oder
Wiſſenſchaft des Schoͤnen.
Gebrauche für Vorleſungen
Die Metaphyſik des Schönen.
Carl Mäcken's Verlag.
1846.
[[II]][[III]]
Vorrede.
Irre ich nicht, ſo wird den meiſten Widerſpruch die ganze
Anlage erfahren, die ich dem Syſteme der Aeſthetik gegeben: daß ich
nämlich nicht das Ganze auf die Phantaſie begründe, ſondern im
erſten Theile das Schöne durchaus als ein Abſtractes entwickle,
von dem ſich erſt zeigen ſoll, wo und wie es wirklich ſey. Wem
nun die Bemerkungen nicht genügen, wodurch ich ſchon im vorliegen-
den Bande den Angriffen auf dieſen Punkt vorzubeugen ſuche, den
muß ich bitten, die Erſcheinung des zweiten abzuwarten. Hier wird
ſich zeigen, was Alles dem Syſtem verloren ginge, wenn das Räthſel
ſchon im erſten Theile gelöst, wenn nicht vielmehr der zweite die
Naturſchönheit zuerſt in ihrem vollen Scheine und ihrer Breite dar-
ſtellen und dann erſt in die Phantaſie aufheben würde. Keinen
Raum würde ich mir vorbehalten, den Werth des Objects, des
Gegebenen anzuerkennen; ich würde zuerſt einen Künſtler ſetzen, um
dann eine Welt für ihn oder keine zu ſuchen, ſtatt daß ich ihm
nun zuerſt eine Welt, darin er ſich umſehe, geben kann; den Naturton
ſeines Elements müßte ich zerſtören und ihn, wie die neueren Aeſthe-
tiker als ächte Kinder der Romantik Miene machen, auf Nichts ſtellen.
Ich hatte ſchon in dieſem Bande mehrere Fragen zu unter-
ſuchen, deren gefährliche Natur in gegenwärtiger Zeit Jedem, der
klüger als wahr iſt, es nahe legt, hinter dem Berge zu halten. Ich
durfte und wollte kein Jota meiner Ueberzeugung verſchweigen;
geböte mir dies nicht die Ehre der Wiſſenſchaft, ſo geböte es mir
meine eigene, denn ich muß der Welt zeigen, daß ich keinerlei Ver-
[IV] bindlichkeit übernommen habe, der freien Wiſſenſchaft auch den klein-
ſten Theil der Aufrichtigkeit, die ihre Lebensluft iſt, zu entwenden.
Wäre auch nicht in meiner eigenen Angelegenheit öffentlich und
mit Nachdruck ausgeſprochen worden, daß jede philoſophiſche An-
ſicht auf der Hochſchule das Recht freier Aeußerung genießen ſoll:
mir ſoll man nie nachſagen können, daß ich dieſem unveräußerlichen
Rechte auch nur das Geringſte vergebe. Wollen die Gegner dieſes
Rechts gemäß einer bekannten Wendung, die ſie ihrem Angriffe zu
geben belieben, die Reinheit der ſittlichen Weltanſchauung, welche
aus meiner wiſſenſchaftlichen Grundanſicht fließt, verkennen, meine
Sätze aus ihrem Zuſammenhang reißen und verdrehen, will z. B.
die Augsb. Allg. Zeitung wieder Artikel aufnehmen, wie den gegen
Reiff, worin die vernünftig ſittliche Anerkennung der Naturſchranken
des Individuums, die das Nothwendige in ein Gewolltes und Freies
verwandelt, als Naturdienſt denunzirt war: dagegen kann ich mein
Buch nicht durch die Vorrede ſchützen und ich mag auch die reine
Kühle der ſtrengen Wiſſenſchaft nicht durch Erörterung ſolcher Dinge
beflecken. Ich folge der Wahrheit; ſie wird ſich Bahn brechen.
Ich werde wohl auch den Vorwurf zu hören bekommen, daß
mein Werk eine Zuſammenfügung fremder Gedanken ſey; denn ich
ſtelle mich ganz auf die Schultern meiner Vorgänger und gewinne
meine Ergebniſſe dadurch, daß ich jene bald miteinander ſtreiten
laſſe, bald ſelbſt widerlege, ergänze, die Folge aus den Vorderſätzen
ziehe, die ſie mir hinterlaſſen haben. Wer aber den Gang des
Gedankens verſteht oder verſtehen will, der weiß, daß es leichter
iſt, die Reihe von Gründen und Gegengründen, aus denen ſich
die Wahrheit aufbaut, aus eigenen Mitteln unvollſtändig zu geben,
als ſich zu erinnern, daß irgendwie Alles, was zu ihr führt, ſchon
von Andern gedacht iſt, und Jeden an ſeinem Orte das ſagen zu
laſſen, was er wirklich beigetragen hat, die Wiſſenſchaft bis dahin vor-
wärts zu bringen, wo ſie der letzte Bearbeiter faßt und weiter bildet.
Die Natur ihres Gegenſtands bringt es mit ſich, daß der Aeſthetik
Viele ſich zuwenden, welche zwar allgemeinen Beſcheid über das
Weſen des Schönen und die verſchiedenen Zweige ſeines lebendigen
[V] Baumes ſuchen, aber dem Begriff in ſeine ſtrengen Tiefen nicht zu
folgen vermögen: die Freunde der Kunſt und die Künſtler. Sie
verlangen billig, daß der Kunſtphiloſoph über ſeinen Beruf ſich vor
Allem dadurch ausweiſe, daß man ſeinen Worten jenen eigenen Sinn
anfühle, den das Schöne überall vorausſetzt, jenen Sinn für die
volle Mitte, worin Begriff und einzelne Geſtalt ihren Gegenſatz aus-
löſchen, und daß dieſer Sinn durch die nöthige Anſchauung und Kennt-
niß der wirklichen Schönheit ausgebildet ſey. Wer ihnen dieſen Sinn
in der geforderten Reife entgegenbringt, von dem hoffen ſie, daß er
ihrem weiteren Bedürfniſſe theoretiſcher Einſicht durch eine gemein-
verſtändliche und leichtfaßliche Form abhelfen werde. Sie vergeſſen
leicht, daß jene Eigenſchaften zwar die erſte Vorausſetzung ſind, daß
aber der Philoſoph mehr zu leiſten hat: daß er zuerſt mit jeder beſon-
deren Erſcheinung des Schönen auch die unmittelbare Friſche ſeiner
eigenen Liebe zu demſelben in der Tiefe zurücklaſſen und ſich zu dem
farbloſen Ueberblicke des Gedankens in ſeiner Allgemeinheit erheben
muß. In dieſem Gebiete bewegt ſich der erſte Theil meines Werks;
ich kann nicht erwarten, daß er ſich die, mir doch ſo werthe, Freund-
ſchaft jener gewinne, welche auf die dargeſtellte Weiſe vom vollen
und friſchen Genuſſe des Schönen nur einen halben Schritt weiter
thun zum Denken über dieſen Genuß und ſeinen Gegenſtand. Der
zweite und dritte Theil dagegen wird andere Wege gehen; das leben-
dige Reich des Schönen ſoll ſich als Wirklichkeit ſeines Begriffs aus-
breiten und der Verfaſſer hat zu bewähren, ob die ſtrenge Erörterung
des letzteren, von der er ausging, wirklich auf demjenigen ruhte,
was ſie vorausſetzt: ob er Auge und Nerv für das Schöne beſitzt und
ob das Auge geſehen und ſehen gelernt, der Nerv gefühlt und fühlen
gelernt hat. Darf er hoffen, dieſe Probe zu beſtehen, ſo darf er ſich
auch der Ausſicht erfreuen, daß dann die ächten Freunde des Schö-
gen gerne ſeine Gäſte ſeyn und wohl auch einigen Reiz fühlen wer-
den, in die innern Gemächer, die Werkſtätte der metaphyſiſchen
Grundlegung einzutreten: ſo daß, was man oft vom Schnee ſagt,
er thaue nicht auf, es falle denn ein zweiter, der den erſten mit-
nehme, vielleicht Anwendung auf dieſes Buch finden könnte.
[VI]
Vielleicht wird daſſelbe in ein ähnliches Verhältniß zu denjeni-
gen treten, welche jede Schrift darauf anzuſehen pflegen, ob ſie
dem Geiſte der Zeit und ſeinen neueſten Bewegungen unmittelbar
und ausgeſprochener Maßen Rechnung trage und Vorſchub leiſte
oder nicht. Sie werden dieſen Theil wohl für etwas ganz Unfrucht-
bares anſehen; ich habe auf keine Weiſe ſuchen dürfen, ihnen un-
mittelbar entgegenzukommen; die erſte Frage iſt nicht: modern? ſon-
dern: wahr? Freilich aber, wer Muth des Vertrauens hat, der wird
des Glaubens leben, daß das Neue das Wahre ſey, und ſo hoffe ich,
daß ungeſucht das bleiche Saamenkorn, das dieſer erſte Theil in den
dunkeln Schooß der Begriffswelt ſenkt, ſich als fruchtbarer Keim
erweiſen, daß aus meinen Vorderſätzen geſunde Anſichten über das
Verhältniß der Kunſt zum Leben, ihre Aufgabe und Zukunft ſich von
ſelbſt ergeben werden.
Tübingen im März 1846.
Fr. Viſcher.
[[VII]]
Inhaltsverzeichniß.
- §§. Seite.
- Einleitung 1— 8 3— 41
Erſter Theil.
Die Metaphyſik des Schönen.
- Aufgabe derſelben 9 45— 46
Erſter Abſchnitt.
- Das einfach Schöne.
- Grundbegriff 10— 14 47— 54
- A.Die Idee 15— 29 55— 92
- Verhältniß des Schönen zum Guten 22— 24 77— 80
- „ „ „ zur Religion 24— 27 81— 88
- „ „ „ zum Wahren 28— 29 88— 92
- B.Das Bild 30— 40 93—116
- C.Die Einheit der Idee und des Bildes 41— 69 117—178
- Verhältniß des Schönen zum Guten 56— 60 151—161
- „ „ „ zur Religion 61— 67 161—172
- „ „ „ zum Wahren 69— 69 172—178
- Der ſubjective Eindruck des Schönen 70— 81 178—213
Zweiter Abſchnitt.
Das Schöne im Widerſtreit ſeiner Momente.
- Grundbegriff 82— 83 214—220
- A.Das Erhabene.
- Grundbegriff 84— 88 221—231
- a. Das objectiv Erhabene
- Grundbegriff 89— 90 231—234
- §§. Seite.
- α.Das Erhabene des Raums 91— 92 234—238
- β.Das Erhabene der Zeit 93— 94 239—241
- γ.Das Erhabene der Kraft 95—102 242—254
- b. Das Erhabene des Subjects.
- Grundbegriff 103—104 255—257
- α.Das Erhabene der Leidenſchaft 105—106 257—260
- β.Das Erhabene des böſen Willens 107—109 260—264
- γ.Das Erhabene des guten Willens 110—116 265—277
- c. Das Erhabene des Subject-Objects oder
das Tragiſche. - Grundbegriff 117—129 277—300
- α.Das Tragiſche als Geſetz des Univerſums. 130—131 300—303
- β.Das Tragiſche der einfachen Schuld 131—133 303—312
- γ.Das Tragiſche des ſittlichen Conflicts 135—139 312—321
- Der ſubjective Eindruck des Erhabenen 140—146 322—333
- B.Das Komiſche.
- Grundbegriff 147—155 334—351
- Das erſte Glied 156—167 351—374
- Das Gegenglied 168—172 374—379
- Zuſammenfaſſung beider Glieder zu widerſprechender Einheit. 173—187 379—408
- a. Das objectiv Komiſche oder die Poſſe 188—191 408—416
- b. Das ſubjectiv Komiſche oder der Witz.
- Grundbegriff 192—196 416—429
- α.Der abſtracte Witz 197—198 429—432
- β.Der bildliche Witz 199—200 432—435
- γ.Der in ſeinen Gegenſtand eingehende Witz
oder die Ironie 201—204 436—443 - c. Das abſolut Komiſche oder der Humor.
- Grundbegriff 205—215 444—459
- α.Der naive Humor oder die Laune 216—217 459—462
- β.Der gebrochene Humor 218—219 463—466
- γ.Der freie Humor 220—222 467—473
- Der ſubjective Eindruck des Komiſchen 223—227 473—480
- C.Rückkehr des Schönen in ſich aus dem
Widerſtreit ſeiner Momente 228—231 481—489
Einleitung.
Viſcher’s
[[2]][[3]]
Einleitung.
§. 1.
Die Aeſthetik iſt die Wiſſenſchaft des Schönen. Was das Schöne und1
deſſen Wiſſenſchaft ſei, kann nur in der Durchführung der letzteren gelehrt
werden. Die Deſinition der Aeſthetik durch: Wiſſenſchaft oder Philoſophie2
der Kunſt ſetzt voraus, was ſich erſt ergeben ſoll, daß nämlich das Schöne
wahrhaft nur in der Kunſt wirklich ſey. Der Name Aeſthetik, durch Baum-3
garten eingeführt, genießt das Recht der Verjährung; eigentlich iſt er unrichtig,
weil er nur eine Unterſuchung des ſubjectiven Moments der Empfindung anzeigt,
deren Object als gegeben angenommen wird, und weil er dieſe von dem blos
ſinnlichen Empfinden nicht unterſcheidet. Ebenſo einſeitig ſind die Namen:4
Kritik der äſthetiſchen Urtheilskraft, Geſchmackslehre, Theorie der ſchönen
Künſte und Wiſſenſchaften u. a.
1 Prekärer Charakter der Definition überhaupt. Sie iſt die erſte
Auflöſung eines wiſſenſchaftlichen Namens in einen Satz. Dieſer Satz
fordert eine weitere Auflöſung u. ſ. f., bis die Wiſſenſchaft durchgeführt
iſt, und nur dieſe ſelbſt iſt die Definition ihres Namens. Die ſogenannte
Definition hat daher nur den Werth einer Abbreviatur, welche für den-
jenigen brauchbar iſt, der ſie als Keim des ſich entwickelnden oder als
zuſammenfaſſenden Schluß des entwickelten Syſtems begreift. Was das
Schöne ſey, darüber iſt demnach in der Einleitung keine Erörterung
zu erwarten, ebenſowenig über den Begriff einer Wiſſenſchaft des Schönen.
Nur vorläufige Andeutungen bringt die Aufgabe der Einleitung mit ſich.
Sollte ſogleich hier die Frage nach der Möglichkeit dieſer Wiſſenſchaft
aufgeworfen werden, ſo iſt ebenfalls nur auf das folgende Ganze als
auf die Antwort zu verweiſen, wo denn auch die beſonderen Zweifel
gegen die Begreiflichkeit des Schönen am rechten Orte aufzuführen und
1*
[4]zu erledigen ſind. Es könnte ferner eine Beſchreibung der Methode
verlangt werden, welche in der Geſtaltung dieſer Wiſſenſchaft befolgt
werden ſoll. Dieſe kann keine andere ſeyn, als die philoſophiſche; die
Streitfrage über die wahre philoſophiſche Methode iſt aber durch den
jetzigen Stand der Philoſophie einſtimmig dahin entſchieden, daß der
Gegenſatz des analytiſchen und ſynthetiſchen Gangs ſich in den dialekti-
ſchen Prozeß aufzuheben hat, deſſen Natur hier als bekannt vorausgeſetzt
wird und von deſſen richtiger Durchführung ebenfalls nur das folgende
Syſtem ſelbſt die Probe zu liefern hat. Der erſte Abſchnitt des folgenden
Syſtems ſcheint ſynthetiſch zu verfahren durch ſtete Rückberufung auf die
Lehnſätze, von denen er ausgehen muß; man wird aber finden, daß
nur dieſe vorausgeſetzt ſind und alles Weitere nicht Conſtruction, ſondern
Entwicklung, Fortgang und Rückgang zugleich iſt.
2 Aſt: Syſtem der Kunſtlehre. Solger: philoſophiſche Kunſt-
lehre. Hegel: Philoſophie der Kunſt, und beſtimmter: Philoſophie
der ſchönen Kunſt. Daß die Naturſchönheit und die Schönheit des innern
Phantaſiebildes nur unvollkommene Formen der Verwirklichung des
Schönen ſind, welche der höheren in der Kunſt als ihre Vorausſetzungen
vorangehen: dies ſoll erſt im Syſteme entwickelt, nicht in der Definition
vorweggenommen werden.
3 Baumgarten: Aesthetica 1750. Aestheticorum pars altera
1758. Sie iſt bei ihm ein Theil der Gnoſeologie, welche als inſtrumen-
tale Wiſſenſchaft den übrigen Haupt-Disciplinen der Philoſophie vor-
angeht. Die Gnoſcologie hat das Geſchäft, die Werkzeuge der Er-
kenntniß zu unterſuchen und die Anweiſung zu ihrem richtigen Gebrauche
zu geben. Baumgarten findet in dieſer Wiſſenſchaft, welche ſchon
das Haupt ſeiner Schule, Wolff, unter dem Namen der Logik als
propädeutiſchen Theil dem Syſteme vorangeſtellt hatte, eine weſentliche
Lücke. Wolff hatte alle Erkenntniß in ſenſitive und intellectuelle
getheilt, in ſeiner Logik aber nur die Geſetze der letzteren dargeſtellt.
Baumgarten verlangt als erſten Theil dieſer propädeutiſchen Wiſſenſchaft
(scientia cognitionis in genere s. gnoseologia, logica latiori significatu)
die Unterſuchung der Natur und des richtigen Gebrauchs der ſinnlichen
oder ſenſitiven Erkenntniß, und dies nennt er Aeſthetik. Vergebens
ſucht man (um den zweiten Einwurf des §. zuerſt hervorzuheben) nun
bei Baumgarten eine Aufklärung darüber, mit welchem Rechte mit
der ſinnlichen Erkenntniß die Erkenntniß des Schönen, welche zwar
allerdings auch ſinnlich, aber, wie ihr Gegenſtand, ſinnlich und ideal
[5] zugleich, daher von der gemeinen ſinnlichen Erkenntniß unendlich ver-
ſchieden iſt, ohne Weiteres zuſammengeworfen werden könne. Sogleich
der erſte §. der Einleitung in ſeiner Aeſthetik heißt: Aesthetica (theoria
liberalium artium, gnoseologia inferior, ars pulcre cogitandi, ars analogi
rationis) est scientia cognitionis sensitivae. Eine ganz verworrene An-
deutung einer Vermittlung zwiſchen jenen zwei ſo verſchiedenen Thätigkeiten
enthält §. 14. Aesthetices finis est perfectio cognitionis sensitivae qua
talis. Haec antem est pulcritudo; et cavenda ejusdem qua talis imperfectio.
Haec autem est deformitas. Man könnte dies nämlich ſo erklären: die
ſinnliche Anſchauung wird innerhalb ihrer ſelbſt über ſich erhoben, indem
eine ideale Harmonie in ſie eindringt, wodurch ſie dieſelben Gegenſtände,
die ſie als gemeine ſinnliche Anſchauung in ihrer Endlichkeit auffaßt,
als reine Erſcheinung der Idee anſchaut und in dieſem Sinne ſelbſt
Geſtalten ſchafft. Dies wäre die Phantaſie und ſo diejenige moderne
Anlegung der Aeſthetik vorbereitet, welche von der Phantaſie ausgeht.
Es ſcheint etwas der Art allerdings Baumgarten vorzuſchweben. Es
ſoll in der Aeſthetik der Charakter der ſinnlichen Anſchauung als einer
unterſchieds- (reflexions-) loſen nicht aufgehoben werden (complexus
repraesentationum infra distinctionem subsistentium §. 17); innerhalb
desſelben aber ſoll ein consensus cogitationum inter se ad unum, qui
phaenomenon sit (§. 18) gewonnen werden; und dieſer consensus, der ſich
nach der Seite des Gedankens als innere Ordnung (§. 19), nach der Seite
des Ausdrucks als Einklang der Zeichen oder Bilder (pulcritudo signi-
ficationis §. 20) darſtellen ſoll, iſt Schönheit. Allein Baumgarten
hat nur Poetik und Rhetorik in damaliger Weiſe, nur clegantia
cognitionis (§. 29) im Auge; er verlangt zwar ingenium als dispositio
naturalis ad imaginandum (§. 31), aber er denkt nur an zierliche Aus-
ſchmückung eines Gedankengehalts, fühlt, ſich ſelbſt widerſprechend, den
Gegenſatz zwiſchen repraesentatio oder imaginatio und cognitatio nicht
und man darf daher eine ſolche Theorie der Anſchauung, wie ſie ſich
zur Phantaſie erhebt, nicht bei ihm ſuchen. Dies erhellt ſchon daraus,
daß er ſich die Frage nicht aufwirft, ob es dieſelben Gegenſtände ſeyen,
welche durch die gemeine Anſchauung als gewöhnliche, durch die voll-
kommene als ſchöne angeſchaut werden oder nicht, und daß er die bildenden
Künſte ganz vergeſſen hat. Auch Kant gebraucht ganz unbefangen den
Namen Aeſthetik ſowohl von der gemeinen ſinnlichen Erkenntniß, als
von der Betrachtung des Schönen. In der tranſcendentalen Aeſthetik
erhebt er zwar (Kritik der r. V. §. 1 Anm.) Einſprache gegen die von
[6]Baumgarten eingeführte Anwendung des Worts Aeſthetik auf das, „was
Andere Kritik des Geſchmacks nennen.“ Allein er greift den Sprachgebrauch
nur deswegen an, weil er überhaupt an der Möglichkeit einer Zurück-
führung der kritiſchen Veurtheilung des Schönen auf Vernunftprinzipien
zweifelt, während er für die ſinnliche Anſchauung im gewöhnlichen Sinne
bekanntlich die reinen aprioriſchen Formen im Raume und der Zeit
entdeckt zu haben glaubt und hiefür den Namen der tranſcendentalen
Aeſthetik gebraucht. Da er nur dieſen Zweifel gegen die Richtigkeit
des Sprachgebrauchs hatte, ſo konnte ihn nichts abhalten, als er ſpäter
gewiſſe Grundgeſetze der kritiſchen Beurtheilung des Schönen gefunden
hatte, den von ihm ſelbſt angegriffenen Namen wieder in Anwendung
zu bringen und ſeine Unterſuchung „des Geſchmacksvermögens“ zu über-
ſchreiben: Kritik der äſthetiſchen Urtheilskraft. Gerade dieſe Schrift
ſcheint die allgemeine Einführung des Namens vermittelt und durch
ihren Ruhm die Schiefheit desſelben der Beobachtung entzogen zu haben;
er iſt jetzt einmal im Rechte der Verjährung und auch dadurch unſchädlich,
daß man den Theil der Philoſophie, welcher die Natur der ſinnlichen
Anſchauung unterſucht, nicht mehr Aeſthetik zu nennen pflegt, alſo kein
Anſpruch mehr verletzt wird. Uebrigens iſt der Name nicht blos aus
dem genannten Grunde ſchief, ſondern auch aus dem andern, im §. zuerſt
genannten, weil er nur die Unterſuchung der Art ankündigt, wie der
als gegeben vorausgeſetzte Gegenſtand empfunden wird oder empfunden
werden ſoll, da doch die Wiſſenſchaft des Schönen erſt den Gegenſtand
haben muß, ehe ſie den ſubjectiven Eindruck unterſuchen kann, den er
hervorbringt. Allerdings hat dieſe ſubjective Auffaſſung einen tieferen
Grund, der ſo eben bei Baumgarten bereits angedeutet wurde: es
liegt darin die Ahnung, daß der ſubjective Geiſt das Schöne, indem
er es nur zu finden meint, vielmehr ſelbſt in die Welt hineinſchaut und
ſofort als Künſtler ſelbſt erzeugt; daher geht Baumgarten von der
Beſtimmung der Aeſthetik als einer Wiſſenſchaft der ſinnlichen Erkennt-
niß ohne Weiteres über auf das ingenium pulerum, wodurch das Schöne
hervorgebracht wird, und braucht dieſes ganz gleichbedeutend mit:
leichte Erregbarkeit der facultates cognoscitivae inferiores (§. 29). Dies
führt, ſtrenger verfolgt, auf ſubjectiven Idealismus, welcher freilich
nicht das Wahre, aber doch eine verborgene Rechtfertigung davon iſt,
daß das Object und das Subject des Schönen hier nicht ausein-
andergehalten wird. Jedoch nimmt Baumgarten und die von ihm
hervorgerufene Behandlungsweiſe dieſe Wendung nur, um den neuen
[7] Irrthum zu begehen, welcher den Beruf der Aeſthetik darein ſetzt, eine
Anweiſung zum Hervorbringen des Schönen zu geben. Dieſer Irrthum
iſt längſt außer Gang und wird überdies in der Lehre von der Phantaſie
ſeine Widerlegung finden. Kant weiß ſich bereits frei davon (Kritik
der äſthetiſchen Urtheilskraft Vorrede S. IX. Ausgabe 1794).
4 Siehe die vorhergehende Bemerkung. „Geſchmackslehre“ Krug;
über den Unterſchied zwiſchen Geſchmack und Schönheitsſinn, vergl.
den folgenden Abſchnitt vom ſubjectiven Eindruck des Schönen. „Theorie
der ſchönen Künſte“ auch: „Philoſophie der ſchönen Künſte, oder die Wiſſen-
ſchaft, welche ſowohl die allgemeine Theorie, als die Regeln der ſchönen
Künſte aus der Natur des Geſchmacks herleitet“ Sulzer, „Theorie der ſchönen
Wiſſenſchaften“ Eberhard. Theorie erinnert ebenfalls an eine Anleitung zu
ihrem Gegenſatze, der Praxis, welche nicht in der Aufgabe der Aeſthetik liegt;
ſchöne Kunſt iſt tautologiſch und überdies zu eng, da die Aeſthetik keineswegs
blos von den Künſten handelt, ſchöne Wiſſenſchaften ein Widerſpruch.
§. 2.
Im Syſteme der philoſophiſchen Wiſſenſchaften geräth die Aeſthetik in1
eine falſche Stellung, wenn man dasſelbe blos zweigliedrig, in theoretiſche und
praktiſche Philoſophie, eintheilt. Entweder wird ſie dann der theoretiſchen zu-
gezählt, und dies iſt falſch, weil es ſich in ihr keineswegs blos um die Weiſe
der Erkenntniß eines fertig gegebenen Gegenſtandes handelt (vergl. §. 1, 3.),
ſondern vielmehr um einen Inhalt, von dem ſich zuerſt fragt, wie er entſtehe,
und der, auch wenn er als vollendeter aufgewieſen iſt, nicht in den gewöhnlichen
Gegenſatz von Subject und Object fällt. Oder ſie wird, weil ihr Gegenſtand2
allerdings nur durch eine Thätigkeit entſtehen kann, der praktiſchen Philoſophie
zugetheilt, und auch dies iſt unrichtig, da jene Thätigkeit von derjenigen,
wodurch der eigentlich ſo genannte praktiſche Zweck verwirklicht wird, weſentlich
verſchieden iſt. In der praktiſchen Sphäre nämlich wird der Endzweck des
Geiſtes überhaupt als ein noch unerreichter vorausgeſetzt, er ſoll durch den
Willen erſt vollführt werden, die Thätigkeit dagegen, welche das Schöne hervor-
bringt, ſetzt den Zwieſpalt als überwunden voraus, ſteht über der Kategorie
des Sollens und hat keinen Zweck, als die Darſtellung der als verwirklicht
angeſchauten Idee.
1 Es verſteht ſich, daß von der Stellung der Aeſthetik im Syſteme
der philoſophiſchen Wiſſenſchaften nur vermöge einer Vorausſetzung ſpäter
[8] zu beweiſender Sätze in der Einleitung die Rede ſeyn kann. Es darf
aber dieſe Frage hier nicht übergangen werden; vorläufige allgemeinſte
Orientirung iſt Aufgabe der Einleitung.
Die Wolff’ſche Schule theilte zweigliedrig in theoretiſche und
praktiſche Philoſophie (wiewohl der erſtere Name bei Wolff noch nicht
vorkommt). Dieſe Eintheilung blieb in der Philoſophie ſo lange, als
die Logik oder im weitern Sinn Erkenntnißlehre noch blos formal
verſtanden wurde. Sie wurde dann entweder, wenn man vom Bedürfniß
des Lernenden ausging, als propädeutiſcher Theil den eigentlichen Haupt-
theilen vorangeſchickt, oder, wenn man gegenſtändlich verfuhr, neben die
Pſychologie in das Syſtem eingereiht. (Vergl. Erdmann’s Verſuch
einer wiſſenſchaftlichen Darſtellung der Geſchichte der neueren Philoſophie
B. 2, Abthl. 2. S. 269 ff. 379. 380.) Zur Logik im weiteren Sinne oder
zur Gnoſcologie gehört aber nach Baumgarten eben die Aeſthetik. Von
dem Schwanken zwiſchen der inſtrumentalen Voranſtellung und der ſyſtema-
tiſchen Einreihung kann hier abgeſehen werden und die Frage, ob Hegel mit
Recht oder Unrecht die Kunſt auch in die Phäenomenologie (als propä-
deutiſche Wiſſenſchaft) aufgenommen habe (vergl. Danzel Ueber die
Aeſthetik der Hegelſchen Philoſophie Abſchnitt 1.) gehört noch weniger
hieher; es wird ſich übrigens an ſeinem Orte erweiſen, daß die Kunſt
allerdings als eine der großen Formen des Bewußtſeyns zu begreifen iſt,
in welchen der Geiſt ſein Weſen und ſeine Weltanſchauung ſo lange nieder-
zulegen ſucht, bis er im reinen Denken ſich in ſeiner Wahrheit erfaßt,
und welche daher allerdings ſowohl phänomenologiſch als auch, weil
ſie nämlich dadurch, daß ſie als verſchwindende Stufen im Wege des
Geiſtes zu ſeiner Reinheit erfaßt werden, keineswegs aufhören real fort-
zubeſtehen, ſyſtematiſch auftreten können. Syſtematiſch eingereiht aber fällt
die Aeſthetik nach jener Eintheilung in die theoretiſche Philoſophie. So
ſtellt z. B. Krug die Aeſthetik als den dritten und letzten Theil der
theoretiſchen Philoſophie auf: die theoretiſche Philoſophie betrachtet die
Objecte unſerer Vorſtellungen zuerſt in ihrer Beziehung auf das Denk-
vermögen — Logik, ſodann in Beziehung auf das Erkenntnißvermögen
— Methaphyſik, zuletzt in Beziehung auf das Gefühl der Luſt und
Unluſt — Aeſthetik. (Aeſthetik oder Geſchmackslehre S. 8.) Krug hat
bekanntlich Kant’ſche Ideen zu einem breiten und ſtumpfen Formalismus
verwäſſert. Nach dieſen gehört die Aeſthetik, da ſie „blos eine aus der
Natur des menſchlichen Geiſtes ſelbſt geſchöpfte Rechenſchaft über die
Gründe des äſthetiſchen Wohlgefallens geben ſoll“ (a. a. O. 12), aller-
[9] dings in die theoretiſche Philoſophie, Kant ſelbſt legt jedoch das Haupt-
gewicht auf ihre Bedeutung als Uebergangsglied zur praktiſchen, was
Krug mit einem ſchwachen „gleichſam“ (S. 8.) nachſpricht. Hievon
im folgenden Paragraphen. Die Unrichtigkeit dieſer ganzen Stellung
aber erhellt aus §. 1, 3. Das Schöne wird ſich entwickeln als ein
Inhalt, welcher weſentlich ſelbſt Subject iſt, mag man ihn nun faſſen
als einen Gegenſtand, der zwar zunächſt als ein vorgefundener an das
Subject tritt, aber nicht als ein ſchöner vor es träte, wenn es nicht eine
gewiſſe Art ihn zu ſchauen mitbrächte, oder als Gegenſtand, den das
Subject durch eine wirkliche Thätigkeit erſt hervorbringt. Es wird ſich
im Verlaufe zeigen, daß dieſe beiden Arten, ihn zu faſſen, nach einander
in ihre Wahrheit treten. Allerdings aber ſtellt ſich der Gegenſatz von
Subject und Object ein, wenn nun die Frage entſteht, wie der ſchöne
Gegenſtand, mag er auch durch eigentliche Thätigkeit eines Subjects
entſtanden ſeyn, auf andere Subjecte, die ihn in dieſem Sinne nicht
hervorgebracht haben, wirke. Aber auch dieſe Wirkung wird ſich als eine
ſolche erweiſen, worin Subject und Objekt auf eine Weiſe zuſammen-
gehen, welche den theoretiſchen Standpunkt, der ſich gegenüber ein ſelbſt-
ſtändiges Object annimmt, völlig ausſchließt. Hegel gewinnt den Stand-
punkt für das Schöne geradezu durch Auflöſung des theoretiſchen wie
des praktiſchen Verhaltens (Aeſthetik 1, S. 145. ff).
2 Solger: „Die Kunſt ſoll etwas hervorbringen, was als Gegen-
ſtand einer ſolchen Darſtellungsart noch nicht vorhanden war; ſie bringt
etwas aus dem Gedanken hervor, das ſie in die Objecte verpflanzt, das
aber durch dieſe ſelbſt niemals gegeben iſt, ſondern einzig und allein aus
dem Bewußtſeyn erzeugt wird. Indem wir nun unſere Gedanken an
äußern Objecten darſtellen, ſo handeln wir. Daher gehört die Kunſt in
die praktiſche Philoſophie“ (Vorleſungen über Aeſth. Herausgeg. v. Heyſe
S. 3. 4.). Faßt man das Wort: Darſtellen im weiteſten Sinne, ſo iſt
allerdings auch das Handeln ein Darſtellen; ſobald man aber die Be-
zeichnungen genauer nimmt, ſo fallen die Begriffe des Darſtellens und
des Handelns zwar unter den gemeinſamen Begriff der Thätigkeit, ſind
aber von einander ſehr verſchieden. Das Handeln iſt eine Thätigkeit,
welche von dem Zwieſpalte zwiſchen Subject und Object ausgeht und
mitten im Drange des Zweckes ſteht, der noch nicht verwirklicht iſt,
ſondern erſt verwirklicht werden ſoll; das Darſtellen iſt über dieſen Zwie-
ſpalt hinaus, ein Inneres wird aus freier Nothwendigkeit und in vollem
Fluſſe zu einem Aeußeren, nicht mit der Abſicht, die Außenwelt materiell
[10] zu verändern, ſondern nur, ſchlechtweg ſich zu manifeſtiren. Der Kampf
mit dem Materiale, den dieſe Thätigkeit allerdings zu beſtehen hat, bis
ſie ihm das innere Bild aufdrückt, iſt mit dem Kampfe des Handelns
durchaus nicht zu verwechſeln. Dieſen Unterſchied kennt Solger wohl;
er weiß, daß die Idee des Guten ein Sollen iſt, wodurch Wirklichkeit
und Idee noch immer von einander geſchieden ſind, wogegen die Idee
der Schönheit die Verſchmelzung beider als eine vollendete enthält
(a. a. O. S. 64. 65.). Dennoch meint er das Schöne praktiſch nennen
zu müſſen um der Verwandlung der Wirklichkeit willen, welche es voraus-
ſetzt (a. a. O. S. 70. 71.). Den Unterſchied zwiſchen der ethiſchen
und der äſthetiſchen Thätigkeit erkennt aber auch Schleiermacher (Vor-
leſungen über die Aeſthetik. Herausgeg. von Lommatzſch. S. 112 ff.
u. a. O.). Er ſetzt denſelben zunächſt darein, daß man das Weſen der
Kunſt als einer immanenten Thätigkeit, d. h. einer ſolchen, bei welcher
das innere Bild das Weſentliche, das äußere aber nur ein ſpäter Hin-
zukommendes iſt (S. 58), faſſen könne, wenn man auch auf die äußere
Darſtellung keine Rückſicht nehme, wogegen im eigentlich Praktiſchen das
Werk den Werth des Mannes beſtimme, nicht die innere Vorbildung
desſelben (S. 112 ff.). „Es kann ſich Einer die ſchönſten Thaten innerlich
conſtruiren, wenn er ſie aber nicht wirklich macht, iſt er eine Null, denn
das Werk iſt hier das in die Wirklichkeit Heraustreten.“ Dies bedarf
jedoch einer weſentlichen Berichtigung. Schleiermacher behandelt hier
die künſtleriſche Ausführung viel zu gering, er ſcheidet viel zu ſcharf
zwiſchen dem inneren Bilde und der Technik. Bei dem wahren Künſtler
ſind dieſe beiden ſo wenig zu trennen, daß ſeine Technik bis hinaus in
die Einzelnheiten der Manipulation u. ſ. w. von der Eigenthümlichkeit
ſeines inneren Schauens geheimnißvoll durchdrungen iſt und umgekehrt
ſein inneres Schauen ſchon an ſich ein inneres Zeichnen, Malen u. ſ. w.,
nicht jedoch, als genüge ihm dies, ſondern ſo, daß dasſelbe mit einem
Drange der Nothwendigkeit auch zu einem äußern wird. Auch der
Künſtler iſt nur ſo viel, als er wirklich macht, und es iſt falſch, was
der Maler in Emilia Galotti ſagt: „Meinen Sie, daß Raphael
nicht das größte maleriſche Genie geweſen wäre, wenn er unglücklicher
Weiſe ohne Hände wäre geboren worden?“ Umgekehrt iſt im eigentlich
ethiſchen Gebiete das innere Bild der That und der geiſtige Zuſammen-
hang, dem es angehört, d. h. die Geſinnung, ſo weſentlich, daß ſie weit
unbezweifelter als Ergänzung für die mangelhafte That genommen werden,
als das Phantaſiebild für die geringe Ausführung im Kunſtwerke; man
[11] müßte denn unter dem Ethiſchen blos das Rechtsgebiet verſtehen, was aber
bei Schleiermacher nicht der Fall iſt. Schleiermacher hätte daher
dies Moment des Unterſchieds vielmehr nur in die fließende Continuität
zwiſchen dem inneren Bilde und ſeiner Ausführung ſetzen ſollen, welche
der Kunſt vermöge des ihr inwohnenden Charakters der Abſolutheit zu-
kommt, während der ethiſche Wille an der Außenwelt, welche er reell
zu verändern ſtrebt, unendlichen Widerſtand findet. Weiter beſtimmt
Schleiermacher den Unterſchied dahin, daß das praktiſche Leben durchaus
ein gebundenes, das Kunſtleben aber ein Leben freier Productivität ſey.
Jene Gebundenheit iſt ein Sollen (S. 127.). Schleiermacher ver-
ſteht darunter das Syſtem der Pflichten im Staatsleben; von den Künſt-
lern aber ſagt er, gemeinſam ſey ihnen allen das Zurückſtoßen des
Bindenden (132); „ſchwerlich werden wir den für einen großen Künſtler
halten, bei welchem wir eine ſtreng pedantiſche Neigung finden, ſich der
Sitte anzuſchließen.“ Dieß Zurückweiſen alles Bindenden ſoll aber der
Charakter des Künſtlers ſeyn „unbeſchadet des Ethiſchen“, — „denn
überall iſt in der äußeren Sitte viel Willkührliches“. Hiedurch wird
der Standpunkt verrückt, denn wenn das Bindende im ethiſchen Leben
vorzüglich das Willkührliche ſeyn ſoll, ſo erſcheint die Bindung durch ein
Geſetzmäßiges als eine höhere, aber ſelbſt noch ſittliche Aufgabe. Die
wahre Meinung iſt vielmehr offenbar die, daß das praktiſche Leben darum
ein gebundenes ſey, weil es unter dem Gebote des Sollens, alſo in der
Dualität ſteht; die Individualität iſt zwar auch in dieſem Gebiete be-
rechtigt und darum kann der Künſtler unbeſchadet des Ethiſchen das
Bindende zurückweiſen; aber die freie Ausbildung der Individualität iſt,
vom ſpezifiſch ethiſchen Standpunkte betrachtet, ſelbſt wieder ein Sollen.
Dieſer Begriff des Sollens fällt zuſammen mit dem Begriffe des erſt zu
vollführenden Zwecks und Schleiermacher ſagt (S. 209. 210.): ein
rein ſelbſtſtändiges Element, welches nirgends ſeine völlige Darſtellung
findet, ſucht dieſelbe in der Kunſt; — hier iſt die Selbſtthätigkeit des
Geiſtes von allen Beziehungen auf Zweckmäßigkeit geſondert u. ſ. w.
Trotz dieſer Einſicht in den Unterſchied nun ſetzt Schleiermacher die
Aeſthetik in die Ethik, und zwar, weil das agens in der Kunſt der
menſchliche Geiſt in ſeiner freien Thätigkeit ſey. Schleiermacher
befaßt allerdings die ganze Lehre vom Geiſte unter den Begriff der
Ethik, ſo wie er die ganze Naturwiſſenſchaft unter dem Namen Phyſik
begreift; beide coordinirten Haupttheile ſubordinirt er der Dialektik oder
Metaphyſik. Da er nun nachweist, daß die Aeſthetik vielfach auf
[12] die Lehre von der menſchlichen Sinnlichkeit und ſofort auf die Phyſik
zurückgehen müſſe, daß aber hierin die Nothwendigkeit liege, zu der
höheren Einheit beider, der Dialektik aufzuſteigen, ſo hätte ihn dieß
auf das Richtige führen können: im Schönen verſöhnen ſich die Gegen-
ſätze von Natur und Geiſt, ebenſo aber die Gegenſütze im Geiſte, und
das Letztere fordert eine Theilung der geiſtigen Thätigkeiten in ſolche,
die mit dem Gegenſatze behaftet, und in ſolche, welche frei von ihm
ſind; dieſe ſämmtlich unter dem Namen Ethik zu befaſſen, iſt nicht
räthlich und man wird auf geradem Wege zu der dreifachen Hegel’ſchen
Eintheilung der Lehre vom Geiſte geführt.
Wirth (Syſtem der ſpeculativen Ethik. 1841) theilt zwar die
Geiſteslehre dreifach ein, ſetzt aber die Ethik als die Wiſſenſchaft vom
abſoluten, d. h. ſein abſolutes Wiſſen verwirklichenden Geiſte als die
dritte, höchſte Diſciplin an den Schluß des Syſtems. Wirth hat
einen bekannten Mangel des Hegel’ſchen Syſtems richtig erkannt: der
praktiſche oder objective Geiſt hat hier blos endlichen Gehalt, er iſt
als moraliſcher ſubſtanzloſe Subjectivität, als politiſcher ſubjectivitätsloſe
Subſtanz. Der Geiſt ſoll alſo den abſoluten Gehalt der Religion, der
Vernunft-Erkenntniß, der Kunſt in ſich aufnehmen und nun erſt dieß
abſolute Selbſtbewußtſeyn verwirklichen. Allein die neue Schwierigkeit,
welche hiedurch entſteht, hat Wirth nicht hervorgeſtellt und nicht wider-
legt. Obwohl nämlich mit abſolutem Gehalte durchdrungen verwickelt
ſich der Geiſt als handelnder Wille dennoch nothwendig auf’s Neue mit
dem Objecte, die Dualität kehrt zurück, ſo wie der Standpunkt des
Zwecks zurückkehrt, und hiemit iſt das Syſtem am Schluſſe nicht ge-
ſchloſſen, es öffnet ſich noch einmal nach der Seite des getheilten Geiſtes,
es kehrt nicht in ſich zurück. Wirth ſagt (Vorr. S. VIII.): „Kunſt
und Religion betrachtet der objective Idealiſmus als Sphären des abſoluten
Geiſtes. Dieß zu thun und doch die Realiſirung des Schönen und
der Religion als etwas Endliches und derſelben Rechts-Idee Unter-
geordnetes zu betrachten, über welche der abſolute Geiſt in der Kunſt
und Religion wieder hinausgehen ſoll, iſt der härteſte Widerſpruch.“
Dieß iſt aber eben der Widerſpruch oder vielmehr die Kreisbewegung
des Geiſtes ſelbſt, daß er, in’s Abſolute erhoben, auf’s Neue von
vornen anfängt und wieder in die Gegenſätze eingeht. Die Sache ver-
hält ſich daher ſo: durchdrungen von dem Gehalte der abſoluten Sphäre
nimmt der Geiſt allerdings auf’s Neue die Form des Willens an, denn
die Formen, die er hinter ſich hat, ſind nicht verloren, ſondern kehren
[13] zurück; dadurch iſt aber keineswegs begründet, daß die praktiſche Form
am Schluſſe des Syſtems als der nun dem Geiſt adäquate Standpunkt
ſelbſtändig auftreten ſoll, und der Vorwurf, der Hegel trifft, iſt
weder der, daß er nicht mit der Ethik ſchließt, noch der, daß er unter-
läßt, ausdrücklich zu ſagen, daß auch im abſoluten Geiſte die praktiſche
Form wiederkehre (denn dieß verſteht ſich von ſelbſt), ſondern in folgenden
zwei Punkten liegt der Fehler. Erſtens: die Ethik kann und muß zwar
aus dem genannten Grunde, weil ſie eine Form des getheilten und die
Theilung erſt aufhebenden Geiſtes iſt, ihre Stelle da behalten, wo
Hegel ſie ihr angewieſen hat, aber das Syſtem hat in den vorher-
gehenden Diſciplinen Gehalt genug geſammelt, um ſie in ungleich höherem
Sinne zu behandeln, als Hegel gethan hat. Der Geiſt iſt bereits als
freier Geiſt begriffen, daraus läßt ſich eine Ethik conſtruiren, worin die
Mängel der Hegel’ſchen vollſtändig überwunden ſind, ohne daß aus
Kunſt, Religion und Philoſophie mehr anticipirt würde, als ſich recht-
fertigen läßt. Eine Begründung der letzteren Behauptung würde hier
zu weit führen. Zweitens: die Formen des abſoluten Geiſtes, die
Philoſophie insbeſondere, erſcheinen bei Hegel nicht nur contemplativ,
wie ſie es allerdings ihrem innerſten Weſen nach ſind, ſondern als ein
quietiſtiſcher Ariſtokratismus des Geiſtes; davon liegt aber der Grund
nicht in ihrer Stellung am Schluſſe des Syſtems (wie ſchon gezeigt),
ſondern in der anderweitigen Denkweiſe Hegels, welche durch eine
andere Stellung der Wiſſenſchaft überhaupt zu dem Leben überhaupt, aber
nicht durch eine veränderte Stellung der Ethik in der Wiſſenſchaft zu
überſchreiten iſt. Was nun insbeſondere die aus der Anordnung Wirths
hervorgehende Stellung der Sittlichkeit nach und über der Kunſt betrifft,
und die näheren Gründe, womit er ſie rechtfertigt, ſo iſt dieß im folgenden
Abſchnitt von dem Verhältniß des Schönen zum Guten zu prüfen, wie denn
die hier gegebenen Bemerkungen überhaupt nur als eine unvermeidliche
Vorandeutung der in dieſem Abſchnitt auszuführenden Sätze anzuſehen ſind.
§. 3.
Als ein völlig unſelbſtändiges Mittelding wird die Aeſthetik in die
Schwebe geſtellt, wenn ſie als ein Verbindungsglied zwiſchen der theoretiſchen
und praktiſchen Philoſophie aufgeführt wird; an großer Willkühr und Ver-
wirrung neben tiefen Andeutungen, die er enthält, leidet insbeſondere der
Verſuch Kants, das äſthetiſche Gebiet, ſoweit er es als Object der Wiſſen-
ſchaft erkennt, in dieſen Zwiſchenraum zu verweiſen.
[14]
Die oben erwähnte Andeutung Schleiermachers über eine in der
Aeſthetik erforderliche Rückbeziehung auf die höhere Einheit der Phyſik
und Ethik gehört um ſo weniger hieher, als er dieſelbe auf alle Diſci-
plinen der Ethik ausdehnt. Wohl aber iſt hier der verworrene, wie-
wohl in anderer Beziehung bedeutungsvolle Verſuch Kants darzuſtellen.
Kant hat eine „unüberſehbare Kluft“ zwiſchen der Sphäre des Ver-
ſtandes und der Vernunft und zwiſchen dem Boden ihrer Geſetzgebung,
der Natur und der Freiheit, befeſtigt. So lauten bei Kant die Gegen-
ſätze; eigentlich iſt es eine Kluft zwiſchen der Idee und ihrer Wirklichkeit.
Kant ſucht eine Einheit, einen nachträglichen Uebergang; da er aber
die Idee nur in der Form der ſittlichen Geſetzgebung oder des Freiheits-
begriffs anerkennt, ſo meint er, dieſen Uebergang nur zu bedürfen, da-
mit die Natur als empfänglich erkannt werde, die Wirkungen der prak-
tiſchen Vernunft in ſich aufzunehmen, damit ſie als beſtimmbar durch
das [intellectuale] Vermögen erſcheine. Er muß daher das überſinnliche
Subſtrat, das der Verſtand in der Natur vorausſetzt, aber völlig un-
beſtimmt läßt, näher beſtimmen, um eine ſolche Empfänglichkeit der Natur
begreiflich zu machen; er muß immanenten Geiſt in der Natur annehmen.
An dieſer Stelle drängt ſich eine Ahnung hervor, durch welche er über
ſeinen eigenen Dualiſmus ſich erhebt, die er aber, indem er ſie aus-
ſpricht, wieder erſtickt, indem er ſie nur für etwas Subjectives, für
einen bloßen „Uebergang von der Denkungsart nach den Prinzipien der
einen (Welt) zu der nach Prinzipien der andern“ erklärt. Dieſen Ueber-
gang zu finden nimmt er (Kritik der Urtheilskr. Einl.) die verſchrobene
Wendung, die Urtheilskraft, nachdem ihr in der Kritik der reinen
Vernunft ſchon ihr Gebiet angewieſen iſt, in einer neuen Form aufzu-
führen. Der Begriff der Urtheilskraft als „des Vermögens, das Be-
ſondere als enthalten unter dem Allgemeinen zu denken“ hätte ihn frei-
lich ſchon dort auf ganz andere Einſichten führen können, als auf jene
ſkeptiſche Mitte zwiſchen Dualiſmus und ſubjectivem Idealiſmus, die ſein
Standpunkt iſt; nun aber nimmt er dieſes Vermögen noch einmal auf
und unterſcheidet zwiſchen einer beſtimmenden und einer reflecti-
renden Urtheilskraft. Beſtimmend iſt ſie, wenn das Allgemeine (die
Regel, das Prinzip, das Geſetz) gegeben iſt, worunter ſie das Be-
ſondere ſubſumirt. Iſt aber nur das Beſondere gegeben, wozu ſie das
Allgemeine finden ſoll, ſo iſt ſie bloß reflectirend. Die beſtimmende
Urtheilskraft iſt unzureichend, weil ſo mannigfaltige Formen in der
Natur ſind, welche durch jene Geſetze, die der reine Verſtand a priori
[15] gibt, weil dieſelben nur auf die Möglichkeit einer Natur (als Gegen-
ſtandes der Sinne) überhaupt gehen, unbeſtimmt gelaſſen werden, daß
hiefür neue Geſetze aufgeſucht werden müſſen. Dieſe Formen ſind ſolche,
welche einen in der Natur thätigen und das Mannigfaltige zur Einheit
verbindenden Verſtand vorausſetzen laſſen, und das Geſetz, das ſich der
reflectirende Verſtand durch Wahrnehmung derſelben bildet, iſt daher die
Zweckmäßigkeit der Natur in ihrer Mannigfaltigkeit. Dieſer Begriff iſt
jedoch lediglich ſubjectiv, die reflectirende Urtheilskraft gibt dadurch nur
ſich ſelbſt, und nicht der Natur, ein Geſetz; „denn den Naturproducten
kann man ſo etwas, als Beziehung der Natur an ihnen auf Zwecke,
nicht beilegen, ſondern dieſen Begriff nur brauchen, um über ſie in
Anſehung der Verknüpfung der Erſcheinungen in ihr zu reflectiren.“
Kant unterſcheidet nun das äſthetiſche und das teleologiſche
Verhalten der Urtheilskraft. Jenes beſteht darin, daß nicht ein be-
ſtimmter Zweck gedacht wird, ſondern die Form des Gegenſtandes ohne
beſtimmten Begriff eine unmittelbare Luſt dadurch erregt, daß das Subject
ſich in die Stimmung der Zweckmäßigkeit verſetzt fühlt. Die Einbildungs-
kraft faßt die Formen der Gegenſtände auf, führt dieß Bild der Ur-
theilskraft zu, und dieſe findet ſich in ihrem Bedürfniſſe, die Gegen-
ſtände als zweckmäßig zu begreifen, unbeſtimmt, ohne wirkliche Vorſtel-
lung eines beſtimmten Zwecks, und daher ganz unabſichtlich befriedigt.
Die Zweckmäßigkeit liegt eigentlich nicht im Gegenſtande, ſondern das
Zweckmäßige iſt vielmehr das der Natur des Geiſtes Entſprechende, das
Genugthuende in dieſem harmoniſchen Spiele zwiſchen Verſtand und Ein-
bildungskraft. Dieſe Thätigkeit der Urtheilskraft iſt daher im engeren Sinne
ſubjectiv, es wird am Gegenſtande gar nichts erkannt, das Weſentliche und
Beſtimmende iſt die mit der Vorſtellung verbundene Luſt (oder Unluſt).
Was nun „an der Vorſtellung eines Objects blos ſubjectiv iſt, d. h.
ihre Beziehung auf das Subject, nicht auf den Gegenſtand ausmacht, iſt
die äſthetiſche Beſchaffenheit derſelben“ und dieſe Function der Urtheils-
kraft alſo die äſthetiſche. Die Frage, wie es denn komme, daß ein
Gegenſtand die Erkenntnißkräfte in ein harmoniſches Spiel verſetzt, ein
anderer nicht, vergißt Kant völlig aufzuwerfen und er hätte ſie auf-
werfen müſſen, wenn er auch den unvollendeten Schritt zum ſubjectiven
Idealismus vollendet hätte; denn auch dieſer hat auf ſeine Weiſe zu
begründen, wie, warum und unter welchen Bedingungen das Schöne
in einen Gegenſtand hineingeſchaut wird. Dieſe Frage hat uns aber
hier noch nicht zu beſchäftigen. — Wird dagegen ein beſtimmter Zweck-
[16] begriff von dem Gegenſtande aufgeſtellt und die Form deſſelben als mit
dieſem Begriffe übereinſtimmend beurtheilt, ſo iſt dies das teleologiſche
Verhalten der Urtheilskraft. Dies iſt ein objectives Verhalten, objectiv
nicht in dem Sinne einer ſächlichen Wahrheit, ſondern ebenfalls nur
einer Betrachtungsweiſe, welche der Natur einen zweckthätigen Verſtand,
„gleichſam eine Rückſicht auf unſer Erkenntnißvermögen nach der Analogie
eines Zwecks“ unterlegt, objectiv aber, weil ein beſtimmter Zweck auf-
geſtellt wird. Es iſt ein abſichtliches, logiſches Verfahren, wobei die
ſubjective Beziehung auf Luſt und Unluſt wegfällt und nur Verſtand und
Vernunft betheiligt ſind. Dieſe Geſetzgebung entſcheidet durch Ueber-
einſtimmung mit Begriffen, jene durch das Gefühl; dort formales, hier
reales Prinzip der Zweckmäßigkeit.
Eigentlich nun gehört, wie Kant ſelbſt es ausſpricht, die teleologiſche
Urtheilskraft zur theoretiſchen Philoſophie, denn ſie beſtimmt zwar keine
Objecte, ſondern reflectirt blos, aber ſie verfährt nach Begriffen, die ſie
nach ihren beſondern Principien auf gewiſſe Gegenſtände der Natur an-
wendet; die äſthetiſche aber, da ſie zur Erkenntniß ihrer Gegenſtände
nichts beiträgt, gehört ſtreng genommen nur zur Kritik des urtheilenden
Subjects und der Erkenntniß-Vermögen, d. h. zur Propädeutik. Demnach
müßte Kant auf die Stellung der Aeſthetik zurückkommen, welche wir bei
Baumgarten fanden. Er hat nun aber ſeine beſonderen Gründe, dieſes
Gebiet (nicht blos der äſthetiſchen, ſondern auch der teleologiſchen Urtheils-
kraft) in die Mitte zwiſchen die theoretiſche und praktiſche Philoſophie zu
ſtellen. Der Hauptgrund iſt zu Anfang dieſer Darſtellung bereits aus-
geſprochen: er ſucht die Kluft zwiſchen dem Naturbegriff und dem Freiheits-
begriff, „die große Kluft, welche das Ueberſinnliche von den Erſcheinungen
trennt“, zu überwinden, er ſucht ein Band zwiſchen der Natur-Cauſalität
und der Cauſalität durch Freiheit. Die Wirkung nach dem Freiheitsbegriffe
iſt der Endzweck, der abſolute Zweck. Dieſer ſoll exiſtiren, er ſoll durch-
geführt werden in der Sinnenwelt, die Natur muß daher gedacht werden,
als ſey ſie fähig, ihn in ſich aufzunehmen, als komme ſie ihm entgegen. Der
Verſtand in ſeiner ſtricten Bedeutung ſetzt ein überſinnliches Subſtrat hinter
der Erſcheinung voraus, läßt es aber völlig unbeſtimmt; die Urtheilskraft
nun aber iſt es, welche dieſes Subſtrat näher beſtimmt durch den Zweck-
begriff: und ſo trifft der handelnde Geiſt in der Natur den verwandten
Geiſt und kann ſeine Zwecke in ihr durchführen, weil ſie ſelbſt zweckmäßig
organiſirt iſt. Dieſe Bedeutung als vermittelndes Glied kommt aber der
Urtheilskraft noch aus einem weiteren Grunde zu: ſie iſt das conſtitutive
[17] Princip für das Gefühl der Luſt und Unluſt. Dieſes hat nun zwar
als rein formales Wohlgefallen durchaus keine unmittelbare Beziehung
zum Begehrungsvermögen, wohl aber befördert es mittelbar die Empfäng-
lichkeit des Gemüths für das moraliſche Gefühl: theils eben durch jene
Ueberzeugung von einer Beſtimmbarkeit der Natur durch den ſittlichen
Willen, theils durch die ſymboliſche Analogie des Schönen mit dem Guten,
worüber §. 59 der Kr. d. äſth. Urtheilskraft zu vergleichen iſt. Kant
gewinnt nun die bekannte Eintheilungstafel:
Die ganze Confuſion dieſer Eintheilung drängt ſich bei dem Anblicke
der Tafel ſogleich auf. Die zweite Colonne theilt nur das erſte Glied
der erſten ein und ſtört dadurch den ganzen Parallelismus, der horizontal
durch alle Colonnen hindurchgehen ſoll. Dieſe Störung hat ſogleich ihren
innern Grund in der ganzen Schiefheit der vorhergehenden Entwicklung
und der Vorausſetzungen der Kant’ſchen Philoſophie überhaupt. Ein-
getheilt wird nämlich in dieſer zweiten Colonne nur das Erkenntniß-
vermögen. Dennoch ſoll das zweite und dritte Glied dieſer Colonne dem
zweiten und dritten der erſten entſprechen: die Urtheilskraft dem Gefühle
der Luſt und Unluſt, die Vernunft dem Begehrungsvermögen. Die Ver-
nunft entſpricht aber dem Begehrungsvermögen nur, wenn man zugibt,
daß ihr Gebrauch rein auf das praktiſche Gebiet einzuſchränken ſey: dann
aber iſt ſie nicht mehr zu den Erkenntnißvermögen zu zählen. Die Urtheils-
kraft entſpricht dem Gefühle der Luſt und Unluſt nur, wenn man zugibt,
daß ſie für dieſes die Geſetzgebung iſt, ja daß die geiſtige Bewegung über-
haupt durch ſie hindurch muß, um bei dem Gefühle der Luſt oder Unluſt
anzukommen. Dies iſt falſch, ſowohl wenn man Luſt und Unluſt im all-
gemeinen, als auch wenn man es im beſondern, äſthetiſchen Sinne verſteht,
denn Luſt und Unluſt iſt immer unmittelbar; dieſer Unmittelbarkeit kann
zwar die Vermittlung durch alle verſchiedene Formen geiſtiger Thätigkeit
vorausgehen, ja nach der einen Seite iſt alle Unmittelbarkeit eine erloſchene
Vermittlung; aber ebendarum weil jene die verſchiedenſten Formen dieſer
vorausſetzt, ſo iſt es ganz falſch, die Urtheilskraft ausſchließend als die
Form dieſer Vermittlung aufzuſtellen. Man kann freilich jedes Gefühl
Viſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 2
[18]als begründet auf das Innewerden einer Zweckmäßigkeit oder Unzweck-
mäßigkeit faſſen, allein dann iſt der letztere Begriff in einer viel größeren
Weite genommen, als bei Kant, und bezieht ſich z. B. ebenſo auf rein
moraliſche Handlungen, wie auf das Schöne. Ueberdies wirft nun aber
Kant ohne alles Recht die äſthetiſche Luſt mit der Luſt überhaupt zuſammen;
er, deſſen beſtes Verdienſt darin beſteht, die Reinheit des Wohlgefallens
am Schönen von allen ſinnlichen ſowohl als ſpecifiſch ſittlichen Motiven
in’s Licht geſtellt zu haben, iſt ſo ungenau, dieſe ganz beſondere Art reiner
Luſt, die er in das Zuſammenſtimmen von Einbildungskraft und Verſtand
ſetzt, deßwegen mit der ſinnlichen Empfindung unter Einem Namen
(äſthetiſch ſ. §. 1, 3) zu befaſſen, weil beide blos ſubjektiv ſind („was
an der Vorſtellung eines Objects blos ſubjectiv iſt, d. h. ihre Beziehung
auf das Subject, nicht auf den Gegenſtand ausmacht, iſt die äſthetiſche
Beſchaffenheit derſelben“ u. ſ. w. Einl. z. Kr. d. Urtheilskraft XLII).
Ferner bildet nun aber dies reine Wohlgefallen oder Mißfallen nicht den
Uebergang zum ſittlichen Wollen, wie ihn der ſenkrechte Fortgang in der
zweiten Colonne parallel mit dem in der erſten vorausſetzt. Kant iſt
in dieſem Punkte zunächſt mit ſich ſelbſt im Widerſpruch. So nämlich,
wie in der erſten Colonne das Gefühl der Luſt und Unluſt das Begehren
vermittelt, kann nach ſeiner eigenen Meinung jenes rein contemplative
Wohlgefallen nicht zur praktiſchen Sphäre hinüberführen: was ſoll aber
dann der Parallelismus zwiſchen beiden Colonnen? Aber auch der mittel-
bare Uebergang, den er von jenem reinen Wohlgefallen zum reinen Wollen
zieht, iſt zu verwerfen. Das Schöne iſt allerdings nach einer Seite hin
eine unabſichtliche Vorbereitung zum Guten; viel wichtiger aber iſt die
andere Seite, daß nämlich das Gute ſchon wirklich ſeyn muß, um als
Schönes ſich zu geſtalten und gefühlt zu werden; und werfen wir von
da einen Blick auf die dritte und vierte Colonne, ſo iſt das Schöne eben
die Darſtellung des erreichten Endzwecks und der thätigen Freiheit, welche
hier beide im dritten Gliede ſtehen. Zu allen dieſen Einwürfen kommt
nun noch der, daß ganz willkürlich die Urtheilskraft vom Verſtande getrennt
wird. Der Verſtand iſt begreifend durch ſeine Kategorieen und unter
dieſe gehört die der Zweckmäßigkeit, urtheilend ſubſumirt er das Mannig-
faltige unter dieſelben, hat aber noch einen langen Weg zurückzulegen,
bis er da ankommt, wo dieſes als wahrhaft durchdrungen von dem All-
gemeinen begriffen wird. Was dann in die Einbildungskraft und das
Gefühl einſtrömt, um das Bild des Schönen zu erzeugen und dem Genuſſe
zu übergeben, iſt vielmehr wie ſich an ſeinem Ort zeigen wird, die Idee
[19] oder die Vernunft; der Zweckbegriff und das Urtheil bleiben verſtändige
Reflexionsformen, welche freilich durch ihre innere Dialektik zur Auflöſung
ihrer Relationen in die Einheit und ſo des Zweckbegriffs in den der inneren
Zweckmäßigkeit, worin ſich der Zweck ſelbſt aufhebt, hinüberführen, aber
nur ſo, wie alle andern trennenden Denk-Formen ſich ſelbſt über ſich hinaus-
treiben, ohne deßwegen ihre Stelle anderswo zu behaupten, als im Gebiete
des Verſtands, oder nach Hegel des Weſens und des Begriffs, aber nicht
der Idee. Hiemit fällt, da Geſetzmäßigkeit und Zweckmäßigkeit ſo zu
trennen nicht minder willkürlich iſt, als Verſtand und Urtheilskraft, und
da an die Stelle der Zweckmäßigkeit, welche dem Schönen zu Grunde
liegen ſoll, vielmehr der Endzweck tritt, auch die Folge in der dritten
Colonne ſammt ihrer ſchiefen Parallele in der zweiten, wo die Vernunft
dieſelbe falſche Stufe unter dem Vermögen des Schönen einnimmt; hiemit
fällt aber auch die vierte und alle dieſe Bemerkungen gehen darauf hinaus,
daß ſie umzuändern wäre in:
- Natur,
- Freiheit,
- Kunſt.
Es wurde hier ebendeßwegen die Kritik der Kant’ſchen Eintheilung
mit einiger Weitläufigkeit behandelt, weil ſie belehrend iſt in dem Sinne
einer Nachweiſung, wie immer Schiefheit aller Art entſteht, wenn die
Philoſophie nicht dreigliedrig eingetheilt wird, weil ſie aber bei allen
Mängeln ſo viel Scharfſinn und Ahnung in ſich hat, daß ſie auch jetzt
noch die Prüfung verdient. Auf den Hauptpunkt, die Einführung des
Begriffs der Zweckmäßigkeit in die Lehre vom Schönen, muß am gehörigen
Orte noch weiter eingegangen werden.
§. 4.
Das Schöne iſt weder theoretiſch, noch praktiſch; es iſt aber auch ſowohl1
das eine, als das andere, woraus eben folgt, daß es das eine wie das andere
in einem Sinne iſt, wodurch der Gegenſatz beider ſich aufhebt, daß es daher
ſeinen Platz in einer Sphäre über dieſen Gegenſätzen finden muß; und ebenda
fordern auch zwei andere Formen des Geiſtes ihre Stelle: die Religion und die2
Philoſophie ſelbſt. Dieſe Formen gehören nämlich, wie die Schönheit, dem
Geiſte an, der nicht mehr den Gegenſatz zwiſchen Subject und Object, ſey es
als erkennender oder handelnder, zu überwinden erſt ſtrebt, ſondern überwunden
hat und ſein ungetheiltes Weſen in einer abſoluten, reinen Form darſtellt. So
2*
[20]entſteht die dreigliedrige Eintheilung der Lehre vom Geiſte in den ſubjectiven
(erkennenden), objectiven (handelnden) und abſoluten, ebenfalls wieder dreifach
3ſich theilenden, Geiſt, welche Hegel aufgeſtellt hat. Es macht ſich aber in der-
ſelben nichts Anderes geltend, als das Geſetz der dialektiſchen Bewegung über-
haupt, welches für das ganze Syſtem die dreigliedrige Eintheilung in Logik
(Metaphyſik), Naturphiloſophie und Philoſophie des Geiſtes fordert und den
Weg vom unentwickelt Einen durch den Gegenſatz zur vermittelten Einheit in
jeder dieſer Sphären wiederholt.
1 Hier wie in den Bemerkungen zu den vorhandenen §§. iſt voraus-
geſetzt, daß das Schöne ſeine Wirklichkeit in der Kunſt habe, welche Vor-
ausſetzung doch §. 1. in der Definition nicht zugelaſſen hat. Allein ein
Anderes iſt die Definition, ein Anderes orientirende Vorbemerkungen,
wobei gewiſſe Vorausnahmen unvermeidlich ſind.
Warum die Aeſthetik weder theoretiſch, noch praktiſch ſey, iſt in Kürze
ſchon geſagt; ſie iſt aber beides in dem Sinne, daß der äſthetiſch Genießende
dem Schönen gegenüberſteht als betrachtender, der den Gegenſtand rein
auf ſich wirken läßt und dadurch freilich das Objective in ein Sub-
jectives verwandelt, aber ſo, daß er ihn doch in ſeiner Selbſtändigkeit
beſtehen läßt; daß umgekehrt der Künſtler, unzufrieden, das Schöne nur
als inneres Phantaſiebild zu haben, dasſelbe im Kunſtwerk objectiv macht.
Allein eben hierin bewährt ſich jenes Weder Noch, denn das Aufnehmen
iſt keine Arbeit des Subjects wie im eigentlich theoretiſchen Gebiete: was es
aufnimmt, iſt Bild des verſöhnten Geiſtes, wie es aufnimmt, iſt unmittel-
bares Zuſammengehen, und der Genuß iſt contemplativ in ſich beruhigt, hat
nicht das Bedürfniß, das Aufgenommene erſt wieder durch That zu ver-
wirklichen; der Künſtler dagegen muß zwar ein Inneres herausarbeiten,
es iſt aber ein Drang ohne Zwang und ohne Willkür, in ſich gefüllt
und frei von der Noth des Handelns, das die Welt erſt überwinden ſoll.
Dies nun iſt ungetheilter Geiſt, freier, ganzer Geiſt, und dieſer fordert
eine Sphäre über dem endlichen, im Gegenſatz arbeitenden Geiſte.
2 Dasſelbe Gebiet des abſoluten Geiſtes nimmt die Religion und
die Philoſophie, wie ſie ſich ſelbſt im Syſteme Gegenſtand wird, in Anſpruch.
Dies kann ſelbſt als dem gewöhnlichen Bewußtſeyn geläufig vorausgeſetzt
werden und wird hier zunächſt nur erwähnt, um die Nothwendigkeit der
Aufſtellung dieſer dritten Sphäre auszuſprechen. Es verſteht ſich von
ſelbſt, daß der ganze Gang ſeine innere Nothwendigkeit im Syſteme der
Philoſophie dialektiſch durchzuführen hat; der ſubjective Geiſt treibt ſich
[21] zum objektiven, der objective zum abſoluten weiter, die Uebergänge an
dieſen Hauptpunkten darzuſtellen iſt die Aeſthetik als beſondere Wiſſenſchaft
nicht verpflichtet; nur auf den letztern hat ſie zurückzuſehen und wird,
indem ſie das Verhältniß des Schönen zum Guten erörtert, ein beſtätigen-
des Licht auf ihn werfen. Gründlicher aber hat ſie ſich mit den Sphären
auseinander zu ſetzen, welche mit ihr in das Gebiet des abſoluten Geiſtes
fallen.
3 Die Nothwendigkeit der dialektiſchen Bewegung des allgemeinen
Gedankens durch die drei Momente, welche Hegel durch Anſich, Für-
ſich und An und Fürſich bezeichnet hat, und die daraus folgende drei-
gliedrige Eintheilung des ganzen Syſtems kann die Aeſthetik als ein in
der jetzigen Philoſophie anerkanntes Grundgeſetz einfach hinſtellen. Selbſt
die Mehrzahl derjenigen, welche über das Hegel’ſche Syſtem in den
metaphyſiſchen Grundlagen hinausſtreben, meint, den Inhalt zwar be-
ſtreiten, die Form aber, nämlich eben die Dialektik und ihre Momente,
gelten laſſen zu können. Es hat ſich zwar neuerdings überhaupt ein
Kampf entwickelt gegen das, was man Speculation nennt. Fordert
dieſer, ſelbſt wiſſenſchaftlich, nur freiere Auflöſung aller Tranſcendenz
und Durchführung des Begriffs durch die Wirklichkeit, ſo iſt damit gegen
die Gültigkeit der dialektiſchen Grundgeſetze noch gar nichts geſagt; dringt
er auf reine Empirie, ſo wäre dieſe durch eine einfache Aufweiſung nicht
ſchwer zu überführen, daß ſie überall auf das Geſetz der Bewegung
durch drei Momente ſtößt. Für den Zweck der Aeſthetik aber genügt es
zunächſt, die Nothwendigkeit der dreifachen Theilung des geiſtigen Gebiets
mit Obigem im Umriß angezeigt zu haben; dieſelbe Theilung für das
ganze Syſtem der Philoſophie zu begründen, überläßt ſie dieſem ſelbſt.
Daß nun der abſolute Geiſt ſich wieder in drei Sphären theilt, hat ſie
nur ſo weit zu beweiſen, als die oben geforderte Auseinanderſetzung mit
ihren Nachbarſphären es mit ſich bringt. Warum die Ethik nicht in dieſes
Gebiet gehöre, iſt oben, §. 2, 2 beſprochen. Anders aber verhält es
ſich mit der Durchführung ihres eigenen Inhalts. Kehrt hier überall
die dreigliedrige Theilung wieder, ſo kann nur jene ſelbſt den Beweis
führen, daß dieß kein Zwang, ſondern ein Geſetz der Sache ſelbſt iſt;
wo nicht, ſo iſt jeder Vorwurf tranſcendenter Speculation ein gerechter.
§. 5.
Nach dem Geſetze dieſer Bewegung tritt als erſte Stufe im Gebiete des
abſoluten Geiſtes die Religion, als zweite das Schöne, als dritte die Philo-
[22] ſophie auf. Zur Rechtfertigung dieſer Ordnung beſchränkt ſich die Einleitung
auf die allgemeine Bemerkung, daß auch der abſolute Geiſt die Theilung in
Subject und Object wiederholt, aber ſo, daß das Object das eigene, ſelbſt-
erzeugte Gegenbild des vom abſoluten Gehalte durchdrungenen Subjects iſt.
Die Rangordnung der Stufen nun hängt davon ab, ob das Gegenbild dem
Subjecte und ſeinem abſoluten Gehalte vollkommen adäquat iſt und ob dieſes
ſich mit Freiheit als Urheber deſſelben in ihm wiedererkennt. In der Religion,
der ſtoffartigen Urform des abſoluten Geiſtes, bleiben dieſe beiden Bedingungen
unerfüllt, indem ſie mit ihrem ſinnlichen beſtimmten Gegenbilde in unfreier
Verwechslung ſich zu einer dunkeln Einheit verſchlingt; im Schönen iſt das
Gegenbild ebenfalls noch ſinnlich beſtimmt, aber es genügt der zweiten Be-
dingung, indem das Subject ihm als dem ſeinigen frei gegenübertritt; die Phi-
loſophie aber genügt beiden: das Gegenbild iſt Geiſt, wie die Subjectivität,
die es durch die reine und freie Thätigkeit des Denkens erzeugt und in
ihm ganz bei ſich bleibt.
Von Hegel weicht dieſe Eintheilung darin ab, daß er die Religion
als die zweite Form aufführt. Chr. H. Weiße (Syſtem der Aeſthetik
als Wiſſenſchaft von der Idee der Schönheit 1830) hat die Ordnung
Hegels ganz umgedreht und beginnt mit der Idee der Wahrheit (Philo-
ſophie), ſetzt die Idee der Schönheit in die Mitte und die dritte,
höchſte Stelle, weist er, — nicht ſowohl der Religion (denn er will
das blos Phänomenologiſche aus ihrer Auffaſſung verbannen), — als
vielmehr der Theologie („Idee der Güte“) an. Dagegen ſtellt Wirth
in der Sphäre, worin er Religion, Kunſt und Philoſophie (Metaphyſik,
wie er es nennt) vereinigt, die Religion ebenfalls als die erſte und
unmittelbarſte Geſtalt auf, die Philoſophie ſonderbarer Weiſe in die
Mitte und die Kunſt als die höchſte Form. Daß er als die gemein-
ſame Sphäre derſelben nicht den abſoluten Geiſt, ſondern den ſeines
abſoluten Weſens ſich zwar bewußten, aber dieß Selbſtbewußtſeyn noch
nicht verwirklichenden Geiſt annimmt, daher über dieſe ganze Sphäre
die Ethik ſtellt, davon kann hier abgeſehen werden.
Zunächſt ſcheint nichts einleuchtender, als der Grund, warum
Hegel die Kunſt vor die Religion ſtellt. Die Kunſt iſt unmittelbar,
d. h. ſowohl nach der Seite des Künſtlers ein beziehungsweiſe unbe-
wußtes, mit Natur behaftetes Pathos, als nach der Seite des Kunſt-
werks ein ſinnliches Hinſtellen des abſoluten Gehalts in das äußerliche,
[23] gemeine Daſein, wodurch jener zugleich nothwendig in eine Vielheit ein-
zelner Geſtalten zerſplittert wird. (Vgl. Encyclop. d. ph. W. §. 556. ff.)
Die Religion dagegen hebt dieſe Unmittelbarkeit auf in der ihr eigenen
Form des ſubjectiven Wiſſens: der Vorſtellung. Durch dieſe wird, was
in der Kunſt ſinnliche Geſtalt war, ein inneres Bild; hiemit iſt der
Gehalt zwar wiederum verendlicht, indem die innere Sinnlichkeit ihn
unter Kategorien des Raums und der Zeit dem Selbſt gegenüberſtellt, aber
dieſes innere Jenſeits wird „in dem Glauben an den Einen Geiſt und
in der Andacht des Cultus auch aufgehoben“ (a. a. O. §. 565.),
und, was aus der Religionsphiloſophie, (Th. 1, S. 86 ff.) noch beizuziehen
iſt, mit Gedankenbeſtimmungen, alſo mit Formen der Allgemeinheit, durch-
flochten. Der letzte Punkt ſcheint es noch insbeſondere einleuchtend zu
machen, daß die Religion in die Philoſophie münden, alſo den zweiten
Platz behaupten müſſe. Allein wenn der Begriff des Schönen ſoweit
entwickelt ſeyn wird, um ihn mit dem Verhalten der Religion vergleichen
zu können, ſo wird ſich ein ganz Anderes ergeben. Es wird ſich, um
davon vorläufig das Allgemeinſte heraufzunehmen, nicht nur zeigen, daß
in der Religion das Subjekt, ſinnlich beſtimmt, wie es iſt, ſich ein
ſinnlich beſtimmtes, in eine Vielheit von Geſtalten auseinandergezogenes
Gegenbild gibt, wie in der Kunſt, ſondern auch, daß das Hereinnehmen
in’s Innere, wie es durch die Vorſtellung und den Cultus vollzogen
wird, ſammt den hineingeflochtenen Reflexionsmomenten nur dazu dient,
die Sinnlichkeit um ſo viel hartnäckiger zu fixiren, weil ſie innerlich ge-
ſetzt iſt; es wird ſich zeigen, daß in dieſer primitiven, dieſer Ur- und
Kindheitsform des abſoluten Geiſtes das Subject mit ſeinem Gegenbilde
ſich zu einem ſtoffartigen Knoten, deſſen innerſter Kern zugleich ſelbſtloſe
Subſtantialität und zugleich ungebrochene Selbſtſucht iſt, zuſammenſchlingt.
Dagegen wird ſich ergeben, daß das Schöne vor Allem deßwegen
nach der Religion folgen muß, weil es die Vorſtellungen derſelben
zwar nicht als den einzigen, wohl aber als den erſten und zunächſt
wichtigſten Stoff ihrer Thätigkeit vorausſetzt, der Geſchichte wie dem
Begriffe nach, richtiger: der Geſchichte weil dem Begriffe nach.
Hegel ſelbſt ſetzt in der Kunſtlehre die Religion durchweg voraus,
ja er bleibt nur zu ſehr und auf Koſten der ſpezifiſchen Selbſtſtändigkeit
des Schönen in ihr ſtehen.
Wenn nun die Religion ihr Gegenbild weſentlich in’s Innere her-
einnimmt, ſo iſt dagegen das Schöne durchaus thätig, das innerlich
Geſetzte ganz und beſtimmt in die Sinnenwelt hinauszuſtellen. Darum
[24] erſcheint dieſes Verhalten zunächſt noch mehr ſinnlich als die Religion,
ſein Gebilde noch mehr vereinzelt und daher in Vielheit zerſplittert.
Allein gerade das Deutlichmachen, welches dieß ganze Hinausſtellen mit
ſich bringt, das Schärfen der Umriſſe, welche in der Vorſtellung zitternd
verſchweben, wird ſich als eine Befreiung erweiſen, eine Ablöſung,
worin das Subject, ſo ſehr ſein Thun verglichen mit der Philoſophie
noch bewußtlos und zufällig ſeyn mag, ſich die Gewißheit gibt, der
Meiſter ſeines Gegenbildes zu ſeyn, mit dem es ſich nicht mehr als
dunkles und gebundenes Selbſt zuſammenwirrt, ſondern in dem es ſich
als Entbundenes hell und frei wiederfindet. Alle Formen des abſoluten
Geiſtes ſind ſubjectiv und objectiv zugleich. Die Kunſt erſcheint durch
das Hinausbilden objectiver, die Religion ſubjectiver, daher Wirth
(Ethik S. 9.) die Kunſt als die ideale Objectivirung des Selbſtbewußt-
ſeyns auffaßt, das in den vorhergehenden Stufen in ſein Centrum zu-
rückgegangen war. Das Handeln der Religion von ihrem Standpunkte
aus hat den Charakter der Ausſchließlichkeit und der Enge; ſehr wahr
ſetzt daher Wirth hinzu, daß die Kunſt die Idee der Religion ſchon
concreter in der Form des Volksgeiſtes mit ſeinen beſondern Ständen,
des individuellen Lebens mit allen ſeinen Leidenſchaften darſtellt. Ob-
wohl nämlich die Werke der Kunſt nicht nur als ſolche ſich in die
Einzelheit zerſtreuen, ſondern auch dem Inhalte nach ſich nie über die
ganze Objectivität, ſie darſtellend, ausbreiten, ſo iſt doch jedes ächte
Kunſtwerk von einer Univerſalität der Bedeutung, wodurch es mitten in
der Begrenzung eine unendliche Perſpektive auf das All der Objecte er-
öffnet. Allein ebenſoſehr kehrt ſich das ganze Verhältniß um, denn die
Subjectivität der Religion hat ihren Grund eben darin, daß das Subject
ſich deßwegen nicht von ſich ablöſen kann, weil es mit dem Object, der
Subſtanz als Vorſtellung, dunkel verwachſen iſt; dieß iſt Subjectivität in
der Form objectiver Gebundenheit. Die Objectivität der Kunſt dagegen
iſt eine ſolche, worin die Subjectivität ſich frei ausbreitet, in den
Erſcheinungen der Welt ſich wiederfindet, ſich ahnend in das Object legt,
das innerlich Angeſchaute wieder herausarbeitet, und in dieſem weiten und
offenen Thun ſich ſelbſt als reine Formthätigkeit des abſoluten Geiſtes ge-
nießt. Am vollſten bewährt ſich dieß im Drama, worin die Kunſt, wie
auch Wirth (S. 10.) anerkennt, die unendliche Objectivität als Seele der
Geſchichte an den Tag arbeitet. Durch dieſe Geiſtigkeit iſt es die Kunſt,
welche der Philoſophie unmittelbar vorangeht und in ſie hinüberführt,
daher auch die Poeſie gewiſſe proſaiſche Formen anſetzt, welche dieſen
[25] Uebergang darſtellen. Sie iſt die Mitte zwiſchen Religion und Philo-
ſophie, ſie hebt die Innerlichkeit der Religion auf, indem ſie das Gegen-
bild zu einem deutlichen Aeußern macht, erwirkt aber ebendadurch eine
freiere Innerlichkeit; ſie iſt objectiver als die Religion und ebendadurch
ſubjectiver.
Nimmermehr aber kann die Philoſophie der Kunſt vorangehen. Das
beziehungsweiſe unbewußte und zufällige Thun und die ſinnliche Verein-
zelung in dem, was gethan wird und iſt, kann nimmermehr eine reifere
Stufe ſeyn, als das reine Denken des Allgemeinen, in der Form der
Allgemeinheit und Nothwendigkeit. Wirth nennt die Wiſſenſchaft, die
er zwiſchen die Religion und Kunſt ſtellt, Metaphyſik, unterſcheidet
ſie (S. 3.) von der „Philoſophie des Weltweſens, der Dialektik“ und
ſagt, ſie ſey in dem von ihm gemeinten Sinne erſt zu gründen. Bis
dahin wollen wir aber dieſe Wiſſenſchaft Philoſophie nennen, um ſo
mehr, da er anderswo ſelbſt dieſen Ausdruck braucht. Er gibt nun als
Grund davon, daß er auch dieſe vor die Kunſt ſtellt, die Thatſache
an, daß die Kunſt „ſpäterhin, wenn der Geiſt zum ſpeculativen Be-
wußtſeyn gelangt iſt, auch die philoſophiſchen Ideen zur Schönheit ver-
lebendigt.“ Dieß iſt aber allegoriſche Kunſt, Kunſt, die ihre Grenze
überſchreitet und in ein Gebiet übergreift, das, wenn es in ſie einfließt,
ſie desorganiſirt; und dieß führt uns nun auf Weiße’s Anſicht.
Was dieſe betrifft, ſo geht die Stellung auf die dritte und höchſte
Stufe, welche hier der Religion, oder wie Weiße ſagen muß, der
Theologie, eingeräumt wird, aus einer metaphyſiſchen Grundanſicht hervor,
auf welche hier nur mit wenigen Worten eingegangen werden kann. Die
Schönheit, ſagt er, geht mit der Wahrheit zugleich in die Idee der
Gottheit ein, welche die höhere Einheit und Vermittlung beider iſt.
Die Wiſſenſchaft ſoll auf dieſem Punkte nicht in ihren Anfang zurück,
ſondern über ſich ſelbſt hinaus gehen und einen höheren Gegenſtand als
ſich ſelber erhalten. Die Religion ſoll nicht phänomenologiſch gefaßt
werden (auch die Aeſthetik nicht, wovon nachher) ſondern Gott „in der
Form der Selbſtheit und Perſönlichkeit erkennen“ (Aeſth. S. 19). Dieſer
Gott iſt als ein „mit Freiheit ſchaffender zu faſſen, die Gedanken des
Geiſtes über die ſo geſchaffene Welt, wie über Gott, ſind nur Gedanken
über die Welt, über Gott, ſie ſind „nur Abbilder, Gleichniſſe,
Wiederholungen“ des Weſens der Dinge; d. h. die Identität des Seyns
und Denkens iſt aufgehoben. Weiße erkennt, daß er hiemit die Wurzel
aller Philoſophie aufhebt, und entſchließt ſich nun, einen Gang zu nehmen,
[26] worin er dieſe Identität ſowohl ſtatuirt als nicht ſtatuirt. Zunächſt
nämlich wird (vergl. Aeſth. §. 5.) abſolute Identität des geiſtigen Er-
kennens mit dem Erkannten als die Idee der Wahrheit in Einſtimmung
mit Hegel aufgeſtellt, freilich auch dieß ſogleich mit einem Zuſatze,
der den Satz aufhebt: „nicht blos das Logiſche und der Geiſt, ſondern
auch die Natur iſt das, was ſie iſt, ebenſoſehr in dem Erkennen, als
außerhalb des Erkennens; nur daß alle dieſe Weſenheiten außerhalb
des Erkennens eine Vielheit, in dem Erkennen aber eine Einheit bilden,
in welcher die Vielheit enthalten iſt“. Die Meinung des Satzes iſt ja
aber, daß alle dieſe Weſenheiten auch außerhalb des Erkennens an ſich
Erkennen ſind, richtiger Denken; ſie werden vom Gedanken erkannt, weil
ſie ſelbſt durch und durch zum voraus an ſich ein Denken ſind. Die
Vielheit aber, d. h. die empiriſche, als einen Schein zu begreifen,
damit fängt die Philoſophie an, und weil ſie ein Schein iſt, müſſen
die empiriſch Vielen untergehen und erhält ſich auch außerhalb des von
Weiße gemeinten Erkennens in ihrem Untergang nur die Einheit. Weiße
iſt in dem Momente Dualiſt, wo er den Moniſmus anerkennt. Er
hat ein irrationales Plus bereit, das er nicht nennen kann, und das
in Wahrheit nichts als die abſtracte Vorſtellung der Materie iſt. Wirklich
bleibt es auch nicht bei dieſer zugeſtandenen Identität; ſie iſt nur „ein
nothwendiger Durchgangspunkt“, und Weiße verläßt dieſen Standpunkt
mit dem Einwurf gegen die Identitäts-Philoſophie, daß, wenn ſie die
ganze Wahrheit wäre, die erkannten Dinge nur durch das Erkennen
geſetzt wären und beſtänden, daß das abſolute Erkennen dann Schöpfer
und Erhalter, Ordner und Regierer der Welt wäre, und daß die
Identitäts-Philoſophie die Erklärung ſchuldig geblieben ſey, weßhalb denn
dieſes in Wahrheit ſich nicht ſo findet. Dieß iſt nichts Anders, als der
bekannte Einwurf des ſogenannten geſunden Menſchenverſtands, welcher
durchaus unter dem Denken, das die Philoſophie als den Kern aller
Dinge darſtellt, nichts Anderes verſtehen kann, als das Denken des
dem Object gegenüberſtehenden Subjects, d. h. das Erkennen. Da
wird denn der Philoſophie untergeſchoben, ſie ſetze zuerſt einen denkenden
Menſchen und laſſe dann aus ſeinem Denken die Welt entſtehen. Die
Philoſophie ſetzt aber als Prinzip aller Dinge ein Denken, das ſich in
ein gedachtes Object und ein denkendes Subject ſpaltet; das Object iſt
auch Denken, aber in der Form das Anſich oder des Seyns, verhülltes,
nicht entbundenes Denken; dieſes Denken kommt zu ſich im Subjecte und
findet ſich durch daſſelbe im Gegenſtand, d. h. es erkennt ſich. Dieſes
[27] Erkennen iſt aber weſentlich auch ein Begreifen, daß das verhüllte
Denken ein unfreies ſey, d. h. eine Naturnothwendigkeit, die das ent-
hüllte und enthüllende Denken im Subjecte nicht zur Freiheit umſchaffen,
nicht in die Macht ſeiner Willkühr bekommen kann. Nur dieß poſtulirt
die Philoſophie, daß das freie Denken, da es in der verhüllten Form
nicht ſich ſelbſt entſpricht, nothwendig in allen Zeiten auch als ent-
hüllendes Denken müſſe dageweſen ſeyn und bleiben, d. h. daß nie eine
Zeit ſeyn konnte und könne, wo keine ſelbſtbewußte Weſen exiſtirten.
Wohl aber iſt Weiße und der formaliſtiſche Verſtand überhaupt die
Antwort auf die Frage noch ſchuldig, wie es denn komme, daß das
Erkennen und das Erkannte zuſammenſtimme. Die Erkenntniß ſoll wahr
ſeyn und doch nur ein Abbild des Gedachten. Wer bürgt denn, daß
dieſe zwei Uhren ſo gleich gerichtet ſind? Der Glaube bürgt, ſagt
Weiße ſelbſt, der Glaube des ſpeculativen Bewußtſeyns an
eine ihm im Jenſeits bleibende Wahrheit! Und dazu, um beim
Glauben anzukommen, braucht es alle dieſe Anſtalten? Dazu die Phi-
loſophie, um ſich ſelbſt aufzuheben? Weiße kommt auf die präſtabilirte
Harmonie zurück. Der Meiſter, der die Uhren zuſammenrichtet, der
„die Beziehung zwiſchen dem Erkennen und ſeinem Gegenſtande Hervor-
rufende iſt Gott“. Zu der Idee der Gottheit nämlich geht die philoſo-
phiſche Erkenntniß dialektiſch ſich verneinend und aufhebend über ſich
ſelbſt hinaus fort. Hier wird der Gegenſtand ein jenſeitiger, „über-
ſchwenglicher“, das Wiſſen ein Glauben. Nunmehr hat es aber auch
mit der vorher eingeräumten Einheit des Denkens und Seyns überhaupt
ein Ende, denn dieſer Gott wird jetzt als Schöpfer geglaubt, er „befreit
auch die Totalität der Natur und des endlichen Geiſtes von jener ihrer
bindenden Einheit und gibt ihnen ein ſelbſtſtändiges Daſeyn“, und von
dieſem Geſichtspunkt aus ließe ſich „vielleicht“ auch Jakobi’s Sprachge-
brauch rechtfertigen, der auch für das Beſtehen der ſinnlichen und natür-
lichen Dinge den Glauben fordert. — Ehe ſich dieſe Aufhebung aller
Philoſophie als ein Fortſchritt über Hegel hinaus behaupten darf, ſoll
ſie uns Alles das widerlegen, was die Phänomenologie und die Logik in
der Auflöſung der Kategorieen der Sinnlichkeit und des Verſtandes geleiſtet
hat, denn ſolche und nichts Anderes liegen dieſem ſinnlich trennenden und
ausſchließenden Denken zu Grunde. Das Seyn, das jenſeits des Denkens
bleiben ſoll, mag es Gott oder Natur heißen, iſt gar nichts als eine
vorgeſtellte Materie, ein verlornes, in der Dialektik jener Kategorieen
neben durchgeſchlüpftes Stück ſinnlichen Dunkels, und für die tiefe Trivia-
[28] lität dieſes Standpunktes zeugen Bemerkungen wie folgende: „es iſt aber
die Idee der Wahrheit das Erkennen unter der Geſtalt der Ewig-
keit, d. h. das Bewutßſeyn des Geiſtes erſtens über das unbedingt
Nothwendige, welches das Logiſche mit Einſchluß des Raums und Zeit-
begriffes, in denen die logiſche Idee als ſolche ſich ausprägt, und des
geſammten Mathematiſchen iſt; und ſodann zweitens über die Natur und
über den Geiſt ſelbſt als über Weſenheiten, die an ſich zwar nicht mit
gleicher Nothwendigkeit, wie die logiſche Idee, aber ſobald ſie einmal
ſind (!), nothwendig unter der Geſtalt dieſer Idee beſtehen“. Anmer-
kung: „Auch das Seyn der Gottheit iſt nicht als unbedingte Nothwendigkeit,
ſondern als That ihrer ſelbſt zu faßen. Es ſtände bei ihr, nicht ſie ſelbſt
zu ſeyn, wenn ſie gar nicht ſeyn wollte, aber es ſtände nicht bei ihr,
die logiſchen Geſetze und Begriffsformen des Seyns zu verändern oder
zu vernichten.“
Dem ſinnlichen Gotte, der hier über die Idealität des Denkens
und Seyns hinaufgeſtellt wird, ſteht nun die Schönheit, weil ſie ſinnlich
iſt, um eine Stufe näher als die Wahrheit; ſie bildet ihn vor, während
doch klar iſt, daß ſie ihn, als in der religiöſen Vorſtellung unvollſtändig
vorgezeichneten Stoff nachbildet. So verliert Weiße, indem er die
Religion nach der Kunſt aufführt, nicht nur die unentbehrliche Voraus-
ſetzung derſelben, ſondern indem er das Verlorne hereinzuholen meint,
verliert er die Kunſt. Statt nämlich die in der religiöſen Vorſtellung
(phänomenologiſch) gegebenen Stoffe frei fortzubilden (die Poeten ſchaffen
die Götter, und die Bildſamkeit der religiöſen Stoffe durch die Kunſt zeigt
unter Anderem eben ihren phänomenologiſchen Charakter; die Kunſt iſt, wie
kürzlich jemand ſagte, die Ironie des Ueberſinnlichen), muß nun die
Kunſt ſich in die über ihr ſtehende Theologie auflöſen, wenn ſie religiöſe
Stoffe gewinnen will, ſie muß der Kirche dienen und aufhören, das zu
ſeyn, was doch Weiße ſelbſt mit beſonderem Nachdruck ihr vindicirt,
ein ſelbſtändiges reines Formweſen. Die Aeſthetik wird ebenſo und
noch mehr zur Theoſophie, wenn ſie ſich in die Theologie hinübertreiben
ſoll, als wenn ſie aus ihr abgeleitet wird, wie bei Solger, dem
Weiße eben dies vorwirft.
Auf der andern Seite hat Weiße der Kunſt die Idee der Wahr-
heit vorangeſtellt, das reine Erkennen. Von der Frage, wie er denn
aus dem objectiven Geiſte ſogleich auf dieſe reine Höhe heraufgelangen
kann, wollen wir hier abſtrahiren und nur das nun behauptete Ver-
hältniß zwiſchen Wahrheit und Schönheit einleitend in’s Auge faſſen.
[29]Weiße ſetzt den Widerſpruch, den das Schöne löſen ſoll, ausdrücklich
(a. a. O. §. 8.) in das Subject. Es iſt nicht der metaphyſiſche Wider-
ſpruch des Allgemeinen und Einzelnen, der zu löſen iſt, ſondern es iſt
der Widerſpruch, daß das Subject der ſpeculativen Erkenntniß zugleich
einzelnes und endliches Weſen und, dem Begriffe dieſer Erkenntniß zu-
folge, Totalität alles Seyenden iſt. Darauf iſt zunächſt zu ſagen, daß,
wenn man den Widerſpruch in dieſem Sinne als einen faktiſchen
und ſeyenden faßt, dies weiter zurück in das Syſtem der Philoſophie
gehört, dahin nämlich, wo das theoretiſche Denken übergeht in den
Willen, um durch die Handlung als eine reale Bewegung das Subject
als ſeyendes, aber vereinzeltes mit der Totalität des Seyenden that-
ſächlich zu vermitteln. Da nun aber allerdings das Handeln die In-
einsbildung des Allgemeinen und Einzelnen in keinem gegebenen Zeit-
punkte vollendet, ſo genügt es ebenfalls nicht, und der Geiſt erhebt ſich
auf den Standpunkt der abſoluten Idee, auf welchem er den ganzen
Widerſpruch, jenen Reſt, der im Verſuche der realen Löſung unüber-
wunden bleibt, miteingeſchloſſen, als einen in der unendlichen Bewegung
des Univerſums ewig ſich löſenden, vor ſeiner Löſung ſchon gelösten
erkennt. So im Bewußtſeyn vollzogen heißt die abſolute Idee abſoluter
Geiſt. Unmöglich kann nun aber, wie ſo eben ſchon berührt iſt, die
erſte unter den Formen, welche dieſe abſolute Löſung ſtufenförmig auf-
ſteigend ſich gibt, die des ſpeculativen Denkens ſeyn. Weiße ſieht ſie
als die erſte und ärmſte deßwegen an, weil er vorausſetzt, daß das
Logiſche nicht das Weſen der Dinge ſelbſt ſey, daß das Denken das
Beſondere, Einzelne, Endliche nicht wahrhaft begreife, ſondern ihm das
Allgemeine nur „anhefte,“ daß daher die moderne Philoſophie Akosmis-
mus ſey. Daher ſucht er eine Form, in welcher das Allgemeine und
Einzelne abſolut, nicht blos äußerlich verſchmolzen ſeyn ſoll. Dieſe ſoll
die Schönheit (und höher die Gottheit) ſeyn. Allein eben weil in
Wahrheit das Einzelne nie das Ganze ſeyn kann, weil auch das von
abſolutem Gehalt durchdrungene Subject der Totalität als einzelnes gegen-
überſtehen bleibt, weil dieſer Widerſpruch auch durch das Handeln nicht
völlig gelöst wird, ſo kann nur eine Form, welche dieſen Widerſpruch
noch nicht mit der Strenge des Gedankens ergründet und zu löſen ver-
ſucht hat, ſich mit jenem Schein einer Löſung durch Verſchmelzung der
Gegenſätze in eine ſinnliche Geſtalt begnügen, wie dies das Schöne thut.
Eben darum ſteht aber auch die Religion noch unter dem Schönen, weil ſie
nicht einmal zu dieſem Schein als Schein ſich erhebt, ſondern ſtoffartig alles
[30] Ernſtes glaubt, es gebe Individuen, die zugleich Individuen und
ſchlechtweg das Abſolute ſeyen, der Widerſpruch ſey alſo unmittelbar
ſinnlich gelöst. Die letzte Löſung aber iſt eben nur da, wo das Subject
jenen Widerſpruch in ſeiner Strenge denkt und denkend aufhebt. Der
Philoſoph bleibt nun freilich ein Einzelner in Fleiſch und Blut, aber er
begreift ſich auch als dieſen Einzelnen im Ganzen und Allgemeinen als
Glied desſelben; er muß ſterben, weil er dennoch Einzelner bleibt, aber
auch darüber erhebt er ſich, weil er den Tod als nothwendigen Act
des Allgemeinen gegen das Einzelne begreift. Soll denn dagegen viel-
mehr dies die letzte Löſung ſeyn, wenn ich mir vorſtelle: ich zwar bleibe,
wie ich auch das Allgemeine denkend bin, doch dieſer Einzelne, aber
über den Wolken iſt Einer, der auch ein Einzelner und doch zugleich
real das abſolute Ganze iſt? Dahin kann der Philoſoph nicht zurück,
und dies iſt die Hauptſache: wenn das Subject einmal ſo weit iſt,
um den Gegenſatz des Allgemeinen und Einzelnen in ſeiner Schärfe zu
denken, ſo kann es ihn nicht mehr in der Form der Unmittelbar-
keit, welche das Schöne iſt, löſen, ſondern der durch die Vermittlung
des Denkens erfaßte Gegenſatz kann nur durch dieſelbe Vermittlung ge-
hoben werden, wird aber dadurch auch tiefer gelöst, und wenn nach
einem bekannten Geſetze allerdings auch Vermittlung wieder in Un-
mittelbarkeit erliſcht, ſo iſt dies doch in dieſem Sinne hier durchaus
nicht anzuwenden. Die gemeine Erfahrung zeigt, daß die philoſophiſche
Bildung ſpäter iſt als die äſthetiſche, daß das philoſophiſche Denken
die Unmittelbarkeit der äſthetiſchen Anſchauung, der erfindenden Phantaſie
in dem denkenden Subjecte aufhebt (worüber Schiller ſo aufrichtig
klagt) und daß ebenſo ganze Zeitalter, in denen die Spekulation und
Kritik herrſcht, die Friſche des künſtleriſchen Schaffens und des unmittel-
baren Kunſtgenuſſes verlieren. Weiße beſtimmt nun (§. 9) die Schön-
heit als die aufgehobene Wahrheit, ſie iſt aber vielmehr, wie ſich
im folgenden Syſteme weiter begründen wird, die noch nicht vor-
handene Wahrheit, d. h. die noch nicht vorhandene ſpeculative Erkenntniß,
und es kann hier in der Einleitung gegen ſeine Beſtimmung ganz einfach
die Kantiſche geſetzt werden, daß das Schöne weſentlich in einer
Uebereinſtimmung der Form eines Gegenſtandes in der Auffaſſung des-
ſelben vor allem Begriff mit dem Erkenntnißvermögen beſtehe. Das
Schöne iſt demnach keineswegs mehr, ſondern weniger als das
Wahre. Weiße ſetzt das Irrationale, d. h. das Sinnliche hier, wie
in der Stellung, die er dem Inhalte der Theologie, d. h. dem anthropomi-
[31] ſchen Gotte gibt, höher als das Geiſtige; das Vorſtellen und Anſchauen iſt
ihm reicher als das Denken. Den Vorwurf, den er von dieſem Stand-
punkte gegen Hegel erhebt, daß durch das Aufſteigen des Syſtems von
der Schönheit zur Wahrheit jene als eine verhüllte Wahrheit erſcheine
und daß demnach immer der Begriff im Schönen die Hauptſache wäre,
hat Danzel weiter ausgeführt und wir werden darauf zurückkommen.
Hier iſt vorläufig nur zu ſagen, daß Jedem von ſelbſt einleuchten muß,
wie dieſer Vorwurf vielmehr gegen Weiße zu erheben iſt, der, wie
er bei dem Schönen ankommt, bereits den als Begriff fertigen Begriff
mitbringt. Er mag ſehen, wie er ihn wieder auslöſcht, wenn er ihn
ſchon hat. Der noch nicht gedachte, der noch nicht enthüllte Begriff als
Grundlage des Schönen hebt deſſen Selbſtſtändigkeit nicht auf; es liegt
in jeder niederen Form unentbunden die höhere, und die niedrigere bleibt
um dieſer Zukünftigkeit willen dennoch beſtehen. Was aber das Andere
begreift, iſt das Höhere. Weiße ſucht das Schöne in der Aeſthetik zu
begreifen: das, womit er begreift, der Begriff, gehört alſo, wo er als
ſolcher Gegenſtand wird, in eine höhere Sphäre. Nach Hegel und
nach Weiße liegt dem Schönen das Wahre zu Grunde, nach Hegel
das objectiv, das noch nicht begriffmäßig gedachte Wahre, nach Weiße
das vorher bereits gedachte Wahre: wie? und Weiße darf Hegel
vorwerfen, daß er die Schönheit in Wahrheit zerpflücke, was ja eben
umgekehrt Hegel ihm vorzuwerfen hat? Wenn nun Hegel weiterhin
den begreifenden Gedanken höher ſtellt, als das nicht begreifende An-
ſchauen, ſo folgt daraus keineswegs, daß er die einzelne Umbildung des
einzelnen Kunſtwerks in einen Gedankenbau, das Aufſuchen der in ihm
verborgenen Wahrheit wohlweis über dieſes Kunſtwerk ſetzt; davon nach-
her an ſeinem Orte.
§. 6.
Jeder philoſophiſchen Wiſſenſchaft außer der Metaphyſik ſteht eine empi-
riſche Sammlung desjenigen Stoffs, welchen jene begreifend durchdringt, zur
Seite. Beide ſtehen zu einander in dem doppelten Verhältniſſe: die philoſophi-
ſche Wiſſenſchaft erhält den Stoff von der Empirie und bildet ihn um in den
freien Gedanken und ſeinen Organismus, zugleich beſtätigt und regelt ſie die
von dem Standpunkte der letzteren ſchon gefundenen, den maſſenhafter belaſſenen
Stoff ordnenden allgemeinen Beſtimmungen und ſo geſtaltet ſich dieſe als Er-
fahrungswiſſenſchaft. Durch die erſtere Seite des Verhältniſſes iſt aber jene
[32] keineswegs genöthigt, ihre Gründung aufzuſchieben, bis aller Stoff geſammelt
iſt; vielmehr entſteht ſie mit Nothwendigkeit, ſobald die Erfahrung ſelbſt in
einer gegebenen Maſſe von Stoff das Geſetz zu ſuchen und zum zuſammenhän-
genden Denken aufzuſteigen befähigt und getrieben iſt; durch die zweite Seite
iſt die Erfahrungswiſſenſchaft nicht an die philoſophiſche gebunden, ſondern be-
ſteht frei neben ihr. So ſteht der Aeſthetik die Kunſtgeſchichte zur Seite.
Die Einleitung hat, nachdem ſie von der Stellung der Aeſthetik zu
den umgebenden Wiſſenſchaften gehandelt, noch ein Verhältniß zweier,
wie es ſcheint, verſchiedenartiger Beſtandtheile innerhalb der vorliegenden
Wiſſenſchaft ſelbſt, dem ſtoffartigen nämlich und dem ſpeculativen, in’s
Auge faßen. Der §. geht zu dieſem Zwecke von der allgemeinen Pa-
rallele aus, welche ſich durch das ganze Syſtem der philoſophiſchen Wiſſen-
ſchaften hindurchzieht; wie der Aeſthetik die Kunſtgeſchichte, ſo ſteht der
Naturphiloſophie die Naturgeſchichte, der Lehre vom ſubjectiven Geiſt
die empiriſch ſammelnde Anthropologie und Pſychologie, Sprachwiſſenſchaft
u. ſ. w., der Lehre vom objectiven Geiſte das poſitive Recht, die Ver-
waltungswiſſenſchaft, die Geſchichte, der Lehre von der Religion die
Theologie, der Philoſophie ſelbſt die Geſchichte der Philoſophie zur Seite.
Das Verhältniß zwiſchen der philoſophiſchen und empiriſchen Behandlung
eines Gegenſtandes faßt der §. zunächſt nur als ein hiſtoriſch gegebenes
Wechſelverhältniß. Daß und warum der ganze Gegenſatz nur ein relativer
iſt, davon berührt der folgende §. den objectiven Grund. Es wäre
aber längſt an der Zeit, den ganzen Gegenſatz auch nach der ſubjectiven
Seite gründlich zu prüfen und den Uebermuth ſowohl der Empiriker als
der abſtracten Philoſophen zurückzuweiſen. Es wäre darzuthun, daß es
genau genommen gar keine bloſe Empirie gibt, es wäre zu zeigen, wie
dem erfahrungsmäßigen Vorfinden der Gedanke, wenn auch nur als Inſtinct
des Suchens und Findens, ſchon vorausgeht, dem Beobachten weſentlich
involvirt iſt und ebendaher als Reſultat desſelben hervortritt. Es wäre
umgekehrt darzuthun, z. B. an dem Exempel der ſpeculativen Theologie
der älteren Hegel’ſchen Schule, wie die Philoſophie ſich verirrt, wenn
ſie gewiſſe Reſultate der geſchichtlichen Prüfung nicht abwartet oder aus
Geringſchätzung der kritiſchen Empirie nicht aufſucht. Daß überhaupt
jede philoſophiſche Wiſſenſchaft die Erfahrung, die Anſammlung des von
ihr zu durchdringenden Stoffes als bis zu einem gewiſſen Punkte ge-
langt vorausſetzt, wiewohl ſie dieſen Ausgangspunkt, ſowie ſie entſteht,
aufhebt, iſt durch die neuere Philoſophie gehörig nachgewieſen. Vergl.
[33] über das ganze Verhältniß Hegels Encyklopädie der philoſophiſchen
Wiſſenſchaften Einleitung. Ihre Entſtehung iſt möglich, wenn der Stoff
ſo weit geſammelt iſt, daß die Empirie ſelbſt vermöge des zwar nicht
reinen, doch theils ſinnreich überſchauenden, theils ſcharfſinnig reflectirenden
Denkens, das ihr involvirt iſt, gewiſſe allgemeine Standpunkte, Geſetze,
Eintheilungen findet, welche die reine Philoſophie reizen, den Gedanken
in ſeiner reinen Allgemeinheit und Nothwendigkeit in dieſes Gebiet hin-
einzutreiben. Die unabſchließbare Natur der Erfahrung, welche eine un-
endliche Reihe einzelner neuer Entdeckungen in Ausſicht ſtellt, darf ſie
von ihrem Unternehmen nicht abſchrecken; ſie darf und ſoll das Zutrauen
haben, daß ſie zu entſcheiden vermag und daß ihre Reſultate geſichert
ſind, wie ſehr auch die Erfahrung den Stoff noch erweitern mag. Das
beſte Beiſpiel bietet die Aeſthetik ſelbſt. Sie war in dem Augenblicke
möglich, als Schelling das Prinzip der Einheit des Idealen und
Realen gefunden hatte. Dies war zunächſt nur die metaphyſiſche Vor-
ausſetzung ihrer Möglichkeit, doch ſelbſt der metaphyſiſchen Entdeckung
mußte jene künſtleriſche Anſchauungsweiſe der Natur und jener plaſtiſche
Sinn vorausgegangen ſeyn, den namentlich Winkelmann geweckt
hatte. Wirklich konnte aber die Aeſthetik allerdings erſt werden, als eine
geiſtvolle Kritik an der Hand der ſinnvollen Empirie, der unbefangenen An-
ſchauung das große Hauptgeſetz der Kunſtgeſchichte, den Gegenſatz des
Klaſſiſchen und Romantiſchen, entdeckt hatte. Schelling ſelbſt ſpricht
dieſen Dualismus als leitenden Gedanken aus (Vorleſ. über die Meth.
d. akad. Stud. S. 319). Nun erſt konnte der allgemeine Begriff des
Schönen, zu deſſen Feſtſtellung zunächſt jene Metaphyſik die Bedingung
enthielt, als Seele der wirklichen Schönheit ſyſtematiſch durch die Stufen
ſeiner Realität verfolgt werden. Zugleich hatte die Empirie und Kritik
eine anderweitige Maſſe von Stoff geſammelt, den dieſe Arbeit als
gegeben vorausſetzte. Nun iſt allerdings ſeit den erſten ſyſtematiſchen
Durchführungen der Aeſthetik unendlich viel Stoff einzelner neuer kunſt-
geſchichtlicher Entdeckungen geſammelt worden und wird in alle Zukunft
geſammelt werden, z. B. über einzelne Tempel des Alterthums, über
die vorgothiſchen Bauſtyle, über die Entſtehung des gothiſchen u. ſ. w.
Allein die Aeſthetik konnte auf die klare Erkenntniß des weſentlichen
Unterſchieds im Grundcharakter zwiſchen dem Style des Mittelalters und
des klaſſiſchen Alterthums in der Baukunſt (wie in den anderen Künſten)
ihre Entwicklung des Ideals begründen ohne Furcht, durch neue Ent-
deckungen in ihren Haupt-Reſultaten geſtört zu werden. So ſcheint,
Viſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 3
[34]um noch ein Beiſpiel anzuführen, die hiſtoriſche Unterſuchung gegen das
ſtrenge Geſetz der Farbloſigkeit, das die Aeſthetik auf das Weſen der
Plaſtik und weiter zurück auf das bis dahin geſchichtlich Bekannte gegründet
hatte, zum Theil umgeſtoſſen zu haben. Allein die Thatſache, daß die
Griechen Statuen farbig behandelten, ſtößt ein auf das Weſen einer
Kunſtgattung richtig zurückgeführtes Geſetz nicht um. Vielmehr iſt die Kennt-
niß dieſes Geſetzes für den ächten Hiſtoriker ein Reiz, zu unterſcheiden
zwiſchen den roheren und reineren Producten jener Kunſt, und die ſparſamen
Andeutungen von Farbe, die man bei den letzteren gefunden hat, ſtehen
noch nicht in Widerſpruch mit jenem Geſetze. Schwierig iſt hier
am meiſten die Frage über Farbe oder Farbloſigkeit des Auges. Darüber
an ſeinem Orte mehr. Neue Zeiten werden ferner neue Kunſtformen
ſchaffen, die den Begriff nöthigen werden, ſich nach dieſer Seite zu
erweitern; iſt aber die Entwicklung des Begriffs als bewegenden Prinzips
der bisherigen Kunſtgeſchichte richtig dargeſtellt, ſo muß ſie auch nach
dieſer Seite eine Perſpektive in die Zukunft mit ſich führen, welche die
Probe der Erfahrung beſtehen wird.
Die entſprechende Erfahrungswiſſenſchaft von ihrer Seite entlehnt
von der bereits begründeten philoſophiſchen Wiſſenſchaft eine ſtrengere
Sichtung und Bindung der allgemeinen Standpunkte, welche das ihr
inwohnende, wiewohl nur discurſive Denken ſchon gefunden hat, beſteht
aber in ihrer Unabhängigkeit fort. Wie nothwendig dieſe Freiheit der
Empirie in ihrer Trennung von der Speculation, wie heilſam für beide
Theile, wie förderlich ſelbſt für den möglichen Grad der Vereinigung
beider, braucht hier nicht dargethan zu werden.
§. 7.
Die philoſophiſche Wiſſenſchaft hat aber die Anſammlung von empiriſchem
Stoffe bis auf einen gewiſſen Punkt deswegen abzuwarten, weil der allgemeine
Begriff eben in demſelben ſeine Wirklichkeit hat. Wenn ſie daher dieſen, von
der Empirie ausgehend, aber dieſen Ausgang wieder aufhebend, im Elemente
des Gedankens frei erzeugt hat, ſo muß ſie ihn als Grund ſeiner Wirklichkeit
weiter entwickeln, in die Gegenſätze ſeines geſchichtlichen Daſeyns verfolgen, und
ſo nimmt ſie den durch die Erfahrung gegebenen Stoff wieder auf, jedoch nicht
nur als einen begriffenen und daher in ſeinem Weſen umgewandelten, ſondern
ebendaher auch in ſeiner Ausdehnung beſchränkt auf die für das Entwicklungs-
geſetz ſchlechthin bezeichnenden Momente. Die Aeſthetik verhält ſich daher in
[35] dieſem Theile ihres Inhalts zur Kunſtgeſchichte, wie die Philoſophie der Ge-
ſchichte zur Geſchichte.
Der §. nennt den objectiven innern Grund, warum der reine
Begriff ſich erſt bildet, wenn der erfahrungsmäßige Stoff bis auf
einen gewiſſen Punkt geſammelt iſt, wobei freilich ein ſubſectives
Moment vorausgeſetzt iſt, das Bedürfniß der Erinnerung nämlich.
Das heißt: das allgemeine Weſen oder der Begriff des Schönen
an ſich iſt wirklich in der Geſchichte der Kunſt. Derſelbe ruht zugleich
als Möglichkeit, ſich in der Form des Denkens zu faſſen, in dem Geiſtet
welcher, wie er auch übrigens ſich ſchon als philoſophiſcher ausgebilde,
haben mag, in dieſer Richtung wenigſtens noch nicht begonnen hat zu
philoſophiren. Hier tritt das ſubjective Bedürfniß der ἀνάμνησις ein;
das Urbild tritt im Subjecte erſt nach reicherer Anſchauung des Abbilds
hervor in’s Bewußtſeyn. Es würde dies aber nicht, wäre das Abbild
nicht wirklich das Abbild, oder vielmehr wiſſenſchaftlicher ausgedrückt mehr
als dies: die objective Wirklichkeit des, nur noch nicht in der Form des
reinen Begriffs gedachten, Urbilds. Dieſer ſubjective Anſtoß hebt ſich
aber durch die wirkliche Bildung des Begriffs wieder auf, der Ausgang
von der Erfahrung wird überwunden, der Begriff erzeugt ſich ſelbſtſtändig.
Dann erſt kehrt ſich das Verhältniß wieder um, der reine Begriff entwickelt
ſich, und breitet ſich aus, und der zuerſt in der Erfahrung vorgefundene
Stoff wird wieder aufgenommen, denn die Entwicklung und Ausbreitung
des Begriffs iſt eben die Geſchichte deſſen, was durch ihn begriffen iſt.
Dieſer Stoff iſt aber jetzt ein Anderes geworden; der Begriff verliert
ſeine Freiheit, das Element des reinen Denkens, nicht, indem er ſich in
dieſes Reich der ſcheinbaren Zufälligkeit hineinarbeitet, er tilgt vielmehr
am Stoffe die Unmittelbarkeit und begreift ihn als die nothwendige
Wirklichkeit des Begriffs, worin die Gegenſätze, welche logiſch in dieſem
liegen, als Zeitfolge hervortreten. Es wird ſich dies bewähren, wenn
ſich der Begriff des Schönen als Phantaſie in die großen geſchichtlichen
Gegenſätze des Ideals aufſchließen und der Begriff der einzelnen Künſte
die verſchiedenen Zweige, die in ihm enthalten ſind, als geſchichtlich
nach einander hervortretende darſtellen wird. Dieſe Umwandlung des
Stoffs iſt aber zugleich weſentlich eine Zuſammenziehung der Maſſe auf
die bedeutenden Hauptmomente, auf jene großen Uebergänge und durch-
greifenden Formen in der Kunſtgeſchichte, worin ſo zu ſagen ihre Seele
an die Oberfläche tritt. Nicht zur Kunſtgeſchichte, ſondern zur Philoſophie
3*
[36]der Kunſtgeſchichte breitet ſich die Aeſthetik aus. Alles, was die Bedeutung
des weſentlich Bezeichnenden nicht hat, bleibt als rein poſitiv der Kunſt-
geſchichte aufbehalten. Ueber den Gegenſatz des Poſitiven und des
Philoſophiſchen iſt hier nur ſo viel zu bemerken. Ganz ſtreng genommen
gibt es allerdings gar nichts rein Poſitives; das ſogenannte Poſitive ent-
ſteht dadurch, daß, was in ſeiner Sphäre aus Naturgeſetzen oder Geiſtes-
geſetzen allerdings begreiflich wäre, in der Verwachſung von Bedingungen,
in welche es mit Erſcheinungen aus andern Sphären verſchlungen iſt,
ſich mit Anderweitigem vermiſcht, auf deſſen Erklärung die Wiſſenſchaft,
wenn ſie es eben nur mit dieſer Sphäre zu thun hat, ſich jetzt nicht
einlaſſen kann. Das Schöne, deſſen Begriff hier Aufgabe iſt, bietet
zugleich als Kunſt das paſſendſte Beiſpiel. Daß irgend ein Kunſtwerk
gerade in einem gewiſſen Jahre, unter gewiſſen räumlichen und andern
Bedingungen entſtand, dies iſt, ſobald man die äußere Geſchichte des
Volkes, das es hervorbrachte, bis auf ihre urſprünglichſten Grundlagen
verfolgt, die politiſche Geſchichte ſammt ihren Hülfswiſſenſchaften hinzu-
zieht und weiter erwägt, daß auch dieſe ſich bis auf letzte nothwendige
und begriffsmäßige Grundlagen verfolgen laſſen, keineswegs etwas Zu-
fälliges. Die Kunſtgeſchichte aber, wiewohl ſie mit allen concreten Be-
dingungen des Volkslebens ſich lebendig durchdringen muß, kann dies doch
ſo weit keineswegs verfolgen, noch weniger die Philoſophie der Kunſt-
geſchichte als Theil der Aeſthetik; ſie läßt ſich daher nur auf diejenigen
Kunſtwerke und ihre hiſtoriſchen Bedingungen ein, in welchen die letzteren
ſo günſtig zuſammenwirkten, daß das reine Weſen der Kunſt bedeutungsvoll
hervortrat, führt auch ſie nicht in hiſtoriſcher Weiſe auf, ſondern hebt
nur das Allgemeine in ihnen hervor; alles Uebrige aber iſt für ſie ein
Zufälliges, was ſie als blos Poſitives der Kunſtgeſchichte überläßt; auch
dieſe aber trifft noch eine Auswahl und weist das Uebrige an das Geſchäft
der bloßen Stoffſammlung, in welcher die Zufälligkeit das Herrſchende iſt
und daher ein bloßes Aggregat zu Stande kommt. Uebrigens hat be-
kanntlich die Bezeichnung: poſitiv noch eine andere Bedeutung; ſie be-
zeichnet nicht blos das, was in das Wiſſen aufgenommen wird als ein
Zufälliges, das einmal ſo und nicht anders iſt, ſondern auch das, was
das Empfinden und Wollen der Völker durch Autorität beherrſcht, d. h.
ohne ſich zu beweiſen. Die letztere Bedeutung des Worts gehört nicht
hieher. Hettner (Gegen die ſpekulative Aeſthetik S. Wigand’s
Vierteljahrsſchrift 1845. B. 4.). bekämpft die hier ausgeſprochene Anſicht
über das Verhältniß der Aeſthetik und Kunſtgeſchichte. Er verlangt eine
[37] völlige Aufhebung ihrer Trennung. Dies iſt aber ſowohl gegen das
Naturgeſetz der Theilung der Kräfte, als gegen das Arbeitsgeſetz der
Geſchäfte. Der Sammler, der Geſchichtſchreiber und der Philoſoph
arbeiten an Einem Ziele, aber auf verſchiedenen Wegen. Der erſte ſchafft
dem zweiten den Stoff in die Hände und dieſer übergibt ihn, ſchon aus-
geleſen und verarbeitet, zur letzten geiſtigen Umbildung dem dritten. Der
dritte gibt dem zweiten die Idee in einzelne Maximen, Einſchnitte, Stand-
punkte umgeſetzt, der zweite überliefert dieſe dem erſten, wo ſie nur noch
als Inſtinkt und Takt des rechten Suchens wirken. Aber welches
Monſtrum würde die Aeſthetik, wenn ſie den ganzen Stoff des erſten
oder auch nur des zweiten, alle Jahreszahlen, Namen Orte aufnehmen
würde, und wohin würde ſich die Geduld, der Stoffſinn der letzteren
verflüchtigen, wenn ſie ſtreng philoſophirten?
§. 8.
Die Geſchichte der Aeſthetik als Wiſſenſchaft iſt in das Syſtem ſelbſt in
der Weiſe aufzunehmen, daß die bedeutendſten Gedanken, welche in ihr hervor-
getreten ſind, als Momente desſelben ſich einreihen. Es kann dies nicht in
dem Sinne vollzogen werden, in welchem die gegenwärtige Philoſophie es als
Geſetz des Verhältniſſes zwiſchen der Geſchichte der Philoſophie und den Stufen
der logiſchen Idee aufſtellt; denn nicht nur iſt die Aeſthetik als Wiſſenſchaft zu
neu, um eine ſolche Reihe von Prinzipien darzuſtellen, ſondern es kann über-
haupt, was von den Grundlagen der philoſophiſchen Syſteme gilt, nicht ebenſo
auf die abgeleiteten Theile angewandt werden. Nur ungefähr und theilweiſe
läßt ſich die logiſche Folge der Begriffsmomente in der Metaphyſik des Schönen
mit der geſchichtlichen Folge der hierüber vorgebrachten Gedanken zuſammen-
ſtellen; im Uebrigen reihen ſich dieſelben ohne beſondere Rückſicht auf ihre zeit-
liche Ordnung allerdings in das Syſtem ſo ein, daß ſie, ihres Anſpruchs auf
erſchöpfende Bedeutung enthleidet, als Glieder ſich zur Totalität des Begriffs
zuſammenfügen.
Hegel’s wichtige Entdeckung, daß man, wenn die Grundbegriffe
der in der Geſchichte der Philoſophie erſchienenen Syſteme deſſen ent-
kleidet werden, was ihre äußerliche Geſtaltung, ihre Anwendung auf das
Beſondere u. dgl. betrifft, die verſchiedenen Stufen der Beſtimmung der
Idee ſelbſt in ihrem logiſchen Begriffe erhält, wird ſelbſt von denjenigen
in ihrer allgemeinen Wahrheit nicht verworfen, welche ihre durchgängige
[38] Richtigkeit beſtreiten. Es iſt klar, wie viel gewonnen würde, wenn ſich
in derſelben Weiſe die Geſchichte der Aeſthetik in die Aeſthetik aufnehmen
ließe. Allein es verſteht ſich, daß, was von der Metaphyſik gilt, nicht
ebenſo von den beſondern Disziplinen ausgeſagt werden kann. Es kann
z. B. eine Philoſophie ein verhältnißmäßig ſchon reiches und erfülltes
metaphyſiſches Prinzip aufgeſtellt haben, und da die Aeſthetik eine der
richtigſten Proben einer Metaphyſik iſt, ſo ſollte man erwarten, daß ein
ebenſo concretes äſthetiſches Prinzip ſich hier finden laſſe, das ſich von
ſelbſt im Syſtem da einreihe, wo zuerſt die Grundidee in ihrer weiteſten
Allgemeinheit vorangeſtellt wird, dann die abſtracteren Momente
ihrer Entwicklung ſich in ihre Geſammteinheit zuſammenfaſſen. Allein die
Zeit, worin jene Metaphyſik entſtand, kann ſo wenig Intereſſe für das
Aeſthetiſche gehabt haben, daß dieſe ihre Folgerungen nach dieſer Seite
nicht zog, ſondern nichts oder nur arme Beſtimmungen hierüber vorzu-
bringen wußte. Aus Spinoza’s Prinzip, aus der Leibniz’ſchen
Monadologie öffnen ſich große Ausſichten in das Schöne, allein das
Intereſſe lag ferne. Von Kant’s und Fichte’s Subjectivismus ließen
ſich tiefe Gedanken über das Komiſche erwarten, allein Kant gibt ſo
gut als Nichts, Fichte gar nichts. Umgekehrt finden ſich bei Ariſtoteles,
der über das allgemeine Weſen des Schönen nur gelegentliche Winke
gibt, treffliche Gedanken über das Weſen des Komiſchen und Tragiſchen,
die doch zu den erfüllteſten in der Metaphyſik des Schönen gehören; denn
Ariſtoteles hatte eine große reale Kunſtwelt vor ſich, deren concrete
Betrachtung ungeſucht die gediegenſten ſpeculativen Ideen darbot; und ſo
treten auch jene Gedanken freilich nur bei Gelegenheit der Unterſuchung
beſtimmter Kunſtgattungen hervor. Es iſt hier jedoch nicht die Rede von
der Ungleichheit der geſchichtlich vorhandenen äſthetiſchen Unterſuchungen
mit ſich ſelbſt in Betreff ihrer Leiſtungen in der realen Kunſtſphäre ver-
glichen mit denen in der Metaphyſik des Schönen; denn wie Hegel ein
Entſprechen der geſchichtlichen Prinzipien und der Stufen des Begriffs
nur in Beziehung auf die Logik behauptet, ſo kann auch hier die Frage
nur die ſeyn, ob ſich ein ſolches Entſprechen in Beziehung auf den erſten
Theil der Aeſthetik, den allgemeinen Begriff des Schönen nämlich und
ſeine Stufen, finden laſſe. Praktiſche Bemerkungen über die Kunſt fehlen
da am wenigſten, wo die allgemeinen Prinzipien noch am dürftigſten
ſind: bei den Alten. Um die letzteren aufzuſuchen bedurfte es erſt der
Anerkennung der Selbſtſtändigkeit des Schönen, und dies konnte im
Alterthum, wo die Kunſt mit dem ganzen Leben ſo untheilbar verflochten
[39] war, noch gar nicht eintreten. Die neuere Zeit dagegen mußte, nachdem
ſie dieſe Trennung vorgenommen, erſt aus dem ſubjectiven Idealismus
zum objectiven fortgeſchritten ſeyn, ehe ſie eine ganze Aeſthetik bauen
konnte; ſie war erſt ſeit Schelling möglich, und wir haben das erſte
Syſtem der Aeſthetik aus Solgers Hand. Dieſe Wiſſenſchaft iſt alſo
auch viel zu neu, um eine logiſch ſich aufbauende Reihe geſchichtlicher
Prinzipien darzubieten.
Dagegen iſt ein ungefähres Entſprechen allerdings in folgender Weiſe
zu bemerken. Die Metaphyſik des Schönen, der erſte Theil der Aeſthetik,
handelt zuerſt von der einfachen Schönheit vor ihrer Spaltung in die
contraſtirenden Formen des Erhabenen und Komiſchen. Der Begriff des
Schönen zerfällt in die Momente: Idee, Bild, Einheit beider. Man
erkennt ſogleich, daß dem erſten Momente der platoniſche Standpunkt
entſpricht. Das zweite, die ſinnliche Geſtalt: hieher könnte man außer
einzelnen Beſtimmungen über die Form, welche Plato, Ariſtoteles,
die Neuplatoniker bieten, die reichen empiriſchen Bemerkungen des ſpätern
Alterthums ziehen, wenn ſie nicht weſentlich auf die wirkliche Kunſt ſich
bezögen, von der hier noch nicht die Rede iſt; wohl aber gehören hieher
die ſenſualiſtiſchen, in ihrer Grundlage materialiſtiſchen Reflexionen der
Engländer des vorigen Jahrhunderts, alſo der Anfänge der modernen
Aeſthetik. Das dritte Moment, die Einheit von Idee und Bild: hier
tritt Baumgarten’s ſchwankende Definition ein, aber Kant wirft aus
ihr Alles heraus, was objectiv ſeyn ſollte und die Parallele der ge-
ſchichtlichen mit der logiſchen Ordnung iſt unterbrochen. Die wahre
Erfüllung des von Baumgarten ſchwankend Umriſſenen gibt die neuere
Philoſophie ſeit Schelling und dieſe tritt dann ganz am rechten Orte
bei dieſem dritten, concreteſten Momente ein, wo ſich dann beſtätigt, daß
ſie auch die erſte noch abſtracte Beſtimmung, die der Auseinanderſetzung
jener drei Momente voranging, dargeboten hat. Den Abſchluß dieſes
Abſchnitts bildet die Darſtellung des ſubjectiven Eindrucks des Schönen
und hier widerfährt Kant ſein Recht. Es folgt der zweite Abſchnitt,
der die contraſtirenden Formen des Schönen zum Inhalt hat, zuerſt das
Erhabene. Einen Theil dieſer Form hat Kant auf’s Tiefſte erfaßt und
der Rigorismus der ſubjectiven geiſtigen Geſetzgebung gegen den ſinnlichen
Impuls erklärt, warum dieſe Philoſophie um den Begriff des Erhabenen,
nicht ebenſo um den des Komiſchen ſich verdient machte, während ſie doch
zu der Ergründung des letzteren ſo weſentliche Bedingungen enthielt.
Dagegen verläßt ſie uns völlig in der höchſten Form des Erhabenen, dem
[40] Tragiſchen, um der neueren ſpeculativen Philoſophie, welche hier allein
die hinreichend gerüſtete iſt und die erwähnten Winke des Ariſtoteles
erſt zu benützen vermag, Platz zu machen. Die zweite Form des
äſthetiſchen Kontraſts nun, das Komiſche, hat allerdings ſeit den Anfängen
der Aeſthetik in der neueren Zeit die Aufmerkſamkeit in hohem Grade in
Anſpruch genommen; einzelne treffende Gedanken, wie ſchon der glückliche
Wurf des Ariſtoteles, liefern gediegene Bauſteine, allein Bedeutendes
und Zuſammenhängendes konnte erſt geleiſtet werden in der neueſten Zeit,
denn wie die Komödie in der Poeſie, ſo iſt der Begriff des Komiſchen die
letzte und höchſte Frucht in der Aeſthetik. Jean Paul, der hier ſo
fruchtbare Vorarbeit geliefert hat, ſteht nach der Grundlage ſeiner ganzen
geiſtigen Stimmung zwar auf dem ſubjectiv idealiſtiſchen Boden Kant’s
und Fichte’s, aber er iſt als Humoriſt ebenſo realiſtiſch, oder richtiger,
er befindet ſich mitten in dem unverſöhnten Widerſpruch beider Stand-
punkte. Indem die Philoſophie Schelling’s und Hegel’s dieſen
Widerſpruch begreift und löst, wird eine methodiſche Durcharbeitung des
Begriffes möglich, allein Hegel iſt hier noch zu ſubſtantiell wie in der
Staatslehre und wird ungerecht gegen den Humor. Die freie Fort-
bewegung ſeiner Schule hatte die Aufgabe, hier die letzte Hand anzulegen;
Ruge’s und Weiße’s Verdienſte ſind bekannt und ſo faßt ſich die
Spitze des Begriffs mit der Spitze der in der Zeitfolge letzten hiſtoriſchen
Bewegungen zuſammen.
Obwohl nun im zweiten und dritten Theile des Syſtems, die von
der Wirklichkeit des Schönen handeln, ein ſolches Entſprechen gar nicht
mehr zu verfolgen iſt, ſo laſſen ſich doch im Einzelnen wenigſtens gewiſſe
Andeutungen eines Parallelismus aufzeigen. Dabei fällt der erſte Ab-
ſchnitt des zweiten Theils, die Lehre von der Naturſchönheit, ſogleich
weg. Dieſe iſt noch am wenigſten angebaut und gibt ganz ein Bild des
Zurückbleibens der Philoſophie hinter ihrer Aufgabe, die Naturwiſſen-
ſchaften zu durchdringen. Hegel bietet treffliche Anfänge, iſt aber äußerſt
unvollſtändig. Der zweite Abſchnitt dagegen, die ſubjective Wirklichkeit
des Schönen als Phantaſie, verdankt der ſubjectiven Philoſophie Kant’s,
die hier freilich über ihre Grenzen vordrang, gewiſſe unvergleichlich
treffende Gedanken über das Genie, die für immer Bahn gebrochen haben.
Die Phantaſie breitet ſich aus zur Phantaſie der Völker; eben an die
Kantiſche Schule hängt ſich hier die Epochemachende Entdeckung des
Gegenſatzes zwiſchen klaſſiſch und romantiſch; Schiller’s und der
Schlegel Verdienſte finden hier ihre Stelle. Der dritte Theil enthält
[41] die Lehre von der Kunſt. Obgleich nun in dieſer adäquateſten Wirklich-
keit des Schönen vorzüglich die Unterſuchungen der alten Philoſophie ſich
bewegten, ſo iſt doch weder über den Grundbegriff der Kunſt, noch über
die Gliederung der Künſte von ihnen eine zuſammenhängende Leiſtung zu
erwarten; zudem mußten die zwei Künſte Malerei und Muſik ſchon des-
wegen in ihrer Betrachtung zu kurz kommen, weil ſie wirklich als Künſte
ſelbſt noch gar nicht in die Tiefe ihres Weſens geſtiegen waren. Großes
und Ganzes konnte hier vielmehr erſt die moderne Philoſophie ausführen,
denn die Kunſt iſt ſubjectiv-objective Wirklichkeit des Schönen; ſie zu
begreifen bedarf es einer Philoſophie, deren Prinzip Einheit des Sub-
jectiven und Objectiven und deren Werk Durchführung dieſer Einheit iſt.
Demnach iſt in dieſen Theilen wenigſtens ſo viel Parallele zwiſchen der
Aeſthetik und der Geſchichte der Aeſthetik, daß das ſubjectivere Gebiet
von der Philoſophie des Subjectivismus, dasjenige, welches von da den
Uebergang zum Objectiven darſtellt, von den das Speculative ahnenden
Ausläufern dieſer Philoſophie, dagegen das objektivſte und zugleich
ſubjectivſte Gebiet nur von der ſpeculativen Philoſophie ergründet werden
konnte. Indem durch dieſe ſchließliche Leiſtung das ganze Syſtem ſich
vollendet, iſt allerdings die Bemerkung zu §. 7 noch dahin näher zu
beſtimmen, daß dieſe ſyſtematiſche Ergründung und Durchführung erſt
möglich war, nachdem der Stoff bis auf den Punkt geſammelt, vorlag,
wo eine ganze lange Kunſtbildung ſammt einer Summe der auf ihre
Beurtheilung gerichteten vereinzelten Leiſtungen der Kritik und der Kunſt-
geſchichte abgeſchloſſen war. Was im Gedanken als ein Ganzes auf-
erſtehen ſoll, muß als Ganzes in der Wirklichkeit abgeblüht ſeyn. Die
Verwelkung wirft aber neue Blüthen in den empfänglichen Boden; eine
neue Kunſtwelt iſt, „wenn das ſchon Gebildete wieder Stoff geworden
ſeyn wird“, in unbeſtimmter Zukunft zu erwarten und nach ihr eine neue
Aeſthetik; die Aeſthetik, wie ſie jetzt eine fertige Welt abſchließt, muß
nur den Ausblick in dieſe Zukunft der Kunſt ſowohl als ihrer Wiſſen-
ſchaft, wie oben ſchon bemerkt wurde, offen halten und dies wird einſt
ihre Probe ſeyn.
[[42]][[43]]
Erſter Theil.
Die Metaphyſik des Schoͤnen.
[[44]][[45]]
Die Metaphyſik des Schoͤnen.
§. 9.
Die Metaphyſik des Schönen entwickelt den Begriff des Schönen in1
ſeiner reinen Allgemeinheit, abgezogen von ſeiner Verwirklichung, durch die Ge-
ſammtheit der Momente, welche überall, wo Schönes wirklich wird, mit Noth-
wendigkeit hervortreten, weil ſie in der ideellen Einheit des Begriffs an ſich ſo
enthalten ſind, daß ſie einander fordern. Es iſt dies inſofern eine Abſtraction,
welche nur die Wiſſenſchaft vollzieht, als der reine Begriff als ſolcher kein
objectives Daſeyn hat; derſelbe iſt aber darum keineswegs als eine bloſe Form
des ſubjectiven Denkens anzuſehen, ſondern er ſelbſt iſt der Grund und Inhalt
ſeiner Wirklichkeit. Das Andere, was in dieſer hinzukommt und eine Reihe2
neuer Unterſchiede mit ſich bringt, wird ſich als ein Solches erweiſen, wodurch
dieſer Satz keineswegs aufgehoben wird.
1. Der reine Begriff iſt keine leere Allgemeinheit, ſondern in ſich
ſchon eine Geſammt-Einheit von Momenten. Dieſe Momente, welche
weſentlich ſchon in dem Begriff als ideelle Einheit enthalten ſind, treten
ebendeßwegen überall, wo er ſich verwirklicht, hervor. Wo irgend Schönes
ſich realiſirt, da realiſirt ſich auch Erhabenes und Komiſches, weil dieſe
Momente ſchon im Begriffe ſich gegenſeitig fordern und ſetzen.
2. Dagegen wird von dem Punkte an, wo der Begriff in ſeine
Wirklichkeit übergeht, eine Reihe neuer Unterſchiede hervortreten. Daraus
ſcheint zu folgen, daß zwiſchen dem Begriff und ſeiner Realität ein Weſens-
Unterſchied ſey, ſo daß jener im Sinne des formaliſtiſchen Denkens der
ſubjectiven Abſtraction zugewieſen würde. Die gegenwärtige Unterſuchung
ſetzt dieſen Standpunkt überhaupt als überwunden und die Einſicht als
vorhanden voraus, daß der Begriff ſelbſt als allgemeine hervorbringende
und bewegende Seele in ſeiner Realität wirklich iſt. Nicht die Dar-
[46] ſtellung des Begriffs, ſondern nur die Trennung derſelben von der Dar-
ſtellung ſeiner Wirklichkeit iſt, eben weil dieſe ſeine Wirklichkeit iſt,
ſubjective Abſtraction, doch nicht willkürliche, ſondern von dem Geſetze
der Wiſſenſchaft geforderte. Wenn hiedurch der Begriff für eine Macht
erklärt wird, welche ſelbſt der Grund ihres Daſeyns iſt, ſo wird darum
kein ſpeculatives Phantom aufgeſtellt. Der Erfolg wird dies im zweiten
und dritten Theile des Syſtems zeigen. Was nun aber das Andere
ſey, das in der ideellen Allgemeinheit des Begriffs noch nicht enthalten iſt,
in ſeiner Verwirklichung hinzukommt und jene Reihe neuer Unterſchiede in
ihn einführt, wird ſich zeigen. Hier nur ſo viel: dieſes Andere iſt eine Be-
dingung der Realität, welche, an ſich ſelbſt auch nichts als die Wirklichkeit
eines Begriffs, aber eines ſolchen, der, urſprünglich ein anderer als der
der Schönheit, in ſeiner Entfaltung dieſem entgegenkommt und von ihm
in ſeinen Dienſt gezogen wird, aber ſich in dieſem Verhältniß zu ihm als
dem Thätigen als das blos Verwendete und Benützte verhält. So iſt
es mit jedem Begriffe und ſeiner Verwirklichung, Er bleibt in dieſer
das weſentlich Beſtimmende, verwendet aber Realitäten, welche übrigens
die Wirklichkeit anderer Begriffe ſind, zu ſeinen Zwecken und gibt ſich in
dieſer concreten Verflechtung eine neue Reihe von Beſtimmtheiten. Dies
iſt der einzige Unterſchied zwiſchen dem Begriff und der Realität. Derſelbe
iſt in der Anmerkung zu §. 7 ſchon berührt, dort aber nur in Beziehung
auf dasjenige, was die Aeſthetik als zur Maſſe des rein Poſitiven gehörig
ausſchließen muß, während es ſich hier um Geſtaltungen des Begriffs
handelt, welche allerdings weſentlich ſind, nur nicht für den erſten, meta-
phyſiſchen Theil der Wiſſenſchaft. Zu dem Anderen, was nun hier als
Bedingung der concreten Geſtaltungen des Schönen genannt iſt, gehört
aber nicht die Phantaſie. Dieſe wird ſich im zweiten Theile als der
lebendige Begriff des Schönen ſelbſt erweiſen. Dagegen z. B. die Unter-
ſchiede der Phantaſie als klaſſiſche, romantiſche u. ſ. w. haben ihren Grund
in ſolchem Anderen: der klimatiſch und hiſtoriſch beſtimmte Volkscharakter
wird von dem Schönen in ſeine Macht gezogen und gibt ihr beſondere
Formen, die nicht in die Metaphyſik des Schönen gehören.
[[47]]
Erſter Abſchnitt.
Das einfach Schoͤne.
§. 10.
Die Aeſthetik lehnt ſich an die Metaphyſik und ſetzt als durch dieſe1
begriffen die abſolute Idee voraus. Die abſolute Idee iſt die Einheit aller
Gegenſätze, welche ſich in dem höchſten Gegenſatze, dem des Subjects und Ob-
jects, ſammeln, der ſich durch die getheilte, aber ſelbſt wieder zur Einheit ſich
zuſammenſchließende Thätigkeit des Erkennens und Wollens aufhebt. Dieſe
höchſte Einheit iſt nicht blos ein formaler Begriff; ſie kann aber auf keinem2
einzelnen Punkte der Zeit und des Raumes als ſolche zur Erſcheinung kommen,
ſondern ſie verwirklicht ſich blos in allen Räumen und im endloſen Verlaufe der
Zeit durch einen beſtändig ſich erneuernden Prozeß der Bewegung.
1. Würde die Aeſthetik encyclopädiſch gelehrt, ſo würde hier nicht
vom Schluſſe der Metaphyſik, der abſoluten Idee, mit Ueberſpringung
aller Formen des wirklichen Geiſtes unmittelbar ausgegangen; die Ent-
wicklung käme her von der Betrachtung des ſubjectiven, dann des objectiven
Verhaltens, worein der Geiſt ſich getheilt hat; hierauf eingetreten in die
Lehre vom abſoluten Geiſte hätte ſie die Religion dargeſtellt als erſte
und unmittelbarſte Form, worin die Einheit aller Gegenſätze blos empfunden
und durch die verwechſelnde Vorſtellung vor das Bewußtſeyn gebracht
wird, und nun wäre der einfache Schritt der, daß entwickelt würde, wie
das Empfundene und vorgeſtellte vermöge eines durchgreifenden Grund-
geſetzes als Gegenſtand der Anſchauung vor den Geiſt treten ſoll. Daß
dies nur durch die Kunſt geſchieht, dürfte auch bei dieſem Wege nicht
unmittelbar hingeſtellt werden; der Ausgang von der Nothwendigkeit des
[48] ſinnlichen Scheinens müßte auch dann erſt durch viele Mittelglieder weiter
gehen, bis erhellen würde, daß dieſes ſinnliche Scheinen eben ein Werk
des hervorbringenden, nicht blos zuſehenden Geiſtes, der Kunſt iſt. Da
aber die Aeſthetik hier nicht im encyclopädiſchen Zuſammenhang gelehrt wird,
ſo hat ſie ſich zunächſt einfach an das Schlußreſultat der Metaphyſik
anzulehnen und muß dieſes als bekannt, ja als anerkannt und als einen
geiſtigen Beſitz der Zeit vorausſetzen. Die Einleitung zwar durfte hierin
vorgreifen, weil ſie das Verhältniß der Aeſthetik zu den benachbarten
Sphären vorläufig zu beſtimmen hatte; das Syſtem ſelbſt aber hat in
dieſer Beziehung analytiſch zu verfahren: von dem entwickelten Begriffe
des Schönen ſieht es zurück und indem es ihm ſeine Stelle anweist, über-
ſchaut es den Gang des Geiſtes in den Schritten, die er zuletzt noch zurück-
legt, um zum Schönen, dann weiter, um über es hinaus zu gelangen. Doch
im erſten metaphyſiſchen Theile wird auch dieſes Eingehen ſich noch in ab-
ſtracten, aus den Lehnſätzen ſynthetiſch gewonnenen Beſtimmungen bewegen;
als ein Thun des concreten lebendigen Geiſtes neben anderen Weiſen ſeines
Thuns wird das Schöne erſt im zweiten Theile ſich darſtellen. Jenes Reſul-
tat der Metaphyſik nun, von dem hier ausgegangen wird, iſt reiner Pan-
theismus. Es könnte zweierlei eingewandt werden: entweder, es ſey gleich-
gültig, ob die Aeſthetik vom Theismus oder vom Pantheismus aus conſtruirt
werde, denn das Schöne ſetze zwar die Immanenz voraus, aber der Theismu[s]
habe auch die Immanenz, nur die Tranſcendenz dazu; oder: es müſſe und
ſolle ſogar vom Theismus aus conſtruirt werden, denn die allein wahre Kunſt
ſey diejenige, welche die perſönliche Gottheit feire. Beide Einwendungen
verhalten ſich ſo zu einander: die erſte verſteht die Kunſtgeſchichte nicht,
die zweite mißverſteht ſie. Der höchſte Gegenſtand der Kunſt iſt immer
das Abſolute; wird dies als perſönlicher Gott behauptet, ſo iſt und bleibt,
ihn mit ſeinen Umgebungen und den Erſcheinungen ſeines Eingriffs in
die Welt darzuſtellen, die höchſte Aufgabe der Kunſt, und dadurch ſind
alle Fortſchritte rein weltlicher Kunſt ſeit der Reformation entweder verkannt
oder verdammt. Der Standpunkt der erſten Einwendung verkennt dieſelben;
er läßt ſie zu, da er neben der Tranſcendenz Immanenz behauptet, aber
er muß ſie niedrig ſchätzen. Der Standpunkt der zweiten muß ſie ver-
dammen. Es leuchtet ein, daß hievon auch die ganze Stellung der Aeſthetik
im Syſteme abhängt, und daß die Weiß’ſche gefordert iſt, ſobald man
vom Theismus ausgeht. Doch nicht blos um den Sinn der Kunſtgeſchichte
und um die Stellung der ganzen Wiſſenſchaft handelt es ſich; ſchon die
ganze Begriffsfolge in der Metaphyſik des Schönen wird durch die Vor-
[49] ausſetzung des Theismus zerſtört. Die höchſte Einheit des Subjects und
Objects iſt auf keinem einzelnen Punkte der Zeit und des Raums wirklich,
aber ein geiſtiges Geſetz fordert den Schein dieſer Wirklichkeit. Der
Theismus, wie er ſich immer ſträuben mag, ſetzt einen ſolchen Punkt;
dieſer Punkt iſt Gott, dem bei irgend einiger Conſequenz ein eigener Leib
und ein Wohnort vom Theismus zugeſchrieben werden muß. Aeltere Kirchen-
lehrer waren ſo aufrichtig, dieſe Conſequenz zu ziehen, Tertullian ſpricht
ſie aus, die Clementiniſchen Homilieen ſtellen einen leiblichen Gott als
Ideal der Schönheit auf. Die Darſtellung dieſes Gottes, wie er einmal
vorgeſtellt wird, muß dann für die höchſte Aufgabe der Kunſt erklärt
werden, während die wahre Auffaſſung ſolche Verſuche als etwas rein
Phänomenologiſches in die Kunſtgeſchichte einreiht. Als ein Aufblick zu
dieſem transſcendenten Leibe muß aber dann das Schöne vornherein con-
ſtruirt werden. Es iſt nicht reiner Schein, es iſt Porträtiren eines abſoluten
Körpers, der ihm freilich niemals ſitzt. Der Theismus, der dieſen über-
irdiſchen Leib begriffsmäßig zu halten ſucht, iſt gar keine Form der Wiſſen-
ſchaft; er iſt ein Verſuch des gemeinen Menſchenverſtands, die Phantas-
magorie des Doppeltſetzens zu ſyſtematiſiren.
2. Die einzige Tranſcendenz, welche die Philoſophie kennt. Die
abſolute Idee iſt ewiger Prozeß. Der Theismus hat einen todten d. h.
einen ein für allemal fertigen, der Pantheismus einen lebendigen Ueber-
ſchuß, und dadurch Raum genug für alle die poetiſchen Kräfte des
Gemüths, die man ihm abſtreiten will, Sehnſucht, Hoffnung, Glauben,
Beugung vor einer unendlichen Tiefe, die kein Zeitmoment erſchöpft.
Nicht von dieſen Kräften iſt aber hier die Rede; der Fortgang der
Begriffsfolge wird ſich zeigen.
§. 11.
Die abſolute Idee legt ſich in einen Umkreis beſtimmter Ideen aus-
einander, und auch die einzelne beſtimmte Idee iſt auf keinem gegebenen Punkte
des Raums und der Zeit unmittelbar wirklich, ſondern ſie verwirklicht ſich nur
in der unendlichen Zahl und Bewegung der unter ihr begriffenen Weſen.
Der §. bereitet die Ergänzung eines weſentlichen Mangels der
Hegel’ſchen Aeſthetik vor, wovon nachher. — Die beſtimmten Ideen
ſind die Reiche des Lebens, ſofern ihre Wirklichkeit als ihrem Begriffe
entſprechend gedacht wird; denn Idee bezeichnet immer den in ſeiner
Wirklichkeit rein und mangellos gegenwärtigen Begriff. Dieß reine
Viſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 4
[50]Daſeyn ſtellen aber nur alle dieſem Begriff, d. h. dieſer Gattung ange-
hörigen Weſen dar, wie jedes in unendlicher Reihe das andere ergänzt,
die Mängel des vorhergehenden Zuſtands im folgenden überwindet. Iſt
alſo Idee das Subject im Satze des §. und wird eine gewiſſe Art der
Wirklichkeit ihr doch abgeſprochen, ſo iſt ſie in dieſer Beziehung blos
gedachte Einheit des Begriffs und der Wirklichkeit, was ſogleich her-
vorzuheben iſt.
§. 12.
Dieſe Wirklichkeit der Idee, welche in keinem einzelnen Momente und
an keinem einzelnen Orte je vollendet iſt, kann in Wahrheit nur durch den
Gedanken erfaßt werden. Auf zweierlei Weiſe alſo iſt ſie wirklich: im all-
gemeinen, ewigen Weltverlaufe und im zuſammenfaſſenden Geiſte des Denkenden.
Zwiſchen dieſe beiden Weiſen aber tritt eine andere ein. Es beherrſcht nämlich
alle Sphären des Geiſtes das Geſetz des Ausgangs vom Unmittelbaren zum
Vermittelten (vergl. §. 4); dieſes Geſetz, deſſen Grund und Allgemeinheit als
erwieſen hier aus der geſammten übrigen Philoſophie vorauszuſetzen iſt, fordert
mit Nothwendigkeit, daß auch die abſolute Idee, welche in entſprechender
Wahrheit nur durch die Vermittlung des Denkens zu ergreifen iſt, zuerſt in der
Form der Unmittelbarkeit oder der [Anſchauung] vor dem Geiſt auftrete.
Es iſt unvermeidlich, hier einen neuen Satz aus der Logik, wo er
dialektiſch begründet wird, und aus der geſammten übrigen Philoſophie,
wo er ſich als Geſetz alles Lebens bewährt, als Lehnſatz aufzunehmen, den
zwar die Einl. ſchon im weiteren Sinne berührt hat in §. 4. Die beſondere
Wiſſenſchaft der Aeſthetik kann ſich auf eine Begründung dieſes Geſetzes
nicht einlaſſen, denn ſie würde ſich dadurch kein geringeres Geſchäft auf-
legen, als eine Recapitulation der ganzen Philoſophie. Inzwiſchen kann
der weniger Bewanderte ſich ſelbſt, der Bewanderte dem Schüler mit wenig
Schwierigkeit begreiflich machen, daß alle Bewegung anfängt mit dem,
was, um zu ſeyn oder begriffen zu werden, nicht erſt ein Anderes voraus-
ſetzt, und dies iſt das Unmittelbare; daß ſie fortgeht zu dem, was ein
Anderes vorausſetzt und was daher von dieſem geſetzt iſt, was ſich alſo
nur durch dieſes Hindurchgehen von dem Einen zum Andern, nur durch
dieſe Gegenſeitigkeit erhält oder begreifen läßt; daß ſie endlich ſchließt
mit dem, worin ſich dieſe Theilung in Eines und Anderes, das einander
ſetzt und trägt, wieder zur Einheit aufhebt, indem ſich zeigt, wie das
Eine im Andern und das Andere im Einen iſt und ſo ihr Gegenſatz ſich
auflöst. Leicht iſt es, dieſes Geſetz an jeder Sphäre des Lebens, des
[51] geiſtigen insbeſondere, vorſtellig zu machen. Sphäre des ſubjectiven
Geiſtes: unmittelbare Einheit in der fühlenden Seele, Vermittlung im
Erkennen durch den Gegenſatz des Subjects und Objects, vernünftiges
Denken der Einheit dieſes Gegenſatzes. Sphäre des objectiven Geiſtes:
der Wille in der unmittelbaren Geſtalt des Triebes, in der vermittelten
als wählende Freiheit, in der harmoniſch mit ſich ſelbſt Einen als Wille
des Guten. Staat: Naturſtaat, verſtändiger Staat (Polizeiſtaat), ver-
nünftiger Staat. Sphäre des abſoluten Geiſtes, Religion: Natur-
Religion, vermittelte oder verſtändig trennende Religion (Judenthum),
vernünftig einigende Religion (Chriſtenthum). Je die dritte und höchſte
Form, in welcher die Unterſchiede der Vermittlung zuſammengiengen, wird
aber wieder zu einem Einfachen und Unmittelbaren, derſelbe Prozeß wieder-
holt ſich. Dies iſt an nichts klarer nachzuweiſen, als an dem Bildungs-
gange der Menſchheit, worin immer die letzte und vermeintlich bewußteſte
Form einer neuen Zeit zum Gegenſtand eines höheren Bewußtſeyns, zum
Stoffe einer tieferen Arbeit, alſo wieder zum Unmittelbaren und zum Aus-
gangspunkte der Vermittlung wird. Dieſe Bewegung wiederholt ſich,
was die beſonderen Sphären des Geiſtes betrifft, ſo lange, bis die Form
gefunden iſt, welche dem Inhalte ſchlechthin entſpricht, ſo daß der Drang,
den letzten Reſt des Dunkels im verhüllten Unmittelbaren aufzulöſen,
geſättigt iſt und die Idee bei ſich ſelbſt ankommt. Dieſe Form iſt das
reine Denken als Philoſophie; was aber den Bildungsgang des Geiſtes
überhaupt betrifft, ſo iſt mit ihr die Bewegung nicht geſchloſſen; immer
auf’s Neue ſchickt ſich die Vermittlung das Unmittelbare voran, um es
in ſich zu verarbeiten, die Philoſophie ſelbſt hat ihre Geſchichte, worin
jener Prozeß unendlich wiederkehrt, nur verbeſſert ſie in dieſem blos ihre
eigenen Formen und ſucht keine weitere über ſich ſelbſt hinaus. Die
Nothwendigkeit des Schönen beruht nun darauf, daß der Geiſt, nachdem
er den Standpunkt bereits eingenommen hat, worin die Gegenſätze der
Endlichkeit aufgehoben ſind, auch auf dieſem Standpunkt, welcher der
reichſte und vermitteltſte von allen iſt, ſelbſt wieder zunächſt mit der Form
der Unmittelbarkeit beginnt, daß er die abſolute Idee ſelbſt wieder in
ſinnlicher Form, welche (beziehungsweiſe) ohne Vermittlung im Gefühl
und der Anſchauung auftritt, vor ſich hinſtellt. Genauer betrachtet handelt
es ſich von zwei der Philoſophie vorangehenden Formen, der Religion
und der Kunſt (vergl. §. 5), von welchen die erſte im ſtrengſten Sinn
unmittelbar und Ausgangspunkt iſt, die zweite entſchieden ſchon die Ver-
mittlung darſtellt, während die dritte (die Philoſophie) mit dem rein
4*
[52]Allgemeinen beginnt und aufhört, was die Aufhebung aller Vermittlung
vorausſetzt und dieſe in der Mitte ihres Wegs nur frei und ſelbſtthätig,
ebendaher mit der bewußten Beſtimmung, daß ſie zu überwinden ſey,
hervortreten läßt. Die Religion wird ſich als Gefühl darſtellen, worin
Subject und Object noch gar nicht geſchieden ſind; was ſie von Formen
der Vermittlung aus ſich erzeugt, das bleibt, eben weil ſie ſich von jener
Grundlage auch in ihren höheren Formen nicht zu befreien vermag, in
der ſtoffartigen Verwechslung von Subject und Object hängen, welche in
§. 5 Anm. ſchon berührt iſt. Die Kunſt dagegen entſpricht der An-
ſchauung, worin dem Subject — zwar in ſinnlicher Weiſe — klar ge-
ſchieden ein Object gegenübertritt; dieſe Gegenüberſtellung iſt offenbar
bereits Vermittlung. Die Kunſt wird ſich auch wirklich als die Ver-
mittlerin zwiſchen Religion und Philoſophie darſtellen. Der §. hat ſich
jedoch auf die beſonderen Formen Religion und Kunſt noch nicht einzulaſſen,
ſondern nur abſtract zu Behuf der erſten Grundlegung auf das dargeſtellte
Geſetz des logiſchen Prozeſſes überhaupt zu berufen, der auch der Prozeß
des wirklichen Geiſtes iſt. Gegeben iſt im obigen Zuſammenhang zunächſt
nur die Philoſophie, welche als die einzig adäquate Form der abſoluten
Idee im Anfang des §. ausgeſprochen iſt; nur mit dieſer iſt jetzt der Stand-
punkt des Schönen zu vergleichen, und da alſo nur ein Verhältniß zwiſchen
zwei Formen gegeben iſt, ſo kann das in Rede ſtehende Geſetz nur nach
der allgemeinen Beſtimmung aufgeführt werden, daß es einen Ausgang
vom Unmittelbaren und einen Fortgang zum Vermittelten mit ſich führt.
Nun erwäge man, daß das Schöne als ein gegenüberſtellendes Anſchauen
verglichen mit dem, Subject und Object dunkel in Eins ſchlingenden, Gefühl
zwar allerdings eine vermittelte Form iſt, wenn es aber nach vorwärts
mit dem Denken verglichen wird, durchaus als gegründet auf Unmittel-
barkeit erſcheint, ſo wie die Anſchauung überhaupt im pſychologiſchen
Gebiete mit dem Gefühl verglichen zwar eine Vermittlung, mit dem
Denken aber verglichen eine Unmittelbarkeit, eine ſinnliche Form iſt; man
erwäge überhaupt, daß das Moment der Vermittlung in der philoſophiſchen
Methode ſelbſt überall noch in Kategorieen der Sinnlichkeit hängt (alles
blos verſtändige Trennen rührt daher, daß der Verſtand noch von den
Grundformen der Sinnlichkeit, Raum und Zeit, nicht frei iſt); man erwäge
aber weiter, daß die Vermittlung ebenſoſehr die Thätigkeit iſt, dieſen
Reſt des Unmittelbaren aufzuheben: ſo erhellt, daß im §. der Standpunkt
des Schönen als eine im abſoluten Geiſte ſelbſt noch geforderte Form der
Unmittelbarkeit, das reine Denken aber als Form der (ſich im Fortgang
[53] aufhebenden) Vermittlung aufzuführen und davon in dieſem Zuſammen-
hang zu abſtrahiren war, daß im ſtrengſten Sinne unmittelbar allerdings
vielmehr die der Kunſt vorangehende Form der Religion iſt. Daher heißt
es im §.: „die Form der Unmittelbarkeit oder der Anſchauung“; die Un-
beſtimmtheit, die darin liegt, wird in der weiteren Entwicklung verſchwinden.
§. 13.
Dieſem Geſetze entſprechend erzeugt ſich ihm der Schein, daß ein Einzelnes1
in der Begrenzung von Zeit und Raum Daſeyendes ſeinem Begriffe ſchlechthin
entſpreche, daß alſo in ihm zunächſt eine beſtimmte Idee und dadurch mittelbar
die abſolute Idee vollkommen verwirklicht ſey. Dies iſt zwar inſofern ein bloſer2
Schein, als in keinem einzelnen Weſen ſeine Idee vollkommen gegenwärtig iſt;
da aber die abſolute Idee nicht eine leere Vorſtellung, ſondern allerdings im
Daſeyn, nur nicht im einzelnen, wahrhaft wirklich iſt, ſo iſt es inhalts-
voller Schein oder Erſcheinung. Dieſe Erſcheinung iſt das Schöne.
1. „Erzeugt ſich ihm der Schein.“ Abſichtlich unbeſtimmt, ſonſt
wäre zu ſagen: er erzeugt ſich den Schein. Es wird hier immer noch
die Anſicht freigegeben, als ob dem Geiſte dieſer Schein von auſſen
gegeben ſey, im Naturſchönen. Eigentlich iſt es ein Schein anderer Art, ein
Schein, als ſey der wahrhaft geſuchte Schein von ſelbſt da, daß wir meinen,
die Schönheit ſey eine vorgefundene; er rührt daher, daß der Act, wodurch
wir die Natur unter den Standpunkt der Schönheit rücken, ein unbe-
wußter iſt: — was Alles hier noch nicht erörtert werden kann. —
Der Schein beſteht darin, daß ein in Raum und Zeit Daſeyendes
Alles zu erſchöpfen ſcheint, was unter reinſter Vereinigung ſeines Begriffs
(ſeiner Gattung mit allen in ihr enthaltenen Momenten und Merkmalen)
und ſeiner Wirklichkeit gedacht wird, d. h. was in ſeiner Idee liegt.
Ganz derſelbe Gedanke iſt ausgeſprochen von Schelling (Syſtem des
tranſc. Idealism. S. 473, 474): „durch die objective Welt als Ganzes,
niemals aber durch das einzelne Object wird ein Unendliches dargeſtellt,
während dagegen als Product der Kunſt jedes einzelne Object die
Unendlichkeit darſtellt.“
2. Bloſer Schein iſt hierin nur das, daß dieſes Einzelne mangel-
loſe Darſtellung der reinen Harmonie zwiſchen dem Begriff und der
Wirklichkeit ſey. Der ganze Umfang und Verlauf des Lebens ſtellt
aber, wiewohl wir in unendlichem Progreſſe und daher nicht in be-
[54] grenztem Punkte für die Sinne faßbar, allerdings die abſolute Idee
vollkommen dar. Alſo ein Schein und hinter dieſem Schein eine Wahr-
heit. Dies iſt inhaltsvoller Schein: Erſcheinung. Die Etymologie des
Wortes Schön iſt übrigens zweifelhaft; es kann zu Scheinen aber auch
zu Schauen (schouwen, wie frône zu frô, frôwes vergl. Wacker-
nagels Wörterbuch) gehören; beide Ableitungen entſprechen jedoch gleich
gut dem Begriffe.
§. 14.
Das Schöne iſt alſo die Idee in der Form begrenzter Erſcheinung. Es
iſt ein ſinnlich Einzelnes, das, als reiner Ausdruck der Idee erſcheint, ſo
daß in dieſer nichts iſt, was nicht ſinnlich erſchiene und nichts ſinnlich erſcheint,
was nicht reiner Ausdruck der Idee wäre. Es unterſcheiden ſich alſo drei
Momente: die Idee, die ſinnliche Erſcheinung und die reine Einheit beider.
Jedes dieſer drei Momente iſt gemäß dem wiſſenſchaftlichen Zwecke geſondert
zu betrachten.
Die Definition ließe ſich mit unendlich vielen verwandten Wendungen
anderer Aeſthetiker zuſammenſtellen. Dieß iſt jedoch von keinem Intereſſe,
da die wichtigſten nach der in der Einleitung §. 8 aufgeſtellten Aufgabe,
die Geſchichte der Aeſthetik in das Syſtem ſelbſt einzuführen, an ihrem
Orte hervorzuheben ſind.
[[55]]
A.
Die Idee.
§. 15.
Es kann nach §. 13 zunächſt immer nur eine beſtimmte Idee ſeyn, welche1
in der ſchönen Erſcheinung zum Ausdrucke kommt; denn das Allgemeine kann
ſich überhaupt im Einzelnen nur durch die Mitte des Beſonderen darſtellen.
Jede beſtimmte Idee iſt aber nichts Anderes, als eine Form und Stufe der2
abſoluten, es ſind in jeder alle miteingeſchloſſen; daher iſt ebenſo weſentlich die
andere Seite feſtzuhalten, daß in jedem Schönen mittelbar nicht nur dieſe oder
jene, ſondern die Idee als gegenwärtig erſcheint.
1. Es iſt der Inhalt von §. 13, 1. noch ausdrücklich hervorzu-
ſtellen und näher auszuführen. Der erſte Satz des §. nun ſcheint ſich
ſo von ſelbſt zu verſtehen, daß er als müßig angefochten werden könnte.
Eine ſchöne Frucht kann nicht unmittelbar die Idee der Frucht überhaupt
zur Erſcheinung bringen, ſondern zunächſt nur ihre beſondere Art und
dadurch mittelbar die Form des Naturlebens, welcher dieſe Art angehört,
und ſofort die Fülle des Lebens überhaupt; ein ſchöner Menſch nicht
unmittelbar die Menſchheit, ſondern zunächſt eine beſtimmte Volksart,
Stammes-Art, Bildungsform, Geſchlecht, Stand u. ſ. w., und nur
mittelbar, weil in allen dieſen Formen die Menſchheit ſich entfaltet,
die letztere. Zieht man hier ſogleich (was eigentlich ungehörig iſt) die
Religion herbei, ſo ſucht dieſe allerdings, ſo ſcheint es, unmittelbar die
abſolute Idee im Phantaſiebilde, das ſie der Kunſt übergibt, zu ver-
gegenwärtigen. Allein auch die Religion iſt genöthigt, den Inbegriff
des Vollkommenen für dieſen Zweck in einen Kreis von Göttern und
Mittelweſen oder in eine Mehrzahl von Perſonen in der Gottheit, von
[56] Engeln, Heiligen u. ſ. w. auseinander zu legen, denn die Geſtalt iſt zu
begrenzt und beſtimmt, um ohne die Mitte der Beſonderheit das All-
gemeinſte in ſich darzuſtellen. Dennoch hat Hegel, indem er zwar
ſonſt dieſe nothwendige Einſchränkung nicht überſah, ja ſogar mit Vor-
liebe ſich für eine Epoche der Kunſt ausſprach, welche nichts weniger
als unmittelbar nach dem höchſten Stoffe griff, ſich den Vorwurf zu-
gezogen, daß er gerade an den entſcheidenden Stellen dieſen weſentlichen
Punkt ſchief darſtellte. Die Hauptſtelle iſt Aeſthetik B. 1. S. 96, 97.
Die Forderung zunächſt einer beſtimmten Idee liegt zwar hier entſchieden
in dem Ausdrucke vor: „die Idee als das Kunſtſchöne iſt die Idee mit
der näheren Beſtimmung, weſentlich individuelle Wirklichkeit zu ſeyn,
ſo wie eine individuelle Geſtaltung der Wirklichkeit mit der Beſtimmung,
in ſich weſentlich die Idee erſcheinen zu laſſen.“ Die individuelle Geſtalt
kann offenbar zunächſt nur dieſe oder jene Idee in ſich zur vollen Er-
ſcheinung bringen. Gleich darauf aber wird dies geradezu abgewieſen und
behauptet, es werde, wenn man es dem Kunſtſchönen freiſtelle, dieſe
oder jene Idee zur Darſtellung zu bringen, in formaliſtiſcher Weiſe
bloſe Richtigkeit ſtatt Schönheit gefordert. Dies iſt ein ganz über-
eilter Schluß, deſſen Grund ſich übrigens einſehen läßt. Hegel hat
vorher ausgeſprochen, daß die Idee im Kunſtſchönen nicht die Idee in
dem Sinne ſey, wie ſie eine metaphyſiſche Logik als das Abſolute aufzu-
faſſen habe, ſondern die Idee, inſofern ſie zur Wirklichkeit fortgeſtaltet
ſey und mit dieſer Wirklichkeit in unmittelbar entſprechender Einheit ſich
darſtelle. Nun fürchtet er, wenn er „dieſe oder jene“ Idee als Inhalt
des Schönen zulaſſe, ſo denke man an blos logiſche Kategorien, oder ab-
ſtracte Begriffe, wie man ja ſolche häufig genug als Inhalt künſtleriſcher
Darſtellung wählen zu dürfen gemeint hat. Allein gegen dieſe Beſorg-
niß hat er ſich ja vielmehr ebendadurch gedeckt, daß er ausdrücklich die
äſthetiſch darſtellbare Idee erſt im Reiche des Lebens beginnen läßt, und
es bedurfte etwa nur noch einer beſonderen Verwahrung, wie ſie im
folgenden §. niedergelegt werden wird, um dieſes Mißverſtändniß aus-
zuſchließen. Allerdings ſcheint dieſem Mangel noch eine andere, geheime
Urſache zu Grunde zu liegen. In der Lehre vom Ideale nämlich unter-
läßt Hegel zwar nicht, dasſelbe als ein beſtimmtes darzuſtellen, d. h.
als ein ſolches, das ſich durch die Religion in einen Götterkreis, das
ſich in der menſchlichen Welt in verſchiedene Zuſtände, Mächte des
Handelns, Charaktere auseinanderlegt. Ueberall jedoch zeigt er hier und
ſonſt eine entſchiedene Neigung, ſogleich nur den höchſten und bedeutendſten
[57] Inhalt, den das Schöne in ſich aufnimmt, in’s Auge zu faſſen, woraus
denn auch folgt, daß er die Kunſt zu wenig von der Religion trennt. Nicht
dies iſt ihm dabei zum Vorwurf zu machen, daß er gewichtigen Inhalt
fordert, aber dies, daß er darüber den weiten Umkreis unendlicher Lebens-
formen überſpringt, welche zwar nicht den bedeutendſten, aber gewiß auch
einen würdigen Inhalt abgeben. Dies veranlaßt ihn ſogar zu dem
logiſchen Fehler, das Naturſchöne von dem Kunſtſchönen oder Ideal
ſo zu unterſcheiden, daß er dieſes da eintreten läßt, wo ſich das blos
beſeelte Leben in begeiſtetes Leben erhebt, wiewohl er übrigens auch dieſes
als der künſtleriſchen Läuterung noch bedürftig nachweist (B. 1, S. 191 ff.).
Allein das Schöne jener tiefer ſtehenden Stufen des Naturlebens iſt ja
auch ein Gegenſtand der Kunſt, kommt als ein Zweig der Darſtellung
auch vor im Ideale; daher nimmt Hegel in dieſes viel zu wenig auf.
Hegel dringt alſo auf großen Gehalt zu ſehr auf Koſten der unendlichen
anderweitigen Arten von Gehalt, und dies eben iſt wohl auch der Grund,
warum er ſchon in der Grundlegung des Begriffs ausdrücklich nur von
der abſoluten, nicht von der beſtimmten Idee geſprochen wiſſen will.
Aus dieſem Vorwurf, der allerdings Hegels Entwicklung trifft, iſt
ihm neuerdings ein weiterer geſchmiedet worden, der nicht ihn, wohl
aber alle Wiſſenſchaft des Schönen und am Ende alle Wiſſenſchaft trifft
und im Grunde alle Kunſt zerſtört. In der Einleit. §. 5. Anm. iſt
hervorgehoben worden, wie Weiße einen Grundfehler der Hegel’ſchen
Aeſthetik darin finden will, daß in ihr die Schönheit als eine verhüllte
Wahrheit gefaßt werde. Er ſagt: „dann bliebe, was in ihr Wahrheit
iſt, die ſpeculativen Gedanken und Begriffe, die dem Schönen eingebildet
und in ihm niedergelegt ſeyn ſollen, das allein wahrhaft Seyende in
ihr, und die Bilder und Vorſtellungen, in die ſie gehüllt iſt, wären ein
äußerliches Nebenwerk, von welchem jene das abſolut Geiſtige der Schön-
heit ausmachenden Begriffe befreit, weit reiner und vollkommener, als
mit ihnen, ſie ſelbſt wären. Wer daher die Schönheit, ſtatt für eine
aufgehobene, für eine verhüllte Wahrheit hält, muß nothwendig, in dem
Wahne ſtehen, daß es für jedes einzelne Schöne einen adäquaten
Begriff gebe, in welchem das Weſen oder der innerſte Kern der
Schönheit vollſtändiger, als in dem Schönen ſelbſt enthalten ſey. Dieſer
Wahn hat außer vielen andern Mißverſtändniſſen auch das einer Kunſt-
philoſophie und Kunſtkritik hervorgerufen, welche in „„Gedankenkunſt-
werken““ das Beſte und wahrhaft Geiſtige, gleichſam die Quinteſſenz jedes
wirklichen Kunſtwerkes, wiedergeben und ſolchergeſtalt dieſe letzteren wie
[58] alle Schönheit entbehrlich mache, indem ſie ſie in dem höhern und edlern
Elemente des reinen Gedankens wiederſchaffe.“ (Syſt. der Aeſth.
1. Thl. §. 9 Anm.) Es mußte ſchon oben vom encyklopädiſchen Stand-
punkte der Einleitung aus dieſer Vorwurf auf Weiße ſelbſt zurückge-
wendet werden, welcher durch die Voranſetzung der Wahrheit vor die
Schönheit jene ja ſchon vorher enthüllt hatte und nun erſt wieder
verhüllen muß. Meint er nun, das Organ des Schönen, die Phan-
taſie, ſey fähig, dieſe Verhüllung im Sinne der von ihm geforderten
Aufhebung vorzunehmen, ſo ſollte man doch wenigſtens meinen, ſie
ſey noch weit gewiſſerfähig, eine reine Durchdringung der Wahrheit mit
der Form, wodurch die erſtere gar nicht mehr als eine geſonderte wahrzu-
nehmen iſt, dadurch zuführen, wo jene Enthüllung noch gar nicht vorher-
gegangen iſt. Man ſieht aber aus den weiteren Sätzen ganz deutlich: Weiße
hat zwei Fragen völlig verwechſelt. Die eine iſt: was unterſcheidet die
Wiſſenſchaft im Schönen? die andere: welche Verbindung dieſes von ihr
Unterſchiedenen ſagt die Wiſſenſchaft vom Schönen und von der Art des
erſten, rein äſthetiſchen Eindrucks desſelben auf das Subject aus? Wenn
die Wiſſenſchaft im Schönen einen beſtimmten Ideengehalt und eine ſinn-
liche Form, worin er niedergelegt iſt, unterſcheidet, ſo meint er, ſie finde
keinen Weg und Steg mehr, nachzuweiſen, daß das Weſentliche des Schönen
eine reine Verſchmelzung beider ſey. Er meint, die Wiſſenſchaft lege die
Trennung, die ſie vornehmen muß, der Phantaſie oder dem Künſtler unter;
er meint, weil die Wiſſenſchaft den Gehalt, den ſie vom Kunſtwerke fordert,
nur in beſtimmter Gedankenform als Idee faſſen kann, ſo vergeſſe ſie,
daß der Künſtler ebendenſelben Gehalt, aber nicht in der Weiſe des
Gedankens, ſondern vorneherein als untrennbar eingeboren in ſinnliche
Form in ſich hegt und darſtellt, er meint, weil die Kunſtphiloſophie
über den reinen ungetheilten Empfindungsgenuß hinausgehend das Kunſtwerk
im Gedanken noch einmal aufbaut, ſo zerſtöre ſie jenen und dieſes, da
ſie doch ſelbſt durchaus nicht für einen äſthetiſchen Akt, ſondern nur für
einen Akt des Nachdenkens über das Aeſthetiſche gehalten ſeyn will, und
da ihr Gedanken-Umbau des Kunſtwerks zum Hauptziele hat, nicht
etwa blos die Beſtandtheile desſelben aufzuweiſen, ſondern vielmehr gerade
das äſthetiſche Band, das ſie künſtleriſch vereinigt; er vergißt, daß eben-
daher die Philoſophie zwar mehr zu ſeyn behauptet, als die Kunſt,
aber nicht der philoſophiſche Nachbau eines einzelnen Kunſtwerks mehr als
dieſes, denn er dient ja eben zur Ehre des Kunſtwerks und verherrlicht
es, indem er das ſpezifiſch äſthetiſch Einigende in ihm aufzeigt. Wenn
[59] nun die Philoſophie nicht mehr als den Kern aller Dinge den Gehalt
ſoll aufweiſen dürfen und können, der unendliche Formen annimmt und
für ſie und durch ſie erſt zum gedachten Begriffe wird, ſo iſt ſie aufge-
hoben, ihr höchſtes Ziel iſt, ſich zu zerſtören und den Gedanken dazu
zu benützen, um die Undenkbarkeit ihrer Gegenſtände zu beweiſen; die
Kunſt ſelbſt aber wird ein Geſpenſt, das aus Furcht, durch Aufnahme
eines Gehalts unſelbſtändig zu werden, im leeren Scheine ſpuckt.
Dieſen Keim einer falſchen Kritik hat neueſtens W. Danzel aus-
geſponnen: Ueber die Aeſthetik der Hegelſchen Philoſophie
(1844). Er hat in dieſer Schrift viel Wahres und Zeitgemäßes vor-
gebracht, denn es thut wirklich noth, die alte Kantiſche Einſicht
wieder in ihre Kraft einzuſetzen, daß das Schöne ein reines Formweſen
und alles ſtoffartige Intereſſe ihm fremd iſt. Auch iſt nicht zu läugnen,
daß die von Hegel zunächſt ausgegangene äſthetiſche Kritik, wie ihr der
Verfaſſer vorwirft, bei der Beurtheilung von Kunſtwerken häufig nur
auf den Gehalt losging, ihn ſogar blos als Gelegenheit benützte, das
aus Religions- und Rechts-Philoſophie anderweitig Bekannte zu wieder-
holen, während man ja „gerade wiſſen wollte, was die Form als
ſolche ſey, woher ſie ſtamme, und wie man ihre Wirkung zu erklären
habe“. Von dieſer Verwechslung der ſpezifiſch äſthetiſchen Kritik mit
einer auf den Gehalt gerichteten philoſophiſchen ſucht Danzel den ur-
ſprünglichen Grund in einer ſtoffartigen Auffaſſung des Schönen,
die der geſammten Kunſtbetrachtung des Meiſters zu Schulden kommen
ſoll. Zunächſt mit Rückſicht auf die Stellen in der Phänomenologie
und Encyclopädie wird Hegel Vermiſchung der Kunſt und Religion
vorgeworfen; dieſer Vorwurf iſt nicht umzuſtoßen, auch die Vorleſungen
über Aeſthetik trifft er in einem gewiſſen Sinne, namentlich den ganzen
zweiten Theil. Wenn nun aber gerade die Vorleſungen durch die ander-
weitige Entwicklung der Hauptbegriffe das Spezifiſche des Schönen mit aller
Entſchiedenheit in die völlige Durchdringung des Gehalts mit der Form
ſetzen, von welcher die Vorſtellung, welche Hegel als das Element der
Religion aufſtellt, wohl zu unterſcheiden iſt, ſo beſchränkt ſich hier der
Vorwurf, ſoweit er gerecht iſt, dahin: Hegel verkennt nicht den Unter-
ſchied beider Sphären, aber er dringt, wie wir ſahen, zu unmittelbar
auf den höchſten Gehalt in der Kunſt; dieſen faßt er theils als einen
ſubſtanziell ſittlichen, theils als religiöſen; nun überſieht er zwar nicht, daß
die Kunſt dieſen Gehalt nur in ihrer Weiſe darzuſtellen hat, aber er
weist ihr einen zu engen Gehalt an und zieht ſie darum — zwar nicht in
[60] eine Vermiſchung mit, aber in eine Abhängigkeit von der Religion und
Ethik hinein: ein Mangel, deſſen erſter Anſatz eben in der Ueber-
ſpringung der einzelnen beſtimmten Idee liegt, die wir oben gefunden
haben. Jenes, daß nämlich Hegel das Spezifiſche der Schönheit im
Uebrigen wohl erkannt habe, iſt es nun aber eben, was Danzel über-
haupt läugnet, und den Vorwurf einer Vermiſchung mit der Religion
wendet er in Rückſicht auf die Vorleſungen zu dem Vorwurf einer Ver-
miſchung mit der Wahrheit. Es erſcheine, ſagt Danzel, die Kunſt
nur als eine beſtimmte Form der Aeußerung und Darſtellung des Wahren,
als ein beiläufiges Surrogat für das Denken; Alles, was die Kunſt
vom Wahren unterſcheide, trete nur als Zweites hinzu, der Gedanke
werde durch etwas Anderes, als er, getrübt, die Beſonderung komme
dem Ideale von außen; Hegels ganze Aeſthetik ſey daher nichts als
verfeinerter Baumgartenianiſmus. Daher werde Hegels Moniſmus des
Gedankens, weil ihm eine falſche Anwendung gegeben ſey, hier zum
Dualiſmus. Die falſche Anwendung ſoll darin beſtehen, daß man jenen,
welcher nur das Prinzip der wiſſenſchaftlichen Behandlung
der Kunſt ſeyn ſollte, dieſer als Inhalt untergeſchoben habe
(a. a. O. S. 52—68). Da nun Hegel ſelbſt überall, wo er das
Weſen des Schönen darſtellt, in der Lehre vom Ideal, vom Künſtler,
von den einzelnen Künſten, die auf jeder Stelle zum allgemeinen Be-
griffe des Kunſtſchönen zurückführt, mit wiederholter gründlicher Ent-
wicklung, mit warmer Beredtſamkeit das Schöne vielmehr eben in jenen
Mittelpunkt ſetzt, in welchem das Aeußere zu dem Innern nicht hinzu-
kommt, ſondern mit ihm zuſammenfällt, ſo fragt ſich, mit welchem
Rechte Danzel gerade dieſe Stellen für Inconſequenzen erklärt, einige
Wendungen, wo in ungenauerer Weiſe von einem bloſſen Verſchmolzen-
ſeyn, von einem Hineinlegen des Gehalts in die Erſcheinung durch den
Künſtler die Rede iſt, für ſich benützt und als die Grundlage des
Ganzen vielmehr jenen Dualiſmus behauptet. Es iſt das Eine Denken,
das durch Hegels ganzes Syſtem Stufe um Stufe Inhalt und Form
wechſelt. Angekommen auf der Stufe des Schönen erſcheint es als reine
Durchdringung des Inhalts und der ſinnlichen Form ohne Bruch und
Reſt. Dieß und nichts Anderes ſagt und entwickelt Hegel. Es kommt
nun darauf an, das Geheimniß aufzudecken, wodurch dieſe Durchdringung
ſich verwirklicht. Dieß Geheimniß iſt das Weſen der Phantaſie. Hegel
hat dieſes nicht am rechten Orte und nicht hinreichend zur Darſtellung
gebracht. Die Phantaſie ſollte vor dem Ideale ſtehen, denn ſie ſchafft
[61] dieſes und ſie ſollte erſchöpfender unterſucht ſeyn. Nie aber wird auf
die Frage: wie und unter welchen Bedingungen wird ein Einzelnes ſchön?
anders geantwortet werden können, als: dadurch, daß die Phantaſie den
reinen Gehalt des Gegenſtands, d. h. die beſtimmte Idee, die in ihm
individualiſirt iſt, durch den Läuterungsprozeß, dem ſie den Gegenſtand
unterwirft, zum reinen, die ganze Form durchfließenden Ausdruck bringt.
In der untrennbaren Einheit bleibt die Idee das Beſtimmende, aus
ihrer Durchführung fließt der reine Styl, der den Formen die Zu-
fälligkeit und Partikularität nimmt, alſo die Schönheit. Wie nun die
Phantaſie, welche die Idee keineswegs in der getrennten Form des
Gedankens hat, dieß bewerkſtellige, darauf iſt die Antwort nicht leicht,
aber, wenn Hegel dieſe Schwierigkeit nicht völlig gelöst hat, ſo
findet ſich eben auch in Danzels ganzer Kritik keine Andeutung zur
tieferen Löſung dieſer Schwierigkeit, und wenn es bei jenem an der
Ausführung mangelt, ſo iſt darum nicht der Grundbegriff ſchief und
dualiſtiſch. Die Idee, welche die Phantaſie im Gegenſtande als reinen
Ausdruck des Ganzen zu entbinden und als reinigende Kraft der Allge-
meinheit durch ſeine Formen [durchzuführen] hat, iſt die Idee des Gegen-
ſtands, d. h. der beſtimmte Gehalt, den der beſtimmte vorliegende
Stoff in ſich als ſeinen eigenen hat und trägt. Allerdings entſteht nun,
da Hegel immer unmittelbar auf den höchſten Gehalt dringt, der
Schein, als fordere er, daß die Phantaſie dieſen höchſten Gehalt in
ihren Gegenſtand, gleichgiltig, ob er an ſich in ihm liege, oder nicht,
von außen hineintrage. Dieß iſt die üble Folge davon, daß er die
Beſonderung der Idee in beſtimmte Ideen überſpringt. Allein es iſt auch
ein bloßer Schein, denn Hegel tritt gegen dieſes Hineintragen überall ſo ent-
ſchieden auf, daß nicht dieſer, ſondern nur der andere, zwar nicht geringe,
aber die Richtigkeit des ganzen Grundbegriffs nicht aufhebende Haupt-
übelſtand zurückbleibt, der nämlich, daß der Künſtler nur ſolche Stoffe
behandeln dürfte, in welchen der gewichtigſte Inhalt vorliegt. Der wahre
Grund von Danzels Polemik ſcheint daher tiefer hinten zu liegen. Wenn
es mit dem Moniſmus des Gedankens Ernſt iſt, ſo muß der Gedanke
auch ernſtlich als das Weſen aller Dinge entwickelt werden. So iſt er
auch im Schönen das Beſtimmende, nur nicht in der Faſſung des Be-
griffs, ſondern in der bewußtloſen der Phantaſie; er iſt verborgener
Gedanke, der höher hinauf in der Philoſophie als ſich begreifender Ge-
danke zu Tage kommt. Danzel aber, da er dieß nicht will, und da
er, wo der Gedanke als treibende, zu adäquater Form fortarbeitende
[62] Seele zu Grund gelegt wird, die Selbſtändigkeit der ganzen Sphäre
aufgehoben ſieht, da er es nicht reimen kann, daß ebendaſſelbe, was
einer Sphäre, auch allen anderen zu Grunde liegt, und daß dennoch
jede Sphäre ſich in ihrer Eigenheit behauptet, daß z. B. das Thierreich
beſteht, obwohl das Daſeyn des Menſchen es als wahre Geſtalt des
Lebens widerlegt, daß daher in der Lehre vom Geiſte alle Sphären
ebenſoſehr zugleich bleibende, als phänomenologiſch verſchwindende Formen
ſind; ſo ſetzt er offenbar voraus, daß der Gedanke je in der Sphäre,
wo er nicht als ſelbſtbewußter Begriff auftritt, ſich in ein irrationales
Plus aufhebe, d. h. er iſt Dualiſt, wie Weiße, auf dem er fußt.
2. Der zweite Theil des §. hebt mit ausdrücklicher Beſtimmtheit
noch einmal hervor, was in §. 13 ebenfalls ſchon ausgeſprochen
iſt: daß nämlich durch die volle Gegenwart einer beſtimmten Idee in
ihrem Individuum die abſolute Idee als gegenwärtig erſcheint, was
Weiße durch den Ausdruck bezeichnet, das Schöne ſey ein Mikrokoſmus
(a. a. O. §. 14). In der nächſten Bedeutung des ſchönen Gegenſtands
liegt die unendliche miteingeſchloſſen. Kann eine Idee ihr Individuum
rein erfüllen, ſo können es alle, und zwar nicht nur jede irgend einmal
und irgendwo, ſondern wirklich iſt die Allheit in der Gegenwart der
einen mitgegenwärtig, denn es iſt (§. 11) die abſolute Idee ſelbſt, die
ſich in den Umkreis der beſtimmten Ideen auseinanderlegt. Sehe ich
auch nur eine Pflanze, ein Thier vollkommen, ſo ſehe ich die vollkom-
mene Welt. Dieſe Wahrheit ſcheint ſich auf dem Standpunkt, wohin
Hegel die Philoſophie geführt hat, ganz einfach zu ergeben. Allein
nicht nur die Auslaſſung der Mitte (der beſtimmten Idee) wirft ihm
Danzel vor, ſondern auch, daß es nach ſeinem eigenen Prinzip un-
möglich ſey, die abſolute Idee mit einer beſtimmten ſo in Verbindung
zu bringen, daß ſie mit dieſer (als ihr Hintergrund) zugleich ergriffen
werde. Freilich findet ſich in dieſer Stelle bei Danzel zunächſt eine
Verwirrung von Begriffen. Er nennt die Anſchauungsweiſe, wonach
„der einzelne Begriff von der Ergreifung des allgemeinen Vegriffs be-
gleitet ſeyn“ (a. a. O. S. 53) oder dieſer hinter jenem hervorſchimmern
ſoll, Theoſophie. Aber nicht dieß iſt Theoſophie, ſondern nur dieß,
wenn ein Individuum ohne die Mitte des einzelnen Begriffs, d. h.
der beſtimmten Idee die abſolute Idee in ſich darſtellen ſoll. Wir
können jedoch davon hier abſtrahiren und dahingeſtellt ſeyn laſſen, ob
das Unmittelbare, deſſen unendliche Bedeutſamkeit als durchſichtiges Ge-
fäß der abſoluten Idee hier als etwas auf Hegels Standpunkt Un-
[63] mögliches behauptet wird, das Individuum ſey oder die beſtimmte Idee.
Genug, Danzel erklärt, daß der Ruhepunkt für ein ſolches Einzelnes,
in deſſen Ring die Ewigkeit gefaßt wäre, ſich in Hegels Philoſophie
gar nicht finde. Seine Bedeutung in der Geſchichte der Philoſophie
nämlich ſey dieſe, das Abſolute für weſentliche Vermittlung in ſich er-
klärt zu haben. „Wie ſoll nun in unmittelbarer Weiſe erſcheinen, was
die Vermittlung ſelbſt iſt? Das Abſolute oder die Idee überhaupt iſt
bei Hegel gar nicht etwas, das einem Andern ſimultan ſeyn könnte.
Der Sinn der Vermittlung deſſelben in ſich iſt kein anderer, als der
einer Vermittlung des Einzelnen unter ſich. Daher iſt nach Hegels
Lehre durchaus keine andere Ergreifung des Beſondern als Beſonderung
der Idee möglich, als in vollkommen ſtreng wiſſenſchaftlichem Fortgange
der abſoluten Dialektik. Er kann das Allgemeine niemals, ſelbſt in der
innigſten Durchdringung nicht, zugleich mit dem Einzelnen ergreifen, weil
es für ihn gerade nur in dem Nacheinander dieſes letzteren beſteht.
Das Abſolute kann nicht etwa nur darum in keiner andern Form er-
griffen werden, weil Form und Inhalt unzertrennlich ſind, ſondern weil
es gar nichts Anderes iſt, als dieſe beſtimmte Form. Daher iſt hier
eine jede Unmittelbarkeit unmöglich. Die einzige Weiſe, wie das Ab-
ſolute unmittelbar wird, iſt, inſofern es vom zeitlichen Menſchen gedacht
wird. Dieſen kann, wenn er Seyn und Nichts geſagt hat, der Schlag
rühren, ehe er Werden ſagt; ohnehin bricht er jeden Abend das Denken
ab, um ſich ſchlafen zu legen“ u. ſ. w.
Gut, und ſo hätte auch den Verf. dieſer Kritik der Schlag rühren
können, ehe er bei der zweiten Zeile der Behauptung ankam, daß die
abſolute Wahrheit ein fertiges Ding ſey, das man mit Einem Schlage
haben könne, ſo könnte er Jeden in dem Augenblicke treffen, ehe er
das auf Einen Schlag fertige Abſolute in ſeinen Beſitz bekommt. Hier
ſind wir wirklich an der Grenze der Philoſophie und aller Vernunft.
Wenn die Philoſophie das Abſolute erkennt als die Bewegung der Ver-
mittlung mit ſich ſelbſt, wenn ſie ebendaher als die höchſte, allein wahr-
haft entſprechende Form, es zu faſſen, ebenfalls die ſich als ſolche wollende
und ſetzende Vermittlung, das reine Denken begreift, ſo iſt weder ob-
jectiv noch ſubjectiv dadurch das Unmittelbare ausgeſchloſſen. Objectiv
nicht, denn eben weil das Ganze Vermittlung iſt, ſo iſt jeder Knoten,
den dieſe Vermittlung ſchürzt, wieder unmittelbar. Jeder weſentliche
Punkt in der Reihe dieſer Vermittlungen enthält alle vorhergehenden
und alle folgenden in ſich, aber ſo, daß jene in ihm zur Ruhe gekommen
[64] und dieſe noch nicht zur Unruhe hervorgetreten ſind, d. h. er iſt un-
mittelbar, und Danzel müßte eigentlich von Hegel ausſagen, daß er
nicht nur nicht das Schöne, ſondern keinerlei Exiſtenz aus ſeinem Stand-
punkt ableiten könnte, daß es hier überhaupt nichts Feſtes gebe. Es
gibt auch inſofern nichts Feſtes, als ſich Alles durch Alles hindurchzieht,
allein ebendeßwegen, weil jedes auf ſeine Weiſe das Andere mitenthält,
erhält es ſich auch im Fluſſe des Ganzen und kann feſt auf ſich ſtehen.
Subjectiv nun wird dieſes Ganze freilich nur dann wahrhaft begriffen,
wenn jedes Feſte in wirklichen Fluß gebracht, wenn die Reihen der Ver-
mittlung, die ſich in ihm anſammeln und von ihm wieder ausfließen,
auch wirklich denkend durchlaufen werden; dadurch wird aber keineswegs
ausgeſchloſſen, daß auch das Ergreifen des ganzen Fluſſes auf jedem
ſeiner Sammelpunkte durch eine Form der Unmittelbarkeit möglich ſey, ſo
nämlich, daß in dem Einen, was der unmittelbaren Gewißheit entgegen-
tritt, die Summe der Vermittlungen geahnt wird. Vielmehr gefordert
wird dieſe Natur der Sammelpunkte, denn wie der Gegenſtand eben
durch die Natur der Vermittlung das Unmittelbare ſetzt, um es aufzu-
heben, ſo auch der Geiſt, der den Gegenſtand erkennt: er ſetzt die Kunſt
und geht fort zur Philoſophie, (denn daß ſie weniger iſt als dieſe, muß
ſie ſich freilich gefallen laſſen); er ahnt die Geſammtreihe der Vermitt-
lungen im unmittelbar Angeſchauten, ehe er ſie denkt, er ſetzt das Ein-
zelne in die Perſpective der Unendlichkeit. Dieß iſt nicht ein Ueberſpringen
der Vermittlungen, wodurch freilich die Theoſophie, und, wie Danzel
hätte hinzuſetzen können, als einziges Darſtellungsmittel die Allegorie in
die Kunſt eingeführt wird, ſondern es iſt ein Ineinander. Im Denken
wird dieß ein Nacheinander; doch dieſe Zeitform iſt Explication eines
Außerzeitlichen, der Geiſt bewegt ſich in der Form der Zeit, aber er iſt
nicht die Zeit, daher nimmt er ſich auch aus ihr in ſich zurück und die
Philoſophie wird im Philoſophen zum Charakter, zum Beſitze und ſelbſt
zur Seeligkeit der Empfindung. Hegel hat alſo Recht, wenn er aus-
ſpricht, daß die Kunſt die Dinge in ihrer Wahrheit erfaßt, indem ſie ſie
iſolirt (Aeſth. 1, S. 196.). Jede Anſammlung der Vermittlungen zu
einem Unmittelbaren weist zugleich hinter ſich zurück und über ſich hinaus.
Dadurch iſt dieſe Exiſtenz zugleich arm und reich. Was ſie in ſich auf-
genommen und zur Selbſtändigkeit fixirt, das hat ſie zugleich als ſeinen
Feind in ſich und um ſich. Der menſchliche Leib iſt die höchſte Samm-
lung aller Naturkräfte, aber ſie prozeſſiren in ihm fort, nähren ihn von
außen und zehren zugleich an ihm. Die Kunſt erhöht die Seite des
[65] Reichthums, indem ſie das Feindſelige und Bedürftige in dieſem Ver-
hältniß ausſcheidet, den menſchlichen Leib z. B. darſtellt als begünſtigt
von den umgebenden Elementen und geſund. Sie hat (im Tragiſchen
und Komiſchen) freilich auch verſtärkte Abhängigkeit darzuſtellen; dieß ge-
hört aber in einen andern Zuſammenhang, wo ſich zeigen muß, daß
hier die Bedürftigkeit nur um ſo tiefer überwunden wird. Löst nun die
Schönheit ſo den Gegenſtand von dem Hintergrunde der Bedürftigkeiten
ab, ſo ſollte man meinen, um ſo weniger weiſe er über ſich hinaus,
alſo um ſo weniger führe er in das Abſolute. Aber umgekehrt, je
mächtiger er die fließenden Kräfte des Ganzen in ſich zur Selbſtändigkeit
bindet, deſto mehr ſehe ich: das Ganze erſteigt wohl höhere Stufen, jede
aber iſt recht und gut und ſelbſt ein Ganzes im Ganzen. Dieſe Erhöhung
bewirkt, wie ſich zeigen wird, die Phantaſie. Danzel ſagt an einer andern
Stelle (S. 38. ff.), Hegel habe die Anſchauung vorneherein zu niedrig
gefaßt. Sie iſt an ihrer Stelle vergleichungsweiſe niedrig, aber ſie kehrt
bereichert als Phantaſie zurück; dieſe bereicherte Rückkehr des Niedrigeren
herrſcht im ganzen Syſtem und Danzel hat ſie nicht widerlegt. Die
Anſchauung ſchaut nicht nur das Sinnliche, ſie erinnert ſich nur noch nicht,
daß ſie in dieſem unendlich mehr ſieht; als Phantaſie erhebt ſie ſich dahin.
Danzel behauptet, eben dieſe Erhebung ſey gar nicht deducirt. Hievon
muß in der Lehre von der Phantaſie die Rede werden. Zuzugeben iſt:
in der Encyclopädie iſt die Deduction ſkizzenhaft, wie natürlich, der
Aeſthetik gereicht es zu großem Tadel, daß ſie ganz fehlt; aber keineswegs
iſt ſie, wie Danzel behauptet, durch die Prämiſſen des Syſtems abgeſchnitten.
§. 16.
Die Idee iſt ſtreng zu unterſcheiden vom abſtracten Begriff. Abſtracte1
Begriffe ſind alle diejenigen Beſtimmungen des Denkens, welche blos ein all-
gemeines Moment enthalten, das zu dem Inbegriffe deſſen, was ein ſelbſtändiges
lebendiges Weſen in ſich vereinigt, und wodurch es in Beziehung zu anderen
tritt, mitgehört, aber ein ſolches nicht ausmacht. Dieſer Inbegriff dagegen,2
ſofern er gedacht wird als in der Objectivität völlig durchgeführt, heißt Idee;
die Welt der Ideen und ebenhiemit des Schönen beginnt daher erſt mit den
Reichen des Lebens und auch das Lebendige darf nicht durch bloße Auffaſſung
einer Beziehung unter eine abſtracte Kategorie fallen, ſondern muß in ſeiner
Selbſtändigkeit erſcheinen. Dies Alles folgt nothwendig aus der Begriffsbe-
ſtimmung §. 14.
Viſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 5
[66]
1. Abſtracte Begriffe ſind alle blos logiſchen Begriffe, die Logik
auch im Hegel’ſchen Sinne gefaßt, wo ihre Beſtimmungen als objectiv
gelten und wo die Grundbeſtimmungen des Objects, wo ferner das Leben,
das Erkennen (und Wollen) hereingezogen werden. Denn nach Hegel
kann erſt die Idee, welche als Begriff kein weiteres Moment in ſich
aufnehmen kann, ſondern ſich mit allen ſchon erfüllt und die Gegenſätze
aller in ihre Einheit zurückgeführt hat, als Natur und Geiſt daſeyn
und nun in den Formen beſtimmter Gattungen und Arten von Weſen
ſich ausbreiten. Solche aber werden im Schönen gefordert. Abſtract
ſind alle jene Begriffe, weil kein ſelbſtändig lebendiges Weſen in ihnen
erſchöpft iſt, weil ſie alſo nicht als beſtimmende und durchdringende Seele
eines begrenzten Umkreiſes erſcheinender Zuſtände und Lebensthätigkeiten
ſich offenbaren können. Die Beſtimmungen der Qualität, Quantität,
des Maßes, die ſogenannten Kategorieen, der Begriff ſelbſt in ſeinen
Momenten und mit den weiteren Beſtimmungen und Gegenſätzen, welche
Hegel in die Logik aufgenommen hat, ſprechen noch nicht ein daſeyendes,
einer beſtimmten Gattung angehöriges Weſen aus; denn damit auch nur
Eines als exiſtirend begriffen werde, iſt die Idee als erfüllte Rückkehr
aller Gegenſätze in ſich vorausgeſetzt, welche nun erſt als Lebenspunkt,
als concrete Lebens-Einheit, als Selbſt exiſtiren kann, und auch das
unterſte Naturweſen, das einen verhältnißmäßig beſchränkten Umkreis von
Beſtimmungen zur Concretion in ſich vereinigt, ſetzt die ganze Kette aller
übrigen voraus, in welcher die Idee ihre Fülle ausbreitet und immer
vertiefter ſammelt. — Man erinnere ſich, um die Wichtigkeit dieſes Satzes
zu erkennen, an abſtracte Kunſtdarſtellungen, z. B. von Carſtens.
Der Maler in Tiecks Geſellſchaft auf dem Lande parodirt ſolche Be-
ſtrebungen, indem er die Caſus der Declination malt.
2. Nicht dies gehört zu der durch obigen Satz abgewieſenen Ab-
ſtraction, wenn unter dem Allgemeinen eine Art lebendiger Weſen ver-
ſtanden wird, wie Eiche, Pferd, Menſch. Man erwäge, daß hier von
dem, wodurch eine ſolche Allgemeinheit im Sinne des Schönen individuell
wird, noch nicht die Rede iſt. Es ſteht blos ſo viel feſt: ſie kann in
einem Individuum erſcheinen. Wie weit auch die unorganiſche Natur im
Reiche der wirklichen Idee als Inhalt des Schönen berechtigt ſey, wird
ſich in der Lehre von der Naturſchönheit zeigen. Auch das Lebendige
aber darf nicht vom Standpunkte einer bloſen Beziehung aufgefaßt werden.
Eine ſolche iſt namentlich die äußere Zweckmäßigkeit, wodurch es in ſeiner
Selbſtändigkeit, hiemit als Idee aufgehoben wird. Was wirklich blos für
[67] einen äußern Zweck da iſt, iſt kein Lebendiges. Daher müſſen z. B. Thiere
in ihrer Freiheit erſcheinen, oder, wenn verwendet zum Dienſte und Ver-
gnügen des Menſchen, als frei und ungezwungen auch in dieſem Ver-
hältniß. Was das Erſtere betrifft, ſo denke man z. B. nur an die
gewaltigen Schilderungen wilder Thiere im Hiob, was das Zweite, an
die des Pferdes ebendaſelbſt. Auch aus dem geiſtigen Leben können wieder
Momente ausgezogen werden, welche nur Verhältniſſe und Formen ent-
halten, in welche die Perſönlichkeit — denn dies iſt hier die Idee —
nicht ihre Totalität legen kann. Dies hat das weitere Syſtem nachzuweiſen.
§. 17.
Die Idee beſtimmt ſich demnach als Gattung und dieſes Wort begreift in1
ſich zunächſt die Reihe der Ideen innerhalb der Grenze, wo ſich die Idee erſt
noch als bewußtloſe Lebenskraft verwirklicht. Jede Gattung aber iſt die Be-2
ſonderung oder Art einer höheren Gattung und dieſe aufſteigende Linie, welche
jedoch bei der inneren Einheit, die ihr Grund iſt, die Unterſchiede ihrer
Gattungen und Arten feſthält und nicht die eine aus der andern natürlich er-
zeugt, und welche ſich durch feſte, nur durch Andeutungen des Uebergangs ge-
öffnete, Grenzen in geſchloſſene, die großen Hauptſtufen darſtellende Sphären und
umfaſſendere Reiche theilt, iſt die Stufenfolge, in welcher die abſolute Idee
ihren Gehalt in wachſender Tiefe und Fülle verwirklicht. Je höher in dieſer3
Reihe eine Idee ſteht, deſto größer muß auch die Schönheit ſeyn, aber auch je
die niedrigere enthält die weſentliche Bedingung der Schönheit, weil jede ein
integrirendes Glied iſt in der Totalität der Ideen.
1. ἰδέα, εἶδος, Gattung. Die deutſche Sprache hat kein anderes
Wort als dieſes, um das Allgemeine als wirkliches Lebensprinzip der
Sphäre, in der es ſich verwirklicht, zu bezeichnen. Gattung wird nun
zwar wohl auch von den Sphären des geiſtigen Lebens gebraucht,
zunächſt aber erinnert das Wort durch ſeinen Urſprung immer an das
Naturleben, wie es einen beſtimmten Typus durch die Fortzeugung ge-
trennter Geſchlechter bildet und erhält, kann jedoch auch für die
Formen des unorganiſchen und die niedrigeren des organiſchen Lebens
gelten, welche ſich nicht durch den geſchlechtlichen Prozeß fortpflanzen. Der
§. überblickt das Naturleben, den Menſchen als bloßes Naturweſen mit
eingeſchloſſen. Die Aeſthetik ſetzt das Syſtem der philoſophiſchen Wiſſen-
ſchaften, hier alſo zunächſt die Naturwiſſenſchaft, voraus. Iſt aber nicht
5*
[68]dieſe Unterſcheidung der natürlichen und geiſtigen Welt mit ihren Sphären
eine Vorwegnahme innerhalb der Aeſthetik ſelbſt? Nein; denn der Gegen-
ſatz der Naturſchönheit und der aus dem Geiſte hervorgebrachten Schön-
heit, der im Verlaufe auftreten wird, iſt, wie ſich zeigen wird, ein
ganz anderer als der Gegenſatz der natürlichen und geiſtigen Welt über-
haupt; in der Lehre vom Naturſchönen muß auch die geiſtige Welt dar-
geſtellt werden, wie ſie verglichen mit der Kunſt noch bloſe Natur
iſt, und ſomit iſt auch der Uebergang der Metaphyſik des Schönen in die
Lehre vom Naturſchönen ein ganz anderer, als der Uebergang der
Metaphyſik in die Naturphiloſophie. Wird aber nicht wenigſtens eine
Wiederholung entſtehen, da die Reiche des Daſeyns allerdings in dem
Abſchnitte vom Naturſchönen wieder durchwandelt werden müſſen? Auch
dies nicht. Die Metaphyſik des Schönen gibt nur den idealen Grundriß,
die Lehre vom Naturſchönen aber wird einen gewiſſen Begriff, der hier
noch nicht vorliegt, als Rechtfertigungsgrund vorausſchicken, warum ſich
das Syſtem ſofort in die reale Breite des Daſeyns mit der Hoffnung
einlaſſen darf, hier das Schöne zu finden.
2. Der Begriff der Gattung und Art iſt hier zunächſt ſo allgemein ge-
faßt, daß er das unter ſich begreift, was man ſonſt Reiche, Claſſen,
Ordnungen, Familien, Gattungen, Spezies u. ſ. w. nennt. Die Natur
baut ſich Stufe um Stufe ſo auf, daß Gattung und Art ihre Stelle
wechſeln, mag man die Stufenfolge aufwärts oder abwärts durchwandeln.
So iſt der Begriff Reich ein Gattungsbegriff, die einzelnen Reiche ſeine
Arten. Dieſe Arten ſind Gattungen, ſofern ſie die ſogenannten Typen
oder Plane (von Cüvier in die Zoologie eingeführt) als ihre Arten
unter ſich befaſſen. Dieſe ſind wieder Gattung und die Claſſen ſind die
Art. Die Claſſen ſind die Gattung und die Ordnungen ihre Arten, dieſe
verhalten ſich wieder zu den Familien wie Gattung zur Art; auf die
Familien folgt, was die Naturforſcher gewöhnlich Gattung nennen, als
Art derſelben, und dieſe begreift endlich als ihre Art die Spezies unter
ſich, aber dieſe ſelbſt theilt ſich ja im Thierreich wieder in Raſſen, wie
die Gattung in Arten. Eben dieſer Stellenwechſel der Begriffe von Gattung
und Art verwirrt den ſtoffartigen Empiriker, ſo daß er an aller Möglich-
keit einer Eintheilung verzweifelt, iſt aber in Wahrheit der Beweis, daß
die Natur ein Syſtem von Stufen iſt, das auf den Menſchen als höchſte
hinarbeitet. Es verſteht ſich jedoch, daß die innere Einheit, die das
ſtufenbildende Band iſt, nicht eine Stufe aus der andern natürlich erzeugt
(vergl. Hegel Encyclop. §. 249). Vielleicht nahm die urweltliche
[69] Natur mit den noch unausgebildeten Gattungsformen Umbildungen vor,
als deren Analogie der menſchliche Fötus betrachtet werden kann, der die
Hauptformen des Thierreichs in ſeinen Metamorphoſen darſtellt. Dieſe
Frage gehört aber nicht hieher; wir haben es mit der ausgebildeten
jetzigen Welt zu thun. Nur Spielarten ſind neue Formen, welche aus
Impfung, Zeugung entſtehen; alle andern Unterſchiede ſind conſtant
und bleiben bei ihrem Typus. In den allgemeinen Linien des Unterſchieds
treten als die ſchärfſten Grenzen hervor die der Reiche. Darauf folgt
die abgrenzende Linie der Hauptſtufen, unter welchen man z. B. im
Thierreich die von Cüvier eingeführten vier Typen (Wirbelthiere u. ſ. w.),
dann die ſogenannten Claſſen auf rein naturwiſſenſchaftlichem Boden zu be-
faſſen hätte; die Aeſthetik wird aber hierin, wenn ſie im zweiten Theile ſich
auf das Beſtimmte einläßt, einen andern Weg zu nehmen haben und ſich
vorzüglich an die Unterſchiede halten, die durch das Element bedingt
ſind. So ſtehen denn z. B. die Vögel als Art unter der Gattung
Thier, zunächſt über ihnen die Säugethiere des Landes. Dieſe
beiden Formen ſind nicht coordinirt, ſondern die eine ſteht als
Stufe über der andern; die Linie iſt aber ſo feſt gezogen, daß dieſe
ſich niemals zu jenen als Gattung zur Art verhalten können. Nun
zeigen ſich zwar auf allen Grenzpunkten ſowohl der Reiche als der Haupt-
ſtufen Uebergangsformen als lebendiger Beweis, daß es dieſelbe Natur
iſt, welche eines wie das andere gebildet hat, aber ſie ſind durch das
auffallend Verworrene ihrer Bildung, das ſich aufdrängt, ſobald man ſie
nicht nur mit ſich ſelbſt, ſondern mit den klaren Hauptſtufen vergleicht,
gerade die Beſtätigung der Grenze. Davon mehr im folg. §. — Grobe
Empiriker bezweifeln übrigens nicht nur die Möglichkeit einer Eintheilung,
ſondern noch mehr die Stufenfolge in der Natur. Es kann aber nicht die
Pflicht der Aeſthetik ſeyn, die Wahrheit dieſer Anſchauungsweiſe, ohne
welche die Betrachtung der Natur alles höhere Intereſſe verliert, zu
beweiſen; den bekannten Schwierigkeiten der Durchführung dieſer Idee im
Kleinen und Einzelnen, wie ſie theils durch die lückenhafte Kenntniß der Natur,
theils durch die unendliche Vielfältigkeit der Formen, theils dadurch ent-
ſtehen, daß neben der Stufenordnung die horizontale Linie verſchiedener
localer, klimatiſcher und anderer Bedingungen zu berückſichtigen iſt, kann
ſie jedoch belehrende Beiſpiele aus ihrem eigenen Gebiete gegenüberſtellen.
So hat die lyriſche Dichtkunſt unzählige Formen, die ſo ſchwer einzu-
theilen ſind, als die Inſekten; trotzdem ſtellen ihre Hauptformen eine
ganz deutliche Stufenfolge dar.
[70]
3. Hier nimmt die nothwendige Ergänzung des eingeräumten Mangels
der Hegel’ſchen Aeſthetik bereits eine beſtimmtere Form an. Selbſt den ver-
gleichungsweiſe dürftigen Naturerſcheinungen iſt ihre Stelle im Schönen durch
dieſen Satz geſichert. Ein Baum, ein unvollkommen organiſirtes Thier, wenn
es ſich ſo darſtellt, daß ſeine Idee, d. h. ſeine Gattung in ihm zum reinen
Ausdruck gelangt, eröffnet die Ausſicht in die ganze Fülle und edle Beſtimmtheit
des Naturlebens, und da dieſes zum Geiſte [aufwärts] weist, läßt es auch
dieſen ahnen, iſt alſo eine Welt. — Der gegen Hegel erhobene Vor-
wurf eines ſtoffartigen Verfahrens erſcheint hier auch gegen uns doppelt
begründet, indem wir eine ſolche durch das Gewicht des Lebensgehalts
beſtimmte Stufenfolge für das Schöne feſtſetzen; er kann aber hier noch
nicht beſeitigt, im Gegentheil, dieſe Betrachtungsweiſe muß noch weiter
geführt werden. Es wird zwar im nächſten Fortgange Veranlaſſung ſeyn,
ihn zu berühren, aber erſt wenn die Formfrage zur Sprache gekommen
ſeyn wird, kann das wahre Verhältniß zwiſchen Stoff und Form erledigt
werden. Uebrigens laſſen ſich aus dem Bisherigen bereits wichtige Folge-
rungen zur Beleuchtung der Wahrheit oder Unwahrheit des Ausdrucks
„ſchön in ſeiner Art“ ziehen.
§. 18.
Der Begriff der Stufenfolge beſchränkt ſich jedoch. Die Idee ſtellt, da
ſie in jedem Gebiet wieder von unten beginnt, auf der niedrigeren Stufe des
höheren Gebiets Gattungen oder Arten auf, welche ihr Gebiet dürftiger dar-
ſtellen, als ein untergeordnetes von ſolchen ſeiner Gattungen oder Arten dar-
geſtellt wird, welche eine höhere Stufe in dem Zuſammenhang des ihrigen ein-
nehmen. Ferner, weil es die eine Idee iſt, welche dieſe Stufenfolge bildet,
ſo ſind dadurch Uebergangsformen bedingt, welche verſchiedene Beſtimmungen
verſchiedener Gebiete auf widerſprechende Weiſe in ſich vereinigen und daher auch
der Forderung, daß das Schöne ein in ſich geſchloſſenes Ganze ſey, entgegen
2ſind. Eine weitere Einſchränkung wird darauf beruhen, daß die Idee auf ge-
wiſſen Stufen ihren Inhalt auf Koſten der Geſtalt in der Tiefe ſammelt. Dieſe
Einſchränkung iſt jedoch hier, wo von dem Unterſchiede zwiſchen dem Schönen
und der Idee an ſich noch nicht die Rede iſt, nur ſo weit zu erwähnen, als
zum voraus einleuchtet, daß auch das Schöne ſich verſchieden wird wenden und
jenes umgekehrte Verhältniß in ſein Intereſſe ziehen können.
[71]
1. Die hier zuerſt aufgeführten Einſchränkungen des Begriffs einer
Stufenfolge treffen ganz auf gleiche Weiſe die Idee und das Schöne.
Die Unterſuchung iſt noch nicht an den Punkt gekommen, wo beide ſich
trennen. Man wird dieſe Einſchränkungen anführen und hat ſie ange-
führt als Einwurf gegen jenes Zuſammenfallen der Stufenfolge des
Schönen mit der Stufenfolge der Gattungen. Denn ein Thier z. B.,
um hier die erſte Einſchränkung aufzufaſſen, das rauhe und unorganiſch
erſcheinende Bedeckungen und träge Bewegung hat, gilt überall als häßlicher
denn ein edler Baum, iſt aber doch gewiß eine höhere Organiſation;
alſo iſt das Schöne durchaus nicht mit der größeren oder geringeren
Vollkommenheit der Organiſation zuſammenzuwerfen. Allein es liegt hier
in Wahrheit der Grund vielmehr wirklich in der Stufenfolge der
organiſirenden Natur ſelbſt. Denn wo ſich das bedeutendere Gebiet ſchon er-
öffnet hat, muß das Höhere ſelbſt wieder von unten mit ärmeren Bildungen
beginnen und ſteht nun unter ſich ſelbſt, ſo daß z. B. Bewegungsloſigkeit
und wirklich unorganiſche Bedeckung nothwendig harmoniſcher wirken muß,
als Bewegung und thieriſche Bedeckung, die ihren Begriff ſo dürftig
darſtellt. Es nützt nichts, zu ſagen: ein ſolches Thier iſt in ſeiner Art
ganz recht, wie es iſt und ſteht unendlich höher als die Pflanze. Man
muß, wie ſchon im §. 17, 2 berührt iſt, das Ganze betrachten und es
mit dieſem zuſammenhalten. Ebenſo verhält es ſich mit den Uebergangs-
ſtufen. Danzel bringt gegen Hegel vor (a. a. O. 57): „Die Wahr-
heit der einzelnen Dinge wird zum Inhalt der Kunſt gemacht. Aber dies
widerſpricht ſich in ſich ſelbſt. Wir ſollen z. B. (169) das Schnabelthier
häßlich finden, weil wir eine Ahnung von der Zuſammengehörigkeit der
Formen des Vogels haben. Aber würde das Schnabelthier exiſtiren, wenn
nicht das Fremdartige in ihm auf irgend eine Weiſe zuſammengehörte?“
Gewiß nicht. Auch der Affe, der ſo häßlich iſt, weil er dem Menſchen ſo
nahe ſteht und doch Thier iſt, gehört zuſammen. Hier kommt es darauf
an, den Begriff eines realen Widerſpruchs durch feſten Ueberblick des
Ganzen und der deutlichen Intention in den Hauptſtufen gefaßt zu haben.
Dieſen müßte Danzel widerlegen, ſtatt die abſtracte Form „auf irgend
eine Weiſe zuſammengehören“, die Niemand läugnet, vorzubringen. Auf
dieſe Weiſe dürfte man auch Abnormitäten (die ich hier nur als Beiſpiel
anführe, denn ſie ſind freilich etwas Anderes als Uebergangsformen) nicht
Abnormitäten nennen. Im Buckligen gehört auch Alles irgendwie zuſammen.
2. Die hier angeführte Einſchränkung anticipirt etwas aus der
weiteren Entwicklung, wo von dem weſentlichen Unterſchiede zwiſchen dem
[72] Schönen und Wahren die Rede iſt, welcher darin beruht, daß im Schönen
Alles auf die Oberfläche der Geſtalt ankommt. Dennoch war ſie hier
zu erwähnen, denn es gilt, den Satz von der innern Einheit des
Wahren und Schönen (bei allem Unterſchiede) zu ſchützen. Es wird
alſo im §. angeführt, daß die Idee auf gewiſſen Punkten ihren Inhalt
auf Koſten der Geſtalt in der Tiefe ſammelt. Gewiſſe Thiere z. B.
ſind klug und zugleich plump an Geſtalt. Allein das Schöne kennt ja
von ſeiner Seite auch eine Bewegung und geht über einen Gegenſatz,
wie ſich zeigen wird; es gehört auch in’s Schöne, wenn eine Reihe von
Thätigkeiten den erſten üblen Eindruck der Geſtalt aufhebt. Freilich mit
dem innern Grunde jenes umgekehrten Verhältniſſes, d. h. mit dem
Bau des Gehirns und ſeinem Verhältniß zum Bau der feſten Theile
beſchäftigt ſich das Schöne nicht, und jene Aeußerungen, welche den
erſten Eindruck vergüten, müſſen ſelbſt anſchaulich ſeyn: da liegt der
Unterſchied. Auch die umgekehrte Art des Mißverhältniſſes findet ſtatt,
wurde aber im §. nicht erwähnt: arme Organiſation bei glänzender
Oberfläche. Von dem blos beſtechenden Glanz der Oberfläche läßt ſich
nämlich auch der äſthetiſche Standpunkt nicht verführen, über die Dürf-
tigkeit des Ganzen wegzuſehen. Farbenglanz z. B. kann für Mangel-
haftigkeit der Geſtalt, der Bewegung, des Ausdrucks in Ruhe und
Thätigkeit nicht wirklich entſchädigen.
§. 19.
Die Idee baut jene Stufenfolge nur, um auf der höchſten Stufe bei ihrer
eigenen, in den vorhergehenden Stufen verborgenen Wahrheit anzukommen und in
ſich zurückzugehen, ſie tritt als Selbſtbewußtſeyn hervor und wird Perſönlichkeit.
Auch dieſe höchſte Gattung theilt ſich wieder in gewiſſe Arten, geht aber nicht
ſelbſt als Art in eine höhere Gattung über, denn der Endzweck jener ſtufen-
förmigen Ueberordnung iſt erreicht. Ebendaher ſcheidet ſie ſich von den tieferen
Stufen weſentlich dadurch ab, daß ſie ſelbſt ebenſoſehr Stufe als eine abſolut
2neue Welt iſt. Dieſer höchſte Gehalt der Idee iſt zugleich der höchſte Gehalt
des Schönen. Das Schöne iſt perſönlich und alle vorhergegangenen Stufen er-
halten nun die Bedeutung, die Perſönlichkeit als werdende anzukündigen.
1. Was den Hervorgang des Geiſtes aus der Natur durch die
menſchliche Gattung betrifft, ſo kann hier keine Verpflichtung zu einer
Auseinanderſetzung Statt finden. Es gehört dieſe Erkenntniß, wie die
[73] Natur im Menſchen ſich ſelbſt zum Geiſt aufhebt und die in ihr ver-
borgene Idee in dieſem ſich ſelbſt erreicht, indem ſie als Selbſtbewußtſeyn
Subject und Object in einem wird, zu den reinen und unbeſtrittenen
Erwerbungen der neueren Philoſophie. Das Menſchengeſchlecht theilt ſich
in Raſſen, die im weiteren Sinne Arten heißen können, aber nicht in
Spezies. Theilung in die letzteren iſt eben der Beweis, daß die höchſte
Stufe noch nicht gefunden iſt, daß über der Gattung eine höhere ſteht.
Der §. ſagt: die Idee tritt als Selbſtbewußtſeyn hervor und wird Per-
ſönlichkeit. Das „wird“ ſoll andeuten, daß Perſönlichkeit ein reicherer
Begriff und daß das Subject als ſelbſtbewußtes noch nicht perſönlich
iſt. Die innere Unendlichkeit der im Unterſchiede ſich ſelbſt gleichen Be-
ziehung auf ſich, die im Selbſtbewußtſeyn erſt als ein unmittelbares,
von ſelbſt in dem dazu organiſirten Lebendigen auftauchendes Wiſſen
geſetzt iſt, führt ſich als Macht durch, indem ſie das Widerſtrebende in
der umgebenden Welt und in der eigenen Natur wirklich durchdringt:
das Selbſtbewußte, was das Andere wahrhaft in ſeiner Macht hat, iſt
perſönlich. Gewöhnlich wird der Begriff nur formell gefaßt und ſo in
der Sphäre des Rechts aufgeführt: der Einzelne iſt als unendliche Be-
ziehung auf ſich, abgeſehen von allem beſtimmten Inhalte, Perſon; er
wird als unendlicher, freier Punkt geſetzt, und vom Begriffe des Selbſt-
bewußtſeyns unterſcheidet ſich auch dieſer abſtracte Begriff der Perſön-
lichkeit dadurch, daß in dieſem die Unendlichkeit, die im Selbſtbewußtſeyn
und in dem reinen, abſtracten Willen liegt, zum Gedanken erhoben und
auf ihn die Forderung der unbedingten Achtung begründet wird. Die Wiſſen-
ſchaft und auch die gewöhnliche Sprache hat aber dem Begriffe der
Perſönlichkeit eine weit inhaltsvollere Beſtimmung gegeben. Wer ſich
nicht am Bande ſeines Willens hat, wer ſich gehen läßt und was ihn
umgibt ebenfalls, den nennen wir unperſönlich.
2. Die Idee iſt ein weſentlich Thätiges und die wahre Form dieſer
Thätigkeit iſt eben der ſich durchführende Wille, der Wille, der ſeine
Freiheit verwirklicht, indem er den Widerſtand ſeines eigenen Organes
ſowie der andringenden Welt überwindet. Von der Härte des Kampfes,
die dazu gehört, wird hier noch abgeſehen; die beſondere Hervorhebung
dieſer Seite bleibt einem andern Zuſammenhang vorbehalten. Das ein-
fach Schöne in ſeiner Liberalität hält ſich an die Gewißheit des Sieges. —
Ruge (Neue Vorſchule der Aeſthetik 1837) hat das Schöne eigentlich
auf den Begriff der Perſönlichkeit gegründet; es iſt dies aber in dem
entwickelten Sinne zu verſtehen, daß die thätige Erzeugung und die thätige
[74] Aufnahme des Schönen von ihm ſogleich mit einbegriffen iſt: eine Ent-
faltung, welche nach unſerem Gange erſt im Verlauf eintreten kann. Wir
haben vor Allem erſt die ſpezifiſch äſthetiſche Formfrage noch zu er-
örtern; daß Ruge in ſeinem übrigens ſehr geiſtvollen Werke dieſe faſt
ganz überſehen und dadurch das äſthetiſche Perſonbilden mit dem ſittlichen
vermengt hat, ſcheint Danzel nicht bemerkt zu haben, deſſen Kritik überall
auf die ſpezifiſche Formfrage hindringt und doch das Verdienſt, die Mög-
lichkeit eines „Monismus der Kunſt“ begründet zu haben, Ruge zuerkennt.
Iſt Hegels Aeſthetik ſtoffartig, ſo iſt es Nuges noch weit mehr. Denn
daß dieſer, indem er die Schönheit als eine lebendige Bewegung erkennt,
auch für dürftige und getrübte Formen des Geiſtes einen weiten Raum
hat, verändert die Sache nicht; er muß, ſo lange er, ohne auf die
ſpezifiſche Formfrage einzugehen, Alles aus einem „ſich Wiederfinden des
Geiſtes in ſeinem Andern“ erklärt, um ſo mehr ſittliche Kraft im er-
zeugenden Subjecte vorausſetzen und er thut dies ſogar in eigentlich
ethiſirender Weiſe, wie wir dies nicht billigen. Auf was es aber hier
ankommt, ſind zweierlei Fragen. Die erſte iſt: ob, ſolang man bei der
Frage über den Gehalt im Schönen verweilt und die Perſönlichkeit als
den würdigſten darſtellt, darum die ganze Welt der im gewöhnlichen Sinne
unperſönlichen Gegenſtände vom Schönen ausgeſchloſſen oder zu niedrig
geſchätzt werde, wie dies Hegel wegen ſeines durchgängigen Dringens
auf ſubſtantiellen ſittlichen Gehalt vorgerückt wird? Allein ſchon das
unterſte Naturgebilde kündigt die Zukunft der Perſönlichkeit an; es wirkt
nicht blos die Kraft des Künſtlers, Alles perſönlich zu machen, er könnte
es nicht, wäre nicht Wahrheit darin und es iſt Wahrheit darin, weil das
Ganze ein Syſtem von Stufen iſt. Pan-Anthropismus iſt der Standpunkt
des Schönen gegenüber der Natur. Die andere Frage iſt: ob man denn
dadurch, daß man einen Unterſchied der Dignität im Gehalte macht, die
Unterſuchung über die ſpezifiſche Form, in welche dieſer Gehalt einzubilden iſt,
zu vernachläßigen genöthigt ſey? Gewiß nicht. Wohl aber geht, wenn
man gegen jene Werth-Unterſcheidung des Gehalts auftritt, als Reſultat
jene formaliſtiſche Kunſt-Beurtheilung hervor, welche die Wahrheit, daß
im Schönen Alles auf die Form ankomme, dahin verkehrt, daß ſie meint,
es ſey dadurch eine Abſtraction vom Stoffe gerechtfertigt, während um-
gekehrt, je mehr man auf die Form dringt, deſto mehr die Bedeutung
des Gehalts in ihr Gewicht eintritt: denn Form-Vollendung bei geringem
Gehalt erweist ſich in der Nähe vielmehr als Bedeutungsloſigkeit der
Form ſelbſt, als Verflachung in äußerlicher Fertigkeit. Große Form
[75] macht nur großer Gehalt möglich. Göthes Kunſt-Urtheil hat Einiges
zur Entſtehung dieſes Formalismus der Kunſt beigetragen. Es mag
über dieſen wichtigen Punkt ſogleich folgender beleuchtender Satz aufge-
ſtellt werden. Man ſtelle neben ein in der Form vollendetes Landſchaft-
gemälde, Thierſtück oder Genre-Bild, worin Menſchen in anſpruchs-
loſem Zuſtande dargeſtellt ſind, ein hiſtoriſches Gemälde, worin ein
großer weltgeſchichtlicher Act ſchlecht dargeſtellt iſt. Hier hat das erſtere
ohne Frage äſthetiſchen Vorrang; allein der Fall iſt nicht richtig gewählt.
Man ſtelle vielmehr neben jene ein Gemälde der letzteren Gattung, das
ebenfalls meiſterhaft in der Form iſt. Jetzt ſteht dieſes ohne Frage
höher als jene.
§. 20.
Die Perſönlichkeit erweitert ſich über den Umfang ihrer ſubjectiven Ver-1
einzelung zu einer Geſammt-Perſon, welche durch vereinte Thätigkeit die
weſentlichen ſittlichen Zwecke des Geiſtes verwirklicht. In dieſer geiſtigen
Welt erreicht die Idee ihre wahre Bedeutung und Ideen heißen nun die großen,
bewegenden ſittlichen Mächte, auf welche jedoch in dem Sinne auch der Begriff
der Gattung noch angewandt werden kann, daß ſie ſich zu ihren engeren Sphären
und den ſie verwirklichenden einzelnen Perſönlichkeiten verhalten, wie die Gat-
tung zu ihren Arten und Individuen. Auch dieſe ſittliche Welt ſetzt ſich ihre2
Stufen, und von dieſen gilt dieſelbe Einſchränkung wie §. 18, 2. Die ſittliche
Idee fügt in den Aufbau ihrer Sphären ſolche Stufen ein, worin ſie ſich von
dem Schönen zu trennen ſcheint; das Schöne wird ihr aber unter gewiſſen Bedin-
gungen auch dahin folgen können.
1. Der würdigſte Gehalt des Schönen liegt in den ſittlichen Mächten
des öffentlichen Lebens. Die jetzige Zeit hat dies erkannt und fordert
geſchichtlichen, politiſchen Gehalt. Daraus an ſich würde noch keines-
wegs Tendenzkunſt und Tendenzkritik entſtehen; der Schein dieſer Con-
ſequenz kann nur hier noch nicht gründlicher widerlegt werden, als er
es durch die früheren Bemerkungen ſchon iſt. — Die ſittliche Macht
wird Lebensluft beſonderer Stände wie der einzelnen Perſönlichkeit
und verwirklicht ſich in ihnen, wie die Gattung in ihren Arten und
Individuen, daher auch hier die Idee Gattung heißen kann. Die
Perſönlichkeit im Dienſte der Idee tritt im Colliſionsfalle aus der Gat-
[76] tung im unmittelbaren, natürlichen Sinn aus und opfert dieſes Band
der höheren, ſittlichen Gattung, in die ſie ſich eingereiht.
2. Es gibt allerdings Stufen, worin die ſittliche Idee und das
Schöne ſich zu trennen ſcheinen. Die hier gegebene Skizze des reinen
Gehalts, der in das Schöne eingeht, muß weite Schritte nehmen. Im
vorhergehenden §. iſt der erkennende Geiſt nicht erwähnt. Er iſt rein
innerlicher Art, allein mit dem Object noch in einem Gegenſatze be-
griffen, der zu Spannungen führt, welche allerdings Inhalt für das
Schöne abgeben (Empedokles, Fauſt), nur gehört dies noch nicht
in die Lehre vom einfach Schönen. Abſtractere Formen des handelnden
Geiſtes ſind namentlich das Recht und die ſubjective Moral, jenes zu
äußerlich, dieſe zu innerlich. Allein wenn ſich zeigen wird, wie das
Schöne ſeine Formen wechſelt, ſo werden wir finden, daß es auch dieſen
Sphären folgen kann; freilich nur unter gewiſſen Bedingungen, d. h.
um es vorher anzudeuten, nur in gewiſſen Kunſt-Gattungen und nur
ſo, daß eine ſolche Sphäre nicht das Ganze eines Kunſtwerks ausmacht,
ſondern blos ein Moment darin bildet. Man denke z. B. an den
Rechtshandel im Kaufmann von Venedig.
§. 21.
Jede einzelne Idee für ſich betrachtet begreift eine Einheit von Momenten
in ſich, die ſie theils gleichzeitig vereinigt, theils in der Zeitfolge durch Be-
wegung ausbreitet. Je bedeutender aber eine Idee, deſto reicher und deſto be-
ſtimmter treten, indem ſie den Inhalt der untergeordneten Ideen vertiefend und
erweiternd in ſich aufnimmt, dieſe Momente als Kreiſe im Kreis hervor, deſto
lebendiger durchdringt ſie aber auch die Einheit und führt ſie in ſich zurück.
Dieſer §. iſt durch einen vorläufigen Blick in die beſtimmten Er-
ſcheinungen der natürlichen und ſittlichen Welt zu erläutern. Selbſt das
gewöhnlich ſogenannte Unorganiſche iſt nicht einfach, ſondern eine Ein-
heit von Unterſchiedenem und entweder Reſultat eines lebendigen Pro-
zeſſes oder wirklich ein ſolcher. Je höher aber ein Weſen, deſto man-
nigfaltiger und lebendiger die Einheit. Das Thier vereinigt die Syſteme
in ſich, welche in der Pflanze ſind, vermehrt ſie und gibt ihnen ver-
änderte Bedeutung durch einen neuen Einheitspunkt, im Menſchen treten
neue Organe zu den thieriſchen und alle ſind in eine weſentlich andere
Einheit zuſammengefaßt. Höher aber entfaltet ſich das Staatsleben in
[77] den beſonderen Kreiſen der Familie, der Gewerbsthätigkeit, der Kriegs-
beſtimmung, der Schule, der Kirche u. ſ. w.
§. 22.
Indem die Idee ſich zuletzt in höchſter Bedeutung als der ſich verwirk-1
lichende ſittliche Zweck, hiemit als das Gute dargeſtellt hat, ſo iſt das Schöne
ſeinem Gehalte nach einfach als identiſch mit dieſem zu faſſen. Selbſt das2
Reich, worin ſich die Idee erſt als unbewußte Lebenskraft ausführt (§. 17.)
kann in dem Sinne unter den Begriff des Guten geſtellt werden, daß dieſes
unbewußte Leben nach der einen Seite ebenſoſehr die werdende Perſönlichkeit
ankündigt (§. 19.), als es nach der andern, weil es die Entzweiung derſelben
noch nicht in ſich trägt, durch die feſte Geſchloſſenheit und Beſtimmtheit ſeiner
Geſtaltungen ſogar als ein vorgezeichnetes Bild der Perſönlichkeit erſcheint, wie
ſie ihren ſittlichen Zweck bereits verwirklicht und ſich zu einem feſten Ganzen
mit ſich zuſammengeſchloſſen hat.
1. Es handelt ſich hier nur um den Gehalt des Schönen, und ſo lange
blos von dieſem die Rede iſt, muß die im §. ausgeſprochene Identität
mit dem Guten behauptet werden. Einſchränkungen, die jedoch ſchon
§. 20, 2 berührt wurden, ſind im folg. §. wieder bis auf einen gewiſſen
Punkt aufzufaſſen.
2. Auch die Natur kann unter dem Standpunkt des Guten be-
trachtet werden. Die Alten ſtanden weſentlich auf dieſem Standpunkte
und vergötterten daher die Naturkräfte. In der Natur ahnt ſich die
Perſönlichkeit; als wirkliche iſt ſie eine geiſtige Verwendung und Umbil-
dung von Naturkräften, die als ihre Grundlage und ihr Material auch
vom Standpunkte der Religion des Geiſtes zu verehren ſind. Allerdings
ſcheint eben ſo gut das Umgekehrte zu folgen: die Selbſtändigkeit der
Natur verſchwindet, wenn ſie um eines Andern, um des Geiſtes willen
da iſt, ihre Stufen und Gattungen verflüchtigen alle Grenzen, wenn ſie
nur über ſich hinausweiſen ſollen. Allein die Natur iſt eben deßwegen,
weil ſie als noch verhüllter Geiſt auch die Entzweiung des Bewußtſeyns
noch nicht in ſich hat, einfach, compact, geſättigt und ſaftig in ſich.
Ihre Stufen weiſen über ſich hinaus, dies ſehen aber nur wir, die
Geiſtigen, ihnen an; ſie ſelbſt verfallen zwar der creatürlichen Angſt
der bewußtloſen Exiſtenz, jedoch nur in dem Moment, wo ihnen das
Schickſal der Nothwendigkeit von außen kommt, ſie ſind übrigens ganz
[78] was ſie ſind, zufrieden damit und ebendadurch einfach, ungetheilt, gedie-
gen. Das A. Teſtament hat treffliche Stellen, worin dies Gefühl aus-
geſprochen wird, daß hier Alles recht und ganz iſt und dieſe Werke
gut. Der Menſch führt als Sinnenweſen ſelbſt ein animaliſches Leben,
das an ſeiner Stelle die äſthetiſche Kraft dieſer Geſundheit und Ganzheit
hat. Die Kunſt zieht aus dieſem Reiche eine Welt von Motiven,
welche Göthe (Geſpr. mit Eckermann: über eine antike Gemme, worauf
ein Knabe dargeſtellt iſt, den ein Alter trinken läßt) naiv genannt und
mit Recht bewundert hat. Die geſchloſſene Ganzheit der natürlichen
Exiſtenz iſt aber in ihrer kräftigen Geſtalt auch Bild der Perſönlichkeit,
die zwar ſchon auf ſittlichem Boden ſteht, aber eine ganze Natur iſt.
Daher werden im alten Epos die Helden ſo ſchön mit der compacten
Kraft von Thieren verglichen.
§. 23.
Das Gute im eigentlichen Sinne hat zu ſeiner Vorausſetzung und Unter-
lage das Reich der blos äußern Zwecke, der Befriedigung der Bedürfniſſe,
welche als Fülle des ſich ſelbſt genießenden Lebens das Gut heißt. Dies Reich
der äußeren Zweckmäßigkeit fällt gemäß §. 16 aus dem Schönen weg, weil es
blos eine Beziehung, worin ein Solches, das um ſeiner ſelbſt willen da iſt,
2ſteht, und nicht dieſes ſelbſt darſtellt. Jedoch wenn entweder von den höheren
Zwecken, die als Selbſtzwecke den Mittelpunkt einer Perſönlichkeit bilden
können, abgeſehen und die perſönliche Welt unter den Standpunkt des unbe-
wußten Lebens gerückt wird, oder wenn die blos äußern Zwecke als fördernde
Momente in eine erfüllte Einheit mit dieſen unter dem Standpunkte des höch-
ſten Gutes zuſammenbegriffen werden, ſo kann unter gewiſſen Bedingungen auch
3jenes Reich als Inhalt in das Schöne eintreten. Eine andere Frage iſt, ob
Werke der äußeren Zweckmäßigkeit ſich nicht wenigſtens beiläufig mit dem
Schönen verbinden können, und dieſe iſt nicht nur zu bejahen, ſondern es liegt
ſogar nothwendig im Weſen des Geiſtes, daß er das, was um der blos äußer-
lichen Zweckmäßigkeit willen vorhanden iſt, in die Sphäre ſeiner reinen Selb-
ſtändigkeit heraufzieht, um die Nothdurft, mit der er behaftet iſt, zu vergeſſen
und auch hierin ſich das Bewußtſeyn ſeiner Unendlichkeit zu geben. Hierauf grün-
det ſich die wichtige Unterſcheidung einer ſelbſtändigen und einer anhängenden
Schönheit.
[79]
1. Die äußere Zweckmäßigkeit gehört zu den abſtracten Begriffen,
welche durch §. 16 ausgeſchloſſen ſind. Er hat ſeinen eigentlichen Ort
im Syſtem der menſchlichen Bedürfniſſe und ihrer Befriedigung. Die
unbewußte Natur kann auch unter den Standpunkt der äußeren Zweck-
mäßigkeit gerückt werden; Luft, Erde, Waſſer, Licht dient der Pflanze,
jene und dieſe dem Thier u. ſ. w.; dieſer Standpunkt iſt aber nicht nur
nicht äſthetiſch, ſondern er iſt auch ſchließlich nicht der wahre. Noch un-
wahrer iſt es, wenn innere Zwecke des Geiſtes, die Selbſtzwecke ſind,
unter der Kategorie der äußeren Zweckmäßigkeit betrachtet werden, z. B.
der Staat. Im Reich der Bedürfniſſe aber und des äußern Wohls
handelt es ſich um die Befriedigung deſſen, was im Menſchen ſelbſt
nur um eines Andern, um des Geiſtes willen, iſt; dieſem an ſich
Unſelbſtändigen dient nun die äußere Natur und wird zu Werken ver-
arbeitet, welche durchaus nur Mittel ſind, eines für das andere und
alle für den ſinnlichen Menſchen, dieſer aber für den geiſtigen. Hier
handelt es ſich alſo um bloſe Beziehungen, nicht um freie Wirklichkeit
eines Selbſtändigen in ſeiner Totalität. Der ſich verwirklichende Selbſt-
zweck heißt das Gute, die Fülle der erwirkten Mittel des äußeren Zwecks,
ſofern der Menſch als Sinnenweſen, aber auf dieſer Unterlage auch als
geiſtiges Weſen in ihr ſich ge nießt, heißt das Gut.
2. Es kann von dem Gegenſatze der geiſtigen Selbſtzwecke und der
äußeren Zwecke abgeſehen und der Menſch unter dem Standpunkte
einer höheren Natur, einer edleren Thierheit angeſchaut werden. Dann
wird nicht in Erwägung genommen, daß das ſinnliche Daſeyn genährt
und gepflanzt wird, blos damit der Geiſt Zeit und Raum gewinne für
ſeine abſoluten Zwecke. Es iſt dieſer Standpunkt keine Erniedrigung,
denn indem ſich der ganze Menſch ungetheilt in dieſe äußere Sphäre
legt, bringt er auch den Geiſt als adelnde und maßgebende Seele mit.
So wird dieſe Sphäre ſelbſtändig und äſthetiſch; jedoch nur unter ge-
wiſſen weiteren Bedingungen. Dieſe Bedingungen können nicht hier
erledigt werden, ſie gehören theils zur Frage nach den geſchichtlichen
Formen der Cultur, theils zur Lehre von den verſchiedenen Künſten.
Es gibt Cultur-Epochen, welche die Sphäre der Zweckmäßigkeit im
Sinne jener ſelbſtändigen Anſchauung, andere, welche ſie rein als Mittel
behandeln und davon tragen die Werke den Stempel in ihren Formen.
Was die Künſte betrifft, ſo erinnere man ſich nur z. B., wie anders
die bildende Kunſt als die Poeſie, wie anders in dieſer das Epos
(namentlich die Idylle) als das Drama ſich zu dieſer Sphäre ſtellt.
[80] Es gibt aber noch einen andern Fall der Zuläſſigkeit. Das Zweckmäßige
kann ganz als bloſes Mittel erſcheinen, aber in den Fluß der geiſtigen
Selbſtzwecke ſo glücklich eingreifen, daß es als ein Beſonderes für ſich,
d. h. als ein Proſaiſches, ſich gar nicht in der Anſchauung fixirt. Die
angedeuteten Bedingungen gelten für dieſen Fall in eingeſchränkterem
Sinne. Der Geiſt mag das äußerlich Zweckmäßige in der kürzeſten
Zeit und in ſparſamer Form abthun; treten nur ſeine abſoluten Zwecke
gehörig in die Anſchauung, ſo wird mit dieſer jenes Unſelbſtändige,
wenn es nur leicht geht und gelingt, in Ein Bild ohne Anſtoß aufge-
nommen, und dieſes Eine Bild iſt das Bild des höchſten Gutes, worin
der innere und äußere Zweck, Tugend und Glückſeligkeit harmoniren.
3. Kant Kr. d. äſth. Urtheilskr. §. 16 ſtellt den wichtigen Unter-
ſchied der freien und anhängenden Schönheit auf, gibt aber mehrere
falſche Beiſpiele. Das blos Dienende wird äſthetiſch, wenn es ſo
behandelt wird, daß es frei und ſelbſtändig erſcheint. Ein in dieſem
Sinne behandeltes Geräthe z. B. wird gleichſam perſönlich, gehört zur
Familie, ſcheint die Seele des Gebrauchenden in ſich aufgenommen zu
haben. Der Geiſt legt ſeine Unendlichkeit in den blos endlichen (die-
nenden) Gegenſtand und zeigt dies durch Entfaltung an ſich überflüßiger,
doch wohl motivirter Formen, wodurch die gerade Linie, welche als
den kürzeſten Weg zum Ziele das Bedürfniß nimmt, in eine ſpielende
verwandelt wird. Das Nähere gehört zur Formfrage. Ihre ganze
Wichtigkeit erhält dieſe Unterſcheidung in der Lehre von der Kunſt.
§. 24.
Ueber dieſer Grundlage erhebt ſich die Welt der ſittlichen oder der Selbſt-
zwecke, welche den bedeutendſten Inhalt des Schönen abzugeben beſtimmt ſind.
Dieſer höchſte Inhalt der Idee nun oder das Gute iſt aber ſo wenig als irgend
eine andere Stufe der Idee auf einem beſtimmten Punkte des Raumes und der
2Zeit abſolut verwirklicht. Da nun das Schöne die Idee gerade als in die-
ſem Sinne verwirklicht zur unmittelbaren Anſchauung bringen ſoll, ſo iſt
hier eigentlich die Stelle, wo der gegenſtändliche Inhalt des Schönen, worin
es mit der Idee zuſammenfällt, geſchloſſen iſt und die Darſtellung des Unter-
3ſchieds zwiſcken beiden zu beginnen hat. Ehe jedoch dieſer Uebergang eintritt,
ſcheint noch ein höherer Inhalt eingeführt werden zu müſſen, eben um begreiflich
zu machen, wie das Schöne jene Wirklichkeit als eine vollendete zur Anſchauung
[81] bringen könne. Einen ſolchen Inhalt ſcheint die Religion darzubieten als der
Glaube an die Wirklichkeit eines Einzelnen, welches zugleich abſolut iſt.
1. Die Idee als ſittlicher Zweck iſt Selbſtzweck, das heißt erſtens:
ſie ſelbſt ſetzt ſich den Zweck oder vielmehr als Zweck, ſie ſetzt ſich in
Form der Zukunft, um ſich zu entfalten; zweitens: die Mittel, die ſie
dazu anwendet, ſind ihre eigenen Momente, werden nicht von außen
genommen, denn der Idee gehört Alles; drittens: indem ſie bei dem
Zwecke ankommt, kommt ſie bei ſich ſelbſt an, denn ſie hat ſich entfaltet.
Allein jedes Anlangen iſt ein neues Anfangen jenes Hinausſetzens, die
Kategorie des Sollens kehrt im Reiche des Handelns, um ſich immer
aufzuheben, immer wieder (vergl. Einl. §. 2, 2); denn eben jene Thä-
tigkeit iſt die Idee, und wenn ſie jemals aufhörte, thätig zu ſeyn, wäre
ſie todt, alſo nicht Idee. Das Wiſſen erkennt dies Verhältniß und begreift,
daß eben dieſe unendliche Bewegung das Abſolute iſt. Das Wiſſen iſt alſo
eben die wahre Form, durch welche das Abſolute ſchließlich in den
Begriff ſeiner ſelbſt eingeht und ſich nur im Sinne gedachter Allgemein-
heit zu ſeinem eigenen Gegenſtande macht. Allein das Wiſſen iſt nicht
ſogleich, nachdem der Geiſt über die ganze bisher dargeſtellte Breite der
Verwirklichungsſtufen der Idee ſich erhebt und ſie überblickt, vorhanden.
Jene Wahrheit der unendlich ſich verwirklichenden Idee wird zuerſt als
Schein einer Vollendung auf einem einzelnen Punkte (welche aber zugleich
Ausdruck jener unendlichen Thätigkeit, alſo nicht etwas Todtes iſt)
gefaßt. (ſ. §. 13. 14.)
2. Die Welt der Gegenſtände, welche den Gehalt des Schönen
bilden, iſt hier, da es keinen höheren Gegenſtand als das Gute geben
kann, zu Ende. Der Gegenſtände: dieß iſt nicht gemeint, als werde
überſehen, daß es die eine und ſelbe Idee iſt, welche ſich als Natur
ausbreitet, als Geiſt im Gegenſatze thätig iſt und dieſe ganze Entfaltung
wieder in den höchſten Sphären des Geiſtes in Eins zuſammenfaßt. Die
Trennung iſt aber hier nothwendig, eben weil ein Punkt geſetzt werden
muß, wo nun das Spezifiſche eintritt, wodurch der bisher dargeſtellte
Inhalt im vorliegenden Gebiete aufhört, bloßer Gegenſtand zu ſeyn.
Jetzt alſo hätte die Unterſuchung zu beginnen, was im Schönen mit
dem bisher geſchilderten Inhalt vorgehe, und wie eben dieſer Vorgang
nun den Unterſchied des Schönen von dem bisher entwickelten Gehalte bilde.
3. Hier tritt nun aber die Frage dazwiſchen, ob nicht das Schöne,
wenn es die abſolute Idee als ſchlechthin verwirklicht oder als mangellos
Viſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 6
[82]thätig in einem Einzelnen zur Erſcheinung bringen ſolle, eben dieſe Art
ihrer Wirklichkeit zuerſt als Inhalt vor ſich haben müſſe. Es ſcheint,
als müſſe das Abſolute auch erſt als ein beſchloſſenes Seyn auftreten,
müſſe auf dieſe Weiſe Gegenſtand ſeyn und als bilde dann das Schöne
dieſen Gegenſtand ab. In Wahrheit iſt es vielmehr das Schöne ſelbſt,
was das Abſolute in dieſem Sinne zum Gegenſtande macht, als eine zu-
gleich unendliche und doch zugleich in einem Einzelnen beſchloſſene Thä-
tigkeit nämlich, was freilich nur durch einen Schein möglich iſt; eben
hier beginnt alſo das unterſcheidend Eigene im Schönen; es tritt zwi-
ſchen das Wiſſen, das den bisher betrachteten Inhalt in ſeiner Allge-
meinheit denkt und zwiſchen dieſen Inhalt, nimmt dieſen zu ſeinem Gegen-
ſtand und ſtellt ihn ſo dar, als wäre er nicht nur Gegenſtand im bis-
herigen Sinne einer nie im Einzelnen beſchloſſenen Verwirklichung, ſon-
dern in dem Sinne einer zugleich einzelnen und zugleich abſoluten Wirk-
lichkeit. Die Meinung Vieler aber iſt vielmehr, daß nicht erſt das
Schöne dieſen Gegenſtand als Schein erzeuge, ſondern, daß derſelbe
noch zu den ſeyenden Gegenſtänden gehöre. Kunde von dieſem Gegen-
ſtand nun, iſt die weitere Meinung, gebe die Religion; deßwegen habe
ſie hier ihre Stelle. Die Religion gehört hieher, wie ſich ſogleich
zeigen wird, aber aus einem andern Grunde. Was das Wiſſen oder
die Philoſophie betrifft, ſo haben wir ſchon früher einleitend gezeigt, daß
es nur nach dem Schönen ſtehen könne (§. 5 Anm.). Dieſer Punkt iſt
noch genauer zu unterſuchen, hier aber nur ſo viel zu ſagen, daß es
zwar auch noch zu den Gegenſtänden des Schönen treten kann, aber nicht
von der Seite, die ſein Weſen begründet, ſondern ſofern es ſelbſt wieder
in ein Unmittelbares übergeht oder auf ein ſolches wirkt, wie §. 20, 2
ſchon angedeutet iſt.
§. 25.
Dieß iſt jedoch eine logiſche Verwirrung. Die Idee kann ſich anders
nicht verwirklichen, als in dem Prozeſſe einer unendlichen Bewegung, alſo auch
in keinem andern Sinne zu der Welt der Gegenſtände gezählt werden, welche
in den Geiſt eingehen. Wenn nun der Geiſt, in den ſie eingeht und der ſie
zum Gegenſtande hat, ſie anders faßt, das heißt, wenn er, noch ehe das Schöne
eintritt, ſie in der Weiſe des Glaubens als vollkommen gegenwärtig in einem
Einzelnen hinſtellt, ſo iſt dies kein Gegenſtand, der außer dem Glaubenden
vorhanden wäre, ſondern ein Gegenſtand, den der Glaube ſelbſt erzeugt, und
[83] die Wahrheit des Glaubens iſt nicht, was er glaubt, ſondern daß er glaubt.
Wirklich meint die Religion in dem, was ihr Bewußtſein vor ſich hat, zwar
einen Gegenſtand zu beſitzen, der ohne ihr Bewußtſeyn ſchon ſey, hebt ihn aber
als Gegenſtand unvermerkt auf, indem ſie ihn in Bewegung ſetzt.
Der Inhalt der Religion ſcheint ihr ſelbſt ein Gegenſtand, der ohne
ſie und außer ihr da ſey. Daß dieß nicht Wahrheit iſt, folgt aus allem
bisherigen. Die Religion ſetzt die abſolute Idee als rein vollendet in
Gott als einem Einzelnen oder in Göttern als Einzelnen, näher beſtimmt
zur Idee der Menſchheit als rein vollendet im Sohne Gottes u. ſ. w.
Indem ſie nun daran geht, die Eigenſchaften und Thätigkeiten dieſer
Weſen, welche einzelne ſeyn ſollen, ſich auseinanderzuſetzen, hebt ſie
unvermerkt das Subjekt dieſer Eigenſchaften und Thätigkeiten als einzel-
nes auf, Gott wird als allgegenwärtig und unzeitlich durch alle Zeit
wirkend und ſchaffend im Univerſum, der Sohn Gottes ebenſo in der
beſonderen Beziehung zum ſittlichen Leben der Menſchheit gefaßt u. ſ. w.,
d. h. ſie ſind keine Einzelnen mehr, ſondern der Geiſt des Ganzen.
Die Religion merkt aber dieſe Auflöſung, die ſie ſelbſt vornimmt, nicht,
ſie glaubt trotz dem Widerſpruch an die Gegenſtändlichkeit ihrer Vor-
ſtellung. Die Schönheit wird ſich dagegen als eine Macht erweiſen,
welche dieſen verwechſelnden Glauben auflöst, alſo weit entfernt, ihren
Inhalt als reinen Gegenſtand von der Religion zu entlehnen, vielmehr
die Beſtimmung dieſes Inhalts, wonach er Gegenſtand iſt außer dem
Glauben, der ihn glaubt, aufhebt. Der Glaube, womit die Religion
glaubt, nicht das, was dieſer Glaube glaubt, iſt die Bedeutung der
Religion. Sie hat in dieſer Intenſität mehr, als ſie weiß; was ſie
glaubt, iſt nicht als Geglaubtes Wirklichkeit, aber der Glaube ſelbſt iſt
dieſe Wirklichkeit; die Idee wird zur Gegenwart im glaubenden Subjekte,
das Vorgeſtellte in dieſer Gegenwart iſt nicht die Wahrheit, aber die
Innigkeit der Empfindung, aus der dieſe Vorſtellung herauswächst, iſt
die Wahrheit.
§. 26.
Die Religion und die Schönheit gehören alſo allerdings in daſſelbe Gebiet,
denn beide ſind Weiſen, worin der Geiſt die Idee als wahrhaft wirkliche zu
ſeinem Inhalte hat, worin alſo die Idee ihre Wirklichkeit in die Gewißheit
von ſich erhebt und dadurch der Gegenſatz zwiſchen objektivem und ſubjek-
6*
[84]tivem Geiſt ſich zum abſoluten Geiſte auflöst. Dieſe Gewißheit ſelbſt bewegt
ſich durch verſchiedene Stufen; ſie beſtimmt ſich als Glaube in der Reli-
gion, und da dieſer Glaube die Wirklichkeit der Idee unter der Form der
Einzelheit auffaßt, die Schönheit aber ebenfalls ein Schein iſt, als ſey dieſe
Wirklichkeit im Punkte einer Einzelheit beſchloſſen, ſo folgt, daß beide Weiſen
des abſoluten Geiſtes ſeyen, die in weſentlicher Verwandtſchaft ſtehen. Der
Unterſchied zwiſchen beiden Weiſen, der es nicht erlaubt, dies Verhältniß
anders zu bezeichnen, iſt hier noch nicht zu unterſuchen.
Die Religion und die Schönheit ſind die zwei erſten unmittelbaren
Formen des abſoluten Geiſtes. Der abſolute Geiſt gibt ſich das Wiſſen
von der Wirklichkeit der abſoluten Idee; dieſes Wiſſen hat in jenen
beiden Sphären noch die Beſtimmtheit des Unmittelbaren, welche nicht
Wiſſen, ſondern nur Gewißheit zu nennen iſt. Beide erzeugen den
Schein, als ſey die Wirklichkeit der Idee in einem Einzelnen beſchloſſen.
Dieſer Schein iſt aber in beiden verſchiedener Art; der Unterſchied iſt
durch die Bezeichnung der Religion als Glauben angedeutet, kann aber
hier noch nicht erörtert werden, wo vom Gehalte, nicht von der Form
die Rede iſt. Es leuchtet alſo ein, daß Religion und Schönheit denſel-
ben Gehalt haben, und daß auch ihre Form eine verwandte iſt (bei
dieſem unbeſtimmten Ausdruck muß es vorläufig bleiben). Allerdings
wird ſich bei der Erörterung des Unterſchieds zeigen, daß mit der Form
auch der Inhalt ſich ändert, es iſt aber Inhalt von Inhalt, d. h.
es iſt verborgener oder Grund-Inhalt zu unterſcheiden von dem
Inhalt, der ins Bewußtſeyn tritt; der letztere kann auch zur Form
gezogen werden.
§. 27.
Dieſe Verwandtſchaft wird ſich als thätiges Verhältniß zwiſchen beiden
dahin beſtimmen, daß die Religion dem Schönen denſelben Inhalt, den das
Schöne ohnedies auch hat, die Wirklichkeit der Idee nämlich, als einen im
2Sinne des abſoluten Geiſtes bereits geformten überliefert. Meint man, die
Schönheit empfange von der Religion in dieſem ſo geformten Gehalt einen von
dieſer in Erfahrung gebrachten, außer ihr und der Kunſt vorhandenen neuen
Gegenſtand, ſo entſteht der Fehler einer theologiſchen Ableitung des Schönen.
3Es wird ſich aber auch zeigen, daß ſelbſt jene Gemeinſchaft des Stoffes eben
[85] wegen des Unterſchieds in der Verwandtſchaft keine abſolute und keine dauernde
iſt. Die Religion wird fernerhin in einem ganz anderen Sinne der Schönheit
Stoff darbieten, ſie wird ſelbſt als Stoff in dieſe eingehen, indem nicht der
vermeintliche Gegenſtand des Glaubens, ſondern der Glaube ſelbſt als vollendete
Wirklichkeit vom Schönen wird zur Darſtellung gebracht werden.
1. Die Religion wird der Schönheit Stoff überliefern, aber keines-
wegs im Sinne eines neuen Gegenſtands. Die Sphären des abſoluten
Geiſtes haben die reine Wirklichkeit der abſoluten Idee zum Inhalte.
Jede dieſer Sphären formirt dieſen Inhalt auf ihre Weiſe, die Religion
in einer ſolchen, welche der Schönheit verwandt iſt, denn eine ähnliche
Art des Scheines iſt in beiden. Das Leben der Natur und des Geiſtes
zieht die eine wie die andere in einzelne abſolute Geſtalten zuſammen.
Nur dadurch ſchöpft die Schönheit Stoff aus der Religion, daß dieſe
Geſtalten, nicht das, was in ihnen zuſammengezogen iſt, ihr als will-
kommene Motive entgegentreten, das zur Anſchauung zu bringen, was
ſie ohnedies auch ſchon hat, den Gehalt des Lebens. In dieſen Sätzen
iſt vorausgeſetzt, daß die Religion primitiver ſey und die Schönheit ihr
folge: dieß wird gründlicher erſt dargethan werden, wenn vom Unter-
ſchiede beider die Rede ſeyn wird, inzwiſchen kann auf die nothwendige
Vorausnahme der Einleitung (§. 5) hier verwieſen werden.
2. Die theologiſche Ableitung des Schönen iſt nicht zu verwechſeln
mit einer Vermengung des Schönen und der Religion. Der neueren
Philoſophie von Schelling bis Hegel iſt nicht eigentlich die erſtere,
ſondern die letztere vorzuwerfen. Schelling hält die Kunſt ſelbſt für
thätige Erzeugung der Einheit des Idealen und Realen, nicht alſo für
Nachbildung Gottes als eines von der Religion zur Kunde gebrachten
und außer ihr und der Kunſt vorhandenen Gegenſtands. Allerdings iſt
das Abſolute als Grund dieſer Einheit vor derſelben, aber nur implicite.
Auch über das Geſchichtliche der Perſon Chriſti ſprechen d. Vorleſ. über d.
Meth. des akad. Studiums in einer Weiſe, daß hier nicht von einem gege-
benen Gegenſtand, ſondern nur von einem Erzeugniß der idealen Anſchauung
ſelbſt die Rede ſeyn kann. Allerdings fehlt bei Schelling die ſyſtema-
tiſche Aufführung der Mittelſtufen, durch die ſich der Geiſt bewegt, bis
er bei dieſer Form reiner Ineinsbildung des Idealen und Realen an-
langt, es iſt aber in ſeiner Meth. des akad. Studiums der Grundriß
jener Durchführung, welche Hegel gegeben hat, in hingeworfenen Zügen
wohl zu erkennen. (vergl. z. B. 313.) In der Darſtellung der Kunſt
[86] für ſich ſcheint es zwar, als ſolle die Kunſt das Abſolute ſchlechthin
offenbaren; es fehlt aber natürlich die Einſicht nicht, wie dieß die Kunſt
dadurch thut, daß ſie „die Formen der Dinge an ſich und wie ſie in
den Urbildern ſind,“ alſo daß ſie nicht eine ohne ſie fertige einzelne Ge-
ſtalt, welche ſchlechthin das All in ſich begriffe, ſondern zunächſt irgend
eine einzelne Idee in beſchloſſener Geſtalt und dadurch das All darſtellt
(vergl. insbeſondere d. Rede über das Verhältniß der bildenden Kunſt zur
Natur); nur iſt dieſe Einſicht wie bei Hegel in der allgemeinen Ab-
leitung nicht durchgeführt. Wohl aber wird die Kunſt mit der Religion
auf ganz unſtatthafte Weiſe vermengt; Schelling ſpricht ſogar eine
Unmöglichkeit aus, der Kunſt eine andere poetiſche Welt als innerhalb
der Religion und durch Religion zu geben (a. a. O. 322) und dieß
würde in ſeiner Conſequenz auch den Satz wieder aufheben, daß die
Kunſt das Abſolute durch die Zwiſchenglieder der einzelnen Ideen dar-
ſtellt; denn die Religion hat den Charakter der Ausſchließlichkeit, daß
ſie ſich nicht über das Ganze des Lebens ausdehnt, ſondern nur die
ſittlichen Höhen deſſelben in ihre Symbolik aufnimmt und das Uebrige
abweist. Ganz unklar bleibt in dieſem Punkte Solger, der zuerſt
Schellings Ideen zu einer Philoſophie der Kunſt durchgeführt hat.
Er nennt die abſolute Idee Gott und legt auf den Begriff eines ſchaffen-
den Gottes ein Gewicht, als wäre nur aus ihm das Schöne abzulei-
ten. Dazwiſchen wird gegen die Anſicht, als wäre Gott ein einzel-
nes und für ſich beſtehendes Weſen, proteſtirt (Erwin 1, 136. 138. 247).
Es bleibt aber ein völliges Dunkel über dieſem Punkte. Die Idee eines
ſchaffenden Gottes erſcheint dennoch wieder als die einzige Aushilfe aus
den Irrwegen der Dialektik, die das Schöne nicht zu begreifen ver-
mag. In den nachgel. Schr. Th. 2, 428 wird ein Ausdruck des Boccaccio
gebilligt, die Kunſt ſey blos eine andere Art der Theologie. Solger
unterſcheidet eine göttliche und irdiſche Schönheit. Jene enthält die
abſoluten Geſtalten der alten Mythologie und der chriſtlichen Myſtik.
Die erſteren nun ſind natürlich nur Bilder der Phantaſie, allein die
zweite wird unter dem Begriff der Allegorie ſo gefaßt, daß die wahre
Allegorie auch ſeyn ſoll, was ſie bedeutet. Daraus folgt, daß die
wirkliche Geſchichte in heilige, abſolute Geſchichte aufgehoben werden ſoll,
und der Werth der beſtimmten Idee iſt ebenhiemit in dieſer Beziehung
geläugnet. Ein Gegenſatz, der nur in die Geſchichte des Ideals gehört,
iſt in dieſer Entgegenſetzung des göttlichen und irdiſchen Schönen als
bleibender feſtgehalten, es wird nicht als Fortſchritt der Kunſt be-
[87] griffen, wenn ſie die transcendenten Geſtalten aufgiebt, wenn ſie die
beſtimmte, wirkliche Idee rein menſchlich und natürlich und nur durch ſie
die abſolute Idee darſtellt. Aber nicht nur dies; die überirdiſchen Geſtalten
wären demnach wirkliche Weſen und das Schöne hätte ihnen nur als
ihre Nachbildung zu folgen. Nimmt man alſo nun Solger beim Wort,
ſo iſt ihm allerdings theologiſche Ableitung des Schönen vorzuwerfen;
hilft man ſeiner ſichtbaren Unklarheit nach, erwägt man, daß ihm die
Vorſtellung Gottes und der ganze Bilderkreis der Religion doch nur
Bild ſeyn kann, ſo iſt ihm nur dies vorzuwerfen, daß er die Kunſt
nicht von der Religion emancipirt, ſondern mit dieſer vermengt. Von
Hegel iſt ſchon zugegeben, daß er mit Ueberſpringung der Mittelglieder
im Gehalte zu ſubſtantiös unmittelbar auf den höchſten hindrängt. Dieß
äußert ſich nun allerdings weſentlich auch als Vermengung mit der
Religion. Der ganze zweite Theil von den beſonderen Formen des
Kunſtſchönen bezeugt dieſelbe. Er enthält zu viel — namentlich über
orientaliſche Religion — und zu wenig: d. h. er vernachläßigt völlig
den Punkt, wo in der neueren Zeit die Tranſcendenz der Religion über-
haupt durch die Bildung ausgeſchieden, dadurch erſt die einzelne Idee
in unbefangene Geltung geſetzt und das moderne, weltliche oder rein
menſchliche Ideal hergeſtellt wird.
Eigentlich theologiſch könnte man die unvermittelte Weiſe nennen,
in welcher Winkelmann die Idee der Schönheit aus Gott ableitet;
allein man muß den zweiten Theil der betreffenden Stelle nicht überſehen.
Es heißt (Geſch. der Kunſt, Buch 4, Kap. 2, §. 22) zuerſt: „die höchſte
Schönheit iſt in Gott und der Begriff der menſchlichen Schönheit wird
vollkommen, je gemäßer und übereinſtimmender derſelbe mit dem höchſten
Weſen kann gedacht werden, welches uns der Begriff der Einheit und
der Untheilbarkeit von der Materie unterſcheidet.“ Dieß iſt nichts als
ein Geſtändniß, das Schone nicht erklären zu können; eigentlich weiß
Winkelmann wohl, daß, wo man alle Materie abzieht, die Schön-
heit ihr Ende hat. Aber dann folgen die trefflichen Worte über das
Ideal: „dieſer Begriff der Schönheit iſt wie ein aus der Materie durchs
Feuer gezogener Geiſt, welcher ſich ſuchet ein Geſchöpf zu zeugen nach
dem Ebenbilde der in dem Verſtande der Gottheit entworfenen erſten
vernünftigen Kreatur.“ Alſo nicht Gott ſelbſt, ſondern das Prototyp
der Geſtalt iſt die Urſchönheit. Ein ächtes Beiſpiel theologiſirender
Aeſthetik iſt dagegen die §. 10, 1 als ältere chriſtliche Vorſtellung er-
wähnte Anſicht von Gott als dem in Leiblichkeit exiſtirenden Ideale der
[88] Schönheit und ebenſo eine moderne Schrift: Aeſthetik oder die Wiſſen-
ſchaft des Schönen auf dem chriſtlichen Standpunkte dargeſtellt von
Durſch. 1839. Hier werden die Vorſtellungen der Religion als abſolute
Gegenſtände aufgeführt, welche die Kunſt von dieſer zur Darſtellung
überliefert erhält: Gott, die Engel, die Seligen u. ſ. w. Dieſe Weſen
werden wie Erfahrungs-Gegenſtände hergezählt. Gab es nie einen
Kant? Theologiſirend iſt ferner die Aeſthetik von Weiße. Er nennt
Solgers Aeſthetik theoſophiſch. Dieß wäre ſie nur, wenn ſich beweiſen
ließe, daß Solgers Religionslehre theoſophiſch, d. h. Vermengung
von Phantaſie und Begriff Bild und Sache ſey. Wenn nun aber
Solger allerdings Miene macht, das Schöne von der Gottheit abzu-
leiten, ſo verflüchtigt es dagegen Weiße in die Gottheit. Am beſten
kann man ſich davon überzeugen, wenn man außer dem oben in §. 5
Anm. Angeführten und dem in §. 10, 1 Geſagten liest, wie das Er-
habene über ſich ſelbſt hinaustreiben ſoll zum Guten und Göttlichen
im Sinne der perſönlichen Gottes (Aeſth. §. 24) und wie daneben das
Schöne, das nicht auf ein außer ihm liegendes Allgemeines hinausweist,
ſondern ſich ſelbſt genügt, als das Häßliche gefaßt wird a. a. O. §. 25).
3. Es wird im zweiten Theile eine Form des Ideals auftreten,
worin der Bund der Kunſt und Religion ſich auflöst. Aber noch vorher
wird ſich zeigen, daß die Schönheit nicht nur dem Inhalt der religiöſen
Vorſtellung, ſondern das vorſtellende Subject ſelbſt ſammt jenem, nicht
nur das Geglaubte, ſondern den Glauben zu ihrem Stoffe macht: ein
Beweis, daß ſie frei darüber ſteht.
§. 28.
Wenn die Idee als Totalität und als ewige Wirklichkeit durch das be-
griffsmäßige, ſeinen Inhalt beweiſende Denken erhoben wird zum Wiſſen, ſo
nennt man die Wahrheit, ſofern nämlich dieſes Wort mit genauer Unterſcheidung
2gebraucht wird. Dasſelbe wird aber auch in der Bedeutung angewandt, daß
es den reinen Inhalt der ſich verwirklichenden Idee bezeichnet, abgeſehen davon,
daß er in die Form des Denkens gefaßt wird. Von der Wahrheit in dieſem
Sinne iſt alſo der Inhalt der abſtracten Begriffe (§. 16) ebenſo wie vom Schönen
auszuſchließen, denn er iſt, obwohl nicht blos von ſubjectiver Gültigkeit, doch
allein durch das ſubjective Denken in der Abſtraction feſtzuhalten; ſie fällt mit
dem Schönen, wie es bis jetzt entwickelt iſt, einfach zuſammen und es muß der
Satz aufgeſtellt werden: alles Schöne iſt wahr.
[89]
1. Wahrheit im erſten Sinn iſt der gedachte weſentliche Inhalt.
Hier entſtände alſo die Vergleichung der Schönheit mit der dritten und
reinſten Sphäre des abſoluten Geiſtes, der Philoſophie. Dieſe iſt jedoch
hier noch nicht an der Stelle, da erſt das Spezifiſche der Form im
Schönen unterſucht ſeyn muß.
2. Wahrheit wird in weiterem Sinne gebraucht von dem, was
wahrhaft iſt, Lebenswahrheit, ächter Gehalt. So geht es auf die Wirk-
lichkeit der Idee abgeſehen davon, daß der Gedanke die reinſte Weiſe
iſt, ſie als Wahrheit zu begreifen und zu beweiſen. Man nennt nun
zwar auch abſtracte Kategorieen Wahrheiten, das Cauſalitätsgeſetz, die
arithmetiſchen, geometriſchen Geſetze u. ſ. w.; und zwar eben in dem
Sinne, daß ſie nicht blos ſubjective Gedanken, ſondern wirkliche Be-
ſtimmungen der Dinge ſind. Allein irgend eine Conſequenz und Grenze
muß die Wiſſenſchaft auch im weiteren Gebrauche der Ausdrücke ziehen
und ſo ſind die abſtracten Begriffe vom Wahren in dieſem objectiven
Sinn auszuſchließen, weil ſie in ihrer Abſtraction kein Wirkliches füllen,
ſondern damit auch nur Eines exiſtire, ihre geſammte Einheit voraus-
geſetzt wird. Wahr im gegenwärtigen Sinne heißt alſo nur das volle
Leben. So gibt der Satz: alles Schöne iſt wahr. Um unzeitige Ein-
wendungen zurückzuhalten, erwäge man, daß er an einer andern Stelle
wieder aufzunehmen iſt, wo ſich das Verhältniß ganz anders beſtimmen
wird. Falſch iſt es freilich bereits, wenn Schelling im Bruno aus
dem Satze, daß die höchſte Vollkommenhett nur in der ewigen und zeit-
loſen Idee eines Dings ſey, den andern ableite, daß ein Kunſtwerk
allein durch ſeine Wahrheit ſchön ſey. Folgende Einwendungen ſind
aber ſchon im bisherigen berückſichtigt: kann auch die unorganiſche Natur,
welche ja ſelbſt auch nur abſtracte Unterlage des Lebens iſt, Inhalt des
Schönen ſeyn? Es iſt §. 16, 2 geſagt worden, die Grenze werde im
gehörigen Zuſammenhang aufgeſucht werden. Es wird leicht zu zeigen
ſeyn, in welchem Sinne auch die unorganiſche Natur Leben zu nennen
iſt, und der Anſchaung Punkte genug bietet, um die werdende Perſön-
lichkeit in ihr zu ahnen (§. 19, 2). Ferner: gibt ſich die Wahrheit,
die alſo mit der Idee im Stufenbau ihrer Wirklichkeit zuſammenfällt,
nicht Weiſen des Daſeyns, die ſich vom Schönen trennen? Die vorläufige
Antwort enthält §. 18 und §. 20, 2.
Sagt man: alles Schöne iſt wahr oder ſoll wahr ſeyn (die letztere
Wendung iſt eigentlich unrichtig, denn Unwahrheit hebt auch das Subject
Schönheit auf), ſo wird aber damit nicht nur ausgedrückt, daß es einen
[90] Inhalt habe, dem wirkliches und lebendiges Seyn zukomme, ſondern
man ſetzt auch voraus, daß ein Weſen zwar empiriſcher Weiſe leben,
aber innerlich ſo entartet ſeyn kann, daß ſein Leben Lüge zu nennen
iſt. Zu dieſer Emphaſe ſchärft ſich der Ausdruck da, wo bereits die
Erfahrung vorliegt, daß auch ſolcher lügenhafter Inhalt ſich als Kern
des Schönen aufzuwerfen ſucht. Das Schöne kann und muß ſogar
ſolchen Inhalt aufnehmen, jedoch ſo, daß es die fortdauernde Wahrheit
in der Unwahrheit aufdrückt, ſey es als heilende, ſey es als zerſtörende
Kraft. Wirklich wäre ja das Unwahre nicht, ſondern müßte ſogleich
zerfallen, wenn es nicht die Wahrheit in die Verdrehung ſelbſt herüber-
genommen hätte.
§. 29.
Es erhellt nun aber, daß in dieſer Identität mit dem Guten, der Religion
und dem Wahren das Schöne etwas Beſonderes gar nicht iſt und daß das in
§. 12 aufgeſtellte Geſetz in des bisherigen Beſtimmung des reinen Gehalts im
Schönen ſeine Erfüllung noch gar nicht gefunden hat. In der griechiſchen Welt
war die Schönheit mit dem Leben ſo verſchlungen, daß das Moment des Unter-
ſchieds, zu welchem die Einſeitigkeit dieſer Betrachtung überzugehen nöthigt,
nicht in ſeiner Schärfe gefaßt werden konnte. Plato überſteht zwar in ſeiner
mythiſchen Darſtellung dieſes Moment nicht, wo er aber die Idee des Schönen
in ihre Verwirklichung verfolgen ſoll, vermiſcht er ſie dennoch mit der des
Guten und Wahren.
Καλοκἀγαϑὸν der Griechen. Plato nimmt in der mythiſchen Dar-
ſtellung im Phädrus eine Wendung, aus welcher der Unterſchied des
καλὸν und des ἀγαϑὸν wohl wäre abzuleiten geweſen. In der Idee des
Schönen iſt kein anderer Inhalt, als in der Idee der Güte und Weis-
heit: τὸ ϑεῖον καλὸν, ϐοφὸν, ἀγαϑὸν καὶ πᾶν ὅ τι τοιȣ῀το; ſie allein
aber iſt, wo ſie mit jenen Ideen am überhimmliſchen Orte verweilt,
hellſchimmernd und liebreizend, ἐκφανέςαι ον καὶ ἐραςμιώτατον. Ver-
wirrung iſt es, wenn Plato hinzuſetzt, die andern Ideen, Weisheit und
Gerechtigkeit, ſchauen wir nicht ebenſo im ſichtbaren Bilde, weil eine zu
heftige Liebe dann entſtehen würde. Denn wenn das Schöne denſelben
Gehalt hat, wie das Gute und Wahre, ſo iſt es ja wirklich eben dieſer,
der im Schönen hellſchimmert. Allein das Bedenkliche liegt ſchon in
der Platoniſchen Ideen-Lehre überhaupt. Dieſe fixirt die Abſtraction
[91] des Allgemeinen gegenüber ſeiner Wirklichkeit im Beſondern als eine
Hypoſtaſe und ſo kommt das Abbild gegen das Urbild zu kurz; was
aber insbeſondere die Idee des Schönen betrifft, ſo muß jene Fixirung
noch einen weitern Uebelſtand zur Folge haben. Da nämlich das, was
dieſe vom Wahren und Guten unterſcheidet, die ſinnliche Form, eben
in der Welt des Abbilds, in der Gegenwart der Sinnenwelt zu Hauſe
iſt, ſo kann es mit der Aufnahme dieſes unterſcheidenden Kennzeichens
in die Idee des Schönen eben um dieſer Jenſeitigkeit willen kein rechter
Ernſt ſeyn und daher wird nicht nur das Abbild mißtrauiſch angeſehen,
ſondern auch das Urbild wieder mit dem rein geiſtigen Weſen der Ideen,
die dem denkenden Geiſte und dem Innern der Geſinnung angehören,
des Guten und Wahren, confundirt. Wo daher Plato die Idee des
Schönen verfolgen ſoll in ihre Verwirklichung, da benützt er jenes
Moment des Unterſchieds nicht. Denn zwar heißt es im Philebus,
das Schöne entſtehe, wenn μετριότης und συμμετρία durch die ordnende
königliche Seele des Zeus in die Mannigfaltigkeit, wenn τὸ πέρας
in das ἄπειρον und ἄμετρον trete, und wenn nun weiter [die] Tugenden
einer wohlgeordneten Seele, Weisheit und Gerechtigkeit, als der wahre
Inhalt des Schönen dargeſtellt werden, ſo hätten wir, da die königliche
Seele des Zeus zunächſt die Naturordnung iſt, das Ergebniß: das Schöne
iſt der göttliche Geiſt, wie er ſich in der Natur und in der ſittlichen
Welt durch die Harmonie der Form offenbart. Allein im Sympoſion,
im Phädrus, im Timäus, im Staat wird nun Seelenſchönheit und
körperliche Schönheit ſo unterſchieden, daß die erſtere allein als wahre
Schönheit, die letztere nicht als ihr Ausdruck, ſondern nur als ihr
Symbol erſcheint; es handelt ſich darum, zu zeigen, wie die nicht rein
äſthetiſche, ſondern begierdevolle Liebe zu der letzteren in eine ſittliche
und erziehende zu der erſteren verwandelt werden ſoll, im Timäus wird
ausdrücklich geſagt, alles Gute ſey ſchön, und in den Geſetzen heißt
es ſogar: alle Gerechten ſind ſchön und Alles, was ſie thun und
leiden, wenn ſie auch noch ſo häßlich von Geſtalt ſeyn ſollten. Wie
mit dem Guten, ſo wird das Schöne durchgängig auch mit dem Wahren
nicht nur an ſich, ſondern dem Wahren als der geiſtigen Thätigkeit des
Denkens, d. h. mit der Weisheit verwechſelt, beſonders im Staate.
Der pädagogiſche Rigorismus, der in den Urtheilen über die Kunſt
herrſcht, iſt eine nothwendige Folge dieſer Vermiſchung, deren genauere
Kritik aus der folgenden Entwicklung des Unterſchieds von ſelbſt ſich
ergeben wird. Vom blos relativ Wohlgefälligen, vom Nützlichen und
[92] Angenehmen, weiß übrigens Plato eben durch dieſen Nachdruck, der
auf den geiſtigen Gehalt fällt, das Schöne wohl zu unterſcheiden, beſonders
im größ. Hippias (deſſen Aechtheit freilich bezweifelt wird). Die
Neuplatoniker fixirten dieſen Idealismus. Plotin unterſcheidet weſent-
lich geiſtige Schönheit und Körperſchönheit und ſtellt die erſtere, die gar
nicht erſcheint, unendlich über dieſe. Das vierte Kap. 1. Schr. περὶ
τȣ῀ καλȣ῀ (ed. Creuzer,) beginnt mit der Forderung, aufzuſteigen zu der
höheren Schönheit, welche der Anſchauung nicht offen ſteht, ſondern von
der Seele ohne Werkzeuge geſchaut und ausgeſprochen wird, wobei wir alle
Sinnenwahrnehmung in der Tiefe znrücklaſſen. Dieſe höhere Schönheit iſt die
Gerechtigkeit und Wohlordnung des Gemüths (σωφροσ ύνη) die Reinheit
vom Affect, die wahrnehmbare Schönheit nur ihr Schatten und Scheinbild.
[[93]]
B.
Das Bild.
§. 30.
Die Idee ſoll gemäß §. 13 erſcheinen als vollkommen verwirklicht in
einem Einzelnen, das als ſolches ein räumlich und zeitlich begrenztes endliches
Weſen iſt. Dies Weſen heißt Bild im Sinne eines Gebildes, das ein Indi-
viduum der je im vorliegenden Falle den Inhalt des Schönen abgebenden be-
ſtimmten Idee oder Gattung iſt.
Wie ſich die Gattung zu ihren Individuen verhalte, darüber hat
dieſer §. noch nichts auszuſprechen, vielmehr ſind gerade die Momente
des Gegenſatzes zwiſchen der Einzelnheit des Individuums und der
Allgemeinheit der Idee zunächſt zu verfolgen. Es iſt nur ausdrücklich
hervorzuheben, daß dies Bild ein Individuum der je im gegebenen Falle
den Inhalt des Schönen abgebenden beſtimmten Idee ſeyn müſſe. Der
Ausdruck Bild könnte ſonſt mißverſtanden und an das äußerliche Ver-
hältniß gedacht werden, das in der bloſen Vergleichung und im Symbole
zwiſchen dem Sinnlichen und dem Gedanken Statt findet. Bild hat aber
hier und im Folgenden durchaus ſeine urſprüngliche Bedeutung: Gebilde.
Daß nun unter dieſem durchaus nur das Gebilde verſtanden iſt, worin
je die den Inhalt des Schönen ausmachende Gattung als ihrem eigenen
ſich darſtellt, dies ſcheint ganz von ſelbſt einzuleuchten, aber dieſe Grund-
wahrheit wird von der Kunſt ſo vielfach verkannt, daß der Inhalt des §.
von den gewichtigſten Folgen iſt für die wahre Anſicht von dieſer. Dies
wird ſich namentlich in der Lehre von der Allegorie zeigen.
[94]
§. 31.
Das Individuum iſt zufällig, d. h. die Gattung kann ſich zwar nur durch
die Reihe ihrer Individuen verwirklichen, aber wann und wo ein ſolches entſtehe,
iſt durch die Gattung allein nicht beſtimmt, ſondern durch ein Zuſammentreffen
von Bedingungen, welche aus dem gleichzeitigen Zuſammenſeyn der einen Gat-
tung mit allen andern fließen.
Der Begriff der Zufälligkeit iſt weſentlich im Schönen. Man hüte
ſich, hier und in der zunächſtfolgenden weiteren Ausführung dieſes Be-
griffs ſchon an diejenige Art der Zufälligkeit zu denken, welche das
Schöne, wie es außer der Kunſt exiſtirt, trübt und durch dieſe zu tilgen
iſt. Davon muß an ſeinem Orte ausdrücklich erſt die Rede werden.
Vielmehr erinnere man ſich vorläufig, daß auch im Ideal die Zufällig-
keit, von der hier die Rede iſt, erhalten ſeyn muß. Das ächte Drama
z. B. behandelt eine wahre und nur etwa von der Sage vorher ſchon
erhöhte Begebenheit, welche die Zufälligkeit der Jahreszahl, des be-
ſtimmten Ortes u. ſ. w. an ſich trägt; ſeine Perſonen müſſen den Eindruck
machen, daß ſie einmal leben konnten unter allen den zufälligen Umſtänden,
die dazu mitwirken, daß dieſes oder jenes Individuum jetzt und nicht
ein andermal entſteht oder auf den Schauplatz ſeines Handelns hervortritt.
§. 32.
Dieſe Bedingungen treffen in jedem einzelnen Falle der Entſtehung eines
Individuums in ſo unberechenbarer Weiſe zuſammen, daß eine unendliche Ver-
ſchiedenheit die Individuen derſelben Gattung von einander trennt. Die Zu-
fälligkeit der Entſtehung iſt alſo der Grund einer weiteren Zufälligkeit, der
unendlichen Eigenheit des Individuums.
Es darf nicht befremden, daß die Eigenthümlichkeit des Individuums
hier vom Zufalle der Entſtehung abgeleitet wird, und wenn dies in
ſeiner Anwendung auf den Menſchen härter klingen ſollte, als auf die
Phyſiognomie beſtimmter Landſchaften, auf Pflanzen und Thiere, ſo ver-
geſſe man nicht, daß hier erſt von der einen Hälfte, der Naturbaſis
die Rede iſt und daß jene eigenthümliche Miſchung zum Vorzüglichen
erſt wird, wenn das Allgemeine, das Gattungsmäßige, was hier der
Geiſt iſt, ſich mit derſelben durchdringt. Die nothwendige Trennung
der Wiſſenſchaft bringt es aber mit ſich, daß dieſe Durchdringung erſt
[95] in der Folge als Ergänzung des Begriffs auftreten kann. Das Eigenthüm-
liche iſt angeborner Naturgrund, bedingt durch den Zufall der Entſtehung in
dieſem Klima, Jahrgang, von dieſen Eltern und in dieſem Momente, wobei
die Naturkräfte und auch von den geiſtigen Kräften Alles, was angeboren
heißt, als verhüllter Seelenkeim in jedem einzelnen Falle verſchiedene
Proportion eingehen. Das Eigenthümliche iſt immer eine Abweichung
von derjenigen Einheit der Kräfte, welche in der Gattung liegt; ſehr
ſchwer iſt die Linie zu beſtimmen, wo dieſe Abweichung in eigentliche
Trübung, äſthetiſch betrachtet in Häßlichkeit übergeht. Dieſer Punkt iſt
wieder aufzunehmen. Uebrigens handelt es ſich hier nicht blos von der
Idee im Sinne der Naturgattung, ſondern auch der ſittlichen Sphäre.
Der Stoff, den in jeder ſittlichen Sphäre der Geiſt verarbeitet, findet
ſich in jedem einzelnen Falle auf andere Weiſe zuſammen. Kein Staat
iſt wie der andere, kein Krieg, keine Revolution u. ſ. w.
§. 33.
Das vorhandene Individuum bleibt mit den außer ſeiner Gattung liegenden
Bedingungen des Lebens, ſowohl denjenigen, welche zu ſeiner eigenen Ent-
ſtehung zuſammenwirkten, als auch einer unbeſtimmbaren Vielheit anderer in einer
fortdaurenden Wechſelbeziehung, welche als ſtetiger Lebensreiz eine Reihe von Zu-
ſtänden und Thätigkeiten mit ſich bringt, die ſich ebenfalls nicht beſtimmen läßt.
Auf gewiſſen Punkten iſt, da Manche eine Aeſthetik leſen, die keine
Kenntniß der Kunſt haben, ein vorläufiger Fingerzeig unentbehrlich.
Daher muß ſolchen Leſern hier geſagt werden, daß der Satz des §.
für alle Kunſt darum unendlich wichtig iſt, weil nirgends Bewegung,
ſey es ſinnliche oder geiſtige, irgend zur ſchönen Darſtellung kommt, wo
ſie nicht den Ausdruck der natürlichen Freiheit von aller mathematiſchen
Nothwendigkeit hat, welche Freiheit von der ſittlichen noch ſehr zu unter-
ſcheiden iſt. Ein Thier z. B. wird bald, ſo bald ſo zur Aufmerkſamkeit,
zur Thätigkeit gereizt, es ſpielt, ſpitzt die Ohren, läßt ſie hängen, legt
ſich bequem nieder, wie es eben der Boden gibt, ſpringt auf u. ſ. w.
Es liegt freilich ſtreng in der Raſſe, wie ſich z. B. ein Hund niederlegt,
ob er ſich erſt öfters im Ring dreht, die Füße gekreuzt übereinander
legt u. dergl.; aber der Zufall des Ortes, der Wärme oder Kälte, der
größeren oder geringeren Müdigkeit z. B. bringt dieſe oder jene Beſonder-
heit in die Lage, und der Thiermaler, der dieſe Zufälligkeit nicht dar-
[96] zuſtellen weiß, bringt ein mechaniſches Bild hervor. Dieſe Liberalität und
légèreté der Zufälligkeit iſt ganz weſentlich, und zwar auch in der Dar-
ſtellung des Menſchen; der erſte Reiz muß zufällig erſcheinen, der Wille er-
hebt ihn erſt in den Zuſammenhang der ſittlichen Ordnung. Das Lebendige
wählt, aber zum Wählen muß etwas da ſeyn; es nimmt es daher, wie es
kommt: dies muß man dem Schönen durchaus anſehen.
§. 34.
Dieſe Zufälligkeit, wie ſehr ſich dadurch der Gegenſatz zwiſchen den Be-
ſtimmungen dieſes und den Beſtimmungen des erſten Moments, der Idee, zum
Widerſpruch ſteigern mag, iſt Geſetz im Schönen. Denn wenn aus der Allge-
meinheit und Nothwendigkeit der Idee heraus die Abſtraction einer Geſtalt
und ihrer Bewegungen abgeleitet würde, die ohne alle Abweichung ihrem Gat-
tungsbegriff entſpräche, ſo ließe ſich nicht jener Schein der Verwirklichung der
Idee begründen, welcher in §. 13 gefordert iſt. Der Widerſpruch aber iſt aller-
dings erſt zu löſen.
Auch hier iſt, um die Sache in ihrer Conſequenz klar zu machen,
vorläufig an die Kunſt zu erinnern. Mathematiſcher Charakter des
abſtracten Idealismus. Der Künſtler: auch er geht, wie ſich zeigen
wird, in ſeinem Schaffen vom Zufall aus. Der Grund aber, warum
alle Kunſt Todtes hervorbringt, wenn ſie den Charakter der Zufälligkeit
opfert, iſt in der Metaphyſik des Schönen aufzuſtellen. Die Idee er-
ſcheint nämlich nicht als wirklich, wenn das, was ihre Verwirklichung zu
ſtören ſcheint, weggelaſſen wird. Wenn ſich z. B. im Drama ein Charakter,
weil er durch Lokal-Einflüſſe, Temperament, Erziehung u. ſ. w. ſchon
anderwärts beſtimmt iſt, mit dem ihm zugetheilten Pathos nur ſchwer
und widerſtrebend durchdringt, dann erſt erſcheint dieſes in ſeiner Kraft; je
planer es dagegen mit jenem zuſammenfällt, deſto unmächtiger erſcheint
es. Hier aber iſt noch nicht von der Löſung die Rede; es iſt zuerſt nur
der Gegenſatz des idealen und des realen Moments im Schönen bis
zum vollen Widerſpruch hervorzuheben; die Spitze desſelben iſt jedoch
mit dem Bisherigen noch nicht ausgeſprochen.
§. 35.
Da alſo immer beides, die Regel, welche durch die Gattung, und die
Abweichung, welche durch die Zufälligkeit des Individuums gegeben iſt, in der
Geſtalt ſich vereinigt, ſo erhellt, daß keine Beſtimmtheit derſelben aufzufinden
iſt, welche als Merkmal oder Richtmaß der Schönheit gelten könnte. Es iſt
[97] die ſpezifiſche Art aufzuſuchen, in welcher ſich jene beiden Gegenſätze zur Einheit
des Schönen durchdringen; jede andere Feſtſtellung gewiſſer Eigenſchaften, durch
welche ein Körper ſchön ſeyn ſoll, iſt entweder zu weit oder zu eng, oder
vielmehr immer beides zugleich.
Man hat gemeint, das Schöne, das ein durch die Geſtalt ergoßener
Geiſt iſt, mit dem Zollſtab einfangen, oder wenn man ſich hütete, das
Unmeßbare meſſen zu wollen, wenigſtens einen Satz über die allgemeine
Beſtimmtheit der Geſtalt, wodurch ſie eben ſchön ſey, aufſtellen zu können.
Die Eigenſchaften, die man von ihr ausſagt, heißen Merkmale, ſofern
man den inneren Grund, eben die ſpezifiſche Durchdringung der Gegen-
ſätze (Regel und Individualität), nicht zu begreifen geſteht und nun an
einer gewiſſen Beſtimmtheit der Oberfläche das Schöne zu erkennen, zu
merken meint, Richtmaß oder Kanon, ſofern man gewiſſe Meſſungs-
Verhältniſſe, welche man über dieſelbe aufſtellt, nur in Anwendung
bringen zu dürfen glaubt, um ein Schönes hervorzubringen. Ein eigent-
licher Kanon iſt zwar nur für die menſchliche Geſtalt aufgeſtellt worden,
allein dieſer Verſuch eben iſt von allgemein belehrender Kraft über die
Unmöglichkeit, das Schöne zu meſſen. Der Gang unſerer Entwicklung
iſt nun aber der, daß wir die Nothwendigkeit, jene ſpezifiſche Durch-
dringung der Gegenſätze als das Weſentliche im Schönen zu begreifen,
uns erſt aus der Einſicht entſtehen laſſen, daß vor und außer dieſem
Begreifen über die ſchöne Geſtalt durchaus nichts Beſtimmtes ausgeſagt
werden kann. Es handelt ſich alſo hier von Erklärungsverſuchen, welche
eine gewiſſe Beſtimmtheit der ſchönen Erſcheinung ſtatt des inneren Grundes
aller ihrer Beſtimmtheiten, richtiger ſtatt des Einen Begriffes, der dieſen
Grund ſammt ſeiner Folge, den Beſtimmtheiten ſelbſt enthält, aufſtellten.
Es ſind Definitionsverſuche von außen nach innen ſtatt von innen nach
außen, und ſie fixiren das Aeußere als das Innere. Dieſer Vorwurf
ſcheint diejenigen nicht zu treffen, welche darauf verzichteten, eine äußer-
liche Beſtimmtheit des ſchönen Körpers feſtzuſtellen, vielmehr ein Allge-
meines von ihm ausſagten, das geiſtiger Natur iſt und bereits auf jene
Durchdringung hinweist. Es wird ſich aber im folg. §. zeigen, daß
auch dieſe, ſofern ſie diejenige Art der Durchdringung nicht nannten, die
dem Schönen im Unterſchied von andern Arten der Durchdringung eigen
iſt, zugleich zu viel und zu wenig von demſelben ausſagten.
Es iſt nur noch zu bemerken, daß man gegen den Ausdruck „Ge-
ſtalt“ hier nicht geltend machen möge, daß derſelbe weſentlich auf das
Viſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 7
[98]Sichtbare gehe, da doch zum Schönen auch Muſik und Poeſie gehöre.
Man laße ſich zunächſt die Zurechtlegung gefallen, daß im Tone etwas
wirkt, was den im Raume bildenden Geſetzen geheimnißvoll verwandt iſt,
und daß in der Poeſie das Sichtbare als inneres Bild wiederkehrt. Das
weitere Syſtem wird dieſen wichtigen Punkt gründlich beleuchten.
§. 36.
Zu weit iſt die Beſtimmung des Plato und Ariſtoteles, daß das
Schöne beſtehe in einer Einheit des Mannigfaltigen, welche ſich durch Ordnung,
Ebenmaß und Begrenzung ausdrücke. Allerdings wird ſich die Gegenwart der
Idee im Körper als eine ſolche organiſche Einheit äußern, aber es gilt dieß
nicht blos von dem Schönen; dieſes wird ſich vielmehr durch eine beſondere
Art des Einklangs vom Einklang anderer Art unterſcheiden. Daher iſt dieſe
Beſtimmung ebenſoſehr zu eng, weil zum Schönen mehr gehört, als ſie enthält.
Die nähere Angabe des Ariſtoteles, daß das Schöne um der Ueberſchau-
lichkeit willen ein gewiſſes Maß von Größe haben müße, iſt richtig und
2weſentlich, aber ganz unbeſtimmt. Dagegen ſtellten engliſche Senſualiſten
ein beſtimmtes Maß, beſtimmte Linien, Arten der Oberfläche u. ſ. w. als
Merkmal und Richtſchnur des Schönen auf und geriethen dadurch in den ent-
gegengeſetzten Fehler einer zu engen Beſtimmung, die aber ebenſo zugleich zu
weit iſt, weil ſie auch auf Anderes, als das Schöne paßt.
1. Dem Plato und Ariſtoteles kann nicht vorgeworfen werden,
daß ſie das Schöne vermeſſen zu können meinten; ſie ſuchten eine geiſtige
Einheit in demſelben. Plato ſagt ausdrücklich, es ſey die Idee, welche
in das Mannigfaltige Einheit bringe, Ariſtoteles hat bekanntlich vor
Allem die Tragödie im Auge, und die Einheit iſt hier die Handlung, die
Handlung aber Verwirklichung einer Idee, alſo auch hier iſt wenigſtens
mittelbar die Idee als Grund dieſer Einheit aufgeſtellt. Allein beide
haben nirgends das Wort für die ſpezifiſche Art der Durchdringung des
Stoffes durch die Idee, welche das Schöne bedingt, gefunden, wie
dieſelbe unter dem folg. Abſch. C. darzuſtellen iſt; daher geſchieht es
ihnen dennoch, daß ſie das einmal zwar von dem inneren Grunde der
begrenzenden Einheit ausgehen, das andremal aber dieſe, die Begrenzung
des Stoffes zur Einheit des Ganzen, für die Sache ſelbſt ausgeben.
Ihnen fehlt die Mitte: nämlich eben die ſpezifiſche Art des durch die
Idee bedingten Einklangs im Schönen. Es giebt ja Arten von Einklang,
[99] welche das Zufällige ſtreng ausſchließen, es giebt andere, die ſich ſeiner
als eines zerſtörenden Feindes nicht erwehren können; es giebt mathe-
mathiſche, es giebt moraliſche, philoſophiſche, techniſche, natürliche Ein-
heiten, und wir wollen erſt wiſſen, wie ſich das Schöne zu denſelben
verhalte. Die neueren Aeſthetiker dagegen, wo ſie die Einheit des
Mannigfaltigen als weſentliches Merkmal feſthielten, ſtanden nicht einmal
auf dem Standpunkte der Idee und wußten daher den inneren Grund
des Einklanges nicht nur nicht in der geforderten Weiſe näher zu
beſtimmen, ſondern überhaupt nicht anzugeben.
Plato hat den Ausdruck: Einheit in der Mannigfaltigkeit nicht
ausdrücklich vom Schönen gebraucht. Er geht aber im Philebus von
dem Verhältniſſe des Einen und Vielen aus. Jenes iſt die Idee, dieß
ihr Gegenſatz, der unendliche Stoff, worin ſie wird. Als das Band
zwiſchen dem Vielen und Einen wird hierauf die Grenze, τὸ πέρας, be-
griffen, welche in jenes, τὸ ἄπειρον, Zahl und Maß bringt. Sogleich
wird die Tonkunſt als Darſtellung dieſes Verhältniſſes angeführt, und ſo
wird nun, wie ſchon zu §. 29 bemerkt iſt, μετριότης καὶ συμμετρία,
ausdrücklich als das Weſen der Schönheit geſetzt. Was dazwiſchen geſagt
iſt von der königlichen Seele des Zeus als der Urſache dieſes Verhält-
niſſes iſt eine mythiſirende Darſtellung, die neben der Lehre von der Idee
überflüſſig iſt. Dieſe Eigenſchaft des Maßes nun und der inneren
Verhältnißmäßigkeit oder Proportion (dies heißt συμμετρία) die ſich
zugleich nothwendig als Vollendung, τὸ τέλεον, das zwar eigentlich
neben dem Schönen und dann als Charakter des Guten aufgeführt, aber
offenbar ebenſo zum inneren Weſen des Schönen gezählt wird, d. h. als
Abgeſchloſſenheit des Ganzen darſtellen muß, wird allerdings der ſchönen
Geſtalt weſentlich ſeyn, denn die Idee, welche in ihr erſcheint, kann ſich
nicht anders offenbaren, denn als ein die Theile abmeſſender und in
ſtrenger organiſcher Einheit um ſich verſammelnder Mittelpunkt; aber
dieſelbe Eigenſchaft hat nach Plato ſelbſt das Gute ſowohl als einzelner
ſich vernünftig beherrſchender, weiſer und gerechter Geiſt, als auch in
ſeiner Erweiterung zum harmoniſchen Bau des Staats, und ſo haben
wir wieder die Identificirung des Schönen mit dem Guten und Wahren,
aber keine ſpezifiſche Beſtimmung des Schönen als ſolchen. Anderes iſt
auch ſo beſtimmt, der Begriff iſt alſo zu weit, und das Schöne noch
etwas Anderes, als dies, er iſt alſo zu eng. Ganz einfach wäre geholfen,
wenn man nun mit Ruge (Die platoniſche Aeſthetik S. 50) die
gelegentliche Aeußerung Platos: „mir ſcheint, wie eine unkörperliche
7*
[100]Ordnung, die ſchön über einen belebten Körper herrſchen ſoll, die ge-
genwärtige Rede fertig zu ſeyn“ benützen und die Platoniſche Anſicht
weiter dahin beſtimmen wollte: das Schöne iſt die unkörperliche Ordnung
(das Gute und Wahre), wenn ſie in einem durch ſie beſeelten Körper
zur Anſchauung wird. Dann würde nur noch Ein Mittelbegriff fehlen,
der nämlich zu enthalten hätte, was erſt mit dieſem Körper vor ſich
gehen müſſe, wenn jene Ordnung in ihm zur Anſchauung kommen ſoll,
und es wäre der Unterſchied vom Guten und Wahren (bei der Einheit)
gefunden. Allein Ed. Müller (Geſchichte der Theorie der Kunſt bei
den Alten, B. 1, S. 71) wendet gegen dieſe Folgerung mit Recht ein,
daß man ſich hüten müſſe, dem Plato unterzuſchieben, und es iſt nicht
zu läugnen: es herrſcht hierin bei ihm große Confuſion. Die Folgerung
Ruges wird ſchon dadurch aufgehoben, daß Plato an mehr als Einer
Stelle (vergl. Ed. Müller a. a. O. 72 ff.) vielmehr eine Stufen-
leiter annimmt, auf welcher er die körperliche Schönheit als niedrigere,
die geiſtige Schönheit als höhere Stufe ſetzt und ſo die Logik des
Schönen völlig verwirrt. Zwar erklärt er im Staat für das allerſchönſte
Schauſpiel dies, wenn geiſtige Schönheit und Körperſchönheit zuſammen-
fällt; allein das Schiefe liegt ſchon darin, daß er überhaupt rein geiſtige
Vollkommenheit an ſich Schönheit nennt. Der tiefere Sitz der Ver-
wirrung liegt alſo auch hier auf demſelben Punkte, auf welchem, wie
§. 29 Anm. nachgewieſen iſt, überhaupt die Schwäche der Platoniſchen
Lehre liegt, der Fixirung der Ideen gegen ihre Wirklichkeit. Plato
verwechſelt den abſtracten Begriff des Schönen trotzdem, daß er das
Hellglänzende in denſelben aufnimmt, mit der Idee überhaupt, und ſtatt
ihn vom einzelnen wirklich Schönen zu unterſcheiden, unterſcheidet oder
richtiger trennt er ihn mit der Idee überhaupt von der Erſcheinungswelt
überhaupt, confundirt ihn daher mit jener, vergißt, daß, wenn das Urbild
hellleuchtend und glänzend iſt, auch das Abbild es ſeyn muß, was doch
im Phädrus ausdrücklich und mit beſonderer Beziehung auf den Ge-
ſichtsſinn ausgeſprochen iſt, und kann nun den Begriff des Maßes
nicht mehr als den des wahren Bands der Idee mit einem individuellen
Leibe benützen.
Auch Ariſtoteles ſetzt die weſentlichen Merkmale des Schönen in die
τάξις καὶ συμμετρία καὶ τὸ ὡρισμένον. Bei dieſer Beſtimmung,
welche E. Müller a. a. O. B. 2, S. 97 anführt, mag znnächſt
davon abgeſehen werden, daß ſie von Ariſtoteles auch auf das Mathe-
matiſche angewandt wird. Hiedurch iſt eine Einheit als Band des
[101] Mannigfaltigen ausgeſprochen wie bei Plato und die Poetik, da ſie es
mit einer beſtimmten Kunſt zu thun hat, ſetzt dieſe Einheit in die
Handlung, welche Eine und eine ganze ſeyn muß (Cap. 7. 8.). Die
Begriffe, die darin enthalten ſind, werden ſchärfer beſtimmt als bei
Plato, zwar freilich immer nur in der Anwendung auf die dramatiſche
Handlung. Die Ordnung iſt eine organiſche, kein Theil darf verſetzt
werden, ohne daß das Ganze leidet. Die Symmetrie wird ebenfalls
genauer begriffen als ein quantitatives gegenſeitiges Verhältniß der
Theile in ihrer Zuſammenſtimmung zum Ganzen. Dies Ganze iſt noth-
wendig begrenzt und abgeſchloſſen, vollendet. Der Begriff des τέλειον
folgt auch bei Plato von ſelbſt aus ſeiner allgemeinen Beſtimmung und
wird beſonders im Timäus ausgeſprochen. Obwohl nun Ariſtoteles
dieſe Begriffe ſchärfer beſtimmt als Plato und ſchon durch die ſpezielle
Natur ſeiner Unterſuchung immer die Einheit des ſo abgegrenzten Mannig-
faltigen als eine ſpezifiſch äſthetiſche praktiſch im Auge behält, ſo hat doch
auch er in dieſen Beſtimmungen noch keine genügende Unterſcheidung des
Schönen vom Guten und Wahren, Ed. Müller giebt (a. a. O. B. 2,
95 — 97.) ſolche Stellen, worin er das Schöne mit dem Guten vermengt,
und nun iſt auch hervorzuheben, daß es ſelbſt der Mathematik vindicirt
wird. Ein Unterſchied von dem Guten ließe ſich zwar aus der Stelle
in der Metaphyſik (XIII, 3) ableiten, welche ſagt, das Gute ſey immer
im Thun, das Schöne aber auch im Unbewegten. Das Thun wäre
dann zu faſſen als ein Thun mit der Kategorie des Sollens, das Un-
bewegte aber als etwas, worin ſich zwar auch ein Thun, aber ein
vollendetes, darſtellt. Dagegen iſt jedoch der Zuſatz: „auch“. Eigen
iſt nun aber dem Ariſtoteles die Forderung einer beſtimmten Größe
(Poetik 7). Nicht nur die Tragödie ſoll eine beſtimmte Größe haben,
ſondern alles Schöne. Es darf nicht zu klein ſeyn, ſonſt markirt es
ſich nicht in der Anſchauung, nicht zu groß, ſonſt iſt keine Ueberſicht
möglich. Dieß iſt ein ſehr richtiger Begriff und von großer Wichtigkeit.
Er iſt zwar in dem der Begrenztheit (§. 30) ſchon enthalten, aber er
muß allerdings noch beſonders herausgeſtellt werden, wozu hier Ariſto-
teles eben die Veranlaſſung giebt. Nur der überſchauliche Ausſchnitt
eines Ganzen, das als Ganzes unüberſehlich iſt, kann ſchön ſeyn. Die
Herrlichkeit des Weltgebäudes z. B. kann äſthetiſcher Gegenſtand werden
nur durch Darſtellung eines leicht überſchaulichen Theiles, der aber ſo
beſchaffen iſt, daß er die Ahnung des Ganzen erweckt. Iſt der Gegen-
ſtand ſchön im Zuſtand der Ruhe, ſo heißt er vermöge dieſer Eigenſchaft
[102] εὐσύνοπτος, bewegt er ſich in der Zeit, εὐμνημόνευτος. Er darf aber
auch nicht zu klein ſeyn: συγχεῖται γὰρ ἡ ϑεωρία ἐγγὺς τȣ%1FC0; ἀναισ-
ϑήτȣ χρόνȣ γινομένη. Dieſer Begriff des Ueberſchaulichen und in
ſich Unterſcheidbaren iſt nun zwar weſentlich, aber ebenfalls keine Be-
griffsbeſtimmung des Schönen; er giebt die Grenze, nicht die innere
Natur an. Das innere Weſen der Durchdringung zu begreifen,
wodurch die Geſtalt zur ſchönen wird, dazu hat Ariſtoteles mehr als
irgendwo einen Schritt gethan in der Stelle, die Ed. Müller anführt
(a. a. O. S. 105, aus der Politik III, 6.): ſchöne Menſchen unter-
ſcheiden ſich dadurch von nicht ſchönen und ſo auch die Gemälde der
Kunſt von der Wirklichkeit, daß das hie und da Zerſtreute in ihnen
verbunden und vereinigt iſt, denn ſonſt wäre wohl, was das Einzelne
anbetrifft, auch einmal ſchöner dieſes Menſchen Auge, von einem Anderen
ein anderer Theil, als in den Gemälden. Allein dieſer Gedanke, der
geradezu dahin führt, wohin wir unter Abſchn. C. uns zu ſtellen haben,
wird nicht verfolgt.
Haben nun dieſe Beſtimmungen der Alten eine Wirkung der im
ſchönen Körper gegenwärtigen Idee auf deſſen Form zwar aufgefaßt,
aber eine ſolche, welche dieſer gemein hat mit Anderem, worin die Idee
auf andere Weiſe wirkend gegenwärtig iſt, ſo liegt es nahe, dieſer zu
großen Weite dadurch abzuhelfen, daß man ins Enge geht und nicht nur
Harmonie der Form, ſondern eine beſtimmte Form oder beſtimmte Formen
als das aufzuſtellen, worin das Weſen des Schönen liege. Die Sache
wird jetzt erſt bedenklich; denn Plato und Ariſtoteles giengen aus von
dem Grunde der inneren Einheit, verfolgten ihn in ſeine Wirkungen
auf die Form, und wußten nun hier zwar das ſpezifiſch Aeſthetiſche
nicht zu finden, hatten aber doch, wenn ſie nun die Merkmale der ſchönen
Form zu nennen ſuchten, den inneren Grund dabei immer, wiewohl
unvollſtändig, im Auge, konnten alſo nicht meynen, das Weſen erſchöpft
zu haben, wenn ſie ſolche Merkmale angaben. Plato nennt zwar im
Philebus auch gewiſſe abſtracte geometriſche Formen ſchön, die Kugel-
geſtalt um ihrer Vollendung willen im Timäus, reine Flächen, gerundete
Formen und Winkel im Philebus, ebenda reine Töne und reine Farben,
beſonders das reine Weiß. Da er ſonſt das Schöne nur in einem
organiſchen Ganzen ſucht, ſo hat dieſe Stelle (Phileb. 51) ihre eigen-
thümliche Schwierigkeit. Nimmt er hier das Wort: ſchön nicht genau und
redet nur von Momenten des Schönen, welche erſt in ihrer Zuſammen-
ſtellung ein Schönes bilden können? Keineswegs. Plato bringt hier
[103] einen Standpunkt herein, durch den er ſeine Lehre vom geiſtigen Einklang
unvermerkt verläßt, indem er ſie nur zu verengern meint. Reine
Formen, Farben, Töne erklärt er für ſchön, weil die in ihnen ent-
haltenen Punkte, Miſchungstheile, mittönende Faſern u. ſ. w. rein
diſponirt ſind zum Ausdruck der jeweiligen Form. Er findet offenbar
ſchon hierin den erforderlichen Einklang. Geht aber nun die Form
ins Große und Ganze, wird ſie zur Totalität des organiſchen Körpers,
ſo meint nun Plato, gerade hier ſey die Schönheit nicht rein, weil
dieſe Körper (und ihre Darſtellungen) πρός τι καλὰ, d. h. weil ſie zweck-
mäßig ſeyen. Genau ſo zählt Kant (a. a. O. §. 16. 17) die Schönheit
des Menſchen zur blos adhärirenden, weil ſie einen Begriff vom Zwecke
vorausſetze. Beide verkennen, daß die durchgeführte innere Zweck-
mäßigkeit ſich als bloſe Zweckmäßigkeit aufhebt und ſelbſtändige Totalität
wird. Sonſt ſpricht aber Plato ohne Einſchränkung vom Werthe der
organiſchen Schönheit und wird nun ſeinem Grundbegriffe wieder treu.
Ganz ebenſo Plotin (περὶ τȣ῀ καλȣ῀ Cap. 1); nur wird hier die
Inconſequenz voll. Denn zuerſt läugnet er, daß das Ebenmaß aller
Theile die Schönheit begründe, und nennt einzelne Theile eines ſchönen
Körpers, einzelne Farben u. ſ. f. ebenfalls ſchön, dann ſagt er, ſchön
werde die Materie durch Theilnahme an der geſtaltenden Idee, und
vergißt, daß dieſe Geſtaltung gerade als Zuſammenſtimmung der Theile
weſentlich ſich äußert.
2. Hat man nun aber die Idee als Einheitspunkt im Schönen verloren,
ſo meint man ſchlechtweg in vereinzelten äußeren Merkmalen das Weſen
des Schönen ſelbſt einzufangen; man vergißt, daß nur eine Concretion
ſolcher formeller Beſtimmungen ein Schönes bilden kann, man vergißt
alſo z. B., daß das Schöne auf gewiſſen ſeiner Stufen zwar ſymmetriſch
(im jetzigen Sinne einer Wiederholung gleich gezählter ſich gegenüber-
ſtehender Theile) iſt, aber nicht blos ſymmetriſch, ſondern ſo, daß das
Symmetriſche von freien Linien umſpielt wird, und glaubt trotzdem
durch die Symmetrie nicht nur ein Merkmal, ſondern eine Definition des
Subjects der Merkmale gegeben zu haben. In dieſer Enge befanden ſich die
engliſchen Senſualiſten des vorigen Jahrhunderts, welche freilich
einen ganz anderen Ausgang nahmen, nämlich von dem Sinne, womit
das Schöne aufgenommen wird; eine ſubjective Wendung, die uns als
ſolche hier noch nicht beſchäftigt. Der Sinn nun aber, eine gewiſſe
Anlage, die vom Schöpfer in uns gelegt und nicht weiter zu definiren iſt,
wird zwar nicht als eine blos ſinnliche Anregungsfähigkeit genommen;
[104] zunächſt jedoch berührt er ſich mit ſeinem Objecte ſinnlich, man ſucht auf
rein empiriſchem Wege auszufinden, wie das Object auf den Sinn ſinnlich
wirke, und läßt den Reflex dieſer erſten Berührung auf die geiſtige
innerliche Seite des Sinns mehr oder weniger gleichgiltig zur Seite
liegen. Ebenſo geht man objectiv nicht hinter die formellen Eigenſchaften,
durch die der Gegenſtand den Sinn berührt, zurück, man iſt von der
Idee als innerem Grunde der Form im Gegenſtande ſo weit als möglich
entfernt, und ſo geſchieht es, daß man ein äußeres Merkmal als das
Weſen der Sache fixirt. Doch haben auch dieſe Unterſuchungen ihren
Werth, da die ſinnliche Beſtimmtheit des ſchönen Gegenſtands zwar nie
das Ganze, aber doch weſentlich iſt. Hutcheſon: Enquiry into the
original of our ideas of beauty and vertue 1720 iſt dieſer Fixirung
äußerer Merkmale nicht unmittelbar anzuklagen; aber indem er die
Platoniſche Beſtimmung des Schönen als der Einheit im Mannigfaltigen
empiriſch darzuthun ſucht, ſo verliert ſie ihm die Bedeutung eines geiſtigen
Bandes, wird ihm zur „Einförmigkeit“ und ſofort zur Symmetrie im
engeren geometriſchen Sinne; ſo hält er ſie als kryſtalliſche Form feſt,
ferner in den Reichen des Organiſchen namentlich in dem gewöhnlichen
ebengenannten Sinne eines Gegenüberſtehens gleicher gedoppelter Glieder
und endlich als meßbare Proportion insbeſondere in den Verhältniſſen
des menſchlichen Leibes. Er überſieht völlig, daß die Symmetrie und
Proportion in dieſem geometriſchen Sinne nur das Gerippe der Schönheit
iſt, zwiſchen welchem die zufällige Linie frei hindurchſpielt. Ebendaher
nun, weil ihm ganz der Begriff einer Durchdringung der Regel mit dem
Zufälligen der einzelnen Exiſtenz fehlt, ſpricht er auch ganz unbefangen
von der Schönheit in mathematiſchen Figuren und in Lehrſätzen. Dieſe
ſind ſchön, weil ſie eine Menge von Wahrheiten in genauer Ueber-
einſtimmung enthalten u. ſ. f.
Hogarth in ſeinem barocken, doch nicht unintereſſanten Buche:
Analysis of beauty 1753 hat das Verdienſt, über die mathematiſche
Fixirung inſofern hinausgekommen zu ſeyn, als er das, was blos eine der
Grundlagen und blos theilweiſe conditio sine qua non der ſchönen
Form iſt, in dieſem blos relativen Sinne auch begriffen hat. Freilich
geht er dabei ſehr verworren zu Werke, indem er die Begriffe der
Richtigkeit, der Mannigfaltigkeit, der Gleichförmigkeit (d. h. auch bei
ihm der Regelmäßigkeit oder Symmetrie im Sinne des geometriſchen
Paralleliſmus), der Einfachheit „oder Deutlichkeit,“ ohne alle Ordnung,
ohne alle Unterſuchung ihres inneren Zuſammenhangs aufführt, dazwiſchen
[105] unter dem Namen „Verwicklung“ ſeine eigene Theorie einleitet, ſie durch
den Abſchnitt von der Größe unterbricht und hierauf nachher noch auf
die Proportion übergeht, die ja eben zu jenen relativen Begriffen gehört
und eigentlich unter die „Richtigkeit“ zu befaſſen war: Begriffe, deren
blos precäre Bedeutung er nun aber mit viel polemiſchem Eifer gegen
die Proportionslehre des A. Dürr und Lamozzo ins Licht ſtellt. Was
nun Hogarths bekannte Theorie von der Wellenlinie und Schlangenlinie
betrifft, ſo liegt darin gewiß eine Ahnung, die nicht zu verachten iſt.
Hogarth ahnt in ihr die Linie der Individualität, welche die Linie
des feſten Maßes, den Kanon der Gattung mit ihren rinnenden Wellen
umſpielt, er weist nach, wie ſie in Muskel und Haut ſich um die feſten
Beſtandtheile des menſchlichen Körpers legt, wie ſie in den Bewegungen
wiederkehrt, und er faßt ſie ſelbſt von Anfang als eine bewegte, im
Auge lebende; man darf nur über ſeine ſubjective Begründung (leichte
Hinderniſſe beſchäftigen angenehm u. ſ. w.) hinausgehen, ſo öffnet ſich
eine ahnungsreiche Ausſicht in weltbauende Geſetze, in die Symbolik der
Linien. Hogarth iſt auch nicht der Meinung, in die abſtracte Wellen-
linie das Ganze der Form gefaßt haben, er weiß, daß ſie mit anderen
Linien verbunden werden ſoll, geht aber freilich gerade über dieſen
ſchwierigſten Punkt viel zu kurz weg (S. 26. in der Ueberſ. v. Mylius
1754). Hogarth ſpricht nur von der bildenden Kunſt; die Verbindung
der geraden und der gewundenen Linie in die Muſik und Poeſie im bild-
lichen Sinne zu verfolgen wäre ihm ein Leichtes geweſen.
Der bedeutendſte unter dieſen Engländern iſt Burke: Enquriy into
the origine of our ideas of the sublime and beautiful 1757. Man
findet in ihm vielfach vorbereitet, was Kant in der Kritik der äſth.
Urtheilskr. in Schärfe zuſammenfaßte. Auch er beſtreitet die Meinung,
daß beſtimmte Maßverhältniſſe an ſich ſchon Schönheit begründen (a. a.
O. Th. 3, Abſchn. 4 und 5): Proportion begründet nicht Schönheit, ſie
beſtimmt nur die Gattung. Ueber eine gewiſſe Grenze derſelben darf
zwar kein Individuum hinausgehen, ſonſt weicht es von dem all-
gemeinen Begriffe ſeiner Gattung, wie ſie ſich allerdings durch das Maß
und Verhältniß der Theile von andern Gattungen unterſcheidet, ab; dieſe
Proportionen ſind jedoch bei keiner Gattung ſo fixirt, daß es nicht noch
beträchtliche Abänderungen unter den Individuis geben könnte, und unter
dieſen Abwechslungen in der Proportion, die jede Gattung zuläßt, ohne
das Gemeinſchaftliche ihrer Form zu verlieren, iſt keine, bei der ſich nicht
Schönheit finden ließe. In Einer Gattung können ſowohl Individuen
[106] von gleicher Schönheit ſehr weit in ihren Verhältniſſen von einander
abgehen, als auch bei gleichen Verhältniſſen ſehr ungleich an Schönheit
ſeyn. Eine nach den Verhältniſſen ſtreng gebildete Figur kann häßlich,
eine von ihnen merklich abweichende kann ſchön und reizvoll ſeyn. Die
männliche und die weibliche Geſtalt weichen in den Proportionen weit
von einander ab und doch ſind beide der Schönheit fähig. Nicht die
Größe und ihre Verhältniſſe, ſondern die Beſchaffenheit
(Qualität) iſt die wirkende Urſache der Schönheit. Das wahre
Gegentheil der Schönheit iſt nicht Disproportion oder Ungeſtaltheit,
ſondern Häßlichkeit. Jene iſt nicht der Schönheit, ſondern der Voll-
ſtändigkeit und der Richtigkeit der Form entgegengeſetzt; iſt ſie hinweg-
geräumt, ſo iſt darum noch nicht Schönheit da. Schönheit iſt eine poſitive
Kraft, Verhältnißmäßigkeit der Theile nur ihre negative Bedingung. Ein
Buckligter iſt ungeſtalt, aber darum ein nicht Buckligter noch nicht ſchön.
Bloſes Maß läßt gleichgültig, beſchäftigt nur den Verſtand; die dunkle
Empfindung des Schönen mißt gar nicht, hat nichts mit Rechnungs-
kunſt und Geometrie zu thun. — Das Letzte iſt nicht ganz richtig,
ein Meſſen iſt allerdings in dieſer Empfindung, nur bewußtlos, und ſo,
daß das Meſſen ſpielend ebenſoſehr aufgegeben wird. Die Proportion
iſt überhaupt zwar nicht die Schönheit; aber nicht ein Fremdes neben
ihr, ſondern ein Moment in ihr. — Unter der Kategorie der Schick-
lichkeit, d. h. in ſeinem Sprachgebrauch der Zweckmäßigkeit, entwickelt
er nun (Abſchn. 6. 7.) Gedanken, welche ganz ſchon auf Kant hinweiſen:
man braucht, um einen Gegenſtand ſchön zu finden, den Zweck desſelben
vorher nicht zu kennen und der erkannte Zweck befriedigt blos den Ver-
ſtand, die Imagination denkt nicht an die Zweckmäßigkeit des inneren
Baus; dieſen zerlegt die Anatomie, die dem äſthetiſchen Intereſſe gerade
entgegen iſt. Burke ſteht durch dieſe Entdeckung weit über ſeinen Lands-
leuten, welche geradezu von der Schönheit einzelner Theile in ihrer inneren
Zuſammenſetzung reden, wie denn z. B. ſelbſt Hogarth die Wellenlinie
ganz anatomiſch bis in die Faſern und Knochen verfolgt, und Home
(Elements of criticism. 1762 — ein im äſthetiſchen Theile begriffloſes
Buch, das wir ebendarum nicht beſonders aufführen) das Schöne ſo ſehr
mit dem Zweckmäßigen verwechſelt, daß er eine Maſchine zum Schönen
zählt und ausdrücklich die Schönheit eines Ganzen als Zuſammenſetzung
von Theilen anſieht, die jeder für ſich ſchön ſind. Wäre Burke auf dieſer
Spur weiter gegangen, ſo hätte er wichtigere Entdeckungen machen müſſen
und gewiß über die Vollkommenheit Tieferes geſagt, als er unter dieſer
[107] Kategorie vorbringt. Was dieſen Begriff anlangt, ſo wird er an ſeinem
Orte genauer betrachtet werden; er beſagt mehr, als alle Beſtimmungen,
die hier erſt in Betracht kommen. Nach ſo ſcharfſinnigen Erörterungen
geräth nun aber Burke in einen Senſualismus der ſchlimmſten Art. Er
hat (im erſten Th. ſ. Schr.) den Ausgang von den Trieben der Selbſt-
erhaltung und der Geſelligkeit genommen; das Erhabene erſchüttert jenen,
das Schöne ſchmeichelt dieſem. Dieſer Dualismus der Triebe als
äſthetiſches Prinzip iſt ſchon dadurch Urſache des Unrichtigen, weil dadurch
das Erhabene und Schöne ſogleich getrennt und daher dieſem ſeine Hohheit
genommen wird. Nun aber läßt Burke weiterhin das Pſychiſche einfach
fallen, deutet (Th. 2. Abſchn. 12) nur an, das Schöne (und Erhabene)
wirke durch die Sinne „mechaniſch“ auf die Seele, und fällt nun ganz in’s
Phyſiologiſche, was allerdings weſentlich iſt im Schönen, aber nicht in
dieſem groben Sinne, wie bei Burke, der ſofort das Schöne und Erhabene
als beſtimmte Eigenſchaft der Körper als ſolcher auffaßt, wodurch ſie ſo
auf die Nerven wirken, daß ſie (als erhabene) wohlthätig anſpannen,
erſchüttern und von gefährlichen und beſchwerlichen Verſtopfungen reinigen
(Th. 3. Abſchn. 7), oder (als ſchöne) die Fibern losſpannen und durch-
aus eine angenehme Erſchlaffung und Auflöſung hervorbringen (Th. 3.
Abſchn. 19). — Und nun wird aufgeſtellt: ſchöne Körper müſſen klein,
von glatter Oberfläche, ferner von ſtufenweiſe abwechſelnder (Hogarths
Anſicht von der Wellenlinie wird gebilligt, nur für zu eng erklärt), zart
und delicat ſeyn. Dann geht er auf die Farben über, verlangt Reinheit,
ſanften Ton oder Dämpfung des ſtarken durch Zuſammenſtellung, fließende
Uebergänge, ſagt aber kein Wort darüber, daß und warum Farben für
ſich nicht ſchön, ſondern nur angenehm heißen können, ſondern ſich an
einem Körper zu einer Geſammtwirkung vereinigen müſſen. Zuſammen-
hangslos ſpringt er auf die Phyſiognomie über, fordert einen ſanften
Seelen-Ausdruck, führt aber, nachdem er dieſen Gegenſtand verlaſſen hat,
ſogar eine Schönheit für den Taſtſinn auf, wo er zum Glatten, zur ſanften
Abwechslung der Oberfläche das Weiche und Warme fügt, und ſucht endlich
alle dieſe Eigenſchaften bildlich gewendet auch für die Schönheit der
muſikaliſchen Töne geltend zu machen. Das Erhabene fordert natürlich
überall die entgegengeſetzten Eigenſchaften. Ganz am Schluße kommt er
auf die Kunſt der inneren Vorſtellung, auf die Poeſie; er iſt aber der
Meinung, das Wort wirke nicht durch Vergegenwärtigung der Sache als
inneres Bild äſthetiſch, ſondern nur durch die Gewohnheit der Verbindung
gewiſſer Empfindungen mit demſelben, wo denn nur von Rührung über-
[108] haupt, von jenen phyſiologiſchen Wirkungen aber nicht weiter die Rede iſt.
Burke hat, nachdem er klar eingeſehen, daß gewiſſe überlieferte Begriffe
bloſe Momente des Schönen enthalten, ſeinen Weg nicht fortgeſetzt zu
dem Begriffe des Schönen als einer Totalität, er iſt vielmehr ſeiner
eigenen Einſicht untreu geworden.
Alle dieſe Beſtimmungen nun, wie ſie neben ihrer tieferen, doch ebenfalls
noch unzureichenden Anſicht die Griechen, conſequent aber dieſe Engländer
feſtſtellten, ſind zu eng und weil Anderes als das Schöne auch die Eigen-
ſchaften aufzuweiſen hat, die das Schöne begründen ſollen, ebenſoſehr
auch zu weit. Einiges Schöne wirkt z. B. vorzüglich durch Farbe, aber
weder durch Eine Farbe allein, wie ſehr ſie durch Reinheit ein entferntes
Symbol concreter Durchleuchtung eines gegliederten Gebildes durch die
Einheit der Idee ſeyn mag, noch durch Zuſammenwirkung verſchiedener
Farben, ſondern durch Zuſammenwirkung von Farben als der Oberfläche
einer Form; und es wirkt durch Farben auch Anderes, als das Schöne,
nämlich das blos Angenehme. Einiges Schöne wirkt vorzüglich durch Form
und zwar entweder durch ſtrict mathematiſche, worin die gerade Linie
und die ſtreng gemeſſene runde die Grundbeſtimmungen ſind (wie die
Baukunſt), oder durch ein Zuſammentreten gewundener Linien, deren
Proportion und Symmetrie nur von unſichtbar hindurchgehenden Maßen
beſtimmt erſcheint (wie die organiſche Geſtalt), aber jedes individuelle
Gebilde weicht von dem Grundmaße, wiewohl nur bis zu einer gewiſſen
Grenze, ab; die Form iſt es nicht allein, welche die Schönheit begründet,
ſondern Bewegung, Ausdruck u. ſ. w. kommt dazu, und Anderes, z. B.
mechaniſche Werke, gefällt ebenſo durch die Regelmäßigkeit der Form. Es
liegt freilich für das Formgefühl ein eigener Reiz in den reinen Winkeln,
Flächen, Rundungen, von denen Plato im Philebus ſpricht; allein dabei
ſetzt er ſchon Körper voraus, an denen ſie ſich zeigen, und äſthetiſch iſt
jener Reiz nur, ſofern in ihnen ein formbildender Geiſt geahnt wird,
der Körper baut nach dieſen Geſetzen, aber frei, d. h. ſo, daß das ſtrenge
Maß von ſpielenden Linien umfloſſen iſt.
§. 37.
Abgeſehen aber davon, daß jeder Verſuch, das Schöne auf andere Weiſe
zu begreifen, als durch Auffindung der ſpezifiſchen Art, auf welche die Gattungs-
regel und die Zufälligkeit des einzelnen Gebildes ſich durchdringen, oder es gar
in die Enge einer äußerlichen Beſtimmtheit zu zwingen, ſchon an der gleichen
[109] Berechtigung jener Gegenſätze ſcheitert, ſo hebt ſich die Möglichkeit einer ſolchen
Ausſage auch dadurch auf, daß ſowohl die Gattung als die Zufälligkeit der
Individuen eine Reihe verſchiedener Stufen durchläuft. Was die Gattung be-
trifft, ſo wechſelt je mit der Stufe der beſtimmten Idee (§. 17 ff.) auch die
ſinnliche Geſtalt ihrer Individuen, ſie ſteigt von niedrigeren und ärmeren zu
reicheren und beſeelteren Organismen auf und was Richtmaß für den einen iſt,
kann es natürlich nicht für den andern ſeyn.
Eigentlich leuchtet dieſe Wahrheit, welche ſchon in den Anm. zum
vorh. §. auszuſprechen nicht vermieden werden konnte, völlig von ſelbſt ein;
man wird ſich aber überzeugen, wie nothwendig es iſt, das Einfachſte aus-
drücklich herauszuſtellen, wenn man die Verwirrung in der betreffenden
Literatur betrachtet, die in jenen Anmerkungen dargeſtellt iſt. Burke z. B.
verkennt nicht, daß „das Schöne jeder Gattung andere Verhältniſſe hat“,
ſtellt aber im Verlaufe ſeine iſolirten äußerlichen Beſtimmungen auf, nicht
nur ohne zu zeigen, wie jede Stufe eine reiche Concretion ſolcher Be-
ſtimmungen darſtellt, ſondern überhaupt ohne an eine Stufenfolge zu
denken; läßt er doch nach der Schönheit der Phyſiognomie noch die
Schönheit für den Taſtſinn folgen.
§. 38.
Als Löſung dieſer Schwierigkeit ſcheint ſich einfach die Aufgabe darzu-1
bieten, für jede Stufe ein anderes Merkmal oder Richtmaß aufzuſtellen, um
ſo mehr, da, je größer der Reichthum der Momente, den eine Stufe in ſich
begreift, um ſo deutlicher auch die Idee als bindender und Maße beſtimmender
Einheitspunkt in ihr wirkt. Allein in demſelben Grade, wie die hiedurch2
gegebene Regelmäßigkeit, wächst auch mit jeder Stufe die Zufälligkeit, entbindet
ſich zur Freiheit und Eigenheit des gegen die Gattung ſich behauptenden In-
dividuums und macht ſich als Spiel der Abweichung von der Regel geltend.
1. Die Regelmäßigkeit der Proportion, ſelbſt theilweiſe als Symmetrie
im Sinne geometriſch gleich ſich gegenüberſtehenden Theile, wächst mit der
Höhe und dem Reichthum der Stufen. Man könnte dagegen einwenden,
daß gerade niedrige Naturproducte, wie Kryſtalle, Salze, in der Thier-
welt die Muſcheln, die ſtrengſte Regelmäßigkeit zeigen; man könnte dazu
ſetzen, daß auch die vergleichungsweiſe am wenigſten ſprechende Kunſt,
die Baukunſt, am ſtrengſten ſich in mathematiſche Regel einſchließe. Allein
es iſt hier von der höheren Regelmäßigkeit die Rede, welche ihre con-
[110] cretere Macht in der Gegenüberſtellung, Eintheilung, Beherrſchung ſelb-
ſtändig zu Gliedern entlaſſener Theile ausſpricht. Dieſe nimmt mit der
Bedeutung der Organismen zu, die menſchliche Geſtalt iſt die ſtrengſte
und gerade für dieſe hat man ausſchließlich den ſogenannten Kanon auf-
geſtellt. (Schon die Griechen hatten ihren, jedoch liberalen Kanon. Später
ſuchten Dürer, Lamozzo, Nic, Pouſſin, Audran die Proportionen
zu beſtimmen.) Anders ſcheint es zu ſeyn in der Welt der ſittlichen
Idee, wo die Theile am freieſten, als Perſönlichkeiten, Stände, Staats-
körper aus der Einheit entlaſſen ſind. Allein auch hier iſt ſtrenges Maß
und die freieſte Handlung zerfällt in Vorbereitung, Spannung, Kataſtrophe
und weitere Momente eines gemeſſenen Rhythmus, der Staat in ſeine
Sphären als ſtrenger Organismus u. ſ. w. Die Regel wird nur geiſtiger.
2. In demſelben Grade wächst aber auch die Zufälligkeit und um-
ſchlingt als Wellenlinie im weiteſten Sinne die feſten Maße der Regel.
Je höher eine Gattung, deſto eigener an Geſtalt, Ausdruck, Bewegung,
u. ſ. w. die Individuen. Dies ſcheint freilich ein Widerſpruch gegen den
vorhergehenden Satz; man darf nur die Naturreiche näher anſehen:
zunächſt herrſcht die größte Ungleichheit der einzelnen Gebilde im Un-
organiſchen (die innere Structur der Mineralien kommt hier gegen die
unendliche Abweichung von Profilen der Gebirge u. ſ. w., welche ſelbſt
bei derſelben geognoſtiſchen Beſchaffenheit Statt findet, wenig in Betracht).
Ebenſo im Pflanzenreiche. Kein Thier kann vom andern in Maß und
Form ſo abweichen, wie ein Baum von allen andern derſelben Gattung.
Je höher eine Sphäre, deſto beſtimmter die Gebilde, deſto weniger Spiel-
raum alſo auch für die Abweichungen individueller Form. Von Abnor-
mitäten iſt hier nicht die Rede. Allein die Zufälligkeit und Eigenheit
ſchlägt nun nach innen, ſie wird ein Unterſchied des Temperaments, der
Anlagen ſchon bei den Thieren, noch mehr bei den Menſchen, und dieſer
Unterſchied der Seele prägt ſich in feineren, aber gerade dadurch, weil
ausdrucksvoll, um ſo ſchärferen Unterſchieden der Phyſiognomie n. ſ. f. aus.
In der menſchlichen Gattung iſt nun gerade dieſes Zufällige, Angeborne
der Stoff, aus dem ſich, indem er in den Willen erhoben wird, der
Charakter bildet. Denn der Charakter iſt ein Ineinander-Arbeiten der
Naturanlage einerſeits, allgemeiner ſittlicher Potenzen andererſeits durch
den Willen, der die lebendige Mitte iſt. Dies iſt freilich bereits eine
Durchdringung des Zufälligen im Individuum mit dem Allgemeinen der
Gattung, und von dieſer iſt ja hier noch nicht die Rede, ſondern ſoll
erſt unter Abſchn. C. die Rede werden. Dennoch iſt hier keine unerlaubte
[111] Vorwegnahme. Denn wie gewiß es iſt, daß die Naturbaſis des Charakters
erſt wahrhaft als Eigenheit geſetzt wird durch das Eindringen des Geiſtes
in ſie, ſie bleibt Naturbaſis, ihre Züge ſind dem Aeußeren feſt aufgedrückt,
ehe der Wille ſich ihrer bemächtigt, ſie beſtimmt die ganze Oberfläche,
Bewegung, Aeußerungsweiſe, und was immer durch Umbilden aus ihr wird,
das Individuum kann niemals völlig über ſie hinaus. Sie iſt aber
zufällig, denn ſie iſt unter unberechenbaren und jedem Einwirken der
Abſicht entzogenen Umſtänden der Zeugung u. ſ. w. entſtanden und an-
geboren.
§. 39.
Die Streitfrage, ob das Schöne zu beſtimmen ſey als das Charakteriſtiſche,
iſt eine müßige; denn unter dem Charakteriſtiſchen ſind ebenſowohl die Grund-
züge der Gattung und der ihr untergeordneten Beſonderheit der Art, als die
des Einzelweſens, wie ſie aus ſeiner zufälligen Eigenheit fließen, zu verſtehen,
und es folgt aus allem Bisherigen, daß im Schönen alle dieſe Momente gleich
weſentlich ſind. Obwohl noch nicht erörtert iſt, wie ſich dieſelben durchdringen,
ſo iſt doch die Forderung geſetzt, daß ſie ſich durchdringen ſollen, und in dieſer
Durchdringung kann die Berechtigung des einen Moments nicht die des andern
ausſchließen. Eine ganz andere Frage aber iſt die, ob nicht das ganze Schöne
in unterſchiedene Formen auseinander trete, in welchen das eine oder andere
dieſer Momente zwar die übrigen nicht ausſchließt, wohl aber als das be-
ſtimmende hervorſticht. Dieſe Frage gehört jedoch nicht hieher.
Die erſte Andeutung dieſer neuerdings vielfach abgehandelten Vexir-
frage findet ſich in Winkelmanns bekannter Aeußerung, daß die höchſte
Schönheit charakterlos ſey. Er ſagt (Geſch. d. Kunſt Buch 4, Cap. 2,
§. 23), die Einheit der hohen Schönheit fordere eine Geſtalt, die weder
dieſer oder jener beſtimmten Perſon eigen ſey, noch irgend einen Zuſtand
des Gemüths oder Empfindung der Leidenſchaft ausdrücke, als welche
fremde Züge in die Schönheit miſchen und die Einheit unterbrechen. Nach
dieſem Begriff müſſe die Schönheit ſeyn wie das vollkommenſte Waſſer
aus dem Schooße der Quelle geſchöpfet, welches, je weniger Geſchmack
es hat, deſto geſunder geachtet wird, weil es von allen fremden Theilen
geläutert iſt. In vollem Widerſpruch damit ſteht, was Kant ſagt
(Kr. d. äſth. Urtheilskr. §. 17): die vollkommene Normalgeſtalt dürfe
nichts ſpezifiſch Charakteriſtiſches enthalten, ſey aber nicht Urbild der
[112] Schönheit, ſondern nur unnachläßliche Bedingung derſelben, ſie ſey nur
ſchulgerecht. Dazu fügt die Anm.: „man wird finden, daß ein vollkommen
regelmäßiges Geſicht, welches der Maler ihm zum Modell zu ſitzen bitten
möchte, gemeiniglich nichts ſagt, weil es nichts Charakteriſtiſches enthält,
alſo mehr die Idee der Gattung, als das Spezifiſche einer Perſon aus-
drückt. — Auch zeigt die Erfahrung, daß jene ganz regelmäßigen Geſichter
im Innern gemeiniglich auch nur einen mittelmäßigen Menſchen verrathen;
vermuthlich (wenn angenommen werden darf, daß die Natur im Aeußern
die Proportionen des Innern ausdrücke) deßwegen: weil, wenn keine
von den Gemüthsanlagen über diejenige Proportion hervorſtechend iſt, die
erfordert wird, blos einen fehlerfreien Menſchen auszumachen, nichts von
dem, was man Genie nennt, erwartet werden darf, in welchem die Natur
von ihren gewöhnlichen Verhältniſſen der Gemüthskräfte zum Vortheil
einer einzigen abzugehen ſcheint.“ Göthe und ſeine Umgebung legten
ſich in den Streit, der bekanntlich im Athenäum, den Propyläen und in
Fernows Schriften geführt wurde. Von der Verworrenheit, die in
dieſem Streite aus Mangel an klarer Unterſcheidung in den Grund-
beſtimmungen herrſchte, geben die Stellen aus Hirts Aufſatz in den Horen
1797 Zeugniß, welche Hegel anführt (Aeſth. Einl. S. 24). Das erſte
Licht wirft Schelling auf einen Punkt, wo die Löſung einzutreten hat, in
ſeiner Rede über das Verhältniß der bildenden Künſte zu der Natur 1807,
wo er die verſchiedene Berechtigung des Charakteriſtiſchen in der Plaſtik
und in der Malerei beleuchtet. Man bemerke auch wohl, daß Kant in
der obigen Anm. den Maler im Auge hat. Einen weiteren weſentlichen
Punkt der Löſung deckt Solger auf (Vorleſ. über Aeſth. S. 159—162.
vergl. mit S. 80 und mit Erwin Th. 1, S. 206. 207.), indem er den
Gegenſatz des claſſiſchen und romantiſchen Ideals herbeizieht. Die Ver-
wirrung kam auch dadurch, daß man die Frage über das Charakteriſtiſche
mit der Frage über Naturnachahmung vermengte: eine Vermengung, welche
nahe lag, weil der gewöhnlichen, nicht künſtleriſchen Anſchauung nur das
Individuum mit den Zufälligkeiten ſeiner ihm eigenen Züge ſinnlich gegeben
iſt. Allein dieſe Zufälligkeit ſelbſt, wie ſehr oder wie wenig ſie auch im
Schönen zugelaſſen ſeyn mag, liegt in der unmittelbaren Natur nicht
rein vor; auch ſie in ihrer Wahrheit zu ſehen, braucht es ein im Anblick
idealiſirendes Auge, und wenn ich daher dieſer Eigenheit der individuellen
Züge auch das vollſte Recht im Schönen geſtatte, ſo iſt dadurch die Frage
über Naturnachahmung noch keineswegs zum Vortheil der letzteren ab-
gemacht; die Fragen ſind alſo total verſchieden.
[113]
Den eigentlichen Grund der Verwirrung aber in jenem Streite gibt
der §. Charakter kann bedeuten: Gattung (z. B. die reinen Formen des
Menſchen); es kann bedeuten: Art (z. B. Geſchlecht, Lebensalter, Volk,
Volksſtamm, Stand und ſein beſonderes Gepräge); es kann bedeuten:
die Eigenheit dieſes oder jenes Individuums, fließend aus den oben an-
geführten Momenten der Zufälligkeit. Da nun nirgends klar vorbeſtimmt
war, welche dieſer Bedeutungen man im Auge habe, ſo konnte die Ver-
wirrung nicht ausbleiben. In der Metaphyſik des Schönen nun iſt keine
andere Entſcheidung möglich, als: dieſe drei oder (wenn man die Art
zur Gattung ſchlägt) zwei Momente ſind gleich berechtigt. Ein Unterſchied
der Berechtigung (wiewohl niemals eine Ausſchließung des einen oder
andern Moments) aber dringt ein, erſtens durch den großen Haupt-
gegenſatz in den allgemeinen Formen des Schönen: das Erhabene und
Komiſche, zweitens durch die großen Haupt-Epochen der Völker-Phantaſie
(claſſiſch, romantiſch u. ſ. f.), drittens durch die verſchiedenen Künſte,
viertens durch die verſchiedenen Zweige der einzelnen Künſte. Die Dar-
ſtellung dieſer beſonderen Wendungen in dem Verhältniſſe beider Momente
können alſo nur die betreffenden weiteren Theile des Syſtems geben.
§. 40.
Der Gegenſatz zwiſchen der Idee oder der Gattung und dem Individuum
iſt jedoch in den §. 31—33 hervorgehobenen Formen der Zufälligkeit noch nicht
auf ſeine Spitze geſtiegen. Aus dem Zuſammenſeyn der einen Gattung mit
allen andern Gattungen in demſelben Raume und derſelben Zeit geht nämlich
noch eine Form der Zufälligkeit hervor, wodurch jene erſtgenannten und nach
§. 34. im Schönen unentbehrlichen Zufälligkeiten ſelbſt getrübt werden, ſo daß
ſie nicht rein erſcheinen. Jede Gattung iſt zwar, auf welcher Stufe des Ganzen
ſie ſtehen mag, vernünftig und in ſich zweckmäßig, indem ſie aber zugleich
mit allen andern ihre Zwecke durchführt, ſo ſtößt ſie mit den Zwecken anderer
aus abſoluter oder beziehungsweiſer Bewußtloſigkeit ebenſo leicht ſchlechtweg
feindſelig d. h. ſo, daß daraus nicht ein Lebensreiz, ſondern eine völlige Störung
entſteht, zuſammen, als ſie mit ihnen unmittelbar oder mittelbar günſtig zu-
ſammenwirkt. Durch dieſen Conflict ſtellt jedes Individuum, während es ſeine
Gattung darſtellt, zugleich Anderes mit dar, was in den Zuſammenhang ſeiner
Gattung nicht gehört: eine Trübung und Störung, welche bis zu rein zufälliger
Aufreibung fortgeht. Dies erſt oder das ſinnloſe Uebel als Gegenſatz des
Viſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 8
[114]Guten im Sinne von §. 22, 2 und des Guts §. 23 erſcheint als Widerſpruch
zwiſchen der Gattung und ihrer Wirklichkeit in den Individuen.
1. Es iſt davon noch nicht die Rede geweſen, wie ſich zu den
§. 31—33 aufgeführten Formen der Zufälligkeit die Macht der Gattung
verhalte. Das Verhältniß zwiſchen dieſer und jener iſt §. 35 als ein
Gegenſatz, aber nicht als ein Widerſpruch bezeichnet und der Voraus-
ſetzung Raum gelaſſen, daß die Gattung den Zufall in ſich aufzunehmen
und zu bezwingen vermöge; worauf aber erſt unter C. einzugehen iſt.
Eigentlich iſt durch jene Sätze noch gar nicht ausgeſprochen, daß ſolches
in die Gattung eindringe, was ihr fremd iſt oder fremd bleibt.
2. Es geht aber aus dem Zuſammenſeyn jeder einzelnen Gattung
mit allen andern in demſelben Raume und derſelben Zeit nothwendig
eine Colliſion hervor, wodurch Fremdes und unüberwindlich Feindſeliges
in ihre Wirklichkeit eindringt. Jede Gattung iſt in ſich und als Stufe
des Ganzen vernünftig, aber dieß iſt ihr ewiges, außerzeitliches Seyn
als Idee. In ihrer Verwirklichung geräth ſie in jenes Gedränge,
worin neben dieſem Stufenſyſtem ein ganz anderes Verhältniß, ein Ver-
hältniß außer der Linie und ein unvernünftiger Zuſammenſtoß entſteht.
Ein Beiſpiel wird dieß ſogleich beleuchten. Die Atmoſphäre unſeres
Planeten iſt eine Form des unbewußten Seyns, die in ſich geſetzmäßig,
alſo auch ein Werk der im Univerſum thätigen Vernunft und nothwendig
iſt an ihrem Orte. Alle belebten Weſen athmen in ihr, auch der Menſch.
Nun unternimmt ein Menſch oder eine Geſellſchaft von Menſchen ein
ſittliches Werk, ein ſolches alſo, das ganz einer andern Welt angehört,
als der phyſiſchen; aber durch eine plötzliche Veränderung der Atmoſphäre,
welche nicht vorauszuſehen war und gegen welche ſich nicht geſchützt zu
haben alſo auch dem Menſchen nicht zum Vorwurf gereichen kann, wird
das Werk vereitelt. Nun iſt darin wohl Vernunft, daß der Menſch
zu ſeiner Exiſtenz die Natur bedarf; aber in dieſer Colliſion iſt keine
Vernunft, es iſt reiner, roher Zufall. Die Atmoſphäre hat ihre Zwecke,
welche blinde Geſetze ſind, vollführt und dabei wußte ſie um die ſittlichen
Zwecke jenes Werkes nicht, und in dieſem Werk war zwar bewußter
Geiſt, er konnte aber jene Störung nicht voraus in Rechnung nehmen,
denn wer dieß thäte, könnte überhaupt gar nichts unternehmen. Die
Handlung alſo hat jetzt etwas in ihre Mitte bekommen, was rein nicht
hineingehört, etwas Fremdes, einen Feind, der ſie ſprengt. Ebenſo
aber geſchieht es umgekehrt, wenn der Geiſt einen Zweck verfolgt, wobei
[115] er einem ungeiſtigen Naturweſen weder ſchaden noch es fördern wollte,
ſondern es gar nicht zu berückſichtigen hatte, und es nun zufällig ſtört
oder vernichtet. Ein Thier wäre ſchön, aber ein Menſch hat ihm zu-
fällig ein Glied zertreten, abgeſtoßen u. ſ. w. Wohlverſtanden, es iſt alſo
nicht die Rede von dem Fall, wo er es um ſeiner Zwecke willen ver-
letzen oder tödten wollte: darin iſt Zuſammenhang, daraus kann unter
Umſtänden auch ein äſthetiſches Ganzes werden (Jagd ꝛc.). In dem
hier gemeinten Vorgange iſt aber kein Sinn, hier hat ſich der Geiſt (be-
ziehungsweiſe) blind verhalten. Ebenſo iſt bei dem erſten Beiſpiele nicht
die Rede von ſolchen Fällen, wo die Art des Zwecks es mit ſich
bringt, die Natur in Rechnung zu nehmen, wie die Schifffahrt u. dgl.
Hier iſt das Uebel ſelbſt ein Lebensreiz, gehört zu dem äſthetiſch ganz
zuläßigen und berechtigten Zufalle (Schiff im Sturme u. dgl.). Wenn
aber z. B. ein würdiger Redner eine Verſammlung zu einem großen
Werke begeiſtern will und ein Schnupfen hindert ihn, dieß iſt roher,
unäſthetiſcher Zufall. Hier ſind nun die Beiſpiele aus dem Zuſammen-
ſtoß von Gattungen gewählt, zwiſchen denen viele Stufen liegen; aber
es tritt ſolche Störung auch zwiſchen näher verwandte Gattungen. Es
wird Frühling, die Blumen blühen, die Bäume ſchlagen aus, aber ein
Nachwinter zerſtört Alles. Die Pflanzen wußten nicht um dieß drohende
Uebel, die Luft weiß nicht um die Pflanzen, die ſie doch nährt, und
folgt blind den atmoſphäriſchen Geſetzen. Das Wetter iſt wirklich einer
der ſchlimmſten Feinde des Schönen. Man denke nun überhaupt bei
ſolchen Störungen nicht an ſolche, welche im Zuſammenhange des vor-
liegenden Falles liegen; dieſe gehören zur Sache, oder vielmehr ſie ſind
keine Störungen, ſondern organiſche Kämpfe der einer Idee ſelbſt im-
manenten Momente. Es kann z. B. das Intereſſe eines Gedichts ſeyn,
ſolche Störungen des Pflanzenlebens darzuſtellen, wie die ebengenannte,
wenn es nämlich zum Zwecke hat, Stimmungen des Menſchen, die dar-
aus erwachſen, u. dergl. zu entfalten. Iſt aber der Frühling als ſolcher
der Gegenſtand, ſo muß es ein ganzer Frühling ſeyn ohne Störungen
dieſer Art: und davon iſt die Rede. Die Trübung der einer Gattung
angehörigen Individuen durch einen Zuſammenſtoß mit Wirkungen anderer
Gattungen außer dem Zuſammenhang geht fort bis zur Aufreibung. Auch
hiemit iſt eine Aufreibung außer der Linie gemeint. Z. B. Tod aus
Altersſchwäche gehört nicht hieher, ſondern liegt im Geſetze der Gattung.
Tod durch einen gewollten Kampf gehört auch nicht hieher, denn er
gehört zum Ganzen dieſes Kampfes. Wenn aber ein edler Krieger nicht
8*
[116]durch einen Tapferern fällt, ſondern weil ein Regen ſeine Waffen un-
brauchbar machte, dieß gehört hieher. Die Formen der Zufälligkeit,
welche §. 31—33 aufgeführt ſind, ſind nach §. 34 Geſetz im Schönen.
Dieſe werden durch die letztgenannte Form ſelbſt getrübt, daß ſie nicht
rein erſcheinen. Zu der ganzen Sphäre der Zufälligkeit werden die wider-
ſtreitenden Formen des Schönen, das Erhabene und Komiſche, allerdings
eine andere Stellung einnehmen, als das einfach Schöne. Wenn ſich
aber zeigen wird, daß das Komiſche, wie es dem Zufall einen ganz andern
Spielraum gönnt, als das Erhabene, auch die hier aufgeführte Form
des ſtörenden Zufalls einläßt, ſo wird dies unter Bedingungen geſchehen,
welche den ganzen Standpunkt verändern.
Dies iſt der dumpfe, dies iſt der zuſammenhangsloſe Zufall, hier
iſt der volle Widerſpruch zwiſchen der Idee und ihrer Wirklichkeit, wo
„— aller Weſen unharmon’ſche Menge
Verdrießlich durcheinander klingt.“
[[117]]
C.
Die Einheit der Idee und des Bildes.
§. 41.
Was ſich zwiſchen die Idee und das Einzelweſen als ihr Bild ſtellt, iſt1
alſo die Zufälligkeit. Es iſt die Aufgabe, dieſe Zufälligkeit wie in der Noth-2
wendigkeit ihres Daſeyns, ebenſo in der Nothwendigkeit ihrer Aufhebung zu
begreifen. Dies gilt zunächſt noch abgeſehen von der beſondern Aufgabe des
Schönen ganz allgemein von der Idee überhaupt im Verhältniß zu ihrer Ver-
wirklichung; das ganze Leben als das unendliche Zugleichwirken der in der
abſoluten Idee enthaltenen beſtimmten Ideen iſt beſtändige Setzung und Auf-
hebung des Zufalls und die Wiſſenſchaft des Schönen wird durch die Anerken-
nung des Zufalls ſo wenig aus der Geſetzmäßigkeit des Begriffs in ein Gebiet
des Unbegreiflichen getrieben, als die übrigen Wiſſenſchaften von den verſchie-
denen Sphären der wirklichen Idee.
1. „Das Einzelweſen als ihr Bild“. Das abſolute Zuſammenge-
hören von Idee und Bild wird alsbald näher aufgefaßt werden; hier
liegt nur erſt ſo viel vor, daß das Bild ein Einzelweſen eben der
Gattung iſt, welche je im vorliegenden Falle den Inhalt des Schönen
bildet, wie dies ſchon oben aufgeſtellt wurde.
2. Der Mangel des Hegel’ſchen Syſtems iſt nicht, daß es für
den Zufall keine Stelle hätte, ſondern daß es ihn nur als Betrachtungs-
weiſe, als eine Anſicht der Dinge unter dem Standpunkte der „ſchlechten
Endlichkeit“ momentan aufnimmt, um ihn als Vorſtellung ſofort in die
denkende Betrachtung aufzulöſen. So verhält es ſich mit der Zufälligkeit
in dieſem Syſteme überhaupt und namentlich mit der beſonderen Form
[118] derſelben, die uns im gegenwärtigen Zuſammenhang nicht beſchäftigt, der
Freiheit nämlich als Willkür. Frage ich: gibt es eine ſolche? So ant-
wortet Hegel: es iſt nicht die wahre Form des Willens. Dieß mag
ganz wahr ſeyn, aber ich will es jetzt nicht wiſſen. Die Natur und
Nothwendigkeit des Zufalls müßte begründet ſeyn in der Logik und zwar,
wie wir behaupten, in der Lehre von der Idee. Die innere Theilung
derſelben in die Hauptſtufen ihrer Verwirklichung iſt, wie es ſeyn muß,
im idealen Grundriß gegeben unter den Abſchnitten: Leben und Erkennen.
Es war darzuthun, daß zwei Linien entſtehen müſſen: die vernünftige,
ſtufenförmige, die eben Hegels Logik begründet, und eine zweite, welche
die erſtere durchſchneidet, die Linie des Zufalls nämlich, begründet im
Zuſammenſtoßen der in Einen Raum und Eine Zeit fallenden thätigen
Bewegung der verſchiedenen Stufen. Raum und Zeit gehören nämlich
offenbar in die Logik, in die Lehre vom Seyn, und dieſe unteren Formen
wirken überall, alſo auch in den höchſten, als aufgehobene und ſtets
von Neuem aufzuhebende Momente fort. Von dieſer Wahrheit mußte
die Natur-Wiſſenſchaft und Geiſtes-Wiſſenſchaft die Anwendung machen
und überall zeigen, daß jede Form der Idee in ihrer Verwirklichung
mit allen andern ſich durchkreuzt und daß ihre Thätigkeit weſentlich die
iſt, ebendieſen Zufall aufzuheben, als Stoff zu verarbeiten und zu ver-
wenden. Daß Hegel den Zufall zu wenig in die Rechnung mit auf-
nimmt, zeigt insbeſondere die Philoſophie der Geſchichte und die Religions-
Philoſophie. Der Begriff wird überall zu ſchnell gefunden, ehe nämlich
nachgewieſen iſt, wie er als thätige Wirklichkeit ſich aus dem Zufall
herausarbeitet. Z. B. die Götterculte der alten Völker waren zunächſt
ein Aggregat von Lokal-Kulten, die zufällig zuſammenfloßen; der tiefere
Inſtinkt führte erſt einen Zuſammenhang in ſie ein, hier erſt liegt der
Begriff. So verhält es ſich nach neueren Forſchungen z. B. auch mit
der indiſchen Götterlehre; die Trimurti iſt kein aus dem Begriff ent-
ſtandener Zuſammenhang, ſondern zunächſt eine Anreihung von örtlichen
Culten.
Dieſe Bemerkungen ſind keine Einräumung für die Polemik, welche
der Hegel’ſchen Philoſophie vorwirft, daß ſie die Unmittelbarkeit zu
niedrig geſtellt. Die Unmittelbarkeit iſt zunächſt ein anderer Begriff.
Es handelt ſich hier um die Frage, ob die reelle Zuſammenfaſſung einer
Summe von Vermittlungen in die Spitze der lebenskräftigen einzelnen
Gegenwart, welche ſo zu ſagen die Brücke der Vermittlung hinter ſich
abwirft und von vornen entſchloſſen beginnt, darum verkannt werde,
[119] weil die Philoſophie jene Brücke im Auge behält, hinter dieſe Un-
mittelbarkeit ſieht, ſie als vermittelt erkennt und daher die Unendlichkeit
des dialektiſchen Zuſammenhangs einſieht, wo die empiriſche, objective
Unmittelbarkeit ſelbſt ſich ihrer nicht erinnert. Das ganze Hegel’ſche
Syſtem auf allen Punkten ſpricht es in unzählichen Wendungen aus, daß
beidem ſein Recht bleiben ſoll, ſowohl der Nothwendigkeit, daß das Ver-
mittelte ſich in die Form der Unmittelbarkeit zuſammenfaſſe, als auch
der Einſicht des Philoſophen darein, daß das Unmittelbare ein Vermit-
teltes iſt. Allein Hegel hat das weitere weſentliche Moment zu leicht
abgethan, daß in der Summe von Vermittlungen, die ein Unmittelbares
in ſich zuſammenfaßt, außer den Vermittlungen ſeiner eigenen Gattung
und außer den homogenen Vermittlungen verwandter Gattungen, die
das Leben in ſich verarbeitet, auch unberechenbare fremdartige Einflüſſe
heterogener Gattungen des Daſeyns nothwendig mitenthalten ſind, daß das
Leben als Unmittelbares weſentlich die Macht ſeyn muß, dieſes Fremde,
was es in ſich aufnimmt, in ſich und ſein Eigenes zu verarbeiten:
dies aber iſt der Zufall und ſeine Aufhebung. Alles Leben, alle Ge-
ſchichte, alle Bewegung des Geiſtes in jeder Sphäre iſt weſentlich dieſe
Geſchichte der Aufhebung des Zufalls. Man wendet den Vorwurf gegen
Hegel auch ſo, daß er den Werth der Einzelheit, alſo insbeſondere der ein-
zelnen Perſönlichkeit verkannt habe. Umgekehrt, kein Philoſoph iſt in die-
ſem Sinne weniger abſtracter Idealiſt als er, denn keiner hat den Zuſammen-
ſchluß des Allgemeinen und Beſondern im Einzelnen ſo ſtreng begriffen,
dieſes in der Conſequenz des Ariſtoteles ſo ſicher feſtgehalten als erfüllte
Spitze der thätigen Kraft der Gattung. Allerdings muß er von dem
logiſch Einzelnen das unmittelbar Einzelne, das Endliche unterſcheiden
als trennbare Einheit, aber durch dieſe ſeine Endlichkeit iſt ihm die
Lebensmacht des Wirklichen keineswegs abgeſprochen. Der Mangel liegt
vielmehr darin, daß in der reichen Geſammtheit von Kräften, als deren
lebendige Zuſammenfaſſung es erkannt wird, der Zufall nicht in ſeiner
Bedeutung und ſeinem Rechte mitbegriffen, ſondern nur kurzweg zum
Schlechten am Endlichen geworfen wird. Daher wird auch das Recht
des Einzelnen, originell zu ſeyn, nicht in Kraft geſetzt, denn Origina-
lität, was ſie auch weiter ſeyn mag, ruht ohne Frage auf der Naturbaſis
des Zufalls. Die Individualität ſoll ſich mit dem Allgemeinen durch-
dringen, aber eben ſo, daß dieſe, in ihrem Urſprung zufällige, Eigenheit
nicht aufgehoben werde, ſondern in’s Allgemeine ſelbſt erhoben ihm erſt Farbe
gebe. Wie nun das Einzelne ſammt ſeiner Zufälligkeit weſentlicher Inhalt
[120] des Schönen iſt, ſo iſt auch das, wodurch das Schöne wahrhaft wirklich
iſt (die Kunſt, wie ſich zeigen wird), als hervorbringendes Subject
weſentlich von dieſem Elemente beſtimmt. Der Stoff, zufällig an ſich,
erfaßt zufällig auch den Künſtler und wie ſehr im Schaffen dieſer Aus-
gang vom Zufall ſich zu einer Nothwendigkeit umbilden mag, der Charakter
der unendlichen Eigenheit, die ſo nur einmal unter dieſer Zuſammen-
wirkung der Zufälligkeit möglich war, ſoll ihm bleiben. Die Wiſſen-
ſchaft muß dieß anerkennen und begründen; rückt man ihr aber als Mangel
vor, daß ſie nicht die ganze Summe aller empiriſchen Zufälle als ebenſo-
vieler Gründe der Eigenheit der unendlichen Werke der Schönheit zu be-
ſtimmen vermöge, ſo heißt dies freilich alle Wiſſenſchaft aufheben. Der
Zufall läßt ſich, ehe er da iſt, in ſeinem allgemeinen Weſen begreifen,
aber was für einer er in jedem Erfahrungsfalle ſeyn werde, iſt vorher
durchaus nicht zu beſtimmen. Es gibt keine Vorherbeſtimmung, weder
objectiv noch ſubjectiv. Iſt er aber da, ſo wirkt objectiv die Macht der
Allgemeinheit, ihn umzuwandeln, die Kraft der beſtimmten Wirklichkeit
aus ihm zu ziehen, und ſubjectiv — vom Philoſophen — kann und ſoll
er begriffen werden. Ich kann alſo z. B. nicht beſtimmen, wann und
wo ein Stoff auftauchen werde, der ſich zum Kunſtwerk eignet, wann
und wo ein Künſtler gerade in der Stimmung ſeyn werde, ihn zum
Kunſtwerk zu benützen. Meine Aufgabe iſt nur, als nothwendig zu er-
kennen, daß dies nicht vorherzubeſtimmen ſey. Iſt aber der Stoff ge-
kommen, das Kunſtwerk da, ſo iſt jener und dieſes zu begreifen, dieſes
ſelbſt hat den Zufall, indem es ihn aufnahm, zugleich aufgehoben, und
der Philoſoph leiſtet dies in noch höherem Sinne, indem er das reine, all-
gemeine Weſen der Kunſt eben in dieſer Concretion aufweist. Kann ich
denn die Phantaſie und ihr Weſen darum nicht begreifen, weil ich nicht
beſtimmen kann, welche Stoffe ſie in den unbekannten Fällen der Zu-
kunft aufnehmen und verarbeiten wird? Und wenn ich in dem verar-
beiteten Stoffe ihre Thätigkeit nun als Bau des Kunſtwerks begreife,
ſoll dieſes Begreifen nicht höher ſeyn, als die Phantaſie ſelbſt, die in
beziehungsweiſe unbewußter Verſchlingung mit dem Zufall das Kunſt-
werk entwarf? Danzel (a. a. O. S. 44) wirft Hegel vor, er
habe keinen Standpunkt für das einzelne Kunſtwerk in ſeiner unendlichen
Individualität. Der Vorwurf trifft zum Theile mit dem zuſammen, was
zu §. 15 ausgeführt wurde. Wie nun dort zugegeben iſt, daß Hegel
das Unmittelbare als Schaffendes, die Phantaſie, zu flüchtig behandelt
habe, ſo iſt auch im jetzigen Zuſammenhang zugegeben, daß er das Zu-
[121] fällige als Bedingung des Individuellen zu ſehr von oben herab angeſehen
hat, allein was er immer hätte thun mögen, dieſe Lücke auszufüllen, er
hätte auch das Zufällige in das rein Allgemeine zurücknehmen und auflöſen
müſſen. Dieſe Auflöſung iſt aber kein Weglaſſen der „wunderbaren Ver-
ſchlingung“ des einzelnen Werks. Die Wiſſenſchaft weist nach, aus
wie vielerlei Sphären der behandelte Stoff ſeine Eigenheit zog, ſie weist
nach, aus wie vielerlei in dieſem Falle ſo und nicht anders zuſammen-
wirkenden Bedingungen die Perſönlichkeit des Künſtlers ihre Beſtimmtheit
zog, ſie kann auch anzuführen wiſſen, wie es kam, daß ihn irgend
ein Stoff anlockte (z. B. den Shakespeare die damals erſchienenen
Novellenſammlungen). Dieſe Sphären, Bedingungen, nach unſerem Aus-
druck Gattungen, ſind aber freilich ſelbſt ebenfalls Allgemeinheiten. Allein
hier ſind wir an der Grenze; etwas Anderes, als ein Zuſammen-
treten von Solchem, was allgemeiner Art iſt, kann an dem Dieſen
nicht aufgewieſen werden und was Hettner (a. a. O. S. 18, 19)
von L. Feuerbach gegen den erſten Abſchnitt von Hegels Phäno-
menologie aufnimmt, iſt keine Inſtanz, weil es nur ſagt, daß das
Dieſe ein Erfülltes ſey; denn das Erfüllende iſt ſelbſt allgemeiner Art.
Weiße, der dieſelbe Polemik übt (Syſtem d. Aeſth. §. 12—15)
hat ſich hiezu den Standpunkt gewonnen, indem er zum voraus die
Erſcheinung, in welcher die Gattungs-Allgemeinheit ihre Abſtractheit
auslöſcht, für ein Mehr erklärt hat, was „durch Wiſſenſchaft, Philo-
ſophie und Kritik auf keine Weiſe erſetzt werden könne“. Jene All-
gemeinheit nennt er, wie wir zu §. 5 u. 15 ſahen, Wahrheit, das
Schöne daher aufgehobene Wahrheit. Im jetzigen Zuſammenhang müßte
nun eben die „wunderbare Verſchlingung“ der Zufälligkeit im einzelnen
Schönen dieſes Mehr ſeyn. Allein ein ſolches Mehr hat jede Wirklich-
keit, jedes Naturweſen, jede Perſönlichkeit, jeder Staat, und das All-
gemeine bewirkt ſich in jeder Sphäre, indem es das Dunkel dieſer
Verſchlingung mit ſeiner Macht durcharbeitet. Das Schöne verhält
ſich nur darin anders, daß es bis zu einem Punkte der Zufälligkeit
mehr Recht läßt, als alle andern Sphären, von einem andern Punkte
an aber, wie ſich zeigen wird, ſie tiefer ausſcheidet. Die Wahrheit
als Wiſſenſchaft nun hat keineswegs blos das getrennt Allgemeine, ſondern
gerade ſeine Miſchungs-Verhältniſſe in der Einzelheit zu durchdringen und
iſt daher nicht nur mehr, als eine Abſtraction des erſteren, ſondern auch
als das Wahre in dem Sinne, wie es ihr Gegenſtand iſt, d. h. als das
Allgemeine an ſich in den Verbindungen, die es in der Realität mit anderem
[122] Allgemeinem eingeht, um ſich als erfülltes Einzelnes zu verwirklichen.
Wenn aber dieſe Verbindungen unbegreiflich ſeyn ſollen und das Unbegreif-
liche das wahre Mehr ſeyn ſoll, warum ſchreibt Weiße eine Aeſthetik,
warum hält er irgend eine wiſſenſchaftliche Erkenntniß des Realen für
möglich?
§. 42.
Die Art der Aufhebung der Zufälligkeit muß im Schönen eine beſondere
2ſeyn. Soll ſie aber überhaupt als möglich gedacht werden, ſo muß zuerſt ganz
im Allgemeinen das wahre Verhältniß zwiſchen der Idee und ihrer Erſcheinung
3in den Einzelweſen begriffen ſeyn. Dieſer Begriff fehlte der Wolffiſchen
Philoſophie, daher ihre Definition des Schönen durch: ſinnlich angeſchaute Voll-
kommenheit nicht leiſtet, was ſie verſpricht. Vollkommenheit nämlich ſcheint eine
dem Stoff immanente und ſich ſelbſt in ihm durchführende Einheit der Idee zu
bezeichnen, welche eben deßwegen, indem ſie die ganze Oberfläche des von ihr
gebildeten Stoffes beſtimmt, ſinnlich angeſchaut werden kann. Da aber dem
Syſteme die Bedingungen dieſes Begriffes fehlten, ſo vermochte es durch ſeine
Definition das Schöne nicht von Werken, worin dem Stoff nur eine äußere
Einheit aufgenöthigt iſt, insbeſondere von dem blos Zweckmäßigen, zu unter-
ſcheiden, und gerieth durch den Zuſatz: ſinnliche Anſchauung in einen Wider-
ſpruch.
1. Daß das Zufällige im Schönen in einem anderen Sinne aufge-
hoben ſey, als in den übrigen Sphären der wirklichen Idee, geht ſchon
§. 34 hervor, worin ihm eine ausdrückliche Geltung zuerkannt iſt. Dies
iſt hier noch nicht weiter zu verfolgen. Der Ausdruck: Aufhebung muß
ſchon darum noch unbeſtimmt gelaſſen werden, weil er eine andere Be-
deutung in Beziehung auf §. 40 erhalten muß, als in Beziehung auf
§. 31 — 33.
2. Das Verhältniß der Idee zur Erſcheinung iſt ſchon im §. 10
als Immanenz ausgeſprochen. Hier iſt dieſer Begriff wieder aufzu-
nehmen, denn er tritt jetzt erſt durch den Zuſammenhang der Entwick-
lung in das volle Licht einer unterbehrlichen Grundlage der Erklärung
des Schönen. Nicht unmittelbar vom Schönen iſt aber die Rede, ſon-
dern eben von dieſer allgemeinen metaphyſiſchen Vorausſetzung.
3. Die Wolffiſche, näher Baumgarten’ſche Begriffsbeſtimmung
definirte die Vollkommenheit auch durch: Einheit in der Mannigfaltigkeit
[123] und ſcheint deßwegen zu §. 36 zu gehören. Allein Vollkommenheit
ſcheint mehr zu ſagen, als jener Begriff, der jeder ganz abſtracten Art
der Unterordnung des Mannigfaltigen unter der Einheit Raum läßt;
es liegt dies ſchon in dem Worte; „vollkommen“ erinnert an ein völli-
ges Herauskommen der den Gegenſtand als ſeine Architektonik bauenden,
ſich in ihm als Organismus durchführenden Idee. „Vollkommen iſt
das, was zu ſeiner Völle gekommen, oder was gänzlich, ohne Mangel
und Ueberfluß, das iſt, was es ſeyn ſoll“ (Sulzer, allg. Theorie d.
ſch. K. Th. 4, S. 406). Baumgarten ſchrieb lateiniſch perfectio,
aber der Zuſatz: ſinnlich angeſchaut (phaenomenon s. gustui observabilis.
Metaphys. §. 662), ſcheint zu ſagen, daß er eben an dieſe Plaſtik der
Idee dachte, doch nur dem, der nicht weiß, was ſchon oben §. 1, 3
vorgebracht iſt. Dieſe ganze Philoſophie war formaliſtiſch, die Einheit des
Begriffes war ihr eine reine Abſtraction, und ſo geräth jene Definition
durch ihren erſten Theil in eine fremde Sphäre und durch ihren zweiten
in einen Widerſpruch. Vollkommen nämlich in dem Sinne, in welchem
ſie das Wort allein verſtehen kann, iſt eigentlich nur das Werk der
äußeren Zweckmäßigkeit, worin einem von dem Verfertiger hinzugebrach-
ten Begriffe der Stoff, aus ſeiner ihm immanenten Gattung (Holz ꝛc.)
herausgenommen, äußerlich ſich unterordnet. So aber ſtellte ſich die
Wolffiſche Philoſophie allerdings auch das vor, was weit über dem
Begriff der Zweckmäßigkeit liegt, ſo überhaupt die Welt in ihrem Ver-
hältniſſe zu Gott. Gott hat als außerweltliches Weſen den Begriff zu
den Dingen und dieſe ſind nach demſelben gemacht, tragen ihn nicht in
ſich, führen ihn nicht ſelbſt in ſich durch. Wir ſollen z. B. nach
Mendelsſohn (Ueber die Hauptgrundſ. d. ſchönen Künſte u. Wiſſenſch.
Philoſ. Schr. Th. 2, S. 80) in der Schönheit der Natur die Voll-
kommenheit des Meiſters bewundern, der ſie hervorgebracht. Die Dinge
ſind aber nicht nur nicht wahrhaft ſelbſtthätig, ſondern der Begriff, dem ſie
mechaniſch gehorchen, iſt ein bloſer Begriff der Nützlichkeit; Wolffs
Teleologie iſt ganz äußerlich. Demnach müßte conſequenter Weiſe dieſe
Philoſophie nicht nur auf die Unterſcheidung des Schönen vom Zweck-
mäßigen, ſondern auf die Erklärung des Schönen überhaupt verzichten.
Die weitere Entwicklung des Begriffs des Schönen wird ferner zeigen,
wie ſich das Schöne nicht blos vom Zweckmäßigen, ſondern auch von
dem Guten und dem Wahren (im engeren Sinn) unterſcheidet. Nun
kann davon abgeſehen werden, daß die Wolffiſche Philoſophie auch
dieſe Sphären formaliſtiſch faſſen mußte; es ſey vielmehr angenommen,
[124] daß ſie das Gute als organiſche Einheit des Willens, das Wahre als
ſelbſtthätigen Bau des Gedankens faßte, und ſo kann man es vollkommen
nennen. Immer aber wird das Schöne von dem Guten und Wahren,
es wird geiſtige Vollkommenheit von plaſtiſch erſcheinender nicht unter-
ſchieden; die Aeſthetiker der Schule (z. B. Sulzer) waren in großer
Verlegenheit über das Verhältniß zwiſchen dem Schönen und Guten,
und Baumgarten ſelbſt vermag es durch den rhetoriſchen Schmuck,
den er im Grunde allein unter phaenomenon verſteht, nicht vom Wahren
abzugrenzen. — In ihrem zweiten Theile, der näheren Beſtimmung
des Vollkommenen als eines Objects der ſinnlichen Anſchauung, nimmt
die Definition eine Wendung nach der ſubjectiven Seite, welche den
Mangel der objectiven zu ergänzen ſcheint. Allein er kann nicht mehr
ergänzt werden und es entſteht daher ſtatt der Ergänzung ein Wider-
ſpruch; denn der Begriff, der nicht als gegenwärtige Einheit im Körper
ſich ſeine eigene Geſtalt baut, ſondern über ihm als Formel ſchwebt,
kann nicht ſinnlich angeſchaut werden. Wollte man nun den Wider-
ſpruch um der tieferen Ahnung willen, die dunkel in ihm liegt, überſehen,
ſo tritt dagegen ein beſonderer Mißſtand auch in der ſubjectiven
Beſtimmung: die Anſchauung wird zu niedrig gefaßt. Die cognitio
sensitiva heißt inferior, ſie iſt ſchlechthin ein complexus repraesentationum
infra distinctionem subsistentium (als ob die Anſchauung nicht auch ihre
Klarheit hätte), ſie wird theologiſch caro genannt und als Rechtfertigung
der Ehre, die ihr widerfährt, geſagt: imperium in facultates inferiores
poscitur, non tyrannis (Baumg. Aesth. §. 12). Dieſe Philoſophie hat
die Mittel nicht, die Vernunft in die Form der Anſchauung ſich ergießen
zu laſſen und eine ſinnlich geiſtige Erkenntniß zu begreifen; ſie hat ſie
nicht, weil ſie keine objective Vernunft kennt, und ſie hat ſich den Weg,
eine ſolche zu kennen, ſchon dadurch verrannt, daß ſie die Anſchauung
zu niedrig faßt: es iſt ein nothwendiger Cirkel. Auf der Seite des
ſubjectiven Momentes geſchah aber und mußte geſchehen der Fortſchritt.
In der Philoſophie überhaupt mußte zuerſt die Idee als gegenwärtiges
Subject begriffen werden, ehe ſie ſich als Object begriff. Ebenſo im Schönen.
Hier tritt Kant ein. Baumgarten ſteht ihm aber bereits viel näher,
als man glaubt, vergl. §. 1, 3. Die Aeſthetik wird ſchon vor Kant
Empfindungslehre; ſo namentlich bei Mendelsſohn. Ganz ſubjectiv
verſteht auch Eberhard (Theorie der ſchönen Künſte u. Wiſſenſch. 1783)
die Vollkommenheit. Er ſetzt ſie rein in die Darſtellung und das daraus
entſpringende Gefühl. Allein auch im Werke der Darſtellung ſoll ja
[125] der Begriff ſinnlich wirken und nicht über dem Körper ſchweben, ſondern
ſeine Allgemeinheit in ihm auslöſchen. Alſo kehrt der Widerſpruch auf
allen Punkten zurück.
§. 43.
Die Einheit, welche im Vollkommenen das Mannigfaltige verbindet, faßt
Kant im Sinne Wolffs als Zweck und widerlegt die Anſicht der Schule
Wolffs vom ſubjectiven Standpunkte aus durch den Einwurf, daß, um den
Zweck zu erkennen, erſt ein Begriff vorausgehen müßte, was im äſthetiſchen
Urtheile nicht der Fall ſey. Er ſelbſt erkennt nicht, daß er in der inneren
Zweckmäßigkeit, wie er deren Begriff im Unterſchiede von dem Wolffiſchen
Formalismus entwickelt, die Idee erfaßt hat als die ſich ſelbſt hervorbringende
Einheit des Allgemeinen und des ſinnlichen Stoffes im Einzelnen, welche im
organiſchen Leben als Wechſelaufhebung des Mittels und Zwecks ſich ſo durch-
führt, daß ſie auf die Oberfläche des Ganzen heraus und ohne Begriff in die
Anſchauung tritt. Dagegen unterſucht er den ſubjectiven Vorgang im Schönen
mit einer Schärfe und Tiefe, welche ihn auf anderem Wege zu der wahren
Grundlage einer objectiven Beſtimmung des Schönen, der Einheit des Begriffs
und der Realität, hätte führen müſſen, wenn er die Schranken ſeines Syſtems
wirklich zu überwinden vermocht hätte. Schiller ſtellt überall dieſe Einheit
in Ausſicht, kann ſie aber, in Kantiſchen Vorausſetzungen befangen, nicht
begründen.
Die Einheit im Mannigfaltigen, welche als Wechſelbegriff für das
Vollkommene geſetzt wurde, faßte in der Aeſthetik nicht ſowohl Baum-
garten, als andere, die ſich ihm anſchloſſen (Eberharo, Men-
delsſohn, Sulzer) mit Rückgang auf eine Beſtimmung Wolffs
(Ontologie, 3r Abſchn.) als Zweck. Indem nun Kant dieſe Erklärung
des Schönen widerlegt, überſieht er nicht, daß äußere Zweckmäßig-
keit (bloſe Nützlichkeit) und innere zu unterſcheiden und daß unter Voll-
kommenheit die letztere zu verſtehen iſt. Nun widerlegt er dieſe Anſicht
(Kr. d. äſth. Urthlskr. §. 15) von dem Geſichtspunkte der Beſchaffen-
heit des ſubjectiven Wohlgefallens am Schönen, von dem er nachge-
wieſen, daß es eine von Begriffen unabhängige reine Gefühlsſtimmung
ſey. Um ſich ein Ding als zweckmäßig vorzuſtellen, muß der Begriff
von dieſem, was es für ein Ding ſeyn ſolle, vorangehen und dies
iſt ein Verſtandes-Urtheil, nicht ein äſthetiſches. Der Einwurf iſt richtig,
[126] ſo lange die innere Zweckmäßigkeit ſelbſt wie eine mechaniſche gefaßt
wird, in welcher der Begriff außerhalb der Materie, in der er ſich
durchführen ſoll, als ein blos gedachter und blos durch Abſtraction zu
findender verbleibt. So äußerlich verſtand allerdings Wolff die Zweck-
mäßigkeit (ſ. §. 42 u. Erdmann Verſuch einer wiſſenſch. Darſt. d. Geſch.
d. neueren Philoſ. II, 2. S. 351). Allein Kant ſelbſt faßte den Begriff
des Zwecks in ſeiner Tiefe. Man muß ſeine Kritik der teleolog. Urthlskr.
hinzunehmen. Hier erhebt er ſich zu dem Begriffe des immanenten
Zwecks, der im organiſchen Leben den Gegenſatz von Mittel und Zweck
aufhebt und eben daher in der Totalität des ſinnlichen Stoffes, worin er
ſich vollführt, die Trennung ſeiner Allgemeinheit von dem Beſonderen,
die im abſtracten Denken, doch nur um wieder aufgehoben zu werden,
geſetzt wird, in der Geſtalt auslöſcht. Wenn Kant den Zweck definirt
hat als den Begriff von einem Object, ſofern er zugleich den Grund
der Wirklichkeit dieſes Objects enthält, ſo iſt nach dieſer tieferen Be-
ſtimmung dieſer Begriff nun nicht ein ſolcher, den ein Subject zum
Objecte hinzubringt, ſondern es iſt der im Object ſelbſt thätige, bauende
Verſtand, der Demiurg, es iſt „intuitiver Verſtand, intellectus arche-
typus,“ kurz es iſt Geiſt in der Natur, Geiſt als Natur —: das
Prinzip iſt gefunden. Nun braucht das Subject, um dieſe Einheit
im Objecte zu empfinden, keinen Begriff jenes Zwecks, denn er iſt ganz
gegenwärtig in ſeinem Stoffe und braucht nicht von ihm geſondert zu
werden, um in das Gefühl und die Anſchauung zu treten. Ebendies
aber benützt Kant für die Aeſthetik gar nicht. Auch abgeſehen nämlich
davon, daß er jenen tiefen Blick wieder aufgibt, indem er ihn nur für
eine leitende ſubjective Vorſtellung erklärt, zieht er nämlich die obenge-
nannte Folge nicht, daß der Begriff, indem er ſich als Realität durch-
führt, ſeine innern Momente ſubjectiv herausſtellt, als Geſtalt vor das
Auge tritt und nun, wie er ſelbſt ein ungetrennt Sinnliches und Geiſtiges
iſt, durch das Organ der ſinnlich geiſtigen Anſchauung allerdings in das
Subject eingeht, ohne daß es ihn als Begriff in ſeiner Abſtraction denkt.
Die Anſchauung iſt freilich nicht ein „verworrenes Denken“, wie ſie in der
Wolff’ſchen Anſicht erſcheint, ſondern gar kein Denken, und als ſolche
zwar dunkel gegenüber dem Denken, aber hell in ſich und die Begriffs-
momente als Glieder der Geſtalt klar unterſcheidend. Wie ganz ihm ſein
Fund verloren ging, zeigt Kant §. 16, wo die Schönheit eines Menſchen,
eines Pferdes u. ſ. w. für blos anhängende Schönheit erklärt wird, weil
ſie „einen Begriff vom Zwecke vorausſetzt, welcher beſtimmt, was das
[127] Ding ſeyn ſoll“; das genaue Gegentheil des Richtigen, denn eben in
dieſen organiſchen Geſtalten erſcheint der Begriff als immanenter Zweck ſo,
daß man das Ganze genießt völlig ohne ſubjectiv abſtrahirten Begriff
von dem, was es ſeyn ſoll. Kant iſt hier ganz formaliſtiſch. — Da
er nun demgemäß eine objective Beſtimmung des Schönen gar nicht
finden kann, ſo wirft er ſich ganz auf die ſubjective Seite. Sein Ver-
dienſt in der Analyſe derſelben iſt im §. vorläufig anerkannt, aber nicht
erwähnt, wie ihn der objectiv aufgegebene Begriff des Zwecks hier ver-
folgt und für jenes Aufgeben beſtraft, denn das Weſentliche iſt in den
Anm. zu §. 3 gegeben. In dieſer rein formalen Zweckbeſtimmung, dieſer
„Zweckmäßigkeit ohne Zweck“, welche eigentlich eine bloſe Zweckmäßigkeit
der Stimmung ſeyn, aber doch mit der unbeſtimmten Vorſtellung eines
im Gegenſtande ſich darſtellenden Zwecks ſpielen ſoll, liegt in Wahrheit
die volle, aber ſich ſelbſt dunkle Ahnung der objectiven, inneren, plaſti-
ſchen Zweckmäßigkeit. Dieſe tritt wohl nirgends erkennbarer ans Licht,
als in §. 23, wo er ſagt, die ſelbſtändige Naturſchönheit entdecke uns
eine Technik der Natur, wodurch unſer Begriff von derſelben über den
eines bloſen Mechanismus zu dem Begriff von der Natur als einer
Kunſt erweitert werde: „welches zu tiefen Unterſuchungen über die Mög-
lichkeit einer ſolchen Form einladet.“ Allein wie durch Kant die ganze
Philoſophie, ſo nimmt nun auch ſeine Aeſthetik, da ſie dieſe Ahnung
nicht zu benützen verſteht, einen ganz andern Weg, den Weg zum ſub-
jectiven Idealismus. Wenn ſchon in der Analyſe des äſthetiſchen Wohl-
gefallens die nahe liegende Frage, wie es denn komme, daß ein
Gegenſtand dieſes Wohlgefallen errege, der andere nicht, gar nicht auf-
geworfen, alſo auch nicht beantwortet wird, ſo ſchwebt offenbar zwiſchen
den Zeilen die Anſicht, daß das Subject überhaupt die Schönheit erſt
in die Gegenſtände hineinſchaue. Nun erwäge man, wie in dieſer
Analyſe durchaus eine reine Harmonie der Geiſtigkeit und Sinnlichkeit
im Subjecte gelehrt iſt, man gehe von da weiter zu den tiefen Be-
ſtimmungen Kant’s über das Genie, das, ſelbſt eine volle Einheit von
geiſtiger Regel und Natur, ein Werk ſchafft, das ebenfalls Geiſteswerk
und Naturwerk zugleich iſt, ſo kommt man bei dem Schluſſe an, daß
alles ſchöne Object überhaupt erſt durch die Phantaſie geſchaffen wird,
ebenſo wie man durch die Conſequenzen der ganzen Philoſophie Kant’s
bei Fichte anlangt. Wenn nun die folgenden Theile unſeres Syſtems
uns — (es kann in dieſer Anm. immerhin ſo viel anticipirt werden) —
im Schönen ebenfalls dieſe Schöpfung der Phantaſie enthüllen werden,
[128] warum wird in unſerer ganzen Entwicklung dieſer Gang nicht geradezu
als der richtige aufgenommen? Darum nicht, weil dieſe Einheit von
Natur und Geiſt, wenn ſie im Subjecte und durch daſſelbe ihre wahre
Wirklichkeit erhalten ſoll, vorher als allgemeine Wirklichkeit der Idee
metaphyſiſch begriffen ſeyn muß und weil, wenn es ſich auch als wahr
erweiſen wird, daß die Schönheit durch das Subject in den Gegenſtand
hineingetragen wird, ſofern ſie Naturſchönheit, und daß ſie von ihm
ganz erſt geſchaffen wird, ſofern ſie Kunſtſchönheit iſt, immer noch die
Frage vorausgeht, was denn im Gegenſtande es ſey, wodurch das Sub-
ject zu jenem Hineintragen berechtigt und aufgefordert werde? Ganz
gemeinverſtändlich ausgedrückt: der Künſtler ſucht Stoffe und macht
Studien in der wirklichen Welt. Einiges taugt ihm dazu, Anderes
nicht. Ich muß aber zuerſt aufweiſen, warum und wodurch ihm die
vor ihm und ohne ihn vorhandene Wirklichkeit eine Fundgrube iſt, ehe
ich ihn ſelbſt zum Gegenſtande mache; die Welt, die der Ort ſeiner
Studien ſeyn ſoll, muß ſchon gefunden ſeyn, ehe er in ſie eintreten kann.
Schiller’s treffliche äſthetiſche Abhandlungen ſtehen ganz auf Kanti-
ſchem Boden. Wenn nun in den genannten Punkten Kant ſelbſt über
ſich hinausſtrebt, ſo iſt dies Hinausſtreben über den Dualismus des
Begriffs und der Realität in Schiller’s Betrachtungen der Grund-
charakter wie in ſeiner Poeſie. Aber die Einheit von Geiſt und Natur,
Unendlichkeit und Endlichkeit, Materie und Form, Pflicht und Neigung,
Idee und Begrenzung, Freiheit und Nothwendigkeit, die freie Zuſtim-
mung des ſinnlichen Impulſes zum ſittlichen, wie ſie Schiller in hundert
Wendungen ausſpricht, iſt bei ihm immer nur Ziel, Erſtrebtes, Poſtulat;
zu erklären iſt ſie nicht, eine Wirklichkeit iſt ſie nicht und Schiller
bleibt daher bei der Begriffsbeſtimmung des Naiven und der Anmuth
immer die letzten Gründe ſchuldig, während er das Sentimentale, die
Würde und das negative Pathos ſehr richtig und erſchöpfend begreift. Wir
werden ihm auf einzelnen Punkten wieder begegnen und ſeine ſpezielleren
Verdienſte würdigen.
§. 44.
Der ſubjective Idealismus Fichte’s iſt zu naturlos, um den nach §. 43
von Kant nahe gelegten Weg einzuſchlagen und einem tiefen Gedanken über
das Schöne, den er in dieſer Richtung vereinzelt erzeugt hat, Folge zu geben.
2Er ſollte erſt durch Schelling zum objectiven Idealismus umgebildet werden,
[129] und mit dieſem Schritte iſt das metaphyſiſche Prinzip gefunden, welches die
wahre Grundlage der Ableitung des Schönen enthält. Der Standpunkt der
abſoluten Idee (§. 10) iſt gewonnen; jede Wirklichkeit als eine beſtimmte Form
der abſoluten Einheit des Idealen und Realen zu faſſen iſt nun als Aufgabe
begriffen und die Schönheit wird als diejenige Form ausgeſprochen, worin dieſe
Einheit am vollkommenſten zur Erſcheinung kommt, indem ein beſtimmtes Da-
ſeyn als mangelloſe Gegenwart der Idee in die Anſchauung tritt. Solger3
bildet den Grundgedanken bereits zu einem gegliederten Syſteme aus.
1. Fichte (Syſtem d. Sittenlehre §. 31: Ueber die Pflichten des
äſthet. Künſtlers): „die Kunſt macht den tranſcendentalen Geſichtspunkt
zum gemeinen. Auf dem tranſcendentalen Geſichtspunkte wird die Welt
gemacht, auf dem gemeinen iſt ſie gegeben: auf dem äſthetiſchen iſt ſie
gegeben, aber nur nach der Anſicht, wie ſie gemacht iſt. Die Welt
hat zwei Seiten: ſie iſt Produkt unſerer Beſchränkung, ſie iſt Produkt
unſeres freien, idealen Handelns. In der erſten Anſicht iſt ſie ſelbſt
allenthalben beſchränkt, in der letzten ſelbſt allenthalben frei. Die erſte
Anſicht iſt gemein; die zweite äſthetiſch. Z. B. jede Geſtalt im Raume
iſt anzuſehen als Begrenzung durch die benachbarten Körper, ſie iſt an-
zuſehen als Aeußerung der innern Fülle und Kraft des Körpers ſelbſt,
der ſie hat. Wer der erſten Anſicht nachgeht, der ſieht nur verzerrte,
gepreßte, ängſtliche Formen, er ſieht die Häßlichkeit; wer der letzten
nachgeht, der ſieht Leben und Aufſtreben, er ſieht die Schönheit. Der
ſchöne Geiſt ſieht Alles frei und lebendig“ u. ſ. w. Fichte vergaß nur,
auch den andern, vorangeſtellten Satz näher auszuführen, daß nämlich
der Philoſoph ſich auf dieſen Geſichtspunkt mit Arbeit und nach einer
Regel erhebe, der ſchöne Geiſt aber unbewußt darauf ſtehe und Andere
unvermerkt zu ihm erhebe. Der ganze Gedanke iſt höchſt fruchtbar und
müßte auf dem Wege verfolgt werden, der zum vorh. §. angegeben iſt,
aber in einem Syſteme, wo die ganze Natur blos als Object abgeleitet
und dargeſtellt iſt, kann dieſer Keim nicht zur Entfaltung kommen und
ſo wird gleich darauf die Kunſt als Mittel der Thätigkeit, nämlich als
Schule zur Tugend betrachtet.
2. Schelling hat zuerſt in der abſoluten Einheit des Idealen und
Realen den Grund aller Möglichkeit des Schönen gefunden; der Begriff
iſt nun als immanenter Zweck erkannt, was eben in der Kantiſchen
Lehre vermißt wurde. Wie nun im Ganzen, ſo im Einzelnen: das
Viſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 9
[130]Individuum fällt nicht neben und außer den Begriff ſeiner Gattung,
ſondern dieſer iſt in ihm gegenwärtig eben als ſich durchführender Zweck.
Das Individuum iſt Verwirklichung der Gattung im Naturſtoffe, dieſer
erſcheint nun nicht mehr als ein Fremdes gegen die geiſtige Allgemein-
heit der Gattung oder Idee, denn die Natur iſt gebundener Geiſt und
der Geiſt zu ſich gekommene, eine zweite Natur ſchaffende Natur. Die
Gattung ſelbſt aber iſt eine Idee, die ihren beſtimmten Ort hat in
dem Kreiſe der Ideen, ſo daß mit ihr die abſolute Idee ſelbſt zum
Ausdrucke kommt. Von da aus nun fehlt blos noch der Schritt zum
Schönen, daß in dieſem das Individuum nicht nur als Ausdruck, ſondern
als mangellos reiner Ausdruck der Idee gefaßt werde; und ſo hat
Schelling wirklich das Schöne beſtimmt. Der Terminus Vollkommen-
heit tritt wieder auf, allein jetzt ohne die Zweideutigkeit, die er in der
Wolffiſchen Schule hatte. Die Schönheit heißt im Bruno der äußere
Ausdruck der organiſchen Vollkommenheit. Vollkommenheit iſt aber hier
nicht eine relative, eine Angemeſſenheit zu einem Zwecke außerhalb, ſondern
Vollkommenheit an ſich, größte Unabhängigkeit von Bedingungen. In
der Rede über das Verh. d. bild. Künſte z. Natur iſt der durchaus
herrſchende Gedanke die Lebendigkeit der Natur. Keine Kunſt und keine Kunſt-
philoſophie iſt möglich, wo die Natur als ein Todtes vorſchwebt. Das
thätig wirkſame Band des Begriffs und der Form wird geſucht, die
Kraft, durch welche die Seele ſammt dem Leib zumal und wie
mit Einem Hauche geſchaffen wird. Dieſes Band liegt nicht erſt
in der Kunſt, ſondern ſchon in der Natur; zu dem thätigen Prinzip in
der Natur muß die Kunſt zurückgehen, wenn ſie lernen will, wie die
Formen vom Begriff aus erzeugt werden, auf die poſitive Kraft,
welche als ſchaffender Begriff den Theilen der Materie eine ſolche Lage
und Stellung gegeneinander gibt, durch welche er ſelbſt als ihre weſent-
liche Einheit ſichtbar werden kann. Dies thätige Prinzip kann nur Geiſt
ſeyn, denn alle Einheit iſt geiſtiger Abkunft; die Natur iſt werkthätige
Wiſſenſchaft, eine Wiſſenſchaft, worin der Begriff nicht von der That,
noch der Entwurf von der Ausführung verſchieden iſt. Jedem Ding
ſteht ein ewiger Begriff vor, der in dem unendlichen Verſtande entworfen
iſt, die Natur als ſchaffende Wiſſenſchaft verkörpert ihn. Zu dieſem
Kerne der Natur, zu dieſem im Innern der Dinge wirkſamen, durch
Form und Geſtalt redenden Naturgeiſt muß der Künſtler durchdringen,
und indem er ausſcheidet, was ihn nicht darſtellt, ſtellt er nur das
Nichtſeyende als nichtſeyend dar und bringt das in der Natur in der
[131] That Seyende an’s Tageslicht; Schönheit iſt daher nichts Anderes,
als volles, mangelloſes Seyn. — Dieſe Sätze ſind hier, wo der
Inhalt von §. 9 — 14 nicht rein metaphyſiſch, ſondern an der Hand
der Geſchichte der Philoſophie und zwar mit dem beſondern Augenmerke
näher begründet werden ſoll, daß immer gefragt wird, welches Licht
ein Syſtem aus ſeinem Prinzip für die Erklärung des Schönen gewonnen
habe, auch darum beſonders am Orte, weil ſie die Richtigkeit unſerer
ganzen Anordnung beweiſen, welche die Schönheit nicht aus der Phantaſie
conſtruirt, ſondern zuerſt jene Einheit der Dinge begründet, durch welche
die Phantaſie ſelbſt erſt möglich iſt. Sollte es nun aber ſcheinen, als ver-
ſtehe Schelling unter dem Nichtſeyenden, welches auszuſcheiden iſt, gerade
das, was wir als weſentliches Moment im Schönen aufgeſtellt haben,
die Zufälligkeit nämlich und insbeſondere die Eigenheit des Individuums,
ſo ergänzt er ſich in dieſem Punkte durch das, was er (a. a. O.) über
das Charakteriſtiſche vorträgt. Das Eigenthümliche der Dinge wird hier
als ein Poſitives anerkannt, es heißt Kraft der Einzelheit, die Indi-
vidualität lebendiger Charakter. Hiemit iſt die Gattung als die Macht
ausgeſprochen, die das Zufällige ſelbſt in ſich aufnimmt und mit ihrem
Inhalt erfüllt: eben der Begriff, den wir ſuchen. — Die Anſichten
Schellings über die Kunſt und ihren Rang ſind anderswo anzuführen.
3. Solger begründet im Erwin (Vier Geſpräche über das Schöne
und die Kunſt 1815) und in den Vorleſungen das Weſen des Schönen
durchaus auf die Immanenz des Begriffs in dem zu ſeiner Gattung
gehörigen Individuum ſammt der ganzen Mannigfaltigkeit ſeiner Eigen-
ſchaften und Zuſtände. Das Mannigfaltige iſt nur der entwickelte oder
auseinander gezogene Begriff, die Einheit nur das zuſammengefaßte
Mannigfaltige, die Seele der vollſtändige Gedanke des Körpers, der
Körper die erſcheinende Seele, vollſtändig und ohne Scheidewand von
ihr angefüllt. Beides iſt Ein Schlag, es braucht keine Abſonderung des
Begriffs vom Gegenſtand, kein Urtheil. Der Begriff iſt ſchon ganz im
Geiſte Hegels dargeſtellt am menſchlichen Körper als das Ganze, das
ſich in dem vollkommenen und in ſich ſelbſt zurückkehrenden Zuſammen-
hang des Einzelnen offenbart (Erwin Thl. 1, S. 61). Der Begriff des
Zwecks wird eingeführt und als die vollkommene Geſtalt diejenige er-
kannt, in welcher Zweck und Mittel ganz miteinander geſättigt
ſind (63). Der Begriff iſt das Maß des Mannigfaltigen, aber das
Maß, welches ſchon ſein eigenes Gemeſſenes iſt und das Gemeſſene,
welches als ſolches ſchon zugleich ſein eigenes Maß in ſich trägt (65).
9*
[132]Durch dieſen trefflichen Satz erhellt plötzlich, wo es eigentlich der Platoni-
ſchen Beſtimmung (§. 36, 1) fehlt. Das Schöne nun begreift Solger,
nachdem er zwiſchen dieſe Entwicklung Deductionen eingeſchoben hat,
welche freilich von der Wiſſenſchaft plötzlich und unvermittelt zur Vor-
ſtellung Gottes abſchweifen, welche aber hier nicht zu beurtheilen ſind,
ganz ſo, wie wir es beſtimmt haben, als jene reine Einheit des Weſens
und der Erſcheinung, welche in einem Einzelnen zum Ausdrucke kommt.
Das Schöne iſt „die vollſtändige Durchdringung des Begriffs und der
Erſcheinung, welche ſelbſt erſcheint“ (Thl. 1, S. 170), „die Einheit des
Weſens und der Erſcheinung in der Erſcheinung, wenn ſie zur
Wahrnehmung kommt.“ (S. 161). Ein ſolches Einzelnes iſt daher
eine Welt für ſich, ein Weltall, dies hebt Solger durchgängig in’s
Licht (Weiße: „Mikrokosmus“ vergl. §. 15, 2). Aber es darf darum
nicht aus dem Zuſammenhange der übrigen Dinge herausgenommen, es
muß ein ganz Einzelnes und Beſonderes „nicht blos Denkbares und
Erſchloſſenes, in den allgemeinen Begriff Zerfließendes, ſondern die
ganze Kraft der Beſonderheit, Begrenztheit und Gegenwart muß darin
ſeyn.“ An mehreren Orten wird ausdrücklich die Zufälligkeit mit
einbedungen, namentlich S. 180: „was der Zufall der Einzelheit mit
ſich bringt, iſt hier zugleich das Ewige und Nothwendige und Urſprüng-
liche, ſo daß die weſentliche, ſich ſelbſt genügende Einheit Gottes unver-
ſehrt durch jeden auch noch ſo kleinen Theil des Wirklichen und Einzelnen
hindurchleuchtet.“ In dieſem Begriffe hat nun erſt die Aeſthetik ein
Prinzip, und was auch gegen Solgers Entwicklung dieſes Prinzips
zum Syſtem im Einzelnen einzuwenden ſeyn mag, er iſt der Erſte, der
erkannt hat, daß das Syſtem die innere Bewegung der verſchiedenen
Stellungen, welche die in jenem Prinzip eingeſchloſſenen Momente gegen-
einander einnehmen können, zu entfalten habe.
§. 45.
Die Mängel der dialektiſchen Entwicklung, an welchen jedoch die erſte
Aufſtellung jenes Prinzips leidet, liegen darin, daß, wie das Prinzip ſelbſt
mehr gefunden, als begründet iſt, ebenſo auch die beſtimmte Idee nicht mit
Nothwendigkeit aus der obſoluten entwickelt und an ihren Ort geſtellt, daß
ferner die Individualität nicht als weſentliche Wirklichkeit und lebenskräftiger
Zuſammenſchluß der mit ihren Momenten in ihr gegenwärtigen Idee begriffen
wird, was auf die Lehre vom Schönen den Einfluß hat, daß ſowohl der Inhalt
[133] von §. 16 ff., als von §. 31 ff. nicht gehörig zu ſeinem Rechte kommt. Hegel2
hat durch die dialektiſche Begründung und Durchführung des Standpunkts der
abſoluten Idee dieſe Mängel in dem Sinne getilgt, daß die Reihe der beſtimm-
ten Ideen folgerichtig entwickelt, die Einzelheit in ihrer Bedeutung erkannt
erſcheint, allein er hat dem erſteren Fortſchritt nicht die volle Anwendung auf
das Schöne gegeben und bei dem zweiten überhaupt der Berechtigung der Zu-
fälligkeit nicht volle Rechnung getragen.
1. Schelling leitet, wie er ſeine abſolute Einheit nicht durch
dialektiſche Auflöſung der Mannigfaltigkeit gewonnen hat, ebenſo die
Reihe der beſtimmten Ideen und den Naturſtoff, worin ſie wirklich ſind,
nicht dialektiſch aus jener ab. Der Formalismus, der willkürliche Sche-
matismus der Naturphiloſophie, das Schwanken in der Eintheilung der
Sphären des Geiſtes iſt bekannt. Im Schönen handelt es ſich zwar
nicht von der rein philoſophiſchen Ableitung des beſtimmten Gehalts aus
der abſoluten Einheit, allein, wo dieſe nicht vorangieng, wird auch
die Kraft ſeiner äſthetiſchen Geltung verkannt; es wird von jedem Punkte
auf das Abſolute übergeſprungen und es zerfließt Alles, wie bei Novalis,
in den dunkeln Grund. In der Rede über d. Verh. d. b. K. z. d. N.
wird zwar die Stufenleiter der Sphären des Daſeyns als Inhalt des
Schönen angedeutet, aber es wird von keinem Schüler Schellings
damit Ernſt gemacht und Schelling ſelbſt fällt, weil er ſeiner Andeu-
tung nicht Folge gibt, anderswo in die Vermengung mit der Religion
(§. 27, 2). Ferner iſt das Verhältniß des Individuums zur Gattung
nicht im Sinne der Entelechie begriffen. Jene Rede nennt zwar die
Eigenthümlichkeit der Dinge ein Poſitives, die Beſtimmtheit und In-
dividualität, heißt es, dürfe nicht als bloſe Begrenzung und Verneinung,
ſondern müſſe als Bejahung der ſchaffenden Kraft der Gattung, als ein
Maß, das dieſe ſelbſt ſich auferlegt, angeſehen werden, aber es bleibt
ſchwankend, ob damit Gattung und Art oder Individuum gemeint iſt,
denn es iſt in demſelben Zuſammenhange zunächſt nur von der ſcharfen
Beſtimmtheit der gattungsmäßigen Geſtalt in den verſchiedenen Natur-
reichen die Rede und hierauf zwar wird geſagt, in der Menſchenwelt
lege die Natur ihren Weg noch einmal von vorn zurück und wiederhole
ihre ganze Mannigfaltigkeit; allein ganz individuell iſt auch jede Pflanze
und jedes Thier und weil Schelling die unendliche individuelle
Mannigfaltigkeit erſt in der menſchlichen Gattung beginnen läßt, ſo
zweifelt man, ob er nicht blos Raſſen, Völker, Stände, Ausdruck der
[134] Affekte, Temperamente, alſo wieder Allgemeines im Auge habe. Nimmt
Schelling überhaupt zu der Vorſtellung eines Abfalls die Zuflucht, um
die Wirklichkeit der Idee zu erklären, ſo wird ihm conſequent das In-
dividuum zu einem flüchtigen und nichtigen Schattenbilde der Idee. Die
Zufälligkeit, die ſich zur Baſis der Eigenheit des Individuums ſteigert,
wird von ihm als falſcher Standpunkt zur Seite geſchoben und bleibt
daher, ſtatt daß ihre Aufhebung dargethan wird, unüberwunden. —
Eine andere Seite, die Kunſtvergötterung, ein Ausfluß der zu hohen
Stellung des Unbewußten, iſt anderswo zu beurtheilen.
Solger ringt, dieſe Mängel aufzuheben und ſein Erwin iſt durch
dies bloſe Ringen ein bei aller Trefflichkeit beunruhigendes und hetzen-
des Buch, die Vorleſungen, übrigens klarer geordnet, in dieſem Punkte
ebenſo. Der Gang iſt durchaus, die Erkenntnißweiſen als falſch aufzu-
löſen, welche nur Gegenſätze aufeinander beziehen, aber die Gegenſätze
ſelbſt werden nicht objectiv ineinander aufgelöst. Es iſt ſubjective
Dialektik. Daher wird Gott und das Wunder zu Hilfe genommen,
um die reine Immanenz der Idee zu erklären. Hinter dieſen ſinnlichen
und ſtoffartigen Hilfen öffnet ſich eine reinere Ausſicht in den philoſophi-
ſchen Begriff der abſoluten Thätigkeit (Entelechie), aber ſie ſchließt ſich
wieder, die platoniſche Trennung der Idee von ihrer Wirklichkeit tritt
wieder hervor und ein Schaffen Gottes in die Lücke. Solger ver-
gißt nicht die Zufälligkeit als weſentliches Moment in der Wirklichkeit
der Idee als Individuum, aber es wird, zunächſt abgeſehen vom
Schönen, nicht dargethan, wie ſie ſich aufhebt und überwindet im
Ganzen, dann, was das Schöne betrifft, wird nicht dargethan, wie
ſie ſich aufhebt im Einzelnen. Darzuthun, daß dieſe letztere Aufhe-
bung nur möglich iſt durch die Phantaſie und Kunſt, dahin ſtrebt
Solger, dahin ſtreben auch wir; aber wie der Genius dazu gelangt,
die Zufälligkeit zugleich ſo in ihr Recht zu ſetzen und ſo aufzuheben,
daß dieſer Akt in Einem Gegenſtande für die Anſchauung beſchloſſen
erſcheint, dieß kann nicht erklärt werden, ſo lange nicht dargethan iſt,
wie die Zufälligkeit auch objektiv, vor der beſonderen Art, wie der
Genius ſie in Einem Schlage aufhebt, ſich fortwährend aufhebt. Von
dieſem Hauptpunkte bald mehr.
2. Es iſt hier nicht der Ort, zu beweiſen, wie durch Hegels ganzes
Syſtem überall die Beſonderung des Allgemeinen ſich in die für ſich
ſeyende Einheit der Einzelnheit, die Subſtanz ſich in das Subjekt zu-
ſammenfaßt. Dieſe Immanenz, dieſe Ergänzung des Plato durch Ari-
[135] ſtoteles und beider durch den Begriff der Subjektivität iſt ſo ſehr
Charakter des Syſtems, daß nur das ganze Syſtem der Beweis dafür
iſt. Das wahre Subjekt iſt nun allerdings nur das abſolute Subjekt,
das ebenſoſehr Objekt iſt; das einzelne Subjekt aber hat ſeinen unend-
lichen Werth nur als ſubſtantielles, als ſeiner Allgemeinheit gemäßes
Subjekt. Es iſt jedoch ſchon oben zugegeben, daß die im übrigen
Syſtem ſtreng entwickelte Beſonderung der abſoluten Idee zu den beſtimm-
ten Ideen in der Aeſthetik nicht zu ihrer gehörigen Anwendung kommt,
daher Vermengung mit der Religion eintritt (§. 15, 1); es iſt ferner
bereits zugegeben, daß die Zufälligkeit, ſowohl im Syſteme überhaupt,
als insbeſondere in der Aeſthetik nicht zu ihrem ganzen Rechte kommt
(§. 41, 2) Das Einzelne als Subjekt ſoll dem Allgemeinen gemäß ſeyn,
aber mit Einſchluß ſeiner Eigenheit: dieſe ſoll ſich mit dem Allgemeinen
frei durchdringen und es ſoll gezeigt werden, wie ſie dies kann und
muß; dies fehlt bei Hegel, daher erhält in der Lehre vom Staate die
Subſtanz ungerechtes Uebergewicht, degenmäßig zu ſeyn wird die höchſte
Tugend des Subjekts, und darin liegt ein weiterer Grund, warum die
Aeſthetik zu unmittelbar auf ſubſtantiellen Gehalt hindrängt.
§. 46.
Die Bedeutung der Einzelheit iſt dem reinen Begriffe nach keine andere,
als daß ſie der erfüllte Inbegriff des Allgemeinen und Beſondern iſt, d. h. daß
in ihr eine Art und durch ſie die Gattung ſich verwirklicht. Die Gattung alſo
iſt der innere Grund und die lebendige, bildende und bewegende Macht im
Individuum. In dies Verhältniß nun ſcheint eine Trübung einzutreten, wenn
die empiriſche Gattung im empiriſchen Individuum ſich verwirklichen ſoll, denn
dies geſchieht eben auf dem Boden, auf welchem die Gattungen anders, als
wie es ihre innere Stufen-Ordnung verlangt, aufeinander wirken und daher
ihre Durchführung in ihren Individuen der Zufälligkeit verfällt.
Der wahre Begriff des Verhältniſſes zwiſchen dem Individuum und
der Gattung, wie ihn der §. beſtimmt, kann als ein ſicherer Erwerb
der neueren Philoſophie hingeſtellt werden. Hegels Logik zeigt das
Einzelne durch die Dialektik aller verſchiedenen Stellungen, die es mit
dem Allgemeinen und Beſondern eingehen kann, als den concreten Zu-
ſammenſchluß dieſer beiden auf (in der Lehre vom Begriffe). Das Ein-
zelne iſt nichts Anderes, als die wirkliche Gattung; nicht unmittelbar,
[136] ſondern durch die Mitte des Beſondern oder der Art. Diejenige Man-
gelhaftigkeit des Individuums, welche daraus fließt, daß es nur durch
dieſe Mitte die Gattung darſtellt, kann noch nicht als Trübung ange-
ſehen werden. Die Gattung theilt ſich in Arten, dieſe als Gattung
wieder in Arten und jedes Individuum iſt, ſofern es nur Einer der
Arten angehören kann, ein bloſes Bruchſtück der Gattung. Dies Alles
kommt noch auf Rechnung der beſtimmten Idee (§. 13. 15), denn
unter dieſer ſind nicht nur die Hauptſtufen, ſondern alle Arten der ein-
zelnen Stufe verſtanden. Sey das Subjekt auch nur ein Bruchſtück,
es iſt und kann immer ſchön ſeyn, wenn es nur das, was es ſeyn
kann und ſoll und ſeiner Möglichkeit nach iſt, auch ganz und wirklich
iſt. Das Bruchſtück ſelbſt kann reicher oder ärmer ſeyn, die Gattung
durch eine vollere oder dürftigere Vereinigung der Kräfte derſelben, wie
ſie in Arten ſich getheilt, in ſich darſtellen: daraus entſteht nicht ein
weſentlicher, ſondern nur ein Grad-Unterſchied. Die Trübung aber
ſcheint einzutreten durch das ſich kreuzende Zuſammenſtoßen der Gattun-
gen und Arten auf Einem Raum und in Einer Zeit; dieſe nämlich
wird, ſo ſteht zu erwarten, dem Individuum ſolche Hinderniſſe in den
Weg legen, daß es auch ſeine noch ſo beſchränkte Aufgabe nicht rein
löſen, ſondern nur Bruchſtück des Bruchſtücks ſeyn kann.
§. 47.
In Wahrheit aber tritt dieſe Trübung zunächſt durch die in §. 31 auf-
geführte Form der Zufälligkeit noch nicht ein. Iſt nämlich die Gattung
überhaupt die ihr Individuum bildende Macht, ſo muß ſie als ein unvergäng-
licher Typus wirken, der den Stoff zu ſeiner Durchführung in einem Individuum
zwar jederzeit durch das Zuſammentreffen von Bedingungen, die in ſeinem Zu-
ſammenſeyn mit der Wirkſamkeit anderer Typen liegen, ſich geben laſſen und
daher den Moment, wo er ein Individuum zeugen kann, gleichſam abwarten
muß; allein es gibt keinen Stoff an ſich, der als ſelbſtändiges Prinzip dieſem
Werk widerſtreben könnte, jeder Gattungs-Typus verwendet zu der Zeugung
ſeiner Individuen den ſchon von andern geformten Stoff und wird daher in dem
Augenblicke zeugend, wo die geformten Stoffe, deren er bedarf, zuſammentreten.
Zufälligkeit des Orts und der Zeit der Entſtehung. Beyſpiel: Die
Zeugenden müſſen das Alter der Zeugungsfähigkeit erreicht haben, wenn
ein menſchliches Individuum entſtehen ſoll; eine Welt von ſchon ge-
[137] formten Stoffen, Luft, Waſſer, nährenden Pflanzen, Thieren u. ſ. w.
iſt vorausgeſetzt, um dieſe Reife hervorzubringen. Allein jede Gattung
bedarf ſolchen von andern Gattungen ſchon geformten Stoffes und nimmt
durch denſelben nichts Fremdes und Trübendes in ſich auf, ſondern iſt
mit der wohl geſchnittenen Stempelform zu vergleichen, welche dem ihr,
wann und wo es ſey, gegebenen Stoffe ſcharf und beſtimmt ihre Form
aufprägt.
§. 48.
Die unendliche Eigenheit der Individuen (§. 32) iſt auf denjenigen1
Stufen, wo die Idee nicht als Subjectivität wirklich iſt, von geringer Be-
deutung, das Einzelne erſcheint nur als ſelbſtloſer Durchgang des Allgemeinen.
Dagegen wo die Idee als Seele und höher als Geiſt wirkt, da ſteigt in dem2
Grade, in welchem ein Individuum das Allgemeine ſeiner Gattung in ſich
darſtellt, die Eigenthümlichkeit und umgekehrt; weit entfernt, einander auszu-
ſchließen, fordern ſich alſo vielmehr dieſe Gegenſätze und hebt ſich der in §. 38
aufgeſtellte Widerſpruch in ſeiner Entſtehung auf. Die Eigenthümlichkeit iſt
nämlich zunächſt eine nur dieſem und keinem andern Individuum eigene Weiſe,
wie ſich die Kräfte der Gattung in ihm durchdringen; dieſe Durchdringung ſetzt
aber für ihre verſchlungene Einheit einen Reichthum von Kräften voraus, und
wo dieſer iſt, da werden allerdings die fehlenden vermißt, fällt alſo die Indi-
vidualität als ſolche im Unterſchied von der Gattung in die Augen, da erſcheint
aber ebenſoſehr die Gattung in einer Fülle von Kräften dargeſtellt, gewinnt
daher das Individuum allgemeine Bedeutung und ſticht dadurch von den ge-
wöhnlichen Individuen ab.
1. In der unorganiſchen und vegetabiliſchen Natur iſt das Einzelne
von ganz verſchwindender Bedeutung. Im Zuſammenhange der Aeſthetik
wird dies ſogleich dadurch klar, daß nicht vereinzelt eine Wolke, Erd-
bildung u. ſ. w. zur Darſtellung kommen kann; der Gegenſtand ſelbſt
läuft in dieſen Sphären in eine Continuität aus, worin das Einzelne ſich
nicht abſchneidet. Von mineraliſchen Gebilden wird an ſeinem Orte die Rede
ſeyn. Einzelne vegetabiliſche Bildungen, ein Baum z. B., werden wohl
auch bewundert und dargeſtellt, aber nie wird ein Maler einen Baum dar-
ſtellen dürfen ohne Luft, Erde, ein Stück Landſchaft, thieriſche oder menſch-
liche Staffage, während er doch ſehr wohl einen Menſchen abbilden kann ohne
irgend ein Beiwerk und mit einem bloſen Schatten als Hintergrund; ja wohl
[138] auch ein Thier läßt ſich ſo darſtellen. Die Individualität hat in jenen
Sphären ebenſowenig Eigenheit als die Regel Strenge (vergl. §. 38).
Dieß ſcheint ein Widerſpruch, denn je weniger dieſe bindet, deſto freier
ſcheint ſich jene zu ergehen. Allein dieſe Freiheit iſt nicht Eigenheit;
die Kraft der Eigenheit erkenne ich an der Kraft ihres Gegenſatzes, der
bindenden Regel; dieſe Freiheit iſt ein unintereſſantes Hinſchweifen und
das Schweifen iſt eben der Charakter der Gattung ſelbſt.
2. In der Thierwelt zeigen ſich Individuen, welche als originell
in ihren Anlagen mit einigem Rechte bezeichnet werden können, aber
ihre wahre Bedeutung erhält die Frage erſt in der Menſchenwelt. Es
ſticht ein Individuum aus allen übrigen hervor, es ſind die Kräfte der
Menſchheit ſo eigenthümlich in ihm gemiſcht, daß es keinem andern
gleicht. Dazu braucht es offenbar eine ungemeine Fülle von Kräften,
ſonſt iſt nicht vorhanden, was ſich miſchen könnte; eine Individualität,
die ſich die Miene giebt, etwas ganz Beſonderes zu ſeyn ohne die dazu
nöthigen Mittel, iſt vielmehr trivial und gewöhnlich. Eben durch den
Beſitz jener Kräfte fällt aber auch in die Augen, was von Kräften der
Gattung ſelbſt dem begabteſten Individuum fehlt, alſo iſt jener Unterſchied
des Individuums von andern zugleich der des Individuums vom Ganzen
der Gattung. Zugleich jedoch iſt ebenſoſehr die Gattung in größerer
Fülle gegenwärtig in dem ſo hervorſtechenden Individuum, als in allen
andern, und was daſſelbe von dieſen trennt, hebt es alſo vielmehr
gerade in das Licht der Gattungs-Allgemeinheit um ſo mehr empor.
Das Ungemeine iſt in dieſem Sinne das Allgemeinſte. Alſo ſteigt nicht
nur mit der Beſtimmtheit der Regel, wie ſie die Gattung giebt, die
Eigenheit der Individuen (§. 38), ſondern auch, während ebendadurch
der Widerſpruch zwiſchen beiden zu ſteigen ſcheint, hebt er ſich vielmehr
in demſelben Grade auf. Benvenuto Cellini z. B. iſt ganz Orginal,
aber ebenſoſehr, ja ebendadurch ganz Repräſentant ſeines Jahrhunderts,
ſeines Volks, ja „vielleicht der geſammten Menſchheit. Solche Naturen
können als geiſtige Flügelmänner angeſehen werden, die uns mit heftigen
Aeußerungen dasjenige andeuten, was durchaus, obgleich oft nur mit
ſchwachen unkenntlichen Zügen, in jeden menſchlichen Buſen eingeſchrieben
iſt. — Ein bedeutendes, gleichſam unbegrenztes Individuum.“ (Göthe).
Unter den ſogenannten Originalen pflegt man allerdings Individuen
von einer nicht nur aus reichen Kräften gemiſchten, ſondern mehr oder
minder krankhaft überworfenen, in ſich widerſprechenden Eigenthümlichkeit
zu verſtehen; allein man wird finden, daß ſolche in Nationen zum
[139] Vorſchein kommen, wo ein ſolcher Widerſpruch zum Volkscharakter gehört,
ſo daß das originelle Individuum ſelbſt als ſolches Repräſentant einer
Allgemeinheit iſt. Wenn nun aber das Prädicat der Allgemeinheit
vielmehr gerade den gewöhnlichen, nicht hervorſtechenden Individuen bei-
gelegt wird, ſo iſt zu unterſcheiden zwiſchen dem doppelten Sinne, der
in dem Begriffe der Gattung liegt. Menſchheit und Volk heißt Gattung
im Sinne des animaliſchen und blos ſeeliſchen Weſens; in höherer An-
wendung aber bezeichnet das Wort die geiſtige Allgemeinheit, zu der
ſich das Menſchengeſchlecht auf ſeiner Natur-Grundlage erhebt. Das
Individuum nun, das geiſtig werthlos iſt, gibt nicht Anlaß, an die
Gattung im zweiten, höheren Sinne ſich zu erinnern, es gehört alſo der
Gattung im Sinne der Natur an, dieſe als ſolche aber individualiſirt
überhaupt nur oberflächlich; der gemeine Menſch iſt daher der allgemeine
im Sinn der animaliſchen Gattung und der nichtige, der vereinzelte im
Sinn der geiſtigen. In der Gattung als geiſtiger Allgemeinheit dagegen
ſteigt Eigenthümlichkeit und Bedeutung für das Ganze und Allgemeine
in gleichem Schritte. Der große Mann iſt nur ſich ſelbſt gleich und
ebenſoſehr ganz Menſch. Allerdings haben wir den Grund ſelbſt der
geiſtvollen Eigenheit in einer Naturbaſis geſucht; die Kraft, aus der
Gattung als animaliſcher Natur ſich hervorzuheben, iſt als Genie ſelbſt
wieder Natur-Anlage. Allein es verhält ſich mit dem höheren Gattungstypus
ſo, daß er, wo er die ihm dienenden Naturſtoffe aufs Glücklichſte organiſirt,
dieſelben zu geiſtigen Organe bildet, welche durch ihre Thätigkeit ihre
Herkunft aus der Natur, die ſie ebenſoſehr zu einem ſpezifiſch Neuen
erheben, als ſie ſelbſt aus ihr ſtammen, vergeſſen machen: ſo daß ihnen
gegenüber die Gattung als Naturtypus wie gemeine Natur erſcheint,
während ſie in ihnen ſich ebenſoſehr übertrifft, als ſie ganz ſie ſelbſt iſt.
Auf jene Umbildung der Naturbaſis geht der folg. §. über.
§. 49.
Vermag die Gattung die in ihrem Einzelweſen vereinigten Stoffe mit
ihrer Allgemeinheit und Einheit zu durchdringen, ſo wird auch der Zufall der
wechſelnden Erregungen (§. 33) nur die Bedeutung einer beſtändigen Sollizi-
tirung haben, wodurch eben die Aeußerungen der Thätigkeit hervorgerufen
werden, welche im Weſen der Gattung liegen. Wo aber die Gattung der
Sphäre des ſelbſtbewußten Lebens (§. 19. 20) angehört, da beſteht ihr Weſen
darin, den ganzen, durch dieſe Art der Zufälligkeit gegebenen Stoff nicht
[140] nur zur organiſchen Form und für blinde Zwecke zu verarbeiten, ſondern dieſes
ſo Geformte durch einen zweiten Act, in welchem ſie die Unmittelbarkeit
aufhebt, in die Idealität des Willens umzubilden, welcher die geiſtige All-
gemeinheit und die gegebene Eigenthümlichkeit des Individuums ſammt ihren
wechſelnden Erregungen zur Einheit eines Ganzen verſchmelzt. Er kann ſich
zwar von den Grenzen ſeiner Eigenheit nicht befreien, aber dieſe ſelbſt er-
ſcheinen nun als gewollte und offenbaren in der Beſchränkung die Unbeſchränktheit.
Keine Perſönlichkeit kann über die in ihrer Naturbaſis begründeten
Eigenheiten ganz hinaus. Indem ich aber dieſe Nothwendigkeit erkenne
und darnach mit meiner geiſtigen Kraft haushalte, erhebe ich dieſe
Grenze ſelbſt zu dem Meinigen und bin in der Begrenzung unbegrenzt,
denn das frei Gewollte iſt unbegrenzt. Jede Gattung des Lebendigen
nimmt, was kommt, ergreift den innern und äußern Zufall als Stoff
der Thätigkeit. Was er bringt, läßt ſich nicht vorherbeſtimmen,
alles Leben iſt ein ſtetes Verarbeiten des Zufälligen. Den Geſetzen
ſeines Organismus und ſeines Inſtinctes treu verarbeitet das Thier die
Stoffe, die ſich ihm bieten; der Menſch baut über der phyſiſchen Welt
eine zweite; auch dieſe hängt vom Zufall ab, ſowohl dem der Geburt,
als dem der ſtets neuen Erregungen, aber wie denſelben zuerſt der Leib
und das Bedürfniß ergriffen hat, ſo ergreift das ſinnlich Geformte erſt
der Geiſt und gliedert daraus die Welt des Willens.
§. 50.
Dieſe Einheit iſt keine ruhende, ſondern eine thätige, worin das Allge-
meine der Gattungsregel und das Zufällige der Individualität ſich im Kampfe
einander entgegenbewegen, der bis zu der Empörung des Einzelwillens gegen
den vernünftigen und allgemeinen, zum Böſen ſich ſteigert. Allein dieſer
Kampf bringt die untrennbare Zuſammengehörigkeit beider Momente dadurch
zum Vorſchein, daß der Widerſtreit als ein ſich ſelbſt aufhebender Widerſpruch
ſich offenbart; es kann daher in demſelben ſo wenig ein Hinderniß des Schönen
liegen, daß es demſelben nicht nur zu folgen vermag, ſondern vielmehr aus ſich
ſelbſt in ſeinem eigenen Intereſſe das Schauſpiel deſſelben erzeugen wird.
Der Kampf, von dem hier die Rede iſt, heißt im äſthetiſchen Gebiete
das Tragiſche und Komiſche. Hiedurch ſcheint eine beſtimmte Form des
Schönen vorweggenommen zu ſeyn, von welcher hier noch nicht die Rede
[141] ſeyn darf, da die Unterſuchung ſich noch mit der einfachen, kampfloſen
Schönheit beſchäftigt. Allein es ſind zwei ganz verſchiedene Fragen: ob
die aus der Wirklichkeit des ethiſchen Lebens aufgenommene Nothwendigkeit
dieſes Kampfes das Schöne nicht unmöglich mache? und: ob das Schöne
nicht gemäß ſeinem eigenen Geſetze und Intereſſe das Schauſpiel desſelben
hervorrufe? Die erſtere Frage liegt hier vor, die zweite iſt erſt ſpäter
aufzuwerfen und dann erſt heißt dieſer Kampf tragiſch und komiſch. Hier
handelt es ſich nur um die Wahrheit, daß die Individualität ſich ver-
nichtet, wenn ſie ſich gegen die Allgemeinheit ſträubt, und daß die All-
gemeinheit, wenn ſie als äußere geiſtloſe Macht beharren will, der
Individualität zum Spiele wird, daß alſo in beiden Fällen der Widerſtand
ſich rächt zum Beweiſe der abſoluten Einheit beider Momente, daß daher
das Schöne, das eben in dieſer Einheit beruht, durch dieſen Kampf
kein Hinderniß ſeiner Exiſtenz findet.
§. 51.
Wie vollkommen aber die Allgemeinheit der Gattung das Individuum
durchdringt, das Band iſt dennoch kein bleibendes. Das Individuum geht
unter, die Gattung dauert. Das Schöne iſt aber, wie aus §. 13 folgt, eine
Verewigung des Individuums. Allein da die Gattung das Individuum zwar
überdauert, aber doch nur im Individuum wirklich iſt, ſo verewigt der Tod
ſelbſt, wenn er nur aus ſeinem Verhältniß zur Gattung rein hervorgeht, das
Individuum, denn es kommt in ihm die Wahrheit zum Ausdruck, daß die
reine Bedeutung des Individuums aufbewahrt im Leben der Gattung ſeine
zeitliche Exiſtenz überlebt.
„Wenn der Tod aus dem Verhältniß des Individuums zur Gattung
rein hervorgeht,“ d. h. wenn nicht Zufälligkeit in dem Sinne ſich
einmiſcht, in welchem ſie ſofort wieder aufzuführen iſt, wenn vielmehr
das Individuum entweder als Naturweſen ſtirbt, weil nach natürlicher
Ordnung ſeine Lebenskraft ſich erſchöpft hat, oder wenn es als geiſtiges
Weſen im Dienſte einer Gattung im höheren Sinne, nämlich einer
geiſtigen Macht, ſein Leben opfert. In beiden Fällen vollführt es den
Kreis der in ihm liegenden Wirkungen ſo, daß es ſich in ihnen überlebt.
Rückerts ſinnvolles Gedicht „Die ſterbende Blume“ ſpricht dieſe Wahrheit
aus. Die Gattung als ſinnlicher Typus wie als ſittliche Sphäre
überdauert das Individuum, aber nur in neuen Individuen. Sie iſt
[142] ſelbſt in den Individuen das abſolute Individuum. Das einzelne In-
dividuum, das wahrhaft ſeiner Beſtimmung genügt, erhebt ſich aus der
Reihe der einzelnen in das abſolute Individuum und dies an ihm iſt
das Bleibende, wodurch es mit dem Urbilde in den Abbildern unſterblich
fortlebt.
§. 52.
Alle dieſe Formen der Zufälligkeit heben alſo die volle Gegenwart der
Gattung in ihrem Individuum, welche zum Schönen gefordert wird, nicht auf,
vielmehr werden ſie weſentlich in dieſelbe mit aufgenommen und bedingen ihre
Vollendung. Allein mit denſelben dringt unaufhaltſam auch die in §. 40 dar-
geſtellte Art der Zufälligkeit ein und hier hat die Macht der beſtimmten Idee
ihre Grenze; das Individuum verkümmert oder erliegt im Zuſammenſtoße mit
dem Fremdartigen, was die Natur der Gattung in ihm weder abzuhalten noch
2auszuſcheiden vermag. So wie nun dieſes Uebel entſteht durch das Zuſammen-
ſeyn der beſtimmten Gattung mit allen andern, ſo wird ſie auch aufgehoben nur
durch eben dieſes Zuſammenſeyn, das aber zugleich ein unendliches Werden iſt.
Im unendlichen Raume und in der unendlichen Zeit ergänzen und erſetzen ſich
alle Trübungen der Idee und bewirkt ſich in der Vereinigung des Guten mit
dem Gute das höchſte Gut. (Rückkehr zu den nunmehr entwickelten §§. 10. 11.)
1. Dieſe ſchlechtweg trübende Art der Zufälligkeit iſt freilich nur
eine Form derſelben allgemeinen Zufälligkeit, aus welcher auch die nicht
trübenden Einflüſſe fremder Potenzen hervorgehen. Die Grenze zwiſchen
jener und dieſer läßt ſich durchaus nicht angeben, weil eben das Zu-
fällige nicht eher beſtimmbar iſt, als bis es eingetreten iſt. Das Ve-
getabiliſche z. B. iſt Nahrung für den Menſchen. Der Stoß des Zufalls
führt einen Volksſtamm in ein Land, wo er eine andere Pflanzenwelt
findet, als in der frühern Heimath, aber der menſchliche Organismus
gewöhnt ſich an dies Neue und vermag es in ſich zu verarbeiten. Allein
ein Einzelner ſtößt auf eine Giftpflanze und erkrankt oder erliegt ihrer
mit dem menſchlichen Natur unvereinbaren Subſtanz. So eine Menge
ſchädlicher klimatiſcher und anderer Einflüſſe. Zu den furchtbarſten
Schickſalen der Menſchheit durch den Zufall gehört der Kretinismus mit
ſeinen Urſachen. Wären ſie auch ergründet, wie ſie es noch nicht ſind,
ſo wäre er doch nicht zu verhüten, da weitere Zufälle es mit ſich
bringen, daß die Bevölkerung, die ſolchen Einflüſſen des Elementariſchen
[143] ausgeſetzt iſt, nicht nach Belieben ihre Sitze verlaſſen kann. Die Grenz-
Linie zwiſchen dem nicht ſtörenden und dem ſchlechtweg ſtörenden Zufalle
iſt aber um ſo weniger zu finden, da ebendas, was ſonſt weſentliche
Bedingung oder Vorausſetzung des Lebens iſt, wie z. B. das Geſetz
der Schwere, zugleich zahlloſe Verſtümmlungen und Todesfälle da ver-
urſacht, wo nicht etwa mögliche, aber verſäumte Vorſicht, alſo eine
Schuld oder durch einen ſittlichen Zweck gebotene Uebernahme der
Gefahr ſolchen Störungen Sinn und Zuſammenhang giebt, wo ſie alſo
rein zufällig ſind. — Wo nun ſolcher Zufall eindringt, ſucht die Gattung
ihr Individuum durch ihre Heilkraft zu retten, ſo gut es geht; ſie
vermag es aber nicht ohne vorübergehende oder dauernde Verkümmerung
oder Verſtümmlung der Geſtalt, oder ſie vermag es gar nicht, ſie muß
es Preis geben. Nun könnte man einwenden, daß die Trübungen, welche
aus dieſem Herrſchen des Zufalls fließen, doch auch äſthetiſch brauchbar
ſeyn müſſen und daß doch kein Grund ſey, hier plötzlich eine äſthetiſche
Grenzlinie zu ziehen, wo ſich abgeſehen von der Aeſthetik keine ziehen
läßt. Aus dieſer Einwendung macht auch der Naturalismus in der
Kunſt wirklichen Ernſt. Vergl. Diderots Verſuch über die Malerei,
überſetzt und mit Anm. begl. von Göthe. 1. Cap. Hier heißt es, ein
Buckliger ſey eine in ſich ganz vollkommene und zuſammengehörige
Geſtalt, nur nach den armen Regeln der Menſchen ſey er übel gemacht,
aber nach der Natur beurtheilt werde es anders klingen. Eine ſolche
Anſicht iſt jedoch als durch unſere ganze Begründung widerlegt anzuſehen;
denn die Regel, die in der Gattung liegt, ſoll ja die Abweichungen
des Individuums als frei umſpielende Linie zwar zulaſſen, aber ſolche
Abnormitäten ſtören ſie in ihren Grundgeſetzen. Ferner iſt in §. 40 ſchon
hervorgehoben, daß durch die hier aufgeführte Form der Zufälligkeit die
vorgenannten, berechtigten ſelbſt getrübt werden. Z. B. die phyſiogno-
miſche Eigenthümlichkeit eines Kopfes mag bis nahe an die Grenze der
Abnormität und Häßlichkeit gehen und doch äſthetiſch ganz brauchbar
ſeyn. Den Grund aller individuellen Eigenheit haben wir auch wirklich
in der Naturbaſis des Zufalls geſucht. Allein nun iſt von Trübungen
die Rede, durch welche dem Individuum dieſe ſeine Eigenheit ſelbſt ver-
kümmert und gedrückt wird, ſo daß es ſich ſelbſt nicht gleich iſt, und das
unregelmäßige Angeſicht erſcheint nun ſo, daß dieſe Unregelmäßigkeit ſelbſt
in ihrer Bedeutung nicht hervortreten kann. Um hier, wie in §. 40, 2
das Erhabene und Komiſche zum voraus in Rechnung zu nehmen, ſo erwäge
man, daß das Erhabene zwar Verkümmerung zuläßt, ja fordert, aber
[144] als Wirkung einer höhern Idee, welche dadurch gerade ihrem Weſen
gemäß unverkümmert thätig iſt; daß dagegen das Komiſche die Verküm-
merung im größten Umfange zwar aufnimmt, um ſie in ſeiner Weiſe
aufzuheben, welche eine ganz andere iſt, als die, worin im nicht äſthe-
tiſchen Seyn das Verkümmerte ſich aufhebt, nämlich nicht eine Auf-
hebung, welche, wie im einfach Schönen, ſchon vollendet ſeyn muß, wenn
der Gegenſtand überhaupt äſthetiſch ſeyn ſoll, ſondern welche dem Feinde
des Schönen vielmehr zuerſt Spielraum läßt, um ihn im Fortgang auf-
zuheben; aber auch dieſer Fortgang muß alsbald und in derſelben
Erſcheinung eintreten, nicht anderswo oder ein andermal, wie
außer dem Schönen.
2. Hier iſt der eigentliche Ort, in welchem der Theismus als Volks-
glaube wurzelt. Beim Eintritt des ſchädlichen ſinnloſen Zufalls wird eine
perſönliche Intelligenz angenommen, welche geheime Zwecke haben müſſe,
dies zuzulaſſen, und in dieſem Vorausſetzen unbekannter Zwecke liegt für
das einfache Bewußtſeyn der Troſt. Dasſelbe erkennt nicht, daß wahrer
Troſt nur im Verſtehen liegt, und zieht den unendlichen Fluß des Lebens
und Geiſtes, der die ewige Herſtellung und Wechſel-Ergänzung des
Unvollkommenen iſt, auf den undurchdringlichen Punkt jener verborgenen
Perſon zuſammen. Es iſt aber dieſe Vorſtellung hier nur anzuführen,
um zu zeigen, daß der Theismus den Standpunkt der Aeſthetik in
Wahrheit ausſchließt. Denn die Aeſthetik ſucht einen Act, wodurch jene
unendliche Bewegung der Ueberwindung des Zufalls freilich auch auf
Einen Punkt, aber einen rein gegenwärtigen, zuſammengezogen wird,
der Theismus aber verlegt dieſen Punkt in ein undurchdringliches Jenſeits.
Da nun der perſönliche Gott nicht abgebildet werden kann (— vom
Polytheismus iſt hier nicht die Rede —) ſo iſt die Schönheit aufgehoben.
Dagegen wenn ſich der Theismus mit dem ſpeziellen Offenbarungsglauben
verbindet, ſcheint er den Punkt als einen präſenten zu beſitzen im Leben
des Gottesſohns. Allein dann wird ein Individuum als reiner Reprä-
ſentant nicht einer beſtimmten, ſondern unmittelbar der abſoluten Idee
geſetzt, was gegen §. 13 und 15 iſt. — Feſtzuhalten alſo iſt dieſes: alle
früher genannten Formen der Zufälligkeit heben ſich ohne beſonderes
Zuthun auf im Einzelnen ſelbſt und ſeiner Thätigkeit, alſo immer in
einem überſichtlich begrenzten Punkte; die letztgenannte aber hebt ſich auf
nur im unendlichen Raume, wo jenes Individuum hat, was dieſem fehlt,
und ſofort in’s Unendliche, und in der unendlichen Zeit, wo die Zukunft
herſtellt, was in der Gegenwart verkümmert iſt, und ſofort ins Unend-
[145] liche. Hier tödtet der Regen die Pflanzen, hundert Stunden entfernt iſt
er wohlthätig und erſehnt: das tröſtet über jenes Uebel, aber es iſt nicht
äſthetiſch, denn ein ſchönes Werk kann nicht ſo entfernte Landſchaften
zuſammenfaſſen. Krankheit tödtet ein ſchönes Kind, Lebensernſt und
Sammlung erwächst vielleicht daraus für leichtſinnige Eltern: aber damit
kann der Maler, der das Kind darſtellen ſollte, nichts anfangen.
Als vorläufiger Wink über die Art, wie die Kunſt den Zufall be-
handelt, mag hier eine Stelle des Ariſtoteles ſtehen, welche zwar
Bedenken erregen mag, aber auch viel zu denken giebt (Poet. Cap. 9):
„wenn die Handlungen einander bedingen, wird mehr Bewunderung erregt,
als wenn ſie ſich von ſelbſt und aus Zufall ereignen. Denn auch unter
den zufälligen Begebenheiten ſcheinen diejenigen am bewundernswürdigſten,
welche wie aus Abſicht geſchehen zu ſeyn ſcheinen; z. B. die Bildſäule
des Mitys in Argos erſchlug den, welcher die Urſache ſeines Todes ge-
weſen war, indem ſie auf ihn fiel, während er ſie beſchaute.“
§. 53.
Da nun aber das Schöne nach §. 13 und 30 die reine Wirklichkeit der
Idee in einem begrenzten, daher überſchaulichen einzelnen Weſen fordert, ſo
folgt, daß dieſe Aufhebung dieſer Form der Zufälligkeit in der unendlichen
Ausdehnung und dem unendlichen Fortgange nicht genügt, ſondern etwas ge-
ſchehen muß, wodurch der Schein einer Zuſammenziehung dieſes unendlichen
Flußes auf Einen Punkt erzeugt wird. Das Schöne kann nunmehr beſtimmt
werden als eine Vorausnahme des vollkommenen Lebens oder des höchſten Guts
durch einen Schein. Das weitere Syſtem hat die Aufgabe, darzuthun, wodurch
dieſer Schein zu Stande kommt; möglich aber iſt er nur, wenn, was durch ihn
als Vorgang im Einzelnen dargeſtellt oder vorausgenommen wird, im unendlichen
Ganzen wirklich iſt, und gefordert iſt er durch das in §. 12 aufgeſtellte Geſetz.
In der Anm. braucht, da kein Grund iſt, hier zu ſpannen und zu
überraſchen wie in einem Roman, nicht verſchwiegen zu werden, daß
dieſer Act die That der Phantaſie iſt. Sie ſiſtirt den unendlichen
Fluß und drängt ihn auf Einen Punkt zuſammen, bannt ihn in die
Einzelheit und vollzieht ſo die große Antizipation, durch welche je auf
einem beſtimmten Punkte vollendet erſcheint, was nie und immer, nirgends
und überall ſich vollendet. Sie dividirt das Unendliche der Vielheit
mit der Einfachheit des Geiſtes (vergl. hiezu Leſſing Hamb. Dramat.
Viſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 10
[146]Abſchn. 79, von den Worten: Man ſage nicht u. ſ. w. Kant aber iſt
es, der die Idee der Phantaſie als einer verhüllten Diviſion zuerſt eigentlich
ausgeſprochen hat Kr. d. äſth. Urtheilskr. §. 17. Dies wird an ſeinem
Orte entwickelt werden). Allein das Räthſel der Phantaſie kann nicht
gefunden werden, wenn nicht zuerſt metaphyſiſch entwickelt iſt, wie hinter
ihrem Schein eine Wahrheit liegt, wie im großen Ganzen ſich allerdings
verwirklicht, was ſie als Einzelnes vorzaubert, — oder: das Urbild kann
durch die Phantaſie nicht in Eins zuſammengezogen werden, wenn es nicht
außer ihr im unendlichen Ganzen wirklich iſt und zwiſchen den Dingen
ſchwebend ſich unabſehlich hindurchzieht. Die Phantaſie ſchaut dieſen
ſchwebenden Geiſt, wie ein geiſtreicher Leſer zwiſchen den Linien liest.
Dieſer objective Grund der Möglichkeit der Phantaſie iſt nun, nachdem
er §. 10 und 13 als Theſis aufgeſtellt war, entwickelt, es iſt dargeſtellt,
warum das Schöne nicht leerer Schein, ſondern Erſcheinung iſt; wir
wiſſen, was das Schöne leiſtet, und warum dies überhaupt geleiſtet
werden kann; aber die Kraft, wodurch es geleiſtet wird, haben wir noch
zu ſuchen, und zwar, wie ſich zeigen wird, auf einem weiten Wege.
§. 54.
Da nun die Wirkung dieſes Acts darin beſtehen muß, daß das In-
dividuum jedem Zuſammenhange entnommen erſcheint, welcher die reine Gegen-
wart der Idee in ihm trübte, ſo darf die Geſtalt desſelben nicht nach ihrer
inneren Miſchung und Structur, ſondern nur nach der Totalwirkung derſelben,
wie ſie auf der Oberfläche erſcheint, in Betracht kommen: nur dieſe, vom Durch-
meſſer abgelöst, nur der Aufriß, nicht der Durchſchnitt. Es kommt nur darauf
an, wie der Körper ausſieht, er iſt umgewandelt in reinen Schein. So lange
nämlich dieſe Ablöſung der auf der Oberfläche hervortretenden Geſammtwirkung
von den ſie bedingenden Theilen der inneren Zuſammenſetzung nicht vorgenommen,
ſondern der Körper als ein Zerlegbares betrachtet oder wirklich zerlegt wird,
ſo fällt er theils unter den Begriff der Zweckmäßigkeit, alſo einer abſtracten
Kategorie (§. 16. 23), theils als empiriſcher Stoff in den Zuſammenhang
der trübenden Zufälligkeit. Durch dieſen Schein verewigt das Schöne erſt wahr-
haft ſeinen Gegenſtand.
Ueber dieſes wichtige Moment vergl. die Schrift des Verf.: Ueber
das Erhabene und Komiſche, ein Beitrag zu der Philoſophie des Schönen.
Auch Weiße hat dasſelbe ausgeſprochen (Aeſth. §. 17. 18), aber nicht
[147] genug hervorgehoben. Was unter dieſem reinen Scheine verſtanden ſey,
zeigen am beſten zwei Stellen aus Göthe, die eine in Dichtung und
Wahrheit, wie ihm die Werkſtätte des Schuſters zu Dresden als ein Bild
von Oſtade, die andere in der italieniſchen Reiſe, wie ihm die Lagune
mit der Gondel ganz als venetianiſches Gemälde erſcheint. Es iſt dies
zwar Betrachtung von dem Standpunkte einer beſtimmten Kunſt, aber
weſentlich dieſe Abſtraction vom Stoffartigen im Gegenſtande, welche auch
ohne jenen Standpunkt einer beſtimmten Kunſtſchule oder der Kunſt über-
haupt vollzogen werden kann. Uebrigens ſpricht Göthe das Geſetz ſelbſt
in ſeinem Begriffe aus in ſ. Anm. zu Diderots Verſuch über die Malerei
(Werke B. 36. S. 217. 233). Hogarth ſucht in der Einl. ſ. analysis of
beauty einen Begriff von der reinen Form zu geben, indem er jeden
Gegenſtand ſo zu betrachten auffordert, „als ob Alles, was inwendig
darinnen iſt, ſo rein herausgenommen ſey, daß nichts übrig bleibt, als
eine dünne Schaale, die man ſich aus reinen Linien gebildet vorſtellen
muß und deren innere und äußere Fläche natürlich ganz gleich iſt.“ Dann
macht er einen Vorſchlag, durch einen wächſernen Rumpf Drähte zu ſtecken,
deren frei hervorſtehender Theil anders gefärbt wird, als der, welcher
innen ſteckt. Statt deſſen hätte er nur das Punktiren der Bildhauer
auseinanderſetzen dürfen. Hogarth iſt freilich dieſen Betrachtungen nicht
treu geblieben (vergl. §. 36, 2), ſie ſind aber höchſt lehrreich. Man
gehe vom Innern eines plaſtiſchen Körpers heraus auf allen Punkten
dahin, wo der Körper aufhört: dies iſt eben ſeine Grenze, ſeine reine
Form; ſie iſt nicht ſelbſt etwas; der Grund, warum die Stoffe des Körpers
auf allen Punkten ihre Raumerfüllung eben da abſchließen, wo ſie zu Ende
iſt, liegt im ganzen innern Bau, aber von dieſem Grunde wird jetzt ab-
ſtrahirt und nur die Wirkung, die reine Grenze aufgefaßt, welche ſelbſt
kein Stoff mehr iſt. Handelt es ſich nicht von einer einzelnen Geſtalt oder
Zuſammenſtellung mehrerer in ruhender Raum-Erfüllung, ſondern von
bewegter Handlung, worin ein ſittlicher Gehalt erſcheint (— auch dies
reichere Ganze kann Individuum heißen —) ſo ſind unter „innerer
Miſchung und Structur“ die Momente der Handlung, die Perſonen, wo-
durch ſie repräſentirt ſind, die einzelnen Umſtände u. ſ. w. zu verſtehen:
die Handlung erſcheint äſthetiſch nur, wenn dieſe einzelnen Beſtandtheile,
durch deren Zuſammenwirkung ſie entſteht, nicht herausgenommen werden
und für ſich wirken, denn außer dieſer Stelle im Ganzen ſind ſie bloſer
Stoff. Nicht anders verhält es ſich mit der Farbenwirkung. Es erſcheint
z. B. der menſchliche Leib als ein von Blut durchſtrömter durch die Haut-
10*
[148]färbung, und die größere oder geringere Wärme dieſes lebendigen Blut-
ſchimmers iſt wichtig, denn derſelbe iſt weſentlich zum Ausdruck des Tem-
peraments, aber zugleich wird in der maleriſchen Auffaſſung vom Blut
als einem beſonderen Stoffe ebenſoſehr rein abſtrahirt, denn durch dieſen
beſondern Stoff verfällt der einzelne Körper theils der Verkümmerung
und Aufreibung durch den Zufall, theils intereſſirt er nur den zerlegenden
Phyſiologen. Hiemit iſt an dieſem Beiſpiel zugleich der allgemeine Grund
dieſer Reduction des Körpers auf den Geſammtſchein ſeiner Oberfläche
angegeben. Er iſt ein doppelter. Blickt man hinter die Oberfläche und
zerlegt man, ſo erhält man die einzelnen Theile: dieſe dienen dem Ganzen,
und hiemit iſt man im Gebiete der bloſen Zweckmäßigkeit; nur wenn
man das Ganze mit Einem Schlage betrachtet, ſo tritt die Wechſel-
Aufhebung von Zweck und Mittel, alſo die Idealität des Ganzen in An-
ſchauung und Geiſt (vergl. §. 16 und 23). Zerlegt man aber immer
weiter, ſo bleibt am Ende der Stoff im engſten Sinne, ſofern er nämlich
nur die denkbar ärmſte Form hat, und ſo heißt er gegenüber dem edlen
organiſchen Gebilde roher Stoff. Dieſe theilweiſe oder ganze Zerlegung
nimmt aber nicht nur die Wiſſenſchaft für ihre geiſtigen Zwecke vor, ſondern
unbewußt auch die rohe, ſinnliche Betrachtungsweiſe, welche ſich auf den
Bodenſatz dieſer Zerpflückung eines Ganzen durch Begierde oder Abneigung
bezogen fühlt. Davon mehr in der Lehre vom ſubjectiven Eindrucke des
Schönen. So unendlich dieſe beiden Arten der Zerlegung verſchieden ſind,
in ihrem Gegenſatz gegen den äſthetiſchen Act des reinen Genuſſes der
Totalwirkung treffen ſie, wie ſich zeigen wird, zuſammen. — Das Schöne
iſt wie die Baſis eines Monuments, welches den Gegenſtand der ver-
ewigenden Kunſt aus dem Gedränge der gemeinen Verflechtung der Dinge
emporhebt. Hier erhellt auch die idealiſirende Kraft der Raumferne, der
Zeitferne und des Todes.
Es wird leicht ſeyn, das Geſagte vorläufig auch auf den Ton an-
zuwenden. Jeder Ton iſt eine Vereinigung einzelner vibrirender Theile
eines Stoffs zu einer Geſammtwirkung. Hört man dieſe einzelnen
Schwingungen und die Materie der erzitternden Faſern u. ſ. w. heraus,
ſo wird er ſtoffartig.
§. 55.
Das Schöne iſt daher reiner Schein in dem doppelten Sinne, daß in ihm blos
die vom Stoffe abgelöste Oberfläche wirkt, und daß in dieſer ebendaher Alles das,
[149] wodurch die Geſtalt dem Einfluſſe des ſtörenden Zufalls verfällt, durch jene Zuſam-
menziehung (§. 53) unſchädlich gemacht iſt. Dieſe beiden Bedeutungen faſſen ſich in
dem Begriff zuſammen, daß das Schöne reines Formweſen iſt. Nicht die be-2
ſtimmte Idee, welche in der Geſtalt zum Ausdruck kommt, wird unter dem Stoffe
verſtanden: dieſe heißt nicht Stoff, ſondern Inhalt; gerade ſie iſt es, welche aus
der zu ſolcher Durchſichtigkeit geläuterten Geſtalt hervorleuchtet und ihr, indem ſie
ſelbſt nur eine Stufe der abſoluten Idee iſt, die Bedeutung eines Weltalls gibt.
Anderes als dies nun iſt über die Vereinigung der durch die Gattung gegebenen3
Regel und der Individualität im Schönen (vgl. §. 35—38) nicht feſtzuſtellen: jene
iſt das Geſetz, durch welches die ſtörende Form des Zufalls (§. 52) ausgereinigt
wird, dieſe umfließt die Regel mit der ſpielenden Linie der berechtigten Formen
des Zufalls (§. 47—51), und beide befreiten ſich zur reinen Form, d. h.
der ganz zur Geſtalt gewordenen Idee und der von allem bloſen Stoffe zum
vollen Ausdruck der individualiſirten Idee befreiten Geſtalt. Dieſe Einheit
iſt als eine dem Schönen ſpezifiſch eigene wohl zu unterſcheiden von dem all-
gemeinen Begriffe der Einheit im Mannigfaltigen (§. 36, 1); ſie kann aber
niemals in eine äußere Beſtimmtheit eingezwängt werden (§. 36, 2).
1. Wie die Ablöſung der Oberfläche von den in ihr zuſammenwirkenden
ſtoffartigen Miſchungs-Elementen zugleich eine Reinigung von Allem iſt,
was nicht die Idee ausdrückt, dies erhellt z. B., wenn ich erwäge, daß
der ſchönſte Baum, wenn ich ihn mikroſkopiſch betrachtete, voll von In-
ſekten gefunden würde. Dieſe Inſekten nähren ſich von ſeinen Säften,
ſie nöthigen mich alſo, an die einzelnen Stoffe ſeiner Structur zu denken,
und ſo erſcheint das Störende, die Schönheit Aufhebende in unmittelbarem
Zuſammenhang mit dem Stoffartigen im Gegenſtande. Die Ausſcheidung
jedes Stoffartigen, was nicht reiner Ausdruck der Idee iſt, bezeichnet
Hegel treffend, indem er ſagt: die Kunſt (die wir nur hier noch nicht
als die Urheberin dieſer Reinigung kennen) habe das Erſcheinende an allen
Punkten ſeiner Oberfläche zum Auge umzuwandeln, welches der Sitz der
Seele iſt und den Geiſt zur Erſcheinung bringt (Aeſth. 1, 197). Im
Sinne dieſer Ablöſung der Oberfläche von der ſtoffartigen inneren Miſchung
und Structur, welche zugleich Reinigung von Allem iſt, was an die Be-
dürftigkeit und Abhängigkeit vom ſtörenden Zufall erinnert, heißt das
Schöne reine Form. Dieſer Begriff iſt zuerſt von Göthe und Schiller
in ſeiner ganzen Bedeutung gefaßt und in unzähligen Wendungen aus-
geſprochen worden, von denen hier nur die eine angeführt werden mag:
[150] „das Kunſtgeheimniß des Meiſters beſteht darin, daß er den Stoff
durch die Form vertilgt“ (Ueber die äſth. Erz. d. Menſchen Br. 22).
2. Häufig genug iſt nun aber dieſer Begriff ſo mißverſtanden worden,
als ſey der Inhalt gleichgültig, wenn nur die Form ſchön ſey. Schon
Baumgarten zieht aus der Unterſcheidung des Inhalts und der Form den
falſchen Satz: possunt turpia pulcre cogitari, ut talia, et pulcriora
turpiter (Aesth. §. 18), und er hat viele Nachfolger gefunden bis auf
einen Menzel herab, der Göthe als Meiſter ſchöner Form bei unſittlichem
Gehalt verläumdet. Die Quelle ſolcher Schiefheiten iſt vor Allem in einer
Verwirrung der Begriffe zu ſuchen. Stoff kann dreierlei bedeuten: erſtens
die Idee, die ein ſchönes Ganze durchdringt. Dieſe nennen wir, um der
Verwirrung vorzubeugen, nicht Stoff, ſondern Inhalt. Dieſer Inhalt
nun iſt ſo wenig gleichgültig, daß, wie ſchon §. 19, 2 geſagt iſt, von
zwei Kunſtwerken, welche in der Form gleich vollendet ſind, entſchieden
dasjenige höher ſteht, deſſen Inhalt eine höhere Stufe in dem Leben der
abſoluten Idee einnimmt. Die Idee ſoll ganz in Form übergehen und
aufgehen, aber eben ſie iſt es, welche übergeht und aufgeht, und ihr
Rang bleibt ja natürlich nach wie vor derſelbe. Wo ſie nicht in reine
Form aufzugehen vermochte, da iſt ein wahrhaft Schönes gar nicht ent-
ſtanden, da iſt von ihr ſo wenig als von der Form zu reden, und das
Werk iſt daher nichts neben einem wahrhaft ſchönen, das übrigens eine
vergleichungsweiſe noch ſo arme Idee zum Inhalte haben mag. Iſt aber
die Uebertragung in die reine Form darum mißlungen, weil die Idee
ſchon an ſich nicht wahre Idee, ſondern abſtracter Begriff iſt (§. 16),
ſo iſt dies ein anderer Fall, der nicht hieher gehört; man kann dann
nicht ſagen, die Idee wäre gut, aber die Form ſey ſchlecht, die Idee
ſelbſt iſt vielmehr ganz zu verwerfen, weil ſie in Wahrheit keine iſt.
Unter den äſthetiſch darſtellbaren Ideen dagegen iſt es ja immer die
höhere, welche an ſich ſchon und abgeſehen von der Läuterung zur reinen
Form ihr Individuum auch höher organiſirt; eine Menſchengeſtalt iſt
höher, als eine Thiergeſtalt u. ſ. w. Wird nun die Geſtalt zur reinen
Form, ſo iſt doch gewiß die an ſich höhere unter Vorausſetzung gleichen
Gelingens dieſer Reinigung auch die äſthetiſch höhere. Dieſe Frage hat
aber noch zwei beſondere Beziehungen: eine ſittliche und eine geſchichtliche.
Hierüber kann vorläufig ſo viel geſagt werden: ein unſittlicher Inhalt iſt
ebenſowenig wahrer Inhalt, als ein abſtracter Begriff. Zwar baut ſich
dieſer gar keine individuelle Form, jener dagegen kann ſich eine Form
bilden, aber eine ſolche, die ſich von ſelbſt aufhebt, wovon ſogleich mehr.
[151] Was das Geſchichtliche betrifft, ſo iſt an ſeinem Orte die Forderung auf-
zuſtellen, daß der Künſtler zeitgemäße Ideen behandle. Eine Idee kann
ihres Orts hoch ſtehen, aber eine Zeit nicht intereſſiren, wie z. B. Liebe
und Freundſchaft jetzt das von höheren Fragen in Anſpruch genommene
Gefühl der Zeit wenig beſchäftigen. Dagegen können zeitgemäße Ideen
ſittlicher Art darum zu mißrathen ſeyn, weil ſie abgeſehen von der Kunſt
noch keine concrete Geſtalt haben und daher zu den abſtracten Begriffen
fallen, wie die politiſchen Ideen der Gegenwart. Aus dieſem Allem wird
man hinreichend erſehen, daß es allerdings höchſt nothwendig iſt, der
Frage über die Kunſt die Frage über den Inhalt (die ſog. Stoffe) zu
Grund zu legen, wie wenig man immer verkennen mag, daß das Schöne
ein reines Formweſen iſt. Zweitens bedeutet Stoff: die Idee, wie ſie
irgend einmal, abgeſehen von der Kunſt, Form angenommen hat; der
Künſtler findet dieſen ſo weit ſchon geformten Stoff in der Erfahrung
vor und wählt ihn zur Umbildung in die reine Form: eine Begebenheit,
Sage u. ſ. w. In dieſem Sinne wird der Begriff des Stoffs auftreten
im erſten Abſchnitte des zweiten Theils unſeres Syſtems. Drittens:
Stoff heißt das Materielle, was auszuſcheiden iſt, der rohe Stoff (§. 54).
Nach dieſem als Solchem darf im Schönen natürlich gar nicht weiter
gefragt werden. Was nun die Form betrifft, ſo wird ſich erſt in der
Lehre von der Kunſt zeigen, daß ſie ſelbſt eine äußere und eine innere
Seite hat; höchſtens jene kann noch durch Schönheit täuſchen, wenn
der Inhalt ſchlecht (unſittlich) iſt, niemals dieſe: was Strauß gegen
Menzel treffend nachgewieſen hat (Streitſchr. H. 1, S. 127).
3. Dies alſo iſt die einzige Art, wie das Schöne als allgemeiner
Begriff zu beſtimmen iſt. Es mag hier eine Stelle aus Hegels Aeſth.
Platz finden, welche zwar das Schöne ſchon als Ideal beſtimmt, während
wir noch vorausſetzen, daß der Schein, als finde es ſich auch außer der
Ideal-ſchaffenden Thätigkeit vor, Grund haben könne: „Das Ideal ſetzt
ſeinen Fuß in die Sinnlichkeit und deren Naturgeſtalt hinein, doch zieht
ihn wie das Bereich des Aeußern zugleich zu ſich zurück“ (Th. 1, S. 201).
§. 56.
Wenn demnach das Weſen des Schönen reine Form und dieſe nichts
Anderes iſt, als die allgemeine Harmonie der Idee mit der Wirklichkeit, aber
nicht in ihrer Allgemeinheit, ſondern zur vollendeten Erſcheinung heraustretend
im Einzelnen, ſo erhellt nunmehr der weſentliche Unterſchied in der Einheit
[152] (§. 22) des Schönen und Guten. Das Gute iſt die Thätigkeit, welche jene
Einheit als eine noch nicht vorhandene ſtets erſt zu erarbeiten ſtrebt, und ruht
alſo auf der Vorausſetzung des Gegenſatzes zwiſchen der Idee und der Wirk-
lichkeit. Auf dieſem Standpunkte des Sollens (§. 2) kann, wiewohl auch jene
Thätigkeit nothwendig in Erſcheinung tritt, nicht wie im Schönen danach gefragt
werden, wie die Erſcheinung ausſehe, ja derſelbe bringt nicht nur eine Gleich-
gültigkeit, ſondern auch ein Mißtrauen dagegen mit ſich, daß das Zufällige in
der Individualität, wie es als weſentlich Berechtigtes in die ſchöne Form ein-
geht, dieſes Recht genieße, ehe es wirklich durch den bearbeitenden Willen real
umgebildet iſt, und da dieſe vergeiſtigende Durcharbeitung unendliche Aufgabe
bleibt, ſo iſt dieſes Mißtrauen ein beſtändiges. Das Ganze ſoll erſt harmoniſch
werden und das Einzelne als ſolches darf dieſe Harmonie nicht in der reinen
Form in Anſpruch nehmen, als wäre ſie vollendet.
Solger (Erwin, 1, 177): „Für die Thätigkeit des Willens,
worin die Güte liegt, iſt das Hervorgebrachte, inſofern es Erſcheinung für
ſich iſt, gar nichts werth, ſondern blos ſofern es die aus dem reinen
göttlichen Begriff hervorgehende Handlung ſelbſt nicht ſowohl darſtellt,
als wirklich iſt.“ Wirth (Syſtem der ſpeculativen Ethik S. 12 ff.)
ſtellt die Sittlichkeit darum höher als die Kunſt, weil ſich in ihr der Geiſt
als Wille in Wirklichkeit das erarbeitet, was ihm die Kunſt durch Magie
ſchenkt, und weil dieſe Thätigkeit eine totale, auf die ganze widerſtrebende
empiriſche Realität gerichtete iſt, während die Kunſt die letztere je nur
auf Einem Punkte idealiſirt. Das Erſtere iſt treffend ausgedrückt S. 13:
„Fleiſch und Blut nimmt ſo die Idee nicht an, wie das Ideal ſie hin-
ſtellt. Das Empiriſche, die Nothwendigkeit, ſich in die Gegenſätze des
Willens und des Stoffs einzulaſſen und dieſen zu bewältigen, wie die
andere, ſich in der ſtrengen Ordnung der Geſetzlichkeit zu bewegen, —
alles dies fällt fort für die Magie der ſchönen Phantaſie, welche wie ein
zauberiſcher Gott dem Geiſte eine fertige Welt, der Form eine fließende
Materie als ihre leichte Gegenwart leiht.“ Die Sittlichkeit hat allerdings
einen herberen, darum tieferen, und einen breiteren, ja unendlich breiten
Kampf. Allein dieſer Kampf wird ebendarum niemals fertig, und weil
er niemals fertig iſt, ſo iſt die Schönheit gefordert, welche das, was nie
und immer fertig iſt, d. h. was immer erſt fertig wird, als wirklich
ſchon Fertiges in ihrem Scheine hinſtellt. Dieſer Schein iſt als abſolute
Vollendung im Einzelnen nur Schein, aber in ihm erſcheint das ewige
[153] ſich Vollenden, was eine Wahrheit iſt. Die Schönheit wartet nicht, bis
die Sittlichkeit fertig iſt, darum wird ihr freilich die Arbeit leicht, oder
richtiger, ſie hat in dem Sinne, in welchem der ſittliche Wille ſie hat,
gar keine Arbeit, keinen Kampf; die Arbeit, welche ſie braucht, um dies
Arbeitsloſe darzuſtellen, hat zwar auch ihre Herbe, gehört aber nicht hieher.
Dies Müheloſe ſetzt alſo jenes Mühevolle voraus, ſteht über ihm. Nur
wenn ſubjectiv der falſche Standpunkt eingenommen würde, das Schöne
zu preiſen, als erſpare es den ſchweren realen Kampf des Guten,
dies wäre verwerflich. Es iſt dies der Standpunkt des Schöngeiſts,
der insbeſondere in der eigenen Perſönlichkeit die ungebundene Natur des
Schönen darzuſtellen eilt, ehe er dem bindenden Geſetze des Guten zu
gehorchen verſtand. In wiſſenſchaftlichem Zuſammenhang kann aber nicht
davon die Rede ſeyn, daß eine Veranlaſſung wäre, die vorausgeſetzte
Sphäre darum als eine überflüßige anzuſehen, weil eine höhere über ſie
tritt. Auch haben alle wahrhaft großen Künſtler-Naturen einfach und
menſchlich dem Guten gedient und ſelbſt in ihrem äſthetiſchen Hervor-
bringen ſich zwar billig mit den reinen Form-Prinzipien beſchäftigt, im
Grunde des Herzens aber meinten ſie nur den großen Forderungen eines
großen Gehalts zu folgen und waren ſich nicht einmal bewußt, daß er in
ihren Händen aufhörte, bloſer Gehalt zu ſeyn. Die großen alten Dichter
ſetzen, unbewußt über das Geſetz ihres eigenen Thuns, den Werth ihrer
Werke in ſittliche Erhebung. Die Sittlichkeit iſt ferner als realer Kampf
totaler, aber der kleine Punkt, in welchen die Schönheit das vollendete
Ganze zaubert, iſt ein Weltall und zieht die extenſiv unendliche Thätigkeit
des Guten intenſiv in Eins zuſammen. Wirth führt am Schluſſe die
Schönheit in die Sittlichkeit ſelbſt ein als ihre höchſte Vollendung, das
„Syſtem der ſchönen Sittlichkeit“ bildet den Gipfel ſeiner Ethik und
ſo behauptet er, die Sittlichkeit ſetze das ſchöne Element zu einer bloſen
Potenz ihrer ſelbſt herab (S. 14). Allein zuerſt iſt zu erwägen, daß die
Welt der Sittlichkeit als Stoff (Inhalt) in die Schönheit eingeht; dies
iſt das Hauptverhältniß und die Sphäre, welcher die andere zum Stoff
wird, ſteht höher, alſo in der Rang-Ordnung weiter vorwärts. Wirklich
iſt es gerade das Bewußtſeyn, daß in der Welt der Sittlichkeit ein niemals
überwundener Reſt bleibt, was den Geiſt eben von da hinaufführt in die
Sphäre des Abſoluten, wo er dieſen letzten Reſt als gehoben anſchaut.
Der Geiſt kommt, ſo zu ſagen, müde von dem Kampfe des Willens im Reich
des Abſoluten an, wo er die unendliche Verſöhnung ſich gibt. Wenn
nun aber allerdings auch der ſittliche Geiſt die Schönheit in ſich auf-
[154] nimmt, wiewohl nur als Zugabe der Arbeit, als eine feſtliche Voraus-
nahme ihrer Vollendung, durch welche er zu erneuerter Arbeit ſeines Werk-
tags ſich ſtärkt, ſo iſt dies nicht ein Herabſetzen des ſchönen Elements zum
bloſen Momente, ſondern es iſt das Hinaufſtreben des ſittlichen Elements
in das Leben der Schönheit. Dieſer Punkt wird im Folgenden noch be-
ſonders aufgefaßt werden.
§. 57.
Hiemit ſcheint eine negative Sittenlehre vorausgeſetzt. Die wahre Sitten-
lehre iſt jedoch poſitiv, ſie geht von der unmittelbaren Einheit des reinen
Willens und des Triebes, der Unſchuld, aus, zeigt die Nothwendigkeit ihrer
Auflöſung und des ſittlichen Kampfes auf und begreift dieſen als die noth-
wendige Bewegung, wodurch der Geiſt ſeiner ſinnlichen Beſtimmtheit die Natur
der Unfreiheit abſtreifen und ſie zum Organe des reinen Willens umbilden
ſoll: Pflicht. Sie ſtellt endlich die Verwirklichung dieſer Aufgabe als Ziel
auf, worin die Welt der Triebe als durchdrungen vom Geiſte, der Geiſt als
durch ſie erfüllt und ſich ſelbſt in ihr als ſeiner Welt genießend geſetzt iſt:
Tugend und höchſtes Gut.
Alle Ethik, da ſie weſentlich auf dem Standpunkte des Sollens
ſteht, iſt dualiſtiſch; allein der Dualismus muß auf dem Standpunkte
des Monismus als ſeiner metaphyſiſchen Baſis ſtehen. Nur die Ethik,
welche doppelt dualiſtiſch iſt, d. h. den Dualismus auch zur metaphyſiſchen
Grundlage hat, ſetzt den Gegenſatz, den ſie als einen durch den Willen
zu löſenden darſtellt, im Widerſpruche mit ſich ſelbſt als abſoluten. Es
iſt zwar der Ethik weſentlich, den Gegenſatz in keinem Momente als
gelöst anzuſehen, allein die unendliche Thätigkeit ſelbſt iſt zu begreifen
als das ſtets neu beginnende Werk der Löſung. Kant hatte den
Dualismus fixirt, Schiller ſtrebt darüber hinaus, Schelling ſtellt
ſeinen Widerſpruch in genialen Blicken dar, Hegel löst ihn in der Phä-
nomenologie in reine Ironie auf. Die Aeſthetik hat dies nicht weiter
zu entwickeln; es genügt für ihren Zweck, die drei Hauptmomente aller
Ethik hervorzuheben.
§. 58.
Dieſe poſitive Ethik wird auch die Individualität im Recht ihrer
Eigenthümlichkeit und Begrenzung nicht verſäumen als Moment in ſich auf-
[155] zunehmen und durch dieſe drei Formen durchzuführen; ja ſie wird das Schöne
ſelbſt als Pflicht des Geiſtes gegen ſeine Erſcheinung in ihren Kreis ziehen.
Allein der ganze Standpunkt bleibt dennoch von dem des ſelbſtändigen Schönen
völlig verſchieden. Wie beſtimmt der ſittlichen Betrachtung die Einheit der
Gegenſätze zu Grund gelegt ſeyn und in der erſten und dritten jener drei
Formen hervortreten mag, die ganze Ethik ſtellt ſich doch gegenüber der ganzen
Wirklichkeit auf den Standpunkt der zweiten, d. h. der Pflicht oder des
Sollens; ſie ſieht in der Unſchuld ſchon die Entzweiung und Schuld, in der
Verſöhnung neue Entzweiung und Schuld voraus; ſie erkennt die Indivi-
dualität als berechtigt an, faßt aber auch die gerechte Selbſtbegrenzung aus
dem Geſichtspunkte der Pflicht und ebenſo die ſchöne Selbſtdarſtellung der
Perſönlichkeit.
Hieraus folgt bereits, daß und warum die Tendenz nicht in die Kunſt
gehört. Sie zieht die dargeſtellte Wirklichkeit in die Unruhe des ethiſchen
Standpunkts. Die Kritik iſt aber in dieſem Punkte ſehr verworren und
pflegt zwiſchen einem ſittlichen Gehalte, der im Sinne der Tendenz, und
einem ſolchen, der nicht im Sinne der Tendenz den Mittelpunkt eines
Kunſtwerks bildet, nicht gehörig zu unterſcheiden. Die ganze Frage
gehört aber in die Lehre von der Kunſt.
§. 59.
Der äſthetiſche Standpunkt kennt und unterſcheidet ebenfalls jene drei1
Formen. Das Schöne umfaßt ein Gebiet kampfloſer Zuſtände, worin die
Sinnlichkeit in edler Unſchuld ſich frei ergehen darf; es wird dieſe Sphäre
durchbrechen und den in §. 50 angedeuteten ſittlichen Kampf in ſich aufnehmen,
es wird den Kampf löſen und in die urſprüngliche Harmonie zurückkehren.
Allein wenn im Guten die zweite, ſo iſt es im Schönen die erſte und dritte2
dieſer drei Formen, welche den ganzen Standpunkt beſtimmt. Wo das Gute
erſt anlangen ſoll, da iſt das Schöne von Anfang an. Indem es keine andere
Sinnenwelt kennt, als eine mit dem Geiſt harmoniſche, daher jeden Inhalt
unmittelbar in der Form adäquater ſinnlicher Erſcheinung anſchaut, ſo iſt ſein
Zweck niemals, das Gute an ſich, ſondern immer, ſelbſt wenn es in käm-
pfender Form auftritt, daſſelbe in rein entſprechender ſinnlicher Form zur
Erſcheinung zu bringen. Das Gute iſt Inhalt des Schönen und zwar der
würdigſte, aber nur wie es in der reinen Form aufgeht; es iſt nicht lobens-
[156] werth, weil es gut, ſondern weil es ſchön iſt, und das Schlechte nicht tadelns-
werth, weil es ſchlecht, ſondern weil es häßlich iſt. Uebrigens kann ſich mit
dem Guten wie mit dem blos Zweckmäßigen (§. 23) die anhängende Schönheit
verbinden.
1. Es kann bei dieſer Vergleichung mit dem ethiſchen Standpunkte
nicht vermieden werden, das Erhabene und Komiſche anzudeuten, denn
dies ſind eben die Formen, wodurch das Schöne den ſittlichen Kampf
in ſich aufnimmt. Allein der Vorgriff iſt um ſo zuläßiger, da hier
noch nicht als bewieſen vorausgeſetzt iſt, daß das Schöne dieſe Formen
in ſeinem eigenen Intereſſe ſchafft, ſondern nur vorläufig angenommen,
daß es dem ſittlichen Kampfe werde zu folgen vermögen (vergl. Anm.
zu §. 50). Im jetzigen Zuſammenhang iſt zu ſagen, die Harmonie
bleibe trotzdem, daß dieſer Kampf als Inhalt in das Schöne eingeht;
hingegen da, wo das Schöne ſelbſt den Uebergang in dieſe ſtreitenden
Formen fordert, wird der Uebergang ein ganz anderer ſeyn. Aber auch
dies kann vorläufig geſagt werden, daß nichts ſicherer den Unterſchied
des Schönen vom Guten beweist, als der Uebergang des Erhabenen in’s
Komiſche. Der ſpezifiſch ethiſche Standpunkt kennt die Komik nicht, weil
er nicht die Ruhe hat, das Reich der Zufälligkeit und des Eigenſinns
einmal als unſchädlich und in ſeiner Willkür ſelbſt als berechtigt zu
erkennen. Allerdings wird ebendeßwegen gefordert, daß er ſich in die
äſthetiſche Freiheit zu erheben wiſſe, und ſo darf es ſogar als ſittliche
Aufgabe erſcheinen, ſich nicht gegen die Komik zu verſchließen, aber dies
iſt Ergänzung der Ethik durch Hereinziehung einer Sphäre des abſoluten
Geiſtes, nämlich eben der äſthetiſchen.
2. Im Schönen kommt es bei allen drei Formen, die ſein Gebiet
mit dem ethiſchen gemein hat, darauf an, wie die Sache ausſieht,
denn der Standpunkt bleibt immer der des reinen Entſprechens zwiſchen
dem Innern und Aeußern. Das Gute iſt im Schönen aufgehoben im
Sinne von tollere und conservare: dasjenige an ihm, wodurch es ein
Beſonderes und von der Welt der Formen Verſchiedenes iſt, erliſcht.
Mit dem Guten verhält es ſich im Schönen, wie mit dem Knochenge-
rüſte im lebendigen Körper. Dieſes wird nicht für ſich ſichtbar, ſondern
nur, ſofern es durch die Umgebung der weichen Theile hindurch erkennbar
iſt, welche allerdings an ihm Halt und Baſis haben. Iſt es leidend,
ſo erſcheinen auch dieſe unſchön. Der Anatom zergliedert, nimmt als
Oſteolog das Knochengerüſte heraus: ſo fragt der Moraliſt nicht nach
[157] der Oberfläche, ſondern beurtheilt den Gehalt für ſich. Die Bemerkungen
über Inhalt und Form §. 55, 2 haben gelegentlich bereits auf dieſen
Punkt geführt, und in der dort erwähnten Stelle ſagt Strauß, daß die
innerliche Seite der Form, nämlich die Structur, die Oekonomie eines
Gedichts immer leiden werde, wenn der Inhalt unſittlich ſey. „Sind
die Wahlverwandtſchaften Göthes ein giftiges Buch: nun ſo werden
die Mißbildungen nicht fehlen, die ein ſo ungeſundes Blut an dem
Leibe der Dichtung hervortreiben muß“ u. ſ. w. „Ein wirklicher Verſtoß
gegen das Geſetz des Sittlichkeit beim Dichten wird immer zugleich als
ein Verſtoß gegen die Geſetze der Schönheit erſcheinen und ſich nach-
weiſen laſſen“ u. ſ. w. Strauß vergißt nicht, die intereſſante Stelle
aus einem Briefe Schillers anzuführen: „Ich bin überzeugt, daß jedes
Kunſtwerk nur ſich ſelbſt, d. h. ſeiner eigenen Schönheitsregel Rechen-
ſchaft geben darf und keiner anderen Forderung unterworfen iſt. Hin-
gegen glaube ich auch feſtiglich, daß es gerade auf dieſem Wege auch
alle übrigen Forderungen mittelbar befriedigen muß, weil ſich jede
Schönheit doch endlich in allgemeine Wahrheit auflöſen läßt. Der Dichter,
der ſich nur Schönheit zum Zwecke ſetzt, aber dieſer heilig folgt, wird
am Ende alle andern Rückſichten, die er zu vernachläßigen ſchien, ohne
daß er es will und weiß, gleichſam zur Zugabe mit erreicht haben, da
im Gegentheile der, der zwiſchen Schönheit und Moralität unſtät flattert
oder um beide buhlt, leicht es mit jeder verdirbt.“ Das beſte Beiſpiel
hievon iſt Wieland, der gerade durch ſein Hinüber- und Herüberſchielen
zwiſchen Tugend und Sinnlichkeit, indem er ebendarum beide abſtract
macht, frivol wird. Ganz im Sinne dieſer Schiller’ſchen Stelle wurde
vom Verf. anderswo geſagt: „trachtet am erſten nach dem Schönen, ſo
wird euch das Gute von ſelbſt zufallen,“ und man hat ihm dieſes Wort
verdreht, indem man meinte, es ſey als Wahlſpruch für das ſittliche
Leben aufgeſtellt, was das genaue Gegentheil des richtigen Sinnes iſt.
Es folgt aus dieſen Sätzen von ſelbſt, daß man einen Dichter oder
Künſtler noch nicht gelobt hat, wenn man gezeigt hat, daß er ein guter
Menſch iſt; nur gegenüber einer ganz verworrenen Kritik iſt es nöthig,
ſolche Trivialitäten erſt hervorzuheben.
Durch Plato iſt die Frage angeregt worden, ob eine ſchöne Seele
nothwendig auch einen ſchönen Leib habe und eine häßliche einen häß-
lichen? So abſtract darf aber gar nicht gefragt werden. Es kommt
darauf an, was man unter ſchöner Seele verſtehe. Verſteht man darunter
ein Gleichgewicht der ſinnlichen und geiſtigen Kräfte, ſo wird ſich dieß,
[158] wie im Großen die ſüdlichen Völker zeigen, in einem entſprechenden
Ebenmaß der Formen des Körpers ausdrücken. Verſteht man darunter
den durch Kampf erworbenen Charakter, ſo ſetzt dieſer eine widerſtrebende
Sinnlichkeit und die ihr entſprechenden gröberen Formen voraus; dagegen
wird ſich die errungene Harmonie in den geiſtig ausdrucksvollſten Theilen
und ihrer Bewegung zeigen, wie dieß im Großen bei den nördlichen
Völkern der Fall iſt. Die ganze Frage verliert ſich aber, wie ſchon
dieſe Andeutungen zeigen, in das weite Gebiet fernerer nothwendiger
Unterſcheidungen in der Aeſthetik. Die Schönheit hat verſchiedene Formen;
der reine Gehalt an innerem ſittlichem Werth iſt in ihnen verſchieden,
wechſelt aber auch ebendaher den Ort ſeiner Erſcheinung auf der Ober-
fläche der Form. Ferner aber handelt es ſich ja im Schönen nicht blos
von einer einzelnen Perſönlichkeit; auch die großen ſittlichen Mächte haben
ihren Leib, aber nur in vielen Einzelnen und ihrer Thätigkeit. Hier
nun kann wiederum der Gehalt an ſich ſchon entweder mehr unmittelbar
oder mehr innerlich und danach wird auch ſeine Erſcheinung in dieſem
Leibe verſchieden ſeyn: da kommt alſo der Unterſchied der Zeitalter in
Betracht; eine naturwüchſige Bildung wird ein offeneres und greiflicheres
Schauſpiel darbieten, als eine reflectirte Bildung. Endlich muß außer
dieſem Allem erſt der große Unterſchied zwiſchen Naturſchönheit und Kunſt-
ſchönheit zur Löſung jener Streitfrage in Erwägung kommen. — Für die
Kunſt aber wird aus dem Inhalt des gegenwärtigen §. ein Satz gefolgert
werden müſſen, der ſchon hier anzukündigen iſt: da das Gute nur ſchön
wird durch die Erſcheinung, in die es ununterſcheidbar aufgeht, ſo muß
es ſeinen Leib an ſich ſelbſt haben und für den Künſtler ſchon mitbringen,
ſonſt entſteht, indem dieſer den Gehalt für ſich hat und dazu die Form erſt
ſucht, nothwendig eine Behandlung im unſtatthaften Sinne der Tendenz.
Daraus wird folgen, daß große ſittliche Bewegungen, wenn ſie der
Künſtler wahrhaft äſthetiſch ſoll behandeln können, vergangen ſeyn müſſen.
3. Mit dem Guten verbindet ſich anhängende Schönheit z. B. in
der Kleidung, ſofern ſie (neben dem Bedürfniß zugleich) von dem ſitt-
lichen Zwecke der Schamhaftigkeit gefordert iſt und nun der Schönheits-
ſinn einen Ueberfluß hinzufügt. So hat in der Kunſt alle tendenzmäßige
und ſatyriſche Poeſie zunächſt einen ſittlichen Zweck und das Schöne iſt
beiläufig mit ihr verbunden.
[159]
§. 60.
Daher tritt auch jede der drei unterſchiedenen Formen des ſittlichen Ver-
hältniſſes im Schönen anders auf, als im Guten. Da das Mißtrauen gegen1
die Sinnlichkeit hier wegfällt, weil die lebendige Geſtalt dem Stoffartigen
entrückt iſt, ſo darf ſich ungleich breiter und ſelbſtändiger die erſte Form ent-
falten. Dies iſt der Grund, warum das Schöne insbeſondere über die
dem gemeinen Leben vorgezeichneten Grenzen des Auſtands und der Scham
erhaben iſt. In der zweiten Form darf ſelbſt der tiefſte Widerſpruch im Bunde2
mit allen Kräften der Erſcheinung auftreten und freigeſprochen von jedem
moraliſchen Einſchreiten ſtetig ſeinen Gipfel erſteigen, ohne Furcht, daß die
Harmonie verloren gehe, denn alle Entzweiung ſpielt nur auf ihrem Grunde
und es kann nicht fehlen, daß ſie als Reſultat des Kampfes am Ende hervor-
gehe. Bei der dritten Form jedoch als einer ſelbſtändigen zu verweilen hat3
das Schöne gerade darum, weil der Standpunkt derſelben ganz der ſeinige iſt,
weniger Intereſſe, als das Gute.
1. Der Kreis der unſchuldigen ſchönen Sinnlichkeit iſt zwar durch
die moderne Welt enger eingegrenzt, als im Alterthum und Mittelalter, aber
es iſt darum nicht nöthig, hier ſchon an die Epochen des Ideals zu
erinnern, denn jede Zeit und Bildung muß der Welt der Schönheit einen
ſolchen Kreis vorbehalten, wie er z. B. in den römiſchen Elegieen von
Göthe gezogen iſt. Das Leben ſelbſt iſt nothwendig mißtrauiſch und
ungläubig, daß in der allgemeinen Verſchlingung des Guten und Böſen
ein Kreis von gewiſſer Breite ſich abgrenzen laſſe, wo die Sinnlichkeit,
ſelbſt die edlere und vom Gemüthe durchdrungene, aber vom beſorglichen
Geſetz und der hütenden Sitte nicht anerkannte, ſich frei entfalten könne,
ohne die rohe Begierde zu entfeſſeln und gegebene ſittliche Verhältniſſe
zu verletzen. Im Schönen aber als Solchem iſt mit dem Stoffartigen Alles
erloſchen, was am Nackten und an der Sinnlichkeit die Begierde weckt;
es iſt in jener reinen Kühle untergegangen, die dem Schönen eigen iſt.
Was daher die Sage der Völker in eine beſondere Zeit als ein Ver-
gangenes legt, als paradieſiſchen Urzuſtand, das bleibt im Schönen
Gegenwart. Daher iſt es auch entbunden von derjenigen Scham,
welche eine künſtliche Bildung in die Gemüther gepflanzt hat. Vom
ethiſchen Standpunkte muß die conventionelle Scham als ein Fortſchritt
der wahren menſchlichen Natur behauptet werden; unſere wahre
Natur iſt Ausbildung aller Kräfte, und an eine ſolche iſt in dem Zu-
[160] ſtande nicht zu denken, wo der Anblick des Nackten reizloſe Gewohnheit
iſt. Dennoch hat dieſe Wahrheit auch auf ethiſchem Boden ihre Grenze, denn,
um nur dies zu erwähnen, es gehört unbezweifelt zu den Uebeln einer allzu-
künſtlichen, naturwidrigen Bildung, daß die Phantaſie durch die heimlichen
Reize der Verhüllung zu ſehr verdorben iſt, um ohne Schaden die Enthüllung
wenigſtens nur da, wo ſie erlaubt oder unvermeidlich iſt, ertragen zu können.
Ganz andere Geſetze aber hat hierin das Schöne. Treffliche Bemerkungen hier-
über enthalten Schleiermacher’s vertraute Briefe über die Lucinde, be-
ſonders der Verſuch über die Schamhaftigkeit, wiewohl freilich der Lucinde,
einem ſchlechten Buche voll Abſichtlichkeit, gerade jene keuſche Entbindung von
der Scham vielmehr fehlt. Die Feigenblätter, die man an nackten Statuen
anbringt, ſind ganz ein belehrendes Beiſpiel für die corrupte Scham.
Michel Angelo, als er gehört, daß Daniel von Volterra im Auf-
trage des Papſtes die Blößen an ſeinen Geſtalten im jüngſten Gerichte
mit Lappen übermalt habe, ſagte: Dite al papa, che questa è piccola
facenda e che facilmente si può acconciare; che acconci egli il mondo,
che le pitture si acconciano presto. Das Gegentheil der ſchönen Unſchuld
iſt der verſtohlene, durch das Gefühl des Verbotenen geſchärfte Reiz der
halben Enthüllung; darin eben beſteht die Frivolität Wielandiſcher
Darſtellung. Es kann aber in einem äſthetiſchen Ganzen auch dieſe Form
auftreten, wenn es nämlich eben die Bildung mit ihrer künſtlichen Scham
zum Schauplatze hat, ſofern ſie nur nicht als die wahre, ſondern als
eine Form unter anderen ironiſch hingeſtellt wird; der blos moraliſche
Standpunkt wird jedoch auch dagegen ungerecht ſeyn. — Von den Vor-
ſchriften der Scham ſind die des Anſtands zu unterſcheiden als Verwahrungen
nicht vor unzeitiger Weckung der Begierde, ſondern vor Aufdeckung des
abſtoßend Schmutzigen und Rohen in der Natur. Auch hierin weicht das
Schöne von der ethiſchen Geſetzgebung des wirklichen Lebens ab durch die
Forderungen der Komik, wovon an ſeinem Orte zu handeln iſt.
2. Die Einheit der Unſchuld löst ſich und die Verirrung beginnt. Der
moraliſche Standpunkt ſpringt hier alsbald ein mit dem Ausſpruch, daß
dies nicht ſeyn ſoll; der äſthetiſche iſt contemplativ und wartet ohne Furcht
den Ablauf ab, wo das ſittliche Geſetz ſich herſtellen wird, denn er kennt
es nicht nur als ſtetes Sollen, ſondern hält feſt, daß die Wirklichkeit gar
nicht aus ihm heraus kann, ſondern durch die Empörung gegen dasſelbe
es ſelbſt vollſtreckt. Aber auch unterwegs und abgeſehen vom Ende darf im
Schönen niemals weder die Auflehnung gegen das Gute als gemeine Natur,
als bloſe Häßlichkeit erſcheinen, ſondern nur als volles Leben, in welchem die
[161] Kräfte des Guten in ihrer Verkehrung ſelbſt fortwirken, noch der Kampf
für das Gute als abſtracter Wille ohne Natur und Leidenſchaft. Davon
weiß zwar die Ethik auch, aber ſie hat im Ernſte des Kampfes nicht Zeit,
von ihrem Wiſſen die Anwendung zu machen, daß ebendarum der Kampf
ſelbſt ſchön ausſehen muß, was eben das Weſen des Schönen fordert. Die
Ethik wird im gemeinſten Verbrecher einen Reſt des Guten finden und ſeine
Beſſerung daran knüpfen; das Schöne aber kann einen ſolchen in ſeiner
Gedrücktheit nicht einführen, weil dieſer Funke zu ſchwach iſt, um aus
dem Aeußern hervorzuleuchten; wenn dagegen im Schönen ein Verbrecher
auftritt, der mit gewaltigeren Kräften ausgeſtattet grauſende Bewunderung
einflößt, ſo fürchtet der blos ethiſche Standpunkt, es werde dadurch die
Verkehrtheit dieſer Kräfte außer Augen gelaſſen. Kämpft der gute Wille
gegen die Verirrung, ſo iſt der Ethik nicht unbekannt, daß das Feuer der
Natur ihm zu Hülfe kommen muß, aber ſie beſchäftigt ſich nicht damit,
daß ebendarum ſein Thun auch nach außen ein ſchönes Schauſpiel gewähren
muß, denn ſie ſieht nur auf die Sache, nicht auf den Schein.
3. Dante’s Paradies, Natalie im Wilh. Meiſter haben zu wenig
Schatten. Die ſittliche Harmonie als Reſultat intereſſirt gerade darum
im Schönen weniger, als im Guten, weil ſie dort unverlierbar durch das
Ganze ſchwebt, während ſie hier als Ziel ausdrücklich geſucht und hingeſtellt
wird. Das Schöne verweilt nicht dabei als einer beſonderen, bleibenden
Form; der Standpunkt des Guten beſchreibt ausführlich das Ideal der
Tugend und das höchſte Gut, gerade weil er die Vollendung, ob zwar
metaphyſiſch ihres ewigen Sieges gewiß, von dem ethiſchen Grundbegriffe
der Thätigkeit aus als ſtetes Ziel des Strebens in deutlichen Zügen hin-
ſtellen muß.
§. 61.
Nunmehr findet auch der Unterſchied der Schönheit von der Religion
(vergl. §. 26) ſeine Erledigung. Die Formgebung, welche die abſolute Idee
durch die Religion erhält (§. 24. 25. 27.) iſt in dieſer weſentlich anders be-
ſtimmt, als im Schönen. In der Religion als der erſten Sphäre des abſoluten
Geiſtes erlöſchen die Gegenſätze der Endlichkeit, aus denen der Geiſt her-
kommt, zur unterſchiedsloſen Unmittelbarkeit des Gefühls. Das Ich verſenkt
ſich in das ſchlechthin Allgemeine. Dieſes ſich Verſenken iſt eine Bewegung
und als ſolche ſetzt es eine Unterſcheidung voraus zwiſchen dem, was ſich, und
zwiſchen dem, wohin es ſich verſenkt. Jenes iſt das Ich, das ſich müde fühlt
Viſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 11
[162]der Wirklichkeit, deren Einheit in der Idee es verloren, und des Eigenwillens,
zu dem es ſich als einer falſchen Einheit beſtimmt hat; dieſes iſt das Leben der
Idee als das ſchlechthin Eine und Allgemeine, in welches das Ich mit Ver-
tilgung des Eigenwillens als in ſeine Wahrheit eingehen ſoll. Da nun das
Gefühl unterſcheidungslos iſt, ſo iſt ihm das Allgemeine, in das es ſich ver-
ſenken ſoll, ein dunkler Abgrund. Allein das Gefühl iſt das fühlende Ich
ſelbſt, untrennbar Eins mit ihm, und ſo zeichnet ſich dieſes, unfähig, ſich un-
mittelbar zu erheben in das vernünftige Denken, wodurch die zweite Seite als
concrete Einheit und Allgemeinheit begriffen würde, in jenen Abgrund hinein
und findet ſich hier, wo es ſich vielmehr opfern wollte, als einzelne Geſtalt
wieder. Dies iſt die Vorſtellung. Dennoch iſt dieſes Hinüberzeichnen nur vor-
genommen um jener Bewegung willen, worin das Ich ſich aufzulöſen ſehnt, und
ſchwebt daher nur in unbeſtimmtem Umriß über dem Gefühl als dem die ganze
Bewegung Beſtimmenden. Die Vorſtellung iſt daher unſelbſtändig, ein bloſes Vehikel
für dieſes, und leidet der Schönheit gegenüber an folgenden weſentlichen Mängeln.
Hegel hat das Gefühl als erſte Form der Religion ganz oberflächlich
unterſucht, weil er meinte, nur die Frage liege zur Prüfung vor, ob
dasſelbe Erkenntnißgrund des Inhalts der Religion ſey. Schleiermacher
dagegen hat zwar erkannt, daß das Gefühl das den ganzen Charakter der
Religion Beſtimmende iſt und bleibt, aber verkannt, daß, um eine Glaubens-
lehre zu conſtruiren, erſt der Uebergang des Gefühls in die Vor-
ſtellung, wiewohl das Gefühl das Element bleibt, einzuführen iſt.
Der wahre Beweis, daß dieſes das Element iſt, liegt auf dem Punkte
des Uebergangs vom gegenſätzlich beſtimmten, zunächſt vom objectiven
oder praktiſchen Geiſte. Der Geiſt hat ſich ohne ſchließliche Verſöhnung
im Wirklichen umgetrieben; der Staat, die Geſellſchaft, das Welt-
leben iſt Wirklichkeit der Idee, aber im Gedränge ſelbſt geht dem Geiſte die
Einheit der realen Gegenſätze in der Idee als ihrem Grunde verloren, er
ſpannt ſich zwiſchen ihnen zur falſchen Einheit des Eigenwillens. Er be-
kommt aber auch das Unglück und den Schmerz dieſer Endlichkeit in der
Erfahrung unmittelbar zu fühlen. Die erſte Erhebung aus dieſer Enge,
dieſer Unſeligkeit kann, weil der Grund ihrer Nothwendigkeit eben in dem
Gegenſätzlichen und Getheilten liegt, nur in der Form des Ungetheilten,
Unterſchiedsloſen, des Gefühls vor ſich gehen. Die Religion iſt ein Heim-
weh des Geiſtes nach ſeiner Wahrheit. Schon dadurch iſt die Transcendenz
in der Religion bedingt. Das Gemüth, das eben von dem Ueberdruſſe an
[163] der Welt herkommt, kann ſich das Vollkommene nur als ein Jenſeitiges
vorſtellen. Hegel meint (Relig.-Philoſ. Th. 1, S. 66 ff.), es handle
ſich hier vom Gefühl überhaupt, und bringt vor, jeder Inhalt könne in dieſer
Form auftreten. Allein es iſt hier nicht die Rede vom Gefühl überhaupt,
ſondern vom Gefühl mit einem beſtimmten Inhalt; denn darauf iſt zu
ſehen, wo der Geiſt herkommt bei dem Eintritte in die Religion. Er kommt
von dem blinden Gedränge der Welt, er iſt ſpezifiſch erfüllt mit dem Gefühle
der Nichtigkeit des Wirklichen, das er im Kampfe der Zwecke nicht als
Wirklichkeit der Idee, alſo nicht als wahre Wirklichkeit zu verſtehen, zu
überſchauen vermochte. Es iſt Gefühl des Ewigen, Urgefühl. Hierauf
aber iſt allerdings feſtzuhalten, daß das Gefühl unterſcheidungslos iſt, daß
es ſein Object nicht nennen kann. Die Gegenſätze der Idee als Wirklich-
keit werden eben jetzt als nichtig gefühlt aus dem genannten Grunde, und
die Einheit, worin ſie ihre Wahrheit haben, erſcheint ebendaher als leer,
als Abgrund. Bei dieſer Objectloſigkeit kann es aber wiederum nicht bleiben,
denn die Bewegung des Gemüths muß ein Wohin vor ſich ſehen. Könnte
nun das müde Subject mit dem erſten Schritte in die wahrhaft Object-
beſtimmende Thätigkeit, in das reine Denken, übergehen, ſo würde es ſeinem
Gegenſtand dadurch Erfüllung geben, daß es die Wirklichkeit als Wirklich-
keit der Idee, die Idee als vernünftige Totalität begriffe; dann würde es
auch begreifen, daß die wahre Verſöhnung mit der Welt und die wahre
Befreiung vom Eigenwillen eben in der Welt ſelbſt, wenn man ſie recht
verſteht, in der Schule des Lebens und der Bildung zu ſuchen iſt. Allein
bis dahin hat das Gefühl noch einen weiten Weg vor ſich. Es iſt nur erſt
einer ſchwachen und unklaren Objectbeſtimmung fähig. Es ſoll jenen Ab-
grund erfüllen, beſtimmen. Was hat es dazu? Die Welt liegt im Nebel
hinter ihm; das fühlende Subject hat nur ſich ſelbſt, denn das Gefühl fällt
mit dem fühlenden Subjecte trennungslos zuſammen. Es nimmt alſo ſich
ſelbſt und zeichnet ſein Bild hinüber in das Dunkel des Abgrunds. Dies
iſt ein Widerſpruch: es wollte ſich entfliehen und trifft ſich wieder an.
Es wollte ſeinen Eigenwillen opfern, aber dies Opfer kann wahrhaft
nur die Erziehung und Schule der recht verſtandenen Welt bewerkſtelligen.
Es trägt alſo auch ſeinen Eigenwillen, den es gerade brechen wollte, mit
ſeinem Ebenbild in das Jenſeits hinüber. Freilich zeichnet es mit ver-
größernden Umriſſen und behauptet ſeine verklärte Geſtalt als abſolute
Geſtalt und als die höchſte Liebe; aber es täuſcht ſich, denn wo es irgend
Ernſt wird, beruft es ſich für all ſeinen böſen Willen und ſeine Grauſam-
keit auf ſeinen Gott und macht ſo ſich ſelbſt zu ſeiner eigenen Autorität.
11*
[164]Dies Hinüberzeichnen iſt es, was Hegel die Vorſtellung nennt. Die
Zeichnung iſt aber ſchwach und zerfließend, denn das Gefühl bleibt das
Beſtimmende.
§. 62.
Jede der zwei nun unterſchiedenen Seiten iſt wieder das Ganze. Das
Ich, das ſich zum ſchlechthin Allgemeinen bewegen ſoll, ſchließt dieſes, aber
als bloſe Möglichkeit, in ſich und da es durch die Sphäre der wirklichen be-
ſtimmten Idee, weil es dieſelbe noch nicht als die vernünftige totale Wirklich-
keit des ſchlechthin Allgemeinen begreift, in der Entwicklung dieſer Möglich-
keit ſich geſtört fühlt, ſo verwirft es ſie als eine Scheinwelt, ſie wird als
negativ geſetzt, das Ich ſoll ſich vom ſinnlichen Scheine losſagen. Die Seite
des Allgemeinen aber enthält auch das Ich, und zwar angeblich zunächſt als
ein verſöhntes, indem das Ich ſeine Verſöhnung als ſchon vollzogen in dasſelbe
hinüberträgt. Aber nicht ebenſo wird das ganze Reich der beſtimmten Idee
in das ſchlechthin Allgemeine vorſtellend hinübergetragen, ſondern nur ober-
flächlich und mit Ueberſpringung aller andern werden einzelne Momente der
wirklichen Idee, und zwar insbeſondere aus der Sphäre des ſelbſtbewußten,
ſittlichen Lebens in das Allgemeine hinübergetragen. Hieraus ſchafft die Vor-
ſtellung einen Kreis von überirdiſchen Geſtalten, deren das Gefühl zum An-
halte für die verſöhnende Bewegung von ſeiner Seite bedarf. Dieſer Kreis iſt
unvollſtändig, weil nicht das ganze Leben der Idee in ihm zur Vorſtellung
kommt; ferner iſt in den Geſtalten dieſes Kreiſes durch jene Art der Voraus-
nahme der Verſöhnung das Wirkliche überhaupt und das Subject, ſey es nun
einfach ſeine Sinnlichkeit oder näher die Eigenheit ſeiner Individualität, welcher
die Bejahung gilt, zwar poſitiv geſetzt, in allen Geſtalten auf der Seite der
gegenwärtigen Wirklichkeit aber iſt es negativ geſetzt, von jener Verklärung
ausgeſchloſſen und demſelben Mißtrauen unterworfen, wie auf dem ethiſchen Stand-
punkte. Die Religion ſchafft eine Reihe bevorzugter Geſtalten und ſchließt alle
andern aus; ſie iſt im äſthetiſchen Sinne ercluſiv, eine Ariſtokratie der Geſtalt.
Der Inhalt dieſes §. konnte aufgeführt werden, ohne einem ſpäteren
Abſchnitte, wo die Religion in beſtimmtem geſchichtlichem Zuſammenhange
mit der äſthetiſchen Phantaſie auftritt, zu ſehr vorzugreifen. Die unterſten
Formen der Religion, welche das ſchlechthin Allgemeine unmittelbar mit
einem ſinnlichen Dinge ohne ſchöpferiſch bildende Zuthat der Vorſtellung
verwechſeln, ſind hier nicht berückſichtigt; man wird aber auch ſtreng ge-
nommen gar keine Religion aufweiſen können, welche blos in dieſer
[165] unmittelbaren Verwechslung beſtände. Was geſagt iſt, gilt von allen
Hauptreligionen. Ein Blick auf die Kunſt reicht hin, den Sinn der Sätze
des §. zu erklären. Stoff der religiöſen Kunſt ſind die Götter oder, im
Chriſtenthum, Gott, der Sohn und ſeine Wundergeſchichte, Maria, die
Engel, die Heiligen u. ſ. w. Das wirkliche Reich der Natur- und
Menſchenwelt aber in der Fülle ſeiner Kräfte und Richtungen und in der
unbefangenen Zufälligkeit ſeiner Individuen iſt dadurch von der Kunſt
verdrängt und ausgeſchloſſen. Die Griechen trugen, wie alle Völker auf
dem Standpunkte der Naturreligion, auch einzelne Kräfte der Natur (nicht
alle, dies bringt eben das Unvollſtändige der Vorſtellung mit ſich) hinüber
in das Allgemeine und ſchauten ſie als Götter an: ebendarum aber war
die wirkliche Natur von der Kunſt ausgeſchloſſen und ſie kannten keine
eigentliche Landſchaftmalerei. Sie ſtellten ſittliche Mächte (wieder nicht
alle) als Götter vor: ſo waren die übergangenen Kreiſe des Lebens und
der wirkliche einzelne Menſch der Darſtellung eigentlich unwürdig. Heroen
zwar wurden verherrlicht, von einzelnen Perſonen Statuen aufgeſtellt,
aber ſie waren dadurch göttlicher Ehre gewürdigt; die rein hiſtoriſche
Darſtellung aber konnte und durfte nicht aufkommen, das eigentliche Genre
auch nicht. Es iſt Anfang des Verfalls, wo dieſe Sphären beliebt werden.
Im Chriſtenthum iſt es nicht anders. Es ſind einzelne Momente des
vertieften ſittlichen Lebens (auch hier nicht alle, ſonſt wäre das Jenſeits
kein Jenſeits mehr und die Religion aufgelöst) hinübergetragen, aber die
ganze Wirklichkeit, worin die weggelaſſenen Momente (Natur, Staat,
alles ſogenannte Weltliche) ſich realiſiren, iſt dadurch ausgeſchloſſen; reine
Geſchichtsdarſtellung, Genre und Landſchaft kommen auch hier erſt auf,
wie dieſes religiöſe Ideal zuſammenfällt. Zwar was die Individuen
betrifft, ſo will das Chriſtenthum, daß Allen geholfen werde, auch der
gewöhnliche Menſch iſt daher der Darſtellung würdig; allein weil das
Weltliche verworfen iſt, ſind in Wahrheit doch nur die Wenigen der
Darſtellung durch die höhere, die eigentliche, d. h. die heilige Kunſt
werth, die durch beſondere Aſceſe heilig geworden ſind. Dieſer Charakter
der Ausſchließung geht durch Alles: die Prieſter ſind Uebermenſchen, die
Andern haben keine geiſtige Perſönlichkeit; die politiſche Perſönlichkeit
wird im Adel angeſchaut und die Andern ſind ebendadurch davon aus-
geſchloſſen; man bewundert die Pracht des Monarchen und vergißt, daß
man ſie ſelbſt gezahlt hat. Nun ſind freilich in den bevorzugten Ge-
ſtalten, welche der Darſtellung allein wahrhaft würdig ſind, im Grunde
alle wirklichen Subjecte vertreten, und alle Schönheit iſt ja eigentlich ein
[166] Vertreten aller übrigen Individuen einer Gattung durch Ein vollkommenes
oder mehrere; allein jenes Vertreten in der durch Religion beſtimmten
Schönheit iſt ein anderes, als das in der reinen. In der mythiſchen
Kunſt der Griechen iſt zwar die Sinnlichkeit eine Bejahung, aber die
unendliche Eigenheit der Individualität nicht; die Menſchengeſtalt iſt um
den Preis ungetrübter Einheit der ſittlichen Bedeutung mit der ganzen
Fülle der ſchönen Sinnlichkeit zur Darſtellung zugelaſſen, allein dabei hat
der geſchichtliche, wirkliche Menſch das bloſe Zuſehen, weil die Grenze
der individuellen Abweichung von der Linie der Gattungsregel ſo eng
gezogen iſt, daß er als profanes Weſen, wenn nicht erſt mythiſche Vor-
ſtellung, Sage u. ſ. w. ihn verklärt haben, ſich von jenem Himmel durch
die tiefſte Kluft getrennt ſieht. Im Chriſtenthum dagegen hat auch die wirk-
liche Geſtalt in der willkürlicher abweichenden Eigenheit ihrer Individualität
Geltung; allein, wie ſchon geſagt, die Bedingung des Eintritts in den vor-
nehmen Kreis der höchſten Geſtalten iſt nun der Ausdruck unendlicher Aſceſe,
und da ſich zu dieſem nur wenige erheben und auch dieſe nur mit Hilfe der
verklärenden Sage, ſo ſind auch hier alle Uebrigen in den profanen Vorhof
verſtoßen. Die Religion iſt eine Vorausnahme (§. 53), wie das Schöne,
aber eine durchaus unvollſtändige.
§. 63.
In dem Grade aber, in welchem die Religion ſich zur Religion des
Geiſtes erhebt, im Grunde jedoch ſchon auf dem Standpunkte der Naturreligion,
wird ſelbſt in der Geſtalt, welche die religiöſe Vorſtellung ſich bildet, die
Sinnlichkeit negativ geſetzt und ihre Verklärung daher vielmehr eine Verzehrung.
Das anbetende Subject ſtellt ſich eine düſtere und abweiſende Geſtalt gegen-
über, denn ihr Anblick ſoll ihm die Forderung der Entſagung vergegenwärtigen,
aber durch den Widerſpruch, der in jenem Hinüberzeichnen liegt (§. 61), iſt es
vielmehr die ganze Härte des Eigenwillens im zeichnenden Subjecte ſelbſt, die
aus ihren unerbittlichen Zügen ſpricht. Jene bejahende Verklärung (§. 62)
iſt alſo vielmehr bereits ein Werk der Schönheit, welche als eine fremde, das
ganze Verhältniß verändernde Macht in die Religion eingedrungen iſt, und dieſe
hat in jener, indem ſie unendlich durch ſie gefördert ſcheint, ja den Unterſchied
ihres Standpunkts von dem ihm beigemiſchten Aeſthetiſchen gar nicht bemerkt,
vielmehr ihren Feind in ſich aufgenommen. Je inniger ſie ſich verbinden,
deſto mehr trennen ſie ſich, der Moment ihrer höchſten Vereinigung iſt der
Moment ihres völligen Bruchs.
[167]
In jeder Religion iſt das negative Moment der Entſagung ſtärker,
als das poſitive der Verſöhnung; wird der volle Umfang des Lebens in
die Verſöhnung aufgenommen, ſo iſt das ſpezifiſch Religiöſe durchbrochen
und die vernünftige, totale, ſittliche Bildung an ihre Stelle getreten.
Auch der griechiſche Gott iſt in der ächt religiöſen urſprünglichen Vor-
ſtellung düſter erhaben, kommt dem wirklichen, anbetenden Selbſt nicht
entgegen, ſondern weist es ſtreng in ſich zurück. Dies iſt der eine
Grund zur Erklärung von zwei bekannten griechiſchen Aeußerungen, deren
eine von Aeſchylos berichtet wird, die andere im Pauſanias ſich
findet, daß die ſtrengen, einfachen und düſteren Götterbilder aus der
älteſten Zeit göttlicher ſeyen, als die neueren ſchönen. Den anderen
Grund werden wir ſpäter finden. Im Chriſtenthum, wo der Bruch mit
der Sinnlichkeit den Grund-Charakter bildet, leuchtet es von ſelbſt ein,
daß das Ideal dieſen negativen Zug in ſeiner ganzen Stärke tragen muß;
er trat auch in den alten chriſtlichen Bildern (der byzantiniſchen Malerei
beſonders) in abweiſender Herbe hervor. Alle Götter ſind eigentlich und
urſprünglich furchtbar; das anbetende Subject ſcheint ſich und ſeine Welt-
luſt in ihnen als verdammt und verworfen hinzuſtellen, und zunächſt iſt
es auch wirklich ſo. Allein alle Götter ſind auch launiſch, grauſam,
böſe. Zu welchem Kinder-Eigenſinn und welcher blutigen Entſetzlichkeit
ſelbſt die griechiſchen Götter von der ſchönſten Heiterkeit und Milde über-
gehen, bedarf keiner Darſtellung; aber auch der Monotheismus hat von
ſeiner Gründung im Judenthum an unendliche Reihen von Verbrechen
und Schlächtereien ſeinem Gotte als Geheiß und Auftrag zugeſchoben.
Es iſt leicht ſagen, dies ſey Mißbrauch. Der Gott iſt kein Erfahrungs-
weſen; wir wiſſen von ihm eben nur dies, was das ihn anbetende Be-
wußtſeyn von ihm ausſagt, und noch jetzt ſind es ebendiejenigen, die ſich
des ächten Bewußtſeyns rühmen, welche in Bildern des Zorns, der Rache,
der grimmigen Ausſchließung ihren Gott zu bezeichnen pflegen. Der innere
Grund dieſes Göttercharakters iſt im §. und ſchon in der Anm. zu §. 61
genannt. Wo nun die Fülle und Lieblichkeit des Schönen in die Götter-
welt einzudringen anfängt, da iſt bereits, ohne daß man es weiß, das
ſpezifiſch Aeſthetiſche thätig. Die Griechen zwar kamen bald zum Bewußt-
ſeyn, daß ihnen die Dichter ihre Götter gegeben, doch ohne die Con-
ſequenz zu ziehen. Was nun den inneren Widerſpruch betrifft, der
durch die Fortbildung des ſchönen Elements in die Religion eindringt, ſo
verweiſen wir auf das Werk des Verf. Kritiſche Gänge Bd. 1,
183—187.
[168]
§. 64.
Die Vorſtellung iſt Vehikel für den in der Form des Gefühls ſich
bewegenden Verſöhnungsprozeß des Geiſtes. Dieſem Zwecke genügt aber ſowohl
in der inneren Vorſtellung, als in der wirklichen ſinnlichen Anſchauung ſelbſt
das dürftige und rohe Bild, denn es reicht hin, den Geiſt an ſich und ſeine
Beſtimmung zu erinnern, ja es kann dieſem Zwecke ſogar ein äſthetiſch ganz
abſtoßendes Werk beſſer dienen, als ein ſchönes. Daher verfährt auch der
Cultus mit den zu ſeinem Gebrauch beſtimmten Leiſtungen der Schönheit häufig
2auf rückſichtsloſe Weiſe und zwar von ſeinem Standpunkte mit Recht. Je tiefer
aber das Negative in jenem Prozeſſe von einer Religion gefaßt wird, um ſo
weniger iſt es ihr um die äußere Anſchauung des Vorgeſtellten zu thun und
dieſe Gleichgültigkeit kann, da ſie von derſelben Zerſtreuung, ja Götzendienſt
zu befürchten hat, in Haß und Zerſtörung übergehen.
1. Das Bild mit aſcetiſchem Ausdrucke, wovon der vorhergehende §.
ſpricht, kann dennoch deutlich vorgeſtellt oder mit Vollkommenheit äußerlich
dargeſtellt ſeyn. Allein dies bedarf die Religion als ſolche nicht; die
undeutliche innere und die rohe äußere Darſtellung genügt ihr, weil das
Bild bloſes Vehikel, das Intereſſe ein praktiſches bleibt. Dies Intereſſe
geht durchaus nicht auf die reine Form als ſolche; das Bild ſoll den
Andächtigen in das Gefühl ſeiner Unwürdigkeit und der unverdienten
Gnade zurückwerfen: eine Andeutung mit derben Strichen iſt dazu hin-
reichend. Ein Chriſtusbild z. B., roh gearbeitet, mit Blutſtriemen bedeckt,
graß, aber Mitleid erregend ſcheint ihm zu ſagen: dies Alles habe ich
um dich gelitten! Gern verbindet ſich Rohheit der Ausführung mit
äſthetiſch abſtoßender Natur des Gegenſtandes, doch tritt die letztere, welche
von der erwähnten Strenge und Düſterheit noch wohl zu unterſcheiden
iſt, auch mit höherer Kunſtfertigkeit in Verbindung. Die religiöſe Kunſt
der chriſtlichen Kirche hat zu jeder Zeit, weil der Standpunkt nicht
äſthetiſch war, neben den würdigſten die peinlichſten Dinge dargeſtellt, ſelbſt
große Meiſter haben, wie es eben gerade kam, bald dieſe bald jene
behandelt. Ja das rohe und das häßliche Bild dient beſſer, als das ſchöne;
denn es führt den Geiſt nicht hinaus in die Fülle der Welt, wo er ſich
in ſeiner Freiheit genießt, ſondern wirft ihn mit herbem Stoß in ſich
zurück. Dieſes beſondere Intereſſe des Cultus iſt der zweite Grund, warum
ſchon den Griechen die rohen und finſteren Götterbilder der alten Kunſt
für göttlicher galten, als die anmuthsvollen der neueren. Daher auch
[169] die rückſichtsloſe Behandlung ſchöner Bilder durch den Cultus (Aufſtellung
in ſchlechtem Lichte, Schwärzen durch Weihrauch, Lampendunſt u. dergl.).
2. Das ſchöne Bild löst den Andächtigen von ſich ſelbſt, zerſtreut
ihn. Dieſe Zerſtreuung iſt nicht eine Zerſtreuung überhaupt, ſondern nur
eine Zerſtreuung der Andacht; ſie führt auch zu einer Sammlung, aber
einer äſthetiſchen. Die Religion, wenn ſie tiefer in’s Innere getreten,
erkennt dies wohl, daher die abſichtliche Ausweiſung der Schönheit vom
proteſtantiſchen Cultus. Es iſt überhaupt keine Nothwendigkeit da, daß
die innere Vorſtellung äußerlich, wenn auch nur in dürftiger Weiſe, zugleich
der Anſchauung gegenübertrete. Es kann zweckmäßig ſcheinen, um ihre
Lebhaftigkeit zu erhöhen; allein mit dieſer Lebhaftigkeit iſt auch alsbald
die wirkliche Verwechslung des äußeren Bilds mit dem Inhalte der Vor-
ſtellung da. Dieſe herrſcht im ganzen Heidenthum: das Götterbild lebt
und iſt der Gott ſelbſt; daß es unzähliche andere Bilder anderswo gibt
und der Gott überdies zugleich auf dem Olymp wohnen ſoll, dies hebt
jene Verwechslung nicht auf, denn der Polytheismus iſt nicht logiſch.
Dieſelbe Verwechslung gieng in den Katholizismus über. Bilderſtreit.
Reformation. Bilderſtürmerei. Die Barbarei der Bilderſtürmer iſt nicht
vom äſthetiſchen Standpunkte zu beurtheilen; es war Fanatismus gegen
jene Verwechslung und vom religiöſen Standpunkte ganz motivirt.
§. 65.
Götzendienſt iſt Verwechslung des äußeren Bildes mit dem Inhalte des
inneren Bildes der Vorſtellung. Iſt nun aber durch einen Fortſchritt der
Religion dieſe auch als ſolche erkannt, ſo wird darum eine andere Verwechs-
lung, nämlich die des inneren Bildes der Vorſtellung mit ſeinem Inhalte, nicht
aufgehoben. Auch dieſes iſt dem Gebrauche nach bloſes Vehikel (§. 64), aber
keineswegs wird es von der Religion ſelbſt als ſolches erkannt, vielmehr ſitzt
nun die Verwechslung, weil innerlich feſtgehalten, nur um ſo tiefer. Im Ge-
fühle überhaupt iſt das Subject mit ſeinem Inhalte durchaus in dunkler Weiſe
verwachſen (§. 61). Durch die Scheidung, welche die Vorſtellung hinzubringt,
ſtellt ſich zwar das Subject ſeinen Inhalt gegenüber, aber die Wahrheit, daß
er über alles einzelne Subject als das ſchlechthin Allgemeine hinausgeht, ver-
kehrt es durch die ſinnliche Beſtimmtheit, die es ihm beilegt, zu dem Scheine
eines einzelnen Subjects, das zugleich abſolut ſeyn ſoll. Dieſe ſinnliche Be-
ſtimmtheit vermag es nicht abzuziehen, denn es iſt ſeine eigene; es gibt ſeine
[170] Göttergeſtalt ſo wenig auf, als ſich ſelbſt, und wird, wenn man ihm daran rührt,
böſe. Der Schein in der Religion iſt ein unfreier.
Der Unterſchied zwiſchen Religion und Schönheit, wie er in §. 26
ſchon angekündigt iſt, beſtimmt ſich alſo jetzt als ein Unterſchied des ver-
wechſelnden oder unfreien und des freien Scheins. Sucht die Wiſſenſchaft
die dargeſtellte Verwechslung, die nur um ſo zäher iſt, je mehr ſie ſich
in’s Innere zurückzieht, zu löſen, ſo kommt alsbald an den Tag, daß der
Gott das anbetende Subject ſelbſt iſt, denn es nimmt den Verſuch als
die ſchwerſte perſönliche Beleidigung auf und behandelt die Frage als
ſeine eigene Exiſtenzfrage.
§. 66.
Der Schein im Schönen dagegen iſt dadurch ein freier, daß die Schönheit
den Gehalt, wie ſie ihn zunächſt aus der Hand der Religion erhält, völlig in
die reine Form herausbildet: er wird dadurch zum reinen, in der Unendlichkeit
des Ausdrucks zugleich begrenzten Gegenſtande, und während in der religiöſen
Vorſtellung durch jenes undeutliche Zeichnen (§. 61) mit den verſchwimmenden
Umriſſen des inneren Bildes auch der Inhalt in Eins verſchwimmt, ſo kann
nun das ſo Begrenzte nicht mehr mit dem Abſoluten verwechſelt werden. Das
Subject ahnt und ergreift zwar in der ſo dargeſtellten Idee das All
und ſich; aber es kann nicht mehr meinen, daß der Gegenſtand dieſes All
unmittelbar wirklich ſey. Durch dieſe Befreiung des Bewußtſeyns aus jenem
Verwachſenſeyn und jener Verwechslung wird die Schönheit die vorbereitende
Bildungsſtufe für den Geiſt, der als denkender allen Schein auflöst.
Dieſer §. iſt Ergänzung zu §. 63. Das Schöne iſt frei und befreit.
Wenn hier ſchon vom Künſtler die Rede wäre, ſo dürfte zum Beweiſe
dieſes Satzes nur an die Wahrheit erinnert werden, daß derſelbe ſich einen
Affect, mit dem er unfrei verwachſen war, indem er ihn objectivirt,
von der Seele löst. Man denke an bekannte Geſtändniſſe Göthes. Wir
ſtehen jedoch hier in der Religion und haben es mit dem religiöſen
Bewußtſeyn zu thun, das ſich ſeinen Gehalt vom Künſtler in der Form
der Schönheit zurückgeben läßt, in der Meinung, darin den Triumph ſeines
Glaubens zu beſitzen. Allein das ſchöne Werk hat die undeutliche Vor-
ſtellung deutlich gemacht, die verſchwimmenden Umriſſe geſchärft; es ſteht
jetzt ein unverkennbar Einzelnes vor mir. Dieſes Einzelne iſt zwar durch-
drungen von unendlicher Bedeutung, und in dieſe Bedeutung iſt auch
[171] mein Leben eingeſchloſſen; man ſollte daher meinen, von dieſer Seite
wenigſtens werde ich mich nur um ſo ungetheilter mit dem Gegenſtande
verwachſen fühlen. Allein dies Verwachſenſeyn iſt jetzt nur noch eine
freie Vertiefung in die Bedeutung, welche dieſe vor mir ſtehenden klaren
und ebendadurch begrenzten Formen zwar erfüllt, aber auch unendlich
über ſie hinausgreift und nimmermehr in ihnen als gemeine Wirklichkeit
aufgeht. Ich kann dieſe Formen bewundern, aber nicht mehr anbeten, ja
ſie ſagen mir zugleich, daß auch meine innere Vorſtellung, die ich leichter
mit der Sache verwechſeln konnte, weil ſie zerfließende Umriſſe hat, nur
Bild war. Jetzt trifft das reine Denken, das allen Schein auflöst, in
mir den Boden. Das Bilden der Kunſt iſt mit der Bildung im innigſten
Einverſtändniß. — Daß der äſthetiſche Schein kein Betrug, keine Unter-
ſchiebung (Verwechslung), ſondern freies Spiel iſt, ſagt auch Schiller.
Ueber d. äſth. Erz. d. Menſchen Br. 26.
§. 67.
Das Denken iſt jedoch nothwendig ſchon vorher auch in der Religion
eingetreten, aber nicht als reines Denken, ſondern mit der Beſtimmung, daß es
jene Vermiſchung von Bild und Inhalt durch den Beweis zu ſchützen ſucht.
Dieſes unreine, blos reflectirende Denken geht, weil das Gefühl das Be-
ſtimmende und die Vorſtellung zwar ſecundär, aber weſentlicher als das Denken
iſt, auf die Autorität als letzten Beweisgrund zurück und als dieſe Verflechtung von
Gefühl, Vorſtellung und Denken heißt die Religion Glaube. Ueberwindet aber
das Denken die Reflexion, geht es hinter die Autorität zurück und löst es ſo
den unfreien Schein auf, ſo iſt die Religion in das ſcheinloſe, begriffsmäßige
Denken des Inhalts, alſo in die Wahrheit im engeren Sinne (§. 28) übergegangen.
Bleibt daneben die Religion noch im Beſtand, ſo iſt wenigſtens die Abweichung
des Schönen von ihr, wie ſolche im Gegenſatz gegen jenes unreine Denken bereits
noch deutlicher hervortritt, vollendet.
Das Denken in völliger Abhängigkeit von der Religion, die Scholaſtik,
gieng allerdings neben der Blüthe der Vorſtellung unſchädlich her. Sobald
es aber kritiſch wurde, ſo entbanden ſich die auflöſenden Keime in der
Scholaſtik und wiewohl es noch nicht die letzten Conſequenzen zog,
hörte doch die Religion bereits auf, ein wahrer Stoff der Kunſt zu
ſeyn. Klopſtocks Meſſias und die reflectirte Abſichtlichkeit der neueren
religiöſen Malerei beweist dies. Die Niederländer hatten ſchon im ſieb-
[172] zehnten Jahrhundert einen richtigeren Inſtinct. Die ganze Unmöglichkeit
aber, daß Kunſt und Religion nicht ganz auseinander fallen, tritt in dem
Momente ein, wo dieſes ſeine Conſequenzen gezogen und den Schein als
Schein erkannt hat, denn nunmehr geht die Religion ſelbſt in die freie,
denkende Bildung auf. Ob dieſe eine neue Religionsform ohne die ver-
wechſelnde Vorſtellung aus ſich erzeugen, ob es einen Cultus ohne
dieſe Verwechslung geben könne, iſt eine Frage, welche die Zukunft zu
löſen hat. Mit der Religion im urſprünglichen Sinne aber, d. h. mit jener
verwechſelnden Vorſtellung, hat die Kunſt nunmehr entſchieden gebrochen.
§. 68.
Was nun das Wahre betrifft, ſo ergänzt ſich, nachdem das Schöne als
die reine Form oder die vollkommene Mitte begriffen iſt, worin der Gegenſatz
des Allgemeinen mit der in ihm gegebenen Regel und des Einzelnen als eines
ſinnlich und zufällig beſtimmten erliſcht, auch die Beſtimmung des Verhältniſſes
zwiſchen ihm und dem Schönen. Der in §. 28 aufgeſtellte Satz iſt nun, wenn
der Begriff der Wahrheit zunächſt wieder im weiteren Sinne gefaßt wird, zu
beſchränken, wenn aber im engeren Sinne, umzukehren. Die Beſchränkung
heißt: was wahr iſt, iſt darum noch nicht ſchön. Die Umkehrung lautet: das
Wahre iſt nicht mehr ſchön, alſo iſt nichts Wahres ſchön.
Wahrheit im weiteren Sinne heißt ein Gehalt, der, wenn er in’s
Denken erhoben ſeyn wird, ſich vor demſelben als wirklich und vernünftig
rechtfertigen wird, der aber noch nicht in jenes erhoben iſt. Ein ſolcher
Gehalt iſt alles Lebenskräftige und Tüchtige. Derſelbe iſt aber darum
noch nicht ſchön, denn er muß erſt in die reine Form aufgehen. Wahrheit
im engeren Sinne heißt begriffener, wirklich in’s Denken erhobener und
durch dasſelbe gerechtfertigter Gehalt. Das Denken nun als ſolches hebt
eben den Schein unmittelbaren Zuſammenfallens der Idee mit einem Ein-
zelnen, wodurch beide einander völlig decken, auf; alſo iſt die Schönheit
nicht mehr, ſie iſt aufgelöst, und nichts in dieſem Sinne Wahres kann
ſchön heißen. Man ſpricht von ſchönen Gedanken, ſoll aber dieſer Aus-
druck berechtigt ſeyn, ſo kann er nicht methodiſche Gedanken bezeichnen,
ſondern Blitze des Geiſtes, die ſich in Ahnung und Phantaſie einhüllen,
alſo noch mit ſinnlicher Hülle verwachſen ſind. Wahrheit im erſten Sinn
wird mit Wahrheit im zweiten Sinn verwechſelt, wenn man meint,
[173]Hegel vorwerfen zu müſſen, daß er dem Schönen die philoſophiſche Idee
unterſchiebe (vergl. §. 15, Anm. 1). Uebrigens gehen aus dem Inhalte
dieſes Paragraphen wichtige Folgeſätze für die Kunſt hervor. Das reine
Weſen des Schönen iſt überall aufgehoben, wo ein als Wahrheit aus-
geſprochener Gehalt ſich neben die ſinnliche Form in einem Kunſtwerke
ſtellt, ſtatt ganz in Form geſetzt zu ſeyn und in ihr aufzugehen. Die
Form wird dadurch blos Vehikel; die Begriffsbeſtimmung in §. 14 iſt
verletzt und es entſteht Zwitterkunſt, die in das Gebiet der blos an-
hängenden Schönheit gehört (§. 23).
§. 69.
Da die ſtrenge Wahrheit jene Mitte auflöst, da ſie alſo trennt, was die
Schönheit vereinigt, ſo ſcheint dieſe höher als jene. Allein die Wahrheit trennt
überhaupt alle Einheit im ganzen Umfange der wirklichen Idee nur, um ſie als
Einheit wahrhaft zu begreifen, und ſo hebt ſie auch die beſondere Einheit des
Schönen, den Schein nämlich eines unmittelbaren reinen Zuſammenfallens der
Idee mit dem Einzelnen, nur auf, um auch ihn in ſeiner Nothwendigkeit zu
denken. Wenn die Schönheit den Gegenſatz des Allgemeinen und Einzelnen
ſcheinbar auf Einem Punkte löst, ſo löst ihn die Wahrheit überhaupt und im
Ganzen. Die Wahrheit ſetzt nicht das Allgemeine und Nothwendige und läßt
das Einzelne und Zufällige liegen, ſie begreift jenes in dieſem, für den auf-
gelösten Schein der unmittelbaren Einheit gibt ſie die ſcheinloſe vermittelte
Einheit; aber ebendarum begreift ſie unter den Formen der Löſung jenes Ge-
genſatzes auf die äſthetiſche in ihrem Recht und Grund wie in ihrem Mangel.
Nothwendig aber iſt dasjenige höher, was das Andere zum Gegenſtand macht
und begreift.
Der Streit über die Rangordnung des Schönen und Wahren wurde
zur Zeit der Reflexionsphiloſophie zu Gunſten des Erſten entſchieden.
Obwohl Kant das Aeſthetiſche vor allen Begriff ſetzt (ſ. d. Einl. §. 5
Anm.) und demnach der Begriff, weil er darüber kommt und es als
ſeinen Gegenſtand begreift, folgerichtig einen höheren Platz einnehmen
muß, ſo ſtand es doch eben mit dem Begriffe in dieſer Philoſophie ſo,
daß er weder die Einheit der Idee und der Wirklichkeit überhaupt, welche
dem Schönen zu Grund liegt, noch die ſcheinbare beſondere Einheit im
Schönen begriff, ſondern nur zu einer Ahnung derſelben ſich erhob;
daher mußte das Schöne über den Begriff geſtellt werden. Nur
[174] in der Lehre von der geiſtigen Kraft, wodurch das Schöne als
Kunſt geſchaffen wird, wurde für Kant jene Ahnung zum klaren Ge-
danken; im Genie wagt er Natur und Geiſt als Eines zu faſſen. Der
Künſtler aber, der ſich unmittelbar in dieſer Einheit fühlt, fand in
der philoſophiſchen Ueberſchätzung des Schönen einen erwünſchten Anhalts-
punkt. Schiller ſagt, der Philoſoph ſey immer blos ein halber,
nur der Dichter der ganze Menſch. Dieſe Frage über die Perſönlichkeit
des Künſtlers verglichen mit der des Philoſophen iſt zwar nicht ganz die-
ſelbe mit der allgemeinen philoſophiſchen unſeres §. Denn nach der Art
menſchlicher Dinge kann immer die Beſchäftigung mit dem rein All-
gemeinen, wie ſehr es ihre Aufgabe iſt, dies eben im Einzelnen zu be-
greifen, die ſinnlichen Kräfte im Philoſophen abſtumpfen und ihn hindern,
die Durchdringung der Gegenſätze, die er begreifen ſoll, auch an ſich
ſelbſt darzuſtellen. Wenn die Perſönlichkeit durch das beſtimmt wird,
was das Weſen der Sphäre iſt, der ſie angehört, ſo muß eigentlich auch
hier ſich erproben, was an ſich wahr iſt. Man muß dabei die ganze
Perſönlichkeit zuſammenfaſſen ſowohl in der ſpezifiſchen Thätigkeit ihrer
Sphäre, als im Uebrigen. Was jene betrifft, ſo iſt der Künſtler die
unmittelbare Einheit, die er im Werke darſtellt, ſelbſt. Sie iſt aber als
unmittelbare eine relativ unbewußte, wie ſich in der Lehre von der
Phantaſie näher zeigen wird; das Unbewußte kann aber nicht höher ſtehen
als das Bewußte. Weil nun im Scheine des Schönen das Zufällige
der Einzelheit nur momentan und ſcheinbar überwunden iſt, wird den
Künſtler im Leben die Zufälligkeit als innere Unbewußtheit verfolgen.
Göthe, ſpezifiſch mehr Dichter als Schiller, ließ ſich in eine Zerſplitterung
ſeiner Kräfte hineinziehen, die er ſelbſt beklagt. Künſtler und Dichter
ſuchen im Nebel ihren Weg, ſind launiſch, eigenſinnig. Auch Kant
erwähnt dieſe Seite (Kr. d. äſth. Urtheilskr. §. 42) und Schnaaſe
(Geſch. d. bild. Künſte, Th. 1, S. 14) vergißt nicht, der Schattenſeite
der Schönheit zu gedenken, die ſich in dem reizbaren Gemüthe der
Künſtler geltend mache, die aber auch oft, wo nicht immer, ſelbſt ihren
Werken einen, wenn auch nur leiſen, Anflug der Wehmuth verleihe.
Wenn dagegen der Philoſoph Phantaſie, Gefühl, Leichtigkeit, Energie
des Augenblicks nicht in ſich ausbildet, ſo iſt dies nicht unmittelbarer Aus-
fluß des Weſens ſeiner Sphäre, denn er wäre ein ſchlechter Philoſoph,
wenn er den Werth der Sinnlichkeit und der Wirklichkeit nicht zu ſchätzen
wüßte. Der Künſtler wird faſt nothwendig das ſtrenge Denken und alles
Methodiſche verkennen, der Philoſoph aber wird Raum in ſich haben, dies
[175] und den heiteren Schein, die Beweglichkeit ſeines ſinnlichen Elements, den
Blitz der Erfindung gleichmäßig in ihrem Werthe zu erkennen; aber freilich
die Kürze eines Menſchenlebens und die Schranke aller menſchlichen Dinge
wird ihn hindern, das Erkannte in der eigenen Perſönlichkeit durchzuführen.
In Widerſpruch mit dem Obigen ſcheint es zu ſtehen, daß Schelling,
der den Dualismus des Reflexions-Begriffs überwand, dennoch zuerſt
die Schönheit unbedingt über die Wahrheit ſetzte. Allein er überwand
ihn zunächſt eben in der Form vorauseilender Ahnung und Phantaſie,
war ſelbſt ein Dichter in der Sphäre der Philoſophie, und ſo war ihm
die Kunſt die höchſte Ineinsbildung des Idealen und Realen, der
Freiheit und Nothwendigkeit, des Bewußten und Unbewußten, die Löſung
eines unendlichen Widerſpruchs. Da in der Philoſophie ſelbſt dieſe
Löſung nur durch Phantaſie gefunden war, ſo mußte die Kunſt natürlich
auch über die Philoſophie geſtellt werden. Im Syſtem des tranſcenden-
talen Idealismus (S. 468 ff.) ſprach daher Schelling noch folgende
Sätze aus: obgleich die Wiſſenſchaft in ihrer höchſten Function mit der
Kunſt Eine und dieſelbe Aufgabe hat, ſo iſt doch dieſe Aufgabe wegen
der Art, ſie zu löſen, für die Wiſſenſchaft eine unendliche, ſo daß man
ſagen kann, die Kunſt ſey das Vorbild der Wiſſenſchaft, und wo die
Kunſt ſey, ſolle die Wiſſenſchaft erſt hinkommen. Die Wiſſenſchaft geht
von einem Prinzip aus, das als das abſolut Identiſche ſchlechthin nicht
objectiv iſt und doch durch Begriffe nicht aufgefaßt und dargeſtellt werden
kann. Die Kunſt allein liefert durch die allgemeine und von allen
Menſchen anerkannte Objectivität einer unmittelbaren Anſchauung den
Beweis, daß das abſolut Identiſche, an ſich weder Sub- noch Objective,
welches der Inhalt einer nur intellectuellen Anſchauung iſt, keine blos
ſubjective Täuſchung ſey. Die äſthetiſche Anſchauung iſt die objectiv
gewordene intellectuelle. Die Einbildungskraft hebt einen unendlichen
Gegenſatz in einem endlichen Producte auf. Die Kunſt iſt daher das
einzige wahre und ewige Organon zugleich und Document der Philoſophie,
welches immer und fortwährend auf’s Neue beurkundet, was die Philo-
ſophie äußerlich nicht darſtellen kann, nämlich das Bewußtloſe im Handeln
und Produciren und ſeine urſprüngliche Identität mit dem Bewußten.
Die Kunſt iſt ebendeswegen dem Philoſophen das Höchſte, weil ſie ihm
das Allerheiligſte gleichſam öffnet, wo in ewiger und urſprünglicher Ver-
einigung gleichſam in Einer Flamme brennt, was in der Natur und
Geſchichte geſondert iſt und was im Leben und Handeln ebenſo wie im
Denken ewig ſich fliehen muß. Die Philoſophie, ſo wie ſie in der
[176] Kindheit der Wiſſenſchaft von der Poeſie geboren iſt, wird nach ihrer
Vollendung in den Ocean der Poeſie zurückfließen. Ganz ähnlich ſagt
Schiller (über d. äſth. Erz. d. Menſchen Br. 25), die Schönheit
allein könne die unendliche Einheit der Materie und Form, der Be-
ſchränkung und Unendlichkeit beweiſen. Allein die Kunſt kann ja die
höchſte Einheit nur darum ſtets vollendet objectiv darſtellen, weil ſie
dieſelbe nicht im letzten Grunde wahrhaft löst, ſondern nur auf der
Oberfläche ſcheinbar. Dennoch hat auch die Kunſt ihre Geſchichte, weil
ſie nie fertig wird, die Einheit in immer neuer tieferer und breiterer
Weiſe zu faſſen. Die Philoſophie aber iſt vielmehr eine wahrhaft
objective Durchführung der Einheit, denn das Objectivſte iſt der Gedanke
und ſein Bau als Form iſt von der Objectivität in der Schönheit gerade
nur dadurch verſchieden, daß er die reine durchſichtige Form alles Ob-
jectiven iſt. Fertig iſt zwar auch ſie niemals, allein die Thätigkeit,
die auf den letzten Grund zurückgeht, iſt mit jedem Schritte auf tiefere
Weiſe ein Ganzes, als diejenige, welche nicht bis dahin dringt, welche
den tiefſten Widerſpruch nicht nennt. Schelling ſelbſt hat jedoch ſeine
Anſicht verändert. In den Vorleſ. über die Meth. des ak. Stud.
(S. 313 ff.) iſt anerkannt, daß die Kunſt, obgleich ganz abſolut, voll-
kommene Ineinsbildung des Realen und Idealen, ſich doch ſelbſt wieder
zur Philoſophie verhalte, wie Reales zum Idealen. „Erſt in dieſer
löst der letzte Gegenſatz des Wiſſens ſich in die reine Identität auf u. ſ. w.
In das Innere der Kunſt kann wiſſenſchaftlich kein Sinn tiefer eindringen,
als der der Philoſophie, ja der Philoſoph ſieht in dem Weſen der Kunſt
ſogar klarer, als der Künſtler ſelbſt zu ſehen vermag. Inſofern das
Ideelle immer ein höherer Reflex des Reellen iſt, inſofern iſt in dem
Philoſophen nothwendig auch noch ein höherer Reflex von dem, was in
dem Künſtler reell iſt u. ſ. w. Der Künſtler, da in ihm dasſelbe Prinzip
objectiv iſt, was ſich in dem Philoſophen ſubjectiv reflectirt, verhält ſich
darum auch zu jenem nicht ſubjectiv oder bewußt, nicht als ob er nicht
gleichfalls durch einen höheren Reflex ſich desſelben bewußt werden könnte:
aber dies iſt er nicht in der Qualität des Künſtlers. Als ſolcher iſt er
von jenem Prinzip getrieben und beſitzt es darum ſelbſt nicht u. ſ. w.
Wie der Philoſoph die Kunſt ſogar bis zu der geheimen Urquelle und
in die erſte Werkſtätte ihrer Hervorbringungen ſelbſt verfolgen könne, iſt
nur vom rein objectiven Standpunkte oder von dem einer Philoſophie
aus, die nicht im Idealen zu der gleichen Höhe mit der Kunſt
im Realen geht, unbegreiflich.“
[177]
Dieſer letzte Satz iſt die rechte Antwort für diejenigen, welche
Hegel angreifen, weil er die Philoſophie über die Kunſt geſetzt. Dieſe
Angriffe gehen von der Meinung aus, der Philoſoph laſſe das Einzelne
und Zufällige vom Allgemeinen weg, und da die Kunſt dieſe Gegen-
ſätze bindet, ſo muß nun freilich die Philoſophie einſeitig ſeyn, ein
Schattenweſen, grau in grau u. ſ. w. In ſtrengerer Form hat Weiße
dieſe Angriffe vorgetragen. Seine Anſicht, welche ſchon in der Einleitung
(§. 5 und 15 Anm.) beurtheilt werden mußte, faßt ſich am einfachſten
in den Worten zuſammen, daß ſich das Schöne zum Wahren wie Urtheil
zum Begriff verhalte (Aeſth. §. 12). Allein welche Subſumtion des
Einzelnen unter das Allgemeine iſt die höhere, welche copula iſt die
wahrhaft bindende: diejenige, welche blos ſcheinbar in ein Einzelnes die
ganze Fülle des Allgemeinen fallen läßt, oder diejenige, welche das All-
gemeine als die Macht begreift, die — ob zwar nur im unendlichen Fort-
gang — alles Einzelne, wie ſie es geſetzt und in der Verflechtung der End-
lichkeit dem Zufalle überantwortet hat, wirklich auch wieder in das Ihrige
umwandelt und einſammelt? diejenige, welche ſtatt deſſen blos jenen Schein
gibt, oder diejenige, welche auch dieſen Schein und ſeine Nothwendigkeit als
letzte und höchſte, aber ebenfalls der tieferen und umfaſſenderen Vermittlung
verfallende Form unmittelbarer Syntheſe begreift? Die Oppoſition gegen den
höchſten Rang der Philoſophie vergißt immer und immer wieder, daß dieſe
das Sinnliche nicht läugnet und wegläßt, ſondern durchdringt und ſo freilich
als ein Solches darthut, worin ſchließlich ſich nichts aufzeigen läßt, was
nicht Gedankenbeſtimmung wäre; ſie träumt von einer ungeformten Materie
als Gegenſatz des Gedankens und ſetzt dieſe höher als den Gedanken. Voll
von Klagen über das Tödtende des Begriffs iſt die Aeſthetik von Theod.
Mundt. Der Begriff habe „wie ein Nachtgeſpenſt das volle heiße Leben
in ſeinen Armen erdrücken müſſen und dies Vergehen der Geſtalt in den
Begriff hinein ſollte dann als das wahre Leben zurückbleiben!“ u. drgl.
In Wahrheit iſt vielmehr nichts lebendiger und Leben bringender als der
Gedanke. Je weniger er zunächſt das Unmittelbare ſchont, je mehr er
es „zerfrißt und verzehrt,“ um ſo ſicherer wird er, ohne ſein abſichtliches
Zuthun, nachdem er ſich in das Bewußtſeyn der Zeit eingearbeitet hat,
von ſelbſt wieder eine unmittelbare Macht und ſo hat er, nicht aber der
ſchmeichelnde Schein des Schönen, das Ungeheuerſte in der Geſchichte
bewirkt. In dieſem Buche, das von allen Entdeckungen der neueren
Wiſſenſchaft mit affectirter Phraſenfülle leicht den Schaum abſchöpft, um
bei der oberflächlichen Bildung die reine Arbeit in den Tiefen des Ge-
Viſcher’s Aeſthetik. 1 Bd. 12
[178]dankens anzuſchwärzen, herrſcht die trübſte Confuſion über die Begriffe
des Unmittelbaren und Vermittelten. Allen denjenigen aber, welche die
Kunſt bedauern, weil eine Zeit, welche vorzüglich im Gedanken arbeitet
und ſelbſt die Durchführung desſelben in der Wirklichkeit, nach der ſie
ſich ſehnt, auf gedankenmäßige Weiſe ſucht, allerdings zunächſt ihre
Blüthe nicht begünſtigen kann, muß die ſichere Ausſicht zum Troſte
dienen, daß die neue Geſtalt der Zeiten, welche hervorgehen wird, wenn erſt
der Gedanke ohne viel Gerede vom Modernen, vom Unmittelbaren und von
der That durch ſeine innere Nothwendigkeit eine praktiſche Macht geworden
ſeyn wird, von ſelbſt auch wieder eine neue Kunſt hervortreiben muß.
Durch die §§. 56 — 69 iſt nunmehr die Stellung der Aeſthetik im
Syſtem der philoſ. Wiſſenſchaften, wie die Einl. ſie angab, gerechtfertigt.
Der ſubjective Eindruck des Schönen.
§. 70.
Nachdem ſo das Schöne als allgemeiner Begriff in ſeinen Momenten
entwickelt iſt, ſchließt es ſich auch nach außen auf; eine Beziehung, welche durch
§. 12 und 13 bereits geſetzt iſt, aber nunmehr aus dem Gegenſtande ſelbſt mit
2Nothwendigkeit hervorgeht. Dieſer Gegenſtand nämlich iſt Erſcheinung der
Idee in der Begrenztheit eines Einzelweſens. Durch den Begriff der Erſchei-
nung iſt aber in dem Gegenſtande, welcher erſcheint, das Subject, dem er er-
ſcheint, weſentlich mitgeſetzt, und zwar zunächſt als Sinnenweſen, das dieſelbe
ſinnliche Beſtimmtheit, die im Gegenſtande als durchdrungen von der Idee
3erſcheint, ihm als lebendiges Organ entgegenbringt. Das Schöne iſt für Jemand
da, es erwartet und fordert den Anſchauenden, und dies widerſtreitet auf
keine Weiſe der durch die Abſolutheit ſeines Gehalts ihm zukommenden Selbſt-
genugſamkeit und in ſich ruhenden Sättigung; denn ein Anderes iſt, mit Noth-
wendigkeit wirken, ein Anderes, eine eitle Wirkung eitel ſuchen.
2. Die §§. 12 und 13 machten das allgemeine Geſetz des Geiſtes
geltend, daß ihm, was nirgends und überall, niemals und immer wirklich
iſt, irgendwo und irgendwann erſcheine. Dadurch wurde das Schöne
als Gegenſtand erſt gefordert. Die Geneſis der Phantaſie wird weiter
zeigen, daß dieſer Gegenſtand nur von demſelben Geiſte, dem er er-
ſcheinen ſoll, durch eine beſtimmte Thätigkeit geſchaffen werden kann.
In der Metaphyſik des Schönen darf dieſer Geneſis nicht vorgegriffen
werden, ſie darf, wie ſchon mehrfach berührt iſt und ſich im Verlaufe
[179] noch ſtrenger erweiſen ſoll, nur in abſtracter Allgemeinheit ausführen,
was das Schöne enthalten muß. Das Schöne iſt ohne ein Subject zum
voraus gar nicht da: dies liegt implicite im Bisherigen und darf noch
nicht explicirt werden, wenn nicht gegen alle richtige Ordnung der Be-
griffe der vorhandene Schein, als bleibe der ſtörende Zufall zufällig
auch einmal aus und laſſe der Gattung Luft, ein reines Exemplar zu
ſchaffen, vor der Zeit zerſtört werden ſoll; iſt aber das Schöne einmal
geſetzt, ſo liegt in ſeinem Begriffe weſentlich dies, daß es einem Subjecte
erſcheine: dies kann und muß jetzt ſchon explicirt werden.
2. Ruge (Neue Vorſchule der Aeſthetik) iſt es, der mit treffender
Dialektik das Schöne als ein weſentliches Zuſammengehen des Objects
und Subjekts aufzeigt. Er geht aber in ſeiner Entwicklung ſogleich
von dem ganzen Begriffe des Schönen aus, während wir nun analytiſch
verfahren und das Zuſammengehen zuerſt nur als ein ſinnliches faſſen,
um erſt hierauf den ſinnlichen Eindruck durch Rückgang auf den Ideen-
Gehalt des Objects in einen geiſtigen zu erheben. In doppeltem Sinne
iſt es der ganze Begriff, von welchem Ruge ausgeht. Er faßt das
Sinnliche im Schönen ſogleich als Medium des darin eingeſchloſſenen
geiſtigen Gehalts: eben dieſe Beſtimmung wird auch hier, aber erſt
im Verlaufe eintreten. Er faßt aber das Schöne zugleich vorneherein
als Solches, was, eben weil es Einheit von Geiſt und geiſtig durch-
drungener Materie, alſo ein Perſönliches iſt, auch von der Perſönlichkeit
geſchaffen, d. h. Kunſt iſt. Dieſe Seite wird aus dem unter 1. ge-
nannten Grunde in unſerer Entwicklung noch nicht ausgeführt. Aber
die erſte Seite genügt auch, denn als ein Perſönliches haben wir das
Schöne bereits ſeinem reinen Gehalte nach und abgeſehen noch von der
Perſönlichkeit als Urheberin desſelben in der Kunſt gefaßt in §. 19.
Hier wird alſo die Nothwendigkeit des mitgeſetzten ſubjectiven Mo-
ments einfach abgeleitet von dem Begriffe der Erſcheinung, worin das
Subject, dem etwas erſcheint, ſchon miteingeſchloſſen iſt. Dasſelbe Sinn-
liche, das im Gegenſtande als reine Form wirkt, iſt in der weiten Welt
überall, im Subject aber als Organ, wodurch das außer ihm vorhandene
Sinnliche Gegenſtand für es wird, als Sinnlichkeit. Das Schöne will und
muß geſchaut ſeyn, auch Göthe nimmt dies ſubjective Moment in
den Begriff des Gegenſtandes auf, wenn er ſagt: das Schöne iſt das
geſetzmäßig Lebendige in ſeiner größten Vollkommenheit Schauen. Von
Ruge kann hier ſchon das geiſtreiche Wort angeführt werden, das er
vom Komiſchen braucht, das aber ebenſo vom Schönen überhaupt gilt
12*
[180](a. a. O. 264): „an ſich exiſtirt das Lächerliche gar nicht, es iſt ein
Wechſel auf Sicht, und ſeine Exiſtenz iſt der Augenblick, wo er honorirt
wird.“ Man laſſe ſich an dieſer Wahrheit nicht durch gemeinen Verſtand
irre machen, indem man ſich einbildet, einen vorhandenen ſchönen Gegen-
ſtand ſich vorſtellen zu können, als ſehe ihn Niemand. Denn indem
ich mir ihn vorſtelle, ſo ſehe ich ihn (innerlich) und nur ſo als geſehenen
nenne ich ihn ſchön. Ich habe auch wirklich oder Andere haben Gegen-
ſtände von derſelben Art der Schönheit geſehen und im letzteren Fall
haben dieſe mir das Bild zum inneren Sehen überliefert; ich verſetze
mich, indem ich es ſchön nenne, in das Sehen dieſer Andern hinein
oder, im erſten Falle, in mein eigenes zurück. Das allgemeine Weſen,
welches das Schöne ſchafft, ſorgt aber auch dafür, daß das Schöne ge-
ſehen werde. Unzähliche Blumen verwelken ungeſehen, aber wir könnten
von ihnen gar nicht reden, wenn nicht unzähliche andere geſehen würden,
ſo daß wir die nicht geſehenen uns vorſtellen können: und in dieſem
Augenblick erſt können dieſe ſchön heißen. Es iſt dafür geſorgt, daß es
Menſchen gibt und Augen. Soll aber einmal vorausgeſetzt ſeyn, daß
jenes allgemeine Weſen nur die Kunſt ſey: dieſe beſtimmt ja ihr Werk
ausdrücklich für die Anſchauung. Ginge jedoch ein Werk zu Grunde,
ehe es irgend Jemand geſehen, ſo hat es doch der Künſtler geſehen und
in dieſem iſt dasſelbe Sehen wie in denen, für die es beſtimmt war.
So lange es aber nicht geſehen wird, iſt es nur Stein, Farbe u. ſ. w.
Es iſt ſchwer, dies zu denken, denn indem ich mir das Werk vorſtelle,
iſt es ſchon nicht mehr dies, ſondern ſchön, weil es den Zuſchauer hat. —
Die ganze Erörterung führt auf den abſoluten Kreis des Bewußtſeyns,
aus dem wir nicht heraus können, noch ſollen. Es iſt gegen die Phi-
loſophie von Kant bis Hegel neuerdings der Angriff auch ſo gewendet
worden, daß ſie Alles als Bewußtſeyn conſtruire. Allein im Kriege
ſchießt man mit Fleiß auf die Leute. Da es kein Seyn gibt, außer
für das Bewußtſeyn, ſo iſt es eben die Aufgabe der Philoſophie, das
Bewußtſeyn zum Ganzen zu erweitern und das beſtimmte Bewußtſeyn
als Act des abſoluten Bewußtſeyns zu begreifen. Wie nun aber Alles
nur in dem Bewußtſeyn und durch dasſelbe iſt, ſo auch das Schöne.
3. Aus dieſer Nothwendigkeit im Schönen, vermöge deren der Zu-
ſchauer in ihm mitgeſetzt iſt, folgt noch keine Aufhebung ſeiner in ſich
beſchloſſenen, auf ſich ruhenden Sättigung. Dieſe fehlt nur dem Schein-
bilde des Schönen, von welchem im weiteren Zuſammenhang die Rede
ſeyn wird.
[181]
§. 71.
Welche Organe der Sinnlichkeit hiebei betheiligt ſeyen, kann allerdings
nicht beſtimmt werden, ohne daß gemäß der Beſtimmung in §. 54 und 55 vor-
ausgeſetzt wird, daß das Sinnliche in dem ganzen Acte nur ein Moment iſt.
Ausgeſchloſſen nämlich ſind diejenigen Sinne, welche durch unmittelbare Be-
rührung und Zerſetzung den Gegenſtand auf die blos ſinnliche Luſt und Unluſt
beziehen: Taſtſinn, Geruch und Geſchmack. Dagegen dringen Geſicht und Gehör
als freie und ebenſoſehr geiſtige wie ſinnliche Organe nicht auf die materielle
Zuſammenſetzung ein, ſondern laſſen den Gegenſtand als Ganzes beſtehen und
auf ſich wirken; er wird als Object frei gegenübergeſtellt und dieſer Gegenſatz
frei aufgehoben. Daher ſind nur dieſe Sinne zur Aufnahme des Schönen
berufen.
Der Taſtſinn fordert unmittelbare Berührung, Hingleiten über die
Oberfläche mit den Fingerſpitzen und ſo nimmt er Wärme und Kälte,
Glätte und Rauheit, Weichheit und Härte u. ſ. w. wahr. Ich kann ſo
allerdings über die ganze Geſtalt hingleiten und mich ihrer Formen und
Wendungen verſichern, allein ich bekomme nur eine nach der andern,
nicht das Ganze; die Wirkung bleibt alſo ſtoffartig, was gegen §. 54
und 55 iſt. Das Zuſammenfaſſen in Einem Act iſt nur Sache des
Auges. Wenn der Blinde dennoch durch Taſten ſich des Schönen als
reiner Form verſichern könnte, ſo müßte, falls er blind geboren iſt, ein
ahnendes inneres Sehen, falls nicht, eine Erinnerung des Sehens
angenommen werden. Weil aber das bloſe Taſten ſtoffartig aufnimmt,
ſo bezieht es den Gegenſtand ſogleich auf die Begierde. Allerdings iſt
jedoch im Sehen der Taſtſinn als ein vergeiſtigter mitgeſetzt, denn wir
ſehen nicht blos Licht und Farbe, ſondern auch Form im engeren Sinn,
Art der Textur, ſelbſt Ton der Wärme oder Kälte. Der Geſichtsſinn
trägt den über ſich ſelbſt erhobenen Taſtſinn in ſich. Ungebildete be-
gnügen ſich damit nicht, ſondern ſetzen den Taſtſinn in ſeiner erſten
Bedeutung aus dem Geſichtsſinn heraus und befühlen Statuen und
Gemälde.
Der Geruch nimmt ſeine Stoffe auf, in die ſich ein Körper ver-
flüchtigt; er iſt alſo auf dieſen als einen ſich zerſetzenden bezogen und ſo
iſt auch er durchaus ſtoffartig, höchſt apprehenſiv, Neigung und Abneigung
raſch bewirkend, und beſonders dient er dem Ernährungstriebe. Allerdings
hat er auch eine feinere Bedeutung; gewiſſe Wohlgerüche rufen Bilder
[182] in der Phantaſie auf, welche mit reinen Gefühlen der Erinnerung und
Sehnſucht unmittelbar verknüpft ſind, eckelhafter Geruch kann am rechten
Orte ein Grauſen äſthetiſcher Art verſtärken. Allein theils iſt dabei der
Geruch nur ein Mitwirkendes und nicht das Organ des Ganzen, theils
fragt ſich erſt, ob in einem wahrhaft äſthetiſchen Zuſammenhang
ein wirklicher oder wirklich dargeſtellter Geruch vorkommen darf (wie
z. B. das bei Darſtellungen der Auferweckung des Lazarus häufig von
Malern angebrachte Motiv, daß ſich ein Zuſchauer die Naſe zuhält),
ob nicht vielmehr nur ein innerlich vorgeſtellter; denn dieſen Sinn wie
alle andern werden wir als innerlich geſetzten wiederfinden.
Der Geſchmack zerſetzt, dient der Ernährung, iſt unmittelbar mit ſinn-
licher Luſt und Unluſt verbunden; er kann in gewiſſen Verbindungen aller-
dings auch in einem äſthetiſchen Ganzen mitwirken, aber nur unter denſelben
einſchränkenden Bedingungen, wie der Geruch. Die Sinne ſind überhaupt,
wie bereits vom Taſtſinn bemerkt iſt, nichts Iſolirtes, ſie ſind Zweige
Eines Sinnes, können theilweiſe die Stelle von einander vertreten,
klingt der eine an, ſo klingt der andere als Erinnerung, als beglei-
tender Ton, als unſichtbare Symbolik mit, und ſo ſind allerdings auch
die unedleren derſelben nicht ausgeſchloſſen. Uebrigens können dieſe ſtoffar-
tigen Sinne, wie der Begierde und Abneigung, ebenſo der wiſſenſchaftlichen
Zergliederung dienen, ſind aber in beiden Fällen gleich außeräſthetiſch.
Die eigentlich äſthetiſchen Sinne aber ſind Geſicht und Gehör.
Sie laſſen beide den Gegenſtand in ſeiner Objectivität und ruhen
nicht auf der dunkeln, ſtoffartigen Verwicklung des Subjects mit
dem Object. „Die andringende Materie iſt ſchon hinweggewälzt von
den Sinnen und das Object entfernt ſich von uns, das wir in den
thieriſchen Sinnen unmittelbar berühren“ (Schiller). Hegel nennt
ſie daher die theoretiſchen, Schleiermacher (Aeſth. 93) willkürliche
Sinne. Er verſteht dies ſo, daß ſie einer Thätigkeit, die von innen
ausgeht, fähig und, ohne afficirt zu ſeyn, Geſtalten und Töne zu pro-
duciren im Stande ſeyen. Er ſagt daher, es gebe ein inneres Sehen
und Hören, von dem Riechen und Schmecken aber läugnet er zwar nicht
ſchlechtweg, daß ſie auch innerlich thätig ſeyn können, ebenſo vom Taſt-
ſinn, deſſen innerliche Mitthätigkeit in der Sculptur er zugibt, dagegen ſpricht
er ihnen die Fähigkeit ab, auf Geheiß des Willens von innen Geſtalten-
bildend thätig zu ſeyn. Je klarer nun in den zwei edleren Sinnen die
Scheidung, um ſo tiefer auch das Eindringen, die Aufhebung der Fremd-
heit zwiſchen Subject und Object; denn dieſe Aufhebung iſt geiſtig, iſt
[183] ein ſinnliches Denken. Der Geſichtsſinn umſpannt das Ganze der
Geſtalt, er nimmt die Totalwirkung der Oberfläche in ſich auf, ſowohl
in der Beſtimmtheit ihrer inneren und äußeren Grenzen, wie ſich Alles
klar voneinander abſetzt und abbebt, hintereinander verſchiebt, (wobei er
eben zugleich als höherer Taſtſinn wirkt), als auch in der ſtrengen
Zuſammengehörigkeit der Theile oder Glieder Eines Körpers, hinter
welche zerlegend in das ſtoffartig Innere zu treten er nur durch beſondere
Veranlaſſung, ſey es der Umſtände oder des Willens, beſtimmt wird.
Dann wirkt er nicht mehr äſthetiſch, wie er denn überhaupt nicht noth-
wendig und nicht allein äſthetiſch wirkt; wir müſſen ihn an anderer
Stelle wieder aufnehmen. Er dient, wenn er in das zerlegte Innere
eingeführt wird, in die ſtoffartige Miſchung eines Körpers, entweder der
unmittelbaren Luſt und Unluſt, wie die niedrigeren Sinne, oder dem
wiſſenſchaftlichen Zwecke. Durch die Veränderung der Verſchiebungen
nimmt aber der Geſichtsſinn auch die Bewegung wahr, und da dieſe
zugleich Urſache des Tones iſt, ſo ſteht er dem Gehörsſinn nahe,
der überhaupt in ihm mitgeſetzt auch bei nicht wirklichem Hören als ein
innerliches Hören von Tönen wunderbar in ihm mitwirkt. Der
Gehörsſinn für ſich kann auch ſtoffartig wirken, wenn der Körper
nicht in reinem Zuſammenklange ſeiner Stoffe erzittert, ſondern dieſe in
ihrer Materialität hindurchklingen. Im Zuſammenklang aber vernimmt
er frei und objectiv, wie der Geſichtsſinn das Ganze eines Körpers,
freilich in anderer Weiſe, ſo nämlich wie er in der Seele des Tons
ſeine Räumlichkeit in die Zeitlichkeit aufhebt. Auf dieſem Punkte treten
nun ſchwierige Fragen ein, welche auf die Eigenthümlichkeit führen, durch
welche die Muſik von allen andern Künſten ſich unterſcheidet. Hier nur
ſo viel: der Gehörſinn ſcheint einerſeits wieder, da im Tone ſich die
Objectivität der Geſtalt aufhebt, in die dunkle Tiefe zu zeigen, worin
Subject und Object verſchlungen ſind, andererſeits iſt er als Vernehmen
des articulirten Tons ſo geiſtig, daß er über das Aeſthetiſche hinaus-
geht und nur Vehikel für dasſelbe wird: die Muſik wird zwiſchen dieſe
Pole in die Mitte treten. Uebrigens wie das Gehör das Geſicht, ſo
begleitet das Geſicht als eine Art von Schluß aus dem Ton auf die
Geſtalt und ihre Bewegung, auch wo nicht wirklich geſehen wird, das
Gehör.
Es iſt, obwohl wir hier die Künſte noch nicht kennen, kaum mög-
lich, die Frage zurückzuweiſen, wie es ſich denn mit der Poeſie verhalte,
welche durch kein ſinnliches Organ (da das Gehör oder im Leſen das
[184] Geſicht nur Vehikel iſt) aufgenommen wird. Die Antwort iſt aber in
dem Satze vorbereitet, daß alle Sinne als innerlich geſetzte wiederkehren;
ein Satz, der jedoch erſt in der Lehre von der Phantaſie ſeine Auefüh-
rung zu erwarten hat. Hier iſt es dann auch, wo die ſtoffartigen Sinne
als mitanklingende Saiten äſthetiſche Berechtigung erhalten werden. Dies
Zuſammentönen aller Sinne iſt aber nichts Anderes, als der Reflex des
Ineinanderſeyns aller Beſtimmtheiten der ſich verwirklichenden Idee.
§. 72.
Die ſinnliche Beſtimmtheit des Gegenſtands iſt aber nichts Anderes, als
die durchſichtige Form der in ihm erſcheinenden Idee. Die Idee iſt abſolute
Thätigkeit und daher Bewegung im weiteſten Sinne; der Gegenſtand erſcheint
daher weſentlich als ein bewegter. Dieſe Bewegung iſt aber zugleich eine Be-
wegung zum Subjecte, das wie der Gegenſtand wirkliche Idee in der Form
ſinnlicher Beſtimmtheit iſt. Nun iſt aber im Gegenſtande die Form von der
Idee ſo durchdrungen, daß ſeine Zufälligkeit freigelaſſen und in die Idee mit
vollkommener Zwangloſigkeit harmoniſch aufgenommen iſt. Das Subject ſucht die-
ſelbe freie Harmonie und dieſem Suchen fließt der Gegenſtand durchaus homogen
entgegen, indem er es durch die Sinnlichkeit und in derſelben geiſtig erfüllt und
befriedigt. Dieſe Bewegung im Schönen als harmoniſches Hinüberfließen in
das Subject heißt Anmuth oder Grazie.
Leſſing hatte zuerſt die Anmuth (er ſagt: Reiz, wovon nachher)
als Schönheit in der Bewegung definirt (Laocoon Cap. 21). Er meint
wirkliche Bewegung, die er ausdrücklich der bloſen Form und Farbe
entgegenſtellt. Schiller (Anmuth und Würde) faßt den Begriff ebenſo,
er beſtimmt nur genauer, welche Bewegung die anmuthige ſey. Wie
Leſſing hat er hiebei nur den Menſchen im Auge. Er unterſcheidet
nun die Anmuth von der durch die Natur geſchenkten architektoniſchen
Schönheit der feſten Formen und ſucht ihren inneren Grund in der
Schönheit der Scele, welcher die Tugend zur Neigung, zur Natur ge-
worden iſt, in dem harmoniſchen Gemüthe, in welchem zum ſittlichen
Impulſe die Sinnlichkeit frei und unbewußt zuſtimmt; ihre Erſcheinung
aber findet er in denjenigen Bewegungen, welche die willkürlichen un-
willkürlich begleiten als Ausdruck weder einer ausdrücklichen Willensbe-
ſtimmung noch eines bloſen Naturtriebs, ſondern der unbewußt mitan-
klingenden Empfindung, und welche er daher die ſympathetiſchen nennt
[185] (Mienenſpiel, Gebärden beim Sprechen, Linie des Arms, wenn er nach
etwas greift u. ſ. w.). Solche Bewegungen werden endlich habituell
und bilden feſte Züge, auch die Anmuth wird ſo ſchließlich zur architek-
toniſchen Schönheit. In dieſer Entwicklung erſcheint die Anmuth als ein
perſönliches Verdienſt, ſie iſt „Schönheit der Geſtalt unter dem Einfluſſe
der Freiheit“, es iſt „eine Art Zulaſſung, eine Gunſt, die das Sittliche
dem Sinnlichen erzeigt“. Es gibt allerdings eine Anmuth, welche Tren-
nung der Triebe und des Willens, Kampf und Verſöhnung, alſo Ver-
dienſt vorausſetzt. Göthes Iphigenie iſt eine ſchöne Seele, die ge-
kämpft hat. Allein dieſe erworbene Anmuth muß auch abgeſehen davon,
daß das Erworbene erſt, wenn es zur andern Natur geworden, als
Anmuth erſcheint, was auch Schiller nicht verkennt, ſchon vor dem
Kampf als Anlage und Talent, als Inſtinet in der Natur liegen, und
dieſer Inſtinet der Harmonie in ſeiner Erſcheinung iſt ebenfalls nicht ein
blos Sinnliches, ſondern ein ſittlich Sinnliches; nicht nur Iphigenie,
auch die medizeiſche Venus iſt anmuthig. Im Kampfe ſelbſt könnte ſich
dieſer Tact des harmoniſchen Spiels nicht erhalten, wenn er nicht vorher
als Natur da wäre. Iſt er nun in der Natur da, ſo wird er auch da
ſeyn, wo das Sittliche und Sinnliche überhaupt noch gar nicht zu ſcheiden
ſind, wie im Kinde. Iſt er da, wo beide noch nicht zu ſcheiden ſind,
ſo kann er auch da ſeyn, wo die Möglichkeit einer Scheidung durch die
Grenzen der Gattung abgeſchnitten und in eine höhere Gattung hinaus-
verlegt, doch dämmernd angekündigt iſt: in der Thierwelt. Man kann
thieriſche Bewegungen, wie des elaſtiſchen Pferdes, des liebkoſenden
Hundes ganz wohl anmuthig nennen. Iſt nun dieſer Anklang des
Seelenſpiels im Thiere, ſo kann ihn die Ahnung auch in der unbeſeelten
Natur finden und Säuſeln der Bäume, Spiel der Wellen anmuthig
nennen. Erweitert ſich ſo der Begriff der Anmuth über das ganze Reich
der Schönheit, ſo iſt er aber auch nach einer andern Seite noch zu eng.
Kann nämlich nach Schiller die Gewohnheit des ſchönen Spiels zur
habituellen, feſten Form werden, ſo muß dieſes Spiel als ein ſolches,
deſſen Talent wir ſchon in die Natur ſelbſt ſetzen müſſen, auch ohne
wirkliche Bewegung ſich im Körper ankündigen, und zwar nicht nur
durch die Erwartung ihres wirklichen Eintritts, ſondern im Schwunge
der feſten Formen ſelbſt, ohne daß man an wirkliche Bewegung denkt.
Die Linien des ſchönen Körpers, auch wenn er ruht, fließen für das
Auge, und dies liegt nicht nur im Acte des Sehens, ſondern ſie ſind
an ſich eine Wirkung bauender und im Bauen den Stoff wirklich be-
[186] wegender Kräfte. Das Schöne überhaupt iſt nichts Ruhendes, denn
ſein Inneres iſt die Idee, welche abſolutes Leben und daher bauende
Bewegung iſt. Ganz wirkliche Bewegung iſt der Ton; nun erinnere
man ſich, daß für den fühlenden Zuſchauer ſelbſt die ſtarren Formen
der Architectur zu fließen und im Fließen zu tönen ſcheinen: ſo klingt
fließend das ganze Reich der Schönheit. Allerdings kann bei einem
ſchönen menſchlichen Körper jene (Schiller’ſche) Anmuth des Spiels im
engeren Sinne ausbleiben; davon iſt anderswo zu reden, es hindert
aber nicht, den Fluß der ſchönen Formen ebenfalls, im weiteren Sinne,
anmuthig zu nennen. So iſt die Anmuth zunächſt im Gegenſtande als
Ausdruck der lebendigen Bewegung der Idee erklärt. Dieſe Bewegung
durchdringt den Stoff, aber durchaus liberal, ſo daß ſeiner Zufälligkeit
kein Zwang angethan wird. Nun erwäge man, daß im Subjecte die-
ſelbe Idee als Geiſt lebt und wirkt. Das Subject wird nach §. 70
vorausgeſetzt. Es iſt nun zwar in ihm daſſelbe vereinigt, was im
Schönen, Geiſt und Sinnenweſen; aber im Schönen ſind beide rein von-
einander durchdrungen, während das Subject zunächſt das empiriſche
Subject iſt, von welchem nicht erwartet werden kann, daß dieſe freie
Harmonie in ihm vollzogen ſey. Davon wird ausdrücklich die Rede
werden. Das empiriſche Subject wird alſo die Harmonie ſuchen. Was
es ſucht, muß es — als Möglichkeit — in ſich tragen. Im
Schönen findet es das vollendet, was in ihm unvollendet iſt. So be-
rühren ſich beide als ſchlechthin homogene Weſen, deren das eine dem
anderen ergänzend entgegenkommt. Daher iſt die innere Bewegung im
ſchönen Gegenſtande zugleich eine Bewegung nach dem Subjecte hin und
dieſer Bewegung kommt das Subject ſuchend entgegen. Dieſes Herüber
und Hinüber iſt die Anmuth. Der deutſche Name hebt mehr das innerlich
Gemüthvolle, der römiſche (und der griechiſche: χάρις) mehr die Be-
friedigung des reinen Formgefühls hervor.
§. 73.
Es iſt dies die Grazie des Schönen überhaupt, welche die in der Idee
begründete Hohheit weſentlich in ſich ſchließt und von einer Abzweigung und
einer Abart wohl zu unterſcheiden iſt. Die erſtere entſteht, wenn das Schöne
in ſeine Gegenſätze auseinandertritt, wo denn im Unterſchiede von der allge-
meinen Grazie, welche den Formen des Gegenſatzes bleibt, die Grazie im
engeren Sinn vorzüglich derjenigen Erſcheinung beigelegt werden wird, in welcher
[187] die Idee einen an ſich wenig widerſtrebenden Stoff durchdringt und daher in
ſpielender und anſchmiegender Leichtigkeit der Bewegung ſich äußert. Beſchränkt
ſich der Stoff auf ein Geringſtes, ſo geht ſie in Zierlichkeit und Niedlichkeit
über. Die Abart aber tritt dadurch ein, daß, da das Schöne dem Subject2
zuerſt ſinnlich entgegenkommt, dieſe erſte Wirkung ſich unter gewiſſen Bedin-
gungen dem wahren Uebergang in die zweite geiſtige entziehen und an die Stelle
derſelben eine zurückgetretene Sinnlichkeit ſetzen kann, deren Darſtellung und
Aufregung als Reiz in dem übeln Sinne eines reflectirten Kitzels zu bezeich-
nen iſt.
1. Sollte der Begriff der Anmuth abgegrenzt und insbeſondere der
Vorwurf einer Vorwegnahme abgewieſen werden, ſo war es nicht mög-
lich, eine andere in dieſem §. zu vermeiden. Es iſt nämlich herkömmlich,
die Anmuth der Würde entgegenzuſtellen. Da nun hier das Gebiet der
Schönheit überhaupt vorliegt, worin ſich das Erhabene noch gar nicht
abgeſondert hat, ſo könnte die Meinung entſtehen, es ſey hier dieſer
Sonderung vorgegriffen und was nur von einer gegenſätzlichen Art des
Schönen gilt, dem ganzen Schönen beigelegt. Allein hier iſt die Rede
von der Anmuth, welche die Großheit in ſich ſchließt und ſelbſt der kecken
Auflehnung des Kleinſten gegen das Große, dem Komiſchen, eigen iſt;
von der Anmuth, die der Venus von Melos ebenſoſehr als der medi-
zeiſchen, ja jener noch mehr, als dieſer, dem Manne wie dem Weibe
zukommt, von der Anmuth, welche die Rondaniniſche Meduſe wie
die komiſche Maske hat, Aeſchylus wie „der ungezogene Liebling der
Grazien“. Hier iſt alſo kein Vorgriff: die Grazie gehört allen Formen
des Schönen. Tritt nun aber das Schöne in ſeine Gegenſätze ausein-
ander, ſo wird, weil das Große, wiewohl ohne die Grazie im weiteren
Sinn abzuwerfen, ſich als Erhabenes abſondert, dieſem aber das
Komiſche entgegentritt, welches zwar in allem Kampfe ſeines Widerſpruchs
ebenfalls ſo gewiß ſeine Grazie behauptet, als es die bekämpfte Idee zugleich
rettet, neben dieſen beiden eine Geſtalt ſich zeigen, welcher allerdings auch,
wenn ſie ſchön heißen ſoll, ein Ausdruck deſſen inwohnen muß, was Quelle
aller Großheit iſt, aber doch in ſo kampfloſer und harmloſer Weiſe, daß
das Anſchmiegende und Entgegenkommende der Anmuth ausdrücklich hervor-
ſpringt, wie namentlich im Weibe im Gegenſatz gegen den Mann. Dieſe
Erſcheinung hat man gewöhnlich im Sinne, wenn man von Anmuth ſpricht;
aber die wahren Kenner der Schönheit behalten die Grazie mit voller Groß-
heit vor Augen, welche den Jupiter mehr umfließt, als den Ganymed,
[188] und ſie ſchätzen die Venus von Melos höher als die medizeiſche. Nur dies
iſt Vorwegnahme, daß dieſe Erſcheinung der harmloſeren Grazie hier beſon-
ders erwähnt wird. Die Vorwegnahme iſt aber unerheblich, denn dieſe
kampfloſe Geſtalt iſt zu unſelbſtändig, um im vorliegenden allgemeinen Theile
als eine beſondere Form des Schönen aufgeſtellt zu werden. Wir nennen
zwar das einfach Schöne, wie es in dieſem erſten Abſchnitte vorliegt,
auch ein kampfloſes Schöne, aber darunter verſtehen wir das Schöne
überhaupt, wie es den Kampf nur noch nicht als wirklichen bereits in
ſich trägt; wogegen ſolche Geſtalten, welche in den Kampf gar nicht über-
gehen, in welchen ſo zu ſagen das Glück der Kindheit fixirt iſt, erſt in den
Sphären der in Natur und Kunſt wirklich daſeyenden Schönheit beſonders
zu erwähnen ſind. — Dieſe beſchränktere Form der Grazie ſteht ſchon jenem
leichten Spiele nahe, deſſen Weſen darin beruht, einen Stoff quantitativ auf
ein Minimum zu reduziren und ihm dennoch eine beziehungsweiſe Fülle von
Form aufzuprägen: das Niedliche und Zierliche, was ein nicht zu ver-
achtender Nebenzweig des Schönen, aber mehr als Schmuck und Zugabe
ganzer Schönheit, denn als ſelbſtändig Schönes zu betrachten iſt. An
dieſer Stelle geht aber das Schöne bereits in ein Gebiet über, wo ſich
geſchichtliche Standpunkte, im vorliegenden Fall moderne Vorurtheile und
Modebegriffe einmiſchen, durch die das Schöne mit dem Eleganten ver-
wechſelt wird, was ſich zum Schönen verhält, wie die Arbeit des Schnei-
ders und der Putzmacherin zum Werke des Bildhauers.
1. Hier geht der Vorgriff weiter und führt eine falſche Form, ein
Afterbild der Armuth ein, das ſchon ganz dem beſtimmten Daſeyn des
Schönen in der Menſchenwelt und der Kunſt angehört, aber zur Ab-
grenzung des Begriffs hier ſchon genannt werden muß. Nicht vom
bloſen Sinnenreiz iſt hier die Rede, denn dieſer iſt gar nicht äſthetiſch,
ſondern von Formen und Bewegungen, welche auf die Phantaſie wirken
und von dieſer ausgehen, aber ſo, daß das geiſtige Bild, das ſie hinter
ihrer Form verbergen und dem Beſchauer zuführen, nur das Sinnliche
wiederholt, und war, weil innerlich geſetzt und in’s Innere geworfen,
um ſo pikirter und raffinirter. Das Bild behält einen Theil der Dar-
ſtellung des Sinnlichen zurück, deutet ihn aber an, läßt den Zuſchauer
merken, daß er im Bewußtſeyn des ſich darſtellenden Subjects verborgen
lauſcht, und wirft ihn ſo auch ihm in’s Bewußtſeyn: die Grazie der
Ballet-Tänzerin, die Muſe Wielands und häufig der Franzoſen, die
ſeine Muſter ſind, wogegen die καλλίπυγος in Neapel, die Ueppigkeiten
Ovids und []die bekannte Scene im Titurel Unſchuld ſind.
[189]
§. 74.
Die erſte Wirkung des Schönen iſt alſo zwar ſinnlich, aber nur im Be-1
griff, in der Zeit kaum augenblicklich trennbar von der zweiten, welche geiſtig
iſt, aber ſo, daß ſie die erſte, ſinnliche, völlig in ſich aufnimmt, wodurch das
Verhältniß ſich umwendet. Das Sinnliche wird ſo die reine Mitte, durch
welche der im Object und der im Subject lebendige Geiſt zuſammengeht, und
indem ſich durch ſeine flüſſige Vermittlung die in §. 72 ausgeſprochene freie
Harmonie bewirkt, ſo iſt das Schöne nicht nur überhaupt, im Sinne von §. 19,
ſondern gemäß ſeiner reinen Form im Sinne zwanglos vollendeten Einklangs
perſönlich in ebeademſelben, vom ethiſchen wohl zu unterſcheidenden, Sinne
perſonbildend. Zuſammengefaßt mit dieſer Wirkung auf das Subject iſt nun2
das Schöne zu beſtimmen als die ſich ſelbſt erſcheinende oder ſich ſelbſt an-
ſchauende Idee, der durch die Mitte des angeſchauten Bildes ſich mit ſich
ſelbſt zuſammenſchließende Geiſt (Ruge).
1. „Wodurch das Verhältniß ſich umwendet“. Was der Zeit nach
zuerſt wirkt, iſt die ſinnliche Beſtimmtheit des ſchönen Gegenſtands, und
was ihr zuerſt begegnet, die Sinnlichkeit des Subjects. Allein in die
erſtere iſt völlig und ohne Reſt die Idee ergoſſen, welche das eigentlich
Weſenhafte und Thätige im ganzen Gegenſtande iſt. Daher iſt auch im
anſchauenden Subjecte die Sinnlichkeit nur in einer unendlich kleinen Zeit-
dauer für ſich betheiligt, der Geiſt eilt alsbald durch ſie dem Geiſte im
Gegenſtand zu. Von einer ſtumpfen und rohen Betrachtungsweiſe, die
ſich aus der reinen Geſtalt nichts entnimmt als ſinnlichen Reiz, kann
hier nicht die Rede werden, ſie fällt der Moral zu. Nun iſt alſo auch
im Subjecte die geiſtige Erhebung das Weſentliche, dem Werthe nach
Erſte. Im Object und Subject iſt nun der Geiſt zwar das Durch-
dringende, das Sinnliche das Durchdrungene, aber dies Durchdrin-
gen und Durchdrungenwerden iſt nicht ein Zwang, der ausgeübt und
gelitten wird, ſondern harmoniſches Durchfließen; das Sinnliche iſt daher
hier die zwang- und widerſtandsloſe, reine Mitte zwiſchen Geiſt und Geiſt;
Mitte, nicht Mittel. Der Gehalt im Gegenſtand und der Geiſt im
Subjecte ſchickt ſich das Sinnliche voraus; aber nicht, um es ſofort
wie einen bloſen Boten zu entlaſſen, ſondern nur durch es und in ihm
begrüßen ſich beide Geiſter. In §. 19 wurde das Schöne als Perſön-
lichkeit beſtimmt, aber nur im Sinne des ſittlichen Gehaltes, der in ihm
erſcheint. In Abſchnitt C. wurde erſt entwickelt, wie dieſer Gehalt rein
[190] in die Form aufgeht. Nachdem dieſe Entwicklung erfolgt iſt, hat Perſön-
lichkeit, wenn das Schöne als ſolche beſtimmt wird, einen anderen
Sinn. Im Ethiſchen nämlich führt ſich der Wille durch die ſinnliche
Beſtimmtheit nur mit Widerſtand und Kampf durch. Dieſer Kampf
kann und muß auch Inhalt des Schönen ſeyn, aber die Darſtellung
dieſes und jedes anderen Gehalts im Schönen iſt kampflos, iſt (vgl. §. 72)
völlig liberal. Es iſt keine Nothwendigkeit vorhanden, den Begriff der
Perſönlichkeit weſentlich in dieſem Sinne kampfloſer Harmonie zu faſſen,
denn eigentlich bleibt er ein ethiſcher Begriff, und wenn die Ethik als
höchſtes Ziel allerdings auch die höchſte Leichtigkeit des Guten hinſtellt,
ſo ſtellt ſie doch auch dieſes Ziel unter den Geſichtspunkt des Sollens;
aber er kann ſo gefaßt werden und es iſt hier am Orte, weil dadurch
ein ſehr zweckmäßiger Ausdruck für die Wirkung des Schönen gewonnen
wird, der Ausdruck nämlich, den Schleiermacher von der Wirkung des
religiöſen Urbildes braucht: perſonbildend. Wie durch dieſes die Einheit
zwiſchen dem abſoluten und dem relativen Bewußtſeyn, zwar innerlich
und ohne Rückſicht auf Form, ſo wird durch das Schöne die Einheit
des geiſtigen Gehalts mit aller ſinnlichen Erregung durch die reine Form
und als reine Form im Subjecte begründet. In der empiriſchen Wirk-
lichkeit ſind wir abwechſelnd ſinnlich auf Koſten des Geiſtes und geiſtig
auf Koſten der Sinnlichkeit; jenes iſt wild, dieſes barbariſch. Im
Schönen ſehen wir dieſen Zwieſpalt, ehe er in uns ethiſch-praktiſch ge-
löst iſt, aufgehoben. Dies iſt zunächſt rein anticipirender Genuß. Der
reale Menſch „ſchwankt zwiſchen ſeinem Urbild und ſeinem Zerrbild“ ſagt
Schleiermacher. Dies Schwanken iſt aufgehoben im Schönen; der
momentane Genuß dieſer Anſchauung muß aber nothwendig auch praktiſch
in uns fortwirken. Das Schöne tritt ausfüllend in jene Kluft; es
ſpannt an und löst zugleich, es ſtählt und erweicht, es weist ab und
lockt an, es erſchreckt, wie nach Plato der Weiſe erſchrickt, wenn er
durch das Abbild des Schönen an das Urbild erinnert wird, und es
löst dieſen Schrecken in volle Vertraulichkeit auf, es bildet ganze Menſchen.
Vergl. die treffliche Darſtellung Schillers am Schluſſe des 15ten Briefes
in ſ. Abhandlung über die äſthet. Erz. des Menſchen, beſonders die
geiſtvollen Worte über die Juno Ludoviſi. Uebrigens faßt Schiller
in Br. 11 den Begriff: Perſon anders als wir. Die reine Freiheit,
das beharrende Ich im Subjecte nennt er Perſönlichkeit, das Wechſelnde
der ſinnlichen Beſtimmtheit Zuſtand: die Schönheit ſoll beides verſöhnen.
Es muß aber erlaubt ſeyn, auch dieſe verſöhnte Einheit Perſönlichkeit zu
[191] nennen. Uebrigens hat Schiller auch die Wahrheit ſchon ausge-
ſprochen, daß das Schöne, indem es angeſchaut wird, aufhört, bloſer
Gegenſtand zu ſeyn (a. a. O. Brief 25): „die Schönheit iſt zugleich
Gegenſtand für uns und Zuſtand unſeres Subjects. Sie iſt zwar
Form, weil wir ſie betrachten, zugleich aber iſt ſie Leben, weil wir ſie
fühlen. Mit einem Wort: ſie iſt zugleich unſer Zuſtand und unſere
That“. Nur hat er dies blos pſychologiſch erklärt. —
1. Die ſpeculativ zuſammenfaſſende Schlußbeſtimmung iſt von Ruge:
„Das Sinnliche und Aeußerliche der Erſcheinungswelt, welches die Idee
zeigt, iſt ſchön, es kann ſie aber nicht zeigen, als in der Anſchauung
des Geiſtes; die Schönheit alſo iſt die Idee, ſofern ſie ſich ſelbſt durch ihr
Aeußeres erſcheint“ (Neue Vorſch. d. Aeſth. S. 33). „Die Idee, welche ſich
ſelbſt ausdrückt, iſt die Schönheit. Die Idee kann ſich aber nicht ausdrücken,
ohne ſich ausgedrückt zu finden, darum iſt es daſſelbe, ob ich ſage: die
ſich ausdrückende oder die ſich anſchauende Idee“ (S. 33. 34). „Die
Schönheit iſt Geiſt für den Geiſt, durch die Außenwelt ſich bewirkend“
(S. 43). Dieſe Sätze begründet Ruge durch jene Dialektik (vgl. §. 70, 2),
worin er zeigt, daß und wie in dem Object das Subject ſich ſelbſt findet,
der Geiſt, der ſich in jenem ausdrückt und der dieſen Ausdruck anſchaut,
derſelbe iſt. Spiegel und Spiegelbild ſind hier Eines. Wir können dieſe
Beſtimmungen hier aufnehmen, obwohl Ruge den Geiſt, der das Aeußere
zum reinen Ausdrucke des Inneren umbildet, in ſeiner Entwicklung aus-
drücklich als die Thätigkeit der Phantaſie oder Kunſt einführt; denn es
genügt in dieſem abſtracten Theile des Syſtems, zu wiſſen, erſtens,
daß der Gehalt im Schönen die lebendige Idee iſt, zweitens, daß dieſe
Idee in der ſinnlich beſtimmten Einzelheit rein aufgehen muß, ſo daß es
„keine ſelbſtändige Außenwelt, kein dem Geiſte fremdes Aeußeres mehr
gibt“, wie Ruge ſagt; obwohl wir noch nicht wiſſen, wie das Organ
heißt und beſchaffen iſt, das dieſe Tilgung des Fremden bewerkſtelligt,
oder ob nicht ſogar ohne ein ſolches Organ von ſelbſt jenes
Geſchehen eintreten könne, wodurch mit Beſeitigung des ſtörenden
Zufalls die günſtigen Bedingungen zur Herſtellung eines vollkommenen
Individuums ſich frei entwickeln können. Wenn uns aber unſer Gang
zur Geneſis deſſen führen wird, was dieſe Vollkommenheit wahrhaft be-
werkſtelligt, ſo werden wir durch den Begriff des reinen Scheins und
die ſtrenge Abgrenzung des Schönen gegen das Gute gewonnen haben,
daß wir dieſen realen Grund nicht ethiſirend faſſen, wie dies (§. 19, 2)
an Ruge’s Darſtellung getadelt wurde; ein Tadel, der ſich insbeſondere
[192] auf die Ausführung in Ruge’s Vorſch. S. 48 — 51 bezieht, wo jede
liebevolle Vertiefung in die Natur, welche mehr in dieſe legt, als ſie
hat, in die Perſönlichkeit, welche hinter dem Aeußeren derſelben den in-
neren Werth findet u. ſ. w., als hinreichender Grund des ſchöpferiſchen
Schauens behauptet wird, woraus das Schöne entſteht. „Alle Handlung,
alle Bethätigung des Geiſtes, die zur Erſcheinung kommt, iſt umgedichtet in
Schönheit, ſobald ſie nur in ihrer Wahrheit, d. h. mit dem wahren Sinne
angeſchaut wird“ (S. 50). Darin iſt das ſpezifiſch Aeſthetiſche ganz verwiſcht.
§. 75.
Die äſthetiſche Stimmung im Subjecte iſt als Reflex des Objects auch
für ſich betrachtet eine reine Mitte der gegenſätzlichen Formen ſeiner Thätigkeit.
2Dieſe Mitte iſt von Kant als ein freies Spiel und die damit verbundene Luſt
als ein reines Wohlgefallen beſtimmt worden, d. h. als ein ſolches, das jedes
Intereſſe ausſchließt. Das Intereſſe nämlich geht hinter die reine Form zurück
auf den Gegenſtand als Stoff (vergl. §. 54) und iſt mit einem Wohlgefallen
verbunden, welches „nicht blos durch die Vorſtellung des Gegenſtands, ſondern
zugleich durch die vorgeſtellte Verknüpfung des Subjects mit der Exiſtenz des-
ſelben beſtimmt wird“. Dies „ſetzt Bedürfniß voraus oder bringt eines hervor
und als Beſtimmungsgrund des Beifalls läßt es das Urtheil über den Gegen-
3ſtand nicht mehr frei ſeyn“ (Krit. d. äſth. Urth. §. 5). Das Schöne iſt daher
nicht mit dem Intereſſanten zu verwechſeln. Alles Wohlgefallen dieſer unfreien
Art kann mit Kant pathologiſch, das freie äſthetiſche aber contemplativ ge-
nannt werden.
1. „Als Reflex des Objects.“ Wir mußten zuerſt ein Object haben,
ehe wir die ſubjective Stimmung, die es hervorruft, zergliedern und ab-
grenzen konnten. Kant hat das Letztere mit klaſſiſcher Schärfe voll-
bracht, wiewohl es bei ihm an einer objectiven Beſtimmung des Schönen
gänzlich fehlt. Dieſe konnte er nicht finden, weil er mit dem Begriffe
der Zweckmäßigkeit nicht fertig zu werden wußte (§. 43). Er ſucht daher
das Schöne rein ſubjectiv in jener Stimmung der Gemüthskräfte, worin
die unbeſtimmte Vorſtellung der Zweckmäßigkeit vom Verſtande der Ein-
bildungskraft zugeſchoben wird. Man fragt nothwendig: wie kommt es
denn, daß ein Gegenſtand dieſe Stimmung hervorruft, ein anderer nicht?
Darauf weiß Kant keine Antwort und er ſtellt ſich auch die Frage nicht.
Deßwegen nicht, weil er, wie ſchon bemerkt, unbewußt bereits auf den ſub-
[193] jectiven Idealismus hinarbeitet, welcher das Schöne überhaupt nur als
eine Art, die Dinge zu ſehen und danach ſelbſt Dinge hervorzubringen,
welche ſo geſehen ſeyn wollen, zu begreifen hat. Allein wenn wir auch
das Berechtigte im ſubjectiven Idealismus feſthalten und ihn über ſich
hinaus dahin ſteigern, daß der ſubjective Geiſt als Moment des abſo-
luten begriffen wird, ſo iſt das Schöne doch nur ſo zu entwickeln, daß
dieſer Geiſt gefaßt wird zuerſt als derjenige, welcher eine objective
Welt hervorbringt, die ſo beſchaffen iſt, daß ihr Spiegelbild im
Subjecte zu einem äſthetiſchen werden kann, wogegen Kant ganz aus-
drücklich das Ganze nur ſubjectiv beſtimmt. „Was an der Vorſtellung
eines Objects blos ſubjectiv iſt, d. i. ihre Beziehung auf das Subject,
nicht auf den Gegenſtand ausmacht, iſt die äſthetiſche Beſchaffenheit der-
ſelben“ (a. a. O. Einl. Abſchn. VII. u. and.). Dagegen haben wir
nun, nachdem wir die metaphyſiſche Möglichkeit des Schönen auf das-
jenige, was Kant innere Zweckmäßigkeit nennt, als auf ein objectives
Prinzip begründet und in das ſo begründete Schöne freilich das Subject
mitbegriffen haben, den Vortheil, alle Momente der Beſtimmtheit des
Eindrucks, welchen das Schöne hervorbringt, und von welchem Kant
den wahren Grund nicht angeben kann, als die einfache Kehrſeite des
Gegenſtandes, als die ſubjectiv gewendete Beſchaffenheit deſſelben entwickeln
zu können. Es iſt nur eine Ueberſetzung des Objectiven in’s Subjective,
aber eine nothwendige.
2. Das „freie Spiel“ erſcheint bei Kant freilich nur als ein Spiel
der Erkenntnißkräfte (a. a. O. §. 9), er meint es nur im Gegen-
ſatz gegen das Gebundene und Bindende im logiſchen Urtheil; er hätte
es aber wohl in dem weiten Sinne nehmen dürfen, daß er alle Merk-
male des äſthetiſchen Wohlgefallens im Gegenſatze auch gegen das prak-
tiſche dadurch bezeichnete. Man könnte nun gegen die Anwendung dieſes
Begriffes auf das Schöne freilich vorbringen, er ſey zu niedrig, da im
Spiele eine blos verſtändige Ordnung und eine blos ſinnliche Befriedi-
gung durcheinander gehen; doch muß der Begriff auch höher gefaßt werden
dürfen. Schiller vertheidigt ihn (Ueber d. äſth. Erz. d. M. Br. 15):
„Dieſen Namen rechtfertigt der Sprachgebrauch vollkommen, der Alles
das, was weder ſubjectiv noch objectiv zufällig iſt und doch weder
äußerlich noch innerlich nöthigt, mit dem Worte Spiel zu bezeichnen
pflegt. Da ſich das Gemüth bei Anſchauung des Schönen in einer
glücklichen Mitte zwiſchen dem Geſetz und Bedürfniß befindet, ſo iſt
es eben darum, weil es ſich zwiſchen beiden theilt, dem Zwange ſowohl
Viſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 13
[194]des einen als des andern entzogen. Dem Stofftriebe wie dem
Formtriebe iſt es mit ihren Forderungen ernſt, weil der eine ſich,
beim Erkennen, auf die Wirklichkeit, der andere auf die Nothwendigkeit
der Dinge bezieht; weil, beim Handeln, der erſte auf Erhaltung des
Lebens, der zweite auf Bewahrung der Würde, beide alſo auf Wahr-
heit und Vollkommenheit gerichtet ſind. Aber das Leben wird gleich-
gültiger, ſo wie die Würde ſich einmiſcht, und die Pflicht nöthigt nicht
mehr, ſobald die Neigung zieht: ebenſo nimmt das Gemüth die Wirk-
lichkeit der Dinge, die materielle Wahrheit, freier und ruhiger auf, ſo-
bald ſolche der formalen Wahrheit, dem Geſetz der Nothwendigkeit, be-
gegnet, und fühlt ſich durch Abſtraction nicht mehr angeſpannt, ſobald
die unmittelbare Anſchauung ſie begleiten kann“ u. ſ. w. — Das Schöne
iſt eine weſentliche Erweiterung des Menſchen. „Mit dem Ange-
nehmen, mit dem Guten iſt es dem Menſchen nur ernſt; aber mit der
Schönheit ſpielt er.“ Man dürfe ſich nicht an die gewöhnlichen Spiele
erinnern, durch das Ideal der Schönheit ſey auch ein Ideal des Spiel-
triebs gegeben. „Die Vernunft thut den Ausſpruch: der Menſch ſoll
mit der Schönheit nur ſpielen und er ſoll nur mit der Schönheit ſpielen.
Denn der Menſch ſpielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Menſch
iſt und er iſt nur da ganz Menſch, wo er ſpielt.“ Schiller
ſtellt die reine Mitte der äſthetiſchen Stimmung in der genannten Ab-
handlung in mannigfaltigen beredten Wendungen, bald Kantiſche, bald
Fichte’ſche Terminologie aufnehmend, aber auch mit ſelbſtändigen tiefen
Beſtimmungen dar; ſo gelangt er (Br. 21) zu dem Reſultate, daß im
äſthetiſchen Zuſtande der Menſch gleich Null ſey, weil jede beſondere
Determination fehle, aber (Br. 22) ebenſoſehr, wenn man auf die
Summe der Kräfte achte, die hier mit Auslöſchung ihres Gegenſatzes
gemeinſchaftlich thätig ſeyen, höchſte Realität: die unendliche Möglichkeit,
Anlage, die Integrität der Menſchheit iſt uns zurückgegeben und daher
die Schönheit unſere zweite Schöpferin.
Die weiteren höchſt fruchtbaren Beſtimmungen Kants ſ. a. a. O.,
außer der Einl., §. 2—6. Bedürfniß ſetzt auch das ſittliche Intereſſe
voraus, obwohl ſein Gegenſtand abſolut iſt; das Subject trägt das Sitten-
geſetz, ohne ihm empiriſch zu entſprechen, in ſich und ſucht daher im
Gegenſtande nicht die Form, ſondern einen Gehalt, an dem es ſich erhebe.
3. Kant nennt nur das ſinnliche Intereſſe ein pathologiſch (durch
Anreize, stimulos) bedingtes. Mit Recht aber haben ſchon Schiller
und Göthe in ihrem bekannten Sprachgebrauche jedes, auch das mora-
[195] liſche, religiöſe Intereſſe am Schönen pathologiſch genannt, wovon nach-
her weiter zu ſprechen iſt. Der Ausdruck wurde übrigens von dieſen
bereits auch auf das Object angewendet. Iſt nämlich der Geiſt, der
ein ſchönes Werk hervorzubringen ſucht, mit dem Inhalte deſſelben
ganz oder theilweiſe unfrei verwachſen, ſo weiß er ihn nicht von ſich
zu löſen und zur reinen Form herauszubilden. Davon iſt die Folge,
daß auch der Anſchauende das Werk nicht als reine Form genießen kann,
ſondern den Urheber dazu nehmen muß, deſſen Zuſtände ihm nun als
bloſer Stoff (der Neigung, Abneigung, Beobachtung u. ſ. w.) intereſſant
ſeyn mögen. Das Objective und Subjective ſind alſo auch hier nur
die Kehrſeiten voneinander. Intereſſant heißt zunächſt ganz allge-
mein, was aus der Reihe des Gewöhnlichen heraustritt, dadurch über-
raſcht und anzieht. Das Schöne nun tritt aus der Umgebung des
Gewöhnlichen allerdings heraus; allein es iſt eine reine Harmonie, in
welche das Gewöhnliche, freilich über ſich ſelbſt erhoben, mitaufgenom-
men iſt; es iſt daher einfach und reizt keine vereinzelte Kraft im Zu-
ſchauer zur Thätigkeit. Das Intereſſante aber reizt eine vereinzelte Kraft
auf und der Grund davon iſt, daß es ſelbſt ein Vereinzeltes iſt, d. h. daß es
aus dem Gewöhnlichen nicht durch die Einfalt der Vollkommenheit hervor-
ſticht, ſondern durch die Abnormität der Einſeitigkeit. Nun nehme man dazu
das Unruhige, Unzufriedene einer gährenden, verſtimmten, ſubjectiven Zeit,
wie die moderne, ſo leuchtet ein, daß ſie vorzüglich das Schauſpiel der Ver-
ſtimmung anziehend finden wird, man erwäge ferner, daß die verſtimmte
Perſönlichkeit, die ſich als Schauſpiel gibt, vermöge der Subjectivität
der Zeit dieſen Eindruck hervorzubringen ſuchen und der Zuſchauer, weil
er ebenſo iſt, dieſem Suchen entgegen kommen wird: ſo hat man den
Begriff des Intereſſanten, wie ihn der Sprachgebrauch beſtimmt hat.
Den Ausdruck contemplativ hat ebenfalls Kant zuerſt gebraucht
a. a. O. §. 5.
§. 76.
Das Intereſſe, das auf den Stoff im eigentlichen Sinne (§. 55) geht, iſt ein1
ſinnliches und die aus ſeiner Befriedigung entſpringende Luſt ein Wohlgefallen am
Angenehmen; dasjenige, welches auf die Idee als Gehalt abgeſehen von ihrem
Aufgegangenſeyn in die reine Form bezogen iſt, ein ſittliches und die Luſt ein
Wohlgefallen am Guten (vergl. 56—60). So verſchieden dieſe beiden Arten
des Intereſſes und Wohlgefallens ſind, ſo ſind ſie doch beide von der äſthetiſchen
13*
[196]Stimmung ausgeſchloſſen und, ſofern auch die Idee als bloſer Gehalt Stoff ge-
nannt werden kann (§. 55, Anm. 2) beide ſtoffartig. Eine ſittliche Wirkung
2wird aber das Schöne abſichtslos und mittelbar allerdings zurücklaſſen. Die
Auffaſſung unter dem Standpunkte der Zweckmäßigkeit, welcher zur einen
oder andern dieſer beiden Formen das Intereſſe gezählt werden kann, iſt aus
denſelben Gründen im Schönen unzuläſſig.
1. Das treffendſte Beiſpiel dafür, wie das äſthetiſche Intereſſe
durch das ſinnliche aufgehoben wird, iſt das von der Eßluſt, das
Kant §. 5 anführt. Wer Eßluſt hat, kann für die geſchmackvolle Form
aufgeſtellter Speiſen (welche freilich nicht in das eigentliche Gebiet des
Schönen gehört, doch im Sinn des Schmucks einen Anſatz davon hat)
keinen Sinn haben, vielmehr er ſtrebt durch den Geſchmackſinn in das
Innere, Stoffartige einzudringen. Die Eßluſt löst ihm ſchon im Sehen
die Form auf. Angenehm iſt nun freilich ein feinerer Begriff, der
nicht blos grobſinnlichen Genuß, ſondern, z. B. in geſelliger Unter-
haltung, eine unbeſtimmte Vermiſchung ſinnlicher und theoretiſch oder
praktiſch geiſtiger Genüſſe bezeichnet. Allein auch das Ganze dieſer
unbeſtimmten Miſchung iſt ſinnlich zu nennen, ſofern es der Eine ſo,
der Andere anders darin hält, alſo das Subjective mit ſeinen Neigungen
und Abneigungen, wobei blos Sinnliches immer mitunterſpielt, dabei
die Hauptrolle übernimmt. Eine ganz artige Auseinanderſetzung dieſer
ganzen im engeren Sinn ſtoffartigen Weiſe des Intereſſes gibt Kant
a. a. O. §. 2 von den Worten: Wenn mich jemand fragt u. ſ. w.
Nur kann er auch hier den Grund nicht angeben. Er ſetzt ihn darein,
daß das Wohlgefallen am Angenehmen nicht rein ſubjectiv ſey, weil
nämlich darin die Exiſtenz des Gegenſtandes begehrt werde. Vielmehr
aber iſt zu ſagen, daß dieſes Wohlgefallen zu ſubjectiv iſt, d. h. es
geht zwar hinter die Form auf den Stoff, begehrt den Gegenſtand als
empiriſch wirklichen, aber ſo, daß es ſich ſinnlich mit ihm zu durchdrin-
gen, ihn als Stoff in ſich aufzuzehren ſucht und ebendies iſt ein blos
ſubjectives Verhalten, denn eben in ſeinen ſinnlichen Gelüſten iſt das
Subject bloſes Subject, jeder hat andere Gelüſte, der Geiſt aber iſt
allgemeiner Natur. Dagegen läßt die wahre äſthetiſche Stimmung den
Gegenſtand frei ſich gegenüber. Der wahre Grund davon liegt im
Objecte: die ſinnliche Beſtimmtheit iſt in dieſem ſo in die Idee auf-
genommen, daß ſie zwar Beſtimmtheit eines Einzelnen iſt, das aber
durch dieſe ſo verallgemeinert und verewigt wird, daß dieſes Einzelne
[197] nicht mehr auf dem Boden ſteht, wo es als Dieſes neben anderen Dieſen
dieſem Subjecte Begehren, jenem Verabſcheuen einflößt. Hat das Sub-
ject nicht die Fähigkeit, den Gegenſtand in dieſem Geiſte zu faſſen, ſo
iſt es ſeine Schuld, denn vorausgeſetzt im Gegenſtande iſt das wahr-
haft Schöne.
Es ſcheint hart, auch das ſittliche Intereſſe vom Schönen auszu-
ſchließen, beſonders in unſerer tendenzmäßigen Zeit, wo man ange-
fangen, die unmittelbare Erregung einer Begeiſterung für ſociale und
politiſche Erneuerung des Lebens für die Probe der Kunſt zu halten.
Allein dies iſt das Zeichen einer gährenden Epoche, welche zunächſt nicht
zum Schönen, ſondern zum Handeln berufen iſt. Es gibt jedoch noch
einen andern, als den ſtreng äſthetiſchen Standpunkt: den hiſtoriſchen,
und von dieſem aus ſind tendenzmäßige Werke und das Intereſſe, das
ſie erregen, ganz anders und günſtiger zu beurtheilen als von jenem.
In der Lehre von den Künſten wird für die Gattungen, worin durch
vorherrſchende Tendenz das Schöne zum blos Anhängenden wird, ein
beſonderer Raum aufzuſtellen ſeyn, womit denn auch das ſtoffartige In-
tereſſe, das ſie erregen, in ſeine Berechtigung treten wird. Stoffartig
iſt aber auch das ſittliche Intereſſe am Schönen zu nennen. In §. 55
wurde nämlich zwar, um Verwirrung zu verhüten, der Ideengehalt im
Schönen nicht Stoff genannt, ſondern blos die eigentliche Materie abgeſehen
von der Form. Hütet man ſich aber nur, Stoff in beiderlei Sinn zu ver-
wechſeln, ſo kann allerdings auch die Idee oder die dargeſtellte ſittliche
Macht, abgeſehen davon, wie ſie in reine Form aufgegangen iſt, Stoff
genannt werden, ja es iſt dies im jetzigen Zuſammenhange ganz am
Orte, um zu zeigen, wie in der ſubjectiven Aufnahme des Schönen das
blos ſinnliche und das einſeitig moraliſche Verhalten in Einer Beziehung
gleich falſch ſind, welche Beziehung eben eine ſtoffartige zu nennen iſt.
Wer ſich z. B. zu einem Epos oder Drama ſo verhält, daß er das
Ganze zerpflückt und danach aburtheilt, ob er gewiſſe Perſonen, die darin
auftreten, leiden kann oder nicht, der nimmt es ſtoffartig auf in der
Bedeutung der Sinnlichkeit; wer es aber zerpflückt, weil moraliſche Ach-
tung oder Mißachtung einzelner Perſonen oder Handlungen ihn nicht
zum Genuſſe des Ganzen gelangen läßt, der fehlt zwar aus anderem
Grunde, aber äſthetiſch betrachtet in demſelben Punkte wie der Erſtere,
er verhält ſich nämlich ſtoffartig. Die ganze Frage über die Einſeitig-
keit des ſittlichen Verhaltens erledigt ſich übrigens einfach, wenn man
ſich erinnert, daß hier nur ſubjectiv gewendet wird, was in §. 56—60
[198] objectiv ausgeſprochen iſt. In §. 55 Anm. 2 iſt noch eine weitere Be-
deutung des Begriffes Stoff als die zweite aufgeführt worden: was man
gewöhnlich Süjet nennt. Von dieſer Bedeutung iſt im jetzigen Zuſammen-
hang nicht beſonders zu handeln; denn wer ſich für den Stoff in dieſem
Sinne einſeitig intereſſirt, wer alſo z. B. nur fragt: iſt der Inhalt
dieſes Trauerſpiels Geſchichte oder nicht, bei dem liegt im Hintergrunde
immer entweder ein ſinnliches oder ein moraliſches Intereſſe, ſo daß dies
mit den unterſchiedenen zwei Formen ſtoffartigen Intereſſes zuſammenfällt.
Um nun aber dieſe Ausſchließung des ſittlichen Intereſſes nicht mißzu-
verſtehen, erwäge man, daß eine ſittliche Wirkung, je weniger ſie ge-
ſucht wird, um ſo ſicherer zurückbleibt. Im Grunde des Gemüths tönt,
nachdem die Stimmung, worin Stoff und Form in Eins klang, vorüber
iſt, der Gehalt nach. Schillers Tell z. B. wurde ſo zu einer
Quelle der Begeiſterung für die deutſche Jugend in den Befreiungskrie-
gen. Solche — vom äſthetiſchen Standpunkt — ſtoffartige Wirkungen
ſind gewiß nicht zu verachten; ſo hat Homer und haben die Tragiker
im Volke der Griechen Unendliches gewirkt; Göthe ſtellt überall in
ſeinen Urtheilen dieſe Wirkung ſehr hoch, ſo wie er aber vom reinen
äſthetiſchen Geſichtspunkte ſpricht, ſo redet er anders. Doch nicht blos
durch Nachwirken eines ſpezifiſch ſittlichen Gehalts wird das Schöne
eine ſittliche Gewalt; auch alle diejenigen Stufen der Idee, deren Ge-
halt nicht eigentlich als ethiſch zu bezeichnen iſt (vgl. §. 22), bereiten jeder
ſittlichen Erhebung den Boden und zwar aus dem Grunde, den wir mit
Schillers Worten aufgeführt §. 75 Anm. 2, und dieſer Grund fällt
mit dem objectiven in §. 22 zuſammen, denn wie von jeder Exiſtenz
eine Linie zu den höchſten, den ſittlichen Sphären des Daſeyns führt, ſo
führt jede Löſung des Zwieſpalts im menſchlichen Weſen zu der Ent-
wicklung ſeiner bedeutendſten ſittlichen Kräfte.
2. Das Zweckmäßige kann ein Mittel zum Angenehmen ſeyn oder
ein Mittel zum Guten; in ſeiner wahren Bedeutung iſt es beides, denn
auch das Angenehme hat ſeine richtige Stelle im Begriffe des höchſten
Guts. Die objectiven Hauptbedingungen, unter welchen das Zweckmäßige
im Guten zuläſſig iſt, ſind §. 23 ausgeſprochen. Die eine beſtand darin,
daß das Perſönliche, ganz in das Zweckmäßige vertieft, wie eine zweite
Naturnothwendigkeit behandelt wird; ſo kann z. B. der Ackerbau poe-
tiſch dargeſtellt werden. Die andere lag in der innigen Verbindung
mit den abſoluten Zwecken. So iſt ein Dampfſchiff verglichen mit einem
Segelſchiff, ein Dampfwagen verglichen mit einem von Pferden gezogenen
[199] oder einem Reiter proſaiſch, aber der ungeheure Zeitgewinn für die geiſti-
gen Zwecke kann in einem poetiſchen Zuſammenhang dennoch große Wir-
kungen thun. Hier aber iſt die Rede von der ſubjectiven Betrachtungs-
weiſe, welche das, was wirklich nicht um eines äußern Zweckes willen
da iſt, unter einen ſolchen rückt; daher z. B. der Landmann keine
landſchaftliche Schönheit genießt, weil er Erde, Waſſer, Luft unter dem
Standpunkte der Brauchbarkeit anſieht. Ebenſo kann das, was an ſich
einem äußeren Zwecke dient, aber durch Behandlung in das Licht poeti-
ſcher Selbſtändigkeit gerückt iſt, von einem proſaiſchen Sinn ſo betrachtet
werden, daß die Schönheit zerſetzt wird. Ein Fuhrmannswagen mit
tüchtigen Hengſten läßt ſich nicht ganz poetiſch auffaſſen, aber wohl vom
Kaufmann, dem er die Waaren zuführt. So alle Sphären der Oekonomie.
§. 77.
Stoffartig und mit Intereſſe verbunden iſt, wiewohl hier das Intereſſe
weder blos der ſinnlichen Materie, noch blos dem Gehalte, ſondern dem ganzen
Gegenſtand als Stoff gilt, auch das religiöſe Verhalten; denn da es auf Ver-
wechslung und unfreiem Schein beruht, ſo iſt ihm Alles an der Exiſtenz des
Gegenſtandes, den es allerdings nur vermöge eines Widerſpruchs als empiriſch
und zugleich als über aller Empirie vorhanden anſehen kann, und an der an-
dächtigen Erhebung des Subjects zu dieſem Gegenſtande gelegen. Daher hat
es mit der Form im äſthetiſchen Objecte als reiner Form nichts zu thun. Wer
das Schöne mit der Stimmung betrachtet, die es nur als Mittel benützt, um
die religiöſe Bewegung des Gemüths zu vollziehen, der empfindet die Schönheit
nicht als Schönheit, und wer dieſe als ſolche frei anſchaut und genießt, iſt nicht
im Zuſtande der Andacht. Vergl. §. 61—67.
Auch hier iſt nur ſubjectiv gewendet, was in §. 61—67 objectiv
ausgeſprochen iſt. Es iſt in dieſem Zuſammenhang gleichgültig, ob das
Götterbild wirklich als der Gott ſelbſt angebetet oder nur als eine Er-
innerung an ihn zum Vehikel der Andacht wird, oder ob ſich das Bild
als bloſe Vorſtellung in’s Innere zurückzieht; denn auch in den beiden
letzteren Fällen iſt Alles an der Exiſtenz des Gegenſtandes gelegen,
wiewohl dieſelbe nun nicht in dem vorliegenden Werke, ſondern auf
dem Olymp, Himalaya, über den Wolken geſucht wird. Daß der ſo
in ſtoffartigem Sinne als exiſtirend vorausgeſetzte Gegenſtand zugleich über
[200] alle Bedingungen der Exiſtenz erhaben geſetzt wird, iſt ein Widerſpruch,
den die Religion nicht bemerkt, wie dies ebenfalls oben gezeigt iſt.
§. 78.
Vom Schönen iſt aber auch das Intereſſe der Wahrheit ausgeſchloſſen,
mag es nun darauf gerichtet ſeyn, den Gegenſtand als empiriſch vorhandenen
d. h. als Stoff abgeſehen von der reinen äſthetiſchen Form, oder mit und in
dieſer zu begreifen, denn im erſten Falle wird der Schein durch Zurückgehen
hinter die Geſammtwirkung der Oberfläche ſchlechtweg aufgehoben (§. 54), im
zweiten zwar in ſeinem Grunde und ſeiner Berechtigung begriffen, aber dadurch
2als Schein ebenfalls aufgelöst. Das Subject gewinnt durch die Vollendung
dieſer Auflöſung zwar ein reines Wiſſen, welches höher iſt, als die ſchöne
Täuſchung (§. 69), aber wo das Schöne als ſolches ſeine Stelle hat und daher
der Schein waltet, da wird dieſe, wenn das Denken als Weg zum Wiſſen ſich
einmiſcht, zur Unzeit als Mangel, das Wiſſen als Bedürfniß gefühlt und ſo
entſteht Intereſſe, welches in dieſem Zuſammenhang fremdartig, einſeitig und
als niedrigeres Verhalten zu bezeichnen iſt.
1. Das Intereſſe der Wahrheit, d. h. des Denkens, das durch Voll-
endung ſeines Durchdringens zum Wiſſen wird, kann ein doppeltes ſeyn.
Entweder es nimmt den Gegenſtand abgeſehen von der reinen äſthetiſchen
Form vor ſich, wie z. B. der Phyſiolog und Zoolog einen organiſchen Körper;
oder mit und in dieſer Form, wie der wiſſenſchaftliche Aeſthetiker den-
ſelben Körper, ſofern derſelbe durch den äſthetiſchen Act als reine Form
hingeſtellt iſt. Jenes Verfahren legt den Körper auseinander und zer-
ſtört die Geſammtwirkung der Oberfläche; nun bleibt zwar die Wiſſen-
ſchaft bei der Zerlegung nicht ſtehen, ſondern begreift ebenſo auch die
allgemeine Wechſelwirkung der zuerſt getrennten Theile, aber in dieſer
Reconſtruction bleibt das Bewußtſeyn der Theile immer gegenwärtig.
Der Phyſiolog als ſolcher vergißt, wenn er auch den Körper als leben-
diges Ganzes anſchaut, nie, daß hier Venen, dort Arterien durch die
Haut ſchimmern, hier dieſer, dort jener Muskel liegt, daß dieſer Theil
auf der Oberfläche ſo und ſo erhöht iſt, weil im Innern dies oder
jenes Organ ſeinen Raum braucht u. ſ. w. Daher bleibt dieſe Be-
trachtung, obwohl ſie in ihrer Weiſe auch die Form begreift, gegenüber
[201] dem Schönen immer ſtoffartig. Nun ſteigt der Naturforſcher zwar auch
zum allgemeinen Begriffe des Organismus auf, in welchem ausdrücklich
geſetzt iſt, daß aller Stoff ſich in Form aufhebt, und wenn er es zum
philoſophiſchen Wiſſen bringt, ſo weist er dieſem Begriffe ſeinen Ort
im Ganzen des Syſtems der Idee an; allein jetzt hat er den Organismus
überhaupt im Auge, er hat den Begriff in ſeiner Allgemeinheit und ihn be-
ſchäftigt nicht mehr das Individuum, wie er auch übrigens etwa als
Arzt ſeinen Begriff in der Behandlung des Letzteren in Anwendung
bringen mag. Immer alſo iſt bei dieſem Verfahren der Schein völlig
aufgehoben. Der wiſſenſchaftliche Aeſthetiker dagegen bleibt nicht bei dem
Begriff in ſeiner Allgemeinheit ſtehen, ſondern er begreift auch die
Nothwendigkeit des Standpunkts, auf welchem ein Einzelnes durch die
reine Form unmittelbar als vollendete Erſcheinung des Allgemeinen ſich
darbietet. Allein auch er ſteht nun nicht mehr im Scheine, ſondern über
dem Scheine und hat ihn zum Gegenſtand, der Schein iſt ebenfalls
aufgelöst.
2. Die ſtrenge Wahrheit iſt höher als die Schönheit (vgl. §. 69).
Allein dadurch, daß ein Standpunkt einen höheren über ſich erkennt,
verliert er ſeine Selbſtändigkeit nicht. Wo er berechtigt und an ſeinem
Orte iſt, erſcheint der höhere als einſeitig und niedriger, wenn er ſich
unzeitig eindrängt. Es iſt daher nicht ein Vorzug, ſondern eine Armuth,
wenn man vor Kunſtwerke tritt, nicht um ſie zuerſt zu genießen und
vielleicht ein andermal ſich vom Genuſſe philoſophiſche Rechenſchaft zu
geben, ſondern um ſogleich zu kritiſiren und ſich über Kunſt zu belehren,
wie dies jetzt immer allgemeiner wird. Der Genuß der ganzen Wahrheit
in dem zum Wiſſen durchgedrungenen Denken iſt auf ſeinem Boden reicher
als der äſthetiſche Genuß; allein der äſthetiſche Genuß iſt reicher als der auf
ſeinem Boden ihn ſtörende Begriff, denn er iſt intereſſelos, dagegen die
philoſophiſche Thätigkeit, wenn ſie ſich ſo einmiſcht, muß die reine äſthetiſche
Stimmung als Täuſchung behandeln, fühlt dieſe als Mangel des Denkens
und iſt nun durch das Intereſſe getrieben, dieſen erſt aufzuheben.
Allein es kann auf dieſe Weiſe der Mangel nicht einmal aufgehoben
werden: denn die Täuſchung ſoll begriffen werden, ſie iſt aber nur zu
begreifen, wenn ſie vollendet iſt, und dies eben iſt ſie nicht, wo ſich
das Denken vor der Zeit einmiſcht; es iſt keine Kunſtphiloſophie und
Kunſtkritik möglich, wo ihr nicht der volle, ungetheilte, reine Kunſtgenuß
vorangegangen iſt.
[202]
§. 79.
Obwohl alſo das Schöne vor allem und ohne allen Begriff gefällt, wird
es dennoch, wie Kant richtig beſtimmt, als Object eines allgemeinen
Wohlgefallens vorgeſtellt. Da nun allgemeine Uebereinſtimmung des Urtheils
blos da gefordert werden zu dürfen ſcheint, wo ſie ſich nöthigenfalls durch Be-
weis, alſo Begriff erzwingen läßt, ſo hat man, um dem vermeintlichen Wider-
ſpruch zu entkommen, den Satz geläugnet und ihm den andern entgegengeſtellt,
daß Jeder ſeinen eigenen Geſchmack habe. Allein Geſchmack und Schön-
heitsſinn iſt zweierlei. Jener hat nur anhängende Schönheit (§. 23, 3; 59, 3)
zum Gegenſtande und über dieſe gibt es allerdings ſo viele Anſichten als Sub-
jecte, weil der Maßſtab der Empfindungsweiſe über dasjenige, was durch
Verbindung einer äſthetiſchen Zuthat mit dem Zweckmäßigen und Guten entſteht,
und was als angenehm (in weiterem Sinne als §. 76) zu bezeichnen iſt, in den
unbeſtimmbar zufälligen Neigungen der Subjectivität liegt; zudem wechſelt ſie
ihre Formen nach nationalen und geſchichtlichen Bedingungen, wonach nothwendig
auch der Geſchmack am Vorhandenen wechſelt.
Die Thatſache hat Kant a. a. O. §. 6. ff. ebenſo richtig aufge-
ſtellt, als mangelhaft (wiewohl mit richtigen Andeutungen) erklärt. „In
Anſehung des Angenehmen beſcheidet ſich Jeder, daß ſein Urtheil,
welches er auf ein Privatgefühl gründet, ſich auch blos auf ſeine Perſon
einſchränke. Daher iſt er es gern zufrieden, daß, wenn er ſagt: der
Canarienſekt iſt angenehm, ihm ein Anderer den Ausdruck verbeſſere
und ihn erinnere, er ſolle ſagen: er iſt mir angenehm“ u. ſ. w.
„Mit dem Schönen iſt es anders bewandt. Es wäre (gerade umge-
kehrt) lächerlich, wenn Jemand, der ſich auf ſeinen Geſchmack etwas
einbildete, ſich damit zu rechtfertigen gedächte: dieſer Gegenſtand iſt für
mich ſchön. Denn er muß es nicht ſchön nennen, wenn es blos ihm
gefällt. Reiz und Annehmlichkeit mag für ihn Vieles haben, darum
bekümmert ſich Niemand; wenn er aber etwas für ſchön ausgiebt, ſo
muthet er Andern ebendaſſelbe Wohlgefallen zu, — er ſagt daher:
die Sache iſt ſchön, er fordert von Andern die Einſtimmung,
er tadelt ſie, wenn ſie anders urtheilen, und ſpricht ihnen den Geſchmack
ab, von dem er doch verlangt, daß ſie ihn haben ſollen.“ Die For-
derung der Allgemeinheit ſchließt den Begriff der Nothwendigkeit in ſich
(a. a. O. §. 18 — 22); dies ſind Merkmale des Begriffs, der ſeine
[203] Wahrheit beweiſen, d. h. die Anerkennung derſelben von Allen erzwin-
gen kann, und ſo iſt der volle Widerſpruch vorhanden, denn es iſt eben-
ſo wahr, daß das Schöne ohne Begriffe und vor allem Begriffe gefällt,
als daß es mit dieſer Allgemeinheit und Nothwendigkeit auftritt. Die-
ſem Widerſpruch entgeht man freilich, wenn man die zweite dieſer
Theſen läugnet und den ſprichwörtlichen Satz: jeder hat ſeinen Geſchmack,
oder: de gustibus non est disputandum als ein Grundgeſetz des Schönen
aufſtellt. Kant hat aber richtig nachgewieſen, daß dieſe völlige Frei-
laſſung der Willkür nur auf das Angenehme angewandt werden kann.
Er hätte dieſen Punkt noch ſchärfer und gründlicher beleuchten können,
wenn ſeine Darſtellung nicht an zweierlei Mängeln litte: daß er näm-
lich blos das Angenehme als dieſe Sphäre der Willkür beſtimmt und
daß er den Namen Geſchmack (in der Weiſe ſeiner Bildungs-Epoche)
ſowohl für das Schöne als für das Angenehme gebraucht, ſo daß er
nur durch einen Zuſatz beides unterſcheiden kann: Geſchmack am Ange-
nehmen und Geſchmack am Schönen, oder Sinnengeſchmack und Reflexions-
geſchmack (§. 8). Allein es iſt etymologiſch ganz begründet, daß die
jetzige Wiſſenſchaft dem Geſchmack, der von einem ſtoffartigen Sinne den
Namen hat, nur die untergeordnete Sphäre der anhängenden Schönheit
anweist und, wenn die ſubjektive Aufnahme des Schönen einen beſondern
Namen führen ſoll, den Ausdruck Schönheitsſinn gebraucht. Es iſt aber nicht
nur das Angenehme, in der Bedeutung des blos ſinnlich Wohlgefälligen,
was unter den Geſichtspunkt des Geſchmacks fällt, oder vielmehr die
Bemerkung §. 76, 1 iſt hier wieder aufzufaſſen und dahin zu ergänzen,
daß dem Angenehmen eigentlich immer irgend eine geiſtigere Beziehung
beigemiſcht iſt; angenehm kann nun alle anhängende Schönheit heißen,
weil das Schöne, das einem Andern nur beigemiſcht iſt, in die Miſchung
nicht rein aufgeht, ſondern als mehr oder minder blos ſinnlicher Ring
daneben fällt; auf das Angenehme als ein ſo Gemiſchtes geht der Ge-
ſchmack und ſo iſt es denn die ganze Sphäre der anhängenden Schön-
heit, mag ſie nun an das Zweckmäßige (dem Bedürfniß Dienende) als
Ueberfluß angehängt ſeyn (§. 23, 3) oder an den ſittlichen Selbſtzweck
(das Gute §. 59, 3), von was es ſich hier handelt. Geſchmacksſachen
ſind Hausgeräthe, Zurichtung einer Tafel und dergl., Geſchmacksſachen
ſind aber auch geſellige Formen, in welchen ein ſittlicher Kern iſt, jedoch
ſo, daß er durch den Unterſchied der Zeiten und Völker conventionell
wird und daher die Zuthaten ſeiner Erſcheinung wechſelt, wodurch er den
Veränderungen der Mode unterliegt. Hier iſt insbeſondere die Kleidung
[204] intereſſant. Es verbindet ſich in ihr das ſinnliche Bedürfniß, den Kör-
per zu ſchützen, mit der ſittlichen Abſicht, ihn zu verhüllen. Beide
Zwecke aber vereinigen ſich, indem ſie mit einem Ueberſchuſſe befriedigt
werden, mit der Schönheit. Nach Kant könnte dieſe Verbindung an-
genehm heißen nur darum, weil die wärmere, ſchmiegſamere Kleidung
dem Körper wohler thut; allein in dem Angenehmen iſt auch die Be-
friedigung der geiſtigeren Luſt, zu gefallen, die Perſönlichkeit in ein
vortheilhaftes Licht zu ſetzen, miteingeſchloſſen. Dieſe ſo gemiſchte Schön-
heit und die geltende Anſicht darüber wechſelt nun aber ſo, daß uns
bekanntlich die letzte Mode, die wir ſo eben noch für ſchön hielten, beim
Eintritt der neuen bald als unſchön, ja lächerlich erſcheint. Dieß iſt
eines der Beiſpiele, worauf ſich diejenigen, welche dem Schönen die
Allgemeinheit und Nothwendigkeit abſprechen, vorzüglich berufen. Allein
dieſe erwägen nicht, daß es ſich hier um blos anhängende Schönheit
handelt. Die Schönheit der Grundformen des menſchlichen Körpers
bleibt immer dieſelbe, aber in die Art, ſie durch Kleidung zu ſchmücken,
miſcht ſich außer dem Bedürfniß des Schutzes und der Verhüllung die
Individualität mit ihren Launen, ihren Vorſtellungen vom Angenehmen
und Gefälligen und ein Inſtinct der Zeit, in den Formen einen ſymbo-
liſchen Ausdruck ihrer Geſittungsweiſe niederzulegen; dadurch wird als
durch ein außeräſthetiſches Moment die äſthetiſche Zuthat beſtimmt. In
dieſen Rückſichten bewußtlos befangen folgen wir der Mode. Liegt aber
eine Mode ſo weit hinter uns, daß uns über dieſe bewußtlos mitſpie-
lenden Beſtimmungsgründe der Blick frei wird, ſo vergleichen wir auch
vorurtheilslos dieſelbe mit andern Moden und können nun allerdings
über ihre Schönheit ein ganz objectives Urtheil abgeben.
Dieſe gemiſchten Nebenzweige des Schönen und der äſthetiſchen
Stimmung hat Kant allerdings auch berührt, aber in anderem Zuſam-
menhang und Sinn, ſo nämlich, daß er nicht von einem Zuſatze von
Schönheit zu etwas nicht Schönem, ſondern von etwas Schönem, das
in zweiter Linie einen nicht äſthetiſchen Zuſatz annimmt, ſpricht: §. 41
„vom empiriſchen Intereſſe am Schönen,“ §. 42 „vom intellectuellen
Intereſſe am Schönen.“
§. 80.
Der Widerſpruch löst ſich aber dadurch, daß etwas ſehr wohl als wirkliche
Macht unmittelbar und ohne Begriff mit dem Anſpruche der Allgemeinheit und
[205] Nothwendigkeit auftreten und erſt durch einen zweiten Act, der dieſes unmittel-
bar Wirkende zu ſeinem Objecte macht, in die Form des Begriffes gefaßt wer-
den kann, der jenen Anſpruch beweist. So kann zwar nicht die äſthetiſche
Stimmung ſelbſt, wohl aber die wiſſenſchaftliche Ergründung dieſer Stimmung
beweiſen, daß der Gegenſtand derſelben in ſeiner, den Gegenſatz des Allgemei-
nen und der erſcheinenden Einzelheit tilgenden, Form ein reines Bild der un-
mittelbaren Harmonie der Kräfte der Perſönlichkeit enthält und daher der
äſthetiſch Geſtimmte mit Recht fordert, daß der ſo beſtimmte Gegenſtand dieſe
Harmonie als etwas allgemein Menſchliches in jedem Subjecte vorbereitet an-
treffen, hervorrufen und mit ihr in Einer Bewegung aufgehen ſoll. Wo daher
die Uebereinſtimmung über einen ſolchen Gegenſtand ausbleibt, läßt ſich durch
denſelben zweiten Act nachweiſen, daß entweder das Subject ausnahmsweiſe
einſeitig organiſirt oder dieſe Harmonie nicht vorbereitet ſey, und allerdings for-
dert ſie eine Vorbereitung, worin auch ein Denken mitbegriffen iſt, aber nicht
als beſonderes, ſondern als Denken in Formen, ein Form-Verſtändniß.
Die Löſung, welche Kant für den genannten ſcheinbaren Widerſpruch
verſucht, iſt §. 78. Anm. mangelhaft genannt worden. Er beſchäftigt
ſich wiederholt mühſam mit dieſem Gegenſtande, ſtreift immer an das
Richtige und immer fehlt ihm zu ſeiner Erklärung der Gegenſtand,
nämlich eine objektive Beſtimmung des Schönen. Vor Allem kann er
den Grund nicht recht finden, warum zum Schönen, d. h. zum unmittel-
baren äſthetiſchen Genuſſe des Schönen kein Begriff gehöre. In §. 6
gibt er unpaſſender Weiſe als Grund an, daß es von Begriffen (aus-
genommen in rein praktiſchen Geſetzen, die aber ein Intereſſe bei ſich
führen) keinen Uebergang zum Gefühle der Luſt oder Unluſt gebe. Zum
Richtigen hätte ihn aber ſchon das führen müſſen, was er in demſel-
ben §. unmittelbar vorher ſagt, daß ſich nämlich im Wohlgefallen am
Schönen, da es ſich nicht auf irgend eine Neigung des Subjects, noch
auf irgend ein anderes, überlegtes Intereſſe gründe, der Urtheilende ſich
völlig frei fühle; daher könne er keine Privatbedingungen als Gründe
des Wohlgefallens auffinden und müſſe es vielmehr als in demjenigen
begründet anſehen, was er auch bei jedem Andern vorausſetzen könne.
Hier fehlt nur noch ein Schritt, ſo wäre der Anſpruch des äſthetiſchen
Wohlgefallens auf Allgemeinheit aus der Sache ſelbſt nachgewieſen.
Privatbedingungen nämlich wären auf der Einen Seite die Sinnlichkeit,
die zwar in Jedem, aber in Jedem andere Sympathieen und Anti-
[206] pathieen hat; auf der andern der Geiſt, der den Begriff denkt, aber
ungleich ausgebildet iſt. Hätte nun Kant eine objective Beſtimmung
des Schönen, ſo würde er zeigen, daß ſchon im Gegenſtande dieſer
Gegenſatz getilgt iſt. Die ſinnliche Beſtimmtheit deſſelben iſt durchdrun-
gen von der Allgemeinheit und das Allgemeine iſolirt ſich nicht als
Begriff, ſondern geht eben im ſinnlich Einzelnen auf. Daher wendet
ſich der ſchöne Gegenſtand auch im Subjekte nicht an das Gegenſätzliche,
das ſo oder anders ſeyn kann: nicht an ſeine ſinnlichen Launen, ſondern
an die allgemeine Sinnlichkeit in ihm, nicht an ſeinen Geiſt, ſofern er
mehr oder minder fähig und gebildet iſt, das Allgemeine als Begriff zu
denken, ſondern an den Geiſt in ihm überhaupt, wie er als reinmenſch-
liche Fähigkeit ohne Gegenſatz zur Sinnlichkeit in der Einheit der Per-
ſönlichkeit aufgeht; alſo es wendet ſich blos an den Menſchen im Sub-
jekte, an das, worin ſich Alle gleich ſind, an die Gattung im Einzel-
nen. Daher vereinigen ſich auch im Genuſſe des Schönen alle getrenn-
ten Richtungen und Geſchäfte und löſchen die Beſonderheit des Hand-
werks-Gepräges aus. Um feinen Geſchmack zu haben, muß man gebil-
deter Weltmann, um tief zu denken, Gelehrter, um geſchickt zu handeln,
Praktiker ſeyn u. ſ. f.; um das Schöne zu empfinden, darf man nur
Menſch ſeyn. Kant nun, der ganz im Subjektiven bleibt, ſucht im
Subjekte allerdings jene Mitte, welche vom Begriffe die Allgemeinheit
und Nothwendigkeit, aber nicht die logiſche Strictheit haben ſoll. In
§. 9 ſtellt er die ſcharfſinnige Frage, ob im Geſchmacksurtheile das
Gefühl der Luſt vor der Beurtheilung des Gegenſtands oder dieſe vor
jener vorhergehe? Die Luſt kann nicht vorangehen, denn dann wäre ſie eine
blos ſinnliche, und dieſe hat nur Privatgültigkeit. Allgemein und allge-
mein mittheilbar iſt nichts als Erkenntniß und Vorſtellung. Erkenntniß
aber in der Form des beſtimmten Begriffs kann ebenfalls nicht vorher-
gehen, denn dann wäre das Urtheil gar kein äſthetiſches. Zuerſt findet
er nun den Ausweg, daß er an die Stelle der letztern die Beziehung
einer gegebenen Vorſtellung auf Erkenntniß überhaupt ſetzt; er
kommt auf jenes freie Spiel zurück, in welchem die Einbildungskraft,
welche die Einheit in der Mannigfaltigkeit anſchaut, dem Verſtande ein
Bild zuſchiebt, worin dieſer Zweckmäßigkeit ohne beſtimmten Zweck er-
kennt, alſo die Einheit geiſtig zuſammenfaßt, ohne ſie in den ſtricten
Begriff zu erheben. Dieſe Mitte, dieſe „Belebung der Einbildungskraft
und des Verſtandes zu unbeſtimmter, aber doch einhelliger Thätigkeit,“
geht nun der Luſt voran und ſie muß allgemein mittheilbar ſeyn: „eine
[207] Vorſtellung, die als einzeln und ohne Vergleichung mit
andern dennoch eine Zuſammenſtimmung zu den Bedingungen
der Allgemeinheit hat, welche das Geſchäft des Verſtandes
überhaupt ausmacht, bringt die Erkenntnißvermögen in die
proportionirte Stimmung, die wir zu allem Erkenntniſſe
fordern und daher auch für jedermann, der durch Verſtand
und Sinne in Verbindung zu urtheilen beſtimmt iſt, (für jeden
Menſchen) gültig halten.“ In §. 12 beſinnt er ſich jedoch darauf,
daß auch dieſem Spiele der Erkenntnißkräfte die Luſt nicht als ihrer
Wirkung nachfolgen darf, und löst nun erſt die ganze Schwierigkeit
durch den Satz: die Cauſalität iſt eine innere, das zu Grund liegende
Bewußtſeyn iſt die Luſt ſelbſt, weil es die Erkenntnißkräfte belebt.
Wohl aber hat dieſe Luſt nach der andern Seite eine Cauſalität in ſich,
nämlich, den äſthetiſchen Gemüthszuſtand ohne weitere Abſicht zu
erhalten. „Wir weilen bei der Betrachtung des Schönen, weil
dieſe Betrachtung ſich ſelbſt reproducirt.“ Kant nimmt nun aber den
Gegenſtand noch dreimal vor, ſo wichtig iſt er ihm; zuerſt unter der
Kategorie der Modalität §. 18 — 22, wo der Begriff der Nothwendig-
keit des äſthetiſchen Wohlgefallens, getrennt von dem der Allgemeinheit,
noch beſonders unterſucht wird. Hier nennt er in der Weiſe der engli-
ſchen Senſualiſten das allgemeine Menſchliche, deſſen harmoniſche Mitte
als Anſchauung des Abſoluten in der Form der Unmittelbarkeit die jetzige
Wiſſenſchaft aus dem allgemeinen Geſetze des geiſtigen Prozeſſes ableitet,
einen Gemeinſinn. Er hebt aber das Punktuelle, was in dieſer An-
nahme liegt, wieder auf, indem er tiefſinnig ſagt, daß, wenn ſich
beſtimmte Erkenntniſſe (ſtricte Begriffe) allgemein mittheilen laſſen
müſſen, weil ſie ſonſt keine objective Wahrheit hätten, nothwendig auch
der Gemüthszuſtand, d. h. die Stimmung der Erkenntnißkräfte zu einer
Erkenntniß überhaupt allgemein mittheilen laſſen müſſen. Hiemit iſt die
Erkenntniß vor der Erkenntniß, d. h. die Grund-Einheit des Geiſtes,
worin er noch von ſeiner Sinnlichkeit nicht unterſchieden iſt, ausgeſprochen:
eben auf dieſe Grund-Einheit, aus welcher das beſtimmte Denken
als Begriff erſt hervortaucht, wirkt das Schöne, und ſie gehört dem
Menſchen als Menſchen und muß, ohne Begriff, als Gefühl allgemein
mittbeilbar ſeyn. In §. 30 — 40 läßt Kant eine „Deduction der rei-
nen äſthetiſchen Urtheile“ folgen, d. h. eine Unterſuchung der objectiven
Seite, welche die Rechtmäßigkeit des äſthetiſchen Urtheils in der Anwen-
dung auf den Gegenſtand, der doch nicht durch Begriffe beſtimmt wird,
[208] begründen ſoll. Kant ſagt, das äſthetiſche Urtheil könne nur als
einzelnes Urtheil allgemeine Gültigkeit haben, weil nämlich hier die
begriffsmäßige, logiſche Allgemeinheit keine Anwendung finde. Es muß
ein Object gegeben ſeyn, und je von dem vorliegenden Objecte wird
ausgeſagt, es ſey ſchön, und dieſes Urtheil allen Andern angeſonnen;
(durch Anſinnen nämlich bezeichnet Kant den Anſpruch des äſthetiſchen
Wohlgefallens auf allgemeine Einſtimmung, im Gegenſatz gegen Poſtuliren,
vergl. a. a. O. §. 8 and.). Dieſe Allgemeingültigkeit iſt aprioriſch, denn
man fordert ſie, ohne die Zuſtimmung abzuwarten, ohne durch Stimmen-
ſammlung und Herumfragen ſich ihrer zu verſichern; aber ſie beruht
nicht auf logiſchen Beweisgründen a priori. Nun, meint man, komme
endlich das Wahre, nämlich eine objective Beſtimmung, d. h. die Be-
ſtimmung, daß zwar nicht der äſthetiſch Geſtimmte ſelbſt, wohl
aber der, welcher über ihn und den Gegenſtand begriffmäßig denkt
und ſowohl den Gegenſtand als dieſe Stimmung in ihren Elementen
aufweist, logiſch beweiſen könne, daß und warum dieſer Gegenſtand
ſchön ſey und ſchön gefunden werden müſſe, wodurch dann dasjenige
durch Begriffe begründet würde, was der Erſtere ohne Begriffe fordert.
„Was ſollte man nun anders vermuthen, als daß die Schönheit für
eine Eigenſchaft der Blume ſelbſt gehalten werden müſſe?“ Aber wie-
der: „es verhält ſich nicht ſo“ — denn — „das Geſchmacksurtheil grün-
det ſich gar nicht auf Begriffe.“ Freilich gründet es ſich nicht auf Be-
griffe, aber der Begreifende kommt darüber und begründet durch ein
zweites Urtheil, was der Genießende durch ſein — rein äſthetiſches — Urtheil
nicht begründen konnte. So kommt Kant hier wieder auf ſeinen „Ge-
meinſinn“ hinaus und man erfährt nie, warum denn dieſer Gegen-
ſtand, ein anderer nicht, dieſen Gemeinſinn in Thätigkeit ſetze, was
denn in dieſem Gegenſtande es ſey, wodurch er jenes Spiel der Erkennt-
nißkräfte hervorrufe. Es fehlt überall die Idee der Schönheit, welche
ebenſo objectiv wie ſubjectiv iſt, ſich in Gegenſtänden niederſchlägt und
aus dieſen in Subjecten reflectirt. Daß der objective Niederſchlag in
Wahrheit ſelbſt das Werk des Subjects iſt, — wie ſich im Verlaufe
des Syſtems zeigen wird und wie Kant in §. 36 durch den Ausdruck:
die äſthetiſche Urtheilskraft ſey ſich ſelbſt Gegenſtand und Geſetz,
geiſtreich, aber ohne Bewußtſeyn der Conſequenz andeutet, — dies geht
uns hier nichts an, denn jedenfalls nicht im Sinne Kants, wie er ſich
deſſen bewußt iſt, iſt dies wahr, welcher vom ſubjectiven Momente ja
doch nur in der Bedeutung handelt, daß er ein vorgefundenes Object
[209] vorausſetzt. Hat man aber die Idee der Schönheit, ſo begreift ſich,
daß der äſthetiſch Genießende berechtigt iſt, in Betreff des einzelnen
vorliegenden Gegenſtands allgemeine Zuſtimmung aprioriſch zu for-
dern, denn er befindet ſich mitten im Leben der Idee, indem er ſie in
einem Gegenſtande verwirklicht anſchaut, und der, welcher über ihn und
den Gegenſtand denkt, kann beweiſen, daß er ſich im Leben der Idee
befand, denn dieſer begreift die Idee. Es iſt alſo nicht richtig, daß
es ſich blos von einzelnen „Urtheilen“ handelt; der unmittelbar Genie-
ßende kann freilich blos einzelne „Urtheile“ fällen; ſo verhält ſich aber
mit jedem Allgemeinen, das in Form der Empfindung auftreten kann:
der blos Empfindende findet es erſt, wenn es vorkommt, aber wer
über ihn und hinter ihn zurückdenkt, der muß nothwendig allgemeine
Urtheile fällen können, wie z. B.: der menſchliche Körper als Gattung
iſt ſchön (wobei freilich noch gewiſſe Bedingungen fehlen, welche nicht
erlauben, zu ſagen: alle menſchlichen Körper ſind ſchön, aber Bedingun-
gen, die ganz wohl ebenfalls in ihrer Allgemeinheit zu begreifen ſind).
Nun könnte man ſagen, Kant gebe dies Denken als einen zweiten Act
wohl zu, er fügt ja hinzu (§. 33): „der Verſtand kann durch die Ver-
gleichung des Objects im Punkte des Wohlgefälligen mit dem Urtheile
Anderer ein allgemeines Urtheil machen: z. B. alle Tulpen ſind ſchön;
aber das iſt alsdann kein Geſchmacks-, ſondern ein logiſches Urtheil.“
Man ſieht, Kant meint das logiſche blos formell und läßt es blos auf
comparativem Wege entſtehen; daher ſagt er auch §. 34: „unter einem
Prinzip des Geſchmacks würde man einen Grundſatz verſtehen, unter
deſſen Bedingung man den Begriff eines Gegenſtands ſubſumiren und
alsdann durch einen Schluß herausbringen könnte, daß er ſchön ſey.“
Richtiger ausgedrückt iſt dies Prinzip die Idee des Schönen, die er
eben läugnet, indem er ſofort ein ſolches Prinzip für ſchlechterdings
unmöglich erklärt. Zum letztenmal faßt er den Gegenſtand auf in der
Dialektik der äſthetiſchen Urtheilskraft §. 55 — 58. Hier ſtellt er den
vorliegenden Widerſpruch als Antinomie auf, löst dieſe dadurch, daß er
zeigt, der Ausdruck Begriff ſey in der Theſe und Antitheſe verſchieden
genommen, und nennt denjenigen Begriff, der dem äſthetiſchen Urtheil
zu Grunde liegt, im Gegenſatze gegen den Verſtandesbegriff einen tran-
ſcendentalen, theoretiſch unbeſtimmbaren Vernunftbegriff von dem Ueber-
ſinnlichen. Dieſer Vernunftbegriff iſt nun kein anderer, als der von der
Natur als einem innerlich zweckmäßigen Ganzen, und damit halte man
nun das tiefſinnige Wort (§. 57) zuſammen: „das Geſchmacksurtheil
Viſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 14
[210]bekommt durch dieſen Begriff, wiewohl er keine objective Geltung hat,
doch Gültigkeit für jedermann, weil der Beſtimmungsgrund desſel-
ben vielleicht im Begriffe von demjenigen liegt, was als
das überſinnliche Subſtrat der Menſchheit angeſehen werden
kann“; d. h. für uns: die Idee im ſchönen Object und im Subject
iſt dieſelbe, es iſt die abſolute Idee von Natur und Geiſt. — Ein
Philoſoph, der ſo tiefe Ahnungen ausſpricht, durfte nicht flüchtig über-
gangen werden.
Der Inhalt des §. iſt durch dieſe Kritik der Kantiſchen Begriffe
zugleich poſitiv entwickelt. Anzuführen iſt noch, daß ja in der nächſten
Nachbarſchaft des Schönen eine Idee thätig iſt, die ebenſo ohne Begriff als
Macht wirkt und doch ganz begriffmäßig iſt: das Gute. Was den Unterſchied
des Guten vom Schönen ausmacht, das Kategoriſche nämlich, beweist nur um
ſo mehr: denn wenn auch das ſtrenge Geſetz als Macht der Empfindung
wirkt, ſo erhellt, daß das Unmittelbare in der Form, wie ein Geiſtiges
auftritt, nimmermehr ein Beweis iſt, daß es nicht durch Begriffe zu
beſtimmen ſey. Das Gute wird auch von Kant ganz als Begriffs-
mäßiges aufgefaßt, nur zu ſehr, ſo daß freilich ſeine Kraft der Unmittel-
barkeit nicht einleuchtet. — Wenn nun vom Schönen geſagt iſt, daß es
perſönlich ſey und daher mit der Perſönlichkeit in Rapport treten müſſe, —
und ſo gewiß iſt dies, wie, daß Feuer Brennſtoff entzündet —, wenn
dies Zuſammengehen ganz unmittelbar iſt, weil eben im Schönen alle
trennenden Vermittlungen erlöſchen, ſo ſind nur die Urſachen des häufigen
Ausbleibens der Wirkung des Schönen, alſo der Uebereinſtimmung
der Urtheile noch kurz in’s Auge zu faſſen. Wir machen in unſerem
Urtheile über das Schöne durchaus keine Umſtände. Wem Raphael,
Sophokles, Shakespeare nicht gefällt, dem räumen wir durchaus
nichts ein, ſondern erklären ihn entweder für ſtumpf oder für ungebildet.
Von totaler Stumpfheit iſt hier nicht die Rede, denn dieſe fragen wir
überhaupt nicht nach ihrem Urtheil; aber es gibt einſeitige Naturen, die
in gegenſätzlichen Thätigkeiten ſtark, aber eben dahin, wo die Kräfte am
reinſten in Eins fließen, zum Schönen nämlich, ſehr mangelhaft organiſirt
ſind. Wie dies zu erklären ſey, geht uns hier nichts an; genug, wenn
dieſe Einſeitigkeit als Einſeitigkeit erkannt iſt, und ſie iſt es nach allem
Bisherigen. Allein ob ſolche Einſeitigkeit ſtattfinde, iſt äußerſt ſchwer zu
ermitteln, denn in den meiſten Fällen wird ſie ſich als Einſeitigkeit nicht
der Organiſation, ſondern der Bildung aufzeigen laſſen. Die zwei Sätze
nun, daß das Schöne ganz unmittelbar genoſſen werde und daß es Bildung
[211] vorausſetze, ſcheinen ſich zu widerſprechen. Allein man darf nur erwägen,
daß der Menſch erſt werden muß, was er iſt, daß er nur durch Bildung bei
ſeiner wahren Natur anlangt, daß Bildung durch die tiefſte Vermittlung zur
wahren Einfachheit zurückführt, ſo löst ſich der Widerſpruch. Der ſinnliche
Menſch, das rohe Individuum und das rohe Volk, iſt nicht der Gattung
adäquat, ſtellt nicht die reine Menſchheit in ſich dar; das Bedürfniß, das
Ganze an ſich darzuſtellen und ſich zum Genuß zu geben, äußert ſich dennoch
als dunkler Trieb im Schmucke. Der Menſch, der ſeine Rohheit über-
windet und, was man gewöhnlich Natur nennt, durch gegenſätzliches Denken
und Handeln in Geiſt umbildet, iſt aber auch nicht der ganze Menſch.
Humanität iſt erſt die ſpäte Frucht der Bildung, die zur Natur zurückkehren
darf, weil ſie ſie nicht mehr zu fürchten hat, und hier erſt blüht der Sinn
des Schönen auf. Iſt ihm nun der Boden geebnet, ſo braucht es, obwohl
er, verglichen mit den gegenſätzlichen Thätigkeiten ganz unmittelbar iſt, eine
Vermittlung innerhalb ſeiner ſelbſt, eine Bildung des Formſinns. In
dieſem liegt nun allerdings auch ein Denken. Ohne tiefes Sinnen, ohne
Reflexion über die Verhältniſſe der Compoſition iſt kein Kunſtwerk zu ge-
nießen, und dazu muß erſt die Uebung des Auges und Ohrs für Form,
Farbe, Ton, Rythmus u. ſ. w. treten. Das ſentimentale Entzücken über
ſchöne Natur und Kunſt iſt nur die Luſt des ſpielenden Thiers im Graſe.
Allein jenes Denken iſt ein eingehülltes. Es geht nicht fort zur Zerlegung
der Gedankenmomente in der Idee, um ſie mit den Theilen der Com-
poſition zu vergleichen: es behält dieſe als ſinnliche Verhältniſſe vor ſich,
es iſt nicht ein Denken, ſondern ein Sinnen. Ebenſo der beſondere Sinn
für Farbe, Form u. ſ. w. Um durch die Linien, die Modellirung, die
Farbentöne eines Baumes, wie er ſich von anderen Gegenſtänden abhebt,
wie die Maſſen ſeiner belaubten Aeſte auseinandertreten, wie die Schatten
ſich mit den Farbentönen miſchen u. ſ. w., das innerſte Gefühl mit Wonne
zu durchdringen, dazu gehört ein inneres Zeichnen und Malen, das theilt
und wieder verbindet; der Gegenſtand wird aufgehoben und wieder
zuſammengeſetzt, wird bildend innerlich nachgeſchaffen, die Linien fließen,
ſie ſind nicht todt, die Farben athmen, Schatten und Lichter durchſchneiden
ſich hier und verſchweben dort: dies Alles iſt ein Reflectiren, aber kein
abſtractes, ein Reflectiren, ein Denken in Formen.
§. 81.
Dieſer zweite Act nun, welcher den erſten, unmittelbaren als vollzogen
vorausſetzt, löst das Schöne auf (§. 69). Wenn er aber darum allerdings un-
14*
[212]berechtigt iſt, ſobald er dieſen in ſeiner Vollziehung ſtört (§. 78, 2), ſo iſt er
dagegen an ſeinem Orte und in ſeiner Selbſtändigkeit nicht nur berechtigt, ſondern
als Act der ſtrengen Wahrheit nach §. 69 höher als der erſte. Dieſer Satz
kann nur dann Auſtoß erregen, wenn man, ſtatt die Gebiete ſo auseinander-
zuhalten, meint, der zweite Act mache irgend einen Anſpruch, an die Stelle des
erſten, rein äſthetiſchen, zu treten. Vielmehr gehört jener einer ganz andern Sphäre,
als der des Schönen an, und nur in dieſem Zuſammenhange, als eine beſondere
Anwendung ſeiner ganzen Sphäre auf ein beſtimmtes Object, iſt er höher, weil
die ganze Sphäre höher iſt. Seine Thätigkeit aber beſteht darin, in einem
gegebenen Schönen zuerſt die Idee zu ermitteln, ihre Momente (§. 21) aus-
einanderzulegen, hierauf nachzuweiſen, wie der äſthetiſche Körper in ſeinen
Gliedern dieſen Momenten entſpricht, endlich aber dieſes Entſprechen als eine
reine Durchdringung zu begreifen, ſo daß der Gehalt mit und in ſeiner Form
in einem Gedankenbau umgewandelt wird.
Der Satz dieſes §. ſollte geeignet ſeyn, manches landläufige Miß-
verſtändniß über die Bedeutung und die Anſprüche der Kunſtkritik zu wider-
legen. Derſelbe bedarf keiner weiteren Auseinanderſetzung, nachdem ſchon
in §. 15, Anm. 1 Anlaß war, den Gemeinplatz der Enthuſiaſten, den
Weiße (Aeſth. §. 9) vorbringt, zu widerlegen. In ſ. Abhandl.: „Das
Verhältniß der Philoſophie der Kunſt und der Kritik zum einzelnen Kunſt-
werke“ (Abhandl. zur Philoſ. d. Kunſt) hat Rötſcher nachgewieſen, daß
nur, ſolange die Philoſophie der Kunſt ſich auf abſtracte Reflexion be-
ſchränkte, die Kunſt mehr gab, als der philoſophirende Geiſt zu faſſen
im Stande war, daß die ächte Kunſtkritik das Kunſtwerk zuerſt zwar
decomponirt, um ſeine Idee zu finden, hierauf aber den Bau herſtellt und
die Idee in ihre Form verfolgt, die in ihrem vollen Rechte anerkannt wird.
Nur darin hat er nicht ſcharf genug getrennt, daß er den Genuß, der dieſes
Thun begleitet, als eine Vollendung des erſten, rein äſthetiſchen Genuſſes
betrachtet. Es iſt vielmehr ein Genuß ganz anderer Art und man darf von
dem letzteren nicht ſagen, daß hier „mehr nur der Stoff in ſeiner unmittel-
baren Gewalt uns ergreife, in ſeiner ganzen Organiſation aber noch gar
nicht zu dem Unſrigen werde“ (a. a. O. S. 20). Der wahre äſthetiſche
Genuß iſt ganz und nimmt mit dem Stoffe auch ſeine Organiſation auf;
dieſer ganze Genuß iſt auf ſeinem Boden vollkommener als der Act des
Kunſtphiloſophen, wenn er auf dieſen Boden ſich eindrängt
(§. 78, 2). Allein er iſt nicht der einzige, er löst ſich auf, wie Rötſcher
[213] S. 28 ff. gezeigt hat, und nun tritt die philoſophiſche Kunſtkritik ein, deren
Genuß aber ein reiner Genuß des Wiſſens und durch den Gegenſtand nur
ſo gefärbt iſt, wie jeder beſondere Kreis von Gegenſtänden der Philoſophie
dem Gefühle der innerſten Genugthuung des denkenden Geiſtes ſeinen be-
ſonderen Ton gibt. Was nun das Geſchäft der Kunſtphiloſophen betrifft,
ſo hat es jene Abhandlung nicht erſchöpfend dargeſtellt; die Aeſthetik als
Syſtem hat jedoch die Auseinanderſetzung dieſes Geſchäfts deswegen nicht
zur beſonderen Aufgabe, weil ſie von ſelbſt in ihr als einem Ganzen durch-
geführt wird.
[[214]]
Zweiter Abſchnitt.
Das Schoͤne im Widerſtreit ſeiner Momente.
§. 82.
Jede wahre Einheit enthält den Gegenſatz als Möglichkeit in ſich, ſie
bethätigt ſich als Einheit, indem ſie ihn in die Wirklichkeit entläßt, wodurch
er, weil die Entgegengeſetzten Glieder derſelben Einheit ſind, zum Widerſpruch
wird; ſie bewährt ſich, indem ſie im Widerſpruch nicht verloren geht, ſondern
ihn überwindet. Ebenſo erſchließt ſich die Einheit des einfach Schönen gemäß
ihrem eigenen Geſetze zum wirklichen Widerſtreit der Momente, welcher nur
durch eine nothwendige Abſtraction in §. 50. 59. 60 zum voraus erwähnt werden
konnte; es tritt aber darum keineswegs aus ſeinem eigenen Kreiſe heraus, viel-
mehr, was ſich entfaltet, iſt nur eine Bewegung und Gährung im Schönen ſelbſt
und dieſes muß ſich aus dem Streite wieder zu ſeiner Einheit herſtellen.
Der §. beruft ſich für die Ableitung der gegenſätzlichen Formen des
Schönen zunächſt auf den wahren Begriff der Einheit als einer lebendigen,
welche den Gegenſatz als Keim in ſich verbirgt, entläßt und überwindet.
Dieſes allgemeine Geſetz des Lebens und des Denkens wird hier in ſeiner
Wahrheit vorausgeſetzt; es kann nur in dem Sinne eine eigene Be-
gründung in einem der beſonderen Zweige der Wiſſenſchaft anſprechen, daß
es ſich in dem Stoffe desſelben mit Nothwendigkeit durchführt. Seine
urſprüngliche Begründung gehört in die Logik oder Metaphyſik.
Daß die gegenſätzlichen Formen des Schönen, das Erhabene und
Komiſche, als Momente des Schönen überhaupt zu begreifen und daher
in der allgemeinen Lehre vom Schönen zu entwickeln ſind, wurde ſchon
von den engliſchen Kritikern des vorigen Jahrhunderts gefühlt; von einer
[215] wirklichen Ableitung derſelben aus dem Schönen ſelbſt als weſentlicher
Momente ſeiner inneren Bewegung konnte jedoch früher nicht die Rede
ſeyn, als bis die Philoſophie den Standpunkt der Idee als einer dialektiſch
ſich bewegenden erreicht und ſo das Mittel gefunden hatte, den Wider-
ſpruch in der Einheit zu begreifen. Burke, dem die Theorie des Er-
habenen viel verdankt, hat ſeine zwei Triebe bereit, den der Selbſt-
erhaltung und den der Geſelligkeit; das Erhabene erſchüttert den erſten,
das Schöne ſchmeichelt dem zweiten: dies iſt die ganze Ableitung. Kant
verrennt ſich den Weg des Uebergangs durch die falſche Unterſcheidung,
daß das Schöne einen Verſtandesbegriff (Zweckmäßigkeit), das Erhabene
einen Vernunftbegriff (Unbegrenztheit) in ſich darſtelle (a. a. O. §. 23).
Die Zweckmäßigkeit, die als innere ſich ſelbſt aufhebt, iſt nicht ein Ver-
ſtandesbegriff, ſondern ein Vernunftbegriff. Hegel hat das Mittel, das
er in ſeiner Dialektik beſaß, nicht auf dieſem Punkte in Bewegung geſetzt,
um das Erhabene und Komiſche als innere Momente des Schönen an ſich
zu entwickeln, ſondern er hat dieſe Formen in die weiteren beſtimmten
Theile des Syſtems zerſtreut. Die Hauptgründe dagegen ſ. in der Schrift
des Verf.: Das Erh. u. Kom. S. 16 u. 17 u. Krit. Gänge Th. II.
S. 348. 349. Noch vor dem Erſcheinen der erſteren Schrift hatte Weiße,
mit deſſen Verfahren ſie ſelbſtändig zuſammentraf, jene gegenſätzlichen Formen
als innere Momente des Schönen überhaupt abgehandelt. Allein gleich in
der Lehre vom Erhabenen bleibt Weiße nicht ſeinem Verſprechen treu.
Das Erhabene erſcheint nicht als eine Bewegung im Schönen, ſondern als
eine Bewegung über das Schöne hinaus in die Sphäre des Guten und
Göttlichen; das Schöne erhält ſich nicht im Erhabenen, ſondern wird von
ihm nur vorausgeſetzt, um aus ſeiner eigenen Sphäre heraus in ein
Jenſeits geriſſen zu werden (Aeſth. §. 24). Den umgekehrten Fehler hatte
Solger gemacht. Wenn Weiße das Erhabene an den Ausgang des
Schönen ſetzt, ſo hatte er es vor den Anfang desſelben geſtellt, als
werdende Schönheit gefaßt, und unter den „Gegenſätzen und Be-
ziehungen“ aufgeführt, „durch welche die Idee des Schönen wirklich wird.“
Die Idee „begibt ſich durch ihre Thätigkeit in die Welt herab“ (Aeſth.
S. 84). Dieſe Stellung des Erhabenen ſcheint weſentliche Gründe für
ſich zu haben. Soll die Erſcheinung mit der Idee geſättigt ſeyn, ſo muß
die Bewegung von dieſer ausgehen; dieſe Bewegung, dieſes „Herein-
brechen“ der Idee in die Wirklichkeit iſt ein noch formloſer Kampf, aus
welchem die klar begrenzte Geſtalt ſich erſt entwickelt, und ebendies ſcheint
das Erhabene zu ſeyn. Die Geſchichte aller Formen ſcheint dies zu be-
[216] ſtätigen. Der harmoniſchen Geſtalt der jetzigen Natur unſeres Planeten
gingen jene Revolutionen voran, deren Vorſtellung und deren Zeugen ſo
erhaben ſind. Die Völker waren kriegeriſch ſtark, ehe ſie ſich zum Schönen
erhoben, und die orientaliſche Kunſt mit ihrer räthſelhaften Erhabenheit war
vor der griechiſchen. Allein wenn im vageren Ausdruck allerdings der noch
geſtaltloſe, Geſtalt erſt erzeugende Kampf der Kräfte erhaben heißt, ſo
vergeſſe man darum nicht, daß im ſtrengen Begriffe das Erhabene, wenn
es auch in gewiſſem Sinne geſtaltlos zu nennen iſt, dennoch ſelbſt in dieſer
Geſtaltloſigkeit ſchön ſeyn muß. Das Erhabene im äſthetiſchen Sinne iſt nicht
Kampf, wodurch Schönheit entſteht, ſondern der Kampf ſelbſt muß ſchön
ausſehen. Erſcheinen uns jene Revolutionen des Planeten als äſthetiſch
erhaben, ſo haben wir ſie bereits in einer Weiſe und mit einem Geiſte
aufgefaßt, der ihnen die rohe Materialität abſtreift, und wir vollenden uns
ihr Bild im Gegenſatze gegen die uns ſchon bekannte, daher vorausgeſetzte
Schönheit der jetzigen Geſtalt der Erde, als auch ein Bild der Schönheit,
nur einer andern, einer kämpfenden Schönheit. Die Urkraft der Völker im
Naturzuſtande iſt roh, ſie iſt zwar eine Form des Erhabenen, aber der
gebildete Geiſt, der das Schöne erzeugt, erzeugt höhere Formen auch des
Erhabenen, und ſelbſt um jene rohe Erhabenheit äſthetiſch erhaben zu
finden, müſſen wir uns ein Bild davon machen, worin am Rohen das Rohe,
was äſthetiſch nicht brauchbar iſt, ausgeſchieden, alſo das ganze Schöne
vorausgeſetzt iſt. Die orientaliſche Kunſt endlich war nicht erhaben über-
haupt, ſondern erhaben in dem Sinne, daß ſie der Form noch nicht völlig
mächtig war, welche ebenda, wo Erhabenes mit künſtleriſcher Abſicht her-
vorgebracht werden ſoll, bereits vorausgeſetzt iſt, und die Griechen erſt,
die der Schönheit mächtig waren, ſchufen auch das wahrhaft Erhabene.
Der letzte Grund aber, warum das einfach Schöne vor das Erhabene
zu ſtellen iſt, liegt in der allgemeinen Wahrheit, daß der Einheit gemäß
dem Geſetze des Begriffs vor ihren Gegenſätzen ſtehen muß. Es iſt daher
zu tadeln, daß Ruge zu der Auffaſſung Solgers zurückkehrt und das
Erhabene (und Komiſche) als Formen der erſt ſich erzeugenden Schön-
heit aufführt (a. a. O. S. 57 and.). Er hält ſich darin freilich nicht
ganz klar, fügt aber ebendarum zum Rückſchritte die Verwirrung. Die
letztere häuft ſich dadurch, daß er in die Conſtruction des allgemeinen Be-
griffs der Schönheit ſchon ausdrücklich die künſtleriſche Thätigkeit aufnimmt.
Wie ſich nämlich in unſerer Entwicklung weiterhin auch erweiſen mag,
daß ſchon zum bloſen Sehen der außer der Kunſt vorhandenen Schönheit
das äſthetiſche Schauen nöthig iſt, ſo unterſcheidet doch dies Schauen, das
[217] auf keinen Fall ſchon eigentliches künſtleriſches Thun iſt, bereits in der
Sphäre der vorgefundenen Schönheit Schönes, Erhabenes und Komiſches
und ebenſo erzeugt dann die eigentliche Kunſt fortwährend ſowohl die eine
als die andere dieſer Formen; alſo kann man nimmermehr ſagen, die
Thätigkeit, welche Schönes ſchafft, erhebe ſich zu dieſem Schaffen dadurch,
daß ſie vorher Erhabenes und Komiſches ſchaffe. Dadurch entſteht ein
Mißſtand, den wir an Ruge’s Entwicklung bereits gerügt haben, der
nämlich, daß das Erhabene und Komiſche moraliſirend gefaßt wird als eine
Erhebung, ein Zurückſinken und eine zweite Aufhebung dieſes Zurück-
ſinkens, wodurch ſo zu ſagen die geiſtige Kraft erſt auf ethiſchem Boden
vorgeübt würde zum Acte der reinen Schönheit. Daher nennt er auch jedes
„ſich Hinaufkämpfen des endlichen Geiſtes in’s Ewige“, heiße es nun Frei-
heit, Andacht, Begeiſterung, Verklärung: Erhabenheit (S. 62. 68. 71).
Zwar wird nun (S. 71) geſagt, die Erhabenheit ſey äſthetiſche Erhaben-
heit überall, wo ſie als dieſe Thätigkeit ſinnliche Erſcheinung werde, allein
nirgends iſt mit voller Schärfe darauf gedrungen, daß dies Moment ganz
abſolut weſentlich iſt, ſonſt müßte Ruge ſich erinnern, daß die Erhabenheit
überall das ganze Formweſen der Schönheit ſchon vorausſetzt, alſo nicht
der erſt ſich erzeugenden Schönheit angehört. An andern Stellen nun
ſcheint Ruge ganz eine andere Ordnung im Auge zu haben. S. 63 unten
und S. 64 werden die gegenſätzlichen Formen des Schönen einfach wie von
uns als ein Kampf der Momente in der lebendigen Einheit des Ganzen
hingeſtellt und ſo das Erhabene und Komiſche als Gegenſatz im Schönen
abgeleitet: dies aber eben iſt die Verwirrung.
Den Kampf im Schönen, der nun darzuſtellen iſt, bezeichnet die
Ueberſchrift des Abſchnitts durch: Widerſtreit; der §. ſagt, daß der
Gegenſatz nothwendig auch zum Widerſpruch werde. Man hat bisher
nur das Komiſche einen Widerſpruch genannt; aber auch das Erhabene
iſt ein ſolcher, wie ſich ſogleich zeigen wird. In der Ueberſchrift ſollte
aber dies nicht vorweggenommen ſeyn, das unbeſtimmtere „Widerſtreit“
ſoll daher beides ausdrücken, den Begriff des Gegenſatzes ſowohl als
den des Widerſpruchs.
Indem ſich nun dieſer Widerſpruch im Schönen entbindet, ſo be-
währt ſich, was in §. 50 geſagt iſt: dort war von der Incongruenz
und dem Kampfe zwiſchen der Allgemeinheit und der Individualität zu-
nächſt in dem Zuſammenhange die Rede, daß darzuthun war, warum
dieſer Widerſpruch, wie er zunächſt abgeſehen vom Schönen vorkommt,
kein Hinderniß des letzteren ſeyn könne; ſogleich aber wurde hinzugeſetzt,
[218] daß das Schöne ſogar aus ſeinem eigenen Intereſſe dieſes Schauſpiel
hervorrufen werde. Dies tritt jetzt ein. Die Welt iſt die Einheit, welche
nothwendig durch Entfaltung des Kampfes ihre Lebendigkeit bewährt.
Aber jeder Einheits-Kreis wiederholt in ſich dieſelbe Natur der
Einheit, ſich durch den Widerſpruch zu bewegen: ſo auch das Schöne.
Es müßte, ſelbſt wenn die Welt, die es vorfindet und verklärt, als
eine kampfloſe denkbar wäre, in ſeinem Kreiſe den Kampf ſeiner Elemente
entfalten. Das Schöne iſt aber ein Spiegel der Welt und die Welt
kämpft: der Spiegel wird aber nicht getrübt durch den Kampf, ſondern
will und ſucht ihn zur Vollkommenheit ſeines Bildes. Der Unterſchied
iſt: in der Welt iſt der Kampf in ſeinem unmittelbaren Auftreten Störung
und nur der Ueberblick zeigt ihn als Verwirklichung des Guten; im
Schönen iſt das Vollkommene von Anfang und an allen Punkten un-
verlierbar in der Anſchauung und der Kampf iſt darum unmittelbar
angeſchautes Wachsthum des Vollkommenen. In §. 59 u. 60 mußte
dies zum voraus ausgeſprochen werden, um den Unterſchied des Schönen
vom Guten zu entwickeln.
§. 83.
Das Bild iſt in ſeiner Einheit mit der Idee, worin das Schöne beſteht,
zwar das eigene, von ihr untrennbare Gebilde der Idee, dennoch aber die
unſelbſtändige Seite des Ganzen, da es von dieſer erſt ſo durchdrungen ſeyn
muß, daß es ſich zum reinen Scheine und zur reinen Form aufhebt, wenn es
ſeine Geltung haben ſoll (§. 54 u. 55). Soll daher die Einheit des Ganzen
ſich als lebendiger Gegenſatz bethätigen, ſo muß die Entgegenſetzung zuerſt von
der weſentlich ſelbſtändigen Seite ausgehen: die Idee reißt ſich aus der ruhigen
Einheit, worin ſie mit dem Gebilde verſchmolzen war, los, greift über dieſes
hinaus und hält ihm als dem Endlichen ihre Unendlichkeit entgegen. So ent-
ſteht der erſte Widerſtreit im Schönen, das Erhabene.
Weiße und Ruge haben, wie auch hier wieder erinnert werden
muß, die Phantaſie als die Urheberin des Schönen bereits in den all-
gemeinen Begriff deſſelben aufgenommen. Man könnte nun uns, indem
wir nicht denſelben Gang einſchlagen, zum Vorwurf machen, daß dies
an gegenwärtiger Stelle eine Erſchleichung zur Folge habe: denn nicht
die Idee im Gegenſtande ſey es, die an ſich allein ſchon ihn zur Schön-
heit verkläre, ſondern die Phantaſie, die als eine zweite, geiſtige Natur
in ihn eindringend aus ſeiner Idee heraus ihn noch einmal und reiner
[219] bilde und baue; auch das Erhabene entſtehe daher nicht ſchlechthin objectiv
aus einem Uebergreifen der Idee, ſondern aus einem Uebergreifen der
von ihr erfüllten Phantaſie und es ſey daher hier ſtatt zweier vereinigter
Subjecte (Idee des Gegenſtands und Thätigkeit der Phantaſie) nur
Eines geſetzt. Allerdings wird die Idee, welche über das Begrenzte
übergreift, von Weiße folgerichtig ſogleich als das Bewußtſeyn des
Allgemeinen gefaßt, welches der Phantaſie inwohnt, von Ruge, der,
wie geſagt, niemals rein im Aeſthetiſchen bleibt, als der über ſeine
Endlichkeit ſich erhebende Geiſt. Allein in Wahrheit kann auf dieſem
Punkte kein Vorwurf gegen unſern Gang erhoben werden, der nicht
ſchon der Lehre vom einfach Schönen ebenſo gelten müßte. Können wir
rechtfertigen — was freilich erſt in der weiteren Entwicklung möglich
iſt —, daß wir überhaupt nicht von der Phantaſie ausgegangen ſind,
ſo iſt ebendadurch auch gerechtfertigt, daß das Erhabene nicht aus der
Phantaſie erklärt wird. So viel aber läßt ſich ſchon hier zeigen: es
kommt ganz auf das Gleiche hinaus, ob der Uebergang zum Erhabenen
mit jenen vereinigten zwei oder mit unſerem Einen Subjecte gemacht
wird. Habe ich die Idee im Gegenſtande allein vor mir und laſſe die
mitgeſetzte Kraft des ſubjectiven Schaffens noch eingehüllt, oder habe ich
die Phantaſie, erfüllt mit jener Idee: der Grund des Ueberganges vom
Schönen zum Erhabenen als der erſten Form kämpfender Schönheit kann
immer nur darin liegen, daß zuerſt die Idee (ſey ſie objectiv gemeint
oder ſchon in das Subjective der Phantaſie ausdrücklich überſetzt) als die
ſelbſtändige Seite übergreifen muß. Man erwäge nur, daß ja jedenfalls
der Künſtler, wenn er Erhabenes ſchaffen will, den rechten Gegenſtand
wählen muß, d. h. denjenigen, in welchem auch ohne ihn die Idee
mächtig iſt über die Form. Daß nun alſo die Bewegung, welche den
Gegenſatz und Widerſpruch im Schönen entwickelt, von der Idee zuerſt
ausgehen muß, hat der gegenwärtige §. auf die ſchon nachgewieſene
Unſelbſtändigkeit des, der Idee zwar untrennbar eigenen, ſinnlichen
Gebildes begründet; der urſprüngliche Grund aber, warum zuerſt das
rein Allgemeine ſein Uebergewicht gegenſätzlich geltend macht, iſt ein
metaphyſiſcher und in der Aeſthetik vorauszuſetzen. Es liegt hier ein
Weltact vor, der ſich in jedem Kreiſe, alſo auch im Schönen, wieder-
holen muß. So iſt der Menſch vor dem Aufgang des Selbſtbewußtſeyns
ununterſchiedene Einheit von Seele und Leib. Im Selbſtbewußtſeyn ge-
ſchieht die Scheidung, wodurch das Ich ſich ſelbſt ſich entgegenſetzend ſich
ſetzt. Das Entgegengeſetzte in dieſem Acte iſt dasſelbe wie das Ent-
[220] gegenſetzende, untrennbar Eines mit dieſem, aber doch die beſtimmbare
und paſſive Seite: ich bezwinge mich, ich entſchließe mich u. ſ. w.
Ebenſo iſt das Gebilde im Schönen untrennbar von der Idee, welche
in ihm nur ſich ſelbſt darſtellt, aber es hat ſeine Geltung nur wie es
von ihr getragen und durchleuchtet iſt; die Idee wächst nun über dieſes
ihr Gefäß über und macht an ihm geltend, daß ſie mehr iſt als es, daß
ſie unendlich iſt. Der unbeſtimmte Ausdruck: Unendlichkeit iſt abſichtlich
gewählt, um den verſchiedenen Formen des Erhabenen Raum zu laſſen.
[[221]]
A.
Das Erhabene.
§. 84.
Im Erhabenen erſcheint alſo das Bild durch das Ueberwachſen der Idee
als dasjenige, was nicht die Idee iſt, oder das Erhabene iſt diejenige Form
des Schönen, wo das ideelle Moment in negativem Verhältniß zum ſinnlichen
ſteht. Wenn nun die Idee über die Grenze ihres Bildes übergreift, ſo ſcheint
ſie ebendadurch in ihre reine Allgemeinheit zurückzukehren und zwar nicht nur
in ihre Allgemeinheit als beſtimmte Idee, ſondern in die Allgemeinheit der
abſoluten Idee, ſo daß das Leben nicht nur des Individuums dieſer Gattung,
ſondern aller Individuen aller Gattungen als nichtig verſchwindet. Allein die
Idee iſt nur in ihren Individuen und durch das Schöne wird ſie weſentlich in
Einem Individuum als vollendet zur Erſcheinung gebracht. Daher iſt im Er-
habenen das Eine Individuum zugleich als weſentliche Erſcheinung der Idee und
zugleich als verſchwindend gegen ihre Allgemeinheit geſetzt: dies iſt ein Wider-
ſpruch und dieſer Widerſpruch iſt das Erhabene.
Die ſcharfſinnige Analyſe des Erhabenen, welche Kant gegeben
hat, mußte ungenügend bleiben, weil er die Idee nicht als objective
Wahrheit, ſondern nur als ſubjective Macht und auch ſo nur in ab-
ſtractem und punktuellem Sinne erkannte. Daher wirft er ſich ebenda,
wo der Grund darzuſtellen war, in welchen das Endliche verſchwindet,
auf die ſubjective Seite herüber und nennt die Unendlichkeit des ſubjectiven
Geiſtes als dasjenige, welchem die Bewunderung eigentlich gelte, welches
aber durch eine Subreption der Natur-Erſcheinung untergeſchoben werde.
[222] Dadurch ſchneidet er ſich auch den Weg ab, vom Erhabenen der Natur
aufzuſteigen zum Erhabenen des Geiſtes, denn hier fällt die Subreption
weg, die er doch für weſentlich hält; wiewohl er übrigens in der An-
merkung nach §. 29 treffliche Winke über das Pathos einſtreut. Man
darf ſeiner Darſtellung jedoch nur mit Wenigem nachhelfen, um den
Begriff des Widerſpruchs, wie er im §. als Weſen des Erhabenen auf-
geſtellt iſt, in ihr zu finden. Er weist (a. a. O. §. 26), indem er
auch hier ſtatt der Philoſophie des Gegenſtands nur eine Kritik des
ſubjectiven Actes gibt, nach, wie im Erhabenen die zwei Handlungen
des Auffaſſens und des Zuſammenfaſſens in Widerſtreit gerathen, indem
die erſte fortrückt und die zweite nicht mehr folgen kann, ſondern eben-
ſoviel, als ihr auf der einen Seite zugezählt wird, von den zuerſt auf-
gefaßten Theilvorſtellungen verliert. Es iſt ein Fortſchreiten und „Zu-
rückſinken“ zugleich, ein Halten und Verlieren und dieſe Bewegung hat
ihren Grund im Gegenſtande, der in jedem Moment ſeine Grenze auf-
zuheben im Begriff iſt und ſie doch feſthält, der in der Grenze über die
Grenze hinausgeht. Wenn Kant den Ausdruck braucht, daß uns die
Größe des Weltgebäudes alles Große in der Natur als klein,
eigentlich aber unſere Einbildungskraft in ihrer Grenzen-
loſigkeit als gegen die Ideen der Vernunft verſchwindend
vorſtelle, ſo iſt hierin eben dies in’s Auge zu faſſen, daß hier eine
Bewegung des Verſchwindens vorliegt, ein Verſchweben im Bleiben,
ein Bleiben im Verſchweben. Dieſe Natur des Erhabenen hat Weiße
auf ihr objectives Weſen zurückgeführt, indem er ſagt (Aeſth. §. 22),
die Schönheit erſcheine im Erhabenen in der doppelten Eigenſchaft: einer-
ſeits als Attribut der einzelnen endlichen Dinge, andererſeits des Geſammt-
weſens aller Endlichkeit, wiefern dieſes Geſammtweſen jedes einzelne end-
liche Ding nicht nur in das Daſeyn hervorruft, ſondern es auch wiederum
verneint und in den allgemeinen Fluß aller Dinge zurücknimmt. Es iſt ein
„Begrenzen der Gegenſtände durch die Macht der Totalität und Allge-
meinheit“ oder richtiger, wie es S. 155 heißt, ein Aufheben und Be-
grenzen der Grenze oder ſo zu ſagen eine grenzloſe Grenze. Weiße
überſieht nicht, daß die Grenze im Verſchwinden bleibt, da „die Be-
grenzung des Beſondern unmittelbar nicht durch das Allgemeine, ſondern
ſtets wiederum durch Beſonderes erfolgt“, er ſtellt nur nicht ausdrücklich
genug hervor, daß dies ein Widerſpruch und dieſer Widerſpruch das
Erhabene iſt. „Das beſondere und einzelne Ding iſt das Daſeyn des
Allgemeinen und Unbedingten nicht, wiefern es in ſeiner Einzelheit iſt,
[223] ſondern wiefern es nicht iſt“; hiezu ſollte in demſelben Zuſammenhange
geſetzt ſeyn: wiefern es aber das Daſeyn des Allgemeinen in ſeiner
Einzelheit dennoch ebenſoſehr zugleich iſt. Denn wir ſind im Schönen;
hier iſt wirklich dieſes Einzelne weſentlich die Erſcheinung des Allge-
meinen und bleibt ſie auch in der Geſtalt der Erhabenheit. Weiße aber
geht, wie ſchon geſagt, auf dieſem Punkte über die äſthetiſche Sphäre
ganz hinaus in eine tranſcendente Welt, als deren Bruchſtück nun das
Erhabene die einzelne Erſcheinung hinſtelle. Das Wahre iſt vielmehr,
daß die Idee, wenn ſie im Erhabenen über das Einzelne hinausweist,
nicht in eine andere Welt, ſondern nur in ihre eigene hineinweist, in
welcher ſie das Einzelne als ihr Individuum, d. h. als das Indi-
viduum ihrer präſenten Gattung ebenſoſehr ſetzt als aufhebt. Die Idee
bleibt ganz Präſenz, aber die einzelne Präſenz derſelben weist über ſich
in die unendliche Präſenz hinein, in welcher aber mit allem Andern
eben auch die einzelne vorliegende Präſenz obwohl aufgehoben, doch
ebenſoſehr geſetzt iſt.
§. 85.
Die Bewegung des Erhabenen hat demnach ihren Grund zwar in dem1
qualitativen Verhältniſſe der Idee zum Bilde; allein es tritt nun ein neues
Verhältniß des äſthetiſchen Gegenſtands ein, nämlich ein Verhältniß zu um-
gebenden Gegenſtänden. Denn ſoll die Uebermacht der Idee in einem einzelnen
Gegenſtande angeſchaut werden, ſo müſſen andere neben ihm ſtehen, in welchem
Bild und Idee ſich im Gleichgewichte ruhiger Einheit befinden. Es macht ſich
alſo jetzt ein Größenbegriff geltend, das Qualitative wird quantitativ und der
Größenbegriff ſchließt ein Maßverhältniß in ſich, denn der erhabene Gegenſtand
ſoll nicht blos als groß, ſondern als ſchlechthin oder über alle Vergleichung
groß erſcheinen (Kant), und dies ſetzt ein meſſendes Vergleichen mit den um-
gebenden Gegenſtänden voraus. Allein wenn in dieſem Verhältniſſe die in dem2
ſchlechthin groß erſcheinenden Gegenſtande wirkende Idee zwar alles Umgebende
als ein gegen ihre Unendlichkeit Verſchwindendes hinter ſich läßt, ſo ſcheint
doch jener Gegenſtand ſelbſt ein genügender Träger derſelben: ſie verhält ſich
alſo negativ gegen einige, aber nicht gegen ihr eigenes Gebilde. Die Negation
iſt erſt eine volle, wenn auch der Gegenſtand, der im jeweiligen Falle der
erhabene Träger der Idee iſt, trotz ſeiner Größe gegen ſie verſchwindet.
Innerhalb der allgemeinen Negativität des Erhabenen unterſcheiden ſich daher
[224] zwei Formen: eine poſitive und eine ſtärkere negative. Dieſen Dualiſmus im
Erhabenen bemerkt zu haben iſt das Verdienſt des Engländers Burke.
1. Daß das Erhabene ſich als Quantität, im Gegenſatz gegen das
Schöne als Qualität, beſtimme, hat ſchon Kant (a. a. O. §. 23)
ausgeſprochen, von welchem (§. 25) auch die Worte des §. entnommen
ſind, daß erhaben ſchlechthin oder über alle Vergleichung groß ſey, und nach
ihm hat dies Weiße (Aeſth. §. 22) weiter geführt. Kants ſcharfſinnige
nähere Entwicklung der Bedingungen, unter welchen ein Gegenſtand
nicht nur als groß, ſondern als ſchlechthin groß erſcheint (§. 26 „Von
der Größenſchätzung der Naturdinge, die zur Idee des Erhabenen er-
forderlich iſt“) wird im Verlaufe aufgefaßt werden.
2. Burkes Schrift iſt ſchon §. 36 angeführt. Er nennt die
negative Form des Erhabenen Privation. 2. Th. 7. Abſch. „Alle gänz-
lichen Privationen ſind groß, weil ſie alle ſchrecklich ſind“ u. ſ. w. Er
hat freilich nicht ſtreng genommen das Geſetz des Dualismus entdeckt,
er bringt es nicht zu dieſem allgemeinen Ausdruck, und er überſieht das
Poſitive im Negativen, wovon ſogleich die Rede wird, daher ſich Solger
gegen ihn wendet (Aeſth. S. 87).
§. 86.
Der Gegenſatz dieſer beiden Formen iſt jedoch nur ein relativer. In beiden
nämlich iſt die Negation nur eine Wirkung der poſitiven Thätigkeit der Idee, welche
(nach Solger) als ein Act lebendiger Bewegung allem Erhabenen zu Grunde
liegt, eine Bewegung, welche häufig, aber objectiv betrachtet keineswegs immer,
2ſich als ein plötzliches Hervorbrechen darſtellen muß. Die Negation ſelbſt aber
iſt nur ſcheinbar in der erſten, poſitiven Form eine engere, als in der zweiten,
negativen, denn ſie erſtreckt ſich näher betrachtet auch in jener nicht nur auf die
Umgebung des erhabenen Gegenſtands, ſondern auch auf dieſen als einen ſinnlich
begrenzten ſelbſt, indem es doch nur die Macht der in ihm thätigen Idee iſt,
die ſeine Grenzen ausdehnt und zwar ſo weit, daß ſie am Ende der ausdehnen-
den Macht nicht mehr folgen können, ſondern dies ihr Gefäß zerbricht, wo
3denn die im engeren Sinne negative Form eintritt. Der Ausfluß der Negation
aus dem poſitiv Thätigen bleibt auch da in ſeiner Geltung, wo völlige Ruhe,
eine Abweſenheit des Lebens, die jedoch gemäß dem Geſetze alles Schönen ſelbſt
noch ſinnlich ſich darſtellen muß, in der erhabenen Erſcheinung herrſcht, denn in
dieſer gibt ſich entweder eine vorhergegangene oder eine mögliche und bevor-
[225] ſtehende, noch in ſich zuſammengehaltene Kraftentwicklung zu erkennen, und
beidemal wirkt dieſer Rückhalt doppelt ſtark durch die Unendlichkeit des Hinter-
grunds.
1. Die Idee iſt das abſolut Thätige; wo daher das Gewicht auf
ihrer Seite iſt, muß die ganze Erſcheinung weſentlich als ein Act der von
der poſitiven Macht ausgehenden Bewegung ſich darſtellen. Solger hat
vorzüglich dies Moment hervorgehoben (Aeſth. S. 86 ff.). „Das Er-
habene iſt das Schöne, inſofern wir darin die lebendige Thätigkeit der
Idee finden“ — „Weil die Erſcheinung des Erhabenen als von der
Idee ausgehend erkannt wird, ſo erſcheint es uns immer als Thätigkeit
in der Form eines Actes, einer Wirkſamkeit.“ Muß dieſe Bewegung
die Form eines plötzlichen Hervorbrechens haben? Iſt Ueberraſchung
im Erhabenen weſentlich? Longin περὶ ἵψȣς Sect. I, 4 behauptet es
zunächſt vom rhetoriſch Erhabenen, man kann aber überhaupt ſagen:
wenn die Idee nur allmählich fortwächst und ebenſo allmählich die Er-
ſcheinung mit ſich emporhebt, ſo wird niemals das negative Verhältniß
jener zu dieſer ganz einleuchtend. Einmal muß es reißen und einleuchten,
daß alles Endliche unzulänglich iſt. Die Frage iſt intereſſant, weil ſie
parallel wiederkehrt im Begriffe des Komiſchen, ſie kann aber ganz
beantwortet werden, erſt wenn von dem ſubjectiven Eindrucke die Rede
ſeyn wird. Objectiv nämlich iſt der plötzliche Stoß nicht nothwendig;
ja es wird z. B. Niemand eine Rede erhaben nennen, welche nur durch
das Mittel der Ueberraſchung und nicht ebenſo durch ruhige Würde wirkt.
Allein der Zuhörer fühlt es der Würde an, daß ſie als eine Negation des
Gemeinen mit dieſem nicht nur gebrochen hat, ſondern, wenn dieſer
Bruch in der Geſinnung des Redners auch die Frucht allmählicher Bildung
war, doch mit dem Gemeinen, das ihm von außen kommt, jeden Au-
genblick bereit iſt, plötzlich und gewaltſam zu brechen. So ahnt der
Zuſchauer überhaupt auch im allmählichen Aufſchwung und in der völligen
Ruhe wenn nicht einen vorhergegangenen, einen ſtets möglichen
Bruch und es liegt daher in dem Eindruck alles Erhabenen, wenn nicht
ein wirklicher, doch ein imaginirter oder anticipirter Schrecken. Man
ſieht aber, daß dieſe Frage ſchon zu N.2 und 3 im §. führt.
2. Daß beide Formen negativ ſind durch Poſition (der Idee),
leuchtet ein. Es ſind aber auch beide poſitiv nur durch Negation (des
Bildes). Ein Gebirge z. B., neben welchem alles Umliegende ſich als
unendlich klein darſtellt, ſcheint für ſich poſitiv erhaben. Allein in Wahrheit
Viſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 15
[226]iſt das Materielle an dieſem Gebirge in negativem Verhältniſſe zu der
Kraft, welche dieſe Maſſen emporgeworfen hat: die Naturkraft ſelbſt,
welche unendlich mehr iſt auch als dieſes Gebirge, hat das ungeheure
Gewicht, als wäre es ohne Schwere, übereinander gethürmt. Der große
Menſch ſcheint die Macht der einzelnen Perſönlichkeit in ſich darzuſtellen,
allein er ſtellt mehr dar: die Macht aller Perſönlichkeit. In der
zweiten, ausdrücklich negativen Form, kommt dies Negative nur vollends
zum Vorſchein, welches ſchon in der erſten liegt: ein Schritt weiter und
das Gefäß kann die ausfüllende Kraft nicht mehr ertragen, es birſt;
es bat ſich weiter und weiter gedehnt und nun, da es reißt, ſehen wir,
daß ſchon vorher die ausfüllende Kraft unendlich mehr war, als das
Gefäß. Vorher ſchien ein Bund noch möglich ohne Bruch, jetzt leuchtet
ein, daß aller Bund zugleich Bruch iſt. Dieß iſt die Ironie im
poſitiv Erhabenen, ein Begriff, der jedoch erſt im Tragiſchen ſo beſtimmt
hervortritt, daß er ausdrücklich aufzufaſſen iſt.
3. Solger (a. a. S. 87): „Negative Dinge, wie Burke meinte,
können nicht erhaben ſeyn; wohl aber ein Concentriren der Kraft in
einen Punkt, worin ſich die Kraft als in einer Entwicklung begriffen
zeigt. Daher kann allerdings die Kürze in der Poeſie erhaben ſeyn,
nicht aber wegen des Negativen, ſondern wegen des Concentrirens der
Kraft; ebenſo das Schweigen wegen der nicht entwickelten Kraft.“ Die
Negation hat freilich ihren Grund in der Poſition der Kraft, aber ſie
wiegt vor in allen denjenigen erhabenen Erſcheinungen, die ſich als
Ruhe, höchſte Kürze, Stille, Tod darſtellen; denn es iſt doch etwas
Anderes, ob ich eine Thätigkeit der Idee ſehe, welche unmittelbar nicht
zerſtörend erſcheint, und eine ſolche, welche die Zerſtörung nur eben in’s
Werk ſetzt, aber noch nicht vollendet hat, oder aber eine ſolche, welche
völlig zerſtörend oder überhaupt aufhebend gewirkt hat oder zu wirken
ſich die Miene gibt. Beide letzteren Formen nämlich können eintreten:
die Kraft hat zerſtört (Leiche, Ruhe und Stille eines Schlachtfeldes),
oder ſie kann zerſtören, wird es (Stille vor einem Gewitter); ſie
kann ſich freilich auch zurückhalten, ſie wird dann nichts Gewaltſames wirken,
aber eben, weil ſie ſelbſt ſich nicht geſtattet, ſich auszudehnen, und ſo
einen Theil ihrer Erſcheinung ganz unterdrückt: lauter Wirkungen, welche
ſich nur als Negation bezeichnen laſſen. Wie aber die Idee als Poſition
immer Thätigkeit und Bewegung iſt, ſo natürlich auch in dieſen Formen
und zwar, weil, was ſich verborgen hält, von der Phantaſie zu einem
Unendlichen erhoben wird, eine doppelt ſtarke. — Uebrigens geht aus
[227] dem allgemeinen Geſetze des Schönen von ſelbſt hervor, daß auch die
Zerſtörung alles Lebens ſelbſt wieder im ſinnlichen Bilde erſcheinen muß
(Leichnam, Sarg u. ſ. w.).
§. 87.
Das Schöne iſt reine Form (§. 55). Die reine Form iſt weſentlich1
zugleich ein, zwar im Abſtracten nicht zu beſtimmendes (§. 55, 3), für jede
Sphäre des Lebens aber aus ihrer Qualität ſtreng hervorgehendes und genau
begrenztes Maß der Verhältniſſe des Gebildes. Dieſes Maß überſchreitet das
Erhabene, und zwar in’s Unendliche, zugleich aber muß es gemäß der Beſtim-
mung ſeines Weſens als Widerſpruch (§. 84) die Form oder das begrenzte
Maß feſthalten. Die Form als Grenze muß zugleich bleiben und in’s Un-
gewiſſe verſchwimmen; das Erhabene iſt in Einem geformt und formlos. Dieſe2
widerſprechende Beſtimmtheit ſtellt ſich in der erhabenen Erſcheinung entweder
dadurch dar, daß ſie in die Form theilweiſe einlenkt und theilweiſe von ihr ſo
abweicht, daß der Schein einer unendlich fortfließenden Abweichung entſteht,
oder ſo, daß die Form im Ganzen zwar feſtgehalten, aber ſo erweitert iſt,
daß die untergeordneten Einzeltheile verſchwinden. Im letzteren Fall wäre der
Gegenſtand ſchön, wenn nicht der Abſtand der Umgebung wäre. Ueberhaupt,
da das Erhabene ein Verhältnißbegriff iſt, ſo zieht es dadurch Vieles in ſeinen
Kreis, was ohne den Abſtand unter eine andere Kategorie fiele. In beiden
Fällen aber iſt der Gegenſtand dunkel und Dunkel iſt Merkmal aller Er-
habenheit (Burke).
1. Schon Kant hat das Erhabene, wiewohl nicht ſtreng, als ein
Formloſes beſtimmt (a. a. O. §. 23): „das Schöne der Natur betrifft
die Form des Gegenſtands, die in der Begrenzung beſteht; das Erhabene
iſt dagegen auch an einem formloſen Gegenſtande zu finden, ſofern Un-
begrenztheit an ihm oder durch deſſen Veranlaſſung vorgeſtellt und doch
Totalität derſelben hinzugedacht wird.“ Dieſes „auch“ hätte Kant weg-
gelaſſen, wenn er die zwei Formen unterſchieden hätte, auf die unſer §.
aufmerkſam macht; er mochte z. B. an erhabene Statuen denken, welche
doch die reine Grenze der menſchlichen Proportion nicht verlaſſen. Weiße
(Aeſth. §. 22) hebt die Geſtaltloſigkeit als weſentliche Beſtimmung alles
Erhabenen hervor und definirt ſie als ein „Hinausgehen der endlichen
Erſcheinung über diejenigen Verhältniſſe, innerhalb deren als beſonderer
und einzelner ihre eigenthümliche Schönheit beſchloſſen iſt“; überhaupt
15*
[228]geht er davon aus, daß im Erhabenen die Irrationalität, welche die
Maßbeſtimmungen des Schönen ſo durchdringt, daß ſie in keine Formel
gefaßt werden können, ſich entbinde (§. 21), er geräth aber in’s Mira-
culöſe, wenn er ſofort am organiſchen Körper dieſes Hinausgehen in
Bewegungen findet, die organiſch unmöglich ſind, wie Schweben, Fliegen
menſchlicher Geſtalten u. dergl. Dies gehört in die Geſchichte der
Phantaſie und Kunſt als Zug des Verhaltens eines beſtimmten Ideals
zum Naturgeſetze. Der Grund ſitzt aber bei Weiße tiefer, er denkt an
einen Einbruch einer zweiten, jenſeitigen Welt, einer Wunderwelt in die
jetzige, ſonſt hätte ihn die Beobachtung der erſten von den zwei Formen,
die unſer §. ſofort unterſcheidet, derjenigen nämlich, wo alle Regel-
mäßigkeit der Geſtalt durchbrochen erſcheint, nicht zu ſolchen Wunderlich-
keiten geführt. Davon ſogleich mehr; zunächſt iſt überhaupt feſtzuhalten,
daß die Formloſigkeit nicht ſchlechthin aus der Form ausweichen darf.
Dies folgt aus dem durch §. 84 im Erhabenen aufgewieſenen Weſen
des Widerſpruchs. Reine Formloſigkeit iſt gleich Null; die Idee iſt
das Formſetzende, daher freilich mehr, als das Geſetzte, und als dieſes
Mehr kommt ſie im Erhabenen zum Vorſchein, allein nur indem ſie die
Form ſetzt, kann ſie ſich zugleich darſtellen als das Prinzip, das als
Urheber der Form auch über ſie hinausgeht. Die Form wird im Er-
habenen zugleich geſetzt und aufgehoben.
2. Dies nun kann alſo auf doppelte Weiſe geſchehen. Entweder
werden die natürlichen Formverhältniſſe des Gegenſtands theilweiſe feſt-
gehalten, theilweiſe aufgehoben. Man ſtelle ſich z. B. einen Berg vor,
der nicht die reine und ſchöne Linie des Veſuv hat, ſondern von der
koniſchen Bergform in ſchroffen Linien theilweiſe abweicht. Dieſe ab-
ſpringenden Formen reiſſen die Phantaſie aus dem erwarteten Zuſammen-
hang der ihr geläufigen Grundform des Berges heraus, dieſe kecke Un-
regelmäßigkeit kündigt eine Maſſenthürmende Urgewalt an, die fähig
wäre, in’s Unendliche fortzuthürmen, und für die Phantaſie wächst
daher die abſpringende Linie in’s Unendliche fort. Allein ſobald dies
wirklich der letzte Eindruck wäre, ſo entſtünde ſtatt des Erhabenen ein
Langweiliges, wie denn z. B. das offene Meer langweilig wird bei
Windſtille und nur der Gegenſatz begrenzender Ufer oder der Wechſel
der Wellen ſeiner Linie den Reiz der Erhabenheit gibt; vielmehr die
abſpringende Linie kehrt zur regelmäßigen (z. B. zur geläufigen Berg-
form) zurück und der Total-Eindruck iſt der einer zugleich Form ſetzenden,
aber weil frei ſetzenden, auch überflügelnden Urkraft. Ebenſo der Geiſt
[229] des großen Mannes; eine oder die andere Grundkraft hebt ſich aus
dem Kreiſe der perſönlichen Kräfte heraus, wir ſchwindeln vor dem
Unerſchöpflichen, das jede gegebene Form hinter ſich läßt und die
Grenzen des Individuums zur Gattung zu erweitern ſcheint. Allein
das Individuum bleibt Individuum, kehrt zur Begrenztheit und ſelbſt
Bedürftigkeit zurück und nun erſt, wenn wir ausrufen können: ſo klein
und doch ſo groß! iſt der Eindruck des Erhabenen vollendet. — Da-
gegen ſtellt ſich ein anderes Verhältniß dar, wenn die Form als Grenze
eines Gegenſtands, wie ſie aus ſeiner Gattung fließt, eingehalten, aber
in dieſer Einhaltung überall erweitert iſt. Man denke an die weiche Linie
des Veſuv, der doch als Ganzes erhaben iſt, an eine nicht rohe, ſondern
rein künſtleriſch ausgeführte Colloſſalſtatue, an eine große Perſönlichkeit,
welche überall Maß in ihrem Thun beobachtet. Die Erweiterung allein
macht hier, wie Weiße richtig bemerkt, noch nicht das Erhabene, wohl
aber die Erweiterung zuſammenwirkend mit ihrer nothwendigen Folge, daß
die untergeordneten Einzeltheile verſchwinden. Die Kunſt, um ſie vor-
läufig als Beiſpiel zu erwähnen, bewerkſtelligt dies durch die Art der
Behandlung; ſie läßt ſich z. B. als hoher Styl der Plaſtik nicht ſo tief
in die Einzelheiten der Muskulatur, der Adern u. ſ. w. ein, ſondern
hebt mit keckem Meißel nur das Weſentliche hervor. Abgeſehen aber von
der Kunſt bewerkſtelligt dies unſer Auge und unſere Beobachtung über-
haupt, welche, wo die Umriſſe des Ganzen ſehr weit gezogen ſind, das
untergeordnete Einzelne nicht mehr aufzufaſſen vermögen. Es erhellt jedoch,
daß das Erhabene dieſer Art immer noch als ein Schönes erſcheinen
würde, wenn nicht der Abſtand von den Umgebungen wäre, der als ein
unendlicher erſcheint. Dies iſt ein durchaus weſentlicher Punkt. Auch
eine Kraftäußerung z. B. kann an ſich immer noch ſo mild ſeyn, daß ſie
nicht erhaben hieße, wenn nicht ihr Verhältniß zu andern ungleich ge-
ringern Kraft-Aeußerungen das, was Kraft in ihr iſt, in den Vorder-
grund ſtellte und zwar als unendliche Kraft. Uebrigens erhellt, daß
die ſchroffere Art dem negativ Erhabenen näher ſteht, als die mildere;
es wird ſich hieran ein Unterſchied der Ideale hängen, zu deſſen Er-
zeugung ſchon die umgebende ſchroffere oder mildere Natur mitwirkt.
Dieſer Widerſpruch in der Form bei beiden Arten iſt dunkel zu
nennen, und alles Erhabene iſt daher dunkel. Wie ſehr beide von
ſinnlichem Dunkel oder Helldunkel unterſtützt werden, ſo daß ſelbſt ein an
ſich nicht erhabener Gegenſtand durch das Verſchwimmen der Umriſſe und
der Einzeltheile erhaben wird, davon nachher an ſeinem Orte. Das
[230] Dunkel gilt allerdings zunächſt den Sinnen. Nichts duldet das Erhabene
weniger, als ein mikroskopiſches Sehen und Behandeln. Es gilt ferner
dem Verſtande, ſofern er in dem äſthetiſchen Sehen und Darſtellen
implicite mitbetheiligt nichts mehr zu ſcheuen hat, als Motiviren in’s
Kleine, wo es Erhabenheit gilt. „Für Kammerdiener gibt es keine
Helden.“ Eine Fülle der fruchtbarſten Sätze für die Kunſt folgt hieraus.
Die idealiſirende Kraft der Zeitferne und des Todes (vergl. §. 54, Anm.)
iſt hier noch ungleich wichtiger als im Schönen. Nicht aber der Vernunft
gilt das Dunkel, wie ſie nämlich in der Form des äſthetiſchen Organs
auftritt.
Burke iſt es, der auch dieſes Moment des Erhabenen zuerſt be-
merkt hat (a. a. O. Th. 2, Abſchn. 12. ff. Th. 4, Abſchn. 14. ff.).
Er begründet nicht allgemein, bleibt im Phyſiologiſchen, gibt aber treff-
liche Winke und Beiſpiele. Paſſend angeführt iſt namentlich die Stelle
aus dem Buche Hiob: „im Traume des Geſichts in der Nacht, wenn
der Schlaf auf die Leute fällt, da kam mich Furcht und Zittern an und
alle meine Gebeine erſchracken. Und da der Geiſt vor mir über ging,
ſtunden mir die Haare zu Berge an meinem Leibe. Da ſtund ein
Bild vor meinen Augen und ich kannte ſeine Geſtalt nicht, es
war ſtille, und ich hörete eine Stimme: wie mag ein Menſch gerechter
ſeyn als Gott?“
§. 88.
Der Stufengang der Idee, welcher in der Lehre vom Schönen (§. 17 ff.)
nur anzudeuten war, ſondert ſich im Erhabenen beſtimmter nach den Haupt-
ſtufen, weil die Frage entſteht, ob auf gewiſſen Stufen überhaupt dieſe gegen-
ſätzliche Geſtalt der Schönheit möglich ſey, und weil die Unterſchiede dieſer
Stufen auch einen weſentlichen Unterſchied der Formen des Erhabenen begründen.
Dadurch wird jedoch das Gebiet des abſtracten Begriffs der Schönheit nicht
überſchritten, da es ſich nur um die allgemeinen Kategorien, nicht um die be-
ſtimmten Wirklichkeiten dieſer Sphären handelt und die Frage nach demjenigen
Acte, wodurch das Schöne eigentlich realiſirt wird (§. 53), noch ganz ausge-
ſchloſſen bleibt.
In der Lehre von der Schönheit konnte die Frage gar nicht auf-
geworfen werden, ob eine ſinnliche und eine geiſtige Schönheit zu unter-
ſcheiden ſey; eine bloſe Andeutung des Stufengangs der ſich verwirk-
[231] lichenden Idee reichte hin, zu zeigen, daß alles Schöne ſowohl ſinnlich
als geiſtig, daß aber allerdings ein Stufen-Unterſchied der Begeiſtung ſey.
Im Erhabenen aber tritt ein negatives Verhältniß beider Momente ein;
jetzt fragt es ſich, ob die zum Erhabenen geforderte Selbſtändigkeit der
Idee da vorhanden ſey, wo die Idee in dem Außerſichſeyn des Raums
und der Zeit verloren iſt oder nur erſt als Selbſtgefühl in ſich zurück-
ſcheint. In dieſer Sphäre der Idee entſteht die Frage, ob nicht dem
Gegenſtande vom Subject erſt ſo viel zu leihen ſey, daß er in Wahrheit
gar kein Gegenſtand iſt, und wenn er es doch ſeyn ſoll, ſo entſteht jeden-
falls ein ſehr ſcharfer Unterſchied von Formen des Erhabenen. Wenn
daher nun ein Erhabenes der Natur und des Geiſtes wohl zu unterſcheiden
iſt, ſo wird jedoch dadurch der für den zweiten Theil beſtimmten Lehre
vom Naturſchönen nicht vorgegriffen. Das Syſtem bleibt, wie ſich zeigen
wird, durch die nun folgenden Kategorien ganz im Allgemeinen, die
Frage nach dem Gegenſatz von Natur oder ſubjectiver künſtleriſcher Thätig-
keit noch ganz ausgeſchloſſen (vergl. §. 17, 1); die Beiſpiele jedoch
können natürlich aus jeder Exiſtenzform der wirklichen Schönheit be-
liebig gewählt werden. Um jedoch ein Mißverſtändniß zu vermeiden,
iſt dem Ausdruck: Natur ein anderer, aus weiteren Gründen ohnedies
paſſenderer vorzuziehen.
a.
Das objectiv Erhabene.
§. 89.
Die Eintheilung ſtellt nach dem Geſetze alles Denkens und Seyns die
Form des Unmittelbaren oder Vorgefundenen als die erſte, objective Form auf.
Das Vorgefundene iſt ein Solches, welches der als Selbſtbewußtſeyn verwirk-
lichten Idee (§. 19) von außen begegnet und daher der Sphäre der Idee als
unbewußten Wirkens angehört. Da nun die das Weſen des Erhabenen be-
gründende Negation erſt durch die Scheidung des Selbſtbewußtſeyns wahrhaft ein-
tritt, ſo ſcheint der Geiſt im Subjecte dem Object aus ſeinem Eigenen ſo viel
leihen zu müſſen, daß dadurch dieſes als ſolches aufgehoben wird. Allein es
bleibt ein weſentlicher Unterſchied, ob das Subject das Erhabene da anſchaut,
wo dieſe Leihung nöthig iſt, oder da, wo ſie nicht nöthig iſt, und die Kate-
[232] gorien der Objectivität, welcher geliehen wird, bilden allerdings den beſtim-
menden Unterſchied. Es iſt alſo der vorhandene Schein, als ob ein Erhabenes
außer dem ſelbſtbewußten Geiſte ſey, zuerſt einfach feſtzuhalten.
Es ſcheint auffallend, daß gerade Kant, der es ausdrücklich aus-
ſpricht, daß die Natur zwar extenſive, aber nicht intenſive Unendlichkeit
mit ſich führe, daß alſo die wahre Erhabenheit nur im Gemüthe des
„Urtheilenden“, nicht im Naturobjecte geſucht werden müſſe, die Er-
habenheit dennoch auf die Natur, ja ſogar die unorganiſche — „rohe“ —
Natur mit Nachdruck beſchränkt (a. a. O. §. 26). Als Grund, warum
er die organiſche Natur ausſchließt, gibt er an, daß deren Begriff ſchon
einen beſtimmten Zweck bei ſich führe, („z. B. Thiere von bekannter
Naturbeſtimmung“). Hier nämlich, meint er, würde ſtatt des Erhabenen
das Ungeheure entſtehen, weil der Zweck des Ganzen, der nur mit einem
gewiſſen Maße der Größe vereinbar iſt, vernichtet würde. Alſo hat ihn
wieder die Kategorie der Zweckmäßigkeit verwirrt. Die Frage aber, ob
denn nicht das Erhabene des Geiſtes, ſinnlich erſcheinend, eine eigene
und höhere Form des Erhabenen begründen müſſe, wirft er gar nicht
auf. Der geheime Grund davon iſt offenbar, daß hier ſeine pſychologiſche
Theorie von der Subreption, wovon nachher zu ſprechen iſt, nicht an-
zubringen geweſen wäre; und dies mag ihm als tieferer Grund auch bei
der Ausſchließung der organiſchen Natur ſchon vorgeſchwebt haben, denn
hier iſt zwar ein Leihen noch nöthig, aber in ungleich minderem Grade.
Die neuere Aeſthetik nun hat den Satz gerade umgekehrt. Ruge ent-
wickelt das Erhabene unmittelbar als den aus ſeiner Verſunkenheit ſich
erhebenden Geiſt und nun hebt er an Kant rühmend hervor, daß nach
ihm die Erhabenheit wahres Eigenthum des Geiſtes ſey (a. a. O. S. 73),
und tadelt Schiller und Jean Paul, daß ſie „das Uebergroße und
Uebermächtige da draußen erhaben nennen“. Die ſogenannten erhabenen
Erſcheinungen der Natur gelten ihm daher nur für ein Gleichniß der
wahren Befreiung und der wahren Unendlichkeit, wie ſie der Geiſt erreicht.
Darauf antwortet unſer §. — „Gleichniß“ klingt ganz allegoriſch. Der Geiſt
legt ein Gefühl ſeiner Unendlichkeit in die Erſcheinungen der Natur, aber
es iſt eben ein Unterſchied, ob er ſie da hineinlegt oder ob er ſie
dort findet, wo ſie in adäquater Form iſt, und um ſie dort hinein-
zulegen, dazu treibt ihn ein Inſtinct, der guten Grund hat und tiefer
liegt, als ein Vergleichen, ein Inſtinct des Geiſtes, der ihm zuflüſtert,
daß er in ſeiner dunkeln Wurzel ſelbſt Natur iſt.
[233]
§. 90.
Alle Erhabenheit iſt, mit dem Schönen verglichen, quantitativ. Allein
es iſt ein Unterſchied, ob die Quantität ſchlechtweg oder ob die Qualität der
in ihrem Größen-Verhältniſſe verglichenen Gegenſtände das Beſtimmende iſt.
Es folgt zwar allerdings aus dem Weſen des Schönen (§. 16), daß nicht die
abſtracte Kategorie der Ausdehnung, ſondern nur das Ausgedehnte von äſthe-
tiſcher Wirkung ſeyn kann; allein ſobald die Qualität als ſolche in der äſthe-
tiſchen Erſcheinung ſich geltend macht, ſo entſteht eine andere Form der Er-
habenheit; die erſte und unmittelbarſte aber iſt die im engeren Sinn quantitative
Erhabenheit, wobei die Qualität nur beiläufig mitwirkt.
Weiße (Aeſth. §. 22) behauptet, ein großer ſinnlicher Gegenſtand
ſey als ſolcher noch nicht erhaben, er müſſe zugleich ſchön ſeyn. Ruge
(a. a. O. S. 75 ff.) nimmt dies auf, verbindet es mit ſeiner Anſicht,
die das Erhabene der Natur blos als Gleichniß geiſtiger Erhebung gelten
läßt, und verlangt insbeſondere Schönheit des Tags- und Farbenlichts zur
Größe; er erinnert an die Gletſchergebirge, welche vorzüglich durch die
ſtrahlende Reinheit der Farbe wirken u. ſ. w. Dies nun iſt jedenfalls
zu viel geſagt, daß der große Gegenſtand zugleich förmlich ſchön, z. B.
durch ſeine Farbe, ſeyn müſſe. In der Farbe kann er auch trübe ſeyn;
das unendliche Meer wirkt erhaben nicht nur in ſchönem Farbenſpiele.
Die Frage entſcheidet ſich durch §. 87; der Gegenſtand kann in der einen
oder andern der dort unterſchiedenen Bedeutungen zwiſchen Geſtalt und
Geſtaltloſigkeit ſchweben, was ſelbſt Weiße zugibt, ja verlangt. Er
kann ſelbſt häßlich ſeyn und wir werden in Bälde zeigen, daß das Häß-
liche ſchon im Erhabenen aufzuführen iſt, nur gehört dies hieher noch
nicht. Wie er aber qualitativ beſtimmt ſeyn mag, die Frage iſt hier
dieſe: was iſt das eigentlich Beſtimmende in der äſthetiſchen Wirkung?
Was das nur Mitbeſtimmende? Läßt ſich nachweiſen, daß es die Aus-
dehnung iſt, die auf das Gefühl unendlich erweiternd wirkt, ſo iſt die
Beſchaffenheit deſſen, was ſich ausdehnt, zwar nicht gleichgültig und
bringt mancherlei Modificationen der Empfindung hervor, aber es bleibt
dabei, daß die Ausdehnung das beſtimmende Grundgefühl wirkt, und dies
reicht hin, eine beſondere Eintheilung zu begründen. Daß dabei unter
der Decke ſchon ein anderes Beſtimmendes ſpielt, das ſich alsbald auch
geltend macht und zu einer neuen Sphäre führt, werden wir aufzeigen;
[234] allein daraus folgt nur eine Nothwendigkeit, zu einer andern Sphäre
der Eintheilung fortzuſchreiten, nicht die Aufhebung der erſten.
α.
Das Erhabene des Raums.
Die nächſte und einfachſte Form wie des Seyns überhaupt, ſo auch des
quantitativ Erhabenen iſt die Form des Außer- und Uebeneinanderſeyns durch
die gegenſeitige Ausſchließung der Körper: der Raum. Das Erhabene des
2Raums iſt (§. 85) entweder poſitiv oder negativ. Das poſitive entſteht zunächſt,
wenn ein Gegenſtand zu ſeinen Umgebungen in einem ſolchen Verhältniß der
Größe ſteht, daß er ſich in’s Unendliche auszudehnen ſcheint. Damit dieſer
Schein ſich erzeuge, wird erfordert, nicht nur daß umgebende Gegenſtände einen
Maßſtab an die Hand geben, ſondern auch, daß eine gewiſſe gleichmäßig fort-
laufende Wiederholung nicht allzuſcharfer Abſtiche auf der Oberfläche den Zuſchauer
in die Illuſion verſetze, als habe ihre Fortſetzung gar kein Ende. Bald ruhig
3erhebend, bald drohend wirkt die Höhe, unruhig und erſchütternd die Tiefe,
erweiternd und Sehnſucht erregend die Breite.
1. Kant unterſcheidet ein mathematiſch- und ein dynamiſch Erhabenes
der Natur, Schiller wendet dieſelbe Eintheilung ſubjectiv: was unſere
Faſſungskraft überſteigt und was unſerer Lebenskraft droht (Ueber das Er-
habene); Jean Paul (Vorſchule der Aeſthetik B. 1, §. 27) ſucht
ſtatt deſſen die Eintheilung des Erhabenen der Natur in ein optiſch und
ein akuſtiſch Erhabenes einzuführen. Davon nachher. Es iſt nachzuholen,
daß der Letztere zuerſt den Gedanken hatte, die ſittliche oder handelnde
Erhabenheit als beſondere Form aufzuſtellen. Zwiſchen dieſe Form und
das Erhabene der Natur ſtellt er aber ganz ungehörig das Erhabene der
Unermeßlichkeit und Gottheit: dies iſt vielmehr das Letzte und Ganze,
denn alles Erhabene iſt unermeßlich und in dieſem Sinne göttlich. Wir
unterſcheiden im Quantitativen zunächſt die Ausdehnung des Raums und
der Zeit; die zweite dieſer Formen führt zum Erhabenen der Kraft,
welches in der Quantität die Qualität zu gleicher Bedeutung erhoben in
ſich trägt, und ſo mag die dreifache Eintheilung, da die Erhabenheit
der Zeit ſchon aus der bloſen Quantität heraus und die Erhabenheit der
[235] Kraft an die Schwelle der eigentlich qualitativen (geiſtigen) Erhabenheit
führt, ihr Recht behaupten.
2. „Zunächſt“. Es iſt im folg. §. noch eine andere Form der poſi-
tiven Erhabenheit des Raums aufzuführen. Die Bedingung der Er-
habenheit eines Gegenſtands iſt zuerſt, daß er ungleich größer ſey, als
die umgebenden, ſey es ſeiner oder einer andern Gattung angehörigen; denn
gemeſſen muß werden, wenn überhaupt etwas als groß beſtimmt werden
ſoll. Allein ſo erhalten wir nur eine relative Größe, das Erhabene fordert
aber den Eindruck einer unendlichen. Hier tritt eine weitere, den Gegen-
ſtand ſelbſt betreffende Bedingung ein, welche ſchon Burke (a. a. O.
Th. 4, Abſchn. 9—14) ſcharfſinnig, jedoch mit einſeitig phyſiologiſcher
und empiriſcher Begründung entwickelt hat. Kant (a. a. O. §. 26)
geht wiſſenſchaftlicher zu Werke, ohne in der Ausführung ſo vollſtändig
zu ſeyn als Burke. Jean Paul (a. a. O. §. 27) ergänzt ihn und
vollendet den Begriff. Die Sache iſt dieſe: der Gegenſtand ſelbſt, neben
dem die umgebenden unendlich klein erſcheinen ſollen, muß gemeſſen
werden; aber alles Maß muß ſich als unzureichend erweiſen, d. h. es
muß eine Aufforderung gegeben ſeyn, in’s Unendliche fortzumeſſen. Zu
dieſem Meſſen ſind, wie Kant aufzeigt, zwei Handlungen nöthig: Auf-
faſſung und Zuſammenfaſſung. Die Auffaſſung nun muß ſo lange fort-
rücken, daß die Zuſammenfaſſung nicht mehr folgen kann, ſondern, in-
dem immer neu aufgefaßte Theilvorſtellungen ſich anſetzen, die vorher-
gehenden in demſelben Grade erlöſchen, wodurch der Verſuch der Zu-
ſammenfaſſung auf der einen Seite ebenſoviel verliert, als er auf der
andern gewinnt. Dadurch nun verliert die Phantaſie den feſten Boden,
ſie geräth in’s Schweben und ſetzt im Schwindel dieſen Widerſpruch des
Auffaſſens und Zuſammenfaſſens in’s Unbeſtimmte fort, obwohl der
Gegenſtand an ſich wirklich eine Grenze hat und die Auffaſſung daher
eigentlich allerdings ihr Ende findet. So erſcheint denn der Gegenſtand
als unendlich groß, er ſteigt und wächst fort, wir wiſſen nicht wohin,
und wir glauben im Begrenzten das alle Grenze Setzende und allen
Raum Füllende zu ſehen. Kommt nun noch einiges Dunkel dazu, wo-
durch die vorhandene Grenze ſich in einen Schleier verhüllt, ſo findet
auch die Auffaſſung in Wirklichkeit ihr Ende nicht und nur das abſtracte
Wiſſen, daß in Wahrheit Alles eine Grenze hat, das aber im äſtheti-
ſchen Gebiete als ſolches überhaupt nicht in Kraft iſt, bleibt als leicht
beſiegtes Hinderniß der Täuſchung zurück. Demgemäß muß der Körper
des Gegenſtands folgende Eigenſchaften haben: es müſſen ſich Einſchnitte,
[236] Abtheilungen an ihm zeigen, Wellen auf der Meeresfläche, Senkungen,
Hebungen, brüchige Stellen u. dergl. auf einer Erdfläche, Fugen der
Bauſteine, Stockwerke, Frieſe, Geſimſe, Ornamente u. dergl. an einem
Gebäude; ſonſt mißt das Auge überhaupt nicht. Dieſe Einſchnitte aber
dürfen nicht ſtark ſeyn, nicht grell (z. B. durch Farbe) von einander ab-
ſtechen und müſſen ſich in langer Folge wiederholen. Sind ſie zu ſtark,
ſo fängt das Auge mit jedem neuen Einſchnitt einen neuen Gegenſtand
an, ſtechen ſie grell von einander ab, ſo iſt dasſelbe der Fall; doch iſt
nicht völlige Einfärbigkeit nöthig, wie J. Paul behauptet. Vergl. was
Kant nach Savary von den Pyramiden ſagt. — Warum erſcheint die
Peterskirche kleiner, als ſie iſt?
Hier iſt nun bereits der Ort, wo ſich bemerklich macht, daß im
blos Quantitativen ſchon Tieferes mitſpielt. J. Paul ſagt: weder die
Mitte, noch die Spitze der Pyramide iſt erhaben, ſondern die Bahn
des Blicks. Alſo die Bewegung; aber nicht nur die Bewegung des
Sehens und die damit gegebene Bewegung des inneren Vorſtellens,
ſondern dies an dieſem Vorſtellen, daß der Gegenſtand ſelbſt ſich zu
bewegen ſcheint. Auch war es ja einmal wirkliche Bewegung, wodurch
Berge, Thürme entſtanden ſind; der Sehende ſchafft ſie neu, die Linien
fließen und in ihnen die weltbauende Kraft: alſo liegt ſchon das Erhabene
der Kraft zu Grunde. Die Phantaſie ſieht das Urgewäſſer ſtrömen,
hört es toſen, das dieſen Berg zurückgelaſſen, ſieht das Feuer jenen
emporſchleudern. Allein dies liegt auch nur zu Grunde; das Beſtim-
mende bleibt, daß die Kraft dieſe Berge ſo hoch thürmen, jene Fläche
ſo weit dehnen konnte u. ſ. w.
3. Beiſpiele zur Wirkung der Dimenſionen ſ. in der Schr. Ueber
das Erhabene und Komiſche S. 55 — 58. Es wird hier noch klarer,
daß Qualitatives mit einwirkt: die in ihren Umriſſen ſchöne Höhe er-
hebt, die formloſere und überhängende droht; in beiden wird die Kraft
anders vorgeſtellt, die ſie hervorbrachte, dort edel, hier wild; Tiefe
erregt die Angſt der Exiſtenz, Breite wirkt elegiſch: dies ſind geiſtige
Beſtimmungen, wie ſolche zur Bezeichnung der Wirkung der verſchiedenen
Dimenſionen auch im §. gebraucht ſind. Allein geiſtig deutet der Menſch
Alles; demnach wäre kein Unterſchied in den Dingen. Es kommt
aber darauf, wie viel für die (unwillkürliche) Deutung oder leihende
Vergeiſtigung zu thun bleibt: das macht den Unterſchied.
[237]
Den Uebergang zur negativen Form des räumlich Erhabenen verbirgt1
bereits in ſich die Erfülltheit eines Raums durch eine Menge von Gegen-
ſtänden, welche ſo groß iſt, daß ſie unendlich ſcheint. Hier nämlich faßt zwar
ein beſtimmter Naum die Vielen und zunächſt erſcheint dieſer Raum unendlich
groß, aber indem der Anblick der Vielen zur Vorſtellung der unendlichen
Vielheit führt, ſo iſt damit bereits gegeben, daß gegen die unendliche Er-
füllung unendlicher Räume jedes einzelne Raumerfüllende und jeder beſtimmte
Raum verſchwindet, wobei der Widerſpruch, der demnach in der ganzen Kate-
gorie des Raums liegt, ſich in einem Schwindel des Gefühls ankündigt. Dieſe2
Nichtigkeit kommt aber wirklich zur Anſchauung in der eigentlich negativen
Form der räumlichen Erhabenheit, der Leere. Sie wirkt theils drohend durch
die Vorſtellung, daß das unendlich Raumerfüllende, dem aber kein Raum ge-
nügt, hervorbrechen könnte, theils traurig durch die Vorſtellung, daß ein be-
ſtimmtes Raumerfüllende, welches da war, in Nichts verſunken ſey und daß
ebenſo alles andere verſinken müſſe, daß alſo ebendas, was durch ſein Daſeyn
die Kategorie des Raums begründet, vergänglich ſey, wodurch der Uebergang
in die Kategorie der Zeit gegeben iſt.
1. Geſtirnter Himmel, große Menſchenverſammlung u. ſ. w. Was
den Raum erfüllt, iſt natürlich auch hier nicht gleichgültig; große Büffel-
heerden bringen einen andern Eindruck hervor, als große Menſchenmengen
u. ſ. w.; das Beſtimmende aber bleibt die Vielheit. Zunächſt erſcheint
ein beſtimmter Raum in ſeiner Anfüllung unendlich groß und zwar durch
dieſelbe Bedingung des Fortzählens, wie ſie in §. 91 aufgeſtellt iſt.
Allein indem ich die Sterne, die Köpfe zählend und doch unfähig, weiter
zu zählen, fortſetze, wächst mir die Menge über den beſtimmten Raum
hinaus; nun genügt ihr kein Raum mehr, die Körper, welche einer
neben dem andern den unendlichen Raum ſetzen, verſchwinden jeder in
der unendlichen Reihe und mit ihnen jeder beſtimmte Raum: es tritt
der Widerſpruch in’s Gefühl, daß das Räumliche in ſeiner Ausdehnung
unendlich iſt, eigentlich aber die ganze Kategorie der Räumlichkeit eben in
dieſem unendlichen Fortgang ſich aufhebt. Es folgt auf jedes Raum-
Erfüllende ein neues, jedes alſo weist über ſich hinaus, aber jedes
neue ebenſo: man geht immer weiter und kommt nie an. Es verſieht
ſich jedoch, daß dieſer Widerſpruch noch nicht als ſolcher zum Bewußtſeyn
[238] kommt, ſonſt wäre dieſe ganze Form des Erhabenen ſogleich ganz aufgehoben:
es iſt eine Angſt, ein Schwindel, — „wie ein Traum, daß Einer einen
langen Gang immer weiter und unabſehbar weiter fortgehe, mit Fallen
oder mit Schwindel endet“ (Kant).
„Ich häufe ungeheure Zahlen,
Gebirge Millionen auf,
Ich wälze Zeit auf Zeit und Welt auf Welten hin:
Und wann ich auf der Mark des Endlichen nun bin
Und von der grauſen Höhe
Mit Schwindeln wieder nach dir ſehe,
Iſt alle Macht der Zahl, vermehrt mit tauſend Malen,
Noch nicht ein Theil von dir;
Ich zieh ſie ab, und du liegſt ganz vor mir.
(Haller, Hymne über die Ewigkeit).
2. Es verſteht ſich, daß es keine abſolute Leere gibt: dem Verſuche,
ſie vorzuſtellen, liegt vielmehr die logiſche Aufhebung der Kategorie des
Raums zu Grunde. Allerdings führt aber ebendarum die relative Leere
irgend eines beſtimmten Ortes, wie ſolche zunächſt durch die äſthetiſche
Bedingung gefordert iſt, in dem Gefühle, das ſie erregt, über das
Raumgefühl eigentlich hinaus. Je nach der äſthetiſchen Beſtimmtheit des
beſonderen Falls wird nämlich das Gefühl, das die Leere erregt, ein
verſchiedenes ſeyn. Iſt der Raum öde und unbewohnt, oder erſcheint ein
ſonſt bewohnter Raum nicht nur von demjenigen entblöst, was an Be-
wohner erinnert, ſondern noch insbeſondere in Dunkel gehüllt, ſo wird
zunächſt eine Wirkung eintreten, welche vergleichungsweiſe poſitiv heißen
kann. Aus dem dunkeln Schooße des in’s Unendliche zerfließenden be-
ſtimmten Raumes fürchten wir, entſprechend dem im Raumbegriffe liegenden
Widerſpruch, ein Unbekanntes aufſteigen zu ſehen, das dem Raume an-
gehört und doch nicht; die Vorſtellung wird geiſterhaft. Dagegen Räume,
welche in ihrer Leere noch deutlich und durch eine Fülle gebrauchter
Gegenſtände an die Bewohner erinnern, wie z. B. Pompeji, wirken
mild elegiſch und das Raumgefühl geht ſchon in das Zeitgefühl über. Der
Lebendige tritt in den Raum, der ausſieht, als wäre er geſtern verlaſſen:
die Geſchlechter wechſeln, die den Raum füllen, alſo iſt die Bedingung
des Raums, die Körperwelt vergänglich, und ebenhiedurch der Raum als
ein aufgehobenes Moment in der Empfindungsweiſe beſtimmt.
[239]
β.
Das Erhabene der Zeit.
Was ſich im Raum ausſchließt, hat als Begrenztes ſeine Grenze auch in1
ſich ſelbſt und iſt daher dem Wechſel des Werdens und Vergehens unterworfen;
die Zeit iſt der Inbegriff dieſes endloſen Verlaufs. In poſitiver Form tritt das
Erhabene der Zeit auf, wenn eine Erſcheinung die umgebenden Dinge ſo lange
überdauert, daß der Zuſchauer in ihr das Gefühl ihrer Endlichkeit mit dem
Gefühle der unendlichen Zeit zuſammenfaßt. Die Qualität des Gegenſtands
gibt dieſem Gefühle verſchiedene Beſtimmtheit, die Grundlage aber bleibt das
Zeitgefühl. Wird jedoch die Vorſtellung in Beziehung auf ein einzelnes2
Lebendiges in dem Sinne wirklich vollzogen, daß es als unendlich gedacht wird,
ſo ſinkt das Erhabene entweder in das Ermüdende herunter oder es wird in
das Schauderhafte geſteigert.
1. Es iſt zum poſitiv Erhabenen der Zeit natürlich ein Gegenſtand
vorausgeſetzt, welcher Spuren ſo langer Dauer an ſich trägt, daß man
die Zeittheile derſelben und zugleich die Summe deſſen, was an ihm
vorüberging, zuſammenzufaſſen ermüdet. Nunmehr ſcheint es, als habe
der Gegenſtand, obwohl geworden und vergänglich, die unendliche Zeit
an ſich zu bannen gewußt; Anfang und Ende verſchwinden im Dunkel.
Dabei iſt es freilich nicht gleichgültig, was es für ein Gegenſtand iſt:
ein uralter Baum, Thurm, Thier, Menſch. Es wird zwar auch dem
Unbeſeelten untergeſchoben, als habe es dem Vielen, was an ihm vorüber-
ging, zugeſehen, aber anders iſt natürlich das Gefühl, wo der Gegen-
ſtand der Empfindung und des Denkens, daher des Erlebens wirklich fähig
iſt. Das Beſtimmende bleibt jedoch immer jenes ſpezifiſche Gefühl der
Zeit, das ſich dem Gemüthe ankündigt, wie ein inneres Hören eines un-
unterbrochenen ſummenden Rauſchens. Es iſt natürlich auch im Erhabenen
des Raums nicht gleichgültig, was es für ein Gegenſtand iſt, das den
Raum erfüllt, dort aber wurde dies nur unter der Anm. berührt, hier
dagegen in den §. aufgenommen, weil es hier wichtiger wird, denn die
Zeit iſt ſchon eine Kategorie, in welcher das Leben als ein Vernehmen
ſeiner ſelbſt und der Welt ſich bewegt, daher auch dem unbeſeelten Gegen-
[240] ſtande im zeitlich Erhabenen ungleich gewiſſer ein Bewußtſeyn untergeſchoben
wird, als im zeitlich Erhabenen.
2. Die ausdrücklich vollzogene Vorſtellung, als daure ein Endliches
unendlich, iſt leer und ermüdend, ſo lang man ihm kein Bewußtſeyn dieſes
Widerſpruchs zuſchreibt; ſchreibt man ihm aber dieſes zu, ſo tritt alsbald
ein Entſetzliches in das Gefühl und daher haben die Völker ſolche Vor-
ſtellungen nur erdichtet in dem Sinne der äußerſten Strafe. Nicht ſterben
können iſt ſchauderhaft. Sage vom ewigen Juden. Die ewige Ver-
dammniß iſt nicht ſo ſchauderhaft, wie dieſe Vorſtellung, weil die poſitiven
Qualen, womit hier die Fortdauer erfüllt erſcheint, nicht Zeit laſſen, das
Bewußtſeyn auf die innerſte Qual, die unendliche Fortdauer des todes-
müden endlichen Weſens, zu fixiren. Von dem Fortleben der Seligen aber
hält man die Vorſtellung dieſer Qual ferne durch die Ungenauigkeit des
Denkens, vermöge welcher man ſich die Zeit des fortlebenden Weſens mit
Genüſſen ausgefüllt vorſtellt, welche zugleich über alle Zeitbedingungen er-
haben ſeyn ſollen. — Wir haben hier den Kreis dichtender Vorſtellung,
freilich etwas vorgreifend, berührt, den Hauptpunkt mehr zu verdeutlichen;
ſo wurde auch der Begriff des Schauderhaften hereingezogen, der in ſeiner
ganzen Bedeutung allerdings erſt in das Erhabene der Kraft fällt. Die
erhabene Stelle des Pſalm 90, v. 4.: „Tauſend Jahre ſind vor dir wie
der Tag, der geſtern vergangen iſt, und wie eine Nachtwache“ u. ſ. w.
ſpricht dem Jehovah, obwohl ſinnlich vorgeſtellt, Erhabenheit über die
Zeit zu und führt ſchon zur negativen Form.
Auch die Zeit beſtimmt ſich in gewiſſe Dimenſionen, je nachdem das
empfindende Subject auf die verſchwundene oder auf die bevorſtehende Zeitreihe
hinblickt. Der Standpunkt iſt die Gegenwart, jenes die Vergangenheit, dieſes
die Zukunft. Die Vergangenheit wirkt immer eine, zwar verſchieden geſtimmte,
Wehmuth, die Zukunft geheimnißvolle Erwartung, die Gegenwart, im Verſuche
ſie zu halten, verſchwindend, hat kein beſonderes Gefühl für ſich, außer ſofern ſie
jene beide verbindet. Dieſe Dimenſionen fließen ſo in einander über, daß ſchon
2dadurch der innere Widerſpruch der Zeitform in das Gefühl tritt. Erſcheint nun
ſelbſt das lange Dauernde, das geeignet war, das poſitiv Erhabene der Zeit dar-
[241] zuſtellen, und mit ihm alles Dauernde als vergänglich, ſo kommt dadurch die reine
Unendlichkeit der Zeit zum Ausdruck, wogegen das längſte Daſeyn ein ver-
ſchwindender Punkt iſt. Dies iſt die negative Form. Da aber die unendliche
Zeit nur das fortlaufende Setzen verſchwindender Punkte iſt, ſo ſtellt ſich das
Gefühl der Nichtigkeit dieſer ganzen Kategorie ein und ſucht die Anſchauung die
Sphäre einer andern.
1. Für die verſchiedene Modification des Gefühls der Vergangenheit
und Zukunft, je nachdem die Gegenwart ſchlechter oder beſſer iſt, als jene,
je nachdem eine ſchlechtere oder beſſere Zukunft erwartet wird, bietet ſich
eine Fülle von Beiſpielen von ſelber dar. Der Rückblick oder Ausblick auf
die verſchiedenen Lebensalter iſt von beſonders ergreifender Wirkung. Es
iſt natürlich, daß auch hier der Gegenſtand nicht gleichgültig iſt, wie denn
z. B. Vergangenheit und Zukunft von Völkern ſich anders fühlt, als von
Individuen. Ein beſonders ſtarkes Gefühl erregt das unerwartete Herein-
ragen einer Vergangenheit in die Gegenwart, wie in der Geſchichte von dem
verſchütteten Bergmann in Falun, das Wiederfinden in Tiecks „Zauber-
pokal“, die Aufgrabung von Pompeji. Bei aller Verſchiedenheit der
Modificationen wird im Gefühle der Vergangenheit, ſelbſt wenn ſie ſchlechter
war, immer ein wehmüthiger, der Zukunft, ſelbſt wenn ſie beſſer gehofft
wird, ein banger Ton das beſtimmende ſeyn. Die Gegenwart aber
läßt ſich auch im Gefühle nicht faſſen; ich kann nur zurück oder vorwärts
fühlen. Nur dann kann ihr ein beſonderes Gefühl zugeſchrieben werden,
wenn ſtark bezeichnete Zeiteinſchnitte das Gefühl der Vergangenheit und
Zukunft auf Einen Punkt concentriren, wie z. B. in der Zwölfe einer
Neujahrsnacht.
2. Man wird finden, wie die Aufhebung des Zeitgefühls in ein
anderes der Aufhebung des Raumsgefühls in jenes genau entſpricht. Es
iſt der nämliche Gang und bedarf keiner Auseinanderſetzung. Daß auch
das negativ Erhabene der Zeit ſinnlich erſcheinen muß, folgt aus dem
Weſen des Schönen. Kirchhöfe, Gräberſtätte, Trümmer großer und
ſtarker Gebäude u. dgl. Phantaſievoll verkörpert Shakespeare die Zeit
ſelbſt: „Der alte Glöckner Zeit, der kahle Küſter“.
Indem ſich aber das Gefühl in dem Widerſpruche der Zeitform
ermüdet, fordert es eine andere Form, welche im Raume und in der
Zeit über beiden iſt. Dies iſt der Uebergang.
Viſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 16
[242]
γ.
Das Erhabene der Kraft.
Das äſthetiſche Geſetz verlangt, indem das Erhabene des Raums und der
Zeit ſich als erſchöpft zeigt, eine Form, welche dieſe beiden ebenſoſehr ſetzt und
in ſich trägt, als auch über ſie hinaus iſt, indem ſie, während ſie ſich ausdehnt,
von ſich als einem inneren Einheitspunkt ausgeht und in ſich bleibt. Dieſe
Form iſt die Erſcheinung der Kraft, welche ſich ihr Organ bildet und dadurch
den Raum erfüllt, aber, indem ſie ſich weſentlich als Bewegung äußert, den
Raum in der Zeit, und ebenſo, da ſie in ihren Wechſeln ſich ſelbſt gleich bleibt,
die Zeit überwindet. Dieſe Form iſt nicht mehr blos quantitativ, ſondern
qualitativ, doch ſo, daß das Qualitative vorerſt an das Quantitative noch
weſentlich gebunden bleibt, indem eines mit dem andern ſteigt und fällt. Als
Luſterſchütterung iſt die Bewegung meiſt mit einem Schalle verbunden, daher
das dynamiſch Erhabene häufig, doch nicht immer akuſtiſch.
Es darf nicht ſchlechthin ausgeſprochen werden, daß die Kraft
weſentlich an die eigentliche, ſinnliche Quantität gebunden ſey. Das
Verhältniß verändert ſich, wie ſich zeigen wird. — J. Paul will das
dynamiſch Erhabene, wie ſchon bemerkt, auf das Akuſtiſche zurückführen.
Das Auge, ſagt er, könne nur ein quantitatives Erhabene anſchauen,
die Intenſität ſey nicht für daſſelbe. Allein iſt die Straffheit der
ruhenden Muskel und das Werk der Kraft, die Bewegung, [ni] [...]
das Auge? J. Paul ſagt, um von da auf die Kraft [zu] [...]
ſey erſt ein Schluß aus Erfahrungen nöthig. Allein dies involvirte
und verhüllte Schließen in der Sinnesanſchauung darf durchaus keinen
Anſtand begründen, es iſt in anderer Weiſe mit jeder verbunden und
namentlich mit dem bloſen Hören, das ja auch ein verhülltes Schließen
von dem Schall auf ſeine Urſache iſt. Es iſt ſeltſam, ſich durch eine
ſolche Willkür die Aufnahme der beſonders furchtbaren Wirkung einer
ſtille heranrückenden Kraft in die vorliegende Sphäre abzuſchneiden.
Uebrigens iſt die Bedeutung, welche das Gehör hier gewinnt, zugleich
ein Zeichen, daß wir in einem höheren und mehr innerlichen Gebiete
uns befinden.
[243]
Dynamiſch erhaben iſt ein Gegenſtand, wenn er den umgebenden an1
Kraft ſo überlegen iſt, daß die ſeinige, obwohl durch ein Maß begrenzt,
dennoch zugleich alles Maß zu überſchreiten ſcheint. Die Kraft wird durch2
Widerſtand gemeſſen, alſo ein möglicher Widerſtand vorgeſtellt und zwar, weil
ſie unendlich erſcheint, als vergeblich. Da nun die Kraft zwar ein ſelbſtändiges,
aber noch nicht vom Quantitativen geſchiedenes und in ſich reflectirtes, ſondern
blindes Seyn iſt, und da ſie ſich in der Bewegung äußert, welche, wo ſie rück-
ſichtslos vordringt, zerſtörend wirkt, da endlich der Zuſchauer ſich ſelbſt zu dem
Umgebenden mitzählt, was von dieſer Zerſtörung getroffen werden kann, ſo er-
ſcheint das Erhabene der Kraft im Allgemeinen als furchtbar.
1. Auch hier zeigt ſich die „grenzloſe Grenze.“ Der kraftvolle Gegen-
ſtand, der angeſchaut wird, hat nur ein begrenztes Maß der Kraft.
Allein da er im beſtimmten Falle allen umgebenden Kräften überlegen
iſt, ſo kommt jetzt nicht zum Bewußtſeyn, daß ihm ſelbſt eine andere
Kraft überlegen ſeyn kann, ſondern dies bleibt verhüllt im Grunde des
Gefühls. Der Gegenſtand wird als ein Weſen von beſchränkter Kraft
zugleich feſtgehalten und zugleich dieſe Kraft in’s Unendliche erweiternd
hinausgetragen.
2. Ueber das Meſſen nach der Größe des Widerſtands vergl. Kant
a. a. O. §. 28. Es fehlt aber in ſeiner Darſtellung das weitere, im
§. aufgeführte Moment, daß die Kraft als ſolche (in ihrem Unterſchied
vom Geiſte) ein beſinnungsloſes iſt, von dem man den Eindruck hat,
daß es nichts mit ſich führt, was es veranlaſſen könnte, den ſchwächeren
Gegner zu ſchonen. Daher fürchten wir uns weit mehr, wenn wir
dem Raubthiere, als wenn wir einem bewaffneten Menſchen gegenüber-
ſtehen; ein unheimlicher Naturgrund thut ſich vor uns auf. Daß übrigens
die Furcht keine eigentliche, ſondern der Fall eines Kampfes und vergeb-
lichen Widerſtands, in den der Zuſchauer ſelbſt gerathen könnte, blos
vorgeſtellt ſeyn darf, wenn das Furchtbare äſthetiſch ſeyn ſoll, folgt mit
Nothwendigkeit aus der Intereſſeloſigkeit des Schönen. „Wer ſich fürchtet,
kann über das Erhabene der Natur gar nicht urtheilen, ſo wenig als
der, welcher durch Neigung und Appetit eingenommen iſt, über das
Schöne“ (Kant a. a. O.). Die Erklärung der Luſt im Anblicke des
furchtbar Erhabenen aus dem Gefühle der eigenen Sicherheit dagegen iſt ſo
veraltet, daß ſie keiner Widerlegung mehr bedarf; es leuchtet ein, daß ſie
16*
[244]den Gegenſtand aufhebt, ſtatt ihn zu begründen. Uebrigens iſt hinzuzuſetzen,
daß die Gefahr nicht nothwendig eine blos vorgeſtellte ſeyn muß, ſie kann
auch eine wirkliche ſeyn, aber dann iſt eine ſolche geiſtige Freiheit voraus-
geſetzt, ſich auf dem äſthetiſchen Standpunkte zu erhalten, daß das ge-
fährdete Subject die eigene Gefahr ganz vergißt und dadurch ſelbſt wieder
Andern ein Schauſpiel geiſtiger Erhabenheit gibt, wie dies von einzelnen
Marine- und Schlachten-Malern bekannt iſt.
Wo nun das Quantitative die Beſtimmung der Qualität in ſich aufnimmt,
beſteht kein unterſchiedsloſes und ruhendes Verhältniß zwiſchen beiden, denn die
Qualität beſtimmt ſich fortſchreitend zu verſchiedenen Graden der Intenſität und
2jeder derſelben bedingt eine verſchiedene Stellung zum Quantitativen. Auf der
unterſten Stufe kommt die wirkliche Bewegung durch die Kraft des Stoßes von
außen und iſt ebendaher die Maſſe und Menge noch weſentlich. Auf einer
höheren Stufe dagegen wohnt die Kraft ihrem Organe ſelbſt inne, ſteht
in unmittelbarer Einheit mit demſelben und wirkt nicht nothwendig durch die
Größe der Maſſe, immer aber als rückhaltslos wilde Bewegtheit. Auf einer
dritten aber ſammelt ſie ſich, zwar ohne eigentliche Reflexion in ſich, intenſiv in
der Tiefe und ſtellt ſich ſogar in ein umgekehrtes Verhältniß zu ihrem Organ:
die Qualität überwiegt bereits die Quantität.
1. Es wird hier ein Wechſel im Verhältniß der Qualität zur Quan-
tität oder der Kraft zur Maſſe ihres Organs eingeführt, der ein Vorgriff
ſcheinen könnte, denn es leuchtet ſogleich ein, daß die Sache nur deut-
lich wird, wenn man ſich beſtimmter an die verſchiedenen Naturreiche
erinnert. Allein es handelt ſich doch hier nur um das ganz Allgemeine
eines Begriffs, der zwar in der Aeſthetik, wie jede Beſtimmung, nur
ſeine Geltung hat, ſofern das in ihm Umfaßte ſinnlich erſcheint, hier
aber nur erſt in der Abſtraction der in ihm enthaltenen Grundverhält-
niſſe zur Betrachtung kommt. Die Allgemeinheit der Frage, wodurch
ihr ihre Stellung in der Metaphyſik des Schönen angewieſen wird, erkennt
man ſogleich daran, daß unter jedes der hier genannten Verhältniſſe eine
unbeſtimmte Menge von Gattungen aus verſchiedenen Klaſſen, Ordnungen,
Familien fällt und das, was ſie in der Lehre vom Naturſchönen genauer unter-
ſcheiden wird, die Geſtalt, hier noch nicht nach ſeiner näheren Beſtimmtheit in
[245] die Unterſuchung tritt. Zudem erhellt, daß ein und daſſelbe Weſen
ſchön oder furchtbar ſeyn kann je nach der Situation: ein weiterer Be-
weis, daß hier von allgemeinen Unterſchieden die Rede iſt, welche in
den wirklichen Exiſtenzen zwar ihre Anwendung finden, an ſich aber in
die reine Begriffslehre gehören.
2. Das erſte Verhältniß ſtellt ſich vorzüglich in der unorganiſchen
Natur dar, wo die Bewegung nur mechaniſch und die Maſſe beſtimmend
iſt. Daß der Zuſchauer erſt aus ſeiner Phantaſie leihend nachhilft und
z. B. dem Waſſerſturze etwas wie Zorn unterſchiebt, dies hindert auch
hier nicht, die Sphäre beſtimmt abzugrenzen, denn nicht was, ſondern
ob und wem geliehen wird, iſt das Beſtimmende. Das maſſenhaft
Mechaniſche kehrt indeß auch in höheren Sphären zurück. Eine Völker-
wanderung z. B., wo Volk auf Volk ſtoßend ſich fortdrängt, hat den
elementariſchen Charakter der großen Mechanismen in der Natur. Die
zweite Stufe ſtellt ſich vorzüglich im thieriſchen Leben dar. Hier iſt die
Kraft als Selbſtgefühl ſchon Affect, aber dieſer kommt hier noch nicht als
Analogon des Menſchlichen, nicht als Thierſeele in Betracht, ſondern
nur als die mit der Kraft des Organs einfach gegebene Nothwendigkeit
der Aeußerung. Schon Burke hat als Beiſpiel dieſer Form die herr-
lichen Schilderungen des Kampfroſſes, des wilden Eſels, des Leviathan,
des Behemoth im Buch Hiob angeführt und mit Recht hervorgehoben,
daß zum vollen Eindrucke weſentlich Wildheit, Unbeugſamkeit unter das
Joch des Menſchen gehört (a. a. O. Th. 2, Abſchn. 6). Maſſe iſt nicht
mehr weſentlich. Der Wolf iſt furchtbarer als der Elefant. Hier tritt ſchon
der Uebergang zur dritten Stufe ein. Dieſe ſcheint bereits in die Sphäre
des Geiſtes zu führen, denn die Kraft, die hinter ihrem Organe lauert,
ſcheint nur eine denkende ſeyn zu können. Allein es iſt noch nicht von
einem bedachten Rückhalt die Rede, ſondern nur von einer Intenſität, die
man dem Organe nicht anſieht, und die ſogar bei niedrigen Organismen
vorkommt, wie als Giftzahn und Stachel bei Schlangen und Inſekten.
Allerdings kommt aber hier auch die menſchliche Kraft in Betracht, doch
nur die Körperkraft, abgeſehen vom Geiſte. Die Thatſache, von der es
ſich handelt, iſt auch ſchon ſonſt ausgeſprochen worden. „Das Mißver-
hältniß zwiſchen Geſtalt und Ueberkraft öffnet der Phantaſie ein uner-
meßbares Feld des Schreckens, daher unſere unverhältnißmäßige Furcht
vor kleinen Thieren, und es muß ſchon ein kühner General ſeyn, der
vor dem nahen ſuchenden Brummen einer erbosten Horniſſe ſo ruhig und
ungeregt ſitzen kann, als vor dem Summen einer Kanone. In Träumen
[246] ſchaudert man mehr vor myſtiſchen Zwergen, als vor einer ſteilen, offenen
Rieſengeſtalt“ (J. Paul a. a. O. §. 24). Es tritt hier durch dieſe
Umkehrung bereits ein negatives Verhältniß in das Erhabene der Kraft
ein, aber noch nicht in der Beziehung, welche in §. 85 u. 86 ausge-
ſprochen iſt. Die eigentlich den Unterſchied begründende Negativität be-
zieht ſich auf den Act der Anwendung und Zurückhaltung der Kraft;
hier iſt nur erſt von der Stellung der Kraft zum Organe (in Beziehung
auf deſſen Maſſe) im Subjecte der Kraft die Rede. Von jener im
Hauptzuſammenhange den Unterſchied begründenden Form wird weiter
unten die Rede ſeyn.
Das Verhältniß der Kraft zu ihrem Organe beſtimmt ſich aber gemäß
dem Satze §. 87, 2 auch zu einem Unterſchiede der Form, wobei jene ver-
ſchiedene Stellung derſelben zur Quantität des Organs mitbeſtimmend wirkt.
2Entweder nämlich durchbricht die Kraft die Harmonie der Form, ſey es, daß
die ganze Gattung, ſey es, daß ein Individuum der Gattung durch überwie-
gende Ausbildung der Kraft in einzelnen Gliedern ein Mißverhältniß der
Formen darſtellt, wodurch einzelne derſelben aus der ihnen durch das Ganze
angewieſenen Unterordnung heraustreten und ſo die Einheit des Gebildes ver-
kehren. Dies iſt häßlich, und das Häßliche iſt im Schönen zuläßig, wenn es
furchtbar iſt (Leſſing). Oder aber die Formen bewahren zwar ihre Har-
monie, offenbaren aber, ſey es durch den Ausdruck der Intenſität, ſey es
3durch proportionirte Ausdehnung, außerordentliche Kraft. Derſelbe Unterſchied
findet ſowohl im Ausdruck der möglichen als in der wirklichen Bewegung Statt.
Eine vorzüglich intenſive Kraft heißt, wenn ſie zu ihrer Verherrlichung andere
werthvolle Naturgegenſtände um ſich verſammelt, prächtig, in ihrer gemäßigten
Bewegung majeſtätiſch, und wenn ſie durch dieſe eine noch höhere Kraft aner-
kennt, feierlich.
1. In dem nun eintretenden Unterſchiede der Form iſt der Unter-
ſchied des Verhältniſſes der Intenſität der Kraft zur Ausdehnung des
Organs mitbeſtimmend. Die Sache konnte in Kürze nicht anders aus-
gedrückt werden als durch die Worte des §. Eigentlich beſtimmend näm-
lich iſt er nicht, denn häßlich oder von reiner Form kann das Erhabene
der Kraft ſowohl in der unorganiſchen, als in der vegetabiliſch und
[247] thieriſch organiſchen, ſowie in der menſchlichen Welt ſeyn. Wildzer-
klüftetes — in den Umriſſen reines Gebirge (ſofern ſolches als das Werk
von Revolutionen nunmehr unter den Begriff der Kraft geſtellt wird).
Rauhe, knorrige — edel geſtaltete Bäume. Rhinoceros, Nilpferd, Krokodil
— Löwe, Tiger. Ungeſchlacht formloſe — große und edle Menſchen-
geſtalt. Die intenſive Kraft gehört nun zwar vorzüglich den höheren
Reichen an, und eben dieſe ſind in demſelben Grade, in welchem die Kraft
geſammelter iſt, auch in der Form edler organiſirt. Je mehr ſie aber dies
ſind, je mehr alſo hier das formlos Erhabene entfernt ſcheint, deſto
häßlicher iſt vielmehr gerade ein Individuum, wenn es durch einſeitige
Ausbildung der Kraft von den Formen ſeiner Gattung abweicht, oder
eine Gattung, wenn ſie an die formloſen Urgebilde der wilden Kraft
der früheren Erdrevolutionen erinnert, wie die oben genannten Thiere.
2. Hier begegnet zuerſt das Häßliche. Das Erhabene des Raums
kann nicht wohl häßlich heißen, auch wenn es im engeren Sinn formlos
iſt, denn hier iſt das organiſche Zuſammengehören der Glieder eines
Gebildes ganz unweſentlich; das Organiſche aber kommt, ſoweit es unter
den Geſichtspunkt der bloſen Größe fällt, nicht als Organiſches, ſondern
als Maſſe in Betracht. Dagegen durch die Kategorie der Kraft auf
höherer Stufe werden die Mittel des organiſchen Körpers gefordert und
hier erſt beginnt das Häßliche. Weiße hat daſſelbe als eine beſondere
Form im Uebergange vom Erhabenen zum Komiſchen aufgeführt und
Ruge iſt ihm gefolgt. Allein es kann und darf durchaus nicht ver-
mieden werden, das Häßliche ſchon im Erhabenen aufzuführen, wie
dies unſer Zuſammenhang beweist und in einer weiteren Form des
Erhabenen ferner beweiſen wird. Beide Aeſthetiker führen unter dem
Häßlichen Erſcheinungen auf, welche ſpezifiſch Grauen und Entſetzen er-
regen und ebendaher nothwendig in die Sphäre des Erhabenen fallen.
Ob an der Stelle, wo ſie das Häßliche aufführen, noch ein Ort für
daſſelbe bleibt, nachdem ein großer Theil deſſelben in unſerer Anordnung
an das Erhabene gefallen iſt, wird ſich zeigen. Im vorliegenden Falle
nun leuchtet die Sache einfach an den nächſten Beiſpielen ein. Das
Krokodil z. B. iſt häßlich durch ſeine Geſtalt, welche nur gemacht zu
ſeyn ſcheint, um Alles in dem ungeheuren Rachen zuſammenzufaſſen, ſo
daß ein Organ, das nach dem Begriffe des organiſchen Lebens unterge-
ordnet ſeyn ſoll, ſich anmaßt, das Ganze darzuſtellen, ebenſo durch ſeine
an Unorganiſches erinnernde Bedeckung. Allein dieſer Rachen iſt durch
Größe, Bewaffnung mit Zähnen furchtbar, die ſchwer verwundbare Härte der
[248] Bedeckung vermehrt den Eindruck des Gefährlichen: ſo hebt ſich das
Häßliche im Furchtbaren auf und wird dadurch äſthetiſch. Ebenſo eine
ungeſchlachte Menſchengeſtalt, die aber durch einſeitige Ausbildung der
Muskel, Mißverhältniß der Organe der Intelligenz zu denen des ſinn-
lichen Widerſtands häßlich erſcheint, nur um deſto drohender zu ſeyn.
Dieſe Bedingung der Zuläſſigkeit des Häßlichen hat zuerſt Leſſing aus-
geſprochen (Laokoon Abſchn. 23): „Weil Häßlichkeit, von der Seite
ihrer Wirkung, Häßlichkeit zu ſeyn aufhört, wird ſie dem Dichter brauch-
bar; und was er für ſich ſelbſt nicht nutzen kann, nutzt er als ein
Ingrediens, um gewiſſe vermiſchte Empfindungen hervorzubringen und zu
verſtärken u. ſ. w. — Wenn unſchädliche Häßlichkeit lächerlich werden
kann, ſo iſt ſchädliche Häßlichkeit allezeit ſchrecklich.“ — Im Abſchn. 25
nimmt er den Begriff des Eckelhaften hinzu, kommt ſo auf das Gräß-
liche, das wir noch erwähnen werden, und erklärt es für zuläſſig eben-
falls, wenn es ſchrecklich iſt.
3. Die zuletzt aufgeführten Seitenbegriffe beziehen ſich beinahe ſämmt-
lich auf die Kraft in der Bewegung. Dieſe nämlich kann ebenfalls
entweder häßlich oder edel ſeyn; man denke nur z. B. an die wilden
Sprünge eines reißenden Thiers, die Convulſionen eines Wüthenden und
vergleiche damit den gemeſſenen Schritt einer ruhig anrückenden, beſonnen
und kunſtreich kämpfenden edeln Kraft. Das Prächtige allerdings kann
ſich ebenſoſehr in der Ruhe, als in der Bewegung darſtellen. Doch zeigt
es ſich beſonders auch als bewegt. Ein Sonnen-Aufgang z. B. iſt prächtig,
ſofern das ſteigende Geſtirn durch das ſich ausbreitende Licht die Erde und
den Luftraum gleichſam als Schmuck ihrer Herrlichkeit aufzeigt oder ſein
Glanz und es ſelbſt als Schmuck der abſoluten Naturmacht betrachtet wird.
Die hebräiſche Poeſie hat herrliche Stellen, die Natur als Prachtſchmuck
Jehovah’s zu ſchildern, der „die Himmel ausbreitet wie einen Teppich“
u. ſ. w. Der Menſch verherrlicht durch Schmuck ſeine geiſtige Herrſchaft
über die Natur; das Edelſte ſelbſt muß unbenützt dienen, nur ihn zu
ſchmücken. Majeſtätiſch iſt das Erhabene von edler Form in der ge-
mäßigten Bewegung, ſo z. B. das ſtille, ſtolze Kreiſen des Adlers, ein
Sonnen-Aufgang, ſofern nicht durch den Begriff der Pracht zwei
Seiten, eine ſchmückende und geſchmückte, an ihm unterſchieden werden.
Feierlich: edle Kräfte bewegen ſich in langſamer und gemeſſener Ordnung,
eine noch höhere Kraft, vor der ſie ſich beugen und zurückhalten, zu ehren.
Eine verborgene Furcht und Bangigkeit begleitet übrigens die Empfindung
[249] auch bei dieſen Formen, freilich nur als erſtes Moment, denn das zweite
iſt, wie ſich zeigen wird, überall Erhebung.
Die Kraft, vorzüglich die intenſiv geſammelte, kann aber auch im Ueber-
gang zu einem Ausbruch ſchädlicher Art an ſich halten und ſich langſam an-
ſchwellend, ihre Bewegung durch Pauſen unterbrechend entladen. Dieſe Form
iſt noch poſitiv, aber ſie nähert ſich bereits der negativen, denn die Bewegung,
die mit dem vollen Ausbruch zurückhält, ſpannt die Erwartung ſo ſehr, daß
die Ahnung einer unendlichen Kraft, welche fähig wäre, die höchſte Wirkung
durch eine noch höhere aufzuheben, erweckt wird. Den Eindruck der langſamen
und gleichförmig unterbrochenen Bewegung verſtärkt beſonders der leiſe, ebenſo
fortſchreitende und anſchwellende Ton. Der wirkliche Ausbruch aber wirkt trotz
der Erwartung, ja durch ſie einen ebenſo verdoppelten Schrecken.
Burke hat die hier bezeichneten Erſcheinungen fein beobachtet (ſ. a.
O. Thl. 2, Abſchn. 18 — 22 ff.). Er ſpricht vorzüglich von der Kraft
des unterbrochenen, in Pauſen fortſchreitenden Schalles. Das leiſe,
ſteigende Kniſtern einer beginnenden Feuersbrunſt, das zuerſt mäßige,
aber anſchwellende Rauſchen einer Ueberſchwemmung, das ferne Grollen
eines Gewitters, das feine Pfeifen des Sturms in den Tauen, das
Flüſtern und Raunen eines Mordanſchlags iſt durch Erwartung unendlich
furchtbar. Anſchwellen der Trommel im Sturmſchlagen. In Pauſen:
Marſchmuſik von drohendem Ausdruck, in der Modification des Melancho-
liſchen der Todtenmarſch auf der Trommel; auch das Brüllen der ſtürmiſchen
See hat einen in immer neu anſchwellende Wiederholung ſich theilenden Takt.
Dieſe Form überhaupt nun iſt inſofern bereits negativ, als die Ahnung den
noch verborgenen Schooß der Kraft als einen unendlichen vorſtellt. Unendlich
muß zwar alles Erhabene erſcheinen. Hier aber iſt es eine ſo zu ſagen ver-
doppelte Unendlichkeit. Man ſtellt ſich vor, daß eine ſolche Kraft das Furcht-
barſte wirken könne, das man ſich dann gemäß der Natur alles Erhabenen
unendlich vorſtellen würde; aber man hat zugleich eine Empfindung, als
ob eine ſolche Kraft ſelbſt dieſe Wirkung wieder vernichten und über-
bieten könnte. Doch iſt dies nur in der Ahnung; die Erſcheinung geht
auf eine poſitive Wirkung los, welche unendlich erſcheint nur in dem
Sinne, in welchem bei allem Erhabenen das Begrenzte zugleich als
[250] Unbegrenztes aufgefaßt wird, und über welche hinaus erſt die eigentlich
negative Form liegt, wovon ſogleich zu reden iſt. Uebrigens, wenn
nun nach der Erwartung einer unendlichen Wirkung doch nur eine im
Ausbruche begrenzte und blos in dem allgemeinen Sinn aller Erhabenheit
unbegrenzte eintritt, ſo iſt darum der Schrecken nicht geringer: die Er-
wartung hat die Empfänglichkeit für den Schrecken geſchärft. Wäre freilich
ein Mißverhältniß zur Drohung in der Wirkung, ſo würde das Komiſche
eintreten, was nicht hieher gehört.
Die eigentlich negative Form tritt erſt ein, wenn die wirkliche Kraft-
entwicklung, die zuerſt als die größtmögliche erſchien, wirklich von einer noch
2höheren Kraft gebrochen wird: das Bild allgemeiner Zerſtörung. Dieſes Bild
ſteigert, wenn es ſich in den Einzelheiten des Zerſtörungsprozeſſes der edeln
lebendigen Geſtalt unmittelbar den Sinnen aufdrängt, das Häßliche zum Gräß-
lichen, welches Leſſing als eckelhaftes Schreckliche beſtimmt, und dieſes iſt unter
derſelben Bedingung, wie das Häßliche überhaupt, im Schönen berechtigt.
1. Bilder des Weltuntergangs, Götterdämmerung u. ſ. w. Dies
ſind blos mythiſche Dichtungen, aber auch in Wirklichkeit drängt ſich das
Bild einer abſoluten Kraft, welcher wirklich keine mehr gewachſen iſt, da
auf, wo vereinte höchſte Anſtrengung der Kräfte, die als die höchſten er-
ſchienen, dem Ausbruche eines ungeheuren Uebels erliegt: Peſt, Hungers-
noth, Verwüſtungen durch Erdbeben, Völkerſchlachten. Die Zerſtörung
Jeruſalems z. B. iſt die Erfüllung des damals vorgeſtellten Weltunter-
gangs. Nun wird zwar in dieſen Fällen eine große Kraft nur durch
eine andere große und ebenfalls begrenzte zerſtört, allein das Ungeheure
der Zerſtörung übertönt dieſe Grenze und die Unendlichkeit, welche auch
im poſitiv Erhabenen der Kraft liegt, tritt daher förmlich und aus-
drücklich als allgemeine Negativität der ſonſt bekannten Kräfte in’s
Bewußtſeyn oder Gefühl.
2. Verſtümmlung durch Wunden, Eiter, Verweſung u. ſ. w. Es iſt
eine Verkehrung des Organismus, welche durch das Ueberwachſen des
blos chemiſchen Prozeſſes über den ihn beherrſchenden organiſchen das
gerade Gegentheil des Schönen erzeugt, welches das Häßliche iſt, aber in
der unmittelbar apprehenſiven Form des Eckelhaften. Beiſpiele ſ. bei
Leſſing a. a. O. Abſchn. 25. Das Eckelhafte iſt der gefährlichſte Feind
[251] des Schönen. Es ſetzt die Sinne in Bewegung, die von ihm ausgeſchloſſen
ſind (§. 71) und zwar abſtoßend: den Geruchſinn, den Taſtſinn, denn
wir meinen die widerlich widerſtandsloſe Maſſe berühren zu müſſen, den
Geſchmack, denn es iſt im Eckel eine Vorſtellung, als müßte man den
Gegenſtand eſſen: „nur eine Art Häßlichkeit kann nicht der Natur gemäß
vorgeſtellt werden, ohne alles äſthetiſche Wohlgefallen, mithin die Kunſt-
ſchönheit zu Grunde zu richten: nämlich diejenige, welche Eckel erweckt.
Denn weil in dieſer ſonderbaren, auf lauter Einbildung beruhenden Em-
pfindung der Gegenſtand gleichſam, als ob er ſich zum Genuße aufdränge,
wider den wir doch mit Gewalt ſtreben, vorgeſtellt wird, ſo wird die
künſtliche Vorſtellung von der Natur dieſes Gegenſtands ſelbſt in unſerer
Empfindung nicht mehr unterſchieden und jene kann alsdann unmöglich
für ſchön gehalten werden“ (Kant a. a. O. §. 48). Das Schöne wird
dadurch ſo ganz aufgehoben, daß ſelbſt ein wahrhaft ſchöner Gegenſtand,
wenn zufällig, wo er geſehen wird, Geſtank iſt, Widerwillen erregt.
Dennoch iſt, wenn es ſchrecklich iſt, auch das Eckelhafte als Moment im
Schönen berechtigt. Es iſt dabei freilich ein großer Unterſchied unter den
Künſten; es kommt Alles darauf an, ob es nur innerlich vorgeſtellt wird
oder auch der äußeren Anſchauung ſich aufdrängt, und wenn das Letztere,
wie weit die Verſinnlichung geht (was ſchon zu §. 71 berührt iſt).
Ruhe und Stille, welche auf die Zerſtörung folgt, zeigt durch die Spuren1
derſelben eine Kraft, welche ſich auch in dieſer größtmöglichen Wirkung nicht
erſchöpft hat, es ſchwebt die Möglichkeit einer unendlichen neuen Kraftent-
wicklung vor, und dieſen Eindruck kann Ruhe und Stille auch ohne vorher-
gegangenen Ausbruch hervorrufen, wenn ſie von Zeichen begleitet iſt, welche
eine über Vergleichung große Zerſtörung verkündigen. Nun verbindet ſich mit
der Negativität der ganze Nachdruck der geahnten Unendlichkeit (§. 99). Dieſe2
Kraft nun aber, welche hinter der größtmöglichen Wirkung ſich noch als eine
Unendlichkeit verbirgt, iſt wirklich nichts quantitativ Unendliches mehr. Ueber
jede Kraft läßt ſich eine höhere vorſtellen und der Abſchluß dieſer Steigerung
durch die Vorſtellung einer zugleich offenbaren und verborgenen, wirklich un-
bedingten Kraft iſt vielmehr die Aufhebung dieſer ganzen Kategorie. Der
Fortgang in’s Unendliche hebt ſich in die ideelle, wahrhaft bei ſich bleibende
Einheit der Reflexion in ſich auf: die Stille und Ruhe iſt das Beſinnen ſowohl
der Kraft als auch des Zuſchauers auf ſich.
[252]
1. Die Walſtätte nach einer Völkerſchlacht, die Leichenhaufen bei
einer Peſt u. ſ. w. zeigen immer noch die Kraft, welche zerſtört hat, als
eine Fähigkeit unendlicher neuer Zerſtörung. Man erinnert ſich jetzt nicht,
daß das Leben ſich erneuert: alles Leben erliegt ja dem Tode. Schon
hierin liegt der Abſchluß der ganzen Kategorie. Wenn alles Leben unter-
geht, ſo geht es unter, weil es blos Kraft iſt. Die Kraft, obwohl ein
progressus in infinitum, iſt alſo endlich. Damit iſt gegenſätzlich bereits
ein wahrhaft, in ſich bleibendes Unendliches gefordert. Die Stille
und Ruhe kann aber als Drohung einer unendlichen zerſtörenden Kraft
erſcheinen auch ohne wirklich vorhergegangenen Ausbruch. Es kommt
auf die begleitenden Umſtände an. Die Stille vor einem Gewitter iſt
furchtbar, aber die Verheerungen, die uns von dieſer Naturkraft bekannt
ſind, ſind nicht groß genug, um die ganze Kraft negativer Erhabenheit
darin zu fühlen. Dagegen die ſtille Bangigkeit einer Bevölkerung vor Heran-
nahen einer Peſt, die Stille ſchlagfertiger Völker vor einer großen Schlacht,
die unendlich fürchterlichen Pauſen der Erholung in der Nibelungen
Noth, wo ja um der Menge und Gewalt der entfeſſelten Kräfte willen
der Schluß als ein Weltgericht erſcheint: hierin liegt das Gefühl einer
Kraft, die nicht nur dies oder jenes, ſondern Alles zerſtört. Die ver-
doppelnde Ahnung tritt hinzu.
2. Was alle Kräfte zerſtören kann, iſt keine Kraft mehr. Ueber die
höchſte Kraft läßt ſich noch eine höhere vorſtellen, von welcher jene zerſtört
würde. Was über den Kräften ſteht, muß ein Anderes ſeyn, ein in ſich
Unendliches: ideelle Einheit. Hier geht der Geiſt auf. Die moſaiſche
Religion ſteht auf dieſem Punkte: der Uebergang der Natur-Religion,
d. h. der Religion der Furcht in die des Geiſtes und der Freiheit. Die
romantiſche Anſchauung läßt hier das Geiſterhafte eintreten. Ein Geiſt
iſt ein Weſen, das ohne Körper, alſo ohne Quantität unendliche zerſtörende
Kraft hat. Es liegt aber der Widerſpruch in dieſer Vorſtellung, daß dieſe
Kraft noch ſinnlich gedacht wird: ein Körper ohne Körper, ein überſinnlich
Sinnliches. Dieſer Widerſpruch iſt ſchauderhaft, hier iſt kein Widerſtand
denkbar. „Komm du mir nah als zott’ger, ruſſiſcher Bär, geſchuppt
Rhinoceros“ u. ſ. w. (Macbeth zu Banquo’s Geiſt). Der wahre Dichter
legt freilich eine geiſtig-ſittliche Tiefe in die Vorſtellung. Nur als be-
leuchtende Anführung gehört übrigens dieſe Form hieher, ihre eigentliche
Stelle hat ſie in dem Abſchn. von dem romantiſchen Ideal; erinnert aber
wurden wir daran in einem ähnlichen Zuſammenhang ſchon in §. 92,
Anm. 2. Hier iſt der Uebergang zum wirklichen Geiſte zu nehmen. Rein
[253] metaphyſiſch ausgedrückt iſt es die Negation der Negation: Kraft
hebt Kraft auf und die Kräfte ſinken in ein Drittes ein; im
äſthetiſchen Zuſammenhang aber iſt der Uebergang weſentlich zu faſſen
als eine Forderung der Anſchauung. In dem ſtillen Brüten der ver-
borgenen Kraft ſucht der Geiſt die Erſcheinung ſeiner ſelbſt, indem er
ſich auf ſich ſelbſt beſinnt. In der zu §. 92 angeführten Stelle
geht auch Kant von der extenſiven Unendlichkeit auf die wahre des
Geiſtes über, auf das „Individuum, das auf ſein unſichtbares
Ich zurückgeht und die abſolute Freiheit ſeines Willens allen Schrecken
des Schickſals und der Tyrannei entgegenſtellt, von ſeinen nächſten
Umgebungen anfangend ſie für ſich verſchwinden, ebenſo das, was
als dauernd erſcheint, Welten über Welten in Trümmer zuſammen-
ſtürzen läßt und einſam ſich als ſich gleich ſelbſt erkennt.“ Dieſe
Stelle kann uns in unſerem Zuſammenhang allerdings auch in dem Sinne
dienen, daß hier mit dem Gegenſtande der ſubjective Eindruck in ſein
Gegentheil umſchlägt. Sobald jene Beſinnung auf ſich eintritt, iſt auch
das Gefühl desjenigen im Zuſchauer da, woran alle bloſe Kraft ſcheitert,
des Willens, welchen, si fractus illabatur orbis, impavidum ferient ruinse,
und welchem nun nicht mehr bloſe Kraft, ſondern nur überlegener Geiſt
imponiren kann.
Zugleich mit der Kraft heben ſich aber, weil ſie in ihr als aufgehobene
enthalten ſind, alle Formen des objectiv Erhabenen auf. Es ergibt ſich jetzt
für das anſchauende Bewußtſeyn ſelbſt, daß nur eine doppelte Täuſchung von
Seiten des Subjects den Schein der wahren Erhabenheit in dieſe ganze Sphäre
gelegt hat. Die erſte Täuſchung beſtand darin, daß der in Wahrheit begrenzte
Gegenſtand als ein in’s Unendliche fortgeſetzter, die zweite darin, daß dieſe
Unendlichkeit der bloſen Fortſetzung als wahre Unendlichkeit aufgefaßt wurde.
Das Subject würde kein Object erhaben finden, wenn es ihm nicht ſeine Un-
endlichkeit durch einen gewiſſen Vorgriff unterlegen würde; ſobald es ſich darauf
beſinnt, ſo erſcheint nicht mehr das Object, ſondern das Subject als erhaben:
das Leihende tritt an die Stelle deſſen, dem geliehen wurde.
Was hier vom Erhabenen geſagt iſt, gilt allerdings auch vom einfach
Schönen. Die nicht wahrhaft begeiſteten Naturweſen erſcheinen als per-
ſönlich, wie dies zum Schönen gefordert wird, nur durch denſelben Vor-
[254] griff (vergl. §. 19, 2). Unter Vorgriff iſt hier zu verſtehen die Unter-
ſchiebung, durch welche da, wo Perſönlichkeit ſich erſt als werdende von ferne
ankündigt, ſolche ſchon beſtimmter untergelegt wird. Es muß in Beziehung
auf das objectiv Erhabene von der Art dieſer Unterſchiebung noch einmal die
Rede ſeyn, wo ſich zeigen wird, wie ſie allerdings keine förmlich vollzogene
iſt und gerade darin ihre Eigenthümlichkeit beſteht. Dies muß nachgeholt
werden, wenn der ſubjective Eindruck des Erhabenen erörtert werden wird.
Obwohl nämlich überall ſchon dargethan wurde, daß das objectiv Er-
habene ohne einen leihenden Act des Subjects gar nicht entſteht, ſo bleibt
für dieſe Erörterung doch noch der Charakter des Genuſſes zu beleuchten
übrig, der jenen Act begleitet. In der Lehre vom einfach Schönen nun
wurde bei der Darſtellung des ſubjectiven Eindrucks die beſondere Be-
ſtimmtheit, die derſelbe gegenüber den bewußtloſen Naturweſen durch die
Nothwendigkeit jenes Leihens annimmt, nicht hervorgehoben; hier aber,
im Erhabenen, wird es nöthig, dies genauer und geſondert zu betrachten,
und zwar aus demſelben Grunde, aus welchem auch gegenſtändlich die
Sphären jetzt geſondert werden (§. 88): weil nämlich erſt, wenn der
geiſtige Gehalt und das ſinnliche Bild in ein negatives Verhältniß zu
einander treten, ausdrücklich zu fragen iſt, ob denn die Natur den zu
dieſer Negation geforderten Geiſt beſitze; ebendaher alſo iſt auch die ſub-
jective Seite geſondert zu erörtern, und hierüber iſt ſo viel bereits dar-
gethan, daß der Beitrag des Subjects ein ungleich bedeutenderer iſt, als
im Schönen. Dieſes (das unbegeiſtet Schöne nämlich) fordert einfache
Unterſchiebung einer empfindenden Seele; jenes aber fordert eine doppelte:
zuerſt muß der Gegenſtand wirklich als ein quantitativ, als ein ſinnlich
unendlicher gefaßt, dann erſt dieſe ſinnliche Unendlichkeit mit einer wahren,
geiſtigen verwechſelt werden. Das Letztere geſchieht, indem das Subject in
das räumlich Erhabene die Vorſtellung einer Maſſen thürmenden, in das
der Zeit einer Maſſen verzehrenden Kraft legt, dann ſchaut es die wirkliche
Kraft und leiht ihr die innere geiſtige Unendlichkeit; jetzt wird es inne,
daß es ſowohl dieſem Erhabenen als auch demgemäß dem räumlich und
zeitlich Erhabenen nur ſich ſelbſt untergeſchoben hat, und nun iſt alſo,
ſowie dies erkannt iſt, das Subject ſelbſt das Erhabene.
[255]
b.
Das Erhabene des Subjects.
§. 103.
Die Negation im objectiv Erhabenen (§. 92. 94. 100) erſcheint alſo jetzt
als eine Negation des objectiv Erhabenen und dieſe Negation iſt das ſich als
ideelle Einheit des Ich ſetzende Subject. In dieſer ideellen Einheit iſt das
unendliche Außer- und Nebeneinander der endlichen Dinge zum Inſichſeyn auf-
gehoben. Das Ich erſcheint, es iſt in Raum und Zeit geſtellt, aber ſo mit der
Endlichkeit behaftet, iſt es als wahre Unendlichkeit zugleich über ſie hinaus, es
unterſcheidet ſich in ſich ſelbſt, geht erkennend und handelnd aus ſich heraus,
bleibt aber in ſeinen Unterſchieden und Aeußerungen immer bei ſich, ſein
eigener ſelbſtbewußter Grund, der wiſſend von ſich aus und in ſich zurückgeht.
Unter den Thätigkeiten des Ich kommt aber nur der Wille in Betracht; die
Intelligenz kann die Erſcheinung der Erhabenheit nicht begründen, außer ſofern
ſie die geſammte perſönliche Erſcheinung, das Wollen und ſeine Folgen bedingt.
Der Zweifler, der Philoſoph, auch der praktiſche Menſch, ſofern ſein
Werk den abſtracten Charakter der Verſtändigkeit und des Denkens trägt,
ſind an ſich keine äſthetiſche Erſcheinung, denn das Schöne fordert An-
ſchauung, das Denken aber iſt rein innerlich und darum — im äſthetiſchen
Zuſammenhang — abſtract. Dies muß in der Lehre vom Erhabenen
ausdrücklich hervorgehoben werden, was in der Lehre vom Schönen nicht
vonnöthen war. Denn auch hier gilt es, daß erſt, wenn Geiſt und Natur
in ein negatives Verhältniß zu einander treten, die Forderung entſteht,
daß man unterſuche, ob nicht das eine oder andere Moment fehle. So
mußte in der Lehre vom objectiv Erhabenen gefragt werden, ob der Geiſt
nicht fehle, ſo hier, ob die Natur vorhanden ſey. Das Denken iſt aber zu
naturlos. Erſt, wenn es der Geſtalt den Charakter ſeiner Tiefe aufdrückt,
Affecte hervorruft, in die Geſinnung übergeht und das Handeln, dadurch
aber das perſönliche Schickſal beſtimmt, wird es äſthetiſch. Hamlet,
Fauſt, Sokrates, Spinoza ſind nur dadurch äſthetiſche Erſcheinungen.
Der Wiſſensdurſt iſt der eben bezeichnete Affect; die Sage von Empe-
dokles, daß er ſich in den Aetna geſtürzt habe, um ſich der dunkeln Natur-
kraft zu vermählen, von Ariſtoteles, daß er ſeinen Tod im Euripus
[256] geſucht, weil er ſeine Strömung nicht begreifen konnte, nicht aber das reine
Denken dieſer Philoſophen iſt äſthetiſch.
§. 104.
Erhaben erſcheint ein Subject, wenn es durch die Macht ſeines Willens
die umgebenden Subjecte ſo weit übertrifft, daß ſeine eigene, obwohl ſie be-
grenzt iſt, in das Unbegrenzte zu ſteigen ſcheint. Wahre Unendlichkeit iſt
nämlich allerdings ſchlechtweg im Subjecte als ſolchem und inſofern iſt hier die
Kategorie der Quantität ganz überwunden. Allein das Endliche, womit das
Subject behaftet iſt, ſetzt ſich in dieſe Unendlichkeit ſelbſt fort und bringt
Unterſchiede des Maßes herein, welche der Wille zwar zu den ſeinigen er-
heben und bis an eine gewiſſe Grenze ſelbſt überbieten kann, aber nur ſo, daß
dadurch gerade eine neue Maßbeſtimmung entſteht. Im Erhabenen des Sub-
jects nun erſcheint dieſes Maß zugleich als geſetzt und, in der Vergleichung
2mit dem Maß des Willens in andern Subjecten, als aufgehoben. Außer dieſer
Vergleichung würde, wenn die Bedingungen dazu vorhanden ſind, das erhabene
Subject als ſchön erſcheinen, dieſe aber bringt den Gegenſatz herein, der das
Erhabene begründet.
1. Der Wille iſt ſeinem Weſen nach unendlich und darin jedes Subject
dem andern gleich. Der innere Widerſpruch des einzelnen Subjects aber —
den als ſolchen eine höhere Form des Erhabenen aufdecken wird — iſt
eben der, daß die Natur, über die es hinaus iſt, ebenſoſehr ſich in es
fortſetzt und darum auch die Beſtimmung der Quantität hineinträgt.
Die Unterſchiede der Quantität ſind zunächſt Naturgrundlage; der Eine
hat mehr, der Andere weniger Energie, Tiefe und Umfang des Willens
(wobei freilich auch die Intelligenz weſentlich iſt, aber nicht für ſich,
ſondern eben, wie ſie in Willen übergeht). Allerdings werden dieſe
Unterſchiede erſt geiſtig, wenn ſie der Wille zu den ſeinigen erhebt und
frei ſetzt; er kann ſie bis an eine Grenze (denn ganz kann Keiner über
ſich hinaus) noch überbieten: aber dadurch entſtehen neue Maß-Unterſchiede.
Denn wer ſich ſelbſt bezwingt und mehr aus ſich macht, als die Natur
in ihn gelegt zu haben ſcheint, zeigt ebendadurch mehr Willen, als wer
ſich in dem Maße des Angeborenen bewegt oder unter dasſelbe ſinkt.
Es beginnt zwar hier ſchon der Begriff der Schuld, aber dieſe ſelbſt
hat Grade.
[257]
2. Es könnte eingewandt werden, die Freiheit in der ſubjectiven
Erſcheinung, d. h. die Perſönlichkeit ſey ſchön, nicht erhaben (§. 19).
Allein was ohne eintretende Vergleichung ſchön hieße, wird erhaben,
wenn dieſe und der ihr zu Grund liegende Gegenſatz zwiſchen den Ver-
glichenen eintritt. Allerdings jedoch wird die Sphäre des Erhabenen
immer ſolche Erſcheinungen fordern, worin die Anmuth ſelbſt, welche
die ſittliche Größe als reifſte Frucht ſich aneignet, im Zuſammenhange
der umgebenden Bedingungen als der Preis eines Kampfes, als Er-
werbung der Freiheit erſcheint. Die zwangloſe Leichtigkeit der kampf-
loſen Anmuth fällt daneben in ihre beſchränkte Sphäre vergl. §. 73.
α.
Das Erhabene der Leidenſchaft.
Dieſe Form des Erhabenen tritt, da das Subject erſt werden ſoll, was
es an ſich iſt, zunächſt ſelbſt wieder in der Form unmittelbarer Beſtimmtheit
oder als Kraft auf. Es iſt nicht mehr bloſe Kraft, ſondern aus der Inner-
lichkeit des Subjects bewegte Kraft oder Kraft mit Bewußtſeyn, jedoch ſo,
daß von dem Gehalte dieſes Bewußtſeyns abgeſehen wird und blos die Gewalt
der Bewegung, worin das Unmittelbare und das mit Bewußtſeyn Gewollte in-
einander verſchwindet, den äſthetiſchen Eindruck beſtimmt: die Bewegung der
Leidenſchaft. Sie gleicht dem Erhabenen der Kraft auch darin, daß ſie weſent-
lich furchtbar iſt und daß die Quantität im Sinne der Vielheit von Subjecten,
das Gewicht der Maſſe in ihr von großer Bedeutung iſt.
Das Erhabene des Subjects verliert die früher betrachteten Formen
nicht, ſondern nimmt ſie in ſich auf und wälzt ſie als einen Strom,
den es nun von geiſtigem Mittelpunkte in Bewegung ſetzt, mit ſich fort.
Zuerſt erſcheint es ſelbſt wieder in unmittelbarer Form als Naturkraft,
als Leidenſchaft. Dieſe iſt vom Pathos wohl zu unterſcheiden, das erſt
im Verlaufe auftreten wird. Pathos iſt Leidenſchaft für einen ſittlichen
Zweck, in der Leidenſchaft kann der Zweck ſittlich oder unſittlich ſeyn,
es kommt zwar in Betracht, daß es ein geiſtig Innerliches iſt, was
Nerven, Blut und alle Organe in feurige Bewegung ſetzt, aber jenes
verſchwindet unterſchiedslos als blinde Kraft in dieſem Tumulte; z. B.
Viſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 17
[258]der furchtbare Ausbruch Northumberlands in Heinrich IV, den die Schrift
über das Erh. und Kom. (S. 78) als Beleg der poſitiven Form
innerhalb der Sphäre des negativ Pathetiſchen angeführt hat, gehört
vielmehr hieher. Dieſe Wuth iſt nämlich zwar als Erhebung aus einem
niederſchlagenden Affect zunächſt ſittlich in ihrem Urſprung, wird aber
blind, erprobt ſich nachher nicht als ſtandhafte Tapferkeit, bleibt jedoch
erhaben gerade nur durch die glühende Kraft ihres Ausbruchs, wobei
von jenem Urſprung und dieſem Ausgang abſtrahirt wird. Griechiſch
wäre dieſe Form ϑνμὸς zu nennen. Ihre Hauptform iſt die Kraft des
Zorns. Selbſt die Liebe als blinde Leidenſchaft, worin Geiſt und Sinne
aufgehen, ſetzt Hinderniſſe voraus und iſt nach dieſer Seite ein Zorn. Der Zorn
iſt drohend, auf Hinderniſſe zerſtörend gerichtet, daher dieſe Form weſent-
lich furchtbar. Der ganze Eindruck ſchwankt zwiſchen dem elementariſchen,
den das Erhabene der Natur, und dem geiſtigen, dem das höher Er-
habene des Subjects erregt. Das Maſſenhafte iſt von großer Bedeutung.
Wilder Angriff kriegeriſcher Maſſen, empörte Volkshaufen, ihr dunkles
Summen und Lärmen. Schlachten gehören hieher, ſofern von einer ſitt-
lichen Begeiſterung der Maſſen und von der Intelligenz der Taktik ab-
geſehen wird.
Wird aber die Leidenſchaft zu einem die ganze Subjectivität beſtimmen-
den und bleibenden Zuſtande und verliert dieſe dadurch ihre geiſtige Allge-
meinheit unter der Verſenkung in ein Einzelnes, ſo kann ſie dabei noch furcht-
bar ſeyn, aber der Zuſchauer beſinnt ſich auf die reine Freiheit des Willens
2und die Erſcheinung wird aus einer erhabenen zu einer häßlichen. Die reine
Freiheit nun, wenn ſie der äſthetiſchen Forderung entgegentritt, iſt, noch un-
vereinigt mit der ſinnlichen Kraft und Fülle der Leidenſchaft, eine abſtracte
und geht zunächſt in ſchwankendem Wechſel neben der unfreien Beſtimmtheit der
Leidenſchaft her. Die Erſcheinung dieſes unſteten Willens kann nur im Zu-
ſammenhange und Contraſte mit höheren Formen des Willens ein äſthetiſcher
Gegenſtand ſeyn.
1. Man wird finden, daß die Hauptſtufen des Willens, wie die Ethik ſie
entwickelt, hier auftreten. Allein unſer Zuſammenhang iſt der äſthetiſche,
der Uebergang je zu einer weiteren Form muß als eine Forderung vom
Standpunkte des Schönen erſcheinen; daher kann hier keine Verpflichtung
[259] ſeyn, der Ordnung der Ethik durch das Einzelne zu folgen. Hier nun
vermittelt ſich der Uebergang durch nähere Betrachtung der Leidenſchaft.
Sobald ſie total und habituell wird, geht ſie in Häßlichkeit über. Es
iſt vorzüglich der Haß, der hier in Betracht kommt. Nicht jeder Haß
iſt habituell gewordene Leidenſchaft des Zorns. Zum Habituellen gehört,
daß das Subject ſich in der Leidenſchaft ſo verbeißt, daß es ſeine beſten
Kräfte darin verzehrt. Der Haß kann aber, obwohl er als Richtung
gegen den Feind conſtant gewordener Zorn iſt, aus einem ſittlichen
Kerne, aus der Liebe des Guten fließen und daher zwar ſtetig ſeyn,
aber doch nur bei gegebenem Anlaſſe hervortreten. Dieſer Haß iſt ein
weſentliches Moment im ſittlichen Pathos, das im jetzigen Zuſammenhang
zwar als ſolches noch nicht aufgetreten iſt, aber die Kraft der Leiden-
ſchaft als Unterlage und ihm beſtimmtes Organ ſich vorausſchickt. Der
ſchlechte Haß iſt der verbiſſene und ſein Object iſt, weil er nicht aus
dem Geiſte fließt, keine geiſtige (böſe) Allgemeinheit, ſondern eine Einzel-
heit. Kant hat dieſen gemeinen Haß im Auge, wenn er (Anm. zu
§. 29 a. a. O.) behauptet, der Haß könne niemals erhaben genannt
werden. Eine andere Erſcheinung, das Laſter, iſt im §. nicht er-
wähnt worden. Es iſt das Habituell werden eines auf Genuß gerichteten
Triebs, und die Triebe des bloſen Genuſſes ſind zu gering, um im
Erhabenen erwähnt zu werden, ſie gehören in’s Komiſche Die neuere
Tragödie hat freilich ſogar das bleierne, ſelbſt des Reizes der Sinnlich-
keit baare, hohle und arſenikaliſche Laſter des Spiels zum tragiſchen
Hebel benützt: eine der ſchlimmſten Verirrungen.
Die größeren Leidenſchaften, von welchen hier die Rede iſt,
können zwar auch in ihrer Häßlichkeit noch furchtbar ſeyn und ſind eben
darum als äſthetiſcher Gehalt allerdings zuläßig. Aber in ihrer Unfreiheit
liegt dennoch bereits zu Tage, daß ſie in Wahrheit willenlos ſind, und da ſie
den Zuſchauer nöthigen, ſich auf den Willen zu beſinnen, der nicht Leiden-
ſchaft, ſondern reine Freiheit iſt, ſo fühlt ſich dieſer in dem unantaſtbaren
Heiligthum, das keine Drohung des Affects fürchtet. Das Furchtbare ver-
ſchwindet alſo und das nur Häßliche bleibt, d. h. die Leidenſchaft iſt als äſthe-
tiſcher Gegenſtand aufgehoben und ein anderer, die [wahre] Freiheit gefordert.
2. Dieſe, wie ſie nun ohne die Fülle der Leidenſchaft,
da die letztere ſo eben als häßlich verworfen wurde, auftritt,
iſt abſtract. Soll ſie äſthetiſch werden, ſo muß ſich die Leidenſchaft
mit ihr vereinigen, allein ſie ſteht jetzt nur äußerlich neben ihr; Gegen-
ſtand iſt alſo nunmehr die zwiſchen Leidenſchaft und reiner Freiheit
17*
[260]ſchwankende Willkür. Solche Charaktere können wirkſam eintreten neben
andern. Die Leidenſchaft kann übrigens jetzt, da ſie nicht mehr der
ganze Gehalt iſt, auch in der weicheren Form der Neigung, der Eitelkeit
u. ſ. w. hervortreten: Werther, Weislinger, Eduard in den Wahl-
verwandtſchaften und verwandte Geſtalten. Sie ſind unter anderen
ebenfalls zu verwenden. Göthe bei Eckermann über Eduard: „ich
kann ihn auch nicht leiden, aber ich brauchte ihn ſo“.
β.
Das Erhabene des böſen Willens.
Falſche Vereinigung dieſer Gegenſätze entſteht dadurch, daß die Leiden-
ſchaft als unmittelbarer Wille des Subjects unvergeiſtigt in die Form der ab-
ſtracten Freiheit erhoben und ſo der als Prinzip aufgeſtellte Eigenwille ſich
als allgemeiner und vernünftiger Wille behauptet. Dieſe Umkehrung der ge-
forderten wahren Einheit iſt das Böſe. Das Böſe iſt erhaben, wenn in dieſer
Umkehrung ſo bedeutende Kräfte thätig ſind, daß der Widerſtand der umgebenden
Subjecte, ſey nun ihr Wille der ſinnlich leidenſchaftliche (§. 105) oder der
ſchwankende (§. 106, 2) oder der gute, aber nicht durch perſönliche Stärke
ausgezeichnete, dagegen in nichts verſchwindet und ſo das negative Weſen ſich
in eine ſchauderhafte, einſame Unendlichkeit poſitiver Wirkungskraft zu erweitern
ſcheint. Zu jenen Kräften wird ebenſoſehr ungewöhnliche Gewalt der Leiden-
ſchaft, als Feinheit der das verkehrte Prinzip beſchönigenden und die Anſchläge
ausführenden Intelligenz und Fähigkeit der Abſtraction von der einzelnen Be-
friedigung für die umfaſſenderen Zwecke der Leidenſchaft erfordert.
Der wahre Begriff des Böſen, nicht als bloſer Abweſenheit, ſondern
als einer Verkehrung des Guten, iſt hier kurz ausgeſprochen und findet
ſeine Erläuterung in der Ethik. Man vergegenwärtige ſich hier, im
äſthetiſchen Zuſammenhang, ſogleich die Ungeheuer der Herrſchſucht in der
Geſchichte und die vollendetſte Darſtellung des Böſen in der Kunſt,
RichardIII von Shakespeare. Die ihn umgebende Welt theilt ſich
in unmächtige Leidenſchaft, vorzüglich Weiberwuth, ſchwache, weil
inconſequente Bosheit in den Vaſallen; der gute Wille erſcheint hier
und im Macbeth ſo lange machtlos, bis er durch die Selbſtzerſtörung
[261] des Böſen und durch die Kraft der Vielheit erſtarkt; Richmond ſelbſt
hat perſönlich ungleich weniger Bedeutung als Richard. Richard
wird durch die poſitive Fülle ſeiner Kräfte, welche doch rein negativ
wirkt, dämoniſch in dem Sinne, wie Göthe den Ausdruck gebraucht
(EckermannII, 298). Durch dieſes Wort läßt ſich hier die Unend-
lichkeit im Erhabenen bezeichnen. Die böſe Kraft nämlich wächst für
den Anblick über das Maß der individuellen Kraft, an das ſie doch
gebunden iſt, in’s Unbegrenzte hinaus, was bei Richard insbeſondere
dadurch bewirkt wird, daß der wunderbare Geiſt des Dichters ihn ganz
zu dem Gefäße einer lang angeſammelten, weit über den Einzelnen hin-
ausreichenden, geſchichtlichen Nothwendigkeit macht. Er hört faſt auf,
ein Menſch zu ſeyn, er iſt ein Geiſt. Wenn aber dem ſittlich Wollenden
die Bewunderung in die unbegrenzte Höhe folgt, um ſich hier mit der
Menſchheit in ihm wiederzufinden, ſo ſteht der Böſe in dieſer Ferne
einſam. „Ich bin ich ſelbſt allein“. Durch dieſe Einſamkeit iſt das Böſe
nur um ſo erhabener, denn es gehört eine unendliche Stärke des Willens
dazu, ſie auszuhalten. Der Böſe hat nicht nur die Guten, ſondern
auch die Böſen gegen ſich. Es gibt wohl auch einen Bund der Böſen,
aber ohne Zuſammenhalt, er hebt ſich von ſelbſt auf. Wo man bei
unverkennbar böſem Wirken geſchloſſene Verbindung findet, wie bei den
Geſellſchaften, die ſich als Stützen verfallender Religionsformen bilden,
Jeſuiten und Pietiſten, da iſt die Grundlage nicht Böſes, das als
ſolches gewollt wird, ſondern Selbſttäuſchung des Fanatismus, der den
hartnäckigſten Bund mit ſich bringt, und von dieſer Grundlage erſt geht
das verführte Herz zum eigentlich Böſen fort. Der große Böſewicht
aber unterliegt der Täuſchung, einen Bund der Böſen errichten zu wollen,
gar nicht. Trotz dieſer geſpenſtiſchen Einſamkeit muß jedoch das Böſe
ganz real erſcheinen, ſinnlicher Muth und Gewalt darf nicht fehlen und
Shakespeare hat ſeinem Richard dieſe grobe Unterlage zu geben nicht
verſäumt. Die ganze Feinheit der Liſt und einer falſchen Metaphyſik,
die Umkehrung der Wahrheit zu beſchönigen, muß ſich auf dieſer Baſis
entwickeln. Das Böſe iſt nicht Sinnlichkeit, ſondern ſublimirte, zur
Maxime erhobene Sinnlichkeit; daher muß die Kraft der Sinnlichkeit da-
ſeyn, aber ebenſoſehr immer in dieſe Abſtraction verflüchtigt werden.
Der Böſe hat die Willenskraft, den einzelnen ſinnlichen Zwecken entſagen
zu können, wie die höchſte Tugend, während doch der letzte Zweck das
empiriſche Ich iſt, das abſolut herrſchen will. Herrſchen iſt dieſes
ſinnlich Unſinnliche, was der Böſe will. — Weitere Beſtimmtheit
[262] werden die ferneren Theile des Syſtems in den Begriff des Böſen
bringen. Hier war das Weſen desſelben in ſeiner Gedrängtheit anzu-
geben; in untergeordneten Böſewichtern wie z. B. Jago ſind nur
einzelne Momente ausgebildet.
Die innere Umkehrung ſtellt ſich nothwendig in der Mißgeſtalt der per-
ſönlichen Erſcheinung und der ſich ſelbſt aufhebenden Schein ‒ Ordnung des
Werkes als Häßlichkeit dar. Wie nur im Subjecte die zum Erhabenen erfor-
2derte wahre Unendlichkeit, ſo iſt nur im Böſen die wahre Häßlichkeit. Würde
nun der innere Widerſpruch des Böſen und die ihr entſprechende Verzerrung der
Geſtalt und des Werks in ihrer Nichtigkeit geſondert in’s Auge gefaßt, ſo
entſtünde eine Häßlichkeit, welche äſthetiſch entweder verwerflich, oder nur unter
der Bedingung zuläſſig wäre, daß ſie durch Uebergang in ein anderes Moment
des Schönen von der vorliegenden Sphäre abführen würde. Allein die im
Böſen um einen falſchen Mittelpunkt vereinigten poſitiven Kräfte wirken, weil
das Böſe weſentlich Herrſchſucht iſt, zerſtörend, verbreiten daher Furcht und
Grauen um ſich, ziehen ſo den Blick von der reinen Betrachtung des inneren
Widerſpruchs auf dieſe Seite ab, und unter dieſer Be [...]gung iſt die Häßlich-
keit im Erhabenen berechtigt (vergl. §. 98, 2).
1. Wie vom Erhabenen, ſo behauptet Ruge vom Häßlichen, daß
es nur der geiſtigen Welt angehöre. Erhaben ſey nur die Erhebung,
häßlich nur der prinzipielle Abfall des Geiſtes; alle Erſcheinung alſo,
die nicht Geiſt zu ſeyn prätendire, könne ebenſowenig für häßlich als
für ſchön angeſprochen werden. Die Häßlichkeit in der Natur ſey daher
in derſelben Art nur Gleichniß wie ihre Schönheit und Erhabenheit,
(a. a. O. S. 94 ff.). Allein der Begriff Gleichniß iſt auch hier, wie
in §. 89, Anm. als ein zu weiter und äußerlicher zu bezeichnen. Der
Geiſt könnte eine Ahnung ſeines Abfalls nicht in die Natur legen, wenn
nicht wirklich der werdende Geiſt ſich in ihr ankündigte, und wir haben
das Häßliche in §. 98 als eine eigene Sphäre ebenſo feſtzuhalten, wie
das objectiv Erhabene, denn der Unterſchied wird ebendadurch begrün-
det, daß das einemal die Anſchauung ahnend leihen muß, das andremal
nicht. Allerdings erregen häßliche Gegenden, Bäume, Thiere ein
Grauen, wie wenn ein böſer Geiſt aus ihnen ſpräche, aber gerade
dieſes „wie wenn“ bewirkt eine Stimmung ganz ſpezifiſcher Art, welche
[263] eine beſondere Stelle für den Gegenſtand fordert. Das Chaotiſche,
Wilde, Formloſe in der Natur gemahnt uns, daß auch im moraliſch
Häßlichen der zum Prinzip erhobene Naturgrund ſich entfeſſelt. Wir
können alſo Ruge’s Satz auch umkehren: das moraliſch Häßliche reißt
den Menſchen in das Chaos, zu Wölfen und Bären zurück und iſt ein
Gleichniß des Häßlichen in der Natur. Darum ſoll aber keineswegs
geläugnet werden, daß erſt der zum Prinzip erhobene Naturgrund als
Böſes die wahre, ganze Häßlichkeit iſt. — Die Mißgeſtalt nun,
worin ſich das Böſe darſtellt, muß nicht nothwendig eigentliche Miß-
bildung ſeyn, wie bei RichardIII, wo ſie aber als Motiv ſo wun-
derbar vom Dichter verarbeitet iſt; die Formen können ſchön ſeyn, und
gerade dann erſcheint die Bewegung, welche der Charakter dazu gibt,
das Mienen- und Gebärdenſpiel, das ſich freilich auch in bleibenden Zügen
eingräbt, um ſo häßlicher, wenn es die Formen, welche zum Ausdruck
einer hohen Seele beſtimmt ſind, durch dieſe Züge trübt, worin der lauernde
Tiger, die ſchleichende Katze ſich in das edle Menſchenbild eingedrängt zu haben
ſcheint. Die eigentliche Mißgeſtalt des Böſen aber erſcheint in ſeinen Werken.
2. Die Häßlichkeit führt zum Komiſchen, wenn die Seite des reinen
Widerſpruchs im Gegenſtande als ſolche in’s Auge gefaßt wird. Dies
mußte hier ſchon [a]ngedeutet werden, um zeigen zu können, warum das
Böſe eine Häßlichkeit furchtbarer Art behaupten muß. Daß gute Kräfte
im Böſen fortwirkend gegen ſich ſelbſt wüthen, daß die tiefe Einſicht
des Böſen ihm ſeine Verkehrtheit, ja den logiſchen Grundirrthum in
ſeiner Bosheit nothwendig zeigen ſollte und in einem unausgebildeten
Wahrheitsgefühle wirklich zeigt, dies iſt reiner Widerſpruch; allein der
Zuſchauer hat keine Zeit, dabei zu verweilen, weil dieſes widerſprechende
Weſen abſolut ſchädlicher Art iſt und ihn mit Grauen überzieht. Der
Verbrecher darf daher im äſthetiſchen Zuſammenhang niemals ärmlich
und gedrückt, er muß noch im Untergang groß und furchtbar erſcheinen.
Schon daraus folgt die Verwerflichkeit des Armenſünder-Motivs in
Romanen und Schauſpielen. Wenn nun aber, wie im religiöſen Glau-
ben, ein abſolut Böſes als Perſon vorgeſtellt wird, ſo iſt der Ueber-
gang in’s Komiſche nicht mehr abzuhalten. Denn wie furchtbar die
Erſcheinung gedacht ſeyn mag, der volle Widerſpruch eines Weſens,
welches das Böſe um des Böſen willen bei vollkommen ausgebildeter
Einſicht in ſeine Nichtigkeit unabläßig will, iſt zu ſtark, um von dem
Eindruck des Furchtbaren zugedeckt zu werden. Der wahre Künſtler
muß daher den Teufel nicht pathetiſch, ſondern humoriſtiſch behandeln.
[264] In das menſchlich Böſe ſetzen ſich die guten Kräfte nicht nur in der
Form der Umkehrung fort, ſondern als Lichtblicke gelegentlicher Güte
vorübergehender Reue, und daraus entſteht ein neues Motiv, das
keine Komik aufkommen läßt: die vom Grauen ſelbſt nicht aufgehobene
Theilnahme. Komiſch iſt der menſchliche Böſewicht allerdings in dem
activen Sinne, daß er durch ſeinen Verſtand die Umgebungen ironiſirt;
dies gehört aber nicht hieher. Er iſt komiſch auch in dem paſſiven
Sinne, daß er in der Entſchiedenheit ſeines böſen Wollens, als wäre
es gut, naiv erſcheint (wie namentlich RichardIII). Allein auch dies
gehört nicht hieher, denn darin hat er gegen die halbe Bosheit der
umgebenden ſchwachen Subjecte Recht, indem er „eine Natur“ iſt.
Die negative Form der Erhabenheit des böſen Willens tritt ein, wenn
über den ſcheinbar vollendeten Böſewicht die noch zerſtörendere Kraft der Bos-
heit durch einen andern kommt. Der eine wie der andere kann das Böſe in
der Form des drohenden Rückhalts oder des vollen Ausbruchs darſtellen und
die wirkſamſte Erſcheinung iſt die, wenn die größtmögliche Zerſtörung in der
darauf folgenden Stille und Ruhe eine unendliche Möglichkeit neuer Verbrechen
verbirgt; denn hier vereinigt ſich mit der Wirkung der geahnten Unendlichkeit
die volle Kraft der Negativität. Allein ſobald ſich der Zuſchauer in dieſen
Abgrund vertieft, ſo erblickt er darin die innere Selbſtzerſtörung, welche aber
auch im Aufbau ihres Werks an eine Grenze gelangt, wo die äußere Zerſtö-
rung eintritt. Das Böſe hebt ſich auf und führt zu der Nothwendigkeit, daß
der Wille des Subjects ſich mit dem allgemeinen und vernünftigen verſöhne.
Es wurde in §. 107 geſagt, das Böſe ſey einſam. Dies hindert
nicht die Vereinigung vieler Böſen in einem äſthetiſchen Ganzen, denn
daß jeder derſelben einſam bleibt, daraus geht gerade die Dialektik her-
vor, worin ſie ſich aufreiben und das Gegentheil von dem, was ſie
wollten, das Gute herſtellen. Im Lear und in der Dramenreihe von
HeinrichVI — RichardIII herrſcht dieſe Dialektik, wo über den
großen Böſewicht vernichtend der größere kommt und der größte an der
inneren Nichtigkeit des Böſen ſcheitert. Der übrige Inhalt des §. bedarf
keiner Erläuterung und die nähere Motivirung des Prozeſſes, wodurch
ſich der böſe Wille in den guten aufhebt, gehört in die Ethik.
[265]
γ.
Das Erhabene des guten Willens.
Der Wille des Subjects, der ſich dem allgemeinen und vernünftigen Willen1
als Organ hingibt, iſt der gute Wille, die concrete Freiheit. Das Subject
als Einzelnes kann aber aus dem in dem allgemeinen Willen enthaltenen In-
begriff der ſittlichen Ideen nur eine beſtimmte zu ſeinem Lebenszwecke erheben.
Wenn der Wille des Subjects ſammt dem ganzen Umfange ſeiner Perſönlichkeit,
ohne daß jedoch die Vielſeitigkeit derſelben ausgeſchloſſen wird, ſo mit dieſem
ſittlichen Zwecke verwächst, daß derſelbe dem ganzen Leben des Subjects ſeine
Einheit und Stetigkeit gibt, ſo ſcheint dieſes, in Vergleichung mit umgebenden
Subjecten von geringerer ſittlicher Stärke, zugleich Subject zu bleiben und zu-
gleich zum Geſammtſubjecte der Gattung ſich zu erweitern. Das Subject hat2
aber ſeine ſittliche Kraft durch wirkliche Thätigkeit im Widerſtande zu meſſen.
In dieſem Kampfe muß ihm das Erhabene der Leidenſchaft beiſtehen. Der
gute Wille im poſitiven Verhältniſſe zu der mit ihm vereinigten Kraft der Lei-
denſchaft heißt Pathos im poſitiven Sinne. Das Wort kann auch objectiv den
Gehalt bezeichnen, aber nie in ſeiner Abſtraction, ſondern als Macht im Gemüthe.
1. Durch die Hervorhebung der Schranke, welcher das Subject als
einzelnes unterliegt und wodurch es beſtimmt iſt, nur Eine ſittliche Idee
zu ſeinem Lebensgehalte zu machen, iſt bereits die Aufhebung dieſer ganzen
Form der Erhabenheit vorbereitet, aber auch nur vorbereitet, denn zunächſt
iſt feſtzuhalten, daß auch in dieſer beſtimmten Idee der Inbegriff der
ſittlichen Ideen irgendwie enthalten iſt und daß die abſolute ſittliche Idee nur
durch das Subject wirkt und lebt. In der Beſtimmung dieſer Subjectivität
hat der §. den Ausdruck: Charakter vermieden. Denn Charakter iſt eine
concretere Beſtimmung, welche alle die realen Momente bereits vorausſetzt,
aus denen das Subject die geſchichtliche Form und Färbung ſeines ſittlichen
Zweckes entnimmt und in der Wechſelwirkung mit welchen es ſein ſittliches
Leben fortwährend erzeugt. Charakter iſt daher das ſittliche Subject erſt da
zu nennen, wo das Syſtem ſich in das wirkliche geſchichtliche Leben ein-
läßt. Dagegen war hier allerdings die Bedingung der Vielſeitigkeit ſo-
gleich aufzunehmen, welche Hegel unter dem Begriffe des Charakters
[266] (Aeſth. 1, S. 303 ff.) aufführt und ſo ſchön entwickelt. Ein ſittlicher
Gehalt erſcheint nämlich nicht als wirkliche Macht in einem Subjecte, wenn
er den Reichthum der übrigen Neigungen, Intereſſen, Thätigkeiten der
Perſönlichkeit von ſich ausſchließt. Entweder er läßt ihnen gar nicht Luft
und das Subject lebt nicht, oder er verkehrt ſie gewaltſam zu ſeinem Zweck
und das Subject iſt fanatiſch. In jenem Falle entſtehen die falſchen
ſchematiſchen Charaktere des Drama: der Geizhals, der Polterer u. ſ. w.
Erſt wenn ich ſehe, daß ein Subject auch nach anderen Seiten mannigfaltig
bewegt und ein ganzer Menſch iſt, daß aber dieſe abweichenden Bewegungen
alle wieder ſich umbiegen nach der Einen Grundbewegung, ſo erkenne ich
die Macht der ſittlichen Idee, welche dieſen Mittelpunkt bildet. Die Ab-
weichung muß ſelbſt bis zum Widerſpruch gehen, aber dieſen im Fortgange
wieder aufheben. Dieſer Widerſpruch gibt den Charakteren Shakes-
peares ihr Leben und ihr Dunkel für den abſtracten Verſtand und für eine
deklamatoriſche Schauſpielkunſt. Das ſo erfüllte Subject nun iſt erhaben
in der Zuſammenſtellung mit ſchwächeren, wenn der Abſtand ſo groß iſt,
daß er unendlich ſcheint. Es ſcheint ſich „zum Geſammtſubject der Gattung
zu erweitern“, aber in dieſer Höhe wird es dennoch als einzelnes Subject
feſtgehalten. Dies iſt wohl zu merken, ſonſt gerathen wir zu frühe in’s
Tragiſche. Jetzt iſt der Sinn der: das Subject iſt Subject und ſcheint doch
ſich zur Unendlichkeit zu erheben; im Tragiſchen aber: die ſittliche Idee gibt
ſich die Beſchränkung des Subjects und geht doch unendlich darüber hinaus.
2. Das Vergleichen iſt kein todtes, das Subject ſelbſt vergleicht ſich
praktiſch, es mißt ſich, es kämpft, und zwar gegen alle bisher aufgeführten
Formen des Erhabenen ſowohl als gegen das in ſeinem eigenen Sinne,
d. h. im Sinne des Guten, große, aber minder große Subject. Dieſer
Kampf kann bald die Form kriegeriſchen, bald mehr eines geiſtigen
Streites annehmen: ein Unterſchied, der eine neue Stufenfolge erzeugen
würde, wenn die Wiſſenſchaft der Aeſthetik an dieſer Stelle ſich darauf
einzulaſſen Raum hätte. Welche Waffen aber der Kampf führen möge,
die Leidenſchaft muß dem Subjecte beiſtehen. So entſteht das poſitiv
Pathetiſche. Es iſt eigenthümlich, daß die von Kant angeregten
Aeſthetiker das Pathetiſche nur in der negativen Form des Kampfes gegen
die (eigene) Leidenſchaft kannten (ſo Schiller: „die moraliſche Inde-
pendenz von Naturgeſetzen im Zuſtande des Affects“ ſ. Ueber das Pathe-
tiſche), da doch Kant ſelbſt ein affirmatives Verhältniß zwiſchen dem
ſittlichen Willen und dem Affect ausſpricht: „die Idee des Guten mit
Affect heißt Enthuſiasm u. ſ. w. Aeſthetiſch iſt der Enthuſiasm erhaben,
[267] weil er eine Anſpannung der Kräfte durch Ideen iſt, welche dem Gemüthe
einen Schwung geben, der weit mächtiger und dauerhafter wirkt, als der
Antrieb durch Sinnenvorſtellungen. — Ein jeder Affect von der wackern
Art (der nämlich das Bewußtſeyn unſerer Kräfte, jeden Widerſtand zu
überwinden (animi strenul) rege macht) iſt erhaben, z. B. der Zorn,
ſogar die Verzweiflung (nämlich die entrüſtete, nicht aber die verzagte).“
Allein freilich dieſe Anerkennung eines poſitiven Verhältniſſes zwiſchen dem
Geiſte und ſeiner Natur widerſprach zu ſehr dem Geiſte der Kritik der
prakt. V., um furchtbar zu werden, ſie verliert ſich daher auch in eine
Anmerkung (nach §. 29) und wird durch die Zwiſchenbemerkung auf-
gehoben, daß jeder Affect blind ſey und das Gemüth unvermögend mache,
ſich nach freier Ueberlegung der Grundſätze zu beſtimmen. Erſt nachdem
die Ethik affirmativ geworden, konnte Hegel ſagen, daß noch nichts
Großes ohne Leidenſchaft geſchehen ſey. Es iſt kein Grund vorhanden,
unter Leidenſchaft blos habituelle Verſenkung des Willens in ein Einzelnes
zu verſtehen. Sie ſtand uns ſchon in §. 105 höher; jetzt aber hat ſie einen
ſittlichen Mittelpunkt, deſſen Bote und Vollſtrecker ſie iſt. Man denke
an den gewaltigen ſittlichen Zorn großer Männer, z. B. eines Luther.
Für dieſen Begriff hat Hegel den Ausdruck Pathos nach den Alten ein-
geführt. Er gebraucht das Wort gewöhnlich objectiv: „die allgemeinen
Mächte, welche nicht nur für ſich in ihrer Selbſtändigkeit auftreten,
ſondern ebenſoſehr in der Menſchenbruſt lebendig ſind und das menſchliche
Gemüth in ſeinem Innerſten bewegen“ (Aeſth. 1, 297). Hegel will
den Ausdruck Leidenſchaft vermeiden, weil er den Nebenbegriff des Nie-
drigen habe; er verdiente, wieder geadelt zu werden. Das Wort
Pathos läßt ſich aber ebenſo auch ſubjectiv gebrauchen: die Bewegung
des Gemüths aus einem ſittlichen Mittelpunkte, die Perſönlichkeit, für
ein ſittliches Grundmotiv die ganze Erhabenheit der Kraft in ſich auf-
bietend. Wir behalten uns einen Wechſel des objectiven und ſubjec-
tiven Gebrauchs vor.
Das Pathos kann als ruhende Kraft den Ausbruch drohen und nach dem
Ausbruch in drohende Stille zurückkehren. Dieſe Ruhe wirkt auch hier, als
negative Form in der poſitiven, ſtärker, als der Ausbruch, aber auf andere
und tiefere Weiſe, als die Ruhe im blos dynamiſch Erhabenen. Während
nämlich hier (vergl. §. 99 und 101) der durch den Rückhalt verdoppelte Ein-
[268] druck der Unendlichkeit noch nicht die Anſchauung eines in die Kraft ſelbſt
durch die Negation der Beſinnung eintretenden Bruches in ſich ſchloß, ſo hat
dagegen das Pathos als wirklich geiſtige Macht die Negation in ſich, wodurch
es ſich mit Bewußtſeyn ſeinem Ausbruch entgegenſetzen und über ihn ſtellen
kann. Hieraus geht nun die wirklich negative und ungleich ſtärkere Form des
ſittlich Erhabenen hervor.
Um die ſtarke Wirkung der ruhig drohenden Kraft ſich zu vergegen-
wärtigen, denke man z. B. an Volker und Hagen in der 29ten Aventiure
des Nibelungenlieds. Die Stille vor einer Schlacht gehört hieher, ſofern
nun der Krieg als Kampf um ſittliche Güter betrachtet wird. Daß das
Pathos die Negation der Entgegenſetzung in ſich trägt, bedarf keines Be-
weiſes, denn es iſt eine ſelbſtbewußte Kraft. Es gibt auch höhere Er-
ſcheinungen drohender beſonnener Kraft, als jene der Nibelungenhelden,
wozu die Beiſpiele ſich leicht darbieten. Der ganzen, nun eintretenden
Sphäre des negativ Pathetiſchen kann man das bekannte Wort des Seneca
vorſetzen: Ecce spectaculum dignum, ad quod respiciat intentus operi
suo Deus: vir fortis cum mala fortuna compositus.
Dieſe negative Form ſetzt zunächſt eine noch höhere Erſcheinung des
ſittlichen Willens voraus, wodurch die, wie es ſchien, größtmögliche ſittliche
Stärke ſelbſt beſiegt wird. Allein die Betrachtung wendet ſich jetzt nicht auf
das thätige Subject in dieſem Verhältniß; denn das leidende Subject nimmt,
da es die Negativität der geiſtigen Unendlichkeit in ſich trägt, durch einen Act
der ſittlichen Erhebung die zerſtörende Macht mitten im Leiden, das ihm durch
ſie bereitet iſt, in freier Anerkennung in ſich herein, und nun mag das Leiden
kommen, woher es mag, von der blinden Kraft, von der Leidenſchaft, vom
ſchwankenden, böſen, oder ſittlich ſtärkeren Willen: das Subject erkennt es als
gut an. Aber eben dieſe Seite führt von der vorliegenden Sphäre ganz ab
und die letztere wird nur eingehalten, ſofern die Anſchauung bei dem leidenden
Subjecte verweilt, wie es durch die Kraft der ſittlichen Freiheit ſein Leiden
überwindet. Dieſes Schauſpiel des ſittlichen Willens, der ſich im Leiden be-
währt, iſt das negativ Pathetiſche.
Es iſt ein Mangel der bisherigen äſthetiſchen Unterſuchungen, daß ſie
die Nothwendigkeit der im §. enthaltenen Motivirung überſahen. Man
[269] ſetzte ohne Weiteres voraus, daß im Pathetiſchen überhaupt das leidende
Subject der Gegenſtand der Unterſuchung ſey. Der eine Fehler da-
bei war der ſchon gerügte, daß man dabei nur an die negative Form
dachte, die uns jetzt vorliegt; der andere der, daß man überſah, wie an
dieſer Stelle, ſobald man die Urſache des Leidens in ihren letzten
Grund verfolgt, eigentlich ſogleich das Tragiſche beginnt. Dadurch ließ man
ſich nicht verlegen machen, weil man in Wahrheit ein Tragiſches eigentlich
gar nicht hatte, ſondern es eben im Schauſpiele der Seelenſtärke im Leiden
ſuchte. Wir aber haben uns zu verantworten, warum wir auf dem Punkte
ſtilleſtehen, der hier unmittelbar zum Tragiſchen hinweist. Was nämlich
immer die nächſte Urſache des Leidens ſey, wenn auch nur eine äußere
Nothwendigkeit, in deren Eingreifen ſehr unrichtig von früheren Aeſthetikern
der Hebel des Tragiſchen geſucht wurde: der ſittliche Wille, der ſich im
Leiden bewährt, ſieht darin als letzte Urſache ein höheres Geſetz, das über
allem Subjecte liegt, und hiemit iſt die Erhabenheit des abſoluten Geiſtes
eingetreten. Soll alſo die Sphäre der ſubjectiven Erhabenheit eingehalten
werden, ſo muß man dieſe Seite fallen laſſen. Dies iſt aber keine willkür-
liche Abſtraction. Denn das leidende Subject verdoppelt ſich in ſich ſelbſt
und wir haben zwei in Einem. Es nimmt den Feind in ſich herüber durch
die Anerkennung eines abſoluten ſittlich waltenden Geſetzes, und dies führt,
im objectiven Sinne verfolgt, zum Tragiſchen, allein ſubjectiv entſteht da-
durch ein neues Verhältniß: das Subject hat noch einen Feind in ſich,
der dies Anerkennen zu verhindern und im Erliegen den Geiſt zu verfinſtern
droht: ſeine eigene Sinnlichkeit. Der innere Kampf des Subjectes mit
ſich, abgeſehen von dem Gehalte jener Anerkennung, wird nun Gegenſtand,
ein Prozeß, der ſich in Einem, ſich zu ſich ſelbſt negativ verhaltenden,
Subjecte vollzieht, und dies iſt das negativ Pathetiſche.
Der Wille ſetzt dem eigenen Leiden die Unendlichkeit ſeiner Freiheit1
entgegen und wandelt die niederſchlagende Bewegung in eine muthige um. Dieſe
Bewährung der Freiheit erſcheint um ſo tiefer, je mehr das Leiden nicht blos
die ſinnliche, ſondern ſelbſt die an ſich allerdings, nur im vorliegenden Falle
nicht, geiſtig berechtigte Empfindung trifft. Dieſer Act des negativen Pathos
theilt ſich alſo in zwei Momente. Das erſte iſt das Leiden, welches, wenn
das andere Moment ſeine Macht bewähren ſoll, bis zum äußerſten Sturme
fortgehen muß, wodurch das Häßliche der Zerſtörung (§. 100), doch in mehr
[270]2innerlicher Form, wieder ſeine Geltung behauptet. Das zweite Moment iſt
die Bewährung der Freiheit, welche dem Gefühle des Leidens ſeine Grenze
ſetzt und es in Gefühl des Sieges aufhebt. Bleibt dieſes zweite Moment aus
oder wird dem Leiden nur ein Widerſtand klagender und ſanfter Art entgegen-
geſetzt, ſo entſteht das Rührende, welchem nur ein beſchränkter Raum im
Schönen zukommt.
1. In der Darſtellung dieſer negativen Form iſt Schiller in ſeinem
Elemente. Da der Widerſtand der Freiheit nur nach der Stärke des An-
griffs geſchätzt werden kann, ſo muß das Subject „die ganze volle Ladung
des Leidens“ bekommen (Ueber das Pathetiſche). Für dieſes Gewicht des
Leidens muß aber auch die volle Empfindlichkeit da ſeyn und daher das
Leiden ſelbſt in bewegter Lebendigkeit erſcheinen. Die Natur muß ihr volles
Recht haben; ihre Forderung iſt immer die erſte; der Menſch iſt, ehe er
etwas Anderes iſt, ein empfindendes Weſen. Die Art, wie nun Schiller
den Umfang zu bezeichnen ſucht, in welchem das Leiden ſeine Herrſchaft
ausdehnt, muß unbeſtimmt bleiben, weil dieſelben Organe, die der Wille
beherrſcht, dem erſten Inſtincte des Schmerzes gehorchen, ehe dieſer Zeit
hat, ſeine Obmacht zu bewähren. Die ganze Darſtellung hat überhaupt
den Mangel, daß blos das Animaliſche als die leidende Seite aufgenommen
wird, und hierin ergänzt ſie ſich durch die, nur nicht ausgeführte, Be-
merkung in der Abh. über den Grund des Vergnügens an tragiſchen Gegen-
ſtänden: die Tragödie (in Wahrheit iſt es vielmehr nur das ſubjectiv
Erhabene) umfaſſe alle möglichen Fälle, in denen irgend eine Naturzweck-
mäßigkeit einer moraliſchen oder auch eine moraliſche Zweckmäßig-
keit der andern, welche höher iſt, aufgeopfert werde. Regulus
z. B. unterzieht ſich nicht nur phyſiſchen Schmerzen, er leidet auch um
ſeine Familie, Jeſus um die Menſchheit. Das Leiden muß den ganzen
Menſchen aufwühlen, der innerſte Geiſt iſt als Empfindung auf der
leidenden Seite betheiligt. Im Kampfe dieſes Leidens tritt wieder das
Häßliche ein, nur daß es nicht als blos äußerer Zerſtörungsact, wie
im Erhabenen der Kraft §. 100, ſondern zugleich oder blos als Qual der
Seele, die freilich auch im Nervenleben und der äußern Bewegung ſich
äußert, erſcheinen muß. Es fragt ſich, wie weit es gehen dürfe. Eine
buchſtäbliche Grenzbeſtimmung iſt hier nicht möglich; es iſt nur im Allge-
meinen der Satz aufzuſtellen: der Widerſtand des Geiſtes ſoll nicht aus-
bleiben. Der Gekreuzigte in der byzantiniſchen und häufig in der alt-
deutſchen Malerei war nur häßlich, weil keine Erhebung zu ſehen war.
[271] Verſchiedene Künſte haben freilich verſchiedenen Umfang der Freiheit, wovon
an ſeinem Orte zu reden iſt.
2. Die Bewährung der Freiheit kann entweder erſt auf einem Punkte
des fortgeſchrittenen Leidens eintreten, oder ſich von Anfang an zugleich mit
dieſem ankündigen. Bleibt ſie aus oder wird ſie nur in Klagen, Thränen,
Bitten ſchwach geübt, ſo entſteht das Rührende. Man hat an dieſem
Orte häufig überhaupt von dem Werthe und Unwerthe ſchmelzender
Affecte geſprochen. So ſchon Kant (a. a. O. Anm. zu §. 29). Eigentlich
gehört dies nicht hieher, denn das Schmelzende iſt eine Afterform des
Schönen, welche, ſtatt Geiſt und Sinne zugleich zu beglücken und zu be-
freien, mit einem bloſen Scheine geiſtiger Beimiſchung durch wollüſtig hin-
ſinkende Bilder die Sinne kitzelt. Darin liegt aber ein Gefühl der Auf-
löſung, das einer Wehmuth gleicht, einem ſüßen Mitleid mit ſich ſelbſt,
daß man ſich ſo in den bezaubernden Gegenſtand verliere, wie Zucker im
Munde ſchmilzt: dies erinnert an das, was im eigentlichen Sinne
Rührung heißt und hieher gehört. Alles Leiden, auch das des Tapferen
rührt. Aber es rührt nicht blos, es ſtärkt und erhebt zugleich. Rührend
nennt man, was blos rührt, weil es zum Widerſtand ſowohl gegen den
äußern, als gegen den innern Feind, die auflöſende Empfindung, zu
ſchwach iſt, ſo daß nur Thräne, Klage, oder höchſtens die ſanfte kindliche
Bitte bleibt, wie dem Knaben Arthur. Es iſt am Platze, wo hilfloſe
Weſen auftreten, Kinder, Weiber. Dagegen ſteht es Männern ſchlecht an.
Der erfrierende Sigwart iſt ein rührender Mann. Doch vorübergehend
iſt es am Platze, wie z. B. ſelbſt Wallenſtein in ſeiner letzten Stunde im
Andenken an Max Piccolomini weich wird. Je nach dem Zuſammenhang
ſoll aber auch das Weib durch Erhebung ſich ſtark zeigen. Maria Stuart
erhebt ſich im Angeſicht des Todes; die lange Abſchiedsſcene iſt zu
rührend, ſofern ſie trotz der Erhebung zu lang bei der Darſtellung des auf-
löſenden Schmerzes verweilt.
Es kommt nun darauf an, ob die Freiheit gegen den niederſchlagenden1
Affect des Leidens ſelbſt einen Affect erhebender Art zum Beiſtande hat, oder
ob ſie ihm in affectloſer Strenge ihre abſtracte Unüberwindlichkeit entgegenhält.
Die erſte Form iſt die ſchwächere, poſitive des negativ Pathetiſchen, die2
zweite die negative und ſtärkere, welche aber leicht durch den Schein der Un-
empfindlichkeit ſich vernichtet und nur unter Bedingungen am Platze iſt. Dieſe
[272] Form bewährt aber einen Willen, dem die Bezwingung des Affects zur andern
2Natur geworden iſt. Dieſe vollendete Feſtigkeit heißt in ihrer Erſcheinung
Würde. Durch das Stehendwerden in der Erſcheinung verliert aber auch leicht
der innere Werth.
1. Beiſpiel der poſitiven Form im negativ Pathetiſchen iſt der furcht-
loſe Kampf eines ſchon verwundeten, der negativen das ruhige Aushalten
eines dem feindlichen Feuer ausgeſetzten Kriegers. In höherer Sphäre
bewaffnet die edle Scham, das Ehrgefühl, die Begeiſterung den Leidenden
gegen den niederſchlagenden Affect, während der ruhig und ſtreng gefaßte
Geiſt ſich einfach in die Ataraxie der abſtracten Freiheit zurückzieht. Dort
ein Zorn gegen ſich ſelbſt im Gedanken einer möglichen Feigheit, hier die
kalte und feſte Ruhe. Dies iſt freilich nur unter Bedingungen die er-
habenere Form, dann nämlich, wenn nicht gehandelt werden kann. Ein
LudwigXVI, der zuletzt apathiſch das Scheußlichſte erträgt, wo er
handeln ſollte, iſt ein unäſthetiſches Bild; es brauchte viele dichteriſche
Kraft, eine ſolche Erſcheinung erträglich zu machen, die jedoch Shakes-
peare in HeinrichVI wunderbar gezeigt hat.
2. Den Begriff der Würde hat Schiller (Ueber Anmuth und Würde)
gründlich entwickelt. Würde iſt die ſittliche Erhabenheit als die zur andern
Natur gewordene, nicht nur alle Bewegungen beherrſchende, ſondern auch
den ruhenden Formen als feſter Stempel aufgedrückte Gewohnheit der Be-
herrſchung des Affects. Sie muß ſich natürlich auch in der Verſuchung zu
haltungsloſer Luſt bewähren, aber der eigentliche Moment ihrer Bewährung
iſt die Verſuchung zum Erliegen in der Unluſt. Die Zeichen des Leidens
haben hier den kleinſtmöglichen Raum, aber ebendadurch entſteht leicht der
Verdacht der Unempfindlichkeit und das Erhabene iſt aufgehoben. Ueberhaupt
hat der Begriff etwas Aeußerliches. Denn da die Würde ein vollkommener
Niederſchlag der inneren Erhabenheit in der Erſcheinung iſt oder wie ſie
Solger (Aeſth. S. 88. 89) beſtimmt: „die in die Wirklichkeit der Er-
ſcheinung übergegangene Erhabenheit — die Erhabenheit zum Zuſtand des
gemeinen Lebens geworden“, ſo verflüchtigt ſich in dieſer Verfeſtigung leicht
der Spiritus. Daher ſucht man Würde vorzüglich als conſtanten Typus
gewiſſer Stände, Aemter u. ſ. w., wo denn nicht mehr gefragt wird, ob
der Einzelne auch von dem ſittlichen Gewichte des Amts erfüllt ſey, ſondern
ein gewiſſer Mechanismus der Repräſentation eintritt. Es iſt freilich
etwas Anderes, wenn Lear ſagt: „Jeder Zoll ein König.“
[273]
Der Begriff der Sache fordert nun aber allerdings, daß nicht überſehen1
werde, woher das Leiden kommt, und es muß dem wahren, hier zunächſt vor-
liegenden Zuſammenhang gemäß allerdings von einem Subjecte ausgehen, welches
das vorher als erhaben vorgeſtellte noch an ſittlicher Stärke überbietet. Nun
offenbart das beſiegte Subject in ſeiner Selbſt-Ueberwindung eine vertiefte innere
Unendlichkeit, und auch dieſe muß noch in höherem Grade dem beſiegenden
Subjecte zuerkannt werden. Hiedurch tritt auf’s Neue die Quantitätsbeſtimmung2
ein und es entſteht eine unendliche Steigerung, worin je das höhere Subject
ſowohl an Tiefe als an Umfang der ſittlichen Macht das niedrigere über-
trifft. Da nun aber durch Selbſtüberwindung die Eiferſucht und Feindſchaft
getilgt wird, ſo ſchließen ſich die Guten zu gegenſeitiger Ergänzung zuſammen.
Das Gewicht der Menge wird in höherem Sinne als in §. 97, 2 und 105
wichtig und es entſteht das Bild des Guten als einer durch Vielheit der Sub-
jecte unendlich verſtärkten Macht.
1. In §. 112 wurde die Betrachtung auf den Vorgang im leiden-
den Subjecte herübergezogen; jetzt aber auf dem Punkte, wo das Er-
habene des Subjects ſich auflöſen muß, iſt allerdings die objective Seite,
die Betrachtung des Subjects nämlich, von welchem das Leiden kommt,
nachzuholen. Der dort aufgeſtellte Satz, daß es nun zunächſt gleichgültig
werde, von woher das Leiden komme, bleibt, wie ſich zeigen wird,
dennoch in ſeiner Wahrheit, oder richtiger, es wird ſich im Tragiſchen
eine Stufenfolge ergeben, worin ſowohl das ſcheinbar zufällige als auch
das in einem höheren ſittlichen Willen begründete Leiden in ſeine Geltung
tritt. Der ganze Gang, den der Begriff genommen, fordert nun an der
gegenwärtigen Stelle, daß der Gute durch einen Beſſeren beſiegt werde, und
zwar durch einen Beſſeren in dem doppelten Sinn der Tiefe, d. h. der Fähig-
keit, im innern Kampfe, und Stärke, d. h. der Fähigkeit, im äußern Kampfe
zu ſiegen. Dieſes Verhältniß wird ſich im Tragiſchen allerdings nicht als das
wahre halten laſſen; es wird hier in der ſittlich reinſten Form zwar ein
Kampf zwiſchen guten Subjecten eintreten, aber auf beiden Seiten werden
dieſe Subjecte alsbald auch einſeitig erſcheinen; es wird zwar zu unterſcheiden
ſeyn, woher das Leiden kommt, aber alle nächſten Urſachen werden vorneher-
ein als Ausfluß der abſoluten Urſache erſcheinen. Hier aber iſt der Ausgang
des Leidens von dem ſittlich ſtärkeren Subject als einzelnem und nächſter
Urſache vorerſt feſtzuhalten, freilich nur als verſchwindender Uebergangs-
Viſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 18
[274]punkt, der zu einer unendlichen Steigerung führt, welche aber ſich ſelbſt
aufhebt und einer ganz anderen Form des Erhabenen, eben dem Tragi-
ſchen, Platz macht.
2. Im Erhabenen der Leidenſchaft war, wie im Erhabenen der
Kraft, das Gewicht der Maſſe von Wichtigkeit, das Böſe in ſeiner
Abſtractheit war einſam, das Gute aber wirkt wieder durch Maſſe und
Vielheit, und zwar nicht nur, weil es die ſinnliche Kraft und den Nach-
druck der Leidenſchaft in den Dienſt des ſittlichen Mittelpunkts zieht, um
mit ſo verſtärkten Waffen für ihn zu kämpfen, ſondern auch weil der
geiſtige Zweck ſelbſt ſich reinigt und die Kraft der Nothwendigkeit ge-
winnt, wenn er von Vielen gewollt wird. Eine Idee dringt nicht durch,
ſo lange nicht der vereinzelte Vorkämpfer das allgemeine Bedürfniß zum
Hinterhalt hat; man denke nur an die Reformation. Dies macht ſich
in allen Verbindungen, Volksverſammlungen u. ſ. w. geltend, wo auch
ohne eine eigentliche That die imponirende und nöthigende Kraft der All-
gemeinheit durch die Demonſtration ſelbſt wirkt. Im concreten Ausdruck
heißt hier die Vielheit ſittlicher Volkswille, die Betrachtung hat ſich aber
noch in allgemeinen Kategorien zu halten.
In Wahrheit aber hebt ſich durch beide Bewegungen, ſowohl durch die
des unendlichen Aufſteigens, als auch durch die des Ausdehnens über Viele,
das ſubjectiv Erhabene auf. Läßt ſich nämlich über jedes ſittlich erhabene Sub-
ject ein erhabeneres vorſtellen, ſo iſt kein einzelnes Subject wahrhaft ſittlich
erhaben; gewinnt das Gute an Macht und Bedeutung in dem Grade, in welchem
es zur Gemeinſchaft vieler Subjecte wird, ſo ſind es eben die Grenzen der
Subjectivität, die ſich in dieſem Verhältniſſe gegenſeitiger Ergänzung aufheben.
Der in §. 103 und 110 aufgeſtellte Widerſpruch der Unendlichkeit und End-
lichkeit im Subjecte, der Einzelheit desſelben mit der Allgemeinheit ſeines
zwar beſtimmten ſittlichen Pathos, ſowie des letzteren mit dem Inbegriff aller
ſittlichen Ideen, ein Widerſpruch, der aber in der Sphäre des ſubjectiv Er-
habenen noch nicht zum Ausbruch kam, tritt in Kraft und es wird offenbar,
daß das Subject in ſeiner Erhabenheit mehr iſt als es ſelbſt.
Die hier ausgeſprochene, ganz einfache Dialektik in dem Erhabenen
des Subjects wird völlig verkannt, wenn man die ſogenannten voll-
kommenen Charaktere oder Ideale in der Poeſie in Schutz nimmt, wie
[275]Jean Paul (Vorſch. d. Aeſth. Thl. 1, §. 58) noch einmal gethan hat,
nachdem ſchon durch Leſſing, ja durch Ariſtoteles die Verhandlung
über dieſe leicht zu löſende Frage als beendigt betrachtet werden konnte.
Er führt neben Epaminondas, Sokrates, Jeſus vorzüglich weibliche
Charaktere an, die Töchter des Oedipus, Göthes Iphigenie und Leonore
u. ſ. w. Er vergißt, daß der Mann immer nur ein beſtimmtes Pathos
zu dem ſeinigen machen kann und ſchon dadurch ſchuldig wird, daß das
Weib ſchon durch ſein Geſchlecht auf beſtimmte Tugenden beſchränkt iſt.
Jeſus iſt nicht zu erwähnen; denn die religiöſe Vorſtellung hat ihn freilich
zu dem abſoluten Widerſpruch erhoben, Abſolutes und Subject zugleich
zu ſeyn, aber es braucht keines Beweiſes, daß dieſer Widerſpruch, der
als Exiſtenz undenkbar iſt, auch die äſthetiſche Darſtellung ausſchließt,
denn was nicht ſeyn kann, iſt auch nicht darzuſtellen. Jean
Paul kannte die Wahrheit nicht: determinatio est negatio. Er kannte
ebendarum das Tragiſche nicht, und dies lag in der ganzen ſubjectiven
Reflexionsweiſe der Zeit, wie man auch aus Schillers Behauptung ſieht,
daß der wahrhaft tragiſche Held unſchuldig ſeyn müſſe. Schiller hat
(vergl. §. 112, Anm.) überhaupt in ſeinen beiden Abhandlungen: Ueber
den Grund des Vermögens an trag. Gegenſtänden, und: Ueber die
tragiſche Kunſt in der Meinung, das Tragiſche zu erörtern, nur das
negativ Pathetiſche, eine Form des ſubjectiv Erhabenen, dargeſtellt.
Es gilt aber nicht nur von der Tragödie als Kunſtform, ſondern von
allem Tragiſchen, wenn Ariſtoteles (Poetik 6) ſagt, jene ſey nicht
eine Darſtellung von Menſchen, ſondern von Handlungen, von Leben,
Glück und Unglück. Er drückt dies in ſeiner Weiſe realiſtiſch aus, wo
wir ſagen würden: das ſubjectiv Erhabene iſt ein verſchwindendes
Moment in der Bewegung des Tragiſchen. Schillern folgte Wilhelm
Schlegel (Vorleſ. über dramat. Kunſt und Liter. 3. Vorleſ.), der zwar
auch eine höhere Ordnung erwähnt, die ſich im Gang der Begebenheiten
geheimnißvoll offenbare, dann aber ganz die Schiller’ſche Begriffs-
beſtimmung aufnimmt, wonach im Tragiſchen die ſittliche Freiheit ſich
im Widerſtreit mit den ſinnlichen Trieben bewährt. Was nun die Triebe
feindlich berührt, nannte man als Ausfluß des unvermeidlichen Natur-
geſetzes Nothwendigkeit und ſchlug ſich ſo mit den Begriffen der Freiheit
und Nothwendigkeit im Trüben umher, bis Solger Licht brachte. Vergl.
die Schrift des Verf. über das Erhabene und Komiſche S. 87 — 89
und Solgers Kritik von W. Schlegels ebengenannten Vorleſ. Nachgel.
Werke B. 2.
18*
[276]
Das abſolut Erhabene, das uns aus der dialektiſchen Auflöſung
des ſubjectiv Erhabenen entſteht, wird nun ſogleich als eine Bewegung,
als ein Act aufgefaßt werden. Anders verfährt Bohtz (Ueber das
Komiſche und die Komödie. Ein Beitrag zur Philoſophie des Schönen
S. 17 ff). Er führt als das abſolut Erhabene den Gott ein und
als deſſen Thätigkeit läßt er erſt das Tragiſche folgen. Er meint den
griechiſchen Gott in ſeiner ungetrübten Seligkeit. Allein wie darf zwiſchen
die Unterſuchung der reinen allgemeinen Begriffe ſogleich eine beſtimmte
Geſtalt eines beſtimmten Ideals eingeführt werden? Man könnte ſagen,
nicht der griechiſche Gott, wohl aber der chriſtliche Gott müſſe hier
ſtehen und das Tragiſche als das Geſetz ſeiner Lenkung des Irdiſchen
folgen. Allein auch der chriſtliche Gott iſt das Werk der Phantaſie auf
einer beſtimmten Stufe des Ideals und gehört daher gar nicht in dieſen
Theil der Aeſthetik. Denn dieſer Theil hat es blos mit der Idee zu
thun, wiefern ſie in Individuen wirkt, welche der Gegenſtand
einer möglichen Erfahrung ſind. Die reine Philoſophie kennt
keine Idee, welche anders wirklich iſt, als in den Bedingungen des
begrenzten Lebens; Ideen, welche als anders exiſtirend vorgeſtellt werden,
nämlich als einzelnes und doch unbedingtes Seyn, kennt ſie blos als
Phänomene des Bewußtſeyns. Der Geiſt des Univerſums kann Gegen-
ſtand der Anſchauung nur ſeyn durch ſein Wirken, alſo in der Bewegung
der menſchlichen Dinge. Der ganze Kreis aber von neuen Gegenſtänden
der Aeſthetik, welche die Religion als Glaube an tranſcendente Weſen
der Kunſt in die Hände liefert, gehört nicht hieher, ſondern in die Lehre
von der Phantaſie. Wir werden in dem nun folgenden Abſchnitte das ab-
ſolut Erhabene auch Subject nennen, aber nicht im Sinne der Tran-
ſcendenz. Die allgemeine Begriffslehre des Schönen wird durch fremd-
artige dogmatiſche Beſtandtheile aus den Fugen getrieben, wenn man
Geſtaltungen des rein Allgemeinen, wie ſie durch die Religion gegeben
ſind, in ſie aufnimmt und es leuchtet hier bereits ein, von welch wich-
tiger Einwirkung die in §. 24 und 25 aufgeſtellten Sätze auf das
ganze Syſtem ſind. Gelegentlich mag hier eine Bemerkung über das
Verhalten der kritiſchen Bildung zum religiöſen Stoffe auch abgeſehen
vom äſthetiſchen Gebiete gemacht werden. Die Religion behauptet die
ewigen Wahrheiten als Perſonen und Thatſachen; ſie ſetzt ſie dadurch
in das Gebiet der einzelnen Erfahrung und ſie muß es ſich ſchlechter-
dings gefallen laſſen, wenn Jemand ſagt: ſo etwas, wie du behaupteſt,
müßte ich erſt geſehen haben, wenn ich es glauben ſoll, und dem Berichte
[277] Anderer, die es geſehen zu haben behaupten, kann ich nicht vertrauen; bis
dahin aber berufe ich mich auf die allgemeinen Geſetze aller Erfahrung.
Ebenſo nun ſagt billig der moderne Künſtler: was den bekannten Ge-
ſetzen aller Erfahrung widerſtreitet, ſtelle ich auch nicht dar; das wahr-
haft Ideale aber widerſtreitet ihnen nicht.
c.
Das Erhabene des Subject-Objects oder das Tragiſche.
§. 117.
In die höhere Form des Erhabenen iſt die Aufhebung der niedrigeren in1
dem doppelten Sinne, daß dieſe als ſelbſtändige Form verneint, was aber
Wahres in ihr liegt, in die höhere Form als ein zum Mittel ihrer Thätig-
keit herabgeſetztes Moment aufgenommen iſt. Darum hört aber die aufgehobene
Form nicht auf, auch neben der höheren fortzubeſtehen, vielmehr dient ſie dieſer
außer dem durch ihre eigene Sphäre ihr gegebenen Stoff als Sollicitation und
Gegenſtand. Ueber dieſes Verhältniß herrſcht das Geſetz des ſtets eindringenden2
und der Aufhebung beſtimmten Zufalls, das für das ganze Schöne gilt (vergl.
§. 31 ff). Zudem iſt das Erhabene überhaupt zwar eine Gährung im Schönen,3
aber auch dieſes verſchwindet nicht durch den Uebergang in jenes, ſondern be-
ſteht neben ihm und vermehrt die Verkettung in’s Unendliche. So entſteht ein
unberechenbarer Complex unendlichen Wechſelwirkens und Uebergehens.
1. Es iſt nun vor Allem nöthig, die ſämmtlichen bis jetzt da ge-
weſenen Formen zuſammenzufaſſen, um die ganze Maſſe vor uns zu
bringen, in welcher als ſeinem Stoffe das tragiſche Schickſal herrſcht.
Zunächſt mußte daher ausdrücklich ausgeſprochen werden, was zwar als
dialektiſches Geſetz bis hieher ſich in der That geltend machte: daß die
niedrigere Form, was Wahres an ihr iſt, in die höhere hinüberrettet,
aber zum Mittel herabgeſetzt. So wird das Erhabene der Kraft zur
Waffe der Leidenſchaft, ſo die Leidenſchaft zur Waffe des ſittlichen Willens.
Aber außerdem beſteht die niedrigere Form, wiewohl es an den Tag
gekommen iſt, daß ſie nicht die wahre iſt, fort und reizt die höhere zur
Thätigkeit, der ſie als Stoff dient. So kämpft die Leidenſchaft nicht
[278] nur mit der Leidenſchaft Anderer, ſondern auch mit Naturkräften, und
den Schrecken des räumlich und zeitlich Erhabenen. So kämpft der
gute Wille nicht nur mit dem beſchränkteren guten, ſondern auch mit
dem böſen, dem unſteten, dem leidenſchaftlichen und zugleich mit allem
dem, womit dieſer kämpft.
2. Ueber dieſe ſich breit wälzende Maſſe herrſcht der Zufall, der
aus dem Zugleichſeyn der Gattungen entſteht. Ich kann nicht wiſſen,
wann und wo eine Kraft Gelegenheit und Anſtoß findet, mit dieſer oder
jener Kraft, ein Subject, mit dieſer oder jener Form des Willens u. ſ. w.
zu kämpfen. Der Kampf ſelbſt hebt erſt den Zufall auf: die Kraft, der
Wille hat gekämpft und nun hat ſich dadurch ihr Weſen bewährt, es
iſt ein Fortſchritt gewonnen, ein Sinn in das Spiel des Zufalls
eingetreten, allein dies iſt noch ganz unbeſtimmt und abſtract, wir ſuchen
erſt die höhere Ordnung, die den Kampf ſelbſt durchdringt und be-
herrſcht.
3. Das Schöne iſt jetzt das Erhabene. Aber es beſteht dennoch
außer ihm auch als beſondere Geſtalt, welche freilich, da nun der geiſtige
Gehalt mit überwiegender Bedeutung in einer anderen Erſcheinung neben
ſie tritt, zur untergeordneten Form wird (vergl. §. 73, 1), und ſo
ſpielt es nun ebenfalls in dieſem unendlichen Complex eine Rolle. Z. B. im
Trauerſpiel, von dem zwar keineswegs allein hier die Rede iſt, treten
als betheiligte Geſtalten, um die erhabenen Charaktere in Bewegung zu
ſetzen, harmlos anmuthige Geſtalten auf, wie Rüdigers Tochter in den
Nibelungen, Max neben Wallenſtein, die Söhne Eduards, Margarete
und Klärchen in ihrer erſten Phaſe (denn nachher erheben ſie ſich zum
innern Kampfe). Sie ſind in dieſem Zuſammenhang gewöhnlich beſtimmt,
als Opfer zu fallen, ſie ſtehen wie „die Alpenblumen am Waſſerſturz“.
Auch eine ſchöne landſchaftliche Natur kann in dem erhabenen Charakter
vorbereitende Stimmungen hervorrufen.
§. 118.
Dieſer Complex ſtellt, nachdem ſich die letzte Form, welche als die höchſte
und wahrſte erſchien, aufgehoben hat, eine Maſſe ohne Geſetz und Einheit
dar. Allein dieſe Form hat ſich nicht ſchlechtweg aufgehoben, ſondern in ein
Erhabenes, das im guten Subject mehr als Subject iſt. Dieſes Erhabene ſtellte
ſich zugleich als ein Solches dar, welches in der Anreihung der Subjecte, die
[279] es durchdringt, über ſie hinausgreift und ſie als ein Gemeinſames zuſammen-
ſchließt, oder als ein Geſammtſubject. Dieſes iſt jedoch keine bloſe Sammlung
von Subjecten, ſondern dieſelbe wahre Unendlichkeit, welche in einem Subjecte
gegenwärtig, aber mit dem Widerſpruch der Einzelheit (§. 116) behaftet iſt,
wirkt auch in dem andern und ergänzt je die Mängel des einen durch die
Vollkommenheiten des andern. Es iſt aber ebendarum kein einzelnes Subject,
ſondern eine reine, thätige Einheit, welche als unendliche Wechſel-Ergänzung
der Subjecte ſich als allgemeine Subjectivität oder als abſolutes Subject ewig
erzeugt.
Während der Theiſt meinen wird, hier eben ſey die Nothwendigkeit
des Ueberganges zu dem Begriffe Gottes, der ein einzelnes Subject
und doch zugleich die allgemeine Subjectivität ſeyn ſoll, ſo iſt es vielmehr
umgekehrt gerade nur dieſe unendliche Entzündung der abſoluten Sub-
jectivität in der Säule der einzelnen Subjectivitäten, die uns entſteht.
Sobald Gott ein einzelnes Subject ſeyn ſoll, ſo iſt er auch mit dem
Widerſpruch der Einzelheit behaftet.
§. 119.
Wenn nun je in der höheren Form die niedrigere mitenthalten iſt, ſo iſt
dies abſolute Subject nicht nur die wahre Unendlichkeit in den guten Subjecten,
ſondern in allen, und da der gute Wille die untergeordneten Formen des Willens
beherrſcht, ſo iſt ſie das Waltende in der Welt der Subjecte, ebenſo aber auch
der innere Grund im objectiv Erhabenen und in den harmloſen Geſtalten des
Schönen, die in dieſen Kreis verwickelt ſind. Da nun aber die Subjectivität,
wie ſie ſich über dieſen objectiven Grund ihres Lebens auch erheben mag, nie
ſchlechtweg über ihn hinaus kann (vergl. §. 32. 49), ſo herrſcht die Unendlich-
keit zunächſt von unten herauf als ſtrenge objective Nothwendigkeit und der
Widerſpruch zwiſchen dieſem Satz und dem erſten, daß der gute Wille von oben
herab das Ganze beherrſche, bleibt vorerſt ſtehen. Aber ebenſoſehr iſt das
wahrhaft Unendliche abſolutes Subject in den Subjecten, wie ſie ſich über den
objectiven Lebensgrund erheben, oder in der Freiheit der Einzelnen die abſo-
lute Freiheit, und ſo bildet es aus dieſer eine zweite, geiſtige Objectivität;
denn die Freiheit, die ſich durch Wechſel-Ergänzung der Subjecte heraus-
arbeitet und das Zufällige der einzelnen Subjectivität abſtreift, wird eine Macht,
[280] wogegen die Freiheit des Einzelnen als ſolche verſchwindet: eine ſittliche
Nothwendigkeit.
Der Widerſpruch, der in dieſem §. zunächſt vorliegt, mußte zuerſt
in ſeiner Härte ausgeſprochen werden, ſonſt würde der ganzen weiteren
Entwicklung ein weſentliches Stück fehlen. Denn man vergegenwärtige
ſich zum voraus, wie im Tragiſchen das herrſchende Sittengeſetz ſich mit
einem Naturgeſetz geheimnißvoll durchdringt: das Vergehen iſt Schuld
und doch ſagen wir, daß der Schuldige mit dieſen Nerven, dieſem
Temperament u. ſ. w. nicht anders handeln konnte. Wir haben alſo
hier eine doppelte, widerſprechende Linie. Die abſteigende Linie ſtellt
eine Herrſchaft dar, die ſich vom guten Willen, wie er nun in das ab-
ſolute Subject aufgenommen erſcheint, auf alles Erhabene erſtreckt.
Denn Schritt für Schritt haben ſich die niedrigeren Formen in die höheren
aufgehoben, dieſe ſchicken ſich jene als ihre Baſis voraus. Die harmloſe
Schönheit war hier unter den beherrſchten Formen wieder zu nennen.
In der Lehre vom einfach Schönen nämlich war freilich vorneherein klar,
daß ſein Gehalt die abſolute Idee iſt. Jetzt aber tritt das Schöne als
eine beſondere Nebenform in das Erhabene ein und neben der Ueber-
macht der oberſten Formen des letzteren erſcheint es als hilfloſe, vom
ſtärkeren Willen bewältigte Geſtalt. Allein die Löſung iſt ſo leicht nicht,
wie ſie demnach ſcheint, denn die Freiheit des Subjects kann über ihren
Naturgrund nicht ſchlechtweg hinaus und ſo beſteht neben der abſteigen-
den Linie eine aufſteigende, eine Nachwirkung von unten nach oben fort:
das dunkle Naturgeſetz. Es liegen zwei Nothwendigkeiten vor, wir
ſollen finden, wie ſie ſich vereinigen und ſo erſt das tragiſche Geſetz auf-
ſuchen. Was die zweite, die ſittliche Form der Nothwendigkeit betrifft,
ſo kann ſich die Aeſthetik auf die Ethik berufen, welche den Uebergang
der Freiheit in die ſittliche Nothwendigkeit zu begründen hat. Dieſe Be-
gründung mag in Hegels Rechtsphiloſophie immer den Mangel haben,
daß die ſubjective Freiheit gegen die ſittliche Subſtanz zu kurz kommt:
wir brauchen uns darauf ſchon darum nicht einzulaſſen, weil in dem
Zuſammenhang der Aeſthetik nicht nur die feſte Staats-Ordnung gemeint
wird, wenn von der ſittlichen Nothwendigkeit die Rede iſt, ſondern auch
die Geſellſchaft, das Leben der Sitte, der gährende Staat, wo die
Subjectivität als berechtigtes Moment nicht fehlen kann. Zudem kann
das Folgende ſelbſt als ein Beitrag der Aeſthetik zur ethiſchen Wahrheit
dieſer Berechtigung der ſubjectiven Freiheit gelten.
[281]
§. 120.
Dieſe Nothwendigkeit als das Geſetz einer ſittlichen Welt breitet ſich in1
unterſchiedene Kreiſe des ſittlichen Lebens, die abſolute ſittliche Macht in be-
ſondere ſittliche Mächte aus (vergl. §. 20); denn ſie kann ſich keinen andern
Inhalt geben, als indem ſie die Naturtriebe mit der Freiheit des Geiſtes
durchdringt und der natürliche Unterſchied dieſer begründet daher in ihrer Um-
bildung ſelbſt den Unterſchied der ſittlichen Mächte oder Ideen. Dieſer Unter-2
ſchied geſtaltet ſich zum Gegenſatze, der Gegenſatz iſt aber in der abſoluten
Idee, welche nunmehr als abſolutes Subject gefaßt iſt, in harmoniſche Einheit
aufgehoben.
1. Die Welt der ſittlichen Mächte iſt in §. 20 vorausgeſetzt als
etwas, das die Aeſthetik nicht zu begründen hat. Auch hier wäre dies
nicht nöthig, wenn nicht dieſe ſittlichen Grundzwecke im Erhabenen mit
dem beſonderen Nachdruck einzuführen wären, daß in ihrem Unterſchiede
eine Quelle des ſittlichen Conflictes liegt, was in unſerer Entwicklung
ſofort hervortreten wird. Im Schönen iſt eine ruhige Einheit des Triebs
oder der Neigung mit einem ſittlichen Lebensmotive gegeben; der
ſittliche Charakter kann außer dem Kampfe auch als harmoniſches Bild
die Wirkung der Anmuth mit der Hohheit verbinden. Im Erhabenen
aber hat er zu kämpfen, daher erſcheint der Naturtrieb, auch wo er als
Pathos ſich poſitiv zu dem ſittlichen Streben verhält, in der Form eines
gewaltſam mit Fortgeriſſenen oder Unterworfenen; iſt er aber auch unter-
worfen, ſo treibt er doch als befeuernde Gewalt das an ſich berechtigte
Pathos über das Maß, das ihm durch ſeine Einordnung in die Ge-
ſammtheit der ſittlichen Zwecke vorgeſchrieben iſt, hinaus. Deswegen
wurde hier der Naturtrieb als Baſis der Unterſchiede in der ſittlichen Welt
ausdrücklich hervorgehoben. Solche Unterſchiede ſind z. B. Liebe, Familie,
Ehre, Staat, im Staat der Unterſchied der Stände, wie er auf der
Geburt ruht, der einzelnen Gewalten, wie dieſem ebenfalls geiſtig um-
gebildete Naturtriebe, Rache, Herrſchtrieb u. ſ. w. zu Grunde liegen,
der Krieg, wie er auf Gegenſatz der Volksabſtammung ruht u. ſ. w.
2. Was vorher abſolute Idee hieß (§. 10. 11), heißt jetzt abſolutes
Subject im Sinne der Entgegenſetzung des freien geiſtigen Mittelpunkts gegen
die objectiv bindende Gewalt der Naturnothwendigkeit, welche wir in
die ſittliche noch nicht aufgelöst haben. Im abſoluten Subjecte nun ſind
die ſittlichen Sphären in Einheit. An ſich collidirt der Staatszweck nicht
[282] mit dem Pietäts-Intereſſe der Familie, auf der er ruht u. ſ. w. Der
Unterſchied dieſer ſittlichen Mächte heißt Gegenſatz, wenn zwei oder
mehrere derſelben, zwiſchen denen an ſich Uebergangsformen ſtehen, un-
mittelbar aneinandergerückt ſich verhalten wie ein logiſcher Gegenſatz;
z. B. Familie und Staat: dort das Einzelne und die Empfindung, hier
das Allgemeine und der gedachte Zweck. Dieſer Gegenſatz deutet aller-
dings ſchon den Uebergang zu einem Conflict an; allein Gegenſatz iſt
doch noch ein ruhiges Verhältniß, das ſich auch der reinen Betrachtung
darſtellt, ſo lange nicht die Beſchränkung beſtimmter Verhältniſſe und
einzelner Subjectivität den Keim des Widerſpruchs im Gegenſatze aufreizt.
§. 121.
Die doppelte Form der Objectivität oder Nothwendigkeit (§. 119) ſoll
ſich zu Einem Ganzen vereinigen, und dieſe Vereinigung muß davon ausgehen,
daß beide Formen einander vorausſetzen, indem gerade die Wechſelwirkung zwi-
ſchen der bindenden Gewalt der einen und der frei übergreifenden der andern
das ſittliche Leben erzeugt; dies kann ſich aber nur in einer Bewegung, einem
2Prozeſſe darſtellen, welcher nun aufzuzeigen iſt. Durch die Auflöſung der Noth-
wendigkeit, die auf dem unmittelbaren Lebensgrunde beruht, und der ſittlichen
mit ihren beſondern Sphären in eine Einheit fügt ſich nun aber das Ganze
einer Nothwendigkeit zuſammen, welches eine unendliche Verkettung darſtellt
nicht mehr in dem maſſenhaften Sinne, wie in §. 118, ſondern in dem Sinne
einer von einem abſoluten Geſetze beherrſchten Ordnung. Dieſe Ordnung ver-
wirklicht ſich aber allerdings in dem Complexe ihrer Maſſe auf unüberſehliche
Weiſe, und iſt daher zwar als Prinzip klar, aber in der Vollführung der un-
endlichen Bewegung, in der ſie das Naturgeſetz mit dem ſittlichen verflicht und
an der Reihe des Zufalls hinlaufend, über unendliche Räume und Zeiten fort-
greifend Alles an Alles bindet, dem beſchränkten Ausblicke des Einzelnen,
obwohl ſie ſich in einer begrenzten Erſcheinung äſthetiſch darſtellt, wobei jene
Aufhebung des ſtörenden Zufalls im allgemeinen Sinne (§. 53) bereits voraus-
geſetzt iſt, nothwendig verborgen, alſo dunkel.
1. Die Gebundenheit der Naturbaſis und die ſittliche Nothwendig-
keit geht zu einer großen Einheit zuſammen, deren allgemeiner Grund
zunächſt wohl zu erkennen iſt. Erſtens nämlich iſt ja der Geiſt über-
haupt weſentlich Negation der Natur, alſo nicht ohne ſie, ſondern an
[283] ſie gebunden, mag nun dieſe Negation eine wirkliche Ueberwindung der
Naturgrenzen oder eine freie Anerkennung derſelben ſeyn, denn Negation
iſt in beiden Acten. Schon darum iſt der Naturgrund zugleich mit dem
ſittlichen Leben heilig und ehrwürdig. Ich ſoll z. B. meine Eltern
ehren nicht nur weil ſie mich erzogen haben, ſondern weil in meiner
Natur-Abſtammung von ihnen der geheimnißvolle Schooß meiner Kräfte
und Eigenheit liegt, worauf mein ſittliches Wollen als ſeiner Baſis ruht.
Zweitens das auf dieſem Grunde ſich verwirklichende ſittliche Leben ſtößt in
unberechenbaren Zufällen wieder mit der Natur-Nothwendigkeit außer
ihm zuſammen; dieſe iſt Reiz, Quelle, Stoff der Thätigkeit, unendliche
Sollicitation und auch darum iſt ſie mit jenem heilig. Der Wille kann
und ſoll gegen ſie kämpfen, aber ihre Geſetze nicht verachten und es iſt
daher tragiſche Vermeſſenheit, wenn Xerxes den Helleſpont geiſelt. Allein
die Verwirklichung der Einheit dieſer zwei großen Geſetze kann ſich nur
in dem Prozeſſe einer Bewegung darſtellen, worin ihre Colliſion und
die daraus erwachſende Schuld ſich erzeugt und aufhebt.
2. Das Ganze der Nothwendigkeit muß natürlich dem äſthetiſchen
Geſetze gemäß als begrenzter Fall in einem Volke, einer Sphäre der
Geſellſchaft erſcheinen. Der Ausſchnitt des Ganzen repräſentirt das
Ganze, die Völker, die Gattung und dieſe in ihrem Geſammtverhältniß
zu allem Seyn. Es bleibt bei dem, was in §. 53 aufgeſtellt iſt, daß
der ſtörende Zufall, der abgeſehen vom Schönen ſich nur im unendlichen
Verlaufe aufhebt, im Schönen aufgehoben auf Einem Punkte erſcheinen
muß. Nun iſt zwar die abſolute Idee in jeder äſthetiſchen Erſcheinung,
alſo auch einer einfach ſchönen, der Hintergrund, auf den die Anſchauung
durch die dargeſtellte beſtimmte Idee hindurchſieht; aber ſie iſt es im
Tragiſchen auf andere Weiſe, als im einfach Schönen. Das Einzelne
verſchwindet in ſie, auf welche Weiſe wird ſich weiter zeigen. Wenn
daher eine unendliche Perſpektive zum Weſen aller Schönheit gehört, ſo
muß in dieſer Form der Schönheit der ganze Nachdruck auf dieſer
Unendlichkeit als einem unabſehlichen Dunkel und Abgrund liegen, aus
welchem Alles kommt und der Alles in ſich zurückſchlingt. Die Perſpec-
tive iſt negativ, daher liegt der Accent auf dem Dunkel. Das Prinzip
dieſer unabſehlichen Ordnung iſt klar und hell, aber ſie vollführt ſich in
unendlich unberechenbarer Wechſelverflechtung, und dies macht, daß die
Grenzen verſchwimmen, daß die Umriſſe wie in einem Helldunkel ver-
zittern, in welches unbeſtimmbar weit ein Licht hineindämmert. Wir
haben auch hier die „grenzloſe Grenze“ von §. 84. Das abſolute
[284] Subject iſt das alles Seyn und alle Subjecte ebenſo Setzende wie Auf-
hebende und kommt als ſolches im Tragiſchen ausdrücklich zur Dar-
ſtellung. Im wirklichen Leben, ſofern es nicht durch zufälliges Aus-
bleiben des ſtörenden Zufalls oder etwas Anderes, das wir noch nicht
kennen, zu einer reinen äſthetiſchen Erſcheinung befreit iſt, collidiren
zwei ſittliche Mächte, z. B. Freiheit und Geſetz. Nun bleibt aber für
eine Schuld, die auf Einer Seite begangen iſt, die Strafe aus, es tritt
nichts ein, es geſchieht nichts, woraus das Geſetz einer höheren, ab-
wägenden Gerechtigkeit hervorleuchtete; wir müſſen uns damit vertröſten,
daß es anderswo und ein andermal gerechter hergehen werde. Dies iſt
unäſthetiſches Dunkel, ſolches Dunkel iſt abgewieſen durch §. 53, von
ſolchem iſt alſo im §. nicht die Rede. Dagegen halte man ein Drama,
das abwägende Gerechtigkeit in dem einzelnen, beſtimmten Falle, den
es vorführt, zur Erſcheinung bringt. Hier iſt Klarheit, allein ich ſehe
zugleich in ein Weltgeſetz hinaus, das in unberechenbarer Weiſe eine
alte Schuld beſtraft, eine verborgene Tugend an’s Licht führt, das in
ſeinen Erfolgen deutlich, in ſeinen einzelnen Combinationen und Zufalls-
verflechtungen dunkel waltet. Dort kommt das Walten gar nicht zur
Erſcheinung, nur innerlich glaube ich daran; hier iſt das Walten gewiß,
aber wie das Geſetz der höchſten Gerechtigkeit waltet, kann man nie
vorherwiſſen, ein Abgrund angedeuteter Verſchlingungen thut ſich hinter
dem klar Vorliegenden auf: dies iſt das äſthetiſche Dunkel des Tragi-
ſchen. Das Schöne hat dieſen Abgrund überall, aber im einfach Schö-
nen wird man nicht fortgeriſſen, in ſeine dunkeln Tiefen zu ſehen. Es
iſt ein Unterſchied wie zwiſchen dem aufgewühlten und dem ruhigen Meer.
§. 122.
Um nun jene Bewegung zu begreifen, iſt zuerſt feſtzuhalten, daß die
Erhabenheit des Subjects nicht ſchlechtweg zu Grunde gegangen, ſondern ein
aufgehobenes Moment iſt. Als ſolches tritt es wieder auf, ſo nämlich, daß
das Verhältniß ſich umgedreht hat. Vorher ſchien das erhabene Subject ſich
über ſich ſelbſt zu erweitern und blieb doch Subject. Jetzt iſt die Erhabenheit
auf diejenige Seite getreten, wohin das Subject ſich erweitert, und dieſes er-
ſcheint als eine Beſchränkung, welche das höchſt Erhabene ſich ſelber gibt und
wieder aufhebt. Das Subject tritt hervor auf dieſem Hintergrunde und dieſer
iſt vor ihm da, es kommt aus ihm. Seine Erhabenheit iſt daher zwar die
ſeinige, der Hintergrund iſt in ihm ſelbſt, es iſt frei, aber ebenſoſehr geht der
[285] Hintergrund unendlich über es hinaus, es hat ſeine Erhabenheit von ihm em-
pfangen und ſo auch ſein Pathos, welches Wort jetzt in objectiver Bedeutung
(vergl. §. 110) gilt. Dieſer Widerſpruch ruht zunächſt unentfaltet, das Sub-
ject iſt ſich mit allem Eigenthum ſeiner Erhabenheit dem Hintergrunde ſchuldig.
Dies iſt noch unwirkliche Schuld, Urſchuld.
Das abſolute Ganze, das jetzt zum Subjecte der Erhabenheit wird
und das vorher allein erhabene Subject aus ſeinem Schooße entſendet,
um es in ihn zurückzunehmen, heißt hier Hintergrund, um anzuzeigen,
daß das Negative in dieſem Verhältniß noch verhüllt und ſchlummernd
nur wie ein Element, eine allgemeine Atmoſphäre, worin der ſub-
jective Wille ſcheinbar ganz frei ſich ergehen kann, dieſen umgibt.
Dieſer Hintergrund iſt aber zuerſt da. Was darunter verſtanden iſt,
kann am Beiſpiel der Tragödie klar gemacht werden, welche in der
Expoſition bereits den ganzen Boden, auf dem der Held auftritt, als
einen vom Keime der unendlichen, übermächtigen Verwicklung ſchwange-
ren hinſtellt. Der Zuſchauer weiß, daß der Held auf unterhöhltem
Grunde wandelt; dieſer ſelbſt freut ſich noch der Freiheit als ſeines
Eigenthums. Er iſt aber bereits ſchuldig, zunächſt nur in dem Sinne
der Verpflichtung. Er wird und ſoll es zu fühlen bekommen, daß ſeine
Größe aus dem Ganzen geliehen iſt. Mag er auch bereit ſeyn, es
anzuerkennen; es kann nicht fehlen, daß er es auch thatſächlich erfahren
muß. Dies nennen wir die noch unwirkliche Urſchuld. — Der Begriff
des Pathos hat jetzt objective Bedeutung wie bei Hegel.
§. 123.
Das Subject iſt thätig, es handelt. Indem es handelt, objectivirt es1
ſeine Freiheit und greift dadurch in den Complex der allgemeinen Objectivität
oder Nothwendigkeit hinein. Die Handlung iſt aber unvermeidlich mit der Ein-
zelheit behaftet, welche den ſubjectiven Willen begrenzt; ſie trennt daher das
Zuſammengehörige und verletzt die abſolute Einheit der objectiven Verkettung.
Getrennt wird entweder die erſte Form der Nothwendigkeit von der zweiten
(§. 119), ſo daß nach dem Geſetze der einen gehandelt und die andere verletzt
wird, oder eine ſittliche Sphäre von der andern (§. 120) mit derſelben Folge,
wodurch ihr Gegenſatz Widerſpruch wird. Allein beide Fälle kommen auf
daſſelbe hinaus, denn eben jetzt erweist ſich die §. 121, 1 behauptete Einheit
beider Hauptformen dadurch, daß es nirgends eine Stelle gibt, wo nicht der
[286] dunkle Lebensgrund in einen ſittlichen Zuſammenhang aufgenommen wäre, wo-
durch er zur Pflicht wird, welche mit andern Pflichten im Einklang ſeyn ſoll.
Die verletzende Trennung nun iſt wirkliche Schuld. Die Schuld iſt ein
Werk der Freiheit, aber der Freiheit, welche nicht anders handeln kann, weil
ſie nur die Freiheit des einzelnen Subjectes iſt. Sie iſt daher nichts anders als
2Verwirklichung der Urſchuld und in dieſem Sinne ebenſoſehr Unſchuld. Nur um ſo
mehr aber leuchtet ein, daß das Subject, indem es in ſeinem Handeln ſeine Größe
entwickelt, ebendadurch ſeine gegen das Ganze verſchwindende unendliche Kleinheit
entfaltet, und dieſe widerſprechende Bewegung kann eine ironiſche genannt werden.
1. Die eigentliche Schuld liegt alſo in dem Weſen der Verein-
zelung, oder darin, daß von den Elementen, welche der große Complex
der Nothwendigkeit in ſich zuſammengreift, das eine oder das andere
herausgeſetzt, iſolirt wird. Dieſe Elemente ſind zunächſt die Noth-
wendigkeit des bindenden Lebensgrundes und die ſittliche. Die erſtere
wird verletzt, wenn ich in Verfolgung eines ſittlichen Zweckes z. B. die
Thierwelt mißhandle, die Familie nicht ehre, die zweite im um-
gekehrten Falle. Die Elemente des ſittlichen Ganzen ſind ferner die
einzelnen Sphären in der zweiten, der ſittlichen Form der Nothwendig-
keit. Die Vereinzelung liegt hier theils darin, daß das Subject nur
Ein Lebenspathos in ſich aufnehmen kann, daß es alſo handelnd andere,
in der Harmonie des Ganzen ebenfalls berechtigte verletzt, theils darin,
daß es auch abgeſehen von dieſer Einſeitigkeit des Pathos den Umfang,
den dieſes innerhalb ſeiner ſelbſt hat, nicht auf einmal, durch Eine
Handlung, ja nicht einmal durch die Reihe von Handlungen, die ein
Menſchenleben umſpannen kann, zu verwirklichen vermag, indem ſelbſt
die edelſte einzelne Handlung durch die Beimiſchung deſſen, was im Sub-
jecte vom ſittlichen Willen immer undurchdrungen zurückbleibt, ihre reine
Abſicht trübt. Allein beide Arten von Verletzung, die der einen Haupt-
form der Nothwendigkeit durch einſeitige Verfolgung der andern, ſowie
die der einen Sphäre der ſittlichen Nothwendigkeit durch die vereinzelnde
Vollführung der andern, kommen ganz auf daſſelbe hinaus. Auf der
einen Seite nämlich iſt nichts im Naturgrund, was nicht ſittliche Be-
deutung hätte, denn die ganze Welt der ſittlichen Nothwendigkeit ruht
auf Naturgeſetzen, welche in ihrer Umbildung zugleich als heilig aner-
kannt ſind. Um kein allzubequemes Beiſpiel zu wählen, um alſo z. B.
nicht an die Pflicht der Pietät und den mütterlichen Buſen zu erinnern,
den Klytemneſtra dem Oreſtes entgegenhält, erinnern wir nur an die
[287] Prinzeſſinn im Mährchen, die alle Fröſche tödten läßt. Sie folgt dem
Geſetze der Abneigung, das in Temperament u. ſ. w. wurzelt, was
vernünftig ausgebildet auch ſein Recht hat, und ſie verletzt das Natur-
geſetz, das Fröſche hervorbringt wie Menſchen mit dieſen oder jenen
Abneigungen. Auf der andern Seite gibt es, was ebenhiemit bereits
ausgeſprochen iſt, kein ſittliches Geſetz, das nicht ſeine dunkle Wurzel
in der Natur hätte. So oft ich nun ein ſolches verletze, ſo verletze ich
den heiligen Schooß der Natur, indem ich einem der Zweige, die er
in’s Licht treibt, vor dem andern Vorrecht gebe. Ich thue dies aber,
weil ich ſelbſt mit Natur behaftet bin, ich gebe alſo meinem Naturgrund
einſeitig Recht gegen denſelben Naturgrund, der jetzt für einen andern
ſeiner zur Pflicht erhobenen Triebe Recht verlangt. Man ſieht deutlich,
wie ſich nun die §. 121, 1 ausgeſprochene Einheit beider Hauptformen der
Nothwendigkeit bereits auf concrete Weiſe offenbart. Ich kann aber dieſer
Verletzung nicht entgehen, denn da ich den Naturgrund zu individueller
Form gebildet ſelbſt in mir trage, ſo bringe ich eine Seite deſſelben
immer zu meiner Handlung mit und verletze die andere, auch berechtigte.
Die tragiſche Handlung muß daher immer ſo beſchaffen ſeyn, daß man
ſieht: der Held hat gefehlt und er konnte doch nicht anders handeln.
Romeo z. B. fehlt, indem er bei der erſten Nachricht von Juliens Tod
ſogleich an Selbſtmord denkt, ſich nicht in Verona erſt unterrichtet;
allein hätte er die dazu nöthige Ruhe, ſo wäre er nicht Romeo, nicht
dieſe Feuer-Natur, welche der Dichter zum Repräſentanten der glühenden
Jugendliebe brauchte, die Tragödie wäre aufgehoben (vergl. Tiecks
Dramaturg. Bl. B. 1, S. 259 ff.). Othello läßt ſich von Jago täuſchen,
er ſtellt nirgends eine ruhige Unterſuchung an; hätte er aber die nöthige
Kälte dazu, ſo wäre er nicht der aus anfangs gefaßter Manneskraft
hervorbrechende Vulkan, den die Tragödie fordert. Göthe ſagt: „der
Handelnde iſt immer gewiſſenlos; es hat Niemand Gewiſſen, als der
Betrachtende.“ Dieſes Wort iſt wahr, wird aber darum keine Natur,
die zum Handeln beſtimmt iſt, von der Handlung abhalten. Dieſe
Gewiſſenloſigkeit ſoll und muß ſeyn. Der Held erſchrickt daher vor der
Schuld nicht: „man könnte ihm nichts Schlimmeres nachſagen, als daß
er unſchuldig gehandelt habe. Es iſt die Ehre großer Charaktere, ſchul-
dig zu ſeyn.“ (Hegel Aeſth. B. 3. S. 553). Da nun die ganze geſchil-
derte Einſeitigkeit und Vereinzelung der Handlung, worin die Schuld
liegt, ihren letzten Grund in der Einzelheit des Subjects und der
ganzen damit gegebenen Beſtimmtheit ſeines Temperaments u. ſ. w. hat,
[288] ſo iſt alſo die Schuld nur unvermeidliche Verwirklichung der Urſchuld
und daher zugleich Unſchuld. „Die tragiſchen Heroen ſind ebenſo ſchul-
dig als unſchuldig, — ſie handeln aus dieſem Charakter, dieſem Pathos,
weil ſie gerade dieſer Charakter, dieſes Pathos ſind“ (Hegel a. a. O.
S. 552). Es wird auch darum dem Tragiſchen alle univerſale Be-
deutung, aller Geiſt genommen, wenn man mit Schiller (Ueber die
trag. Kunſt) behauptet, unſer Antheil werde geſchwächt, wenn der Un-
glückliche aus eigener Schuld ſich in’s Verderben ſtürze; unſerer Theil-
nahme an dem unglücklichen Lear ſchade es nicht wenig, daß dieſer
kindiſche Alte ſeine Krone ſo leichtſinnig hingegeben habe u. ſ. w. Das
Unglück müſſe durch den Zwang der äußern Umſtände herbeigeführt
werden, dann ſey das Mitleid reiner und werde durch keine Vorſtel-
lung moraliſcher Zweckwidrigkeit geſchwächt. Gegen dieſe ganze, von
W. Schlegel adoptirte Anſicht ſagt Solger einfach und treffend, daß
nach der tragiſchen Anſicht vielmehr gerade in unſerer Stärke unſere
Schwäche beſtehe. (Kritik von W. Schlegels Vorleſ. über Geſch. d.
dramat. Kunſt und Lit. Nachgel. Werke B. 2, S. 517).
2. Ebenhiemit iſt bereits das Ironiſche in der tragiſchen Bewe-
gung ausgeſprochen. Der Sinn, in welchem Solger den Begriff der
Ironie auf das Tragiſche anwendet, wird aufgenommen werden, wenn
erſt das Ganze dieſer Bewegung entwickelt ſeyn wird, wovon jetzt erſt
ein Moment hervorgetreten iſt. Aber auch dies Moment kann allerdings
bereits ironiſch genannt werden. Ich rede ironiſch, wenn ich ſcheinbar
lobe, um vielmehr zu tadeln. Indem ich Zug für Zug von rühmlichen
Eigenſchaften an einem Gegenſtande hervorhebe, die dieſer vielmehr nicht
hat, ſo wird mit jedem Schritte das Gegentheil klarer. Die ſich ſelbſt
widerſprechende Bewegung, die in dieſer Redeform ſubjectiv vorgenom-
men wird, liegt objectiv in der Entfaltung des tragiſchen Subjects, das
weiter und weiter ſich auszubreiten ſcheint, aber in demſelben Grade
ſich verengert, in der Vereinzelung ſeiner Handlung ſchuldig wird und
ſo gegen das abſolute Ganze verſchwindet.
§. 124.
Die Verletzung gibt ſich dem Subjecte ſelbſt zu erfahren, indem ſie den
Hintergrund aufregt, daß er ſich als abſolutes Ganzes in Bewegung ſetzt, wo-
durch die vereinzelnde, einen Bruchtheil des Ganzen herausſetzende Handlung
in eine unabſehliche Folgenkette hineingezogen wird, ſo daß das Subject nicht
[289] mehr die ſeine darin erkennt, während es doch trotz der Einſicht in dieſe Ent-
reißung des Gewollten ſie als die ſeinige fortbehaupten und dafür einſtehen muß.
Dieſe Folgen ſind aber in ihrer objectiven Reihe weſentlich zugleich Gegenſchlag2
des verletzten Ganzen gegen den Verletzenden: eine Saat des Uebels, die ihm
Leiden trägt. Das Leiden aber, wie wenig oder viel deſſen ſeyn mag, iſt
unendlich und ſteht daher in einem Mißverhältniſſe zur wirklichen Schuld, aber
nicht zur Urſchuld, denn wie jene aus dieſer fließt, ſo reizt ſie auch im Com-
plexe des Ganzen das unendliche, durch die Geſammtſchuld aller Einzelnen, in
welcher die einzelne wirkliche Schuld nicht mehr zu unterſcheiden iſt, aufgehäufte
Uebel gegen den Thäter auf. Auch dieſe Bewegung, in welcher das Subject
ein Gut zu ſchaffen ſtrebt und ein Uebel ſchafft, iſt ironiſch zu nennen. Dieſe
Ironie verſtärkt ſich, wenn der Bedrohte das Uebel vorausſieht und gerade durch
die Mittel, durch die er es zu vermeiden ſtrebt, hineinſtürzt.
1. „Ein anderes Antlitz, eh ſie geſchehen, ein anderes zeigt die voll-
brachte That“ —: nicht nur dem Brudermörder, ſondern auch dem,
der Großes und Gutes durch energiſche That vollbringen will. Sie
weckt ein unendliches Echo, hallt unabſehlich weiter, der Gegenſchlag des
getrennten Ganzen erfolgt. Der Held muß für ſie einſtehen, er hat
den Zweck gewollt, er muß Alles auf ſich nehmen, was ſich daran
hängt, und er weigert ſich nicht, denn er ſelbſt iſt ganz und unge-
brochen, eine feſte Geſtalt der Freiheit. Selbſt Buttler ſagt: „ich
wußte immer, was ich that, und ſo erſchreckt und überraſcht mich kein
Erfolg.“
2. Das Maß des Leidens, das der aufgereizte objective Complex
in ſeiner Reaction über das Subject verhängt, iſt hier in ſeinem äuße-
ren Umfang unbeſtimmt gelaſſen, es iſt aber in ſeiner inneren Wirkung
immer unendlich, denn es iſt ein geiſtiger Schmerz über die Verkehrung
des ſittlichen Zweckes, der dem Subject ein abſoluter war. Lear z. B.
irrt ohne Obdach im Gewitter, aber dies wäre noch geringes Leiden,
die Tiefe ſeines Schmerzes iſt, daß gerade die Liebe, auf die er Alles
ſetzte, ihn ſo ungeheuer täuſchte. Allerdings iſt aber auch gewöhnlich
das äußere Maß, wie eben in derſelben Tragödie die Mißhandlung des
Greiſes, ein unverhältnißmäßiges. Lear ſagt: ich bin ein Mann, an
dem man mehr geſündigt, als er ſündigte. Dies Mißverhältniß ſcheint
ungerecht, aber die Schuld iſt nur Verwirklichung der Urſchuld, daher
ſo allgemein als dieſe, und wie die allgemeine Urſchuld auf allen Punk-
Viſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 19
[290]ten immer und ununterſcheidbar auch in wirkliche Schuld übergeht, ſo
iſt auch jederzeit eine Totalſumme des Uebels aufgehäuft, welche hervor-
bricht, wo eine wirkliche Schuld ſie aufſtört. Lears Töchter ſind ver-
dorben, wie Gloſters Sohn; man erkennt einen morſchen Staat im
Zuſtande der böſen Wildheit. In dieſes alte Uebel greift Lear hinein,
ſeine Schuld iſt nur ein Wahn, aber ſelbſt ſchon ein Theil und Ausfluß
der Verderbniß in einer Umgebung, wo ſchöne Worte für Wahrheit
wiegen, und ſo zieht er ſich das ganze Gewebe der Schwärze, das er
an einem Faden ergriffen, über das Haupt. Indem ſo der tragiſche
Held durch das Ganze leidet, wird er ein Zeichen, aufgeſteckt, daß man
das Menſchenſchickſal daran ſehe, ein Typus, ein Symbol deſſen, wie
es um’s Geſchlecht ſteht. Er iſt von den Göttern geheiligt, wie Oedi-
pus. Alle natürlichen Völker haben eine heilige Scheue vor dem, den
der Gott gezeichnet. — Uebrigens liegt in dieſem Uebergang der Schuld
in’s Leiden die andere Seite der ſchon im vorhergehenden §. als ironiſch
bezeichneten Bewegung. Das tragiſche Subjekt will ſeinen Zweck zugleich
als Genuß, d. h. als Gut; nicht als individuellen und ſinnlichen, ſon-
dern als geiſtigen und allgemeinen Genuß, denn ſein eigenes Glück will
es gerne opfern; das Glück, das aus dem Guten fließt, ſoll auch ſein
Glück ſeyn. Es trennt nicht, es will, daß das Gute herrſche, es hält
ſeinen Zweck für gut und ſo will es in ſeiner Durchführung mitherr-
ſchen. Aber der Dank iſt Verfolgung, eigenes Leiden und das Leiden
der Menſchheit, in welcher das Entgegengeſetzte von dem herrſcht, was
für gut erkannt iſt, dazu. In dieſer ironiſchen Bewegung tritt häufig
das Moment der Plötzlichkeit (vergl. §. 86) in ſeiner eigentlichen
Bedeutung ein. Man ſieht es kommen, aber das Subject ſteigt auf
die Spitze ſeines Glücks, ſeines Selbſtgenußes, um dann plötzlich zu
ſtürzen. So erſcheint Sigfried nie glänzender und heiterer, als auf der
Jagd vor ſeinem Tode, Geßler fällt auf der Höhe ſeines Uebermuths,
Wallenſtein ſpricht Worte des glücklichſten Selbſtvertrauens zu Gordon
in Eger, wo er fallen ſoll. Doch kann das Unglück auch ſchrittweiſe
hereinbrechen, wie bei Lear. Wie der erſtere Fall beſonders in der
Tragödie wirkt, gehört in die Kunſtlehre vom Drama. Dieſen Theil der
ironiſchen Bewegung nennt Ariſtoteles die Peripetie (Poet. 11); Peri-
petie iſt nicht Glückswechſel überhaupt, ſondern ein ironiſches Umſchlagen
des Glücks in das Gegentheil des Erwarteten und Erſtrebten. Die
Ironie der Umdrehung erſtrebten Glücks in Unglück verdoppelt ſich, wenn
die Sache ſich ſo verhält, daß neben dem Streben nach Größe und
[291] Glück die Anſtalten hergehen, ein gedrohtes Unglück zu vermeiden und
gerade dieſe Anſtalten das Gegentheil ihres Zwecks bewirken. Dieſer
Fall iſt weniger rein bei Oedipus, weil hier das gedrohte Uebel ohne
allen Zuſammenhang mit einer früheren eigenen Schuld irrationell ge-
weiſſagt iſt, wovon bei der Darſtellung des claſſiſchen Ideals die Rede
ſeyn muß. Hingegen Ludwig XVI ſtürzt gerade durch die Ahnung und
verſuchte Abwehr eines Unglücks, die jedoch ſelbſt geahnte Schuld iſt,
in’s Unglück. Ihn verfolgt von Anfang der Revolution die Beſorgniß,
er möchte wie Carl I von England durch die Anklage, daß er das Blut
ſeines Volks vergoſſen, untergehen. Nun iſt aber dieſe Ahnung ſelbſt
eine Schuld: ſie iſt ſchon Gefühl ſeiner Schwäche; er weiß, daß er
nicht den Muth hat, das Blut einiger Elenden zur rechten Zeit zu
vergießen, er vergießt dadurch wirklich das Blut unzählicher Getreuer.
Er ahnt, daß das Gefürchtete durch ſeine Paſſivität zur Unzeit geſchehen
wird. Er ahnt richtig und mit der Ahnung, welche das Gefürchtete
ſtets zu vermeiden ſucht, wächst ſeine Schuld. Endlich ohne ſeinen Be-
fehl fließt Volksblut bei der Erſtürmung der Tuilerien, während er eine
halbe Stunde vorher durch den Entſchluß, es zu vergießen, ſich gerettet
hätte, und das lang Befürchtete ſteht vor ihm.
§. 125.
Das Leiden kann, obwohl innerlich unendlich, äußerlich ein Ende nehmen
und dem Subject Raum laſſen, ſein Werk zu vollenden. Allein ſchon in dieſem
Falle tritt der Inhalt von §. 112 wieder in Geltung. In §. 112 wurde,
noch innerhalb der Sphäre des ſubjectiv Erhabenen, die Ausdauer im Leiden
aus der Anerkennung der Quelle des Leidens als einer guten erklärt. Nun
aber iſt dieſe Quelle nicht nur als gut überhaupt, ſondern als das abſolut Gute
des im großen Ganzen ſich durchführenden Zwecks objectiv begriffen. Indem
nun das Subject ſein Leiden in dieſem Zuſammenhange und ebendaher als Folge
ſeiner Schuld erkennt, ſo reinigt es ſich und ſein Werk und führt dieſes nun
nicht mehr nach ſeinem eigenen Sinne, ſondern im Sinne des abſoluten Ganzen,
als Werkzeug deſſelben, durch.
Wir werden alsbald auf dieſe Form zurückkommen, wo das unbe-
ſtimmte „kann“ einem ſchärferen Begriffe weichen wird. Als Beiſpiel
mag man ſich große Acte der Völkerbefreiung und die Helden an der
Spitze derſelben vorſtellen, wie die Perſerkriege und die deutſchen Be-
19*
[292]freiungskriege. In den letzteren beſonders wurden die großen Opfer als
Buße für eine langgehäufte Schuld der Willenloſigkeit der Nation ge-
fühlt, in beiden wurde der Sieg als ein Schickſalsgeſetz erkannt: dort
wußten ſich die Griechen als Vormauer gegen den Einbruch orientali-
ſcher Barbarei, hier die Deutſchen als berufen, deutſches Weſen und
Charakter in der Geſchichte aufrecht zu halten.
§. 126.
Das Leiden kann aber auch bis zu dem Untergange des Subjects und
ſeines Werks ſich fortſetzen, und nun iſt der Hintergrund (§. 122) ganz zum
Vordergrunde geworden. Allein das Werk iſt hiemit nicht ſchlechtweg aufge-
hoben, die objective Folgenreihe überdauert das Subject und muß ſich dem
wahren Begriffe des Ganzen als einer ſittlichen Einheit gemäß in dieſem Fort-
gange von der durch das Subject ihm gegebenen Vereinzelung reinigen. Eignet
2ſich nunmehr auch das Subject im Untergange das Bewußtſeyn dieſer reinigenden
Fortdauer und der Gerechtigkeit ſeines Leidens an, ſo iſt ebenhiemit volle Ver-
ſöhnung eingetreten und das Subject ſelbſt iſt in dieſe Verewigung als ſich
überlebende verklärte Geſtalt aufgenommen: ſonſt würde ſich das Ganze, das
3doch nur durch Subjecte wirkt, ſelbſt aufheben. Dieſer Schluß iſt nicht mehr,
wie Solger meint, Ironie zu nennen, denn das abſolute Subject wirkt in
der Negation durchaus poſitiv.
1. Die Idee wirkt über das Subject und die Form, die es ihr
gegeben, hinaus und in dieſem Fortwirken reinigt ſie ſich von der Ver-
einzelung dieſer Form. Eine berechtigte Revolution kann mit ihren
Helden ſcheitern, aber ſie überlebt ihren Untergang, ſie wirkt unſichtbar
fort und bricht wieder hervor. So iſt die franzöſiſche Revolution in
Entſtellung untergegangen, aber ſie iſt nicht zu Ende. In einem äſthe-
tiſchen Ganzen muß eben dies Ueberleben des empiriſchen Endes zur
Anſchauung kommen, der künftige reinere Sieg zur deutlichen Ausſicht
werden. Gerade die Fixirung durch den erſten Sieg iſt häufig das
größte Uebel, das einem idealen Unternehmen zuſtoſſen kann. Die Deutſch-
Katholiken werden zu einer beſchränkten Sekte herabſinken, ſobald ſie ſich
vom Staate verführen laſſen, ſich zu einer ſchiefen Einheit des dogma-
tiſchen Bekenntniſſes zuſammenzufaſſen und als Kirche zu conſtituiren.
Sie ſollen als flüſſiges Ferment fortgähren und endlich beweiſen, daß
eine Kirche ein reiner Widerſpruch iſt.
[293]
2. Es iſt bedingt ausgedrückt: „Eignet ſich“ u. ſ. w., um einer
Form des Tragiſchen Raum zu laſſen, wo der böſe Wille mit ſeinem
Werk untergeht, ohne ſeine Schuld anders als mit Murren anzuerken-
nen. Die Schuld iſt bis hieher zwar immer nur als eine Trübung,
Verletzung, Vereinzelung bezeichnet, wodurch die völlige Verkehrung, das
Böſe, ausgeſchloſſen ſcheint. Um jedoch dieſem Raum zu laſſen — denn
es muß als eine beſondere Weiſe der tragiſchen Schuld allerdings auf’s
Neue hervortreten —, erinnere man ſich zunächſt nur, daß auch der
tragiſche Böſewicht ein geſchichtliches Recht, freilich in anderem Sinne,
als in welchem er es in Anſpruch nimmt, haben muß. Die vorliegende
allgemeine Betrachtung des Tragiſchen verweilt aber, um das Weſent-
liche, die Verſöhnung, an dem bedeutendſten Falle, nämlich dem Unter-
gange des Guten, nachzuweiſen, bei dem Untergange des ſittlich ſtreben-
den Subjects. Dieſes nun ſieht, unterliegend, nicht nur die ſiegreiche
Fortdauer ſeines Werks voraus, ſondern es wird auch im Tode zu einer
verklärten Geſtalt, welche verewigt über ihrem Grabe ſchwebt. Sie iſt
als unvergeßliches Bild aufgenommen in das Leben der Idee und es
tritt die Schluß-Empfindung ein, daß dieſe als abſolutes Subject ſelbſt
ewig doch nur durch einzelne Subjecte wirkt und daher das von ſeiner
Endlichkeit gereinigte Subject in dem Ahnen-Saal ihrer unſterblichen
Monumente aufſtellt.
3. Solger hat die ganze Bewegung des Tragiſchen nur in den
allgemeinſten Zügen dargeſtellt und da nun, ſobald man das Ganze
vor Augen hat, das Reſultat des negativen Prozeſſes als ein poſitives
zu begreifen iſt, ſo hat er allerdings Unrecht gethan, dieſes Ganze
durch Ironie zu bezeichnen. Dies hat ſeinen letzten Grund in
einem tieferen Mangel ſeines Philoſophirens. Solger ſetzt nämlich
den Begriff des Tragiſchen darein, daß nicht blos die äußere Erſcheinung,
ſondern die Idee, das Schöne ſelbſt untergehe, weil ſie nämlich in die
Widerſprüche und Gegenſätze des Lebens herabgezogen war. Gerade
das Höchſte und Edelſte in uns müſſe untergehen, weil die Idee nicht
exiſtiren könne, ohne Gegenſatz zu ſeyn; eben der Moment der Ver-
nichtung nun ſey die Offenbarung der göttlichen Idee. (Vorleſ. S.
94 — 98. vergl. Erwin Th. 1, S. 256 ff.) Die Ironie nun iſt ihm
zunächſt ſubjectiv eine Kraft und Stimmung des künſtleriſchen Geiſtes.
Sie iſt „die Verfaſſung des Gemüths, worin wir erkennen, daß
unſere Wirklichkeit nicht ſeyn würde, wenn ſie nicht Offenbarung der
Idee wäre, daß aber ebendarum mit dieſer Wirklichkeit auch die Idee
[294] etwas Nichtiges wird und untergeht.“ (Vorleſ. S. 241. 242). Sie
ſoll nun freilich mit der andern Seite des künſtleriſchen Geiſtes, die das
Poſitive in der reinen Thätigkeit der Idee wahrnimmt, mit der Be-
geiſterung identiſch ſeyn; allein die thätige Gegenwart der Idee ſoll
vielmehr eben nicht blos die Aufhebung des Wirklichen, ſondern die
Aufhebung ihrer ſelbſt in der Wirklichkeit, d. h. der Erſcheinung ſeyn,
die zwar von ihr erfüllt iſt, aber ſie zugleich in die Gegenſätze des
Wirklichen hineinzieht; alſo bleibt Alles in der Negativität aufgefaßt.
Dies wird nun auf das Tragiſche übergetragen und jener Untergang der
Idee ſammt der Erſcheinung auch objectiv (dies iſt gleichgültig, denn
Solger hat ſogleich die Kunſt im Auge) Ironie genannt. Der große
Mangel nun iſt der, daß Solger nirgends darthut, wie die Idee
ihren Untergang auch in dieſer Gegenwart des Daſeyns überlebt, wie
zwar dieſe ihre getrübte Form, das heißt freilich nicht blos dieſes ſie
wollende Subject, ſondern mit ihm der Zweck ſelbſt als einſeitiger und ge-
trübter, untergeht, wie ſie aber dennoch mitten in dieſem widerſpruchs-
vollen Leben, ſich ewig von Trübung reinigend, als Zweck in Subjecten
fortwirkt. Solger ſagt z. B. (Vorleſ. S. 95): „indem das Schöne
untergeht, iſt es ebendadurch und in dieſem Momente reine göttliche
Idee, die ſich offenbart, ſo wie das Zeitliche geopfert wird.“ Soll
der Moment blos der Moment ſeyn, worin die Idee erkannt wird
als hinausgehend über die Vereinzelung und ſich durch immer neues
Eingehen in dieſelbe reinigend, ſo iſt dagegen nichts einzuwenden; allein
Solger will ſagen, daß die Idee in dieſem Momente als ein Ganzes,
eben in ſeiner Reinheit Transcendentes ſogleich völlig ſich offenbare.
Dies iſt ein Reſt von platoniſchem Idealismus. Iſt die Idee ein
fertiges, jenſeitiges Ganzes, ſo iſt ihre Offenbarung im Diesſeits
weſentlich negativ: man ſieht auf ſie hindurch, wo die Gegenwart
durchlöchert wird durch Vernichtung. Solger hält die Negativität,
die nur ein Moment iſt, für die ganze Bewegung. (vergl. Hegel
Aeſth. Th. 1, S. 90). Tilgt man dieſen Mangel und legt man das
Tragiſche gründlicher auseinander, ſo ſind nur die beiden Momente in
§. 123 und 124 ironiſch zu nennen, der Schluß aber nicht mehr. Hier
tritt die Poſition aus der Negation hervor.
§. 127.
Dieſe ganze Bewegung heißt das Schickſal oder das Tragiſche. Alle
bisherigen Formen des Erhabenen gehen, indem jede derſelben über ſich hin-
[295] auswies, in ſie als ihre Einheit ein; dieſe höchſte Form erweist ſich nun als
diejenige, welche jene als die ihrigen ſich vorausſchickte. Sie ſelbſt aber kann
ſich in keine höhere verlieren und das Hinausgehen über ſich ſelbſt, worin das
Weſen der erhabenen Erſcheinung liegt, beſteht hier darin, daß dieſes abſolut
Erhabene zuerſt den ganzen Boden der auftretenden Erſcheinungen als verbor-
gene Macht einnimmt, hierauf den Schein erzeugt, als wären dieſe das Subject
der Erhabenheit, aber dann als hervortretende Macht ſie in ſich auflöst. Es
wird aus dem Verſchwinden in ein Anderes Ernſt, aber dies Andere offenbart
ſich vielmehr als das Eine, das Allem, was in den früheren Formen in An-
deres zu verſchwinden nur ſchien, wirklich zu Grunde liegt, ſich in ihnen ſetzt
und dieſes Setzen als Beſchränkung ebenſoſehr wieder aufhebt. Es iſt ein
analytiſcher Gang, durch deſſen End-Ergebniß das Letzte als das Erſte geſetzt
wird.
Wenn die nun in ihrem allgemeinen Weſen dargeſtellte Form des
Erhabenen jetzt ausdrücklich das Schickſal oder das Tragiſche genannt
wird, ſo wende man nicht ein, dies ſey eine Form, welche erſt in die
Lehre von der Kunſt oder gar nur von der dramatiſchen Poeſie gehöre.
Sie tritt in der letzteren nur in der durchſichtigſten und ſchärfſten Geſtalt
hervor, aber ebenſo in der lyriſchen Poeſie als Empfindung über einen
ſolchen Vorgang und das allgemeine, darin ſich ſpiegelnde, Menſchenloos,
in der epiſchen als erzählte Begebenheit. Die anderen Künſte aber ſind
ſämmtlich, nur freilich jede in ihrer Weiſe, dieſer Form des Schönen
mächtig. Die Muſik bringt ſie zum Ausdruck wie die lyriſche Poeſie,
voller und objectiver in der Oper; die Malerei ſtellt ſie in Hiſtorie
und Genre dar, die Plaſtik kennt ihre Niobe und auch die Grund-
Empfindung religiöſer Baukunſt kann man tragiſch nennen. Das Tragiſche
tritt aber auch überall, wo Schönheit außer der Kunſt angeſchaut wird,
als allgemeine Macht hervor. Es iſt alſo ein Moment, das ſich weſentlich
durch das ganze Schöne hindurchzieht und daher durchaus nothwendig
in der Metaphyſik des Schönen zu entwickeln iſt. Weiße iſt anders
verfahren, er hat das Tragiſche erſt in die Lehre vom Drama aufge-
nommen. Es läßt ſich aber in dem Begriffe des Tragiſchen, den er
hier (Aeſth. Th. 2, §. 68) aufſtellt, kein Grund für dieſe Stellung
finden, vielmehr gerade dieſem gemäß hätte er es in die allgemeine Be-
grifflehre des Schönen aufnehmen müſſen. Er greift nämlich auf, was
Solger unbeſtimmt neben anderen Wendungen vorbringt: im Tragiſchen
gehe das Schöne zu Grunde, und bildet ſich nun die Theorie, das
[296] Tragiſche ſtelle den Untergang dar, welchen das Schöne unaufhörlich in
der geſchichtlichen Wirklichkeit erleide. Das Drama bringt nach dieſer
Anſicht nicht das Weltſchickſal, ſondern das Schickſal des Schönen ſelbſt, der
Kunſt ſelbſt zur Anſchauung. Das Schöne ſammelt den Inhalt aller Wirk-
lichkeit in einem beſonderen Gebilde, das nun als ſelbſtändige Subſtanz
losgetrennt von der allgemeinen ſich befeſtigen will, aber vielmehr von
dieſer, der Wirklichkeit der Natur und der Weltgeſchichte, verſchlungen
wird. Um über dieſe Negativität des allgemeinen Lebens zu tröſten,
weist der Verf. auf ein Poſitives hin, welches über dieſer ganzen Sphäre
liegen ſoll. Ebendarum aber gehört ja das Tragiſche in die Lehre
Weißes vom Erhabenen und zwar an die Stelle, wo von dem Er-
habenen behauptet wird, daß es an einer Grenze des Schönen liege,
wo dieſes über ſich hinaus in die Sphäre des Guten und Göttlichen
weiſe. Allein es handelt ſich hier nicht darum, mit Weiße über den
Ort zu ſtreiten, wo das Tragiſche ſtehen ſoll, auch nicht zu beweiſen,
daß das keine Wiſſenſchaft heißen kann, was an allen Ecken und Enden
ſich in eine andere Sphäre zu verflüchtigen behauptet, und daß in
dieſem beſonderen Punkte die Verſöhnung mit der herben Negation des
Tragiſchen genau nur im Fortgang zum Komiſchen liegt; vielmehr es
fragt ſich, ob ſein Begriff richtig ſey. Nach dieſem Begriff müßte nun
der untergehende Held in der Tragödie eine ſchöne Erſcheinung und
die Macht, in die er verſinkt, müßte die Wirklichkeit ſeyn, wie ſie ohne
die Kunſt als bittere Realität ſich ausbreitet. Allein in der Tragödie
muß ja alles das, was den Helden bekämpft und aufreibt, ebenfalls
künſtleriſch ſchön ſeyn, der Tragiker muß ja ſelbſt den Böſewicht, noch
viel mehr aber den Guten, durch den der Gute untergeht, ſammt allem
Umgebenden ebenſogut wie dieſen ſchön darſtellen. Man kann nichts
Schieferes ſagen, als (S. 322): die Kunſt ſehe im Tragiſchen das
nothwendige Schickſal ihrer ſelbſt und aller Schönheit unter dem Bilde
des in jeder einzelnen menſchlichen Begebenheit ſich wiederholenden Welt-
ſchickſals. Alles, was man der Romantik von Schöngeiſterei der Selbſt-
beſchauung vorgeworfen hat, iſt in dieſem Satze ſublimirt, nach welchem
die Kunſt in jeder Form des Schönen nur ſich ſelbſt beäugeln müßte; ſo
wäre dann das Komiſche z. B. der Spiegel, worin die Kunſt ſich über
ihre Exiſtenz erfreut u. ſ. w. Nein: im Tragiſchen geht das Einſeitige
am Guten zu Grunde und dies Schauſpiel ſammt Allem, was dazu
gehört, dem Untergehenden, ſeinen Feinden, der umgebenden Natur
u. ſ. w. iſt eine Form der auf die Bedingungen, die unſer erſter Abſchnitt
[297] auseinandergeſetzt hat, begründeten Schönheit. Wenn nun Hegel die
Dialektik der ſittlichen Idee als Inhalt des Tragiſchen ausſpricht, ſo
wiederholt Weiße (S. 326 Anm.) den alten Vorwurf der Stoffar-
tigkeit: es werde unaufhörlich der blos baſiſche Inhalt der Kunſtdarſtel-
lung mit dem Zwecke und den höchſten Intereſſen dieſer Darſtellung
verwechſelt. Es fehlt aber bei Hegel nirgends die Einſicht, daß jener
Inhalt blos Inhalt iſt und zum Aeſthetiſchen nur dadurch wird, daß er
in reiner Durchſichtigkeit der Form erſcheint; Weiße dagegen wird,
nachdem er zuerſt freilich nicht ſtoffartig verfuhr, wohl aber ſtofflos das
Schöne als einen Narziß in’s Leere ſetzte, in einem ganz andern und
ſchlimmen Sinn ſtoffartig, wenn er die Verſöhnung mit der Bitterkeit
der Tragödie nicht im Schönen, ſondern außer dem Schönen ſucht.
Für ein ſo eitles Schöne muß die derbe Subſtantialität der Dogmatik
entſchädigen und Weiße baut eine Wiſſenſchaft, die an allen Punkten
wie ein launiſches Rennpferd aus der Bahn bricht und über den Zaun
ſetzt, ſowie ja überhaupt nach ihm die höchſte Aufgabe der Philoſophie
iſt, ſich ſelbſt aufzuheben, um bei dem Gott der Theologen anzukommen.
Der weitere Inhalt des §. bedarf keiner Erläuterung, enthält aber
einen ſehr wichtigen und weſentlichen Begriff. In allem Erhabenen
zeigte ſich ein Hinausgehen über ſich ſelbſt, und ſo kamen wir progressive
zum Tragiſchen. Dieſes als höchſte Form kann nicht über ſich hinaus-
gehen. Die Bewegung des Hinausgehens iſt aber hier darin vorhanden,
daß es die aufgelösten Formen als ſcheinbar ſelbſtändige auftreten läßt
und ſie dann in ſich auflöst. Es ſtellt alſo eine Progreſſion durch eine
Regreſſion dar. Dies verhält ſich ſo in einem beſtimmten tragiſchen
Ganzen, aber ebendies liegt in unſerer ganzen Entwicklung des Erha-
benen vor. Das Tragiſche iſt das Letzte, aber es iſt auch das Erſte,
denn es iſt in allem Erhabenen das Erhabene. So findet die analytiſche
Methode das Allgemeine durch Zerlegung des Einzelnen. Sie geht von
dieſem als dem erſten aus, aber wenn ſie das Allgemeine gefunden,
dreht ſich das Verhältniß um: dieſes erſcheint als Grund des Einzelnen.
§. 128.
In §. 125 und 126 iſt der Dualismus, der durch alles Erhabene geht,1
bereits auch als Geſetz des Tragiſchen hervorgetreten. Die in §. 125 auf-
geſtellte Form iſt die poſitive. Dem erhabenen Subjecte iſt unter der Bedingung,
daß es ſeine Erhabenheit als Ausfluß der abſoluten und ebendaher die vorüber-
[298] gehenden Leiden, denen es ſich nicht entziehen kann, als Rückwirkung ſeiner
Schuld ausdrücklich anerkenne, vergönnt, die gute Sache ſiegreich durchzuſetzen
2und mit ihr das eigene Glück zu retten. Die Negation iſt demnach auch hier
in der Poſition enthalten, allein dieſe Form iſt dennoch, wie auf allen Stufen
des Erhabenen, die ungleich ſchwächere, denn hier, wie überall, beurkundet ſich
das eigentliche Subject des Erhabenen als poſitive Macht erſt, wenn es die
Selbſtändigkeit der in es aufgenommenen niedrigeren Formen wirklich negirt.
1. Das Bewußtſeyn, die eigene Größe der abſoluten zu verdanken,
tritt in Helden des handelnden Willens, weil ſie überhaupt ſchließlich
unbewußtere Naturen ſind, nur in naiven Momenten als dunkle Ahnung
eines Weltgeſetzes, das ſie vollſtrecken, hervor, wie man z. B. einige
geiſtreiche fataliſtiſche Aeußerungen von Napoleon kennt; nur in geiſtigen
Helden, welche freilich blos unter der in §. 103 genannten Bedingung
äſthetiſche Erſcheinungen ſind, iſt dieſes Bewußtſeyn heller, z. B. in
Künſtlern, Religionshelden, wie Luther, in Philoſophen und überhaupt
Befreiern des denkenden Geiſtes. Bei Völkern dagegen, wenn ſie für
ihre höchſten Güter mit Bewußtſeyn kämpfen, kann es nicht fehlen, daß,
mögen auch die kämpfenden Kräfte zunächſt ganz in der unbewußteren
Region des realen Geiſtes ſich bewegen, ſchon durch den Austauſch der
tiefer Blickenden mit den Andern ſich ein Bewußtſeyn der weltgeſchichtlichen
Aufgabe, der Beſtimmung ſich erzeugt, und daß ſie demgemäß die Leiden
und Opfer, die der Sieg koſtet, als gerechte Buße für die vorhergehende
Erſchlaffung, Uneinigkeit, für die mancherlei Verletzungen berechtigter
Sphären, ohne welche es im Kampfe ſelbſt nicht abgehen kann, demnach
als gerechte Strafe der Schuld erkennen und daher ſich im Triumphe
ſelbſt mäßigen, wie Odyſſeus, wenn er nach der Tödtung der Freier
zur Eurykleia ſagt:
Freue dich, Mutter, im Geiſt, doch enthalte dich jauchzenden Ausrufs!
Sünde ja iſt es, ſich ſtolz erſchlagener Männer zu rühmen.
2. Es iſt in dieſer poſitiven Form immer noch ein Schein, als ſey
das erhabene Subject das Subject im Erhabenen. Freilich konnte nur
eine gewiſſe Periode der Poeſie dieſen Schein zu jener falſchen Geſtalt
des Tragiſchen verkehren, von welcher der Dichter ſagt, daß es am Ende
heiße: wenn ſich das Laſter erbricht, ſetzt ſich die Tugend zu Tiſch.
Jener Schein iſt aber allerdings erſt aufgehoben, wenn das Gefäß
wirklich den erfüllenden Inhalt, der mehr iſt als es, nicht mehr zu
faſſen vermag (vergl. §. 85, 2). Auch die poſitive Form iſt näher
[299] betrachtet negativ: denn nicht der Menſch iſt es, ſondern der Gott im
Menſchen, aber dies tritt erſt in Kraft, wenn die Negation durchdringt
als volle Wirkung davon, daß das höher Erhabene als poſitive Macht
die Beſchränkung, die es ſich gegeben, durchbricht. „Ich bin der Herr,
dein Gott, du ſollſt keine andere Götter neben mir haben.“ Es liegt
daher im Weſen des Tragiſchen ſelbſt der Grund, warum die beſondere
Kunſtform, in welcher es ſich ſeinen höchſten Ausdruck gibt, die Tragödie,
ſo wenig Stücke mit glücklichem Ausgange hervorgebracht hat und auch in
dieſen der glückliche Schluß nur als das Ende langer Leiden erſcheint.
Auch Ariſtoteles ſagt (Poctik 13): ἀνάγκη τὸν καλῶς ἔχοντα μῦ-
ϑον μεταβάλλειν, ȣ᾽κ εἰς εὐτυχίαν ἐκ δυστυχίας ἀλλὰ τοὐναντίον ἐξ
εὐτυχίας εἰς δυστυχίαν, und leitet dies aus ſeiner Theorie von Mitleid
und Furcht ab, hinter welcher aber als ihr wahrer Gegenſtand das
abſolut Erhabene liegt. Daher rühmt er an Euripides, daß viele
ſeiner Tragödien ein unglückliches Ende nehmen, erklärt eine Vorliebe
für das Tragiſche mit glücklichem Ausgang aus der ἀσϑένεια τῶν
ϑεάτρων und ſagt, ein ſolcher ſiehe der Komödie, nicht der Tragödie an.
§. 129.
In der negativen Form wird auch der letzte Schein aufgehoben, als
könne das ſubjectiv Erhabene ſeine Selbſtändigkeit retten, und indem auch das
Höchſte und Edelſte dieſer Art ſich der zum Untergang führenden Schuld nicht
entziehen kann, ſo tritt in ganzer Majeſtät das abſolut Erhabene hervor. Das
Außerordentliche muß im Kampfe mit dem ebenfalls berechtigten Mittelmäßigen
dem Augenſcheine nach immer untergehen, um ſein Streben gereinigt der Nach-
welt zu hinterlaſſen. Dieſe Wahrheit als höchſtes Geſetz der in der ſittlichen
Welt ſich verwirklichenden abſoluten Idee geht mit dem ganzen Leben der
Idee in die Schönheit ein und tritt als reine Form an die Spitze des Er-
habenen.
Zunächſt abgeſehen vom Schönen iſt anfängliche Niederlage die Beſtim-
mung alles Großen und Außerordentlichen in der Welt, denn es iſt Revo-
lution gegen das Beſtehende, das, bequem und verſtandesgerecht geworden,
die ſtabile Maſſe durch das Geſetz der Gewohnheit beherrſcht. Die Welt
kann das Jugendliche, das Freie nicht leiden, denn es iſt ein Gericht
über ſie und ihre Trägheit. Sie macht ſich auf und bekämpft es, ſie
ſiegt, denn das Mittelmäßige iſt extenſiv ſtärker, das Große und Gute
[300] intenſiv, aber dieſe Intenſität kann die Vordermänner nicht vom Unter-
gang retten, wohl aber ihre Sache, die ſie überdauert. Das Große
und Umbildende aber iſt auch wirklich in ſeiner erſten, [anſchaulich] hervor-
brechenden Geſtalt unreif, es fehlt ihm die Vermittlung und der an-
knüpfende Verſtand, der es zum Beſtehen erſt befähigen ſoll: dies iſt die
tragiſche Schuld der Vorkämpfer, wodurch ſie dem Menſchen an „ſeinen
würdig alten Hausrath rühren, das theure Erbſtück ſeiner Ahnen.“
Aber ihr Geiſt überlebt ſie, nimmt die Vermittlung in ſich auf; was
Verbrechen war, wird jetzt das Beſtehende, ſinkt endlich ſelbſt zur todten
Form und geiſtloſen Gewohnheit herab und dieſelbe Bewegung beginnt
von Neuem. Dies iſt der Gang der Welt, und wer daher etwas
Großes will, muß auf Leiden gefaßt ſeyn. Darum aber iſt dieſe Er-
ſcheinung noch nicht äſthetiſch. Der Vorwurf des Stoffartigen, „Baſiſchen“
wird ſich hier wieder erheben, daher müſſen wir auf dieſen Punkt noch
einmal zurückkommen. Die Sache verhält ſich ſo: was geſchichtlich wahr,
was eine Idee, d. h. eine wahre Wirklichkeit iſt, iſt darum allerdings
noch nicht eine Schönheit; ſoll es zu dieſer werden, ſo muß erſt das in
§. 53—55 Geforderte eintreten. Aber auch hier gilt, was §. 19, Anm. 2
und §. 55 Anm. 2 geſagt iſt: daß der Unterſchied der Stufen im Schönen
allerdings immer ein Unterſchied des Gehalts und der Form zugleich iſt.
Die Wahrheit geht in die Schönheit ein, hebt ſich zur reinen Form auf, ſo
aber, daß die höhere Wahrheit auch die höhere äſthetiſche Form fordert.
Was die höchſte Wahrheit iſt in der Bewegung und dem Prozeſſe der ſitt-
lichen Idee, kehrt, in reine Form verwandelt, auch als höchſte Geſtalt
der Schönheit in dem beſtimmten Gebiete des Erhabenen wieder.
Es ſind nun die verſchiedenen Formen des negativ Tragiſchen auf-
zuführen. Wenn die erſte derſelben bezeichnet wird durch: das Tragiſche
als Geſetz des Univerſums, ſo wird ſich dieſe Benennung ſogleich
erklären.
α.
Das Tragiſche als Geſetz des Univerſums.
Das negativ Tragiſche beſtimmt ſich gemäß dem durchgängig herrſchenden
Geſetze, das in §. 12 aufgeſtellt iſt, zu einem Unterſchiede von Formen, deren
[301] erſte die im Ganzen enthaltenen Momente in dunkler Verhüllung ſo zuſammen-
gefaßt enthält, daß das Sittliche als blos nahe gelegte Möglichkeit einer
Schuld und ihrer Strafe im Grunde bleibt und daher das abſolute Subject erſt
in der unmittelbaren Form einer blinden Macht erſcheint, welche an dem ein-
zelnen Subjecte, das mehr durch Güter als durch Tugenden hervorglänzt, ein
Beiſpiel aufſtellt, daß das Einzelne zu Grunde gehen muß, weil es Einzelnes iſt.
Da Ueberhebung dem ſo bevorzugten Subject zwar nahe liegt, aber noch nicht
eingetreten iſt, ſo bleibt die Schuld Urſchuld (§. 122). Das Uebel kommt eben-
daher nicht von einem verletzten ſittlichen Willen, ſondern vom Zufall, der
in dieſer Form am wenigſten ausgeſchieden iſt, dennoch aber ſeinen Sinn in
der verſöhnenden Idee der nothwendigen Allgemeinheit des Todes findet. Die
ganze Bewegung geſchieht auf dem Boden der ſtrengen, objectiven Nothwendigkeit
(§. 119), worin die Welt der ſittlichen Nothwendigkeit noch unentfaltet ſchlummert.
Hegel hat die Formen des Tragiſchen zu wenig unterſchieden, ſondern
im Grunde nur die vollendetſte im Auge gehabt, die wir als die dritte
nennen werden. Auch hier beginnt der Stufen-Unterſchied wieder mit
dem Unmittelbaren: ein Gang, der hier keiner beſonderen Begründung
bedarf. Dieſe erſte Form iſt als das Tragiſche das Univerſums be-
zeichnet. Univerſum heißt hier der tragiſche Complex, weil die Natur-
baſis (§. 119) in den Vordergrund tritt, die Welt der ſittlichen Noth-
wendigkeit aber, die ſich über ihr erhebt, nur unentfaltet im Keime
ſich andeutet, ſo daß mehr ein Natur-Verhältniß als ein ethiſches
vorliegt. Der in §. 119 angegebene, in §. 121 und 123 aber ſofort
gelöste Widerſpruch zwiſchen den zwei Hauptformen der Nothwendigkeit
tritt aber hier darum eigentlich gar nicht ein, weil noch kein Sittliches
als ſolches da iſt, das ſich gegen den dunkeln Lebensgrund in Gegenſatz
ſtellen könnte. Man erinnere ſich nun hier an das allgemeine Gefühl,
das durch frühen Untergang der Schönheit, der Macht, des Reichthums
erregt wird, und das Schiller in ſeiner Nänie niedergelegt hat: auch
das Schöne muß ſterben u. ſ. w. Zunächſt ſey bemerkt, daß, wenn hier
das untergehende Subject das Schöne heißt, dadurch keineswegs die in
§. 127 abgewieſene Anſicht Weißes gerechtfertigt wird. Die Schönheit
muß nämlich hier in einer Umgebung hervortreten, die ſie überragt, die
aber ſelbſt in dieſem oder jenem Sinne ſchön iſt; dadurch tritt ein
Vergleichungs-Verhältniß ein, wodurch das, was ſonſt blos ſchön ge-
heißen hätte, unter den Standpunkt des Erhabenen fällt. Wirklich aber
[302] muß in dieſer Schönheit auch Kraft ſeyn, wie in Adonis, in Achilles,
und wie Herrſchaft und Reichthum auch in die Sphäre der Kraft fallen.
Ueberhaupt kann man das Ganze auch ſo ausdrücken: das Tragiſche tritt
hier, wie das ſubjectiv Erhabene, zunächſt wieder als Kraft auf. Wie
nämlich das untergehende Subject, ſo erſcheint auch das dieſen Untergang
bewirkende abſolut Erhabene noch als blinde Kraft. In dieſem dunkeln
Grunde ſchlummert allerdings bereits das Sittliche, denn von großem
Glück und Glanz iſt zur ὕβρις ebenſo nur ein Schritt, wie von großer
Tugend zu den Fehltritten, die aus der concentrirten Energie ihrer noth-
wendigen Beſchränkung fließen. In der Schrift des Verf. über das Er-
habene und Komiſche iſt nachgewieſen, daß in den von Herodot erzählten
Fällen, welche beſonders ſchlagende Beiſpiele dieſer Gattung an die Hand
geben, wie von Kröſus und Polykrates, noch keineswegs ὕβρις da iſt,
ſondern vor ihr gewarnt wird, weil die Gottheit neidiſch ſey (S. 99 ff.).
Die Schuld bleibt daher Urſchuld, mögliche Schuld. Ebenſo kommt das
Uebel vom Naturgeſetz, nicht vom beleidigten Sittengeſetz. Den Adonis
tödtet ein Eber, Achill fällt zwar durch Meuchelmord und hat Schuld
gegen die Troer, doch dies tritt, wenn ſein früher Tod beweint wird,
nicht in’s Bewußtſeyn. Der Untergang kommt alſo vom Zufall; allein es
iſt nicht der ſinnlos ſtörende Zufall (§. 40), der in §. 53 einer beſonderen
Weiſe äſthetiſcher Aufhebung zugewieſen iſt; denn er ſtört keinen ſittlichen Zu-
ſammenhang, ſondern das ſinnliche Glück gehört eben in die Sphäre, wo auch
das Unglück herrſcht, und muß ſich auf dergleichen gefaßt machen. Wer lebt,
muß ſterben. Darin liegt auch der Troſt. Es iſt das einfache Geſetz des
Verhältniſſes zwiſchen Individuum und Gattung, daß dieſe bleibt, jenes
vergeht, was durch irgend einen Zufall vollſtreckt wird. Dagegen iſt nicht zu
murren. Schiller ſagte kurz vor ſeinem Tode: der Tod kann kein Uebel
ſeyn, weil er etwas Allgemeines iſt. Geht ein ſchöner Theil des Lebens
verloren, ſo iſt auch die langſame Erſchöpfung nicht empfunden worden.
„In der Jugend ſterben, iſt auch ſchön.“ Es iſt nur das allgemeine
Schickſal, das ſich aber da markirt, wo die Lebenskraft hervorleuchtet
und wo man daher den Fall nicht erwartete. Dies nannten die Griechen
Neid der Götter. Vergl. beſonders Herodot 1, 32. 7, 10. Hegel
nennt es (Rel.-Philoſ. Th. 2, S. 90) ein Nivelliren. Die Griechen kannten
wohl ein höheres tragiſches Geſetz, aber ſie mußten ſich, da ihre Religion
Natur-Religion war, für dieſe Erſcheinung, das Natur-Tragiſche, be-
beſonders intereſſiren. Erſt die vorgeſchrittene Philoſophie und die tragiſche
Poeſie, wo ſie höhere, ſittliche Formen des Tragiſchen behandelte und
[303] daher dieſe Form als die beſtimmende abweiſen mußte, trat gegen dieſe
Vorſtellung der Gottheit als einer neidiſchen auf.
β.
Das Tragiſche der einfachen Schuld.
Das Subject überhebt ſich und die Urſchuld geht durch den nothwendigen1
Art der Freiheit in wirkliche Schuld über. Dieſe Schuld iſt aber einfach,
das heißt zunächſt, ſie liegt, wenn der Wille gut iſt, nicht in einem objectiven
unvermeidlichen Widerſpruch, worein ſein Pathos geriethe, ſondern in irgend
einer Verirrung, welche mit dem ſittlichen Kraftgefühle eines ſolchen Willens
in näherem oder entfernterem ſubjectivem Zuſammenhange ſteht, allerdings aber
eine ſtrengere äſthetiſche Einheit gründet, wenn ſie als die unmittelbare Kehr-
ſeite von jenem, daher ſubjectiv nach dem abſtracten Begriffe der Freiheit zwar
vermeidlich, in Betracht der Beſtimmtheit der Perſönlichkeit aber unvermeidlich
erſcheint. Es tritt aber in dieſem Gebiete keineswegs blos das Erhabene des2
guten Willens auf. Durch dasſelbe hat ſich zwar der Uebergang zum Tragiſchen
vermittelt, aber als die mit allen vorhergehenden Formen des Erhabenen er-
füllte Einheit ſetzt dieſes die eine oder die andere Form aus dem Erhabenen
des Subjects als Organ und Object ſeiner Bewegung in den Vordergrund.
Nur iſt die Leidenſchaft und der unſtete Wille unfähig, dieſe Stelle einzu-
nehmen; außer dem guten Willen, der ſich verirrt, tritt daher als weiterer
möglicher Mittelpunkt der tragiſchen Bewegung nur das Böſe hervor, und wenn
dieſe Spitze der Ueberhebung des Subjects den Hebel bildet, ſo iſt die Schuld
einfach nicht nur in jenem Sinne irgend einer Verirrung, ſondern auch, weil ſie
unvermiſcht iſt.
1. Die einfache Schuld iſt die ἁμαρτία τις des Ariſtoteles,
(Poet. 13). Dieſe Stelle ſcheint mit unſerer Entwicklung inſofern in
Widerſpruch zu liegen, als wir dieſe ἁμαρτία nothwendig als die Ver-
irrung eines erhabenen Charakters auffaſſen müſſen; denn das ſubjectiv
Erhabene iſt ja immer das zum Verſchwinden beſtimmte Moment im
Tragiſchen. Ariſtoteles nämlich verlangt einen Helden, der weder durch
Tugend und Gerechtigkeit ſich auszeichnet, noch durch Bosheit und Laſter
[304] in’s Unglück ſtürzt, ſondern durch irgend einen Fehl (ἁμαρτίαν τινὰ),
Einen von denen, die in großem Ruhm und Glück leben, wie Oedipus
und Thyeſtes und die glänzenden Männer aus ſolchen Geſchlechtern.
Kurz vorher ſagt er ſogar, es dürfe nicht der Sturz von braven Männern
(ἐπιεικεῖς ἄνδρες) dargeſtellt werden. Allein was jene Stelle betrifft,
ſo wird man ſogleich fragen, ob denn der Ruhm ein unverdienter ſeyn
dürfe, ob denn Oedipus nicht Ruhm und Glück durch ausgezeichnete
Eigenſchaften verdient habe, Thyeſtes nicht eine heroiſche Natur ſey,
was die zweite betrifft, ſo ſcheint ſie in geradem Widerſpruch zu ſtehen
mit der Stelle in C. 15, wo es heißt, der Dichter müſſe auch den fehler-
haften Charakter heben, daß er brav erſcheine: ἐπιεικεῖς ποιεῖν. Wirk-
lich iſt die Poetik voll von Stellen, wo ein ausgezeichnet edler Charakter
zum Tragiſchen gefordert wird; die Dichter werden gelobt, welche die
Charaktere βελτίονας ἢ καϑ̕ ἡμᾶς (z. B. C. 2, vergl. 26) darſtellen,
die Tragödie heißt (15) μιμησις βελτιόνων, und in der erſtgenannten
Hauptſtelle (13) wird, nachdem zumal die ἁμαρτία eine μεγάλη genannt
iſt, der Satz über den Charakter durch ein „oder“ dahin näher beſtimmt,
er ſolle eher beſſer als ſchlechter ſeyn. Gerade aber, wo von der Com-
poſition des Charakters ausdrücklich die Rede iſt (15), wird als erſtes
Geſetz aufgeſtellt, daß er gut (χρηϛὸς, altdeutſch: frum) ſey, und man
kennt die emphatiſche Bedeutung dieſes Worts bei den Griechen. Aus
allem dieſem folgt, daß Ariſtoteles in der Hauptſtelle (13) ungenau
geſprochen hat, daß er nur die abſtract idealen Charaktere ausſchließen
wollte, und wenn er ſagt, es dürfen nicht ἐπιεικεῖς ἄνδρες als unglücklich
dargeſtellt werden, ſo will er offenbar ſagen: nicht als ſolche, ſondern
durch Vermittlung eines Fehls. Was er unter dem Fehl verſteht, zeigt
am deutlichſten die Stelle 15, wo er ſagt, der Dichter müſſe jähzornige
und leichtſinnige Männer in ein beſſeres Licht ſtellen (ὀργίλȣς καὶ ῥαϑύμȣς),
wie Agathon und Homer den Achilles. Dies iſt die ἁμαρτία, wovon
die Rede iſt: die Ueberſtürzung eines edlen Charakters.
Um auf das Allgemeine zurückzugehen, ſo hat der §. die Schuld auf
dem Act der Freiheit ſelbſt abgeleitet, welche als Trennung des Subjects
von der ſittlichen Subſtanz, mag ſie ſich im Fortſchritt auch mit dem
Guten erfüllen, den Eigenſinn der Einzelheit an ſich behält. Aus
dieſem fließt dann die Sicherheit, wodurch die ſittliche Energie ſich eine
Grube gräbt. Die Schuld, von der hier die Rede iſt, heißt aber zu-
nächſt einfach, weil ſie nicht in den ſittlichen Conflict gehört, welcher
ſofort als dritte Form auftreten wird. Sie kann dies oder jenes Ver-
[305] hältniß treffen und verletzt immer ein ſittliches Recht, aber nicht ein
ſolches, welches im vorliegenden Falle mit dem andern, durch das Patbos
des Helden vertretenen, an ſich eine weſentliche ſittliche Einheit bildet, wo
denn die Schuld in der Trennung des Zuſammengehörigen läge, ſondern
es iſt zufällig, welches Verhältniß verletzt wird. Ajax z. B. verletzt
durch ſein Raſen die Helden-Ehre: er hätte in ſeiner Leidenſchaftlichkeit
auch eine andere Schuld begehen können; Sigfried verletzt die Pflicht
der Verſchwiegenheit, indem er Chriemhilden das Geheimniß von
Brunhildens Brautnacht mittheilt: er hätte in ſeiner Harmloſigkeit
auch ein Verſehen anderer Art ſich zu Schulden kommen laſſen können.
Die Schuld ſteht alſo mit dem Streben des Helden nicht in dem orga-
niſchen Verhältniß, wie ſich dies in der dritten Form zeigen wird.
Subjectiv aber ſoll wo möglich ein innerer Zuſammenhang ſeyn. Die
Schuld ſoll aus denſelben Temperaments-Eigenſchaften fließen, wie die
Tugend. Der Reformator eines Staats, einer Kirche z. B. mag in
ſeinem Eifer zu raſch verfahren u. dgl. Im Temperamente des Ajax
iſt jene Raſerei ganz begründet. Oedipus erſcheint zwar vorzüglich
als weiſer Heros, aber er hat doch auch die jähzornige Helden-Natur,
und ſo bedenkt er nicht, daß der Zufall ihm auflauert, daß er durch
den Orakelſpruch gewitzigt ſeyn ſollte, da er den Begegnenden, übrigens
nach griechiſchen Begriffen an ſich mit Recht, erſchlägt. Einem Sigfried,
gut und arglos, vertraulich wie er iſt, liegt nichts näher, als jener
Fehler des Verplauderns. Conradin fällt durch ſeine Unvorſichtigkeit
nach dem Siege bei Scurcola: ein Fehler, der ganz ſeiner Jugend
entſpricht, deren Unternehmungsgeiſt eben ihn zugleich zum tragiſchen
Helden erhebt. Othello rast um ſo fürchterlicher und iſt um ſo leichter
zu täuſchen, je gewaltiger ſeine argloſe Natur vorher die Leidenſchaft
in ſich zuſammenhielt. Hamlet, ſo weit er hieher gehört, muß unge-
ſchickt zum Handeln ſeyn gerade durch den Tiefſinn ſeiner denkenden Natur.
Egmont in der Darſtellung des Dichters fällt durch denſelben Leichtſinn,
der ihn zu dem beliebten Helden eines luſtigen Volkes macht.
2. Ariſtoteles weist bekanntlich (Poet. 13) die überaus Schlechten
und ihren Sturz von der Tragödie völlig aus; denn dieſer Sturz würde,
wie er meint, weder Mitleid noch Furcht erregen, weil wir jenes nur dem
unverdienten Unglück ſchenken, mit dieſer nur Menſchen unſeres Gleichen
begleiten. Unter dem unverdienten Unglück verſteht er natürlich kein ganz
unverdientes, ſondern ein ſolches, das nur durch eine Schuld verdient iſt,
die zur Strafe in keinem Verhältniſſe ſteht. Sein Grund ließe ſich leicht
Viſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 20
[306]widerlegen, denn die höchſte Bosheit findet noch den Anklang ſowohl des
Mitleids als der Furcht, weil der Böſewicht keineswegs aus der Gattung
tritt und ſeine höchſte Schuld noch auf einen Reſt der Menſchheit und der
Verkehrung aus Unſchuld hinweist. Das tiefe Bedürfniß der Liebe, das
Macbeth und Richard III vor ihrem Untergang ausſprechen, erregt die
innerſte Theilnahme, und wie wir ihnen auch den Untergang gönnen,
wir zittern doch mit ihnen für uns ſelbſt, denn der Dämon, den hier die
Nemeſis ereilt, ſchlummert auch in uns. Der Grund ſitzt aber tiefer.
Im antiken Staate, dem das Gute ein χρηϛὸν war, gilt das Böſe als
etwas nicht Poſitives, ſondern kläglich Elendes, als ein φαῦλον; der
Böſe iſt Taugenichts, daher untragiſch. Erſt nach der Auflöſung der
antiken Republik wurde die Größe in der Bosheit möglich. Weitere
Momente entwickelt Rötſcher (Cyclus dramatiſcher Charaktere S. 39 ff.).
Zwar treten in der antiken Tragödie ungeheure Verbrechen auf, Thaten,
welche die Menſchheit beleidigen, werden ſelbſt von Weibern begangen.
Aber es ſind einzelne Thaten der Rache, es ſind nicht Reihenfolgen
von Verbrechen aus Bosheit, die zum Charakter geworden. In unſerer
allgemeinen Begriffslehre aber iſt die Beſtimmung ſo weit zu ziehen, daß
für jede Form des Tragiſchen, alſo auch die des modernen Ideals, worin
vollendet böſe Charaktere auftreten, Raum iſt. Die Schuld des Böſen
nun beſteht nicht in der Einſeitigkeit eines berechtigten Pathos im Kampfe
mit einem ebenfalls einſeitigen und berechtigten; die Seite wenigſtens,
wodurch es in einem geſchichtlichen Rechte iſt, gehört zunächſt nicht hie-
her, denn der Böſe will nicht Gerechtigkeit üben an ſolchen, die es ver-
ſchuldet haben, ſondern er will nur ſeine böſen Zwecke, und was er
Gerechtes wirkt, das wirkt die Weltgeſchichte durch ihn ohne ſein Ver-
dienſt. Ebendaher iſt ſeine Schuld auch unvermiſcht; der Reſt des
Guten in ihm gehört ebenfalls nicht hieher, es handelt ſich um ſeine
That, und dieſe iſt einfache, volle Verletzung des ſittlichen Complexes.
Die Schuld verletzt auf irgend einem Punkte den ſittlichen Complex. Es
leiden durch ſie andere Subjecte, und da die Schuld einfach iſt, ſo ſcheint es
zunächſt, ſie leiden unſchuldig. Allein dann wären ſie reine Objecte der Schuld
des tragiſchen Subjects und für den äſthetiſchen Zuſammenhang bloſe Mittel,
was dem abſoluten Werthe der Subjectivität, ſie wäre denn noch ganz unent-
wickelt, widerſpricht. Daher dürfen ſie nicht als völlig ſchuldlos erſcheinen,
[307] ſondern ſie müſſen durch irgend einen Fehl dem ſchuldigen Subjecte eine Blöſe
dargeboten haben und auch bei ihnen ſoll dieſe Blöſe in innerem Zuſammen-
hang mit ihrer Tugend ſtehen. Leiden ſie aber, damit die Schuld des tragi-
ſchen Subjects in ihr volles Licht trete, für ihre geringe Schuld ganz unver-
hältnißmäßig, ſo tritt als Verſöhnung damit entweder der Standpunkt der erſten
Form des Tragiſchen (§. 130) ein, oder die Erhebung im Leiden offenbart
eine innere Unendlichkeit (§. 113), welche dem Mißverhältniſſe ſeine Herbe
nimmt.
Die „unentwickelte Subjectivität“ iſt die Kindheit und hier tritt blos
die Verſöhnung ein, die in der erſten Form des Tragiſchen liegt; ſo
die Söhne Eduards in Richard III, die Kinder der Niobe. Die in den
Werth freier Selbſtbeſtimmung eingetretene Perſönlichkeit, welche ſcheinbar
unſchuldig leidet, in Wahrheit aber durch einen, jedoch nur kleinen, Fehl
ihr Leiden verſchuldet hat, wird vorzüglich die noch nicht völlig gereifte
jugendliche Natur ſeyn, wie z. B. Giſelher im Nibelungenliede, der aller-
dings gegen den Anſchlag auf Sigfrieds Leben, wenigſtens ſo viel in
ſeinen Kräften ſtand, energiſcher hätte auftreten müſſen, wenn er ganz
unſchuldig daſtehen ſollte, oder die weibliche. Dem reifen Manne dagegen
ſteht es nicht an, wegen einer kleinen Schwäche unterzugehen wie z. B.
Desdemona wegen des unklugen und unzeitigen Eifers in der Verwen-
dung für Caſſio und wegen des ganz nach Weiberart unpaſſend gewählten
Vorwands wegen des verlorenen Tuchs, oder wie Cordelia wegen eines
aus ſtrenger Wahrheitsliebe zu herben Worts, oder wie Ophelia im
Hamlet, die den Schwüren des Prinzen zu wenig mißtraute. Allerdings
treten auch Männer auf, die nicht durch ſo deutliche Schuld, wie z. B.
Haſtings und Buckingham in Richard III, Paris in Romeo und Julie
durch den Zwang Juliens zu einer Verbindung ohne Liebe, Roſenkranz
und Güldenſtern durch ihre Falſchheit gegen Hamlet leiden, ſondern z. B.
durch den liebenswürdigen Fehler zu großer Milde, wie ihn Holinſhed,
Shakespeares Quelle, ausdrücklich dem Duncan zur Laſt legt,
oder durch eine aus den Umſtänden erklärliche Liebloſigkeit, wie Macduff
in Shakespeares Tragödie, indem er fliehend ſeine Familie zurück-
läßt, wie Polonius durch wohlweiſe Zudringlichkeit. Allein hier muß
der kleine Fehl wenigſtens im Zuſammenhang ſtehen mit einem klar ge-
wollten männlichen Entſchluß, und ein ſolcher iſt Macduffs Flucht; Duncan
dagegen erſcheint bei Shakespeare von ſo kindlichem Gemüthe, daß ihm
jene Form des Mitleids zu Theil wird, wie dem Bilde rührender Jugend,
20*
[308]die ſchuldlos untergeht. Schwieriger iſt es, Banquos Untergang unter
unſern Satz zu begreifen, denn dieſer ſcheint bei Shakespeare ganz un-
ſchuldig, doch kann man ohne Zwang geltend machen, daß er, wenn
Macbeth, wie er fürchtet, „ein ſchändlich Spiel ſpielte“, nicht unthätig
am Hofe hätte zurückbleiben ſollen. Er hat ſchon Theil an der allgemeinen
Schuld Schottlands, welche ſpäter auch die Flüchtlinge ſich vorwerfen,
dem Tyrannen zu lang als widerſtandsloſer Stoff gehalten zu haben.
Klar aber iſt die allgemeine Schuld Englands in Richard III. Die
Kaſſandra, gemordet mit Agamemnon, hat nach antiker Weiſe ohne be-
ſondere Schuld doch Theil an der allgemeinen der Trojaner; dagegen iſt
Agamemnons Schuld deutlich. Max und Thekla im Wallenſtein gehen
freilich ganz unſchuldig zu Grunde, aber ſie ſind auch abſtract ideale
Figuren. Wären ſie mit mehr Lebenswahrheit hingeſtellt, ſo wäre mit
dem nöthigen Schatten auch der Anknüpfungspunkt gegeben, um ſie
wenigſtens unter den Standpunkt der Urſchuld der Individualität zu ſtellen.
Dem Mißverhältniß nun zwiſchen der Schuld und dem Leiden wird, wo der
Charakter ein ausgebildeter ſchon iſt oder im Fortgange wird, weſentlich da-
durch ſein Stachel genommen, daß das Leiden die innere Erhabenheit zur
Entfaltung bringt. Wir hätten ohne dieſes nicht geſehen, welche Unend-
lichkeit der Liebe in Desdemona, Cordelia, welche Anmuth im Wahnſinn
ſelbſt in Ophelia, welche Kraft der Tapferkeit in Macduff wohnt: dies
verſöhnt mit dem Leiden. Alſo tritt hier wieder die negative Erhabenheit
des Subjects (§. 113) ein; nur iſt nicht zu überſehen, daß dieſe Form
jetzt in einem ganz andern Zuſammenhange ſteht.
Es erfolgt die Strafe durch den verletzten ſittlichen Complex und die
äſthetiſche Einheit iſt eine um ſo höhere, je mehr auch ſie als die einfache
2Kehrſeite der Schuld erſcheint. Iſt jedoch dieſe von unbeſtimmter Art, ſo
kann die Strafe aus einem unglücklichen Zufall hervorgehen. Iſt ſie von beſtimmter
Art, ſo ſind Subjecte mit Abſicht die Organe derſelben, und dieſe ſind ent-
weder als die verletzten, obwohl nicht völlig unſchuldig (§. 132), doch gegen
das ſchuldige Hauptſubject im Rechte und die Strafe erſcheint unmittelbar als
gerecht, oder ſie ſind nicht die verletzten und verfallen, indem ſie über das
nicht gegen ſie ſchuldige Hauptſubject das Uebel verhängen, ſelbſt in Schuld
und Strafe, aber dieſes ſetzt ſein unmittelbar nicht verdientes und inſofern
[309] zufälliges Leiden durch ſein Bewußtſeyn in Zuſammenhang mit ſeiner Schuld.
Anerkennung des Zuſammenhangs zwiſchen Schuld und Uebel wird immer ge-3
fordert; dieſelbe kann aber eine freiwillige ſeyn und das Subject ſogar das
äußerſte Uebel ſelbſt an ſich vollſtrecken oder eine unfreiwillige, welche das
Gewiſſen dem böſen Willen abnöthigt. Iſt dieſer der Mittelpunkt, ſo muß
die äußere Zerſtörung die reine Kehrſeite der Selbſtzerſtörung darſtellen
(vergl. §. 109).
1. Der äſthetiſche Zuſammenhang iſt um ſo reiner, je mehr die
Strafe als einfacher Reflex, als bloſe Kehrſeite der Schuld erſcheint.
Macbeth und Richard III haben durch ihr Handeln jedes Band der Liebe
zerſchnitten und zuletzt, da die Furcht nicht mehr wirkt und ſie die Liebe
bedürfen, um die Vaſallen feſtzuhalten, machen ſie die Erfahrung, wie
ſich das von ihnen aufgeſtellte Geſetz an ihnen ſelbſt vollſtreckt. Schon
in dieſem Sinne erſcheint hier die von außen kommende Zerſtörung als
bloſer Rückſchlag der eigenen That, alſo als Selbſtzerſtörung. So ſtreng,
wie hier, iſt keineswegs nothwendig immer der Zuſammenhang, doch
in ſchwächerer Spur muß er ſich verfolgen laſſen. Oedipus z. B. läßt
ſich vom Zufall des aufbrauſenden Zornes überraſchen und tödtet den grob
Entgegnenden, den er nicht kennt. Gerade den Zufall hat er, das muß
er wiſſen, zu fürchten und der zufällig Begegnende war ſein Vater.
Maria Stuart hat eine durch Launen und Verirrungen der Liebe befleckte
Jugend zu bereuen und eiferſüchtige Weiberlaune iſt das Grundmotiv,
warum Eliſabeth das Todesurtheil unterzeichnet.
2. Unbeſtimmte Schuld heißt hier eine Schuld aus momentanem Affect
und Vergeſſenheit, wie die des Oedipus, an welchem Beiſpiel zugleich
die Zufälligkeit der Nemeſis einleuchtet. Romeo läßt ſich vom Zufall ſeines
Temperaments zu einem verzweifelten Entſchluſſe hinreißen und an ihm
rächt ſich der Zufall falſcher Kunde. Beſtimmte Schuld iſt entweder
vorbedachtes Verbrechen, wie die Thaten des Böſen, oder wenigſtens
ein ſehr ſtrafbarer Leichtſinn, wie Sigfrieds Ausplaudern, Egmonts
Bleiben, eine maßloſe Leidenſchaft, wie die Raſerei des Ajax. Die
Subjecte, welche die Strafe verhängen, ſind z. B. gegen Macbeth und
Richard III, obwohl ſie übrigens durch zu langes Zögern auch ſchuldig
geworden, an ſich im Rechte. Selbſt Sigfrieds Mörder Hagen handelt
aus Vaſallentreue, da durch Sigfrieds Ausplaudern ſeine Herrinn Brun-
hilde unendlich verletzt iſt, er wird aber, indem er den Meuchelmord
[310] als Mittel gebraucht, im ſtrengſten Sinne ſchuldig und verfällt dem
allgemeinen blutigen Gerichte, ebenſo Chriemhilde, die zuerſt die Schuld
beging, Sigfrieds Geheimniß mit Entſtellung der Wahrheit aus Weiber-
zorn zu verrathen, dafür durch Hagen über alles Verhältniß leidet, dann
Rache übt, aber jedes Maß überſchreitet und nun abermals der neuen,
letzten Strafe verfällt. So wirft ſich Schuld und Strafe herüber und
hinüber; der Begriff hat es aber mit den einfachen Grundverhältniſſen
zu thun. Eliſabeth in Schillers Maria Stuart iſt gegen dieſe nicht im
Rechte, denn des Verbrechens, wofür ſie eingekerkert und zum Tode
verdammt wird, iſt ſie nicht überwieſen noch geſtändig. Eliſabeth ſelbſt
wird daher die Schuldige und verfällt am Ende, verlaſſen von dem
beliebteſten Günſtlinge, der Laſt ihres Bewußtſeyns. Leidet nun die
ſchuldige Hauptperſon durch ſolche, welche durch ihre Schuld nicht ver-
letzt waren, wie Maria Stuart, ſo muß das Bewußtſeyn derſelben den
inneren Zuſammenhang zwiſchen Schuld und Uebel herſtellen. Das beſte
Beiſpiel iſt eben die Letztere, welche verſöhnt, im Gefühle, durch den
unverdienten Tod ihre wahre Schuld zu büßen, in den Tod geht.
3. Das „äußerſte Uebel“ iſt der Tod nur im objectiven Sinne;
Ajax, Othello tödten ſich ſelbſt, weil ihnen der Tod gegen die Qual
des Bewußtſeyns ſubjectiv noch als Gut erſcheint. Oedipus blendet ſich,
weil er das Licht nicht mehr ſehen kann, das ihm Unerträgliches zeigt,
Don Ceſar in der Braut von Meſſina reinigt ſeine Schuld ebenfalls durch
den Tod und ſpricht aus, daß das Leben der Güter höchſtes nicht iſt.
Mit Murren erkennt der Böſe in der organiſchen Selbſtzerſtörung ſeines
Werks die gerechte Ordnung der Dinge. Die eigentliche Selbſtzerſtörung
aber iſt die Qual das Ich, das ſich entfliehen möchte und nicht kann.
Das ſittliche Bewußtſeyn iſt nun eine Macht, die wie ein fremder Geiſt,
der zugleich das eigene Ich und deſſen Feind und Richter iſt, aus dem
Böſewicht ſelbſt zu ihm ſpricht. Macbeth und Richard III enthalten
berühmte Stellen dieſes Inhalts. Es iſt dies die negative und dadurch
um ſo ſtärkere Form der Anerkennung. — Die Selbſtzerſtörung des Böſen
iſt ſchon in §. 109 aufgeführt, dort, um den Uebergang zum Erhabenen
des guten Willens zu vermitteln, alſo eben nur als verſchwindendes
Durchgangsmoment; hier aber tritt ſie als Schauſpiel für ſich, als
ſelbſtändige Form auf, die freilich auch ſo den Aufgang des Guten als
ihre andere Seite in ſich trägt. Richmond iſt das Poſitive des Negativen
in Richard.
[311]
In dieſer zweiten Form iſt der Zufall (vergl. §. 117) zwar in den1
Zuſammenhang eines ſittlichen Ganzen gerückt, allein es wird eine höhere Form
ſeiner Aufhebung gefordert, welche nur darin beſtehen kann, daß die Schuld mit
dem ſittlichen Streben des Hauptſubjects nicht nur durch ein näheres oder ent-
fernteres ſubjectives Band verknüpft iſt, ſondern mit ihm in Einem Punkte
zuſammenfällt. So iſt ſie nicht mehr irgend eine Schuld und verletzt nicht mehr
irgend ein Verhältniß, ſondern diejenige ſittliche Macht, welche mit der andern,
die der Inhalt jenes Strebens iſt, in innerer Einheit ſtände, wenn dieſes
Streben nicht ſchuldig wäre. Nun iſt ſchon in der zweiten Form der reinere
Fall derjenige, wenn die Strafe durch Subjecte kommt, welche ſchuldig, und
zugleich gegen den Verletzenden im Rechte ſind (§. 132 und 133), und die
geſuchte höhere Form des Tragiſchen wird entſtehen, wenn dieſe, indem ſie die
Strafe ausüben, auf dieſelbe Weiſe ſchuldig werden, wie das erſte Subject.
Die Keime dieſer Form liegen ſchon in der zweiten vorbereitet.2
1. Zufällig iſt die Schuld auch als Kehrſeite der Tugend, wenn nur
das Temperament, das, ſo wie es iſt, zu der Aufnahme des ſittlichen
Zwecks geeignet war, gerade auch die natürliche Quelle der damit ver-
bundenen Uebereilungen u. ſ. w. iſt. Egmont z. B. iſt leichtſinnig als
Repräſentant genußluſtiger niederländiſcher Art und Weiſe im Streben
nach Freiheit, aber objectiv liegt in dieſem Pathos nicht die Nothwendig-
keit eines ſolchen Fehlers, Horn iſt vorſichtig. Zufällig iſt die Strafe
zunächſt dadurch, daß gemeinhin ſogenannter Zufall eingreift, der aber
zurechenbar iſt, wie bei Oedipus wenigſtens in dem oben angegebenen
Sinne, ebenſo bei Romeo. Hier kann auch die Verwechslung der Rappiere
im Hamlet noch angeführt werden; ſie iſt ein Zufall, aber Laertes, der
durch dieſe Verwechslung fällt, muß ſie auch auf ſeine Rechnung nehmen,
weil wer ein tückiſches Spiel mit ſinnlichen Gegenſtänden treibt, die dem
Zufall unterworfen ſind, ſich dieſen gefallen laſſen muß, wenn er ſich
gegen ihn ſelbſt kehrt. Zufällig iſt ferner die Strafe, wenn ſie zwar
von einem Subjecte kommt, aber einem ſolchen, das, indem es ſie ver-
hängt, nicht im Rechte iſt, wie Eliſabeth in Maria Stuart. Zufällig
iſt aber die Strafe auch wenn das zweite Subject im Rechte iſt, ſofern
es nämlich von dem ſchuldigen Hauptſubjecte zwar verletzt war, aber
nicht auf dem Punkte, wo das höchſte ſittliche Streben ſeines Lebens liegt,
[312] ſondern nur auf irgend einem Punkte, der auch ein anderer ſeyn könnte.
Die Zufälligkeit ſoll nun alſo in höherer Weiſe ſich aufheben, wie dazu
der §. den Uebergang nachweist.
2. Viele der angeführten Beiſpiele enthalten ſchon, nur nicht in
völliger Ausbildung, die höhere Form, worin zwei Subjecte durch die
innere Einheit der ſittlichen Lebenszwecke, die ſie durch ihre Einſeitigkeit
trennen, aufeinander geſpannt ſind. In Romeo und Julie tritt die Liebe
mit dem politiſchen Haß der Familien und dem Willen der Eltern in
Conflict, nur iſt dieſe Seite hier zu unrein, tritt in zu unberechtigter
Form auf, um von einem vollen Conflicte zu reden; im Lear die Vater-
liebe, die kindiſch wird, mit der Kindesliebe, die aus Wahrhaftigkeit herb
wird; in Shakespeares engliſchen Stücken das Recht des Vaſallen,
der ſo gut König ſeyn kann, als der König, der einſt auch Vaſall war,
mit dem Rechte des Königs, der es einmal iſt, die ſchuldige Empörung
mit der ſchuldigen Legitimität; im Hamlet wirft ſich der Conflict in den
Buſen des Helden, der ſich zwiſchen Wiſſen des geſchehenen Verbrechens und
Nichtwiſſen, was thun, Entſchluß und Unſchlüſſigkeit in kranker Betrachtung
zerarbeitet. Hegel rückt ſelbſt den Oedipus unter den Standpunkt eines
Widerſtreits zwiſchen einſeitig Berechtigten, dem Rechte des Selbſtbewußt-
ſeyns und des Weſens (Phänomenol. S. 348 ff. vergl. S. 553 ff.).
Wallenſtein, der manche Momente für die Beleuchtung der zweiten Form
dargeboten hätte, wurde nicht angeführt, weil hier mit Beſtimmtheit der
Conflict zwiſchen dem ſich überhebenden Recht des Feldherrn-Genius zur
Selbſtherrſchaft und der beſtehenden Macht, die ihn mißtrauiſch belauſcht,
als Idee der Tragödie hervortritt.
γ.
Das Tragiſche des ſittlichen Conflicts.
Es rücken nunmehr die den tragiſchen Vorgang bewirkenden Subjecte in
ein Verhältniß zuſammen, das ſie ſo enge bindet, daß kein auffallender Eingriff
des Zufalls mehr Raum hat. Das Bindende iſt der reinſte geiſtige Mittel-
punkt des in §. 117 ff. entwickelten Complexes der Nothwendigkeit, nämlich
die ſittliche Idee als Einheit eines Kreiſes ſittlicher Mächte (§. 120). Aus
dieſem Kreiſe ſondert das äſthetiſche Geſetz der Begrenzung den Gegenſatz zweier
[313] beſtimmter ſittlicher Mächte aus, die einander weſentlich fordern und in der
reinen Idee im Einklang ſtehen. Der reinſte Fall nun iſt, wenn dieſer Gegen-
ſatz nicht blos in Ein Subject fällt, ſo daß es nicht handeln kann, ohne das
eine oder das andere Glied desſelben zu verletzen, ſondern wenn jedes der
Glieder einem von zwei Subjecten, die als Vorkämpfer einer Vielheit von
Subjecten ſich gegenüberſtehen, als ſein Pathos zufällt.
Ariſtoteles (Poet. 14) ſagt, indem er die Stoffe aufſucht, welche
tragiſche Furcht und Mitleid erregen: „wenn ein Feind den andern tödtet,
ſo liegt weder in der Handlung ſelbſt, noch in dem Vorhaben etwas
Mitleidbewegendes außer dem, was aus dem Leiden ſelbſt entſpringt;
ebenſowenig bei denen, welche weder Freund noch Feind ſind. Bricht
aber zerſtörende Leidenſchaft in Verhältniſſen aus, deren Weſen die Liebe
iſt, wie wenn ein Bruder den Bruder oder ein Sohn den Vater oder
eine Mutter den Sohn oder ein Sohn die Mutter tödtet oder tödten
will oder ſonſt etwas der Art thut, — ſolche Stoffe muß man ſuchen.“
Dieſe Stelle enthält einen ſehr treffenden Wink für die wahrhaft tra-
giſchen Colliſionen, iſt aber keineswegs allein für die vorliegende dritte
Form des Tragiſchen als Beleg anzuführen, wie Rötſcher zu wollen
ſcheint, wenn er (Staatsler. v. Rotteck und Welcker B. 15. Theater
und dram. Poeſie S. 390) dieſelbe auf den Conflict ſolcher Mächte
anwendet, welche „durch ihre eigene Natur aufeinander bezogen, d. h.
als Gegenſätze gegeneinander geſpannt ſind.“ Die Worte des Ariſtoteles
gehen nämlich ebenſo auf die zweite Form, die einfache Schuld, wie auf
die dritte, den tragiſchen Conflict; denn wenn ein Bruder den Bruder
u. ſ. w. tödtet, ſo kann dies geſchehen aus Haß überhaupt und Schlechtig-
keit, wie es Richard III thut, es kann ihn aber auch ein berechtigtes
Pathos dazu treiben, wie den Polyneikes gegen Eteokles, der ihm ſeinen
Antheil an der Herrſchaft über Thebe verweigert. Tragiſch iſt auch die
erſtere Form, denn ſie verletzt, was durch Liebe gebunden ſeyn ſoll, tragiſcher
aber die letztere, denn hier erſt geräth mit der Liebe ein anderes Geſetz,
das Recht, in Streit, dem nicht Genüge geſchehen kann, ohne jene zu verletzen.
Ariſtoteles hat beide Formen nicht unterſchieden. Daß auch die erſtere, von
uns als zweite aufgeführte ein Verhältniß vorausſetzt, wo Einheit herrſchen
ſollte, liegt einfach in dem dort aufgeführten Begriffe der Schuld; denn dieſe iſt
nur, wo verletzt wird, was geachtet werden ſoll. Die dritte, vorliegende Form
nun hat Hegel in mehreren Stellen ſeiner Werke entwickelt: in der Phä-
nomenol. S. 346 ff. 550 ff. Religionsphiloſ. 2, 113 ff. Aeſth. 3, 527 ff.
[314] Die trefflichſte Darſtellung iſt jene in der Phänomenologie; wie die That
„das Unbewegte bewegt“, den ſchlummernden Geiſt der Einheit, die
das Weſen und das Selbſtbewußtſeyn, den ſittlichen Zweck und den ihm
entgegengeſetzten in ſich im Einklang hält, gegen ſich aufreizt, könnte mit
tieferem Schickſalsgefühle nicht ausgeſprochen werden. Um nun vorläufig ein
Bild dieſer Form zu geben, mag an folgende Beiſpiele erinnert werden, wobei
die Fälle zu unterſcheiden ſind, wo der Conflict ſich klar an zwei Kämpfer
vertheilt, oder wo blos Einer den Kampf im Buſen trägt, welchem die ver-
letzte Seite nur in übermenſchlicher oder rathender, mahnender, aber nicht
mitkämpfender menſchlicher Perſönlichkeit zur Seite ſteht. Daß der erſtere
Fall der äſthetiſch höhere iſt, leuchtet von ſelbſt ein. Erſcheint dennoch ein
Kunſtwerk der zweiten Art als höher, ſo iſt dies nicht, weil das Tragiſche
darin bedeutender iſt, ſondern hier kommt theils die Kunſtgattung, theils
die Intenſität der Behandlung und Anderes in Rechnung, was hier noch nicht zu
verfolgen iſt. Geſchwiſterliebe und Staatsgeſetz in der Antigone des Sophokles.
Sohnesliebe und Blutrache in der Oreſtie: hier ſind nicht zwei Kämpfer,
die Pietät ſpricht aus dem Munde der mitleidflehenden Mutter, die Blut-
rache aus Apollo und Elektra, aber jene fällt ſchnell und nun ſpielt ſich
der tragiſche Conflict im Buſen des Oreſtes ab, nur in übermenſch-
lichen Weſen iſt er zugleich objectivirt. Rüdigers Conflict zwiſchen der
Pflicht der Freundſchaft gegen die Nibelungen und des Vaſallen, welche
letztere durch einen der Chriemhilde geſchworenen Eid verſtärkt iſt; der
Kampf iſt innerlich. Im Mittelalter: Kampf der Kaiſer und Päpſte, d. h.
des Staats, der ſich als vernünftige Einheit bilden will, und der ihn auf-
hebenden transcendenten Macht der Kirche. Der Kampf iſt tragiſch, weil
beide Mächte in ihrer Zeit berechtigt ſind. Hat ſich dagegen eine Religions-
form ausgelebt, ſo iſt ihr Kampf gegen den Staat, der nur Einen, nicht
zwei Willen in ſeinem Mittelpunkte dulden kann, ſowie gegen die Auf-
klärung des Geiſtes nicht mehr tragiſch im Sinne der vorliegenden Form,
ſondern im Sinne der zweiten, es iſt das Tragiſche der einfachen Schuld,
nämlich des aus Selbſttäuſchung bös gewordenen Willens. Conflict im
Staate: demokratiſches und monarchiſches oder ariſtokratiſches Prinzip
(Shakespeare’s Julius Cäſar und Coriolan, nur iſt das Volk zu
ſchlecht behandelt; franzöſiſche Revolution); Kämpfe der Vaſallen gegen
den Thron im Feudalſtaate, an den ſie ein Recht haben, in dem Sinne,
wie es §. 134, 2 erwähnt iſt (Shakespeare’s hiſtoriſche Stücke). Ende
des Feudalſtaats: Recht der ungebundenen heroiſchen Perſönlichkeit und
Recht des ſich bildenden Polizeiſtaats; Göz von Berlichingen. Privat-
[315] leben: Herz und Pflicht, Geſetz der Zukunft für die Individualität und
Anſpruch eingegangener Verpflichtung: Göthes Wahlverwandtſchaften,
Clavigo. In jenen iſt der Kampf auf zwei Seiten je in zwei Perſonen
innerlich, das Geſetz der Pflicht ſteht nur mahnend in der Perſon des
Mittler zur Seite, im Clarigo ſchwankt der Held zwiſchen den Einflüſſen
ſeiner Mahner, die Pflicht der Treue, iſt in Marien und ihrem Bruder, das
Geſetz der Zukunft in Carlos repräſentirt. Recht der Phantaſie, der poetiſchen
Freiheit und Recht des Verſtandes, der Convenienz, des praktiſchen Takts:
Göthes Taſſo. Recht der Unendlichkeit des denkenden, genießenden, wollen-
den Geiſtes und Geſetz der Beſchränkung, der Erfahrung: Göthes Fauſt.
Der letztere Kampf ſpielt innerlich in Fauſt; das Geſetz der Beſchrän-
kung iſt zwar in Margareten und Valentin objectivirt, hat aber ſeine hö-
here und zweideutige Vertretung in der außermenſchlichen Geſtalt des
Mephiſtopheles, der Fauſt an beſchränkten Genuß zu ketten ſucht, um ihn zu
verderben, aber dennoch ihn erzieht, ohne es zu wollen.
Unter dieſen zwei Mächten ſteht die eine im Vorrecht gegen die andere,
obwohl auch dieſe berechtigt iſt. Das Leben der ſittlichen Idee bringt nämlich
einen ſteten Gegenſatz des freien Fortſchritts und des nothwendig Beſtehenden,
des Jugendlichen und des Hemmenden mit ſich, denn der Wille ſchafft ſich
Formen und ſtrebt ſie, nachdem ſie ihm nicht mehr angemeſſen ſind, als todten
Niederſchlag abzuſchütteln, während ſie doch Dauer anſprechen, ſo lange ſie den
Bedürfniſſen der noch nicht fortgeſchrittenen Sphäre des Willens genügen und
die neue Form erſt geſchaffen werden ſoll. Daraus entſteht ein Kampf, der
wirklicher Conflict iſt, weil beide Geſetze, das der neuen Schöpfung und das des
Beſtandes der alten, berechtigt ſind. Das tiefere Recht iſt aber, weil die ſitt-
liche Idee abſolute Bewegung iſt, auf der erſten Seite.
Der wahre Inhalt des Tragiſchen ſind, wie ſchon berührt, Revolutionen,
die höchſte Darſtellung desſelben, die Tragödie, iſt durch ängſtliche Ueberwachung
der Bühne vernichtet. — Das Recht des freien Fortſchritts nun hat ge-
wöhnlich auch den genialeren, jugendlicheren, glänzenderen Vertreter. Die
Theilnahme tritt auf ſeine Seite und meint, aber mit Unrecht, er falle
unſchuldig. Antigone, welche ein zwar in uralter Volksſitte gegründetes
Geſetz der Pietät gegen ein Geſetz des Staates geltend macht, aber eben
hierin dem jugendlichen Gefühle gegen ein Gebot des Staates folgt, das
[316] zwar nur für dieſen Fall, jedoch im Intereſſe des Ganzen gegeben iſt, welches
jede Familie überdauert, Taſſo, der in der Gluth ſeiner Dichternatur
Verſtand und Convenienz bei Seite wirft, Wallenſtein, der das Miß-
trauen Oeſtreichs, welches den Genius nicht ertragen kann, mit Verrath
erwiedert, Göz, der den neuen Landfrieden nicht faſſen kann, ſteht im
Vorrecht unſerer Liebe. Aber es iſt ein Irrthum, wenn man den Helden
des Strebens, der Revolution im Untergang wie einen ganz Unſchuldigen
betrauert; das Beſtehende hat auch ſein Recht. Das Wahre liegt in der
Mitte. Aber Vermittler ſind ganz untragiſch. Denn es kann nicht ge-
handelt werden, ohne umzuſtoßen, durch die Vermittler geſchieht vielmehr
einfach nichts. Erſt die weite Zukunft, wenn der entſchiedene Wille ſchuldig
geworden iſt, bringt die wirkſame Vermittlung herbei. Antigone kann
nicht den Bruder zugleich begraben und nicht begraben, Kreon nicht ein
Geſetz geben und nicht vollſtrecken, aber es bleibt die Ausſicht, daß die
blutige Lehre eine Vermittlung in künftigen Fällen, d. h. eine zum voraus
den Conflict vermeidende Mäßigung, eine Humanität des Staates zur
Frucht haben müſſe.
Indem nun jede der ſittlichen Mächte einem beſtimmten Subjecte zufällt,
tritt alſo nothwendig eine Trennung des ſchlechtweg gegenſeitig ſich Fordernden
ein. Das Subject kann vermöge der Schranke ſeiner Einzelheit nur Eine ſitt-
liche Macht zu ſeinem Lebensgehalte erheben. Nun mag es im betrachtenden
Bewußtſeyn den reinen Einklang derſelben mit der gegenüberſtehenden gerecht
erwägen; aber die Beſtimmtheit des Falls fordert beſtimmte Handlung; es kann
nur Eines gethan werden. Die abwägende Betrachtung weicht in dieſem Ge-
dränge der einſeitigen Stärke des Pathos und rechtfertigt nur dieſe durch den
begründenden Gedanken. Die Leidenſchaft im Pathos aber iſt zugleich Haß gegen
das andere Pathos und ſeinen Vertreter; denn der Haß iſt die verkehrte Liebe,
die den Unwillen, den das Subject ſich ſelbſt ſchuldig iſt, weil es das von dem
einen Pathos geforderte andere nicht zugleich in ſich aufnehmen kann, auf den
wirft, der es in ſich aufgenommen hat. Gerade die Einheit des Gegenſatzes in
der Idee entzweit die Vertreter ſeiner auf einander geſpannten Glieder und
macht ſie zu Feinden. So reizt und ſtört denn die That, wie ſie ſelbſt gereizt
iſt, die Ruhe der an ſich unbewegten Einheit der ſich fordernden ſittlichen
Mächte.
[317]
Wie ſchwer zu rathen ſey, das fühlſt du ſelbſt
Nach dem, was du geſagt. Es iſt nicht hier
Ein Mißverſtändniß zwiſchen Gleichgeſinnten;
Das ſtellen Worte, ja im Nothfall ſtellen
Es Waffen leicht und glücklich wieder her.
Zwei Männer ſind’s, ich hab’ es lang gefühlt,
Die darum Feinde ſind, weil die Natur
Nicht Einen Mann aus ihnen beiden formte. (Leonore in Göthes Taſſo.)
Durch die That des einen Subjects wird das andere, das von dem Pathos
durchdrungen iſt, welches durch die Idee ebenſo weſentlich gefordert iſt wie das
Pathos des erſten, in ſeinem Rechte verletzt und führt aus ſeinem Pathos den
Gegenſchlag. Aber es verhält ſich mit ihm, wie mit dem erſten Subjecte: es
hat wie dieſes im Rechte Unrecht und verfällt in Schuld. Beide erfahren nun
durch ihre That das Gegentheil ihres Zwecks: es geſchieht, was ſie wollten,
aber es geſchieht auch das, was dieſes Gewollte verkehrt und aufhebt. Hiedurch
leiden beide unendliches Uebel. Die Straffheit der Spannung fordert, daß dieſes
nicht nur in der Unendlichkeit des inneren Schmerzes über die Verkehrung des
höchſten Lebenszwecks beſtehe, ſondern daß Blut fließe. Allein während das
Subject, das im einleuchtenderen Rechte ſteht (§. 136), ſich durch die Raſchheit
des volleren Pathos in den Tod ſtürzt, ſo iſt für das Subject, welches für
das Beſtehende kämpft, ein trübes Ueberleben theurer Verlorener nach ſchein-
barem Siege angemeſſener. Was die in dieſen Kampf hineingezogenen, aber
nicht in erſter Linie betheiligten Subjecte betrifft, ſo gilt für das Verhältniß
ihres Untergangs zu ihrer Schuld dasſelbe, was in der zweiten Form (§. 132).
Der Inhalt des §. mag an der Antigone des Sophokles ver-
gegenwärtigt werden. Die von Solger, Hegel, Süvern aufgeſtellte
Auffaſſung iſt bekanntlich, von Gruppe beſonders, angefochten worden.
Die Gegengründe ſ. Ueber d. Erh. u. Kom. S. 135 ff. Kreon ſetzt
die Beſtrafung der Antigone durch, wie ſie auf ihrem Willen, Polyneikes
zu begraben, beſtand. Allein die Familienliebe, deren uralt ungeſchrie-
benes Geſetz er durch neue Menſchenſatzung umſtoßen wollte, rächt ſich
an ihm, der zwar das Intereſſe des Staates für die Aufſtellung ſeines
Verbots und die Heiligkeit des ausdrücklichen Geſetzes für die Aufrecht-
erhaltung deſſelben in Anſpruch nimmt, aber freilich als unſchöner Cha-
rakter erſcheint, unreine Motive einmiſcht, die σωφροσύνη vergißt. Die Ver-
kündigung des Tireſias ändert ſeinen Sinn, er ſelbſt von ſchlimmer Ahnung
[318] erſchüttert, thut jetzt, was er vorher bei Todesſtrafe verboten hatte, er
läßt den wieder ausgeſcharrten Todten begraben. Es iſt zu ſpät; er
verliert Sohn und Gemahlinn, welche die ſterbende Antigone in’s Grab
nach ſich zieht, und ſo hat er dem Geſetze der Oberwelt Genüge gethan,
aber das der Unterwelt holt ſich ebendadurch ſein Recht. Kreon überlebt,
aber gebrochen und innerlich vernichtet. In andern Fällen ſcheint die
zweite der in §. 136 unterſchiedenen Seiten ſogar zu ſiegen. Wallen-
ſtein fällt und das öſtreichiſche Hofſyſtem ſiegt durch Octavio’s gelungenen
Plan. Hiedurch verſtärkt ſich der Schein, als fallen die Vertreter des
glänzenderen Rechts unſchuldig und triumphire das Unrecht. Allein dies
wäre außer aller Schönheit; denn wenn es in dem Gebiete, wo der ſtörende
Zufall (§. 40. 52) nur in unüberſehlichem Fortgang aufgehoben wird, oft
genug ſo ausſieht, als wäre Gerechtigkeit nicht das Geſetz der Geſchichte,
ſo rückt ja eben das Schöne, was auseinandergeſprengt iſt, aneinander
und hier muß Gerechtigkeit im einzelnen Falle ſichtbar walten. Piccolomini
überlebt, aber mit zerſchlagenem Herzen und mit dem Verluſte des ge-
liebten Sohnes. Der Dichter hätte nur mit ein paar Worten auch dies
andeuten müſſen, daß das ſcheinbar ſiegreiche Syſtem des Kaiſers noch
in weiter Zukunft Fluch tragen und ſo aus Wallenſteins Blut die
Erinnye aufſteigen werde. Wirklich zeigt ein Blick auf die neuere Kriegs-
geſchichte Oeſtreichs, welche Früchte das Syſtem trägt, den Genius
auch an der Spitze des Heers nicht zu dulden, ſondern durch den Kriegs-
rath zu beſchneiden und zu lähmen. Wallenſtein könnte in den letzten
ſchönen Momenten ſeines Lebens mit Seherblick dieſe Nemeſis über der
Zukunft ſchwebend erblicken. — In Shakespeares Julius Cäſar ſtellt
ſich dies gebrochene Ueberleben in doppelter Wendung ein. Zuerſt über-
leben die Verſchworenen mit dem Dolche des Vorwurfs im Buſen den
Mord des Helden, den die geſunkene Kraft Roms zum monarchiſchen Pathos
berechtigte. Dann gehen ſie ſelbſt unter, da ſie doch gegen die Triumvirn,
die nicht eines Cäſars Beruf für ſich haben, im Vorrechte des edleren Pathos
ſind. Sie ſterben „nach Römerbrauch“ durch das eigene Schwert und
Antonius, Octavius ſprechen an der Leiche des Brutus die tiefſte Achtung
vor ihm aus. Will man Antonius und Cleopatra als eine Tragödie des
Conflicts zwiſchen der Poeſie der Leidenſchaft und dem Geiſte der männ-
lichen That, welche durch die gegenüberſtehende Liſt und Conſequenz der
Politik gefordert iſt, betrachten, ſo ſiegt zwar dieſe, aber Octavius ſteht,
als Sieger beſiegt, mit Thränen vor den edeln Leichen des Antonius und
der Cleopatra. So erſcheint es ſelbſt als ſchönes Vorrecht der Helden,
[319] die das Jugendliche wollen, daß ſie raſch dem tragiſchen Geſetze verfallen
und im Tode die Lethe ihrer Schuld trinken. Raſch, wie ſie ſind, und be-
geiſtert, ſteht ihnen ein raſcher Tod an; zäh und klug, wie ſie ſind, ſteht
es den proſaiſchen Helden der Berechnung und des Poſitiven an, ein
Patent, das ſie zum Fürſten erhebt, mit ſchmerzvollem Blick zum Himmel
zu empfangen. So ſiegt Heinrich IV über die aufrühreriſchen Vaſallen,
der lodernde Percy fällt auf dem Bette der Ehre, aber der Sieger, der
ſelbſt den Thron als aufrühreriſcher Vaſall beſtiegen, trägt den ſchweren
Flecken und den Gram um den Sohn, deſſen ſittliche Erhebung er nicht
erleben ſoll, in’s ruhmloſe Krankenbett mit ſich, in welchem er den trüben
Geiſt aushaucht.
Ueber die Nebenperſonen gilt, was §. 132 für die zweite Form des
Tragiſchen ausgeſprochen wurde. Ein Beiſpiel vollerer Schuld und um
ſo edlerer Erhebung im Leiden iſt Margarete in Göthes Fauſt. Valentin
ſtirbt unſchuldig, denn daß er die Verführung der Schweſter mit dem
Degen rächen will, iſt nach den Sitten der Zeit keine Schuld. Aber er
erträgt den Tod feſt und „geht zu Gott ein als Soldat und brav.“
Hämon in der Antigone tödtet ſich ſelbſt, denn der Tod, der ihn der
Braut vereinigt, iſt ihm Wohlthat. Der wackere Georg in Götz von
Berlichingen ſtirbt als braver Reitersmann den ehrlichen Soldatentod.
Die Begründung des Allgemeinen hat ſich hier nicht weiter einzulaſſen,
weil Zahl und näheres Schickſal der Nebenperſonen, theils von dem
einzelnen Falle, der in abstracto nicht zu beſtimmen iſt, theils von den
beſonderen Geſetzen der Kunſtgattungen abhängen, die hieher nicht ge-
hören.
Die Negation iſt in dieſer Form des Tragiſchen die härteſte, da der in-1
nerſte Kern des ſittlichen Wollens ſelbſt die Schuld in ſich ſchließt und in der
ſtrengen Dialektik der Handlung Alles aus dem Innern hervor und in’s Innere
eindringt. Ebendeßwegen aber, weil es hier für die Schuld keine Berufung2
auf den Zufall gibt, gibt es auch keine Klage über Zufälligkeit der Strafe
und iſt dieſe Form vielmehr die gerechteſte, daher auch ihre Verſöhnung die
tiefſte. Die in jeder der kämpfenden Mächte enthaltene Forderung des ſittlichen
Geſetzes iſt durch die That erfüllt, aber zugleich die Einſeitigkeit in beiden
Thaten durch die entgegengeſetzte getilgt und hiedurch die Ausſicht eröffnet,
daß jene ſich reinigend ihre Niederlage überleben werden. Die Subjecte, in3
[320] ihr Inneres gewieſen, erweitern die Deutlichkeit des Denkens, womit ſie vor-
her nur ihr Pathos rechtfertigten, zur gerechten Betrachtung, der Haß erliſcht
in Liebe und anerkennend, daß ſie gefehlt, gehen ſie zwar unter, aber in den
ſittlichen Einklang, der über ihren Leichen ſchwebt, iſt auch ihr vereinigtes
Bild aufgenommen (vergl. §. 126).
1. Die Härte der Negation, die feine geiſtige Schärfe der Schuld,
die ſich hier in’s Innerſte ſelbſt hineinſtreckt, das Edelſte ſelbſt als ein-
ſeitig offenbart, iſt es vorzüglich, von welcher zurückgeſchreckt Gruppe
in ſeiner Ariadne dieſe Form des Schickſals weder in der Antigone, noch
in einem andern Drama anerkennen will, freilich nur um die größere
Härte an ihre Stelle zu ſetzen, daß „das Schickſal unverdient iſt und
außer der Zurechnung ſteht, daß aber doch für den davon Getroffenen
die Illuſion entſteht, als hafte es an ſeiner Zurechnung und ſey ſeine
Schuld“ (S. 176). Es iſt der praktiſch moraliſche Standpunkt, äſthe-
tiſch gefaßt die Abneigung, die Form des ſubjectiv Erhabenen in die
des abſolut Erhabenen aufzulöſen, was die Behauptung zur Folge hat,
es ſey die vollſtändigſte Unpoeſie, daß alles Edle dadurch ſchlecht wer-
den ſolle, daß man ſich ihm mit ganzer Seele hingebe, es ſey eine
Feier des Phlegma, der Gleichgültigkeit und Proſa. Der Menſch bleibt
nach Gruppes Anſicht gerecht, das Schickſal ungerecht. Aber auch
praktiſch wird kein Mann, der Thatkraft hat, darum zögern, zu handeln,
weil er in der reinen Betrachtung ſich bewußt iſt, daß das beſte Handeln
nothwendig einſeitig ſeyn muß, weil man nicht Alles zugleich thun kann;
denn die Betrachtung ſagt ihm ja auch, daß die Summe dieſer Ein-
ſeitigkeiten die Vermittlung des allſeitigen Ganzen vollzieht. Nur Na-
turen, die zum voraus zur Betrachtung und nicht zum Handeln geboren
ſind, werden durch die Furcht vor Einſeitigkeit vom Handeln abgehalten,
wie Hamlet, der aber gerade dadurch nur doppelt ſchuldig wird.
2. Ich ſehe mir den Gegner deutlich gegenüber, er ſagt, was er
will, wie ich, die Gründe werden ausgetauſcht, es iſt kein lauernder
Zufall, kein geweiſſagter Fluch, kein vier und zwanzigſter oder neun und
zwanzigſter Februar zwiſchen dem Bewußtſeyn und der That. Alles iſt
knapp und durchſichtig beiſammen; Schuld und Untergang fließt genau
aus dem Verhältniß der einzelnen Subjectivität zur abſoluten. Je reiner
daher die Gerechtigkeit, um ſo tiefer auch die Verſöhnung. Liegt keine
Schuld hinter dem Innern, ſondern nur im Innern (in der Antigone
wird zwar der Unglücksſtern ihres Hauſes öfters erwähnt, aber nirgends
[321] als das den Mittelpunkt der Tragödie Beſtimmende) ſo iſt auch kein
Schickſal anzuklagen. Poſitiv aber liegt die Verſöhnung nach der objec-
tiven Seite nicht nur darin, daß für den Augenblick wirklich geſchehen
iſt, was jedes der kämpfenden ſittlichen Geſetze forderte, ſondern in der
Ausſicht, daß die harte Lehre künftig eine Ausgleichung des einen mit
dem andern vor der Vollſtreckung eines grauſamen Gegenſchlags mit ſich
führen werde. So wird aus dem Handeln des Kreon vom Chor die
Lehre der Beſonnenheit und des Weiſe-Werdens im Alter gezogen, nur
darf man nicht wie Böckh (Ueber d. Antig. d. Soph. Abh. d. Berl.
Akad. 1824) dies für den Grundgedanken der Tragödie erklären. Kreon
würde, wenn der Fall ſich wiederholte, die Todesſtrafe verkündigen, aber
nicht vollſtrecken. Man könnte einwenden, daraus folge ja eben die
untragiſche ſtumpfe Vermittlung, allein es iſt ein Anderes, ob dies in
Ausſicht geſtellt oder in die Tragödie ſelbſt aufgenommen wird. Aller-
dings liegt es der modernen Bildung näher, ſolche humane Ausgleichung
in den tragiſchen Gang ſelbſt aufzunehmen, wie im Prinzen Heinrich
von Heſſen-Homburg, wo der Churfürſt das todesurtheil ankündigt
und nicht vollzieht, wodurch das Ganze glücklich ſchließt. Man vergeſſe
aber nicht, daß Heinrich trotzdem durch alle Schrecken des Todes hin-
durch muß; man erwäge ferner, daß ein Conflict zwiſchen Kampfwuth
und Subordination eine ſchonendere Löſung duldet, als zwiſchen ſo großen
Mächten wie Staatswohl und Familienliebe. Doch auch die Humanität
der Bildung mit in Rechnung genommen iſt das Tragiſche tiefer, wenn
ihr ſchonendes Thun nur in Ausſicht geſtellt iſt. Allerdings liegt nun
darin ein Widerſpruch: ſchonende Ausgleichung iſt in Ausſicht geſtellt,
und der Zuſchauer weiß doch: daß, ſobald ein Fall des Conflicts wieder-
kehren wird, ſo fordert das tragiſche Geſetz wieder den blutigen Kampf.
Dies iſt ein Widerſpruch, der nicht zu läugnen iſt und daher die Aeſthe-
tik über das Erhabene hinaustreibt in eine andere Sphäre.
3. Dem Subjecte, das ſein Pathos mit Gründen verfochten hat,
kann die Helle des Gedankens nicht ferne liegen, um, durch Leiden be-
lehrt, es auch mit dem entgegenſetzten in Einer gerechten Erwägung zu-
ſammenzufaſſen, ſeine Schuld zu erkennen, zur Reinheit der Contempla-
tion zurückzukehren, den Haß zu opfern, wie Taſſo und Antonio (die
freilich beide am Leben bleiben, weil überhaupt in dieſer Tragödie zu
wenig geſchieht) und dem Feinde vereint über den Gräbern als die geiſtige
Geſtalt des Einen Mannes zu ſchweben, von dem Leonore ſpricht.
Viſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 21
[322]
Der ſubjective Eindruck des Erhabenen.
§. 140.
Im Erhabenen nimmt wie im Schönen (vergl. §. 70) das anſchauende Subject
den Gegenſtand zuerſt vermittelſt der Sinne auf; ſobald er aber als Ganzes aufgefaßt
iſt, ſtellt ſich ein anderes Verhältniß ein, als im Schönen. Im Erhabenen iſt
das Sinnliche gegen die Idee negativ geſetzt. Da nun das erſte Verhalten
des Subjects ein ſinnliches iſt, ſo wird dieſes in ſeinem Zuſammengehen mit
dem Gegenſtande (vergl. §. 70 ff.) zuerſt gewaltſam abgeſtoßen, die Unluſt,
die im Schönen gebunden blieb, weil der Eindruck ſeiner Hoheit mit dem Ge-
fühle der Nähe und Vertraulichkeit ganz zuſammenſchmolz, entbindet ſich. Nun
iſt aber die Negation im Gegenſtande zugleich Poſition und zwar nicht nur der
Idee, ſondern des individuellen Gebildes, das die Idee ebenſoſehr in ſich
enthält, als ſie zugleich unendlich über es hinausgeht (§. 84). Das Subject
alſo, weil es im Gegenſtande miteingeſchloſſen iſt, muß ſich durch einen zweiten
Act erinnern, daß es ſelbſt, wie dieſer, Idee iſt, die ihre begrenzte Geſtalt
ſetzt und überwindet: ſo wächst der Geiſt im Subjecte mit dem Geiſt im Ob-
jecte zuſammen und es entſteht eine durch Unluſt vermittelte, alſo in ihrer
Entſtehung weſentlich bewegte Luſt (Kant).
Kant (Kr. d. äſth. Urthlskr. §. 23): „das Schöne führt directe
ein Gefühl der Beförderung des Lebens bei ſich; das Gefühl des Er-
habenen aber iſt eine Luſt, welche nur indirecte entſpringt, nämlich ſo,
daß ſie durch das Gefühl einer augenblicklichen Hemmung der Lebenskräfte
und darauf ſogleich folgenden deſto ſtärkeren Ergießung derſelben erzeugt
wird. — Das Gemüth wird von dem Gegenſtande nicht blos angezogen,
ſondern wechſelsweiſe auch abgeſtoßen; daher das Wohlgefallen am Er-
habenen nicht ſowohl poſitive Luſt, als vielmehr Bewunderung und Ach-
tung enthält, d. i. negative Luſt genannt zu werden verdient.“ Die
Unluſt faßt Kant als ein Gefühl der Zweckwidrigkeit, welches dadurch
entſteht, daß die Einbildungskraft in ihrem Verſuche, den Gegenſtand
als Ganzes zuſammenzufaſſen, immer wieder in Ohnmacht zurückſinkt.
Er nennt [daher] das Erhabene „gleichſam gewaltthätig für die Einbil-
dungskraft.“ Was es eigentlich ſey, dem die Luſt gilt, werden wir bei
Kant nachher ſehen, da er blos Eine Hauptform des Erhabenen kennt.
[323] Er folgert aber aus ſeiner treffenden Darſtellung jenes Strebens und
Zurückſinkens, Haltens und Verlierens, Steigens und Schwindelns, was
weſentlich durch den Widerſpruch der Auffaſſung und Zuſammenfaſſung
bedingt iſt (vergl. §. 84, Anm.), daß die Luſt eine bewegte ſey (a. a. O.
§. 27): „das Gemüth fühlt ſich in der Vorſtellung des Erhabenen in
der Natur bewegt: da es in dem äſtbetiſchen Urtheile über das Schöne
derſelben in ruhiger Contemplation iſt.“ Hierauf wiederholt er den
Satz von einem ſchnell wechſelnden Abſtoßen und Anziehen und findet
dieſe Bewegung ganz richtig vorzüglich im Anfange des Acts; denn
allerdings legt ſich die Bewegung gegen das Ende und beruhigt ſich im
Bewußtſeyn der gleichen Höhe mit der Idee das Subject zu voller Luſt.
Das Ueberſchwengliche für die Einbildungskraft nennt Kant „gleichſam
einen Abgrund, worin ſie ſich ſelbſt zu verlieren fürchtet u. ſ. w.“ Daß
er übrigens auch dieſe bewegte Luſt von der außeräſthetiſchen, durch
Intereſſe beunruhigten, ſtreng unterſcheidet, verſteht ſich bei Kant
von ſelbſt.
Für die Luſt in dieſem Eindruck läßt ſich kein beſſeres Wort finden,
als welches Longin von der Wirkung des rhetoriſch Erhabenen braucht
(περὶ ἵψȣς Sect. VII. 2): φίσει γάρ πως ὑπὸ τȣ῀ ἀληϑȣ῀ς ἵψȣς ἐπαίρεταί
τε ἡ ψυχὴ, καὶ γαῦρόν τι ἀνάςημα λαμβάνȣσα πληρȣ῀ται χαρᾶς καὶ
μεγαλαυχίας, ὡς αἰτὴ γεννήσασα ὅπερ ἤκȣσεν. Das Subject
ſagt zu dem Gegenſtande: ich bin, was du biſt! wie Hamlet, indem
er dem Geſpenſte zu folgen entſchloſſen iſt, ausruft:
Es iſt ein Zuſammenwachſen des ebenbürtigen Geiſts im Subjecte mit
der unendlichen Idee im Gegenſtande, ein Aufgeben beider in Einen
Strom, ein Schwung, als führte uns Sturmwind mit in die Höbe.
So ſchließen ſich Luſt und Unluſt zuſammen wie in den Worten Fauſts,
da er den Erdgeiſt erblickt hat: in jenem ſel’gen Augenblicke, ich fühlte
mich ſo klein, ſo groß!
§. 141.
Was bei der Anſchauung des objeetiv Erhabenen empfunden wird,1
kann, da das Erhabene des Raums und der Zeit im Fortſchritte unter die
21*
[324]Kategorie der, jederzeit Furcht erregenden, Kraft befaßt wird (§. 95. 96)
überhaupt als Furcht bezeichnet werden, nur daß die Furcht bei den zwei erſten
2Formen nicht eine ſo gewaltſame iſt, wie bei der dritten. Nun iſt in §. 102
dieſer ganzen Stufe des Erhabenen die wahre Unendlichkeit abgeſprochen und für
eine Täuſchung im Subjecte erklärt worden, das vorgreifend ſeine Unendlich-
keit dem Gegenſtande unterſchiebt. Dieſe Wahrheit macht Kant in dem Sinne
geltend, daß er die Erhebung aus der Unluſt in ein Beſinnen des Subjects
auf ſeine eigene, wahre Unendlichkeit ſetzt und nun erſt eine Subreption an-
nimmt, durch welche es die Achtung vor ſeiner Vernunftbeſtimmung auf den
Gegenſtand übertrage. Allein ſobald dieſe Beſinnung wirklich eintritt, iſt nicht
nur die Erhebung abgeſchnitten, ſondern auch die Furcht aufgehoben. Vielmehr
ſetzt das Subject ſeine Täuſchung dahin fort, daß ihm auch ſeine wahre, geiſtige
Unendlichkeit wie eine ſinnliche Macht erſcheint, daß es ſich ſelbſt zu einer
grenzenloſen Größe und Kraft erweitert und ſo mit dem Gegenſtande in Eins
zuſammengefloſſen ſich in’s Unendliche fortſtrömend und durchaus muthig fühlt.
1. Daß die Furcht keine wirkliche ſeyn darf, iſt ſchon in §. 99, 2
geſagt. — Die Furcht gegenüber der eigentlichen Kraft iſt deßwegen eine
gewaltſamere, weil eine wirkliche Zerſtörung der Glieder unſeres Körpers
vorgeſtellt wird, wogegen wir bei Anſchauung des räumlich und zeitlich
Erhabenen zwar bald hinauf- und hinauszufließen oder wie in einen
Abgrund bodenlos zu ſinken fürchten, aber ohne die Vorſtellung einer
Wunde.
2. Hier iſt ein, durch die ganze Lehre vom Erhabenen bei Kant
a. a. O. §. 23—29 ſich hindurchziehender, aus dem Subjectivismus
des ganzen Standpunkts fließender Irrthum aufzudecken. Kant weist
nach, daß in der ganzen Natur keine abſolute Größe zu finden iſt,
welche doch zum Erhabenen gefordert wird. Die abſolute Größe als
Totalität iſt Idee eines Noumens, das nur im Subjecte liegt und der
Sinnenwelt als Subſtrat untergeſchoben wird. Das eigentliche Gefühl iſt
daher (a. a. O. §. 27) Achtung für unſere eigene Beſtimmung, für
das Vermögen unſeres Gemüths, das Unendliche als Ganzes denken
zu können, für die Ideen der Vernunft, die nur dem Subjecte ange-
hören, und Kant findet daher (§. 25) die Formel: „erhaben iſt,
was auch nur denken zu können ein Vermögen des Gemüths
beweiſet, das jeden Maßſtab der Sinne übertrifft.“ Hierauf
läßt er denn die Subreption eintreten: „alſo iſt das Gefühl des Er-
[325] habenen in der Natur Achtung für unſere eigene Beſtimmung, die wir
einem Objecte der Natur durch eine gewiſſe Subreption (Verwechſelung
einer Achtung für das Object ſtatt der für die Idee der Menſchheit in
unſerem Subjecte) beweiſen, welches uns die Ueberlegenheit der Vernunft-
beſtimmung unſerer Erkenntnißvermögen über das größte Vermögen der
Sinnlichkeit gleichſam anſchaulich macht.“ Dies gilt zunächſt vom ma-
thematiſch Erhabenen, bei dem dynamiſch Erhabenen wendet es ſich da-
hin, daß (a. a. O. §. 28) „die Unwiderſtehlichkeit der Naturmacht
uns, als Naturweſen betrachtet, zwar unſere phyſiſche Ohnmacht zu er-
kennen gibt, aber zugleich ein Vermögen entdeckt, uns als von ihr un-
abhängig zu beurtheilen, und eine Ueberlegenheit über die Natur, worauf
ſich eine Selbſterhaltung von ganz anderer Art gründet, als diejenige
iſt, die von der Natur außer uns angefochten und in Gefahr gebracht
werden kann, wobei die Menſchheit in unſerer Perſon unerniedrigt bleibt,
obgleich der Menſch jener Gewalt unterliegen müßte.“ Hier wird alſo
die Selbſtſchätzung der Unendlichkeit des Willens in uns, der Freiheit,
dem Objecte, der endlichen Kraft untergeſchoben. Kant bemerkt nicht,
daß er dadurch nicht nur im Momente der Erhebung oder Luſt ganz
aus der vorliegenden Sphäre herausgeht, ſondern daß er auch das
Moment der Unluſt, das Erliegen vor der Größe nämlich und die Furcht,
und hiemit den ganzen Gegenſtand aufhebt. Eine Täuſchung iſt da, aber
wenn ich mich einmal auf ſie beſonnen habe, wenn ich mich erinnere,
daß wahre Unendlichkeit nur in meinem Geiſte iſt, ſo hat Furcht und
Erliegen ein Ende. Kant will das Furchtbare erklären und erklärt,
daß wir es nicht zu fürchten brauchen. Daher hat er keinen Raum
mehr für das Erhabene des Subjects: er hat es ſchon in der Lehre
vom objectiv Erhabenen ganz ausgegeben und in Wahrheit hat er viel-
mehr, ohne es zu wiſſen, nur das Erhabene des Subjects. Schon die
einfache Beobachtung hätte ihn eines Andern belehren können, daß es
der ſinnlichere Menſch iſt, der für das Erhabene der Natur am
meiſten Gefühl, daß es die Naturreligion iſt, die ganz in dieſer Em-
pfindung ihre Heimath hat. Die Täuſchung ſetzt ſich im ſubjectiven Ein-
drucke vielmehr dahin fort, daß das Subject nicht nur die endliche Unend-
lichkeit des Gegenſtandes mit der wahren, geiſtigen verwechſelt, ſondern
umgekehrt, wenn es hierauf mit dem Gegenſtande zuſammenfließt, auch dieſe
ſeine eigene Unendlichkeit wie eine maſſenhafte, ſinnlich beſtimmte fühlt.
Wir erweitern uns zum Allleben der Natur, wir ſind elementariſch ge-
ſtimmt, wir halten es mit dem Sturm, den Wogen, ſchwimmen in
[326] dieſem Strom in’s Unendliche hinaus, wir gleichen Fauſt, der bei dem
Anblick des Erdgeiſtes ſeine freie Kraft durch die Adern der Natur
fließen fühlt und ſchaffend Götterleben zu genießen ſich ahnungsvoll ver-
mißt, der mit dem geſchäftigen Geiſte die weite Welt umſchweift.
§. 142.
Das Erhabene des Subjects erregt als Leidenſchaft ein Gefühl
des Erliegens vor der angeſchauten Größe, das noch der Furcht vor der bloſen
Kraft enge verwandt iſt, das Böſe Grauſen, das poſitiv Pathetiſche Beſchämung
und Hochachtung, das negativ Pathetiſche, nachdem zuerſt die Furcht vor
dem angedrohten Leiden in Bewegung geſetzt iſt, Mitleiden, welches mit der
Furcht für den Bedrohten ſich wechſelſeitig bedingt, und darauf Ehrfurcht. Aus
2dieſen Empfindungen der Unluſt erhebt ſich das anſchauende Subject zu dem
Bewußtſeyn ſeiner eigenen wahren Unendlichkeit, verbrüdert ſich mit dem ange-
ſchauten Subjecte, und die Furcht vor der Gewalt der Leidenſchaft wird eigenes
Kraftgefühl und Muth, das Grauſen genießt im Anblicke der Verkehrung
ſelbſt die Unendlichkeit der Subjectivität, die Hochachtung wird Selbſtachtung,
das Mitleid reinigt ſich durch die Ehrfurcht zu dem Gefühle der eigenen
Fähigkeit, im äußerſten Leiden ſelbſt die reine Freiheit des Willens zu be-
währen.
1. Es kann hier nicht Aufgabe ſeyn, die ganze Tonleiter der Em-
pfindungen zu verfolgen, welche das Erhabene des Subjects erregt. So
iſt auch der Wechſel zwiſchen Achtung und Geringſchätzung nicht beſonders
hervorgehoben, den der Anblick des ſchwankenden Willens (§. 116) her-
vorrufen muß. Hochachtung und Ehrfurcht ſind zunächſt als Gefühle der
Unluſt bezeichnet, indem das negative Moment, welches darin liegt, durch
die wiſſenſchaftliche Betrachtung von dem poſitiven getrennt wird. Man
denke an einen Burgognino, der, da Fiesko die Maske von ſeiner
Größe fallen läßt, in einen Stuhl ſinkt mit den Worten: bin ich denn
gar nichts mehr? — Zu den Gefühlen der Unluſt iſt auch das Mitleiden
gezählt. Es iſt in der Furcht ſchon eingeſchloſſen, denn: „alles das iſt
uns furchtbar, was, wenn es einem Andern begegnet wäre oder begegnen
ſollte, unſer Mitleid erwecken würde, und Alles das finden wir mit-
leidswerth, was wir fürchten würden, wenn es uns ſelbſt bevorſtände“
(Ariſtoteles Rhetor. II, 5.), und umgekehrt: „Mitleid iſt Schmerzgefühl
[327] über ein Uebel, das wir uns auch für uns oder die Unſrigen als möglich
vorſtellen“ (a. a. O. II, 8) oder wie Leſſing (Hamb. Dramat. Abſchn. 75)
kurz ſagt: und Alles das finden wir mitleidenswürdig, was wir fürchten
würden, wenn es uns ſelbſt bevorſtände. Hiebei iſt ein geiſtig geſtimmtes
Gemüth vorausgeſetzt, denn die Aeſthetik hat ſich nicht mit der Frage zu
beſchäftigen, wie die Gefühle aus ihrer erſten Natur-Rohheit herauszu-
bilden ſeyen, ſondern ſetzt den äſthetiſchen Boden auch bei dem an-
ſchauenden Subjecte als geebnet heraus. Es ſtreift dies ſchon an gewiſſe
Fragen, welche die bekannte Ariſtoteliſche Stelle Poet. 6 in Anregung
gebracht hat, wovon in den ff. §§. mehr. Im außer-äſthetiſchen Gebiete
nun kann das gemeine Mitleiden ein Genuß ſeyn, weil der Grad, in
welchem auch das rohe Subject ſich in den Leidenden hineinverſetzt, nur
dazu dient, die Schadenfreude um ſo mehr zu befriedigen. Der Thier-
und Menſchen-Quäler fühlt bei einiger Nervoſität die Qualen des Ge-
quälten alle mit, aber nur um ſo mehr kitzelt ihn das Bewußtſeyn der
Ueberlegenheit, ſie erregen zu können. Das Mitleid in ſeiner rohen
Natürlichkeit iſt mit der größten Grauſamkeit vereinbar. Iſt es nicht
Grauſamkeit im activen Sinne, ſo iſt es doch Schadenfreude im Zuſehen;
der Grauſame iſt entweder ſelbſt die beſchädigende Kraft und freut ſich
ihrer, oder er verbindet ſich, wenn er ſie nicht ſelbſt ausübt, in der
Vorſtellung mit ihr und hat ſo das Gefühl der Activität, während er
aus ſeinem Mitgefühle wohl weiß, was das angeſchaute Weſen leidet.
Dieſes grauſame Mitleiden iſt der Grund der Luſt bei dem Genuſſe, den
die rohe Menge im Anblicke von Hinrichtungen und die verdorbene im
Leſen und Anſchauen peinlicher Dichtungen und Aufführungen ſucht. Der
etwas Beſſere, dem dieſe Grauſamkeit ferne iſt, aber auch die Reinheit
des Gefühles noch fehlt, welche ächte Schönheit vorausſetzt, genießt bei
ſolchem Anblicke wenigſtens die Luſt allgemeiner Aufregung ſeines Gefühl-
lebens; freilich iſt dieſe bloſe Aufregung nur dem ein Genuß, der zwar
nicht ſchlecht iſt, aber ſtumpf. Dies wird im Folgenden noch ausdrücklich
hervorzuheben ſeyn. Auf wahrhaft äſthetiſchem Boden aber (auch auf
ſittlichem, jedoch auf andere Weiſe) iſt das Mitleiden an ſich bloſe Unluſt
ebenſo wie objectiv das Häßliche (der Zerſtörung) an ſich verwerflich iſt,
aber es hat die Bedeutung, mächtiger negativer Hebel einer Luſt zu ſeyn,
wie das Häßliche zuläſſig iſt um des Furchtbaren willen.
2. Correggio vor Raphaels Sixtiniſcher Madonna: auch’ io sono
pittore! — Was das Böſe betrifft, ſo darf hier noch nicht geltend gemacht
werden, daß die Erhebung für den Zuſchauer in der Zerſtörung desſelben
[328] liege, denn dies iſt ſchon tragiſch. Es thut ſich im Böſen der Abgrund
der Subjectivität in der Form der entſetzlichſten Abſtraction auf; die un-
geheuren Kräfte die darin walten, verkehrt freilich, bewirken ein Staunen
vor den Untiefen, die im Zuſchauer ſelbſt ſchlummern, welches allerdings
energiſch erhebender Art iſt. Die Sehnſucht des untergehenden Böſewichts
nach Liebe und der Gedanke, wie ſchade es um ſo viel Kraft ſey, bewirken
(vergl. §. 108, 2 und 131, 2) ſogar Mitleiden: dieſes aber löst ſich nicht
in Ehrfurcht vor dem im Leiden ſich verklärenden Subjecte, ſondern in
Ehrfurcht vor dem Schickſal. In dem Uebergang aus dem Mitleiden
mit dem edeln Subjecte dagegen zur Luſt verſchwindet zunächſt das vor-
angehende Gefühl der Furcht. Dieſes Gefühl kann hier nicht wie da,
wo die bloſe Kraft der Gegenſtand iſt, für ſich zur Luſt werden durch
Zuſammenſtrömen eigenen Kraftgefühls mit der Kraft im Gegenſtande,
denn dieſe Seite wird ganz verlaſſen, die Theilnahme kehrt ein in das
Innere des leidenden Subjects und nun tritt das Poſitive und Luſt-
erregende in der Ehrfurcht hervor: der Zuſchauer hebt ſich an der Stärke
des Leidenden, an der Ruhe des Würdigen hinauf und fühlt in ſich die-
ſelbe Tiefe ſittlicher Ueberwindung.
§. 143.
Das Tragiſche erregt durch ſeinen Vordergrund zunächſt dieſelben Ge-
fühle, wie das Erhabene des Subjects; allein dieſe ſind von Anfang an durch
den drohenden Hintergrund, auf welchem die Subjecte ſtehen, unter ein Ge-
fühl dunkler Furcht befaßt und dieſe Furcht unterſcheidet ſich von der obigen
(§. 142), wie ſie auch zunächſt durch einzelne drohende Umſtände und Subjecte
erregt ſeyn mag, dadurch, daß ſie allgemeiner Art iſt, denn auch dem drohen-
den Subjecte und jedem Einzelnen droht das erwartete Uebel und das an-
ſchauende Subject, das überhaupt nur fürchten kann als ein im angeſchauten
mitgeſetztes, befaßt auch ſich unter die abſolute Drohung. Allein der Eindruck
des noch in der Fülle ſeiner Erhabenheit glänzenden Subjects, worin der un-
endliche Abſtand zwiſchen der ſittlichen Macht, von der es durchdrungen iſt,
und der einzelnen Subjectivität noch verborgen iſt, ſtellt den drohenden Hinter-
grund in Dunkel und läßt ihn als einen Abgrund von Kraft erſcheinen, deſſen
ſittliche Bedeutung erſt geahnt wird. Die Unluſt, die in der Furcht liegt,
ſchließt indeſſen bereits ein Gefühl der Luſt in ſich, indem ſich der Zuſchauer zu-
gleich auf die Seite der Kraft ſchlägt, auf deren Entladung er geſpannt iſt.
[329]
Dieſer und die ff. §§. ſollen kein Commentar der Stelle des Ariſto-
teles ſeyn, Poet. 6: ἔςιν ȣ῏ν τραγωδία μίμησις πράξεως σπȣδαίας καὶ
τελείας, μέγεϑος ἐχȣ´σης u. ſ. w., δι̕ ἐλέȣ καὶ φόβȣ περαίνȣσα τὴν τῶν
τοιȣ´των παϑημάτων κάϑαρσιν. Die Stelle und was in der Rhetorik,
Politik und Poetik mit ihr zuſammenhängt, iſt ebenſo anregend als un-
genügend, und wenn der Philolog billig dem Reize der Ergänzung folgt, ſo
hat der Aeſthetiker ſich zu erinnern, daß die Zeit der Autoritäten vorüber iſt.
Das Treffende der Stelle iſt, daß richtiger und einfacher die negativen
Grundgefühle des Tragiſchen nicht ausgeſprochen werden können, das
Mangelhafte (ob Lücke, ob Unterlaſſung iſt hier nicht zu unterſuchen),
daß die poſitiven oder Luſt-Gefühle, zu denen jene beiden in ihrer Reinigung
ſich umbilden, nicht genannt ſind; denn mag auch die ganze Reinigung
nur homöopathiſch ſeyn und gerade in der Steigerung zu einer Kriſe
beſtehen, gereinigt müſſen jene Gefühle doch andere Namen führen, als
ungeläutert. Allein es handelt ſich hier noch von etwas Anderem, warum
die Stelle für eine Wiſſenſchaft der Aeſthetik nicht Autorität ſeyn kann.
Ariſtoteles ſpricht, ganz in antiker Weiſe, von Furcht und Mitleid, wie
ſie außerhalb des Gebiets äſthetiſcher Wirkung als natürliche Affecte und
zwar mit der Leidenſchaftlichkeit des Südens auftreten, während die jetzige
Aeſthetik dieſe Affecte, ſelbſt wie ſie als noch unvollkommene erſte Wirkung
des Tragiſchen auftreten, als eine geläuterte contemplative Unluſt aufführt:
d. h. als eine Unluſt, welche zwar nur möglich iſt, ſofern der Zuſchauer
ſich in die Bedrohten und Leidenden hineinverſetzt, aber wobei doch von
rein ſtoffartiger Furcht und Mitleid nicht mehr die Rede iſt. Stoffartig
alſo, wie ſie ſind, ſollen dieſe Affecte durch die Tragödie geläutert werden.
Bei dieſer Läuterung nun berückſichtigt offenbar Ariſtoteles zunächſt
den idealen Gehalt der Tragödie nicht, ſondern nur folgende Punkte:
erſtens die μίμησις. Aus dieſer entſteht (a. a. O. 14) ἡ ἀπὸ ἐλέȣ
καὶ φόβȣ ἡδονὴ. (Vergl. Ed. Müller Geſch. d. Theorie d. Kunſt bei
d. Alten Th. 2, S. 62. 66. 67). Die Affecte werden dadurch gereinigt, daß ſie
durch eine Handlung erregt werden, die nicht wirklich, nur dargeſtellt iſt.
Dies iſt es alſo, dieſe Entfernung des Stoffartigen, was die jetzige Aeſthetik
ſchon vorausſetzt. Zweitens: das Hineinverſetzen in die bedrohten und
leidenden Subjecte, welches daraus folgt; ich fürchte und leide zwar
mit ihnen, aber doch weſentlich nur in ihnen, ſo daß in der Theilnahme
das Stoffartige des Affects aus mir gezogen wird, ſich von mir ablöst.
Hier nun iſt das Wichtigſte dies, was ſchon §. 142, 1 angeführt iſt:
daß Ariſtoteles Furcht und Mitleiden als Momente Eines Affects ſcharf-
[330] ſinnig auffaßt, wozu Rhetorik 2, 5. 8. beizuziehen iſt. Auch Leſſing iſt
dort ſchon genannt; er hat das Verdienſt, dieſen Punkt in Ari-
ſtoteles zuerſt aufgehellt zu haben (Hamb. Dram. Abſchn. 74 ff.). —
Beiläufig geſagt: ſchon dieſe Stellen der Rhetorik, ebenſoſehr aber alle in
der Poetik über Furcht und Mitleid widerlegen auf den erſten Anblick die
von Göthe (Nachgel. W. B. 6, S. 16—21) aufgeſtellte, von A. Stahr
(deutſche Jahrb. April 1842) aufgenommene Anſicht. — Die Furcht wird
Mitleid, wenn das befürchtete Uebel einſchlägt, ſie iſt zukünftiges Mitleid.
Die Furcht hingegen, welche Furcht bleibt und, wenn das Uebel einſchlagend
mich trifft, in Schrecken, der nur mir gilt, übergeht, kann nicht Mitleid werden,
ſie bleibt alſo ſtoffartig. Umgekehrt: das Mitleid, das nicht das Ende
einer Furcht iſt, die ich theilte, die alſo einen allgemeinen Grund hat,
ein Gefühl des allgemeinen Menſchenlooſes iſt (E. Müller a. a. O. S.
65. 66), iſt gemeines und rohes Mitleid. Ariſtoteles hatte alſo vorzüglich
eine Reinigung dieſer Affecte durch gegenſeitiges Einſchließen und Uebergang
ineinander im Auge. Das Geheimniß ſitzt demnach vorzüglich da, wo es
Leſſing (a. a. O. Abſchn. 78) aufſucht: „wer den Sinn des Ariſtoteles
ganz erſchöpfen will, muß ſtückweiſe zeigen 1) wie das tragiſche Mitleid
unſer Mitleid, 2) wie die tragiſche Furcht unſere Furcht, 3) wie das
tragiſche Mitleid unſere Furcht, und 4) wie die tragiſche Furcht unſer
Mitleid reinigen könne und wirklich reinige.“ Nun erſt drittens iſt
beizuziehen, daß Ariſtoteles auch auf den Gehalt eingeht und namentlich
Poet. C. 13 als Inhalt der Tragödie das Leiden großer Menſchen ohne
entſprechende Schuld verlangt. Sieht der Zuſchauer, wie auch der Beſte nicht
ausgenommen iſt, ſo wird dadurch erſt ſein Schmerz groß, erhaben, all-
gemein (Ed. Müller a. a. O.). Auf dieſem Punkte nun aber fehlt
bei Ariſtoteles ein Hauptmoment. Er ſpricht zwar von einer ἁμαρτία,
aber er entwickelt den Begriff der Schuld nicht weiter und geht alſo
auch nicht auf den Begriff der abſoluten Gerechtigkeit über, deren
Anſchauung erſt Furcht und Mitleid in weſentlich andere Gefühle ver-
wandelt. Dieſen Mangel hat Ed. Müller nicht gehörig hervorgehoben
und Bohtz (die Idee des Tragiſchen S. 109 ff.) hat ihn ergänzt,
ohne ihn bei Ariſtoteles aufzudecken. Für uns aber, dir wir nicht
von der erſten Läuterung jener Gefühle aus ihrer Stoffartigkeit, ſondern
von ihrer weiteren Umbildung, nachdem ſie zum voraus als äſthetiſche
vorausgeſetzt ſind, zu reden haben, wird dies Moment das wichtigſte
ſeyn. — In Beziehung auf den vorliegenden §., der keiner Erläuterung
bedarf, iſt nur noch hinzuzuſetzen, daß, wenn Ariſtoteles unter τοιȣ´των
[331] die ganze Tonleiter der in Furcht und Mitleid begriffenen Gefühle verſteht,
in der Furcht namentlich das beſondere Moment der Spannung hervor-
zuheben iſt, in welcher außer der ſteigenden Bangigkeit, die ſelbſt
nicht ohne Luſt iſt, ſobald der Zuſchauer ſich auf der Seite der drohenden
Kraft ſchlägt, noch ein Reiz der Wißbegierde liegt.
§. 144.
Das Uebel bricht aus, die Furcht geht in Schrecken und Mitleid mit
allen ihren Abſtufungen über. Dieſe Gefühle nun ſchließen noch abgeſehen von
weiterer Erhebung nur die ganz allgemeine Luſt durchgreifender Aufregung in
ſich, welche um ſo ſtärker iſt, wenn beide zwiſchen wechſelsweiſe ſich verletzenden
Kämpfern ihre Theilnahme wechſeln. Aber nur das rohe oder ſtumpfe Gemüth
befriedigt der Schrecken, weil er reizt, das Mitleid, weil es aufregend auflöst; dem
äſthetiſch Geſtimmten werden beide zu einem Gefühle wahrer Unluſt, weil bei dem
Anblicke des Leidens, ſofern zunächſt deſſen Mißverhältniß zur Schuld einſeitig be-
trachtet wird, auch die Luſt verſchwindet, die im vorigen Gefühle drohender Kraft lag.
Die Aufregung des Gemüths, die Aufrüttlung aller Nerven iſt darum
ſo tief und allgemein, weil Schrecken und Mitleid in widerſprechenden
Stellungen um ſo mehr das Herz beſtürmen, je reiner das Tragiſche iſt,
insbeſondere alſo bei der dritten Form des negativ Tragiſchen. Ich er-
ſchrecke für den Feind des Helden und bemitleide ihn, ich ſehe den Gegen-
ſchlag und beide Gefühle werden auf dieſen und ebenſo auf betheiligte
Nebenperſonen übergetragen. Es liegt in dieſer Durchwühlung des Innern
die abſtracte Luſt allgemeiner Aufrüttlung, aber, wie in anderem Zu-
ſammenhange die Anmerkungen ſchon §. 142, 1 ausgeſprochen haben, nur
dem unreinen Gemüthe genügt ſie, nur die Barbarei der Rohheit oder
Blaſirtheit iſt zufrieden geſtellt durch unaufgelöste peinliche Effecte, etwa
auch die phantaſieloſe Ordentlichkeit, weil ſie von der langen Weile befreit
wird. Dem äſthetiſchen Gefühle fehlt nun die Verſöhnung, denn mit der
bloſen Kraft kann es nicht mehr halten, da auf die Kraft ein neues Licht
fällt, das ſittliche, in deſſen Beleuchtung ſie als bloſe Kraft keinen Werth
hat oder vielmehr Unwillen erregt, da ſie nun als ungerecht erſcheint.
§. 145.
Allein inzwiſchen hat ſich im Fortgange das Ganze verändert. Die be-
drohten Subjecte ſind ſchuldig geworden und da dieſe Schuld darin beſtand,
[332] daß ſie ihr Pathos mit der Einſeitigkeit der einzelnen Subjectivität behafteten,
ſo löst ſich die ſittliche Macht, von der ſie durchdrungen waren, aus dieſer
Durchdringung und ſtellt ſich unendlich über ſie. Indem ſie leiden, wird aller-
dings auch die von ihnen vertretene ſittliche Macht verletzt und dies erhöht
zunächſt das Gefühl der Unluſt. Aber dieſe Macht hat noch einen anderen
Boden, ſie iſt im reinen Einklang der abſoluten ſittlichen Idee aufgehoben und
das Geſetz dieſes Einklangs tritt nun als wahrer Kern der vorher dunkeln
tragiſchen Kraft hervor und übt an den Schuldigen Gerechtigkeit. Der Zu-
ſchauer nun, mitgeſetzt in den angeſchauten Subjecten, fühlt die allgemeine
Schuld ebenſo wie das Leiden auch als die ſeinige und richtet ſich in dieſem
Anblicke zu dem Gefühle der abſoluten Ehrfurcht vor der abſoluten ſittlichen
Macht auf.
Bohtz (a. a. O. S. 135) nennt dieſe wahrhaft gereinigte Furcht
Ehrfurcht oder mit der h. Schrift Furcht des Herrn. Jener Name
mußte allerdings ſchon für das Gefühl gebraucht werden, das ſubjective
Erhabenheit erregt (§. 142). Dagegen führen Ausdrücke wie: Furcht
des Herrn oder Anbetung auf das ſalbungsreiche Gebiet ab.
§. 146.
Der Zuſchauer ſchlägt ſich nun ſelbſt auf die Seite des ausübenden abſoluten
Subjects und in dieſes höchſte Gefühl, ein Glied des ewigen Ganzen zu ſeyn, löst
ſich auch die Unluſt auf, die als erſte Stimmung in der Ehrfurcht liegt. Kommt
dazu im angeſchauten Subjecte die Anerkennung der Schuld und dadurch die
innere Ueberwindung des Leidens, ſo wird die Luſt durch den Anblick der
wiederhergeſtellten, in die abſolute aufgenommenen ſubjectiven Erhabenheit
verdoppelt. Die verletzten Momente der abſoluten ſittlichen Einheit aber, d. h.
die einzelnen ſittlichen Mächte werden nicht nur innerlich durch jene Aner-
kennung wieder in Einklang geſetzt, ſondern ebendadurch wird in Ausſicht ge-
ſtellt, daß ſie, den Untergang ihrer einſeitigen Vertretung überdauernd, einer
Reinigung entgegen gehen (§. 139, 2). So erſcheint die abſolute Macht als
eine weſentlich erhaltende. Die volle Luſt, welche durch dieſes Schauſpiel aus
der vollen Unluſt entſpringt, gewährt in ihrer Reinheit nur die dritte Form
des negativ Tragiſchen, die übrigen führen dazu in unvollſtändigen Stufen.
[333]
Es hätte zu unendlicher Breite geführt, wenn der ſubjective Eindruck
jeder Form des Tragiſchen beſonders hätte behandelt werden ſollen. Im
poſitiv Tragiſchen nimmt die Unluſt nicht ihren vollen Verlauf, da
Schuld und Leiden nicht bis zum Letzten und Aeußerſten gehen; allerdings
iſt ebendarum die Luſt um ſo weniger tief. In den zwei erſten Formen
des negativ Tragiſchen dehnt ſich die Unluſt vollſtändig aus und geht
nicht in reine Luſt über, man kann aber ebenſogut auch hier ſagen, daß
dieſe nicht vollſtändig ſey, weil jene nicht tief genug geht, indem der
Schmerz über eine blos anhängende und beiläufige Schuld ungleich ober-
flächlicher iſt, als der über die innere Schuld im ſittlichen Streben ſelbſt. —
Mit dem bisherigen glauben wir das Erhabene entwickelt zu haben
und faſſen es in ſeiner Spitze mit den Worten des Dichters zuſammen:
— Das große, gigantiſche Schickſal,
Welches den Menſchen erhebt, wenn es den Menſchen zermalmt.
[[334]]
B.
Das Komiſche.
§. 147.
Der reine Einklang des Schönen iſt im Erhabenen durch die negative
Stellung der Idee gegen das Bild zu dem Widerſpruche eines Uebergreifens
1jener über dieſes bei fortgeſetzter Unzertrennlichkeit aufgehoben. Die Verſöhnung
am Schluße des Tragiſchen iſt keine Herſtellung, ſondern nur eine täuſchende
Hinausſchiebung der poſitiven Geltung des Bildes; dieſe behauptet aber ver-
möge der im Begriffe des Schönen geſetzten reinen Durchdringung das Bild
trotz der in §. 83 eingeräumten Unſelbſtändigkeit, denn ungeachtet dieſer ſollen
2Bild und Idee einander vollſtändig decken. Das Weſen des Schönen ſelbſt
fordert daher eine Herſtellung dieſer Störung, eine völlige Genugthuung für
das verkürzte Recht des Bilds, und dieſe kann nur in einem neuen Wider-
ſpruche beſtehen, nämlich in einer negativen Stellung, welche ſich nun das Bild
zur Idee gibt, indem es ſich der Durchdringung mit der Idee widerſetzt und
ohne ſie als das Ganze behauptet.
1. Die Verſöhnung im Erhabenen war durchaus unvollkommen.
Objectiv kam das Recht des begrenzten Gebildes im Schönen mit dem
ganzen, ihm eingeräumten Reiche der Zufälligkeit (§. 30 ff.), ſubjectiv,
das Recht des Bewußtſeyns, ſich in dieſer Welt heimiſch zu empfinden,
immer zu kurz. Im Tragiſchen ſchloß zwar jede Form mit einer Ver-
ſöhnung, die um ſo tiefer ging, je tiefer die Negation und der Schmerz.
Allein dieſe Verſöhnung war immer zu theuer erkauft. Sie ſchwebt über
Leichen; Falſtaff mag nicht „ſolche grinſende Ehre.“ In §. 138
Anm. 1; 139, 2 eröffnete ſich ein Ausblick auf die Milderung der im
[335] Tragiſchen ſich bekämpfenden Gegenſätze durch die im einzelnen vor-
liegenden Falle liegende blutige Lehre. Allein dieſe Milderung war
innerhalb des Tragiſchen wirklich nicht zu erwarten; denn wo immer ein
ernſtlicher Fall kommt, kann ja doch im Conflicte von beiden kämpfenden
Seiten nur Eines geſchehen, das Andere nicht. Wird aber der Fall
eines nicht abſoluten, ſondern eines ſolchen Conflicts vorgeſtellt, der durch
Humanität lösbar iſt, ſo entſteht entweder das Schauſpiel des poſitiv
Tragiſchen und auch hier geht es ohne ſchweres Opfer nicht ab, oder
es entſteht etwas, was gar nicht tragiſch iſt, weil wirklich der
Conflict nur ein ſcheinbarer war, und dies Etwas kann nur ein Vorgang
ſeyn, der in das Gebiet fällt, welches jetzt vor uns liegt. Das Bild
iſt nun zwar in dem Ganzen, das die Schönheit iſt, die unſelbſtändige
Seite, allein dadurch iſt ihm ſeine Beſtimmung nicht abgeſprochen, zwar
das Gefäß, aber das zureichende Gefäß der Idee zu ſeyn. Bild
und Idee ſollen ſich vollſtändig decken.
2. Das Geſetz des Schönen ſelbſt treibt daher weiter zu einer neuen
Form des Widerſtreits. Nicht das einfach Schöne kann hier als Genug-
thuung des verkürzten Rechts des Bildes wieder eintreten. Eine Nega-
tion iſt nur durch eine zweite Negation aufzuheben. Der Staat iſt nicht
zufrieden, ſich gegen das Unrecht als das gerechte Ganze thatlos binzu-
ſtellen, ſondern er verletzt den Verletzenden, er negirt ihn thatſächlich,
wie dieſer durch das in ſeiner That aufgeſtellte Prinzip ihn negirt.
So kann die Gäbrung des Widerſtreits im Schönen ſich nicht plötzlich
legen, die Verkürzung des Einen Moments durch das andere muß ſich
durch Verkürzung des anderen durch das eine erſt zum Gleichgewichte
herſtellen. Der Geiſt des Ganzen muß dem beeinträchtigten Gliede
ſeines Einklangs dadurch das entzogene Recht wiedergeben. Du sublime
au ridicule il n’y a qu’ un pas. Dieſes Wort muß man nicht durch
ſtoffartige Anführungen aus der Wirklichkeit, ebenſowenig durch Berufung
auf einen äſthetiſchen Zuſammenhang, der die Einmiſchung des Komiſchen
nicht zuläßt, abſtumpfen wollen. Es kann dadurch nur bewieſen werden,
daß der Satz nicht überall anzuwenden iſt; allein damit iſt gar nichts
geſagt, denn es gibt kein Geſetz, das anderswo, als in ſeinem Kreiſe, gälte.
§. 148.
Dies iſt ein Widerſpruch, weil das Bild ohne die Idee nichts iſt. Derſelbe1
begründet eine Erſcheinung, worin das Unterſte zu oberſt geſtellt iſt, indem das
[336] Einzelne, das vom Allgemeinen zur Unterordnung beſtimmt iſt, die Stellung
ſich anmaßt, welche derjenigen Seite des Bildes zukommt, die weſentlich das
Allgemeine in ſich darſtellen ſoll. Dieſer Widerſpruch iſt das Häßliche. Nun
2iſt das Häßliche bereits im Erhabenen (§. 98. 100. 106. 108. 113) aufge-
treten, und dies ſcheint mit der richtigen Begriffsfolge zu ſtreiten, denn jetzt
wird es aus der negativen Stellung des Bildes gegen die Idee abgeleitet, dort
folgte es aus der negativen Stellung der Idee gegen das Bild. Allein es
folgte aus einem Uebermaße, welches die Ordnung des Gebildes zwar verkehrt,
aber zu furchtbar iſt, als daß der Nachdruck auf die Verkehrung fallen kann.
Was an ſich Verkehrung der Idee, die das Gebilde als ſein Gattungsbegriff
beherrſcht, in Häßlichkeit wäre, trat dadurch unter einen andern Standpunkt, in
welchem es der Idee dient, nämlich derjenigen, welche je in der beſonderen
Sphäre das Erhabene bedingte.
1. §. 98 gab bereits eine vorläufige Begriffsbeſtimmung des Häß-
lichen. Dieſe ergänzt ſich an der gegenwärtigen Stelle zunächſt dadurch,
daß die Umkehrung der Harmonie eines Bildes als eine falſche Stellung
der geiſtig ſprechenden und der geiſtig bedeutungsloſeren, zur Unterordnung
beſtimmten Theile ausgeſprochen wird; wie wenn z. B. die Naſe, die
nur einen ſchwachen Antheil an dem geiſtigen Ausdrucke des Geſichtes
hat, durch unverhältnißmäßige Größe diejenigen Theile verdunkelt, wo
derſelbe vorzüglich ſeinen Sitz hat. In §. 98 handelte es ſich von der
Kategorie der Kraft, von einer Ueberladung einzelner Organe mit der-
ſelben, wo alſo dieſe geiſtige Schärfe des Häßlichen noch nicht hervortrat.
Im Böſen §. 108 nahm freilich die Häßlichkeit ſchon dieſe geiſtige Be-
deutung an, allein auch hier iſt die Verkehrung zu furchtbar, um als
ſolche den Nachdruck auf ſich zu ziehen, es bleibt alſo auch hier die
auf einzelne Theile gelegte Ueberladung der Kraft das Beſtimmende der
Erſcheinung. Dieſe Bemerkungen führen bereits zu der folgenden.
2. Das Häßliche trat ſchon im Erhabenen hervor, war aber hier
nicht das Geſuchte, nicht das, worauf die Unterſuchung als ihren Zweck
hindrängte. Es ſtand in zweiter Linie, denn es wurde aufgenommen
nur um des Furchtbaren willen. Das Häßliche iſt nun an der jetzigen
Stelle zu begreifen als verzerrende Auflehnung des Bilds gegen die
Idee, d. h. gegen die Idee, die als Gattung das Gebilde beherrſchen
ſoll. Allein im Erhabenen ſtand dieſe Verzerrung in einem andern Zu-
ſammenhange, ſie diente ſelbſt einer anderweitigen Idee. Wenn
[337] alſo z. B. der Rachen des Krokodils ſo vorherrſchend hervortritt, daß
alles Ebenmaß verſchwindet, wenn Schultern, Bruſt und Arme an einem
Menſchen ſo ſtark ſind, daß der Kopf dagegen unverhältnißmäßig klein
erſcheint, ſo wird im Erhabenen nicht dies in Betrachtung gezogen, daß
dort in der Thiergeſtalt der Begriff des thieriſchen Organismus, der aller-
dings ſchon harmoniſchere Ausbildung der Organe in ſich ſchließt, hier
der Begriff des reinen menſchlichen Organismus beleidigt iſt, ſondern
das Mißverhältniß wirkt im Dienſte der Idee auf der Stufe, wo dieſe
eben im dortigen Zuſammenhange ſteht, nämlich der furchterregenden
Kraft. Die Sache verhält ſich alſo im Grunde ſo: das Häßliche wurde
dort nur ſtoffartig aufgenommen, um im Sinne des Furchtbaren zur
reinen Form erhoben zu werden, nun aber ſucht und ſetzt der innere
Zuſammenhang des Schönen ſelbſt das Häßliche als den beſtimmenden
Begriff, und jetzt tritt die Verkehrung der eigenen, dem Gebilde in-
wohnenden Idee als das Weſentliche hervor.
§. 149.
Ebendarum war der Widerſpruch des Häßlichen nicht in ſeiner Strenge1
vorhanden, wo dasſelbe im Erhabenen hervortrat, denn die Verkehrung des
Einklangs, wodurch das Unterſte zu oberſt geſtellt wird, behauptete ſich dort
nicht als ſchön, ſondern war nur Mittel des Furchtbaren. Alle Häßlichkeit,
welche furchtbar iſt, fällt aus der reinen Häßlichkeit, die an der gegenwärtigen
Stelle auftritt, weg, da der in §. 147 gegebene Uebergang das Häßliche als2
ſolches fordert, d. h. eine Erſcheinung, welche ſich nicht nur gegen ihre eigene
Idee oder gegen die aus ihrer eigenen Gattung fließenden Bildungsgeſetze auf-
lehnt, ohne welche ſie doch nichts iſt und deren verzerrtes Bild ſich ſelbſt in
der Verkehrung noch darſtellt, ſondern in dieſer Verkehrung ſelbſt das Schöne
zu ſeyn ſich anmaßt.
1. Weiße hat das Verdienſt, dem Häßlichen den Ort, der ihm
gehört, nämlich auf dem Uebergange vom Erhabenen zum Komiſchen an-
gewieſen zu haben; eine Stellung, die durch einen Wink Leſſings an-
gedeutet war, von welchem die Rede ſeyn wird. Allein ſowohl er, als
Ruge, der ihm folgt, führen hier eine dämoniſche Geſpenſterwelt auf,
welche weſentlich grauenhaft iſt und daher unter das Furchtbare, alſo das
Erhabene, fällt. (Weiße Aeſth. I, §. 26 — 28. Ruge Neue Vorſch.
Viſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 22
[338]d. Aeſth. S. 106. 107). Was ihnen vorſchwebt, iſt eine Kunſt, welche
Larven ſtatt Schönheit gibt, die verzerrte Romantik. Allein wo irgend
die Kunſt dieſen Abgrund ausbeutet, da thut ſie es in der Meinung,
wahrhaft erhaben (und — wodurch der folgende Uebergang freilich ſchon
ausgeſprochen iſt — komiſch) zu ſeyn. Keine Richtung der Kunſt wird
den Satz: le laid est le beau, den eine geiſtreiche Caricatur als Looſung
der franzöſiſchen Romantiker aufgeſtellt hat, in einem anderen Sinne
zum leitenden erheben, als weil ſie durch das Häßliche tragiſch (oder
komiſch) zu erſchüttern meint. Man könnte zwar ſagen, es bleibe eine
ſolche Richtung doch im rein Häßlichen ſtehen, weil ihr das Moment
der Verſöhnung fehle, das auch im Furchtbaren liegen ſoll. Allein nicht alle
Verſöhnung fehlt, ſondern diejenige, welche je die vorliegende Form fordert;
z. B. wo ſittliche Verſöhnung eintreten ſollte, bleibt es bei dem allge-
meinen Luſtgefühle, welches die bloſe Kraft mit ſich führt. Dies iſt
aber eine Verirrung, welche nur in der Lehre von der Phantaſie, ihren
geſchichtlichen Idealen, und von der Kunſt zu erwähnen iſt. Weil nun
jene Aeſthetiker überſehen, daß der größte Theil der Häßlichkeit, die ſie
darſtellen, in das Erhabene fällt, wird die Lehre von dieſem rein ver-
ſchwindenden Begriffe, der für ſich gar keine wirkliche Welt des Schönen
begründen kann, zu ſelbſtändig und nimmt eine beſondere abgegrenzte
Stellung ein, ſtatt einen fließenden Uebergang darzuſtellen.
2. Der Uebergang, der zur reinen Häßlichkeit führt, liegt nach
§. 147 in einer Forderung, die nothwendig und blos aus dem Schönen
folgt. Er iſt rein äſthetiſch. Anders bei Weiße (a. a. O. §. 24).
Nach ſeiner Darſtellung trieb, wie ſchon oben angeführt, das Erhabene
über das Schöne hinaus, dieſes erſchien nur als Anklang und Vorbild
eines höher liegenden Göttlichen (a. a. O. S. 165). Das Schöne
nun, das ſchön ſeyn will, ohne auf dieſes Höhere hinauszuweiſen, iſt
nach ihm die Häßlichkeit. Demnach wäre Alles, was ſchön iſt, aber
nicht auf die Weiſe des Erhabenen, häßlich, oder nach Weißes Er-
klärung des Erhabenen alles Schöne, das ſich dagegen ſträubt, ſich
(wahrſcheinlich als froſtige Allegorie?) in die Theologie und theologiſche
Moral aufzulöſen. Das Häßliche ſträubt ſich aber nicht gegen etwas
außer ihm, nicht gegen eine „Allgemeinheit, die zuvor als etwas außer
dem Gegenſtande Vorhandenes betrachtet werden mußte“ (S. 177),
ſondern es ſträubt ſich gegen die Allgemeinheit, welche das Gebilde als
deſſen eigenſtes, innerſtes Leben, als ſein Gattungsgeſetz ſo durchdringen
ſoll, daß es ſie in ſich ſelbſt darſtellt. Aus dieſer Ableitung ergibt ſich
[339] für Weiße (§. 27), daß die Geſpenſterwelt der Häßlichkeit nichts
Anderes ſey, als die reine, d. h. durch keine Zucht noch Bildung be-
zwungene Phantaſie, die eigenſinnige Phantaſie des Individuums. Die
zuchtloſe Phantaſie iſt vielmehr noch nicht oder nicht mehr Phantaſie;
die Phantaſie hat das Gute als aufgehobenes Moment in ſich und braucht
keine Zucht von der Theologie. Weiter (§. 28) wird der letzte und
zureichende Grund dieſer Geſpenſterbildung in dem Böſen geſucht: die
Vollendung des Abirrens von dem Zuſammenhange der Aeſthetik. Wenn
die Phantaſie ſich erſt durch poſitive Religion ergänzen ſoll, iſt freilich
die reine Phantaſie das Böſe. In anderer, doch ebenfalls ethiſirender
Weiſe nimmt Ruge (a. a. O. S. 90 ff.) den Uebergang: der Geiſt muß
aus der Erhebung zurückſinken; hält er dieſen Zuſtand des Stagnirens
feſt und behauptet ihn als das Wahre, ſo wird der Abfall prinzipiell,
und die Erſcheinung dieſes Abfalls iſt die Häßlichkeit. Allein was die
Aeſthetik ſucht und fordert, iſt eben die Erſcheinung, die Ruge nur
nachträglich hinzugibt, mag ſie nun das eigentlich Böſe oder Verkehrung
des Geiſtes, der erſt Seele iſt (vergl. §. 108, 1) oder irgend eine
andere der nun zu nennenden Formen zu ihrem Innern haben.
§. 150.
Soll nun die reine Häßlichkeit entſtehen, ſo muß das Schöne dasjenige
in der Erſcheinung aufbieten, wodurch, wenn nicht der weitere Act der Auf-
hebung in der Idee folgt, dieſe in Verkümmerung untergeht: die verworrenen
Uebergangsformen zwiſchen den Reichen der als unbewußtes Leben wirklichen
Idee (§. 18) und das ganze Gebiet der Zufälligkeit, wie ſie ſowohl die
Entſtehung der Individuen beherrſcht (§. 31), als auch in der unendlichen
Eigenheit derſelben (§. 32), die ſich aber hier nicht, wie in der Lehre vom Er-
habenen, zur furchtbaren Bosheit ſteigern darf, und im Wechſel der Sollizitation
(§. 33) wirkſam iſt. Das Erhabene hat die Zufälligkeit zwar nicht aufgehoben,
aber ſtreng durch die bindende Idee zuſammengehalten; ſie muß nun in ihrem
ganzen Umfang hereinbrechen und ſelbſt die ſchlechtweg ſtörende Form der Zu-
fälligkeit, welche in §. 40 als unäſthetiſch behauptet iſt, das ſinnloſe Uebel
nämlich, bleibt dabei nicht aus; denn hat die Idee nicht die Kraft, jene
Zufälligkeiten zu beherrſchen, ſo muß auch dieſe wirkliche Verkümmerung ein-
brechen.
22*
[340]
Es iſt viel zu wenig geſchehen, wenn man das Häßliche einfach auf
das Böſe reduzirt. Zunächſt halten wir einfach an dem allgemein
Geltenden, daß, was zuerſt die genannten Uebergangsformen betrifft,
z. B. viele Amphibien, der Affe u. ſ. w. häßlich ſind. Die Redensart,
ſie ſeyen ſchön in ihrer Art, ſagt gar nichts; es liegt bei jenem Urtheil
eine ganz wahre Idee der Bedeutung des Organismus zu Grunde. Die
ganze Wendung, die nun die Gährung im Schönen nimmt, muß aber
vor Allem darin beſtehen, daß nun die vom Erhabenen ſtreng beherrſchte
Zufälligkeit entfeſſelt wird, und zwar in allen §. 30 ff. unterſchiedenen
Formen; zuerſt die Zufälligkeit, ob ein Subject da iſt oder nicht. Man erinnere
ſich nur z. B. an das zweckwidrige, den von den übrigen Perſonen be-
abſichtigten Zuſammenhang ſtörende Auftreten unbequemer Perſonen im Luſt-
ſpiel u. ſ. w. Dies iſt komiſch, aber wenn man die Wendung des Verlaufs,
wodurch es komiſch wird, wegläßt (und wir laſſen ſie hier noch weg)
iſt es häßlich. Die unendliche Eigenheit: das ganze Feld der Grillen,
Willkürlichkeiten, Abſonderlichkeiten, Launen, und an ſeiner Spitze erſt
dieſe Welt zum Prinzip erhoben: das Böſe. Hier aber iſt ſogleich zu
bevorworten, daß das Böſe nicht furchtbar ſeyn darf, ſonſt entſteht Häß-
lichkeit erhabener Art; ehe dieſer Punkt weiter verfolgt wird, nennen wir
ſtatt des Böſen das Schlechte. Die Zufälligkeit der Sollizitation: alle
die Handlungen, Naturzufälle, wodurch dargeſtellte Individuen ganz
außer dem Zuſammenhange ihrer begründeten Zwecke gereizt, zu unzeitiger
Thätigkeit durch unzeitige Erfahrung genöthigt werden: Diarrhoe im
Eilwagen und dergl. Hiedurch nun iſt die ſchlimmſte Form der Zufälligkeit,
die ſchlechtweg ſtörende Verkümmerung durch ſinnloſes Uebel bereits ein-
gebrochen: alle Abnormitäten und Krankheiten, Höcker, Kropf, Schielen,
was es ſeyn mag, der widerlichſte Krampf des Leidens, die Vernichtung
alles Zuſammenhangs, Ernſt zur Unzeit, Scherz zur Unzeit. Im Er-
habenen war der Zufall keineswegs ganz ausgeſchloſſen (vergl. §. 117.
130. 133. 134), aber er war in einen ſolchen ſittlichen Zuſammenhang
gerückt, daß er Sinn bekam, daher war dieſe Form ganz abgewieſen.
Alles Uebel mußte gerecht erſcheinen. Untergang eines Helden durch
einen Ziegel vom Dache u. dergl. wäre abſolut unſtatthaft. Das Häßliche
der Kraft zwar (§. 98) und wie es als angeborne Mißgeſtalt gerne in
der Erſcheinung des Böſen (§. 108) zu der Häßlichkeit des Ausdrucks
noch hinzugegeben wird, kann in gewiſſen Formen auch als Zufälligkeit
betrachtet werden, aber nur wenn von dem Zuſammenhange, den es dort
hat, abgeſehen wird. Es iſt nämlich Störung der Idee als Gattungs-
[341] begriff durch Zufall, aber es iſt gefordert von der Idee, wie ſie dort
herrſcht, als furchtbare Kraft nämlich, und die Kraft muß freilich auch
in der Gattung des Individuums liegen, aber wo ſie dieſe ihrer Reinheit
als ſolche erſcheinen ſoll, nicht als ihre wahre und höchſte Aufgabe. Nun
könnten diejenigen, welche alles Häßliche im Böſen ſuchen, die Phantaſie
als ſchaffende Urſache des Schönen hier einführen und ſagen: aber dieſe
Störungen ohne Verſöhnung darſtellen ſetzt eine Phantaſie voraus, die
im Dienſte eines böſen Willens ſteht. Allein das Böſe der Phantaſie
iſt ihr eigenes Böſes und heißt Häßlichkeit. Wie das Gute in ihr zum
Schönen aufgehoben iſt, ſo das Böſe zum Häßlichen. Dieſe verkehrte
Welt aber zur Darſtellung zu bringen, dazu iſt ſie beſtimmt durch ein
ihrer Welt überhaupt, die eine objective Macht iſt, inwohnendes Geſetz
und von dieſem iſt hier zu reden noch ohne Lob oder Vorwurf für das
ſubjective Organ, die Phantaſie. Hält ſie das Häßliche feſt, ſtatt es in’s
Komiſche aufzulöſen, wie das objective Geſetz es fordert: dann erſt tritt
Lob oder Todel ein, und dies gehört in die eigentliche Lehre von der
Phantaſie. Hier aber wird das Häßliche aufgeführt, um es alsbald
wieder aufzulöſen. Der ſcheinbare Widerſpruch gegen §. 40. 53, wo der
ſtörende Zufall einer völligen Umbildung durch den beſondern Act einer
Zuſammenziehung zugewieſen wurde, wird im zunächſt Folgenden ſeine
Löſung finden.
§. 151.
Alle dieſe Formen bis auf die letzte ſchloß das einfach Schöne nicht aus,
ſondern es nahm ſie auf, um ſie im Sinne der Durchdringung mit der Idee
aufzuheben (§. 47—51); die letzte aber mußte es in der Weiſe der Zuſammen-
ziehung aufheben (§. 53). Allein in den widerſtreitenden Formen des Schönen
verändert ſich der Umfang der Aufhebung. Das Erhabene hemmt die freie
Ausdehnung auch der im Schönen geſtatteten Zufälligkeit; das Häßliche (als
verſchwindender Uebergang) läßt auch die verbotene ein. Hierin liegt zunächſt
die Schwierigkeit, daß die verſchiedenen Formen der Zufälligkeit, wenn ſie ſich
in der letzten, abſolut ſtörenden vereinigen, nicht eine Verkehrung im Schönen
zu begründen ſondern überhaupt außer dem Schönen zu liegen ſcheinen. Allein
die Störung wird nunmehr, da das Schöne ihrer Aufhebung gewiß iſt, durch
ſein eigenes Geſetz als ein ebenſo reiner Schein, wie die einfach ſchöne Er-
ſcheinung, hervorgerufen, indem es, um ganz zu ſeyn, was es iſt, ſich ſelbſt
als ſein Gegentheil zeigt. Iſt das Charakteriſtiſche die zufällige Eigenheit
[342] des Individuums (§. 39), ſo lädt nun das Schöne ſelbſt dem Individuum
einen Ueberfluß des Charakteriſtiſchen auf und begründet ſo die Caricatur
im weiteren Sinne des Worts.
Der ſchwierige Punkt, der hier liegt, ſcheint gar nicht gelöst werden
zu können, ohne durch einen unſtatthaften Vorgriff ausdrücklich die
Phantaſie oder Kunſt hier ſchon herbeizuziehen. Es iſt nämlich in §. 53
behauptet worden, der ſinnloſe Zufall ſey aufzulöſen, im Schönen
durch eine Zuſammenziehung des endloſen Verlaufs, durch den er ſich in
der Wirklichkeit aufhebt, auf Einen Punkt. Hiedurch war nun freilich
ſchon dort Phantaſie und Kunſt mit in das Schöne einbegriffen, aber
nicht auf unſtatthafte Weiſe. Denn weil man es ſonſt weiß, ſieht man
freilich voraus, daß nur dieſe den Knoten löſen können, aber das Syſtem,
das Phantaſie und Kunſt genetiſch erſt entſtehen laſſen ſoll, darf darüber
noch nicht entſcheiden, ſondern muß es, wie ſchon öfters bemerkt, als
etwas Implizirtes noch unausgeſprochen laſſen. Hier aber ſoll das abſolut
Störende vom Schönen ſelbſt geſetzt und aufgenommen werden; die Zu-
ſammenziehung, die Fixirung des Fluſſes, die in §. 53 gefordert iſt, ſoll
auf andere Weiſe Statt finden, als dort, nämlich nicht als unmittelbare
Ueberwindung des Störenden, ſondern das Störende ſelbſt ſoll recht concen-
trirt als das eigentlich Geltende auf Einen Punkt geſammelt werden: kurz
es handelt ſich von der Idealität des Häßlichen. Z. B. der Künſtler
braucht einen Buckligten. Nun iſt aber jener ſtörende Zufall auch
Urſache, daß dieſe Verkümmerung ſelbſt verkümmert in der Wirklichkeit
erſcheint, und um das Spezifiſche dieſer Mißgeſtalt recht zu ſammeln,
muß der Künſtler mehrere Formen derſelben vergleichen, hier erhöhen,
dort weglaſſen. Allein in Wahrheit brauchen wir auch hier dies noch
nicht zu wiſſen, ſondern es genügt, einzuſehen, daß das ſtreitende Schöne
etwas, was das einfach Schöne im erſten Zuge auflöst, frei aufnimmt,
um dann erſt das Störende an dem jetzt berechtigten Störenden auszuſchei-
den. Können wir die einfache Idealität des Schönen darſtellen, ohne der
Lehre von der Phantaſie und Kunſt vorzugreifen, ſo können wir ebenſo
auch die durch Negation vermittelte Idealität aufnehmen. Was ſpäter
Abſicht der Phantaſie heißt, heißt jetzt noch Geſetz des Schönen. Dieſes
Geſetz nun hat ja ſchon im Erhabenen eine Schwankung in die zum
einfach Schönen geforderte ruhige Aufhebung der Zufälligkeit gebracht:
es hat ſie enger begrenzt. Jetzt entläßt es mit der zugelaſſenen auch
die nicht zugelaſſene Art der Zufälligkeit; dies ſcheint nun freilich zu
[343] viel und ein Ausſchritt aus dem Schönen überhaupt. Allein das Schöne
ſetzt ſich jetzt frei als Gegentheil ſeiner ſelbſt: es will die Störung
aufnehmen, und es iſt gewiß, daß es ſeinen reinen Schein auch über
ſie erweitern, auch ſie wieder auflöſen wird. Es ſtößt dem Schönen
nicht zu, daß (ſtoffartig) ſein Feind in es einbricht, das Schöne fordert
ihn ſelbſt heraus und er iſt, wie ſich alsbald zeigen wird, in neuer
Weiſe ſchon beſiegt, wie er eintritt. Es ſammelt, wie für den Zweck
des einfach Schönen die Vollkommenheiten, ſo für den Zweck des,
alsbald aufzulöſenden, Häßlichen die Unvollkommenheiten auf Einen Punkt.
In der Sphäre der zufälligen Eigenheit des Individuums erſcheint dies
als Ueberladung des Charakteriſtiſchen (verg. §. 39) und man kann
alles Häßliche dieſer Sphäre Caricatur (von caricare, beladen) nennen,
wenn man den gewöhnlichen engeren Sinn dieſes Worts weiter faßt.
§. 152.
Nunmehr aber erſcheint die ſo hervorgerufene Welt der Mißgeſtalt noth-
wendig als eine im Entſtehen verſchwindende, denn da ſie ſich nicht in das
Furchtbare aufhebt, ſo bleibt entweder nur die reine Selbſtzerſtörung des
Schönen, oder ſie muß ſich in ein Anderes aufheben. Aus dieſer Aufhebung
erſt erhellt, warum die Zulaſſung des das Häßliche begründenden Zufalls
(§. 151) gefahrlos iſt. Die in §. 53 geforderte Zuſammenziehung nämlich iſt
im Schönen ſelbſt eine verſchiedene. Sie iſt entweder als eine vollendete vor-
ausgeſetzt, wenn Schönes überhaupt eintreten ſoll, oder ſie iſt eine bewegte,
welche dem Störenden zuerſt den Eintritt läßt, aber es dann, und zwar in
demſelben Gegenſtand und Zuſammenhang (nicht anderswo oder ein andermal
vergl. §. 52. 53), im Fortgang aufhebt. Das Andere nun, worein ſich das Häßliche
aufhebt, muß hervorgehen aus dem jetzt in ſeiner Schärfe zuſammengefaßten
Widerſpruch der reinen Häßlichkeit. Die Idee iſt in dieſem Widerſpruche nicht
zu Grunde gegangen, denn wiewohl das Bild ohne ſie das Ganze zu ſeyn be-
hauptet, ſo bleibt ſie in Wahrheit doch die lebendige und bildende Macht der
Einzelheit (§. 46), ſie muß ſich alſo in dem Widerſtreben des Individuums
gegen ihre Durchdringung fortbehaupten. Das häßliche Individuum aber maßt
ſich an, ſchön zu ſeyn; dadurch geſteht es die Schönheit, alſo die Idee, die
es doch von ſich ausſchließt, als das Geltende. Aus dieſem objectiven und
ſubjectiven Verhältniß im Widerſpruch erzeugt ſich ſeine Verſöhnung.
[344]
Das Häßliche hat ſeinen Ort zwiſchen dem Furchtbaren und Lächer-
lichen, ſo daß es Alles, was poſitiv an ihm iſt, an die eine oder andere
dieſer Sphären abgibt, während ihm ſelber nichts bleibt, als dieſes Ab-
geben, dieſe Bewegung des Zergehens, ſo daß es, wie man zu ſagen
pflegt, zwiſchen zwei Stühlen niederſitzt. Es iſt Leſſing, der dies zuerſt
ausgeſprochen hat in derſelben Stelle, deren einer Theil ſchon §. 98 an-
geführt iſt, (Laok. Abſchn. 23): „was der Dichter für ſich ſelbſt nicht
nutzen kann, nutzt er als ein Ingrediens, um gewiſſe vermiſchte Em-
pfindungen hervorzubringen und zu verſtärken, mit welchen er uns in
Ermangelung rein angenehmer Empfindungen unterhalten muß. Dieſe
vermiſchten Empfindungen ſind das Lächerliche und das Schreckliche. —
Wenn unſchädliche Häßlichkeit lächerlich werden kann, ſo iſt ſchädliche
Häßlichkeit allezeit ſchrecklich.“ In der Mitte, wo es nicht mehr ſchrecklich,
aber noch nicht komiſch iſt, hat Ariſtoteles in ſeiner bekannten Be-
griffsbeſtimmung der Komödie das Häßliche ergriffen und es ſo bereits
als das Komiſche zu faſſen gemeint. Dies iſt der Mangel der Ariſto-
teliſchen Beſtimmung. (Poet. 5). Ἡ δὲ κωμῳδία ἐςὶ μίμησις
φαυλοτέρων μέν, ȣ μέντοι κατὰ πᾶσαν κακίαν, ἀλλὰ τȣ῀ αἰσχρȣ῀ ἐςὶ
τὸ γελοῖον μόριον. τὸ γὰρ γελοῖόν ἐςιν ἁμάρτημά τι καὶ αἰσχος
ἀνώδυνον καὶ ȣ᾽ φϑαρτικὸν. Das ȳ᾽ μέντοι κατὰ πᾶσαν κακίαν
(das Schlechte, aber nicht nach dem ganzen Umfange der Bosheit, oder,
wie wir §. 150 ſagten, nicht in ſeiner drohenden Spitze als Böſes)
enthält ſchon den weiteren Satz, der zweierlei ausdrückt: das Häßliche,
wenn es lächerlich ſeyn ſoll, darf nicht zerſtörend, furchtbar (φϑαρτιχὸν)
ſeyn und auch dem häßlichen Subjecte ſelbſt nicht ernſtliche Schmerzen
bereiten (ανώδυνον). Wir werden dies an ſeinem Orte noch einmal
auffaſſen. Wir wiſſen nun, was das Häßliche, um ſich in das aufzu-
heben, was wir als das Lächerliche zwar ſonſt kennen, was uns aber
hier wiſſenſchaftlich noch nicht entſtanden iſt, nicht ſeyn darf, aber nicht,
was es ſeyn muß, wenn es in dies Andere übergehen ſoll. Dieſes
Andere iſt jedoch der Möglichkeit nach bereits in dem Widerſpruche des
Häßlichen ſelbſt enthalten, deſſen objective und ſubjective Seite der §.
hervorſtellt. Zugleich hat aber der §. zur ausdrücklichen Beſtimmung
erhoben, was ſchon zu §. 52, 1, um einer Irrung im dortigen Zu-
ſammenhange vorzubeugen, bemerkt wurde. Vom ſtörenden Zufalle
wurde dort geſagt, daß er ſich im Schönen anders aufheben müſſe, als
außer dem Schönen; daran konnte man irre werden durch einen vor-
läufigen Ausblick auf das Komiſche. Daher wurde ſogleich angedeutet,
[345] was jetzt an ſeinem Orte entwickelt wird: daß nämlich auch im Komiſchen
dieſe Welt der Verkümmerung, zwar zugelaſſen, aber doch anders, als
in der nicht ſchönen Wirklichkeit aufgehoben wird, nämlich in einem Fort-
gange, der innerhalb der je vorliegenden äſthetiſchen Erſcheinung, nicht
in der unendlichen Breite und Länge des Weltlaufs vor ſich geht.
§. 153.
Wenn nun objectiv die Idee in ihrer Brechung durch den Widerſtand
des individuellen Gebildes ſich fortbehauptet und wenn ſubjectiv das häßliche
Individuum, indem es für ſchön gelten will, die Geltung der Idee einräumt,
ſo kann nicht ausbleiben, daß das Bewußtſeyn hievon, welches das, wie überall,
ſo auch hier im Gegenſtande mitgeſetzte (§. 70), dieſer Bewegung zuſchauende
Subject hat, auch in das angeſchaute Individuum irgendwie übergehe, das ebenfalls
Subject iſt (§. 19). Denn trägt es in die Brechung ſelbſt hineinleuchtend die
Idee in ſich, ſo muß ihm dies auch zum Bewußtſeyn kommen, und iſt dieſes
Bewußtſeyn in der Häßlichkeit zwar vorhanden, aber verkehrt, ſo muß auch
dieſe Verkehrung ſich ſelbſt verkehren in die Erkenntniß, daß die Behauptung
der Häßlichkeit, das Schöne zu ſeyn, das Zugeſtändniß der Idee als des
weſentlichen und ſelbſtändigen Gehaltes ſey. In dieſe Beſinnung auf ſich als
Widerſpruch hebt ſich die Häßlichkeit auf. Durch die den ganzen Vorgang be-
herrſchende Bedeutung dieſes Moments wird ſich die nunmehr entſtehende neue
Geſtalt als eine weſentlich ſubjective Form darſtellen.
Wir nähern uns der geiſtreichen Entwicklung Ruges, von der
wir zunächſt nur folgende Sätze als Wendungen für daſſelbe, was
im §. geſagt iſt, aufnehmen. Die Wahrheit, daß zunächſt objectiv im
häßlichen Individuum die Idee ſich fortbehauptet, und daß es, da es
weſentlich Subject iſt (— welche Unterſchiebung bei Weſen ohne Selbſt-
bewußtſeyn nöthig ſey, davon nachher —) davon auch ein mögliches
Bewußtſeyn haben muß, drückt er (a. a. O. S. 108) ſo aus: „auch die
Trübung des Geiſtes iſt, weil ſie doch Geiſt und der Geiſt das ſich
über ſich ſelbſt Beſinnende iſt, ſchon in der Möglichkeit die Erheiterung,
die Beſinnung in der Trübung und das heißt zugleich über die Trübung“;
denn (heißt es S. 110) „die Geiſtesgegenwart iſt doch wohl der ge-
wöhnliche Zuſtand des Geiſtes.“ Daraus folgt freilich ſogleich, daß
verhärtete Häßlichkeit (oder Bosheit, ſetzt Ruge ſynonym) kein Gegen-
ſtand des Gelächters (das wir als den befreienden Act ſuchen), ſeyn
[346] kann (S. 113). Es könnte ſtrenger geſagt ſeyn, daß eine abſolute
Verhärtung im Komiſchen gar nicht als etwas Vorhandenes ſtatuirt,
daß das Komiſche die Fälle der Verhärtung, die nur auf dem
Wege des Furchtbaren oder negativ Pathetiſchen ſich reinigen können,
gar nicht ſieht. Was nun im häßlichen Subjecte nur erſt möglich iſt,
dieſe Beſinnung, wird zuerſt im Anſchauenden wirklich, und dies ſpricht
Ruge (S. 108) einfach ſo aus: „die Anſchauung, wenn ſie doch die
Anſchauung deſſen iſt, was iſt, kann die Häßlichkeit gar nicht anſchauen,
denn wenn der Geiſt das wirklich ſieht, was er iſt, ſo beſinnt er ſich
ja über ſich ſelbſt.“ Das anſchauende Subject eilt darin freilich dem
angeſchauten voraus und in dieſem Punkte liegt hier der Gegenſatz ſowohl
gegen das einfach Schöne, als gegen das Erhabene. Im einfach Schönen iſt
der Gegenſtand als reine Einheit der Idee und des Bildes fertig, ehe das
anſchauende Subject ſich mit ihm zuſammenbewegt, ja die Idee ſitzt ſo
tief und feſt, daß dieſes von ihr zuerſt gleichſam getäuſcht wird, indem
es, ſinnlich angelockt, ſie mitzuſchauen bekommt ohne ein ausdrückliches
Bewußtſeyn darüber. Im Erhabenen dagegen iſt die Idee ſo gegenſätzlich
thätig, daß das anſchauende Subject gleich nach dem erſten Blick von ihr
geblendet und ſogar zurückgeſtoßen wird. Im Komiſchen aber überholt
das anſchauende Subject das angeſchaute und entbindet in dieſem die in
Trübung verhüllte Idee. Wir finden ſchon hier die Beſtimmung, daß
das Komiſche die ſubjectivſte Form des Schönen iſt. Allein dieſe Be-
ſtimmung iſt einſeitig, wenn man ſie nicht eben auf jenes Entbinden
begründet, das Zuſammengehen des Subjects mit dem Objecte. In der
Entwicklung dieſes Punktes nun hat Ruge ſeine vorzüglichſte Stärke.
Der §. hat ſich zunächſt einfach auf den Satz §. 70 berufen, daß in
allem Schönen das Subject im Objecte mitgeſetzt iſt. Dies iſt aber noch
ganz abſtract. Wir ſollen erſt ſehen, wie ſich beide zuſammenbewegen;
dann werden wir auch auf Ruge zurückkommen.
§. 154.
Dieſe Entbindung der Beſinnung im häßlichen Subjecte iſt nun zwar
wie der ganze Vorgang und alles Aeſthetiſche überhaupt nichts blos Gedachtes,
ſondern das, woran ſie anknüpft, muß in die Anſchauung treten, aber es liegt
2nicht in dem Sinne ein im Gegenſtand ſelbſt wirklicher Prozeß vor, daß das
angeſchaute Subject darum zur Schönheit zurückkehrte, denn es bleibt dabei,
daß das Bild ſein äſthetiſches Recht auf Koſten der Idee behauptet. Negirt
[347] wird dieſe fortwährend; da ſie aber durch die Beſinnung bejaht wird als dem3
häßlichen Subjecte ſelbſt inwohnend, ſo trifft die Negation die Idee nur als
ſolche, welche ſich die Miene gibt, ſich vom Bilde loszureißen und in das
Unendliche zu entfernen, d. h. als Idee in der Form der Erhabenheit. Der
Sinn iſt alſo, die Negation im Erhabenen, d. h. die Entfremdung der Idee
als einer über die Grenze übergreifenden und daher von außen kommenden
zu negiren und vielmehr geltend zu machen, daß das Bild trotz ſeiner allen
Brechungen des Zufalls hingegebenen Einzelheit völlig im Beſitze der Idee iſt.
Solger.
1. Die Beſinnung muß erſcheinen. Dieſes Erſcheinen muß irgend
eine auf die ſinnliche Oberfläche der angeſchauten Perſönlichkeit tretende
Form ſeyn. Da hier vorerſt noch ungewiß iſt, wie ſtreng der Satz zu
nehmen ſey, daß die Beſinnung vom Zuſchauer in das angeſchaute Subject
übergehen muß, ſo halte man zunächſt nur feſt: eine Möglichkeit, zur
Beſinnung zurückzukehren, muß man dieſem mitten in der Verkehrung
anſehen, eine Fähigkeit, über ſich ſelbſt zu lachen, eine Flüſſigkeit des
Gemüths. Falſtaff muß mitten in ſeinen Schlechtigkeiten in jedem Zuge
die Laune zeigen, ſich in jedem Augenblick durch ein Hineinſehen in ſich
zu abſolviren. So lange dies nicht entbunden iſt, iſt die Beſinnung als
wirkliche erſt im Zuſchauer. Iſt dieſer in dem äſthetiſchen Acte ſelbſt
als Perſon betheiligt, ſo muß dieſe Freiheit des Gemüths unbedingt an
ihm erſcheinen, wie an Falſtaff immer, wenn er über ſeine Kameraden
Witze macht. Iſt aber der Zuſchauer außer dem äſthetiſchen Acte, ſo
iſt die Sache ſchwieriger. Dann entſteht insbeſondere die Frage, ob
der bloſe Witz über ein ſeiner Häßlichkeit noch nicht bewußtes Subject
auch äſthetiſch ſey. Hierüber muß in der Lehre vom Witze die Rede
ſeyn; vor der Hand aber erwäge man wenigſtens, daß auch bei einem
blos geleſenen oder gehörten Witzwort die Phantaſie ſich den Gegenſtand
des Witzes vermöge ihrer ſchlechtweg veranſchaulichenden Natur innerlich
immer vorſtellen wird, und zwar als einen beſinnungsfähigen, elaſtiſchen.
J. Paul (Vorſch. d. Aeſth. Th. 1, §. 28) fordert eine anſchauliche Handlung
zu allem Komiſchen. Ruge beſtreitet dies (a. a. O. S. 119): „die
ſinnliche Anſchaulichkeit iſt nicht nöthig: man kann in ſich ſelbſt über
ſich ſelbſt, indem man ſeine Gedankenthätigkeit als die Verwirrung
des Geiſtes anſchaut, lachen.“ Dies geht aber aus allem Aeſthetiſchen
heraus. In dieſem rein innerlichen Acte muß, wenn er äſthetiſch ſeyn
ſoll, auch dies vor ſich gehen, daß ich mich als den Irrenden innerlich
[348] — mit dem Ausdrucke der, jedoch beſinnungsfähigen, Verdummung —
ſehe; und wenn ich dies erzähle, ſo ſtellt ſich der Zuhörer auch mich
den Sehenden als Lachenden vor. Ruge ſetzt freilich hinzu: Anſchauung
ſey dann wohl, aber keine ſinnliche; ebenſo bei aller Erzählung. Allein
die zur inneren Vorſtellung gewordene Anſchauung nimmt ja natürlich
auch J. Paul hinzu, wenn er ein blos erzähltes Beiſpiel (von Sancho
Panſa) anführt. Ruge ſollte hier den Unterſchied zwiſchen wirklicher
oder eigentlich ſinnlicher Anſchauung und Vorſtellung gar nicht premiren;
dies gehört in die Lehre von den Künſten, von der Poeſie im Unter-
ſchiede von der bildenden Kunſt. Es liegt aber der tiefere Fehler zu
Grunde, daß Ruge auch hier ethiſirend ſich verhält und des Weſentliche
der Erſcheinung in allem Aeſthetiſchen nicht genug im Auge hat. Kurz
es verſteht ſich von ſelbſt: man muß den häßlichen Gegenſtand ſehen
und man muß ihm auch die Beſinnung oder die Fähigkeit dazu anſehen.
2. Die Beſinnung iſt keine Umkehr zur Schönheit (wäre dieſe nun
der Ausdruck moraliſcher Umwendung oder einer Aufhellung der In-
telligenz. Falſtaff verändert ſeine Lebensart nicht und die Häßlichkeit,
welche die Frucht davon iſt, ſein Bauch, erleidet keine Reduction. Die
Flüſſigkeit ſeiner Beſinnung bedarf ſtets den Stoff, aus dem ſie ſich
erzeugt, den Rückfall: nur dieſes ſtete Spiel iſt komiſch. Ruge erinnert
mit J. Paul für das Komiſche an die Thür-Angel in Triſtram Shandy,
die immerfort umſonſt nach Oel ſchreit (J. P. a. a. O. §. 35, Anm.).
Sowie nämlich reale Umkehr einträte, würde zunächſt das Erhabene,
und wenn erſt die Selbſtbezwingung fertig wäre, das Schöne zurückkehren.
Dann hätte das Endliche, das Bild in aller ſeiner Einzelheit und Zu-
fälligkeit, ſein Recht nicht erhalten; es wäre eine abgeſchloſſene Geſtalt
vorhanden, da doch das Komiſche ſo gut wie das Erhabene ſeine
eigene Bewegung hat, die es ganz durchlaufen ſoll.
3. Das Komiſche iſt Negation einer Negation. Die erſte Negation
iſt das Erhabene und eben dieſe wird vom Komiſchen negirt. Hätte
nun die Negation im Erhabenen einfach Recht gehabt, d. h. hätte die
Idee wirklich die Grenzen des Bildes ganz überfliegen können, ſo wäre
keine Negation dieſer Negation möglich, es bliebe dabei. Aber die
Idee blieb im Erhabenen doch an das Bild gebunden und nun macht
das Bild daraus Ernſt, bindet von ſeiner Seite die Idee an ſich, ſchließt
ſie nicht ſchlechthin aus, ſondern nur ſofern ſie überſchwänglich ſeyn
will, vindicirt ſie ſich ſelbſt. Im Erhabenen ſagte die Idee zum
Bilde: ich in dir bin das Geltende, nicht du. Im Komiſchen ſagt das
[349] Bild zur Idee: du brauchſt mich, du biſt nichts außer mir, ich bin du.
Dieſen letzten Sinn des Komiſchen hat Solger zuerſt in Worte gebracht
(Aeſth. S. 104): „auch im Komiſchen zeigt ſich ein Widerſpruch zwiſchen
Idee und Wirklichkeit, mit welchem aber zugleich eine Beruhigung ver-
bunden iſt, und zwar die umgekehrte, wie beim Tragiſchen, beſtehend
in der Wahrnehmung, daß Alles doch zuletzt gemeine Exiſtenz und auch
in dieſer überall die Idee (des Schönen, ſetzt Solger ungenau hinzu)
gegenwärtig iſt, daß wir mithin in unſerer Zeitlichkeit doch immer im
Schönen leben.“ — „Wir finden in der geſammten menſchlichen Natur
und in allen ihren Widerſprüchen doch immer die Idee. Dies Gefühl,
daß die Idee in der Exiſtenz bleibt und wir nie ganz von ihr verſtoßen
ſind, macht uns froh und glücklich“ (105). — „Im Komiſchen zeigt
ſich die Idee als den Widerſprüchen unterworfen, in ſie aufgelöst, blos
durch den Zuſammenhang des gemeinen Bewußtſeyns erhalten; aber wir
ſehen in dem flüchtigen Augenblick immer die Offenbarung der Idee, und
dies eben iſt es, was uns aufheitert“ (106). Vergl. Erwin Th. 1,
S. 248 ff., wo die edlere Freude darüber geſchildert wird, daß „auch
das Schlechteſte und Gemeinſte von dem Weſen und deſſen Ausdruck durch
die Schönheit nicht entblöst iſt, ſollte ſich dasſelbe auch auf eine etwas
verzerrte Weiſe darin offenbaren“ (251). Es iſt von der behaglichen
Befriedigung die Rede, welche ſich erzeugt, „indem wir uns zugleich
ganz gemein und darin ganz ſchön fühlen,“ — wo wir „über das ganze
Zeitliche und über uns ſelbſt, weil Nichtiges und Weſentliches für uns
Eins und dasſelbe wird, unerbittert über das Gemeine und ſehr demüthig
wegen des Edlen in uns, gemüthlich lachen“ (252). Dieſer Schilderung
fehlt das Eingehen in den ſubjectiven Prozeß, den wir zunächſt im All-
gemeinen ausgeſprochen und ſofort im Einzelnen zu entwickeln haben,
und ebendaher fehlt der Schlußſtein, der Begriff der unendlichen Sub-
jectivität. Was aber an ſich der Bewegung dahin zu Grunde liegt, iſt
treffend ausgeſprochen. Seltſam iſt es, daß Weiße nicht nur dieſen
Inhalt des Komiſchen an ſich, ſondern auch ſeine Spitze, die unendliche
Subjectivität, ohne Weiteres aufnimmt, nachdem er ſich durch die Jen-
ſeitigkeit der Idee, auf die er im Erhabenen anweist, den Weg dazu völlig
abgeſchnitten hat. „Bei näherer Betrachtung“ ſoll (Aeſth. Th. 1, §. 29)
auf einmal die Idee als Diesſeits erſcheinen und das Subject ſich im
Beſitze derſelben, das endliche Individuum als freien Inhaber der Subſtanz
wiſſen. Es wird der ſehr richtige Ausdruck gebraucht, daß die
Selbſtentäußerung des abſoluten Geiſtes an das endliche Subject im
[350] Komiſchen acceptirt werde. Aber welche Frivolität gegen die jenſeitige
Idee iſt dies!
§. 155.
Das Ganze dieſer Bewegung iſt das Komiſche. Indem ſich dieſelbe
nun in ihren Momente beſtimmter entwickelt, ſo muß, obwohl die Rang-
Ordnung dieſer Momente verglichen mit dem Erhabenen die umgekehrte iſt,
dennoch zuerſt ein Erhabenes irgend einer Art hervortreten. Die Eigenmacht
der das Erhabene entſtellenden begrenzten Erſcheinung iſt nämlich zwar dem
Werthe nach jetzt das Erſte und das Subject des ganzen Vorgangs, ſetzt aber
das Erhabene als Object ſeiner eigenmächtigen Thätigkeit voraus. Dies iſt
eine Begriffsfolge, welche ebenſoſehr auch eine Zeitfolge ſeyn kann, indem der
komiſche Vorgang mit einem gegen das Subject ſich heranbewegenden Erhabenen
beginnt; iſt aber das, was ſich zuerſt aufdringt, ein bereits in Entſtellung ver-
ſtricktes Erhabenes, ſo folgt nothwendig auf den erſten Anblick ein Rückblick,
der die Zeitfolge der Eindrücke nach der Folge der Begriffe umkehrt.
Die Zeitfolge iſt klar, wo immer etwas großartig beginnt und
plötzlich in Kleinheit verſchwindet, wie alles Stocken und Steckenbleiben
der Rede oder Einmiſchung platter Ausdrücke in rhetoriſches Pathos,
Straucheln und Fallen im ſtolzen Gang u. ſ. w. Parturiunt montes, nas-
cetur ridiculus mus. Dagegen dringt ſich zuerſt die Entſtellung auf
z. B. in der Fabel von dem Froſch, der ſich zur Größe des Ochſen auf-
zublaſen bemüht, in jeder häßlichen Menſchengeſtalt, welche ſich erhaben
anſchickt, wie z. B. Shakespeares Piſtol, der „aufgeſpreizte kalekutiſche
Hahn“ u. ſ. w. Allein im letzteren Falle wird die Folge der Eindrücke
im Bewußtſeyn des Wahrnehmenden umgedreht. Man ſieht zwar zuerſt
ein Kleines oder Entſtelltes, das ſich ſofort aufbläht, allein das Auf-
blähen wird zu nichte und nun geht der Zuſchauer zurück, hält den
Gegenſtand, der in ſeiner Kleinheit nicht aufgefallen wäre, wenn er ſich
nicht aufgebläht hätte, mit der Größe zuſammen, zu der er ſich auf-
treiben wollte, legt ihm dieſe als Folie unter und ſo hat er zuerſt ein
Erhabenes, das, indem es wirklich werden wollte, in ſeinem entſtellenden
Gefäße ſich verkehrte. J. Paul nennt das Komiſche den Erbfeind des
Erhabenen (a. a. O. §. 26) und den Humor ein umgekehrtes Erhabenes
(a. a. O. §. 32). Auch das Letztere gilt von allem Komiſchen. Dies iſt
jedoch nicht die Rang-Ordnung, ſondern nur die Folge der Momente,
[351] denn dem Range nach iſt das unendlich Kleine jetzt das Erſte, wie ſich
weiter entwickeln wird.
Das erſte Glied.
§. 156.
Es entſteht nun die Aufgabe, das Reich des Erhabenen wieder zu über-
blicken, um diejenigen Formen desſelben zu unterſcheiden, welche dem komiſchen
Prozeſſe verfallen können. Das ſubjective Weſen des Komiſchen (§. 153) bringt
es nämlich mit ſich, daß die Grenzen ſich hier anders beſtimmen, als wo das
Erhabene allein ſich in ſeinem Umfang ausbreitete. Zunächſt ſtellen ſich die
Grenzen des Komiſchen als weiter dar. Es iſt nämlich das Komiſche, was
ſchon aus dem Bisherigen folgt, aber ſich näher zeigen wird, ein Verhältniß-
begriff wie das Erhabene (§. 87). Dieſes zieht als ein ſolcher Vieles in ſeinen
Kreis, was ohne den Act des Vergleichens nicht erhaben, ſondern ſchön geweſen
wäre; das Komiſche aber nimmt in größerer Weite jede Erſcheinung auf, in
welcher ein Thätiges iſt, das einer ſo ſtarken entſtellenden Unterbrechung unter-
liegt, daß es durch die Wirkung des Gegenſatzes unter den Geſichtspunkt des
Erhabenen fällt, unter welchen es ſonſt nicht gefallen wäre: ſo daß erhaben jetzt
Alles heißt, was irgend eine, wenn auch an ſich unbemerkliche, Erwartung und
Spannung erregt.
Es iſt nicht erhaben, wenn ich lang nach etwas ſuche, allein wenn
ich ſtatt des Geſuchten nach geſteigerter Spannung etwas Verkehrtes finde,
wie z. B. der Rath in Tiecks Novelle: die Wunderſüchtigen, der in
Sangerheims geheimnißvollem Packet nach Löſung unendlicher Ver-
packungen eine alte franzöſiſche Grammatik findet, ſo wird das Suchen
lächerlich, weil durch den Kontraſt mit dem unendlich Unbedeutenden,
worauf ſie ſtößt, dieſe Zweckthätigkeit einen Anſchein von Größe oder
vergleichungsweiſer Erhabenheit erhält. Wo aber vom Erhabenen allein
die Rede iſt, könnte eine ſolche an ſich ſelbſt unbedeutende Thätigkeit
niemals in den Kreis desſelben fallen.
§. 157.
Dagegen verengt ſich bei dem wirklichen Eintritte in die Stufenfolge des
Erhabenen der Kreis des Komiſchen dadurch, daß das geſammte Erhabene des
[352] Raumes und der Zeit, ſofern nicht ausdrücklich erſt eine höhere Form
des Erhabenen ihm untergelegt wird, hier wegfällt. Dieſe Formen konnten
zwar auch als erhaben nur dadurch gelten, daß ihnen die Idee als Bewegung
oder Kraft und ſofort als geiſtige Unendlichkeit untergeſchoben wurde (§. 89.
102. 141). Allein diejenige Unterſchiebung, welche ſich als nöthig erweiſen
wird, wenn das in §. 153 zum Komiſchen geforderte Ineinsfließen des an-
ſchauenden Subjects mit dem Objecte eintreten ſoll, iſt eine beſtimmtere und
bedarf in dem Objecte einen wirklichen Anhaltspunkt, um es durch einen aus-
geſprochenen Act als Subject faſſen und ſo die Beſinnung in ihm als möglich
vorausſetzen zu können.
Im Schönen wird die ganze Welt, auch die unterſten Stufen des
Daſeyns, perſönlich, dies iſt ſchon in §. 19 andeutend ausgeſprochen.
Im Erhabenen mußte davon ausdrücklicher die Rede ſeyn, wie ſelbſt der
unorganiſchen Natur Seele geliehen wird. Allein im Komiſchen iſt es
anders. Ein Berg mag durch ſeine aufſteigende Linie mich erheben, eine
Ahnung ſittlicher Erhebung mag dabei anklingen, allein wie dieſe Linie
auch plötzlich abbrechen, in verworren abſpringenden Formen ſich verlieren
mag, komiſch kann er dadurch noch nicht werden. Nun können wir wohl auch
einmal in einer kecken komiſchen Stimmung über die Formen eines Felſen,
Berges, einer Wolke u. ſ. w. lachen; allein da müſſen wir immer erſt
vorher durch eine ausdrücklich gemachte Vergleichung dem
Gegenſtand ein Streben, ein Wollen, Wiſſen, kurz einen Menſchen unter-
geſchoben haben. Im Erhabenen findet freilich auch ein Unterſchieben ſtatt
bei dieſen unteren Formen, allein kein ausdrückliches; der Anblick eines
Berges kann mich erheben, ohne daß ich mir oder Andern wirklich ſage,
ich ſehe darin das Bild einer edlen, aufſtrebenden Seele u. dgl., das Unter-
ſchieben bleibt ganz verhüllt. Den Grund dieſes Unterſchieds werden wir
erſt vollſtändig erkennen, wenn ſich der ſubjective Charakter des Komiſchen
(§. 153) in dem Sinne beſtimmter enthüllen wird, daß ſich zeigt, welcher
beſtimmtere Act im Zuſammengehen des Subjects und Objects durch den-
ſelben gefordert iſt. Hier nur ſo viel: die Beſinnung ſoll von dem Zuſchauer
auf den Gegenſtand übergetragen werden, und zwar mit der beſtimmten
Wendung: er (die komiſche Perſon) hätte es (daß die Erhabenheit zerplatzen
wird) wiſſen können. Dazu iſt die Unterſchiebung nöthig, von der die
Rede ſeyn wird; möglich aber iſt ſie nur, wo, wenn nicht Geiſt, doch
wenigſtens Lebensgefühl iſt oder ausdrücklich geliehen wird, das ihr den An-
knüpfungspunkt gibt. Etwas ganz Anderes iſt es, wenn Erhabenheit des
[353] Raums und der Zeit als herabgeſetztes Moment an anderem Erhabenen
vorkommt. Wenn z. B. Einer größer von Wuchs ſcheinen will oder
älter, als er iſt, ſo wird nicht eine bloſe Erhabenheit des Raums oder
der Zeit komiſch, ſondern die Anmaßung des Subjects.
§. 158.
Dagegen eröffnet ſich dem Komiſchen als erſte Sphäre das Erhabene1
der Kraft. Nur die blos maſſenhafte Kraft des Stoßes (§. 97) fällt ebenſo
weg wie die in §. 157 genannten Formen. Dagegen die Kraft, die ihrem2
Organe ſelbſt inwohnt, verfällt dem Komiſchen theils überhaupt als die das
Organ durch eine innere Zweckthätigkeit bauende, wenn dieſer Bau durch einen
das Ganze entſtellenden Uebergriff eines untergeordneten Glieds als mißlungen
erſcheint, theils als Bewegung, wenn ſie ihren Zweck verfehlt und dadurch in3
eine ungleich tiefere Stufe geſtaltender Kraft oder gar zu der blos maſſenhaften
herabzuſinken ſcheint. In beiden Fällen erſcheint die Häßlichkeit als Zweck-4
widrigkeit, obwohl jene bauende und bewegende Kraft nur unbewußt thätig iſt;
der Anknüpfungspunkt, ſie als bewußte zu faſſen, iſt gegeben, wenn ſie nur
Gefühl von ſich hat. Das ganze Gebiet der Bewegung aber iſt im Komiſchen,
wie aus §. 156 folgt, weiter als im Erhabenen.
1. Mechanismus kann wie das blos quantitativ Erhabene nur unter
der Bedingung das erſte Moment im Komiſchen oder das Erhabene ſeyn,
welches dem Lachen verfällt, daß ihm ausdrücklich Gefühl, Abſicht unter-
geſchoben wird, wie wenn z. B. ein Windſtoß, der mir den Hut abwirft,
als ein Grobian aufgefaßt wird u. dergl.; wohl aber kann blos mechaniſche
Bewegung das Gegenglied bilden, worein das Erhabene ſtürzt, wie ſich
zeigen wird. — Sogleich hier kann hinzugeſetzt werden, daß auch aus
der Sphäre der organiſchen Kraft die vegetabiliſche zunächſt wegfällt.
Das Leben der Pflanze entwickelt zwar bereits ſo viele Momente
der ſich ſelbſt erzeugenden Thätigkeit, daß ihr auf unvermerktere, nicht
nothwendig ausdrückliche Weiſe Seele geliehen werden zu können ſcheint;
allein es fehlt ihr das Lebensgefühl, welches im Gegenſtande doch immer
erforderlich iſt zu einer ſolchen Leichtigkeit des Leihens. Wohl aber kann
das Pflanzenhafte das Gegenglied bilden, wie das Mechaniſche, wenn
z. B. Auswüchſe an dem menſchlichen Organismus wie ein Entarten des-
ſelben in das Vegetabiliſche behandelt werden: Warzen, ein wachſender Bauch,
der mit dem ſeine Ringe vermehrenden Baume verglichen wird u. ſ. w.
Viſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 23
[354]
2. Die organiſche Kraft kommt zuerſt in Betracht als Geſtalt. Es
könnte ſcheinen, hier müſſe von der Schönheit ausgegangen und die Häß-
lichkeit als Entſtellung dieſer, nicht aber der Erhabenheit als Kraft, gefaßt
werden. Allein wie vom Erhabenen (§. 87) galt, daß durch die ver-
gleichende Meſſung Vieles erhaben wird, was ſonſt ſchön wäre, ebenſo
gilt hier, daß durch den Abſturz in Entſtellung Vieles als eine dem
Komiſchen verfallende Erhabenheit erſcheint, was ſonſt unter dem Ge-
ſichtspunkte der Schönheit angeſchaut worden wäre. Es tritt etwas ein,
was die bauende Natur hindert, ihren Zweck zu vollführen: durch dieſes
Hinderniß erſcheint dieſe als eine Kraft, welche zwingen möchte, wenn
ſie könnte. So nennen wir die aufrechte Stellung des Menſchen an ſich
ſchön, wenn wir ſie aber mit der horizontalen thieriſchen vergleichen,
erhaben. Iſt nun eine menſchliche Geſtalt nicht aufrecht, ſondern ſchief,
gebückt, u. ſ. w., ſo entbinden ſich thieriſche Merkmale und im Wider-
ſpruch mit dieſem Sinken in’s Thieriſche iſt alſo jetzt die urſprüngliche
Intention der Geſtalt eine dem Komiſchen verfallende Erhabenheit. Das
häßliche Glied ſollte gehorchen, emanzipirt ſich aber, wird frei wie Bar-
dolfs Naſe, die in Falſtaffs Vergleichung als ein mit unendlichem
Sekte zu ernährender ſelbſtändiger Salamander erſcheint, oder wie in
Haugs Epigramm Herrn Wahls große Naſe, die Stundenlang zum
Königsthor in Stuttgart hereinkommt, bis ſich endlich ein kleiner, an ſie
angewachſener Mann als ihr Beſitzer erweist: der ganze Mann, deſſen
Geſtalt dies beſondere Glied beherrſchen ſollte, iſt nun die Erhabenheit,
die ihren Zweck nicht durchführen kann, ſondern im erſten Beiſpiel dem
Chemiſchen und Thieriſchen, im zweiten dem Mechaniſchen oder Vege-
tabiliſchen verfällt.
3. Ungeſchickte Bewegung, die ihr Ziel verfehlt, kommt hier in Be-
tracht, ſofern noch von keinem eigentlich geiſtigen Zwecke die Rede iſt,
ſondern einem inſtinktmäßigen Thun, wie Gehen, Langen, Athmen
u. ſ. w.; denn ſonſt kämen wir über das Gebiet der bloſen Kraft hinaus.
Selbſt Bewegungen einer edleren Thiergattung erſcheinen komiſch, wenn ſie
einer unedleren ähnlich ſind, wie z. B. Bocks- und Kuh-Beine beim
Pferde. Strenger iſt der Contraſt in der menſchlichen Bewegung, wenn
ſie von ihrem Organe nicht Beſitz zu nehmen wußte, ſondern in das Rudern,
Wanken, Schleichen, Hüpfen von Thieren oder in das ganz Maſchinen-
Artige ſinkt. Der Pierrot ſtellt alle dieſe Uebel mit komiſcher Abſicht dar.
4. J. Paul definirt das Komiſche als ſinnlich angeſchauten Un-
verſtand (a. a. O. §. 28) und beſchreibt es als eine Handlung, die im
[355] Widerſpruch mit der Lage des Handelnden ſteht; der Unverſtand iſt alſo
Zweckwidrigkeit. So gefaßt eignet ſich die Beſtimmung, wie ſich zeigen
wird, nicht zur allgemeinen Definition, auf den vorliegenden Kreis kann
ſie aber angewandt werden, da der Begriff der Zweckthätigkeit allerdings
auch da in Wahrheit gilt, wo kein Bewußtſeyn iſt (vergl. §. 43). Wo
aber Zweckthätigkeit in der Natur concentriſch im organiſchen Gebilde ſich
zuſammenfaßt und zwar in der höheren Weiſe ſelbſtändigen Lebens wie
im Thiere, da iſt auch Lebensgefühl, ſomit Gefühl des Zwecks vorhanden,
und von da iſt der Schritt zum Bewußtſeyn des Zwecks zwar an ſich
immer noch groß genug, aber verglichen mit der Kluft, die das unlebendige
Naturreich und auch die gefühlloſe Pflanze vom Bewußtſeyn trennt, ſo
klein, daß das zum Komiſchen erforderliche Leihen ganz ohne Anſtoß, ohne
ausdrücklichen Act, ohne vergleichendes Witzwort unvermerkt ſich einſtellt.
Daher können Thiere allerdings komiſch werden, doch nur die klügeren,
wie J. Paul (a. a. O. §. 28) richtig bemerkt. Es kann hier Einiges
vorweggenommen werden, um auf dieſen Punkt nicht öfter zurückkommen
zu müſſen. Hieher gehört nämlich eigentlich nur die Geſtalt der Thiere
und ihre phyſiſch nothwendigen Bewegungen; das Lebensgefühl, von dem hier
die Rede iſt, gilt alſo noch nicht von einzelnen Verrichtungen für beſtimmt
gefühlte Bedürfniſſe, ſondern es iſt zunächſt nur das allgemeine Selbſt-
gefühl des Lebens. Die Thiere können nun ſchon in dieſer Beziehung
komiſch erſcheinen, weil ihr Lebensgefühl uns überhaupt Veranlaſſung gibt,
ihnen einen Menſchen unterzuſchieben und dieſe Unterſchiebung ſofort auch
auf den reinen, ihre Geſtalt bauenden, ihren Körper bewegenden Gattungs-
typus, als wäre er mit Bewußtſeyn ſchaffend und bewegend, überzutragen.
Aber die Thiere thun Vieles, was ihrem beſtimmteren Inſtinkte angehört
und als wirkliches Analogon geiſtiger Gedanken und Zwecke erſcheint,
und davon wäre eigentlich erſt zu ſprechen, wenn von ſolchen die Rede
ſeyn wird. Sie wenden Liſt an, ſie ſchmeicheln, ſie ſtehlen, ſie ſuchen
ſich Schlägen zu entziehen u. ſ. w. Dies veranlaßt, ihnen in tieferer
Weiſe einen Menſchen unterzulegen, und auf dieſer Folie erſchienen ſie
höchſt komiſch, wenn ſie irren. Ruge (a. a. O. S. 131 u. ſ. w.) erzählt
paſſende Fälle. Dazu gehört auch der Hund, der vor einem Speiſen-
ſchranke in einem Zimmer, wo kein Menſch gegenwärtig iſt, aufwartet.
Anders verhält es ſich mit Unanſtändigkeiten, welche Thiere begehen; hier
folgen ſie nicht dem höheren Inſtincte, ſondern der groben Nothdurft,
aber weil ſie ſonſt klüger ſind, ſo legt man ihnen unter, ſie hätten
um den Anſtand wiſſen können, und dadurch erſcheinen jene komiſch.
23*
[356]Wenn übrigens Ruge J. Pauls Bemerkung dahin erläutert, daß Hunde
und Affen faſt die einzigen Komiker unter den Thieren ſeyen, ſo ſind doch
Bären, Böcke, Katzen, Eichhörnchen ꝛc. auch nicht zu vergeſſen, und faſt alle
Thiere, wenn ſie jung ſind, erheitern durch die Freiheit des Spieles, das
doch zugleich Naturnothwendigkeit iſt. Davon noch ein Wort, wenn
von Stephan Schützes Theorie die Rede ſeyn wird. —
§. 159.
Der wahre Stoff des Komiſchen eröffnet ſich jedoch allerdings erſt mit
dem Erhabenen des Subjects. Hier tritt überall die zum Komiſchen noth-
wendige Entſtellung ein, wo das Selbſtbewußte durch das Unbewußte, wovon
es umgeben und womit es ſelbſt behaftet iſt, in der Strenge des Zuſammen-
hangs ſeiner Thätigkeit unterbrochen wird. Das Komiſche der Kraft, wenn es
am wirklichen Subjecte erſcheint, tritt nun ſelbſt in dieſe höhere Bedeutung ein.
2Faßt man den Begriff des Naiven in ſo weitem Sinne, daß er überhaupt das
Eintreten eines beziehungsweiſe Unbewußten, wo man Bewußtes erwartete, be-
zeichnet, ſo kann alles Komiſche als naiv beſtimmt werden. Im engeren Sinne
3aber hat das Naive ſeine beſondere Sphäre, nämlich die des Anſtands. Der
Anſtand als ein Verbergen der Natur aus geſelligen Rückſichten iſt zu ſehr
blos formell, um in das Erhabene aufgenommen zu werden, wo aber zwiſchen
ſeine künſtlichen Vorſchriften unerwartet reine Natur hervorbricht, erſcheint er
als ein Zwang, der erhaben ſeyn wollte und in dieſem Verſuche erliegt.
2. Das Komiſche iſt deßwegen beſonders ſchwer zu entwickeln, weil
ſeine Gegenglieder getrennt zu beſchreiben ſind und doch mit dem erſten
immer ſchon das zweite zu nennen iſt. So muß hier ausgeſprochen
werden, in was das Erhabene des Subjects ſich verſtrickt, wenn es
komiſch wird. Es iſt das Unbewußte. Angedeutet iſt, daß es von außen
aufſtoßen oder von innen aufſteigen kann, aber dies und wie ſelbſt der
erſtere Fall auf ein innerlich Unbewußtes hinauskommt, iſt ſpäter aus-
einander zu ſetzen. Im Komiſchen der Kraft wurde (§. 158) bereits
auch die menſchliche Geſtalt und Bewegung unter den Beiſpielen auf-
geführt. Wo aber das Subject als ein ſelbſtbewußtes wirklich das erſte
Glied bildet, treten die Mißbildungen und Verſtöße der Seele, wie ſie
als unbewußte Kraft den Leib bildet und bewegt, in einen ganz andern
Zuſammenhang. Man kann über eine thieriſche Mißbildung lachen, aber
ganz anders über eine menſchliche, weil der Ausdruck des wirklichen
[357] Geiſtes, dem das Ganze dient, einen ungleich beſtimmteren Anhalt dar-
bietet, das ſelbſtbewußte Thun ſchon dem dunkeln Bildungsgeſetz des
Körpers unterzuſchieben und nun ſich vorzuſtellen, als habe dieſes ſich
trotz allem Bewußtſeyn vergriffen. Ebenſo iſt es mit den Bewegungen;
z. B. die Bewegung der Organe im Sprechen iſt inſtinctmäßig, aber
der Inhalt der Rede iſt bewußt und gewollt und daher erſcheint Stottern,
Lallen u. dergl. als Widerſpruch eines nicht blos inſtinctmäßigen, ſondern
geiſtigen Thuns mit ſich ſelbſt. Dahin gehören z. B. auch die Be-
wegungen eines Trunkenen, wenn man von allem ſittlich Imputabeln
des Zuſtands abſtrahirt: ſie ſind gewollte, aber die Organe, welche die
Ausführung inſtinkimäßig übernehmen ſollen, verſagen den Dienſt.
2. Der Begriff des Navien iſt ſo unbeſtimmt weit, daß er auf den
verſchiedenſten Punkten der Aeſthetik hervortritt. Zunächſt kann das Schöne
überhaupt als Naives bezeichnet werden, weil das Naive eine reine Einheit
des Geiſtigen und Natürlichen in ſich darſtellt, dann auch das Erhabene,
weil es als Pathos die Kraft des Affects mit der Kraft des reinen Willens
vereinigt. Es ſind aber Gründe vorhanden, dieſe Beſtimmung in der
Metaphyſik des Schönen nicht zu gebrauchen. Für’s Erſte nämlich iſt
der Ausdruck ſubjectiv und bezeichnet, wenn er allgemein dem Schönen
gelten ſoll, bereits das Weſen der das Schöne ſchaffenden Kraft und
Perſönlichkeit, die Phantaſie nämlich als jene reine Mitte eines bewußten,
geiſtigen und eines unbewußten, ſinnlichen Thuns. Naiv iſt der Künſtler
in ſeinem Werke. Für’s Andere iſt aber im Begriffe des Naiven immer
ein gegenſätzlicher Standpunkt des Urtheilenden mitgeſetzt. Naiv nennt das
Schöne derjenige, der ſelbſt jene reine Einheit geiſtiger und ſinnlicher Be-
ſtimmtheit verloren hat. Hier zieht ſich nun allerdings ſchon ein Anklang
des Komiſchen herein, der aber nicht in dieſen Zuſammenhang gehört, denn
das Schöne weiß nichts davon, daß es außer ſeiner ganzen Natur eine
getrennte gibt. In die allgemeine Begriffslehre des Schönen gehört daher
das Naive noch nicht. Der zweite der eben genannten Gründe führt nun
weiter auf das culturgeſchichtliche Feld. Jede vorhergehende Bildungsſtufe
erſcheint der folgenden als eine naive, weil ſie im Verhältniß zu ihr ein
bewußtloſerer Zuſtand iſt, ebenſo im Kleinen das vorhergehende Lebens-
alter dem reiferen, das weibliche Geſchlecht dem männlichen, das Volk den
gebildeten Ständen. Dies iſt zunächſt eine allgemeine Relation, welche
aber auf die Aeſthetik ſo angewendet werden kann, daß je die frühere
Epoche des Kunſtideals der folgenden höheren als naiv erſcheint, weil die
Einheit des Bewußten und Unbewußten, die zwar aller Phantaſie eigen
[358] iſt, verſchiedene Stufen hat. Da nun dieſe Einheit ſich als reinſte Mitte
zeigt im claſſiſchen Ideal, ſo hat Schiller dieſes in der Abh. über naive
und ſentimentale Dichtkunſt als ſpezifiſch naiv bezeichnet, freilich aber den
Begriff des Naiven in dieſer Anwendung falſch erklärt, wovon an ſeinem
Orte zu reden iſt. Dieſer ganze Gebrauch des Begriffs der Naivetät
gehört aber nicht hieher, weil komiſch im eigentlich äſthetiſchen Zuſammen-
hang das Naive nur dann iſt, wenn der nicht naive Standpunkt in den
äſthetiſchen Gegenſtand mitaufgenommen iſt. Wenn wir über Homer
lächeln, ſo iſt dies keine Form des Komiſchen; wenn aber vorgeſtellt wird,
als trete Homer oder einer ſeiner Helden in eine moderne Geſellſchaft, ſo
müßte er Dinge thun, wodurch er komiſch würde, weil er in der Meinung,
ganz klar zu erſcheinen, vielmehr durchaus als Kind erſcheinen würde; oder
umgekehrt, wenn ein moderner Menſch vorgeſtellt würde, wie er mit ſeinen
künſtlichen Begriffen in die Geſellſchaft alter Götter und Helden träte, ſo würde
ſein Mangel an Naivetät, als wäre er ſelbſt eine ſolche, zum Gelächter für dieſe
werden (Götter, Helden und Wieland). Eigentlich komiſch alſo wird das Naive
erſt, wenn die darin enthaltene Natur mit dem Geiſte nicht einfach und
ſchlechthin Eins iſt, ſondern gegenſätzlich mit ihm in einem Ganzen ſich ſo
bewegt, daß der Geiſt, wo man eine ununterbrochene Darſtellung ſeiner
klaren Strenge erwartete, plötzlich in Unbewußtes übergeht. Alles Unbe-
wußte und das ganze Reich der Zufälligkeit, wie es den Geiſt beſchleicht
und unvermerkt in ſeine Zwecke ſich miſcht, kann unter dem Namen der
Natur befaßt werden und ſo iſt alles Komiſche, wie von frühern
Aeſthetikern öfters geſchehen, naiv zu nennen. Kindliche Zeitalter, Völker,
Lebensſtufen, Bildungsformen, wie ſie oben erwähnt worden, können nun
als Stoff dieſer wirklichen Komik erſcheinen unter der genannten Bedingung,
daß der Gegenſatz mitaufgenommen ſeyn muß, aber ebenſogut abgeſehen
von ſolchen Bildungsgegenſätzen der ganz gebildete Menſch an ſich oder
auch der minder Gebildete, kurz Jeder, ſofern er da, wo er geiſtig er-
ſcheinen wollte, von der Natur, insbeſondere von bewußtlos hervortretender
Eigenliebe überraſcht wird. Daß die Natur nicht nackte Rohheit ſeyn darf,
ſondern unſchuldige Natur ſeyn, richtiger, daß in der Rohheit ſelbſt die
gute Natur durchblitzen muß, folgt ſchon daraus, daß ja das Gegenglied,
worein das erſte, erhabene Glied verſinkt, im Komiſchen das Berechtigte
iſt: davon iſt aber erſt zu reden, wenn das zweite Glied für ſich betrachtet
werden wird. Schon hier könnten wir Stephan Schützes Definition
aufführen, die das Komiſche als ein Spiel beſtimmt, das die Natur mit
der Freiheit des Menſchen treibt (Verſuch einer Theorie des Komiſchen
[359] S. 23 ff.). Allein Schütze faßt das Komiſche zu eng, indem er das Selbſt-
bewußte ſogleich als Freiheit verſteht, alſo an die Verirrungen des praktiſchen
Geiſtes denkt. Er führt freilich auch Verirrungen des denkenden Geiſtes
auf, aber ohne beſtimmte Eintheilung, und darin, daß ſie die verſchiedenen
Formen des Geiſtes, welche dem Komiſchen verfallen können, nicht unter-
ſchieden und in deutlicher Ordnung aufgeführt haben, zeigen ſich alle bis-
herigen Unterſuchungen des Komiſchen, auch die Ruge’ſche, als mangelhaft.
3. Dem Naiven im engeren Sinne als einer Verletzung künſtlicher
Form- und Anſtandsgeſetze durch unſchuldige Natur, wo ſie nicht er-
wartet wurde, weiſen wir hier ſeine Stelle an, weil der Begriff des
Naiven überhaupt ſogleich darauf führt. Sonſt hätte es auch bei den
Verirrungen des praktiſchen Geiſtes ſeinen Ort finden können oder am
Schluſſe des vorliegenden Gebiets, des Komiſchen der ſubjectiven Er-
habenheit. Der Menſch ſtellt ſeine geiſtige Würde in conventionellen
Formen des Anſtands dar. Er zeigt durch ein Zurückhalten, ein Anſich-
halten und Verhüllen, daß er nicht bloſe Natur iſt. Dies kann nun
ebenſogut gefaßt werden als eine Vorbereitung und Vorankündigung der
wahren geiſtigen Würde, wie als ein Ausdruck der letzteren als einer
vorhandenen. Es wird nichts dagegen eingewandt werden, daß wir uns
vom Zuſammenhang beſtimmen ließen, die erſte Stellung zu wählen.
Was nun die Sache betrifft, ſo iſt das Verhalten des einfach Schönen
zu den Formen conventioneller Scham als ein völlig unbefangenes in
§. 60 dargeſtellt worden. Hier iſt kein Gegenſatz, außer der in der
Anm. zum gegenw. §. unter 2 genannte, der außerhalb des äſthetiſchen
Gegenſtandes liegt. Dagegen zu dem im engeren Sinne Naiven wird
natürlich wie zum Naiven überhaupt, wenn es als gleichbedeutend mit
dem Komiſchen genommen wird, gefordert, daß im äſthetiſchen Vorgange
ſelbſt, nicht außerhalb im Betrachtenden, künſtliche Zurückhaltung der
Natur zunächſt als geltend erſcheine, dann plötzlich durch den Eintritt
wahrer Natur überraſcht werde. In der Lehre vom Erhabenen konnte
der Anſtand nicht aufgeführt werden, wiewohl er jetzt als eine Art Er-
habenheit genannt wird, die dem Komiſchen verfällt; denn auch mit dieſer
Erſcheinung verhält es ſich ſo, daß ſie, wenn ſie nicht durch einen Contraſt
betont wird, zu gering iſt, um an ſich erhaben genannt zu werden. Es
gibt wohl einen erhabenen Anſtand; er gehört zum Feierlichen und zur
Würde, allein er hat eine zu tiefe Grundlage, um unter die bloſe Ein-
haltung formeller Rückſichten, von der hier die Rede iſt, befaßt zu werden
und ſo eine beſondere Form des Erhabenen zu begründen, wo dieſes als
[360] ſolches gilt: er iſt unmittelbarer Ausfluß der Geſinnung und dieſe als
ſeine Quelle iſt dann der eigentliche Kern der erhabenen Erſcheinung;
das Erhabene wirft daher, wo es zu einem ernſten Kampfe kommt, dieſen
Anſtand auch noch ſorgloſer weg, als das Schöne, wie denn z. B. bei
einem großen Bilde der Zerſtörung danach gar nicht mehr gefragt wird.
Anders alſo iſt es im Komiſchen; ein Herausplatzen der lieben Natur
wirft hier auf die Vorſchriften der Convenienz ein Schlaglicht, wodurch
ſie als eine Anſtrengung erſcheinen, die erhaben im Sinne der Würde
ſeyn ſollte und wirklich auch in der Scham des Geiſtes an ſeiner Natur
eine Grundlage des Erhabenen beſitzt, aber zur bloſen Form geworden
iſt, zum Unrecht gegen die Natur fortgeht und daher an dieſer
ſcheitert. Daß dieſe Natur da hervorbrechen muß, wo man ſie nicht
mehr erwartete, hebt auch Schiller hervor, wo er in der genannten
Abh. zunächſt das Naive im engeren Sinn darſtellt: „das Naive iſt eine
Kindlichkeit, wo ſie nicht mehr erwartet wird“ u. ſ. w. Das naive
Subject muß um die Convenienz und ihr Recht haben wiſſen können,
oder es muß ihm dies untergeſchoben werden, wie den Thieren; ſonſt
fehlt der zum Komiſchen nöthige Widerſpruch. Dadurch iſt auch hier die
Rohheit völlig abgewieſen; es handelt ſich um eine Einfalt, die auch ihren
Anſtand hat, aber einen andern als die künſtliche Bildung: sancta simpli-
citas. Uebrigens iſt auch in der Beſtimmung dieſes Begriffs Kant voran-
gegangen (a. a. O. Anm. zu §. 54): „Naivetät iſt der Ausbruch der der
Menſchheit urſprünglich natürlichen Aufrichtigkeit wider die zur andern
Natur gewordene Verſtellungskunſt. Man lacht über die Einfalt, die
es noch nicht verſteht, ſich zu verſtellen, und erfreut ſich doch auch über
die Einfalt der Natur, die jener Kunſt hier einen Querſtrich ſpielt. Man
erwartete die alltägliche Sitte der gekünſtelten und auf den ſchönen Schein
vorſichtig angelegten Aeußerung; und ſiehe! es iſt die unverdorbene ſchuld-
loſe Natur, die man anzutreffen gar nicht gewärtig, und die der, welcher
ſie blicken ließ, zu entblößen auch nicht gemeint war. Daß der ſchöne,
aber falſche Schein, der gewöhnlich in unſerem Urtheile ſehr viel bedeutet,
hier plötzlich in ein Nichts verwandelt, daß gleichſam der Schalk in uns
ſelbſt blosgeſtellt wird, bringt die Bewegung des Gemüths nach zwei
entgegengeſetzten Richtungen nacheinander hervor, die zugleich den Körper
heilſam ſchüttelt. Daß aber etwas, was unendlich beſſer als alle an-
genommene Sitte iſt, die Lauterkeit der Denkungsart (wenigſtens die
Anlage dazu) doch nicht ganz in der menſchlichen Natur erloſchen iſt,
miſcht Ernſt und Hochſchätzung in dieſes Spiel der Urtheilskraft. Weil
[361] es aber nur eine auf kurze Zeit ſich hervorthuende Erſcheinung iſt und
die Decke der Verſtellungskunſt bald wieder vorgezogen wird, ſo mengt
ſich zugleich ein Bedauern darunter, welches eine Rührung der Zärtlichkeit
iſt“ u. ſ. w. „Eine Kunſt, naiv zu ſeyn, iſt daher ein Widerſpruch“ u. ſ. w.
§. 160.
Tritt man aus dieſer Sphäre der blos formellen Selbſtdarſtellung der1
Perſönlichkeit in die Gebiete ihrer wirklichen Thätigkeit ein, ſo zeigt ſich der
Kreis des Komiſchen dadurch ungleich weiter, als der des Erhabenen, daß nicht
nur der Wille (vergl. §. 103), ſondern auch der denkende Geiſt durch Ein-
miſchung des Zufälligen und Unbewußten, das ſeinen Zuſammenhang trübt,
komiſch wird. Der denkende Geiſt nämlich, wo er den Zuſammenhang ſeines
Denkens in richtiger Folge feſthält, iſt an ſich zu unſinnlich für das äſthetiſche
Gebiet; die Störungen aber, die aus jener Einmiſchung fließen, bringen, wenn
ſie nur anſchaulicher Art ſind, mit der allgemeinen äſthetiſchen Bedingung auch
die zum Komiſchen erforderliche Brechung hinzu. Alle Formen des Denkens2
von der bloßen Wahrnehmung der Außenwelt, ſofern ſie zwar auch dem Handeln
dient, doch je im vorliegenden Acte nicht unmittelbar in dieſes übergeht, bis
zur reinſten Abſtraction treten hier auf und gerade je höher und reiner die
Form, deſto ſtärker die Komik, weil die Brechung deſto ſtärker iſt. Einge-
wurzelter Irrthum vollendet das komiſche Subject; dagegen kann völlige Störung
nicht leicht komiſch ſeyn, weil jene Brechung fehlt.
1. Ruge führt zwiſchen Beiſpielen der Unſittlichkeit, deren Reich er
mit Recht dem Komiſchen vorzüglich vindicirt, auch Beiſpiele der Zer-
ſtreutheit auf, reine Irrthümer u. dgl. Weil er aber beide nicht genug
unterſcheidet, ſo erſcheint er auch von dieſer Seite zu ſehr ethiſirend. Das
ganze Reich des theoretiſchen Geiſtes, an ſich aus dem in §. 103 ge-
nannten Grunde nicht erhaben zu nennen, wird durch die Brechung des
Irrthums eine dem Komiſchen verfallende Erhabenheit. Dies iſt nun
allerdings näher zu beſtimmen. Ein Irrthum iſt nämlich allerdings, wie
J. Paul (a. a. O. §. 28) ſagt, an und für ſich nicht lächerlich, ſo
wenig, als eine Unwiſſenheit. J. Paul fehlt aber darin, daß er die
Anſchaulichkeit, die hinzutreten muß, nur in einer Handlung ſucht, die
den Irrthum zur Erſcheinung bringen ſoll; er geräth dadurch ſogleich in
den praktiſchen Geiſt und verliert eine ganze, große Sphäre der Komik.
Das Denken braucht nicht in Handlung überzugehen, aber die Störung
[362] darf ihren Grund nicht in den verborgenen Geheimniſſen der in den Geiſt
ſelbſt ſich fortſetzenden Sinnlichkeit, ſondern muß ihn in der anſchaulichen
Sinnlichkeit haben. Es iſt z. B. ein reiner Irrthum, der eben nicht
komiſch iſt, wenn Kant die Muſik zu niedrig beurtheilt. Wenn man nun
aber findet, daß er ihr vorzüglich Aufdringlichkeit vorwirft, ſo vermuthet
man ſchon eine zufällige Urſache von Widerwillen. Nun darf man nur
hören, daß häufige Tanzmuſik, die ſich aus einem ſeiner Wohnung nahen
Wirthshauſe, und trübſeliger Geſang von Frömmlern, der ſich von einer
andern Seite aufdrängte und ſeine Arbeit ſtörte, dieſe Urſache war: ſo ſieht
man ein, daß dem irrenden Denker ſtatt der wahren Natur des Gegen-
ſtandes unvermerkt eine beſondere, ſinnliche Erfahrung vorſchwebt, und
man wird nun nicht ermangeln, ſich die Geſtalt des Mannes ſelbſt, den
Ausdruck des Aergers in dem Geſichte des geſtörten Gelehrten u. ſ. w.
vorzuſtellen.
2. Es können nun alle Formen des theoretiſchen Geiſtes als das eine
Glied eines komiſchen Vorgangs auftreten. Selbſt die Sprache, die zu-
nächſt durch Stottern, Vernennen u. dgl. dem Komiſchen der Kraft anzu-
gehören ſchien, aber ſchon §. 159, 1 in höheren Zuſammenhang geſtellt
wurde, iſt nun als Ausdruck des theoretiſchen Geiſtes zu faſſen und ſolche
Störungen treten dadurch in ein höher komiſches Licht. Falſche Auffaſſung
der Außenwelt aus Zerſtreutheit u. dgl. öffnet ferner hier eine unendliche
Welt des Lachens, ſofern nur ein ſolcher Act nicht unmittelbar im Zuſammen-
hange mit einer Handlung ſteht, denn dann gehört er in das Komiſche des
praktiſchen Geiſtes. Gerade am lächerlichſten aber werden die höchſten und
reinſten Acte des denkenden Geiſtes, weil die Brechung durch ſinnliche
Störung oder der Contraſt ihrer Fortſetzung mit einer veränderten äußeren
Lage gerade durch die geiſtige Reinheit des Anfangs erhöht wird. Treff-
liche Beiſpiele enthält des Amtsvogts Joſua Freudel Klaglibell gegen
ſeinen verfluchten Dämon im Qu. Fixlein von J. Paul. Es wird ſich
aber im Verlaufe noch ein weiterer Grund zeigen, warum das Lächerliche
mit der Höhe der Intelligenz wächst. Als wichtiger Punkt iſt hier noch
beſonders die Einwurzlung des Irrthums und die Angewöhnung der Zer-
ſtreutheit hervorzuheben. Wie nämlich im Erhabenen des Subjects die
höhere Form die der Stetigkeit iſt, die zur andern Natur gewordene ſittliche
Größe, ſo fordert auch das Komiſche eine ganze Perſönlichkeit, einen
Narren. Nur kann dieſe Erſcheinung hier noch nicht verfolgt werden;
denn wie auch der Sitz der Narrheit im Denken oder Vorſtellen liegen mag,
ſo geht ſie doch nothwendig, wenn ſie ſich in der Perſönlichkeit befeſtigt, in’s
[363] Handeln über und erſcheint daher immer als Verirrung des praktiſchen
Geiſtes. So verbrennen Ritterromane zuerſt Don-Quixotes Gehirn, aber
erſt da er auszieht, ſein Ideal zu verwirklichen, wird der Narr fertig.
Hier iſt der Uebergang zum eigentlichen Wahnſinn. Wenn es der Raum
geſtattete, die wichtigſten Formen dieſer Seelenkrankheit durchzugehen, ſo
könnte der im §. zuletzt ausgeſprochene Satz vielfach näher beſtimmt und
beſchränkt werden. Entſchieden hört das Komiſche auf bei dem Blödſinn,
denn hier geht, wie beim Kretinismus der Anknüpfungspunkt für die
Unterſchiebung der Beſinnung, alſo auch die gegenſätzliche Brechung verloren.
Die andern Formen dagegen können komiſch ſeyn, ſo lange es möglich
iſt, vom Mitleid oder von Mitleid und Furcht zu abſtrahiren. Blos die
Abſtraction vom erſteren iſt nöthig bei den ungefährlichen Narren und
ſie erleichtern ſie, wenn ihre Narrheit luſtiger Art iſt; die Abſtraction
von beiden bei den gefährlichen Narren. Wird nun von dem Schmerz-
lichen und Verderblichen abſtrahirt, ſo iſt noch die Frage, ob in der
habituellen Seelenſtörung noch das allgemeine Weſen des wahren Geiſtes
als Keim einer möglichen Heilung hindurchſchimmere; daran anknüpfend
kann dann dem Wahnſinnigen ein mögliches Bewußtſeyn ſeiner Ver-
kehrtheit geliehen und ſo ſeine Krankheit im Sinne der Komik angeſchaut
werden, ſofern nämlich dieſer Keim nicht vom Standpunkte des Seelen-
Arztes, ſondern nur in freier Betrachtung zu Behuf des nöthigen
Kontraſtes aufgefaßt wird.
§. 161.
Das bedeutendſte Gebiet des Komiſchen thut ſich jedoch allerdings in1
derjenigen Sphäre auf, welche in der Lehre vom Erhabenen die allein geltende
war, nämlich in der Sphäre des praktiſchen Geiſtes oder des Willens.
Das Weſen des Willens iſt die Freiheit und alle Verirrungen, wodurch ſeine
Erhabenheit dem Komiſchen verfällt, erſcheinen als ein Herabſinken in die Natur-
nothwendigkeit, daher hier die Begriffsbeſtimmung St. Schützes, welche für
das Ganze des Komiſchen zu eng iſt, in Geltung tritt: das Komiſche ſey Wahr-
nehmung oder Vorſtellung eines Spiels, das die Natur mit dem Menſchen
treibe, während er frei zu handeln glaube oder ſtrebe. Die in §. 156 be-2
hauptete weitere Ausdehnung des Komiſchen zeigt ſich nun hier beſonders, indem
auch die Thätigkeit für blos äußere Zwecke und die ihr dienende Klugheit
komiſch wird ohne eine andere äußere Bedingung, als daß ſie Mittel ergreife oder
auf eine Weiſe gehindert werde, wodurch der Zweck ſich vielmehr aufhebt.
[364]
1. St. Schützes Verſuch einer Theorie des Komiſchen verdient aus
unverſchuldetem Dunkel hervorgezogen zu werden und hat gewiß mehr Werth,
als ihm Ruge zugeſteht. Es fehlt an der gehörigen Schärfe, aber die
weſentlichen Elemente des Komiſchen ſind als ſehr brauchbares Material
für einen genaueren Bau zuſammengeſtellt und der Hauptfund, die obige
Definition (S. 23 ff.) iſt ein ganz glücklicher zu nennen. Aehnlich un-
vollkommen bei übriger Wahrheit iſt Schleiermachers Beſtimmung, das
Komiſche bringe den Gegenſatz zwiſchen dem Wirklichen und dem, was durch
dasſelbe (vermöge der Intention oder Freiheit des Handelnden) repräſentirt
werden ſoll, in dem Innern des menſchlichen Lebens zur Anſchauung
(Aeſth. S. 195). Die Ausführung von Schützes Begriffsbeſtimmung
iſt jedoch hier noch nicht an der Stelle, weil wir das Gegenglied, worein
die Freiheit verſinkt, jenen neckiſchen Genius, wie ihn Schütze treffend
beſchreibt, der bei den Handlungen der Menſchen überall die Hand im
Spiele hat und, während ſie in denſelben frei zu ſeyn meinen, ihnen unver-
merkt etwas unterſtellt, wodurch das, was Perſon iſt, zur bloſen Sache, zum
Mechanismus zu werden ſcheint, hier noch nicht darzuſtellen haben. Vor-
läufig aber ſtelle man ſich, um dieſe „hinkende Freiheit“ (a. a. O. S. 70)
als Weſen des Komiſchen ſich deutlich zu machen, einen Menſchen von
einiger Gabe der Selbſttäuſchung vor, der rein für einen erhabenen Zweck
zu handeln meint und unbewußt vielmehr vom Inſtincte nach einem mit der
Erreichung des Zwecks äußerlich verbundenen kleinen Genuſſe getrieben
wird. Herr Schnaps in Göthes Bürgergeneral, der die Erſtürmung
der Baſtille darſtellt, um zu einer ſauren Milch zu gelangen, iſt darum
nicht rein komiſch, weil es ihm nur mit dem Hunger Ernſt iſt. Ein
treffendes Bild des Ganzen iſt Trunkenheit, nicht übermäßig, doch bis zum
Faſeln, Stottern und Taumeln. Der Wille iſt da und zwar in großem
Selbſtgefühle, aber Füße, Zunge und ſelbſt Ideenverknüpfung handeln für
ſich, ohne bei ihm anzufragen. Man erinnere ſich auch an die Thiere
wieder, an welchen ſich Schützes Darſtellung ganz ergötzlich erprobt.
Freilich leihen wir ihnen nur durch Unterſchiebung Freiheit; nun aber
erregt es das heiterſte Lachen, wenn man ſich z. B. die Bemühungen
eines Hunds, zur Befriedigung des Geſchlechtstriebs zu gelangen, als
die eines Stutzers vorſtellt, der nach freier Wahl des Geſchmacks einer
Dame den Hof macht, während er vielmehr ſo muß.
2. Das Reich der äußeren Zweckmäßigkeit konnte nur auf ſehr be-
dingte Weiſe im einfach Schönen zugelaſſen werden, vergl. §. 23. Im
Erhabenen konnte es gar keinen Platz behaupten, weil die äußeren Zwecke
[365] nur relativ ſind. Im Komiſchen aber verhält es ſich anders aus dem
§. 156 genannten Grunde. Man denke z. B. an den Mann auf einem
Bilde Hogarths, der eine hölzerne Dachrinne abſägt und ſich auf das
Ende ſetzt, das abzuſägen iſt, und mit dem er auch, nachdem er durchgeſägt,
herabfällt.
§. 162.
Wie leicht das Erhabene der Leidenſchaft dem Komiſchen verfällt,1
geht daraus hervor, daß bei dieſer Form von dem ſittlichen Gehalte noch ab-
geſehen wird (vergl. §. 105). Es darf nur etwas eintreten, was ihr die Furcht-
barkeit nimmt und zugleich ein Mißverhältniß zwiſchen der Gewalt der Erregung
und ihrem Gegenſtande aufdeckt, ſo iſt die komiſche Brechung vorhanden. Aber2
auch die zum bleibenden Zuſtande gewordene Verſenkung in ein Einzelnes, ſey
dies nun eine unter der Bedingung des richtigen Maßes berechtigte Befriedigung
des Geiſtes oder der Sinne, in welch letzterem Falle die Leidenſchaft Laſter
heißt, tritt nun auf als ein durch den komiſchen Bruch ſich zerſtörender Anſchein
von Erhabenheit, wenn der Widerſpruch der reinen Allgemeinheit des Willens
mit dem einzelnen Zwecke, in den ſie ſich legt, in der Thätigkeit ſelbſt vor die
Anſchauung tritt. Noch unmittelbarer ſtellt ſich der unſtete Wille als komiſch3
dar.
1. Der Zorn z. B. iſt erhaben durch ſeine ſtürmiſche Gewalt; er iſt
auch berechtigt, wenn er für einen wahrhaften Zweck durch Trägheit und
Ränke durchſchlägt. Allein Jähzorn ohne entſprechende Urſache iſt komiſch.
Allerdings wird dazu noch etwas gefordert, nämlich die Abweſenheit des
Furchtbaren. Aus allem Bisherigen erhellt, daß dies bewirkt wird durch
ein auffallendes Mißlingen. Es kann nicht vermieden werden, dieſe
negative Bedingung ſchon hier in der Darſtellung des erſten Glieds bald
anzudeuten, bald auszuſprechen; eigentlich aber iſt der Ort, ſie als
weſentlich hervorzuſtellen, in der Darſtellung des Gegenglieds.
2. Die Grillen, Schrullen, üblen Angewöhnungen, die eingewurzelten
Fehler, die Laſter treten hier auf. Sie haben ihren Grund zum Theil in
einem an ſich berechtigten geiſtigen Zwecke: die Neugierde im Wiſſenstrieb,
die Geſchwätzigkeit im Zwecke der geiſtigen Mittheilung, die Eitelkeit im
Selbſtgefühle, die Pedanterei im Ordnungstriebe, die Liebhabereien z. B.
des Sammlers, des Alterthümlers u. dgl. in der Wiſſenſchaft oder einer
andern an ſich wohlbegründeten Richtung, und alle dieſe Ausartungen ſind
[366] eben die Grube, worin der zu Grund liegende wahre Gehalt verſinkend
ſeine urſprüngliche Kraft, die vergleichungsweiſe nun Erhabenheit iſt,
einbüßt. Der Haß, ſowohl der in ſeiner Quelle gewaltigere (wie z. B.
deutſchthümelnder Franzoſenhaß), als der kleine und verbiſſene (vergl.
§. 106, Anm. 1) tritt unter den Leidenſchaften erſterer Art ebenfalls als
Stoff der Komik auf. Den Begriff des Laſters beſtimmt der §. als Aus-
artung eines ſinnlichen Genuſſes in die Unfreiheit der bleibenden Ver-
ſenkung. Man nennt freilich auch Hochmuth, Lügenhaftigkeit (il bugiardo
von Goldoni: eine treffliche Komik) und andere Entartungen geiſtiger Art
Laſter, da es an einem anderen Worte für habituelle Unſittlichkeit fehlt,
urſprünglich aber wird das Wort für die habituelle Verhärtung in ſinnlichem
Genuſſe gebraucht. Laſter nennt man in komiſcher Abſicht ſelbſt üble
Angewöhnungen an kleine Bedürfniſſe, wie Schnupfen, Rauchen; dann
treten die größeren Laſter des Geizes, Trunkes u. ſ. w. hervor. Man
muß nicht meinen, das ſittlich Verdorbene fordere hier eine Grenze. Fal-
ſtaff iſt grundliederlich und doch ganz komiſch. Die Grenze liegt nicht im
Inhalte, ſondern in weiteren Momenten, wovon hier noch nicht die Rede
iſt. Hegel will die Laſter ausſchließen (Aeſth. Th. 3, S. 534) und nennt
als Grund die bittere Ernſthaftigkeit des Zwecks im Laſterhaften. Allein gibt
es denn nicht Laſterhafte, die mit dem einen Fuß aus dem Laſter heraus,
mit dem andern in demſelben ſind? Wenn es aber ſolche nicht geben und
ſich der Wortſtreit erheben ſollte, ob dies noch Laſter zu nennen ſey oder
nicht, ſoll denn die Weiſe der Anſchauung nicht einen ſolchen Doppelſchein
auf das Laſter werfen können?
3. Der unſtete Wille fällt als komiſch ſogleich in die Augen. Nur
muß er in ſeinen Uebergängen ganz, in ſeinen Selbſttäuſchungen voll ſeyn,
wie feurige Naturen in der Reihe ihrer Jugend-Enthuſiasmen; ſonſt fehlt
das erſte Glied des Komiſchen, das Erhabene.
§. 163.
Dagegen ſcheint das Böſe durch die weſentlich in ihm miteinbegriffene
Thatkraft immer zu furchtbar zu ſeyn, um in das Komiſche übergehen zu können.
1Davon bilden jedoch einzelne Uebertritte des blos leidenſchaftlichen und laſter-
haften Willens in dasſelbe eine Ausnahme, weil hier die zuſammenhängend
ausgebildete Thatkraft des Böſen fehlt. Ferner, da das Böſe wie alles Er-
habene ein Verhältnißbegriff iſt, ſo kann ſich ſelbſt über ausgebildete Ränke-
ſucht eine höhere ſtellen, wodurch die erſtere komiſch wird. Aber auch die
[367] möglichſt vollendete Bosheit verfällt dem Komiſchen, wenn von der Reihe der2
Zerſtörungen, die ihr allerdings gelingen, abgeſehen und die ſittliche Welt-
ordnung in’s Auge gefaßt wird, welche, ſelbſt unzerſtörbar, die Abſicht der all-
gemeinen Zerſtörung gegen den Verbrecher umkehrt, in welchem ſelbſt ſie zum
voraus als unverlierbares Bewußtſeyn gegenwärtig iſt.
1. Falſtaff wird aus einem Trinker, Hurer, Prahler gelegentlich
zum Straßenräuber. Dies iſt böſe genug, aber man vergißt den ſittlichen
Unwillen völlig, weil weitere Momente eintreten, welche, indem ſie den
Verſuch des Böſen dem Komiſchen überliefern, zugleich den ganzen Stand-
punkt verändern. Auch ſyſtematiſche Ränkeſucht kann komiſch werden,
wenn ſie auf eine gewiſſe Weiſe an der höheren ſcheitert. Man denke
an den Reineke Voß, der doch immer ein Bild des menſchlichen Lebens
iſt. Hier ſind die übrigen Thiere nichtsnutzig, gefräßig, lüſtern, diebiſch
u. ſ. w. wie Reineke, aber ihre Tücke ſcheitern komiſch an ſeinem ganzen
und vollendeten Egoismus.
2. Das Böſe iſt „die Kraft, die ſtets das Böſe will und ſtets das
Gute ſchafft.“ Mephiſtopheles hat ſelbſt ein humoriſtiſches Bewußt-
ſeyn davon. Der Teufel galt immer als dummer Teufel. Die Komik
des Böſen iſt eine doppelte: ohne daß dadurch der ſchauderhaft erhabene
Eindruck des Ganzen aufgehoben würde, iſt der Böſe perſönlich humoriſtiſch
und zwar aus dem vorhin unter 1 genannten Grunde. Aber das Ganze
des Schauſpiels wird komiſch durch den im §. genannten Blick auf die
Ironie der ſittlichen Weltordnung. Aus der Bemerkung 1 und 2, ſowie
aus den Bem. zu §. 162 ergibt ſich von ſelbſt, wie das ȣ᾽ μέντοι κατὰ
πᾶσαν κακίαν des Ariſtoteles (§. 152 Anm.) zu erklären iſt. Die
Auseinanderſetzung des dritten Moments, der Zuſammenfaſſung der beiden
Glieder im Komiſchen, hat aber dies Alles erſt noch zu ergänzen.
§. 164.
Der Wille des Guten iſt vom Komiſchen keineswegs, wie Hegel meint,
auszunehmen, denn gerade je reiner er iſt, deſto fühlbarer ſeine Brechung durch
das Zufällige und Unfreie, was ſich in ſein inneres Leben und in ſeine Thätig-
keit einſchleicht. Ja gerade, je wahrhafter erhaben der Gegenſtand, deſto ächter,
je mehr nur ſcheinbar erhaben, deſto geringer die Komik. Leichter aber tritt
das Komiſche ein in dem poſitiv als in dem negativ Pathetiſchen, da von
dem Letzteren Mitleid und Furcht zu ſchwer fernzuhalten ſind.
[368]
Hegel ſagt (Aeſth. Th. 1, S. 88): „das Komiſche muß darauf beſchränkt
ſeyn, daß Alles, was ſich vernichtet, ein an ſich ſelbſt Nichtiges, eine
falſche und widerſprechende Erſcheinung, eine Grille z. B., ein Eigenſinn,
eine beſondere Caprice, gegen eine mächtige Leidenſchaft, oder auch ein
vermeintlich haltbarer Grundſatz und feſte Maxime ſey.“ Mit dem letzten
Theile dieſes Satzes ſcheint er wieder liberaler zu ſprechen, aber er meint
offenbar nur eine ſchiefe Maxime. Sein Eifer gegen die romantiſche Ironie
hat ihn unfrei gegen die Komik geſtimmt und er widerſpricht ſich ſelbſt,
wenn er (a. a. O. Th. 2, S. 117) ſagt: „es iſt nicht eben eine poetiſche
Luſtigkeit, welche ſich damit begnügt, was ſchlecht iſt, lächerlich zu machen.“
Allerdings iſt auszuſprechen, daß auch der gute Wille, eben inſofern ſich
auch in ihn die Trübung einſchleicht, nicht wahrhaft erhaben ſey; allein
der Vorwurf des bloſen Scheins trifft nur den Anſpruch auf abſolute
Vollkommenheit, nicht die wirkliche Güte des Kerns, und nur in jenem
Sinne iſt der Satz aufzuſtellen, daß das Komiſche allerdings darauf
ausgeht, nichts wahrhaft Erhabenes gelten zu laſſen. Nur völliger Un-
verſtand könnte dieſer Behauptung Frivolität vorrücken, denn es wird
ſich zeigen, wie durch das wahre Lachen der verlachte Gegenſtand in das
lachende Subject gerettet, nicht das Erhabene „in den Staub gezogen
wird.“ Das Komiſche hat im Stoffe keine Grenzen, nur in der Form.
Es braucht kaum darauf aufmerkſam gemacht zu werden, wie alle ächten
Humoriſten die edelſten Gefühle, Stimmungen, Charaktere durch Anheftung
unſchuldiger Schwächen in’s Komiſche zu ziehen wußten, ohne frivol zu
werden. Je reiner freilich ein alſo dargeſtellter Charakter, deſto gewiſſer
muß er, weil ihm Beſinnung auf ſich nothwendig zukommt, das Lachen
auch ſelbſt übernehmen: von dieſer Erſcheinung, dem ſubjectiven Humor,
muß an ſeinem Orte die Rede ſeyn. Das negativ Pathetiſche wird aller-
dings ſchwerer komiſch, als das poſitiv Pathetiſche. Wenn nämlich Jemand
den Märtyrer zu ſpielen blos vorgibt oder zur Durchführung gar nicht
die Kraft hat, ſo gehört dies nicht hieher, ſondern dann iſt es die Leiden-
ſchaft oder der unſtete Wille und der denkende Geiſt in ſeiner Selbſt-
täuſchung, was komiſch wird. Doch auch die wirkliche Kraft der Selbſt-
überwindung kann einen Fall vor ſich zu haben glauben, wo ſie nöthig
ſey, aber wirklich nicht nöthig iſt, kann in der Durchführung des Kampfes
verſagen u. ſ. w.
[369]
§. 165.
Die Lehre vom Erhabenen ging von der Erhabenheit des ſittlichen Willens1
im Subjecte unmittelbar zum Tragiſchen über, und hier trat zuerſt als For-
derung, ausgebildet aber als ein weſentliches Moment der Verſöhnung im
Leiden die ſubjective Erhebung des Bewußtſeyns in das abſolute Subject hervor.
Dieſe Erhebung war nur in ihrer allgemeinſten Bedeutung zu erwähnen; jetzt
aber muß ſie als die höchſte Form der Erhabenheit des Subjects beſonders
auftreten, weil gerade von den Trübungen die Rede ſeyn ſoll, welche als ſub-
jective Zuthaten zu dem wahren Gehalte der Religion dieſe Form des Be-
wußtſeyns in’s Komiſche ziehen. Dieſe Trübungen beſtehen theils in der Ab-2
hängigkeit von äußern Unterbrechungen und inneren Störungen, welchen die
Religion als Stimmung und Thätigkeit des Subjects unterworfen iſt, theils
bieten die Widerſprüche, worein ſie ſich als mythiſche Vorſtellung über ihren
Gegenſtand verwickelt, der Bildung, welche ſich von der letzteren befreit hat,
reichen komiſchen Stoff. Das abſolute Subject aber, in ſeiner wahren All-
gemeinheit erfaßt, kann dem Komiſchen ſo wenig unterworfen ſeyn, daß es viel-
mehr ſelbſt der Vollzieher des komiſchen Prozeſſes iſt, der an die Stelle des
tragiſchen tritt.
1. In der Lehre vom Erhabenen trat, nachdem das Erhabene des
Subjects bis zur ſittlichen Größe geführt war, ſofort das Tragiſche ein.
Hier nun wurde ſogleich die Anerkennung von Seiten des tragiſchen Sub-
jects gefordert, daß es ſeine Größe nicht ſich, ſondern dem Abſoluten ver-
danke; aber erſt im Leiden konnte das volle Bewußtſeyn dieſes Verhält-
niſſes in demſelben ſich entwickeln und es ſich dadurch von ſeiner Schuld
reinigen (vergl. z. B. §. 126). Es konnte aber dort nicht die Aufgabe
ſeyn, die beſondere Form der Religion, welche dieſes Bewußtſeyn annimmt,
hereinzuziehen. Denn für’s Erſte war dort überhaupt darum nicht der
Ort, auf dieſes Gebiet einzugehen, weil das Schauſpiel des Leidens und
Untergangs dem Intereſſe für die beſonderen Bildungsformen, welche die
Erhebung des Gemüths zum Abſoluten als Religion annimmt, gar keinen
Raum geſtattete; zweitens treten durch dieſe beſonderen Formen Irrthümer
ein, welche ſelbſt wieder nicht ohne Schuld ſind, und dieſe Einführung
einer neuen Schuld hätte dort den ganzen Zuſammenhang verrückt. Im
Komiſchen iſt es anders; hier gehört die Religion um der Trübungen
willen, die ihr Gehalt durch ſeine ſubjective Beſtimmtheit erleidet, noch
zu dem Erhabenen des Subjects, das durch die Einzelheit, womit es be-
Viſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 24
[370]haftet wird, ſich dem Lachen Preis gibt. Dabei können die beſtimmten
Religions-Vorſtellungen als bekannt vorausgeſetzt werden und es iſt dies,
obwohl dieſelben in einem ſpätern Theile des Syſtems erſt in ihrer all-
gemeinen äſthetiſchen Bedeutung aufzuführen ſind, kein unerlaubter Vor-
griff, denn das Sinnliche, was durch dieſe Vorſtellungen dem reinen Geiſte
angeheftet wird, läßt ſich von zwei ganz verſchiedenen Seiten betrachten.
Es kann, wie irrig dieſe Zuthat ſeyn mag, eine Welt tranſcendenter
Schönheit begründen: dies iſt die Seite, welche im weiteren Syſteme
geltend gemacht wird. Es kann aber das Irrige daran durch Vergleichung
der ſinnlichen Zuthat mit der reinen Geiſtigkeit des Gehalts auf-
gedeckt und der Widerſpruch, der darin liegt, zur Anſchauung gebracht
werden: dies iſt die Seite, welche auf dem jetzt vorliegenden Standpunkte
der Komik geltend zu machen iſt.
2. Aeußere Störungen der Andacht werden mit komiſcher Wirkung
in Menge dadurch herbeigeführt, daß gerade im Zuſammenſtoße mit der
reinen Geiſtigkeit, welche dieſe Stimmung darſtellt, jedes kleine Ungeſchick
zufälliger Verwicklung mit dem Aeußeren, in das ſie ja doch hineingeſtellt
iſt, doppelt fühlbar wird. Innere Störungen der Andacht: Feldprediger
Schmelzle beim Nachtmahl, der religiöſen Thätigkeit: Freudel auf der
Kanzel, Eymanns Ungeduld im Religions-Unterricht u. dergl. Sittliche
Thätigkeit, die durch religiöſe Begründung höher erſcheinen ſoll, als wenn
ſie rein ethiſch wäre: hier fließen die Beiſpiele aus der geſammten Hand-
lungsweiſe der Frömmler und Hierarchen in Maſſe zu. Was die Vor-
ſtellungen der Religion betrifft, ſo gibt gewiß jeder die Fratzen Aegyptens
und Indiens, die Widerſprüche der griechiſchen und römiſchen Götterlehre,
natürlich unter denſelben Bedingungen, welche auch von ſittlichen Ent-
artungen erſt Mitleid und Furcht fern halten müſſen, wenn ſie komiſch
werden ſollen, einem Lucianiſchen Lachen Preis. Anders iſt es mit
Religionsvorſtellungen der Gegenwart, welche zwar zur Komik auffordern,
aber im Hinblick auf eine Menge ſolcher, welche ſie noch bedürfen, außer-
äſthetiſche Rückſichten der Schonung auflegen. Ebendarum aber hat es
mit ſolchen Rückſichten nicht die Aeſthetik, ſondern die Pädagogik zu thun
und auch dieſe hat dreierlei wohl zu erwägen: zuerſt, ob die Menge
der Bedürftigen ſo groß ſey, als behauptet wird, und ob nicht das Geſchrei
über Aergerniß vielmehr von ſolchen komme, welche auf die Erhaltung
des Irrthums ihren Lebenszweck begründet haben; ferner, was heraus-
kommen würde, wenn man mit der Komik gegen jede abſurde Legende
ſo lange zurückhalten wollte, bis mathematiſch ausgemacht wäre, daß
[371] keine Seele mehr daran glaubt; endlich aber, daß der ganze Grundſatz
ſtreng zu prüfen iſt. Daß nämlich, was von der beſtehenden Bildung
als Irrthum erkannt iſt, ebendaher auch aus dem Bewußtſeyn des Volkes
zu entfernen ſey, fordert die Ethik der Erziehung ſelbſt; nur, meint ſie,
dürfe dies blos auf dem Wege ernſter Belehrung geſchehen. Allein man
verſuche es, die zähe ſinnliche Vorſtellung in ihren Widerſprüchen aufzu-
decken, und ſehr zu, ob dies ohne Ironie angeht, ob nicht vielmehr die
innere Komik der Sache ſelbſt wider Willen zum Vorſchein kommt. Was
insbeſondere die ſogenannte Frivolität betrifft, ſo wird davon noch die
Rede werden; hier ſey nur ſo viel bemerkt: Frivolität und Komik ſind
zweierlei. Jene zerſtört nicht den Irrthum an der Wahrheit, ſondern ſie
glaubt keinen Geiſt, und gefällt ſich, jede geiſtige Erſcheinung, insbeſondere
jede ſittliche, als eine Lüge der Begierde darzuſtellen, während dagegen
die Komik nur das am Geiſte aufzehrt, wodurch er ſich die Miene gibt,
ſeine Begrenzung zu überſpringen, ſeine Wahrheit aber frei in das lachende
Subject ſelbſt herüberzieht. Frivol iſt es, nicht wenn ich die Widerſprüche
eines Mythus aufdecke, ſondern wenn ich z. B. in der Liebe das Sinnliche
mit der Abſicht heraushebe, das Geiſtige darin zu läugnen. Die Komik
rettet das Geiſtige, indem ſie es um des Sinnlichen willen, das ihm bei-
wohnt und gerade unter der Anmaßung einer von allen ſinnlichen Be-
dingungen freien Autorität verſteckt iſt, gutmüthig belacht. Dies iſt eben
der Begriff der Fortbehauptung des Erhabenen in und trotz ſeinem Falle
der noch weiterhin zu erörtern iſt.
§. 166.
Das Erhabene des abſoluten Subjects nun oder das Tragiſche ſtellte1
ſich als ein Umkreis weſentlicher, das Subject tragender und über es hinaus-
gehender ſittlicher Mächte dar und faßte dieſe ſammt allen Formen des Er-
habenen, des einfach Schönen und des Zufalls, wie er ſich nämlich in die
Strenge des ſittlichen Zuſammenhangs aufhebt, in eine große Einheit zuſammen.
Das Komiſche aber entfeſſelt den äußern und innern Zufall und ſo gerathen
jene Mächte in die unendlichen Trübungen ſeiner verkehrten Welt. Der letzte
Grund dieſer Trübungen iſt immer die innere Zufälligkeit, ohne welche auch2
die äußere nicht in Kraft träte. Indem daher das Subject ſeine Erhabenheit
im höheren Sinne als Vertreter einer ſittlichen Macht zu entwickeln ſcheint,
entwickelt es ebenſo wie im Tragiſchen ſeine Schwäche und dieſe erſte Bewegung
ſtellt dieſelbe Ironie dar, wie im Tragiſchen (vergl. §. 123).
24*
[372]
1. Die Komödie wird ebenſo in der Wurzel aufgehoben, wie die
Tragödie, wenn eine Regierung ihr verbietet, die großen Kreiſe des öffent-
lichen Lebens, den Staat und ſeine beſonderen Körper und Anſtalten in
ſich aufzunehmen. Sie wird dadurch auf die kleinen Lächerlichkeiten des
Privatlebens geiſtlos beſchränkt und ein Ariſtophanes iſt freilich in ſolcher
Unfreiheit nicht möglich. In Wahrheit aber ſind ſelbſt dieſe kleinen
Sphären nicht ſo unſchuldig, wie man meint. Es wird z. B. die Liebe
nicht blos als Zuſtand dieſes oder jenes Subjects, ſondern als Lebens-
macht überhaupt in’s Komiſche gezogen, und da ſie als die Macht, welche
die Familie begründet, die Mutter des Staates iſt, ſo iſt dieſer ſelbſt an
einem ſeiner ſchwächſten Punkte angegriffen. Die Stände werden lächerlich
gemacht, und dieſe ſind ſchon entſchiedener ein Allgemeines und Weſentliches
im Staate. Schließlich aber geſteht der Staat durch ſolche Verbote ſeine
Schwäche auf eine viel gefährlichere Weiſe, als wenn er ſich der Ironie
der öffentlichen Komik mit Freiheit unterzöge; er bekennt, daß er eine
rohe Gewalt und nicht eine vernünftige Macht iſt, denn dieſe wird ſich
niemals durch Zwang dem Scherze entziehen wollen.
2. Von dem Unterſchiede des äußeren und inneren Zufalls iſt nachher
noch zu reden. Hier nur ſo viel: der äußere beſteht in den Hinderniſſen,
welche durch das Ungefähr aufſtoßen; ſie wären aber keine, wenn die
ſittlichen Mächte nicht in der Trennung, der ſie in ihrer Verwirklichung
unterliegen, ihren urſprünglichen Einklang aufheben und ſich ſo der Schuß-
Linie äußeren Zuſammenſtoßes ausſetzen würden, und dieſe Trennung hat
ſchließlich ihren Grund in der Einzelheit überhaupt, als welche die Sub-
jectivität beſtimmt iſt und welche ſammt allen in ihr enthaltenen Zu-
fälligkeiten auch durch den ſich gegenſeitig ergänzenden Zuſammentritt
vieler Subjecte ſich nicht ausrotten läßt, alſo in der inneren Zufälligkeit.
Das Subject tritt nun auch im Komiſchen zunächſt als Vertreter einer
ſittlichen Macht auf, ſtellt aber, indem es die ungetrennte Erhabenheit
ſeiner Perſon und der ſie erfüllenden Idee zu entfalten meint, vielmehr
die Schwäche der einen und ebendaher auch der andern in’s Licht.
Dies iſt dieſelbe ironiſche Bewegung wie im Tragiſchen §. 123. Daher
iſt ſchon in der Darſtellung des Tragiſchen die Vorbereitung des Komiſchen
nicht zu vermeiden und beſteht zwiſchen beiden nicht nur eine Wahl-
verwandtſchaft, ſondern es iſt wirklich ſchon Komiſches im Tragiſchen.
Allein der Schluß verändert Alles, hier tritt völlige Scheidung ein, wie
der folgende §. zeigen wird. Für jetzt mag zur Erläuterung daran erinnert
ſeyn, wie z. B. im König Lear der Narr ſo lange mitſpielt, als Lear
[373] erſt als Thor erſcheint, der zur Selbſtkenntniß gebracht werden ſoll, da-
gegen am Schluſſe, wo das unendliche Uebel und die ernſte Form der
Verſöhnung eintritt, verſchwindet.
§. 167.
Allein ganz anders als im Tragiſchen iſt der Schluß dieſer Bewegung im1
Komiſchen. Denn indem hier die Zufälligkeit gegen das Erhabene im Rechte
iſt, ſo erſcheint die Trübung der Idee nicht als Schuld des Subjects. Geht
die That desſelben bis zum Böſen fort, ſo iſt zunächſt das Mißlingen des
Verſuchs die, wiewohl nur negative, Bedingung des Komiſchen, indem dadurch
das Furchtbare ferngehalten wird. Nun erreicht das Subject zwar nicht, was2
es wollte, allein es leidet, eben weil es mit der Schuld nicht Ernſt iſt, kein
unendliches, ſondern nur ein kleines und vorübergehendes Uebel, auf welches
vielmehr die Erreichung eines Gutes folgt, und es verbreitet ſich über die
betheiligten Subjecte als ein trotz ihrer Mangelhaftigkeit unverlierbares Erb-
theil ein allgemeines Glück. Im Komiſchen gibt es daher keinen Unterſchied
einer poſitiven und negativen Form wie im Tragiſchen; wohl aber tritt als
reinſter Fall eine der dritten Stufe des negativ Tragiſchen entſprechende Dialektik
ſich gegenſeitig aufhebender Trübungen der ſittlichen Idee durch den unblutigen
Kampf komiſcher Subjecte ein. Das End-Ergebniß iſt der gewöhnliche Zuſtand
des Lebens in allen ſeinen Zufälligkeiten als ein guter und glücklicher.
1. Es war hier nur als negative Bedingung das Mißlingen noch
einmal hervorzuheben, aber auch auszuſprechen, daß noch eine weſentliche
poſitive Bedingung eintreten muß, um den Standpunkt der Schuld fern-
zuhalten. Das Mißlingen iſt als nothwendige negative Bedingung ſchon
im Bisherigen dadurch hinreichend begründet, daß ein Zuſammenſtoß mit
dem Zufall äußerer Hinderniſſe gefordert iſt; es wird aber noch eine tiefere
Begründung im Folgenden finden. Uebrigens leuchtet ſchon hier ein,
warum Shakespeare überall, wo ſein Stoff den Ausgang des poſitiv
Tragiſchen forderte, in die Komödie überging. Trifft den Schuldigen
kein unendliches Uebel, ſo geſchieht dies, weil auch die Schuld nicht in
ihrer Unendlichkeit, alſo nicht weſentlich als Schuld erſcheint, und hiemit
iſt auch ſchon das Komiſche da.
2. Der Glückszuſtand, in welchen die komiſche Bewegung ausläuft,
wird nun die Unterſuchung auf das Gegenglied im Komiſchen führen,
wo ſich dieſe Frage näher erledigt. Die Dialektik des komiſchen Con-
[374] flicts liegt in allen bedeutenderen Werken der komiſchen Kunſt vor, in
Ariſtophanes, in der neueren Komödie der Alten, in vielen Shakes-
peareſchen Stücken und modernen, beſonders franzöſiſchen Luſtſpielen.
Die Aufgabe iſt vorzüglich, zur Darſtellung zu bringen, wie nicht nur
Narren verſchiedener Art zuſammenhandeln, ſondern Narren, die in
demſelben Punkte, aber auf verſchiedene Weiſe Narren ſind, ſo daß
die eine Form an der andern ihre Ironie findet. Jeder leidet durch
den Andern eine Verkehrung ſeiner Zwecke, kommt aber dabei ganz leidlich
mit einer Beſchämung, Entbehrung, Verlegenheit oder, wo es derber her-
geht, einer Tracht Prügel u. dergl. davon, das beſondere eingebildete Glück
wird ihm nicht zu Theil, aber die gewöhnlichen Genugthuungen des
Lebens, welche ſchließlich übrig bleiben, erſcheinen gerade als das Be-
haglichere und Luſtigere.
Das Gegenglied.
§. 168.
Das Erhabene bricht ſich an ſeinem Gegentheil. Da jenes ein unendlich
Großes iſt, ſo muß dieſes ein unendlich Kleines ſeyn. Dies iſt die räumlich
2und zeitlich begrenzte Einzelheit des Gebildes ſammt allen mit ihr gegebenen
Formen der Zufälligkeit; dieſe ſeine Beſtimmtheit iſt nicht blos äußere, ſondern
auch innere Grenze und erſtreckt ſich daher in das Selbſtbewußtſeyn als Unbe-
wußtes (§. 159. 160), in die Freiheit als Unfreies (§. 161). Grund des
3unendlich Großen iſt die Idee; Grund des unendlich Kleinen muß alſo Idee-
loſigkeit ſeyn. Nun iſt in Wahrheit dieſe ganze Sphäre nicht außer der Idee
(§. 152. 154) und gerade im Komiſchen ſoll ſie als eine der Idee ſelbſt mäch-
tige ſich auf Koſten dieſer, ſoferne ſie als eine fremde Macht andringt, gel-
tend machen. Zuerſt aber muß der Widerſtreit in’s Licht treten, der Gegenſatz
als unendlich und daher das, worein die Idee untergeht, als ein von der Idee
Verlaſſenes erſcheinen.
1. Als ein unendlich Kleines hat ganz richtig J. Paul das Gegen-
glied beſtimmt a. a. O. §. 26, wo er es auch eine ideale Kleinheit
nennt, und §. 28. Er gibt dem Humor zur Loſung: vive la bagatelle!
aber nicht nur dieſem, ſondern allem Komiſchen gilt ſie und das Geſetz
des Individualiſirens in’s Kleinſte (a. a. O. §. 35): „wenn der Ernſt
überall das Allgemeine vorhebt und er uns z. B. das Herz ſo vergeiſtert,
[375] daß wir bei einem anatomiſchen mehr an ein poetiſches denken, als bei
dieſem an jenes, ſo heftet uns der Komiker gerade eng an das ſinnlich
Beſtimmte und er fällt z. B. nicht auf die Knie, ſondern auf beide
Knieſcheiben“ u. ſ. w. Ebenſo St. Schütze a. a. O. S. 131. 132:
„der Ausdruck ſtrebt im Komiſchen nach dem Kleinſten und Speziellſten
und vermeidet das Allgemeine, welches dagegen am liebſten im Erhabenen
gebraucht wird, weil dieſes ſich der ſinnlichen Bedürfniſſe ſchämt. Indem
die erhabene Vorſtellung gern in das Materielle noch einen activen An-
theil legt und z. B. von einer Beſchirmung und Bedeckung des Hauptes
ſpricht, nennt der Komiker geradezu die Sache, von der der Menſch
abhängt, und ſetzt dafür nicht nur den Hut und die Mütze, ſondern wohl
gar den Filzhut, den Filz, die Strumpfmütze, die Nachtmütze, und damit
der hohe Geiſt dadurch recht ſehr beſchämt werde, fragt er z. B. nach
dem Befinden des Verſtandes unter der Schlafmütze, wo gleich mehr als
Ein Bedürfniß ſich an die Freiheit hängt.“
2. Es ſind bisher verſchiedene Bezeichnungen für das Gegenglied
gebraucht worden je nach der aufgeführten Form des Erhabenen. Der §.
faßt ſie zuſammen, wobei nur die weſentlichen zu wiederholen ſind.
Bei dem Erhabenen der Kraft hieß das Gegenglied mechaniſcher Stoß,
bei dem Zweckmäßigen Zweckwidrigkeit u. ſ. w.: nicht alle dieſe einzelnen
Wendungen mußten wieder aufgezählt werden.
3. Selbſt die vorhin genannte Schlafmütze iſt nicht etwas vom
Geiſte völlig Verlaſſenes, denn für einen Zweck iſt ſie erfunden und ihr
ihre Form gegeben worden. An ſeinem Orte hat Alles Sinn und es
gibt keine Materie, die nicht irgendwie geformt wäre. Auch mag es
unter Umſtänden ganz nützlich und vernünftig ſeyn, von Schlafmützen
Gebrauch zu machen; im Komiſchen ſtehen eben die Sachen ſo, daß
ebendies geltend gemacht werden ſoll gegen den, der etwa über dieſe
und andere Bedürfniſſe erhaben zu ſeyn ſich ſtellen wollte: dieſe Dinge
mit ihrem bischen Vernunft ſind jetzt im Rechte. Allein zuerſt ſoll der
unendliche Abſturz des erhabenen Scheins in’s Licht treten und es be-
darf einer Erklärung, warum er unendlich iſt, da doch eigentlich ſelbſt
das Kleinſte noch Sinn, alſo Theil an der Idee hat.
§. 169.
Da auch das Komiſche ein Verhältnißbegriff iſt, ſo mußte nicht nur das
Erhabene, das ſein erſtes Glied bildet, in unbeſtimmter Weite gefaßt werden
(§. 156), ſondern ebenſo verhält es ſich mit dem Einzelnen, welches das
[376] Gegenglied abgibt. Dieſes, welcher Art es ſeyn mag, wäre allerdings außerhalb
der Vergleichung immer irgendwie von der Idee beſtimmt und durchdrungen und
daher in einer Zuſammenſtellung mit Solchem, was ebenfalls von der Idee,
nur auf einer noch ungleich niedrigeren Stufe ihrer Wirklichkeit, durchdrungen
iſt, vielleicht ſogar erhaben; allein wenn es unter gewiſſen Bedingungen, welche
weiterhin zu entwickeln ſind, mit der Idee auf einer ſolchen Stufe zuſammen-
ſtößt, welche weſentlich eine ungleich höhere Form fordert, ſo wirkt der Con-
traſt zwiſchen dieſer und jenem ſo ſtark, daß die Mittelglieder, die an ſich
allerdings von der unterſten Form der Gegenwart der Idee im Einzelnen bis
zur höchſten führen, verſchwinden und die Kluft unendlich erſcheint.
Von der Pflanze zum Menſchen z. B. führt eine ununterbrochene
Stufenkette durch das Thierreich. Tritt aber auf eine gewiſſe Weiſe —
dieſe iſt eben noch zu entwickeln — eine menſchliche Geſtalt in ein Licht,
als hätte ſich eines ihrer Glieder von dem Ganzen wie ein fortwachſender
Aſt, Zweig abgelöst, Pilze angeſetzt u. ſ. w., ſo iſt der Uebergang zu
raſch, ich habe jetzt nicht Zeit, zu erwägen, daß im Menſchen wirklich
das Vegetabiliſche als organiſch aufgehobenes Moment fortwirkt, daß
ſolche Abſetzung eines abnormen Bildungstriebs an einzelnen Theilen von
kaum merklichen Anfängen ſich allmählich vergrößert hat u. ſ. w.; das
Auge geht von der geſunden Geſtalt der übrigen Glieder zu unmittelbar
zu dem entſtellten über: und ſo iſt ein Lapſus da, der unendlich erſcheint.
§. 170.
Die Stufenleiter der Erſcheinungen, welche durch den Contraſt mit einer
von der Idee auf ungleich höherer Stufe gebildeten ſich als verlaſſen von der
Idee darſtellen, geht daher von den unterſten Formen des Daſeyns bis hinauf
zu den Formen des ſelbſtbewußten Lebens, welche, ſo hoch ſie übrigens ſtehen
mögen, immer noch mit Einzelheit und Zufälligkeit in dem Grade behaftet ſind,
daß zwiſchen ſie und die denkbar reinſte noch der Schein einer unendlichen Kluft
treten kann. Je erhabener das erſte Glied iſt, deſto höher darf auch das
Gegenglied, abgeſehen von dem vorliegenden Contraſte, ſtehen, doch iſt hier im
Allgemeinen keine feſte Grenze zu ziehen; je weniger hoch das Erhabene ab-
geſehen von dem vorliegenden Contraſte ſteht, deſto niedriger muß die Sphäre
ſeyn, woraus ihm die Störung oder Brechung kommt.
Das thieriſch Organiſche verſinkt in das vegetabiliſch Organiſche oder
tiefer auch in das Mechaniſche, das menſchlich Organiſche kann in alle
[377] drei verſinken. Im geiſtigen Leben des Menſchen nun muß, ſo ſcheint
es zunächſt nach dem im §. gegebenen Kanon, mit der Höhe des erſten
Gliedes beziehungsweiſe auch die Höhe des Gegengliedes ſteigen. Ver-
ſtand erleidet komiſche Brechung durch ſinnliche Täuſchung, Begierde,
unzeitige Rührung, phantaſtiſcher Enthuſiaſmus durch Verſtand (Don
Quixote hat ſeinen Doppelgänger an Sancho Panſa’s ſchlichtem Volks-
verſtand, Fauſt an der unerbittlich negativen Schärfe des Mephiſtopheles,
Gottwalts überſchwengliches Gefühl an Vults Schelmerei und Erfah-
rung), Vernunft durch Phantaſie, Bewegungen des Gemüths, hohe
Geſinnungen und Thaten durch Einmiſchung von Motiven, die, an ſich
berechtigt, in dieſer Verbindung als unrein erſcheinen. Allein es mußte
im §. hinzugeſetzt werden, daß die Grenze nicht zu beſtimmen ſey. Nach
Umſtänden kann dem noch ſo erhabenen erſten Gliede ein ganz niedriges
Gegenglied aus der Reihe heraus gegenübertreten, wenn nicht unmittelbar,
doch ſo, daß ein an ſich leidlich bedeutendes Niedrigeres, worein zunächſt
das Erhabene verſinkt, ſelbſt wieder an ein noch Niedrigeres erinnert.
J. Paul führt z. B. (a. a. O. §. 28) an: ſo lange predigen, bis
man ausdünſtet. Predigen gehört unter die reinſten geiſtigen Thätig-
keiten und es ſcheint, als Gegenglied dürfe nichts ſo ganz Niedriges,
ſondern etwa nur Eitelkeit u. dergl. eintreten. Fortpredigen, bis eine
der Geſundheit zuträgliche Ausdünſtung eintritt, kann nun wohl ſo ge-
faßt werden, daß die begleitende Nebenrückſicht auf die Geſundheit nicht
eben ſo ganz niedrig erſcheint, allein im Gegenſatz gegen den ſehr hohen
Hauptzweck ſieht das Hinarbeiten auf Tranſpiration ſogar nach weniger
aus, als es iſt, nämlich nach Mechaniſchem. Aehnlich: alle Samſtage
ein Gedicht machen u. dergl. So iſt z. B. das Mathematiſche wohl
geiſtig, ſelbſt höher, als Affect, ſieht aber komiſch mechaniſch aus, wenn
Herr Rector Fälbel vom ſchnarchenden Grobian A, vom Wütherich B
ſpricht u. ſ. w. Auch kann die geiſtigſte Thätigkeit durch ein ſo niedrig
ſtehendes Gegenglied wie Nieſen, Rutſchen u. dergl. unterbrochen werden.
Dagegen iſt der andere Kanon, daß, je weniger an ſich erhaben das
erſte Glied, um ſo niedriger das Gegenglied ſeyn müſſe, von weniger
unbeſtimmter Grenze: die Anſtrengungen des Hanswurſts können nur
in Straucheln, Fallen u. dergl. endigen.
§. 171.
Wie ſehr ſich übrigens auf dieſer Stufenleiter das Gegenglied verfeinern
und vergeiſtigen mag, theils erſcheint durch die Wirkung des Gegenſatzes auch
[378] in der verhältnißmäßig feinſten Form das Gegenglied noch gemein und niedrig
und bleibt es nach §. 170 unbeſtimmt, wie tief auch gegenüber der bedeutendſten
Erhabenheit nach den Stufen des gröbſten Daſeyns zurückgegriffen wird, theils
ſteht, wo dies auch nicht geſchieht, die oberſte mit der unterſten in einer un-
unterbrochenen Kette des Zuſammenhangs, und endlich muß auch das in §. 170
zuletzt genannte Verhältniß neben den höheren durchaus zu ſeinem Rechte kom-
men. Der Gegenſatz zwiſchen niedrigem und höherem Komiſchen iſt daher ein
blos beziehungsweiſer.
Ein Vorblick auf die ganze Kunſtwelt beweist, daß der Komiker,
auf die Welt der Sinnlichkeit angewieſen, nothwendig auch Naturaliſt
und Cyniker ſeyn muß, wie hoch ſeine Komik gehen mag. An einen
Ariſtophanes, Fiſchart, Shakespeare braucht man kaum zu erinnern;
aber ſchwache und boshafte Gemüther meinen den Cyniſmus einer mo-
dernen Komik verwerfen und verfolgen zu müſſen, während ſie den
einer vergangenen frei laſſen. Dagegen iſt ſtatt alles Andern nur auf
J. Paul hinzuweiſen, der das Unfläthigſte mit den eigentlichen Worten
nennt, wenn es ihm dient. Wo der Gegenſatz des ſogenannten niedrigen
und höheren Komiſchen in ſeiner relativen Geltung hingehöre, wird ſich
zeigen. Er bezieht ſich keineswegs auf die größere oder geringere Keck-
heit im Schmutzigen, ſondern auf eine totale Art der Wendung des
ganzen komiſchen Verhältniſſes.
§. 172.
Das Gemeine und Niedrige kann auf zwei verſchiedenen Punkten hervor-
brechen, um dem Erhabenen den Fall zu bereiten: entweder als äußerer Zufall
durch einen Zuſammenſtoß, der von dem erhabenen Subjecte nicht vorhergeſehen
werden konnte, oder von innen durch eine wirkliche Beſinnungsloſigkeit des
letzteren (vergl. §. 166. 168). Der erſtere Fall iſt ſchwieriger zu erklären,
als der zweite, denn dem zuſammenfaſſenden Acte von Seiten des anſchauenden
Subjects, der nunmehr zu entwickeln iſt, um die bisher getrennten Glieder in
die widerſprechende Einheit des Komiſchen zu verbinden, gibt hier der Gegen-
ſtand nicht denſelben Vorſchub, wie im zweiten Falle.
Der doppelte Fall, der hier unterſchieden wird, kann zunächſt als
ein empiriſch ſich vorfindender aufgeführt werden, denn es braucht, nach
[379] der ganzen Lehre vom Zufall im erſten Theile, der Unterſchied des äußern
und innern Zufalls, der ſchon in den §§. 166 und 168 auftauchte,
nicht weiter begründet zu werden, als in den Anm. zu dieſen §§. ſchon
geſchehen iſt. Die Idee, wie ſie in ihrer Verwirklichung als beſtimmte
Idee ſich in die Gegenſätze des Endlichen auseinanderlegt, ſtößt theils
äußerlich auf Exiſtenzen einer andern Idee oder Gattung, theils iſt ihre
eigene Exiſtenz als ſubjectives Leben mit der Grenze und dem Dunkel
der ſinnlichen Beſtimmtheit innerlich behaftet. Dieſer Unterſchied bereitet
im Komiſchen eine Schwierigkeit. Wenn Einer eine Feder lange ſucht,
die er hinter dem Ohre ſtecken hat, oder fehltritt und fällt, weil er
nicht Acht gab, ſo iſt dies etwas Anders, als wenn z. B. J. Paul
im Titan eine ſentimentale Scene zwiſchen Albano und Liane dadurch
komiſch aufhebt, daß er uns in der Entfernung den Erzieher Schoppe
zeigt, der aus dem Fenſter ſieht und einen ſoliden Blick auf einen
Pflaſterſtein heftet, den er mit Anſpucken zu treffen ſucht. Jene beiden
können darum nicht wiſſen, daß dieſer Anblick ihrer wartet, daher auch
nicht erwägen, daß ſie in einer Welt, wo es ſolche kleine Momente
gibt, ihre Gefühle von ihrer Ueberſchwenglichkeit billig etwas herab-
ſtimmen ſollten. Dieſer Unterſchied der Fälle nöthigt, auf das dritte
Moment in der Erklärung des Komiſchen, wodurch beide Glieder erſt
in Einheit zuſammengefaßt werden ſollen, überzugehen, wo ſich zeigen
wird, ob beide Fälle ſich unter Einen Standpunkt zuſammenbringen
laſſen. Dahin drängt aber überhaupt die ganze bisherige Entwicklung; wie
es ſchwer iſt, jedes der beiden Glieder getrennt darzuſtellen, ebenſo groß iſt
die Schwierigkeit, ſie beide darzuſtellen in ihrer Trennung vom dritten
Momente, dem Acte der Zuſammenfaſſung. Es mußte daher durchgängig
ſchon die Andeutung deſſen, was derſelbe enthält, hervortreten. Dennoch
iſt dieſe Trennung nothwendig; ohne ſie kann in den verwickelten Gegen-
ſtand keine Klarheit kommen.
Zuſammenfaſſung beider Glieder zu widerſprechender Einheit.
§. 173.
Die dargeſtellten beiden Glieder bilden einen Gegenſatz und dieſer heißt,1
wenn dieſelbe äſthetiſche Beleuchtung zwei gegenſätzlich geſpannte Erſcheinungen
zugleich trifft, Contraſt. Soll aber Contraſt entſtehen, ſo dürfen die Glieder2
[380] nicht allmählich ſich gegeneinander bewegen, denn ſonſt würden ſie nicht vonein-
ander abſtechen, weil der in §. 169 geforderte Schein einer unendlichen Kluft
nicht eintreten würde. Sie müſſen vielmehr plötzlich aufeinander ſtoßen und
dieſer Zuſammenſtoß erſcheint als das Aufblitzen einer Helle, wodurch das
Dunkel des Erhabenen (vergl. §. 87) zu ſeinem Nachtheile deutlich wird,
indem ein geſchärftes Sehen ſeine Schwächen, das heißt die Unlösbarkeit der
Idee von der Grenze, erkennt.
1. Das Komiſche wurde von der älteren Aeſthetik, insbeſondere der-
jenigen, welche aus der Wolffiſchen Schule hervorging, durchgängig aus
einem Contraſte (von Vollkommenheiten mit Unvollkommenheiten u. dgl.)
erklärt. Anführungen wären überflüſſig. Außer dem Mangel in dieſer
ganzen Beſtimmung, den der folg. §. aufzeigen wird, fehlte auch der
Beſtimmung ſelbſt die Schärfe. Man ſprach von einer Zuſammenſtellung
ungleichartiger Dinge. Allein das Ungleichartige genügt nicht, es muß
Gegenſatz ſeyn, das heißt, die Seiten müſſen ſich ſo entgegenſtehen,
daß die eine gerade das enthält, was die andere durch ihren Begriff
ausſchließt, wie Weisheit und Thorheit, Freiheit und Unfreiheit. Ferner:
ſie müſſen zuſammengeſtellt ſeyn und zwar äſthetiſch, d. h. in Eine An-
ſchauung vereinigt, und dies erſt nennt man Contraſt. Beattie iſt es,
der dies nicht überſehen hat, wenn er zum Komiſchen eine ungewöhn-
liche Miſchung von Verhältniß und Gegenſatz fordert, die in derſelben
Combination verbunden ſeyn müſſen (Neue philoſ. Verſ. Ueberſ. Leipzig
1780. B. 2, S. 33. 173). Combination iſt nur noch ganz äußerlich
und formal, wie Zuſammenſtellung. Hier zeigt ſich eben der Mangel
der ganzen Beſtimmung.
2. Das Plötzliche war ein fragliches Moment im Erhabenen
(vergl. §. 86). Man hat immer ein Gefühl, als wolle das Band,
das die Idee mit ihrem ſinnlichen Gefäße zuſammenhält, reißen; es
kommt aber nicht nothwendig zu einem wirklichen Riß. Dagegen eben-
dieſer Schein des Reißens reißt plötzlich im Komiſchen; es nimmt mit
dem Anſehen, als werde die Idee das Endliche plötzlich überwachſen und
überfliegen, ein plötzliches Ende: ein Gefühl, wie wenn man meint,
im Steigen noch eine Staffel vor ſich zu haben, und der gehobene Fuß
auf ebenen Boden herunterknickt. Es gibt nun zwar auch ruhende komiſche
Gegenſtände in Menge, z. B. jede Geſtalt, die auf komiſche Weiſe häß-
lich iſt auch ohne eine Bewegung, Sancho in der Schwabe, der einen
Abgrund unter ſich zu haben meint u. dergl. Allein dann übernimmt das
[381] Gefühl des Zuſchauers, und zwar ungleich beſtimmter als im Erhabenen,
die Bewegung des plötzlichen Abreißens, indem es von dem Beſtreben
der geſtaltenden Natur zu der Verwicklung in Widerſtrebendes, von der
Abſicht und Bemühung zum wahren Sachverhalte, der ſie überflüßig macht,
fortgehend ſich plötzlich getäuſcht findet. Man unterſcheide z. B. folgende
zwei Fälle. Es weint Jemand aus wahrer Rührung. Da er aber ein
leidenſchaftlicher Raucher iſt, ſo greift er aus einem Inſtincte, der ſich
allmählich nebenher einſtellte, nach der Pfeife und raucht zum Weinen.
Oder aber er rauchte vorher, gerieth in’s Weinen und beides geht
nebeneinander. Im erſtern Falle iſt der Uebergang plötzlich, denn wir
mögen wohl irgendwie das allmähliche Hervortreten des Bedürfniſſes uns
vorſtellen, aber der Eintritt des ſichtbaren verkehrten Thuns iſt doch ein
beſtimmter Moment; im zweiten Falle fehlt dieſes Plötzliche: aber im
Uebergange der Aufmerkſamkeit des Zuſchauers von den Thränen zum
Rauchen kann der Riß des Plötzlichen dennoch nicht fehlen. Den Grund
der Nothwendigkeit dieſes plötzlichen Riſſes gibt der §.: er iſt nöthig,
um die Mittelglieder, die an ſich zwiſchen den Gliedern liegen, zu ver-
bergen. Somit iſt eine der in §. 169 in Ausſicht geſtellten Bedingungen
erklärt. Dieſes plötzliche Zuſammenſtoßen iſt ſchon oft genug mit einem
aufblitzenden Lichte, das ſich wie aus ſchneller Reibung erzeugt, ver-
glichen worden, und die Vergleichung iſt um ſo paſſender, da ein
plötzliches Deutlichwerden des Erhabenen, eine Aufhebung des ihm un-
entbehrlichen Dunkels die Folge iſt. Hier tritt das mikroſkopiſche Sehen
ein, das in §. 87, 2 ſo ſtreng vom Erhabenen abgehalten wurde.
Jetzt ſind Sinne und „der alte Erzfeind des Erhabenen“, der Verſtand,
die Alles vereinzeln, im Rechte.
§. 174.
Allein der Begriff des Contraſtes genügt nicht, er muß ſich durch eine1
Bewegung, wodurch die vorher blos äußerlich zuſammengerückten Glieder in-
einander übergehen, zum Widerſpruch ſteigern. Es muß dasſelbe Subject
als Gegenſtand ſeyn, das von dem einen Ende plötzlich auf das andere um-
ſpringt. Würde aber dies Umſpringen blos nach der Zeitfolge als ein Nach-
einander von Zuſtänden oder Thätigkeiten betrachtet, ſo würde der Widerſpruch
nicht in ſeiner Strenge zu Tage kommen, denn die Identität des Subjects
würde hinter dieſer Succeſſion zurücktreten. Vielmehr, wenn in Kraft treten
ſoll, daß es dasſelbe Subject iſt, das dieſe Folge durchläuft, ſo muß in der
[382] vorhergehenden Weiſe des Zuſtands oder Thuns ſchon die folgende entgegen-
geſetzte und in der folgenden noch die vorhergehende enthalten ſeyn, ſo daß
unter dem Erhabenen, das ſich zuerſt kund gab, bereits das unendlich Kleine
verborgen ſpielte und nur jetzt erſt an den Tag kommt, umgekehrt aber im
unendlich Kleinen auch das Erhabene, ſeines Anſpruchs auf das Anſehen einer
fremden Macht entkleidet, ſich forterhält. Nun fallen die Gegenglieder in
Eine Zeit Eines Subjects zuſammen und ſind daher ein voller Widerſpruch.
2Das Komiſche iſt eine ſich ſelbſt aufhebende Bewegung, die zugleich nach dem
Ziele hin und davon abführt.
1. Schon Leſſing hat angedeutet, was der §. enthält und hat
dadurch noch um ein bedeutendes tiefer geſehen, als Beattie, wenn er
(Laokoon §. 23) ſagt, die Oppoſita müſſen ſich im Komiſchen in einan-
der verſchmelzen laſſen. Aehnlich St. Schütze a. a. O. S. 93. 94.
Beide aber meinen darum den Kontraſt abſchwächen zu müſſen, er ſoll
„nicht zu krall und ſchneidend“, nur „ein großer Abſtand“ ſeyn. Im
Gegentheil entſteht mit dem Ineinander der Widerſpruch, der mehr noch
iſt als Contraſt. Es muß nämlich nicht nur in dem lockeren Sinne
daſſelbe Subject ſeyn, welches ſich von einem Extrem zum entgegen-
geſetzten bewegt, daß Einer heute weiſe oder ſtark, morgen thöricht oder
ſchwach erſcheint. Darüber lachen wir noch nicht, wenn wir in bloßer
Zeitfolge auf nebeneinander liegenden Punkten Gegenſätze ſehen. Wenn
in Wirklichkeit dieſer Wechſel des Subjects in verſchiedene Zeiten aus-
einanderfällt, ſo muß der Zuſchauer, wofern der Fall komiſch ſeyn ſoll,
durch ſcharfe Feſthaltung der Identität des Subjects das Getrennte in
Eins ſetzen; der ächte komiſche Act aber verlangt, daß der Moment des
Uebergangs als Moment vor die Augen trete, in welchem der vorher-
gehende Zuſtand oder Act mit dem folgenden mitten im Umſpringen ſich
an der Hand faßt. Die Identität des Subjects darf ſich nicht wie Sub-
ſtanz hinter Accidens hinter dem Wechſel ihrer Eigenſchaften verbergen,
ſonſt iſt dieſer Wechſel kein Widerſpruch. Daſſelbe Subject muß in
demſelben Punkte zugleich als weiſe oder ſtark und als thöricht oder
ſchwach erſcheinen. Dieſer wandelnde Widerſpruch iſt ja eben der Menſch.
So kommt es nun heraus, daß in der Anſtrengung, erhaben zu ſeyn,
ſchon die Narrheit, eine Einflüſterung des Inſtincts, eine Grille, eine
Gedankenloſigkeit u. ſ. w. unter der Decke ſpielte, dieſe Narrheit bricht
im Umſpringen plötzlich hervor und unſer Gefühl iſt: Ja ſo! Nun iſt
aber wieder die jetzige Narrheit oder Schwäche nicht das Ganze; war
[383] vorher ein Widerſpruch da, ſo iſt auch jetzt noch einer da, mit denſelben
Momenten, nur in umgekehrter Stellung. In der Narrheit iſt noch die
Weisheit, aber ihrer vorigen Anſprüche auf die Autorität einer abſoluten,
entſagenden Kraft entkleidet, und ſpielt, zur Beſcheidenheit des mittleren
Lebens herabgeſtimmt, jetzt in der Thorheit mit fort. Dieſe zweite Seite
fehlt der Frivolität und dadurch beweist ſich, was §. 165, Anm. 2 von
ihr geſagt wurde. Ihr geht das Erhabene ganz zu Grunde in ſeinem
Widerſpiel; ſie will dem Geiſte nicht zu fühlen geben, daß er den An-
ſpruch einer abſtracten Unendlichkeit aufzugeben hat, ſondern ſie will es
ihm anhängen, daß er die Krankheit des Leibes, daß er nichts ſey.
Ihre Lebensanſicht iſt einfach, der komiſche Standpunkt doppelt in ſich,
eine Einheit, die durch einen Bruch geht. Er verlacht, was er achtet,
und er achtet, was er verlacht. Wieland entgeht dem Vorwurfe der
Frivolität dadurch nicht völlig, daß er dem durch lüſterne Reize zierlich
zu Fall gebrachten Tugendſtolze nach ſeinem Falle einen Lebensgenuß
mit geſchmackvollem Maße predigt, denn das Maß iſt ein rein forma-
ler Begriff, der gegen die in Bewegung geſetzten Hebel der Lüſternheit
keine Kraft mehr hat. Der mittlere Zuſtand, der das End-Ergebniß
der ächten Komik iſt, wird ſich als etwas ungleich Tieferes und Geiſt-
volleres erweiſen, wenn wir erſt den ganzen Prozeß entwickelt haben
werden.
2. Die ſich ſelbſt aufhebende Bewegung, als welche ſich nun das
Komiſche darſtellt, gleicht dem Vorwärtsgehen in einem Tretrade oder
auf einem Schiff gegen den Gang des Schiffes. Treffliche Beiſpiele für
dieſe innerſte Natur des Komiſchen ſind: das Verhör im zerbrochenen
Kruge von H. v. Kleiſt, ein engliſches Schiff, das nach Indien eine
Ladung von Gözenbildern aus indiſchen Fabriken und zugleich zwei
Miſſionäre brachte, u. ſ. w.
§. 175.
Die Identität des Subjects iſt aber weſentlich Identität des Selbſtbe-
wußtſeyns. Der Widerſpruch iſt daher in ſeiner ganzen Tiefe erſt geſetzt, wenn
er als Widerſpruch des Selbſtbewußtſeyns mit ſich zu Tage kommt. Das
Subject muß alſo erſcheinen als um ſeine Verirrung wiſſend und ſich in dem-
ſelben Momente dennoch verirrend, oder als bewußt und unbewußt zugleich.
Wirklich bewußt iſt es um ſein erhabenes Streben, unbewußt um das unendlich
Kleine, das hinter demſelben ſpielt. Dies iſt aber noch nicht der geforderte
[384] Widerſpruch; das Subject muß vielmehr als bewußt erſcheinen in demſelben
Punkte, in welchem es unbewußt iſt, d. h. es muß geſetzt werden als bewußt
um die Verkehrung ſeines Strebens durch das unendlich Kleine, worin es be-
fangen iſt. Dazu liegt zunächſt die allgemeine Möglichkeit in dem Weſen des
Selbſtbewußtſeyns, welches ſich über den geſammten Umfang des Seyns im
Subjecte auszudehnen beſtimmt iſt und zu der Annahme einer ſolchen Aus-
dehnung im beſtimmten Falle den Zuſchauer herausfordert.
Es zeigt ſich ſogleich, wohin dieſer §. führt, nämlich zu der Nach-
hilfe von Seiten des Zuſchauers aus deſſen eigenem Bewußtſeyn: ein
Begriff, der ſchon oben (§. 153) vorbereitet und nun zu entwickeln iſt.
Den begründenden Uebergang zu dieſem Begriffe gibt J. Paul nicht;
auch hierin hat Ruge dieſen ergänzt, der zuerſt das geltend machte,
was der Schluß des §. enthält: „der Grund der Uebertragung des
beſſeren Bewußtſeyns liegt darin, daß der Irrende dazu herausfordert
durch das, was er in Wahrheit iſt, nämlich Selbſtbewußtſeyn, deſſen
Verdunklung ja eben ſeine unwahre Geſtalt iſt; — alſo nicht, wie
J. Paul meint, darin, daß der Irrthum überhaupt angeſchaut werden
kann, ſondern darin, daß er eigentlich von dem Irrenden ſelbſt ange-
ſchaut werden ſollte“ (a. a. O. S. 119). Es wird der verlachten
Perſon keine andere Gewalt durch das Lachen angethan, als daß „fingirt
wird, ſie ſey klüger, als ſie iſt“ ſofern „ihr zugemuthet wird, das zu
ſeyn, was ſie an und für ſich iſt, nämlich Perſon“ (S. 126). Hier
zeigt ſich bei Ruge nur der Mangel, daß es ſcheint, als werde nun
das Subject als vernünftig vorgeſtellt; allein dann käme man aus dem
Komiſchen gerade heraus; vielmehr erſt recht ein Widerſpruch von Ver-
nunft und Unvernunft erſcheint es, weil dieſes „Herausfinden der wah-
ren Geſtalt aus der unwahren“ (S. 128) beide Geſtalten zugleich feſt-
hält. Dies wird ſich weiterhin genauer zeigen.
§. 176.
In Wirklichkeit iſt jedoch dieſe Ausdehnung des Selbſtbewußtſeyns in
dem irrenden Subjecte nicht vorhanden. Daher muß der Zuſchauer an die
Stelle jener unbeſtimmten Annahme einen Act ſetzen, wodurch er ihm das man-
gelnde Selbſtbewußtſeyn aus den Mitteln des eigenen leiht oder unterſchiebt,
und hiedurch kehrt die Unterſuchung zu dem Momente zurück, von dem ſie
ausging, nämlich zu der Entbindung der Beſinnung, welche in §. 153. 154
[385] gefordert wurde und nun durch dieſen Act des Leihens begriffen wird. Dieſen
als weſentliche Bedingung des Komiſchen erkannt zu haben, iſt das Verdienſt
J. P. Fr. Richters. Wiewohl nun die Natur des Selbſtbewußtſeyns im2
angeſchauten Subjecte den Zuſchauer zu dieſer Uebertragung herausfordert, ſo
fühlt er dennoch, daß dies Leihen ein bloſes Leihen iſt, er führt es aber, ge-
nöthigt durch ebenjene Natur des Selbſtbewußtſeyns, trotzdem fort und ſo ſetzt
er ſich ſelbſt wie das verlachte Subject als bewußt und unbewußt zugleich.
Dieſes Herüber und Hinüber vollendet erſt das Weſen des Komiſchen.
1. Das Ineinander, das §. 174 gefordert wurde, muß ein In-
einander des Bewußtſeyns ſeyn, denn ſonſt bleibt das Gegenglied oder
die Verirrung dem erſten Gliede oder dem Erhabenen im Subjecte immer
noch äußerlich. Hier tritt denn J. Pauls tiefſinnige Entdeckung ein.
Er geht (a. a. O. §. 28) von dem Beiſpiele einer Handlung aus, die
durch einen Irrthum mit der Lage des Handelnden im Widerſpruch ſteht.
Der Anblick derſelben gibt aber „nur einen anſchaulich ausgedrückten
endlichen Irrthum, der noch keine unendliche Ungereimtheit iſt;
denn kein Menſch kann im gegebenen Falle anders handeln als nach
ſeiner Vorſtellung davon. Wenn Sancho eine Nacht hindurch ſich über
einem ſeichten Graben in der Schwebe erhielt, weil er vorausſetzte, ein
Abgrund klaffe unter ihm, ſo iſt bei dieſer Vorausſetzung ſeine Anſtren-
gung recht verſtändig und er wäre gerade erſt toll, wenn er die Zer-
ſchmetterung wagte. Warum lachen wir gleichwohl? Hier kommt der
Hauptpunkt: wir leihen ſeinem Beſtreben unſere Einſicht und Anſicht
und erzeugen durch einen ſolchen Widerſpruch die unendliche Ungereimt-
heit.“ Den dadurch entſtehenden Widerſpruch nennt J. Paul den ſub-
jectiven Contraſt im Unterſchiede vom objectiven, der im Widerſpruch
des Beſtrebens mit der Lage beſteht, wozu er ganz überflüßig noch das
ganze ſinnlich angeſchaute Verhältniß als ſinnlichen Contraſt aufzählt.
Statt nun den allgemeinen Grund dieſes Leihens aus der Natur des
dem verlachten und dem lachenden Subjecte gemeinſchaftlichen Selbſt-
bewußtſeyns abzuleiten, bringt er wenigſtens die richtige pſychologiſche
Beobachtung hinzu, daß die Allmacht und Schnelle der ſinnlichen An-
ſchauung uns in dieſes Irrſpiel hineinzwinge und hineinreiße, und daß
daher nur die Fälle, wo dieſe ſinnliche Wirkung ſtatt finde, komiſch
werden können. „Wenn z. B. in Hogarths reiſenden Komödianten das
Trocknen der Strümpfe an Wolken lachen macht, ſo dringt uns die ſinnliche
Plötzlichkeit des Widerſpruchs zwiſchen Mittel und Zweck den flüchtigen
Viſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 25
[386]Glauben auf, daß ein Menſch wahre Regenwolken zu Trockenſeilen
gebrauche. Den Komödianten ſelber und ſpäter auch uns iſt das Trock-
nen an einer feſten Scheinwolke nichts Lächerliches. — Ohne dieſe vor-
eilige Unterſchiebung, gleichſam ein Syllogismus der Empfindung, würde
das Paaren alles Ungleichartigſten doch kein Lachen gebähren.“ Durch
dieſen Satz wird nun Alles erklärt, was in §. 153. 154 zuerſt thetiſch
aufgeſtellt wurde über die Entbindung der Beſinnung als das Moment,
wodurch das Häßliche komiſch wird, und in §. 157. 158. 160 über die
Grenze der Komik, wie ſie da eintritt, wo die Unterſchiebung nicht möglich
iſt. J. Paul ſelbſt gibt dieſe Grenze in raſchen Blicken an: „vollen-
dete Dummheit oder Verſtandesloſigkeit wird ſchwer lächerlich, weil ſie uns
das Leihen unſerer contraſtirenden Anſicht erſchwert oder verbeut“ u. ſ. w.
Hier folgt eine Bemerkung über die Nothwendigkeit eines tieferen, tota-
len, perſonifizirenden anthropomorphotiſchen Leihens bei bewußtloſen
Weſen, worüber vergl. §. 158, 4. — „Daher wächst das Lächerliche
mit dem Verſtande der lächerlichen Perſon. Daher bereitet ſich der
Menſch, der ſich über das Leben und deſſen Motive erhebt, das längſte
Luftſpiel, weil er ſeine höheren Motive den tieferen Beſtrebungen der
Menge unterlegen und dadurch dieſe zu Ungereimtheiten machen kann“
u. ſ. w. — In §. 153 iſt geſagt, daß das Bewußtſeyn von dem an-
ſchauenden in das angeſchaute Subject „irgendwie übergehen“ müſſe.
Dieſer unbeſtimmte Ausdruck mußte gewählt werden, um der jetzigen
Auseinanderſetzung Raum zu laſſen.
2. Dieſes Leihen muß natürlich unbewußt ſeyn und da es doch ein
bloſes Leihen iſt, ſo ſagt dem Leihenden ſein Bewußtſein, daß er eigent-
lich nicht leihen darf. Allein das Gefühl des wahren Sachverhalts,
mit welchem das angeſchaute Subject in vollen Widerſpruch tritt, iſt zu
ſtark: er ſetzt daher trotzdem das Leihen fort. So ſtraft ſein Bewußt-
ſeyn das Unbewußte in ihm und über das ſtrafende Bewußtſeyn wächst
wieder das Unbewußte her. Er iſt daher ein Thor wie der Verlachte,
beide ſind, wie Flögel ſagt, in demſelben Spitale krank und tauſchen
Thorheit um Thorheit. Schon dadurch iſt die veraltete Erklärung des
komiſchen Luſtgefühls aus einer Genugthuung der Selbſtliebe widerlegt.
Weil Ruge dieſes Moment nicht erfaßt hat, ſchließt ſeine Erklärung des
Komiſchen fälſchlich mit einer einfachen Herſtellung der Vernunft oder
wahren, freien Perſönlichkeit (§. 175, Anm.). Dagegen hat J. Paul
dieſes Herüber und Hinüber, dieſes Reimenwollen und nicht Können
angedeutet (a. a. O. §. 30), wo er drei Reihen unterſcheidet, die
[387] eigene wahre Reihe im Denken des Zuſchauers, die fremde wahre, und
die fremde von dieſem untergelegte illuſoriſche, und nun fortfährt: „die
Anſchaulichkeit zwingt uns zum Hinüber- und Herüber-Wechſelſpiel mit
dieſen drei einander entgegenſtrebenden Reihen, aber dieſer Zwang ver-
liert durch die Unvereinbarkeit ſich in eine heitere Willkür. Das Ko-
miſche iſt alſo der Genuß oder die Phantaſie und Poeſie des ganz für
das Freie entbundenen Verſtandes, welcher ſich an drei Schluß- oder
Blumenketten ſpielend entwickelt und daran hin- und wieder tanzt.“
Von der Geltung des Verſtandes iſt noch zu ſprechen.
§. 177.
Es iſt aber nun dieſe Erklärung auf die zwei in §. 172 unterſchiedenen
Fälle anzuwenden. Kommt die Störung aus dem eigenen Innern des verlachten
Subjects, ſo ſtößt das Leihen darum auf ungleich geringere Schwierigkeit, weil
Ausdehnung auf das eigene Innere die unzweifelhafte Beſtimmung des Selbſt-
bewußtſeyns iſt, alſo dem Subjecte ein Wiſſen um ſeine Verirrung unterzuſchie-
ben ganz nahe liegt. Dagegen erwächst daraus auch in dieſem Falle eine große
Schwierigkeit, daß zur Kraft des Widerſpruchs zunächſt ein vollkommen ge-
ſpannter Gegenſatz, alſo zum erſten Gliede Sicherheit des Selbſtbewußtſeyns,
wirklicher Glaube an die Erhabenheit des Strebens gefordert wird, wie
St. Schütze mit Recht behauptet. Auch der Thor muß zunächſt als ungetheil-
tes, in voller Selbſttäuſchung mit ſich abgeſchloſſenes Subject erſcheinen. Allein
trotzdem darf das Selbſtvertrauen nicht ein ſchlechtweg verhärtetes ſeyn, viel-
mehr müſſen die zur Selbſtbeſchönigung aufgebotenen Mittel das im Hin-
tergrunde arbeitende Bewußtſeyn der Verirrung verrathen und ebendies bietet
dem Unterſchieben den Anknüpfungspunkt dar.
St. Schütze a. a. O. S. 44. 48 und an mehreren andern Stellen.
Er erwägt aber die Schwierigkeit nicht, die durch die Forderung voller
Selbſtzufriedenheit der komiſchen Perſon für das Leihen entſteht, weil er
dieſen nothwendigen Act zwar erwähnt (S. 75. 99), aber weit nicht
mit der gehörigen Schärfe und Wichtigkeit. Dagegen gibt Ruge, der
jedoch die Nothwendigkeit des Selbſtvertrauens hervorzuheben verſäumt,
in anderem Zuſammenhang den Grund an, wodurch das Leihen trotz
demſelben begreiflich wird: es darf dennoch nicht ganz feſtgewurzelte, un-
flüſſige, verhärtete Trübung des Geiſtes, verſtockte Unſittlichkeit u. ſ. w. vor-
liegen (a. a. O. S. 111. 113). Dieſe, von uns ſchon zu §. 153 aufgenom-
25*
[388]mene Bedingung kehrt hier mit verſtärkter Wichtigkeit zurück, denn ſie
ſoll ſich gegen den Einwurf behaupten, daß ſie durch die Zulaſſung ſelbſt
des Laſters (§. 162) und des Böſen (§. 163) als komiſchen Stoffes
wieder aufgehoben ſey. Die Künſte der Selbſtbeſchönigung ſind die
ſchwache Stelle der Selbſtzufriedenheit, woran der zu jener Unterſchie-
bung bereite Zuſchauer ſelbſt das in ſeiner Verirrung ſcheinbar ganz
feſte Subject erfaßt. Das reinſte Muſter iſt Falſtaff. Es iſt ihm mit
ſeinem Prahlen, Lügen, Betrügen ganz Ernſt und er weiß, ſelbſt auf
der That ertappt, die anmuthigſten Vorwände aufzubringen; allein die
Beſchönigung und Ausflucht verräth die Selbſtkenntniß und wenn
ſtumpfere Naturen ſich mit ihren Ausflüchten ganz vertröſten, ſo lacht
dagegen ein Falſtaff, indem er ſie vorbringt, doch zum Voraus ſchon mit
denjenigen, die über ſie lachen, er iſt nicht ſo zähe, ſie ihnen als bittere
Wahrheit aufbinden zu wollen, und in unbelauſchten Augenblicken läßt
ſich ſein Gewiſſen auf das Naivſte vernehmen. Freilich iſt dies ein
Beiſpiel, das die Erklärung allzuſehr zu erleichtern ſcheint, da Falſtaff
ſubjectiv komiſch iſt und ſo dem Zuſchauer das Leihen geradezu abnimmt:
eine Erſcheinung, von der in ihrem Unterſchiede von der blos objectiv
komiſchen Perſönlichkeit bis jetzt nicht die Rede war, ſondern erſt weiter-
hin werden muß. Allein auch bei komiſchen Perſonen, die nicht zugleich
„ſowohl ſelbſt witzig als auch Urſache ſind, daß Andere witzig werden,“
muß durchaus derſelbe Anknüpfungspunkt für das Leihen aufzuweiſen
ſeyn, ſelbſt bei Don Quixote, dem oft eine Ahnung ſeiner Verrücktheit
aufgeht.
§. 178.
Dagegen ſcheint das Leihen unmöglich zu werden, wenn die Störung von
außen kommt und zwar ſo, daß das komiſche Subject gar nicht darum wiſſen
konnte. Dieſe Störung iſt doppelter Art: ſie kommt entweder von einem Be-
1wußten oder von einem Unbewußten. Im letzteren Falle folgt der Zuſchauer
zuerſt dem in ihm ſelbſt wirkenden Beſtreben des Selbſtbewußtſeyns, ſich über
das Weltganze zu erweitern, und leiht, hingeriſſen von dem Scheine einer plan-
mäßigen Störung, dem bewußtloſen Gegenſtande des Strauchelns ein Vorherwiſſen
2und eine Beabſichtigung dieſes Anſtoßes. Es eröffnet ſich hiedurch ein Einblick
wie in eine neckende zweite Macht, welche die Welt des bekannten Bewußt-
ſeyns und Wollens durchkreuzend überall mithandelt und an die Grenze heilſam
erinnert, und dieſes Bild entſteht im Grunde auch bei der Störung von innen
(§. 177): das Unbewußte im Subject erſcheint wie ein zweiter Geiſt in ihm.
[389] Kommt aber die äußere Störung aus einem Bewußtſeyn und iſt wirklicher Plan,3
ſo iſt dieſer Theil des Leihens dem Zuſchauer erſpart. Allein in beiden Fällen4
geht nun das Leihen auf das verlachte Subject zurück. Hat nämlich der Zu-
ſchauer an ſich ſelbſt erfahren, daß das Selbſtbewußtſeyn auch dahin ſich erwei-
tert, das Bewußtloſe als ein Bewußtes vorzuſtellen, ſo kann er noch leichter
dem ſtrauchelnden Bewußten zutrauen, es habe um den lauernden Feind wiſſen
können und wiſſend ihn doch nicht vermieden.
1. Es iſt im zweiten Falle von einem Anſtoße die Rede, der ohne
mögliches Vorherwiſſen der Perſon unvermeidlich durch ein Unperſönliches
eintritt; z. B. etwas lange ſuchen, das der Suchende nicht durch
Zerſtreutheit ſelbſt verlegt hat, mitten in einer erhabenen Rede nieſen
müſſen und dergl. Hier muß zunächſt von dem verlachten Subjecte ganz
abgeſehen werden. Ein Leihen anderer Art tritt zuerſt ein und muß ſo
gewiß eintreten, als das Selbſtbewußtſeyn der Angel der Welt iſt und
ſich durch einen nothwendigen Act des Vorgriffs ſelbſt da als vorhan-
den vorſtellt, wo es nicht iſt; der ſtarke Schein aber einer planmäßigen
Störung befördert dieſes Leihen, welches dem Gegengliede, dem Bewußt-
loſen, woran geſtrauchelt wird, ein Bewußtſeyn unterſchiebt. Es ſieht ja
auch gerade aus, als ſtecke ein Kobold dahinter; der Stein, an dem Einer
ſtrauchelt, ſcheint ihm aufgelauert, das Glas, das ſeiner Hand ent-
gleitet, auf den Moment gepaßt zu haben und das Geklirr der Scherben
tönt wie Gelächter; ſo ſcheint auch, was Einer lange vergeblich ſucht,
in ſeinem ſicheren Winkel den Suchenden zu verhöhnen und jenes
Nieſen ſieht vollends wie ein Einfall des Satans aus.
2. Nun entſteht das Bild einer neckiſchen Macht, die überall mit-
handelnd die Welt des Bewußtſeyns und Wollens durchkreuzt, ihre Be-
ſchränktheit aufdeckt, ſie daran erinnert, damit ſie ſich nicht überhebe.
Ohne den Prozeß des Komiſchen in dieſe Geheimniſſe verfolgt und ins-
beſondere das unter 1. Geſagte entwickelt zu haben, hat St. Schütze
doch dieſen Punkt ſehr anerkennenswerth beleuchtet. Er ſtellt das Ko-
miſche als einen Kampf dar, in welchem nothwendig beide Theile, der
Menſch und die Natur, als handelnd erſcheinen müſſen. Dieſe darf
keinen peinlichen Zwang ausüben, ſondern muß der Freiheit einen Spiel-
raum laſſen, aber ein Geiſt muß ihr zu Grunde liegen oder gelegt
werden, ſie muß als ein wohlmeinender neckender Genius erſcheinen, der
die Freiheit an ihre Grenze mahnt und in dieſer Abſicht überall ſeine
Hand im Spiele hat. Sehr treffend wird dieſer Kampf einer auf beiden
[390] Seiten in die Schranken tretenden Verbindung von Beſtimmtheit
und Unbeſtimmtheit mit dem Spielraum zwiſchen Berechnung und
Zufall im Kartenſpiele verglichen (a. a. O. S. 26 — 29. 71 — 78).
Es fehlt nur die ſchließliche Zuſammenfaſſung in das Selbſtbewußtſeyn
und die abſolute Subjectivität, zu der unſere Unterſuchung fortzuſchreiten
hat. Uebrigens erhellt von ſelbſt, daß dieſer Schein einer zweiten necki-
ſchen Macht eigentlich ſchon da eintritt, wo die Störung von innen
kommt. Das Unbewußte und Unfreie im Subjecte ſelbſt, eben weil das
Bewußtſeyn und die Freiheit nicht Beſitz davon ergriffen hat, erſcheint
als ein in das Subject ſich hineinerſtreckendes Grundſtück des Territo-
riums jenes Kobolds, und nun ſtreiten ſich zwei Geiſter um den Men-
ſchen, deren Zwiegeſpräch die Parodie jenes tragiſchen Dialog-Monologs
iſt, worin Gewiſſen und Selbſtbeſchönigung ſich um Richard III ſtreiten
(5. Aufz. 3. Sc.). In der Mitte zwiſchen rein äußerer und innerer
Störung liegen körperliche Gebrechen, welche die eigene anima der Per-
ſönlichkeit wie in Schadenfreude gegen den animus dieſem angeheftet hat.
3. Dieſer Theil des Leihens iſt dem Zuſchauer erſpart, wenn
wirklich ſelbſtbewußte Perſonen die Störung ausführen, wie Heinrich
und Poins, da ſie dem Falſtaff bei ſeinem Straßenraub auflauern und
ihm den Fang abjagen.
4. In beiden Fällen geht nun das Leihen zurück vom Gegengliede
auf das erſte Glied, d. h. auf das ſtrauchelnde Subject und leiht dieſem
trotz der anfänglich, wie es ſchien, vorliegenden Unmöglichkeit eines
Vorherwiſſens der Störung ein mögliches und halbwirkliches Vorher-
wiſſen. Kommt doch das verlachte Subject dieſem zweiten Leihen ſchon
dadurch entgegen, daß es ſelbſt den Stein ſeines Anſtoßes, wäre er auch
ein wirklicher, eigentlicher Stein, unwillig anredet, als wäre er ein
lauernder Feind. Dies thun nicht blos kindiſche Leute, ſondern Jeder,
der Phantaſie hat; ebendadurch erklärt er ſich aber als Einen, der mit
einer auflauernden Macht im Kampfe ſteht: weiß er das, ſo kann er ſich
und ſoll er ſich zum Voraus wohl in Acht nehmen und zuſehen, daß ihm
nicht eine Grube gegraben ſey: das komiſche Widerſpiel vom Falle des
Oedipus, der ebenſo die halbe Schuld trägt, dem unterhöhlten Boden
nicht bei jedem, ſonſt noch ſo erlaubten, Schritte mißtraut zu haben.
§. 179.
Wenn nun auf dieſe Weiſe die Beſinnungsloſigkeit zugleich als beſonnen,
das Subject zugleich als wiſſend um ſeine Verkehrtheit und doch ſich verkehrend
[391] geſetzt wird, ſo fällt ebendadurch das Augenmerk von dem Unſittlichen der Ver-
kehrtheit — und ſolcher Vorwurf trifft im Grunde jede Verirrung, auch die des
Denkens — weg und verweilt bei dem reinen Widerſpruch, der als ſolcher
nur den in der Anſchauung thätigen Verſtand beſchäftigt, und J. P. Fr. Richter
hat in dieſem Sinne Recht, das Komiſche dem Gebiete des Verſtandes zuzu-
weiſen. Hiedurch erſt erklärt ſich vollkommen, wie dem Häßlichen in der2
Komik ſein Stachel genommen wird (vergl. §. 152. 153). Iſt es nun dem
verkehrten Subjecte gemäß der ihm geliehenen Beſinnung mit ſeinem Zwecke
zugleich Ernſt und doch nicht Ernſt, ſo werden auch ſeine Anſtalten zur Durch-
führung desſelben ſo unvollſtändig ſeyn, daß daraus das Mißlingen folgen
muß, und hiemit iſt dieſes und das Verſchwinden der Schuld (vergl. §. 167, 1)
erſt wahrhaft begründet.
1. „Im moraliſchen Reiche gibt es nichts Kleines, denn die nach
innen gerichtete Moralität erzeugt eigene und fremde Achtung und ihr
Mangel Verachtung, und die nach außen gerichtete erweckt Liebe und ihr
Mangel Haß; zur Verachtung iſt das Lächerliche zu unwichtig und zum
Haſſe zu gut. Es bleibt alſo für dasſelbe nur das Reich des Verſtandes
übrig und zwar aus demſelben das Unverſtändige“ (J. Paul a. a. O. §. 28).
Hierauf läßt er denn ſeine oben aufgeführte Erklärung des komiſchen
Prozeſſes folgen, die eben für dieſen Satz die Begründung iſt; in §. 30
wird dann das Komiſche ganz als ein freies Spiel des Verſtandes dar-
geſtellt. Man darf dagegen nicht einwenden, daß das Komiſche in ſeinem
erſten Gliede nicht nur die Welt des Verſtandes, ſondern auch die ganze
ſittliche befaſſe, denn J. Paul redet hier nicht vom Stoffe, ſondern von
der Form, die dem Stoffe den ſittlich verletzenden Stachel nimmt. Er
hat nur vergeſſen, zu unterſuchen, wie weit das Komiſche in das Unſitt-
liche als ſeinen Inhalt ſich einlaſſe. Als unſittlich aber iſt nicht nur das
eigentlich Laſterhafte und Böſe anzuſehen; es gibt keine ἀδιάφορα, auch
das Verfehlen eines äußeren Zwecks und der Irrthum fällt irgendwie unter
den ethiſchen Standpunkt und daß dieſer fernzuhalten ſey, gilt daher allem
Komiſchen. Der trockene Sittenrichter wird z. B. nicht begreifen, wie
man über einen Lumpen, der ſich immer beſſert und immer rückfällt, lachen
kann. Das Komiſche iſt hier das Eindringen eines Mechaniſchen, da ein
ſolcher Menſch einem Weißzeuge gleicht, das immer wieder gewaſchen und
immer wieder beſchmutzt wird, die mathematiſche Gewißheit, die Con-
ſequenz der Inconſequenz. Der Lump kann davon auch ſelbſt ein Bewußtſeyn
[392] haben, wie der Berliner Straßenjunge, der ſagt: „des Sommers vagir
ich und des Winters laß ich mir beſſern.“ Wer nun darüber lacht, fühlt
im Uebrigen recht wohl, wie traurig ſolche Geſunkenheit iſt, aber jetzt
hat er nicht dieſe Seite im Auge, ſondern den Widerſpruch als ſolchen.
Ferngehalten wird aber der ethiſche Standpunkt eben durch den Eintritt
des verſtändigen Standpunkts, deſſen Geſchäft es iſt, den Widerſpruch
wahrzunehmen. Daß nun dies der Forderung ſinnlicher Anſchauung nicht
widerſtreitet, bedarf keines Beweiſes: denn dieſe iſt ja im Schönen
immer ungetheilt zugleich geiſtig. Aber, wird man einwenden, es ſoll
ja der ganze Geiſt in ſeiner höchſten Thätigkeit als Vernunft ſich in ſie
legen und das Komiſche würde, wenn von geiſtigem Intereſſe nur der
Verſtand betheiligt wäre, unter das Aeſthetiſche herabſinken. Darauf dient
zur Antwort: freilich legt ſich der ganze Geiſt in das Komiſche, und ſo
iſt er ja bei allen ſittlichen Stoffen der Komik auch als Herz weſentlich
betheiligt; das Ganze des komiſchen Vorgangs kann nur für die in
ſinnlicher Anſchauung thätige Vernunft ſeyn, da der Widerſpruch im
Komiſchen ein Weltwiderſpruch iſt; allein man muß nicht meinen, der
Widerſpruch könne nur ſo unmittelbar durch die höchſte Thätigkeit der
Vernunft aufgefaßt werden, ſondern zuerſt und vor Allem iſt er ein Wider-
ſpruch, der aus dem Ganzen der geiſtigen Bewegung im Zuſchauer den
Verſtand in den Vordergrund der Betheiligung ſetzen muß, weil dieſer
überhaupt ſich mit dem Logiſchen im Widerſpruch zu beſchäftigen hat.
Löſen kann der Verſtand allerdings keinen Widerſpruch, aber er iſt das
Erſte, was den Widerſpruch anfaßt und ihn zu löſen ſucht. Der Schluß
des Actes aber geht in die Vernunft-Tiefe, wie ſich zeigen wird.
2. Es erklärt ſich nun erſt völlig, warum es im Komiſchen keine eigent-
liche Schuld gibt. Auch der dolus kommt auf eine mäßige culpa hinaus,
wenn Alles erſcheint als Werk eines Geiſtes, der dem Menſchen nachſtellt und
ihn verblendet, wenn dem Menſchen zugleich gerade ſo viel Beſinnung
über die Verwicklung durch dieſe Tücke des Puck geliehen wird, um im
Grunde den Ernſt ſeines üblen Wollens heimlich zu brechen, und wenn
ebendaraus die Fahrläſſigkeit folgen muß, welche ſehr natürlich das
Mißlingen zur Folge hat, um deſſenwillen ja auch der Richter den
Ausführungs-Verſuch eines Verbrechens milder beſtraft. Wer zu einem
Straßenraub die nöthige Gefährlichkeit ſo wenig mitbringt, wie Falſtaff,
von deſſen Schuld läßt ſich abſehen. Zuerſt fällt das Schlaglicht vom
Verbrecher darum weg und auf den Widerſpruch, weil er mehr Angſt
hat als die beraubten Kaufleute, ja ſogar ausruft: man wird uns doch
[393] nicht ausrauben? Sodann gelingt zwar für den Moment die üble That,
aber wir wiſſen nicht nur Heinrich und Poins im Hinterhalte, ſondern
wir wiſſen auch, daß Falſtaff im Augenblicke ihres Anfalls die Beute
fahren laſſen wird. Daher kommt er mit einer Beſchämung davon.
§. 180.
Das verlachte Subject wird entweder, ſey es durch einen ſtarken Zuſam-1
menſtoß mit dem äußern Zufall, ſey es dadurch, daß es ſich von dem Zuſchauer
ertappt findet, wirklich zu ſich kommen, oder dieſer wird ihm als nothwendigen
Schluß des Verlaufes der Verirrung die ausbleibende Beſinnung erſt mit Beſtimmt-
heit leihen: das End-Ergebniß ſcheint in allen Fällen die Aufhebung des zuerſt
geſetzten Widerſpruchs zu ſeyn. Allein dies wäre die Aufhebung des Komi-2
ſchen. Vielmehr wie zuerſt der Beſinnungsloſigkeit Beſinnung geliehen wurde,
ebenſo muß auch (vergl. §. 176, 2) nach eingetretenem Wendepunkt ſich die Beſin-
nungsloſigkeit als Möglichkeit des Rückfalls und fortdauernder Widerſpruch in
die Beſinnung fortſetzen, und dieſer bewegte mittlere Zuſtand des Bewußtſeyns
iſt der poſitive Grund, der nicht bloſe Verſchonung mit großem Uebel, ſondern
ſogar Gut und Glück, nur nicht das geſuchte außerordentliche, an der Stelle
des tragiſchen Schickſals fordert (vergl. §. 167, 2). Dieſer Zuſtand rückkeh-
render Verweiſung auf die gewöhnlichen Lebensgüter, den auch St. Schütze
als Schluß des Komiſchen fordert, iſt nämlich die nothwendige äußere Seite zu
dem innern Selbſtgenuße des mit jener ſtets wiederkehrenden Brechung des Er-
habenen an dem unendlich Kleinen, das die Idee als eine fremde Macht
negirt, um ſie in ſich herüberzunehmen, ſpielenden Subjects.
1. Die unterſchiedenen Arten, wie der Beſinnungsloſe von der
halben und ungewiß geliehenen Beſinnung zu der ganzen kommt, führen
eigentlich auf die Frage nach der Plötzlichkeit des Wendepunkts zurück.
Im letzten der genannten Fälle tritt objectiv jene nicht ein, allein
der Riß, den der Zuſchauer im Uebergang der Anſchauung vom erſten
Gliede zum Gegengliede erfährt, gibt dieſem das Gefühl: es iſt ja nicht
möglich, ſobald das verlachte Subject nur wirklich auf ſich aufmerkſam
wird, muß es den Widerſpruch ganz und völlig gewahr werden! Die
andern Fälle wird man ſich eben an Falſtaffs mißlungenem Straßenraub
und der darauf folgenden Ertappung über ſeinen Lügen leicht deutlich
machen.
[394]
2. Die Annahme einer vollen Beſinnung und die Annahme eines
wirklichen Uebels als Strafe der Verirrung fordern ſich wie Inneres
und Aeußeres; denn iſt die Beſinnung eine volle, ſo wird ihr auch ein
geringeres Uebel die ethiſche Bedeutung einer ſehr fühlbaren Zurechtweiſung
haben, noch beſſer aber wird es ſeyn, wenn ein wirklich ſchweres Uebel
volle Beſinnung, ernſtes Inſichgehen mit ſich bringt. Dann iſt aber das
Komiſche aufgehoben; der Schluß iſt ſtoiſch, ein Verzicht auf Glück und
Wunſch. Das Komiſche iſt aber epikuräiſch, ſtoiſch iſt das Erhabene.
Umgekehrt fordert daher das Komiſche als innere Seite ſeines Ergebniſſes
eine in die eingetretene Beſinnung ſich fortſetzende Beſinnungsloſigkeit und
den darin gegebenen Anſatz zu Rückfällen, als äußere ein Gut, zwar nicht
das geſuchte außerordentliche, aber ein mittleres Lebensgut. Die Er-
fahrung macht den Narren nicht nur nicht traurig, ſondern wie er nie
klug wird, ſo bleibt er immer luſtig. So hat dem Falſtaff kaum das
Zipperlein Gewiſſensbiſſe abgenöthigt, als er den Kameraden bittet, ihm
ein Zotenlied zu ſingen; kaum iſt er über ſeiner Feigheit und ſeinen
fauſtdicken Lügen auf das Beſchämendſte ertappt, ſo ruft er im Glücke
darüber, daß das erbeutete Geld nun verſchmaust werden ſoll, aus:
„brave Jungen, Goldherzen! He, ſollen wir luſtig ſeyn? Sollen wir
eine Komödie extemporiren?“ Das komiſche Subject muß in ſeiner Ver-
irrung unverbeſſerlich, in ſeiner guten Laune bei allem Mißlingen un-
verwüſtlich, es muß ihm unter immer neuen Verſuchen, zu einem höheren
Glücke zu gelangen, bei dem halben, das es immer erreicht, immer aufs
Neue wohl ſeyn. Hiedurch ergänzt und begründet ſich, wie oben der
Satz von der Schuld, ſo jetzt der Satz vom Glücke §. 167, 2. Liegt
keine ganze Perſönlichkeit, ſondern ein Moment einer Perſönlichkeit vor,
ſo ſetzt der Zuſchauer die Brechung fort und dehnt ſie, wie auch in
jenem Falle, nicht nur auf das ganze Subject, ſondern auf die Menſchheit
aus. Auch dieſe Wahrheit vom Glücke im Komiſchen hat St. Schütze
zwar nicht abgeleitet, aber ganz richtig geſehen. „Die ewigen, nothwendigen
Geſetze der Natur müſſen in den einzelnen Hinderniſſen, die dem Menſchen
entgegentreten, nicht drückend werden, ſondern die Schranken, die ſie
dem Menſchen ſetzt, müſſen wieder als belebte Mittel wirken, die Freiheit
des Menſchen wie durch eine Neckerei zu prüfen und anzuregen“ (a. a.
O. S. 26). — „Darf im Komiſchen die Gegenwirkung der Natur die
Freiheit des Menſchen nicht völlig aufheben, ſo verſteht es ſich auch von
ſelbſt, daß das Leben und Gedeihen, die Glückſeligkeit des Menſchen
dadurch nicht als vernichtet erſcheinen darf“ (S. 32. 33). „Das Be-
[395] ſtreben des Thoren erſcheint ſein ganzes Leben hindurch halb vereitelt
und halb beglückt“ u. ſ. w. (S. 48) — „er wird am Ende klug,
ohne es gewollt, oder glücklich, ohne es erſt verdient zu haben“ (121).
Es folgt aus dieſem Allem, daß der Mittelzuſtand, auf den das Komiſche
führt, nicht als formales Maß der Mitte zu faſſen iſt, ſondern als
fortdauernde Oscillation. Die Idee muß immer hinauswollen und zu-
rückſinken, das Komiſche iſt nicht die geiſtloſe Zufriedenheit des Philiſters;
das Kleine muß immer dazwiſchen ſpielen, vereiteln, zu einem leidlichen
Glücke führen, aber es iſt dem Thoren nicht darum wohl in ſeiner Haut,
weil er dieſes Mittelglück ruhig zu genießen der Mann wäre, es
prickelt vielmehr immer in ihm, darüber hinaus in’s Ungewöhnliche zu
ſtreben und dieſes Streben mitten im Anlauf wieder aufzugeben: eben
ein Beweis, daß im unendlich Kleinen die Idee wohnt, die ſich ſelbſt
das Spiel bereitet, ſich außer ſich zu ſetzen, und von dieſer Fata Morgana
ihrer ſelbſt auf den feſten Boden zurückzufallen. Nur etwas bleibt feſt:
und dies iſt eben dieſe Bewegung als Bewegung der Subjectivität.
§. 181.
Es iſt zu dem Acte des Komiſchen ein Leihen von Seiten des Zu-
ſchauers gefordert, aber auch der Fall angenommen worden, daß das verlachte1
Subject ſelbſt zum Bewußtſeyn komme (§. 180). Das Letztere wird bei jedem
geiſtig freieren Subjecte der Fall ſeyn, doch nicht im Anfange, ſondern erſt
am Wendepunkt oder Schluß der Verirrung. Uebrigens kann ſich, je den Anfang
der einzelnen Verirrung ausgenommen, dieſe Freiheit des Bewußtſeyns auch
als dauernde Selbſtbeſchauung auf die ganze Perſönlichkeit ausdehnen. Für
den wiſſenſchaftlichen Begriff des Komiſchen iſt es aber, wie Ruge nachge-2
wieſen, gleichgültig, ob das Bewußtſeyn in das verlachte Subject ſelbſt wirklich,
oder in dieſes nur als Möglichkeit, eigentlich aber in das zuſchauende, dieſe Mög-
lichkeit durch Unterſchiebung zur Wirklichkeit erhebende fällt; denn es iſt die
Eine Subjectivität in beiden, die ſich gerade im Momente der Wahrnehmung
des Komiſchen, ihr Bewußtſeyn gegenſeitig ergänzend, zu Einer Perſönlichkeit
zuſammenbewegt, und auch wenn jener erſte Fall vorliegt, iſt das zuſchauende
Subject nicht nur aus dem allgemeinen äſthetiſchen Grunde (§. 70), ſondern
auch aus dem beſonderen, daß dem verlachten Subjecte das wirkliche Be-
wußtſeyn jedenfalls im Aufange mangelt, weſentlich mitgeſetzt.
[396]
1. Ueber den Fall der eigenen Beſinnung des verlachten Subjects
und deren Beſchränkung ſagt J. Paul (a. a. O. §. 28): „daher kann
Niemand ſich ſelber lächerlich im Handeln vorkommen, es müßte denn
eine Stunde ſpäter ſeyn, wo er ſchon ſein zweites Ich geworden und
dem erſten die Einſichten des zweiten andichten kann.“ Eine Stunde
ſpäter: dies iſt etwas zu wenig zugegeben; die Beſinnung kann unmit-
telbar im Momente des Anpralls an das Hinderniß eintreten, und zwar,
wenn er ſtark iſt, ſelbſt bei geiſtig minder freien Subjecten. Je geiſt-
voller das Subject, deſto leichter tritt ſie ein und deſto ſicherer wird
ſich das Bewußtſeyn der eigenen Thorheit auch als Totalſtimmung über
den ganzen Charakter verbreiten, welche nur während der einzelnen
komiſchen Verwicklung vorerſt immer wieder unterbrochen wird. Ueber
Gebrechen der eigenen Geſtalt z. B. kann ein fortdauerndes ſpielendes
Bewußtſeyn ſtatt finden und ſich von da über die ganze Welt ausdehnen;
aber in dem Momente, wo ein ſolches Gebrechen beſchwerlich wird,
erlaubt der Aerger nicht ſogleich den Scherz. In allem Komiſchen iſt
der Begriff der Folie weſentlich: „mit der höhern Anſicht ver-
lachen wir die niedere“ (St. Schütze a. a. O. S. 68). Je tiefer
nun ein Geiſt, deſto mehr verdoppelt er ſich in ſich ſelbſt, wird ſich
zum Object, ſieht in ſich hinein und legt allem dem, worin er bloſes
Seyn (bewußtlos) iſt, ſein Wiſſen als durchſchimmernde Folie unter.
2. Der Unterſchied nun, ob ein volles Leihen Statt findet, oder
ob das verlachte Subject dem Lachenden die Hälfte der Arbeit abnimmt,
iſt ſchon deßwegen für den Begriff des Komiſchen unweſentlich, weil,
wie der Schluß des §. ſagt, doch ja eben nur die Hälfte abgenommen
wird. Dieſer Unterſchied wird erſt in der Eintheilung des Komiſchen
an einem gewiſſen Punkte wichtig. Hier hat Ruge aufgehellt (a. a.
O. 114 ff.): „ob dieſe Thätigkeit (der Befreiung durch die bloſe Be-
ſinnung des abgewichenen Geiſtes über das, was er in Wahrheit iſt)
von Hinz oder Kunz ausgeht, ob von dem, der durch ſeine innere Ver-
wirrung den Anlaß gibt, ſelbſt, ſo daß ihm ſeine eigene Confuſion
erſcheint, er alſo erſt in der Verwirrung iſt und dann ſich darin erkennt,
oder ob ein Anderer die Geiſtesverwirrung und Verzerrung auffaßt als
dieſe feſtgewordene Thätigkeit und ſie durch dieſe erkennende Auffaſſung
oder dieſe bewußte Anſchauung in die wahre Thätigkeit und freie
Flüſſigkeit des Geiſtes wieder umſetzt, das iſt gleichviel. — Der komiſche
Vorgang iſt dieſer Eine, daß zuerſt die Entzweiung, der Abfall des
Geiſtes von ſich vorhanden iſt; der Geiſt unterſcheidet ſich in ſich, ſeine
[397] unwahre Geſtalt, die Häßlichkeit, ſteht als das eine Subject auf der
einen Seite: als das eine Subject, denn es iſt Thätigkeit, wenn auch
nur die endliche und halbe Thätigkeit, es iſt darum freilich in Wahrheit
unwahres Subject, weil es ja von ſich ſelbſt nicht weiß und ſeine Thä-
tigkeit nicht ſich ſelbſt zum Gegenſtande hat; wir nennen es aber Subject,
weil es die Möglichkeit der Selbſtbethätigung iſt. Dies ſteht auf der
einen Seite als Gegenſtand, der ebendarum wieder bloſer Gegenſtand
und ſchlechtes Daſeyn iſt, weil ihm die Freiheit fehlt. Auf der andern
Seite ſteht das freie Subject, welches aber ebenfalls noch nicht das
freie iſt, denn es iſt frei erſt, indem es die ſelbſtbewußte Anſchauung
des unfreien Subjects iſt, oder vielmehr es wird frei, befreit ſich ſelbſt
aus jener Trübung, auf die es eingeht, die es in ſeine Thätigkeit
aufnimmt. Solange beide auseinander gehalten werden, ſind beide nur
das Mangelhafte, das Einſeitige, das Unwirkliche. Denn auch das
nichthäßliche Subject, ein Selbſtbewußtſeyn, welches ſich noch nicht als
ſolches bethätigt, hat ſich zwar noch nicht verloren, wie im Häßlichen,
aber es hat ſich auch nocht nicht gewonnen und iſt daher noch
ebenfalls unwirklich. Seine Wirklichkeit iſt der Augenblick,
wo es ſein anderes Theil ergreift und darin ſein Licht ent-
zündet. — Es ſind im Komiſchen nicht mehr dieſe zwei vorhanden,
ſondern ihre Entzweiung iſt beendigt und in Eins gefaßt. Der Geiſt
iſt dieſe Eine Thätigkeit der beiden Seiten der Unterſcheidung und der
Zuſammenfaſſung derſelben, er iſt alſo die allgemeine, die ganze
Thätigkeit. — Er muß ſich freilich zum Behufe ſeiner Befreiung aus
der Beſinnungsloſigkeit zuvor zu ſeinem eigenen Gegenſtande werden, ſich
entzweien. Darum iſt allerdings vom Subject und Object im Komiſchen
die Rede, J. Paul kann aber von dieſem Geiſte, welcher das Komiſche
iſt, nicht ſagen: „„es (das Komiſche) wohne nie im Objecte, ſondern
im Subjecte,““ denn ſo wohnt es überhaupt nicht, ſondern es iſt dieſe
Thätigkeit, in welcher das Object und das Subject zuſammenziehen,
um doch bei dem Bilde des Logirens zu bleiben. Iſt aber das inhalts-
volle Subject, die Thätigkeit gemeint, in welcher ſowohl das Object,
als das Subject vorhanden ſind, ſo iſt das Komiſche allerdings Subject,
und wenn man ſagen wollte, es wohne im Subject, ſo wohnt freilich das
Subject in ſich ſelber, wenn es überhaupt wohnt.“ Sofort nennt Ruge
die zuerſt getrennten Zwei zwei Individuen, das aber, was aus ihrer
gegenſeitigen Durchdringung hervorgeht, „die Eine freie Perſön-
lichkeit, deren Begriff eben darin beſteht, das concrete Subject zu ſeyn,
[398] mithin die Thätigkeit, die ihren Gegenſtand ganz durchdringt und gegen-
theils ganz von ihm durchdrungen iſt.“ Und ſo wird das Komiſche beſtimmt
als „die Beſinnung des Geiſtes in ſeiner unwahren Geſtalt auf ſeine
wahre, welche Wiedergewinn der Perſönlichkeit iſt.“ Wir haben (zu
§. 176 und 177 Anm. 2) ſchon ausgeſprochen, daß wir mit dieſem
Ergebniß nicht ganz und ſchließlich übereinſtimmen: davon noch mehr; aber
das Aufblitzen der Einen Subjectivität aus zweien iſt jedenfalls tief und
geiſtreich aufgewieſen. Uebrigens war ſchon St. Schütze auf der Spur
der Entdeckung, nur verfolgte er ſie nicht. Er ſagt (a. a. O. S. 101),
daß der Menſch in dem Grade, als er einer Reflexion über ſich fähig
ſey, ſehr wohl dem Kampfe in ſich zuſehen und über ſich ſelbſt lachen
könne; dann fährt er fort: „der Klügere lacht freilich über den minder
Klugen, aber beides iſt der Menſch ſelbſt.“
§. 182.
Da aber das Komiſche ein Verhältnißbegriff iſt wie das Erhabene, ſo
bildet ſich, wie bei allen Formen des Letzteren bis zu der des Tragiſchen, eine
aufſteigende Reihe, worin über dem Subjecte, welches unbewußt komiſch iſt,
ein höheres ſteht, welchem das erſtere und welches ſich ſelbſt komiſch erſcheint,
das aber ſammt dieſem freien Bewußtſeyn einem geiſtig noch freieren durch einen
nicht überwundenen Reſt von Beſinnungsloſigkeit ſelbſt wieder Gegenſtand des
Lachens iſt. Dasjenige Subject, das einer ſolchen Reihe zuſieht, muß ſich
ſelbſt als das freieſte an der Spitze jener Subjecte vorkommen; aber da ihrem
Begriffe nach die Reihe mit ſtets verdoppelter Tiefe der Komik weiter ſteigt,
ſo tritt dieſes Subject, nämlich der Zuſchauer, ſelbſt auf die Seite der Zu-
ſchauer, denen er vorher zuſchaute, und wird Gegenſtand einer möglichen noch
reineren Freiheit der Subjectivität in einem andern Subjecte.
Der Hanswurſt benützt Straßenjungen als Gegenſtände des Lachens
für das Publikum. Unter dieſen mag ſelbſt ſchon einer oder der andere
ſeyn, der mitlachend in die Komik, durch die er leidet, frei eingeht.
Bauern lachen über das Spiel, das der Hanswurſt mit den Jungen
treibt. Ein Pedant lacht über das Lachen der Bauern. Ein wirklich
Gebildeter lacht über dies Lachen über das Lachen. Alle dieſe lachen
zuſammen und über dem Letzten iſt noch ein Gebildeterer denkbar, der
über deſſen Vergnügen lacht, da es doch höhere Stoffe des Lachens
gebe u. ſ. w. u. ſ. w. Eine herrliche Skala iſt in Heinrich IV: über
[399] dem rohen Piſtol und der Wirthin Hurtig ſteht der witzigere Bardolf,
über dieſen und über ſich ſelbſt Falſtaff, Poins auch über dieſen, Prinz
Heinrich über Allen, aber der Zuſchauer lacht über dieſen ſelbſt, da er
ſich zwiſchen ſolchen Lachſtoffen herumtreibt. Der Zuſchauer kann aber
über ſich ſelbſt und muß ſogar noch einen freieren Geiſt als möglich
ſich vorſtellen, der als Zuſchauer über ihm ſteht. Es iſt aber auch hier
gleichgültig, ob das leihende und lachende Subject als Zuſchauer gegen-
überſteht oder mitſpielt: im Stücke ſelbſt ſind ſchon ſolche, die Andern zu-
ſchauen, und die ganze Welt iſt dies Schauſpiel, wo jeder zugleich zuſchaut
und Andern, wiſſend oder nicht, aufſpielt. Ein ſolche Skala iſt auch in Loves
labours lost. Man vergleiche beſonders Act 4, Sc. 1. (in Tieks Einth.).
§. 183.
In Wahrheit geht aber dieſe aufſteigende Linie in ſich ſelbſt zurück, wo
irgend ein Subject andere und ſich ſelbſt zum Gegenſtande ſeiner Komik macht;
denn es kehrt immer nur derſelbe Prozeß wieder und das Subject, welches
Object und Subject der Komik zugleich iſt, faßt als Mitte die Pole des
Komiſchen ſo in ſich zuſammen, daß es die unendliche Linie zum Kreiſe um-
biegt. Es iſt nur die Eine, allgemeine, ſich in ſich zum Gegenſatze des Ob-
jects und Subjects verdoppelnde Subjectivität, die durch die ganze Kette geht.
Dieſe Subjectivität iſt aber nicht in dem negativen Sinne, wie im Tragiſchen,
abſolutes Subject, daß ihre Thätigkeit eine Tilgung aller Zufälligkeit und ſinn-
lichen Beſtimmtheit wäre, ſondern ebendieſe und daher mit ihr zugleich das
einzelne, endliche Subject iſt in ihr als geltend und berechtigt geſetzt und es
kommt in ihr das ſtete Spiel der Selbſtaufhebung des im ausſchließenden Sinne
abſoluten Subjects im zufälligen und endlichen, einzelnen Subjecte, alſo die
Negation der Negation oder die unendliche Negativität der Idee als Poſition
des rein gegenwärtigen Subjects zur Anſchauung (vergl. §. 154, 2).
J. Paul ſpricht (a. a. O. §. 30) den Gedanken der unendlichen
Stufenleiter des Komiſchen aus und ſetzt hinzu: „und noch über einen
Engel iſt zu lachen, wenn man der Erzengel iſt.“ Dies iſt ſehr ein-
ladend, über den zu lachen, der ſo ſpricht; denn iſt über jede Art von
Engeln noch eine höhere vorzuſtellen, ſo gibt es keine Engel und gerade
der komiſche Standpunkt bemächtigt ſich der Vorſtellung einer außer-
weltlichen ſubjectiven Exiſtenz, welche über die Schranken der Subjectivi-
tät zugleich hinaus ſeyn ſoll. Soll ſich die Kette in einem theiſtiſch
[400] vorgeſtellten Gott abſchließen, ſo iſt ebendieſer ein ſolcher, dem ſeine
behauptete Trennung von der Welt Schranken gibt, welche ihn im Wider-
ſpruch mit der Abſicht der Vorſtellung in das Komiſche herüberziehen.
Das Komiſche iſt ſchlechtweg pantheiſtiſch und der Herr ſpricht in Göthes
Fauſt darum ſo leutſelig mit Mephiſtopheles, weil er weiß, daß, ſobald
er den Geiſt, der verneint, nicht anerkennen würde, ebendieſe Aus-
ſchließung ihn ſelbſt der Negativität, die er in ſich bewegt, als Stoff
überliefern würde. Darum iſt ihm von allen Geiſtern, die verneinen,
der Schalk (d. h. die Negativität, die ſich in Komik ſelbſt aufhebt, das
αἶσχος ἀνώδυνον) am wenigſten zur Laſt. Der Geiſt der Komik iſt
alſo ganz Geiſt der Immanenz. Kann über jedem Lacher ein höherer
Lacher ſtehen, ſo iſt es gleichgültig, wie weit man die Linie fortſetzt,
denn eben auf dem Punkte, wo irgend Einer über Andere und ſich zu-
gleich lacht, da iſt das Weſen des Lachens und blitzt das in ſich ſchei-
nende Licht auf, das durch die ganze Kette läuft, da iſt die Unendlich-
keit, ſich ſelbſt aufhebend zum endlichen Gegenſtand und dieſe Endlichkeit
in der komiſchen Wahrnehmung ſelbſt wieder aufhebend: da iſt alſo dieſe
Selbſtbeleuchtung der Endlichkeit, welche, wo ſie nur Einen Stoff ergreift,
im Grunde allen Stoff ergreift. Man lacht, wo man irgend lacht,
nicht blos über ein Einzelnes, ſondern über das ganze Verhältniß der
Idee zum Zufälligen des Seyns, und es iſt zwar ein Unterſchied, in
welche Tiefe und Breite dies wirklich verfolgt wird, aber das
Prinzip iſt in jedem Lachen vorhanden. Der Gedanke alſo, es könnte
noch freiere Subjecte geben, die es ſelbſt verlachen, kann das freie Sub-
ject, das ſich ſelbſt in dem belachenswerthen Weltwiderſpruch miteinbe-
greift, nicht verlegen machen, denn dieſe thun nur dasſelbe, was es
thut, und die Endlichkeit wie den Geiſt, der ſie lachend ſich gefallen
läßt, müſſen ſie in ſich tragen, wie es ſelbſt; ſie ſind alſo ſchon da,
ſie lachen ſelbſt mit ihm und aus ihm heraus. Daher iſt die Bemerkung
über die komiſche Leiter in Heinrich IV im vorh. §. nun zu verändern.
Ueber Falſtaff ſtehen zwar Andere, die auch über ihn lachen, aber dieſe
Andern ſind nicht ſo komiſch als er, wenigſtens der Prinz lacht nur
über ihn, während er ſeine eigene Ausgelaſſenheit als Maske wieder ab-
zuwerfen den ſittlichen Vorſatz hat. Falſtaff iſt die rechte Mitte in
jener Skala, denn er iſt ganz Gegenſtand und ganz Subject der Komik,
indem er, wo über ihn gelacht wird, immer ebenſo mitlacht, wie er über
Andere lacht. Freilich läßt ſich eine gebildetere Komik denken, aber eine
vollere hat die Welt nie geſehen. Gehen wir nun auf die univerſale
[401] Bedeutung des komiſchen Subjects zurück, ſo iſt es nun alſo nicht mehr
dieſes einzelne Subject, das lacht, ſowie es nicht mehr dieſer einzelne
Mangel iſt, über den es lacht: es iſt die Subjectivität, die ſich als
Gegenwart in ihrem Widerſpiel, dem Unbewußten, Zufälligen, als die freie
Unendlichkeit im Endlichen ſetzt und anlacht; aber weil jetzt das Mangel-
hafte in dieſen Prozeß eingeht und die Subjectivität durch denſelben ſich von
ihm zugleich befreit, ſo iſt das ganz empiriſche Subject als geltende Form
der Subjectivität überhaupt mitgeſetzt und erfreut ſich der reinen Gegenwart
derſelben im Geringſten ſelbſt. Die doppelte Negation (§. 154, 2) iſt alſo
jetzt in ihrem ganzen Umfange deutlich. Das Erhabene auf ſeiner Spitze als
Tragiſches iſt das abſolute Subject, welches das wirkliche einzelne Subject
zwar ſetzt, aber um ſeiner Begrenztheit willen ſtreng richtet und aufhebt. Im
Komiſchen aber wird dieſe Begrenztheit oder Kleinheit darum als berechtigt
geſetzt, weil ſie, ſich auf ſich beſinnend, ſich in ſich von ſich ſelbſt befreit, und
um dieſen Preis ſteigt das abſolute Subject in das endliche ſelbſt herein und
wird zur vollen Gegenwart in ihm. Die Negation greift alſo über jene erſte
Negation ſelbſt über und hebt ſich dadurch auf zur Poſition: was negirend
ausſchloß, negirt dieſe Negation ſelbſt und nimmt das Ausgeſchloſſene in
ſich herein oder tritt in es über.
§. 184.
In dieſer Vollmacht ſeiner Bejahung nun negirt alſo das Subject jede1
Erhabenheit, d. h. jede unendliche Größe, welche ihm von außen zu kommen,
die Grenze zu überfliegen und von ſich auszuſchließen ſich die Miene gibt: ſie
fällt, aber der Ort, wohin ſie fällt, iſt das gegenwärtige Subject, welches das
abſolute in ſich hereingenommen hat; in ihm iſt ſie alſo aufgehoben, es iſt ihre
lebendige Aufbewahrung. Der allgemeine Taumel, in welchen demnach das2
freie Subject durch die Komik jedes Object hineinzieht, iſt nicht mit Ruge
einfach als die durch Correction der Beſinnungsloſigkeit hergeſtellte freie Perſön-
lichkeit zu faſſen, wodurch unmittelbar das Schöne, das zudem hier vom Guten
nicht gehörig unterſchieden wird, wieder einträte; denn da das Beſinnungsloſe
ſelbſt als berechtigt erſcheint, ſich alſo (vergl. §. 180) in die Beſtinnung viel-
mehr forterſtreckt, ſo iſt das Ergebniß nur dieſe fortlaufende Unruhe, in welcher
die ſtets wieder aus dem Subject hinausgeſtellte Idee ſtets wieder in es her-
eingenommen und trotz den Grenzen desſelben als gegenwärtig in ihm bejaht
wird, und daher nichts feſt und gewiß, als der Selbſtgenuß der Subjectivität
im unendlichen Spiele.
Viſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 26
[402]
1. Die verlachte Erhabenheit behauptet ſich durch den Bruch der
Komik fort, dies ergab ſich ſchon in §. 152. 153. Jetzt aber iſt dieſer
Satz dahin entwickelt, daß als der Ort, das Organ dieſer Fortbehaup-
tung das den komiſchen Act vollziehende Subject ſelbſt geſetzt iſt. Der
erhabene Gegenſtand ſchlüpft ſo zu ſagen in es hinein und lacht aus ihm
heraus. Das Selbſt iſt die letzte Inſtanz. Nicht geläugnet wird, daß
es ewige Mächte gibt, die das Leben regieren, allein ſo mangelhaft das
Subject ſeyn mag, dieſe Mächte können immer nur in Subjecten und
durch ſie herrſchen und jedes einzelne Subject iſt ſo gut Subject wie
die andern. Ich kann z. B. anerkennen, daß die Hierarchie einmal ihre
Zeit hatte; allein der Prieſter will nicht nur reinmenſchlicher Verwalter
des göttlichen Geiſtes, ſondern er will mehr als Menſch, er will durch
gewiſſe Verzichtungen ein magiſches Weſen ſeyn. Der komiſche Stand-
punkt iſt daher ſogleich mit der Einrede da: der will mehr ſeyn, als
Andere? Ich danke dafür, ich bin auch da, er iſt Menſch wie ich und
weil ich im rein menſchlichen Sinne ſelbſt Prieſter bin, ſo ziehe ich ihm
lachend ſeinen Heiligenſchein herunter. In dieſem Sinne iſt das Komiſche
ganz egoiſtiſch.
2. Der Mangel im Schluß-Ergebniß bei Ruge wurde ſchon mehr-
fach berührt, iſt aber hier, wo Alles ſich zuſammenfaßt, noch einmal
aufzunehmen. Ruge überſieht, daß im Komiſchen, wenn eben die Be-
ſinnung eingetreten iſt, der Spaß von vornen wieder anfängt. Das Komiſche
kommt vom Erhabenen her; es hat den Geiſt, der über die Grenze zu ſeyn
behauptet, als Feind vor ſich und beſteht nur in dieſem Kampfe. Hat es
den Feind verſchlungen, ſo wirft es ihn ſogleich wieder hinaus, ihn auf’s
Neue zu beſiegen, und es bleibt bei dieſer Ebbe und Fluth, dieſem in’s Dunkel
wogenden Lichte. Wohl wird ſich zeigen, wie ſich aus der doppelten
Negation des Komiſchen das Schöne herſtellt, aber nicht dadurch un-
mittelbar kann es ſich daraus herſtellen, daß man bei dem „Herausfinden
der wahren Geſtalt aus der unwahren“ (Ruge a. a. O. S. 128)
ſtehen bliebe. Ruge ſagt, das Komiſche ſey nicht ſelbſt das Ideal, nur
das erſte Finden, das Erfinden der Schönheit (ebenda); aber das Komiſche
iſt ſo wenig als das Erhabene (vergl. §. 82, Anm.) eine Form der
ſich erſt erzeugenden Schönheit, es iſt eine Form des Schönen und
ſammt dem einfach Schönen und dem Erhabenen wird es auftreten zuerſt
in der unmittelbaren Weiſe der Naturſchönheit, dann wahrhaft im Ideal.
Tritt es ſammt jenen andern Formen im Ideale auf, ſo iſt es auf
ſeine Weiſe, auch ehe es in dieſe reine Wirklichkeit des Schönen eingeht,
[403] eine Form des letzteren, aber nicht ſo, daß es unmittelbar wieder zum
einfach Schönen, wiewohl als Ideal, führte, es als ſein Ergebniß in
ſeinen Schluß hereinnähme, denn das Komiſche hat kaum die wahre Ge-
ſtalt aus der unwahren herausgefunden, ſo erzeugt es wieder die unwahre
und bleibt ſo fortſpielend ganz in ſich. Die Rückkehr zur Beruhigung
des Schönen, welche der Taumel des Komiſchen fordert, iſt alſo mit
völliger Beiſeitlaſſung eines vorſchnellen Uebergangs zum Ideale ganz
anders zu finden, als auf dem Wege Ruges.
§. 185.
Mit Recht beſtimmt daher die Schule Schellings das Komiſche als
die negative und unendliche Freiheit des Subjects, welches in reiner Zweck-
loſigkeit und Willkür die Welt vernichtet, indem es ſie des bindenden Geſetzes
entleert durch Umkehrung alles Objectiven und Poſitiven, aber nur, um ſie als
urſprünglich in ihrer Fülle Eins mit dem Unendlichen darzuſtellen und ſie zum
Spiegel der eigenen Freiheit zu machen, Hegel als den Verrath der allge-
meinen Weſenheit an das Selbſt, als die negative Kraft des einzelnen Selbſt,
in welcher die Götter als Naturmächte wie als die ſittlichen Geſetze der allge-
meinen Ordnung verſchwinden, die abſolute Macht die Form eines Vorge-
ſtellten, von dem Bewußtſeyn überhaupt Getrennten und ihm Fremden verliert
und eben nur die Gewißheit ſeiner ſelbſt bleibt, worin das einzelne Bewußtſeyn
ganz bei ſich und die einzige Wirklichkeit iſt: eine Rückkehr alles Allgemeinen
in die Gewißheit ſeiner ſelbſt, die hiedurch eine vollkommene Furcht- und
Weſenloſigkeit alles Fremden und ein reines Wohlſeyn und Sich-wohlſeyn-laſſen
des Bewußtſeyns iſt.
Die Anſicht, die aus Schellings Schule hervorgegangen, iſt
nach Aſt dargeſtellt, der ſie am vollſtändigſten gibt (Syſtem der Kunſt-
lehre oder Lehr- und Handbuch der Aeſthetik u. ſ. w. §. 193 ff.).
Seine Entwicklung ermangelt der Schärfe und man mag dies der Dar-
ſtellung im §., die aus verſchiedenen, ſich folgenden Wendungen zuſammen-
geleſen iſt, immerhin anmerken. Das Schwankende liegt namentlich
darin, daß die unendliche Subjectivität bald Freiheit, bald Willkür heißt.
Den letztern Begriff, welchen er dem des zweckloſen Spiels gleichſtellt,
hat auch W. Schlegel (Vorleſ. über dramat. Kunſt und Liter. Vorl.
2 und 6). Wie damit die „Oberhand des Sinnlichen“, die Abhängig-
keit vom thieriſchen Theile, der Mangel an Freiheit und Selbſtändigkeit“
26*
[404]in Einen Begriff zuſammengehe, unterſucht er nicht. Hätte er die
Willkür beſtimmt als ein Schwanken des Willens zwiſchen der reinen
Freiheit und zwiſchen der ſinnlichen Beſtimmtheit des thieriſchen Theils,
ſo hätte er ſich dem Wahren zunächſt von Weitem genähert. Das Wahre
aber iſt dies, daß das innerſte Leben des Komiſchen die reine Subjecti-
vität iſt, welche keine Beſtimmtheit duldet, wäre es eine ſittliche oder
ſinnliche, welche aber ſofort in eine ſittliche, richtiger erhabene Be-
ſtimmtheit herausgeht, dieſe als ſelbſtändige wieder negirt und in ihrer
Vollmacht die ſinnliche Beſtimmtheit als berechtigt ſetzt, dieſen Wechſel
aber und dieſe Brechung in’s Unendliche hinſpielt. Freiheit nun kann
jene reine Subjectivität heißen, ihr Spiel aber mit dieſen beiden Be-
ſtimmtheiten Willkür, wenn man unter Willkür nicht den ſchwankenden,
unſteten Willen verſteht, der in §. 162 vielmehr als einer unter den Stoffen
der Komik auftrat, ſondern ein Hinüber und Herübergehen, das ſich ſelbſt
will und im Namen der Dialektik der Idee ſein Spiel ſo unternimmt,
daß das Subject als die reine Thätigkeit des Spiels in ſich und bei ſich
bleibt. Verſteht man aber unter Willkür, wie die jetzige Ethik es thut,
den nur ſcheinbar wählenden Willen, der heimlich ein roher, ſinnlicher
Wille iſt, ſo bezeichnet ſie nichts Anderes als die zweite jener Beſtimmt-
heiten und iſt in die Definition gar nicht aufzunehmen.
Hegels Anſicht iſt aus der Phänomenologie genommen (Seite
558 ff.); die Darſtellung in der Aeſthetik (Th. 3, S. 533 ff.) iſt
leichter und weniger tief. Hegel ſpricht von der griechiſchen Komödie,
allein dieſe iſt eine reine Wirklichkeit des Komiſchen und wer ſie begreift,
hat daſſelbe in ſeinem Weſen begriffen. Auch Aſt ſpricht von der Komödie,
zunächſt von der griechiſchen; beide aber haben allerdings den Fehler, daß
ſie das Komiſche erſt an dieſer Stelle entwickeln. Es iſt jedoch abſichtlich
die beſtimmte Bezeichnung des Komiſchen als einer Götterläugnung aus
Hegels Darſtellung aufgenommen worden, welche, zwar zunächſt von der
griechiſchen Komödie geltend, doch als allgemeine Beſtimmung des
Komiſchen beſonders brauchbar iſt, weil die Götter eben die Mächte des
Lebens ſind als projicirt außer die Gegenwart des Bewußtſeyns hinaus,
und ſo kann überhaupt das Erhabene, das ſich als fremde Macht gegen
das Bewußtſeyn behaupten will, immer ein Gott heißen. Das Be-
wußtſeyn erinnert ſich, daß das Erhabene ſein Werk iſt, nimmt es in ſich
herüber und iſt bei ſich. Auch Aſt hat das Objective oder Poſitive zuerſt
Tugend, bindendes Geſetz, Nothwendigkeit genannt, dann fährt er fort:
„die höchſte Begeiſterung, die abſolute Fülle des unendlichen Lebens
[405] trachtet nach der Vernichtung ihrer ſelbſt, um ſich als Beſtimmtheit und
Ernſt aufzulöſen, und am liebſten ſucht ſie das poſitive Göttliche durch
Herabziehung desſelben in das Reich der freieſten und individuellſten Zu-
fälligkeit zu vernichten, weil ſie ſelbſt göttlich und unendlich, folglich in
der Vernichtung des Göttlichen und Großen ſich ſelbſt als Beſtimmtheit
mitvernichtet, worin ſich eben ihr unendlicher Frevel, ihr zügelloſes
Spiel am herrlichſten offenbart.“ Fülle nennt er hier (§. 198 und
ebenſo in §. 193) die Breite des Daſeyns, die in der Verflechtung alles
Zufalls dennoch von der Idee ſich durchdrungen weiß, im Gegenſatz gegen
die durchſchneidende Strenge des tragiſchen Geſetzes. Uebrigens führt
die hier gegebene Stelle am zweckmäßigſten zum folg. §.
§. 186.
Wenn dieſes Weſen der Komik, das in einem gewiſſen Sinne als ein
Frevel zu bezeichnen iſt, als bedenklich erſcheint, ſo iſt nicht nur zu erwägen,1
was im Bisherigen von ſelbſt liegt, daß die Selbſtüberhebung der Komik zugleich
Selbſtdemüthigung iſt, daß ferner das Syſtem auf dem vorliegenden Punkte noch2
nicht zu unterſuchen hat, wie und wo das Komiſche dieſes ſein Weſen nur auf
unreine und gemiſchte Weiſe verwirkliche, ſondern namentlich auch, daß das3
Komiſche nicht das ganze Schöne iſt.
1. Die komiſche Subjectivität iſt ruchlos, ſobald man ſie vom Stand-
punkt des Erhabenen, das ſie eben zu Falle bringt, betrachtet, mag man
nun dieſen Standpunkt in äſthetiſchem oder, bei ungenauerem Gebrauch
des Worts: erhaben, in moraliſchem Zuſammenhang einnehmen. Man
vergißt aber dann, was der §. aus der bisherigen Darſtellung noch
einmal ausdrücklich hervorhebt: daß ſich das Subject im Komiſchen zugleich
klein und groß weiß. Darin liegt von ſelbſt das Andere, daß das
einzelne Subject ſich zwar als berechtigte Monade in der unendlichen Sub-
jectivität geltend macht, aber ſich ebenſo des reinen allgemeinen Lebens
der Subjectivität, das als Funke von ihm zu allen Subjecten in unend-
licher Kette hinläuft, bewußt iſt, und daher im Acte des Komiſchen nicht
einen einzelnen, ſondern einen Weltwiderſpruch mit reiner Univerſalität
aufdeckt. Ich lache über Jenen, weil ſeine Größe in Kleinheit aufgeht,
aber ſo bin auch ich und ſind Alle. Sobald ich mich überhebe, ſo iſt
dieſe Ueberhebung nur ein neuer Stoff für das Komiſche.
[406]
2. Wir wiſſen noch nicht, wo das Weſen des Schönen in ſeiner
Reinheit erſcheint, wir wiſſen es auch vom Komiſchen noch nicht. Die
hergebrachten Unterſcheidungen zwiſchen Lachen und Verlachen, zwiſchen
Lächerlich und Komiſch werden erſt da ihre Stelle finden, wo zu zeigen
iſt, wie in der Natur, d. h. in der durch Phantaſie und Kunſt nicht
idealiſirten unmittelbaren Exiſtenz des Schönen, auch das Komiſche vermiſcht
auftritt mit einem Reſte von Bitterkeit und gemeinem Egoismus. Ferner
wird ſich zeigen, daß aus anderen Gründen eine unreine Form des Komi-
ſchen eintritt in die Welt der Phantaſie oder richtiger eine falſche
Ausdehnung des Standpunkts, der nur in der Komik Recht hat, auf
das ganze Schöne: es iſt die ſogenannte Ironie der Romantiker, woge-
gen Hegel ſo ſehr eifert. Dies bringt dann kranke Producte in der
Kunſt hervor. Aber wieder aus andern Gründen tritt eine beſondere
Kunſtgattung ein, welche zu den Anhängen gewiſſer Künſte, beſonders der
Poeſie, gehört, wo ſich Proſa und freie Schönheit vermiſcht: die Satyre
nämlich.
3. Der letzte im §. genannte Schutzgrund für die Freiheit der Komik
iſt ſchon ſo eben unter 2 geſchichtlich angedeutet und als logiſcher hier
noch beſonders hervorzuheben. Hegel iſt es vorzüglich, der ihn verkennt
und daher, um mit jenem ſeinem Eifer nicht in Widerſpruch zu gerathen,
an andern Orten wieder zurücknimmt, was er über die Komödie zuge-
ſtanden. So in der Aeſthetik Th. 3, S. 536. 537. Hier ſagt er, die
Komödie dürfe nicht das wahrhaft Vernünftige zu ihrem Gegenſtande
machen, ſondern nur deſſen verkehrte Geſtalt. Allein dies iſt es eben,
darauf gründet ſich eben das Komiſche, daß auch das wahrhaft Vernünftige
ſich dem Uebergang in Verkehrung nicht entziehen kann. Das gediegene
ſittliche Leben der Griechen, deſſen Verfall Ariſtophanes geiſelt, war an
ſich ſelbſt, nicht an etwas Anderem erkrankt. Es iſt nicht wahr, daß
Ariſtophanes über „die ächte Philoſophie, den wahren Götterglauben“
ſich nicht luſtig macht. Es iſt in allem Götterglauben etwas Wahres, aber
es gibt keinen wahren Götterglauben und Ariſtophanes traveſtirt aller-
dings den Götterglauben ſelbſt, deſſen alte Einfalt er zugleich preist, weil
er den reinen Gottesdienſt des allgemeinen Geiſtes, der vielmehr allein
von ihm als Wahrheit übrig bleibt, nicht kennt. Ebenſo verſpottet er die
ächte Philoſophie in Sokrates, welche freilich gegen das altgriechiſche Leben be-
rechtigt unberechtigt war, und wenn Hegel das Schickſal des Sokrates (Geſch.
d. Philoſ. Th. 2, S. 48) tragiſch nennt, weil zwei berechtigte geiſtige Mächte
in Colliſion traten, ſo iſt es nur eben deswegen ächt komiſch, weil beide in
[407] ihrer Wahrheit zugleich einſeitig waren. Die Komik abſtrahirt nur vom
Schmerzlichen des Ausgangs. Ferner ſagt Hegel a. a. O., die Subjectivität
dürfe als ſolche nicht in der Komödie zu Grunde gehen. Sie geht freilich
nicht zu Grunde, aber nicht, weil ſie nur das in ſich der Komik opfert,
was bloſe „Einbildung des Subſtantiellen“ wäre, ſondern weil ſie auch
das ächt Subſtantielle in ſeine Widerſprüche verfolgt, um es darin fort-
zubehaupten.
§. 187.
Da nun das Weſen des Komiſchen darin beſteht, daß es vom Mittel-
punkte der Subjectivität aus jede Art des Erhabenen ergreift und verkehrt, ſo
kann die Eintheilung ſeiner Formen nicht aus jener Stufenfolge hervorgehen,
welche die des Erhabenen beſtimmte. Das Erhabene iſt jetzt Stoff geworden
und nicht der Unterſchied des Stoffs kann den Unterſchied der Formen des
Komiſchen bedingen; nicht was die Komik in ihren Kreis zieht, ſondern wie
ſie es thut, darauf kommt es an. Der Unterſchied dieſes Wie kann nur aus
den verſchiedenen Stellungen hervorgehen, welche die im Komiſchen thätige
Subjectivität zum objectiven Vorgange annimmt, je nachdem ſie nämlich, ſelbſt
beziehungsweiſe bewußtlos und ſinnlich beſtimmt, in ihm aufgeht, oder ſich mit
freier Reflexion aus ihm in ſich zurückzieht, oder mit erfüllter Innerlichkeit ſich
wieder mit dem Seyn vereinigt und ſich in dasſelbe ergießt. Je mit dem
Grade der ſubjectiven Tiefe und Erweiterung wechſelt aber allerdings auch die
Weiſe, wie der Stoff gefaßt wird.
Das Erhabene heißt hier Stoff und wurde ſo ſchon öfters in dieſer
Entwicklung des Komiſchen genannt. Hiebei iſt die Unterſcheidung des
Sinns im Begriffe des Stoffs, wie ſie zu §. 55, 2 gegeben wurde, ganz
aus dem Auge zu laſſen. Denn dort wurde unterſucht, was Stoff im rein
äſthetiſchen Sinn heiße, hier aber wird der Ausdruck in der allgemeinen
Bedeutung gebraucht, wie er überall vorkommt: Stoff iſt der Gegenſtand
einer Thätigkeit, Stoff iſt, was verarbeitet wird.
Um den Inhalt des §. ſogleich durch Vorerwähnung der verſchiedenen
Formen des Komiſchen zu erläutern, ſo darf nur daran erinnert werden,
wie z. B. ſchon die Poſſe die Entſtellung der Religion, alſo des höchſten
Stoffes, durch die Kirche in öffentlichen Aufzügen auf ihre Weiſe zum
komiſchen Gegenſtande macht, was die ungleich reflectirtere Form des
Witzes auf andere Weiſe ebenfalls und durch Aufdeckung der tiefſten und
[408] geheimſten Störungen des religiöſen Gefühlslebens auch der Humor thut.
Die Stufen, welche den Unterſchied dieſer Formen des Komiſchen be-
gründen, ſind im §. vorläufig angedeutet und dieſe Andeutung wird ſofort
begründet werden. Die Schrift des Verf. über d. Erh. u. Kom. (188)
meinte noch, durch Aufführung derſelben einen Vorgriff in die Lehre von
der Phantaſie zu thun; es wird ſich aber zeigen, daß dies keineswegs der
Fall iſt. Bei der erſteren Form wird es noch gar nicht nöthig ſeyn, dies
darzuthun, weil ſie ſich als die am meiſten objective erweist. Bei der
zweiten und dritten aber treten allerdings pſychologiſche Namen auf, und
hier wird eine Rechtfertigung nöthig ſeyn.
a.
Das objectiv Komiſche oder die Poſſe.
§. 188.
Nach dem durchgängig herrſchenden Geſetze des Ausgangs vom Unmittel-
baren und Fortgangs zum Vermittelten (vergl. §. 12. 89 u. a.) muß unter
den genannten drei Formen zuerſt diejenige hervortreten, wo der ſubjective
Prozeß als ein beziehungsweiſe bewußtloſer und ſinnlich beſtimmter im objectiven
Vorgange aufgeht und das Ganze ſo als eine reale Bewegung auftritt. Wie
2weit die Thätigkeit der Subjectivität in der Zuſammenfaſſung der beiden Glieder
des Komiſchen gehen müſſe, begründet auch hier keinen weſentlichen Unterſchied (vergl.
§. 181); mag ſie einen Vorgang vor ſich haben, worin ſie dem verlachten Subjecte
mehr oder weniger die Beſinnung erſt unterſchieben muß, mag ſie in ihrem
ſinnlichen Wohlgefühle ſich ſelbſt als Träger des Vorgangs darſtellen: immer iſt das
Beſtimmende dies, daß ſie im erſteren Falle unter den komiſchen Vorgängen die
ſinnlich beſtimmten aufſucht und im zweiten ihrer Ausgelaſſenheit in durchaus
handgreiflicher Form Luft macht, ſo daß ſelbſt Handlung ohne Rede hinreicht,
den komiſchen Prozeß zur Erſcheinung zu bringen.
1. Die Poſſe: dieſer Name könnte vielleicht zu ſehr nach einer be-
ſtimmten Production beſtimmter Künſte ausſehen oder wenigſtens überhaupt
nach einer bloſen Action der Selbſtdarſtellung komiſcher Laune. Vielleicht
wäre es zweckmäßiger, zu ſagen: das Drollige, nur klingt dies zu ſpeziell,
eine ganze Art zu bezeichnen. Die Italiener haben den Namen burlesco
[409] oder gewöhnlicher: buffo. Es iſt einmal ein Terminus nöthig und da das
Deutſche keinen paſſenderen hat, mag Poſſe ſtehen bleiben. Vielleicht wäre
auch die Bezeichnung: Schwank zuläßig. J. Paul (a. a. O. §. 41)
und Ruge (a. a. O. S. 195) weichen von der Faſſung in unſerer Ein-
theilung völlig ab. Sie befinden ſich ſchon ganz im Gebiete des ſubjectiv
innerlichen Lebens der Komik, beſtimmen das Burleske ſogar als
ſubjective lyriſche Empfindung und Laune und denken vorzüglich an Dichter
und Traveſtieen. Das Niedrige, was ſie allerdings als weſentlichen
Charakter anſehen, wird dann vom Subjectiven aus ſo beſtimmt, daß die
höchſte Ausgelaſſenheit ſich abſichtlich und gefahrlos in das Gemeinſte werfe.
Dieſe ganze Auffaſſung iſt nur eine Folge des falſchen Gebrauchs, den die
neuere deutſche Bildung von dem Namen des Burlesken gemacht hat.
Burlesken und buffi ſind die italieniſchen Harlekinſpiele und dieſe die drama-
tiſche Geſtaltung des Komiſchen in der realen und handgreiflichen Form, die
es als vergleichungsweiſe bewußtloſer Vorgang im volksthümlichen Elemente
erhält, burlesk ſind der Eulenſpiegel, die Schwänke und Faſtnachtſpiele
des Hans Sachs u. ſ. w. Es iſt wohl der höchſte Muthwille der Aus-
gelaſſenheit, dem die Völker in ihren Saturnalien Luft machen, wo dieſe
Form der Komik herrſcht; allein das Beſtimmende des Begriffs iſt, daß
dieſe feſſelloſe komiſche Stimmung hier die tieferen Bewegungen des in ſich
getretenen Geiſtes, welche den ſelbſtändigen Witz und den weltverlachenden
Humor hervorbringen, noch vor ſich, noch nicht ausgebildet hat, daß alſo
das Subjective, was die Form ſchafft, dem frohen Inſtinctleben der Unmittel-
barkeit angehört. Mit dieſer inſtinctiven Form der Komik und mit keiner
andern iſt in der Eintheilung anzufangen; nimmermehr mit dem reflectirenden
Witze. Was Bauer und Hausknecht an Komik produziren, iſt die erſte
einfachſte Geſtalt. Wohl erſtirbt dieſe Geſtalt nicht, auch wenn die höchſten
Formen ſchon hervorgetreten ſind, J. Paul hat Prügeleien, Cynismen,
Wirthshaus-Schwänke wie das Wein- und Semel-Eſſen in den Flegel-
jahren, noch in Fülle, aber hier eben greift er zurück nach der Urform der
Komik. Alle dieſe Beiſpiele ſind aus der Kunſt gewählt; befänden wir
uns ſchon in dieſer oder wenigſtens in der Lehre von der Phantaſie, ſo
wäre hier auch das Groteske aufzunehmen, wie in der Schrift des Verf.
über das Erh. und Komiſche. Allein dieſes hebt die Naturgeſetze auf,
gehört daher nur dem das Schöne hervorbringenden künſtleriſchen Geiſte
an und ſoweit ſind wir noch nicht, daher auch in der Lehre vom Er-
habenen das Wunderbare nicht aufzuführen war. Das Burleske aber
iſt ſowohl außer der Kunſt als in der Kunſt vorhanden und auch im
[410] erſten Falle bald als ein Angeſchautes, bald als ein vom Subjecte an
ihm ſelbſt Gargeſtelltes.
3. Es iſt hier ein Fall genannt, der ein Vorgriff in die be-
ſtimmten Formen der ſubjectiven Exiſtenz des Schönen, ja ſchon der
Kunſt ſcheinen könnte. In der allgemeinen Erörterung des Begriffs des
Komiſchen wurde nämlich nur dies unterſchieden, ob dem verlachten
Subjecte das Bewußtſeyn ſeiner Verkehrung ganz oder nur theilweiſe
unterzuſchieben iſt; hier aber wird auch der Fall eingeführt, wo das
Subject (das dann weder blos anſchauendes noch blos angeſchautes,
ſondern beides zugleich iſt) das Komiſche an ſich ſelbſt darſtellt. Allein
die Subjectivität iſt in der Poſſe ſo ſehr ſinnlichgeiſtig, inſtinctiv beſtimmt,
daß entſchieden auch ſchon vor und außer der Kunſt eine Selbſtdarſtellung
des Vorgangs eintreten muß. Das ſinnliche Wohlgefühl ſtellt Taumeln,
Fallen, Stottern, Sprünge machen, ſich Ueberſtürzen an der eigenen Perſon
dar auch ohne alle Abſicht künſtleriſcher Mimik; es ergießt ſich, eben weil es
ſinnlich iſt, unmittelbar in die Organe und treibt ſie zu Narrenſprüngen.
Die eigentliche Kunſt vereinigt dann beide Fälle; in den Harlekinaden
treten Perſonen auf, die durch Höcker, Bäuche, Ungeſchicklichkeit aller Art
die mitſpielenden Spaßmacher auffordern, ſie zu foppen; dieſe ſelbſt aber
ſind zwei: der Pierrot, durchaus Tölpel, und der Harlekin, gewandt und
liſtig, der den erſteren, welcher zuerſt ſeinerſeits die übrigen Perſonen äfft,
beſtändig wieder äfft. Abgeſehen von dieſer feinen Theilung iſt der Hans-
wurſt immer Scheibe und Schütze zugleich; er iſt feig, geſchwätzig, tölpel-
haft, aber aus eigener komiſcher Luſt ſtellt er ebenſo dieſe und andere
greifliche Mängel auch an ſich ſelbſt dar. Es ſind hier vorzüglich Körper-
gebrechen genannt worden; dieſe ſind aber keineswegs der einzige Stoff der
Poſſe. Es können auch Vorgänge mit moraliſchen Motiven ſeyn, aber
weſentlich iſt immer, daß die Verwirklichung des Zwecks, welcher Art er
ſeyn möge, ſich als leibliches Leben ausbreite und Alles ganz greiflich ſey.
Ein Freier mit ungeheurem Bauch will die Braut umarmen, aber ſie ſtößt
an dieſes Hinderniß ſo auf, daß ſie wie von einem Wollſack zurückprallt
und fällt u. dgl. Weil ſo die geiſtigen Beſtrebungen ganz in der leiblichen
Vollziehung aufgehend ſich verſtricken, wird die Rede, die weſentlich nöthig
iſt, jene zum Bewußtſeyn zu bringen, leicht überflüſſig. Daher die
italieniſche Burleske, worin dieſe Art des Komiſchen am reinſten zur Dar-
ſtellung kommt, ſich als Pantomime ausgebildet hat und ſo ganz verſtändlich
iſt. Freilich nimmt dieſe Art auch reflectirtere Komik, Witz u. ſ. f. in ſich
auf und dann iſt Rede nöthig; aber die ganz greifliche Körperlichkeit bildet
[411] den Grundcharakter. Es iſt zwar nun erſt der Begriff des Ganzen näher
zu beſtimmen, wie er zwar durch dieſe Bemerkungen bereits eingeleitet iſt.
§. 189.
Das Erhabene, das in dieſem Vorgange dem Komiſchen verfällt, iſt daher1
immer bereits ſelbſt ein ſolches, deſſen geiſtiger Mittelpunkt nicht als ſolcher
zum Bewußtſeyn kommt, ſondern in feſter Geſtalt verkörpert iſt. Daher wird
allerdings beſonders die Sphäre der Kraft, des Anſtands, der äußeren Zweck-
mäßigkeit, der Leidenſchaft den Stoff bilden, aber ebenſo auch die höchſten
Gebiete, nur immer in handgreiflich verleiblichter Erſcheinung. Der Gegenſtoß,2
an dem dieſes Erhabene ſcheitert und welcher hier häufiger von außen als von
innen kommt, wird daher nothwendig je zu den niedrigeren und gröbſten Formen
des Daſeyns (vergl. §. 171) zurückgreifen und den Anſtand nicht nur da, wo
der Kampf gegen ihn als erſtes Glied ausdrücklich geht, auf’s Derbſte verletzen;
der Naturgrund, womit das Subject behaftet iſt, wird völlig durchwühlt, um
ſich von ihm zu befreien. Aus dieſem Grunde ſowohl (vergl. §. 159, 3), als
auch in dem weiteren Sinne des Unbewußten, das aber ebenfalls hier nicht blos
(wie §. 159, 2) im Gegengliede, ſondern im ganzen Prozeſſe herrſcht, kann dieſe
ganze Form als vorzüglich naiv bezeichnet werden.
1. In der Kraft iſt innere, qualitative Unendlichkeit, aber bewußtlos.
Nichts iſt der Poſſe lieber als Scherz über die Verirrungen bildender
Naturkraft, welche ſie z. B. gern und glücklich in’s Mechaniſche herabzieht.
Rechnet man die Sprache zu den organiſchen Kraftwirkungen (ſofern
nicht eben ihre höhere Bedeutung für die Intelligenz in Anſchlag kommt),
ſo iſt das Stottern eine hierüber beſonders belehrende Figur. In dem
Schwanke, der in der Schr. über d. Erh. u. Kom. S. 194 erzählt iſt,
fängt ſich ein Wort wie eingeſpannt in der Kehle und fliegt dann wie ein
Knebel heraus. Es iſt dies nicht das gewöhnliche Stottern, ſondern die
andere Form, womit Leute behaftet ſind, die den Uebergang vom Athmen
zu der Verwendung des Athems, welche das Sprechen verlangt, nachdem
ſie irgend einmal ihn nicht fanden, nie wieder in’s Geleiſe bringen können.
Das gewöhnliche Stottern tritt ſtehend im Stentorello des Theaters S.
Carlino zu Neapel auf. Auf dem Komiſchen des in Mechanismus ver-
ſinkenden Organiſchen ruht großentheils die ergötzliche Wirkung der
Marionetten und der Puppen im Puleinellkaſten. In der lebendigen
Darſtellung der verſchiedenſten Körpergebrechen, jeder Ungeſchicklichkeit,
[412] Zweckwidrigkeit im äußern Thun ſind die Italiener ausnehmend glücklich.
— Die Welt der Leidenſchaft fällt natürlich noch ganz in dieſen Kreis, weil
ſie blind iſt; allein auch alle andern und ſelbſt die reinſten Formen des
Erhabenen. Das Denken z. B., in ſeiner höhern Thätigkeit, ſcheint ein zu
ſchwerer Gegenſtand für die Poſſe, allein es kann gerade durch ſeine Ab-
ſtractheit eine Barbarei, Vernachläſſigung der Form, Unfläthigkeit u. ſ. w.
in der ihm gewidmeten Perſon zur Folge haben, wodurch es ſich völlig für
jene eignet. Der Cynismus des Mediziners z. B., als reinen Fachmanns,
iſt im Katzenberger durchaus in der trefflichſten Weiſe für die niedrige
Komik verarbeitet. Der tieferen Forſchung bemächtigt ſich das Burleske im
Puppenſpiele von Dr. Fauſtus. Das Böſe tritt als Teufel auf. Das
Gute kann allerdings in ſeiner ſubjectiv vertieften Geſtalt ſchwer in dieſen
Kreis treten, um ſo beſſer aber als objectives Pathos. Ariſtophanes
iſt allerdings mehr als burlesk und hat ein volles Bewußtſeyn davon, daß
er die Komödie über das Poſſenhafte gehoben hat; aber neben den höheren
Formen des Witzes und des tiefſten Gefühls, das humoriſtiſch umſchlägt, iſt
ihm doch das Burleske Hauptmittel, den Zerfall des Staatslebens zur
komiſchen Anſchauung zu bringen. Von der Religion war zu §. 187 die
Rede; an ihr wird der Sinn des im vorliegenden §. ausgeſprochenen Satzes
beſonders deutlich. Als Kirche wird die Religion ganz objectiv und eben-
dadurch für die Poſſe greiflich; ſie verfällt aber zugleich in dieſer Geſtalt
mit Recht der Komik, denn ihr geiſtiger Mittelpunkt verliert wirklich an
ſeiner Reinheit ebenſoviel als der objective Körper der Kirche gewinnt. Die
ſogenannten Mißbräuche ſind daher nicht zufällige, ſondern nothwendige
Folgen dieſer Verleiblichung. Dogmenzwang und geiſtliche Herrſchſucht und
Habſucht ſitzen mitten im Weſen der Kirche.
2. Der Gegenſtoß iſt ſo grob als möglich und kommt natürlich lieber
von außen als von innen. Zwar nicht allein das Erſtere: Ungeſchick-
lichkeit, Geſchwätzigkeit, Feigheit, Gefräßigkeit u. ſ. w. ſind innere Ver-
ſtrickungen des ſtrebenden Subjects mit ſich ſelbſt; allein der rein äußere
Stoß muß natürlich in dieſer Komik einer ſich hart und derb reibenden
Körperwelt die größere Rolle ſpielen: Prügel bekommen, Stolpern und
Fallen u. dgl. greifliche Uebel ſpielen eine Hauptrolle, Falſtaff wird in
einen Waſchkorb gepackt, in’s Waſſer geworfen u. ſ. w. Eine höhere
Form der Komik kann z. B. die Leidenſchaft der Liebe durch die feinſte
Andeutung mitunterſchleichender ſinnlicher oder eitler Motive dem Lächeln
preisgeben, aber die Poſſe braucht den derben Ausbruch des Sinnlichen,
die ungezwungenſte Bezeichnung desſelben und iſt daher beſonders ſtark
[413] in der Zote, wie Ariſtophanes, Boccaccio, Luther in allen ſeinen
Aeußerungen gegen das Verbrechen des Cölibats, Fiſchart, Shakes-
peare genugſam beweiſen. Auf welche Weiſe der Zuſtand der Kirche
verſpottet wird, beweiſen die Darſtellungen von Eſeln, die Meſſe leſen,
von Mönchen, die an Schweins-Eutern trinken u. dgl. Die Poſſe iſt
völlig cyniſch. Das Cyniſche iſt keineswegs einfach als Schmutz zu
verſtehen, ſondern es iſt die abſichtliche Aufdeckung der Natur in ihren
gröbſten Bedürfniſſen aus Oppoſition gegen die Unnatur, daher wird die
feinſte Bildung, wenn es eine Revolution gegen Verkennung der Natur,
gegen den Schein des Erhabenen in falſcher Zartheit und Anſtändigkeit
gilt, cyniſch, wie z. B. Göthe in: Götter, Helden und Wieland, und
die geſammte Sturm- und Drangperiode. Der wahre Cynismus iſt ein
Kampf der Geſundheit und Sittlichkeit gegen Verbildung und ihre Ver-
dorbenheit. Ja der Stoff für den Cynismus ſteigt in dem Grade, in
welchem man ſich ſeiner ſchämt. Je delicater die Bildung wird, deſto
mehr erröthet der Geiſt über ſeinen Leib, deſto mehr Schmutziges gibt
es. Die allgemeine Empfindlichkeit reizt ſtarke Naturen, den Stoff aus-
zubeuten im Namen der Schönheit und ihres Naturrechts. Aber nur
dieſe negative Stellung rechtfertigt; iſt der Kampf zu Ende, ſo kehrt als
Grundlage die milde Schönheit zurück, welche zwar in Unſchuld frei iſt,
aber nicht mehr den oppoſitionellen Accent auf die Naturſeite zu legen
nöthig hat; das niedrig Komiſche kann nicht mehr Tendenz, ſondern nur
Moment an ſeinem Orte ſeyn. In dieſer Einſchränkung aber bleibt es
immer berechtigt; befreit das Komiſche überhaupt, indem es die Grenze
aufdeckt, ſo ſoll es auch die Tiefen des Häßlichſten aufdecken, womit der
Geiſt behaftet iſt, und das ganze ſogenannte Schmutzige durchwühlen, um
uns zu zeigen, daß wir uns nicht ſtellen dürfen, als ſey uns Verdauung,
Blähung, Aufſtoßen, Erbrechen u. dgl. erſpart, wenn wir einmal leben,
daß wir aber in und ſammt unſern gröbſten Bedürfniſſen und Zufällen
doch, gerade indem wir uns in dieſem Widerſpruch erfaſſen, freie und
unendliche Weſen ſind. Es braucht alſo nicht nothwendig eine Oppoſition
gegen eingedrungene Naturloſigkeit der Bildung, um dieſe Befreiung
vorzunehmen. Schon die bloſe Möglichkeit einer ſolchen, die mitten im natur-
gemäßeſten Zuſtande gegeben iſt, reizt zum Cynismus und ſo iſt die Poſſe auch
ohne die beſondere Oppoſition gegen unnatürliche Bildung als Ganzes
überhaupt naiv. Damit iſt allerdings überhaupt eine Bildungsſtufe be-
zeichnet, doch eine ſolche, welche den Fortſchritt auf eine höhere überlebt,
daher dieſes Prädicat ohne Vorgriff hier aufgeſtellt werden darf. Das
[414] Alterthum, Mittelalter, die ſüdlichen und katholiſchen Völker üben am
glücklichſten die Poſſe, in der nordiſchen und proteſtantiſchen Welt iſt dieſe
Form ſo zurückgedrängt, wie ihr Feſt, der Carneval, erſtorben iſt, doch
verſchwunden iſt ſie darum nicht; die unteren Stände bleiben ihr zugethan
und die höchſte Bildung kann, darf und ſoll ſie nicht fallen laſſen.
J. Paul und Göthe ſind genannt, auch Tieck iſt noch ſehr ſtark im
Derb-Komiſchen. Der Gebildetſte ſoll noch über das Komiſche der groben
Colliſionen der vollen und herzlichen Lache ſich nicht ſchämen.
§. 190.
Naiv iſt alſo die erzeugende Thätigkeit im ganzen Vorgange; ſie bedarf
für das erſte Glied und das Gegenglied einer greiflichen Form, weil ſie den
innern Mittelpunkt im Gegenſtande noch nicht von ſeiner äußern Erſcheinung
unterſcheidet, und dies kann ſie nicht, weil die ganze Subjectivität in ſich ſelbſt
den Bruch dieſer Unterſcheidung noch nicht vollzieht. Ebendaher und weil die
Greiflichkeit der Form einen ganz öffentlichen und maſſenhaften Charakter be-
dingt, iſt dieſe Stufe des Komiſchen zugleich volksthümlich und als mütterlicher,
urſprünglicher, aber bei allem Fortſchritte zu feineren Stufen ſich erhaltender
Boden aller Komik elementariſch zu nennen. Mangelt ihr nun tieferes
Bewußtſeyn und Inſichgehen, ſo iſt ſie dafür ohne alle Heimlichkeit und Abſicht-
lichkeit und geht vertraulich und gemüthlich im Strome der Dinge mit fort.
Die hier aufgeſtellten Begriffe ſind ſchon durch die früheren Be-
merkungen begründet. Das Vertrauliche und Gemüthliche iſt noch be-
ſonders hervorzuheben, wird aber ſeinen ganzen Werth erſt im Gegenſatze
gegen den jetzt darzuſtellenden Charakter des Witzes zeigen. Weil Alles
herausgeht, iſt auch kein Rückhalt da. Daher hat auch die Kirche die
Narren- und Eſelsfeſte nicht gefürchtet; als aber einſt in Frankreich ein
Geſetz dagegen erſchien, erklärte die Geiſtlichkeit einer Diöceſe, man ſolle
der Narrheit den Sponden nur öffnen, ſonſt ſchlage er dem Faſſe den
Boden aus. Die Poſſe iſt grob, ſelbſt grauſam, aber nicht ſchneidend;
ſie gehört Menſchen, die ſich und der Welt ihren Lauf laſſen und in
der Maſſe des Lebens harmlos mitſchwimmen.
§. 191.
Dieſer Form des Komiſchen fehlt demnach zwar im Umfange ihrer
Momente nichts, was zum Weſen des Komiſchen gehört; allein wenn die
[415] Subjectivität, deren freie, Glied und Gegenglied und ebendaher mit dem verlachten
Subjecte ſich ſelbſt in Eins zuſammenfaſſende Unterſchiebung als der thätige Mittel-
punkt des Komiſchen erkannt iſt, in ihre volle Bedeutung treten ſoll, ſo folgt, daß
diejenige Subjectivität, welche dieſen Act in vergleichungsweiſe bewußtloſe Art
ſo vollzieht, daß ſie in ihrem Stoffe aufgeht, gemäß der in §. 182 auf-
geſtellten Stufenleiter eine höhere über ſich fordert und findet, welche den Act
des Komiſchen gemäß dem wahren Begriffe der Subjectivität mit Wiſſen und
Wollen vollzieht und welcher daher die naiv komiſche Subjectivität ſammt ihrem
Stoffe zum Stoffe wird. Zwar kehrt nach §. 183 die unendliche Linie dieſer
Stufenleiter als Kreis in ſich ſelbſt zurück, allein innerhalb der beſonderen
Formen des Komiſchen kann dieſer Abſchluß der Fortbewegung nicht früher
eintreten, als bis diejenige Subjectivität gefunden iſt, welche das Komiſche in
ſeiner Tiefe wie in ſeiner Weite ſo erſchöpft, daß eine Ueberordnung des ein-
zelnen Bewußtſeyns über ein anderes einzelnes nichts mehr in der Sache ſelbſt
verändern kann.
Dieſer Fortſchritt iſt ſchon dadurch gefordert, daß das objectiv Ko-
miſche als ein naives beſtimmt, ja überhaupt, daß es objectiv genannt
wurde. Objectiv heißt zunächſt, daß das zuſchauende Bewußtſeyn einen
greiflichen Stoff bedarf, weil es in ſeinem Gegenſtande aufgeht; eben-
daher iſt dies Bewußtſeyn naiv. Die Subjectivität aber, die ſo ihrem
eigenen wahren Begriffe noch nicht entſpricht, iſt ebendaher objectiv in
dem übergreifenden Sinn, daß ſie einer andern Subjectivität, die ihrem
Begriffe, ſelbſtbewußt zu ſeyn, entſpricht, zum Objecte wird, und eben-
ſo, wenn ich etwas naiv nenne, ſo ſpreche ich ſchon aus, daß ein hel-
leres Bewußtſeyn ihm in ſein Geheimniß hineinſieht und es ſich zum
Gegenſtande macht. Auch der Poſſe kommt freilich zuerſt ihr Gegen-
ſtand, das von ihr verlachte Subject, naiv vor, aber daß ſie in ſo
derben Colliſionen das Naive ſucht, iſt von ihr ſelbſt naiv. Der Witz,
zu dem wir hiemit übergehen, gehört der Subjectivität, welche ihrem
Begriffe, ſich zu wiſſen und was ſie thut, zu wollen, entſpricht. Schon
St. Schütze (a. a. O. S. 143) hat den Witz als ein bewußtes
Vollbringen des Komiſchen beſtimmt, er drückt dies (S. 144) auch ſo
aus: „was die Einfalt im Dunkeln findet, das ſucht der Witz im Hellen
und bringt es hervor mit der Selbſtſchätzung ſeines Products.“ Genauer
beſtimmt Ruge (a. a. O. S. 137 ff.) den Witz als die ſich ſelbſt
kennende und in Wirkſamkeit ſetzende komiſche That, als das Sichwiſſen
[416] des Geiſtes im Acte ſeiner Befreiung, worin er alſo aus ſeiner un-
wahren Geſtalt ſich nicht erſt herauszuarbeiten hat, ſondern dieſe oder
die confundirte Geiſtes-Erſcheinung ſchon aufgehoben in ſich enthält, als
das Wollen der Pointe u. ſ. w. Allein Ruge kommt nicht von der
Poſſe her, er beginnt mit dem Witze als der erſten Form, daher zeigt
ſich ſogleich ein Mangel. Zunächſt erhellt an ſich ſchon, daß es falſch
iſt, eine bereits ſo reflectirte Geſtalt, wie den Witz, als die erſte aufzu-
führen; daraus eben fließt aber auch der Mangel in der Beſtimmung
dieſer Geſtalt ſelbſt. Ruge gibt nämlich dem Witze nur die unwillkür-
liche Thorheit zum Gegenſtande und bringt dafür S. 138. 139 Beiſpiele.
Allein Gegenſtand des Witzes iſt nicht nur Thorheit, welche ohne ihn
unbemerkt und durch keine Komik genoſſen geblieben wäre, ſondern vor
Allem eine Thorheit, welche auch ſchon ihre Lacher gefunden hat, aber
ſolche, über welche ſelbſt noch von einem bewußteren Subjecte zu lachen
iſt. Der Witz hat ſeiner ganzen Natur nach ſchon eine Geſtalt des
Komiſchen hinter ſich und kann ausrufen: wie ſich die platten Burſche
freuen! Die platten Burſche in Auerbachs Keller haben ihren Spaß
ſchon vorher gehabt, dann erſt macht ſich Mephiſtopheles mit ihnen
ſeinen Spaß, der freilich in dieſem Beiſpiel ſelbſt poſſenhafte Form an-
nimmt, aber von einem Subjecte ausgeht, deſſen reflectirte Subjectivität
ſich im Allgemeinen in der Form des Witzes bewegt. Die Subjectivität,
welche das Komiſche erſt in der Form des Burlesken zu produziren
vermag, gehört ſammt ihrem Stoffe unter die Stoffe des Witzes.
b.
Das ſubjectiv Komiſche oder der Witz.
§. 192.
Die Subjectivität reflectirt ſich aus dem naiven Verhalten des objectiv
Komiſchen in ſich und ſtellt ſich zunächſt über dieſes ſammt ſeinem Gegenſtande,
um es zum Stoffe einer andern, vermittelten Form der Komik zu machen.
Allein wenn dieſe reflectirte Subjectivität eine ihm vorausgehende Form der
Komik zu durchſchauen und ſich als Stoff zu unterwerfen vermag, ſo hat ſie
ebendaher nicht nur das Auge für den Widerſpruch eines in dieſer unwillkür-
lichen Weiſe ſchon fertigen Komiſchen, ſondern ebenſo für jeden Stoff, der nur
[417] an ſich und noch ohne belacht worden zu ſeyn, die zur Entſtehung des Komi-
ſchen geforderte Bedingung der Häßlichkeit in ſich enthält. Dieſer Widerſpruch
kann von ſo greiflicher Art ſeyn, wie ihn die Poſſe bedarf; die reflectirte Ko-
mik wird ihn aber nicht ſo belaſſen, ſondern ihn erſt in das Licht eines tieferen
Widerſpruchs rücken, um ihn in ihrer Weiſe zu belachen, noch mehr aber wird
ſie überall die wirklich feineren Widerſprüche aufſuchen, in welche das aus
ſeiner Niederlegung in greifliche Formen des Seyns in ſich zurückgegangene
Subject ſich verwickelt.
Der Stoff des Witzes kann dadurch natürlich nicht erſchöpft ſeyn, daß
zunächſt das objectiv Komiſche als ſolcher begriffen iſt. Steht es um den
Witz ſo, daß er dem naiven Subjecte über die Schulter hereinſieht, ſo
iſt ſchon erkannt, daß innere Vorgänge im ſubjectiven Leben vorzüglich
ſein Thema ſeyn werden, Verwicklungen, die ſich nicht in einem äußeren
Vorgang völlig ausſprechen, ſondern deren Beobachtung ein bewußtes
Verſtändniß des Seelenlebens vorausſetzt. Dies hat eine doppelte Be-
deutung; zuerſt die, daß der Witz allerdings aus dem Kreiſe des Er-
habenen gewiſſe Gebiete mehr ſein nennen kann, als die Poſſe. Er
hält ſich weniger bei den Erſcheinungen der Kraft auf und nimmt ſich
aus dem Erhabenen des Subjects vorzüglich diejenigen Stufen, die der
Poſſe ferner liegen: die Intelligenz und den ſittlichen Willen. Allein
auch hier gilt, daß nicht der Stoff den Unterſchied macht; wie ſich die
Poſſe über alle, auch die höheren Gebiete, des Erhabenen verbreitet, ſo
faßt der Witz auch ebenda ſeinen Boden, wo dieſe vorzüglich zu Hauſe
iſt, im Greiflichen nämlich, und den Unterſchied bildet nur die Art der
Faſſung. Allerdings beſchäftigt er ſich daher auch mit der Sphäre der Kraft
und ihren drolligen Stößen, aber er läßt es nicht bei der einfachen An-
ſchauung, ſondern thut etwas Weiteres hinzu, was ſich zeigen wird. Im
Erhabenen des Subjects iſt er ſo gerne cyniſch, als die Poſſe, aber er
deutet den Anſtoß des Geiſtigen an die groben Bedürfniſſe und Triebe
feiner an; gewöhnlichen Verletzungen des Anſtands zieht er zwar Naive-
täten vor, wodurch nicht etwa nur der äußere Anſtand, ſondern das
innere Schicklichkeitsgefühl, Rückſichten auf anweſende Perſonen u. drgl.
verletzt werden, doch kann er die gröbſte Unanſtändigkeit auf ſeine Weiſe
ebenſogut zum Gegenſtande nehmen. Dieſe bringt es mit ſich, daß er alle
Geſtalten der ſubjectiven Erhabenheit in’s Innere verfolgt; wenn z. B. die
Poſſe ſehr heimiſch iſt in der Sphäre der äußeren Zweckmäßigkeit, ſo
iſt es auch der Witz, aber er bleibt nicht dabei ſtehen, die anſchauliche
Viſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 27
[418]Handlung in ihrem Mißlingen darzuſtellen, ſondern er verfolgt die Un-
klugheit tiefer, zeigt das falſche Berechnen und Rechnen u. ſ. w. auf;
die Intelligenz belauſcht er in ihren geheimen, feinen Täuſchungen, in
der moraliſchen Welt geht er der Leidenſchaft in ihre inneren Widerſprüche
nach, die Liebe z. B. läßt zwar auch er in Trübung übergehen durch
ſtörende Sinnlichkeit, dieſe ſelbſt aber behandelt er wieder wie einen Irr-
thum der Reflexion und noch lieber deutet er nur ein Mitunterſpielen
der ſinnlichen Regungen im Innern an; dem Geizigen läßt er nicht unter
Prügeln ſein Geld nehmen, ſondern er zeigt den reinen Widerſpruch im
Geize ſelbſt auf und in das Gebiet der Laſter führt er überhaupt das der Klug-
heit ſo herein, daß es als eine Welt der verwickelten, dem Genuſſe dienenden,
aber ſich ſelbſt aufhebenden Intrike erſcheint. Spitzt ſich die Intrike zum
Böſen zu, ſo lauert er dieſem auf, wo ſich in der Verſchmitztheit ſeine Dumm-
heit zeige; dem guten Willen weiß er alle kleinen Eigenheiten, Liebhabereien,
Neben-Motive aufzuweiſen, durch die er ſich heimlich untreu wird; die
Religion verfolgt er nicht nur in die groben Mißbräuche der Kirche,
ſondern die Verſtandes-Widerſprüche der Dogmen, die feine Heuchelei
und Herrſchſucht der Prieſter, aber auch alles Kleine deckt er auf, was
ſich in die wahre Andacht miſcht. Das öffentliche Leben öffnet ihm ſeine
Weite, aber auch hier tritt er hinter die Couliſſen, ſpürt den Heimlich-
keiten nach, welche die Poſſe mit ihren ſchweren Fingern nicht findet:
dem Spiel der Einflüſſe, der Hofränke, der Weiber, der verborgenen
Liebſchaften u. ſ. w. hinter den großen und objectiven Kräften, die die
Welt bewegen. — Nachdem dies gezeigt iſt, ſo iſt es nicht mehr nöthig,
von dem Gegengliede ausdrücklich zu ſprechen, wie in der Darſtellung
des objectiv Komiſchen; die Art, wie es ſich beſtimmt durch die Ver-
folgung der Dinge in ihr Inneres, iſt mit dieſer bereits ausgeſprochen.
Es kommt jetzt Alles darauf an, erſt das Verfahren des Witzes kennen
zu lernen, wo ſich über das Gegenglied, das er in Thätigkeit ſetzt,
etwas ganz Neues entdecken wird.
§. 193.
Da nun der Widerſpruch im Gegenſtand aus dem Gebiete der Anſchauung
in’s Innere verlegt iſt, ſo muß die das Komiſche erzeugende Subjectivität
ihren Stoff überhaupt in ein innerlich Vorgeſtelltes und Gedachtes verwandeln
und daher kann ſie ihn nicht einfach als objectiven Vorgang zeigen, ſondern
muß ihn auch in der Form des für das Innere Ermittelten ausſprechen. Sie
[419] bedient ſich daher weſentlich der Sprache und ſofern ſie ſinnliche Bilder gebraucht,
ſind dieſe bloſe Zeichen. Mit dieſem Mittel thätig ſtellt ſie ſich über ihren2
Gegenſtand, ſpricht ihn aus, holt aber aus der unendlichen Welt des Vorſtell-
baren durch einen Sprung, welcher Sache des unmittelbaren, ahnenden Ergrei-
fens iſt und dieſem Reflections-Acte den äſthetiſchen Charakter gibt, eine Vor-
ſtellung aus einem ganz entlegenen Kreiſe herbei und wirft ſie mit der des
vorliegenden Gegenſtandes plötzlich in Einen Gedankenzuſammenhang. Das
Weglaſſen aller Mittelglieder (vergl. §. 169), das nothwendig die größte Kürze
des Ausdrucks fordert, ſpannt den Widerſpruch auf ſeine Spitze. Auf derſelben
Spitze aber ſpringt ein Punkt hervor, durch welche die entlegene Vorſtellung
mit der vorliegenden in eine ſcheinbare Einheit ſich zuſammenfaßt, und ſo entſteht
„der äſthetiſche Lichtſchein eines neuen Verhältniſſes, indeß unſer Wahrheits-
gefühl das alte fortbehauptet und durch dieſen Zwieſpalt zwiſchen doppeltem
Scheine jenen ſüßen Kitzel des erregten Verſtandes unterhält, der im Komiſchen
bis zur Empfindung ſteigt“ (J. P. Fr. Richter). Dies Verfahren heißt Witz.3
1. Der §. ſagt: ein innerlich Vorgeſtelltes und Gedachtes, nachher
wird das einemal Vorſtellung, das andremal Gedankenzuſammenhang ge-
nannt. Es iſt nicht anders möglich, als ſo im Unbeſtimmten zu bleiben,
wenn dieſer Punkt nicht eine unverhältnißmäßig breite Erörterung her-
beiführen ſoll. Das Wahre iſt, daß der Witz zwiſchen Vorſtellung
und Begriff auf ſchmaler Linie hinſpielt. Er erhebt ſeinen Gegenſtand
in die Sphäre der Allgemeinheit oder des Gedachten, läßt aber mehr
oder weniger Spielraum, ſich ihn innerlich vorzuſtellen. Er kann bei
einem einzelnem vorliegenden, ſinnlichen Falle ſtehen bleiben, wie Liskow
in einem nachher anzuführenden Epigramm; dieſer Fall iſt nicht gegen-
wärtig, wird aber als ſinnlicher Vorgang innerlich vorgeſtellt. Er kann
einen allgemeinen Satz daraus abſtrahiren, die Pointe auf ein allgemeines
Verhältniß hinüberziehen, wie wenn J. Paul ſagt: ſo ſehr ſieget bloſe
Stellung, es ſey der Krieger oder der Sätze. Stellung der Sätze iſt
hier das Subject, das durch Einſchiebung der Krieger komiſch gebrochen
wird. Dies iſt etwas ganz Allgemeines, doch ſtellt man ſich auch hier
noch einen Gelehrten ſitzend und ſeinen Styl ordnend vor. Ganz allge-
mein iſt der Satz Petions in der Nationalverſammlung: la théologie
est à la religion ce que la chicane est à la justice; vom vorliegenden
Streit mit der Kirche ſind reine allgemeine Begriffe abgezogen. Hier
bringt aber die witzige Vergleichung die Aufforderung zur Vorſtellung
27*
[420]hinzu: bei Chikane ſtellt man ſich innerlich die Geſtalten der ſtörenden
Scholaſtiker vor, ihr Thun in ſinnlicher Erſcheinung. Hiemit iſt ſchon
geſagt, daß, wenn das Subject auch ganz allgemein als Begriff geſetzt
ſeyn mag, doch das herbeigebrachte Gegenglied, ſey dieſes nun wirklich
ein ſinnliches wie im bildlichen Witz oder nicht, weil es nicht auf dem
Wege methodiſch fortgehenden Denkens, ſondern eines Sprungs gefunden
wird, immer die Vorſtellung aufruft, den reinen Begriff nur wie ein
Durchſchimmerndes mit innerlich geſchauter ſinnlicher Beſtimmtheit zu
umhüllen, bald mehr auf der Seite des erſten Glieds, bald mehr des
Gegenglieds. Hienach rechtfertigt ſich auch in Anwendung auf dieſe
Form des Komiſchen die allgemeine Forderung der Anſchaulichkeit §. 154.
Daß nun dieſe Komik ſich nur durch die Sprache ausdrücken kann im
vollen Gegenſatze gegen die erſte Form, welche bei der Anſchaulichkeit
ihres ganzen Prozeſſes ſie leicht ganz entbehrt, folgt aus dem Geſagten.
An ihre Stelle können wohl Bilder treten, ſie ſind aber bloſe Vehikel
im Sinne des Zeichens, wie z. B. Hörner, um einen als Hahnrei dar-
zuſtellen, der Auftritt mit der Flöte im Hamlet, Aufführung witzig poin-
tirter Charaden und die Mehrzahl von Caricaturbildern. Wenn z. B.
in der Caricature Louis Philipp als Balliniſt dargeſtellt war, der mit
Geſetz, Verfaſſung, Gerechtigkeit, Vaterland als Bällen, Meſſern in der
Luft ſpielt, ſo hat hier das Sinnliche ganz die Bedeutung eines Witz-
worts. Oft fällt, beſonders bei den franzöſiſchen Caricaturen, Bild und
Witz ſo auseinander, daß man dieſen nicht aus der dargeſtellten Si-
tuation errathen könnte, er muß darunter geſchrieben ſeyn, er beſteht in
Worten, welche von den gezeichneten Perſonen geſprochen werden; die
Situation ſtellt dar, wie Menſchen ſich in ihren Bewegungen und Ma-
nieren gehen laſſen, während ſie ſo etwas ſagen, und wäre als Veran-
ſchaulichung von Manieren gewiſſer Stände u. ſ. w. auch für ſich ver-
ſtändlich: ſo entſteht aber eigentlich ein Genrebild und der Witz iſt ganz
Nebenſache oder fällt als ſolcher wirklich weg.
2. Die alte Definition des Witzes als einer Fertigkeit, Aehnlich-
keiten zwiſchen Unähnlichem aufzufinden, wurde von J. Paul (a. a. O.
Th. 1, §. 42 ff.) aufgegeben, allein nachdem er den Begriff der aufge-
fundenen Aehnlichkeit widerlegt hat, ſetzt er an ſeine Stelle den der
Vergleichung, nämlich einer beſondern Art derſelben, und zwar derjenigen,
welche theilweiſe Gleichheit bei größerer Ungleichheit entdeckt. Dadurch
ſucht er den Witz vom Scharfſinn, welcher theilweiſe Ungleichheit unter
größerer Gleichheit verborgen, und dem Tiefſinn, welcher trotz allem
[421] Scheine der Ungleichheit gänzliche Gleichheit finde, zu unterſcheiden. Zunächſt
hätte J. Paul bemerken ſollen, daß der Scharfſinn und Tiefſinn hier nur
ganz beiläufig als Hülfen zur näheren Begrenzung des Begriffes anzuführen
ſind, indem das, was im Witz allein äſthetiſch iſt und was ihn von
dieſen völlig trennt, ihm ſelbſt nicht verborgen blieb: daß nämlich der
Witz „allein erfindet und zwar unvermittelt.“ Das Unmethodiſche, rich-
tiger die ausdrückliche Oppoſition gegen das methodiſche Denken, welche
in dem Fluge zu einer völlig entlegenen Vorſtellung liegt, deren Herbei-
Bringung zuerſt als volle Zweckwidrigkeit erſcheint: dies macht den Witz
zu einer äſthetiſchen Kraft im Gebiete des Komiſchen. Es ſey ein
Inſtinct der Natur, ſagt er ſelbſt, was die Aehnlichkeit zwiſchen zwei
incommenſurabeln Größen auffinde: darum liege ſie offener und ſtets
auf einmal da; das witzige Verhältniß werde angeſchaut, während der
Scharfſinn durch eine lange Reihe von Begriffen das Licht trage, das
bei dem Witze aus der Wolke ſelber fahre u. ſ. w. Was nun aber das
Vergleichen betrifft, ſo iſt allerdings auch dieſer Ausdruck nicht zweckmäßig,
nur darf man ihn nicht um den leichten Preis verwerfen, daß man
das Verfahren des Witzes, die Form ſeines Prozeſſes, gar nicht
näher analyſirt, ſondern unmittelbar blos auf ſeinen letzten Sinn, die
Herſtellung des freien Geiſtes aus dem getrübten, losgeht, wie Ruge,
der auch hierin ethiſirt (a. a. O. 149—151 u. and.). Das Mangel-
hafte der Erklärung des Witzes aus einem Vergleichen zeigt ſich am
deutlichſten, wenn man die Art des Witzes, die geradezu ein Vergleichen
ſcheint, näher betrachtet: den bildlichen. Auch dieſer iſt gerade dann
erſt geiſtreich, wenn er den Schein erzeugt, als vergleiche er nicht nur,
ſondern ſetze identiſch. Wenn z. B. der Volkswitz ſagt: der Kerl trinkt
Waſſer, daß ihm die Gänſe nachlaufen. Warum? Weil ihm Brunnen-
kreſſe hinten auswächst: ſo iſt das Witzige ebendies, daß man ſich den
ſo ins vegetabiliſche Reich verpflanzten Mann ſelbſt in dieſem Zuſtande
denken ſoll, ihn nicht etwa blos mit einem grünenden Brunnen oder
Bach vergleicht. Im unbildlichen Witze aber iſt auch nicht einmal
Anſatz zu einer Vergleichung; z. B. wenn Talleyrand ſagt, die Sprache
ſey erfunden, um die Gedanken zu verbergen, ſo wird in eine Abſicht
das Gegentheil des Beabſichtigten hineingeſchoben und iſt hier von keiner
Vergleichung die Rede. Statt: unähnlich oder ungleich ſagt daher der
§. entfernt, fremd; ſtatt ähnlich oder gleich: es wird der Schein einer
Einheit erzeugt. Die Pointe des Witzes nun iſt der Moment, wo zu-
gleich die ganze Spannung der abſtoßenden Fremdartigkeit des herbei-
[422] gezauberten Gegenglieds und zugleich der Zauber der Einheit in die Augen
ſpringt. Hauptmittel dieſer Wirkung iſt Kürze und Schnelligkeit: dieſe läßt
alle Zwiſchenglieder weg, welche an ſich — denn nichts in der Welt iſt ohne
Zuſammenhang — auch das Entfernteſte mit dem Entfernteſten verbinden
(vergl. §. 169), und bringt dadurch den Zuſammenſtoß hervor. J. Paul
nennt dies (a. a. O. §. 45) Wegſchneiden der Nebengedanken. In demſelben
Augenblick aber, wo ſie ſich abſtoßen, ziehen ſich die Glieder an und fallen
in den Zauberſchein einer Einheit: Sinn im Unſinn, Unſinn im Sinn.
Dies iſt es, was J. Paul durch die in dem §. aufgenommenen Worte
(a. a. O. §. 44), worin er das Weſen des Witzes ungleich richtiger
aufdeckt als in ſeiner Vergleichungstheorie, ſo treffend ausſpricht. Wirkt
daher alles Komiſche durch Plötzlichkeit, ſo am meiſten der Witz, welchem
die Spitze der Kürze durchaus weſentlich iſt und nichts weher thut,
als wenn man ihn erklären muß, die Pointe verfehlt oder durch Zwi-
ſchenglieder der Auseinanderſetzung ſchwächt. Geiſtreich nennt J. Paul
(ebenda) den Witz den verkleideten Prieſter, der jedes Paar copulirt.
Er iſt aber der Schmied zu Gretna-Green, der lauter Paare traut, deren
Trauung die Verwandten (der methodiſche wahre Zuſammenhang) nicht
dulden wollen. J. Paul berührt aber auch die tiefere Befreiung, welche ſich
durch den Witz die Subjectivität gibt, und auf welche Ruge, nur mit Weg-
laſſung näherer Darſtellung des Verfahrens im Witze, hindringt, durch die
tiefe Bemerkung (§. 54): „der Witz gibt uns Freiheit, indem er Gleich-
heit vorhergibt.“ Dies will zunächſt ſagen, daß der Witz „ein freies Be-
ſchauen iſt, welches ſich nicht in den Gegenſtand oder deſſen Zeichen einge-
kerkert verliert und vertieft“; der Kopf wird zu „einem Polterabend der
Brautnacht, es herrſcht eine Gemeinſchaft der Ideen wie der Weiber in
Platons Republik und zeugend verbinden ſich alle.“ Allein hier ſitzt noch eine
wichtige Frage, die nämlich über den eigentlichen Gehalt des Witzes, oder
richtiger, ob er überhaupt einen hat: wovon im folgenden §. zu handeln iſt.
3. Witz iſt eine pſychologiſche Benennung und es ſcheint hier ent-
ſchieden ein Vorgriff in die Lehre von der Phantaſie Statt zu finden,
wie denn der Verf. in ſ. Schr. über d. Erh. u. Kom. (S. 188. 190)
noch meinte, die ganze Eintheilung des Komiſchen gehöre eigentlich da-
hin. Der Witz muß nun allerdings in der Pſychologie vorkommen und
demnach ſollte er, ſo ſcheint es, auch in der Aeſthetik jedenfalls in der
Lehre von der Phantaſie ſeine Stelle finden. Allein in dieſem Zuſammen-
hang wäre die Unterſuchung ganz abſtract; es würde nämlich völlig ab-
geſehen von der Geſtaltung des Erhabenen, aus dem wir jetzt kommen,
[423] und davon, wie dieſes unter andern Formen ſeiner Aufhebung auch die
des Witzes fordert. Dies eben iſt der objective Zuſammenhang, der die
Aufführung des Witzes an dieſer Stelle verlangt. Nun könnte einge-
wandt werden, der geſammte Stoff des Erhabenen werde ja ſchon vom
objectiv Komiſchen aufgelöst, dieſe rein ſubjective Form, der Witz, ſey
daher durch die objective Bedingung des Erhabenen nicht nothwendig
gefordert, ſondern nur eine Forderung der Phantaſie bedinge auch dieſe
Form der Auflöſung. Dies iſt aber unrichtig, denn die verſchiedenen
Vertiefungsgrade des Erhabenen gehören ebenfalls zu der Geſammtheit
ſeines Stoffs und die Poſſe kann daher in dieſem Sinn allerdings nicht
über das ganze Erhabene ſich ausdehnen, ſondern läßt noch eine ganze
Welt des Stoffs für feinere Formen der Verlachung zurück. Dies wird
ſich noch deutlicher im Folgenden zeigen, wo klar werden wird, was
denn der Witz eigentlich trifft. Daß nun die Pſychologie das Recht
habe, alle Formen ſubjectiver Thätigkeit abgeſehen von dem objectiven
Weltzuſammenhang ihrer Gegenſtände darzuſtellen, wird durch die Her-
vorhebung des letzteren nicht beſtritten. Die Pſychologie der Aeſthetik
aber, d. h. die Lehre von der ſubjectiven Exiſtenz des Schönen als
Phantaſie, hat ſich, nachdem dieſe Formen der komiſchen Thätigkeit im
allgemeinen Theile nach der objectiven Forderung des Zuſammenhangs
dargeſtellt ſind, nicht weiter mit dieſen zu beſchäftigen, ſondern nachdem
ſie gezeigt haben wird, was reine Phantaſie iſt, darf ſie nur hinzu-
ſetzen, daß die verſchiedenen Hauptformen des Schönen, alſo die des
Komiſchen wie die des einfach Schönen und Erhabenen, als reine Thätig-
keiten wieder in ihr hervortreten. Kurz: das Komiſche trotz der Sub-
jectivität ſeiner Formen iſt ein weſentliches Grundverhältniß im Schönen,
das, rein oder unrein, überall vorkommt, wo Schönes lebt, und ge-
hört daher in den allgemeinen Theil, die Metaphyſik des Schönen.
§. 194.
Könnte nun dieſer Sprung mit Chr. H. Weiße als eine nur nachdrück-1
lichere Form des in §. 176 geforderten Leihens angeſehen werden, ſo gälte
auch vom Witze, was vom Komiſchen überhaupt gilt, daß es nämlich in irgend
eine beſtimmte Erſcheinung des Erhabenen eingeht und durch ein Leihen des
Bewußtſeyns die verlorene Beſinnung in dem Subjecte derſelben entbindet.
Allein die vom Witz herbeigeholte zweite Vorſtellung liegt zu entfernt, als
daß ſie dem verlachten Subjecte untergeſchoben werden könnte; der Witz verläßt2
[424] vielmehr dieſes und treibt blos mit der Vorſtellung von ihm oder ſeinem Thun
jenes Spiel. Der Gegenſtand bleibt außer ihm ſtehen, Inhalt und Form fallen
auseinander, oder vielmehr die Form erhält einen andern Inhalt, als der iſt,
welcher ſie in Bewegung zu ſetzen den erſten Anſtoß gab, und dieſer andere
Inhalt iſt eigentlich der ſtrenge Zuſammenhang der Dinge in dem geordneten
Denken: gegen dieſes macht der Witz die Wahrheit geltend, daß die Dinge
ihre Stelle müſſen wechſeln können, weil Eines in Allem iſt, und ſo befreit
er allerdings und bewährt Freiheit, indem er die Flüſſigkeit der abſoluten
Idee zu Tage bringt, aber er verliert den feſten Boden der Grenze, welchen
alles Schöne fordert (§. 30 ff.).
1. Weiße (Aeſth. §. 32) ſieht in dem Witze daſſelbe Leihen wie
im Komiſchen überhaupt, nur mit höherer Intenſität und Selbſtbewußtſeyn.
Daran darf man nur knüpfen, daß durch dieſes beſtimmtere Leihen eben
noch beſtimmter die Beſinnung in dem Verirrten entbunden wird, ſo
ſteht man in Ruges Anſicht über den Witz. Allein die Vorſtellung,
die der Witz herbeibringt, iſt zu entlegen, um ſie ſo zu verſtehen. Wenn
z. B. Liskow auf den Magiſter Sievers in Lübeck, welcher als Kämpfer
für die Orthodoxie gegen ihn als den Kämpfer für lebendige Sittlichkeit
auf der Kanzel ſich in ſolchen Eifer predigte, daß der Wille die unter-
geordneten Theile ſeiner Perſönlichkeit zu beherrſchen vergaß, welche nun
dieſe Gelegenheit ergriffen und in einem reichlichen materiellen Erguſſe
den oberen, geiſtigen zugleich bildlich darzuſtellen beſtrebt waren, (welcher
Vorfall, beiläufig geſagt, im burlesken Sinne ganz komiſch iſt auch ohne
Satyre, folgendes Epigramm machte:
ſo kann er dem eifrigen Manne nicht unterlegen wollen, als habe er
im figürlichen Sinne den Baum der Kirche begießen wollen und es nur
allzu unbildlich ausgeführt; die Vorſtellung des Begießens liegt zu fern,
um ſolche Abſicht dem verlachten Subjecte unterzuſchieben. Ebenſo Börnes
Witz: „als Pythagoras ſeinen Lehrſatz erfunden hatte, opferte er eine
[425] Hekatombe: ſeitdem zittert jeder Ochs, ſo oft eine neue Wahrheit ent-
deckt wird“; hier kann man den zitternden bildlichen Ochſen nicht unter-
legen, als hätten ſie ſich im Irrthum über ihre Menſchenwürde die
eigentlichen Ochſen der Hekatombe zum Muſter genommen. Daher bleibt
beim Witze das getroffene Subject draußen ſtehen, denn es kann das
nicht in ſich aufnehmen, ſich nicht als verborgene Wahrheit ſeines Be-
wußtſeyns ſagen laſſen, was der Witz herbeiholt.
2. Die angeführten Witze treffen. Der folgende §. wird auf den
Witz, der trifft, d. h. der irgend eine Häßlichkeit ſtrafend erfaßt, zu-
rückkommen; die Unterſuchung hat aber zunächſt einen andern Witz in’s
Auge zu faſſen oder richtiger das reine Weſen des Witzes. Wenn näm-
lich der Witz, wie gezeigt, nicht innerlich eingeht in das Bewußtſeyn
des Irrenden, ſondern ihn, wenn er ihn auch trifft, getroffen ſtehen
läßt, ſo ſitzt ſein eigentliches Weſen offenbar gar nicht in dieſem Zu-
ſammengehen mit dem verlachten Subjecte, und dies zeigt ſich am reinſten
darin, daß er ſein Spiel ausüben kann ganz ohne etwas oder etwen
zu treffen. Die Schrift des Verf. über d. Erh. u. Kom. hat (S. 196
u. 202) vom Witze überhaupt ausgeſagt, er habe keinen eigentlichen
Sinn, es ſey nur der methodiſche Zuſammenhang, die Location der
Begriffe, womit er ſpiele, und nur ſubjective Nebenbeziehungen geben
ihm den ſogenannten Gehalt. Bohtz (über d. Kom. und d. Komödie
S. 93) hat dies angegriffen. Der Punkt iſt ſchwierig. J. Paul
ſchwankt; das Einemal (z. B. a. a. O. §. 53) ſagt er, es müſſe ge-
ſtanden werden, daß „bloſer“ Witz „als ſolcher“ nur abmattend er-
götze, ſobald er auf ſeinen bunten Spielkarten nicht etwas Weſentliches
z. B. Empfindung, Bemerkung u. ſ. w. zu gewinnen gebe; allein §. 54
ſagt er ganz allgemein, der Witz ſey von Natur ein Geiſter- und Götter-
Läugner, der an keinem Weſen Antheil nehme, ſondern nur an
deſſen Verhältniſſen. Dies ſtimmt nur dann zuſammen, wenn man
hinzuſetzt, daß der Witz freilich einen Gegenſtand treffen und ſo einen
Gehalt haben müſſe, daß dies aber äußerlich hinzukomme, nicht noth-
wendig im Weſen des Witzes liege, und dies eben iſt die richtige Anſicht,
wie der folg. §. zeigen wird. Die Aeußerungen in der genannten Schrift
des Verf. haben nur den Mangel, daß ſie blos andeuten und nicht
beſtimmt unterſuchen, wie ſich dieſer ſogenannte Gehalt im Witz verhalte,
ob organiſch, oder nur äußerlich hinzukommend, und daß Beiſpiele ange-
führt werden (S. 197), welche allerdings treffenden Gehalt haben und
von welchen nicht hätte geſagt werden ſollen, ſie haben keinen Sinn,
[426] ſondern nur, das Mittel, wodurch ſie ihn haben, verhalte ſich zu dieſem
nicht innerlich und organiſch. Ruge natürlich muß überall Gehalt for-
dern und thut dies namentlich bei Gelegenheit des Wortſpiels S. 152:
„wenn an der Sache gar nichts iſt, d. h. die Worte nichts bedeuten,
ſo iſt auch an dem Witze gar nichts“. Allein zuvörderſt beſinne man ſich
nur auf Witze, die nichts und Niemand treffen, und frage ſich, ob man
darüber nicht voller und herzlicher lacht, als über Witze mit ſatyriſchem
Stich, z. B. an Fiſcharts trunkenen Wortſpieltaumel, Abrahams a S.
Clara närriſche Wienerſpäſſe, das Krähwinkler-Blatt, wo ein Mädchen
am Klavier und ſonſt Niemand zu ſehen iſt, unten aber ſteht: wie der
Schulmeiſter von Krähwinkel aus Entzücken über das ſchöne Spiel ſeiner
Tochter ganz weg iſt. Vieles aus dem engliſchen Auctions-Verzeichniß,
das Lichtenberg überſetzt und vermehrt hat, kann man mit vollerem Lachen
leſen, wenn man davon abſieht, daß es urſprünglich eine Satyre auf
einen reichen, aber unwiſſenden Raritätenſammler war: ein Meſſer ohne
Klinge, woran der Stiel fehlt; ein doppelter Kinderlöffel für Zwillinge;
eine Sonnenuhr, an einen Wagen zu ſchrauben; eine Mäuſefalle nebſt
den Mäuſen dazu; einige Brillen für alte Jagdhunde, die nicht gut in
die Ferne ſehen; ein meſſingenes Schlüſſelloch. Oder aus Lichtenbergs
Relation von den ſchwimmenden Batterien vor Gibraltar: in jedem Schieß-
loch noch ein Loch, das war fürwahr faſt größer noch, als erſtgedachtes
Schießloch. In ſolchen Spielen, deren Weſen meiſt darin beſteht, daß
die nähere Beſtimmung des Subjects das Subject aufhebt, bewegt ſich
der komiſche Geiſt frei durch das Gebiet des verſtändigen Zuſammenhangs,
den er durcheinander wirft und deſſen Aufhebung er doch als einen neuen
verſtändigen Zuſammenhang behauptet. Auch das Wortſpiel liebt die
freien, zweckloſen Verkröpfungen; z. B. Kühne: wir Gelehrte ſind ſämmt-
lich Unterleibnizianer. Am beſtimmteſten iſt dies der Fall im bildlichen
Witze, der ſich an dem beigebrachten Bilde zu weiden liebt ganz ohne
ſich weiter bei dem Subjecte, das dadurch getroffen werden ſoll, aufzu-
halten. Man nennt dieſen Witz gewöhnlich den ſchlechten; richtiger wäre
es, ihn den freien oder ſchweifenden zu nennen. Ein Object hat auch
er: es iſt der Zwang des verſtändigen Zuſammenhangs, gegen welchen
die Subjectivität ſich als die freie Negativität aufwirft, ſich ſelbſt als
Beweis geltend macht, daß die Dinge flüſſig ſind, daß „in allen Räumen
Eines, in allen Wellenſchäumen Eines, in allen Träumen Eines iſt“.
Allerdings aber fordert das Geſetz des Schönen ein beſtimmt Begrenztes
und Bleiben bei demſelben: darum erſcheint dieſer freie Witz leer.
[427]
§. 195.
Diejenige Form des Witzes, welche dieſe Freiheit in reinem Spiele wirk-
lich geltend macht, kann freier oder ſchweifender Witz genannt werden; die
Leerheit derſelben nöthigt aber den Witz, beſtimmteren Gehalt zu ſuchen, und,
obwohl er durch die Fremdartigkeit der herbeigeholten zweiten Vorſtellung den
unmittelbar vorliegenden Gegenſtand im weiteren Sinne immer verläßt, ſo wendet
er doch ſein Spiel ſo, daß er ihn mit ſeiner Spitze trifft, alſo ein Subject um
einer Häßlichkeit willen dem Lachen preisgibt. Dadurch entzieht er ſich dem
Vorwurfe eines bodenloſen Spieles, aber nur um in den andern der Stoffartig-
keit zu fallen, denn das Spiel ſelbſt wird jetzt bloſes Mittel, Inhalt und
Form fallen ſo beſtimmt auseinander, daß derſelbe Witz je nach dem Zuſammen-
hang, in den er zu ſtehen kommt, ein freier oder ein treffender ſeyn kann.
Der treffende Witz iſt als der ethiſch gehaltvollere vorzuziehen; doch auch dieſer
Werth erleidet die Beſchränkung, daß das getroffene Subject, weil das Ver-
fahren nicht in ſein Bewußtſeyn eingeht, nicht oder nur zufällig mit dem be-
lachenden in Ein befreites Selbſtbewußtſeyn aufgeht, und er verſchwindet ganz,
um vielmehr einem ethiſchen Vorwurfe zu weichen, wenn, was ganz nahe liegt,
das Subject mit boshafter Abſicht getroffen wird.
Das Epigramm von Liskow, die Ochſen Börnes: dies ſind Witze,
die bei ihrem Gegenſtande bleiben und ihn mit ſcharfer Spitze treffen.
Man kann, wie dies Wort ſchon oben gebraucht iſt, dieſen Witz den
ſatyriſchen nennen und das gemeine Urtheil der Gebildeten zieht ihn un-
bedingt vor. Allein auf ſtreng äſthetiſchem Boden iſt nicht zu überſehen,
daß hier zwiſchen dem ſogenannten Gehalte, d. h. eben dem Treffen
und dem Mittel gar kein organiſches Verhältniß iſt. Das Bild des
Begießens, die eigentlichen Ochſen gehören in Wahrheit eigentlich nicht
her; es wird dadurch über H. Sievers und über die Feinde des fort-
ſchreitenden Geiſtes nichts Neues geſagt und man könnte beide ebenſogut
mit einem andern Bilde, im ſtrengſten Sinne aber nur durch einfache
Aufdeckung ihres verfinſterten Bewußtſeyn wahrhaft treffen. So äußerlich
iſt beides verbunden, daß derſelbe Witz nach Umſtänden ein freier oder
treffender ſeyn kann; z. B. der angeführte Krähwinkler Witz wäre ſaty-
riſch, wenn der Schulmeiſter etwa ein Trinker wäre, der gern im Wirths-
hauſe ſäße und ſich gelegentlich ſchon damit ausgeredet hätte, daß das
Klavierſpiel ſeiner Tochter ihn ſo ſehr aufrege, daß er ein anderes Lokal,
[428] eine Stärkung ſuchen müſſe. Daher — wegen dieſes unorganiſchen
Verhältniſſes zwiſchen Stoff und Form — iſt der treffende Witz ſtoff-
artig. Warum er den weiteren Mangel hat, in den Getroffenen nicht
einzugehen, iſt ſchon im vorh. §. nachgewieſen. Ebendaher liegt es im
Witze ſelbſt, daß er gern boshaft iſt, und hiemit gerathen wir ganz
aus der Aeſthetik heraus in ethiſche Verhältniſſe. So etwas Schwebendes
iſt der Witz: er iſt entweder äſthetiſch, aber ſchweifend ohne Boden,
oder er hat Boden und geht dann auf der Linie hin, wo das Aeſthetiſche
den ſtoffartigen Verhältniſſen und ethiſchen Fragen weicht. Dies iſt ſo-
gleich im folg. §. ausdrücklich aufzufaſſen.
§. 196.
Der Witz ſchwankt alſo zwiſchen zwei Mängeln, deren einer leicht ein doppel-
ter wird: er iſt entweder äſthetiſch ohne ethiſchen Gehalt oder ethiſch ohne äſt-
hetiſche Einheit der Form und des Gehalts oder dazu noch ethiſch verwerflich.
Dieſer Mangel wirkt in ihm als Nothwendigkeit, ſolche Formen zu ſuchen,
worin er ſich in ein begrenztes Object eingehend hineinarbeitet und ſo der
wahren äſthetiſchen Einheit der Idee und des Bildes näher kommt. In die-
ſer Bewegung zu höheren Stufen iſt diejenige Gattung als die niedrigſte und
leerſte zu ſetzen, worin, mag der Witz nun frei ſchweifender oder treffender
ſeyn, ganz das dargeſtellte äußerliche Verhältniß zwiſchen Inhalt und Form
Statt findet. Aber dieſe erſte Gattung, welche als die abſtracte zu bezeichnen
iſt, ſteigt ſelbſt nach dem allgemeinen Geſetze des Syſtems von einer erſten,
unmittelbaren Form zu weiteren, vermittelten Formen auf.
Es kann ein Widerſpruch gegen die bisherige Weiſe der Anordnung
ſcheinen, daß die Eintheilung des Witzes mit der abſtracten Gattung
beginnt; allein dies bringt die Stellung des Witzes in der Eintheilung
des Komiſchen mit ſich. Dieſe ſelbſt ſteigt vom unmittelbar Concreten
durch das Abſtracte zum erfüllten Concreten auf. Verglichen mit jenem
iſt das Abſtracte der Durchgang zum Höheren; verglichen mit dieſem iſt
das Abſtracte das Aermere und leidet ebenſo, wiewohl aus anderem
Grunde und auf andere Weiſe, an undurchdrungener Einfachheit, wie
das erſte, Unmittelbare, ſinnlich Erfüllte, aber geiſtig Ungebrochene.
Uebrigens verwechsle man den abſtracten Witz nicht mit dem freien oder
ſchweifenden. Die Unterſcheidung zwiſchen dieſem und dem treffenden be-
[429] gründet nicht die Eintheilung der Arten des Witzes; vielmehr jede Art
kann treffen oder nicht. Die abſtracte Gattung hat aber ſelbſt zunächſt
wieder eine ſinnlich unmittelbare Form, die ſogleich auftreten wird.
α.
Der abſtracte Witz.
Der abſtracte Witz ergreift zuerſt das Nächſte, was ſich ihm in dem1
Gebiete ſeines Ausdrucksmittels, der Sprache, darbietet, die ſinnliche Ver-
wandtſchaft des Wortklangs für das Ohr, um durch ſie das Schlaglicht einer
Einheit entlegener Vorſtellungen hervorzubringen. Dieſe Form, der Klang-
Witz oder das akuſtiſche Wortſpiel, ſteht durch ihre ſinnliche Unmittel-
barkeit der Poſſe am nächſten, iſt naiv und volksthümlich wie ſie, und wie
der Witz durch dieſelbe in die Poſſe zurückgreift, ſo erhebt ſich dieſe, welche
überhaupt auf der Grundlage ihrer eigenen Form auch die höheren aufnimmt,
vorzüglich in dieſe Art des Witzes. Aus dieſer Form erhebt ſich aber der2
Witz in ſein reines Reflexions-Gebiet, indem er ſich nicht mehr an die bloſe
Aehnlichkeit des Klangs, ſondern an die Vieldeutigkeit der Wörter hält, wo-
durch ſich das Sinn-Wortſpiel erzeugt. Auch dieſes ſteht mit der Poſſe
noch in näherem Zuſammenhang.
1. Beide Arten des Wortſpiels ſind nicht zu verwechſeln. Die erſte
benützt blos den Klang, wie der Berliner-Witz über die Aufführung der
Antigone: Antik? o nee! Reiche Ausbeute bei Ariſtophanes, Fiſchart,
Abraham a. S. Clara, Shakespeare, J. Paul. Der letztere nennt
dieſe Art (doch ohne ſie von der zweiten gehörig zu unterſcheiden) Sprach-
oder Kling-Witz, auch akuſtiſchen Witz und ſehr geiſtreich den älteren
Bruder des Reims oder deſſen Auftact (a. a. O. §. 52), in den er
ja auch bei Abraham und Fiſchart ſo häufig übergeht. Unrichtig aber
iſt es, wenn J. Paul Luſt bezeugt, wirkliche Verwandtſchaft des Sinns
bei verwandtem Klang durch Hindeutung auf die Urbildungen der Sprache
geltend zu machen. Da fiele gerade der Widerſinn weg. Wenn Abraham
z. B. vermuthet, der verlorene Sohn werde wohl ein Irländer geweſen
ſeyn, und ihn mit der Donau vergleicht, die nach langen Reiſen in die
[430] Sau fließe, ſo wäre der Spaß gerade verloren, wenn man irgend
denken könnte, die Wurzel Ire ſey mit Irren und Sawe mit Sau ver-
wandt. Daher iſt vielmehr der zweite Grund, den J. Paul für den
Reiz des Wortſpiels angibt, der wahre: es ſey das Erſtaunen über den
Zufall, der durch die Welt ziehe, ſpielend mit Klängen und Welttheilen,
und der dritte: es ſey das Gefallen an der Geiſtesfreiheit, welche im
Stande iſt, den Blick von der Sache zu wenden gegen das Zeichen hin.
Es braucht keine Nachweiſung, wie dieſe Form ſinnlich unmittelbar, daher
naiv, volksthümlich und im Burlesken, das die höheren Formen in ſich
aufnimmt, ſo gut es auf ſeinem Boden kann, vorzüglich beliebt iſt.
2. Das Sinn-Wortſpiel dagegen hält ſich an die Bedeutung und
iſt daher ungleich reflectirter, denn es unterſcheidet z. B. eine ſinnliche
und eine unſinnliche Bedeutung deſſelben Worts, wie Bardolf, wenn er
auf Falſtaffs reumüthiges Geſtändniß, er lebe außer allen Schranken,
antwortet: ei, ihr ſeid ſo fett, daß ihr wohl außer allen Schranken
ſeyn müßt, allen erdenklichen Schranken, oder wie Falſtaff, da ihm Heinrich
und Poins ſein Pferd geſtohlen, ausruft: wenn ein Spaß ſo weit geht
und zwar obendrein zu Fuße, das haſſe ich in den Tod. Beide Arten
des Wortſpiels, das akuſtiſche und das Sinn-Wortſpiel, wechſeln ſich
ab in folgender Stelle: Falſtaff: meine ehrlichen Jungen, ich will euch
ſagen, was mir vorſchwebt. Piſtol: ein Wanſt von hundert Pfund.
F.: keine Wortſpiele, Piſtol! Allerdings hat mein Wanſt es weit in
der Dicke gebracht, aber es iſt hier die Rede nicht von Wänſten, ſondern
von Gewinnſten, nicht von Dicke, ſondern von Tücke. Namen werden
häufig benützt; ſie haben als bloſes Zeichen durch Gewohnheit ihre Be-
deutung verloren, der Wortwitz ſucht dieſe wieder auf; ſo ſagt Falſtaff
zu Piſtol: drücke dich aus unſerer Geſellſchaft ab, Piſtol!
Wenn man das Abſterben dieſer beiden Formen des Witzes, das
mit der modernen Bildung mehr noch als Schickſal der erſten als der
zweiten eingetreten iſt, nicht eben bedauern zu dürfen glaubt, ſo vergißt
man, daß die ſubjective Freiheit, die auch in dieſer Form ſchaltet, ihr
Weſen iſt, nicht der Werth des einzelnen Witzes. Shakespeare’s Narren
z. B. wollen durch beſtändiges Mißverſtehen, Verdrehen beſchwerlich
ſeyn, damit jeder Begegnende zu erfahren bekomme, daß er auf die
hausbackene geläufige Ordnung der Begriffe ſich nicht zu viel einbilden
dürfe, auf die Weisheit und Ernſthaftigkeit des methodiſchen Denkens
und Verfahrens. Freilich bekommt der Narr durch dieſe Abſicht ſchon
etwas Univerſelles und wird eine Perſönlichkeit: dies führt zum Humor.
[431]
Uebrigens iſt in der zweiten Art des Wortſpiels vorzüglich die
Zweideutigkeit heimiſch, welche mit dem Geſchlechts-Verhältniſſe ſpielt,
oder die Zote. Die Natur des Witzes bringt es mit ſich, daß im
Abſtracten ſchwer iſt, ihre Grenze zu beſtimmen. Nicht ihre Feinheit
oder Grobheit bildet einen Unterſchied für das Urtheil, denn die Oppoſition
gegen gewaltſame Naturwidrigkeit kann im edelſten Gemüthe ſich zu einem
Zorn entzünden, der ſich in der gröbſten Hervorhebung des Naturtriebs
äußert; ſchon bei der Poſſe wurde in dieſer Hinſicht Fiſchart und Luther
angeführt. Es kommt auf die Freiheit oder Unfreiheit des Gemüths an.
Wie alle Komik von dem Gemeinen, indem ſie es aufdeckt, aber zugleich
das Licht des Geiſtes in dasſelbe fortleitet, vielmehr befreit, ſo auch die
witzige Zote von dem Drucke, welchen das Bewußtſeyn der Schwierigkeit,
die geiſtige und ſinnliche Liebe in reinen und ſchönen Einklang aufzuheben,
auf das Gemüth wälzt. Aber das Gemüth, das vielmehr von der Be-
gierde ſelbſt beherrſcht iſt, treibt dieſen Witz ſo, daß das Gewicht ganz
auf die ſinnliche Seite fällt und die häßliche Eindeutigkeit der im Ein-
zelſten des ſinnlichen Genuſſes wühlenden Phantaſie ſich zu Tage legt.
Gerade die allzu eindeutige Zweideutigkeit iſt häßlich. Doch auch dieſe
Lüſternheit, welche vorzüglich bei alten Junggeſellen zu finden iſt, muß
noch wohl von der Frivolität unterſchieden werden, welche ſich den armen
Genuß gibt, hinter den edelſten Beſtrebungen den Geſchlechtstrieb nicht
etwa als fein mitſpielendes, leicht angedeutetes, ganz untergeordnetes
Nebenmotiv, ſondern als einziges Motiv anzudeuten: dies iſt im Grunde
nicht komiſch, aber Witz kann es, bei der zweifelhaften Natur dieſer
ganzen Form der Komik, immer noch ſeyn.
Indem nun aber die Bedeutung das Weſentliche geworden iſt, ſo läßt1
der Witz auch den letzten ſinnlichen Zuſammenhang, der ſich aus der Sprache
als ein Unmittelbares aufdringt, fallen und verbreitet ſich als Spiel der reinen
Reflexion über das ganze Reich der zum Gedanken erhobenen Dinge mit der
unendlichen Möglichkeit ihrer Verhältniſſe, wie ſie ſich ihren folgerechten Aus-
druck in den Geſetzen des Sprachbaus gibt, hebt dieſe Geſetze, indem er ein
widerſprechendes Glied in den Zuſammenhang wirft, auf und behauptet ſie zu-
gleich dennoch fort. Ebenſo behandelt er das Zahlenverhältniß. Da nun in
dieſer Sphäre das letzte ſinnliche Band, bei welchem die bloſe Vorſtellung ver-2
weilen und ſich mit dem ſchweifenden Spiele des freien Witzes (§. 194. 195)
[432] begnügen könnte, in dem Grade verſchwindet, in welchem der Gedanken-Aus-
druck nicht ein ſinnlich Einzelnes zum Gegenſtande hat, ſondern etwas Allge-
meines ausſpricht, ſo wird von dieſer Gattung des Witzes mit Beſtimmtheit eine
treffende Spitze (§. 195) verlangt.
1. Das Reich iſt unendlich; nur wenige Beiſpiele. Declination:
Begriff des Genitivs: statua statuae. Genus: Spiele mit: der Menſch
und das Menſch. Bindewort: und — Schillers Witz von den Minne-
ſängern, hier ſey ewig nur der Frühling, der kommt, der Winter, der
geht, und die lange Weile, die bleibt. Subject und Prädikat: Lichten-
bergs zweiſchläfriger Kirchſtuhl. Theil mit ſeinem ſprachlichen Ausdruck:
zu den redenden Künſten gehört die ſchweigende. Thätigkeitswort: Witz
der Mad. Düdeffant von dem Maſchinen-Meiſter Vaucanſon: ich wette,
er hat ſich ſelbſt gemacht. Zweck mit ſeinem Ausdruck in der Conjunction:
er macht ſich einen Denkzettel, um es zu vergeſſen. Negative Steigerung
in Siebenkäs, der verſichert, ein Buch nicht recenſiren, geſchweige denn
leſen zu können u. ſ. w. u. ſ. w. Auch Zahlen-Verhältniſſe: zum Kriege
gehört erſtens Geld, zweitens Geld, drittens Geld; Wirthsrechnung:
dreimal vier iſt zwanzig u. ſ. w. u. ſ. w.
2. Bei dem Wortwitze kann man ſich, wenn er auch keine treffende
Spitze hat, noch immer des reinen Spiels erfreuen, weil Sinnliches, ein
Anklang, ein inneres Hören darin iſt; man ſtellt ſich vor, wie dem
Wunderlichen, der das erfunden, wohl das verwandte Wort im Ohre
geſummt haben mag. Im reinen Reflexions-Witz geht Abſichtsloſigkeit
noch am leichteſten, wenn ein ſinnliches Dieſes bezeichnet wird, wie das
obige Meſſer aus Lichtenbergs Auction: man verſucht, ſich das Meſſer,
das ſich unter dem Vorſtellen vielmehr aufhebt, doch vorzuſtellen und
dies ergötzt. Iſt aber der Satz allgemein, ſo muß er einen Sinn
haben, der den Gegenſtand ſtrafend faßt, ſonſt entſteht kindiſche Plattheit,
reiner Unſinn.
β.
Der bildliche Witz.
Hiedurch iſt aber der Witz von der Bodenloſigkeit des freien Spiels in
die andere Einſeitigkeit der Anwendung ſeines Spiels als unſelbſtändigen Mittels
[433] für einen ſtoffartigen Zweck gerathen. Er muß daher eine Form bilden, welche
zwar treffenden Gehalt hat, aber als Mittel für dieſen eine Kraft in Bewe-
gung ſetzt, wodurch in erhöhter Weiſe die freie ſinnliche Fülle des objectiv
Komiſchen wieder eintritt. Er bringt, um den Widerſpruch in ſeinem Gegen-
ſtande aufzudecken, aus entlegener Sphäre eine zur Vorſtellung umgeſetzte ſinnliche
Anſchauung herbei, welche, indem ſie durch Zweckwidrigkeit überraſcht, zugleich
einen ſchlagenden Vergleichungspunkt darbietet. Dies iſt der bildliche oder
vergleichende Witz. Die ungetheilte Einheit der Poſſe iſt hiedurch aller-
dings nicht wieder gewonnen, denn das herbeigeholte Sinnliche dient doch nur
als unſelbſtändiges Mittel für die treffende Spitze.
Das witzige Bild unterſcheidet ſich durchaus von der ernſten Ver-
gleichung. Wenn dieſe ein Bild für ein Geiſtiges aus der Natur nimmt,
ſo muß ſie dieſe ſelbſt als beſeeltes Weſen darſtellen; ob ſie auch Geiſtiges
als Bild für Natur-Erſcheinungen benützen dürfe, iſt eine ſchwierige
Frage, von der hier nur ſo viel zu ſagen iſt, daß wenn es geſchieht,
eigentlich das Verhältniß des Bildes ſich unter der Hand umdreht und,
was zur Vergleichung dienen ſollte, den Werth des Subjects erhält, dem
die Vergleichung dient. Das Bild des Witzes nun muß dagegen aus ſo
tiefer Sphäre gegriffen ſeyn, daß alle Mittelglieder, wodurch auch in
die Natur das Licht des Geiſtes ſich fortſetzt, wegfallen und ſo das
Natürliche als ganz gemein erſcheint, wie wenn in den Wolken des
Ariſtophanes das Gewitter (das dem Griechen eine höchſte, göttliche
Erhabenheit war) ausführlich verglichen wird mit den Entwicklungen
eines Losbruchs in der menſchlichen Verdauungswerkſtätte: bis dahin
hatte der Grieche nie das Göttliche verfolgt. Der Witz allerdings kann
jedenfalls auch umgekehrt vergleichen durch Vergeiſtigung des Körper-
lichen; allein hier tritt dann unfehlbar jene Umdrehung ein. Beſeele ich
z. B. ein Glied, wie Falſtaff Bardolfs Naſe, ſo wird dieſe ſo ſelbſtändig,
als wäre ſie der geiſtige Mittelpunkt der Perſönlichkeit; allein eben-
dadurch iſt die Naſe in Wahrheit um ſo niedriger geſetzt, indem zum
Bewußtſeyn kommt, daß ſie im Ganzen der perſönlichen Erſcheinung
eine Rolle ſpielt, die ihr nicht gebührt. Auch die unorganiſche und nur
vegetabiliſch organiſche Natur kann der Witz beſeelen; hier tritt ein,
was §. 157. 158, Anm. geſagt iſt. Allein wenn ich z. B. von Fels und
Baum ſage, ſie ſchneiden Geſichter und dergl., ſo wird gelacht, weil
man fühlt, wie tief jene Naturdinge unter der geiſtigen Bildung des
menſchlichen Angeſichts ſtehen und man dennoch dieſe darin erblicken ſoll.
Viſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 28
[434]Eigentlich findet hier nichts Anderes Statt, als was in §. 155 von
allem Komiſchen geſetzt wurde: es kann auch vom Kleinen beginnen und
dieſes zum ſcheinbar Erhabenen ſteigern; aber der Rückblick dreht dies um:
ein Erhabenes ſollte werden, aber es ſprang ein Kleines heraus. Der zweite
Unterſchied zwiſchen dem komiſchen und dem ernſten Bilde iſt die Zweck-
widrigkeit des erſteren, welche aus dem tiefen Rückgriffe, den es thut,
von ſelber folgt. Dieſen Punkt hat J. Paul (a. a. O. §. 49—51)
ganz vergeſſen. Man muß das Gefühl haben: wie kann Einem nur ſo
etwas ganz verwünſcht Fremdes einfallen! aber in demſelben Momente
muß mitten unter lauter weit abweichenden Eigenſchaften im Bilde der
Blitz des Vergleichungspunktes hervorſpringen. So der bekannte Volkswitz
über einen Verdrießlichen: er macht ein Geſicht wie ein Hausknecht, der
zehn Jahre kein Trinkgeld bekommen hat. Das Volk tritt hier, wie
wieder die vollere Sinnlichkeit in das Komiſche eintritt, mit dem vollſten
Berufe hervor. Das Seyn und Zuhauſeſeyn in den Dingen, das
Schauen und Kennen des ſinnlich Einzelnen wird wieder nöthig wie in
der Poſſe. Aber der Unterſchied von dieſer bleibt; der Witz iſt geiſti-
ger, weil er das Doppelte, den Bruch und die ſcharfe Spitze der
Bedeutung hat, aber äſthetiſch ſchwächer, weil das äſthetiſche Mittel,
wiewohl jetzt ein volles Sinnliches und nicht mehr blos in dem ahnenden
Ergreifen beſtehend wie in §. 193, der Bedeutung unſelbſtändig dient.
Dies unſelbſtändige Sinnliche kann ſich jedoch erweitern zu der Vorſtellung
eines erfüllten Ganzen, das auch auſſer dieſer Verbindung komiſch wäre, und
die innere Anſchauung kann ſich am Bilde weiden ganz abgeſehen von ſeiner
Anwendung. Dieſem Verweilen gibt der Witz ſelbſt Vorſchub, indem er das
Bild weiter ausmalt, als jene es fordern würde, und ſo wird das Treffen des
Gegenſtandes wieder erläßlich. Zu weit aber darf der Witz ſein Bild nicht
ausdehnen, ohne doch daran zu erinnern, daß es den Zweck des Treffens hatte
und ihn nun entweder verliert oder nur gewaltſam feſthält, wo dann im letzteren
Falle das Bild ſelbſt auch als ſolches eine Störung des Zuſammenhangs durch
unvermerkte Vertauſchung mit einem andern erleidet. Dadurch entſteht eigentlich
eine Reihe verſchiedener Bilder und es kommt der Hauptmangel des Witzes zu
Tage, daß er nämlich nur punktuell iſt. So ſucht er nun überhaupt die man-
gelnde Qualität, das äußerliche Verhältniß zwiſchen Form und Inhalt, durch
die Quantität wechſelnder Bilderwitze zu erſetzen.
[435]
Das Bild kann eine ganze Erzählung werden, die auch für ſich
komiſch wäre, indem ſie alle Bedingungen, die zu einer komiſchen Er-
zählung gehören, enthält, wie z. B. Folgendes. Es beutete Jemand
den Tod einer theuren Verwandten zu mehreren Schriften aus. Einer,
der um ſein Urtheil darüber befragt wurde, erzählte ſtatt aller Antwort:
ein Fiſcher vermißte viele Tage ſein Weib, endlich fand man ihren
Leichnam im Waſſer voll von Krebſen, die ſich in ihrem Fleiſche gütlich
thaten. Dieſe wurden verkauft und warfen ein Hübſches ab; der Fiſcher
beſchloß nun, ſeine Frau noch einmal in’s Waſſer zu werfen, und ſo
noch mehrmals. Wird auf dieſe Weiſe das Bild umſtändlich ausgeführt,
ſo wird es ſelbſtändig und man kann von der Pointe abſehen. Allein
nicht alle Bilder ſind ſo glücklich, einen ſchon vorher fertigen komiſchen
Vorgang herbeizubringen; vielmehr es wird irgend ein einzelnes Sinn-
liches aufgegriffen, Zug um Zug an ihm aufgeſucht und ſo Zug um Zug
mit dem Gegenſtande verglichen. Allein unter der Hand fühlt man die
Beſchwerlichkeit, verläßt das erſte Bild und ſchiebt wechſelnd andere Bilder
ein. Leſſing liebt dieſe Art, welche J. Paul unpaſſend Allegorie nennt
und richtiger als Witzkette bezeichnet hätte, denn die Allegorie iſt nicht
komiſch. An einem ausgeſponnenen Bilde, das freilich eben gerade für den
Zuſammenhang des Komiſchen von J. Paul nicht glücklich gewählt iſt,
weist er Leſſing nach, wie er es unvermerkt immer mit andern vertauſcht
a. a. O. §. 51). Allein nicht das Vertauſchen iſt ein wirklicher Fehler;
dies iſt dem bildlichen Witze völlig erlaubt, ſondern daß Witz nur Witz iſt.
Als ſolcher will er von der Kraft der breiteren Sinnlichkeit Gebrauch
machen, allein wenn er nicht das Glück hat, ein ganzes fertiges Komiſche
vorzufinden, das dieſe Breite hat, ſo ſieht man gerade dem Ausſpinnen
vielmehr die Abſichtlichkeit doppelt an und daher wird im Umwenden das
Bild mit immer andern vertauſcht. Hier kommt die Punktualität, die
allem Witz eigen iſt, zum Vorſchein; ſie iſt noch weiter hervorzuheben,
wenn unten die Mängel des Witzes werden zuſammengefaßt werden. Es
iſt alſo, wenn man den Witz als ſolchen und ſeine Bedingungen im Auge
hat, gleichgültig, ob gerade das zuerſt gewählte Bild ausgeſponnen
werde; es fällt doch auseinander und der Witz mag ohne die Bemühung
um einen ſolchen Zuſammenhang ſeine Bilder häufen. Sprudeln müſſen
ſie gerade deswegen, weil jedes einzelne äußerlich und unorganiſch neben
ſeinen Gegenſtand fällt: dieſer qualitative Mangel treibt zur quantitativen
Häufung, und ſo ſprudelt beſonders Shakespeare. Welcher Ueberfluß
wird nur über Falſtaffs Bauch und Bardolfs Naſe ausgegoſſen!
28*
[436]
γ.
Der in ſeinen Gegenſtand eingehende Witz oder die Ironie.
Soll die Aeußerlichkeit des Witzes, wie ſie in der Trennung des an-
ſchauenden Subjects von dem angeſchauten ihren Grund hat und in dem Aus-
einanderfallen von Gehalt und Form zu Tage kommt, verſchwinden, ſo iſt das
anſchauende Subject genöthigt, in das angeſchaute wirklich einzugehen und das
Fortſchweifen nach einer entlegenen zweiten Vorſtellung, das aus dem Fürſich-
bleiben ſeiner reflectirenden Stellung floß, aufzugeben. Es läßt ſich mit dieſem
ein, knüpft an die Möglichkeit der Beſinnung an, die in ihm als verirrtem
Subjecte ſchlummert, legt ihm ſeine eigene wirkliche Beſinnung in demſelben
Punkte, worin es irrt, alſo mit Verzichten auf die weit hergeholte zweite Vor-
ſtellung unter, ſtellt es dar, als wäre es ſelbſt beſonnen, und ſtatt es zu tadeln,
lobt es daſſelbe zum Scheine, aber nicht zu auffallend, ſondern fein und mit anſich-
haltender Mäßigung. So entſteht eine anſteigende Linie, welche ſich immer
mehr dem Punkte nähert, wo plötzlich der Widerſpruch zwiſchen der Häßlichkeit
des Dargeſtellten, in welcher die Beſinnung nur als mögliche ſchlummert, und
der untergelegten wirklichen Beſinnung in der Darſtellung hervorſpringt: dies iſt
die Ironie.
Die Darſtellung der Ironie gehört zu dem Beſten in J. Pauls Vor-
ſchule der Aeſthetik. Zunächſt zwar beſtimmt er ſie als den epiſchen Humor,
und nicht nur dieſe Ueberweiſung an eine beſtimmte Kunſtgattung müſſen wir
für eine falſche Einſchränkung erklären, ſondern überhaupt daran erinnern,
daß dieſe Form wie alle andern auch außer und vor aller Kunſt vorkommt.
Statt epiſch ſagen wir objectiv und nehmen daher für unſern Zweck
J. Pauls weitere Beſtimmung auf, es ſey die Form des Komiſchen,
worin blos der objective Contraſt oder die objective Maxime hervorgehoben
und der ſubjective Contraſt verborgen wird. Daß aber die Ironie noch
nicht Humor, ſondern nur der Uebergang zu dieſem iſt, dies wird ſich aus
ihrer Darſtellung ergeben. — Unſere Unterſuchung nun kommt von
dem bildlichen Witze her, hat die Mängel aufgedeckt, an denen auch er
leidet, und ſie darin gefunden, daß noch das lachende außerhalb und
über dem verlachten Subjecte ſtehen bleibt und ebenſo die zweite Vorſtellung,
[437] welche kein Leihen ſeyn kann, daher nur als äußerliches Mittel der treffen-
den Spitze dient. Die Ironie nun, zu welcher als höherer Form durch
dieſen Mangel der Witz fortgetrieben wird, iſt, um es empiriſch ſogleich
zu ſagen, eine ſcheinbar lobende, in Wahrheit tadelnde Darſtellung eines
in Häßlichkeit verſtrickten, verirrten Subjects. Es wird nicht etwas
Anderes an dieſem, ſondern gerade das Häßliche gelobt. Das thätige
Subject, das dies Verfahren vornimmt, hat demnach die Stellung, die es
bisher im Witze einnahm, geändert. Es läßt ſich ein, es geht ein auf das
verirrte Subject (vergl. Ruge a. a. O. S. 163. 164) und ebendaher
ſchweift es nicht hinweg und hinaus nach einer entlegenen zweiten Vor-
ſtellung, die ſich nicht unterſchieben läßt, ſondern es bleibt bei der Stange
und ſchiebt dem Verirrten, in welchem das Bewußtſeyn der Verirrung
als ein nur mögliches verborgen liegt, ſein eigenes wirkliches eben in dem
Punkte, wo die Verirrung liegt, unter. Wir fanden dies Leihen überhaupt
im Komiſchen, die Ironie aber vollzieht es ausgeſprochener Maßen, hierin
hat Weiße Recht (Aeſth. Th. 1, S. 246) und es wird dies noch als
ausdrückliche Beſtimmung aufgenommen werden. Hier tritt der Begriff
der Folie in ſeine volle Bedeutung: das ſchon fertige Bewußtſeyn des
anſchauenden Subjects ſchimmert in der ironiſchen Darſtellung durch das
trübe des verirrten, als wäre es das eigene des letzteren und man ſieht
doch, es iſt nur untergelegt; man iſt getäuſcht und nicht getäuſcht. Die
Täuſchung wächst an, mit ihr die Enttäuſchung, bis jene reißt und dieſe
hervorſpringt, aber der Rückblick erneuert die Bewegung. Soll nun die
Täuſchung ſteigen, ſo iſt Geduld und Mäßigung, volles Beſcheiden, die
wahre Meinung heraus zu ſagen, durchaus nothwendig; das witzige
Subject muß ganz hinter der Couliſſe ſtehen. Nichts iſt ſchlimmer, als
Herausplatzen mit directem Tadel (wie dies im Aufang des Don Quixote
einmal vorkommt) und allzu lebhaftes Lob. J. Paul (a. a. O. §. 37)
fordert daher den Schein des Ernſtes, um den Ernſt des Scheines zu
treffen. Unter dem Ernſte des Scheines verſteht er eben das Anſichhalten
des Ironikers, der ſein Lachen völlig verbergen muß, und ſagt ſehr wahr,
daß die Ironie deſto ſchwieriger werde, je komiſcher der Gegenſtand ſey.
Er gibt treffliche Beiſpiele der plumpen und der feinen, d. h. wahren
Ironie.
Die Ironie lobt entweder eben die Eigenſchaften des Subjects, die ſie
tadeln will, indem ſie ihnen Gründe vorſtreckt, deren Unhaltbarkeit gerade in
[438] der Anpreiſung zu Tage kommt, oder ſie ſagt die entgegengeſetzten ſchönen
Eigenſchaften von ihm aus. Jene Form iſt reiner als dieſe, denn ſie erzeugt
ſicherer den geforderten Schein und zugleich geht ſie inniger in das verlachte
Subject ein, entbindet in ihm die Beſinnung und zieht es zu ſich heran; dieſe
dagegen iſt ihrem eigenen Schein im Wege, ſtößt das verlachte Subject ab und
kann ihre Bitterkeit bis zu dem vernichtenden Hohne des Sarkaſmus ſteigern.
Aber auch jene reinere, anknüpfende Form iſt in ihrer Milde ſtrafend, indem
das verlachte Subject nur um den Preis herber Selbſterkenntniß in das leihende
freiere Bewußtſeyn aufgenommen wird.
Wenn die Schildbürger das Licht in Säcke packen und die Stämme,
die ſie einen jähen Berg herabtragen, nachdem ſie entdeckt, daß man ſie
herabrutſchen kann, wieder hinaufſchleppen, um dieſe zweckmäßigere
Manier mit ihnen vorzunehmen, ſo iſt dies ſchwer ironiſch zu behandeln,
weil es allzu komiſch iſt. Dennoch hat das Volksbuch den ironiſchen
Standpunkt gewonnen, indem es ihnen für alle Thorheiten den Grund
vorſtreckt: ſie mußten ihre Weisheit verbergen, um nicht immer in alle
Welt als Räthe fortgerufen zu werden, und geriethen darüber allmählich
in die Rolle der Narrheit ſo hinein, daß ſie ihnen eine Naturnothwen-
digkeit wurde. Bei weniger plumpen Thorheiten iſt dieſes Vorſtrecken von
Gründen viel leichter und hat dann freilich auch den Vortheil, ſpezieller
ſeyn zu können. Wird aber geradezu von einer Thorheit ausgeſagt, ſie
ſey höchſt weiſe, ſo fehlt der Schein des Ernſtes. Auch dies hat J. Paul
ausgeſprochen: „der Ironiker kann ſeinem Objecte kaum Gründe und Schein
genug verleihen.“ Für das getroffene Subject iſt dieſes Gründe leihende Ver-
fahren eigentlich das ſchmerzlichere, aber eben weil es in’s Innere geht, ſo
erleichtert es demſelben das Inſichgehen und ebendaher das Zuſammengehen
mit dem Ironiker, wogegen das poſitive unmotivirte Lob kränkender Hohn ohne
Verſöhnung iſt. Dieſes nämlich hält dem Verirrten unerbittlich vor, was
er nicht hat, indem man ſpricht, als hätte er es; dagegen das erſtere
wühlt dem Getroffenen zwar im Innern um, indem es ſeine Verirrung
aus ihrer eigenen Dialektik heraus als ſolche aufweist, läßt aber auch
ebendarum aus der Verirrung ſelbſt heraus das wahre Bewußtſeyn
entſtehen, weist die Möglichkeit der Rückkehr zur Beſinnung, zwar negativ,
in ihr ſelbſt auf. Zum Sarkasmus wird jener Hohn, wenn die Größe
der Häßlichkeit dem Ironiker jeden Gedanken einer Zurechtlegung, eines
wohlmeinend eingehenden Leihens abſchneidet, mag dies an ſich oder nur
für ſein Bewußtſeyn ſich ſo verhalten; der Gegenſtand kann nicht biegen,
[439] ſondern nur brechen, er ſoll vernichtet werden. So Hamlet, wenn er
von der ſchnellen zweiten Heirath ſeiner Mutter ſagt: „Pah! Oekonomie!
Oekonomie! das Gebackene zum Leichenſchmaus gab kalte Hochzeitſchüſſeln.“
Dieſes Witzwort der Entrüſtung ſcheint zwar derjenigen Art anzugehören,
welche als die ſchonendere bezeichnet iſt, denn es leiht ein Motiv; allein
es leiht ein ſo unmögliches, aller Anknüpfung entbehrendes, daß es ganz
ebenſo wirkt, wie wenn es ohne alle auch nur ſcheinbare Anknüpfung die
entgegengeſetzte Tugend von der verhöhnten Schlechtigkeit ausgeſagt hätte.
Ruge (a. a. O. S. 164 ff.) unterſcheidet eine milde Ironie, die
das getroffene Subject nicht von ſich ausſchließt, ſondern es an der
Möglichkeit der Beſinnung ſchonend ergreift und zu ſich herübernimmt,
und eine ſcharfe, unerbittliche, kalte: dieſe, erwartet man, werde als
ſolche gefaßt, welche jenes Zuſammengehen abſchneidet, den Gegner ſtehen
läßt; allein ſtatt deſſen hebt er hier nur dieſelbe Schärfe hervor, welche
auch der milden Ironie deßwegen inwohnt, weil wirklich die Verirrung
in dem beſinnungsfähigen Subjecte nicht geſchont werden kann. Er gewinnt
zwar dadurch einen Gattungs-Unterſchied, daß die milde Seite gegen den
biegſamen, die ſcharfe gegen den ſpröden und unverbeſſerlichen Gegner
hervortreten ſoll; für jene führt er den Theätet, für dieſe den Eutyphron
an. Allein das ironiſche Subject ſelbſt iſt dann doch die Einheit beider
Seiten und läßt nur nach Umſtänden die eine oder andere vorherrſchen:
ſo Sokrates. Ruge fordert dann nur von der ſcharfen Ironie, daß ſie
ſich nicht erbittere, vereinigt ſie ſo mit der milden und geht zum Humor
über. Auf dieſe Weiſe hat er aber ſchon zu viel in der Ironie: eine
ganze Perſönlichkeit, welche auch hinter der Schärfe die Geſinnung des
milden Eingehens hegt, alſo eine Continuität des höheren Bewußtſeyns.
Allein wir ſind noch im Witze, der ſeinem Weſen nach vereinzelt und
in welchem ungewiß iſt, ob nicht bald blos die ſcharfe, bald die milde
Ironie, welche freilich die Schärfe auch in ſich hat, hervortrete, wir
haben noch keinen Sokrates. Daher unterſcheiden wir zunächſt nur
zwei Verfahrungsweiſen, deren eine in der Schärfe ſchonend, die andere
ſchonungslos wirkt, und decken dann den Mangel aller Ironie auf, um
erſt zum Humor zu gelangen.
Die Ironie iſt in §. 166 als ein Moment in der Bewegung des
Komiſchen, das ebendadurch auf das Tragiſche zurückweist, ausgeſprochen worden,
[440] nunmehr aber als der ausdrückliche beſondere Act, woher jenes Moment den
Namen entlehnt, an ihrer eigentlichen Stelle aufgetreten. Als ſolcher nun iſt
ſie nur ein einzelner und leidet trotz der nothwendigen Ausführlichkeit an der
Punktualität des Witzes überhaupt. Ferner bleibt ſowohl dies zufällig, ob auch
bei der reineren Form derſelben das geſtrafte Subject in das befreiende Be-
wußtſeyn eingeht oder nicht, als auch, ob jene überhaupt eintrete oder nicht,
denn die Perſönlichkeit, welche dafür bürgt, iſt noch nicht gefunden. Endlich,
wie die Ironie im ganzen Komiſchen nur ein Moment iſt, ſo bleibt ſie auch
als ausdrückliche Witzform in ihrem Schluſſe unvollſtändig, weil das unendlich
Kleine, das ſie ſtraft, nicht im Genuſſe der Berechtigung erſcheint, die ihm im
Komiſchen gebührt. Eben an dieſem Mangel leidet aber aller Witz, nur der
zweckloſe, darum aber aus anderem Grund (§. 195) mangelhafte nicht. Die
Kälte der Reflexion, welche dem Witz überhaupt inwohnt und wodurch er bei
ſeiner höheren Geiſtigkeit dennoch gegen das zutrauliche Inſtinctleben des naiv
Komiſchen im Nachtheile ſteht, hängt alſo auch der Ironie an.
Der §. faßt zuſammen, was in verſchiedenen Anmerkungen ſchon
aufgeſtellt iſt. Was den zweiten Mangel betrifft, der von der Ironie
ausgeſagt wird, ſo gibt ihn Ruge ſelbſt (a. a. O. S. 163: „die Ironie
überläßt es dieſer Endlichkeit in jedem einzelnen Falle ſelbſt, ob ſie ſich
ihres Rechtes bedienen, oder ob ſie für ſich bleiben will“) freilich nicht
ganz zu, denn es liegt in dieſen Worten nur, daß die Ironie der End-
lichkeit hiezu jedenfalls die Gelegenheit gebe; aber wir beſtreiten dieſes:
jedenfalls. Den dritten Grund aber hat er, auch hier ethiſirend, über-
ſehen. Die Ironie erſcheint bei ihm ganz wie eine Beſſerungsanſtalt.
Allein in allem Komiſchen ſoll ja die Thorheit als berechtigt erſcheinen.
Schon oben (§. 201, Anm.) haben wir daher den Rückblick auf den
ironiſchen Act als weſentlich erwähnt, welcher die Sache noch einmal
umdreht, alſo nicht auf die Herſtellung des Bewußtſeyns, ſondern eben
auf den Doppelſchimmer des Unbewußten mit dem Bewußten den Nach-
druck legt. Das Wahre iſt, daß der Ironiker ſelbſt mit ſeinem freieren
Bewußtſeyn ebenſo als Narr erſcheinen müßte, wie der Verirrte mit ſeinem
unfreien. Ebendies thut jener aber nicht; auch ſchonend ſtellt
er ſich wohlweiſe über den Getroffenen. Die Stelle Ruges
(a. a. O. S. 174) von der Nichtigkeits-Erklärung des Endlichen verläßt
ganz den komiſchen Standpunkt; der Ironiker ſollte das Endliche für
ein trotz ſeiner Verirrung Berechtigtes erklären und weil er dazu die
[441] Liebe nicht hat oder vielmehr ebenſogut nicht haben als haben kann, iſt
die Ironie noch nicht die wahre Komik. Setzen wir nun auch, wir hätten
hier ſchon einen Charakter mit der Continuität der ſchonenden Ironie,
wie Sokrates und Nathan, ſo wären doch dieſe ebendarin unvollkommene
Erſcheinungen des komiſchen Standpunkts, weil ſie doch eigentlich vom
moraliſchen Bewußtſeyn ausgehen, welches, wie weiſe es ſchonen mag,
doch weſentlich darauf geht, alle Verirrung als etwas, was nicht ſeyn
ſoll, zu bekämpfen. — Was übrigens die andern Formen des Witzes
betrifft, ſo iſt nun, was hier als dritter Mangel der Ironie hervorgehoben
wurde, leicht auf ſie anzuwenden. Der zweckloſe Witz freilich gibt der
Narrheit volles Recht, dafür hat er aber auch keinen Boden; der treffende
dagegen hält aus demſelben Grunde, warum er das getroffene Subject
außerhalb ſtehen läßt, an dem Rechte der zurechtweiſenden Weisheit und
gibt ſich nicht herunter, das der Thorheit anzuerkennen.
Der erſte Mangel iſt aber nur äußerlich bezeichnet, wenn er Punktualität1
genannt wird. Der Witz kann ſich zum continuirlichen fortbilden; wie der
bildliche, ſo aller. Allein er ſtellt dadurch ſeine Schwäche um ſo mehr an’s
Licht; denn wenn der einzelne Witz nur momentan wirkt, ſo ſtumpft der fort-
geſetzte und gehäufte ab und ermüdet, weil durch die äußere Continuität die
innere Vereinzelung jedes der aneinandergereihten Punkte nicht aufgehoben wird.
Was alſo fehlt, iſt die innere Continuität eines Totalbewußtſeyns über die all-
gemeine Brechung, welche die abſolute Idee durch ihre Selbſtaufhebung im End-
lichen ſich gibt. Der zweite Mangel der Ironie wie alles Witzes iſt das Ausein-2
anderfallen des anſchauenden und des angeſchauten Subjects, durch deren wahres
und von jener Continuität verbürgtes Zuſammengehen in Ein Subject erſt das
gemüthliche Fortfließen der naiven Komik mit den Dingen ſich in höherer
Weiſe wiederherſtellen ſoll. Ebenhiedurch muß ſich der dritte Mangel heben;3
denn wenn das anſchauende Subject ſich ganz in das angeſchaute und dieſes in
ſich verſetzt, ſo weiß es ſich ſelbſt als mit deſſen Verirrung behaftet und in der-
ſelben dennoch frei, gibt alſo der Verirrung ſelbſt das auf dem komiſchen
Standpunkt ihr zuſtehende Recht.
1. Ruge begründet den ſo eben ſchon angedeuteten Uebergang zum
Humor näher darauf, daß in der Ironie die Endlichkeit zugleich als der
bleibende und unſterbliche Gegenſatz des unendlichen Geiſtes und zugleich
[442] als nichtig geſetzt ſey: eine unſterbliche Nichtigkeit, alſo allgemeine Ideell-
ſetzung der Endlichkeit des Geiſtes (a. a. O. S. 174. 175). In der
Ironie ſelbſt konnten wir dieſe Allgemeinheit, Univerſalität noch nicht
finden; vielmehr dies fanden wir, daß ihr Mangel dieſelbe erſt zu ſuchen
fordert. Ferner iſt im vorh. §. Anm. hervorgehoben, daß dieſe Beſtimmung
des Endlichen als eines Nichtigen den komiſchen Standpunkt verläßt.
Zwar liegt ein unentwickelter Keim der Anerkennung des Endlichen darin,
daß die endliche Geſtalt des Geiſtes als unſterblich ausgeſprochen iſt;
allein in dieſer Unſterblichkeit liegt zweierlei: der ewige Geiſt gibt ſich,
um in ihr wirklich zu ſeyn, ſtets und unendlich auf’s Neue die endliche
Geſtalt, und: er gibt ſie ſich ſtets, um ſie zu negiren. Ruge nun
legt den ganzen Nachdruck auf das zweite Moment, das vielmehr dem
Erhabenen zu Grunde liegt, ſtatt auf das erſte. Im Komiſchen heißt es
ja: dieſe endliche Geſtalt taucht trotz ihrer Vernichtung ſtets auf’s Neue
auf, weil der unendliche Geiſt ſelbſt ſie nicht entbehren kann; aus der
Vernichtung ſelbſt ſieht ſie ſchon wieder heraus. Dies hat Ruge nicht
ausgeſprochen, nicht entwickelt. Richtig aber iſt, daß er zum Humor,
zur wahren und ganzen Komik die innere, geiſtig allgemeine Continuität
der Idealität des Endlichen (Idealität nämlich nach unſerer Beſtimmung,
im Sinne von: Berechtigung genommen, weil die Idee in den Wider-
ſprüchen ſelbſt ſich fortbehauptet) gegen Weiße fordert, welcher die Con-
tinuität, in der ſich das Totalbewußtſeyn des Humors ſeinen Ausdruck
geben ſoll, nur in quantitativem Sinne als einen in zuſammenhängende
Reihen oder Ketten fortgezogenen Witz verſteht. Dieſe Continuität hat
auch der Witz ſchon als bloſer Witz, er ſucht ſie ſogar, und was in
§. 200 vom bildlichen Witze geſagt wurde, gilt nun von allem. Im
Gefühle ſeiner Punktualität ſucht er durch quantitative Fülle zu erſetzen,
was ihm an Qualität fehlt. J. Paul, im Gefühle der Nothwendigkeit
der Selbſtvertheidigung, fordert, weil der einzelne Witz ſchnell verpufft
und wie die Biene mit ihrem Stich den Stachel verliert, daß der Witz
fortreize, denn jeder Reiz mache einen zweiten nöthig und ſofort, daß er
gieße, nicht tröpfle (a. a. O. §. 53). Dies iſt ſo weit wahr, als dieſe
kleine Münze, wenn Einer zeigen will, daß er reich iſt, in Menge aus-
geworfen werden muß. Allein kleine Münze bleibt kleine Münze, der
Reiche hat auch Diamanten. Den ſprudelnden Witz ſoll eine höhere
Komik ablöſen, welche da eintritt, wo er durch die Fortſetzung ſeiner
ſcharfen, aber immer vereinzelten, Reize anfängt zu ermüden und abzu-
ſtumpfen. Der Witz verbeſſert durch Anhäufung ſeinen Mangel nicht.
[443] Da J. Paul ſelbſt weit mehr als blos witzig iſt, ſo hätte er ſich die
halbwahre Vertheidigung der Verſchwendung des Witzes erſparen können;
die Verſchwendung iſt nöthig, aber ſie ſoll ſelbſt ein Ende nehmen und eine
komiſche Fülle höherer Art in die Leere, die ſie zurückläßt, treten laſſen.
Schriftſteller, die blos witzig ſind, erſcheinen ärmlich und gemein.
2. Was fehlt, iſt ein Seyn. Das komiſche Subject ſoll, was es als
komiſch weiß, ſelber ſeyn, es ſoll zu dieſer Unmittelbarkeit zurückkehren.
In der Poſſe ſtand zwar der komiſche Gegenſtand auch außer dem lachen-
den Subjecte, aber dieſes, ſinnlich wie es iſt, fühlte ſich mit ihm in
Einer Welt und trennte nicht; daher nahm es gerne die Narrenſprünge
auch auf ſich ſelbſt. Nun ſoll dies in höherem Sinne zurückkehren.
Das thätige Subject ſoll ſelbſt komiſch ſeyn, aber freilich dieſes Seyn
als einen Bruchtheil des allgemeinen Seyns wiſſen und ſo wiſſend den
belachten Thoren zugleich in ſich und überall ſehen, ſich zugleich über ihn
ſtellen und demüthig mit ihm fortleben und wo es ihn trifft, zutraulich
ihm die Hand reichen, nicht einſam bleiben, ſondern im allgemeinen
Fluße mitſchwimmen. Was dem Witze fehlt, ſpricht J. Paul in der
ſchon zu §. 94, 2 theilweiſe angeführten Stelle vollſtändiger ſo aus:
„der Witz, das Anagramm der Natur, iſt von Natur ein Geiſter- und
Götter-Läugner, er nimmt an keinem Weſen Antheil, ſondern
nur an deſſen Verhältniſſen; er achtet und verachtet nichts; Alles
iſt ihm gleich, ſobald es gleich und ähnlich wird; er will nichts als ſich
und ſpielt um das Spiel; er iſt atomiſtiſch ohne wahre Verbindung;
gleich dem Eiſe gibt er zufällig Wärme, wenn man ihn zum Brennglaſe
erhebt, und zufällig Licht oder Eisblink, wenn man ihn zur Ebene ab-
plattet, aber vor Licht und Wärme ſtellet er ſich eben ſo oft, ohne minder
zu ſchimmern. Darum wird auch die Welt täglich witziger und geſalzener,
wie das Meer ſich nach Halley jedes Jahrhundert ſtärker ſalzt.“ (Der
letztere Witz dient freilich dem Witze nicht eben zur Empfehlung, denn er
iſt matt, weil er weder trifft, noch ohne Treffen ergötzt).
3. Ein ſolches Bewußtſeyn wird gegen alles unendlich Kleine gerecht
werden. Wie es an ſich ſelbſt erfährt, daß in dieſem das Höchſte ſelbſt
ſeine Wurzeln hat, wird es die Wohlweisheit des züchtigenden Witzes
laſſen. Es wird hinter dem unendlich Großen das unendlich Kleine her-
vorlauſchen, im unendlich Kleinen aber die eigene freie Strahlenbrechung
des unendlich Großen ſehen.
[444]
c.
Das abſolut Komiſche oder der Humor.
§. 205.
Der Witz hat ſich nicht nur dem Stoffe nach über die ganze Welt des
Erhabenen verbreitet, ſondern auch, da er zu jedem Nächſten das Entlegenſte
herbeizog, die Welt der Objecte zu einem allgemeinen Ortswechſel und In-
einander durchgearbeitet. Dieſes Herbeiziehen des Entlegenen hat er als Ironie
zwar aufgegeben, aber während er durch das ironiſche Anſichhalten den erſten
Schritt that, ſich in ſein Object einzulaſſen, hat er doch zugleich das Ergebniß
jener Willkür nicht verloren, und wenn ſich nun das Subject ſowohl in anderen
Formen des Witzes, als auch in der ironiſchen, durch das dem Witz inwohnende
Bedürfniß ſtets neuer Stoffe und neuer Auflöſung derſelben über Alles und
Jedes in’s Unendliche ausbreitet, ſo muß der Punkt eintreten, wo das wiſſen-
ſchaftliche Bewußtſeyn des Mangels im Witze ſein eigenes wird: das Subject
muß ſich ſelbſt unter ſeine komiſche Thätigkeit ſubſumiren. Jetzt iſt die Ob-
ject und Subject trennende Reflexion aufgehoben; die Reflexion kommt bei dem
reflectirenden Subjecte ſelbſt an und hebt daher die erſte einſeitige Reflexion auf.
Dem Witze muß endlich einfallen, daß er ſich ſelbſt ausgelaſſen hat:
ſo und nicht anders iſt der Uebergang zum Humor zu begründen. Weiße
und Ruge, ſchon Jean Paul, gehen vom Begriffe der Univerſalität, der
allgemeinen Nichtigkeit des Endlichen aus, welche die Erſteren ſchon in
der Ironie finden; die Selbſtverlachung des Humoriſten wird dann erſt
aus dieſer Allgemeinheit abgeleitet. Allein dies iſt umzukehren; denn
daß ich mich ſelbſt unter das Komiſche ſubſumire, iſt die erſte Bedingung
univerſaler Komik. Ihr Eintritt vermittelt ſich nothwendig dadurch, daß
der Witz, da er an Allem herumkommt, auch bei dem eigenen Subjecte
ankommen muß. Seine Continuität war eine äußerliche, allein dieſe iſt
die Uebung und Bildung zur innerlichen. Sie war aber nicht nur eine
Ausdehnung über alle möglichen Stoffe, ſondern auch ein allgemeines
Durcheinanderſchütteln vermittelſt des Sprungs zur entlegenen zweiten
Vorſtellung. So wird das Subject reif zu der Subſumtion des Humors.
Der blos Witzige, der immer als Ich handelté, aber nur über ein Nicht-
Ich etwas ausſagte, muß endlich auch: Ich ſagen, d. h. er muß ſagen:
auch ich bin komiſcher Stoff. Es iſt dies Reflexion der Reflexion. Die
erſte Reflexion war ein Reflectiren des Ich über die Nicht-Ich; als Nicht-
[445] Ich nämlich wurde auch das verlachte Ich in Anderen behandelt, weil
der Witz lieblos war, und das eigene Ich ſelbſt ſtellte ſich außer den
Schuß. Jetzt biegt es ſich auf ſich zurück, reflectirt ſich auf ſich ſelbſt und
hebt dadurch die erſte Reflexion, welche ſich zwar ihres trennenden Actes,
aber des eigenen Subjectes nicht als eines miteingeſchloſſenen Stoffs
bewußt war, auf. Das eigene Subject gehört mit zum Stoffe und das
verlachte fremde Ich Anderer iſt ebendarum nicht mehr Nicht-Ich, ſondern
das eigene andere Ich des Lachenden. Es iſt dies natürlich nicht ſo vor-
zuſtellen, als ſey ein empiriſch gegebenes Subject zuerſt blos witzig und
ſchreite nachher zum Humor fort; im Begriffe aber ſetzt der Humor den
Witz voraus. Wie ſich das Nacheinander der Stufen im Begriff zu
Bildungsſtufen in der Zeit verhalte, dies zu erörtern iſt nicht hier der
Ort. Nur ſo viel iſt hier zu ſagen, daß man in’s Große gehen und
die Weltalter in’s Auge faſſen muß. In der Lehre von der Phantaſie
wird dieſer Standpunkt eintreten; der allgemeine Theil aber muß daran
halten, daß in irgend einer Form auch der Humor wie der Witz ſchon
da vorkommen muß, wo die objective Komik die der Kunſtſtufe einer Zeit
entſprechende allgemeine Grundlage bildet; dafür kann vorläufig auf
Ariſtophanes hingedeutet werden.
§. 206.
Wenn aber den Witz an ſich ſchon ſein innerer Mangel zu dieſer Um-
wendung treibt, ſo ſtellt ſich überdies der in §. 182 aufgeſtellte Begriff einer
unendlichen Reihe als weiterer Grund der Nothwendigkeit dieſes Uebergangs
ein; denn der Abſchluß dieſer unendlichen Stellung von Subject über Subject
kann, da dem Witze als ſolchem die Bedingung desſelben (§. 183) fehlt, noch
nicht unmittelbar eintreten. Wohl aber muß, wenn je über dem Witzigen noch
ein Witzigerer ſteht, der jenen zu ſeinem Objecte macht, der Witz an ſich ſelbſt
die Erfahrung machen, daß er das eigene Subject nicht von ſeiner Thätigkeit
ausnehmen durfte. Die Reibung des Witzes am Witze, zuſammenwirkend mit
dem, was ihn vermöge ſeines inneren Weſens vorwärts drängt (§. 204), wirft
ſein Bewußtſeyn nach innen und ſo geht aus der Vielheit der witzigen Subjecte
ebenſo wie in §§. 115. 116 aus der Vielheit der erhabenen eine neue Einheit
hervor, die Einheit des komiſchen Subjects und Objects, welche aber nicht wie
im Tragiſchen das einzelne Subject negirt, ſondern vermöge ſeiner Berechtigung
im Komiſchen ſich als eine einzelne ungetheilte Perſönlichkeit darſtellt, in
welcher die trennende Neflexion des Witzes erloſchen, welche das Komiſche, das
[446] ſie erzeugt, auch iſt: ein Seyn, worin die ſinnliche Wirklichkeit des objectiv
Komiſchen wieder gewonnen iſt.
Die Reibung des Witzes am Witze würde an ſich allein den Witz
noch nicht zur Selbſterkenntniß bringen, denn der Witz ſchließt ja ſeinen
Gegenſtand aus, entbindet in ihm nicht das Bewußtſeyn der Verirrung;
gegen dieſe Entbindung wird ſich der Witzige, der als ſolcher immer
ſelbſtgefällig iſt, noch mehr ſträuben, wenn er ſelbſt vom Witzigeren, als
der nicht Witzige, der von dem Witze eines Andern getroffen wird. Allein
dies Moment wirkt nun zuſammen mit der Durcharbeitung des Bewußt-
ſeyns oder der Hineinarbeitung alles Stoffs in’s Bewußtſeyn, welche nach
§. 205 den Witz reif macht zum Inſichgehen. Ebenſo ſahen wir das
erhabene Subject im negativ Pathetiſchen (§. 112 ff.) durch ein er-
habeneres beſiegt, in ſich zurückgewendet und genöthigt, in ſich mit ſich
ſelbſt zu kämpfen. Nach der Betrachtung dieſes Kampfes wandten wir
uns zu der aufſteigenden Linie, welche durch die Stellung des erhabeneren
Subjects über dem erhabenen entſteht (§. 115, 1); dann aber ſahen wir
die erhabenen Subjecte ſich zuſammenſchließen (115, 2) und daraus ging
uns eine neue Form, das abſolut erhabene Subject, das Tragiſche hervor
(§. 116 ff.) Dasſelbe verhielt ſich aber negativ, in der Einſchließung
ausſchließend, zum einzelnen Subjecte; im Komiſchen dagegen iſt dieſes
berechtigt, die abſolute und übergreifende Natur des Allgemeinen muß
alſo hier ganz als eigener Prozeß des einzelnen Subjects, der ihm die
reale Auflöſung in das allgemeine durch Leiden und Untergang erſpart,
ſich darſtellen (vergl. §. 183); innerhalb dieſes wirklichen Subjects ſelbſt
biegt ſich die unendliche Linie in den Kreis zurück, es iſt Object und
Subject der Komik zugleich und hiemit iſt das Ende gefunden, worin
das Komiſche ſich abſchließt. Zunächſt jedoch iſt nicht dies in’s Auge zu
faſſen und zu verfolgen, wie das humoriſtiſche Subject ſich in ſich von
ſeinem Widerſpruche befreit, ſondern das Erſte iſt dies, daß die trennende
Reflexion erloſchen iſt. Dem Subjecte fällt es ein, daß es ſelbſt komiſch
iſt; daraus folgt freilich der erfüllte Act der Reflexion über ſich ſelbſt,
vorerſt aber iſt nur feſtzuhalten, daß das blos witzige Reflectiren
über Andere ein Ende hat und eine komiſche Perſon vor uns ſteht, ein
Seyn: das ſinnliche Ganze des objectiv Komiſchen iſt wieder vorhanden.
Eine lebendige Perſönlichkeit iſt gewonnen, die ſich Menſch unter Menſchen
fühlt; wie ſich ihr Bewußtſeyn ausdrücklich über ſich und die Welt aus-
breitet, dies iſt erſt im Weiteren zu erörtern.
[447]
§. 207.
Zunächſt nun iſt dieſe Perſönlichkeit zu betrachten, wie ſie an ſich be-1
ſtimmt iſt. Soll ſie den ganzen komiſchen Prozeß innerhalb ihrer ſelbſt voll-
ziehen, ſo muß ſie das erſte Glied deſſelben, das Erhabene, als ihren eigenen
Gehalt in ſich tragen. Im Witze iſt die allgemeine Beſtimmung des Komiſchen
(§. 184), daß die Subjectivität das Erhabene, das ſie als eine ihr fremde
Macht vernichtet, in ſich ſelbſt aufbewahre, in’s Unſichere gerathen, während
ihre Erfüllung im objectiv Komiſchen durch deſſen zwar noch unmittelbare und
des tieferen Kampfes entbehrende Gemüthlichkeit geſichert iſt; denn da das
witzige Subject ſich ſelbſt ausnimmt, ſo fragt es nicht nach ſeiner Ermächtigung
zum Komiſchen, und es kann den komiſchen Act ebenſogut in liebloſer als in
wohlmeinender Geſinnung vollziehen (§. 203). Das humoriſtiſche Subject aber2
kann das ganze Komiſche nur dann ſeyn, wenn auch das erſte Glied in ihm
als Wirklichkeit gegenwärtig iſt, alſo nicht nur als Wiſſen, ſondern ebenfalls
in der Beſtimmtheit des Seyns, als Gefühlsleben, als Macht des Gemüths
in dem erfüllteren Sinne ſittlicher Begeiſterung.
1. Das objectiv Komiſche lebt und läßt leben; es iſt gutmüthig.
Spielt es mit der bloſen Kraft, ſo entſteht die Frage nach ſittlichem
Werthe gar nicht. Spielt es mit dem Guten, ſo iſt es ſchon als Spiel
eines glücklichen und geſunden Volkes ſicher, in der ſittlichen Subſtanz zu
verbleiben. Dieſe iſt im Witze geſprengt. Was über deſſen formelle
Subjectivität, in welcher die ſittliche Geſinnung zufällig wird, im §.
geſagt iſt, bedarf keiner weiteren Auseinanderſetzung. Näher tritt die
Forderung ſittlicher Würdigkeit wieder in der Ironie; denn ich darf mich
nicht als Folie dem Verirrten unterlegen, wenn ich mich nicht als wahren,
ſittlichen Geiſt weiß. Allein auch die Ironie wartet dennoch nicht ab,
bis ihr Beruf in dieſem Sinne entſchieden iſt. Bürgſchaft gibt nur ein
Charakter, der ſchon mehr als ironiſch iſt (§. 203).
2 Gibt es nicht humoriſtiſche Charaktere, wie Falſtaff, in welchen
das Gute nichts weniger als eine Macht im Gemüthe iſt? Darauf wird
die Antwort folgen, wenn in der Darſtellung der verſchiedenen Stufen
des Humors die Beſchränkungen und Wendungen, welche dieſe Sätze er-
leiden, zur Sprache kommen werden. In Hamlet aber, der freilich,
aber aus anderem Grunde, auch nicht der reinſten Stufe des Humors
angehört, lebt glühender Eifer ſittlicher Geſinnung.
[448]
§. 208.
Dieſe Erhabenheit iſt nun in Einem und demſelben Subjecte mit dem
unendlich Kleinen behaftet. Es iſt zunächſt gleichgültig, ob dieſer Druck ein
beſonders empfindlicher iſt, wie er durch die Laſt einer dem innern Adel wider-
ſprechenden Erſcheinung, durch ärmliche Lage, widerwärtige Zufälle, kleinliche
Schwächen für das edle Subject ſich geſtaltet, oder ob er nur Gefühl der all-
gemeinen menſchlichen Schwäche und Abhängigkeit bei geringem Maße der
eigenen iſt. Denn einestheils iſt in dieſer Form der Komik die ſinnlich helle
Beobachtung der Poſſe und das geſchärfte Auge des Witzes für jeden Anſtoß
erhalten, anderntheils wird dieſe Schärfe noch geſteigert durch die Tiefe und
Reinheit des Gefühlslebens, welches, im Erhabenen heimiſch, für den Druck
des unendlich Kleinen im höchſten Grade empfindlich wird. Daher wird jeder
Anſtoß zu einem unendlichen Schmerzgefühle und da das Leben eine Reihe von
ſolchen iſt, ſo ſchwebt die Grundſtimmung zwiſchen dem Genuß jener reinen
Erhebung und der tiefſten Trauer und Entrüſtung über dieſe unendlichen Hem-
mungen.
Die humoriſtiſche Perſönlichkeit braucht kein Gottwalt im dünnen
Nankingröckchen, kein armer Dorfſchulmeiſter, auch kein grundliederlicher
Falſtaff zu ſeyn. Katarrh und Hühneraugen reichen hin, eine Natur,
wie ſie der Humor fordert, unendlich unglücklich zu machen, denn ſie hat
die geiſtige Organiſation, zu fühlen, was das heißen will, in der Aus-
führung der reinſten Zwecke gehindert, in den ſchönſten Augenblicken ge-
ſtört zu ſeyn durch Huſten, Schnäuzen, Spucken, Nieſen, Hinken. Sie
iſt darin ſo empfindlich wie nacktes Fleiſch in einer Wunde, ſie iſt ein
ſchaalloſes Ei. Wir werden weiter unten von der Hypochondrie des
Humoriſten beſonders reden. Ebenſo macht er ſich über den kleinſten
ſittlichen Flecken die grauſamſten Vorwürfe. Der Humor ſetzt daher, da
die Hemmungen beider Art endlos fortgehen, das tiefſte Unglück des
Bewußtſeyns voraus.
§. 209.
So iſt die ſeyende Perſönlichkeit beſtimmt, in welcher ſich zunächſt die
Reflexion des Witzes ausgelöſcht hat; aus dieſem Seyn aber befreit ſich der
Humor durch die Bewegung einer zweiten, auf das eigene Subject zurückgehenden,
[449] ganzen Reflexion. Durch dieſe begreift er ſich als Ein Subject und ſetzt
die beiden Gegenglieder ineinander, ſo daß er ſeinem erhabenen Ich das un-
endlich kleine und dieſem jenes unterſchiebt ganz im Sinne von §. 174 ff., der
aber nun erſt durch die Einheit des in ſich gegangenen Subjects ſeine Erfüllung
findet. Das unendlich Kleine im eigenen Subject erkennt er nunmehr als
berechtigt und unendlich werthvoll, weil er es als Grund und Boden des
Erhabenſten erfaßt, und auf dieſes iſt er nicht ſtolz, weil es jenes Bodens
nicht entbehren kann, und ſo geht der Widerſpruch der ſittlichen Größe und
Kleinheit, der Begeiſterung und Verzweiflung in die reine Einheit der Selbſt-
erhebung und Selbſtverlachung auf: die Frucht eines ſelbſterlebten Kampfes,2
worin die Bewußtheit des Witzes in höherer Form als eine errungene
wiederkehrt.
1. J. Paul, deſſen Beſtimmungen über den Humor nach Grund-
lage und Ausgangspunkt hier noch nicht zu beurtheilen ſind, hebt als
weſentliches Moment deſſelben die Selbſtverlachung des Humoriſten her-
vor, zwar, wie ſchon geſagt, in anderem Zuſammenhange, ſo nämlich,
daß die Weltverlachung vorausgeſetzt iſt, zu der wir erſt übergeben und
in welcher wir die Selbſtverlachung als weſentlichen Theil allerdings
werden eingehen ſehen. Ganz richtig aber ſtellt er auf, wovon wir
ausgi[n]gen, daß die Idee oder Unendlichkeit im Komiſchen des Humors
eine innere im Subjecte ſeyn müſſe (a. a. O. §. 34); ſonſt kann ich
ihr, ſagt er, den ſubjectiven Contraſt nicht als objectiven unterlegen,
d. h. nicht mir vorſtellen, als habe die unendliche Idee ſelbſt wiſſentlich
gegen ſich gehandelt, indem ſie ſich in die Widerſprüche der Exiſtenz
verſtrickte. Widerſpruch des Bewußtſeyns mit ſich kann die abſolute Idee
nur ſeyn, wenn ſie Subject iſt. Nun fährt er fort: „folglich ſetze ich
mich ſelber in dieſen Zwieſpalt und zertheile mein Ich in den endlichen
und unendlichen Factor und laſſe aus jenem dieſen kommen“.
Im Humor ſind die Fehler des Menſchen als liebenswürdig anerkannt
und zuerſt findet der Humoriſt in ſich ſelbſt das unendlich Kleine als den-
ſelben Boden, worin das Höchſte die Wurzel hat, das empiriſche Ich
als Baſis und Erſcheinung des reinen Ich. Wem dies Selbſtliebe und
verwerfliche Selbſtbeſchönigung ſcheint, der vergißt, daß das Subject in
dieſem Bewußtſeyn ſich wohl beſcheidet, um des Hohen willen, was viel-
mehr der wahre Gegenſtand der Selbſtliebe iſt, als wäre es etwas Reines
und Abſolutes, über die Mängel und Fehler, womit es in derſelben
Perſönlichkeit behaftet iſt, hinwegzuſehen. Der Humoriſt erkennt ſich
Viſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 29
[450]ſelbſt als einen Thoren; er erkennt ſich ſo, und dies kann er nicht an-
ders, als wenn er von dem wahren Geiſte, der ihn erfüllt, ausgehend
das Niedrige und Unbewußte in ſich von dieſer Widerlage aus als ſolches
erkennt. Aber er ſetzt ſich ebendadurch in Einem Athem als weiſe und
thöricht, denn der ſo Setzende und ſo Geſetzte iſt derſelbe und ebendieſer
in Identität zuſammenfaſſende Act iſt die Selbſtbefreiung. Die Weisheit
und Hohheit ſetzt ſich darin herab und die Thorheit abſolvirt ſich, „be-
gnadigt ſich“ (Ruge a. a. O. 186).
2. Die Beſtimmtheit des Subjects abgeſehen von dieſem Acte der
Zuſammenfaſſung ſeiner ſelbſt wurde ein Seyn genannt. Sie iſt freilich
ſchon Leben und Bewegung, aber noch abgeſehen von dieſem Acte der
Selbſtbefreiung doch erſt bloſer Stoff. Ebendieſes Stoffleben iſt es,
wodurch die ſinnliche Fülle der Poſſe wieder in das Komiſche hereintritt.
Wenn dieſer Gehalt vor dem Acte der Zuſammenfaſſung ſchon Perſön-
lichkeit hieß, ſo iſt das Wort noch unbeſtimmter oder im Vorgriffe jenes
Acts gebraucht; in Wahrheit iſt die Perſönlichkeit erſt da, wo derſelbe
irgendwie eingetreten iſt, denn ſonſt fällt ſie in ihren Widerſpruch ausein-
ander: was bei der Stufe des gebrochenen Humors wieder aufzufaſſen ſeyn
wird. Die humoriſtiſche Perſönlichkeit iſt eine ſich ſelbſt verarbeitende,
ihre Komik iſt die Frucht eines ſelbſterlebten Kampfes, und ſo kehrt, was
dem Witze den höheren Werth gibt, das Selbſtbewußte ſeines Thuns
nämlich, in tieferer Weiſe zurück als ein im Kampfe und in Schmerzen
geborenes Selbſtbewußtſeyn. Schon darum und noch ehe wir die Aus-
dehnung dieſes Bewußtſeyns auf die nun in demſelben Lichte betrachtete
Welt in’s Auge faſſen, iſt der Humor als ein bewußter Act, als ein
freier Entſchluß (J. Paul a. a. O. §. 34) zu faſſen, als ein vermittelter,
errungener, bleibender Beſitz des Geiſtes (Ruge a. a. O. S. 184).
Der Humor gehört der Erfahrung, der Bildung, nicht der leichten Un-
ſchuld der Jugend.
§. 210.
Da aber der ſittliche Gehalt dieſer Perſönlichkeit ſeinem Weſen nach ein
allgemeiner, ein Zuſammenleben mit allem Erhabenen und der Wirklichkeit der
Idee überhaupt iſt, und da die Schärfe des Anſchauens und Fühlens dem
humoriſtiſchen Subjecte alles Kleine, Aermliche und Schlechte aufdeckt, womit
dieſe in ihrer Verwirklichung überall und immer ſich verſtrickt, ſo iſt ihm ſein
eigenes Selbſt nur Bild und Brennpunkt des Widerſpruchs, der durch das Welt-
[451] ganze geht. Dem Stoffe nach kann auch der Humor dieſes oder jenes Erhabene
ergreifen; er wird ſich zwar noch gewiſſer als der Witz zu den höchſten Formen
deſſelben wenden und ſie, wie er ſelbſt innerlich iſt, als innere Gegenwart des
geiſtigen Lebens in ihre Tiefe verfolgen; allein das weſentlich Unterſcheidende
iſt nicht dies, ſondern daß der Humor das Bewußtſeyn der Allgemeinheit hat
und jedes Erhabene, das er in ſeinen Fall begleitet, als Form des abſolut
Erhabenen weiß.
Der Humor legt das ganze Endliche auf die Folie des ganzen Un-
endlichen: darin findet auch J. Paul den Unterſchied von allem übrigen
Komiſchen, das nur Endliches mit Endlichem contraſtirt. Das Letztere
weist er dem Verſtande zu, den Humor aber, der jenen unendlichen
Contraſt zwiſchen den Ideen und der ganzen Endlichkeit ſelbſt erzeugt,
der Vernunft (a. a. O. §. 31). Allein dies iſt eine mangelhafte Be-
ſtimmung. Wo irgend ein Erhabenes aufgelöst wird, geht alles andere
Erhabene mit; fällt Eins, ſo fällt Alles. Wo irgend über etwas ge-
lacht wird, wird immer über Alles gelacht. Allein die Poſſe und der
Witz haben davon kein Bewußtſeyn; ſie nehmen, was kommt und ſorgen
für das Uebrige nicht. Verſtand, im Vordergrunde der Vernunft thätig,
wirkt in allem Komiſchen, nur iſt die Vernunft erſt im Humor zum Be-
wußtſeyn des Allgemeinen entwickelt. Ruge macht dies geltend, zwar in
anderem Zuſammenhang, da er ſchon von dem Acte der Befreiung ſpricht,
während wir jetzt wieder bei dem erſten Gliede des Stoffes dieſer Befreiung
verweilen; aber auch ſchon von dieſem gilt es, daß, während der Witz
nur „dieſen Fall, dieſe Erſcheinung“ (a. a. O. S. 182. 183) meint
und trifft, der Humor dagegen jedes Erhabene in die abſolute Idee ein-
reiht. Dies folgt ſchon aus ſeiner eigenen ſittlichen Erfüllung, denn
bewußter Wille des Guten iſt allgemein. Eine weitere Unterſuchung dar-
über, welcherlei erhabene Stoffe der Humor vorzüglich ergreife, iſt daher
nicht anzuſtellen. Daß er das Erhabene vorzüglich in ſeinen höchſten
Formen erfaßt und zugleich in ſeine Tiefen als ſubjectives Leben verfolgt,
bedarf keines Beweiſes. Die Schrift des Verf. über das Erh. u. Kom.
meinte noch (S. 208) einen Stoff-Unterſchied ziehen zu können und
überſah, daß ſelbſt jene tiefere Art der Faſſung den Humor noch nicht
wahrhaft vom Witze unterſcheidet. Allerdings aber iſt auch der letztere
Punkt nicht zu überſehen. Der Witz faßt z. B. die Religion nicht mehr
blos als ſichtbare Kirche, wie das objectiv Komiſche, ſondern als geiſtiges
Leben, doch beſchäftigt er ſich mehr mit dem theoretiſchen Widerſpruch
29*
[452]und mit dem in ſeine geheimen Motive verfolgten praktiſchen, als mit
dem Gemüthsleben der Religion. Dies erfüllte innere Leben in der Art
komiſch darſtellen, wie Schmelzle von ſich erzählt beim Abendmahle, iſt
Humor.
§. 211.
Der Humor weiß daher, wo er nur irgend ein Erhabenes in ſeine Stö-
rung verfolgt, daß nichts rein iſt, und ſein Schmerz iſt ſo allgemein, wie ſeine
2Begeiſterung, ja der tiefſte Eckel und Ueberdruß an der Welt. Was nun die
Natur des Gegenglieds betrifft, ſo öffnet ſich ihm ſchon darum, weil er das
Erhabene als Gemüthsleben aufſucht, vor Allem das Gebiet der inneren Stö-
rungen und er hat den tiefſten Blick in ihren geheimen Urſprung, allein dadurch
iſt der äußere Zufall und der gröbſte Gegenſtoß nicht ausgeſchloſſen; das Eigene
des Humors iſt, daß er auch dieſen mit Bewußtſeyn in Ein allgemeines Subject
3mit dem Erhabenen, das ſich in ihn verſtrickt, zuſammenfaßt. Er erweitert ſo
ſein Ich zur Welt, ſeinen innern Widerſpruch zum Weltwiderſpruch und was
ſich ihm als ein Verſtricktes darſtellt, iſt ihm, weil in Wahrheit in der Sub-
jectivität ſich ewig das Ganze des Daſeyns in ſich zuſammenfaßt, die Welt als
unendliches Subject.
1. Der Humoriſt treibt immer Metaphyſik. Wo der Naive ein
Uebel als einzelnes verſchmerzt, der Witzige den Aerger los wird durch
einen Witz, da denkt der Humoriſt weiter und ſieht das allgemeine Elend
und Uebel, daß in Wahrheit nichts rein iſt. Dieſer Satz kann nur miß-
verſtanden werden, wenn man ihn böswillig aus dem Zuſammenhang
reißt. Der Schmerz des Humoriſten iſt daher immer allgemein und wäre
als Weltſchmerz zu bezeichnen, wenn dies Wort nicht durch Mißbrauch
lächerlich geworden wäre. Ihm iſt die Welt „eckel, ſchaal und uner-
ſprießlich, ein wüſter Garten, der auf in Samen ſchießt: verworfnes
Unkraut erfüllt ihn gänzlich“.
2. Die innern Störungen ſcheinen oft ſo außer Zuſammenhang mit
dem reinen geiſtigen Leben des Subjects zu ſtehen, daß die Vorſtellung
ſie dem Teufel zuſchreibt, wie dies humoriſtiſch Schmelzle in der vorhin
angeführten Scene thut. Der Humor kennt aber wohl ihre Quelle in
den geheimen Abgründen der menſchlichen Seele. Es folgt aus der Inner-
lichkeit des Humors, daß er vorzüglich Störungen dieſer Art aufſucht;
aber auch den äußern Zufall zieht er ebenſogern herein, ſey es im ſtrengen
[453] Sinne, wo er wirklich bloſer Stoß von außen iſt, ſey es im ungenaueren,
wo er z. B. in zufälligen Anwandlungen des Körpers beſteht, worin
der Humor ſo cyniſch iſt als die Poſſe. Der Unterſchied liegt auch hier
nicht im Stoffe, ſondern in der Form, und dieſe beſteht darin, daß der
Humor eigentlich erſt es iſt, der aus dem Ernſt macht, was in §. 178
geſagt iſt, aber ſo, daß er die Gegenglieder nicht etwa nur in irgend
ein Subject zuſammenfaßt, ſondern in das Subject überhaupt.
3. J. Paul drückt den in §. 210, Anm. angeführten Satz näher
ſo aus, daß der Humor die Endlichkeit als ſubjectiven Contraſt der
Idee (Unendlichkeit) als objectiven unterſchiebe und leihe, d. h. (vergl.
§. 209, 1) ſich vorſtelle, als ſey die Idee ſelbſt als Ganzes ein Sub-
ject, das im Endlichen mit Bewußtſeyn um dieſe Verſtrickung ſich ver-
ſtricke, wie das eigene, einzelne Subject des Unterſchiebenden. Die Idee
iſt aber wirkich dieſes Subject, indem ſie ihre erſte Verwirklichung als
Natur unendlich in unendlichen Subjecten zuſammenfaßt. Was daher der
Humoriſt in ſich ſelbſt findet, dieſen Widerſpruch, erweitert er mit Fug
und Recht zum Weltwiderſpruche. Die blos fingirende Zuthat iſt nur dieſe,
daß er dieſe Zuſammenfaſſung, die ſich im Weltganzen ewig vollzieht,
ſchon da als eine vollzogene ſetzt, wo ſie im beſonderen Falle nur eine
mögliche iſt.
§. 212.
Ebendieſe Zuſammenfaſſung des Weltganzen in Ein Subject iſt aber,
wie ſie den Schmerz nur um ſo ſchneidender macht, ebenſo auch der Schritt zur
Verſöhnung, die ſich nun aus dieſem allgemeinen Widerſpruche ebenſo erzeugt,
wie nach §. 209 aus dem einzelnen des humoriſtiſchen Subjectes ſelbſt. Iſt
die Einheit der widerſprechenden Glieder auch hier Subject, ſo iſt dies All-
Subject dieſelbe freie Bewegung, die ihre Erhabenheit zwar dem unendlich
Kleinen Preis gibt, aber nur, weil dieſes auch im Weltganzen als Hei-
math, Reiz und heilſame Grenze derſelben ſie wahrhaft in ſich aufnimmt. Iſt
das Kleinſte im Größten, ſo iſt das Größte auch im Kleinſten. Der Humor
iſt daher gegen die Thorheit, die er auflöst, nicht nur darum liebevoll, weil
er in jeder einzelnen die allgemeine ſieht, daher ſich miteinſchließt und die
nunmehr begründete Weltverlachung nothwendig ſtets zur Selbſtverlachung zu-
rückkehrt, ſondern weil in jener wie in dieſer das Bewußtſeyn des unendlichen
Werthes des unendlich Kleinen mitenthalten iſt.
[454]
Hier iſt ein tieferer Mangel, der ſich durch J. Pauls ganze
Darſtellung hindurchzieht, hervorzuheben. Er nennt die „weltverachtende
Idee“ die Widerlage in dieſer Form des Komiſchen, er ſagt, der Humor
verlaſſe den Verſtand, um vor der Idee fromm niederzufallen, er ziehe
die Sinnenwelt wie in einem Hohlſpiegel eckig und lang auseinander, um
ſie gegen die Idee aufzurichten und ſie ihr entgegenzuhalten, u. ſ. w.
Die wahre Meinung iſt daher offenbar die, daß die Sinnenwelt, indem
ſie in ihrer ganzen Breite auf die Idee als Folie gelegt wird, in ihrer
ganzen Nichtigkeit erſcheinen ſoll. Ebenſo faßt, wie wir ſahen, Ruge
den Humor. Allein dies wäre vielmehr Satyre, nicht Komik, nicht Humor.
Je mehr ſich die Sinnenwelt aufſpreizt, deſto unfähiger ſoll ſie erſcheinen,
die Vernunft in ſich zu tragen, welche „wie Gott nicht einmal im größten
Tempel eingeſchloſſen iſt“. Der Sinn des Humors iſt vielmehr, daß
Gott ſelbſt im kleinſten Tempel, ſelbſt in dem ſchwachen, eigenſinnigen
Menſchenherzen ſich einzuſchließen nicht verſchmäht, weil er ſich dieſer
Einſchließung als Einſchließung bewußt, daher ebenſo über ſie hinaus iſt.
Dieſe falſche Erklärung des Humors als Satyre iſt ſelbſt in den ſo geiſt-
vollen Bildern J. Pauls ausgeſprochen: „wie Luther im ſchlimmen Sinn
unſern Willen eine lex inversa nennt, ſo iſt es der Humor im guten,
und ſeine Höllenfahrt bahnt ihm die Himmelfahrt. Er gleicht dem Vogel
Merops, welcher zwar dem Himmel den Schwanz gekehrt, aber doch in
dieſer Richtung in den Himmel auffliegt. Dieſer Gaukler trinkt, auf dem
Kopfe tanzend, den Nectar hinaufwärts“ (§. 33). Nun folgen zwar
Stellen, welche entſchieden die Berechtigung des Endlichen ausſprechen, ſo
die in §. 209, 1 angeführte, ſo in §. 33: „wenn der Menſch, wie
die alte Theologie that, aus der überirdiſchen Welt auf die irdiſche her-
unterſchauet, ſo zieht dieſe klein und eitel dahin; wenn er mit der kleinen,
wie der Humor thut, die unendliche ausmiſſet und verknüpft, ſo entſteht
jenes Lachen, worin noch ein Schmerz und eine Größe iſt“; allein J. Paul
bringt dieſe Anſichten nicht zuſammen, der Schmerz und die Größe bleiben
daher am Ende doch der feſte Punkt, das Lachen nur ein Mittel, ſtatt daß
Alles in Ein geiſtig freies Lachen aufgeht. Auch in Ruges Auffaſſung
gilt die Endlichkeit zwar ebenſo Alles, als nichts, ſie iſt zwar ebenſo
Gefäß des Ewigen, als ſündhaft (S. 186), aber dieſe „Begnadigung“
des Endlichen durch die Liebe kann nicht mehr aufkommen, nachdem von
der Nichtigkeit als dem Grundbegriff ausgegangen iſt. Beide nun haben
ferner ganz richtig die Allgemeinheit der Weltverlachung als weſentliches
Merkmal des Humors ausgeſprochen, deren Bürgſchaft die Selbſtver-
[455] lachung des Humoriſten iſt. Ruge führt S. 188 die ſchönen Stellen
aus J. Paul an, worin dieſer zeigt, wie der Humoriſt nie den einzelnen
Thoren, ſondern immer die allgemeine Thorheit meint und trifft und ſich
dadurch von dem gemeinen Satyriker (hiedurch verräth ſich J. Paul,
denn der edle Satyriker wäre demnach Humoriſt) unterſcheidet. J. Paul
nennt dies die humoriſtiſche Totalität. Als Ausdruck dieſer Totalität
fordert er eben die Selbſtverlachung und ſo auch Ruge. Allein dies
Alles iſt nicht genug. J. Paul verräth auch dadurch ſeine Verwechs-
lung des Humors mit der edleren Satyre, daß er ſagt (§. 32), der
Humor ſey gegen einzelne Thorheiten darum mild und duldſam, weil
dieſe in der Maſſe weniger bedeuten und beſchädigen und weil der Humoriſt
ſeine eigene Verwandtſchaft mit der Menſchheit ſich nicht läugnen könne;
allein gegen die ganze Maſſe müßte ja dann der Humor um ſo mehr
Verachtung haben und eben dann könnte er das eigene Subject entweder
nicht einſchließen oder nur mit Zerknirſchung. Vielmehr gilt auch hier,
daß, was ganz allgemein iſt, kein abſolutes Uebel ſeyn kann, und daß
in der großen Thorenwelt die Thorheit als Unterlage, Reizmittel und
geheime Geburtsſtätte der Weisheit gerade wirklich liebenswürdig wird.
§. 213.
Wendet man §. 181, 1 auf den Humor an, ſo entſteht die Frage, ob
eine objectiv und eine ſubjectiv humoriſtiſche Perſönlichkeit zu unterſcheiden ſey.
Nur in ganz relativer Bedeutung iſt dies auf dieſer höchſten Stufe zu bejahen,
denn eben die freiere Perſönlichkeit, welcher dort das eigene Bewußtſeyn des
Widerſpruchs als dauerndes Eigenthum zuerkannt wird, iſt die Bedingung des
Humors. Das Subject von tieferer ſittlicher Lebendigkeit, deſſen reines Selbſt-
gefühl durch die Unangemeſſenheit der eigenen Erſcheinung, durch Druck des
Zufalls und unbeſiegte Nachwirkung innerer Unfreiheit gebrochen iſt, wird noth-
wendig in ſich zurückgeworfen und vollzieht ſelbſt in ſich über ſich und die Welt
den komiſchen Prozeß. Es kann nun zwar allerdings dieſer Prozeß mehr oder
minder ſich zur freien Fertigkeit entwickeln; wenn aber hiedurch über den ver-
gleichungsweiſe bewußtloſeren der vergleichungsweiſe bewußtere Humoriſt tritt,
ſo hört darum jener nicht auf, das ganze Komiſche in ſich darzuſtellen und die
Stelle einzunehmen, wo dieſes qualitativ ſeine Stufenleiter abſchließt.
Man pflegt einen objectiv und einen ſubjectiv humoriſtiſchen Charak-
ter zu unterſcheiden und unter jenem die unendlich gehaltvolle, aber durch
[456] Widerſprüche gehemmte und dieſer ihrer Verſtrickung ſich nicht bewußte
Perſönlichkeit, unter dieſer die bewußte zu verſtehen. J. Paul nennt
die letztere Perſönlichkeit den humoriſtiſchen Dichter und bringt ſo den
Gegenſatz der unmittelbar ſeyenden und der künſtleriſch hervorgebrachten
Schönheit herein. Dies iſt jedenfalls zu viel, denn man iſt darum, weil
man den Widerſpruch in ſich und der Welt belacht, noch nicht Dichter;
der Humor iſt außer und vor der Kunſt da, wie alles Schöne in dem
Sinne, der noch zu unterſuchen iſt. Allein J. Paul hat auch überſehen,
daß er dieſen Gegenſatz überhaupt nur ganz relativ ziehen kann, nach-
dem er einmal die Meinung, der Humor könne oder müſſe unbewußt
und unwillkürlich ſeyn, einen Wahn genannt hat; demnach dürfte er
den blos objectiv ſich ſelbſt widerſprechenden Charakter nicht humoriſtiſch,
ſondern nur komiſch nennen. Das Wahre aber iſt dies, daß zum
Humor immer eine Perſönlichkeit von gebrochenem unendlichem Gehalt
vorausgeſetzt wird, welche nothwendig irgendwie, als entwickeltere oder
unentwickeltere Anlage, auch den Blick in das eigene Innere und in den
Widerſpruch der Welt frei hat. Gottwalt iſt neben Vult blos objectiv
humoriſtiſch, er iſt jünger, unerfahrener und von der Noth unmittelbarer
gedrückt, wogegen Vult ſchon ſeiner ganzen Lage nach freier iſt, daher
in jenem der Blick in ſich und die Welt noch nicht entbunden ſeyn kann;
allein im Fortgang müßte er nothwendig von Vult das humoriſtiſche
Bewußtſeyn aufnehmen, wie dieſer an ihm auf’s Neue zu Herz und
Gemüth ſich erwärmt. Als blos relativ erſcheint der Gegenſatz auf den
erſten Blick in Siebenkäs und Leibgeber. Der, welcher mehr leidet, iſt
allemal der ſcheinbar oder mehr blos objectiv Humoriſtiſche, denn im
Zuſtande des gegenwärtigen Leidens iſt ſchwer lachen; er befindet ſich
zwiſchen der Stellung des komiſchen Objects und zwiſchen dem Humor;
allein die innere Tiefe vorausgeſetzt, wie dies das Weſen des Humors
verlangt, ſo muß nach dem Leiden oder nach einer Reihe von Erfah-
rungen nothwendig das humoriſtiſche Bewußtſeyn ſich in ihm entbinden.
§. 214.
Der Humor muß ſeinem komiſchen Bewußtſeyn beſtimmten Ausdruck geben
und dies geſchieht durch die Formen der Poſſe und des Witzes, welche in ihm
als ihrer höheren Einheit aufgehoben ſind, indem die Reflexion des Witzes in
ein Seyn und perſönliches Leben zurückgegangen iſt, aber als Innigkeit und
Allgemeinheit des komiſchen Bewußtſeyns ſich aus dieſem wieder erzeugt hat.
[457] Sie ſind darum auch als beſondere Formen nicht verloren, ſondern nur zu
Mitteln der ganzen Perſönlichkeit, die ſie in ſich aufnimmt und trägt, herab-
geſetzt. Hauptmittel ſind die höchſten Formen des Witzes, der bildliche und
die Ironie. Wenn nun der geiſtreichere bildliche Witz ſchon als ſolcher die
Vergleichungsformel wegläßt, ſo nimmt der Humor dies Verfahren mit der
Ironie verbunden in dem tieferen Sinne auf, daß er, da ihm wirklich die
Welt als Ein Weſen erſcheint, wo in jeder Geſtalt die Möglichkeit der an-
dern enthalten iſt, in muthwilliger Verwechslung aus einer Geſtalt die andere
hervorſcheinen und hervorwachſen läßt, ja er greift zu der ſinnlichen Ausgelaſſen-
heit der Poſſe zurück, verſtellt das eigene Subject und ſpielt hinter ſeiner
Maske mit dem einfachen Bewußtſeyn der umgebenden Subjecte, wobei er mit
der Greiflichkeit der Poſſe die witzige Rede zu einer vollen Einheit verbindet.
Shakespeare, Theodor Hoffmann und Jean Paul geben
Beiſpiele in Fülle für den Inhalt dieſes §. Der Humoriſt liebt auch
die Poſſe; Hamlet ſelbſt macht Narrenſprünge, ebenſo Kreisler und
andere humoriſtiſche Figuren. Das Umſchlagen einer Geſtalt in die
andere, wie z. B. Hoffmanns Magiſter Pepſer eine Fleiſchmücke wird,
Archivarius Lindhorſt als Geier auffliegt, ſcheint als ein Wunderbares
einem beſtimmten Ideal, dem romantiſchen, alſo nicht dieſer allgemeinen
Sphäre anzugehören, in der wir uns jetzt noch bewegen. Allein ebenſo
wie die Romantik liebt es ſchon das klaſſiſche Ideal: man darf ſich nur
an die Fröſche, Vögel, Wolken, Weſpen des Ariſtophanes erinnern, und
auch außer der Kunſt wird der Humoriſt immer ſolche Darſtellung lieben;
er iſt darin myſtiſch pantheiſtiſch, das einzelne Ding iſt ihm Verlarvung
eines andern. Dabei ſpielt er ſelber gern mit. Wenn Hamlet nach
dem Geſpräche mit dem Geiſte ſeines Vaters ſogleich beſchließt, ſich
wahnſinnig zu ſtellen, und von nun an hinter einer Maske ſich verbirgt,
durch welche wieder ſein wahres Bewußtſeyn hervorſcheint: dieß iſt für
ſeine tragiſche Aufgabe ſo zweckwidrig, daß es nur aus der urſprünglichen
Liebhaberei des Humoriſten zu erklären iſt. J. Paul und Ruge
berühren dieſes ausgelaſſene Spiel unter dem Burlesken und Grotesken;
jenem aber haben wir eine andere Stelle angewieſen, dieſes gehört in
die Kunſt, man verſtände denn darunter die Ausgelaſſenheit der Bewe-
gungen, welche das Mögliche zu überſchreiten nur ſcheint, wie ſie wohl außer
der Kunſt vorkommen und von dieſer ſyſtematiſirt werden z. B. im gro-
tesken Tanze. J. Paul aber ſpricht auch an der rechten Stelle — nur
immer mit Grundlegung ſeiner den Humor mit der Satyre verwechſeln-
[458] den Anſicht, in welcher Beziehung die Stelle zum Theil ſchon angeführt
wurde — von jenem Dithyrambus, welcher im Hohlſpiegel eckig und
lang die Sinnenwelt auseinanderziehe; — „inſofern ein ſolcher jüngſter
Tag die ſinnliche Welt zu einem zweiten Chaos ineinanderwirft — blos
um göttlich Gericht zu halten —, der Verſtand aber nur in einem
ordentlich eingerichteten Weltgebäude wohnen kann, indeß die Vernunft,
wie Gott, nicht einmal im größten Tempel eingeſchloſſen iſt: inſofern
ließe ſich eine ſcheinbare Angrenzung des Humors an den Wahnſinn
denken, welcher natürlich, wie der Philoſoph künſtlich, von Sinnen und
von Verſtande kommt und doch wie dieſer Vernunft behält. Der Humor
iſt, wie die Alten den Diogenes nannten, ein raſender Sokrates“
(a. a. O. §. 35). Dieſer Schein des Wahnſinns gehört ſo zur Sache,
daß er nun als weſentlicher Zug aufzunehmen iſt.
§. 215.
Erwägt man nun, wie der Humor den Doppelſchein ſeines Bewußtſeyns
als ſtetige Weltanſchauung in ſich trägt und in dieſem Lichte Alles anſchaut
und aufzeigt, was dem gewöhnlichen Bewußtſeyn als gerade und richtige Exiſtenz
vorkommt, wie er, um dieſe Weltanſchauung geltend zu machen, ſich in allen
Formen der Poſſe und des Witzes in unendlichen Uebergängen herumwirft, ſo
begreift ſich, wie er dem gemeinen Verſtande ſich als Wahnſinn darſtellen muß.
Allerdings aber verliert er, ſtets von ſich ausgehend, in ſeinen eigenen Wider-
ſpruch vertieft und nur deſſen Widerſchein in der Welt aufſuchend, den einfachen
Blick in die Objectivität, und ſein Ich, wiewohl nicht im Sinne der Selbſtliebe,
ſondern der Selbſtverlachung, ſpielt in ſeiner Aeußerung überall die erſte Rolle,
ſo daß zwar er ſelbſt, aber nicht ſeine Darſtellung ein Ganzes iſt.
Die Berührung der Humors mit dem Wahnſinn bedarf nach dem,
was hier und ſchon zum vorh. §. geſagt iſt, keiner weitern Auseinan-
derſetzung. Der ſubjective Eigenſinn aber, der kein Ding läßt, wie es
iſt, nie bei der Sache aushält, nie die Geduld hat, ein Ganzes zu
geben, ſondern überall von ſich ausgeht, auf ſich zurückkommt und ſo die
Sache verſchiebt und durcheinanderwirft, gehört, ſo könnte es ſcheinen,
als ein künſtleriſcher Mangel in die Lehre von der Kunſt. Man erinnert
ſich dabei ſogleich an Sternes und Jean Pauls ermüdende Epiſoden,
Geſchwätzigkeit, Selbſteinmiſchung, unendliche Parabaſen. Allein dies
Alles iſt ebenſo vorhanden, wenn man den Humoriſten nicht als Künſtler,
ſondern nur als Menſchen betrachtet; der Uebergang von der unmittel-
[459] baren Selbſtdarſtellung des Humoriſten im gewöhnlichen Umgang zu dem
Verſuch, ſich in einem Kunſtwerke niederzulegen, geht uns hier noch gar
nichts an. Hätte der Humoriſt die volle Geduld zur Kunſt und würde
er mit dieſer einen Humoriſten darſtellen, ſo hätte er eben dieſe Unge-
duld darzuſtellen.
α.
Der naive Humor oder die Laune.
Dieſes ſein Weſen bildet auch der Humor erſt in einer Reihe von Stufen1
aus, deren erſte nach dem wiederkehrenden allgemeinen Geſetze als unmittel-
bare Form, als eine Naturſtimmung zum Humor, oder als Laune auftritt.
Das objectiv oder naiv Komiſche iſt als ſolches auch mit dieſer Stufe nicht zu2
verwechſeln, ſondern bleibt in ſeinem Weſen ein Anderes; allerdings aber er-
hebt es ſich von ſeiner Grundlage aus wie zum Witze, ſo auch zu dieſer Stufe
des Humors, die, wie es ſelbſt, als die naive zu beſtimmen iſt. Die luſtige
Perſon faßt ſich in die Einheit des objectiv und ſubjectiv Komiſchen zuſammen
und ſpricht ebenſo auch eine Ahnung des allgemeinen Widerſpruchs aus, der ſich
in dem handgreiflichen verbirgt, welcher ihr vorliegt; aber vergleichungsweiſe
bewußtlos, wie ſie bleibt, hat ſie ſich weder zu der ſittlichen Tiefe ausgebildet,
noch den unendlichen Schmerz erlebt, den der wirkliche Humor vorausſetzt; daher
bringt es jene Ahnung weder zu einer tieferen Reflexion in ſich, noch zu einer
wahren Allgemeinheit des Gedankens, daher bleibt hier auch das Gefühl des
unendlichen Widerſpruchs in dem Natur-Elemente ungebrochener Luſtigkeit ſtehen.
1. Für dieſe Form mag die urſprüngliche Bedeutung des Wortes
Humor am meiſten paſſen. Es kam in England am Ende des ſechs-
zehnten Jahrhunderts auf und bezeichnete, da die phyſiologiſchen Anſichten
der Zeit die Grund-Dispoſition des Individuums auf das Flüſſige im
Körper zurückführte, zunächſt das Temperament, häufig auch den darauf
begründeten Charakter. Nun iſt aber das engliſche Temperament über-
haupt zur Launenhaftigkeit, zu kranker Tiefe und zu excentriſchen Aus-
brüchen verſchloſſener Lebendigkeit geneigt: dieſe Wunderlichkeiten und ihre
Streiche bezeichnete nun das Wort weiter und wurde ſo auch objectiv
[460] von dem närriſchen Streiche gebraucht. Erſt ſpäter, am Ende des acht-
zehnten Jahrhunderts, bekam es die jetzige tiefere Bedeutung. (Vergl.
Tieck, Shakespeares Werke überſ. von ihm und Schlegel, B. 9,
S. 310). Es bleibt immer ein glücklicher Zufall, der das Wort ſo
befeſtigt hat; denn was einſt von der humoral-pathologiſchen Erklärung
des Charakters im Ernſte gemeint war, erinnert jetzt bildlich an die
geiſtige Flüſſigkeit des Komiſchen, worin alles Feſte ſich auflöst. Ebenſo
paſſend nennt man die beſchränkten Naturen, denen Alles feſt iſt, trocken.
Zwar gibt es auch einen trockenen Witz und Humor, ja aller ſoll mit
trockener Miene vorgetragen werden, ſonſt bleibt der erhabene Schein
des erſten Gliedes aus; dies gehört aber nicht hieher. Aus jenem
früheren Gebrauche des Worts Humor nun nehmen wir den Begriff des
Inſtinctmäßigen natürlicher Stimmung, laſſen aus dieſer die Sonderbar-
keiten einer ſchon höheren Stufen angehörigen gebrochenen Individualität
weg und ſetzen für dieſen Natur-Humor auch den Begriff Laune. Dieſes
Wort nimmt Ruge (J. Paul hält ſich in §. 41 zu unbeſtimmt, ſteht
uns aber durch den Nachdruck, den er auf das Niedrige legt, näher)
in höherem Sinne und bezeichnet durch es den bedeutenderen, ausgebil-
deteren Humor als ſubjective Stimmung. Allerdings wird das Wort
gewöhnlich ſo gebraucht; man ſpricht von der Laune Swifts, Sternes,
J. Pauls u. ſ. w. Dieſe Bedeutung ſcheint um ſo mehr berechtigt,
da Laune ſowohl den Begriff des Launigen als den des Launiſchen ent-
hält, das Letztere aber den grillenhaften Wechſel in der Stimmung einer
gebildeteren Perſönlichkeit bezeichnet. Allein das Weſentliche und Urſprüng-
liche iſt doch das von der Natur Gegebene und Inſtinctive der luſtigen
Stimmung, und ſo mag das Wort dieſe anfängliche Bedeutung, ange-
wendet auf den Humor ohne Tiefe des Kampfes, behalten.
2. Das naiv Komiſche erhebt ſich auch in den naiven Humor,
wiewohl es als Ganzes mit dieſem oder als Grundlage mit dieſer ſeiner
Erhebung über die Grundlage nicht zu verwechſeln iſt. Der Narr,
Hanswurſt, die luſtige Perſon reißt neben der Selbſtbelachung und Welt-
belachung, zu deren Einheit ſie ſich erhebt, Poſſen der geiſtloſeſten Art und
dieſe ſind ihr urſprüngliches Element. Die luſtige Perſon hat ihre
Geſchichte und iſt z. B. in England durch Shakespeare in dem Momente
höher gehoben worden, wo ſie in den letzten Zügen lag, ja man kann
ſagen, dieſe Steigerung ſelbſt ſey ihr Tod geweſen. In ihrer höheren
Form nun iſt ſie noch immer dummlich, tölpiſch, gefräßig, feig, geſchwätzig
u. ſ. w.; ſie weiß es aber und ſtellt ſich dummer, als ſie iſt, um die
[461] Narrenfreiheit hinter dieſer Maske ſpielen zu laſſen. Durch dieſe nun
läßt ſie, wer ihr begegnet, anlaufen und zeigt ihm den Narren, den er
in ihr objectiv zu finden meinte, in ihm ſelbſt. So iſt die Thorheit
in ſich reflectirt und fördert zugleich das Bewußtſeyn ihrer Allgemeinheit
zu Tage. Allein es geht nicht tief; Alles bleibt bloſer Spaß; es iſt
nirgends Metaphyſik, Denken des eigenen und des Welt-Widerſpruchs
als eines ſolchen. Nach unſerer Entwicklung müſſen wir den erſten
Grund dieſes Mangels ſchon darin ſehen, daß die luſtige Perſon zum
voraus nicht den Stoff der geiſtigeren Komik, den vertieften ſittlichen
Gehalt und Schmerz über ſeine Verwicklung, den Kampf des ſittlichen
Bewußtſeyns in ſich trägt. (Der Narr im Lear nimmt freilich am ſitt-
lichen Leben tieferen Antheil, als ſonſt der Narr pflegt.) Aus jener ober-
flächlichen Theilnahme an den Gegenſätzen des Lebens kann auch nur eine
oberflächliche Befreiung hervorgehen.
In dieſe unmittelbare Luſt muß die herbere Erfahrung der allgemeinen1
ſittlichen Unreinheit und des allgemeinen Uebels, denen ſich auch das luſtige
Subject nicht entziehen kann, als Quelle inneren Kampfes einbrechen. Die
jugendliche Fülle des ſinnlichen Wohlſeyns läßt dieſen jedoch nicht über den
erſten Anſatz hinauskommen und der Humor bleibt naiv mit einem bloſen An-
fluge erlebten tieferen Widerſpruchs. Geht jedoch dieſe Naturkraft in ihrem2
Mangel an Selbſtbewachung zu gewiſſenloſem und rohem Genuß über und
ärndtet ſie als Frucht deſſelben zu anderen Uebeln etwa grobe Häßlichkeit,
ſo ſcheint aufgehoben, was §. 207 und 208 forderte. Allein zugleich mit
dieſem Bruche des natürlichen Wohlſeyns geht das Subject in ſich, das ſittliche
Leben wacht als Gewiſſen auf. Die Verſchlechterung geht jedoch nicht ſo tief,
daß ſie nicht auf dem Grunde jener erſten, noch nicht verlorenen Naturluſtigkeit
durch ein ſtetes Spiel zwiſchen der Selbſtbeſchönigung und dem immer neu zu-
fließenden Stoffe der Selbſtanklage ſich entlaſten könnte: der humoriſtiſche
Taugenichts.
1. Starke, jugendliche Naturen, die freilich zu dem Bewußtſeyn
gelangen, daß ſie mit den Wölfen heulen müſſen, aber die Fülle der
unüberwindlichen Geſundheit einer ungebrochenen Kraft ſchäumt über das
[462] Gefühl, wie krank die Welt iſt, brauſend in Jugendſcherz hin. Man
denke an einen Mercutio.
2. Soll vom naiven Humor zum innerlichen der Uebergang gemacht
werden, ſo muß ein Punkt eintreten, wo ein Widerſpruch gegen die in
§. 207 aufgeſtellte Forderung tiefen ſittlichen Gehalts und die in §. 208
ausgeſprochene Beſchränkung der dem Humoriſten nöthigen Erfahrung
auf feine, kleine Hinderniſſe und Leiden, die erſt im Bewußtſeyn un-
endlich werden, einzutreten ſcheint. Der naive Humor hat inſtinctive
Sittlichkeit und kommt mit oberflächlicher Erfahrung des Uebels weg.
Hier nun tritt eine Form ein, wo ſeine Auflöſung in der Nähe iſt: ſeine
ſubſtantielle Sittlichkeit wird gebrochen und die vertiefte innerliche iſt noch
nicht da. Ein grober realer Prozeß liegt vor. Die Luſtigkeit wird
liederlich, ſie ſinkt in Laſter, wie die blinden Heiden, die kein Geſetz
haben. Soll nun ein Inſichgehen, ein bewußtes ſittliches Leben, ein
innerer Kampf beginnen, ſo braucht es grobe Püffe. Falſtaff trägt ſchwer
an der Bürde ſeines Fetts und wird viel geplagt, Geld hat der Lump
ohnedies niemals. Jetzt ſtellt ſich das Gewiſſen ein. Damit iſt aber
die Sache nicht zu Ende; bliebe es dabei, ſo geriethen wir aus dem
komiſchen Standpunkt in den ethiſchen. Nun iſt aber nicht zu vergeſſen,
daß die Liederlichkeit, von der hier die Rede iſt, nicht raffinirte Ver-
dorbenheit iſt; die geſunde Rohheit des naiven Humors iſt noch nicht
verloren. Dem Gewiſſen tritt daher ſogleich die Selbſtbeſchönigung des
guten alten Adams, der im Grunde ſo böſe nicht iſt, gegenüber; der
Lump bleibt Lump und entlaſtet ſich durch ſtete Selbſt-Freiſprechung in
unverwüſtlichem Witz und Scherz von ſeinem Bewußtſeyn. Er iſt eine
arme luſtige Haut; hat Adam im Stande der Unſchuld geſündigt, was
ſoll der arme Hans im Stande der Sünde thun? Dies iſt die unver-
tilgbare Flüſſigkeit im Humor eines Falſtaff. Er iſt der Vertreter eines
verbreiteten Geſchlechts. Der Trinker vorzüglich pflegt als Surrogat
der Buße dieſen Humor auszubilden, deſſen beliebteſte Heimath im
Wirthshaus iſt. Falſtaff ſinkt immer zurück und indem er durch eigenes
Lachen dem fremden zuvorkommt, jede Ertappung, jedes Uebel mit
einem Witze abthut, ſchwebt er immer frei über ſich ſelbſt; ein klaſſiſches,
vollkommenes Spiel des Humors.
[463]
β.
Der gebrochene Humor.
Die ganze erſte Stufe des Humors verfällt, weil ſie den Prozeß ſeiner
Bewegung zwar vollzieht, aber nicht mit vollem Bewußtſeyn, einem freieren
Bewußtſeyn als Object und auch die zuletzt dargeſtellte Form, obwohl bereits
mehr innerlich, hat doch mit ſich ſelbſt zu viel zu thun, um ſich dieſem
Schickſal zu entziehen. Soll alſo die reine perſönliche Einheit entſtehen,
worin der ganze komiſche Stoff in völlig übergreifender Reflexion ſich ſelbſt von
ſich befreit, ſo wird zuerſt erfordert, daß der reale Prozeß weniger grob und
beläſtigend ſey. Die zarter organiſirte und innerlicher gebildete Perſönlichkeit
wird von einer Unfreiheit edlerer Art überraſcht und ſucht ſich durch Selbſt-
belachung und Necken der fremden Schwäche von dem Drucke derſelben zu
befreien. Dieſe Befreiung iſt aber ſelbſt noch mehr ein Werk der Selbſthilfe
natürlicher Geſundheit, als denkenden Bewußtſeyns; ſie bildet ſich daher noch
nicht zur Allgemeinheit des komiſchen Bewußtſeyns durch und ſie leidet im
Falle tiefer Verwicklung zu ſehr ſelbſt, um ſich völlig zu befreien.
Das Komiſche muß ſich ſo lange zu höheren Stufen forttreiben, als
noch eine Schwere des Stoffs in ihm iſt, welche nicht ganz in das
durch Reflexion auf ſich ſich befreiende Bewußtſeyn aufgeht. Die urſprünglich
gute, aber in Rohheit haltungslos ausgeartete Natur hat viel zu viel
damit zu thun, ſich die Laſt ihrer derben Häßlichkeit durch Selbſt- und
Weltbelachung vom Halſe zu ſchaffen, als daß ſie nicht noch Object und
Stoff für ein freieres und allgemeineres komiſches Bewußtſeyn werden
ſollte. Wenn z. B. der geſchlechtlich Ausſchweifende über die Uebel, die
ihm aus ſeinem Laſter erwachſen, ſich durch immer neuen Witz weghilft,
wie Falſtaff, ſo iſt dies nicht die freie Komik, wie in dem, der zwar
die Schwäche des Fleiſches kennt, aber nicht den ganzen Witz darüber
zur Selbſtfreiſprechung nöthig hat, ſondern das Uebel in ſeiner Allge-
meinheit als Schranke und Kehrſeite der wahren Liebe frei erfaſſen kann.
Zunächſt alſo muß das Selbſterlebte weniger ſchwer und grob ſeyn; wir
brauchen eine zartere, reinere, zum Voraus tiefer in ihr eigenes Innere
blickende Natur und dürfen dies ohne Anſtand aus den ſonſt bekannten
[464] Formen des Geiſtes herbeiziehen und aufnehmen; doch nicht ſogleich zu
der Bildung, die es zur Allgemeinheit des Denkens gebracht hat, dürfen
wir übergehen, es liegt dazwiſchen noch eine weſentliche Stufe, welche
zwiſchen dem naiven und dem wirklich reflectirten Humor die Mitte hält.
Um dieſe, wie ſie im §. dargeſtellt iſt, ſich zu vergegenwärtigen, denke
man vorzüglich an edle weibliche Naturen, wie z. B. Roſalinde in Wie
es euch gefällt. Ihr Eigenthum iſt geiſtiges Leben, Bildung, Grazie.
Eine Leidenſchaft, eine unglückliche Liebe befällt ſie; dieſe Erfahrung iſt
noch zu unmittelbar real, um völlige Freiheit des Humors zuzulaſſen, ſie
belächelt den Schmerz, an deſſen ſchamhafter Schönheit ſie ſich zugleich
weidet, ſie iſt in ihn verliebt, denn er iſt das eingehüllte Bild des Ge-
liebten, und ſie ſehnt ſein Ende herbei, ſie verbirgt ihn und ſie verräth
ihn mit der Anmuth der unſchuldigen Koketterie, und Alles dies mit
ſprudelndem Witz und Scherz, der zwiſchen Thränen lächelt und in der
eigenen Qual noch Zeit hat, den Geliebten ſelbſt und jedermann zu
necken. Dieſe Naturen im Zuſtande des Leidens ſind doch zu unfrei, ſie
ſind noch zu unglücklich, um ſie dem reinen und vollen Humor zuzutheilen,
und wie weit ſie ſich befreien, dies iſt ſelbſt wieder ebenſoſehr und noch
mehr Geſchenk der von Hauſe aus ſchönen Natur, als ein Werk erarbeiteten
innerlichen Lebens. Was aber dieſe Form dem gebrochenen Humor zuweist,
iſt dies, daß ſie, je mehr allerdings ſchon innerlich und gebildet, deſto
tiefer auch das Unglück ihres Bruches fühlt und deſto weniger es völlig
aufzulöſen vermag. Die anmuthige Natur, die es freilich nicht zu vollem
innerlichem Bewußtſeyn kommen läßt, erleichtert dieſen Bruch, aber eben
weil ſie blos Natur iſt, erſchwert ſie auch die Befreiung wieder, denn das
Schickſal kommt über ſie und ſie kann nicht ſeiner ganz Herr werden, wenn
es nicht durch die Gunſt des Zufalls eine glückliche Wendung nimmt. Es gibt
freilich auch im Elemente ſchöner, glücklich organiſirter Weiblichkeit höhere
Naturen, die mehr Charakter zu nennen ſind und in ihrer ſittlichen
Feſtigkeit eine ſo ſichere Bürgſchaft haben, ſelbſt die trübſten Verwicklungen
zu löſen, daß ſie mitten in ihrer Verſtrickung die innere Freiheit behaupten
und das Widerwärtigſte mit leichtem Scherze entwirren. Ein ſolches
Weſen iſt Porzia im Kaufm. v. Venedig, deren herrlicher Humor dieſe
männliche Grundlage mit der Anmuth des flüſſigen Scherzes umkleidet..
Naturen dieſer Art können weder blos dem naiven Humor, noch auch der
dritten Stufe desſelben, wie ſich aus ihrer Darſtellung ergeben wird,
zugetheilt werden, und da doch ihr Humor nichts weniger als gebrochen
genannt werden kann, ſo ſcheint unſere Eintheilung für eine weſentliche
[465] Form keinen Raum zu haben. Allein man denke ſich eine Porzia getroffen
von dem wahrhaft männlichen Bewußtſeyn des Weltwiderſpruchs in ſeiner
Tiefe und nicht blos von dem Gefühle ſolcher Uebel, welche mit ihrer
unmittelbaren weiblichen Angelegenheit, der Liebe und Ehe, in näherem
oder entfernterem Zuſammenhang ſtehen, ſo wird ihr der Humor nicht
mehr ausreichen, ſondern nur der Ernſt des Charakters. Denn ſie iſt
Weib; nur der männliche Geiſt kann zugleich in die Tiefe des ganzen
Weltübels ſehen und auch dieſes Bewußtſeyn in der Form des Scherzes
überwinden.
Aber die tiefere Arbeit der Bildung bricht auch dieſe letzte Leichtigkeit1
der naiven Selbſthilfe. Das denkende Subject geht in ſich und erkennt den eige-
nen Widerſpruch und den der Welt in ſeiner ſchneidenden Herbe dadurch, daß es
ihn in ſeiner Allgemeinheit denkt, erliegt aber mitten im Verſuche der Befreiung
von dieſem Schmerze, entweder weil es ſelbſt in realem Sinne zu tief in den Wi-
derſpruch verſtrickt iſt und, nach außen gebunden, ſich in kranker Bitterkeit
zerarbeitet, oder weil es, bei verhältnißmäßig geringem Drucke des ſelbſterlebten
Widerſpruchs, gemäß der nun eingetretenen Innerlichkeit des Bewußtſeyns, ein2
ſelbſtquäleriſches Denken in ſich nährt, das Störungen erfindet, die nicht ſind, die
wirklich vorhandenen dichtend vervielfältigt und ſo jenes unendliche Schmerzgefühl
des Humors (§. 208) noch verdoppelt. In beiden Fällen ſtockt die Selbſtbefreiung
und es bleibt eine nicht aufgelöste Verzweiflung an der Kraft der Idee, ſich in
ihren Widerſprüchen und durch ſie fortzubehaupten, ein nicht überwundener Aerger
zurück. Es ſind Subjecte, welche die Erfahrung nicht überwinden können.
1. Zu tief verſtrickt in eine reale Colliſion der Aufgabe des Handelns
mit der Innerlichkeit einer edeln, denkenden Natur iſt z. B. Hamlet.
Dagegen iſt die reale Verſtrickung anderer Art, wo das Subject ſein
Leben durch Leidenſchaft, frühen Genuß, wilde Sitten getrübt hat, wie
Byron, Grabbe, durch Maßloſigkeit und Haltungsloſigkeit irgend einer
Art bei idealen Anforderungen des reineren Selbſt. Theodor Hoffmann,
Heine mögen ebenfalls im gebrochenen Humor hängen geblieben ſeyn, weil
ſie ihr Leben nicht mit weſentlichem Gehalte zu erfüllen, mit Beſonnenheit zu
ordnen wußten. Es bleibt im Humor ſolcher Naturen ein Reſt von
Bitterkeit und Verzweiflung, der nie ganz in die reine Freiheit des
Bewußtſeyns aufgeht. Eine intereſſante Frage iſt, ob Shakespeare
als Menſch und Charakter, wenn man alle ſeine Werke zuſammennimmt
Viſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 30
[466]und Troilus und Creſſida und den Timon nicht überſieht, ſich zum reinen
Humor erhoben habe. Er wurde gegen das Ende ſeines Lebens durch
Erfahrungen von Bedrückung der Kunſt, Intriken, durch den Anblick
wachſender Verdorbenheit, Heucheley, Ungerechtigkeit im höchſten Grade
verbittert. Damit man nicht meine, es ſey hier blos von einer beſtimmten
Zeitform der Bildung die Rede, muß noch an Ariſtophanes erinnert
werden. Hier iſt freilich nicht nach unmittelbar an der eigenen Perſon
erlebtem Uebel zu fragen, aber der Anblick des Verfalls altgriechiſchen
Lebens gehört auch zu den allzuherben perſönlichen Erfahrungen und es
wäre auch hier von Intereſſe, zu unterſuchen, ob nicht durch die Ge-
ſammtheit ſeiner Werke ein Geiſt ſich verfolgen laſſe, deſſen Bitterkeit
nicht in das reine Element der komiſchen Befreiung völlig aufging.
2. Die Melancholiker und Hypochondriſten. Sie brauchen wenig
Uebel erlebt zu haben, um den Humor auszubilden, der ſeine beſte Flamme
aus dem Schmerze nährt. Sie ſind feinere, innerliche, nervöſe Naturen
und von Trübung des eigenen Lebens durch ſchwere Verirrung iſt hier
auch nicht die Rede, vielmehr hier gilt, was J. Paul (a. a. O. §. 34)
ſagt, daß der Cynismus des Humors freier Entſchluß ſey und ſeine
Flamme ohne Schaden durch die brennbare Sinnlichkeit hindurchlaufe,
wozu er denn als Beleg die Platoniſche Enthaltſamkeit des ſehr unan-
ſtändigen und verfänglichen Swift anführt. Jenes kranke Denken
aber, das einen vorhandenen geringen Schmerz mit unſeliger Metaphyſik
zu einem unendlichen verinnerlicht und mit ſelbſtquäleriſcher Erfindſamkeit
Uebel ſieht und fürchtet, wo keine ſind, hat Niemand beſſer dargeſtellt, als
Jean Paul. Auch die trefflich dargeſtellte Natur des Jacques aus:
So wie es euch gefällt, gehört hieher. Solche Hypochondriſten nun
können und wollen ſich ebenfalls von der Laſt des Bewußtſeyns menſchlicher
Schwäche und Noth nicht in reinem Scherze befreien; ihr Scherz iſt
ärgerlich, aber dieſer Aerger und Eigenſinn iſt freilich ſchon ungleich
unſchädlicher als jene ſchneidende Verzweiflung der wirklich durch Erfahrung
Verbitterten. Doch kann man von beiden ſagen, was der Schlußſatz des
§. ausſpricht: die Geſundheit und Flüßigkeit des Geiſtes ſtockt, weil dieſe
Naturen die Erfahrung nicht überwinden können. Von Hippel mag es
dahingeſtellt bleiben, ob das Trübe, was in der Miſchung ſeines Humors
ſich nicht rein auflöst, mehr den bekannten Härten und Flecken ſeiner
Perſönlichkeit oder mehr ſeinem kranken Wühlen in Grabesgedanken
angehöre.
[467]
γ.
Der freie Humor.
Allerdings wird aber dieſer unüberwundene Reſt von Bitterkeit in dem
Grade unſchädlich, in welchem er ein Werk des ſelbſtquäleriſchen Dichtens iſt;
denn dieſes verräth die Empfindlichkeit eines reinen Gemüths für die Entſtellung
der in ihm lebendigen Idee, welche aber zugleich auch als unendliche Weich-
heit das Entſtellende nicht von ſich abſtößt, ſondern ſich mit flüßiger Liebe in
dasſelbe fortſetzt und in dem Ungereimten ſelbſt, dem ſie zürnt, den eigenen,
innerlich verborgenen Werth entdeckt. Das Subject weidet ſich mehr an ſeiner
Qual, als ſie wirklich iſt, und lebt ſich daher mit ſeiner Innerlichkeit leichter,
als es ſcheint, in den verborgenen Werth ebendeſſen ein, was die Idee in’s
unendlich Kleine verkehrt. Dieſe hinüberfließende Liebe iſt nicht mehr ein
Werk glücklicher Naturſtimmung, ſie ſetzt den Gedankenbeſitz der Humanität als
ein Errungenes, aber in das weiche Element beſchaulicher Empfindung Umgebil-
detes voraus; allerdings aber iſt dieſe Form zwar des Widerſpruchs als eines
allgemeinen ſich bewußt, aber doch zu innerlich, um von dem engen Geſichts-
kreiſe ihrer ſtillen und innigen Heimlichkeit über das wirkliche Schauſpiel der
Kämpfe der Idee und der Gegenſätze der Welt im Großen die unerſchloſſene
Unendlichkeit ihrer Subjectivität zu erweitern.
Der zweite der in §. 219 unterſchiedenen Fälle führte zu der
Innerlichkeit, welche als Bedingung des wahrhaft freien Uebergriffs der
Subjectivität über die Verſtrickung der Idee weſentlich gefordert iſt. Die
Hypochondrie des Humoriſten leitete dies mit gutem Grunde ein, denn
ſie iſt bereits eine Aeußerung der Verwundbarkeit, welche einem nach
innen tief ausgebildeten Gemüthsleben anzuhängen pflegt. Der Unter-
ſchied iſt nur der, daß dieſe Empfindlichkeit dort den Grundzug bildete,
nun aber der Fortſchritt des Begriffs das Verhältniß umdreht und das,
woran ſie hängt, zuerſt und als Mittelpunkt, ſie ſelbſt als auflösbares
Hinderniß aufſtellt. Zu dieſem Fortſchritte treibt den Begriff der Mangel
des gebrochenen Humors und die aus dem wahren Weſen des Humors
fließende Nothwendigkeit der Aufhebung dieſes Mangels. Es tritt nun
30*
[468]eine Geſtalt auf, welche ganz Innigkeit iſt, aber auch an Weite verliert,
was ſie an Tiefe eines inneren Himmels von Liebe gewinnt. Sie ſelbſt
hat zwar zu leiden, aber nur die Uebel des kleinen Lebens, Armuth,
dürftige Geſtalt, Unſtern; ſie erfährt auch die Schlechtigkeit der Welt, aber
nur im Privatleben. Es fehlt das öffentliche Bewußtſeyn, das Welt-
bewußtſeyn, ſie iſt nicht politiſch; ſie liebt das Menſchengeſchlecht, aber
ſie meint, im Menſchen den Menſchen mit Abzug ſeines wirklichen öffent-
lichen Lebens umfaſſen zu können, ſie iſt philanthropiſch, ein Kind der
Humanitäts-Bildung. Die Uebel, die in ihren Geſichtskreis fallen,
verklärt ſie, wie ein ſtilles Gemüth in ſein wohnliches, warmes, enges
Zimmer ſich einlebt, mit dem Ueberfluß ihrer Liebe und Güte, mit wohl-
meinendem Scherze. Es iſt der philiſteriöſe und „empfindſelige“ Humor.
Seine unendliche Humanität wäre ohne den Gedankenbeſitz einer weiten
und offenen Bildung nicht möglich; aber er nimmt von dieſer nicht die
weltumbildenden Gedanken, ſondern nur die fertige Frucht der wohl-
wollenden ſubjectiven Stimmung auf. J. Paul gehört hieher als
Dichter eines Quintus Fixlein, als Schöpfer eines Eymann, eines Sieben-
käs, den übrigens ſein männlicher Zorn anderntheils bereits auf die folgende
höhere Stufe hebt, eines Gottwalt, als Freund der Armen, wie ihn
Börne ſo ſchön geſchildert; aber nicht als Schüler Rouſſeaus, nicht
als ſchneidender politiſcher Denker; wohl aber ganz der milde Goldſmith,
die „ſich ſelbſt belächelnde Hausväterlichkeit und Gutmüthigkeit“ eines
Muſäus. Den Namen der Sentimentalität hat Sterne dieſer Form
des Humors geſchöpft und Hamann trefflich durch Empfindſeligkeit über-
ſetzt. Sterne apoſtrophirt „das große Senſorium der Welt,“ den Gott
dieſes Humors, „die unerſchöpfliche Quelle der theuren Empfindungs-
fähigkeit.“ Er wäre ohne Frage ein beſonders reiner Typus dieſer
Form, wenn nicht ein fremder Ton, die Lüſternheit, die auch Wielands
und Thümmels ärmeren Humor entſtellt, fauniſch bei ihm überall ſich
hindurchzöge. Der Humor wird wohl vorzüglich auch das Geſchlechts-
verhältniß in’s Auge faſſen, aber nicht dieſen Reſt unaufgelöster,
lauernder Begierde als ſchweren Stoff zurücklaſſen. Der Begriff des Sen-
timentalen nun iſt in ſeiner allgemeinen Bedeutung anderswo zu erörtern;
hier weicht er von dem gewöhnlichen Gebrauche darin ab, daß der
wohlmeinende Scherz in die ſich und die Welt umfaſſende Empfindung
miteinbegriffen iſt, wogegen das Sentimentale im gewöhnlichen Sinne
den Widerſpruch des Gemeinen und Kleinen als Gegengewicht ſeines
abſtracten Ideals und den Scherz darüber gerade nicht zu ertragen mag.
[469] Von dieſer Ausſchließung des Komiſchen iſt in der humoriſtiſchen Sen-
timentalität nur ſo viel enthalten, daß ſie ihren komiſchen Kreis ver-
hältnißmäßig doch enge zieht aus Scheu vor den männlichen Kämpfen
und Widerſprüchen der großen, politiſchen Welt.
Stoßen auf dieſe Subjectivität die großen Widerſprüche der zu einer objec-
tiven Welt ausgebreiteten ſittlichen Idee, ſo muß ihr der Humor ausgehen,
weil die Innigkeit ihrer inneren Liebeswelt nicht ausreicht, auch ſie in freiem
Scherze zu bewältigen. Sie hat an Objectivität und Totalität verloren, was
ſie an innerlich vertieſter Unendlichkeit gewonnen hat. Daher entſteht zuerſt
die Forderung, daß dieſe Innigkeit ſich zur Gewalt des von dem allgemeinen
Pathas für dieſe objective Welt erfüllten Geiſtes erweitere, der handelnd ſich
ſelbſt in ſie einläßt und wohl auch an ſich die herbe Erfahrung ihrer Un-
reinheit machen mag, aber dieſen realen Prozeß auch durch das Intereſſe des
ſelbſtändigen und umfaſſenden Denkens, das ihm unerläßlich iſt, erſetzen mag.
Da nun der Geiſt den allgemeinen Widerſpruch durch dieſes Denken in ſeiner
ganzen Beſtimmtheit und Härte erfaßt, tritt dem ſtillen und liebevollen Humor
ein ſchneidender Realiſmus gegenüber, und dieſer noch unaufgelöste Gegenſatz
kann ſich ſogar in Einem Subjecte vereinigen.
Jener ſtille und heimliche Humor weiblicher Männer, gutmüthiger,
ländlicher, kleinſtädtiſcher Naturen erſcheint als leichtes Thun, wenn man
die männlichen Kämpfe des öffentlichen Lebens, die er nicht in ſeinen
Kreis zu ziehen vermag und deren Anblick ihn aus der Stimmung bringt,
in’s Auge faßt. Aber eine ſittliche Welt verſinken ſehen, wie der männ-
liche Geiſt des Ariſtophanes, Undank, Ungerechtigkeit, Schwäche der
Geſetze, Beſtechung, Ränke walten ſehen mit dem Feuer-Auge Shakes-
peares, und doch den Humor auch über dieſe Welt-Uebel erweitern, dies
iſt das Höchſte, das Schwerſte. Eigene Erfahrung in dieſem Kreiſe und
eigenes Schuldbewußtſeyn kann vorausgehen, wie es ſo ſchmerzvoll
kämpfend aus Shakespeares Sonetten ſpricht, aber wie weit dies
gehen müſſe oder dürfe, muß unbeſtimmt bleiben, denn der äſthetiſche
Geiſt erſetzt ſich durch ein inneres Weltblild die Mängel der Erfahrung.
Dieſe Weite des Blicks iſt im §. als ein Denken bezeichnet; um die
Befreiung von dieſem totalen Schmerze in der Form des Humors zu
erzeugen, muß auch dies Denken freilich erſt Beſitz und Eigenthum der Per-
[470] ſönlichkeit geworden, in das Element der Unmittelbarkeit zurückgetreten ſeyn;
wir ſprechen aber noch nicht von dieſer Befreiung, ſondern vom Wider-
ſpruche des ſittlichen Pathos mit der Erfahrung, und um dieſen in ſeiner
Allgemeinheit zum Bewußtſeyn zu bringen, dazu iſt eigentliches Denken
nöthig. So hat J. Paul über den Staat gedacht und durchſchaut die
Verdorbenheit des öffentlichen Lebens mit ſtrengem, grauſamen Blicke.
Er iſt es, in welchem der ſentimentale Humor, der jetzt als bloſe Hälfte
auf die eine Seite tritt, mit dem härteſten Realismus und radikalſten
Haſſe der Schlechtigkeit der öffentlichen Zuſtände zu einer widerſprechenden
Einheit zuſammenfällt. Zunächſt erſcheint dieſer herbe Geiſt, dieſer
Nordpol ſeines Ich, als geſundes und heilſames Gegengift gegen ſeine
Empfindſamkeit und ſtille, allzuweiche Heimlichkeit. Zieht man einen
Theil der letzteren, das unendliche Mitleiden mit den Armen und Ge-
drückten, aber mit Weglaſſung der Auflöſung, die er dieſem Schmerze
durch das Bild lächelnder Zufriedenheit gibt, herüber zu dieſer herben
Seite, ſo ſteht ein Republikaner, ein Communiſt, ein Demokrat vor
uns. Demokratiſch, nicht blos in dieſem beſtimmten, ſondern im weiteſten
Sinne, iſt alles Komiſche.
Erſt nachdem dieſes Denken die letzten Haltpunkte einer blos objectiven
abſoluten Erhabenheit, bei der ſich die myſtiſche Innerlichkeit des empfindſamen
Humors, unfähig die Conſequenzen des Komiſchen völlig zu ziehen, beruhigt,
als vollendete Kritik zerſtört und ſo, wie es ſcheint, die Verzweiflung auf ihre
Spitze geführt hat, ſo kann, und zwar gerade dadurch, die Befreiung eintreten.
Denn die Reflexion wendet ſich jetzt einfach auf das Ganze, das vorliegt, und
hat nun dies vor ſich, daß das eigene Subject, in die allgemeine Unreinheit
und ihr Schickſal verwickelt, eben durch ſeinen unendlichen Schmerz unendlich
darüber ſteht, gerade durch den Selbſtverluſt zu ſich zurückkehrt, und daß ebenſo
im ganzen Umfange der Geſchichte durch den Reiz und Schmerz des Wider-
ſpruchs ihr großer Zweck ſich herausarbeitet. Nun erſt, da nichts ausgenommen
wird und doch in der allgemeinen Verwicklung das Verwickelte ſich rein zu ſich
zurückbewegt und dieſer Bewegung zuſchaut, kann die Subjectivität, welcher auch
jenes ſtrenge Denken zum innerſten Beſitze und zur geläufigen Unmittelbarkeit
geworden, dieſe ewige Rückkehr in jedem Momente als vollendet antizipiren und
ſich ſo den Genuß ihrer unendlichen Freiheit geben.
[471]
In J. Paul finden ſich Elemente zu dieſer höchſten Befreiung aus
dem totalen Bewußtſeyn des Widerſpruchs. Schoppe und Leibgeber,
zum Theil auch Horion, ſchreiten auf der einen Seite fort zu der Ver-
zweiflung an den letzten feſten Punkten objectiver, dem Subjecte jenſeitiger
Erhabenheit, an denen der ſtille und weiche Humor in ſeiner Erbaulichkeit
noch feſthält, wenn die ihm unerträgliche Erfahrung des Uebels in den
großen Kreiſen des Weltweſens auf ihn eindringt; auf der andern Seite
iſt in ihnen auf der Grundlage Fichte’ſcher Ideen ein Bewußtſeyn der
Unendlichkeit des Ich ausgeſprochen. Allein theils ſind jene athei-
ſtiſchen Humoriſten wieder zu ſehr nur mit der inneren Welt beſchäftigt,
um den größeren politiſchen Schmerz des Dichters, der daher unüber-
wunden zur Seite liegen bleibt oder ſich nur didaktiſch durch Muſter
wahrer Erziehung künftiger Fürſten zu löſen ſucht, in ihren Humor
hereinzuziehen; theils bleibt ihr Humor ein gebrochener, weil ſie
nur das Unglück des Zweifels fühlen, nicht die Auferſtehung des Be-
zweifelten in der Unendlichkeit des zweifelnden Geiſtes ſelbſt erkennen;
und endlich ſteht gerade in jenem genialen Wahnſinn, zu welchem
J. Paul die Ideen Fichtes benützt, der ſubjective Idealismus im
Hintergrunde, welcher nicht die Mittel hat, in der Idee der unendlichen
Subjectivität die zerſtörten objectiven Mächte als ein freies Beiſichſeyn
der mit ſich und der Natur kämpfenden Menſchheit im Großen her-
zuſtellen. Die politiſche Anſchauung iſt aus Rouſſeau geſchöpft
und daher ebenfalls zu abſtract, ſich mit der Geſchichte zu verſöhnen.
Dagegen iſt hier noch einmal an Ariſtophanes zu erinnern. Hätte er
mit ſeinem großen politiſchen Humor das vollkommene Bewußtſeyn ver-
einigt, daß die alten Götter und Sitten in einer neuen Geſtalt des
Lebens, die ſich aus dem verſinkenden griechiſchen Staat herausringen
müſſe, als unendlicher eigener Gehalt des freien Geiſtes fortleben werden,
ſo hätte er die höchſte Form des Humors, welche hier gefordert iſt,
verwirklicht. Dazu hätte er freilich die Bedeutung der Sokratiſchen
Philoſophie beſſer verſtanden gehabt müſſen, als dies der Fall iſt. So
aber iſt er ſelbſt getheilt zwiſchen der Sehnſucht nach der alten ſub-
ſtantiellen Einfalt und zwiſchen der unendlichen Selbſtgewißheit, die der
wahre Sinn ſeiner Komödien iſt. Man wird dies bei den meiſten
Humoriſten finden: ſie theilen als vollkommene Kinder einer kritiſchen
Zeit die ganze Selbſtgewißheit der freien Bildung, welche die Anhänger
des Alten Frivolität zu nennen belieben; da aber dieſe Selbſtgewißheit
in der Maſſe der oberflächlichen Bildung allerdings wirkliche Frivolität
[472] wird, ſo werfen ſie ſich dieſer gegenüber auf die Sentimentalität des
geſchichtlichen Jenſeits, ſie ſind laudatores temporis acti, ſie ſchwärmen
für die Biderbigkeit des Altvordern. Kaum findet man ſie aber auf
dieſem Boden, ſo drehen ſie ſich um, gehören der berechtigten Gegen-
wart und verlachen die alte Einfalt in ihrer Rohheit, Härte, Bornirtheit.
Hätten ſie den vollen und ganzen Blick in die Tiefe des Geiſtes, ſo
würde ſie aus dieſem (unwillkürlichen) Widerſpruch die einfache Er-
wägung befreien, daß der wahre Gehalt des Vergangenen ſelbſt ſich
eben in dem freien Bewußtſeyn, das dieſes ſtürzt, erhalten muß. Allein
hieran hindert den Humor ein äſthetiſches Bedürfniß: die freie Gegen-
wart zerſtört die Naturformen der alten Einfalt, welche weſentlich ſchön
waren. So würde z. B. ein Humoriſt der jetzigen Zeit vielleicht gerne
den letzten Reſpect vor dem Naturſtande heroiſcher Zeiten mit aller ihrer
Grauſamkeit, ihrem trüben Aberglauben, ihren Folterkammern und Schei-
terhaufen in den Fluß der Humors ſchleudern und ganz beherzigen, daß
die wahre Natur nur die Bildung iſt, wenn nur jene rohe Zeit nicht
in Allem, was Auge und Geſtaltenſinn erfreut, bedeutender geweſen
wäre, als die modernen Zuſtände. Dieſer nicht gewollte und nicht zum
wahrhaft Komiſchen gehörende Widerſpruch im Humoriſten könnte ſich
nur dann löſen, wenn die kritiſche Bildung zugleich auf dem Momente
angekommen wäre, wo ſie auch die Formen ſchon erzeugte, welche für
den Verluſt der alten entſchädigten und welche der Humor als äſthetiſche
Kraft fordert. Dann erſt hätte der Humoriſt Alles in der Gegenwart
beiſammen; er könnte mit ihr jede Erhabenheit, die von außen zwingen
will, belachen; er könnte aber auch ſie ſelbſt um der Häßlichkeit ihrer
gährenden Formen willen belachen und brauchte dazu nicht als Baſis
das Jenſeits der Vergangenheit mit ihren Autoritäten, ſondern der innere
Kern ebenderſelben Gegenwart, die Freiheit, welche ihm die Herſtellung
neuer entſprechender und gediegener Formen verſpräche, gäbe ihm die
Widerlage. Das neue Weltbild muß zwiſchen den Trümmern einer alten
Welt ſchon im vollen Werden begriffen und das Element desſelben muß
Freiheit mit ſchönen und edlen Formen ſeyn. Nur in der Freiheit iſt
der ganze und totale Humor möglich, von dem hier die Rede iſt; ſeit
Ariſtophanes iſt aber ein Staatsleben noch gar nirgends dageweſen,
worin ein Humoriſt, wie er es ſammt dem inneren Mangel ſeines
Humors iſt, geſchweige denn ein Humoriſt ohne dieſen Mangel möglich
geweſen wäre. Der Begriff dieſes Humors iſt nothwendig, ſeine Ver-
wirklichung bleibt Aufgabe. Zu erwähnen aber iſt noch ein Geiſt, der
[473] ihr näher ſteht, als man weiß: Fiſchart. Nicht nur von den ſittlichen
Mächten des engeren Lebens-Kreiſes hat er, während er mit ſchonungs-
loſer Tollheit ihre Gebrechen wild hervorkehrt, das reinſte Bewußtſeyn,
nirgends iſt z. B. über die Ehe ſo tief Sittliches geſagt worden als von
ihm in dem Cap. ſeiner Geſchichtsklitterung: wie ſich Grandgoſchier
verheirath. Das Capitel gehört ihm allein, iſt nicht aus Rabelais
überſetzt. Eben indem er in das Kleinſte des ehelichen Lebens eingeht,
fördert er ſein Gold zu Tage; ein wahrhaft herrliches Gemüth. Aber
auch der Schluß des Buchs gehört ihm, wo er aus den tollen Larven
einer verwilderten Ritter- und Pfaffenwelt das ſchöne Bild eines Ge-
ſammtlebens auftauchen läßt, worin die ganze menſchlich freie ſittliche
Zukunft, die in der Reformation als Keim liegt, ſich als heiterer Tag
ausbreitet. Auch ſein glückhaftes Schiff iſt die reinſte nationale Geſin-
nung im ſprudelnden Scherze; ein Keſſel voll Hirſenbrei wird hier zum
Bande deutſcher Einheit. Seine rohe Formloſigkeit ſtellt ihn jedoch unter
ſeinen eigenen Werth.
Der ſubjective Eindruck des Komiſchen.
§. 223.
Nachdem das Weſen der ſubjectiven Thätigkeit in der Entſtehung des
Komiſchen erörtert iſt, bleibt noch übrig, den ſie begleitenden Genuß für ſich
darzuſtellen. Mag das Komiſche unmittelbar mit dem Andringen eines Erha-
benen oder mit der Erſcheinung eines Kleinen, das ſich ſofort zu einem Erha-
benen aufzutreiben verſucht (vergl. §. 155) beginnen: in beiden Fällen bildet, da
auch im zweiten das Kleine erſt in Folge dieſes Verſuchs als ein unendlich
Kleines ſich darſtellt, den Anfang des Komiſchen Gefühls die Unluſt, die
alles Erhabene zuerſt erregt, und die hier weſentlich die Form der Spannung
und Erwartung annimmt. Zugleich äußert ſich aber das Vorgefühl der Auf-
löſung dieſer Unluſt, erregt durch ein Merken des unendlich Kleinen, das ſchon
unter der Decke des Erhabenen ſpielt, als ein leiſe ſich ankündigender Kitzel.
Der zweite der im §. genannten Fälle hebt die Spannung, die das
ſich heranbewegende Erhabene erregt, nicht auf, denn das Kleine, was
ſich groß macht, wie der Froſch in der Fabel, iſt urſprünglich an ſeiner
Stelle auch ein ganzes, wohlberechtigtes Daſeyn und ſo gut wie etwas
Anderes; erſt nachdem es ſich weiter und weiter auftreibt und endlich
[474] zerplatzt, erinnert man ſich, wie es gegen die angeſtrebte Größe ſo klein
iſt, daß es durch die Weglaſſung der Mittelglieder, welche die Schnellig-
keit des Platzens bewirkt, als unendlich klein erſcheint. Solang es ſich
aber aufbläht, meint man Wunder, was werden wolle, und fühlt ſo
die Unluſt der Spannung, doch ſieht man auch das Zerplatzen zum voraus
kommen, man ahnt das Umſchlagen, daher der vorausgehende Kitzel.
§. 224.
Plötzlich reißt die Spannung entzwei und der Stoß, den die Em-
pfindung dadurch erleidet, muß ein augenblickliches neues Schmerzgefühl be-
wirken. Allein das Erhabene löst ſich nicht in Nichts auf, ſondern in ein
unendlich Kleines, das ſich anmaßte, erhaben zu ſeyn: dies iſt häßlich, und
daraus ſcheint eine neue Unluſt zu entſtehen, welche widerlicher, während die
2Unluſt, die das Erhabene erregte, äſthetiſcher Art iſt. Alsbald jedoch er-
greift das Gefühl die angeſchaute Wahrheit, daß das Erhabene, nur der An-
maßung entkleidet, ein Beſonderes und Fremdes ſeyn zu wollen, ſich in das
unendlich Kleine ſelbſt hinüberrettet, an dem es ſcheiterte. Nun erſcheint dieſes
als unendlich berechtigt und der Zuſchauer mit ihm in das volle Recht ſeiner
beſchränkten und zufälligen Natur als einzelnes Subject eingeſetzt; die Unluſt
des Erhabenen als eine Zumuthung, dieſem Rechte zu entſagen, ſchwindet mit
einem Male und macht einer reinen Erleichterung und Erholung Platz, welche
aber in das poſitive Gefühl eines erfüllten Genuſſes der Gewißheit dieſer Be-
rechtigung und unendlichen Bedeutung des Endlichen übergeht.
1. Kant (Kr. d. äſth. Urthlskr. §. 53, Anm.) beſtimmt das Lachen
als einen Affect aus der plötzlichen Verwandlung einer ge-
ſpannten Erwartung in Nichts. Ausdrücklich ſagt er, dieſe dürfe
ſich nicht in das poſitive Gegentheil eines erwarteten Gegenſtandes —
denn das ſey immer Etwas und könne oft betrüben —, ſondern müſſe
ſich in Nichts verwandeln. Nach unſerer Entwicklung braucht dieſe An-
ſicht nicht weiter widerlegt zu werden. Kant fürchtet das Häßliche,
was hervorſpringt, weil er nicht ſieht, daß es in demſelben Augenblicke
aufhört, Häßliches zu ſeyn, indem die Idee, des Uebermaßes entkleidet,
mit dem ſie auftrat, als wahrer innerer Werth in das unendlich Kleine
ſelbſt herübertritt. Da nun die reine Auflöſung einer Erwartung in Nichts
„für den Verſtand nicht erfreulich ſeyn kann“, ſo ſucht Kant in der
[475] Wirkung des Komiſchen einen rein ſinnlichen Genuß, indem er das
Lachen als eine der Geſundheit zuträgliche Bewegung ſchildert. Dieſe
Bewegung ſoll aber doch die Wirkung „eines Spiels der Vorſtellungen“
ſeyn, und dadurch geräth Kant in Widerſpruch mit ſeiner eigenen
phyſiologiſchen Anſicht, denn dieſes Spiel iſt ja Formbewegung des Geiſtes,
die einen Gehalt im Sinne bloſen Stoffs zwar verflüchtigt, aber nur um
ſich durch dieſe Verflüchtigung den wahren Gehalt, das Gefühl der reinen
Freiheit, zu geben. Dies iſt jedoch das Letzte; zuerſt ſind die einzelnen
Momente dieſer ganzen Gemüthsbewegung zu verfolgen. Die Enttäu-
ſchung nun, die mit der Auflöſung des erhabenen Scheins eintritt, dop-
pelt ſtark, weil ſie in Form eines plötzlichen Rucks einbricht, ſcheint ſelbſt
ein Schmerzgefühl und zwar ein poſitives, weil an die Stelle des Erhabenen
für den erſten Augenblick ein Häßliches tritt. Gegen die Unluſt, die das
Häßliche erregt, war die Unluſt aus dem Erhabenen noch eine Luſt; denn
dieſe iſt mit der Ausſicht verbunden, zu dem Erhabenen ſich ſelbſt zu er-
heben (§. 140), jene aber iſt Widerwille der völligen Abſtoßung durch
das Gegentheil des Schönen.
2. Aus dem Häßlichen wird aber, wie gründlich nachgewieſen iſt,
ein berechtigtes unendlich Kleines; die ſinnliche Natur und mit ihr die
des Subjects, wird in ihr volles Recht eingeſetzt. Gegen dieſes Luſt-
gefühl iſt auch dasjenige, das auf die Unluſt aus dem Erhabenen folgt,
noch Unluſt; denn um das letztere zu genießen, muß ich entſagen. Ich meinte
auch im Komiſchen, wie es mit dem Andringen eines Erhabenen begann,
entſagen zu müſſen; meine Werktagsſtimmung, meine Behaglichkeit, meine
Bedürfniſſe, kleinen Liebhabereien, mein Appetit, meine Suppe und mein
Braten ſollten verächtlich ſeyn. Aber nun iſt es anders; ich bin zu Hauſe
in der Welt, es iſt mir wohl, und zwar ganz, ohne Opfer; ich darf
mir’s ſchmecken laſſen. Zunächſt iſt dies, ganz abſtract oder von ſeiner
negativen Seite, ein Gefühl der reinſten Erholung; es iſt mir eine Laſt
abgenommen. Es iſt ein weſentlicher Theil der wahren Erklärung des
Komiſchen, daß wir es ſegnen müſſen, weil ohne ſeine Hilfe das ganz
Gemeine, mit dem wir behaftet ſind, unerträglich wäre. Das Komiſche
iſt ſchon in dieſem Sinn wahrhaft ein Balſam, ein guter Engel. Kant
übertrifft ſeine geringe Schätzung des Komiſchen ſelbſt, wenn er bemerkt:
„Voltaire ſagte, der Himmel habe uns zum Gegengewichte gegen die
vielen Mühſeligkeiten des Lebens zwei Dinge gegeben: die Hoffnung und
den Schlaf. Er hätte noch das Lachen dazu rechnen können“. Auch
Solger ſpricht dieſe Seite treffend aus und nennt es um dieſer be-
[476] freienden Kraft willen einen erfriſchenden Thau vom Himmel, der uns
zugleich von dem Elend der Gemeinheit und von der ermüdenden Be-
mühung um das Höhere zum glücklichen Gleichgewichte der Schönheit
aufrichtet (Erwin. Th. 1, S. 252). Die Einmiſchung des Komiſchen
in die Tragödie, das Satyrſpiel der Griechen, die Farce der Italiener
und Franzoſen nach dieſer begründen ſich auf dieſes Bedürfniß der Er-
holung. Freilich iſt aber die Erholung nicht das Ganze. Sie iſt blos
das eine Angeſicht der komiſchen Luſt, das rückwärts ſieht nach der Un-
luſt der Spannung und Zumuthung. Das andere ſieht vorwärts auf die
reſtituirte Welt der Schranke und des Zufalls; daraus erſt fließt das
erfüllte, poſitive Luſtgefühl. Es fehlt aber noch, daß dieſes, im §. zwar
nach ſeinem allgemeinen Charakter beſtimmt, erſt in ſeiner Bewegung
anerkannt werde.
§. 225.
Dieſes Luſtgefühl darf aber mit demjenigen nicht verwechſelt werden,
welches aus der Anſchauung des Schönen fließt, denn es iſt ein gegenſätzlich
bewegtes. Nicht einfach nämlich iſt die Schranke und die Zufälligkeit in ihr
Recht eingeſetzt, ſondern in dem beſtimmten Sinne einer Negation des Ueber-
ſchwungs zum Schrankenloſen und des zwingenden Geſetzes. Das Erhabene,
das mit der Zumuthung dieſer Jenſeitigkeit auftrat, reißt ſo ſchnell, daß es
über den Riß hinauswirkt. Der Zuſchauer ſieht daher zurück, fühlt ſich auf’s
Neue angeſpannt, ſieht vor ſich auf den gewonnenen Boden, aber dieſer iſt,
was er iſt, gerade durch den Gegenſtoß gegen jene Zumuthung, er ſchwankt;
die gegenſätzlichen Glieder bilden eine widerſpruchsvolle Einheit und ihr Inein-
ander nöthigt das Gefühl, zwiſchen ihnen herüber und hinüberzugehen, was als
ein raſcher Wechſel zwiſchen Luſt und Unluſt empfunden wird, ſo zwar, daß
jene durch dieſe verdoppelt, aber auch durch ſie bedingt iſt.
Das Zurückſehen auf den täuſchenden Schein hat ſchon Kant als ein
weſentliches Moment im komiſchen Eindruck hervorgehoben; man blicke zurück,
ſagt er, um es mit dem Gegenſtand noch einmal zu verſuchen. Das ſchnelle
Abreißen bewirkt im Gefühl ein Fortſauſen wie von einem ganz augen-
blicklichen ſtarken Schall oder Schlag. Wirklich hat ja aber das einge-
ſetzte Recht des Niedrigen ſeine Bedeutung gerade in der Zurückweiſung
einer Anmaßung des Erhabenen. Verliert oder gewinnt es dadurch, daß
[477] es nur in dieſer gegenſätzlichen Spannung ſein Gelten hat? Beides zu-
gleich: in dem Augenblick, wo es nur den negativen Werth, den ihm
dieſe Spannung gibt, zu haben ſcheint, nimmt es, was am Erhabenen
nach Abzug der Ueberſchwenglichkeit und Fremdheit Wahres iſt, in ſich
herein und hat nun, ſo durchdrungen von eigenem Werthe, die unendliche
Kraft, dieſe imponirende Anmuthung zurückzuweiſen. Aber der Vorgang
ſitzt eben in dieſem Augenblick: das unendlich Kleine iſt zwar ſelbſt un-
endlich groß, aber es iſt zugleich gegenüber dem außer es geſtellten un-
endlich Großen noch als unendlich Kleines geſetzt, denn im Momente jenes
Uebergangs liegt eben dies Widerſprechende: ſo eben iſt es noch unendlich
klein und ſo eben iſt es ſelbſt vom Inhalte des unendlich Großen durch-
drungen; die Grenze iſt nicht zu nennen. So iſt ja z. B. in einer ſehr
naiven Aeußerung die liebe Unſchuld ſo eben, da ſie Anſtand und Rückſicht
durchbrach, ganz dummlicht und queer, und ſo eben hat ſie darin das
ganze Recht der wahren, der unſchuldigen Natur, welche Anſtand und
Rückſicht als falſchen Schein durchbrechen darf, weil ſie, was an dieſem
bleibt, wenn man die falſche Kunſt wegnimmt, ganz ſelbſt beſitzt. Ließe
man aber jenes erſte „ſoeben“ weg, ſo fiele der ganze Act zuſammen und
es bliebe nicht etwa, wie es ſcheinen möchte, die ruhige Geſtalt un-
ſchuldiger Schönheit übrig, denn dazu war doch die naive Handlung zu
ſtark, fing zu ſehr mit etwas an, was anfangs einen Moment lang
als häßlich erſchien. Die Luſt iſt daher eine gewürzte und doppelte,
weil das Endliche nicht nur gilt, ſondern mit dem Nachdrucke gilt, ſeinen
Feind beſiegt zu haben; aber dieſe Würze iſt wie alle Würze, die an-
fangs durch ihre Schärfe leiſe abſtößt, denn das Endliche wäre ſo eben
noch bloſes, ſchlechtes, in ſeiner Anmaßung gegen das Erhabene häß-
liches Endliches, wenn es nicht ſo eben den Geiſt und das Aroma zur
Verſüßung jener Schärfe in ſich aufnähme. Es iſt alſo Luſt durch Un-
luſt; doppelte, weil durch Unluſt gewürzte Luſt, aber doch Luſt mit Unluſt.
Es iſt ein durchaus bewegtes Gefühl, worin Unluſt in Luſt, Luſt in
Unluſt hinüberzittert. Der Genuß wäre demnach, ſo beſtimmt, noch kein
voller; es fehlt noch das Letzte, was dieſe Bewegung in Ein Gefühl
voller Luſt zuſammenfaßt.
§. 226.
Sowohl durch die Unruhe dieſer Bewegtheit, als auch durch die be-
ſondere Befriedigung der Sinne und des Verſtandes, welche daraus fließt,
[478] daß das Beſchränkte ausdrücklich in ſeine Geltung eingeſetzt und daß in dieſer
Geltung ein Widerſpruch aufzuſpüren iſt, ſcheint die Einheit des äſthetiſchen
Genuſſes aufgehoben zu werden. Allein die ganze Bewegung und die Ent-
laſſung einzelner Kräfte zu beſonderer Befriedigung faßt ſich ſchließlich in
dem reinen und ungetheilten Gefühle der Freiheit zuſammen. Das Subject
ſelbſt vollzieht (§. 176—185) den ganzen Act; es ſpielt, ſie zugleich ſetzend
und aufhebend, mit beiden Gliedern des Widerſpruchs, und was bleibt, iſt
ebendieſe ungehemmte, unendlich freie Bewegung des Spielenden. Dieſer volle
Genuß ſteigt in das innerſte Nervenleben des Organiſmus und gibt ſich den
Ausdruck ſeiner gegenſätzlichen Bewegung durch eine ſchnellwechſelnde Anſpan-
nung und Loslaſſung der Eingeweide, welche als Lachen auf die Oberfläche tritt.
Kant hat das Lachen trefflich geſchildert, aber durch das, was
ſchon zu §. 225 angeführt iſt, unvollkommen erklärt. „In allen Fällen
muß der Spaß etwas in ſich enthalten, welches auf einen Augenblick
täuſchen kann; daher, wenn der Schein in Nichts verſchwindet, das
Gemüth wieder zurückſieht, um es mit ihm noch einmal zu verſuchen,
und ſo durch ſchnell hinter einander folgende Anſpannung hin- und zu-
rückgeſchnellt und in Schwankung verſetzt wird, die, weil der Abſprung
von dem, was gleichſam die Saite anzog, plötzlich (nicht durch ein all-
mähliches Nachlaſſen) geſchah, eine Gemüthsbewegung und mit ihr har-
monirende inwendige körperliche Bewegung verurſachen muß, die un-
willkürlich fortdauert und Ermüdung, dabei aber auch Aufheiterung (die
Wirkungen einer zur Geſundheit gereichenden Motion) hervorbringt. Denn
wenn man annimmt, daß mit allen unſern Gedanken zugleich irgend
eine Bewegung in den Organen des Körpers harmoniſch verbunden ſey,
ſo wird man ſo ziemlich begreifen, wie jener plötzlichen Verſetzung des
Gemüths bald in den einen bald in den andern Standpunkt, um ſeinen
Gegenſtand zu betrachten, eine wechſelſeitige Anſpannung und Loslaſſung
der elaſtiſchen Theile unſerer Eingeweide, die ſich dem Zwerchfell mit-
theilt, correſpondiren könne (gleich derjenigen, welche kitzliche Leute füh-
len); wobei die Lunge die Luft mit ſchnell einander folgenden Abſätzen
ausſtößt und ſo eine der Geſundheit zuträgliche Bewegung bewirkt“.
Dieſe, mit ihrem Wiederklang im Körper hier ſo fein dargeſtellte Be-
wegung nun iſt ferner eine Entfeßlung einzelner beſtimmter Kräfte; vergl.
namentl. §. 173, wo das Komiſche als ein deutlich gewordenes Erhabenes
gefaßt und in der Anm. das mikroſkopiſche Sehen durch Sinne und Ver-
ſtand gerechtfertigt iſt. Als einen Genuß freier Entbindung, als ein
[479] „frei gelaſſenes Spiel“ ſtellt auch J. Paul das Vergnügen vom Lächer-
lichen dar (a. a. O. §. 30), nur daß er einſeitig den Verſtand als die
entfeſſelte Kraft anſieht; er ſagt, das Komiſche gleite ohne Frictionen
der Vernunft und des Herzens vorüber und der Verſtand bewege ſich
in einem weiten luftigen Reiche frei umher, ohne ſich an etwas zu ſtoßen.
Der Verſtand iſt aber im komiſchen Vorgange nur thätig, den Wider-
ſpruch aufzuſpüren, und hat ſo freilich die beſondere Genugthuung, die
im Erhabenen ihm ganz verweigert iſt, aber mit ihm iſt weſentlich die
Sinnlichkeit entbunden, auf welcher er ja an ſich ſchon ruht. Es ſind
die Kräfte, welche im Begrenzten heimiſch ſind, die das Komiſche aus-
drücklich in ihr Recht einſetzt. Allein es hat ſich oben (§. 179, Anm. 1)
auch gezeigt, daß Vernunft und Herz dabei keineswegs leer ausgehen. Das
Begrenzte wird als begrenzt ganz ausdrücklich empfunden und erkannt,
doch aber ſammt ſeinem Widerſpruch, ja vermöge deſſelben als erfülltes
Subject des Unbegrenzten, was die Vernunft erhebt und das Herz er-
wärmt. Dieſe ſind nun freilich im Genuſſe weſentlich mitbetheiligt, aber
die ganze Bewegung in demſelben iſt eine gegenſätzliche und dieſe Gegen-
ſätzlichkeit iſt, weit entfernt, ohne Friction zu ſeyn, vielmehr zunächſt die
härteſte Friction zwiſchen den Kräften der Grenze und den Kräften des
Unbegrenzten. Der Fluß des komiſchen Genuſſes ſchäumt über eine
Wehr. Dieſer Bruch ſcheint ihm ſeine äſthetiſche Einheit zu nehmen,
allein der Schaum ſelbſt iſt die Einheit, oder der Funke, der durch die
Reibung hervorgerufen wird. Alles Gegenſätzliche hebt ſich auf in dem
reinen Genuſſe der Freiheit, welche das Subject des bewegten Spieles iſt.
Hierin iſt kein Gegenſatz mehr; das Ich, das ſich durch ihn bewegt,
fühlt ſich als ganzes Weſen, als Vernunftweſen und als empiriſches
Einzelweſen zugleich, völlig freigelaſſen, und nun wird erſt klar,
warum der Eindruck in die Tiefen des körperlichen Daſeyns ſteigt und
indem er gerade die Theile ergreift, welche als Sitz der niedrigen Be-
gierde gelten, ſie von dem Gefühle der ſtoffartigen Schwere durch ſein
wohlthätiges Schütteln befreit. Dies hat Weiße hervorgehoben (Aeſth.
Th. 1, S. 219—221).
§. 227.
Das objectiv Komiſche bewirkt ein volles Lachen ohne Rückhalt, das
andauert, wie die Breite des ſinnlichen Vorgangs, der es erregt, es mit ſich
bringt. Der Witz iſt es vorzüglich, der plötzlich und raſch vorübergehend wirkt.
[480] Ein volles Lachen ruft nur der zweckloſe Witz hervor, das Lachen des treffenden
Witzes nimmt ſich vor ſeinem Ausbruche zurück und gibt der Phyſiognomie den
Ausdruck eines außer-äſthetiſchen Rückhalts egoiſtiſcher Genugthuung. Der
Humor gibt dem Lachen ſeine Harmloſigkeit zurück, mäßigt aber deſſen ſinnliche
Gewalt zu dem tieferen Ausdruck des bewußtvollen Kampfes, aus dem die
Befreiung ſich erzeugt, und erweitert den Genuß zu der Dauer des eine Welt-
anſchauung begleitenden Grundgefühls.
Es bedarf im Komiſchen nicht der umſtändlichen Auseinanderſetzung
des Eindrucks nach den verſchiedenen Formen ſeines Grundes, wie im
Erhabenen; denn ſchon die Darſtellung des urſprünglichen Vorgangs
muß überall die Seite des Genuſſes oder des Nachhalls in der Empfin-
dung ſo mitaufnehmen, daß es ein Leichtes iſt, was in dieſem noch
nicht ausdrücklich zur Darſtellung kam, ſich abzuleiten. Was den Witz
betrifft, ſo wird es ſchwerlich geläugnet werden, daß über den ganz
zweckloſen am vollſten gelacht wird. Die ernſthafteſten Leute, die ſelten
lachen, brechen aus bei der völligen Thorheit des ſogenannten ſchlechten
Witzes. Von dem treffenden Witze allein gilt eigentlich die Erklärung,
die ein Hobbes, Addiſon und Andere von allem Komiſchen aufſtellen:
der Genuß liege in dem Gefühl ſubjectiver Ueberlegenheit über den ver-
lachten Gegenſtand. Uebrigens iſt hier nicht der Ort, das äſthetiſche
Lachen mit dem nicht äſthetiſchen, worin nicht einmal der Genuß des
Witzes, ſondern nur irgend ein ſtoffartiger Affect zu Tage kommt, zu
vergleichen. Dies, ſo wie eine Erwähnung der unreinen Formen komi-
ſcher Thätigkeit, z. B. der Perſiflage, gehört an die Stelle, wo zu zeigen
iſt, wie das Schöne, ſomit auch Komiſche, mit fremden und ſtoffartigen
Beimiſchungen da auftritt, wo es erſt unmittelbar, noch nicht zur Phantaſie
und Kunſt geläutert, ſich vorfindet. Den Eindruck des Humors nach
den verſchiedenen Geſtalten deſſelben in ſeine Unterſchiede zu verfolgen,
bleibt dem Leſer überlaſſen. Er wird leicht finden, daß hier zunächſt
die Friction am ſtärkſten iſt, weil Vernunft und Herz im Widerſpruch
mit Verſtand und Sinnen auf’s Vollſte betheiligt ſind, daß aber auch
das reine Freiheitsgefühl um ſo tiefer geht, entſprechend der Verſöhnung
im Tragiſchen, welche mit der Herbe der Negation zunimmt.
[[481]]
C.
Rückkehr des Schönen in ſich aus dem Wider-
ſtreit ſeiner Momente.
§. 228.
Es war das Weſen des Schönen ſelbſt, das ſich in den Widerſtreit ſeiner
Momente fortbewegte, um ſich als Einheit zu bethätigen (§. 82). Dieſem
Bewegungsgeſetze gemäß trat zuerſt das Erhabene hervor und zum Beweiſe,
daß es nur eine Gährung im Schönen ſey, drang es in allen ſeinen Formen
auf eine Verſöhnung hin; dieſe war aber ungenügend (§. 147) und das Weſen
des Schönen forderte daher in Kraft ſeiner Einheit das Komiſche. Das Ko-
miſche nun führte die Häßlichkeit, von der es ausging, getrieben von demſelben
inwohnenden Weſen des Schönen, zur Verſöhnung, indem es die Idee, die es
als objective Macht negirt, in das unendlich Kleine und das mit ihm behaftete
Subject ſelbſt, das ſich in der Erzeugung des komiſchen Widerſpruchs die Ge-
wißheit, aller Gehalt ſelbſt zu ſeyn, und daher das Bewußtſeyn ſeiner unend-
lichen Freiheit gibt, hinüberrettete.
Das Ergebniß des verfolgten Prozeſſes, das nun auszuſprechen iſt,
kann keinen neuen Abſchnitt bilden, ſondern nur in einer untergeordneten
Abtheilung auftreten, denn es beſteht, wie ſich alsbald zeigen wird, nicht
in einer eigenen ſelbſtändigen Geſtalt, ſondern treibt weiter in den
zweiten Theil. Ueber dieſe Zweigliedrigkeit der drei Haupttheile, in
in welcher je das zuſammenfaſſende Dritte nur eine Unterabtheilung
bildet, um ſofort erſt zu einem höheren Begriffe weiter zu führen, der
aber eine neue Sphäre eröffnet, vergl. die Schrift des Verf.: Kritiſche
Gänge B. 2, S. 392.
Viſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 31
[482]
§. 229.
Dieſe Verſöhnung iſt aber ſelbſt wieder mangelhaft, Unrecht gegen Un-
recht. Im Erhabenen war die reine Einheit des Schönen aufgehoben durch die
Negation des Bildes, im Komiſchen iſt ſie es durch die Negation der Idee,
welche im Schönen nicht unter der Bedingung eines Bruchs durch die Häßlich-
keit, ſondern bruchlos ihr Bild erfüllen ſoll. Daher kann auch das Komiſche
nicht der Abſchluß ſeyn, worin dieſe Bewegung ſich beruhigt. Die Subjectivität,
die ſich als allen Gehalt weiß, muß daher, um der Idee ihr Recht zurückzu-
geben, ſie wieder als objective Macht aus ſich entlaſſen; ſobald ſie aber wieder
als ſolche auftritt, wird ſie erhaben und verfällt durch dieſe Negation abermals
dem Komiſchen. Dieſes kann ſich alſo nicht weiter bewegen, ſondern nur zurück
in das, durch welches als ſeinen Gegenſatz es iſt, was es iſt, um wieder bei
ſich anzukommen.
Wie im Komiſchen das Subject ſich ſelbſt als allen Gehalt weiß,
zeigte ſich zuletzt am Vollſten im Humor und zwar insbeſondere in der
höchſten, totalſten Geſtalt deſſelben. Dieſer geht weſentlich vom tragi-
ſchen Bewußtſeyn aus, um auch von dieſem ſich durch den reinſten
Scherz zu befreien. Dieſe ganze Form der Befreiung iſt nun aber
ſelbſt ebenfalls mangelhaft. Iſt das komiſche Subject des Gehaltes voll,
ſo ſoll es ihm auch darin ſein Recht geben, daß es ihn verwirklicht,
es ſoll zeigen, daß es die Idee als objective Macht nur darum auflöst,
weil es ſelbſt ihr Gefäß iſt, das ſie auch wieder entläßt und in die
Wirklichkeit ausgießt. Wirklich kann ja auch die Sehnſucht des großen
Humoriſten nur die ſeyn, daß ſich das ſittliche Leben in reiner Geſtalt
aus ſeinem Verfall herſtelle; er bereitet ihm den Boden durch ſein Ni-
velliren, er macht das Höckerige eben. Sobald aber dieſe neue Geſtalt
da ſeyn wird, wird ſie, wie ſehr ſie Werk und Leben der Freiheit ſeyn
mag, als Macht, als Autorität und daher ebenſoſehr als Zwang, wie
als eigene That, gegen das endliche, einzelne Subject auftreten. Das
Erhabene iſt alſo wieder da und das Komiſche, der Humor beſonders,
beginnt ſein Werk auf’s Neue. Dies ſcheint Berufung auf einen rein
ethiſchen Prozeß; allein es iſt ja ſo gemeint, daß der Humor das Er-
habene als objective Macht nicht aus ſtoffartigen Gründen anficht, ſon-
dern weil in ihm die Schönheit, die anſchauliche Lebendigkeit der ſub-
jectiven Kräfte beeinträchtigt iſt, daß er es aber wiederherſtellt, weil
[483] dieſe in ihrer Entfeßlung die Idee in ihrer reinen Erſcheinung entſtellten,
und ſo fort. Wir befinden uns alſo durchaus im Schönen, aber noch in
dem allgemeinen Gebiete, wo die Belege aus dem Leben oder aus der
Kunſt mit gleichem Rechte aufgenommen werden können, daher berufen
wir uns noch insbeſondere auf einen Satz, der von einer beſtimmten
Kunſtform ausgeſprochen iſt. Am Schluße des Platoniſchen Sympoſion
wird die Behauptung aufgeſtellt, der wahre Komödiendichter müſſe auch
der Tragödiendichter ſeyn. Der Wink wird hingeworfen und nicht ver-
folgt. Unſere ganze Entwickelung aber zeigt, wie im Erhabenen nicht
nur durch den beſondern Theil der tragiſchen Bewegung, welcher ironiſch
zu nennen iſt (§. 123. 124), ſondern durch die Einſeitigkeit der ganzen
Negation nothwendig die Forderung des Uebergangs zum Komiſchen liegt,
und ebenſo in dieſem nicht nur wegen des durchgängigen Ausgangs von
einem Erhabenen, das negirt wird, und wegen des beſtimmteren tragi-
ſchen Bewußtſeyns im Humor ein Nachklang des Erhabenen, ſondern
ebenfalls wegen der Einſeitigkeit der ganzen Negation die Forderung
eines Rückgangs zum Erhabenen. Allein ebendeßwegen, weil im Tragi-
ſchen das Komiſche ſchon vorbereitet liegt und dieſes auf das Tragiſche
zurückweist und zurückführt, kann ſich der wirkliche Dichter auch auf das
Eine oder Andere beſchränken. Es iſt der einzige Shakespeare, der
beides umfaßt hat, aber nicht mit gleicher Ausdehnung, denn im Komi-
ſchen beſchränkt er ſich auf die Sphäre der Privatleidenſchaft, wo-
gegen Ariſtophanes das große politiſche Leben mit jenem totalen
Humor umſchließt, der freilich das Tragiſche nicht als beſondere Geſtalt
ausbildet, ſondern nur ſo, wie es in den Humor als Moment einge-
ſchloſſen iſt. Jedenfalls könnte man aber leichter vom tragiſchen Dichter
fordern, er ſolle auch Komödiendichter ſeyn, als umgekehrt, denn er
hat das Komiſche vor ſich, der komiſche Dichter aber das Tragiſche,
zwar mit dem Geſetze, daß es ſich aus dem Komiſchen neu erzeuge,
hinter ſich, und es liegt näher, daß jener Uebergang von Einem Sub-
jecte vollzogen werde, als dieſer Rückgang. In der Lehre von der
Kunſt wird ſich zeigen, daß die Komödie eine Reife des Geiſtes ver-
langt, welche von ihrer überſchwebenden Heiterkeit ſchwer in die Härte
der erſten Negation ſich zurückwendet, wiewohl die ganze Kunſt immer
verlangt, daß auf Komödiendichter wieder Tragödiendichter folgen. In
der neueren Zeit iſt es mit der Komödie ſo ſchlecht beſtellt, als möglich,
weil, als der weiche Humor blühte, der politiſche Sinn fehlte, ſeit die-
ſer ſich ausgebildet, die Freiheit fehlt. Göthe bildete zwar eine Form
[484] des Tragiſchen aus, allein ſein Element war doch zu ſehr die bruchloſe
Einheit des Schönen, um den Uebergang in das Komiſche weiter, als bis
zu den naiven Formen deſſelben mit Glück zu verfolgen. Er wird daher im
Komiſchen ſogar unrein und verwerflich, wie in den Mitſchuldigen und
dem Bürgergeneral. Im Fauſt liegen zwar große Elemente des höchſten
Humors, ja der Held und Mephiſtopheles bilden eines jener unſterblichen
Paare, in welchen das Grundweſen des Komiſchen in ſeinem es bedin-
genden Gegenſatze zum Erhabenen typiſch verewigt iſt; aber das Paar
iſt nicht in fortlaufende Handlung geſetzt, denn wo dieſe recht anfangen
ſollte, ging dem Dichter die Kraft der Schöpfung aus. Schillers
Erhabenheit fordert das Komiſche heraus, aber um der Abſtractheit
ihrer Grundlage willen, welche dem Dichter verborgen iſt, ſo, daß nicht
er das Geforderte vollziehen konnte, denn es widerſtand ihm völlig,
ſondern der Reiz zur Parodie in Andern entſteht.
Könnte aber nicht die Frage aufgeworfen werden, ob der Rückgang
des Komiſchen nicht vielmehr in das einfach Schöne gehe, als in’s Er-
habene? Es wäre dieſe Anſicht immer noch grundverſchieden von dem
Verfahren Weißes und Ruges, welche vom Komiſchen in das Ideal
den Uebergang nehmen. Davon nachher; wir laſſen den Gegenſatz
von Ideal und Schönheit, die nicht Ideal iſt, noch ganz zur Seite
liegen. Die Antwort auf jene Frage aber iſt, daß unmittelbar das
Komiſche nicht in die Ruhe der einfachen Schönheit zurückkann. Was
es zu ſeiner Ergänzung fordert, iſt ſein Gegenſatz, das Erhabene; nur
mit dieſem erlöſcht es wieder im Schönen. Man könnte etwa ſagen:
der Humor erkennt im Kleinen, im beſchränkten Daſeyn die Gegenwart
der Idee, alſo ſieht er den Widerſtreit zwiſchen Idee und Bild gelöst und
ſteht wieder im Schönen. Dieſen Uebergang nehmen Weiße und Ruge,
indem ſie auf dieſem Punkte das Naive als eine ſeelenvolle, liebens-
würdige Natur einführen. Allein das komiſch Naive führt nicht zu der
reinen Naivetät des Schönen, ſondern es verletzt einen Zuſammenhang,
in welchem eine Forderung künſtlicher Rückſicht und Anſtändigkeit auftrat.
Gegen dieſe behält dann zwar die unſchuldige Natur Recht, aber dies
Recht hat ſeinen Sinn ganz nur in jenem Gegenſatze und die Bewegung
hebt durch den ſchnellen Riß auch hier mit einer momentanen Häßlich-
keit an. Das ſchöne Naive kennt dieſen Gegenſatz gar nicht; in der
Welt der einfachen Schönheit weiß man von keinen Convenienz-Rückſichten
der Unnatur und es gibt daher hier nichts über die Naivetät zu lachen,
richtiger, es gibt keine Naivetät. So iſt aber die ganze Durchdringung
[485] mit der Idee, welche im Komiſchen dem Bilde zu Theil wird, durch
Gegenſatz und Häßlichkeit bedingt, die Schranke und Zufälligkeit überall
in einem Grade freigelaſſen, der zwiſchen dem Komiſchen und Schönen
eine feſte Scheidewand zieht, welche nur in dem Augenblicke fällt, wo
das Komiſche ſammt dem Erhabenen, das es unmittelbar allein zu
ſeiner Ergänzung fordert, wieder erliſcht. In der wirklichen Kunſt
wird daher die bruchloſe Schönheit Niemand ſchwerer werden, als dem
Komiker, ſowie die Komik Niemand ſchwerer, als dem Künſtler des ein-
fach Schönen. Was das Letztere betrifft, ſo erinnere man ſich nur,
wie diejenige Kunſt, welche am ſtrengſten im Elemente der einfachen
Schönheit ſteht, die Plaſtik, auch das Komiſche am meiſten meidet.
Natürlich, denn zwiſchen dem einfach Schönen und dem Komiſchen ſteht
trennend als breites Gebiet das Erhabene. Erhabenes aber zu bilden
wird dem Komiker ungleich näher liegen, denn hier iſt Negation, Ueber-
maß und Unruhe, wie in ſeinem heimiſchen Elemente.
§. 230.
Da nun das Erhabene und Komiſche zwei Einſeitigkeiten ſind, welche
ſich fordern und bedingen und deren keine ſich anderswohin bewegen kann, als
in die andere, ſo entſteht die Forderung, daß beide vereinigt ſich weiter be-
wegen. Dieſe Bewegung kann aber keine andere ſeyn, als zurück in das ein-
fach Schöne, oder richtiger: die Bewegung hat nun ihr Ende erreicht und es
tritt der Satz in ſeine Geltung, daß eine doppelte Verneinung bejaht. Jedes
der beiden Momente im Schönen iſt durch Negation des andern zu ſeinem
Rechte gekommen und indem jedes ſein Recht eben durch dieſe Negation des
andern zum Unrecht kehrte, wodurch es wieder in ſeinen Gegenſatz hinüberge-
trieben wurde, ſo erliſcht der Streit in der urſprünglichen Einheit, die nun
in der That als das Bewegende ſich ergibt, welches, in jedem der Entgegen-
geſetzten thätig, es zu dem andern hinübernöthigte.
Dieſe Bewegung des Begriffs iſt ſo klar, daß ſie eher als eine
einleuchtende Bewährung des von Hegel entdeckten und im ganzen
bisherigen Verlaufe unſeres Syſtems durchgeführten dialektiſchen Geſetzes
hingeſtellt werden, als eine Begründung des letztern zu ihrer Rechtfer-
tigung erfordern kann. Jede der widerſtreitenden Formen führt auf die
andere, weil ſie nicht das ganze Schöne iſt; dieſes iſt alſo die Seele
[486] und das Reſultat der Bewegung. Das Bild iſt negirt im Erhabenen,
die Idee im Komiſchen, die Idee behauptet ihr Vorrecht im Erhabenen,
das Bild im Komiſchen; die Momente haben den möglichen Stellen-
wechſel erſchöpft und mit doppelten Zinſen jedes ſeinen verkürzten Beſitz
zurückerhalten; die arme Seele hat alſo Ruhe und zurücktretend in ihre
Linie formiren die Momente wieder das ganze Schöne. Der Satz:
duplex negatio affirmat galt ſonſt für einen blos formal logiſchen; hier
zeigt ſich ſeine objective Wahrheit. Die Negation war zwar jedesmal
nur Negation des einen Moments im Schönen, da aber dieſes nur in
der reinen Einheit beider beſteht, ſo war jedesmal das ganze Schöne
negirt, d. h. nicht vernichtet, aber weſentlich verletzt und dadurch ſogleich
in die Bewegung verſetzt, die Verletzung wiederherzuſtellen. Wäre im
Erhabenen und Komiſchen nicht dieſe Bewegung, ſo wäre jedesmal das
Schöne vernichtet, aber die eindringende Negation iſt bereits auch die
Nothwendigkeit ihrer eigenen Aufhebung.
§. 231.
Dieſe urſprüngliche Einheit iſt aber jetzt eine andere geworden, ſie hat
die in ihr eingeſchloſſenen Gegenſätze entfaltet und kehrt als ihr eigenes Er-
gebniß in ſich als vermittelte oder erfüllte Einheit zurück. Als ſolche iſt ſie
jedoch nicht eine neue, beſondere Geſtalt im Schönen; die urſprüngliche Einheit
oder das einfach Schöne wird zwar durch ſie zu einer ſolchen herabgeſetzt (§. 73, 1
§. 117, 3), ſie ſelbſt aber iſt nichts Anderes als der Geiſt des Ganzen, der eben in
2dieſen Gegenſätzen da iſt, ſie durchläuft und aus ihnen in ſich zurückkehrt. Dieſe
lebendige Einheit iſt als Einheit des Objectiven und Subjectiven zu begreifen,
denn das Erhabene, obwohl ſelbſt Subject, iſt Ausſchließung des Subjects in
ſeiner Zufälligkeit, das Komiſche aber iſt Ausſchließung der Idee als objectiver
3Macht durch dieſes. Soll ſich nun das Schöne weiter bewegen, ſo kann es dies
nur als Ganzes und zwar nach dem Geſetze, daß der durch die Entfaltung aller
ſeiner Momente erfüllte Begriff über ſich ſelbſt, d. h. über die Abſtraction
ſeiner Allgemeinheit, ſich hinausbewegt in die Form ſeines unmittelbaren Da-
ſeyns.
1. Das End-Ergebniß iſt der Geiſt des Ganzen und keine beſon-
dere Geſtalt. Eine ſchöne Erſcheinung, ein Kunſtwerk, kann kampflos
Schönes, Erhabenes, Komiſches hervortreten laſſen, aber die Schönheit,
[487] die jetzt als Ergebniß vor uns ſteht, iſt nur das Unſichtbare, was
dieſe Formen zu einem Ganzen bindet. Als einzelnes Ganzes aber ge-
hört eine beſtimmte äſthetiſche Erſcheinung oder ein Kunſtwerk ſelbſt nur
Einer dieſer Formen an; die Reihe der Werke eines Künſtlers, eines
Volks, einer Zeit faßt ſich wieder zu beſonderen Ganzen zuſammen,
die ſelbſt noch, wiewohl hier ganz andere, neue, reale Momente als Ur-
ſachen neuer Beſtimmungen im Schönen einwirken, nicht das ganze
Schöne darſtellen, ſondern nach dem einen oder andern ſeiner Gegenſätze
gravitiren, und das wahre, allgemeine Ganze, das Schöne als erfüllte
Einheit iſt nur der Geiſt der ganzen Kunſtwelt und ihrer ganzen Ge-
ſchichte. Zu wiederholen iſt aber hier, daß die Schönheit, wie ſich ihr
Weſen vor der Entfaltung der Gegenſätze zeigte, nun zu einer beſondern
Form herabgeſetzt iſt. Zwar wurde der Grazie des einfach Schönen
auch ihre Hohheit zuerkannt (§. 73), aber dieſe iſt noch etwas Anderes,
als das Erhabene, ſie hat ſich noch nicht im Kampfe bewährt, wie die
Hohheit des Erhabenen. Die Venus von Melos iſt eine weltbezwin-
gende Macht voll Hohheit; ſie gehört noch dem einfach Schönen an, wie-
wohl die Mediceiſche wie ein liebliches Mädchen ohne Göttergröße neben
ihr ſteht; denn ihr Sieg über das Widerſtrebende iſt leicht und ein
Kampf ohne Kampf. Dagegen der Zeus des Phidias war zwar auf-
gefaßt als der milde Geber der Wohlfahrt und neigte ſich hernieder
mit Olympiſcher Seligkeit, aber es war der Zeus, der die Titanen be-
kämpft hat und auf das Winken von deſſen Augenbraunen die Himmel
donnern; er war erhaben. Nicht alſo das Liebliche ohne Hohheit iſt jenes
zur beſondern Geſtalt herabgeſetzte einfach Schöne; ſieht man die Medi-
ceiſche Venus nicht neben der von Melos, ſo hat auch ſie ihre Hohheit;
wo die Unendlichkeit des Ausdrucks verſchwindet, da beginnen die bloſen
Nachbarbegriffe des Schönen das Zierliche u. dergl.; das einfach Schöne iſt
vielmehr nun das Liebliche, das nur ſeine Hohheit noch nicht zum herben
Kampfe erſchloſſen hat. Wo aber dieſer iſt, da iſt nicht mehr das einfach
Schöne; wo die Komik ihn löst, iſt nicht mehr das Erhabene und nicht mehr
dieſes; wo dagegen dieſe kämpfenden Formen ſelbſt beruhigt ſind, da folgt
kein neues Schauſpiel, ſondern überſieht der Zuſchauer, erfüllt von dem
Athem, der alle dieſe Formen durchdringt, das Ganze, und dieſes iſt die
erfüllte, vermittelte Schönheit.
2. Der Gegenſatz des Objectiven und Subjectiven iſt in den Formen
des Erhabenen und Komiſchen hervorgetreten und hat ſich zuletzt im Humor
zuſammengefaßt, welcher ſowohl darum, weil er zugleich eine komiſche
[488] Perſönlichkeit iſt und zugleich in dieſer ſich als komiſch weiß, als auch weil
er dieſes Bewußtſeyn des Subjects über die ganze Welt erweitert, objectiv
und ſubjectiv in Einem iſt. Es wäre leicht, die beſondern Stufen des
Humors und ebenſo die untergeordneten Unterſchiede in ihnen auf den-
ſelben Gegenſatz zurückzuführen, wenn nicht für die erfülltere Form auch
der concretere Name vorzuziehen wäre. Warum aber dennoch das Komiſche
im Ganzen als ſubjectiv wie das Erhabene im Ganzen als objectiv ſich
beſtimmt, bedarf keiner Nachweiſung mehr, ſondern nur des Zuſatzes, daß
das Erhabene weiter auch darum objectiv iſt, weil es Object für das
Komiſche wird. Derſelbe Gegenſatz wird nun aber als Prinzip der Ein-
theilung des ganzen Syſtems auftreten, denn das Schöne als Einheit
des Objectiven und Subjectiven wird ihn alsbald in neuem Sinne aus
ſich hervorgehen laſſen und durch die ganze Bewegung, wodurch es ſich
als Daſeyn verwirklicht, als Eintheilungsgrund hindurchführen.
3. Weiße und Ruge gehen, wie ſchon berührt, von den wider-
ſtreitenden Formen des Erhabenen und Komiſchen zum Ideale über.
Weiße betrachtet das Komiſche als eine Durcharbeitung und Schmelzung
des der Schöpferthätigkeit ſtarr gegenüber ſtehenden endlichen Stoffes
(vergl. z. B. Aeſth. Th. 1, S. 243). Der Geiſt gibt ſich ſeine Frei-
heit vom Stoffartigen, um ſich dann im Objecte als nicht mehr wider-
ſtrebender Form, die er rein zum Ideale durchdringt, niederzulegen. Den
Uebergang bildet, wie geſagt, das Naive als die objective Erſcheinung,
welche von dem Humor als ſelbſt erfüllt mit dem Geiſte, den er ſonſt
den Dingen nur leiht, als ſeelenvolles Endliche erkannt wird. Im Ge-
fühle aber, daß dieſer Uebergang nicht ausreicht, bringt Weiße die
weltgeſchichtliche Thätigkeit der Bildung herbei (a. a. O. §. 33), welche
hieher gar nicht gehört. Die Bildung iſt überall vorausgeſetzt, um das
Schöne als Ideal zu realiſiren, und das Ideal ſelbſt iſt ſowohl ſchönes,
als auch erhabenes und komiſches Ideal; alle dieſe Formen des Ideals
ſind in unmittelbarer Weiſe auch außer oder vor dem Ideale da, dann
verwirklicht ſich dieſes durch die Bildung der Phantaſie; das komiſche
Ideal aber iſt, wenn einmal das Schöne überhaupt als Ideal wirklich
wird, das Letzte und Reifſte in dieſem, es fordert die höchſte Bildung.
Ruge nun betrachtet das Erhabene (vergl. §. 82 Anm.) als die erſte
Form des ſich erſt erzeugenden Schönen; das Komiſche iſt alſo die zweite.
Den Uebergang nimmt dann auch er durch das Naive (a. a. O. 207)
und weiter durch eine Form, die er humoriſtiſche Ironie nennt (S. 210).
Aber als hätte er vergeſſen, daß er nun beweiſen ſoll, was er zuerſt an-
[489] gelegt, daß nämlich aus dieſen Formen das Ideal ſich erzeuge, geht er,
ſtatt in das Ideal überhaupt, auf einmal in eine beſondere Form deſſelben,
in das komiſche über (S. 218). Dies iſt neue Confuſion; die Con-
fuſion in dieſer ganzen Anlage iſt aber, wie ſchon in dem ſo eben gegen
Weiße Bemerkten ausgeſprochen iſt, die, daß ja offenbar ſowohl das
einfach Schöne, als das Erhabene und Komiſche in der Wirklichkeit auf-
treten zuerſt als ein ſcheinbar nur vorgefundenes, von ſelbſt daſeyendes
Schauſpiel, dann aber als Phantaſie, d. h. als erſt noch innerliches Ideal,
dann als Kunſt-Ideal. Meint Weiße, es werde dann, da das Erhabene
und Komiſche als Mittel ſchon ausgegeben ſind, um zum Ideal zu gelangen,
in dieſem keine erhabene und komiſche Form mehr geben? Und meint
Ruge ebendies, aber zugleich auch ebenſoſehr, es werde dann nur ein
komiſches Ideal geben? Oder meint er, das Komiſche vor dem Ideal
nehme ſeinen eigenen Weg, um Ideal zu werden, und das einfach Schöne
und Erhabene ſolle zuſehen, wie ſie auch ihren eigenen Weg dahin finden?
Wir werden einen andern Gang gehen: das ganze Schöne ſoll ſich nun
zu einem wirklichen Daſeyn erſchließen, aber nicht ſogleich zum Ideale.
Der Uebergang ſoll ſich uns aus dem Satze bilden, daß der ganz erfüllte
Begriff zur Unmittelbarkeit des Seyns ſich erſchließt. Wenn ich ein
Allgemeines in allen ſeinen Momenten begriffen habe, bin ich bei ſeinem
Daſeyn angekommen, es kann nicht nur ſeyn, es muß ſeyn, es iſt. Von
dieſem Satze, zu deſſen Begründung die Aeſthetik nur auf das in der
Philoſophie überhaupt ſchon Ermittelte ſich zu berufen hat, wird der
zweite Theil ausgehen.
[]
Appendix A
Tübingen. Bei L. Fr. Fues ſind erſchienen:
Viſcher, Fr. Th., Prof.,
Kritiſche Gänge.
2 Bde. 8. 1844. n. 4 fl. oder 2 Thlr. 8 ggr.
Inhalt:
Vorrede (S. 1—54). — Zur Theologie. Dr. Strauß und die Wirtemberger.
Ueber allerhand Verlegenheiten bei Beſetzung einer dogmatiſchen Lehrſtelle in der gegenwärtigen
Zeit. — Zur bildenden Kunſt. — Der Triumph der Religion in den Künſten von Fr.
Overbeck. Die Aquarellkopieen von Rambour in der Gallerie zu Düſſeldorf. Kunſtbeſtrebun-
gen der Gegenwart, von A. Hallmann. — Zur Poeſie. I. Zur Kritik früherer Poeſie.
Die Literatur über Göthes Fauſt. II. Zwei Erſcheinungen neuerer Poeſie. E. Mörike,
„Maler Nolten“, Novelle und „Gedichte.“ Herwegh „Gedichte eines Lebendigen“, I. und
II. Band. — Zur wiſſenſchaftlichen Aeſthetik. Plan zu einer neuen Gliederung der
Aeſthetik. — Vorſchlag zu einer Oper.
Unter dieſem Titel übergibt die Verlagshandlung die, bisher in Zeitſchriften zer-
ſtreuten, Arbeiten eines, durch die Schärfe ſeiner Waffenbekannten, Vorkämpfers für freie
Fortbewegung des Geiſtes, geſammelt, von einem Vorwort eingeleitet und mit Neuem ver-
mehrt, dem Publikum. Sie verbinden ſich durch die Einheit des ſie durchdringenden Grund-
gedankens von ſelbſt zu einem Ganzen und da längſt von allen Seiten nach dieſen energiſch
eingreifenden Aeußerungen eines durch ſeine Entſchiedenheit bekannten Geiſtes Nachfrage war,
ſo hat der Hr. Verf. unſerer Bitte gewillfahrt, die getrennten Glieder zu einem wirkungs-
vollen Charakterbilde zu vereinigen.
[][][]
- Lizenz
-
CC-BY-4.0
Link zur Lizenz
- Zitationsvorschlag für diese Edition
- TextGrid Repository (2025). Vischer, Friedrich Theodor. Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bpx8.0