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Gedichte


Stuttgart und Tübingen:
in derJ. G. Cotta’ſchen Buchhandlung.
1815.

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Vorwort.


Lieder ſind wir, unſer Vater

Schickt uns in die offne Welt,

Auf dem kritiſchen Theater

Hat er uns zur Schau geſtellt.

Nennt es denn kein frech Erkühnen,

Leiht uns ein geneigtes Ohr,

Wenn wir gern vor euch Verſammelten

Ein empfehlend Vorwort ſtammelten!

Sprach doch auf den griech’ſchen Bühnen

Einſt ſogar der Fröſche Chor.

Anfangs ſind wir faſt zu kläglich,

Strömen endlos Thränen aus,

Leben dünkt uns zu alltäglich,

Sterben muß uns Mann und Maus.

Doch man will von Jugend ſagen,

Die von Leben überſchwillt;

Auch die Rebe weint, die blühende,

Draus der Wein, der purpurglühende,

In des reifen Herbſtes Tagen,

Kraft und Freude gebend, quillt.

[4]
Und, bei Seite mit dem Prahlen!

Andre ſtehn genug zur Schau,

Denen heiſſe Mittagsſtralen

Abgeleckt den Wehmuthsthau.

Wie bei alten Ritterfeſten

Mit dem Tode zog Hanswurſt,

Alſo folgen ſcherzhaft ſpitzige

Und, will’s Gott! erträglich witzige.

Aechtes Leid ſpaßt oft zum beſten,

Kennt nicht eiteln Thränendurſt.

Lieder ſind wir nur, Romanzen,

Alles nur von leichtem Schlag,

Wie man’s ſingen oder tanzen,

Pfeifen oder klimpern mag.

Doch vielleicht wer ſtillem Deuten

Nachzugehen ſich bemüht,

Ahnt in einzelen Geſtaltungen

Größeren Gedichts Entfaltungen

Und als Einheit im Zerſtreuten

Unſres Dichters ganz Gemüth.

Bleibt euch dennoch Manches kleinlich,

Nehmt’s für Zeichen jener Zeit,

Die ſo drückend und ſo peinlich

Alles Leben eingeſchneit!

Fehlt das äußre freie Weſen,

Leicht erkrankt auch das Gedicht;

Aber nun die hingemoderte

Freiheit Deutſchlands friſch aufloderte,

Wird zugleich das Lied geneſen,

Kräftig ſteigen an das Licht.

[5]
Seyen denn auch wir Verkünder

Einer jüngern Brüderſchaar,

Deren Bau und Wuchs geſünder,

Höher ſey, als unſrer war!

Dies iſt, was wir nicht geloben,

Nein! vom Himmel nur erflehn.

Und ihr ſelbſt ja ſeyd Vernünftige,

Die im Jetzt erſchaun das Künftige,

Die an junger Saat erproben,

Wie die Frucht einſt wird beſtehn.

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Lieder.


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Des Dichters Abendgang.


Ergehſt du dich im Abendlicht, —

Das iſt die Zeit der Dichterwonne —

So wende ſtets dein Angeſicht

Zum Glanze der geſunknen Sonne!

In hoher Feier ſchwebt dein Geiſt,

Du ſchaueſt in des Tempels Hallen,

Wo alles Heil’ge ſich erſchleußt

Und himmliſche Gebilde wallen.

Wann aber um das Heiligthum

Die dunkeln Wolken niederrollen:

Dann iſt’s vollbracht, du kehreſt um,

Beſeligt von dem Wundervollen.

In ſtiller Rührung wirſt du gehn,

Du trägſt in dir des Liedes Segen;

Das Lichte, das du dort geſehn,

Umglänzt dich mild auf finſtern Wegen.

[10]

An den Tod.


Der du ſtill im Abendlichte

Wandelſt durch der Erde Beek,

Klare Blumen, goldne Früchte

Sammelſt, die dir Gott geſät:

Schon’, o Tod, was, ſanft entzücket,

An des Lebens Bruſt ſich ſchmiegt,

Sich zum ſüßen Liede wiegt

Und zum Mutterauge blicket!

Laß der Erde ihre Söhne,

Deren Kraft im Sturme fleugt,

Daß ein freudiges Getöne

Schnell aus todten Wäldern ſteigt!

Löſche nicht den Geiſt des Weiſen,

Deſſen heil’gen Sonnenglanz,

Schön verwebt in ſichrem Tanz,

Jugendliche Mond’ umkreiſen.

Auf der Silberwolke fahre

Still dahin zur Sternezeit,

Wo ein Greis am Hausaltare

Jedem Abend Thränen weiht;

Sprich die Namen ſeiner Lieben,

Führ ihn auf in ihren Kranz,

Wo des Auges ew’gen Glanz

Keiner Trennung Zähren trüben!

[11]
Und den Jüngling, dem die Liebe

Heiſſes Sehnen aufgeweckt,

Der in ungeſtilltem Triebe

Offne Arme ausgeſtreckt,

Dann zur Blumenflur der Sterne

Aufgeſchauet liebewarm:

Faß ihn freundlich Arm in Arm,

Trag ihn in die blaue Ferne!

Wo es bräutlich glänzt und hallet,

Liebeathmend ihn umſchließt,

Was ihn geiſtig einſt umwallet

Und mit leiſem Gruß gegrüßt;

Wo es in der Seele maiet,

Die, von neuem Leben jung,

Ewiger Begeiſterung,

Ewigen Geſangs ſich freuet,

[12]

Harfnerlied am Hochzeitmahle.


Feſtlich iſt der Freude Schall

Durch dies hohe Haus geſchwebet,

Und ein dumpfer Widerhall

Aus der Gruft emporgebebet.

In der ſchönen Jubelnacht

Habt der Väter ihr gedacht,

Manche hohe That beſungen

Aus der Vorzeit Dämmerungen.

Oft war dieſes Saales Raum

Schimmervoll bei frohen Feſten,

Wie mit jedem Lenz der Baum

Prangt in friſchen Blüthenäſten.

Ach! die hier in Fröhlichkeit

Treuer Liebe Bund geweiht,

Drunten in der Schlummerhalle

Ruhen ſie beiſammen alle.

Auf des Lebens Bahn dahin

Fleugt der Menſch mit Sturmeseile,

Dann in treuer Freunde Sinn

Dauert er noch kurze Weile.

Durch den Saal, in Erz und Stein,

Stehn der Vorwelt lange Reihu,

Können nicht das Auge heben,

Nicht das Wort der Liebe geben.

[13]
Keine ewig helle That

Hebt dich aus der Nacht der Grüfte;

Niemand ſah des Donners Pfad,

Noch den Fittig ſanfter Lüfte.

Wie du auf zu Gott geblickt,

Wie des Freundes Hand gedrückt,

Wie der Liebe Kuß gegeben,

Das entſchwindet mit dem Leben.

Auch das Kind, das lächelnd ſich

In der Mutter Arm geſchmieget;

Und der Greis, der wonniglich

Enkel auf dem Schooß gewieget;

Und die Braut, mit Jugendluſt

Hängend an des Treuen Bruſt:

Alle lebten ſchönes Leben,

Alle ſoll das Lied erheben!

[14]

Der König auf dem Thurme.


Da liegen ſie alle, die grauen Höhn,

Die dunkeln Thäler, in milder Ruh;

Der Schlummer waltet, die Lüfte wehn

Keinen Laut der Klage mir zu.

Für Alle hab’ ich geſorgt und geſtrebt,

Mit Sorgen trank ich den funkelnden Wein;

Die Nacht iſt gekommen, der Himmel belebt,

Meine Seele will ich erfreun.

O du goldne Schrift durch den Sterneraum!

Zu dir ja ſchau’ ich liebend empor.

Ihr Wunderklänge, vernommen kaum,

Wie beſäuſelt ihr ſehnlich mein Ohr!

Mein Haar iſt ergraut, mein Auge getrübt,

Die Siegeswaffen hängen im Saal,

Habe Recht geſprochen und Recht geübt,

Wann darf ich raſten einmal?

O ſelige Raſt, wie verlang’ ich dein!

O herrliche Nacht, wie ſäumſt du ſo lang,

Da ich ſchaue der Sterne lichteren Schein,

Und höre volleren Klang!

[15]

Maiklage.


Leuchtet ſchon die Frühlingsſonne

Ueber See und Aue hin?

Hat zur Stätte ſtiller Wonne

Sich gewölbt der Zweige Grün?

Ach! die Gute, die ich meine,

Schenkt mir keinen Maienſtral,

Wandelt nicht im Blüthenhaine,

Ruhet nicht im Quellenthal.

Ja! es waren ſchönre Zeiten,

Als in buntbekränzten Reihn

Hirten mit den ſüßen Bräuten

Walleten zum Opferhain;

Als die Jungfrau, Krüge tragend,

Oft zum kühlen Brunnen trat,

Und der Wandrer, ſehnlich fragend,

Sie um Trunk und Liebe bat.

Ach! das Toben roher Stürme

Riß den goldnen Frühling fort.

Schlöſſer ſtiegen auf und Thürme,

Traurig ſaß die Jungfrau dort;

Lauſchte nächtlichem Geſange,

Sah hinab in’s Schlachtgewühl,

Sah es, wie im Waffendrange

Ihr getreuer Streiter fiel.

[16]
Und ein Alter, dumpf und trübe,

Lagerte ſich auf die Welt,

Das die ſchöne Jugendliebe

Wie ein Traum befangen hält.

Im Vorübereilen grüßen

Sich mit Blicken, voll von Schmerz,

Die ſich feſt und ewig ſchließen

Möchten an das treue Herz.

Welkt, ihr Blumen und ihr Bäume,

Höhnet nicht der Liebe Schmerz!

Sterbet auch, ihr Jugendkeime!

Schmachte hin, du volles Herz!

In die öde Nacht der Grüfte

Sinkt, ihr Jünglinge, hinab!

Flieder wallen in die Lüfte,

Roſen blühn um euer Grab.

[17]

Lied eines Armen.


Ich bin ſo gar ein armer Mann

Und gehe ganz allein.

Ich möchte wohl nur einmal noch

Recht frohen Muthes ſeyn.

In meiner lieben Eltern Haus

War ich ein frohes Kind,

Der bittre Kummer iſt mein Theil

Seit ſie begraben ſind.

Der Reichen Gärten ſeh’ ich blühn,

Ich ſeh’ die goldne Saat:

Mein iſt der unfruchtbare Weg,

Den Sorg’ und Mühe trat.

Doch weil’ ich gern mit ſtillem Weh

In froher Menſchen Schwarm

Und wünſche Jedem guten Tag,

So herzlich und ſo warm.

O reicher Gott! du lieſſeſt doch

Nicht ganz mich freudenleer:

Ein ſüßer Troſt für alle Welt

Ergießt ſich himmelher.

Uhlands Gedichte. 2
[18]
Noch ſteigt in jedem Dörflein ja

Dein heilig Haus empor;

Die Orgel und der Chorgeſang

Ertönet jedem Ohr.

Noch leuchtet Sonne, Mond und Stern

So liebevoll auch mir,

Und wann die Abendglocke hallt,

Da red’ ich, Herr, mit dir.

Einſt öffnet jedem Guten ſich

Dein hoher Freudenſaal,

Dann komm’ auch ich im Feierkleid

Und ſetze mich an’s Mahl.

[19]

Geſang der Jünglinge.


Heilig iſt die Jugendzeit!

Treten wir in Tempelhallen,

Wo in düſtrer Einſamkeit

Dumpf die Tritte widerſchallen!

Edler Geiſt des Ernſtes ſoll

Sich in Jünglingsſeelen ſenken,

Jede ſtill und andachtsvoll

Ihrer heil’gen Kraft gedenken.

Gehn wir in’s Gefild hervor,

Das ſich ſtolz dem Himmel zeiget,

Der ſo feierlich empor

Ueber’m Erdenfrühling ſteiget!

Eine Welt von Fruchtbarkeit

Wird aus dieſer Blüthe brechen.

Heilig iſt die Frühlingszeit,

Soll an Jünglingsſeelen ſprechen!

Faſſet die Pokale nur!

Seht ihr nicht ſo purpurn blinken

Blut der üppigen Natur?

Laßt uns hohen Muthes trinken!

Daß ſich eine Feuerkraft

Selig in der andern fühle.

Heilig iſt der Rebenſaft,

Iſt des Jugendſchwungs Geſpiele.

[20]
Seht das holde Mädchen hier!

Sie entfaltet ſich im Spiele;

Eine Welt erblüht in ihr

Zarter, himmliſcher Gefühle.

Sie gedeiht im Sonnenſchein,

Unſre Kraft in Sturm und Regen.

Heilig ſoll das Mädchen ſeyn,

Denn wir reifen uns entgegen!

Darum geht in Tempel ein,

Edeln Ernſt in euch zu ſaugen!

Stärkt an Frühling euch und Wein,

Sonnet euch an ſchönen Augen!

Jugend, Frühling, Feſtpokal,

Mädchen in der holden Blüthe,

Heilig ſeyn ſie allzumal

Unſrem ernſteren Gemüthe!

[21]

Lied des Gärtners.


Laßt euch pflücken, laßt euch pflücken,

Lichte Blümlein, meine Luſt!

Denn ihr ſollet lieblich ſchmücken

Meiner ſchönſten Fürſtin Bruſt.

Glühet purpurn nach der Süßen,

Aeugelt blau empor zu ihr!

Ach! ihr müßt es endlich büßen,

Sinken ohne Glanz und Zier.

Einſt auch glühten meine Wangen,

Meine Augen hin nach ihr:

Nun iſt alles Roth vergangen,

Aller blaue Schimmer mir.

[22]

Die Kapelle.


Droben ſtehet die Kapelle,

Schauet ſtill in’s Thal hinab,

Drunten ſingt bei Wieſ’ und Quelle

Froh und hell der Hirtenknab’.

Traurig tönt das Glöcklein nieder,

Schauerlich der Leichenchor;

Stille ſind die frohen Lieder,

Und der Knabe lauſcht empor.

Droben bringt man ſie zu Grabe,

Die ſich freuten in dem Thal;

Hirtenknabe! Hirtenknabe!

Dir auch ſingt man dort einmal.

[23]

Die ſanften Tage.


Ich bin ſo hold den ſanften Tagen,

Wann in der erſten Frühlingszeit

Der Himmel, blaulich aufgeſchlagen,

Zur Erde Glanz und Wärme ſtreut;

Die Thäler noch von Eiſe grauen,

Der Hügel ſchon ſich ſonnig hebt;

Die Mädchen ſich in’s Freie trauen,

Der Kinder Spiel ſich neu belebt.

Dann ſteh’ ich auf dem Berge droben

Und ſeh’ es alles, ſtill erfreut,

Die Bruſt von leiſem Drang gehoben,

Der noch zum Wunſche nicht gedeiht.

Ich bin ein Kind und mit dem Spiele

Der heiteren Natur vergnügt,

In ihre ruhigen Gefühle

Iſt ganz die Seele eingewiegt.

Ich bin ſo hold den ſanften Tagen,

Wann ihrer mild beſonnten Flur

Gerührte Greiſe Abſchied ſagen;

Dann iſt die Feier der Natur.

Sie prangt nicht mehr mit Blüth’ und Fülle,

All ihre regen Kräfte ruhn,

Sie ſammelt ſich in ſüße Stille,

In ihre Tiefen ſchaut ſie nun.

[24]
Die Seele, jüngſt ſo hoch getragen,

Sie ſenket ihren ſtolzen Flug,

Sie lernt ein friedliches Entſagen,

Erinnerung iſt ihr genug.

Da iſt mir wohl im ſanften Schweigen,

Das die Natur der Seele gab.

Es iſt mir ſo, als dürft’ ich ſteigen

Hinunter in mein ſtilles Grab.

[25]

Im Herbſte.


Seyd gegrüßt mit Frühlingswonne,

Blauer Himmel, goldne Sonne!

Drüben auch aus Gartenhallen

Hör’ ich frohe Saiten ſchallen.

Ahneſt du, o Seele, wieder

Sanfte, ſüße Frühlingslieder?

Sieh umher die falben Bäume!

Ach! es waren holde Träume.

[26]

Wunder.


Sie war ein Kind vor wenig Tagen,

Sie iſt es nicht mehr, wahrlich nein!

Bald iſt die Blume aufgeſchlagen,

Bald hüllt ſie halb ſich wieder ein.

Wen kann ich um das Wunder fragen?

Wie? oder täuſcht mich holder Schein?

Sie ſpricht ſo ganz mit Kinderſinne,

So fromm iſt ihrer Augen Spiel;

Doch großer Dinge werd’ ich inne,

Ich ſchau’ in Tiefen ohne Ziel.

Ja! Wunder ſind’s der ſüßen Minne,

Die Minne hat der Wunder viel.

[27]

Mein Geſang.


Ob ich die Freude nie empfunden?

Ob ſtets mein Lied ſo traurig klang?

O nein! ich lebte frohe Stunden,

Da war mein Leben Luſtgeſang.

Die milde Gegenwart der Süßen

Verklärte mir das Blumenjahr.

Was Morgenträume mir verhießen,

Das machte ſtets der Abend wahr.

O könnten meiner Wonne zeugen

Des Himmels und der Bäche Blau,

Die Haine mit den Blüthenzweigen,

Der Garten und die lichte Au!

Die haben Alles einſt geſehen,

Und haben Alles einſt gehört.

Doch ach! ſie müſſen traurig ſtehen,

Auch ihre Zier iſt nun zerſtört.

Du aber zeuge, meine Traute!

Du Ferne mir, du Nahe doch!

Du denkſt der kindlich frohen Laute,

Du denkſt der ſel’gen Blicke noch.

Wir hatten uns ſo ganz empfunden,

Wir ſuchten nicht das enge Wort;

Uns floß der raſche Strom der Stunden

In freien Melodieen fort.

[28]
Du ſchiedeſt hin, die Welt ward öde,

Ich ſtieg hinab in meine Bruſt;

Der Lieder ſanfte Klagerede

Iſt all mein Troſt und meine Luſt.

Was bleibt mir, als in Trauertönen

Zu ſingen die Vergangenheit?

Und als mich ſchmerzlich hinzuſehnen

In neue goldne Liebeszeit?

[[29]]

Mönch und Schäfer.


Mönch.


Was ſtehſt du ſo in ſtillem Schmerz?

O Schäfer, ſag es mir!

Wohl ſchlägt auch hier ein wundes Herz,

Das ziehet mich zu dir.

Schäfer.


Du frageſt [noch]! o ſieh umher

In meinem trauten Thal!

Die weite Au iſt blumenleer

Und jeder Baum iſt fahl.

Mönch.


Du klage nicht! Was iſt dein Weh?

Was, als ein ſchwerer Traum?

Bald glänzt die Blume aus dem Klee,

Die Blüthe von dem Baum.

Dann ſteht das Kreuz, davor ich knie’,

Im grünen Baumgefild;

Doch ach! es grünt und blühet nie,

Trägt ſtets ein ſterbend Bild.

[30]

Schäfers Sonntagslied.


Das iſt der Tag des Herrn!

Ich bin allein auf weiter Flur,

Noch Eine Morgenglocke nur!

Nun Stille nah und fern!

Anbetend knie’ ich hier.

O ſüßes Graun! geheimes Wehn!

Als knieten Viele ungeſehn

Und beteten mit mir.

Der Himmel, nah und fern,

Er iſt ſo klar und feierlich,

So ganz, als wollt’ er öffnen ſich.

Das iſt der Tag des Herrn!

[31]

Geſang der Nonnen.


Erhebet euch mit heil’gem Triebe,

Ihr frommen Schweſtern, himmelan,

Und ſchwebt auf blüh’nder Wolkenbahn!

Da leuchtet uns die reinſte Sonne,

Da ſingen wir in Frühlingswonne

Ein Lied von dir, du ew’ge Liebe!

Ob welken alle zarte Blüthen

Von dem Genuß der ird’ſchen Glut:

Du biſt ein ewig Jugendblut

Und unſrer Buſen ſtäte Fülle,

Die ew’ge Flamme, die wir ſtille

Am Altar und im Herzen hüten.

Du ſtiegeſt nieder, ew’ge Güte,

Du lagſt, ein lächelnd Himmelskind,

Im Arm der Jungfrau, ſüß und lind;

Sie durft’ aus deinen hellen Augen

Den Glanz der Himmel in ſich ſaugen,

Bis ſie die Glorie umglühte.

Du haſt mit göttlichem Erbarmen

Am Kreuz die Arme ausgeſpannt.

Da ruft der Sturm, da dröhnt das Land:

Kommt her, kommt her von allen Orten!

Ihr Todte, ſprengt des Grabes Pforten!

Er nimmt euch auf mit offnen Armen.

[32]
O Wunderlieb’, o Liebeswonue!

Iſt dieſe Zeit ein Schlummer mir,

So träum’ ich ſehnlich nur von dir;

Und ein Erwachen wird es geben,

Da werd’ ich ganz in dich verſchweben,

Ein Glutſtral in die große Sonne.

[33]

Des Knaben Berglied.


Ich bin vom Berg der Hirtenknab,

Seh’ auf die Schlöſſer all herab.

Die Sonne ſtralt am erſten hier,

Am längſten weilet ſie bei mir.

Ich bin der Knab vom Berge!

Hier iſt des Stromes Mutterhaus,

Ich trink’ ihn friſch vom Stein heraus;

Er brauſt vom Fels in wildem Lauf,

Ich fang’ ihn mit den Armen auf.

Ich bin der Knab vom Berge!

Der Berg, der iſt mein Eigenthum,

Da ziehn die Stürme rings herum,

Und heulen ſie von Nord und Süd,

So überſchallt ſie doch mein Lied:

Ich bin der Knab vom Berge!

Sind Blitz und Donner unter mir,

So ſteh’ ich hoch im Blauen hier;

Ich kenne ſie und rufe zu:

Laßt meines Vaters Haus in Ruh!

Ich bin der Knab vom Berge!

Uhlands Gedichte. 3
[34]
Und wann die Sturmglock’ einſt erſchallt,

Manch Feuer auf den Bergen wallt,

Dann ſteig’ ich nieder, tret’ in’s Glied,

Und ſchwing’ mein Schwerdt, und ſing’ mein Lied:

Ich bin der Knab vom Berge!

[35]

Brautgeſang.


Das Haus benedei’ ich und preiſ’ es laut,

Das empfangen hat eine liebliche Braut;

Zum Garten muß es erblühen.

Aus dem Brautgemach tritt eine herrliche Sonn’;

Wie Nachtigalln locket die Flöte,

Die Tiſche wuchern wie Beete,

Und es ſpringet des Weines goldener Bronn.

Die Frauen erglühen

Zu Lilien und Roſen;

Wie die Lüfte, die loſen,

Die durch Blumen ziehen,

Rauſchet das Küſſen und Koſen.

[36]

Entſchluß.


Sie kommt in dieſe ſtillen Gründe,

Ich wag’ es heut mit kühnem Muth.

Was ſoll ich beben vor dem Kinde,

Das Niemand was zu leide thut?

Es grüſſen Alle ſie ſo gerne,

Ich geh’ vorbei und wag’ es nicht;

Und zu dem allerſchönſten Sterne

Erheb’ ich nie mein Angeſicht.

Die Blumen, die nach ihr ſich beugen,

Die Vögel mit dem Luſtgeſang,

Sie dürfen Liebe ihr bezeugen:

Warum iſt mir allein ſo bang?

Dem Himmel hab’ ich oft geklaget

In langen Nächten bitterlich:

Und habe nie vor ihr gewaget

Das Eine Wort: ich liebe dich!

Ich will mich lagern unter’m Baume,

Da wandelt täglich ſie vorbei;

Dann will ich reden als im Traume,

Wie ſie mein ſüßes Leben ſey.

Ich will — o wehe! welches Schrecken!

Sie kommt heran, ſie wird mich ſehn;

Ich will mich in den Buſch verſtecken,

Da ſeh’ ich ſie vorübergehn.

[37]

Lauf der Welt.


An jedem Abend geh’ ich aus,

Hinauf den Wieſenſteg.

Sie ſchaut aus ihrem Gartenhaus,

Es ſtehet hart am Weg.

Wir haben uns noch nie beſtellt,

Es iſt nur ſo der Lauf der Welt.

Ich weiß nicht, wie es ſo geſchah,

Seit lange küſſ’ ich ſie.

Ich bitte nicht, ſie ſagt nicht: ja!

Doch ſagt ſie: nein! auch nie.

Wenn Lippe gern auf Lippe ruht,

Wir hindern’s nicht, uns dünkt es gut.

Das Lüftchen mit der Roſe ſpielt,

Es fragt nicht: haſt mich lieb?

Das Röschen ſich am Thaue kühlt,

Es ſagt nicht lange: gib!

Ich liebe ſie, ſie liebet mich,

Doch Keines ſagt: ich liebe dich!

[38]

Waldlied.


Im Walde geh’ ich wohlgemuth,

Mir graut vor Räubern nicht;

Ein liebend Herz iſt all mein Gut,

Das ſucht kein Böſewicht.

Was rauſcht, was raſchelt durch den Buſch?

Ein Mörder, der mir droht?

Mein Liebchen kommt geſprungen, huſch!

Und herzt mich faſt zu Tod.

[39]

Seliger Tod.


Geſtorben war ich

Vor Liebeswonne;

Begraben lag ich

In ihren Armen;

Erwecket ward ich

Von ihren Küſſen;

Den Himmel ſah ich

In ihren Augen.

[40]

Untreue.


Dir iſt die Herrſchaft längſt gegeben

In meinem Liede, meinem Leben,

Nur dieſe Nacht, o welch ein Traum!

O laß das ſchwere Herz mich löſen!

Es ſaß ein fremd, verſchleiert Weſen

Dort unter unſrer Liebe Baum.

Wie hält ſie meinen Sinn gefangen!

Ich nahe mich mit ſüßem Bangen,

Sie aber hebt den Schleier leicht;

Da ſeh’ ich — deine lieben Augen,

Ach! deine blauen, trauten Augen,

Und jeder fremde Schein entweicht.

[41]

Die Abgeſchiedenen.


So hab’ ich endlich dich gerettet

Mir aus der Menge wilden Reihn!

Du biſt in meinen Arm gekettet,

Du biſt nun mein, nun einzig mein.

Es ſchlummert Alles dieſe Stunde,

Nur wir noch leben auf der Welt;

Wie in der Waſſer ſtillem Grunde

Der Meergott ſeine Göttin hält.

Verrauſcht iſt all das rohe Toſen,

Das deine Worte mir verſchlang;

Dein leiſes, liebevolles Koſen

Iſt nun mein einz’ger, ſüßer Klang.

Die Erde liegt in Nacht gehüllet,

Kein Licht erglänzt auf Flur und Teich;

Nur dieſer Lampe Schimmer füllet

Noch unſrer Liebe kleines Reich.

[42]

Die Zufriedenen.


Ich ſaß bei jener Linde

Mit meinem trauten Kinde,

Wir ſaßen Hand in Hand.

Kein Blättchen rauſcht’ im Winde,

Die Sonne ſchien gelinde

Herab auf’s ſtille Land.

Wir ſaßen ganz verſchwiegen,

Mit innigem Vergnügen,

Das Herz kaum merklich ſchlug.

Was ſollten wir auch ſagen?

Was konnten wir uns fragen?

Wir wußten ja genug.

Es mocht’ uns nichts mehr fehlen,

Kein Sehnen konnt’ uns quälen,

Nichts Liebes war uns fern.

Aus liebem Aug’ ein Grüſſen,

Vom lieben Mund ein Küſſen

Gab Eins dem Andern gern.

[43]

Hohe Liebe.


In Liebesarmen ruht ihr trunken,

Des Lebens Früchte winken euch;

Ein Blick nur iſt auf mich geſunken,

Doch bin ich vor euch allen reich.

Das Glück der Erde miſſ’ ich gerne,

Und blick’, ein Märtyrer, hinan,

Denn über mir, in goldner Ferne,

Hat ſich der Himmel aufgethan.

[44]

Nähe.


Ich tret’ in deinen Garten;

Wo, Süße, weilſt du heut?

Nur Schmetterlinge flattern

Durch dieſe Einſamkeit.

Doch wie in bunter Fülle

Hier deine Beete ſtehn!

Und mit den Blumendüfteu

Die Weſte mich umwehn!

Ich fühle dich mir nahe,

Die Einſamkeit belebt;

Wie über ſeinen Welten

Der Unſichtbare ſchwebt.

[45]

Vorabend.


Was ſtreift vorbei im Dämmerlicht?

War’s nicht mein holdes Kind?

Und wehten aus dem Körbchen nicht

Die Roſendüfte lind?

Ja! morgen iſt das Maienfeſt,

O morgen welche Luſt!

Wann ſie ſich glänzend ſchauen läßt,

Die Röslein an der Bruſt.

[46]

Nachts.


Dem ſtillen Hauſe blick’ ich zu,

Gelehnt an einen Baum;

Dort liegt ſie wohl in ſchöner Ruh

Und glüht in ſüßem Traum.

Zum Himmel blick’ ich dann empor,

Er hängt mit Wolken dicht.

Ach! hinter ſchwarzem Wolkenflor,

Da glänzt des Vollmonds Licht.

[47]

Schlimme Nachbarſchaft.


Nur ſelten komm’ ich aus dem Zimmer,

Doch will die Arbeit nicht vom Ort;

Geöffnet ſind die Bücher immer,

Doch keine Seite rück’ ich fort.

Des Nachbars lieblich Flötenſpielen

Nimmt jetzt mir die Gedanken hin,

Und jetzt muß ich hinüberſchielen

Nach meiner hübſchen Nachbarin.

[48]

Bauernregel.


Im Sommer ſuch ein Liebchen dir

In Garten und Gefild!

Da ſind die Tage lang genug,

Da ſind die Nächte mild.

Im Winter muß der ſüße Bund

Schon feſt geſchloſſen ſeyn,

So darfſt nicht lange ſtehn im Schnee

Bei kaltem Mondenſchein.

[49]

Hans und Grete.


Sie.


Guckſt du mir denn immer nach,

Wo du nur mich findeſt?

Nimm die Aeuglein doch in Acht,

Daß du nicht erblindeſt!

Er.


Guckteſt du nicht ſtets herum,

Würdeſt mich nicht ſehen;

Nimm dein Hälschen doch in Acht!

Wirſt es noch verdrehen.

Uhlands Gedichte. 4
[50]

Der Schmied.


Ich hör’ meinen Schatz,

Den Hammer er ſchwinget,

Das rauſchet, das klinget,

Das dringt in die Weite,

Wie Glockengeläute,

Durch Gaſſen und Platz.

Am ſchwarzen Kamin,

Da ſitzet mein Lieber,

Doch geh’ ich vorüber,

Die Bälge dann ſauſen,

Die Flammen aufbrauſen

Und lodern um ihn.

[51]

Jägerlied.


Kein’ beßre Luſt in dieſer Zeit,

Als durch den Wald zu dringen,

Wo Droſſel ſingt und Habicht ſchreit,

Wo Hirſch’ und Rehe ſpringen.

O ſäß’ mein Lieb im Wipfel grün,

Thät wie ’ne Droſſel ſchlagen!

O ſpräng’ es, wie ein Reh, dahin,

Daß ich es könnte jagen!

[52]

Des Hirten Winterlied.


O Winter, ſchlimmer Winter!

Wie iſt die Welt ſo klein!

Du drängſt uns all in die Thäler,

In die engen Hütten hinein.

Und geh’ ich auch vorüber

An meiner Liebſten Haus:

Kaum ſieht ſie mit dem Köpfchen

Zum kleinen Fenſter heraus.

Und nehm’ ich’s Herz in die Hände,

Und geh’ hinauf in’s Haus:

Sie ſitzt zwiſchen Vater und Mutter,

Schaut kaum zu den Aeuglein heraus.

O Sommer, ſchöner Sommer!

Wie wird die Welt ſo weit!

Je höher man ſteigt auf die Berge,

Je weiter ſie ſich verbreit’t.

Und ſteheſt du auf dem Felſen,

Traut Liebchen! ich rufe dir zu.

Die Halle ſagen es weiter,

Doch Niemand hört es, als du.

Und halt’ ich dich in den Armen

Auf freien Bergeshöhn:

Wir ſehn in die weiten Lande,

Und werden doch nicht geſehn.

[53]

Lied des Gefangenen.


Wie lieblicher Klang!

O Lerche! dein Sang,

Er hebt ſich, er ſchwingt ſich in Wonne.

Du nimmſt mich von hier,

Ich ſinge mit dir,

Wir ſteigen durch Wolken zur Sonne.

O Lerche! du neigſt

Dich nieder, du ſchweigſt,

Du ſinkſt in die blühenden Auen.

Ich ſchweige zumal

Und ſinke zuthal,

Ach! tief in Moder und Grauen.

[54]

Frühlingslieder.


1. Frühlingsahnung.


O ſanfter, ſüßer Hauch!

Schon weckeſt du wieder

Mir Frühlingslieder,

Bald blühen die Veilchen auch.

2. Frühlingsglaube.


Die linden Lüfte ſind erwacht,

Sie ſäuſeln und weben Tag und Nacht,

Sie ſchaffen an allen Enden.

O friſcher Duft, o neuer Klang!

Nun, armes Herze, ſey nicht bang!

Nun muß ſich Alles, Alles wenden.

Die Welt wird ſchöner mit jedem Tag,

Man weiß nicht, was noch werden mag,

Das Blühen will nicht enden.

Es blüht das fernſte, tiefſte Thal.

Nun, armes Herz, vergiß der Qual!

Nun muß ſich Alles, Alles wenden.

[55]

3. Frühlingsruhe.


O legt mich nicht in’s dunkle Grab,

Nicht unter die grüne Erd’ hinab!

Soll ich begraben ſeyn,

Lieg’ ich in’s tiefe Gras hinein.

In Gras und Blumen lieg’ ich gern,

Wenn eine Flöte tönt von fern,

Und wenn hoch obenhin

Die hellen Frühlingswolken ziehn.

4. Frühlingsfeier.


Süßer, goldner Frühlingstag!

Inniges Entzücken!

Wenn mir je ein Lied gelang,

Sollt’ es heut nicht glücken?

Doch warum in dieſer Zeit

An die Arbeit treten?

Frühling iſt ein hohes Feſt:

Laßt mich ruhn und beten!

[56]

5. Lob des Frühlings.


Saatengrün, Veilchenduft,

Lerchenwirbel, Amſelſchlag,

Sonnenregen, linde Luft!

Wenn ich ſolche Worte ſinge,

Braucht es dann noch großer Dinge,

Dich zu preiſen, Frühlingstag?

[57]

6. Frühlingslied des Recenſenten.


Frühling iſt’s, ich laſſ’ es gelten,

Und mich freut’s, ich muß geſtehen,

Daß man kann ſpazieren gehen,

Ohne juſt ſich zu erkälten.

Störche kommen an und Schwalben,

Nicht zu frühe, nicht zu frühe!

Blühe nur, mein Bäumchen, blühe!

Meinethalben, meinethalben!

Ja! ich fühl’ ein wenig Wonne,

Denn die Lerche ſingt erträglich,

Philomele nicht alltäglich,

Nicht ſo übel ſcheint die Sonne.

Daß es Keinen überraſche,

Mich im grünen Feld zu ſehen!

Nicht verſchmäh’ ich auszugehen,

Kleiſtens Frühling in der Taſche.

[58]

Freie Kunſt.


Singe, wem Geſang gegeben,

In dem deutſchen Dichterwald!

Das iſt Freude, das iſt Leben,

Wenn’s von allen Zweigen ſchallt.

Nicht an wenig ſtolze Namen

Iſt die Liederkunſt gebannt;

Ausgeſtreuet iſt der Samen

Ueber alles deutſche Land.

Deines vollen Herzens Triebe,

Gib ſie keck im Klange frei!

Säuſelnd wandle deine Liebe,

Donnernd uns dein Zorn vorbei!

Singſt du nicht dein ganzes Leben,

Sing doch in der Jugend Drang!

Nur im Blüthenmond erheben

Nachtigallen ihren Sang.

Kann man’s nicht in Bücher binden,

Was die Stunden dir verleihn:

Gib ein fliegend Blatt den Winden,

Muntre Jugend haſcht es ein.

[59]
Fahret wohl, geheime Kunden,

Nekromantik, Alchymie!

Formel hält uns nicht gebunden,

Unſre Kunſt heißt Poeſie.

Heilig achten wir die Geiſter,

Aber Namen ſind uns Dunſt;

Würdig ehren wir die Meiſter,

Aber frei iſt uns die Kunſt.

Nicht in kalten Marmorſteinen,

Nicht in Tempeln, dumpf und todt:

In den friſchen Eichenhainen

Webt und rauſcht der deutſche Gott.

[60]

Das Thal.


Wie willſt du dich mir offenbaren,

Wie ungewohnt, geliebtes Thal?

Nur in den frühſten Jugendjahren

Erſchienſt du ſo mir manchesmal.

Die Sonne ſchon hinabgegangen,

Doch aus den Bächen klarer Schein!

Kein Lüftchen ſpielt mir um die Wangen,

Doch ſanftes Rauſchen in dem Hain!

Es duftet wieder alte Liebe,

Es grünet wieder alte Luſt;

Ja ſelbſt die alten Liedertriebe

Beleben dieſe kalte Bruſt.

Natur! wohl braucht es ſolcher Stunden,

So innig und ſo liebevoll,

Wenn dieſes arme Herz geſunden,

Das welkende geneſen ſoll!

Bedrängt mich einſt die Welt noch bänger,

So ſuch’ ich wieder dich, mein Thal!

Empfange dann den kranken Sänger

Mit ſolcher Milde noch einmal!

Und ſink’ ich dann ermattet nieder,

So öffne leiſe deinen Grund,

Und nimm mich auf, und ſchließ ihn wieder,

Und grüne fröhlich und geſund!

[61]

Ruhethal.


Wann im letzten Abendſtral

Goldne Wolkenberge ſteigen

Und wie Alpen ſich erzeigen,

Frag’ ich oft mit Thränen:

Liegt wohl zwiſchen jenen

Mein erſehntes Ruhethal?

[62]

An einem heitern Morgen.


O blaue Luft nach trüben Tagen,

Wie kannſt du ſtillen meine Klagen?

Wer nur am Regen krank geweſen,

Der mag durch Sonnenſchein geneſen.

O blaue Luft nach trüben Tagen,

Doch ſtillſt du meine bittern Klagen!

Du glänzeſt Ahnung mir zum Herzen:

Wie himmliſch Freude labt nach Schmerzen.

[63]

Wanderlieder.


1. Lebewohl.


Lebe wohl, lebe wohl, mein Lieb!

Muß noch heute ſcheiden.

Einen Kuß, einen Kuß mir gib!

Muß dich ewig meiden.

Eine Blüth’, eine Blüth’ mir brich,

Von dem Baum im Garten!

Keine Frucht, keine Frucht für mich!

Darf ſie nicht erwarten.

2. Scheiden und Meiden.


So ſoll ich nun dich meiden,

Du meines Lebens Luſt!

Du küſſeſt mich zum Scheiden,

Ich drücke dich an die Bruſt.

Ach Liebchen! heißt das meiden,

Wenn man ſich herzt und küßt?

Ach Liebchen! heißt das ſcheiden,

Wenn man ſich feſt umſchließt?

[64]

3. In der Ferne.


Will ruhen unter den Bäumen hier,

Die Vöglein hör’ ich ſo gerne.

Wie ſinget ihr ſo zum Herzen mir!

Von unſrer Liebe was wiſſet ihr

In dieſer weiten Ferne?

Will ruhen hier an des Baches Rand,

Wo duftige Blümlein ſprießen.

Wer hat euch, Blümlein, hieher geſandt?

Seyd ihr ein herzliches Liebespfand

Aus der Ferne von meiner Süßen?

4. Morgenlied.


Noch ahut man kaum der Sonne Licht,

Noch ſind die Morgenglocken nicht

Im finſtern Thal erklungen.

Wie ſtill des Waldes weiter Raum!

Die Vöglein zwitſchern nur im Traum,

Kein Sang hat ſich erſchwungen.

Ich hab’ mich längſt in’s Feld gemacht,

Und habe ſchon dies Lied erdacht,

Und hab’ es laut geſungen.

[65]

5. Nachtreiſe.


Ich reit’ in’s finſtre Land hinein,

Nicht Mond, noch Sterne geben Schein,

Die kalten Winde toſen.

Oft hab’ ich dieſen Weg gemacht,

Wann goldner Sonnenſchein gelacht,

Bei lauer Lüfte Koſen.

Ich reit’ am finſtern Garten hin,

Die dürren Bäume ſauſen drin,

Die welken Blätter fallen.

Hier pflegt’ ich in der Roſenzeit,

Wann Alles ſich der Liebe weiht,

Mit meinem Lieb zu wallen.

Erloſchen iſt der Sonne Stral,

Verwelkt die Roſen allzumal,

Mein Lieb zu Grab getragen.

Ich reit’ in’s finſtre Land hinein,

Im Winterſturm, ohn’ allen Schein,

Den Mantel umgeſchlagen.

Uhlands Gedichte. 5
[66]

6. Winterreiſe.


Bei dieſem kalten Wehen

Sind alle Straßen leer,

Die Waſſer ſtille ſtehen,

Ich aber ſchweif’ umher.

Die Sonne ſcheint ſo trübe,

Muß früh hinuntergehn,

Erloſchen iſt die Liebe,

Die Luſt kann nicht beſtehn.

Nun geht der Wald zu Ende,

Im Dorfe mach’ ich Halt,

Da wärm’ ich mir die Hände,

Bleibt auch das Herze kalt.

[67]

7. Abreiſe.


So hab’ ich nun die Stadt verlaſſen,

Wo ich gelebet lange Zeit;

Ich ziehe rüſtig meiner Straßen,

Es gibt mir Niemand das Geleit.

Man hat mir nicht den Rock zerriſſen,

Es wär’ auch Schade für das Kleid!

Noch in die Wange mich gebiſſen

Vor übergroßem Herzeleid.

Auch Keinem hat’s den Schlaf vertrieben,

Daß ich am Morgen weiter geh’;

Sie konnten’s halten nach Belieben;

Von Einer aber thut mir’s weh.

8. Einkehr.


Bei einem Wirthe, wundermild,

Da war ich jüngſt zu Gaſte;

Ein goldner Apfel war ſein Schild

An einem langen Aſte.

Es war der gute Apfelbaum,

Bei dem ich eingekehret;

Mit ſüßer Koſt und friſchem Schaum

Hat er mich wohl genähret.

[68]
Es kamen in ſein grünes Haus

Viel leichtbeſchwingte Gäſte;

Sie ſprangen frei und hielten Schmaus

Und ſangen auf das Beſte.

Ich fand ein Bett zu ſüßer Ruh

Auf weichen, grünen Matten;

Der Wirth, er deckte ſelbſt mich zu

Mit ſeinem kühlen Schatten.

Nun fragt’ ich nach der Schuldigkeit;

Da ſchüttelt’ er den Wipfel.

Geſegnet ſey er allezeit,

Von der Wurzel bis zum Gipfel!

9. Heimkehr.


O brich nicht, Steg, du zitterſt ſehr!

O ſtürz nicht, Fels, du dräueſt ſchwer!

Welt, geh nicht unter, Himmel, fall nicht ein,

Eh ich mag bei der Liebſten ſeyn!

[69]

Zimmerſpruch.


Das neue Haus iſt aufgericht’t,

Gedeckt, gemauert iſt es nicht,

Noch können Regen und Sonnenſchein

Von oben und überall herein:

Drum rufen wir zum Meiſter der Welt,

Er wolle von dem Himmelszelt

Nur Heil und Segen gießen aus

Hier über dieſes offne Haus.

Zuoberſt woll’ er gut Gedeihn

In die Kornböden uns verleihn;

In die Stube Fleiß und Frömmigkeit,

In die Küche Maß und Reinlichkeit,

In den Stall Geſundheit allermeiſt,

In den Keller dem Wein einen guten Geiſt;

Die Fenſter und Pforten woll’ er weihn,

Daß nichts Unſeligs komm’ herein,

Und daß aus dieſer neuen Thür

Bald fromme Kindlein ſpringen für.

Nun, Maurer, decket und mauret aus!

Der Segen Gottes iſt im Haus.

[70]

Theelied.


Ihr Saiten, tönet ſanft und leiſe,

Vom leichten Finger kaum geregt!

Ihr tönet zu des Zärtſten Preiſe,

Des Zärtſten, was die Erde hegt.

In Indiens mythiſchem Gebiete,

Wo Frühling ewig ſich erneut,

O Thee, du ſelber eine Mythe,

Verlebſt du deine Blüthezeit.

Nur zarte Bienenlippen ſchlürfen

Aus deinen Kelchen Honig ein,

Nur bunte Wundervögel dürfen

Die Sänger deines Ruhmes ſeyn.

Wann Liebende zum ſtillen Feſte

In deine duft’gen Schatten fliehn,

Dann rühreſt leiſe du die Aeſte

Und ſtreueſt Blüthen auf ſie hin.

So wächſeſt du am Heimathſtrande,

Vom reinſten Sonnenlicht genährt.

Noch hier in dieſem fernen Lande

Iſt uns dein zarter Sinn bewährt.

[71]
Denn nur die holden Frauen halten

Dich in der mütterlichen Hut;

Man ſieht ſie mit dem Kruge walten,

Wie Nymphen an der heil’gen Flut.

Den Männern will es ſchwer gelingen,

Zu fühlen deine tiefe Kraft;

Nur zarte Frauenlippen dringen

In deines Zaubers Eigenſchaft.

Ich ſelbſt, der Sänger, der dich feiert,

Erfuhr noch deine Wunder nicht;

Doch was der Frauen Mund betheuert,

Iſt mir zu glauben heil’ge Pflicht.

Ihr aber möget ſanft verklingen,

Ihr meine Saiten, kaum geregt!

Nur Frauen können würdig ſingen

Das Zärtſte, was die Erde hegt.

[72]

Metzelſuppenlied.


Wir haben heut nach altem Brauch

Ein Schweinchen abgeſchlachtet;

Der iſt ein jüdiſch eckler Gauch,

Wer ſolch ein Fleiſch verachtet.

Es lebe zahm und wildes Schwein!

Sie leben alle, groß und klein,

Die blonden und die braunen!

So ſäumet denn, ihr Freunde, nicht,

Die Würſte zu verſpeiſen,

Und laßt zum würzigen Gericht

Die Becher fleißig kreiſen!

Es reimt ſich trefflich: Wein und Schwein,

Und paßt ſich köſtlich: Wurſt und Durſt,

Bei Würſten gilt’s zu bürſten.

Auch unſer edles Sauerkraut,

Wir ſollen’s nicht vergeſſen;

Ein Deutſcher hat’s zuerſt gebaut,

Drum iſt’s ein deutſches Eſſen.

Wenn ſolch ein Fleiſchchen, weiß und mild,

Im Kraute liegt, das iſt ein Bild

Wie Venus in den Roſen.

[73]
Und wird von ſchönen Händen dann

Das ſchöne Fleiſch zerleget,

Das iſt, was einem deutſchen Mann

Gar ſüß das Herz beweget.

Gott Amor naht und lächelt ſtill,

Und denkt: nur daß, wer küſſen will,

Zuvor den Mund ſich wiſche!

Ihr Freunde, tadle Keiner mich,

Daß ich von Schweinen ſinge!

Es knüpfen Kraftgedanken ſich

Oft an geringe Dinge.

Ihr kennet jenes alte Wort,

Ihr wißt: es findet hier und dort

Ein Schwein auch eine Perle.

[74]

Trinklied.


Wir ſind nicht mehr am erſten Glas,

Drum denken wir gern an dies und das,

Was rauſchet und was brauſet.

So denken wir an den wilden Wald,

Darin die Stürme ſauſen,

Wir hören, wie das Jagdhorn ſchallt,

Die Roſſ’ und Hunde brauſen,

Und wie der Hirſch durch’s Waſſer ſetzt,

Die Fluten rauſchen und wallen,

Und wie der Jäger ruft und hetzt,

Die Schüſſe ſchmetternd fallen.

Wir ſind nicht mehr am erſten Glas,

Drum denken wir gern an dies und das,

Was rauſchet und was brauſet.

So denken wir an das wilde Meer,

Und hören die Wogen brauſen,

Die Donner rollen drüberher,

Die Wirbelwinde ſauſen.

Ha! wie das Schifflein ſchwankt und dröhnt,

Wie Maſt und Stange ſplittern,

Und wie der Nothſchuß dumpf ertönt,

Die Schiffer fluchen und zittern!

[75]
Wir ſind nicht mehr am erſten Glas,

Drum denken wir gern an dies und das,

Was rauſchet und was brauſet.

So denken wir an die wilde Schlacht,

Da fechten die deutſchen Männer,

Das Schwerdt erklirrt, die Lanze kracht,

Es ſchnauben die muth’gen Renner.

Mit Trommelwirbel, Trommetenſchall,

So zieht das Heer zum Sturme;

Hin ſtürzet von Kanonenknall

Die Mauer ſammt dem Thurme.

Wir ſind nicht mehr am erſten Glas,

Drum denken wir gern an dies und das,

Was rauſchet und was brauſet.

So denken wir an den jüngſten Tag,

Und hören Poſaunen ſchallen,

Die Gräber ſpringen von Donnerſchlag,

Die Sterne vom Himmel fallen.

Es braust die offne Höllenkluft

Mit wildem Flammenmeere,

Und oben in der goldnen Luft,

Da jauchzen die ſel’gen Chöre.

Wir ſind nicht mehr am erſten Glas,

Drum denken wir gern an dies und das,

Was rauſchet und was brauſet.

[76]
Und nach dem Wald und der wilden Jagd,

Nach Sturm und Wellenſchlage,

Und nach der deutſchen Männer Schlacht,

Und nach dem jüngſten Tage:

So denken wir an uns ſelber noch,

An unſer ſtürmiſch Singen,

An unſer Jubeln und Lebehoch,

An unſrer Becher Klingen.

Wir ſind nicht mehr am erſten Glas,

Drum denken wir gern an dies und das,

Was rauſchet und was brauſet.

[77]

Lied eines deutſchen Sängers.


Ich ſang in vor’gen Tagen

Der Lieder mancherlei,

Von alten, frommen Sagen,

Von Minne, Wein und Mai.

Nun iſt es ausgeſungen,

Es dünkt mir Alles Tand:

Der Heerſchild iſt erklungen,

Der Ruf: für’s Vaterland!

Man ſagt wohl von den Katten:

Sie legten Erzring’ an,

Bis ſie gelöst ſich hatten

Mit einem erſchlagnen Mann.

Ich ſchlag’ den Geiſt in Bande

Und werf’ an den Mund ein Schloß,

Bis ich dem Vaterlande

Gedient als Schwerdtgenoß.

Und bin ich nicht geboren

Zu hohem Heldenthum,

Iſt mir das Lied erkoren

Zu Luſt und ſchlichtem Ruhm:

Doch möcht’ ich Eins erringen

In dieſem heil’gen Krieg:

Das edle Recht, zu ſingen

Des deutſchen Volkes Sieg.

[78]

Auf das Kind eines Dichters.


Sey uns willkommen, Dichterkind,

An deines Lebens goldner Pforte!

Wohl ziemen dir zum Angebind

Sich Lieder und prophet’ſche Worte.

In großer Zeit erblüheſt du,

In ernſten Tagen, wundervollen,

Wo über deiner kind’ſchen Ruh

Des heil’gen Krieges Donner rollen.

Du aber ſchlummre ſelig hin

In angeſtammten Dichterträumen

Von Himmelsglanz und Waldesgrün,

Von Sternen, Blumen, Blüthenbäumen!

Derweil verrauſchet der Orkan,

Es weicht der blut’gen Zeiten Trübe;

Wohl blühſt als Jungfrau du heran,

Du kündeſt ſo das Reich der Liebe.

Was einſt als Ahnung, Sehnſucht nur

Durchdrungen deines Vaters Lieder,

Das ſinkt von ſel’ger Himmelsflur

Als reiches Leben dir hernieder.

[79]

Vorwärts!


Vorwärts! Fort und immerfort!

Rußland rief das ſtolze Wort:

Vorwärts!

Preußen hört das ſtolze Wort,

Hört es gern und hallt es fort:

Vorwärts!

Auf, gewalt’ges Oeſterreich!

Vorwärts! thu’s den andern gleich!

Vorwärts!

Auf, du altes Sachſenland!

Immer vorwärts, Hand in Hand!

Vorwärts!

Baiern, Heſſen, ſchlaget ein!

Schwaben, Franken, vor zum Rhein!

Vorwärts!

Vorwärts, Holland, Niederland!

Hoch das Schwerdt in freier Hand,

Vorwärts!

Grüß euch Gott, du Schweizerbund,

Elſaß, Lothringen, Burgund!

Vorwärts!

[80]
Vorwärts, Spanien, Engelland!

Reicht den Brüdern bald die Hand!

Vorwärts!

Vorwärts, fort und immer fort!

Guter Wind und naher Port!

Vorwärts!

Vorwärts heißt ein Feldmarſchall.

Vorwärts, tapfre Streiter all!

Vorwärts!

[81]

Die Siegesbotſchaft.


Es war ſo trübe, dumpf und ſchwer,

Die ſchlimme Sage ſchlich umher,

Sie krächzte, wie zur Dämmerzeit

Ein ſchwarzer Unglücksvogel ſchreit.

Die ſchlimme Sage ſchlich im Land

Mit ſchnöder Schattenbilder Tand,

Sie zeigte Zwietracht und Verrath,

Zernichtung aller edeln Saat.

Des Böſen Freunde trotzen ſchon,

Sie lachen hämiſch, ſprechen Hohn,

Die Guten ſtehen ernſt und ſtill

Und harren, was da werden will.

Da ſchwingt ſich’s über’m Rhein empor

Und bricht den düſtern Wolkenflor:

Iſt’s ſtolzer Adler Sonnenflug?

Iſt’s tönereicher Schwäne Zug?

Es rauſcht und ſingt im goldnen Licht:

Der Herr verläßt die Seinen nicht,

Er macht ſo Heil’ges nicht zum Spott.

Viktoria! Mit uns iſt Gott!

Uhlands Gedichte. 6
[82]

An das Vaterland.


Dir möcht’ ich dieſe Lieder weihen,

Geliebtes deutſches Vaterland!

Denn dir, dem neuerſtandnen, freien,

Iſt all mein Sinnen zugewandt.

Doch Heldenblut iſt dir gefloſſen,

Dir ſank der Jugend ſchönſte Zier:

Nach ſolchen Opfern, heilig großen,

Was gälten dieſe Lieder dir?

[[83]]

Sinngedichte.


[[84]][[85]]

Diſtichen.


An Apollo, den Schmetterling.


Göttlicher Alpenſohn, ſey huldreich uns Epigrammen!

Ueber der nächtlichen Kluft flatterſt du, ſpielend im Glanz.

Achill.


1.

Durch der Schlachten Gewühl biſt du ſtets ſicher gewandelt,

Aus Skamanders Gewog tratſt du gerettet hervor;

Als du der Jungfrau Hand empfiengſt im Tempel des Friedens,

Göttergleicher Achill! traf dich der tödtliche Pfeil.

2.

Dort nun thronet Achill, ein Gott, in der Seligen Lande,

Wogen umſchlingen es; du, Göttin der Wogen, den Sohn.

Helena.


Soll ich furchtſames Weib des Krieges Furie heißen?

Sucht doch tiefer den Grund! hat nicht der Apfel die Schuld?

[86]

Narziß und Echo.


1.

Seltſam ſpieleſt du oft mit Sterblichen, Amor! es liebet

Einen Schatten Narziß, aber ihn liebet ein Hall.

2.

Das noch tröſtete ſie, das Wort des ſpröden Geliebten

Nachzuſtöhnen; nun gar iſt er zur Blume verſtummt.

3.

Schmerzlich dachte Narziß: o wär’ ich wieder ein Jüngling!

Echo dachte ſogleich: könnt’ ich als Mädchen zurück!

4.

Amor, und dies dein Spiel! bald lockſt du die zärtliche Echo,

Bald in der kindiſchen Hand drehſt du den goldnen Narziß.

Die Götter des Alterthums.


Sterbliche wandeltet ihr in Blumen, Götter von Hellas,

Ach! nun wurdet ihr ſelbſt Blümchen des neuen Gedichts.

[87]

Tells Platte.


Hier iſt das Felſenriff, drauf Tell aus der Barke geſprungen;

Sieh! ein ewiges Mal hebet dem Kühnen ſich hier.

Nicht die Kapelle dort, wo ſie jährliche Meſſen ihm ſingen!

Nein! des Mannes Geſtalt, ſiehſt du, wie herrlich ſie ſteht?

Schon mit dem einen Fuße betrat er die heilige Erde,

Stößt mit dem andern hinaus weit das verzweifelnde Schiff.

Nicht aus Stein iſt das Bild, noch von Erz, nicht Arbeit der

Hände,

Nur dem geiſtigen Blick Freier erſcheinet es klar;

Und je wilder der Sturm, je höher brauſet die Brandung,

Um ſo mächtiger nur hebt ſich die Heldengeſtalt.

Die Ruinen.


Wandre[r]! es ziemet dir wohl, in der Burg Ruinen zu

ſchlummern,

Träumend bauſt du vielleicht herrlich ſie wieder dir auf.

Begräbniß.


Als des Gerechten Sarg mit heiliger Erde bedeckt war,

Deckte der Himmel darauf freundlich den ſilbernen Schnee

[88]

Mutter und Kind.


Mutter.


Blicke zum Himmel, mein Kind! dort wohnt dir ein ſeliger

Bruder,

Weil er mich nimmer betrübt, führten die Engel ihn hin.

Kind.


Daß kein Engel mich je von der liebenden Bruſt dir entführe,

Mutter, ſo ſage du mir, wie ich betrüben dich kann!

Märznacht.


Horch! wie brauſet der Sturm und der ſchwellende Strom in

der Nacht hir!

Schaurig ſüßes Gefühl! lieblicher Frühling, du nahſt!

Im Mai.


Blumen und Blüthen wie licht, und das Glorierlaub um

die Bäume!

Bleib nur, Himmel, bewölkt! Erde hat eigenen Glanz.

Tauſch.


Als der Wind ſich erhob, da flog, zerblättert, die Blume,

Aber der Schmetterling ſetzt’ in dem Laub ſich feſt.

[89]

Amors Pfeil.


Amor! dein mächtiger Pfeil, mich hat er tödtlich getroffen,

Schon im elyſiſchen Land wacht’ ich, ein Seliger, auf.

Traumdeutung.


Geſtern hatt’ ich geträumt, mein Mädchen am Fenſter zu ſehen;

Doch was ſah ich des Tags? Blumen der Lieblichen nur.

Heute nun war mir im Traum, als ſäh’ ich am Fenſter die

Blumen;

Darum ſchau’ ich gewiß heute die Liebliche ſelbſt.

Die Roſen.


Oft einſt hatte ſie mich mit duftigen Roſen beſchenket;

Eine noch ſproßte mir jüngſt aus der Geliebteſten Grab.

[90]

Antwort.


Das Röschen, das du mir geſchickt,

Von deiner lieben Hand gepflückt,

Es lebte kaum zum Abendroth,

Das Heimweh gab ihm frühen Tod;

Nun ſchwebet gleich ſein Geiſt von hier

Als kleines Lied zurück zu dir.

Die Schlummernde.


Wann deine Wimper neidiſch fällt,

Dann muß in deiner innern Welt

Ein lichter Traum beginnen:

Dein Auge ſtralt nach innen.

[91]

An Sie.


Deine Augen ſind nicht himmelblau,

Dein Mund, er iſt kein Roſenmund,

Nicht Bruſt und Arme Lilien.

Ach! welch ein Frühling wäre das,

Wo ſolche Lilien, ſolche Roſen

Im Thal und auf den Höhen blühten,

Und alles das ein klarer Himmel

Umfienge, wie dein blaues Aug’!

[92]

Greiſenworte.


Sagt nicht mehr: guten Morgen! guten Tag!

Sagt immer: guten Abend! gute Nacht!

Denn Abend iſt es um mich und die Nacht

Iſt nahe mir; o wäre ſie ſchon da!

Komm her, mein Kind! o du mein ſüßes Leben!

Nein! komm, mein Kind, o du mein ſüßer Tod!

Denn Alles, was mir bitter, nenn’ ich Leben,

Und was mir ſüß iſt, nenn’ ich alles Tod.

[93]

Auf den Tod eines Landgeiſtlichen.


Bleibt abgeſchiednen Geiſtern die Gewalt,

Zu kehren nach dem ird’ſchen Aufenthalt,

So kehreſt du nicht in der Mondennacht,

Wann nur die Sehnſucht und die Schwermuth wacht.

Nein! wann ein Sommermorgen niederſteigt,

Wo ſich im weiten Blau kein Wölkchen zeigt,

Wo hoch und golden ſich die Ernte hebt,

Mit rothen, blauen Blumen hell durchwebt,

Dann wandelſt du, wie einſt, durch das Gefild

Und grüßeſt jeden Schnitter freundlich mild.

[94]

Schickſal.


Ja, Schickſal! ich verſtehe dich:

Mein Glück iſt nicht von dieſer Welt,

Es blüht im Traum der Dichtung nur.

Du ſendeſt mir der Schmerzen viel

Und gibſt für jedes Leid ein Lied.

[[95]]

Sonette. Oktaven. Gloſſen.


[[96]][[97]]

Vermächtniß.


Ein Sänger in den frommen Rittertagen,

Ein kühner Streiter in dem heil’gen Lande,

Durchbohrt von Pfeilen, lag er auf dem Sande,

Doch konnt’ er dies noch ſeinem Diener ſagen:

„Verſchleuß mein Herz, wann es nun ausgeſchlagen,

In jener Urne, die vom Heimathſtrande

Ich hergebracht mit manchem Liebespfande!

Drin ſollt du es zu meiner Herrin tragen!“ —

So ich, Geliebte! der nur dich gefeiert,

Verblute, fern von dir, in Liebesſchmerzen,

Schon decket meine Wangen Todesbläſſe.

Wann deinen Sänger Grabesnacht umſchleiert,

Empfange du das treuſte aller Herzen

In des Sonettes goldenem Gefäſſe!

Uhlands Gedichte. 7
[98]

An Petrarka.


Wenn du von Laura Wahres haſt geſungen,

Von hehrem Blick, von himmliſcher Gebärde: —

Und ferne ſey, daß angefochten werde,

Was dir das innerſte Gemüth durchdrungen! —

War ſie ein Zweig, im Paradies entſprungen,

Ein Engel in der irdiſchen Beſchwerde,

Ein zarter Fremdling auf der rauhen Erde,

Der bald zur Heimath ſich zurückgeſchwungen:

So fürcht’ ich, daß auch auf dem goldnen Sterne,

Wohin du, ein Verklärter, nun gekommen,

Du nimmer das Erſehnte wirſt erringen;

Denn Jene flog indeß zur höhern Ferne,

Sie ward in heil’gern Sphären aufgenommen,

Und wieder mußt du Liebesklage ſingen.

[99]

In Varnhagens Stammbuch.


Als Phöbus ſtark mit Mauern, Thürmen, Gittern

Die Königsburg von Niſa half bereiten,

Da legt’ er ſeiner Lyra goldne Saiten

Auf einen Mauerſtein mit leiſem Schüttern.

Die Zinne konnte nicht ſo ſehr verwittern,

Daß nicht den Marmor noch in ſpäten Zeiten,

Selbſt bei des Fingers leichtem Drübergleiten,

Durchklungen hätt’ ein ſanft melodiſch Zittern.

So legt’ auch ich auf dies Gedächtnißblatt,

Das du wohl öfters, blätternd, wirſt berühren,

Mein Saitenſpiel, auch gab es einen Ton:

Und dennoch zweifl’ ich, ob an dieſer Statt

Du jemals einen Nachklang werdeſt ſpüren,

Denn ich bin Phöbus nicht, noch Phöbus Sohn.

[100]

An Kerner.


Es war in traurigen Novembertagen,

Ich war gewallt zum ſtillen Tannenhaine

Und ſtand gelehnet an der höchſten eine,

Da hielt ich deine Lieder aufgeſchlagen.

Verſunken war ich in die frommen Sagen:

Bald kniet’ ich vor Sankt Albans Wunderſteine,

Bald ſchaut’ ich Regiswind im Roſenſcheine,

Bald ſah ich Helicena’s Münſter ragen.

Welch lieblich Wunder wirkten deine Lieder!

Die Höh’ erſchien in goldnem Maienſtrale

Und Frühlingsruf ertönte durch die Wipfel.

Doch bald verſchwand der Wunderfrühling wieder,

Er durfte nicht ſich ſenken in die Thale,

Im Fluge ſtreift’ er nur der Erde Gipfel.

[101]

Auf Karl Gangloffs Tod.


(† am 16. Mai 1814, 24 Jahre alt, zu Merklingen im
Würtembergiſchen, an einer Nervenkrankheit. Die nach-
ſtehenden Sonette beziehen ſich auf die letzten Zeich-
nungen und Entwürfe des genialen jungen Künſtlers
.)


1.


In dieſer Zeit, ſo reich an ſchönem Sterben,

An Heldentod in frühen Jugendtagen,

Ward dir’s nicht, auf dem Siegesfeld erſchlagen,

Den heil’gen Eichenkranz dir zu erwerben.

Beſchleichend Fieber brachte dir Verderben,

Du wurdeſt bei der Eltern Weheklagen

Aus deinem Heimathhauſe hingetragen

Zur Stätte, die nicht Blut, nur Blumen färben.

Doch nein! auch dich ergriff die Zeit des Ruhmes,

Dich drängt’ es, eine Hermannsſchlacht zu ſchaffen,

Ein ſinnig Denkmal deutſchen Heldenthumes.

Wohl hörteſt du noch ſcheidend Kampfruf ſchallen,

Es wogt’ um dich von Männern, Roſſen, Waffen:

So biſt du in der Hermannsſchlacht gefallen.

[102]

2.


Nach Hohem, Würd’gem nur haſt du gerungen,

Das Kleinliche verſchmähend, wie das Wilde;

So faßteſt du in kräftige Gebilde

Das wundervolle Lied der Nibelungen.

Schon hatte Hagens Größe dich durchdrungen,

Schon ſtand vor dir die Rächerin Chriemhilde,

Vor Allem aber rührte dich die Milde

Des edeln Sifrids, Giſelhers, des jungen.

Mit Fug ward Giſelher von dir beklaget,

Der blühend hinſank in des Kampfs Bedrängniß,

Dich ſelbſt hat nun ſo früher Tod erjaget.

Warſt du vielleicht zu innig ſchon verſunken

In jenes Lied, deß furchtbares Verhängniß

Zum Tode Jedem, nun auch dir, gewunken?

[103]

3.


Bedeutungsvoll haſt du dein Künſtlerleben

Mit jenem frommen, ſtillen Bild geſchloſſen:

Wie Abraham mit ſeines Stamms Genoſſen

Das Land begrüßt, das ihm der Herr gegeben.

Da lehnen ſie auf ihren Wanderſtäben,

Von Wald und Felſenhang noch halb umſchloſſen,

Doch herrlich ſehn ſie unter ſich ergoſſen

Das weite Land voll Kornes und voll Reben.

So biſt auch du nun, abgeſchiedne Seele,

Aus dieſes Erdelebens rauher Wilde

An deiner Wandrung frohes Ziel gekommen;

Und durch das finſtre Thor der Grabeshöhle

Erblickſt du ſchon die ſeligen Gefilde,

Das himmliſche Verheißungsland der Frommen.

[104]

An den Unſichtbaren.


Du, den wir ſuchen auf ſo finſtern Wegen,

Mit forſchenden Gedanken nicht erfaſſen,

Du haſt dein heilig Dunkel einſt verlaſſen

Und trateſt ſichtbar deinem Volk entgegen.

Welch ſüßes Heil, dein Bild ſich einzuprägen,

Die Worte deines Mundes aufzufaſſen!

O ſelig, die an deinem Mahle ſaßen!

O ſelig, der an deiner Bruſt gelegen!

Drum war es auch kein ſeltſames Gelüſte,

Wenn Pilger ohne Zahl vom Strande ſtießen,

Wenn Heere kämpften an der fernſten Küſte:

Nur um an deinem Grabe noch zu beten,

Und um in frommer Inbrunſt noch zu küſſen

Die heil’ge Erde, die dein Fuß betreten.

[105]

Todesgefühl.


Wie Sterbenden zu Muth, wer mag es ſagen?

Doch wunderbar ergriff mich’s dieſe Nacht;

Die Glieder ſchienen ſchon in Todes Macht,

Im Herzen fühlt’ ich letztes Leben ſchlagen.

Den Geiſt befiel ein ungewohntes Zagen,

Den Geiſt, der ſtets ſo ſicher ſich gedacht;

Erlöſchend jetzt, dann wieder angefacht,

Ein mattes Flämmchen, das die Winde jagen.

Wie? hielten ſchwere Träume mich befangen?

Die Lerche ſingt, der rothe Morgen glüht,

In’s rege Leben treibt mich neu Verlangen.

Wie? oder gieng vorbei der Todesengel?

Die Blumen, die am Abend friſch geblüht,

Sie hängen hingewelket dort vom Stengel.

[106]

Erſtorbene Liebe.


Wir waren neugeboren, himmliſch helle

War uns der Liebe Morgen aufgegangen.

Wie glühten, Laura, Lippen dir und Wangen!

Dein Auge brannt’, es ſchlug des Buſens Welle.

Wie wallt’ in mir des neuen Lebens Quelle!

Wie hohe Kräfte raſtlos mich durchdrangen!

Sie ließen nicht des Schlafes mich verlangen,

Lebendig kurzer Traum vertrat die Stelle.

Ja! Lieb’ iſt höher Leben im gemeinen;

Das waren ihre regen Lebenszeichen:

Nun ſuch’ ich ſie an dir, in mir vergebens.

Drum muß ich, Laura! dich und mich beweinen:

Wir beide ſind erloſchner Liebe Leichen,

Uns traf der Tod des liebeloſen Lebens.

[107]

Geiſterleben.


Von dir getrennet, lieg’ ich wie begraben,

Mich grüßt kein Säuſeln linder Frühlingslüfte;

Kein Lerchenſang, kein Balſam ſüßer Düfte,

Kein Stral der Morgenſonne kann mich laben.

Wann ſich die Lebenden dem Schlummer gaben,

Wann Todte ſteigen aus dem Schooß der Grüfte,

Dann ſchweb’ ich träumend über Höhn und Klüfte,

Die mich ſo fern von dir gedränget haben.

Durch den verbotnen Garten darf ich gehen,

Durch Thüren wandl’ ich, die mir ſonſt verriegelt,

Bis zu der Schönheit ſtillem Heiligthume.

Erſchreckt dich Geiſterhauch, du zarte Blume?

Es iſt der Liebe Wehn, das dich umflügelt.

Leb wohl! ich muß in’s Grab, die Hähne krähen.

[108]

Oeder Frühling.


Wohl denk’ ich jener ſel’gen Jugendträume,

Obſchon ſich die Gefühle mir verſagen,

Wann in den erſten, milden Frühlingstagen

Im Buſen ſich mir drängten volle Keime.

Die Ahnung lockte mich in ferne Räume,

Wann wo ein Laut des Lenzes angeſchlagen;

Die Hoffnung wollte ſich zum Lichte wagen,

Wie aus den Knoſpen friſches Grün der Bäume.

Doch nun, da ich das Höchſte jüngſt genoſſen,

Geriſſen aus dem innigſten Vereine,

Vom reichſten Paradieſe kaum verſtoßen:

Was ſollen nun mir halbergrünte Triften,

Einſamer Amſelſchlag im todten Haine,

Ein armes Veilchen, noch ſo ſüß von Düften?

[109]

Die theure Stelle.


Die Stelle, wo ich auf verſchlungnen Wegen

Begegnete dem wunderſchönen Kinde,

Das, leicht vorübereilend mit dem Winde,

Mir ſpendete des holden Blickes Segen:

Wohl möcht’ ich jene Stelle liebend hegen,

Dort Zeichen graben in des Baumes Rinde,

Mich ſchmücken mit der Blumen Angebinde,

Zu Träumen mich in kühle Schatten legen.

Doch ſo verwirrte mich des Blickes Helle,

Und ſo geblendet blieb ich von dem Bilde,

Daß lang ich wie ein Trunkner mußte wanken;

Und nun mit allem Streben der Gedanken,

So wie mit allem Suchen im Gefilde,

Nicht mehr erforſchen kann die theure Stelle.

[110]

Die zwo Jungfraun.


Zwo Jungfraun ſah ich auf dem Hügel droben,

Gleich lieblich von Geſicht, von zartem Baue;

Sie blickten in die abendlichen Gaue,

Sie ſaßen traut und ſchweſterlich verwoben.

Die Eine hielt den rechten Arm erhoben,

Hindeutend auf Gebirg und Strom und Aue;

Die Andre hielt, damit ſie beſſer ſchaue,

Die linke Hand der Sonne vorgeſchoben.

Kein Wunder, daß Verlangen mich beſtrickte

Und daß in mir der ſüße Wunſch erglühte:

O ſäß’ ich doch an Einer Platz von Beiden!

Doch wie ich länger nach den Trauten blickte,

Gedacht’ ich im beſänftigten Gemüthe:

Nein! wahrlich, Sünde wär’ es, ſie zu ſcheiden!

[111]

Der Wald.


Was je mir ſpielt’ um Sinnen und Gemüthe

Von friſchem Grün, von kühlen Dämmerungen,

Das hat noch eben mich bedeckt, umſchlungen,

Als eines Maienwaldes Luſtgebiete.

Was je in Traum und Wachen mich umglühte

Von Blumenſchein, von Knoſpen, kaum geſprungen,

Das kam durch die Gebüſche hergedrungen,

Als leichte Jägerin, des Waldes Blüthe.

Sie floh dahin, ich eilte nach, mit Flehen,

Bald hätten meine Arme ſie gebunden,

Da mußte ſchnell der Morgentraum verwehen.

O Schickſal, das mir ſelbſt nicht Hoffnung gönnte!

Mir iſt die Schönſte nicht allein verſchwunden,

Der Wald ſogar, drin ich ſie ſuchen könnte.

[112]

Der Blumenſtrauß.


Wenn Sträuchen, Blumen manche Deutung eigen,

Wenn in den Roſen Liebe ſich entzündet,

Vergißmeinnicht im Namen ſchon ſich kündet,

Lorbeere Ruhm, Cypreſſen Trauer zeigen;

Wenn, wo die andern Zeichen alle ſchweigen,

Man doch in Farben zarten Sinn ergründet,

Wenn Stolz und Neid dem Gelben ſich verbündet,

Wenn Hoffnung flattert in den grünen Zweigen:

So brach ich wohl mit Grund in meinem Garten

Die Blumen aller Farben, aller Arten,

Und bring’ ſie dir, zu wildem Strauß gereihet:

Dir iſt ja meine Luſt, mein Hoffen, Leiden,

Mein Lieben, meine Treu, mein Ruhm, mein Neiden,

Dir iſt mein Leben, dir mein Tod geweihet.

[113]

Entſchuldigung.


Was ich in Liedern manchesmal berichte

Von Küſſen in vertrauter Abendſtunde,

Von der Umarmung wonnevollem Bunde,

Ach! Traum iſt, leider, Alles und Gedichte.

Und du noch geheſt mit mir in’s Gerichte,

Du zürneſt meinem prahleriſchen Munde:

Von nie gewährtem Glücke geb’ er Kunde,

Das, ſelbſt gewährt, zum Schweigen ſtets verpflichte.

Geliebte, laß den ſtrengen Ernſt ſich mildern

Und lächle zu den leichten Dichterträumen,

Dem unbewußten Spiel, den Schattenbildern!

Der Sänger ruhet ſchlummernd oft im Kühlen,

Indeß die Harfe hänget unter Bäumen

Und in den Saiten Lüfte ſäuſelnd wühlen.

Uhlands Gedichte. 8
[114]

Vorſchlag.


Dem Dichter iſt der Fernen Bild geblieben,

Bei dem er einſam oftmals Troſt gefunden,

Und hält des Lebens Wirrung ihn umwunden,

Er fühlt am Buſen doch das Bild der Lieben.

Auch was der Dichter ſang, ſehnſuchtgetrieben,

Die Schöne liest es oft in Abendſtunden,

Und Manches hat ſo innig ſie empfunden,

Daß ihr es tief im Herzen ſteht geſchrieben.

Ein theures Bild, wohl wirkt es wunderkräftig,

Wohl mancher Kummer weicht des Liedes Tönen,

Doch ewig bleibt der Trennung Schmerz geſchäftig.

O Schickſal! wechsle leicht nur mit den Looſen:

Den Dichter führe wieder zu der Schönen,

Die Lieder mögen mit dem Bilde koſen!

[115]

Die Bekehrung zum Sonett.


Der du noch jüngſt von deinem krit’ſchen Stuhle

Uns arme Sonettiſten abgehudelt,

Der du von Gift und Galle recht geſprudelt

Und uns verflucht zum tiefſten Höllenpfuhle:

Du reines Hermelin der alten Schule,

Wie haſt du nun dein weiſſes Fell beſudelt!

Ja! ein Sonettlein haſt du ſelbſt gedudelt,

Ein ſchnalzend Seufzerlein an deine Buhle.

Haſt du die ſelbſtgeſteckten Warnungszeichen,

Haſt du, was halb mit Spott und halb mit Knirſchen

Altmeiſter Voß gepredigt, all vergeſſen?

Fürwahr! du biſt dem Lehrer zu vergleichen,

Der ſeinen Zögling ob geſtohlnen Kirſchen

Ausſchalt und ſcheltend ſelber ſie gefreſſen.

[116]

Schlußſonett.


Wie, wenn man auch die Glocke nicht mehr ziehet,

Es lange dauert, bis ſie ausgeklungen;

Wie, wer von einem Berge kam geſprungen,

Umſonſt, den Lauf zu hemmen, ſich bemühet;

Wie oft aus Bränden, welche längſt verglühet,

Ein Flämmchen unverſehens ſich geſchwungen;

Und ſpät noch eine Blüthe vorgedrungen

Aus Aeſten, die ſonſt völlig abgeblühet;

Wie den Geſang, den zu des Liebchens Preiſe

Der Schäfer angeſtimmt aus voller Seele,

Gedankenloſe Halle weiter treiben:

So geht es mir mit der Sonettenweiſe:

Ob mir’s an Zweck und an Gedanken fehle,

Muß ich zum Schluſſe dies Sonett doch ſchreiben.

[117]

An K. M.


Wann die Natur will knüpfen und erbauen,

Dann liebt in ſtillen Tiefen ſie zu walten;

Geweihten einzig iſt vergönnt, zu ſchauen,

Wie ihre Hand den Frühling mag geſtalten,

Wie ſie erzieht zu Eintracht und Vertrauen

Die Kinder früh in dunkeln Aufenthalten.

Nur wenn ſie will zerſtören und erſchüttern,

Erbraust ſie in Orkanen und Gewittern.

So übet auch die Liebe tief und leiſe

Im Reich der Geiſter ihre Wundermacht;

Sie zieht unſichtbar ihre Zauberkreiſe

Am goldnen Abend, in der Sternennacht;

Sie weckt durch feierlicher Lieder Weiſe

Verwandte Chöre in der Geiſter Schacht;

Sie weiß durch ſtiller Augen Strahl die Seelen

Zu knüpfen und auf ewig zu vermählen.

Dort in des Stromes wild empörte Wogen

Warf ſich ein Jüngling, voll von raſchen Gluten,

Doch jene Wallung, die ihn fortgezogen,

Sie mußt’ ihn wieder an das Ufer fluten.

Ich aber ſah es, wie des Himmels Bogen,

Der Erde Glanz im ſtillen Teiche ruhten:

Da ſank ich hin, von ſanfter Wonne trunken,

Ich ſank und bin auf ewig nun verſunken.

[118]

Ein Abend.


Als wäre nichts geſchehen, wird es ſtille,

Die Glocken hallen aus, die Lieder enden.

Und leichter ward mir in der Thränen Fülle,

Seit Sie verſenket war von frommen Händen.

Als noch im Hauſe lag die bleiche Hülle,

Da wußt’ ich nicht, wohin nach Ihr mich wenden;

Sie ſchien mir, heimathlos, mit Klaggebärde,

Zu ſchweben zwiſchen Himmel hin und Erde.

Die Abendſonne ſtralt’, ich ſaß im Kühlen

Und blickte tief in’s lichte Grün der Matten;

Mir dünkte bald, zwei Kinder ſäh’ ich ſpielen,

So blühend, wie einſt wir geblühet hatten.

Da ſank die Sonne, graue Schleier fielen,

Die Bilder fliehn, die Erde liegt im Schatten;

Ich blick’ empor, und hoch in Aethers Auen

Iſt Abendroth und all mein Glück zu ſchauen.

[119]

Rückleben.


An Ihrem Grabe kniet’ ich, feſtgebunden,

Und ſenkte tief den Geiſt in’s Todtenreich.

Zum Himmel reichte nicht mein Blick, es ſtunden

Des Wiederſehens Bilder fern und bleich.

Da ſo ich vorwärts Grauen nur gefunden,

Vergangne Tage, flüchtet’ ich zu euch;

Ich ließ den Sarg des Grabes Nacht entheben,

Zurück Sie tragen in das ſchöne Leben.

Schon huben ſich die bleichen Augenlieder,

Ihr Auge ſchmachtete zu mir empor;

Bald ſtrebten auf die friſchverjüngten Glieder,

Sie ſchwebte blühend in der Schweſtern Chor;

Der Liebe goldne Stunden traten wieder,

Selbſt mit des erſten Kuſſes Luſt, hervor:

Bis ſich verlor Ihr Leben und das meine

In ſel’ger Kindheit Duft und Morgenſcheine.

[120]

Geſang und Krieg.


1.


Wühlt jener ſchauervolle Sturm aus Norden

Zerſtörend auch im friſchen Liederkranze?

Iſt der Geſang ein feiges Spiel geworden?

Wiegt fürder nur der Degen und die Lanze?

Muß ſchamroth abwärts fliehn der Sängerorden,

Wann Kriegerſcharen ziehn im Waffenglanze?

Darf nicht der Harfner wie in vor’gen Zeiten,

Willkommen ſelbſt durch Feindeslager ſchreiten?

Bleibt Poeſie zu Wald und Kluft verdrungen,

Bis nirgends Kampf der Völker Ruhe ſtöret,

Bis das vulkan’ſche Feuer ausgerungen,

Das ſtets ſich neu im Erdenſchooß empöret:

So iſt bis heute noch kein Lied erklungen,

Und wird auch keins in künft’ger Zeit gehöret.

Nein! über ew’gen Kämpfen ſchwebt im Liede,

Gleichwie in Goldgewölk, der ew’ge Friede.

Ein jedes weltlich Ding hat ſeine Zeit,

Die Dichtung lebet ewig im Gemüthe,

Gleich ewig in erhabner Herrlichkeit,

Wie in der tiefen Lieb’ und ſtillen Güte,

Gleich ewig in des Ernſtes Düſterheit,

Wie in dem Spiel und in des Scherzes Blüthe.

Ob Donner rollen, ob Orkane wühlen,

Die Sonne wankt nicht und die Sterne ſpielen.

[121]
Schon rüſten ſich die Heere zum Verderben,

Der Frühling rüſtet ſich zu Spiel und Reigen;

Die Trommeln wirbeln, die Trommeten werben,

Indeß die wilden Winterſtürme ſchweigen;

Mit Blute wild der Krieg die Erde färben,

Die ſich mit Blumen ſchmückt und Blüthenzweigen:

Darf ſo der ird’ſche Lenz ſich frei erſchließen,

So mög’ auch unſer Dichterfrühling ſprießen!

2.


Nicht ſchamroth weichen ſoll der Sängerorden,

Wann Kriegerſcharen ziehn im Waffenglanze;

Noch iſt ſein Lied kein ſchnödes Spiel geworden,

Doch ziert auch ihn der Degen und die Lanze;

Wohl ſchauervoll iſt jener Sturm aus Norden,

Doch weht er friſch und ſtärkt zum Schwerdtertanze.

Wollt, Harfner, ihr durch Feindeslager ſchreiten,

Noch ſteht’s euch frei — den Eingang zu erſtreiten.

Wann: Freiheit! Vaterland! ringsum erſchallet,

Kein Sang tönt ſchöner in der Männer Ohren,

Im Kampfe, wo ſolch heilig Banner wallet,

Da wird der Sänger kräftig neugeboren.

Hat Aeſchylos, deß Lied vom Siege hallet,

Hat Dante nicht dieß ſchönſte Loos erkoren?

Cervantes ließ, gelähmt, die Rechte ſinken

Und ſchrieb den Don Quixote mit der Linken. *)

[122]
Auch unſres deutſchen Liedertempels Pfleger,

Sie ſind dem Kriegesgeiſte nicht verdorben,

Man hört ſie wohl die frend’gen Telynſchläger,

Und mancher hat ſich blut’gen Kranz erworben.

Du, Wehrmann Leo, du, o ſchwarzer Jäger,

Wohl ſeyd ihr ritterlichen Tods geſtorben!

Und Fouqué, wie mir du das Herz durchdringeſt!

Du wagteſt, kämpfteſt — doch du lebſt und ſingeſt.

Den Frühling kündet der Orkane Sauſen,

Der Heere Vorſchritt macht die Erde dröhnen,

Und wie die Ström’ aus ihren Ufern brauſen,

So wogt es weit von Deutſchlands Heldenſöhnen;

Der Sänger folgt durch alles wilde Grauſen,

Läßt Sturm und Wogen gleich ſein Lied ertönen.

Bald blüht der Frühling, bald der goldne Friede,

Mit mildern Lüften und mit ſanftrem Liede.

[123]

Gloſſen.


1. Der Recenſent.


Süſſe Liebe denkt in Tönen,
Denn Gedanken ſtehn zu fern;
Nur in Tönen mag ſie gern
Alles, was ſie will, verſchönen
.’

(Tieck.)

Schönſte! du haſt mir befohlen,

Dieſes Thema zu gloſſiren;

Doch ich ſag’ es unverhohlen:

Dieſes heißt die Zeit verlieren,

Und ich ſitze wie auf Kohlen.

Liebtet ihr nicht, ſtolze Schönen!

Selbſt die Logik zu verhöhnen,

Würd’ ich zu beweiſen wagen,

Daß es Unſinn iſt, zu ſagen:

Süſſe Liebe denkt in Tönen.

Zwar verſteh’ ich wohl das Schema

Dieſer abgeſchmackten Gloſſen,

Aber ſolch verzwicktes Thema,

Solche räthſelhafte Poſſen

Sind ein gordiſches Problema.

Dennoch macht’ ich dir, mein Stern!

Dieſe Freude gar zu gern.

Hoffnunglos reib’ ich die Hände,

Nimmer bring’ ich es zu Ende,

Denn Gedanken ſtehn zu fern.

[124]
Laß, mein Kind! die ſpan’ſche Mode,

Laß die fremden Triolette,

Laß die wälſche Klangmethode

Der Kanzonen und Sonette,

Bleib bei deiner ſapph’ſchen Ode!

Bleib der Aftermuſe fern

Der romantiſch ſüßen Herrn!

Duftig ſchwebeln, luftig tänzeln

Nur in Reimchen, Aſſonänzeln,

Nur in Tönen mag ſie gern.

Nicht in Tönen ſolcher Gloſſen

Kann die Poeſie ſich zeigen;

In antiken Verskoloſſen

Stampft ſie beſſer ihren Reigen

Mit Spondeen und Moloſſen.

Nur im Hammerſchlag und Dröhnen

Deutſchhelleniſcher Kamönen

Kann ſie ſelbſt die alten, kranken,

Allerhäßlichſten Gedanken,

Alles, was ſie will, verſchönen.

[125]

2. Der Romantiker und der Recenſent.


Mondbeglänzte Zaubernacht,
Die den Sinn gefangen hält,
Wundervolle Mährchenwelt,
Steig auf in der alten Pracht!

(Tieck.)

Romantiker.


Finſter iſt die Nacht und bange,

Nirgends eines Sternleins Funkel!

Dennoch in verliebtem Drange

Wandl’ ich durch das grauſe Dunkel

Mit Geſang und Lautenklange.

Wenn Kamilla nun erwacht

Und das Lämpchen freundlich facht,

Dann erblick’ ich, der Entzückte,

Plötzlich eine ſterngeſchmückte,

Mondbeglänzte Zaubernacht.

Recenſent.


Laß Er doch ſein nächtlich Johlen,

Poetaſter Helikanus!

Was Er ſingt, iſt nur geſtohlen

Aus dem Kaiſer Oktavianus,

Der bei mir nicht ſehr empfohlen,

Den ich der gelehrten Welt

Von den Alpen bis zum Belt

Preisgab als ein Werk der Rotte,

Die den Unſinn hub zum Gotte,

Die den Sinn gefangen hält.

[126]

Romantiker.


Welche Stimme, rauh und heiſcher!

Iſt das wohl der Baur Hornvilla?

Iſt es Klemens wohl, der Fleiſcher?

Von den Fenſtern der Kamilla

Heb dich weg, du alter Kreiſcher!

Was die krit’ſche Feder hält

Von den Alpen bis zum Belt,

Wüth’ es doch zu Haus und ſchäume,

Nur verſchon’ es Ihrer Träume

Wundervolle Mährchenwelt!

Recenſent.


Bänkelſänger, Hackbretſchläger,

Volk, das Nachts die Stadt durchleiert,

Nennt ſich jetzt der Muſen Pfleger;

Nächſtens, wenn Apoll noch feiert,

Dichten ſelbſt die Schornſteinfeger.

Zeit, wo man mit Wohlbedacht

Nur latein’ſchen Vers gemacht,

Zeit gepuderter Perücken,

Drauf Pfalzgrafen Lorbern drücken,

Steig auf in der alten Pracht!

[127]

3. Die Nachtſchwärmer.


Eines ſchickt ſich nicht für Alle;
Sehe Jeder, wie er’s treibe,
Sehe Jeder, wo er bleibe,
Und wer ſteht, daß er nicht falle!

(Goethe.)

Der Unverträgliche.


Stille ſtreif’ ich durch die Gaſſen,

Wo ſie wohnt, die blonde Kleine;

Doch ſchon ſeh’ ich Andre paſſen

Und mir war’s im Dämmerſcheine,

Einer würd’ hineingelaſſen.

Regt es mir denn gleich die Galle,

Daß ſie Andern auch gefalle?

Sey’s! doch kann ich nicht verſchweigen:

Jeder hab’ ein Liebchen eigen!

Eines ſchickt ſich nicht für Alle.

Der Hülfreiche.


Zu dem Brunnen, mit den Krügen

Kömmt noch ſpät mein trautes Mädchen,

Rollt mit raſchen, kräft’gen Zügen

Huſch! die Ketten um das Rädchen;

Ihr zu helfen, welch Vergnügen!

Ja! ich zog mit ganzem Leibe,

Bis zerſprang des Rädchens Scheibe.

Iſt es nun auch ſtehn geblieben,

Haben wir’s doch gut getrieben,

Sehe Jeder, wie er’s treibe!

[128]

Der Vorſichtige.


Zwölf Uhr! iſt der Ruf erſchollen

Und mir ſinkt das Glas vom Munde.

Soll ich jetzt nach Haus mich trollen

In der ſchlimmen Geiſterſtunde,

In der Stunde der Patrollen?

Und daheim zum Zeitvertreibe

Noch den Zank von meinem Weibe!

Dann die Nachbarn, häm’ſche Tadler! —

Nein! ich bleib’ im goldnen Adler,

Sehe Jeder, wo er bleibe!

Der Schwankende.


Ei! was kann man nicht erleben!

Heute war doch Sommerhitze,

Und nun hat’s Glatteis gegeben;

Daß ich noch auf’s Pflaſter ſitze,

Muß ich jeden Schritt erbeben;

Und die Häuſer taumeln alle,

Wenn ich kaum an eines pralle.

Hüte ſich in dieſen Zeiten

Wer da wandelt, auszugleiten,

Und wer ſteht, daß er nicht falle!

[[129]]

Dramatiſche Dichtungen.


Uhlands Gedichte. 9
[[130]][[131]]

Schildeis.


Fragment.


Böhmerwald. Im Hintergrunde das Schloß Schildeis.

Herzog Eginhard, die Herzogin, Ritter Dietwald
und ein Einſiedler treten auf.

Einſiedler.

Dort liegt das Jagdſchloß, ſo man Schildeis nennt,
Ganz in des Böhmerwaldes Innerſtem.


Dietwald
(zum Herzog.)

Das iſt das Schloß, von dem ich Euch geſagt,
Daß es die beſte Zuflucht bieten mag.
Ich hätt’ es, wahrlich! ſelbſt nicht mehr gefunden,
Denn alle Weg’ und Stege ſind verwachſen,
Seitdem der ſel’ge Herzog hier gejagt,
Es ſind nun fünf und zwanzig Jahre her.


Herzog
(zum Einſiedler.)

Dank, frommer Bruder, Euch für das Geleit!
Ihr ſeyd der wilden Gegend trefflich kund.


(Zur Herzogin.)

Und du, mein gutes Weib! nun haſt du endlich
Des weiten Wegs Beſchwerden überſtanden.


Herzogin.

Viel wohler, als in des Pallaſtes Pracht,
Der ich unwürdig oft mich achtete,
[132] War mir auf dieſer mühevollen Fahrt.
So meint’ ich abzubüßen meine Schuld,
Die Schuld, ach! die ich nicht bereuen kann.


Herzog.

Dort kömmt ein Jägersmann am Fels herum.


Einſiedler.

Der alte Eckart, dieſes Schloſſes Vogt.


Dietwald.

Wie iſt er grau geworden und gebeugt!


(Eckart tritt auf.)

Herzog.

Willkommen, treuer Eckart!


Eckart.

Seh’ ich recht?
So wird mir noch einmal in dieſem Leben
Die Freude, meinen lieben Herrn zu ſchaun!


Herzog.

Wie kennſt du plötzlich, den du nie geſehn?


Eckart.

Iſt’s möglich? Seyd Ihr nicht mein junger Herr,
Der Herzog Wolf?


Herzog.

Du ſprichſt von meinem Vater,
Der vor drei Monden zu den Ahnen ging.


Eckart.

Um Gott! Davon gelangte nichts zu uns.
Der Himmel ſchenk’ ihm eine ſanfte Ruh!
Er ſah doch ganz wie Ihr, der gute Herr,
[133] Als er vor Jahren hier bei’m Jagen war.
Auch dünkt es mir nicht gar ſo lange her,
Und ſteht noch Alles drüben in der Burg
So wie der Herr es hinterlaſſen hat.
Die Sanduhr iſt ſeitdem nicht mehr gelaufen,
Die Armbruſt hängt noch dort unabgeſpannt,
Sein Jägerhut noch mit dem Tannenzweig,
Sein Falke ſitzt im Käfig ausgebälgt.
Das alte Liederbuch, darin er las,
Iſt aufgeſchlagen, wo er aufgehört;
Ihr könnt fortleſen, wo der Vater blieb,
Es kommen erſt die herrlichſten Geſchichten.


Einſiedler.

Ja! Euer Schloß iſt ein ſeltſamer Ort,
Es wandeln dort in ſtiller Mitternacht
Die Geiſter längſt Verſtorbner durch die Hallen.
Sie kehren gerne zu dem Haus zurück,
Wo Alles noch iſt, wie zu ihrer Zeit.


Eckart.

Das iſt wohl gar der Junker Dietwald hier,
Der mit dem ſel’gen Herzog bei uns war?
Ihr habt Euch was verändert, doch nicht ſehr.


Dietwald.

Das hör’ ich gern, mein alter Jagdgeſell!


Herzogin
(zu Eckart.)

Ihr habt wohl manches Jährlein hinter Ench?


Eckart.

Ein Sechzig.


Dietwald.

Und ein Dreißig noch dazu.


[134]
Einſiedler.

Das Jahr nicht kennend, das der Welt ihn gab,
Hat er ſchon längſt auf ſechzig ſich geſchätzt,
Doch neigt das Jahr ſich wieder, denkt er ſtets:
Ich hab’ ein Jährlein leicht zuviel gezählt;
So tritt er über ſechzig nie hinaus.


Eckart.

Es liegt ja doch am Ende wenig dran.


Einſiedler.

Kein Wunder, daß die Zeit ihm ſtille ſtand
Und daß er meinet, Alles ſteh’ im Alten;
Denn kein Ereigniß zeichnet’ ihm die Tage,
Seitdem der ſel’ge Herzog hier gejagt,
Noch hört er Kunde von dem Lauf der Welt.
Den Wechſel ſelbſt der Jahreszeiten läßt
Der Tannenwälder ewig Dunkelgrün,
Der Felſen ewig frühlingsloſe Oede
In unſrer Wildniß weniger bemerken.


Eckart.

Ganz recht! ich hab’ es niemals ſo bedacht.


Einſiedler.

Ihr Theuerſten! des Menſchen Leben iſt
Ein kurzes Blühen und ein langes Welken.
Durch dieſen einfach langen Wechſel zieht
Der Jahreszeiten ſchneller, bunter Tauſch,
Und ſchafft dem Menſchen, der, dazwiſchen ſtehend,
Nicht folgen kann, ſo manigfaches Weh.
Denn wann der Herbſt das Feld entblümt, entlaubt,
Da trübt ſich ſelbſt des friſchen Jünglings Sinn,
Er muß das Alter koſten vor der Zeit.
[135] Noch ſchmerzlicher — wann ſich der Lenz belebt,
Da will des Greiſen Wange neu ſich röthen,
Sich zu verjüngen meint das matte Herz;
Ach! kurze Täuſchung nur!
Der dürre Stamm, er treibt ein ſchwaches Laub,
Doch zu geſunder Blüthe bringt er’s nicht.
Drum lob’ ich dieſe wechſelloſe Gegend,
Wo nichts im Herzen weckt der Sehnſucht Qual.


Dietwald
(ſeitwärts zum Herzog.)

Der Pred’ger in der Wüſte hier hat wohl
Seit langer Zeit ſich nicht mehr ausgeſprochen.


Einſiedler.

Es iſt, als wäre dieſe Gegend früh
Zurückgeblieben hinter’m Schritt der Zeit.
Die weiten, ſtillen Wälder, wo der Menſch,
Des Schöpfers letztes Werk, noch fehlt.
Und dort noch in der Ferne das Gebirg,
Das liegt nun vollends außer aller Zeit.
Auch nicht das Pflanzenreich iſt dort geſchaffen;
Die Elemente ſind noch nicht geſchieden.
Ein Chaos ungeheurer Felſenblöcke,
Voll tiefer Klüfte, drein kein Licht noch fiel,
Nur daß oft Flammen aus dem Abgrund zucken!
Die dunkeln Waſſer rauſchen ſchaurig drunten,
Und Wolken liegen in den Schluchten hin.
Es kam mich einsmals dort gar ſeltſam an,
Als ich ſo über die todten Maſſen
In eigner kräftiger Bewegung ſchritt.
Es glüht mein Aug’, es hebet ſich mein Arm,
Mein Mantel wallt, es flattern meine Locken,
[136] Ich rufe durch die Stille hin: Es werde! —
Unmächt’ge Stimme ſchwacher Kreatur!


Herzog.

Auch hieher dringt noch die raſtloſe Zeit;
Die Tannen, die ſo trotzig ſtehn, ſie müſſen
Zur Menſchenwohnung ſich zuſammenfügen;
Die Felſen werden vom Gebirg gerollt
Und ſteigen neu, als hehre Dom’, empor.


Dietwald.

Kaum tretet Ihr in dieſe Wildniß ein,
Und habt ſchon ſo tiefſinnige Gedanken.


Herzog.

Und nun, mein guter Eckart, ſey mir treu,
Wie du es meinem lieben Vater warſt!
Wir nehmen unſern Sitz in dieſem Schloß,
Ich und die werthe Frau hier, mein Gemahl,
Doch bleibt es ein Geheimniß, wer wir ſind.


Herzogin.

So ziehn wir denn zur neuen Hofburg ein!


(Alle ab.)

Ein Wanderer
(tritt auf und ſingt [...])

O Tannenbaum, du edles Reis!
Biſt Sommer und Winter grün.
So iſt auch meine Liebe,
Die grünet immerhin.
O Tannenbaum! doch kannſt du nie
In Farben freudig blühn.
So iſt auch meine Liebe,
Ach! ewig dunkel grün.


(Ab.)

[137]

Das Ständchen.


Junker David. Abſalon und andere Bediente Davids.

Garten. Mondſchein.

David.

Wie angenehme, warme Sommernacht!
Die Fröſche ſingen und die Grillen pfeifen;
So ſtimmen wir auch unſre Muſik an!


Abſalon.

Wir ſollten eine ſchwärzre Nacht erwarten
Mit unſrem Frevel gegen die Muſik;
Verruchte Thaten lieben Finſterniß.


David.

Hier iſt kein Frevel! Meiner Dame Herz
Möcht’ ich erſteigen auf der Töne Leiter.


Abſalon.

O trauet Eurer Leiter nicht zu ſehr!
Es krachen, brechen alle Stufen.


David.

Schweig!
Was murrſt du ewig, du Undankbarer,
Den brodlos ich in meine Dienſte nahm?


Abſalon.

Noch hatt’ ich Brod und brodlos ward ich erſt
In Eurem Dienſt, vom Dienſte lebt ſich’s nicht.
Doch dies iſt nicht mein höchſtes Mißgeſchick.


[138]
David.

In der Muſik ließ ich dich unterweiſen
Auf dein inſtändig Flehen.


Abſalon.

Traun! Ihr trefft
Die rechte Saite, die Ihr nie noch traft.
Als ich ein Knabe war, da kamen oft
Die Harfner, wandernd, vor des Vaters Thür.
Sie dünkten theure Boten mir zu ſeyn
Aus einer Welt von vollern Harmonien,
Nach der ſie heiſſes Sehnen mir erweckten.
Und bald verließ ich meiner Eltern Heerd,
Als wollt’ ich ſuchen das gelobte Land,
Wo jene Himmelsſprache der Muſik
Geſprochen würde — weh! ich kam zu Euch,
Dem Antipoden der melod’ſchen Zone.


David.

Ha! ſtammt nicht mein tonliebendes Geſchlecht
Vom König David her, der Harfner erſtem?


Abſalon.

Von König David und Bathſeba wohl,
Drum blieb zum Fluch Euch der unſel’ge Hang.


David.

So ſucht’ ich dich umſonſt mir zu verbinden,
Da ich den Namen Abſalon dir gab
Und väterlich die Kunſt in dir gepflegt?


Abſalon.

Ich weiß es nicht, durch welchen Höllenzauber
Ihr mich geriſſen aus der Chriſtenheit
Und feſt mich haltet in verhaßtem Bann.


[139]
David.

Vergebens gab ich dir die ſchöne Geige,
Ein werthes Erbſtück, trefflich ausgeſpielt?


Abſalon.

Das eben iſt mein Jammer, daß ihr mich
Gekettet an dies mißgelaunte Werkzeug,
Dies Ungeheuer, jeden Wohllauts Feind,
Ganz ungelehrig für die Melodie.
Mein Flehen, all mein innigſtes Verlangen
Hat ihm noch keinen lautern Ton entlockt.
Ich mag es ſtreicheln, ſchüttern, ſchlagen, nichts
Gewinn’ ich, als ein mürriſches Gekreiſch.
Ich hörte, daß man böſe Geiſter oft
In Säcke bannt und in den Strom verſenkt;
Fürwahr, in dieſer Geige Kaſten ſind
Des Mißlauts Plagegeiſter all gebannt,
Wo ſie nun ewig ſtöhnen, winſeln, henlen.
Laßt mich ſie ſenken in des Meeres Tiefe,
Zum tauben Abgrund, zu den ſtummen Fiſchen!
Und reißt ſich dennoch ſolch ein Mißton los,
Dann bäumt, ihr Wellen, euch, verſchlinget ihn!
Ihr Stürme, macht euch auf, ihn zu zerreißen,
Bevor zu Menſchenohren er gelangt!


David.

Halt ein! Zum Werk, ihr Leute! Flugs geſtimmt!


(Sie ſtimmen.)

Abſalon.

Iſt keine Rettung? Iſt die Harmonie
Geſtorben? Sind die Engel der Muſik
Gefallen und Satane worden?


[140]
David.

Still!


(Er ſingt zur Harfe:)

David ward herabgelaſſen
Von dem Fenſter an dem Seil,
Michal, ſeine treue Gattin,
Ließ ihn nieder, ihm zum Heil.
Schönſtes Fräulein! liebſte Michal!
Hör auf meiner Triller Lauf!
Ziehe du zu deinem Fenſter
Mich verkehrten David auf!


Abſalon.

Baalspfaffen ihr mit grimmigem Gekreiſch,
So muß ich noch als euer Opfer ſterben!
Bin ich von dieſem grauſen Mißgetön
Nicht krumm gewachſen? Haben ſich die Augen
Mir nicht verdreht?


David.

Verruchter Läſterer!
Verhöhneſt du des eignen Herrn Geſtalt?


Abſalon.

Nun weiß ich, wie dem Abſalon es war,
Als an den Haaren er vom Baume hieng
Und ihm drei Spieße fuhren durch das Herz.


David.

O Undank! wahrhaft zweiter Abſalon!


Abſalon.

Ich könnte nicht dem Abſalon verargen
Den Aufruhr gegen ſeinen eignen Vater,
Wenn dieſer hätte muſizirt wie Ihr.


[141]
David.

Recht rührend war’s. Ein Stein erbarmte ſich.


Abſalon.

Gebt Acht, daß nicht dies Haus zuſammenſtürzt!
Amphions göttliche Muſik bewog
Die Steine, ſelber ſich zum Bau zu fügen,
Die unſre muß der Mauer Fugen löſen.


David.

Was zeigt ſich Weiſſes dort am Fenſter? ſeht
Die Feueraugen! Merket auf, ſie ſpricht!


Abſalon.

Des Fräuleins Katze ruft uns Beifall zu.
Das Fräulein wird ſich in die Decke hüllen,
Ergrauend vor der Nachtgeſpenſter Lärm.


David.

Nur Eines noch, ſo wird ſie ſelbſt erſcheinen!


(Sie ſtimmen wieder.)

Abſalon.

Der Mond, die Sterne, die ſo freundlich erſt
Herniederlauſchten, hoffend auf Muſik,
Sie haben, gleich dem Fräulein, ſich verhüllt.
Wir haben aufgeregt des Himmels Zorn,
Ich höre ſchon die fernen Donner grollen.
Der Himmel wirft die Blitze nach uns aus,
Wie König Saul nach Eurem Ahn den Spieß.


David.

Es ſchlägt der Blitz wohl gern in die Muſik?
Mich überfällt ein Schauer. Laßt uns fliehn!


[142]
Abſalon.

Hätt’ dieſe Unmuſik noch lang gewährt,
Es wären, traun! Erdbeben noch entſtanden,
Die Erde hätt’ im Innern ſich geſchüttelt.


(Es donnert. Alle ab, außer Abſalon.)

Ich höre dich, gewalt’ge Donnerſtimme!
Dich herrlichen Choral der Wolken.
Vergeh, erbärmlich Machwerk! ich bin frei!


(Er ſchleudert die Geige an die Mauer. Ab.)

[143]

Normänniſcher Brauch.


Dem Freiherrn de la Motte Fouqué zugeeignet.

Balder, ein Seefahrer. Richard, ein Fiſcher. Thorilde.

Fiſcherhütte auf einer Inſel an der Küſte der
Normandie
.

Balder.

Dies auf dein Wohlſeyn, vielgeehrter Wirth!
Fürwahr, ich hab’s dem tollen Sturme Dank,
Der mich in deiner Inſel Bucht gejagt,
Denn ſolch ein traulich Mahl am ſtillen Heerd
Hat mich ſeit langer Zeit nicht mehr gelabt.


Richard.

Man trifft’s in Fiſcherhütten beſſer nicht,
Hat’s dir behagt, viel Ehr’ und Freude mir!
Inſonders werth iſt mir ſo edler Gaſt,
Der aus dem nord’ſchen Heimathlande kömmt,
Von wannen unſre Väter hergeſchifft,
Davon man noch ſo Vieles ſagt und ſingt.
Doch muß ich dir eröffnen, edler Herr,
Wer bei mir einkehrt, ſey er noch ſo arm,
Wird angeſprochen um ein Gaſtgeſchenk.


Balder.

Mein Schiff, das in der Bucht vor Anker liegt,
[144] Es hegt der ſeltnen Waaren mancherlei,
Die ich vom Mittelmeere hergeführt,
Goldfrüchte, ſüſſe Weine, bunte Vögel;
Auch wahrt es Waffen, nord’ſcher Schmiede Werk,
Zweiſchneid’ge Schwerdter, Harniſch, Helm und Schild.


Richard.

Nicht ſolches meint’ ich, du verſtehſt mich falſch.
Es iſt ein Brauch in unſrer Normandie:
Wer einen Gaſt an ſeinem Heerd empfieng,
Verlangt von ihm ein Mährchen oder Lied
Und gibt ſofort ein Gleiches ihm zurück.
Ich halt’ in meinen alten Tagen noch
Die edeln Sagen und Geſänge werth,
Darum erlaſſ’ ich dir die Fodrung nicht.


Balder.

Ein Mährchen iſt oft ſüß wie Cyperwein,
Wie Früchte duftig und wie Vögel bunt,
Und manch ein alterthümlich Heldenlied
Ertönt wie Schwerdtgeklirr und Schildesklang,
Drum war mein Irrthum wohl nicht allzu groß.
Zwar weiß ich nicht ſo Herrliches zu melden,
Doch ehrt’ ich gern den löblichen Gebrauch.
Vernimm denn, was in heitrer Mondnacht jüngſt
Ein Schiffgenoß auf dem Verdeck erzählt!


Richard.

Noch einen Trunk, mein Gaſt! Beginne dann!


Balder.

Zween nord’ſche Grafen hatten manches Jahr
Das Meer durchſegelt mir vereinten Wimpeln,
Vereint beſtanden manch furchtbaren Sturm,
[145] Manch heiße Schlacht zur See und am Geſtad,
Auch manchesmal im Süden oder Oſten
Auf blüh’ndem Strand zuſammen ausgeruht;
Jetzt ruhten ſie daheim auf ihren Burgen,
In gleiche Trauer Beide tief verſenkt,
Denn Jeder hatt’ ein treues Ehgemahl
Unlängſt begleitet nach der Ahnengruft.
Doch ſproßt’ auch Jedem aus dem düſtern Gram
Ein ſüßes, ahnungsvolles Glück heraüf:
Dem Einen blüht’ ein muntrer Sohn,
Der Andre pflegt’ ein liebes Töchterlein.
Um ihren alten Freundſchaftsbund zu krönen
Und daurendes Gedächtniß ihm zu ſtiften,
Beſchloſſen ſie, die theuern Sprößlinge
Dereinſt durch heil’ge Bande zu verknüpfen.
Zween goldne Ringe ließen ſie bereiten,
Die man, den zarten Fingern noch zu weit,
An bunten Bändern um die Hälschen hing.
Ein Sapphir, wie des Mägdleins Auge blau,
War in des jungen Grafen Ring gefügt,
Im andern glüht’ ein roſenrother Stein,
Recht wie des Knaben friſches Wangenblut.


Richard.

Ein roſenrother Stein im goldnen Reif,
Das war des Mädchens Schmuck? verſtand ich’s wohl?


Balder.

Ja! wie du ſagſt, doch kömmt’s darauf nicht an.
Schon wuchs der Knabe hoch und ſchlank herauf,
In Waffenſpielen ward er früh geübt,
Schon tummelt’ er ein kleines, ſchmuckes Roß.
Nicht ſoll er, wie der Vater, einſt das Meer
Uhlands Gedichte. 10
[146] Auf abenteuerlicher Fahrt durchſchweifen,
Beſchirmen ſoll er einſt mit ſtarker Hand
Das mächtige Gebiet, die hohen Burgen,
Vereintes Erbthum beider Grafenſtämme.
Des jungen Ritters Bräutlein lag indeß
Noch in der Wieg’, im dämmernden Gemach,
Von treuen Wärterinnen wohl beſorgt.
Nun kam ein milder Frühlingstag in’s Land,
Da trugen ſie das ungeduld’ge Kind
Zum ſonnig heitern Meeresſtrand hinab
Und brachten Blum’ und Muſchel ihm zum Spiel.
Die See, von leiſem Lufthauch kaum bewegt,
Sie ſpiegelte der Sonne klares Bild
Und warf den Zitterſchein auf’s junge Grün.
Am Strande lag gerad’ ein kleiner Kahn,
Den ſchmücken jetzt die Frau’n mit Schilf und Blumen
Und legen ihren holden Pflegling drein
Und ſchauckeln ihn am Ufer auf und ab.
Das Kindlein lacht, die Frauen lachen mit,
Doch eben unter’m fröhlichſten Gelächter
Entſchlüpft das Band, daran ſie ſpielend ziehn,
Und als ſie es bemerken, kann ihr Arm
Das Schifflein nicht vom Strande mehr erreichen.
So ſcheinbar ſtill die See, ſo wellenlos,
Doch ſpült ſie weiter ſtets den Kahn hinaus.
Man höret noch des Kindes herzlich Lachen,
Die Frauen aber ſehn verzweifelnd nach,
Mit Händeringen, wildem Angſtgeſchrei.
Der Knabe, der ſein Liebchen zu beſuchen
Gekommen war und jetzt das leichte Roß
Auf grüner Uferwieſe tummelte,
[147] Er ſprengt auf das Geſchrei im Flug heran,
Er treibt ſein Pferdchen muthig in die See
Und meint das blum’ge Fahrzeug zu erſchwimmen.
Kaum aber prüft das Thier die kalte Flut,
So ſchüttelt ſich’s und wendet ſtörrig um
Und reißt den Reiter an den Strand zurück.
Derweil hat ſchon der Nachen mit dem Kind
Hinausgetrieben aus der ſtillen Bucht,
Und friſches Wehen auf der offnen See
Entführt ihn bald den Blicken.


Richard.

Armes Kind!


Die heil’gen Engel mögen dich umſchweben!


Balder.

Dem Vater kömmt die Schreckensbotſchaft zu,
Gleich läßt er alle Schiffe, groß und klein,
Auslaufen und das ſchnellſte trägt ihn ſelbſt.
Doch ſpurlos iſt das Meer, der Abend ſinkt,
Die Winde wechſeln, nächtlich tobt der Sturm.
Von mondenlangem Suchen bringen ſie
Den leeren, morſchen Nachen nur zurück,
Mit abgewelkten Kränzen —


Richard.

Was ſtört dich in der Rede, werther Gaſt?
Du ſtockſt, du athmeſt tief.


Balder.

Ich fahre fort.
Seit jenem Unfall freute ſich der Knabe
Nicht mehr des Roſſelenkens, wie zuvor,
[148] Viel lieber übt’ er ſich im Schwimmen, Tauchen,
Am Ruder prüft’ er gerne ſeinen Arm.
Als er zum kräft’gen Jüngling nun erſtarkt,
Da heiſcht er Schiffe von dem Vater.
Nichts hat das feſte Land, was er begehrt,
Kein Fräulein auf den Burgen reizet ihn,
Dem wilden Meere ſcheint er anverlobt,
Darein das Mägdlein und der Ring verſank.
Auch rüſtet er ſein Hauptſchiff ſeltſam aus
Mit Purpurwimpeln, goldnem Bilderſchmuck,
Wie Einer, der die Braut meerüber holt.


Richard.

Faſt wie das deine drunten in der Bucht,
Nicht wahr, mein wackrer Seemann?


Balder.

Wenn du willſt.
Mit jenem reichgeſchmückten Hochzeitſchiff
Hat er in manchem grauſen Sturm geſchwankt.
Wenn ſo zu Donnerſchlag und Sturmgebraus
Die Wogen tanzen, feiner Hochzeittanz!
Manch blut’ge Seeſchlacht hat er durchgekämpft
Und iſt davon im Norden wohl bekannt,
Mit ſondrem Namen ward er dort belegt:
Springt er hinüber, mit geſchwungnem Schwerdt,
Auf ein geentert Schiff, dann ſchreit das Volk:
„Weh uns! vertilg uns nicht, Meerbräutigam!“
Das iſt mein Mährchen.


Richard.

Habe Dank dafür!
Es hat mir recht mein altes Herz bewegt.
[149] Nur, dünkt mir, fehlt ihm noch der volle Schluß.
Wer weiß, ob wirklich denn das Kind verſank,
Ob nicht ein fremdes Schiff vorüberfuhr,
Das flugs an Bord den armen Fündling nahm,
Den morſchen Kahn der Meerfluth überließ?
Vielleicht auf einer Inſel, wie die unſre,
Ward dann das ſchwache Kindlein abgeſetzt,
Von frommen Händen ſorgſamlich gepflegt,
Und iſt zur holden Jungfrau nun erblüht.


Balder.

Du weißt geſchickt ein Mährchen auszuſpinnen.
So laß nun deines hören, wenn’s beliebt!


Richard.

In vor’gen Tagen wußt’ ich manche Mähr’
Von unſern alten Herzogen und Helden
Und ſonderlich vom Richard Ohnefurcht,
Der Nachts ſo hell alswie am Tage ſah,
Der durch den öden Wald allnächtlich ritt
Und mit Geſpenſtern manchen Strauß beſtand;
Doch jetzt iſt mein Gedächtniß alterſchwach,
Verworren ſchwankt mir Alles vor dem Sinn.
Drum ſoll das junge Mädchen mich vertreten,
Das dort ſo ſtill und abgewendet ſitzt
Und Netze ſtrickt bei’m trüben Lampenſchein.
Sie hat ſich manches gute Lied gemerkt
Und hat ’ne Kehle, wie die Nachtigall.
Thorilde! darfſt den edeln Gaſt nicht ſcheun,
Sing uns das Lied vom Mägdlein und vom Ring,
Das einſt der alte Sänger dir gereimt!
Ein feines Lied! ich weiß, du ſingſt es gern.


[150]
Thorilde
(ſingt:)

Wohl ſitzt am Meeresſtrande

Ein zartes Jungfräulein,

Sie angelt manche Stunde,

Kein Fiſchlein beißt ihr ein.

Sie hat ’nen Ring am Finger

Mit rothem Edelſtein,

Den bindt ſie an die Angel,

Wirft ihn in’s Meer hinein.

Da hebt ſich aus der Tiefe

’ne Hand, wie Elfenbein,

Die läßt am Finger blinken

Das goldne Ringelein.

Da hebt ſich aus dem Grunde

Ein Ritter, jung und fein,

Er prangt in goldnen Schuppen

Und ſpielt im Sonnenſchein.

Das Mägdlein ſpricht erſchrocken:

„Nein, edler Ritter, nein!

Laß du mein Ringlein golden!

Gar nicht begehrt’ ich dein.“

„Man angelt nicht nach Fiſchen

Mit Gold und Edelſtein,

Das Ringlein laſſ’ ich nimmer,

Mein eigen mußt du ſeyn.“

[151]
Balder.

Was hör’ ich? ſeltſam ahnungsvoller Sang!
Was ſeh’ ich? welch ein himmliſch Angeſicht
Hebt ſüß erröthend ſich aus goldnen Locken
Und mahnt mich an die ferne Kinderzeit!
Ha! an der Rechten blinkt der goldne Ring,
Der rothe Stein; du biſt’s, verlorne Braut!
Ich bin’s, den ſie Meerbräutigam genannt,
Hier iſt der Sapphir, wie dein Auge blau,
Und drunten liegt das Hochzeitſchiff bereit.


Richard.

Das hab’ ich längſt gedacht, verehrter Held!
Ja! nimm ſie hin, mein theures Pflegekind,
Halt ſie nur feſt in deinem ſtarken Arm,
Du drückſt ein treues Herz an deine Bruſt.
Doch ſieh einmal! du haſt dich ganz verwirrt
Im Netze, das mein fleißig Kind geſtrickt.


[[152]][[153]]

Balladen und Romanzen.


[[154]][[155]]

Entſagung.


Wer entwandelt durch den Garten

Bei der Sterne bleichem Schein?

Hat er Süßes zu erwarten?

Wird die Nacht ihm ſelig ſeyn?

Ach! der Harfner iſt’s, er ſinkt

Nieder an des Thurmes Fuße,

Wo es ſpät herunterblinkt,

Und beginnt zum Saitengruße:

„Lauſche, Jungfrau, aus der Höhe

Einem Liede, dir geweiht!

Daß ein Traum dich lind umwehe

Aus der Kindheit Roſenzeit.

Mit der Abendglocke Klang

Kam ich, will vor Tage gehen,

Und das Schloß, dem ich entſprang,

Nicht im Sonnenſtrale ſehen.

Von dem kerzenhellen Saale,

Wo du thronteſt, blieb ich fern,

Wo um dich bei’m reichen Mahle

Freudig ſaßen edle Herrn.

Mit der Freude nur vertraut,

Hätten Frohes ſie begehret,

Nicht der Liebe Klagelaut,

Nicht der Kindheit Recht geehret.

[156]
Bange Dämmerung entweiche!

Düſtre Bäume, glänzet neu!

Daß ich in dem Zauberreiche

Meiner Kindheit ſelig ſey.

Sinken will ich in den Klee,

Bis das Kind mit leichtem Schritte

Wandle her, die ſchöne Fee,

Und mit Blumen mich beſchütte.

Ja! die Zeit iſt hingeflogen,

Die Erinnrung weichet nie;

Als ein lichter Regenbogen

Steht auf trüben Wolken ſie.

Schauen flieht mein ſüßer Schmerz,

Daß nicht die Erinnrung ſchwinde.

Sage das nur, ob dein Herz

Noch der Kindheit Luſt empfinde?“

Und es ſchwieg der Sohn der Lieder,

Der am Fuß des Thurmes ſaß;

Und vom Fenſter klang es nieder,

Und es glänzt’ im dunkeln Gras.

„Nimm den Ring, und denke mein,

Denk an unſrer Kindheit Schöne!

Nimm ihn hin! ein Edelſtein

Glänzt darauf und eine Thräne.“

[157]

Die Nonne.


Im ſtillen Kloſtergarten

Eine bleiche Jungfrau ging;

Der Mond beſchien ſie trübe,

An ihrer Wimper hing

Die Thräne zarter Liebe.

„O wohl mir, daß geſtorben

Der treue Buhle mein!

Ich darf ihn wieder lieben:

Er wird ein Engel ſeyn,

Und Engel darf ich lieben.“

Sie trat mit zagem Schritte

Wohl zum Mariabild;

Es ſtand in lichtem Scheine,

Es ſah ſo muttermild

Herunter auf die Reine.

Sie ſank zu ſeinen Füßen,

Sah auf mit Himmelsruh,

Bis ihre Augenlieder

Im Tode fielen zu;

Ihr Schleier wallte nieder.

[158]

Der Kranz.


Es pflückte Blümlein manigfalt

Ein Mägdlein auf der lichten Au;

Da kam wohl aus dem grünen Wald

Eine wunderſchöne Frau.

Sie trat zum Mägdlein freundlich hin,

Sie ſchlang ein Kränzlein ihm in’s Haar:

„Noch blüht es nicht, doch wird es blühn;

O trag’ es immerdar!“

Und als das Mägdlein größer ward,

Und ſich erging im Mondenglanz,

Und Thränen weinte, ſüß und zart:

Da knoſpete der Kranz.

Und als ihr holder Bräutigam

Sie innig in die Arme ſchloß:

Da wanden Blümlein wonneſam

Sich aus den Knoſpen los.

Sie wiegte bald ein ſüßes Kind

Auf ihrem Schooße mütterlich:

Da zeigten an dem Laubgewind

Viel goldne Früchte ſich.

[159]
Und als ihr Lieb geſunken war

Ach! in des Grabes Nacht und Staub:

Da weht’ um ihr zerſtreutes Haar

Ein herbſtlich falbes Laub.

Bald lag auch ſie erbleichet da,

Doch trug ſie ihren werthen Kranz:

Da war’s ein Wunder, denn man ſah

So Frucht als Blüthenglanz.

[160]

Der Schäfer.


Der ſchöne Schäfer zog ſo nah

Vorüber an dem Königsſchloß;

Die Jungfrau von der Zinne ſah,

Da war ihr Sehnen groß.

Sie rief ihm zu ein ſüßes Wort:

„O dürft’ ich gehn hinab zu dir!

Wie glänzen weiß die Lämmer dort,

Wie roth die Blümlein hier!“

Der Jüngling ihr entgegenbot:

„O kämeſt du herab zu mir!

Wie glänzen ſo die Wänglein roth,

Wie weiß die Arme dir!“

Und als er nun mit ſtillem Weh

In jeder Früh’ vorübertrieb:

Da ſah er hin, bis in der Höh’

Erſchien ſein holdes Lieb.

Dann rief er freundlich ihr hinauf:

„Willkommen, Königstöchterlein!“

Ihr ſüßes Wort ertönte drauf:

„Viel Dank, du Schäfer mein!“

[161]
Der Winter floh, der Lenz erſchien,

Die Blümlein blühten reich umher,

Der Schäfer thät zum Schloſſe ziehn,

Doch Sie erſchien nicht mehr.

Er rief hinauf ſo klagevoll:

„Willkommen, Königstöchterlein!“

Ein Geiſterlaut herunter ſcholl:

„Ade, du Schäfer mein!“

Uhlands Gedichte. 11
[162]

Die Vätergruft.


Es ging wohl über die Haide

Zur alten Kapell’ empor

Ein Greis im Waffengeſchmeide,

Und trat in den dunkeln Chor.

Die Särge ſeiner Ahnen

Standen die Hall’ entlang,

Aus der Tiefe thät ihn mahnen

Ein wunderbarer Geſang.

„Wohl hab’ ich euer Grüßen,

Ihr Heldengeiſter! gehört.

Eure Reihe ſoll ich ſchließen:

Heil mir! ich bin es werth.“

Es ſtand an kühler Stätte

Ein Sarg noch ungefüllt,

Den nahm er zum Ruhebette,

Zum Pfühle nahm er den Schild.

Die Hände thät er falten

Auf’s Schwerdt, und ſchlummert’ ein.

Die Geiſterlaute verhallten;

Da mocht’ es gar ſtille ſeyn.

[163]

Die ſterbenden Helden.


Der Dänen Schwerdter drängen Schwedens Heer

Zum wilden Meer.

Die Wagen klirren fern, es blinkt der Stahl

Im Mondenſtral.

Da liegen, ſterbend, auf dem Leichenfeld

Der ſchöne Sven und Ulf, der graue Held.

Sven.


O Vater! daß mich in der Jugend Kraft

Die Norne rafft!

Nun ſchlichtet nimmer meine Mutter mir

Der Locken Zier.

Vergeblich ſpähet meine Sängerin

Vom hohen Thurm in alle Ferne hin.

Ulf.


Sie werden jammern, in der Nächte Graun

Im Traum uns ſchaun.

Doch ſey getroſt! bald bricht der bittre Schmerz

Ihr treues Herz.

Dann reicht die Buhle dir bei Odins Mahl,

Die goldgelockte, lächelnd den Pokal.

[164]

Sven.


Begonnen hab’ ich einen Feſtgeſang

Zum Saitenklang,

Von Königen und Helden grauer Zeit

In Lieb’ und Streit.

Verlaſſen hängt die Harfe nun, und bang

Erweckt der Winde Wehen ihren Klang.

Ulf.


Es glänzet hoch und hehr im Sonnenſtral

Allvaters Saal,

Die Sterne wandeln unter ihm, es ziehn

Die Stürme hin.

Dort tafeln mit den Vätern wir in Ruh,

Erhebe dann dein Lied und end’ es du!

Sven.


O Vater! daß mich in der Jugend Kraft

Die Norne rafft!

Noch leuchtet keiner hohen Thaten Bild

Auf meinem Schild.

Zwölf Richter thronen, hoch und ſchauerlich,

Die werthen nicht des Heldenmahles mich.

Ulf.


Wohl wieget Eines viele Thaten auf, —

Sie achten drauf —

Das iſt um deines Vaterlandes Noth

Der Heldentod.

Sieh hin! die Feinde fliehen; blick hinan!

Der Himmel glänzt, dahin iſt unſre Bahn!

[165]

Der blinde König.


Was ſteht der nord’ſchen Fechter Schaar

Hoch auf des Meeres Bord?

Was will in ſeinem grauen Haar

Der blinde König dort?

Er ruft, in bittrem Harme

Auf ſeinen Stab gelehnt,

Daß über’m Meeresarme

Das Eiland wiedertönt:

„Gib, Räuber, aus dem Felsverließ

Die Tochter mir zurück!

Ihr Harfenſpiel, ihr Lied, ſo ſüß,

War meines Alters Glück.

Vom Tanz auf grünem Strande

Haſt du ſie weggeraubt,

Dir iſt es ewig Schande,

Mir beugt’s das graue Haupt.“

Da tritt aus ſeiner Kluft hervor

Der Räuber, groß und wild,

Er ſchwingt ſein Hünenſchwerdt empor

Und ſchlägt an ſeinen Schild:

„Du haſt ja viele Wächter,

Warum denn litten’s die?

Dir dient ſo mancher Fechter,

Und keiner kämpft um Sie?“

[166]
Noch ſtehn die Fechter alle ſtumm,

Tritt keiner aus dem Reihn,

Der blinde König kehrt ſich um:

„Bin ich denn ganz allein?“

Da faßt des Vaters Rechte

Sein junger Sohn ſo warm:

„Vergönn mir’s, daß ich fechte!

Wohl fühl’ ich Kraft im Arm.“

„O Sohn! der Feind iſt rieſenſtark,

Ihm hielt noch Keiner Stand.

Und doch! in dir iſt edles Mark,

Ich fühl’s am Druck der Hand.

Nimm hier die alte Klinge!

Sie iſt der Skalden Preis.

Und fällſt du, ſo verſchlinge

Die Flut mich armen Greis!“

Und horch! es ſchäumet und es rauſcht

Der Nachen über’s Meer.

Der blinde König ſteht und lauſcht,

Und Alles ſchweigt umher;

Bis drüben ſich erhoben

Der Schild’ und Schwerdter Schall,

Und Kampfgeſchrei und Toben,

Und dumpfer Wiederhall.

[167]
Da ruft der Greis ſo freudig bang:

„Sagt an, was ihr erſchaut!

Mein Schwerdt, ich kenn’s am guten Klang,

Es gab ſo ſcharfen Laut.“

„Der Räuber iſt gefallen,

Er hat den blut’gen Lohn.

Heil dir, du Held vor allen,

Du ſtarker Königsſohn!“

Und wieder wird es ſtill umher,

Der König ſteht und lauſcht:

„Was hör’ ich kommen über’s Meer?

Es rudert und es rauſcht.“

„Sie kommen angefahren,

Dein Sohn mit Schwerdt und Schild,

In ſonnehellen Haaren

Dein Töchterlein Gunild.“

„Willkommen! — ruft vom hohen Stein

Der blinde Greis hinab —

Nun wird mein Alter wonnig ſeyn

Und ehrenvoll mein Grab.

Du legſt mir, Sohn, zur Seite

Das Schwerdt von gutem Klang,

Gunilde, du Befreite,

Singſt mir den Grabgeſang.“

[168]

Der Sänger.


Noch ſingt den Wiederhallen

Der Knabe ſein Gefühl;

Die Elfe hat Gefallen

Am jugendlichen Spiel.

Es glänzen ſeine Lieder

Wie Blumen rings um ihn;

Sie gehn mit ihm wie Brüder

Durch ſtille Haine hin.

Er kommt zum Völkerfeſte,

Er ſingt im Königsſaal,

Ihm ſtaunen alle Gäſte,

Sein Lied verklärt das Mahl;

Der Frauen ſchönſte krönen

Mit lichten Blumen ihn;

Er ſenkt das Aug’ in Thränen

Und ſeine Wangen glühn.

[169]

Gretchens Freude.


Was ſoll doch dies Trommeten ſeyn?

Was deutet dies Geſchrei?

Will treten an das Fenſterlein,

Ich ahne, was es ſey.

Da kehrt er ja, da kehrt er ſchon

Vom feſtlichen Turnei,

Der ritterliche Königsſohn,

Mein Buhle wundertreu.

Wie ſteigt das Roß und ſchwebt daher!

Wie trutzlich ſitzt der Mann!

Fürwahr! man dächt’ es nimmermehr,

Wie ſanft er ſpielen kann.

Wie ſchimmert ſo der Helm von Gold,

Des Ritterſpieles Dank!

Ach! drunter glühn vor Allem hold

Die Augen, blau und blank.

Wohl ſtarrt um ihn des Panzers Erz,

Der Rittermantel rauſcht:

Doch drunter ſchlägt ein mildes Herz,

Das Lieb’ um Liebe tauſcht.

[170]
Die Rechte läßt den Gruß ergehn,

Sein Helmgefieder wankt;

Da neigen ſich die Damen ſchön,

Des Volkes Jubel dankt.

Was jubelt ihr und neigt euch ſo?

Der ſchöne Gruß iſt mein.

Viel Dank, mein Lieb! ich bin ſo froh,

Gewiß ich bring’ dir’s ein.

Nun zieht er in des Vaters Schloß

Und knieet vor ihm hin,

Und ſchnallt den goldnen Helm ſich los

Und reicht dem König ihn.

Dann Abends eilt zu Liebchens Thür

Sein leiſer, loſer Schritt;

Da bringt er friſche Küſſe mir

Und neue Liebe mit.

[171]

Das Schloß am Meere.


Haſt du das Schloß geſehen,

Das hohe Schloß am Meer?

Golden und roſig wehen

Die Wolken drüber her.

Es möchte ſich niederneigen

In die ſpiegelklare Flut;

Es möchte ſtreben und ſteigen

In der Abendwolken Glut.

„Wohl hab’ ich es geſehen,

Das hohe Schloß am Meer,

Und den Mond darüber ſtehen,

Und Nebel weit umher.“

Der Wind und des Meeres Wallen

Gaben ſie friſchen Klang?

Vernahmſt du aus hohen Hallen

Saiten und Feſtgeſang?

„Die Winde, die Wogen alle

Lagen in tiefer Ruh,

Einem Klagelied aus der Halle

Hört’ ich mit Thränen zu.“

[172]
Saheſt du oben gehen

Den König und ſein Gemahl?

Der rothen Mäntel Wehen?

Der goldnen Kronen Stral?

Führten ſie nicht mit Wonne

Eine ſchöne Jungfrau dar,

Herrlich wie eine Sonne,

Stralend im goldnen Haar?

„Wohl ſah ich die Eltern beide,

Ohne der Kronen Licht,

Im ſchwarzen Trauerkleide;

Die Jungfrau ſah ich nicht.“

[173]

Vom treuen Walther.


Der treue Walther ritt vorbei

An unſrer Frau Kapelle.

Da kniete gar in tiefer Reu’

Ein Mägdlein an der Schwelle.

„Halt an, halt an, mein Walther traut!

Kennſt du nicht mehr der Stimme Laut,

Die du ſo gerne hörteſt?“

„Wen ſeh’ ich hier? Die falſche Maid,

Ach! weiland, ach, die Meine!

Wo lieſſeſt du dein ſeiden Kleid?

Wo Gold und Edelſteine?“

„O daß ich von der Treue ließ!

Verloren iſt mein Paradies,

Bei dir nur find’ ich’s wieder.“

Er hub zu Roß das ſchöne Weib,

Er trug ein ſanft Erbarmen;

Sie ſchlang ſich feſt um ſeinen Leib

Mit weiſſen, weichen Armen.

„Ach, Walther traut! mein liebend Herz,

Es ſchlägt an kaltes, ſtarres Erz,

Es klopft nicht an dem deinen.“

[174]
Sie ritten ein in Walthers Schloß,

Das Schloß war öd’ und ſtille,

Sie band den Helm dem Ritter los;

Hin war der Schönheit Fülle.

„Die Wangen bleich, die Augen trüb,

Sie ſind dein Schmuck, du treues Lieb!

Du warſt mir nie ſo lieblich.“

Die Rüſtung löst die fromme Maid

Dem Herrn, den ſie betrübet.

„Was ſeh’ ich? ach! ein ſchwarzes Kleid!

Wer ſtarb, den du geliebet?“

„Die Liebſte mein betraur’ ich ſehr,

Die ich auf Erden nimmermehr,

Noch über’m Grabe finde.“

Sie ſinkt zu ſeinen Füßen hin,

Mit ausgeſtreckten Armen.

„Da lieg’ ich arme Büßerin,

Dich fleh’ ich um Erbarmen.

Erhebe mich zu neuer Luſt!

Laß mich an deiner treuen Bruſt

Von allem Leid geneſen!“

„Steh auf, ſteh auf, du armes Kind!

Ich kann dich nicht erheben;

Die Arme mir verſchloſſen ſind,

Die Bruſt iſt ohne Leben.

Sey traurig ſtets, wie ich es bin!

Die Lieb’ iſt hin, die Lieb’ iſt hin,

Und kehret niemals wieder.“

[175]

Der Pilger.


Es wallt ein Pilger hohen Dranges,

Er wallt zur ſel’gen Gottesſtadt,

Zur Stadt des himmliſchen Geſanges,

Die ihm der Geiſt verheißen hat.

„Du klarer Strom! in deinem Spiegel

Wirſt du die heil’ge bald umfahn.

Ihr ſonnehellen Felſenhügel!

Ihr ſchaut ſie ſchon von Weitem an.

Wie ferne Glocken hör’ ich’s klingen,

Das Abendroth durchblüht den Hain.

O hätt’ ich Flügel, mich zu ſchwingen

Weit über Thal und Felſenreihn!“

Er iſt von hoher Wonne trunken,

Er iſt von ſüßen Schmerzen matt,

Und, in die Blumen hingeſunken,

Gedenkt er ſeiner Gottesſtadt.

„Sie ſind zu groß noch, dieſe Räume,

Für meiner Sehnſucht Flammenqual;

Empfahet ihr mich, milde Träume,

Und zeigt mir das erſehnte Thal!“

[176]
Da iſt der Himmel aufgeſchlagen,

Sein lichter Engel ſchaut herab:

„Wie ſollt’ ich dir die Kraft verſagen,

Dem ich das hohe Sehnen gab!

Die Sehnſucht und der Träume Weben,

Sie ſind der weichen Seele ſüß,

Doch edler iſt ein ſtarkes Streben

Und macht den ſchönen Traum gewiß.“

Er ſchwindet in die Morgendüfte;

Der Pilger ſpringt geſtärkt empor,

Er ſtrebet über Berg’ und Klüfte,

Er ſtehet ſchon am goldnen Thor.

Und ſieh! gleich Mutterarmen ſchließet

Die Stadt der Pforte Flügel auf;

Ihr himmliſcher Geſang begrüßet

Den Sohn nach tapfrem Pilgerlauf.

[177]

Abſchied.


Was klinget und ſinget die Straß’ herauf?

Ihr Jungfern, machet die Fenſter auf!

Es ziehet der Burſch in die Weite,

Sie geben ihm das Geleite.

Wohl jauchzen die Andern und ſchwingen die Hüt’,

Viel Bänder darauf und viel edle Blüth’,

Doch dem Burſchen gefällt nicht die Sitte,

Geht ſtill und bleich in der Mitte.

Wohl klingen die Kannen, wohl funkelt der Wein;

„Trink aus und trink wieder, lieb Bruder mein!“

„Mit dem Abſchiedsweine nur fliehet,

Der da innen mir brennet und glühet!“

Und draußen am allerletzten Haus,

Da gucket ein Mägdlein zum Fenſter heraus,

Sie möcht’ ihre Thränen verdecken

Mit Gelbveiglein und Roſenſtöcken.

Und draußen am allerletzten Haus,

Da ſchlägt der Burſche die Augen auf,

Und ſchlägt ſie nieder mit Schmerze

Und leget die Hand auf’s Herze.

Uhlands Gedichte. 12
[178]
„Herr Bruder! und haſt du noch keinen Strauß,

Dort winken und wanken viel Blumen heraus.

Wohlauf, du Schönſte von Allen,

Laß ein Sträußlein herunterfallen!“

„Ihr Brüder, was ſollte das Sträußlein mir?

Ich hab’ ja kein liebes Liebchen, wie ihr.

An der Sonne würd’ es vergehen,

Der Wind, der würd’ es verwehen.“

Und weiter, ja weiter mit Sang und mit Klang!

Und das Mägdlein lauſchet und horchet noch lang.

„O weh! er ziehet, der Knabe,

Den ich ſtille geliebet habe.

Da ſteh’ ich, ach! mit der Liebe mein,

Mit Roſen und mit Gelbveigelein;

Dem ich Alles gäbe ſo gerne,

Der iſt nun in der Ferne.“

[179]

Des Knaben Tod.


„Zeuch nicht den dunkeln Wald hinab!

Es gilt dein Leben, du junger Knab!“

„Mein Gott im Himmel, der iſt mein Licht,

Der läßt mich im dunkeln Walde nicht.“

Da zeucht er hinunter, der junge Knab,

Es braust ihm zu Füßen der Strom hinab,

Es ſaust ihm zu Haupte der ſchwarze Wald,

Und die Sonne verſinket in Wolken bald.

Und er kommt an’s finſtere Räuberhaus,

Eine holde Jungfrau ſchauet heraus:

„O wehe! du biſt ſo ein junger Knab,

Was kommſt du in’s Thal des Todes herab?“

Aus dem Thor die mördriſche Rotte bricht,

Die Jungfrau decket ihr Angeſicht,

Sie ſtoßen ihn nieder, ſie rauben ſein Gut,

Sie laſſen ihn liegen in ſeinem Blut.

„O weh! wie dunkel! keine Sonne, kein Stern!

Wen ruf’ ich an? iſt mein Gott ſo fern?

Ha! Jungfrau dort, im himmliſchen Schein,

Nimm auf meine Seel’ in die Hände dein!“

[180]

Der Traum.


Im ſchönſten Garten wallten

Zwei Buhlen, Hand in Hand,

Zwo bleiche, kranke Geſtalten,

Sie ſaßen in’s Blumenland.

Sie küßten ſich auf die Wangen

Und küßten ſich auf den Mund,

Sie hielten ſich feſt umfangen,

Sie wurden jung und geſund.

Zwei Glöcklein klangen helle,

Der Traum entſchwand zur Stund’;

Sie lag in der Kloſterzelle,

Er fern in Thurmes Grund.

[181]

Drei Fräulein.


1.


Drei Fräulein ſahn vom Schloſſe

Hinab in’s tiefe Thal.

Ihr Vater kam zu Roſſe,

Er trug ein Kleid von Stahl.

„Willkomm, Herr Vater, Gottwillkomm!

Was bringſt du deinen Kindern?

Wir waren alle fromm.“

„Mein Kind im gelben Kleide!

Heut hab’ ich dein gedacht.

Der Schmuck iſt deine Freude,

Dein Liebſtes iſt die Pracht.

Von rothem Gold die Kette hier

Nahm ich dem ſtolzen Ritter,

Gab ihm den Tod dafür.“

Das Fräulein ſchnell die Kette

Um ihren Nacken band.

Sie ging hinab zur Stätte,

Da ſie den Todten fand.

„Du liegſt am Wege, wie ein Dieb,

Und biſt ein edler Ritter,

Und biſt mein ſeines Lieb.“

[182]
Sie trug ihn auf den Armen

Zum Gotteshaus hinab;

Sie legt’ ihn mit Erbarmen

In ſeiner Väter Grab.

Die Kett’, die ihr am Halſe ſchien,

Die zog ſie feſt zuſammen,

Und ſank zum Lieb dahin.

2.


Zwei Fräulein ſahn vom Schloſſe

Hinab in’s tiefe Thal.

Ihr Vater kam zu Roſſe,

Er trug ein Kleid von Stahl.

„Willkomm, Herr Vater, Gottwillkomm!

Was bringſt du deinen Kindern?

Wir waren beide fromm.“

„Mein Kind im grünen Kleide!

Heut hab’ ich dein gedacht.

Die Jagd iſt deine Freude

Bei Tag und auch bei Nacht.

Den Spieß an goldnem Bande hier

Nahm ich dem wilden Jäger,

Gab ihm den Tod dafür.“

[183]
Sie nahm den Spieß zu Händen,

Den ihr der Vater bot,

Thät in den Wald ſich wenden,

Ihr Jagdruf war der Tod.

Dort in der Linde Schatten traf

Sie bei den treuen Bracken

Ihr Lieb im tiefen Schlaf.

„Ich komme zu der Linde,

Wie ich dem Lieb verhieß.“

Da ſtieß ſie gar geſchwinde

In ihre Bruſt den Spieß.

Sie ruhten bei einander kühl,

Waldvöglein ſangen oben,

Grün Laub herunter fiel.

3.


Ein Fräulein ſah vom Schloſſe

Hinab in’s tiefe Thal.

Ihr Vater kam zu Roſſe,

Er trug ein Kleid von Stahl.

„Willkomm, Herr Vater, Gottwillkomm!

Was bringſt du deinem Kinde?

Ich war wohl ſtill und fromm.“

[184]
„Mein Kind im weiſſen Kleide!

Wohl hab’ ich dein gedacht.

Die Blumen ſind dein’ Freude,

Mehr als des Goldes Pracht.

Das Blümlein, klar wie Silber, hier

Nahm ich dem kühnen Gärtner,

Gab ihm den Tod dafür.“

„Wie war er ſo verwegen?

Warum erſchlugſt du ihn?

Er thät der Blümlein pflegen,

Die werden nun verblühn.“

„Er hat mir wunderkühn verſagt

Die ſchönſte Blum’ im Garten,

Die ſpart’ er ſeiner Magd.“

Das Blümlein lag der Zarten

An ihrer weichen Bruſt.

Sie ging in einen Garten,

Der war wohl ihre Luſt.

Da ſchwoll ein friſcher Hügel auf,

Dort bei den weiſſen Lilien,

Sie ſetzte ſich darauf.

„O könnt’ ich thun zur Stunde

Den lieben Schweſtern gleich!

Doch’s Blümlein gibt kein’ Wunde,

Es iſt ſo zart und weich.“

Auf’s Blümlein ſah ſie, bleich und krank,

Bis daß ihr Blümlein welkte,

Bis daß ſie niederſank.

[185]

Der ſchwarze Ritter.


Pfingſten war, das Feſt der Freude,

Das da feiern Wald und Haide.

Hub der König an zu ſprechen:

„Auch aus den Hallen

Der alten Hofburg allen

Soll ein reicher Frühling brechen!“

Trommeln und Trommeten ſchallen,

Rothe Fahnen feſtlich wallen.

Sah der König vom Balkone;

In Lanzenſpielen

Die Ritter alle fielen

Vor des Königs ſtarkem Sohne.

Aber vor des Kampfes Gitter

Ritt zuletzt ein ſchwarzer Ritter.

„Herr! wie iſt Eur Nam’ und Zeichen?“

„Würd’ ich es ſagen,

Ihr möchtet zittern und zagen,

Bin ein Fürſt von großen Reichen.“

Als er in die Bahn gezogen,

Dunkel ward des Himmels Bogen

Und das Schloß begann zu beben.

Beim erſten Stoße

Der Jüngling ſank vom Roſſe,

Konnte kaum ſich wieder heben.

[186]
Pfeif’ und Geige ruft zu Tänzen,

Fackeln durch die Säle glänzen;

Wankt ein großer Schatten drinnen.

Er thät mit Sitten

Des Königs Tochter bitten,

Thät den Tanz mit ihr beginnen.

Tanzt im ſchwarzen Kleid von Eiſen,

Tanzet ſchauerliche Weiſen,

Schlingt ſich kalt um ihre Glieder.

Von Bruſt und Haaren

Entfallen ihr die klaren

Blümlein welk zur Erde nieder.

Und zur reichen Tafel kamen

Alle Ritter, alle Damen.

Zwiſchen Sohn und Tochter innen

Mit bangem Muthe

Der alte König ruhte,

Sah ſie an mit ſtillem Sinnen.

Bleich die Kinder beide ſchienen,

Bot der Gaſt den Becher ihnen:

„Goldner Wein macht euch geneſen.“

Die Kinder tranken,

Sie thäten höflich danken:

„Kühl iſt dieſer Trunk geweſen.“

[187]
An des Vaters Bruſt ſich ſchlangen

Sohn und Tochter; ihre Wangen

Thäten völlig ſich entfärben.

Wohin der graue,

Erſchrockne Vater ſchaue,

Sieht er eins der Kinder ſterben.

„Weh! die holden Kinder beide

Nahmſt du hin in Ingendfreude:

Nimm auch mich, den Freudeloſen!“

Da ſprach der Grimme

Mit hohler, dumpfer Stimme:

„Greis! im Frühling brech’ ich Roſen.“

[188]

Der Roſengarten.


Vom ſchönen Roſengarten

Will ich mit Sang euch melden.

Am Morgen luſtwandelten Fraun,

Am Abend fochten die Helden.

„Mein Herr iſt König im Land,

Ich herrſch’ im Garten der Roſen,

Er hat ſich die güldene Kron’,

Ich den Blumenkranz mir erkoſen.

So hört, ihr junge Recken,

Ihr lieben drei Wächter mein!

Laßt alle zarten Jungfräulein,

Laßt keinen Ritter herein!

Sie möchten die Roſen verderben,

Das brächte mir große Sorgen.“

So ſprach die ſchöne Königin

Als ſie dannen ging am Morgen.

Da wandelten die drei Wächter

Gar treulich vor der Thür.

Die Röslein dufteten ſtille

Und blickten lieblich herfür.

[189]
Und kamen des Wegs mit Sitten

Drei zarte Jungfräulein:

„Ihr Wächter, liebe drei Wächter,

Laßt uns in den Garten ein!“

Als die Jungfraun Roſen gebrochen,

Da han ſie all drei geſprochen:

„Was blutet mir ſo die Hand?

Hat mich das Röslein geſtochen?“

Da wandelten die drei Wächter

Gar treulich vor der Thür.

Die Röslein dufteten ſtille

Und blickten lieblich herfür.

Und kamen des Wegs auf Roſſen

Drei freche Rittersleut’:

„Ihr Wächter, ſchnöde drei Wächter,

Sperret auf die Thüre weit!“

„Die Thüre, die bleibet zu,

Die Schwerdter, die ſind blos,

Die Roſen, die ſind theuer,

Eine Wund’ gilt jegliche Roſ’.“

Da ſtritten die Ritter und Wächter,

Die Ritter den Sieg erwarben,

Zertraten die Röslein all,

Mit den Roſen die Wächter ſtarben.

[190]
Und als es war am Abend,

Frau Königin kam herbei:

„Und ſind meine Roſen zertreten,

Erſchlagen die Jünglinge treu:

So will ich auf Roſenblätter

Sie legen in die Erde.

Und wo der Roſengarten war,

Soll der Liliengarten werden.

Wer iſt es, der die Lilien

Mir treulich nun bewacht?

Bei Tage die liebe Sonne,

Der Mond und die Sterne bei Nacht.“

[191]

Die Lieder der Vorzeit.


1807.


Als Knabe ſtieg ich in die Hallen

Verlaßner Burgen oft hinan;

Durch alte Städte thät ich wallen,

Und ſah die hohen Münſter an.

Da war es, daß mit ſtillem Mahnen

Der Geiſt der Vorwelt bei mir ſtand,

Da ließ er frühe ſchon mich ahnen,

Was ſpäter ich in Büchern fand:

Daß Jungfraun dort von ew’gem Preiſe,

Die heil’gen Lieder, einſt gewohnt,

Und in der Edelfrauen Kreiſe

Bei’m Feſte des Geſangs gethront.

Da kam der Krieger wild Geſchlechte

Und warf den Brand in’s frohe Haus.

Die Schweſtern flohn im Graun der Nächte

Nach allen Seiten zagend aus.

Wie manche ſchmachtet, hart gefangen,

In eines Kerkers dunklem Grund!

Zu keinem milden Ohr gelangen

Die Kläng’ aus ihrem zarten Mund.

Ach! Jene, die auf öden Wegen

Umhergeirret, krank und müd,

Sie iſt dem ſchweren Gram erlegen,

Und ſang noch einmal, eh ſie ſchied.

[192]
In eines armen Mädchens Kammer

Iſt einer Andern Aufenthalt,

Sie miſcht ſich in der Freundin Jammer,

Wann ſtill der Mond am Himmel wallt.

Auch manche wagt der Märterinnen

Sich in des Marktes frech Gewühl,

Sie will der Menſchen Herz gewinnen

Und ſinget ſanft zum Saitenſpiel.

Getroſt! ſchon ſinken eure Bande

Und Boten ziehn nach Oſt und Weſt,

In eine Stadt am Neckarſtrande

Zu laden euch zum neuen Feſt.

Ihr Heitern, kommt zu Tanzes Feier,

Laßt wehn das roſige Gewand!

Ihr Ernſten, wallt im Nonnenſchleier,

Die weiſſe Lilie in der Hand!

[193]

Die drei Lieder.


In der hohen Hall’ ſaß König Sifrid:

„Ihr Harfner! wer weiß mir das ſchönſte Lied?“

Und ein Jüngling trat aus der Schaar behende,

Die Harf’ in der Hand, das Schwerdt an der Lende.

„Drei Lieder weiß ich; den erſten Sang,

Den haſt du ja wohl vergeſſen ſchon lang:

Meinen Bruder haſt du meuchlings erſtochen!

Und aber: haſt ihn meuchlings erſtochen!

Das andre Lied, das hab’ ich erdacht

In einer finſtern, ſtürmiſchen Nacht:

Mußt mit mir fechten auf Leben und Sterben!

Und aber: mußt fechten auf Leben und Sterben!“

Da lehnt’ er die Harfe wohl an den Tiſch,

Und ſie zogen Beide die Schwerdter friſch,

Und fochten lange mit wildem Schalle,

Bis der König ſank in der hohen Halle.

„Nun ſing’ ich das dritte, das ſchönſte Lied,

Das werd’ ich nimmer zu ſingen müd:

König Sifrid liegt in ſeim rothen Blute!

Und aber: liegt in ſeim rothen Blute!“

Uhlands Gedichte. 13
[194]

Der junge König und die Schäferin.


1.


In dieſer Maienwonne,

Hier auf dem grünen Plan,

Hier unter der goldnen Sonne,

Was heb’ ich zu ſingen an?

Wohl blaue Wellen gleiten,

Wohl goldne Wolken ziehn,

Wohl ſchmucke Ritter reiten

Das Wieſenthal dahin.

Wohl lichte Bäume wehen,

Wohl klare Blumen blühn,

Wohl Schäferinnen ſtehen

Umher in Thales Grün.

Herr Goldmar ritt mit Freuden

Vor ſeinem ſtolzen Zug,

Einen rothen Mantel ſeiden,

Eine goldne Kron’ er trug.

Da ſprang vom Roß geſchwinde

Der König wohlgethan,

Er band es an eine Linde,

Ließ ziehn die Schaar voran.

[195]
Es war ein friſcher Bronne

Dort in den Büſchen kühl;

Da ſangen die Vögel mit Wonne,

Der Blümlein glänzten viel.

Warum ſie ſangen ſo helle?

Warum ſie glänzten ſo baß?

Weil an dem kühlen Quelle

Die ſchönſte Schäferin ſaß.

Herr Goldmar geht durch Hecken,

Er rauſchet durch das Grün;

Die Lämmer drob erſchrecken,

Zur Schäferin ſie fliehn.

„Willkommen, Gottwillkommen!

Du wunderſchöne Maid!

Wärſt du zu Schrecken gekommen,

Mir wär’ es wahrlich leid.“

„Bin wahrlich nicht erblichen,

Als ich dir ſchwören mag.

Ich meint’, es hab’ durchſtrichen

Ein loſer Vogel den Hag.“

„Ach! wollteſt du mich erquicken

Aus deiner Flaſche hier,

Ich würd’ es in’s Herz mir drücken

Als die größte Huld von dir.“

[196]
„Meine Flaſche magſt du haben,

Noch Keinem macht’ ich’s ſchwer,

Will Jeden daraus laben,

Und wenn es ein König wär’.“

Zu ſchöpfen ſie ſich bücket,

Aus der Flaſch’ ihn trinken läßt,

Gar zärtlich er ſie anblicket,

Doch hält ſie die Flaſche feſt.

Er ſpricht von Lieb’ bezwungen:

„Wie biſt du ſo holder Art!

Als wäreſt du erſt entſprungen

Mit den andern Blumen zart.

Und biſt doch mit Würd’ umfangen,

Und ſtraleſt doch Adel aus,

Als wäreſt hervorgegangen

Aus eines Königs Haus.“

„Frag meinen Vater, den Schäfer:

Ob er ein König was?

Frag meine Mutter, die Schäfrin:

Ob ſie auf dem Throne ſaß?“

Seinen Mantel legt er der Holden

Um ihren Nacken klar,

Er ſetzet die Krone golden

In ihr nußbraunes Haar.

[197]
Gar ſtolz die Schäferin blicket,

Sie ruft mit hohem Schall:

„Ihr Blumen und Bäume, bücket,

Ihr Lämmer, neigt euch all!“

Und als den Schmuck ſie wieder

Ihm beut mit lachendem Mund,

Da wirft er die Krone nieder

In des Bronnens klaren Grund.

„Die Kron’ ich dir vertraue,

Ein herzlich Liebespfand,

Bis ich dich wiederſchaue

Nach manchem harten Stand.

Ein König liegt gebunden

Schon ſechszehn lange Jahr’,

Sein Land iſt überwunden

Von böſer Feinde Schaar.

Ich will ſein Land erretten

Mit meinen Rittern traut,

Ich will ihm brechen die Ketten,

Daß er den Frühling ſchaut.

Ich ziehe zum erſten Kriege,

Mir werden die Tage ſchwül.

Sprich! labſt du mich nach dem Siege

Hier aus dem Bronnen kühl?“

[198]
„Ich will dir ſchöpfen und langen

Soviel der Bronn vermag.

Auch ſollſt du die Kron’ empfangen

So blank, wie an dieſem Tag.“

Der erſte Sang iſt geſungen,

So folget gleich der letzt’;

Ein Vogel hat ſich geſchwungen,

Laßt ſehen, wo er ſich ſetzt!

2.


Nun ſoll ich ſagen und ſingen

Von Trommeten und Schwerdterklang,

Und hör’ doch Schallmeien klingen,

Und höre der Lerchen Geſang.

Nun ſoll ich ſingen und ſagen

Von Leichen und von Tod,

Und ſeh’ doch die Bäum’ ausſchlagen

Und ſprießen die Blümlein roth.

Nur von Goldmar will ich melden,

Ihr hättet es nicht gedacht:

Er war der erſte der Helden,

Wie bei Frauen, ſo in der Schlacht.

[199]
Er gewann die Burg im Sturme,

Steckt’ auf ſein Siegspanier;

Da ſtieg aus tiefem Thurme

Der alte König herfür.

„O Sonn’! o ihr Berge drüben!

O Feld und o grüner Wald!

Wie ſeyd ihr ſo jung geblieben,

Und ich bin worden ſo alt!“

Mit reichem Glanz und Schalle

Das Siegesfeſt begann;

Doch wer nicht ſaß in der Halle,

Das nicht beſchreiben kann.

Und wär’ ich auch geſeſſen

Dort in der Gäſte Reihn,

Doch hätt’ ich das Andre vergeſſen

Ob all dem edeln Wein.

Da thät zu Goldmar ſprechen

Der königliche Greis:

„Ich geb’ ein Lanzenbrechen,

Was ſetz’ ich euch zum Preis?“

„Herr König, hochgeboren,

So ſetzet uns zum Preis,

Statt goldner Helm’ und Sporen,

Einen Stab und ein Lämmlein weiß!“

[200]
Um was ſonſt Schäfer laufen

In die Wert’ im Blumengefild,

Drum ſah man die Ritterhaufen

Sich tummeln mit Lanz’ und Schild.

Da warf die Ritter alle

Herr Goldmar in den Kreis,

Er empfieng bei Trommetenſchalle

Einen Stab und ein Lämmlein weiß.

Und wieder begann zu ſprechen

Der königliche Greis:

„Ich geb’ ein neues Stechen

Und ſetz’ einen höhern Preis.

Wohl ſetz’ ich euch zum Lohne

Nicht eitel Spiel und Tand,

Ich ſetz’ euch meine Krone

Aus der ſchönſten Königin Hand.“

Wie glühten da die Gäſte

Bei’m hohen Trommetenſchall!

Wollt’ Jeder thun das Beſte,

Herr Goldmar warf ſie all.

Der König ſtand im Gaden

Mit Frauen und mit Herrn,

Er ließ Herrn Goldmar laden,

Der Ritter Blum’ und Stern.

[201]
Da kam der Held im Streite,

Den Schäferſtab in der Hand,

Das Lämmlein weiß zur Seite,

An roſenrothem Band.

Der König ſprach: „ich lohne

Dir nicht mit Spiel und Tand,

Ich gebe dir meine Krone

Aus der ſchönſten Königin Hand.“

Er ſprach’s, und ſchlug zurücke

Den Schleier der Königin.

Herr Goldmar mit keinem Blicke

Wollt’ ſehen nach ihr hin.

„Keine Königin ſoll mich gewinnen

Und keiner Krone Stral,

Ich trachte mit allen Sinnen

Nach der Schäferin im Thal.

Ich will zum Gruß ihr bieten

Das Lämmlein und den Stab.

So mög’ euch Gott behüten!

Ich zieh’ in’s Thal hinab.“

Da rief eine Stimm’ ſo helle,

Und ihm ward mit einem Mal,

Als ſängen die Vögel am Quelle,

Als glänzten die Blumen im Thal.

[202]
Die Augen thät er heben,

Die Schäferin vor ihm ſtand,

Mit reichem Geſchmeid’ umgeben,

Die blanke Kron’ in der Hand.

„Willkommen, du viel Schlimmer,

In meines Vaters Haus!

Sprich! willſt du ziehn noch immer

In’s grüne Thal hinaus?

So nimm doch zuvor die Krone,

Die du mir lieſſeſt zum Pfand!

Mit Wucher ich dir lohne,

Sie herrſcht nun über zwei Land’.“

Nicht länger blieben ſie ſtehen

Das Eine vom Andern fern.

Was weiter nun geſchehen,

Das wüßtet ihr wohl gern?

Und wollt’ es ein Mädchen wiſſen,

Dem thät’ ich’s plötzlich kund,

Dürft’ ich ſie umfahn und küſſen

Auf den roſenrothen Mund.

[203]

Fräuleins Wache.


Ich geh’ all Nacht die Runde

Um Vaters Hof und Hall’.

Es ſchlafen zu dieſer Stunde

Die trägen Wächter all.

Ich Fräulein zart muß ſtreifen,

Ohn’ Wehr und Waffen ſchweifen,

Den Feind der Nacht zu greifen.

O weh des ſchlimmen Geſellen!

Nach Argem ſteht ſein Sinn.

Würd’ ich nicht kühn mich ſtellen,

Wohl ſtieg’ er über die Zinn’.

Wann ich denſelben finde,

Wie er lauert bei der Linde,

Ich widerſag’ ihm geſchwinde.

Da muß ich mit ihm ringen

Allein die Nacht entlang;

Er will mich ſtets umſchlingen,

Wie eine wilde Schlang’;

Er kommt vom Höllengrunde,

Wie aus eins Drachen Schlunde,

Gehn Flammen aus ſeinem Munde.

[204]
Und hab’ ich ihn überwunden,

Halt’ ihn im Arme dicht:

Doch eh die Sterne geſchwunden,

Entſchlüpft mir ſtets der Wicht.

Ich kann ihn Niemand zeigen,

Muß meinen Sieg verſchweigen

Und mich in Trauer neigen.

[205]

Des Goldſchmieds Töchterlein.


Ein Goldſchmied in der Bude ſtand

Bei Perl’ und Edelſtein:

„Das beſte Kleinod, das ich fand,

Das biſt doch du, Helene,

Mein theures Töchterlein!“

Ein ſchmucker Ritter trat herein:

„Willkommen, Mägdlein traut!

Willkommen, lieber Goldſchmied mein!

Mach mir ein köſtlich Kränzchen

Für meine ſüße Braut!“

Und als das Kränzlein war bereit

Und ſpielt’ in reichem Glanz,

Da hängt’ Helen’ in Traurigkeit,

Wohl als ſie war alleine,

An ihren Arm den Kranz.

„Ach! wunderſelig iſt die Braut,

Die’s Krönlein tragen ſoll.

Ach, ſchenkte mir der Ritter traut

Ein Kränzlein nur von Roſen,

Wie wär’ ich freudenvoll!“

[206]
Nicht lang, der Ritter trat herein,

Das Kränzlein wohl beſchaut’:

„O faſſe, lieber Goldſchmied mein,

Ein Ringlein mit Demanten

Für meine ſüße Braut!“

Und als das Ringlein war bereit

Mit theurem Demantſtein,

Da ſteckt’ Helen’ in Traurigkeit,

Wohl als ſie war alleine,

Es halb an’s Fingerlein.

„Ach! wunderſelig iſt die Braut,

Die’s Ringlein tragen ſoll.

Ach, ſchenkte mir der Ritter traut

Nur ſeines Haars ein Löcklein,

Wie wär’ ich freudenvoll!“

Nicht lang, der Ritter trat herein,

Das Ringlein wohl beſchaut’:

„Du haſt, o lieber Goldſchmied mein!

Gar fein gemacht die Gaben

Für meine ſüße Braut.

Doch daß ich wiſſe, wie ihr’s ſteh’,

Tritt, ſchöne Maid, herzu!

Daß ich an dir zur Probe ſeh’

Den Brautſchmuck meiner Liebſten,

Sie iſt ſo ſchön, wie du.“

[207]
Es war an einem Sonntag früh,

Drum hatt’ die feine Maid

Heut angethan mit ſondrer Müh’,

Zur Kirche hinzugehen,

Ihr allerbeſtes Kleid.

Von holder Scham erglühend ganz

Sie vor dem Ritter ſtand.

Er ſetzt’ ihr auf den goldnen Kranz,

Er ſteckt’ ihr an das Ringlein,

Dann faßt’ er ihre Hand.

„Helene ſüß, Helene traut!

Der Scherz ein Ende nimmt,

Du biſt die allerſchönſte Braut,

Für die ich’s goldne Kränzlein,

Für die den Ring beſtimmt.

Bei Gold und Perl’ und Edelſtein

Biſt du erwachſen hier,

Das ſollte dir ein Zeichen ſeyn,

Daß du zu hohen Ehren

Eingehen wirſt mit mir.“

[208]

Der Wirthin Töchterlein.


Es zogen drei Burſche wohl über den Rhein,

Bei einer Frau Wirthin, da kehrten ſie ein.

„Frau Wirthin! hat ſie gut Bier und Wein?

Wo hat ſie ihr ſchönes Töchterlein?“

„Mein Bier und Wein iſt friſch und klar,

Mein Töchterlein liegt auf der Todtenbahr.“

Und als ſie traten zur Kammer hinein,

Da lag ſie in einem ſchwarzen Schrein.

Der erſte, der ſchlug den Schleier zurück

Und ſchaute ſie an mit traurigem Blick:

„Ach lebteſt du noch, du ſchöne Maid!

Ich würde dich lieben von dieſer Zeit.“

Der zweite deckte den Schleier zu,

Und kehrte ſich ab, und weinte dazu:

„Ach! daß du liegſt auf der Todtenbahr!

Ich hab’ dich geliebet ſo manches Jahr.“

Der dritte hub ihn wieder ſogleich,

Und küßte ſie an den Mund ſo bleich:

„Dich liebt’ ich immer, dich lieb’ ich noch heut,

Und werde dich lieben in Ewigkeit.“

[209]

Die Mähderin.


„Guten Morgen, Marie! ſo frühe ſchon rüſtig und rege?

Dich, treuſte der Mägde, dich machet die Liebe nicht träge.

Ja! mähſt du die Wieſe mir ab von jetzt in drei Tagen,

Nicht dürft’ ich den Sohn dir, den einzigen, länger verſagen.“

Der Pächter, der ſtattlich begüterte, hat es geſprochen,

Marie, wie fühlt ſie den liebenden Buſen ſich pochen!

Ein neues, ein kräftiges Leben durchdringt ihr die Glieder,

Wie ſchwingt ſie die Senſe, wie ſtreckt ſie die Mahden danieder!

Der Mittag glühet, die Mähder des Feldes ermatten,

Sie ſuchen zur Labe den Quell und zum Schlummer den Schatten,

Noch ſchaffen im heißen Gefilde die ſummenden Bienen,

Marie, ſie ruht nicht, ſie ſchafft in die Wette mit ihnen.

Die Sonne verſinkt, es ertönet das Abendgeläute,

Wohl rufen die Nachbarn: „Marie, genug iſt’s für heute!“

Wohl ziehen die Mähder, der Hirt und die Herde von hinnen,

Marie, ſie dengelt die Senſe zu neuem Beginnen.

Schon ſinket der Thau, ſchon erglänzen der Mond und die Sterne,

Es duften die Mahden, die Nachtigall ſchlägt aus der Ferne,

Marie verlangt nicht zu raſten, verlangt nicht zu lauſchen,

Stets läßt ſie die Senſe, die kräftig geſchwungene, rauſchen.

Uhlands Gedichte. 14
[210]
So fürder von Abend zu Morgen, von Morgen zu Abend,

Mit Liebe ſich nährend, mit ſeliger Hoffnung ſich labend;

Zum drittenmal hebt ſich die Sonne, da iſt es geſchehen,

Dort ſeht ihr Marien, die wonniglich weinende, ſtehen.

„Guten Morgen, Marie! was ſeh’ ich! o fleißige Hände!

Gemäht iſt die Wieſe! das lohn’ ich mit reichlicher Spende;

Allein mit der Heurath — du nahmeſt im Ernſte mein Scherzen,

Leichtgläubig, man ſieht es, und thöricht ſind liebende Herzen.“

Er ſpricht es und gehet des Wegs, doch der armen Marie

Erſtarret das Herz, ihr brechen die bebenden Kniee.

Die Sprache verloren, Gefühl und Beſinnung geſchwunden,

So wird ſie, die Mähderin, dort in den Mahden gefunden.

So lebt ſie noch Jahre, ſo ſtummer, erſtorbener Weiſe,

Und Honig, ein Tropfen, das iſt ihr die einzige Speiſe.

O haltet ein Grab ihr bereit auf der blühendſten Wieſe!

So liebende Mähderin gab es doch nimmer, wie dieſe.

[211]

Das Ständchen.


Was wecken aus dem Schlummer mich

Für ſüße Klänge doch?

O Mutter, ſieh! wer mag es ſeyn,

In ſpäter Stunde noch?

„Ich höre nichts, ich ſehe nichts,

O ſchlummre fort ſo lind!

Man bringt dir keine Ständchen jetzt,

Du armes, krankes Kind!“

Es iſt nicht irdiſche Muſik,

Was mich ſo freudig macht;

Mich rufen Engel mit Geſang.

O Mutter, gute Nacht!

[212]

Die Harfe.


In Wälder floh mit ſeinem Grame

Ein Ritter, den verſchmäht die Dame.

Ihm kommt auf ungebahnten Wegen

Ein traut umfangen Paar entgegen.

Er kann ihr Koſen ganz verſtehen,

Da ſie auf ſich nur hören, ſehen:

Sie ſind ſich kaum zurückgegeben

Zu neuer Liebe, neuem Leben.

Muß Alles ſeinen Schmerz erfriſchen!

Er fliehet zu den dunklern Büſchen.

Da ſteht in ſchwarzer Tannen Mitte,

Verlaſſen, eine Bruderhütte.

Hier liegt die Eremitenhülle,

Dort hängt die Harfe, traurig ſtille;

Gewiß! den er geſehn im Glücke,

Der ließ ſein Trauren hier zurücke.

Er eilt, die Kutte anzulegen,

Er prüft das Spiel mit dumpfen Schlägen:

„Wie lange werd’ ich, fern der Süßen,

Auf dieſer Harfe ſpielen müſſen?“

[213]

Der Leitſtern.


Der ausfuhr nach dem Morgenlande,

Des fremden Schiffes leichte Laſt,

Schon führt er zu der Heimath Strande,

Von Golde ſchwer, den eignen Maſt.

Er hat ſo oft nach keinem Sterne,

Wie nach dem Liebesſtern, geſchaut.

Der lenkt’ ihn glücklich aus der Ferne

Zur Vaterſtadt der theuren Braut.

Noch hat er nicht das Ziel gefunden,

Obſchon er in die Thore trat;

Wie mag er gleich die Braut erkunden

Im Labyrinth der großen Stadt?

Wie mag ſein Auge ſie erlauſchen?

Der Blick iſt überall verbaut.

Wie mag er durch der Märkte Rauſchen

Vernehmen ihrer Stimme Laut?

Dort iſt ein Fenſter zugefallen,

Vielleicht hat ſie herausgeſchaut;

Hier dieſes Schleiers eilig Wallen,

Verbirgt es nicht die theure Braut?

[214]
Schon dunkeln ſich die Abendſchatten,

Noch irrt er durch die Straßen hin;

Die Füße wollen ihm ermatten,

Das rege Herz doch treibet ihn.

Was hält er plötzlich ſtaunend inne?

Horch, Saiten! welcher Stimme Laut!

Umſonſt nicht ſah er ob der Zinne

Den Liebesſtern, dem er vertraut.

[215]

Das Schifflein.


Ein Schifflein ziehet leiſe

Den Strom hin ſeine Gleiſe.

Es ſchweigen, die drin wandern,

Denn Keiner kennt den Andern.

Was zieht hier aus dem Felle

Der braune Waidgeſelle?

Ein Horn, das ſanft erſchallet;

Das Ufer wiederhallet.

Von ſeinem Wanderſtabe

Schraubt Jener Stift und Habe,

Und miſcht mit Flötentönen

Sich in des Hornes Dröhnen.

Das Mädchen ſaß ſo blöde,

Als fehlt’ ihr gar die Rede,

Jetzt ſtimmt ſie mit Geſange

Zu Horn und Flötenklange.

Die Rudrer auch ſich regen

Mit taktgemäßen Schlägen.

Das Schiff hinunter flieget

Von Melodie gewieget.

Hart ſtößt es auf am Strande,

Man trennt ſich in die Lande.

Wann treffen wir uns, Brüder!

Auf Einem Schifflein wieder?

[216]

Sängers Vorüberziehn.


Ich ſchlief am Blüthenhügel,

Hart an des Pfades Rand.

Da lieh der Traum mir Flügel

In’s goldne Fabelland.

Erwacht, mit trunknen Blicken,

Wie wer aus Wolken fiel,

Gewahr’ ich noch im Rücken

Den Sänger mit dem Spiel.

Er ſchwindet um die Bäume,

Noch hör’ ich fernen Klang.

Ob der die Wunderträume

Mir in die Seele ſang?

[217]

Traum.


Es hat mir jüngſt geträumet,

Ich läg’ auf ſteiler Höh’;

Es war am Meeresſtrande,

Ich ſah wohl in die Lande

Und über die weite See.

Es lag am Ufer drunten

Ein ſchmuckes Schiff bereit,

Mit bunten Wimpeln wehend,

Der Ferg’ am Ufer ſtehend,

Als wär’ ihm lang die Zeit.

Da kam von fernen Bergen

Ein luſt’ger Zug daher.

Wie Engel thäten ſie glänzen,

Geſchmückt mit Blumenkränzen,

Und zogen nach dem Meer.

Voran dem Zuge ſchwärmten

Der muntern Kinder viel.

Die Andern Becher ſchwangen,

Muſizirten, ſangen,

Schwebten in Tanz und Spiel.

[218]
Sie ſprachen zu dem Schiffer:

„Willt du uns führen gern?

Wir ſind die Wonnen und Freuden,

Wollen von der Erde ſcheiden,

All von der Erde fern.“

Er hieß in’s Schiff ſie treten,

Die Freuden allzumal,

Er ſprach: „Sagt an, ihr Lieben!

Iſt Keins zurückgeblieben

Auf Bergen, noch im Thal?“

Sie riefen: „Wir ſind Alle!

Fahr zu, wir haben Eil’!“

Sie fuhren mit friſchen Winden,

Fern, ferne ſah ich ſchwinden

Der Erde Luſt und Heil.

[219]

Der gute Kamerad.


Ich hatt’ einen Kameraden,

Einen beſſern findſt du nit.

Die Trommel ſchlug zum Streite,

Er ging an meiner Seite,

In gleichem Schritt und Tritt.

Eine Kugel kam geflogen,

Gilt’s mir oder gilt es dir?

Ihn hat es weggeriſſen,

Er liegt mir vor den Füßen,

Als wär’s ein Stück von mir.

Will mir die Hand noch reichen,

Derweil ich eben lad’.

Kann dir die Hand nicht geben,

Bleib du im ew’gen Leben

Mein guter Kamerad!

[220]

Der Roſenkranz.


In des Maies holden Tagen,

In der Aue Blumenglanz,

Edle Knappen fechten, jagen

Um den werthen Roſenkranz.

Wollen nicht mit leichtem Finger

Blumen pflücken auf dem Plan,

Wollen ſie, als wackre Ringer,

Aus der Jungfrau Hand empfahn.

In der Laube ſitzt die Stille,

Die mit Staunen Jeder ſieht,

Die in ſolcher Jugendfülle

Heut zum erſten Male blüht.

Volle Roſenzweig’ umwanken,

Als ein Schattenhut, ihr Haupt;

Reben mit den Blüthenranken

Halten ihren Leib umlaubt.

Sieh! im Eiſenkleid ein Reiter

Zieht auf krankem Roß daher,

Senkt die Lanz’, als müder Streiter,

Neigt das Haupt, wie ſchlummerſchwer.

Dürre Wangen, graue Locken;

Seiner Hand entfiel der Zaum.

Plötzlich fährt er auf, erſchrocken,

Wie erwacht aus bangem Traum.

[221]
„Seyd gegrüßt auf dieſen Auen,

Schönſte Jungfrau, edle Herrn!

Dürfet nicht ob mir ergrauen,

Eure Spiele ſchau’ ich gern.

Gerne möcht’ ich für mein Leben

Mit euch brechen einen Speer,

Aber meine Arme beben,

Meine Kniee wanken ſehr.

Kenne ſolche Zeitvertreibe,

Bin bei Lanz’ und Schwerdt ergraut,

Panzer liegt mir noch am Leibe,

Wie dem Drachen ſeine Haut.

Auf dem Lande Kampf und Wunden,

Auf dem Meere Wog’ und Sturm;

Ruhe hab’ ich nie gefunden,

Als ein Jahr im finſtern Thurm.

Weh! verlorne Tag’ und Nächte!

Minne hat mich nie beglückt;

Nie hat dich, du rauhe Rechte!

Weiche Frauenhand gedrückt.

Denn noch war dem Erdenthale

Jene Blumenjungfrau fern,

Die mir heut zum erſten Male

Aufgeht, als ein neuer Stern.

[222]
Wehe! könnt’ ich mich verjüngen!

Lernen wollt’ ich Saitenkunſt,

Minnelieder wollt’ ich ſingen,

Werbend um der Süßen Gunſt.

In des Maies holden Tagen,

In der Aue Blumenglanz,

Wollt’ ich freudig fechten, jagen,

Um den werthen Roſenkranz.

Weh! zu früh bin ich geboren!

Erſt beginnt die goldne Zeit.

Zorn und Neid hat ſich verloren,

Frühling ewig ſich erneut.

Sie, in ihrer Roſenlaube,

Wird des Reiches Herrin ſeyn.

Ich muß hin zu Nacht und Staube,

Auf mich fällt der Leichenſtein!“

Als der Alte dies geſprochen,

Er die bleichen Lippen ſchloß.

Seine Augen ſind gebrochen,

Sinken will er von dem Roß.

Doch die edeln Knappen eilen,

Legen ihn in’s Grüne hin;

Ach! kein Balſam kann ihn heilen,

Keine Stimme wecket ihn.

[223]
Und die Jungfrau niederſteiget

Aus der Blumenlaube Glanz;

Traurig ſich zum Greiſe neiget,

Setzt ihm auf den Roſenkranz:

„Sey des Maienfeſtes König!

Keiner hat, was du, gethan.

Ob es gleich dir frommet wenig,

Blumenkranz dem todten Mann.“

[224]

Das traurige Turnei.


Es ritten ſieben Ritter frei,

Mit Schilden und mit Speeren,

Sie wollten halten gut Turnei,

Des Königs Kind zu Ehren.

Und als ſie ſahen Thurm und Wall,

Ein Glöcklein hörten ſie drüben;

Und als ſie traten in Königs Hall’,

Da ſahen ſie Kerzen ſieben.

Da ſahen ſie liegen, todesblaß,

Die holde Adelheide,

Der König zu ihrem Haupte ſaß

In großen Herzeleide.

Da ſprach der ſtolze Degenwerth:

„Das muß ich immer klagen,

Daß ich umſonſt gegürt’t mein Pferd,

Mein Schild und Speer getragen.“

Drauf ſprach der jung’ Herr Adelbert:

„Wir ſollen das nicht klagen!

Des Königs Tochter iſt immer werth,

Daß wir drum ſtechen und ſchlagen.“

Herr Walther ſprach, ein Ritter kühn:

„Nach Hauſe wollen wir reiten,

Es kann uns wenig Heil erblühn,

Um eine Todte zu ſtreiten.“

[225]
Sprach Adelbert: „wohl iſt ſie todt,

Doch lebet keine ſo holde,

Sie trägt einen Kranz von Roſen roth

Und einen Ring von Golde.“

Sie ritten auf den Sand hinaus,

Die freien Ritter ſieben.

Sie ſtritten alſo harten Strauß,

Bis ſechſe todt geblieben.

Der ſiebente war Herr Adelbert,

Der Sieger über alle.

Er ſtieg ſo bleich von ſeinem Pferd,

Und trat in Königs Halle.

Er nahm den Kranz von Roſen roth,

Dazu den Ring von Golde,

Er fiel zur Erde, bleich und todt,

So bleich wie ſeine Holde.

Der König trug ein ſchwarz Gewand,

Er ließ die Glocke läuten,

Sechs freie Ritter von dem Sand

Thät er zu Grab begleiten.

Der ſiebente war Herr Adelbert,

Mit ſeiner Adelheide.

Die liegen zuſammen in kühler Erd’,

Ein Stein bedecket Beide.

Uhlands Gedichte. 15
[226]

Der Sieger.


Anzuſchauen das Turnei,

Saßen hundert Frauen droben;

Dieſe waren nur das Laub,

Meine Fürſtin war die Roſe.

Aufwärts blickt’ ich keck zu ihr,

Wie der Adler blickt zur Sonne.

Wie da meiner Wangen Glut

Das Viſier durchbrennen wollte!

Wie des Herzens kühner Schlag

Schier den Panzer durchgebrochen!

Ihrer Blicke ſanfter Schein

War in mir zu wildem Lodern,

Ihrer Rede mildes Wehn

War in mir zu Sturmestoben,

Sie, der ſchöne Maientag,

In mir zum Gewitter worden.

Unaufhaltbar brach ich los,

Sieghaft Alles niederdonnernd.

[227]

Der nächtliche Ritter.


In der mondlos ſtillen Nacht

Stand er unter dem Altane,

Sang mit himmliſch ſüßer Stimme

Minnelieder zur Guitarre.

Dann auch mit den Nebenbuhlern

Hat er tapfer ſich geſchlagen,

Daß die hellen Funken ſtoben,

Daß die Mauern wiederhallten.

Und ſo übt’ er jeden Dienſt,

Den man weihet edeln Damen,

Daß mein Herz in Lieb’ erglühte

Für den theuern Unbekannten.

Als ich drauf am frühen Morgen

Bebend blickte vom Altane:

Blieb mir nichts von ihm zu ſchauen,

Als ſein Blut, für mich gelaſſen.

[228]

Der kaſtiliſche Ritter.


1.


„Beſter Ritter von Kaſtilien!

Wann die fernen Berge toſen,

Mein’ ich, deinen Kampf zu hören:

Doch es iſt des Donners Rollen.

Wann es hinter jenen Höhen

Roth und golden glüht am Morgen,

Mein’ ich, daß du wollſt erſcheinen:

Doch es kommt herauf die Sonne.“

2.


„Darum ward ein Weg betreten

Längſt von Pilgern, Sängern, Wappnern,

Darum ward ein Schloß erbauet,

Herrlich, an des Weges Rande,

Darum ſchaute von den Zinnen

Bis auf mich wohl manche Dame:

Weil der ſchönſte, kühnſte Ritter

Sollte hier vorüberfahren.

Wehe nun! es iſt erfüllt,

Was ſo lange ward erharret.

Weh! die Augen werden brechen,

Die ſo hohen Adel ſahen.

Weh! die Mauern werden ſinken,

Drin des Roſſes Tritt verhallet.

Weh! der Pfad, den er verließ,

Wird vergehn in hohem Graſe.“

[229]

3.


Nimmer mochten ihn verwunden

Liebesblicke ſüßer Schönen,

Nimmer mochten ihn bezwingen

Schwerdterſchläge, Lanzenſtöße.

Als er einſam ritt auf Bergen,

Fuhr ein Blitz aus dem Gewölke;

Und ſo iſt er unterlegen

Nur dem Stral von Himmelshöhen.

4.


Schwarze Wolken ziehn hinunter,

Golden ſtralt die Sonne wieder,

Fern verhallen ſchon die Donner,

Und die Vögelchöre ſingen;

Blumen heben ſich und Bäume,

Sind erfriſchet vom Gewitter,

Wanderer, die ſich geborgen,

Schreiten wieder raſch von hinnen:

Nur des Waldes höchſte Eiche

Hebt nicht mehr die ſtolzen Wipfel,

Nur Kaſtiliens beſter Streiter

Bleibt am Fuß der Eiche liegen.

[230]

5.


Alle Damen ſchmachten, hoffen,

Ihn, den Schönſten, zu empfahen;

Alle Mohren zagen, zittern

Vor des kühnſten Streiters Nahen.

Damen! würdet nicht mehr hoffen,

Mohren! würdet nicht mehr zagen:

Wüßtet ihr, daß im Gebirge

Längſt Gewitter ihn erſchlagen.

[231]

Sankt Georgs Ritter.


1.


Hell erklingen die Trommeten

Vor Sankt Stephan von Gormaz,

Wo Fernandes von Kaſtilien

Lager hält, der tapfre Graf.

Almanſor, der Mohrenkönig,

Kommt mit großer Heeresmacht

Von Kordova hergezogen,

Zu erſtürmen jene Stadt.

Schon gewappnet ſitzt zu Pferde

Die kaſtil’ſche Ritterſchaar;

Forſchend reitet durch die Reihen

Fernandes, der tapfre Graf:

„Paskal Vivas! Paskal Vivas!

Preis kaſtil’ſcher Ritterſchaft!

Alle Ritter ſind gerüſtet,

Du nur fehleſt auf dem Platz.

Du, der erſte ſonſt zu Roſſe,

Sonſt der erſte zu der Schlacht,

Hörſt du heute nicht mein Rufen,

Nicht der Schlachttrommeten Klang?

Fehleſt du dem Chriſtenheere

Heut, an dieſem heißen Tag?

Soll dein Ehrenkranz verwelken,

Schwinden deines Ruhmes Glanz?“

Paskal Vivas kann nicht hören,

Fern iſt er im tiefen Wald,

Wo auf einem grünen Hügel

Sankt Georgs Kapelle ragt.

[232]
An der Pforte ſteht ſein Roß,

Lehnet Speer und Stahlgewand,

Und der Ritter knieet betend

Vor dem heiligen Altar;

Iſt in Andacht ganz verſunken,

Höret nicht den Lärm der Schlacht,

Der nur dumpf, wie Windestoſen,

Durch die Waldgebirge hallt;

Hört nicht ſeines Roſſes Wiehern,

Seiner Waffen dumpfen Klang.

Doch es wachet ſein Patron,

Sankt Georg, der Treue, wacht;

Aus der Wolke ſteigt er nieder,

Legt des Ritters Waffen an,

Setzt ſich auf das Pferd des Ritters,

Fleugt hinunter in die Schlacht.

Keiner hat wie er geſtürmet,

Held des Himmels, Wetterſtral!

Er gewinnt Almanſors Fahne

Und es flieht die Mohrenſchaar.

Paskal Vivas hat beſchloſſen

Seine Andacht am Altar,

Tritt aus Sankt Georgs Kapelle,

Findet Roß und Stahlgewand;

Reitet ſinnend nach dem Lager,

Weiß nicht, was es heißen mag,

Daß Trommeten ihn begrüßen

Und der feſtliche Geſang:

„Paskal Vivas! Paskal Vivas!

Stolz kaſtil’ſcher Ritterſchaft!

Sey geprieſen, hoher Sieger,

Der Almanſors Fahne nahm!

[233]
Wie ſind deine Waffen blutig,

Wie zermalmt von Stoß und Schlag!

Wie bedeckt dein Roß mit Wunden,

Das ſo muthig eingerannt!“

Paskal Vivas wehrt vergebens

Ihrem Jubel und Geſang,

Neiget demuthsvoll ſein Haupt,

Deutet ſchweigend himmelan.

2.


In den abendlichen Gärten

Ging die Gräfin Julia.

Fatiman, Almanſors Neffe,

Hat die Schöne dort erhaſcht;

Flieht mit ſeiner ſüßen Beute

Durch die Wälder, Nacht und Tag,

Zehn getreue Mohrenritter

Folgen ihm gewappnet nach.

In des dritten Morgens Frühe

Kommen ſie in jenen Wald,

Wo auf einem grünen Hügel

Sankt Georgs Kapelle ragt.

Schon von Weitem blickt die Gräfin

Nach des Heil’gen Bild hinan,

Welches ob der Kirchenpforte,

Groß in Stein gehauen, prangt:

Wie er in des Lindwurms Rachen

Mächtig ſticht den heil’gen Schaft,

Während, an den Fels gebunden,

Bang die Königstochter harrt.

[234]
Weinend und die Hände ringend,

Ruft die Gräfin Julia:

„Sankt Georg, du heil’ger Streiter,

Hilf mir aus des Drachen Macht!“

Siehe! wer auf weiſſem Roſſe

Sprengt von der Kapell’ herab?

Goldne Locken wehn im Winde

Und der rothe Mantel wallt.

Mächtig iſt ſein Speer geſchwungen,

Trifft den Räuber Fatiman,

Der ſich gleich am Boden krümmet,

Wie der Lindwurm einſt gethan.

Und die zehen Mohrenritter

Hat ein wilder Schreck gefaßt,

Schild und Lanze weggeworfen,

Fliehn ſie über Berg und Thal.

Auf den Knieen, wie geblendet,

Liegt die Gräfin Julia:

„Sankt Georg, du heil’ger Streiter,

Sey geprieſen tauſendmal!“

Als ſie wieder hebt die Augen,

Iſt der Heil’ge nicht mehr da,

Und es geht nur dumpfe Sage,

Daß es Paskal Vivas war.

[235]

Romanze vom kleinen Däumling.


Kleiner Däumling! kleiner Däumling!

Allwärts iſt dein Ruhm poſaunet.

Schon die Kindlein in der Wiege

Sieht man der Geſchichte ſtaunen.

Welches Auge muß nicht weinen,

Wie du liefſt durch Waldes Grauſen,

Als die Wölfe hungrig heulten

Und die Nachtorkane ſauſten!

Welches Herz muß nicht erzittern,

Wie du lagſt im Rieſenhauſe

Und den Oger hörteſt nahen,

Der nach deinem Fleiſch geſchnaubet!

Dich und deine ſechs Gebrüder

Haſt vom Tode du erkaufet,

Liſtiglich die ſieben Kappen

Mit den ſieben Kronen tauſchend.

Als der Rieſe lag am Felſen,

Schnarchend, daß die Wälder rauſchten,

Haſt du keck die Meilenſtiefel

Von den Füßen ihm gemauſet.

Einem vielbedrängten König

Biſt als Bote du gelaufen;

Köſtlich war dein Botenbrot:

Eine Braut vom Königshauſe.

Kleiner Däumling! kleiner Däumling!

Mächtig iſt dein Ruhm erbrauſet,

Mit den Siebenmeilenſtiefeln

Schritt er ſchon durch manch Jahrtauſend.

[236]

Romanze vom Recenſenten.


Recenſent, der tapfre Ritter,

Steigt zu Roſſe, kühn und ſtolz;

Iſt’s kein Hengſt aus Andaluſien,

Iſt es doch ein Bock von Holz.

Statt des Schwerdts, die ſcharfe Feder

Zieht er kampfbereit vom Ohr,

Schiebt, ſtatt des Viſiers, die Brille

Den entbrannten Augen vor.

Publikum, die edle Dame,

Schwebt in tauſendfacher Noth,

Seit ihr bald, barbariſch ſchnaubend,

Ein Siegfried’ſcher Lindwurm droht,

Bald ein ſüßer Sonettiſte

Sie mit Lautenklimpern lockt,

Bald ein Mönch ihr myſtiſch predigt,

Daß ihr die Beſinnung ſtockt.

Recenſent, der tapfre Ritter,

Hält ſich gut im Drachenmord,

Schlägt in Splitter alle Lauten,

Stürzt den Mönch vom Kanzelbord.

Dennoch will er, groß beſcheiden,

Daß ihn Niemand nennen ſoll,

Und den Schild des Helden zeichnet

Kaum ein Schriftzug, räthſelvoll.

Recenſent, du Hort der Schwachen,

Sey uns immer treu und hold!

Nimm zum Lohn des Himmels Segen,

Des Verlegers Ehrenſold!

[237]

Ritter Paris.


Paris iſt der ſchönſte Ritter,

Alle Herzen nimmt er hin.

Jede Dame kann’s beſchwören

An dem Hof der Königin.

Was der ſchönen Siegeszeichen

Warf das Glück in ſeinen Schooß!

Briefe, die von Küſſen rauſchen,

Locken, Ringe, zahlenlos.

Allzu leichter Siege Zeichen!

Ungebetnes Minneglück!

Bann und Feſſel nennt euch Paris,

Stößt ſein ſüßes Loos zurück.

Schwingt zu Roß ſich, ſchwergerüſtet,

Glüht von edler Heldenluſt,

Beut den Frauen all den Rücken,

Beut den Männern keck die Bruſt.

Doch es will kein Feind ſich zeigen,

Frühling waltet im Gefild,

Mit dem Helmbuſch ſpielen Lüftchen,

Sonne ſpiegelt ſich im Schild.

Weit ſchon iſt er ſo geritten,

Siehe! da an Waldes Thor

Hält ein Ritter, hoch zu Roſſe,

Strecket ihm die Lanze vor.

Ritter Paris fliegt zum Kampfe,

Eilte nie zum Reihn ſo ſehr;

Wirft den Gegner ſtracks zur Erde,

Blickt als Sieger ſtolz umher;

[238]
Naht ſich hülfreich dem Geworfnen,

Nimmt ihm ab des Helms Gewicht:

Sieh! da wallen reiche Locken

Um ein zartes Angeſicht.

Wie er Schien’ und Panzer löſet,

Welch ein Buſen! welch ein Leib!

Hingegoſſen ohne Leben,

Liegt vor ihm das ſchönſte Weib.

Würden erſt die bleichen Wangen

Röthen ſich von neuer Glut,

Hüben erſt ſich dieſe Wimpern:

Wie dann, Paris, junges Blut?

Ja! ſchon holt ſie tiefen Athem,

Schlägt die Augen zärtlich auf;

Die als wilder Feind geſtorben,

Lebt als milde Freundin auf.

Dort, in Stücken, liegt die Hülle,

Die ein ſtarrer Ritter war,

Hier, in Paris Arm, die Fülle,

Süßer Kern, der Schaale baar.

Paris ſpricht, der ſchöne Ritter:

„Welcher Sieg nun? welcher Ruhm?

Soll mir nie ein Strauß gelingen

In dem ernſten Ritterthum?

Wandelt ſtets, was ich berühre,

Sich in Scherz und Liebe mir?

Minneglück, das mich verfolget,

Zürn’ ich oder dank’ ich dir?“

[239]

Sängerliebe.


Seit der hohe Gott der Lieder

Mußt’ in Liebesſchmerz erbleichen,

Seit der Lorbeer ſeiner Schläfe

Unglückſel’ger Liebe Zeichen:

Wundert’s wen daß ird’ſchen Sängern,

Die daſſelbe Zeichen kranzet,

Selten in der Liebe Leben

Ein beglückter Stern erglänzet?

Daß ſie ernſt und düſter blicken,

Ihre Saiten traurig tönen,

Daß von Luſt ſie wenig ſingen,

Aber viel von Schmerz und Sehnen?

Sängerliebe, tief und ſchmerzlich,

Laßt euch denn in ernſten Bildern

Aus den Tagen des Geſanges,

Aus der Zeit der Minne, ſchildern!

1. Rudello.


In den Thalen der Provence

Iſt der Minneſang entſproſſen,

Kind des Frühlings und der Minne,

Holder, inniger Genoſſen.

Blüthenglanz und ſüße Stimme

Konnt’ an ihm den Vater zeigen,

Herzensglut und tiefes Schmachten

War ihm von der Mutter eigen.

[240]
Selige Provencer Thale,

Ueppig blühend wart ihr immer,

Aber eure reichſte Blüthe

War des Minneliedes Schimmer.

Jene tapfern, ſchmucken Ritter,

Welch ein edler Sängerorden!

Jene hochbeglückten Damen,

Wie ſie ſchön gefeiert worden!

Vielgeehrt im Sängerchore

Wer Rudello’s werther Name,

Vielgeprieſen, vielbeneidet

Die von ihm beſungne Dame.

Aber Niemand mocht’ erkunden,

Wie ſie hieße, wo ſie lebte,

Die ſo herrlich, überirdiſch

In Rudello’s Liedern ſchwebte;

Denn nur in geheimen Nächten

Nahte ſie dem Sänger leiſe,

Selbſt den Boden nie berührend,

Spurlos, ſchwank, in Traumesweiſe.

Wollt’ er ſie mit Armen faſſen,

Schwand ſie in die Wolken wieder,

Und aus Seufzern und aus Thränen

Wurden dann ihm ſüße Lieder.

Schiffer, Pilger, Kreutzesritter

Brachten dazumal die Mähre,

Daß von Tripolis die Gräfin

Aller Frauen Krone wäre;

Und ſo oft Rudell es hörte,

Fühlt’ er ſich’s im Buſen ſchlagen,

Und es trieb ihn nach dem Strande,

Wo die Schiffe fertig lagen.

[241]
Meer, unſichres, vielbewegtes,

Ohne Grund und ohne Schranken!

Wohl auf deiner regen Wüſte

Mag die irre Sehnſucht ſchwanken.

Fern von Tripolis verſchlagen,

Irrt die Barke mit dem Sänger;

Aeußrem Sturm und innrem Drängen

Widerſteht Rudell nicht länger.

Schwer erkranket liegt er nieder,

Aber ſüdwärts ſchaut er immer,

Bis ſich hebt am letzten Rand

Ein Pallaſt im Morgenſchimmer.

Und der Himmel hat Erbarmen

Mit des kranken Sängers Flehen,

In den Port von Tripolis

Fliegt das Schiff mit günſt’gem Wehen.

Kaum vernimmt die ſchöne Gräfin,

Daß ſo edler Gaſt gekommen,

Der allein um ihretwillen

Ueber’s weite Meer geſchwommen:

Alſobald mit ihren Frauen

Steigt ſie nieder, unerbeten,

Als Rudello, ſchwanken Ganges,

Eben das Geſtad betreten.

Schon will ſie die Hand ihm reichen,

Doch ihm dünkt, der Boden ſchwinde.

In des Führers Arme ſinkt er,

Haucht ſein Leben in die Winde.

Ihren Sänger ehrt die Herrin

Durch ein prächtiges Begängniß,

Und ein Grabmal von Porphyr

Lehrt ſein trauriges Verhängniß.

Uhlands Gedichte. 16
[242]
Seine Lieder läßt ſie ſchreiben

Alleſammt mit goldnen Lettern,

Köſtlich ausgezierte Decken

Gibt ſie dieſen theuren Blättern;

Liest darin ſo manche Stunde,

Ach! und oft mit heißen Thränen,

Bis auch ſie ergriffen iſt

Von dem unnennbaren Sehnen.

Von des Hofes luſt’gem Glanz,

Aus der Freunde Kreis geſchieden,

Suchet ſie in Kloſtermauern

Ihrer armen Seele Frieden.

2. Durand.


Nach dem hohen Schloß von Balbi

Zieht Durand mit ſeinem Spiele;

Voll die Bruſt von ſüßen Liedern,

Naht er ſchon dem frohen Ziele.

Dort ja wird ein holdes Fräulein,

Wann die Saiten lieblich rauſchen,

Augen ſenkend, zart erglühend,

Innig athmend, niederlauſchen.

In des Hofes Lindenſchatten

Hat er ſchon ſein Spiel begonnen,

Singt er ſchon mit klarer Stimme

Was er ſüßeſtes erſonnen.

Von dem Söller, von den Fenſtern

Sieht er Blumen freundlich nicken,

Doch die Herrin ſeiner Lieder

Kann ſein Auge nicht erblicken.

[243]
Und es geht ein Mann vorüber,

Der ſich traurig zu ihm wendet:

„Störe nicht die Ruh der Todten!

Fräulein Blanka hat vollendet.“

Doch Durand, der junge Sänger,

Hat darauf kein Wort geſprochen,

Ach! ſein Aug’ iſt ſchon erloſchen,

Ach! ſein Herz iſt ſchon gebrochen.

Drüben in der Burgkapelle,

Wo unzähl’ge Kerzen glänzen,

Wo das todte Fräulein ruht,

Hold geſchmückt mit Blumenkränzen:

Dort ergreifet alles Volk

Schreck und Staunen, freudig Beben,

Denn von ihrem Todtenlager

Sieht man Blanka ſich erheben.

Aus des Scheintods tiefem Schlummer

Iſt ſie blühend auferſtanden,

Tritt im Sterbekleid hervor

Wie in bräutlichen Gewanden.

Noch, wie ihr geſchehn, nicht wiſſend,

Wie von Träumen noch umſchlungen,

Fragt ſie zärtlich, ſehnſuchtsvoll:

„Hat nicht hier Durand geſungen?“

Ja! geſungen hat Durand,

Aber nie mehr wird er ſingen,

Auferweckt hat er die Todte,

Ihn wird Niemand wiederbringen.

Schon im Lande der Verklärten

Wacht’ er auf und mit Verlangen

Sucht er ſeine ſüße Freundin,

Die er wähnt vorangegangen;

[244]
Aller Himmel lichte Räume

Sieht er herrlich ſich verbreiten;

Blanka! Blanka! ruft er ſehnlich

Durch die öden Seligkeiten.

3. Der Kaſtellan von Couci.


Wie der Kaſtellan von Couci

Schnell die Hand zum Herzen drückte,

Als die Dame von Favel

Er zum erſten Mal erblickte!

Seit demſelben Augenblicke

Drang durch alle ſeine Lieder,

Unter allen Weiſen ſtets

Jener erſte Herzſchlag wieder.

Aber wenig mocht’ ihm frommen

All die ſüße Liederklage,

Nimmer darf er dieſes hoffen,

Daß ſein Herz an ihrem ſchlage.

Wenn ſie auch mit zartem Sinn

Eines ſchönen Lieds ſich freute,

Streng und ſtille ging ſie immer

An des ſtolzen Gatten Seite.

Da beſchließt der Kaſtellan,

Seine Bruſt in Stahl zu hüllen

Und mit drauf geheft’tem Kreutz

Seines Herzens Schlag zu ſtillen.

Als er ſchon im heil’gen Lande

Manchen heißen Tag geſtritten,

Fährt ein Pfeil durch Kreutz und Panzer,

Trifft ihm noch das Herze mitten.

[245]
„Hörſt du mich, getreuer Knappe?

Wann dies Herz nun ausgeſchlagen,

Zu der Dame von Fayel

Sollt du es hinübertragen!“

In geweihter, kühler Erde

Wird der edle Leib begraben;

Nur das Herz, das müde Herz,

Soll noch keine Ruhe haben.

Schon in einer goldnen Urne

Liegt es, wohl einbalſamiret,

Und zu Schiffe ſteigt der Diener,

Der es ſorgſam mit ſich führet.

Stürme brauſen, Wogen ſchlagen,

Blitze zucken, Maſte ſplittern,

Aengſtlich klopfen alle Herzen,

Eines nur iſt ohne Zittern.

Golden ſtralt die Sonne wieder,

Frankreichs Küſte glänzet drüben,

Freudig ſchlagen alle Herzen,

Eines nur iſt ſtill geblieben.

Schon im Walde von Fayel

Schreitet raſch der Urne Träger,

Plötzlich ſchallt ein luſtig Horn

Sammt dem Rufe wilder Jäger.

Aus den Büſchen rauſcht ein Hirſch,

Dem ein Pfeil im Herzen ſtecket,

Bäumt ſich auf und ſtürzt und liegt

Vor dem Knappen hingeſtrecket.

Sieh! der Ritter von Fayel,

Der das Wild in’s Herz geſchoſſen,

Sprengt heran mit Jagdgefolg

Und der Knapp’ iſt rings umſchloſſen.

[246]
Nach dem blanken Goldgefäß

Taſten gleich des Ritters Knechte,

Doch der Knappe tritt zurück,

Spricht mit vorgehaltner Rechte:

„Dies iſt eines Sängers Herz,

Herz von einem frommen Streiter,

Herz des Kaſtellans von Couci,

Laßt dies Herz im Frieden weiter!

Scheidend hat er mir geboten:

Wann dies Herz nun ausgeſchlagen,

Zu der Dame von Fayel

Soll ich es hinübertragen.“

„Jene Dame kenn’ ich wohl.“

Spricht der ritterliche Jäger

Und entreißt die goldne Urne

Haſtig dem erſchrocknen Träger,

Nimmt ſie unter ſeinen Mantel,

Reitet fort in finſtrem Grolle,

Hält ſo eng das todte Herz

An das heiße, rachevolle.

Als er auf ſein Schloß gekommen,

Müſſen ſich die Köche ſchürzen,

Müſſen gleich den Hirſch bereiten

Und ein ſeltnes Herze würzen.

Dann, mit Blumen reich beſtecket,

Bringt man es auf goldner Schaale,

Als der Ritter von Fayel

Mit der Dame ſitzt am Mahle.

Zierlich reicht er es der Schönen,

Sprechend mit verliebtem Scherze:

„Was ich immer mag erjagen,

Euch gehört davon das Herze.“

[247]
Wie die Dame kaum genoſſen,

Hat ſie alſo weinen müſſen,

Daß ſie zu vergehen ſchien

In den heißen Thränengüſſen.

Doch der Ritter von Fayel

Spricht zu ihr mit wildem Lachen:

„Sagt man doch von Taubenherzen,

Daß ſie melancholiſch machen:

Wieviel mehr, geliebte Dame,

Das, womit ich Euch bewirthe!

Herz des Kaſtellans von Couci,

Der ſo zärtlich Lieder girrte.“

Als der Ritter dies geſprochen,

Dieſes und noch andres Schlimme,

Da erhebt die Dame ſich,

Spricht mit feierlicher Stimme:

„Großes Unrecht thatet Ihr,

Euer war ich ohne Wanken,

Aber ſolch ein Herz genießen

Wendet leichtlich die Gedanken.

Manches tritt mir vor die Seele,

Was vorlängſt die Lieder ſangen,

Der mir lebend fremd geblieben,

Hat als Todter mich befangen.

Ja! ich bin dem Tod geweihet,

Jedes Mahl iſt mir verwehret,

Nicht geziemt mir andre Speiſe

Seit mich dieſes Herz genähret.

Aber Euch wünſch’ ich zum Letzten

Milden Spruch des ew’gen Richters.“ —

Dieſes alles iſt geſchehen

Mit dem Herzen eines Dichters.

[248]

4. Don Maſſias.


Don Maſſias aus Gallizien

Mit dem Namen: der Verliebte,

Saß im Thurm zu Arjonilla,

Klagend um die Treugeliebte.

Einen Grafen, reich und mächtig,

Gab man jüngſt ihr zum Genoſſen,

Und den vielgetreuen Sänger

Hält man ferngebannt, verſchloſſen.

Traurig ſang er oft am Gitter,

Machte jeden Wandrer lauſchen,

Theure Blätter, liederreiche,

Ließ er oft vom Fenſter rauſchen.

Ob es Wandrer fortgeſungen,

Ob es Winde hingetragen:

Wohl vernahm die Heißgeliebte

Ihres treuen Sängers Klagen.

Ihr Gemahl, argwöhniſch ſpähend,

Hatt’ es alles gut beachtet:

„Muß ich vor dem Sänger beben

Selbſt wann er im Kerker ſchmachtet?“

Einsmals ſchwang er ſich zu Pferde,

Wohlgewaffnet, wie zum Sturme,

Sprengte nach Granada’s Grenze

Und zu Arjonilla’s Thurme.

Don Maſſias, der Verliebte,

Stand gerade dort am Gitter,

Sang ſo glühend ſeine Liebe,

Schlug ſo zierlich ſeine Zither.

[249]
Jener hub ſich in den Bügeln,

Wuthvoll ſeine Lanze ſchwingend;

Don Maſſias iſt durchbohret,

Wie ein Schwan verſchied er ſingend.

Und der Graf, des Siegs verſichert,

Kehret nach Gallizien wieder.

Eitler Wahn! es ſtarb der Sänger,

Doch es leben ſeine Lieder;

Die durch alle ſpan’ſchen Reiche

Tönevoll, geflügelt, ziehen,

Andern ſind ſie Philomelen,

Jenem nur ſind ſie Harpyjen.

Plötzlich oft vom Freudenmahle

Haben ſie ihn aufgeſchrecket,

Aus dem mitternächt’gen Schlummer

Wird er peinlich oft erwecket:

In den Gärten, in den Straßen

Hört er Zithern hin und wieder,

Und wie Geiſterſtimmen tönen

Des Maſſias Liebeslieder.

5. Dante.


War’s ein Thor der Stadt Florenz,

Oder war’s ein Thor der Himmel,

Draus am klarſten Frühlingsmorgen

Zog ſo feſtliches Gewimmel?

Kinder, hold wie Engelſchaaren,

Reich geſchmückt mit Blumenkränzen,

Zogen in das Roſenthal

Zu den frohen Feſtestänzen.

[250]
Unter einem Lorbeerbaume

Stand, damals neunjährig, Dante,

Der im lieblichſten der Mädchen

Seinen Engel gleich erkannte.

Rauſchten nicht des Lorbeers Zweige,

Von der Frühlingsluft erſchüttert?

Klang nicht Dante’s junge Seele,

Von der Liebe Hauch durchzittert?

Ja! ihm iſt in jener Stunde

Des Geſanges Quell entſprungen;

In Sonetten, in Kanzonen

Iſt die Lieb’ ihm früh erklungen.

Als, zur Jungfrau hold erwachſen,

Jene wieder ihm begegnet,

Steht auch ſeine Dichtung ſchon

Wie ein Baum, der Blüthen regnet.

Aus dem Thore von Florenz

Zogen dichte Schaaren wieder,

Aber langſam, trauervoll,

Bei dem Klange dumpfer Lieder.

Unter jenem ſchwarzen Tuch,

Mit dem weiſſen Kreutz geſchmücket,

Trägt man Beatricen hin,

Die der Tod ſo früh gepflücket.

Dante ſaß in ſeiner Kammer,

Einſam, ſtill, im Abendlichte,

Hörte fern die Glocken tönen

Und verhüllte ſein Geſichte.

In der Wälder tiefſte Schatten

Stieg der edle Sänger nieder,

Gleich den fernen Todtenglocken

Tönten fortan ſeine Lieder.

[251]
Aber in der wildſten Oede,

Wo er ging mit bangem Stöhnen,

Kam zu ihm ein Abgeſandter

Von der hingeſchiednen Schönen;

Der ihn führt’ an treuer Hand

Durch der Hölle tiefſte Schluchten,

Wo ſein ird’ſcher Schmerz verſtummte

Bei dem Anblick der Verfluchten.

Bald zum ſel’gen Licht empor

Kam er auf den dunkeln Wegen,

Aus des Paradieſes Pforte

Trat die Freundin ihm entgegen.

Hoch und höher ſchwebten Beide

Durch des Himmels Glanz und Wonnen,

Sie, aufblickend, ungeblendet,

Zu der Sonne aller Sonnen;

Er, die Augen hingewendet

Nach der Freundin Angeſichte,

Das, verklärt, ihn ſchauen ließ

Abglanz von dem ew’gen Lichte.

Einem göttlichen Gedicht

Hat er Alles einverleibet,

Mit ſo ew’gen Feuerzügen,

Wie der Blitz in Felſen ſchreibet.

Ja! mit Fug wird dieſer Sänger

Als der Göttliche verehret,

Dante, welchem ird’ſche Liebe

Sich zu himmliſcher verkläret.

[252]

Liebesklagen.


1. Der Student.


Als ich einſt bei Salamanka

Früh in einem Garten ſaß

Und bei’m Schlag der Nachtigallen

Emſig im Homerus las:

Wie in glänzenden Gewanden

Helena zur Zinne trat

Und ſo herrlich ſich erzeigte

Dem trojaniſchen Senat,

Daß vernehmlich Der und Jener

Brummt’ in ſeinen grauen Bart:

„Solch ein Weib ward nie geſehen,

Traun, ſie iſt von Götterart!“

Als ich ſo mich ganz vertiefet,

Wußt’ ich nicht, wie mir geſchah:

In die Blätter fuhr ein Wehen,

Daß ich ſtaunend um mich ſah.

Auf benachbartem Balkone,

Welch ein Wunder ſchaut’ ich da!

Dort in glänzenden Gewanden

Stand ein Weib wie Helena,

Und ein Graubart ihr zur Seite,

Der ſo ſeltſam freundlich that,

Daß ich ſchwören mocht’, er wäre

Von der Troer hohem Rath.

Doch ich ſelbſt ward ein Achäer,

Der ich nun ſeit jenem Tag

Vor dem feſten Gartenhauſe,

Einer neuen Troja, lag.

[253]
Um es unverblümt zu ſagen:

Manche Sommerwoch’ entlang

Kam ich dorthin jeden Abend

Mit der Laut’ und mit Geſang,

Klagt’ in manigfachen Weiſen

Meiner Liebe Qual und Drang,

Bis zuletzt vom hohen Gitter

Süße Antwort niederklang.

Solches Spiel mit Wort und Tönen

Trieben wir ein halbes Jahr,

Und auch dies war nur vergönnet

Weil halbtaub der Vormund war.

Hub er gleich ſich oft vom Lager,

Schlaflos, eiferſüchtig bang,

Blieben doch ihm unſre Stimmen

Ungehört, wie Sphärenklang.

Aber einſt, die Nacht war ſchaurig,

Sternlos, finſter wie das Grab,

Klang auf das gewohnte Zeichen

Keine Antwort mir herab.

Nur ein alt zahnloſes Fräulein

Ward von meiner Stimme wach,

Nur das alte Fräulein Echo

Stöhnte meine Klagen nach.

Meine Schöne war verſchwunden,

Leer die Zimmer, leer der Saal,

Leer der blumenreiche Garten,

Rings verödet Berg und Thal.

Ach! und nie hatt’ ich erfahren

Ihre Heimath, ihren Stand,

Weil ſie, Beides zu verſchweigen,

Angelobt mit Mund und Hand.

[254]
Da beſchloß ich, ſie zu ſuchen,

Nah und fern, auf irrer Fahrt,

Den Homerus ließ ich liegen,

Nun ich ſelbſt Ulyſſes ward;

Nahm die Laute zur Gefährtin

Und vor jeglichem Altan,

Unter jedem Gitterfenſter

Frag’ ich leis mit Tönen an,

Sing’ in Stadt und Feld das Liedchen,

Das im Salamanker Thal

Jeden Abend ich geſungen

Meiner Liebſten zum Signal;

Doch die Antwort, die erſehnte,

Tönet nimmermehr und ach!

Nur das alte Fräulein Echo

Reist zur Qual mir ewig nach.

2. Der Jäger.


Als ich einsmals in den Wäldern

Hinter einer Eiche ſtand,

Lauernd, oft mich vorwärts legend,

Auch die Büchſe ſchon zur Hand:

Da vernahm ich leichtes Rauſchen

Und mein Hünerhund ſchlug an,

Fertig hielt ich gleich die Büchſe,

Paßte mit geſpanntem Hahn:

Sieh! da kam nicht Reh noch Haſe,

Kam ein Wild von ſchönrer Art,

Trat ein Mägdlein aus den Büſchen,

Jung und friſch, und lind und zart.

[255]
So von ſeltſamen Gewalten

Ward ich plötzlich übermannt,

Daß ich faſt vor eitel Liebe

Auf die Schönſte losgebrannt.

Immer geh’ ich nun den Fährten

Dieſes edeln Wildes nach

Und vor ſeinem Lager ſteh’ ich

Jeden Abend auf der Wach’.

Um es unverblümt zu ſagen:

Vor der Lieblichſten Altan

Steh’ ich pflichtlich jeden Abend,

Blicke traurig ſtill hinan.

Doch von ſolcher ſtummen Klage

Wird ihr gleich die Zeit zu lang,

Lieder will ſie ſüße Weiſen,

Flötentöne, Lautenklang.

Ach! das iſt ein künſtlich Locken,

Drin ich Waidmann nichts vermag,

Nur den Kuckucksruf verſtehend

Und den ſchlichten Wachtelſchlag.

[256]

Unſtern.


Unſtern, dieſem guten Jungen,

Hat es ſeltſam ſich geſchickt,

Manches wär’ ihm faſt gelungen,

Manches wär’ ihm ſchier geglückt.

Alle Glückesſtern’ im Bunde

Hätten weihend ihm gelacht,

Wenn die Mutter eine Stunde

Früher ihn zur Welt gebracht.

Waffenruhm und Heldenehre

Hätten zeitig ihm geblüht,

War doch in dem ganzen Heere

Keiner ſo von Muth erglüht:

Nur als ſchon in wilden Wogen

Seine Schaar zum Sturme drang,

Kam ein Bote hergeflogen,

Der die Friedensfahne ſchwang.

Nah iſt Unſterns Hochzeitfeier,

Hold und ſittig glüht die Braut;

Sieh! da kömmt ein reichrer Freier,

Der die Eltern baß erbaut.

Dennoch hätte die Geraubte

Ihn als Wittwe noch beglückt,

Wäre nicht der Todtgeglaubte

Plötzlich wieder angerückt.

[257]
Reich wär’ Unſtern noch geworden

Mit dem Gut der neuen Welt,

Hätte nicht ein Sturm aus Norden

Noch im Port das Schiff zerſchellt.

Glücklich war er ſelbſt entſchwommen,

Einer Planke hatt’ er’s Dank,

Hatte ſchon den Strand erklommen,

Glitt zurück noch und verſank.

In den Himmel, ſonder Zweifel,

Würd’ er gleich gekommen ſeyn,

Liefe nicht ein dummer Teufel

Juſt ihm in den Weg hinein.

Teufel meint, es ſey die Seele,

Die er eben holen ſoll,

Packt den Unſtern an der Kehle,

Rennt mit ihm davon wie toll.

Da erſcheint ein lichter Engel

Rettend aus dem Nebelduft,

Donnert flugs den ſchwarzen Bengel

In die tiefſte Höllenkluft,

Schwebt der goldnen Himmelsferne

Mit dem armen Unſtern zu,

Ueber gut’ und böſe Sterne

Führt er den zur ew’gen Ruh.

Uhlands Gedichte. 17
[258]

Der Ring.


Es ging an einem Morgen

Ein Ritter über die Au.

Er dacht’ in bangen Sorgen

An die allerſchönſte Frau.

„Mein werthes Ringlein golden!

Verkünde du mir frei,

Du Pfand von meiner Holden,

Wie ſteht es mit ihrer Treu?“

Wie er’s betrachten wollte,

Vom Finger es ihm ſprang,

Das Ringlein hüpft’ und rollte

Den Wieſenrain entlang.

Er will mit ſchnellen Händen

Es haſchen auf der Au,

Doch goldne Blumen ihn blenden

Und Gräſer, betropft von Thau.

Ein Falk’ es gleich erlauſchte,

Der auf der Linde ſaß,

Vom Wipfel er niederrauſchte,

Er holt’ es aus dem Gras.

[259]
Mit mächtigem Gefieder

Er in die Luft ſich ſchwang.

Da wollten ſeine Brüder

Ihm rauben den goldnen Fang.

Doch keiner gewann’s von allen,

Das Ringlein fiel aus der Höh’.

Der Ritter ſah es fallen

In einen tiefen See.

Die Fiſchlein hüpften munter,

Zu haſchen den goldnen Tand;

Das Ringlein ſank hinunter,

Bis es den Blicken ſchwand.

„O Ringlein! auf den Triften,

Da äffen dich Gras und Blum’;

O Ringlein! in den Lüften,

Da tragen die Vögel dich um.

O Ringlein! in Waſſers Grunde,

Da haſchen die Fiſche dich frei.

Mein Ringlein! iſt das die Kunde,

Die Kunde von Liebchens Treu?“

[260]

Die drei Schlöſſer.


Drei Schlöſſer ſind in meinem Gaue,

Die ich mit Liebe ſtets beſchaue;

Und ich, der wohlbeſtellte Sänger,

Durch Feld und Wald der raſche Gänger,

Wie ſollt’ ich ſchweigen von den Dreien,

Die ſich dem Gau zum Schmucke reihen?

Das erſt’ iſt kaum ein Schloß zu nennen,

An wenig Trümmern zu erkennen,

Verſunken dort am Waldeshange,

Sein Name ſelbſt verſchollen lange,

Denn ſeit nicht mehr die Thürme ragen,

Verging nach ihm der Wandrer Fragen.

Doch ſchreckt dich nicht durch Waldes Dichte

Der Zweige Schlagen in’s Geſichte:

Dort, wo des Beiles Schläge fallen,

Einſame Waldhornklänge hallen,

Dort kannſt du Wundermähr’ erfragen

Von Mauern, welche nicht mehr ragen.

Ja! ſetzeſt du im Mondenſcheine

Dich auf’s verfallene Geſteine:

So wird die Kund’, auch unerbeten,

Dir vor die ſtille Seele treten.

Das zweite meines Dreivereines,

Es ſcheint ein Schloß, doch iſt es keines.

[261]
Du ſiehſt vom hohen Bergesrücken

Es ſtolz im Sonnenſtrale blicken,

Mit Thürmen und mit Zinnen prangen,

Mit tiefem Graben rings umfangen,

Voll Heldenbilder aller Orte,

Zween Marmorlöwen an der Pforte:

Doch drinnen iſt es öd’ und ſtille,

Im Hofe hohes Gras in Fülle,

Im Graben quillt das Waſſer nimmer,

Im Haus iſt Treppe nicht, noch Zimmer,

Ringsum die Epheuranken ſchleichen,

Zugvögel durch die Fenſter ſtreichen.

Dort ſaßen mit der goldnen Krone

Voreinſt die Herrſcher auf dem Throne,

Von dortaus zogen einſt die Helden,

Von denen die Geſchichten melden.

Die Herrſcher ruhn in Gräberhallen,

Die Helden ſind im Kampf gefallen;

Verhallet war der Burg Getümmel,

Da fuhr ein Feuerſtral vom Himmel,

Der reiche Schatz verging in Flammen,

Gemach und Treppe fiel zuſammen.

Inwendig ward das Schloß verheeret,

Doch außen blieb es unverſehret.

Sobald erloſch der Edeln Orden,

Iſt auch ihr Haus verödet worden.

Doch wie noch die Geſchichten melden

Der Herrſcher Namen und der Helden:

So ſieht man auch die Thürm’ und Mauern

Mit ihren Heldenbildern dauern.

Auch wird noch ferner manch Jahrhundert

[262]
Das hohe Denkmal ſchaun verwundert

Und jenes Schloß auf Berges Rücken

Verklärt im Sonnenſtral erblicken.

Dann zwiſchen beiden in der Mitte,

Ein luſtig Schlößlein, ſteht das dritte;

Nicht ſtolz auf Berges Gipfel oben,

Doch auf dem Hügel, ſanft gehoben;

Nicht in des Waldes finſtern Räumen,

Doch unter friſchen Blüthenbäumen;

Mit blanken Mauern, rothen Ziegeln,

Mit Fenſtern, die wie Sonnen ſpiegeln.

Es iſt zu klein für die Geſchichte,

Zu jung für Sagen und Gedichte.

Doch ich, der wohlbeſtellte Sänger,

Durch Feld und Wald der raſche Gänger,

Ich ſorge redlich, daß nicht länger

Das Schlößlein bleibe ſonder Kunde.

Zur Morgen- und zur Abendſtunde

Umwandl’ ich es mit meiner Laute,

Und wenn dann Klelia, die Traute,

An’s Fenſter tritt mit holdem Grüßen:

So will in mir die Hoffnung ſprießen,

Daß eine Kunde, drin Geſchichte

Sich ſchön verwoben mit Gedichte,

Daß ſolche Kunde bald beginne

Von Klelia’s und Sängers Minne.

[263]

Graf Eberhards Weißdorn.


Graf Eberhard im Bart

Vom Würtemberger Land,

Eṙ kam auf frommer Fahrt

Zu Paläſtina’s Strand.

Daſelbſt er einsmals ritt

Durch einen friſchen Wald.

Ein grünes Reis er ſchnitt

Von einem Weißdorn bald.

Er ſteckt’ es mit Bedacht

Auf ſeinen Eiſenhut.

Er trug es in der Schlacht

Und über Meeres Flut.

Und als er war daheim,

Er’s in die Erde ſteckt,

Wo bald manch neuen Keim

Der milde Frühling weckt.

Der Graf, getreu und gut,

Beſucht’ es jedes Jahr,

Erfreute dran den Muth,

Wie es gewachſen war.

[264]
Der Herr war alt und laß,

Das Reislein war ein Baum,

Darunter oftmals ſaß

Der Greis in tiefem Traum.

Die Wölbung, hoch und breit,

Mit ſanftem Rauſchen mahnt

Ihn an die alte Zeit

Und an das ferne Land.

[265]

Das Reh.


Es jagt’ ein Jäger früh am Tag

Ein Reh durch Wälder und Auen,

Da ſah er aus dem Gartenhag

Ein roſig Mägdlein ſchauen.

Was iſt geſchehn dem guten Pferd?

Hat es den Fuß verletzet?

Was iſt geſchehn dem Jäger werth,

Daß er nicht mehr ruft und hetzet?

Das Rehlein rennet immer noch

Ueber Berg und Thal ſo bange.

Halt an, du ſeltſam Thierlein, doch!

Der Jäger vergaß dich lange.

[266]

Der weiſſe Hirſch.


Es gingen drei Jäger wohl auf die Birſch,

Sie wollten erjagen den weiſſen Hirſch.

Sie legten ſich unter den Tannenbaum,

Da hatten die drei einen ſeltſamen Traum.

Der Erſte.


Mir hat geträumt, ich klopf’ auf den Buſch,

Da rauſchte der Hirſch heraus, huſch huſch!

Der Zweite.


Und als er ſprang mit der Hunde Geklaff,

Da brannt’ ich ihn auf das Fell, piff paff!

Der Dritte.


Und als ich den Hirſch an der Erde ſah,

Da ſtieß ich luſtig in’s Horn, trara!

So lagen ſie da und ſprachen, die drei,

Da rannte der weiſſe Hirſch vorbei.

Und eh’ die drei Jäger ihn recht geſehn,

So war er davon über Tiefen und Höhn.

Huſch huſch! piff paff! trara!


[267]

Die Jagd von Wincheſter.


König Wilhelm hatt’ ein’ ſchweren Traum,

Vom Lager ſprang er auf,

Wollt’ jagen dort in Wincheſters Wald,

Rief ſeine Herrn zuhauf.

Und als ſie kamen vor den Wald,

Da hält der König ſtill,

Gibt Jedem einen guten Pfeil,

Wer jagen und birſchen will.

Der König kömmt zur hohen Eich’,

Da ſpringt ein Hirſch vorbei,

Der König ſpannt den Bogen ſchnell,

Doch die Sehne reißt entzwei.

Herr Titan beſſer treffen will,

Herr Titan drückt wohl ab,

Er ſchießt dem König mitten in’s Herz

Den Pfeil, den der ihm gab.

Herr Titan fliehet durch den Wald,

Flieht über Land und Meer,

Er flieht wie ein geſcheuchtes Wild,

Findt nirgends Ruhe mehr.

[268]
Prinz Heinrich ritt im Wald umher,

Viel Reh’ und Haſen er fand:

„Wohl träf’ ich gern ein edler Wild

Mit dem Pfeil von Königs Hand.“

Da reiten ſchon in ernſtem Zug

Die hohen Lords heran,

Sie melden ihm des Königs Tod,

Sie tragen die Kron’ ihm an.

„Auf dieſer trauervollen Jagd

Euch reiche Beute ward,

Ihr habt erjagt, gewalt’ger Herr!

Den edeln Leopard.“

[269]

Harald.


Vor ſeinem Heergefolge ritt

Der kühne Held Harald.

Sie zogen in des Mondes Schein

Durch einen wilden Wald.

Sie tragen manch’ erkämpfte Fahn’,

Die hoch im Winde wallt,

Sie ſingen manches Siegeslied,

Das durch die Berge hallt.

Was rauſchet, lauſchet im Gebüſch?

Was wiegt ſich auf dem Baum?

Was ſenket aus den Wolken ſich,

Und taucht aus Stromes Schaum?

Was wirft mit Blumen um und um?

Was ſingt ſo wonniglich?

Was tanzet durch der Krieger Reihn?

Schwingt auf die Roſſe ſich?

Was kost ſo ſanft und küßt ſo ſüß?

Und hält ſo lind umfaßt?

Und nimmt das Schwerdt, und zieht vom Roß,

Und läßt nicht Ruh noch Raſt?

[270]
Es iſt der Elfen leichte Schaar;

Hier hilft kein Widerſtand.

Schon ſind die Krieger all dahin,

Sind all im Feenland.

Nur er, der Beſte, blieb zurück,

Der kühne Held Harald.

Er iſt vom Wirbel bis zur Sohl’

In harten Stahl geſchnallt.

All ſeine Krieger ſind entrückt,

Da liegen Schwerdt und Schild,

Die Roſſe, ledig ihrer Herrn,

Sie gehn im Walde wild.

In großer Trauer ritt von dann

Der ſtolze Held Harald,

Er ritt allein im Mondenſchein

Wohl durch den weiten Wald.

Vom Felſen rauſcht es friſch und klar,

Er ſpringt vom Roſſe ſchnell,

Er ſchnallt vom Haupte ſich den Helm

Und trinkt vom kühlen Quell.

Doch wie er kaum den Durſt geſtillt,

Verſagt ihm Arm und Bein;

Er muß ſich ſetzen auf den Fels,

Er nickt und ſchlummert ein.

[271]
Er ſchlummert auf demſelben Stein

Schon manche hundert Jahr’,

Das Haupt geſenket auf die Bruſt,

Mit grauem Bart und Haar.

Wann Blitze zucken, Donner rollt,

Wann Sturm erbraust im Wald,

Dann greift er träumend nach dem Schwerdt,

Der alte Held Harald.

[272]

Die Elfen.


Erſte.


Kommt herbei, ihr luft’gen Schweſtern!

Seht! ein holdes Erdenkind!

Sputet euch, bevor ſie fliehet!

Solch ein Hexchen iſt geſchwind.

Alle.


Mädchen, komm zum Elfentanze,

Komm im Mond- und Sternenglanze!

Zweite.


Traun! du biſt ein leichtes Liebchen,

Wiegſt nicht über fünfzig Pfund,

Haſt ein kleines, flinkes Füßchen;

Tanze mit uns in die Rund’!

Dritte.


Kannſt wohl frei in Lüften ſchweben

Bis man eben drei gezählt,

Stampfſt zuweilen kaum ein wenig,

Daß man nicht den Takt verfehlt.

Alle.


Zürne nicht, du flinke Kleine,

Tanze friſch im Mondenſcheine!

[273]

Vierte.


Trautes Liebchen! kannſt du lachen?

Weinſt du gern im Mondenſchein?

Weine nur, ſo wirſt du ſchmelzen,

Bald ein leichtes Elfchen ſeyn!

Fünfte.


Sprich! iſt auch dein Fleiß zu loben?

Iſt dir keine Arbeit fremd?

Iſt dein Brautbett ſchon gewoben?

Spinnſt du ſchon für’s Todtenhemd?

Sechste.


Kennſt du auch die große Lehre

Von der Butter und dem Schmalz?

Spürſt du in den Fingerſpitzen:

Wieviel Pfeffer, wieviel Salz?

Alle.


Liebchen, laß uns immer fragen!

Darfſt uns keine Antwort ſagen.

Siebente.


Haſt du nichts auf dem Gewiſſen,

Wie ſo manches arme Kind,

Von verſtohlnen ſüßen Küſſen,

Welches große Sünden ſind?

Achte.


Oder biſt du ſchon ein Bräutchen,

Haſt ’nen Bräutigam ſo treu,

Der dich darf ſpazieren führen

Nachmittags von Eins bis Zwei?

Uhlands Gedichte. 18
[274]

Neunte.


Haſt du einen Ring am Finger,

Schwer von Gold, mit Stein geſchmückt?

Das iſt ächte Lieb’ und Treue,

Wenn es recht am Finger drückt.

Zehnte.


Liebchen! biſt noch immer böſe?

Haſt du ſo ein hitzig Blut?

Mußt dir’s Zürnen abgewöhnen,

Iſt nicht für die Ehe gut.

Alle.


Liebchen, friſch zum Elfentanze!

Auf im Mond- und Sternenglanze!

[275]

Die Bildſäule des Bacchus.


Kalliſthenes, ein Jüngling zu Athen,

Kam einſt, nach einer durchgeſchwärmten Nacht,

Den welken Epheukranz um’s wilde Haar,

Hintaumelnd in der Dämmerung, nach Haus,

Er ſelber, wie die Dämmrung, wüſt und bleich.

Als nun der Diener nach dem Schlafgemach

Ihm leuchtet durch den hohen Säulengang,

Da tritt mit Eins im vollen Fackelſchein

Des Bacchus göttlich Marmorbild hervor,

Von ſchöpferiſcher Meiſterhand geformt.

In Jugendfülle hebt ſich die Geſtalt,

Aus reichem, lang hinwallendem Gelock

Erglänzt das feingewölbte Schulternpaar,

Und unter’m Schatten üppigen Geflechts

Von Rebenlaub und ſchwellender Traubenfrucht

Erſcheint das runde, blühende Geſicht.

Erſchrocken fährt Kalliſthenes zurück

Vor der Erſcheinung Herrlichkeit und Glanz,

Ihm iſt, als hätte mit dem Thyrſusſtab

Der Gott die Stirne ſtrafend ihm berührt,

Als ſpräche zürnend der belebte Mund:

„Was ſpuckſt du hier, du wankendes Geſpenſt?

Ereb’ſcher Schatten, kraftlos, ſinnbetäubt!

Du haſt den heil’gen Epheu mir entweiht,

Du nenneſt frevelnd meinen Prieſter dich;

Hinweg von mir! ich kenne deiner nicht.

[276]
Ich bin die Fülle ſchaffender Natur,

Die ſich beſonders in dem edeln Blut

Der Rebe reich und göttlich offenbart.

Will euer wüſtes Treiben einen Gott,

So ſucht ihn nicht auf ſonnigem Weingebirg,

Nein! ſucht ihn drunten in des Hades Nacht!“

Der Gott verſtummt, der Fackel Licht erliſcht,

Der Jüngling ſchleicht beſchämt in ſein Gemach,

Er nimmt vom Haupt den welken Epheukranz

Und ſtill in des Gemüthes Innerſtem

Beſchwöret er ein heiliges Gelübd.

[277]

Von den ſieben Zechbrüdern.


Ich kenne ſieben luſt’ge Brüder,

Sie ſind die durſtigſten im Ort,

Die ſchwuren höchlich, niemals wieder

Zu nennen ein gewiſſes Wort,

In keinerlei Weiſe,

Nicht laut und nicht leiſe.

Es iſt das gute Wörtlein: Waſſer,

Darin doch ſonſt kein Arges ſteckt.

Wie kömmt’s nun, daß die wilden Praſſer

Dies ſchlichte Wort ſo mächtig ſchreckt?

Merkt auf! ich berichte

Die Wundergeſchichte.

Einſt hörten jene durſt’gen Sieben

Von einem fremden Zechkumpan,

Es ſey am Waldgebirge drüben

Ein neues Wirthshaus aufgethan,

Da fließen ſo reine,

So würzige Weine.

Um einer guten Predigt willen

Hätt’ Keiner ſich vom Platz bewegt,

Doch gilt es, Gläſer gut zu füllen,

Dann ſind die Burſche gleich erregt.

„Auf, laſſet uns wandern!“

Ruft Einer dem Andern.

[278]
Sie wandern rüſtig mit dem Frühen,

Bald ſteigt die Sonne drückend heiß;

Die Zunge lechzt, die Lippen glühen

Und von der Stirne rinnt der Schweiß:

Da rieſelt ſo helle

Vom Felſen die Quelle.

Wie trinken ſie in vollen Zügen!

Doch als ſie kaum den Durſt geſtillt,

Bezeugen ſie ihr Mißvergnügen,

Daß hier nicht Wein, nur Waſſer, quillt:

„O fades Getränke!

O ärmliche Schwenke!“

In ſeine vielverwobnen Gänge

Nimmt jetzt der Wald die Pilger auf,

Da ſtehn ſie plötzlich im Gedränge,

Verworrnes Dickicht hemmt den Lauf;

Sie irren, ſie ſuchen,

Sie zanken und fluchen.

Derweil hat ſich in finſtre Wetter

Die ſchwüle Sonne tief verhüllt,

Schon rauſcht der Regen durch die Blätter,

Es zuckt der Blitz, der Donner brüllt,

Dann kömmt es gefloſſen,

Unendlich ergoſſen.

[279]
Bald wird der Forſt zu tauſend Inſeln,

Zahlloſe Ströme brechen vor;

Hier hilft kein Toben, hilft kein Winſeln,

Er muß hindurch, der edle Chor.

O gründliche Taufe!

O köſtliche Traufe!

Vor Alters wurden Menſchenkinder

Verwandelt oft in Quell und Fluß,

Auch unſre ſieben arme Sünder

Bedroht ein gleicher Götterſchluß.

Sie triefen, ſie ſchwellen,

Als würden ſie Quellen.

So, mehr geſchwommen, als gegangen,

Gelangen ſie zum Wald hinaus;

Doch keine Schenke ſehn ſie prangen,

Sie ſind auf gradem Weg nach Haus;

Schon rieſelt ſo helle

Vom Felſen die Quelle.

Da iſt’s, als ob ſie rauſchend ſpreche:

„Willkommen, ſaubre Brüderſchaar!

Ihr habt geſchmähet, thöricht Freche!

Mein Waſſer, das euch labend war.

Nun ſeyd ihr getränket,

Daß ihr daran denket.“

[280]
So kam es, daß die ſieben Brüder

Das Waſſer fürchteten hinfort,

Und daß ſie ſchwuren, niemals wieder

Zu nennen das verwünſchte Wort,

In keinerlei Weiſe,

Nicht laut und nicht leiſe.

[281]

Junker Rechberger.


Rechberger war ein Junker keck,

Der Kaufleut’ und der Wanderer Schreck.

In einer Kirche, verlaſſen,

Da thät er die Nacht verpaſſen.

Und als es war nach Mitternacht,

Da hat er ſich auf den Fang gemacht.

Ein Kaufzug, hat er vernommen,

Wird frühe vorüberkommen.

Sie waren geritten ein kleines Stück,

Da ſprach er: „Reitknecht! reite zurück!

Die Handſchuh hab’ ich vergeſſen

Auf der Bahre, da ich geſeſſen.“

Der Reitknecht kam zurück ſo bleich:

„Die Handſchuh hole der Teufel Euch!

Es ſitzt ein Geiſt auf der Bahre;

Es ſtarren mir noch die Haare.

Er hat die Handſchuh angethan

Und ſchaut ſie mit feurigen Augen an,

Er ſtreicht ſie wohl auf und nieder;

Es beben mir noch die Glieder.“

[282]
Da ritt der Junker zurück im Flug,

Er mit dem Geiſte ſich tapfer ſchlug,

Er hat den Geiſt bezwungen,

Seine Handſchuh wieder errungen.

Da ſprach der Geiſt mit wilder Gier:

„Und läßt du ſie nicht zu eigen mir,

So leihe mir auf ein Jährlein

Das ſchmucke, ſchmeidige Pärlein!“

„Ein Jährlein ich ſie dir gerne leih’,

So kann ich erproben des Teufels Treu.

Sie werden wohl nicht zerplatzen

An deinen dürren Tatzen.“

Rechberger ſprengte von dannen ſtolz,

Er ſtreifte mit ſeinem Knecht im Holz.

Der Hahn hat ferne gerufen,

Da hören ſie Pferdehufen.

Dem Junker hoch das Herze ſchlug,

Des Weges kam ein ſchwarzer Zug

Vermummter Rittersleute;

Der Junker wich auf die Seite.

Und hinten trabt noch Einer daher,

Ein ledig Räpplein führet er,

Mit Sattel und Zeug ſtaffiret,

Mit ſchwarzer Decke gezieret.

[283]
Rechberger ritt heran und frug:

„Sag an! wer ſind die Herren vom Zug?

Sag an, traut lieber Knappe!

Wem gehört der ledige Rappe?“

„Dem treueſten Diener meines Herrn,

Rechberger nennt man ihn nah und fern.

Ein Jährlein, ſo iſt er erſchlagen,

Dann wird das Räpplein ihn tragen.“

Der Schwarze ritt den Andern nach,

Der Junker zu ſeinem Knechte ſprach:

„Weh mir! vom Roß ich ſteige,

Es geht mit mir zur Neige.

Iſt dir mein Rößlein nicht zu wild,

Und nicht zu ſchwer mein Degen und Schild:

Nimm’s hin dir zum Gewinnſte,

Und brauch es in Gottes Dienſte!“

Rechberger in ein Kloſter ging:

„Herr Abt, ich bin zum Mönche zu ring,

Doch möcht’ ich in tiefer Reue

Dem Kloſter dienen als Laie.“

„Du biſt geweſen ein Reitersmann,

Ich ſeh’ es dir an den Sporen an,

So magſt du der Pferde walten,

Die im Kloſterſtalle wir halten.“

[284]
Am Tag, da ſelbiges Jahr ſich ſchloß,

Da kaufte der Abt ein ſchwarz wild Roß,

Rechberger ſollt’ es zäumen,

Doch es thät ſich ſtellen und bäumen.

Es ſchlug den Junker mitten auf’s Herz,

Daß er ſank in bitterem Todesſchmerz.

Es iſt im Walde verſchwunden,

Man hat’s nicht wieder gefunden.

Um Mitternacht, an Junkers Grab,

Da ſtieg ein ſchwarzer Reitknecht ab,

Einem Rappen hält er die Stangen,

Reithandſchuh am Sattel hangen.

Rechberger ſtieg aus dem Grab herauf,

Er nahm die Handſchuh vom Sattelknauf,

Er ſchwang ſich in Sattels Mitte,

Der Grabſtein diente zum Tritte.

Dies Lieb iſt Junkern zur Lehr’ gemacht:

Daß ſie geben auf ihre Handſchuh Acht,

Und daß ſie fein bleiben laſſen,

In der Nacht am Wege zn paſſen.

[285]

Graf Eberſtein.


Zu Speier im Saale, da hebt ſich ein Klingen,

Mit Fackeln und Kerzen ein Tanzen und Springen.

Graf Eberſtein

Führet den Reihn

Mit des Kaiſers holdſeligem Töchterlein.

Und als er ſie ſchwingt nun im luftigen Reigen,

Da flüſtert ſie leiſe, ſie kann’s nicht verſchweigen:

„Graf Eberſtein,

Hüte dich fein!

Heut Nacht wird dein Schlößlein gefährdet ſeyn.“

Ei! denket der Graf, Euer kaiſerlich’ Gnaden,

So habt Ihr mich darum zum Tanze geladen!

Er ſucht ſein Roß,

Läßt ſeinen Troß

Und jagt nach ſeinem gefährdeten Schloß.

Um Eberſteins Veſte da wimmelt’s von Streitern,

Sie ſchleichen im Nebel mit Hacken und Leitern.

Graf Eberſtein

Grüßet ſie fein,

Er wirft ſie vom Wall in die Gräben hinein.

[286]
Als nun der Herr Kaiſer am Morgen gekommen,

Da meint er, es ſeye die Burg ſchon genommen.

Doch auf dem Wall

Tanzen mit Schall

Der Graf und ſeine Gewappneten all.

„Herr Kaiſer! beſchleicht ihr ein andermal Schlöſſer,

Thut’s Noth, Ihr verſtehet auf’s Tanzen Euch beſſer.

Euer Töchterlein

Tanzet ſo fein,

Dem ſoll meine Veſte geöffnet ſeyn.“

Im Schloſſe des Grafen, da hebt ſich ein Klingen,

Mit Fackeln und Kerzen ein Tanzen und Springen.

Graf Eberſtein

Führet den Reihn

Mit des Kaiſers holdſeligem Töchterlein.

Und als er ſie ſchwingt nun im bräutlichen Reigen,

Da flüſtert er leiſe, nicht kann er’s verſchweigen:

„Schön Jungfräulein,

Hüte dich fein!

Heut Nacht wird ein Schlößlein gefährdet ſeyn.“

[287]

Schwäbiſche Kunde.


Als Kaiſer Rothbart lobeſam

Zum heil’gen Land gezogen kam,

Da mußt’ er mit dem frommen Heer

Durch ein Gebirge, wüſt und leer.

Daſelbſt erhub ſich große Noth,

Viel Steine gab’s und wenig Brot,

Und mancher deutſche Reitersmann

Hat dort den Trunk ſich abgethan.

Den Pferden war’s ſo ſchwach im Magen,

Faſt mußt’ der Reiter die Mähre tragen.

Nun war ein Herr aus Schwabenland,

Von hohem Wuchs und ſtarker Hand,

Deß Rößlein war ſo krank und ſchwach,

Er zog es nur am Zaume nach,

Er hätt’ es nimmer aufgegeben

Und koſtet’s ihn das eigne Leben.

So blieb er bald ein gutes Stück

Hinter dem Heereszug zurück,

Da ſprengten plötzlich in die Queer

Fünfzig türkiſche Reiter daher,

Die huben an, auf ihn zu ſchießen,

Nach ihm zu werfen mit den Spießen.

Der wackre Schwabe forcht’ ſich nit,

Ging ſeines Weges Schritt vor Schritt,

Ließ ſich den Schild mit Pfeilen ſpicken

Und thät nur ſpöttlich um ſich blicken,

[288]
Bis Einer, dem die Zeit zu lang,

Auf ihn den krummen Säbel ſchwang.

Da wallt dem Deutſchen auch ſein Blut,

Er trifft des Türken Pferd ſo gut,

Er haut ihm ab mit Einem Streich

Die beiden Vorderfüß’ zugleich.

Als er das Thier zu Fall gebracht,

Da faßt er erſt ſein Schwerdt mit Macht,

Er ſchwingt es auf des Reiters Kopf,

Haut durch bis auf den Sattelknopf,

Haut auch den Sattel noch zu Stücken

Und tief noch in des Pferdes Rücken;

Zur Rechten ſieht man, wie zur Linken,

Einen halben Türken herunterſinken.

Da packt die Andern kalter Graus,

Sie fliehen in alle Welt hinaus,

Und Jedem iſt’s, als würd’ ihm mitten

Durch Kopf und Leib hindurchgeſchnitten.

Drauf kam des Wegs ’ne Chriſtenſchaar,

Die auch zurück geblieben war,

Die ſahen nun mit gutem Bedacht

Was Arbeit unſer Held gemacht.

Von denen hat’s der Kaiſer vernommen,

Der ließ den Schwaben vor ſich kommen,

Er ſprach: „Sagt an, mein Ritter werth!

Wer hat Euch ſolche Streich’ gelehrt?“

Der Held bedacht’ ſich nicht zu lang:

„Die Streiche ſind bei uns im Schwang,

Sie ſind bekannt im ganzen Reiche,

Man nennt ſie halt nur Schwabenſtreiche.“

[289]

Die Rache.


Der Knecht hat erſtochen den edeln Herrn,

Der Knecht wär’ ſelber ein Ritter gern.

Er hat ihn erſtochen im dunkeln Hain

Und den Leib verſenket im tiefen Rhein.

Hat angeleget die Rüſtung blank,

Auf des Herren Roß ſich geſchwungen frank.

Und als er ſprengen will über die Brück’,

Da ſtutzet das Roß und bäumt ſich zurück.

Und als er die güldnen Sporen ihm gab,

Da ſchleudert’s ihn wild in den Strom hinab.

Mit Arm, mit Fuß er rudert und ringt,

Der ſchwere Panzer ihn niederzwingt.

Uhlands Gedichte. 19
[290]

Das Schwerdt..


Zur Schmiede ging ein junger Held,

Er hatt’ ein gutes Schwerdt beſtellt.

Doch als er’s wog in freier Hand,

Das Schwerdt er viel zu ſchwer erfand.

Der alte Schmied den Bart ſich ſtreicht:

„Das Schwerdt iſt nicht zu ſchwer noch leicht,

Zu ſchwach iſt Euer Arm, ich mein’,

Doch morgen ſoll geholfen ſeyn.“

„Nein, heut! bei aller Ritterſchaft!

Durch meine, nicht durch Feuers Kraft.“

Der Jüngling ſpricht’s, ihn Kraft durchdringt,

Das Schwerdt er hoch in Lüften ſchwingt.

[291]

Siegfrieds Schwerdt.


Jung Siegfried war ein ſtolzer Knab,

Ging von des Vaters Burg herab.

Wollt’ raſten nicht in Vaters Haus,

Wollt’ wandern in alle Welt hinaus.

Begegnet’ ihm mancher Ritter werth

Mit feſtem Schild und breitem Schwerdt.

Siegfried nur einen Stecken trug,

Das war ihm bitter und leid genug.

Und als er ging im finſtern Wald,

Kam er zu einer Schmiede bald.

Da ſah er Eiſen und Stahl genug,

Ein luſtig Feuer Flammen ſchlug.

„O Meiſter, liebſter Meiſter mein!

Laß du mich deinen Geſellen ſeyn!

Und lehr du mich mit Fleiß und Acht,

Wie man die guten Schwerdter macht!“

Siegfried den Hammer wohl ſchwingen kunnt,

Er ſchlug den Ambos in den Grund.

[292]
Er ſchlug, daß weit der Wald erklang

Und alles Eiſen in Stücke ſprang.

Und von der letzten Eiſenſtang’

Macht’ er ein Schwerdt, ſo breit und lang.

„Nun hab’ ich geſchmiedet ein gutes Schwerdt,

Nun bin ich wie andre Ritter werth.

Nun ſchlag’ ich wie ein andrer Held

Die Rieſen und Drachen in Wald und Feld.“

[293]

Klein Roland.


Frau Berta ſaß in der Felſenkluft,

Sie klagt’ ihr bittres Loos.

Klein Roland ſpielt’ in freier Luft,

Deß Klage war nicht groß.

„O König Karl, mein Bruder hehr!

O daß ich floh von dir!

Um Liebe ließ ich Pracht und Ehr’,

Nun zürnſt du ſchrecklich mir.

O Milon, mein Gemahl ſo ſüß!

Die Flut verſchlang mir dich.

Die ich um Liebe Alles ließ,

Nun läßt die Liebe mich.

Klein Roland, du mein theures Kind!

Nun Ehr’ und Liebe mir!

Klein Roland, komm herein geſchwind!

Mein Troſt kommt all von dir.

Klein Roland, geh zur Stadt hinab,

Zu bitten um Speiſ’ und Trank,

Und wer dir gibt eine kleine Gab’,

Dem wünſche Gottes Dank!“

[294]
Der König Karl zur Tafel ſaß

Im goldnen Ritterſaal.

Die Diener liefen ohn’ Unterlaß

Mit Schüſſel und Pokal.

Von Flöten, Saitenſpiel, Geſang

Ward jedes Herz erfreut,

Doch reichte nicht der helle Klang

Zu Berta’s Einſamkeit.

Und draußen in des Hofes Kreis,

Da ſaßen der Bettler viel,

Die labten ſich an Trank und Speiſ’

Mehr, als am Saitenſpiel.

Der König ſchaut in ihr Gedräng

Wohl durch die offne Thür,

Da drückt ſich durch die dichte Meng’

Ein feiner Knab herfür.

Des Knaben Kleid iſt wunderbar,

Vierfarb zuſammengeſtückt;

Doch weilt er nicht bei der Bettlerſchaar,

Herauf zum Saal er blickt.

Herein zum Saal klein Roland tritt,

Als wär’s ſein eigen Haus.

Er hebt eine Schüſſel von Tiſches Mitt’

Und trägt ſie ſtumm hinaus.

[295]
Der König denkt: „was muß ich ſehn?

Das iſt ein ſondrer Brauch.“

Doch weil er’s ruhig läßt geſchehn,

So laſſen’s die Andern auch.

Es ſtund nur an eine kleine Weil’,

Klein Roland kehrt in den Saal.

Er tritt zum König hin mit Eil’

Und faßt ſeinen Goldpokal.

„Heida! halt an, du kecker Wicht!“

Der König ruft es laut.

Klein Roland läßt den Becher nicht,

Zum König auf er ſchaut.

Der König erſt gar finſter ſah,

Doch lachen mußt’ er bald.

„Du trittſt in die goldne Halle da

Wie in den grünen Wald.

Du nimmſt die Schüſſel von Königs Tiſch

Wie man Aepfel bricht vom Baum;

Du holſt wie aus dem Bronnen friſch

Meines rothen Weines Schaum.“

„Die Bäurin ſchöpft aus dem Bronnen friſch,

Die bricht die Aepfel vom Baum;

Meiner Mutter ziemet Wildbrät und Fiſch,

Ihr rothen Weines Schaum.“

[296]
„Iſt deine Mutter ſo edle Dam’,

Wie du berühmſt, mein Kind!

So hat ſie wohl ein Schloß luſtſam

Und ſtattlich Hofgeſind?

Sag an! wer iſt denn ihr Truchſeß,

Sag an! wer iſt ihr Schenk?“

„Meine rechte Hand iſt ihr Truchſeß,

Meine linke, die iſt ihr Schenk.“

„Sag an! wer ſind ihre Wächter tren?“

„Meine Augen blau allſtund.“

„Sag an! wer iſt ihr Sänger frei?“

„Der iſt mein rother Mund.“

„Die Dam’ hat wackre Diener, traun!

Doch liebt ſie ſondre Livrei,

Wie Regenbogen anzuſchaun,

Mit Farben mancherlei.“

„Ich hab’ bezwungen der Knaben acht

Von jedem Viertel der Stadt,

Die haben mir als Zins gebracht

Vierfältig Tuch zur Wat.“

„Die Dame hat, nach meinem Sinn,

Den beſten Diener der Welt.

Sie iſt wohl Bettlerkönigin,

Die offne Tafel hält.

[297]
So edle Dame darf nicht fern

Von meinem Hofe ſeyn.

Wohlauf, drei Damen! auf, drei Herru!

Führt ſie zu mir herein!“

Klein Roland trägt den Becher flink

Hinaus zum Prunkgemach;

Drei Damen, auf des Königs Wink,

Drei Ritter folgen nach.

Es ſtund nur an eine kleine Weil’,

Der König ſchaut in die Fern’,

Da kehren ſchon zurück mit Eil’

Die Damen und die Herrn.

Der König ruft mit einem Mal:

„Hilf Himmel! ſeh’ ich recht?

Ich hab’ verſpottet im offnen Saal

Mein eigenes Geſchlecht.

Hilf Himmel! Schweſter Berta, bleich,

Im grauen Pilgergewand!

Hilf Himmel! in meinem Prunkſaal reich

Den Bettelſtab in der Hand!“

Frau Berta fällt zu Füßen ihm,

Das bleiche Frauenbild.

Da regt ſich plötzlich der alte Grimm,

Er blickt ſie an ſo wild.

[298]
Frau Berta ſenkt die Augen ſchnell,

Kein Wort zu reden ſich traut.

Klein Roland hebt die Augen hell,

Den Oehm begrüßt er laut.

Da ſpricht der König in mildem Ton:

„Steh auf, du Schweſter mein!

Um dieſen deinen lieben Sohn

Soll dir verziehen ſeyn.“

Frau Berta hebt ſich freudenvoll:

„Lieb Bruder mein! wohlan!

Klein Roland dir vergelten ſoll,

Was du mir Guts gethan.

Soll werden, ſeinem König gleich,

Ein hohes Heldenbild;

Soll führen die Farb’ von manchem Reich

In ſeinem Banner und Schild.

Soll greifen in manches Königs Tiſch

Mit ſeiner freien Hand;

Soll bringen zu Heil und Ehre friſch

Sein ſeufzend Mutterland.“

[299]

Roland Schildträger.


Der König Karl ſaß einſt zu Tiſch

Zu Aachen mit den Fürſten,

Man ſtellte Wildbrät auf und Fiſch

Und ließ auch Keinen dürſten.

Viel Goldgeſchirr von klarem Schein,

Manch rothen, grünen Edelſtein

Sah man im Saale leuchten.

Da ſprach Herr Karl, der ſtarke Held:

„Was ſoll der eitle Schimmer?

Das beſte Kleinod dieſer Welt,

Das fehlet uns noch immer.

Dies Kleinod, hell wie Sonnenſchein,

Ein Rieſe trägt’s im Schilde ſein,

Tief im Ardennerwalde.“

Graf Richard, Erzbiſchof Turpin,

Herr Heimon, Naims von Baiern,

Milon von Anglant, Graf Garin,

Die wollten da nicht feiern.

Sie haben Stahlgewand begehrt

Und hießen ſatteln ihre Pferd’,

Zu reiten nach dem Rieſen.

[300]
Jung Roland, Sohn des Milon, ſprach:

„Lieb Vater! hört, ich bitte!

Vermeint Ihr mich zu jung und ſchwach,

Daß ich mit Rieſen ſtritte,

Doch bin ich nicht zu winzig mehr,

Euch nachzutragen Euern Speer

Sammt Eurem guten Schilde.“

Die ſechs Genoſſen ritten bald

Vereint nach den Ardennen,

Doch als ſie kamen in den Wald,

Da thäten ſie ſich trennen.

Roland ritt hinter’m Vater her;

Wie wohl ihm war, des Helden Speer,

Des Helden Schild zu tragen!

Bei Sonnenſchein und Mondenlicht

Streiften die kühnen Degen,

Doch fanden ſie den Rieſen nicht

In Felſen noch Gehegen.

Zur Mittagsſtund’ am vierten Tag

Der Herzog Milon ſchlafen lag

In einer Eiche Schatten.

Roland ſah in der Ferne bald

Ein Blitzen und ein Leuchten,

Davon die Stralen in dem Wald

Die Hirſch’ und Reh’ aufſcheuchten;

Er ſah, es kam von einem Schild,

Den trug ein Rieſe, groß und wild,

Vom Berge niederſteigend.

[301]
Roland gedacht’ im Herzen ſein:

„Was iſt das für ein Schrecken!

Soll ich den lieben Vater mein

Im beſten Schlaf erwecken?

Es wachet ja ſein gutes Pferd,

Es wacht ſein Speer, ſein Schild und Schwerdt,

Es wacht Roland, der junge.“

Roland das Schwerdt zur Seite band,

Herrn Milons ſtarkes Waffen,

Die Lanze nahm er in die Hand

Und thät den Schild aufraffen.

Herrn Milons Roß beſtieg er dann

Und ritt erſt ſachte durch den Tann,

Den Vater nicht zu wecken.

Und als er kam zur Felſenwand,

Da ſprach der Rieſ’ mit Lachen:

„Was will doch dieſer kleine Fant

Auf ſolchem Roſſe machen?

Sein Schwerdt iſt zwier ſo lang als er,

Vom Roſſe zieht ihn ſchier der Speer,

Der Schild will ihn erdrücken.“

Jung Roland rief: „Wohlauf zum Streit!

Dich reuet noch dein Necken.

Hab’ ich die Tartſche lang und breit,

Kann ſie mich beſſer decken;

Ein kleiner Mann, ein großes Pferd,

Ein kurzer Arm, ein langes Schwerdt,

Muß eins dem andern helfen.“

[302]
Der Rieſe mit der Stange ſchlug,

Auslangend in die Weite,

Jung Roland ſchwenkte ſchnell genug

Sein Roß noch auf die Seite.

Die Lanz’ er auf den Rieſen ſchwang,

Doch von dem Wunderſchilde ſprang

Auf Roland ſie zurücke.

Jung Roland nahm in großer Haſt

Das Schwerdt in beide Hände,

Der Rieſe nach dem ſeinen faßt’,

Er war zu unbehende;

Mit flinkem Hiebe ſchlug Roland

Ihm unter’m Schild die linke Hand,

Daß Hand und Schild entrollten.

Dem Rieſen ſchwand der Muth dahin,

Wie ihm der Schild entriſſen,

Das Kleinod, das ihm Kraft verliehn,

Mußt’ er mit Schmerzen miſſen.

Zwar lief er gleich dem Schilde nach,

Doch Roland in das Knie ihn ſtach,

Daß er zu Boden ſtürzte.

Roland ihn bei den Haaren griff,

Hieb ihm das Haupt herunter,

Ein großer Strom von Blute lief

In’s tiefe Thal hinunter;

Und aus des Todten Schild hernach

Roland das lichte Kleinod brach,

Und freute ſich am Glanze.

[303]
Dann barg er’s unter’m Kleide gut,

Und ging zu einem Quelle,

Da wuſch er ſich von Staub und Blut

Gewand und Waffen helle.

Zurücke ritt der jung’ Roland,

Dahin, wo er den Vater fand,

Noch ſchlafend bei der Eiche.

Er legt’ ſich an des Vaters Seit’,

Vom Schlafe ſelbſt bezwungen,

Bis in der kühlen Abendzeit

Herr Milon aufgeſprungen:

„Wach auf, wach auf, mein Sohn Roland!

Nimm Schild und Lanze ſchnell zur Hand,

Daß wir den Rieſen ſuchen!“

Sie ſtiegen auf und eilten ſehr,

Zu ſchweifen in der Wilde,

Roland ritt hinter’m Vater her

Mit deſſen Speer und Schilde.

Sie kamen bald zu jener Stätt’

Wo Roland jüngſt geſtritten hät,

Der Rieſe lag im Blute.

Roland kaum ſeinen Augen glaubt’,

Als nicht mehr war zu ſchauen

Die linke Hand, dazu das Haupt,

So er ihm abgehauen,

Nicht mehr des Rieſen Schwerdt und Speer,

Auch nicht ſein Schild und Harniſch mehr,

Nur Rumpf und blut’ge Glieder.

[304]
Milon beſah den großen Rumpf:

„Was iſt das für ’ne Leiche?

Man ſieht noch am zerhau’nen Stumpf,

Wie mächtig war die Eiche.

Das iſt der Rieſe! frag’ ich mehr?

Verſchlafen hab’ ich Sieg und Ehr’,

Drum muß ich ewig trauern.“ —

Zu Aachen vor dem Schloſſe ſtund

Der König Karl gar bange:

„Sind meine Helden wohl geſund?

Sie weilen allzu lange.

Doch ſeh’ ich recht, auf Königswort!

So reitet Herzog Heimon dort,

Des Rieſen Haupt am Speere.“

Herr Heimon ritt in trübem Muth,

Und mit geſenktem Spieße

Legt’ er das Haupt, beſprengt mit Blut,

Dem König vor die Füße:

„Ich fand den Kopf im wilden Hag,

Und fünfzig Schritte weiter lag

Des Rieſen Rumpf am Boden.“

Bald auch der Erzbiſchof Turpin

Den Rieſenhandſchuh brachte,

Die ungefüge Hand noch drin,

Er zog ſie aus und lachte:

„Das iſt ein ſchön Reliquienſtück,

Ich bring’ es aus dem Wald zurück,

Fand es ſchon zugehauen.“

[305]
Der Herzog Naims von Baierland

Kam mit des Rieſen Stange:

„Schaut an, was ich im Walde fand!

Ein Waffen, ſtark und lange.

Wohl ſchwitz’ ich von dem ſchweren Druck;

Hei! bairiſch Bier, ein guter Schluck,

Sollt’ mir gar köſtlich munden!“

Graf Richard kam zu Fuß daher,

Ging neben ſeinem Pferde,

Das trug des Rieſen ſchwere Wehr,

Den Harniſch ſammt dem Schwerdte:

„Wer ſuchen will im wilden Tann,

Manch Waffenſtück noch finden kann,

Iſt mir zu viel geweſen.“

Der Graf Garin thät ferne ſchon

Den Schild des Rieſen ſchwingen.

„Der hat den Schild, deß iſt die Kron’,

Der wird das Kleinod bringen!“

„Den Schild hab’ ich, ihr lieben Herrn!

Das Kleinod hätt’ ich gar zu gern,

Doch das iſt ausgebrochen.“

Zuletzt thät man Herrn Milon ſehn,

Der nach dem Schloſſe lenkte,

Er ließ das Rößlein langſam gehn,

Das Haupt er traurig ſenkte.

Roland ritt hinter’m Vater her

Und trug ihm ſeinen ſtarken Speer

Zuſammt dem feſten Schilde.

Uhlands Gedichte. 20
[306]
Doch wie ſie kamen vor das Schloß

Und zu den Herrn geritten,

Macht’ er von Vaters Schilde los

Den Zierath in der Mitten;

Das Rieſenkleinod ſetzt’ er ein,

Das gab ſo wunderklaren Schein,

Alswie die liebe Sonne.

Und als nun dieſe helle Glut

Im Schilde Milons brannte,

Da rief der König frohgemuth:

„Heil Milon von Anglante!

Der hat den Rieſen übermannt,

Ihm abgeſchlagen Haupt und Hand,

Das Kleinod ihm entriſſen.“

Herr Milon hatte ſich gewandt,

Sah ſtaunend all die Helle:

„Roland! ſag an, du junger Fant!

Wer gab dir das, Geſelle?“

„Um Gott, Herr Vater! zürnt mir nicht,

Daß ich erſchlug den groben Wicht,

Derweil Ihr eben ſchliefet!“

[307]

König Karls Meerfahrt.


Der König Karl fuhr über Meer

Mit ſeinen zwölf Genoſſen,

[Zum] heil’gen Lande ſteuert’ er,

Und ward vom Sturm verſtoßen.

Da ſprach der kühne Held Roland:

„Ich kann wohl fechten und ſchirmen,

Doch hält mir dieſe Kunſt nicht Stand

Vor Wellen und vor Stürmen.“

Dann ſprach Herr Holger aus Dänemark:

„Ich kann die Harfe ſchlagen;

Was hilft mir das, wenn alſo ſtark

Die Wind’ und Wellen jagen?“

Herr Oliver war auch nicht froh,

Er ſah auf ſeine Wehre:

„Es iſt mir um mich ſelbſt nicht ſo,

Wie um die Altekläre.“

Dann ſprach der ſchlimme Ganelon,

Er ſprach es nur verſtohlen:

„Wär’ ich mit guter Art davon,

Möcht’ euch der Teufel holen!“

[308]
Erzbiſchof Turpin ſeufzte ſehr:

„Wir ſind die Gottesſtreiter;

Komm, liebſter Heiland, über das Meer

Und führ uns gnädig weiter!“

Graf Richard Ohnefurcht hub an:

„Ihr Geiſter aus der Hölle!

Ich hab’ euch manchen Dienſt gethan,

Jetzt helft mir von der Stelle!“

Herr Naimis dieſen Ausſpruch that:

„Schon Vielen rieth ich heuer,

Doch ſüßes Waſſer und guter Rath

Sind oft zu Schiffe theuer.“

Da ſprach der graue Herr Riol:

„Ich bin ein alter Degen,

Und möchte meinen Leichnam wohl

Dereinſt in’s Trockne legen.“

Es war Herr Gui, ein Ritter fein,

Der fing wohl an zu ſingen:

„Ich wollt’, ich wär’ ein Vögelein,

Wollt’ mich zu Liebchen ſchwingen.“

Da ſprach der edle Graf Garein:

„Gott helf’ uns aus der Schwere!

Ich trink’ viel lieber den rothen Wein,

Als Waſſer in dem Meere.“

[309]
Herr Lambert ſprach, ein Jüngling friſch:

„Gott woll’ uns nicht vergeſſen!

Aeſſ’ lieber ſelbſt ’nen guten Fiſch,

Statt daß mich Fiſche freſſen.“

Da ſprach Herr Gottfried lobeſan:

„Ich laſſ’ mir’s halt gefallen,

Man richtet mir nicht anders an,

Als meinen Brüdern allen.“

Der König Karl am Steuer ſaß,

Der hat kein Wort geſprochen,

Er lenkt das Schiff mit feſtem Maaß,

Bis ſich der Sturm gebrochen.

[310]

Taillefer.


Normannenherzog Wilhelm ſprach einmal:

„Wer ſinget in meinem Hof und in meinem Saal?

Wer ſinget vom Morgen bis in die ſpäte Nacht,

So lieblich, daß mir das Herz im Leibe lacht?“

„Das iſt der Taillefer, der ſo gerne ſingt,

Im Hofe, wann er das Rad am Brunnen ſchwingt,

Im Saale, wann er das Feuer ſchüret und facht,

Wann er Abends ſich legt und wann er Morgens erwacht.“

Der Herzog ſprach: „ich hab’ einen guten Knecht,

Den Taillefer, der dienet mir fromm und recht,

Er treibt mein Rad und ſchüret mein Feuer gut,

Und ſinget ſo hell, das höhet mir den Muth.“

Da ſprach der Taillefer: „und wär’ ich frei,

Viel beſſer wollt’ ich dienen und ſingen dabei.

Wie wollt’ ich dienen dem Herzog hoch zu Pferd!

Wie wollt’ ich ſingen und klingen mit Schild und mit Schwerdt!“

Nicht lange, ſo ritt der Taillefer in’s Gefild,

Auf einem hohen Pferde, mit Schwerdt und mit Schild.

Des Herzogs Schweſter ſchaute vom Thurm in’s Feld,

Sie ſprach: „dort reitet, bei Gott! ein ſtattlicher Held.“

[311]
Und als er ritt vorüber an Fräuleins Thurm,

Da ſang er bald wie ein Lüftlein, bald wie ein Sturm.

Sie ſprach: „der ſinget, das iſt eine herrliche Luſt!

Es zittert der Thurm und es zittert mein Herz in der Bruſt.“

Der Herzog Wilhelm fuhr wohl über das Meer,

Er fuhr nach Engelland mit gewaltigem Heer.

Er ſprang vom Schiffe, da fiel er auf die Hand:

„Hei! — rief er — ich faſſ’ und ergreife dich, Engelland!“

Als nun das Normannenheer zum Sturme ſchritt,

Der edle Taillefer vor den Herzog ritt:

„Manch Jährlein hab’ ich geſungen und Feuer geſchürt,

[Manch] Jährlein geſungen und Schwerdt und Lanze gerührt.

Und hab’ ich Euch gedient und geſungen zu Dank,

Zuerſt als ein Knecht und dann als ein Ritter frank:

So laßt mich das entgelten am heutigen Tag,

Vergönnet mir auf die Feinde den erſten Schlag!“

Der Taillefer ritt vor allem Normannenheer,

Auf einem hohen Pferde, mit Schwerdt und mit Speer,

Er ſang ſo herrlich, das klang über Haſtingsfeld,

Von Roland ſang er und manchem frommen Held.

Und als das Rolandslied wie ein Sturm erſcholl,

Da wallete manch Panier, manch Herze ſchwoll,

Da brannten Ritter und Mannen von hohem Muth,

Der Taillefer ſang und ſchürte das Feuer gut.

[312]
Dann ſprengt’ er hinein und führte den erſten Stoß,

Davon ein engliſcher Ritter zur Erde ſchoß,

Dann ſchwang er das Schwerdt und führte den erſten Schlag,

Davon ein engliſcher Ritter am Boden lag.

Normannen ſahen’s, die harrten nicht allzu lang,

Sie brachen herein mit Geſchrei und mit Schilderklang.

Hei! ſauſende Pfeile, klirrender Schwerdterſchlag!

Bis Harald fiel und ſein trotziges Heer erlag.

Herr Wilhelm ſteckte ſein Banner auf’s blutige Feld,

Immitten der Todten ſpannt’ er ſein Gezelt,

Da ſaß er am Mahle, den goldnen Pokal in der Hand,

Auf dem Haupte die Königskrone von Engelland.

„Mein tapfrer Taillefer! komm, trink mir Beſcheid!

Du haſt mir viel geſungen in Lieb und in Leid,

Doch heut im Haſtingsfelde dein Sang und dein Klang,

Der tönet mir in den Ohren mein Lebenlang.“

[313]

Graf Eberhard der Rauſchebart.


Iſt denn im Schwabenlande verſchollen aller Sang,

Wo einſt ſo hell vom Staufen die Ritterharfe klang?

Und wenn er nicht verſchollen, warum vergißt er ganz

Der tapfern Väter Thaten, der alten Waffen Glanz?

Man liſpelt leichte Liedchen, man ſpitzt manch Sinngedicht,

Man höhnt die holden Frauen, des alten Liedes Licht;

Wo rüſtig Heldenleben längſt auf Beſchwörung lauſcht,

Da trippelt man vorüber und ſchauert, wenn es rauſcht.

Brich denn aus deinem Sarge, ſteig aus dem düſtern Chor

Mit deinem Heldenſohne, du Rauſchebart, hervor! *)

Du ſchlugſt dich unverwüſtlich noch greiſe Jahr’ entlang,

Brich auch durch unſre Zeiten mit hellem Schwerdtesklang!

1. Der Ueberfall im Wildbad.


In ſchönen Sommertagen, wann lau die Lüfte wehn,

Die Wälder luſtig grünen, die Gärten blühend ſtehn,

Da ritt aus Stuttgarts Thoren ein Held von ſtolzer Art,

Graf Eberhard der Greiner, der alte Rauſchebart.

[314]
Mit wenig Edelknechten zieht er in’s Land hinaus,

Er trägt nicht Helm noch Panzer, nicht geht’s auf blut’gen Strauß,

In’s Wildbad will er reiten, wo heiß ein Quell entſpringt,

Der Sieche heilt und kräftigt, der Greiſe wieder jüngt.

Zu Hirſchau bei dem Abte, da kehrt der Ritter ein

Und trinkt bei Orgelſchalle den kühlen Kloſterwein.

Dann gehts durch Tannenwälder in’s grüne Thal geſprengt,

Wo durch ihr Felſenbette die Enz ſich rauſchend drängt.

Zu Wildbad an dem Markte, da ſteht ein ſtattlich Haus,

Es hängt daran zum Zeichen ein blanker Spieß heraus,

Dort ſteigt der Graf vom Roſſe, dort hält er gute Raſt,

Den Quell beſucht er täglich, der ritterliche Gaſt.

Wann er ſich dann entkleidet und wenig ausgeruht

Und ſein Gebet geſprochen, ſo ſteigt er in die Flut;

Er ſetzt ſich ſtets zur Stelle, wo aus dem Felſenſpalt

Am heißeſten und vollſten der edle Sprudel wallt.

Ein angeſchoßner Eber, der ſich die Wunde wuſch,

Verrieth voreinſt den Jägern den Quell in Kluft und Buſch,

Nun iſt’s dem alten Recken ein lieber Zeitvertreib,

Zu waſchen und zu ſtrecken den narbenvollen Leib.

Da kömmt einsmals geſprungen ſein jüngſter Edelknab’:

„Herr Graf! es zieht ein Haufe das obre Thal herab.

Sie tragen ſchwere Kolben, der Hauptmann führt im Schild

Ein Röslein roth von Golde und einen Eber wild.“

[315]
„Mein Sohn! das ſind die Schlegler, die ſchlagen kräftig drein, —

Gib mir den Leibrock, Junge! — das iſt der Eberſtein,

Ich kenne wohl den Eber, er hat ſo grimmen Zorn,

Ich kenne wohl die Roſe, ſie führt ſo ſcharfen Dorn.“

Da kömmt ein armer Hirte in athemloſem Lauf:

„Herr Graf! es zieht ’ne Rotte das untre Thal herauf.

Der Hauptmann führt drei Beile ſein Rüſtzeug glänzt und gleißt,

Daß mir’s, wie Wetterleuchten, noch in den Augen beißt.“

„Das iſt der Wunnenſteiner, der gleißend’ Wolf genannt, —

Gib mir den Mantel, Knabe! — der Glanz iſt mir bekannt,

Er bringt mir wenig Wonne, die Beile hauen gut, —

Bind mir das Schwerdt zur Seite! — der Wolf, der lechzt nach

Blut.

Ein Mägdlein mag man ſchrecken, das ſich im Bade ſchmiegt,

Das iſt ein luſtig Necken, das Niemand Schaden fügt,

Wird aber überfallen ein alter Kriegesheld,

Dann gilt’s, wenn nicht ſein Leben, doch ſchweres Löſegeld.“

Da ſpricht der arme Hirte: „deß mag noch werden Rath,

Ich weiß geheime Wege, die noch kein Menſch betrat,

Kein Roß mag ſie erſteigen, nur Geiſſen klettern dort,

Wollt Ihr ſogleich mir folgen, ich bring’ Euch ſicher fort.“

Sie klimmen durch das Dickicht den ſteilſten Berg hinan,

Mit ſeinem guten Schwerdte haut oft der Graf ſich Bahn.

Wie herb das Fliehen ſchmecke, noch hatt’ er’s nie vermerkt,

Viel lieber möcht’ er fechten, das Bad hat ihn geſtärkt.

[316]
In heißer Mittagsſtunde bergunter und bergauf!

Schon muß der Graf ſich lehnen auf ſeines Schwerdtes Knauf.

Darob erbarmt’s den Hirten des alten, hohen Herrn,

Er nimmt ihn auf den Rücken: „ich thu’s von Herzen gern.“

Da denkt der alte Greiner: „es thut doch wahrlich gut,

So ſänftlich ſeyn getragen von einem treuen Blut;

In Fährden und in Nöthen zeigt erſt das Volk ſich ächt,

Drum ſoll man nie zertreten ſein altes, gutes Recht.“

Als drauf der Graf gerettet zu Stuttgart ſitzt im Saal,

Heißt er ’ne Münze prägen als ein Gedächtnißmal,

Er gibt dem treuen Hirten manch blankes Stück davon,

Auch manchem Herrn vom Schlegel verehrt er eins zum Hohn.

Dann ſchickt er tücht’ge Maurer in’s Wildbad alſofort,

Die ſollen Mauern führen rings um den offnen Ort,

Damit in künft’gen Sommern ſich jeder greiſe Mann,

Von Feinden ungefährdet, im Bade jüngen kann.

2. Die drei Könige zu Heimſen.


Drei Könige zu Heimſen, wer hätt’ es je gedacht!

Mit Rittern und mit Roſſen, in Herrlichkeit und Pracht!

Es ſind die hohen Häupter der Schlegelbrüderſchaft,

Sich Könige zu nennen, das gibt der Sache Kraft.

Da thronen ſie beiſammen und halten eifrig Rath,

Bedenken und beſprechen gewalt’ge Waffenthat:

Wie man den ſtolzen Greiner mit Kriegsheer überfällt

Und, beſſer als im Bade, ihm jeden Schlich verſtellt.

[317]
Wie man ihn dann verwahret und ſeine Burgen bricht,

Bis er von allem Zwange die Edeln ledig ſpricht.

Dann fahre wohl, Landfriede! dann, Lehndienſt, gute Nacht!

Dann iſt’s der freie Ritter, der alle Welt verlacht.

Schon ſank die Nacht hernieder, die Kön’ge ſind zur Ruh,

Schon krähen jetzt die Hähne dem nahen Morgen zu,

Da ſchallt mit ſcharfem Stoße das Wächterhorn vom Thurm,

Wohlauf, wohlauf, ihr Schläfer! das Horn verkündet Sturm.

In Nacht und Nebel draußen, da wogt es wie ein Meer

Und zieht von allen Seiten ſich um das Städtlein her;

Verhaltne Männerſtimmen, verworrner Gang und Drang,

Hufſchlag und Roſſesſchnauben und dumpfer Waffenklang!

Und als das Frühroth leuchtet und als der Nebel ſinkt,

Hei! wie es da von Speeren, von Morgenſternen blinkt!

Des ganzen Gaues Bauern ſtehn um den Ort geſchaart,

Und mitten hält zu Roſſe der alte Rauſchebart.

Die Schlegler möchten ſchirmen das Städtlein und das Schloß,

Sie werfen von den Thürmen mit Steinen und Geſchoß.

„Nur ſachte! — ruft der Greiner — euch wird das Bad geheitzt,

Aufdampfen ſoll’s und qualmen, daß euch’s die Augen beitzt!“

Rings um die alten mauern iſt Holz und Stroh gehäuft,

In dunkler Nacht geſchichtet und wohl mit Theer beträuft,

Drein ſchießt man glüh’nde Pfeile, wie raſchelt’s da im Stroh!

Drein wirft man feur’ge Kränze, wie flackert’s lichterloh!

[318]
Und noch von allen Enden wird Vorrath zugeführt,

Von all den rüſt’gen Bauern wird emſig nachgeſchürt,

Bis höher, immer höher die Flamme leckt und ſchweift,

Und ſchon mit luſt’gem Praſſeln der Thürme Dach ergreift.

Ein Thor iſt frei gelaſſen, ſo hat’s der Graf beliebt,

Dort hört man wie der Riegel ſich leiſe, loſe ſchiebt.

Dort ſtürzen wohl, verzweifelnd, die Schlegler jetzt heraus?

Nein! friedlich zieht’s herüber, alswie in’s Gotteshaus.

Voran drei Schlegelkön’ge, zu Fuß, demüthiglich,

Mit unbedecktem Haupte, die Augen unterſich;

Dann viele Herrn und Knechte, gemachſam, Mann für Mann,

Daß man ſie alle zählen und wohl betrachten kann.

„Willkomm! — ſo ruft der Greiner — willkomm in meiner Haft!

Ich traf euch gut beiſammen, geehrte Brüderſchaft!

So konnt’ ich wieder dienen für den Beſuch im Bad;

Nur Einen miſſ’ ich, Freunde! den Wunnenſtein, ’s iſt Schad’!“

Ein Bäuerlein, das treulich am Feuer mitgefacht,

Lehnt dort an ſeinem Spieße, nimmt Alles wohl in Acht:

„Drei Könige zu Heimſen, — ſo ſchmollt es — das iſt viel!

Erwiſcht man noch den vierten, ſo iſt’s ein Kartenſpiel.“

3. Die Schlacht bei Reutlingen.


Zu Achalm auf dem Felſen, da haust manch kühner Aar,

Graf Ulrich, Sohn des Greiners, mit ſeiner Ritterſchaar;

Wild rauſchen ihre Flüge um Reutlingen die Stadt,

Bald ſcheint ſie zu erliegen, vom heißen Drange matt.“

[319]
Doch plötzlich einſt erheben die Städter ſich zu Nacht,

In’s Urachthal hinüber ſind ſie mit großer Macht,

Bald ſteigt von Dorf und Mühle die Flamme blutig roth,

Die Herden weggetrieben, die Hirten liegen todt.

Herr Ulrich hat’s vernommen, er ruft im grimmen Zorn:

„In eure Stadt ſoll kommen kein Huf und auch kein Horn!“

Da ſputen ſich die Ritter, ſie wappnen ſich in Stahl,

Sie heiſchen ihre Roſſe, ſie reiten ſtracks zuthal.

Ein Kirchlein ſtehet drunten, Sankt Leonhard geweiht,

Dabei ein grüner Anger, der ſcheint bequem zum Streit.

Sie ſpringen von den Pferden, ſie ziehen ſtolze Reihn,

Die langen Spieße ſtarren, wohlauf! wer wagt ſich drein?

Schon ziehn vom Urachthale die Städter fern herbei,

Man hört der Männer Jauchzen, der Herden wild Geſchrei,

Man ſieht ſie fürder ſchreiten, ein wohlgerüſtet Heer;

Wie flattern ſtolz die Banner! wie blitzen Schwerdt und Speer!

Nun ſchließ dich feſt zuſammen, du ritterliche Schaar!

Wohl haſt du nicht geahnet ſo dräuende Gefahr.

Die übermächt’gen Rotten, ſie ſtürmen an mit Schwall,

Die Ritter ſtehn und ſtarren wie Fels und Mauerwall.

Zu Reutlingen am Zwinger, da iſt ein altes Thor,

Längſt wob mit dichten Ranken der Epheu ſich davor,

Man hat es ſchier vergeſſen, nun kracht’s mit einmal auf,

Und aus dem Zwinger ſtürzet, gedrängt, ein Bürgerhauf’.

[320]
Den Rittern in den Rücken fällt er mit grauſer Wuth,

Heut will der Städter baden im heißen Ritterblut.

Wie haben da die Gerber ſo meiſterlich gegerbt!

Wie haben da die Färber ſo purpurroth gefärbt!

Heut nimmt man nicht gefangen, heut geht es auf den Tod,

Heut ſprützt das Blut wie Regen, der Anger blühet roth.

Stets drängender umſchloſſen und wüthender beſtürmt,

Iſt rings von Bruderleichen die Ritterſchaar umthürmt.

Das Fähnlein iſt verloren, Herr Ulrich blutet ſtark,

Die noch am Leben blieben, ſind müde bis in’s Mark.

Da haſchen ſie nach Roſſen und ſchwingen ſich darauf,

Sie hauen durch, ſie kommen zur feſten Burg hinauf.

„Ach Allm—“ ſtöhnt’ einſt ein Ritter, ihn traf des Mörders

Stoß —

Allmächt’ger! wollt’ er rufen — man hieß davon das Schloß.

Herr Ulrich ſinkt vom Sattel, halbtodt, voll Blut und Qualm,

Hätt’ nicht das Schloß den Namen, man hieß’ es jetzt: Achalm.

Wohl kömmt am andern Morgen zu Reutlingen an’s Thor

Manch trauervoller Knappe, der ſeinen Herrn verlor.

Dort auf dem Rathhaus liegen die Todten all gereiht,

Man führt dahin die Knechte mir ſicherem Geleit.

Dort liegen mehr denn ſechszig, ſo blutig und ſo bleich,

Nicht jeder Knapp’ erkennet den todten Herrn ſogleich.

Dann wird ein jeder Leichnam von treuen Dieners Hand

Gewaſchen und gekleidet in weiſſes Grabgewand.

[321]
Auf Bahren und auf Wagen getragen und geführt,

Mit Eichenlaub bekränzet, wie’s Helden wohl gebührt,

So geht es nach dem Thore, die alte Stadt entlang,

Dumpf tönet von den Thürmen der Todtenglocken Klang.

Götz Weiſſenheim eröffnet den langen Leichenzug,

Er war es, der im Streite des Grafen Banner trug,

Er hatt’ es nicht gelaſſen, bis er erſchlagen war,

Drum mag er würdig führen auch noch die todte Schaar.

Drei edle Grafen folgen, bewährt in Schildesamt,

Von Tübingen, von Zollern, von Schwarzenberg entſtammt.

O Zollern! deine Leiche umſchwebt ein lichter Kranz:

Sahſt du vielleicht noch ſterbend dein Haus im künft’gen Glanz?

Von Sachſenheim zween Ritter, der Vater und der Sohn,

Die liegen ſtill beiſammen in Lilien und in Mohn,

Auf ihrer Stammburg wandelt von Alters her ein Geiſt,

Der längſt mit Klaggebärden auf ſchweres Unheil weist.

Einſt war ein Herr von Luſtnau vom Scheintod auferwacht,

Er kehrt’ im Leichentuche zu ſeiner Frau bei Nacht,

Davon man ſein Geſchlechte die Todten hieß zum Scherz,

Hier bringt man ihrer einen, den traf der Tod in’s Herz.

Das Lied, es folgt nicht weiter, des Jammers iſt genug,

Will Jemand Alle wiſſen, die man von dannen trug:

Dort auf den Rathhausfenſtern, in Farben bunt und klar,

Stellt jeden Ritters Name und Wappenſchild ſich dar.

Uhlands Gedichte. 21
[322]
Als nun von ſeinen Wunden Graf Ulrich ausgeheilt,

Da reitet er nach Stuttgart, er hat nicht ſehr geeilt;

Er trifft den alten Vater allein am Mittagsmahl,

Ein froſtiger Willkommen! kein Wort ertönt im Saal.

Dem Vater gegenüber ſitzt Ulrich an den Tiſch,

Er ſchlägt die Augen nieder, man bringt ihm Wein und Fiſch;

Da faßt der Greis ein Meſſer, und ſpricht kein Wort dabei,

Und ſchneidet zwiſchen Beiden das Tafeltuch entzwei.

4. Die Döffinger Schlacht.


Am Ruheplatz der Todten, da pflegt es ſtill zu ſeyn,

Man hört nur leiſes Beten bei Kreuz und Leichenſtein;

Zu Döffingen war’s anders, dort ſcholl den ganzen Tag

Der feſte Kirchhof wieder von Kampfruf, Stoß und Schlag.

Die Städter ſind gekommen, der Bauer hat ſein Gut

Zum feſten Ort geflüchtet und hält’s in tapfrer Hut;

Mit Spieß und Karſt und Senſe treibt er den Angriff ab,

Wer todt zu Boden ſinket, hat hier nicht weit in’s Grab.

Graf Eberhard der Greiner vernahm der Seinen Noth,

Schon kömmt er angezogen mit ſtarkem Aufgebot,

Schon iſt um ihn verſammelt der beſten Ritter Kern,

Vom edeln Löwenbunde die Grafen und die Herrn.

Da kömmt ein reiſ’ger Bote vom Wolf von Wunnenſtein:

„Mein Herr mit ſeinem Banner will Euch zu Dienſte ſeyn.“

Der ſtolze Graf entgegnet: „ich hab’ ſein nicht begehrt,

Er hat umſonſt die Münze, die ich ihm einſt verehrt.“

[323]
Bald ſieht Herr Ulrich drüben der Städte Schaaren ſtehn,

Von Reutlingen, von Augsburg, von Ulm die Banner wehn,

Da brennt ihn ſeine Narbe, da gährt der alte Groll:

„Ich weiß, ihr Uebermüth’gen, wovon der Kamm euch ſchwoll.“

Er ſprengt zu ſeinem Vater: „heut zahl’ ich alte Schuld,

Will’s Gott, erwerb’ ich wieder die väterliche Huld!

Nicht darf ich mit dir ſpeiſen auf einem Tuch, du Held!

Doch darf ich mit dir ſchlagen auf einem blut’gen Feld.“

Sie ſteigen von den Gaulen, die Herrn vom Löwenbund,

Sie ſtürzen auf die Feinde, thun ſich als Löwen kund.

Hei! wie der Löwe Ulrich ſo grimmig tobt und würgt!

Er will die Schuld bezahlen, er hat ſein Wort verbürgt.

Wen trägt man aus dem Kampfe, dort auf den Eichenſtumpf?

„Gott ſey mir Sünder gnädig!“ — er ſtöhnt’s, er röchelt’s dumpf.

O königliche Eiche, dich hat der Blitz zerſpällt!

O Ulrich, tapfrer Ritter, dich hat das Schwerdt gefällt!

Da ruft der alte Recke, den nichts erſchüttern kann:

„Erſchreckt nicht! der gefallen, iſt wie ein andrer Mann.

Schlagt drein! die Feinde fliehen!“ — er ruft’s mit Donnerlaut;

Wie rauſcht ſein Bart im Winde! hei! wie der Eber haut!

Die Städter han vernommen das ſeltſam liſt’ge Wort.

„Wer flieht?“ ſo fragen Alle, ſchon wankt es hier und dort.

Das Wort hat ſie ergriffen gleich einem Zauberlied,

Der Graf und ſeine Ritter durchbrechen Glied auf Glied.

[324]
Was gleißt und glänzt da droben, und zuckt wie Wetterſchein?

Das iſt mit ſeinen Reitern der Wolf von Wunnenſtein.

Er wirft ſich auf die Städter, er ſprengt ſich weite Bucht,

Da iſt der Sieg entſchieden, der Feind in wilder Flucht.

Im Erntemond geſchah es, bei Gott, ein heißer Tag!

Was da der edeln Garben auf allen Feldern lag!

Wie auch ſo mancher Schnitter die Arme ſinken läßt!

Wohl halten dieſe Ritter ein blutig Sichelfeſt.

Noch lange traf der Bauer, der hinter’m Pfluge ging,

Auf roſt’ge Degenklinge, Speereiſen, Panzerring,

Und als man eine Linde zerſägt und niederſtreckt,

Zeigt ſich darin ein Harniſch und ein Geripp verſteckt.

Als nun die Schlacht geſchlagen und Sieg geblaſen war,

Da reicht der alte Greiner dem Wolf die Rechte dar:

„Hab Dank, du tapfrer Degen, und reit mit mir nach Haus!

Daß wir uns gütlich pflegen nach dieſem harten Strauß.“

„Hei! — ſpricht der Wolf mit Lachen — gefiel Euch dieſer

Schwank?

Ich ſtritt aus Haß der Städte und nicht um Euren Dank.

Gut’ Nacht und Glück zur Reiſe! es ſteht im alten Recht.“

Er ſpricht’s und jagt von dannen mit Ritter und mit Knecht.

Zu Döffingen im Dorfe, da hat der Graf die Nacht

Bei ſeines Ulrichs Leiche, des einz’gen Sohns, verbracht.

Er kniet zur Bahre nieder, verhüllet ſein Geſicht,

Ob er vielleicht im Stillen geweint, man weiß es nicht.

[325]
Des Morgens mit dem Frühſten ſteigt Eberhard zu Roß,

Gen Stuttgart fährt er wieder mit ſeinem reiſ’gen Troß,

Da kömmt des Wegs gelaufen der Zuffenhauſer Hirt’;

„Dem Mann iſt’s trüb zu Muthe, was der uns bringen wird?“

„Ich bring’ Euch böſe Kunde, nächt iſt in unſern Trieb

Der gleißend’ Wolf gefallen, er nahm ſoviel ihm lieb.“

Da lacht der alte Greiner in ſeinen grauen Bart:

„Das Wölflein holt ſich Kochfleiſch, das iſt des Wölfleins Art.“

Sie reiten rüſtig fürder, ſie ſehn aus grünem Thal

Das Schloß von Stuttgart ragen, es glänzt im Morgenſtral.

Da kömmt deß Wegs geritten ein ſchmucker Edelknecht;

„Der Knab’ will mich bedünken, als ob er Gutes brächt’.“

„Ich bring’ Euch frohe Mähre: Glück zum Urenkelein!

Antonia hat geboren ein Knäblein, hold und fein.“

Da hebt er hoch die Hände, der ritterliche Greis:

„Der Fink hat wieder Samen, dem Herrn ſei Dank und Preis!“

[326]

Jungfrau Sieglinde.


Das war Jungfrau Sieglinde,

Die wollte früh aufſtehn,

Mit ihrem Hofgeſinde

Zum Frauenmünſter gehn.

Sie ging in Gold und Seide,

Mit Blumen und Geſchmeide,

Das ward zu großem Leide.

Es ſtehn drei Lindenbäume

Wohl vor der Kirchenpfort’;

Da ſaß der edle Heime,

Der ſprach viel leiſe Wort’:

„Was Gold, was Edelſteine!

Hätt’ ich der Blumen eine

Aus deinem Kranz, du Feine!“

So ſprach der Jüngling leiſe,

Da trieb der Wind ſein Spiel,

Daß aus der Blumen Kreiſe

Die ſchönſte Roſe fiel.

Herr Heime thät ſich bücken,

Die Roſe wegzupflücken,

Damit wollt’ er ſich ſchmücken.

[327]
Da war ein alter Ritter

In Siegelindens Chor,

Dem war es leid und bitter,

Gar zornig trat er vor:

„Muß ich dich Hofzucht lehren?

Darfſt du vom Kranz der Ehren

Ein Läublein nur begehren?“

O weh dem Garten immer,

Der ſolche Roſen bracht’!

O Heil den Linden nimmer,

Wo ſolcher Streit erwacht!

Wie klangen da die Degen,

Bis unter wilden Schlägen

Der Jüngling todt erlegen!

Sieglinde beugt’ ſich nieder

Und nahm die Roſ’ empor,

Steckt’ in den Kranz ſie wieder,

Und ging zur Kirche vor.

Sie ging in Gold und Seide,

Mit Blumen und Geſchmeide,

Wer thät ihr was zu Leide?

Vor Sankt Mariens Bilde

Nahm ſie herab die Kron’:

„Nimm du ſie, Reine, Milde!

Kein Blümlein kam davon.

Der Welt will ich entſagen,

Den heil’gen Schleier tragen

Und um die Todten klagen.“

[328]

Der Königsſohn.


1.


Der alte, graue König ſitzt

Auf ſeiner Väter Throne,

Sein Mantel glänzt wie Abendroth,

Wie ſinkende Sonn’ die Krone.

„Mein erſter und mein zweiter Sohn!

Euch theil’ ich meine Lande.

Mein dritter Sohn, mein liebſtes Kind!

Was laſſ’ ich dir zum Pfande?“

„Gib mir von allen Schätzen nur

Die alte, roſtige Krone!

Gib mir drei Schiffe! ſo fahr’ ich hin,

Und ſuche nach einem Throne.“

2.


Der Jüngling ſteht auf dem Verdeck,

Sieht ſeine Schiffe fahren,

Die Sonne ſtralt, es ſpielt die Luft

Mit ſeinen goldnen Haaren.

[329]
Das Ruder ſchallt, das Segel ſchwillt,

Die bunten Wimpel fliegen,

Meerfrauen mit Geſang und Spiel

Sich um die Kiele wiegen.

Er ſpricht: „Das iſt mein Königreich,

Das frei und luſtig ſtreifet,

Das um die träge Erde her

Auf blauen Fluten ſchweifet.“

Da ziehen finſtre Wolken auf

Mit Sturm und mit Gewitter.

Die Blitze zucken aus der Nacht,

Die Maſte ſpringen in Splitter.

Und Wogen ſtürzen auf das Schiff,

So wilde, Bergen gleiche;

Verſchlungen iſt der Königsſohn

Sammt ſeinem luſt’gen Reiche.

3.


Fiſcher.


Verſunken, wehe, Maſt und Kiel!

Der Schiffer Ruf verſchollen!

Doch ſieh! wer ſchwimmet dort herbei,

Um den die Wogen rollen?

[330]
Er ſchlägt mit ſtarkem Arm die Flut

Und fürchtet die Wellen wenig,

Trägt hoch das Haupt mit goldner Kron’,

Er dünkt mir wohl ein König.

Jüngling.


Ein Königsſohn, mir aber iſt

Die Heimath längſt verloreu.

Erſt hat die ſchwache Mutter mich,

Die irdiſche, geboren.

Doch nun gebar die zweite Mutter,

Das ſtarke Meer, mich wieder.

In Rieſenarmen wiegte ſie

Mich ſelbſt und meine Brüder.

Die Andern all ertrugen’s nicht,

Mich brachte ſie hier zum Strande.

Zum Reiche wohl erkor ſie mir

All dieſe weiten Lande.

4.


Fiſcher.


Was ſpäheſt du nach der Angel

Vom Morgen bis zur Nacht,

Und haſt mit aller Mühe doch

Kein Fiſchlein aufgebracht?

[331]

Jüngling.


Ich angle nicht nach Fiſchen,

Ich ſah in Meeresſchacht,

Wohl jeder Angel allzu tief,

Viel königliche Pracht.

5.


Wie ſchreitet königlich der Leu!

Schüttelt die Mähn’ in die Lüfte.

Er ruft ſein Machtgebot

Durch Wälder und Klüfte.

Doch werd’ ich ihn ſtürzen

Mit dem Speer in ſtarker Hand,

Um die Schultern mir ſchürzen

Sein Goldgewand.

Der Aar, ein König, ſchwebet auf,

Er rauſchet in Wonne,

Will langen ſich zur Kron’ herab

Die goldene Sonne.

Doch in den Wolken hoch

Soll ihn fahen und ſpießen

Mein geflügelter Pfeil,

Daß er mir ſinke zu Füßen.

[332]

6.


Im Walde läuft ein wildes Pferd,

Hat nie den Zaum gelitten,

Goldfalb, mit langer, dichter Mähn’,

Schlägt Funken bei allen Tritten.

Der Königsſohn, er fängt es ein,

Hat ſich hinauf geſchwungen,

Es bläht die Bruſt und ſchwingt den Schweif,

Kömmt wiehernd hergeſprungen.

Und Alle horchen ſtaunend auf,

Die in den Thälern hauſen.

Sie hören’s vom Gebirge her

Wie Sturm und Donner brauſen.

Da ſprengt herab der Königsſohn,

Umwallt vom Fell des Leuen;

Des wilden Roſſes Mähne fleugt,

Die Hufe Feuer ſtreuen.

Da drängt ſich alles Volk herzu

Mit Jubel und Geſange:

„Heil uns! er iſt’s, der König iſt’s,

Den wir erharrt ſo lange!“

[333]

7.


Es ſteht ein hoher, ſchroffer Fels,

Darum die Adler fliegen,

Doch wagt ſich keiner drauf herab,

Den Drachen ſehen ſie liegen.

In alten Mauern liegt er dort,

Mit ſeinem goldnen Kamme,

Er raſſelt mir der Schuppenhaut,

Er hauchet Dampf und Flamme.

Der Jüngling, ohne Schwerdt und Schild,

Iſt keck hinaufgedrungen,

Die Arme wirft er um die Schlang’

Und hält ſie feſt umrungen.

Er küßt ſie dreimal in den Schlund,

Da muß der Zauber weichen,

Er hält im Arm ein holdes Weib,

Das ſchönſt’ in allen Reichen.

Die herrliche, gekrönte Braut

Hat er am Herzen liegen,

Und aus den alten Trümmern iſt

Ein Königsſchloß geſtiegen.

[334]

8.


Der König und die Königin,

Sie ſtehen auf dem Throne,

Da glüht der Thron wie Morgenroth,

Wie ſteigende Sonn’ die Krone.

Viel ſtolze Ritter ſtehn umher,

Die Schwerdter in den Händen,

Sie können ihre Augen nicht

Vom lichten Throne wenden.

Ein alter blinder Sänger ſteht

An ſeine Harf’ gelehnet,

Er fühlet, daß die Zeit erſchien,

Die er ſo lang erſehnet.

Und plötzlich ſpringt vom hohen Glanz

Der Augen finſtre Hülle.

Er ſchaut hinauf und wird nicht ſatt

Der Herrlichkeit und Fülle.

Er greifet in ſein Saitenſpiel,

Das iſt gar hell erklungen,

Er hat in Licht und Seligkeit

Sein Schwanenlied geſungen.

[335]

Des Sängers Fluch.


Es ſtand in alten Zeiten ein Schloß, ſo hoch und hehr,

Weit glänzt’ es über die Lande bis an das blaue Meer,

Und rings von duft’gen Gärten ein blüthenreicher Kranz,

Drin ſprangen friſche Brunnen in Regenbogenglanz.

Dort ſaß ein ſtolzer König, an Land und Siegen reich,

Er ſaß auf ſeinem Throne ſo finſter und ſo bleich;

Denn was er ſinnt, iſt Schrecken, und was er blickt, iſt Wuth,

Und was er ſpricht, iſt Geißel, und was er ſchreibt, iſt Blut.

Einſt zog nach dieſem Schloſſe ein edles Sängerpaar,

Der Ein’ in goldnen Locken, der Andre grau von Haar;

Der Alte mit der Harfe, der ſaß auf ſchmuckem Roß,

Es ſchritt ihm friſch zur Seite der blühende Genoß.

Der Alte ſprach zum Jungen: „nun ſey bereit, mein Sohn!

Denk unſrer tiefſten Lieder, ſtimm an den vollſten Ton,

Nimm alle Kraft zuſammen, die Luſt und auch den Schmerz!

Es gilt uns heut, zu rühren des Königs ſteinern Herz.“

Schon ſtehn die beiden Sänger im hohen Säulenſaal

Und auf dem Throne ſitzen der König und ſein Gemahl;

Der König, furchtbar prächtig, wie blut’ger Nordlichtſchein,

Die Königin, ſüß und milde, als blickte Vollmond drein.

[336]
Da ſchlug der Greis die Saiten, er ſchlug ſie wundervoll,

Daß reicher, immer reicher der Klang zum Ohre ſchwoll,

Dann ſtrömte himmliſch helle des Jünglings Stimme vor,

Des Alten Sang dazwiſchen, wie dumpfer Geiſterchor.

Sie ſingen von Lenz und Liebe, von ſel’ger goldner Zeit,

Von Freiheit, Männerwürde, von Treu und Heiligkeit;

Sie ſingen von allem Süßen, was Menſchenbruſt durchbebt,

Sie ſingen von allem Hohen, was Menſchenherz erhebt.

Die Höflingsſchaar im Kreiſe verlernet jeden Spott,

Des Königs trotz’ge Krieger, ſie beugen ſich vor Gott,

Die Königin, zerfloſſen in Wehmuth und in Luſt,

Sie wirft den Sängern nieder die Roſe von ihrer Bruſt.

„Ihr habt mein Volk verführet, verlockt ihr nun mein Weib?“

Der König ſchreit es wüthend, er bebt am ganzen Leib,

Er wirft ſein Schwerdt, das blitzend des Jünglings Bruſt

durchdringt,

Draus, ſtatt der goldnen Lieder, ein Blutſtral hochauf ſpringt.

Und wie vom Sturm zerſtoben iſt all der Hörer Schwarm,

Der Jüngling hat verröchelt in ſeines Meiſters Arm,

Der ſchlägt um ihn den Mantel und ſetzt ihn auf das Roß,

Er bindt ihn aufrecht feſte, verläßt mit ihm das Schloß.

Doch vor dem hohen Thore, da hält der Sängergreis,

Da faßt er ſeine Harfe, ſie aller Harfen Preis,

An einer Marmorſäule, da hat er ſie zerſchellt,

Dann ruft er, daß es ſchaurig durch Schloß und Gärten gellt:

[337]
„Weh euch, ihr ſtolzen Hallen! nie töne ſüßer Klang

Durch eure Räume wieder, nie Saite noch Geſang,

Nein! Seufzer nur und Stöhnen, und ſcheuer Sklavenſchritt,

Bis euch zu Schutt und Moder der Rachegeiſt zertritt!

Weh euch, ihr duft’gen Gärten im holden Maienlicht!

Euch zeig’ ich dieſes Todten entſtelltes Angeſicht,

Daß ihr darob verdorret, daß jeder Quell verſiegt,

Daß ihr in künft’gen Tagen verſteint, verödet liegt.

Weh dir, verruchter Mörder! du Fluch des Sängerthums!

Umſonſt ſey all dein Ringen nach Kränzen blut’gen Ruhms,

Dein Name ſey vergeſſen, in ew’ge Nacht getaucht,

Sey, wie ein letztes Röcheln, in leere Luft verhaucht!“

Der Alte hat’s gerufen, der Himmel hat’s gehört,

Die Mauern liegen nieder, die Hallen ſind zerſtört,

Noch Eine hohe Säule zeugt von verſchwundner Pracht,

Auch dieſe, ſchon geborſten, kann ſtürzen über Nacht.

Und rings, ſtatt duft’ger Gärten, ein ödes Haideland,

Kein Baum verſtreuet Schatten, kein Quell durchdringt den

Sand,

Des Königs Namen meldet kein Lied, kein Heldenbuch;

Verſunken und vergeſſen! das iſt des Sängers Fluch.

Uhlands Gedichte. 22
[338]

Die verlorene Kirche.


Man höret oft im fernen Wald

Von obenher ein dumpfes Läuten,

Doch Niemand weiß, von wann es hallt,

Und kaum die Sage kann es deuten.

Von der verlornen Kirche ſoll

Der Klang ertönen mit den Winden;

Einſt war der Pfad von Wallern voll,

Nun weiß ihn Keiner mehr zu finden.

Jüngſt ging ich in dem Walde weit,

Wo kein betretner Steig ſich dehnet,

Aus der Verderbniß dieſer Zeit

Hatt’ ich zu Gott mich hingeſehnet.

Wo in der Wildniß Alles ſchwieg,

Vernahm ich das Geläute wieder,

Je höher meine Sehnſucht ſtieg,

Je näher, voller klang es nieder.

Mein Geiſt war ſo in ſich gekehrt,

Mein Sinn vom Klange hingenommen,

Daß mir es immer unerklärt,

Wie ich ſo hoch hinauf gekommen.

Mir ſchien es mehr denn hundert Jahr’,

Daß ich ſo hingeträumet hätte:

Als über Nebeln, ſonneklar,

Sich öffnet’ eine freie Stätte.

[339]
Der Himmel war ſo dunkelblau,

Die Sonne war ſo voll und glühend,

Und eines Münſters ſtolzer Bau

Stand in dem goldnen Lichte blühend.

Mir dünkten helle Wolken ihn,

Gleich Fittigen, emporzuheben,

Und ſeines Thurmes Spitze ſchien

Im ſel’gen Himmel zu verſchweben.

Der Glocke wonnevoller Klang

Ertönte ſchütternd in dem Thurme,

Doch zog nicht Menſchenhand den Strang,

Sie ward bewegt von heil’gem Sturme.

Mir war’s, derſelbe Sturm und Strom

Hätt’ an mein klopfend Herz geſchlagen,

So trat ich in den hohen Dom

Mit ſchwankem Schritt und freud’gem Zagen.

Wie mir in jenen Hallen war,

Das kann ich nicht mit Worten ſchildern.

Die Fenſter glühten dunkelklar

Mit aller Märtrer frommen Bildern;

Dann ſah ich, wunderſam erhellt,

Das Bild zum Leben ſich erweitern,

Ich ſah hinaus in eine Welt

Von heil’gen Frauen, Gottesſtreitern.

[340]
Ich kniete nieder am Altar,

Von Lieb’ und Andacht ganz durchſtralet.

Hoch oben an der Decke war

Des Himmels Glorie gemalet;

Doch als ich wieder ſah empor,

Da war geſprengt der Kuppel Bogen,

Geöffnet war des Himmels Thor

Und jede Hülle weggezogen.

Was ich für Herrlichkeit geſchaut

Mit ſtill anbetendem Erſtaunen,

Was ich gehört für ſel’gen Laut,

Als Orgel mehr und als Poſaunen:

Das ſteht nicht in der Worte Macht,

Doch wer darnach ſich treulich ſehnet,

Der nehme des Geläutes Acht,

Das in dem Walde dumpf ertönet!

[341]

Mährchen.


Ihr habt gehört die Kunde

Vom Fräulein, welches tief

In eines Waldes Grunde

Manch hundert Jahre ſchlief.

Den Namen der Wunderbaren

Vernahmt ihr aber nie,

Ich hab’ ihn jüngſt erfahren:

Die deutſche Poeſie.

Zwo mächt’ge Feen nahten

Dem ſchönen Fürſtenkind,

An ſeine Wiege traten

Sie mit dem Angebind.

Die Erſte ſprach behende:

„Ja, lächle nur auf mich!

Ich gebe dir frühes Ende

Von einer Spindel Stich.“

Die Andre ſprach dagegen:

„Ja, lächle nur auf mich!

Ich gebe dir meinen Segen,

Der heilt den Todesſtich;

Der wird dich ſo bewahren,

Daß ſüßer Schlaf dich deckt,

Bis nach vierhundert Jahren

Ein Königsſohn dich weckt.“

[342]
Da ward in’s Reich erlaſſen

Ein feierlich Gebot,

Verkündet in allen Straßen,

Der Tod darauf gedroht:

Wo Jemand Spindeln hätte,

Die ſollte man liefern ein,

Und ſie an offner Stätte

Verbrennen insgemein.

Nicht nach gewohnter Sitte

Erzog man dieſes Kind

In dumpfer Kammern Mitte,

Noch ſonſt wo Spindeln ſind;

Nein, in den Roſengärten,

In Wäldern, friſch und kühl,

Mit luſtigen Gefährten,

Bei freiem, kühnem Spiel.

Und als es kam zu Jahren,

Ward es die ſchönſte Frau,

Mit langen, goldnen Haaren,

Mit Augen dunkelblau;

In Gang, Gebärde züchtig,

In Reden treu und ſchlicht,

In aller Arbeit tüchtig,

Nur mit der Spindel nicht.

[343]
Viel ſtolze Ritter gingen

Der Holden Dienſte nach,

Heinrich von Ofterdingen,

Wolfram von Eſchenbach.

Sie gingen in Stahl und Eiſen,

Goldharfen in der Hand;

Die Fürſtin war zu preiſen,

Die ſolche Diener fand.

Mit Degen und mit Speere

Waren ſie ſtets bereit,

Den Frauen gaben ſie Ehre,

Und ſangen widerſtreit.

Sie ſangen von Gottesminne,

Von kühner Helden Muth,

Von lindem Liebesſinne,

Von ſüßer Maienbluth.

Von alter Städte Mauern

Der Wiederhall erklang,

Die Bürger und die Bauern

Erhuben friſchen Sang.

Der Senne hat geſungen,

Der über den Wolken wacht,

Ein Lied iſt aufgeklungen

Tief aus des Bergmanns Schacht.

[344]
In einer Mainacht blinkten

Die Sterne wunderſchön,

Der Fürſtin war, als winkten

Sie ihr zu Thurmes Höhn.

Sie ſtieg hinauf zum Dache,

Die Zarte ganz allein,

Da fiel aus einem Gemache

Ein trüber Lampenſchein.

Ein Weiblein, grau von Haaren,

Dort an dem Rocken ſpann,

Sie hatte wohl nichts erfahren

Vom ſtrengen Spindelbann.

Die Fürſtin, die noch nimmer

Geſehen ſolche Kunſt,

Sie trat in Weibleins Zimmer:

„Wer biſt du, mit Vergunſt?“

„Man nennt mich, ſchönes Liebchen!

Die Stubenpoeſie;

Denn aus dem trauten Stübchen

Verirrt’ ich mich noch nie.

Ich ſitz’ am lieben Platze

Beim Rocken, wandellos,

Meine alte, blinde Katze,

Die ſpinnt auf meinem Schooß.

[345]
Lange lange Lehrgedichte,

Die ſpinn’ ich recht mit Fleiß,

Flächſene Heldengedichte,

Die haſpl’ ich ſchnellerweiſ’.

Mein Kater maut Tragödie,

Mein Rad hat lyriſchen Schwung,

Meine Spindel ſpielt Komödie

Mit Tanzbeluſtigung.“

Die Fürſtin thät erbleichen,

Als man von Spindeln ſprach,

Sie wollte flugs entweichen,

Die Spindel ſprang ihr nach;

Und an der morſchen Schwelle,

Da fiel das Fräulein jach,

Die Spindel auf der Stelle

Sie in die Ferſe ſtach.

Was war das für ein Schrecken,

Als man ſie Morgens traf!

Sie war nicht mehr zu wecken,

Sie ſchlief den Zauberſchlaf.

Ein Lager ward bereitet

Im hohen Ritterſaal,

Goldſtoffe drauf gebreitet

Und Roſen ohne Zahl.

[346]
So ſchlief ſie in der Halle,

Die Fürſtin, reich geſchmückt.

Bald hatte die Andern alle

Der gleiche Schlaf berückt.

Die Sänger, ſchon in Träumen,

Rührten die Saiten bang,

Bis in des Schloſſes Räumen

Der letzte Laut verklang.

Die Alte ſpann noch immer

Im ſtillen Kämmerlein,

Es woben in jedem Zimmer

Die Spinnen, groß und klein,

Die Hecken und Ranken woben

Sich um den Fürſtenbau,

Und um den Himmel oben,

Da ſpann ſich Nebelgrau. —

Wohl nach vierhundert Jahren,

Da ritt des Königs Sohn

Mit ſeinen Jägerſchaaren

In’s Waldgebirg davon:

„Was ragen doch da innen,

Ob all dem hohen Wald,

Für graue Thürm’ und Zinnen

Von ſeltſamer Geſtalt?“

[347]
Am Wege ſtund gerade

Ein alter Spindelmann:

„Erlauchter Prinz, um Gnade!

Hört meine Warnung an!

Romantiſche Menſchenfreſſer

Hauſen auf jenem Schloß,

Die mit barbariſchem Meſſer

Abſchlachten Klein und Groß.“

Der Königsſohn verwegen

Thät mit drei Jägern ziehn,

Sie hieben mit den Degen

Sich Bahn zum Schloſſe hin.

Geſenket war die Brücke,

Geöffnet war das Thor,

Daraus im Augenblicke

Ein Hirſchlein ſprang hervor.

Denn in des Hofes Räumen,

Da war es wieder Wald,

Da ſangen in den Bäumen

Die Vögel manigfalt.

Die Jäger ohn’ Verweilen,

Sie drangen muthig hin,

Wo eine Thür mit Säulen

Aus dem Gebüſch erſchien.

[348]
Zween Rieſen ſchlafend lagen

Wohl vor dem Säulenthor,

Sie hielten, in’s Kreuz geſchlagen,

Die Hellebarden vor,

Darüber rüſtig ſchritten

Die Jäger allzumal,

Sie gingen mit kecken Tritten

Zu einem großen Saal.

Da lehnten in hohen Niſchen

Geſchmückter Frauen viel,

Gewappnete Ritter dazwiſchen

Mit goldnem Saitenſpiel.

Hochmächtige Geſtalten,

Geſchloßnen Auges, ſtumm;

Grabbildern gleich zu halten

Aus grauem Alterthum.

Und mitten ward erblicket

Ein Lager, reich von Gold,

Da ruhte, wohlgeſchmücket,

Eine Jungfrau wunderhold.

Die Süße war umfangen

Mit friſchen Roſen dicht,

Und auch von Mund und Wangen

Schien zartes Roſenlicht.

[349]
Der Königsſohn, zu wiſſen,

Ob Leben in dem Bild,

Thät ſeine Lippen ſchließen

An ihren Mund ſo mild.

Er hat es bald empfunden

Am Odem, ſüß und warm,

Und als ſie ihn umwunden,

Noch ſchlummernd, mit dem Arm.

Sie ſtreifte die goldnen Locken

Aus ihrem Angeſicht,

Sie hob, ſo ſüß erſchrocken,

Ihr blaues Augenlicht.

Und in den Niſchen allen

Erwachen Ritter und Frau,

Die alten Lieder hallen

Im weiten Fürſtenbau.

Ein Morgen, roth und golden,

Hat uns den Mai gebracht;

Da trat mit ſeiner Holden

Der Prinz aus Waldesnacht.

Es ſchreiten die alten Meiſter

In hehrem, ſtolzem Gang,

Wie rieſenhafte Geiſter,

Mit fremdem Wunderſang.

[350]
Die Thäler, ſchlummertrunken,

Weckt der Geſänge Luſt;

Wer einen Jugendfunken

Noch hegt in ſeiner Bruſt,

Der jubelt, tief gerühret:

„Dank dieſer goldnen Früh’,

Die uns zurückgeführet

Dich, deutſche Poeſie!“

Die Alte ſitzt noch immer

In ihrem Kämmerlein;

Das Dach zerfiel in Trümmer,

Der Regen drang herein.

Sie zieht noch kaum den Faden,

Gelähmt hat ſie der Schlag;

Gott ſchenk’ ihr Ruh in Gnaden

Bis über den jüngſten Tag!

[[351]]

Appendix A Inhalt.


  • Seite
  • Vorwort. 3
  • Lieder.
  • Des Dichters Abendgang. 9
  • An den Tod. 10
  • Harfnerlied am Hochzeitmahle. 12
  • Der König auf dem Thurme. 14
  • Maiklage. 15
  • Lied eines Armen. 17
  • Geſang der Jünglinge. 19
  • Lied des Gärtners. 21
  • Die Kapelle. 22
  • Die ſanften Tage. 23
  • Im Herbſte. 25
  • Wunder. 26
  • Mein Geſang. 27
  • Mönch und Schäfer. 29
  • Schäfers Sonntagslied. 30
  • Geſang der Nonnen. 31
  • Des Knaben Berglied. 33
  • Brautgeſang. 35
  • Entſchluß. 36
  • Lauf der Welt. 37
  • Seite
  • Waldlied. 38
  • Seliger Tod. 39
  • Untreue. 40
  • Die Abgeſchiedenen. 41
  • Die Zufriedenen. 42
  • Hohe Liebe. 43
  • Nähe. 44
  • Vorabend. 45
  • Nachts. 46
  • Schlimme Nachbarſchaft. 47
  • Bauernregel. 48
  • Hans und Grete. 49
  • Der Schmied. 50
  • Jägerlied. 51
  • Des Hirten Winterlied. 52
  • Lied des Gefangenen. 53
  • Frühlingslieder.
  • 1. Frühlingsahnung. 54
  • 2. Frühlingsglaube. ebd.
  • 3. Frühlingsruhe. 55
  • 4. Frühlingsfeier. ebd.
  • 5. Lob des Frühlings. 56
  • 6. Frühlingslied des Recenſenten. 57
  • Freie Kunſt. 58
  • Das Thal. 60
  • Ruhethal. 61
  • An einem heitern Morgen. 62
  • Wanderlieder.
  • 1. Lebewohl. 63
  • 2. Scheiden und Meiden. ebd.
  • Seite
  • 3. In der Ferne. 64
  • 4. Morgenlied. ebd.
  • 5. Nachtreiſe. 65
  • 6. Winterreiſe. 66
  • 7. Abreiſe. 67
  • 8. Einkehr. ebd.
  • 9. Heimkehr. 68
  • Zimmerſpruch. 69
  • Theelied. 70
  • Metzelſuppenlied. 72
  • Trinklied. 74
  • Lied eines deutſchen Sängers. 77
  • Auf das Kind eines Dichters. 78
  • Vorwärts! 79
  • Die Stegesbotſchaft. 81
  • An das Vaterland. 82
  • Sinngedichte.
  • An Apollo, den Schmetterling. 85
  • Achill. ebd.
  • Helena. ebd.
  • Narziß und Echo. 86
  • Die Götter des Alterthums. ebd.
  • Tells Platte. 87
  • Die Ruinen. ebd.
  • Begräbniß. ebd.
  • Mutter und Kind. 88
  • Märznacht. ebd.
  • Im Mai. ebd.
  • Tauſch. ebd.
  • Seite
  • Amors Pfeil. 89
  • Traumdeutung. ebd.
  • Die Roſen. ebd.
  • Antwort. 90
  • Die Schlummernde. ebd.
  • An Sie. 91
  • Greiſenworte. 92
  • Auf den Tod eines Landgeiſtlichen. 93
  • Schickſal. 94
  • Sonette. Oktaven. Gloſſen.
  • Vermächtniß. 97
  • An Petrarka. 98
  • In Barnhagens Stammbuch. 99
  • An Kerner. 100
  • Auf Karl Gangloffs Tod. 101
  • An den Unſichtbaren. 104
  • Todesgefühl. 105
  • Erſtorbene Liebe. 106
  • Geiſterleben. 107
  • Oeder Frühling. 108
  • Die theure Stelle. 109
  • Die zwo Jungfraun. 110
  • Der Wald. 111
  • Der Blumenſtrauß. 112
  • Entſchuldigung. 113
  • Vorſchlag. 114
  • Die Bekehrung zum Sonett. 115
  • Schlußſonett. 116
  • An K. M. 117
  • Seite
  • Ein Abend. 118
  • Rückleben. 119
  • Geſang und Krieg. 120
  • Gloſſen.
  • 1. Der Recenſent. 123
  • 2. Der Romantiker und der Recenſent. 125
  • 3. Die Nachtſchwärmer. 127
  • Dramatiſche Dichtungen.
  • Schildeis. Fragment. 131
  • Das Ständchen. 137
  • Normänniſcher Brauch. 143
  • Balladen und Romanzen.
    Entſagung. 155
  • Die Nonne. 157
  • Der Kranz. 158
  • Der Schäfer. 160
  • Die Vätergruft. 162
  • Die ſterbenden Helden. 163
  • Der blinde König. 165
  • Der Sänger. 168
  • Gretchens Freude. 169
  • Das Schloß am Meere. 171
  • Vom treuen Walther. 173
  • Der Pilger. 175
  • Abſchied. 177
  • Des Knaben Tod. 179
  • Der Traum. 180
  • Drei Fräulein. 181
  • Seite
  • Der ſchwarze Riter. 185
  • Der Roſengarten. 188
  • Die Lieder der Vorzeit. 191
  • Die drei Lieder. 193
  • Der junge König und die Schäferin. 194
  • Fräuleins Wache. 203
  • Des Goldſchmieds Töchterlein. 205
  • Der Wirthin Töchterlein. 208
  • Die Mähderin. 209
  • Das Ständchen. 211
  • Die Harfe. 212
  • Der Leitſtern. 213
  • Das Schifflein. 215
  • Sängers Vorüberziehn. 216
  • Traum. 217
  • Der gute Kamerad. 219
  • Der Roſenkranz. 220
  • Das traurige Turnei. 224
  • Der Sieger. 226
  • Der nächtliche Ritter. 227
  • Der kaſtiliſche Ritter. 228
  • Sankt Georgs Ritter. 231
  • Romanze vom kleinen Däumling. 235
  • Romanze vom Recenſenten. 236
  • Ritter Paris. 237
  • Sängerliebe. 239
  • 1. Rudello. ebd.
  • 2. Durand. 242
  • 3. Der Kaſtellan von Coucl. 244
  • 4. Don Maſſias. 248
  • Seite
  • 5. Dante. 249
  • Liebesklagen.
  • 1. Der Student. 252
  • 2. Der Jäger. 254
  • Unſtern. 256
  • Der Ring. 258
  • Die drei Schlöſſer. 260
  • Graf Eberhards Weißdorn. 263
  • Das Reh. 265
  • Der weiſſe Hirſch. 266
  • Die Jagd von Wincheſter. 267
  • Harald. 269
  • Die Elfen. 272
  • Die Bildſäule des Bacchus. 275
  • Von den ſieben Zechbrüdern. 277
  • Junker Rechberger. 281
  • Graf Eberſtein. 285
  • Schwäbiſche Kunde. 287
  • Die Rache. 289
  • Das Schwerdt. 290
  • Siegfrieds Schwerdt. 291
  • Klein Roland. 293
  • Roland Schildträger. 299
  • König Karls Meerfahrt. 307
  • Taillefer. 310
  • Graf Eberhard der Rauſchebart. 313
  • 1. Der Ueberfall im Wildbad. ebd.
  • 2. Die drei Könige zu Heimſen. 316
  • 3. Die Schlacht bei Reutlingen. 318
  • 4. Die Döffinger Schlacht. 322
  • Seite
  • Jungfrau Sieglinde. 326
  • Der Königsſohn. 328
  • Des Sängers Fluch. 335
  • Die verlorene Kirche. 338
  • Mährchen. 341

[][][][][]
Notes
*)
Dieſes iſt unrichtig, dem Cervantes wurde in dem
Seetreffen bei Lepanto die linke Hand gelähmt
.
*)
Graf Eberhard von Würtemberg, genannt der
Greiner
, auch der Rauſchebart, († 1392.) und
deſſen Sohn Ulrich († 1388.) ſind im Chor der Stlftskirche
zu Stuttgart beigeſetzt.

Dieses Werk ist gemeinfrei.


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Kolimo+

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TextGrid Repository (2025). Collection 3. Gedichte. Gedichte. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bq0j.0