte
Orte in Vorſchlag, um deſto eher die beiden Kronen
in den Friedenshandlungen von einander trennen zu
koͤnnen, und allenfalls nur mit einer mit Zuruͤckſetzung
der andern zu ſchließen. Zu Coͤlln fanden ſich auch
ſchon paͤbſtliche, kaiſerliche und Spaniſche Geſandten
ein. Allein der Franzoͤſiſche Geſandte, Comte
d’Avaux,
gieng vielmehr nach Hamburg, wo nebſt
dem Schwediſchen Geſandten Johann Salvius auch
ſchon drey kaiſerliche Geſandten waren. Nun wur-
den ſelbſt im Reichsabſchiede an ſtatt Coͤlln und Luͤ-
beck die Staͤdte Muͤnſter und Osnabruͤck, die nur
wenige Meilen von einander entlegen waren, zu den
zweyerley Friedenscongreſſen beſtimmt. Auch mußte
ſchon nachgegeben werden, daß auch Reichsſtaͤnde
ſowohl einzeln als insgeſammt bey den Friedenshand-
lungen erſcheinen koͤnnten, und daß uͤber die Be-
ſchwerden der Reichsſtaͤnde und des Juſtitzweſens
halber ein beſonderer Reichsdeputationstag gehalten
werden ſollte.


Auf
[48]VI. Neuere Z. Ferd. I—III. 1558-1648.
X.

Auf dieſen Fuß kam es nun auch zu Hamburg
am 25. Dec. 1641. zu Friedenspraͤliminarien,
worin der kaiſerliche Geſandte von Luͤtzow mit dem
Franzoͤſiſchen und Schwediſchen vorerſt wegen Aus-
wechſelung der Geleitsbriefe ſich verglich, und dann
der Anfang der Friedenshandlungen zu Muͤnſter und
Osnabruͤck auf den 25. Maͤrz 1642. angeſetzt wurde.
Doch ſelbſt die Ratification dieſer Praͤliminarien
mußten die Schweden noch erſt mit einem neuen
Siege bewirken. Und ſo vergiengen noch mehrere
Jahre, bis nach mancherley Abwechſelungen das im
Ganzen doch den beiden Kronen guͤnſtig gebliebene
Kriegsgluͤck am Ende Ferdinand den III. noͤthigte,
zu den beiden Friedensſchluͤſſen, wie ſie zu Muͤnſter
und Osnabruͤck endlich muͤhſam verglichen waren,
ſeine Einwilligung zu geben.


XI.

Der im Reichsabſchiede 1641. beſchloſſene
Reichsdeputationstag kam ſchon im May 1643.
in Gang, und berichtigte vieles, was die innere Reichs-
verfaſſung, in ſonderheit manche Verbeſſerung und ge-
nauere Beſtimmung des Reichsjuſtitzweſens betraf.
Die beiden Weſtphaͤliſchen Friedenscongreſſe
wurden erſt den 10. Apr. 1645. eroͤffnet, und bekamen
nach dem großen Aufſehen, was die am 1. Jun. 1645.
im Namen beider Kronen geſchehenen Propoſitionen
gemacht hatten, erſt ihr rechtes Leben, als am 19. Nov.
1645. endlich ſelbſt der erſte kaiſerliche Staatsmini-
ſter, Graf von Trautmannsdorf, ſich beym Congreſſe
einfand; obgleich doch noch beynahe jeder Fortſchritt
in der Friedenshandlung mit neuen Kriegsoperationen
bewirkt werden mußte, bis noch ganz zuletzt die Schwe-
diſche Ueberrumpelung der kleinen Seite von Prag
der Sache den letzten Nachdruck gab.


Sie-
[49]

Siebentes Buch.
Der neueren Zeiten vierter Abſchnitt
vom
Weſtphaͤliſchen Frieden
1648.


I.
Friedenshandlungen wegen der vereinigten Nie-
derlande und der Schweiz. Andere vom Frie-
den ausgeſchloſſene Maͤchte: Spanien, Por-
tugall, Lothringen.


I. Friede zwiſchen Spanien und den vereinigten Nieder-
landen. — II. III. Deſſen Erfolg in Anſehung des Teutſchen
Reichs. — IV. Abgebrochene Friedenshandlungen zwiſchen
Spanien, und Frankreich und Portugall; wie auch zwiſchen
Frankreich und Lothringen; — doch wurden dieſe Maͤchte
als gegenſeitige Bundesgenoſſen im Osnabruͤckiſchen Frieden
mit eingeſchloſſen. — V. Bewilligte Unabhaͤngigkeit der
Schweiz.


Zu Muͤnſter kam es ſchon am 20. (30.) Jan.I.
1648. zum Frieden zwiſchen der Krone Spa-
nien und den vereinigten Niederlanden. Letz-
tere wurden als unabhaͤngig von jener anerkannt,
und behielten alles, was ſie erobert hatten und
damals beſaßen, ſowohl in den uͤbrigen Nieder-
landen, als in anderen Welttheilen Aſien, Africa
und America. Wegen Oſtindien ward ausgemacht,
daß die Spanier ihre dortige Schifffahrt nicht
P. Entw. d. Staatsverf. Th.II. Dwei-
[50]VII. Neuere Zeit. Weſtph. Fr. 1648.
weiter ausbreiten ſollten. Auch ſollten die Unter-
thanen des einen Theils keine Beſitzungen des an-
dern Theils in Oſt- und Weſtindien beſuchen und
daſelbſt Handlung treiben. Selbſt die Schelde
und andere Ausfluͤſſe in die See ſollten fuͤr die
Spaniſchen Niederlande geſchloſſen bleiben. Hin-
gegen in den Spaniſchen Beſitzungen ſollten die
Teutſchen Hanſeſtaͤdte mit den vereinigten Nie-
derlanden, und dieſe mit jenen gleiche Handlungs-
freyheiten zu genießen haben.


II.

Mit der in dieſem Frieden nunmehr anerkann-
ten Unabhaͤngigkeit der vereinigten Niederlande
entzogen ſich dieſe natuͤrlicher Weiſe auch aller Ho-
heit des Teutſchen Reichs. Doch nahm das Reich
ſelbſt an dieſem Frieden keinen Theil. Die Krone
Spanien hatte ſich aber im 53. Artikel des Frie-
dens anheiſchig gemacht, die Fortſetzung und Beob-
achtung der Neutralitaͤt, Freundſchaft und guter
Nachbarſchaft von Seiten des Kaiſers in zwey
Monathen, und von Seiten des Reichs binnen
Jahresfriſt zu bewirken. Dieſe Erklaͤrung erfolgte
auch vom Kaiſer unterm 6. Jul. 1648. (g) und
auf einen kaiſerlichen Antrag vom 16. Aug. 1653. (h)
nach einer Reichstagsberathſchlagung vom 18. Febr.
1654. (i) in einem foͤrmlichen Reichsſchluſſe vom
22. Maͤrz 1654. (k).


Die
[51]1) Hollaͤnder u. Schweizer.

Die Staaten der vereinigten Niederlande hat-III.
ten inzwiſchen ſchon lange vorher, da ſie in ihren
Beſchwerden uͤber die Spaniſche Regierung vom
Reiche huͤlflos gelaßen waren, auch dem Reiche
alle Verbindlichkeit von ihrer Seite abgeſagt. Von
Ferdinand dem II. nahmen ſie ſchon keine Schrei-
ben mit der Anrede: Liebe Getreue, mehr an.
Sie begnuͤgten ſich nicht einmal mit der an die
Venetianer gewoͤhnlichen Anrede: Illuſtriſſimi,
ſondern verlangten: Celſi et potentes domini,
und veſtra celſitudo(l). Gleich anderen Euro-
paͤiſchen Maͤchten haben ſeitdem auch die vereinig-
ten Niederlande das Teutſche Reich mit Geſandten
beſchickt, und die Anerkennung ihrer Unabhaͤngig-
keit in der That ſelbſt uͤberfluͤßig erhalten. Da-
mit hat nun der Burgundiſche Kreis, wie er zur
Zeit des unter Carl dem V. 1548. errichteten Ver-
trages war, einen gewaltigen Abfall gelitten.
Diejenigen Niederlande, die ſeitdem noch unter
Spaniſcher Herrſchaft blieben, ſtanden zwar noch
ferner unter eben dem Vertrage. Aber was jetzt
noch ihrentwegen zum Reiche bezahlt werden ſollte,
beruhte nun auf neuer Beſtimmung.


Außer dieſer Angelegenheit, welche die KroneIV.
Spanien mit den vereinigten Niederlanden zu
berichtigen hatte, ſollte dieſe Krone auch mit Frank-
reich und Portugall, ingleichen die Krone Frank-
reich mit Lothringen ausgeſoͤhnet werden. Al-
lein alle Unterhandlungen, die hieruͤber angeſtellt
wurden, zerſchlugen ſich fruchtlos, ſo daß dieſe
Irrun-
D 2
[52]VII. Neuere Zeit. Weſtph. Fr. 1648.
Irrungen, um die uͤbrigen Friedensſchluͤſſe damit
nicht aufzuhalten, gaͤnzlich zuruͤckgeſetzt werden
mußten, und alſo daruͤber der Krieg zwiſchen die-
ſen Maͤchten noch ſeinen Fortgang behielt. An
dem Frieden, der zu Muͤnſter zwiſchen dem Kaiſer
und der Krone Frankreich geſchloſſen ward, konnte
deswegen die Krone Spanien keinen Antheil neh-
men. Jedoch im Osnabruͤckiſchen Frieden (Art. 17.
§. 10.) ward der Koͤnig in Spanien unter den im
Frieden mit eingeſchloſſenen Bundesgenoſſen des
Kaiſers mit benannt, ſo wie auch England, Daͤ-
nemark, Polen, Portugall, Rußland, Lothrin-
gen, Venedig, die vereinigten Niederlande, die
Schweiz, und Siebenbuͤrgen in dieſem Frieden
mit begriffen wurden.


IV.

Die Schweizer, die ſich wegen ihrer Unab-
haͤngigkeit ebenfalls bey den Weſtphaͤliſchen Frie-
denshandlungen gemeldet hatten, erreichten ihre
Abſicht voͤllig. Sie hatten ſich zwar ſchon ſeit
Max des I. Zeiten im Beſitz der Unabhaͤngigkeit
erhalten. Es war aber noch kein Friedensſchluß
daruͤber errichtet. Das Cammergericht fuhr auch
zu Zeiten fort, Erkenntniſſe gegen ſie zu erlaßen.
Dawider hatten ſie aber ſchon unterm 14. May
1647. mit Einwilligung des Reichs eine kaiſer-
liche Erklaͤrung erlangt: daß ſie ſich im voͤlligen
Beſitz einer gaͤnzlichen Befreyung vom Reiche
befaͤnden, und den Reichsgerichten auf keine Weiſe
unterworfen ſeyen. Eben das wurde jetzt von
neuem in beiden Friedensſchluͤſſen feſtgeſetzt, im
Osnabruͤckiſchen im ſechſten, im Muͤnſteriſchen im
achten Artikel (§. 61.), die beide voͤllig gleich-
lautend waren. Damit blieb es alſo auch bey
dem
[53]2) Satisfact. u. Compenſationen.
dem Abgange, den von dieſer Seite das Teutſche
Reich an ſeinem ehemaligen Zuwachſe des Bur-
gundiſchen Koͤnigreiches ſchon laͤngſt erlitten hatte.
Die Ausdruͤcke des Friedens waren ſo gefaßt, daß
die Stadt Baſel und ganz Helvetien, oder die
Stadt Baſel und die uͤbrigen Helvetiſchen Cantons
benannt wurden. Der Biſchof von Baſel war
nicht darunter begriffen, ſondern blieb mit ſeinem
Lande nach wie vor ein Teutſcher Reichsſtand.


II.
Friedenshandlungen uͤber die Gnugthuung fuͤr
die beiden Kronen Schweden und Frankreich,
und uͤber die davon abgehangenen Compen-
ſationsforderungen.


I. Gemeinſchaftlicher und beſonderer Inhalt der beiden
Friedensſchluͤſſe zu Muͤnſter und Osnabruͤck. — II-IV. Gnug-
thuungsforderungen der Krone Schweden an Land und Leu-
ten, und einigen vorzuͤglichen Gerechtſamen. — V-VII. Da-
von abgehangene Verguͤtungen der Haͤuſer Brandenburg,
Mecklenburg und Braunſchweig-Luͤneburg. — VIII. Ganz
beſondere nur dem Hauſe Heſſencaſſel zugeſtandene Vorthei-
le. — IX. Gnugthuung der Krone Frankreich.


Beide Friedensſchluͤſſe zu Muͤnſter und Os-I.
nabruͤck waren uͤberhaupt ſo gefaſſet, daß
jener inſonderheit das, was Frankreich ſich fuͤr
ſich ausbedang, letzterer das, was Schweden
nur alleine bedungen hatte, jeder beſonders ent-
hielt, andere Dinge aber, welche beide Kronen
durch ihre Unterhandlungen unterſtuͤtzt hatten, in
beiden Friedensinſtrumenten gleichlautend einge-
D 3ruͤckt
[54]VII. Neuere Zeit. Weſtph. Fr. 1648.
ruͤckt wurden. Das Osnabruͤckiſche Inſtrument
war eher fertig, als das Muͤnſteriſche; woruͤber
die Franzoͤſiſchen Geſandten zuletzt von Muͤnſter
nach Osnabruͤck hinuͤber kamen, um nicht etwa
zuruͤckgeſetzt zu werden. Allein das Osnabruͤcki-
ſche Friedensinſtrument ward ſo lange hinterlegt,
bis auch das Muͤnſteriſche voͤllig berichtiget war,
und beide endlich an einem Tage (1648. Oct. 14/24.)
unterzeichnet werden konnten.


II.

Beiden Kronen Frankreich und Schweden war
unmittelbar nichts angelegener, als das, was ſie
fuͤr die Kriegskoſten und ſonſt zu ihrer Gnug-
thuung
begehrten, weil ſie durch das Gluͤck der
Waffen zu ihrem Vortheile fuͤr entſchieden hielten,
daß ſie durch widerrechtlich ihnen zugefuͤgte Be-
ſchwerden zu einem gerechten Kriege genoͤthiget
ſeyen. Die Krone Schweden verlangte anfangs
nebſt dem Herzogthume Pommern noch verſchie-
dene zu ihrem Vortheile zu ſeculariſirende Erz-
und Biſthuͤmer, und ſo gar auch das Herzog-
thum Schleſien. Bey den großen Schwierig-
keiten, die ſich in Anſehung der Seculariſationen
von Seiten aller Catholiſchen vorausſehen ließen,
mußte es den groͤßten Ausſchlag geben, daß der
kaiſerliche Hof doch am Ende lieber in Seculari-
ſationen einwilligte, als von ſeinen eignen Erblan-
den ein Opfer machte. Damit alſo, daß Schwe-
den von der Forderung eines Stuͤcks der kaiſer-
lichen Erblande abließ, wurden jene uͤbrige Forde-
rungen endlich gluͤcklich durchgeſetzt. So bekam
Schweden 1) ganz Vorpommern ſammt der Inſel
Ruͤgen, und einige namhaft gemachte Stuͤcke von
Hinterpommern, als Stettin, Garz, Dam, Gol-
nau,
[55]2) Satisfact. u. Compenſationen.
nau, die Inſel Wollin, das friſche Haf und die
dazu gehoͤrigen Orte Peine, Schweine, Divenau;
2) die Stadt Wismar mit dem Hafen und allem
Zugehoͤre, wie es die Herzoge von Mecklenburg
beſeſſen; 3) das Erzbiſthum Bremen und das
Biſthum Verden, beide in weltliche Laͤnder ver-
wandelt, als Herzogthuͤmer, mit Aufhebung dor-
tiger Domcapitel und Stifter.


Die Schweden begehrten nicht dieſe LaͤnderIII.
vom Teutſchen Reiche abzureiſſen und in voͤlliger
Unabhaͤngigkeit zu beſitzen. Sie ſollten Reichs-
lehne bleiben, und die Krone Schweden ſollte ſie
kuͤnftig als ein Teutſcher Reichsſtand, mit Sitz und
Stimme auf Reichs- und Kreisverſammlungen ſo-
wohl wegen Bremen und Verden, als wegen Vor-
pommern, beſitzen, auch ſonſt alle damit verbun-
dene Vorrechte und Freyheiten behalten. Woge-
gen auch den Staͤdten Bremen, Wismar und
Stralſund ſowohl als den uͤbrigen Hanſeſtaͤdten
die Beybehaltung ihrer bisherigen Freyheiten aus-
bedungen wurde. Doch bedang ſich auch die Krone
Schweden noch das Vorrecht aus, eine Univerſi-
taͤt anlegen zu duͤrfen, und die bereits angelegten
Zoͤlle oder Licente zu behalten.


Weil aber bey allem dem einige BeſorgnißIV.
uͤbrig blieb, daß der kaiſerliche Hof der Krone
Schweden die bisherigen Umſtaͤnde entgelten laßen
moͤchte, wenn ſie als Beſitzer dieſer Laͤnder in
Rechtsſachen bey den Reichsgerichten, inſonderheit
am Reichshofrath, verwickelt werden moͤchte; ſo
bedang ſich die Krone Schweden noch das ganz
beſondere Vorrecht aus, daß, wenn in Zukunft
D 4ſie
[56]VII. Neuere Zeit. Weſtph. Fr. 1648.
ſie jemand von wegen ihrer nunmehrigen Teutſchen
Laͤnder bey Reichsgerichten belangen wuͤrde, ſie als
beklagter Theil die ſonſt nur einem Klaͤger zuſte-
hende Wahl haben ſollte, ob ſie am Reichshofrathe
oder am Cammergerichte belangt ſeyn wollte?
woruͤber ein jeder Klaͤger ſie erſt um ihre Erklaͤ-
rung erſuchen ſollte. Sodann mußte fuͤr alle dieſe
Schwediſchteutſchen Laͤnder ein unbeſchraͤnktes Ap-
pellationsprivilegium ausgefertiget werden, daß aus
ſelbigen gar keine Appellation mehr an die Reichs-
gerichte ſtatt finden ſollte. Damit jedoch die Un-
terthanen dann kuͤnftig nicht eine Inſtanz weniger
haͤtten, ſollte an einem gelegenen Orte ein eignes
Oberappellationsgericht fuͤr die Schwediſchteutſchen
Laͤnder angelegt werden, (wie hernach zu Wismar
geſchehen iſt.)


V.

Weil auf Pommern das Haus Brandenburg
ein unwiderſprechliches Recht hatte, und alſo dem-
ſelben nicht zugemuthet werden konnte, zu Befrie-
digung der Krone Schweden fuͤr das, was ſie
vom ganzen Reiche forderte, fuͤr ſich alleine ein
Opfer zu machen; ſo entſprang aus dieſem Stuͤcke
der Schwediſchen Gnugthuung eine natuͤrliche
Compenſations- oder Verguͤtungs Forderung fuͤr
das Churhaus Brandenburg, welche die Krone
Schweden bey den Friedenshandlungen mit allem
Nachdruck unterſtuͤtzte. Der Churfuͤrſt verlangte
fuͤr ſich das Erzbiſthum Magdeburg, und die Bis-
thuͤmer Halberſtadt, Minden, Osnabruͤck und
Muͤnſter zu ſeculariſiren, und dann begehrte er
(nach dem Beyſpiele von Schweden) auch von
kaiſerlichen Erblanden einige Stuͤcke, namentlich
die Schleſiſchen Fuͤrſtenthuͤmer Glogau und Sagan.
Nach
[57]2) Satisfact. u. Compenſationen.
Nach vielen Widerſpruͤchen und beſchwerlichen
Unterhandlungen kam es endlich dahin, daß Chur-
brandenburg die Biſthuͤmer Halberſtadt, Minden,
Camin, als weltliche Fuͤrſtenthuͤmer, das Erzbis-
thum Magdeburg aber als ein Herzogthum haben
ſollte. Nur letzteres behielt noch auf Zeitlebens
der Saͤchſiſche Prinz Auguſt, der es ſchon als Ad-
miniſtrator beſaß. (Nach deſſen hernach 1680.
erfolgtem Tode bekam es der Churfuͤrſt erſt wuͤrk-
lich in Beſitz.).


Unter der Schwediſchen Gnugthuung war fer-VI.
ner die Stadt Wismar, welche der Herzog von
Mecklenburg abtreten mußte. Dafuͤr wurden
demſelben die Biſthuͤmer Schwerin und Ratzeburg
als weltliche Fuͤrſtenthuͤmer, nebſt den Johanniter-
Commenden Mirow und Nemerow, zur Verguͤ-
tung gegeben.


Endlich waren etliche Prinzen vom HauſeVII.
Braunſchweig-Luͤneburg ſchon mit Coadjutorien
auf die Erzbiſthuͤmer Magdeburg und Bremen und
auf die Biſthuͤmer Halberſtadt und Ratzeburg ver-
ſehen geweſen. Die daraus erlangten Hoffnun-
gen und Rechte giengen mit obigen Seculariſatio-
nen und Ceſſionen dieſer Laͤnder verlohren. Zu
deren Verguͤtung wurde ausgemacht, daß im Bis-
thume Osnabruͤck abwechſelnd mit einem catholi-
ſchen Biſchofe immer einmal um das andere die
Succeſſion eines zu poſtulirenden juͤngern Prinzen
vom Hauſe Hannover ſtatt finden ſollte. Auch
wurden die Kloͤſter Walkenried und Groͤningen dem
Hauſe Braunſchweig uͤberlaßen. Und uͤberdies,
zwar nicht im Frieden ſelbſt, aber doch in einer
D 5gleich-
[58]VII. Neuere Zeit. Weſtph. Fr. 1648.
gleichzeitigen durch die Friedensunterhandlungen
bewirkten Ausfertigung bekam auch dieſes haus ein
kaiſerliches Privilegium, wie die Krone Schweden,
als beklagter Theil jedesmal zwiſchen beiden Reichs-
gerichten die freye Wahl zu haben.


VIII.

Das Haus Heſſencaſſel war zwar nicht in dem
Falle, auf Verguͤtungen oder ſo genannte Com-
penſationen Anſpruͤche machen zu koͤnnen, weil es
weder an Schweden noch an ſonſt jemanden etwas
abzugeben hatte. Von allen Teutſchen Fuͤrſten
war aber der Landgraf Wilhelm der V., dem ſein
Vater Moritz ſchon 1627. die Regierung uͤberge-
ben hatte, der erſte geweſen, der ſich mit dem
Koͤnige Guſtav Adolf in Verbindung eingelaßen
hatte. Und ſeine Wittwe Amalia Eliſabeth, ge-
bohrne Graͤfinn von Hanau-Muͤnzenberg, hatte ſeit
1637., da ihr Gemahl geſtorben war, in Vor-
mundſchaͤft ihres unmuͤndigen Sohns, Wilhelms
des VI. (geb. 1629.), dieſe Verbindung mit ſol-
cher Standhaftigkeit und Klugheit fortgefuͤhrt, daß
ſie jetzt auch eine vorzuͤgliche Unterſtuͤtzung von
Seiten der Krone Schweden fand (m). Kurz das
Haus Heſſen war von allen reichsſtaͤndiſchen Haͤu-
ſern das einzige, das, ohne einen beſonderen Grund
wegen
[59]2) Satisfact. u. Compenſationen.
wegen Verguͤtung oder ſonſt dazu anfuͤhren zu
koͤnnen, es dahin brachte, daß ihm zu Gefallen
ein geiſtliches Fuͤrſtenthum ſeculariſirt wurde. Es
bekam die gefuͤrſtete Abtey Hirſchfeld als ein welt-
liches Fuͤrſtenthum zu beſitzen.


Zur Gnugthuung der Krone Frankreich erhieltIX.
dieſelbe im Muͤnſteriſchen Frieden erſtlich die voͤllige
Hoheit uͤber die Staͤdte und Biſthuͤmer Metz, Tull,
Verduͤn, wie ſie ſolche ſchon ſeit 1552., aber bis-
her ohne eine foͤrmliche Abtretung von Kaiſer und
Reich, beſeſſen hatte, nur mit Vorbehalt des Ver-
haͤltniſſes, worin dieſe drey Biſchoͤfe als Suffra-
ganbiſchoͤfe unter dem Erzbiſchofe von Trier ſtan-
den. Sodann bekam Frankreich die Hoheit uͤber
Pignerol, und das Beſatzungsrecht in Philipps-
burg, und endlich die Landgrafſchaft Elſaß mit
allem, was das Haus Oeſterreich bisher in Elſaß
gehabt hatte; wogegen dem Erzherzoge Ferdinand
Carl, der bisher dieſe Landgrafſchaft beſeſſen hatte,
drey Millionen Livres von Frankreich zur Verguͤ-
tung verſprochen wurden. Den Biſchoͤfen von
Straßburg und Baſel, der Reichsſtadt Straßburg,
nebſt noch zehn anderen Reichsſtaͤdten, die zur
Landvogtey Hagenau gehoͤrten, wie auch den Ab-
teyen Murbach, Luͤder, Andlau, Gregorienthal,
und den Pfalzgrafen von Luͤtzelſtein, den Grafen
und Herren von Hanan, Fleckenſtein, Oberſtein,
nebſt der geſammten Reichsritterſchaft in Rieder-
elſaß ward ihre Verbindung mit dem Teutſchen
Reiche und unmittelbare Reichsfreyheit ausdruͤck-
lich vorbehalten.


III.
[60]VII. Neuere Zeit. Weſtph. Fr. 1648.

III.
Friedenshandlungen uͤber die Amneſtie.


I. Schwierigkeiten wegen der Amneſtie, — II. die der
Kaiſer nur von 1630. oder 1627. her geſtatten wollte, je-
doch der Regel von 1618. nachgeben mußte; — III. nur mit
beſonderer Beſtimmung wegen der in den kaiſerlichen Erb-
landen confiſcirten Guͤter; — IV. wie auch wegen der Pfaͤlzi-
ſchen Reſtitution, — V. und vieler noch beſonders benann-
ter Partheyen. — VI. Beſondere Entſcheidung der Irrun-
gen des Hauſes Heſſen. — Aber unentſchieden gelaßene Juͤ-
lichiſche und Donawerthiſche Sache.


I.

Von anderen Forderungen, die der Krieg ſelbſt
veranlaßt hatte, war die natuͤrlichſte, daß
beide Kronen fuͤr ſich und alle ihre Bundesgenoſ-
ſen außer dem, was nicht durch beſondere Abreden
davon ausgenommen war, wie es bey allen Frie-
densſchluͤſſen die gewoͤhnliche Regel iſt, eine all-
gemeine Amneſtie, und alſo eine durchgaͤngige
Herſtellung in den Zuſtand, wie ſich alles vor An-
fange des Krieges im Jahre 1618. befunden hatte,
begehrten. Von einer ſolchen Amneſtie wollte aber
der kaiſerliche Hof lange Zeit durchaus nichts wiſ-
ſen, weil davon nicht nur eine voͤllige Herſtellung
des Hauſes Pfalz, ſondern auch die Zuruͤckgebung
vieler confiſcirten Guͤter, die Ferdinand der II. der
Boͤhmiſchen Unruhen halber in ſeinen Erblanden
eingezogen und großentheils wieder an andere
Guͤnſtlinge vergeben hatte, abhangen wuͤrde.


II.

Wohlbedaͤchtlich hatte deswegen Ferdinand
der III. auf dem Reichstage zu Regensburg unterm
20. Aug. 1641. eine nur ſo genannte General-
amneſtie
[61]3) Amneſtie.
amneſtie dahin bekannt machen laßen: daß ”alle
„bisher unausgeſoͤhnte Staͤnde, wenn ſie ſich mit
„dem Kaiſer zuſammenſetzen wuͤrden, wohin auch
„das wandelbare Gluͤck der Waffen kuͤnftig fallen
„moͤchte, der weltlichen Guͤter halber von 1630.,
„der geiſtlichen vom 12. Nov. 1627. an zu rech-
„nen, voͤllige Reſtitution zu gewarten haben ſoll-
„ten; nur mit Ausnahme der Staͤnde und Unter-
„thanen aus den kaiſerlichen Erblanden, ingleichen
„der auf beſondere Tractaten ausgeſetzten Pfaͤlzi-
„ſchen Sache und anderer Beſchwerden.” Und
ſo war auch damals in dem mit Mehrheit der
Stimmen bewirkten Reichsabſchiede vom 10. Oct.
1641. dieſe ſo ſehr eingeſchraͤnkte Amneſtie wieder-
holet worden. Nach einer der beſchwerlichſten Un-
terhandlungen kam es jetzt endlich dahin, daß doch
zur allgemeinen Regel feſtgeſetzt wurde, daß alles,
was waͤhrend des ganzen Krieges auf feindſelige
oder thaͤtliche Art aus ſeiner Ordnung geſetzt wor-
den, wieder voͤllig in den Stand, wie es vor dem
Anfange des ganzen Krieges geweſen, hergeſtellt
werden ſollte.


Weil jedoch der kaiſerliche Hof wegen vorge-III.
dachter Confiſcationen durchaus nicht nachgeben
wollte; die beiden Kronen hingegen auch unbillig
fanden, daß diejenigen, die ſich aus den kaiſer-
lichen Erblanden in ihre Dienſte begeben, deswegen
um ihre Guͤter kommen ſollten; ſo wurde uͤber dieſen
Punct endlich der Mittelweg getroffen, daß letztere
ihre Guͤter wieder bekommen ſollten, wenn die Con-
fiſcation erſt nach der Zeit, als ſie in Dienſte einer
dieſer Kronen getreten, geſchehen ſey; nicht aber,
wenn ſie ſchon vorher geſchehen.


Wegen
[62]VII. Neuere Zeit. Weſtph. Fr. 1648.
IV.

Wegen der Pfaͤlziſchen Reſtitution mußte
ſo viel nachgegeben werden, daß Baiern ſowohl
die alte Pfaͤlziſche Churwuͤrde als die Oberpfalz
nebſt der Grafſchaft Cham behielt. Hingegen
ward fuͤr Pfalz eine neue achte Chur errichtet, mit
Vorbehalt deren kuͤnftiger Erloͤſchung, falls die
Bairiſch-Wilhelmiſche Linie ausgehen wuͤrde, als
in welchem Falle die Bairiſche Chur nebſt der
Oberpfalz an das Pfaͤlziſch-Rudolfiſche Haus zu-
ruͤckfallen ſollte. Im uͤbrigen ward dieſes Chur-
haus in der Unterpfalz, ſammt allen zugehoͤrigen
geiſtlichen und weltlichen Guͤtern und Gerechtſa-
men, mit der voͤlligen Amneſtie auf den Fuß,
wie alles vor den Boͤhmiſchen Unruhen im Jahr
1618. geweſen, hergeſtellt. Auch was ſonſt von
Activ- und Paſſiv-Anſpruͤchen dieſes hauſes vor-
gekommen war, wurde noch durch beſondere Ver-
ordnungen beſtimmt.


V.

So wurden endlich auch nach den Grundſaͤtzen
der Amneſtie die Herzoge von Wuͤrtenberg, der
Marggraf von Baden-Durlach, der Herzog von
Croy, die Haͤuſer Naſſau, Hanau, Solms, Iſen-
burg, Rheingrafen, Sain-Hachenburg, Falken-
ſtein, Waldeck, Oettingen, Hohenlohe, Loͤwen-
ſtein, Erbach, und ſelbſt einige namhaft gemach-
te Privatperſonen zum Theil mit ausdruͤcklicher
Entſcheidung einzelner Irrungen, in den vorigen
Stand hergeſtellt; doch ohne daß denen, die nicht
mit Namen benannt waren, am Rechte der allge-
meinen Amneſtie etwas abgehen ſollte.


VI.

Von einzelnen Irrungen, die ſchon vor dem
Ausbruche des dreyßigjaͤhrigen Krieges entſtanden,
und
[63]3) Amneſtie.
und zum Theil als deſſen Urſachen mit anzuſehen
waren, wurden nur die, ſo das Haus Heſſen
betrafen, im Frieden verglichen. Oder vielmehr
der Vergleich, welcher zu Caſſel am 14. Apr. 1648.
zwiſchen Heſſen-Caſſel und Heſſen-Darmſtadt uͤber
die Marburgiſche Succeſſion geſchloſſen war, wurde
im Frieden ſo gut, als ob er von Wort zu Wort
darin eingeruͤckt waͤre, beſtaͤtiget; wie auch der Ver-
gleich, den Heſſen-Caſſel mit Waldeck am 11. Apr.
1635. geſchloſſen, und den Heſſen-Darmſtadt am
14. Apr. 1648. genehmiget hatte, nebſt dem Rechte
der Erſtgebuhrt, wie es ſowohl in der Caſſeliſchen
als Darmſtaͤdtiſchen Linie eingefuͤhrt, und vom
Kaiſer confirmirt war. Hingegen die Juͤlichiſche
Succeſſionsſache blieb noch unentſchieden, und auf
weitern Weg der Guͤte oder Rechtens ausgeſetzt.
Und der Stadt Donawerth Herſtellung ward eben-
falls erſt der Beurtheilung des naͤchſtkuͤnftigen
Reichstages heimgeſtellt.


IV.
[64]VII. Neuere Zeit. Weſtph. Fr. 1648.

IV.
Friedenshandlungen uͤber die Religionsbeſchwer-
den.


I. Ein Hauptgegenſtand des Friedens waren die Be-
ſchwerden der Reichsſtaͤnde, wegen derer eigentlich der Krieg
gefuͤhret war; — ſowohl politiſche als Religionsbeſchwer-
den; — letztere wurden nur im Osnabruͤckiſchen Frieden
behandelt. — II. Allgemeine Beſtaͤtigung des Religionsfrie-
dens mit Inbegriff der Reformirten. — III. Beſtimmung
des Verhaͤltniſſes zwiſchen Lutheriſchen und Reformirten; —
IV. wovon man die Beyſpiele theils vom Brandenburgiſchen,
theils vom Zerbſtiſchen und Hanauiſchen vor Augen hatte. —
V. VI. Zwiſchen Catholiſchen und Evangeliſchen verglichenes
Entſcheidungsziel des Jahrs 1624. — VII. inſonderheit in
Anſehung der geiſtlichen Stiftungen, — VIII. und der geiſt-
lichen Gerichtbarkeit, — IX. die uͤbrigens nebſt dem ganzen
Dioeceſanrechte uͤber die Proteſtanten von neuem voͤllig aufgeho-
ben wurde. — X. Gleichmaͤßige Beſtimmung wegen der Reli-
gionsuͤbung — XI. und Hausandacht; — XII. nur mit beſon-
derer Ausnahme der kaiſerlichen Erblande. — XIII. Eigene
Erwehnung der Reichsritterſchaft. — XIV-XVI. Beſondere
Beſtimmung des Religionszuſtandes der Reichsſtaͤdte. —
XVII. Solchemnach erwuchs in den beſonderen Teutſchen Staa-
ten allerdings ein ſehr ungleiches Verhaͤltniß der verſchiedenen
Religionen. — XVIII. XIX. In Anſehung des geſammten
Reichs ward aber eine vollkommene gegenſeitige Gleichheit
beider Religionen feſtgeſetzt; — XX. wo ſichs thun ließ,
ſelbſt mit voͤllig gleicher Anzahl Perſonen von beiden Reli-
gionen; — XXI. XXII. oder doch ſo, daß in Faͤllen, da
ſich beide Religionstheile trennten, nicht die Mehrheit der
Stimmen, ſondern nur guͤtliche Vergleichung gelten ſollte, —
XXIII. XXIV. es moͤchte von Religionsſachen oder anderen
Gegenſtaͤnden die Frage ſeyn; — XXV. nicht aber, daß
drey Religionen unter einander gegenſeitige Rechte haben
ſollten, — da von Lutheriſchen und Reformirten unter ſich
auf Catholiſche und Proteſtanten unter ſich kein Schluß gilt. —
XXVI. Andere Religionen ſind darunter nicht begriffen.


I.

Der Hauptgegenſtand der Friedenshandlungen,
wegen deſſen eigentlich der Krieg gefuͤhrt
worden war, beſtand in den Beſchwerden der
Teut-
[65]4) Religionsverhaͤltniſſe.
Teutſchen Reichsſtaͤnde, die theils in das Reli-
gionsweſen einſchlugen, theils nur die politiſche
Verfaſſung des Reichs betrafen. Jene wurden
alleine von Schweden im Osnabruͤckiſchen Frieden
behandelt. Was bloß politiſche Beſchwerden wa-
ren, die wurden ſowohl mit Frankreich als Schwe-
den in jedem der beiden Friedensſchluͤſſe gleichlau-
tend verglichen.


In Anſehung der Religion war das erſte, daßII.
der Paſſauer Vertrag vom Jahre 1552. und der
Religionsfriede vom Jahre 1555. von neuem
aufs vollkommenſte beſtaͤtiget wurden, ohne daß
irgend ein Widerſpruch dagegen geachtet werden
ſolle. Damit wurden die Einwendungen, die
inſonderheit in jeſuitiſchen Schriften wider die Guͤl-
tigkeit und fortwaͤhrende Verbindlichkeit dieſer
Reichsgrundgeſetze gemacht waren, auf einmal ge-
hoben. Da man aber auch noch den beſonderen
Zweifel aufgeworfen hatte, ob auch die Reformir-
ten zu den Augsburgiſchen Confeſſionsverwandten
gehoͤrten, und der Religionsfriede alſo auch ihnen
zu gute kommen koͤnnte; ſo ward auch dieſe Frage
voͤllig zum Vortheile der Reformirten entſchieden.


Das Verhaͤltniß, ſo zwiſchen Lutheriſchen undIII.
Reformirten unter einander in Frage kommen
koͤnnte, oder zum Theil ſchon gekommen war, er-
hielt ebenfalls in einem eignen Artikel ſeine Be-
ſtimmung. Was vor dem Frieden durch Vertraͤge
oder ſonſt ſchon auf einen gewiſſen Fuß geſetzt
war, dabey ließ man es bewenden. Fuͤr die Zu-
kunft wurden aber inſonderheit die Faͤlle, wenn
ein Lutheriſcher oder reformirter Landesherr von einer
P. Entw. d. Staatsverf. Th.II. Edie-
[66]VII. Neuere Zeit. Weſtph. Fr. 1648.
dieſer beiden Religionen zur andern uͤbergehen,
oder einen Landesfolger von der andern Religion
bekommen wuͤrde, ganz genau beſtimmt. In bei-
den Faͤllen ſollte der Landesherr nicht nur den Hof-
gottesdienſt nach ſeiner Religion in ſeiner Reſidenz
zu halten, ſondern auch im Lande ſeinen Glaubens-
genoſſen ihre Religionsuͤbung zu geſtatten berech-
tiget ſeyn; jedoch dem andern Religionstheile ſonſt
keinen Nachtheil zufuͤgen, deren Gottesdienſt, Con-
ſiſtorium und ganzes Kirchen- und Schulweſen viel-
mehr unveraͤndert bleiben ſollte.


IV.

Nach dieſer Richtſchnur konnte das ſeit 1613.
der reformirten Religion zugethane Churhaus Bran-
denburg, als es hernach 1680. zum Beſitz des
Herzogthums Magdeburg kam, das bis dahin Lu-
theriſche Landesherren gehabt hatte, z. B. zu Halle
in der ſo genannten Reſidenz den reformirten Got-
tesdienſt halten laßen. Aber die Stadtkirchen blie-
ben Lutheriſch, und auf der 1697. daſelbſt errich-
teten Univerſitaͤt wurden die theologiſchen und phi-
loſophiſchen Lehrſtellen nicht anders als mit Luthe-
riſchen Lehrern beſetzt. Im Zerbſtiſchen (n) und
Han-
[67]4) Religionsverhaͤltniſſe.
Hanauiſchen (o) waren noch vor dem Weſtphaͤli-
ſchen Frieden groͤßere Veraͤnderungen zum Vor-
theile der Lutheriſchen vorgegangen; dabey ließ es
der Friede bewenden.


Zwiſchen den Catholiſchen und Evangeli-V.
ſchen kam es zu anderen Beſtimmungen. Hier
lagen eine Menge Streitfragen im Wege, woruͤber
eine Vereinigung beider Religionstheile, um aus-
zumachen, was da Recht oder Unrecht ſey, gar
nicht zu erwarten war. Meiſt flochten ſich gewiſſe
Religionsgrundſaͤtze ein, worin immer ein Theil
ohne dem Gewiſſen Gewalt anzuthun nicht glaubte
dem andern nachgeben zu koͤnnen. In ſolcher Ruͤck-
ſicht war es noch ein Gluͤck, daß man einen Aus-
weg fand, ohne in die Frage: wer Recht oder
Unrecht habe? hineingehen zu duͤrfen. Da es
nehmlich bey Gelegenheit der Amneſtie uͤber die
Frage, von welchem Jahre dieſelbe anzurechnen
ſey, zu ſo vielerley Eroͤrterungen und Unterhand-
lungen gekommen war; ſo fiel man endlich auf
den Gedanken, ob nicht auch die Herſtellung der
Beſchwerden uͤber die Religionsſachen ſich nach
dem Zuſtande eines gewiſſen Jahres vergleichen
laßen moͤchten; ſo daß man daraus ein ewiges
Entſcheidungsziel machen koͤnnte, und dann nur
nachforſchen duͤrfte, wie ſich die Sachen gerade
damals
E 2
[68]VII. Neuere Zeit. Weſtph. Fr. 1648.
damals befunden, ohne daß in Anſehung der etwa
ſonſt dabey in Betrachtung kommenden Rechtsfra-
gen oder Religionsgrundſaͤtze ein Theil dem andern
nachgeben duͤrfte.


VI.

So hatte der Kaiſer ſchon in der oben erwehn-
ten ſo genannten Generalamneſtie vom 20. Aug.
1641. einfließen laßen, daß eine Reſtitution der
geiſtlichen Guͤter, vom 12. Nov. 1627. an zu rech-
nen, ſtatt finden ſollte. Die Proteſtanten beſtan-
den aber darauf, daß man auch darin auf den
erſten Anfang des Krieges, alſo aufs Jahr 1618.,
zuruͤckgehen muͤßte. Unter Vermittelung des
Grafen von Trautmannsdorf kam es nach und nach
dahin, daß zu Feſtſetzung eines ſolchen Entſchei-
dungszieles die Catholiſchen von 1627. bis 1626.
1625. hinaufruͤckten; die Proteſtanten hingegen
von 1618. auf 1620. 1621. 1623. herunterließen;
bis dann endlich beide Theile uͤber das Jahr 1624.
ſich verglichen, und, wo ſichs thun ließ, ſelbſt
den erſten Tag dieſes Jahres zum beſtimmten Ent-
ſcheidungsziele annahmen.


VII.

Nach dieſem Entſcheidungsziele ſollte nun vor-
erſt das Schickſal aller geiſtlichen Stiftungen
fuͤr die Zukunft beſtimmt werden. Zwar diejeni-
gen Stifter, woruͤber zum Vortheile der Krone
Schweden und ihrer Bundesgenoſſen beſondere
Verordnungen verglichen waren, blieben nur die-
ſen, unabhaͤngig von jenem Entſcheidungsziele,
unterworfen. Aber alle uͤbrige unmittelbare Stif-
tungen ſollten von nun an ewig in eben dem Re-
ligionsverhaͤltniſſe bleiben, wie ſie am 1. Jan. 1624.
geweſen waren, nachdem ſich damals catholiſche
oder
[69]4) Religionsverhaͤltniſſe.
oder evangeliſche Glaubensgenoſſen in ihrem wuͤrkli-
chen Beſitze befunden hatten (p). Damit ward auch
nunmehr fuͤr die Zukunft der bisherige Streit uͤber
den geiſtlichen Vorbehalt dergeſtalt erlediget, daß es
von nun an dabey blieb, daß, wenn der Inhaber
irgend einer geiſtlichen Stelle ſeine Religion veraͤn-
derte, auch der Verluſt der Stelle davon abhieng,
und ein anderer von eben der Religion, die der
Abgegangene verlaßen, an deſſen Stelle genommen
werden ſolle. Auch uͤber alle mittelbare Kloͤſter
oder andere Stiftungen mit allen ihren Zugehoͤren
ſollte bloß der wuͤrkliche Beſitzſtand, wie er am
1. Jan. 1624. geweſen, fuͤr beſtaͤndig zur alleinigen
Richtſchnur dienen.


Selbſt die Ausuͤbung der geiſtlichen Gericht-VIII.
barkeit ward in ſoweit nach dem Entſcheidungs-
jahre beſtimmt, daß uͤber catholiſche Unterthanen
evan-
E 3
[70]VII. Neuere Zeit. Weſtph. Fr. 1648.
evangeliſcher Reichsſtaͤnde das biſchoͤfliche Dioece-
ſanrecht ſowohl in Laͤndern als in vermiſchten
Reichsſtaͤdten nur da ſtatt finden ſollte, wo es
im Jahre 1624. in Uebung geweſen; nach wel-
chem Beſitzſtande ſich auch die geiſtliche Gericht-
barkeit in Beytreibung der Einkuͤnfte catholiſcher
Stiftungen in evangeliſchen Laͤndern richten ſollte.
Hinwiederum ſollten evangeliſche Unterthanen ca-
tholiſcher Reichsſtaͤnde nur nach Maßgabe eben
dieſes Entſcheidungsziels, jedoch allemal mit dem
Vorbehalte, daß nichts der Augsburgiſchen Conſeſ-
ſion oder ihrem Gewiſſen zuwider geſchehen duͤrfe,
der catholiſchen geiſtlichen Gerichtbarkeit unterwor-
fen ſeyn; da hingegen, wenn ſie im Jahre 1624.
ihr eignes Conſiſtorium gehabt, ihnen auch ſolches
bleiben ſollte.


IX.

Sonſt aber wurde nicht nur die geiſtliche Ge-
richtbarkeit, wie man ſolche in Auslegung des Re-
ligionsfriedens nur im engern Verſtande hatte neh-
men wollen, ſondern auch das voͤllige Dioeceſan-
recht
und die ganze geiſtliche Gerichtbarkeit mit
allen ihren Gattungen gegen die evangeliſchen
Reichsſtaͤnde und ihre Unterthanen ſowohl unter
catholiſchen und evangeliſchen, als bloß unter evan-
geliſchen Partheyen unter ſich gaͤnzlich aufgeho-
ben
, und ausdruͤcklich hinzugeſetzt, daß das Dioe-
ceſanrecht und die geiſtliche Gerichtbarkeit ſich auf
die Graͤnzen eines jeden Landes einſchraͤnken ſolle.
Damit war wieder ein wichtiger Punct entſchieden,
weil noch nach dem Religionsfrieden in proteſtan-
tiſchen Laͤndern benachbarte catholiſche Biſchoͤfe
manchmal Rechte ſich zueignen wollten, die ſie
nicht unter der geiſtlichen Gerichtbarkeit, wie ſie
der
[71]4) Religionsverhaͤltniſſe.
der Religionsfriede aufgehoben hatte, begriffen wiſ-
ſen wollten, ſondern zu anderen Gegenſtaͤnden ihrer
Dioeceſanrechte rechneten. Jetzt waren ſowohl
evangeliſche Reichsſtaͤnde als ihre Unterthanen fuͤr
dergleichen Anſpruͤche auf beſtaͤndig geſichert.


Was hernach die unter beiden Religionsthei-X.
len eben ſo ſehr beſtrittene Frage anbetraf, wie es
mit der Religionsuͤbung evangeliſcher Untertha-
nen unter catholiſchen Landesherren gehalten wer-
den ſollte? ſo ward auch da zum Entſcheidungs-
ziele angenommen, daß ſolche Unterthanen, die
nur in irgend einem Theile des ganzen Jahres 1624.
ihren oͤffentlichen oder Privatgottesdienſt gehabt,
denſelben mit allen Zugehoͤren behalten ſollten.
Wo ſie im Jahre 1624. gar keine Religionsuͤbung
gehabt, ſollte ihnen frey gelaßen werden, aus dem
Lande wegzuziehen, oder auch dem Landesherrn
unbenommen bleiben, ihnen den Abzug aus dem
Lande anzubefehlen. Doch ſollte auch alsdann
den Unterthanen, nachdem ſie ſchon vor dem Weſt-
phaͤliſchen Frieden ihrer Religion zugethan geweſen,
oder erſt nachher ſich dazu gewandt haͤtten, eine
Zeit von fuͤnf oder drey Jahren zum Abzuge geſtat-
tet, auch weder mit ungebuͤhrlichen Abgaben, noch
mit Verſagung ihrer benoͤthigten Zeugniſſe und
Kundſchaften, noch mit Einſchraͤnkung der Frey-
heit ihre Guͤter zu verkaufen, oder ferner verwal-
ten zu laßen, und deshalb ab- und zuzureiſen, et-
was in Weg gelegt werden.


Sofern aber weder von gezwungenem noch frey-XI.
willigem Abzuge die Frage ſey, ſollten ſolche Unter-
thanen auch da, wo ſie im Jahre 1624. gar keine
E 4Re-
[72]VII. Neuere Zeit. Weſtph. Fr. 1648.
Religionsuͤbung gehabt, doch ruhig geduldet wer-
den. Man ſollte ſie ungeſtoͤhrt bey ihrer Haus-
andacht
laßen. Oder es ſollte ihnen auch unver-
wehrt ſeyn, dem Gottesdienſte an benachbarten
Orten beyzuwohnen. Desgleichen ſollte ihnen frey
ſtehen, ihre Kinder in auswaͤrtige Schulen zu
ſchicken, oder durch Privatlehrer zu Hauſe unter-
richten zu laßen. Ueberall aber ſollten dergleichen
evangeliſche oder catholiſche Unterthanen weder ver-
aͤchtlich gehalten, noch von der buͤrgerlichen Ge-
meinſchaft, noch vom Genuſſe gemeiner Rechte,
noch von ehrlichen Begraͤbniſſen ausgeſchloſſen,
ſondern anderen Mitbuͤrgern gleich gehalten werden.


XII.

Nur fuͤr ſeine eigne Erblande wollte ſich der
Kaiſer die Haͤnde weiter nicht binden laßen, außer
daß den Herzogen in Brieg, Liegnitz, Muͤnſter-
berg und Oels, wie auch der Stadt Breslau ihre
bisherige evangeliſche Religionsuͤbung gelaßen, und
außerdem den Schleſiſchen Proteſtanten noch drey
neue Kirchen bey Schweinitz, Jauer und Glogau
zu bauen geſtattet, auch den Schleſiſchen Prote-
ſtanten kein gezwungener Abzug zugemuthet wer-
den ſollte. Doch ward der Krone Schweden und
den evangeliſchen Reichsſtaͤnden ausbedungen, um
weitere Religionsfreyheit fuͤr ihre Glaubensgenoſ-
ſen allenfalls kuͤnftig noch eine Fuͤrſprache oder
Fuͤrbitte einzulegen.


XIII.

Der unmittelbaren Reichsritterſchaft wur-
den hingegen eben die Rechte in Anſehung ihrer
Guͤter und Unterthanen beygelegt, wie ſie von
Reichsſtaͤnden feſtgeſetzt waren. (In den folgen-
den Wahlcapitulationen iſt ſie deswegen in ſolchen
Stel-
[73]4) Religionsverhaͤltniſſe.
Stellen, wo von Rechten der Landesherren uͤber
ihre Unterthanen die Rede war, mehrentheils durch
eine beſondere Parentheſe mit eingeſchloſſen worden.)


In Anſehung der Reichsſtaͤdte wurde endlichXIV.
zwiſchen pur evangeliſchen oder pur catholiſchen
und vermiſchten Reichsſtaͤdten noch ein Unterſchied
gemacht; ſo daß fuͤr pur evangeliſche ſolche er-
klaͤret wurden, in welchen im Jahre 1624. außer
der evangeliſchen Religionsuͤbung keine andere von
der Obrigkeit und Buͤrgerſchaft (nachdem nehmlich
nach Verſchiedenheit der Verfaſſung einer jeden
Stadt entweder jene allein, oder etwa nur mit
Zuziehung der letztern es habe thun koͤnnen) ein-
gefuͤhrt geweſen ſey, wenn auch gleich einige ca-
tholiſche Einwohner daſelbſt wohnten, oder ein
und ander Kloſter oder Stift und dazu gehoͤrige
Kirche catholiſch geblieben ſey.


Als vermiſchte Reichsſtaͤdte von gleichemXV.
Verhaͤltniſſe beiderley Religionen wurden nur Augs-
burg, Duͤnkelſpuͤhl, Biberach, Ravensburg und
Kaufbeuern benannt. Fuͤr deren innere Verfaſſung
wurde zugleich meiſt eine voͤllige Religionsgleichheit
in Beſetzung aller obrigkeitlichen Stellen, oder wo
nur eine Stelle vorhanden, darin eine Abwechſe-
lung beider Religionen vorgeſchrieben. Auch wur-
de namentlich wegen Augsburg noch ausdruͤcklich
feſtgeſetzt, daß die Mehrheit der Stimmen in Sa-
chen, welche die Religion gerade zu oder auch nur
durch entfernten Einfluß betraͤfen, durchaus nicht
geachtet werden ſollte.


E 5Von
[74]VII. Neuere Zeit. Weſtph. Fr. 1648.
XVI.

Von den uͤbrigen Reichsſtaͤdten, die nicht als
vermiſcht angeſehen werden konnten, waren eigent-
lich nur 13. an der Zahl, denen das Entſchei-
dungsjahr zu ſtatten kam, um ſie fuͤr pur catho-
liſch rechnen zu koͤnnen. Ungleich mehrere an der
Zahl, nehmlich 33., von denen die meiſten auch
uͤberdies ungleich wichtiger und maͤchtiger waren,
gehoͤrten zum evangeliſchen Reichstheile.


XVII.

So war demnach ſowohl nach dem Ausſchlage,
den das Entſcheidungsjahr gab, als nach anderen
Vorſchriften des Weſtphaͤliſchen Friedens, nicht
nur in den kaiſerlichen Erblanden, ſondern auch
in allen uͤbrigen beſonderen Teutſchen Staaten das
Verhaͤltniß der catholiſchen und evangeliſchen Re-
ligionsverwandten gar ſehr unterſchieden, nachdem
in einem derſelben die catholiſche Religion ganz
alleine, in einem andern die evangeliſche alleine
die Oberhand behielt, in andern beiderley Religio-
nen in mehr oder minderem Gleichgewichte neben
einander ſtatt fanden. Evangeliſcher Seits hatte
man zwar noch in den Weſtphaͤliſchen Friedens-
handlungen mehrmalen darauf angetragen, daß
auch in jeden einzelnen Laͤndern und Reichsſtaͤdten
voͤllig freygeſtellt werden moͤchte, von welcher der
beiden Religionen jeder Einwohner und Buͤrger
ſeyn moͤchte. Von Seiten der Catholiſchen war
man aber ſo weit entfernt, darein zu willigen,
daß vielmehr in den meiſten catholiſchen Laͤndern
einem jeden Unterthanen zur Pflicht gemacht wur-
de, erſt einen Religionseid abzulegen, ehe er zum
Lehns- oder Huldigungs- oder Dienſt-Eide gelaßen
werden koͤnnte.


So,
[75]4) Religionsverhaͤltniſſe.

So, ſage ich, war und blieb das VerhaͤltnißXVIII.
der beiderley Religionen in den beſonderen Teut-
ſchen Staaten gar ſehr unterſchieden, da aller-
dings bald die eine, bald die andere als die herr-
ſchende Religion angeſehen werden konnte, nur
an wenigen Orten eine Religionsgleichheit obwal-
tete. Aber ſollte nun auch fuͤr das Teutſche Reich
im Ganzen die catholiſche Religion noch als die
herrſchende gelten? die evangeliſche nur als un-
gleich geduldete, etwa wie die juͤdiſche? — Das
war freylich wohl der Sinn der Jeſuiten und
derer, die von ihren Grundſaͤtzen eingenommen
waren, die ſelbſt im Religionsfrieden hoͤchſtens
nichts als eine den Proteſtanten verſprochene Si-
cherheit, etwa auf den Fuß, wie in Laͤndern, wo
man den Juden Schutz ertheilt, ſolchen Schutz-
juden, zugeſtanden wiſſen wollten. Das Teutſche
Reich im Ganzen als ein in Anſehung der Reli-
gion vermiſchtes Reich anzuſehen, und einen Re-
ligionstheil dem andern darin gleich gelten zu laßen,
wollte ihnen nicht in den Sinn. Gleichwohl war
das eben ſo, als wenn man die ganze Schweiz
noch fuͤr einen pur catholiſchen Staat rechnen, oder
doch die catholiſche Religion als die herrſchende
anſehen wollte, da von den 13. Cantons nur 4.
evangeliſch, 7. catholiſch, und 2. vermiſcht ſind.


Freylich war und blieb die Perſon des KaiſersXIX.
catholiſch. Es ward auch nicht ausgemacht, wie
ſich vielleicht haͤtte denken laßen koͤnnen, daß ab-
wechſelnd bald ein catholiſcher, bald ein evangeli-
ſcher Kaiſer ſeyn ſollte. Es war aber doch auch
durch kein Grundgeſetz ausgemacht, daß kein evan-
geliſcher Kaiſer ſeyn koͤnnte. Und allemal konnte
der
[76]VII. Neuere Zeit. Weſtph. Fr. 1648.
der Umſtand alleine, daß die Perſon des Kaiſers
catholiſch blieb, in Beſtimmung des Religionsver-
haͤltniſſes fuͤr das ganze Teutſche Reich den Aus-
ſchlag nicht geben. Bey einem ſo zuſammenge-
ſetzten Staatskoͤrper, wie dieſer war, kam es viel-
mehr auf das Verhaͤltniß an, worin die verſchie-
denen beſonderen Staaten, woraus Teutſchland zu-
ſammengeſetzt iſt, ſich gegen einander verhielten.
Da moͤchte man nun die Zahl der Einwohner, oder
das Gewicht der Laͤnder, in Anſehung ihrer Ein-
kuͤnfte, Kriegsmacht, und ſelbſt ihre Beytraͤge zu
den Reichsbeſchwerden, zum Maßſtabe angenom-
men haben; ſo ſtaͤnde noch wohl dahin, auf wel-
cher Seite ſich ein Uebergewicht hervorgethan ha-
ben moͤchte. Selbſt die Zahl der reichsſtaͤndiſchen
Stimmen war bisher unter den Churfuͤrſten gleich,
unter den Reichsſtaͤdten uͤberwiegend evangeliſch
geweſen; im Fuͤrſtenrath allein waren der catho-
liſchen Stimmen nur einige wenige mehr, als der
evangeliſchen. So war es doch wohl keine unbil-
lige Forderung, wenn der evangeliſche Religions-
theil darauf beſtand, daß in Anſehung des Teut-
ſchen Reichs im Ganzen ein Religionstheil ſo gut
wie der andere gehalten werden muͤßte! Nun das
wurde dann endlich auch im Osnabruͤckiſchen Frie-
den als einer der erſten Grundſaͤtze angenommen:
daß unter beiderley Religionen Staͤnden eine voll-
kommene gegenſeitige Gleichheit
ſtatt finden
ſolle; ſo daß eben das, was dem einen Theile,
auch dem andern Recht ſeyn ſolle.


XX.

Mit dieſem Grundſatze konnte nichts weniger
beſtehen, als wenn ein Theil dem andern bloß mit
Mehrheit der Stimmen ein Uebergewicht abzuge-
win-
[77]4) Religionsverhaͤltniſſe.
winnen ſuchen wollte; woruͤber ſchon bey allen
Gelegenheiten Beſchwerden der evangeliſchen Staͤn-
de vorgekommen waren. Um dieſe Beſchwerden
zu heben, wurde fuͤr ſolche Faͤlle, wo es darauf
ankommen wuͤrde, von Kaiſer und Reichs wegen
eine gewiſſe Anzahl Perſonen anzuſtellen, zur Re-
gel angenommen, daß immer eine gleiche Anzahl
Perſonen
von beiden Religionen angeſetzt werden
ſollte, als namentlich bey Reichsgerichten, Reichs-
deputationen und Commiſſionen, die in Angelegen-
heiten verſchiedener Religionsverwandten unter ein-
ander zu erkennen ſeyn moͤchten. Wo ſich aber
die Zahl der Stimmen ſelbſt nicht in voͤllige Gleich-
heit ſetzen ließ, wie in reichsſtaͤndiſchen Verſamm-
lungen, wo man die Stimmen nehmen mußte,
wie ſie einmal waren; da ſollte doch, ſobald ſich
die beiderley Religionsverwandten in zwey ver-
ſchiedenen Meynungen trennten, nicht die Mehrheit
der Stimmen, ſondern bloß guͤtliche Vergleichung
den Streit entſcheiden.


Daß man der Mehrheit der Stimmen nichtXXI.
nachgehen koͤnne, wenn von Religionsſachen die
Frage ſey, hatte der catholiſche Religionstheil allen-
falls einraͤumen zu koͤnnen ſich ſchon mehrmalen
erklaͤret. Auch konnte bey dem Satze, den die
Proteſtanten behaupteten, daß in Sachen, wo es
auf eines jeden Gewiſſen ankomme, ein jeder nur
als einzeln fuͤr ſich, keinesweges aber als Mitglied
der buͤrgerlichen Geſellſchaft zu betrachten, und
deren collegialiſcher Entſcheidung zu unterwerfen
ſey, mit Grunde nichts erinnert werden. Die
Proteſtanten trugen aber darauf an, daß auch
dieſer Fall, wenn Staͤnde als einzeln zu betrachten
waͤ-
[78]VII. Neuere Zeit. Weſtph. Fr. 1648.
waͤren, uͤberhaupt zur Ausnahme von der Mehr-
heit der Stimmen mit ausgedruͤckt werden moͤchte.
Wobey viele der Meynung waren, daß auch Con-
tributionsſachen, wenn mehrere Stimmen die uͤbri-
gen wider ihren Willen zu Steuerbewilligungen
noͤthigen wollten, darunter begriffen ſeyn muͤßten.
Doch dieſer Punct des Contributionsweſens, der
allerdings einigen Anſtand hatte, mußte am Ende
unverglichen gelaßen, und zur Entſcheidung des
naͤchſten Reichstages ausgeſetzt werden (die gleich-
wohl noch immer nicht erfolget iſt, und alſo keine
geringe Unvollkommenheit in unſerer Reichsverfaſ-
ſung uͤbrig laͤßt, da wider reichstaͤgliche Steuer-
bewilligungen noch immer eingewandt werden kann,
daß es noch nicht ausgemacht ſey, ob auch die
Mehrheit der Stimmen darin entſcheiden koͤnne.)


XXII.

Nun hatte aber uͤberdies ſchon mehrmalen die
Erfahrung gelehret, daß theils ſelbſt die Frage: ob
dieſes oder jenes eine Religions: oder Gewiſſensſache
ſey? in Streit gekommen war, und theils auch
nicht ſelten in bloß weltlichen Sachen nur in Ruͤck-
ſicht naher oder entfernter Vortheile, die der catho-
liſche Religionstheil fuͤr ſich oder auch nur fuͤr einen
oder andern ſeiner Religionsverwandten davon hof-
fen konnte, die Mehrheit der Stimmen dazu benutzt
wurde, Sachen durchzuſetzen. Darum war nun
der erſte Antrag der Proteſtanten in ihren im Nov.
1645. uͤbergebenen Beſchwerden uͤber dieſen Punct
ſo gefaſſet: ”daß nicht allein in Religions-Con-
„tributions-, und denen Sachen, da die Staͤnde
„(einzeln) vt ſinguli zu conſideriren, ſondern auch
„in allen und jeden anderen, ſie treffen an, was
„ſie immer wollen, darin die Roͤmiſchcatholiſchen
„eins,
[79]4) Religionsverhaͤltniſſe.
„eine, und die Evangeliſchen die andere Parthey
„conſtituiren, das Ueberſtimmen hinfuͤro nicht mehr
„gelten ſolle” (q). Von den hier benannten vie-
rerley Gegenſtaͤnden blieb nun zwar der zweyte,
die Contributionsſachen betreffend, wie ich vorhin
ſchon angemerkt habe, ausgeſetzt. Die drey uͤbri-
gen wurden aber endlich im Frieden in folgenden
Worten beſtimmt: ”In Religionsſachen, und
allen anderen Geſchaͤfften, worin die Staͤnde nicht
als ein Corpus angeſehen werden koͤnnen, wie auch
wenn die catholiſchen und evangeliſchen Staͤnde in
zwey Theile gehen (oder zweyerley Meynungen be-
haupten,) ſo ſoll allein guͤtliche Vergleichung den
Streit entſcheiden, ohne die Mehrheit der Stim-
men zu achten.”


In den Verbindungsworten: wie auch, warXXIII.
hier offenbar der Uebergang von den beiden vor-
her benannten Gegenſtaͤnden, worin die Mehrheit
der Stimmen wegfallen ſollte, auf einen davon
unterſchiedenen dritten Gegenſtand enthalten, der
unſtreitig den Sinn hatte, daß ohne alle Ein-
ſchraͤnkung, ſo oft und in welchen Faͤllen es auch
ſeyn moͤchte, wenn der catholiſche und evangeliſche
Religionstheil zweyerley Meynungen gegen einan-
der behaupteten, kein Theil den andern uͤberſtim-
men ſollte. Sowohl nach der Veranlaßung als
dem Zuſammenhange dieſer Stelle des Friedens
war nicht die Frage, (wie man ſie nachher ver-
ſchiedentlich aufgeworfen hat): in welchen Faͤllen
oder uͤber welcherley Gegenſtaͤnde beide Religions-
theile ſich zu trennen berechtiget ſeyn ſollten? ſon-
dern
[80]VII. Neuere Zeit. Weſtph. Fr. 1648.
dern die Frage war: wann ſoll die Mehrheit der
Stimmen ihre Wirkſamkeit verliehren? Die Ant-
wort war: Nicht nur in Religionsſachen, und
anderen Faͤllen, wo jede Staͤnde nur als einzeln
zu betrachten ſind; ſondern auch in allen und jeden
Sachen, wo beide Religionstheile ſich in ihren
Behauptungen von einander trennen.


XXIV.

Es war alſo nichts weniger als dem Sinne
dieſer Stelle gemaͤß, wenn man die eingeſchraͤnkte
Auslegung davon machen wollte, daß eine ſolche
Trennung der beiden Religionstheile nicht anders
als in Religionsſachen ſtatt finden duͤrfe. Eben
darum war das zur wahren Schutzwehr der Pro-
teſtanten feſtgeſetzt, daß, wenn in reichsſtaͤndiſchen
Verſammlungen die catholiſchen Staͤnde die Mehr-
heit der Stimmen zu ihrem Vortheile benutzen woll-
ten, dagegen dieſes Huͤlfsmittel zur Hand genommen
werden koͤnne, ohne erſt in eine beſondere Eroͤrterung
hineingehen zu duͤrfen, ob von einer Religionsſache,
oder von einem nahen oder entferntern Einfluſſe der
Religion die Frage ſey, oder nicht. Zu Erhaltung
des Gleichgewichts zwiſchen beiden Religionstheilen
war das unſtreitig das einzige Mittel. Auf an-
dere Art wuͤrde jener Grundſatz von der vollkomme-
nen Gleichheit der beiden Religionen, und daß ein
Theil mit dem andern gleiche Rechte haben ſollte,
nie zur Erfuͤllung haben gebracht werden koͤnnen.


XXV.

Ich ſage, Gleichheit der beiden Religio-
nen. Das iſt ſowohl die Sprache des Weſtphaͤ-
liſchen Friedens als der nachherigen Reichsgrund-
geſetze; Nicht drey Religionen. Denn wenn gleich
unter den Augsburgiſchen Confeſſionsverwandten
ſowohl
[81]4) Religionsverhaͤltniſſe.
ſowohl Reformirte als Lutheriſche begriffen ſind;
ſo iſt doch das Verhaͤltniß zwiſchen dieſen beiden
ganz anders beſtimmt, als zwiſchen ihnen und den
Catholiſchen. Was Lutheriſche und Reformirte ein-
ander geſtatten, kann nicht von Catholiſchen gegen
Proteſtanten behauptet werden. Auch gilt umge-
kehrt nicht unter jenen, was zur Richtſchnur zwi-
ſchen Catholiſchen und Proteſtanten angenommen
iſt. Unter andern zeigt ſich das ſelbſt in Anſehung
des Entſcheidungsjahres 1624., das durch eine
ganz beſondere Verordnung des Weſtphaͤliſchen Frie-
dens nur noch in der Pfalz zum Entſcheidungsziele
zwiſchen den dortigen Lutheriſchen und Reformirten
angenommen iſt, ſonſt aber zwiſchen dieſen beiden
Religionsverwandten nicht zur Entſcheidung die-
net. — So, ſage ich, ſind nicht alle drey Reli-
gionen, ſondern nur zwey einander voͤllig gleich-
geſetzt, obgleich unter einer von dieſen beiden wie-
der zweyerley Abtheilungen begriffen ſind, die aber
unter ſich wieder ihr beſonderes Verhaͤltniß haben.


Außer dieſen benannten Religionen ſollte nunXXVI.
aber nach weiterer Vorſchrift des Weſtphaͤliſchen
Friedens keine andere im Reiche aufgenommen noch
geduldet werden. So hat ſich wenigſtens von
Reichs wegen keine andere Religion eines gleichen
Buͤrgerrechts zu erfreuen. Doch hat das nicht
den Sinn gehabt, daß auch in einzelnen Laͤndern
oder Reichsſtaͤdten keine andere Religionsuͤbung
geſtattet, oder gar kein anderer Glaubensgenoſſe
geduldet werden duͤrfte; wie davon das haͤufige
Beyſpiel der Juden ſchon das Gegentheil zeiget,
da ihnen zwar kein allgemeines Reichsbuͤrgerrecht
zu ſtatten koͤmmt, aber doch ein jeder Reichsſtand
P. Entw. d. Staatsverf. Th.II. Fſo-
[82]VII. Neuere Zeit. Weſtph. Fr. 1648.
ſowohl Schutz als Freyheit des Gottesdienſtes ge-
ben kann. Auch von Quaͤkern, Menoniſten u. d. g.
laͤßt ſich deswegen eben das behaupten.


V.
Friedenshandlungen uͤber der Reichsſtaͤnde poli-
tiſche Beſchwerden, ihre landesherrlichen Rechte
betreffend.


I. Befeſtigung der Landeshoheit uͤberhaupt — II. mit
Jubegriff des Rechts der Buͤndniſſe. — III. Zugleich geſi-
cherter Beſitz der Reichspfandſchaften. — IV. Befeſtigter
Zuſtand der Reichsſtaͤdte, Reichsritterſchaft und Reichsdoͤrfer.


I.

Von politiſchen Beſchwerden, die in den Weſt-
phaͤliſchen Friedenshandlungen zu eroͤrtern
vorkamen, betraf eine der erſten die Landeshoheit
der Teutſchen Reichsſtaͤnde. So ſehr der Beſitz-
ſtand und ein Herkommen von mehreren Jahrhun-
derten her derſelben das Wort redete; ſo wurden
doch noch oͤftere Zweifel erhoben, was ein jeder Reichs-
ſtand in ſeinem Lande eigentlich fuͤr Rechte auszuuͤben
begehren koͤnne. Man wollte einem jeden allen-
falls nur die beſonders ihm verliehenen Regalien,
aber nicht den vollſtaͤndigen Inbegriff aller Hoheits-
rechte zugeſtehen. Dagegen bewirkten aber beide
Kronen den Ausſpruch des Friedens: daß ”alle
und jede Reichsſtaͤnde in freyer Ausuͤbung ihres
Territorialrechts und im Beſitze aller ihrer Rechte
geſchuͤtzt und befeſtiget, und von niemanden, wer
es auch ſey, kuͤnftig geſtoͤhrt werden ſollten.” Was
alſo irgend in einem Staate die hoͤchſte Gewalt
als
[83]5) Landesherrliche Rechte.
als einen Inbegriff von Hoheitsrechten in ſich faſ-
ſet, das wird auch nunmehr der Landeshoheit
eines jeden Reichsſtandes zugeeignet; nur daß dieſe
nicht unabhaͤngig iſt, ſondern Kaiſer und Reich
noch uͤber ſich hat, und gewiſſe Rechte, die dem
Kaiſer ſchon vor der Vollſtaͤndigkeit der Landes-
hoheit in ganz Teutſchland zukamen, demſelben
als ſo genannte Reſervatrechte eigen geblieben ſind,
als vorzuͤglich das Recht der Standeserhoͤhungen
und academiſcher Wuͤrden, und einige andere
Rechte, wozu wenigſtens noch immer eine kaiſer-
liche Verleihung erforderlich iſt, als das Recht
der Zoͤlle und der Muͤnze. Alle uͤbrige Rechte,
die auch etwa von neuem erſt in Gang kommen,
ſind nun von ſelbſten in der Landeshoheit begriffen.


Namentlich wurde noch inſonderheit hinzuge-II.
fuͤgt, daß jeden einzelnen Reichsſtaͤnden beſtaͤndig
frey ſtehen ſollte, zu ihrer Erhaltung und Sicher-
heit ſowohl unter ſich als mit Auswaͤrtigen Buͤnd-
niſſe
zu machen; doch ſo, daß ſolche nicht gegen
Kaiſer und Reich gerichtet ſeyn, noch gegen den
Landfrieden und gegen die Pflicht, womit ein jeder
dem Kaiſer und Reiche zugethan iſt, anſtoßen duͤr-
fen. Dadurch war nunmehr ausgemacht, daß
ein jeder Reichsſtand nicht nur als Bundesgenoſſe
einer andern Macht, ſondern auch als ſelbſt krieg-
fuͤhrender Theil ſich in Buͤndniſſe von allen Gat-
tungen einlaßen, folglich auch Krieg fuͤhren und
Frieden ſchließen koͤnne. Der Landfriede und das
Verhaͤltniß, worin alle Reichsſtaͤnde als Mitglie-
der eines Reichs in gegenſeitiger Verbindung ſte-
hen, bringt jedoch die natuͤrliche Einſchraͤnkung
mit ſich, daß ein Reichsſtand den andern nicht
F 2mit
[84]VII. Neuere Zeit. Weſtph. Fr. 1648.
mit Krieg uͤberziehen darf. (Wie aber, wenn
zwey auswaͤrtige Maͤchte mit einander Krieg fuͤh-
ren, und eine derſelben einen, die andere einen
andern Reichsſtand zum Bundesgenoſſen bekoͤmmt?
So hat ſichs doch fuͤgen koͤnnen, daß im nachhe-
rigen Nordiſchen Kriege Churſachſen mit Daͤnemark,
Braunſchweig-Zelle mit Schweden verbuͤndet war,
und Sachſen als Daͤniſche Huͤlfsvoͤlker ins Zelli-
ſche einbrachen!)


III.

Noch war unter dem, was Reichsſtaͤnde an
Rechten und Laͤndern beſaßen, manches, das ur-
ſpruͤnglich ehedem einmal von ein oder anderm
Kaiſer ihnen nur Pfandweiſe eingegeben war.
Solche Reichspfandſchaften waren zwar meiſt
von einem Kaiſer zum andern erneuert worden;
auch war ſchon ſeit Carl dem V. in der Wahl-
capitulation das Verſprechen mit enthalten, einem
jeden Stande ſeine Pfandſchaft beſtaͤtigen und
ihn dabey ſchuͤtzen zu wollen. Inzwiſchen blieb
doch immer nach der Natur des Pfandrechts eine
Wiedereinloͤſung moͤglich; womit Ferdinand der II.
mit den Reichsſtaͤdten Lindau und Weißenburg
im Nordgau ſchon einen Anfang zu machen ver-
ſucht hatte. Der daraus entſtandenen Beſorgniß
ward damit abgeholfen, daß zwar Pfandſchaften
der Staͤnde unter einander fuͤr wiedereinloͤsbar
erklaͤret wurden, Reichspfandſchaften aber ihren
Beſitzern gelaßen werden ſollten (r). Vorzuͤglich
wa-
[85]5) Landesherrliche Rechte.
waren damit viele Reichsſtaͤdte gerettet, denen
ehemalige Kaiſer ihre reichsvogteyliche Rechte ver-
pfaͤndet hatten, mit deren Einloͤſung die meiſten
Reichsſtaͤdte den Kaiſer zu ihrem wahren Landes-
herrn bekommen haben wuͤrden. Den Reichs-
ſtaͤdten Lindau und Weiſſenburg, denen ihre Reichs-
pfandſchaften wuͤrklich ſchon genommen waren, wur-
de ſelbſt deren Ruͤckgabe zugeſichert.


Ueberhaupt wurden alle Reichsſtaͤdte in ihrenIV.
hergebrachten Regalien und dem voͤlligen Umfange
ihrer Hoheit und Gerichtbarkeit innerhalb ihrer
Ringmauern und in ihren Gebieten aufs vollkom-
menſte geſchuͤtzt. Auch der Reichsritterſchaft
wurde ihre hergebrachte Reichsunmittelbarkeit ge-
ſichert, und der Religion halber eben das zuge-
ſtanden, was von Reichsſtaͤnden uͤberhaupt ver-
ordnet war. Selbſt einige unmittelbare Gemein-
den, die noch unter dem Namen Reichsdoͤrfer
uͤbrig ſind, wurden in dem Frieden mit einge-
ſchloſſen.


F 3VI.
[86]VII. Neuere Zeit. Weſtph. Fr. 1648.

VI.
Friedenshandlungen uͤber die Reichstagsrechte
und Cammergerichtsverfaſſung.


I. Antrag der beiden Kronen wegen der nothwendig
zu erfordernden Einwilligung des Reichstages mit dem freyen
Stimmrechte der Reichsſtaͤnde in wichtigen Reichsſachen. —
II. Vergebliche kaiſerliche Bemuͤhungen dagegen. — III.
Der Reichsſtaͤdte entſcheidendes Stimmrecht, — IV. mit der
Re- und Correlation zwiſchen den drey reichsſtaͤndiſchen
Collegien, — V. ohne daß eine Mehrheit der Stimmen un-
ter dieſen drey Collegien ſtatt findet. — VI. Fuͤr das
Cammergericht feſtgeſetzte Religionsgleichheit der Beyſitzer, —
VII. und darnach eingerichtete Praͤſentationen, — VIII. mit
Vorbehalt der Freyheit einzelner evangeliſchen Staͤnde in
catholiſchen Kreiſen. — IX. Praͤſidentenſtellen am Cammer-
gerichte. — X. Cammerrichtersſtelle. — XI. Religions-
gleichheit der Canzleyperſonen.


I.

Wegen des Antheils, den die Reichsſtaͤnde an
der Regierung des ganzen Reichs zu haben
begehrten, gab es nicht weniger Anſtaͤnde zu he-
ben. Der kaiſerliche Hof wollte es beynahe als
eine nur von ſeinem Belieben abhangende Sache
anſehen, ob er einen Reichstag zu halten noͤthig
finde oder nicht, und in welchen Sachen er das
Gutachten der Staͤnde beduͤrfe oder entrathen koͤn-
ne? Auch ſchien man die Benennung eines Reichs-
gutachtens im engſten Verſtande ſo deuten zu
wollen, daß es nur als ein guter Rath anzuſehen
ſey, deſſen Befolgung oder Nichtbefolgung auf des
Kaiſers Gutfinden ankomme, ohne daß derſelbe
eben an der Einwilligung des Reichs als an einer
Nothwendigkeit gebunden ſey. Hierwider thaten
beide Kronen gleich den Antrag: ”daß die Reichs-
ſtaͤnde ohne Widerſpruch in allen Berathſchlagungen
uͤber
[87]6) Reichstag u. C. G.
uͤber Reichsgeſchaͤffte des freyen Stimmrechts ſich
zu erfreuen haben muͤßten; inſonderheit wenn es
darauf ankomme, Geſetze zu machen oder zu
erklaͤren, Krieg zu fuͤhren, Steuern aufzulegen,
Werbungen oder Einquartierungen der Soldaten
zu veranſtalten, neue Feſtungen in der Staͤnde
Gebieten anzulegen, oder alte mit Beſatzungen
zu belegen, Frieden oder Buͤndniſſe zu ſchließen,
oder andere dergleichen Geſchaͤffte vorzunehmen.
Nichts dergleichen, noch irgend etwas aͤhnliches
ſollte kuͤnftig jemals geſchehen oder zugelaßen wer-
den, wenn nicht der Reichstag ſeine Einwilligung
dazu gaͤbe, und allen Staͤnden die Freyheit ihrer
Stimmen dabey gelaßen wuͤrde”.


Vergeblich ſchlugen die kaiſerlichen GeſandtenII.
vor, daß wenigſtens noch eine Clauſel hinzugefuͤgt
werden moͤchte, ”daß alles doch nur mit Vorbe-
halt der Rechte, die fuͤr den Kaiſer alleine, oder
doch nur fuͤr ihn und das churfuͤrſtliche Collegium
alleine gehoͤrten, und uͤberhaupt nach alter Weiſe
zu verſtehen ſeyn ſolle.” Da die Geſandten der
beiden Kronen von dieſer Aeußerung Gelegenheit
nahmen, darauf anzutragen, daß der kaiſerliche
Hof allenfalls ein Verzeichniß der ſo genannten
Reſervatrechte, die dem Kaiſer alleine zukaͤmen,
herausgeben moͤchte; fanden die kaiſerlichen Mi-
niſter das doch auch bedenklich. Man wuͤrde
vielleicht uͤber verſchiedene Rechte, ob ſie zu den
Reſervaten gehoͤrten, noch Streit erregt haben;
und am Ende waͤre dann die kaiſerliche Gewalt
nur auf einige namhaft gemachte einzelne Rechte
beſchraͤnkt worden. So wurde alſo endlich jene
Stelle voͤllig ſo, wie ſie von beiden Kronen ent-
F 4wor-
[88]VII. Neuere Zeit. Weſtph. Fr. 1648.
worfen war, in beide Friedensſchluͤſſe eingeruͤckt.
Von dieſer Zeit an hat nur noch daruͤber zu Zeiten
Zweifel entſtehen koͤnnen, was unter den Ausdruͤcken:
”Reichsgeſchaͤffte — und andere dergleichen Ge-
ſchaͤffte — oder irgend etwas aͤhnliches” — noch
begriffen ſeyn moͤchte, oder wie weit hingegen der
Umfang der kaiſerlichen Reſervatrechte uͤber gewiſſe
Gegenſtaͤnde mit Recht ausgedehnt werden koͤnne;
z. B. wenn die oberſtrichterliche Gewalt ein kaiſer-
liches Reſervatrecht iſt, ob und wie weit bey einer
Viſitation des Cammergerichts der Kaiſer fuͤr ſich
alleine zu Werke gehen, und dieſe oder jene Ver-
fuͤgungen erlaßen koͤnne?


III.

Von der inneren Verfaſſung des Reichstags
kam nur das zur Sprache, daß den Reichsſtaͤd-
ten
ſowohl auf der allgemeinen Reichsverſamm-
lung als in beſonderen reichsſtaͤndiſchen Zuſammen-
kuͤnften nicht minder als anderen Reichsſtaͤnden
ein entſcheidendes Stimmrecht gebuͤhren ſolle.
Von der Zeit an, als zuerſt eigne Abgeordnete
der Reichsſtaͤdte bey den Reichsverſammlungen
erſchienen waren, hatte man ihnen nur eine gut-
achtliche, keine entſcheidende Stimme (nur ein
votum conſultatiuum, kein deciſiuum) zugeſte-
hen wollen. Schon unter Carl dem V. hatten
die Reichsſtaͤdte gegen die uͤbrigen Reichsſtaͤnde
daruͤber Klage erhoben. Jetzt erhielten ſie im
Frieden den Ausſpruch zu ihrem Vortheile, daß
ſie unter der Benennung der Reichsſtaͤnde immer
mit begriffen ſeyen, und daß ihre Stimme mit
den Stimmen der uͤbrigen Staͤnde von gleichem
Werthe ſeyn ſollte.


In
[89]6) Reichstag u. C. G.

In allem uͤbrigen blieb es bey dem bisheri-IV.
gen Herkommen, vermoͤge deſſen es nunmehr ſchon
lange hergebracht war, daß das ehurfuͤrſtliche Col-
legium vom Fuͤrſtenrathe immer abgeſondert ſeine
Berathſchlagungen anſtellte, und hernach dieſe
beide hoͤhere Collegien, (wie man ſie in Anſehung
der Reichsſtaͤdte nannte,) erſt durch eine ſo ge-
nannte Re- und Correlation ſich eines gemein-
ſamen Schluſſes vereinigten, ehe man die Reichs-
ſtaͤdte, als das nunmehrige dritte reichsſtaͤndiſche
Collegium dazu zog, um ſich eines gemeinſamen
Schluſſes aller drey Reichscollegien und eines
daraus zu errichtenden Reichsgutachtens zu ver-
einbaren.


Wenn nicht alle drey Reichscollegien einig ſind,V.
bleibt gemeiniglich die Sache liegen. Eine Mehr-
heit der Stimmen
gilt unter den drey Reichs-
collegien
nicht. Selbſt die beiden hoͤheren Col-
legien haben ſich erklaͤrt, dergleichen wider das
reichsſtaͤdtiſche Collegium nicht zu begehren. Viel-
weniger wird es dieſem zugeſtanden, in zwieſpaͤl-
tigen Meynungen der beiden hoͤheren Collegien
den Ausſchlag zu geben. In ſolchem Verſtande
darf alſo jenes entſcheidende Stimmrecht, das der
Weſtphaͤliſche Friede den Reichsſtaͤdten zugeſteht,
nicht genommen werden. Von einer Mehrheit
der Stimmen unter den drey Reichscollegien war
da nicht die Rede, ſondern nur vom Stimmrechte
der Staͤnde uͤberhaupt, das nunmehr den Reichs-
ſtaͤdten auf gleiche Art, wie anderen Reichsſtaͤn-
den, eingeraͤumt wurde; im Gegenſatze der bloßen
Conſultativſtimme, die man ihnen ſonſt nur hatte
F 5zuge-
[90]VII. Neuere Zeit. Weſtph. Fr. 1648.
zugeſtehen wollen (s). Die wichtigſte Wirkung
davon zeigt ſich bey Reichsdeputationen, wo eini-
ge Churfuͤrſten, Fuͤrſten, Praͤlaten, Grafen und
Staͤdte im Namen aller Staͤnde beyſammen be-
rathſchlagen, und alsdann jede Stimme einer ein-
zelnen Reichsſtadt ſoviel gilt, als die von einem
Fuͤrſten oder Churfuͤrſten oder von einem ganzen
graͤflichen oder reichspraͤlatiſchen Collegium.


VI.

Wegen des Cammergerichts wurde feſtge-
ſetzt, daß in Sachen catholiſcher und evangeliſcher
Reichsſtaͤnde unter einander, oder auch in Sachen
einerley Glaubensgenoſſen, wenn ein dritter Inter-
venient von anderer Religion dazu komme, eine
voͤllige Religionsgleichheit unter den Mitglie-
dern des Gerichts beobachtet werden ſollte. Man
war deswegen ſchon vorher uͤbereingekommen, daß
das ganze Cammergericht mit Perſonen von bei-
den Religionen in gleicher Anzahl beſetzt werden
ſollte; wie es auch dem allgemeinen Grundſatze
von der voͤlligen gegenſeitigen Gleichheit beider Re-
ligionstheile in Anſehung des Reichs gemaͤß war.
Wie man aber zugleich gut fand, das Cammer-
gericht mit 50. Beyſitzern zu beſetzen, damit deſto
mehr Senate gemacht, und damit alle in ſo großer
Zahl dahin kommende Rechtsſachen deſto ſicherer
erlediget werden koͤnnten; ſo wurden doch den evan-
geliſchen Reichsſtaͤnden nicht 25., wie es nach der
voͤlligen Gleichheit haͤtte geſchehen ſollen, ſondern
nur 24. Praͤſentationen zugetheilt. Die catholi-
ſchen Reichsſtaͤnde ſollten zwar auch nur 24. Praͤ-
ſen-
[91]6) Reichstag u. C. G.
ſentationen zu vergeben haben. Aber zwey, die
noch an der Zahl 50. fehlten, wurden dem Kai-
ſer, doch beide catholiſch, zu praͤſentiren uͤber-
laßen. Alſo kam dennoch das Cammergericht zu
keiner voͤlligen Religionsgleichheit, ſondern unter
50. Beyſitzern konnten 26. catholiſche, nur 24.
evangeliſche ſeyn.


Ueber die evangeliſchen Praͤſentationen wur-VII.
de gleich im Frieden eingeruͤckt, daß die evange-
liſchen Churfuͤrſten Pfalz, Sachſen, Brandenburg,
jeder zwey, die beiden pur evangeliſchen Kreiſe Ober-
und Niederſachſen jeder vier, und zuſammen abwech-
ſelnd noch einen, die evangeliſchen Staͤnde in den
vermiſchten Kreiſen Franken, Schwaben, Ober-
rhein und Weſtphalen fuͤr jeden Kreis zwey, und
auch fuͤr dieſe vier Kreiſe abwechſelnd noch einen,
alſo zuſammen 24. evangeliſche Beyſitzer praͤſenti-
ren ſollten. (Von Seiten der catholiſchen Staͤnde
wurde die Vertheilung ihrer Praͤſentationen erſt
auf dem folgenden Reichstage voͤllig berichtiget, ſo
daß auch die vier catholiſchen Churfuͤrſten Mainz,
Trier, Coͤlln, Baiern, jeder 2., die Kreiſe Oeſter-
reich und Burgund, jeder ebenfalls 2., der Bai-
riſche Kreis 4., die catholiſchen Staͤnde der ver-
miſchten Kreiſe Franken, Schwaben, Oberrhein,
Weſtphalen von jedem dieſer Kreiſe 2., alſo zu-
ſammen ebenfalls 24. catholiſche Beyſitzer zu praͤ-
ſentiren bekamen.)


Im Bairiſchen Kreiſe waren zwar ein undVIII.
andere evangeliſche Reichsſtaͤnde, als die Grafen
von Wolfſtein und Ortenburg, und die Reichs-
ſtadt Regensburg. Er wurde aber doch wegen
der
[92]VII. Neuere Zeit. Weſtph. Fr. 1648.
der ungleich groͤßern Anzahl catholiſcher Mitglieder
als pur catholiſch angeſehen. Daß inzwiſchen
jenen evangeliſchen Kreisſtaͤnden es nicht zum Nach-
theile gereichen ſolle, daß ihnen kein Antheil an
den Praͤſentationen des Kreiſes zugeſtanden war,
dafuͤr ward ſelbſt im Weſtphaͤliſchen Frieden durch
eine beſondere Verwahrung geſorget. Ein aͤhnli-
cher Fall war im Niederſaͤchſiſchen Kreiſe, der fuͤr
pur evangeliſch galt, wenn gleich der Biſchof von
Hildesheim ein Mitglied deſſelben war.


IX.

Von der erſten Errichtung des Cammerge-
gerichts her wußte man von keinen anderen Stel-
len, als von Cammerrichter und Urtheilern, wo-
mit das Gericht beſetzt ſeyn ſollte. Letztere, oder
wie man ſie jetzt nannte, die Beyſitzer oder Aſſeſ-
ſoren des Cammergerichts ſollten zur Haͤlfte wenig-
ſtens aus der Ritterſchaft ſeyn. Man hoffte, daß
auch Perſonen von hohem Adel ſich ans Cammer-
gericht begeben wuͤrden. Gleich anfangs fand ſich
auch ein Graf von Eberſtein, dem man doch die
Ehre anthat, daß er als ein Beyſitzer vom Her-
renſtande (aſſeſſor generoſus) unmittelbar nach
dem Cammerrichter vor allen uͤbrigen Beyſitzern
den Rang bekam. Weil nach damaligen Begrif-
fen ein Gericht ohne Vorſitz des Richters nicht
gehalten werden konnte, ſo zeigte ſich gleich der
Nutze, daß in Abweſenheit oder Krankheit des
Cammerrichters doch einer vom Herrenſtande da
war, der an ſeiner Stelle den Vorſitz fuͤhren konn-
te. Dieſer Vortheil verdoppelte ſich, als man
vollends anfieng, die Beyſitzer in verſchiedene Se-
nate abzutheilen, deren jeder dann doch billig einen
Vorſitzenden aus dem Herrenſtande haben ſollte.
So
[93]6) Reichstag u. C. G.
So wurde es bald in Geſetzen zur Nothwendig-
keit gemacht, daß allezeit zwey Grafen oder Frey-
herren am Cammergerichte ſeyn ſollten, um in
denen Senaten, worin der Cammerrichter nicht
gegenwaͤrtig ſey, den Vorſitz zu fuͤhren, und be-
noͤthigten Falls uͤberhaupt des Cammerrichters
Stelle vertreten zu koͤnnen. Nun nannte man ſie
die praͤſidirenden Beyſitzer, und endlich Cammer-
gerichtspraͤſidenten.
Ihre Praͤſentation ward
aber dem Kaiſer uͤberlaßen. So ward ihrer nun
auch im Weſtphaͤliſchen Frieden gedacht, und zwar
ſo, daß nach Verhaͤltniß der 50. Aſſeſſoren 4. Praͤ-
ſidenten, 2. catholiſche und 2. evangeliſche vom
Kaiſer ernannt werden ſollten (t).


Die Cammerrichtersſtelle ließ ſich zwar nichtX.
vertheilen, und blieb billig der Ernennung des
Kaiſers allein uͤberlaßen. Es war aber doch
ſchon in Vorſchlag geweſen, abwechſelnd einmal
einen catholiſchen, und das anderemal einen evan-
geliſchen Cammerrichter anzuſetzen (u), wobey das
Cam-
[94]VII. Neuere Zeit. Weſtph. Fr. 1648.
Cammergericht im Ganzen wohl nicht verlohren
haben wuͤrde. Allein im Weſtphaͤliſchen Frieden
wurde dem Kaiſer die Ernennung des Cammer-
richters ſchlechterdings uͤberlaßen, ohne ihn der
Religion wegen einzuſchraͤnken.


XI.

Die Canzleyperſonen, die als Subalternen
zur Ausfertigung und zu Archivarbeiten am Cam-
mergerichte gebraucht werden, hat der Churfuͤrſt
von Mainz als Reichserzcanzler zu ernennen. We-
gen des Einfluſſes, den auch dieſe Perſonen wenig-
ſtens in Befoͤrderung oder Verzoͤgerung einzelner
Rechtsſachen haben koͤnnen, war es nicht unbillig,
daß auch fuͤr ſie eine Religionsgleichheit beobachtet
wuͤrde. Schon im Religionsfrieden 1555. hieß
es deswegen, ”daß Cammerrichter und Beyſitzer,
desgleichen alle andere Perſonen des Cammer-
gerichts von beiden der alten Religion und der
Augsburgiſchen Confeſſion geordnet ſeyn ſollten.”
Eben die Abſicht gab der Weſtphaͤliſche Friede deut-
lich gnug zu erkennen, da er der einzufuͤhrenden
Religionsgleichheit bey Cammerrichter, Praͤſiden-
ten, Aſſeſſoren und allen, die bey Handhabung
der Gerechtigkeit Dienſte zu leiſten haͤtten (quos-
cumque iuſtitiae miniſtros
), gedachte. Die
genauere Beſtimmung wurde aber hieruͤber dem
naͤchſten Reichstage uͤberlaßen, und iſt ſeitdem bis
auf den heutigen Tag nicht erfolget. (Churmainz
beruͤft
(u)
[95]6) Reichstag u. C. G.
beruͤft ſich auf ſein althergebrachtes Recht, dieſe
Stellen zu vergeben, ohne daß man ihm darin
Schranken ſetzen duͤrfe. Jenem Rechte unbe-
ſchadet koͤnnen aber doch perſoͤnliche Eigenſchaf-
ten, wie die Canzleybedienten beſchaffen ſeyn ſol-
len, durch Reichsgeſetze vorgeſchrieben werden.
So wenig das kaiſerliche Recht, Praͤſidenten am
Cammergerichte zu ernennen, darunter gelitten
hat, daß dieſe Ernennung von beiden Religionen
geſchehen muß; ſo wenig konnte Churmainz ge-
gen eine aͤhnliche Einſchraͤnkung ſich auf ſein
althergebrachtes Recht berufen. Fuͤr das Cam-
mergericht wuͤrde ſelbſt im Ganzen eine gewiſſe
Aemulation, die ſich unter den verſchiedenen Re-
ligionsverwandten vielleicht ſelbſt bis auf beſſere
Haͤnde im Schreiben erſtreckt haben duͤrfte, ihren
ganz guten Nutzen gehabt haben. Wenn aber
ſeitdem dieſe Chorde nur von weitem hat beruͤhrt
werden wollen, iſt es kaum glaublich, wie ſehr
ſichs der geſammte catholiſche Religionstheil hat
angelegen ſeyn laßen, es auf alle Weiſe zu ver-
hindern.)


VII.
[96]VII. Neuere Zeit. Weſtph. Fr. 1648.

VII.
Friedenshandlungen, den Reichshofrath betref-
fend.


I. Des Reichshofraths Concurrenz mit dem Cammer-
gerichte wurde fuͤr bekannt angenommen, und nur den
Vorwuͤrfen entgegengearbeitet. — II. Zur Proceßordnung
ſollte die Cammergerichtsordnung dienen, — III. und eine
eigne Reichshofrathsordnung gemacht werden, — die Ferdi-
nand der III. hernach fuͤr ſich machen ließ. — IV. Die
Religionsgleichheit blieb ebenfalls eingeſchraͤnkt. — V. Eine
Viſitation ſollte erſt kuͤnftig berichtiget werden. — VI.
VII.
Zum Rechtsmittel ſollte eine Reviſion gleich der am
Cammergerichte ſtatt finden.


I.

Nun blieb in den Weſtphaͤliſchen Friedenshand-
lungen noch der wichtige Punct vom Reichs-
hofrathe
zu eroͤrtern uͤbrig. Derſelbe wurde von
den kaiſerlichen Miniſtern ſolchem Eifer betrieben,
daß ſie mehrmalen aͤußerten: Das hieße, dem
Kaiſer an Krone und Scepter greifen, wenn man
in Anſehung des Reichshofraths Einſchraͤnkungen
machen wollte. Nichts deſto weniger kam die
Hauptfrage, wie ſie bisher aufgeſtellt war: ob
der Kaiſer oder vielmehr der Reichshofrath noch
eine concurrirende Gerichtbarkeit mit dem Cam-
mergerichte behaupten koͤnne? gerade zu im Weſt-
phaͤliſchen Frieden nicht zur ausdruͤcklichen Ent-
ſcheidung. Man wußte aber von Seiten der
Kaiſerlichen die Sache ſo einzuleiten, daß nur ein-
zelne Anſtaͤnde, die man dem Reichshofrathe ent-
gegenſetzte, durch beſondere Verordnungen geho-
ben wurden; die Sache ſelbſt ſchien man eben
damit ſchon als bekannt anzunehmen.


So
[97]7) Reichshofraths Gerichtb.

So hatte man dem Reichshofrathe den Vor-II.
wurf gemacht, daß er keine Gerichts- und Pro-
ceßordnung
habe, ohne welche doch die Ausuͤbung
einer Gerichtbarkeit ſich nicht wohl denken laße,
weil ſie ſonſt bloß willkuͤhrlich ſeyn wuͤrde. Es
waren zwar ſchon von Ferdinand dem I., Rudolf
dem II. und Matthias eigne Reichshofrathsord-
nungen vorhanden (v). Allein das waren nicht
ſowohl eigentliche Proceßordnungen, als vielmehr
nur Inſtructionen, wie ſie ein jedes Rathscolle-
gium, das auch zu anderen Geſchaͤfften als zu
Juſtitzſachen beſtimmt iſt, von ſeinem Herrn haben
kann, nehmlich eine Anweiſung, wie Geſchaͤffte,
von welcher Art ſie auch ſeyn moͤgen, zum Vor-
trage und zur Eroͤrterung gebracht werden ſollen.
Man durfte nur die Cammergerichtsordnung mit
dieſen Reichshofrathsordnungen in Vergleichung
ſtellen, um ſich im erſten Anblick zu uͤberzeugen,
wie weit letztere von ſolchen Beſtimmungen ent-
fernt waren, die einem Gerichte zur Vorſchrift in
Behandlung der Rechtsſachen dienen koͤnnen. —
Doch dieſem Vorwurf begegnete der Graf von
Trautmannsdorf mit der ganz kurzen Erklaͤrung,
daß der Kaiſer ſich gefallen laßen werde, daß die
Cammergerichtsordnung auch dem Reichshofrathe
zur Richtſchnur dienen ſolle. Im Frieden wurde
alſo feſtgeſetzt: Was den gerichtlichen Proceß
betref-
P. Entw. d. Staatsverf. Th.II. G
[98]VII. Neuere Zeit. Weſtph. Fr. 1648.
betreffe, ſolle die Cammergerichtsordnung auch am
Reichshofrathe, oder, wie man hier den Ausdruck
brauchte, am kaiſerlichen Hofgerichte in allen
Stuͤcken befolget werden.


III.

Man konnte zwar noch die Einwendung da-
gegen machen, daß die Cammergerichtsordnung,
die in vielen Stellen die ganz beſondere Verfaſſung
des Cammergerichts, als z. B. deſſen Eintheilung
in Senate u. d. g., vorausſetze, nicht in allen
Stuͤcken auf den ganz anders eingerichteten Reichs-
hofrath paſſen wuͤrde. Allein auch dieſe Einwen-
dung ward damit gehoben, daß man Hoffnung
machte, daß noch eine beſondere Reichshofraths-
ordnung
verfaſſet werden ſollte, worin die naͤheren
Beſtimmungen, die in beſonderer Anwendung auf
des Reichshofraths eigne Verfaſſung noch noͤthig
befunden werden moͤchten, eingeruͤckt werden koͤnn-
ten. (Die Reichsſtaͤnde hofften, daß dieſe neue
Ordnung vermoͤge der im Frieden ſelbſt ſchon der
reichstaͤglichen Berathſchlagung unterworfenen ge-
ſetzgebenden Gewalt auf dem Reichstage zur Ab-
faſſung und Berichtigung in Vortrag kommen wer-
de. Ferdinand der III. nahm es aber auf den Fuß,
wie die vorigen Kaiſer die bisherigen Reichshof-
rathsordnungen, als eigentliche Inſtructionen fuͤr
ihre Raͤthe, fuͤr ſich alleine gemacht hatten Er
ließ alſo ohne Zuziehung des Reichs eine neue
Reichshofrathsordnung, mit Einruͤckung einiger
woͤrtlich aus dem Weſtphaͤliſchen Frieden uͤberſetz-
ten Stellen, noch ehe der naͤchſte Reichstag in
Gang kam, zu Wien abfaſſen und gedruckt dem
Reiche bekannt machen; erklaͤrte jedoch, als die
Reichsſtaͤnde Schwierigkeit machten, eine ſolche
Geſetz-
[99]7) Reichshofraths Gerichtb.
Geſetzgebung anzunehmen, daß er geneigt ſeyn
wuͤrde, Erinnerungen der Staͤnde dawider anzu-
nehmen.)


Einen andern Vorwurf hatte man dem Reichs-IV.
hofrathe gemacht, daß er bloß mit catholiſchen
Raͤthen beſetzt ſey. Dagegen ließ ſich der Graf
von Trautmannsdorf gefallen, daß die Verordnung
des Osnabruͤckiſchen Friedens von der am Cammer-
gerichte zu beobachtenden Religionsgleichheit
auch auf den Reichshofrath erſtreckt werden ſollte.
”Und zu dieſem Ende, wurde hinzugeſetzt, ſoll der
Kaiſer einige der Augsburgiſchen Confeſſion ver-
wandte gelehrte und der Reichsſachen kundige Maͤn-
ner aus den evangeliſchen oder vermiſchten Krei-
ſen zu Reichshofraͤthen annehmen, und zwar in
ſolcher Anzahl, damit bey entſtehendem Falle die
Gleichheit der Urtheiler von beiden Religionen ge-
halten werden koͤnne.” (In der nachherigen Reichs-
hofrathsordnung erklaͤrte ſich Ferdinand der III.
beſtimmter: der Reichshofrath ſolle uͤber 18. Per-
ſonen mit Einſchließung des Praͤſidenten ſich nicht
erſtrecken; unter dieſen 18. Perſonen wolle er aber
ſechs der Augsburgiſchen Confeſſion verwandte aus
den Reichskreiſen annehmen. Jene Anzahl der
18. Reichshofraͤthe iſt mehrmalen weit uͤberſchrit-
ten worden. Unter Leopolds Regierung waren
ihrer einmal 39.; aber doch immer nur 6. evan-
geliſche Reichshofraͤthe, und von dieſen manchmal
ein oder anderer geraume Zeit abweſend.)


Eine Viſitation, wie ſie am CammergerichteV.
uͤblich war, ließ ſich am Reichshofrathe wohl nicht
erwarten. Wegen der Verbindung, worin der
G 2Reichs-
[100]VII. Neuere Zeit. Weſtph. Fr. 1648.
Reichshofrath nach ſeiner urſpruͤnglichen Beſtim-
mung mit der Reichshofcanzley geweſen war,
hatte man in vorigen Zeiten dem Churfuͤrſten von
Mainz wohl zugeſtanden, (wie noch die Reichs-
hofrathsordnung des Kaiſer Matthias vom Jahre
1617. es beſchreibt) ”den Reichshofrath zu beſu-
chen, und demſelben zu praͤſidiren, auch mit des
Kaiſers Vorwiſſen denſelben ſonſt nach Erheiſchung
der Nothdurft zu viſitiren.” Doch dieſe Churmain-
ziſche Viſitation war mit der, wie ſie am Cammer-
gerichte uͤblich war, in gar keine Vergleichung zu
ſtellen; gab alſo wiederum Stoff zu einem Vor-
wurfe, den man dem Reichshofrathe machte, daß
die Reichsſtaͤnde nicht das Vertrauen zu demſel-
ben, wie zum Cammergerichte, haben koͤnnten. Im
Osnabruͤckiſchen Frieden wurde hieruͤber nur das
verfuͤget: ”Die Viſitation des Reichshofraths ſolle
vom Churfuͤrſten von Mainz geſchehen, ſo oft es
noͤthig ſeyn moͤchte, mit Beobachtung deſſen, was
auf dem Reichstage von geſammten Reichs wegen
deshalb gut gefunden werden moͤchte.” (In der
Reichshofrathsordnung ſagt Ferdinand der III.:
”Soviel die Viſitation unſers Reichshofraths be-
treffen thut, laßen wir es bey der Verordnung
des zu Muͤnſter und Osnabruͤck aufgerichteten Frie-
densſchluſſes allerdings verbleiben.” In den neue-
ſten Wahlcapitulationen ſtehet ſeit 1742. noch fol-
gende Stelle: ”Wir ſollen und wollen ein Reichs-
gutachten uͤber das, was im Weſtphaͤliſchen Frie-
den zur naͤchſten Reichsdeliberation ausgeſetzt wor-
den, und den modum viſitandi (die Art und
Weiſe der Viſitation des Reichshofraths) betrifft,
erfordern, und dem darauf erfolgenden Reichs-
ſchluß ſeine gehoͤrige Kraft und Nachdruck geben;
inzwi-
[101]7) Reichshofraths Gerichtb.
inzwiſchen aber und bis dahin geſchehen laßen,
daß von dem Churfuͤrſten von Mainz als des
heil. Reichs Erzcanzler vorerſt dieſe Viſitation vor-
genommen, damit alle drey Jahre ſo lange, bis
auf dem Reichstage ein anderes beliebt, conti-
nuirt, die bey der Viſitation ergangenen Acten jedes-
mal der Reichsverſammlung vorgelegt, auch, we-
fern darunter der geringſte Mangel erſcheint, ſo-
fort auf dem Reichstage gemeſſene Vorſehung ge-
macht werde.” Der Erfolg hiervon iſt noch zu
erwarten.)


Sowohl mit dem Mangel der Viſitation alsVI.
einer foͤrmlichen Proceßordnung ſtand auch noch
der Vorwurf in Verbindung, den man dem Reichs-
hofrathe machte, daß es an einem beſtimmten
Rechtsmittel fehlte, wodurch Partheyen, die ſich
beſchwert hielten, ſich noch zu Abhelfung ihrer
Beſchwerden Hoffnung machen koͤnnten, wie am
Cammergerichte einer jeden beſchwerten Parthey
der Gebrauch der Reviſion offen ſtand. Dieſen
Vorwurf zu heben wurde in dem Osnabruͤckiſchen
Frieden verordnet: ”Damit auch die am Reichs-
hofrathe ſtreitenden Partheyen nicht alles Rechts-
mittels beraubt ſeyn moͤchten, ſolle einer Parthey,
die ſich von einem Reichshofraths-Urtheile be-
ſchwert halte, an ſtatt der am Cammergerichte
uͤblichen Reviſion frey geſtellt ſeyn, an kaiſerliche
Majeſtaͤt zu ſuppliciren, damit die gerichtlichen
Acten von neuem nachgeſehen (revidirt) wuͤrden,
mit Zuziehung anderer der Sache gewachſenen un-
partheyiſchen Raͤthe von beiden Religionen in glei-
cher Anzahl, die bey Abfaſſung des vorigen Urtheils
nicht gegenwaͤrtig geweſen, oder doch wenigſtens
G 3nicht
[102]VII. Neuere Zeit. Weſtph. Fr. 1648.
nicht die Referenten- oder Correferenten-Stelle
vertreten.” (Dieſe Stelle wiederholte hernach die
Reichshofrathsordnung Ferdinands des III. ohne
weitern Zuſatz. Es blieb aber die große Frage,
wie ſie ins Werk zu richten ſeyn ſollte, da am
Reichshofrathe alles im vollſtaͤndig verſammelten
Rathe vorgehen ſoll, und alſo unthunlich iſt, zur
Eroͤrterung einer Reviſion andere Raͤthe zu neh-
men, die dem vorigen Erkenntniſſe nicht beygewohnt
haͤtten. Nach der wuͤrklichen Praxi wird nur, ſo
oft eine Parthey zur Reviſion ihre Zuflucht nimmt,
ein neuer Re- und Correferent beſtellt. — Ein
Umſtand, der allerdings deſto erheblicher iſt, je
mehr auf Re- und Correferenten anzukommen pflegt.)


VII.

In Vergleichung mit der Reviſion am Cam-
mergerichte iſt hier ſelbſt der Vortheil, daß die
Reichshofraths-Reviſionen nicht, wie am Cammer-
gerichte jetzt ſeit zwey Jahrhunderten der Fall ge-
weſen, uneroͤrtert bleiben, ſondern ohne großen
Verzug zur Endſchaft gebracht werden koͤnnen.
Aber freylich iſt es auch kein ſolches Devolutiv-
mittel, wodurch die Sache, wie bey der Viſitation
des Cammergerichts, in ganz andere Haͤnde koͤmmt;
ſondern die Beurtheilung der Frage: ob das vo-
rigemal recht oder unrecht geſprochen ſey? haͤngt
von eben den Stimmen ab, die das vorige Erkennt-
niß ſelbſt haben machen helfen. Sonſt werden
allerdings die Vorſchriften, welche die Reichsge-
ſetze in Anſehung der Zeitfriſten, Formalien und
anderer Erforderniſſe bey der Reviſion am Cam-
mergerichte enthalten, ſoviel ſich thun laͤßt, auch
beym Reichshofrathe in Anwendung gebracht.
Unter andern muͤßen auch hier die Partheyen ſo
genann-
[103]7) Reichshofraths Gerichtb.
genannte Succumbenzgelder erlegen, d. i. gewiſſe
Summen Geldes, die der Reichshofrath nach
Beſchaffenheit der Sache auf mehrere hundert oder
tauſend Thaler anſetzt, die derjenige, welcher die
Reviſion verlangt, vorlaͤufig binnen gewiſſer Zeit
erlegen muß, und zwar auf die Bedingung, daß
er ſie nur alsdann zuruͤckbekoͤmmt, wenn ſeine
Beſchwerden gegruͤndet befunden werden, und das
vorige Erkenntniß abgeaͤndert wird. Bleibt es
hingegen der Reviſion ungeachtet beym vorigen
Erkenntniſſe, ſo ſind die Succumbenzgelder ver-
fallen. Bey Cammergerichts-Reviſionen hat als-
dann die Viſitation daruͤber zu verfuͤgen, ohne
daß doch weder die Viſitatoren ſelbſt, noch die
Cammergerichts-Beyſitzer Vortheil davon haben.
Am Reichshofrathe gibt es aber mehrere Faͤlle,
wo gewiſſe Sporteln, z. B. Laudemialgelder bey
Belehnungen, die an Seitenverwandten, oder aus
neuer kaiſerlicher Begnadigung ertheilt werden, un-
ter ſaͤmmtliche Mitglieder des Reichshofraths ver-
theilt werden, und gewiſſermaßen einen Theil der
Beſoldung mit ausmachen. Auf gleiche Art wer-
den alle Reviſionsſporteln, ſobald die Reviſion ver-
worfen, und das vorige Erkenntniß gerecht befun-
den iſt, unter ſaͤmmtlichen Mitgliedern des Reichs-
hofraths vertheilt.


G 4VIII.
[104]VII. Neuere Zeit. Weſtph. Fr. 1648.

VIII.
Friedenshandlungen uͤber einige Puncte in Anſe-
hung beider hoͤchſten Reichsgerichte.


I. Aufrechthaltung der Auſtraͤgalinſtanz und anderer
Vorrechte in Anſehung des Gerichtsſtandes. — II. Ver-
weiſung einiger Sachen an den Reichstag. — III-VII. Aus
dieſer Stelle nachher erwachſener Streit: ob dem Cammer-
richter in Faͤllen einer Stimmengleichheit eine entſcheidende
Stimme gebuͤhre? — VIII. IX. Hemmung der Mehrheit
der Stimmen, wenn einmuͤthige Stimmen des andern Re-
ligionstheils dagegen ſind. — X. Grab des ehemaligen
Fuͤrſtenrechts, da der Weſtphaͤliſche Friede es nur in des
Katſers Belteben ſtellt, in wichtigeren Sachen das Gutachten
einiger Staͤnde zu fordern. — XI. XII. Einfluß dieſer Ver-
ordnung auf die Deutung einer andern Stelle der Cammer-
gerichtsordnung, vermoͤge deren dem Kaiſer das Erkenntniß
in Sachen, die ganze Fuͤrſtenthuͤmer betreffen, vorbehalten
wird. — XIII. Noch ſtand damit in Verbindung die Frage
von der Art und Weiſe, gegen Reichsſtaͤnde Achtserklaͤrungen
zu erkennen, — XIV. die erſt 1711. entſchieden worden. —
XV. XVI. Von Reichshofrathsgutachten.


I.

Beiden Reichsgerichten, ſowohl dem Reichs-
hofrathe als dem Cammergerichte wurde im
Weſtphaͤliſchen Frieden noch die Weiſung gegeben,
daß ſie weder das Recht der Auſtraͤge, noch die
erſte Inſtanz der Territorialgerichte, noch die Be-
freyungen von der Appellation, die einige Staͤnde
durch Privilegien erhalten, außer Acht laßen, und
weder durch Mandate noch durch Commiſſionen,
Avocationen oder auf irgend eine andere Art dar-
in Eingriff thun ſollen.


II.

In gewiſſen Faͤllen wurden die Reichsgerichte
gar angewieſen, die Partheyen an den Reichstag
zu verweiſen. Dieſe Faͤlle waren erſtlich, wenn
uͤber
[105]8) Reichsgerichte uͤberhaupt.
uͤber den Verſtand der Reichsgeſetze ein Zweifel ein-
trete, der einer authentiſchen Erklaͤrung beduͤrfe;
und zweytens, wenn in Rechtsſachen ſolcher Par-
theyen, in Anſehung deren die Religionsgleichheit
zu beobachten waͤre, eine Verſchiedenheit der Mey-
nungen unter beiderley Religionen gleicher Anzahl
Stimmen ſich hervorthaͤte, ſo daß alle catholiſche
Stimmen einer, alle evangeliſche einer andern
Meynung waͤren. Sachen anderer Partheyen,
oder wenn die Stimmen zwar in der Anzahl gleich,
aber von beiden Religionsſeiten untermiſcht waͤren,
ſollten nach der Cammergerichtsordnung abgethan
werden.


Ueber dieſe Stelle des Weſtphaͤliſchen FriedensIII.
ſind in der Folge verſchiedene Anſtaͤnde erwachſen.
Zuverlaͤßig iſt es, daß, ſo oft in neueren Geſetzen
die Cammergerichtsordnung angefuͤhrt wird, keine
andere als die vom Jahre 1555. gemeynt iſt. Alle
vorige ſind ſelbſt in derſelben aufgehoben, ſofern ihr
Inhalt nicht darin wiederholet worden. Wenn
alſo eine Stelle aus einer der aͤlteren Cammerge-
richtsordnungen durch ein neueres Reichsgeſetz
wieder hergeſtellt werden ſollte; ſo wuͤrde daſſelbe
unfehlbar zugleich ganz eigentlich beſtimmen, was
fuͤr eine aͤltere Cammergerichtsordnung, ob die von
1495. oder die von 1500. 1521. u. ſ. w. gemeynt
ſey, daß man ſie herſtellen wolle. Man kann
daher unmoͤglich annehmen, daß in dieſer Stelle
des Weſtphaͤliſchen Friedens, wo die Cammerge-
richtsordnung uͤberhaupt ohne Beyfuͤgung einer
Jahrzahl oder andern naͤhern Beſtimmung ange-
fuͤhrt wird, darunter gerade die erſte Cammerge-
G 5richts-
[106]VII. Neuere Zeit. Weſtph. Fr. 1648.
richtsordnung von 1495. oder irgend eine andere
als die von 1555. verſtanden ſeyn ſollte.


IV.

Gleichwohl haben einige behaupten wollen,
hier ſey die Meynung geweſen, eine Stelle aus
jener erſten Cammergerichtsordnung von 1495. zu
erneuern, vermoͤge deren der Cammerrichter in
dem Falle, wenn die Stimmen der Urtheiler in
zwey gleiche Theile zerfielen, eine entſcheidende
Stimme
haben ſollte. Bey der erſten Errich-
tung des Cammergerichts, da man noch gleichſam
mit einem Fuße im mittlern Zeitalter ſtand, ließ
ſich das vielleicht als thunlich gedenken, da man
von vorigen Zeiten her gewohnt war, daß eben
keine ſo ſubtile Rechtsſachen vorkamen, die nicht
eine Perſon von Stande und Erfahrung nur mit
einiger Beurtheilungskraft und Ueberlegung haͤtte
richtig entſcheiden koͤnnen, ohne einer großen Ge-
lehrſamkeit aus den Roͤmiſchen und paͤbſtlichen Ge-
ſetzbuͤchern zu beduͤrfen. Wie aber am Cammer-
gerichte bald alles zum ſchriftlichen Verfahren kam,
und von den Sachwaltern mit lauter Gruͤnden aus
dieſen Lateiniſchen Rechtsbuͤchern gefochten wurde;
ſo ergab ſichs bald, daß eine ſolche durch Probe-
relationen und Examen bewaͤhrte Geſchicklichkeit
zur richtigen Entſcheidung ſolcher Sachen gehoͤrte,
daß man ſie einem Fuͤrſten oder Grafen, der ſonſt
doch ein ſehr guter Cammerrichter ſeyn konnte, um
die Gerichtsperſonen durch ſein Anſehen und recht-
ſchaffenes Betragen in Ordnung zu erhalten, nicht
zumuthen durfte. Es war alſo gewiß nicht von
ungefaͤhr, daß man dieſe Stelle aus der erſten
Ordnung von 1495, in keiner der folgenden wie-
der-
[107]8) Reichsgerichte uͤberhaupt.
derholte, und inſonderheit in der von 1548. und
1555. ſie wohlbedaͤchtlich ausließ. Wenn die
Verfaſſer des Weſtphaͤliſchen Friedens in dieſer
Stelle die Abſicht gehabt haͤtten, nunmehr den-
noch jene entſcheidende Stimme des Cammerrich-
ters von neuem in Gang zu bringen, wuͤrden ſie
ſich ganz anders erklaͤret haben.


Eine Schwierigkeit liegt zwar noch darin, daßV.
die Cammergerichtsordnung vom Jahre 1555. ein
weitlaͤuftiges Werk iſt, das aus drey Theilen be-
ſtehet, wovon der erſte 86., der andere 36., der
dritte 55. Titel, und jeder Titel wieder mehrere
Paragraphen hat. Hier haͤtte billig genau ange-
zeigt werden ſollen, welcher Paragraph, aus wel-
chem Titel, in welchem Buche, eigentlich gemey-
net ſey. Vermuthlich hat derjenige, der hier die
Feder gefuͤhret hat, einige dunkele Erinnerung ge-
habt, einmal etwas hieher gehoͤriges in der Cam-
mergerichtsordnung geleſen zu haben; hat ſich
aber nicht die Muͤhe gegeben, erſt nachzuſchlagen.
Sonſt wuͤrde er vielleicht veranlaßt haben, die
Sache etwas beſtimmter zu faſſen, da in der
Cammergerichtsordnung weiter nichts ſtehet, als
daß man in vollem Rathe ſich eines Urtheils ver-
gleichen ſolle. Moͤchte es doch nur der einzige
Fall ſeyn, daß unſere Reichsgeſetze nur ſo ins all-
gemeine angefuͤhret wuͤrden, oder moͤchte doch die-
ſes Beyſpiel in allen aͤhnlichen Faͤllen zur War-
nung dienen!


In der Reichshofrathsordnung iſt zwar demVI.
Praͤſidenten eine entſcheidende Stimme beygelegt
worden. Aber Reichshofrathspraͤſidenten ſind ge-
mei-
[108]VII. Neuere Zeit. Weſtph. Fr. 1648.
meiniglich erſt mehrere Jahre vorher ſelbſt Reichs-
hofraͤthe geweſen, alſo ſchon in Relationen und
Stimmengeben geuͤbt und gepruͤfet worden. Und
von der Cammergerichtsordnung kann allenfalls
beym Reichshofrathe, aber nicht von der Reichs-
hofrathsordnung beym Cammergerichte Gebrauch
gemacht werden.


VII.

Wenn auch ohne alle Ruͤckſicht auf die Reli-
gion z. B. zwey catholiſche Churfuͤrſten, wie die
von Coͤlln und Pfalz vor einigen Jahren wegen
des Licents zu Kaiſerswerth beynahe in dem Falle
waren, eine am Cammergerichte in gleiche Stim-
men verfallene Rechtsſache haͤtten; wuͤrde doch
wohl ſehr zu zweiflen ſeyn, ob ſie es gerathen fin-
den moͤchten, die Entſcheidung derſelben bloß auf
die Perſon des Cammerrichters ankommen zu laßen.
Zwiſchen verſchiedenen Religionsverwandten wuͤrde
es freylich noch mehr Bedenken haben. Wenn
auch ein Cammerrichter einmal die noͤthige Ge-
lehrſamkeit und andere erforderliche Eigenſchaften
dazu hat; ſo wuͤrde doch fuͤr die Zukunft die
Sache nie geſichert ſeyn, da hier von der Stelle
eines Cammerrichters uͤberhaupt die Rede iſt, und
von den Eigenſchaften, die geſetzmaͤßig damit ver-
bunden erwartet werden koͤnnen.


VIII.

Noch iſt in dieſer Stelle des Weſtphaͤliſchen
Friedens eine Verordnung enthalten, die zu erken-
nen gibt, daß auch bey Reichsgerichten, wenn
deren Mitglieder nach den beiden Religionen
zweyerley Meynungen behaupten, nicht die Mehr-
heit der Stimmen entſcheiden, ſondern die Sache
an den Reichstag verwieſen werden ſoll. Hier
wird
[109]8) Reichsgerichte uͤberhaupt.
wird aber ausdruͤcklich hinzugefuͤgt, daß, wenn
auch nur ein oder anderes Mitglied der einen Re-
ligion der Meynung der anderen Religionsver-
wandten beytritt, dieſe Verordnung nicht in An-
wendung kommen ſolle. Alſo wird hier zur Hem-
mung der Mehrheit der Stimmen eine voͤllige
Einmuͤthigkeit erfordert; ganz anders als in dem
oben vorgekommenen Falle der Religionstrennung
auf dem Reichstage, wo die Einſchraͤnkung, daß
derjenige Religionstheil, der ſich vom andern tren-
net, unter ſich ganz einmuͤthig ſeyn muͤße, nicht
hinzugefuͤgt worden. Woraus ſich ſicher abneh-
men laͤßt, daß eine ſolche Einmuͤthigkeit der Stim-
men nur in jenem, nicht in letzterem Falle erfor-
derlich ſey, weil ſonſt eben die Einſchraͤnkung auch
bey dieſem Falle wuͤrde bemerklich gemacht worden
ſeyn; zumal da am Cammergerichte in den Se-
naten zugleich eine geringere Anzahl Perſonen und
dieſe wieder in voͤlliger Religionsgleichheit beyſam-
men ſind, da es freylich ſonderbar geweſen waͤre,
wenn in einem Senate von 4. catholiſchen und
eben ſo viel evangeliſchen Beyſitzern drey die Mehr-
heit der 5. uͤbrigen Stimmen haͤtten hemmen ſol-
len. Hingegen auf der allgemeinen Reichsver-
ſammlung oder auch nur im Reichsfuͤrſtenrathe,
wo eine ſo große Anzahl Stimmen auf einer jeden
Religionsſeite ſind, wuͤrde die Mehrheit der Stim-
men ſelten gehoben werden koͤnnen, wenn es nicht
anders als mit voͤllig einmuͤthigen Stimmen eines
geſammten Religionstheils geſchehen koͤnnte. Folg-
lich laͤßt ſich gar wohl einſehen, was fuͤr ein Grund
der Verſchiedenheit hier eine Einſchraͤnkung nur in
einem Falle veranlaßt habe, die deswegen auf den
andern nicht zu ziehen iſt.


Am
[110]VII. Neuere Zeit. Weſtph. Fr. 1648.
IX.

Am Cammergerichte fehlt es ſeitdem nicht an
Beyſpielen, daß Sachen dieſer Art von da an
den Reichstag verwieſen ſind. Vom Reichs-
hofrathe iſt meines Wiſſens noch kein Fall vor-
gekommen. Und doch ſollte man da wohl erwar-
ten koͤnnen, daß die ſechs evangeliſchen Reichs-
hofraͤthe mehrmalen Urſache gehabt haben moͤchten,
ſich der Mehrheit der uͤbrigen Stimmen zu wider-
ſetzen. Es mag aber auch hier wohl ſeltener vor-
kommen, daß von den ſechs evangeliſchen Reichs-
hofraͤthen nicht einer oder der andere den Stimmen
der uͤbrigen beytreten ſollte. Oder man ſucht viel-
leicht auch ſonſt zwiſchen beiderley Meynungen
eine Vereinigung zu treffen; wo nicht die Sache
gar liegen bleibt, und alſo gar keinen Ausgang
gewinnt.


X.

Endlich kam noch bey Gelegenheit des Reichs-
hofraths in den Friedenshandlungen vor, daß, wenn
ehedem auch wichtige Sachen vom Kaiſer außer
dem Cammergerichte zur Eroͤrterung genommen
waͤren, ſolches mit Zuziehung einer gewiſſen An-
zahl Fuͤrſten geſchehen ſey, wie Max der I. in der
Baiern-Landshutiſchen Erbfolgsſache noch ein ſolches
Fuͤrſtenrecht gehalten, auch ſelbſt Rudolf der II.
noch 1580. bey Entſcheidung eines Streits zwi-
ſchen dem Churfuͤrſten von Trier und der Stadt
Trier ein Gutachten der Churfuͤrſten erfordert hat-
te (w). Dieſes Herkommen ließ ſich allerdings
nicht widerſprechen; die kaiſerlichen Miniſter tha-
ten alſo auch nicht, als wenn ſie daſſelbe bey
Seite ſetzen oder entkraͤften wollten. Sie ſchienen
viel-
[111]8) Reichsgerichte uͤberhaupt.
vielmehr ganz in die Sache hineingehen zu wollen,
indem ſie ſich erklaͤrten, der Kaiſer wuͤrde ſich nicht
abgeneigt bezeigen, ”in groͤßeren Sachen und ſol-
chen, wovon Unruhen im Reiche zu beſorgen ſeyn
moͤchten, auch einiger Churfuͤrſten und Fuͤrſten bei-
der Religionen Gutachten zu vernehmen.” Allein
da es darauf angekommen waͤre, das dem Kaiſer
zur Pflicht zu machen, daß er ein ſolches Gut-
achten zu begehren und zu befolgen verbunden
ſeyn ſolle; ſo wurde im Frieden ſelbſt nur geſetzt:
es ſolle ihm frey geſtellt bleiben. In dieſem ein-
zigen Worte lag alſo in der That das Grab des
uralten Herkommens des ehemaligen Fuͤrſtenrechts.
Alles, was mit deſſen Zuziehung ehedem geſche-
hen war, konnte nunmehr bloß mit Zuziehung des
Reichshofraths geſchehen.


Unter andern hat das auf eine der wichtigſtenXI.
Stellen in der Cammergerichtsordnung einen be-
merkenswuͤrdigen Einfluß gehabt. Zu der Zeit,
als man im Jahre 1521. dem Kaiſer Carl dem V.
ein Reichsregiment an die Seite ſetzte, um allen-
falls in ſeiner Abweſenheit die Reichsgeſchaͤffte in
ihrem Fortgange zu erhalten, und an ſeiner Stelle
zu beſorgen, behielt ſich doch der Kaiſer vor, daß,
wenn Sachen vorfielen, die ganze Fuͤrſtenthuͤ-
mer
betraͤfen, ſolche nicht vom Reichsregimente,
ſondern von ihm perſoͤnlich vorgenommen werden
ſollten. So floß damals in der Regimentsordnung
1521. folgende Stelle ein: ”Ob auch Sachen vor-
fielen, Fuͤrſtenthuͤmer, Herzogthuͤmer, Grafſchaf-
ten ꝛc. belangend, ſo vom Reiche (ohne Mittel)
zu Lehn ruͤhren, ſo einem Theile gaͤnzlich und end-
lich abgeſprochen werden ſollen; derſelbigen Er-
kennt-
[112]VII. Neuere Zeit. Weſtph. Fr. 1648.
kenntniß wollen wir uns (als Roͤmiſcher Kaiſer)
vorbehalten; doch ſonſt in anderen Sachen die-
ſem unſerm Regiment und der Cammergerichts-
ordnung unabbruͤchig (x).” Als das Reichsregi-
ment hernach nicht von Beſtand war, ließ Carl
der V. 1548. dieſe Stelle (nur die letzte Clauſel
ausgenommen,) in die Cammergerichtsordnung ein-
ruͤcken, wo ſie auch 1555. beybehalten wurde, alſo
noch jetzt ihre Rechtskraft hat.


XII.

So lange noch der Gedanke von einem Fuͤr-
ſtenrechte moͤglich war, ſo ließ ſich dieſe Stelle
ganz wohl dahin deuten, daß auch Rechtsſachen
uͤber ſolche wichtige Gegenſtaͤnde nicht dem Cam-
mergerichte uͤberlaßen, ſondern vom Kaiſer ſelbſt
mit Zuziehung mehrerer Fuͤrſten eroͤrtert werden
ſollten. Aber nunmehr ward daraus ein Vorzug,
den ſich der Reichshofrath mit Behauptung einer
ausſchließlichen Gerichtbarkeit in dieſen Sachen
zueignete. Seitdem wird nun nur uͤber den Ver-
ſtand dieſer Worte geſtritten, da ſehr begreiflich
iſt, daß das Cammergericht mit Unterſtuͤtzung der
Reichsſtaͤnde denſelben einen ſo einſchraͤnkenden
Sinn als moͤglich beyzulegen ſucht, der Kaiſer hin-
gegen zum Vortheile des Reichshofraths die Worte
eher ausdehnend als einſchraͤnkend verſtanden haben
will. Das Cammergericht behauptet z. B. es gehe
nur bis auf Grafſchaften herunter, nicht auf Reichs-
herrſchaften oder Dynaſtien; auch von Grafſchaf-
ten und Fuͤrſtenthuͤmern ſeyen doch nur ſolche
hier zu verſtehen, die reichslehnbar ſeyen, keine
Allo-
[113]8) Reichsgerichte uͤberhaupt.
Allodial-Laͤnder; und dann ſey nur von petitori-
ſchen, nicht auch von poſſeſſoriſchen Erkenntniſſen
die Rede, und zwar uͤber ganze Laͤnder, nicht, wo
etwa nur ein Drittheil oder anderer gewiſſer Theil
eines Landes in Frage ſtehe. Von allem dem be-
hauptet aber der Reichshofrath mit Beyſtimmung
des Kaiſers das Gegentheil. Seit 1742. hat die
Sache zur authentiſchen Erklaͤrung des Reichstags
gebracht werden ſollen; ſo jedoch noch nicht ge-
ſchehen iſt.


Ein aͤhnlicher Gegenſtand kam ſelbſt in denXIII.
Weſtphaͤliſchen Friedenshandlungen vor, ohne aber
auch da zur Entſcheidung zu gelangen. Wenn je
eine Sache ehedem zum Fuͤrſtenrechte gehoͤret hatte,
ſo war es der Fall, wenn ein Reichsſtand in die
Acht erklaͤrt werden ſollte. Die Achtserklaͤrun-
gen
der Stadt Donawerth, des Churfuͤrſten von
der Pfalz, der Herzoge von Mecklenburg und mehr
andere waren aber nur durch des Reichshofraths
Haͤnde gegangen, oder gar bloß im kaiſerlichen
Cabinete, wer weiß mit weſſen Zuziehung oder auf
weſſen Eingebung, beſchloſſen worden. Das ſchien
dann doch der Muͤhe werth zu ſeyn, daruͤber we-
nigſtens eine beſondere Verordnung zu machen.
Im Frieden ſelbſt kam man aber nur ſo weit,
daß uͤber die Art und Weiſe, wie kuͤnftig Achts-
erklaͤrungen zu erkennen ſeyn moͤchten, auf dem
naͤchſten Reichstage gehandelt werden ſollte.


Erſt im Jahre 1711. iſt hernach ein Reichs-XIV.
ſchluß uͤber dieſen Umſtand dahin zu Stande ge-
kommen, daß nun zwar die Reichsgerichte berech-
tiget bleiben, einen Proceß auf die Achtserklaͤrung
P. Entw. d. Staatsverf. Th.II. Hin
[114]VII. Neuere Zeit. Weſtph. Fr. 1648.
in Gang zu bringen, und den Fiſcal oder den be-
leidigten und klagenden Theil mit dem Beklagten
daruͤber bis zu Ende rechtlich verfahren zu laßen.
Aber wenn die Acten zum Spruche beſchloſſen ſind,
ſollen ſie an den Reichstag geſchickt, daſelbſt von
einer Reichsdeputation von beiderley Religion Staͤn-
den aus den drey Reichscollegien in gleicher An-
zahl eroͤrtert, deren Gutachten aber an das ge-
ſammte Reich gebracht, und das von dieſem zu
vergleichende Urtheil endlich im Namen des Kaiſers
eroͤffnet, die Execution aber nicht anders als nach
der Kreisverfaſſung vollzogen werden; widrigen-
falls ſoll alles null und nichtig ſeyn. (Noch im
Jahre 1758. gieng man zu Wien damit um, den
Koͤnig in Preuſſen als Churfuͤrſten von Branden-
burg in die Acht zu erklaͤren, ohne den hier ver-
glichenen Weg der Reichsdeputation einſchlagen zu
wollen. Der evangeliſche Reichstheil beſtand
aber darauf, daß eine Achtserklaͤrung nicht anders,
als auf die einmal verglichene Art und Weiſe rechts-
beſtaͤndig vorgenommen werden koͤnne. Wobey es
dann auch vor dasmal blieb.)


XV.

An ſtatt ein Fuͤrſtenrecht oder andere reichs-
ſtaͤndiſche Gutachten zuzuziehen, iſt am Reichshof-
rathe eine ganz andere Art in wichtigen Sachen zu
verfahren hergebracht, die im Weſtphaͤliſchen Frieden
zwar nicht beruͤhrt iſt, aber durch deſſen uͤbrige
Verordnungen doch noch eine ganz eigne Ruͤckſicht
bekommen hat. Nehmlich von der erſten Errich-
tung dieſes kaiſerlichen Hofraths her war es ganz
natuͤrlich, daß, wenn am kaiſerlichen Hofe Gna-
den- oder Staats-Sachen, wie auch Belehnungs-
Sachen vorkamen, der Reichshofrath fuͤr ſich dar-
in
[115]8) Reichsgerichte uͤberhaupt.
in nichts entſcheiden konnte, ſondern nur dem Kai-
ſer ſein Gutachten zu geben hatte, demſelben aber
die endliche Entſchließung darauf nach ſeinem Gut-
finden heimſtellen mußte. So ſtand ſchon in der
erſten Ordnung vom Jahre 1501., daß der Hof-
rath dem Kaiſer in allen vorkommenden Faͤllen von
der Art ſchriftlich Gutachten geben ſolle. Sonſt
pflegen große Herren wohl perſoͤnlich ihren Mini-
ſterien beyzuwohnen, und deren Gutachten muͤnd-
lich zu vernehmen. Hier ſcheint aber von je her
nie die Abſicht geweſen zu ſeyn, daß der Kaiſer ſelbſt
den Reichshofraths-Sitzungen beywohnen wollte.
Das ſchriftliche Gutachten mußte alſo dem Kaiſer
zugeſchickt, und mit deſſen Entſchließung, geneh-
miget oder abgeaͤndert, zuruͤck erwartet werden.


So lange der Reichshofrath nur ein Staats-XVI.
collegium blieb, ohne foͤrmliche Gerichtbarkeit aus-
zuuͤben, war bey dieſer Einrichtung der Reichs-
hofrathsgutachten
nichts zu erinnern. Aber nun
ſtellte der Reichshofrath auch ein Juſtitzcollegium
vor. Man konnte alſo jetzt erwarten, daß Er-
kenntniſſe in Rechtsſachen gar keiner andern Be-
ſtimmung faͤhig ſeyn wuͤrden, als wie ſie durch
Vereinigung oder Mehrheit der Stimmen unter
den Mitgliedern des Gerichts bloß nach ihrer Ue-
berzeugung und der Pflicht eines unpartheyiſchen
Richters ſich ergeben wuͤrden. Wie aber, wenn
nun auch in Rechtsſachen Reichshofraths-Gutach-
ten an das kaiſerliche Cabinet ergiengen? Wie,
wenn hier andere Miniſter, die mit Reichsſachen
ſonſt nichts zu thun haben ſollten, und die auf
die Gerechtigkeit keine beſondere Pflicht geleiſtet
haben, zur Berathſchlagung gezogen wuͤrden? Wie,
H 2wenn
[116]VII. Neuere Zeit. Weſtph. Fr. 1648.
wenn gar ein Beichtvater Einfluß haben koͤnnte (wie
von den Zeiten der Ferdinande Spuhren vorkommen
ſollen, daß alle Reichshofrathsgutachten erſt durch
die Haͤnde des Beichtvaters, der ein Jeſuit war,
gegangen ſeyen (y); ſo freylich in Anſehung des
Teutſchen Reichs kein geringes Stuͤck der Herrſchaft
der Welt von Seiten dieſes Ordens geweſen waͤre?)
Wie, wenn ſich ſelbſt aus einigen Beyſpielen her-
vorgethan haͤtte, daß in den Reichshofraths-Gut-
achten nicht bloß Rechtsgruͤnde, ſondern auch po-
litiſche Gruͤnde mit angebracht wuͤrden? — Kurz
hier ließen ſich freylich allerley Betrachtungen an-
ſtellen, die wenigſtens begreiflich machen, daß auch
dieſer Artikel nicht ohne Beſchwerden geblieben iſt.
Gemeiniglich ergibt ſich aber doch aus den Aus-
fertigungen der Erkenntniſſe, wie ſie auf die Reichs-
hofrathsgutachten zu erfolgen pflegen, daß es heißt:
Kaiſerliche Majeſtaͤt haben gehorſamſten Reichs-
hofraths Gutachten approbirt.


XVII.

Auſſer der kaiſerlichen Gerichtbarkeit, wie ſie
heutiges Tages am Cammergerichte und Reichs-
hofrathe, als den beiden hoͤchſten Reichsgerichten,
fuͤr ganz Teutſchland in der hoͤchſten Inſtanz aus-
geuͤbt wird, konnte nach der Verfaſſung des mitt-
lern Zeitalters der Kaiſer auch uͤber mittelbare Mit-
glieder des Reichs in Concurrenz mit deren ordent-
licher Obrigkeit eine Gerichtbarkeit erſter Inſtanz
ausuͤben; ſo daß ein Unterthan den andern ſowohl
beym
[117]8) Reichsgerichte uͤberhaupt.
beym Kaiſer als bey den landesherrlichen Gerich-
ten belangen konnte. Dieſe Gattung der kaiſer-
lichen Gerichtbarkeit ward bisweilen in gewiſſen
Diſtricten einem beſondern Richter verliehen, der
alsdann in dem ihm angewieſenen Diſtricte ſowohl
uͤber mittelbare als unmittelbare Perſonen und Guͤ-
ter Recht ſprechen konnte, jedoch der Appellation
an den Kaiſer unterworfen blieb. Von ſolchen
kaiſerlichen Landgerichten, wie man ſie nannte,
ſind verſchiedene in Abgang gekommen, weil mit
der heutigen Verfaſſung, da ein jeder Reichsſtand
eine voͤllig ausſchließliche Gerichtbarkeit in ſeinem
Lande behauptet, und keine Evocation ſeiner Unter-
thanen in erſter Inſtanz an die Reichsgerichte ge-
ſtattet, jene Art der kaiſerlichen Gerichtbarkeit ſich
nicht wohl vereinbaren laͤßt. Indeſſen waren zur
Zeit des Weſtphaͤliſchen Friedens noch einige ſolche
Gerichte im Gange, als inſonderheit das kaiſer-
liche Hofgericht zu Rothweil, und das kaiſerliche
Landgericht in Schwaben. Ueber beide wurde in
den Friedenshandlungen verſchiedenes verhandelt,
weil viele Reichsſtaͤnde in Schwaben und Franken
erhebliche Beſchwerden dawider vorbrachten, und
auf eine gaͤnzliche Abſtellung dieſer Landgerichte
drangen. Das in Schwaben war aber in Haͤn-
den des Hauſes Oeſterreich; Daher konnte im
Frieden weiter nichts bewirket werden, als daß
auf dem naͤchſten Reichstage uͤber Abſchaffung der
kaiſerlichen Landgerichte weiter gehandelt werden
ſollte. (Eben das iſt in den folgenden Wahlca-
pitulationen wiederholet worden, aber noch nicht
zur Vollziehung gekommen.)


H 3IX.
[118]VII. Neuere Zeit. Weſtph. Fr. 1648.

IX.
Einige Sachen, ſo noch von dem Friedenscon-
greſſe auf den naͤchſten Reichstag zur Eroͤrterung
und Entſcheidung verwieſen wurden.


I-III. Vorzuͤglich wurden noch auf den naͤchſten Reichs-
tag verwieſen die Errichtung einer beſtaͤndigen kaiſerlichen
Wahlcapitulation, — IV. V. und die Art, wie kuͤnftig mit
Roͤmiſchen Koͤnigswahlen zu Werk gegangen werden ſollte. —
VI. Mehr andere Gegenſtaͤnde benannte der Friede, als eine
Sportelordnung, Verbeſſerung des Reichsjuſtitzweſens, der
Reichspolizey, — VII. und des Reichsſteuerweſens. — VIII-
XII.
Ferner war die Rede von ordentlichen und auſſerordent-
lichen Reichsdeputationen; — XIII-XVII. wie auch von Di-
rectorien in reichsſtaͤndiſchen Verſammlungen. — XVIII-XX.
Endlich unter aͤhnlichen Gegenſtaͤnden, die erſt vom naͤchſten
Reichstage ihre Erledigung zu erwarten haben ſollten, war
hauptſaͤchlich noch das Poſtweſen begriffen, wie es das Haus
Taxis in Aufnahme gebracht hatte; — XXI. theils in Col-
liſion mit der dem Freyherrn von Par verliehenen Oeſter-
reichiſchen Landpoſt und kaiſerlichen Hofpoſt, — XXII-XXV.
theils mit anderen reichsſtaͤndiſchen Territorialpoſten.


I.

Das Schickſal, von den Weſtphaͤliſchen Friedens-
handlungen an den naͤchſten Reichstag verwie-
ſen zu werden, traf noch mehrere betraͤchtliche Ge-
genſtaͤnde, von denen nur noch zwey das Gluͤck ge-
habt haben, nebſt dem oben erwehnten Artikel von
der Achtserklaͤrung im Jahre 1711. zu einem ge-
wiſſen Schluſſe zu kommen.


II.

Einer derſelben betraf die Abfaſſung der kai-
ſerlichen Wahlcapitulation, die bisher immer
von den Churfuͤrſten alleine geſchehen, und nur in
ſoweit von den uͤbrigen Staͤnden genehmiget wor-
den war, als die Churfuͤrſten nur das allgemeine
Beſte
[119]9) Sachen an Reichst. verwieſen.
Beſte des Reichs vor Augen gehabt zu haben
ſchienen. In der Wahlcapitulation des Kaiſer
Matthias hatten ſie aber angefangen, einige Ar-
tikel nur zu ihrem Vortheile einzurichten, z. B.
daß nur ihre, nicht des ganzen Reichs Einwilligung
in gewiſſen Faͤllen noͤthig ſeyn ſollte. Daruͤber
hatten die uͤbrigen Reichsſtaͤnde Widerſpruch er-
regt, und fanden beym Friedenscongreß in ſo weit
Unterſtuͤtzung, daß man fuͤr billig erkannte, daß
eine auf beſtaͤndig zur Richtſchnur dienende Wahl-
capitulation in Kraft eines wahren allgemeinen
Reichsgrundgeſetzes auf dem naͤchſten Reichstage
mittelſt gemeinſamer Einwilligung ſaͤmmtlicher
Reichsſtaͤnde entworfen werden moͤchte.


(Die Sache kam jedoch noch nicht auf dem naͤch-III.
ſten Reichstage 1653., ſondern erſt 1664. in wuͤrk-
liche Berathſchlagung, und, nach neuen Schwierig-
keiten, die uͤber den Eingang und Schluß entſtan-
den, erſt 1711. zu einem Vergleiche, vermoͤge deſ-
ſen den Churfuͤrſten zwar unbenommen blieb, mit
einem neu zu erwehlenden Roͤmiſchen Koͤnige oder
Kaiſer noch weiter zu capituliren, aber doch nicht
in gemeinen Reichsgeſchaͤfften oder gemeinſame Ge-
rechtſame ſaͤmmtlicher Reichsſtaͤnde betreffend, und
ohne weder in der verglichenen beſtaͤndigen Capi-
tulation ohne der uͤbrigen Staͤnde Bewilligung
etwas zu aͤndern, noch anderen Reichsgeſetzen und
Gerechtſamen der Staͤnde Abbruch zu thun. So
blieben die folgenden Wahlcapitulationen bis 1711.
noch auf den vorigen Fuß; Aber die von Carl
dem VI. wurde zuerſt nach der beſtaͤndigen Wahl-
capitulation eingerichtet, deren Ordnung und Haupt-
inhalt auch hernach immer beybehalten wurde, bis
H 4auf
[120]VII. Neuere Zeit. Weſtph. Fr. 1648.
auf einige Zuſaͤtze, die von neuem Widerſpruch
gefunden haben, und nach Beſchaffenheit einer
jeden Stelle zu pruͤfen ſind. Ueber einige Gegen-
ſtaͤnde haben ſeitdem ſelbſt die Churfuͤrſten Beden-
ken gefunden, etwas neues in die Wahlcapitulation
einzuruͤcken; nur durch churfuͤrſtliche Collegialſchrei-
ben haben ſie dann den Kaiſer erſucht, ſolche Sa-
chen an die allgemeine Reichsverſammlung zur Be-
rathſchlagung zu bringen.)


IV

Ein anderer Gegenſtand, der mit der beſtaͤn-
digen Wahlcapitulation ungefaͤhr gleiches Schick-
ſal hatte, betraf die Roͤmiſchen Koͤnigswahlen.
Obgleich Teutſchland ein unwiderſprechliches Wahl-
reich war, ſo hatte man doch zur Zeit des Weſt-
phaͤliſchen Friedens ſchon eine Reihe von 200. Jah-
ren hindurch wahrzunehmen gehabt, daß die Kai-
ſerwuͤrde unverruͤckt beym Hauſe Oeſterreich geblie-
ben war. Das zu bewirken, glaubte man, habe
hauptſaͤchlich ein jedesmaliger Kaiſer nur das chur-
fuͤrſtliche Collegium geſucht auf ſeiner Seite zu
haben, um von Fall zu Fall durch eine Roͤmiſche
Koͤnigswahl ſich der ferneren Thronfolge zu ver-
ſichern. Weil die goldene Bulle der Roͤmiſchen
Koͤnigswahl nicht gedenket, ſondern nur die Kai-
ſerwahlen den Churfuͤrſten uͤberlaͤßt; ſo ward die
Frage aufgeworfen, ob die Churfuͤrſten auch mit
der Roͤmiſchen Koͤnigswahl bloß nach ihrem Gut-
duͤnken zu Werke zu gehen berechtiget ſeyen, und
ob es nicht auch rathſamer ſeyn moͤchte, wenig-
ſtens die jedesmalige Beſtimmung der Frage: ob
auch eine Roͤmiſche Koͤnigswahl noͤthig und zutraͤg-
lich ſey? nicht den Churfuͤrſten alleine zu uͤber-
laßen, damit nicht unvermerkt durch dieſes Mittel,
da
[121]9) Sachen an Reichst. verwieſen.
da der Kaiſer leichter die Churfuͤrſten alleine, als
das ganze Reich, auf ſeine Seite bringen koͤnne,
die Kaiſerwuͤrde doch ſo gut wie erblich bloß dem
Hauſe Oeſterreich zu Theil werden moͤchte. Beide
Kronen Frankreich und Schweden hielten eben das
fuͤr ſehr wichtig, und unterſtuͤtzten deswegen dieſes
Anliegen auf alle Weiſe. Allein im Frieden wurde
auch hiervon nur ſo viel verordnet, daß die Sache
auf dem naͤchſten Reichstage vorgenommen wer-
den ſollte.


(Ehe der naͤchſtfolgende Reichstag zu StandeV.
kam, brachte Ferdinand der III. 1653. doch noch
die Roͤmiſche Koͤnigswahl Ferdinands des IV. zu
wege; und ſo auch Leopold 1690. noch die von
Joſeph. Aber 1711. kam es auch hieruͤber zwi-
ſchen den beiden hoͤheren Reichscollegien zum ver-
gleichsmaͤßigen Schluſſe: ”daß die Churfuͤrſten
bey Lebzeiten des Kaiſers nicht leichtlich zur Wahl
eines Roͤmiſchen Koͤnigs ſchreiten ſollen, es waͤre
denn, daß der regierende Kaiſer ſich aus dem Rei-
che begeben und beſtaͤndig oder allzulange ſich aus-
waͤrts aufhalten wollte, oder derſelbe wegen hohen
Alters oder beharrlicher Unpaͤßlichkeit der Regierung
nicht mehr vorſtehen koͤnnte, oder ſonſt eine ander-
weite hohe Nothdurft, daran des Reichs Conſer-
vation und Wohlfahrt gelegen, es erforderte, noch
bey Lebzeiten des Kaiſers einen Roͤmiſchen Koͤnig
zu wehlen.” Dieſe letzteren Worte haben ſeitdem
doch wieder Anlaß gegeben, daß von neuem die
Frage entſtanden iſt: ob daruͤber, ob außer den
vorhin benannten Faͤllen eine ſonſtige hohe Noth-
durft von der Art vorhanden ſey, die Churfuͤrſten
alleine, oder nur mit Einwilligung der uͤbrigen
H 5Staͤn-
[122]VII. Neuere Zeit. Weſtph. Fr. 1648.
Staͤnde den Ausſchlag zu geben berechtiget ſeyn
ſollen? Wenn Vergleiche den Rechten nach keine
ausdehnende Erklaͤrung geſtatten, ſo iſt hier nach
den Worten des Vergleichs den Fuͤrſten kein Recht
beygelegt, die Frage: ob eine Nothdurft da ſey?
mit beſtimmen zu helfen. Noch 1764. iſt deswe-
gen auch die Frage: ob eine Roͤmiſche Koͤnigswahl
noͤthig ſey? nur durch einen churfuͤrſtlichen Colle-
gialſchluß entſchieden worden.)


VI.

Noch verſchiedene andere Gegenſtaͤnde ſind im
Weſtphaͤliſchen Frieden auf den naͤchſten Reichstag
verwieſen, ohne ſeitdem bis jetzt noch ihre Erledi-
gung erhalten zu haben. So ſollte 1) eine Spor-
teln-Taxe am Cammergerichte und 2) eine vollſtaͤn-
dige Verbeſſerung des Reichsjuſtitzweſens vorge-
nommen werden. (Davon kam aber in dem fol-
genden Reichsabſchiede hauptſaͤchlich nur das zu
Stande, was auf dem Deputationstage 1643.
vorgearbeitet war.) Auch 3) die Reichspolizey-
ordnung, wie ſie 1548. und 1577. abgefaßt wor-
den war, ſollte von neuem verbeſſert werden. (Dar-
in iſt es aber bey einigen Verſuchen geblieben, die
1670. auf dem Reichstage in Berathſchlagung,
aber nicht zum Schluſſe kamen. Einige wenige
Stuͤcke ſind in einzelnen Reichsſchluͤſſen zur Geſetz-
gebung gediehen, als inſonderheit die Handwerks-
mißbraͤuche 1731. und noch 1771. die Abſchaf-
fung des blauen Montags und 1772. der Unehr-
lichkeit gewiſſer Handwerker.)


VII.

Vom Reichsſteuerweſen ward nicht nur die
Hauptfrage: ob die Mehrheit der Stimmen darin
gelten ſolle? der Entſcheidung des naͤchſten Reichs-
tages
[123]9) Sachen an Reichst. verwieſen.
tages uͤberlaßen, ſondern auch vieles, das ſonſt
noch damit in genauer Verbindung ſtand. Bey
der Art, wie die ſo zufaͤllig entſtandene Reichsma-
trikel des Jahres 1521. zur beſtaͤndigen Richtſchnur
des Reichsſteuerfußes geworden war, und bey
den vielfaͤltigen Veraͤnderungen, die ſich ſeitdem
mit vielen Reichsſtaͤnden zugetragen hatten, konnte
es nicht fehlen, daß ſich in dem Verhaͤltniſſe der
Beytraͤge, die jeder Reichsſtand thun ſollte, große
Maͤngel hervorthun mußten. Manche, die als un-
mittelbare Reichsſtaͤnde und Mitglieder dieſes oder
jenen Kreiſes zur Reichsſteuer mit angeſetzt waren,
hatten ſeitdem das Schickſal gehabt, von anderen
als Unterthanen behandelt zu werden. Manche wa-
ren in ihren Vermoͤgensumſtaͤnden ſo heruntergekom-
men, daß ſie nicht nur eine Herabſetzung ihrer An-
lage, ſondern auch einen Nachlaß ihrer Ruͤckſtaͤnde
ſuchten. Andere haͤtten hingegen wohl eine Erhoͤ-
hung ihres Anſatzes ertragen koͤnnen. Alſo war es
wohl der Muͤhe werth, vom naͤchſten Reichstage zu
erwarten, daß alle die Puncte von Moderations-
und Remiſſions-Geſuchen, von Wiederherbeybrin-
gung abgekommener und unter andere Hoheit gezoge-
ner, oder nach der Sprache der Reichsgeſetze eximir-
ter Staͤnde, und von Ergaͤnzung der Reichskreiſe ge-
hoͤrig eroͤrtert werden moͤchten, und alsdann eine
[vollſtaͤndige] und richtigere Reichsmatrikel erſt ganz
von neuem zu Stande gebracht wuͤrde. Hernach wuͤr-
de auch die Frage von der Mehrheit der Stimmen in
Steuerſachen weniger Schwierigkeit gefunden haben;
Denn die wichtigſte Schwierigkeit war allemal die,
daß viele ſich immer beklagten, durch die Mehr-
heit der Stimmen in unverhaͤltnißmaͤßige Beſchwer-
den gezogen zu werden, und daß ſelbſt unter der
An-
[124]VII. Neuere Zeit. Weſtph. Fr. 1648.
Anzahl Stimmen und den von jeder Stimme zu
erwartenden Beytraͤgen gar kein ertraͤgliches Ver-
haͤltniß obwalte. (Alle dieſe Dinge ſind zwar ſeit
1711. in den neueren Wahlcapitulationen von
neuem zur reichstaͤglichen Berichtigung empfohlen
worden, aber noch immer nicht dazu gekommen.)


VIII.

Noch gedachte der Weſtphaͤliſche Friede in et-
lichen Stellen der ordentlichen Reichsdeputa-
tion,
zu deren Berichtigung auch noch verſchie-
denes dem naͤchſten Reichstage uͤberlaßen wurde.
Man hatte nehmlich ſeit 1548. die Verfuͤgung ge-
troffen, daß, wenn es auch zu weitlaͤuftig fiel, eine
allgemeine Reichsverſammlung auszuſchreiben, oder,
wenn ſie ſchon im Gange waͤre, laͤnger beyſammen
zu laßen, allenfalls nur die Churfuͤrſten und von
allen uͤbrigen Staͤnden nur eine gewiſſe Anzahl de-
putirte Fuͤrſten, Grafen, Praͤlaten und Reichsſtaͤdte
zuſammen berufen oder beyſammen gelaßen werden
moͤchten, um Geſchaͤffte, die keinen Verzug litten,
oder zweckmaͤßiger von wenigern als gar zu zahl-
reichen Verſammlungen behandelt werden koͤnnten,
im Namen des geſammten Reichs vorzunehmen.
Solche Reichsdeputationstage, die man wie ver-
juͤngte Reichsverſammlungen anſehen konnte, wo-
bey auch uͤbrigens meiſt voͤllig wie beym Reichs-
tage verfahren wurde, waren ſchon mehrmalen mit
Nutzen gehalten worden, wie davon die Reichs-
deputationsabſchiede 1564. 1571. und 1600. zum
Beweiſe dienen koͤnnen. Der Weſtphaͤliſche Friede
ſetzte aber auch hier eine voͤllig zu beobachtende
Religionsgleichheit feſt, und uͤberließ nur dem
naͤchſten Reichstage, die auf evangeliſcher Seite
noch fehlende Anzahl der Perſonen zu ergaͤn-
zen
[125]9) Sachen an Reichst. verwieſen.
zen (z) und uͤberhaupt dieſe ordentliche Reichsde-
putation zur gemeinen Reichswohlfahrt noch naͤher
einzurichten (a).


(Dieſen Auftrag hat nun der naͤchſte Reichs-IX.
tag 1654. dergeſtalt vollzogen, daß ſoviele evan-
geliſch fuͤrſtliche, graͤfliche und reichsſtaͤdtiſche Stim-
men hinzugefuͤgt ſind, als noͤthig war, um beide
Religionstheile auch hier in voͤllige Gleichheit zu
ſetzen, weil von denen, die auf catholiſcher Seite
einmal unter der Zahl dieſer Deputirten waren,
keiner davon abgehen wollte; Selbſt in Anſehung
der Churfuͤrſten, deren damals vier catholiſche und
drey evangeliſche gerechnet wurden, verordnete der
Reichsabſchied 1654., daß bey dem naͤchſten De-
putationstage zwiſchen den drey evangeliſchen Chur-
fuͤrſten ein viertes unter ihnen alternirendes Vo-
tum ſtatt haben ſollte (b). Dieſen Vorſchriften
gemaͤß ward auch noch unter Ferdinand dem III.
ein ſolcher Reichsdeputationstag eroͤffnet, und
unter Leopolden fortgeſetzt. Man brach ihn aber
ab, um einem Reichstage Platz zu machen, der
ſeitdem zufaͤlliger Weiſe immerwaͤhrend geworden
iſt, und eben damit die ordentliche Reichsdeputa-
tion, ſo lange dieſe Umſtaͤnde fortwaͤhren, entbehr-
lich gemacht hat. Seit 1742. hat zwar die Wahl-
capitulation wieder in Erinnerung gebracht, die
ordentliche Reichsdeputation wieder in Stand und
Activitaͤt zu ſetzen. Allein die Perſonen, aus wel-
chen jetzt unſere Reichsverſammlung beſteht, ſind
ſelbſt
[126]VII. Neuere Zeit. Weſtph. Fr. 1648.
ſelbſt in ſo geringer Anzahl, daß man deswegen
nicht noͤthig hat, den Reichstag in eine Deputa-
tion zu verwandeln, deren Hauptzweck ohnedem
wegfaͤllt, ſo lange der Reichstag ſelbſt beyſammen
iſt; ohne der Schwierigkeiten zu gedenken, die
wegen des Religionsverhaͤltniſſes ſowohl in Anſe-
hung der Churfuͤrſten als ſonſt von neuem entſtan-
den ſind.)


X.

Schon lange vorher, ehe man an jene ordent-
liche Reichsdeputation dachte, war eine ganz an-
dere Gattung Deputationen uͤblich, die man
jetzt zum Unterſchiede von jenen außerordentliche
Reichsdeputationen
nennt, auf welche ebenfalls
eine im Weſtphaͤliſchen Frieden enthaltene Verord-
nung gerichtet iſt. So oft nehmlich im Namen
ſaͤmmtlicher Reichsſtaͤnde gewiſſe Ausrichtungen vor-
kamen, es ſey nun am Orte des Reichstages ſelbſt,
z. B. dem Kaiſer oder anderen hohen Standes-
perſonen ein Compliment zu machen, oder auch
außerhalb des Reichstages etwa einen Friedens-
congreß zu beſchicken oder einer Cammergerichts-
viſitation beyzuwohnen, u. ſ. w., ſo wurden jedes-
mal aus allen drey Reichscollegien ſo viele Staͤnde,
als man noͤthig fand, dazu auserſehen. Auch
hierauf erſtreckte der Weſtphaͤliſche Friede die aus-
druͤckliche Vorſchrift der unter den Deputirten zu be-
obachtenden Religionsgleichheit; woruͤber doch ſeit-
dem neue Anſtaͤnde erwachſen ſind. Man hat nehm-
lich erſtlich die Frage aufgeworfen: ob die Wahl
und Ernennung ſolcher Deputirten von beiderley
Religionen einem jeden Religionstheile fuͤr ſich zu
uͤberlaßen ſey? oder ob z. B. im geſammten Fuͤr-
ſtenrathe ſowohl die evangeliſchen als catholiſchen
Depu-
[127]9) Sachen an Reichst. verwieſen.
Deputirten durch einen nach Mehrheit der Stim-
men abzufaſſenden Collegialſchluß ernannt werden
ſollen? Letzternfalls wuͤrde wohl zu erwarten ſeyn,
daß zwar Staͤnde von beiden Religionen in gleicher
Anzahl, aber nicht von gleichem Nachdruck, ſon-
dern z. B. lauter maͤchtige catholiſche, und minder-
maͤchtige evangeliſche Deputirte ernannt werden
moͤchten. Es iſt aber gleich in den erſten Faͤllen,
die ſich nach dem Weſtphaͤliſchen Frieden ereigne-
ten, ſo gehalten worden, daß jeder Religionstheil
ſeine eigne Deputirten beſtimmt hat (c). Von
Seiten des evangeliſchen Religionstheils hat man
ſeitdem ſehr der Muͤhe werth gefunden, bey die-
ſem Herkommen zu bleiben, und ſich keine davon
abweichende Art der Ernennung der Deputirten
aufdringen zu laßen (d).


Außerdem hat ſich aber, inſonderheit bey denXI.
außerordentlichen Comitialdeputationen, auch noch
folgender beſonderer Anſtand hervorgethan. Wenn
am Orte des Reichstages Deputirte zu ernennen
waren,
[128]VII. Neuere Zeit. Weſtph. Fr. 1648.
waren, hatte das churfuͤrſtliche Collegium gewoͤhn-
lich den erſten geiſtlichen und den erſten weltlichen
Churfuͤrſten dazu genommen, alſo in vorigen Zei-
ten Churmainz und Churpfalz, aber ſeit 1623.
Churmainz und Churbaiern. Jetzt, da der Weſt-
phaͤliſche Friede auch hier die Religionsgleichheit
beobachtet wiſſen wollte, mußte entweder an ſtatt
Churbaiern Churſachſen eintreten; oder, da Chur-
baiern jetzt auch hier ein beſtaͤndiges Recht ſolchen
Deputationen beyzuwohnen behauptete, mußten
nebſt Churmainz und Churbaiern auch zwey evan-
geliſche Churfuͤrſten, alſo Churſachſen und Chur-
brandenburg zu jeder außerordentlichen Reichs-
deputation zugelaßen werden. Unter den erſten
Mitgliedern des Reichsfuͤrſtenraths gab es gleiche
Anſtaͤnde, dergleichen nachher auch bey den Chur-
fuͤrſten ſich noch von neuem geaͤußert haben. Dar-
uͤber iſt es zuletzt dahin gekommen, daß die Aus-
richtung ſolcher Comitialdeputationen, wozu ſonſt
ein jedes der drey Reichscollegien einige ſeiner Mit-
glieder herzugeben pflegte, jetzt gemeiniglich Chur-
mainz alleine aufgetragen werden, wiewohl mit
jedesmaligem Vorbehalte, daß kein nachtheiliges
Recht daraus erwachſen ſolle.


XII.

So geringfuͤgig dieſe Sache ſcheint, ſo erheb-
lich kann ſie in mancher Ruͤckſicht werden. Unter
andern bringt ein altes Herkommen mit ſich, daß
ein jedes Reichsgutachten dem Kaiſer, oder in deſ-
ſen Abweſenheit dem Principalcommiſſarien durch
eine außerordentliche Reichsdeputation feierlich
uͤberbracht wird. Das Reichsgutachten an ſich
wird uͤbrigens nur von Mainziſcher Canzleyhand
mit den Worten: Churfuͤrſtlich Mainziſche Canzley,
unter-
[129]9) Sachen an Reichst. verwieſen.
unterſchrieben und beſiegelt. Was hier der Aus-
fertigung einer ſo wichtigen Urkunde an Feierlich-
keit abzugehen ſcheint, ward durch jene perſoͤnliche
Feierlichkeit, wenn Mitglieder aller drey Reichs-
collegien das Reichsgutachten ſelbſt uͤberreichten,
hinlaͤnglich erſetzt. Aber wenn nun Churmainz im
Reichsgutachten allein die Feder fuͤhrt, und alſo bei-
des die Ausfertigung und feierliche Ueberbringung
deſſelben jetzt allein in ſeiner Gewalt hat; ſollten ſich
da nicht zu Zeiten bedenkliche Umſtaͤnde ereignen
koͤnnen? — Mich duͤnkt, das koͤnnte wohl pa-
triotiſche Wuͤnſche veranlaßen, daß die außerordent-
lichen Comitialdeputationen auf einen gewiſſen Fuß
kommen moͤchten. Wenn außerhalb des Reichs-
tages außerordentliche Deputationen zu ernennen
ſind, wird ein beſtaͤndiges Deputationsrecht weni-
ger eingeraͤumt, ſondern jede Deputation nach
den Umſtaͤnden ernannt.


Nebſt der Materie von Reichsdeputationen ge-XIII.
dachte endlich der Weſtphaͤliſche Friede auch noch der
Directorien der reichsſtaͤndiſchen Verſammlun-
gen,
wovon ebenfalls auf dem naͤchſten Reichs-
tage gehandelt werden ſollte. Es hatte nehmlich
in allen reichsſtaͤndiſchen Verſammlungen von ih-
rem erſten Urſprunge her ſich meiſt von ſelbſten
ergeben, daß, wenn eine gewiſſe Ordnung in den
Geſchaͤfften und Berathſchlagungen herrſchen ſollte,
doch einer zuerſt das Wort fuͤhren, einen Vortrag
thun, andere zu Ablegung ihrer Stimmen daruͤber
veranlaßen, und die Stimmen nach ihrer Gleich-
foͤrmigkeit oder Mehrheit zu einem gewiſſen Schluſſe
ſammlen mußte. Kurz jede collegialiſche Berath-
P. Entw. d. Staatsverf. Th.II. Jſchla-
[130]VII. Neuere Zeit. Weſtph. Fr. 1648.
ſchlagung konnte nicht wohl ohne ein gewiſſes Di-
rectorium, wie man nachher jenes alles in dieſem
Worte zuſammengefaſſet hat, von ſtatten gehen.
Jedes Collegium hatte es nun freylich in ſeiner
Gewalt, einem ſeines Mittels durch freye Wahl ein
ſolches Directorium aufzutragen. Gemeiniglich
geſchah es inzwiſchen, daß der erſte im Range auch
jene Directorialverrichtungen uͤbernahm. Dadurch
hoͤrte jedoch das reichsſtaͤndiſche Collegium nicht
auf, ſeine voͤllige Freyheit und die vollkommene
Gleichheit ſeiner Mitglieder beyzubehalten. Nicht
etwa, wie ein Cammercollegium aus mehreren
Cammerraͤthen beſteht, denen der Fuͤrſt einen Cam-
merpraͤſidenten mit ſelbſtbeliebiger Macht vorſetzen
kann, der alsdann Befehlsweiſe ſprechen darf.
Sondern hier hatte unter mehreren voͤllig gleichen
Mitgliedern einer collegialiſchen Verſammlung nur
einer als der erſte im Range (primus inter pares)
das Directorium zu fuͤhren.


XIV.

So war z. B. was das churfuͤrſtliche Colle-
gium betrifft, Churmainz, indem es das Directo-
rium darin zu fuͤhren bekam, damit nicht berech-
tiget, ſeine Mitchurfuͤrſten gleichſam als ſeine Un-
tergebenen anzuſehen, oder nach Willkuͤhr zu ver-
fahren, oder gar Befehlsweiſe zu ſprechen. Son-
dern von ſelbigen Zeiten her, da die Churfuͤrſten
meiſt noch in eignen Perſonen ſich zu verſammlen
pflegten, lieſet man mit Vergnuͤgen, wie der Chur-
fuͤrſt von Mainz bey allen Gelegenheiten, z. B.
wenn die Frage war, was bey der naͤchſten Seſ-
ſion vorzunehmen ſeyn moͤchte? erſt freundſchaft-
liche Ruͤckſprache mit den uͤbrigen Churfuͤrſten hielt,
und
[131]9) Sachen an Reichst. verwieſen.
und nach deren Entſcheidung ſich richtete (e);
weit entfernt, daß er alleine haͤtte unternehmen
ſollen, nach ſeinem Gutfinden zu beſtimmen, ob
und welche Materien jedesmal zur Berathſchlagung
gebracht werden ſollten?


In der That ſah man das Directorium mehrXV.
fuͤr eine mit Muͤhe verknuͤpfte Dienſtleiſtung an,
als fuͤr einen Vorzug von der Art, wie er ſich
nur in ungleichen Verhaͤltniſſen uͤber Untergeord-
nete oder Subalternen gedenken laͤßt. Wo chur-
fuͤrſtliche Verſammlungen nur durch Geſandten
beſchickt wurden, und Churmainz gemeiniglich mehr
als einen Geſandten ſchickte; da war der erſte
Geſandte ordentlicher Weiſe nur zum eigentlichen
Repraͤſentiren und Stimmen angewieſen; der
zweyte oder letzte im Range, der gewoͤhnlich zu
Mainz die Canzlerſtelle bekleidete, meiſt ein Ge-
lehrter von Profeſſion, wenn die erſten Geſandt-
ſchafts-
J 2
[132]VII. Neuere Zeit. Weſtph. Fr. 1648.
ſchaftsſtellen mit Domherren oder Standesperſonen
beſetzt waren, hatte das Directorial-Miniſterium
(man nahm hier das Wort Miniſterium im eigent-
lichen Verſtande einer Dienerſchaft oder Dienſtlei-
ſtung) zu beſorgen. So wenig hielt man anfangs
das Directorium fuͤr einen Vorzug, der zu einer
Art von Befehlshabung fuͤhren koͤnnte.


XVI.

Mit der Zeit nahmen ſich aber diejenigen, die
ein Directorium in reichsſtaͤndiſchen Verſammlun-
gen zu fuͤhren hatten, weit mehr heraus. Sie
fiengen an, Seſſionen nach ihrem Gutfinden an-
ſagen zu laßen, Materien nach ihrer Auswahl in
Vortrag zu bringen, in Aufrufung, Niederſchrei-
bung, Sammlung der Stimmen mit mancherley
einſeitiger Willkuͤhr zu verfahren, kurz bey allen
Gelegenheiten ſich gewiſſe ausſchließliche Vorrechte
anzumaßen. Das Churmainziſche Directorium
ſchien den Vortheil doppelt benutzen zu wollen, da
es zugleich als Erzcanzler des Teutſchen Reichs
alle Ausfertigungen in Reichsſachen, und was da-
hin einſchlug, zu beſorgen hatte. Bey einer nam-
haften Gelegenheit wurde ihm aber einmal zu
Gemuͤthe gefuͤhrt, daß ſein Directorium urſpruͤng-
lich eigentlich nur eine dem unterſten der Mainzi-
ſchen Geſandten obgelegene Dienſtleiſtung, kein Ma-
giſterium, ſondern ein Miniſterium, geweſen ſey,
und noch ſeyn muͤße.


XVII.

Im Reichsfuͤrſtenrathe war die Sache beynahe
noch bedenklicher, da von Carl dem V. her der
Oeſterreichiſche Geſandte mit dem Salzburgiſchen
abwechſelnd nach den Materien das Directorium
zu fuͤhren hatte, und mit doppeltem Nachdruck
ſpre-
[133]9) Sachen an Reichst. verwieſen.
ſprechen zu koͤnnen glaubte, weil der Herr, dem
er diente, zugleich die Kaiſerwuͤrde bekleidete.
Auch in allen uͤbrigen collegialiſchen Verſammlun-
gen der Grafen, Praͤlaten, Reichsſtaͤdte verdiente
die Sache alle Aufmerkſamkeit. Hauptſaͤchlich
aber kam in Anſehung der Kreisdirectorien noch
der beſondere Umſtand in Betrachtung, daß in ſo
fern, als den kreisausſchreibenden Fuͤrſten von
Kaiſer und Reichs wegen gewiſſe Theile der voll-
ziehenden Gewalt aufgetragen waren, hier nicht
ſo voͤllig, wie in anderen bloß collegialiſchen Ver-
haͤltniſſen, eine vollkommene Gleichheit ohne alle
Subordination behauptet werden konnte. Wenig-
ſtens durfte von dem, was in ſolchen Faͤllen ver-
moͤge der Kreisverfaſſung geſchehen konnte, auf
andere reichsſtaͤndiſche Directorien kein Schluß ge-
macht werden. — Nun uͤber alles das kamen
ſchon bey den Weſtphaͤliſchen Friedenshandlungen
allerley Beſchwerden vor. Man konnte ſie aber
da nicht eroͤrtern, ſondern verwies ſie an den Reichs-
tag, wo ſie nebſt vielen anderen Dingen ihre Er-
oͤrterung immer noch erſt zu erwarten haben.


Außer den bisher beſchriebenen Gegenſtaͤnden,XVIII.
die der Friede ganz namentlich an den naͤchſten
Reichstag verwies, kamen bey den Friedenshand-
lungen noch verſchiedene andere Materien vor, die
nur unter der allgemeinen Anzeige begriffen wur-
den, daß auch noch aͤhnliche Gegenſtaͤnde vor-
gekommen waͤren, die auf dem Friedenscongreſſe
nicht haͤtten abgethan werden koͤnnen, und alſo
noch auf kuͤnftiger reichstaͤglicher Eroͤrterung beru-
hen wuͤrden. Von dieſer Art war vorzuͤglich das
J 3Poſt-
[134]VII. Neuere Zeit. Weſtph. Fr. 1648.
Poſtweſen, das deswegen hier noch einige Erlaͤu-
terung verdienet.


XIX.

An ſtatt daß ehedem nur einige Reichsſtaͤdte,
als Nuͤrnberg, Coͤlln, Bremen, ꝛc. ein gewiſſes
Botenweſen unterhielten, da woͤchentlich eine
Fuhr oder ein Schiff an einen gewiſſen entfern-
tern Ort, z. B. von Nuͤrnberg nach Hamburg, oder
nach Wien abgieng, dem jedermann Sachen gegen
eine billige Abgabe mitgeben konnte; oder daß
man ſonſt ſich damit behalf, an Orten, wo Canz-
leyboten unterhalten, und oͤfters mit obrigkeitlichen
Ausrichtungen abgeſchickt wurden, denſelben oder
auch Metzgern, die zum Viehkauf ausgiengen,
Briefe mitzugeben, ward, nach der in Frankreich
ſchon ſeit 1463. in Gang gebrachten Poſtanſtalt,
in Teutſchland der erſte Anfang des Poſtweſens
damit gemacht, daß Franz von Taxis dem Kaiſer
Max dem I. den Vorſchlag that, zwiſchen Wien
und Bruͤſſel eine reitende Poſt anzulegen. Wor-
auf ihn der Kaiſer Max im Jahre 1516. zu ſei-
nem Poſtmeiſter beſtellte. Nach ſeinem Tode
(1518.) fuͤhrte ſeines Bruders Sohn Johann
Baptiſta auch unter Carl dem V. dieſe Stelle fort.
Deſſen Sohn Leonhard ward im Jahre 1543. von
Carl dem V. als Niederlaͤndiſcher Generalpoſtmei-
ſter beſtellt, und errichtete in eben dem Jahre eine
beſtaͤndige reitende Poſt aus den Niederlanden uͤber
Luͤttich und Trier nach Speier, und von da durch
das Wuͤrtenbergiſche uͤber Augsburg und Tirol
nach Italien. Vom Kaiſer Ferdinand dem I. be-
wirkte eben dieſer Leonhard von Taxis ſchon im
Jahre 1563. einen Befehl an alle Churfuͤrſten und
Fuͤr-
[135]9) Sachen an Reichst. verwieſen.
Fuͤrſten, ihn bey Carls des V. Beſtallungsbriefe
zu laßen, und ſeinen Poſtboten bey Tag und Nacht
offenen Durchgang zu geſtatten. Doch die Nie-
derlaͤndiſchen Unruhen haͤtten beynahe die ganze
Sache ruͤckgaͤngig gemacht. Allein ſeit 1595., da
Leonhard von Taxis vom Kaiſer Rudolf dem II.
in Freyherrenſtand erhoben, und zum Generalober-
poſtmeiſter im Reiche beſtellt ward, kam erſt die
Sache auf feſtern Fuß, indem jetzt mit verſchie-
denen Reichsſtaͤnden, durch deren Laͤnder die Po-
ſten giengen, eigne Vertraͤge daruͤber errichtet wur-
den. Nun wurde 1603. noch eine neue Poſt von
Frankfurt nach Rheinhauſen (zur Communication
mit Frankreich), angelegt, und, nachdem Leonhards
Sohn, Lamoral Freyherr von Taxis, im Jul.
1615. vom Kaiſer Matthias eine erbliche Beleh-
nung uͤber das Generalpoſtmeiſteramt im Reiche
erhalten, erfolgten noch mehr neue Poſten in der
Pfalz, in Heſſen, nach Nuͤrnberg, Leipzig, Ham-
burg u. ſ. w.


Lamoral ward ſchon in Grafenſtand erhoben,XX.
und ruͤhmte ſich ſchon vor dem Jahre 1626. jaͤhr-
lich uͤber hundert tauſend Ducaten Ueberſchuß von
ſeinen Poſten zu haben. Nach Befehlen, die der
Kaiſer Ferdinand der II. unterm 23. Nov. 1627.
erließ, ſollte vollends dieſes Taxiſche Poſtweſen in
den damaligen Kriegszeiten in ganz Teutſchland als
ein kaiſerlich hochbefreytes Regal eingefuͤhrt werden.


Inzwiſchen hatte Ferdinand der II. auch ſchonXXI.
im Jahre 1624. den Freyherrn von Par mit den
Poſten in den Oeſterreichiſchen Erblanden
und zugleich als kaiſerlichen Hofpoſtmeiſter be-
J 4lehnt.
[136]VII. Neuere Zeit. Weſtph. Fr. 1648.
lehnt. In dieſer letztern Eigenſchaft behauptete
er dem kaiſerlichen Hofe auch außer den Erblanden
zu folgen, und alsdann auch ohne Ruͤckſicht auf
die Taxiſchen Poſten das Poſtweſen ſich zueignen
zu koͤnnen. Hierwider erhielt nun zwar der Graf
von Taxis am 12. Jun. 1641. ein churfuͤrſtliches
Gutachten an den Kaiſer zu ſeinem Vortheile (f).
Im uͤbrigen behielt aber doch das Pariſche Poſt-
weſen in den Erblanden ſelbſt ſeinen ungehinder-
ten Fortgang.


XXII.

Hatte nun das Haus Oeſterreich in ſeinen Lan-
den des Taxiſchen Reichsgeneralpoſtmeiſteramts un-
geachtet noch eigne Territorialpoſten angelegt, ſo
glaubten jetzt auch andere fuͤrſtliche Haͤuſer mit
eben dem Rechte ein gleiches thun zu koͤnnen.
So erhielt z. B. im Jahre 1640. ein Kaufmann
zu Hildesheim, Roͤtger Hinuͤber, eine Conceſſion vom
Herzog Georg von Braunſchweig-Luͤneburg, in deſ-
ſen Landen Poſten anzulegen. Auch die Reichsſtaͤdte
hielten ſich nicht fuͤr ſchuldig, in ihrem ſchon von
aͤlteren Zeiten hergebrachten Botenweſen durch die
Taxiſchen Poſten ſich hindern zu laßen.


XXIII.

Das Haus Taxis berief ſich hingegen auf die
einmal als Reichsgeneralpoſtmeiſter erhaltene kai-
ſerliche Belehnung, und auf kaiſerliche General-
poſtpatente, dergleichen Ferdinand der II. noch am
14. Aug. 1635. ins Reich erlaßen hatte. Selbſt
eine im Roͤmiſchen Geſetzbuche vorkommende Ver-
ordnung ehemaliger Roͤmiſcher Kaiſer (g) ſollte
zum Beweiſe dienen, daß das Poſtregal ein kai-
ſer-
[137]9) Sachen an Reichst. verwieſen.
ſerliches Reſervatrecht ſey, und niemanden zukom-
me, als dem es der Kaiſer ausdruͤcklich verliehen
habe. (Dieſes Roͤmiſche Geſetz ſprach eigent-
lich von einer Art Vorſpann, die außer dem Kai-
ſer nur noch zweyerley benannten obrigkeitlichen
Stellen zukommen ſollte. — Eine feine Probe,
aus Gerechtſamen und Verfuͤgungen der ehemali-
gen Kaiſer zu Rom und Conſtantinopel noch jetzt
ausſchließliche Hoheitsrechte fuͤr das Oberhaupt des
Teutſchen Reichs zu behaupten.)


Auf der andern Seite wurden ſchon uͤber un-XXIV.
maͤßige Poſtraxen große Beſchwerden gefuͤhret,
deren Abſtellung ſelbſt im Weſtphaͤliſchen Frieden
verordnet wurde (h). Die uͤbrigen Irrungen blie-
ben aber in den Friedenshandlungen unerlediget,
und mit anderen unverglichenen Gegenſtaͤnden der
kuͤnftigen Reichsverſammlung uͤberlaßen. Darauf
kam zwar in die Wahlcapitulation 1658. eine Stelle
mit Beziehung auf das churfuͤrſtliche Gutachten 1641.
zum Vortheile der Taxiſchen Reichspoſt gegen die
Pariſche kaiſerliche Hofpoſt. Da inzwiſchen nach
geendigtem dreyßigjaͤhrigen Kriege auch Churbran-
denburg eigne Poſten in ſeinen Landen angelegt
hatte, welchem Beyſpiele hernach ferner die Haͤu-
ſer Sachſen, Braunſchweig und Heſſen folgten;
ſo ward weder von dieſen Territorialpoſten, noch
vom reichsſtaͤdtiſchen Botenweſen in der Wahlca-
pitulation etwas erwehnet. Vielmehr gab eine
Erinnerung, die der Churfuͤrſt von Branden-
burg bey dieſer Gelegenheit thun ließ, daß ſeinem
Poſt-
J 5
[138]VII. Neuere Zeit. Weſtph. Fr. 1648.
Poſtregale nichts zum Nachtheile verfuͤgt werden
moͤchte, zu der Erklaͤrung Anlaß, daß jene Stelle
der Wahlcapitulation nicht das Territorialrecht der
Reichsſtaͤnde, ſondern nur die Colliſion der Reichs-
und kaiſerlichen Hofpoſtaͤmter zum Gegenſtande
habe (i).


XXV.

Auch in den Berathſchlagungen uͤber die be-
ſtaͤndige Wahlcapitulation konnte man zu keiner
entſcheidenden Beſtimmung hieruͤber gelangen, die
deswegen noch immer dem Reichstage vorbehalten
blieb, aber bis jetzt noch nicht erfolgt iſt. Nur
ſeit 1690. wurde noch bey einer andern Gelegen-
heit der kaiſerlichen Poſten in der Staͤnde Landen und
Gebieten gedacht, jedoch mit dem merkwuͤrdigen
Zuſatze: ”wo dergleichen kaiſerliche Poſtaͤmter vor-
„handen und hergebracht” ſind. Nach dieſer Be-
ſtimmung wird es noch jetzt ſo gehalten, daß die
kaiſerlichen oder Taxiſchen Poſten nur da ſtatt fin-
den, wo ſie vorhanden und hergebracht ſind. Wo
das nicht iſt, koͤnnen ſie keinem Reichsſtande auf-
gedrungen werden. Denn um ſelbige Zeit, als
die Taxiſchen Poſten in Gang kamen, war die
Landeshoheit eines jeden Reichsſtandes ſchon ſo
beſchaffen, daß keinem wider ſeinen Willen der-
gleichen Anſtalten in ſeinem Lande aufgedrungen
werden konnten; wie daher auch uͤberall, wo das
Haus Taxis mit ſeinen Poſten aufgenommen und
zugelaßen zu werden verlangte, dazu die Einwil-
ligung der Landesherrſchaft geſucht wurde. Eben
ſo wenig konnte einem Reichsſtande verwehrt wer-
den,
[139]9) Sachen an Reichst. verwieſen.
den, vermoͤge ſeiner Landeshoheit auch neu auf-
kommende Anſtalten, wie dieſe damals war, in
ſeinem Lande ſelbſt anzulegen, ohne daß es dazu
einer kaiſerlichen Conceſſion bedurfte, oder irgend
eine andere Einſchraͤnkung dagegen ſtatt fand, als
die ſich ein Reichsſtand durch eingegangene Ver-
traͤge ſelbſt gemacht hatte. Das Haus Taxis,
das inzwiſchen bis zur fuͤrſtlichen Wuͤrde hinauf-
geſtiegen iſt, kann bey der Menge Poſten, die
es gleichwohl in einem großen Theile von Teutſch-
land im Gange hat, mit ſeiner Lage wohl zufrie-
den ſeyn. Man will jetzt den Ueberſchuß dieſer
Poſteinkuͤnfte jaͤhrlich auf eine Million Rthlr.
ſchaͤtzen.


X.
[140]VII. Neuere Zeit. Weſtph. Fr. 1648.

X.
Friedensexecutionshandlungen und Forderungen
der Schwediſchen Militz.


I. II. Schwierigkeiten, die ſich wegen Vollziehung des
Friedens hervorthaten. — III. Unerwartete Forderung der
Schwediſchen Kriegsvoͤlker, — IV. die auf fuͤnf Millionen
Thaler verglichen, — V. und auf ſieben Kreiſe ver-
theilt wurde. — VI. Aehnliche Forderung von Heſſencaſ-
ſel. — VII. Abrede, was ſonſt gleich nach unterzeichnetem
Frieden zu deſſen Vollziehung geſchehen ſollte, — VIII. un-
ter andern, wie die Schwediſchen Gelder terminsweiſe be-
zahlt, und dagegen Plaͤtze geraͤumt und Kriegsvoͤlker abge-
dankt werden ſollten. — IX. Kuͤnftige reichsgrundgeſetzliche
Kraft des Friedens, — X-XII. mit deſſen ausbedungener
Gewaͤhrleiſtung fuͤr alle Theilhaber des Friedens, — XIII.
vermoͤge deren ein Schwerdt das andere in der Scheide
erhalten muß. — XIV. Truͤbe Ausſichten, die ſich gleich
nach geſchlofſenem Frieden zeigten. — XV. Kaiſerliche Be-
fehle zur Vollziehung des Friedens. — XVI. Widriger
Schluß des Congreſſes zu Muͤnſter. — XVII. Executions-
handlungen zu Prag und Nuͤrnberg. — Executionshaupt-
receß. — XVIII. Selbigem zufolge angeſetzte Reichsdepu-
tation, und deren Reſtitutionsverzeichniſſe. — XIX. Nun-
mehrige Conſiſtenz des Friedens. — XX. Endlich auch noch
gehobene Schwierigkeiten wegen der Pfaͤlziſchen Reſtitution
in Anſehung des Erzamts, — XXI. und der Stadt Fran-
kenthal.


I.

Das alles, was ich bisher beſchrieben habe,
mag hinlaͤnglich ſeyn, um ſich einen Begriff
zu machen, welchen weitumfaſſenden Einfluß der
Weſtphaͤliſche Friede auf die ganze Teutſche Reichs-
verfaſſung bekommen hat. Aber wie bey den Frie-
denshandlungen alles ſo weit verhandelt war,
daß man ſchon dem voͤlligen Schluſſe des Friedens
und der Unterſchrift deſſelben entgegen ſah; ſo
kamen noch zwey Gegenſtaͤnde aufs Tapet, die
von
[141]10) Schwed. Militz u. Exec.
von der groͤßten Wichtigkeit waren, und, ſo große
Schwierigkeiten ſie auch fanden, doch noch berich-
tiget werden mußten.


Mit den zu den eigentlichen Friedenshandlun-II.
gen bevollmaͤchtigten Schwediſchen Geſandten war
meiſt ſchon alles ſo, wie es ſich noch jetzt im
Osnabruͤckiſchen Frieden in deſſen erſten 15. Arti-
keln findet, vollkommen berichtiget, als nur noch
die Frage uͤbrig blieb, wie es mit Vollziehung
der vielerley abgeredeten Puncte ſowohl jetzt zu-
naͤchſt nach Unterſchrift des Friedens als fuͤr die
fernere Zukunft gehalten werden ſollte. Inſonder-
heit hatte man hiebey eines Theils auf die vieler-
ley Reſtitutionsfaͤlle ſowohl von wegen der Amne-
ſtie als zu Abthuung der verhandelten Beſchwer-
den zu ſehen, und andern Theils auf die Erledi-
gung der mit fremden Kriegsvoͤlkern beſetzten Plaͤtze
und Laͤnder, und, wie es bey den damaligen Krie-
gen noch gewoͤhnlich war, zugleich auf Abdankung
der bisher gebrauchten Kriegsvoͤlker.


Ehe hieruͤber noch die Berathſchlagungen inIII.
Gang kamen, fand ſich außer den Schwediſchen
Geſandten noch von der Schwediſchen Armee
ein beſonderer Abgeordneter, Johann Ersken, beym
Congreſſe zu Osnabruͤck ein, mit dem Antrage:
Weil doch noch zehn Monathe hingehen duͤrften,
ehe der Friede und die darauf zu erwartende Ab-
dankung der Kriegsvoͤlker zu Stande kommen moͤch-
te, bis dahin aber die Armee es noch immer in
ihrer Gewalt haben wuͤrde, nach ihrer Ausbrei-
tung in ganz Teutſchland Brandſchatzungen aus-
zuſchreiben; ſo haͤtte ſie ſtatt deſſen eine Rechnung
ent-
[142]VII. Neuere Zeit. Weſtph. Fr. 1648.
entwerfen laßen, vermoͤge deren 50. Escadrons
Cavallerie, jedes monathlich 19064. Rthlr., 6. Re-
gimenter Dragoner, jedes monathlich 10980. Rthlr.,
63. Regimenter Infanterie, jedes monathlich
8619. Rthlr. 12 Ggr., die Artillerie 100000., die
Generalitaͤt 220507. Rthlr. 12. Ggr. haben muͤß-
ten, ſo zuſammen auf zehn Monathe zwanzig Mil-
lionen Thaler ausmachen wuͤrde. Dieſe 20. Mil-
lionen verlangte gedachter Ersken vermoͤge ſeines
von dem Schwediſchen Kriegsheere habenden Auf-
trages noch im Frieden ſelbſt zur baaren Auszahlung
vom ganzen Teutſchen Reiche verſichert zu haben, um
alsdann mit Abdankung der Militz und Raͤumung der
feſten Plaͤtze zu Werke gehen zu koͤnnen, und dage-
gen dann auch keine Brandſchatzungen weiter aus-
zuſchreiben, jedoch mit Vorbehalt der Unterhaltsgel-
der fuͤr die Beſatzungen und uͤbrige Militz, ſo lange
ſie noch im Dienſte begriffen ſeyn wuͤrden.


IV.

So allgemeingroßes Erſtaunen dieſe unerwar-
tete Forderungen machten, ſo unmoͤglich erklaͤrten
doch die Schwediſchen Geſandten, daß ihnen aus-
zuweichen ſeyn wuͤrde. Man mußte ſich alſo,
man mochte wohl oder uͤbel, auch hieruͤber in
Unterhandlungen einlaßen. Auf die 20. Millionen
Thaler wurden anfangs nur 2. Millionen Gulden
geboten. Herr Ersken beſtand aber auf 10. Mil-
lionen Thaler. Man bot drey, hernach vier Mil-
lionen Gulden. Ersken gieng bis auf 8., hernach
7. Millionen Thaler herunter. Endlich vereinigte
man ſich im Junius 1648. auf fuͤnf Millionen
Thaler.


Die
[143]10) Schwed. Militz u. Exec.

Die Forderung war zwar eigentlich an dasV.
ganze Teutſche Reich gerichtet. Allein von den
zehn Kreiſen, worin Teutſchland eingetheilt iſt,
gieng erſtlich der Burgundiſche Kreis ab, weil
deſſen Inhaber, der Koͤnig in Spanien, an dem
Frieden keinen Theil nahm. Das Haus Oeſter-
reich und das Haus Baiern behaupteten fuͤr ihre
Kriegsvoͤlker allenfalls zu gleichen Forderungen be-
rechtiget zu ſeyn. Alſo entließ man auch die bei-
den Kreiſe Oeſterreich und Baiern von dieſer Ver-
bindlichkeit. Die uͤbrigen ſieben Kreiſe mußten
ſich aber bequemen, die Zahlung zu leiſten.


Eine aͤhnliche Forderung von 600. tauſend Tha-VI.
lern wurde nur noch der Frau Landgraͤfinn von
Heſſencaſſel zu ihrer Schadloshaltung und fuͤr
die Raͤumung der mit Heſſiſchen Voͤlkern beſetzten
Plaͤtze zugeſtanden. Deren Zahlung wurde auf
die Erzſtifter Mainz und Coͤlln, auf die Biſthuͤmer
Paderborn und Muͤnſter und auf die Abtey Fulda
angewieſen.


Nun blieb noch uͤbrig zu beſtimmen, wie esVII.
mit der Vollziehung und kuͤnftiger Feſthaltung
des Friedens
ſelber gehalten werden ſollte. In
dieſer Abſicht ward feſtgeſetzt, daß von der Zeit
an, da die Geſandten den Frieden unterzeichnet
haben wuͤrden, in acht Wochen die allerſeitige
Genehmigungsurkunden gegen einander ausgewech-
ſelt werden ſollten. Doch ſchon unmittelbar nach
der Unterſchrift des Friedens ſollten alle Feindſelig-
keiten auf hoͤren, und die verglichenen Puncte ſofort
zur Vollziehung gebracht werden. Zu dem Ende
ſollte
[144]VII. Neuere Zeit. Weſtph. Fr. 1648.
ſollte ſofort ein kaiſerliches Edict ins Reich erge-
hen, vermoͤge deſſen ein jeder, dem der Friede
etwas zu reſtituiren oder zu leiſten auflege, an-
gewieſen werden ſollte, ſchon in der Zwiſchenzeit
zwiſchen der Unterſchrift und Genehmigung des
Friedens demſelben nachzuleben. Eben das Edict
ſollte auch ſowohl den kreisausſchreibenden Fuͤrſten
als den Kreisoberſten eines jeden Kreiſes anbefeh-
len, auf Erſuchen derer, die vermoͤge des Friedens
reſtituirt werden ſollten, denſelben die erforderliche
Huͤlfsvollſtreckung zu leiſten. Nur wenn ſie ſelbſt
dabey intereſſirt waͤren, oder den Executionsauftrag
ablehnten, ſollten die ausſchreibenden Fuͤrſten oder
Kreisoberſten eines benachbarten Kreiſes denſelben
uͤbernehmen. Auch ſollte einem jeden unbenom-
men ſeyn, wo er es noͤthig faͤnde, eine kaiſerliche
Commiſſion zur Vollziehung deſſen, was der Friede
zu ſeinem Vortheile enthalte, zu erbitten, wozu
ein jeder Theil zwey oder drey Commiſſarien vor-
ſchlagen, der Kaiſer aber von jeder Seite einen,
mit Beobachtung der noͤthigen Religionsgleichheit,
wehlen koͤnnte.


VIII.

Von den fuͤr die Schwediſche Militz bedun-
genen fuͤnf Millionen Thaler ſollten ebenfalls gleich
nach Unterſchrift des Friedens 1800. tauſend Tha-
ler baar, 1200. tauſend Thaler in Anweiſungen
auf gewiſſe Reichsſtaͤnde, die zwey uͤbrigen Millio-
nen zu Ende des Jahres 1649. und 1650. ent-
richtet werden. Wogegen dann auch die Raͤumung
der beſetzten Plaͤtze und die Abdankung des Kriegs-
volkes, ſoviel davon nicht jede Macht zu ihrer Sicher-
heit in ihr eigen Land zuruͤckzufuͤhren dienlich finden
wuͤr-
[145]10) Schwed. Militz u. Exec.
wuͤrde, mit gleichen Schritten, und nach einer zwi-
ſchen den Befehlshabern der Kriegsheere zu treffen-
den Verabredung ins Werk gerichtet werden ſollte.


Wider die Verbindlichkeit des Friedens ſollteIX.
weder irgend eine gegenwaͤrtige oder kuͤnftige Pro-
teſtation, oder Widerſpruch, noch ſonſt jemalen
etwas, es ruͤhre auch her, von wem es wolle,
geachtet werden. Der Friede ſelbſt ſollte auch fuͤr
die Zukunft als ein Reichsgrundgeſetz allen und
jeden Mitgliedern des Reichs zur Richtſchnur die-
nen, und zu dem Ende auch dem naͤchſten Reichs-
abſchiede ſowohl als der kaiſerlichen Wahlcapitu-
lation einverleibt werden. Wer ihm entgegen
handeln wuͤrde, ſollte des Friedbruchs ſchuldig er-
klaͤrt und zur vollkommenen Gnugthuung angehal-
ten werden.


Alle und jede Theilhaber des FriedensſchluſſesX.
ſollten hingegen verbunden ſeyn, deſſen Inhalt ge-
gen einen jeden zu vertheidigen. Wenn ſichs
zutruͤge, daß irgend etwas dawider vorgenommen
wuͤrde, ſo ſollte der beleidigte Theil den Beleidi-
ger zwar vor allen Dingen von aller Thaͤtlichkeit
abmahnen, und die Sache ſelbſt entweder in Guͤte
oder im Wege Rechtens eroͤrtert werden. Wenn
aber auf keine von beiderley Arten die Sache in
drey Jahren berichtiget wuͤrde, ſollten alle und
jede Theilhaber des Friedens gehalten ſeyn, dem
beleidigten Theile mit vereinigten Rathſchlaͤgen und
Kraͤften beyzuſtehen, und zu Abſtellung des Un-
rechts die Waffen zu ergreifen, ſobald der leidende
Theil nur anzeigte, daß weder der Weg der Guͤte
noch des Rechts ſtatt gefunden habe; ohne uͤbri-
P. Entw. d. Staatsverf. Th.II. Kgens
[146]VII. Neuere Zeit. Weſtph. Fr. 1648.
gens jemands Gerichtbarkeit und der Verwaltung
der Gerechtigkeit Abbruch zu thun.


XI.

Durch dieſe Stelle, welche ſowohl im Muͤn-
ſteriſchen als Osnabruͤckiſchen Frieden gleichlautend
eingeruͤckt wurde, bekamen vors erſte die beiden Kro-
nen Frankreich und Schweden die Pflicht und das
Recht der Gewaͤhrleiſtung uͤber den ganzen In-
halt des Friedens, und alſo beynahe uͤber die ganze
Reichsverfaſſung; — freylich nur in ſo weit, als
der Weſtphaͤliſche Friede etwas beſtimmte, deſſen Ue-
bertretung hernach in Frage kaͤme, ohne uͤber dieſe
Graͤnze hinaus ſich in Reichsſachen mengen zu
duͤrfen. — So konnten z. B. beide Kronen aller-
dings daruͤber wachen, daß die Churfuͤrſten ſich
nicht entziehen durften, uͤber die Art und Weiſe
der Roͤmiſchen Koͤnigswahl mit den Fuͤrſten ſich in
Unterhandlung einzulaßen. Da aber dieſes Ge-
ſchaͤfft mit dem 1711. geſchloſſenen Vergleiche ſeine
Endſchaft erreicht hat; ob jetzt dennoch die Krone
Frankreich noch berechtiget ſey, jede einzelne Roͤ-
miſche Koͤnigswahl als einen Gegenſtand der Ga-
rantie des Friedens anzuſehen, das iſt eine andere
Frage. Doch wenn nun dieſe auswaͤrtige Kronen
behaupten, es ſey ein Fall der Garantie vorhan-
den, und wenn man dann auch in Teutſchland
das Gegentheil glaubt; wer ſoll da entſcheiden?
So laßen ſich Faͤlle denken, wo ſelbſt dieſe Fra-
ge nicht anders als durch das Gluͤck der Waffen zu
entſcheiden ſeyn wuͤrde.


XII.

Es iſt aber ferner dieſe Gewehrleiſtung des
Friedens nicht etwa nur den beiden Kronen auf-
getragen, ſondern allen und jeden Theilhabern des
Frie-
[147]10) Schwed. Militz u. Exec.
Friedens, d. i. allen denen, die als kriegfuͤhrende
und Friedenſchließende Theile oder deren Bundes-
genoſſen auf einer oder der andern Seite ſtanden.
Waren alſo z. B. in Anſehung derer Sachen, wo die
Religion in Betrachtung kam, auf der einen Seite
der Kaiſer und alle catholiſche Reichsſtaͤnde, und auf
der andern Seite alle evangeliſche Reichsſtaͤnde; ſo
galt unwiderſprechlich auf alle Faͤlle, wenn einem
evangeliſchen Mitgliede des Reichs gegen die Vor-
ſchrift des Friedens von catholiſcher Seite zu nahe
geſchaͤhe, die Gewaͤhrleiſtung des Friedens auch fuͤr
den evangeliſchen Religionstheil. Auch dieſer blieb
alſo berechtiget, in jedem Contraventionsfalle dem
beleidigten Theile mit Rath und That beyzuſtehen,
und ſelbſt zu den Waffen zu greifen, ohne daß
weiter etwas erforderlich war, als nach Ablauf
der zu Guͤte oder Recht beſtimmten dreyjaͤhrigen
Friſt vom beleidigten Theile darum erſucht zu werden.


Freylich ſollte ſonſt nach ebenmaͤßiger Vor-XIII.
ſchrift des Friedens kein Reichsſtand mit Gewalt
der Waffen oder anderen Thaͤtlichkeiten ſich ſelber
helfen, ſondern ſich am Wege Rechtens begnuͤgen.
Allein der Friede ſelbſt darf nur nicht uͤberſchritten
oder hintangeſetzt werden. Sonſt bleibt da jene
Gattung der Selbſthuͤlfe, die auf der Gewaͤhrlei-
ſtung des Friedens beruhet, nach den klaren Worten
des Friedens vorbehalten. — (So koͤnnte es aber
von neuem zu einem innerlichen Kriege in Teutſchland
kommen; — gar zur ſchlimmſten Gattung buͤrger-
licher Kriege, zu einem Religionskriege, wie ſelbſt
der dreyßigjaͤhrige Krieg einer war! — Aller-
dings waͤre das moͤglich, wie der Erfolg der Ge-
ſchichte auch mehr als einmal die Moͤglichkeit
K 2bey-
[148]VII. Neuere Zeit. Weſtph. Fr. 1648.
beynahe bis zur Wuͤrklichkeit gebracht hat. Allein
wer wuͤrde dabey gewinnen! — und wer anders
verliehren, als zuverlaͤßig beide Theile! — Und
was folgt daraus? — was anders, als daß beide
Theile Urſache haben, den Weſtphaͤliſchen Frieden,
der einmal ſo viel Blut gekoſtet hat, und fuͤr ganz
Teutſchland ſo theuer zu ſtehen gekommen iſt,
von allen Seiten heilig und unverbruͤchlich zu hal-
ten, — auch ſchon von weitem zu meiden, was
nur zum Fall der eintretenden Gewaͤhrleiſtung fuͤh-
ren koͤnnte, — alſo bruͤderlich als Mitglieder eines
Staats mit einander zu leben — oder doch nie
außer Acht zu laßen, daß ein Schwerdt das an-
dere in der Scheide erhalten moͤge!)


XIV.

Unmittelbar, nachdem der Friede ſowohl zu
Muͤnſter als Osnabruͤck am 14. (24.) Oct. 1648.
gezeichnet war, zeigten ſich ſchon truͤbe Ausſich-
ten, ob er auch jemals zur Vollziehung gelangen
wuͤrde. Das verabredete kaiſerliche Edict ward
zwar unterm 7. Nov. 1648. ins Reich erlaßen.
Allein an ſtatt der acht Wochen, binnen welchen
die Ratification erfolgen ſollte, vergiengen uͤber
drey Monathe, ohne daß es dazu kam; es geſchah
kein Schritt zu Befolgung deſſen, was im Edict
befohlen war; man hoͤrte von nichts als Wider-
ſpruͤchen und Schwierigkeiten, die ſich von allen
Enden und Orten hervorthaten. Die Kriegsvoͤl-
ker blieben noch, wo ſie waren; der ihnen vor-
behaltene Unterhalt verurſachte noch taͤgliche Er-
preſſungen großer Geldſummen. Auch die Con-
greſſe zu Muͤnſter und Osnabruͤck konnten noch
nicht geendigt werden. Was wuͤrde erſt geſchehen
ſeyn, wenn nicht in Abfaſſung des Friedens ſchon
zum
[149]10) Schwed. Militz u. Exec.
zum Voraus auf alles, was zur Vollziehung deſ-
ſelben gehoͤrte, ſo ſorgfaͤltig Bedacht genommen
worden waͤre!


Nachdem endlich am 8. Febr. 1649. die Aus-XV.
wechſelung der Ratificationen
geſchehen war,
erfolgte am 2. Maͤrz 1649. nach einem von den
Staͤnden dazu gemachten Entwurfe ein genauer
beſtimmtes kaiſerliches Schreiben an die kreisaus-
ſchreibenden Fuͤrſten, wie nach dem Buchſtaben
des Friedens oder auch nach allgemeinen Grund-
ſaͤtzen deſſelben die darin verordneten Reſtitutionen
auf Unkoſten deſſen, der zur Reſtitution angehal-
ten werden muͤßte, geſchehen ſollten, und wie
allenfalls Zweifel von Erheblichkeit, die ſich etwa
uͤber das bloße Factum des Beſitzſtandes ereignen
moͤchten, aͤußerſt ſummariſch gleich an Ort und
Stelle der Execution zu eroͤrtern ſeyn wuͤrden.


Kaum hatte hierauf der Osnabruͤckiſche Con-XVI.
greß, wo meiſt der evangeliſche Reichstheil war,
in der beſten Zuverſicht im Maͤrz 1649. ſich aus
einander begeben; ſo ließen die zu Muͤnſter noch
beyſammen gebliebenen Reichsſtaͤnde ſich in Sinn
kommen, am 13. Apr. 1649. noch einen Schluß
dahin zu faſſen: daß von den verſchiedenen Ge-
genſtaͤnden der Vollziehung des Friedens erſt die
Abdankung der Kriegsvoͤlker und Raͤumung der von
ihnen beſetzten Plaͤtze, und nachher alsdann die
Reſtitutionen, ſo der Friede verordnet habe, vor-
genommen werden ſollten. Wenn es dieſem Schluſſe
nachgegangen waͤre, wuͤrden wohl wenige Par-
theyen die ihnen zugeſicherte Herſtellung oder an-
dere Leiſtungen wuͤrklich erlanget haben, ſobald von
K 3Sei-
[150]VII. Neuere Zeit. Weſtph. Fr. 1648.
Seiten der Kriegsheere weiter kein Nachdruck mehr
zu erwarten geweſen waͤre. Allein natuͤrlicher
Weiſe widerſprachen die Schwediſchen Geſandten
dieſem ganzen Schluſſe, womit auch der Muͤnſte-
riſche Congreß im Junius 1649. ein Ende nahm.


XVII.

Mittlerweile waren zwiſchen den Befehlsha-
bern der kaiſerlichen und Schwediſchen Kriegsheere
ſchon im Nov. 1648. zu Prag einige Unterhand-
lungen angegangen, die jetzt zu Nuͤrnberg fortge-
ſetzt wurden, wo ſich nebſt den kaiſerlichen und
Schwediſchen Geſandten bald nach und nach auch
der meiſten Reichsſtaͤnde Abgeordnete einfanden.
Hier ward noch im Jun. 1649. eine Deputation
aus allen drey Reichscollegien niedergeſetzt, und
von derſelben vorerſt am 11. Sept. 1649. ein
Praͤliminaͤr-Receß des Inhalts errichtet: Gleich
nach Unterſchrift dieſes Receſſes ſollten gewiſſe be-
nannte Laͤnder und Plaͤtze gegen einander ausge-
wechſelt, und ihren rechtmaͤßigen Herren zuruͤck-
gegeben werden, als die Oberpfalz gegen die
Unterpfalz, Prag gegen Augsburg u. ſ. w. Dann
ſollten in drey Terminen, jedem von 14. Tagen,
von den fuͤnf Millionen fuͤr die Schwediſche Armee
drey Millionen, in jedem dieſer Termine aber auch
eine gewiſſe Anzahl Regimenter abgedankt, und
ferner gewiſſe namhaft zu machende Plaͤtze von
beiden Seiten gegen einander geraͤumet werden.
Hernach ſollte in ſechs Monathen die Zahlung
der vierten, und wieder in ſechs Monathen die
Zahlung der fuͤnften Million erfolgen. Waͤhrend
obiger drey Termine ſollten alle liquide Reſtitu-
tionsfaͤlle unverzuͤglich ihre Vollziehung erhalten;
andere, die etwa wegen der großen Menge oder
wegen
[151]10) Schwed. Militz u. Exec.
wegen Schwierigkeit des Beweiſes nicht ſo ge-
ſchwind eroͤrtert werden koͤnnten, doch in drey
Monathen vom Tage dieſes Receſſes anzurechnen.


Die hierzu ernannten Reichsdeputirten fiengenXVIII.
auch gleich an, die Unterſuchung der Reſtitutions-
faͤlle vorzunehmen, und Executionscommiſſionen zu
erkennen. Es verzog ſich aber doch noch bis
zum 16. Jun. 1650., daß man mit den beiden
Verzeichniſſen derer, die in den drey Terminen
von 14. Tagen, und derer, die in drey Monathen
reſtituirt werden ſollten, zu Stande kam. Da-
mit ward dann nun auch der Friedens-Execu-
tions-Hauptreceß
geſchloſſen, der vollends be-
richtigte, wie in jeden 14. Tagen Zug um Zug
eine Million Thaler an die Schweden bezahlt, ſo-
viel benannte Plaͤtze gegenſeitig geraͤumet, ſoviel
Regimenter abgedankt, und die in den Reſtitu-
tionsliſten fuͤr die drey Termine benannten Par-
theyen reſtituirt werden ſollten. Fuͤr den erſten
Termin waren deren 39., fuͤr den zweyten 17.,
fuͤr den dritten 19., und fuͤr die nachherigen drey
Monathe 60., ohne andere auszuſchließen, die
ſich noch melden und ihr Recht dazu beybringen
wuͤrden. (Gluͤcklich waren die, welche gleich in
den erſten drey Terminen Zug um Zug mit zu
ihrer Reſtitution gelangten. Andere haben großen-
theils bis auf den heutigen Tag das leere Nach-
ſehen behalten, als unter andern z. B. die refor-
mirten Einwohner zu Aachen und Coͤlln mit ihrem
Privatgottesdienſte, ungeachtet ſie in dem Ver-
zeichniſſe fuͤr die drey Monathe ausdruͤcklich mit
benannt waren.)


K 4So
[152]VII. Neuere Zeit. Weſtph. Fr. 1648.
XIX.

So kam alſo erſt im Jun. 1650. der ſchon
im Oct. 1648. geſchloſſene Friede nunmehr in ſo
weit zu ſeiner Conſiſtenz, daß jetzt erſt Teutſch-
land anfangen konnte, die Fruͤchte des Friedens
zu genießen. Noch wurde dennoch noͤthig gefun-
den, durch ein am 27. Jun. 1650. ins Reich
erlaßenes kaiſerliches Edict alle Disputationen,
Predigten und andere Unternehmungen gegen den
Frieden und deſſen Vollziehung zu unterſagen.
Nichts deſto weniger erſchien noch unterm 3. Jan.
1651. eine paͤbſtliche Bulle, worin Innocenz der X.
den ganzen Frieden, weil er ohne ſein Zuthun
uͤber geiſtliche Sachen disponirt habe, fuͤr null und
nichtig erklaͤrte.


XX.

Von einigen beſonderen Schwierigkeiten, die
ſich noch in der Vollziehung des Friedens hervor-
thaten, darf ich die nicht unberuͤhrt laßen, die
den Churfuͤrſten von der Pfalz betrafen. Bey der
fuͤr denſelben neu errichteten achten Churwuͤrde
war noch kein Erzamt fuͤr ihn ausgemacht, ſo
man doch als ein nothwendiges Erforderniß bey
jeder weltlichen Chur anſah. Man mußte alſo
jetzt noch auf ein neues Erzamt denken. Was
dabey in Betrachtung kam, war ein anſtaͤndi-
ger Titel, ſodann eine ſchickliche feierliche Ver-
richtung bey der Kroͤnung eines Kaiſers oder Roͤ-
miſchen Koͤniges, und in feierlichen Proceſſionen
dem Kaiſer etwas vorzutragen, das zugleich den
Mittelſchild im churfuͤrſtlichen Wapen ausfuͤllen
koͤnnte. Zum Gluͤck fiel man darauf, daß ſich
im Erzſchatzmeiſteramte das alles vereinigen
ließe. Beym Titel war an ſich nichts zu erin-
nern.
[153]10) Schwed. Militz u. Exec.
nern. Bey der Kroͤnung uͤberließ man dem Erz-
ſchatzmeiſter, die Kroͤnungsmuͤnzen unter das Volk
auszuwerfen; und von den Reichsinſignien, die
dem Kaiſer vorzutragen ſind, war noch die Krone
uͤbrig, die der Erzſchatzmeiſter nun eben ſo, wie
der Erztruchſeß den Reichsapfel, der Erzmarſchall
das Schwerdt, und der Erzkaͤmmerer den Scepter
im Wappen fuͤhren konnte. Durch ein Reichs-
gutachten vom 1. Nov. 1649. ward das alles be-
richtiget. Am 22. Dec. 1651. bequemte ſich end-
lich der Churfuͤrſt Carl Ludewig, es anzunehmen,
da er bis dahin noch immer das Erztruchſeßamt
nicht hatte wollen fahren laßen.


Eine noch groͤßere Schwierigkeit fand ſich inXXI.
der Beſitznehmung ſeines Landes in der Unter-
pfalz am Rheine, deſſen voͤllige Herſtellung ihm
der Friede zugeſichert hatte. Dieſe erfolgte zwar
in ſo weit, daß die Baiern am 25. Sept. 1649.
Heidelberg, Manheim und andere Plaͤtze, die ſie
bis dahin beſetzt hatten, raͤumten; worauf Carl
Ludewig am 7. Oct. 1649. ſelbſt wieder nach Hei-
delberg kam. Aber in Frankenthal (einer Pfaͤl-
ziſchen Stadt, die zwiſchen Manheim und Worms
liegt,) war noch Spaniſche Beſatzung. Weil die
Krone Spanien am Weſtphaͤliſchen Frieden keinen
Antheil nahm, ſo hielt ſie ſich auch nicht fuͤr
ſchuldig, ihre Beſatzung aus Frankenthal abgehen
zu laßen. Der Churfuͤrſt hielt ſich inzwiſchen
an Kaiſer und Reich, um ſeine voͤllige Herſtellung
in der ganzen Pfalz zu erhalten. Im Execu-
tionsreceſſe vom 16. Jun. 1650. ward ihm eins-
weilen zur Verſicherung die Reichsſtadt Heilbronn
K 5ein-
[154]VII. Neuere Zeit. Weſtph. Fr. 1648.
eingeraͤumt. Endlich wurde der Krone Spanien
die Stadt Biſanz (Beſançon) als die Haupt-
ſtadt in der Grafſchaft Burgund (Franche-
Comté
), ſo bisher eine Reichsſtadt geweſen war,
der Krone Spanien, als Inhaberinn beſagter
Grafſchaft, von Kaiſer und Reich als eine Land-
ſtadt abgetreten, wogegen nunmehr am 23. Apr.
1652. auch Frankenthal von den Spaniern ge-
raͤumt ward.


Achtes
[155]

Achtes Buch.
Der neueren Zeiten fuͤnfter Abſchnitt
von den
Folgen des Weſtphaͤliſchen Friedens
und
Ende der Regierung Ferdinands des III.
1648—1657.


I.
Regierungsform des Teutſchen Reichs uͤber-
haupt, wie ſie nunmehr durch den Weſtphaͤli-
ſchen Frieden erſt recht befeſtiget worden.


I. Merklich veraͤnderte Verfaſſung des Teutſchen Reichs, —
II. wie es nunmehr aus lauter beſonderen Staaten beſtand, —
nur noch unter einem Oberhaupte vereiniget; — III. ganz an-
ders, als in Frankreich, da die Koͤnige immer ihre Cammerguͤter
behalten, und zuletzt alles wieder mit der Krone vereiniget
haben; — IV. ohne daß weder Carl der V. noch die Ferdinande
das ruͤckgaͤngig machen koͤnnen, was endlich der Weſtphaͤliſche
Friede voͤllig befeſtigte. — V. So ward Teutſchland ein
zuſammengeſetzter Staatskoͤrper, — VI. VII. der jetzt anders
im Ganzen, anders in ſeinen einzelnen Theilen zu betrach-
ten iſt. — VIII. Letztere ſind lauter beſondere Staaten, —
von einander eben ſo unterſchieden, wie die verſchiedenen
Europaͤiſchen Staaten. — IX. X. Daraus entſpringt noch
ein beſonderer Unterſchied der mittelbaren und unmittelba-
ren Mitglieder des Teutſchen Reichs, — XI. XII. und des
Verhaͤltniſſes, worin beide unter der kaiſerlichen Regierung
ſtehen; — inſonderheit in Anſehung der kaiſerlichen Reſer-
vatrechte — XIII. oder in Anſehung deſſen, was vor den
Reichstag gehoͤret; — XIV. deſſen Schluͤſſe erſt durch Ge-
nehmigung des Kaiſers die Kraft verbindlicher Reichsgeſetze
erlangen.


Bey
[156]VIII. Folgen d. Weſtph. Fr. 1648-1657.
I.

Bey ſo vielerley Veraͤnderungen, die theils die
vielen wichtigen Verordnungen des Friedens,
theils die ſo lange angehaltenen und ſo allgemein
gewordenen Drangſale des Krieges mit ſich brach-
ten, war es nicht zu bewundern, wenn nunmehr
beynahe auf einmal eine ſehr veraͤnderte Verfaſ-
ſung des Teutſchen Reichs
im Ganzen merklich
ward, oder doch erſt recht zu ihrer Feſtigkeit ge-
langte, und jetzt bald in ſehr erheblichen Folgen
ſich zeigte.


II.

Wie zwar nicht leicht ſo gar große Veraͤnde-
rungen ganz ploͤtzlich auf einmal entſtehen, ohne
daß zum voraus manche Vorbereitungen wahr-
zunehmen waͤren, deren Folgen ſich erſt nach und
nach zu entwickeln pflegen; ſo war freylich auch
Teutſchland ſchon ſeit etlichen Jahrhunderten in
dem Falle, daß man wohl ſehen konnte, daß es
nicht ſo, wie Frankreich und andere Europaͤiſche
Reiche, ein ſolch ungetheiltes Reich bleiben wuͤr-
de, das nicht anders, als nur im Ganzen, wie ein
einiger Staat betrachtet werden koͤnnte. Nach
dem, was ich oben bey den Zeiten Henrichs des IV.
und Friedrichs des II. von der Erblichkeit der Her-
zoge und Grafen, als urſpruͤnglicher Kronbedien-
ten, und von den Hoheitsrechten, die nach und
nach geiſtlichen und weltlichen Reichsſtaͤnden eigen
wurden, bemerklich gemacht habe (k), konnte man
ſchon lange nicht mehr ſagen, daß die kaiſerliche
Regierung die einzige in ganz Teutſchland ſey; und
daß alſo ganz Teutſchland in allem Betrachte nur als
ein einiger Staat angeſehen werden koͤnne. Jeder
geiſt-
[157]1) Verfaſſ. des T. Reichs uͤberh.
geiſtlicher und weltlicher Churfuͤrſt oder Fuͤrſt, Graf
und Praͤlat, war in der That ſchon lange wahrer
Regent in ſeinem Lande. Jede Reichsſtadt machte
einen eignen kleinen Freyſtaat aus. Selbſt Staͤd-
te, die nicht Reichsſtaͤdte waren, hatten ſich großen-
theils beynahe auf eben den Fuß geſetzt. Jeder
Reichsritter beherrſchte den Bezirk, der zu ſeinem
Rittergute gehoͤrte, wie ſein eignes Gebiet. So
gar gab es Doͤrfer, die ſich als kleine Freyſtaa-
ten anſahen. Alſo war Teutſchland ſchon lange
in ſo vielerley beſondere Staaten vertheilt, als
es Churfuͤrſtenthuͤmer, Fuͤrſtenthuͤmer, Grafſchaf-
ten, Reichspraͤlaturen, Reichsſtaͤdte, Reichsritter
und Reichsdoͤrfer gab. Nur in ſo weit, als alle
dieſe beſondere Staaten das Band, das ſie ur-
ſpruͤnglich noch als Mitglieder eines Reichs zu-
ſammen hielt, nicht ganz zerriſſen, ſondern noch
in gegenſeitiger beſtaͤndiger Verbindung, und un-
ter einerley Reichsgrundgeſetzen einem gemeinſa-
men hoͤchſten Oberhaupte unterworfen blieben, —
nur in ſo weit konnte man ſagen, daß Teutſch-
land im Ganzen doch noch immer Einen Staat
ausmache, noch immer Ein Reich ſey.


So lange es in Frankreich noch Herzoge vonIII.
Burgund und Bretagne gab, ſah man ſelbſt in
Frankreich noch Ueberbleibſel einer aͤhnlichen Ver-
faſſung, die in vorigen Zeiten mit der Teutſchen
beynahe voͤllig gleichfoͤrmig geweſen war. Aber
bald zeigte ſich der große Unterſchied, worin
beide Reiche, das Teutſche und Franzoͤſiſche, in
ihrer innerlichen Verfaſſung von einander abgien-
gen, in zwey Hauptſtuͤcken; einmal darin, daß
der Koͤnig in Frankreich bey allem Anwachſe der
Fran-
[158]VIII. Folgen d. Weſtph. Fr. 1648-1657.
Franzoͤſiſchen Herzoge, Grafen, und Praͤlaten,
doch immer eigne Cammerguͤter behielt, der Kai-
ſer hingegen alle Cammerguͤter nach und nach ein-
buͤßte; und dann darin, daß in Frankreich nach
und nach alles, wie zuletzt auch noch Bourgogne
und Bretagne, mit der Krone vereiniget wurde,
in Teutſchland hingegen ſelbſt die Hoffnung, auch
nur verpfaͤndete Cammerguͤter wieder einzuloͤſen,
zuletzt verlohren gieng.


IV.

Alles das, ſage ich, war ſchon lange in
Teutſchland auf einen ſolchen Fuß gekommen, daß
man wohl urtheilen konnte, daß es ſchwerlich mehr
zu aͤndern ſeyn wuͤrde; zumal da ſelbſt der Zu-
ſchnitt, den der uͤbermaͤchtige Kaiſer Carl der V.
ſchon mit großem Anſcheine eines gluͤcklichen Fort-
ganges dazu gemacht hatte, dennoch durch eine
von Frankreich unterſtuͤtzte muthige Unternehmung
eines einzigen Teutſchen Fuͤrſten vereitelt worden
war. Inzwiſchen waren noch nicht alle Fragen,
die man uͤber die ſonderbare Verfaſſung, die ſich
in Teutſchland faſt ganz einzig in ihrer Art gebil-
det hatte, aufwerfen konnte, ſchon ſo beſtimmt
entſchieden, daß ſich nicht noch Einwendungen haͤt-
ten dagegen machen laßen, und daß nicht einen
Ferdinand den II. nach den Siegen bey Prag,
bey Lutter am Barenberge und bey Noͤrdlingen
noch die Luſt haͤtte anwandeln koͤnnen, noch einen
Verſuch, wie Carl der V., zu machen, um Teutſch-
land ſo, wie Frankreich, wieder unter Einen Herrn
zu bringen. In ſo weit kann man den ganzen
dreyßigjaͤhrigen Krieg als einen gegenſeitigen Streit
uͤber dieſen Verſuch anſehen. In ſo weit iſt aber
auch klar, daß der Weſtphaͤliſche Friede hier-
uͤber
[159]1) Verfaſſ. des T. Reichs uͤberh.
uͤber die endliche Entſcheidung voͤllig zum Aus-
ſchlag wider die Ferdinandiſchen Entwuͤrfe, zum
Vortheile der Verfaſſung, wie ſie ſchon ſo lange
wuͤrklich im Gange geweſen war, zum Beſten der
Teutſchen Reichsſtaͤnde gegeben hat. — Nicht
daß derſelbe die Landeshoheit, und was davon ab-
haͤngt, erſt begruͤndet haͤtte; — nein, ſie war
ſchon ſeit Jahrhunderten im Anwachſe, und ſchon
vor dem dreyßigjaͤhrigen Kriege ſo gut, wie in
ihrer voͤlligen Reife; — aber gleichſam das Sie-
gel hat erſt der Weſtphaͤliſche Friede darauf ge-
druͤckt, — fuͤrs vergangene damit alle Zweifel ge-
hoben, — fuͤr die Zukunft der Sache ihre rechte
Conſiſtenz gegeben.


So iſt alſo nunmehr Teutſchland als Ein ReichV.
betrachtet zwar noch ein einiger Staatskoͤrper, aber
nicht wie die uͤbrigen Europaͤiſchen Reiche ein ein-
facher, ſondern ein zuſammengeſetzter Staats-
koͤrper
, deſſen einzelne Theile wieder lauter beſon-
dere Staaten ſind, die nur noch ihren Zuſammen-
hang unter dem Kaiſer als einem gemeinſamen
hoͤchſten Oberhaupte behalten haben. Mit dieſem
Begriffe verſchwinden alle Schwierigkeiten, die
man ſich bisher von der Regierungsform des Teut-
ſchen Reiches gemacht hat, da man zweifelte und
ſtritt, ob ſie monarchiſch, ariſtocratiſch, democra-
tiſch, oder vermiſcht ſey. Man dachte nicht daran,
daß zum Maßſtabe der verſchiedenen Regierungs-
formen ſich noch eine hoͤhere Abtheilung einfacher
und zuſammengeſetzter Staaten denken ließ, und
nur auf erſtere jene dreyfache Eintheilung paßte.
Die Beyſpiele der ſieben Provinzen der vereinig-
ten Niederlande, der dreyzehn Cantons der Schwei-
zer
[160]VIII. Folgen d. Weſtph. Fr. 1648-1657.
zer Eidgenoſſen, und der dreyzehn vereinigten
Staaten in Nordamerica zeigen die Moͤglichkeit der
Vereinigung mehrerer Staaten in einen zuſammen-
geſetzten Staatskoͤrper, deſſen einzelne Theile deswe-
gen doch nicht aufhoͤren, beſondere Staaten zu ſeyn.
Das Teutſche Reich hat nur noch das eigene, daß
es, ungeachtet ſeiner Zergliederung in ſo viele be-
ſondere Staaten, dennoch ſein monarchiſches Ober-
haupt von vorigen Zeiten her beybehalten hat.
Das laͤßt ſich aber ganz wohl vereinigen, wie
man alle zuſammengeſetzte Weſen anders im Gan-
zen, anders in ſeinen einzelnen Theilen zu betrach-
ten hat.


VI.

Als ein zuſammengeſetzter Staatskoͤrper beſteht
Teutſchland aus ſo vielerley Staaten, als es
Reichsſtaͤnde und Gebiete hat, wovon jeder unter
ſeiner ganz eignen Regierung ſteht, die wieder
faſt nach allen moͤglichen Gattungen unterſchieden,
mehr oder minder monarchiſch, ariſtocratiſch oder
democratiſch, iſt. Im Ganzen hat aber das
Teutſche Reich, als Ein Reich betrachtet, noch
immer ſeine monarchiſche Verfaſſung, ſo lange
die Perſon des Kaiſers von aller hoͤhern menſch-
lichen Gewalt unabhaͤngig iſt; denn darin zeigt
ſich eben der weſentlichſte Unterſchied zwiſchen Mon-
archien und Republiken, daß in dieſen nie eine
einzelne Perſon unabhaͤngig ſeyn kann, wie nur
in jenen gekroͤnte Haͤupter ſind. Kann alſo Teutſch-
land im Ganzen betrachtet in Aufzehlung aller
Europaͤiſchen Staaten eben ſo wenig als Groß-
britannien, Schweden, Polen, aus der Zahl der
Reiche und Monarchien weggelaßen werden; ſo
iſt deswegen doch keine Folge, daß der Kaiſer eine
abſo-
[161]1) Verfaſſ. des T. Reichs uͤberh.
abſolute monarchiſche Gewalt haben muͤße, wie
wir ſie bey den Koͤnigen in Daͤnemark, Frankreich
und anderen wahrnehmen; ſondern er bleibt ein
Monarch, wenn er gleich eben ſo wenig ohne Be-
willigung des Reichstages, als ein Koͤnig in Groß-
britannien ohne Zuziehung des Parlaments, die
dahin gehoͤrigen Geſchaͤffte vornehmen kann, und
wenn er gleich nicht, wie andere Koͤnige, ſeinen
Thron erblich, ſondern eben, wie der Koͤnig in
Polen, aus freyer Wahl beſitzt.


Betrachten wir aber dieſen zuſammengeſetztenVII.
Staatskoͤrper mit einem davon unzertrennlichen
Blicke auf ſeine beſondere Theile; ſo zeigt ſich
offenbar eine weit groͤßere Aehnlichkeit mit den ver-
einigten Niederlaͤndiſchen, Helvetiſchen und Nord-
americaniſchen Staaten, als mit anderen bloß ein-
fachmonarchiſchen Reichen. Von jenen bleibt frey-
lich allezeit das unterſcheidende Merkzeichen uͤbrig,
daß wir nicht bloß unter einem Congreſſe, oder
unter gewiſſen Generalſtaaten, ſondern noch immer
unter einem monarchiſchen, aber mit keiner unbe-
ſchraͤnkten Gewalt verſehenen, ſondern meiſt an
reichsſtaͤndiſche Einwilligung gebundenen gemeinſa-
men hoͤchſten Oberhaupte vereiniget ſind. Das hin-
dert aber, ſo oft eine Ruͤckſicht auf die einzelnen
Theile in Betrachtung koͤmmt, jenen dritten Ver-
gleichungspunct nicht, worin gedachte vereinigte
Staaten mit der Verfaſſung des Teutſchen Reichs,
ſofern es in lauter beſondere Staaten vertheilet iſt,
verglichen werden koͤnnen.


Jedes Churfuͤrſtenthum, jedes Fuͤrſtenthum,VIII.
jede Grafſchaft, jede Reichsſtadt, jedes noch ſo
P. Entw. d. Staatsverf. Th.II. Lklei-
[162]VIII. Folgen d. Weſtph. Fr. 1648-1657.
kleine Gebiet, das jetzt unter der Anzahl der be-
ſonderen Teutſchen Staaten begriffen iſt, hat ſeine
ganz eigne Regierung, ſeine eigne Grundgeſetze,
ſein eignes Steuerweſen, Juſtitzweſen, Polizey,
Muͤnze, und was noch mehr iſt, wenn es will
und kann, ſeine eigne Kriegsverfaſſung, und das
Recht Buͤndniſſe zu machen, Krieg zu fuͤhren,
Frieden zu ſchließen und Geſandten zu ſchicken.
Kurz, was irgend einem, der mehrere unabhaͤn-
gige Staaten in Europa bereiſet, deren Verſchie-
denheit in Verfaſſung, Geſetzen und anderen Ein-
richtungen begreiflich machen kann, das wird einen
Reiſenden in Teutſchland bald eben ſo deutlich,
und oft noch viel auffallender belehren, daß es ganz
verſchiedene Staaten ſind, wo er oft nicht halbe
Tagereiſen braucht, um bald republicaniſche, bald
monarchiſche, bald eingeſchraͤnkte, bald beynahe
deſpotiſche, bald erbliche, bald auf Wahlfreyheit
beruhende Regierungsformen wahrzunehmen, um
mit jedem neuen Gebiete wieder ganz andere Ge-
ſetze, ganz andere Muͤnzen, andere Poſten, an-
dere Soldaten zu finden. Ungleich haͤufiger wird
ein jeder, der auch nur kurze Zeit auf Teutſchem
Boden lebt, die Erfahrung machen, daß Teutſch-
land aus mehreren ganz verſchiedenen Staaten
beſteht, als daß es noch unter einem gemeinſa-
men hoͤchſten Oberhaupte vereiniget iſt.


IX.

Ein der Teutſchen Verfaſſung ganz eignes
Verhaͤltniß, ſo hieraus erwachſen iſt, wird in
Unterſcheidung mittelbarer und unmittelbarer
Mitglieder
des Teutſchen Reichs bemerklich ge-
macht. Gleichwie nehmlich zweyerley Dinge, de-
ren Verhaͤltniß unter einander ſich denken laͤßt,
ohne
[163]1) Verfaſſ. des T. Reichs uͤberh.
ohne ein drittes dazwiſchen zu denken, in unmit-
telbarem, ſonſt aber nur in mittelbarem Verhaͤlt-
niſſe gegen einander ſtehen, (wie z. B. das Ver-
haͤltniß zwiſchen Großeltern und Enkeln nur mit-
telbar, zwiſchen Eltern und Kindern hingegen un-
mittelbar gedacht werden kann;) ſo ſtehet zwar
alles, was ſich an Perſonen oder Sachen in Teutſch-
land findet, unter der Hoheit des Teutſchen Reichs
und ſeines gemeinſamen Oberhaupts. Aber da
z. B. ein Rittergut, das in einem Teutſchen Fuͤr-
ſtenthume liegt und der fuͤrſtlichen Landeshoheit
unterworfen iſt, doch nur in ſo weit ein Theil des
Teutſchen Reichs iſt, als es zugleich einen Theil
jenes Fuͤrſtenthums ausmacht; ſo kann es in An-
ſehung des ganzen Reichs doch nur als ein mit-
telbares Mitglied deſſelben angeſehen werden. Un-
mittelbar ſind hingegen nur ſolche Guͤter oder Ge-
biete, die nicht zugleich Theile eines andern Teut-
ſchen Staats, ſondern nur Theile des ganzen Reichs
ſind.


Nach dieſem Begriffe iſt jetzt ganz Teutſch-X.
land in lauter mittelbare und unmittelbare Glie-
der vertheilt. Letztere ſind der Regel nach zugleich
Reichsſtaͤnde, die ſelbſt eigne Staaten zu regieren
haben; jene ſind als Theile dieſer Staaten deren
Landeshoheit unterworfen. Doch gibt es auch
einige unmittelbare Mitglieder des Reichs, die nicht
Sitz und Stimme auf dem Reichstage haben, und
alſo nicht Reichsſtaͤnde ſind (als deren Weſen ei-
gentlich in ſothanem Sitz und Stimme beſteht,)
als namentlich die Reichsritterſchaft und Reichs-
doͤrfer. Manche Ritterguͤter, Kloͤſter, und Staͤdte
haben auch ihre Unmittelbarkeit verlohren, und ſind
L 2als
[164]VIII. Folgen d. Weſtph. Fr. 1648-1657.
als mittelbare Unterthanen unter anderer Staͤnde
Hoheit gebracht worden. Ueber einige wird noch
jetzt geſtritten, ob ſie fuͤr mittelbar oder unmittel-
bar gelten ſollen.


XI.

Nun concentrirt ſich die ganze Verfaſſung des
Teutſchen Reichs dahin, daß uͤber mittelbare Glie-
der deſſelben von kaiſerlichen Hoheitsrechten nur
in ſo weit noch die Frage ſeyn kann, als entweder
Beſchwerden uͤber ihre ordentliche Obrigkeiten gefuͤh-
ret werden, oder gewiſſe kaiſerliche Reſervatrechte,
die ſchon vor Entſtehung der Landeshoheit im
Gange geweſen, in ganz Teutſchland bey der kai-
ſerlichen Gewalt geblieben ſind, wie inſonderheit
noch der Fall mit Standeserhoͤhungen, academi-
ſchen Wuͤrden und Ernennung kaiſerlicher Hofpfalz-
grafen und Notarien iſt. Doch werden auch ſol-
che mit den davon abhangenden rechtlichen Wir-
kungen in den meiſten Laͤndern nicht anerkannt,
wenn ſie nicht erſt der landesherrlichen Pruͤfung
und Genehmigung vorgelegt ſind.


XII.

Ueber unmittelbare Mitglieder des Reichs kann
kein Hoheitsrecht anders als im Namen des Kai-
ſers in Ausuͤbung kommen; nur wieder mit Un-
terſchied, ob es dem Kaiſer alleine uͤberlaßen iſt,
wie die meiſten Gnadenſachen, Belehnungen und
die Gerichtbarkeit, wie deren Ausuͤbung nunmehr
an beiden Reichsgerichten, nur mit Vorbehalt der
Auſtraͤgalinſtanz, geſchieht; oder ob des Reichs-
tages, oder doch der beiden hoͤheren Reichscolle-
gien, oder auch nur der Churfuͤrſten Einwilligung
dazu gehoͤret. Hieruͤber ſind nun theils im Weſt-
phaͤliſchen Frieden, theils in den kaiſerlichen Wahl-
capitu-
[165]1) Verfaſſ. des T. Reichs uͤberh.
capitulationen verſchiedene Beſtimmungen enthalten;
jedoch uͤber letztere iſt noch nicht aller Streit ge-
hoben, in welchen Faͤllen der Churfuͤrſten Einwil-
ligung alleine hinlaͤnglich ſey.


Selbſt der Weſtphaͤliſche Friede hat noch Zwei-XIII.
fel uͤbrig gelaßen, was außer den darin benann-
ten Faͤllen, die fuͤr den Reichstag gehoͤren ſollen,
unter der angehaͤngten Clauſel von anderen aͤhn-
lichen Faͤllen zu verſtehen ſey oder nicht. Auch
ſcheint in denen Sachen, die vor den Reichstag
gehoͤren, inſonderheit wenn etwas in Frage ſtehet,
das in allen Teutſchen Laͤndern die Geſetzkraft ha-
ben ſoll, oder wovon die Beſchwerde auf die
Reichsſtaͤnde ſelbſt zuruͤckfaͤllt, das Gewicht mehr
auf Seiten der Staͤnde als des Kaiſers zu ſeyn.
Daher es beynahe haͤufiger geſchieht, daß von
Seiten der Reichsſtaͤnde etwas in Bewegung ge-
bracht wird, um es unter kaiſerlichem Anſehen zum
Reichsſchluß zu bringen, als daß der Kaiſer etwas
vortraͤgt, wo ihm nur die Einwilligung des Reichs
abgehet. In ſo weit laͤßt ſich wenigſtens zwi-
ſchen dem Kaiſer und dem Reichstage noch ein ganz
anderes Verhaͤltniß wahrnehmen, als dasjenige,
worin ein Koͤnig von Großbritannien gegen das
Parlament, oder die Koͤnige von Schweden und
Polen gegen ihren Reichstag ſtehen. Da ſind es
immer an ſich nur Privatperſonen, hier ſind es
wahre Regenten von Land und Leuten, die Sitz
und Stimme auf dem Reichstage haben. Selbſt
der Congreß in Nordamerica beſteht nur aus Ab-
geordneten der vereinigten Staaten, deren jeder
von dem Staate, der ihn abgeordnet hat, abhaͤn-
gig und an deſſen Inſtruction gebunden iſt. Un-
L 3ſere
[166]VIII. Folgen d. Weſtph. Fr. 1648-1657.
ſere Reichsſtaͤnde ſind ſelbſt Regenten der Laͤnder,
deren Beſitz ihnen Sitz und Stimme auf dem
Reichstage gewaͤhret; die Stimme ſelbſt fuͤhren
ſie nach ihrem eignen Gutfinden; oder wenn ſie
andere dazu bevollmaͤchtigen, ſteht es bey ihnen,
denſelben zugleich Anweiſung zu geben, wie ſie
ſtimmen ſollen.


XIV.

Zum foͤrmlichen Reichsſchluß in Kraft eines
Reichsgeſetzes oder ſonſt fuͤr ganz Teutſchland aus-
zuuͤbenden Majeſtaͤtsrechts gehoͤrt dann freylich
außer dem Reichsgutachten, woruͤber ſich die Reichs-
ſtaͤnde vereinigen koͤnnen, noch die Genehmigung
des Kaiſers
, mit deren Verſagung derſelbe jene
Kraft des Reichsgutachtens hemmen kann. Doch
gibt es auch Faͤlle, wo eine gemeinſame Abrede
ſaͤmmtlicher oder mehrerer Reichsſtaͤnde ohne kai-
ſerliche Genehmigung ihre Wirkſamkeit haben kann,
wie auf ſolche Art uͤber den Muͤnzfuß ſchon mehr-
malen mehrere Staͤnde gewiſſe vertragsmaͤßige Ver-
einigungen getroffen und ins Werk gerichtet haben.


II.
[167]2) Verfaſſ. der Laͤnder mit Landſtaͤnd.

II.
Verfaſſung der beſonderen Teutſchen Staaten,
wie ſie durch den Weſtphaͤliſchen Frieden erſt
voͤllig ihre Conſiſtenz bekommen; inſonderheit
Verfaſſung der Laͤnder, wo Landſtaͤnde ſind.


I. Nicht nur von Seiten des Kaiſers, ſondern auch
von Seiten der Landesobrigkeiten in den beſonderen Teut-
ſchen Staaten gilt von Rechts wegen kein Deſpotismus. —
II. Jeder beſondere Staat hat zwar ſeine eigne Autono-
mie; — III. jedoch mit unbenommener Zuflucht zum hoͤhern
Richter. — IV. Der meiſten Landesherren Gewalt iſt uͤber-
dies durch Landſtaͤnde eingeſchraͤnkt. — V. Nur einige Laͤn-
der, die urſpruͤnglich nur aus mehreren Doͤrfern beſtanden,
haben gar keine Landſtaͤnde. — VI. In einigen fehlt auch
wohl eine oder andere Gattung derſelben, z. B. Praͤlaten
oder Ritterſchaft. — VII. Hin und wieder werden nur
noch Deputationstage gehalten; oder ſind auch alle land-
ſtaͤndiſche Verſammlungen aus dem Gange gekommen.


So ſehr die Verfaſſung des Teutſchen Reichs,I.
wie ſie der Weſtphaͤliſche Friede erſt auf recht
feſten Fuß geſetzt hat, ſowohl dem ganzen Reiche
als deſſen Gliedern ſammt und ſonders dafuͤr Buͤrge
ſeyn kann, daß von Seiten der kaiſerlichen Regierung
nicht leicht eine Ausuͤbung deſpotiſcher Gewalt zu
beſorgen iſt; eben ſo zweckmaͤßig iſt nach eben die-
ſer Grundverfaſſung auch fuͤr die Sicherheit und
Wohlfahrt aller und jeder beſonderen Teutſchen
Staaten geſorgt, wenn anders nur irgend alles in
dem Verhaͤltniſſe bleibt, wie es nach dem Zuſchnitt
jener geſetzmaͤßigen Verfaſſung ſeyn ſollte.


Ein jeder dieſer beſonderen Staaten, er magII.
noch ſo klein oder groß oder mittelmaͤßig ſeyn, iſt
L 4in
[168]VIII. Folgen d. Weſtph. Fr. 1648-1657.
in ſeiner inneren Einrichtung, ſofern nur nichts
gegen Reichsgeſetze, die doch ſehr wenige Ein-
ſchraͤnkungen dieſer Art enthalten, oder gegen ver-
tragsmaͤßige oder andere Gerechtſame anderer
Reichsmitglieder dabey vorgehet, aufs vollkom-
menſte ſeiner eignen Freyheit uͤberlaßen. Nicht
nur Fuͤrſten und Grafen, ſondern auch alle Mit-
glieder der Reichsritterſchaft genießen in ihren
Familienſachen eine unbeſchraͤnkte Autonomie,
d. i. die Freyheit, ihre Einrichtungen nach eigenem
Gutfinden zu machen und nach ihren eignen Ge-
ſetzen zu leben. Und eben die Autonomie gilt
in der innern Einrichtung eines jeden Landes, ei-
ner jeden Reichsſtadt und eines jeden reichsunmit-
telbaren Gebietes, ſofern diejenigen, die daruͤber
zu ſprechen haben, unter ſich verſtanden ſind. Nur
alsdann wenn ein oder der andere Theil der Mey-
nung iſt, daß ihm unrecht geſchehe, koͤnnen ſolche
Sachen im Wege des Rechts zur reichsgerichtlichen
Eroͤrterung oder nach Befinden auch an die allge-
meine Reichsverſammlung gelangen.


III.

Eben dadurch iſt nicht nur jede Landſchaft und
jede Reichsſtadt, ſondern jeder einzelner Unterthan
geſichert, daß auch keine landesherrliche oder obrig-
keitliche Gewalt zu ihrem Nachtheile gemißbraucht
werden kann; ganz anders als in unabhaͤngigen
Staaten, ſie moͤgen monarchiſch, oder ariſtocra-
tiſch oder democratiſch regiert werden, wo in keinem
Falle gegen Mißbrauch der hoͤchſten Gewalt noch
die Zuflucht zu einem hoͤhern Richter offen ſtehet.


IV.

In den meiſten Laͤndern ſind uͤberdies die lan-
desherrlichen Regierungen durch Landſtaͤnde ein-
ge-
[169]2) Verfaſſ. der Laͤnder mit Landſtaͤnd.
geſchraͤnkt, die dann ebenfalls zur Schutzwehr ge-
gen Deſpotismus dienen koͤnnen. Nach der ur-
ſpruͤnglichen Teutſchen Verfaſſung, wie ſie zur Zeit
des Weſtphaͤliſchen Friedens noch mehr als jetzt zu
erkennen war, ließ ſich ſelbſt einige Gleichheit zwi-
ſchen der Verfaſſung des Reichs im Ganzen und
der einzelnen Laͤnder, wie in mehr anderen Din-
gen, ſo auch hierin wahrnehmen, daß ungefaͤhr
auf eben die Art, wie der Kaiſer zum Reichstage,
ſo die meiſten Fuͤrſten ſich zu ihren Landtagen ver-
hielten. Ordentlicher Weiſe waren es alle im
Lande befindliche Praͤlaten, alle Beſitzer freyer Rit-
terguͤter und alle urſpruͤngliche Staͤdte des Landes,
die auf dem Landtage Sitz und Stimme hatten.
Nur der einzige Unterſchied war freylich nicht zu
verkennen, daß nicht ſo, wie ganz Teutſchland
unter Reichsſtaͤnde vertheilt und dem Kaiſer nichts
uͤbrig geblieben iſt, die Landſtaͤnde das ganze Land
ausmachen, ſondern ein großer Theil des Landes
landesherrlich Cammergut iſt. Hauptſaͤchlich war
alſo alsdann den Landesherren ihrer Landſtaͤnde
Einwilligung noͤthig, wenn geſetzliche Verfuͤgungen,
Steuern oder andere Hoheitsrechte auch auf ihren
Guͤtern und in ihren Gebieten zur voͤlligen Wirk-
ſamkeit gelangen ſollten. Wenn es auch damit
ſo weit gekommen war, daß uͤberhaupt allgemeine
Landesangelegenheiten auf Landtagen verhandelt
wurden, und Landſtaͤnde alſo ſich gewiſſer maßen
als Repraͤſentanten des ganzen Landes anſahen;
ſo war doch die Aehnlichkeit, welche die Reichs-
verfaſſung mit Congreſſen verbundener Staaten hat,
von der Verfaſſung der Teutſchen Laͤnder, die Land-
ſtaͤnde haben, weit entfernt.


L 5Eigent-
[170]VIII. Folgen d. Weſtph. Fr. 1648-1657.
V.

Eigentlich waren aber auch nur in ſolchen
Laͤndern Landſtaͤnde, wo zu der Zeit, als die Lan-
deshoheit zuerſt aufkam, ſchon Kloͤſter, Ritterguͤ-
ter und Staͤdte vorhanden waren. Manche Gra-
fen und Herren, deren Land oder Laͤndchen nur aus
ihrem eignen Stammſitz und einer Anzahl dazu
gehoͤriger Doͤrfer beſtand, die alſo nur leibeigne
nicht freye Unterthanen zu regieren hatten, haben nie
Landſtaͤnde gehabt, wenn auch gleich in der Folge
ihr Stammſitz ſelbſt, oder ein oder anderes Dorf,
nachher zur Stadt gemacht worden iſt. Selbſt
groͤßere Laͤnder koͤnnen jetzt aus mehreren ſolchen
Grafſchaften und Herrſchaften zuſammengeſetzt ſeyn,
ohne Landſtaͤnde zu haben, wie davon ſelbſt die
Pfalz am Rheine zum Beyſpiele dienen kann.


VI.

Hin und wieder hat auch der Umſtand, daß der
Adel ſich etwa zur unmittelbaren Reichsritterſchaft
haͤlt, und ſo die Kloͤſter ſich zu Reichspraͤlaturen
hinaufgeſchwungen, und aus Staͤdten Reichsſtaͤdte
geworden ſind, daran hinderlich fallen koͤnnen, daß
keine landſchaftliche Verfaſſung aufgekommen iſt,
oder auch eine oder andere Claſſe von Landſtaͤnden
fehlet; wie z. B. im Wuͤrtenbergiſchen nur Praͤla-
ten und Staͤdte die Landſchaft ausmachen, weil es
da keine landſaͤßige Ritterſchaft gibt. In anderen
proteſtantiſchen Laͤndern fehlt es zum Theil am Praͤ-
latenſtande, wo man alle dazu gehoͤrig geweſene
Stiftungen ſeculariſiret, oder auch eine oder andere
derſelben nur der Ritterſchaft zugewandt und deren
landſchaftlicher Vertretung einverleibet hat.


VII.

In manchen Laͤndern, wo noch zur Zeit des
Weſtphaͤliſchen Friedens Landtag zu halten ganz
gewoͤhn-
[171]2) Verfaſſ. der Laͤnder mit Landſtaͤnd.
gewoͤhnlich war, ſind die landſchaftlichen Verfaſ-
ſungen in ſpaͤteren Zeiten beynahe ganz in Abnahme
gerathen, oder doch an ſtatt eines vollſtaͤndigen Land-
tages nur Verſammlungen eines groͤßeren oder en-
gern Ausſchuſſes der Landſchaft oder ſo genannte
Deputationstage in Gang gekommen. Viele an-
ſehnliche Laͤnder fahren aber noch jetzt fort, von Zeit
zu Zeit Landtag zu halten. Freylich laͤßt ſich der
moͤgliche Fall gedenken, daß eine aus Eigenſinn
verſagte landſchaftliche Einwilligung eine oder an-
dere gemeinnuͤtzige Anſtalt zuruͤckhalten koͤnne. Aber
ob der Fall nicht haͤufiger zu beſorgen ſey, daß, wo
Landſchaften nichts zu ſagen haben, willkuͤhrliche
Auflagen und deſpotiſche Geſinnungen eines Lan-
desherrn oder Miniſters ein Land zu Grunde richten
koͤnnen, iſt eine andere Frage. Es fehlt zwar
nicht an Beyſpielen, daß uͤbel geſinnte Miniſter
auch in Laͤndern, wo noch Landtage uͤblich ſind,
groß Unheil geſtiftet haben. Wuͤrde aber das Un-
heil vielleicht nicht noch groͤßer geworden ſeyn, wenn
keine Landſtaͤnde da geweſen waͤren? Oder wenn
es auf den Credit eines Landes ankoͤmmt, oder,
wenn einem unter zwey Laͤndern, wo Landſtaͤnde
ſind, oder wo keine ſind, die Wahl gelaßen wuͤrde,
wo man ſich niederlaßen wollte; ſollte es da wohl
ſchwer fallen, ſich daruͤber zu beſtimmen, welchem
von beiden man den Vorzug geben moͤchte?


III.
[172]VIII. Folgen d. Weſtph. Fr. 1648-1657.

III.
Beſondere Beſchaffenheit der geiſtlichen Laͤnder.


I. In den geiſtlichen Laͤndern machen die Domcapitel
den erſten Landſtand aus, oder vertreten auch wohl uͤberhaupt
die Stelle der Landſchaft. — II. Sie errichten beſondere
Wahlcapitulationen mit den geiſtlichen Fuͤrſten. — III. Wenn
kein Coadjutor zum voraus gewehlt iſt, fuͤhren ſie in der
Sedisvacanz die Regierung. — IV. Auch ſonſt haben ihre
Vorrechte großen Einfluß auf die Verfaſſung der geiſtlichen
Laͤnder. — V. Sind ſie gleich nicht Grundherren oder Mit-
eigenthuͤmer des Landes; ſo bekleiden doch Domherren meiſt
wichtige Stellen im Lande. — VI. Einiger Unterſchied, nach-
dem Prinzen oder Edelleute geiſtliche Fuͤrſten werden. —
VII. Vortheile adelicher Familien, deren Verwandte Biſchoͤfe
oder auch nur Domherren ſind. — VIII. Manche Stifter
ſind fuͤrſtlichen Haͤuſern auf lange Zeit nach einander zu Theil
geworden. — IX. Sonſt gibt es gemeiniglich oͤftere Ab-
wechſelungen in der Regierung, — und eben deswegen we-
niger Gleichfoͤrmigkeit in Grundſaͤtzen. — X-XII. Außerdem
ſind die geiſtlichen Laͤnder mit ſtarken Abgaben nach Rom
beſchwert. — XIII. Alles das macht einen merklichen Unter-
ſchied zwiſchen dem Wohlſtande geiſtlicher und weltlicher
Laͤnder.


I.

Unſere geiſtliche Laͤnder haben noch das beſon-
dere, daß ſie Domcapitel haben, d. i. eine
gewiſſe Anzahl geiſtlicher Herren von ſtiftsmaͤßigem
Adel, die berechtiget ſind, das Haupt ihrer Kirche,
das dann zugleich der Regent des dazu gehoͤrigen
geiſtlichen Landes wird, zu wehlen, oder auch ſelbſt
dazu gewehlet zu werden. Dieſe Domcapitel ma-
chen in den meiſten geiſtlichen Laͤndern zugleich den
erſten Landſtand aus. Oder, wo auch keine Land-
ſtaͤnde ſind, erſetzen ſie gewiſſermaßen ihre Stelle,
in ſo fern als wenigſtens ohne Einwilligung der
Domcapitel in wichtigen Sachen, die den Staat
oder
[173]3) Verfaſſ. der geiſtl. Laͤnder.
oder die Kirche betreffen, nichts verbindliches vor-
genommen werden darf.


Als Wahlfuͤrſtenthuͤmer haben dieſe LaͤnderII.
noch eine beſondere Aehnlichkeit mit der Teutſchen
Reichsverfaſſung. Wie da einem jeden Kaiſer oder
Roͤmiſchen Koͤnige bey ſeiner Wahl eine Wahlca-
pitulation vorgelegt wird; ſo muͤßen die meiſten
geiſtlichen Fuͤrſten auch bey ihrer Wahl eine Ca-
pitulation
beſchwoͤren, die ihnen das Domcapitel
vorlegt (l). Nach Vorſchrift des paͤbſtlich canoni-
ſchen Rechts und nach der Art, wie von Rechts
wegen alle geiſtliche Stellen ohne alle andere Ruͤck-
ſicht nur nach Wuͤrde der Perſon beſetzt, keines-
weges aber durch Geld oder andere Vortheile er-
langt werden ſollten, verſteht ſich freylich, daß
ein wehlendes Domcapitel von dem zu wehlenden
geiſtlichen Fuͤrſten ſich keine Vortheile verſprechen
laßen darf, ohne in den Vorwurf einer Simonie
zu fallen; wie dann verſchiedene Fuͤrſten aus die-
ſem Grunde von Paͤbſten und Kaiſern von der
Verbindlichkeit ſolcher Capitulationen losgeſprochen,
und dieſe zum Theil fuͤr null und nichtig erklaͤrt
worden ſind. Sofern jedoch eine biſchoͤfliche oder
erzbiſchoͤfliche Wahlcapitulation nur ſolcher Ver-
ſprechungen, die bloß dem wehlenden Domcapitel
zum Vortheile gereichen, ſich enthaͤlt, und nur auf
ſolche Dinge, die der Verfaſſung unſerer Teutſchen
Laͤnder und der catholiſchen Kirche ohnedem gemaͤß
ſind, ſich einſchraͤnkt; ſo iſt dabey nichts zu erin-
nern. Fuͤr das Biſthum Osnabruͤck gab ſelbſt
der Weſtphaͤliſche Friede die Verordnung, daß eine
beſtaͤndige Wahlcapitulation zwiſchen dem Domca-
pitel
[174]VIII. Folgen d. Weſtph. Fr. 1648-1657.
pitel und dem Hauſe Braunſchweig errichtet wer-
den ſollte; wie auch geſchehen iſt. So wenig
laͤßt ſich uͤberhaupt bezweiflen, daß nicht alle bi-
ſchoͤfliche Wahlcapitulationen verworfen werden
koͤnnen.


III.

Auch dieſe beſondere Aehnlichkeit zeigt ſich
hier noch mit der Reichsverfaſſung, daß, wenn
nicht zum voraus ein Nachfolger, wie fuͤr das
Teutſche Reich ein Roͤmiſcher Koͤnig, ſo hier ein
Coadjutor gewehlt iſt, ein Interregnum, oder,
wie es hier heißt, eine Sedisvacanz entſteht,
und alsdann eine Interimsregierung, wie dort von
Reichsvicarien, ſo hier vom Domcapitel eintritt.
Ein ſolch regierendes Domcapitel, wie es als-
dann genannt wird, hat aber, ſo lange die Se-
disvacanz waͤhret, die ganze Regierung zu fuͤhren
und alle Hoheitsrechte, ſelbſt mit Inbegriff des
Stimmrechts auf reichsſtaͤndiſchen Verſammlungen
auszuuͤben; außer daß den Domcapiteln der geiſt-
lichen Churfuͤrſten die Theilnehmung an Kaiſer-
und Roͤmiſchen Koͤnigswahlen, und dem Chur-
mainziſchen inſonderheit das Directorium auf dem
Reichstage und unter den Churfuͤrſten beſtritten
wird.


IV.

Solche Domcapiteliſche Regierungen geben als-
dann (damit es der Teutſchen Verfaſſung an kei-
ner Gattung faſt nur erdenklicher Mannigfaltig-
keiten von Regierungsformen fehle,) ein voͤlliges
Beyſpiel wahrer ariſtocratiſcher Regierungen
ganzer Laͤnder ab. Natuͤrlicher weiſe hat es auch
nicht an Veranlaßungen gefehlt, dafuͤr zu ſorgen,
daß nicht Maͤngel und Verſuchungen, worin Ari-
ſtocra-
[175]3) Verfaſſ. der geiſtl. Laͤnder.
ſtocraten vorzuͤglich leicht gerathen koͤnnen, auch
hier einreißen oder gefaͤhrlich werden moͤchten; wie
z. B. wohl Domherren die Einkuͤnfte des Landes
waͤhrend ihrer Regierung nur unter ſich vertheilen
wollten u. d. g. Ueberhaupt hat ſich jedoch un-
moͤglich verhuͤten laßen, daß nicht der Umſtand,
daß Domherren zu Zeiten ſelbſt regierende Herren
ſind, und nicht nur das ausſchließliche Recht ha-
ben, den regierenden Fuͤrſten zu wehlen, ſondern
auch ſelbſt dazu gewehlt werden koͤnnen, — daß
nicht dieſer Umſtand ſelbſt auf die ganze Verfaſſung
ſolcher geiſtlicher Laͤnder einen merklichen Einfluß
haͤtte bekommen ſollen.


Wenn gleich den Domcapiteln nicht zugeſtan-V.
den wird, was einige behaupten wollen, auch
bey Lebzeiten des regierenden Fuͤrſten Grundher-
ren
des Landes zu ſeyn, und ein gewiſſes Mit-
eigenthum deſſelben zu haben (m); ſo bleibt doch
immer ein ſolches Verhaͤltniß zwiſchen dem geiſt-
lichen Fuͤrſten und ſeinem Domcapitel, daß dieſes
nie gaͤnzlich zuruͤckgeſetzt werden darf. In den
meiſten geiſtlichen Laͤndern, (wo nicht etwa, wie
zu Bonn, der Hof mit dem Domcapitel nicht an
eben dem Orte iſt,) ſind gemeiniglich die Praͤſi-
dentenſtellen in der Regierung, in der Cammer,
im geheimen Rathe und anderen Landescollegien
ſelbſt mit Domherren beſetzt. Auch wohl zu Ober-
aͤmtern im Lande, oder zu Statthalterſchaften, Ge-
ſandtſchaften und dergleichen Stellen werden vor-
zuͤglich Domherren gebraucht. Oder wo auch
deren
[176]VIII. Folgen d. Weſtph. Fr. 1648-1657.
deren Gelegenheit ſelbſt nicht iſt, ſolche Stellen zu
bekleiden, da bringt doch die Verbindung, worin
gemeiniglich nur der ſtiftsmaͤßige Adel in ſolchen
Laͤndern durch Familienverhaͤltniſſe mit Domherren
oder ſelbſt mit dem regierenden Fuͤrſten ſtehet, na-
tuͤrlicher Weiſe das mit ſich, daß außer dem Dom-
capitel der geſammte Adel auf alle Vortheile im
Lande den vorzuͤglichſten Anſpruch machen kann.
Wenn Auslaͤndern, die Teutſchland naͤher kennen
lernen, die Vorzuͤge, die der Teutſche Adel an
den meiſten Hoͤfen genießt, auffallend vorkommen;
ſo ſind ſie doch nirgend ſo ausgezeichnet, als in
den meiſten geiſtlichen Laͤndern.


VI.

Nur alsdann, wenn etwa einmal ein Prinz
von einem großen Hauſe zum Beſitz eines geiſtli-
chen Landes koͤmmt, kann ſich vielleicht einige
Maͤßigung hierin wahrnehmen laßen. Iſt aber,
wie doch gemeiniglich der Fall iſt, der Fuͤrſt ſelbſt
von adelicher Herkunft; ſo laͤßt ſich auch von ſelb-
ſten wohl nicht anders erwarten, als daß dieje-
nigen Familien, die das Gluͤck haben, des Fuͤrſten
Bruͤder, Schwaͤger, Vettern u. ſ. w. unter den
ihrigen zu zehlen, nicht unterlaßen werden, die
Gunſt des Fuͤrſten auf alle moͤgliche Weiſe zu
benutzen, auch anderen das nahe Verhaͤltniß, wor-
in ſie zum Fuͤrſtenthrone ſtehen, allenfalls wohl
fuͤhlbar zu machen.


VII.

Sieht man alſo unſere geiſtliche Stiftungen
von der Seite an, wie ſie zur Verſorgung ſol-
cher Herren von Adel, die nicht zu Stammhal-
tern ihres Hauſes beſtimmt ſind, und zur Auf-
nahme ihrer Geſchlechter dienen ſollen; ſo wird
dieſe
[177]3) Verfaſſ. der geiſtl. Laͤnder.
dieſe Abſicht in den meiſten geiſtlichen Laͤndern voll-
kommen erreicht. Eine Familie, die nach mehre-
ren Generationen nur einmal das Gluͤck hat, einen
geiſtlichen Herrn ihres Stamms zum Fuͤrſten be-
foͤrdert zu ſehen, koͤmmt nicht ſelten auf einmal
aus Verlegenheiten, worin ſie eine Schuldenlaſt
von hundert und mehr Jahren her geſtuͤrzt haben
kann, oder auch in ſolche Gluͤcksumſtaͤnde, daß ſie
auf Jahrhunderte ihrer ferneren Aufnahme entge-
genſehen darf. Gluͤckts auch nicht mit dem Fuͤrſten-
hute, ſo kann doch ein Domherr in mehreren Stif-
tern zugleich ſo eintraͤgliche Pfruͤnden beſitzen, daß
auch Domherren, wenn ſie nur einigermaßen gute
Haushaͤlter ſind, und mit ihren Verwandten es
gut meynen, dieſen allemal betraͤchtliche Verlaßen-
ſchaften und andere Vortheile zuwenden koͤnnen.


Von Prinzen aus großen Haͤuſern fehlt esVIII.
nicht an Beyſpielen, daß ſie oft in juͤngeren Jah-
ren zum Beſitz eines oder mehrerer geiſtlicher Fuͤr-
ſtenthuͤmer gelangen, und daß alſo alsdann ihre
Regierungen nach Verhaͤltniß ihrer Lebensjahre
geraume Zeit dauern koͤnnen, oder auch wohl von
einem Herrn des Hauſes auf den andern gleichſam
aus einer Hand in die andere kommen; wie z. B.
von 1583. bis 1760. lauter Prinzen von Baiern
das Erzſtift Coͤlln, und mehrentheils noch zugleich
andere Biſthuͤmer gehabt haben. Sonſt aber ſind
doch geiſtliche Fuͤrſten gemeiniglich ſchon Herren
von gewiſſen Jahren, wenn eine Biſchofswahl
auf ſie faͤllt. Folglich gibt es hier ſeltener lang-
wierige Regierungen.


Eben dieſe oͤftere Abwechſelung in der Re-IX.
gierung
, zumal wenn noch domcapiteliſche Regie-
P. Entw. d. Staatsverf. Th.II. Mrun-
[178]VIII. Folgen d. Weſtph. Fr. 1648-1657.
rungen dazwiſchen kommen, hat wieder ihre Unbe-
quemlichkeiten, da theils ein jeder dann vorzuͤglich
nur auf ſeine Lebenszeit fuͤr ſich und ſeine Familie
die Vortheile ſeines erhabenen Standes, ſo gut er
kann, zu benutzen ſuchen wird, theils auch noch
ungleich weniger, als in erblichen Laͤndern, von
einer Regierung zur anderen eine gewiſſe Gleichfoͤr-
migkeit in Grundſaͤtzen beybehalten wird. Da
kann ſichs alſo nicht ſelten fuͤgen, daß von einer
Regierung zur andern nicht nur Guͤnſtlinge und
Miniſter, ſondern auch ganze Regierungsſyſteme,
Entwuͤrfe und Anſtalten ſich [aͤndern], und in ganz
entgegengeſetzten Geſtalten erſcheinen. — Viele
glauben ſchon darin einen hinlaͤnglichen Grund
wahrzunehmen, warum ſelten gemeinnuͤtzige An-
ſtalten von allen Gattungen, es ſey zur Aufnahme
der Handlung und des Gewerbes, oder zur Befoͤr-
derung der Kuͤnſte und Wiſſenſchaften, oder was
ſonſt zu eines Landes Aufnahme dienen kann, in
geiſtlichen Laͤndern ſo, wie in weltlichen, zu gedei-
hen pflegen.


X.

Es iſt aber noch etwas, das die geiſtlichen
Laͤnder druͤckt, und unablaͤßig druͤcken wird, ſo
lange ſie in dem Verhaͤltniſſe bleiben werden, wor-
in ſie die Roͤmiſche Hierarchie bisher feſt gehalten
hat. Der Fuͤrſtbiſchof, den Carl der Große noch
gleich den uͤbrigen Erzbiſchoͤfen und Biſchoͤfen ſei-
nes Reichs jenſeits und dieſſeits der Alpen nur
als den erſten im Range namhaft machte, der
aber ſeitdem das Gluͤck hatte, als das ſichtbare
Oberhaupt der ganzen chriſtlichen Kirche verehrt
zu werden, iſt zwar verhaͤltnißmaͤßig gleich unſe-
ren Teutſchen Fuͤrſtenbiſchoͤfen und Erzbiſchoͤfen auch
mit
[179]3) Verfaſſ. der geiſtl. Laͤnder.
mit Land und Leuten und davon zu hebenden Ein-
kuͤnften reichlich gnug verſehen worden. Weil
aber ſoviele ſeiner hierarchiſchen oberſten Gewalt
unterworfene Kirchen und Laͤnder ihm ſoviele Muͤhe
machen, und an ſo genannten Curialiſten, die er
zu ſolchen Geſchaͤfften und Ausfertigungen braucht,
ihm ſo großen Aufwand verurſachen; ſo hat er
es nicht unbillig gefunden, daß ſeine ehemalige
Collegen und nachherige Unterthanen, wie er nun-
mehr die Teutſchen Biſchoͤfe und Erzbiſchoͤfe anſah,
ſeinen Aufwand noch mit ſtattlichen Geldbeytraͤgen
erleichtern moͤchten, wie ſolche auch unter dem
Namen Annaten, Palliengelder oder anderen Dienſt-
leiſtungen an Gelde (ſeruitium) nach und nach
gluͤcklich in Gang gebracht wurden (n), und nach
den vergeblichen Bemuͤhungen der Kirchenver-
ſammlungen zu Coſtnitz und Baſel unter dem
Schutze der Aſchaffenburger Concordate (o) im
Gange blieben (p).


Selbſt
M 2
[180]VIII. Folgen d. Weſtph. Fr. 1648-1657.
XI.

Selbſt die Franzoͤſiſche Kirche, die doch ſonſt
ſo viele vorzuͤgliche Freyheit behauptet, hat in
den
(p)
[181]3) Verfaſſ. der geiſtl. Laͤnder.
den Concordaten, wodurch zwar Franz der I. ſich
und ſeinen Nachfolgern das große Recht, alle
Franzoͤſiſche Biſchoͤfe und Erzbiſchoͤfe zu ernennen
ausbedungen, doch der Annaten ſich nicht entle-
digen koͤnnen, (die aus Frankreich jaͤhrlich noch
immer ungefaͤhr 3 Millionen 600. tauſend Livres
betragen ſollen.) Alſo ſind auch unſere Teutſche
Biſchoͤfe und Erzbiſchoͤfe dieſen Abgaben, wie ſie
einmal hergebracht waren, unterworfen geblieben;
nur freylich diejenigen ausgenommen, die in pro-
teſtantiſche Haͤnde gekommen ſind, die nun einmal
das ganze Band mit Rom zerriſſen haben.


Bey den Friedens-Executionshandlungen zuXII.
Nuͤrnberg gedachte (beſage eines in Gegenwart des
kaiſerlichen Geſandten Volmar am 12. Jul. 1650.
gehaltenen Protocolls) der Churmainziſche Geſandte
Discursweiſe: ”Der Pabſt begehrte von dem Trie-
„riſchen Coadjutor 30. tauſend Ducaten fuͤrs Pal-
„lium; den Churfuͤrſten von Mainz vexirte er eben
„auch ſo. Das waͤre eine ſchoͤne Andacht; beide
„Erzſtifte waͤren ruinirt, und man ſollte eine ſolche
„Summe Geldes nach Rom ſchicken, daß ſie da
„etwas zu verzehren haͤtten. In Italien waͤren auch
„Erzbiſchoͤfe, die gaͤben uͤber 100. Kronen nicht. —
„Herr Volmar lachte, und ſagte, ſie ſollten dem
„Pabſte ſchreiben: wo er ihnen die Taxe fuͤr das
„Pallium nicht erließe, wollten ſie Lutheriſch wer-
„den. — Jener: es moͤchte uͤbel aufgenommen
„werden; ſonſt waͤre es wohl das beſte Mittel.” (q)


Sol-
M 3
[182]VIII. Folgen d. Weſtph. Fr. 1648-1657.
XIII.

Solche Geldſummen, die ſo oft und ohne alle
Ruͤckkehr nach Rom gehen, muͤßen freylich unſeren
geiſtlichen Laͤndern zur Laſt fallen. Und ſo laͤßt ſich
uͤberhaupt begreifen, wie, ungeachtet ſonſt die mei-
ſten geiſtlichen Laͤnder den beſten Grund und Boden
haben, auch ſonſt der gelindern Regierung wegen das
Spruͤchwort aufgekommen iſt: daß unter Krumm-
ſtab (unter dem oben krumm gebogenen biſchoͤflichen
Hirtenſtabe) gut wohnen ſey, dennoch die meiſten
geiſtlichen Laͤnder gegen andere ſo wenig aufkommen
koͤnnen (r). Der Unterſchied wuͤrde recht auffallend
dargethan werden koͤnnen, wenn man eine genaue
Beſchreibung der im Weſtphaͤliſchen Frieden ſecula-
riſirten Laͤnder, wie ſie jetzt ſind, und wie ſie in vori-
gen Zeiten geweſen, mit einander in Vergleichung
ſtellen koͤnnte.


(q)


IV.
[183]4) Einige Eigenheiten der T. Verf.

IV.
Einige Eigenheiten der Teutſchen Verfaſſung,
wie ſie inſonderheit von den Zeiten des dreyßig-
jaͤhrigen Krieges und Weſtphaͤliſchen Friedens
her merklich geworden.


I. Vortheile der Teutſchen Verfaſſung, daß unſere Lan-
desherren eigentlich nur die Gewalt haben ſollen Gutes,
nichts Boͤſes zu thun. — II. III. Nur der Wahn, Herr
des Landes zu ſeyn, und eine ungluͤckliche Nacheiferungsſucht
hat oft uͤble Folgen. — IV. Vor den Zeiten des dreyßig-
jaͤhrigen Krieges war unter den Fuͤrſten noch eine ganz an-
dere Lebensart. — V. Der Aufwand fieng aber ſchon an
merklich zu ſteigen. — VI. VII. Auf dem Weſtphaͤliſchen
Friedenscongreſſe entſtand vollends der Streit uͤber Rang
und Excellenz zwiſchen republicaniſchen und churfuͤrſtlichen
Geſandten, — VIII-X. und die Churfuͤrſten ſetzen ſich Koͤ-
nigen gleich. — XI. XII. Das veranlaßte aber wieder Nach-
eiferung der Fuͤrſten und anderer Staͤnde. — XIII. Einige
Haͤuſer wurden ſelbſt durch den Weſtphaͤliſchen Frieden merk-
lich vergroͤßert. — Auch bequemten ſich immer mehrere,
das Recht der Erſtgebuhrt einzufuͤhren, — XIV. und die
Nachgebohrnen nicht ſowohl mit einer eignen Botmaͤßigkeit,
als nur mit jaͤhrlichen Geldzahlungen zu verſorgen.


Alles zuſammengenommen, was der TeutſchenI.
Verfaſſung eigen iſt, wie ſie der Weſtphaͤ-
liſche Friede nunmehr eigentlich auf feſten Fuß ge-
ſetzt hat, zeigt ſich ein Hauptvortheil derſelben dar-
in, daß, wenn alles in der gehoͤrigen Ordnung
iſt, ein jeder Landesherr Mittel und Wege gnug
hat, in ſeinem Lande Gutes zu thun, und, wenn
er hingegen Boͤſes thun moͤchte, entweder Land-
ſtaͤnde dagegen ins Mittel treten, oder auch alle
und jede Unterthanen noch bey einem hoͤhern Rich-
ter Huͤlfe ſuchen koͤnnen. — Gewiß im Ganzen
M 4eine
[184]VII. Folgen d. Weſtph. Fr. 1648-1657.
eine gluͤckliche Verfaſſung, womit zugleich dafuͤr
geſorget iſt, daß von der Landeshoheit, wie ſie
ſich in ſo gar vielerley Haͤnden findet, die freylich
nicht von einerley Weisheit und Herzensguͤte ge-
lenket werden koͤnnen, doch nicht ſo großes Unheil
zu beſorgen iſt, wie ſonſt kleine Tyrannen fuͤr ih-
ren kleinen Bezirk oft noch gefaͤhrlicher, als große
fuͤr groͤßere Staaten, ſeyn koͤnnen.


II.

Nur zwey Klippen gibt es noch, die der Teut-
ſchen Verfaſſung ganz beſonders eigen zu ſeyn
ſcheinen, deren Vermeidung unſern regierenden
Herren und denen, die es werden ſollen, nicht
gnug empfohlen werden kann. Einmal ſcheint
ſelbſt das Teutſche Wort: Landesherr, vielen
ſolche Begriffe beyzubringen, als wenn ſie in eben
dem Verhaͤltniſſe, wie ein Beſitzer eines Gutes
daſſelbe fuͤr ſein Eigenthum haͤlt, ſo auch wahre
Herren ihrer Laͤnder waͤren, um nur nach ihrem
Gutfinden und nach ihrer perſoͤnlichen Convenienz
damit ſchalten und walten zu koͤnnen. Freylich
ſind die Vorfahren unſerer jetzigen Reichsſtaͤnde
urſpruͤnglich nur als Privatbeſitzer großer Guͤter
anzuſehen geweſen, und erſt nach und nach in die
Lage als wahre Regenten gekommen. Da ſie aber
das nun einmal ſind, ſo muͤßen ſie auch nicht den-
ken, daß die Laͤnder nur ihrenthalben da ſind, oder
daß nur eine Anzahl Sclaven zu ihrem Gebote ſte-
hen, und daß nur Rechte, keine Verbindlichkeiten
ihren erhabenen Stand begleiten, ſondern daß ſie
auch wahre Regentenpflichten auf ſich haben, die
nur dahin gerichtet ſeyn duͤrfen, Land und Leute
gluͤcklich zu machen, und den Unterthanen Sicher-
heit und Wohlfahrt zu verſchaffen.


Ein
[185]4) Einige Eigenheiten der T. Verf.

Ein anderer Umſtand, der inſonderheit ſeit denIII.
Zeiten des Weſtphaͤliſchen Friedens mehrmalen zum
Ungluͤck ganzer Haͤuſer und Laͤnder ausgeſchlagen
iſt, und ebenfalls vorzuͤglich der Teutſchen Verfaſ-
ſung eigen zu ſeyn ſcheint, beſtehet in einer
unbegraͤnzten Nacheiferungsſucht, worin bey der
großen Menge unſerer Teutſchen Landesherren, die
nicht nur an Macht und Groͤße, ſondern auch
nach den Stuffen ihrer Wuͤrde, als Churfuͤrſten oder
Fuͤrſten, geiſtliche oder weltliche, alte oder neue
Fuͤrſten, Grafen und Praͤlaten, ſo gar ſehr ver-
ſchieden ſind, dennoch immer einer dem andern
nichts nachgeben will, ſondern, wie der Churfuͤrſt
Koͤnige, ſo der Fuͤrſt wieder Churfuͤrſten, der Graf
Fuͤrſten u.ſ.w. zu Beyſpielen ſeines Aufwandes wehlet.


Es laßen ſich inſonderheit in Vergleichung derIV
Zeiten vor und nach dem Weſtphaͤliſchen Frieden
manche lehrreiche Bemerkungen machen, wie ſehr
ſich in der Zeit ſowohl der Aufwand als die Sit-
ten und Geſinnungen an unſeren Teutſchen Hoͤfen
geaͤndert haben. Ein herzoglicher Rentſchreiber
ſchrieb einmal in ſein Tagebuch: ”Heute dato iſt
„unſer Herzog mit allen ſeinen Junkern in das
„Weinhaus gegangen, haben da banketirt, und
„habe ich dafuͤr acht Thaler ausgezahlt, dat het
„ſchlampampen
.” (s) Ein anderer Herzog
ſchickte ſeinen Sohn auf Reiſen, und ſchrieb an
einen Churfuͤrſten: ”Nachdem unſer Sohn groß
„und bengelhaft wird, ſo finden wir noͤthig, ihn
„in die Fremde zu ſchicken, und vornehmlich an
„Eurer Liebden Hof, damit er daſelbſt mores lerne.
„Wir
M 5
[186]VIII. Folgen d. Weſtph. Fr. 1648-1657.
„Wir haben ihn alſo mit einem reiſigen Knechte
„wohl verſehen.” (t) Landgraf Philipp von Heſſen-
Rheinfels (geb. 1541. † 1583.) hoͤrte, als er
einen Beſuch von einigen Herren vom Hauſe Pfalz
erwartete, daß ein gewiſſer Privatmann eben ”große
Welſche oder Indianiſche Haͤhne” hatte. Damit
er nun ”die Pfalzgrafen der Gebuͤhr nach wohl
tractiren moͤchte,” bat er ihn, gegen Bezahlung ihm
einen oder zwey ſolche Haͤhne zukommen zu laßen;
der Cammerſchreiber ſollte die Schuld dafuͤr gleich
entrichten. Auch ſchrieb er ſeinem Beamten: er
moͤchte 200. Haͤmmel fuͤr ihn kaufen, die er zu
Rheinfels in ſeinen Pfirch ſchlagen wollte (u).


V.

Eben dieſem Landgrafen Philipp machte ſein
Bruder, der Landgraf Wilhelm der IV. von Heſſen-
Caſſel, in einem weitlaͤuftigen Briefe vom 14. Maͤrz
1575. eine lebhafte Beſchreibung vom Verfalle
des Fuͤrſtenſtandes, wie er ihn wegen des ſchon
damals geſtiegenen Aufwandes beſorgte. Unter
andern ließ er einfließen: Ihr Vater, Land-
graf Philipp der Großmuͤthige, habe, ungeachtet
er das ganze Land, das ſeine Soͤhne in vier
Theile getheilt, zuſammen beſeſſen, und noch die
Schmalkaldiſchen Bundesſachen zu beſorgen gehabt
habe, dennoch nur einen Canzler, und einen Do-
ctor, nebſt einem Secretaͤr gehabt, wovon der
erſtere fuͤr 80. Fl., der andere fuͤr 50. Fl., der
dritte zwanzig Jahre ohne Beſoldung gedienet.
Jetzt habe ein jeder von ihnen weit mehr Docto-
ren, Secretarien und Schreiber in hoher Beſol-
dung. Zudem halte ein jeder einen ſolchen Hau-
fen
[187]4) Einige Eigenheiten der T. Verf.
fen Jaͤger, Koͤche und Hausgeſinde, daß ſchier
zu einem jeden Berge ein eigner Jaͤger, zu einem
jeden Topfe ein eigner Koch, und zu jedem Faſſe
ein Schenker ſey. Dazu komme das Spiel und
Ausreiſen auf Taͤnze und zu fremden Fuͤrſten, wel-
che beide Stuͤcke (fuͤgt er hinzu) den Beutel weid-
lich fegen und raͤumen. Auch klagt er uͤber auf-
kommende Welſche Pracht in Kleidung von Sam-
met und Seide, und in Ausputzung der Pferde mit
Federn und ſammeten Zeugen, ”anders nicht,
„als waͤren wir Welſche Ziebetkatzen, welches ſich
„gar uͤbel in dieſe Landesart ſchicket. Denn wahr-
„lich Welſche und Teutſche Pracht dienet nicht zu-
„ſammen; ſintemal ob ſich wohl die Welſchen in
„Kleidung ſtattlich halten, ſo eſſen ſie deſto uͤbler
„und ſpahrſamer, laßen ſich mit einem Gerichte
„Eyer und Salat begnuͤgen, da die Teutſchen Maul
„und Bauch voll haben wollen.” (v)


Vergleicht man damit den Zuſtand der Teut-VI.
ſchen Hoͤfe, wie ſie ſich nach den Zeiten des Weſt-
phaͤliſchen Friedens nach und nach hervorthun, ſo
zeigt ſich freylich ein ganz anderes Bild derſelben,
wovon manches ſelbſt auf den beiden Congreſſen zu
Muͤnſter und Osnabruͤck die erſte Grundlage be-
kommen hat.


Unter andern aͤußerte ſich hier der Umſtand,VII.
daß der Kaiſer Ferdinand der II. im Jahre 1636.
der Republik Venedig in einem beſondern Decrete
den Rang vor den Churfuͤrſten zugeſichert hatte,
den doch ſelbſt das Haus Baiern, ehe es noch
ein-
[188]VIII. Folgen d. Weſtph. Fr. 1648-1657.
einmal die Churwuͤrde hatte, den Venetianern ſo
wenig als auswaͤrtigen Fuͤrſten zugeſtehen wollen.
Wie nun der Venetianiſche Botſchafter von den
kaiſerlichen Geſandten zu Muͤnſter mit Kutſchen
eingeholet, und mit dem Excellenztitel, der hier
zuerſt als ein Eigenthum der Geſandten vom erſten
Range in Gang kam, beehret worden war, ſo beides
bisher die churfuͤrſtlichen Geſandten nicht erhalten
hatten; ſo beſtanden die Churfuͤrſten darauf, daß
ihnen fuͤr ihre Botſchafter nunmehr ein Gleiches
zugeſtanden werden muͤßte, um der Republik Ve-
nedig keinen Vorzug einraͤumen zu duͤrfen, ob-
gleich dieſe wegen der Inſel Cypern, die ſie von
1473. bis 1570. als ein Koͤnigreich beſeſſen hatte,
ſich in die Reihe der Koͤnige ſetzen wollte. Die
Churfuͤrſten waren in ihrer Forderung ſo ſtand-
haft, und wurden von den beiden Kronen Frank-
reich und Schweden dergeſtalt unterſtuͤtzt, daß end-
lich 1643. ein Courier die kaiſerliche Entſchließung
uͤberbrachte: den churfuͤrſtlichen Botſchaftern dann
in Gottes Namen die Excellenz zu geben.


VIII.

Hiermit kamen nun die Churfuͤrſten in un-
widerſprechlichen Beſitz, auf gleiche Art, wie Roͤ-
nige
, Geſandten vom erſten Range oder ſo ge-
nannte Botſchafter, (Ambaſſadeurs) ſchicken zu
koͤnnen. Sie fuhren auch fort, nicht nur uͤber
Venedig, ſondern uͤberhaupt uͤber Republiken, de-
ren Zahl jetzt ſelbſt mit den Helvetiſchen Cantons
und den vereinigten Niederlanden vermehrt war,
den Rang zu behaupten. Sie ruͤckten alſo (1653.)
in Ferdinands des IV. Wahlcapitulation ein: daß
weder auswaͤrtiger Potentaten und Fuͤrſten, noch
der Republiken Geſandten die Praͤcedenz vor den
chur-
[189]4) Einige Eigenheiten der T. Verf.
churfuͤrſtlichen Geſandten geſtattet, noch der Vor-
wand, als waͤren die Republiken fuͤr gekroͤnte
Haͤupter, und alſo denſelben in Wuͤrden gleich zu
halten, geachtet werden ſollte. Nur gekroͤnter
Koͤnige, oder koͤniglicher Wittwen und zur Regie-
rung beſtimmter Pupillen Botſchafter ſollten chur-
fuͤrſtlichen Geſandten, dieſe aber aller auswaͤrtigen
Republiken Geſandten, und auch den Fuͤrſten in
Perſon ohne Unterſchied vorgehen. Die dawider
ehedem ertheilten kaiſerlichen Decrete (inſonderheit,
wie hernach 1658. namentlich hinzugefuͤgt wurde,
das von 1636.) ſollten abgeſtellt und kraftlos ſeyn.
In der Folge haben ſie uͤber dieſes Vorrecht (1671.
Aug. 24.) noch einen beſonderen Vertrag unter
ſich geſchloſſen, und in den neueren Wahlcapitu-
lationen (1711. u. f.) noch deutlicher beſtimmt,
daß ihren Geſandten vom erſten Range, es moͤgen
auch deren mehr, als einer, ſeyn, allen und jeden
gleiche honores, in allem, wie den koͤniglichen
Geſandten gegeben werden ſollen. So behaupten
demnach die Churfuͤrſten bis auf den heutigen Tag,
den Koͤnigen gleich gehalten zu werden.


Zu Begruͤndung dieſes Vorrechts beziehen ſieIX.
ſich auf eine uralte von etlichen hundert Jahren
her fortgeſetzte Obſervanz, vermoͤge deren ſie weder
am kaiſerlichen noch an anderen Hoͤfen niemals
anderen als gekroͤnten Haͤuptern oder koͤniglichen
Wittwen und zur Regierung beſtimmten Pupillen
gewichen ſeyen, ſondern jederzeit gleich nach den-
ſelben ſowohl in Perſon als durch ihre Geſandten
ihre Ehrenſtelle genommen und hergebracht haͤtten.
Freylich ſchien ihnen der Umſtand entgegen zu
ſtehen, daß ſie doch nicht ſo, wie Koͤnige und freye
Re-
[190]VIII. Folgend. Weſtph. Fr. 1648-1657.
Republiken, einer voͤlligen Unabhaͤngigkeit ſich zu
erfreuen, ſondern noch Kaiſer und Reich als eine
hoͤhere Gewalt uͤber ſich haͤtten. Allein in vori-
gen Zeiten war der Mangel der Unabhaͤngigkeit
kein ſolches Hinderniß, weil man es nicht fuͤr wi-
derſprechend hielt, daß auch Koͤnige noch den Kai-
ſer, als den Herrn der Welt und das ſichtbare
weltliche Haupt der ganzen Chriſtenheit uͤber ſich
haben koͤnnten; wie dann ſelbſt unter den Chur-
fuͤrſten einer ihres Mittels Koͤnig in Boͤhmen war.
Zudem hatte ſchon der Kaiſer Carl der IV. die
Churfuͤrſten mit der Perſon des Kaiſers fuͤr ſo genau
verbunden erklaͤret, daß, wer ſich an einem Chur-
fuͤrſten vergriffe, eben ſo wie gegen den Kaiſer des
Verbrechens beleidigter Majeſtaͤt ſchuldig erklaͤrt
werden ſollte. Inſonderheit waren endlich bey
den Kaiſerwahlen die Churfuͤrſten in der That ſo
gut wie unabhaͤngig, und indem ſie da zugleich
von anderen Maͤchten beſchickt wurden, hatten ſie
immer Gelegenheit, ihren Geſandten auch in der
wuͤrklichen Praxi die voͤllige Gleichheit mit koͤnig-
lichen Geſandten zu verſchaffen.


X.

Damit aber alles das nicht etwa bloß bey den
Ehrenbezeugungen, die ſie fuͤr ihre Geſandten be-
haupteten, ſtehen bliebe, fiengen nun die Churfuͤr-
ſten bald an, auch ihre Hoͤfe auf den Fuß der
koͤniglichen einzurichten. Hatte ein Churfuͤrſt vor-
her etwa einen Hofmarſchall und etliche Cammer-
junker und Edelknaben gehalten; ſo wurden jetzt
Cammerherren und Oberſthofaͤmter, als ein Ober-
hofmarſchall, Oberkaͤmmerer, Oberſtallmeiſter u. ſ. w.
eingefuͤhrt. Auch in Curialien und im Ceremo-
niel wurde alles hoͤher geſtimmt. Die Anrede:
Durch-
[191]4) Einige Eigenheiten der T. Verf.
Durchlauchtigſter Churfuͤrſt, und Eure churfuͤrſt-
liche Durchlaucht wurde gaͤng und gaͤbe gemacht.
Das ganze Ceremoniel in der Hofhaltung ſelber
und inſonderheit im Empfange fremder Geſandten
wurde ganz nach dem Beyſpiele der koͤniglichen
Hoͤfe eingerichtet; einige nur mehr nach dem Fran-
zoͤſiſchen, einige nach dem Spaniſch-Burgundiſchen
Zuſchnitt.


Alles das galt nun eigentlich nur von Chur-XI.
fuͤrſten. An dem, was ihren Geſandten zu Muͤn-
ſter und Osnabruͤck zugeſtanden war, hatten die
Fuͤrſten keinen Theil bekommen. Ihnen hat man
nie eingeraͤumt, andere Geſandten, als vom zwey-
ten Range, zu ſchicken. Alle uͤbrige Gruͤnde,
welche die Churfuͤrſten fuͤr ſich hatten, kamen auch
nur denſelben, nicht den Fuͤrſten zu ſtatten.
Inzwiſchen gab es verſchiedene Fuͤrſten, die mit
den Churfuͤrſten von einem Hauſe waren, als die
Herzoge von Pfalzneuburg, Zweybruͤcken, Wei-
mar, Eiſenach, Gotha, die Marggrafen von An-
ſpach und Bayreuth. Andere fuͤrſtliche Haͤuſer
ſchienen wenigſtens manchem Churfuͤrſten, zumal
den geiſtlichen, an Macht und Anſehen nicht viel
nachgeben zu duͤrfen. Was war da anders zu
erwarten, als Nacheiferung in Vergroͤßerung des
Hofſtaats, in Erhoͤhung der Curialien und des
Ceremoniels (w), und in moͤglichſter Gleichſetzung
der fuͤrſtlichen mit allen anderen Geſandten?


Ahm-
[192]VIII. Folgen d. Weſtph. Fr. 1648-1657.
XII.

Ahmten aber ſo die groͤßeren altfuͤrſtlichen
Haͤuſer den churfuͤrſtlichen nach, ſo merkte man
bald, daß auch die geiſtlichen Fuͤrſten nicht zuruͤck-
bleiben wollten. Auch mindermaͤchtige altfuͤrſtliche
Haͤuſer thaten ein Gleiches. Denen folgten wie-
der neufuͤrſtliche Haͤuſer, dieſen die Reichsgrafen;
endlich fehlte nicht viel, daß nicht auch Reichs-
praͤlaten und Reichsritter an dieſem Geiſte der
Nacheiferungsſucht Theil nahmen. So kam es
beynahe dahin, wie der erhabene Verfaſſer des An-
timachiavells die Beſchreibung davon macht, daß
kaum ein Laͤndchen in Teutſchland uͤbrig blieb, deſſen
regierender Herr ſich nicht duͤnkte, etwas aͤhnliches
von Ludewig dem XIV. zu ſeyn, ſein Verſailles
zu bauen, Maͤtreſſen und Soldaten zu halten (x).


Noch

(w)


[193]4) Einige Eigenheiten der T. Verf.

Noch ein Umſtand, der die Zeiten vor undXIII.
nach dem Weſtphaͤliſchen Frieden ſehr unterſchie-
den macht, beſtand in der merklichen Vergroͤße-
rung verſchiedener Saͤuſer.
Einige derſelben
hatten unmittelbar durch den Frieden ſelbſt be-
traͤchtlich gewonnen, als die Haͤuſer Brandenburg,
Mecklenburg und Heſſen an ſeculariſirten Stiftern;
ſo wie faſt alle proteſtantiſche Reichsſtaͤnde an
Einkuͤnften ehemaliger Kloͤſter und Stifter, die
ihnen der Beſitz vom 1. Jan. 1624. nunmehr
auf ewig ſicherte. Nach und nach entſchloſſen
ſich auch immer mehrere Haͤuſer das Recht der
Erſtgebuhrt
einzufuͤhren, ſo daß in einem jeden
ſolchen Hauſe, oder doch in einer ſolchen Linie,
worin dieſe Succeſſionsordnung beliebt wurde, von
nun an immer nur Ein regierender Herr ſeyn
ſollte; wodurch dann nicht nur weiteren Verthei-
lungen ſolcher Laͤnder vorgebeugt, ſondern auch
dazu der Grund gelegt wurde, daß durch heim-
fallende oder ſonſt neu zu erwerbende Laͤnder auch
in Zukunft immer groͤßerer Zuwachs des Hauſes
zu hoffen war; wie inſonderheit das Beyſpiel
des Hauſes Brandenburg immer einleuchtender
werden mußte.


In manchen Haͤuſern wurde zwar noch denXIV.
nachgebohrnen Herren ein Stuͤck Landes zur eignen
Bewohnung und Benutzung, nur mit Vorbehalt
der Hoheit fuͤr den regierenden Herrn, angewie-
ſen, wie im Hauſe Heſſen-Caſſel der Nebenlinie
von Heſſen-Rheinfels und Rotenburg, und im
Hauſe Heſſendarmſtadt den Landgrafen von Hom-
burg an der Hoͤhe, im Hauſe Anhaltbernburg
P. Entw. d. Staatsverf. Th.II. Neiner
[194]VIII. Folgen d. Weſtph. Fr. 1648-1657
einer Nebenlinie von Anhalt-Hoym, im Hauſe
Lippe den Grafen von Brake, in Iſenburg den
Grafen von Philippseich u. ſ. w. Doch in allen
dieſen Faͤllen erwuchſen uͤber das eigentliche Ver-
haͤltniß zwiſchen den regierenden und nachgebohr-
nen Herren in der Folge ſolche Streitigkeiten, daß
dieſe Einrichtung bald ihren Beyfall verlohr, und
zuletzt alle nachgebohrne Herren meiſt nur auf
den Genuß einer Penſion an baarem Gelde ge-
ſetzt wurden. Auch damit naͤherten ſich unſere
Teutſche beſondere Staaten der Art, wie ganze
Koͤnigreiche regiert und vererbt, und Prinzen von
Gebluͤte nur mit gewiſſen Einkuͤnften an Gelde
verſehen werden, noch immer mehr.


V.
[195]5) Veraͤnderter Zuſtand der Staͤdte.

V.
Merklich veraͤnderter Zuſtand der meiſten Staͤdte
ſeit den Zeiten des dreyßigjaͤhrigen Krieges und
Weſtphaͤliſchen Friedens.


I. II. Die Teutſchen Staͤdte kamen faſt alle mit dem
Verfall der Hanſe und der Handlung in große Abnahme. —
III. Dazu kamen die auſſerordentlichen Unfaͤlle des dreyßig-
jaͤhrigen Krieges, — IV. wovon ſich wenige Staͤdte haben
erholen koͤnnen. — V. Auf Landtagen zogen ſie uͤberdies
gegen Praͤlaten und Adeliche meiſt den kuͤrzern, — VI-XI.
inſonderheit in Anſehung der Steuerfreyheit und Landes-
ſchulden. — XII-XV. Auch kamen die meiſten Landſtaͤdte in
weit groͤßere Abhaͤngigkeit von ihren Landesherren, als in
vorigen Zeiten.


In den meiſten Laͤndern zeigte ſich nach denI.
Zeiten des Weſtphaͤliſchen Friedens noch inſon-
derheit ein ſehr veraͤndertes Verhaͤltniß zwiſchen den
darin gelegenen Staͤdten und ihren Landesherren.
Schon waͤhrend des dreyßigjaͤhrigen Krieges gieng
fuͤr viele Staͤdte eine maͤchtige Stuͤtze zu Grunde,
die ſie bisher an der Hanſe gehabt hatten. Neue
Handlungsgrundſaͤtze, die in den Niederlanden
ſchon unter Carl dem V., und in England unter
der Koͤniginn Eliſabeth aufgekommen waren, nebſt
dem Widerwillen, den man in Daͤnemark und
Schweden gegen die Hanſe gefaſſet hatte, legten
den erſten Grund dazu, daß die Handlungsvor-
theile der Teutſchen Hanſe nach und nach verloh-
ren giengen; woruͤber viele Staͤdte, die nicht mehr
den bisherigen Vortheil genoſſen, und nun nur
die Laſt der Geldbeytraͤge fuͤhlten, ſich der Hanſe
zu entziehen anfiengen. Noch im dreyßigjaͤhrigen
N 2Krie-
[196]VIII. Folgen d. Weſtph. Fr. 1648-1657.
Kriege rechnete Ferdinand der II. darauf, durch
die Hanſe eine Flotte auf der Oſtſee in Stand zu
bringen; in welcher Abſicht er in den Jahren 1626.
1628. eine Zuſammenkunft der Staͤdte Luͤbeck,
Hamburg, Roſtock, Wismar, Stralſund und
Lauenburg veranlaßte, und der Hanſe aufs neue
zu großen Handlungsvortheilen in den Spaniſchen
Staaten Hoffnung machte. Er konnte aber ſeine
Abſicht nicht erreichen. Als hernach im Jahre
1630. wieder ein Hanſetag ausgeſchrieben war,
da aber faſt alle Staͤdte ausblieben, und die mei-
ſten eine Abneigung bezeigten den Bund fortzu-
ſetzen; ward derſelbe nur noch von den drey Reichs-
ſtaͤdten Luͤbeck, Hamburg und Bremen erneuert,
die ſeitdem bis auf den heutigen Tag in dieſer
Verbindung noch geblieben ſind (y).


II.

Wenn alſo gleich im Osnabruͤckiſchen Frieden
die Krone Schweden verbindlich gemacht ward,
den Hanſeſtaͤdten die Freyheit der Handlung und
Schifffahrt, wie ſie ſolche vor dem Kriege gehabt,
aufrecht zu erhalten (z), ſo hat doch das den
Teutſchen Landſtaͤdten, die ſonſt in ſo großer An-
zahl an dieſem Bunde Theil genommen hatten,
nicht mehr zu ſtatten kommen koͤnnen. Eine mit
Beziehung auf dieſe Verordnung des Weſtphaͤli-
ſchen Friedens ſeit 1742. in die neueren Wahl-
capitulationen eingeruͤckte Stelle verſpricht zwar
noch die Handlung treibenden Staͤdte uͤberhaupt,
namentlich aber doch inſonderheit die vor anderen
zum
[197]5) Veraͤnderter Zuſtand der Staͤdte.
zum gemeinen Beſten zur See trafikirenden Staͤdte
Luͤbeck, Bremen und Hamburg bey ihrer Schiff-
fahrt und Handlung, Rechten und Freyheiten zu
ſchuͤtzen (a). Von anderen Staͤdten ſind außer
einigen wenigen, denen ihre Lage an der Oſtſee
oder an einem großen Strohme, oder etwa eine
beſondere Meß- und Stapelfreyheit, oder eine
beſondere Fabrik und Handlungs-Induͤſtrie noch
zu ſtatten gekommen, ſeit dem Weſtphaͤliſchen Frie-
den wenige uͤbrig geblieben, die ſich betraͤchtlicher
Handlungsvortheile ruͤhmen koͤnnen.


Auch ſonſt haben meiſt nur ſolche Staͤdte, inIII.
welchen etwa eine landesherrliche Reſidenz und
Hofhaltung, oder eine Univerſitaͤt, oder ein be-
ruͤhmtes mineraliſches Waſſer, oder Salzwerk,
Bergbau und dergleichen Gewerbe iſt, noch wie-
der in einige Aufnahme gebracht werden koͤnnen.
Gar viele Landſtaͤdte haben ſich von den Unfaͤl-
len des dreyßigjaͤhrigen Krieges
her gar nicht
wieder erholen koͤnnen. Es wuͤrde aber auch ein
alle Erwartung uͤbertreffend ſchreckliches Bild ſeyn,
wenn man jede einzelne Teutſche Stadt in dem
Zuſtande, wie ſie vor und in dem dreyßigjaͤhrigen
Kriege geweſen, in einer treu verglichenen Abbil-
dung vor ſich ſehen ſollte. — Eine Stadt, wie
Magdeburg, vor der Tillyſchen Zerſtoͤhrung von
30. tauſend Einwohnern auf einmal bis auf 400.
zu Grunde gerichtet, und keinen Stein auf dem
andern gelaßen. — Die Stadt Frankenthal von
1800. Buͤrgern, die meiſt Kuͤnſtler und Fabrican-
ten waren, auf 324. Einwohner zuſammenge-
ſchmol-
N 3
[198]VIII. Folgen d. Weſtph. Fr. 1648-1657.
ſchmolzen. — In Goͤttingen von 1000. Haͤuſern
im Kriege 179. niedergeriſſen oder umgefallen,
237. ledig und wuͤſt ſtehen geblieben, 137. nur
von Wittwen, 460. von Buͤrgern oder Fremden
bewohnt. — In Minden 1625. eine Tillyſche
Beſatzung, die in zwey Jahren 600. tauſend Rthr.
koſtete, wovon noch jetzt ſo genannte Eintheilungs-
capitalien auf den Buͤrgerhaͤuſern haften. — In
dem einzigen Wuͤrtenbergiſchen Amte und Stadt
Leonberg 1270. Buͤrger abgegangen, 885. Haͤuſer
verbranut, 11594. Morgen Aecker unbebaut liegen
geblieben. — Im ganzen Herzogthume Wuͤrtenberg
57721. Haushaltungen eingegangen, 8. Staͤdte,
45. Doͤrfer, 158. Pfarr- und Schulhaͤuſer, 65.
Kirchen, und 36086. Privathaͤuſer abgebrannt! —
Wenn man mehr ſolche Verzeichniſſe von Laͤndern
und Staͤdten haͤtte; wuͤrde man da nicht bewun-
dern muͤßen, daß ſolche Wunden doch noch ſo,
wie es geſchehen iſt, nach hergeſtelltem Frieden
haben geheilt oder verſchmerzt werden koͤnnen?


IV.

Der Bevoͤlkerung ward zwar damit etwas
aufgeholfen, daß von den abgedankten Kriegshee-
ren viele da, wo ſie ſich eben befanden, oder wo
es ihnen vorzuͤglich gefiel, ſich verheiratheten und
haͤuslich niederließen (b). Auch von Fluͤchtlingen,
die ſich in andere Laͤnder begeben hatten, mochten
ſich wohl viele in ihrem verlaßenen Vaterlande wieder
einfinden. Aber den vorigen Wohlſtand wieder zu
finden,
[199]5) Veraͤnderter Zuſtand der Staͤdte.
finden, oder von neuem herzuſtellen, das war eine
ganz andere Sache; zumal da jetzt uͤberall Nach-
traͤge zu den Schulden, die im Kriege gemacht
waren, und noch die ganz neue Laſt des Beytra-
ges zu den fuͤnf Schwediſchen Millionen hinzukam.


In vielen Laͤndern wurde jetzt freylich Land-V.
tag auf Landtag gehalten, um das landſchaftliche
Schuldenweſen in Ordnung zu bringen, und an-
dere gemeinnuͤtzige Anſtalten zu treffen. Allein
hier zeigte ſich wieder ein Umſtand, der in der Ver-
faſſung der meiſten Laͤnder bis auf den heutigen Tag
nicht zu heben geweſen, aber den Staͤdten und der
von deren Gewerbe zu erwartenden Aufnahme der
Laͤnder aͤußerſt nachtheilig iſt. Auf Landtagen
haben zwar Staͤdte, ſo gut wie der Adel und
Praͤlatenſtand, ihre Stimmen; ohne ihre Einwil-
ligung koͤnnen auch den Einwohnern der Staͤdte
keine Laſten aufgebuͤrdet werden. Allein von Sei-
ten der Ritterſchaft kann ein jeder Beſitzer eines
Rittergutes auf dem Landtage erſcheinen, und fuͤr
ſich ſelber ſprechen; jeder Praͤlat desgleichen. Von
Staͤdten erſcheinen nur Deputirte, die zuſammen-
genommen ſelten das Gewicht haben, wie der Praͤ-
latenſtand und die Ritterſchaft. Auch gehoͤrt fuͤr
einen jeden einzeln ſchon eine große Gabe von Be-
redtſamkeit und Geſchicklichkeit, und nicht wenig
Herzhaftigkeit, Standhaftigkeit und patriotiſche
Geſinnung dazu, wenn er das Intereſſe der Stadt
mit eben dem Eifer und Erfolge wahren ſoll, wie
jene Herren ihre eigne Sache wahren.


Nun waren freylich beym Urſprunge des Teut-VI.
ſchen Steuerweſens die Umſtaͤnde ſo, daß die Lan-
N 4des-
[200]VIII. Folgen d. Weſtph. Fr. 1648-1657.
desherren bey den Landſtaͤnden gemeiniglich nur
darauf antrugen, daß bewilliget werden moͤchte,
die Unterthanen nicht nur in den landesherrlichen
Aemtern, ſondern auch in den praͤlatiſchen und
adelichen Gerichten ſowohl als in den Staͤdten mit
Steuern zu belegen, um die meiſt verſchuldeten
Cammerguͤter zu retten, oder auch wohl zur Er-
gaͤnzung deſſen, wozu deren Einkuͤnfte nicht mehr
hinreichen wollten, dem Landesherrn unter die Ar-
me zu greifen. So wenig hier des Landesherrn
eignes Cammergut mit in die Beſteurung gezogen
wurde; ſo wenig war auch nur die Abſicht, we-
der des Praͤlaten eignes Gut, noch die Ritterguͤ-
ter ſelbſt mit Steuern zu belegen, ſondern es
galt nur um eine allgemeine Beſteurung der
Bauern, die ohne Einwilligung der Praͤlaten und
der Ritterſchaft uͤber deren Hinterſaſſen ſonſt nicht
ſtatt gefunden haͤtte. In ſo weit war alſo in
Anſehung jener Steuern, die nur zur Rettung
oder Ergaͤnzung der landesherrlichen Cammerguͤter
bewilliget wurden, allerdings eine Steuerfreyheit
der Praͤlaten und des Adels gegruͤndet, daß ſie
nicht fuͤr ihre eigne Guͤter, die ſie ſelbſt in ihrem
unmittelbaren Genuß hatten, ſondern nur fuͤr die
Bauern, deren Gerichts- oder Gutsherren ſie wa-
ren, die Steuern bewilligten.


VII.

Dieſe Steuerfreyheit wurde noch dadurch un-
terſtuͤtzt, daß der Praͤlat auf die Immunitaͤt, wel-
che von alten Zeiten her vermoͤge der paͤbſtlichen
Rechte allen Kirchenguͤtern zukaͤme, und der Adel
auf die Lehnsdienſte mit Ritterpferden, womit er
ſein Rittergut mit eigner Ausruͤſtung in eigner
Perſon verdienen muͤße, ſich berief. Beides war
auf
[201]5) Veraͤnderter Zuſtand der Staͤdte.
auf Staͤdte nicht anwendbar; nur in jener Ruͤck-
ſicht wurde ihnen auch eine Steuerfreyheit zuge-
ſtanden, daß von demjenigen, was die Staͤdte
ſelbſt als ihr Eigenthum im Ganzen beſaßen, oder
von den gemeinen Stadt- und Kaͤmmereyguͤtern,
keine Steuern bezahlt werden durften, ſondern nur
von jeden einzelnen Buͤrgern und Einwohnern der
Staͤdte. Allein was war das nicht fuͤr ein großer
Unterſchied: Gegen zehn Staͤdte in einem Lande
konnten leicht etliche hundert Ritterguͤter ſeyn;
dieſe blieben einzeln alle ſteuerfrey, und mußten
nur ihre Hinterſaſſen beſteuern laßen; jene genoſ-
ſen nur eine Freyheit in Anſehung ihres Geſammt-
eigenthums; jeder einzelner Buͤrger mußte bezah-
len. Alſo fiel die ganze Laſt des Steuerweſens
auf den Buͤrger und Bauern, und druͤckte jenen
deſto empfindlicher, je groͤßere Beytraͤge von den
Staͤdten nach Verhaͤltniß der Anzahl und ange-
nommenen Vermoͤgensumſtaͤnde ihrer Einwohner
erwartet wurden, und je mehr gemeiniglich uͤber-
das eine jede Stadt noch ihre eigne Schuldenlaſt
und vielerley andere Anſtalten hatte, zu deren
Unterhaltung jeder Buͤrger das ſeinige beytra-
gen mußte.


Nun mochte das alles endlich ſeyn, ſofern vonVIII.
Steuern zu Ergaͤnzung der landesherrlichen Cam-
mereinkuͤnfte die Rede war. Aber wenn doch
nun in Kriegszeiten ein feindliches Heer von einem
ganzen Lande Forderungen machte, und, im Fall
ihnen kein Gnuͤge geſchaͤhe, mit Feuer und Schwerdte
drohete, — wenn dann ſolche Brandſchatzungen
wuͤrklich geliefert, oder zu deren Befriedigung Gel-
der aufgenommen wurden, und damit das ganze
N 5Land
[202]VIII. Folgen d. Weſtph. Fr. 1648-1657.
Land ſich von Verheerung rettete; — ſollten da
auch der Praͤlaten eigne Guͤter und die Ritterguͤ-
ter des Adels frey ſeyn? — Da trat unſtreitig
ein ganz anderer Grund der Beſteurung ein; wo-
bey weder die Immunitaͤt der Geiſtlichkeit, noch
die Dienſtleiſtung der Ritterpferde da in Betrach-
tung kommen konnte; wie daher ſchon unter Carl
dem V. mehrmalen die Verbindlichkeit zur Tuͤrken-
ſteuer, ohne irgend auf einige Steuerfreyheit Ruͤck-
ſicht zu nehmen, ganz allgemein anerkannt worden
war. — Und wie wenn vollends der Dienſt mit
Ritterpferden ganz aufhoͤrte, wie derſelbe wuͤrk-
lich im dreyßigjaͤhrigen Kriege nur noch ſelten,
hernach faſt gar nicht mehr vorkam, und endlich
bey der ganz veraͤnderten Kriegsart ganz aus dem
Gange gekommen iſt? —


IX.

Nichts deſto weniger hat der Adel und Praͤ-
latenſtand in den meiſten Laͤndern jene alte Steuer-
freyheit, wo nicht ganz unbeſchraͤnkt, doch bis
auf geringe unverhaͤltnißmaͤßige Beytraͤge auch
in ſolchen Faͤllen behauptet, wo nach richtigen
Grundſaͤtzen des allgemeinen Staatsrechts bil-
lig ein jedes Mitglied eines Landes nach Verhaͤlt-
niß ſeines Vermoͤgens und des Schutzes und an-
derer Vortheile, die er davon im Lande genießt,
auch das ſeinige zur allgemeinen Mitleidenheit bey-
tragen ſollte. Inſonderheit war das der Fall in
vielen Laͤndern mit den Schulden, welche von gan-
zen Landſchaften zu Entrichtung ihrer Beytraͤge zu
den Schwediſchen fuͤnf Millionen oder auch wegen
anderer Drangſale des dreyßigjaͤhrigen Krieges
hatten gemacht werden muͤßen.


Nicht
[203]5) Veraͤnderter Zuſtand der Staͤdte.

Nicht ſelten geſchah es zugleich, daß einzelneX.
Praͤlaten oder Edelleute, oder auch wohl die Lan-
desherrſchaften ſelbſt das Geld, ſo die Landſchaft
aufnehmen mußte, auf deren Credit entweder ſelbſt
verzinslich vorſchoſſen, oder doch in der Folge von
anderen Glaͤubigern, welche ihre Capitalien dazu
hergeliehen hatten, die daruͤber erhaltenen land-
ſchaftlichen Schuld- und Pfandverſchreibungen ein-
loͤſeten. Alsdann gab es ſelten beſſere Mittel,
Capitalien auf Zinſen ſo ſicher anzubringen. Was
haͤtte nun Landesherren oder auch Praͤlaten und
Ritterſchaft bewegen ſollen, auf Abtragung ſolcher
landſchaftlichen Capitalien oder auf Verminderung
dieſer Art Nationalſchulden ſonderlich bedacht zu
ſeyn?


So geriethen aber ganz natuͤrlich inſonderheitXI.
die Staͤdte immer tiefer in unabſehlich fortwaͤhrende
Steuerlaſten. Und wie waͤre es da moͤglich geweſen,
daß Staͤdte in Aufnahme haͤtten kommen koͤnnen? —
zumal wenn nun noch in manchen Gegenden hin-
zukam, daß Praͤlaten und Ritterſchaft auf ihren
Guͤtern oder in ihren Gerichtsdoͤrfern zum Theil
ſelbſt ſolche Anſtalten unterhielten, die man bis-
her nur als ein Eigenthum der buͤrgerlichen Nah-
rung in Staͤdten angeſehen hatte, als Bierbraue-
reyen zum feilen Kaufe, Kaufmannſchaft, zuͤnftige
Handwerker, u. d. g.


Hin und wieder mochte auch wohl in StaͤdtenXII.
bey der Art, wie ihre Stadtobrigkeit beſetzt war,
und wie das gemeine Stadtweſen verwaltet wurde,
manches zu erinnern ſeyn. Wenigſtens fehlte es
da
[204]VIII. Folgen d. Weſtph. Fr. 1648-1657.
da nicht an Klagen der Buͤrgerſchaft, daß der Stadt-
rath meiſt aus Perſonen, die mit einander verwandt
oder verſchwaͤgert waͤren, beſtaͤnde; daß gemeine
Stadtguͤter zum Theil zu Privatvortheilen ver-
wandt wuͤrden; daß keine richtige Rechnung ge-
ſchaͤhe u. ſ. w. Um alles das hatte bisher ſelten
ein Landesherr ſich mit Nachdruck bekuͤmmern duͤr-
fen, ſo lange jede Stadt ſelbſt ihre Wehr und
Waffen hatte, und durch Verbindung mit der
Hanſe oder anderen Staͤdten ſich in einer gewiſſen
Unabhaͤngigkeit zu erhalten wußte. Doch dieſe
Umſtaͤnde hatten ſich nun mit den Zeiten des drey-
ßigjaͤhrigen Krieges und Weſtphaͤliſchen Friedens
gar ſehr geaͤndert. Viele Staͤdte hatten ſich ſchon
zur Abhaͤngigkeit von ihren Landesherren bequemen
muͤßen; andere wurden nach und nach noch immer
mehr dazu genoͤthiget. Und dabey gewannen nun
allerdings viele Staͤdte fuͤr ihre innere Aufnahme,
wenn eine billige Landesherrſchaft nur in der Abſicht,
ſie wieder empor zu bringen, ſich um ihre innere
Wirthſchaft bekuͤmmerte.


XIII.

Unſer Goͤttingen kann ſelbſt davon ein Bey-
ſpiel abgeben. Erſt im Jahre 1664. nahm Her-
zog Chriſtian Ludewig das der Stadt verſetzt gewe-
ſene Gerichtsſchulzenamt, wie auch Zoll, Muͤnze
und Wechſel, nach geſchehener Einloͤſung wieder in
Beſitz. Hernach erkannte Herzog Johann Friede-
rich im Jahre 1677. eine Commiſſion uͤber Klage
der Gilden wegen uͤbler Verwaltung der Stadt-
kaͤmmerey, wegen ungleicher Eintheilung der ge-
meinen Beſchwerden, wegen ſchlechter Einrichtung
des Brauweſens, wegen uͤbler Beſetzung der Raths-
ſtellen
[205]5) Veraͤnderter Zuſtand der Staͤdte.
ſtellen u. ſ. w. Zuletzt erließ Herzog Ernſt Auguſt
im Jahre 1690. gar den ganzen Rath, und be-
ſtellte ihn ganz von neuem (c).


Wie ſehr ſtach aber auch nunmehr das Verhaͤlt-XIV.
niß der Stadt gegen ihren Landesherrn oder andere
fuͤrſtliche Perſonen gegen vorige Zeiten ab? Als
im Jahre 1500. eine Mecklenburgiſche Prinzeſſinn
nach Caſſel vermaͤhlt ward, und nebſt ihren fuͤrſt-
lichen Eltern und Geſchwiſtern mit 400. Reitpfer-
den und 200. Wagenpferden durch Goͤttingen kam;
ſchickte ihr der Rath von Goͤttingen zwey Raths-
freunde mit 40. Pferden ungefaͤhr auf 2. Stun-
den entgegen, und ſtellte 300. geharniſchte Buͤr-
ger an das Thor, wo ſie hereinkamen, da in-
zwiſchen die anderen Thore geſchloſſen gehalten
wurden. Die fuͤrſtlichen Herrſchaften wurden
hernach in verſchiedene Herbergen verlegt, und
mit einem Faſſe Eimbecker Bier, 10. Stuͤbchen
Wein, 10. Malter Haber ꝛc. beſchenkt (d).


Noch im Jahre 1571. ward der Rath derXV.
Stadt Goͤttingen von ihrem angebohrnen Landes-
fuͤrſten, Herzog Julius zu Braunſchweig, zu Ge-
vattern gebeten, und ſchickte zwey Rathsherren
mit einem Secretaͤr dahin, die Gevatterſchaft zu
uͤbernehmen. Auch der Erbprinz Henrich Julius
ließ im Jahre 1585. den Goͤttingiſchen Stadtrath
zur Feier ſeiner Vermaͤhlung mit einer Saͤchſiſchen
Prinzeſſinn nach Wolfenbuͤttel einladen; wo auch
die
[206]VIII. Folgen d. Weſtph. Fr. 1648-1657.
die Buͤrgermeiſter mit ihren Trabanten und noch
fuͤnf Knechten alle wohl ausſtaffiert erſchienen (e).
Damals fand ſich aber auch die Stadt noch meiſt
in ſolcher Aufnahme, wie man ums Jahr 1475.
allein von Tuch- und Zeugmachern 800. Meiſter
zu Goͤttingen gezehlt hatte, und wie man gewohnt
war, daß Kaufleute von Augsburg, Frankfurt,
Nuͤrnberg, Luͤbeck, Hamburg, Leipzig und Luͤne-
burg auf den Goͤttingiſchen Jahrmarkt kamen.
Auch hatte die Stadt nicht nur mehrere Doͤrfer,
ſondern auch ein ganzes benachbartes Amt, und
noch ein adeliches Gericht Pfandweiſe in Beſitz (f). ‒
Ich denke, dieſes einzige Beyſpiel kann hinlaͤng-
lich ſeyn, um ſich einigen Begriff davon zu ma-
chen, wie ſehr ſich der Zuſtand vieler, wo nicht
der meiſten Teutſchen Landſtaͤdte mit den Zeiten
des dreyßigjaͤhrigen Krieges und Weſtphaͤliſchen
Friedens geaͤndert hat.


VI.
[207]6) Verfaſſung der Reichsſtaͤdte.

VI.
Verfaſſung der Reichsſtaͤdte, wie ſie durch den
Weſtphaͤliſchen Frieden recht befeſtiget worden.


I. Alle Reichsſtaͤdte haben eine republicaniſche Regie-
rungsform; — II. III. nur mehr oder minder ariſtocra-
tiſch; — IV. zum Theil auch wohl democratiſch. — V. Ei-
nige haben noch Ueberbleibſel ehemaliger Reichsvogteyen. —
VI. Uebrigens hat eine jede Reichsſtadt jetzt ihre Landes-
hoheit. — VII. Der Kaiſer erhebt aber noch eine jaͤhrliche
Steuer aus einigen Reichsſtaͤdten; — uͤbt auch ſonſt wohl
noch mehr Gewalt uͤber Reichsſtaͤdte als uͤber andere Reichs-
ſtaͤnde aus.


Nun habe ich nur noch uͤbrig, auch von unſerenI.
Reichsſtaͤdten etwas zu gedenken, da ſolche
unter der bisher beſchriebenen Verfaſſung der Teut-
ſchen Fuͤrſtenthuͤmer und Grafſchaften nicht begrif-
fen ſind, ſondern wieder ihre einer jeden eigenthuͤm-
liche Verfaſſung haben. Man wuͤrde ſich ſehr ir-
ren, wenn man daͤchte, daß vielleicht alle Reichsſtaͤdte
in ihrer innerlichen Einrichtung auf einerley Fuß
geſetzt waͤren. Nein, auch hier hat Teutſche Frey-
heit das zuwegegebracht, daß eine jede Stadt ihre
innere Einrichtung voͤllig nach ihrer eignen Con-
venienz hat machen koͤnnen. Zwar das haben
Reichsſtaͤdte mit anderen Teutſchen Staͤdten ge-
mein, daß ein Collegium, das gemeiniglich den
Namen Buͤrgermeiſter und Rath fuͤhret, die Obrig-
keit der Stadt ausmacht. In ſo weit haben alſo
alle Reichsſtaͤdte eine republicaniſche Regierungs-
form,
daß keine derſelben etwa von einem ein-
zelnen Befehlshaber auf monarchiſchen Fuß regie-
ret
[208]VIII. Folgen d. Weſtph. Fr. 1648-1657.
ret wird. Vielmehr iſt dadurch, daß die meiſten
Reichsſtaͤdte das ehemalige kaiſerliche Recht, einen
Reichsvogt oder Reichsſchultheißen in einer jeden
Reichsſtadt zu halten, mit der im Weſtphaͤliſchen
Frieden feſtgeſetzten Unwiederloͤslichkeit der Reichs-
pfandſchaften auf beſtaͤndig an ſich gebracht haben,
ihre republicaniſche Freyheit jetzt auf feſten Fuß
geſetzt. Aber ob nun der Magiſtrat in der Reichs-
ſtadt ariſtocratiſch, oder mit Zuziehung der Buͤr-
gerſchaft mehr oder minder democratiſch die Regie-
rung zu fuͤhren habe, das iſt noch eine ganz an-
dere Frage.


II.

In vielen Reichsſtaͤdten hat es hieruͤber manch-
mal blutige Auftritte gegeben, da oft die Gilden
gewaltſam der Obrigkeit ſich widerſetzt haben, wenn
dieſelbe ihrer Meynung nach deſpotiſch und unrecht
zu Werke gehen wollen. Nachdem alsdann der
eine oder der andere Theil in ſolchen buͤrgerlichen
Kriegen den kuͤrzern gezogen, und mehr oder min-
der nachtheilige Vergleichsvertraͤge eingehen muͤßen;
oder nachdem auch manchmal die Beſchwerden an
den Kaiſer oder an eines der hoͤchſten Reichsge-
richte gediehen, und von dieſen Gerichtsſtellen ſel-
ber oder durch kaiſerliche Localcommiſſionen Ent-
ſcheidungen erfolget ſind; hat bald der Magiſtrat,
bald die Buͤrgerſchaft den Vortheil auf ihrer Seite
erhalten.


III.

So gibt es einige Reichsſtaͤdte, die ſehr ari-
ſtocratiſch
regiert werden, wie die Reichsſtadt
Nuͤrnberg; zum Theil auf eine ſolche Art, die
von allen Regierungsformen die gehaͤſſigſte iſt,
daß beynahe auf den Fuß einer erblichen Ariſtocratie
gewiſſe
[209]6) Verfaſſung der Reichsſtaͤdte.
gewiſſe adeliche oder patriciſche Geſchlechter aus-
ſchließlich oder doch vorzuͤglich in den Rath zu kom-
men berechtiget ſind. Verſchiedentlich hat das je-
doch ſo gemildert werden muͤßen, daß keine nahe
Verwandte zu gleicher Zeit im Rathe ſeyn duͤrfen,
und daß außer einigen etwa privilegirten Geſchlech-
tern doch auch andere vom Buͤrgerſtande zum Ra-
the genommen werden muͤßen; oder auch, daß in
Beſtimmung der jedesmal zu befoͤrdernden Perſo-
nen theils die Buͤrgerſchaft mittelſt eines zu thuen-
den Vorſchlages oder auch mit einer Excluſivſtim-
me mit beywirken kann, oder theils auch das Loos
unter mehreren den Ausſchlag zu geben gebraucht
wird.


In vielen Reichsſtaͤdten hat ſich der MagiſtratIV.
allerley Arten von Einſchraͤnkungen muͤßen gefallen
laßen, als daß zu Abfaſſung neuer Geſetze, zu
Einfuͤhrung neuer Auflagen, zu willkuͤhrlichen Aus-
gaben, die uͤber gewiſſe Summen gehen, zu Ver-
aͤußerungen gemeiner Stadtguͤter u. ſ. w. die Ein-
willigung der Buͤrgerſchaft erfordert wird, daß
derſelben die Rechnungen uͤber Einnahme und Aus-
gabe vorgelegt werden muͤßen, und was dergleichen
mehr iſt. Das alles macht nun zwar noch keine
eigentliche Democratie aus, ſo lange nicht der Ma-
giſtrat als ein der geſammten Stadt und Buͤrger-
ſchaft ſubordinirtes Collegium anzuſehen iſt. Man
hat auch nicht noͤthig, eine aus Ariſtocratie und
Democratie vermiſchte Regierungsform daraus zu
machen. Sondern ſo, wie Monarchien in ſolche,
die durch Staͤnde eingeſchraͤnkt, oder es nicht ſind,
eingetheilt werden, ſo laßen ſich auch zweyerley
Gattungen von Ariſtocratien denken, nachdem die
P. Entw. d. Staatsverf. Th.II. OAri-
[210]VIII. Folgen d. Weſtph. Fr. 1648-1657.
Ariſtocratien entweder in gewiſſen Faͤllen an Ein-
willigung des Volks gebunden ſind, oder alles nur
fuͤr ſich thun koͤnnen. Und jene Gattung einge-
ſchraͤnkter ariſtocratiſcher Regierungsform iſt ei-
gentlich die, welche in den meiſten Reichsſtaͤdten,
wo die Buͤrgerſchaft in wichtigen Dingen ihre Ein-
willigung zu geben hat, wuͤrklich obwaltet. In-
zwiſchen hat in mancher Reichsſtadt, z. B. ſelbſt
in Hamburg, als ein Grundſatz angenommen wer-
den muͤßen, daß das Kyrion (τὸ κύριον, mit die-
ſem Griechiſchen Worte hat man da die eigentliche
Regierungsmacht auszudruͤcken geſucht,) nicht dem
Magiſtrate alleine, ſondern dem Rathe und der
Buͤrgerſchaft insgeſammt zuſtehe.


V.

Alles uͤbrige beruhet nun in jeder Reichsſtadt
auf ganz beſonderen Beſtimmungen. Nur einige
haben ſich doch der ehemaligen Reichsvogteyen
nicht ganz entledigen koͤnnen, wo nehmlich benach-
barte Reichsſtaͤnde noch jetzt ſolche hergebracht ha-
ben, wie das Churhaus Pfalz von wegen Juͤlich
und Berg in Aachen, und Heſſendarmſtadt zu Wetz-
lar. Von wegen ſolcher Hoͤfe wird alsdann ein
eigner Beamter in der Stadt, worin ſie die Vog-
tey haben, gehalten; uͤber die damit verbundenen
Gerechtigkeiten pflegt es aber oft zu Streitigkeiten
zu kommen, z. B. uͤber das Recht der Beſatzung,
uͤber Ausuͤbung der peinlichen Gerichtbarkeit, uͤber
Einmengung in Polizeyſachen u. d. g. Bey man-
chen Reichsſtaͤdten iſt es nur eine Art von Schutz-
gerechtigkeit, die ein benachbarter Reichsſtand
ausuͤbt, wie z. B. das Haus Braunſchweig zu
Goslar.


Uebri-
[211]6) Verfaſſung der Reichsſtaͤdte.

Uebrigens ſteht jetzt einer jeden Reichsſtadt inVI.
ihrem Gebiete ſowohl innerhalb als außer ihren
Ringmauern unſtreitig das Recht der Landesho-
heit
eben ſo gut, als den hoͤheren Reichsſtaͤnden,
zu. Doch wird ſolche nicht ſowohl dem Magiſtra-
te fuͤr ſich, als einer jeden Stadt im Ganzen zuge-
ſtanden. Und einiger Unterſchied laͤßt ſich doch von
anderen Reichsſtaͤnden wahrnehmen. Denn da
dieſe z. B. gemeiniglich als Vaſallen dem Kaiſer
den Lehnseid ſchwoͤren und darum keine beſon-
dere Huldigung leiſten, ſo iſt bey den Reichsſtaͤd-
ten, die fuͤr ſich nicht lehnbar ſind, wenn ſie gleich
zufaͤlliger Weiſe auch Lehnguͤter beſitzen koͤnnen,
doch noch uͤblich, daß ſowohl Buͤrgerſchaft und
Beſatzung, (wenn welche da iſt,) als der Magi-
ſtrat der Stadt jedem neuen Kaiſer huldigen muͤ-
ßen; es ſey nun, daß der Kaiſer dieſe Huldigung
in Perſon empfaͤngt, wie noch nach der Kaiſerkroͤ-
nung zu Frankfurt bisher uͤblich geweſen, oder daß
er einen kaiſerlichen Commiſſarien dazu ernennt,
oder daß auch der Stadt, wie jetzt vielfaͤltig zu ge-
ſchehen pflegt, Dispenſationsweiſe geſtattet wird,
durch einen Agenten zu Wien den Huldigungseid
vermoͤge beſonderer Vollmacht vom Magiſtrate und
der ganzen Buͤrgerſchaft in ihre Seele ablegen zu
laßen.


Von einer jaͤhrlichen Steuer, welche der Kai-VII.
ſer ehedem aus allen Reichsſtaͤdten zu erheben hat-
te, haben ſich zwar viele in neueren Zeiten frey ge-
macht. Viele ſind aber auch noch in dem Falle,
daß ſie jaͤhrlich eine ſolche Steuer abtragen muͤßen,
wie z. B. von der Stadt Frankfurt alle Herbſte
O 22784.
[212]VIII. Folgen d. Weſtph. Fr. 1648-1657.
2784. Gulden bezahlt werden (g). Bey man-
chen Gelegenheiten iſt es doch auch ſonſt nicht zu
verkennen, daß der kaiſerliche Hof uͤber Reichs-
ſtaͤdte ſich ungleich mehr herauszunehmen pflegt,
als es uͤber andere Reichsſtaͤnde gewoͤhnlich iſt.


VII.
Verfolg der Geſchichte nach dem Weſtphaͤli-
ſchen Frieden. Roͤmiſche Koͤnigswahl. Reichs-
hofrathsordnung. Reichsabſchied 1654.


I. Roͤmiſche Koͤnigswahl Ferdinands des IV.II.
Juͤngſter Reichsabſchied. — III. IV. Reichshofrathsordnung. —
V. Der Reichsſtaͤnde Erinnerungen dawider, und daruͤber
erfolgtes kaiſerliches Decret. — VI. Der juͤngſte Reichsab-
ſchied gedenkt des Reichshofraths nur in wenigen Stellen;
in den meiſten ſpricht er nur vom Cammergerichte. — VII.
Die heutigen Cammerzieler nehmen hier ihren Anfang; —
VIII. wie auch das heutige Praͤſentationsweſen. — IX. X.
Um die Reviſion am Cammergerichte wieder in Gang zu brin-
gen ward eine Viſitation beſchloſſen, die von fuͤnf Claſſen,
jeder von 24. Staͤnden vorgenommen werden ſollte, die aber
erſt nach 100. Jahren zu Stande kam, und doch verungluͤck-
te. — X. Die Anzahl der Rechtsſachen am Cammergerichte
verminderte ſich inzwiſchen durch erhoͤhete Appellationsſum-
men und Privilegien; — XI. wogegen Verſchickung der
Acten geſtattet, oder eigne Oberappellationsgerichte angelegt
werden mußten. — XII. XIII. Erneuerte Executionsordnung,
und den Reichsſtaͤnden geſtattete Beyziehung der Untertha-
nen zu Unterhaltung noͤthiger Feſtungen und Beſatzungen.


I.

Unmittelbar nach dem Weſtphaͤliſchen Frieden
und deſſen endlich ſo weit vollbrachten Execu-
tionshandlungen war eine allgemeine Erwartung
des
[213]7) R. H. R. O. u. R. A. 1654.
des Reichstages, auf welchem ſo viele vom Frie-
den ſelbſt dahin verwieſene wichtige Gegenſtaͤnde
noch zu eroͤrtern uͤbrig waren. Ferdinand der III.
erließ zwar ſchon am 27. Apr. 1652. die gewoͤhn-
lichen Ausſchreiben, beſage deren der Reichstag
im October 1652. zu Regensburg eroͤffnet werden
ſollte. Aber er bewirkte noch erſt zu Augsburg
den 21. May 1653. die Roͤmiſche Koͤnigswahl
ſeines Sohns Ferdinands des IV., wodurch ſchon
die im Weſtphaͤliſchen Frieden gemachte Hoffnung
zu einer zwiſchen den Churfuͤrſten und den uͤbrigen
Staͤnden zu treffenden Abrede wegen der Roͤmi-
ſchen Koͤnigswahlen und einer beſtaͤndigen Wahl-
capitulation vorerſt zur großen Unzufriedenheit der
Fuͤrſten zuruͤckgeſetzt wurde; wiewohl der baldige
Tod Ferdinands des IV. († 1654. Jun. 29.) doch
wieder einen großen Querſtrich machte.


Zu den Berathſchlagungen des ReichstagesII.
wurde erſt am 17. Jun. 1653. mit der kaiſerlichen
Propoſition der Weg geoͤffnet. Kein volles Jahr
nachher (1654. May 17.) erfolgte auch diesmal
noch ein Reichsabſchied, der ſeitdem der letzte in
ſeiner Art geblieben iſt, und daher noch immer der
juͤngſte Reichsabſchied heißt. Deſſen ausfuͤhr-
licher Inhalt betraf hauptſaͤchlich einige Verbeſſe-
rungen des Reichsjuſtitzweſens, wie ſie groͤßten-
theils im Jahre 1643. von der damaligen Reichs-
deputation waren vorbereitet geweſen. Viele Re-
ſtitutionen, die noch vom Weſtphaͤliſchen Frieden
her von wegen der Amneſtie oder Beſchwerden
uͤbrig geblieben waren, und alle uͤbrige Geſchaͤffte,
die der Friede auf dieſen Reichstag verwieſen hat-
te, wurden von neuem auf eine anderweite Reichs-
O 3depu-
[214]VIII. Folgen d. Weſtph. Fr. 1648-1657.
deputation oder auf einen kuͤnftigen Reichstag aus-
geſetzt.


III.

Wegen des Reichshofraths war inſonderheit
das ganze Reich in der Erwartung geweſen, daß
der Kaiſer auf dem Reichstage in Vortrag brin-
gen wuͤrde, eine demſelben beſonders angemeſſene
Gerichts- und Proceßordnung abzufaſſen. Nach
der buchſtaͤblichen Vorſchrift des Weſtphaͤliſchen
Friedens, daß ohne Berathſchlagung und Einwil-
ligung des Reichstages keine Geſetze mehr gemacht
werden ſollten (h), hatten ſie feſt darauf gerechnet,
daß auch eine Reichshofrathsordnung nicht an-
ders als mittelſt einer vollſtaͤndigen Reichstags-
berathſchlagung zu Stande gebracht werden koͤnnte.
Ferdinand der III. hatte es aber auf den Fuß ge-
nommen, wie ehedem Ferdinand der I., Rudolf
der II. und Matthias ſchon Reichshofrathsordnun-
gen oder vielmehr Inſtructionen fuͤr die Reichshof-
raͤthe fuͤr ſich alleine gemacht hatten (i). Un-
term 16. Maͤrz 1654. ließ er eine nur unter ſei-
nem Namen vollzogene Reichshofrathsordnung be-
kannt machen, ohne erſt des Reichs Genehmigung
daruͤber abzuwarten.


IV.

In dieſer neuen Reichshofrathsordnung war
das Hauptwerk aus vorgedachten aͤlteren Ordnun-
gen oder Inſtructionen beybehalten; ein und an-
ders aus demjenigen, was bey der Reichsdeputa-
tion 1643. vorgekommen war, mit eingeruͤckt; und
das meiſte, was der Weſtphaͤliſche Friede verord-
net
[215]7) R. H. R. O. u. R. A. 1654.
net hatte, buchſtaͤblich uͤberſetzt; vieles aber auch
ſo eingerichtet, daß es der Abſicht des Friedens gar
nicht entſprach. Da es z. B. im Frieden hieß:
daß die Cammergerichtsordnung auch am Reichs-
hofrathe durchgaͤngig beobachtet werden ſollte (k);
erklaͤrte jetzt die Reichshofrathsordnung: daß die
Reichshofraͤthe des Cammergerichts Ordnung ſo-
viel moͤglich
beobachten ſollten. Dabey ward aber
jetzt die ſchon 1617. in des K. Matthias Ordnung
eingeruͤckte Stelle wiederholet, daß der Reichshof-
rath inſonderheit, was die Subſtanz des Proceſſes
betreffe, nicht davon abweichen, ſonſt aber an un-
noͤthige Gerichtsſollennien keinesweges gebunden
ſeyn ſollte. — Ein Umſtand, der ſich daraus er-
laͤutert, weil man mit Beziehung auf einige Stel-
len des Roͤmiſch-Juſtinianiſchen Geſetzbuchs be-
hauptete, wie ſchon bey mehreren Gelegenheiten
vorgekommen war, daß die hoͤchſte Gerichtsſtelle
unter den Augen des Monarchen an ſubtile Rechts-
foͤrmlichkeiten ſo genau nicht gebunden ſey, ſon-
dern gleichſam mit offenen Segeln verfahren koͤn-
ne. — In einer andern Stelle hatte der Weſt-
phaͤliſche Friede wegen der Viſitation des Reichs-
hofraths ſich auf dasjenige bezogen, was auf dem
Reichstage daruͤber ausgemacht werden wuͤrde.
Ferdinand der III. ließ es aber hinwiederum bey
dem bewenden, was der Friede verordnet hatte (l).


Die
O 4
[216]VIII. Folgen d. Weſtph. Fr. 1648-1657.
V.

Die Reichsſtaͤnde unterließen nun zwar nicht,
ihre Erinnerungen wider dieſe Reichshofrathsord-
nung bey jeder Gelegenheit anzubringen. Sie er-
hielten aber nicht eher, als im Jahre 1714. ein
durch ſolche wiederholte Erinnerungen bewirktes
Decret, worin Carl der VI. noch einige Dinge be-
ſonders einſchaͤrfte (m). Darauf bezog ſich her-
nach eine Stelle in den neueren Wahlcapitulatio-
nen
[217]7) R. H. R. O. u. R. A. 1654.
nen (ſeit 1742.), wodurch die Reichshofrathsord-
nung nebſt demjenigen, was in jener Verordnung
1714. aus den Erinnerungen der Staͤnde einge-
ruͤckt ſey, proviſoriſch zur Richtſchnur empfohlen
ward, ”bis von Kaiſer und Reich eine den heuti-
gen Umſtaͤnden gemaͤß eingerichtete vollſtaͤndige
Reichshofrathsordnung verfaſſet werden koͤnne.”
Wovon der Erfolg nun noch immer zu erwarten
ſeyn wird.


Im Reichsabſchiede 1654. kam nur einmalVI.
gleichſam im Vorbeygehen vor: der Kaiſer habe
uͤber die ſchon bey den Weſtphaͤliſchen Friedens-
handlungen vorgekommene Frage, wie es mit
Schuldnern, die im Kriege zuruͤckgekommen, ge-
halten werden ſollte, ”ſowohl vom Reichshofrathe
als vom Cammergerichte” Bericht erfordert (n).
Hernach kam noch eine Stelle, wo verordnet wur-
de, daß, wenn jemand gegen die Executionsord-
nung am Reichshofrathe oder Cammergerichte Pro-
ceſſe
(m)
O 5
[218]VIII. Folgen d. Weſtph. Fr. 1648-1657.
ceſſe ſuchen wuͤrde, er nicht gehoͤrt, ſondern gleich
abgewieſen werden ſollte (o). Außerdem wurde
aber des Reichshofraths in dieſem Reichsabſchiede
nicht gedacht, und bey den vielen Verordnungen,
die fuͤr den Proceß darin enthalten waren, nie vom
Reichshofrathe, oder uͤberhaupt von zwey hoͤchſten
Reichsgerichten, ſondern nur vom Cammergerichte
geſprochen; ungeachtet kein Zweifel iſt, daß eben
die Vorſchriften, die hier dem Cammergerichte ge-
geben ſind, auch dem Reichshofrathe zur Richt-
ſchnur dienen muͤßen. (Die meiſten Verordnun-
gen, die hier fuͤr das Cammergericht gemacht wur-
den, waren ſchon von der Reichsdeputation 1643.
vorbereitet, da die Frage von der reichsgerichtli-
chen Concurrenz des Reichshofraths noch nicht ſo
ausgemacht war. Vielleicht war das die Urſache,
daß auch in dieſem Reichsabſchiede noch nicht der
Reichshofrath, ſondern nur das Cammergericht
ausdruͤcklich zum Gegenſtande der Geſetzgebung ge-
nommen wurde.)


VII.

Vom Cammergerichte handelte der Reichs-
abſchied, der groͤßtentheils mit deſſen Angelegen-
heiten angefuͤllet war, deſto ausfuͤhrlicher. Man
nahm fuͤr bekannt an, daß in Gefolg des Weſt-
phaͤliſchen Friedens dieſes Tribunal jetzt mit funf-
zig Aſſeſſoren beſetzt werden ſollte, deren jeder, wie
man jetzt feſtſetzte, tauſend Rthlr. (oder 2000.
Gulden) zur Beſoldung haben ſollte. Man be-
ſchloß deswegen auch, die Cammergerichts-Matri-
kel, oder das Verzeichniß, was ein jeder Reichs-
ſtand jaͤhrlich in zwey halbjaͤhrigen Zielern zur Un-
terhaltung des Cammergerichts beytragen ſollte,
dar-
[219]7) R. H. R. O. u. R. A. 1654.
darnach verhaͤltnißmaͤßig zu erhoͤhen, und die Zahl
der Zieler in den jaͤhrlichen Berechnungen vom Jah-
re 1654. an neu anzufangen (wie man ſie auch ſeit-
dem noch immer fortfuͤhrt, ſo daß bis zu Ende des
Jahrs 1785. das 263te Ziel berechnet worden.)
Man konnte ſich deſto eher ſchmeicheln, daß es an
den noͤthigen Geldbeytraͤgen nicht fehlen wuͤrde,
weil ausdruͤcklich im Reichsabſchiede verordnet wur-
de: ”es ſolle den Staͤnden bevorſtehen, ihre Land-
ſtaͤnde, Buͤrger und Unterthanen zur Beyhuͤlfe
zu ziehen” (p).


Die Churfuͤrſten und Kreiſe, von denen dieVIII.
Aſſeſſoren praͤſentirt werden ſollten, ſaͤumten nicht
die noͤthigen Anſtalten dazu zu machen. Auf ei-
nem Niederſaͤchſiſchen Kreistage verglich man ſich
uͤber fuͤnf Maͤnner, die dazu auserſehen waren.
Allein die Gelder, die wuͤrklich einliefen, reichten
kaum hin, uͤberhaupt 13. Aſſeſſoren mit ihren Be-
ſoldungen zu verſehen. Sobald ſich Praͤſentirte
uͤber dieſe Zahl einfanden, mußten ſie, wenn ſie
anders der Gottgefaͤlligen Juſtitz zu Ehren nicht
umſonſt arbeiten wollten, ſo lange zuruͤckreiſen, bis
wieder ſo viele Stellen erlediget waren, daß ſie
die Reihe traf einruͤcken zu koͤnnen. Alſo blieb
das Cammergericht immerfort nur mit einer gerin-
gen Anzahl Maͤnner beſetzt, die der Menge Arbei-
ten bey weitem nicht gewachſen waren. Gewiſſen
Nachrichten zufolge ſollten ſchon im Jahre 1620.
uͤber 50. tauſend Stuͤcke Acten in den Cammerge-
richtsgewoͤlbern uneroͤrtert gelegen haben (q). Wenn
die
[220]VIII. Folgen d. Weſtph. Fr. 1648-1657.
die Zahl auch vielleicht uͤbertrieben iſt, laͤßt ſich doch
ſicher annehmen, daß eine ungeheure Menge Rechts-
ſachen, die von einem Jahre zum andern noch im-
mer anwuchs, immer uneroͤrtert uͤbrig bleiben
mußten (r).


IX.

Eine gleiche Bewandtniß hatte es mit den vie-
len Reviſionen, deren ſeit 1582. keine mehr war
eroͤrtert worden; deren Anzahl aber eben deswegen
zugenommen hatte, weil es damals gnug war, nur
ein Reviſionsgeſuch anzubringen, um gegen die
Vollziehung des Urtheils, das man dadurch an-
focht, geſichert zu ſeyn. Damit war nun natuͤr-
lich beynahe das ganze Anſehen des Gerichts ver-
lohren gegangen, weil den Partheyen, wenn ſie
auch mit Muͤhe und Koſten ein Urtheil erhielten,
doch keinen Vortheil davon hatten, ſobald ihr Ge-
gner nur mit einem Reviſionsgeſuche die Rechts-
kraft und Vollſtreckung des Urtheils hemmte.


X.

Um hierwider Rath zu ſchaffen, beſchloß der
Reichsabſchied, daß am 1. Nov. 1654. eine auſ-
ſerordentliche Reichsdeputation von 24. Reichs-
ſtaͤnden nach der Religionsgleichheit ſich zu Speier
einfinden, und naͤchſt Verrichtung der Viſitation
die Reviſionsſachen unter Hand nehmen ſollten, zu
welchem Ende die 24. Staͤnde in vier Senate ver-
theilt werden ſollten. Am 1. Nov. 1655. ſollten
24.
[221]7) R. H. R. O. u. R. A. 1654.
24. andere Staͤnde die erſteren abloͤſen; hernach
halbjaͤhrig ferner ſolche Abloͤſungen geſchehen, bis
die alten Reviſionsſachen erlediget ſeyn wuͤrden.
Man verglich ſich deswegen uͤber fuͤnf ſolche Claſ-
ſen jedesmaliger 24. Staͤnde beider Religionen,
wie ſie ſich nach einander abloͤſen ſollten. Wenn
man damit fertig waͤre, ſollte alsdann die ehemali-
ge Art der ordentlichen Viſitationen nach einem
daruͤber inzwiſchen zu verabredenden Entwurfe wie-
der in Gang gebracht werden. Allein aus der gan-
zen Sache wurde nichts. (Nicht eher, als im
May 1767. kam die Viſitation, die ſchon im Nov.
1654. geſchehen ſollte, in Gang; und leider nahm
im May 1776. auch jene vom May 1767. bis da-
hin fortgewaͤhrte Viſitation ein ungluͤckliches Ende.)
Zum Gluͤck wurde noch im Reichsabſchiede 1654.
ausgemacht, daß von nun an keine Reviſion mehr
die Vollziehung der Urtheile hindern ſollte, wenn
anders der obſiegende Theil Caution leiſten wuͤrde,
auf den Fall, wenn uͤber kurz oder lang ein refor-
matoriſches Reviſionsurtheil erfolgen ſollte, das
erhaltene zuruͤckzugeben. Doch wie wenige ſind
im Stande, eine ſolche Caution zu Stande zu
bringen?


Die Anzahl der Rechtsſachen, die an das Cam-XI.
mergericht gelangten, wurde dadurch etwas gemin-
dert, daß die bisherige geſetzliche Appellations-
ſumme,
unter welcher niemanden dahin zu appel-
liren geſtattet werden ſollte, diesmal von 300. auf
600. Gulden erhoͤhet wurde (s). Verſchiedene
Reichs-
[222]VII. Folgen d. Weſtph. Fr. 1648-1657.
Reichsſtaͤnde haben noch hoͤhere Summen, unter
welchen von ihren Gerichten nicht appellirt werden
ſollte, durch kaiſerliche Privilegien ausgewirkt (t).
Einige haben ſogar unbeſchraͤnkte Befreyung von
allen Appellationen erhalten (u).


Da-

(s)


[223]7) R. H. R. O. u. R. A. 1654.

Damit gleichwohl die Unterthanen durch ſolcheXII.
Beſchraͤnkung der Appellation an die Reichsgerich-
te nicht die Wohlthat einer weitern Inſtanz ver-
loͤhren, ward ihnen vorbehalten, in ſolchen Sa-
chen, die nicht appellabel waͤren, doch um Revi-
ſion und Verſchickung der Acten an ein unpar-
theyiſches Rechtscollegium zu bitten (v). Oder
man erwartete, daß ein von der Appellation an
die Reichsgerichte gaͤnzlich befreyter Reichsſtand
an deren Stelle in ſeinem Lande ein eignes Ober-
appellationsgericht
errichtete, wie ſolches zu
Dresden und Berlin geſchehen, und im Weſtphaͤ-
liſchen Frieden der Krone Schweden zur Pflicht
gemacht
(u)
[224]VIII. Folgen d. Weſtph. Fr. 1648-1657.
gemacht war, das Tribunal zu Wismar anzu-
legen (w).


XIII.

Von dem uͤbrigen Inhalte des juͤngſten Reichs-
abſchiedes verdienet nur noch eine Stelle hier er-
wehnt zu werden, wo in Beziehung auf vorige
Reichsabſchiede die Executionsordnung von
neuem eingeſchaͤrft wurde, ſowohl wider auswaͤr-
tige Gewalt als etwa hervorbrechende Empoͤrun-
gen die erforderliche Huͤlfleiſtung mit wuͤrklicher
ſtarker Hand unverzuͤglich ins Werk zu richten,
auch deswegen die Stellen der Kreisoberſten uͤber-
all zu beſetzen. Dabey wurde am Ende noch hin-
zugefuͤgt, daß ”eines jeden Churfuͤrſten und Stan-
„des Landſaſſen, Unterthanen und Buͤrger zu Be-
„ſetzung und Erhaltung der einem oder anderm
„Reichsſtande zugehoͤrigen noͤthigen Feſtungen,
„Plaͤtze und Garniſonen ihren Landesfuͤrſten, Herr-
„ſchaften und Oberen mit huͤlflichem Beytrage ge-
„horſamlich an Hand zu gehen ſchuldig ſeyn” ſoll-
ten (x). Dieſe Stelle wurde ſeitdem vielfaͤltig
dazu benutzt, den Landſchaften es zur Schuldig-
keit anzurechnen, daß ſie auch ohne ihre Einwilli-
gung ſowohl zu den hier benannten Gegenſtaͤnden
als beſage der oben (y) ſchon vorgekommenen Stel-
le auch zu den Cammerzielern mit Steuern beleget
werden koͤnnten.


XIV.

Hiergegen widerſetzten ſich verſchiedene Land-
ſchaften, die ſich auf ihre Vertraͤge und herge-
brach-
[225]7) R. H. R. O. u. R. A. 1654.
brachte Verfaſſung beriefen, vermoͤge deren der
Landesherr ſolche Ausgaben von ſeinen Cammer-
einkuͤnften zu beſtreiten ſchuldig ſey, uͤberall aber
keine Steuer ohne ihre Einwilligung ſtatt finden
koͤnne. Allein nach dem ſubordinirten Verhaͤlt-
niſſe, worin alle Teutſche Landſchaften unter Kai-
ſer und Reich ſtehen, ließ ſich wohl nicht bezwei-
flen, daß ein allgemeines Reichsgeſetz, worin fuͤr
die gemeinſame Wohlfahrt des ganzen Reichs etwas
neues verordnet wurde, auch von jeder einzelnen
Landſchaft befolget werden muͤße. Die Landſchaf-
ten haben auch, fruͤh oder ſpaͤt, doch endlich durch-
gaͤngig ſich dazu bequemen muͤßen. Jene von
neuem vorgeſchriebene Wahlen der Kreisoberſten
ſind aber auch diesmal nicht zur Vollziehung ge-
kommen. In den meiſten Kreiſen haben die kreis-
ausſchreibenden Fuͤrſten dieſe Stelle oder doch die
derſelben beygelegten Vorzuͤge ſich ſelbſten zuge-
eignet.


P. Entw. d. Staatsverf. Th.II. PVIII.
[226]VIII. Folgen d. Weſtph. Fr. 1648-1657.

VIII.
Streit der beiden Religionstheile uͤber das ſo
genannte Simultaneum.


I. II. Unter dem Namen Simultaneum kam die Frage
auf: ob ein catholiſcher Landesherr zum Vortheile ſeiner Re-
ligion in einem evangeliſchen Lande, wo im Jahre 1624.
keine catholiſche Religionsuͤbung geweſen, dieſelbe einfuͤhren
koͤnne? — III. Der Weſtphaͤliſche Friede geſtattet derglei-
chen nur zwiſchen Lutheriſchen und Reformirten, — IV. oder
in wiedereingeloͤſeten verpfaͤndeten Laͤndern, — V. oder wo
Herr und Land von einerley Religion ſind. — VI Nur in
dieſem Falle bleibt es beym Reformationsrechte als einem
Territorialrechte; Wo Herr und Land verſchiedener Religion
ſind, gilt bloß das Entſcheidungsjahr. — VII. Beides ſind
zwey neben einander beſtehende Regeln; nicht jenes Regel,
dieſes Ausnahme. — VIII. Sonſt kann man auch nicht ſa-
gen, daß evangeliſche Unterthanen behalten, was ſie haben,
wenn ihnen das Simultaneum aufgedrungen wird. — IX.
Hier gilt auch nicht die Vergleichung mit Fremdlingen von
anderer Religion, die nur aus Gnaden aufgenommen ſind. —
XXII. Alles das erlaͤutern die beſonderen Faͤlle, die
gleich anfangs vorgekommen ſind, — von Hildesheim, —
XIII. von Pfalzſulzbach, — XIV. von Hoͤrter, — XV.
von Wertheim; — XVI. wobey man von catholiſcher Seite
immer ſtuffenweiſe zu Werke gieng.


I.

Nebſt den geſetzlichen Verordnungen, die im
Reichsabſchiede 1654. zu Stande gebracht
wurden, kamen auf dieſem Reichstage ſonſt noch
einige Sachen von großer Wichtigkeit vor, die
nicht alle ihre voͤllige Erledigung erhielten; inſon-
derheit wo ſich unter den beiden Religionsthei-
len eine Ungleichheit ihrer Geſinnungen hervorthat.


II.

Eine der wichtigſten Angelegenheiten, worin
beide Religionstheile uͤber den Sinn des Weſtphaͤ-
liſchen
[227]8) Simultaneum.
liſchen Friedens verſchiedene Meynungen hegten,
aͤußerte ſich ſchon auf dieſem Reichstage uͤber die
Frage: ob an einem Orte, oder in einem Lande,
wo in dem Entſcheidungsjahre 1624. nur die evan-
geliſche Religionsuͤbung im Gange geweſen, ein
catholiſcher Landesherr neben her noch die Uebung
ſeiner Religion (als ein ſimultaneum religionis
exercitium
) einfuͤhren koͤnne? (Mit dem einzigen
Worte: Simultaneum, hat man hernach dieſe
ganze Frage angedeutet, die bis auf den heutigen
Tag einen der wichtigſten Gegenſtaͤnde ausmacht,
woruͤber beide Religionstheile in Teutſchland unei-
nig ſind; nicht etwa bloß als theoretiſche Specula-
tion, ſondern eine Quelle, woraus der veraͤnderte
Religionszuſtand ganzer Laͤnder herzuleiten iſt; al-
ſo wohl der Muͤhe werth, der Sache etwas tiefer
auf den Grund zu gehen, und die dabey in Be-
trachtung kommenden hiſtoriſchen Vorfaͤlle zu ent-
wickeln.)


Der Osnabruͤckiſche Friede hatte im ſiebentenIII.
Artikel, der das Verhaͤltniß zwiſchen Lutheriſchen
und Reformirten
beſtimmte, ausdruͤcklich feſtge-
ſetzt, daß in einem Lutheriſchen Lande, das einem
reformirten Landesfolger zu Theil wuͤrde, oder deſ-
ſen Lutheriſcher Beſitzer ſich zur reformirten Reli-
gion bekennen wuͤrde, der reformirte Landesherr
berechtiget ſeyn ſollte, nicht nur fuͤr ſich einen re-
formirten Hofgottesdienſt zu halten, ſondern auch
reformirten Gemeinden im Lande ihre Religions-
uͤbung, nur ohne Nachtheil der Lutheriſchen, zu
geſtatten, und ſo umgekehrt auch ein Lutheriſcher
Landesherr in einem reformirten Lande Lutheriſche
Religionsuͤbung ohne uͤbrigens den Reformirten
P 2Ab-
[228]VIII. Folgen d. Weſtph. Fr. 1648-1657.
Abbruch zu thun (z). Bey der nahen Verwandt-
ſchaft, worin dieſe beiden Religionen mit einander
ſtanden, war es ſehr wohl zu begreifen, daß un-
ter ihnen gegenſeitig es ungleich weniger Bedenken
hatte, dergleichen einzuraͤumen, als catholiſchen
Landesherren in evangeliſchen Laͤndern. Im fuͤnf-
ten Artikel, wo das Verhaͤltniß zwiſchen Catholi-
ſchen und Evangeliſchen ſeine Beſtimmung erhielt,
war nun jener Vorbehalt, daß auch ein catholi-
ſcher Landesherr in einem evangeliſchen Lande noch
eine catholiſche Religionsuͤbung neben her einzu-
fuͤhren berechtiget ſeyn ſollte, gar nicht eingeruͤckt.
Das alleine konnte ſchon jeden Unpartheyiſchen be-
lehren, daß zwar zwiſchen Lutheriſchen und Refor-
mirten, aber keinesweges zwiſchen Catholiſchen und
Proteſtanten ein ſo genanntes Simultaneum dem
Sinne und Zuſammenhange des Weſtphaͤliſchen
Friedens gemaͤß ſey.


IV.

Nur als eine Ausnahme von der Regel verord-
nete der fuͤnfte Artikel des Osnabruͤckiſchen Frie-
dens, daß ein catholiſcher Landesherr, der ein ehe-
dem verpfaͤnderes Land, worin waͤhrender Pfand-
ſchaft die evangeliſche Religion eingefuͤhrt ſey, wie-
der einloͤſe, auch ſeine Religionsuͤbung wieder ein-
zufuͤhren berechtiget ſeyn ſolle (a). Da war aber
offenbar nur von dem ganz beſonderen Falle eines
verpfaͤndeten und wieder eingeloͤſeten Landes die
Rede. In anderen Faͤllen mußte nach der Ab-
ſicht des Friedens unſtreitig das Gegentheil ſtatt
finden; ſonſt waͤre es nicht noͤthig geweſen, dieſe
Ver-
[229]8) Simultaneum.
Verordnung nur auf dieſen beſondern Fall einzu-
ſchraͤnken.


Noch deutlicher ergibt ſich aber aus dem gan-V.
zen Zuſammenhange des fuͤnften Artikels, inſon-
derheit aus der Verbindung, worin §. 30. und 31.
unmittelbar auf einander folgen, daß man die
zweyerley ganz verſchiedenen Faͤlle vor Augen ge-
habt hat, auf deren Auseinanderſetzung ſelbſt nach
der Natur der Sache hier alles ankoͤmmt; nehm-
lich einmal den Fall, wenn Landesherr und Un-
terthanen einerley Religion
ſind; davon han-
delt §. 30., und laͤßt es da billig bey dem Rechte,
das ein jeder Regent, der mit ſeinem Lande einer-
ley Religion iſt, in Anſehung fremder Religions-
verwandten ausuͤben kann, wie z. B. das Chur-
haus Hannover zu Hannover, Zelle, Goͤttingen
auf ſolche Art einen catholiſchen Gottesdienſt ge-
ſtatten koͤnnen, und Joſeph der II. jetzt in ſeinen
Erblanden die Duldung der evangeliſchen Reli-
gionsuͤbung einfuͤhren koͤnnen; welches alles ge-
dachter §. 30. unter dem Namen des Reforma-
tionsrechts (ius reformandi) in ſich faſſet. Ein
ganz anderer Fall aber iſt es, wenn evange-
liſche Unterthanen einen catholiſchen Lan-
desherrn
haben, und dieſer nun zum Vortheile
ſeiner Religion Aenderungen im Lande vornehmen
will. Da ſetzt der §. 31. im fuͤnften Artikel zur
einzigen Richtſchnur das Entſcheidungsziel des
Jahres 1624. Wie es damals war, ſo muß es
in dem Falle bleiben. War da in einer Stadt,
oder in einem Dorfe oder Flecken nur evangeliſcher
Gottesdienſt, ſo darf der catholiſche Landesherr da
P 3auch
[230]VIII. Folgen d. Weſtph. Fr. 1648-1657.
auch keinen anderen Gottesdienſt neben her einfuͤh-
ren. Alſo gilt da kein Simultaneum.


VI.

Nach dieſer in der Sache ſelbſt liegenden Aus-
einanderſetzung der beiden Paragraphen, worauf
es hier ankoͤmmt (b), iſt es gewiß nicht die Abſicht
geweſen, jenen §. 30., worin das Recht zu refor-
miren oder anderen Glaubensgenoſſen ihre Reli-
gionsuͤbung zu geſtatten als ein Territorialrecht
anerkannt wird, zur Regel, und den §. 31., der
das Entſcheidungsjahr zur Richtſchnur ſetzt, zur
Ausnahme zu machen, und dadurch ein ſolches
Verhaͤltniß zwiſchen dieſen beiden Stellen des Frie-
dens zu begruͤnden, daß bey der erſtern als der Re-
gel eine noch ſo weit ausgedehnte, bey der andern,
als Ausnahme von der Regel, eine nie gnug ein-
zuſchraͤnkende Auslegung ſtatt finden muͤßte. Nein,
beide Paragraphen koͤnnen als zwey gleich kraͤftige
Regeln, die nur zweyerley ganz verſchiedene Faͤlle
vor Augen haben, ganz wohl mit einander beſte-
hen; Nehmlich §. 30. wenn Herr und Land einer-
ley, §. 31. wenn ſie verſchiedener Religion ſind.
In jenem Falle ließ man es bey der Regel, daß
die Aufnahme und zu geſtattende Religionsuͤbung
anderer Religionsverwandten von der landesherr-
lichen Gewalt abhange. Im andern Falle gab
man eine ganz andere eben ſo allgemeine Regel,
daß da alles nach dem Entſcheidungsziele des Jahrs
1624. gehalten werden ſollte.


VII.

Die Verbindung der beiden §§., wie ſie un-
mittelbar auf einander folgen, gibt das deutlich
gnug zu erkennen. Im §. 30. heißt es: das
Recht,
[231]8) Simultaneum.
Recht, das einem jeden Reichsſtande vermoͤge der
Landeshoheit in Anſehung der Religion zukomme,
ſolle ungekraͤnkt bleiben. Gleich darauf heißt es
§. 31.: Deſſen ungeachtet ſollen jedoch evangeli-
ſche Unterthanen eines catholiſchen Landesherren ih-
re Religionsuͤbung mit allem Zugehoͤre ſo behal-
ten, wie ſie ſolche zu irgend einer Zeit des Jahres
1624. gehabt haben. In Beziehung auf dieſe
Verordnung werden hernach in dem darauf folgen-
den §. 33. alle Urtheile, Vertraͤge und Verglei-
che, die mit dem Religionszuſtande, wie er im
Jahre 1624. geweſen, nicht uͤbereinſtimmen, fuͤr
nichtig und unkraͤftig erklaͤret, mit dem ausdruͤck-
lichen Zuſatze: daß nur die Obſervanz des Jah-
res 1624. als Regel gelten ſolle (c).


Wenn alſo gleich im §. 31. nur der AusdruckVIII.
vorkam: daß evangeliſche Unterthanen eines catho-
liſchen Landesherrn behalten ſollten, was ſie im
Jahre 1624 gehabt haͤtten; ſo war doch damit
nicht die Meynung, daß ſie zufrieden ſeyn muͤßten,
wenn ihnen im ſtrengſten Verſtande eigentlich
nichts genommen wuͤrde, und daß hingegen nichts
dabey zu erinnern waͤre, wenn gleich neben dem
Gottesdienſte, den ſie im Jahre 1624. fuͤr ſich
alleine gehabt haͤtten, jetzt neben her auch noch ein
catholiſcher Gottesdienſt eingefuͤhret wuͤrde. Gnug
wo 1624. nur einerley Religionsuͤbung geweſen
war, und jetzt zweyerley Gottesdienſt ſeyn ſollte,
da
P 4
[232]VIII. Folgen d. Weſtph. Fr. 1648-1657.
da konnte man nicht ſagen, daß es bey der auf
dieſen Fall nun einmal zur Regel angenommenen
Obſervanz des Jahres 1624. bliebe; ohne zu ge-
denken, wie wenig zu erwarten war, daß den Pro-
teſtanten nichts genommen werden wuͤrde, wenn
ſie einen catholiſchen Landesherrn haben, deſſen
Schutz und Gunſt alsdann ſeine Glaubensgenoſſen
bald immer weiter zu benutzen ſuchen wuͤrden, wie
die Erfahrung bald nur zu ſehr lehrte, daß in
ſolchen Faͤllen ſowohl Kirchen als Kirchenguͤter und
Theilnehmung aller Einkuͤnfte und Pfarrgebuͤhren
in Anſpruch genommen wurden. Einige Schrift-
ſteller haben zwar nachher ein ſchaͤdliches und un-
ſchaͤdliches Simultaneum von einander unterſchei-
den, und dem Scheine nach doch nur letzteres ver-
theidigen wollen. Aber die Erfahrung hat am be-
ſten gelehret, daß ein unſchaͤdliches Simultaneum
nach catholiſchen Grundſaͤtzen gar nicht zu erwarten
war; und, was gnug iſt, mit der Richtſchnur des
Entſcheidungsjahrs, die nun einmal Regel ſeyn
ſoll, kann gar kein Simultaneum beſtehen.


IX.

Eine Hauptbetrachtung, die auch hier nicht
außer Acht zu laßen iſt, beruhet in allen den Ver-
haͤltniſſen, die zwiſchen der catholiſchen und evan-
geliſchen Religion in Frage kommen, allemal auf
der irrigen Vorſtellung, die beſonders von den Je-
ſuiten ausgebreitet und unterhalten wurde, als ob
die evangeliſche Religion zur catholiſchen in dem
Verhaͤltniſſe ſtaͤnde, wie ein Fremdling, der in
einem Lande neu aufgenommen wuͤrde, und allen-
falls nur das, was ihm einmal geſtattet ſey, im
engſten Begriffe fuͤr ſich behaupten koͤnne; da hin-
gegen diejenigen, die ihn aufgenommen, immer
die
[233]8) Simultaneum.
die Vermuthung fuͤr ſich haͤtten, daß alles, was
ſie vorher gehabt, und dem Fremdlinge nicht aus-
druͤcklich eingeraͤumet haͤtten, von ihnen jedesmal
mit Recht zuruͤckgenommen und nur fuͤr ſich behau-
ptet werden koͤnnte (d). Hoͤchſtens wuͤrde dieſe
Vergleichung paſſen, wenn ein catholiſcher Staat z.
B. Spanien Proteſtanten als Coloniſten aus an-
dern Laͤndern unter gewiſſen Bedingungen aufge-
nommen haͤtte. Aber auf unſere Teutſche evange-
liſche Staͤdte und Laͤnder, deren eingebohrne Ein-
wohner und Unterthanen nicht etwa als Fremdlin-
ge aufgenommen, ſondern ihre Religion nach ver-
aͤnderten Einſichten und mit Einſtimmung ihrer
Obrigkeiten geaͤndert hatten, wie ſollte da jene Ver-
gleichung paſſen? Wie ſollten nicht vielmehr gera-
de im Gegentheile nach der Vergleichung catholi-
ſche nur als Fremdlinge in einem evangeliſchen Lan-
de angeſehen werden, wenn auch gleich die Perſon
des Landesherrn catholiſch geblieben, oder wie der
Fall am haͤufigſten ſich ereignet hat, durch eine
Religionsveraͤnderung von ſeiner Seite oder ver-
moͤge einer auf ihn gefallenen Succeſſion catho-
liſch geworden war? So lange ſolche Vorſtellun-
gen und Geſinnungen obwalteten, konnten Prote-
ſtanten, die einen catholiſchen Landesherrn hatten,
ſich wenig Hoffnung machen, in ungeſtoͤhrtem Be-
ſitze ihres Religionszuſtandes vom Jahre 1624.
her zu bleiben.


Schon vor dem Weſtphaͤliſchen Frieden hat-X.
ten ſich einige Faͤlle ereignet, wo ſich dieſe Geſin-
nungen deutlich gnug zu erkennen gaben. Im
Bi-
P 5
[234]VIII. Folgen d. Weſtph. Fr. 1648-1657.
Biſthum Hildesheim, deſſen groͤßten Theil ſeit
1523. das Haus Braunſchweig ingehabt hatte,
war faſt durchgaͤngig die evangeliſche Religion an-
genommen worden. Aber im Jahre 1643. wur-
de der Herzog Chriſtian Ludewig von Braunſchweig
genoͤthiget, dem damaligen Churfuͤrſten Ferdinand
von Coͤlln, der zugleich Biſchof von Hildesheim
war, das ſo genannte große Stift, oder den groͤ-
ßern Theil des Landes, ſo das Haus Braunſchweig
bis dahin in ſeinem Beſitz erhalten hatte, mittelſt
eines zu Braunſchweig am 17. (27.) Apr. 1643.
daruͤber errichteten Receſſes wieder abzutreten (e).
Bey dieſer Gelegenheit wurde an eben dem Tage
der Religion wegen noch ein beſonderer Nebenre-
ceß errichtet, vermoͤge deſſen fuͤr den evangeliſchen
Adel nur noch auf 70., fuͤr die uͤbrigen Untertha-
nen auf 40. Jahre der oͤffentliche Gottesdienſt fer-
ner ſtatt finden ſollte. Doch ſollte dem Churfuͤr-
ſten als Biſchofe von Hildesheim und ſeinen Nach-
folgern frey ſtehen, die oͤffentliche catholiſche Reli-
gionsuͤbung uͤberall daneben einzufuͤhren; ſo, daß,
wo an einem Orte zwey Kirchen vorhanden, eine da-
von den Catholiſchen uͤberlaßen werden ſolle. Wo
aber nur eine Kirche waͤre, ſollte beiden Theilen
zugelaßen ſeyn, in derſelben zu verſchiedenen Zei-
ten und Stunden ihren Gottesdienſt zu uͤben.
Auch ſollten zu dem Ende Beichtſtuͤhle, Canzeln,
Klocken, Schluͤſſel und Kirchhoͤfe beiden ſowohl
Catholiſchen als Evangeliſchen gemein ſeyn (f).


Wie
[235]8) Simultaneum.

Wie dieſer Vertrag dem nachher bey den Weſt-XI.
phaͤliſchen Friedenshandlungen verglichenen Ent-
ſcheidungsziele des Jahrs 1624. gaͤnzlich entgegen
war, und alſo vermoͤge der Stelle des Friedens,
welche alle demſelben entgegenlaufende Vertraͤge
fuͤr nichtig erklaͤrte, nicht beſtehen konnte; ſo gab
ſich der catholiſche Religionstheil bey den Friedens-
handlungen alle Muͤhe, dieſen Hildesheimiſchen
Vertrag doch mittelſt einer ausdruͤcklichen Ausnah-
me von jener Nichtigerklaͤrung zu retten. Allein
gerade im Gegentheile wurde vielmehr im Frieden
ſelbſt bey eben der Stelle noch ausdruͤcklich hinzu-
gefuͤgt, daß namentlich auch dieſer wegen des Hil-
desheimiſchen Religionsweſens im Jahre 1643.
geſchloſſene Vertrag als null und nichtig angeſehen
werden ſollte, nur neun Kloͤſter ausgenommen,
die ohne Ruͤckſicht auf das Jahr 1624. auf catho-
liſchen Fuß bleiben ſollten (g).


Nun konnte das nachher ſo genannte Simul-XII.
taneum nicht deutlicher beſchrieben werden, als es
hier geſchehen war. Waͤre es alſo der Abſicht des
Friedens nicht zuwider geweſen; ſo haͤtte es ja gar
keine Schwierigkeit haben koͤnnen, wenigſtens die-
ſes Simultaneum, eben ſo wie die ausdruͤcklich
ausbehaltenen neun Kloͤſter, aus dem nichtig er-
klaͤrten Vertrage beyzubehalten. Da dieſes aber
nicht geſchah, lag offenbar hierin ein neuer Be-
weis, daß das Simultaneum gegen den Zuſtand
der Religion, wie er im Jahre 1624. an jedem
Orte geweſen, der Abſicht des Weſtphaͤliſchen Frie-
dens allerdings nicht gemaͤß ſey. — Und den-
noch war auch nach dem Frieden das Biſthum
Hil-
[236]VIII. Folgen d. Weſtph. Fr. 1648-1657.
Hildesheim wieder eines der erſten, wo die Sache
von neuem rege gemacht wurde, indem den Capu-
cinern zu Hildesheim ein Kloſter, das ſie im Jah-
re 1624. nicht beſeſſen hatten, jetzt von neuem ein-
geraͤumt und hergeſtellt werden ſollte; woruͤber die
Sache eben auf dem Reichstage 1653. in Bewe-
gung kam.


XIII.

Ein anderer Fall entſtand aus dem oben ſchon
einmal erwehnten Verhaͤltniſſe zwiſchen Pfalzneu-
burg und Pfalzſulzbach(h). Hier hatte der
Pfalzgraf von Neuburg am 17. Jul. 1628. erſt
im voͤlligen Geiſte der gewaltſamen Gegenreforma-
tion Befehle ergehen laßen: ”daß alle Kirchen-
und Schuldiener, die ſich zur catholiſchen Reli-
gion nicht bequemen wollten, ſich in drey Wochen
aus dem Lande begeben ſollten, desgleichen alle
Beamten in ſechs Monathen, ohne daß auch bis
dahin ihnen geſtattet ſeyn ſollte, einigen Lutheri-
ſchen Gottesdienſt zu beſuchen ꝛc.” (i). Wie die-
ſe Befehle durch das nachher verglichene Entſchei-
dungsziel vermoͤge des Weſtphaͤliſchen Friedens ih-
re Kraft verlohren; ſo ſuchte Pfalzneuburg noch
nach dem Frieden wenigſtens das Simultaneum
im Sulzbachiſchen einzufuͤhren; Das gab Gele-
genheit, daß Bamberg bey den Friedens-Execu-
tionshandlungen (1650. Aug. 3.) ſchon den Na-
men Simultaneum gebrauchte, und es zu verthei-
digen ſuchte. Die Evangeliſchen erwiederten aber
gleich damals: ob einem ſein Haus verbleibe, wenn
ein
[237]8) Simultaneum.
ein anderer ſich zur Haͤlfte mit eindringen wollte? (k)
Auch der Reichshofrath, ob er gleich damals noch
bloß aus catholiſchen Mitgliedern beſtand, war
dennoch ſelbſt der Meynung, daß ſich dieſes Sulz-
bachiſche Simultaneum nicht vertheidigen laße (l).
Inzwiſchen nahm auch hier die Sache nachher eine
andere Wendung, da der Pfalzgraf Chriſtian Au-
guſt von Sulzbach, der 1632. ſeinem Vater Au-
guſt gefolget war, am 30. Dec. 1655. ſich eben-
falls zur catholiſchen Religion bekannte (m).


Ein dritter Vorfall ereignete ſich zu Hoͤxter,XIV.
in einer an der Weſer gelegenen Stadt, die zur
Abtey Corvey gehoͤret, aber unter des Hauſes
Braunſchweig Schutzgerechtigkeit ſtehet. Hier
war ebenfalls im Entſcheidungsjahre 1624. nur
evangeliſche Religionsuͤbung geweſen. Der Abt
zu Corvey fuͤhrte aber auch da das catholiſche Si-
multaneum ein. Bey dieſer Gelegenheit wurde
(1651. Maͤrz 19.) zuerſt der Grundſatz geaͤußert:
daß das landesherrliche Reformationsrecht die Re-
gel ausmache, das Entſcheidungsjahr nur als eine
Ausnahme davon zu betrachten ſey (n).


Endlich war auch noch in Wertheim der be-XV.
ſondere Fall, daß von mehreren Grafen von Loͤ-
wen-
[238]VIII. Folgen d. Weſtph. Fr. 1648-1657.
wenſtein, welche die Grafſchaft Wertheim gemein-
ſchaftlich beſaßen, ein Graf Johann Dieterich,
der in Spaniſchen Kriegsdienſten war, ſchon im
Jahre 1621. ſich zur catholiſchen Religion bekannt,
aber bis ins Jahr 1631. ſich in einer Niederlaͤn-
diſchen Herrſchaft Rochefort aufgehalten hatte.
Als derſelbe hernach zu Wertheim wider Willen
ſeiner evangeliſchen Stammsvettern und Mitregen-
ten das catholiſche Simultaneum einfuͤhren woll-
te; kam es auch da zur Sprache.


XVI.

Alle dieſe Faͤlle waren jedoch nur geringe Vor-
ſpiele von dem, was nachher noch nach dieſen
Grundſaͤtzen durchgeſetzt worden; wobey ſich deut-
lich wahrnehmen laͤßt, wie man, vielleicht mit gu-
tem Vorbedachte, ſtuffenweiſe nach und nach da-
mit zu Werk gegangen iſt. Ungeachtet der Hil-
desheimiſche Fall deutlich gnug zeigt, daß man
catholiſcher Seits dieſe Grundſaͤtze ſchon vor Er-
oͤffnung der Friedenscongreſſe zu Muͤnſter und Os-
nabruͤck geheget hat; ſo geſchah doch bey den Frie-
denshandlungen ſelber keine Aeuſſerung davon;
wahrſcheinlich um nicht etwa zu veranlaßen, daß
wohl gar das Gegentheil ausdruͤcklich im Frieden
verordnet werden moͤchte. Bey den Executions-
handlungen fieng man ſchon an, Verſuche einer
fuͤr das Simultaneum guͤnſtigen Auslegung des
Friedens zu machen. Auf dem Reichstage 1653.
wurden nun eigene gleichſam problematiſch geſchie-
nene Fragen daruͤber aufgeworfen (o). Deren
Er-
[239]8) Simultaneum.
Eroͤrterung blieb aber auf einen Reichsdeputations-
tag, der zunaͤchſt gehalten werden ſollte, ausge-
ſetzt; womit zugleich auch alles, was noch von
Reſtitutionen wegen Amneſtie und Beſchwerden
uͤbrig war, dahin verſchoben blieb.


(o)


IX.
[240]VIII. Folgen d. Weſtph. Fr. 1648-1657.

IX.
Fortgeſetzte collegialiſche Berathſchlagungen des
evangeliſchen Religionstheils.


IIII. Bev den Berathſchlagungen, welche die evan-
geliſchen Reichsſtaͤnde uͤber das Simultaneum und andere Re-
ligionsbeſchwerden anzuſtellen hatten, bekam Churſachſen von
neuem das Directorium zu fuͤhren. — IV. So bekam das
Corpus der evangeliſchen Staͤnde ſeine heutige Verfaſſung, —
V. wozu der Weſtphaͤliſche Friede den Grund der Gerechtſa-
me, als Corpus zu handeln, voͤllig befeſtiget hatte, — VI.
ſo gut, wie jeder Reichskreis ein Corpus ausmacht. —
VII. Erſt in neueren Zeiten hat man angefangen, den Na-
men Corpus anzufechten; — VIII. IX. wobey jedoch die
Evangeliſchen große Urſache haben zu beharren.


I.

Mit den Fragen, die uͤber das Simultaneum
in Bewegung kamen, ſtand noch eine wichtige
Sache in Verbindung, welche die Art und Weiſe
betraf, wie der evangeliſche Religionstheil, oder
wie nun der Ausdruck nach und nach gewoͤhnlich
wurde, das Corpus der evangeliſchen Staͤnde
(corpus euangelicorum,) auf eben dieſem
Reichstage ſeine Berathſchlagungen und ein eignes
Directorium von neuem in Gang brachte.


II.

Es kam nehmlich bald am Anfange dieſes
Reichstages vor, wie die evangeliſchen Staͤnde
wahrnaͤhmen, daß verſchiedene ihrer Glaubensge-
noſſen ſchon gegen den Weſtphaͤliſchen Frieden be-
ſchwert waͤren, und daß uͤber die Auslegung eini-
ger Stellen des Friedens Streitigkeiten aufgewor-
fen wuͤrden. Wie ſie nun Nachricht erhielten, daß
die
[241]9) Corpus der evangel. Staͤnde.
die Catholiſchen unter ſich ſchon daruͤber gefaſſet
waͤren, und alſo noͤthig fanden, auch ihres Orts
daruͤber in Berathſchlagung zu treten, um das,
was ſie im Frieden erhalten, nicht alſobald wie-
der zu verliehren; ſo erſuchten ſie Churſachſen, wie
es ſchon in vorigen Zeiten der evangeliſchen Sa-
chen ſich eifrig angenommen habe, auch jetzt wie-
der das Directorium in den evangeliſchen Con-
ferenzen
zu uͤbernehmen; welches ſonſt, wenn
Churſachſen Schwierigkeit machen ſollte, dem Mag-
deburgiſchen Geſandten einsweilen zu uͤbertragen
ſeyn wuͤrde (p).


Von den Zeiten des Schmalkaldiſchen BundesIII.
her hatte Churſachſen, als der damalige erſte evan-
geliſche Reichsſtand, ſchon bey allen Berathſchla-
gungen der evangeliſchen Reichsſtaͤnde das Dire-
ctorium gefuͤhret. Nur in den Zeiten, da vor
dem dreyßigjaͤhrigen Kriege die proteſtantiſche
Union geſchloſſen war, hatte Churpfalz, ſo noch
uͤber Churſachſen den Rang hatte, als Haupt der
Union, wovon ſich ohnedem Churſachſen damals
zuruͤckhielt, die evangeliſchen Sachen zu dirigiren
bekommen. Hernach hatte ſeit Guſtav Adolfs Zei-
ten ſowohl waͤhrenden Krieges, als bey den Weſt-
phaͤliſchen Friedenshandlungen, meiſt die Krone
Schweden alles zu beſorgen gehabt. Jetzt war
aber Churſachſen wieder der erſte evangeliſche
Reichsſtand, und bekam nun billig wieder, wie
ehedem, das Directorium in den Berathſchlagun-
gen des evangeliſchen Religionstheils.


Der
P. Entw. d. Staatsverf. Th.II. Q
[242]VIII. Folgen d. Weſtph. Fr. 1648-1657.
IV.

Der Stoff zu dieſen Berathſchlagungen
wurde nun immer haͤufiger. Es geſchah ſehr oft,
daß ein jeder Religionstheil dem andern ſeine Mey-
nung zu erklaͤren hatte; daß alſo beide Theile, als
zwey moraliſche Perſonen, mit einander handel-
ten; daß ein jeder Theil in ſolcher Abſicht zuvor
unter ſich Berathſchlagungen anſtellen, und ge-
meinſame Schluͤſſe faſſen mußte. Alles das war
ſchon ſeit dem erſten Anfange der Religionstren-
nung her geſchehen, und der urſpruͤnglichen Frey-
heit der Teutſchen Reichsſtaͤnde voͤllig angemeſſen,
die von je her nach ihren beſonderen Verhaͤltniſſen
eigne Berathſchlagungen anſtellen und Schluͤſſe
faſſen konnten, wie z. B. die beſonderen Verfaſſun-
gen der Churfuͤrſten, der reichsſtaͤdtiſchen Ver-
ſammlungen, der graͤflichen Collegien, und ſelbſt
der Kreiſe auf ſolche Art ihren Urſprung genommen
hatten.


V.

Nur im Anfange hatte man zum Theil immer
noch einige Hoffnung gehabt, daß noch eine Ver-
einigung der beiden Religionstheile moͤglich ſeyn,
und alſo deren Trennung nicht auf beſtaͤndig fort-
waͤhren moͤchte. Zum Theil war auch im Streit
geweſen, ob und wie weit eine ſolche Trennung
beider Religionstheile ſtatt finden koͤnne, und was
fuͤr rechtliche Wirkungen davon abhangen ſollten.
Nunmehr hatte aber der Weſtphaͤliſche Friede zur
ewigen Richtſchnur angenommen, daß ein Reli-
gionstheil dem andern voͤllig gleich gehalten wer-
den, daß keiner uͤber den andern mit Mehrheit der
Stimmen ein Uebergewicht behaupten, und daß
uͤber jede Verletzung des Friedens ein geſammter
Religionstheil mit dem beleidigten Theile ſowohl
in
[243]9) Corpus der evangel. Staͤnde.
in Rathſchlaͤgen als mittelſt vereinigter Kraͤfte
gemeine Sache zu machen berechtiget ſeyn ſollte.
Alſo war jetzt bey der Vereinigung aller Staͤnde
von einerley Religion vollends nichts mehr zu erin-
nern. Und es war ſchon laͤngſt vorher zu ſehen
geweſen, daß eine Vereinigung der beiden Reli-
gionen ſich nicht mehr hoffen ließe; daß alſo die
Einrichtungen, die ein jeder Religionstheil jetzt
in Anſehung ſeiner Berathſchlagungen und ferner
zu faſſenden Schluͤſſe machte, eben ſo fortwaͤhrend
bleiben wuͤrden, wie auf aͤhnliche Art ein jeder
Kreis ein eignes immer fortwaͤhrendes Corpus
ausgemacht hatte.


So wenig es alſo widerſprechend war, wennVI.
das geſammte Corpus der Reichsſtaͤnde, in ſo fern
als es ſich nach der Lage der Laͤnder in zehn Theile
zergliedert hatte, jetzt zehn Corpora ausmachte; ſo
wenig war auch dabey zu erinnern, daß in ſofern,
als die beiden Religionstheile ſich trennten, jetzt
ein jeder Religionstheil ein eignes Corpus aus-
machte; wie nach und nach der ganz ſchickliche
Ausdruck: Corpus der evangeliſchen Staͤnde, und
Corpus der catholiſchen Staͤnde, und daß bei-
de Religionstheile de corpore ad corpus mit
einander handelten, aufgekommen war, und
in der Folge immer mehr gaͤnge und gaͤbe wurde.
Selbſt catholiſche Staͤnde trugen anfangs bey meh-
reren Gelegenheiten kein Bedenken den Namen Cor-
pus ſowohl von ihrem (q) als dem evangeliſchen
Religionstheile zu gebrauchen (r).


In
Q 2
[244]VIII. Folgen d. Weſtph. Fr. 1648-1657.
VII.

In der Folge moͤgen aber einige geglaubt ha-
ben, gewiſſe Abſichten eher durchſetzen zu koͤnnen,
wenn
(r)
(r)
[245]9) Corpus der evangel. Staͤnde.
wenn ſie nur mit evangeliſchen Staͤnden einzeln zu
thun haͤtten, und dieſen alle Mittel und Wege
geſammter Hand ſich zu vereinigen immer mehr
eingeſchraͤnkt oder gar benommen wuͤrden. Die
ſo geſinnt waren, haben nachher angefangen, des
Ausdrucks Corpus von beiden Religionstheilen ſich
nicht nur zu enthalten, ſondern ſo gar zu wider-
ſprechen, wenn der evangeliſche Religionstheil die-
ſe Benennung nach wie vor von ſich gebrauchte.
Oder man hat es nur mit dem Beyſatz: das an-
maßliche, oder das ſich ſo nennende Corpus, be-
nannt. Natuͤrlicher Weiſe hat das dem evangeli-
ſchen Religionstheile nicht gleichguͤltig ſeyn koͤnnen.
In einem hernach (1720 Nov. 16.) daruͤber an
den Kaiſer Carl den VI. erlaßenen Vorſtellungs-
ſchreiben hat man deswegen ſo gruͤndlich als nach-
druͤcklich geaͤußert, daß man zwar in Anſehung der
Benennung gleichguͤltig ſeyn koͤnnte, ob die ge-
ſammten evangeliſchen Reichsſtaͤnde als ein Cor-
pus, oder als ein Religionstheil, eine Gemein-
heit u. ſ. w. benannt werden moͤchten; daß es aber
deſto bedenklicher ſey, wenn die Abſicht, wie es
ſchie-
(r)
Q 3
[246]VIII. Folgen d. Weſtph. Fr. 1648-1657.
ſchiene, dahin gienge, mit dem Namen zugleich
die Sache ſelbſt, und die einmal im Weſtphaͤli-
ſchen Frieden ſo theuer erworbenen Rechte der ver-
einigten Berathſchlagung und Zuſammenhaltung
zu untergraben (s).


VIII.

Der Erfolg der Geſchichte hat es nur gar zu
oft gelehret, wie große Urſache der evangeliſche
Religionstheil hat, als Corpus zuſammen zu hal-
ten; wozu auf catholiſcher Seite freylich weit we-
niger Nothwendigkeit vorhanden iſt, da in den
Reichstagsberathſchlagungen ohnedem die Catholi-
ſchen ordentlicher Weiſe die Mehrheit der Stim-
men auf ihrer Seite haben, und da in einzelnen
Vorfaͤllen, wo der Unterſchied der Religion Ein-
fluß hat, gemeiniglich ein Proteſtant der leidende
Theil iſt. Selbſt die Verſchiedenheit der Reli-
gionsgrundſaͤtze bringt das mit ſich, daß Prote-
ſtanten, entfernt von Bekehrungsſucht oder Ver-
folgung anderer Religionsverwandten, gerne je-
dem duldend ſeine Gewiſſensfreyheit laßen; ſo
aber bey Catholiſchen, wenigſtens nach dem paͤbſt-
lichen und jeſuitiſchen Syſteme, der Fall bisher
nicht geweſen iſt.


IX.

Catholiſche Reichsſtaͤnde koͤnnten alſo, ohne
als Ein Corpus ſichtbar zu handeln, um ſo eher
zu rechte kommen, da ſie weder wider eine gegen-
theilige Mehrheit der Stimmen, noch wider Be-
ſchwerden, die ihnen zugefuͤgt werden, ſo leicht zu
kaͤmpfen haben, und da uͤberdas alle Mitglieder
der catholiſchen Kirche durch das genaue Band
der
[247]9) Corpus der evangel. Staͤnde.
der Unterwuͤrfigkeit, das ſie unter Einem Ober-
haupte und dem geſammten Clerus, als deſſen Un-
terbefehlshaber, ohnedem in ſolcher Vereinigung
gehalten werden, daß ſie keiner weitern beſonderen
Verbindung beduͤrfen. Daran fehlt es aber auf
Seiten der Proteſtanten dergeſtalt, daß, wenn
die evangeliſchen Staͤnde des Teutſchen Reichs
nicht noch als ein Corpus zuſammenhielten, die
Erhaltung ihrer Freyheit und der im Weſtphaͤli-
ſchen Frieden erworbenen Rechte bald auf ſchwa-
chen Fuͤßen ſtehen wuͤrde. Es war alſo weder
uͤberfluͤßig noch geſetzwidrig, daß der evangeliſche
Religionstheil gleich auf dem erſten Reichstage
nach dem Weſtphaͤliſchen Frieden ſich von neuem
auf den Fuß ſetzte, als ein Corpus ſein eigenes
Directorium und ſeine eigene Verfaſſung zu ha-
ben, um jedesmal gefaßt zu ſeyn, ſowohl Berath-
ſchlagungen anſtellen, als Schluͤſſe faſſen zu koͤn-
nen, wie es den Umſtaͤnden nach erforderlich ſeyn
moͤchte. Die erſte Conferenz wurde diesmal am
22. Jul 1653. beym Churſaͤchſiſchen Geſandten
gehalten.


Q 4X.
[248]VIII. Folgen d. Weſtph. Fr. 1648-1657.

X.
Stimmen der ſeculariſirten Laͤnder und einiger
neuen Fuͤrſten auf dem Reichstage berichtiget.
Neuer Deputationstag und Tod des
Kaiſers.


I. II. Im Reichsfuͤrſtenrathe bekamen die evangeliſchen
Biſthuͤmer eine eigene Querbank. — III. Die ſeculariſirten
Laͤnder kamen von der geiſtlichen Bank zur weltlichen hinuͤ-
ber, — als namentlich Bremen, — IV. Verden, —
V. Halberſtadt, Minden, Schwerin, Camin, Ratzeburg,
Hirſchfeld. — VI. Einigen nenen Fuͤrſten wurde zwar Sitz
und Stimme geſtattet; — VII. aber mit erheblichen Ver-
wahrungen fuͤr die Zukunft. — VIII. IX. Womit nunmeht
der Reichsfuͤrſtenrath vollends ſeine geſchloſſene Anzahl Stim-
men bekam, — X. indem jetzt auch die Curiatſtimmen der
Grafen und Praͤlaten auf den heutigen Fuß kamen. —
XI. Ende des Reichstages 1654. und Anfang der Reichsdepu-
tation 1655.


I.

Noch war verſchiedenes auf dieſem Reichstage
wegen der Stimmen im Reichsfuͤrſtenra-
the
zu berichtigen, da theils die Stelle, die den
vermoͤge des Weſtphaͤliſchen Friedens in proteſtan-
tiſche Haͤnde gekommenen Hochſtiftern anzuweiſen
ſey, theils die Aufnahme einiger neuen Stimmen
in Frage kam.


II.

Fuͤr das Biſthum Luͤbeck, das auf beſtaͤndig,
und fuͤr das Biſthum Osnabruͤck, das abwech-
ſelnd einen evangeliſchen Biſchof zu erwarten hat-
te, wie auch fuͤr den Saͤchſiſchen Prinzen, Auguſt,
der noch auf ſeine Lebenszeit das Erzbiſthum Mag-
deburg als Adminiſtrator behalten ſollte, war im
Weſt-
[249]10) Neue Stimmen im Fuͤrſtenrath.
Weſtphaͤliſchen Frieden ausgemacht, daß ein jeder
evangeliſcher geiſtlicher Fuͤrſt auf einer beſonderen
Querbank im Reichsfuͤrſtenrathe ſeinen Sitz neh-
men, ſeine Stimme aber in der bisher gewoͤhnli-
chen Ordnung ablegen ſollte (t).


Wegen der ſeculariſirten Stifter war im Frie-III.
den ſelbſt nur fuͤr Bremen ausgemacht, daß es auf
der weltlichen Bank den fuͤnften Platz einnehmen
ſollte (u), den es auch jetzt zwiſchen Pfalzneuburg
und Pfalzzweybruͤcken in Beſitz nahm. Nachher
hat aber doch Magdeburg, als es nach des Saͤch-
ſiſchen Prinzen Auguſts Tode (1680.) an Chur-
brandenburg fiel, den zweyten Platz auf der welt-
lichen Fuͤrſtenbank bekommen; da dann Bremen
billig zwiſchen Pfalzſimmern und Pfalzneuburg hin-
auf haͤtte ruͤcken muͤßen, wenn es den im Weſtphaͤ-
liſchen Frieden einmal erhaltenen fuͤnften Platz haͤt-
te behalten ſollen. Das iſt aber nicht geſchehen;
und ſo wird die Stimme vom Herzogthume Bre-
men, wie ſie jetzt das Haus Hannover zu fuͤhren
hat, wuͤrklich nicht nach Vorſchrift des Weſtphaͤ-
liſchen Friedens auf der fuͤnften, ſondern erſt auf
der ſechſten Stelle der weltlichen Fuͤrſtenbank ab-
gelegt.


Fuͤr das Herzogthum Verden mag wohl derIV.
Geſandte der Krone Schweden, die es damals be-
ſaß, es dahin gebracht haben, daß es gleich nach
der Stimme von Pommern folgte, und dieſe Stel-
le hernach, ungeachtet die Pommeriſchen Stimmen
ſelbſt
Q 5
[250]VIII. Folgen d. Weſtph. Fr. 1648-1657.
ſelbſt mit anderen altfuͤrſtlichen Stimmen nach ei-
ner verabredeten Alternationsordnung abwechſeln,
doch immer unveraͤndert behalten hat.


V.

Wegen der uͤbrigen ſeculariſirten Stifter
kam es erſt auf dieſem Reichstage im May 1654.
zur Richtigkeit, daß Halberſtadt unmittelbar nach
den Braunſchweigiſchen Stimmen noch vor den
alternirenden, Minden gleich nach Sachſenlauen-
burg, Schwerin, Ratzeburg und Hirſchfeld nach
Henneberg zu votiren kamen. Fuͤr Camin iſt erſt
1668. Der Platz zwiſchen Schwerin und Ratzeburg
ausgemacht worden.


VI.

Was andere neue Stimmen betrifft, die jetzt
erſt neu eingefuͤhrt werden ſollten, ſo hatte Ferdi-
nand der III. ſchon auf dem Reichstage 1641. er-
klaͤrt, daß er drey neue Fuͤrſten, von Hohenzollern,
von Eggenberg und von Lobkowitz, zu Sitz und
Stimme im Reichsfuͤrſtenrathe zugelaßen habe.
Die wuͤrkliche Einfuͤhrung kam aber damals nicht
zu Stande, weil Fuͤrſten und Churfuͤrſten dagegen
erinnerten, daß die beiden letztern, als bloß Oe-
ſterreichiſche Landſaſſen, keine unmittelbare Guͤter
im Reiche beſaͤßen, und keinem Kreiſe mit Bey-
traͤgen zu den gemeinen Beſchwerden des Reichs
und der Kreiſe zugethan waͤren, ohne welche Be-
dingungen keine Stimme im Fuͤrſtenrathe zuge-
laßen werden koͤnnte (v). Jetzt wurde angezeiget,
daß dieſe Bedingungen erfuͤllet ſeyen; worauf ſchon
am 30. Jun. 1653. die Einfuͤhrung beſagter drey
neuer Fuͤrſten im Fuͤrſtenrathe erfolgte. So wur-
den auch am 28. Febr. 1654. noch die Fuͤrſten von
Salm
[251]10) Neue Stimmen im Fuͤrſtenrath.
Salm, Dietrichſtein, Piccolomini, Auersberg,
jeder mit einer Stimme, und am 3. Maͤrz 1654.
die Fuͤrſten von Naſſau mit zwey Stimmen, nehm-
lich die catholiſche Linie von Hadamar und Siegen
mit einer, und die evangeliſche Linie von Dillen-
burg und Diez mit der andern, alſo zuſammen
neun neue fuͤrſtliche Stimmen auf dieſem Reichs-
tage eingefuͤhrt.


Alles das wurde auch im Reichsabſchiede (w),VII.
wiederholet, jedoch erſtlich mit der beygefuͤgten
Verwahrung, ”daß diejenigen, welche ohne vor-
hergegangene Vollziehung der ſchuldigen Praͤſta-
tionen, inſonderheit der unmittelbaren Beguͤterung
im Reiche, diesmal nur wegen ihrer perſoͤnlichen
Verdienſte im Fuͤrſtenrathe eingefuͤhret worden,
von niemanden uͤber kurz oder lang zum Praͤjuditz
angefuͤhrt oder zur Conſequenz gezogen, auch dieſe
Sitz und Stimme auf ihre Erben und Nachfolger
nicht extendirt werden ſollte, ſie haben ſich dann
mit unmittelbaren fuͤrſtenmaͤßigen Reichsguͤtern
verſehen.” Daneben wurde nun noch hinzuge-
fuͤgt: ”daß forthin ohne vorgehende Realerfuͤllung
aller nothwendigen und beſtimmten Requiſiten, in-
ſonderheit erſtgemeldter Beguͤterung, und ohne der
Churfuͤrſten und Staͤnde Vorwiſſen und Conſens
keiner zur Seſſion und Stimme im Fuͤrſtenrathe
zugelaßen werden ſollte.”


Die Sache war deswegen von großer Wichtig-VIII.
keit, weil ſonſt, wenn neue Fuͤrſten ſo leicht zu
Sitz und Stimme im Fuͤrſtenrathe gelangen koͤnn-
ten, der kaiſerliche Hof bald Mittel und Wege ge-
fun-
[252]VIII. Folgen d. Weſtph. Fr. 1648-1657.
funden haben wuͤrde, die Mehrheit der Stimmen
auf dem Reichstage immer auf ſeiner Seite zu ha-
ben, und alsdann mit Reichsſchluͤſſen, die nur
mit den meiſten Stimmen zu Stande gebracht
werden duͤrften, alles nach eignem Gutfinden durch-
zuſetzen. Der kaiſerliche Hof ſchien das fuͤr ſich
zu haben, daß in vorigen Zeiten alle Standeser-
hoͤhungen, wodurch der Kaiſer Grafen oder Praͤ-
laten zu Fuͤrſten erhoben hatte, auch auf dem
Reichstage mit Zulaßung ihres fuͤrſtlichen Sitz-
und Stimmrechts keine Schwierigkeit gefunden
hatten, wie die Beyſpiele der Haͤuſer Savoyen,
Holſtein, Wuͤrtenberg, Henneberg, und ſelbſt
des noch erſt 1576. in Fuͤrſtenſtand erhobenen
Hauſes Arenberg zum Beweiſe eines ſolchen Her-
kommens dienen konnten. Allein vors erſte war
bis ins XVI. Jahrhundert uͤberhaupt die Zahl der
Stimmen im Fuͤrſtenrathe, nachdem mehr oder
weniger Perſonen erſchienen, noch ſehr veraͤnder-
lich, und inſonderheit der Unterſchied der graͤflichen
Curiatſtimmen und der fuͤrſtlichen Virilſtimmen
vielleicht noch nicht ſo beſtimmt, wie jetzt; da dann
auch der Uebergang einer graͤflichen Stimme zur
fuͤrſtlichen, wenn es nur um einen hoͤhern Rang
zu thun geweſen waͤre, nicht ſoviel auf ſich gehabt
haben wuͤrde, als wenn nunmehr damit eine ganz
neue Stimme auf kommen, und die Zahl der fuͤrſt-
lichen Stimmen uͤberhaupt einen Zuwachs bekom-
men ſollte.


IX.

Hauptſaͤchlich aber konnte es nicht anders, als
aͤußerſt auffallend ſeyn, da die Ferdinande ſich nicht
mehr begnuͤgten, wie es ehedem nur geſchehen
war, alte reichsgraͤfliche Haͤuſer, deren Grafſchaf-
ten
[253]10) Neue Stimmen im Fuͤrſtenrath.
ten die Groͤße mancher Fuͤrſtenthuͤmer uͤbertrafen,
in Fuͤrſtenſtand zu erheben, ſondern gerade zu an-
fiengen, bloß adeliche Geſchlechter, die in den Oe-
ſterreichiſchen Erblanden nur als Landſaſſen beguͤ-
tert waren, erſt zu Grafen, hernach zu Fuͤrſten
zu machen. Wenn es dabey geblieben waͤre, haͤt-
ten nach und nach mehr Oeſterreichiſche Landſaſſen,
als urſpruͤnglich reichsſtaͤndiſche Familien, in den
Fuͤrſtenrath gebracht werden koͤnnen; — freylich
zum augenſcheinlichen Vortheile derer, die dem
kaiſerlichen Hofe eine unbeſchraͤnkte Macht uͤber
ganz Teutſchland beyzulegen wuͤnſchten; aber auch
in Vergleichung mit der wahren Teutſchen Ver-
faſſung ſo uͤbertrieben, daß daruͤber am Ende auch
dieſes kaiſerliche Vorrecht noch mehr als ehedem
eingeſchraͤnkt wurde. — Wahrſcheinlich haben
dieſe Umſtaͤnde ſchon auf dasjenige einen Einfluß
gehabt, was ich oben vom Jahre 1582. ange-
merkt habe, wie man von dieſem Jahre her eine
gewiſſe geſchloſſene Zahl der Stimmen im Fuͤrſten-
rathe angenommen hat (x).


Eben dieſe geſchloſſene Zahl der Stimmen be-X.
kam auch dadurch jetzt noch eine groͤßere Ruͤndung,
da endlich auch die ſaͤmmtlichen Curiatſtimmen
auf dieſem Reichstage voͤllig auf den heutigen Fuß
kamen. Bisher war nehmlich von allen Praͤlaten
nur eine Curiatſtimme uͤblich geweſen, und von
den Reichsgrafen hatte man unter dem Namen der
Wetterauiſchen und Schwaͤbiſchen Grafen insge-
ſammt nur zwey Stimmen gezehlt. Die Fraͤnki-
ſchen Grafen hatten aber ſchon geraume Zeit her
mit den Schwaͤbiſchen Grafen, mit denen ſie ſonſt
zuſam-
[254]VIII. Folgen d. Weſtph. Fr. 1648-1657.
zuſammengehalten hatten, wegen ihrer Religions-
verſchiedenheit nicht mehr gemeine Sache machen
koͤnnen, und daher ſchon auf dem vorigen Reichs-
tage 1640. eine eigne Curiatſtimme erhalten.
Nach dieſem Vorgange bekamen jetzt auch die noch
uͤbrigen Weſtphaͤliſchen Grafen auf gegenwaͤrtigem
Reichstage die vierte graͤfliche Curiatſtimme. Und
ſo brachten es endlich auch die Praͤlaten dahin, daß
ſie nach ihrer Abtheilung in zwey Baͤnke unter dem
Namen Schwaͤbiſche und Rheiniſche Praͤlaten eben-
falls zwey Curiatſtimmen erhielten; ſo daß nun-
mehr nach abgelegten ſaͤmmtlichen Virilſtimmen
aller geiſtlichen und weltlichen Fuͤrſten noch ſechs
Curiatſtimmen, nehmlich zwey Praͤlatiſche, und
vier graͤfliche, ebenfalls abwechſelnd von der geiſt-
lichen zur weltlichen Bank, folgten, und damit
von allen Stimmen im Fuͤrſtenrathe den Beſchluß
machten.


XI.

Nachdem endlich der Reichstag im May 1654.
mit dem oben beſchriebenen Reichsabſchiede geſchloſ-
ſen worden war; nahm die ordentliche Reichsde-
putation,
auf welche der Reichsabſchied haupt-
ſaͤchlich die vom Weſtphaͤliſchen Frieden her noch
ruͤckſtaͤndig gebliebenen Reſtitutionsfaͤlle verſchoben
hatte, am 13. Sept. 1655. zu Frankfurt am Main
ihren Anfang; ohne jedoch viel gedeiliches auszu-
richten. Durch den baldigen Tod des Kaiſers
(† 1657. Maͤrz 23.) und das darauf erfolgte In-
terregnum kam uͤberhaupt faſt alles in eine ziemlich
veraͤnderte Lage.


Neun-
[255]

Neuntes Buch.
Der neueren Zeiten ſechſter Abſchnitt
von den
Kaiſern Leopold und Joſeph dem I.
1657 — 1711.


I.
Interregnum und erſte Regierungsjahre Leo-
polds; inſonderheit Anfang des ſeitdem immer-
waͤhrend gewordenen Reichstages und deſſen
Verfaſſung 1657-1670.


I. Streit zwiſchen Churbaiern und Churpfalz uͤber das
Rheiniſche Reichsvicariat. — II. Thaͤtlichkeiten, die dar-
uͤber auf dem Wahlconvente vorfielen. — III. Wahl Leo-
polds, und deſſen Wahlcapitulation. — Vergleich zwiſchen
Churmainz und Churcoͤlln uͤber das Kroͤnungsrecht. — IV.
Pyrenaͤiſche und Oliviſche Friedensſchluͤſſe. — Unabhaͤngig-
keit des Herzogthums Preuſſen. — V. Rheiniſche Allianz
und andere reichsſtaͤndiſche Buͤndniſſe. — Ueberwaͤltigung
der Stadt Muͤnſter. — VI. Anfang des Reichstages, der
ſeitdem immerwaͤhrend geworden iſt. — VII. Damit ver-
aͤnderte Geſtalt des Reichstages, da derſelbe jetzt aus lauter
Bevollmaͤchtigten beſtehet; — VIII. die jetzt als Geſand-
ten behandelt werden. — IX. Die churfuͤrſtlichen Comi-
tialgeſandten wurden ſelbſt als Ambaſſadeurs characteriſirt,
und genoſſen viele Vorzuͤge vor den fuͤrſtlichen. — X. Dar-
uͤber ſind aber vielerley Colliſionen entſtanden. — XI. XII.
Im Namen des Kaiſers erſcheinen beym Reichstage Com-
miſſarien, — ein Fuͤrſt als Principalcommiſſarius und ein
Concommiſſarius. — XIII. Durch jenen laͤßt der Kaiſer
die Hauptpropoſition bey Eroͤffnung des Reichstages thun,
und in der Folge Commiſſionsdecrete an das Reich erge-
hen.
[256]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.
hen. — XIV. Vielerley Ceremonielſtreitigkeiten, ſo es ehe-
dem am Reichstage gegeben, und zum Theil noch gibt; —
XV. ingleichen Rangſtreitigkeiten. — Ein beſonderes Bey-
ſpiel davon bey Gelegenheit des ehemaligen Geſundheittrin-
kens. — XVI. Verſchiedene Arten der Legitimation der
Geſandten durch Creditive und Vollmachten. — XVII. Ge-
ſandten auswaͤrtiger Maͤchte, — deren Creditive ſind nur
an die Staͤnde oder deren Geſandten gerichtet. — XVIII.
Einige neue Fuͤrſten dieſer Zeit.


I.

Das Interregnum veranlaßte diesmal einen
heftigen Streit uͤber das Rheiniſche Reichs-
vicariat.
Der Churfuͤrſt von Baiern behauptete,
es gebuͤhre ihm, weil im Weſtphaͤliſchen Frieden
die ehemalige Pfaͤlziſche Chur mit allen Rechten
ſeinem Hauſe uͤbertragen ſey. In der Pfalz glaub-
te man hingegen, das Rheiniſche Reichsvicariat
ſey nicht ſowohl ein Zugehoͤr der Pfaͤlziſchen Chur,
als vielmehr ein der Wuͤrde eines Pfalzgrafen am
Rhein anklebendes Eigenthum, und alſo unter den
an Baiern mit der Pfaͤlziſchen Churwuͤrde uͤber-
tragenen Rechten nicht mit begriffen geweſen.
(Wenn man bedenkt, daß beym Reichsvicariate
die Ausuͤbung der oberſtrichterlichen Gewalt eines
der weſentlichſten Stuͤcke iſt, und daß urſpruͤnglich
die Wuͤrde eines Pfalzgrafen hauptſaͤchlich im Rich-
teramte beſtanden; ſo ſchienen die Pfaͤlziſchen
Gruͤnde von nicht geringem Gewichte zu ſeyn.
Bey der erſten Uebertragung der Pfaͤlziſchen Chur
an das Haus Baiern, wie ſie Ferdinand der II.
noch ohne einen Reichsſchluß bewerkſtelliget hatte,
war zwar das Vicariat unter den dazu gehoͤrigen
Rechten mit benannt worden. Im Weſtphaͤliſchen
Frieden ſelbſt war aber das Vicariat nicht mit
uͤbertragen. Es war auch ſchwer abzuſehen, was
die Churwuͤrde an ſich mit dem Vicariate fuͤr Ver-
bin-
[257]1) Anfang des beſtaͤnd. Reichst.
bindung haben ſollte. Inzwiſchen ſchien es auf
der andern Seite vielleicht jetzt mehr Schwierigkeit
zu haben, daß der Churfuͤrſt von der Pfalz, der
nunmehr unter den Churfuͤrſten der unterſte im
Range war, dieſes große Vorrecht in Uebung ha-
ben ſollte.) Der Churfuͤrſt von Baiern, der vom
Tode des Kaiſers eher Nachricht haben konnte,
als der Churfuͤrſt von der Pfalz, nahm gleich das
Vicariat in Beſitz, und hatte den catholiſchen
Religionstheil, da der Churfuͤrſt von der Pfalz
reformirt war, gleich voͤllig auf ſeiner Seite.


Bey der Kaiſerwahl ſelbſt gab dieſe Streitig-II.
keit noch zu einem ganz außerordentlichen Vorfall
Anlaß. Der Bairiſche Geſandte, Doctor Oexel,
las in der churfuͤrſtlichen Verſammlung einen Auf-
ſatz vor, worin der Ausdruck vorkam, daß Pfalz
ſeine Chur verwirket habe. Der Churfuͤrſt Carl
Ludewig von der Pfalz, der perſoͤnlich zugegen war,
ahndete gleich auf der Stelle dieſen Ausdruck, und
warf dem D. Oexel, als derſelbe dennoch zu leſen
fortfuhr, das Dintefaß an den Kopf. Mit Muͤ-
he legte das churfuͤrſtliche Collegium dieſe Sache
noch durch einen Vergleich bey, und ſetzte fuͤr die
Zukunft auf aͤhnliche Thaͤtlichkeiten die Suspenſion
der Wahlſtimme zur Strafe.


Die Kaiſerwuͤrde einmal vom Hauſe Oeſter-III.
reich abzubringen, wurden diesmal allerley Verſu-
che gemacht. Die Krone Frankreich ſuchte die
Wahl auf den Churfuͤrſten von Baiern, die Kro-
ne Schweden auf den Pfalzgrafen von Neuburg zu
lenken. Sie fiel aber doch auf Leopold von Oe-
ſterreich. In der Wahlcapitulation fehlte es
P. Entw. d. Staatsverf. Th.II. Rnicht
[258]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.
nicht an neuen Zuſaͤtzen; aber ein von der Fran-
zoͤſiſchen Geſandtſchaft veranlaßter Antrag, die
Clauſel einzuruͤcken, daß der Kaiſer, ſobald er ei-
nen Artikel der Capitulation uͤberſchritte, ſeiner
Krone verluſtig ſeyn ſollte, konnte doch nicht durch-
geſetzt werden. Hingegen ein uralter Streit, den
die Churfuͤrſten von Mainz und Coͤlln uͤber das
Recht die Kaiſerkroͤnung zu verrichten mit einander
gehabt hatten, ward (1657. Jun. 16.) gluͤcklich
dahin verglichen, daß einem jeden das Kroͤnungs-
recht
in ſeiner Dioeces zukommen, ſonſt aber einer
um den andern abwechſeln ſollte.


IV.

Von den beiden Kriegen, die noch von der vo-
rigen Regierung her im Gange waren, aber in den
erſten Jahren der jetzigen Regierung durch die Py-
renaͤiſchen und Oliviſchen Friedensſchluͤſſe geendi-
get wurden, iſt hier nur ſo viel zu bemerken, als
beide Friedensſchluͤſſe auf die Teutſche Verfaſſung
einen Einfluß hatten. Dahin gehoͤrt aus dem
Pyrenaͤiſchen Frieden der Abgang, den der Bur-
gundiſche Kreis wieder an den Orten in Artois,
Flandern, Hennegau und Luͤxenburg erlitt, die der
Friede mit aller Hoheit an Frankreich abtrat. Durch
den Oliviſchen Frieden wurde dem Hauſe Bran-
denburg der wichtige Vortheil der durch einen Tra-
ctat zu Wehlau (1657. Sept. 19.) erlangten Un-
abhaͤngigkeit des Herzogthums Preuſſen beſtaͤtiget.


V.

Noch ehe es zum Oliviſchen Frieden kam, hat-
ten die geiſtlichen Churfuͤrſten und verſchiedene geiſt-
liche und weltliche Fuͤrſten (1658. Aug. 4/14.) zu
Frankfurt ein Buͤndniß mit einander geſchloſſen,
um die Nordiſchen Kriegsunruhen vom Teutſchen
Bo-
[259]1) Anfang des beſtaͤnd. Reichst.
Boden abzuhalten. Dieſe ſo genannte Rheini-
ſche Allianz
wurde ſelbſt nach dem Frieden (1660.
Aug. 31.) noch auf drey Jahre erneuert, und
bald darauf kam meiſt unter eben den Bundesge-
noſſen (1661. Maͤrz 16/26.) noch eine Verbindung
zu Stande, um zu Erhaltung ihrer Regalien, be-
ſonders des Rechts der Buͤndniſſe, Krieges und
Friedens, gemeine Sache zu machen. So ward
das Recht der Buͤndniſſe, das man als ein durch
den Weſtphaͤliſchen Frieden beſtaͤtigtes Kleinod an-
ſah, immer lebhafter in Ausuͤbung gebracht. Un-
ter andern wußte es der damalige Biſchof von
Muͤnſter, Bernhard von Galen, ſehr gut zu be-
nutzen, um mit Oeſterreichiſcher und Franzoͤſiſcher
Huͤlfe (1661. Maͤrz 26.) die Stadt Muͤnſter
voͤllig unter ſeine Botmaͤßigkeit zu bringen.


Die Reichsdeputation, welche ſeit dem EndeVI.
der vorigen Regierung zu Frankfurt verſammlet
war, hatte zwar auch nach Ferdinands des III.
Tode bisher noch ihren Fortgang behalten, aber
nichts erhebliches ausgerichtet. Ein neuer Tuͤr-
kenkrieg, worein ſich Leopold verwickelt ſah, machte
es demſelben zur Nothwendigkeit, an ſtatt jener
Reichsdeputation einen vollſtaͤndigen Reichstag
nach Regensburg auszuſchreiben; — gewiß nicht
in der Meynung, daß daraus eine immerwaͤh-
rende allgemeine Reichsverſammlung
erwach-
ſen ſollte; ſondern nur in der Hoffnung bald eine
ergiebige Huͤlfe gegen die Tuͤrken bewilliget zu be-
kommen, und dann nach wenigen Monathen dem
Reichstage ein Ende zu machen. Allein die Fuͤr-
ſten, — unzufrieden, daß die ihnen im Weſt-
phaͤliſchen Frieden wegen der beſtaͤndigen Wahlca-
R 2pitu-
[260]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.
pitulation und Roͤmiſchen Koͤnigswahl gemachte
Hoffnung bisher ſo wenig in ihre Erfuͤllung gegan-
gen war, — drangen jetzt deſto eifriger darauf,
daß vor oder doch zugleich mit der Berathſchla-
gung uͤber die Tuͤrkenhuͤlfe auch die beſtaͤndige
Wahlcapitulation vorgenommen werden ſollte. Zu
Aufrechthaltung ihrer Gerechtſame hatten ſie (1662.
Apr. 10/20.) ſo gar in Nachahmung der Churverein
eine beſondere Fuͤrſtenverein unter einander errich-
tet. Sie brachten es alſo dahin, daß unmittel-
bar, nachdem die vom Kaiſer begehrte Tuͤrkenhuͤl-
fe bewilliget war, auch an die beſtaͤndige Wahl-
capitulation Hand angelegt wurde. Ein Entwurf
derſelben kam in wenig Wochen zu Stande; allein
nun erhob ſich ein neuer Streit uͤber den Eingang
und Schluß, worin ſich die Churfuͤrſten das Recht
neue Zuſaͤtze einzuruͤcken vorbehalten wollten. Da-
zu kamen bald ſo viel andere neue Gegenſtaͤnde
wichtiger Berathſchlagungen, daß ſich der Reichs-
tag in eine ungewoͤhnliche Laͤnge verzog, und end-
lich deſſen Verewigung daraus erfolgte, wie ſich
dadurch bis auf den heutigen Tag unſere Reichs-
verfaſſung als einzig in ihrer Art auszeichnet, daß
nicht, wie es bisher gehalten war, und wie es noch
jetzt in anderen Reichen, wo Reichsſtaͤnde ſind,
gewoͤhnlich iſt, ein Reichstag jedesmal nur gewiſſe
Zeit waͤhrt, ſondern auf beſtaͤndig ſeinen Fortgang
behaͤlt.


VII.

Damit hat nun unſer Reichstag ſelbſt eine
ſehr veraͤnderte Geſtalt bekommen. So lange er
nur von kurzer Dauer war, erwartete man immer,
daß ſowohl der Kaiſer als die Churfuͤrſten, Fuͤr-
ſten, Grafen und Praͤlaten, wo nicht alle, doch
gu-
[261]1) Anfang des beſtaͤnd. Reichst.
guten Theils, in Perſon erſchienen; ſo wie man
in anderen Reichen, wo Reichsſtaͤnde ſind, es nie
anders erwartet, als daß diejenigen, die einmal
Sitz und Stimme auf dem Reichstage oder im
Parlamente haben, ihr Stimmrecht jedesmal in
eigner Perſon ausuͤben. Auf unſeren Reichstagen
war es zwar ſchon lange hergebracht, daß ein
Reichsſtand auch durch Bevollmaͤchtigte ſeine Stim-
me ablegen konnte. Man ſah es aber doch bisher
nur als Ausnahme von der Regel an, an ſtatt
daß es jetzt zur allgemeinen Regel wurde, daß alle
Staͤnde nur ihre Bevollmaͤchtigten am Reichstage
hatten. War es alſo ehedem weder unmoͤglich
noch ungewoͤhnlich geweſen, daß perſoͤnlich erſchie-
nene Reichsſtaͤnde in collegialiſchen Berathſchla-
gungen gleich aus eigener Entſchließung ohne wei-
tere Ruͤckfrage hatten Schluͤſſe faſſen koͤnnen; ſo
brachte es jetzt die Natur einer aus lauter Bevoll-
maͤchtigten
beſtehenden Verſammlung von ſelbſten
mit ſich, daß ihre Stimmen nie anders als nach
Vorſchrift ihrer Principalen, und alſo erſt nach
vorgaͤngiger Anfrage und erhaltener Inſtruction
abgelegt werden konnten.


Hiernaͤchſt entſtand jetzt ganz natuͤrlich die Fra-VIII.
ge: was das fuͤr eine Art von Bevollmaͤchtigten
ſey, aus denen jetzt der Reichstag beſtand? In
vorigen Zeiten hatte man meiſt unbeſtimmte Be-
nennungen von Raͤthen, Abgeordneten, Bevoll-
maͤchtigten, Anwaͤlden, Sendboten u. ſ. w. ge-
braucht. Jetzt fieng man durchgehends an, ei-
nem jeden reichsſtaͤndiſchen Bevollmaͤchtigten am
Reichstage als einen Geſandten anzuſehen, und
voͤllig auf geſandtſchaftlichen Fuß zu behandeln.
R 3Der
[262]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.
Der ganze Reichstag bekam alſo unvermerkt die
Geſtalt eines Congreſſes von lauter Geſandten, in
großer Aehnlichkeit mit einem Friedenscongreſſe,
den mehrere Maͤchte durch ihre Geſandten be-
ſchicken. In anderem Betrachte ließ er ſich auch
mit einem Congreſſe vergleichen, der im Namen
mehrerer auf beſtaͤndig verbuͤndeter Staaten gehal-
ten wird, wie in der Schweiz, und in den verei-
nigten Niederlanden, oder jetzt auch in Nordame-
rica etwas aͤhnliches iſt; nur daß hier die Ver-
ſammlung unter dem Anſehen eines gemeinſamen
hoͤchſten Oberhaupts geſchieht, daß aber auch nicht
bloß Abgeordnete, als bevollmaͤchtigte von ihren
Principalen abhangende Repraͤſentanten, hier er-
ſcheinen, wie allenfalls bey uns nur in Anſehung
der Reichsſtaͤdte der Fall iſt; ſondern ſo, daß ein
jedes Mitglied der beiden hoͤheren Reichscollegien
ſelbſt ein wahrer Beherrſcher des Staates iſt, von
deſſen wegen er durch ſeinen Geſandten die Stim-
me nur nach ſeiner eignen Vorſchrift ablegen laͤßt.


IX.

Die Churfuͤrſten haben nun gar bey der
Reichsverſammlung, wie ſie es bey Kaiſer- und
Roͤmiſchen Koͤnigswahlen gewohnt ſind, ihre Co-
mitialgeſandten zu foͤrmlichen Botſchaftern (Am-
baſſadeurs
oder Geſandten vom erſten Range
erklaͤret, ſo daß dieſelben ſich unter einander den
Excellenztitel und alle unter Botſchaftern unab-
haͤngiger Maͤchte gewoͤhnliche Ehrenbezeigungen
gegenſeitig erwiedern, auch ſolche von jeden anderen
erwarten, ohne ſie doch den fuͤrſtlichen Geſandten
zuruͤck zu geben. Dieſe Vorzuͤge hatten ſie in den
erſten Jahren des gegenwaͤrtigen Reichstages auch
wuͤrklich ſchon in Beſitz, ſo daß alle fuͤrſtliche Ge-
ſand-
[263]1) Anfang des beſtaͤnd. Reichst.
ſandten bey den churfuͤrſtlichen ohne Unterſchied
den erſten feierlichen Beſuch ablegten, und denſel-
ben die Excellenz gaben, ohne ſie zuruͤckzubekom-
men. Die churfuͤrſtlichen ſchienen aber in dieſen
Vorzuͤgen kaum Ziel und Maaß halten zu wollen.
Sie verlangten z. B. bey feierlichen Gaſtmahlen auf
roth beſchlagenen Stuͤhlen zu ſitzen, da die fuͤrſt-
lichen nur gruͤne haben ſollten. Sie wollten durch
Edelknaben mit goldenem Meſſer und Gabel, die
fuͤrſtlichen ſollten durch Livreebedienten nur mit
Silber bedient werden. Neu ankommenden chur-
fuͤrſtlichen Geſandten mußte die Stadt Regens-
burg das gewoͤhnliche Geſchenk von Wein, Frucht
und Fiſchen in groͤßerer Anzahl, als den fuͤrſtli-
chen geben. Am Maytage pflegte der Reichspro-
foß den Geſandten Maybaͤume zu ſtecken; da ſoll-
ten den churfuͤrſtlichen ſechs, den fuͤrſtlichen nur
vier geſteckt werden; u. ſ. w.


Am empfindlichſten fiel es endlich den Geſand-X.
ten altfuͤrſtlicher Haͤuſer, daß die churfuͤrſtlichen ſo
gar in ihren eignen Haͤuſern uͤber die fuͤrſtlichen die
Hand nehmen wollten. Daruͤber brachen zuletzt
(1682) die altfuͤrſtlichen Geſandten allen feier-
lichen Umgang mit den churfuͤrſtlichen ab, und fien-
gen unter einander eben das Ceremoniel an, wie es
die churfuͤrſtlichen unter ſich zu halten pflegten, ga-
ben hingegen den churfuͤrſtlichen nicht mehr Titel
und andere Ehrenbezeigungen, als ſie von denſel-
ben zuruͤckbekamen. Und ſo iſt es ſeitdem großen-
theils noch bis auf den heutigen Tag geblieben;
ohne zu gedenken, was noch in Anſehung der neu-
fuͤrſtlichen, graͤflichen und reichsſtaͤdtiſchen Ge-
ſandten oder Stimmfuͤhrer, wie ſie zum Theil auch
R 4ge-
[264]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.
genannt werden, ingleichen mit Geſandten vom
zweyten Range, die von fremden Maͤchten am
Reichstage zu ſeyn pflegen (y), fuͤr vielerley Ab-
ſtuffungen und Colliſionen hinzugekommen ſind.


XI.

Eine andere Frage war noch, zu was fuͤr ei-
ner Gattung Bevollmaͤchtigten diejenigen zu rech-
nen ſeyen, die des Kaiſers Stelle beym Reichstage
vertreten ſollten. Bey anderen Gelegenheiten,
wenn kaiſerliche Miniſter an Teutſche Hoͤfe oder
auch an Kreiſe geſchickt werden, traͤgt man kein
Bedenken, ſie auch Geſandten zu nennen. Am
Reichstage iſt aber unter Carl dem V. der Aus-
druck Commiſſarien aufgekommen, wie er dem
Verhaͤltniſſe, worin eine hoͤhere Macht gegen ihre
Untergeordneten ſtehet, gemaͤßer zu ſeyn ſcheint.
Der Erzbiſchof von Salzburg, der dieſe Stelle bey
Eroͤffnung des Reichstages 1663. vertrat, bedien-
te ſich zuerſt des Ausdrucks: wegen obtragender
kaiſerlicher Principalcommiſſion. Der Name Prin-
cipalcommiſſarius,
der hierauf zur Gewohnheit
gewor-
[265]1) Anfang des beſtaͤnd. Reichst.
geworden iſt, bezog ſich darauf, daß ihm vom
kaiſerlichen Hofe noch ein Mann von Geſchaͤfften
an die Seite geſetzt war, der in vorigen Zeiten als
Aſſiſtenzrath characteriſirt war, und jetzt als Mit-
bevollmaͤchtigter erſchien, oder wie es in der Folge
(1688.) aufkam, Concommiſſarius genannt
wurde.


Daraus hat ſich nun am Reichstage ein ſol-XII.
ches Herkommen gebildet, daß immer nur Einer
als kaiſerlicher Principalcommiſſarius anerkannt
wird, der fuͤrſtlichen Standes ſeyn muß. Ob
es ein geiſtlicher oder weltlicher, ein alter oder neuer
Fuͤrſt ſey, das iſt einerley. Aber kein Graf wird
zu dieſer Stelle zugelaßen, weil ſich ſchon in aͤlte-
ren Reichsgeſetzen eine Stelle findet, wo es heißt:
”kaiſerlicher Majeſtaͤt verordnete Commiſſarien, ſo
Fuͤrſten des Reichs ſeyn ſollen” (z). Einen Gra-
fen von Weiſſenwolf, der 1668., und einen Gra-
fen von Windiſchgraͤtz, der 1683. zu dieſer Stelle
beſtimmt war, wollte man deswegen nicht zulaßen.
Letzterer ſollte damals nebſt dem Biſchofe von Eich-
ſtaͤdt, der Principalcommiſſarius war, als Mit-
principal-Repraͤſentant legitimirt werden; ſo aber
ebenfalls nicht zugegeben wurde, weil beym Reichs-
tage nur Ein Principalcommiſſarius ſeyn koͤnne.


Dieſer alleine iſt alſo derjenige, den man amXIII.
Reichstage fuͤr berechtiget haͤlt, die Perſon des
Kaiſers foͤrmlich vorzuſtellen. Selbſt bey Eroͤff-
nung des Reichstages oder anderen feierlichen Vor-
faͤllen kann er die Stelle einnehmen, die ſonſt nur
fuͤr
R 5
[266]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.
fuͤr den Kaiſer, wenn er da waͤre, beſtimmt iſt.
Auch die Hauptpropoſition, womit der Reichs-
tag (ungefaͤhr ſo, wie das Parlament zu London
mit der koͤniglichen Anrede) eroͤffnet ward, ließ der
Principalcommiſſarius verleſen. Was außer der
Hauptpropoſition der Kaiſer dem Reiche von Zeit
zu Zeit zu eroͤffnen hat, geſchieht durch kaiſerliche
Hofdecrete, die nur zu Regensburg im Namen
des Principalcommiſſarien umgefertiget, und von
ihm unterſchrieben werden. Alsdann nennt man
ſie kaiſerliche Commiſſionsdecrete. Wenn aber
der Principalcommiſſarius nicht zu Regensburg
ſelbſt anweſend iſt, darf der Concommiſſarius an
ſeiner Stelle die Unterſchrift nicht beſorgen; ſon-
dern ſo wird unmittelbar vom kaiſerlichen Hofe das
Hofdecret mit der Unterſchrift des Reichsvicecanz-
lers an den Reichstag geſchickt.


XIV.

In dem Hofe, den der Principalcommiſſarius
haͤlt, in feierlichen Gaſtgeboten und Geſellſchaf-
ten, die er gibt, und in den verſchiedenen Stuf-
fen der Ehrenbezeigungen, die da einem jeden wi-
derfahren, vereiniget ſich nun der Mittelpunct des
ganzen Ceremoniels, wie es am Reichstage viel-
leicht mehr, als an irgend einem andern Orte, mit
aller Puͤnctlichkeit beobachtet zu werden pfleget.
Wenigſtens werden kaum irgend von anderen Or-
ten ſo vielerley Ceremonielſtreitigkeiten aufzuweiſen
ſeyn, als ſie hier vorgekommen ſind, und noch im-
mer vorzukommen pflegen. — Hier war es eben,
wo in den erſten Jahren des jetzigen Reichstages
der Unterſchied zwiſchen churfuͤrſtlichen und fuͤrſtli-
chen Geſandten ſo weit getrieben wurde, daß letz-
tere bey der Tafel ſo gar nur auf gruͤnen Stuͤhlen
ſitzen
[267]1) Anfang des beſtaͤnd. Reichst.
ſitzen ſollten, wann jene auf rothen ſaßen. End-
lich brachten die Fuͤrſten es doch dahin, daß uͤber-
all nur gruͤne Stuͤhle geſetzt wurden. Als das
zum erſtenmal geſchah, erſchien ein churfuͤrſtlicher
Geſandter mit einem rothen Mantel, den er waͤh-
render Tafel ſo uͤber den Stuhl zuruͤckfallen ließ,
daß es doch ſo ſcheinen konnte, als ob er auf ei-
nem rothbeſchlagenen Stuhle ſaͤße. Hernach be-
richtete er an ſeinen Hof, er glaube dadurch doch
den fuͤr die churfuͤrſtlichen Geſandten bisher herge-
brachten Vorzug gerettet zu haben. — Eine an-
dere Diſtinction von der Art wurde darin geſucht,
daß churfuͤrſtlichen Geſandten der Stuhl auf den
Teppich geſetzt wurde, worauf der Principalcom-
miſſarius unter dem Baldachine ſaß; den fuͤrſtli-
chen nur auf den bloßen Boden des Zimmers, bis
endlich vermittelt wurde, daß den fuͤrſtlichen Ge-
ſandten der Stuhl doch wenigſtens noch auf die
Frangen des Teppichs geſetzt werden ſollte.


Kam nun vollends noch etwa der Rang zwi-XV.
ſchen mehreren gebetenen Gaͤſten in Colliſion, z.
B. zwiſchen geiſtlicher und weltlicher Fuͤrſten Ge-
ſandten, oder zwiſchen churfuͤrſtlichen Geſandten
vom erſten, und auswaͤrtigen Geſandten vom zwey-
ten Range, oder zwiſchen Comitialgeſandten und
dem Concommiſſarius, und ſo zwiſchen allerſeiti-
gen Gemahlinnen; ſo gab es nicht ſelten die un-
angenehmſten Verlegenheiten fuͤr alle dabey inter-
eſſirte Theile. Unter andern entſtanden ſelbſt
uͤber die Ordnung, in welcher die Geſundheiten
bey Tafel nach der ehemaligen Gewohnheit getrun-
ken werden ſollten, große Mißhelligkeiten. Der
kaiſerliche Hof ließ ſelbſt einmal (1679.) bey eini-
gen
[268]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.
gen churfuͤrſtlichen Hoͤfen Beſchwerde daruͤber fuͤh-
ren, daß die churfuͤrſtlichen Geſandten nicht zuge-
ben wollten, daß nach der Geſundheit des Kaiſers
und der Kaiſerinn, nicht auch erſt auf die Geſund-
heit des Hauſes Oeſterreich und Burgund, und
des Principalcommiſſarien, getrunken wuͤrde, ehe
die Reihe an die Churfuͤrſten und an das fuͤrſtli-
che Collegium kaͤme (a). Dieſer Umſtand und
manches andere hat ſich nun ſeitdem zwar durch
neuere Veraͤnderungen der Sitten gehoben. In-
zwiſchen iſt es weit gefehlt, daß auch jetzt noch
alle Streitigkeiten von der Art gehoben ſeyn ſollten.


XVI.

Jeder neuer Principalcommiſſarius legitimirt
ſich durch ein Creditiv und durch eine offene Voll-
macht, ſo er vom Kaiſer unterſchrieben mitbringt;
jenes in Geſtalt eines verſchloſſenen Schreibens an
ſaͤmmtliche reichsſtaͤndiſche Geſandten, denen es
deswegen von Churmainz durch die Dictatur mit-
getheilt wird. Die Vollmacht wird vom Mainzi-
ſchen
[269]1) Anfang des beſtaͤnd. Reichst.
ſchen Geſandten nur zu den Acten gelegt. Der
Concommiſſarius bringt nur ein Creditiv vom Kai-
ſer mit, keine Vollmacht. Des Mainziſchen Ge-
ſandten Vollmacht macht hinwiederum der Princi-
palcommiſſarius durch ein Commiſſionsdecret der
ganzen Reichsverſammlung bekannt. Alle uͤbrige
Comitialgeſandten ſtellen ihre Vollmachten dem
Mainziſchen Geſandten zu; worauf jedes Colle-
gium in ſeiner erſten Seſſion von ſeinem Directo-
rialgeſandten davon benachrichtiget wird. Einige
werden auch wohl noch beſonders an den Principal-
commiſſarius accreditirt, ſo aber keine Nothwen-
digkeit iſt; einen jeden auf vorgedachte Art legiti-
mirten Reichstagsgeſandten muß der Principal-
commiſſarius ohnedem dafuͤr erkennen.


Auswaͤrtiger Maͤchte Geſandtſchaften koͤn-XVII.
nen auch in den Fall kommen, einer Vollmacht
oder ſo genannten Plenipotenz benoͤthiget zu ſeyn,
wenn ſie Auftraͤge haben, mit der Reichsverſamm-
lung verbindliche Vertraͤge zu ſchließen. Sonſt
bringen ſie ordentlicher Weiſe nur Creditive mit,
die nur an das geſammte Corpus der Reichsſtaͤnde
oder ihrer Geſandten gerichtet ſind, nicht mit an
die Perſon des Kaiſers oder des Principalcommiſ-
ſarien. — Ein Umſtand, worin die Teutſche
Reichsverfaſſung einzig in ihrer Art iſt, da ſonſt
an verſammelte Reichsſtaͤnde, abgeſondert von der
Perſon ihres Monarchen, keine eigene Geſandt-
ſchaften uͤblich ſind. — Hier bekoͤmmt auch ein
jeder abgehender Geſandter fremder Maͤchte ſein
Recreditiv von Seiten der geſammten Reichs-
ſtaͤnde.


Was
[270]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.
XVIII.

Was an Geſchaͤfften in Leopolds erſten Regie-
rungsjahren auf dem Reichstage vorkam, beſtand
außer den Unterhandlungen uͤber die beſtaͤndige
Wahlcapitulation meiſt nur in voruͤbergehenden
Dingen, die hier keinen Platz verdienen. Nur
die Zahl der fuͤrſtlichen Virilſtimmen wurde doch
wieder mit einigen neuen Fuͤrſten vermehret, de-
ren Einfuͤhrung dem Kaiſer zu Ehren bewilliget
wurde. So hatte Leopold inſonderheit ſeinen
Staatsminiſter, Johann Ferdinand Grafen von
Portia, in Fuͤrſtenſtand erhoben, deſſen Einfuͤh-
rung in den Fuͤrſtenrath am 26. Apr. 1664. ge-
ſchah. Worauf ferner noch Oſtfriesland und Fuͤr-
ſtenberg (1667. Sept. 6.), und Schwarzenberg
und Waldeck (1674. Aug. 22.) eingefuͤhret
wurden.


II.
[271]2) Reichsangeleg. 1670-1672.

II.
Reichsangelegenheiten der Jahre 1670-1672.;
inſonderheit das erweiterte Recht der Landſteuer
und einige unterjochte Staͤdte betreffend; auch
nun in Gang gekommene beſtaͤndige
Kriegsruͤſtung.


I. Verordnungen zum Vortheile der Reichsſtaͤnde in
Anſehung ihrer Landſteuern. — II. Deren Ausdehnung auf
die Legationskoſten zu reichsſtaͤndiſchen Verſammlungen. —
Dadurch erleichterte Fortwaͤhrung des Reichstages — und
doch in der Folge verminderte Zahl der Comitialgeſandten. —
III. Noch verlangte weitere Ausdehnung der Landſteuern; —
IV. die aber der Kaiſer, zur Sicherung mancher Landſchaf-
ten gegen Deſpotismus, verſagte. — V. Nur das ward
bewilliget, was in jedem Lande rechtmaͤßig hergebracht ſey,
und die Landesvertheidigung erfordere. — VI. So waren
in vielen Laͤndern ſchon Fraͤuleinſteuern und andere Beytraͤ-
ge zu Ergaͤnzung der Cammereinkuͤnfte uͤblich. — VII. Auſ-
ſerdem blieb billig der Grundſatz: daß kein Reichsſtand ſei-
nen Unterthanen ohne ihre Einwilligung Steuern auflegen
duͤrfe. — VIII. Mit Bewilligung der Landſchaften ward
jetzt in verſchiedenen Laͤndern Acciſe eingefuͤhrt. — IX-XI.
Verſchiedene Staͤdte hatten um dieſe Zeit noch das Schick-
ſal ihre bisherige Freyheit zu verliehren, — als Erfurt, —
Magdeburg, — Braunſchweig. — XII. Doch retteten ſich
noch die Staͤdte Bremen und Coͤlln. — XIII. Ueber die
Juͤlichiſche Succeſſionsſache zwiſchen Churbrandenburg und
Pfalzneuburg errichteter Vergleich, — XIV. doch ohne die
Weſtphaͤliſche Kreispraͤſentation zum Cammergerichte und
die Juͤlichiſche Stimme im Fuͤrſteurathe in Gang zu brin-
gen. — XV-XVIII. Anfang einer beſtaͤndigen Kriegsver-
faſſung in den groͤßeren Teutſchen Staaten.


Eine der wichtigſten Angelegenheiten, die aufI.
dem Reichstage betrieben wurden, betraf das
Steuerweſen in der Reichsſtaͤnde Laͤndern. Da-
von war ſchon in Leopolds Wahlcapitulation eine
Stel-
[272]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.
Stelle eingeruͤckt, vermoͤge deren die Landſchaften
und Unterthanen den im juͤngſten Reichsabſchied
ihnen auferlegten Beytraͤgen zu Unterhaltung noͤ-
thiger Feſtungen und Beſatzungen, wie auch des
Cammergerichts ſich nicht entziehen ſollten, den
Landſtaͤnden aber auch nicht geſtattet werden ſollte,
die Dispoſition uͤber die Landſteuer mit Ausſchlie-
ßung des Landesherrn ausſchließlich ſich alleine zu-
zueignen, oder in dergleichen und anderen Sachen
ohne der Landesfuͤrſten Vorwiſſen und Bewilligung
Convente anzuſtellen (b).


II.

Jetzt wurde noch in einem Reichsgutachten
unterm 26. Jan. 1667. darauf angetragen: daß
ein jeder Reichsſtand die noͤthigen Legationsko-
ſten zum Reichstage,
wie auch zu Deputations-
tagen und Kreisverſammlungen, von ſeinen Un-
terthanen erheben moͤge (c). Dieſes genehmigte
auch der Kaiſer am 19. Jun. 1670 (d). Somit
war jetzt auch eine Schwierigkeit weniger, den
Reichstag zu verewigen, da ein jeder Reichsſtand
die dazu erforderlichen Geſandtſchaftskoſten nicht
mehr von ſeinen eignen Cammereinkuͤnften zu tra-
gen brauchte, ſondern durch Landſteuern erheben
konnte. (Mancher Reichsſtand hat ſeitdem viel-
leicht noch Vortheil davon gehabt, wenn die Land-
ſchaft gewiſſe Steuerbeytraͤge dazu uͤbernommen
hat, und ſich in dieſer Ausgabe noch etwas er-
ſpah-
[273]2) Reichsangeleg. 1670-1672.
ſpahren laͤßt. Wenigſtens ſchicken manche Hoͤfe,
die ſonſt, wenn ſie in beiden hoͤheren Collegien
Stimmen hatten, fuͤr jedes einen eignen, oder
uͤberhaupt auch wohl nur zu einer churfuͤrſtlichen
Stimme mehrere Geſandten ſchickten, jetzt nur ei-
nen Geſandten fuͤr beide Collegien. Haͤufig fuͤhrt
auch ein Geſandter jetzt die Stimmen von mehr
als einem Reichsſtande; da dann, je mehr Stim-
men einer hat, je wohlfeiler er diejenigen, die
ihm ihre Stimmen anvertrauen, bedienen kann.
Dieſer Umſtand macht unter andern begreiflich,
wie nach und nach die Anzahl ſaͤmmtlicher Comi-
tialgeſandten ſich ungemein vermindert hat. Von
den meiſten Reichsſtaͤdten ſind nach und nach nur
einige Rathsherren der Reichsſtadt Regensburg zu
ihren Stimmfuͤhrern beſtellet worden.)


Viele Reichsſtaͤnde wuͤnſchten aber noch eineIII.
weitere Ausdehnung der oben aus dem juͤngſten
Reichsabſchiede angefuͤhrten Stelle (e), und zwar
dahin: ”daß eines jeden Reichsſtandes Landſtaͤnde
und Unterthanen nicht allein zur Landesdefenſions-
verfaſſung, ſondern auch zur Handhabung und Er-
fuͤllung der dem Weſtphaͤliſchen Frieden nicht zu-
wider laufenden Buͤndniſſe, wie auch nicht nur zu
Erhaltung und Beſatzung der noͤthigen, ſondern
unbeſtimmt (ohne Einſchraͤnkung) der Feſtungen,
Oerter und Plaͤtze, auch zu Verpflegung der Voͤl-
ker, und anderen hierzu gehoͤrigen Nothwendigkei-
ten, ihren Landesfuͤrſten, Herrſchaften und Oberen
die jedesmal erfordernden Mittel, und folglich
alles, was an ſie und ſo oft es begehrt werde, ge-
hor-
P. Entw. d. Staatsverf. Th.II. S
[274]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.
horſamlich und unweigerlich darzugeben ſchuldig
ſeyn ſollten.” Auch ſollten dagegen weder bey
Reichsgerichten Klagen der Unterthanen angenom-
men werden, noch denſelben einige Privilegien
oder Exemtionen dawider zu ſtatten kommen.


IV.

Auf dieſen Fuß ward nun zwar unterm 29.
Oct. 1670. durch Mehrheit der Stimmen ein
Reichsgutachten zu Stande gebracht (f). Der
Kaiſer verſagte aber demſelben in der im Febr.
1671. darauf ertheilten Entſchließung ſeine Geneh-
migung, und erklaͤrte vielmehr, daß er ſich gemuͤ-
ßiget halten wuͤrde, einen jeden bey dem, wozu er
berechtiget, und wie es bisher hergebracht ſey, zu
laßen (g). (Dieſe preiswuͤrdige kaiſerliche Er-
klaͤrung
hat ſeitdem manche Landſchaft noch fuͤr
uͤbertriebene Steueranlagen und uͤberhaupt fuͤr De-
ſpotismus gerettet. — Zugleich ein herrliches
Beyſpiel von den Vorzuͤgen der Teutſchen Reichs-
verfaſſung, da zwar Reichsſchluͤſſe auch zum Vor-
theile der Landeshoheit wirkſam ſeyn koͤnnen; je-
doch ſchon vieles dazu gehoͤret, die Mehrheit der
Stimmen in ſolcher Abſicht zu wege zu bringen,
und, wenn ſolche auch da iſt, doch der Kaiſer durch
ſeine verſagte Genehmigung noch die Freyheit der
Landſchaften retten und ſchuͤtzen kann, wie es alle-
mal dem kaiſerlichen Intereſſe gemaͤß ſeyn wird.)


V.

Das einzige gab Leopold in ſeiner im Febr.
1671. ertheilten Entſchließung nach: daß diejeni-
gen Reichsſtaͤnde, welche ein mehreres, als im
juͤng-
[275]2) Reichsangeleg. 1670-1672.
juͤngſten Reichsabſchiede enthalten, gegen ihre Un-
terthanen und Landſaſſen rechtmaͤßig hergebracht
haͤtten, dabey geſchuͤtzt werden ſollten. Auch ſoll-
ten die Unterthanen ferner angewieſen werden, zu
allem demjenigen zu contribuiren, was das Reich
zur allgemeinen Sicherheit verwillige und die Exe-
cutionsordnung mit ſich bringe, oder auch die Lan-
desvertheidigung gegen jeden Angriff oder Ueber-
fall dem Herkommen und erheiſchender Nothdurft
nach erfordere (h).


Unter jener Clauſel, was in jedem Lande her-VI.
gebracht ſey, war fuͤr viele Laͤnder ſchon eine ge-
wiſſe Gattung oder Anzahl Steuern begriffen, die
als allgemeine Beytraͤge zur Unterſtuͤtzung der Cam-
mer oder zu Ergaͤnzung der von derſelben zu beſtrei-
tenden Ausgaben ein vor allemal eingefuͤhret wa-
ren. Auch war es in den meiſten Laͤndern
ſchon zum Herkommen geworden, daß, wenn
eine Tochter vom Hauſe ſtandesmaͤßig vermaͤhlet
wurde, zu deren Brautſchatz und Ausſteuer die
Landſchaften unter dem Namen der Fraͤuleinſteuer
gewiſſe Summen hergaben. Manche Reichsſtaͤn-
de ließen aber auch ſonſt keine Gelegenheit vorbey,
Geldbeytraͤge von den Unterthanen zu begehren, ſo
oft nur außerordentliche Ausgaben von einiger Er-
heblichkeit vorkamen, als zu beſſerem Auskommen
nachgebohrner Herren, zu Standeserhoͤhungen, zu
Reiſen, zu Brunnencuren u. ſ. f. (Ein regieren-
der
S 2
[276]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.
der Reichsgraf hatte einmal ein Bein gebrochen;
eine dazu bewilligte Beinbruchsſteuer mußte viele
Jahre nach einander bezahlet werden.)


VII.

So billig es iſt, daß zu gemeinnuͤtzigen An-
ſtalten, die einem jeden zu ſtatten kommen, auch
ein jeder ſeinen verhaͤltnißmaͤßigen Beytrag gibt,
und ſo gering es ſcheint, wenn ein einfacher Steuer-
beytrag fuͤr einen jeden Unterthanen auch nur ei-
nen oder etliche Pfennige ausmacht, und doch von
einem ganzen Lande dadurch betraͤchtliche Summen
zuſammengebracht werden; ſo bedenklich iſt es,
wenn nur einmal die Bahn gebrochen iſt, daß
auf Begehren der Landesherrſchaft Steuern bezahlt
werden muͤßen, fuͤr deren Vervielfaͤltigung alsdann
niemand geſichert iſt. Eben damit aber laͤuft man
Gefahr, von dem erſten Hauptzwecke aller Staa-
ten abzuweichen, der eben dahin gehen ſoll, daß
ein jeder mit dem Seinigen ſicher ſey. Bin ich
aber einer unbeſchraͤnkten Steuerforderung meines
Landesherrn unterworfen, ſo verliehre ich dieſe Si-
cherheit, die doch eigentlich den wichtigſten Grund
enthaͤlt, warum man in buͤrgerlichen Geſellſchaf-
ten ſovieles von der natuͤrlichen Freyheit aufopfert.
Alſo war nichts billiger, als daß es dabey blieb,
daß außer den Steuern, die einmal durch allge-
meine Reichsgeſetze oder beſondere Landesgrundge-
ſetze gebilliget ſind, kein Reichsſtand ſeine Unter-
thanen ohne ihre Einwilligung mit Steuern zu be-
legen berechtiget ſeyn ſollte.


VIII.

Unter den verſchiedenen Gattungen von Steu-
ern waren ſchon lange Zeit her in vielen Laͤndern
Ver-
[277]2) Reichsangeleg. 1670-1672.
Verſuche gemacht worden, unter dem Namen
Trankſteuer, oder Acciſe und Licent, gewiſſe Ab-
gaben aufs Getraͤnke oder andere Beduͤrfniſſe zu
legen. Um dieſe Zeit fieng man aber zuerſt im
Brandenburgiſchen an, (unter dem Finanzminiſter
von Grumbkow 1676.) an ſtatt der bisher haupt-
ſaͤchlich nur auf liegenden Gruͤnden oder auf Vieh,
und auf dem Nahrungsſtande gelegenen Beſchwer-
den aus einer weiter ausgedehnten Conſumtions-
ſteuer oder Acciſe den Hauptſteuerfuß zu machen,
ſo hernach in mehr Laͤndern (z. B. im Churbraun-
ſchweigiſchen 1686.) Nachahmung gefunden hat;
wie dabey, wo die Landſtaͤnde ihre Einwilligung
dazu gaben, nichts zu erinnern war. Eigenmaͤch-
tig kann aber auch das kein Landesherr einfuͤhren,
ſo wenig als die Einfuͤhrung des Stempelpapiers,
deſſen Erfindung wir den Hollaͤndern zu danken
haben, ohne landſchaftliche Einwilligung von
Rechtswegen ſtatt findet.


Waͤhrend der Zeit, als Kaiſer und Reich mitIX.
den bisher beſchriebenen Gegenſtaͤnden beſchaͤfftiget
waren, traf nach dem oben ſchon vorgekommenen
Beyſpiele der Stadt Muͤnſter (i) ein aͤhnliches
Schickſal noch mehrere Staͤdte, die ſich bisher
in einer Art von Unabhaͤngigkeit erhalten hatten.
So ward inſonderheit die Stadt Erfurt, die bis-
her nur unter Saͤchſiſchem Schutze geſtanden hatte,
von Churmainz in Anſpruch genommen, und nach
einer am 17. Sept. 1664. wider ſie ausgewirkten
kai-
S 3
[278]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.
kaiſerlichen Achtserklaͤrung, mit Huͤlfe eines Fran-
zoͤſiſchen Kriegsheeres am 5. Oct. 1664. genoͤthiget,
nur mit Vorbehalt einiger Freyheit, inſonderheit
in Anſehung der Religion, der Hoheit des Chur-
fuͤrſten ſich zu unterwerfen.


X.

Die Stadt Magdeburg hatte ebenfalls in Be-
ziehung auf alte Privilegien, welche der Weſtphaͤ-
liſche Friede beſtatiget habe, die landesherrliche
Gewalt des damaligen Adminiſtrators nicht aner-
kennen wollen. Sie ward jedoch durch einen am
29. May 1666. gezeichneten Vergleich dahin ge-
bracht, nicht nur dem Adminiſtrator, ſondern auch
auf deſſen Abgang ſchon zum voraus dem Hauſe
Brandenburg die Erbhuldigung zu leiſten.


XI.

Ein gleiches bewirkte endlich auch das Haus
Braunſchweig von der Stadt Braunſchweig, da
dieſe nach einer von dem Grafen Georg Friedrich
von Waldeck commandirten Belagerung am 12.
Jun 1671. genoͤthiget ward, eine herzogliche Be-
ſatzung einzunehmen, und ſich ebenfalls zur Huldi-
gung zu bequemen.


XII.

Die Stadt Bremen ward zwar ebenfalls von
einem Schwediſchen Kriegsheere beſchoſſen, erhielt
ſich aber doch noch durch einen Vergleich, den die
Krone Schweden am 15. Nov. 1666. mit ihr
ſchloß, im Beſitz ihrer Reichsunmittelbarkeit. Und
ſo ward auch noch die Reichsſtadt Coͤlln gegen die
Unternehmungen, womit ſie 1670. vom Churfuͤr-
ſten von Coͤlln mit Franzoͤſiſcher Huͤlfe bedrohet
ward, dennoch mittelſt Hollaͤndiſcher Unterſtuͤtzung
gluͤcklich gerettet.


Die
[279]2) Reichsangeleg. 1670-1672.

Die im Weſtphaͤliſchen Frieden unverglichenXIII.
gebliebene Juͤlichiſche Succeſſionsſache, die ſeit-
dem ſchon einmal (1651.) in weitausſehende Thaͤt-
lichkeiten ausgebrochen war, kam endlich am 9.
Sept. 1666. zu einem Vergleiche zwiſchen Chur-
brandenburg und Pfalzneuburg, auf den Fuß, daß
die bisherige Gemeinſchaft zwar fortwaͤhren, je-
doch der Beſitz getheilt ſeyn ſollte. Churbranden-
burg ſollte Cleve, Mark und Ravensberg, Pfalz-
neuburg ſollte Juͤlich, Berg und die Herrſchaften
Winnendal und Breskeſand beſitzen. Ueber Ra-
venſtein ſollte ein Compromiß entſcheiden, und das
Condirectorium des Weſtphaͤliſchen Kreiſes ſollte
von einem Tage zum andern wechſelsweiſe von bei-
den Haͤuſern gefuͤhret werden.


Bey allem dem blieb die Art, wie die Praͤſen-XIV.
tationen am Cammergerichte vom Weſtphaͤliſchen
Kreiſe geſchehen ſollten, noch unberichtiget; daher
dieſe Stellen am Cammergerichte immer unbeſetzt
blieben. Auch war dieſes der einzige Fall in ſei-
ner Art, daß ein fuͤrſtliches Haus nach dem Jahre
1582. erloſchen war, und doch von deſſen Lande
im Reichsfuͤrſtenrathe keine Stimme gefuͤhrt wur-
de; wie dennoch unſtreitig haͤtte geſchehen koͤnnen,
wenn beide Haͤuſer Brandenburg und Pfalz ſich
daruͤber verglichen haͤtten, und von den uͤbrigen
Praͤtendenten nicht etwa auch noch ein Wider-
ſpruch zu erwarten geweſen waͤre. So aber iſt bis
auf den heutigen Tag dieſe Stimme nicht wieder
in Gang gekommen.


Unter allen dieſen Vorfaͤllen bildete ſich allge-XV.
maͤlig noch eine der wichtigſten Veraͤnderungen in
S 4der
[280]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.
der Teutſchen Staatsverfaſſung, da verſchiedene
der maͤchtigeren Reichsſtaͤnde einen ſtehenden
Kriegsſtaat
von beſtaͤndigen Regimentern zu un-
terhalten anfiengen.


XVI.

So hatte der Churfuͤrſt Georg Wilhelm von
Brandenburg nur 12. Compagnien zur Beſatzung
in Berlin, Spandau, Cuͤſtrin und Colberg ge-
habt. Sein Sohn und Nachfolger, Friedrich
Wilhelm hatte ſchon vor 1665. zwey Regimenter
Infanterie, und ließ 1665. noch eines zu Regens-
burg, Nuͤrnberg und Frankfurt anwerben. Im
Jahre 1666. errichtete er das zweyte Regiment
Cuͤraſſiere. Und ſo fuhr er von Jahren zu Jah-
ren fort, daß er am Ende ſeiner Regierung 1688.
ſchon ein ſtehendes Kriegsheer von 35. Bataillons
Fußvolk jedes zu 4. Compagnien von 150. Mann;
300 Mann Artillerie; 32. Escadrons Cuͤraſſiere;
8. Escadrons Dragoner, und 18. Garniſonscom-
pagnien, zuſammen 28500. Mann hinterließ (k).


XVII.

Von der ſtehenden Kriegsmacht des Hauſes
Geſterreich gehen die Nachrichten meiſt nur bis
auf das Jahr 1683. hinauf, weil vorher die in
Kriegszeiten errichteten Regimenter nach geſchloſſe-
nem Frieden gleich wieder abgedankt wurden. Das
aͤlteſte noch jetzt ſtehende Regiment Infanterie hat
1681. der Graf Ernſt Ruͤdiger von Stahrenberg
errichtet, der hernach durch die Vertheidigung der
Stadt Wien gegen die Tuͤrken 1683. ſo beruͤhmt
wurde. Im Jahre 1683. wurden auf einmal 15.
Regimenter errichtet, die alle noch jetzt vorhanden
ſind;
[281]2) Reichsangeleg. 1670-1672.
ſind; darauf folgten 1684. noch 2., 1685. 1.,
1689. 1., 1691. 1., 1698. 1., 1701. 2., 1702.
2., 1703. 1., 1704. 1., 1706. 1., 1709. 1.,
1710. 1., 1713. 1., 1715. 2., 1716. 1., 1717.
1., 1718. 1., 1721. 1., 1725. 2., 1734. 5.,
1742. 7., 1744. 1., 1745. 1. ꝛc. Das aͤlteſte
Oeſterreichiſche Cuͤraſſier-Regiment iſt von 1680.,
ein anderes von 1682. Im Jahre 1683. wur-
den ihrer auf einmal 11. errichtet, 1684. 1., 1701.
2., 1702. 1., 1721. 1. Dragoner-Regimen-
ter entſtanden 1683. 5., 1688. 1., 1701. 1.,
1710. 1., 1718. 1., 1725. 1., 1734. 2. ꝛc.
Huſaren-Regimenter 1689. 1., 1696. 1., 1702.
1., 1734. 3., 1735. 1., 1741. 1., 1742. 1.,
1743. 1. ꝛc. (l). Zu Leopolds Zeiten ward ein
Infanterie-Regiment zu 2500., die Compagnie
zu 150. Mann gerechnet; ein Regiment Cavalle-
rie zu 1000., die Compagnie zu 100. Mann (m).
Im Jahre 1673. rechnete man die Oeſterreichiſche
Kriegsmacht auf 60. tauſend Mann (n). Im
Jahre 1705. beſtand ſie aus 97.244. Mann zu
Fuß, 35000. zu Pferde, zuſammen 132.244.
Mann (o).


Von den Regimentern, welche jetzt das Chur-XVIII.
braunſchweigiſche Kriegsheer ausmachen, ward
auſſer
S 5
[282]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.
auſſer der Garde zu Pferde und zu Fuß, deren
Urſprung ſich ſchon hoͤher hinauf fuͤhren laͤßt, und
drey Regimentern, deren Errichtungsjahr nicht
bekannt iſt, ein Regiment zu Fuß 1667. errich-
tet, dann 1668. 1.; 1670. 1.; 1675. 4.; 1680.
1.; 1691. 1.; 1692. 1.; 1702. 1.; 1704. 1.;
1707. 1.; 1717. 1.; 1724. 1.; 1741. 1.; 1745.
1. ꝛc. Von Cavallerie-Regimentern mit Inbe-
griff der Dragoner entſtanden, auſſer zwey aͤlteren,
deren Errichtungsjahr nicht bekannt iſt, 1671. 1.;
1675. 2.; 1680. 1.; 1682. 1.; 1689. 2.; 1701.
2.; 1744. 1.; 1745. 1.; ꝛc. (p).


III.
[283]3) Rkrieg u. Nimw. Fr. 1672-1679.

III.
Reichsangelegenheiten der Jahre 1672-1679.
Beſetzung der Reichsgeneralitaͤt. Reichskrieg
mit Frankreich und Nimweger Friede.


I. II. Zum Reichskriege, wie der mit Frankreich jetzt
zum Ausbruche kam, mußten jedesmal die Contingente be-
williget, und die Reichsgeneralitaͤt beſtellt werden. — III.
Wegen der letztern gab ein beſonderer Vorfall Anlaß, daß
der catholiſche Religionstheil ſich des im Weſtphaͤliſchen Frie-
den gegruͤndeten Rechts, die Mehrheit der Stimmen zu
hemmen, bediente. — IV. Zu den Nimweger Friedens-
handlungen ward dem Kaiſer vom Reiche Vollmacht gege-
ben; — doch einzelnen Staͤnden vorbehalten, den Congreß
zu beſchicken; — V. woruͤber die Fuͤrſten den Churfuͤrſten
im Geſandtſchaftsrechte gleich zu kommen ſuchten. — VI.
Von den Friedenshandlungen ſelbſt erfuhr das Reich nichts,
bis ſie vollendet waren, — da dem Reiche nichts uͤbrig
blieb, als den geſchloſſenen Frieden zu genehmigen. — VII.
Unter den Friedensbedingungen war der Verluſt der Graf-
ſchaft Burgund, — VIII. nebſt der Stadt und dem Erz-
ſtifte Biſanz. — IX. Aus Philippsburg wurde eine Reichs-
feſtung. — X. Einige Ceſſionen an die Haͤuſer Braunſchweig
und Brandenburg, — welchem letztern in der Folge noch
die Anwartſchaft auf Oſtfriesland und auf die Grafſchaft
Limburg in Franken gegeben wurde.


Die beſtaͤndige Kriegsverfaſſung, die jetzt nachI.
und nach in Teutſchland aufkam, galt doch
nur von einigen einzelnen Reichsſtaͤnden. Von
Reichs wegen war noch nicht daran zu denken.
Da mußte bey jedem bevorſtehenden Reichskriege
erſt einem jeden Reichsſtande ſein Contingent zu
ſtellen angeſagt werden, und die Generalitaͤt wur-
de jedesmal auf dem Reichstage beſtellt, wie man
ſie zur Befehlshabung der Reichsarmee noͤthig fand,
und
[284]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.
und zwar nunmehr nach der auch hier erforderli-
chen Religionsgleichheit.


II.

Bey dem Kriege, womit Ludewig der XIV.
1671. die Hollaͤnder bedrohete, (weil ſie ihm in
Ausfuͤhrung der Anſpruͤche, die er auf die Spani-
ſchen Niederlande wegen des in Brabant uͤblichen
Devolutionsrechts gemacht hatte, hinderlich gewe-
ſen waren,) ließ es ſich bald dazu an, daß auch
das Teutſche Reich genoͤthiget werden duͤrfte, ge-
gen Frankreich die Waffen zu ergreifen; wie es
dann 1674. wuͤrklich zum Reichskriege mit Frank-
reich
kam, der erſt 1679. mit dem Nimweger Frie-
den ein Ende nahm.


III.

Um auf dieſen Krieg gefaßt zu ſeyn, kam es
ſchon 1672. zu Berathſchlagungen auf dem Reichs-
tage uͤber Beſtellung der Reichsgeneralitaͤt, wo-
bey ſich ein Vorfall ereignete, der wegen verſchie-
dener dabey vorgekommenen Umſtaͤnde hier erwehnt
zu werden verdienet. Es ſollten nehmlich unter an-
dern vier Generalmajorsſtellen von Reichs wegen
beſetzt werden. Dazu waren diesmal zwey fuͤrſtli-
che Competenten, der Herzog von Weimar und
der Marggraf von Bayreuth, und zwey adeliche,
ein Herr von Leyen und ein Herr von Stauf.
Die Mehrheit der Stimmen fiel auch fuͤr ſie
aus, und zwar ſo, daß die beiden fuͤrſtlichen Com-
petenten als Generalwachtmeiſter zu Pferde, die
adelichen als Generalmajors zu Fuß angeſetzt wer-
den ſollten. Letztere waren aber catholiſch, jene
evangeliſch. Daruͤber beſannen ſich die catholiſchen
Staͤnde, daß es ihnen nachtheilig ſeyn moͤchte, ein
ſolches Beyſpiel gelten zu laßen, da zwar der Zahl
nach
[285]3) Rkrieg u. Nimw. Fr. 1672-1679.
nach die Religionsgleichheit beobachtet waͤre, aber
doch eine Ungleichheit darin laͤge, daß die zwey
evangeliſchen Herren bey der Cavallerie, die zwey
catholiſchen nur bey der Infanterie angeſetzt wer-
den ſollten. Nun war zufaͤlliger Weiſe die Mehr-
heit der Stimmen im Fuͤrſtenrathe diesmal fuͤr je-
ne ausgefallen, weil einige catholiſche Stimmen
gefehlt, andere gleichfoͤrmig mit den Proteſtanten
ſich geaͤußert hatten. Hier entſtand alſo der uner-
wartete Fall, daß der catholiſche Religionstheil
einmal die Mehrheit der Stimmen gegen ſich ſah.
Dieſe zu hemmen beriefen ſich nun die catholiſchen
Staͤnde im Fuͤrſtenrathe (1672. Apr. 10.) auf die
Verordnung des Weſtphaͤliſchen Friedens, daß
nicht die Mehrheit der Stimmen ſondern nur guͤt-
liche Vergleichung ſtatt finden ſollte, ſobald ein
Religionstheil eine vom andern abgehende Mey-
nung erklaͤrte. Sie beſtanden darauf, daß nicht
beide Generalmajors zu Pferde evangeliſch, und
beide zu Fuß catholiſch ſeyn duͤrften, ſondern noth-
wendig ſowohl jene Stellen zu Pferde, als dieſe
zu Fuß nach der Religionsgleichheit beſetzt werden
muͤßten. Man verglich ſich endlich (1672. Jun.
10.), daß man anſtatt vier diesmal ſechs Generalma-
jors ernennen wollte, und zwar zu den oben be-
nannten noch einen catholiſchen, Herrn von An-
drimont, zu Pferde, und einen evangeliſchen,
Herrn von Kielmannsegge, zu Fuß; wie ſolches her-
nach im Reichsgutachten 1672. Jul. 22. (Aug. 1.)
vollzogen wurde (q). Dieſer Vorfall war ſchon
deswegen merkwuͤrdig, weil damit der catholiſche
Religionstheil noch eher, als der evangeliſche jene
Vor-
[286]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.
Vorſchrift des Weſtphaͤliſchen Friedens in Ausuͤ-
bung brachte, uͤberhaupt aber damit ein lehrrei-
ches Beyſpiel gab, was davon fuͤr ein Gebrauch
gemacht werden konnte.


IV.

Die Nimweger Friedenshandlungen wa-
ren in Anſehung der dabey zu beobachtenden Art
und Weiſe ſelbſt in Ruͤckſicht auf die Teutſche
Reichsverfaſſung von großer Erheblichkeit, weil
diesmal nach dem Weſtphaͤliſchen Frieden der erſte
Fall war, da ein Friedensſchluß einem gefuͤhrten
Reichskriege ein Ende machen ſollte. Hier kam
alſo nicht wenig darauf an, wie man ſich von
Reichs wegen dabey benehmen wuͤrde, um das im
Weſtphaͤliſchen Frieden befeſtigte Recht geltend zu
machen, daß der Kaiſer ohne Einwilligung des
Reichs keinen Frieden ſchließen ſollte. Gleich an-
fangs war es zwar im Werke, daß eine eigne
Reichsdeputation ernannt werden ſollte, um den
Congreß zu Nimwegen von Reichs wegen zu be-
ſchicken. Weil ſich aber allerley Schwierigkeiten
dabey hervorthaten, der Kaiſer hingegen im April
1677. von dem, was bis dahin zu Nimwegen vor-
gegangen war, dem Reichstage Nachricht geben
ließ, und damit fortzufahren verſprach; ſo wurde
(1677. May 31.) beſchloſſen, diesmal dem Kaiſer
das Friedenswerk alleine zu uͤberlaßen; unter der
Bedingung, daß der Kaiſer alles, was zu Nim-
wegen ferner vorgienge, dem Reiche in Zeiten
mittheilen, und deſſen Gutachten daruͤber erwar-
ten ſollte. Doch wurde auch einzelnen Staͤnden
vorbehalten, den Congreß fuͤr ſich durch eigene
Geſandten zu beſchicken.


Die-
[287]3) Rkrieg u. Nimw. Fr. 1672-1679.

Dieſes letztere machte damals bald die Eifer-V.
ſucht zwiſchen Churfuͤrſten und Fuͤrſten von neuem
rege, da letzteren nicht wie jenen geſtattet wurde,
Geſandten vom erſten Range nach Nimwegen
zu ſchicken; ungeachtet der beruͤhmte Leibnitz, der
damals zu Hannover lebte, fuͤr die altfuͤrſtlichen
Haͤuſer, wozu damals auch das geſammte Haus
Braunſchweig noch gehoͤrte, ein eignes Buch hier-
uͤber ſchrieb (r).


Was aber jene Bedingung betrifft, unter wel-VI.
cher das Reich dem Kaiſer die Friedenshandlungen
uͤberlaßen hatte, ſo ließ der Kaiſer unterm 23. Jun.
1678. zwar dem Reiche zwoͤlf Puncte zur Berath-
ſchlagung vorlegen. Aber ohne hernach dem Rei-
che weitere Nachricht zu geben, ließ er am 20. Jan.
1679. ſich beym Reiche entſchuldigen, daß er von
dem fernern Erfolge der Nimwegiſchen Friedens-
handlungen dem Reiche nicht mehrere vertrauliche
Nachricht habe geben laßen koͤnnen, weil alles eine
Zeit her (wie freylich gemeiniglich bey Friedens-
handlungen der Fall zu ſeyn pfleget) auf lauter Un-
verlaͤßigkeit beruhet habe. Dabey ließ er dem
Reiche jetzt noch einige Projecte und Gegenprojecte
mittheilen, jedoch mit der hinzugefuͤgten Aeuße-
rung, daß ſich auch darauf noch keine Berathſchla-
gungen ſicher begruͤnden laßen wuͤrden. Aber bald
hernach wurde zu Nimwegen am 5. Febr. 1679.
der Friede von den kaiſerlichen Geſandten, zugleich
im Namen des geſammten Reichs, ſchon unter-
zeich-
[288]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.
zeichnet, nachdem man im Frieden ſelbſt eine aus-
druͤckliche Clauſel eingeruͤckt hatte, daß von Reichs
wegen kein Widerſpruch und keine Verwahrung
gegen dieſe nur von den kaiſerlichen Geſandten ge-
ſchehene Unterſchrift angenommen werden ſollte.
Nichts deſto weniger ward dem Reiche nur noch ei-
ne Friſt von acht Wochen ausbedungen, um den
Frieden zu ratificiren. Und das alles ward nun
durch ein kaiſerliches Commiſſionsdecret vom 3.
Maͤrz 1679. dem Reiche bekannt gemacht, mit der
Entſchuldigung, daß es die Zeit nicht anders ertra-
gen habe, daß es aber in Zukunft nicht zur Con-
ſequenz gezogen werden ſollte. Verſchiedene Staͤn-
de konnten zwar ihre Unzufriedenheit daruͤber nicht
bergen. Inzwiſchen mußte ſich doch das Reich
am 23. Maͤrz 1679. zur Genehmigung des
Friedens
bequemen, von dem es ſich gar nicht
ruͤhmen konnte, daß es zu deſſen Schließung
mit beygewirkt haͤtte. Der Koͤnig in Daͤnemark
und der Churfuͤrſt von Brandenburg fuͤhrten zwar
den Krieg fuͤr ſich alleine noch einige Zeit fort. Sie
mußten ſich aber ebenfalls bald zu beſonderen Frie-
densſchluͤſſen bequemen.


VII.

Aus allen den Friedensſchluͤſſen, welche die
Kronen Frankreich und Schweden diesmal mit dem
Kaiſer und ſeinen Bundesgenoſſen zu Stande brach-
ten, war von dem, was in Anſehung des Teut-
ſchen Reichs von fortdaurendem Erfolge war, das
wichtigſte, daß die Grafſchaft Burgund (Fran-
che-Comté
), welche der Koͤnig in Spanien bis-
her als ein Zugehoͤr des Burgundiſchen Kreiſes
unter der Hoheit des Teutſchen Reichs beſeſſen
hat-
[289]3) Rkrieg u. Nimw. Fr. 1672-1679.
hatte, jetzt gaͤnzlich unter Franzoͤſiſche Hoheit kam,
und alſo vom Teutſchen Reiche abgeriſſen wurde.


Unter andern kam damit nicht nur die ehema-VIII.
lige Reichsſtadt Biſanz, wie ſie der Krone Spa-
nien ſchon 1652. als eine Landſtadt uͤberlaßen wor-
den war, unter Franzoͤſiſche Herrſchaft; ſondern
eine natuͤrliche Folge davon erſtreckte ſich auch auf
das Erzbiſthum, das zu Biſanz ſeinen Sitz
hatte. Dieſes Erzbiſthum war damals, als die
Stadt Biſanz der Krone Spanien uͤberlaßen wur-
de, derſelben nicht mit uͤbertragen. Der Erzbi-
ſchof von Biſanz blieb vielmehr nach wie vor ein
Teutſcher Reichsfuͤrſt, der auf der geiſtlichen Bank
im Fuͤrſtenrathe gleich nach dem Erzbiſchofe von
Salzburg uͤber alle Biſchoͤfe ſeinen Sitz hatte.
Die Krone Spanien ließ auch gerne geſchehen, daß
ſeine Stimme im Gange blieb, die ſie natuͤrlicher
Weiſe leicht nach ihren Abſichten lenken konnte.
Nun ward auch im Nimweger Frieden des Erz-
ſtifts Biſanz nicht gedacht. Es war alſo keine
eigentliche Ceſſion deſſelben an Frankreich geſche-
hen. Somit blieb der Name Biſanz auch im
Verzeichniſſe der fuͤrſtlichen Stimmen des Reichs-
fuͤrſtenraths ſtehen, wie er bis auf den heutigen
Tag noch in allen Protocollen des Fuͤrſtenraths da,
wo die Reihe an ihn kaͤme, aufgerufen und nam-
haft gemacht wird, nur freylich mit dem ewigen
Beyſatze: vacat. Auch unter Franzoͤſiſcher Ho-
heit fuͤhrt der Erzbiſchof von Biſanz noch immer
den Titel Prince du Saint Empire. Aber im
uͤbrigen gibt es ſich von ſelbſten, daß weder an
wuͤrkliche Fuͤhrung dieſer Stimme, noch an einige
Wirkſamkeit einer fernern Verbindung mit dem
P. Entw. d. Staatsverf. Th.II. TRei-
[290]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.
Reiche, z. B. in Geldbeytraͤgen u. d. gl. je mehr
zu denken iſt.


IX.

Von dem uͤbrigen Inhalte des Nimweger Frie-
dens iſt hier nur noch zu gedenken, daß die Krone
Frankreich das im Weſtphaͤliſchen Frieden erlangte
Beſatzungsrecht in Philippsburg an Kaiſer und
Reich zuruͤckgab, und ſich dagegen vom Hauſe
Oeſterreich Freyburg mit dem freyen Durchzuge
von Breiſach bis dahin ausbedang. Auf ſolche
Art wurde aus Philippsburg eine Reichsfeſtung,
deren Grund und Boden zwar dem Biſchofe von
Speier zugehoͤrte. Aber die Feſtungswerke wur-
den nun ein Eigenthum des Teutſchen Reichs.
Dieſes hatte nun aber auch die Beſatzung zu beſor-
gen, und die Feſtungswerke zu unterhalten. Zu
dem Ende wurden ſeitdem von Zeit zu Zeit etliche
Roͤmermonathe bewilliget, an deren Bezahlung
jedoch gemeiniglich ſo viele Ruͤckſtaͤnde blieben,
daß ſelten die Reichsfeſtungscaſſe hinreichte, die
noͤthigen Ausgaben zu beſtreiten. Oft mußten
Handwerksleute, die fuͤr die Feſtung als Maurer,
Zimmerleute u. ſ. w. gearbeitet hatten, ſich unmit-
telbar an die allgemeine Reichsverſammlung wen-
den, und um Bezahlung ihrer Rechnungen bitten.
Mit der Beſatzung war die Schwierigkeit noch
groͤßer, wenn ein jeder Reichsſtand ſein Contin-
gent dazu ſchicken ſollte, und alſo z. B. aus Meck-
lenburg und Pommern immer etliche Soldaten bis
an die entgegengeſetzte Graͤnze des Reichs zur Ab-
loͤſung der Philippsburger Beſatzung geſchickt wer-
den ſollten. Proviſoriſch bequemten ſich deswegen
die naͤchſtgelegenen Kreiſe Franken und Schwaben
fuͤr die Beſatzung zu ſorgen; wobey es auch ſeit-
dem
[291]3) Rkrieg u. Nimw. Fr. 1672-1679.
dem geblieben iſt. Die Befehlshaber der Feſtung
wurden jedesmal vom kaiſerlichen Hofe ernannt,
und nur der Reichsverſammlung bekannt gemacht.
(So iſt die Sache fortgefuͤhrt worden, bis am 1.
Nov. 1772. die Kreisbeſatzung die Feſtung ver-
laßen hat. Der damalige Gouverneur Prinz Georg
von Heſſendarmſtadt that zwar einen Vorſchlag,
die Feſtung, wenn man ſie ihm und ſeinen Nach-
kommen erblich uͤberlaßen wollte, auf gewiſſe Be-
dingungen zu uͤbernehmen. Dieſer Vorſchlag kam
aber nicht zu Stande. Inſonderheit widerſprach
der Biſchof von Speier als Landesherr, der nun-
mehr alles in Beſitz hat.)


Von der Krone Schweden bekam das HausX.
Braunſchweig im Nimweger Frieden das Amt Te-
dinghauſen und die Probſtey und Vogtey Dormern
mit dem Striche Landes zwiſchen der Weſer und
Aller, der bisher zum Herzogthum Verden gehoͤrt
hatte. An Churbrandenburg mußte Schweden
ein Stuͤck von Pommern am rechten Ufer der Oder,
und den bisherigen Schwediſchen Antheil an etli-
chen Zoͤllen abtreten. (Der Berliner Hof behau-
ptete aber wegen des in dieſem Kriege erlittenen
Schadens zu einer weit groͤßern Entſchaͤdigung be-
rechtiget zu ſeyn. In dieſer Ruͤckſicht bekam die-
ſes Churhaus in der Folge noch (1694. Dec. 10.)
die Anwartſchaft auf Oſtfriesland und auf die
Grafſchaft Limburg in Franken, wozu jedoch erſt
1715. das churfuͤrſtliche Collegium ſeine Einwilli-
gung gab.)


T 2IV.
[292]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.

IV.
Unmittelbare Folgen des Nimweger. Friedens
1679-1685.; inſonderheit neu eingerichtete
Reichskriegsverfaſſung und Aſſociation der
Kreiſe.


I. Widriger Erfolg des Nimweger Friedens, — un-
ter andern mit Anlegung der Franzoͤſiſchen Rennionscam-
mern. — II. Conferenz zu Frankfurt. — Ueberrumpelung
der Reichsſtadt Straßburg. — Neue Reichskriegsverfaſ-
ſung, — III. IV. mittelſt Vertheilung eines allenfalls dop-
pelt oder dreyfach ins Feld zu ſtellenden Kriegsheeres von
40. tauſend Mann auf die zehn Kreiſe. — V. VI. Beſon-
dere Verhaͤltniſſe der Kreiſe Churrhein, Oberrhein, Baiern
und Oeſterreich in Anſehung dieſer Reichskriegsverfaſſung. —
VII-IX. Anfang und Fortgang der Aſſociation der Kreiſe.


I.

Kaum konnte der ganze Nimweger Friede als ein
wahrer Friede angeſehen werden, weil die
Feindſeligkeiten von Seiten der Krone Frankreich
nach wie vor ihren Fortgang behielten. Es gab
vielmehr gleich nach dem Frieden noch neue Be-
ſchwerden uͤber die Reunionscammern zu Brei-
ſach, Metz und Biſanz, durch welche Ludewig der
XIV. alle in Anſpruch genommene Zugehoͤrungen
von der Landgrafſchaft Elſaß, von den drey Lothrin-
giſchen Biſthuͤmern und von der Grafſchaft Bur-
gund ſich kurz und gut zuſprechen und gleich in Be-
ſitz nehmen ließ: woruͤber ganze Laͤnder, Aemter
und Staͤdte unter Franzoͤſiſche Botmaͤßigkeit geſetzt
wurden, als namentlich unter andern ganz Zwey-
bruͤcken, Saarbruͤcken, Veldenz, Germersheim
u. ſ. w.


Eine
[293]4) Folgen des Nimw. Fr. 1679-1685.

Eine Conferenz, die hieruͤber zu FrankfurtII.
von einer kaiſerlichen Geſandtſchaft und außeror-
dentlichen Reichsdeputation mit einer Franzoͤſiſchen
Geſandtſchaft gehalten werden ſollte, war ſo we-
nig von einigem der Abſicht gemaͤßen Erfolge, daß
vielmehr vor ihrer Eroͤffnung noch die bisherige
Reichsſtadt Straßburg am 20/30 Sept. 1681. von
Franzoͤſiſchen Truppen uͤberrumpelt wurde. Deſto
ernſtlicher wurden inzwiſchen nunmehr die Reichs-
tagsberathſchlagungen, um ſich zu einem neuen
Reichskriege mit Frankreich mit mehrerem Nach-
druck anzuſchicken. In dieſer Abſicht ward ſchon
am 20/30 Aug. 1681. ein Reichsſchluß abgefaſſet,
der die ganze Kriegsverfaſſung des Reichs auf
einen andern Fuß ſetzte, wie ſie ſeitdem bis auf
den heutigen Tag geblieben iſt.


Bisher hatte man von der Reichsarmee weiterIII.
keine Abtheilung gemacht, als wie die Reichsma-
trikel vom Jahre 1521. nach der Ordnung, wie
die Reichsſtaͤnde auf einander folgten, einem jeden
ſein Contingent angewieſen hatte. Da konnte es
nun geſchehen, daß z. B. Soldaten aus Mecklen-
burg und Wuͤrtenberg zuſammen ſtießen, die, weit
entfernt auf einerley Art exercirt und mit einerley
Gewehr verſehen zu ſeyn, einander in ihrer Spra-
che nicht einmal verſtanden. Statt deſſen beſann
man ſich endlich, daß es zweckmaͤßiger ſeyn wuͤrde,
die von jedem Reichsſtande zu ſtellende Mann-
ſchaft nicht nach dem Range der Reichsſtaͤnde,
ſondern nach der Lage ihrer Laͤnder abzutheilen, wo-
zu die Kreisverfaſſung die bequemſten Mittel an
die Hand gab. Man entwarf alſo ein Verzeich-
niß, wie viel Mannſchaft ein jeder Kreis hergeben
T 3ſoll-
[294]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.
ſollte, um ein Kriegsheer von 40. tauſend Mann
zuſammenzubringen. Das Verzeichniß durfte her-
nach nur zwey oder dreyfach erhoͤhet werden, wenn
man ein Kriegsheer von 80. oder 120. tauſend
Mann noͤthig faͤnde. Einem jeden Kreiſe uͤberließ
man aber die Vertheilung des ganzen Kreiscontin-
gents auf ſeine Mitglieder; da dann einige groͤße-
re Staͤnde ganze Regimenter oder Bataillons,
Eſcadrons oder Compagnien mit den dazu gehoͤri-
gen Officiers zu ſtellen bekamen; von anderen
Staͤnden gaben mehrere Nachbaren zuſammen nur
eine Compagnie; manchmal auch ein Reichsſtand
etliche gemeine Soldaten, ein anderer einen Offi-
cier oder Unterofficier u. ſ. w. Jedes vollſtaͤndige
Kreiscontingent ward dann doch in ſoviele Regi-
menter, als die Zahl der Mannſchaft mit ſich brach-
te, und jedes Regiment wieder in ſeine Compa-
gnien vertheilet, die mit einerley Mondur und Ge-
wehr verſehen und nach einerley Vorſchrift in
Kriegsuͤbungen unterhalten werden konnten.


IV.

Die Vertheilung der 40. tauſend Mann auf
die zehn Kreiſe ward zu 12. tauſend Mann zu
Pferde, worunter 2. tauſend Dragoner ſeyn ſoll-
ten, und 28. tauſend zu Fuß nach folgendem Ver-
haͤltniſſe gemacht:


Die
[295]4) Folgen des Nimw. Fr. 1679-1685.
Die Kreiſezu Pferdzu Fuß
Churrhein600.2707.
Oberſachſen1322.2707.
Oeſterreich2522.5507.
Burgund1321.2708.
Franken980.1902.
Baiern800.1494.
Schwaben1321.2707.
Oberrhein491.2853.
Weſtphalen1321.2708.
Niederſachſen1322.2707.
Summa12000. zu Pferd28000. zu Fuß
zuſammen40000. Mann.

Wegen der beiden Kreiſe Churrhein undV.
Oberrhein wurde zugleich erinnert, daß damals
verſchiedene Staͤnde dieſer Kreiſe ihren Antheil zu
ſtellen nicht vermoͤgend geweſen waͤren; daher man
dieſe beiden Kreiſe diesmal geringer angeſetzt habe.
Die uͤbrigen acht Kreiſe haͤtten aber nur fuͤr dies-
mal den daraus im Ganzen erwachſenen Abgang
uͤbernommen, ohne daß es kuͤnftig zur Conſequenz
gezogen werden ſolle. Inzwiſchen hat auch der
Bairiſche Kreis gleich im folgenden Jahre 1682.
behauptet, daß der Anſatz zu 800. Mann zu Pfer-
de und 1494. zu Fuß ſeine Kraͤfte uͤberſteige. An
ſtatt alſo, daß das Triplum davon 2400. Mann
zu Pferde und 4482. zu Fuß betruͤge, hat der
Bairiſche Kreis uͤberall ſich nur zu zwey Regimen-
tern Infanterie zuſammen zu 3473. Mann verſte-
hen wollen, und Cavallerie gar nicht uͤbernommen.


T 4Von
[296]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.
VI.

Von allen Kreiſen war der Oeſterreichiſche
am ſtaͤrkſten angeſetzt, vermuthlich in Ruͤckſicht
darauf, daß das Haus Oeſterreich ohnedem ein
zahlreiches Kriegsheer unterhielt, und bey den Krie-
gen, wo nach der damaligen Lage der Sachen die
Stellung eines Reichskriegsheeres in Frage kom-
men mochte, ſelbſt am meiſten intereſſirt war, um
den uͤbrigen Kreiſen mit einem ſo guten Beyſpiele
vorzugehen. Doch war Boͤhmen in dieſem An-
ſchlage nicht mit begriffen, weil es nicht nur zu
keinem Kreiſe gehoͤrte, ſondern auch unter den Chur-
fuͤrſten faſt nur dem Namen nach mitgerechnet
wurde, ohne ſich ſonſt zum Reiche zu halten. (Im
Jahre 1708. iſt das zwar durch Readmiſſion der
Boͤhmiſchen Chur gehoben; ein Anſchlag zu jenem
Volksbeytrage iſt aber nicht nachgeholet worden.)


VII.

Eine andere Folge der damaligen Zeitlaͤufte in
Beziehung auf die Reichskriegsverfaſſung aͤußerte
ſich darin, daß am 31. Jan. 1682. einige Ober-
rheiniſche und Weſterwaͤldiſche Reichsſtaͤnde mit
dem Fraͤnkiſchen Kreiſe, wegen der Gefahr, die ſie
zunaͤchſt von Franzoͤſiſchen Feindſeligkeiten zu be-
ſorgen hatten, unter dem Namen einer Aſſocia-
tion
ein Vertheidigungsbuͤndniß ſchloſſen, wel-
chem der Kaiſer ſelbſt bald hernach beytrat (1682.
Jun. 10.); worauf auch der Beytritt des Bairi-
ſchen Kreiſes (1683. Maͤrz 28.), und, nach meh-
reren einzelnen Buͤndniſſen, zuletzt (1689. Febr.
14.) vom ganzen Reiche die Kriegserklaͤrung ge-
gen Frankreich erfolgte.


VIII.

Seitdem iſt in mehr aͤhnlichen Faͤllen, wenn
es darum galt, einen Reichskrieg mit Frankreich
zu
[297]4) Folgen des Nimw. Fr. 1679-1685.
zu Stande zu bringen, jedesmal mit der Aſſocia-
tion einiger vorliegenden Kreiſe der Anfang gemacht
worden. Man konnte alsdann in Anſehung der
aſſociirten Kreiſe gemeiniglich etwas ſicherer darauf
rechnen, daß ſie wenigſtens ihre Contingente richti-
ger ins Feld ſtellten. Und dann war es immer
ein guter Vorſprung, um hernach auch die noch
uͤbrigen Reichstagsſtimmen zu Beſchließung eines
Reichskrieges zu gewinnen. (Nur mit den Ver-
aͤnderungen, die ſich nach Carls des VI. Tode zu-
trugen, hat auch dieſe Sache eine ganz andere
Wendung bekommen.)


In der damaligen Lage, worin Leopold jene er-IX.
ſte Aſſociation zu benutzen ſuchte, kam zwar noch
ein zwanzigjaͤhriger Stillſtand, den der Kai-
ſer am 15. Aug. 1684. mit Frankreich ſchloß, da-
zwiſchen. Aber es gab doch bald wieder ganz an-
dere Cataſtrophen, die das alles von neuem unter-
brachen, und das Reich dennoch nicht nur in einen
neuen Krieg mit Frankreich verwickelten, ſondern
auch ſonſt noch weitausſehende Folgen, die zum
Theil bis auf den heutigen Tag wirkſam geblieben
ſind, zuruͤcklieſſen.


T 5V.
[298]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.

V.
Abgang der Pfalzſimmeriſchen Churlinie, und
deren Folgen 1685-1697. Neuer Reichskrieg
mit Frankreich, und Ryswickiſcher Friede.


I. Tod des Churfuͤrſten Carls von der Pfalz, womit
die bisherige Simmeriſche Churlinie ein Ende nahm. —
Gegen die folgende Pfalzneuburgiſche Churlinie unterſtuͤtzte
Frankreich Anſpruͤche der Herzoginn von Orleans; — wor-
uͤber es zuletzt zum neuen Reichskriege mit Frankreich kam,
dem erſt der Ryßwickiſche Friede ein Ende machte. — II.
Neue Schwierigkeit bey der Art dieſer Friedenshandlun-
gen. — III. Durch den Frieden erhielt das Reich an Kehl
eine neue Reichsfeſtung, verlohr aber Straßburg und an-
dere reunirte Orte jenſeits des Rheins. — IV-IX Wegen
der an dieſer Seite des Rheins in Beſitz genommenen Or-
te, die Frankreich zuruͤckgeben mußte, ward im vierten Ar-
tikel des Friedens eine dem evangeliſchen Religionsweſen
ſehr nachtheilige Clauſel eingeruͤckt: daß die catholiſche Re-
ligion an ſolchen Orten bleiben ſollte, wie ſie jetzt ſey; —
ganz gegen den Inhalt des ſonſt zum Grunde gelegten
Weſtphaͤliſchen Friedens, und gegen die vermoͤge der Wahl-
capitulation darauf in Beziehung geſtandene Reichsinſtru-
ction. — X. Gleichwohl erfolgte die Unterſchrift des Frie-
dens, wiewohl nur von drey evangeliſchen Deputirten, —
XI. und die Ratification durch ein Reichsgutachten, nur
mit [Beyfuͤgung] eines Poſtſcriptes auf Verlangen der Pro-
teſtanten. — XII. Am Reichstage kam es aber noch zu
weiteren Widerſpruͤchen; — XIII. zumal da es um 1922.
Orte galt, worin der Religionszuſtand unter dem Schutz
dieſer Clauſel veraͤndert wurde.


I.

Eine der groͤßten Cataſtrophen veranlaßte der
Tod des Churfuͤrſten Carls von der Pfalz,
als des letzten von der bisherigen Pfalzſimmeriſchen
Linie († 1685. May 16.). Er gab vorerſt neuen
Stoff zu Irrungen mit der Krone Frankreich, weil
eine Schweſter des verſtorbenen Churfuͤrſten ſeit
1671.
[299]5) Rkrieg u. Ryßw. Fr. 1685-1697.
1671. an den Herzog von Orleans vermaͤhlt war,
die nunmehr als Mobiliarerbinn ihres Bruders
mit ſolchen Anſpruͤchen zum Vorſchein kam, daß
dem neuen Churfuͤrſten Philipp Wilhelm von der
Pfalzneuburgiſchen Linie von dem, was die Sim-
meriſche Linie beſeſſen hatte, nichts, als was eigent-
lich Lehn waͤre, uͤbrig gelaßen werden ſollte. Die-
ſe Anſpruͤche unterſtuͤtzte Ludewig der XIV. mit ſol-
chem Eifer, daß zuletzt 1688., als eben noch ei-
ne Irrung wegen des Erzſtifts Coͤlln, wozu der
Franzoͤſiſche Hof den Biſchof von Straßburg, vom
fuͤrſtlichen Hauſe Fuͤrſtenberg, der kaiſerliche den
Bairiſchen Prinzen Joſeph Clemens verhelfen woll-
te, hinzukam, auf einmal eine maͤchtige Franzoͤſi-
ſche Armee ins Badiſche, Wuͤrtenbergiſche und in
die Pfalz einruͤckte. Woruͤber der zwanzigjaͤhri-
ge Stillſtand von ſelbſten ein Ende nahm, und
ein faſt allgemeiner Krieg ausbrach, dem erſt der
Ryswickiſche Friede 1697. ein Ende machte.


Der Ryßwickiſche Friede war in ſo weit alsII.
der erſte in ſeiner Art anzuſehen, weil diesmal
nicht, wie beym Nimweger Frieden, dem Kaiſer
die Friedenshandlungen fuͤr das Reich mit uͤber-
laßen wurden, ſondern eine eigne außerordentliche
Reichsdeputation von 32. Reichsſtaͤnden beider Re-
ligionen ernannt ward, um durch ihre Subdele-
girten den Friedenshandlungen zu Ryßwick beyzu-
wohnen. Doch ereignete ſich auch hier wieder ein
neuer Anſtand, da die reichsſtaͤndiſchen Subdele-
girten, die ſich zu Ryßwick einfanden, zu den Con-
ferenzen mit den auswaͤrtigen Geſandten doch nicht
zugelaßen wurden, ſondern die kaiſerliche Geſandt-
ſchaft ihnen nur, wo ſie es gut fand, die noͤthigen
Nach-
[300]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.
Nachrichten gab, und ſie um ihre Beyſtimmung
anſprach. (Erſt 1742. iſt in der Wahlcapitula-
tion verordnet worden: daß zu den Congreſſen mit
Geſandten auswaͤrtiger Maͤchte, beſonders ſolcher,
mit denen man im Kriege befangen geweſen, die
Reichsdeputirten unweigerlich zugelaßen werden,
und die kaiſerlichen Geſandten ohne deren Zuzie-
hung nichts verhandeln, noch auch die Reichsde-
putirten zu vertreten unternehmen ſollen (s). Es
iſt aber auch ſeitdem dieſe Verordnung noch nicht
in wuͤrkliche Ausuͤbung gekommen.)


III.

Der Friede ſelbſt entſprach bey weitem nicht
der Erwartung, die man ſich davon gemacht hatte.
Der Koͤnig in Frankreich verſprach zwar alles, was
er am rechten Ufer des Rheins hatte beſetzen laßen,
zuruͤckzugeben, wodurch unter andern das geſamm-
te Reich nicht nur Philippsburg zuruͤckbekam, ſon-
dern auch an Kehl, als einem inzwiſchen von
Frankreich zur Feſtung gemachten Orte gegen der
Straßburger Rheinbruͤcke uͤber noch eine zweyte
Reichsfeſtung
dazu bekam (die jedoch nachher
im Jahre 1754. noch eher als Philippsburg von
ihrer Beſatzung, die der Schwaͤbiſche Kreis bis
dahin hergegeben hatte, verlaßen worden.) Hin-
gegen die Stadt Straßburg und alles uͤbrige, was
am linken Ufer des Rheins von Frankreich einge-
nommen war, blieb in Franzoͤſiſchen Haͤnden.


IV

Was aber vollends unerwartet war, und bis
auf den heutigen Tag nicht hat verwunden werden
koͤnnen, betraf eine Veraͤnderung des Religions-
zuſtandes, die in einem betraͤchtlichen Theile von
Teutſch-
[301]5) Rkrieg u. Ryßw. Fr. 1685-1697.
Teutſchland durch eine Clauſel veranlaßt wurde,
welche die Franzoͤſiſchen Geſandten auf eine ganz
ſonderbare Art im Frieden eingeruͤckt haben wollten.


Nehmlich unter den Orten, welche FrankreichV.
unter dem Vorwande der Reunion ſeit dem Nim-
weger Frieden in Beſitz genommen hatte, waren
viele, wo die Franzoſen catholiſchen Gottesdienſt
eingefuͤhrt und evangeliſche Kirchenguͤter den Ca-
tholiſchen zugewandt hatten. Im zwanzigjaͤhrigen
Stillſtande (1684. Art. 8.) wurde deswegen auf
die daruͤber von den Proteſtanten gefuͤhrte Be-
ſchwerde ausgemacht, daß im Religionszuſtande
alles auf den Fuß des Weſtphaͤliſchen Friedens ge-
laßen werden ſollte. Allein unter anderen Fran-
zoͤſiſchen Contraventionen dieſes Stillſtandes war
auch dieſe, daß die Franzoſen fortfuhren, das Si-
multaneum
an den von ihnen eingenommenen Or-
ten einzufuͤhren. Wovon daher eine der Urſachen,
warum das Reich der Krone Frankreich (1689.)
den Krieg ankuͤndigte, mit hergenommen wurde.


Selbſt in der Wahlcapitulation Joſephs desVI.
I., die inzwiſchen 1690. zu Stande kam, wurde
es dem Kaiſer zur Pflicht gemacht, ”ernſtlich dar-
an zu ſeyn, daß das vom Feinde im Reiche occu-
pirte, oder im kirchlichen und politiſchen Zuſtande
(in eccleſiaſticis et politicis) geaͤnderte zu der be-
druͤckten Staͤnde und Unterthanen Conſolation in
den alten den Reichsfundamentalgeſetzen und Frie-
densſchluͤſſen gemaͤßen Stand reſtituirt werde.”
(Unter Friedensſchluͤſſen konnten hier keine andere
als die von Muͤnſter und Osnabruͤck und Nimwe-
gen verſtanden werden. Alſo war die Meynung,
daß
[302]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.
daß alles dem im Weſtphaͤliſchen Frieden vergliche-
nen Entſcheidungsziele gemaͤß hergeſtellt werden
ſollte.)


VII.

Darauf gieng auch der ausdruͤckliche Inhalt
der Inſtruction, die (1697. Jan. 15.) von ge-
ſammten Reichs wegen fuͤr die zu den Ryßwicki-
ſchen Friedenshandlungen beſtimmte Reichsdeputa-
tion abgefaſſet wurde. Die Evangeliſchen aͤußer-
ten den Wunſch, daß wegen des herzuſtellenden
Religionszuſtandes ein auf alle beſondere Umſtaͤnde
ganz genau gerichteter Artikel im Frieden einge-
ruͤckt werden moͤchte. Die kaiſerlichen Geſandten
erklaͤrten aber: zu den Friedenshandlungen ſey nur
zu laßen, was zwiſchen dem Teutſchen Reiche und
der Krone Frankreich zu eroͤrtern ſey, nicht aber,
was nur die innere Reichsverfaſſung oder einzelne
Reichsſtaͤnde unter einander betraͤfe. Jetzt muͤße
man nur erſt auf Wiedererlangung der von Frank-
reich weggenommenen Orte und Laͤnder bedacht
ſeyn. Was ſich dann von Veraͤnderungen, die
gegen den Weſtphaͤliſchen Frieden vorgegangen
ſeyen, hervorthun moͤchte, wuͤrde hernach durch
Verwendung des kaiſerlichen Amts herzuſtellen
ſeyn.


VIII.

Man begnuͤgte ſich alſo damit, daß uͤberhaupt
gleich im dritten Artikel des Ryßwickiſchen Frie-
dens der Weſtphaͤliſche und Nimwegiſche Friede
ausdruͤcklich zum Grunde gelegt wurden, mit dem
Zuſatz, daß gleich nach ausgewechſelten Ratifica-
tionen beide letztere Friedensſchluͤſſe ſowohl in Re-
ligions- als andern Sachen vollſtaͤndig vollzogen,
und kuͤnftig genau beobachtet werden ſollten, ſo-
fern
[303]5) Rkrieg u. Ryßw. Fr. 1685-1697.
fern nicht eine ausdruͤckliche Aenderung beliebt
wuͤrde. Unmittelbar hernach hieß es nun im vier-
ten Artikel: die von Frankreich außer Elſaß reunir-
ten Orte ſollten ihren vorigen Beſitzern zuruͤckge-
geben werden. Da verſtand ſich alſo von ſelbſten,
daß zugleich alles, was an ſolchen Orten gegen das
im Weſtphaͤliſchen Frieden verglichene Entſchei-
dungsziel vorgenommen worden, nach dem Sinne
des Weſtphaͤliſchen Friedens hergeſtellt werden
muͤße. Daß hiervon eine Ausnahme ſtatt finden
ſollte, davon war bis auf die letzte Stunde, da
ſchon der ganze Friede zu Ryßwick berichtiget war,
gar keine Frage.


Man war ſchon damit beſchaͤfftiget den Frie-IX.
den ins Reine zu ſchreiben, als am 29. Oct. 1697.
kurz vor Mitternacht der Franzoͤſiſche Geſandte dar-
auf drang im vierten Artikel noch die Clauſel bey-
zufuͤgen: ”daß die Roͤmiſchcatholiſche Religion an
den von Frankreich zuruͤckzugebenden Orten ſo blei-
ben ſolle, wie ſie jetzt ſey;” mit der hinzugefuͤgten
Bedrohung, daß der Koͤnig ſonſt die Friedens-
handlungen gleich abbrechen, und gegen diejenigen,
die hierin Schwierigkeit machten, den Krieg fort-
ſetzen wuͤrde.


So offenbar nun der Widerſpruch war, worinX.
dieſe Clauſel mit dem im Weſtphaͤliſchen Frieden
verglichenen Entſcheidungsziele ſtand, und ſo we-
nig ſie alſo mit der allen Reichsdeputirten vorge-
ſchriebenen Reichsinſtruction, und mit der ganzen
bisherigen Friedenshandlung beſtehen konnte; ſo
aͤußerten doch die catholiſchen Subdelegirten, daß
ſie lieber auf jede Bedingung den Frieden unter-
ſchrei-
[304]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.
ſchreiben, als eine weitere Fortſetzung des Krieges
veranlaßen wuͤrden, zumal da die Franzoͤſiſchen
Geſandten wiederholt erklaͤrten: ihres Koͤnigs Eh-
re und Gewiſſen litte nicht davon abzugehen, daß
die Kirchen, die er aus Andacht bauen laßen, in
ihrem Weſen erhalten werden muͤßten. So un-
terſchrieben alſo die kaiſerlichen und der catholiſchen
Staͤnde Geſandten, aber von evangeliſchen nur die
von Wuͤrtenberg, Wetterauiſchen Grafen und der
Reichsſtadt Frankfurt. Alle uͤbrige evangeliſche
Geſandten gaben vielmehr eine von ihnen unter-
ſchriebene Erklaͤrung an die vermittelnden Maͤchte,
wie ſie darum den Frieden nicht unterſchreiben
koͤnnten, weil die eingeſchobene Clauſel ſowohl dem
Weſtphaͤliſchen Frieden und der Wahlcapitulation,
als der vom Reiche erhaltenen Inſtruction, und
ſelbſt den bisherigen Friedenshandlungen und eig-
nen kaiſerlichen und Franzoͤſiſchen Erklaͤrungen ent-
gegen ſey.


XI.

Inzwiſchen war zur Ratification des Friedens,
die auch von der Reichsverſammlung zu Regens-
burg geſchehen ſollte, nur eine Friſt von ſechs Wo-
chen geſetzt, unter gleicher Bedrohung, ſonſt den
Krieg gegen diejenigen, die ſich derſelben widerſetz-
ten, fortzufuͤhren. Darauf wurde zwar (1697.
Nov. 26.) ein Reichsgutachten zur Ratification
abgefaßt, jedoch mit einem eignen Poſtſcripte,
worin auf eine Verſicherung angetragen wurde:
daß die Catholiſchen gegen die proteſtantiſchen
Staͤnde im ganzen Reiche ſich dieſer Clauſel nie be-
dienen wuͤrden, und die Clauſel alſo nur eine Sa-
che zwiſchen dem Reiche und der Krone Frankreich
bleiben ſolle, zumal da die Franzoͤſiſche Geſandt-
ſchaft
[305]5) Rkrieg u. Ryßw. Fr. 1685-1697.
ſchaft zu Ryßwick ſelbſt erklaͤret habe, daß die Clau-
ſel nur von wenigen vom Koͤnige ſelbſt erbauten
und dotirten Kirchen zu verſtehen ſey.


Nichts deſto weniger gab der Kaiſer die Rati-XII.
fication hernach dennoch unbedingt von ſich, ohne
jener Nachſchrift einmal Erwehnung zu thun. Als
aber daruͤber die Sache ſelbſt zu Regensburg von
neuem zur Sprache kam, gab es zwiſchen beiden
Religionstheilen ſo heftige Aeuſſerungen, daß man
endlich rathſam fand ſolche beiderſeits gegenſeitig
zuruͤckzunehmen, und daß doch zuletzt der ganze
Reichstag damals in Unthaͤtigkeit hieruͤber gerieth.
Das einzige, womit der evangeliſche Religions-
theil am Ende hingehalten wurde, beſtand darin,
daß man wahrſcheinlich vorausſehen konnte, es
wuͤrde naͤchſtens uͤber die Spaniſche Succeſſion von
neuem zum Kriege mit Frankreich kommen, da
dann der ganze Ryßwickiſche Friede, und mit dem-
ſelben auch die Clauſel des vierten Artikels von ſelb-
ſten wegfallen wuͤrde.


Inzwiſchen ergab ſich aus einem Verzeichniſſe,XIII.
das der Franzoͤſiſche Geſandte von Chamois (1699.)
zu Regensburg bekannt machte, daß es nicht etwa
nur um die von Frankreich dotirten Kirchen galt,
deren an der Zahl doch nur 29. waren, ſondern
um 1922. Orte, deren Religionszuſtand unter
dem Schutz dieſer Clauſel veraͤndert wurde. Man
begnuͤgte ſich jetzt nicht mit dem buchſtaͤblichen Sinn
der Clauſel: die catholiſche Religion an den reſti-
tuirten Orten zu laßen, wie ſie jetzt ſey; ſondern
man zog dieſe letzteren Worte auf die ganze Zeit
des vorhergegangenen Krieges zuruͤck. Wo auch
P. Entw. d. Staatsverf. Th.II. Uin
[306]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.
in der ganzen Zeit in einer evangeliſchen Kirche
nur einmal im Vorbeygehen ein catholiſcher Feld-
prediger ſeinen Gottesdienſt gehalten hatte, da
ſollte dieſer Gottesdienſt jetzt ſeinen Fortgang be-
halten.


VI.
Veraͤnderter Religionszuſtand in der Pfalz.
Erledigung der Anſpruͤche der Herzoginn von
Orleans. Streit uͤber die Churfolge in
der Pfalz 1685-1697.


I. II. Unter den catholiſchen Landesnachfolgern in der
Pfalz ward die catholiſche Religion zum Nachtheil der evan-
geliſchen gar ſehr beguͤnſtiget. — III. Ein Vertrag, den
das Haus Brandenburg im Jahre 1705. mit Churpfalz ſchloß,
half zwar etwas, mußte aber doch ſchon ſehr vieles nachge-
ben. — IV. In der Folge wurden die Proteſtanten in der
Pfalz doch noch immer mehr verdraͤngt und beſchweret; —
V. inſonderheit da faſt alle Dienſte bey Hof und im Lande
nur mit Catholiſchen beſetzt wurden. — VI. Andere prote-
ſtantiſche Laͤnder nahmen ſowohl Pfaͤlzer als Franzoͤſiſche
Fluͤchtlinge, die nach der Wiederrufung des Edicts von
Nantes ihr Vaterland verließen, willig auf. — VII. VIII.
Entſcheidung der Anſpruͤche der Herzoginn von Orleans. —
IX. Streit uͤber die Ordnung der Nachfolge in der Pfaͤlzi-
ſchen Chur. — Von nun an mehr berichtigte Begriffe von
der Linealfolge nach dem Rechte der Erſtgebuhrt.


I.

Die ganze Geſchichte der Ryßwickiſchen Clauſel
war deſto bedenklicher, weil das ganze Chur-
fuͤrſtenthum Pfalz jetzt einen catholiſchen Landes-
herrn hatte. Es war zwar zwiſchen dem letzten
Churfuͤrſten von der Simmeriſchen Linie und dem
erſten vom Hauſe Neuburg noch vor des erſtern
Tode
[307]6) Veraͤnd. in der Pfalz 1685-1697.
Tode (1685. Jan. 5.) ein Vertrag entworfen,
und von beiderſeitigen Raͤthen zu Schwaͤbiſch Hal-
le (1685. May 12.) gezeichnet worden, vermoͤge
deſſen die Reformirten und Lutheriſchen im Lande
nach Vorſchrift des Weſtphaͤliſchen Friedens bey
ihrer Religion geſchuͤtzt, auch in Landesbedienun-
gen nicht ausgeſchloſſen werden ſollten (t): Aber
vors erſte verlohr die Pfalz ſchon viele ihrer bishe-
rigen proteſtantiſchen Einwohner durch die unerhoͤr-
te Grauſamkeit, womit der Franzoͤſiſche Miniſter
Louvois im Jan. und Febr. 1689. in dem ganzen
Striche Landes von Speier bis Oppenheim alle
Staͤdte und Doͤrfer einaͤſchern ließ. Und der Re-
ligionszuſtand der evangeliſchen Pfaͤlzer ward her-
nach von einer Regierung zur andern noch immer
bedraͤngter.


Der Churfuͤrſt Johann Wilhelm, der nach ſei-II.
nem Vater Philipp Wilhelm († 1690. Sept. 2.)
zur Regierung gekommen war, und ſich ganz von
Jeſuiten lenken ließ, benutzte nicht nur die Ryß-
wickiſche Clauſel dazu, daß die Catholiſchen alles,
was ſie waͤhrenden Krieges den Evangeliſchen an
Kirchen, Pfarrhaͤuſern, Schulen und Einkuͤnften
genommen hatten, behielten. Sondern er gab
jetzt noch einen Befehl, daß den im Reiche einge-
fuͤhrten drey Religionen, wo nicht etwa vermoͤge
des Ryßwickiſchen Friedens bloß ausſchließlich ca-
tholiſche Religionsuͤbung behauptet werden koͤnnte,
durchgaͤngig der gemeine Gebrauch der Kirchen,
Freud-
U 2
[308]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.
Freudhoͤfe und Klocken verſtattet werden ſollte; nur
ſo, daß eine Religion der andern in deren Uebung
nicht hinderlich falle. Daneben uͤbergab er alle
geiſtliche Guͤter, unter dem Anfuͤhren, daß ſolche
bisher uͤbel verwaltet waͤren, einer ſo genannten
Admodiations-Commiſſion, wozu hauptſaͤchlich ca-
tholiſche Raͤthe geordnet wurden. Nun fieng man
an den evangeliſchen Geiſtlichen ihre Beſoldungen
einzuſchraͤnken, und den catholiſchen neue zuzulegen.
Das einmal eingefuͤhrte Simultaneum ſollte nun
auch ſchon einen Rechtsgrund dazu hergeben, daß
kuͤnftig alle Einkuͤnfte der evangeliſchen Kirchen-
und Schulbedienten, als ein Zugehoͤr des Gottes-
dienſtes, verhaͤltnißmaͤßig mit den Catholiſchen ge-
theilt werden muͤßten; ohne noch vieler andern
einzelnen Neuerungen wegen Feierung der catholi-
ſchen Feiertage, wegen Erziehung der Kinder aus
vermiſchten Ehen u. d. g. zu gedenken (u). Alle
dieſe Dinge bewogen das evangeliſche Corpus, un-
term 28. Nov. 1698. der Churpfaͤlziſchen Geſandt-
ſchaft zu Regensburg (v), und im Jul. 1699.
dem Churfuͤrſten von der Pfalz ſelbſten durch den
im Namen des geſammten evangeliſchen Religions-
theils eigends deshalb an den Churfuͤrſten abge-
ſandten Churbrandenburgiſchen geheimen Regie-
rungsrath, Freyherrn von Wyllich zu Boetzelaer,
dienliche Vorſtellungen thun zu laßen (w). Allein
es war alles vergeblich (x). Die Vorſtellungen,
wel-
[309]6) Veraͤnd. in der Pfalz 1685-1697.
welche hernach das evangeliſche Corpus unterm
24. Dec. 1700. und 23. May 1701. in eigenen
Schreiben an den Kaiſer ergehen ließ, waren eben
ſo fruchtlos (y). Kaum machten die von Chur-
brandenburg zuletzt mit Ernſt gedrohten Repreſſa-
lien annoch einigen Eindruck.


Dieſen letzteren war es zu verdanken, daß her-III.
nach im Jahre 1705. zwiſchen den beiden Chur-
haͤuſern Brandenburg und Pfalz noch ein Vertrag
und eine ſich darauf beziehende Churpfaͤlziſche
Religionsdeclaration
zu Stande kam, worin
noch ein und anderes zu Erhaltung des evangeli-
ſchen Religionsweſens in der Pfalz geordnet wur-
de, aber auch ſchon viel nachtheiliges eingeraͤumt
werden mußte. So ſollte z. B. in Oberamtsſtaͤd-
ten, wo mehrere Kirchen waͤren, den Catholiſchen
ausſchließlich eine eingeraͤumt werden. Wo aber
nur eine ſey, ſollten die Catholiſchen das Chor,
die Proteſtanten das Schiff der Kirche haben. In
den uͤbrigen Staͤdten, Flecken und Doͤrfern ſollte
ſowohl in Anſehung der Kirchen als der Kirchen-
guͤter und alles zugehoͤrigen, wie auch in Anſehung
der Spitaͤler, Waiſen- und Armenhaͤuſer kuͤnftig
dieſe Proportion beobachtet werden, daß die Ca-
tholiſchen 2/7, die Reformirten 5/7 haben ſollten ꝛc.
Alle Kirchenguͤter und Gefaͤlle ſollten deswegen
durch eine Generaladminiſtration von zwey catho-
liſchen und zwey reformirten Raͤthen verwaltet,
und alle Vierteljahre nach gedachter Proportion ge-
theilet werden ꝛc. Der reformirte Kirchenrath
ſollte in ſeinen vorigen Stand und Jurisdiction
herge-
U 3
[310]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.
hergeſtellt werden; doch ſollte das Lutheriſche Con-
ſiſtorium davon unabhaͤngig bleiben und ſeine eigne
Adminiſtration der den Lutheriſchen 1624. zuge-
kommenen geiſtlichen Guͤter behalten ꝛc. Uebri-
gens ſollte ein jeder die Freyheit haben, eine der
drey im Reiche erlaubten Religionen oͤffentlich zu
bekennen, und nach Belieben ſich von einer zur
andern zu begeben. In vermiſchten Ehen ſollte
in Anſehung der Religion der Kinder und deren
Bevormundung den Eheberedungen oder in deren
Ermangelung dem Haupte der Familie nachgegan-
gen werden, jedoch mit Vorbehalt der Gewiſſens-
freyheit der Kinder, wenn ſie zu den Jahren ihrer
eignen Discretion kaͤmen. Bey catholiſchen Pro-
ceſſionen ſollten die Proteſtanten nicht angehalten
werden Gras zu ſtreuen, mit dem Gewehr aufzu-
warten, Fahnen oder Kreuze zu tragen. Auch
ſollte man ſie nicht noͤthigen das Ave Maria oder
catholiſche Feiertage anzulaͤuten, noch bey der Mor-
gens-Mittags- oder Abendsklocke den Huth ab-
zuziehen, noch vor dem Venerabile das Gewehr zu
praͤſentiren oder niederzuknieen, an catholiſchen
Feiertagen ihre Arbeiten einzuſtellen, ſich der Noth-
taufe oder catholiſcher Hebammen zu bedienen, Faſt-
tage mitzuhalten, der Religion halber zu emigri-
ren u. ſ. w. Mit den Eheſachen ſollte es end-
lich nach der Ehegerichtsordnung gehalten werden,
und in vermiſchten Faͤllen der Klaͤger dem Gerichts-
ſtande des Beklagten nachgehen (z).


Selbſt
[311]6) Veraͤnd. in der Pfalz 1685-1697.

Selbſt aus dem Inhalte dieſes Vergleichs laͤßtIV.
ſich abnehmen, was damals ſchon die Proteſtan-
ten in der Pfalz fuͤr Beſchwerden gehabt haben.
Es iſt aber auch dabey ſeitdem noch lange nicht
geblieben (a). Durch die den Reformirten entzo-
genen und den Catholiſchen zugewandten Kirchen-
guͤter und Gefaͤlle wurden die Mittel zum Unter-
halt der reformirten Geiſtlichen ſo vermindert, daß
uͤber 60. reformirte Pfarrer- und Schuldienerſtellen
eingehen mußten. Viele betraͤchtliche Guͤter wur-
den den Reformirten entzogen und theils Jeſuiten
oder anderen Orden uͤberlaßen (b), theils ſonſt
ver-
U 4
[312]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.
veraͤußert (c), ohne daß jene eine Verguͤtung da[-]
fuͤr erhielten. Die Verwaltung der Kirchenguͤter
ward einer geiſtlichen Adminiſtration uͤbergeben,
die aus zwey reformirten und zwey catholiſchen Raͤ-
then beſtehen ſollte. Deren Anzahl iſt aber bis
auf 28. Raͤthe und gegen 70. Subalternbedienten
angewachſen und der ganzen Adminiſtration noch
ein catholiſcher Praͤſident vorgeſetzt worden, der es
in ſeiner Gewalt hat, ſeine Religionsverwandten
mit vortheilhaften Commiſſionen und Geſchaͤfften
vorzuͤglich zu beguͤnſtigen, und uͤberhaupt den ca-
tholiſchen Raͤthen ein merkliches Uebergewicht zu
verſchaffen. Die Beſoldungen dieſer Adminiſtra-
tion ſind nun ſelbſt ſo hoch geſtiegen, daß fuͤr die
reformirten Kirchen und Schulen deſto weniger
uͤbrig blieb (d). Selbſt bey den gemeinſchaftli-
chen
[313]6) Veraͤnd. in der Pfalz 1685-1687.
chen Recepturen ſind an ſtatt des Verhaͤltniſſes von
5/7, die reformirt ſeyn ſollten, nur 23. Reformirte
gegen 26. Catholiſche und 8. Lutheriſche angeſetzt.
Der Kirchenrath, der ſonſt als eines der erſten
Landescollegien unmittelbar im Namen des Chur-
fuͤrſten die Aufſicht uͤber das ganze Kirchen- und
Schulweſen zu fuͤhren hatte, iſt von der Regierung
gleichſam zu einer Unterſtelle herabgewuͤrdiget wor-
den. Gewiſſe Convente, die endlich nach der Pfaͤl-
ziſchen Kirchenverfaſſung ſelbſt von den reformirten
Pfarrern und Superintendenten oder Inſpectoren
von Zeit zu Zeit gehalten werden ſollten, ſind zu-
letzt gar verboten worden. Auf ſolche Art hat die
reformirte Religion, die noch im Jahre 1618. die
wahre Landesreligion war, und vermoͤge des Weſt-
phaͤliſchen Friedens eben das Jahr zum Entſchei-
dungsziele ihrer Herſtellung und Aufrechthaltung
haben ſollte, in manchem Betrachte kaum ſo viele
Freyheit behalten, als ſelbſt der Judenſchaft nicht
beſtritten wird.


Inſon-

(d)


U 5
[314]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.
V.

Inſonderheit haben die Proteſtanten in der
Pfalz noch dadurch am meiſten verlohren, daß bey-
nahe alle Bedienungen bey Hofe und im ganzen
Lande nur mit Catholiſchen beſetzt worden (e).
Das alleine hat natuͤrlicher Weiſe immer mehr ca-
tholiſche Familien ins Land gezogen und empor ge-
bracht. Durch Beguͤnſtigung vermiſchter Ehen
und der Kinder Erziehung in der catholiſchen Reli-
gion, durch beguͤnſtigte Religionsveraͤnderungen
oder Aufnahme neuer catholiſcher Buͤrger und Un-
terthanen, und wer weiß durch wie viel andere
Mittel hat ſich auf ſolche Art die Anzahl der Ca-
tholiſchen im Lande immer mehr vergroͤßert. Da
hingegen viele proteſtantiſche Pfaͤlzer auswaͤrts ihr
Gluͤck ſuchen muͤßen, und alſo verhaͤltnißmaͤßig ab-
genommen, wie jene zugenommen haben. Das
alles unter mehreren Regierungen nach einander
fortgefuͤhret, mußte freylich dem ganzen Lande eine
voͤllig veraͤnderte Geſtalt geben, daß es gegen die
vorigen Zeiten ſich nicht mehr gleich ſehen konnte.


VI.

Ein trauriger Troſt mußte es fuͤr die Pfaͤlzi-
ſchen Proteſtanten ſeyn, wenn ſie ſahen, daß eben
der
[315]6) Veraͤnd. in der Pfalz 1685-1697.
der Monarch, dem die Pfalz im Jan. und Febr.
1689. ihre Einaͤſcherung, und hernach 1697. die
Clauſel des Ryßwickiſchen Friedens zu danken hat-
te, in ſeinem eignen Reiche durch Wiederrufung
des Edicts von Nantes Millionen ihrer Glaubens-
genoſſen ungluͤcklich gemacht, und großentheils zum
Wanderſtabe gebracht hatte. Ein Umſtand, wo-
von viele Teutſche Reichsſtaͤnde vortrefflichen Ge-
brauch zu machen wußten, um mit dieſen Franzoͤ-
ſiſchen Fluͤchtlingen
neue Gewerbe in ihr Land
zu bringen, da man hin und wieder ſelbſt neue
Staͤdte und Doͤrfer fuͤr ſie anlegen ließ; ſo daß
auch das dazu beygetragen hat, mancher Teutſchen
Gegend eine andere Geſtalt zu geben.


Was uͤbrigens jene Anſpruͤche der [Herzo-]VII.
ginn von Orleans anbetrifft, die zu dem Kriege,
dem der Ryßwickiſche Friede ein Ende machte, we-
nigſtens dem Namen nach den erſten Anlaß gege-
ben hatten; ſo waren ſolche allerdings in ſo weit
nicht ungegruͤndet, als nach dem unter unſern fuͤrſt-
lichen Haͤuſern uralthergebrachten Succeſſionsrech-
te eine Tochter, ſo lange Bruͤder von ihr da ſind,
nichts als ihre Ausſteuer begehren kann, aber wenn
mit einem Bruder, wie hier der Fall war, der
Mannsſtamm einer Linie erloͤſcht, und das Land
einem Stammsvetter von einer andern Linie zu-
faͤllt, alsdann die Mobiliarverlaßenſchaft der erlo-
ſchenen Linie der Tochter, Schweſter oder andern
naͤchſten weiblichen Verwandtinn von eben der Li-
nie zu gute koͤmmt (f). In ſolchen Faͤllen muß
deswegen immer eine Abſonderung der Mobiliar-
verlaßenſchaft von der Landesfolge geſchehen, ſo
wie
[316]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.
wie nach den Lehnrechten aͤhnliche Abſonderungen
des Lehns vom Eigen vorzukommen pflegen. Un-
ter jenem Namen wird billig in Anſpruch genom-
men, was von den Einkuͤnften der Cammerguͤter
zur Zeit des Todesfalles eruͤbriget, oder auch ſonſt
an beweglicher Habe vorhanden iſt, die nicht als
ein Zugehoͤr des Landes angeſehen werden kann.
Ueber die einzelnen Graͤnzbeſtimmungen dieſer Din-
ge koͤnnen aber deſto eher ſtreitige Fragen entſtehen,
weil hier alles nicht ſowohl auf ausdruͤcklichen Ge-
ſetzen, als bloß auf Herkommen und Gewohnheits-
rechten beruhet.


VIII.

Darin war allemal die Franzoͤſiſche Forderung
uͤbertrieben, daß dem Stammsvetter nichts als ei-
gentliche Lehne gelaßen, und ganze Stuͤcke Landes
bloß deswegen, weil ſie nicht Lehn ſondern allodial
waͤren, in Anſpruch genommen werden ſollten; da
doch altvaͤterliche Stammguͤter mit Lehnguͤtern
nach dem Herkommen unſerer fuͤrſtlichen Haͤuſer in
Anſehung der Erbfolge gleiche Rechte haben. Ge-
meiniglich wird am Ende eine gewiſſe Summe zur
Abfindung fuͤr die Mobiliarverlaßenſchaft in Pauſch
und Bogen verglichen. Das war auch hier das
Ende der Sache. Im Ryßwickiſchen Frieden war
dieſer Sache wegen ein Compromiß auf den Kaiſer
und den Koͤnig in Frankreich, und allenfalls auf
den Pabſt als Obmann, feſtgeſetzt. Nach einem
zwieſpaͤltigen Ausſpruch, der im Namen jener bei-
den Monarchen am 26. Apr. 1701. vom Reichs-
hofrath Friedrich Binder und vom Straßburgiſchen
Praͤtor Ulrich Obrecht geſchehen war, entſchied ein
paͤbſtliches Urtheil vom 17. Febr. 1702. dahin:
daß der Churfuͤrſt von der Pfalz gegen Bezahlung
300.
[317]6) Veraͤnd. in der Pfalz 1685-1697.
300. tauſend Scudi von allen Anſpruͤchen zu ent-
binden ſey.


Ein anderer Streit ward dem Hauſe Pfalzneu-IX.
burg anfangs ſelbſt wegen der Nachfolge in der
Chur
erregt, den der Koͤnig in Frankreich eben-
falls unterſtuͤtzte. Es fuͤgte ſich nehmlich, daß zu
der Zeit, als der Churfuͤrſt Carl 1685. ſtarb, un-
ter den uͤbrigen Herren des Pfaͤlziſchen Hauſes der
Pfalzgraf Leopold Ludewig von Veldenz dem letzt-
verſtorbenen Churfuͤrſten noch einen Grad naͤher
war, als der Pfalzgraf Philipp Wilhelm von Neu-
burg. Dieſes wuͤrde ihm, wenn es bloß den ge-
meinen Roͤmiſchen Rechten nachgegangen waͤre,
einen unſtreitigen Vorzug gegeben haben. Allein
nach dem Rechte der Erſtgebuhrt gilt nur der Grund-
ſatz: daß kein Nachgebohrner, oder wer von ei-
nem Nachgebohrnen abſtammt, zur Succeſſion ge-
langen kann, ſo lange noch ein vorher gebohrner,
oder einer, der von demſelben abſtammt, vorhan-
den iſt. Vermoͤge dieſes Grundſatzes koͤmmt keine
perſoͤnlich naͤhere Verwandtſchaft des Grades in
Betrachtung, ſondern jede aͤltere Linie behaͤlt, ſo
lange jemand von ihr vorhanden iſt, den Vorzug
vor der juͤngern Linie. Dieſe Linealſucceſſion wur-
de bey dieſer Gelegenheit in verſchiedenen Schriften
naͤher, als bisher geſchehen war, ausgefuͤhrt.
Damit ſcheint auch fuͤr die folgende Zeit der Scru-
pel gehoben zu ſeyn, den man nach der goldenen
Bulle ſich anfangs daruͤber gemacht hatte, ob un-
ter drey Bruͤdern, wovon der aͤlteſte Churfuͤrſt ge-
weſen, der zweyte aber ſchon vor demſelben geſtor-
ben war, der dritte Bruder, oder des zweyten
Sohn ſuccediren muͤße? Ungeachtet es im XIV.
Jahr-
[318]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.
Jahrhundert ein Paarmal anders gehalten wor-
den (g), ſo zweifelt doch heutiges Tages niemand
daran, daß allerdings des zweyten Bruders Sohn
vor dem dritten Bruder den Vorzug habe.


VII.
Vielerley andere Succeſſionsfaͤlle 1685-1697.


I. Abgang des Hauſes Pfalzveldenz. — II. Mehr an-
dere zuſammengeſtorbene Haͤuſer durch Abgang einzelner Li-
nien, als der Altenburgiſchen und Jenaiſchen im Hauſe Sach-
ſen, — III. IV. und der Guͤſtrowiſchen im Hauſe Meck-
lenburg. — Dieſer letztere veranlaßte nicht nur einen Suc-
ceſſionsſtreit, ſondern auch einen Streit zwiſchen dem Kai-
ſer und den Niederſaͤchſiſchen kreisausſchreibenden Fuͤrſten
wegen der Execution. — V. Vergleich zwiſchen Mecklen-
burg-Schwerin und Strelitz uͤber die Guͤſtrowiſche Succeſ-
ſion. — VI. Noch andere Succeſſionsirrungen wegen Ol-
denburg und Delmenhorſt. — VII. Irrungen zwiſchen Daͤ-
nemark und Holſteingottorp wegen Schleswig. — VIII.
Churbrandenburgiſche Anſpruͤche auf Liegnitz, Brieg und
Wohlau, wie auch auf Jaͤgerndorf, — und Vergleich dar-
uͤber. — IX. Abgang des Hauſes Sachſen-Lauenburg, und
darauf erfolgte Succeſſionsſtreitigkeiten.


I

Der Pfalzgraf Leopold Ludewig, der anfangs
dem Churfuͤrſten Philipp Wilhelm die Chur-
folge ſtreitig gemacht hatte, ſtarb hernach ſelbſt
(1694. Sept. 29.) als der letzte von der Velden-
ziſchen
Linie; woruͤber unter den uͤbrigen Stamms-
vettern des Pfaͤlziſchen Hauſes ein ſolcher Succeſ-
ſionsſtreit entſtand, daß erſt im Jahre 1733. ein
Vergleich dem Streite ein Ende gemacht hat.


Ueber-
[319]7) Succeſſionsfaͤlle 1685-1697.

Ueberhaupt wurde es jetzt immer merklicher,II.
daß wegen des Rechts der Erſtgebuhrt, zu deſſen
Einfuͤhrung die meiſten Haͤuſer ſich nach und nach
bequemten, kein betraͤchtliches reichsſtaͤndiſches
Haus ſich weiter in mehrere regierende Linien ver-
theilte, wohl aber Laͤnder erloſchener Linien den
uͤberlebenden deſto haͤufiger zu gute kamen. So
waren alſo nicht nur im Hauſe Pfalz die Linien von
Simmern und Veldenz nunmehr erloſchen, ſon-
dern auch im Hauſe Sachſen wurde die Altenbur-
giſche Linie, welche 1672. Apr. 14. erloſch, mit
der Gothaiſchen, und die Jenaiſche Linie, die
1690. Nov. 4. ausgieng, mit der von Weimar
und Eiſenach vereiniget.


Auch im Hauſe Mecklenburg erloſch mit demIII.
letzten Herzoge Guſtav Adolf von Guͤſtrow (†
1695. Oct. 26.) deſſen bisherige Linie. Daruͤber
entſtand aber ein Succeſſionsſtreit zwiſchen dem
damaligen Herzoge Friedrich Wilhelm von Meck-
lenburg-Schwerin, und dem Herzog Adolf Frie-
drich dem II. von Mecklenburg-Strelitz. Jener
wollte den Anfall bloß nach dem Rechte der Erſt-
gebuhrt ſich alleine zueignen. Letzterer hatte die
Naͤhe des Grades fuͤr ſich, und behauptete, daß
nach dem vaͤterlichen Teſtamente dieſer Anfall we-
nigſtens gleich getheilet werden muͤßte. Dieſer
Streit waͤre bald in weit groͤßere Unruhen ausge-
brochen, da zwiſchen dem kaiſerlichen Hofe und
den Hoͤfen zu Stockholm und Berlin es beynahe
zum oͤffentlichen Bruche daruͤber gekommen waͤre.


Der Kaiſer hatte ſeinem Geſandten im Nieder-IV.
ſaͤchſiſchen Kreiſe, dem Grafen von Eck, aufge-
tra-
[320]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.
tragen, in Gefolg eines Reichshofrathserkennt-
niſſes den Herzog von Schwerin in Beſitz zu ſetzen.
Sowohl die Hoͤfe zu Stockholm und Berlin, als
das Hans Braunſchweig hielten das fuͤr einen Ein-
griff in das Executionsrecht, das ihnen als kreis-
ausſchreibenden Fuͤrſten in Niederſachſen alleine
zukaͤme. Sie ließen alſo den Herzog Friedrich
Wilhelm mit gewaffneter Hand wieder aus dem
Beſitze von Guͤſtrow ſetzen. Selbſt den Grafen von
Eck ließ der Schwediſche Oberſtlieutenant von Klin-
kenſtroem durch ein Paar Grenadiere mit Gewalt
auf einem Stuhle aus dem Schloſſe zu Guͤſtrow
heraustragen. Daruͤber wurde den Geſandten ge-
dachter Hoͤfe zu Wien ſchon der Zutritt an Hof un-
terſaget. Doch dieſer Unwille ward noch dadurch
beygelegt, da durch eigene Schreiben an den Kai-
ſer die Thaͤtlichkeit damit entſchuldiget wurde, daß
ſie ohne Befehl der Hoͤfe geſchehen ſey.


V.

Der Succeſſionsſtreit wurde hernach zwiſchen
den beiden Mecklenburgiſchen Haͤuſern Schwerin
und Strelitz (1701. Maͤrz 8.) dahin verglichen,
daß der Herzog von Strelitz ſich zwar des Anſpruchs
auf Guͤſtrow begab, dagegen aber das Fuͤrſten-
thum Ratzeburg nebſt Sitz und Stimme auf Reichs-
und Kreistagen erhielt, wie auch den Stargardi-
ſchen Diſtrict, und die Commenden Mirow und
Nemerow, auch ſonſt noch jaͤhrlich 9000. Rthlr.
aus dem Zolle zu Boizenburg. Das Recht der
Erſtgebuhrt ward aber auch bey dieſer Gelegenheit
ſowohl fuͤr die Schweriniſche als Strelitziſche Linie
von neuem beſtaͤtiget.


Noch
[321]7) Succeſſionsfaͤlle 1685-1697.

Noch einige Succeſſionsirrungen waren in ver-VI.
ſchiedenen andern Haͤuſern im Gange. Im Hau-
ſe Holſtein war ſchon ſeit 1667. uͤber die nachge-
laßenen Laͤnder des damals verſtorbenen letzten Gra-
fen von Gldenburg ein Succeſſionsſtreit entſtan-
den. Sein legitimirter natuͤrlicher Sohn, Anton
Guͤnther Graf von Aldenburg, bekam zwar die
Herrſchaften Kniphauſen und Varel (die hernach
mit einer Enkelinn deſſelben an das graͤfliche Haus
Bentink gekommen ſind.) Die Herrſchaft Jever,
die der letzte Graf von Oldenburg ebenfalls beſeſ-
ſen hatte, bekam ſeiner Schweſter Sohn, der Fuͤrſt
Johann von Anhaltzerbſt (deſſen Urenkel, der je-
tzige Fuͤrſt von Zerbſt ſie noch jetzt beſitzt.) Aber
uͤber Oldenburg und Delmenhorſt ſtritt der Herzog
von Holſtein-Ploen mit dem Koͤnige in Daͤne-
mark und dem Hauſe Holſtein-Gottorp. Letztere
ließen in ihrem Namen Beſitz ergreifen, und berie-
fen ſich theils auf eine kaiſerliche Anwartſchaft, theils
auf einen mit dem Letztverſtorbenen errichteten Ver-
trag und auf ſein Teſtament. Der Herzog von
Ploen bezog ſich gleichfalls auf kaiſerliche Anwart-
ſchaften und uͤbrigens auf ſeine naͤhere Verwandt-
ſchaft; hatte auch den kaiſerlichen Hof auf ſeiner
Seite.


Das Haus Holſtein Gottorp ſtand damalsVII.
(1667.) mit dem Koͤnige Friedrich dem III von
Daͤnemark in gutem Vernehmen, da die ehema-
ligen Streitigkeiten wegen Unabhaͤngigkeit des Her-
zogthums Schleswig ſeit 1658. verglichen waren,
woruͤber jetzt (1667. Oct. 12.) noch ein neuer Ver-
gleich zu Gluͤckſtadt geſchloſſen ward. Allein der
folgende Koͤnig Chriſtian der V. nahm (1675.)
P. Entw. d. Staatsverf. Th.II. Xdas
[322]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.
das Herzogthum Schleswig ſelbſt in Beſitz, und
fand ſich auch mit Holſtein-Ploen ab, um ganz
Oldenburg und Delmenhorſt fuͤr ſich behalten zu
koͤnnen. In dem Frieden, wozu ſich Daͤnemark
nach den Nimweger Friedensſchluͤſſen bequemen
mußte (1679. Sept. 2.), ward zwar dem Hauſe
Gottorp die voͤllige Herſtellung verſprochen. Aber
im May 1684. ließ Chriſtian der V. das Herzog-
thum Schleswig von neuem feierlich mit der Kro-
ne vereinigen. Woraus nachher einer von den
Hauptgegenſtaͤnden des Nordiſchen Krieges er-
wuchs, der im Jahre 1700. zwiſchen Daͤnemark
und Schweden zum Ausbruch kam.


VIII.

Ein Anſpruch, den der Churfuͤrſt Friedrich
Wilhelm von Brandenburg von wegen einer Erb-
verbruͤderung von 1537. auf die Schleſiſchen Fuͤr-
ſtenthuͤmer Liegnitz, Brieg und Wohlau mach-
te, die der Kaiſer nach Abgang des letzten Her-
zogs († 1675. Nov. 21.) eingezogen hatte, ward
zwar am 7. May 1686. bey Gelegenheit eines da-
maligen Buͤndniſſes zwiſchen beiden Hoͤfen dahin
verglichen, daß der Churfuͤrſt ſowohl dieſes als ei-
nes noch aͤlteren Anſpruches auf das Fuͤrſtenthum
Jaͤgerndorf, das nach der Achtserklaͤrung des Marg-
grafen Johann Georgs im dreyßigjaͤhrigen Kriege
eingezogen war, ſich begab, dagegen aber den
Schwibuſſer Kreis vom Kaiſer abgetreten bekam.
Jedoch in Gefolg eines Reverſes, den der nachhe-
rige Churfuͤrſt Friedrich als damaliger Erbprinz
ſchon ins Geheim ausgeſtellt hatte, wurde hernach
(1694. Dec. 10.) dieſer Vertrag in ſo weit wieder
aufgehoben, daß der Kaiſer den Schwibuſſer Kreis
fuͤr 100. tauſend Rthlr. wieder zuruͤckbekam.
(Eben
[323]7) Succeſſionsfaͤlle 1685-1697.
(Eben daruͤber entſtand hernach der Schleſiſche
Krieg, den Friedrich der II. 1740. anfieng, um
dieſe Anſpruͤche wieder geltend zu machen)


Endlich entſtand noch ein Succeſſionsſtreit uͤberIX.
Sachſen-Lauenburg, das nach Abſterben des
letzten Herzogs († 1689. Sept. 19.) der Herzog
Georg Wilhelm von Braunſchweig-Zelle theils
als Kreisoberſter und Sequeſter, theils wegen eigner
Anſpruͤche ſeines Hauſes in Beſitz nehmen ließ
(1689. Sept. 30.). Selten trafen wohl ſo vieler-
ley Anſpruͤche auf einerley Gegenſtand zuſammen,
wie hier. Das Churhaus Sachſen berief ſich auf
eine Anwartſchaft von 1507. und auf eine Erbver-
bruͤderung von 1671. Die Saͤchſiſchen Herzoge
der Ernſtiſchen Linie machten aber dem Chur-
hauſe noch den Vorzug ſtreitig. Die Fuͤrſten von
Anhalt traten als Stammsvettern und Erbverbruͤ-
derte auf; in der letztern Eigenſchaft auch die Her-
zoge von Mecklenburg. Andere Anſpruͤche mach-
ten noch zwey Toͤchter des Letztverſtorbenen, deren
eine an den Pfalzgrafen Philipp Wilhelm von Neu-
burg, die andere an den Marggrafen Ludewig
Wilhelm von Baden vermaͤhlt war, und eine Her-
zoginn von Holſtein Sonderburg als des letzten
Herzogs Vaters Bruders Tochter. Endlich auf
das Land Hadeln machte der Koͤnig in Schweden
von wegen des Herzogthums Bremen noch ganz
beſondere Anſpruͤche. Das Haus Braunſchweig
hatte des Rechts, das Henrich der Loͤwe an die-
ſem ihm entriſſenen Lande gehabt hatte, ſich nie
begeben. Vielmehr war noch 1369. von den Her-
zogen Wilhelm und Magnus von Braunſchweig
mit dem Herzoge Erich von Sachſen-Lauenburg
X 2ein
[324]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.
ein neuer Vertrag geſchloſſen worden, daß, im
Fall der Lauenburgiſche Mannsſtamm abgehen
wuͤrde, Lauenburg an das Haus Braunſchweig fal-
len ſollte. (Mit Churſachſen iſt hernach 1697.
ein Vergleich getroffen, wodurch daſſelbe auch ſei-
ne Anſpruͤche an das Haus Braunſchweig cedirt
hat. Im Jahre 1716. iſt das erſtemal die kaiſer-
liche Belehnung hieruͤber erfolget.)


VIII.
Einige neue Linien im Hauſe Sachſen, und ver-
ſchiedene neue Fuͤrſten 1685-1697.


I. Durch die vielen Succeſſionsfaͤlle ward die Zahl der
regierenden Haͤuſer nach dem Rechte der Erſtgebuhrt ſehr
vermindert. — Nur im Hauſe Sachſen entſtanden von
neuem mehrere Linien. — II. III. Im Churhauſe Sachſen
gab es neue Nebenlinien zu Weiſſenfels, Merſeburg, Zeiz. —
IV. Im herzoglichen Hauſe bildeten ſich ſieben neue Linien
zu Gotha, Coburg, Meinungen, Roͤmhild, Eiſenberg, Hild-
burghauſen, Saalfeld. — V. Durch kaiſerliche Standeser-
hoͤhungen wurden viele Grafen zu Fuͤrſten gemacht. — Ei-
nige neue Fuͤrſten gelangten auch zu Sitz und Stimme im
Fuͤrſtenrathe.


I.

Bey den vielerley Succeſſionsfaͤllen, welche ſich
ſeit einiger Zeit ereignet hatten, blieben zwar
die Stimmen, welche die ausgeſtorbenen Haͤuſer
oder Linien im Reichsfuͤrſtenrathe gehabt hatten,
unveraͤndert ſo, wie ſie ſeit dem Jahre 1582. auf
dem Reichstage im Gange geweſen waren (h).
Aber die bisherige Anzahl der regierenden Haͤuſer
nahm doch mit einem jeden ſolchen Falle ab; ohne
daß
[325]8) Neue Saͤchſ. Linien ꝛc. 1685-1697.
daß nunmehr die Anzahl derſelben ſo leicht wieder
vermehrt werden konnte, wie es ehedem, ſo lange
noch Theilungen uͤblicher, als die Erſtgebuhrtsfol-
ge, waren, nicht ungewoͤhnlich geweſen war. Von
den groͤßeren Haͤuſern war nur noch das einzige
Haus Sachſen in dem Falle, daß es ſich von neuem
in mehrere Linien vertheilte; und zwar in ſeinen
beiden Hauptſtaͤmmen ſowohl der Albrechtiſchen
nunmehrigen Churlinie, als der Ernſtiſchen her-
zoglichen Linie.


In der Albrechtiſchen Linie des Hauſes SachſenII.
hatte der Churfuͤrſt Johann Georg der I. im Jah-
re 1652. ein Teſtament errichtet, und 1653. noch
einen Codicill hinzugefuͤgt, worin ein nur von Roͤ-
miſchen Rechtsſaͤtzen eingenommener Rechtsgelehr-
ter die Feder gefuͤhrt hatte. Da brauchte es frey-
lich ſonderbare Wendungen, wenn das Recht der
Erſtgebuhrt ſtatt finden, und doch das Succeſ-
ſionsſyſtem des Roͤmiſchen Rechts, das jener Erb-
folgsart durchaus zuwider iſt, nur einigermaßen
aufrecht erhalten werden ſollte. Die Einleitung
wurde alſo ſo gemacht, daß der Churfuͤrſt zwar alle
ſeine Soͤhne (honorabili inſtitutionis titulo) zu
Erben einſetzte, auch wuͤrklich einem jeden nachge-
bohrnen Sohne ein gewiſſes Stuͤck Landes anwies,
jedoch ſo, daß, wenn gleich der juͤngeren Soͤhne
Antheil den Pflichttheil der gemeinen Rechte nicht
erreichte, noch ein Theil dem andern voͤllig gleich
ſeyn moͤchte, ſie dennoch durch Praͤtenſionen der
Ergaͤnzung des Pflichttheils weder unter ſich ſelbſt
Streit erregen, noch den Churprinzen deswegen
belangen ſollten, beſonders in Anſehung der uͤber-
aus großen churfuͤrſtlichen Cammerſchulden und
X 3der
[326]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.
der großen Beſchwerden, womit die Churwuͤrde
behaftet ſey ꝛc. (i).


III.

Das Reſultat dieſer Verordnungen war end-
lich dieſes. Von vier Soͤhnen, die Johann Georg
der I. hinterließ († 1656. Oct. 8.), ward der aͤlte-
ſte, Johann Georg der II., der Nachfolger in der
Chur und ſaͤmmtlichen Hauptlaͤndern dieſer Albrech-
tiſchen Linie. Aber auch die drey uͤbrigen beka-
men jeder ein Stuͤck Landes angewieſen, ſo daß ſie
ſich alle drey ſtandesmaͤßig vermaͤhlen, und wieder
drey Linien formiren konnten, eine zu Weiſſenfels,
die andere zu Merſeburg, die dritte zu Zeiz. (Al-
le dieſe drey Linien ſind aber auch ſchon in der zwey-
ten oder dritten Generation wieder erloſchen, die
Zeiziſche Linie 1725., die Merſeburgiſche 1738.,
die Weiſſenfelſiſche 1746.; daß alſo nunmehr in
der ganzen Albrechtiſchen Linie doch wieder nur der
Churfuͤrſt als alleiniger regierender Herr alle Laͤn-
der dieſes Hauſes unter ſeiner Regierung vereini-
get hat.)


IV.

In der Ernſtiſchen herzoglich Saͤchſiſchen Linie
hatte der vortreffliche Herzog Ernſt der Fromme zu
Gotha ſieben Soͤhne, denen er noch bey ſeinen Leb-
zeiten die Regierung uͤbergab, in der Meynung,
daß ſie alle ſieben dieſelbe in Gemeinſchaft fortfuͤh-
ren ſollten. Dieſes geſchah jedoch nach ſeinem in-
deſſen 1675 erfolgten Tode nicht laͤnger, als bis
ins Jahr 1680., da ſie ſich dergeſtalt abtheilten,
daß ein jeder ſeinen eignen Sitz bekam, auch ein
jeder ſich ſtandesmaͤßig vermaͤhlte. So entſtanden
hier
[327]8) Neue Saͤchſ. Linien ꝛc. 1685-1697.
hier auf einmal ſieben regierende Herzoge zu Go-
tha, Coburg, Meinungen, Roͤmhild, Eiſenberg,
Hildburghauſen und Saalfeld. Jedoch die Reichs-
tagsſtimmen wurden dadurch nicht vermehrt; ſon-
dern da blieben fuͤr dieſe Linien nur die einmal im
Fuͤrſtenrathe hergebrachten Stimmen von Coburg,
Gotha und Altenburg. In den Jahren 1699.
1707. und 1710. giengen auch ſchon drey von des
Herzog Ernſts Soͤhnen ohne Nachkommen ab, wo-
durch deren Antheile Coburg, Eiſenberg und Roͤm-
hild erlediget wurden. (Erſt nach vielen Streitig-
keiten ſind hernach durch neue Vertraͤge inſonder-
heit im Jahre 1735., nachdem nicht weniger als
206. Reichshofrathsconcluſa in dieſen Sachen er-
gangen waren, endlich anderweite Vertheilungen
geſchehen, ſo, wie jetzt die vier Haͤuſer Gotha,
Meinungen, Hildburghauſen, und Coburg-Saal-
feld noch uͤbrig ſind. In jedem dieſer Haͤuſer iſt
ſeitdem noch das Recht der Erſtgebuhrt beſonders
eingefuͤhrt worden; nur bis jetzt noch nicht in Mei-
nungen. Zu Gotha geſchah es ſchon 1685. vom
Herzoge Friedrich dem I.) (k).


An neuen Fuͤrſten ließ es inzwiſchen der kai-V.
ſerliche Hof durch weitere Standeserhoͤhungen nicht
fehlen. So wurde das bisher graͤfliche Haus Fuͤr-
ſtenberg am 12. May 1664., der Graf Johann
Adolf von Schwarzenberg den 14. Jul. 1670.,
der Graf Albrecht Ernſt von Oettingen den 14.
Oct. 1674., der Graf Georg Friedrich von Wal-
deck den 17. Jul. 1682., der Graf Eugenius Ale-
xan-
X 4
[328]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.
xander von Thurn und Taxis 1686., die Grafen
von Naſſau-Saarbruͤcken, Uſingen, Idſtein und
Weilburg den 4. Aug. 1688., die Grafen von
Schwarzburg-Sondershauſen den 3. Sept. 1697.
vom Kaiſer Leopold in den Fuͤrſtenſtand erhoben.
Doch von allen dieſen wurden nur Fuͤrſtenberg nebſt
Oſtfriesland den 6. Sept. 1667., hernach Schwar-
zenberg und Waldeck den 22. Aug. 1674. zur
fuͤrſtlichen Stimme auf dem Reichstage eingefuͤhrt.
Selbſt die ſchon 1654. dem Fuͤrſten von Dietrich-
ſtein, aber nur Bedingungsweiſe, zugeſicherte Ein-
fuͤhrung in den Reichsfuͤrſtenrath wurde erſt am 4.
Oct. 1686. in wuͤrkliche Uebung geſetzt, nachdem
Leopold die Dietrichſteiniſche Herrſchaft Trasp erſt
von der bisherigen Tyroliſchen Landeshoheit freyge-
ſprochen hatte, damit ſie fuͤr ein reichsunmittelba-
res Land gelten koͤnnte.


IX.
[329]9) Neunte Chur 1692-1708.

IX.
Erhebung des Hauſes Hannover zur neunten
Chur 1692-1708.


I. II. Wie die Errichtung einer neuen Chur fuͤr Han-
nover nebſt der Wiedereinfuͤhrung der Boͤhmiſchen Chur zu-
erſt in Bewegung gekommen? — III. Schwierigkeiten und
Widerſpruͤche, die ſich dabey ereignet. — IV. V. Wie ſol-
che nach und nach gehoben, und endlich die Sache zu Stan-
de gebracht worden? — VI. unter andern mit der Verſi-
cherung, daß kuͤnftig keine neue Chur ohne Einwilligung
des geſammten Reichs errichtet werden, — VII. und daß
auf den Fall, wenn nach Abgang des Hauſes Baiern etwa
vier evangeliſche Churfuͤrſten ſeyn wuͤrden, eine catholiſche
uͤberzehlige Stimme ſtatt finden ſolle.


Hatte Leopold nach dem Beyſpiele ſeiner Vor-I.
fahren das Reich mit neuen Fuͤrſten vermehrt,
ſo ließ ſich nach der Bahn, die unter der vorigen
Regierung mit einer achten Chur gebrochen war,
jetzt auch eine neunte Chur wohl als moͤglich ge-
denken. Und welches Haus haͤtte gerechtern An-
ſpruch darauf machen koͤnnen, als dasjenige, deſ-
ſen Vorfahren zwey nunmehr mit der Churwuͤrde
begabte Herzogthuͤmer beſeſſen hatten, deren lange
beſtrittener Verluſt zwar unwiederbringlich ſchien,
das aber doch immer den churfuͤrſtlichen Haͤuſern
ſich unmittelbar angeſchloſſen, und vielfaͤltig be-
traͤchtliche neue Verdienſte um das Teutſche Vater-
land und deſſen gemeinſames Oberhaupt erworben
hatte?


Schon bey Gelegenheit der Roͤmiſchen Koͤnigs-II.
wahl Joſephs des I. eroͤffnete der Kaiſer den da-
X 5mals
[330]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.
mals zu Augsburg verſammelten Churfuͤrſten
(1690.) den Vorſchlag, fuͤr den Herzog Ernſt Au-
guſt zu Hannover und deſſen Nachkommenſchaft
eine neunte Chur zu errichten; womit zugleich der
Vorſchlag in Verbindung kam, zu Erhaltung des
bisherigen Religionsverhaͤltniſſes unter den Chur-
fuͤrſten auch die Krone Boͤhmen zum voͤlligen Be-
ſitz der nach und nach derſelben entzogen geweſenen
churfuͤrſtlichen Rechte wieder zuzulaßen.


III.

Nach zwey Tractaten, die hieruͤber am 22.
Maͤrz 1692. der Kaiſer mit den damaligen Hoͤfen
zu Zelle und Hannover geſchloſſen hatte, machte
der Kaiſer am 27. May 1692. die Sache den Chur-
fuͤrſten foͤrmlich kund, und ertheilte am 9. (19.)
Dec. 1692. dem Freyherrn Otto von Grote und
Chriſtophen von Limbach, als Bevollmaͤchtigten
des neuen Churfuͤrſten, die feierliche Belehnung
zu Wien. Allein nun aͤußerte ſich ſelbſt von Sei-
ten der Churfuͤrſten von Trier, Coͤlln und Pfalz-
noch mehr aber von den meiſten Mitgliedern des
Reichsfuͤrſtenraths, und ſelbſt von Seiten des Hau-
ſes Braunſchweig-Wolfenbuͤttel ein lauter Wider-
ſpruch uͤber den andern gegen dieſe neue Chur. So
gar errichteten die meiſten altfuͤrſtlichen Haͤuſer
nebſt einigen geiſtlichen Fuͤrſten eine eigne Fuͤrſten-
verein unter dem Namen der wider die neunte Chur
correſpondirenden Fuͤrſten. Das mit darunter be-
griffene Haus Wuͤrtenberg machte noch eine beſon-
dere Beſchwerde daraus, daß dem neuen Churfuͤr-
ſten auch als ein neues Erzamt das Reichserzpan-
neramt beygelegt werden ſollte, von welchem das
Haus Wuͤrtenberg behauptete, daß es ſchon ſein
Eigenthum ſey.


Auf
[331]9) Neunte Chur 1692-1708.

Auf dem Friedenscongreſſe zu Ryßwick wurdeIV.
die Churbraunſchweigiſche Geſandtſchaft von Sei-
ten der auswaͤrtigen Maͤchte ſchon als churfuͤrſtlich
anerkannt; wiewohl mit vielem Widerſpruche der
anders geſinnten Reichsſtaͤnde. Im Frieden ſelbſt
geſchah der Sache keine Meldung. Als hernach
dem Churfuͤrſten Ernſt Auguſt († 1698. Jan. 28.)
ſein aͤlteſter Sohn Georg Ludewig folgte, und
durch ſeinen Geſandten von Huldenberg zu Wien
wieder die Belehnung mit der Churwuͤrde erhielt,
auch endlich die Churfuͤrſten von Trier, Coͤlln und
Pfalz von ihrem Widerſpruche abließen; ward hin-
gegen der Widerſpruch der Fuͤrſten deſto ſtaͤrker.
Sie erneuerten nicht nur zu Goslar am 5. Febr.
1700. ihre Verein gegen die neunte Chur, ſondern
ſie ſchloſſen zu Nuͤrnberg am 19. Jul. 1700. ſo
gar einen foͤrmlichen Bund, um ein gemeinſchaft-
liches Heer von 24. oder benoͤthigten Falls 48. tau-
ſend Mann dagegen ins Feld zu ſtellen.


Auf der andern Seite gab es der Sache einV.
nicht geringes neues Gewicht, als eine Parlaments-
acte zu London am 12. Jun. 1701. die Engliſche
Thronfolge fuͤr des Churfuͤrſten Ernſt Auguſts
Wittwe Sophia, (deren Mutter eine Tochter Koͤ-
nig Jacobs des I., des ungluͤcklichen Churfuͤrſten
von der Pfalz Friederichs des V. Gemahlinn ge-
weſen war,) und deren evangeliſche Nachkommen-
ſchaft vom Hauſe Hannover feſtſetzte, und am 25. Oct.
1705. durch eine abermalige Parlamentsacte von
neuem beſtaͤtiget wurde. Auch verglich ſich bald dar-
auf der Herzog Anton Ulrich von Braunſchweig-
Wolfenbuͤttel mit dem neuen Churhauſe. Und als
ferner am 29. Apr. 1706. der Churfuͤrſt von Baiern
in
[332]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.
in die Acht erklaͤret ward, Churpfalz hingegen im
Jun 1708. darauf wieder in ſeine ehemalige fuͤnf-
te Stelle unter den Churfuͤrſten hinaufruͤckte, auch
das Erztruchſeßamt ſich wieder zueignete; ſo ward
endlich durch ein Reichsgutachten vom 30. Jun.
1708. ſowohl die wuͤrkliche Einfuͤhrung der neuen
Chur Braunſchweig, als die Readmiſſion der Kro-
ne Boͤhmen bewilliget, auch bald darauf am 7.
Sept. 1708. wuͤrklich vollzogen. Worauf auch
das Erzſchatzmeiſteramt am 2. Apr. 1710. an Chur-
braunſchweig verliehen wurde.


VI.

Nur die Erklaͤrung hatte der Kaiſer ſchon in ei-
nem am 21. Jul. 1706. an das Reich erlaßenen
Commiſſionsdecrete von ſich gegeben: daß ”kuͤnf-
tighin neue und mehrere Churwuͤrden ohne des ge-
ſammten Reichs Einwilligung nicht eingefuͤhrt,
und ſolches dem kuͤnftigen Reichsabſchiede in Kraft
eines Reichsgrundgeſetzes einverleibt werden ſollte.”


VII.

Naͤchſtdem hatte man von Seiten des catholi-
ſchen Religionstheils noch dieſe beſondere Betrach-
tung angeſtellt, daß zwar vorjetzt durch die mit der
Einfuͤhrung der Braunſchweigiſchen Chur zu glei-
cher Zeit bewirkte Boͤhmiſche Readmiſſion das bis-
herige Verhaͤltniß der beiden Religionen unter den
Churfuͤrſten aufrecht erhalten bliebe. Man ſtellte
ſich aber ſchon zum voraus den moͤglichen Fall vor,
daß, wenn einmal das Haus Pfalzneuburg ab-
gienge, von der Zweybruͤckiſchen oder anderen noch
uͤbrigen Pfaͤlziſchen Linien uͤber kurz oder lang wie-
der ein proteſtantiſcher Churfuͤrſt in der Pfalz ſeyn
koͤnnte. Wenn alsdann etwa das Haus Baiern,
wie damals, in der Acht ſeyn ſollte, oder wenn
nach
[333]9) Neunte Chur 1692-1708.
nach Abgang des Wilhelm-Bairiſchen Manns-
ſtamms das Haus Pfalz alsdann alleine im Beſitz
der Chur ſeyn wuͤrde; ſo wuͤrden von acht Chur-
fuͤrſten vier catholiſche, und vier Proteſtanten ſeyn.
Das waͤre nun zwar weiter nichts geweſen, als ein
gluͤckliches Gleichgewicht der beiden Religionen,
wie es zur Zeit des Religionsfriedens 1555. be-
reits wuͤrklich geweſen war, und Teutſchland ſich
ruhig und wohl dabey befunden hatte. Allein da-
mit ſolche Umſtaͤnde nicht wieder eintreten moͤch-
ten, ward bey dieſer Gelegenheit zum voraus be-
dungen, und im Reichsgutachten vom 30. Jun.
1708. mit eingeruͤckt: daß auf den Fall, wenn aus
dem Hauſe Pfalz kein catholiſcher Nachfolger an
der Pfaͤlziſchen Chur mehr uͤbrig, ſondern ſelbige
an einen Augsburgiſchen Confeſſionsverwandten ge-
fallen ſeyn ſollte, und dann die Hannoveriſche Chur
noch ſtaͤnde, alsdann der vorſitzende catholiſche
Churfuͤrſt noch eine uͤberzehlige Stimme fuͤhren ſoll-
te. (Dieſer Fall wuͤrde noch immer moͤglich ge-
blieben ſeyn, wenn nicht in der Folge auch die Her-
ren von der Zweybruͤckiſchen und Birkenfeldiſchen
Linie, auf welche die Succeſſion in der Chur Pfalz
noch fallen koͤnnte, ſich von der evangeliſchen zur
catholiſchen Religion gewandt haͤtten.)


X.
[334]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.

X.
Religionsverhaͤltniß der Reichsſtaͤnde und ihrer
Stimmen; inſonderheit wenn evangeliſche
Reichsſtaͤnde catholiſch geworden.


I. Viele bisher vorgegangene und noch weiter erfolgte
Religionsveraͤnderungen einzelner Reichsſtaͤnde gaben erheb-
lichen Stoff zu neuen Betrachtungen; — wovon deswegen
hier ein chronologiſches Verzeichniß von XLI. ſolchen Faͤllen
eingeruͤckt wird. — II. Verſchiedenheit dieſer Faͤlle in Ver-
gleichung mit den Religionsveraͤnderungen des XVI. Jahr-
hunderts, und in Anſehung ihrer Umſtaͤnde und Folgen. —
III. IV. Das catholiſch gewordene Haus Pfalzneuburg konn-
te zum Beyſpiele dienen, wie vortheilhaft es war, nachge-
bohrne Herren mit Pfruͤnden und Stiftern zu verſorgen,
die vermoͤge des geiſtlichen Vorbehaltes nur in catholiſchen
Haͤnden ſeyn konnten; — V. aber auch, was Laͤnder, die
bisher evangeliſch geweſen waren, von catholiſch gewordenen
Landesherren oder von Nachfolgern von dieſer Religion zu
erwarten hatten, — VI. und zu weſſen wahrem Vortheile
das alles abzweckte. — VII. Auch in Anſehung der Reichs-
tagsſtimme ſchien ſeit dem Anfange der Religionstrennung
ein jeder Reichsſtand ſich zu ſeinen Glaubensgenoſſen gehal-
ten zu haben. — VIII. Es ſchien alſo auch billig daß ein
catholiſch gewordener Landesherr, oder ein catholiſcher Lan-
desuachfolger, deſſen Land bisher evangeliſch geweſen, ſich
nun wieder zum catholiſchen Religionstheile halten koͤnnte. —
IX. X. Allein in jenen Faͤllen waren Herr und Land einer-
ley Religion geweſen; jetzt ſollte bloß auf die Perſon des
Landesherrn geſehen werden; — XI. da doch auf die Laͤn-
der billig mit zu ſehen iſt; — XII. zumal da jetzt nicht
mehr Reichsſtaͤnde in Perſon, ſondern nur durch Geſandten
in reichsſtaͤndiſchen Verſammlungen zu erſcheinen pflegen. —
XIII. Nur bey vermiſchten Reichsſtaͤdten wie Augsburg, und
Laͤndern, wie Osnabruͤck, kann eine abwechſelnde Religions-
eigenſchaft reichsſtaͤndiſcher Stimmen ſtatt finden; aber nicht
bey Religionsveraͤnderungen, die bloß ein Landesherr fuͤr
ſeine Perſon vornimmt. — XIV. Bey Curiatſtimmen wur-
de auf den groͤßten Theil der Mitglieder geſehen, — XV.
ſo daß die Praͤlaten und Schwaͤbiſchen Grafen fuͤr catho-
liſch, die Wetterauiſchen, Fraͤnkiſchen und Weſtphaͤliſchen
Grafen fuͤr evangeliſch gerechnet wurden. — XVI. XVII.
Noch eine beſondere Frage entſtand uͤber das Oberrheiniſche
Kreis-
[335]10) Religionsveraͤnderungen.
Kreisdirectorium, ob jetzt in dieſem vermiſchten Kreiſe bei-
de ausſchreibende Fuͤrſten Worms und Pfalz catholiſch ſeyn
koͤnnten? — XVIII-XXI. Als endlich der Churfuͤrſt von
Sachſen catholiſch wurde, ſtellte er eine Religionsverſiche-
rung aus, daß weder im Lande, noch in reichsſtaͤndiſchen
Verſammlungen deshalb eine Veraͤnderung vorgehen ſollte.—
XXII. Mit dem Ausgange des XVII. Jahrhunderts ward
endlich auch die bisherige Verſchiedenheit des Calenders der
beiden Religionstheile gehoben.


Ueber das Religionsverhaͤltniß der TeutſchenI.
Reichsſtaͤnde laßen ſich uͤberhaupt nach dem,
was von den Zeiten des Weſtphaͤliſchen Friedens
her wahrzunehmen geweſen, hier noch einige wich-
tige hiſtoriſche Bemerkungen machen. Zu deren
Ueberſicht wird es vielleicht nicht ohne Nutzen ſeyn,
wenn ich erſt ein chronologiſches Verzeichniß ein-
ruͤcke, was fuͤr Religionsveraͤnderungen in unſeren
fuͤrſtlichen und graͤflichen Haͤuſern mittelſt Ueber-
ganges von der evangeliſchen zur catholiſchen Reli-
gion ſeit dem Anfange des XVII. Jahrhunderts
vorgegangen ſind. Ich bezeichne, ſo weit ich es
habe ausfuͤndig machen koͤnnen, gleich anfangs das
Jahr, da jede Religionsveraͤnderung geſchehen iſt,
hernach nur den Namen, das Alter und andere
etwa hier in Betrachtung kommende Umſtaͤnde,
die einem jeden von ſelbſten Stoff zum Nachden-
ken geben koͤnnen. Zu mehrerer Bequemlichkeit
fuͤge ich gleich hinzu, wo eines jeden Familienum-
ſtaͤnde in den Huͤbneriſchen genealogiſchen Tabellen
noch naͤher nachgeſehen werden koͤnnen.


Ver-
[336]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.

Verſuch eines chronologiſchen Verzeichniſſes
der in reichsſtaͤndiſchen Haͤuſern im
XVII.und
XVIII.Jahrhundert vorgegangenen Reli-
gionsveraͤnderungen
.


I. 1614. Wolfgang Wilhelm von Pfalzneuburg
geb. 1578. (alt 36.) † 1653 Gem. 1613. Magd. v.
Baiern (Huͤbner Tab. 140.) Sein Sohn Philipp Wil-
helm (geb. 1615.) ward gleich in der catholiſchen Reli-
gion erzogen, 1642. mit einer Polniſchen Prinzeſſinn
vermaͤhlt, und ward 1653. regierender Pfalzgraf von
Neuburg und 1685. Churfuͤrſt in der Pfalz.


II. 16 . . Johann der juͤngere, Graf zu Naſſau-
Siegen
, geb. 1583., alt … verm. 1618. mit einer
Tochter des Fuͤrſten von Ligne, diente den Kronen Frank-
reich und Spanien, † 1638. Seine ebenbuͤrtige und
rechtmaͤßige Nachkommenſchaft endigte ſich mit ſeinem
Enkel Wilhelm Hyacinth † 1743. (Huͤbn. Tab. 257.)


III. 16 . . Bruno der III. Graf von Mansfeld,
geb. 1576., alt …, verm. a) mit einer Spaniſchen
Dame, b) 1636. mit einer Graͤfinn von Toͤrring.
† 1644. Sein Sohn wurde in Fuͤrſtenſtand erhoben.
(Huͤbn. Tab. 346.)


IV. 1629. Johann Ludewig Graf zu Naſſau-
Hadamar
, geb. 1590., alt 39. in Fuͤrſtenſtand erho-
ben 16 . . † 1653. Seine Linie erloſch mit ſeinem En-
kel Franz Alexander † 1711. (Huͤbn. Tab. 260.)


V. 16 . . Julius Henrich Herzog von Sachſen-
Lauenburg
geb. 1586. hatte mit einer Prinzeſſinn von
Brandenburg einen Sohn, der evangeliſch blieb, aber
1666. unbeerbt abgieng. Er vermaͤhlte ſich hernach
mit einer verwittweten Graͤfinn von Colowrat, gebohr-
ner Freyinn von Lobkowitz, und zeugte in dieſer Ehe
einen Sohn Julius Franz, geb. 1641., der in der ca-
tholiſchen Religion erzogen, und 1668. mit einer Prin-
zeſſinn von Sulzbach vermaͤhlt wurde, aber 1689. als
der
[337]10) Religionsveraͤnderungen.
der letzte Herzog von Sachſen-Lauenburg nur mit Hin-
terlaßung etlicher Toͤchter ſtarb. (Huͤbn. Tab. 153.)


VI. 1630. Franz Carl Prinz von Sachſen-Lauen-
burg
geb. 1594. (alt 36.) des vorigen Bruder † 1669.
unbeerbt. (Huͤbn. Tab. 153.)


VII. 16 . . Rudolf Maximilian noch ein Prinz
von Sachſen-Lauenburg ein Bruder der beiden vori-
gen, geb. 1595. † 1647. unvermaͤhlt. (Huͤbn. Tab. 153.)


VIII. 1631. Johann Diederich Graf von Loͤ-
wenſtein-Wertheim
zu Rochefort, geb. 1584. alt 47.
Seine Gemahlinn war eine Graͤfinn von der Mark,
verm. 1610. † 1626. Von ihm ſtammt das jetzige fuͤrſt-
liche Haus Loͤwenſtein ab. (Huͤbn. Tab. 369.)


IX. 16 . . Alexander Henrich Prinz von Hol-
ſtein-Sunderburg
, geb. 1608., kam in kaiſerliche
Kriegsdienſte † 1667. In der Ehe mit eines Hofpredi-
gers Heshus Tochter zeugte er zwey Soͤhne, die als
Domherren zu Breslau und Olmuͤtz geſtorben ſind.
(Huͤbn. Tab. 220.)


X. 16 . . Chriſtian Aribert, ein Sohn des Prin-
zen Georg Ariberts von Anhalt-Deſſau aus deſſen
ungleicher Ehe mit einer Fraͤulein von Kroſigk, geb. …
erhielt den Titel Graf von Baͤringen, und gieng in kai-
ſerliche Kriegsdienſte † 1677. unvermaͤhlt. (Huͤbn.
Tab. 236.)


XI. 1636. Friedrich Prinz von Heſſendarm-
ſtadt
, geb. 1616., alt 20., ward 1652. Cardinal,
1673. Biſchof zu Breslau † 1682. (Huͤbn. Tab. 211.)


XII. 1651. Johann Friedrich Herzog von Braun-
ſchweig-Luͤneburg zu Hannover geb. 1625. alt 26.,
verm. 1667. mit einer catholiſchen Prinzeſſinn von der
Pfalz, † 1679. hinterließ zwey Toͤchter, wovon eine
1699. an den Kaiſer Joſeph vermaͤhlt wurde. (Huͤbn.
Tab. 191.)


P. Entw. d. Staatsverf. Th.II. YXIII.
[338]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.

XIII. 1652. Ernſt Landgraf zu Heſſen-Rhein-
fels
, geb. 1623., alt 29. † 1693. Seine Soͤhne wur-
den hernach in der catholiſchen Religion erzogen, und
ſtifteten zwey Linien zu Rotenburg und Wanfried, die
catholiſch geblieben ſind. (Huͤbn. Tab. 210.)


XIV. 1655. Chriſtian Auguſt von Pfalz-Sulz-
bach
geb. 1622. (alt 33.) † 1708., war ſchon ſeit 1649.
mit einer Graͤfinn von Naſſau-Siegen vermaͤhlt. Sein
Sohn Theodor geb. 1659. ward gleich in der catholi-
ſchen Religion erzogen, und 1692. mit einer Prinzeſſinn
von Heſſen-Rotenburg vermaͤhlt. (Huͤbn. Tab. 141.)


XV. . . . . Eduard ein Bruder des Churfuͤrſten
Carl Ludewigs von der Pfalz geb. 1625. † 1663. Gem.
1645. eine T. des Herzogs von Nevers in Frankreich;
hinterließ nur drey Toͤchter. (Huͤbn. Tab. 139.)


XVI. 1663. Oct. 29. Chriſtian Ludewig Herzog
zu Mecklenburg-Schwerin, geb. 1623. alt 40.,
verm. 1663. Nov. mit Iſabelle von Montmorancy-Bou-
teville. † 1692. unbeerbt. (Huͤbn. Tab. 195.)


XVII. 16 . . Georg Chriſtian Prinz von Heſſen-
Homburg
, geb. 1626., war in Spaniſchen und Fran-
zoͤſiſchen Dienſten † 1677. unbeerbt. (Huͤbn. Tab. 212.)


XVIII. 1667. Ludewig Guſtav Graf von Hohen-
lohe-Schillingsfuͤrſt
geb. 1634., alt 33. † 1697.
Seine Nachkommen ſind noch jetzt Fuͤrſten zu Hohenlo-
he-Schillingsfuͤrſt. (Huͤbn. Tab. 600.)


XIX. 16 . . Chriſtian Graf von Hohenlohe-
Bartenſtein
, geb. 1627., alt … verm. 1658. mit
einer Graͤfinn von Hatzfeld. † 1675. Von ihm koͤmmt
noch jetzt das fuͤrſtliche Haus Hohenlohe-Bartenſtein.
(Huͤbn. Tab. 599.)


XX. 16 . . Albrecht Prinz von Sachſen-Weiſ-
ſenfels
geb. 1659. alt … verm. 1687. mit einer Graͤ-
finn von Loͤwenſtein. † 1692. hinterließ nur eine Toch-
ter. (Huͤbn. Tab. 169.)


XXI.
[339]10) Religionsveraͤnderungen.

XXI. 1673. Joachim Ernſt Prinz von Holſtein-
Ploͤn
zu Rethwiſch, geb. 1637. alt 36., verm. 1677.
mit einer Marquiſe von Weſterloo. † 1700. zu Madrid.
Sein einziger Sohn Johann Ernſt Ferdinand ſtarb 1729.
unbeerbt. (Huͤbn. Tab. 226.)


XXII. 16 . . Georg Prinz von Heſſendarm-
ſtadt
geb. 1669., alt …, ward Viceroy in Catalo-
nien † 1705. unbeerbt. (Huͤbn. Tab. 211.)


XXIII. 16 . . Henrich Prinz von Heſſendarm-
ſtadt
, geb. 1674., kam in kaiſerliche Dienſte, ſtarb
unvermaͤhlt. (Huͤbn. Tab. 211.)


XXIV. 1692. Arnold Moritz Wilhelm Graf von
Bentheim zu Bentheim, geb. 1663., alt 29. Seine
Nachkommenſchaft bluͤhet noch jetzt. (Huͤbn. Tab. 423.)


XXV. 1693. Philipp Prinz von Heſſendarm-
ſtadt
, geb. 1671., alt 22., verm. 1693. mit einer Toch-
ter des Duc d’Havré, ward kaiſerlicher Gouverneur zu
Mantua † 1714. hinterließ zwey Soͤhne. (Huͤbn.
Tab. 211.)


XXVI. 16 . . Ernſt Auguſt Prinz von Holſtein-
Sunderburg
zu Auguſtusburg geb. 1660. alt …
bekam ein Canonicat zu Coͤlln 1695., ward aber wie-
der evangeliſch † 1731. unbeerbt. (Huͤbn. Tab. 221.)


XXVII. 1696. Guſtav Samuel Leopold nachge-
bohrner Prinz von Pfalz-Zweybruͤcken geb. 1670.
(alt 26.), verm. 1707. mit einer Prinzeſſinn von Pfalz-
veldenz, (geſchieden 1723.), ward 1718. Herzog in
Zweybruͤcken, † 1731. ohne Kinder. (Huͤbn. Tab. 91.)


XXVIII. 1697. May 28. Friedrich Auguſt Chur-
fuͤrſt von Sachſen
, geb. 1670. alt 27., ward den 27.
Jun. 1697. Koͤnig in Polen. (Huͤbn. Tab. 168.) Er
ließ ſeinen Sohn noch in der evangeliſchen Religion er-
ziehen, bis derſelbe 1712. erſt ins Geheim catholiſch
wurde, und 1717. dieſe Religionsveraͤnderung bekannt
machte.


Y 2XXIX.
[340]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.

XXIX. 1697. Friedrich Prinz von Heſſendarm-
ſtadt
, geb. 1677., alt 20., ward Domherr zu Br[e]s-
lau und Coͤlln, General in Ruſſiſchen Dienſten † 1708.
unvermaͤhlt. (Huͤbn. Tab. 211.)


XXX. 17 . . Friedrich Wilhelm Prinz von Hol-
ſtein-Beck
, geb. 1682., alt …, verm. 1708. mit
der Tochter eines Bairiſchen Generals Grafen von San-
free, ward kaiſerlicher General † 1719. hinterließ nur
Toͤchter. (Huͤbn. Tab. 222.)


XXXI. 1710. Anton Ulrich Herzog zu Braun-
ſchweig-Wolfenbuͤttel
geb. 1633., alt 77. † 1714.
Seine Soͤhne blieben evangeliſch. (Huͤbn. Tab. 190.)


XXXII. 1712. Nov. 27. (insgeheim, 1717. Oct.
11. oͤffentlich) Friedrich Auguſt Churprinz von Sach-
ſen
geb. 1696. alt 16., verm. 1719. mit einer Tochter
des Kaiſer Joſephs, 1733. Churfuͤrſt von Sachſen und
Koͤnig in Polen † 1763. (Huͤbn. Tab. 168.) Seine
Soͤhne und Toͤchter wurden gleich catholiſch erzogen.


XXXIII. 1712. Oct. 28. Carl Alexander Prinz
von Wuͤrtenberg, geb. 1684., alt 28., verm. 1727.
mit einer Prinzeſſinn von Thurn und Taxis, ward 1733.
Oct. 31. regierender Herzog † 1737. Maͤrz 12., hinter-
ließ drey Soͤhne. (Huͤbn. Tab. 203.)


XXXIV. 17 . . Leopold Prinz von Holſtein-
Wieſenburg
, geb. 1674. alt …, verm. 1713. mit
einer Prinzeſſinn von Lichtenſtein † 1744. hinterließ nur
Toͤchter. (Huͤbn. Tab. 223.)


XXXV. 1716. Moritz Adolf Prinz von Sachſen-
Zeiz
geb. 1702. alt 14., 1718. Domherr zu Coͤlln, 1731.
Biſchof zu Koͤniggraͤtz und 1733. zu Leutmeritz. (Huͤbn.
Tab. 171.)


XXXVI. 1717. Apr. 18. Moritz Wilhelm Her-
zog von Sachſen-Zeiz, Adminiſtrator des Stifts
Naumburg, geb. 1664. alt 53. ward wieder Lutheriſch
1718. Oct. 16. † 1718. Nov. 14. hinterließ nur eine
Tochter. (Huͤbn. Tab. 171.)


XXXVII.
[341]10) Religionsveraͤnderungen.

XXXVII. 1723. Carl Ludewig Prinz von Hol-
ſtein-Beck
, geb. 1690., alt 33., verm. 1730. mit ei-
ner Graͤfinn Orſelska. † 1774. Sein Sohn Carl Frie-
drich ſtarb vor ihm 1772.


XXXVIII. 1727. Joſeph Prinz von Sachſen-
Hildburghauſen
geb. 1702. (alt 25.) verm. 1727. mit
einer verwittweten Graͤfinn von Althann, gebohrner Fuͤr-
ſtinn von Pignatelli, unbeerbt. (Huͤbn. Tab. 165.)


XXXIX. 1746. Dec. 8. Friedrich Prinz von Pfalz-
Zweybruͤcken
, geb. 1724. alt 22., verm. 1746. Febr.
6. mit einer Prinzeſſinn von Pfalz-Sulzbach † 1767.
Aug. 15. Seine Soͤhne, wovon der Erſtgebohrne ſeit
1775. regierender Herzog in Zweybruͤcken iſt, wurden
catholiſch erzogen.


XL. 1749. (insgeheim, oͤffentlich 1754.) Friedrich
Erbprinz von Heſſencaſſel geb. 1720., alt 29. ſeit
1760. regierender Landgraf † 1785. Oct. 31. Seine
Prinzen blieben reformirt.


XLI. 1758. Febr. 12. Chriſtian der IV. regieren-
der Herzog von Zweybruͤcken geb. 1722. alt 36.
† 1775. unvermaͤhlt.


XLII. 1769. Aug. 15. Wilhelm Prinz von Pfalz-
Birkenfeld
geb. 1752. alt 17. verm. 1780. mit einer
Prinzeſſinn von Zweybruͤcken.


Wenn von allen dieſen Religionsveraͤnderun-II.
gen die genaueren Geſchichtsumſtaͤnde, ihre
wahren Bewegungsgruͤnde, die dabey gebrauchten
Mittelsperſonen, u. ſ. w. an Tag kommen ſollten,
moͤchte ſich zwiſchen ſelbigen und denen, die im
XVI. Jahrhunderte vorgefallen waren, wohl eine
betrachtenswuͤrdige Vergleichung anſtellen laßen.
Y 3Bey
[342]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.
Bey vielen laͤßt ſich ſchon aus den darauf erfolgten
oder vorhergegangenen Vermaͤhlungen, oder an-
deren erhaltenen oder doch gehofften politiſchen
Vortheilen manches abnehmen. Auch ſind ſie
freylich nicht alle von gleichem Erfolge geweſen;
inſonderheit wenn es nur nachgebohrne oder abge-
lebte und unbeerbt gebliebene Herren betroffen,
oder wenn die Kinder doch noch in der vorigen Re-
ligion erzogen worden und derſelben treu geblieben
ſind. Wie oft hat ſichs aber auch ſchon gefuͤgt,
daß nachgebohrne Herren, die vielleicht zur Zeit
ihrer Religionsveraͤnderung noch in keine große Be-
trachtung kamen, in der Folge regierende Herren
geworden ſind, oder doch ſchon die Hoffnung dazu
auf ihre Nachkommen vererbt haben? Wie oft iſt
ſchon zum voraus dadurch vorgebauet worden, daß
auf kuͤnftige Faͤlle die Succeſſion wieder an catho-
liſche Herren fallen muͤßen? Und was macht es
nicht ſchon fuͤr einen betraͤchtlichen Theil von
Teutſchland aus, worin jetzt der Religionszuſtand
ganz anders ausſieht, als in dem Jahre 1624.,
das nach der Abſicht des Weſtphaͤliſchen Friedens
hierin zur allgemeinen und ewigen Richtſchnur die-
nen ſollte?


III.

Was die Vortheile betrifft, die mit den hier
beſchriebenen Religionsveraͤnderungen gemeiniglich
verbunden geweſen ſind, darf man nur gleich den
erſten Fall vom Hauſe Pfalzneuburg zum Beyſpie-
le nehmen, um nur den einzigen Umſtand ins Licht
zu ſtellen, was der Vorzug, in Pfruͤnden und
Stiftern fuͤr Toͤchter und juͤngere Herren des Hau-
ſes eine reichliche Verſorgung zu finden, und ſelbſt
Fuͤrſtenthuͤmer und Churfuͤrſtenthuͤmer mit Herren
vom
[343]10) Religionsveraͤnderungen.
vom Hauſe zu beſetzen, nach dem im Weſtphaͤli-
ſchen Frieden beſtaͤtigten geiſtlichen Vorbehalte, auf
ſolche Religionsveraͤnderungen fuͤr einen Preis
ſetzen konnte.


Hatte bisher vom Wittelsbachiſchen StammeIV.
nur das Haus Baiern den Vortheil gehabt, daß
ſeit 1583. das Erzſtift und Churfuͤrſtenthum Coͤlln
immer mit nachgebohrnen Bairiſchen Prinzen be-
ſetzt war, (wie es damit auch noch bis ins Jahr
1760. ſeinen Fortgang behalten hat,) und daß
uͤberdas oft noch mehr andere geiſtliche Fuͤrſtenthuͤ-
mer, als Hildesheim, Paderborn, Freiſingen,
Regensburg, Muͤnſter, Osnabruͤck, und Luͤttich,
in eben derſelben oder anderer Bairiſcher Prinzen
Haͤnden waren; ſo erlebten nunmehr auch die bei-
den Bruͤder Johann Wilhelm und Carl Philipp,
die aus dem Hauſe Pfalzneuburg auch in der Chur
Pfalz auf einander folgten, daß von ihren juͤnge-
ren Bruͤdern einer Biſchof zu Augsburg, ein an-
derer Teutſchmeiſter und Biſchof zu Worms und
Luͤttich, und ein dritter erſt ebenfalls Biſchof zu
Worms und Teutſchmeiſter, hernach Churfuͤrſt zu
Trier nnd endlich Churfuͤrſt zu Mainz wurde (l);
ohne
Y 4adju-
[344]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.
ohne zu gedenken, daß der Vater aller dieſer Her-
ren, der Pfalzgraf und nachherige Churfuͤrſt Phi-
lipp Wilhelm, auch ſchon im Jahre 1676. den
Kaiſer Leopold zum Tochtermann bekam, die ihn
zum Großvater vom nachherigen Kaiſer Carl dem
VI. machte (m).


V.

Eben dieſes Beyſpiel kann aber auch nach dem,
was oben ſchon vorgekommen iſt, zur Belehrung
dienen, was eine bloß perſoͤnliche Religionsveraͤn-
derung eines Teutſchen Fuͤrſten oder die Vererbung
eines evangeliſchen Landes an einen catholiſchen
Herrn im Lande fuͤr Veraͤnderungen in deſſen bis-
herigem Religionszuſtande machen kann. Nicht
ſelten wird ſchon derjenige, der die Religion zuerſt
veraͤndert, einen Proſelyteneifer blicken laßen.
Wenn es aber auch dem vielleicht noch Ueberwin-
dung koſtet, ſo werden doch Soͤhne und Enkel, die
ſchon in den Grundſaͤtzen der neu angenommenen
Religion erzogen, und vielleicht von eifrigdevoten
Muͤttern doppelt angefeuert ſind, ſchon weniger
Nachſicht haben. Die Pfaͤlziſche Geſchichte dient
wenigſtens auch davon zum Beyſpiele, daß mit je-
dem Jahre, da eine neue Regierung anfieng, als
1690.
(l)
[345]10) Religionsveraͤnderungen.
1690. und 1716., die Religionsbedruͤckungen zu-
nahmen.


Wie ſehr auf ſolche Art der ReligionszuſtandVI.
eines ganzen Landes ſchon mit etlichen Generatio-
nen gaͤnzlich umgekehrt werden koͤnne, zeigt freylich
eben das Beyſpiel. Forſcht man aber noch tiefer
nach, wer am Ende eigentlich Vortheil davon hat;
ſo zeigte ſich allerdings ein nicht geringer Vortheil
fuͤr diejenigen, deren Abſicht auf nichts geringeres,
als auf Beherrſchung der ganzen Welt gerichtet
war, und die dazu den Grundſatz, daß außer der
Kirche kein Heil zu finden, das Heil der Kirche
aber uͤber alles zu ſetzen ſey, nach ihrer Abſicht
wohl zu benutzen wußten. Aber ob die Aufnahme
des Landes, ob das wahre Wohl des Fuͤrſten da-
bey gewann? das war eine andere Frage. Eine
genaue Berechnung der Auswanderungen aus der
Pfalz wuͤrde hier vielleicht den beſten Aufſchluß ge-
ben koͤnnen.


Doch ein Umſtand kam nun noch in Betrach-VII.
tung, der in unſern Reichsgrundgeſetzen bisher noch
nicht beſtimmt worden war, und in Anſehung deſ-
ſen das bisherige Herkommen auf einer großen
Mißdeutung zu beruhen ſchien. Nehmlich von
Anfang der Religionstrennung war es zwar geſche-
hen, daß, ſobald ſich ein Reichsſtand zur evange-
liſchen Religion bekannte, derſelbe auf der Reichs-
verſammlung oder in anderen reichsſtaͤndiſchen Zu-
ſaͤmmenkuͤnften, in Faͤllen, wo beide Religions-
theile ſich trennten und jeder unter ſich beſondere
Berathſchlagungen anſtellte, ſich nicht mehr zum
catholiſchen, ſondern zum evangeliſchen Religions-
Y 5theile
[346]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.
theile hielt. Wie es alſo in unſerer Reichsverfaſ-
ſung dahin kam, daß von einer jeden Reichstags-
ſtimme
die Frage aufgeworfen werden konnte, zu
welchem Religionstheile ſie zu rechnen ſey; ſo ſchien
dieſe Religionseigenſchaft einer jeden Stimme ſich
nach derjenigen Religion zu richten, wozu ſich der
Reichsſtand, der ſie zu fuͤhren hatte, fuͤr ſeine Per-
ſon bekannte. Dieſe Beſtimmung ſchien auch de-
ſto natuͤrlicher zu ſeyn, als man ehedem gewohnt
war, daß Reichsſtaͤnde ſelbſt perſoͤnlich in ihren
Verſammlungen erſchienen, und ihre Stimmen
nach ihren eignen Einſichten und Entſchließungen
ablegten. Daher das Sitz- und Stimmrecht ei-
nes jeden Reichsſtandes mehr auf ſeiner Perſon als
auf dem Lande zu haften ſchien; wie man dann
ehedem auch nicht ſowohl nach der Zahl der Laͤnder,
als nach der Zahl der erſcheinenden Perſonen die
Stimmen zehlte. Solchemnach ſchien es anfangs
ein ganz richtiger Grundſatz zu ſeyn, daß auf eben
die Art, wie ehedem die Stimmen evangeliſcher
Fuͤrſten und Churfuͤrſten, ſobald dieſelben ſich zur
Augsburgiſchen Confeſſion bekannten, fuͤr evange-
liſch gehalten waren, ſo jetzt auch die Reichstags-
ſtimme eines wieder catholiſch gewordenen Reichs-
ſtandes zur catholiſchen Seite gerechnet werden
muͤßte.


VIII.

So ſchien alſo niemand einen Zweifel dabey zu
haben, daß von 1614. an der Pfalzgraf Wolfgang
Wilhelm von Neuburg, da er fuͤr ſeine Perſon ca-
tholiſch geworden war, auf Reichs- und Kreisver-
ſammlungen nicht mehr zu den evangeliſchen, ſon-
dern zu den catholiſchen Staͤnden gezehlt werden
koͤnnte. Als daher auf dem Reichstage 1654. zur
Viſi-
[347]10) Religionsveraͤnderungen.
Viſitation des Cammergerichts ein Schema von
fuͤnf Claſſen jeder von 12. catholiſchen und 12.
evangeliſchen Reichsſtaͤnden, die ſich nach einander
abloͤſen ſollten, verfertiget wurde; trug man kein
Bedenken in der zweyten Claſſe Pfalzneuburg auf
der catholiſchen Seite mit anzuſetzen. Und als
eben das Schema im Jahre 1666. nochmals
in Berathſchlagung kam, zu einer Zeit, da der
Herzog Chriſtian Ludewig von Mecklenburg catho-
liſch war, wies man auch dieſem ſeinen Platz nicht
mehr auf der evangeliſchen, ſondern auf der ca-
tholiſchen Seite an (n). Ja als endlich 1685.
das Haus Pfalzneuburg auch in Beſitz des Chur-
fuͤrſtenthums kam, und zugleich die von der bishe-
rigen reformirten Linie im Reichsfuͤrſtenrath beſeſ-
ſenen Stimmen Pfalzlautern und Pfalzſimmern zu
fuͤhren bekam; hielt ſich das neue Churhaus mit
allen dieſen Stimmen nicht mehr zum evangeliſchen,
ſondern zum catholiſchen Religionstheile.


Wenn man aber in allem dem der Sache etwasIX.
tiefer auf den Grund gehet; ſo zeigt ſich bald zwi-
ſchen jenen Religionsveraͤnderungen, wie ſie in den
erſten Zeiten der Reformation geſchahen, und den
neueren Ruͤcktritten zur catholiſchen Religion ein
ſehr weſentlicher Unterſchied. In jenen Faͤllen
war es nicht bloß die Perſon des Landesherrn, die
ihre Religion veraͤndert hatte, ſondern gemeinig-
lich hatten ſich ſchon im ganzen Lande veraͤnderte
Geſinnungen in der Religion hervorgethan, die
nur dadurch, daß der Landesherr denſelben ſeinen
Beyfall gab, zum voͤlligen Ausbruche kamen. Alſo
waren
[348]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.
waren da Herren und Land zuſammen einerley Re-
ligion; Beide verlangten nicht mehr zum catholi-
ſchen Religionstheile gerechnet zu werden. Jetzt
kamen die Faͤlle ganz anders. Die Laͤnder waren
und blieben evangeliſch, wuͤnſchten wenigſtens nichts
ſehnlicher, als in ihrer bisherigen Religion unbe-
draͤngt gelaßen zu werden. Bloß die Perſon des
Landesherrn gieng zur catholiſchen Religion uͤber.
Sollte deswegen nun das ganze Land auf hoͤren der
evangeliſchen Religion zugethan zu ſeyn?


X.

Freylich gab es jetzt Leute, die eine ſolche Spra-
che fuͤhrten, daß die Unterthanen ſchuldig ſeyen,
den Weg zur Seligkeit, den ihnen ihr Landesherr
vorzeichnete, mit zu gehen (o). Oder man warf
auch wohl die Frage auf: ob es billig ſey nach der
Religion des Bauern oder des Landesherrn die Re-
ligionseigenſchaft des Landes zu beurtheilen? Aber
wer nur mit kaltem Blute daruͤber nachzudenken
vermag, der ſtelle ſich nur in Gedanken den Fall
vor: wie wenn dein Landesherr ein Mahomedaner,
ein Naturaliſt, ein Quaͤker, Menoniſt oder was
dir ſonſt noch etwa fuͤr ein widriger Religionsname
ein-
[349]10) Religionsveraͤnderungen.
einfaͤllt, zu werden beliebte, und dich und die Dei-
nigen nun zu eben der Religion noͤthigen wollte!


Doch ſollte nicht etwa der Umſtand, daß un-XI.
ſere Reichstagsſtimmen einem jeden Reichsſtande
fuͤr ſeine Perſon gebuͤhren, wenigſtens in Anſehung
dieſer Stimmen der Sache eine andere Geſtalt ge-
ben? — Auch da iſt klar, daß ein Teutſcher
Reichsfuͤrſt dennoch eigentlich nur von wegen ſei-
nes Landes ſein Sitz- und Stimmrecht auszuuͤben
hat. Bloße Perſonaliſten kennt unſere wahre
Reichsverfaſſung nicht. Nach der urſpruͤnglich
harmoniſchen Verfaſſung unſers Teutſchen Reichs
und deſſen beſonderer Staaten war es auch nichts
ungewoͤhnliches, daß Fuͤrſten erſt in ihren Laͤndern
Landtag hielten, und dann erſt auf dem Reichs-
tage ihres Landes Intereſſe beſorgten. Haben nun
gleich in neueren Zeiten die meiſten Landſchaften
nicht mehr ſolchen Einfluß in die Reichstagsſtim-
men behalten; ſo wird doch ſchwerlich ein Fuͤrſt
oder ein fuͤrſtliches Miniſterium behaupten wollen,
daß eine fuͤrſtliche Reichstagsſtimme in dem Ver-
ſtande perſoͤnlich ſey, daß in deren Ausuͤbung nicht
ſowohl auf das wahre Beſte des Landes, als auf
die bloß perſoͤnliche Convenienz des Fuͤrſten Ruͤck-
ſicht zu nehmen ſey. Geſetzt alſo, daß nun auf
dem Reichstage oder in einer andern reichsſtaͤndi-
ſchen Verſammlung eine Frage vorkoͤmmt, wo
evangeliſche Laͤnder ein anderes Intereſſe haben, als
catholiſche Laͤnder; ſoll da die auf dem evangeliſchen
Lande haftende Stimme bloß deswegen, weil der
Landesherr fuͤr ſeine Perſon jetzt catholiſch iſt, viel-
mehr das catholiſche, als evangeliſche Intereſſe be-
foͤrdern helfen! Das waͤre doch ſonderbar!


Aber
[350]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.
XII.

Aber noch eins: In vorigen Zeiten war nicht
ungewoͤhnlich, daß Fuͤrſten in Perſon dem Reichs-
tage beywohnten; da wuͤrde es freylich Anſtoß ge-
funden haben, einen catholiſchen Fuͤrſten einer Ver-
ſammlung beywohnen zu laßen, worin nur evange-
liſche Staͤnde zu ihrer beſonderen Berathſchlagung
ſich von den catholiſchen getrennet haͤtten. Das
mag eine Haupturſache mit geweſen ſeyn, warum
der evangeliſche Religionstheil einen catholiſch ge-
wordenen Marggrafen von Baden oder Pfalzgra-
fen von Neuburg auch nicht mehr zu ſeinen Be-
rathſchlagungen verlangt haben mag. Allein da
jetzt unſer Reichstag aus lauter Geſandten beſteht,
auch ſonſt nicht leicht ein weltlicher Reichsſtand
mehr irgend einiger reichsſtaͤndiſchen Verſammlung
perſoͤnlich beywohnt; ſo bekoͤmmt jetzt die ganze
Sache eine durchaus veraͤnderte Geſtalt, da es
jetzt nur auf die Frage ankoͤmmt: ob nicht von ei-
nem evangeliſchen Lande, deſſen Landesherr nur
fuͤr ſeine Perſon catholiſch iſt, noch durch einen
evangeliſchen Geſandten die darauf haftende Reichs-
tagsſtimme in der bisherigen Religionseigenſchaft
fortgefuͤhrt werden koͤnne?


XIII.

Von einer Reichsſtadt, die vermiſchter Reli-
gion iſt, wie z. B. Augsburg, laͤßt ſich noch der
Fall gedenken, daß ſie durch zweyerley Geſandten
von beiderley Religion allenfalls abwechſelnd ihre
Stimme fuͤhren laßen kann. So iſt es auch der
Sache ganz gemaͤß, daß, da vermoͤge des Weſt-
phaͤliſchen Friedens im Hochſtifte Osnabruͤck ab-
wechſelnd ein catholiſcher und evangeliſcher Biſchof
an der Regierung iſt, auch davon abwechſelnd bald
ein catholiſcher, bald ein evangeliſcher Geſandter
die
[351]10) Religionsveraͤnderungen.
die Stimme fuͤhret, ſo wie das Land ſelbſt ſich in
vermiſchtem Religionszuſtande befindet. Aber fuͤr
ein Land, das ganz evangeliſch iſt und bleibt, deſ-
ſen Landesherr aber bloß fuͤr ſeine Perſon ſich zur
catholiſchen Religion bekennt, an ſtatt des bishe-
rigen evangeliſchen Geſandten, nun einen catholi-
ſchen zu halten, und, wenn dann vielleicht wieder
ein evangeliſcher Nachfolger koͤmmt, erſt dann wie-
der einen evangeliſchen; das kann nach richtigen
Grundſaͤtzen wohl nicht vertheidiget werden.


Eine beſondere Frage konnte endlich noch inXIV.
Anſehung der Curiatſtimmen im Reichsfuͤrſten-
rathe in Betrachtung kommen. Da konnte ſichs
allerdings fuͤgen, daß z. B. unter den Schwaͤbi-
ſchen Grafen ein Graf von Oettingen und ein Be-
ſitzer der Herrſchaft Juſtingen Proteſtanten waren;
daß man aber dennoch das Schwaͤbiſche Grafen-
collegium im Ganzen genommen fuͤr catholiſch gel-
ten ließ, weil der ungleich groͤßere Theil der Schwaͤ-
biſchen Grafen doch catholiſch war. Das hatte
eine voͤllig analogiſche Beſtimmung des Weſtphaͤ-
liſchen Friedens zum Grunde, da der Bairiſche
Kreis in Vertheilung der Cammergerichts-Praͤſen-
tationen fuͤr pur catholiſch gerechnet wurde, unge-
achtet einige evangeliſche Staͤnde Mitglieder des
Kreiſes waren, und da auf gleiche Art der Friede
ſolche Reichsſtaͤdte, worin die von der Stadt ab-
hangende Religionsuͤbung evangeliſch iſt, fuͤr pur
evangeliſch erklaͤrte, wenn gleich einige catholiſche
Einwohner und Stifter oder Kloͤſter darin waͤren.


So ſtand alſo nichts im Wege, daß nicht auchXV.
das Weſtphaͤliſche Grafencollegium fuͤr pur evange-
liſch
[352]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.
liſch angeſehen werden konnte, wenn gleich eini-
ge catholiſche Mitglieder darunter waren. Am
wenigſten konnte es jemanden einfallen daran zu
zweiflen, daß nicht das Fraͤnkiſche Grafencollegium
evangeliſch war, wenn auch gleich ein und andere
Fraͤnkiſche Grafen catholiſch geworden waren, oder
ein evangeliſches Land einen catholiſchen Landesfol-
ger bekommen hatte. So war und blieb wenig-
ſtens die Praxis am Reichstage, daß von den ſechs
Curiatſtimmen im Reichsfuͤrſtenrathe die drey
Stimmen der Schwaͤbiſchen und Rheiniſchen Praͤ-
laten und der Schwaͤbiſchen Grafen fuͤr catholiſch,
und die Stimmen der Wetterauiſchen, Fraͤnkiſchen
und Weſtphaͤliſchen Grafen fuͤr evangeliſch gehal-
ten wurden.


XVI.

Mit dem allem mochte es inzwiſchen bisher ge-
halten worden ſeyn, wie es wollte, — jetzt gab
es endlich zwey neue Auftritte, wo man anfieng
der Sache noch naͤher auf den Grund zu kommen.


XVII.

Einmal aͤußerte ſich jetzt noch eine Folge der
Pfalzneuburgiſchen Religionsveraͤnderung, da der
Oberrheiniſche Kreis, als ein Kreis vermiſch-
ter Religion, bisher auch ein vermiſchtes Kreisdi-
rectorium von beiden Religionen gehabt hatte,
nehmlich den Biſchof von Worms, als den geiſt-
lichen und catholiſchen, und Pfalzſimmern, als
den weltlichen und evangeliſchen kreisausſchreiben-
den Fuͤrſten. Sollte jetzt Pfalzneuburg auch von
wegen Pfalzſimmern fuͤr catholiſch gelten, und die
Oberrheiniſchen Kreisſachen durch catholiſche Mini-
ſter und Geſandten beſorgen laßen; ſo war, ganz
gegen die bisherige Verfaſſung, in einem vermiſch-
ten
[353]10) Religionsveraͤnderungen.
ten Kreiſe ein zweyfaches beiderſeitig catholiſches
Kreisdirectorium. Dabey konnte man ſich um ſo
weniger beruhigen, je haͤufiger Faͤlle zu erwarten
waren, da beide kreisausſchreibende Fuͤrſten Exe-
cutionsauftraͤge von den hoͤchſten Reichsgerichten
erhalten wuͤrden, die vermoͤge des Weſtphaͤliſchen
Friedens nicht anders als durch Commiſſarien von
gleicher Anzahl beider Religionen vollzogen werden
ſollten. Bey einem Kreistage 1695. ward deswe-
gen darauf angetragen, an ſtatt des Pfaͤlziſchen
Hofes ein anderes evangeliſches Kreisdirectorium
zu ernennen. Da ſolches aber nicht geſchah,
trennte ſich Heſſencaſſel daruͤber ganz vom Oberrhei-
niſchen Kreiſe, weil es nicht anders, als unter der
Bedingung der Religionsgleichheit unter den kreis-
ausſchreibenden Fuͤrſten, an der Verfaſſung dieſes
an ſich vermiſchten Kreiſes ſich gebunden hielt (p).


Der andere Auftritt war noch von groͤßererXVIII.
Wichtigkeit. Unter den Competenten zur Pol-
niſchen Koͤnigswahl nach dem Tode Johanns des
III. († 1696. Jun. 17.) meldete ſich auch der Chur-
fuͤrſt Friedrich Auguſt von Sachſen, und erreich-
te, nachdem er ſich zur catholiſchen Religion be-
kannt hatte, im Jahre 1697. ſeine Abſicht. Sei-
nen Churſaͤchſiſchen Landſtaͤnden und Unterthanen
gab er indeſſen am 27. Jul. (6. Aug.) 1697. eine
Reli-
P. Entw. d. Staatsverf. Th.II. Z
[354]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.
Religionsverſicherung, daß der Religionszuſtand
im Lande unveraͤndert bleiben ſollte (q). Er er-
klaͤrte ſich: ſeine Religionsveraͤnderung ſey eine
bloß perſoͤnliche Sache. (Sein Churprinz blieb
vorerſt evangeliſch.) Alle Religions- und Kirchen-
ſachen ſollten kuͤnftig von ſeinem naͤchſten evangeli-
ſchen Stammsvetter, dem Herzoge von Sachſen-
Weiſſenfels, und durch das evangeliſche Geheime-
rathscollegium, behandelt werden. (Daruͤber
ward auch zwiſchen dem nunmehrigen Koͤnige Au-
guſt dem II. und dem Herzoge von Weiſſenfels am
1. und 5. Febr. 1700. ein foͤrmlicher Receß er-
richtet.)


XIX.

Unter dieſen Umſtaͤnden entſtand die Frage: ob
nunmehr auch Churſachſen mit ſeiner Reichstags-
ſtimme vom evangeliſchen Religionstheile zum ca-
tholiſchen hinuͤbergehen ſollte? oder ob es noch fer-
ner als ein Mitglied des evangeliſchen Religions-
theils angeſehen werden koͤnne? und ob das evan-
geliſche Corpus gar ſein Directorium auch nun noch
in Churſaͤchſiſchen Haͤnden laßen ſollte?


XX.

Evangeliſcher Seits beſann man ſich endlich,
daß Churſachſen im Staatsrechtsverſtande, der
perſoͤnlichen Religionsveraͤnderung ungeachtet, eben
ſo gut noch ein Mitglied des evangeliſchen Reli-
gionstheils bleiben koͤnne, als mancher neuer Fuͤrſt
im Staatsrechtsverſtande noch immer ein Mitglied
eines graͤflichen Collegii blieb. Man hielt alſo bil-
lig fuͤr zutraͤglicher, in dieſem Betrachte alles auf
den bisherigen Fuß zu laßen, als geſchehen zu
laßen,
[355]10) Religionsveraͤnderungen.
laßen, daß nach dem Beyſpiele von Pfalzneuburg
auch Churſachſen ganz zum catholiſchen Religions-
theile heruͤbergienge. Es kam nur darauf an, daß
der Koͤnig als Churfuͤrſt von Sachſen ſich anheiſchig
machte immer nur evangeliſche Miniſter an ſeinem
Hofe zu halten, und evangeliſche Geſandten auf den
Reichstag oder andere reichsſtaͤndiſche Verſamm-
lungen zu ſchicken. Das alles fand endlich um ſo
weniger Schwierigkeit, weil man damals ſich ſchmei-
chelte, der Churprinz wuͤrde evangeliſch bleiben,
und alſo doch demnaͤchſt wieder alles auf den vori-
gen Fuß zuruͤckkommen.


Die Catholiſchen ſahen es vielleicht ſelbſt nichtXXI.
ungern, daß das evangeliſche Corpus jetzt einen
Director habe, der fuͤr ſeine Perſon catholiſch ſey.
Doch moͤgen ſie ſich noch groͤßere Vortheile davon
vorgeſtellt haben, als der Erfolg gewaͤhrt hat (r).
Kurz die Sache kam auf dieſen Fuß zu Stande.
Und eben damit ward jetzt der Weg zu einem neuen
Herkommen gebahnt, wie kuͤnftig doch einige der
bisherigen Inconvenienzen bey ſolchen Religions-
veraͤnderungen gehoben werden koͤnnten.


Mit
Z 2
[356]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.
XXII.

Mit dem Ausgange des XVII. Jahrhunderts
ward endlich auch der Zwiſt, den beide Religions-
theile wegen der zweyerley Calender bisher gehabt
hatten, noch in der Hauptſache gluͤcklich gehoben.
In Gefolg einer Berechnung einiger Mathemati-
ker, inſonderheit eines gewiſſen Profeſſor Weigels
zu Jena, faßte das evangeliſche Corpus zu Re-
gensburg (1699. Sept. 30.) einmuͤthig den Schluß:
daß mit dem Jahre 1700. in den evangeliſchen
Laͤndern und Reichsſtaͤdten ein neuer verbeſſerter
Calender eingefuͤhrt werden ſollte, indem man gleich
nach dem 18. Febr. 1700. eilf Tage weglaßen,
und den Matthiastag gleich auf den 18. Febr. an-
ſetzen wollte. In ſo weit kam jetzt dieſer Calen-
der mit dem Gregoriſchen der Catholiſchen uͤberein.
Nur in Beſtimmung des Oſterfeſtes folgten die
Proteſtanten einer von der Gregoriſchen abweichen-
den richtigern aſtronomiſchen Berechnung. Das
hatte dann doch auch nachher noch die uͤble Folge,
daß zwar nicht alle Jahre, aber doch von Zeit zu
Zeit die Oſterfeier der Catholiſchen und Proteſtan-
ten um acht Tage von einander unterſchieden war,
(bis erſt 1770. auch dieſer Unterſchied mittelſt An-
nehmung eines durchgaͤngig gleichen Reichscalen-
ders gehoben worden.)


XI.
[357]11) Neue Krone v. Preuſſen 1701.

XI.
Erhebung des Hauſes Brandenburg zur koͤnig-
lichen Wuͤrde von Preuſſen 1701. Ueberhaupt
jetzt merklicher Unterſchied zwiſchen Reichsſtaͤn-
den, die Kronen tragen, und anderen.


I. Neu errichtete Krone von Preuſſen. — II. Deren
Einfluß in Teutſchen Sachen. — III. Ueberhaupt jetzt ver-
mehrte Anzahl ſolcher Reichsſtaͤnde, die zugleich Koͤnige
ſind. — IV. Deren Verhaͤltniß zu anderen, die es nicht
ſind, — V. inſonderheit in Anſehung der Thronbelehnun-
gen, — VI. und des Reichstagsceremoniels. — VII. Ver-
ſchiedenheit des Verhaͤltniſſes, worin die Kronen ſelbſt zur
Teutſchen Reichsſtandſchaft ſtehen. — VIII. Ganz beſondere
Eigenſchaft der in einer Perſon vereinigten Reichsſtandſchaft
und koͤniglichen Wuͤrde von Boͤhmen.


Die Erhoͤhung, die dem Churfuͤrſten von Sach-I.
ſen mit der Polniſchen Krone widerfuhr,
und mehr aͤhnliche Standeserhoͤhungen, als da
der Prinz von Oranien Koͤnig in England, und
der Herzog von Hannover Churfuͤrſt geworden war,
halfen einen Entwurf befoͤrdern, den man zu Ber-
lin ſchon ſeit einiger Zeit im Werke gehabt hatte,
um auch dem Hauſe Brandenburg eine Krone zu
verſchaffen, indem man das nun einmal unabhaͤn-
gige Herzogthum Preuſſen nur in ein Koͤnigreich
zu verwandeln brauchte. Es wurde erſt durch ei-
nen Tractat mit dem kaiſerlichen Hofe unterbauet,
worin das Haus Brandenburg dem Hauſe Oeſter-
reich einige ruͤckſtaͤndige Subſidienforderungen er-
ließ, und zum Spaniſchen Succeſſionskriege 10.
tauſend Mann Huͤlfsvoͤlker verſprach, auch in
Z 3Reichs-
[358]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.
Reichsſachen und Kaiſerwahlen mit ſeinen Stim-
men Hoffnung machte; wogegen Leopold die Ver-
ſicherung von ſich gab, den Churfuͤrſten kuͤnftig als
Koͤnig in Preuſſen anzuerkennen. Darauf ſetzte ſich
Friedrich als der erſte Koͤnig in Preuſſen am 18. Jan.
1701. zu Koͤnigsberg die Krone ſelbſt auf, und
ward von einer Macht nach der andern (von Frank-
reich erſt im Uetrechter Frieden) dafuͤr anerkannt.
Vom Teutſchen Orden und vom Pabſte wurden
zwar Widerſpruͤche dagegen erhoben, aber wenig
geachtet, und in verſchiedenen Schriften derbe ab-
gefertiget.


II.

In unſerer Reichsverfaſſung machte dieſe neue
Krone zwar in ſoweit keine Aenderung, weil das
Haus Brandenburg ſowohl unter den Churfuͤrſten
als im Reichsfuͤrſtenrathe nach wie vor ſeinen bis-
herigen Rang behielt, wie das an ſich billig war,
aber auch ſowohl dem Kaiſer als dem Churfuͤrſten
von Mainz ausdruͤckliche Verſicherungen daruͤber
ausgeſtellt werden mußten. Ob aber uͤberhaupt
im politiſchen Verhaͤltniſſe des Berliner Hofes das
keinen Einfluß gehabt habe, daß der koͤnigliche Ti-
tel den damit verbundenen Begriff einer voͤlligen
Unabhaͤngigkeit und Gleichheit mit allen anderen
Maͤchten vielleicht uͤberwiegender gemacht hat, an
ſtatt daß der churfuͤrſtliche Titel, ſo lange derſelbe
voranſtand, an ſich ſchon eine gewiſſe Abhaͤngigkeit
und Ungleichheit gegen gekroͤnte Haͤupter mit ſich
fuͤhrte; das iſt eine andere Frage. Um gegen an-
dere gekroͤnte Haͤupter in keinem Stuͤcke zuruͤckzu-
bleiben, wurde gleich am Kroͤnungstage der Preuſ-
ſiſche ſchwarze Adlersorden geſtiftet; auch ward
ſchon
[359]11) Neue Krone v. Preuſſen 1701.
ſchon am 11. Jul. 1700. die Societaͤt der Wiſſen-
ſchaften zu Berlin errichtet.


Ueberhaupt konnte es in der Folge auch fuͤr dieIII.
Teutſche Reichsverfaſſung nicht anders als merk-
lich werden, daß es immer mehrere Reichsſtaͤnde
gab, die Kronen trugen. Vor den Zeiten des
Weſtphaͤliſchen Friedens her waren es eigentlich
nur die Haͤuſer Holſtein und Oeſterreich, deren
Haͤupter zugleich Koͤnige, jenes in Daͤnemark, die-
ſes in Ungarn, waren. Durch den Weſtphaͤli-
ſchen Frieden kam die Krone Schweden mit den
Teutſchen Laͤndern, die ſie erhielt, in den Fall zu-
gleich auf beſtaͤndig ſelbſt ein Teutſcher Reichs-
ſtand zu ſeyn. Ueberdas war ſeit 1654. das Haus
Zweybruͤcken ſelbſt in Beſitz der Krone Schweden,
(die hernach 1720. einem Herrn vom Hauſe Heſ-
ſencaſſel, und zuletzt 1751. dem Hauſe Holſtein zu
Theil wurde). Nun war auch der Churfuͤrſt von
Sachſen Koͤnig in Polen, der Churfuͤrſt von Bran-
denburg Koͤnig in Preuſſen. Auch das Haus Oe-
ſterreich kam als Koͤnig in Boͤhmen wieder in voll-
ſtaͤndigen Beſitz ſeiner ehemaligen reichsſtaͤndiſchen
Vorrechte. Und man konnte ſchon vorausſehen,
daß ein Churfuͤrſt von Hannover wuͤrde Koͤnig in
Großbritannien werden. (Wozu nachher auch
noch das Haus Savoyen kam, als es die Krone
von Sicilien, oder nachher von Sardinien bekam).


Alſo war es ſchon der Muͤhe werth, daß manIV.
unter anderen Abtheilungen der Teutſchen Reichs-
ſtaͤnde jetzt auch dieſe machen konnte, daß Reichs-
ſtaͤnde, die Kronen truͤgen, von anderen zu un-
terſcheiden waͤren. Es blieb zwar billig dabey, daß
Z 4man
[360]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.
man in allen dieſen Faͤllen die Perſon des Koͤnigs
und die des Teutſchen Reichsſtandes von einander
unterſchied, nachdem Geſchaͤffte in dieſer oder je-
ner Eigenſchaft vor waren. Auf dem Reichstage
oder bey anderen reichsſtaͤndiſchen Verſammlungen
behielten daher auch Reichsſtaͤnde, die zugleich Koͤ-
nige waren, ihre Plaͤtze ungeaͤndert. Im Na-
men des Kaiſers konnten nach wie vor gerichtliche
Ausfertigungen auch an des Koͤnigs Majeſtaͤt als
Churfuͤrſten oder Herzogs in … Liebden erlaßen
werden. Inzwiſchen wo politiſche Ruͤckſichten oft
doch unvermeidlich waren, oder das Perſoͤnliche
ſelbſt ſich nicht trennen ließ, da zeigten ſich doch bald
erhebliche Folgen der perſoͤnlichen Einheit eines un-
abhaͤngigen Koͤniges und zugleich Teutſchen Reichs-
ſtandes.


V.

So war z. B. bey den Thronbelehnungen Teut-
ſcher Fuͤrſten und Churfuͤrſten bisher gewoͤhnlich,
daß der Geſandte, der die Belehnung vom Kaiſer
empfieng, ſowohl ſchriftlich als in der Rede, die er
auf den Knieen vor dem kaiſerlichen Throne hielt,
eine Entſchuldigung einfließen ließ, daß ſein Herr
nicht ſelbſt ſich dem Kaiſer zu Fuͤßen geworfen haͤt-
te. Gekroͤnte Haͤupter fiengen jetzt an das fuͤr un-
ſchicklich zu halten, daß ihre Abweſenheit auf ſolche
Art entſchuldiget werden ſollte, da ſichs von ſelb-
ſten verſtaͤnde, daß ihnen unter keinerley Umſtaͤn-
den eine Kniebeugung vor irgend einem andern
Throne zugemuthet werden koͤnnte. Zuletzt ent-
ſtand gar die Frage, ob ſie auch nur ihren Ge-
ſandten dergleichen zugeben koͤnnten, ohne ihrer
Wuͤrde Abbruch zu thun. Sollte das aber den
koͤniglichen Geſandten nachgeſehen werden, was
war
[361]11) Neue Krone v. Preuſſen 1701.
war dann von Churfuͤrſten, die koͤnigliche Ehren-
bezeigungen verlangen, — und was dann ferner
von altfuͤrſtlichen Haͤuſern, die denſelben in allem
nachzueifern ſuchen, zu erwarten? Kurz, wahr-
ſcheinlich hat das alles ſeinen Einfluß darauf ge-
habt, daß verſchiedene Gattungen von Thronbe-
lehnungen nunmehr ſchon ſeit geraumer Zeit ins
Stecken gerathen zu ſeyn ſcheinen.


Im Reichstagsceremoniel ſind die GeſandtenVI.
der nicht koͤniglichen Staͤnde deſto aufmerkſamer
darauf geweſen, keine Neuerung auf kommen zu
laßen, z. B. nicht zuzugeben, daß koͤnigliche Ge-
ſandten, deren Principalen zugleich Reichsſtaͤnde
ſind, vor ſolchen, die im Fuͤrſtenrathe den Rang
uͤber ſie haben, vom Principalcommiſſarien eher
zur Tafel gezogen oder ſonſt diſtinguirt werden.
Ein koͤniglich Sardiniſcher Geſandter, Graf von
Mirabelli, der vor einigen Jahren dazu beſtimmt
war, die in vielen Jahren nicht beſetzt geweſene
Stimme von Savoyen wieder zu fuͤhren, gieng
daher lieber, ohne ſeine Vollmacht zu uͤbergeben,
zuruͤck, als daß er gegen ſo viele fuͤrſtliche Geſand-
ten, die im Fuͤrſtenrathe vor ihm zu votiren hat-
ten, auch in Ceremonielſachen zuruͤckſtehen ſollte.
In Anſehung der Churfuͤrſten iſt noch erſt 1764.
eine beſondere Stelle in die Wahlcapitulation ein-
geruͤckt worden: daß zwiſchen den Churfuͤrſten un-
ter einander nirgendwo ein Unterſchied im Ceremo-
nielle eingefuͤhrt werden ſolle (s). Wobey man
ohne Zweifel auf ſolche Churfuͤrſten, die zugleich
Kronen tragen, Ruͤckſicht genommen hat.


Uebri-
Z 5
[362]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.
VII.

Uebrigens iſt freylich auch noch ein großer Un-
terſchied, ob einem Teutſchen Reichsſtande nur ein
Wahlreich zu Theil wird, worin bey jedem Todes-
falle wieder ein anderer Koͤnig gewehlet werden
kann, (wie auf ſolche Art doch nur zwey Churfuͤr-
ſten von Sachſen nach einander Koͤnige in Polen
geweſen ſind, jetzt alſo Churſachſen nicht mehr zu
den Reichsſtaͤnden, die Kronen tragen, gehoͤret;)
oder ob auch ſonſt nur zufaͤllige Umſtaͤnde einem
Teutſchen fuͤrſtlichen Hauſe auf einige Zeit eine aus-
waͤrtige Krone zuwege gebracht haben, wie der
Fall der Haͤuſer Zweybruͤcken und Heſſen in Anſe-
hung der Krone Schweden geweſen; oder ob es
endlich eine erbliche immer fortwaͤhrende Verbin-
dung iſt, die einem Teutſchen Hauſe auch fuͤr die
Zukunft den Beſitz der Krone ſichert, wie die Um-
ſtaͤnde mit Daͤnemark, Ungarn, Großbritannien,
Preuſſen, und Sardinien ſind. Dennoch iſt auch
davon der in ſeiner Art einzige Fall unterſchieden,
daß ein jeder Koͤnig in Schweden, als Beſitzer
von Pommern, zugleich von ſelbſten ein Teutſcher
Reichsſtand iſt, und alſo unſere Reichsſtandſchaft
mit einer auswaͤrtigen Krone in unzertrennlicher
Verbindung ſtehet.


VIII.

Noch ſonderbarer iſt es endlich, daß ein Koͤnig
in Boͤhmen, als Koͤnig, zugleich ein Teutſcher
Reichsſtand iſt. Da nach der jetzigen Verfaſſung
von ganz Europa ſonſt ein Koͤnig, als Koͤnig be-
trachtet, nicht anders als unabhaͤngig ſeyn kann,
und da hingegen von der Eigenſchaft eines Reichs-
ſtandes der Begriff einer Abhaͤngigkeit von dem
Reiche, worin er Reichsſtand iſt, ſich nicht tren-
nen laͤßt; ſo ſcheint es beynahe einen Widerſpruch
in
[363]11) Neue Krone v. Preuſſen 1701.
in ſich zu faſſen, daß Boͤhmen einen Koͤnig haben,
und eben dieſer Koͤnig auch von wegen Boͤhmen
ein Teutſcher Reichsſtand ſeyn ſolle. Aber von
aͤlteren Zeiten her, da das Voͤlkerrecht des mitt-
lern Zeitalters nicht fuͤr widerſprechend hielt, daß
Koͤnige den Kaiſer uͤber ſich haben koͤnnten, ließ
ſich das ganz gut in Harmonie bringen. Und ſo
iſt nichts gewiſſer, als dieſes von ſelbigen Zeiten
her beybehaltene und erſt 1708. voͤllig hergeſtellte
Ueberbleibſel, daß der Beſitzer von Boͤhmen Koͤ-
nig und Churfuͤrſt in einer Perſon und in einerley
Eigenſchaft zugleich iſt. (In ſo weit laͤßt ſich nun
auch nicht wohl von der voͤlligen Unabhaͤngigkeit an-
derer gekroͤnten Haͤupter auf eine voͤllig gleiche Un-
abhaͤngigkeit der Krone Boͤhmen ſchließen, wie
zwar ein am 2. May 1769. von der Kaiſerinn
Koͤniginn Maria Thereſia an die Churboͤhmiſche
Comitialgeſandtſchaft erlaßenes Reſcript die Aeuſſe-
rung enthielt: ”daß die Krone Boͤhmen kraft der
ihr urſpruͤnglich und eigenthuͤmlich zuſtehenden Ma-
jeſtaͤtsrechte keinen Richter erkenne, mithin nieman-
den, wer es auch ſey, eine Rechtfertigung abzule-
gen habe”) (t).


XII.
[364]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.

XII.
Neue Kriege in Norden und Suͤden; und de-
ren Einfluß in die Teutſche Reichsverfaſſung
1700-1705.


I. Zwey neue Kriege, der Nordiſche Krieg, und der
Spaniſche Succeſſionskrieg. — Nur in den letztern wurde
das Teutſche Reich mit verwickelt. — II. Aber auch der
Nordiſche Krieg zog ſich zu Zeiten auf Teutſchen Boden; —
wobey das Recht der Buͤndniſſe mit auswaͤrtigen Maͤchten
ſelbſt eine Ausnahme vom Landfrieden zu machen ſchien. —
III. Mit dem Spaniſchen Succeſſionskriege kam die Aſſocia-
tion der Kreiſe wieder in Bewegung, — IV. wie auch ein
Vorſchlag die Reichscontingente auch in Friedenszeiten beſtaͤn-
dig zu unterhalten, — der jedoch nicht voͤllig zu Stande
kam.


I.

Die kurze Ruhe, die Europa nach dem Ryß-
wickiſchen Frieden, und nach dem Frieden,
der (1699. Jan. 26.) zu Carlowitz mit den Tuͤr-
ken geſchloſſen wurde, zu genießen hatte, war kaum
zu rechnen, als im Jahre 1700. ſchon wieder ein
weitausſehender Nordiſcher Krieg ausbrach, und
bald darauf auch der Spaniſche Succeſſions-
fall
eintrat, der den ſuͤdlichen Theil von Europa
in gleiche Kriegsunruhen verwickelte. An dieſem
letztern Kriege ſah ſich auch das Teutſche Reich im
Ganzen Theil zu nehmen genoͤthiget. Das ge-
ſchah zwar beym Nordiſchen Kriege nicht; aber
auch dieſer erſtreckte ſich doch mehr als einmal auf
Teutſchen Boden, zumal da die kriegfuͤhrenden
Koͤnige von Daͤnemark, Polen und Schweden zu-
gleich Teutſche Reichsſtaͤnde waren, und auf jeder
Seite
[365]12) N. Kr. u. Sp. Succ. Kr. 1700-1705.
Seite auch andere Reichsſtaͤnde zu Bundesgenoſſen
hatten.


Eben das gab Anlaß, daß der Nordiſche KriegII.
ein traurigbelehrendes Beyſpiel einer neuen Un-
vollkommenheit in der Teutſchen Reichsverfaſſung
blicken ließ. Vermoͤge des Weſtphaͤliſchen Frie-
dens hatte jeder Reichsſtand das Recht der Buͤnd-
niſſe, Krieges und Friedens; aber vermoͤge des
Landfriedens, der ſchon aͤlter als der Weſtphaͤliſche
Friede, und in dieſem von neuem befeſtiget war,
ſollte kein Reichsſtand des andern Land mit Krieg
uͤberziehen. Allein wie wenn nun Daͤnemark Chur-
ſachſen, Schweden hingegen den Herzog von
Braunſchweig-Zelle zu Bundesgenoſſen hatte?
und wie wenn nun die Kriegslaͤufte zwiſchen Daͤ-
nemark und Schweden ſich ſo fuͤgten, daß Chur-
ſaͤchſiſche Kriegsvoͤlker als Daͤniſche Bundesgenoſſen
gegen Braunſchweig-Zelliſche als Schwediſche
Huͤlfsvoͤlker zu fechten kamen, oder jene gar ins
Zelliſche feindlich einbrachen? Da waren freylich
Churſachſen und Braunſchweig-Zelle nicht die ei-
gentlich kriegfuͤhrenden Theile; aber ſie veruͤbten
doch alle Gattungen von Feindſeligkeiten gegen ein-
ander, ohne daß von einer Klage auf Landfriedens-
bruch die Frage war. So ſchien beynahe der Land-
friede
eine allgemeine Ausnahme zu bekommen,
wenn zwey auswaͤrtige Maͤchte mit einander Krieg
fuͤhrten, und jede dieſen oder jenen Teutſchen
Reichsſtand zum Bundesgenoſſen hatte; wo nicht
gar endlich auch umgekehrt, wenn einzelne Reichs-
ſtaͤnde unter ſich in Mißhelligkeiten geriethen, und
auswaͤrtige Maͤchte als Bundesgenoſſen dieſes oder
jenen Theils zu den Waffen griffen, (wie z. B. in
den
[366]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.
den Oeſterreichiſchen Succeſſionsanſpruͤchen von
1740. an das Haus Baiern auf ſolche Art von
der Krone Frankreich unterſtuͤtzt wurde.)


III.

Sonſt war waͤhrend der Zeit, als die beiden
großen Kriege in Norden und Suͤden in vollem
Gange waren, von eigentlichen reichsgrundgeſetz-
lichen Veraͤnderungen in der Teutſchen Reichsver-
faſſung wohl nicht viel zu erwarten. Nur die
Spaniſche Succeſſionsſache veranlaßte vorerſt vor-
laͤufig wieder eine Erneuerung der Aſſociation der
Kreiſe
; erſt zu Heidenheim den 23. Nov. 1700.,
wo Franken auf 6000., Schwaben auf 8200. Mann
ſich zu ruͤſten verſprach; hernach zu Heilbronn,
wo am 31. Aug. 1701. auch Churrhein, Baiern
und Oberrhein beytraten, wiewohl nur auf den
Fuß eines Vertheidigungsbundes und mit beybe-
haltener Neutralitaͤt; aber endlich zu Noͤrdlingen
im Maͤrz 1702., da zwar der Bairiſche Kreis
zuruͤckblieb, aber die uͤbrigen vier Kreiſe Franken,
Schwaben, Churrhein und Oberrhein mit dem
Oeſterreichiſchen Kreiſe nicht nur von neuem eine
Aſſociation ſchloſſen, ſondern auch bald darauf dem
großen Bunde, den inzwiſchen der Kaiſer Leopold
mit beiden Seemaͤchten und anderen Reichsſtaͤnden
geſchloſſen hatte, beytraten. Worauf auch noch
der Weſtphaͤliſche Kreis hinzukam, und endlich
am 30. Sept. 1702. das ganze Reich den Krieg
gegen Frankreich beſchloß.


IV.

Bey den Berathſchlagungen uͤber dieſen neuen
Reichskrieg kam in Vorſchlag, daß ſaͤmmtliche
Reichsſtaͤnde von dem im Jahre 1681. auf die
zehn Kreiſe vertheilten Kriegsheere von 40. tau-
ſend
[367]12) N. Kr. u. Sp. Succ. Kr. 1700-1705.
ſend Mann im Kriege das Triplum ins Feld ſtel-
len, und kuͤnftig auch in Friedenszeiten beſtaͤndig
das Duplum auf den Beinen halten ſollten. Die-
ſem Vorſchlage hat zwar der Kaiſer, was die be-
ſtaͤndige Unterhaltung des Kriegsheeres in Frie-
denszeiten betrifft, durch ſeine verſagte Genehmi-
gung die voͤllige Wirkſamkeit entzogen. Doch hat
ein jeder Reichsſtand fuͤr ſich immer freye Haͤnde
behalten, auch in Friedenszeiten ein ſtehendes Heer
zu unterhalten, und ein und andere Kreiſe haben
ihre Kreisverfaſſung auch in Friedenszeiten hernach
auf 1½ Simpla geſetzt; wie auf ſolche Art z. B.
in Franken und Schwaben dieſe Kreiscontingente
beſtaͤndig auf den Beinen ſind.


XIII.
[368]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.

XIII.
Kurze Regierung Joſephs des I. 1705-1711.,
und deren Merkwuͤrdigkeiten fuͤr die Teutſche
Reichsverfaſſung.


I-VII. Irrungen mit dem paͤbſtlichen Stuhle uͤber das
kaiſerliche Recht der erſten Bitte und deſſen Ausuͤbung ohne
ein paͤbſtliches Indult dazu abzuwarten. — VIII. Achtser-
klaͤrung der Churfuͤrſten von Coͤlln und Baiern, und des
Herzogs von Mantua. — IX. Neue Berathſchlagungen
uͤber die beſtaͤndige Wahlcapitulation. — Berichtigung des
Eingangs und Schluſſes derſelben, und der Artikel von
Achtserklaͤrungen und Roͤmiſchen Koͤnigswahlen. — X. Ver-
wandelung der Herrſchaft Mindelheim in ein Reichsfuͤrſten-
thum zum Vortheile des Herzogs von Marlborough. —
XI. Andere neue Fuͤrſten, ſo aber vergeblich um Sitz und
Stimme ſich bemuͤhten; — denn auf ſolchen Fall melde-
ten ſich jetzt auch alte Fuͤrſten um Vermehrung ihrer Stim-
men, — und in der Wahlcapitulation ward die Sache
noch mehr, als zuvor, eingeſchraͤnkt.


I.

Die glorreiche aber nur kurze Regierung Jo-
ſephs
des I. zeichnete ſich bey dem ununter-
brochenen Fortgange der beiden damaligen großen
Kriege fuͤr die Teutſche Reichsverfaſſung haupt-
ſaͤchlich dadurch aus, daß es mit dem paͤbſtlichen
Stuhle zu Weiterungen kam, dergleichen man ſeit
Jahrhunderten kaum mehr zu erwarten gewohnt
war.


II.

Von jenen Zeiten her, da die Paͤbſte ange-
fangen hatten, zu Domherrenſtellen und anderen
Pfruͤnden Empfehlungen an Biſchoͤfe und Capitel
zu ertheilen, die bald in foͤrmliche Vergebungen
ſolcher Stellen verwandelt wurden, hatte endlich
auch
[369]13) Joſeph der I. 1705-1711.
auch der kaiſerliche Hof den Weg eingeſchlagen,
Candidaten zu ſolchen Stellen mit ihrer Empfeh-
lung zu unterſtuͤtzen. Es ſcheint, man hat in Aus-
fertigung ſolcher Empfehlungen gleich anfangs die
hoͤfliche Wendung gebraucht: der Kaiſer hoffe, das
Stift werde ihm dieſe ſeine erſte Bitte nicht ab-
ſchlagen. Davon hat die Sache ohne Zweifel den
Namen der erſten Bitte bekommen. Doch iſt bald
ein Recht der erſten Bitte daraus geworden.
Denn wenn die Stifter Schwierigkeit machen
wollten, einen kaiſerlichen Preciſten (ſo nannte
man ſeitdem dieſe empfohlne Competenten,) anzu-
nehmen; ſo drohete der Kaiſer auf die Tempora-
lien (d. i. die Guͤter und Einkuͤnfte) des Stifts
Execution verhaͤngen zu laßen. So wurde es ſchon
vom XIII. Jahrhunderte her ein vollkommenes kai-
ſerliches Recht, das in einem jeden Stifte von je-
dem Kaiſer einmal ausgeuͤbet werden konnte.


So wie dieſes Recht entſtanden war, hatte dieIII.
paͤbſtliche Gewalt damit gar nichts zu ſchaffen.
Den Paͤbſten hatten es die Kaiſer nicht zu verdan-
ken; ſie uͤbten es aus eigner einmal durch Herkom-
men zum Recht gewordener Gewalt aus. Eine
paͤbſtliche Verleihung war auch dabey ſo wenig noͤ-
thig, als bey Patronatpfruͤnden, deren Vergebung
ſich der Stifter einer Kirche oder eines Stifts vor-
behalten hat; wie auch der Kaiſer auf ſolche Art
einige ſo genannte Koͤnigspfruͤnden in etlichen
Domſtiftern, z. B. zu Worms und Speier, zu
vergeben hat.


Unter dem Kaiſer Friedrich dem III., der uͤber-IV.
haupt um die Freyheit der Teutſchen Kirche ſich
P. Entw. d. Staatsverf. Th.II. A awe-
[370]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.
wenig verdient gemacht hat, war es das erſtemal
geſchehen, daß der Pabſt, nebſt dem geweihten Hut
und Degen und anderen Segnungen, die ein jeder
Kaiſer gegen die feierliche Bekanntmachung ſeines
Regierungsantritts vom Pabſte zu bekommen
pflegt, dem Kaiſer auch ein Indult zur Ausuͤbung
des Rechts der erſten Bitte zufertigen ließ; wel-
ches ſeitdem bey jeder neuen kaiſerlichen Regierung
wiederholet worden.


V.

Joſeph der I. fand nicht noͤthig, ein ſolches
paͤbſtliches Indult erſt abzuwarten, ſondern er-
nannte bald nach ſeinem Regierungsantritt einen
Herrn von Raesfeld zum Preciſten fuͤr das Dom-
ſtift Hildesheim (1705. Jun. 19.). Das Dom-
capitel erhielt dagegen erſt vom paͤbſtlichen Bot-
ſchafter zu Coͤlln, hernach vom Pabſte ſelbſt Ver-
botſchreiben, den Preciſten nicht anzunehmen, weil
der Pabſt dem Kaiſer noch kein Indult zu Aus-
uͤbung des Rechts der erſten Bitte ertheilt habe.


VI.

Clemens der XI. war ohnedem ſchon in der
Spaniſchen Succeſſionsſache ſo partheyiſch gegen
das Haus Oeſterreich und fuͤr das Franzoͤſiſche In-
tereſſe geweſen, daß Joſeph endlich noͤthig fand,
ihn durch ernſtlichere Mittel auf andere Gedanken
zu bringen. Im Jahre 1708. ließ Joſeph einen
Theil ſeines Heeres in das paͤbſtliche Gebiet ein-
ruͤcken, und Comachio beſetzen. Nun drohte Cle-
mens gar mit geiſtlichen und weltlichen Waffen.
”Steh ab, ſchrieb er an Joſeph, von deinen Un-
ternehmungen; oder wir werden unſere vaͤterliche
Huld zuruͤcknehmen, und mit dem Kirchenbanne,
oder, wenn es noͤthig iſt, auch mit den Waffen
gegen
[371]13) Joſeph der I. 1705-1711.
gegen dich als einen empoͤreriſchen Sohn verfah-
ren. Wenn du dich nicht ſchaͤmeſt, die Kirche
und Gott ſelbſt anzugreifen, und von der altvaͤter-
lichen Froͤmmigkeit deines Hauſes, inſonderheit des
dem Roͤmiſchen Stuhle ſo zugethan geweſenen Kai-
ſer Leopolds abzuweichen, ſo wird eben der Gott,
der Reiche gibt, ſie auch zerſtoͤhren” (u). Allein
die Zeiten, da Bannfluͤche noch Kaiſer zittern ma-
chen konnten, waren vorbey. Der Pabſt mußte
ſich zum Frieden und zu einem ganz andern Betra-
gen bequemen.


Ueberhaupt waͤre jetzt fuͤr das catholiſcheVII.
Teutſchland vielleicht ein erwuͤnſchter Zeitpunct ge-
weſen, um ſeine Kirchenfreyheit gegen die Grund-
ſaͤtze der Roͤmiſchen Curialiſten auf einen beſſeren
Fuß zu ſetzen, wenn Joſeph laͤnger gelebt haͤtte,
und — keine Jeſuiten geweſen waͤren. Doch die-
ſe beſſere Ausſichten ſchienen nur fuͤr Joſeph den
zweyten aufgehoben zu ſeyn.


Weil die Churfuͤrſten von Coͤlln und BaiernVIII.
mit der Krone Frankreich, nachdem gegen dieſelbe
ſchon der Reichskrieg beſchloſſen war, gegen das
Haus Oeſterreich gemeine Sache gemacht hatten;
ſo wurden nicht nur die Geſandten dieſer beiden
Churfuͤrſten ſchon unter Leopolden (1704. Aug.
28. und Sept. 4.) vom Reichstage weggeſchafft;
ſondern, nachdem auch das Kriegsgluͤck ganz
Baiern unter kaiſerliche Adminiſtration gebracht
hatte, wurden alle Anſtalten gemacht beide Chur-
fuͤrſten
A a 2
[372]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.
fuͤrſten in die Acht zu erklaͤren. Unter Joſeph dem
I. erfolgte dazu die Einwilligung der Churfuͤrſten
(1705. Nov. 27.), und darauf die Achtserklaͤ-
rung
ſelbſt (1706. Apr. 29.). Ein gleiches Schick-
ſal erfuhr der Herzog Carl der IV. von Mantua,
den ebenfalls wegen ſeiner Anhaͤnglichkeit an Frank-
reich ſchon Leopold der Felonie ſchuldig erkannt hat-
te, und nunmehr Joſeph der I. am 30. Jun. 1708.
in die Acht erklaͤrte.


IX.

Ueber dieſe Achtserklaͤrungen regte ſich der
Reichsfuͤrſtenrath wieder, das dann endlich veran-
laßte, daß im Jahre 1709. die Unterhandlungen
uͤber die beſtaͤndige Wahlcapitulation auf dem
Reichstage wieder vorgenommen wurden. Sowohl
uͤber den bisher beſtrittenen Eingang und Schluß
derſelben als uͤber die zwey wichtigen Puncte we-
gen der Achtserklaͤrungen und Roͤmiſchen Koͤnigs-
wahlen kam jetzt endlich ein Vergleich zu Stande,
wie ich den Inhalt deſſelben ſchon oben angefuͤhrt ha-
be (v) und beide letzte Puncte ſeitdem in allen fol-
genden Wahlcapitulationen wiederholt worden
ſind (w).


X.

Noch ehe die Achtserklaͤrung wider den Chur-
fuͤrſten von Baiern ergangen war, hatte der Kai-
ſer den Herzog von Marlborough, der ſich als Be-
fehlshaber der Engliſchen Armee ſo große Verdien-
ſte
[373]13) Joſeph der I. 1705-1711.
ſte erworben hatte, ſchon am 14. Nov. 1705. in
den Reichsfuͤrſtenſtand erhoben; und von den Laͤn-
dern, deren das Haus Baiern vermoͤge der Acht
verluſtig erklaͤrt werden ſollte, ward ihm zugleich
zur thaͤtlichen Belohnung ſeiner Dienſte die Herr-
ſchaft Mindelheim als ein Reichsfuͤrſtenthum
zugedacht, unter welchem Namen er auch ſchon
am 22. Nov. 1705. mit einer eignen Stimme im
Reichsfuͤrſtenrathe eingefuͤhrt wurde, (wiewohl das
alles hernach mit dem Badiſchen Frieden wieder
ein Ende genommen.)


Bey dieſer Gelegenheit meldeten ſich wiederXI.
verſchiedene andere neue Fuͤrſten um ebenmaͤßige
Stimmen im Fuͤrſtenrathe zu bekommen, als na-
mentlich die Fuͤrſten von Oettingen, Schwarz-
burg, Lichtenſtein, Naſſau-Saarbruͤcken und Lam-
berg, die auch insgeſammt des Kaiſers Empfeh-
lung dazu erlangten. Allein nun drangen auf ſol-
chen Fall auch verſchiedene alte Fuͤrſten auf Ver-
mehrung ihrer fuͤrſtlichen Stimmen, als nament-
lich das Churhaus Sachſen wegen der Landgraf-
ſchaft Thuͤringen, der Marggrafſchaft Meiſſen und
der Burggrafſchaften Magdeburg und Meiſſen, der
Biſchof zu Muͤnſter wegen der Burggrafſchaft
Stromberg, der Herzog von Wuͤrtenberg wegen
des Herzogthums Teck, die Herzoge von Sachſen-
Zeiz und Merſeburg wegen der Stifter Naumburg
und Merſeburg, der Herzog von Sachſen-Weiſſen-
fels wegen des Fuͤrſtenthums Querfurt, der Pfalz-
graf von Sulzbach, der Herzog von Braunſchweig
wegen Blankenburg, und der Koͤnig in Preuſſen
wegen Moͤrs. Daruͤber blieben nicht nur jene
neufuͤrſtliche Stimmen zuruͤck, ſondern es ward
A a 3auch
[374]IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.
auch in den folgenden Wahlcapitulationen eine in
der beſtaͤndigen Wahlcapitulation verglichene Stelle
eingeruͤckt, welche bey jeder Einfuͤhrung einer neuen
Stimme noch mehr Schwierigkeiten machte (x);
ſo daß unter der ganzen folgenden Regierung Carls
des VI. nur noch das einzige Haus Lichtenſtein die-
ſen Zweck erreichte.


Zehn-
[375]

Zehntes Buch.
Der neueren Zeiten ſiebenter Abſchnitt
vom
Kaiſer Carl demVI.
1711 — 1740.


I.
Ende des Spaniſchen Succeſſionskrieges mit
dem Badiſchen Frieden, und fernere Geſchichte
der Ryßwickiſchen Clauſel.


I. Umſchlag in der Spaniſchen Succeſſionsſache, da das
Engliſche Miniſterium veraͤndert wurde, und zwey Todes-
faͤlle des Dauphins und des Kaiſer Joſephs derſelben eine
andere Geſtalt gaben. — II. So wurde Carl der VI. zwar
Kaiſer; aber zwiſchen England und Frankreich wurden ſchon
geheime Friedensbedingungen berichtiget. — III. Praͤlimi-
narien zu London gezeichnet. — Friedensſchluͤſſe zu Uetrecht. —
IV. Kaiſer und Reich nahmen daran keinen Theil. — V.
Der Kaiſer ſchloß aber einſeitig zu Raſtadt, — VI. und
mit Vollmacht des Reichs zu Baden. — VII-IX. Nur
wegen der Ryßwickiſchen Clauſel gab es neue Irrungen, da
man ſchon 1711. Schwierigkeit machte, die Ausnahme des
Ryßwickiſchen Friedens von den 1690. benannten Friedens-
ſchluͤſſen zuzugeſtehen, — X. und zu Uetrecht die Sache
nicht geruͤhrt war. — XI. Die evangeliſchen Reichsſtaͤnde
wiederholten deswegen ihren Widerſpruch dagegen bey Ge-
nehmigung des Badiſchen Friedens, — XII. aber ohne den
gewuͤnſchten Erfolg, — bis erſt 1734. die Herſtellung des
vorigen Zuſtandes zugeſaget wurde.


So gluͤcklich der Fortgang des SpaniſchenI.
Succeſſionskrieges unter der ſiegreichen
Regierung Joſephs des I. war; ſo groß war auf
A a 4ein-
[376]X. Carl der VI. 1711-1740.
einmal der Umſchlag der ganzen Sache, als bey
der Koͤniginn Anna die Herzoginn von Marlborough
ihre bisherige Gunſt verlohr, und das Engliſche
Miniſterium an ſtatt der bisherigen Whigs mit
Torys beſetzt wurde, und als ferner die zwey To-
desfaͤlle des damaligen Dauphins und des Kaiſer
Joſephs, die in wenig Tagen nach einander erfolg-
ten (1711. Apr. 14. 17.), den bisherigen Beſorg-
niſſen wegen der Spaniſchen Succeſſion, nachdem
ſie dem Hauſe Bourbon oder dem Hauſe Oeſter-
reich zu Theil werden moͤchte, eine ſehr veraͤnderte
Geſtalt gaben. Wenn ein juͤngerer Enkel Lude-
wigs des XIV. jetzt Koͤnig in Spanien wurde, fiel
wenigſtens die Beſorgniß weg, daß kuͤnftig eine
vaͤterliche Gewalt des Franzoͤſiſchen Monarchen auf
die Spaniſche Monarchie Einfluß haben koͤnnte.
Hingegen in Anſehung des Hauſes Oeſterreich ver-
groͤßerte ſich die Beſorgniß, wenn nunmehr in der
Perſon Carls des VI. die ganze Spaniſche Macht
mit der uͤbrigen Macht des Hauſes Oeſterreich ver-
einiget werden ſollte.


II.

Dieſe politiſche Betrachtungen hinderten zwar
nicht, daß Carl derVI. einmuͤthig zum Kaiſer
erwehlet wurde. Allein in der Spaniſchen Suc-
ceſſionsſache konnte Ludewig der XIV. jetzt ganz
andere Bedingungen erwarten, als wozu er weni-
ge Jahre vorher, ſogar mit angebotener Zuruͤck-
gabe der Stadt Straßburg, die Haͤnde geboten
hatte. Jetzt wurde erſt durch geheime Friedens-
handlungen
zwiſchen Großbritannien und Frank-
reich ausgemacht, daß Ludewigs des XIV. Enkel,
Philipp der V., die Spaniſche Monarchie behal-
ten, Carl aber die Spaniſchen Niederlande, nebſt
den
[377]1) Badiſcher Friede 1714.
den in Italien ſchon von ihm beſetzten Laͤndern,
Neapel, Sardinien, Mailand, und das Haus
Savoyen Sicilien haben ſollte; wogegen der Krone
England Gibraltar, Minorca und betraͤchtliche
Stuͤcke Landes in America ausbedungen wurden.


Auf dieſe Bedingungen wurden erſt zu LondonIII.
am 8. Oct. 1711. die Praͤliminarien gezeichnet,
und auf einem hernach zu Uetrecht im Jan. 1712.
eroͤffneten Congreſſe nach und nach lauter einzelne
Friedensſchluͤſſe errichtet. Unter andern mußte
Ludewig der XIV. nunmehr auch die feſtgeſtellte
proteſtantiſche Thronfolge in Großbritannien, und
die neue Preuſſiſche Krone anerkennen. Auch be-
kam der Koͤnig in Preuſſen zur Verguͤtung der
Oraniſchen Verlaßenſchaft, die er der Krone Frank-
reich uͤberließ, das Oberquartier von Geldern, wie
es ehedem die Krone Spanien als einen Theil der
Niederlande beſeſſen hatte. In den Frieden zwi-
ſchen Großbritannien und Frankreich wurden auch
die Hanſeſtaͤdte, ſo wie in den Frieden zwiſchen
Frankreich und den vereinigten Niederlanden na-
mentlich die Staͤdte Bremen und Emden mit ein-
geſchloſſen. Fuͤr die Teutſchen Sachen war nur
zu bedauern, daß das Engliſche Miniſterium nicht
auch die Abſchaffung der Ryßwickiſchen Clauſel in
den Tractaten mit Frankreich gleich zur Bedingung
gemacht hatte.


Ueber dieſe Clauſel war es auf dem Reichsta-IV.
ge ſchon im Jahre 1709. wieder zur Sprache ge-
kommen, als auf Veranlaßung des Kaiſers vor-
laͤufig beſchloſſen ward, wenn es zum Friedenscon-
greſſe kaͤme, denſelben mit einer Reichsdeputation,
A a 5aber
[378]X. Carl der VI. 1711-1740.
aber nur von ſechs Perſonen, zu beſchicken. Je-
doch auf die Bedingungen, die zu Uetrecht zum
Grunde gelegt wurden, wollte Carl der VI. zum
Frieden ſich nicht bequemen. Kaiſer und Reich
nahmen alſo an allen den Friedenshandlungen, die
zu Uetrecht vorgenommen wurden, keinen Theil.


V.

Allein im Kriege machte jetzt die Franzoͤſiſche
Armee unter dem Marſchall von Villars gegen die
kaiſerliche und Reichsarmee unter dem Prinzen Eu-
gen von Savoyen deſto groͤßere Fortſchritte, da
noch in dem Feldzuge des Jahres 1713. Landau
und Freyburg von den Franzoſen erobert wurden.
In dieſen Umſtaͤnden bekamen beide gedachte hoͤch-
ſte Befehlshaber der gegenſeitigen Kriegsheere von
ihren Hoͤfen den Auftrag zu Raſtadt Conferenzen
zu halten, wo unter dem Namen der Friedenspraͤ-
liminarien am 4. Maͤrz 1714. ſchon alle Friedens-
puncte berichtiget wurden. Carl der VI. mußte
ſich alſo doch mit dem, was ihm zu Uetrecht zu-
gedacht war, begnuͤgen. Frankreich mußte dem
Hauſe Oeſterreich Breiſach und Freyburg, und dem
Reiche Kehl zuruͤckgeben, auch die neunte Chur
anerkennen. Aber auch den beiden Churfuͤrſten
von Coͤlln und Baiern ward ihre voͤllige Herſtellung
ausbedungen; dem letztern mit dem Zuſatze, daß
die Krone Frankreich nicht zuwider ſeyn wollte,
wenn das Haus Baiern einige Vertauſchung ſeiner
Staaten gut finden ſollte.


VI.

Da das alles ohne Zuthun des Reichs verhan-
delt und geſchloſſen war, entſchuldigte ſich der Kai-
ſer mit den Kriegslaͤuften, daß die Umſtaͤnde nicht
zugelaßen haͤtten, mit dem Reiche erſt Berathſchla-
gung
[379]1) Badiſcher Friede 1714.
gung daruͤber zu pflegen. Nun ſollte aber noch
zu Baden im Ergau ein foͤrmlicher Friedenscon-
greß angeſtellt werden, um die Praͤliminarien in
einen entſcheidenden Friedenstractat zu verwandeln.
Da ſtellte jetzt der Kaiſer den Staͤnden heim, ob
ſie nun noch dieſen Congreß mit der im Jahre 1709.
beſchloſſenen Reichsdeputation beſchicken, oder ihn
und ſeine Geſandtſchaft zur voͤlligen Schließung
des Friedens bevollmaͤchtigen wollten. In der
Sache ſelbſt war keine Aenderung mehr zu hoffen.
Alſo beſchloß das Reich diesmal das letztere. So
wurde alſo der Friede zu Baden am 7. Sept.
1714. voͤllig nach der Raſtaͤdtiſchen Abrede geſchloſ-
ſen, und demnaͤchſt von der Reichsverſammlung
auch ſo, wie es beym Nimweger und Ryßwicki-
ſchen Frieden geſchehen war, ratificirt.


Nur bey dieſen Berathſchlagungen uͤber dieVII.
Genehmigung des Badiſchen Friedens kam nun
die unholde Ryßwickiſche Clauſel von neuem zur
Sprache. Bey den abgebrochenen Reichstags-
handlungen vom Jahre 1697., und bey den Be-
rathſchlagungen, in deren Gefolg im Jahre 1702.
der Reichskrieg gegen Frankreich beſchloſſen ward,
hatte man ſich geſchmeichelt, daß Frankreich zu ei-
nem ganz andern Frieden, als der Ryßwickiſche
war, oder doch wenigſtens leicht zu Abſtellung der
darin enthaltenen widrigen Clauſel wuͤrde genoͤthi-
get werden koͤnnen. Es eroͤffnete ſich aber ſchon
eine unguͤnſtige Ausſicht, als unter den Churfuͤr-
ſten bey der Wahl Carls des VI., wie ſie auf die
hier einſchlagende Stelle der Wahlcapitulation ka-
men, ſich ſehr ungleiche Geſinnungen uͤber den
Werth dieſer Clauſel hervorthaten.


Man
[380]X. Carl der VI. 1711-1740.
VIII.

Man hatte nehmlich, wie oben (S. 301.)
vorgekommen iſt, im Jahre 1690. in der Wahl-
capitulation Joſephs des I. fuͤr bekannt angenom-
men, daß in einem mit Frankreich zu ſchließenden
Frieden alles, was in den von dieſer Krone zu-
ruͤckzugebenden Orten ſowohl in geiſtlichen als welt-
lichen Sachen geaͤndert ſey, in den Stand wieder
hergeſtellt werden muͤße, wie es den Reichsgrund-
geſetzen und Friedensſchluͤſſen gemaͤß ſey; da dann
unter dieſen Friedensſchluͤſſen damals 1690. der
Ryßwickiſche von 1697. offenbar nicht mit verſtan-
den ſeyn konnte, ſondern dieſer Ausdruck nur auf
den Weſtphaͤliſchen und Nimwegiſchen Frieden zu-
ruͤckwies. Nun hatte zwar in der Zwiſchenzeit zwi-
ſchen der Wahl Joſephs des I. und Carls des VI.
der Ryßwickiſche Friede die Zahl der bisherigen
Friedensſchluͤſſe vermehret. Allein zur Zeit der
letztern Wahl war eben ſowohl als zur Zeit der er-
ſtern das Teutſche Reich mit der Krone Frankreich
im Kriege begriffen. Nach der ganzen Lage der
Sache war alſo nichts natuͤrlicher, als daß bey
buchſtaͤblicher Wiederholung jener Stelle der Wahl-
capitulation vom Jahre 1690. die Bemerkung ge-
macht werden mußte, daß unter den damals ange-
fuͤhrten Friedensſchluͤſſen der erſt nachher hinzuge-
kommene Ryßwickiſche Friede nicht mit gemey-
net ſey.


IX.

Dieſe Bemerkung hielten die evangeliſchen
Churfuͤrſten fuͤr deſto noͤthiger und billiger, als auf
der einen Seite der ganze evangeliſche Religions-
theil den Ryßwickiſchen Frieden eben deswegen
nicht fuͤr vollguͤltig anerkannte, weil die in deſſen
viertem Artikel eingeſchobene Clauſel mit den vori-
gen
[381]1) Badiſcher Friede 1714.
gen Friedensſchluͤſſen, die doch beym Ryßwicki-
ſchen zum Grunde liegen ſollten, nicht beſtehen
konnte; auf der andern Seite aber auch der catho-
liſche Religionstheil ſowohl als der kaiſerliche Hof
wegen Entkraͤftung jener Clauſel ſich immer nur
darauf bezogen hatten, daß das eine mit der Kro-
ne Frankreich auszumachende Sache ſey; ſo jedoch
jetzt im Jahre 1711., da das Reich wieder Krieg
mit Frankreich hatte, jene Bemerkung, welche
die Churfuͤrſten und den neu zu erwehlenden Kaiſer
unter ſich angieng, nicht zuruͤckhalten konnte.
Nichts deſto weniger konnte in der Wahlcapitula-
tion Carls des VI. weiter nichts erlanget werden,
als die Einſchaltung einer Parentheſe bey dem Wor-
te: Friedensſchluͤſſe, daß ”darunter doch die Augs-
burgiſche Confeſſionsverwandten den Ryßwickiſchen
Frieden nicht verſtanden haben wollten, die Catho-
liſchen aber ſothane Reſervation an ihren Ort aus-
geſtellt ſeyn ließen” (y). (Dieſe Parentheſe iſt
ſeitdem bis auf den heutigen Tag in der Wahlca-
pitulation beybehalten worden.)


Waͤre das Engliſche Miniſterium von der wah-X.
ren Beſchaffenheit dieſer Sache gehoͤrig unterrich-
tet geweſen; ſo haͤtte es demſelben bey den Frie-
densunterhandlungen mit der Krone Frankreich vor
und auf dem Uetrechter Congreſſe nicht ſchwer fal-
len koͤnnen, eine Friedensbedingung daraus zu
machen, daß die dem vierten Artikel des Ryßwicki-
ſchen Friedens angehaͤngte Clauſel aufgehoben und
fuͤr unkraͤftig erklaͤret werden ſollte. Da aber die-
ſe Gelegenheit einmal verſaͤumet war, ſo ließ ſich
von dem, was zu Raſtadt und Baden vorgieng,
wohl
[382]X. Carl der VI. 1711-1740.
wohl viel weniger erwarten, daß der kaiſerliche Hof
in ſeinen Friedenshandlungen mit Frankreich dieſe
Saite beruͤhren wuͤrde.


XI.

Den evangeliſchen Reichsſtaͤnden blieb alſo
nichts uͤbrig, als daß ihr geſammtes Corpus den
gemeinſamen Schluß faßte, an dem Badiſchen
Frieden, ſofern er dem Weſtphaͤliſchen in Anſe-
hung des Religionszuſtandes entgegen ſey, keinen
Antheil zu nehmen. Dem zufolge verlangten ſie,
daß dieſer ihr Schluß dem Reichsgutachten uͤber
die Genehmigung des Badiſchen Friedens einver-
leibt, oder doch vermittelſt einer beſonderen Nach-
ſchrift ſo, wie es bey dem Gutachten uͤber die Ge-
nehmigung des Ryßwickiſchen Friedens ſelber ge-
ſchehen war, hinzugefuͤget werde. Sie konnten
aber diesmal weiter nichts bewirken, als daß der
Mainziſche Directorialgeſandte bey Uebergebung
des Reichsgutachtens an den Principalcommiſſa-
rien muͤndliche Anzeige davon that.


XII.

Nun geſchahen zwar noch einige Vorſtellungen
von Seiten des Großbritanniſchen Hofes an den
Franzoͤſiſchen. Allein dieſer ließ es bey allgemei-
nen Verſicherungen bewenden, daß der Koͤnig nichts
verlange, was dem Weſtphaͤliſchen Frieden zuwi-
der ſey, und daß uͤbrigens die Fragen vom Reli-
gionszuſtande der von Frankreich auf Teutſchem
Boden zuruͤckgegebenen Orte nur auf dem Reichs-
tage zwiſchen Kaiſer und Staͤnden zu eroͤrtern ſeyn
wuͤrde. So geſchah jetzt immer vom Franzoͤſiſchen
Hofe eine Zuruͤckweiſung an den kaiſerlichen, und
von dieſem wieder an jenen. Die Sache ſelbſt
blieb aber, wie ſie war. (Alſo ein neuer Zank-
apfel
[383]1) Badiſcher Friede 1714.
apfel fuͤr beide Religionstheile uͤber den Werth des
Badiſchen Friedens, ſofern in demſelben die Ryß-
wickiſche Clauſel nicht abgeſtellt worden war; bis
endlich am 26. Febr. 1734. ein Reichsgutachten
von neuem die ”Abrede und den Schluß enthielt,
daß alles in den alten den im Reichsgutachten vom
14. Febr. 1689. enthaltenen Friedensſchluͤſſen ge-
maͤßen Stand in beſter Treu und Glauben (opti-
ma fide
) hergeſtellt werden ſolle.” (Dieſe neue
Abrede ſchloß offenbar den Ryßwickiſchen Frieden
von den zur Herſtellung des ehemaligen Zuſtandes
anzunehmenden Richtſchnuren aus. Von der Zeit
an hat daher der evangeliſche Religionstheil es vol-
lends als eine nunmehr Vertragsweiſe ausgemachte
Sache angenommen, daß der Ryßwickiſche Frie-
de, ſoviel die Clauſel in deſſen viertem Artikel an-
betrifft, unter beiden Religionstheilen im Reiche
als eine verbindliche Vorſchrift ſchlechterdings nicht
angeſehen werden koͤnne.)


II.
[384]X. Carl der VI. 1711-1740.

II.
Neue Religionsbeſchwerden nach dem Badiſchen
Frieden, bis zu einem daruͤber im Werk gewe-
ſenen Vertrage im Jahre 1720.


I. Mit dem Badiſchen Frieden ſchien die bisherige Un-
gewißheit, worin man wegen der Ryßwickiſchen Clauſel noch
bis dahin ſeyn mußte, aufzuhoͤren, — II. alſo der Muth
zu Schriften und Unternehmungen gegen die Proteſtanten
von neuem zu wachſen; — III. inſonderheit in der Pfalz,
wo jetzt den Reformirten ihr Catechismus und die heilige
Geiſtkirche zu Heidelberg genommen wurde. — IV. Durch
gegenſeitige Repreſſalien ward zwar der Churfuͤrſt von der
Pfalz davon zuruͤckgebracht; — aber ein kaiſerliches Com-
miſſionsdecret veranlaßte ein ſtandhaftes Vorſtellungsſchrei-
ben des geſammten evangeliſchen Religionstheils. — V.
Die Beſorgniß eines Religionskrieges ward noch durch eine
vom Hauſe Hannover vermittelte Convention gehoben, —
vermoͤge deren vorerſt alles auf den Fuß des Badiſchen Frie-
dens hergeſtellt, und dann weiter auf die Zeiten der vori-
gen Friedensſchluͤſſe und Entſcheidungsziele zuruͤckgegangen
werden ſollte. — VI. Allein die Vollziehung dieſer Con-
vention unterblieb, und benahm ihr damit ihren Beſtand. —
VII. Sehr widerrechtlich hat man nachher das Jahr 1714.
fuͤr ein neues Entſcheidungsziel ausgeben wollen.


I.

Bis auf den Badiſchen Frieden war die catho-
liſche Geiſtlichkeit an den Orten, wo der
Beſtand oder Unbeſtand der Ryßwickiſchen Clau-
ſel einen Einfluß haben konnte, noch immer in ei-
niger Ungewißheit geweſen, die ſie noch zu einiger
Zuruͤckhaltung bewogen haben mochte. Aber nach-
dem nun auch der Badiſche Friede, ohne jene Clau-
ſel aufzuheben, geſchloſſen worden war, ſchien alle
weitere Bedenklichkeit aufzuhoͤren, um nun noch
weitere Fortſchritte machen zu koͤnnen.


Ver-
[385]2) Religionsbeſchwerden 1714-1720.

Verſchiedene jeſuitiſche und andere SchrifII.
ten hatten es jetzt gar kein Hehl mehr, daß man
ſich durch nichts hindern laßen duͤrfe, den Prote-
ſtanten, und zuerſt vorzuͤglich den Reformirten
alles in Weg zu legen, um ſoviel moͤglich Land und
Leute unter den Gehorſam der Roͤmiſchen Kirche
(und die damit verbundene Herrſchaft der Jeſui-
ten) zuruͤckzubringen. Auf Beſchwerde der evan-
geliſchen Staͤnde uͤber eine ſolche Schmaͤhſchrift,
die ein erſt kuͤrzlich zur catholiſchen Religion uͤber-
getretener Rudolf Martin Meelfuͤhrer 1714. her-
ausgegeben hatte, ergieng zwar am 18. Jul. 1715.
eine eigne kaiſerliche Verordnung, die beiden Re-
ligionstheilen alles Schimpfen, Schmaͤhen und
Laͤſtern in Schriften und ſonſt von neuem verbie-
ten ſollte. Allein der Erfolg entſprach nicht der
Hoffnung, die man ſich davon gemacht hatte.
Zwey Jeſuiten, Usleber (z) und Huth, beide in
der
P. Entw. d. Staatsverf. Th.II. B b
[386]X. Carl der VI. 1711-1740.
der Pfalz, und nachher noch ein gewiſſer Weislin-
ger, waren inſonderheit geſchaͤfftig, nach wie vor
gegen die Proteſtanten in den heftigſten Ausdruͤcken
zu ſchreiben (a). Es blieb aber nicht beym Schrei-
ben.
(z)
[387]2) Religionsbeſchwerden 1714-1720.
ben. Faſt kein Dorf, kein Flecken, keine Stadt
behielt in der Pfalz den bisherigen Gottesdienſt
unveraͤndert; Faſt kein Monath vergieng, ohne
daß neue Religionsbeſchwerden vorkamen.
Manche Gemeinden waren kaum im Stande ihre
Klagen gehoͤriger Orten anzubringen.


Zuletzt kam die Reihe gar an die bisherigeIII.
Churpfaͤlziſche Reſidenz und Hauptſtadt Herdel-
berg,
wo der Churfuͤrſt im Sept. 1719 den Re-
formirten ihre Hauptkirche, worin bisher nur das
Simultaneum eingefuͤhrt war, endlich ganz weg-
nehmen ließ, nachdem er vorher ſchon in eben dem
Jahre (1719. Apr. 24.) den Heidelbergiſchen re-
formirten Catechismus hatte verbieten laßen. Hier-
uͤber kam es endlich, da der Churfuͤrſt keinen guͤt-
lichen Vorſtellungen Gehoͤr gab, von Seiten eini-
ger evangeliſchen Hoͤfe zu Repreſſalien, indem Chur-
braunſchweig (1719. Nov. 4. die catholiſche Kir-
che zu Zelle, ingleichen Churbrandenburg (1719.
Nov. 28.) den Dom zu Minden und (Dec. 3.)
das Kloſter Hamersleben im Halberſtaͤdtiſchen ver-
ſchließen ließ.


Das war nun zwar von der Wirkung, daß derIV.
Churfuͤrſt von der Pfalz (1720. Apr. 16.) dem
reformirten Kirchenrathe zu Heidelberg die Schluͤſ-
ſel
(a)
B b 2
[388]X. Carl der VI. 1711-1740.
ſel zur Kirche wieder ſchicken, und den Heidelber-
giſchen Catechismus (1720. May 16.) wieder frey
geben ließ; zugleich verlegte er aber auch ſeine Re-
ſidenz jetzt von Heidelberg nach Manheim. In-
zwiſchen erließ der Kaiſer am 12. Apr. 1720. uͤber
die bisher von dem evangeliſchen Religionstheile
geſchehenen Schritte ein Commiſſionsdecret, wo-
durch ſich das geſammte evangeliſche Corpus genoͤ-
thiget fand, in einem ſehr nachdruͤcklichen Vor-
ſtellungsſchreiben an den Kaiſer (1720. Nov. 16.)
ſeine Grundſaͤtze und Gerechtſame ausfuͤhrlich zu
vertheidigen.


V.

Es fehlte nicht viel, daß es nicht zum Aus-
bruche eines foͤrmlichen Religionskrieges gekommen
waͤre, wenn nicht Georg der I. noch eine Art von
Convention vermittelt haͤtte, vermoͤge deren am
14. Nov. 1720. eine kaiſerliche Verordnung er-
gieng, daß der Churfuͤrſt vorerſt alle ſeit dem Ba-
diſchen Frieden vorgenommene Religionsbeſchwer-
den in den vorigen Stand herſtellen ſollte. Her-
nach war die Meynung, mit Eroͤrterung und Her-
ſtellung der Beſchwerden, die ſeit dem Ryßwicki-
ſchen Frieden vorgekommen waren, und ſo weiter
bis auf die Zeit des Nimweger und endlich des
Weſtphaͤliſchen Friedens zuruͤckzugehen. — Ein
Entwurf, der in ſo weit ganz der Sache gemaͤß zu
ſeyn ſchien, da bey der großen Menge der Reli-
gionsbeſchwerden, wie ſie ſich uͤberhaupt gehaͤuft
hatten, eher zu hoffen war, nach ſolcher ruͤckgaͤn-
gigen Ordnung der Zeit in eine gewiſſe Ordnung
damit zu kommen, als wenn man das ganze Chaos
auf einmal ohne weitere Abtheilung angreifen
wollte. Doch ward ausdruͤcklich ausbedungen,
daß
[389]2) Religionsbeſchwerden 1714-1720.
daß die Abſtellung der ſeit dem Badiſchen Frieden
vorgefallenen Beſchwerden unmittelbar nach dieſer
Abrede in vier Monathen vollzogen werden, ſonſt
aber dieſe ganze nur proviſoriſch geſchloſſene Con-
vention ihre Kraft verliehren ſollte.


Nun ergieng zwar unterm 1. Febr. 1721. vomVI.
Churfuͤrſten von der Pfalz ein Befehl an alle Ober-
aͤmter im Lande, obiger kaiſerlicher Verordnung
Folge zu leiſten. Auch wurden verſchiedene Pari-
tionsanzeigen von Seiten des Churfuͤrſten nach
Wien erlaßen. Allein ſelbſt zu Wien erkannte
man ſie (1722. Aug. 22.) fuͤr unzulaͤnglich. Und
ein Churbraunſchweigiſcher Rath von Reck, den
das evangeliſche Corpus an den Churpfaͤlziſchen Hof
abgeſchickt hatte, war vielmehr ein Augenzeuge des
Gegentheils; ohne daß alles das die Sachen an-
ders zu lenken vermochte.


Jene wohlgemeint vermittelte proviſoriſche Ab-VII.
rede hat inzwiſchen nachher die ganz widrige Miß-
deutung erleiden muͤßen, als ob das evangeliſche
Corpus ſich nunmehr begnuͤgen muͤßte, wenn die
Religionsbeſchwerden in der Pfalz und anderen
dortigen Gegenden uͤberall nur auf den Zuſtand des
Badiſchen Friedens vom Jahre 1714. zuruͤckge-
ſtellt wuͤrden; gleich als haͤtte man damit die im
Weſtphaͤliſchen Frieden feſtgeſetzte Entſcheidungs-
jahre 1618. und 1624. verlaßen, und ſtatt deren
ein ganz neues Entſcheidungsziel vom Jahre 1714.
annehmen wollen. Eine ſolche Abweichung von
den einmal ſo theuer erfochtenen Entſcheidungszie-
len des Weſtphaͤliſchen Friedens war gewiß weder
dem evangeliſchen Religionstheile, noch der vermit-
B b 3teln-
[390]X. Carl der VI. 1711-1740.
telnden Krone Großbritannien in den Sinn ge-
kommen. Indem man vorerſt auf das Jahr 1714.,
hernach auf das Jahr 1697., dann auf 1679. und
endlich auf 1648. zuruͤckgehen wollte, war ja da-
mit keine Verzichtleiſtung auf die vermoͤge des
Weſtphaͤliſchen Friedens fuͤr beſtaͤndig zum Grunde
liegende Richtſchnur der darin verglichenen Ent-
ſcheidungsziele enthalten. Die ganze Convention
war ohnedem nur proviſoriſch. Da vollends das
darin enthaltene Verſprechen in den vorgeſchriebe-
nen vier Monathen nicht erfuͤllet war, hatte die
ganze Convention ihre Kraft verlohren. Und doch
ſollte jetzt in ſelbigen Gegenden nicht mehr auf die
Entſcheidungsjahre 1618. und 1624., ſondern nur
auf das Jahr 1714. geklaget werden koͤnnen? —
Das waͤre nichts anders, als alle vor 1714. den
Proteſtanten zugefuͤgte Religionsbeſchwerden billi-
gen, und auf ewig ihrem Schickſale uͤberlaßen!
Dahin gieng gewiß die Abſicht jener Convention
nicht. Es wird aber noch immer von den meiſten
catholiſchen Schriftſtellern auf den Fuß genommen.


III.
[391]3) Ius eundi in partes 1712-1727.

III.
Mißhelligkeiten uͤber einige Faͤlle, da das evan-
geliſche Corpus auf dem Reichstage in partes
gegangen 1712-1727.


I. Vier Faͤlle, worin auf dem Reichstage beide Reli-
gionstheile ungleicher Meynung waren, gaben zu neuen
Streitigkeiten Anlaß. — II. Dieſe vier Faͤlle betrafen a)
die Religionsgleichheit einer Reichsdeputation, welche die
Toggenburger Sache in der Schweiz vermitteln ſollte; —
III. b) eine von der Reichsſtadt Coͤlln begehrte Moderation
ihrer Reichsanlagen; — IV. c) das Erzſtallmeiſteramt, ſo
dem Hauſe Hannover aufgedrungen werden ſollte; — V.
d
) die Vollziehung eines Reichsdeputationsurtheils, vermoͤ-
ge deſſen Churpfalz die Herrſchaft Zwingenberg an eine evan-
geliſche adeliche Familie zuruͤckgeben ſollte, wowider Chur-
pfalz einen Recurs an den Reichstag genommen hatte. —
VI-VIII. In dieſen Faͤllen wollten die Catholiſchen behaup-
ten, es muͤßte eine Religionsſache ſeyn, wenn man in par-
tes
gehen wollte. — IX. Ferner wollte man behaupten, es
koͤnnte nicht anders geſchehen, als wenn alle evangeliſche
Reichsſtaͤnde ganz einmuͤthig waͤren; — X. da doch ſonſt
ein jedes reichsſtaͤndiſches Corpus nach Mehrheit der Stim-
men Schluͤſſe faſſet, — XI. XII. und hier nicht wie bey
den Reichsgerichten eine Ausnahme vorgeſchrieben iſt. —
XIII. Selbſt als zwey Partheyen ſind beide Religionstheile
zu betrachten, wenn gleich nicht immer alle Staͤnde von ei-
ner Religion ganz einmuͤthig zuſammenhalten. — XIV.
Sonſt wuͤrde dieſes Huͤlfsmittel der Proteſtanten gegen die
Mehrheit der catholiſchen Stimmen bald vereitelt werden. —
XV. XVI. Es iſt auch nicht noͤthig, allezeit ſchon vor Able-
gung der einzelnen Stimmen die Geſammterklaͤrung von
ſich zu geben, — wenn es nur vor Abfaſſung des Schluſ-
ſes geſchieht. — XVII-XIX. Die Wirkung der Trennung
eines Religionstheils beſteht darin, daß der andere mit der
Mehrheit der Stimmen nicht zu des erſtern Nachtheil et-
was durchſetzen kann; — XX. wobey nicht nur das evan-
geliſche Corpus ſeine Erhaltung, ſondern in der That die
Ruhe von ganz Teutſchland gewinnt. — XXI. Von Sei-
ten der Catholiſchen iſt in der Generalmajors-Sache 1672.
alles obige auch ſchon ſo gehalten worden. — XXII. Eine
B b 4merk-
[392]X. Carl der VI. 1711-1740.
merkwuͤrdige Schrift, wozu ſich das ganze evangeliſche Cor-
pus bekannt, hat das alles in helles Licht geſetzt.


I.

So verſchiedene Geſinnungen der beiden Reli-
gionstheile aͤußerten ſich noch bey mehreren
Gelegenheiten uͤber eine der wichtigſten Stellen des
Weſtphaͤliſchen Friedens, wo derſelbe verordnet
hatte, daß, ſo oft die beiden Religionstheile auf
reichsſtaͤndiſchen Verſammlungen ſich trennten,
nichts als guͤtliche Vergleichung, aber kein Schluß
nach Mehrheit der Stimmen ſtatt finden ſollte (b).
Unter Carl dem VI. ereigneten ſich vier Faͤlle, wo
es hieruͤber zwiſchen beiden Religionstheilen zu gro-
ßen Streitigkeiten kam.


II.

Im Jahre 1712. war in der Schweiz zwiſchen
dem Abte zu St. Gallen und der Toggenburger
Landſchaft
ein ſchon ſeit dem Anfange des Jahr-
hunderts entſtandener Streit in oͤffentlichen Krieg
ausgebrochen, worin fuͤnf catholiſche Cantons dem
Abte, zwey evangeliſche den Toggenburgern bey-
ſtanden. In dieſer Angelegenheit kam das Reich
in den Fall, die Vermittelung zu uͤbernehmen,
die durch einige deputirte Staͤnde beſorgt werden
ſollte. Wie die Deputirten ernannt werden ſoll-
ten, wollte man deren mehrere von catholiſcher,
als von evangeliſcher Religion ernennen, und dar-
uͤber mittelſt Mehrheit der Stimmen einen Schluß
faſſen. Die Evangeliſchen bereifen ſich dawider
auf die klare Vorſchrift des Weſtphaͤliſchen Frie-
dens, daß alle Reichsdeputirte jedesmal in voͤlli-
ger
[393]3) Ius eundi in partes 1712-1727.
ger Gleichheit beider Religionen ernannt werden
ſollten. Von catholiſcher Seite wollte man das
nur auf Deputationen, denen einheimiſche Ge-
ſchaͤffte im Reiche aufgetragen waͤren, einſchraͤn-
ken; Andere, die zu auswaͤrtigen Geſchaͤfften auſ-
ſerhalb des Teutſchen Reichs beſtimmt waͤren, ſoll-
ten daran nicht gebunden ſeyn. Hier blieb den
Proteſtanten nichts uͤbrig, als zu Hemmung der
ihnen nachtheiligen Mehrheit der Stimmen ihre
davon abgehende Meynung geſammter Hand zu
erklaͤren, oder nach dem im Weſtphaͤliſchen Frie-
den gebrauchten Ausdrucke in partes zu gehen
(1712. Aug. 22.).


Eben das geſchah am 15. Jan. 1717., alsIII.
man durch Mehrheit der Stimmen der Reichsſtadt
Coͤlln eine Moderation ihrer Anlage in der
Reichsmatrikel angedeihen laßen wollte; da der
evangeliſche Religionstheil dafuͤr hielt, daß ihr
darin nicht zu willfahren ſey, weil ſie durch Be-
druͤckung ihrer evangeliſchen Einwohner an dem
von ihr angefuͤhrten Verfall der Nahrung ſelbſt
Schuld ſey.


Eine aͤhnliche Gelegenheit ereignete ſich fernerIV.
im Jahre 1719., als es im Werke war, fuͤr das
Haus Hannover ein neues Erzamt ausfuͤndig zu
machen, weil nach dem Badiſchen Frieden Chur-
baiern das Erztruchſeßamt zuruͤcknahm, und Chur-
pfalz jetzt das Erzſchatzmeiſteramt ſich wieder zu-
eignen wollte. Unter mehreren Vorſchlaͤgen kam
inſonderheit das Erzſtallmeiſteramt in vorzuͤgliche
Betrachtung. Jedoch Churſachſen widerſetzte ſich
dagegen, weil das Marſchallamt (wie ſelbſt die
B b 5Ety-
[394]X. Carl der VI. 1711-1740.
Etymologie des Worts anzeige, da Mare, Maͤre,
ein Pferd, ſo wie Schalk einen Knecht oder Be-
dienten bedeute,) ſchon alles in ſich faſſe, was zum
Stallmeiſteramte gerechnet werden koͤnnte. Ein
widerſprochenes Erzamt verlangte nun auch Chur-
braunſchweig nicht. Gleichwohl wollten die Di-
rectorialgeſandten in beiden hoͤheren Collegien die
Sache zum Vortrage und durch die Mehrheit der
Stimmen zum Schluſſe bringen. Um ſolchen Di-
rectorialmißbraͤuchen einmal vorzubeugen, machte
ſich der evangeliſche Religionstheil gefaßt, in par-
tes
zu gehen. Doch kam es diesmal damit nicht
zur Wuͤrklichkeit, weil der Vortrag der Sache den-
noch unterblieb.


V.

Am weiteſten kam es hingegen mit Ausuͤbung
dieſes Rechts im Oct. 1727. in einer Sache, wo
es darauf ankam: ob die Herrſchaft Zwingenberg
am Necker einer evangeliſchen Familie, welche
waͤhrenden dreyßigjaͤhrigen Krieges ihres Beſitzes
entſetzt worden war, vermoͤge der Amneſtie des
Weſtphaͤliſchen Friedens von einem catholiſchen
Beſitzer, welchen Churpfalz ſeitdem damit belehnt
hatte, zuruͤckgegeben werden ſollte? Jene evange-
liſche Familie, Goͤler von Ravensburg, hatte im
Jahre 1651. von der damals zur Reſtitution von
wegen der Amneſtie niedergeſetzt geweſenen Reichs-
deputation ein guͤnſtiges rechtskraͤftiges Urtheil er-
langet. Auf deſſen Vollziehung hatte auch der
Reichshofrath im Jahre 1726. ſchon erkannt, und
Carl der VI. hatte ſelbſt die Executionsbefehle an
Wuͤrtenberg als ausſchreibenden Fuͤrſten des
Schwaͤbiſchen Kreiſes, worin Zwingenberg lag,
bereits unterſchrieben. Dawider hatte aber Chur-
pfalz
[395]3) Ius eundi in partes 1712-1727.
pfalz, um den catholiſchen Beſitzer, Grafen von
Wieſer, im Beſitz zu erhalten, den Recurs an den
Reichstag genommen. Weil ſelbſt vom kaiſerli-
chen Hofe nicht zu vermuthen war, daß derſelbe
mit den Stimmen des Hauſes Oeſterreich uͤber die-
ſen Recurs ſich beyfaͤllig erklaͤren wuͤrde; ſo hatte
man anfangs nicht geglaubt, daß in dieſer Sache
eine Mehrheit der Stimmen zum Nachtheile der
proteſtantiſchen Parthey zu beſorgen ſeyn wuͤrde.
Als aber in beiden hoͤheren Collegien die Sache
zum Vortrage kam, fielen wider Vermuthen alle
catholiſche Stimmen doch fuͤr den Grafen von Wie-
ſer aus. Alſo beriefen auch hier in der folgenden
Seſſion, wie man das Concluſum nach den meh-
reren Stimmen machen wollte, die evangeliſchen
Reichsſtaͤnde ſich darauf, daß ihr geſammtes Cor-
pus anderer Meynung ſey, und einen ſolchen
Schluß nach der Mehrheit der Stimmen nicht zu-
geben koͤnne.


In allen dieſen vier Faͤllen wollte man catholi-VI.
ſcher Seits noch Zweifel erregen, ob die Mehrheit der
Stimmen durch den Abgang eines Religionstheils
von der Meynung des andern gehemmet werden
koͤnne, da in allen den Faͤllen von keiner eigentli-
chen Religionsſache die Frage ſey. Allein die
Stelle des Weſtphaͤliſchen Friedens, die hier zum
Grunde liegt, iſt, wie ich oben S. 78. u. f. in
Zergliederung des Friedens ſchon bemerklich ge-
macht habe, ſowohl nach ihrer Veranlaßung als
ſelbſt ihrem buchſtaͤblichen Inhalte nach ganz un-
widerſprechlich klar ſo gefaſſet, daß nicht nur in Re-
ligionsſachen, ſondern auch in allen und jeden an-
deren Geſchaͤfften, wo ſaͤmmtliche Reichsſtaͤnde
nicht
[396]X. Carl der VI. 1711-1740.
nicht als ein Corpus angeſehen werden koͤnnen, wie
auch ſo oft beide Religionstheile zweyerley Mey-
nungen gegen einander behaupten, die Mehrheit
der Stimmen nicht entſcheiden ſollte. Dieſer Aus-
ſpruch, daß die mehreren Stimmen nicht entſchei-
den ſollten, gieng offenbar auf dreyerley Gegen-
ſtaͤnde, wovon Religionsſachen nur den erſten,
Sachen, worin Staͤnde nicht als ein Corpus an-
zuſehen, den zweyten, und die Verſchiedenheit der
Meynungen beider Religionstheile den dritten aus-
machten. Dieſen dritten Gegenſtand aber nur auf
den erſten einzuſchraͤnken wuͤrde eben ſo wenig mit
einer geſunden Logik beſtehen koͤnnen, als wenn
man den Satz: Wer Geld, Verſtand und Tu-
gend hat, iſt gluͤcklich, ſo mißdeuten wollte, daß
niemand tugendhaft ſeyn koͤnne, wer nicht Geld
habe. Denn mit nicht groͤßerem Rechte laͤßt ſich
aus jener Stelle des Friedens behaupten, daß man
nicht anders als in Religionsſachen in partes ge-
hen koͤnne (c).


In
[397]3) Ius eundi in partes 1712-1727.

In eatholiſchen Schriften wurde unter andernVII.
angefuͤhrt, das Woͤrtchen: wie auch, welches
obigen dritten Gegenſtand von den beiden vorher-
gehenden ſo augenſcheinlich unterſcheidet, habe in
den Weſtphaͤliſchen Friedenshandlungen in einem
Aufſatze des Schwediſchen Geſandten Salvius ge-
fehlet, und ſey nur durch ein Verſehen der kaiſer-
lichen Geſandtſchaft hernach zugelaßen worden.
Allein geſetzt auch in einem Schwediſchen Aufſatze
waͤre einmal dieſer Schreibfehler vorgegangen, ſo
ergab doch die ganze Geſchichte der Veranlaßung
dieſer Stelle und aller uͤbrigen daruͤber erfolgten
Unterhandlungen zur Gnuͤge, daß die Worte, wie
ſie im Frieden ſelbſt gefaſſet ſind, dem wahren Gei-
ſte der Sache voͤllig gemaͤß ſind. Es wuͤrde aber
ohnedem viel zu weit fuͤhren, wenn eine Verord-
nung des Weſtphaͤliſchen Friedens damit entkraͤftet
werden koͤnnte, daß man ſich nur auf Schreibfeh-
ler, die in Unterhandlungen vorgegangen, oder
auf Verſehen dieſer oder jener Geſandtſchaft beru-
fen duͤrfte. Gnug hier iſt Sinn und Geiſt des
Geſetzes in voͤlliger Uebereinſtimmung.


Wie weit wuͤrde man mit dieſer ganzen ſo theuerVIII.
erworbenen Verordnung des Weſtphaͤliſchen Frie-
dens gekommen ſeyn, wenn nicht anders als in
Religionsſachen Gebrauch davon gemacht werden
koͤnnte? Was zu Religionsſachen im engſten Ver-
ſtande gerechnet werden kann, koͤmmt ohnedem ſo
leicht
(c)
[398]X. Carl der VI. 1711-1740.
leicht in reichsſtaͤndiſchen Verſammlungen nicht vor.
Doch wuͤrde auch da noch oft Streit gnug gewe-
ſen ſeyn, was eigentlich dazu gehoͤre oder nicht.
Aber wie viele politiſche Gegenſtaͤnde gibt es nicht,
wo die Religion nahen oder entfernten Einfluß hat?
Und da war es nach dem Verhaͤltniſſe, worin in
Teutſchland beide Religionstheile gegen einander
ſtehen, gar wohl der Muͤhe werth dafuͤr zu ſorgen,
daß nie ein Theil den andern durch bloße Mehr-
heit der Stimmen uͤberwiegen ſollte. Obige Zwin-
genbergiſche Sache kann allein ſchon zum Beyſpiele
dienen, was der evangeliſche Religionstheil in
Teutſchland zu erwarten haben wuͤrde, wenn die
Mehrheit der Stimmen auf catholiſcher Seite hin-
reichen ſollte, eine zum Vortheile einer evangeli-
ſchen Parthey entſchiedene Rechtsſache damit zum
Vortheile der catholiſchen Gegenparthey umzu-
lenken.


IX.

Bey der Zwingenbergiſchen Sache wurde auch
das noch geruͤget, daß nicht alle evangeliſche
Reichsſtaͤnde einſtimmig geweſen waͤren. Denn
etliche hatten ſich, auf Anſuchen des Churpfaͤlzi-
ſchen Hofes und in ſolchen Faͤllen nicht ungewoͤhn-
liches Anerbieten einer gelegentlich gegenſeitigen
Unterſtuͤtzung, bewegen laßen, fuͤr denſelben bey-
faͤllig zu ſtimmen. Da entſtand alſo die Frage:
ob derjenige Religionstheil, der in partes gehen
wolle, auf ſeiner Seite nothwendig voͤllig einmuͤ-
thige Stimmen haben muͤße?


X.

Nun iſt hier offenbar der Fall, da voraus ge-
ſetzt wird, daß das geſammte Corpus der Staͤnde
ſich in zwey Theile, wie ſie der Religion nach ver-
ſchie-
[399]3) Ius eundi in partes 1712-1727.
ſchieden ſind, abtheilet, und ein jeder Theil vom
andern abgeſondert als ein eignes Corpus daruͤber
zu berathſchlagen und zu beſchließen hat, ob es in
partes
gehen wolle oder nicht? Da tritt aber die
bey allen und jeden reichsſtaͤndiſchen Verſamm-
lungen nach der Teutſchen Verfaſſung unſtreitig
obwaltende Regel ein: daß ein jedes Corpus und
Collegium fuͤr ſich durch Mehrheit der Stimmen
Schluͤſſe machen kann. Wenn irgendwo einmal
ganz einmuͤthige Stimmen fuͤr noͤthig gehalten wer-
den, ſo iſt das eine ſolche Ausnahme von der Re-
gel, die nicht anders als vermoͤge einer ausdruͤckli-
chen Vorſchrift behauptet werden kann, wie z. B.
die Wahlcapitulation da, wo ſie zu Ertheilung
eines neuen Zolles die Einwilligung der Churfuͤr-
ſten erfordert, ausdruͤcklich dabey die Vorſchrift
gibt, daß dieſe Einwilligung von allen Churfuͤrſten
ganz einſtimmig geſchehen muͤße, ſo daß die erman-
gelnde Beyſtimmung eines einzigen Churfuͤrſten die
ganze Sache heben kann. Eine ſolche Vorſchrift
iſt aber in dieſer Stelle des Weſtphaͤliſchen Frie-
dens nicht vorhanden. Es heißt nicht: wenn ein
Religionstheil ganz einmuͤthig vom andern ab-
geht, ſondern uͤberhaupt, wenn beide Religions-
theile von einander abgehen, ſoll nichts als guͤtli-
che Vergleichung dieſe Zwiſtigkeit heben.


In einer andern aͤhnlichen Stelle (d) verord-XI.
net der Weſtphaͤliſche Friede, daß auch bey Reichs-
gerichten die Mehrheit der Stimmen nicht entſchei-
den ſolle, wenn die Mitglieder beider Religionen
nicht gleicher Meynung ſind. Da ſetzt er aber
aus-
[400]X. Carl der VI. 1711-1740.
ausdruͤcklich hinzu: Wenn auch nur eine Stimme
den Stimmen der andern Religionsverwandten
beytraͤte, ſollte doch die Mehrheit der Stimmen
entſcheidend ſeyn. So gut dieſe Ausnahme in die-
ſer Stelle hinzugefuͤgt werden konnte; ſo gewiß
wuͤrde es auch in jener Stelle geſchehen ſeyn, wenn
es auch da die Meynung gehabt haͤtte, eine voͤllige
Einmuͤthigkeit der Stimmen auf Seiten des vom
andern abgegangenen Religionstheils zu erfordern.


XII.

Wenn ein Geſetz uͤber einerley Gegenſtand
zwey aͤhnliche Vorſchriften gibt, aber in einer
Stelle ohne alle Einſchraͤnkung, in der andern mit
einer gewiſſen Einſchraͤnkung; ſo iſt den Regeln ei-
ner geſunden Auslegungskunſt nichts gemaͤßer, als
daß die Einſchraͤnkung nur da gilt, wo ſie beyge-
fuͤgt iſt; nicht fuͤr den Fall, wo das Geſetz ohne
Einſchraͤnkung ſpricht. Dieſe Regel der Ausle-
gungskunſt kann vollends gar nicht bezweifelt wer-
den, wenn zwiſchen zwey Faͤllen, die der Geſetz-
geber vor Augen gehabt hat, ein ſolcher Unterſchied
wahrzunehmen iſt, daß ſich ein hinlaͤnglicher Grund
angeben laͤßt, warum in dem einen Falle eine Ver-
ordnung mit, im andern ohne Einſchraͤnkung ge-
macht iſt. So verhaͤlt ſich hier die Sache, da
bey Reichsgerichten entweder eine voͤllige Gleich-
heit der Perſonen von beiderley Religionen voraus-
geſetzt wurde, wie bey den Senaten am Cammer-
gerichte, oder doch ein geringerer Unterſchied, wie
im vollen Rathe des Cammergerichts, und eine
geringe Anzahl Perſonen, von deren Uebereinſtim-
mung die Frage war. Da ließ ſich begreifen, daß
man z. B. unter drey oder vier Mitgliedern eines
Senats am Cammergerichte, oder auch unter ſechs
evan-
[401]3) Ius eundi in partes 1712-1727.
evangeliſchen Reichshofraͤthen mit gutem Bedachte
eine Einmuͤthigkeit der Stimmen erforderte, wenn
ſie die Mehrheit der Stimmen von Seiten des
ganzen Reichsgerichts unkraͤftig machen ſollten.
Aber unter vierzig und mehr Stimmen, die z. B.
im Reichsfuͤrſtenrathe zum evangeliſchen Religions-
theile gehoͤren, eine voͤllige Einmuͤthigkeit zu er-
fordern, das wollte weit mehr ſagen. Da geſchah
es alſo wieder mit gutem Bedachte, daß bey der
Trennung beider Religionstheile in reichsſtaͤndi-
ſchen Verſammlungen dieſe Einſchraͤnkung nicht
hinzugefuͤgt wurde.


Man berief ſich zwar von catholiſcher SeiteXIII.
noch darauf, daß das Wort partes hier ſoviel als
zwey Partheyen bedeute, und alſo vorausſetze,
daß beide Religionstheile als zwey Partheyen, auf
der einen Seite alle catholiſche, auf der andern
alle evangeliſche Staͤnde, gegen einander ſtaͤnden,
und jeder Theil ſeine eigne Meynung behauptete.
Das kann man in ſo weit zugeben, daß eine jede
Parthey vollſtaͤndig zur Berathſchlagung ſchreitet,
und davon keines ihrer Mitglieder ausſchließt.
Allein daß in dieſer Berathſchlagung ſelbſt nicht die
Mehrheit der Stimmen gelten, ſondern eine voͤlli-
ge Einmuͤthigkeit noͤthig ſeyn ſollte, daß alſo auch
nur eine oder andere Mitglieder dieſer Verſamm-
lung den Schluß der ganzen Verſammlung ent-
kraͤften koͤnnten, und daß man alsdann nicht mehr
ſagen duͤrfte, daß beide Religionstheile als zwey
Partheyen gegen einander ſtaͤnden; das laͤßt ſich
mit Grunde nicht behaupten. Oder man muͤßte
auch behaupten wollen, daß z. B. der Bairiſche
und der Schwaͤbiſche Kreis, indem ſie daruͤber
P. Entw. d. Staatsverf. Th.II. C cſtrit-
[402]X. Carl der VI. 1711-1740.
ſtritten, ob die Abtey Kaiſersheim zu dieſem oder
jenem Kreiſe gehoͤrte, nicht als zwey Partheyen an-
zuſehen geweſen ſeyn wuͤrden, wenn nicht alle
Stimmen eines jeden Kreiſes daruͤber voͤllig einer-
ley Sinnes geweſen waͤren. Oder, was noch naͤ-
her hier paſſet, ſollten unſere beide Religionstheile
auch da nicht als zwey Partheyen anzuſehen gewe-
ſen ſeyn, da die Proteſtanten unter Carl dem V.
im Schmalkaldiſchen Bunde, und unter Ferdinand
dem II. in der Union vereiniget waren, ungeachtet
auch da in beiden Buͤndniſſen nicht alle evangeli-
ſche Reichsſtaͤnde ganz vollſtaͤndig waren, da im
erſten z. B. Herzog Moritz von Sachſen, im an-
dern das Haus Heſſendarmſtadt fehlte?


XIV.

Soviel iſt gewiß, daß, wenn den Evangeli-
ſchen gegen die uͤberwiegende Mehrheit der catholi-
ſchen Stimmen das im Weſtphaͤliſchen Frieden fuͤr
ſie ausgemachte Rettungsmittel nur alsdann zu
ſtatten kommen ſollte, wenn ſie auf ihrer Seite
voͤllig einmuͤthige Stimmen haͤtten, vielleicht ſel-
ten ein Fall zu erwarten ſeyn moͤchte, da nicht leicht
eine oder andere Stimme von der andern Seite zu
gewinnen ſeyn wuͤrde, um das ganze Rettungs-
mittel kraftlos zu machen. In der That iſt aber
auch ein reichsſtaͤndiſches Corpus oder Collegium,
wenn es einmal nach ſeiner hergebrachten Verfaſ-
ſung einen Schluß gefaſſet hat, nicht verbunden,
irgend einem Dritten davon Rede und Antwort zu
geben, ob der Schluß durch einmuͤthige oder nur
durch die mehreren Stimmen ſo gefaßt ſey. Nicht
einmal legale Notitz darf einem Dritten davon zuge-
ſtanden werden. Gnug, wenn im Namen eines
ganzen Religionstheils deſſen geſammte Meynung
auf
[403]3) Ius eundi in partes 1712-1727.
auf eine der Verfaſſung gemaͤße Art zu rechter Zeit
erklaͤret wird, um einem nach Mehrheit der Stim-
men zu faſſenden Schluſſe vorzubeugen.


Selbſt alsdann, wenn auch ſchon in einem derXV.
reichsſtaͤndiſchen Collegien einzelne Stimmen abge-
legt ſind, wie der Fall in der Zwingenbergiſchen
Sache war, behaͤlt dennoch ein jeder Religions-
theil, ſo lange der Schluß mit Einſtimmung der
ganzen Verſammlung noch nicht wuͤrklich gefaſſet
iſt, die Freyheit in beſondere Berathſchlagung dar-
uͤber zu treten, und nach Befinden alsdann noch
das Protocoll offen zu behalten, um ſeine gemein-
ſame Meynung zu erklaͤren, und damit noch die
Abfaſſung des collegialiſchen Schluſſes zu hindern.
Wie in jeder collegialiſchen Berathſchlagung ein
jeder ſeine Stimme noch bis zu Abfaſſung des
Schluſſes durch neue Zuſaͤtze erlaͤutern oder gar ab-
aͤndern kann, ſo iſt eben das auch einem jeden Re-
ligionstheile in Anſehung ſeiner Geſammtſtimme
unbenommen. Und wenn auch einzelne Staͤnde
vorher anders geſtimmet haben, kann man jetzt
nicht anders annehmen, als daß ſie ihre vorherige
Meynung nunmehr geaͤndert haben, und jener Ge-
ſammterklaͤrung ihres Religionstheils allenfalls
ſtillſchweigend beytreten.


Ein jeder Religionstheil wird ſich zwar, wennXVI.
er die Umſtaͤnde vorher ſehen kann, gerne ſchon
zum voraus auf ſeine Geſammterklaͤrung gefaßt
halten, ehe es noch zur Ablegung der Stimmen in
reichsſtaͤndiſchen Verſammlungen koͤmmt. Wenn
aber die Umſtaͤnde ſo ſind, wie in der Zwingenber-
giſchen Sache, da man zum voraus keine widrige
C c 2Mehr-
[404]X. Carl der VI. 1711-1740.
Mehrheit der Stimmen vermuthete; ſo wuͤrde es
hart ſeyn, dadurch den Gebrauch eines Rechts be-
ſchraͤnken zu wollen, deſſen Art und Weiſe im Ge-
brauche das Geſetz ſelbſt gar nicht eingeſchraͤnkt hat.


XVII.

Was ſollte aber nun endlich fuͤr eine Wirkung
von einer ſolchen Geſammterklaͤrung und davon ab-
hangender Trennung beider Religionstheile erwar-
tet werden? Davon koͤnnen obige vier Faͤlle wie-
der das beſte Beyſpiel abgeben. Nehmlich wie
bey einer jeden reichsſtaͤndiſchen Berathſchlagung
eine Frage aufgeſtellt wird, ob dieſes oder jenes
geſchehen ſolle, oder nicht? ſo war hier z. B. die
Frage: ob in der Toggenburger Sache Reichsde-
putirte in ungleicher Anzahl beider Religionen er-
nannt werden ſollten? ob der Reichsſtadt Coͤlln
eine Moderation in der Reichsmatrikel angedeihen
ſollte? ob das Erzſtallmeiſteramt dem Hauſe Han-
nover aufgedrungen werden ſollte? ob das Erkennt-
niß der Reichsdeputation und des Reichshofraths
in der Zwingenbergiſchen Sache entkraͤftet werden
ſollte, oder nicht? Alle dieſe Fragen wollte der ca-
tholiſche Religionstheil mit der fuͤr ſich habenden
Mehrheit der Stimmen bejahend entſchieden ha-
ben, und alſo durchſetzen, was ſeinem Intereſſe
und ſeiner Geſinnung gemaͤß ſchien. Der evange-
liſche Religionstheil erklaͤrte ſich dagegen anderer
Meynung. Nun fiel das Durchſetzen mit der
Mehrheit der Stimmen weg. Es blieb nichts
uͤbrig, als ſich zu vergleichen. Oder wenn man
ſich nicht vergleichen konnte, blieb alles, wie es
war, und geſchah alſo das nicht, was man mit
der Mehrheit der Stimmen durchzuſetzen gedacht
hatte.


Frey-
[405]3) Ius eundi in partes 1712-1727.

Freylich laͤßt ſich das von einer nicht allzuguͤn-XVIII.
ſtigen Seite vorſtellen, daß auf ſolche Art eine
mindere Anzahl Stimmen die mehreren unkraͤftig
machen, und vielleicht einmal dieſe oder jene gute
Anſtalten hintertreiben koͤnne. Allein man ver-
geſſe nur nicht das wahre Verhaͤltniß der beiden
Religionstheile im Ganzen, das ſich doch nicht
bloß nach der Anzahl Stimmen abmeſſen laͤßt, ſon-
dern billig auch noch nach anderen Maßſtaͤben der
Macht und Groͤße zu ſchaͤtzen iſt. Da wird ſich
bald die anſcheinende Ungleichheit entfernen, wenn
auch gleich die bloße Anzahl der Stimmen auf der
einen Seite ein Uebergewicht zu haben ſcheint.
Mehr nach Gewicht als nach der bloßen Anzahl
beurtheilet, wird es nicht viel anders ſeyn, als
wenn die Stimmen ſelbſt auf beiden Seiten in
gleicher Anzahl ſtaͤnden. Wie wenn z. B. von
100. Stimmen im Fuͤrſtenrathe ohne Ruͤckſicht
auf die Religion 50. einer Meynung waͤren, und
50. einer andern! Da wuͤrde doch auch kein
Schluß gefaſſet werden koͤnnen. Eben ſo mag
man ſich auch den Fall der Trennung beider Reli-
gionstheile vorſtellen.


Zudem iſt ein großer Unterſchied, ob unterXIX.
zwey Theilen, die ſonſt mit einander in ziemlichem
Gleichgewichte ſtehen, einem geſtattet wird, ge-
gen den andern etwas durchzuſetzen, oder ge-
gen das, was der andere gern durchſetzen moͤchte,
es nur dahin zu bringen, daß es nicht durchgeſetzt
werden kann, ſondern beym Alten gelaßen werden
muß. Das letztere kann hoͤchſtens nur den Nach-
theil haben, einmal etwas gutes zuruͤckzuhalten,
(wiewohl das in der Sache, wovon hier die Rede
C c 3iſt,
[406]X. Carl der VI. 1711-1740.
iſt, wohl noch nicht der Fall geweſen iſt). Aber
was will das ſagen gegen die Abhaͤngigkeit, worin
der eine Theil unter den andern gerathen wuͤrde,
wenn dieſer die Mehrheit der Stimmen auf ſeiner
Seite hat, und damit durchſetzen koͤnnte, was er
wollte? Kurz es iſt hier bey weitem nicht eine ſolche
Anomalie, oder Unheildrohende Unregelmaͤßigkeit,
wie ſie von vielen vorgeſtellt wird.


XX.

Nach der Lage, worin ſich Teutſchland wuͤrk-
lich nun einmal findet, iſt dieſes Mittel der Mehr-
heit der Stimmen auszuweichen fuͤr die Prote-
ſtanten offenbar ihr einziges Rettungsmittel. Ohne
zu ihrem Untergange uͤber kurz oder lang den Weg
zu bahnen, koͤnnen ſie ſich dieſes Rettungsmittel
nicht nehmen noch beſchraͤnken laßen. Alle aus-
waͤrtige Maͤchte, denen es nicht gleichguͤltig iſt, ob
Teutſchland ſeine bisherige Verfaſſung behalte oder
nicht, koͤnnen auch nicht gleichguͤltig dabey ſeyn,
wenn einem ſo betraͤchtlichen Theile des Teutſchen
Reichs dieſes Rettungsmittel benommen oder be-
ſchraͤnket werden ſollte. Selbſt von Seiten des
catholiſchen Religionstheils beruhet es gewiß auf
unrichtigen Vorſtellungen, die zum Theil durch
den ehemaligen jeſuitiſchen Unterricht verbreitet und
unterhalten worden, wenn man dieſe Sache in ei-
nem ſo unguͤnſtigen Lichte betrachtet hat. Beide
Religionstheile koͤnnen nicht gluͤcklicher leben, als
wenn ſie in bruͤderlicher Einigkeit einander bey
dem laßen, was ein jeder hat, und inſonderheit
eine ſo theuer erworbene Vorſchrift des Weſtphaͤli-
ſchen Friedens als ein wahres Kleinod fuͤr die Ru-
he von Teutſchland in Ehren halten.


Einen
[407]3) Ius eundi in partes 1712-1727.

Einen ſonderbaren Umſtand darf ich endlichXXI.
bey allem dem, was ich bisher angefuͤhrt habe,
nicht noch unbemerkt laßen. So gefaͤhrlich viele
den Gebrauch dieſes Rechts haben vorſtellen wol-
len, da alle Augenblicke die beſten Anſtalten vom
evangeliſchen Religionstheile ruͤckgaͤngig gemacht
werden koͤnnten; ſo offenbar zeigt die Geſchichte
ſchon darin die Maͤßigung und Vorſicht, womit
der evangeliſche Religionstheil zu dieſem Mittel
ſchreitet, da ſeit dem Weſtphaͤliſchen Frieden bis
auf das Jahr 1712. kein namhafter Fall von der
Art vorgekommen war. Wohl aber war es ſon-
derbar gnug, daß in dem Vorfalle, den ich oben
(S. 284.) von der Reichstagsberathſchlagung des
Jahres 1672. uͤber die Beſetzung einiger General-
majorsſtellen erwehnt habe, der catholiſche Reli-
gionstheil ſelbſt zuerſt die Bahn gebrochen hat, wie
dieſe Stelle des Weſtphaͤliſchen Friedens zu benutzen
ſey. Auch da war von keiner Religionsſache die
Rede; auch da waren auf der catholiſchen Seite
nicht voͤllig einmuͤthige Stimmen; auch da waren
die einzelnen Stimmen ſchon im Reichsprotocolle,
als das catholiſche Corpus noch in beſondere Be-
rathſchlagung trat, und hernach ſeine Geſammter-
klaͤrung abgab; auch da ward damit die Abfaſſung
des Schluſſes, der ſonſt nach der Mehrheit der
Stimmen ſtatt gefunden haͤtte, noch ruͤckgaͤngig ge-
macht; auch da blieb nichts anders uͤbrig, als ſich
zu vergleichen; oder die Stellen haͤtten ganz unbe-
ſetzt bleiben muͤßen. Was aber damals dem ca-
tholiſchen Religionstheile Recht war, muß auch
billig dem evangeliſchen fuͤr Recht gelten. So
ſpricht zugleich ein neuer Rechtsgrund einer gegen-
C c 4ſeiti-
[408]X. Carl der VI. 1711-1740.
ſeitigen Obſervanz, als der beſten Auslegerinn aller
Geſetze, obigen Behauptungen das Wort.


XXII.

Eine merkwuͤrdige Schrift, die unter dem me-
taphoriſchen Titel: Anker der Freyheit, bey Gele-
genheit der Coͤllniſchen Moderationsſache im Jahre
1717. von einigen evangeliſchen Comitialgeſandten
abgefaſſet, aber erſt bey Gelegenheit der Erzſtall-
meiſteramtsſache 1719. bekannt gemacht, und her-
nach dem Vorſtellungsſchreiben, welches das evan-
geliſche Corpus 1720. an den Kaiſer erließ, beyge-
fuͤget war, hat die hier einſchlagenden Saͤtze mit
Nachdruck und Gruͤndlichkeit vertheidiget, und bey
einer Anfechtung, die ſich dagegen hervorzuthun
ſchien, die Ehre gehabt, daß der geſammte evan-
geliſche Religionstheil ſich ſelbſt zum Verfaſſer und
Gewaͤhrsmann dieſer Schrift bekannt hat (e).


IV.
[409]4) Zuſtand des Cammergerichts.

IV.
Schickſale des Cammergerichts unter Leopold
und Carl dem VI.


I. II. Die Verordnungen, die der Weſtphaͤliſche Friede
und juͤngſte Reichsabſchied vom Cammergerichte gemacht hat-
ten, konnten wegen Abgangs der Cammerzieler nicht zur
Vollziehung kommen. — III. IV. Ueberdies mußte das
Cammergericht wegen Einaͤſcherung der Pfalz von Speier
nach Wetzlar fluͤchten. — V. VI. Hier entſtand vollends ein
Juſtitium, das eine auſſerordentliche Viſitation zuwege brach-
te. — VII. VIII. Auf deren Vericht kam es in Gang ſo-
wohl die Zahl der Aſſeſſoren, als ihre Beſoldung zu ver-
mehren. — IX. X. Um 25. Aſſeſſoren mit 4000. Gulden
beſolden zu koͤnnen, wurden die Cammerzieler von 2. zu 7.
erhoͤhet. — XI. Darunter waren aber viele ungangbare
Poſten, — XII. und vom Berliner Hofe wurden die Cam-
merzieler nur auf den alten Fuß fortgezahlt. — XIII. Alſo
konnten wuͤrklich nur 17. Aſſeſſoren ſeyn, — woraus ein
nenes Uebel der Sollicitatur entſtand. — XIV. Mehrere
Praͤſentirte ſchoſſen alſo immer uͤber, und mußten warten,
bis erſt von neuem Stellen leer wuͤrden. — XV. Unter
den 25. Aſſeſſoren ſollten ohnedem zwey neue von Boͤhmen
und Hannover mit begriffen ſeyn. — XVI. Dagegen hatte
es aber auch noch Schwierigkeit mit den Weſtphaͤliſchen
Kreispraͤſentationen — XVII. und mit der abwechſelnden
Praͤſentation der evangeliſchen Kreiſe. — Welches alles
erſt 1782. erlediget iſt.


Noch eine zwieſpaͤltige Meynung der beiden Re-I.
ligionstheile aͤußerte ſich uͤber die Gerichtbar-
keit der hoͤchſten Reichsgerichte in geiſtlichen Sa-
chen der Proteſtanten. Doch ehe ich davon rede,
muß ich hier erſt einſchalten, was inzwiſchen die
Reichsgerichte ſelbſt, inſonderheit das Cammerge-
richt,
fuͤr Schickſale betroffen haben.


C c 5Die
[410]X. Carl der VI. 1711-1740.
II.

Die Abſicht des Weſtphaͤliſchen Friedens und
des juͤngſten Reichsabſchiedes, dieſes hoͤchſte Reichs-
gericht recht in Aufnahme zu bringen, war bey
weitem nicht in ihre Erfuͤllung gegangen. Der
Abgang an Cammerzielern war Urſache, daß an
ſtatt 50. kaum 19. Beyſitzer am Cammergerichte
unterhalten werden konnten. Die Viſitation, die
ſchon im Nov. 1654. eroͤffnet werden ſollte, und
ſeitdem etlichemal wieder in Anregung kam, konn-
te eben ſo wenig zu Stande gebracht werden. Al-
ſo fehlte es ſchon an Vollziehung deſſen, was zum
Beſten dieſes Reichsgerichts ſchon lange durch
Reichsgeſetze vorgeſchrieben war.


III.

Aber nun kam noch ungluͤcklicher Weiſe hinzu,
daß das Cammergericht, wie es nunmehr ſchon
ſeinen verjaͤhrten beſtaͤndigen Aufenthalt zu Speier
hatte, nicht nur uͤberhaupt durch die Franzoͤſiſchen
Kriegsunruhen vor und nach dem Nimweger Frie-
den manches Ungemach mit zu empfinden hatte.
Sondern in der ſchrecklichen Verwuͤſtung, die im
Jan. 1689. durch Vollziehung der mordbrenneri-
ſchen Befehle in der Pfalz und der ganzen Gegend
geſchah, ward auch Speier nicht verſchonet. Auch
die ſaͤmmtlichen Mitglieder des Cammergerichts
mußten alſo geſchehen laßen, daß ihre Haͤuſer,
Buͤcher und Acten im Rauche aufgiengen. Die
meiſten mußten, wie ſie giengen und ſtanden, nur
auf ihre perſoͤnliche Rettung bedacht ſeyn. Einige
Faͤſſer mit Acten wurden von den Franzoſen ſelbſt
noch nach Straßburg gerettet; (vielleicht in der
Hoffnung, wichtige Reichsſtaatsſachen darin zu fin-
den, die dann freylich in der Folge nicht eintraf;
doch noch zum Gluͤcke fuͤr manche Partheyen, die
ſeit-
[411]4) Zuſtand des Cammergerichts.
ſeitdem noch Mittel und Wege gefunden haben,
ihre Acten von Straßburg aus zuruͤckzubekommen.)


Die ungluͤcklichen Fluͤchtlinge fanden kaum ei-IV.
nen Ort, wo ſie ſich wieder ſammlen konnten.
Endlich beſchloß ein Reichsgutachten vom 28.
Sept. 1689., daß das Cammergericht in die
Reichsſtadt Wetzlar verlegt werden ſollte, wo her-
nach am 31. Jan. 1691. die erſte Seſſion, aber,
wie leicht zu erachten, von einer geringen Anzahl
Beyſitzer gehalten wurde.


Eine andere Art von Ungluͤck traf jetzt dasV.
Cammergericht, da der Geiſt der Zwietracht un-
ter ſeinen Mitgliedern uͤberhand nahm. Die bei-
den damaligen Praͤſidenten, ein Freyherr von In-
gelheim und ein Graf von Solms-Laubach, wur-
den uneins uͤber die Aufnahme eines von Chur-
baiern praͤſentirten Beyſitzers, welchem auf Be-
trieb des Freyherrn von Ingelheim ein anderer,
den der Kaiſer praͤſentirt hatte, vorgezogen wurde.
Hieruͤber kam es auch von Seiten einiger Aſſeſſo-
ren zu anzuͤglichen Reden und Schriften; weswe-
gen der Freyherr von Ingelheim mit Mehrheit der
Stimmen am 16. Jan. 1703. die Suspenſion ei-
nes gewiſſen Aſſeſſors von Pyrk zuwege brachte.
Nun gerieth ſo gar das ganze Gericht in Still-
ſtand, da die wider einander aufgebrachten Mit-
glieder deſſelben nicht mehr mit einander zu Rathe
gehen wollten.


So ſah ſich endlich das Reich genoͤthiget, (un-VI.
abhaͤngig von dem, was ſchon im juͤngſten Reichs-
abſchiede beſchloſſen war, aber noch immer ausge-
ſetzt
[412]X. Carl der VI. 1711-1740.
ſetzt blieb,) eine ganz außerordentliche Viſitation
zu veranſtalten, und dazu auch eine ganz außeror-
dentliche Reichsdeputation zu ernennen. Beſchloſ-
ſen ward dieſe Viſitation ſchon am 15. Oct. 1704.
Aber zu Stande kam ſie erſt im Oct. 1707. Sie
hatte erſt lange mit Unterſuchung der Maͤngel des
Gerichts zu thun. Erſt am 28. Jan. 1711. konn-
te das Gericht, das inzwiſchen bis auf 6. Beyſitzer
ausgeſtorben war, von neuem eroͤffnet werden.
Erſt am 18. Dec. 1713. nahm dieſe Viſitation mit
einem foͤrmlichen Viſitationsabſchiede ihr Ende,
der zwar ein und andere nuͤtzliche Verordnungen
enthielt, aber im Ganzen doch nicht der Hoffnung
entſprach, die man ſich davon gemacht hatte.


VII.

In dem Berichte, den dieſe Viſitation hernach
an Kaiſer und Reich erließ, trug ſie hauptſaͤchlich
darauf an, daß man die Anzahl der Aſſeſſoren
vermehren, und zugleich ihre Beſoldung, um
mit mehrerem Anſtande leben zu koͤnnen, an ſtatt
der bisherigen zwey tauſend Gulden auf vier tau-
ſend Gulden erhoͤhen moͤchte. Auf ſolche Art konn-
te man auch eher hoffen, daß es an tuͤchtigen und
wuͤrdigen Maͤnnern nicht fehlen wuͤrde, die ſich zu
den Aſſeſſorsſtellen ferner praͤſentiren ließen.


VIII.

Eine ſolche Erhoͤhung der Beſoldung erforderte
aber auch eine betraͤchtliche Erhoͤhung der bisheri-
gen Cammerzieler. Wenn vollends die im Weſt-
phaͤliſchen Frieden vorgeſchriebene Anzahl von 50.
Aſſeſſoren haͤtte unterhalten werden ſollen; wuͤrde
deren Beſoldung alleine jaͤhrlich 200. tauſend Gul-
den erfordert haben. Einen ſolchen jaͤhrlichen Bey-
trag hielt man fuͤr unmoͤglich. Man hoffte alſo
ſich
[413]4) Zuſtand des Cammergerichts.
ſich begnuͤgen zu koͤnnen, wenn auch nur 25. Aſſeſ-
ſoren als die Haͤlfte der im Weſtphaͤliſchen Frieden
beſchloſſenen Anzahl angenommen wuͤrden.


Um die Sache in mehreren Betrieb zu brin-IX.
gen ſchickte das Cammergericht ſelbſt ein Paar Aſ-
ſeſſoren nach Wien und Regensburg. Darauf er-
folgte vorerſt am 24. May 1719. ein guͤnſtiges
kaiſerliches Commiſſionsdecret, und am 15. Dec.
1719. ein beyfaͤlliges Reichsgutachten, welches
am 3. Nov. 1720. auch der Kaiſer genehmigte.
Damit kam es nun ſo weit, daß wuͤrklich 25. Aſ-
ſeſſoren, jeder mit 4000. Gulden Beſoldung, an-
geſtellt werden ſollten. Woneben der Cammerrich-
ter jaͤhrlich 11733. Rthlr. 30. Kreuzer, und zwey
Praͤſidenten, jeder jaͤhrlich 3656. Rthlr. zu erwar-
ten hatten (f); ohne was noch an andere Perſo-
nen des Gerichts von Reichs wegen zu bezahlen
war. Zuſammen betrug das 91.069. Rthlr. 70.
Kreuzer, die jaͤhrlich herbeygeſchafft werden muß-
ten, wenn das Cammergericht 25. Beyſitzer ha-
ben ſollte.


Um das zu bewirken, wurden nun die bishe-X.
rigen Cammerzieler von 2. auf 7. erhoͤhet. Das
heißt, wer bisher halbjaͤhrlich 200. Fl. bezahlet hat-
te, ſollte kuͤnftig 700. Fl. bezahlen. So ſollten
nach
[414]X. Carl der VI. 1711-1740.
nach dieſer erhoͤhten Cammergerichts-Matrikel jaͤhr-
lich 103.600. Rthlr. 3. Kreuzer herauskommen;
wozu unter andern ein jeder Churfuͤrſt halbjaͤhrlich
mit 811. Rthlr. 58½ Kreuzer angeſetzt ward.


XI.

Allein es zeigte ſich in den jaͤhrlich angeſetzten
Beytraͤgen bald ein Abgang von 10.484. Rthlr.
33. Kreuzern an ungangbaren Poſten, von denen
man vorausſehen konnte, daß ſie nie in Gang zu
bringen ſeyn wuͤrden. Daneben meldeten ſich ſo-
viele Reichsſtaͤnde mit dringenden Moderationsge-
ſuchen, daß an ſolchen, die bey Kaiſer und Reich
damit wuͤrklich Gehoͤr fanden, jaͤhrlich noch
20.848. Rthlr. 50. Kr. abgiengen. Wie man al-
ſo 1732. noch einmal nachrechnete, und die Cam-
mergerichts-Matrikel von neuem ins Reine brach-
te; kamen an ſtatt obiger 103.600. Rthlr. 3. Kr.,
nur 78.077. Rthlr. 65. Kreuzer jaͤhrlich zu erwar-
tende Beytraͤge heraus.


XII.

Aber auch unter dieſen waren noch die Anſchlaͤ-
ge des Hauſes Brandenburg nach dem neuen Fuße
mitgerechnet; an ſtatt daß der Koͤnig in Preuſſen
fuͤr alle ſeine Teutſche Laͤnder nur auf den alten Fuß
2. ſtatt 7. zu bezahlen fortfuhr, weil er uͤberall zu
dieſer Erhoͤhung der Matrikel ſeine Einwilligung
nicht mit gegeben hatte, und ſich darauf bezog,
daß es noch nicht ausgemacht ſey, ob in Steuer-
ſachen die Mehrheit der Stimmen gelte? Auch
ſonſt blieben noch ſoviel andere betraͤchtliche und
ſchwer beyzutreibende Ruͤckſtaͤnde, daß jaͤhrlich in
wuͤrklicher Zahlung kaum 70. tauſend Rthlr. bey-
ſammen kamen, und in manchen Jahren noch weit
weniger.


Von
[415]4) Zuſtand des Cammergerichts.

Von 70. tauſend Rthlrn. konnte man aberXIII.
nicht mehr als 17. Aſſeſſoren beſolden. Denn fuͤr
dieſe Anzahl mit Inbegriff der uͤbrigen Beſoldun-
gen ward jaͤhrlich eine Summe von 69.989. Rthlrn.
70. Kr. erfordert. Alſo waren, des Reichsſchluſ-
ſes von 1719. und 1720. ungeachtet, doch immer
nur 17. Aſſeſſoren. — Eine bey weitem der Ar-
beit nicht gewachſene Anzahl. Denn wenn man
auch ein Jahr ins andere auf einen jeden Aſſeſſor
jaͤhrlich 10. Relationen zu Endurtheilen rechnete,
womit jaͤhrlich 170. Sachen abgethan werden konn-
ten; ſo kamen doch jaͤhrlich meiſt 230. bis 250.
Sachen von neuem in Gang, ohne was noch von
einer unuͤberſehlichen Menge aͤlterer bisher liegen
gebliebener Sachen von neuem betrieben wurde.
Alſo konnte man gewiß darauf rechnen, daß von
den 230. bis 250. neuen Sachen 50. bis 70. nie
zum Urtheile kommen wuͤrden. Deſto aͤngſtlicher
bemuͤhte ſich jetzt ein jeder, dem doch daran gele-
gen war, ein Urtheil zu bekommen, allenfalls Him-
mel und Erde zu bewegen, um dieſen Zweck zu er-
reichen. Daraus erwuchs ein neues Uebel. Wer
nicht ſollicitirte, d. i. wer nicht alles in der Welt
anwandte, um es dahin zu bringen, daß ſeine
Sache vor andern vorgenommen werden moͤchte,
der durfte nie hoffen ein Urtheil zu erhalten. Was
waren aber da nicht fuͤr Kuͤnſte zu erwarten, wo-
durch eine jede Parthey ihre Sollicitatur vor an-
dern eindringender zu machen ſuchte? (g)


Um
[416]X. Carl der VI. 1711-1740.
XIV.

Um aber wieder auf die Anzahl der Aſſeſſo-
ren
zuruͤckzukommen, ſo waren deren zwar wuͤrk-
lich nur 17. im Beſitze ihres Amtes und im Ge-
nuſſe ihrer Beſoldung. Aber die Praͤſentationen
konnten doch immer ihren Gang fortgehen. Denn
ſo oft ein Aſſeſſor abgieng, ward an ſeiner Stelle
von eben dem Hofe oder Kreiſe gleich ein anderer
praͤſentirt und zur Proberelation und zum Examen
zugelaßen. Waren aber nun von eben der Reli-
gion ſchon aͤltere Praͤſentirte vorhanden, wie jetzt
beſtaͤndig der Fall war; ſo ruͤckte derjenige, der
zuerſt ſeine Praͤſentation am Cammergerichte uͤber-
reicht hatte, wenn er tuͤchtig befunden ward, in
Beſitz der erledigten Stelle. Der neue Praͤſentir-
te mußte aber ſo lange zuruͤckſtehen, bis kein aͤlte-
rer Praͤſentirter von ſeiner Religion mehr vor ihm
war, und er alsdann zum wuͤrklichen Genuſſe ſei-
ner Stelle berufen wurde. — Eine neue Unbe-
quemlichkeit, da mancher erſt 10. 15. und mehr
Jahre nach abgelegter Proberelation an die Reihe
kam, als wuͤrklicher Aſſeſſor einzuruͤcken; mancher
deswegen ſich beſann, eine Praͤſentation anzuneh-
men, oder auch nachher, wenn ſeine Umſtaͤnde ſich
inzwiſchen anderswo gebeſſert hatten, den erhalte-
nen Ruf verbat.


Bey

(g)


[417]4) Zuſtand des Cammergerichts.

Bey der Anzahl der Praͤſentationen thatXV.
ſich aber noch eine Schwierigkeit hervor. Unter
den fuͤnfzig Praͤſentationen, die der Weſtphaͤliſche
Friede begruͤndet hatte, waren 14. churfuͤrſtliche,
folglich nach der im Reichsgutachten 1719. ange-
nommenen Halbirung derſelben, nur ſieben chur-
fuͤrſtliche Praͤſentationen. Das churfuͤrſtliche Col-
legium hatte aber inzwiſchen 1708. an Churboͤh-
men und Churbraunſchweig zwey neue Mitglieder
bekommen, die man von Ausuͤbung des Vorrechts,
vermoͤge deſſen ein jeder Churfuͤrſt ein eignes Praͤ-
ſentationsrecht hat, auf keine Weiſe ausſchließen
konnte. Und doch ließ ſich das einmal zwiſchen
beiden Religionstheilen verglichene Verhaͤltniß der
Praͤſentationen nicht wohl anders beybehalten, als
daß man die Anzahl 50. gerade auf die Haͤlfte,
mithin auf 25. ſetzte. Aber nun doch noch 2. neue
dazu? — Hier half ſich das Reichsgutachten kurz
und gut durch, indem es ein vor allemal verordne-
te: Die Anzahl der Aſſeſſoren ſollte auf die Haͤlfte
derer, die im Weſtphaͤliſchen Frieden beſtimmt waͤ-
ren, alſo auf 25., geſetzt werden. Das war nun
freylich mathematiſch ſchwer zu vereinigen, daß 50.
zur Haͤlfte, mit Inbegriff noch 2. anderer, doch
nur 25. ausmachen ſollten; wie ſich in der That
die Worte des Reichsgutachtens in folgende un-
aufloͤsbare Zifern ſetzen ließen: 50 : 2 † 2 = 25?
Allein der Knote loͤſete ſich ſo auf, daß zwar 27.
Praͤſentirte ſeyn koͤnnten, aber nur 25. wuͤrkliche
Aſſeſſoren, da immer nur ein catholiſcher und ein
evangeliſcher Praͤſentirter uͤberſchießen duͤrften, um
gleich einruͤcken zu koͤnnen, wenn ſich eine Stelle
von eben der Religion erledigte, auf welche dann
der neue Praͤſentirte wieder eine andere Vacanz ab-
P. Entw. d. Staatsverf. Th.II. D dwar-
[418]X. Carl der VI. 1711-1740.
warten muͤßte, (wie jetzt wuͤrklich dieſe Einrich-
tung ſeit dem Jahre 1782. am Cammergerichte im
Gange iſt.).


XVI.

Damals waren aber auch noch die Praͤſenta-
tionen des Weſtphaͤliſchen Kreiſes ungangbar, weil
ſeit dem Juͤlich- und Bergiſchen Succeſſionsſtreite
auch hieruͤber Irrungen entſtanden waren, die
noch nicht hatten verglichen werden koͤnnen (h).
Alſo konnten gegen jene zwey neue churfuͤrſtliche
Praͤſentationen dieſe zwey Kreispraͤſentationen vor-
erſt in Abrechnung gebracht werden.


XVII.

Ja es blieb noch eine Praͤſentation ungangbar,
die man zu Ergaͤnzung der evangeliſchen Stellen im
Weſtphaͤliſchen Frieden abwechſelnd theils den bei-
den Kreiſen Ober- und Niederſachſen, theils den
evangeliſchen Staͤnden der vier vermiſchten Kreiſe
Schwaben, Franken, Oberrhein und Weſtphalen
zugetheilt hatte. Nach der Abſicht des Weſtphaͤli-
ſchen Friedens konnte das zwar keine Schwierigkeit
machen, da der Friede zwey Praͤſentationen auf
dieſe Art vertheilt hatte, eine unter zwey, die an-
dere unter vier Kreiſen. Allein da jetzt das Sche-
ma des Weſtphaͤliſchen Friedens halbirt werden
ſollte; ſo ſchien daraus zu folgen, daß die beiden
Saͤchſiſchen Kreiſe jetzt nur eine halbe, und die
vier vermiſchten Kreiſe ebenfalls nur eine halbe Aſ-
ſeſſorsſtelle zu vergeben haben ſollten. Nun haͤtte
man zwar aus dieſen zwey halben Stellen eine gan-
ze zuſammenſchmelzen, und das verſchiedene Ver-
haͤltniß der praͤſentirenden Kreiſe dadurch retten koͤn-
nen, daß man die Saͤchſiſchen Kreiſe zweymal praͤ-
ſenti-
[419]4) Zuſtand des Cammergerichts.
ſentiren ließe, wenn an die vermiſchten Kreiſe die
Reihe nur einmal kaͤme, (wie es endlich auf ſolche
Art auch am 23. Jul. 1777. verglichen worden
iſt.) Allein damals hielt man es nicht fuͤr thun-
lich, dieſe Sache ins Reine zu bringen; fand es
auch vermuthlich weniger dringend, weil ohnedem
der Mangel an Gelde hinderte, daß die Anzahl
der 25. Aſſeſſoren doch nicht vollſtaͤndig unterhal-
ten werden konnte. Ob da nun ein Praͤſentirter
mehr oder weniger uͤberſchoͤſſe, ſchien weniger von
Belange zu ſeyn. Alſo waren wuͤrklich immer nur
24. Praͤſentationen im Gang, und von dieſen nur
17. wuͤrkliche Aſſeſſoren, 7. jedesmal uͤberſchießen-
de Praͤſentirte; (bis erſt in unſeren Tagen ein
neuer Reichsſchluß 1775. wieder eine Aenderung
gemacht hat, die mit dem 1. Jun. 1782. zur voͤl-
ligen Vollziehung gediehen iſt.)


D d 2V.
[420]X. Carl der VI. 1711-1740.

V.
Verhandlungen uͤber die Frage von der Gericht-
barkeit der hoͤchſten Reichsgerichte in evangeli-
ſchen geiſtlichen Sachen.


I-III. Auf Veranlaßung eines abgeſetzten evangeliſchen
Predigers zu Wetzlar kam es bey der Viſitation des Cam-
mergerichts zur Sprache: ob in proteſtantiſchen geiſtlichen
Sachen die Gerichtbarkeit des Cammergerichts gegruͤndet
ſey? — IV. V. Sowohl der Religionsfriede als der Weſt-
phaͤliſche Friede hat die geiſtliche Gerichtbarkeit, wie ſie bis
dahin war, uͤber die Proteſtanten aufgehoben, ohne eine
neue Art der geiſtlichen Gerichtbarkeit an deren Stelle zu
ſetzen. — VI. Der Weſtphaͤliſche Friede hat namentlich die
ganze geiſtliche Gerichtbarkeit mit allen ihren Gattungen uͤber
die Proteſtanten aufgehoben. — VII. Damit fiel auch der
Anſtand weg, den man nach dem Religionsfrieden noch we-
gen der proteſtantiſchen Eheſachen gemacht hatte, — deren
Annehmung dem Cammergerichte doch ſchon 1570. verboten
ward. — VIII-X. Dabey hat es nun der Weſtphaͤliſche Frie-
de gelaßen, — und was von Eheſachen gilt, gilt auch von
anderen Gegenſtaͤnden der geiſtlichen Gerichtbarkeit. — XI.
Ueberhaupt erfordert auch hier die voͤllige Gleichheit beider
Religionstheile, daß gegen Evangeliſche und Catholiſche bey
Reichsgerichten einerley Verhaͤltniß ſtatt finde. — XII.
Daß evangeliſche Reichsſtaͤnde in ihren geiſtlichen Sachen
keinen hoͤheren Richter haben, macht nach der Teutſchen
Verfaſſung keine ſo große Anomalie. — XIII. Unſere Reichs-
ſtaͤnde werden auch in anderen Faͤllen in ihren eignen Sa-
chen oft von ihren eignen Gerichten gerichtet, — zumal
mit geſtatteter Verſchickung der Acten. — XIV. Auch von
Appellationen ſind ſie uͤberhaupt haͤufig befreyet. — XV.
Nichtigkeitsklagen koͤnnen zwar in peinlichen Sachen ſtatt
finden, wenn gleich nicht darin appellirt werden kann. —
XVI-XVIII. Allein das ſetzt doch voraus, daß der Beklagte
unter den Reichsgerichten ſtehe. — So wenig aber das
bey catholiſchen Biſchoͤfen in ihren geiſtlichen Sachen der
Fall iſt, ſo wenig auch bey proteſtantiſchen Reichsſtaͤnden. —
XIX-XXII. Ohne allen Grund wird dem entgegengeſetzt,
daß die evangeliſchen Reichsſtaͤnde ihre geiſtliche Gerichtbar-
keit vermoͤge ihrer Landeshoheit ausuͤbten. — XXIII. Selbſt
auf die Foͤrmlichkeit eigner Conſiſtorien koͤmmt es nicht an,
ſondern auf die eigentliche Natur und Beſchaffenheit der
geiſt-
[421]5) K. Gerichtb. in evang.geiſtl. Sach.
geiſtlichen Sache an ſich. — XXIV. Bey Catholiſchen iſt
es noch uͤbler, daß nicht einmal der Landesherr helfen kann,
wenn ſeine Unterthanen von geiſtlichen Gerichten bedraͤngt
werden. — XXV. Wollten die Proteſtanten auch nur in
Nichtigkeitsfaͤllen den Weg an die Reichsgerichte geſtatten,
wuͤrde doch ſelbſt die Graͤnze zwiſchen Nichtigkeit und ande-
ren Beſchwerden mit Sicherheit ſchwer zu beſtimmen ſeyn. —
XXVI. Das evangeliſche Corpus hat deswegen mit Recht
hieruͤber Schluͤſſe gefaſſet. — XXVII. Selbſt der Reichshof-
rath hat dieſe Gruͤnde in vorigen Zeiten nicht verkannt. —
XXVIII. Die Proteſtanten wuͤrden allemal ungemein hierbey
verliehren; die Reichswohlfahrt wuͤrde aber nicht dabey ge-
winnen.


Bey der Cammergerichtsviſitation kam noch kurzI.
vor ihrem Beſchluſſe eine Sache vor, die
zu Eroͤrterungen Anlaß gab, worin ſeitdem mehr-
malen beide Religionstheile ganz entgegengeſetzte
Meynungen behauptet haben, und noch jetzt nicht
einverſtanden ſind.


Ein evangeliſcher Prediger zu Wetzlar, Na-II.
mens Hellmund, der wider die Vorſchrift ſeiner
Oberen Privatbetſtunden gehalten hatte, und da-
von nicht abſtehen wollte, war deswegen abgeſetzt
worden; hatte ſich aber dawider mit einer Nich-
tigkeitsklage an das Cammergericht gewandt, das
auch die Sache angenommen hatte. Hieruͤber ver-
einigten ſich die evangeliſchen Viſitatoren am 19.
Dec. 1713. eines Schluſſes, daß dem Cammer-
gerichte in evangeliſchen geiſtlichen Sachen
keine Gerichtbarkeit,
auch nicht unter dem Vor-
wande begangener Nichtigkeiten, zu geſtatten ſey;
womit ſich hernach am 14. Febr. 1715. das ge-
ſammte Corpus der evangeliſchen Reichsſtaͤnde ein-
verſtanden erklaͤret hat.


D d 3Ueber
[422]X. Carl der VI. 1711-1740.
III.

Ueber dieſen Vorfall, dergleichen es ſeitdem
an beiden Reichsgerichten mehrere gegeben hat,
kam es zu dreyerley Conteſtationen; erſtlich uͤber
die Frage von der reichsgerichtlichen Gerichtbarkeit
in evangeliſchen geiſtlichen Sachen uͤberhaupt; her-
nach inſonderheit uͤber die Frage, ob nicht wenig-
ſtens in Nichtigkeitsklagen ſie zu geſtatten ſey? und
endlich, was ein nur vom evangeliſchen Religions-
theile gefaßter Schluß in Anſehung der Reichsge-
richte fuͤr rechtliche Wirkung haben koͤnne?


IV.

Was den erſten Punct anbetrifft, behauptete
man evangeliſcher Seits, daß der Weſtphaͤliſche
Friede eben ſowohl, und noch vollſtaͤndiger, als
der Religionsfriede 1555., alle geiſtliche Ge-
richtbarkeit,
wie ſie bisher geweſen, uͤber die
evangeliſchen
Reichsſtaͤnde und ihre Unterthanen
aufgehoben, aber keine andere an deren Stelle
angeordnet habe; wie deswegen oben beym Reli-
gionsfrieden ſchon vorgekommen iſt, daß hierin der
evangeliſche Religionstheil voͤllig ſeiner natuͤrlichen
Freyheit uͤberlaßen worden (i).


V.

Auch der Weſtphaͤliſche Friede hatte dem
Cammergerichte keine neue Art von Gerichtbarkeit
uͤbertragen, wie doch haͤtte geſchehen muͤßen, wenn
es berechtiget ſeyn ſollte, eine urſpruͤnglich nicht ge-
habte Gerichtbarkeit nun erſt auszuuͤben. Man
konnte alſo unwiderleglich behaupten: Eine Ge-
richtbarkeit, die dem Cammergerichte weder bey
ſeiner erſten Errichtung, noch ſeitdem von Kaiſer
und Reichswegen verliehen worden, kann es auch
jetzt nicht ausuͤben. Das iſt aber offenbar der Fall
mit
[423]5) K. Gerichtb. in evang. geiſtl. Sach.
mit der geiſtlichen Girichtbarkeit uͤberhaupt ſowohl
in Anſehung der Evangeliſchen als Catholiſchen.
Von Seiten der letzteren hat nach ihren hierarchi-
ſchen Grundſaͤtzen einem weltlichen Gerichte, ohne
ſelbſt ein Sacrilegium zu begehen, keine geiſtliche
Gerichtbarkeit zugeſtanden werden koͤnnen (k).
Ohne Einwilligung der Evangeliſchen konnte auch
dieſen keine neue reichsgerichtliche Gerichtbarkeit
aufgedrungen werden. Sie hatten aber große Ur-
ſache, ihre Einwilligung nicht dazu zu geben, weil
ſonſt doch immer catholiſche Richter in ihren geiſt-
lichen Sachen geblieben ſeyn wuͤrden, wovon das
Gegentheil eine der hauptſaͤchlichſten Verordnun-
gen war, die ſie im Religionsfrieden und Weſt-
phaͤliſchen Frieden bewirket hatten.


Unter dieſen beiden Friedensſchluͤſſen war inVI.
Anſehung deſſen, was ſie von Aufhebung der geiſt-
lichen Gerichtbarkeit verordneten, doch noch ein
merklicher Unterſchied. Im Religionsfrieden 1555.
war dieſe Aufhebung namentlich nur auf ”der
Augsburgiſchen Confeſſion Religion, Glauben,
Beſtellung der Miniſterien, Kirchengebraͤuche,
Ordnungen und Ceremonien” eingeſchraͤnkt. In
anderen Sachen und Faͤllen ſollte die geiſtliche Ge-
richtbarkeit der Biſchoͤfe oder anderer Praͤlaten ſo,
wie es an jedem Orte hergebracht ſey, noch ferner
ausgeuͤbt werden (l). Vermoͤge dieſer Clauſel
wollten die catholiſchen Biſchoͤfe die Gerichtbarkeit
in proteſtantiſchen Eheſachen noch fuͤr ſich behaup-
ten, weil unter denen Faͤllen, worin die geiſtliche
Gericht-
D d 4
[424]X. Carl der VI. 1711-1740.
Gerichtbarkeit in Anſehung der Proteſtanten auf-
gehoben ſeyn ſollte, Eheſachen nicht mit benannt
waren. Wie aber die Proteſtanten darin, daß ſie
noch in irgend einer Sache der geiſtlichen Gericht-
barkeit catholiſcher Biſchoͤfe unterworfen ſeyn ſoll-
ten, unmoͤglich nachgeben konnten; ſo bewirkten ſie
endlich im Weſtphaͤliſchen Frieden die noch weit be-
ſtimmter und allgemeiner gefaßte Stelle, daß alles
Dioeceſanrecht und die ganze geiſtliche Gericht-
barkeit mit allen ihren Gattungen,
ohne ir-
gend eine Art Sachen davon auszunehmen, uͤber
die evangeliſchen Staͤnde aufgehoben ſeyn ſollte (m).


VII.

In der Zwiſchenzeit, ehe dieſer Ausſpruch des
Weſtphaͤliſchen Friedens erfolgte, und da man doch
wohl ſchon lange vorher ſehen konnte, daß die Bi-
ſchoͤfe mit ihrer Anmaßung einer Gerichtbarkeit in
proteſtantiſchen Eheſachen nicht durchkommen
wuͤrden, mag man vielleicht am Cammergerichte
auf die Gedanken gekommen ſeyn, ob nicht dieſe
Sachen an das Cammergericht gezogen werden
koͤnnten. Vorerſt ließ deswegen dieſes hoͤchſte
Reichsgericht im Jahre 1568. das als eine zweifel-
hafte Rechtsfrage an Kaiſer und Reich gelangen:
Wer in Eheſachen unmittelbarer Augsburgiſchen
Confeſſionsverwandten competenter Richter ſey? (n)
Wie hernach die bald darauf erfolgte Viſitation
1570. dennoch wahrnahm, ”daß Eheſachen am
„Cammergerichte wuͤrklich angenommen wuͤrden,
„da doch in ſolchen Faͤllen des Cammergerichts Ju-
„ris-
[425]5) K. Gerichtb. in evang.geiſtl. Sach.
„Jurisdiction nicht fundiret ſey;” ſo gab ſie dem-
ſelben die ausdruͤckliche Weiſung: ”ſolche oder
„auch andere Sachen, ſo dahin nicht gehoͤrig,
„nicht anzunehmen.” (o) Darauf ward auch ins
Concept der Cammergerichtsordnung 1613. die
Stelle eingeruͤckt: ”Man will auch Cammerrichter
„und Beyſitzern hiermit befohlen haben, Eheſachen
„oder auch andere, ſo an unſer Cammergericht nicht
„gehoͤrig, keinesweges anzunehmen.” (p)


Hier ſind zwar nur Eheſachen uͤberhaupt be-VIII.
nannt, ohne beſonders bemerklich zu machen, daß
von Eheſachen der Proteſtanten die Rede ſey. Al-
lein in catholiſchen Eheſachen haͤtte das Cammer-
gericht es ſich gewiß nicht einfallen laßen, einen
Eingriff in die geiſtliche Gerichtbarkeit zu wagen.
Alſo war wohl nichts gewiſſer, als daß hier eigent-
lich die Abſicht nur auf proteſtantiſche Eheſachen
gerichtet war; ungeachtet der Satz allerdings mit
Recht ganz allgemein gefaßt werden konnte, daß
uͤberall Eheſachen nicht an das Cammergericht ge-
hoͤrten.


Nun iſt dieſe Stelle ſeitdem weder im Weſt-IX.
phaͤliſchen Frieden noch in irgend einem andern
Reichsgeſetze aufgehoben worden. Folglich hat ſie
noch jetzt unſtreitig ihre voͤllige Rechtskraft. Daß
aber von der geſetzgebenden Gewalt dem Cammer-
gerichte eingeſchaͤrft wurde, keine Eheſachen (we-
der
D d 5
[426]X. Carl der VI. 1711-1740.
der von proteſtantiſchen noch catholiſchen Partheyen)
anzunehmen; davon war kein anderer Grund, als
dieſer, weil Eheſachen nach der Teutſchen Verfaſ-
ſung zur geiſtlichen Gerichtbarkeit gehoͤren, dem
Cammergerichte aber gar keine geiſtliche Gericht-
barkeit zuſtehet.


X.

Ob dieſe geiſtliche Gerichtbarkeit wenigſtens in
Eheſachen der Proteſtanten vermoͤge obiger Stelle
des Religionsfriedens noch von den Biſchoͤfen in
Anſpruch genommen werden koͤnne, oder nicht?
das konnte freylich in den Jahren 1568. und 1570.
noch als problematiſch angeſehen werden; die ge-
ſetzgebende Gewalt konnte alſo das damals noch an
ſeinen Ort geſtellt ſeyn laßen. Gnug dem Cam-
mergerichte konnte man es nicht zugeſtehen, weder
in Eheſachen noch ſonſt eine geiſtliche Gerichtbar-
keit ſich aus eigner Gewalt anzumaßen. Nun iſt
aber auch jenes, daß den Biſchoͤfen keine Gericht-
barkeit in proteſtantiſchen Eheſachen gebuͤhret, durch
den Weſtphaͤliſchen Frieden entſchieden; dem Cam-
mergerichte aber noch immer kein neuer Auftrag
geſchehen. Alſo kann auch noch jetzt das Cam-
mergericht dieſe Art von Gerichtbarkeit nicht be-
haupten, wie uͤberhaupt keinem Gerichte gebuͤhret,
ſich eine weitere Gerichtbarkeit anzumaßen, als die
ihm geſetzmaͤßig von der hoͤchſten Gewalt anver-
trauet iſt.


XI.

So wenig demnach weder Eheſachen catholi-
ſcher weltlicher Reichsſtaͤnde, noch Appellationen
von catholiſchen geiſtlichen Reichsſtaͤnden in geiſtli-
chen Sachen an das Cammergericht gehoͤren; eben
ſo wenig iſt dieſes hoͤchſte Reichsgericht berechtiget,
Ehe-
[427]5) K. Gerichtb. in evang. geiſtl. Sach.
Eheſachen proteſtantiſcher Reichsſtaͤnde oder Ap-
pellationen in geiſtlichen Sachen
von ihren
Conſiſtorien oder anderen Gerichten anzunehmen.
Man wuͤrde ſonſt ſelbſt gegen den großen Grund-
ſatz des Weſtphaͤliſchen Friedens von der voͤlligen
Gleichheit beider Religionstheile anſtoßen. Da,
was einem Recht iſt, auch dem andern Recht ſeyn
ſoll; ſo kann dem Cammergerichte auch aus dieſem
Grunde uͤber evangeliſche Reichsſtaͤnde keine Ge-
richtbarkeit zugeſtanden werden, die es uͤber catho-
liſche nicht hat. Daß dieſe an Biſchoͤfen, Erzbi-
ſchoͤfen und dem Pabſte noch andere geiſtliche Rich-
ter uͤber ſich haben, gibt dem Cammergerichte kein
Recht, an deren Stelle ſich ſelbſt eine Gerichtbar-
keit uͤber die Proteſtanten zuzueignen. Von jener
Gewalt ſind die Proteſtanten befreyet; keine ande-
re iſt an deren Stelle uͤber ſie verordnet worden.
Daß von ſelbſten hier keine Wiederauflebung eines
ehemaligen kaiſerlichen Rechts gedacht werden koͤn-
ne, habe ich ſchon oben bemerklich gemacht (q),
da theils uͤberhaupt dergleichen Wiederauflebung
ehemaliger Rechte von ſo vielen Jahrhunderten
her ohne neue reichsgrundgeſetzliche Verfuͤgung
nach unſerer Verfaſſung nicht zugegeben werden
kann, theils der gegenwaͤrtige Fall, da von einer
geiſtlichen Gerichtbarkeit uͤber andere Religionsver-
wandten die Frage iſt, damals auch nicht vorhan-
den war.


Aber ſoll dann ein evangeliſcher ReichsſtandXII.
fuͤr ſeine Perſon in Eheſachen oder anderen zur
geiſtlichen Gerichtbarkeit gehoͤrigen Sachen gar kei-
nen Richter haben? Und ſoll denjenigen, uͤber die
er
[428]X. Carl der VI. 1711-1740.
er ſelbſt die geiſtliche Gerichtbarkeit ausuͤbt, wenn
ſie ſich beſchwert halten, keine Zuflucht weiter zu
einer hoͤhern Inſtanz zu gute kommen? — Wird
das nicht eine unertraͤgliche Anomalie, ein Uebel-
ſtand und ein Widerſpruch in der ganzen Teutſchen
Verfaſſung ſeyn? — So ſcheinbar gefaͤhrlich das
dem erſten Anblick nach ausſieht, ſo wenig hat das
alles im Grunde zu bedeuten.


XIII.

Es geſchieht in mehreren Faͤllen nicht ſelten,
daß unſere Reichsſtaͤnde in ihren eignen Sa-
chen,
wenn ſie ihrer Cammerguͤter und Regalien
wegen mit ihren eignen Unterthanen in Rechtsſtreit
gerathen, ſich den Ausſpruͤchen ihrer eignen Ge-
richte, die in ſolcher Abſicht ihrer ſonſt dem Lan-
desherrn geleiſteten Pflichten entlaßen werden, un-
terwerfen. Eben ſo pflegen evangeliſche Reichs-
ſtaͤnde, wenn nicht etwa von beiden Theilen ein
Compromiß auf ein drittes Conſiſtorium oder
Rechtscollegium beliebet wird, ſich ihren eignen
Conſiſtorien in ihren perſoͤnlichen geiſtlichen Sachen
zu unterwerfen; wobey deſto weniger zu erinnern
iſt, da ein jeder Theil am Ende allenfalls um Ver-
ſchickung der Acten an auswaͤrtige unpartheyiſche
Rechtsgelehrten, oder auch an eine theologiſche
und juriſtiſche Facultaͤt zugleich bitten kann.


XIV.

Daß aber von Ausſpruͤchen evangeliſcher
Reichsſtaͤnde in geiſtlichen Sachen ihrer Untertha-
nen keine Appellation an die Reichsgerichte ſtatt
findet, iſt bey weitem nicht der einzige Fall in ſei-
ner Art. Eben das iſt der Fall mit allen reichs-
ſtaͤndiſchen Erkenntniſſen in peinlichen Sachen.
Und wie viele Reichsſtaͤnde ſind nicht auch in bloß
buͤr-
[429]5) K. Gerichtb. in evang. geiſtl. Sach.
buͤrgerlichen Sachen von aller Appellation an die
Reichsgerichte befreyet? (r) Hat nun damit den-
noch die bisherige Reichsverfaſſung beſtehen koͤn-
nen, ſo wird dieſelbe auch darunter nicht leiden,
wenn gleich von proteſtantiſchen Conſiſtorien ſo we-
nig als von biſchoͤflichen oder anderen catholiſchen
geiſtlichen Gerichten Appellationen an die Reichs-
gerichte zugelaßen worden.


Aber wie wenn nun vollends uͤber Nichtigkei-XV.
ten Klage gefuͤhrt wird? (wie eben in obiger
Rechtsſache der Fall war, daß der Pfarrer Hell-
mund klagte, es ſeyen Nullitaͤten in ſeiner Sache
begangen worden.) Da ſcheint eine große Analo-
gie aus anderen Reichsgeſetzen einzutreten. Wenn
gleich in peinlichen Sachen keine Appellation an die
Reichsgerichte zugelaßen wird; ſo iſt doch dieſen
nicht verwehrt, auch in peinlichen Sachen, wenn
ſich jemand beſchweret, daß null und nichtig mit
ihm verfahren ſey, Nullitaͤtsklagen anzunehmen (s).
Alſo ſcheint das auch in proteſtantiſchen geiſtlichen
Sachen nicht unrecht zu ſeyn; zumal da es im Ge-
gentheile hart zu ſeyn ſcheint, irgend jemanden,
der ſich uͤber ein null und nichtiges Verfahren zu
beſchweren hat, ungehoͤrt und huͤlflos zu laßen.


Allein man muß wohl bemerken, daß unſereXVI.
evangeliſche Reichsſtaͤnde, ſofern ſie die geiſtliche
Gerichtbarkeit uͤber ihre Unterthanen ausuͤben, voͤl-
lig in eben der Lage ſind, wie catholiſche geiſtliche
Reichs-
[430]X. Carl der VI. 1711-1740.
Reichsſtaͤnde, ſofern ſie in ihren Dioeceſen ihre geiſt-
liche Gerichtbarkeit ausuͤben. Gerade ſo, wie ein
Teutſcher Biſchof zweyerley Perſonen vorſtellt, eine
als Biſchof und eine als Reichsfuͤrſt, und ſo, wie
er nur in dieſer letztern, nicht auch in jener erſtern
Eigenſchaft den hoͤchſten Reichsgerichten unterwor-
fen iſt, ſo verhaͤlt ſichs auch mit unſeren evange-
liſchen Reichsſtaͤnden. Den Reichsgerichten ſind
dieſelben nicht weiter, als wie es auch ein jeder ca-
tholiſcher weltlicher Reichsſtand iſt, unterworfen.
Wo dieſe Unterwuͤrfigkeit bey catholiſchen geiſtli-
chen Reichsſtaͤnden auf hoͤrt; da hoͤrt ſie auch bey
den evangeliſchen Reichsſtaͤnden auf; nehmlich in
allen Faͤllen, wo dieſe in Anſehung ihrer Unter-
thanen die Rechte ausuͤbt, die ein catholiſcher Teut-
ſcher Biſchof in ſeiner Dioeces auszuuͤben hat.


XVII.

Kann nun von dieſem auch keine Nullitaͤtskla-
ge bey Reichsgerichten angenommen werden; ſo
gilt eben das auch nicht bey jenen. Und zwar
warum nimmt man am Cammergerichte kleine Kla-
ge an, wenn ein catholiſcher Kirchen- oder Schul-
bedienter von ſeinen geiſtlichen Oberen abgeſetzt iſt,
und uͤber Nullitaͤten klagt? — Gewiß bloß dar-
um, weil ein geiſtlicher Fuͤrſt in dieſem Betrachte
nicht unter den Reichsgerichten ſtehet. — Das
iſt aber eben auch der Fall bey evangeliſchen Fuͤr-
ſten, wenn ſie die geiſtliche Gerichtbarkeit in ihren
Landen ausuͤben. Geſetzt alſo auch, daß wuͤrklich
einem untergeordneten Geiſtlichen oder ſonſt einem
Unterthanen in geiſtlichen Sachen mit nichtigem
Verfahren unrecht geſchaͤhe; ſo gehet das die
Reichsgerichte in Anſehung der Proteſtanten eben
ſo wenig an, als wenn dergleichen unter Catholi-
ſchen
[431]5) K. Gerichtb. in evang. geiſtl. Sach.
ſchen vorgeht, oder als wenn z. B. uͤber ein Ver-
fahren im Schleswigiſchen, das gar nicht zum
Reiche gehoͤret, Nichtigkeitsbeſchwerden gefuͤhret
werden.


Aber — faͤhrt man fort, — hier iſt doch alleXVIII.
mal ein Reichsſtand, uͤber den Beſchwerde gefuͤhrt
wird, der als Reichsſtand doch immer der kaiſer-
lichen Gerichtbarkeit unterworfen iſt. — Antwort:
So iſt auch ein Biſchof von Bamberg, Wuͤrz-
burg u. ſ. w. ein Teutſcher Reichsſtand; und von
ſeinen geiſtlichen Gerichten duͤrfen doch die Reichs-
gerichte keine Nullitaͤtsklagen annehmen; ſo auch
nicht von einem evangeliſchen Reichsſtande, ſofern
er die geiſtliche Gerichtbarkeit ausuͤbt.


Dagegen hat man nun endlich zwar noch dar-XIX.
auf ſich bezogen, daß ein jeder Reichsſtand doch
mit dem, was er von wegen ſeiner Landeshoheit
ausuͤbe, der kaiſerlichen Gerichtbarkeit unterworfen
ſey, und daß evangeliſche Reichsſtaͤnde ihre geiſt-
liche Gerichtbarkeit doch immer eigentlich vermoͤge
ihrer Landeshoheit ausuͤbten; wie wenigſtens viele
proteſtantiſche Schriftſteller behaupteten, auch mehr-
malen von evangeliſchen Reichsſtaͤnden ſelbſt in ih-
ren Urkunden und Geſetzen oder Staatsſchriften be-
hauptet worden ſey. Allein dieſe Behauptung iſt,
wo und von wem ſie auch geſchehen ſeyn mag, im
Grunde immer irrig (t).


Landeshoheit iſt nach der Teutſchen Reichsver-XX.
faſſung in ganz Teutſchland einerley. Geiſtliche
und weltliche Fuͤrſten, catholiſche und evangeliſche
Reichs-
[432]X. Carl der VI. 1711-1740.
Reichsſtaͤnde, große oder kleine, Churfuͤrſten oder
Grafen, haben alle einerley Landeshoheit. In
keinem Reichsgeſetze iſt einem evangeliſchen Reichs-
ſtande eine groͤßere oder mehr umfaſſende Landes-
hoheit beygelegt worden, als wie ſie ein jeder ca-
tholiſcher weltlicher Reichsſtand hat. Darunter iſt
aber ſicher keine geiſtliche Gerichtbarkeit begriffen.
Dieſe wird auch von den geiſtlichen catholiſchen Fuͤr-
ſten nicht vermoͤge ihrer Landeshoheit ausgeuͤbt;
und eben ſo wenig von evangeliſchen Reichsſtaͤnden.


XXI.

Was dieſe von dieſer Art Rechte ausuͤben, das
hat ein jeder Reichsſtand mit guter Bewilligung
ſeiner Unterthanen und mit ſolchen Beſtimmungen,
wie man es in jedem Lande oder Gebiete den Um-
ſtaͤnden und der Verfaſſung gemaͤß befunden, recht-
maͤßig erlangt und hergebracht. Damit hat
freylich ein evangeliſcher Reichsſtand mehr Rechte
erlanget, als die ein catholiſcher weltlicher Reichs-
ſtand in Uebung hat; er kann auch ſolche Rechte
als Hoheitsrechte anſehen, ſofern ſie jetzt keinem
Landſaſſen und Unterthanen geſtattet werden. Al-
lein er uͤbt ſie doch nicht vermoͤge ſeiner Landesho-
heit aus, ſondern vermoͤge ausdruͤcklicher oder ſtill-
ſchweigender Uebereinkunft mit ſeinen Untertha-
nen, zu deren Moͤglichkeit der Religionsfriede eben
damit den Weg gebahnt hat, da er der geiſtlichen
Gewalt, wie ſie vorher war, in Anſehung der
Proteſtanten ein Ende gemacht hat, ohne eine an-
dere Gewalt an ihre Stelle zu ſetzen, ſondern ſo,
daß ein jeder evangeliſcher Reichsſtand mit ſeinen
Unterthanen hierin nunmehr der natuͤrlichen Frey-
heit uͤberlaßen ward.


Ein
[433]5) K. Gerichtb. in evang. geiſtl. Sach.

Ein aͤhnliches Beyſpiel kann nach unſererXXII.
Reichsverfaſſung das Recht der Zoͤlle abgeben. Ei-
nen Zoll kann kein Reichsſtand vermoͤge ſeiner Lan-
deshoheit anlegen, ſondern es wird eine beſondere
kaiſerliche Conceſſion mit Einwilligung der Chur-
fuͤrſten dazu erfordert. Gleichwohl haben die mei-
ſten Reichsſtaͤnde Zoͤlle. Und wer einen Zoll hat,
ſieht ihn als ein Hoheitsrecht an, das freylich or-
dentlicher Weiſe keinem Landſaſſen zugeſtanden
wird. Darum kann man doch nicht ſagen, daß
das Zollrecht den Reichsſtaͤnden vermoͤge der Lan-
deshoheit zukomme. Ungefaͤhr eben ſo laͤßt ſich
davon die Anwendung in ihrer Art auf die geiſtli-
che Gerichtbarkeit der evangeliſchen Reichsſtaͤnde
machen.


In den meiſten evangeliſchen Laͤndern ſind zurXXIII.
Ausuͤbung der geiſtlichen Gerichtbarkeit und ande-
rer geiſtlichen Hoheitsrechte eigne Conſiſtorien an-
geordnet, die theils aus geiſtlichen theils aus welt-
lichen Raͤthen zu beſtehen pflegen. Alsdann faͤllt
ſelbſt aͤußerlich der Unterſchied eben ſo in die Au-
gen, wie in catholiſchen geiſtlichen Laͤndern die Vica-
riate von Regierungen und Staatsminiſterien unter-
ſchieden, und nur letztere, nicht jene den Reichsge-
richten unterworfen ſind. Aber wo auch in ein
oder anderem Lande, und inſonderheit vorzuͤglich
in manchen Reichsſtaͤdten, keine eigne Conſiſtorien
angeordnet ſind, ſondern die ordentliche Landes-
oder Stadt-Obrigkeit dieſe Sachen mit verſieht;
da bleibt doch die Natur der Sachen immer eben
dieſelbe. So wenig es aufhoͤret eine Lehnsſache
zu ſeyn, wenn gleich heutiges Tages an den mei-
ſten reichsſtaͤndiſchen Hoͤfen die Regierungen die
P. Entw. d. Staatsverf. Th.II. E eLehns-
[434]X. Carl der VI. 1711-1740.
Lehnsſachen mit zu beſorgen haben; ſo wenig iſt
die Natur der geiſtlichen Gerichtbarkeit an der Art
und Weiſe, wie ſie nach eines jeden Landes Ver-
faſſung durch Conſiſtorien oder ſonſt ausgeuͤbt wird,
gebunden, ſondern die Art und Eigenſchaft der
Sache ſelbſt muß es ausweiſen, ob es nach der
Teutſchen Verfaſſung ein Gegenſtand der geiſtlichen
oder weltlichen Gerichtbarkeit ſey. In jenem Falle
iſt auch die ordentliche Obrigkeit einer evangeliſchen
Reichsſtadt, ſofern ſie geiſtliche Sachen verhan-
delt, ſo wenig als ein Biſchof von Bamberg und
Wuͤrzburg in eben dem Betrachte den Reichsge-
richten unterworfen.


XXIV.

Will man auch bey dem Geſichtspuncte ſtehen
bleiben, woraus die Sache von Seiten Kaiſers und
Reichs betrachtet werden kann; ſo iſt in der That
bey dieſer Einrichtung der evangeliſchen Kirchenver-
faſſung noch weniger, als bey der catholiſchen zu
erinnern. Wenn in einer geiſtlichen Sache, die
einen catholiſchen weltlichen Reichsſtand oder deſſen
Unterthanen betrifft, derſelbe vom Dioeceſangerich-
te ſich beſchwert haͤlt; ſo kann weder der Kaiſer,
noch der weltliche Reichsſtand Rath ſchaffen. Selbſt
geiſtliche Reichsſtaͤnde muͤßen ſich beruhigen, wenn
von paͤbſtlichen Nunciaturen oder unmittelbar von
Rom aus Erkenntniſſe erfolgen, die ihnen oder ih-
ren Unterthanen beſchwerlich vorkommen. Ein
evangeliſcher Reichsſtand hat doch den Vortheil,
daß er uͤber die geſetzmaͤßige Rechtspflege in Con-
ſiſtorien, oder wo ſonſt die geiſtliche Gerichtbarkeit
nach der Verfaſſung eines jeden Landes ausgeuͤbet
wird, ein wachſames Auge haben kann. Hat nun,
wie billig, ein jeder Reichsſtand die Vermuthung
fuͤr
[435]5) K. Gerichtb. in evang. geiſtl. Sach.
fuͤr ſich, daß ihm das Wohl ſeiner Unterthanen
nicht gleichguͤltig ſey, ſo wird er ſchon dafuͤr ſor-
gen, die Conſiſtorien ſo zu beſetzen und in ſolcher
Ordnung zu halten, daß die Rechtspflege auch in
geiſtlichen Sachen ihren gehoͤrigen Gang gehet,
und daß allenfalls auch ſolchen Partheyen, die ſich
fuͤr beſchwert halten, es nicht an Rechtsmitteln
fehle, um noch mittelſt anderweiter Verſchickung
der Acten oder auch unmittelbar beym Landesherrn
und bey deſſen Miniſtern Gehoͤr zu finden.


Ueberall iſt alſo bey weitem kein ſolch UnheilXXV.
zu beſorgen, wie es dem erſten Anſehen nach ſcheint,
wenn gleich keine Nullitaͤtsklagen ſo wenig in evan-
geliſchen als catholiſchen geiſtlichen Sachen bey
Reichsgerichten ſtatt finden. Auf der andern Sei-
te wuͤrde hingegen kaum ein Ende abzuſehen ſeyn,
wenn auch nur zwiſchen Appellationen und Nulli-
taͤren
eine richtige Graͤnzlinie gezogen werden ſollte.
Aus verſchiedenen Beyſpielen hat man bisher ſchon
die Erfahrung machen koͤnnen, daß einem Advo-
caten ſo ſchwer nicht faͤllt, einen Appellationslibell
in eine Nichtigkeitsklage zu verwandeln (u). Viele
ande-
E e 2
[436]X. Carl der VI. 1711-1740.
andere Umſtaͤnde machen es aber doppelt bedenklich,
wenn die Abhaͤngigkeit, worin Kirchen- und
Schuldiener doch billig unter ihren Oberen gehal-
ten werden, und das noͤthige Anſehen, ſo fuͤr letz-
tere dazu gehoͤret, durch einen freyen Zutritt ſolcher
Perſonen zu den hoͤchſten Reichsgerichten alle Au-
genblicke unterbrochen werden ſollte.


XXVI.

Das alles mag alſo ſelbſt zur hiſtoriſchen Recht-
fertigung dienen, daß es gewiß nicht ohne Grund
war, wenn in der oben erwehnten Hellmundiſchen
Sache von den evangeliſchen Viſitatoren und her-
nach vom geſammten evangeliſchen Religionstheile
fuͤr Recht erkannt wurde, daß die Eroͤrterung die-
ſes Falles, als einer evangeliſchen geiſtlichen Sa-
che, an das Cammergericht nicht gehoͤre. — Aber
wenn es nun endlich noch auf dieſe Frage ankoͤmmt:
ob und was ein ſolcher Schluß des evangeliſchen
Religionstheils in Anſehung des Cammergerichts
fuͤr eine rechtliche Wirkung haben koͤnne? ſo ergibt
ſich freylich von ſelbſten, daß das Corpus der evan-
geliſchen Staͤnde fuͤr ſich alleine dem Cammerge-
richte und deſſen Beyſitzern keine Geſetze vorſchrei-
ben koͤnne. Allein davon iſt auch hier die Frage
nicht. Es gilt nur darum, was nach der wahren
Reichsverfaſſung dafuͤr zu halten ſey, wenn etwas
in Frage koͤmmt, woruͤber die beiden Religions-
theile unterſchiedener Meynung ſind. Da in die-
ſem
(u)
[437]5) K. Gerichtb. in evang. geiſtl. Sach.
ſem Falle nach dem klaren Buchſtaben des Weſt-
phaͤliſchen Friedens nichts entſcheiden kann, als
allein guͤtliche Vergleichung; ſo iſt davon eine na-
tuͤrliche Folge, daß die Sache ſo lange auf ſich be-
ruhen muß, bis dieſe Vergleichung erfolget. In
ſolchen Faͤllen kann alſo bis dahin auch bey Reichs-
gerichten das Gegentheil nicht durchgeſetzt werden;
ſonſt wuͤrde dieſe ganze Vorſchrift des Weſtphaͤli-
ſchen Friedens durch widrige Ausſpruͤche der Reichs-
gerichte leicht vereitelt werden koͤnnen. Geſetzt
demnach, wie es freylich wohl zu erwarten iſt, daß
die catholiſchen Cammergerichtsbeyſitzer eine ſolche
Frage, wie hier von der Gerichtbarkeit in geiſtli-
chen Sachen der Proteſtanten, bejahend behaupten
wollen; ſo laͤßt ſich mit eben dem Rechte erwar-
ten, daß die evangeliſchen Beyſitzer den Werth der
vom geſammten evangeliſchen Religionstheile ge-
ſchehenen Erklaͤrung der gegentheiligen Meynung
ebenfalls nicht verkennen werden, um zur Durch-
ſetzung jener Meynung die Hand nicht zu bieten.
Und in dieſem Betragen werden ſie ſich nichts zu
Schulden kommen laßen, was der Teutſchen Reichs-
verfaſſung nicht gemaͤß waͤre. Im Gegentheile
wuͤrden ſie vielmehr der theuren Pflicht, womit ſie
auf den Weſtphaͤliſchen Frieden als eines der hei-
ligſten Reichsgrundgeſetze verpflichtet ſind, entge-
gen handeln.


Eben das gilt deswegen eben ſo gut auch vonXXVII.
den evangeliſchen Reichshofraͤthen als von den evan-
geliſchen Cammergerichtsbeyſitzern. Da der erſte-
ren Anzahl gegen ihre catholiſche Collegen noch in
ungleicherem Verhaͤltniſſe ſtehet, als am Cammer-
gerichte; ſo haben ſie doppelt Urſache, nicht in
E e 3ſolche
[438]X. Carl der VI. 1711-1740.
ſolche Dinge mit einzugehen, die mit der wahren
Reichsverfaſſung nicht beſtehen koͤnnen. Selbſt
ein Reichshofrathsgutachten hat die Richtigkeit
der Grundſaͤtze, worauf es hier ankoͤmmt, nicht
verkennen koͤnnen (v).


XXVIII.

Die Sache iſt aber deſto erheblicher, da die
Proteſtanten zu viel dabey verliehren, wenn ſie
hierin nachgeben ſollten. Und was wuͤrde dann
doch auf der andern Seite der catholiſche Religions-
theil am Ende damit gewinnen, wenn die Reichs-
gerichte, die den unbeſtritten dahin gehoͤrigen Rechts-
ſachen nicht einmal gewachſen ſind, nun doch noch
aus allen proteſtantiſchen Laͤndern und Reichsſtaͤd-
ten bald mit Eheſachen, bald mit Klagen ſuspen-
dirter oder abgeſetzter Pfarrer und Schulmeiſter u.
ſ. w. belaͤſtiget werden ſollten?


VI.
[439]6) Pragmatiſche Sanction.

VI.
Weitere Folgen des Nordiſchen und Spaniſchen
Succeſſionskrieges. Errichtung der pragmati-
ſchen Sanction, und deren Einfluß auf die
oͤffentlichen Angelegenheiten.


I. II. Folgen des Nordiſchen Krieges. — Heſſiſche
Thronfolge in Schweden. — III. Bremen und Verden
koͤmmt an das Haus Hannover, — Stettin an Preuſſen. —
Schleswig behaͤlt der Koͤnig in Daͤnemark. — IV. Zur voͤl-
ligen Beylegung der Spaniſchen Succeſſionsſache wird einem
Spaniſchen Prinzen die Anwartſchaft auf Toſcana, Parma
und Piacenza ertheilt, — wozu das Teutſche Reich ſeine
erbetene Einwilligung gibt. — V. Zum Vortheile ſeiner
weiblichen Nachkommen errichtet Carl der VI. ſeine pragma-
tiſche Sanction, — VI. und laͤßt ſeines Bruders Joſephs
Toͤchter Verzicht leiſten; — VII. bewirkt auch die Garan-
tie derſelben von Spanien, Großbritannien, Daͤnemark und
dem Teutſchen Reiche; — VIII. geraͤth jedoch uͤber die Pol-
niſche Koͤnigswahl in einen neuen Krieg mit Frankreich, —
IX. bis endlich in den mit dieſer Krone geſchloſſenen Praͤli-
minarien auch die Franzoͤſiſche Garantie theuer erkauft wird. —
X. Auf eben den Fuß erfolgt auch ein foͤrmlicher Friedens-
ſchluß, — deſſen Genehmigung zwar vom Reiche begehret,
aber durch des Kaiſers Tod unterbrochen wird. — XI. Die
Aufhebung der Ryßwickiſchen Clauſel war inzwiſchen ſchon
beym Anfange des Krieges auf dem Reichstage verabredet
und beſchloſſen.


Waͤhrend der Zeit, daß die bisher beſchriebenenI.
Reichsſachen und Streitigkeiten beider Re-
ligionstheile unter der Regierung Kaiſer Carls
des VI. in Bewegung waren, hatten die großen
Angelegenheiten ſowohl des Nordiſchen Krieges, als
der Spaniſchen Succeſſionsſache, woran ſo viele
Europaͤiſche Maͤchte Theil nahmen, auch noch ver-
E e 4ſchie-
[440]X. Carl der VI. 1711-1740.
ſchiedene nicht bloß voruͤbergehende Einfluͤſſe auf
unſere Teutſche Reichsverfaſſung.


II.

Mit der großen Revolution, die ſich im Nor-
diſchen Kriege
mit dem Todesfalle Carls des XII.
ereignete, war vorerſt unmittelbar die Folge ver-
bunden, daß die Zweybruͤckiſche Linie, die mit
Carl dem XII. ein Ende nahm, aufhoͤrte in die
Zahl der gekroͤnten Reichsſtaͤnde zu gehoͤren, da
die Krone Schweden jetzt ſeiner Schweſter und
deren Gemahle dem damaligen Erbprinzen von Heſ-
ſencaſſel zu Theil wurde, der erſt 1730. als Land-
graf zur Regierung kam, und nunmehr ſo lange er
lebte, die Ehre eines gekroͤnten Reichsſtandes dem
Hauſe Heſſen zubrachte (w).


III.

Unter den Friedensſchluͤſſen, welche die Krone
Schweden hernach einzugehen genoͤthiget wurde,
waren einige, die auf den Zuſtand von Teutſchland
einen bleibenden Einfluß hatten; als inſonderheit
daß Churbraunſchweig die Herzogthuͤmer Bre-
men und Verden
behielt, und die Stadt Stet-
tin
mit dem ganzen Striche Landes zwiſchen der
Oder und Peene, nebſt den Staͤdten Damm und
Golnau, und den Inſeln Wollin und Uſedom,
dem Koͤnige in Preuſſen abgetreten wurde. Auch
bedang ſich die Krone Daͤnemark von der Krone
Schweden aus, die Stadt Wismar nie wieder zu
befeſtigen, und jene Krone im Beſitze des herzog-
lichen Antheils von Schleswig nicht zu beunruhi-
gen,
[441]6) Pragmatiſche Sanction.
gen, noch desfalls dem Hauſe Holſteingottorp Huͤl-
fe zu leiſten.


Bey den ſonderbaren Wendungen, welche dieIV.
Spaniſche Succeſſionsſache noch nach dem Ba-
diſchen Frieden nahm, war das erſte, ſo das Teut-
ſche Reich mit in Bewegung ſetzte, die von dem-
ſelben erforderte Genehmigung der Quadrupelal-
lianz vom 2. Aug. 1718., in ſofern als darin eine
Anwartſchaft auf Toſcana, Parma und Pia-
cenza
verabredet war, um damit den Anſpruͤchen
abzuhelfen, welche die Koͤniginn Eliſabeth von
Spanien (gebohrne Prinzeſſinn von Parma vom
Hauſe Farneſe) von neuem rege gemacht hatte,
um ihrem Sohne, dem Don Carlos, einen Sitz in
Italien zu verſchaffen. Das Teutſche Reich hat-
te um ſo weniger Urſache mit der begehrten Ein-
willigung zu ſothaner Anwartſchaft Schwierigkeit
zu machen, als eben damit im Angeſichte von ganz
Europa von neuem anerkannt wurde, daß dieſe
Italiaͤniſche Staaten noch unter der Hoheit des
Teutſchen Reichs begriffen waͤren; wovon ſonſt
wenige Kennzeichen mehr beyzubringen geweſen
ſeyn moͤchten.


Von allem, was ſonſt ſowohl in die Spani-V.
ſche Succeſſionsſache als faſt in alle uͤbrige große
Angelegenheiten ſelbiger Zeit mit verflochten ward,
lag Carl dem VI. nichts mehr am Herzen, als die
pragmatiſche Sanction, die er am 19. Apr.
1713. wegen der kuͤnftigen Erbfolgsordnung in ſei-
nen Laͤndern und Staaten gemacht hatte. Als der
einzige vom Mannsſtamm des ganzen Hauſes Oe-
E e 5ſter-
[442]X. Carl der VI. 1711-1740.
ſterreich konnte er auf den Fall, wenn er Nach-
kommenſchaft hinterließe, ſich als ein neues Haupt
des ganzen Hauſes anſehen. Damals waren auch
noch keine Leibeserben von ihm vorhanden, die
etwa aus aͤlteren Geſetzen oder Herkommen des
Hauſes ſchon ein gewiſſes Recht in Anſehung der
Ordnung der Erbfolge zu ihrem Vortheile haͤtten
behaupten koͤnnen. Nichts konnte ihn alſo hin-
dern, ſo, wie es ſeine Abſicht war, und in ge-
dachter Sanction wuͤrklich geſchah, die Verord-
nung fuͤr ſeine Nachkommen zu machen, daß nicht
nur unter ſeinem Mannsſtamme, ſondern auch
im Fall derſelbe ermangeln oder erloͤſchen wuͤrde,
auch unter ſeinen weiblichen Nachkommen das
Recht der Erſtgebuhrt aufs vollkommenſte beob-
achtet werden ſollte. Nur der einzige Umſtand
ſchien noch einigem Zweifel unterworfen zu ſeyn,
ob dieſe ſeine pragmatiſche Sanction auch auf den
Fall, wenn er keine Soͤhne, ſondern nur Toͤchter
hinterließe, ſeinen weiblichen Seitenverwandten,
nehmlich ſeines Bruders Toͤchtern, und anderen
weiblichen Nachkommen ſeiner Vorfahren, eben ſo-
wohl als ſeinen eignen Nachkommen in Anſehung
der kuͤnftigen Erbfolge Ziel und Maß ſetzen
koͤnnte?


VI.

Dieſe Angelegenheit wurde fuͤr den Kaiſer mit
jedem Jahre wichtiger, da ſeine Gemahlinn Eli-
ſabeth Chriſtine (eine gebohrne Prinzeſſinn von
Braunſchweig-Blankenburg, mit der er ſeit dem
Jahre 1708. vermaͤhlet war,) am 13. Apr. 1716.
ihm zwar einen Sohn gebahr, der jedoch ſchon
am 4. Nov. in eben dem Jahre wieder mit Tode
abgieng,
[443]6) Pragmatiſche Sanction.
abgieng, ſeitdem aber nur noch drey Toͤchter (1717.
Maria Thereſia, 1718. Maria Anna, und (x)
1725. Maria Amalia) erfolgten. Von ſeinem
aͤltern Bruder, dem Kaiſer Joſeph, waren aber
auch zwey Toͤchter vorhanden, Maria Joſepha,
die 1719. an den damaligen Churprinzen von
Sachſen, nachherigen Koͤnig Auguſt den III. von
Polen, und Maria Amalia, die 1722. an den
damaligen Churprinzen Carl Albrecht von Baiern,
nachherigen Kaiſer Carl den VII., vermaͤhlet war.
Da ſchien es ſchon eine bedenkliche Frage zu ſeyn,
ob auf den Fall, wenn mit Carl dem VI. der Oe-
ſterreichiſche Mannsſtamm erloͤſchen wuͤrde, in der
Ordnung der Erbfolge nach dem Rechte der Erſt-
gebuhrt eine Tochter Carls des VI., als des letz-
ten Beſitzers, oder eine Tochter Joſephs, als des
vorher verſtorbenen erſtgebohrnen Bruders, den
Vorzug behaupten koͤnne. Carl der VI. unterließ
deswegen nicht bey den Vermaͤhlungen dieſer Jo-
ſephiſchen Prinzeſſinnen
ihre Verzichte nach
ſeinem Entwurfe einrichten zu laßen. Er konnte
jedoch weder dabey voͤllig geſichert ſeyn, noch fuͤr
andere Anſpruͤche, die noch von anderen weiblichen
Nachkommen der vorigen Herren des Hauſes ge-
macht werden koͤnnten.


Allen
[444]X. Carl der VI. 1711-1740.
VII.

Allen Beſorgniſſen glaubte der Kaiſer nicht beſ-
ſer vorbeugen zu koͤnnen, als wenn er ſeine prag-
matiſche Sanction vorerſt von einer jeden Land-
ſchaft ſeiner verſchiedenen Erbſtaaten verbindlich
anerkennen ließ, und dann ſowohl vom geſamm-
ten Teutſchen Reiche als den wichtigſten Europaͤi-
ſchen Maͤchten eine foͤrmliche Garantie derſelben
bewirkte. Da ihm fuͤr dieſe ſeine Herzensangele-
genheit beynahe kein Opfer zu groß ſchien; ſo be-
wirkte er die Garantie von der Krone Spanien, fuͤr
deren rechtmaͤßigen Beſitzer er nunmehr Philipp
den V. in einem unmittelbar mit demſelben geſchloſ-
ſenen Friedens- und Freundſchafts-Tractate an-
erkannte (1725. Apr. 30.); ferner vom Koͤnige
Georg dem II. von Großbritannien gegen nachge-
gebene Aufhebung der Oſtendiſchen Compagnie,
wovon ſonſt Carl der VI. auch ſchon große Aus-
ſichten zur Aufnahme der Handlung in den Oeſter-
reichiſchen Niederlanden gehabt hatte (1731. Maͤrz
16.); und vom geſammten Teutſchen Reiche durch
ein Reichsgutachten vom 11. Jan. 1732.; wie
auch in eben dieſem Jahre noch vom Koͤnige Chri-
ſtian dem VI. von Daͤnemark in einem Defenſiv-
bunde, den derſelbe mit dem kaiſerlichen und Ruſ-
ſiſchen Hofe ſchloß.


VIII.

Der groͤßte Anſtand ſchien noch uͤbrig zu ſeyn,
da die beiden Hoͤfe zu Muͤnchen und Dresden ge-
gen das Reichsgutachten Widerſpruch erhoben,
und zu beſorgen war, daß der Franzoͤſiſche Hof ſie
unterſtuͤtzen moͤchte. Doch der Tod des Koͤnigs
Auguſts des II. von Polen († 1733. Febr. 1.) gab
vorerſt Anlaß, daß ſein Sohn und Nachfolger in
der
[445]6) Pragmatiſche Sanction.
der Chur, als Gemahl der aͤltern Joſephiſchen
Prinzeſſinn, von ſeinem Widerſpruche abſtehen
mußte, um den Beyſtand der Hoͤfe zu Wien und
Petersburg bey der neuen Polniſchen Koͤnigs-
wahl
nicht zu verliehren. In dieſer Wahl ge-
wann nun auch Auguſt der III. uͤber Stanislaus
Lescinsky, den Carl der XII. ſchon Auguſt dem
II. entgegengeſetzt hatte, die Oberhand. Allein
eben das mußte Ludewig dem XV., der inzwiſchen
Stanislaus Tochtermann geworden war, zum
Vorwande dienen, mit Carl dem VI. zu brechen;
woraus ſogar ein neuer Reichskrieg mit Frankreich
erwuchs, bis durch eine beſondere Art geheimer
Unterhandlungen am 3. Oct. 1735. ganz unerwar-
tete Praͤliminarien zu Stande kamen.


Vermoͤge dieſer Praͤliminarien blieb zwarIX.
Auguſt der III. Koͤnig in Polen, aber Stanislaus
behielt ebenfalls den koͤniglichen Titel von Polen
auf ſeine Lebenszeit, und zur Entſchaͤdigung fuͤr
ſeine Perſon ſollte er das Herzogthum Lothringen
haben, das jedoch nach ſeinem Tode der Krone
Frankreich einverleibt werden ſollte. Der Herzog
Franz Stephan von Lothringen, der ſchon damals
zum Gemahle der Erzherzoginn Maria Thereſia be-
ſtimmt war, ſollte fuͤr ſein Herzogthum das Groß-
herzogthum Toſcana von Don Carlos, und dieſer
dafuͤr Neapel und Sicilien vom Kaiſer Carl dem
VI. bekommen. Der Kaiſer erhielt hingegen nur
Parma und Piacenza, und, woran ihm am mei-
ſten gelegen war, nunmehr auch die Franzoͤſiſche
Garantie der pragmatiſchen Sanction.


Auf
[446]X. Carl der VI. 1711-1740.
X.

Auf dieſe Praͤliminarien erfolgte in einem
Reichsgutachten vom 18. May 1736. nicht allein
die Genehmigung derſelben, ſondern auch eine Voll-
macht des Reichs an den Kaiſer, auf eben die
Bedingungen den voͤlligen Frieden zu ſchließen.
So wurden am 18. Nov. 1738. die Praͤlimina-
rien zu Wien in einen foͤrmlichen Friedenstra-
ctat
verwandelt. Deſſen Genehmigung wurde
zwar ebenfalls durch ein kaiſerliches Commiſſions-
decret vom 6. Maͤrz 1740. vom Reiche begeh-
ret (y). Solche iſt aber nicht erfolget, weil der
Kaiſer inzwiſchen mit Tode abgieng, und dar-
uͤber die ganze Lage der Sache eine andere Wen-
dung nahm, oder doch zu nehmen ſchien.


XI.

In ſo weit war alſo dieſer Friede ſelbſt gewiſ-
ſer maßen einzig in ſeiner Art. Wenigſtens konnte
er in Anſehung der Art und Weiſe, wie nach ei-
nem Kriege, woran das Reich Theil genommen
hatte, deſſen Einwilligung zu den Friedenshand-
lungen nach Vorſchrift des Weſtphaͤliſchen Frie-
dens zugezogen werden ſollte, wiederum nicht zum
Beyſpiele dienen. Auch war bey ſolchen Umſtaͤn-
den wohl zu erwarten, daß in dieſer Art Frie-
denshandlungen, die bloß zwiſchen dem kaiſerli-
chen Hofe und der Krone Frankreich vorgegangen
waren, die Abſchaffung der Ryßwickiſchen Clau-
ſel
nicht zur Sprache gekommen war. Jedoch
in Anſehung der beiden Religionstheile unter ein-
ander war es gnug, daß das Reichsgutachten
vom
[447]6) Pragmatiſche Sanction.
vom 26. Febr. 1734, worin der Krieg gegen
die Krone Frankreich beſchloſſen ward, zugleich ei-
ne ſolche Abrede enthielt, welche fuͤr eine ver-
tragsmaͤßige gegenſeitige Abſtellung gedachter
Clauſel gelten konnte, damit ſie wenigſtens in An-
ſehung der Reichsſtaͤnde unter ſich, ohne Ruͤck-
ſicht auf die Krone Frankreich, nicht mehr als
eine verbindliche Richtſchnur angeſehen werden
durfte (z).


VII.
[448]X. Carl der VI. 1711-1740.

VII.
Einige Reichsgeſetzgebungen uͤber Handwerks-
mißbraͤuche und das Muͤnzweſen. Beſchluß
dieſer kaiſerlichen Regierung.


I. Seit dem Weſtphaͤliſchen Frieden waren Reichsgeſetz-
gebungen immer ſeltener geworden. — II. Jetzt kam es
doch noch zu einem Reichsſchluß zu Abſtellung der Hand-
werksmißbraͤuche. — III. Ueber das Muͤnzweſen hatte man
zu ſpaͤt angefangen zweckmaͤßige Einrichtungen zu treffen. —
IV. Denn erſt 1559. hatte man eine Reichsmuͤnzordnung
errichtet, — V. da ſchon ſo vielerley Muͤnzſorten im Gan-
ge waren, — VI. daß nebſt Gulden und Kreuzern doch
noch Thaler und Groſchen geſtattet werden mußten. —
VII. Die Vorſchriften der Reichsgeſetze vom innern Gehalte
der Muͤnzen wurden auch nicht befolget. — VIII. Einige
Reichsſtaͤnde errichteten deswegen vertragsmaͤßig erſt den
Zinniſchen, hernach den Leipziger Fuß, — IX. mit beſon-
derer Beſtimmung einiger Goldmuͤnzen. — X. Im Reiche
kam aber der 24. Guldenfuß auf. — XI. Jetzt machte ein
Reichsgutachten den Leipziger Fuß zum Reichsmuͤnzfuße. —
Allein der Tod des Kaiſers unterbrach auch dieſes Ge-
ſchaͤfft. — XII. Beſchluß dieſer kaiſerlichen Regierung mit
einem Commiſſionsdecrete wegen eines Preuſſiſchen Einbruchs
ins Luͤttichiſche.


I.

Zum Beſchluſſe der Regierung des Kaiſer Carls
des VI. verdient noch bemerklich gemacht zu
werden, wie von Reichsgeſetzgebungen, die
ſonſt in Gegenſtaͤnden, welche in die Regierung
der beſonderen Teutſchen Staaten einſchlagen, ſeit
dem Weſtphaͤliſchen Frieden immer ſeltener wur-
den, um dieſe Zeit doch noch ein Paar erhebliche
Beyſpiele vorkamen.


Eine
[449]7) Handwerksmißbr. u. Muͤnzw.

Eine ſolche Geſetzgebung wurde durch einenII.
zu Augsburg im Jahre 1721. vorgefallenen Auf-
ſtand der Schuhknechte veranlaßt. Weil unter
den Handwerksgeſellen noch viele Mißbraͤu-
che
wahrzunehmen waren, die durch landesherr-
liche Verordnungen einzelner Reichsſtaͤnde ſich
nicht heben ließen; ſo kam es hieruͤber im Jahre
1731. zu einer weitlaͤuftigen Reichstagsberath-
ſchlagung und einem foͤrmlichen Reichsſchluſſe, der
durch ein kaiſerliches Edict ins Reich bekannt ge-
macht wurde. Dadurch ward vielen bisherigen
Mißbraͤuchen mit gutem Nutzen abgeholfen; wie-
wohl dennoch die Vollziehung des Reichsſchluſſes
nicht uͤberall gleich gut von ſtatten gieng (a),
auch ſonſt noch verſchiedenes uͤbrig blieb, das
noch immer eine Abſtellung bedurft haͤtte.


Ein anderer Gegenſtand von dieſer Art be-III.
traf das Muͤnzweſen. Da konnte man zwar
nach richtigen Grundſaͤtzen unſers Staatsrechts
behaupten, daß das Recht zu muͤnzen eigentlich
nicht von ſelbſten in der Landeshoheit begriffen
ſey, ſondern nur ſolchen Reichsſtaͤnden zuſtehe,
die es vermoͤge beſonderer kaiſerlicher geſetzmaͤßi-
ger Verleihung oder ſonſt rechtmaͤßig hergebracht
haben (b). Auch war in Reichsgeſetzen ſchon
die ſehr zweckmaͤßige Verfuͤgung enthalten, daß
in einem jeden Kreiſe drey oder vier Muͤnzſtaͤdte
beſtimmt
P. Entw. d. Staatsverf. Th.II. F f
[450]X. Carl der VI. 1711-1740.
beſtimmt ſeyn ſollten, wo ein jeder Reichsſtand
durch Muͤnzbediente unter Aufſicht des Kreiſes
ſeine Muͤnzen praͤgen laßen ſollte (c); nur mit
Ausnahme ſolcher Reichsſtaͤnde, die in ihren Lan-
den eigne Bergwerke haben, denen vorbehalten
blieb, ſoviel Gold oder Silber, als daſelbſt ge-
wonnen wuͤrde, auf ihren beſonderen Muͤnzwerk-
ſtaͤdten, ausmuͤnzen zu laßen (d). Ueber alles
das ſollten aber jede benachbarte Kreiſe fleißige
nachbarliche Correſpondenz unterhalten, und we-
nigſtens jaͤhrlich einmal eigne Muͤnzprobationsta-
ge anſtellen, um daruͤber zu wachen, daß keine
Mißbraͤuche im Muͤnzweſen vorgiengen, auf die
man ſchon lange den Verluſt des Muͤnzregals,
und noch in der Wahlcapitulation Carls des VI.
die Suspenſion von Sitz und Stimme auf dem
Reichstage zur Strafe geſetzt hatte.


IV.

Allein der erſte Grundfehler war, daß die
Kaiſer in aͤlteren Zeiten mit Muͤnzprivilegien zu
freygebig geweſen waren; ſo daß wenige Reichs-
ſtaͤn-
[451]7) Handwerksmißbr. u. Muͤnzw.
ſtaͤnde ſind, die nicht das Recht der Muͤnze wuͤrk-
lich haͤtten. Dann aber iſt nicht nur auf vorbe-
ſchriebene heilſame Verfuͤgungen nie mit der gehoͤ-
rigen Strenge gehalten worden; ſondern noch ein
anderer Grundfehler lag darin, daß nicht eher,
als im Jahre 1559. eine allgemeine Reichsmuͤnz-
ordnung
zu Stande gebracht werden konnte.


Bis dahin mangelte es alſo ganz an einer ge-V.
ſetzmaͤßigen Beſtimmung eines gewiſſen Muͤnz-
fußes. Folglich ließ ein jeder Reichsſtand in ſol-
chem Verhaͤltniſſe zwiſchen Guͤte und Gewicht,
wie es ihm gut duͤnkte, muͤnzen; ſo daß vielleicht
im uͤbrigen ganzen Europa nicht ſo vielerley Gat-
tungen von Muͤnze waren, als in Teutſchland al-
leine. Noch jetzt ſind nach den verſchiedenen Ge-
genden von Teutſchland gaͤnge und gaͤbe Namen
von Silbermuͤnzen Thaler, Gulden, Mark, Kopf-
ſtuͤcke, Sieben und zwanziger, Siebenzehnter,
gute Groſchen, Mariengroſchen, Batzen, Dop-
pelbatzen, Kreuzer, Sechſer, Dreyer, Mattier,
Petermaͤnnchen, Fettmaͤnnchen, Schillinge, Gro-
te, Blafferte, Blamuͤſer, Weißpfennige, Albus,
Stuͤber, u. ſ. w.


Die Reichsmuͤnzordnung 1559. wollte zwarVI.
alles nach Gulden und Kreuzer, deren 60. ei-
nen Gulden ausmachen, berechnet wiſſen. Al-
lein gegen dieſen durch Mehrheit der Stimmen
bewirkten Reichsſchluß widerſprachen gleich da-
mals die Saͤchſiſchen Staͤnde, welchen auf dem
Reichstage 1566. ſoviel nachgegeben ward, daß
es einem jeden Reichsſtande frey ſtehen ſollte, auf
den Fuß von Gulden und Kreuzern oder von
F f 2Tha-
[452]X. Carl der VI. 1711-1740.
Thalern und Groſchen, deren 24. auf einen Tha-
ler gehen, das Silbergeld ausmuͤnzen zu laßen.


VII.

Was aber ferner hauptſaͤchlich den innern Ge-
halt der Silbermuͤnzen anbetrifft, ſo ſollte nach
der Muͤnzordnung 1559. die Mark Silbers in
groben Sorten zu 10. Gulden 13½ Kreuzer aus-
gemuͤnzt werden, oder, wie es nach und nach
erhoͤhet wurde, 1596. auf 12. Fl. 36. Kr.,
1623. auf 13. Fl. 30. Kr., 1665. auf 14. Fl.
24. Kr. Allein, wenn Reichsſtaͤnde, die eigne
Bergwerke hatten, nach dieſen Vorſchriften muͤnz-
ten, ſo ließen andere dieſe Muͤnze einwechſeln
und in viel geringhaltigere Scheidemuͤnze umpraͤ-
gen; waren aber immer auf dem Reichstage mit
der Mehrheit der Stimmen dagegen, daß nicht
geſtattet werden ſollte, aus einer Mark Silber
mehrere Gulden auszumuͤnzen, und alſo auch in
den groben Sorten ſoviel Zuſatz mehr anzubringen.


VIII.

Das bewog endlich die Haͤuſer Sachſen, Bran-
denburg und Braunſchweig, die vorzuͤglich eigne
Bergwerke hatten, unter ſich vertragsweiſe ſich
eines gewiſſen Muͤnzfußes zu vereinbaren, welches
1667. im Kloſter Zinna bey Magdeburg, und
wiederum 1690. zu Leipzig geſchah. Nach jenem
Zinniſchen Fuße ſollte die Mark Silbers zu 15.
Fl. 45. Kr., nach dem Leipziger Fuße endlich
zu 18. Fl. oder 12. Thaler ausgemuͤnzt werden, ſo
daß die Guͤte des Silbers zu Leipzig zu 14. Loth
4. Grane beſtimmt ward, d. i. daß in Silbermuͤn-
zen, die zuſammen 16. Loth an Gewicht haben,
14 4/18 Loth fein Silber und 1 14/18 Loth Kupfer oder
anderer Zuſatz ſeyn ſollten.


An
[453]7) Handwerksmißbr. u. Muͤnzw.

An Golde ſollten nach dem Leipziger Fuße nurIX.
zweyerley Sorten ausgemuͤnzt werden, Ducaten
zu 4. Gulden und Goldgulden zu 3. Gulden. Von
Ducaten ſollten 67. Stuͤck auf die Mark gehen,
und 23. Carat 8. Grane fein halten; von Gold-
gulden
72. Stuͤck auf die Mark, 18. Carat 10.
Grane fein Gold, 3. Carat 8. Gran fein Silber
und 1. Carat 6. Grane Kupfer. (Dieſe letztere
Art Goldmuͤnze in einfachen, doppelten und vier-
fachen Goldgulden hat nur Georg der II. in ſeinen
Teutſchen Landen praͤgen laßen.)


Dem Leipziger Fuße blieben obgedachte Haͤu-X.
ſer und einige andere Staͤnde, die in beiden Saͤch-
ſiſchen Kreiſen demſelben beytraten, getreu; wor-
nach ſich inſonderheit auch der Handel auf den Meſ-
ſen zu Leipzig, Naumburg, Frankfurt an der
Oder und Braunſchweig richtete. In den uͤbri-
gen Gegenden des Reichs ward aber ſoviel ſchlech-
ter gemuͤnzt, daß die Mark Silber zu 24. Gul-
den ausgebracht wurde, und ein Ducate 5. Fl.
galt; und darnach richtete ſich hauptſaͤchlich der
Handel auf der Meſſe zu Frankfurt am Main.


Um dieſe Ungleichheit im Teutſchen Muͤnzwe-XI.
ſen zu heben, ward endlich durch ein Reichsgut-
achten
vom 10. Sept. 1738. der Leipziger Muͤnz-
fuß in Anſehung der Goldmuͤnze und groben Sil-
berſorten zum Reichsmuͤnzfuß angenommen. We-
gen geringerer Silberſorten ſollte noch ein beſon-
derer Reichsſchluß gefaſſet werden. Daruͤber
gieng aber Carl der VI. mit Tode ab. Und die
ganze Sache konnte in der wuͤrklichen Praxi doch
nicht zur Vollziehung gelangen.


Das
[454]X. Carl der VI. 1711-1740.
XII.

Das letzte Commiſſionsdecret, ſo unter die-
ſer kaiſerlichen Regierung am 11. Oct. 1740. an
das Reich erlaßen wurde, betraf eine Streitig-
keit des Berliner Hofes mit dem Biſchofe von
Luͤttich wegen der Hoheit uͤber die im Luͤttichiſchen
gelegene Herrſchaft Herſtall, welche dem Hauſe
Brandenburg aus der Oraniſchen Verlaßenſchaft
zugefallen war. Der Koͤnig Friedrich der II.,
der am 31. May 1740. zur Regierung gekommen
war, hatte im Sept. 1740. 1200. Grenadiere
und 200. Dragoner ins Luͤttichiſche einruͤcken
laßen. Der Biſchof klagte deshalb uͤber Land-
friedensbruch, und erhielt ein kaiſerliches Abmah-
nungsſchreiben. ”Weil aber dieſe Begebenheit
von einer Natur ſey, daß ſie aus mehreren Be-
trachtungen das ganze Reich mit anzutreffen ge-
achtet werden muͤße,” ſo, hieß es in obigem
Commiſſionsdecrete, ”habe der Kaiſer nach dem
Beyſpiele ſeiner Vorfahren und ohne Abbruch ſei-
nes oberſtrichterlichen Amtes nicht anſtehen wol-
len, ſich zugleich bey den Staͤnden des Reichs,
der Sache ungemeiner Wichtigkeit nach, Raths
zu erholen, und ein nach des Vaterlandes Wohl-
fahrt und deſſen Grundgeſetzen ausgemeſſenes
ſtandhaftes Gutachten von ihnen abzufordern” (e).
Die Sache ſelbſt ward hernach (1741.) vergli-
chen, und die Herrſchaft dem Hochſtifte Luͤttich
kaͤuflich uͤberlaßen (f).


[][][][][]
Notes
(a)
Im Jahre 1569. ließen die Jeſuiten zu Rom
drucken: ”Indulgentiae nonnullae, quas perſonae
ſocietatis conſequi poſſunt.
” Nach deren Inhalt
ſollten indulgentias plenarias haben: ”Celebran-
tes aut communicantes toties quoties; recitantes
coronam domini noſtri I. C. quae continet 33.
pater et 33. aue; dicentes canticum graduum;
dicentes pſalmum miſerere.”
Dann hieß es:
”Dicendo 15. pater noſter, et 15. aue in memo-
riam omnium vulnerum, quae Chriſtus D. N.
pertulit, 1500. annorum indulgentiae; ſingulis
diebus recitantes pater noſter et ter leſum nomi-
nantes, ſemel in die, 1000. annorum indulgen-
tiae.”
Ferner hieß es darin: ”Sacerdotibus cele-
brantibus miſſas tres pro anima alicnius defun-
cti vsque ad tertium gradum incl. ſuper vno
altari in eccleſia collegii (S. I.) vel domus ab
eius ſuperiore ſtatuto conceſſum eſt liberari eam
a poenis purgatorii per modum ſuffragii” etc.

Wie uͤbrigens die Jeſuiten nach Art der Moͤnchs-
bruͤderſchaften ihre Michels- und Marianiſche So-
dalitaͤten fuͤr Studenten, und wieder andere So-
dalitaͤten der ſchmerzhaften Mutter fuͤr Weiber,
der heiligen Dreyfaltigkeit fuͤr Buͤrger, noch an-
dere fuͤr Weltgeiſtliche, fuͤr ledige Handwerksbur-
ſche,
(a)
ſche, ingleichen Todesangſtbruͤderſchaften, Herzjeſu-
bruͤderſchaften, Herzjeſu-Andachten u. ſ. w. ver-
anſtaltet; wie ſie 1561. zu Augsburg ihre Con-
troverspredigten, wie ſie ihre ſo genannte Exerci-
tien und Selbſtpeitſchereyen eingefuͤhret, und wie
ſie, nach Art der unter den Namen St. Vincenz-
ſegen, St. Petersſegen, St. Felixſegen, St. Lucas-
ſegen u. ſ. w. bey den Ordensgeiſtlichen einge-
ſchlichenen Generalabſolutionen, vorzuͤglich eine
Art von Vollmacht zur paͤbſtlichen Segenserthei-
lung ſich eigen zu machen gewußt, — das alles iſt
in den Sendſchreiben uͤber das waͤhrend der Je-
ſuiterepoche ausgeſtreuete Unkraut allenfalls aus-
fuͤhrlicher zu finden.
(b)
Der Abſchied dieſer Verſammlung vom
27. Sept. 1567. findet ſich in der neueren Samml.
der R. A. Th. 3. S. 263.
(c)
Joh. Phil. Conr. Falke Verwahrung und
Befeſtigung des Reviſionsgerichts (Hannov. 1777.)
S. 29. §. 25. Meine Litteratur des T. Staats-
rechts Th. 2. S. 188.
(d)
Meine Litteratur des Staatsrechts Th. 2.
S. 419.
(e)
Ein Brief, den der Pfalzgraf Wolfgang
Wilhelm hieruͤber am 24. Apr. 1614. an ſeinen
Vater geſchrieben, findet ſich im Teutſchen Zu-
ſchauer B. 3. Heft 7. (1785.) S. 39. Er meldet
darin: er habe geſucht, den Herzog Max von
Baiern zur evangeliſchen Religion zu bringen;
ſey aber von ihm vielmehr vom Vorzuge der ca-
tholi-
(e)
tholiſchen Religion uͤberzeuget worden, beſonders
durch den Catechismus von Peter Caniſius. Er
hoffe jetzt ſelbſt ſeinen Vater noch zu eben der
Ueberzeugung zu bringen ꝛc.
(f)
Inſonderheit gehoͤrt hieher Pacis compoſi-
tio ICtorum Dillingenſium
, Dilling.
1629. 4.
und ein ſonderbarer Schriftwechſel, den die ”Ver-
„theidigung der evangeliſchen Staͤnde Augapfels,
„nehmlich der A. C. und des Religionsfriedens,”
(Lpz. 1628 4.) veranlaßte, als Brill auf den evan-
geliſchen Augapfel, Brillenputzer, Ausputzer des
Brillenputzers u. ſ. w. Mein Handb. der Reichshiſt.
Th. 1. S. 653.
(g)
Londorpsacta publica Th. 6. S. 343.,
Meiernacta comitial. Th. 1. S. 408.
(h)
Meiern am a. O. S. 407.
(i)
Meiern am a. O. S. 480.
(k)
Londorp Th. 7. S. 603. Io. L. B. de
Meermann diſſ. de ſolutione vinculi, quod olim
fait inter S. R. I. et foederati Belgii respublicas,

Lugd. Bat.
1774.
(l)
Meermannl. c. §. 56. 57. p. 102-105.,
§. 71. p.
123.
(m)
Auch der Franzoͤſiſche Geſandte, Duc de
Longueville,
ſagte bey dieſer Gelegenheit zu den
uͤbrigen Geſandten: ”Madame la Landgrave m’a
fait tant de politeſſes qu’ il me faut confeſſer
que je ne parle qu’ avec quelque paſſion pour
elle. — Il faut faire beaucoup aux faveurs d’une
Dame ſi vertueuſe comme eſt Madame la Land-
grave. Pourquoi Meſſieurs ſurmontez vous même
et donnez toute ſatisfaction à Madame.” Adami
de pacif. Osn. Monaſt. (Lipſ. 1737. 4.) p.
525.
(n)
Von den Soͤhnen des Fuͤrſten Joachim Ernſts
von Anhalt († 1586.), der ſich zur reformirten
Religion bekannt hatte, war der Fuͤrſt Rudolf von
Anhaltzerbſt 1622., mit Hinterlaßung einer Luthe-
riſchen Gemahlinn, Magdalene gebohrner Graͤ-
finn von Oldenburg, geſtorben, die hernach ihren
Sohn, Johannes (geb. 1621.) bey ihrem Bruder
in der Lutheriſchen Religion erziehen ließ. Das
war der Grund der Veraͤnderungen, die im Zerb-
ſtiſchen zum Vortheile der Lutheriſchen Religion
vorgiengen.
(o)
Die Hanau-Muͤnzenbergiſche Linie, worin
der Graf Philipp Ludewig reformirt war, erloſch
im Jahre 1642. Der Graf Friedrich Caſimir von
der Hanau-Lichtenbergiſchen Linie, der hernach zur
Succeſſion kam, war Lutheriſch, und machte in
Hanau verſchiedene Veraͤnderungen zum Vortheile
ſeiner Religion.
(p)
Von unmittelbaren Biſthuͤmern behielten
die Evangeliſchen vermoͤge dieſer Verordnung nur
das zu Luͤbeck, wo zur Zeit des Weſtphaͤliſchen
Friedens der Prinz Johannes von Holſtein-Got-
torp Biſchof war. Mit demſelben hatte das Dom-
capitel zu Luͤbeck am 6. Jul. 1647. einen Vertrag
errichtet, daß nach ihm und dem damaligen Coad-
jutor noch ſechs Biſchoͤfe aus dem Hauſe Holſtein-
Gottorp gewehlet werden ſollten. Luͤnigs Reichs-
arch. part. ſpec. Th. 1. S. 551., Imhofnotitia
procerum imperii
lib. 1. cap. 23. §. 6. p.
196. Zu
Meiſſen, Merſeburg, Naumburg, Brandenburg
und Havelberg blieben zwar evangeliſche Domca-
pitel; aber die Biſthuͤmer, deren drey erſten das
Haus Sachſen, den beiden anderen das Haus
Brandenburg die Reichsunmittelbarkeit beſtritt,
waren zur Zeit des Entſcheidungsjahrs ſchon in
Adminiſtration von Herren dieſer beiden Haͤuſer.
(q)
Londorpacta publ. Th. 1. S. 138.,
Meiernacta pac. Weſtph. Th. 1. S. 701. 824.
(r)
In den neueſten Wahlcapitulationen (1742.)
Art. 10. §. 4. iſt es noch beſtimmter gefaßt: ”die
Staͤnde bey ihren inhabenden Reichspfandſchaften
ohne Wiederloͤſung und Wiederrufung zu ſchuͤtzen,
und bis auf anderweite Vergleichung ruhig dabey
bleiben zu laßen.”
(s)
Meine Beytraͤge zum Teutſchen Staats-
[und] Fuͤrſtenrechte Th. 1. S. 77-88.
(t)
So gut der Kaiſer verbindlich gemacht
werden konnte, zwey evangeliſche Praͤſidenten zu
ernennen; eben ſo gut haͤtten auch die beiden
Beyſitzer, die der Kaiſer zu praͤſentiren haben
ſollte, von beiden Religionen ſeyn koͤnnen, um
alle 50. Beyſitzer in voͤllig gleicher Anzahl beider
Religionen zu haben. So aber blieb doch das
ungleiche Verhaͤltniß 26. catholiſcher und nur 24.
evangeliſcher Beyſitzer, das man auch ſeitdem
nie gehoben hat.
(u)
Beſage des Prager Friedens (1635.) §. 26.
hatte Churſachſen darauf angetragen: daß nach
dem damaligen catholiſchen Cammerrichter ein
Augsburgiſcher Confeſſionsverwandter, und nach
Ab-
(u)
Abgang deſſelben wieder ein Catholiſcher, und
alſo fortan per vices geordnet werden moͤchte.
Es ward aber damals noch auf eine andere Zu-
ſammenkunft ausgeſetzt; doch ſollte es eheſtens
vorgenommen werden. Samml. der R. A. Th. 3.
S. 538.
(v)
Die Reichshofrathsordnung Ferdinands
des I. war vom 3. Apr. 1559. Die von Rudolf
dem II. fuͤhrte den Titel: Reichshofraths-Inſtru-
ction. Die von Matthias war vom 3. Jul. 1617.
Sie finden ſich beyſammen in einem Anhange von
Vffenbachde conſil. imp. aul. mantiſſ. p. 5[-]40.
(w)
Hontheimhiſt. Treuir. diplom. tom.
3. p.
132.
(x)
Samml. der R. A. Th. 2. S. 173. §. 7.,
Harpprechts Staatsarchiv des C.G. Th. 4. S. 24.,
Meine opuscula p. 357.
(y)
In dieſer Ruͤckſicht ward ſchon 1644. die
Erinnerung gemacht, kuͤnftig der Reichshofraths-
ordnung einzuverleiben: ”daß ſonderlich dem ge-
heimen und Conſcienz-Rathe in Juſtitzſachen die
Haͤnde gaͤnzlich gebunden werden moͤchten.”
Meiernacta comitial. Th. 2. S. 280.
(z)
Osnabr. Friede Art. 5. §. 51.
(a)
Osnabr. Friede Art. 8. §. 3.
(b)
Reichsabſch. 1654. §. 191. 194.
(c)
Am 27. Apr. (7. May) 1653. ward im
Reichsfuͤrſtenrathe eine Deputation beſchloſſen, um
die fuͤrſtlichen Erinnerungen zur Wahlcapitulation
zuſammenzutragen. Daruͤber ward das fuͤrſtliche
Concluſum dahin gefaſſet: Es ſeyen Deputirte
in gleicher Anzahl von beiden Religionen zu er-
wehlen, ”und deren Denomination beiden Religions-
„verwandten heimzuſtellen, welche ſelbſt unter
„einander ſich wuͤrden zu vergleichen wiſſen.”
Schauroths Samml. vom corp. euang. Th. 1.
S. 413.
(d)
Die Schluͤſſe, die das evangeliſche Corpus
am 4. Nov. 1664. und 6. Dec. 1710. hieruͤber ge-
faſſet hat, finden ſich bey Schauroth am a. O.
S. 392. u. f.
(e)
So kam z. B. in den Wahlhandlungen
des Kaiſer Matthias folgendes vor: Den 19. May
1612. — ”hat man ſich verglichen, auf Morgen,
„geliebt es Gott, fruͤh um 7. Uhr wieder im Ra-
„the zu ſeyn. — Den 20. May. — Als man
„geſtrigem genommenen Verlaß nach fruͤh um 7. Uhr
„wieder im Rathe zuſammengekommen, hat Mainz
„zu vorſtehender Deliberation nachfolgenden Ein-
„gang gemacht: Dieweil man geſtern die — Ca-
„pitulation zu verleſen angefangen, — ſtellten Se.
„churfuͤrſtliche Gnaden zu Dero Mitchurfuͤrſten
„freundlicher Beliebung, ob man in ſolcher Ver-
„leſung continuiren — wolle? Das iſt alſo von
„den ſaͤmmtlichen Herren Churfuͤrſten approbirt,
„und darauf fortgeleſen worden” ꝛc. Moſers
Anmerk. zur Wahlcap. K. Franz, Anh. 2. S. 420.
(f)
Luͤnigs Reichsarchiv Th. 4. S. 544.
(g)
L. 9. C. de curſu publico.
(h)
Osnabr. Friede Art. 9. §. 1.
(i)
Moſers Anmerk. zur Wahlcapitul. Carls
des VII. Th. 2. S. 676.
(k)
Oben Th. 1. S. 163. 204. u. f.
(l)
Oben Th. 1. S. 158.
(m)
Dav. Ge. Strube von der Teutſchen Dom-
capitel Erb- und Grundherrſchaft, in ſeinen Neben-
ſtunden Th. 1. (1742.) S. 1-181.
(n)
Oben Th. 1. S. 281. III.
(o)
Oben Th. 1. S. 289. 298.
(p)
Annaten werden eigentlich nur von gerin-
geren Beneficien und von Praͤlaturen, die nicht
Conſiſtorial ſind, bezahlt, und kommen bloß der
paͤbſtlichen Cammer zu gute, ohne daß die Car-
dinaͤle etwas davon bekommen. Was von Erz-
biſthuͤmern, Biſthuͤmern und Conſiſtorial-Praͤlatu-
ren bezahlt wird, koͤmmt halb an die paͤbſtliche
Cammer, halb an das Cardinalscollegium, daher
es commune ſeruitium heißt. (Von 1396. her
betrug es fuͤr Salzburg 10. tauſend Goldgulden.)
Unter dem Namen minuta ſeruitia werden auſſer-
dem noch Sporteln an die Bedienten des Pabſtes
und des Cardinalscollegii bezahlt. Die daran
Theil nehmen, ſind folgende: 1) Auditor cardi-
nalis
(p)
nalis protectoris, 2) ſecretarius congregationis
conſiſtorialis, in qua validitas electionis discuti-
tur, 3) relator cardinalis, 4) vicecancellarius,
5) ſecretarius protectoris, 6) ſcriptores apoſtolici,
7) abbreuiatores, 8) Capellani, 9) Cubicularii,
10) Centenarius, 11) Camerarii, 12) Parefrenarii
papae, 13) Mazerii et alii participantes, 14) prae-
fectus ſollicitatorum, 15) protonotarii apoſtolici,
16) pro mantellettis clericorum camerae, 17) Cu-
ſtos cancellariae, 18) Corrector cancellariae, 19)
Oſtiarius cancellariae, 20) Clerici camerae, 21)
pro plumbo, 22) pro ſollicitatione.
Nachricht
von Juvavia S. 162. 165., wo am Ende noch
dieſe Bemerkung hinzugefuͤgt wird: ”Freylich ein
„Schwarm Roͤmer, wovon die Primaplana meiſt
„auf die Beyſchuͤſſe der uͤbrigen Chriſtenheit an-
„gelegt iſt; folglich, wie dieſe entgehen, die apo-
„ſtoliſche Cammer in die groͤßte Verlegenheit ge-
„rathen muß.” Im XVI. und XVII. Jahrhundert
betrug die Taxe fuͤr Salzburg pro communi et
minutis ſeruitiis
zuſammen 25. bis 26. tauſend
Scudi. — Was gibt es aber auch fuͤr eine Menge
Ausfertigungen zu Rom zu machen, ſo oft ein
neuer Erzbiſchof gewehlt wird? Nehmlich 1) ein
vorlaͤufiges paͤbſtliches Placet; 2) die eigentliche
Beſtaͤtigungs-Bulle; 3) eine Bulle an die Suffra-
ganbiſchoͤfe; 4) eine an das Domcapitel; 5) eine
an die uͤbrige Geiſtlichkeit; 6) eine an die Vaſallen;
7) noch mehr ſolche Bullen an das Volk der Stadt
und Dioeces; 8) die Conſecrations-Bulle; 9) das
Commiſſorium, um das Pallium anzulegen; 10)
die dabey zu gebrauchende Formel; 11) die vom
neuen Erzbiſchofe abzulegende Eidesformel; und
12) noch eine große Anzahl ſo genannter Facultaͤ-
ten, wodurch den Erzbiſchoͤfen beſondere Gewalt
verliehen wird, z. B. Abſolutionen, Dispenſatio-
nen u. d. g. zu ertheilen, die freylich von Rechts
wegen die erzbiſchoͤfliche Gewalt ſchon von ſelbſten
in ſich faſſen ſollte. Nachr. v. Juv. S. 157-161.
(q)
Meiern Nuͤrnbergiſche Friedensexecutions-
handlungen Th. 2. S. 462. Noch in unſerm XVIII.
Jahrhunderte mußte der Erzbiſchof Jacob Ernſt
von
(r)
Manche leſenswuͤrdige Betrachtungen fin-
den ſich hieruͤber in einer von einem catholiſchen
Verfaſſer herruͤhrenden Schrift, unter dem Titel:
”Chriſt. Friedr. Menſchenfreunds Unterſuchung
der Frage: warum iſt der Wohlſtand der prote-
ſtantiſchen Laͤnder ſo gar viel groͤßer, als der catho-
liſchen? Salzb. u. Freiſingen 1772.” 8. (96. S.)
(q)
von Salzburg, zwar fuͤr das Pallium nur 995.
Scudi, aber fuͤr die paͤbſtliche Beſtaͤtigung ſeiner
Wahl 31338., alſo zuſammen 32333. Scudi bezah-
len. Der folgende Erzbiſchof, Andreas Jacob von
Dietrichſtein, bat um einige Maͤßigung (bezahlte
auch uͤberhaupt nur 20. tauſend Scudi.) Bene-
dict der XIV. nahm es aber ſehr uͤbel, und ſagte
im Maͤrz 1748. zum Salzburgiſchen Agenten Cri-
velli: ”Indegno artificio che avete concertato —
per rendermi odioſo ai Cardinali e à tutta Roma.
Que[ſ]to é lo ſtudio conſueto della nazione Tedeſca
di voler vedere vilipeſo il Papa e la ſanta ſede.

Nachr. von Juvavia S. 164.
(s)
Reißlers Reiſen Th. 1. S. 113., (Aufl. 2. S. 84.)
(t)
Reißler am a. O.
(u)
Schloͤzers Briefwechſel Th. 7. S. 198.
(v)
F. C. v. Moſer Teutſches Hofrecht Th. 1.
S. 28-31.
(w)
Im Jahre 1700. wurde zu Nuͤrnberg im
Namen der correſpondirenden altfuͤrſtlichen Haͤuſer
ein beſonderer Schluß daruͤber gefaſſet: daß es
billig und noͤthig ſey, bey den fuͤrſtlichen Hoͤfen
in
(x)
Antimachiavel chap. 10.
(w)
in Chargen und Titeln den churfuͤrſtlichen ſich gleich
zu halten. Zu dem Ende ſey den Premiermini-
ſtern und wuͤrklichen geheimen Raͤthen der Titel
Excellenz, wie bey den churfuͤrſtlichen Hoͤfen, zu
geben. Und weil die Churfuͤrſten auch eine beſon-
dere Praͤrogativ durch die Cammerherren ſuchten,
da doch erſt vor 30. Jahren dieſe Chargen bey den
Churfuͤrſten angefangen, nachdem ſie vorher nur
an kaiſer- und koͤniglichen Hoͤfen geweſen; ſo haͤt-
ten die Reichsfuͤrſten auch dergleichen Chargen an
ihren Hoͤfen einzufuͤhren, ”zumal da es keine wei-
„tere Speſen oder Unkoſten verurſache, ſondern
„an ſtatt des Cammerjunkers der Titel Cammer-
„herr gegeben werden koͤnne.” Doch ſey darauf
zu ſehen, daß er nur ſolchen Perſonen gegeben
werde, die nicht geringer, als Raͤthe, General-
wachtmeiſter oder Oberſten, im Range ſtaͤnden,
damit ſie an churfuͤrſtlichen Hoͤfen oder an dritten
Orten keine Schwierigkeit finden moͤchten. Moſers
Staatsrecht Th. 35. S. 484.
(y)
Buͤſch Welthaͤndel (Aufl. 2. Hamb. 1783.
8.) S. 136-140.
(z)
Osnabr. Friede Art. 10. §. 16.
(a)
Wahlcap. Art. 7. §. 2.
(b)
Im Wuͤrtenbergiſchen blieben auf einmal
zwey tauſend Mann von der Schwediſchen Armee;
Weiber und Land mochten ſie leicht gnug fuͤr ſich
finden. Sattlers Wuͤrtenb. Geſch. Th. 9. S. 97.,
Spittlers Wuͤrtenb. Geſch. S. 274.
(c)
Goͤttingiſche Chronik Th. 1. S. 214. 218. 220.
(d)
Goͤtting. Chron. Th. 1. S. 21.
(e)
Goͤtting. Chron. Th. 1. S. 23.
(f)
Goͤtting. Chron. Th. 1. S. 37. 38.
(g)
Wahldiarium K. Franz Th. 2. S. 179.
(h)
Osnabr. Fr. Art. 8. §. 2. S. oben S. 87.
(i)
Oben S. 97. u. f.
(k)
Osnabr. Fr. Art. 5. §. 54.: ”Quoad pro-
ceſſum iudiciarium ordinatio camerae imperialis
etiam in iudicio aulico ſeruabitur per omnia.
(l)
Oben S. 99. u. f.
(m)
z. B. Art. 19.: ”Alldieweil auch Ihro
kaiſerlichen Majeſtaͤt vorgekommen, daß oͤfters eini-
ge Raͤthe, obwohl ſie der ganzen Relation nicht
beygewohnet, dennoch mit votiret, und dem Ver-
laut nach dadurch ſowohl, als auch zu Zeiten einer
dem andern zu Gefallen, beygeſtimmet, die ma-
iora
gemacht worden ſeyen; ſo wollen zwar Ihre
kaiſerliche Majeſtaͤt von einem Gott- Recht- und
Ehrliebenden Reichshofrath ein ſolches nicht ver-
muthen. Sie haben jedoch um Rechts und Ord-
nung willen ernſtlich zu verordnen hiemit gnaͤdigſt
gut befunden, daß man ſolche Partheylichkeit un-
terlaſſen, und nicht nur ſich des allzulangen, zu-
weilen unnoͤthigen Votir- und Referirens, ſodann
des Zeitungsleſens, und andern ohnachtſamen Zeit-
vertreibens in ſo hohem Richteramte, gleichwie ei-
nen jeden ſein eigenes Gewiſſen ermahnen wird,
enthalten, und fuͤrohin diejenigen Raͤthe, welche
dem Anfange einer Relation nicht beygewohnet, in
einer unvollkommen angehoͤrten Sache nicht befragt
werden, oder allenfalls ſich des Votirens enthal-
ten; und wofern der Reichshofraths-Praͤſident,
oder deſſen Amtsvertreter vermerken thaͤte, daß ei-
ner dem andern zu Gefallen votiren, oder fuͤr oder
gegen eine Sache oder deſſen Referenten eine Fa-
ction unter den Raͤthen waͤre, (welches ſich in ei-
einem, und zwar ſolchen Gerichte ganz und gar
nicht geziemet, auch wider der Raͤthe Eid und Pflich-
ten laͤuft,) der Praͤſident oder deſſen Amtsverwe-
ſer, alsdann der Reichshofrathsordnung gemaͤß
ver-
(n)
R. A. 1654. §. 170.: ”ſowohl von unſerm
gehorſamſten Reichshofrathe als von unſerm Cam-
mergerichte ꝛc.”
(m)
verfahren, die Ungebuͤhr gegen den Schuldigen
ahnden, diejenigen aber, ſo ſich daran nicht keh-
ren wollten, zu verfuͤgender Nothdurft Ihro kaiſer-
lichen Majeſtaͤt anzeigen, ſonſt nach den maioribus
ſchließen, oder auch in wichtigen Sachen, wo die
Meynungen in ziemlicher Anzahl zertheilet, und
beide Theile mit wohl feſten Gruͤnden verſehen waͤ-
ren, darob vor dem endlichen Schluß allerhoͤchſt-
gedacht Ihro kaiſerlichen Majeſtaͤt von beiden Mey-
nungen ſchriftlich berichten und Dero Entſchluß von
Ihro erwarten ſolle.” Schmaußcorp. iur. publ.
S. 1262.
(o)
R. A. 1654. §. 180.
(p)
R. A. 1654. §. 14.
(q)
Meiern Weſtphaͤl. Friedenshandl. Th. 3.
S. 316.
(r)
Noch der letztern 1776. verungluͤckten Viſi-
tation wurde vom Canzleyverwalter ein Verzeich-
niß von 61233. Acten zugeſtellt. Doch ließ ſich
nicht genau beſtimmen, wie viele Sachen darunter
noch eigentlich ihre Entſcheidung erwarteten. (Ba-
lemanns
) Beytraͤge zur Reviſion der C. G. O.
(Lemgo 1778. 4.) S. 11.
(s)
Die geſetzliche Appellationsſumme war 1521.
erſt nur auf 50. Fl. angeſetzt geweſen. Im Reichs-
ab-
(t)
Von 1554. Apr. 6. hatte die Stadt Ham-
burg ein Appellationsprivilegium auf 700. Gold-
gulden; von 1586. Maͤrz 22. der Biſchof von Wuͤrz-
burg auf 1000. Goldgulden; von 1588. May 23.
die Stadt Luͤbeck auf 500. Goldgulden; von 1595.
Jul. 30. die Stadt Augsburg auf 600. Goldgul-
den; von 1621. Jul. 14. das Herzogthum Holſtein
auf 1000. Goldgulden; von 1623. Apr. 3. die
Stadt Coͤlln auf 1000. Goldgulden; von 1637.
Sept. 19. die Grafſchaft Oldenburg auf 1000.
Rheiniſche Gulden; von 1648. Nov. 24. das Her-
zogthum Braunſchweig-Wolfenbuͤttel auf 2000.
Goldgulden; von 1650. Nov. 6. die Grafſchaft
Ranzau auf 500. Goldgulden; von 1651. Oct. 28.
das Herzogthum Mecklenburg auf 1000. Goldgul-
den; von 1655. Jul. 28. die Grafen Reuß auf
400. Goldgulden ꝛc.
(u)
Von unbeſchraͤnkten Appellationsbefreyun-
gen ſind die erſten Beyſpiele fuͤr das Haus Oeſter-
reich von 1530. Sept. 8., und fuͤr die Burgundi-
ſchen Niederlande in dem daruͤber geſchloſſenen Ver-
trage 1548. Jul. 26. §. 5. 6. Auch Wuͤrtenberg
hat ſeit ſeiner Erhoͤhung zum Herzogthume 1495.
und vermoͤge einer 1555. von Carl dem V. beſtaͤ-
tigten Hofgerichtsordnung die Befreyung von Ap-
pella-
(s)
abſchiede 1570. §. 66. war ſie auf 150., im De-
putationsabſchiede 1600. §. 14. auf 300. Fl. erhoͤ-
het worden. Nun beſtimmte der juͤngſte R. A. §.
112. die Summe von 600. Fl. oder 400. Rthlr.
(die nach dem jetzigen Werthe der Dinge doch wie-
der nicht mehr verhaͤltnißmaͤßig iſt, ſondern wohl
von neuem erhoͤhet zu werden verdiente.)
(v)
Reichsabſchied 1654. §. 113.
(u)
pellationen an die Reichsgerichte behauptet, ſofern
Wuͤrtenbergiſche Unterthanen nur unter ſich, nicht
mit auswaͤrtigen im Rechtsſtreite begriffen ſind.
Die uͤbrigen unbeſchraͤnkten Appellationsprivilegien
ſind in folgender Ordnung nach einander ertheilt
worden: 1559. May 2. an das geſammte Haus
Sachſen; 1586. Jul. 24. an Churbrandenburg;
1620. May 16. an das Haus Baiern; 1648. im
Weſtphaͤliſchen Frieden an die Krone Schweden we-
gen Pommern, Bremen und Verden; 1652. Jul.
17. an Churpfalz; 1653. Apr. 20. an Churcoͤlln,
(ſo jedoch durch einen Landtagsſchluß 1655. außer
Gang geſetzt worden); 1655. Apr. 30. an Chur-
mainz; 1716. Aug. 16. an Churbraunſchweig;
1721. Sept. 30. an Churtrier; 1742. Dec. 7. an
Heſſencaſſel; 1746. May 31. an Preuſſen fuͤr ſei-
ne nicht churfuͤrſtliche Laͤnder; 1747. May 11. an
Heſſendarmſtadt; 1748. Nov. 8. an Hannover fuͤr
Sachſenlauenburg und das Land Hadeln; 1764.
Jul. 1. an Pfalzzweybruͤcken, und an Churpfalz
fuͤr Juͤlich und Berg; und endlich in Gefolg des
Teſchner Friedens 1779. an Mecklenburg.
(w)
Osnabr. Friede Art. 10. §. 12.
(x)
R. A. 1654. §. 180.
(y)
R. A. 1654. §. 14. S. oben S. 219.
(z)
Oben S. 65. III.
(a)
Osnabr. Fr. Art. 5. §. 27.
(b)
§. 30. u. 31. des 5. Art. im Osn. Frieden.
(c)
Osnabr. Fr. Art. 5. §. 33.: ”annihilatis
omnibus anni 1624. obſeruantiae, vtpote quae in-
ſtar regulae obtineat
, contrariis latis ſententiis,
reuerſalibus, pactis” \&c.
(d)
Oben Th. 1. S. 409. VII.
(e)
Luͤnigs Reichsarchiv part. ſpecial. Th. 1.
S. 523.
(f)
Luͤnig am a. O. S. 537. 540.
(g)
Osnabr. Fr. Art. 5. §. 33.
(h)
Oben S. 33.
(i)
Struvs Pfaͤlziſche Kirchenhiſtorie S. 562.
(k)
Meiern Exec. Handl. Th. 2. S. 599.
(l)
Moſer von der Landeshoheit im Geiſtl.
S. 616.
(m)
Struvs Pfaͤlz. Kirchenhiſt. S. 628. Koe-
lers
Muͤnzbeluſt. Th. 1. S. 323.
(n)
Moſer von der Landeshoheit im Geiſtl.
S. 619.
(o)
Von den Directorien der beiden hoͤheren
Collegien wurden vier Fragen entworfen, folgen-
den weſentlichen Inhalts: I) Ob in Reichsſtaͤdten
ge-
(o)
gemiſchter Religion ein oder anderm Theile frey
ſtehe, auf ſeine Koſten und ohne Schmaͤlerung des
gemeinen Guts und Stiftungen, Kirchen, Schu-
len, Kloͤſter ꝛc. einzufuͤhren, ungeachtet derglei-
chen am 1. Jan. 1624. nicht vorhanden geweſen?
II) Ob ein Landesherr in ſeiner Landſtadt nicht
oͤde und verlaſſen ſtehende Kirchen zu ſeiner Reli-
gionsuͤbung gebrauchen koͤnne, ſofern nur der an-
dern Religionsuͤbung, wie ſie 1624. geweſen, kein
Nachtheil geſchehe? III) Ob nicht ein gleiches
von einem ſolchen Landesherrn geſchehen koͤnne,
der mit einem andern verſchiedener Religion in Ge-
meinſchaft regiere? IV) Ob ein evangeliſcher
Reichsſtand eines auswaͤrtigen Kloſters Einkuͤnfte,
ſo er 1624. eingezogen, nicht dem Kloſter reſtitui-
ren muͤſſe?
(p)
Meiern Regensb. Reichstagshandl. Th. 1.
S. 232. u. f.
(q)
z. B. I) in der wegen der Ryßwickiſchen
Clauſel ertheilten Erklaͤrung vom 29. Sept. 1709.
in Fabers Staatscanzley Th. 15. S. 156.: ”Man
„koͤnn-
(r)
(r)
„koͤnnte von corporis catholicorum wegen die gan-
„ze ehrbare Welt urtheilen laßen ꝛc.” — Man
„wollte daher zu denſelben (evangeliſchen Staͤn-
„den) ſich dahin verſehen, ſie wuͤrden auf des ca-
„tholiſchen corporis Declaration in gutem Vertrauen
„ſich naͤher vernehmen zu laßen von ſelbſten belie-
„ben.” So kam auch II) in der zu Coͤlln den 4.
Maͤrz 1711. gezeichneten Erklaͤrung der kaiſerlichen
Adminiſtration wegen Reſtitution der reformirten
Gemeinde zu Oedenkirchen der Ausdruck vor: ”von
„dem auf dem Reichstage zu Regensburg verſam-
„melten corpore catholicorum.Fabers Staats-
canzley Th. 17. S. 46. Desgleichen ward III)
am 13. Oct. 1719. im Namen Churmainz erklaͤrt:
”ſo wuͤrde man es mit dem ganzen catholiſchen cor-
„pore
zu thun haben.” Fabers Staatscanzley
Th. 35. S. 369. Man ſehe auch allenfalls die
von Conferenzen des catholiſchen Religionstheils be-
kannt gewordenen Verhandlungen von den Jahren
1703. und 1729. in eben der Staatscanzley Th. 9.
S. 51-55., Th. 53. S. 236-247.
(r)
(r) So geſchah I) ſchon auf dem Reichstage
1598. von den Oeſterreichiſchen Directorialgeſand-
ten der Vortrag: ”Sie koͤnnten wegen Ihro kai-
„ſerlichen Majeſtaͤt unangezeigt nicht laßen, daß
„ein Unterſchied zu halten in den Sachen. Denn
„was die Gewiſſen betraͤfe, dieſelbigen Sachen
„waͤren bey dem Religionsfrieden zu laßen; wie
„dann in ſolchen nicht, wie in anderen Sachen,
„ſondern durch ſondere Raͤthe gehandelt (wer-
„de), alſo daß die Catholiſchen einen beſon-
„dern Rath, die andern auch einen beſon-
„dern Rath gehabt.” Schauroths
Samml.
vom corp. euang. Th. 2. S. 793. II) In dem
1700. mit dem Koͤnige in Preußen geſchloſſenen
Krontractate verſprach der Kaiſer Leopold die Er-
oͤrterung der Religionsbeſchwerden ſich angelegen
ſeyn
(r)
ſeyn zu laßen, ”ſobald dieſelben vom corpore Au-
„guſtanae confeſſionis
an Sie allerunterthaͤnigſt
„wuͤrden gebracht werden.” Schauroth am a.
O. S. 823. III) In der Churmainziſchen Erklaͤ-
rung vom 13. Oct. 1719. hieß es ebenfalls unter
andern: ”Ihre Churfuͤrſtliche Gnaden haͤtten ſich
„dergleichen nicht verſehen, indem man ſich von
„Seiten corporis euangelici ſelbſt — engagirt haͤt-
„te ꝛc.” Fabers Staatscanzley Th. 35. S. 366.
Noch mehr aͤhnliche Stellen finden ſich zuſammen-
getragen in Ern. Lud. Posseltſyſtemate iurium
corporis euangelici
(Kehl 1786. 8.) p. 50. ſq.
(s)
Schauroths Samml. vom corp. euang.
Th. 2. S. 759. 791. u. f.
(t)
Osnabr. Friede Art. 5. §. 22.
(u)
Osnabr. Fr. Art. 10. §. 9.
(v)
R. A. 1641. §. 97. 98.
(w)
R. A. 1654. §. 197.
(x)
Oben S. 12.
(y)
Noch im Jahre 1711. beſchloſſen die Chur-
fuͤrſten, daß ihre Geſandten vom erſten Range alle
andere, die nur vom zweyten Range waͤren, nur
in oder vor dem Zimmer empfangen, und die Hand
uͤber ſie nehmen ſollten. In einem anderweiten
Schluſſe (1726. Nov. 18.) haben ſie nachher ſo
weit nachgegeben, daß jene von letzteren zwar den
erſten Beſuch und den Excellenztitel erwarten, je-
doch dieſelben an der halben Treppe empfangen,
auch ſo wieder bis dahin begleiten, und ihnen im
Gehen, Stehen, Sitzen die Hand geben. Sie
verlangen hingegen Empfang und Begleitung we-
nigſtens am Ende der Treppe, wenn ſie auswaͤr-
tige Geſandten vom zweyten Range beſuchen. Fa-
bers
Staatscanzley Th. 49. S. 690.
(z)
R. A. 1543. §. 17.
(a)
In einem gewiſſen Aufſatze ward hiebey noch
die gruͤndliche Anmerkung gemacht: ”Man koͤnne
aus dieſem Streite uͤber das Geſundheittrinken
urtheilen, wie ſtark man damals an des Princi-
palcommiſſarien Tafel getrunken haben muͤße.
Denn erſtlich habe man des Kaiſers Geſundheit
getrunken, dann der Kaiſerinn, hernach der Chur-
fuͤrſten insgeſammt, und noch beſonders derjeni-
gen, deren Geſandten zugegen geweſen, ferner
des geſammten Reichsfuͤrſtenraths, des Principal-
und Concommiſſarien, der chur- und fuͤrſtlichen
Geſandten; außer was ſonſt noch von Krieg und
Frieden oder anderen Veranlaßungen ausgebracht
worden; zumal da die Glaͤſer dem loͤblichen Ge-
brauche nach nicht klein waren, man auch nicht
die Freyheit hatte, ſich nach Belieben einſchenken
zu laßen.”
(b)
Wahlcap. Art. 15. §. 3.
(c)
Pachner von Eggenſtorf Samml. der
Reichsſchluͤſſe Th. 1. S. 261. 377. 405.
(d)
Pachner am a. O. S. 451. Schmauß
corp. iur. publ. S. 1076.
(e)
R. A. 1654. §. 180. oben S. 224.
(f)
Pachner am a. O. S. 495.
(g)
Pachner am a. O. S. 518. u. f. Schmauß
am a. O. S. 1077. u. f.
(h)
Pachner am a. O. S. 519. Schmauß am
a. O. S. 1078.
(i)
Oben S. 259.
(k)
Stammliſte der Preuſſiſchen Armee (Frf.
u. Lpz. 1756. 4.) S. 1. 59. 116. u. f.
(l)
Kurzgefaßte Geſchichte aller kaiſerlichkoͤnig-
lichen Regimenter bis 1759. Frf. u. Lpz. 1760. 8.
(m)
Rinks Leben Leopolds S. 245.
(n)
Keyßlers Reiſen Th. 2. S. 1001.
(o)
Rinks Leben Leopolds S. 253.
(p)
J. F. S. kurzgefaßte Geſchichte aller Chur-
braunſchweigluͤneburgiſchen Regimenter ꝛc. Frf. u.
Lpz. 1760. 8.; F. v. W. kurzgefaßte Geſchichte
der Errichtung ſaͤmmtlicher Churbraunſchweigiſchen
Truppen ꝛc. Zelle 1769. 8.
(q)
Pachners von Eggenſtorf Reichstagsſchluͤſſe.
Th. 1. S. 574.
(r)
Caesarinvs Fürstenerivsde iuve ſupre-
matus ac legationis principum Germaniae
,
1677. 12.
Meine Litteratur des Staatsrechts Th. 1. S. 249-
253.
(s)
Wahlcap. Art. 4. §. 11.
(t)
Luͤnigs Reichsarchiv part. ſpec. (vol. 5.)
S. 734. Struvs Pfaͤlziſche Kirchenhiſtorie S.
687.
(u)
Schauroths Samml. vom corp. euang.
Th. 2. S. 286. 289.
(v)
Schauroth am a. O. S. 285.
(w)
Schauroth am a. O. S. 290. 297.
(x)
Schauroth am a. O. S. 305-398.
(y)
Schauroth am a. O. S. 399-401.
(z)
Luͤnigs Reichsarchiv part. ſpec. (vol. 5.)
S. 754. Fabers Staatscanzley Th. 10. S. 71.
803., Struvs Pfaͤlziſche Kirchenhiſtorie S. 1112.
(a)
Viele hieher gehoͤrige beſondere Umſtaͤnde
enthaͤlt ein eigentlich dieſem Gegenſtande gewidme-
tes Buch: ”Die neueſte Religionsverfaſſung und
Religionsſtreitigkeiten der Reformirten in der Un-
terpfalz, aus authentiſchen Quellen,” Leipzig 1780.
8. (30. Bogen). Das weſentlichſte davon iſt erſt
kuͤrzlich in einem ”Memoriale der geſammten evan-
geliſch reformirten Geiſtlichkeit in der Unterpfalz
vom 30. Oct. 1784.” in Begleitung mit einer be-
ſondern ſpecie facti (zuſammen 8. Bogen in Fol.)
an das evangeliſche Corpus gebracht, und bey
dieſem den 6. May 1786. dictirt worden. Aus
dieſen beiden Quellen habe ich meiſt die hier folgen-
den beſonderen Umſtaͤnde genommen.
(b)
So haben z. B. die Jeſuiten zu Neuſtadt
an der Hardt die den Reformirten genommenen
Schaffnereyen Branchweiler und Winzingen be-
kommen, welche jaͤhrlich uͤber 1149. Gulden an
Geld, 16. Fuder Wein, 228. Malter Korn, 4.
Malter Gerſte, 52. Malter Spelz und 42. Mal-
ter Haber abwerfen. Das noch eintraͤglichere Stift
Neuburg iſt den Jeſuiten zu Heidelberg eingeraͤumt
worden. Die Carmelitergefaͤlle zu Weinheim hat
man den dortigen Carmelitern gegeben.
(c)
Z. B. an den Grafen von Leiningen-Harten-
burg iſt von dem Stifte Limburg und der Schaff-
nerey Bockenheim ein jaͤhrlicher Ertrag von 500.
Gulden an Geld, 55. Fuder Wein, 568. Malter
Korn, 45. Malter Gerſte, 145. Malter Spelz,
60. Malter Haber als ein Churpfaͤlziſches Lehn
uͤbertragen worden. Noch im Jahre 1706. wurde
den Reformirten das Stift Neuhauſen mit beyna-
he 20. tauſend Fl. jaͤhrlicher Einkuͤnfte nebſt noch
einigen Schaffnereygefaͤllen genommen, und dem
Hochſtifte Worms uͤberlaßen; ohne daß die Refor-
mirten fuͤr alles das eine Verguͤtung erhalten
haben.
(d)
Die Erhaltung der geiſtlichen Adminiſtra-
tion, welche 1706. mit 6276. Fl. beſtritten wurde,
koſtete im Jahre 1775. an Gelde 33.358. Fl., und
an Fruͤchten 996. Malter Korn, 53. Malter Ger-
ſte, 269. Malter Haber und 79. Fuder Wein. Da-
von haben die catholiſchen Mitglieder der Admini-
ſtration 19.328. Fl., 581. Malter Korn, nebſt der
gan-
(d)
ganzen Gerſte- und Haberbeſoldung und 45. Fu-
der 1. Ohm Wein gezogen; alſo 5498. Fl., 168.
Malter Korn, 53. Malter Gerſte, 266. Malter
Haber, und 11. Fuder 2. Ohm Wein mehr als die
Reformirten; da ſie doch nur 2/7 zu den Koſten bey-
tragen, alſo gegen 9798. Gulden, 269. Malter
Korn, und 22. Fuder 5. Ohm Wein mehr empfan-
gen als gegeben haben. Des catholiſchen Praͤſi-
denten Beſoldung alleine belaͤuft ſich auf 5. tau-
ſend Gulden. Fuͤr Schreibmaterialien bekoͤmmt
er noch beſonders an Geld 40. Fl. Dennoch iſt
in den Jahren 1765. bis 1780. noch eine Summe
von 3173. Fl. an Schreibmaterialien fuͤr ihn ver-
rechnet worden.
(e)
Einige wenige Beyſpiele ausgenommen, ſind
die Reformirten ſowohl von allen Hofaͤmtern und
Gerichtsſtellen, als von Stadtdirectorien und Land-
beamtenſtellen ausgeſchloſſen. Es erſtreckt ſich ſo
gar bis auf Dorfſchulzen, Gerichtſchreiber und
Pedellen, wozu man ſtatt alter erfahrner einheimi-
ſcher Reformirten lieber auslaͤndiſche Maurerge-
ſellen, Strohſchneider, Schaͤfer und Tageloͤhner
beruͤft, wenn ſie nur catholiſch ſind. Ein refor-
mirter Schulz, wenn gleich der ganze Ort oder
der groͤßte Theil deſſelben reformirt waͤre, iſt in
der Pfalz eine ſeltene Erſcheinung. So aͤußert
ſich obige ſpecies facti vom Oct. 1784.
(f)
Oben Th. 1. S. 15.
(g)
Oben Th. 1. S. 243.
(h)
Oben S. 13.
(i)
Luͤnigs Reichsarchiv part. ſpec. ſect. 4.
S. 169. u. f.
(k)
Galletti Geſchichte des Herzogthums Go-
tha Th. 1. S. 309.
(l)
Nehmlich von Philipp Wilhelms acht er-
wachſenen Soͤhnen waren fuͤnf dem geiſtlichen
Stande gewidmet. Einer davon ſtarb zwar im
24. Jahre, und einer (Carl Philipp, der hernach
noch Churfuͤrſt in der Pfalz wurde,) legte in ſeinem
27. Jahre den geiſtlichen Stand nieder. Von den
uͤbrigen wurde aber ſchon 1683. Franz Ludewig
Biſchof zu Breslau, 1685. Ludewig Anton Teutſch-
meiſter, 1690. Alexander Sigismund Biſchof zu
Angsburg († 1737.), 1691. Ludewig Anton Co-
(m)
Eleonora Magdalena von Pfalzneuburg,
Philipp Wilhelms Tochter, ward 1676. des Kaiſer
Leopolds dritte Gemahlinn, und 1685. die Mutter
Carls des VI. Sie ſtarb als verwittwete Kaiſe-
rinn 1720.
(l)
adjutor zu Mainz und 1694. Biſchof zu Worms
und Luͤttich († 1694. May 4.), 1694. Franz Lu-
dewig Biſchof zu Worms und Teutſchmeiſter und
1710. Churfuͤrſt zu Trier, 1729. Churfuͤrſt zu
Mainz († 1732.)
(n)
Pachner von Eggenſtorf Reichsſchluͤſſe
Th. 1. S. 182.
(o)
So kam z. B. in einem graͤflich Schwarzen-
bergiſchen Memoriale im Aug. 1647. folgende Stel-
le vor: — ”Und iſt unwiderſprechlich, daß ei-
„nem jeden Stande — frey und bevorſtehe, ſeine
„von Gott ihm anvertraute Unterthanen ohne ei-
„niges Abſehen — auf eben dem Wege, in wel-
„chem er vor ſeine ſelbſteigne Perſon die Seligkeit
„zu erlangen getrauet, zu leiten und zu fuͤhren;
„zumal ſich nichts mehr geziemet, als daß der Un-
„terthan ſeiner Obrigkeit und ſeinem Herrn folge,
„und ſeine Religion amplectire.” Meiern Weſt-
phaͤl. Friedenshandl. Th. 5. S. 346.
(p)
Wie das Haus Heſſencaſſel hernach im Oct.
1733. dem Oberrheiniſchen Kreiſe zwar wieder bey-
getreten, allein 1741. ſich auch wiederum davon
getrennet, bis endlich im Jan. 1764. von neuem
deſſen Beytritt erfolget, beſchreibt Moſer von der
Teutſchen Kreisverfaſſung S. 44-50.
(q)
Luͤnigs Reichsarchiv part. ſpec. Th. 2.
S. 239.
(r)
In einem Aufſatze des Wiener Hofes vom
Jahre 1759. wird wenigſtens geaͤußert: ”daß die
Fuͤhrung des directorii (euangelici) durch Chur-
ſachſen — wider anfaͤngliches Verhoffen, zeither
ſchlechten Vortheil gebracht habe;” und noch in
einer andern Stelle: ”daß das catholiſche Weſen
davon ſchlechten Vortheil gehabt, daß Churſachſen
und Wuͤrtenberg bey den Proteſtanten geblieben.”
Fabers neue Europ. Staatscanzley Th. 4. (1761.)
S. 251. 261.
(s)
Wahlcap. (1764.) Art. 3. §. 21.
(t)
Meine Rechtsfaͤlle B. 2. Th. 4. S. 934. §.
320., S. 949. §. 381.
(u)
Fabers Staatscanzley Th. 13. S. 626.
(v)
S. von Achtserklaͤrungen oben S. 113., von
der Wahlcapitulation S. 119., von der Roͤmiſchen
Koͤnigswahl S. 121.
(w)
Wahlcap. Art. 3. §. 11. von der Roͤmiſchen
Koͤnigswahl; Art. 20. §. 3. 4. 5. von der Achts-
erklaͤrung.
(x)
In der Wahlcapitulation (1711.) Art. 1.
§. 5. wird der Kaiſer verbindlich gemacht ”keine
Fuͤrſten, Grafen und Herren in fuͤrſtlichen oder
graͤflichen Collegien aufzunehmen, ſie haben ſich
dann vorher mit einem unmittelbaren Fuͤrſtenthu-
me, Grafſchaft oder Herrſchaft gnugſam qualifi-
cirt, und mit einem ſtandeswuͤrdigen Reichsan-
ſchlage (add. 1742.: weshalb in comitiis das noͤthi-
ge forderſamſt zu reguliren,) in einen gewiſſen Kreis
eingelaßen und verbunden, und uͤber ſolches alles
neben dem churfuͤrſtlichen auch dasjenige Collegium
und (die) Bank, darin ſie aufgenommen werden
ſollen, in die Admiſſion ordentlich gewilliget.”
(y)
Wahlcap. Art. 4. §. 12.
(z)
Der Jeſuit Paul Usleber war Profeſſor
des canoniſchen Rechts zu Heidelberg, und hielt
am 30. Aug. 1715. eine Disputation unter der
Aufſchrift: Vetus \& moderna eccleſiae diſciplina.
Hier berief er ſich auf alle jemals wider jede ſo
genannte Ketzer gemachte intolerante Geſetze, ver-
moͤge deren ſie fuͤr infam geachtet, aller Ehren-
ſtellen beraubt, ſelbſt mit Lebensſtrafen belegt wer-
den muͤßten, und kein Rechtglaͤubiger mit ihnen
Umgang oder gar Freundſchaft halten duͤrfte. Das
alles brachte er namentlich auf die Reformirten in
Anwendung. Und dann ſagt er: ”Setzt mir nicht
Reichsabſchiede und Reichsgeſetze entgegen; die
koͤnnen allenfalls in nothwendigen Beduͤrfniſſen ei-
ne Gemeinſchaft mit Ketzern fuͤr erlaubt erklaͤren;
aber uͤber die Graͤnzen der Nothwendigkeit bis zu
vertraulichen ſeelengefaͤhrlichen Freundſchaften koͤn-
nen
(a)
Noch im Jahre 1722. u. f. erſchienen Schrif-
ten unter folgenden Titeln: ”Friß Vogel oder
ſtirb; Schoͤne Raritaͤten, ſchoͤne Spielwerk, ſchoͤ-
ne Murmelthier; Bucephalus das Faſtnachtsroß ꝛc.”
Unter andern wurde in einer ſolcher Schriften ge-
aͤußert: ”Die Lutheraner und Reformirten wuͤrden
im Reiche gleichſam ohne Buͤrgerrecht nur tolerirt,
wie man an manchen Orten Huren und Juden,
nur um groͤßere Uebel dadurch zu verhuͤten, und
weil man ſie noch zur Zeit nicht voͤllig ausrotten
und vertilgen koͤnnte, duldete.” Und doch waren
dieſe Schriften mit vorgedruckter Erlaubniß der
Oberen, namentlich der biſchoͤflich Speieriſchen
und Augsburgiſchen Vicariate, gedruckt. Schau-
roth
am a. O. S. 158. Wider das Buch: Friß
Vogel oder ſtirb, deſſen Verfaſſer Joh. Nic. Weis-
linger
zwar kein Jeſuit war, aber ſich gaͤnzlich
der Polemik gewidmet hatte, ergieng zwar 1735.
ein Reichshofrathsconcluſum; es erſchien aber doch
nachher auch wieder in neuen Auflagen. Schau-
roth
am a. O. S. 1001., Moſer von der Teut-
ſchen Religionsverfaſſung S. 515. Noch in einem
1749. zu Straßburg gedruckten Buche unter dem
Titel: Armamentarium catholicum perantiquae
bibliothecae, quae aſſeruatur Argentorati in com-
menda ordinis Melitenſis S. Ioannis Hieroſolymi-
tani,
erlaubte ſich eben dieſer Weislinger gegen
proteſtantiſche Prediger und Schriftſteller ſolche
Ausdruͤcke, als Canaille, Beſtie, Spitzbuben,
Baͤrenhaͤuter, elender Halunk, ehrloſe galgenmaͤ-
ßige Schelme, unſinnige Narren, atheologiſche
Batſch-
(z)
nen ſie jenen goͤttlichen Geſetzen keinen Abbruch
thun.” Schauroths Samml. vom corp. euang.
Th. 3. S. 779.
(a)
Batſchbuben, Nachrichtermaͤßige Galgenvoͤgel ꝛc.
Luthern ſelbſt nannte er einen Generalſanhund ꝛc.
Und in der vorgeſetzten Erlaubniß der Oberen zum
Druck ward doch bezeuget, daß man nichts den
guten Sitten zuwiderlaufendes darin gefunden
habe.
(b)
Osnabr. Fr. Art. 5. §. 52. Oben S. 78.
u. f.
(c)
Noch einleuchtender iſt vielleicht folgende
Parodie von dieſer Art der Auslegung:
In cauſis religionis
omnibusque aliis nego-
tiis, vbi ſtatus tamquam
vnum corpus conſidera-
ri nequeunt,
vt etiam catholicis et
A. C. ſtatibus in duas
partes euntibus,
ſola amicabilis com-
poſitio lites dirimat, non
attenta votorum plurali-
tate.

Im Regen
und bey allem andern
ſchlechten Wetter, wenn
die Sonne nicht ſcheint,
wie auch ſo oft wir Luft
haben zu ſpielen oder zu
tanzen,
halten wir Geſellſchaft
und gehen nicht ſpatzie-
ren.
Ergo
(c)
Ergo
non fas eſt ire in par-
tes
niſi in cauſis religio-
nis?

Folglich
duͤrfen wir nicht ſpielen
oder tanzen,
als im Regenwetter?
(d)
Osnabr. Friede Art. 5. §. 55. Oben S.
108. u. f.
(e)
Meine Litteratur des Staatsrechts Th. 3.
S. 250.
(f)
In einem Commiſſionsdecrete vom 3. Nov.
1720. ließ der Kaiſer auf Erhoͤhung der Beſoldun-
gen des Cammerrichters und der Praͤſidenten an-
tragen. Es ward aber im Reichsgutachten vom
8. Nov. 1726. abgelehnt, ”weil der diesmal aus-
gefundene fundus ſurrogatorius dazu nicht erkleck-
lich ſey.” Samml. der R. A. Th. 4. S. 348.
und 361.
(g)
In einer im Jahre 1736. von ſaͤmmtlichen
Procuratoren am Cammergerichte uͤbergebenen Vor-
ſtellung beſchwerten ſich dieſelben, daß die heilſa-
me Juſtitz durch ſolche Perſonen, welche auf die
Cam-
(g)
Cammergerichtsordnung nicht verpflichtet ſeyen,
gleichſam negotiirt werde, und daß ſolche Leute
allerley verbotene Mittel und Wege ſuchten ꝛc.
”Dergleichen thun — (fuhren ſie fort,) der Juͤ-
„dinn Braͤunchen Sohn, Mardochai, nebſt noch
„vielen anderen, als hieſigen Stiftscanonicis, Je-
„ſuiten, Franciſcanern, Medicis, Frauenzimmer
„von allerley Stande, Chriſtinnen und Juͤdin-
„nen ꝛc.” Meine Vorleſung von der Sollicita-
tur ꝛc. (Goͤtting. 1768. 4.) S. 13.
(h)
Oben S. 279.
(i)
Oben Th. 1. S. 416-420.
(k)
Strube rechtl. Bed. Th. 2. S. 32.
(l)
Oben Th. 1. S. 415.
(m)
Oben S. 70.
(n)
Dubium camerale 1568. Harpprechts
Staatsarchiv des Cammergerichts Th. 5. im Vor-
berichte §. 39. S. 27.
(o)
Viſitations-Memorial 1570. §. 7. im corp.
iur. cam.
(Frankf. 1724.) S. 303. 304.
(p)
Concept der C. G. O. Th. 2. Tit. 1. §. 3.
(q)
Oben Th. 1. S. 419.
(r)
Oben S. 222.
(s)
Cammergerichtsordnung 1555. Th. 2. Tit.
28. §. 5., Concept der C. G. O. Th. 2. Tit. 31.
§. 14.
(t)
Oben Th. 1. S. 418.
(u)
So appellirte im Jahre 1747. ein evangeli-
ſcher Prediger, Doctor Glaͤſener, zu Hildesheim,
den das dortige evangeliſche Conſiſtorium in Gefolg
eines von der theologiſchen und juriſtiſchen Facul-
taͤt zu Leipzig eingeholten Urtheils wegen Wider-
ſetzlichkeit gegen ſeine Oberen abgeſetzt hatte, an
den Reichshofrath, und im Jahre 1754. ein zu
Hamburg abgeſetzter Conrector an das Cammerge-
richt. Beide Appellationen wurden aber bey den
Reichsgerichten als Nullitaͤtsklagen eingefuͤhrt.
Wegen der erſtern Sache erließ das evangeliſche
Corpus am 4. Apr. 1750. ein beſonderes Vor-
ſtel-
(u)
ſtellungsſchreiben an den Kaiſer. Schauroths
Samml. vom corp. euang. Th. 1. S. 706. Von
der andern Sache, worin das Cammergericht end-
lich den Conrector ſelbſt abwies, finden ſich naͤhere
Nachrichten in meinen Rechtsfaͤllen B. 1. Th. 1.
S. 171-220.
(v)
Sammlung von Reichshofrathsgutachten
Th. 3. (Frf. 1754. 8.) S. 206. u. f.
(w)
Oben S. 359.
(x)
Als Carl der VI. im Sept. 1723. nebſt ſei-
ner Gemahlinn zu Prag die Boͤhmiſche Krone em-
pfieng, ward eine Muͤnze geſchlagen mit der Um-
ſchrift: ”Gott begleite die Boͤhmiſche Krone mit
einem erzherzoglichen Sohne.” Der Wunſch gieng
aber nicht in ſeine Erfuͤllung.
(y)
Pachner von Eggenſtorf Reichsſchluͤſſe Th.
4. S. 610.
(z)
Oben S. 383.
(a)
Jac. Gottl. Sieber von den Schwierigkei-
ten in den Reichsſtaͤdten des Reichsgeſetz vom 16.
Aug. 1731. wegen der Mißbraͤuche bey den Zuͤnf-
ten zu vollziehen, Gosl. u. Lpz. 1771. 8.
(b)
Wahlcap. (1663. und 1711.) Art. 9. §. 7.
(c)
Solche Muͤnzſtaͤdte ſollten ſeyn: in Fran-
ken Wuͤrzburg, Schwabach, Nuͤrnberg, Wert-
heim; in Baiern Muͤnchen, Salzburg, Regens-
burg; in Schwaben Stutgard, Baden, Augs-
burg, Tettnang; im Oberrheiniſchen Kreiſe Ful-
da, Darmſtadt, Hanau, Frankfurt; in Weſtpha-
len Muͤnſter, Cleve, Duͤſſeldorf, Paderborn, Luͤt-
tich, Osnabruͤck, Minden, Coͤlln, Aachen, Dort-
mund; in Oberſachſen Leipzig, Berlin, Stettin,
Saalfeld; in Niederſachſen Magdeburg, Bre-
men, Braunſchweig, Luͤbeck. Moſer von Reichs-
tagsgeſchaͤfften S. 1425., von der Kreisverfaſſung
S. 740.
(d)
R. A. 1570. §. 133., R. A. 1571. §. 27.,
Wahlcap. (1690.) Art. 9. §. 2.
(e)
Pachner von Eggenſtorf Reichsſchluͤſſe Th.
4. S. 689.
(f)
Buͤſchings Erdbeſchreibung Th. 3. (Aufl.
6.) S. 841.

Dieses Werk ist gemeinfrei.


Rechtsinhaber*in
Kolimo+

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2025). Collection 3. Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs. Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bq1b.0