Vom
Einfluß der Seele
in ihren
Koͤrper.
Verlegts Carl Hermann Hemmerde
1746.
[][]
Dem
Hochedelgebohrnen, Hocherfahrnen
und
Hochgelahrten Herrn,
Herrn
Johann Juncker,
der Artzneywiſſenſchaft Doctorn, und
oͤffentlichen ordentlichen Profeſſorn
auf der Koͤnigl. Preuß. Friedrichs.
Univerſitaͤt, wie auch beruͤmten
Practicus auf dem koͤniglichen Paͤ-
dagogio und dem Waiſenhauſe
zu Glaucha bey Halle,
Meinem vornehmen und
groſſen Goͤnner.
A aHoch-
[]
Hocherfahrner und
Hochgelahrter Herr Pro-
feſſor.
Vornehmer und groſſer
Goͤnner.
Die geringen Blaͤtter, welche
Ew. Hochedelgebohrnen
hier-
[] hiermit gehorſamſt zu uͤberreichen,
mir die Freyheit nehme, ſind von ei-
ner ſolchen Beſchaffenheit, daß nie-
mand, als Ew. Hochedelgebohr-
nen beſonders daran Theil haben
koͤnnen. Es iſt eine Vertheidigung
der ſtahlianiſchen Grundſaͤtze, wel-
che darin vorgetragen wird, und ich
kan nach der Wahrheit nicht anders
ſagen, als daß Ew. Hochedelge-
bohrnen, durch DERO unermuͤde-
ten Unterricht, das einige Mittel ge-
weſen, wodurch ich das Gluͤck erlan-
get habe, die Lehrſaͤtze dieſer vernuͤnf-
tigen Meinung zu erlernen. Dieſes,
und meine Ungewißheit, ob ich DE-
A 3RO
[] RO Unterricht gehoͤrig gefaſſet, und
in dieſer Schrift gegen die neuern
Philoſophen gruͤndlich vertheidiget
habe, ſind einige derer Urſachen, war-
um ich mich unterſtehen koͤnnen,
Ew. Hochedelgebohrnen dieſe
Blaͤtter gehorſamſt zuzueignen. Ob
mir gleich nichts angenehmer ſeyn
wuͤrde, als wenn ich die Meinungen
Ew. Hochedelgebohrnen in die-
ſer Schrift richtig getroffen und er-
klaͤhret haͤtte; ſo wuͤrde ich doch, im
Fall des Gegentheils, nicht unter laſ-
ſen koͤnnen, mich gluͤcklich zu ſchaͤtzen,
indem ich verſichert waͤre, daß DE-
RO gewoͤhnliche Guͤtigkeit zurei-
chend ſeyn wuͤrde, mich auf die ange-
nehmſte Weiſe meiner Jrrthuͤmer zu
uͤberfuͤhren, und eines beſſern zu be-
leh-
[] lehren. Jch ſage, ich wuͤrde mich auch
in dieſem Falle gluͤcklich ſchaͤtzen koͤn-
nen, indem ich nicht allein hierdurch
Gelegenheit bekaͤme, meine Fehler zu
verbeſſern, ſondern auch uͤberdem
die ſtahlianiſche Lehre mit deſto mehr
Zuverſicht behaupten koͤnte, je gewis-
ſer ich wuͤſte, daß ich alles recht einſaͤ-
he und beurtheilete. Ja, wenn auch
alles dieſes, wovon ich ietzo geredet
nicht alſo waͤre; ſo wuͤrde ich dem ohn-
geachtet Gruͤnde genug finden, die
Kuͤhnheit zu entſchuldigen, welche
mich verleitet Ew. Hochedelge-
bohrnen dieſe Schrift gehorſamſt
zu uͤberreichen. Waͤren SJE, Hoch-
zuehrender Herr Profeſſor,
vor vielen andern, welche ſolche Ge-
lehrſamkeit und dergleichen Verdien-
)( 4ſte,
[] ſte, als man bey JHNEN iederzeit
antrift, beſitzen, nicht ein Feind derer-
ienigen, welche DERO nicht geringe
Vollkommenheiten in JHRER Ge-
genwart ruͤhmen, und waͤre auch ich
im Stande davon einen wuͤrdigen Ab-
riß zu machen; ſo wuͤrde ich mich da-
durch genugſam entſchuldiget haben;
indem mir Ew. Hochedelgebohr-
nen ſelbſt nicht verdencken wuͤrden,
daß ich theils dieſer Schrift, durch
Vorſetzung eines ſo groſſen und be-
ruͤhmten Nahmens ein Anſehen zu ge-
ben, theils aber auch DERO unſchaͤtz-
bare Gewogenheit mir hierdurch auf
einige Weiſe zu erwerben ſuchte. Al-
lein dieſes iſt die Urſach, warum ich
weder DERO groſſen Verdienſte,
beſonders um die Artzneywiſſenſchaft
und
[] und Republick, noch auch dieienigen
vielen Wohlthaten hier zu erzaͤhlen
mir vornehmen kan, welche SJE
meiner geringen Perſon auf unzaͤhli-
ge Arten erzeiget haben. Jch erkenne
die Groͤſſe meiner Verbindlichkeit,
und bitte mir zugleich gehorſamſt
aus, mich DERO unſchaͤtzbaren Ge-
wogenheit fernerhin guͤtigſt zu wuͤr-
digen. Wofern ich dieſes von DERO
Guͤtigkeit zu erbitten im Stande bin,
werde ich unter einem ſo anſehnlichen
Schutze, die Anfaͤlle dererienigen mit
ruhigen Hertzen verlachen koͤnnen,
welche ſich vielleicht wegen dieſer
Blaͤtter, mit groſſen Eifer wider mich
ruͤſten moͤchten, denn ich werde auf
keine Weiſe gluͤcklicher ſeyn, als wenn
ich mich iederzeit mit geziemender
A 5Ehr-
[] Ehrfurcht zu nennen, die Ehre haben
kan,
Hochedelgebohrner,
Hocherfahrner und
Hochgelahrter Herr Pro-
feſſor
Ew. Hochedelgebohrnen
Halle
den 1 May
1746.
gehorſamſt verbundenſten
Diener
Johann Auguſt Unzer.
[]
Vorrede.
Jch handele in dieſer Schrift
eine Materie ab, davon
ich ſelber noch einigermaſ-
ſen zweifelhaft bin, ob es
rathſamer ſey, ſich in eine genaue Un-
terſuchung derſelben einzulaſſen, oder
ſich deſſen zu enthalten. Was iſt wohl
denen Gelehrten iemals ſo theuer zu
ſtehen gekommen, als die Unterſuchung
des Weſens der Sele, und des Grun-
des ihrer Veraͤnderungen? Man uͤber-
lege nur die muͤhſamen Beſchaͤftigun-
gen derer Gelehrten, die Pluͤnderung
der Sprachen, den Zwang der Fanta-
ſie, und oͤfters die Hintanſetzung der
natuͤr-
[]Vorrede.
natuͤrlichen Vernunft, um der Sele
einen wuͤrdigen Zunahmen beyzulegen.
Was hat es vor Satyren, was vor
Wiederlegungen, was vor Beantwor-
tungen und Erklaͤrungen hat es nicht
gekoſtet, um einige Leute zu uͤberreden,
daß die Sele ein Geiſt ſey, andern zu
verſichern, ſie ſey eine Materie, noch
andern die Eigenſchaften einer Monade
an ihr zu ruͤhmen, und denen letztern
ein, ich weiß nicht was vor ein Weſen
von ihr zu beſtimmen, indem man ihr
einen griechiſchen Nahmen gegeben.
Dieſes iſt noch lange nicht alles. Ei-
nige welchen die Schwaͤchlichkeit ihrer
Sele nicht unbekand war, ſetzten ihr
einige Bediente bey, um ihre Regie-
rungsſorgen mit ihnen theilen zu koͤn-
nen. Und was iſt endlich viel davon
zu ſagen? Wir wiſſen, daß es noch
heut zu Tage Dualiſten, Jnfluxioni-
ſten, Materialiſten und dergleichen
Selenkenner mehr gebe, welche ſich
noch ietzo in denen Haren liegen, und
deren Streit wol in den naͤchſten zehen
Jahren nicht beygelegt werden duͤrfte.
Man
[]Vorrede.
Man darf ſich aber uͤber dieſe Uneinig-
keit nicht wundern. Die kriegeriſchen
Zeiten in der Selenlehre haben gewiſſe
Anſpruͤche auf den Character eines
wahrhaften Philoſophen zum Grunde,
welche ſich kein Gelehrter wird aus
den Haͤnden winden laſſen. Man
weiß, daß ein aͤchter philoſophiſcher
Kopf dieſen Nahmen nicht verdienen
wuͤrde, ſo bald er etwas glaubte, das
er ſaͤhe und ſo lange er ſich nicht bemuͤ-
hete, dasienige zu errathen, was ſeinen
Augen verborgen iſt. Der Character
eines Weltweiſen iſt viel zu reizend,
als daß man ſich uͤberreden ſolte, von
dieſem Geſetze abzuweichen. Daher
wird man finden, daß die meiſten Phi-
loſophen einen Eckel an der Artzney-
wiſſenſchaft und Naturlehre haben.
Wer kan ihnen auch dieſes alles ver-
dencken. Die niedertraͤchtigen Be-
ſchaͤftigungen der Artzneyverſtaͤndigen
und Naturforſcher, zweyer Arten von
Leuten, welche nur ihren Fleiß auf die
Unterſuchung derer Koͤrper, ſolcher
Dinge wenden, welche ſie ſehen koͤn-
nen,
[]Vorrede.
nen, gehoͤren nicht unter die erhabenen
Bemuͤhungen derer uͤbrigen Weltwei-
ſen. Wo findet man in der Naturleh-
re wohl einen einzigen ſo ſubtilen Be-
grif, den nicht ein nur geſunder natuͤr-
licher Verſtand faſſen koͤnte? Wo hoͤ-
ret man daſelbſt von lauter allerklein-
ſten Kraͤften, von Geſichtspunkten
derer Monaden, von einfachen Sub-
ſtantzen, von Einfluͤſſen und Harmo-
nien ein Wort reden. Das ſubtileſte,
womit ſich ein Naturforſcher abgiebt,
ſind Muskeln, Adern, Nerven, von
Thierchen, deren ſich viele tauſend in
dem Raume eines einzigen Sandkoͤrn-
chens auf halten koͤnten. Aber alles
dieſes ſind noch nicht Begriffe von der
feinſten Art, und dieſes iſt ſchon hin-
reichend, ein Mißverſtaͤndniß unter
dieſen Gelehrten anzurichten. So
viele Verdrießlichkeiten verurſachet
ſchon das Weſen der Sele allein, und
dennoch iſt noch nichts von denen Ver-
aͤnderungen der Sele ſelbſt geſagt wor-
den. Man bediene ſich der Vorſicht,
und laſſe das Weſen der Sele unent-
ſchie-
[]Vorrede.
ſchieden. Man laſſe einen Materiali-
ſten von ſeinen Nerven und einen Har-
moniſten von ſeinen Monaden halten,
was ihnen gefaͤlt, wird man etwan
nun mit der Sache zu Ende ſeyn?
Keinesweges. Ob ich gleich in dieſer
Schrift alle Behutſamkeit angewen-
det, das Weſen der Sele nicht zu be-
unruhigen, ſo habe ich dennoch das ver-
drießliche Diſputiren nicht von mir ab-
lehnen koͤnnen. Jch haͤtte mich bey-
nahe abſchrecken laſſen, an den Grund
einer Veraͤnderung in meiner Sele zu
dencken, weil ich bey ieden neuen Ein-
falle, den ich davon hatte, ſo viel Wie-
derleger auf mich zurennen ſahe, daß
ich gantz zweifelhaft gemacht wurde,
ob nicht die Natur unſre Sele bloß
darum gemacht habe, damit niemand
vergeſſen ſolte, daß die Kraͤfte unſrer
Erkenntniß Schrancken haͤtten, und
daß man dieſelben zu uͤberſchreiten ſich
niemals bemuͤhen duͤrfte, ohne zu be-
fuͤrchten, auf die allerempfindlichſte
Weiſe wegen dieſes Vergehens an ihr
gerochen zu werden. Die Menſchen
ver-
[]Vorrede.
verrathen ſo viel Unwiſſenheit in nuͤtz-
lichen und ſo viel Wiſſenſchaft in un-
nuͤtzlichen Dingen, daß es das Anſehen
hat, als dienten ſie nur darzu, die
Natur mit ihren Handlungen zu ergoͤ-
tzen. Die allermeiſten Beſchaͤftigun-
gen der Gelehrten beſtehen nur allein
in Wiederlegen und Erfinden. Sie
wiederlegen alte Meinungen um neue
erfinden zu koͤnnen, und erfinden
Neuigkeiten, um in kurtzen wiederum
wiederlegt zu werden. Man beſinne
ſich nur auf die Bemuͤhungen eines
Carteſius, eines Leibnitz und anderer,
deren Nahmen bey uns ſo viel Aufſe-
hen verurſachen. Jener wiederlegte
die Jnfluxioniſten, er erfand die Mei-
nung derer Occaſionaliſten, und alſo
konte es nicht fehlen, daß ihn die
Harmoniſten wiederum wiederlegten.
Vom erſten Anfange der Gelehrſam-
keit iſt dieſes Verfahren Mode gewe-
ſen, und man kan derohalben gewiß
glauben, daß eine neue Meinung ihre
Wiederleger finde, ſo bald ſie etwas
alt geworden iſt, Bey ſo geſtalten
Sachen
[]Vorrede.
Sachen darf man ſich nicht Hofnung
machen, bey denen Nachkommen be-
ſtaͤndig in guten Credit zu bleiben.
Man kan Beweiſe des phyſicaliſchen
Einfluſſes, des Occaſionalismus, man
kan auch Beweiſe der vorherbeſtimm-
ten Harmonie ſchreiben. Man wuͤrde
aber den Nahmen eines Gelehrten
nicht mit Recht verdienen, wenn man
ſich uͤberreden wolte, nicht wiederleget
werden zu koͤnnen. Es ſcheinet, als
ob ſich die Einſichten der Menſchen
mit denen Jahrhunderten veraͤnder-
ten: und wenn man dieſes gewiß wuͤ-
ſte, ſo thaͤte man nicht uͤbel, wenn
man zu einem ieden neuen Beweiſe ei-
ner Meinung hinzuſetzte, auf welches
Jahrhundert er eingerichtet waͤre.
Doch dieſe Vorſicht wolte ich nicht ein-
mal einen ieden rathen. Da ietzo alle
Wiſſenſchaften ſteigen, ſo koͤnte es
auch wohl geſchehen, daß man in der
Kunſt zu wiederlegen eine groͤſſere Fer-
tigkeit erhielte, und auf dieſe Weiſe
daurete wohl mancher Beweis kein
gantzes Jahrhundert hindurch. Jch
Bſage
[]Vorrede.
ſage nicht zu viel, denn wir haben un-
ter denen Gelehrten ſchon hiervon eini-
ge Proben. Die Jdealiſtiſchen, die
Egoiſtiſchen, und andre Meinungen
mehr, haben denen Gelehrten manche
Erfindung gekoſtet: allein dieſe haben
nicht viel laͤnger in Flor geſtanden, als
etwan ihre Erfinder gelebt haben.
Wie viele Hirngeburten ſind nicht in
ihrer erſten Kindheit wider dahin ge-
ſtorben, deren Eltern ſelbſt die Lei-
chenpredigten daruͤber halten muͤſſen.
Es mag wohl eine groſſe Ueberwin-
dung darzu gehoͤren, in ſolchen Trau-
erfaͤllen gleichguͤltig zu ſeyn, und den-
noch habe ich mir ſagen laſſen, daß
unter denen Gelehrten nichts gemei-
ner ſeyn ſolte, als eben dieſes. So
wenig es ietzo Mode iſt, daß die Men-
ſchen viele Jahrhunderte hindurch le-
ben, eben ſo wenig ſoll man dieſes
von denen Schriften derer Gelehrten
behaupten koͤnnen. Jch weiß wohl
daß Euclides noch ietzo lebet, und daß
auch Neuton ſo bald nicht ſterben
werde. Allein mit dieſen hat es eine
gantz
[]Vorrede.
gantz andre Beſchaffenheit. Euclides
und Neuton waren nicht ſo wol Phi-
loſophen, als vielmehr Mathematick-
verſtaͤndige. Die Mathematick aber
fuͤhret eine ſo gute Diaͤt, daß ſie im-
mer bey ihren alten Gewohnheiten
bleibt, weil ſie dieſelben einmal ihr
dienlich befunden. Daher kommt es,
daß ſie ſich ſo lange hinbringt, ohne
zu vergehen, und ich glaube, daß ſie
ewig leben werde, da ſie ein Geheim-
niß beſitzt, allen Wiſſenſchaften vor
dem Verfalle zu helfen, wenn ſie ſich
nur bey ihr Raths erholten. Dieſe
Univerſalartzney beſchuͤtzet ſie vor al-
len Zufaͤllen, und dieienigen Men-
ſchen ſind weiſe und ehrwuͤrdig, welche
ſuchen ihre Wiſſenſchaften, durch das-
jenige Mittel, welche ſie nur bey der
Meßkunſt allein finden koͤnnen, auf-
recht zu erhalten und hoͤher zu treiben.
Gleich wie ich nun von derienigen Leh-
re, die in gegenwaͤrtigen Blaͤttern
vorgetragen wird, nichtsweniger be-
haupten kan, als daß ſie die Mathe-
matick zu ihrem Leibartzte haͤtte; ſo
B 2muß
[]Vorrede.
muß ich beynahe befuͤrchten, ſie werde
mit denen uͤbrigen Meinungen in die-
ſer Sache, gleiches Schickſal erfahren.
Dieſes koͤnte mir nun eben ſo etwas
ungluͤckliches nicht ſeyn, denn ich wer-
de es nur ſagen, daß mir die Art zu
Dencken derer Philoſophen gefalle.
Jch habe wiederlegt, ich habe erfun-
den: was fehlet mir weiter, als einen
Nachfolger zu haben, der mich wie-
derlegt und etwas neues erfindet, um
mit denen Philoſophen einerley Schick-
ſal zu haben. Weil ich aber doch eine
Meinung behaupte, welche einigen
Philoſophen gantz ungereimt vor-
kommt; ſo muſte ich befuͤrchten, man
werde mir aus andern Gruͤnden, die
Gleichheit meines Schickſahls und ie-
ner ihres abdiſputiren. Dieſes habe
ich aus den Bewuſtſeyn derer vielen
uͤberhaͤuften Geſchaͤfte ſolcher Per-
ſonen vor etwas unbilliges von mir
gehalten, wenn ich ihnen dieſe Muͤhe
machen ſolte. Jch habe es demnach
ſelber gethan. Jch habe eine alte
Meinung vorgetragen; aber ich ver-
muth-
[]Vorrede.
muthe, daß ſie dieienigen vor etwas
neues halten werden, welche ſie noch
nicht kennen. Alſo habe ich in ver-
ſchiedenen Abſichten, etwas neues und
zugleich etwas altes geſchrieben. Die-
ienigen, deren Beruf es erfodern
wird, werden mich zu wiederlegen ſu-
chen, und wenn ſie dieſes als Philo-
ſophen thun wollen, ſo muß die Mei-
nung noch als etwas neu von ihnen
angeſehen werden, denn es waͤre in
Wahrheit nicht philoſophiſch, wenn
man mich in ſo fern wiederlegen wol-
te, als ich etwas altes behauptete.
Man wuͤrde dadurch dieienigen belei-
digen, welche durch Wiederlegung
dieſer Meinung und durch Erfindung
einer neuen, in den erſtern Jahren,
als iene anfing etwas alt zu werden,
ſich den Nahmen eines Philoſophen
erworben haben. Da ich nun den al-
ten Jnfluxionismum in dieſer Schrift
auf eine ſolche Art behaupte, welche
bisher noch nicht bekandt geweſen zu
ſeyn ſcheinet; ſo wird man wiederle-
gen muͤſſen, daß dieſe Meinung neu
B 3ſey.
[]Vorrede.
ſey. Hierdurch lehne ich den Vor-
wurf ſelbſt von mir ab, daß ich zu-
gleich wiederlegt und etwas neues er-
funden haͤtte, und folglich wird es
ohnedem klar ſeyn, daß ich mich noch
nicht zu einen ſolchen Philoſophen wie-
derlegt habe, als wie es ietzo Mode
iſt. Wie gluͤcklich wuͤrde ich ſeyn,
wenn dieſes geſchaͤhe! Meine Mei-
nung, welche ſchon ſo alt iſt, wuͤrde
ſcheinen etwas von demienigen Ge-
heimniſſe zu wiſſen, deſſen ſich die Ma-
thematick bedient, um ihr Leben zu
erhalten. Ob es nun gleich nicht an
dem waͤre, ſo waͤre doch dieſer Jrr-
thum recht erwuͤnſcht vor mich; und
ich wuͤrde nimmermehr ſuchen, da-
durch ein neuer Philoſoph zu werden,
daß ich iemanden dieſen Jrrthum wie-
derlegte, und ihn zugleich des Gegen-
theils verſicherte. Jndeſſen kan man
doch aus dieſem allen ſehen, warum
ich im Anfange dieſer Vorrede geſagt
habe, daß ich zweifelhaft geweſen waͤ-
re, ob es rathſam ſey, vom Einfluß
der Sele in den Koͤrper ſeine Gedan-
cken
[]Vorrede.
cken oͤffentlich der Welt mitzutheilen.
Auf einer Seite muſte ich befuͤrchten,
man wuͤrde hierbey Gelegenheit ſuchen
ein Philoſoph zu werden, oder mich
zu wiederlegen. Auf der andern Sei-
te hingegen, wuſte ich wiederum, daß
ich nichts neues geſchrieben, ſondern
nur das alte etwas bekandt gemacht
und erklaͤret haͤtte. Zudem ſo macht
auch nur den wenigſten Theil dieſer
Schrift, dieſe Wiederherſtellung des
Jnfluxionismus aus. Hingegen der
Beweis, daß die Sele in ihren Koͤr-
per wuͤrcke, nimmt darin einen ziem-
lich groſſen Platz ein. Denenienigen,
welche dieſen Satz laͤugnen, habe ich
allerley Schuld gegeben, was ſie als-
denn auch laͤugnen muͤſten. Nicht als
wenn ſie z. E. wuͤrcklich laͤugneten, die
Sonne ſey die Urſach des Lichts,
ſondern, daß ſie es laͤugnen muͤſten,
wenn ſie eigentlich wuͤſten, was ſie be-
haupteten. Es wird mir gar nichts
unerwartetes ſeyn, wenn man dem-
ohnerachtet bey der gegenſeitigen Mei-
nung bleibet. Es iſt heut zu Tage
B 4eine
[]Vorrede.
eine Schande vor einen Gelehrten,
wenn er ſagen ſollte: ich habe geirret;
und ſolte ietzo Dolaͤus noch leben, ſo
wuͤrde er nicht umhin koͤnnen, Schluß
auf Schluß zu haͤufen, und endlich
mit vieler Verſchwendung der ſyllogi-
ſtiſchen Kunſtwoͤrter, den Lehrſatz hin-
ten nach zu ſetzen: Alſo hat die Sele
einen griechiſchen Nahmen, und die
Ehre ihrer Hofſtadt iſt gerettet. W.
Z. E. W. Ob ich nun gleich nicht ver-
muthe, daß dieſe Schrift unter denen
Gelehrten viel Aufſehens machen wer-
de; ſo koͤnte es doch ſeyn, daß man
wieder dieſen Beweis einige Einwen-
dungen zu machen haͤtte. Solten ſie
von ſolcher Erheblichkeit ſeyn, daß es
der Muͤhe werth waͤre, ſie zu beant-
worten; ſo werde ich mir ein Vergnuͤ-
gen daraus machen, meinen Beweis
ſo viel mir moͤglich ſeyn wird, dawie-
der zu retten. Jm Fall des Gegen-
theils werde ich meines Erachtens wol
thun, wenn ich ſchweige, und dieſen
Vorſatz habe ich hiedurch bekandt ma-
chen wollen. Jch weiß eben nicht, ob
er
[]Vorrede.
er vor mich ſelber allzuvortheilhaft
ſeyn moͤchte. Viele die dieſe Schrift
nicht geleſen haben, werden mehr
daran auszuſetzen haben, als die ſo ſie
verſtehen, und andre welche ſie et-
wan nicht verſtehen, werden ihr un-
partheiiſches Urtheil mir auch nicht
vorenthalten koͤnnen. Gegen alle die-
ſe werde ich mich nicht verantworten
duͤrfen. Aber gewiß! wenn ich
nur auf die vernuͤnftigen Beurthei-
lungen antworten werde, ſo muß ich
befuͤrchten, daß mich nicht wenige
meiner Beurtheiler vor ſtumm und
taub halten werden. Ueberdem habe
ich mir auch vorgeſetzt, denenienigen
gar nicht zu antworten, welche mir
gegen die Vertheidigung der ſtahlia-
niſchen Lehre etwas einwenden ſol-
ten. Jch habe ſie weder erfunden,
noch in dieſer Schrift ordentlich er-
wieſen. Man leſe die vortreflichen
Schriften, des groſſen Stahls
und unſers unvergleichlichen Herrn
Profeſſor Junckers, wenn man
darin weiteren Unterricht braucht.
B 5Wie
[]Vorrede.
Wie ich alſo leicht ſchlieſſen kan,
wird mir wol gar wenig zu weiterer
Vertheidigung auszuſetzen, uͤbrig
bleiben. Jch wuͤnſche daher nichts
weiter, als daß man mich entſchul-
dige, weil ich eine ſo lange Vorrede
geſchrieben habe.
den 1ten May
1746.
[[1]]
Meier
in der Vorrede zur Abbildung eines
Kunſtrichters.
Nur kleine Geiſter nehmen es uͤbel,
wenn ſie nicht einen durchgaͤngi-
gen Beyfall von andern erhal-
ten.
§. 1.
Ehedem war die Mode unter denen Ge-
lehrten eingeriſſen, daß man eine Sa-
che, welche etwas geheimnißvoll zu
ſeyn ſchien, mit ſolchen Worten erklaͤrete, die
nicht von jedermann verſtanden werden konten.
Dieſe Mode war eben nicht zu verachten.
Man brachte denen Ungelehrten einen hohen
Begrif von denen Gelehrten bey, ſo daß dieſe
vor iener Augen wie Goͤtter erſchienen, welche
nicht
[2] nicht wuſten daß ihre Gehirne nur mit Wor-
ten erfuͤllt waͤren, und ſie uͤbrigens mit ihnen
einerley Gaben haͤtten. Wo ich mich nicht
irre, ſo wird die heutige Geringſchaͤtzung der
Gelehrſamkeit am meiſten davon herruͤhren,
daß man dieſen Kunſtgrif nicht beybehalten hat.
Wer wuͤrde wohl ietzo den Dolaͤus vor einen
Comoͤdianten unter denen Gelehrten anſehen,
wenn dieſe Kunſt noch bey ihnen herrſchete?
Allein, es iſt nun ein vor allemahl nicht, und
ich werde wol am beſten thun, wenn ich die
Parthey der neuern erwaͤhle. Dolaͤus, dieſer
Dolaͤus, welcher in der That die Geiſterlehre
ſehr hochgetrieben hat, war einer von denenie-
nigen, die die Begriffe haſſen und die Nah-
men lieb haben. Er verbeſſerte die innre Ein-
richtung des Menſchen dadurch, daß er die
Nahmen vieler Arten von Selen erdachte, wel-
che ſich in dem menſchlichen Koͤrper bemuͤhe-
ten, eine recht weiſe Einrichtung zu machen,
und die alleſammt Unterthanen eines Monar-
chen waren. Wir haben von dieſer Einrich-
tung keinen weitern Nutzen, als eine Menge
recht praͤchtiger Nahmen, welche vielleicht ohne
dieſelbe unbekandt geblieben waͤren. Micro-
cosmetor, war der Monarch von den wir
ietzo reden; ſein Bedienter war der ſo in dem
Hertzen ſein Regiment fuͤhrete, und Cardime-
lech hieß. Ein andrer hieß Cosmetorges,
der ſo die Speiſen verdauete, nennte ſich Ga-
ſteranax und Bithnimalca, und der werthe
Nah-
[3] Nahmen desienigen, der die Vermehrung der
Welt beſorgte, war: Rachamalca. Doch
hat ſich Dolaͤus nicht allein Muͤhe gegeben,
der Sele einen Nahmen zu geben. Noch ehe
man von denen Monaden etwas wuſte, war
die Sele bald eine Flammula vitalis bald
ein Humidum innatum, und ich weiß nicht
was noch ſonſt. Dieſe Verwirrung iſt groß
genug, und daher muß man ihren Erfindern
verbunden ſeyn, daß ſie ſich nicht noch mehr
Muͤhe gegeben, dieſelbe hoͤher zu treiben. Wir
wiſſen von dem allen nichts, wovon ſie uns
mit ſo viel Worten unterrichtet. Niemand
hat das Gluͤck den Microcosmetor zu ken-
nen, ob man gleich weiß, daß er ſeinen Nah-
men hat. Jch ſage dieſes nicht, um die Er-
finder ſolcher Weisheit zu tadeln. O nein! es
iſt mir mehr als zu wohl bekandt, daß ſie nichts
weiter gethan haben, als was noch taͤglich ge-
ſchicht. Ohnerachtet Microcoometor nicht
mehr lebt, und ohnerachtet ſein Nachfolger den
Nahmen einer Monade, einer Sele, eines
Archaͤus und dergleichen mehrere bekommen
hat; ſo kennen wir die Perſonen dieſer Nah-
men eben ſo wenig, als die alten dieſen ihren
Monarchen. Das macht, wir muͤſſen dieſes
als ein Hauptgeſetz in der Lehre von der Er-
kenntniß des Weſens unſrer Sele, anſehen,
daß das Weſen derſelben von uns auf keine
Weiſe vollkommen erkennet und begriffen wer-
den mag. Weil uns die Nahmen der Selen
nichts
[4] nichts koſten, ſo koͤnnen wir derſelben ſo viele
beylegen, als uns gefaͤllt; allein eben darum,
weil ſie ſo wohlfeil ſind, wird man ſich nicht
viel beſonderes davon verſprechen koͤnnen. Mei-
nethalben koͤnte die menſchliche Sele, Archaͤus,
Microcosmetor oder Monade heiſſen, das
eine wuͤrde mir ihre wahre Beſchaffenheit ſo
wenig entdecken, als das andre. Wenn wir
die Materialiſten ausnehmen, ſo behauptet ie-
dermann, daß die Seele ein Geiſt ſey. Allein
es muß Grade in der Geiſtigkeit geben, weil
es Leute giebt, welche zwar mit Gewißheit
glauben, daß die Sele ein Geiſt ſey: die aber
demohngeachtet nicht zugeben wollen, daß man
ſie eine Monade nennen ſoll. Was mich be-
trift, ſo ſoll es mir einerley gelten, man mag
die Sele halten, wovor man will. Meine
Gedancken von dem Einfluſſe der Sele in ih-
ren Koͤrper ſollen alſo beſchaffen ſeyn, daß ſie
einer Monade eben ſo wohl, als einem Ar-
chaͤus zu kommen. Jch will zum voraus ſe-
tzen, daß wir alleſammt dencken: und dasie-
nige Ding, welches in uns iſt und Vorſtel-
lungen hat, ſoll eine Sele heiſſen. Dieſe Er-
klaͤrung hat einen ziemlich weiten Umfang,
allein weil ich nicht ſehe, warum ich das We-
ſen der Sele genauer beſtimmen muͤſte: ſo
will ich lieber die Streitigkeiten in dieſer Sa-
che vermeiden. Dieſes wird ohne Zweifel de-
nenienigen wunderlich vorkommen, welche glau-
ben, daß ich in dieſer Materie, die ich abzu-
handeln
[5] handeln gedencke, gar nichts entſcheiden koͤn-
te, ohne vorher das Weſen der Sele genau
genug beſtimmt zu haben. Aber hiervon kan
ich mich nicht uͤberreden. Man wuͤrde, wenn
ich auch meine Saͤtze noch ſo genau erwieſen
haͤtte, mir dennoch vorwerffen koͤnnen, daß
dieſes alles nur wahr waͤre, wenn unſre Sele
dasienige Ding waͤre, wovon ich es glaubte,
und worauf ich meine Saͤtze gegruͤndet. Das
Weſen der Sele wird demnach hier von mir
verſchonet bleiben; allein ich werde demohn-
erachtet Gelegenheit finden, vieles von dem
Einfluß der Sele in ihren Koͤrper zu ſagen und
theils zu erweiſen.
§. 2.
Die vielen Weſen der Sele, die vorherbe-
ſtimmten Harmonien, die phyſicaliſchen Ein-
fluͤſſe, die Lehrgebaͤude der Mechaniſten und
Occaſionaliſten, auch ſo gar die Microcosme-
tors und Monaden, haben wir alleſammt einer
gewiſſen Begierde der Gelehrten zu dancken,
die ſie angetrieben hat zu erforſchen, was doch
wol der Grund von der ſo genauen Verbin-
dung derer Veraͤnderungen der Sele mit denen
in dem Koͤrper ſeyn moͤge. Eine ſo ruͤhmliche
Begierde war vermoͤgend die gantze gelehrte
Welt zugleich zu beſchaͤftigen, zu veruneinigen
und laͤcherlich zu machen. Heut zu Tage
ſcheinet dieſer Entzweck nach und nach weg-
zufallen, denn man bemuͤhet ſich ietzo nicht ſo
wohl den wahren Grund dieſer Vereinigung
zu
[6] zu finden, ſondern man bekennet ſich zu einer
derer herrſchenden Partheyen, und rechnet die-
ſes mit zur Galanterie. Einige Stahlianer,
wiſſen weiter nicht warum ſie ſich zu dieſer Leh-
re bekennen, als damit ſie dieienigen laͤſtern
moͤgen, welche ihres Glaubens nicht ſind.
Wiederum weiß ich auch, daß viele Harmo-
niſten nur darum Harmoniſten ſeyn wollen,
weil es ietzo Mode iſt, daß derienige nur den
Nahmen eines rechten Philoſophen verdienet,
welcher nichts vor ſich findet als einen hauffen
Monaden die beſtaͤndig ihren Geſichtspunct
veraͤndern, er mag anſehen was er will. Die-
ſer Misbrauch hebet indeſſen doch den rechten
Gebrauch der Sache nicht auf. Schon die
Bemuͤhung, dieſes Geheimniß zu errathen, iſt
lobens werth, und ſelbſt die Jrrthuͤmer, wel-
che dabey vorfallen, ſind nuͤtzlich. Haͤtte Do-
laͤus nicht an ſeine Selenrepublick gedacht; ſo
waͤre ohnfehlbar dieſe luſtige Erfindung in un-
ſern Zeiten an den Tag gekommen, und wir
ſind dieſen Manne vielen Danck ſchuldig, daß
er uns zu dieſem Gluͤck nicht verholfen hat.
Allein man muß es bey denen Fehlern derer
Gelehrten nicht bewenden laſſen; ſondern man
muß auch dieſelbigen zu verbeſſern ſuchen. Hier-
in ſind des Cartes, Leibnitz und andre mehr
zu loben, welche durch ihre Bemuͤhungen die-
ſen edlen Vorſatz ſattſam verrathen haben.
Und ob ich gleich glaube, daß ſich bey denen
Erfindungen beyder noch einiges einwenden
laſſe,
[7] laſſe, ſo wird doch alles dieſes ihrem Ruhme
keinen Abbruch thun. Dieſes iſt eben das
Verderben, daß neue Meinungen nie unange-
fochten bleiben. Es iſt kein groͤſſeres Ver-
gnuͤgen, als die Verſchiedenheit derer Mei-
nungen, welche nur allein von dem Weſen der
Sele und ihrer Uebereinſtimmung mit dem
Koͤrper erſonnen worden ſind, zu bedencken:
denn man findet gewiß dabey mehr laͤcherliches,
als der Werth der Sache beynahe erlaubet.
Jch kan nicht umhin die verſchiedenen Mei-
nungen in dieſer Sache meinen geehrteſten
Leſern mitzutheilen, zumal da ſie mir Gele-
genheit geben werden, meinem Vorſatze ein
Genuͤgen zu thun, und ihnen mein Glaubens-
bekenntniß von der Art des Einfluſſes der Se-
le in den Koͤrper zu eroͤfnen. Die Meinungen
die ich ietzo anzufuͤhren willens bin, ſind in An-
ſehung des Entzwecks, warum man ſie erdacht
hat, verſchieden. Die Egoiſten, Jdealiſten
und Materialiſten haben es nur allein mit
dem Weſen der Sele zu thun. Hingegen die
Occaſionaliſten, Harmoniſten und Jnflu-
xioniſten bekuͤmmern ſich mehr um den Grund
der Uebereinſtimmung derer Veraͤnderungen
des Koͤrpers und der Sele. Jch will mit de-
nen erſtern den Anfang machen.
§. 3.
Die Egoiſten und Jdealiſten haben vor gut
befunden, die Wuͤrcklichkeit aller Koͤrper zu
laͤugnen. Unter beyden aber iſt doch die Mei-
Cnung
[8] nung derer Egoiſten die allerlaͤcherlichſte. Ein
Egoiſt glaubt nicht allein, daß ſein Koͤrper
nicht wuͤrcklich ſey; ſondern er laͤugnet auch,
auſſer dem Daſeyn aller uͤbrigen Koͤrper in der
Welt, die andern Geſchoͤpfe, welche man Gei-
ſter nennet, und behauptet, daß dieſes nur
Vorſtellungen in ſeiner Sele waͤren, von wel-
chen allem aber nichts wuͤrcklich da ſey, als er,
das iſt, ſeine vornehme Sele, allein. Alles
andre aber, was er empfindet ſind nur Vor-
ſtellungen in ihm, welche verurſachen, daß in
der Welt nichts waͤre, wenn er nicht waͤre. Es
iſt ſchade, daß es dieſer Herren viele gegeben:
denn eben um deßwillen machen ſie ſich am mei-
ſten laͤcherlich. Ein Egoiſt haͤlt immer den
andern um die Wette vor ein Nichts, und ſol-
chergeſtalt ſind die Leute, welche vollkommen
einerley Meinung hegen, die groͤſten Feinde
gegen einander. Wiederlegte ein Egoiſt den
andern, ſo muͤſte er ſeine eigene Meinung wie-
derlegen, und doch wuͤrde er alsdenn behaupten
koͤnnen, daß er ſeine Gegner vertrieben und
nur allein da waͤre. Waͤren demnach alle
Menſchen Egoiſten; ſo wuͤrde ein ieder von ſei-
ner Wuͤrcklichkeit uͤberzeugt ſeyn. Naͤhme man
aber die Meinung eines ieden, welche er von
ſeinem Nachbar hat, zuſammen; ſo bliebe ge-
rade gar nichts uͤbrig, das wuͤrcklich waͤre. Al-
le dieſe Creaturen ſind Bilder, und ein iedes
dieſer Bilder iſt auch zugleich das Urbild ſelbſt.
Bey alledem iſt es doch etwas artiges, daß
man
[9] man dieſe Leute nicht wiederlegen kan. Man
mag ihnen den beſten Beweis von der Unmoͤg-
lichkeit ihrer Meinung geben; ſo werden ſie
dadurch doch nicht uͤberzeugt, weil ſie glauben,
daß dieſes alles nur Vorſtellungen in ihnen
ſelbſt waͤren, wodurch ſie ſich zu wiederlegen
ſchienen, da ſie doch dieſes im Ernſte niemals
willens waͤren. Darum halten ſie ihre Wie-
derlegungen vor ihre eigenen Traͤume und blei-
ben indeſſen Beſitzer von ſich ſelbſt. Ein E-
goiſt muß nach ſeiner Meinung der gluͤckſeligſte
Menſch von der Welt ſeyn. Er kan mit dem
groͤſten Recht von ſich ſagen:
Jch habe wenig und doch Alles.
Kein Menſch kan ihm die Herrſchaft uͤber die
gantze Welt ſtreitig machen, allein er iſt dabey
viel zu beſcheiden, als daß er ſie verlangen ſol-
te. Er ſiehet gar wohl ein, daß nichts ver-
nuͤnftiger ſey, als etwas nicht zu begehren, das
in der That nicht wuͤrcklich vorhanden iſt. Er
hat es demnach in der Verlaͤugnung der zeit-
lichen Guͤter ſehr weit gebracht. Wo kan er
nach Ehrenaͤmtern ſtreben, da er niemand hat,
dem er gebieten koͤnte? Was ſolte ihn zu wol-
luͤſtigen Gedancken verleiten, da nichts vorhan-
den iſt, das ihm entweder dieſelben erregen,
noch in ihm daͤmpfen und befriedigen koͤnte?
Und warum ſolte er endlich Schaͤtze ſamlen?
Er, der weder Geld noch Gut wuͤrcklich be-
ſitzen kan, noch auch Erben zu verſorgen hat,
C 2denen
[10] denen er nach ſeinem Hintritt einen Segen an
Gelde zu hinterlaſſen haͤtte. Man ſiehet hier-
aus die ſtrengen Geſetze, welche ein Egoiſt zu
beobachten hat. Er darf von Rechts wegen
weder ehrgeitzig, weder wolluͤſtig noch geldgei-
tzig ſeyn. O Ungluͤck vor die Welt! daß es
dieſer ſtoiſchen Perſonen nicht mehrere giebet.
Sehet hier dasienige was dem Sociates noch
fehlte, um ein rechter exemplariſcher Stoicker
zu werden. Es fehlte ihm allein die Meinung
derer Egoiſten. Die Welt iſt ohnfehlbar uͤber-
zeugt, daß die drey Hauptneigungen der Men-
ſchen, Ehrgeitz, Wolluſt und Geldgeitz gluͤck-
licher machen, als die Verlaͤugnung des zeit-
lichen: denn man hat aus der Erfahrung, daß
keine Meinung ſo wenige Anhaͤnger bekom-
men hat, als dieienige derer Egoiſten.
§. 4.
Ein Jdealiſt iſt nicht ſehr von denen E-
goiſten unterſchieden. Er behauptet ebenfalls,
daß es gar keinen Koͤrper gebe, ſondern daß
er ſich dieſes alles nur einbilde. Allein ob er
ſich gleich nur vor ein einfaches Ding haͤlt, ſo
geht doch ſein Hochmuth nicht ſo weit, daß er
glauben ſolte, er ſey das einzige einfache Ding,
welches in der Welt wuͤrcklich waͤre. Er giebt
zu, daß es deren mehrere gebe, und erkennet
alſo ſeine Nebenmenſchen vor Dinge auſſer ſei-
nem Verſtande. Allein er giebt nicht zu, daß
ſie einen Koͤrper haben. Und warum ſolte er
auch dieſes thun, da er ſich ſelbſt keinen bey-
mißt.
[11] mißt. Demnach glaubt er, daß unſer Erd-
boden uͤber und uͤber begeiſtert ſey, und damit
iſt ſein Glaubensbekenntniß fertig. Er laͤßt
ſich ſo wenig von der Gegenwart der Koͤrper
uͤberreden, als ein Egoiſt. Und dieſe beyden
Arten von Gelehrten haben ein Geheimniß,
welches gewiß triftig iſt, Begebenheiten auf-
zuloͤſen, welche andern ſehr ſchwer fallen. Sie
brauchen nichts weniger, als zu unterſuchen,
wie es komme, daß die Veraͤnderungen des
Koͤrpers ſo genau mit denen Veraͤnderungen
der Sele uͤbereinſtimmen. Denn die gantze
Schwierigkeit iſt dadurch gehoben, daß ſie die
Wuͤrcklichkeit der Koͤrper laͤugnen; und da-
durch erhalten ſie den Vortheil, daß ſie be-
haupten koͤnnen, es finde gar keine Ueberein-
ſtimmung derer Veraͤnderungen in beyden ſtatt.
Es wundert mich, daß die Gelehrten, dieſe
Methode, Aufgaben aufzuloͤſen nicht in meh-
rerem Gang bringen. Man koͤnte dadurch
gar bald in den Stand geſetzt werden, ſeine
Gelehrſamkeit auf den allerhoͤchſten Grad zu
treiben. Dasienige was man beurtheilen
koͤnte, naͤhme man an: Was aber unſern Au-
gen verborgen waͤre, deſſen Wuͤrcklichkeit koͤn-
te man laͤugnen; und ſo wuͤrde bald nichts
mehr uͤbrig bleiben, das man einzuſehen ſich
bemuͤhen muͤſte. Wenn man erfahren koͤnte,
ob ſich einige Gelehrte nicht dieſes heimlichen
Kunſtgriffes bedienten; ſo wuͤrde man viel-
leicht von der Gruͤndlichkeit vieler, ein mehreres
C 3Licht
[12] Licht erlangen. Es giebt Leute, welche die
anziehende Kraft derer Koͤrper laͤugnen. Viel-
leicht bedienen ſich dieſelben der Maxime, das-
ienige zu laͤugnen, was ihrer Vernunft zu hoch
iſt. Viele verwerfen die Moͤglichkeit deſſen,
daß die Sele in den Koͤrper wuͤrcken koͤnne.
Solte der Grund davon vielleicht darin zu ſu-
chen ſeyn, daß ſie ſich nach ihren einmal ge-
faßten Vorurtheile von der Beſchaffenheit der
Sele, nicht einbilden koͤnnen, wie dieſes
moͤglich ſey? Beynahe ſolte ich auf die Gedan-
cken gerathen, daß man mit der Zeit anfan-
gen wuͤrde, an unſern eigenen Vorſtellungen
zu zweifeln, weil niemand begreiffen kan, wie
uns dieſelben zukommen koͤnnen.
§. 5.
Die beyden vorerzaͤhlten Meinungen ſind
ſo abgeſchmackt, daß es uͤberfluͤßig ſeyn wuͤrde,
wenn man ſich die Muͤhe geben wolte, ſie zu
wiederlegen. Nunmehro kommen wir auf die
Meinung derer Materialiſten, welche ſich
ſchon einige Muͤhe gegeben haben, die Har-
monie zwiſchen der Sele und dem Koͤrper be-
greiflich zu machen. Sie behaupten gerade
das Gegentheil von dem, was die Jdealiſten
glauben. Jhre Meinung geht nemlich dahin,
daß ſie ihre Sele vor kein einfaches Ding hal-
ten, ſondern vielmehr wollen, daß ſie eine
Materie ſey. Sie theilen ſich in verſchiedene
Secten, welche wir alle nach der Reihe be-
trachten muͤſſen. Einige laͤugnen die Wuͤrck-
lichkeit
[13] lichkeit aller einfachen Dinge, und verfallen
ſolchergeſtalt entweder auf den Atheismum
oder Spinozismum. Sie geben zu, daß man
dasienige, was man behaupte, erweiſen muͤſſe.
Und den Beweis, daß es keine Monaden ge-
be, nehmen ſie aus der Naturlehre. Sie
ſchuͤtzen vor, weil die Theile der Koͤrper un-
endlich ſind, und weil ihre Unendlichkeit ma-
thematiſch zu nennen, ſo waͤre es nicht aus-
zumachen, was es mit denen letzten Theilen
der Koͤrper vor eine Beſchaffenheit habe. Denn
weil das mathematiſche Unendliche, eine ſolche
Groͤſſe waͤre, welche keine menſchliche Ver-
nunft uͤberdencken koͤnte; ſo ſey es nur eine
Chimaͤre, wenn man ſich einbildete, daß dieſe
lezten Theile aus Monaden beſtuͤnden. Weil
ſie aber ſolchergeſtalt den zureichenden Grund
von der Zuſammenſetzung der Koͤrper laͤugnen
muͤſten; ſo behaupten ſie, daß derſelbe nur
allein in GOtt zu ſuchen ſey. Man kan ſich
aber leicht einbilden, mit welcher Ueberzeugung
ſie dieſes behaupten koͤnnen, da ſie GOtt
ſelbſt vor kein einfaches Ding halten, und
alſo nothwendig den zureichenden Grund
der Zuſammenſetzung laͤugnen muͤſſen. Andre,
welche etwas beſcheidener ſind, geben die
Wuͤrcklichkeit derer Monaden zu; allein ſie
laͤugnen, daß ihre Sele eine Monade ſey.
Wenn ſie aber ſagen ſollen, was ſie denn vor
ihre Sele halten; ſo theilen ſie ſich wiederum
in drey Theile. Einige erweiſen dem Ner-
C 4venſafte
[14] venſafte die Ehre, daß ſie ihn vor ihre Sele
erklaͤren, andre ſagen dieſes hingegen nur von
denen Nervenhaͤuten. Die erſtern fuͤhren zu
Vertheidigung ihrer Meinung an, daß weil
ein Nerve, wenn er ausgetrocknet iſt, nicht
mehr empfinde; ſo muͤſſe dieſer nicht die Sele
ſeyn, ſondern vielmehr der Nervenſaft Die
andern ſagen, weil die weiche Subſtanz des
Gehirns unempfindlich, hingegen die Hirnhaͤu-
te ſo ſehr empfindlich waͤren; ſo muͤſte in die-
ſen vielmehr der Grund von denen Vorſtel-
lungen zu ſuchen ſeyn, und nicht in dem Ner-
venſaft. Noch andre, welche die Kluͤgſten
ſeyn wollen, nehmen beydes zuſammen, und
ſagen, daß die mit Nervenſaft erfuͤllten Ner-
venfaͤſerchen ihre Sele waͤren. Fraget man
aber darnach, woher ſie alles dieſes erweiſen
wollen; ſo iſt es gewiß erbaͤrmlich anzuhoͤren,
wenn ſie ſagen, daß man nicht begreifen koͤnte,
wie ein einfaches Ding ſolte beſchaffen ſeyn,
noch vielweniger, wie es Vorſtellungen habe.
Denn ob gleich nichts gewiſſer iſt, als dieſes,
ſo klingt es doch gar nicht philoſophiſch, wenn
man eine Meinung mit folgenden Schluſſe
erweiſen will: Alles was ich nicht begrei-
fen kan, iſt unmoͤglich: Nun kan ich
nicht begreifen, was eine Monade ſey,
und wie ſie dencke; Derohalben iſt meine
Sele keine Monade. Jch beruͤhre ietzo
nicht einmal, daß ein Monadiſt dieſen Schluß,
wenn es erlaubt waͤre, ſich deſſelben zu bedie-
nen,
[15] nen, gerade auch umkehren und ſagen koͤnte:
Man begreift nicht wie die Bewegung der
Nerven und des Nervenſaftes Vorſtellungen
wuͤrcken koͤnne; Alſo iſt dieſes unmoͤglich.
Wenn wir nun zum voraus ſetzen, daß die
Materialiſten ihre Meinung auf keine andre
Art erweiſen koͤnnen; ſo iſt es vor ſich klar,
daß dieſelbe ungegruͤndet ſey. Es erhellet
hieraus, daß nicht alle Materialiſten ohn Un-
terſchied Atheiſten ſeyn. Von denen, welche
alle einfachen Dinge laͤugnen, kan man dieſes
behaupten. Dieienigen aber, welche nur ihre
Sele vor eine Materie halten, geben zu, daß
ein GOtt ſey, und ſein Weſen einfach. Al-
lein, ob ihre Meinung mit dem Artikel von
der Auferſtehung der Todten uͤbereinkomme;
ſolches braucht weiterer Unterſuchung. Sie
ſagen zwar, daß bey Erweckung der verbliche-
nen Leiber, auch zugleich die Nerven, das iſt,
ihre Sele, wieder hergeſtellt werde; allein auf
dieſe Art, waͤre eine Sele in der That etwas
wunderliches. Sie koͤnte vergehen und wieder
entſtehen. Sie koͤnte wachſen und abnehmen.
Aber alles dieſes ſind Sachen, welche eine
groſſe Hertzhaftigkeit erfordern, wenn man ſie
behaupten ſoll. Jch gebe daher einem Mate-
rialiſten nur folgendes hierbey zu bedencken:
Unſre Sele mag ſeyn, was ſie will; ſo muß
ſie doch eine Kraft haben, Vorſtellungen her-
vorzubringen. Wenn nun eine Kraft in be-
ſtaͤndiger Handlung iſt, die Wuͤrckungen her-
C 5vor-
[16] vorzubringen, die ſie hervorbringen kan; ſo
muß auch dieſes von der Sele gelten. Die
Sele hat eine Kraft Vorſtellungen zu wuͤrcken:
und alſo kan ſie ohnmoͤglich aufhoͤren zu den-
cken. Nun ſagen die Materialiſten ſelbſt, daß
ein Nerve geſund ſeyn muͤſſe, wenn er Vor-
ſtellungen wuͤrcken ſoll. Da er aber im Tode
zerſtoͤrt wird; ſo koͤnte er deren keine wuͤrcken,
und ſolchergeſtalt haͤtte alsdenn die Sele eine
Kraft Vorſtellungen zu wuͤrcken, und dieſes
geſchaͤhe doch nicht: welches offenbar unge-
reimt iſt. Man koͤnte zwar einwenden, daß
dieſes nur alsdenn gelte, wenn die Kraft durch
nichts verhindert wuͤrde, ihre Wuͤrckungen zu
aͤuſſern. Allein, wie, wenn ich beweiſe, daß
ſich auch dieſes oͤfters alſo befindet, und dennoch
keine Vorſtellungen zugegen ſind? Setzet ein
Menſch ſey vollkommen geſund, und habe in
der Nacht das Ungluͤck, in ein Waſſer zu fal-
len, und darin zu erſticken. Geſchicht bey die-
ſer Art des Todes wol denen Nerven ein Scha-
den? Jch kan dieſes nicht einſehen. Solcher-
geſtalt beſinden ſich die Nerven bey einen ſol-
chen todten Menſchen, ehe er anfaͤngt zu ver-
weſen, in eben den Umſtaͤnden, worin ſie ſich
bey ſeinen Lebzeiten befunden. Woher ſolte
alſo wol die Kraft der Nerven, Vorſtellungen
hervorzubringen, verhindert werden? Nichts
deſtoweniger wird kein vernuͤnftiger Menſch
behaupten koͤnnen, daß ein Ertrunckener den-
cke. Jnzwiſchen iſt dieſes nicht zu laͤugnen,
daß
[17] daß ein Materialiſt die Frage am beſten ent-
ſcheiden koͤnne, woher die Veraͤnderungen der
Sele und des Koͤrpers uͤbereinſtimmen. Denn
wenn ihre Sele Vorſtellungen hat; ſo muͤſten
ſich alsdenn die Nerven veraͤndern. Nun ſind
die Nerven Koͤrper, und ein Koͤrper kan ſich
nicht anders als durch die Bewegung veraͤn-
dern. Solchergeſtalt, waͤren die Vorſtellun-
gen in der Sele, Bewegungen der Nerven.
Wenn aber die Nerven einmal in Bewegung
geſetzt waͤren, ſo koͤnte man auch leicht die
uͤbrigen Bewegungen im Koͤrper daraus herlei-
ten. Es iſt in der That bald Schade, daß
man eine ſo artig ausgedachte Meinung fahren
laſſen ſoll. Jndeſſen ſcheint wol der beſte Rath
zu ſeyn, dieſes zu thun, indem man ſonſt et-
was behaupten muͤſte, woruͤber viele vernuͤnf-
tige Leute Bedencken haben, es zu ſagen, und
wobey man der heiligen Offenbarung durchaus
wiederſprechen muͤſte, welche nicht ſagt: Die
Nervenfaͤſerchen, ſondern, die Selen der
Gerechten ſind in GOttes Hand, und Ebr.
12, 23. Geiſter der vollkommenen Gerechten
u. ſ. w. welches nach materialiſchen Gruͤnden:
Nerven der vollkommenen Gerechten, heiſſen
muͤſte. Jch hoffe, hierdurch wird man voll-
kommen uͤberzeugt ſeyn, daß dieſe Meinung
eben ſo ungegruͤndet iſt, als wahrſcheinlich ſie
wol anfangs manchen ſcheinen moͤchte. Die
Materialiſten beſtaͤtigen es demnach zur Genuͤ-
ge, daß man am beſten thue, wenn man ſich
nicht
[18] nicht zu weit, in die Betrachtung der Erkennt-
niß unſrer Sele einlaſſe, indem man von einer
ſo ungewiſſen Sache viel mehrere Merckmale
haben muͤſte, als man hat, wenn man ſich dar-
in vertieffen wolte.
§. 6.
Die Leute, welche eine von denen vorigen
Meinungen behaupten, ſchweifen beſtaͤndig
aus. Entweder ſie laͤugnen die Koͤrper oder
die Geiſter. Jſt es aber nicht allemal beſſer
die Mittelſtraſſe zu erwaͤhlen, und beydes zu-
gleich anzunehmen. Darum ſind die Duali-
ſten in dem Stuͤcke zu loben, daß ſie glauben,
der Menſch beſtehe nicht allein aus dem Koͤr-
per oder allein aus Geiſt; ſondern aus Geiſt
und Koͤrper zugleich. Hier kommt es nun ei-
gentlich darauf an, daß wir unterſuchen, wie
dieſe die Uebereinſtimmung der Handlungen des
Koͤrpers und der Sele erklaͤren. Allein ſie
theilen ſich wiederum in verſchiedene Secten,
und wir werden uns muͤſſen gefallen laſſen, ihre
Meinungen ebenfals zu pruͤfen. Die erſtern
behaupten, die Sele habe allein Vorſtellungen,
und nach der Verſchiedenheit derſelben wuͤrde
auch die Direction des Nervenſaftes in dem
Gehirne veraͤndert. Weil ſie aber wol ſahen,
daß hierzu nothwendig ein Director erfodert
werde, und da ſie nicht vor gut befanden, ihre
Sele mit dieſer Bemuͤhung zu belaͤſtigen, ſo
trugen ſie das Directorium uͤber den Nerven-
ſaft GOtt auf. Die, welche dieſer Meinung
anhaͤn-
[19] anhaͤngen, heiſſen Occaſionaliſten, und des
Cartes iſt der Erfinder derſelben Lehre. Jch
wolte wol ſagen, daß mir dieſe Meinung ge-
fiele; allein ich habe zweyerley Bedencken da-
bey, welche man mir erſt aus dem Wege raͤu-
men muͤſte. Einmal wolte ich mir gerne einen
Begrif davon machen koͤnnen, was es mit
der Wuͤrckung der Sele in dem Koͤrper vor
eine Beſchaffenheit habe. Allein, wenn ich
lange weiß, daß GOtt den Nervenſaft nach
unſern Vorſtellungen veraͤndere; ſo begreife
ich dadurch doch noch nichts von dem, was ich
wiſſen wolte. Hernach ſo halte ich, auſſerdem
daß dieſer gantze Satz eine unerwieſene Hypo-
theſe iſt, davor, daß GOtt wol maͤchtig und
faͤhig genug geweſen ſey, den Menſchen ſchon
vom Anfange alſo einzurichten, daß er nicht
noͤthig habe, in einen ieden Menſchen bloß des-
halb unmittelbar zu wircken, damit die Veraͤn-
derungen der Sele und des Koͤrpers in einer
beſtaͤndigen Verhaͤltniß erhalten werden moͤch-
te. Ja es ſcheint mir auch, daß man bey
Beurtheilung einer Urſache mehr auf die naͤhe-
ren als die entfernteſten gehen muͤſſe. Wenn
man demnach gleich zugeben muß, daß GOtt
wie von allen, alſo auch von dieſer Veraͤnde-
rung unſers Koͤrpers in ſo weit eine Urſach ſey,
daß derſelbe urſpruͤnglich von ihm abſtammet:
ſo waͤre es doch, bey Erklaͤrung dieſer Frage
noͤthig geweſen, die Mittel zu beſtimmen, deren
ſich GOtt bedienet, um dieſen Endzweck zu
errei-
[20] erreichen. Das heiſt, wenn ein Occaſionaliſt
von der Wuͤrckung der Sele und des Koͤrpers
urtheilen wolte; ſo ſolte er ſich nicht ſo wol
um die entfernteſten, als vielmehr um die naͤhe-
ren Urſachen vornemlich bekuͤmmern.
§. 7.
Der Herr von Leibnitz hat ſich die Muͤhe
gegeben, auf eine gantz neue Art zu zeigen, wie
es mit denen Veraͤnderungen des Koͤrpers und
der Sele zugehe. Er war ein Dualiſt, und
behauptete alſo, daß der Menſch aus einen
Koͤrper und einer Sele beſtuͤnde, welcher er
den Nahmen einer Monade beylegte. Er
ſahe wol ein, daß des Cartes in ſeinem Ur-
theile zu uͤbereilt geweſen war, und deshalb
ſuchte er der gantzen Sache dadurch zu helfen,
daß er die vorherbeſtimmte Uebereinſtim-
mung erdachte, davon das vornehmſte in fol-
genden beruhet: Die Monade welche in unſern
Koͤrper iſt, ſoll nichts weniger thun, als in ih-
ren Koͤrper wuͤrcken. Nein! die Sele iſt ein
Ding vor ſich und der Koͤrper iſt ein Theil der
groſſen Maſchine der Welt, und eine neue Ma-
ſchine. Die Sele denckt nach denen Geſetzen
der Einbildungskraft in einem fort, ohne durch
die Veraͤnderungen des Koͤrpers dazu beſtimmt
zu werden. Hingegen der Koͤrper wandert
nach denen Geſetzen der Bewegung in einer
Schnur fort, nachdem er in Mutterleibe das
erſtemahl aufgezogen worden: daß alſo der
Willen der Sele gar nichts zu denen Bewe-
gungen
[21] gungen des Koͤrpers beytrage; auch nicht ein-
mal zu denen willkuͤhrlichen. Es ſtellte alſo
die Sele etwan nur ein Nebenrad vor, wel-
ches zwar der Maſchine des Koͤrpers am naͤ-
heſten iſt, keinesweges aber etwas zur Voll-
kommenheit der Bewegungen deſſelben bey-
traͤgt. Hierbey muß ich erinnern, daß man
nicht meine, ich behauptete, die Herren Har-
moniſten hielten die Sele ebenfalls vor eine
Maſchine, gleichwie den Koͤrper. Jch weiß
wol daß ſie hierzu zu geſcheid ſind. Sondern
ich betrachte die Sele in gegenwaͤrtigen Falle,
nur Vergleichungsweiſe, mit dem Koͤrper, als
ein Nebenrad, welches ſich aber die Metaphy-
ſickverſtaͤndigen, ohne mein Erinnern, als ein
einfaches Rad, als ein Rad von einer Mona-
de gemacht, vorſtellen werden. Die Men-
ſchen wuͤrden alſo auf dieſe Art gantz gewiß
glauben, daß ſie einen Koͤrper haͤtten, wenn
auch dem wuͤrcklich nicht alſo waͤre. Denn
die Sele wuͤrde ebenfals alle die Vorſtellun-
gen haben, die ſie ietzo hat, wenn ſie auch
nicht mit einem Koͤrper verbunden waͤre. Sie
wuͤrde ebenfalls glauben, daß ihr Koͤrper aͤſſe
und traͤncke, daß er ginge, ſtuͤnde oder ſchlie-
fe, daß er andre Koͤrper um ſich herum haͤtte,
die ſich ebenfalls bewegen, die ihn beruͤhren,
die mit ihm reden, die ihm dienen oder ihn be-
herrſchen. Mit einem Wort; ſie wuͤrde in
eben den Umſtaͤnden ſeyn, darin ſie ietzo iſt,
wenn ſie auch keinen Koͤrper beſaͤſſe. Auf dieſe
Art
[22] Art ſtuͤnde es noch dahin, ob wir einen Koͤrper
haͤtten, oder ob es nicht etwan nur unſrer Sele
beliebte ſich dieſes vorzuſtellen. Dieſes iſt noch
nicht alles. Jch wuͤrde ietzo die Feder fuͤhren,
und die Worte nach der Reihe hinſetzen, wie
ſie hier folgen. Jch wuͤrde mit einem andern
vernuͤnftig reden, und ſeine Fragen beantwor-
ten, ich wuͤrde um Tiſchzeit mich zu Tiſche ſe-
tzen, und eine Malzeit thun, ich wuͤrde zu ge-
hoͤriger Zeit einſchlafen, und wieder erwachen,
ich wuͤrde des Tages uͤber meine Geſchaͤfte
treiben, und alles thun koͤnnen, wie ich es ietzo
zu thun pflege, und dieſes alles, wenn ich auch
keine Sele haͤtte. Ein Koͤrper der mich von
auſſen beruͤhret, iſt nach dieſer Meinung, an
denen Vorſtellungen, welche ſich die Sele da-
von macht, hoͤchſt unſchuldig. Dieſe wuͤrde
ebenfals zu der Zeit Schmertzen empfunden
haͤben, da man den Koͤrper mit Stockſchlaͤgen
tractiret, wenn er auch an dieſer Ceremonie
gar nicht Theil naͤhme. Hingegen wuͤrde der
Koͤrper zu eben der Zeit, wenn es wuͤrcklich
geſchaͤhe, alle die wunderlichen Gebehrden ge-
macht haben, welche denen eigen ſind, die ge-
pruͤgelt werden, er wuͤrde braun und blau davon
werden, und ein erbaͤrmlich Geſchrey fuͤhren,
ohnerachtet ſeine Sele zu der Zeit die Vorſtel-
lung haben koͤnte, als wenn ihr Koͤrper Zu-
ckerbrod aͤſſe.
§. 8.
Vermuthlich werden meine Leſer bey vor-
herge-
[23] gehenden Abſatze zweifelhaft ſeyn, ob ich alles
das zum Ruhme derer Harmoniſten angefuͤh-
ret, oder ob ich ſie damit wiederlegen wollen.
Allein es iſt keines von beyden mein Vorſatz
geweſen. Jch habe das vorige blos darum
angefuͤhret, damit ich erweiſen moͤchte, daß
einer, der ſeine Einbildungskraft zu ſchonen ge-
denckt, ſo leicht dieſer Meinung nicht beytreten
moͤchte. Ueberdem bin ich ſo offenhertzig, daß
ich frey geſtehe, es ſey alles dieſes, was ich
ietzo erzaͤhlet, meiner Vernunft zu hoch, und
ich begreife es auf keine Weiſe. Dieſes Bekennt-
niß wird mir in der That, bey vielen, wenig
Zutrauen erwecken. Ein Anfaͤnger in der Me-
taphyſick wird ſich weit uͤber alle dieienigen
erheben koͤnnen, welche das Gegentheil behau-
pten. Jch kan aber verſichern, daß ich an
meinem Theil deshalb gar nicht neidiſch
bin. Die vorherbeſtimmte Harmonie verſtehe
ich den Worten nach ſo ziemlich. Allein,
wenn ich ſie in Geſellſchaft wieder anbringen
will, und einige Erklaͤrung von dieſer und iener
Veraͤnderung des Menſchen zu geben geden-
cke; ſo glauben die Leute allemal eher, daß ich
ſie zum Lachen bewegen wolle, als daß dieſes
mein Ernſt ſey. Wenn ich endlich ſelbſt uͤber-
lege, wie man ſich nach der Harmonie Bewe-
gungen und Vorſtellungen concipiren muͤſſe;
ſo weiß ich nicht ob es von meiner Einfalt her-
ruͤhrt, oder ob es andern Leuten auch ſo gehe,
daß ſie ſehr leicht auf den Jdealismum ver-
Dfallen,
[24] fallen, oder Sceptici werden. Jch kan es
wol ſagen, wie ich auf dieſe Gedancken gera-
the. Wenn ich mich durch nichts von der Ge-
genwart, meines und andrer Koͤrper uͤberfuͤhren
kan; ſo bin ich nur noch um einen Schritt von
dem Jdealismo entfernet. Man ſage mir
aber ein Mittel, wie ſich ein Harmoniſt von
der Wuͤrcklichkeit der Koͤrper uͤberfuͤhren koͤn-
ne? Wenn ſich ſeine Sele alles das, was ſie
ſich ietzo vorſtellet, auch vorſtellen muͤſte, wenn
nichts davon wuͤrcklich waͤre; ſo kan ſie auch
durch nichts von deſſen Wuͤrcklichkeit uͤberfuͤh-
ret werden. Geſetzt aber auch, daß man es
glaubte, man habe einen Koͤrper; ſo muß man
zugeben, daß man von denen allergewoͤhnlich-
ſten Veraͤnderungen in der Welt am allerun-
gewiſſeſten urtheilen muͤſſe. Denn wenn wir
laͤugnen, daß die Sele in den Koͤrper wuͤrcke,
ſo iſt es nicht anders moͤglich, als wir muͤſſen
auch zweifeln, ob iemals in der Welt dieſes ei-
ne Wuͤrckung von iener Urſach, oder eine Ur-
ſach iener Wuͤrckung ſey. Jch kan das, was
ich eben geſagt habe, ietzo nicht ſo gleich erwei-
ſen. Allein wenn ich unten erweiſen werde,
daß die Sele in den Koͤrper wuͤrcke, wird ſich
auch zugleich zeigen laſſen, daß der ſo dieſes
nicht behaupten wolte, auch laͤugnen muͤſſe, daß
die Eltern die Urſach von den Kindern, daß die
Sonne die Urſache des Lichts, und die Erde
eine Urſach der Mondfinſterniſſen ſey. Mit
einem Wort; daß man ſein Urtheil allemal
nur
[25] nur durchein: Vielleicht ausdruͤcken muͤſſe,
wenn man von einer Sache urtheilen will.
Jch halte davor, daß man von keiner Veraͤn-
derung ſo behutſam zu urtheilen habe, als von
denen Veraͤnderungen der Menſchen und Thie-
re. Das macht, man muß ſich einen Men-
ſchen allemal von zweyen Seiten vorſtellen, da
er nicht aus der Sele allein beſtehet; ſondern
auch noch mit einem Koͤrper begabet iſt. So
lange man die Artzneywiſſenſchaft nicht um
Rath fraget, ſo lange kan man ſich von gar
vielen Dingen uͤberreden. Allein ſo bald man
nur denen Zergliederern eine zeitlang zugeſehen,
und denen Lehren von den Veraͤnderungen des
Menſchen ſo wol bey geſunden als krancken
Tagen gehoͤrig nachdenckt; ſo kommt man in
dieſer Sache gar bald auf andre Gedancken.
Und wenn ich dieſes zum Voraus ſetze, ſo
ſcheint es daher klar zu ſeyn, warum es unter
denen Artzneyverſtaͤndigen ſo gar wenig Har-
moniſten gebe. Sie haben die beſte Gelegen-
heit, ſich mit denen Veraͤnderungen zu beſchaͤf-
tigen, die in und an ihnen taͤglich vorgehen.
Hierdurch werden ſie gar bald uͤberzeugt, daß
man die groͤſte Urſach habe, von der Meinung
der Harmoniſten abzugehen, und an ſtatt, daß
dieſe entweder den Koͤrper hintan ſetzen, wenn
ſie von der Sele urtheilen, oder die Sele ver-
geſſen, wenn ſie eine Veraͤnderung des Koͤr-
pers erklaͤren ſollen, ſie vielmehr einſehen, daß
es nothwendig ſey, Sele und Koͤrper zuſam-
D 2men-
[26] mengenommen zu betrachten, wenn man von
denen Veraͤnderungen des Menſchen ein ge-
ſundes Urtheil faͤllen will. Dieſes iſt in der
That bloß und allein die Urſach, warum zwi-
ſchen denen Metaphyſickverſtaͤndigen und Artz-
neygelehrten, eine beſtaͤndige Uneinigkeit iſt,
weil es denen letztern unmoͤglich faͤllt, die Har-
monie in die Schulen der Meditrine einzu-
fuͤhren, noch vielweniger aber, ſie mit vor das
Kranckenbette zu bringen. Es iſt wahr, wir
haben einige rare Exempel von Artzneyverſtaͤn-
digen, welche die Harmonie zum Grunde ge-
legt, und ein Lehrgebaͤude der Artzneygelahrheit
darauf haben erbauen wollen. Allein es iſt
ſchade, daß dieſes Werck nicht Fortgang ge-
habt hat, welche Sache iedoch geduldige Ge-
muͤther nur dem Wollen und nicht Wollen
dieſer neuen Artzneygelehrten ſchuld geben.
§. 9.
Die Meinungen, welche ich ietzo vorgetra-
gen, zielen meiſtentheils dahinaus, die Ueberein-
ſtimmung der Veraͤnderungen des Koͤrpers mit
denen in der Sele begreiflich zu machen. Es
iſt nichts mehr uͤbrig, als daß ich derer Jnflu-
xioniſten noch gedencke. Dieſe bilden ſich
ein, die Sele enthalte den Grund gewiſſer Ver-
aͤnderungen ihres Koͤrpers gantz allein in ſich,
und wiederum koͤnne man den hinreichenden
Grund einiger Veraͤnderungen in der Sele,
allein aus der Kraft des Koͤrpers beſtimmen.
Sie ſind alſo denen Harmoniſten gerade entge-
gen
[27] gen geſetzt, und man will ſagen, daß dieſe Mei-
nung ietzo noch ſehr im Schwange gehe. So
viel iſt gewiß, daß dieſelbe die allernatuͤrlichſte
zu ſeyn ſcheinet, und daß ſie ein Ungelehrter
noch leichter ohne Lachen anhoͤren wird, als
das Lehrgebaͤude derer Harmoniſten. Jch
hoffe den Grund hiervon eingeſehen zu haben,
wenn ich behaupte, daß ein gewiſſes Vorurtheil
an dieſer gantzen Sache ſchuld ſey; und daher
kan ich es denen Harmoniſten nicht verdencken,
wenn ſie ſich vor ienen erhabene Geiſter nen-
nen, die ſich von denen Vorurtheilen der Unge-
lehrten nach Moͤglichkeit zu befreyen ſuchen.
Jch werde unten meine Meinung von dieſer
Lehre ausfuͤhrlicher ſagen. Da es ſo viele ver-
nuͤnftige Maͤnner giebt, welche derſelben zuge-
than ſind, ſo kan ich mich noch nicht uͤberreden,
daß ſie den phyſicaliſchen Einfluß ſo behaupten
ſolten, wie ich ihn ietzo vorgetragen. Jch
hoffe ſie werden eine gantz andre Meinung da-
von hegen, und wenn ich nicht zu viel vermuthe,
ſo habe ich vielleicht ihren Sinn getroffen,
wenn ich mich erklaͤren werde, wie ich mir den
Einfluß zwiſchen Seel und Leib einbilde.
§. 10.
Ehe ich nun weiter gehe, ſolte ich wol erſt
von Rechtswegen ſagen, was es denn nun waͤ-
re, das ich glaubte, und worin ich mich von
denen andern Meinungen unterſcheide. Allein
ich habe einige Gruͤnde, warum ich noch ietzo
mit meinem Bekaͤnntniß zuruͤck halte. Jch
D 3will
[28] will ietzo ſelber noch nicht wiſſen, was ich be-
haupten werde. Jch werde die Harmonie
und den Jnfluxum, in ſo weit beyde den Men-
ſchen angehen vor wahr annehmen. Allein ich
werde mir die Freyheit nehmen, auf die Saͤtze
beyder Meinungen einige Schluͤſſe zu bauen,
und alsdenn werde ich ſehen, was daraus folge.
Dieſes alles ſoll geſchehen, ohne den geringſten
Vorſatz, iemanden ſchimpflich zu tadeln, ſondern
nur darum, damit ich die Wahrheit lernen
moͤge. Da ich es nun in dieſer Schrift nur
mit ſolchen Leuten zu thun habe, die entweder
Harmoniſten oder Jnfluxioniſten ſind, ſo glau-
be ich nicht noͤthig zu haben, von allen und ie-
den Kunſtwoͤrtern, deren ſie ſich gemeiniglich
zu bedienen pflegen, die Erklaͤrung hierher zu
ſetzen. Ein ieder wird wiſſen, was er behau-
ptet. Waͤre es nicht wieder die Hochachtung
die ich meinen Leſern ſchuldig bin, wenn ich
ihnen etwas zu lehren ſuchte, das ſie noch beſſer
wiſſen werden, als ich, da ich nicht einmal eine
von beyden Meinungen vollkommen behaupte?
§. 11.
Jch bin ein Schuͤler in der Artzneywiſſen-
ſchaft. Es iſt bekandt, daß die Artzneygelehr-
ten, wenn es in der Phyſiologie auf das Capi-
tel von dem was den Grund der Veraͤnderun-
gen des Koͤrpers in ſich enthalte, kommet, ſich
in vielerley Claſſen eintheilen: davon die vor-
nehmſten die Mechaniſche und Organiſche
ſind. Die erſtern ſind Harmoniſten, die andern
Jn-
[29] Jnfluxioniſten. Das heiſt, die Mechaniſten ſu-
chen alle Veraͤnderungen des Koͤrpers blos aus
ſeiner Struktur herzuleiten: Da hingegen die
Organiſten, nemlich die ſo genannten Artzney-
verſtaͤndigen, glauben daß die Sele die Ver-
aͤnderungen des Koͤrpers wuͤrcke. Die letztern
glauben theils, ſie wuͤrcke alle Veraͤnderungen
im Koͤrper: allein deshalb behaupten ſie nicht,
daß der Koͤrper hinwiederum alle Vorſtellun-
gen in der Sele wuͤrckte, ſondern ſie rechnen
dahin nur einige: theils glauben ſie dieſes nur
von einigen Bewegungen im Koͤrper. Die
erſtern nennen ſich eigentlich Organiſten:
Allein man leget ihnen auch den Nahmen derer
Stahlianer bey: weil der groſſe und beruͤhm-
te Herr Hofrath Stahl dieſe Lehre zuerſt aus-
gebreitet. Man ſieht daher ohne mein Erin-
nern, daß ich nicht werde unterlaſſen koͤnnen,
etwas von meiner Profeßion in dieſe Gedancken
mit einzumiſchen: zumal da ich bey einer ſo
guten Gelegenheit ein Mittel gefunden zu ha-
ben glaube, manche Stuͤcke genauer in denen
verſchiedenen Meinungen derer Artzneygelehr-
ten beſtimmen zu koͤnnen, welches, da es bis-
her, auf der Seite die ich ergreifen werde, nicht
ofte genug geſchehen zu ſeyn ſcheinet, gemacht
hat, daß man viele Spoͤttereyen und Laͤſterun-
gen erdacht hat, welche vielleicht alle ietzo noch
in das Reich der bloſſen Moͤglichkeiten gehoͤr-
ten, wenn man die Meinung eines ieden recht
eingenommen haͤtte. Jndeſſen will ich ietzo
D 4noch
[30] noch zum Voraus ſagen, daß ich die Meinung,
welche ich vom Einfluſſe der Sele in ihren
Koͤrper vortragen werde, nicht vor eine auſſer
alle Schwierigkeiten geſetzte Meinung ausgebe.
Jch werde mich hiermit zwar nicht beſonders
entſchuldiget haben; allein es wird mir als-
denn mit denenienigen, welche andre Meinun-
gen behaupten, nur einerley Schickſal wieder-
fahren. Jch weiß mehr als zu wohl, daß der-
lenige ſo ſicher ſeyn will, dieienige Parthey er-
waͤhlen muͤſſe, welche vor denen uͤbrigen die
Oberhand hat. Die Neutralitaͤt ſchuͤtzet ſo
wenig vor Anfechtungen, daß man vielmehr ie-
derman zum Feinde bekommt, an ſtatt daß
man wenigſtens eine Parthey zu Freunden be-
haͤlt, wenn man ſich gefallen laͤſt, einer nach
Sinne zu reden. Zu allem Gluͤck koſtet mir
die Feindſchaft beyder Partheyen kein Blut,
und dieſes iſt gerade das einzige, welches mich
abſchrecken koͤnte. Wer ſich vieler Wieder-
ſpruͤche befuͤrchten muß, dem fehlet zur Ueber-
windung aller Anfaͤlle nichts mehr, als eine
etwas phlegmatiſche Sele. Jch habe mir ſa-
gen laſſen, daß ich zu dieſem Temperamente
mit der Zeit wol kommen koͤnte, und dieſes iſt
in Wahrheit eine Urſach, warum ich ſo dreiſt
geweſen bin, dieſe Gedancken vom Einfluſſe der
Sele in den Koͤrper der Welt durch gegenwaͤr-
tige Blaͤtter bekannt zu machen.
§. 12.
Die Dualiſten vermuthen, daß man nur
auf
[31] auf zweyerley Art die Uebereinſtimmung der
Veraͤnderungen des Koͤrpers mit denen in der
Sele erklaͤren koͤnte. Entweder man muͤſſe
behaupten, daß dieſes durch einen Jdealiſchen
Einfluß geſchaͤhe, oder man muͤſte den phyſi-
caliſchen erwaͤhlen. Wenn in einem Dinge
eine Veraͤnderung vorgehet, die ihren Grund
in einem andern Dinge hat; ſo hat das letz-
tere in das erſte gewuͤrckt. Die Wuͤr-
ckung zweier Dinge in einander, hat man ei-
nen Einfluß genennet. Einen reellen Ein-
fluß hat man einen ſolchen genennet: wobey
das eine Ding A gantz allein den Grund einer
Veraͤnderung in B in ſich enthaͤlt, und zu wel-
cher Veraͤnderung, B gar nichts durch ſeine
Kraft beytraͤgt. Dieſen reellen Einfluß zwi-
ſchen A und B nennet man einen phyſicali-
ſchen Einfluß. Der idealiſche Einfluß
iſt dieſem gerade entgegen geſetzt. Er hat als-
denn ſtatt, wenn die Veraͤnderungen in A al-
lein durch ſeine eigene Kraft gewuͤrcket werden,
und zwar ſo, daß die Kraft in B hierzu gar
nichts beytraͤget. Dieſes nun auf die Ueber-
einſtimmung der Veraͤnderungen des Koͤrpers
und der Sele anzuwenden; ſo ſagt man: die
Sele wuͤrcke entweder phyſicaliſch in ihren Koͤr-
per, das iſt, ſo daß der Grund der Veraͤnde-
rungen des Koͤrpers lediglich in der Kraft der
Sele liege, und daß hingegen der Koͤrper durch-
aus nichts zu ſeinen Veraͤnderungen beytrage,
ſondern daß dieſes nur Leiden in ihm waͤren:
D 5Oder
[32] Oder aber man ſagt: die Sele wuͤrcke idea-
liſch in ihren Koͤrper, das iſt, der Koͤrper bringe
ſeine Veraͤnderungen durch ſeine eigene Kraft
hervor, und ſo nicht weniger die Sele, die ih-
rigen: allein dieſe Veraͤnderungen ſtimmten
dergeſtalt mit einander uͤberein, daß ſie ſich auf
eine phyſicaliſche Art faſt zu wuͤrcken ſcheinen.
Dieienigen welche den idealiſchen Einfluß be-
haupten, theilen ſich, wo ich nicht gaͤntzlich irre,
wiederum in zwey verſchiedene Meinungen.
Einige behaupten, die Sele bringe ihre Ver-
aͤnderungen von ſich ſelbſt hervor; der Koͤrper
ebenfals; und es waͤre gar kein Grund der
Veraͤnderung des einen in der Kraft des an-
dern zu ſuchen. Andre hingegen behaupten
das Gegentheil. Jch will ietzo meine Gedan-
cken uͤber dieſe Meinungen entdecken, und will
mich bemuͤhen zu zeigen, daß weder der phyſi-
caliſche Einfluß noch der idealiſche auf beyde
Art genommen, hinreiche, die Veraͤnderungen
der Sele und des Koͤrpers, nebſt ihrer Ueber-
einſtimmung daraus herzuleiten. Jch rede
alſo ietzo nicht mit denen allgemeinen Jnfluxio-
niſten und Harmoniſten; ſondern ich habe es
nur mit denen Pſychologiſchen zu thun.
§. 13.
Ein pſychologiſcher Jnfluxioniſt behauptet
entweder; daß alle oder einige Veraͤnderun-
gen des Koͤrpers ihren Grund in der Sele haͤt-
ten; oder daß die Veraͤnderungen der Sele ih-
ren Grund, entweder alle insgeſamt, oder nur
einige
[33] einige, dem Koͤrper zu dancken haͤtten: oder
endlich daß beydes zugleich ſey. Wenn ein
pſychologiſcher Jnfluxioniſt behauptet; daß
alle Veraͤnderungen des Koͤrpers durch die
Sele gewuͤrcket wuͤrden; ſo ſpricht er der Sele
allein eine Kraft zu in den Koͤrper zu wuͤrcken:
allein er ſpricht dem Koͤrper die Kraft ab, zu-
ruͤck zu wuͤrcken. Folglich glaubt er, daß die
Sele gantz allein handele und der Koͤrper allein
leide. Dieſen gefaͤhrlichen Jrrthum, laͤſt er
nicht auf ſich ſitzen: denn er ſchreibt dem ohn-
erachtet dem Koͤrper Handlungen zu. Jndem
er dieſes behauptet kan er nicht wiſſen, was er
ſagen will, da er ſich ſelbſt wiederſpricht.
Nimmt er an daß die Sele nur einige Veraͤn-
derungen des Koͤrpers wuͤrcke, andre aber nicht;
ſo gehoͤret er zur Claſſe dererienigen, welche den
phyſicaliſchen Einfluß der Sele im Koͤrper, und
dieſes in iene, behaupten, und gehoͤret alſo
zur letzten. Zur zweiten Abtheilung gehoͤ-
ren dieienigen, welche glauben, daß der Koͤrper
alles in der Sele wuͤrcke, und dieſe wuͤrcke
nichts in ihren Koͤrper. Weil nun ſolcherge-
ſtalt alle Veraͤnderungen der Sele Leiden, die
vom Koͤrper herruͤhrten, waͤren; ſo waͤre die
Sele ein gantz todtes Ding, das auf keine
Weiſe Handlungen verrichten koͤnte, und auch
dieſes iſt nicht philoſophiſch. Nimmt er aber
dieſes nur von einigen an, ſo gehoͤret er wie-
derum unter die letzte Claſſe. Es giebt, mei-
nes Wiſſens ſehr wenige, die dieſen Meinungen
im
[34] im Ernſte zugethan ſeyn ſolten. Jn der That
iſt es auch nicht zu verwundern. Ein Jnflu-
xioniſt von dieſer Art kan ſeine Meinung be-
haupten, ohne zu wiſſen, was ein Beweis ſey.
Dieſes Geheimniß aber iſt heut zu Tage ſo rar
geworden, daß man es nur bey denen ſuchen
muß, welchen das Schickſal in dieſer neuen
Zeit, eine uͤberbliebene Sele die noch in die
dunckeln Zeiten gehoͤrete, mitgetheilet hat; und
es mag wol die neuere Welt nicht Unbeſchei-
denheit genug beſitzen, ihnen dieſes Geheimniß
zur Mittheilung abzufordern.
§. 14.
Es giebt noch andre pſychologiſche Jnfluxio-
niſten, welche annehmen, daß ſo wol die Sele den
Grund einiger Veraͤnderungen im Koͤrper, als
auch dieſer den Grund einiger in der Sele abgebe.
Es koͤnnen unmoͤglich eben die Veraͤnderungen
im Koͤrper, welche von der Sele herruͤhren, Hand-
lungen deſſelben ſeyn, wodurch dieſe Veraͤnde-
rung in der Sele, ſie in dem Koͤrper zu wuͤr-
cken, hervorgebracht worden. Alſo muͤſſen
dieſe Jnfluxioniſten behaupten, daß einige Be-
wegungen des Koͤrpers, die Sele wuͤrcke, und
andre Vorſtellungen der Sele haͤtten in andern
Bewegungen des Koͤrpers ihren Grund. Die-
ſes ſind eigentlich dieienigen Jnfluxioniſten,
welche der vortrefliche Herr Magiſter Meier in
ſeinem Beweiſe der vorherbeſtimmten Ueberein-
ſtimmung gruͤndlich wiederlegt hat (im 1 Theil
im 2ten Hauptſtuͤck.) Jch weiß nicht wie man
eine
[35] eine gegruͤndetere Wiederlegung als dieſe iſt,
einrichten wolte: und demnach werde ich am
allerwenigſten im Stande ſeyn, derſelben et-
was hinzuzuthun, ſie zu verbeſſern, oder eine andre
zu liefern. Die Schriften dieſes gelehrten Man-
nes ſind in der meiſten Haͤnden, und deshalb
habe ich nichts weiter noͤthig, als mich auf
obenbeſagte Schrift zu beruffen, wo man die
gantze Wiederlegung derer pſychologiſchen Jn-
fluxioniſten ſo wol, als auch derer allgemeinen
an beſagten Orte nachleſen kan. Solcherge-
ſtalt waͤre ich mit denen Herren Jnfluxioniſten
fertig, welche nemlich den phyſicaliſchen Einfluß
auf die Art behaupten, wie ich §. 12. davon die
Erklaͤrung gegeben. Jch werde aber unten
Gelegenheit haben, noch etwas mit ihnen zu
ſprechen, und vielleicht verſoͤhnen wir uns da-
ſelbſt eben ſo geſchwind wieder, als wir hier
Feinde gegeneinander geworden. Jch traue
denen mehreſten, welche ſich vor Jnfluxioniſten
ausgeben, zu, daß ſie nur wegen Ermangelung
eines neuen Nahmens ſich alſo nennen, daß ſie
aber dem ohnerachtet ſelbſt nicht dieienigen ſind,
wofuͤr ſie ſich ausgeben. Dieſes klingt etwas
geheim. Allein ich werde den Vorhang hin-
wegreiſſen, ſo bald dieienige Scene an die Rei-
he kommen wird, worin ſie vom neuen erſchei-
nen und nur in andrer Kleidung eben wieder
dieienigen Perſonen ſeyn werden, von denen ich
ietzo als Jnfluxioniſten geſprochen.
§. 15.
[36]
§. 15.
Jch komme nun zu denenienigen, welche den
idealiſchen Einfluß behaupten. Sie behaupten
theils, daß die Sele alle ihre Veraͤnderungen,
wie der Koͤrper die ſeinigen durch eigene Kraft
gantz allein hervorbringe, und daß alſo keines von
beyden auch nicht einen einzigen Grund von de-
nen Veraͤnderungen des andern, in ſich enthalte;
theils daß einiger zwiſchen beyden ſtatt habe;
ſo daß z. E. eine Bewegung nicht haͤtte geſche-
hen koͤnnen, wo nicht eine gewiſſe Vorſtellung
in der Sele zu der Zeit zugegen geweſen. Bey
der Meinung derer letztern fragt es ſich vom
neuen, ob ſie dieſen Grund der Veraͤnderungen
des Koͤrpers, in das Weſen und die Kraft der
Sele ſelbſt ſetzen, oder auſſer ihr z. E. in den
allgemeinen Zuſammenhang aller Dinge, und
ob ſie bey Veraͤnderungen der Sele wiederum
denſelben zu dem Weſen des Koͤrpers oder auſ-
ſer demſelben zu etwas anders rechnen. Jſt
das letztere; ſo rechnen wir ſie mit zu der Claſſe
dererienigen, welche behaupten, daß die Ver-
aͤnderungen keinen andern Grund als in der
Kraft der Sele oder des Koͤrpers ſelbſt haben,
weil dieienigen, ſo dieſes behaupten, ebenfals
den allgemeinen Zuſammenhang annehmen
koͤnnen. Die aber, welche das erſte glauben,
wollen wir beurtheilen, ſo bald wir von der
Meinung der vorigen unſre Gedancken eroͤfnet
haben. Jch werde mich bey dieſer Beurthei-
lung alles Glimpfs und aller Beſcheidenheit
bedie-
[37] bedienen, die mir gegen die Vertheidiger der
Harmonie zukommt: und aus dem Grunde
hoffe ich eine guͤtige Aufnahme meiner Einfaͤlle,
welche mir die Befleißigung auf die Artzneywiſ-
ſenſchaft in die Gedancken gebracht hat. Jch
habe die Sache vor wuͤrdig gehalten, ſie der
Welt mitzutheilen, denn in einer ſo bedenckli-
chen Materie als die Beurtheilung der Kraͤfte
unſrer Sele mir zu ſeyn ſcheinet, glaube ich
daß der Nutzen dieſer Blaͤtter ſchon groß genug
ſeyn werde, wenn man daher Gelegenheit
nimmt, die Selenlehre mit der Artzneywiſſen-
ſchaft in ein gutes Verſtaͤndniß zu ſetzen. Die
Uneinigkeit dieſer beyden Schweſtern iſt um
deſto weniger von denen Gelehrten zu dulden,
ie gewiſſer es iſt, daß von ihrer Vereinigung
der Grund zur Wahrheit und Gewißheit in
Erkenntniß der Menſchen herzuholen ſey.
§. 16.
Ein Harmoniſt von der erſtern Art, behau-
ptet daß bey einer Veraͤnderung des Koͤrpers
oder der Sele, der Grund davon allein in der
Kraft des einen oder der andern zu ſuchen waͤ-
re, und daß dieſes gantz allein hinreiche die
Veraͤnderung zur Wuͤrcklichkeit zu bringen.
Zum Exempel: Wenn ich meinen Fuß fort-
bewege; ſo iſt diß eine Veraͤnderung meines
Koͤrpers, welche von ſeiner eigenen Kraft, hier
kan man das Wort: Monaden ſubſtituiren,
lediglich gewuͤrckt worden, und dazu der Willen
der Sele, oder eine andre Kraft derſelben, nicht
das
[38] das geringſte beygetragen. Wiederum: wenn
meine Sele die Vorſtellung hat, daß ſie aͤſſe,
ſo iſt dieſe gantz allein durch die Kraft der Sele
gewuͤrckt worden, und der Genuß der Speiſen
beym Koͤrper enthaͤlt gar keinen Grund dieſer
Vorſtellung in ſich. Wir wollen das letztre
Exempel zuerſt nehmen, und ich will daruͤber
meine Gedancken eroͤfnen. Wenn man be-
hauptet, die Sele muͤſſe eben die Vorſtellung,
welche ſie ietzo hat, gantz allein ihrer eignen
Kraft dancken, und der Koͤrper trage gar nichts
darzu bey; ſo wird hoffentlich folgen; daß die
Kraft der Sele allein hinreiche dieſe Vorſtel-
lung bey ihr hervorzubringen. Wenn dem
alſo iſt, ſo kan die Vorſtellung in der Sele er-
folgen, der Koͤrper mag ſich veraͤndern wie er
nur kan. Laſſet uns ſehen, was hieraus folge.
Wenn wir etwas empfinden; ſo haben wir ei-
ne Vorſtellung eines uns gegenwaͤrtigen Din-
ges, das iſt, eines Dinges, welches in uns
wuͤrcket, und auſſer uns befindlich iſt. Zum
Exempel, damit ich das vorige beybehalte;
wenn wir eſſen; ſo hat die Sele eine Vor-
ſtellung eines ihr gegenwaͤrtigen Dinges, nem-
lich des Eſſens, welches auſſer ihr befindlich iſt.
Nach der Meinung, welche ich ietzo zu unterſu-
chen gedencke, waͤre die Kraft der Sele ſelbſt
hinreichend dieſe Vorſtellung in ihr zu wuͤrcken.
Folglich waͤre es moͤglich, daß die Sele die
Vorſtellung haͤtte, daß ein Koͤrper, den ſie ſich
unter allen am meiſten vorſtellt ein Stuͤck Brod
zu
[39] zu ſich naͤhme, ohnerachtet der Koͤrper dieſes
nicht wuͤrcklich thaͤte. Jch hoffe man werde
hiewieder nichts einzuwenden haben, wenn
man bedencket, was dieſe Meinung zum Vor-
aus ſetze. Geſetzt, der Koͤrper aͤſſe wuͤrcklich:
ſo haͤtte meine Sele eine Vorſtellung eines ihr
gegenwaͤrtigen Dinges, auſſer ihr, das iſt, ſie
haͤtte eine Empfindung. Wie ich gleich ietzo
geſagt habe, waͤre es moͤglich, daß die Sele
eben dieſe Vorſtellung auch haben koͤnte, wenn
der Koͤrper auch nichts genoͤſſe. Alſo waͤre es
nach dieſer Meinung auch moͤglich, daß die
Sele eine Empfindung haͤtte, ohne daß etwas
auſſer ihr vorhanden waͤre, das ihr gegenwaͤr-
tig iſt. Das iſt, es waͤre moͤglich daß unſre
Sele eine Empfindung haͤtte, ohnerachtet ſie
nichts empfaͤnde. Mir deucht dieſer Satz
klingt eben nicht philoſophiſch. Allein nach
meiner Schlußkunſt glaube ich doch eben keinen
ſolchen Fehler hierbey gemacht zu haben, der die
gantze Sache umſtoſſen ſolte. Wer kan mir
es alſo verdencken, daß ich dieſer Meinung bis
auf die Aufloͤſung dieſes Zweifels meinen Bey-
fall verſage? Es wuͤrde aus dieſer Meinung
noch ein Satz folgen, welcher eben ſo wenig
philoſophiſch iſt, als der vorige. Wenn ſich
unſre Sele von denen Dingen, die ſich auſſer
ihr befinden, durch ihre eigene Kraft eine ſo leb-
hafte Vorſtellung machen koͤnte, wenn ſie auch
nicht wuͤrcklich waͤren, als ſie davon hat, indem
ſie wuͤrcklich ſind; ſo ſchiene es als haͤtte GOtt
Eetwas
[40] etwas gethan, dazu er nicht hinreichenden
Grund gehabt haͤtte. Denn unter allen denen
Gruͤnden, warum GOtt die Koͤrperwelt er-
ſchaffen, iſt auch dieſes einer der vornehmſten,
daß die Menſchen eine Erkenntniß davon er-
halten ſollen, welche zu ſeinem Ruhme gereicht.
Alle einzelne Bewegungsgruͤnde GOttes die
Koͤrper zu erſchaffen, machen zuſammengenom-
men den zureichenden Grund davon aus. Alſo
haͤtte die Erſchaffung der Koͤrper ohne hinrei-
chenden Grund unternommen werden muͤſſen,
wofern nur einer von allen dieſen einzeln Gruͤn-
den nicht ſtatt gefunden haͤtte. Jch ſage, nach
der Meinung dieſer Harmoniſten, haͤtte die
Sele die Kenntniß der Koͤrper eben ſo gruͤnd-
lich haben koͤnnen, wenn ſie auch nicht wuͤrck-
lich waͤren: alſo waͤre es unnoͤthig geweſen,
aus dieſem Grunde die Koͤrper zu erſchaffen:
Solchergeſtalt fiele ein Grund dieſer Schoͤpfung
hinweg, und daher haͤtte GOtt darzu nicht hin-
reichenden Grund gehabt. Es kommt hierbey
alles darauf an, ob dieſes in der That einer
von denen Gruͤnden geweſen, vermoͤge welcher
es ſich GOtt gefallen laſſen, die Koͤrper zu er-
ſchaffen. Weil wir aber hiervon theils in der
heiligen Offenbarung zu verſchiedenen malen
verſichert werden, und weil uns theils auch die
Vernunft Gruͤnde darbietet, woher wir dieſes
ſchlieſſen koͤnnen; ſo halte ich vor unnoͤthig,
mich bey dem Beweiſe dieſes Satzes laͤnger
aufzuhalten. Dieſes ſind die Zweifel, welch
m
[41] mir bey Unterſuchung dieſer Meinung in das
Gemuͤth kommen ſind. Jch habe nicht ſo viel
Witz gehabt, mir dieſelben gruͤndlich und ſo
daß man nichts mehr dawieder einwenden koͤn-
te, aufzuloͤſen. Solte es aber ia geſchehen
koͤnnen, ſo bin ich bereit mich dieſer Gedancken
gerne zu entſchlagen.
§. 17.
Jch bleibe noch bey denen Harmoniſten der
erſtern Art, von denen ich eben ietzo geredet
habe. Jch habe ihnen nur auf einer Seite
Schwierigkeit gemacht, in ſo fern ſie nemlich
behaupten, daß die Vorſtellungen in der Sele
wuͤrcklich ſeyn koͤnten, ohnerachtet ſie keinen
Grund in etwas anders, als dem Weſen der
Sele ſelbſt haͤtten. Nun komme ich zu dem
andern Hauptſatze den ſie behaupten muͤſſen,
nemlich daß die Veraͤnderungen des Koͤrpers
von ſtatten gehen koͤnten, ohne daß man einen
Grund davon in der Kraft der Sele zu ſuchen
haͤtte. Jch wolte, daß ich meine entſtandenen
Zweifel bey dieſer Sache eben ſo geſchwind ab-
fertigen koͤnte, als bey ihrem erſten Satze. Al-
lein ich ſehe hierzu keine Moͤglichkeit. Die
Hauptſache in dem Zweifel, welchen ich ihnen
hierbey entgegen ſetzen will, beſtehet darauf, daß
ich zu erweiſen ſuche, es gebe in unſern Koͤr-
per dergleichen Veraͤnderungen, welche
nothwendig von der Sele ihren Haupt-
grund hernehmen muͤſſen, und hiervon einen
Beweis zu fuͤhren, iſt weitlaͤuftiger, als man
E 2wol
[42] wol anfangs dencken moͤchte. Was iſt aber
nun hierbey zu thun? Jch bin viel zu lehrbe-
gierig, als daß ich meine Einwuͤrfe verſchwei-
gen ſolte. Zudem ſo ſind meine Gegner in
dieſer Sache von ſolcher Wichtigkeit, daß es
mir gar wol der Muͤhe werth zu ſeyn ſcheinet,
ſie auszuforſchen. Jch werde alſo nicht um-
hin koͤnnen, hier eine ziemlich merckliche Aus-
ſchweifung zu machen. Zu meinem Vorſatze
gehoͤret der Erweis des Satzes: daß die Sele
die Urſach verſchiedener Veraͤnderungen im
Koͤrper ſey. So bald dieſes erwieſen iſt; darf
ich nur alſo ſchlieſſen: Eine Urſach iſt dasienige
was den hinreichenden Grund einer Veraͤn-
derung in ſich enthaͤlt. Habe ich nun dieſes
von der Sele bey gewiſſen Veraͤnderungen des
Koͤrpers erwieſen; ſo wird folgen, daß dieienige
Meinung nicht zu legitimiren ſey, welche be-
hauptet; die Sele wuͤrcke gar keine Bewegun-
gen unſers Koͤrpers: und alsdenn bin ich die
Schwierigkeit von meinem Hertzen los. Jch
ſehe mich um deſto mehr verbunden, hier dieſen
Beweis einzuſchalten, da er einen Hauptgrund-
ſatz des Stahlianiſchen Lehrgebaͤudes der Artz-
neywiſſenſchaft befeſtiget: denn ich werde es
nur geſtehen muͤſſen, daß mir dieſe Meinung
gefalle. Jch werde alſo hier die Einfluͤſſe und
Harmoniſten fahren laſſen, und nachdem ich
dieſen Satz ausgefuͤhret habe, will ich zu de-
nen Harmoniſten der andern Art kommen,
welche behaupten, daß die Veraͤnderungen in
der
[43] der Sele und dem Koͤrper nicht wuͤrden von
ſtatten gehen koͤnnen, wenn nicht auſſer ihren
Kraͤften noch ein Grund ihrer Wuͤrcklichkeit
auſſer ihnen waͤre. Dieſes ſage ich, um mei-
nen Leſern ein wenig das Gedaͤchtniß zu
ſchaͤrfen, indem ich ie mehr und mehr mercke,
daß mich dieſe Ausſchweifung ziemlich weit aus
dem Gleiſe leiten wird. Denn nun bedencke
ich es erſt recht, was ich zu thun habe, wenn
ich erweiſen will, die Sele ſey die Urſach eini-
ger Bewegungen im Koͤrper. Muß ich nicht
vorher erſt Mittel zeigen, wodurch man richtig
unterſcheiden kan, welches Ding das andre
wuͤrcken koͤnne, oder welches die Wuͤrckung
iener Urſach ſey? Jch muß alſo ſchlieſſen: Bey
einem ieden Dinge, dabey ſich dieſes oder ienes
aͤuſſert iſt notoriſch, daß es entweder eine Ur-
ſach oder eine Wuͤrckung von dieſem oder ie-
nen ſey. Nun werde ich den Unterſatz alſo
machen muͤſſen: Bey gewiſſen Veraͤnderun-
gen des Koͤrpers und der Sele laͤſt ſich das:
Dieſes oder ienes im Oberſatze behaupten:
Alſo muß zwiſchen beyden Veraͤnderungen
Urſach und Wuͤrckung ſtatt haben. Weiter
brauche ich nicht einmal zu unterſuchen, wel-
ches von beyden die Urſach des andern ſey.
Denn faͤlt die Wuͤrckung auf die Sele und die
Urſach auf den Koͤrper; ſo beſtaͤtige ich dadurch
das, was ich im 16 s von den erſtern Haupt-
ſatze derer Harmoniſten behauptet habe. Faͤllt
es aber umgekehrt; ſo erreiche ich meinen naͤ-
E 3hern
[44] hern Zweck deſto beſſer. Jch ſehe es zum
Voraus, daß ich mich bey dem Oberſatze am
meiſten aufhalten werde, und doch befuͤrchte
ich noch einigen Tadel, weil meine Ausſchwei-
fung ein wenig gar zu weit ausſehend iſt. Je-
doch vielleicht wird mir auch dieſes zum beſten
dienen muͤſſen. Wie ich mercke, ſo befinde ich
mich ietzo in eben den Umſtaͤnden, worin ein
Opernſchreiber ſich befindet, wenn er etwas,
das angenehm fallen ſoll, auf die Schaubuͤhne
liefern will. Meine Oper nimmt einen lu-
ſtigen Anfang: denn ſie ſtellet einen Egoiſten
vor, deſſen Meinung ſich in kein Trauerſpiel
ſchicket. Nach dieſen habe ich ein gantzes
Theater voller Geiſter erſcheinen laſſen, die ſich
Jdealiſten nennten. Der Vorhang ward vom
neuen eroͤfnet, und es traten lauter eingefleiſch-
te Selen auf den Platz. Jſt es nun ein Kunſt-
ſtuͤck eines Comoͤdienſchreibers in ieden Auf-
tritte etwas neues zu zeigen, ſo habe ich hierin
dieſes Kunſtſtuͤck auch angebracht, und im fol-
genden iſt es auch nicht vergeſſen worden. Es
erſcheinen Occaſionaliſten, Harmoniſten, Jn-
fluxioniſten, Mechaniſten, Organiſten. Lau-
ter Jſten! Hier hatte ich des vorigen Kunſt-
griffes vergeſſen. Nun aber erſcheinen Ein-
fluͤſſe. Sie waren idealiſch, ſie waren phyſi-
caliſch. Auf einem Theater muͤſſen die erſtern
Perſonen eine Zeitlang auſſen bleiben, und als-
denn erſcheinen ſie am Ende der Handlung
vom neuen. Dieſes iſt die Marime, deren ich
mich
[45] mich ietzo bedienen will. Jch will Urſachen
und Wuͤrckungen auffuͤhren. Meditrine ſoll
dabey erſcheinen. Eine heydniſche Gottheit,
welche das Theater deſto bezaubernder machen
wird. Nach dieſen ſollen die vorigen Perſo-
nen wieder kommen. Man wird demnach
ſo billig mit mir verfahren, und zugeben, daß
ich meinen Aufzug einmal veraͤndere. Meine
Leſer wiſſen, daß ich mit denen Harmoniſten
der andern Art noch etwas abzuthun habe, und
vielleicht macht ihnen dieſes die trockne Mate-
rie angenehmer, welche ich eben ietzo vortragen
will, indem ſie den Ausgang erwarten. Doch
ich vergeſſe, daß ich eine ſolche Ausſchweifung
machen will, und muß beynahe befuͤrchten,
man werde die gegenwaͤrtige vor die Erfuͤllung
meines Verſprechens halten. Es war noͤthig
meine Leſer ein wenig von der vorigen Mate-
rie abzuleiten. Wem dieſes dennoch nicht
anſtehen ſolte, der wird die Freyheit haben,
dieſe Blaͤtter aus denen uͤbrigen heraus zu
ſchneiden. Jch verſichere an meinem Theil,
daß ſich dieſer Urſach wegen, meine Hochach-
tung gegen meine geehrteſten Leſer, auf keine
Weiſe, weder vermindern noch vermehren ſoll.
§. 18.
Stellet euch vor, daß ich mit dem Buchſta-
ben A und B den Begrif zweyer Dinge ver-
binde, die wuͤrcklich ſind. Solchergeſtalt koͤn-
net ihr vor A ſetzen was ihr wollet und vor B
ebenfalls, wenn es nur etwas wuͤrckliches iſt.
E 4Wenn
[46] Wenn man nun beſtimmen will, wie man es
anfangen ſolle, um eine Urſach von einer Wuͤr-
ckung zu unterſcheiden; ſo muß man zum
Voraus ſetzen, daß A und B beſtaͤndig mit ein-
ander verbunden ſind. Nun geben uns die
Philoſophen folgende Regel: WennAiſt,
undBiſt auch; wennAnicht iſt, undB
iſt auch nicht; ſo iſt, wenn ſich dieſes alle-
mal zutraͤgt,Adie Urſach vonB. Jch
will ein Exempel anfuͤhren, von welchen kein
vernuͤnftiger Menſch zweifeln wird, daß das
eine die Urſach von dem andern ſey. Setzet
A ſey die Sonne, und B ſey das Licht; ſo iſt
A allemahl; ſo bald B iſt, und A iſt allemahl
nicht zugegen, wenn B abweſend iſt; alſo iſt A
die Urſach von B. Jch glaube es wird mir
niemand laͤugnen, daß die Sonne die Urſach
des Lichts ſey; allein alsdenn wird man ſich
auch genoͤthiget ſehen, zuzugeben, daß man zu
Erkenntniß dieſer Wahrheit, ſich nothwendig
folgenden Schluſſes habe bedienen muͤſſen:
Wenn die Sonne am Himmel ſteht, ſo iſt es
Licht, wenn die Sonne nicht zugegen iſt, ſo
iſt es nicht Licht, und dieſes iſt allemal alſo:
alſo iſt die Sonne die Urſache des Lichts. Wo-
her weiß ich, daß die Regenwolcken, den Re-
gen verurſachen? Blos daher, weil es niemals
regnet, wenn keine Regenwolcke vorhanden iſt,
und daß es allemal an einem Orte regne, wenn
ſich eine ſolche Wolcke zeiget. Jch koͤnte meh-
rere Exempel hiervon anfuͤhren, wenn ich nicht
glaubte,
[47] glaubte, daß es bekandt genug ſey, weil ſich
iederman dieſes Schluſſes bedienet. Es iſt
wahr, er iſt nicht allgemein. Jch duͤrfte nur
im erſtern Exempel die Sonne B und das Licht
A nennen; ſo wuͤrde folgen, daß A die Urſach
von B ſey, alſo daß das Licht die Sonne wuͤr-
cke. Es ſey A die Arbeit eines Kuͤnſtlers der
eine Uhr verfertiget; Es ſey B die Uhr; ſo waͤ-
re, weil A allemal mit B verbunden, und weil
B niemals entſtuͤnde, wenn A nicht zugegen
waͤre, A die Urſach von B. Verwechſelt aber
die Buchſtaben und es ſey B die Arbeit des
Kuͤnſtlers, A aber die Uhr; ſo wuͤrde nach eben
dem Schluſſe folgen, daß die Uhr die wuͤrcken-
de Urſach der Arbeit des Kuͤnſtlers ſey. Alles
dieſes muß man zugeben, allein dem ohngeach-
tet hat man nichts verloren. Dieſer Schluß
ſoll keinesweges unzweifelhaft erweiſen; ſon-
dern er ſoll nur wahrſcheinlich machen, daß A
die Urſache von B ſey. Wenn man ihn dero-
halben laͤugnen und verwerffen wolte; ſo muͤſte
man zu gleicher Zeit behaupten, daß die Leute
alle falſch geſchloſſen haͤtten, welche glaubten,
die Sonne ſey die Urſache des Lichts, und die
dieſes auf keine andre Art als mit dieſem
Schluſſe erweiſen koͤnnen.
§. 19.
Damit wir nun die Sache etwas gewiſſer
machen moͤgen; ſo wollen wir ietzo nur den
Satz alſo einſchraͤncken: WennAiſt undB
iſt alsdenn auch, wennAnicht iſt, undB
E 5iſt
[48]iſt auch nicht, wenn endlich dieſes allemal
geſchicht; ſo iſt entwederAdie Urſach
vonBoderBiſt die Urſach vonA, mit
einem Wort; ſo hat Urſach und Wuͤrckung
zwiſchen beyden ſtatt. Wenn ich z. E. ſehe,
daß die Sonne, A allemal zugegen iſt, wenn
das Licht auf den Erdboden, B auch iſt; wenn
ich ferner ſehe daß dieſes, B, niemals zugegen
ſey, wenn ienes, A, nicht da iſt; ſo kan ich,
wenn ich genau verfahren will, alsdenn nur
erſt ſchlieſſen, daß eines von dieſen beyden Din-
gen die Urſach von dem andern ſey. Hinge-
gen wenn zwey Uhren zu gleicher Zeit aufgezo-
gen worden und der Zeiger auf einerley Art
ſteht; ſo iſt zwar die Bewegung des Zeigers
auf der einen niemals ohne die Bewegung des
Zeigers auf der andern; allein wenn ich die ei-
ne Uhr verhindere, daß ſie ihre Bewegung nicht
fortſetzen kan; ſo geht dem ohngeachtet der
Zeiger auf der andern Uhr eben wie vorhin.
Und darum kan ich nicht ſagen, daß die Bewe-
gung des Zeigers der einen Uhr die Urſach von
der Bewegung deſſelben auf der andern ſey;
Weil in dieſem Falle zwar A allemal zugegen
wenn B zugegen iſt, allein weil auch A zugegen
iſt, ob gleich B nicht mehr vorhanden. Jch kan
alſo durch dieſen Schluß noch gar nicht be-
ſtimmen, welches von beyden, ob A von B oder
B von A die Urſach ſey; ſondern ich kan nur
ſagen, daß zwiſchen beyden Urſach und Wuͤr-
ckung ſtatt habe. Jch koͤnte alſo ſchon ſo dreiſt
ſeyn,
[49] ſeyn, und mich dieſes Schluſſes zu meinen fol-
genden Beweiſe bedienen, und ich glaube, daß
mir es eben niemand verdencken wuͤrde, wenn
ich dieſes thaͤte. Jn der That wuͤrde ich ſo
gar viel auch nicht einmal damit gewinnen;
denn ich bin viel zu offenhertzig, als daß ich
meinen Leſern verſchweigen ſolte, daß auch
dieſer Schluß unzulaͤnglich ſey Wahrheit und
Gewißheit dadurch zu erlangen. Zugleich aber
mache ich auch dadurch den Eifer bekandt, wel-
chen ich vor die Meinung hege, daß die Sele
in ihren Koͤrper wuͤrcke. Wenn es mir nur
darum zu thun waͤre, die Anzahl der Schrift-
ſteller in der Welt zu vermehren, ſo ſolte mir
es nicht an Worten fehlen, dieſen Schluß, der
doch in der That zu weit getrieben iſt, vor guͤl-
tig und vollkommen genau beſtimmt zu erklaͤ-
ren. Da ich aber die Wahrheit zu finden
wuͤnſche, ſo halte ich mir auch ſelbſt nicht das
geringſte zu gute, damit ich meinen Gegnern
die Muͤhe erſpahren moͤge, Fehler aufzuſuchen,
welche meinen gantzen Beweis umſtoſſen koͤn-
ten. Jch ſuche ſie ſelber. Jch entdecke ſie, und
will ſie verbeſſern. Was kan man aber ſolcher-
geſtalt wol mehr von mir fodern?
§. 20.
Jch ſage: WennAiſt, undBiſt auch,
wennAnicht iſt, undBiſt auch nicht,
und dieſes trift allemal; ſo iſt es wahr-
ſcheinlich, ſo kan ich muthmaſſen, daß
eins von dieſen beyden die Urſache von
dem
[50]dem andern ſey. Jch ſage mit Willen:
wahrſcheinlich. Denn daß es nicht gewiß
ſey; ſolches will ich durch folgendes Exempel
erweiſen: Wenn es in Halle Nacht iſt, ſo iſt
es auch in Leipzig Nacht, wenn es in Halle
nicht Nacht iſt; ſondern helle, ſo iſt auch in
Leipzig Tag. Alſo iſt in dieſen Falle die Nacht
in Halle, A, allemal wenn die Nacht in Leip-
zig, B, gegenwaͤrtig iſt. A, iſt nicht, wenn B
nicht iſt. Ja dieſes trift allemal ein. Kan
ich aber alſo ſchlieſſen A ſey die Urſach von B
oder B habe A gewuͤrcket. Wer wird ſo thoͤ-
richt ſeyn, und behaupten daß die Nacht in
Halle verurſachte, daß es in Leipzig auch dun-
ckel waͤre. Solchemnach iſt dieſer Schluß
ebenfalls nicht allgemein, wenn ich ſage, daß
alsdenn gewiß zwiſchen A und B Urſach und
Wuͤrckung ſtatt haͤtte, wenn ſie allemal mit
einander verbunden, und wenn ſie beſtaͤndig
beyde zugleich abweſend ſind. Es iſt alſo
nichts gewiſſer, als daß es alsdenn nur ſehr
wahrſcheinlich ſey, daß zwey Dinge einander
wuͤrcken, wenn beſagte Bedingung ſtatt hat.
Jch will alles, was ich ietzo geſagt, noch ein-
mal wiederholen, ehe ich weiter gehe, damit
man mich recht einnehme, und weil hierauf al-
les ankommt. Jch behaupte: die Sonne ſey
die Urſach des Lichts. Warum? Es iſt alle-
mal lichte, wenn ſie zugegen iſt, es iſt allemal
dunckel, wenn ſie abweſend iſt. Hingegen
warum ſage ich nicht: Die Sonne iſt die Ur-
ſach,
[51] ſach, warum ein Ziegeldecker ein Dach bedeckt?
Darum nicht: Weil zwar niemals ein Dach
gedeckt wird, wenn die Sonne nicht zugegen
iſt, weil man aber auch nicht nothwendig ein
Dach beſteigen muß, wenn die Sonne nicht
da iſt. Kan ich aber alles dieſes gewiß ſa-
gen? Keinesweges. Denn weil in zwey be-
nachbarten Staͤdten immer zu einer Zeit Nacht
iſt, wenn in der andern Nacht iſt, und umge-
kehrt, und weil ich hieraus doch nicht ſchlieſſen
kan, daß die Nacht in einer Stadt die in der
andern Stadt wuͤrcke; ſo kan ich auch nicht
einmal mit Gewißheit behaupten, daß zwi-
ſchen Sonne und Licht Urſach und Wuͤrckung
ſtatt habe. Alſo iſt es nothwendig, daß wir
uns um neue Regeln bekuͤmmern, wodurch wir
mit Gewißheit behaupten koͤnnen, daß Urſach
und Wuͤrckung zwiſchen einem A und B ſtatt
habe, oder daß dieſes nicht ſey. Laſſet uns ſe-
hen, worin dieſe Regel beſtehe.
§. 21.
Wenn ich mich davon gewiß uͤberzeugen will,
daß die Sonne das Licht auf dem Erdboden
wuͤrcke, wie fange ich dieſes an? Vorher iſt
noͤthig, daß ich es durch obigen Schluß §. 20.
ſo weit bringe, daß ich den hoͤchſten Grad der
Wahrſcheinlichkeit davon erhalte. Wir wol-
len denen Naturkuͤndigern zuſehen, die ſich ei-
gentlich hiermit beſchaͤftigen, wie ſie dieſes
Werck ohngefehr angreifen. Sie muthmaſſen
daß Sonne und Licht in einander wuͤrcken
muͤſſen,
[52] muͤſſen, weil ſie ſo unzertrennlich mit einander
verbunden ſind. Laſſen ſie es aber wol hier-
bey bewenden? Keinesweges. Sie fuͤhren
ſich als wahre Philoſophen auf, welche von
allen Sachen den Grund zu wiſſen verlangen.
Zu dem Ende unterſuchen ſie die eigentliche
Beſchaffenheit des Lichts, und nach dieſem wen-
den ſie ſich zur Sonne. Sie ſehen ein, daß
es aus der Natur der Sonne wol zu begreiffen
ſey, daß ſie das Licht wuͤrcken koͤnne. Sie
bemercken, daß das Licht ſo beſchaffen ſey, daß
es dem Weſen der Sonne zukommen koͤnne.
Sie verbinden dieſes mit dem Schluſſe: wenn
A iſt und B iſt auch, wenn A nicht iſt und B
auch nicht, und dieſes allemal; ſo iſt hoͤchſt
wahrſcheinlich, daß eins die Urſach von dem
andern ſey. Nun gilt alles dieſes von der
Sonne und dem Lichte: alſo iſt die Sache oh-
nedem wahrſcheinlich. Durch die Verbindung
dieſer Obſervationen und Schluͤſſe unter einan-
der, verwandelt ſich ihre Muthmaſſung in Ge-
wißheit und Ueberzeugung. Sie glauben ſo
gewiß, daß die Sonne das Licht wuͤrcke; ſo
gewiß ſie glauben, daß ſie ſelbſt ſind. Hinge-
gen warum kan ſich kein Menſch uͤberreden,
daß die Nachtzeit in Halle die Urſach von der
Dunckelheit in Leipzig ſey? Hier hat man ia
doch eben den Grad der Wahrſcheinlichkeit,
als bey der Sonne und dem Lichte? Wir be-
trachten die Beſchaffenheit von Halle und die
Beſchaffenheit von Leipzig. Wir befragen
uns
[53] uns ſelbſt, ob wol in Halle das geringſte zu
finden ſey, welches eine Urſach davon abgeben
koͤnne, warum es in Leipzig dunckel werde.
Eben alſo verfahren wir in Leipzig. Wir fin-
den in den Weſen beyder Staͤdte keinen Grund,
auch nicht einmal den geringſten Schein einer
Wahrſcheinlichkeit, daß dieſe oder iene Stadt
die Dunckelheit in ihrer Nachbarſchaft verur-
ſachen koͤnte. Hieraus machen wir den richti-
gen Schluß. Es muß der Grund von der
Dunckelheit in Halle und Leipzig nicht in de-
nen Staͤdten zu ſuchen ſeyn. Jch glaube mei-
ne Leſer werden es lange errathen haben, was
ich ſagen will. Als denn koͤnnen wir uns
vollkommen davon gewiß machen, daß
A, BoderB, Awuͤrcke, wenn wir ent-
weder aus den Weſen beyder, oder aus
dem Weſen des einen erweiſen koͤnnen,
daß ihm dieſe und iene Wuͤrckung zu kom-
men koͤnne. Alsdenn fuͤllet der Schluß, wel-
chen wir oben gegeben §. 20 das Fach der
Wuͤrcklichkeit aus, wenn wir aus den Weſen
der Sachen nur erſt die Moͤglichkeit begreifen.
§. 22.
Nunmehro habe ich deutlich genug gezeiget,
wie man es anzufangen habe, wenn man von
denen Urſachen und Wuͤrckungen Gewißheit
haben will. Allein ich halte vor noͤthig, mir
einen Einwurf zu beantworten. Wie nun?
Wenn es uns nun unmoͤglich iſt, das Weſen
eines Dinges einſehen zu koͤnnen, und alſo von
ſeiner
[54] ſeiner Beſchaffenheit auf ſeine Faͤhigkeit zu ur-
theilen? Jch will meinen Leſern erzaͤhlen,
was vor ein Huͤlfsmittel ich mir in einem ſol-
chen Falle erſonnen, um davon gewiß zu wer-
den. Jch werde die Regel in der Ordnung
vortragen, wie ich ſelber nach und nach darauf
gekommen bin. Jch machte es ſo: ich mach-
te mich in meinen Gedancken zu einen Men-
ſchen, welcher ſein Tage keine Uhr geſehen.
Man zeigte mir deren eine, und ich bemerckte,
daß wenn ſich die innwendigen Raͤder beweg-
ten, auch alsdenn der aͤuſſere Zeiger binnen ei-
niger Zeit ziemlicher maſſen von ſeiner Stelle
ruͤckte. Jch wolte nun gerne gewiß wiſſen,
ob die Bewegung der Raͤder die Urſach von
dem Umdrehen des Zeigers ſey, oder nicht.
Haͤtte ich nun die Strucktur der innern Uhr
verſtanden, ſo waͤre mir geholfen geweſen.
Aber das war nun damals nicht. Derohalben
hatte ich die Kuͤhnheit, einmal mit dem Fin-
ger die Bewegung der Raͤder inwendig zu ver-
hindern. Da hoͤrte auch das Umdrehen des
Zeigers auf. Der Beſitzer dieſer Uhr merckte
dieſes, und ward unwillig auf mich. Unter
waͤhrenden Schmaͤhen fing er an, an der Uhr
zu drehen, und als ich wieder darnach ſahe,
bewegten ſich nicht allein die Raͤder wieder,
wie vorhin; ſondern der Zeiger drehete ſich auch
wieder, um die Mitte der Uhr. Nunmehro
ſchien ich vollkommen uͤberzeugt zu ſeyn, daß
dieſe beyden Bewegungen von einander gewuͤrckt
wuͤr-
[55] wuͤrden. Allein es kam bald darauf ein drit-
ter herzu, welcher ſeine Uhr hervorſuchte und
auf den Tiſch legte. Hier bemerckte ich nun
eben dieienigen Veraͤnderungen, welche ich vor-
hin an der erſten Uhr geſehen. Da fing ich an
zu zweifeln, und es fiel mir ſogleich ein, ob nicht
die Bewegung der einen Uhr etwan die Urſach
waͤre, warum der Zeiger auf der andern her-
umgetrieben wuͤrde. Jch haͤtte mir in der
That dieſen Zweifel nicht heben koͤnnen, wenn
nicht zu allem Gluͤck die letztre Uhr abgelaufen
waͤre, und angefangen haͤtte ſtille zu ſtehen.
Es konte mir nichts erwuͤnſchters ſeyn, als die-
ſes. Denn nunmehro machte ich den Schluß:
Wenn die Bewegung iener Uhr die Urſach ge-
weſen waͤre, daß ſich der Zeiger auf dieſer be-
wegt; ſo muͤſte ia auch der Zeiger aufgehoͤrt
haben ſich auf dieſer Uhr zu bewegen, nach-
dem iene ſtille ſtand. Da aber dieſes nicht ge-
ſchahe; ſo war ich ſo vollkommen uͤberzeugt,
daß die innere Bewegung der erſtern Uhr, das
herumlaufen des Zeigers auf eben derſelben ver-
urſachte, ſo gewiß ich wuſte, daß iene nichts
darzu beytragen konte. Auf dieſe Art habe ich
gelernet, wie ich erfahren ſoll, ob dieſe oder ie-
ne Sache eine gewiſſe Wuͤrckung verrichte,
ob mir gleich das Weſen derſelben unbekandt
iſt. Denn ich abſtrahirte mir hernachmals,
aus vorigen Exempel folgende Regeln: wenn
ich zwey Dinge vor mir habe, deren innere Be-
ſchaffenheit mir gaͤntzlich unbekandt iſt; ſo muß
Fich
[56] ich erſt zuſehen, ob A allemal iſt, wenn B iſt,
und ob A allemal nicht iſt, wenn dieſes von B
gilt. Jſt dem alſo; ſo habe ich mir wahr-
ſcheinlich gemacht, daß entweder A, B wuͤrcke,
oder daß ſich dieſes umgekehrt alſo verhalte.
Wenn ich mich aber davon vollkommen gewiß
uͤberzeugen will, ohne ihr Weſen zu kennen;
ſo darf ich nur darauf Achtung geben,
ob es kein drittes Ding gebe, welches al-
lemal auch zugegen iſt, wenn beyde vori-
ge zugegen ſind, und abweſend, wenn die-
ſes von den vorigen gilt. Jſt dieſes nicht;
ſo kan ich mich gantz gewiß davon ver-
ſichern, daß eines von beyden das andre
wuͤrcken muͤſſe. Dieſe Regel druͤcke ich ſonſt
auch alſo aus: wenn A allemal mit B verbun-
den iſt, wenn A allemal mit B abweſend iſt;
wenn endlich kein C vorhanden, welches auch
mit A und B zugleich waͤre, und auch allemal
zugleich mit ihnen nicht waͤre; ſo iſt gantz ge-
wiß entweder A die Urſach von B oder umge-
kehrt. Wenn aber mit dieſen beyden noch ein
drittes verbunden iſt; ſo muß ich bemercken,
ob es nicht etwan einmal abweſend ſey, wenn
A und B zugegen ſind; oder ob nicht C zuge-
gen ſey, wenn A und B fehlt. Alsdenn kan
ich auch gewiß wiſſen, daß zwiſchen A und B
Urſach und Wuͤrckung ſtatt habe; wenn dem
alſo iſt. Jſt A und B aber allemal mit C ver-
bunden, und auch allemal mit C abweſend;
ſo kan ich ſicher ſchlieſſen, daß zweye von bey-
den
[57] den Dingen, das dritte zur Urſach haben muͤſ-
ſen. Jch will dieſes mit obigen Exempel er-
laͤutern. Jn Halle iſt es allemal Nacht, wenn
es in Leipzig Nacht iſt, und umgekehrt. Ge-
ſetzt ich wuͤſte nun weder die Beſchaffenheit von
Halle noch von Leipzig; ſo koͤnte ich mich fol-
gendergeſtalt uͤberfuͤhren, daß zwiſchen der
Nachtzeit zu Halle und der zu Leipzig keine
Urſach und Wuͤrckung ſtatt faͤnde: man duͤrfte
nur bemercken, ob mit der Nachtzeit in beyden
Staͤdten, nicht noch ein drittes eben ſo genau
verbunden waͤre, als ſie ſelbſt ſind. Dieſes
duͤrfte man nicht weit ſuchen. Die Abweſen-
heit der Sonne iſt allemal wuͤrcklich, wenn die
Nachzeit zu Halle und Leipzig wuͤrcklich iſt.
Wiederum: die Abweſenheit der Sonne iſt
allemal nicht wuͤrcklich, wenn die Nacht in
Halle und Leipzig nicht wuͤrcklich iſt. Alſo ma-
che ich daraus den Schluß, daß die Abweſen-
heit der Sonne auch etwas darzu beytragen
muͤſſe. Will ich nun wiſſen, was dieſes eigent-
lich ſey, das ſie darzu beytrage; ſo muß ich
zuſehen, ob nicht die Abweſenheit der Sonne
wuͤrcklich ſeyn kan da doch die Nacht in beyden
Staͤdten nicht wuͤrcklich iſt, oder ob die Ab-
weſenheit der Sonne nicht koͤnne wuͤrcklich
ſeyn, da doch die Nachtzeit in Halle und Leipzig
wuͤrcklich waͤre. Man wird mir erlauben,
daß ich das Wort: Abweſenheit der Son-
ne beybehalte, indem man meine Meinung als-
denn deſto leichter verſtehen kan. Nun wollen
F 2wir
[58] wir den Fall ſetzen, es wuͤrde Halle mit einen
ſchwartzen Tuche eingefaßt. Dieſes koͤnte wol
geſchehen. Alsdenn waͤre die Abweſenheit der
Sonne nicht wuͤrcklich, und dennoch waͤre es
Nacht in Halle. Dieſes koͤnte man nun auch
mit Leipzig verſuchen, da dieſes zumal kleiner,
als Halle iſt, ſo wuͤrde man eben daſſelbe be-
mercken. Alſo folgte der Schluß unſtreitig:
es muß nicht allein die Nachtzeit in Halle nicht
die Nachtzeit in Leipzig und umgekehrt wuͤr-
cken; ſondern die Sonne muß die wuͤrckende
Urſach von der Dunckelheit in beyden Staͤdten
ſeyn.
§. 23.
Wenn man dasienige, was ich ietzo geſagt
habe, recht einſiehet, ſo kan es ſo leicht nicht
geſchehen, daß man ſich in Beurtheilung der
Urſachen verſchiedener Veraͤnderungen, betrie-
gen ſolte. Wir koͤnnen auf zweyen Wegen
zur Erkaͤntniß derſelben gelangen. Einmal,
wenn wir uns die Beſchaffenheit der Din-
ge bekandt machen, und daher ſchlieſſen,
ob es derſelben wiederſpreche, daß ſie die-
ſe und iene Wuͤrckung verrichten ſolte,
oder ob eine ſolche Wuͤrckung vielmehr
mit ihrer innern Beſchaffen heit uͤberein-
komme. Der andre Weg iſt der, daß man,
wofern die eigentliche Beſchaffenheit der
Dinge unbekandt ſeyn ſolte, dieienigen
Regeln anwendet, welche ich ietzo gege-
ben, um zu urtheilen, ob einA, Bwuͤrcke,
ob
[59]obB, Awuͤrcke, ob einCſo wolAalsB
wuͤrcke, oder obAoderB, BundCoder
AundCwuͤrcke. Der eine Weg iſt ſo ge-
wiß, als der andre. Und man mag verwer-
fen, welchen man will, ſo muß man zugeben,
daß man in der Welt gar nichts gewiß wiſſe.
Wer laͤugnet, daß man aus der innern Be-
ſchaffenheit der Dinge ſchlieſſen koͤnne, ob ſie
dieſes oder ienes wuͤrcken, oder nicht wuͤrcken
koͤnnen; der muß nothwendig daran zweifeln,
daß die Sonne die Urſache des Lichtes ſey §.
21. Wer aber nicht zugeben will, daß man
durch die gegebenen Regeln §. 22, im Fall ei-
nem das Weſen der Dinge unbekandt iſt, die
Urſachen und Wuͤrckungen beurtheilen koͤnne,
der muß zugeſtehen, daß es ihm unbekandt,
oder wol gar, daß ihm wahrſcheinlich ſey, es
wuͤrcke der Tag oder die Nacht an dem Orte
ſeines Aufenthalts, den Tag oder die Nacht
des in dem naͤchſten Dorfe. §. cit. Beyde Gegner
ſind von ſolcher Beſchaffenheit, daß man es dem
fuͤr eine groſſe Schwachheit rechnen muͤſte,
der ſich mit ihnen deshalb in einen Streit ein-
laſſen wolte. Wenn das eine Kunſt iſt, an
allen Sachen zu zweifeln, und wenn ein Ge-
lehrter dieſe Eigenſchaft fuͤhren ſoll, ſo getraue
ich mir zu behaupten, daß es auf dem Lande
noch mehr Gelehrte gebe, als auf Academien.
Jch habe demnach das Vertrauen, man wer-
de mir die ietzt vorgetragenen Saͤtze einraͤumen,
weil ich mich dabey ſo ſehr eingeſchraͤnckt habe,
F 3als
[60] als man nur fodern kan. Dieſes aber iſt aus
keiner andern Abſicht geſchehen, als den Ver-
dacht zu vermeiden, daß ich den Beweis eines
Satzes erſchleichen wolte, an welchen mir ſo
viel gelegen, als immer einen Philoſophen dar-
an liegen kan, daß er ſich in ſeiner Meinung
recht feſt ſetze.
§. 24.
Der Oberſatz zu meinem Beweiſe iſt in der
That laͤnger gerathen, als ich ſelbſt gleich an-
fangs vermuthen konte. Allein weil auf den-
ſelben alles ankommt, ſo kan ich mich noch
nicht uͤberreden, der Sache zu viel gethan zu
haben. Jch kan meinen Leſern nunmehro
den gantzen Schluß ſagen, deſſen ich mich bey
meinem Beweiſe bediene. Jch ſchlieſſe ſo:
WennAiſt, undBiſt auch, wennAnicht
iſt undBiſt auch nicht; Wenn ferner
dieſes allemal geſchicht; Wenn ich her-
nach auch aus dem Weſen der Sachen
begreiflich machen kan, daß entwederA
eine Urſach vonBſey: oder daßB, A
wuͤrcke; Wenn endlich, wofern dieſes
nicht ſeyn ſolte beyAundBdie Regeln
eintreffen, welche §. 12. gegeben worden
ſind; ſo iſt es gewiß, daß zwiſchen die-
ſen Dingen Urſach und Wuͤrckung ſtatt
habe. Nun kan man alles dieſes von dem
menſchlichen Koͤrper und ſeiner Sele be-
haupten; alſo wuͤrcken ſie beyde in einan-
der. Den Oberſatz habe ich ietzo feſtgeſtellt
und
[61] und vertheidiget. Den Unterſatz will ich nun-
mehro erweiſen. Und wenn man mir ſolcher-
geſtalt die Concluſion zugeben muß: ſo habe
ich auch erwieſen, daß die Sele in ihren Koͤr-
per wuͤrcke. Man ſiehet wol, daß kein Menſch
die beyden Voͤrderſaͤtze unerwieſen annehmen
wird. Jndeſſen wird man wol keine Hofnung
zum Siege mehr haben koͤnnen, wenn man
mir nur erſt den Oberſatz eingeraͤumet. Der
Unterſatz beruhet bloß auf Erfahrungen und ei-
ner darzu gehoͤrigen richtigen Anwendung des
Oberſatzes. Was die Erfahrungen betrift; ſo
koͤnte ich ſchon damit zufrieden ſeyn, wenn ich
nur eine einzige davon anfuͤhren koͤnte. Allein
ich habe es aus verſchiedenen Urſachen nicht bey
einer bewenden laſſen wollen; ſondern ich wer-
de deren einige anfuͤhren und von einer ieden
erweiſen, daß ihr die Glieder des Oberſatzes
vollkommen zu kommen. Eines theils thue ich
es darum, damit wenn man ia eine und die an-
dre Erfahrung laͤugnen oder aufs ungewiſſe
bringen wolte, dennoch noch andre uͤbrig ſeyn
moͤchten, daran durchaus kein Menſch zwei-
feln kan. Andern theils geſchicht es deswegen,
damit ich zeigen koͤnne, daß ein Artzneyverſtaͤn-
diger nicht ohne Grund die Meinung der er-
ſten Gattung derer Harmoniſten verwerfe;
ſondern daß es hauptſaͤchlich darum geſchehe,
weil faſt eine iede neue Obſervation in dieſer
Wiſſenſchaft, den gewiſſen Satz, daß die Se-
le in den Koͤꝛper und dieſer zuꝛuͤck wuͤꝛcke, beſtaͤtiget.
F 4§. 25.
[62]
§. 25.
Nun fuͤhre ich meine Leſer wiederum in ein
gantz beſonderes Fach. Die Materie, welche
ich ietzo vorgetragen habe, iſt eine logicaliſche
Materie. Nun aber thue ich einen Sprung
in die Artzneywiſſenſchaft. Jch muß nunmeh-
ro meinen Unterſatz erweiſen und hierzu habe
ich lauter Erfahrungen noͤthig die in die Artz-
neykunſt ſchlagen. Durch Anfuͤhrung ſo ver-
ſchiedener Obſervationen, werde ich im Stan-
de ſeyn, hoffentlich alle die Fragen zu beant-
worten, die wir in den ſchoͤnen Werck des
Hrn. v. Fenelon:De l’ exiſtence de Dieu,
Chap. XLV. pag. 59 finden, und die ich ihrer
Schoͤnheit wegen hier nicht unangefuͤhrt laſſen
kan. Er ſagt: D’ ou vient que des Etres ſi
diſſemblables, ſont ſi intimement vnis en-
ſemble dans l’ homme? D’ ou vient que les
mouvemens du Corps donnent ſi promte-
ment \& ſi infailliblement certaines penſées
à l’ame? D’ ou vient que les penſées de
l’ ame donnent ſi promtement \& ſi in-
failliblement certains mouvemens au corps?
D’ ou vient cette ſocieté ſi reguliére de
ſoixante-dix ou quatre vingt ans, ſans au-
cune interruption? Dieſer groſſe Mann be-
antwortet ſich in der That dieſe Fragen ſelber
indem er pag. 60 ſpricht: Rien n’ eſt plus
abſolu que l’ empire de l’ eſprit ſur le corps.
L’ eſprit veut: \& tous les membres du corps
ſe remuent a l’ inſtant, comme ſ’ ils etoient
en-
[63]entrainés par les plus puiſſantes machines.
D’ un autre coté rien n’ eſt plus manifeſte,
que le pouvoir du corps ſur l’ eſprit. Le
corps ſe meut: \& a l’ inſtant l’ eſprit eſt
forcé depenſer avec plaiſir, ou avec dou-
leur, a certains objets. Dieſes iſt es eben,
was ich mir ietzo durch vielerley Erfahrungen
zu beſtaͤtigen vorgeſetzt habe. Jch bitte mir
indeſſen aus, daß man hieraus noch nicht ſchlieſ-
ſe, ich behauptete den Jnfluxum, wie man ihn
gewoͤhniglich annimmt. Nichts weniger. Die-
ſer Beweis, welchen ich ietzo fortſetze ſoll nicht
allein darzu dienen, dieienigen Harmoniſten
auszuforſchen, welche gar keine Gemeinſchaft
der Sele und des Koͤrpers behaupten; ſondern
ich werde mich auch nach dieſem auf den ietzi-
gen Beweis berufen, wenn ich mein Glaubens-
bekenntniß ſelbſt ablegen werde. Jetzo werde
ich erweiſen, daß die Artzneywiſſenſchaft nicht
anders mit der neuern Weltweisheit in ein
Verſtaͤndniß gebracht werden koͤnne, als bis
ſich die letztre aus der Verwirrung zu helfen
wiſſen wird, welche die Obſervationen der Artz-
neyverſtaͤndigen, und eine Anwendung derer
vorigen Regeln darauf, verurſachen wird.
§. 26.
Man hat in der Artzneygelahrtheit ein phy-
ſicaliſches Geſetz der Bewegung in dem menſch-
lichen Koͤrper, welches alſo heiſſet: auf eine ie-
de Empfindung erfolgt in unſern Koͤrper eine
Bewegung welche der Empfindung proportio-
F 5nal
[64] nal iſt. Dieſes Geſetz behaupten meiſtentheils
die mechaniſchen Artzneygelehrten. Sie koͤn-
nen es nicht aus Gruͤnden erweiſen, aber dem-
ohnerachtet muß man es ihnen doch zugeben.
Wir erfahren es alle Augenblicke, daß, ſo bald
wir empfinden, auch eine Bewegung in unſern
Koͤrper vorgehe; und wer ein wenig genau auf
ſich Achtung giebt, der wird finden, daß auch
die Bewegung mit der Empfindung beſtaͤndig
in einem Verhaͤltniß ſtehe. Wenn man mich
boͤſe machte, ſo wuͤrde ich mich beynahe zu be-
haupten getrauen, daß dieſes Geſetz einem ie-
den Menſchen faſt eben ſo natuͤrlich waͤre, als
der Grund des Wiederſpruchs. Nehmet ei-
nen Menſchen her, der von ſich, ohne Schein
einer Erniedrigung behaupten kan, daß er von
der Gelehrſamkeit wenig oder gar nichts ver-
ſtehe. Bringet ihn zwey Leute, deren einer
ſo robuſt iſt, als der andre, und deren ieden
ein Dritter eine Ohrfeige verliehen. Laſſet die-
ſen Menſchen urtheilen, welchem vom beyden
die Ohrfeige ſchmertzlicher geweſen, als dem
andern; ſo wird er ſo gleich folgenden Schluß
bey ſich ſelbſt machen muͤſſen: je groͤſſer die
Bewegung welche auf eine Empfindung erfol-
get, iſt, deſto groͤſſer muß die Empfindung ge-
weſen ſeyn: nun iſt die Backe des einen ſtaͤr-
cker aufgelaufen, als die Backe des andern:
folglich hat dieſer ſeine Ohrfeige nicht ſo ſehr
empfunden, als iener. Es giebt unzaͤhlige an-
dre Faͤlle, dabey man eben dieſen Schluß an-
wenden
[65] wenden muß, wenn man eine gewiſſe Veraͤn-
derung an dem Menſchen beurtheilen will.
Man hat viel zu viel Erfahrungen, die dieſes
Geſetz der Bewegung bey Thieren beſtaͤtigen,
als daß ich vermuthen ſolte, man werde einen
weitern Beweis deſſelben von mir alhier erwar-
ten. Man kan davon des beruͤhmten Hrn.
Prof. Kruͤgets Phyſiologie im 40 und fol-
genden § nachleſen, wenn man eine weitere Er-
klaͤrung davon verlanget. Jch nehme es hier
als einen Grundſatz an, und will daraus er-
weiſen, daß die Sele in ihren Koͤrper wuͤrcke.
Hierbey wird mir erlaubt ſeyn, mich meiner
vorigen Regeln zur Anwendung zu bedienen.
Jch bin hierbey etwas ſchalckhaft, allein man
wird mir dieſe kleine Freude erlauben. Jn-
dem ich zeige, daß ſich die vorigen Regeln, auf
die ietzt vorgetragene Obſervation anwenden
laſſen, erweiſe ich auch ſo gleich, daß dieieni-
gen, ſo mir hierin wiederſprechen, laͤugnen muͤſ-
ſen, daß ihr Vater, eine Urſach von Jhnen,
und daß die Sonne eine Urſach des Lichtes
ſey. Denn beydes wiſſen ſie nicht gewiß, wo-
fern ſie die vorigen Regeln nicht annehmen
wollen.
§. 27.
Allemal wenn wir eine Empfindung haben,
erfolgt eine Bewegung im Koͤrper, §. 26. und
dieſe Bewegung iſt der Empfindung propor-
tional. Es verſteht ſich aber von ſelbſt, daß
auf eine Empfindung keine Bewegung erfol-
gen
[66] gen koͤnne, welche vorher ſchon da geweſen;
indem es ſich wiederſpricht: mit einer Sache
zugleich erfolgen, und ehe geweſen ſeyn, als
dieſelbe Sache. So ſoll zum Exempel dieſer
Satz nicht ſo viel heiſſen, als: wenn eine Em-
pfindung geſchaͤhe; ſo bewegte ſich auch zugleich
das Blut dieſer Empfindung proportional:
denn das Blut wuͤrde ſich ohnfehlbar auch be-
wegen, wenn uns gleich die aͤuſſern Sinne
mangelten. Hingegen die Art der Bewegung
des Bluts kan veraͤndert werden, wenn wir
empfinden, und dieſes gilt auch von denen Se-
cretionen und Excretionen. Wenn ich dem-
nach ſage: es erfolgt auf eine iede Empfindung
eine ihr proportionale Bewegung; ſo verſtehe
ich darunter nicht iedwede Bewegung in un-
ſern Koͤrper, ſondern nur dieienigen, die alle-
mal nur mit denen Empfindungen zugleich ſind.
Hierher gehoͤret die Vergroͤſſerung und Zuſam-
menziehung der Pupille, das braun und blau
werden der Haut, das Nieſen und dergleichen
mehrere. Geſetzt demnach ich haͤtte eine Em-
pfindung = 1° die wir durch S andeuten wol-
len, und eine andre = 2° = s: die Bewe-
gung ſo auf S erfolgt ſey = M die andre = m;
ſo iſt:
S (= 1°): s (= 2°) = M (= 1°): m (= 2°)
Geſetzt es verliere S noch den einen Grad, ſo
waͤre:
S (= 0°):
[67]S (= 0°): s (= 2°) = M (= 0°): m (= 2°)
S (= 0°) = 0
M (= 0°) = 0
o : s = o : m
Es fiele demnach auch die Bewegung ſo der
Empfindung allemal folget, und ihr propor-
tional iſt, hinweg, wenn die Empfindung hin-
weg fiele. Das iſt: Allemal erfolget auf eine
Empfindung, eine ihr proportionale Bewe-
gung, und allemal erfolget keine ihr proportio-
nale Bewegung, wenn keine Empfindung zu-
gegen iſt. Wenn A iſt und B iſt auch; wenn
A nicht iſt und B iſt auch nicht; wenn endlich
dieſes allemal eintrift; ſo iſt es wahrſcheinlich,
daß zwiſchen A und B Urſach und Wuͤrckung
ſtatt habe. §. 19. Es ſey A = S und B = M.
So iſt, wenn S allemal iſt, ſo bald M iſt, und
wenn S nicht iſt; ſo bald M nicht iſt, wahr-
ſcheinlich, daß zwiſchen S und M Urſach und
Wuͤrckung ſtatt habe. § cit. Nun iſt S nie-
mahls, ohne M §. 26. und M iſt niemals ohne
S. Wenn S abweſend iſt; ſo iſt vermoͤge der
ietzt gegebenen Bedingungen auch M nicht,
und umgekehrt. Alſo iſt es wahrſcheinlich, daß
entweder S, M wuͤrcke oder daß M die Urſach
von S ſey. Man muß mich aber ia recht ver-
ſtehen. Jch behaupte keinesweges, daß alle
Be-
[68] Bewegung in unſern Koͤrper aufhoͤre, wenn
wir nichts empfinden, ſondern ich ſage dieſes
nur von denenienigen Bewegungen, welche
ſonſt nicht zugegen ſind, als zugleich mit einer
Empfindung. Und damit mich iederman hier-
bey recht einnehmen koͤnne, ſo will ich ein gantz
unlaͤugbar Exempel zur Erlaͤuterung beyfuͤgen.
Das Einfallen der Lichtſtrahlen in das Auge
macht eine Empfindung = S, und mit dieſer
iſt eine Bewegung der Pupille = M verbun-
den. Welcher Artzneyverſtaͤndiger wird mir
nun wol den Satz laͤugnen koͤnnen: S iſt alle-
mal zugegen, wenn M iſt; M iſt allemal da,
ſo bald S iſt. S iſt abweſend, wenn M abwe-
ſend iſt: M iſt allemal abweſend, wenn ich die-
ſes von S behaupten kan. Wenn eine Em-
pfindung, welche = A ſeyn ſoll, in meiner
Naſen entſteht, ſo erfolgt das Nieſen, eine Be-
wegung = B. So bald alſo A entſteht, ſo
bald iſt auch B da; und wenn A abweſend iſt,
ſo iſt auch B abweſend. Hier meine ich wie-
der nicht, daß A einer ieden Empfindung in
der Naſe = ſeyn ſoll; ſondern allemal nur
derienigen, worauf das Nieſen erfolget. Jch
glaube ſo wird verſtaͤndlich ſeyn, was ich be-
haupte, indem ich ſage es ſey wahrſcheinlich,
daß entweder S, M wuͤrcke, oder daß doch die-
ſes gewiß umgekehrt gelte.
§. 28.
Meine Leſer wuͤrden vermuthlich ſehr
ſchlecht mit mir zufrieden ſeyn, wenn ich es nur
bey
[69] bey der Wahrſcheinlichkeit wolte bewenden
laſſen, und nicht zeigte, daß es mehr als zu ge-
wiß ſey, es muͤſſe entweder die Sele welcher
allein der Sitz der Empfindungen zuzuſchrei-
ben iſt, in den Koͤrper, oder dieſer zuruͤck in die
Sele wuͤrcken. Denn da die Empfindungen,
in einem Bewußtſeyn unſrer, von uns gegen-
waͤrtigen Dingen beſtehen, ſo haben ſie noth-
wendig der Sele das meiſte zu dancken, und
wenn mit einer Empfindung allemal ohn Aus-
nahme eine Bewegung verknuͤpft iſt; ſo iſt es
demnach wahrſcheinlich, daß die Sele in den
Koͤrper wuͤrcke. Wenn wir nun aber in dieſer
Sache gewiß werden wollen; ſo muͤſſen wir
die Wege zur Gewißheit zu gelangen aufſu-
chen. Wir haben oben §. 21. feſtgeſtellt; daß
wenn zwey Dinge beſtaͤndig mit einander ver-
bunden, und alſo zugleich gegenwaͤrtig und ab-
weſend waͤren, und wenn man ferner, aus dem
Weſen der Dinge, die Moͤglichkeit zeigen
koͤnne, wie eines das andre wuͤrcken koͤnne, und
wie das letztere von dem erſtern koͤnne gewuͤrckt
werden; ſo koͤnne man es gantz gewiß glauben,
daß das eine das andre wuͤrcke. Nun haben
wir die erſte Bedingung, von denen Empfin-
dungen und denen ihnen proportionalen Bewe-
gungen dargethan: §. 26. alſo beruhet alles
darauf, daß wir aus dem Weſen der Empfin-
dungen und Bewegungen die Moͤglichkeit zei-
gen, wie eines das andre wuͤrcken, und wie
das andre von dem erſten gewuͤrckt werden
koͤnne.
[70] koͤnne. Aber eben dieſes iſt leider! der Stein
des Anſtoſſes. Wir haben viel zu enge Gren-
tzen unſers Verſtandes, als daß wir dieſes ſol-
ten zeigen koͤnnen. Wir wiſſen nicht einmal
recht, was unſre Sele ſey, und wie wollten wir
es alſo wol anfangen, wenn wir von denen
Empfindungen ein richtiges Urtheil faͤllen ſol-
ten. Dieſer haͤlt ſeine Sele vor eine Materie,
iener haͤlt ſie vor eine Monade, und ſpricht ihr
alles Vermoͤgen ab, in einen Koͤrper wuͤrcken
zu koͤnnen. Wer hat nun von dieſen beyden
Recht? Jn der That dieſe Frage iſt ſchwer zu
beantworten, indem das wahre Urtheil davon
wol beyden Partheyen unanſtaͤndig ſeyn moͤch-
te. Womit muß es doch unſre Sele verſehen
haben, daß ihr faſt kein Menſch gerne zugeſte-
hen will, daß ſie in ihren Koͤrper wuͤrcke? Jſt
denn alles das untruͤglich gewiß, davon wir
nicht begreifen koͤnnen, daß es anders ſeyn ſol-
le? Muß denn unſre Sele bloß darum unver-
moͤgend ſeyn, in ihren Koͤrper zu wuͤrcken, weil
es niemand begreiffen kan, wie dieſes zugehen
ſolte? Ey, warum laͤugnet man denn nicht
auch die Moͤglichkeit deſſen, daß ein Koͤrper
den andern in Bewegung ſetzen koͤnne? Wer
kan ſich ruͤhmen, daß er begreife wie dieſes zu-
gehe. Warum laͤugnet es denn kein Menſch,
daß der Magnet das Eiſen an ſich ziehe, daß
ſich ſein Nordpol beſtaͤndig gegen Norden, hin-
gegen der Suͤderpol gegen Suͤden kehre, daß
ein Armirter ſtaͤrcker an ſich ziehe, als ein an-
drer,
[71] drer, daß oͤfters ein kleiner mehr anziehe, als
ein groſſer; daß er mehr Kraft Koͤrper an ſich
zu ziehen, andern Koͤrpern mittheile, als er ſelbſt
beſitzt, und daß er dem ohngeachtet nichts von
ſeiner Kraft verliere? Sind wir denn etwan
alle zuſammengenommen ſo klug, daß wir die-
ſes begreiffen. Warum giebt man denn zu,
daß ein durch Reiben erhiztes Glas, Funcken
von ſich gebe, andre Koͤrper electriſch mache,
und dieſe Kraft ſo vielen Koͤrpern mittheile,
daß man daruͤber erſtaunen moͤchte? Warum
glaubet man, daß es Thiere gebe, welche durch
die Zerſchneidung ihres eigenen Koͤrpers, ihr
Geſchlecht fortpflantzen? Kan man denn wol
begreiffen, was es mit der Electricitaͤt vor eine
Beſchaffenheit habe, und wie es zugehe, daß
aus einem zerſchnittenen Polypus wiederum
zwey Polypen erwachſen, welchen nicht das ge-
ringſte an ihrer gehoͤrigen Strucktur abgehet?
Jſt es nicht wahr? Wir glauben alles dieſes
deshalben, weil es die Erfahrung auf tauſend-
faͤltige Art beſtaͤtiget, nicht aber, weil wir es
aus dem Weſen der Sachen begreiffen koͤnnen.
Nur der Sele will man dieſes Recht nicht
wiederfahren laſſen. Aber warum nicht? Es
iſt noch ein ander Mittel vorhanden, wodurch
wir gewiß werden koͤnnen, daß unſre Sele in
unſern Koͤrper wuͤrcke, ohnerachtet wir dieſes
aus dem Weſen der Sele und aus der eigent-
lichen Beſchaffenheit derer Bewegungen nicht
ausmachen koͤnnen.
G§. 29.
[72]
§. 29.
Wenn A iſt und B iſt auch; wenn A nicht
iſt und B iſt auch nicht; wenn dieſes allemal
richtig zutrift; wenn endlich kein drittes Ding,
kein C, eben ſo genau mit A und B harmoni-
ret, als ſie ſelbſt unter einander; ſo kan ich
gantz gewiß behaupten, daß A entweder die
Urſach von B ſey, oder daß B, A wuͤrcke. §.
22. Wenn alſo S iſt, und M iſt auch, wenn
S nicht iſt, und M iſt auch nicht; wenn dieſes
allemal zutrift; und wenn endlich kein C vor-
handen iſt, von welchen ſich dieſes ebenfalls be-
haupten laͤßt; ſo wird entweder S, M wuͤrcken;
oder M iſt die Urſach von S. Nun iſt S alle-
mal, wenn M iſt; S iſt nicht, wenn M nicht
iſt, dieſes geſchicht allemal; §. 26. Es iſt auch
kein C da, welches eben ſo genau mit ihnen
verbunden waͤre, als es S und M unter ſich
ſelbſt ſind: alſo findet zwiſchen ihnen beyden
Urſach und Wuͤrckung ſtatt. Jch habe von
dieſem Schluſſe nichts weiter mehr zu erwei-
ſen, als das hintere Glied des Unterſatzes,
nemlich: daß mit S und M kein C verbunden
ſey, welches ſo genau uͤbereinſtimme, als S und
M ſelbſt. Den Beweis dieſes Satzes kan ich
nirgends anders woher, als aus der Erfah-
rung leiten. Jch ſage: die Erfahrung lehret,
daß alle die Dinge, welche mit S und M genau
verbunden zu ſeyn ſcheinen, abweſend ſeyn koͤn-
nen, wenn ſie zugegen ſind; oder ſie koͤnnen
zugegen ſeyn, wenn S und M abweſend ſind.
Wir
[73] Wir wollen zu dem Ende dieienigen Veraͤn-
derungen beybehalten, und unterſuchen, welche
bey dem Menſchen vorgehen, und mit S und
M beſtaͤndig verbunden zu ſeyn ſcheinen. Man
verfaͤllt am erſten auf die Bewegung des Ge-
bluͤts. Es iſt wahr, dieſes muß allemal zuge-
gen ſeyn, wenn eine Empfindung zugegen iſt.
Denn ſo bald ſich das Blut nicht mehr bewegt,
fallen mit denen Vorſtellungen auch die Em-
pfindungen hinweg. Allein, iſt es denn noth-
wendig, daß wir empfinden muͤſſen, wenn ſich
das Blut bewegt? Jſt es denn nicht eine aus-
gemachte Sache, daß ſich im Schlafe das
Blut bewege? Jſt aber wohl in einem ſuͤſſen
Schlafe einige Empfindung bey uns zugegen?
Jch uͤbergehe die Ohnmachten mit Stillſchwei-
gen, bey welchen allemal noch einige Bewegung
des Gebluͤts ſtatt hat. Aber in dieſem Falle
wird kein Menſch behaupten, daß man empfin-
de. Es ſcheinet zwar, als ob mir wegen der
Abſcheidung des Nervenſaftes ein Einwurf koͤn-
ne gemacht werden. Jch gebe auch zu, wenn
alles dasienige ſeine Richtigkeit hat, was man
von denen Lebensgeiſtern heut zu Tage behau-
ptet, daß die Abſcheidung des Nervenſaftes al-
lemal geſchehen muͤſſe, wenn wir empfinden.
Aber laͤßt ſich denn der Satz auch umkehren?
Es mag noch ſo viel Nervenſaft bey uns ab-
geſchieden werden, ſo werden wir doch nicht
ehe empfinden, als bis uns ein Koͤrper von
auſſen beruͤhret. Da aber A allemal ſeyn
G 2muß,
[74] muß, wenn B iſt, und da A allemal nicht ſeyn
muß, wenn B nicht iſt; ſo kan auch die Ab-
ſcheidung des Nervenſaftes hier keinen Zweifel
erregen. Wolan, wird man ſagen: ſo gilt es
demnach gewiß von der Beruͤhrung eines Koͤr-
pers auſſer uns. Allemal wenn uns ein Koͤr-
per beruͤhret; ſo empfinden wir: Allemal wenn
dieſes nicht geſchicht, empfinden wir nicht: Al-
ſo haben wir hieran ein C welches eben ſo ge-
nau mit A verbunden iſt, als B. Jch kan
den erſten Satz wiederum nicht zugeben. Es
kan uns ein Koͤrper beruͤhren: und derienige
Nerve, welcher an den Theil hinlaͤuft, welcher
beruͤhret wird, kan laͤdirt ſeyn, und alsdenn
empfinden wir ihn nicht. Nun, ſo kan es
nicht fehlen, wenn ein Koͤrper auſſer uns einen
Nerven beruͤhret, welcher geſund iſt, und ihn
ſolchergeſtalt in Bewegung ſetzt; ſo muß auch
eine Empfindung erfolgen, wenn der Nerve ge-
ſund iſt. Derohalben iſt mit denen Empfin-
dungen und denen darauf erfolgenden propor-
tionirlichen Bewegungen ein C beſtaͤndig ver-
bunden: und ſolchergeſtalt kan auch das C die
Urſach von beyden ſeyn. Allein, man erlaube
mir folgende Jnſtantz: Niemand wird mir
laͤugnen, daß die Urſach des Herumgehens des
Zeigers, die innere Bewegung der Uhr ſey.
Koͤnte ich dieſes wol dadurch laͤugnen, wenn
ich ſagte: Nein, es gehoͤrt noch die Bewe-
gung eines Perpendikels in der Uhr darzu? Jch
wuͤrde die Wahrheit ſagen: allein gehoͤrt denn
dieſe
[75] dieſe Bewegung nicht auch mit zu der innern
Bewegung der Uhr? Eben ſo waͤre es nun
damit beſchaffen, wenn ich laͤugnen wolte, daß
die Empfindung und proportionale Bewegung
einander wuͤrckten, weil zur Empfindung noth-
wendig eine Bewegung der Nerven erfodert
wird. Keine Empfindung kan geſchehen, ohne
daß ein aͤuſſerer Koͤrper in uns wuͤrcke, daß
die Nerven geſund ſeyen und von ihm in Be-
wegung gerathen, daß endlich eine Sele in dem
Koͤrper zugegen ſey. Wenn ich ſage: eine
Empfindung wuͤrcket eine ihr proportionirliche
Bewegung; ſo ſage ich eben das, als: Eine
Verſtellung welche in denen Gliedmaſſen des
Koͤrpers und der Beruͤhrung von etwas auſſer
uns, ſeinen zureichenden Grund hat, iſt allemal
mit einer proportionalen Bewegung verknuͤpft.
Jch laſſe mich ietzo gar nicht damit ein, wie es
moͤglich ſey, daß zu gewiſſen Vorſtellungen in
der Sele, nothwendige Veraͤnderungen in de-
nen Nerven des Koͤrpers vorgehen muͤſſen;
ſondern ich nehme es ietzo als etwas bekandtes
an; rechne derohalben die Bewegung der Ner-
ven, des Nervenſaftes, die Beruͤhrung eines
aͤuſſern Koͤrpers, und die Vorſtellungen, wel-
che auf dieſe Veraͤnderungen in der Sele er-
folgen, zuſammengenommen vor Empfindun-
gen. Es wird ſich demnach wol niemand
ruͤhmen koͤnnen, eine dritte Veraͤnderung zu
finden, welche mit S und M beſtaͤndig harmo-
nire. Wenn ſie nicht in unſern Koͤrper, und
G 3denen
[76] denen die uns beruͤhren muͤſſen, wenn wir em-
pfinden ſollen, gefunden werden kan; ſo wird
man ſie ohnfehlbar vergeblich wo anders ſu-
chen. Solche Einwuͤrfe aber halte ich nicht
vor beantwortenswerth, wenn man etwan ſa-
gen wolte: Mit S und M iſt allemal die Be-
wegung der Erdkugel um ihre Axe verbunden,
oder S und M wird niemals wuͤrcklich, wenn
nicht auch Tag und Nacht auf dem Erdboden
abwechſeln. Es wuͤrde nemlich kein langes
Nachſinnen gebrauchen, einen Gegenſchluß zu
machen, welcher noch viel gewiſſer waͤre als ie-
ner: Niemals behauptet ein Menſch dieſe Ein-
wuͤrfe im Ernſt, um dadurch zu laͤugnen, daß
S und M einander wuͤrcke, wenn es nicht auch
zugleich in ſeinem Gehirne baufaͤllig ausſieht:
Alſo iſt dieſes die Urſach von ienen. Jch rede
nur von ſolchen Veraͤnderungen, welche wahr-
ſcheinlich eine naͤhere Urſach ſind, daß S und M
wuͤrcklich werde.
§. 30.
Nun habe ich alles gethan, was man von
mir fodern kan. Jch habe gewieſen, daß S
und M beſtaͤndig mit einander verbunden ſind,
(§. 26.) und daß es auch kein C gebe, von
welchen eben dieſes gelte. (§. 29.) Jch habe
demnach erwieſen, daß entweder die Em-
pfindung eine Urſach von der auf ſie er-
folgenden proportionalen Bewegung im
Koͤrper ſey, oder daß man dieſes umge-
kehrt behaupten koͤnne. Es iſt mir in der
That
[77] That einerley, man mag glauben, welches man
will. Jndeſſen kan es gantz und gar nicht
ſchwer fallen, zu erweiſen, das vielmehr S, M
wuͤrcke, und daß M nicht die Urſach, ſondern
die Wuͤrckung von S ſey. Denn wenn es
ausgemacht iſt, daß dasienige die Urſach des
andern ſey, welches allemal dem andern vor-
gehet, und worauf daſſelbe erfolget; ſo wird
man auch zugeben muͤſſen, daß S die Urſach
von M ſey: da es allemal ehe zugegen iſt, als
M. Unſre Sele iſt dasienige Ding, welches
Vorſtellungen hat und in uns befindlich iſt §. 1.
Alſo muß auch der Sitz der Empfindungen die
Sele ſeyn. Wuͤrcken nun die Empfindungen,
Bewegungen in unſern Koͤrper, ſo kan es nicht
fehlen, als daß ſie ein Jnſtrument der Sele
abgeben, wodurch ſie eine wuͤrckende Urſach
einiger Veraͤnderungen unſers Koͤrpers wird,
nemlich dererienigen Bewegungen, die denen
Empfindungen folgen und ihnen proportional
ſind. Jch habe den Oberſatz dieſes Beweiſes
ſo ſehr eingeſchraͤnckt, als vielleicht noch nicht
geſchehen. Wenn man demnach an dieſen
zweifeln wolte, ſo muͤſte man auch laͤugnen,
daß die Sonne die Urſach des Lichts, der Va-
ter und Mutter eine Urſach der Kinder, das
Eſſen und Trincken eine Urſach unſrer Ernaͤh-
rung, die Bewegung des Hertzens die Urſach
des Umlaufs des Gebluͤts, das Herumgehen
des Zeigers eine Wuͤrckung der innern Bewe-
gung der Uhr, und die verſchiedenen Veraͤnde-
G 4rungen
[78] rungen des Verfaſſers die Urſach gegenwaͤrti-
ger Schrift waͤren. Gegen den, der dieſes
alles laͤugnet, wird unſer Beweis nichts aus-
richten: allein er iſt auch nicht geſchrieben wor-
den, die Scepticos zu bekehren.
§. 31.
Jch koͤnte dieſen Beweis nunmehro ohne ei-
niges Bedencken ſchlieſſen, denn das uͤbrige
was ich noch anfuͤhren will, dienet nur darzu,
dasienige recht zu beſtaͤtigen, was ich nunmehro
erwieſen. Jch habe ſchon geſagt, daß meine
Abſicht bey dieſer Schrift keine andre ſey, als
mich und dieienigen, welche mit mir glauben,
daß die Sele in den Koͤrper wuͤrcke, entweder
in ihrer Meinung recht feſt zu ſetzen, oder mich
wiederlegen zu laſſen. Das erſtere werde ich
auf keine Art leichter erhalten koͤnnen, als wenn
ich meinen gegebenen Beweis auf allerley Art
durch unumſtoͤßliche Erfahrungen und Erfah-
rungsſaͤtze beſtaͤtige. Darum laſſe ich es bey
der Erfahrung, welche wir von denen Empfin-
dungen haben, ietzo gar nicht bewenden; ſon-
dern ich will nunmehro noch auf eine Art er-
weiſen, daß die Sele in ihren Koͤrper gantz ge-
wiß wuͤrcken muͤſſe. Jch habe ſchon oben ge-
ſagt, daß ich durch dieſen Beweis einen Grund-
ſtein befeſtige, auf welchen das gantze Stah-
lianiſche Lehrgebaͤude der Artzneykunſt beruhet.
Denn ich ſehe gar wol ein, daß die Bemuͤhun-
gen, welche man ſich darin giebt, eine Mei-
nung, welcher man anhaͤnget, auf erwieſene
Grund-
[79] Grundſaͤtze zu bauen, die allerruͤhmlichſte von
der Welt ſey. Jch verdencke es aus dieſem
Grunde keinen Lehrlinge der Harmonie, wenn
er ſich ſeine Hypotheſe zu erweiſen trachtet.
Aber aus eben den Grunde kan man es mir
auch zu gute halten, daß ich eben das, als ein
Lehrling des Stahlianismi, unternehme. Der
Nutzen welchen ich aus denen Leſeſtunden un-
ſers unvergleichlichen Herrn Profeſſor Jun-
ckers zu ſchoͤpfen die Ehre habe, und die gute
Meinung, welche ſo viele redlich geſinnte von
denenienigen haben, welche dem unvergleichli-
chen Stahl in ſeiner Lehre folgen, ſind zwey
Hauptbewegungsgruͤnde, warum ich mich ent-
ſchlieſſen koͤnnen, auf einen Beweis des Satzes
zu dencken, den ich gegenwaͤrtig erwieſen.
Darum werde ich mit allen meinen wenigen
Kraͤften dahin arbeiten, daß ich den Vorwurf
von mir ablehne, als ob ein Stahlianer et-
was ohne hinreichenden Grund annaͤhme.
Jch bin ein Feind aller derer ſo dieſes thun.
Was iſt aber alsdenn wol mehr meine Pflicht,
als dahin zu trachten, wie ich meine Meinung
durch unumſtoͤßliche Gruͤnde gewiß mache?
Darum will ich ietzo fortfahren, dieſen Beweis
durch neue Gruͤnde zu beſtaͤtigen, und ietzo ſol-
len mir zuerſt die Empfindungen darzu dienen,
welche auf die Bewegung derer Nerven zu er-
folgen pflegen. Da ich vorher erwieſen, daß
Empfindungen Bewegungen verurſachten, ſo
will ich nunmehro auch zeigen, daß Bewegun-
G 5gen
[80] gen Empfindungen wuͤrcken, damit ich eine
recht genaue Verbindung zwiſchen unſrer Sele
und unſern Koͤrper erweiſen moͤge.
§. 32.
Wenn wir etwas empfinden ſollen, ſo muͤſ-
ſen wir eine Sele haben, unſre Nerven muͤſſen
in gehoͤrigen Zuſtande ſeyn, und ein aͤuſſerer
Koͤrper muß dieſelben beruͤhren und in Bewe-
gung ſetzen. Jch ſage: Wenn dieſe Bedingun-
gen entweder allezuſammen genommen fehlen,
oder wenn dieſes nur von einer einzigen gilt;
ſo koͤnnen wir nichts empfinden. Es kan un-
moͤglich ſchwer fallen, alles dieſes zu erweiſen.
Die Empfindungen haben in der Sele ihren
Sitz: daran wird niemand zweifeln, der nicht
ſeiner Vernunft beraubt iſt. Wenn alſo ohne
Sele auch keine Empfindung ſtatt hat; ſo muß
nothwendig folgen, daß die Sele zu denen Em-
pfindungen unumgaͤnglich noͤthig ſey. Und
dieſes war das erſte. Wenn man einen Ner-
ven entweder bindet, oder denſelben gaͤntzlich
zerreißt; ſo wird derienige Theil zu welchem
der Nerve hinlaͤuft unempfindlich, oder, man
kan dadurch nichts empfinden. Dieſen Satz
beſtaͤtigen ſo viele Obſervationen, daß man auch
heut zu Tage nicht im geringſten mehr daran
zweifelt. Man hat an lebendigen Thieren die
Probe mehr als hundertmal gemacht, und ih-
nen einen gewiſſen Nerven gebunden. So
bald dieſes geſchehen iſt; ſo hat man mit dem-
ienigen Theile zu welchen der gebundene Nerve
hinge-
[81] hingelauffen, anfangen moͤgen, was man nur
beliebt hat; ſo hat man bey dem Thiere den-
noch nicht die geringſte Veraͤnderung weiter
wahrgenommen, woraus man denn mit guten
Grunde geſchloſſen, daß es davon nicht das ge-
ringſte empfunden. Hingegen ſo bald der Nerve
wieder von ſeinem Bande befreyet worden, hat
auch das Thier an demſelbigen Theile wie-
derum empfunden. Wenn ein Nerve zerriſſen
iſt, ſo iſt nun vollends gantz und gar kein Zwei-
fel, daß nicht die Empfindung, an dem Theile,
wohin er laͤuft, aufhoͤren ſolte. Unzaͤhlige Men-
ſchen, welchen gewaltſamer Weiſe ein Nerve
zerriſſen worden, beſtaͤtigen dieſen Satz zur
Genuͤge. Wenn einem die Hand abgehauen
worden; ſo mag man dieſelbe immer wieder
noch ſo genau an den verſtuͤmmelten Arm anle-
gen und anpaſſen, ſo wird der Menſch doch
niemals etwas von dem empfinden, was mit
ſeiner Hand vorgeht. Hier iſt nun nach dem
Geſtaͤndniß vieler die Sele ſchon vorher alſo
beſtimmt worden, daß ſie zu eben der Zeit, da
der Koͤrper die Hand verliert, den Gedancken
haben muß, als ob demſelben die Hand abge-
hauen wuͤrde. Allein andre, welche ſich ange-
woͤhnet haben, mit Erfahrungen etwas behut-
ſamer umzugehen, leiten hieraus nichts weiter
her, als daß ein geſunder Nerve zum Empfin-
den unentbehrlich noͤthig ſey. Und dieſes iſt
das andre was wir behaupten. Man weiß
aus der Erfahrung, daß wir nichts empfinden,
wenn
[82] wenn nicht ein Koͤrper vorhanden iſt, der in
unſre Nerven wuͤrcket. Jch will den Satz ſo
weit einſchraͤncken, daß ich zugebe es brauche
eben kein Koͤrper auſſer uns zu ſeyn, der dieſes
thue: indem ich aus folgenden Exempel das
Gegentheil lerne: Wenn man den bloſſen Arm
unter einen Recipienten ſteckt, und die Luft,
welche ihn umgiebt, auspumpen laͤßt; ſo em-
pfindet man davon, die heftigſten Schmertzen.
Man kan nicht behaupten, daß dieſe Schmer-
tzen von der Wuͤrckung eines auſſer uns befind-
lichen Koͤrpers abhingen, indem alsdenn kein
aͤuſſerer uns beruͤhret; ſondern ſie entſtehen von
derienigen Luft, welche ſich im unſern Blute
befindet, welche nachdem der Wiederſtand der
aͤuſſeren Luft gehoben worden, ſich in einen groͤſ-
ſern Raum ausbreitet, das Blut nebſt denen
Adern ausdehnet, und ſolchergeſtalt die empfind-
lichſten Schmertzen verurſacht. Weil nun
dieſes ein Koͤrper iſt, der ſich in uns befindet;
ſo gebe ich zwar zu, daß es nicht nothwendig
ſey, ob gleich ſich am haͤufigſten zutrage, daß
ein aͤuſſerer Koͤrper unſre Nerven beruͤhren
muͤſſe: allein dem ohngeachtet kan ich behau-
pten, daß keine Empfindung entſtehe, wenn
nicht ein Koͤrper er ſey auſſer oder in uns, die
Nerven beruͤhret. Es muͤſte ſich ein ruhender
Nerve ſonſt von ſelbſt und ohne hinreichenden
Grund in Bewegung ſetzen, welches doch wie
ich mir habe ſagen laſſen, kraft des erſten Ge-
ſetzes der Bewegung unmoͤglich iſt. Wenn
dem-
[83] demnach ein Koͤrper in die Nerven wuͤrckt; ſo
iſt es auch nothwendig, daß er ſie veraͤndern
muͤſſe. Wie kan ſich ein Koͤrper anders ver-
aͤndern, als durch die Bewegung? Alſo muͤſſen
ſich unſre Nerven bewegen, wenn wir etwas
empfinden ſollen. Man hat aus der Erfah-
rung, daß wenn von dieſen dreyen Bedingun-
gen nur eine nicht zugegen iſt, man alsdenn
auch nicht empfinden koͤnne. Geſetzt demnach,
daß uns ein Koͤrper beruͤhrte, und daß unſre
Nerven geſund waͤren, und von ihm in Bewe-
gung geſetzt wuͤrden; ſo wuͤrden wir dem ohn-
geachtet nicht empfinden, wenn wir keine Sele
haͤtten. Wiederum, wenn wir gleich eine Sele
haͤtten, und unſre Nerven waͤren auch in voll-
kommenen Zuſtande; ſo empfaͤnden wir nichts,
wenn kein Koͤrper in dieſelben wuͤrckte. End-
lich muß man auch aus der Erfahrung zugeben,
daß wenn unſre Sele nebſt einen Koͤrper zuge-
gen iſt, der unſre Nerven beruͤhret, wir dennoch
nicht empfinden wuͤrden, wenn die Nerven auf
einige Weiſe an ihrer Bewegung gehindert
worden waͤren. Dieſen letztern Fall wollen
wir ietzo erwaͤhlen, und daraus zu erweiſen ſu-
chen, daß unſre Sele in den Koͤrper wuͤrcke.
Wenn wir alſo den Satz behaupten werden,
es entſtehe allemal eine Empfindung, wenn die
Nerven geſund ſind; ſo ſetzen wir iederzeit da-
bey zum Voraus, daß es mit denen uͤbrigen
Bedingungen ſeine Richtigkeit habe. Sagen
wir hingegen, daß keine Empfindung entſtehe,
wenn
[84] wenn die Nerven laͤdirt ſind, ſo mag man an-
nehmen, daß dieſes auch von denen andern
Stuͤcken gelte, oder nicht. Es iſt in dieſem
letztern Falle einerley. Dieſes mercke ich des-
wegen an, damit ich hernach ohne Weitlaͤuf-
tigkeit mich dieſer Saͤtze bedienen koͤnne, ohne
allemal das: Wenn es mit denen uͤbrigen
ſeine Richtigkeit hat, hinzuthun zu muͤſſen.
§. 33.
Allemal, wenn die Nerven in gehoͤrigen Zu-
ſtande ſind, empfinden wir; hingegen hat nie-
mals eine Empfindung alsdenn ſtatt, wenn
die Nerven auf einige Art in ihrer Bewegung
gehindert worden. §. 32. Wenn A iſt und B
iſt auch, wenn A nicht iſt und B iſt auch nicht,
und dieſes allemal, ſo darf man muthmaſſen,
daß zwiſchen A und B Urſach und Wuͤrckung
ſtatt habe. §. 19. A ſey = S = einer Empfin-
dung B ſey = M N = der Bewegung der
Nerven: ſo iſt, weil S iſt; ſo bald MN iſt;
weil S nicht iſt, ſo bald MN nicht iſt, und weil
ſich dieſes allemal zutraͤgt §. 32. S entweder die
wuͤrckende Urſach von MN oder umgekehrt:
Doch aber iſt dieſes nicht anders als nur wahr-
ſcheinlich §. 19. Wenn S beſtaͤndig mit MN
verbunden iſt, und es iſt uns entweder das
Weſen von S oder MN bekandt, und wenn
man endlich daraus begreiflich machen kan,
daß es wol moͤglich ſey, daß zwiſchen S und
MN Urſach und Wuͤrckung ſtatt habe; ſo iſt
es gewiß, daß dem alſo ſey §. 21. Allein da
uns
[85] uns weder die eigentliche Beſchaffenheit des
einen noch des andern bekandt iſt; ſo muͤſſen
wir uns durch folgende Regel, davon gewiß
machen: Wenn S beſtaͤndig und ohne Aus-
nahme mit MN verbunden iſt, ohne daß ein C
mit demſelben eben eine ſolche Verbindung
haͤlt; ſo iſt es gewiß, daß zwiſchen S und MN
Urſach und Wuͤrckung ſtatt habe §. 22. Nun
gedencke ich dieſes darzuthun: Alſo kan ich
mich davon vergewiſſern. Den Einwurf, daß
mit S und MN auch beſtaͤndig die Wuͤrckung
eines Koͤrpers in die Nerven, und die Gegen-
wart einer Sele verbunden ſey, beantworte
eben alſo wie §. 29. mit einem gleicher Be-
ſchaffenheit gethan. Jch habe ſchon geſagt,
daß ich dieſes alles zuſammen nehme, wenn ich
von der Bewegung der Nerven nur allein rede
§. 32. Dinge, welche offenbar keine naͤhere
Urſach abgeben koͤnnen, moͤgen ebenfals damit
noch ſo genau verbunden ſeyn; ſo trift uns doch
der Einwurf nicht im geringſten §. 29. Wir
muͤſſen alſo nur zuſehen, ob kein C mit S und
MN verbunden ſey, von welchem wahrſchein-
lich zu vermuthen, daß es etwas darzu beytrage.
Dieſes haben wir in unſern Koͤrper zu ſuchen.
Von der Bewegung des Blutes kan man nicht
behaupten, daß ſie ſo genau mit S und MN
verbunden ſey, als ſie ſelbſt untereinander: denn
ſonſt waͤre es nothwendig, daß wir ohn Auf-
hoͤren empfinden muͤßten, ſo lange wir leben,
und die Saͤfte in unſern Koͤrper ihren Umlauf
ver-
[86] verrichten, da wir doch oͤfters in einem ſolchen
Zuſtande ſind, da wir nichts empfinden, und
da dennoch das Blut ſeinen Umlauf verrichtet.
Alle Abſonderungen in unſern Koͤrper haͤngen
von der Bewegung des Gebluͤts ab; und ſol-
chergeſtalt beantworten wir die Einwuͤrfe, wel-
che daher genommen werden, auf eben die Art
wie den vorigen Zweifel von der Bewegung
des Gebluͤts.
§. 34.
Jch ſtelle es einen ieden frey, ſo viel Veraͤn-
derungen in unſern Koͤrper aufzuſuchen, als
ihm gefaͤlt, und zuzuſehen, ob dieſelben mit der
Bewegung derer Nerven und denen Empfin-
dungen ſo genau verbunden ſind, als dieſe un-
tereinander. Er wird allemal finden, daß eine
ſolche Veraͤnderung, wenn ſie entweder abwe-
ſend iſt, dennoch dieſe beyden Veraͤnderungen
nicht verhindere, oder daß dieſe doch zuweilen
unterbleiben, wenn iene zugegen iſt. Man
koͤnte ſich zwar darauf beruffen, daß ich erwie-
ſen, es waͤre bey einer Empfindung allemal eine
ihr proportionale Bewegung im Koͤrper zuge-
gen §. 32. Allein weil ich auch erwieſen, daß
die Empfindung eine wuͤrckende Urſach dieſer
Bewegungen ſey §. 30. ſo gehoͤren dieſelben
eben ſo nothwendig zur Vollkommenheit derer
Empfindungen, als wie die Gegenwart einer
Sele, und die Wuͤrckung eines Koͤrpers in die
Nerven, zu derienigen Bewegung derſelben ge-
hoͤren, mit welcher allemal eine Empfindung
verbun-
[87] verbunden iſt. Das Recht das ich alſo habe,
den Satz zu verwerfen, daß die Gegenwart
der Sele ein C ſey, welches beſtaͤndig mit S
und MN verbunden iſt, eben das habe ich
auch zu laͤugnen, daß die proportionale Bewe-
gung zu denen Empfindungen ein ſolches C
ſey. Es bleibt demnach ſo lange unſtreitig
erwieſen, daß die Veraͤnderungen S und MN
einander wuͤrcken; ſo lange man mir kein C
aufbringen kan, von welchen eben eine ſo ge-
naue Verbindung gelte. Und ich glaube, daß
mit dieſer Bedingung, mein Beweis nicht leicht
umgeſtoſſen werden koͤnne. Wenn die Urſach
allemal eher zugegen ſeyn muß, als die Wuͤr-
ckung; ſo wird man auch zugeben, daß S nicht
die Urſach von MN, ſondern dieſes vielmehr
von ienem die Urſach ſey; ob man gleich auch
dieſes daher beweiſen koͤnte, daß allemal ein
Koͤrper in die Nerven wuͤrcken muß, wenn ſie
ſich bewegen ſollen. Denn es waͤre wol nichts
leichter, als aus der Beſchaffenheit derer in die
Nerven wuͤrckenden Koͤrper zu zeigen, daß ſie
die Urſach von der Bewegung derer Nerven
waͤren. Es enthaͤlt alſo dieſe ihre Bewegung
den zureichenden Grund von denen Empfin-
dungen in ſich. Und ſolchemnach wuͤrcken die
Nerven in unſre Sele. Da nun keine Wuͤr-
ckung ohne Gegenwuͤrckung iſt; ſo muß die
Sele auch wiederum in dieſelben zuruͤck wuͤr-
cken. Und alſo habe ich aufs neue dieſen Satz
erwieſen. Es faͤllt mir freylich mehr als ein-
Hmal
[88] mal dabey ein, daß uns dieſes etwas unbegreif-
liches ſey. Allein ich ſehe doch, daß es nicht
anders ſeyn kan. Alſo lieget vermuthlich das
nicht zu begreifende bloß darin verborgen, daß
wir es einmal vor erwieſen zum Voraus ſetzen,
wir haͤtten eine ſolche Sele, die dieſes nicht
thun koͤnne. Vielleicht aber daͤchten wir gantz
anders, wenn es uns einmal erlaubt waͤre un-
ſrer Sele in ihren Beſchaͤftigungen auf die Fin-
ger genau Achtung zu geben, um welches Aus-
drucks willen ich aber doch meine Leſer hier-
durch um Verzeihung bitte, weil er nicht
Mode iſt.
§. 35.
Beyde von mir angefuͤhrte Erfahrungen,
welche beweiſen, daß die Sele in unſern Koͤr-
per wuͤrcke, ſind von ſolcher Beſchaffenheit, daß
ſie niemand in Zweifel ziehen kan. Jch haͤtte
andre erwaͤhlen koͤnnen, bey denen ich ſo vielerley
Anmerckungen und Beſtimmungen anzufuͤhren
nicht noͤthig gehabt haͤtte. Allein ich habe
dieſe mit Vorſatz erwaͤhlet. Gegenwaͤrtige Ab-
handlung gehoͤret in die Artzneygelahrheit, und
die Gegner welche ich darinnen finde, ſind die
Mechaniſchen Aertzte. Eben dieſen Herren zu
gefallen, habe ich ſolche Erfahrungen auser-
waͤhlet, deren ſich die Mechaniſten am haͤufig-
ſten zu Befeſtigung ihrer Meinung zu bedienen
pflegen. Wenigſtens laͤßt ſich dieſes von der
Art und Weiſe, wie wir empfinden, ſicherlich
behaupten. Die Mechaniſten ſagen, daß eben
durch
[89] durch die Bewegung der Nerven und des Ner-
venſaftes, der Koͤrper wie eine bloſſe Maſchine
zu handeln vermoͤge. Deſtoweniger werden ſie
mir demnach auch, wo ich anders richtig ge-
ſchloſſen habe, meinen Beweis verwerffen koͤn-
nen, darinn ich gerade das Gegentheil behau-
pte. Alles dieſes aber habe ich nicht deshal-
ben geſagt; als ob ich glaubte, daß dieſe Er-
fahrungen denen Organiſten unbekandt waͤren,
oder daß ſie dieſelben verwuͤrffen. Nein, ein
organiſcher Artzt behauptet dieſelben mit deſto
groͤſſern Muthe, ie gewiſſer er weiß, daß durch
dieſelben einer von ſeinen Grundſaͤtzen: die
Sele wuͤrckt in ihren Koͤrper, unzweiffel-
haft gewiß gemacht wird. Derohalben habe
ich an nichts weniger zu zweifeln, als daß man
meine Erfahrungen verwerffen werde. Es
kommt demnach alles bloß auf den Satz an;
daß A und B einander nothwendig wuͤrcken
muͤſſen, wenn ſie ohne ein C beſtaͤndig mit ein-
ander verbunden ſind. Wolte man dieſen
Satz laͤugnen, ſo muͤſte man zugeben, daß ſo
wol A als B ohne hinreichenden Grund wuͤrck-
lich waͤren; denn wenn dieſes nicht ſeyn ſolte,
ſo muͤſte nothwendig ein C als ihre Urſach alle-
mal mit ihnen verbunden ſeyn. Daß aber die-
ſer Satz ſo wol von denen Empfindungen und
den darauf erfolgenden ihnen proportionalen
Bewegungen in unſern Koͤrper, als auch von
der Bewegung der Nerven, welche mit denen
Empfindungen verbunden iſt, gelte; ſolches
H 2habe
[90] habe ich ſo viel als mir noͤthig geſchienen, aus
der Erfahrung beſtaͤtiget §. 34. 30. Wenn
man aber dabey noch einige Bedencken haben
ſolte, ſo kan ich nicht beſſer rathen, als man lege
ſich darauf Erfahrungen anzuſtellen. Dieſe
ſind in der That die Sache worauf hierbey al-
les ankommt. Und haͤtten die Artzneyverſtaͤn-
digen nicht ſo viele Gelegenheit hierzu, wer
wuͤſte ob ſie nicht eben das glaubten, deſſen Ge-
gentheil wir hier erwieſen. Allein die Erfah-
rung iſt ihnen gar zu hold und ſie iſt auch gar
zu freygebig. Welchem kan man aber wol
unter beyden das meiſte trauen? Dieſer oder
der Vernunft? Jch glaube zwar einer ſo viel
als der andern; allein es giebt noch eine Ver-
nunft, welche man mit dem Nahmen der Un-
vernunft nicht belegen darf, weil ſie ihren Sitz
meiſtentheils bey Gelehrten hat. Dieſe ſieht
manche Sachen vor gantz anders an, als ſie
in der That ſind; und von der behaupte ich,
daß ſie der Erfahrung nachſtehen muͤſſe.
§. 36.
Es giebt viele Artzneyen, welche, wenn man
ſie zu ſich genommen, gewiſſe Veraͤnderungen
in unſern Koͤrper hervorbringen, welche ſo ge-
wiß erfolgen, daß man ſie vorher anzuzeigen
in Stande iſt. Jch brauche mich nur auf die
Gifte zu beruffen, das iſt, auf ſolche Artzney-
mittel, welche in unrechter Doſe genommen
worden, und daher Schaden anrichten. Man
kan ihre Wuͤrckungen ſo genau beſtimmen,
daß
[91] daß ſie auf das richtigſte zutreffen; und ich
glaube nicht daß ein Menſch ſeyn werde, wel-
cher nicht zugeben ſolte, daß dieſelben die Urſach
ſolcher Veraͤnderungen in uns waͤren. Fraget
aber einen Artzt, woher er dieſes glaube; ſo
wird er euch folgenden Schluß herſagen: So
lange der Menſch kein Gift zu ſich genommen,
ſo lange hat er keine ſolche innere Veraͤnderun-
gen, als mit dem Gifte verbunden ſind: ſo bald
er aber den Gift zu ſich genommen, ſo erfolgen
dieſelben auch gewiß: endlich kan auch aus der
Beſchaffenheit der Gifte dargethan werden,
wie es moͤglich ſey, daß ſie dieſes oder ienes
wuͤrcken koͤnnen: Daraus ſchlieſſen wir, daß
das Gift dieſes alles wuͤrcke. Es iſt dieſes
eben der Schluß, welchen ich oben feſt geſetzt
§. 21. Und hieraus erkennet man, daß nichts
gemeiner ſey, als ſich dieſes Schluſſes zu be-
dienen, wenn man erweiſen will, daß ein Ding
das andre wuͤrcke. Unter dieſe Art der Artz-
neyen gehoͤret das Opium, Bilſenkraut, (Hyo-
ſcyamus,) Maßlach, und andre mehr. Wenn
man das Opium in allzu groſſer Doſe zu ſich
nimmt, ſo wird man dadurch in einen ſehr tie-
fen Schlaf geſtuͤrtzt. Da nun der Schlaf in
einer Abweſenheit der Vorſtellungen und Em-
pfindungen, wie auch derer willkuͤhrlichen Be-
wegungen beſtehet; ſo iſt nothwendig, daß
bey der Wuͤrckung des Opium auch die Sele
eine Veraͤnderung leiden muͤſſe. So lange
es demnach ausgemacht iſt, daß das Opium
H 3den
[92] den Schlaf verurſache; ſo lange wird man auch
glauben muͤſſen, daß ein Koͤrper in die Sele
wuͤrcken koͤnne. Eben dieſes gilt auch von
dem Bilſenkraut und Maßlach. Das erſtere
benimt denen Menſchen den Gebrauch ihrer
Vernunft, und des letzteren pflegen ſich die
Tuͤrcken zu bedienen, wenn ſie einmal recht
ausſchweifend luſtig ſeyn wollen. Sie nehmen
es alsdenn zu ſich, und nachdem dieſes geſche-
hen, unternehmen ſie die allernaͤrriſchten Hand-
lungen; ſchlafen hernachmals eine Zeitlang dar-
auf, und wenn ſie wieder erwachen, ſo wiſſen
ſie von dem allen nichts, was ſeit der Zeit da
ſie Maßlach zu ſich genommen, mit ihnen vor-
gefallen. Wer wolte alſo wol zweifeln, daß
dieſe Veraͤnderungen der Sele von denen ge-
brauchten Artzneyen herruͤhren, und da dieſem
alſo iſt; ſo kan auch niemand daran zweifeln,
daß der Koͤrper in die Sele, und dieſe hinwie-
derum in ihn zuruͤck wuͤrcke, wo man anders
nicht behaupten will, es paſſe ſich dieſes alles
nur durch ein wunderbares Ohngefehr zuſam-
men. Ein ſolches Ohngefehr iſt aber ein Et-
was das wir nicht wiſſen, aber eine Sache
von welcher die Mode fordert, daß man glau-
be und ſage, man begreife ſie auf das voll-
kommenſte.
§. 37.
Jch kan nicht umhin bey dieſer Gelegenheit
einer Erfahrung Meldung zu thun, welche uns
der beruͤhmte Herr Haller berichtet, und die
man
[93] man in der That vor eine erſtaunenswuͤrdige
Sache halten muß. Die Jndianer ſollen eine
gewiſſe Artzney haben, welche demienigen, der
ſich derſelben bedienet, der Kraft ſeiner Sele
beraubet. Jch ſage nicht zu viel, denn ein ſol-
cher Menſch verlieret nicht allein nach und nach
alle Empfindungen, alle Erinnerungs- und
Einbildungskraft; ſondern er wird auch mit
der Zeit gaͤntzlich des Vermoͤgens beraubet ſich
Dinge auſſer ihm oder ſich ſelbſt vorzuſtellen.
Jſt nun unſre Sele das Ding, welches eine
Kraft zu Vorſtellungen hat; und iſt eine Kraft
in beſtaͤndiger Bemuͤhung zu wuͤrcken; ſo muß
dieſes Medicament entweder die Sele gantz
und gar vertreiben, oder es muß dennoch ver-
moͤgen, ihrer Kraft vollkommenen Wieder-
ſtand zu leiſten. Ein ſolcher Menſch iſt keines-
weges unter die Todten zu zaͤhlen. Denn bey
einem Verſtorbenen muͤſſen nicht allein alle
Vorſtellungen, ſondern auch alle Bewegungen
fehlen, ſie moͤgen willkuͤhrliche oder natuͤrliche
oder nothwendige ſey. Allein dieſes laͤßt ſich
von ſolchen Leuten nicht behaupten. Die na-
tuͤrlichen und nothwendigen Bewegungen ge-
hen bey ihnen ſo gut von ſtatten, als ob ſie ſich
ihrer bewuſt waͤren. Wenn man ſie ernaͤhret,
ſo wachſen und leben ſie fort; allein der Unter-
ſchied zwiſchen ihnen und andern Menſchen iſt
in eben der Verhaͤltniß, als zwiſchen einen
Menſchen und einer Pflantze. Was will man
nun zu einer ſolchen menſchlichen Pflantze ſa-
H 4gen?
[94] gen? Jſt es denn hierdurch noch nicht offenbar
genug, daß unſre Koͤrper und die Sele in ein-
ander wuͤrcken? Hat ein ſolcher Menſch etwan
eine ſolche Sele bekommen, deren Verbin-
dungszeit mit dem Koͤrper ehe zu Ende lauffen
muͤſſen, als der Koͤrper ſterben kan? Jch ge-
ſtehe, wenn man einem dieſes mit einem finſtern
Geſicht, und dunckleren Worten ſagte, der ſich
ein wenig leichter etwas einbilden kan als ich,
was gantz und gar unnatuͤrlich iſt; ſo kan man
ihn ſolchergeſtalt bald zum Beyfall bringen.
Allein weil ich eine ſolche verderbte Einbil-
dungskraft habe, daß ſich dieſer Gedancke in
kein einziges Fach derſelben ſchicken will; ſo
kan ich nicht anders, als glauben, daß dieſe
Artzney eine Kraft habe, in die Sele zu wuͤr-
cken. Jch verliere nichts dabey, daß ich nicht
weiß wie dieſes zugehe. Denn ich weiß gantz
gewiß, daß die Grentzen der menſchlichen Wiſ-
ſenſchaft gar nicht ſo weit entfernt ſind, daß
man ſie erſt mit guten Fernglaͤſern ſuchen muͤ-
ſte. Und darum bilde ich mir ein, dasienige
koͤnne noch wol moͤglich ſeyn, wovon ich und
andre Leute nicht begreiffen wie es zugehe. Es
beſtaͤtiget demnach auch dieſe merckwuͤrdige Ob-
ſervation meinen Hauptſatz, daß die Sele in
ihren Koͤrper wuͤrcke. Je mehrere Veraͤnde-
rungen ich bey mir wahrnehme, deſto mehr
werde ich davon uͤberzeugt, und darum kan ich
meinen Leſern auch die noch folgenden nicht
vorenthalten.
§. 38.
[95]
§. 38.
Jch ſetze mir vor ein gewiſſes Glied meines
Koͤrpers zu bewegen, und den Augenblick ge-
ſchieht es auch. So bald ich will, daß daſſel-
be wieder ruhen ſoll, ſo hoͤret es auch auf ſich
zu bewegen. Jch ſetze aber zum voraus daß
mein Koͤrper in ſeinen natuͤrlichen Zuſtande
ſey. Denn ſonſt iſt mir nicht unbekant, daß
man wegen einer Laͤhmung oder eines andern
ſpaſtiſchen Zuſammenziehens, zuweilen ſeiner
Glieder nicht maͤchtig ſey. Allein hiervon iſt
ietzo die Rede nicht. Wir bleiben nur bey
einem geſunden Menſchen; und da gehoͤret in
der That viel Ueberredung darzu, wenn man
ſich einbilden ſoll, daß ſeine willkuͤhrlichen Be-
wegungen alle geſchehen, weil ſeine Maſchine
ſo eingerichtet iſt, daß ſie gerade zu der Zeit
alſo erfolgen muͤſſen. Man ſehe nur einmal
einem geuͤbten Muſicus zu, und probiere, ob
man ſich ohne ſeiner Einbildungskraft Gewalt
anzuthun, vorſtellen koͤnne, daß ſeine Finger
mit eben der Geſchwindigkeit in eben dem
Tackte und mit eben denenſelben Applicationen,
die Claves beruͤhren und niederdruͤcken, ia die-
ſes alles von denen Noten abſehen und auf ei-
nem Clavier oder einer Orgel zur Wuͤrcklich-
keit bringen wuͤrden; wenn auch der Muſicus
ietzo keine Sele haͤtte, oder wenn er an nichts
weniger gedaͤchte als daß er eben dieſes Stuͤck
und kein andres hoͤren laſſen wolle. Dieſer
Verſuch gehet noch beſſer von ſtatten, wenn
H 5man
[96] man einem Generalbaßiſten zuſieht. Dieſer
hat nur allein die Noten des Baſſes vor ſich
und muß nach gewiſſen uͤber die Baßnoten ge-
ſetzten Ziffern ohne ſich lange zu beſinnen oder
aus dem Tacte zu kommen, ſo gleich den Di-
ſcant in der rechten Hand darzu greiffen, und
dieſes noch darzu meiſtens in drey und vier-
ſtimmigen griffen. Hier giebet es in der That
eine beſondere Beluſtigung ab, wenn man ſich
vorſtellet, daß die Sele eines Generalbaßiſten
vom Anfange her ſo beſtimmt ſey, daß ſie in
dieſer Zeit eben von gewiſſen proportionirlich
geſetzten Fundamenttonen, bald eine Tertie,
bald eine Sexte oder Septime abzaͤhle und zu
der erſtern eine Quinte und Octav, zum an-
dern beyden aber eine Tertie zu greiffen ſich
vornehme. Wiederum daß die Finger des Or-
ganiſten in der lincken Hand, ſo geſchaffen waͤ-
ren, daß ſie eben ietzt einen Baß von denen
Noten abſpielen, und einen Diſcant darzu grei-
fen muͤſten, welcher mit Ziffern oder andern
Zeichen ausgedruckt iſt. Alle willkuͤhrlichen
Bewegungen beſtaͤtigen meinen Satz auf das
allergewiſſeſte. Ja, ich getraue mir zu behau-
pten, daß aller Unterſchied zwiſchen willkuͤhr-
lichen und nothwendigen Bewegungen wegfal-
le, wenn man nicht zugeben will, daß die Se-
le eine Urſach derſelben ſey. Vielleicht haͤlt
man es vor eine Kleinigkeit, dieſen Satz zuzu-
geben, weil er ſo natuͤrlich folget; allein ich
daͤchte dieſe Kleinigkeit waͤre wohl noch von ei-
niger
[97] niger Wichtigkeit. Der eigentliche Unter-
ſchied zwiſchen denen nothwendigen, natuͤrli-
chen, und zwiſchen denen willkuͤhrlichen Be-
wegungen beſtehet darin, daß wir von ienen
weder bey ihrem Anfange noch Fortdauer ei-
nige Vorſtellungen haben, vermoͤge deren wir
uns derſelben bewuſt waͤren, dahingegen die
willkuͤhrlichen Bewegungen alſo beſchaffen ſind,
daß wir zum wenigſten im Anfange, ehe wir
uns dran gewoͤhnen, wo nicht auch im Fort-
gange Vorſtellungen haben, dadurch wir uns
ihrer bewuſt ſind. Wer alſo den Unterſcheid
unter nothwendigen und willkuͤhrlichen Bewe-
gungen verwerfen wolte, der muͤſte behaupten,
daß wir uns entweder aller Bewegungen un-
ſers Koͤrpers ohne Unterſcheid bewuſt waͤren,
oder daß wir von keiner einigen etwas wuͤßten.
Beydes iſt wieder alle Erfahrung, und dem-
nach muß auch dieſer Unterſchied nothwendig
beybehalten werden. Jch will erweiſen, daß
dieſes hinwegfalle, wenn man nicht die Sele
vor eine Urſach der willkuͤhrlichen Bewegun-
gen erkennen will. Jch ſchlieſſe ſo: wenn die
Sele gar nichts zu denen willkuͤhrlichen Bewe-
gungen beytraͤgt; ſo iſt es moͤglich, daß eine
willkuͤhrliche Bewegung entſtehen koͤnte; ob-
gleich die Sele keine Vorſtellung davon haͤtte.
Nun aber iſt eine willkuͤhrliche Bewegung die-
ienige, welche nicht entſtehen kan, ohne ein
Bewuſtſeyn derſelben: alſo waͤre es moͤglich,
daß bey dem Menſchen eine Bewegung welche
ohne
[98] ohne Bewuſtſeyn ihrer nicht entſtehen kan, ent-
ſtuͤnde, ohne daß man ſich ihrer bewuſt waͤre.
Das iſt eben ſo viel, als: es iſt unmoͤglich, daß
dieſes ſo ſeyn koͤnne. Oder ich kan auch fol-
gendergeſtalt ſchlieſſen: nach der gegenſeitigen
Meinung kan eine willkuͤhrliche Bewegung ent-
ſtehen, ohne ſich derſelben bewuſt zu ſeyn. Ei-
ne Bewegung welche entſtehen kan, ohne daß
man ſich ihrer bewuſt iſt, iſt entweder eine na-
tuͤrliche oder eine nothwendige Bewegung: al-
ſo waͤre es moͤglich, daß eine willkuͤhrliche Be-
wegung eine natuͤrliche oder nothwendige waͤ-
re. Hieraus ſiehet man, daß aus dieſer Mei-
nung folge, es habe zwiſchen denen nothwen-
digen und freywilligen Handlungen des Koͤr-
pers kein Unterſchied ſtatt. Jch weiß nicht, ob
iemand an dieſen Schluͤſſen etwas auszuſetzen
haben ſolte. So lange ſie aber richtig ſind;
ſo lange giebt man mir auch zu, die Sele wuͤr-
cke in ihren Koͤrper. Jch werde unten zeigen,
daß dieſe Wuͤrckung phyſicaliſch ſey, und da
ſehe ich nicht, ob es allzugut vor die Harmo-
niſten ſtehen moͤchte. Man wird es mir zu
gute halten, daß ich ſolche uͤble Folgen aus
der Meinung dererienigen Harmoniſten ziehe,
von denen ich oben zuletzt geredet, und deren
Meinung ich durch gegenwaͤrtigen Beweis,
daß die Sele in ihren Koͤrper wuͤrcke, zu wie-
derlegen gedencke. Jch habe noch lange nicht
erwieſen, daß ihre Meinung ſpinoziſchtiſch ſey,
und es wird auch von mir nicht geſchehen.
Uebri-
[99] Uebrigens muß man ſich nur vorſtellen, daß
ich ein Jnfluxioniſt ſey, und daß ich alſo meine
Meinung ſo lange rechtfertige als es mir moͤg-
lich iſt. Jch habe es noch nicht vergeſſen, daß
ich oben die Jnfluxioniſten wiederlegt habe.
Unten will ich ſie an deſſen ſtatt deſto ſchaͤrfer
vertheidigen. Jch kan ſie im voraus verſichern,
daß ihre Meinung noch nicht wiederleget iſt;
allein demohnerachtet, will ich ihnen auch zu
bedencken geben, daß ein Egoiſt ein gleiches
von ſich ruͤhmen koͤnne. Eine Meinung iſt
deshalb noch nicht unumſtoͤßlich gewiß, weil ſie
nicht wiederlegt worden. Jnsbeſondere wuͤr-
de dieſes von den phyſicaliſchen Einfluß gelten,
da er nach der Art, wie ich ihn vorzutragen
gedencke, noch gar nicht bekant zu ſeyn ſchei-
net. Es kan ſeyn, daß die Wiederlegungen
nachkommen. Denn ſo ſehr ich mich auch be-
muͤhen werde, zu zeigen, daß dieſes eine alte
Meinung ſey, ſo wenig darf ich vermuthen,
daß man ihr das Schickſal ſchencken werde,
welches neue Meinungen erdulden muͤſſen.
Doch damit Furcht und Hofnung bey denen
die meiner Meinung ſind, recht ſehr abwech-
ſeln moͤgen, ſo verſpreche ich, ſie noch mit ei-
ner bisher feindlich geweſenen Parthey, denen
mechaniſchen Aertzten zu verſoͤhnen: damit ſie
deſto ſtaͤrckern Beyſtand finden in der Zeit der
Anfechtung.
§. 39.
[100]
§. 39.
Einer von denen vornehmſten Gruͤnden,
wodurch man erweiſen kan, daß die Sele in
ihren Koͤrper wuͤrcke, iſt die beſtaͤndige Ueber-
einſtimmung der Erfahrung in dieſer Sache.
Jn Wahrheit ein Artzneygelehrter muͤſte noch
weniger ſehen, als ein Blinder, wenn er nicht
zugeſtehen wolte, daß unſer Satz unzaͤhlige Er-
fahrungen auf ſeiner Seite habe. Wir wol-
len uns bemuͤhen die vornehmſten und welche
die beſte Ueberzeugung geben, hier anzufuͤhren,
und einige will ich aus der Therapia Gene-
rali des unvergleichlichen Herrn Profeſſor Jun-
ckersTab. I. pag. 17. nehmen. Die Schwe-
ſter eines gewiſſen vornehmen Frauenzimmers
war mit dem weiſſen Fluß behaftet. Dieſe er-
fuhr, daß iene auf dem Wege ſey, ihr einen
Beſuch abzuſtatten. Ehe dieſes noch geſchahe
vermuthete ſie, daß ſie eben dieſe Kranckheit
ihrer Schweſter bekommen wuͤrde, ſo bald ſie
nur ſelbige ſaͤhe. Und ihre Vermuthung war
auch wuͤrcklich dergeſtalt gegruͤndet, daß ſie auf
den bloſſen Ruf von der Ankunft ihrer Schwe-
ſter nach einer heftigen Gemuͤthsbewegung auch
den weiſſen Fluß bekam. Zwey andre Schwe-
ſtern, beweinten den Tod zweyer Bruͤder, wel-
che im Kriege geblieben waren, und deren ent-
ſeelte Koͤrper in ihrem Vaterlande zur Erde be-
ſtattet wurden. Bey dem Begraͤbniß eines
ieden ward auch ein beſonderes Sterbelied ge-
ſungen. Jede Schweſter hatte ſich einen die-
ſer
[101] ſer beyden Bruͤder zu ihrem Geliebteſten erkoh-
ren. So bald ſie nun das Sterbelied hoͤreten,
welches bey dem Begraͤbniß des einen Bru-
ders abgeſungen worden war; ſo bekam dieie-
nige ein Erbrechen, die dieſen Bruder am lieb-
ſten gehabt hatte. Hingegen ginge es der an-
dern eben alſo, wenn ſie das Sterbelied hoͤrte,
welches man ihrem Geliebten zu Grabe geſun-
gen. Ein Juͤngling bekommt allemal Con-
vulſionen, wenn er ehe mit andern Leuten re-
det oder umgehet, als er zwey Glaͤſer Wein zu
ſich genommen. Man kan die uͤbrigen Exem-
pel an oben angefuͤhrten Orte nachleſen, und
ich will ietzo meine Leſer mit einigen andern
unterhalten, welche noch nicht alle ſo oͤffentlich
bekant gemacht worden. Jch weiß wol, daß
man dieſe Erfahrungen gemeiniglich nur dar-
um anfuͤhret, um zu zeigen, was die Empfind-
lichkeit vor eine Herrſchaft uͤber die Menſchen
fuͤhre: allein ich begreiffe auch wohl, daß die-
ſelben eben ſo geſchickt ſind meinen Satz zu
beſtaͤtigen, als ienes zu thun. Wo bleibet doch
die Mechanick, wenn man den erſten Fall,
den wir ietzo erzaͤhlet, aufloͤſen will? Hat et-
wan die mit dem weiſſen Fluß behaftete Schwe-
ſter ſolche Effluvia gehabt, welche in den Koͤr-
per der andern uͤbergegangen, und ihr eine
gleichmaͤßige Kranckheit zuwege gebracht; ſo
moͤchte ich gerne wiſſen, warum ſich der weiſ-
ſe Fluß nicht alsdenn erſt eingeſtellet, nachdem
die beyden Schweſtern eine Zeitlang mit ein-
ander
[102] ander umgegangen? So aber bekommt ſie die-
ſe Kranckheit da ſie nur von der Ankunft ih-
rer Schweſter hoͤret. Damals muß die, durch
dieſe gebrachte Botſchaft in Bewegung geſetz-
te Luft, eine gar beſondere Wuͤrckung gehabt
haben, daß ſie indem ſie in dem Ohre eine
Veraͤnderung verurſachet, auch den weiſſen Fluß
hat wuͤrcken koͤnnen. Oder hat ſie etwan die
Botſchaft durch einen Brief bekommen, ſo
wird wol derſelbe die Effluvia von der kran-
cken Schweſter mitgebracht haben. Man kan
dieſe Begebenheit nicht anders erklaͤren, wenn
man durchaus nicht zugeben will, daß eine
Empfindung eine Veraͤnderung im Koͤrper wuͤr-
cken koͤnne. Dieſes aber giebt man vermuth-
lich darum nicht zu, damit man nicht von der
gemeinen Regel abgehen moͤge, nach welcher
die Wahrheit nicht eher erhalten wird, als
bis man alle Masken worinn ſich die Un-
wahrheit zu verſtecken gewohnt iſt, nach der
Reihe durchgenommen und endlich verworfen
hat. Eben darum ſolte mich es wundern, ob
ſich nicht iemand finden wuͤrde, welcher den
andern obigen Fall, aus der Aerometrie oder
Catoptrick aufloͤſen koͤnte. Denn es kan nicht
fehlen, die verſtorbenen Bruͤder mahlen ſich
entweder im Gehirn ab, und dieſes Bild
ruͤckt alsdenn hinunter in den Magen, und
macht daſelbſt ein Erbrechen, oder die Luft wel-
che durch die Sterbelieder in Bewegung ge-
ſetzt wird, ſchlaͤgt ſo ungluͤcklich an die Ohren-
nerven
[103] nerven an, daß ſich dabey die Bewegung des
Magens umkehrt, und ein Brechen verurſacht.
Wenn ein Juͤngling Convulſionen bekommt,
wenn er mit iemand ſpricht ohne vorher ein paar
Glaͤſer Wein getruncken zu haben, ſo iſt nichts
gewiſſer, als daß ſeine Nerven zu ſehr geſchwaͤcht
ſind, und daß dieſelben die Zunge nicht eher
in Bewegung ſetzen koͤnnen, als bis ſie durch
zwey Glaͤſer Wein geſtaͤrckt worden. Dieſes
alles iſt gut. Man kan es verſtehen und faſt
mit Haͤnden greiffen. Aber nur eines iſt da-
bey zu bedauren. Die gantze Wahrheit iſt ei-
ne verlarvte Perſon. Niemand getrauet ſich
ihr die Maske vor den Geſicht hinweg zu rei-
ſen: denn dieſes waͤre gewiß ein Fehler wieder
die heutige Hoͤflichkeit.
§. 40.
Jch will nunmehro meinen Leſern Obſer-
vationen darlegen, woraus ſie ſich von der
Wuͤrckung der Sele in ihren Koͤrper auf das
vollkommenſte uͤberfuͤhren koͤnnen. Jch rech-
ne hierin einen Schweitzerknaben, welcher alle-
mal einen Anfall vom Fieber bekommt, wenn
ſich ſein Stiefvater nahe bey ihm befindet. Das
Artigſte hierbey iſt dieſes, daß er ebenfalls
das Fieber bekommt, ob er es gleich nicht weiß,
daß ſein Vater zugegen iſt. Es kan ſeyn, daß
er denſelben an dem Geruche unterſcheidet, aber
ſind die Ausduͤnſtungen des Stiefvaters die
Schuld vom Fieber, oder ſind es gewiſſe Vor-
ſtellungen, welche der Knabe allemal hat, ſo
Jbald
[104] bald er denſelben mercket? Jch habe es aus dem
eigenen Worten, eines gewiſſen Mannes, daß
er allemal in Ohnmacht faͤllt, wenn er die Re-
gentropfen von denen Daͤchern herabfallen ſie-
het, und ich ſelbſt habe ihn zur Regenzeit auf
der Straſſe in Ohnmacht liegen geſehen. Leu-
te welche allzuviel gefaſtet haben, fangen end-
lich an zu fantaſiren und verlieren den Ge-
brauch ihrer Vernunft. Wenn man allzuviel
hinter einander wachet; ſo vergehen einem nach
und nach die Gedancken, oder man wird trau-
rig, faͤllt in eine Schwermuͤthigkeit, verlieret
den Verſtand; man verfaͤllt endlich in einen
Schlaf und ſtirbt ohne zu wiſſen wie? Was
hat doch das Wachen mit der Ausuͤbung der
Selenkraͤfte zu thun? Die Franzoſen gewoͤhn-
ten ſich einſtmals daran beſtaͤndig etwas im
Munde zu kauen, weil ſich der Koͤnig, wegen
ſtinckenden Athem hierzu genoͤthiget ſahe. Sie
verſahen es aber, und warfen dabey dergeſtalt
viel Speichel aus, daß ihrer viele davon me-
lancholiſch wurden. Jch ſage mit Willen,
daß dieſes die Urſach geweſen ſey: denn daß
das allzuhaͤufige Auswerfen des Speichels der-
gleichen uͤble Folgen nach ſich ziehen koͤnne, be-
ſtaͤtiget das Exempel dererienigen Perſonen, die
die Salivations-Cur gebrauchen muͤſſen. Jch
will ietzo einmal in den Augen dererienigen,
welche ihre Keuſchheit bloß in die Worte ſetzen,
die Grentzen der Ehrbarkeit uͤberſchreiten, und
ein Exempel anfuͤhren, welches viel zu uͤber-
zeugend
[105] zeugend iſt, als daß ich es dieſer Art Leuten zu
gefallen, mit Stillſchweigen uͤbergehen ſolte.
Ein gewiſſer Mann hatte eine weite Reiſe ge-
than, und nachdem er, gantz entkraͤftet, davon
nach Hauſe kam; leiſtete er ſeiner Frau die ehe-
liche Pflicht. Gleich darauf verlohr er nicht
allein das Vermoͤgen zu dencken, ſondern er
war auch nicht im Stande, ſich willkuͤhrlich
zu bewegen. Er fiel in Ohnmacht und war
einem Todten aͤhnlich. Man wuſte die eigent-
liche Urſach nicht ſo gleich, und beſchloß dem-
nach ihm zur Ader zu laſſen. Nachdem aber
ſeine Frau geſtanden, was mit ihm vorgegan-
gen, ſo reichte man ihm eine Weinſuppe, und
ſolchergeſtalt kam derſelbe wiederum zu ſich ſel-
ber. Jſt es noch nicht genug beſtaͤtiget, daß
die Sele in den Koͤrper, und dieſer wiederum
in ſie zuruͤck wuͤrcke? Jch kenne einen Mann,
welcher niemals den Urin laſſen kan, ſo lange
er weiß, daß jemand zugegen iſt, der auf ihm
Achtung giebt. Wo ſind denn hier die me-
chaniſchen Urſachen? Jch mag es nicht vom
neuen wiederholen, was die Biſſe derer Taran-
teln vor einen ſtarcken Einfluß in die Selen
der Menſchen haben. Ruͤhrt dieſes alles, was
einem ſolchen Menſchen zu einem ſo wunderba-
ren Narren macht, nicht von dem Stich der
Tarantel, ſondern von der Einrichtung der
Sele her; ſo moͤchte ich gerne wiſſen, warum
niemals eine Sele auch in dieſen Zuſtand ge-
riethe, ohne daß ihr Koͤrper von einer Taran-
J 2tel
[106] tel waͤre gebiſſen worden. Jn Jtalien iſt ein
gewiſſes Gift Mode, welches die Art eines
Balſams hat. Wenn ein Menſch in einem
gewiſſen Affecte iſt, und man ſtreicht ihm die-
ſen Balſam unter die Naſe, ſo verbleibt derſel-
be, in eben dem Affecte, darinn er geweſen.
Er laͤſt mit ſich anfangen, was einem beliebt,
und nachdem er ausgeſchlafen hat, weiß er von
dem allen nichts, was binnen der Zeit mit ihm
vorgegangen. Man kan es ſich wol einbilden,
in welchen Faͤllen ſich die Jtaliaͤner dieſes Bal-
ſams am meiſten bedienen werden. Es iſt be-
kandt, daß ein iedes Thier, wenn es zornig
iſt, giftig ſey. Dieienigen Thiere, welche am
leichteſten zornig werden, haben den eigenen
Beynahmen daher, daß man ſie giftige Thie-
re nennt. Aber warum aͤuſſern die Biſſe ver-
ſchiedener Thiere auch ſo verſchiedene Wuͤr-
ckungen in unſrer Sele und ihrem Koͤrper?
Die Leute, welche von tollen Hunden gebiſſen
worden, bellen oͤfters wie Hunde; da hinge-
gen der Biß von denen Katzen, die Leute da-
hin bringt, eine dem Katzengeſchrey aͤhnliche
Stimme an ſich zu nehmen. Man ſage mir,
warum tantzen eben die Patienten, welche eine
Tarantel geſtochen. Warum bellen dieſe nicht
wie ein Hund und iene tantzen? Es iſt wahr,
wenn wir gleich annehmen, daß der Koͤrper in
die Sele wuͤrcke, ſo koͤnnen wir dieſes dennoch
nicht erklaͤren. Allein es iſt auch dieſes nicht
noͤthig. Wenn wir nur wiſſen, daß es geſchicht,
ſo
[107] ſo wiſſen wir auch, daß der Biß verſchiedener
Thiere, auch in der Sele verſchiedene Veraͤn-
derungen wuͤrcke. Meine Leſer werden es
mir zu gute halten, daß ich mit Erfahrungen
groß thue. Sie koſten mir nichts: aber ſie
koͤnnen am beſten uͤberfuͤhren. Jch will fer-
nerhin zeigen, daß die Aertzte deren im Ueber-
fluſſe haben.
§. 41.
Was thut ein Liebestranck (philtrum)
nicht oͤfters vor erſtaunende Wuͤrckungen?
Das Exempel welches ich ietzo erzaͤhlen will,
iſt zwar ſchon bekandt, allein ich glaube, es ſey
der Muͤhe werth, ſelbiges zuwiederholen. Ein
iunger Menſch von vierzehen Jahren, welcher
einen guten Witz hatte und ein ziemlicher Poet
war, bekam ein Philtrum. An ſtatt verliebt
zu werden, verfaͤllt derſelbe in eine langwierige
Ohnmacht. Alle Leute halten ihn vor todt und
legen ihn im Sarg. Allein die Nacht vorher,
ehe man ihn begraben will, ſtehet er wiederum
auf, und zeiget ſich oͤffentlich: iedoch mit fol-
genden Veraͤnderungen: Er wuſte weder, daß
er geboren worden, noch daß er iemals ſchon
in der Welt geweſen ſey. Er konte ſich deſſen
gar nicht mehr entſinnen, was er ehedem ge-
wuſt und gethan haͤtte. Leſen konte er nicht
mehr, noch weniger ſchreiben, und konte keine
einzige Sprache reden noch verſtehen. So gar
ſeinen Nahmen wuſte er nicht mehr. Man
muſte ihm alles wiederum vom neuen lernen,
J 3und
[108] und es war zwiſchen ihm und einen kleinen Kin-
de weiter kein Unterſchied, als daß er alles et-
was leichter lernete, als die Kinder. Dieſes
ſind die Veraͤnderungen, welche in ſeiner Sele
vorgingen. Was den Koͤrper betrift; ſo ver-
lohr er die erſte Haut uͤber den gantzen Leib,
und bekam eine neue. Die Naͤgel gingen ihm
von denen Haͤnden und Fuͤſſen und wuchſen
neue an deren ſtatt. Die Hare fielen ihm aus
und fingen ihm an andre zu wachſen. Mit ei-
nem Wort: er behielt nichts mehr von ſeiner
vorigen Sele und dem Koͤrper, als die innern
Theile des letztern: das uͤbrige aber war alles
neu an ihm geworden. Von denen Mutter-
maͤhlern will ich kein Wort ſagen; denn die
Sache iſt mehr als zu ſehr bekandt. Allein was
wird man ſagen, wenn ich erweiſe, daß durch
die Muttermilch die Neigungen derienigen, die
das Kind ſaͤuget, auf das Kind kommen. Und
es iſt doch in der That nichts gewiſſer als die-
ſes. Ein Kind, welches an einer diebiſchen
Amme ſauget, iſt zur Dieberey geneigt. Wenn
die Amme eine geile Perſon iſt, ſo hat das Kind
eine Neigung zur Hurerey: und dieſes iſt ſo
gewiß, als daß es einen Menſchen gegeben,
welcher da er ſchon erwachſen war, dennoch des
Nachts den Urin in das Bette gelaſſen, wel-
ches man von keiner andern Urſach herzuleiten
weiß, als weil ſeine Amme dieſen Fehler an ſich
gehabt. Auch hiervon will ich nichts mehr ſa-
gen. Jede Familie wird davon ein neues Ex-
empel
[109] empel zur Beſtaͤtigung anzufuͤhren wiſſen. Jn
Halle bekam eine ſchwangere Frau Luſt einem
gewiſſen Beckerknechte, in die Waden zu
beiſſen. Er erlaubte es ihr zweymal. Da ihm
aber zum andernmahle das Blut darnach ging,
ſo ſchlug er es ihr zum drittenmahle ab. Nach-
dem gebahr ſie drey Kinder, davon zweye leb-
ten, und das dritte todt war. Jch will eben
nicht ſagen, daß der Beckerknecht die Schuld
an den Tode des dritten Kindes habe, und dar-
um will ich auch dieſes Exempel nur neben bey
angefuͤhret haben: indeſſen iſt es doch etwas
artiges. Wenn man den Finger in den Schlund
ſteckt, oder ſich an deſſen ſtatt der Magenbuͤrſte
bedienet; ſo erfolgt ein Eckel und Erbrechen.
Zwey Veraͤnderungen deren eine in der Sele,
die andre aber im Koͤrper ihren Sitz hat. Nichts
iſt gewiſſer, als daß es gewiſſe Leute gebe, wel-
che den Augenblick ein Erbrechen bekommen,
ſo bald ſie in einem Wagen ruͤckwaͤrts fahren,
oder welche Convulſionen oder Ohnmachten be-
kommen, wenn ihnen eine Spinne zu nahe
kommt, von welchen beyden Fehlern ich mich
auch nicht freyſprechen kan. So viel vermag
eine Einbildung in den Koͤrper und eine Em-
pfindung in die Sele zu wuͤrcken! Jch will
ietzo nichts von der Seekranckheit erwaͤhnen.
Man ſage mir nur ob es auch mechaniſch zuge-
he, daß man ſeiner Sinnen auf einige Zeit be-
raubt wird, wenn man ſich lange im Kreiſe her-
umdrehet? Ein Hofnarr ward ins Gefaͤngniß
J 4ge-
[110] geworfen, und man machte ihm aus Schertz
weis, er ſolte gekoͤpft werden. Der Scharf-
richter verrichtete ſein Amt nur mit einer Spiß-
gerte, und nichts deſtoweniger fiel der Narr zu
Boden und blieb todt liegen. Es hat Leute
gegeben, welche nicht gerochen oder nichts ge-
ſchmeckt haben. Jm erſten Fall haben die Ge-
ruchsnerven gefehlt, und was das andre betrift,
ſo hat ein gewiſſer Menſch, der, weil er gar
keinen Geſchmack gehabt, vor Geld allerley ge-
geſſen, was man ihm gegeben, die Nerven, wel-
che den Geſchmack ſonſt befoͤrdern, hinten im
Nacken gehabt. Wieder ein Beweisgrund
meines 30ſten Abſatzes. Nur noch ein Exem-
pel. Ein gewiſſer Mann iſt mit einem Auge
Myops und mit dem andern Presbymyops.
Jn der That es iſt luſtig, wenn man die Sele
dieſes Mannes harmoniſch betrachtet. Sie
muß auf einer Seite gantz anders ausſehen,
als auf der andern. Jch moͤchte gerne wiſſen
warum ſie ſich die weit entfernten Sachen auf
einer Seite klar die nahen aber dunckel, hin-
gegen auf der andern Seite die nahen klar,
die weiten aber dunckel vorſtellt. Jch zweifle
ob es viele ſolche Selen gebe, und wenigſtens
muß die Aufloͤſung dieſer Begebenheit, ohne
die Beſchaffenheit des Auges dabey zu beden-
cken, der Wahrſcheinlichkeit eben ſo nahe kom-
men, als die Begebenheiten eines Donquixote.
§. 42.
[111]
§. 42.
Meine Leſer werden glauben, daß ich Jh-
nen Hiſtorien erzaͤhlen wolte, an ſtatt auf die
weitere Bekraͤftigung meines Beweiſes zu den-
cken. Allein ich kan verſichern, daß ich die
Saͤtze meines Beweiſes bey keinem Exempel
aus der Acht gelaſſen habe. Es ſind lauter
Unterſaͤtze zu meinem Schluſſe. Wenn A iſt
und B iſt auch; wenn A nicht iſt, und B auch
nicht: Wenn endlich C nicht mit A und B ſo
genau verbunden iſt; ſo iſt eins die Urſach vom
andern. Nun folget der Unterſatz, und man
mag von vorigen Erfahrungen eine erwaͤhlen,
welche man will, wofern man ſie nur gehoͤrig
einſchraͤnckt; ſo wird man ſie als eine Erfahrung
des Oberſatzes anſehen koͤnnen. Was folget
denn nun, aus alle dem, was mit ſo vielen
Exempeln beſtaͤtiget iſt? Nichts anders, als was
uns Guͤnther in zwey Worten ſagt:
‘Begehren kommt vom Sehn!’ ()
Unſre Sele wuͤrckt in ihren Koͤrper! Mei-
ne Leſer werden nunmehro urtheilen koͤnnen,
ob ich zu viel geſprochen, als ich geſagt, daß die
Artzneyverſtaͤndigen unzaͤhlige Erfahrungen an-
fuͤhren koͤnten, welche alle ihren Grundſatz be-
ſtaͤtigen. Denn ich kan verſichern, daß alles,
was ich ietzo davon erwaͤhnt habe nur ein ſehr
kleiner Abriß von Erfahrungen ſey, welche nicht
eben allzugewoͤhnlich ſind. Wie viele muſte
ich nicht weglaſſen, um nicht zu weitlaͤuftig zu
J 5ſeyn!
[112] ſeyn! Wie viele ſind mir aus dem Gedaͤchtniß
entfallen! und o! wie groß muß nicht die An-
zahl dererienigen ſey, von welchen ich gar noch
nichts weiß. Und dennoch ſind dieſes alles nur
ſonderbare Faͤlle. Wolten wir nun vollends
dasienige in Erwegung ziehen, was taͤglich zu
Befeſtigung dieſer Grundwahrheit in der Er-
fahrung vorfaͤllt, ſo zweifle ich, daß ich in mei-
ner gantzen Lebenszeit, und wenn ſie auch tau-
ſend Jahre daurete, mit dieſer Sache zu Stan-
de kaͤme. Wie vielerley Bewegungen haͤngen
offenbar von dem Willen unſrer Sele ab?
Wie viele Veraͤnderungen gehen augenblicklich
in und an uns vor, von welchen es unmoͤglich
iſt, daß ſie mechaniſch geſchehen ſolten. Und
alles dieſes iſt noch vor gar nichts zu rechnen,
gegen die Veraͤnderungen, welche in Kranck-
heiten vorfallen. Jedoch ich glaube, daß das-
ienige, was ich von dieſer Sache geſchrieben,
hinreichen wird, einen ſolchen in ſeiner Mei-
nung zu befeſtigen, welcher der Kraft der Sele
nicht ſo enge Grentzen ſetzt, daß ſie nicht einmal
in einen Koͤrper wuͤrcken koͤnne. Was aber
dieienigen betrift, welche dieſer Meinung nicht
ſind; ſo habe ich gar keine Hofnung ſie durch
alle meine Beweiſe eines beſſern zu fuͤhren.
Jch muͤſte meinen Beweis viel tiefſinniger ein-
gerichtet haben, und die Wahrheiten muͤſten
darin gantz tief liegen, wenn ich dieſes hoffen
ſolte. Allein, da ich mich bloß auf die Erfah-
rung verlaſſe; ſo weiß ich mein Schickſal ſchon
im
[113] im Voraus. Jch bin ein Menſch, der nicht
abſtrahiren kan. Jch haͤnge noch an denen
Sitten des Poͤbels, welcher alles das nicht
glauben will, was er nicht ſieht. Denn ſonſt
wuͤrde ich es bald begreiffen koͤnnen, daß meine
Sele ihren Koͤrper nicht hin und her ſtoſſen
koͤnte. Jch geſtehe daß meine Gegner in ge-
wiſſer Abſicht Recht haben. So ſehr kan ich
nicht abſtrahiren, daß endlich das, was ich
dencke, gar nichts mehr ſeyn ſolte. Und wenn
man mich mit dem Poͤbel vergleichen will; ſo
gebe ich es in ſo weit zu, daß ich nicht glaube,
was ich nicht ſehe: Das iſt, was ich nicht aus
der Vernunft erweiſen kan, und davon ich doch
auch nichts erfahre. Wenn ich aber meinen
Gegnern erwieſe, daß ſie alles das, was ſie
glaubten, nicht ſehen koͤnten, und daß ſie die
Augen zuthaͤten, wenn ſie das Gegentheil ge-
wahr wuͤrden; ſo entſtuͤnde nunmehro ein
Rangſtreit, zwiſchen ihnen und der Art Leute,
worunter ich gehoͤre. Jch habe ſo gewiß er-
wieſen, daß unſre Sele in den Koͤrper wuͤrckt;
ſo gewiß es iſt, daß ein Koͤrper in einen andern
wuͤrcket. Das heiſt, ich habe einen Satz er-
wieſen, welchen ein andrer laͤugnet, und dieſen
habe ich ſo gewiß erwieſen, als einen andern
Satz, welchen er ebenfalls laͤugnet. Kan man
aber wol uͤber die Einſichten ſolcher Leute nei-
diſch ſeyn?
§. 43.
[114]
§. 43.
Nun iſt es einmal Zeit wieder eine neue
Scene zu eroͤfnen. Meine Leſer werden die
Guͤtigkeit haben, ſich dasienige wieder in die
Gedancken zu bringen, wovon ich oben § 16. 17.
geredet. Jch beurtheilete daſelbſt die pſycholo-
giſchen Harmoniſten, und machte einen Unter-
ſchied unter denenienigen, welche behaupteten,
die Sele wuͤrcke gar nicht in ihren Koͤrper,
und dieſer wuͤrcke gar nicht in die Sele zuruͤck.
Mit dieſen Herren habe ich es bisher zu thun
gehabt, und ihnen iſt eigentlich der Beweiß, daß
die Sele und der Koͤrper in einander wuͤrckten,
entgegen geſetzt. Nun komme ich auf dieieni-
gen Harmoniſten, welche zugeben, daß die Ver-
aͤnderungen im Koͤrper ohnmoͤglich geſchehen
koͤnten, wenn keine Sele vorhanden waͤre, und
daß auch die Sele nicht alle Vorſtellungen in
eben der Ordnung haben koͤnte, als ſie dieſel-
ben hervorbringet, wenn ſie mit einem Koͤrper
verbunden iſt. Dieienigen ſo dieſes behaupten,
muͤſſen zugeben, daß nicht der gantze und hin-
reichende Grund ſowol von Veraͤnderungen
der Sele als auch des Koͤrpers in beyder Kraͤf-
ten allein gefunden werden koͤnne. Alſo muͤſ-
ſen ſie zugeben, daß ein Grund davon auſſer
dem Koͤrper und der Sele vorhanden ſey Die-
ſer Grund lieget nun bey denen Veraͤnderun-
gen des Koͤrpers entweder in der Sele, oder
in dem allgemeinen Zuſammenhange aller Din-
gs, und bey denen Veraͤnderungen der Sele
wie-
[115] wiederum entweder in dem allgemeinem Zu-
ſammenhange, oder in dem Koͤrper. Dieieni-
gen, welche behaupten, der Grund von denen
Veraͤnderungen beyder, liege in dem allgemei-
nen Zuſammenhange der Dinge allein, dieſel-
ben laͤugnen nothwendig, daß er in der Sele
oder dem Koͤrper liege. Sie koͤnnen demnach
nicht behaupten, daß zwiſchen denen Veraͤnde-
rungen beyder auch nur einigermaſſen Urſach
und Wuͤrckung ſtatt habe. Wer dieſes be-
hauptet, wiederſpricht einem Satze, welcher
eben ſo gewiß iſt, als daß die Sonne die Urſach
des Lichts ſey. Man ſiehet gar bald, daß ihre
Meinung auf die vorige hinaus lauffe, und
deshalb iſt nicht noͤthig, ſich hierbey laͤnger auf-
zuhalten.
§. 44.
Wenn man zugiebt, daß die Veraͤnderung
des Koͤrpers bey Empfindungen etwas zu der
Vorſtellung die alsdenn in der Sele wuͤrcklich
wird, beytrage, ſo kan dieſes auf keine andre
Art geſchehen, als daß man behaupte, es werde
die gantze Vorſtellung in der Sele nicht allein
durch die Kraft der Sele hervorgebracht. Es
wird mir erlaubt ſeyn, die Kraft, welche dieſe
Vorſtellungen in der Sele wuͤrcket, in vier al-
lerkleinſte Kraͤfte zu zertheilen, welche zuſam-
mengenommen die gantze Kraft ausmachen.
Dieſe Theilung der Kraͤfte, welche heut zu Tage
Mode geworden, kommt eben nicht theuer zu
ſtehen, weil man die allerkleinſten Kraͤfte um-
ſonſt
[116] ſonſt haben kan. Die Kraft der Sele kan,
nach dieſer Meinung nicht allem hinreichen,
alle die vier allerkleinſten Groͤſſen in ihrer Vor-
ſtellung zur Wuͤrcklichkeit zu bringen. Es
muͤſſen demnach einige davon ausgenommen
ſeyn, und dieſes moͤgen die beyden erſten auf
ſich nehmen. Die beyden erſten allerkleinſten
Groͤſſen in der Vorſtellung der Sele koͤnnen
alſo durchaus nicht von der Kraft der Sele ge-
wuͤrckt werden, und weil auſſerdem nichts vor-
handen iſt, das ſelbige wuͤrcken koͤnte, als der
Koͤrper; ſo wird die gantze Vorſtellung in der
Sele, die wir bey Empfindungen haben, theils
durch die Kraft der Sele, theils durch die Kraft
des Koͤrpers hervorgebracht. Das heiſt mit
einem Wort: aus dieſer Meinung derer Har-
moniſten, folgt, daß eine ſolche Vorſtellung in
der Sele, theils idealiſch, theils phyſicaliſch ge-
wuͤrckt werde §. 12. und ich glaube nicht, daß
ich hiermit den Sinn derer, die dieſes behaupten,
ſolte getroffen haben.
§. 45.
Endlich wird auch die Reihe an mich kom-
men, zu ſagen, was ich vor einen Einfiuß der
Sele in dem Koͤrper glaube. Wie man aus
dem ſehen wird, was ich bisher behauptet; ſo
halte ich weder den phyſicaliſchen noch ideali-
ſchen Einfluß vor hinlaͤnglich, die Uebereinſtim-
mung derer Veraͤnderungen des Koͤrpers und
der Sele daraus erklaͤren zu koͤnnen. Nichts
deſtoweniger kan ich nicht laͤugnen, daß ich ein
Jn-
[117] Jnfluxioniſt ſey, und daß ich den phyſicaliſchen
Einfluß aus dieſem Grunde vor eine Meinung
halte, welche zu dem Zwecke hinlaͤnglich iſt,
warum ſie erdacht worden. Dieſes iſt ein
Geheimniß, deſſen Erklaͤrung ich ietzo noch nicht
geben kan. Jch werde vorher noͤthig haben,
zu zeigen, was der Begrif des Wortes: Phy-
ſicaliſcher Einfluß eigentlich ſey, und in wie
weit er mit denienigen harmonire, welcher oben
gegeben worden. Der Herr Magiſter Meier
hat in ſeinem Beweiſe der vorherbeſtimmten
Harmonie, wie ich ſchon oben geſagt, den phy-
ſicaliſchen Einfluß ſehr weitlaͤuftig und gruͤnd-
lich wiederlegt. Allein ich glaube dem ohner-
achtet, daß ſich durch dieſe Wiederlegung kein
einziger vernuͤnftiger Jnfluxioniſt wiederlegt be-
finden wird. Das macht der Herr Magiſter
hat eine Meinung mit vielen wichtigen Gruͤn-
den wiederlegt, von der ich nicht weiß, daß ſie
ein einziger Jnfluxioniſt bey geſunden Verſtan-
de behaupte noch behaupten koͤnne. Es hat
ihm gefallen die Erklaͤrung des phyſicaliſchen
Einfluſſes alſo zu geben: Der reelle Einfluß
einer endlichen Subſtantz in eine andere
heiſt ein phyſicaliſcher Einfluß. S. §. 13.
in dem B. d. v. Uebereinſt. Ein ſolcher
Einfluß, da der leidende Theil gar nichts,
zur Wuͤrcklichkeit der Veraͤnderung ſei-
nes Zuſtandes, durch ſeine Kraft bey-
traͤgt; ſondern dieſe Veraͤnderung ledig-
lich, durch die Kraft einer andern Sub-
ſtantz
[118]ſtantz gewuͤrckt wird, heiſt ein reeller
Einfluß, und die daher entſtehende Ver-
aͤnderung des Zuſtandes, in der leidenden
Subſtantz, wird ein reelles Leiden genen-
net. S. §. 11. Ebendaſelbſt. Jch will die
Gruͤnde anfuͤhren, woher ich einem Jnfluxio-
niſten dergleichen verwirrte Meinung nicht zu-
traue.
§. 46.
Jederman iſt bekandt, daß niemand mit
groͤſſerer Ueberzeugung als ein Jnfluxioniſt, das
dritte Neutoniſche Geſetz der Bewegung glau-
be, daß bey der Wuͤrckung zweyer oder mehre-
rer Koͤrper in einander, die Wuͤrckung und Ge-
genwuͤrckung beſtaͤndig einander gleich ſey.
Hieraus folgt unwiederſprechlich, daß ein Jn-
fluxioniſt behaupte, daß beyde Koͤrper Hand-
lungen verrichten, indem der eine in den andern
wuͤrckt. Und ſo lange ein allgemeiner Jnflu-
xioniſt dieſes glaubet, kan ihm unmoͤglich die
gegebene Erklaͤrung des Herrn Magiſter
Meiers zukommen. Aber wir reden ietzo nur
von denen pſychologiſchen Jnfluxioniſten. Jch
ſage, auch dieſe behaupten eine ſolche Meinung
nicht, als ihnen der Herr Magiſter auf ihre
Rechnung geſchrieben. Ein Stahlianer iſt ein
vollkommener Jnfluxioniſt; allein, ſo viel als
ich davon verſtehe, behauptet er nicht, daß der
Koͤrper gar nicht handle, indem ſeine Sele in
ihm wuͤrckt; ſondern er ſey vielmehr durch ſei-
ne kuͤnſtliche Strucktur faͤhig, der Sele denie-
nigen
[119] nigen Entzweck erleichtern zu helfen, welchen
ſie ſich in ihrem Koͤrper zu erhalten bemuͤhet.
Jch ſehe demnach nicht, was dem Herrn Ma-
giſter Gelegenheit gegeben, denen unſchuldigen
Jnfluxioniſten eine ſolche Meinung ſchuld
zu geben, da ſie doch ſo viele Proben von dem
Gegentheile dieſes Mißverſtandes in allen ihren
Saͤtzen geben. Nunmehro werden meine Le-
ſer wiſſen, was ſie aus mir machen ſollen. Jch
bin ein Jnfluxioniſt, aber bey meiner Meinung
ſoll weder die Welt ausſterben noch Spinoza
einen Zutritt finden.
§. 47.
Die Jnfluxioniſten zu denen ich gehoͤre, be-
haupten, daß bey Entſtehung einer gewiſſen
Veraͤnderung in der Sele theils die Kraft der
Sele, theils auch die Kraft des Koͤrpers wuͤrck-
ſam ſey; mit einem Wort: daß die Wuͤrckung
theils idealiſch theils phyſicaliſch ſey. Jch ha-
be ſchon oben, als ich von der Meinung der
letztern Art derer Harmoniſten, mein Beden-
cken eroͤfnete, erwieſen, daß bey denen Empfin-
dungen dieſer Einfluß ſtatt habe §. 44. Es
iſt mir nicht moͤglich, mich zu uͤberreden, daß
ich in dieſem Stuͤcke etwas neues behaupten
ſolte. Jm Gegentheil glaube ich, daß dieſe
Meinung eben ſo alt ſey, als die Meinung des
phyſicaliſchen Einfluſſes. Jndeſſen will ich
nicht hartnaͤckig behaupten, daß die Jnfluxioni-
ſten bisher ihren phyſicaliſchen Einfluß ſo deut-
lich ſolten erklaͤret haben, daß man nicht auf
Keinen
[120] einen Mißverſtand dabey haͤtte gerathen koͤn-
nen. Wolte man derohalben, dieſer Meinung
einen neuen Nahmen beylegen, ſo wuͤrde
ihr eine Ehre wiederfahren, die ſie in der That
nicht verdienete. Jndeſſen koͤnte doch auch
dieſes nicht ſchaden. Man hat die Jnfluxioni-
ſten oͤffentlich dergeſtalt gedemuͤthiget, daß ſie
ſich ſchaͤmen ſolten, auf der Straſſe in die Hoͤhe
zu ſehen. Die niedertraͤchtigſten Gleichniſſe
hat dieſe Meinung uͤber ſich nehmen muͤſſen;
man hat ſie vor ſpinoziſchtiſch erklaͤret, ia, was
noch mehr iſt, man hat nicht einmal alle die
uͤbeln Folgen ſagen wollen, welche daraus flieſ-
fen. Aber woher entſtand dieſes Uebel? Man
bildete ſich ein, ein Jnfluxioniſt behauptete et-
was das ihm doch unbekandt war, und ſolcher-
geſtalt konte es nicht fehlen, er muſte auch alle
die Ungemaͤchlichkeiten uͤber ſich nehmen, die
aus dieſer Erdichtung floſſen. Dieſer Urſach
wegen, waͤre es ſo uneben eben nicht, wenn
man dieſer Meinung einen andern Nahmen
gaͤbe, damit die Niedertraͤchtigkeit, die Ertoͤd-
tung des Lebendigen in der Welt, die ſpino-
ziſchtiſchen Folgen, und das was man nicht
einmal noch ſagen will, auf dieienigen Jnfluxio-
niſten fiele, welche eine ſolche Meinung behau-
pteten. Denn ſolchergeſtalt wuͤrde ſich ver-
muthlich kein Menſch dadurch beleidiget finden.
§. 48.
So wenig man glauben darf, daß alle Har-
moniſten kluge Koͤpfe ſeyn ſolten, mit eben ſo
wenig
[121] wenig Recht kan man ſich uͤberreden, daß alle
Jnfluxioniſten dumm waͤren. Jch glaube, es
wuͤrde unter ſo vielen doch einen Jnfluxioniſten
gegeben haben, der auf die Spuhr gekommen
waͤre, daß ſeine Meinung etwas wiederſprechen-
des bey ſich fuͤhre. Bey derienigen Meinung
welche der Herr Magiſter Meier denen Jn-
fluxioniſten beylegt, glaube ich wuͤrde es man-
chem Jnfluxioniſten nicht viel Muͤhe gekoſtet
haben, das Wiederſprechende, das Laͤcherliche
und das Gefaͤhrliche dieſer Meinung zu entde-
cken. Allein es iſt ohnfehlbar die Ueberzeugung
davon, daß man dergleichen nicht behaupte, die
Urſach geweſen, warum ſolches auch ſo gar in
dieſen aufgeklaͤrten Zeiten noch nicht geſchehen.
Jch will hiermit nicht ſo viel ſagen, als waͤre
es unmoͤglich, daß ein Jnfluxioniſt die oftbe-
ſagte Meinung hegen ſolte. Es iſt moͤglich
daß einer ein Egoiſt ſeyn kan, es iſt auch moͤg-
lich zum Narren zu werden, warum ſolte dieſes
nicht auch moͤglich ſeyn. Allein ich glaube nicht,
daß dergleichen Meinung ſo gemein ſeyn ſolte,
daß ſie das Haͤuflein derer andern dergeſtalt
uͤberwaͤge, daß man ſie bis auf den heutigen
Tag noch nicht einmal ſolte haben wahrnehmen
koͤnnen. Man wird ſich hoffentlich doch dar-
uͤber zufrieden geben, daß der phyſicaliſche Ein-
fluß, ſo wie ich denſelben ietzo beſchrieben, theils
harmoniſch theils alſo geſinnt iſt, wie man den
phyſicaliſchen Einfluß bisher beſchrieben. Jch
halte davor, es werde dieſes beyden Partheyen
K 2weder
[122] weder zur Ehre noch zur Schande gereichen,
wenn man ſich des wahren in beyden bedienet,
und das uͤbrige fahren laͤſt. Uebrigens hoffe
ich nicht daß man in dieſer Meinung dieienigen
Eigenſchaften ſuchen werde, welche man der
vorigen zugeeignet. Jch glaube nicht daß et-
was natuͤrlicher ſeyn koͤnne, als dieſer Einfluß.
Man frage einen Menſchen, den die Streitig-
keiten derer Gelehrten in dieſer Sache noch un-
bekandt ſind: wie es zugehe, daß ein Stein
den andern fortſtoſſe. Er muͤſte Leibnitzens
Einbildungskraft beſitzen, wenn er glauben ſol-
te, daß die Monaden des einen Steines Luſt
bekommen haͤtten, ſich dem andern zu naͤhern,
und die Monaden des andern waͤren zu eben
der Zeit willens worden, ſich ſo gleich von ienen
zu entfernen, ſo bald er ihnen zu nahe gekom-
men waͤre. Und wenn er meinen ſolte, die
Kraft des einen Steines bewegte den andern
dergeſtalt von ſeiner Stelle, daß ihm dieſer auf
keine Weiſe entgegen wuͤrckte; ſo wuͤrde er
vermuthlich vorher ſich den Zweifel erregen
muͤſſen, warum denn der erſte Stein nicht
durch den andern hindurch geflogen waͤre, da
ihm dieſer keinen Wiederſtand geleiſtet hat.
Jch weiß wohl was man ſagen wird. Der
Menſch iſt noch zu ſehr an das Koͤrperliche ge-
woͤhnt, er weiß nicht zu abſtrahiren, er verſteht
keine Metaphyſick. Jch gebe dieſes alles von
Hertzen gerne zu, denn ich bilde mir ein, dieſer
Menſch habe wohl daran gethan, daß er ſich
an
[123] an dasienige gehalten, was er ſehen kan, und
daß er ſich nicht bemuͤhet habe, etwas zu erra-
then, das er nicht ſehen kan. Jch will es in-
deſſen nur vorher ſagen, daß ich es wiſſe, man
werde mir dieſe Worte ſehr uͤbel auslegen.
§. 49.
Jch habe oben erwieſen, daß die Sele die
Urſach einiger Veraͤnderungen unſers Koͤrpers
und dieſer eine Urſach anderer in der Sele ſey.
Dieſes will eben ſo viel ſagen, als: die Sele
und der Koͤrper wuͤrcken phyſicaliſch in einan-
der. Man wird alſo nicht von mir verlangen,
daß ich den phyſicaliſchen Einfluß nach meiner
Auslegung hier vom neuen beweiſen ſolte. Jch
ſchlieſſe ſo: Weil zwiſchen zweyen Veraͤnde-
rungen bey dem Menſchen ein Einfluß ſtatt
hat, und weil dieſer Einfluß weder bloß idealiſch
§. 16. noch allein phyſicaliſch ſeyn kan, wenn
ich den phyſicaliſchen Einfluß nach der Erklaͤ-
rung des Herrn M. Meiers nehme §. 13. 14.
ſo iſt die Meinung, welche ich ietzo vom phyſi-
caliſchen Einfluß vorgetragen, ſo lange wahr,
bis man ſie wiederleget und eine andere ſubſti-
tuiret. Meiner Einſicht nach ſind hierzu wohl
noch ziemlich weit ausſehende Zeiten, und die
Jnfluxioniſten werden nicht Urſach haben, die-
ſerhalb unruhig zu ſchlafen. Da ich aber nur
von einigen Veraͤnderungen des Menſchen ge-
ſprochen habe; ſo fragt es ſich nunmehro, ob
auch wol die Herren Stahlianer Recht haben,
welche dieſes von allen Veraͤnderungen des
K 3Koͤrpers
[124] Koͤrpers glauben. Jch will hiervon meine
Meinung gantz offenhertzig ſagen. Dieſe Leh-
re hat der groſſe und beruͤhmte Herr Hofrath
Stahl zuerſt behauptet, und ſeine Nachfolger
haben dieſelbe folgends erſt recht ausgearbeitet,
und ſo zu ſagen, ins reine gebracht. Jch kan
wol ſagen, daß ich in der erſt ſelber zweifelhaft
geweſen bin, ob dieſe Lehre auch uͤberall die
Probe halte. Hierzu kamen noch die Schmaͤ-
hungen, welche man dawieder ausſtieß, und
welche verurſachten, daß ich mich in Wahrheit
recht fuͤrchtete, ein Jnfluxioniſt; ich geſchweige
gar ein Stahlianer zu werden. Jch erinnre
mich hiervon einmal geleſen zu haben, die Sele
eines ſolchen Menſchen ſey nichts anders als
ein leres Behaͤltniß oder eine waͤchſerne Tafel.
Der Koͤrper ſey ein Gehaͤuſe der Sele, welches
ſie uͤberall mit ſich herum truͤge. Die Sele
ſtelle einen Schmied vor und der Koͤrper den
Hammer deſſelbigen. Wahrhaftig! eine aller-
liebſte Sele! und ein Gleichniß, welches eben
ſo genau paßt, als ein Schmiedehammer in die
Pſychologie! Man ging in dieſen Vergleichun-
gen noch weiter. Der Koͤrper war ein Schne-
ckenhaus, vermuthlich alſo die Sele ſelbſt die
Schnecke. Er war ein gedrechſelt Kinderſpiel,
damit die Sele taͤndelte, ein Gewebe von Stri-
cken, daran die Sele zoͤge. Endlich ward die
Sele gar ein Reuter und der Koͤrper ein Pferd.
Alle dieſe Jrrthuͤmer ruͤhreten ohnfehlbar von
demienigen Mißverſtaͤndniß her, davon ich
oben
[125] oben geredet. Die Vernunftſchluͤſſe, wodurch
man auf dergleichen Beurtheilung gefallen moͤ-
gen eben die tiefſten nicht ſeyn. Es kommt
meines Erachtens alles darauf an, ob ein Stah-
lianer behauptet, er wiſſe wie die Sele alle
Veraͤnderungen ihres Koͤrpers wuͤrcke, oder
wiſſe nichts mehr, als daß ſie dieſelben hervor-
bringe. Und dieſes iſt eine Sache, welche noch
gar wohl zu entſcheiden ſeyn wird.
§. 50.
Wenn ſich ein Stahlianer ruͤhmte, er wiſſe
wie die Sele alle Veraͤnderungen ihres Koͤr-
pers hervorbraͤchte, ſo muͤſte er auch die Mittel
anzuzeigen wiſſen, wodurch ſie dieſes ins Werck
richtet Allein meines Wiſſens hat ſich noch
kein Stahlianer hiermit breit gemacht. Er
iſt viel zu beſcheiden, als daß er von Sachen
urtheilen ſolte, welche begreifen zu wollen eine
Bemuͤhung ohne Fortgang und wieder die Na-
tur waͤre. Er weiß nichts weiter als daß ſeine
Sele ihren Koͤrper bewege; wenn man ihn
aber fraͤget, wie dieſes zugehe, ſo antwortet er
billig mit einem ehrfurchtsvollen Erſtaunen:
‘Das hat der, der uns ſchuf, vor uns
verbergen wollen.’ ()
Aber, wird man ſagen, beſtaͤtiget es nicht die
Erfahrung genugſam, daß man die Sele bald
mit einem Haushalter und bald mit einem
Kriegesmanne verwechſelt? Alles dieſes iſt nicht
zu laͤugnen. Wir finden nach der Stahliani-
K 4ſchen
[126] ſchen Lehre, zwiſchen dem Verhalten dieſer
beyden Arten von Menſchen, und denen Hand-
lungen der Sele eine ſo groſſe Aehnlichkeit, daß
man faſt gezwungen wird, ſolche Gleichniſſe
anzuſtellen. Nun aber moͤchte ich gerne wiſ-
ſen, wie man hieraus ſchlieſſen koͤnte, daß man
ſich die Handlungen der Sele koͤrperlich zu
ſeyn uͤberredete. Man muß niemals ein Gleich-
niß hoͤher treiben, als es mit der Sache uͤber-
ein kommt, welche man dadurch in eine Ver-
gleichung ſetzt. Welcher Menſch iſt ſo thoͤ-
richt, daß er glauben ſolte, die Chriſten hielten
das Wort GOttes vor eine Handvoll Samen-
koͤrner, welche ein Ackersmann auf ſeinen Acker
wirft, und deren etliche Frucht bringen, etliche
aber verderben? Aber eben dieſe Verhaͤltniß
hat es mit der Vergleichung der Sele mit ei-
nem Kriegesmanne oder Hausvater. Ja
wenn man dieſe Freyheit einem Stahlianer ſo
uͤbel auslegen will; ſo moͤchte ich wol eine Er-
klaͤrung davon haben, wenn man ſagt: Dieſe
Vorſtellung erſchuͤttert das Gemuͤth; iene
wird in der Sele ausgeloͤſcht; Die Sele be-
weißt eine groſſe Geſchwindigkeit, welche pol-
ternd und ungeſtuͤm iſt; der Grund der Sele
wird aufgewuͤhlt, und, eine groſſe ungeheure
Vorſtellung ſinckt in den Grund der Sele hin-
unter. Alles dieſes ſind Dinge, welche man
in keiner Monade ſuchen ſolte. Wenigſtens
kommt mir eine Geſchwindigkeit der Sele,
welche poltert, viel laͤcherlicher vor, als wenn
man
[127] man ſagt: die Sele ſtellt einen Hausvater
vor. Jch habe alle dieſe Ausdruͤcke nicht hier-
her geſetzt, um dieſelben zu tadeln. Allein ich
will damit nur ſo viel ſagen, daß es erlaubt ſey,
uneigentlich von der Sele zu reden, ohne daß
ein geſcheidter Kopf Urſach finde, ſpoͤttiſch
dabey zu ſeyn. Ueberhaupt treffen alle dieſe
Urtheile die Stahlianer ſelbſt nicht, und dieie-
nigen entdecken die Groͤſſe ihres Geiſtes, wel-
che uͤber dergleichen Geſpoͤtte lachen und ſich
nicht weiter vertheidigen.
§. 51.
Es kommt bey der ſtahlianiſchen Lehre haupt-
ſaͤchlich auf die Frage an: ob die Sele alle
Veraͤnderungen ihres Koͤrpers wuͤrcken koͤnne.
Jm allerweiteſten Verſtande behauptet dieſes
kein Stahlianer. Das Abnehmen des Barts
iſt eine Veraͤnderung des Koͤrpers, allein ein
Stahlianer leitet dieſe Veraͤnderung nicht von
der menſchlichen Sele, ſondern von der Schaͤr-
fe des Meſſers her. Jn den menſchlichen
Koͤrper wuͤrcket zuweilen eine ſchwere, zuweilen
eine leichte Luft. Und dieſe Veraͤnderung des
Koͤrpers ſchreibet man auch nicht der Sele zu.
Mit einem Wort: man unterſuche die Saͤtze
eines Stahlianers genau, ſo behauptet er nur,
daß alle dieienigen Veraͤnderungen des Koͤr-
pers von der Sele herruͤhren, welche nicht von
ſtatten gehen, ſo bald der Menſch todt iſt. Hier-
her gehoͤret der Umlauf des Gebluͤts, die Ver-
dauung der Speiſen, die Ab- und Ausſonde-
K 5rungen
[128] rungen im Koͤrper u. ſ. w. Beſonders iſt es falſch,
wenn man glaubet, daß ein Stahlianer dieſen
Satz auch umgekehrt verſtanden wiſſen wolle.
Wenn ein Stahlianer glaubte alle Veraͤnde-
rungen der Sele ruͤhrten von denen Veraͤnde-
rungen des Koͤrpers her; ſo waͤre ſeine Mei-
nung eine der allerveraͤchtlichſten. Er muͤſte
den Intellectum Purum der Sele alsdenn
auch denen Veraͤnderungen des Koͤrpers zu-
ſchreiben, und ich glaube, daß ihm dieſes ſo
leicht nicht einfallen werde. Jch ſehe nicht ab,
warum man ſolchergeſtalt einen Stahlianer
ſeiner Meinung wegen tadeln wolte. Er be-
hauptet, die Bewegung des Hertzens werde
von der Sele gewuͤrckt, weil nichts wahrſchein-
licher iſt als dieſes, da die Bewegung deſſel-
ben ſo gleich aufhoͤret, ſo bald der Koͤrper todt
iſt, und da ſie allemal von ſtatten gehet, wenn
wir eine Sele haben. Es koͤnte zwar wol
ſeyn, daß das Hertz nur durch ſeine Strucktur
in ſeiner Bewegung erhalten wuͤrde: allein es
koͤnte vielleicht auch wol nicht ſeyn. Jch ha-
be mir ſagen laſſen, daß der Hertzſchlag nicht
lange ſolte dauren koͤnnen, wo das Hertz ſelbſt
nicht empfindlich waͤre. Jſt aber die Empfind-
lichkeit des Hertzens die Urſach ſeiner Bewe-
gung; ſo iſt es auch die Sele; denn ich glau-
be, dieſes wird wol einerley ſagen. Jch werde
mich wenigſtens nicht uͤberreden koͤnnen, der
Sele die Herrſchaft uͤber ihren Koͤrper zu ent-
wenden. Sie ſcheinet eine ſo genaue Ver-
wand-
[129] wandſchaft mit demſelben zu haben, daß man
ſich ſchlechterdings auch die Sele gedencken
muͤſſe, wenn man ſich einem recht wuͤrdigen
Begrif von unſern Koͤrper machen will. Das
Band wodurch ſie beyde verbunden ſind, iſt
unzertrennlich, und ſo bald der eine Theil da-
hin geriſſen wird, muß der andre ebenfalls ver-
derben. Es kan ſeyn, daß ich mich in meinen
Gedancken betriege. Allein ſo wenig ich die-
ſes vermuthe, ſo wenig wuͤrde ich mich daruͤber
graͤmen. Ein ſolcher Betrug iſt viel zu reitzend
und angenehm, als daß man ihn mit einen
andern vertauſchen ſolte, welcher nicht ſo viel
annehmliches bey ſich fuͤhret. Denn ich glau-
be, man mag auſſer dieſer eine Meinung erwaͤh-
len, welche man will, ſo wird man entweder
der Sele alles beymeſſen und dem Koͤrper gar
nichts, oder man wird es umgekehrt anfangen.
Jſt es nicht am beſten beyde in der allergenaue-
ſten Uebereinſtimmung zu betrachten?
§. 52.
Die Meinung derer Stahlianer iſt der Mei-
nung derer Harmoniſten entgegen geſetzt; Folg-
lich ſind ihr auch dieienigen Mechaniſten ent-
gegen, welche Harmoniſten ſind. Jndeſſen
kan ich mich nicht uͤberreden, daß alle Mecha-
niſten auch ſolten Harmoniſten ſeyn. Jm
Gegentheil glaube ich, daß die Anzahl dieſer
gar gering ſey. Es nennen ſich auch dieieni-
gen Mechaniſten, welche behaupten, daß die
Nerven die Mittel der Vereinigung der Sele
und
[130] und des Koͤrpers abgaͤben. Dieſe leiten z. E.
den Schlag des Hertzens, die Bewegung des
Magens und der Gedaͤrme von der Strucktur
dieſer Theile her, allein ſie behaupten, daß ſie
ohne eine Empfindlichkeit zu haben, dieſe ihre
Bewegung nicht fortſetzen koͤnten. Wo ich
mich nicht irre, ſo iſt ein ieder Stahlianer ein
ſolcher Mechaniſt. Er behauptet die Bewe-
gung des Hertzens, des Magens und der Ge-
daͤrme ſeyen erſtlich Wuͤrckungen der Sele.
Hierin iſt er mit dieſer Gattung der Mechani-
ſten einer Meinung, denn dieſe ſagen auch, daß
die Empfindlichkeit dieſer Theile nothwendig
dabey ſeyn muͤſſe. Nachher behauptet auch ein
Stahlianer, daß die kuͤnſtliche Strucktur dieſer
Theile der Sele ihr Geſchaͤfte erleichtere: Das
heiſt, auch dieſe enthalten einen Grund dieſer
Veraͤnderung in ſich; und dieſes iſt gerade
auch dasienige, was ein Mechaniſt dieſer Art
behauptet. Wer es weiß, wie die Lehren derer
Stahlianer vorgetragen werden, der wird fin-
den, daß ſie z. E. bey einer Geſchwulſt, den
damit verbundenen Schmertz der Sele zuſchrei-
ben, indem ſie ſagen, daß die Sele um einen
gewiſſen ſchadhaften Zufall an dieſem Theile,
als etwan einer Stockung des Gebluͤts abzu-
helfen und das ſtockende Blut zu zertheilen, ei-
nen Zufluß an denſelben Ort wende, welcher
macht, daß die Nerven ſehr ausgedehnt wer-
den, woher denn der Schmertz entſtuͤnde. Sie
ſchreiben alſo der Sele zwar den Grund des
Schmer-
[131] Schmertzens zu; allein ſie erklaͤren auch den
Schmertz zugleich auf eine mechaniſche Art, in-
dem ſie ihn von der Ausſpannung derer Ner-
ven herleiten. Ein Mechanicus erklaͤrt dieſen
Zufall folgendergeſtalt: Wenn an einem ge-
wiſſen Theile des Koͤrpers einiges Gebluͤt in
eine Stockung geraͤth; ſo erhaͤlt davon die Se-
le eine Empfindung. Auf eine iede Empfin-
dung erfolgt im Koͤrper eine Bewegung. Alſo
muß ſich das Gebluͤt, nach dieſen Orte hin be-
wegen, und es entſteht eine Entzuͤndung. Heiſt
das nicht eben ſo viel, als, die Sele iſt die Ur-
ſach der Entzuͤndung, alſo auch die Urſach des
Schmertzens? Denn ſie leiten, den darauf er-
folgenden Schmertz ebenfalls aus der Expan-
ſion der Nerven her, und ſolchergeſtalt erklaͤren
ſie ihn auch mechaniſch, wie die Stahlianer.
Man ſiehet alſo wol, daß ein ſolcher Mecha-
niſt, von dem ich ietzo rede, eben das behaupte,
was ein Stahlianer behauptet, und dieſer Satz
laͤſt ſich auch umkehren. Jederman iſt be-
kandt, daß dieſe Mechaniſten behaupten, die
Fortdauer der Bewegung des Hertzens ruͤhre
von ſeiner Empfindlichkeit her. Nun giebt man
mir aus der Erfahrung zu, daß wir uns dieſer
Empfindung am Hertzen nicht bewuſt ſind.
Leitet man alſo nicht die Bewegung des Hertzens
von derienigen Kraft der Sele her, nach wel-
cher ſie ſich von einer Sache Vorſtellungen
machen kan, ohne ſich derſelben bewuſt zu ſeyn?
Dieſes iſt es aber eben, was die Stahlianer
behau-
[132] behaupten, indem ſie ſagen, daß die Sele das
Hertz bewege, allein dieſes geſchehe nur durch
den Intellectum Purum, welches eben dieieni-
ge Kraft der Sele iſt, die ich ietzo beſchrieben.
Man ſiehet demnach mehr als zu wol ein, daß
ein Stahlianer kein Feind der Mechaniſten und
daß dieſe auch keine Feinde der Stahlianer
ſeyn koͤnnen. Hiervon ſind aber freylich die-
ienigen Mechaniſten ausgenommen, welche
glauben, das Hertz ſey ein Druckwerck, und
habe vor ienen nicht das mindeſte zum Voraus.
Allein ich glaube, dieſes werden auch wol nur
die kleinen Mechaniſten ſeyn, welche ſich gegen
die andern etwan verhalten werden, wie die
kleinen Geiſter gegen die groſſen.
§. 53.
Jch kan meinen geehrteſten Leſern nunmehro
einen kurtzen Abriß von dem machen, was ich in ge-
genwaͤrtiger Schrift vorgetragen. Sie werden
hieraus zu gleicher Zeit erkennen, warum ich dieſe
Blaͤtter geſchrieben, ob ſie etwas neues enthalten,
und wie die Gedancken darin zuſammenhaͤngen.
Jch habe in denen erſtern §§. die verſchie-
denen Meinungen theils von unſrer Sele
ſelbſt, theils von der Uebereinſtim̃ung ihrer
Veraͤnderungen mit denen Veraͤnderun-
gen des Koͤrpers angefuͤhret. Die Egoi-
ſten, Jdealiſten und Materialiſten han-
deln allein von dem Weſen der Sele; al-
lein die Occaſionaliſten, Harmoniſten
und Jnfluxioniſten bemuͤhen ſich ihre
Ueber-
[133]Uebereinſtimmung mit dem Koͤrper zu
zeigen. Die Occaſionaliſten geben die
entfernteren Urſachen davon vor die naͤ-
hern aus §. 6. und deshalb iſt ihre Mei-
nung irrig. Die Harmoniſten wieder-
ſprechen mit ihrer Meinung theils ſich
ſelbſt §. 16. theils der Weisheit GOttes
§. cit.theils aber auch derienigen Wahr-
heit, daß die Sele die Urſach verſchiede-
ner Bewegungen ihres Koͤrpers, und die-
ſer eine Urſach gewiſſer Vorſtellungen in
der Sele ſey. Dieſer Satz iſt nicht vor
die lange Weile als wahr angenommen
worden; ſondern ich habe ihn durch fol-
genden Schluß erwieſen: WennAiſt
undBiſt auch; wennAnicht iſt undB
iſt auch nicht; und dieſes iſt allemal; ſo
iſt wahrſcheinlich, daß eins die Urſach
von dem andern ſey §. 20. Ferner, wenn
alles bleibt wie vorher, und man kan
noch aus dem Weſen einer oder beyder
Dinge die Moͤglichkeit in ſich eine ge-
wiſſe Veraͤnderung zu wuͤrcken, wahrneh-
men; oder, im Fall dieſes nicht anginge,
wenn alles wie vorhin bleibt, und es iſt
keinC,kein drittes Ding, da, welches
eben ſo genau mitAundBverbunden
waͤre, alsAundBſelbſt untereinander
verbunden ſind; ſo kan man ſo gewiß
wiſſen, daß zwiſchenAundBUrſach und
Wuͤrckung ſtatt habe; ſo gewiß man
weiß,
[134]weiß, daß die Sonne die Urſach des Lich-
tes ſey. Dieſes war der Oberſatz und
derſelbe iſt im 21. 23 §§. ausgefuͤhret wor-
den. Der Unterſatz war folgender: bey
gewiſſen Veraͤnderungen der Sele iſt al-
lemal eine gewiſſe Veraͤnderung des Koͤr-
pers zugegen, und dieſe iſt allemal abwe-
ſend, wenn iene nicht da iſt. Ferner, iſt
kein drittes Ding ſo genau mit dieſen
Veraͤnderungen verbunden, als ſie ſelbſt
ſind: Dieſes alles iſt durch viele Erfah-
rungen in den 27-42 §§. beſtaͤtiget wor-
den: Alſo folgte: daß die Sele gewiß
eine Urſach verſchiedener Veraͤnderungen
ihres Koͤrpers, und dieſer gewiß eine Ur-
ſach anderer in der Sele ſey §. 42. Die
Jnfluxioniſten ſind nach der von denen
Harmoniſten gegebenen Erklaͤrung des
phyſicaliſchen Einfluſſes, ebenfalls von
einer falſchen Meinung nicht befreyet
§. 13. 14. Allein ich habe nachher erwie-
ſen §. 45. 46. ſeqq.daß kein vernuͤnftiger
Jnfluxioniſt, den phyſicaliſchen Einfluß,
nach dieſer Erklaͤrung behaupte. Jm
Gegentheil habe ich dieienige Erklaͤrung
angegeben, welche ſie davon annehmen,
§, 47. und habe auch erwieſen, daß dieſe
Meinung eben die Harmoniſten behau-
pten muͤſſen, wenn ſie nicht behaupten
wollen; es ſey einerley: Empfinden und
nicht empfinden §. 44. Nachdem alſo
gezeigt
[135]gezeigt worden war, daß wenn ein Jn-
fluxioniſt behauptete, es faͤnde zwiſchen
denen Veraͤnderungen des Koͤrpers und
der Sele Urſach und Wuͤrckung ſtatt; er
annehme, daß dieſes theils durch einen
idealiſchen, theils aber auch durch einen
phyſicaliſchen Einfluß geſchehe; ſo blieb
hierbey nichts mehr zu unterſuchen uͤbrig,
als: ob die Sele alle Veraͤnderungen ih-
res Koͤrpers wuͤrcke, oder nur einige.
Das erſte iſt die Meinung derer Stahlia-
ner. Jch habe ihre Parthey ergriffen,
und habe ihre Meinung vor denienigen
Beſchuldigungen bewahret, welche man
dagegen ausgedacht hat, um ſie laͤcherlich
und Vernuͤnftigen verhaßt zu machen §.
49. 50. Jch habe den Jrrthum gezeiget,
auf welchen dieſe Beurtheilungen beru-
hen, nemlich daß man ſich uͤberrede, ein
Stahlianer wolle die Art und Weiſe wiſ-
ſen, wie die Sele alle Veraͤnderungen
ihres Koͤrpers wuͤrcke §. 50. die Unrich-
tigkeit dieſes Vorurtheils habe ich imcit.
§. gezeiget, und alsdenn habe ich in denen
folgenden §§. gewieſen, daß die Stahlia-
niſche Lehre nicht umſonſt angenommen
werde. Endlich habe ich gezeiget, daß
einige Mechaniſten mit denen Stahlia-
nern faſt einerley Meinung haͤtten, ohn-
erachtet ſie es ſelbſt vielleicht nicht ver-
mutheten §. 51. Wenn ich dieſes letzte be-
Ldencke,
[136] dencke, ſo ſolte ich faſt glauben, daß viele
Streitigkeiten dieſer beyden Partheyen ohne
Schimpffen und Blutvergieſſen beygeleget
werden koͤnten, wenn ſie nur Luſt haͤtten, ein-
ander etwas nachzugeben. Die Saltze, wel-
che die Nerven beiſſen, die ſcharffen und ſtumpf-
fen Saͤfte und die hundert tauſend Selen in
einem menſchlichen Koͤrper, nebſt andern luſti-
gen Erfindungen ſind heut zu Tage unter de-
nen Artzeneygelehrten gantz aus der Mode ge-
kommen. Die allermeiſten derer heutigen
Mechaniſten erklaͤren die Veraͤnderung des
Koͤrpers entweder nach den Geſetzen der Bewe-
gung oder aus der Empfindlichkeit der Ner-
ven. Denen erſtern habe ich den Beweiß
eigentlich entgegen geſetzt, daß die Sele in ih-
ren Koͤrper wuͤrcke. Die andern nehmen die-
ſes ſchon an, indem ſie glauben, daß durch
Empfindungen Bewegungen hervorgebracht
werden. Dieſe unterſcheiden ſich demnach nur
von denen Stahlianern darinnen, daß ſie ſich
nicht getrauen zu behaupten, es kaͤmen alle
Bewegungen von der Sele her, und hierinne
habe ich mich mit ihnen verglichen. Wem es
ſcheinen ſolte, als gaͤbe ich mir bey Verglei-
chung dieſer beyden Meinungen etwas zu viel
nach, oder ich gaͤbe denen Mechaniſten mehr
ſchuld, als ſie behaupteten; Der kan ſich an
folgendem Zeugniſſe eines mechaniſchen Artztes
ſelbſt eines beſſern uͤberfuͤhren. Der beruͤhmte
Herr Hofrath Haller ſaget in des groſſen
Bur-
[137] Burhavens Praelect. Acad. pag. 84. num. 3.
Tom. I. alſo: Stahlivs, qui mentem
principium motus, et pulſus, et iudicatio-
num \& febrium facit, cogitur utique de
hoc vinculo (animæ nimirum \& corporis)
aliquid explicare. Sed ea omnis explica-
tio, non videtur in medicina mutare, aut
addere, quidquam. (Dieſes moͤgen dieie-
nigen beurtheilen, welche die Schriften derer
Herren Stahlianer und Mechaniſten mit ein-
ander vergleichen. Von einem Falle aber laͤſt
es ſich nicht auf alle ſchlieſſen.) Sunt in
plethorico corpore hæmorrhoides: bene
eſt, liberatur ea via corpus a ſanguine
ſtagnante, fœculento. Omnes conſen-
tiunt. Nihil ergo practice differunt. Sed
neque theoria diverſa eſt. Sanguinem in
vaſis hæmorrhoidalibus ſtagnantem, mi-
nus expedite refluentem per hepar, hinc
viam quærentem per vaſa in Inteſtino re-
cto, tenera omnino membrana tecta etc.
admittimus omnes. Quid attinet, cum
nos ſanguinem pondere, irritatione, ſta-
gnatione, duritie fœcum, viam invenire
dicamus, quid inquam attinet, aut auget
Medici ſcientiam, ſi addiderit Stahlivs,
hæc omnia eadem, ſed praeterea imperio
animæ fieri. Man ſiehet hieraus doch zum
wenigſten ſo viel, daß die Mechaniſten und
Stahlianer ſo weit nicht von einander ſtehen,
daß ſie in gar keine Vereinigung unter ſich
L 2willi-
[138] willigen koͤnten. Und daher habe ich mich be-
muͤhet, ſelbige hier zu verſuchen. Unter denen-
ienigen, welche zu ietziger Zeit mit mir die Hoͤr-
ſaͤle der Artzneyverſtaͤndigen beſuchen, habe ich
bemerckt, daß einige, welche ſich bemuͤhen,
Mechaniſten zu werden, ſehr laͤcherlich ausſe-
hen, wenn ſie in die Hoͤrſaͤle derer Stahlianer
kommen. Dieſe muͤſſen ohnfehlbar noch nicht
ſo viel Zeit gehabt haben, zu uͤberlegen, daß
wo ſie nicht behaupten wollen, die Sonne ſey
nicht die Urſache des Lichts, ſie nichts anders
glauben koͤnnen, als was die Stahlianer glau-
ben. Denn ihre Lehrſaͤtze ſind ſo beſchaffen,
daß ſie mir zugeben muͤſſen, es koͤnten alle
dieſe Bewegungen, welche wir ietzo vorneh-
men, nicht vor ſich gehen, wenn wir keine
Sele haͤtten. Eben dieſes ſagen auch die
Stahlianer. Denn daß ſie die Strucktur des
Koͤrpers nicht hintan ſetzen, wenn ſie von de-
nen Veraͤnderungen des Koͤrpers urtheilen,
ſolches muß iederman wiſſen, wer dasienige
verſtehet, was ſie behaupten. Sie ſagen zum
Exempel, daß die Verdauung der Speiſe, der
Selen zuzuſchreiben ſey, und die Moͤglichkeit
darzu nehmen ſie von der kuͤnſtlichen Struck-
tur des Magens her, ob ſie gleich behaupten,
daß die Verdauung nicht von ſtatten gehen
wuͤrde, wofern nicht die Sele das ihrige darzu
beytruͤge: Denn ſonſt muͤſte ein todter Koͤrper
ebenfalls verdauen, indem der Magen ſelten
beſchaͤdiget iſt, wenn man dergleichen eroͤfnet.
Eben
[139] Eben ſo iſt es auch in denen uͤbrigen Faͤllen,
und daher kommt es mir vor, als wenn dieie-
nigen, denen der Vortrag vernuͤnftiger und
erfahrner Maͤnner ſo laͤcherlich vorkommt, aus
keiner andern Urſache zum Lachen bewogen
wuͤrden, als weil ſie ſelber nicht wiſſen, was
ſie eigentlich behaupten. Man ſiehet demnach
hieraus, daß die Lehre der Stahlianer nicht
alſo beſchaffen ſey, daß ſie mit der Vernunft
ſtreite. Denn wenn wir einige der gegenſeiti-
gen Meinungen betrachten; ſo kommen ſie oͤf-
ters ſo ſeltſam heraus, daß niemand als ein
Stahlianer mehr Urſach haͤtte, mit ienem ſinn-
reichen Dichter folgendermaſſen zu ſeufzen:
O toller Lauf der Welt! O Joch der Eitelkeit!Du druͤckſt zu hart. Spann aus, mein GOtt!
Denn es iſt Zeit:Denn ſonſten muß auch ich mich endlich noch
bequemen,Um nicht ein Thor zu ſeyn, mich der Vernunft
zu ſchaͤmen.
B.
Wenn es mit der Meinung derer Stahlianer
ſo erbaͤrmlich beſchaffen waͤre, als man gemei-
niglich glaubet, und wie man ſie denen Jn-
fluxioniſten uͤberhaupt beyleget; ſo koͤnte ich es
in der That ohne ungewiſſenhaft zu handeln,
nicht uͤbernehmen, eine ſo wunderbare Mei-
nung zu vertheidigen. Daher wird niemand
L 3glau-
[140] glauben, daß dieſe Schrift eine Streitſchrift
ſeyn ſolte, und daß ich mich darinne bemuͤhet
haͤtte, die gruͤndliche Wiederlegung der Jn-
fluxioniſten, des beruͤhmten Herrn Mag.
Meiers zu wiederlegen. Nein! Wenn ich
ſaͤhe, daß meine Meinung von einen ſo ſcharf-
ſinnigen Weltweiſen ſchon wiederlegt waͤre, ſo
muͤſte ich noch weniger Einſicht in die Wahr-
heit beſitzen, als ich mir etwa zutrauen darf,
wenn ich ſie dennoch annehmen, glauben und
vertheidigen ſolte. Meine Hochachtung vor
die Weltweisheit, und gegen die Befoͤrderer
derſelben, iſt ſo groß, daß ich recht betruͤbt
werde, wenn ich bedencke, daß unter ihnen ſo
wenig Stahlianer anzutreffen ſind; und wenn
ich mich nicht damit troͤſtete, daß die Meinun-
gen derer Philoſophen von der Sele nur ge-
lehrte Moden waͤren, die etwa nach einen
Jahrhunderte wieder abkaͤmen, ſo waͤre ich noch
weniger zu troͤſten, indem ich nimmermehr
vermuthen koͤnte, daß Weltweiſe und Stah-
lianer iemals einigermaſſen einerley bedeuten
wuͤrden. Jch wuͤnſche ſehr, daß ich dieſe
Veraͤnderung noch erleben moͤchte, und wenn
man mich vertraut machen koͤnte, ſo wolte ich
wol ſagen, daß dieſes eine von denen Abſich-
ten geweſen waͤre, warum ich gegenwaͤrtige
Blaͤtter geſchrieben habe. Die Artzneygelahr-
heit kan ſich biß dato noch nicht recht mit der
Weltweißheit vertragen, und ich halte doch
davor, daß nichts angenehmer ſey, als in ſeinen
Betrach-
[141] Betrachtungen dieſe beyden Dinge mit einan-
der zu verbinden. Ein Weltweiſer hat nir-
gends beſſere Gelegenheit, ſeine Kunſt anzu-
bringen, als wenn er den menſchlichen Koͤrper
betrachtet. Er findet alsdenn Grund, die
Schoͤnheit der Schoͤpfung immer mehr und
mehr zu bewundern, indem er den ſchoͤnen
Menſchenbau mit philoſophiſchen Augen be-
trachtet; er lernet aus ſeiner Strucktur dasie-
nige erkennen, was er wuͤrcken koͤnne, und
was der Sele zu thun uͤbrig bleibe, ia er be-
kommt alsdenn Gelegenheit, auch an ſolchen
Dingen Schoͤnheit zu finden, und Witz anzu-
wenden, die den Poͤbel abſcheulich zu ſeyn ſchei-
nen. Er ſiehet den Tod als eine Nothwen-
digkeit vor ſich, indem er weiß, wie ſchlecht
es um die Erhaltung des Koͤrpers ſtehe. Da-
her wird er gewohnt, den Tod mit freudigen
Hertzen zu begruͤſſen, und die Ueberbleibſel ver-
blichener Koͤrper bringen ihn ſtatt des Weinens
und Graͤmens dahin, mit getroſten Muthe
auszuruffen:
Du o beliebter Ort, mein letzter Auffenthalt!Durch dich wird meine Bruſt von Sorgen
gantz befreyetMein Auge ſieht vergnuͤgt den dicken Knochen-
wald,Den ſo manch feiges Hertz mit banger Furcht
noch ſcheuet,
L 4Du
[142]Du Ausgang aller Noth (ich ſage nicht zu viel)Dein enger Raum enthaͤlt von aller Quaal das
Ziel.
C.
Jederman wird mir zugeſtehen, daß niemand
als ein Weltweiſer, der zugleich die Schoͤnheit
des menſchlichen Koͤrpers, und die Nothwen-
digkeit ſeines Untergangs aus der Artzneyge-
lahrheit begriffen hat, dergleichen geſetzte Ge-
dancken bey Erblickung eines Kirchhofes haben
kan. Aber dieſes iſt noch nicht alles. Denn
wenn ich ſagen ſoll was meine Meinung ei-
gentlich iſt, ſo muß ich geſtehen, daß ich die
Stahlianiſche Lehre vornemlich aus dem Grun-
de liebe, weil ſie vor allen andern dieſes zum
Voraus zu haben ſcheinet, daß ſie auf eine
gantz natuͤrliche Weiſe, nicht allein eine philo-
ſophiſche Großmuth, ſondern auch die Reli-
gion ſelbſt auf das genaueſte mit der Artzeney-
wiſſenſchaft verbindet.
§. 54.
Jch hatte bey vorhergehenden Abſatze dieſe
Schrift ſchon geſchloſſen, als mir einfiel, der
Vergleich welchen ich mit denen Mechaniſten
und Stahlianern geſtiftet, moͤchte auch wol
nichts ſeyn. Jch kam in dieſe Verwirrung,
weil ich mich beſann, daß die Mechaniſten
nicht in der Sache einzig und allein von denen
Stahlianern abgingen, worinn ich ſie mit ein-
ander verglichen; ſondern daß auch iene laͤug-
neten, die Sele baue ihren Koͤrper, welches
dieſe
[143] dieſe zugeben. Sollen denn aber deshalben
alle meine gemachten Anſtalten wieder dahin
fahren? Man kan es ia beweiſen, daß die Se-
le ihren Koͤrper baue. Freylich iſt dieſe Sa-
che nicht ſo leicht, daß man ſie mit einem paar
Schluͤſſen abfertigen koͤnte. Es iſt bey dieſem
Beweiſe groſſe Behutſamkeit noͤthig, damit man
nicht vom ſeyn koͤnnen, auf das Seyn ſelbſt
einen Sprung thue. Jch gebe daher zu, daß
dieienigen Beweiſe nichts beweiſen, wo man
ſchließt: weil die menſchliche Sele ihren Koͤr-
per bauen kan, weil es moͤglich iſt, daß ſie ihn
baue; ſiehe ſo hat ſie eine Kraft darzu. Bey
weitem nicht. Wenn ſie eine Kraft hat ihren
Koͤrper zu bauen; ſo bauet ſie ihn auch wuͤrck-
lich: denn eine Kraft kan durch nichts verhin-
dert werden ihre Wuͤrckungen hervorzubringen,
ohne daß ſie nicht auch zugleich ſelbſt vertrie-
ben wuͤrde. Die Moͤglichkeit Veraͤnderun-
gen hervorzubringen iſt das Vermoͤgen. Wenn
man demnach erwieſen hat, die Sele habe die
Moͤglichkeit ihren Koͤrper zu bauen, ſo muß
man ſich dem Gelaͤchter derer Philoſophen nicht
ſo ſehr ausſetzen, daß man ihr nun ſo gleich
ſtatt des Vermoͤgens eine Kraft darzu zuſchrie-
be. Jſt es nicht eben ſo, als wenn ich ſagen
wolte: ein Menſch der unter das Waſſer ge-
fallen iſt, hat noch die Moͤglichkeit Othem zu
holen. Alſo beſitzt er eine Kraft; das iſt er hat
noch an ſich den zureichenden Grund das Athem-
holen zur Wuͤrcklichkeit zu bringen. Weil
L 5nun
[144] nun die Wuͤrckung allemal erfolget, wenn der
zureichende Grund vorhanden iſt, ſo ſchoͤpfet
der, ſo im Waſſer lieget, allemal Luft. Jch
ſage dieſes alles bloß deswegen, damit man
nicht glaube, es ſey ſo bald gethan einen phi-
loſophiſchen Beweis davon zu geben, daß die
Sele ihren Koͤrper baue. Jch muͤſte eine
noch einmal ſo lange Schrift hier anhaͤngen,
als die gegenwaͤrtige iſt, wenn ich dieſen Satz
gehoͤrig erweiſen ſolte. Allein ich halte mich
davon uͤberredet, daß die Einwuͤrfe, welche
man wieder den Satz ſelbſt gemacht hat noch
gar wol zu heben ſeyn koͤnten. Man wendet
ein, daß es ſchwer zu begreifen waͤre, wie die
Sele in Mutterleibe ſo klug ſeyn koͤnne, daß
ſie das vollkommenſte Meiſterſtuͤck in der Na-
tur erbauete, und ſo bald ſie dieſe ihre erſte
Wohnung verlaſſen, waͤre ſie wieder ſo einfaͤl-
tig, wie alle Kinder ſind. Allein wenn die
gantze Schwierigkeit auf dem Nicht zu begrei-
fenden beruhet; ſo iſt nichts leichter, als der-
ſelben abzuhelfen. Wer begreift es doch, daß
ein unwiſſender Knabe, der noch niemals mit
andern Zungen reden gekonnt, wenn er in ein
hitziges Fieber verfaͤllt, fremde Sprachen re-
det, Verſe macht und Handlungen vornimmt,
die er bey geſunden Verſtande an ſich vor un-
moͤglich halten wuͤrde. Die Sele ſolcher Pa-
tienten wird wieder ſo tumm als ſie vorher
war, wenn die Kranckheit uͤberſtanden. Waͤ-
re es nun philoſophiſch von mir gehandelt,
wenn
[145] wenn ich ſagte: weil es nicht zu begreifen iſt,
wie in hitzigen Fiebern, wenn die Sele noch
darzu raſet, ein Menſch ſo gelehrt ſeyn, und
bey Wiederherſtellung der Geſundheit auf ein-
mal wieder in ſeine vorige Einfalt verfallen
koͤnte; ſo iſt dieſes uͤberhaupt eine unmoͤgliche
Sache. Man macht noch einen andern Ein-
wurf, wieder obigen Satz, der aber eben die
vorige Staͤrcke hat. Die Leute ſolten nem-
lich nicht noͤthig haben erſt die Anatonie zu
lernen, wenn ihre Selen ihre Koͤrper gebauet
haͤtten. Die Sele muͤſte viel beſſer die Struk-
tur des Koͤrpers verſtehen, als es ihr ein Ana-
tomicus lehren koͤnte, weil ſie ſich einem Uhr-
macher vergliche, der die Struktur ſeiner eige-
nen Uhren am allerbeſten wiſſen muͤſte, weil
er ſie mit eigner Hand gebauet und ſo kuͤnſt-
lich zuſammengeſetzt haͤtte. Allein man be-
dencke nur folgendes. Vorerſt behaupten die
Stahlianer nicht, daß ſich die Sele bey Er-
bauung ihres Koͤrpers ihrer bewuſt ſey, ſondern
ſie verrichtet dieſen Bau, vermoͤge des Intel-
lectus Puri. Sie behaͤlt die gantze Bauart
des Koͤrpers in dieſem Intellectu, und daher
kan ſie auch ihrem Koͤrper auf ſo vielfaͤltige
Art beyſpringen. Allein dem ohnerachtet muß
ſie die Struktur des Koͤrpers vom neuen ler-
nen, wenn ſie ſich derſelben bewuſt ſeyn will.
Wie geht es denen Mondſuͤchtigen? Sie klet-
tern indem ſie ſchlafen an die gefaͤhrlichſten
Oerter und lernen auf denen Daͤchern gehen
und
[146] und auf denen Dachrinnen reiten. Jſt es
nicht wahr? wenn dieſe Perſonen beym Wa-
chen dergleichen thun ſolten, ſo muͤſten ſie erſt
die Regeln lernen, nach welchen man auf ei-
ner ſchiefliegenden Flaͤche hingehen, und auf
einer Dachrinne hin und her ruͤcken kan, oh-
ne ſchwindlicht zu werden. Ja was bemer-
cken wir nicht, an uns ſelber! Wenn wir von
einem Orte zum andern gehen; ſo beobachten
wir auf das allergenauſte die Regeln, welche
zum Gehen erfordert werden. Wir richten ei-
nen ieden Schritt ſo ein, daß wir unſern Koͤr-
per ein wenig vorwaͤrts biegen, damit das Cen-
trum gravitatis auſſerhalb der Linie faͤllt, wel-
che auf den Boden zwiſchen denen Fuͤſſen von
einem zum andern gezogen werden kan. Wir
fangen an zu fallen. Darum ſchlagen wir
den einen Fuß vor, welches allemal auf die
Art geſchiehet, daß unſer Mittelpunkt der
Schwere in die Linie faͤllt, die zwiſchen denen
Fuͤſſen gezogen werden kan. Fraget doch den
erſten Bauer, der euch begegnet, nach welchen
Regeln er dahin walle? Jch bin gut davor
er wird ſich des Lachens nicht enthalten koͤn-
nen: denn er glaubt es gehoͤre gar nichts wei-
ter zum Gehen, als daß man gehe. Wenn
man die Regeln lernen will, wenn man ſich
ihrer will bewuſt ſeyn; ſo muß man die Na-
turlehre um Rath fragen. Wer wolte aber
nun deshalb ſagen, ein Bauer koͤnne nicht ge-
hen, weil ſeine Sele nicht wiſſe, wie er gehen
muß.
[147] muß. Sie weiß es allerdings, aber ihre Be-
griffe davon ſind nicht deutlich. So iſt es nun
auch mit dem Schluſſe bey der Sele. Sie
bauet ihren Koͤrper, ohnerachtet wir nicht ſa-
gen koͤnnen, daß wir damals uns unſrer be-
wuſt geweſen waͤren. Wolte man aber dar-
um ſagen, es koͤnte nicht geweſen ſeyn, weil
die Menſchen die Anatomie lernen muͤſten; ſo
geſtehe ich gern, daß das Gelaͤchter des vori-
gen Bauers die witzigſte Antwort ſey, welche
man einem ſolchen Menſchen geben koͤnte.
Aber wozu dienet nun dieſes alles? Zweifel
heben heiſt ia noch lange nicht eine Meinung
erweiſen; ſondern nur, dieſelbe wahrſcheinlich
machen. Recht ſo! Habe ich nicht ſchon oben
geſagt, daß ich in dieſen engen Raume, der
noch uͤbrig iſt, ohnmoͤglich einen foͤrmlichen
Beweis, dieſes Satzes geben koͤnte. Alles
demnach was ich gethan habe, iſt dasienige,
was ich habe thun wollen. Jch habe aber
weiter nichts gewolt, als zeigen, daß die Mei-
nung derer Stahlianer, von der Erbauung
des Koͤrpers, als einer Arbeit der Sele, durch-
aus nicht vor unmoͤglich ausgegeben werden
koͤnne. Man muͤſte denn wieder auf die Se-
le fallen, und aus ihrem Weſen zu erweiſen
ſuchen, daß ſie unmoͤglich in ihren Koͤrper
wuͤrcken koͤnne. Allein hierwieder antwortet
gegenwaͤrtige gantze Schrift. Jch will zu-
frieden ſeyn, wenn man mir aus der Erklaͤ-
rung die ich oben von der Sele gegeben, §. 1.
er-
[148] erweiſet, daß die Sache unmoͤglich ſey. Wenn
man aber ſagt: die Sele iſt eine Monade die
durch ihre eigene Kraft alle Vorſtellungen wuͤr-
cket; ſo wird man bey mir nichts ausrichten,
da ich dieſe Erklaͤrung nicht annehme. Jch
halte davor, daß wir uns der wenigſten Din-
ge wuͤrden bewuſt ſeyn, wenn wir keine Em-
pfindungen haͤtten. Denn daß die Gedan-
cken der Sele innere Beſtimmungen derſelben
ſeyn ſolten, kan nur denenienigen einfallen,
welche an ſich erfahren, daß ehe ſie einen Ge-
dancken haben, ſie allemal erſt dencken muͤſſen:
du kanſt dencken: alſo wilſt du an das oder
ienes gedencken. Eine Erfahrung die ich allen
Leuten mißgoͤnne, weil ich allein ſo ungluͤcklich
zu ſeyn ſcheine, ſie an mir nicht wahrzuneh-
men!
§. 55.
Eine neue Beſtaͤtigung der ſtahlianiſchen
Lehre, welches eine Erfahrung iſt, an welcher
ich in dem Collegio Clinico des beruͤhmten
Heren Profeſſors Juncker, ſelbſt Theil zu
nehmen, das Gluͤck gehabt, verlaͤngert dieſe
Schrift noch um einen einzigen Abſatz. Eine
Frauensperſon beklagte ſich, daß ſie allemal
gegen die Zeit, da die Uhr die Stunden ſchlug,
empfindliches Reiſſen im Kopfe und beſonders
uͤber dem einen Auge haͤtte. Es war eben um
die Zeit, daß es Dreyviertel auf neun Uhr ge-
ſchlagen hatte, da ſie den Paroxismum bekam.
Dreyviertelſtunden war ſie allemal frey, und
eine
[149] eine Viertelſtunde ergrief ſie der Anfall. Sol-
ches Uebel hatte ſchon 5 Jahre gedauret, und
man fand daß ſie ſeit ſechs Jahren, das ihr
ſonſt gewoͤhnliche Schroͤpfen unterlaſſen.
Wenn es nun mit dem Kopfſchmertzen me-
chaniſch zuginge, ſo moͤchte ich gerne wiſſen,
was der Stundenſchlag dabey machte. Der-
gleichen Obſervationen aber ſind ſo gar unge-
woͤhnlich eben nicht. Der oftbelobte Herr
Prof. Juncker erzaͤhlet uns in ſeinem Conſp.
Medicinæ, theoretico-pract. auf der 67 Sei-
te folgendes: Notus eſt vir, qui per plures an-
not, die cuiusvis Menſis decimo octavo præciſe
bæmorrboides experitur, licet menſes numero
dierum impares ſint.Es iſt mir ein Mann
bekandt, ſpricht er, der viele Jahre hin-
durch allemal dem achtzehenden Tag ei-
nes ieden Monats die guͤldene Ader be-
kommt, obgleich ein Monat nicht alle-
mal ſo viel Tage hat als der andere. Es
ſolte mich wundern, ob ſich nicht ein Artzt fin-
den ſolte, der dieſe Begebenheiten aus der an-
ziehenden Kraft des Monden oder von ſonſt et-
was herleiten wuͤrde. Unter ſo vielen thoͤrichten
Meinungen, waͤre dieſe gar nichts unerwartetes.
Nein. Wenn man bey denen periodiſchen An-
faͤllen der Kranckheiten, oder auch bey andern
aͤhnlichen Veraͤnderungen unſers Koͤrpers, wo-
hin ich das Aderlaſſen und Purgieren, welches im
Abnehmen des Mondes am beſten von ſtatten ge-
het, rechne, ich ſage, wenn man bey dergleichen
Auf-
[150] Aufgaben klug verfahren will, ſo muß man ent-
weder noch zur Zeit ſeine Unwiſſenheit bekennen,
oder man muß die Sele dabey allein agiren laſſen.
Jch wuͤnſche, daß dieienigen beſonders dieſes be-
dencken moͤchten, die, indem ſie die Lehre des groſ-
ſen Stahls zu vertheidigen ſuchen, durch derglei-
chen uͤbereilte Urtheile, welche ſich meiſtentheils
auf nichts weiter, als eine Unwiſſenheit in der
Weltweisheit gruͤnden, dieſelbe bey allen denen
laͤcherlich machen, die ſich darauf legen, die
Kraͤfte der Koͤrper richtig zu unterſuchen.
Meiers
Ged. v. Zuſt. d. Sele n. d. Tode.
§. 1.
Wir ſind blind genug, die Fehltrit-
te unſers Verſtandes nicht zu bemercken;
und ein ieder hat ſein eigenes Lehrgebaͤu-
de, welches er, wie leicht zu erachten
iſt, fuͤr das einzige wahre haͤlt.
Was fuͤr Schwachheit!
- Holder of rights
- Kolimo+
- Citation Suggestion for this Object
- TextGrid Repository (2025). Collection 3. Gedanken vom Einfluß der Seele in ihren Körper. Gedanken vom Einfluß der Seele in ihren Körper. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bpx7.0