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Maria Schweidler
die Bernsteinhexe.


Der intereſſanteſte aller, bisher bekannten
Hexenprocesse;
nach einer defecten Handſchrift ihres Vaters, des Pfarrers
Abraham Schweidler in Coſerow auf Uſedom,


Gemeine Seelen machen in den Hexenproceſſen
Alles zum Werke der Einbildung. Wer aber
viele Hexenproceſſe geleſen, findet es unmöglich.

(Jean Paul.)

Berlin.:
Verlag von Duncker und Humblot.1843.
[[II]][[III]]

Vorrede.

Indem ich dem Publicum hiemit dieſen tief¬
rührenden und faſt romanartigen Hexenpro¬
ceß übergebe, den ich wohl nicht mit Unrecht auf
dem vorſtehenden Titelblatte den intereſſanteſten
Aller, bis jetzt bekannten, genannt habe, ertheile
ich zuvörderſt über die Geſchichte des Manuſcri¬
ptes die folgende Auskunft:


In Coſerow auf der Inſel Uſedom auf meiner
vorigen Pfarre, und derſelben, welcher unſer ehr¬
würdiger Verfaſſer vor länger als 200 Jahren vor¬
ſtand, befand ſich unter einem Chorgeſtühl der dor¬
tigen Kirche und faſt zu ebener Erde eine Art Ni¬
ſche, in welcher ich zwar ſchon öfter einige Scri¬
pturen liegen geſehen, die ich jedoch wegen mei¬
ner Kurzſichtigkeit und der Dunkelheit des Ortes
für verleſene Geſangbücher hielt, wie denn in der
That auch deren eine Menge hier umherlag. Ei¬
nes Tages jedoch, als ich mit Unterricht in der
Kirche beſchäftigt ein Papierzeichen in den Kate¬
chismus eines Knaben ſuchte, und es nicht ſogleich
[IV] finden konnte, trat mein alter, mehr als achtzigjähri¬
ger Küſter (der auch Appelmann hieß, aber ſeinem
Namensverwandten in unſerer Lebensgeſchichte
durchaus unähnlich und ein zwar beſchränkter aber
ſehr braver Mann war) unter jenes Chorgeſtühl,
und kehrte mit einem Folianten zurück, der mir nie
zu Geſicht gekommen war, und aus dem er ohne
Weiteres einen geeigneten Papierſtreifen riß und
ihn mir überreichte. Ich griff ſogleich nach dem
Buche und weiß nicht, ob ich ſchon nach wenigen
Minuten erſtaunter oder entrüſteter über meinen
köſtlichen Fund war. Das in Schweinsleder ge¬
bundene Manuſcript war nicht blos vorne und
hinten defect, ſondern leider waren auch aus der
Mitte hin und wieder mehrere Blätter geriſſen.
Ich fuhr den Alten an, wie nie in meinem Leben;
er entſchuldigte ſich aber dahin: daß einer meiner
Vorgänger ihm das Manuſcript zum Zerreißen ge¬
geben, da es hier ſeit Menſchen Gedenken umher¬
gelegen, und er öfter in Papier-Verlegenheit geweſen
ſei, beim Umwickeln der Altarlichte u. ſ. w. Der
greiſe halb blinde Paſtor hätte es für alte Kirchen¬
rechnungen gehalten, die doch nicht mehr zu ge¬
brauchen ſeien *).

[V]

Kaum zu Hauſe angekommen machte ich mich
über meinen Fund her, und nachdem ich mit vieler
Mühe mich ein und durchgeleſen, regten mich die
darin mitgetheilten Sachen mächtig an.


Ich fühlte bald das Bedürfniß mich über die
Art und Weiſe dieſer Hexenproceſſe, über das Ver¬
fahren ja über die ganze Periode, in welche dieſe
Erſcheinungen fallen, näher aufzuklären. Doch je
mehr dieſer bewundernswürdigen Geſchichten ich
las, je mehr wurde ich verwirrt, und weder der
triviale Beeker (die bezauberte Welt) noch der
vorſichtigere Horſt (Zauberbibliothek) und andere
Werke der Art, zu welchen ich gegriffen hatte,
konnten meine Verwirrung heben, ſondern dienten
nur dazu, ſie zu vermehren.


Es geht nicht bloß ein ſo tiefer dämoniſcher
Zug durch die meiſten dieſer Schaudergeſchichten,
daß den aufmerkſamen Leſer Grauſen und Ent¬
ſetzen anwandelt, ſondern die ewigen und unverän¬
derlichen Geſetze der menſchlichen Empfindungs-
und Handlungsweiſe werden auch oft auf eine ſo
gewaltſame Weiſe unterbrochen, daß der Verſtand
im eigentlichem Sinne des Wortes ſtille ſteht; wie
denn z. B. in einem der Originalproceſſe, die ein
juriſtiſcher Freund in unſerer Provinz aufgeſtöbert,
ſich die Relation findet, daß eine Mutter, nachdem
ſie bereits die Folter überſtanden, das heilige Abend¬
[VI] mahl genoſſen und im Begriff iſt, den Scheiter¬
haufen zu beſteigen, ſo ſehr alles mütterliche Ge¬
fühl bei Seite ſetzt, daß ſie ihre einzige, zärtlich ge¬
liebte Tochter, ein Mädchen von funfzehn Jahren,
gegen welche Niemand einen Verdacht hegt, ſich in
ihrem Gewiſſen gedrungen fühlt, gleichfalls als Hexe
anzuklagen, um, wie ſie ſagt, ihre arme Seele zu ret¬
ten. Das Gericht mit Recht erſtaunt über dieſen,
vielleicht nie wieder vorgekommenen Fall, ließ ih¬
ren Geſundheitszuſtand von Predigern und Aerz¬
ten unterſuchen, deren Original-Zeugniſſe den Ak¬
ten noch beiliegen und durchaus günſtig lauten.
Die unglückliche Tochter, welche merkwürdiger
Weiſe Eliſabeth Hegel hieß, wurde in Folge die¬
ſer mütterlichen Ausſage denn auch wirklich hinge¬
richtet *).

Die gewöhnliche Auffaſſung der neueſten Zeit,
dieſe Erſcheinungen aus dem Weſen des thieriſchen
Magnetismus zu begreifen reichen durchaus nicht
hin. Wie will man z. B. die tiefe, dämoniſche Na¬
tur der alten Liſe Kolken in dem vorliegenden
Werke daraus ableiten, die unbegreiflich iſt, und
es ganz erklärlich macht, daß der alte Pfarrer, trotz
des, ihm mit ſeiner Tochter geſpielten, entſetzlichen
[VII] Betruges ſo feſt in ſeinem Glauben an das Hexen¬
weſen, wie in dem, an das Evangelium bleibt.


Die früheren Jahrhunderte des Mittelalters
wußten wenig oder nichts von Hexen. Das Verbre¬
chen der Zauberei, wo es einmal vorkam, wurde
milde beſtraft. So z. B. ſetzte das Concilium zu An¬
cyra (314) die ganze Strafe dieſer Weiber in ein blo¬
ßes Verbannen aus der chriſtlichen Gemeinſchaft;
die Weſtgothen beſtraften ſie mit Prügeln, und Carl
der Große ließ ſie auf den Rath ſeiner Biſchöfe ſo
lange in gefänglicher Haft, bis ſie aufrichtige Buße
thaten *). Erſt kurz vor der Reformation klagt
Innocentius VIII., daß die Beſchwerden der gan¬
zen Chriſtenheit über das Unweſen dieſer Weiber,
ſo allgemein und in einem ſolchen Grade laut wür¬
den, daß dagegen auf das Entſchiedenſte eingegrif¬
fen werden müſſe, und ließ zu dem Ende 1489 den
berüchtigſten Hexenhammer (malleus malleficarum)
anfertigen, nach welchem nicht blos in der ganzen
katholiſchen, ſondern merkwürdiger Weiſe auch in
der proteſtantiſchen Chriſtenheit, die doch ſonſt alles
Katholiſche verabſcheuete und zwar mit ſolchem
fanatiſchen Eifer inquirirt wurde, daß die Prote¬
ſtanten es weit den Katholiken an Grauſamkeit zu¬
vor thaten, bis katholiſcher Seits der edle Jeſuit J.
Spee und proteſtantiſcher obgleich erſt ſiebzig Jahre
[VIII] ſpäter, der treffliche Thomaſius dem Unweſen all¬
mählig Einhalt thaten.

Nachdem ich mich auf das Eifrigſte mit dem
Hexenweſen beſchäftigt hatte, ſah ich bald ein, daß
unter allen dieſen, zum Theil ſo abenteuerlichen
Geſchichten, keine einzige an lebendigem Intereſſe
von meiner „Bernſteinhexe“ übertroffen würde,
und ich nahm mir vor, ihre Schickſale in die Ge¬
ſtalt einer Novelle zu bringen. Doch glücklicher
Weiſe ſagte ich mir bald: aber wie? iſt ihre Ge¬
ſchichte denn nicht ſchon an und für ſich die in¬
tereſſanteſte Novelle? Laß ſie ganz in ihrer alten
urſprünglichen Geſtalt; laß fort daraus, was für
den gegenwärtigen Leſer, von keinem Intereſſe
mehr, oder ſonſt allgemein bekannt iſt, und wenn
du auch den fehlenden Anfang und das fehlende
Ende nicht wiederherſtellen kannſt, ſo ſiehe zu,
ob der Zuſammenhang es dir nicht möglich macht,
die fehlenden Blätter aus der Mitte zu ergänzen,
und fahre dann ganz in dem Ton und der Sprache
deines alten Biographen fort, ſo daß wenigſtens
der Unterſchied der Darſtellung und die gemachten
Einſchiebſel nicht gerade ins Auge fallen.


Dies habe ich denn mit vieler Mühe und nach
mancherlei vergeblichen Verſuchen gethan, ver¬
ſchweige aber, an welchen Orten es geſchehen iſt,
um das hiſtoriſche Intereſſe der größten Anzahl
[IX] meiner Leſer nicht zu trüben. Für die Kritik je¬
doch, welche nie eine bewundernswürdigere Höhe
als in unſerer Zeit erreicht hat, wäre ein ſolches
Geſtändniß hier vollends überflüſſig, da ſie auch
ohne daſſelbe gar leichtlich unterſcheiden wird, wo
der Paſtor Schweidler, oder wo der Paſtor Mein¬
hold ſpricht *).

Von dem jedoch, was ich fortgelaſſen, bin ich
dem Publikum noch eine nähere Nachricht ſchuldig.
Dahin gehören:


  • 1) lange Gebete, inſofern ſie nicht durch chriſt¬
    liche Salbung ausgezeichnet waren.
  • 2) allgemein bekannte Geſchichten aus dem drei¬
    ßigjährigen Kriege.
  • 3) Wunderzeichen in den Wolken, die hie und
    da ſollten geſchehen ſein, und die auch andere
    pommerſche Schriftſteller dieſer Schreckens¬
    zeit berichten, wie z. B. Micrälius **), ſtan¬
    den jedoch ſolche Angaben in Verbindung mit
    dem Ganzen, z. B. das Kreuz auf dem Strek¬
    kelberge; ſo habe ich ſie natürlich ſtehen laſſen.
  • 4) die Specification der ganzen Einnahme der Co¬
    ſerower Kirche vor und während der Schrek¬
    kenszeit des dreißigjährigen Krieges.
  • 5) die Aufzählung der Wohnungen, die nach den
    Verheerungen des Feindes in jedem Dorf der
    Parochie ſtehen geblieben.
  • 6) die Angabe der Oerter, wohin dieſes oder
    jenes Mitglied der Gemeine ausgewandert ſei.
  • 7) Ein Grundriß und eine Beſchreibung des
    alten Pfarrhauſes u. ſ. w.

Auch mit der Sprache habe ich mir hin und
wieder einige Veränderungen erlaubt, wie denn
auch mein Autor in Sprache und Orthographie
nicht recht conſtant iſt. Letztere habe ich mit ge¬
ringen Ausnahmen beibehalten.


Und ſomit übergebe ich denn dies vom Feuer
des Himmels wie der Hölle glühende Werk dem
geneigten Leſer.


Meinhold.


[[1]]

Einleitung.

Die Abkunft unſers Biographen kann bei dem ver¬
loren gegangenen Anfange ſeiner Schrift nicht
mehr mit Genauigkeit beſtimmt werden. Er ſcheint je¬
doch jedenfalls kein Pommeraner geweſen zu ſein, denn
einmal ſpricht er von Schleſien, wo er in ſeiner Jugend
ſich befunden; nennt ſodann weit zerſtreute Verwandte,
nicht blos in Hamburg und Cöln ſondern ſogar in Ant¬
werpen und verräth vor allen Dingen durch ſeine ſüd¬
deutſche Sprache ſeine auswärtige Abkunft. Hieher rechne
ich beſonders Ausdrücke als: eim für einem, und die eigne
Derivation mancher Adjective z. B. tänein von Tanne,
ſeidin von Seide, eine Sprechweiſe, die, ſo viel ich weiß,
niemals in Pommern, wohl aber in Schwaben vorgekom¬
men iſt. Doch mußte er bei Abfaſſung ſeiner Schrift
ſchon lange Zeit in Pommern gelebt haben, weil er faſt
noch häufiger plattdeutſche Ausdrücke einmiſcht, ganz wie
dies eingeborne Pommerſche Schriftſteller der damaligen
Zeit auch wohl zu thun pflegen.


1[2]

Da er von altadlicher Herkunft iſt, wie er bei ver¬
ſchiedenen Gelegenheiten ſagt; ſo möchte man vielleicht
in den Adelsregiſtern des ſiebzehnten Jahrhunderts etwas
Näheres über das Geſchlecht der Schweidler finden, und
mithin auch über ſein wahrſcheinliches Vaterland; allein
ich habe mich vergebens in den mir zugänglichen Quellen
nach jenem Namen umgeſehen, und möchte daher ver¬
muthen, daß unſer Autor, wie dies ſo häufig geſchah,
bei ſeinem Uebergange zur Theologie, ſeinen Adel mit
Abänderung ſeines Namens ablegte.


Genug ich will hier nicht weitere Hypotheſen wa¬
gen. Unſer Manuſcript, in welchem die anſehnliche Zahl
von ſechs Kapiteln fehlt, und welches auf den nächſt vor¬
hergegangenen Blättern unſtreitig ſich über den Ausbruch
des dreißigjährigen Krieges auf der Inſel Uſedom ver¬
breitet hat, beginnt mit den Worten: „Kaiſerliche ge¬
hauſet“ und fährt dann fort wie folgt:


— — Koffer, Truhen, Schränke waren alleſammt
erbrochen und zuſchlagen, auch mein Prieſterhemd zuriſ¬
ſen, ſo daß in großen Aengſten und Nöthen ſtande.
Doch hatten ſie mein armes Töchterlein nit gefunden,
maßen ich ſie in einem Stall, wo es dunkel war, verbor¬
gen, denn ſonſt ſorge ich, hätten ſie mir noch mehr Her¬
zeleid bereitet. Wollten die räudigen Hunde doch ſchon
meine alte Ilſe ein Menſch bei ſchier 50 Jahren ange¬
hen, hätte es ihnen ein alter Kornett nicht gewegert.
[3] Dankete dahero meinem Schöpfer, als die wilden Gäſte
wegkwaren, daß ich allermeiſt mein armes Kind vor ih¬
ren Klauen geborgen, wiewohl kein Stäublein Mehl,
kein Körnlein Getreide noch ein Stücklein Fleiſch bei eines
Fingers Länge mehr fürhanden, und ich nit wußte wie
ich mein und meines armen Kindes Leben weiter friſten
ſöllte. Item dankete Gott, daß ich noch die vasa sacra
geborgen, welche ich gleich mit den beiden Fürſtehern
als, Hinrich Seden und Claus Bulken von Uekeritze in
der Kirchen vor dem Altar vergrube, Gott die Obhut
empfehlend. Weil nun aber, wie bemeldet, ich bittern
Hunger litte, ſo ſchrieb an Se. Geſtrengen den Herrn
Amtshauptmann Wittich von Appelmann auf Pudgla *)
daß er umb Gotts und ſeines heiligen Evangeliums wil¬
len in ſollich ſchwerer Noth und Trübſal mir zukommen
ließe, was Se. Fürſtliche Gnaden, Philippus Julius mir
an Praestandis vom Kloſter zu Pudgla beigeleget, als
nämlich 30 Schffl. Gerſte und 25 Mark Silbers, welche
Sr. Geſtrengen mir aber bis nunmehro gewegert. (Denn
er war ein faſt hart und unmenſchlicher Mann ſinte¬
malen er das heilige Evangelium und die Predigt ver¬
achtete, auch öffentlich und ſonder Scheue ſeinen Spott
über die Diener Gottes hatte, nämblich, daß ſie unnütze
Brodtfreſſer wären, und Lutherus den Schweineſtall der
Kirchen nur halb geſäubert. Gott beſſers! —) Aber
er antwortete mir nit, und ich wäre ſchier verſchmach¬
1*[4] tet, wenn Hinrich Seden nicht für mich im Kapſel *)
gebetet. Gott lohn's dem ehrlichen Kerl in der Ewig¬
keit! Er wurde dazumalen auch ſchon alt und hatte viel
Plage von ſeinem böſen Weibe, Liſe Kollken. Dachte gleich,
daß es nit ſonderlich gehen würd, als ich ſie traute;
angeſehen ſie im gemeinen Geſchrei war, daß ſie lange
mit Wittich Appelmann in Unzucht gelebet, welcher von
jeher ein rechter Erzſchalk und auch abſonderlich ein hitzi¬
ger — — — Jäger geweſt, denn ſo etwas geſegnet der
Herre nicht. Selbiger Seden nun brachte mir 5 Brodte,
2 Würſte und eine Gans, ſo die alte Paalſche in Lod¬
din ihm verehret, item eine Seite Speck von Hans Te¬
wert dem Bauern. Müchte ihn aber vor ſeiner Frauen
ſchützen, welche die Hälfte hätte vor ihr behalten wollen,
und da er ſich gewegert, hätte ſie ihn vermaledeiet und
die Kopfgicht angewünſcht, ſo daß er gleich ein Ziehen
in der rechten Wangen verſpüret, welches jetzunder faſt
hart und ſchwer geworden. Für ſolcher erſchröcklichen
Nachricht entſetzte ich mich, wie einem guten Seelenhir¬
ten geziemet, fragende: ob er vielleicht gläubete, daß ſie
in böſem Verkehr mit dem leidigen Satan ſtünde, und
hexen könnte? Aber er ſchwiege und zuckete mit den Ach¬
ſeln. Ließ mir alſo die alte Liſe rufen welche ein lang,
dürr Menſch, bei 60 Jahren war, mit Gluderaugen,
ſo daß ſie Niemand nit gerade ins Antlitz ſchauete, item
mit eitel rothen Haaren wie ſie ihr Kerl auch hatte.
[5] Aber obwol ich ſie fleißig aus Gotts Wort vermahnete
gab ſie doch keine Stimme, und als ich endlich ſagete:
Willtu deinen Kerl wieder umböten *) (denn ich ſahe
ihn auf der Straßen durch das Fenſter allbereits als
einen Unſinnigen rasen) oder willtu, daß ich's der Obrig-
keit anzeige, gab ſie endlich nach und verſprache, daß
es bald ſölle beſſer mit ihm werden; (was auch ge-
ſchach) item bat ſie, daß ich ihr wölle etwas Speck
und Brod verehren, dieweil ſie auch ſeit dreien Tagen
kein ander Fleiſch und Nahrung mehr zwiſchen den Zäh¬
nen gehabt, denn ihre Zunge. Gab ihr mein Töchter-
lein alſo ein halb Brod, und ein Stück Speck bei zweer
Händen Länge, was ihr aber nicht genugſam bedünkete,
ſondern mummelte zwiſchen den Zähnen, worauf mein
Töchterlein ſagte: biſtu nicht zufrieden, alter Hexenſack,
ſo packe dich und hilf erſt deinem Kerl, ſchaue wie er
das Haubt auf Zabels Zaun geleget und mit den Fü¬
ßen vor Wehetage trampelt, worauf ſie ginge, doch aber¬
mals zwiſchen den Zähnen mummelnde: „Ja ich will
ihm helfen und dir auch!"


[6]

Capitel 7.

Wie die Kaiſerlichen mir alles Uebrige geraubet,
auch die Kirchen erbrochen und die
vasa Sacra
entwendet; item was ſonſten fürgefallen.


Nach etzlichen Tagen, als unſere Nothdurft faſt
verzehret, fiel mir auch meine letzte Kuh umb
(die andern hatten die Wülfe, wie oben bemeldet, all-
bereits zuriſſen) nicht ohne ſonderlichen Verdacht, daß
die Liſe ihr etwas angethan, angeſehen ſie den Tag
vorhero noch wacker gefreſſen. Doch laſſe ich das in
ſeinen Würden, dieweil ich Niemand nit verleumbden
mag; kann auch geſchehen ſein durch die Schikkung des
gerechten Gottes, deßen Zorn ich wohl verdienet hab' —
Summa: ich war wiederumb in großen Nöthen und
mein Töchterlein Maria zuriß mir noch mehr das Herze
durch ihr Seufzen, als das Geſchreie anhub: daß aber¬
mals ein Trupp Kaiſerlicher nach Uekeritze gekommen,
und noch gräulicher denn die erſten gemarodiret, auch
das halbe Dorf in Brand geſtecket. Derohalben hielt
ich mich nicht mehr ſicher in meiner Hütten, ſondern
nachdem in einem brünſtigen Gebet Alles dem Herrn
empfohlen, machte mich mit meinem Töchterlein und der
alten Ilſen auf, in den Streckelberg *) wo ich allbe-
reits ein Loch, einer Höhlen gleich, und trefflich von Brom¬
[7] melbeeren verrancket uns auserſehen, wenn die Noth
uns verſcheuchen ſöllte. Nahmen daher mit, was uns
an Nothdurft des Leibes geblieben, und rannten mit
Seufzen und Weinen in den Wald, wohin uns aber
bald die alten Greiſen und das Weibsvolk mit den Kin¬
dern folgten, welche ein groß Hungergeſchrei erhoben.
Denn ſie ſahen, daß ſich mein Töchterlein auf einen
Stubben satzte, und ein Stück Fleiſch und Brod ver¬
zehrete, kamen alſo die kleinen Würmer mit ausgereck¬
ten Händeleins angelaufen und ſchrieen: uck hebben, uck
hebben *). Wannenhero da mich ſolch groß Leid bil¬
lig jammerte, meinem Töchterlein nit wehrete, daß ſie
alles Brod und Fleiſch ſo vorräthig unter die hungri¬
gen Kindlein vertheilete. Erſt mußten ſie aber dafür
„Aller Augen“ **) beten, über welche Wort ich dann eine
tröſtliche Anſprach an das Volk hielte, daß der Herr,
welcher jetzunder ihre Kindlein geſpeiſet auch Rath wiſ¬
ſen würde ihren eigenen Bauch zu füllen, möchten nur
nit müde werden ihm zu vertrauen.


Aber ſollich Troſt währete nicht lange. Denn nach¬
deme wir wohl an die zween Stunden in und um der
Höhlen uns gelagert, huben die Glocken im Dorfe ſo
kläglich an zu gehen, daß es einem Jeglichen ſchier das
Herze brach, angeſehen auch dazwiſchen ein laut Schie¬
ßen, item das Geſchrei der Menſchen und das Bellen
der Hunde erſchallete, ſo daß männiglich gießen kunnte,
[8] der Feind ſei mitten im Dorfe. Hatte dannenhero ge¬
nug mit den Weibern zu tüſchen *) daß ſie nicht durch
ihr unverſtändig Lamentiren dem grimmigen Feind un¬
ſern Schlupfwinkel verrathen möchten, zumalen als es
anfing ſchmockig zu riechen, und alſobald auch die helle
Flamme durch die Bäume glitzerte. Schickete derohal¬
ben den alten Paaſsch oben auf den Berg daß er umb¬
herlugen ſollt, wie es ſtünde, hätte ſich aber wohl zu
wahren, daß man ihn nicht vom Dorfe erſchaue, aner¬
wogen, es erſt zu ſchummern begunte. Solliches ver¬
ſprach er und kam alsbald auch mit der Bothſchaft zu¬
rücke, daß gegen 20 Reuter aus dem Dorfe gen die
Damerow gejagt wären aber das halbe Dorf in rothen
Flammen ſtünd. Item erzählete er, daß durch ſeltſame
Schickung Gottes ſich ſehr viel Gevögel in den Knirk¬
büſchen **) und anderswo ſehen ließ, und meinete, wenn
man ſie nur fangen künnte, daß ſie eine treffliche Speiß
vor uns abgeben würden. Stieg alſo ſelbſten auf den
Berg, und nachdem ich alles ſo befunden, auch gewahr
worden daß durch des barmherzigen Gottes Hülf das
Feuer im Dorfe nachgelaſſen, item daß auch mein Hütt¬
lein wider mein Verdienſt und Würdigkeit annoch ſtünde,
ſtieg ich alsbald herunter, tröſtete das Volk und ſprach:
der Herr hat uns ein Zeichen gegeben und will uns ſpei¬
ſen, wie einſt das Volk Israel in der Wüſten, denn er
hat uns eine treffliche Schaar von Krammetsvögeln über
[9] die wüſte Sehe geſendet, welche aus jedem Büſchlein
burren, ſo man ihm nahet. Wer will nun in das Dorf
laufen und ſchneiden die Mähnhaare und den Schwanz
von meiner gefallenen Kuh wegk, ſo hinten auf der Wör¬
the liegt. (Denn Roßhaare hatte es im ganzen Dorf
nicht, dieweil alle Roß vom Feinde längſt genommen
oder erſtochen waren.) Aber es wollte ſich Niemand nit
finden angeſehen die Angſt noch größer war, denn der
Hunger, als meine alte Ilſe anhub: ſo will ich ſchon
gehen, denn ich fürchte mich nit, dieweil ich auf Got¬
tes Wegen bin, gebet mir nur einen guten Stock. Als
ihr nun der alte Paaſsch ſeinen Stecken hingereichet, be¬
gunte ſie vor ſich zu ſingen „Gott der Vater wohn uns
bei," und verlief ſich bald in das Gebüſche. Hierzwi¬
ſchen vermahnete ich nun das Volk, alsbald Hand an¬
zulegen, kleine Rüthlein zu den Dohnen zu ſchneiteln und
Beeren zu ſuchen, dieweil es Mondſchein ware, und all¬
wärts viel Gänſeflieder auch Ebereſchen auf dem Berge
ſtunden. Die kleinen Kindlein aber hütete ich mit mei¬
ner Marien, dieweil die Gegend nicht ſicher für Wül¬
fen war. Hatten derohalben ein luſtig Feuer angemacht,
umb welches wir uns ſetzten und dem kleinen Volk die
Gebot verhöreten, als es hinter uns kniſterte und kna¬
ſterte, und mein Töchterlein mit den Worten: proh do¬
lor, hostis!
*) auf und im die Höhlen ſprang. Aber
[10] es waren nur die rüſtigen Kerls, ſo im Dorfe verblie¬
ben, und nun kamen, uns Bothſchaft zu bringen, wie
es alldorten ſtünde. Dahero rief ihr gleich zu: emer¬
gas
, amici*) wo ſie denn auch mit großen Freuden
wieder herfürſprang und bei uns zum Feuer niederſaß.
Allſobald verzählete nun mein Fürſteher Hinrich Seden
was derweilen fürgefallen, und wie er nur durch ſein
Weib Liſe Kolken ſein Leben geborgen. Jürgen Flatow,
Chim Burſe, Clas Peer und Chim Seideritz aber wä¬
ren erſchlagen, und läge letzterer recht auf dem Kirch¬
ſteig. Zwölf Katen hätten die grimmigen Mordbren¬
ner in Aſche geleget und wär es nit ihre Schuld, daß
nicht das ganze Dorf draufgegangen angeſehen der Wind
ihnen nicht gepaſſet. Hätten zum Hohn und Geſpötte
die Glocken dazu geläutet, ob Niemand kommen wöllt
und löſchen, und als er und die drei andern jungen Kerle
herfürgeſprungen hätten ſie die Musqueten auf ſie ab¬
gedruckt, aber mit des großen Gotts Hülfe Niemand
nit getroffen. Darauf wären ſeine Geſellen über die
Zäune geſprungen, ihn aber hätten ſie erwiſchet, und
ſchon das Gewehr über ihm ausgerecket, als ſein Weib
Liſe Kollken mit eim andern Trupp aus der Kirchen her¬
fürgetreten, und ihnen gewinket daß er Ruhe gehabt.
Lene Hebers aber hätten ſie in ihrem Wochenbett erſto¬
chen, das Kindlein geſpießet und über Claas Peers Zaum
in den Neſſel geworfen, wo es annoch gelegen, als ſie
[11] abgelaufen. Wäre jetzunder im ganzen Dorf derohal¬
ben keine lebendige Seele mehr, und noch ſchwerer ein
Biſſel Brods, ſo daß, wenn den Herrn nit ihre Noth
jammerte, ſie alle des elendiglichen Hungertodes würden
ſterben müſſen.


(Da ſage nun Einer: das wöllen Chriſtenmenſchen
ſein!)


Fragte nunmehro, als er ſchwiege (mit wie viel
Seufzen jedoch, kann man leichtlich gießen) nach mei¬
ner Hütten, wovon ſie aber nichts wußten, als daß ſie
annoch ſtünde. Ich dankete dannenhero dem Herrn mit
einem ſtillen Seufzerlein und alſobald den alten Seden
fragend was ſein Weib in der Kirchen gemachet, hätte
ich ſchier vergehen mügen für großem Schmerz, als ich
hörete, daß die Lotterbuben, als ſie heraußer getreten,
die beiden Kelche nebſt den Patenen in Händen getra¬
gen. Fuhr dahero die alte Liſe faſt heftig an, welche
nun auch angeſchlichen kam durch das Buſchwerk, wor¬
auf ſie aber trotziglich zur Antwort gab: daß das fremde
Volk ſie gezwungen die Kirche aufzuſchließen, da ihr Kerl
ja ſich in den Zaum verkrochen, und Niemand Anders
nit da geweſen. Selbige wären ſogleich für den Altar
getreten, und da ein Stein nicht wohl gefuget (was
aber eine Erzlüge war) hätten ſie alſobald angefangen
mit ihren Schwertern zu graben, bis ſie auch die Kelche
und Patenen gefunden. Könnte auch ſein daß ein An¬
derer ihnen den Fleck verrathen. Möchte dahero ihr nicht
immer die Schuld beilegen, und ſie alſo heftig anſchnautzen.


[12]

Hierzwiſchen kamen nun auch die alten Greiſen und
Weiber mit trefflich vielen Beeren an, item meine alte
Magd mit dem Kuhſchwanz und den Mähnhaaren, welche
verzählete, daß das ganze Haus umbgewühlet, die Fen¬
ſter zuſchlagen, die Bücher und Scripturen auf der Stra¬
ßen in den Koth getreten und die Thüren aus den Hes¬
pen gehoben wären. Solliches aber war mir ein gerin¬
ger Leid, denn die Kelche, dahero nur das Volk vermah¬
nete Biegel und Schneere zu machen, umb am nächſten
Morgen mit des barmherzigen Gotts Hilfe unſer Jagd¬
werk zu vollenführen. Klöbete dahero ſelber die Rüth¬
lein bis um Mitternacht und da wir eine anſehnliche Zahl
gefertiget, ließ ich den alten Hinrich Seden den Abend¬
ſeegen beten, den wir alle knieende anhöreten, worauf ich
endiglichen noch ein Gebet that, und das Volk ſodann
vermahnete, die Männer apart und die Weiber auch apart
ſich für der Kälte (Dieweil es ſchon im Monat Sep¬
tembri war und faſt friſch von der Seekante herwehete)
in dem Buſchwerk zu verkriechen. Ich ſelbſten ſtieg aber
mit meinem Töchterlein und der Magd in die Höhlen,
hatte aber noch nicht lange geſchlummert, als ich den
alten Seden faſt heftig wimmern hörete, weilen ihn die
Kolik überfallen, wie er klagte. Stand dahero wieder
auf und gab ihm mein Lager, und ſetzte mich wieder
zum Feuer, und ſchneitelte Dohnen, bis ich ein halb Stünd¬
lein entſchlief und der Morgen anbrach, worauf es beſ¬
ſer mit ihm worden war, und ich nun auch alſobald mich
aufmachte und das Volk zum Morgenſeegen weckte. Die¬
[13] ſesmal thät ihn der alte Paaſsch kunnte aber nit recht
hineinkommen, weshalb ich ihm aushelfen mußte. Hatt'
er ihn vergeſſen oder thats die Angſt, das laſſe ich un¬
geſagt. Summa. Nachdem wir All recht inniglichen ge¬
betet, ſchritten wir alſofort zum Werk, keilten die Doh¬
nen in die Bäume und umbhingen ſie mit Beeren, un¬
terdeſſen mein Töchterlein der Kinder hüthete, und Brum¬
melbeeren vor ſie zum Frühſtück ſuchete. — Nun ſoll
man aber wiſſen, daß wir quer durch den Buſch gen
den Weg nach Uekeritze hin keileten, und da merke nun
männiglich wieder die ſonderbare Gnadenſchickung des
barmherzigen Gotts. Denn als ich mit dem Beil in der
Hand (es war Seden ſein Beil, ſo er in der Frühe
aus dem Dorfe gehohlet) in bemeldeten Weg trate, nehm
ich auf der Erden ein Brod wahr, bei eines Armes Länge,
worauf ein Rabe pickete, und welches ſonder Zweifel
ein kaiſerlicher Reuter Tags vorhero aus ſeinem Schnapp¬
ſack verloren, dieweil noch friſche Roßtrappen im Sande
dabei ſtunden. Knöpfe mir es alſo heimlich über den
Wanſt, ſo daß Niemand nichtes merkete, obſchon bemel¬
deter Paaſsch dicht hinter mir ſchritt, item alle Andern
in nicht gar guter Ferne ihm folgeten. Als wir nun
ſo die Dohnen beſtellet in großer Frühe, hatte es ſchon
gegen die liebe Mittagszeit eine ſo große Menge Vö¬
gel darinnen, daß Käthe Berow welche mir zur Seiten
ſchritt, als ich ſie abbande, dieſelben in ihrem Schurz¬
fleck faſt nit zu laſſen mußte, und auf dem andern Ende
der alte Pagels auch nit viel weniger aus ſeinem Bruſt¬
[14] latz und Rocktaſchen herfürlangte. Mein Töchterlein ſatzte
ſich alſo mit den andern Frauensvolk hin, das Gevögel
zu rupfen, und da es an Salz gebrach, (denn deſſen
hatten die Meiſten von uns lange nicht mehr gekoſtet,)
vermahnete ſie ein Paar Männer, zur Sehe zu ſteigen,
und in einem Grapen, ſo noch von Staffer Zuter ge¬
borgen war, ein wenig geſalzen Waſſer zu hohlen, was
ſie auch thäten. In ſolchem Waſſer tunketen wir nun¬
mehro die Vöglein und brieten ſie darauf bei einem
großen Feuer, wobei uns allen ſchon vom den, ſüßen Ge¬
ruch das Maul zu wäſſern begunnte, da wir ſo lange
keiner Speiſen nicht gekoſtet.


Sage dahero als alles fertig, und das Volk ſich
auf der Erden gelagert hat: nun ſchauet wie der Herr
ſein Volk Israel in der Wüſten noch immerdar mit
friſchen Wachteln ſpeiſet, ſollt er nun ein Uebriges thun,
und uns auch ein Stücklein Mannabrod vom Himmel
ſenden, was meinet ihr, würdet ihr dann jemalen müde
werden zu gläuben, und nit vielmehr alle Noth, Trüb¬
ſal, Durſt und Hunger williglich tragen, ſo er euch för¬
der nach ſeinem gnädigen Willen auferlegen ſöllte? wor¬
auf ſie alle antworteten und ſprachen: ja ſicherlich! Ego:
Wöllt ihr mir das wahrhaftiglichen verſprechen, worauf
ſie wiederumb ſageten: ja das wollen wir! Da zog ich
mit Thränen das Brod von meinem Wanſt herfür, hub
es hoch in die Höhe und rufete: nun ſchau du armes,
gläubiges Häuflein, welch ein ſüßes Mannabrod dein
treuer Erlöſer Dir durch mich geſendet, worauf alles
[15] ſchriee, ächzete, weinete, auch die kleinen Kinder aber¬
mals herbeiſprangen, und die Händlein ausrecketen, in¬
deme ſie ſchrien: „kiekt Brod, kiekt Brod!" Da ich aber
vor Wehemuth ſelbſten nit beten kunte, ließ ich Paaſsch
ſein klein Mägdlein das Gratias beten, in währender
Zeit meine Maria das Brodt zuſchnitt und einem Jeg¬
lichen ſein Theil reichete. Und nun langeten wir alle¬
ſammt freudig zu dem lieben Gottesmaal in der Wüſten.


Hierzwiſchen mußte nun aber erzählen, wie ich das
liebe Mannabrod gefunden, wobei nit verſäumete ſie
abermals zu vermahnen, daß ſie wöllten das große Wun¬
derzeichen ſich zu Herzen gehen laſſen, ſo der barmher¬
zige Gott, wie weiland an dem Propheten Eliſa, an ih¬
nen auch gethan, angeſehen wie ein Raab in der gro¬
ßen Hungersnoth demſelbigen das Brod in der Wüſten
zugeführet, der Herr auch mir dieſes Brod durch einen
Raben zugeführet, daß ich es finden gemüßt, da ich ihm
ſonſt wohl in meiner Trübſal vorbeigeſchritten, und es
nimmer geſehen hätte.


Als wir endiglichen unſern Bauch mit Nothdurft
gefüllet, hielte die Dankſagung über Lucas 12, v. 24,
wo der Herre ſpricht: nehmet wahr den Raben, ſie ſäen
nicht, ſie erndten auch nit, ſie haben auch keine Keller
noch Scheuen, und Gott nähret ſie doch, Wieviel aber
ſeid ihr beſſer denn die Vögel? — Aber unſere Sün¬
den ſtunken vor dem Herrn. Denn da die alte Liſe,
wie ich bald in Erfahrung gebracht ihre Vögel nit ver¬
zehret, weilen ſie ihr zu nüchtern fürkamen, ſondern ſel¬
[16] bige in den Knirkbuſch *) geworfen, ergrimmete ſein Zorn
über uns, wie weiland über das Volk Israel, und wir
hatten zur Nacht nur ſieben Vögel auf den Schneeren,
am andern Morgen aber nur zween. Auch kam kein
Raab wieder, der uns Brod wieſe. Darumb ſchalt ich
die alte Liſe und vermahnete das Volk, ſollich gerechte
Strafe des höchſten Gottes williglich auf ſich zu nehmen,
fleißig zu beten, in ſeine verlaſſenen Hütten zurückzuwal¬
len, und zu ſehen, ob der grundgütige Gott vielleicht auf
der Sehe mehr beſcheeren möcht. Würde ihn auch in
mein Gebet Tag und Nacht anrufen; doch noch eine
Zeit lang mit meinem Töchterlein und der Magd in
der Höhlen verblieben und der Dohnen hüten, ob ſich
ſein Zorn wenden möcht. Sollten mir inzwiſchen mein
Pfarrhaus nach beſten Kräften wieder zurichten, damit
ich es bald wieder beziehen könnt, ſintemalen die Kälte
mir faſt ſchwer fiele. Solliches gelobten ſie auch zu thun,
und ſchieden mit Seufzen von dannen. Welch ein klein
Häuflein! — fande nur noch bei 25 Köpfen, da deren
doch ſonſten über 80 geweſt; alle andern hatte der Hun¬
ger, das Schwert und die Peſtilenz **) gewürget. Blieb
dahero noch mit meinem Gebet für Gott eine Zeitlang
[17] einſam und traurig in den Höhlen, und ſendete nur mein
Töchterlein nebſt der Magd mit zum Dorfe, daß ſie
ſich umbſehen ſollten, wie es in der Widemen *) ſtände,
item die Schriften und Bücher wieder zuſammenleſen,
auch mir Kundſchaft bringen, ob Hinze der Zimmermann,
den ich alſobald in's Dorf zurückgeſendet, die Särge vor
die elenden Leichnahme zuſammengehämmert, daß ich ſie
des nächſten Tages begraben möchte. Darauf ſchritt
ich zu den Dohnen, aber nur ein einig Vögelein war
darinnen zu verſpüren, woraus ich denn merkete, daß
der Zorn Gottes noch nit vorüber. Traf jedoch einen
ſchönen Brummelbeerenbuſch, woran ich bei einer Metze
Beeren pflückete, mit dem Vogel ſelbige in Staffer Zu¬
ter ſeinen Grapen thät, den der gute Kerl uns noch eine
Friſt gelaſſen und zur Nachtkoſt auf ein Feuer ſetzete,
wann mein Kind mit der Magd zurückkehren würd. Wäh¬
rete auch nicht lange, als ſie durch den Buſch brachen
und von dem Gräuel der Verwüſtung erzähleten, ſo der
leidige Satan unter Zulaſſung des gerechten Gottes im
Dorf und in der Widemen angerichtet. Mein Töchter¬
lein hatte noch ein paar Bücher zuſammengeleſen, die
ſie mit ſich trug, vor andern einen Virgilium und eine
griechiſche Bibel. Und als ſie darauf verzählet, daß der
Zimmermann erſt morgen fertig würd, wie auch alsbald
unſern Bauch zur Nothdurft geſtillet, mußte ſie mir zur
Stärkung meines Glaubens noch einmal den locum von
2[18] den lieben Raaben Lucas am 12ten aus dem Griechi¬
ſchen fürleſen, item den ſchönen Iocum parallelum Matth.
am 6ten, worauf die Magd den Abendſeegen betete, und
wir uns nach den Höhlen zur Nachtruh begaben. Als
ich nun am andern Morgen erwachte, als eben die liebe
Sonne aus der Sehe herfürbrach und über den Berg
ſchauete, hörete ich, daß mein arm hungrig Töchterlein
ſchon vor der Höhlen ſtand und das ſchöne Liedlein von
den Freuden des Paradieſes recitirte, ſo der heilige Au¬
gustinus
gefertiget, und ich ihr gelernet. *) Sie ſchluchzete
für Jammer als ſie die Worte ſprach:

uno pane vivunt dives utriusque patriae

avidi et semper pleni, quod habent, desiderant

nonsacietasfastidit, neque fames cruciat

inhiantes semper edunt, et edentes inhiant

flos perpetuus rosarum ver agit perpetuum,

Candent lilia rubescit crocus, sudat balsamum,

virent prata, vernant sata, rivi mellis influunt

pigmentorum spirat odor liquor et aromatum,

pendent poma floridorum non lapsura nemorum

non alternat luna vices, sol vel cursus syderum

agnus est foelicis urbis lumen inocciduum**)

Bei dieſen Worten wurde ich ſelbſten weich, und als
ſie ſchwiege, fragte ich: „was machſt du da mein Töch¬
[19] terlein?“ worauf ſie mir zur Antwort gäbe: „ich eſſe
Vater.“ was mir erſt recht die Thränen herfürtrieb, ſo
daß ich anfing ſie zu loben, daß ſie die arme Seele ſpei¬
ßen wöllt, da ſie es nicht ihren armen Leib künnte. Hatte
aber noch nit viel geſprochen, als ſie aufſchriee, daß ich
das große Wunderwerk doch betrachten ſöllte, ſo ſich aus
der Sehe herfürthät, und allbereits über der Höhlen her¬
einbrach. Denn ſiehe, eine Wolke, ganz wie ein Kreuz
geformiret, kam über uns und ließ dicke ſchwere Tropfen
bei einer guten Erbſen groß und drüber auf uns nie¬
derfallen, worauf ſie alsbald hinter das Gehäge ſank.
**)2 *[20] Richtete mich dannenhero ſogleich in die Höhe, und rannte
mit meinem Töchterlein flugs auf das Gebirge, ihr nach¬
zuſchauen. Sie zog gen das Achterwaſſer *), wo ſie ſich
weit auseinander thät, und hinterwärts alsbald einen gro¬
ßen blauen Streifen formirete, welchen wunderlich die
Sonne beſchien, ſo daß er ſchier wie eine güldne Brük¬
ken anzuſchauen war, wie mein Töchterlein ſagte, auf
welcher die lieben Engel tanzten. Fiel daher mit ihr
ſogleich auf die Kniee und dankete dem Herrn, daß un¬
ſer Kreuz für über gezogen, aber ach unſer Kreuz ſollte
erſt anheben, wie man weiter leſen wird.

[21]

Capitel 8.

Wie unſere Noth immer größer wird, ich die alte
Ilſe mit einem andern Schreiben gen Pudgla fande,
und was mir daraus noch für ein größer Leid
erfolget.


Als ich des andern Tags mit gemeinem Geſchrei,
des ganzen Dorfs die elenden Leichname beerdi¬
get (merke, da wo die Linde *) über die Mauer ſchat¬
tet, ſeind ſie alle begraben) hörete ich mit vielen Seuf¬
zern, daß auch weder die Sehe noch das Achterwaſſer
etwas hergeben gewöllt. Dies dauerte bei zehn Tagen,
daß das arme Volk faſt kein Fiſches Auge nit kunnte
fangen. Ging dahero ans das Feld, und ſanne, wie der
Zorn des gerechten Gottes über uns zu wenden wär,
dieweil der harte Winter vor der Thür und kein Korn,
kein Fiſch, kein Apfel, kein Fleiſch nicht ſowohl im Dorfe
als im ganzen Kapſel mehr zu finden. Denn Gewilde
hatte es zwar genugſam in der Coſerowſchen und Uek¬
keritzer Heiden, aber der alte Heidenreuter Zabel Neh¬
ring war im verſchienen Jahr an der Peſtilenz geſtor¬
ben, und noch kein neuer daſelbſten. Auch war im gan¬
zen Kapſel keine einige Mousquete oder Kraut dazu auf¬
zufinden, ſintemalen der Feind alles geraubet und zu¬
[22] brochen. Wir mußten dahero alle Tage anſehen, wie
Hirſche, Rehe, Haaſen, Schweine et cet. uns fürbei
ſprangen, da wir ſie doch lieber in unſerm Magen ge¬
habt, aber in unſerer Unmacht ſie nicht gewinnen, kunn¬
ten. Und in Gruben wollten ſie ſich nicht fahen laſſen.
Doch hatte Claus Peer ein Rehe darin gefangen, und
mir auch ein Stück davon verehret, was ihm Gott loh¬
nen wölle. Item an zahmen Vieh war faſt gar nichtes
mehr in Kapſel fürhanden, auch kein Hund, weder eine
Katze, welche das Volk in der großen Hungersnoth zum
Theile gegeſſen, zum Theile aber vorlängſt geſchlagen oder
verſäufet. Doch hatte der alte Bauer Paaſsch noch zwei
Kühe item ſoll in Uekeritze noch ein alter Mann ein Fer¬
kelken gehabt haben, das war Alles. Darumb lebete faſt
alles Volk von Brummel- und andern Waldbeeren, welche
aber auch ſchon begunnten ſeltſam zu werden, wie man
leichtlich gießen mag. Auch hatte ſich dabei allbereits
ein Knabe bei 14 Jahren verloffen, (den alten Labahn
ſein Junge) und nie nichtes wieder von ſich hören laſ¬
ſen, ſo daß ich ſchier befahre, daß ihn die Wülfe ge¬
freſſen.


Hieraus möge nun ein chriſtlich Herze vor ſich ſelb¬
ſten abnehmen, in was Gram und Trübſal ich meinen
Stecken zur Hand genommen, angeſehen mein Töchter¬
lein für den leidigen Hunger wie ein Schatten verging,
obſchon ich ſelbſten als ein alter Körper, durch die Gnade
des barmherzigen Gottes noch keinen ſonderbaren Abgang
meiner Kräfte verſpürete. Indeme ich nun ſo ginge im
[23] fortwähren zu dem Herrn wimmernd, gewahrete ich auf
dem Wege gen Uekeritze ſo ich eingeſchlagen, einen Bett¬
lersmann, der ſaß mit ſeinem Ränzel auf einem Stein
und verzehrete ein Stücklein ſeltene Gottesgabe, verſtehe
ein Stücklein Brod. Ach, da liefen mir armen Mann
die Backen ſo voll Waſſers, daß ich mich erſt bücken
und es zur Erde mußte laufen laſſen, ehe ich fragen
kunte: „wer biſtu, und wo kommſtu her, daß du Brod
haſt?“ Worauf er antwortete: daß er ein armer Mann
aus Bannemin ſei, deme der Feind Allens genommen,
und da er erfahren, daß der Lieper Winkel *) faſt lange
Frieden gehabt, hätt’ er ſich aufgemacht daſelbſten zu
ſchnurren. „Nun ſage ich darauf: du armer Bettlers¬
mann, ſo theile einem betrübten Diener Chriſti der är¬
mer iſt denn du, nur eine kleine Schnede **) Brodt für
ſein armes Töchterlein ab, denn du ſollt wiſſen, ich bin
ein Pfarrherr hier im Dorf und mein Kind will ſterben
für Hunger. Ich beſchwere dich bei dem lebendigen Gott,
daß du mich nit gehen läſſeſt, ohne dich mein zu erbar¬
men, wie man ſich dein erbarmet hat.“ Aber der Bett¬
lersmann wollte mir nichts abtheilen, ſprechende: daß er
ſelbſten ein Weib und vier Kinder hätte, die auch dem
bittern Hungerstode zuwanketen, maſſen die Noth in Ban¬
nemin noch viel größer ſei, denn hier, wo wir doch Beere
hätten. Ob ich nit erfahren, daß vor wenig Tagen dort
[24] ein Weibsbild (die er auch nennete, hab es aber für
Schrecken nicht gleich beachtet) ihr eigen Kind geſchlach¬
tet, und für Hunger aufgezehret *)? Könne mir dahero
nicht helfen und möchte ich ſelbſten nach dem Lieper Win¬
kel gehen.


Für ſolche Rede entſatzte ich mich, wie leicht zu er¬
achten, da in unſerer Noth noch nichs daran vernom¬
men, auch wenig oder gar kein Wanken iſt, von einem
Dorf in das andere, und an Jeruſalem gedenkend **)
und ſchier verzweifelnde, daß uns der Herr heimſuchete,
wie weiland dieſe gottloſe Stadt, wiewohl wir ihn nicht
verrathen noch gekreuziget, vergaß ich faſt meiner Noth,
und ſetzte meinen Stecken an, umb fürbaſt zu gehen. Doch
war ich kaum ein paar Ehlen geſchritten, als mir der
Bettlersmann nachrief, daß ich ſtehen ſöllte. Wanndte
mich dahero wieder als er nur mit einer guten Schnede
Brod, ſo er aus ſeinem Queerſack gehohlet entgegentrat
und ſprach: Da! äwer bedet uck för mi, datt ick to Huuſe
kame, denn wenn ſe unnerweges rücken, datt uk Brod
hebbe, ſchleht mi min egen Broder dod, köhnt gi glö¬
wen. ***) Solliches verſprach mit Freuden, und kehrete
flugs um, meinem Töchterlein den heiligen Chriſt zu brin¬
[25] gen, ſo ich in meiner Rocktaſchen verborgen. Doch ſiehe,
als ich gegen die Straßen komme, ſo vom Wege nach
Loddin führet (vorhero hatt’ ich es in meiner Betrüb¬
niß überſehen) trauete kaum meinen Augen, als ich all¬
dorten mein Ackerſtück bei ſieben Scheffeln groß, bega¬
tet *), beſäet und beſtaudet antraff, ſo daß die liebe
Roggenſaat, ſchon bei eines Fingers Länge luſtig aus
der Erden geſchoſſen war. Konnte nicht anders gläu¬
ben, als daß der leidige Satan mir ein Blendwerk für¬
geſpielet; doch wie ich mir auch die Augen riebe, es
war Roggen und bliebe Roggen. Und weilen den al¬
ten Paaſch ſein Stück ſo daneben ſtieß imgleichen be¬
ſäet und die Hälmlein zu gleicher Höhe mit den mei¬
nigen geſchoſſen waren, kunnte gar leicht bei mir ab¬
nehmen, daß der gute Kerl ſolliches gethan, anerwogen
die andern Stücken alleſammt wüſte lagen. Verziehe
ihm dahero gerne, daß er den Morgenſeegen nit gewußt
und dem Herrn dankend vor ſo viel Liebe bei meinen
Kapſelkindern und ihn brünſtiglich anflehend: er wölle
mir Kraft und Glauben gewehren, bei ihnen nunmehro
auch unverdroſſen auszuhalten, und alle Kümmernüß und
Trübſal ſo er nach ſeinem grundgütigen Willen uns fer¬
ner auferlegen ſöllte, williglich zu tragen, lief ich mehr
denn ich ginge in das Dorf zurücke und auf den alten
Paaſsch ſeinen Hof, wo ich ihn antraf, daß er eben ſeine
Kuh zuhauete, ſo er für grimmigem Hunger nunmehro
[26] auch geſchlachtet. „Gott hilf dir!“ ſage ich „du from¬
mer Kerl, daß du mir meinen Acker begatet haſt, wie
ſoll ich dir's lohnen?“ Aber der alte Mann gab zur
Antwort: Lat he dat man weſen und bede he man för
uns *) und als ich ſolliches gerne zuſagete und ihn fra¬
gete: wie er ſein Korn für dem grimmigen Feind ge¬
borgen, verzählete er mir, daß er es in der Höhlen im
Streckelberge heimlichen verſteckt gehabt, nunmehro aber
auch all ſein Fürrath aufgezehret ſei. Inzwiſchen ſchnitt
er ein groß ſchön Stück Fleiſch dem Haubt aus der
Lenden und ſprach: da hett he uck wat, und wenn et
All iß, kann he noch eiß kamen. **) Als ich nun mit
vieler Dankſagung gehen wöllt, griff mich ſeine kleine
Marie bei der Hand, ein Kindlein bei ſieben Jahren,
ſo im Streckelberge das Gratias gebetet und wollt mit
zu meiner Tochter nach der Schulen. Da da, wie vor¬
bemeldet, mein custos in der Peſtzeit auch dieſes Zeit¬
liche geſegnet, muß ſie die Paar kleinen Kinder im Dorf
informiren, welches aber ſeit lange unterblieben. Wollt
es ihr dahero nicht wegern, obwohl ich gleich beſorgete,
daß mein Töchterlein das Brod mit ihr theilen würd,
angeſehen ſie das Mägdlein ſehr lieb hatte, da es ihre
Päthe war. Und ſo geſchahe denn auch. Denn als das
Kind ſahe, daß ich das Brod herfürlangete. ſchriee es
[27] gleich für Freuden auf und begunnte auf die Bank zu
klettern. Daher bekam ſie einen Theil von der Schnede,
einen Theil unſere Magd und den dritten Theil ſteckte
mein Töchterlein in den Mund, da ich Nichtes haben
wollte, ſondern ſprach: ich verſpüre keinen Hunger und
wölle warten bis ſie das Fleiſch geſotten, welches ich
nunmehro auch auf die Bank wurf. Da hätte man ſe¬
hen ſollen, welche Freude mein armes Kind empfund,
zumalen ich ihr nun auch von dem Roggen verzählete.
Sie fiel mir umb meinen Hals, weinete, ſchluchzete, hob
alsdann das kleine Mägdlein auf ihre Arme, tanzete mit
ſelbiger in der Stuben und recitirete nach ihrer Weiß
dazu allerhand lateiniſche versus ſo ſie auswendig wußte.
Nun wöllte ſie uns auch ein recht ſchön Abendbrod zu¬
richten, da in einer Fleiſchtonnen, ſo die Kaiſerlichen zu¬
ſchlagen, noch ein wenig Salz auf dem Boden geblie¬
ben. Ließ ſie alſo ihr Weſen treiben, und kratzete et¬
was Ruß aus dem Schornſtein, ſo ich mit Waſſer ver¬
mengete, riß alsdann ein faſt weißes Blatt aus dem
Virgilio und ſchriebe an den pastorem Liepensem, Ehre
Abrahm Tiburtius: Daß er umb Gottes willen ſich
wölle unſere Noth zu Herzen gehen laſſen, und ſeine
Kapſelleute vermahnen, daß ſie uns für dem grimmigen
Hungertod ſchützen und mildthätiglich an Speiſe und Trank
abtheilen wöllten, was der grundgütige Gott ihnen ge¬
laſſen, angeſehen ein Bettlersmann mir verzählet, daß
ſie ſeit langer Zeit Friede für dem erſchröcklichen Feind
gehabt. — Wußte aber nit, womit ich den Brief ver¬
[28] ſchließen ſöllte, als ich in der Kirchen noch ein wenig
Wachs an einem hölzernen Altarleuchter funde, ſo die
Kaiſerlichen nicht werth geachtet, daß ſie ihn aufhüben,
und nur die meſſingſchen mit ſich geführet hatten. Mit
ſolchem Brief mußten ſich drei Kerls und der Fürſteher
Hinrich Seden in ein Boot ſetzen und nach der Liepe
aufmachen.


Eher noch ſtellte aber meiner alten Ilſen für ſo aus
der Liepe bürtig war, ob ſie nit lieber wöllte mit in
ihre Heimath ziehen, maßen ſie ſähe, wie es ſtünd, ich
ihr auch vors Erſte keinen Witten an Lohn geben künnte.
(Merke: ſie hatte ſich ein ſchön Sümmlein erſparet, an¬
geſehen ſie länger denn 20 Jahre bei mir in Dienſt
geweſt, aber das Kriegsvolk hatte ihr Allens abgenom¬
men.) Aber ich kunnte ſie nicht dazu bringen, ſondern ſie
weinete bitterlich und bate, daß ich ſie nur bei der gu¬
ten Jungfer laſſen ſöllte, ſo ſie ſchon in der Wiegen
gekennet. Wöllte gerne mit uns hungern, wenn es ſein
müßt, möchte ſie nur nit verſtoßen. Dahero ließ ich
ſie und fuhren die Andern allein ab.


Unterdeß war auch die Suppen gar worden. Doch
als wir kaum das Gratias gebetet, und zulangen woll¬
ten, kamen alle Kindlein aus dem ganzen Dorfe bei ſie¬
ben an der Zahl zur Thüre herein, und wollten Brod
haben, welches ſie von meiner Tochter ihrer kleinen Päthe
gehöret. Da brach ſelbiger nun wieder das Herze, und
obgleich ich ſie bate, ſich hart zu machen, vertröſtete ſie
mich doch mit der Lieper Bothſchaft, und kellete einem
[29] jeden Kindlein ſein Theil Suppen auf einen hölzernen
Teller (denn dieſe hatte der Feind nicht geachtet) und
ſtach ihm auch ein wenig Fleiſch in die Händeken, ſo¬
daß unſer Fürrath mit einmal aufgezehret ward. Blie¬
ben dahero des andern Morgens wieder nüchtern bis
gegen Mittag, wo das ganze Dorf ſich auf der Wie¬
ſen am Ufer verſammblet hatte, als das Boot zurücke
kam. Aber Gott erbarm's, wir hatten faſt umbſonſt
gehoffet! — Nur ſechs Brode und ein Hammel item
ein Viert Backäpfel war allens was ſie hatten. Denn
Ehre Abraham Tiburtius ſchriebe mir, daß, nachdem das
Geſchrei von ihrem Reichthumb über die ganze Inſel er¬
ſchollen, ſoviel Bettlersleute bei ihnen umbgingen, daß
ſie ihnen unmüglich gerecht werden künnten, angeſehen
ſie ſelbſten nicht wüßten, wie es noch mit ihnen in die¬
ſer ſchweren betrübten Zeit ablaufen würd. Indeſſen
wöllte er ſehen, ob er noch mehr auftreiben künnte. Ließ
alſo den kleinen Fürrath mit vielem Seufzen in die Wi¬
demen tragen, und obgleich zwei Brode wie pastor li¬
pensis
ſchriebe, vor mich allein ſollten, gabe ich ſie doch
mit in die Theilung, womit auch Alle ſich zufrieden ſtell¬
ten, ausgenommen den alten Seden ſein gluderäugigt
Weib nit, ſo noch apart für ihren Mann ſeine Reiſe
etwas haben wollte, was aber, wie leicht zu erachten,
nit geſchah, weshalben ſie wieder, da ſie abzoge, etzliche
Worte zwüſchen die Zähne mummelte, die aber Niemand
nit verſtand. Es war ein ſchier verrucht Weib, ſo ſich
durch Gottes Wort nicht beikommen ließ.


[30]

Nun kann aber männiglich von ſich ſelbſten abneh¬
men daß ſolcher Fürrath nit lange aushielt. Da nun
zugleich auch bei allen Kapſelleuten ein brünſtig Ver¬
langen nach der geiſtlichen Speiſe ſich verſpüren ließ; ich
ſelbſten und die Fürſteher aber nur 8 Witten *) im
ganzen Kapſel auftreiben kunnten, ſo nit auslangeten,
umb Brod und Wein anzuſchaffen, kam ich auf die Ge¬
danken, abermals dem Herrn Ambthauptmann unſere
Noth zu vermelden. Mit wie ſchwerem Herzen ich ſolli¬
ches that, kann man leicht erachten. Aber Noth kennt
kein Gebot. Riße dahero auch das Hinterblättlein aus
dem Virgilio und bate, ümb der heiligen Dreieinigkeit
willen, daß Seine Geſtrengen ſich meiner und des gan¬
zen Kapſels gemeine Noth wöllte zu Herzen gehen laſ¬
ſen, und ein wenig Geld hergeben, zum Troſt der be¬
trübten Seelen das heilige Sacrament zu halten, auch
wo müglich einen Kelch zu kaufen, ſo er auch nur von
Zinne ſein ſöllte, ſintemalen der Feind die fürhandenen
geraubet, und ich ſonſten gezwungen wär das heilige
Nachtmal in einem Topf zu conſacriren. Item möcht
er ſich auch unſerer leiblichen Noth erbarmen, und mir
endiglichen mein, ſeit ſo viel Jahren hinterſtelliges Miſt¬
korn verabreichen. Wöllte es nicht allein vor mich ſelb¬
ſten haben ſondern es gern mit dem ganzen Kapſel thei¬
len, bis der grundgütige Gott mehr beſcheeren würd.


Hierzwiſchen fiel mir aber ein ſtattlicher Kläcks auf
[31] das Papier. Denn da die Fenſter mit Brettern ver¬
ſpundet waren, ware das Zimmer tunkel und nur ein
wenig Licht kam durch zwei kleine Scheiblein Glas, ſo
ich aus der Kirchen gebrochen, und hineingeſetzet. Sol¬
liches mochte wohl die Urſache ſein, daß ich mich nit
beſſer fürſah. Da ich aber kein neues Stücklein Papier
mehr auftreiben kunnte, ließ ich es paſſiren, und befahle
der Magd, ſo ich mit dem Brieflein gen Pudgla ſandte,
ſolliches bei Sr. Geſtrengen, dem Herrn Ambtshaubtmann
zu entſchuldigen, welches ſie auch zu thun verſprach; an¬
geſehen ich ſelbſten kein Wörtlein mehr auf dem Pa¬
pier beiſetzen kunnte, dieweil alles beſchrieben war. Sie¬
geln thät ich es, wie vorbemeldet.


Allein die arme Perſon kehrete zitternd für Angſt
und weinend zurücke, und ſprach: Seine Geſtrengen hätte
ſie mit dem Fuß aus der Schloßpforten geſtoßen und
gedräuet, ſie in den Ganten *) ſetzen zu laſſen, ſo ſie
wiederumb vor ihn käme. Ob der Pfaffe gläube, daß
ihm das Geld ſo looſe ſäß, wie mir die Tinte, hätte
ja Waſſer genug das Abendmahl zu halten. Denn hätte
Gottes Sohn einmal das Waſſer in Wein gewandelt,
könnt er’s auch öftermalen. Hätt’ ich keinen Kelch ſollt
ich meine Schaaf aus einem Eimer tränken, wie er’s
auch thät, und was ſolcher Gottesläſterungen mehr wa¬
ren, ſo er mir nachgehends auch ſelbſten ſchriebe, und
wovor ich mich, wie leicht abzunehmen, auf das erſchröck¬
[32] lichſte entſatzte. Von dem Miſtkorn verzählete ſie, hätte
er gar Nichtes geſagt. In ſolcher meiner großen See¬
len- und Leibesnoth kam der liebe Sonntag heran, wo
faſt die ganze Gemeind zu Gottes Tiſch gehen wollt, aber
nicht kunnte. Ich ſprach dannenhero über die Worte
St. Augustins: crede et manducasti*) wobei ich für¬
ſtellete, daß die Schuld nit mein und treulichen erzäh¬
lete, wie es meiner armen Magd in Pudgla ergangen,
doch dabei noch Vieles verſchwiege, und nur Gott bate,
er wölle das Herz der Obrigkeit zu unſerm Frommen
erwecken. Kann auch in Wahrheit ſein, daß ich här¬
ter geſprochen, denn ich gegläubet, was ich nit mehr
weiß, ſintemalen ich ſprach: wie mir umb's Herze war.
Zum Schluß mußte die ganze Gemeine auf ihre Knie
fallen bei einer Stunde lang und den Herrn umb ſein
heilig Sacrament anrufen, item umb Linderung ihrer
Leibesnoth, wie ſolliches zeithero auch alle Sonntage und
ſonſten in den täglichen Betſtunden geſchahe, ſo ich ſeit
der ſchweren Peſtzeit zu halten gewohnt geweſt. Ende¬
lichen ſtimmte ich noch das feine Liedlein an: wenn wir
in höchſten Nöthen ſein, worauf nicht ſobald geſchloſſen
als mein neuer Fürſteher Claus Bulk von Uekeritze, ſo
früher ein Reutersmann bei Sr. Geſtrengen geweſen,
und den er nunmehro zu einem Bauern eingeſetzet, gen
Pudgla rannte, und avertirte, was in der Kirchen für¬
gefallen. Solliches verdroß Sr. Geſtrengen heftiglichen,
[33] ſo daß er den ganzen Kapſel, noch bei 150 Köpfen ſtark,
die Kinder ungerechnet, zuſammenrief, und ad proto¬
collum
diktirte, was ſie von der Predigt behalten, ma¬
ßen er Seiner fürſtlichen Gnaden dem Herzogen von Pom¬
mern zu vermelden geſonnen, welch gottesläſterliche Lü¬
gen ich gegen ihn ausgeſpieen, wovor ja ein chriſtlich Herz
erſchrecken müßt; item welch ein Geizhals ich wär, daß
ich nur immer von ihm haben wöllt, und ihn in die¬
ſer harten und ſchweren Zeit, ſozuſagen tagtäglich mit
meinen Sudelbrieffen anrennete, wo er ſelbſten vor ſich
nichts zu eſſen hätte. Das ſöllte dem Pfaffen den Hals
brechen, da Se. fürſtliche Gnaden alles thät, was er
fürzuſtellen käme, und brauchte Niemand im Kapſel mir
Nichtes mehr zu verabreichen ſondern ſie ſöllten mich nur
lauffen laſſen. Er wölle ſchon ſorgen, daß ſie einen ganz
andern Prieſter wieder erlangeten, denn ich wär.


(Möchte den aber wohl ſehen, der ſich in ſollich Un¬
glück hineinzubegeben entſchloſſen geweſen wär.) Dieſe
Botſchaft wurde mir aber noch in ſelbiger Nacht hinter¬
bracht, wovor ich faſt heftig erſchrack, angeſehen ich wohl
einſahe, daß ich nun nit einen gnädigen Herrn an Sr.
Geſtrengen bekommen, ſondern Zeit meines erbärmlichen
Lebens, wenn ich es anderſt ſöllte friſten können, eine
ungnädige Herrſchaft haben würd. Doch tröſtete mich
bald ein Etwas, als Chim Krüger aus Ueckeritze, ſo mir
ſolches hinterbrachte, ein Stücklein von ſeinem Ferkel aus
der Taſchen zog, das er mir verehrete. Darüber kam
auch der alte Paaſsch hinzu, welcher daſſelbe ſagte, und
3[34] noch ein Stücklein von ſeiner alten Kuh herfürlangte,
item mein anderer Fürſteher Hinrich Seden mit einer
Schnete Brod, und einem Braxen *), ſo er in den Reu¬
ſen gehabt, alle ſagende: daß ſie keinen beſſern Prieſter
wöllten, als ich, und möchte ich nur bitten, daß der barm¬
herzige Gott mehr beſcheeren wölle, wo es mir dann
auch an Nichtes fehlen ſöllt, inzwiſchen aber ſöllte ich
ſtille ſein, und ſie nit verrathen. Solliches gelobte ich
Alles zu thun, und mein Töchterlein Maria hob alſo¬
bald die liebe Gottesgab von dem Tiſche und trug ſie
in die Kammer. Aber o Jammer, des andern Mor¬
gens als ſie das Fleiſch in den Grapen thun wollte, war
Allens fort! Weiß nicht wer mir dieſes neue Herzeleid
bereitet doch meine faſt, daß es Hinrich Seden ſein bö¬
ſes Weib gethan, ſintemalen er nicht ſchweigen kann,
und ihr wie gläublich, wohl alles wiedererzählet. Auch
hat Paaſschen ſein klein Töchterlein geſehen, daß ſie zum
andern Mittag Fleiſch in dem Topf gehabt, item daß
ſie mit ihrem Mann gehaddert, und nach ihme mit dem
Fiſchbrett geſchmiſſen, auf welchem noch friſche Fiſchſchup¬
pen geſeſſen; hätte aber ſich gleich begriffen, als ſie ih¬
rer gewahr worden. (Pfui dich alte Hexe, es wird ge¬
nug wahr ſein!) Dahero blieb uns nichts übrig, als
unſere arme Seele mit Gottes Wort zu ſpeiſen. Aber
auch dieſe war ſo verzaget, daß ſie nichts mehr anneh¬
men wöllte, ſo wenig als der Magen. Denn mein arm
[35] Töchterlein inſonderheit, ward von Tag zu Tag blaſſer,
grauer und gelber, und ſpiee immer wieder die Speiß
aus, da ſie Allens ohne Salz und Brod genoß. Wun¬
derte mich ſchon lange, daß das Brod aus der Liepe
nit wollte all werden, ſondern ich alle Mittag bisher
ein Stücklein gehabt. Hatte auch öftermalen gefraget,
wo haſtu denn immerfort das liebe Brod her, am Ende
hebeſt du Alles vor mich allein auf, und nimmſt weder
vor dich ein Stücklein, noch vor die Magd. Aber beide
hoben dann immer ein Stücklein tannen Bork *) in die
Höhe, ſo ſie zurecht geſchnitten und vor ihren Teller ge¬
legt, und da es dunkel war in der Stuben, merkete ich
die Schalkheit nit, ſondern gläubete ſie äßen auch Brod.
Aber endiglichen zeigt es mir die Magd an, daß ich es
nit länger leiden ſöllte, dieweil mein Töchterlein ihr ſelb¬
ſten nit hören wölle. Da kann nun männiglich abneh¬
men, wie mir um das Herze war, als ich mein arm
Kind auf ihr Moosbett liegen und ringen ſah mit dem
grimmigen Hunger. Aber es ſollte noch härter kom¬
men, denn der Herr wollte mich ganz zerſchlagen in ſei¬
nem Zorn wie einen Topf. Siehe auf den Abend deſ¬
ſelbigen Tages kommt der alte Paaſsch angelaufen kla¬
gende, daß all ſein und mein Korn im Felde umbgeha¬
ket und elendiglich zerſtöret ſei, und müſſe dies ſchier der
leidige Satan gethan haben, angeſehen nicht die Spur
eines Ochſen weder eines Roſſes zu ſehen wär. Für
3 *[36] ſolche Rede ſchriee mein arm Kind laut auf und fiel in
Unmacht. Wollte ihr dahero zu Hülfe ſpringen, aber
ich erharrete nit ihr Lager, ſondern fiel für gräulichen
Jammer ſelbſten zur Erden. Als nun die Magd wie
der alte Paaſsch ein laut Geſchrei herfürſtießen, kamen
wir zwar wieder bei uns, aber ich konnte mich nit al¬
lein mehr von der Erden erheben, ſo hatte der Herr
meine Gebein zermalmet. Bate daher, als ſie mir bei¬
ſprangen, ſo wöllten mich nur liegen laſſen, und als ſie
ſolches zu thun ſich wegerten, ſchriee ich, daß ich doch
gleich wieder zur Erden müßt' ümb zu beten und möch¬
ten ſie nur Alle bis auf mein Töchterlein aus der Stu¬
ben gehn. Solliches thäten ſie, aber das Beten wollte
nit gehen. Ich geriethe in ſchweren Unglauben und Ver¬
zweiflung, und mürrete wieder den Herrn, daß er mich
härter plagete denn Lazarum und Hiob. Denn dem
Lazaro ſchriee ich Elender, hatteſt du doch die Broſa¬
men und die barmherzigen Hündlein gelaſſen, aber mir
haſt du nichts gelaſſen, und bin ich ſelber ſchlechter vor
dir, denn ein Hund geachtet, und den Hiob haſt du nicht
geſtrafet, ehe du gnädiglich ihm ſeine Kinder genommen,
mir aber läſſeſt du mein arm Töchterlein, daß ihre Qual
meine eingene noch tauſendfältiglich häufen muß. Siehe
darumb kann ich dich nichts mehr bitten, denn daß du
ſie bald von dieſer Erden nimmſt, damit mein graues
Haubt ihr freudig nachfahren könne in die Grube! Wehe
ich ruchloſer Vater, was hab' ich gethan? Ich hab Brod
geſſen und mein Kindlein hungern laſſen! O Herr Jeſu,
[37] der du ſprichſt: welcher iſt unter euch Menſchen, ſo ihn
ſein Sohn bittet um Brod, der ihm einen Stein biete?
Siehe ich bin dieſer Menſch, ſiehe ich bin dieſer ruch¬
loſe Vater, ich habe Brod geſſen und meinem Töchter¬
lein Holz geboten, ſtrafe mich, ich will dir gerne ſtille
halten! O mein gerechter Jeſu, ich habe Brod geſſen
und meinem Töchterlein Holz geboten! — Als ich ſolli¬
ches nicht redete ſondern laut herfürſchrie, indem ich meine
Hände range, fiel mir mein Töchterlein ſchluchzend umb
den Hals, und ſtrafete mich, daß ich gegen den Herrn
murrete, da doch ſie ſelbſten als ein ſchwach und ge¬
brechlich Weib gleichwohl nicht an ſeiner Gnade verzwei¬
felt ſei; ſo daß ich bald mit Schaam und Reue wieder
zu mir ſelbſten kam, und mich vor dem Herrn demü¬
thigte für ſolche Sünden.


Hierzwiſchen war aber die Magd mit großem Ge¬
ſchrei in das Dorf gerannt, ob ſie ein wenig für ihre
arme Jungfer gewinnen möcht. Aber die Leute hatten
ihr Mittag ſchon verzehret und die Meiſten waren auf
der Sehe, ſich die liebe Nachtkoſt zu ſuchen; dahero ſie
nichts gewann, angeſehen die alte Sedenſche ſo allein
noch einen Fürrath gehabt, ihr nichts hätte verabreichen
wöllen, obſchon ſie ſelbige um die Wunden Jeſu gebeten.


Solliches verzählete ſie noch, als wir es in der Kam¬
mer poltern höreten, und alſobald ihr guter alter Ehe¬
kerl, der dorten heimlich in das Fenſter geſtiegen war,
einen Topf mit einer kräftigen Suppen uns brachte, ſo
er ſeinem, Weibe von dem Feuer gehoben, die nur ei¬
[38] nen Gang in den Garten gethan. Er wiſſe wohl, daß
ſein Weib ihm dieſes baß vergelten würde, aber das ſöllt
ihn nicht verdrießen, und möchte die Jungfer nur trin¬
ken, es wäre geſalzen und Allens. Er wölle nur gleich
wieder durchs Fenſter eilen und ſehen, daß er vor ſei¬
nem Weibe ins Haus käme, damit ſie es nicht merken
thät, wo er geweſen. Aber mein Töchterlein wollte den
Topf nit nehmen, was ihn ſehr verdroß, ſo daß er ihn
fluchend zur Erden ſetzte und wieder in die Kammer lief.
Nicht lange, ſo trat auch ſein gluderäugigt Weib zur
Vorderthüren herein, und als ſie den Topf auf der Erden
noch dampfen ſahe, ſchriee ſie: „du Deef *) du verfluch¬
tes deefſches Aas“ und wollte meiner Magd in die Mütze
fahren. Ich bedräuete ſie alſo, und verzählete, was für¬
gefallen; wöllte ſie es nit gläuben ſo möcht ſie in die
Kammer gehen und durchs Fenſter ſchauen, wo ſie ih¬
ren Kerl vielleicht noch laufen ſäh. Solliches that ſie,
und höreten wir ſie auch alſogleich ihrem Kerl nachſchreien:
Teuf di ſall de Düwel de Arm utrieten, kumm mie man
wedder int Huus**) worauf ſie wieder hereintrat, und
mummelnd den Topf von der Erden hob. Ich bat ſie
umb Gottes willen, ſie wölle meinem Töchterlein ein we¬
nig abtheilen, aber ſie höhnete mich und ſprach: ji koehet
ehr jo wat vör prädigen, aß ji mie dahn hebt ***) und
[39] ſchritt mit dem Topf zur Thüren. Zwar bat mich mein
Töchterlein ich ſöllte ſie laſſen, aber ich konnt nicht umb¬
hin, daß ich ihr nachſchrie: um Gottes willen nur einen
guten Trunk, ſonſt giebt mein armes Kind den Geiſt
auf; willtu, daß Gott ſich dein am jüngſten Tage er¬
barme, ſo erbarme dich heute mein! Aber ſie höhnete
uns abermals und rief: he kann ſich jo Speck kaken *),
und ſchritt aus der Thüren. Sandte ihr alſo die Magd
nach mit der Sanduhr, ſo vor mir auf dem Tiſche ſtund,
daß ſie ihr ſelbige bieten möcht' vor einem guten Trunk
aus ihrem Topf. Aber die Magd kam mit der Sand¬
uhren wieder, und ſagte: ſie hätt es nicht gewollt. Ach
wie ſchriee und ſeufzete ich nun abermals, als mein arm
ſterbend Kind den Kopf mit einem lauten Seufzer wie¬
der in das Moos ſteckete! — Doch der barmherzige
Gott war gnädiger, als ich es mit meinen Unglauben
verdient. Denn, da das hartherzige Weibsbilde dem al¬
ten Paaſsch ihrem Nachbarn ein wenig Suppen mitge¬
theilt, bracht' er ſie ſogleich vor mein Töchterlein, da er
von der Magd wußte, wie es umb ſie ſtünde, und achte
ich, daß dieſe Suppen, nebſt Gott, ihr allein das Leben er¬
halten, dieweil ſie gleich wieder das Haupt aufreckte, als
ſie ſelbige genoſſen, und nach einer Stunden ſchon wieder
im Hauſe umbhergehen konnte. Gott lohn's dem ehrli¬
chen Kerl! Hatte dahero noch heute große Freude in mei¬
ner Noth; doch als ich am Abend beim Kaminfeuer nie¬
[40] derſaß, und an meine Verhängnüß gedachte, brach wieder
der Schmerz herfür, und beſchloß nun mehro mein Haus
und meine Pfarre ſelbſt zu verlaufen, und als ein Bett¬
lersmann mit meiner Tochter durch die weite Welt zu zie¬
hen. Urſache kann man genugſam denken. Denn da nun¬
mehro alle Hoffnung mir weggeſtochen war, maſſen mein
ganzes Feld geruiniret, und der Amtshaubtmann mein er¬
grimmter Feind worden war, ich auch binnen fünf Jah¬
ren keine Hochzeit, item binnen einem Jahre nur zwo
Taufen gehabt, ſahe meinen und meines Kindes Tod für
Augen, dieweil gar nit abzuſehen, daß es vors Erſte beſ¬
ſer ſöllte werden. Hiezu trat die große Furcht in der Ge¬
mein. Denn obwohl ſie durch Gottes wunderliche Gnade
ſchon anfingen manchen guten Zug beides in der Sehe wie
im Achterwaſſer zu thun, auch mancher in den andern
Dörfern ſich ſchon Salz, Brod, Grütze etc. von den An¬
klammſchen und Laſſanſchen Pöltern und Quatznern *)
vor ſeine Fiſche hatten geben laſſen, brachten ſie mir
doch Nichtes, weil ſie ſich ſcheueten, daß es möcht gen
Pudgla verlauten, und ſie einen ungnädigen Herrn ha¬
ben. Winkete dannenhero mein Töchterlein neben mich,
und ſtellte ihr für, was mir im Gedanken lage. Der
grundgütige Gott könne mir ja immer eine andere Ge¬
meine wieder beſcheeren, ſo ich ſollte ſolcher Gnade wür¬
dig vor ihm befunden werden, angeſehen die grimmige
[41] Peſt- und Kriegeszeit manchen Diener ſeines Worts ab¬
gerufen, ich auch nicht, wie ein Miethling von ſeiner
Heerde flöhe, beſondern bis dato Noth und Tod mit
ihr getheilet. Ob ſie aber wohl des Tages ein oder
zwo Meilen würde gehen künnen? dann wöllten wir
uns gen Hamburg durchbitten zu meiner ſeligen Frauen
ihrem Stiefbruder, Martin Behring ſo dorten ein für¬
nehmer Kaufmann iſt.


Solliches kam ihr anfänglich ſeltſam für, inmaſſen
ſie wenig aus unſerm Kapſel gekommen auch ihre ſe¬
lige Mutter und Brüderlein auf unſerm Kirchhof la¬
gen. „Wer dann ihr Grab aufmachen und mit Blu¬
men bepflanzen ſöllte? item, da der Herre ihr ein glatt
Geſicht gegeben, was ich thun wöllte, wenn ſie in die¬
ſer wilden grimmigen Zeit auf der Landſtraßen von dem
umbherſtreichenden Kriegsvolk und andern Lotterbuben
angefallen würd, da ich ein alter ſchwacher Mann ſei
und ſie nit ſchützen könnte, item womit wir uns für
dem Froſte ſchützen wöllten, da der Winter hereinbräch,
und der Feind unſere Kleider geraubet, ſo daß wir ja
kaum unſere Blöße decken künnten?" — Dieſes Alles
hatte ich mir noch nicht fürgeſtellet, mußte ihr alſo recht
geben, und wurde nach vielem Disputiren beſchloſſen,
daß wir zur Nacht die Sache wöllten dem Herrn über¬
laſſen, und was er am andern Morgen uns würde in
das Herze geben, wöllten wir thun. Doch ſahen wir
wohl, daß wir auf keinerlei Weiß würden die alte Magd
länger behalten können. Rief ſie alſo aus der Küchen
[42] herbei, und ſtellete ihr für: daß ſie morgen frühe zu gu¬
ter Zeit ſich nach der Liepen aufmachen möchte, dieweil
es dorten noch zu eſſen hätte, und ſie hier verhungern
würd, angeſehen wir ſelber vielleicht ſchon morgen den
Kapſel und das Land verlaufen würden. Dankete ihr
auch für ihre bewieſene Liebe und Treue, und bate ſie
endlich unter lautem Schluchzen meiner armen Tochter,
ſie wölle lieber nur ſogleich heimblich hinweggehen, und
uns beiden nicht das Herze durch ihren Abſchied noch
ſchwerer machen, angeſehen der alte Paaſsch die Nacht
auf dem Achterwaſſer wöllte fiſchen ziehen, wie er mir
geſaget, und ſie gewis gerne in Grüßow an das Land
ſetzete, wo ſie ja auch ihre Freundſchaft hätte, und ſich
noch heute ſatt eſſen könnte. Aber ſie kunnte vor vie¬
lem Weinen kein Wörtlein herfürbringen; doch da ſie
ſahe, daß es mein Ernſt war, ging ſie aus der Stu¬
ben. Nit lange darauf hörten wir auch die Hausthüre
zuklinken, worauf mein Töchterlein wimmerte: ſie geht
ſchon und flugs an das Fenſter rannte, ihr nachzuſchauen
„Ja, ſchrie ſie“, als ſie durch die Scheiblein geblicket,
„ſie geht ſchon!“ und rang die Hände und wollte ſich
nit tröſten laſſen. Endiglichen gab ſie ſich doch, als ich
auf die Magd Hagar kam ſo Abraham auch verſtoßen,
und deren gleichwohl der Herr ſich in der Wüſten er¬
barmet und darauf befahlen wir uns dem Herrn, und
ſtreckten uns auf unſer Mooslager.


[43]

Capitel 9.

Wie mich die alte Magd mit ihrem Glauben de¬
muͤthigt und der Herr mich unwuͤrdigen Knecht
dennoch geſegnet.


Lobe den Herrn meine Seele und was in mir iſt,
ſeinen heiligen Namen. Lobe den Herrn und ver¬
giß nicht, was er dir Guts gethan hat. Der dir alle
deine Sünde vergiebt, und heilet alle deine Gebrechen,
der dein Leben vom Verderben erlöſet, der dich krönet
mit Gnade und Barmherzigkeit. Pf. 103.


Ach ich armer elender Menſch, wie ſoll ich alle Wohl¬
that und Barmherzigkeit faſſen, ſo mir der Herre ſchon
des andern Tages widerfahren ließe. Ich heulte für
Freuden, wie ſonſt für Jammer, und mein Töchterlein
tanzete in der Stuben wie eine junge Rehe, und wollte
nit zu Bette gehen, wollte nur weinen und tanzen, wie
ſie ſagete, und dazwiſchen den 103ten Pſalm beten, und
dann wieder weinen und tanzen, bis der Morgen an¬
brechen würd. Da ſie aber noch merklich ſchwach war,
unterſagte ich ihr ſolchen Fürwitz angeſehen dies auch
hieße den Herrn verſuchen, und nun merke man, was
fürgefallen:


Nachdem wir beide mit großem Seufzen am Mor¬
gen erwacht waren und den Herrn angerufen, er wölle
uns in unſern Herzen offenbaren, was wir thun ſöll¬
[44] ten, konnten wir gleichwohl noch immer nicht an einen
Beſchluß kommen, dahero mein Kind vermahnete, ſo ſie
anders ſo viel Kräfte in ſich verſpüre, ihr Lager zu
verlaſſen, und Feuer in den Ofen zu werfen, dieweilen
unſere Magd weg ſei. Wöllten nachhero die Sache fer¬
ner in Ueberlegung ziehen. Sie ſtand dahero auch auf,
kehrete aber alſobald mit einem Freudengeſchrei zurücke,
daß die Magd ſich wieder heimlich in das Haus ge¬
ſchlichen, und allbereits Feuer in den Ofen geſtochen.
Ließ ſie mir alſo vors Lager kommen, und verwunderte
mich über ihren Ungehorſam, was ſie hier ferner wölle,
als mich und mein Töchterlein noch mehr quälen, und
warumb ſie nicht geſtern mit den alten Paaſsch gezo¬
gen? Aber ſie lamentirte und jünſete *), daß ſie kaum
ſprechen konnte, und verſtand ich nur ſo viel: ſie hätte
mit uns geſſen darumb wölle ſie auch mit uns hungern
und möcht ich ſie nur nit verſtoßen, ſie könne nun ein¬
mal nit von der lieben Jungfer laſſen, ſo ſie ſchon in
der Wiegen gekennet. Solche Lieb' und Treue erbar¬
mete mich ſo, daß ich faſt mit Thränen ſprach: aber
haſtu nit gehöret daß, mein Töchterlein und ich entſchloſ¬
ſen ſeind, als Bettlersleute ins Land zu gehen, wo wiltu
denn bleiben? Hierauf gab ſie zur Antwort, daß ſie nit
wölle, angeſehen es gebührlicher **) vor ſie, als vor
uns wäre, ſchnurren ***) zu gehen. Daß ſie aber noch
nit einſäh, warumb ich ſchon wöllte in die weite Welt
[45] ziehen. Ob ich ſchon vergeſſen, daß ich in meiner An¬
trittspredigt geſaget: daß ich bei meiner Gemein in Noth
und Tod wölle verharren. Möchte dannenhero noch ein
wenig verziehen, und ſie ſelbſten einmal nach der Lie¬
pen ſenden dieweilen ſie hoffe, bei ihrer Freundſchaft
und anderswo was rechtes für uns aufzutreiben. Solche
Rede, inſonderheit von meiner Antrittspredigt fiel mir
faſt ſchwer aufs Gewiſſen, und ich ſchämete mich für
meinen Unglauben, ſintemalen nicht allein mein Töch¬
terlein, beſondern auch meine Magd einen ſtärkern Glau¬
ben hätten denn ich, der ich doch wöllte ein Diener
beim Worte ſein. Erachtete alſo, daß der Herr um
mich armen, furchtſamen Miethling zurücke zu halten,
und gleicher Weiß mich zu demüthigen dieſe arme Magd
ewecket, ſo mich verſuchen gewußt wie wailand die Magd
im Pallaſt des Hohenprieſters den furchtſamen St. Pe¬
trum
. Wandte dahero wie Hiskias mein Angeſicht
gen die Wand und demüthigte mich vor dem Herrn,
was kaum geſchehen als mein Töchterlein abermals mit
einem Freudengeſchrei zur Thüren hereinfuhr. Siehe ein
chriſtliches Herze war zur Nacht heimlich ins Haus ge¬
ſtiegen und hatte uns zwo Brode, ein gut Stück Fleiſch,
einen Beutel mit Grütze item einen Beutel mit Salz,
bei einer Metzen wohl, in die Kammer geſetzet. Da
kann nun männiglich gießen, welch groß Freudengeſchrei
wir alleſammt erhoben. Auch ſchämete mich nit, für
meiner Magd meine Sünden zu bekennen, und in un¬
ſerm gemeinen Morgengebet, ſo wir auf den Knieen
[46] hielten, dem Herrn aufs Neu Gehorſam und Treu zu
geloben. Hielten dannenhero dieſen Morgen ein ſtatt¬
lich Frühſtück und ſchickten noch Etwas an den alten
Paaſsch aus; item ließ mein Töchterlein nun wieder
alle Kinderlein kommen, und ſpeiſete ſie, bevorab ſie auf¬
ſagen mußten, erſt mildiglich mit unſerm Fürrath. Und
als mein kleingläubig Herz darüber ſeufzete, wiewohl
ich nichts ſagete, lächelte ſie, und ſprach: darumb ſor¬
get nicht für den andern Morgen, denn der morgende
Tag wird für das Seine ſorgen. *)


Solche Weiſſagung thät der heilige Geiſt aus ihr,
wie ich nit anders glauben kann, und Du auch nit mein
Lieber, denn merke, was geſchah: Zu Nachmittag war
ſie, verſtehe mein Töchterlein, in den Streckelberg ge¬
gangen, um Brommelbeeren zu ſuchen, weilen der alte
Paaſsch ihr hatte durch die Magd ſagen laſſen, daß
es dorten noch einige Büſche hätte. Die Magd hackete
Holz auf dem Hofe, wozu ſie ſich den alten Paaſsch
ſein Beil geliehen, denn meines hatten die kaiſerlichen
Schnapphähne verworfen, da es nirgend nit zu finden;
ich ſelbſten aber wandelte in der Stuben auf und ab
und ſanne meine Predigt aus: als mein Töchterlein mit
hoher Schürzen bald wieder in die Thüre fuhr, ganz
roth und mit funkelnden Augen, konnte aber für Freu¬
den nichts mehr ſprechen denn: „Vater, Vater, was hab
ich?” „„Nun””, geb ich zur Antwort, „„was haſtu
[47] denn mein Kind?““ worauf ſie die Schürze von ein¬
ander thät, und trauete kaum meinen Augen, als ich
vor die Brommelbeeren, ſo ſie zu hohlen gangen war,
darinnen zween Stücke Bernſtein glitzern ſah ein jegli¬
ches faſt ſo groß, denn ein Mannskopf, die kleinen Stück¬
lein nit gerechnet, ſo doch auch mit unter die Länge
meiner Hand hatten, und habe ich weiß Gott keine kleine
Hand. Schriee alſo: „Herzenskind, wie kömmſtu zu die¬
ſen Gottesſeegen?" Worauf ſie, als ſie gemach wieder
zu Athem kame, verzählete wie folgt:


Daß ſie nach den Beeren ſuchende in einer Schlucht
nahe dem Strande zu, etwas in der Sonnen hätte gliz¬
zern geſehen, und als ſie hinzugetreten, hätte ſie dieſen
wunderlichen Fund gethan, angeſehen der Wind den Sand
von einer ſchwarzen Birnſteinader fortgeſpielet.*) Hätte
ſofort mit einem Stöcklein dieſe Stücken herausgebro¬
chen, und wäre noch ein großer Fürrath vorhanden, maſ¬
ſen es unter dem Stocke rings umbher gebullert, als ſie
ihn in den Sand geſtoßen, auch hätte ſelbiger nit tiefer,
als zum höchſten einen Schuh ſich in den Boden ſchie¬
ben laſſen. Item verzählete ſie: daß ſie die Stätte wie¬
[48] der mit Sand überſchüttet, und darnach mit ihrer Schür¬
zen überwedelt, damit keine Spur nit übrig bliebe.


Im Uebrigen würde dorthin auch kein Fremder ſo
leichtlich kommen, angeſehen keine Brommelbeeren in der
Nähe ranketen, und ſie mehr aus Fürwitz und um nach
der Sehe überzuſchauen, den Gang gethan, denn aus
Nothdurft. Sie ſelbſten wolle aber ſchon die Stätte
wiederfinden, alldieweilen ſie ſich dieſelbige durch drei
Steinlein gemerket. Was nun unſer Erſtes geweſen,
nachdeme der grundgütige Gott uns aus ſollicher Noth
geriſſen, ja uns, wie es der Anſchein war, mit großem
Reichthumb begabet hatte, kann ſich ein Jeglicher ſelb¬
ſten fürſtellen. Als wir endlich wieder von unſern Knieen
aufſtunden, wollte mein Töchterlein zuerſt zur Magd
laufen und ihr unſere fröhliche Zeitung hinterbringen.
Aber ich unterſagete es ihr, maſſen wir nit wiſſen könn¬
ten, ob die Magd es ihren Freundinnen nicht wieder
verzählete, obwohl ſie ſonſten ein treu und gottesfürch¬
tig Menſch ſei. Thät ſie aber ſoliches, ſo würde es ſon¬
der Zweifel der Amtshaubtmann erfahren, und unſern
Schatz vor Se. fürſtliche Gnaden den Herzog, will ſa¬
gen vor ſich ſelbſten aufheben, und uns nichts nit, denn
das Zuſehen verbleiben, und darumb unſere Noth bald
wieder von vornen beginnen. Wöllten dannenhero ſa¬
gen, wenn man uns nach unſerm Seegen fragen würde,
daß mein ſeliger Bruder ſo ein Rathsherr in Rotter¬
damm geweſen uns ein gut Stück Geldes hinterlaſſen,
wie es denn auch wahr iſt, daß ich für einem Jahre
[49] bei 200 Fl. von ihme geerbet, welche mir aber das
Kriegsvolk, wie oben bemeldet, jämmerlich entwendet.
Item ich wölle morgen ſelbſten nach Wolgaſt gehen und
die kleinen Stücklein verkaufen, ſo gut es müglich wäre,
ſagende, du hätteſt ſie an der Sehe gefunden; ſolches
kannſtu auch meinethalben der Magd ſagen, und ſie ihr
zeigen, aber die großen Stücke zeigeſtu Niemand nit,
die will ich an deinen Ohm gen Hamburg ſenden, uns
ſolche zu verſilbern. Vielleicht, daß ich auch eins da¬
von in Wolgaſt verkaufe, ſo ich Gelegenheit hab, umb
Dir und mir die Winternothdurft auf den Leib zu ſchaf¬
fen, dahero du mitgehen kannſt. Die Witten, ſo die
Gemein zuſammengebracht, nehmen wir vors Erſte für
Fährgeld, und kannſtu die Magd uns auf den Abend
nachbeſtellen, daß ſie auf der Fähren auf uns harre,
umb die Alimenten zu tragen. Dieſes Allens verſprach
ſie zu thun, meinete aber, wir könnten erſt mehr Birn¬
ſtein brechen, damit wir was Rechtes in Hamburg krie¬
geten, was ich auch thate, und dannenhero des andern
Tages noch zu Hauſe verblieb, maßen es uns noch nit an
Koſt gebrach, mein Töchterlein auch ſowohl als ich, uns erſt
wieder gänzlich recreiren wollten, bevorab wir die Reiſ'
anträten, item wir auch bedachten, daß der alte Mei¬
ſter Rothoog in Loddin, ſo ein Tiſchler iſt, uns bald
ein Kiſtlein zuſammenſchlagen würd, um den Birnſtein
hineinzuthun, dannenhero ich zu Nachmittag die Magd
zu ihm ſchickete, unterdeſſen wir ſelbſten in den Stre¬
kelberg ſchritten, allwo ich mir mit meinem Taſchenmeſ¬
4[50] ſer, ſo ich für dem Feinde geborgen, ein Tännlein ab¬
ſchnitte, und es wie einen Spaten formirete, damit ich
könnte beſſer damit zur Tiefen fahren. Sahen uns aber
vorher auf dein Berge wohl umb, und da wir Nie¬
mand nit gewahreten, ſchritt mein Töchterlein voran,
zu der Stätte, welche ſie auch alſofort wiederfunde. Gro¬
ßer Gott, was hatts hier für Birnſtein! — Die Ader
ging bei 20 Fuß Länge, wie ich ungefährlich abfühlen
mochte, die Tiefe aber kunnte ich nicht ergründen. Doch
brachen wir heute außer vier anſehnlichen Stücken, doch
faſt nit ſo groß, als die von geſtern ſeind, nur klein
Gruuswerk, nicht viel größer als was die Apotheker zu
Stänkerpulver *) zuſtoßen. Nachdeme wir nun den Ort
wieder mit äußerſtem Fleiß bedecket und bewedelt, wär
uns bald ein großer Unfall zugeſtoßen. Denn uns be¬
gegnete Witthanſch ihr Mädken, ſo Brummelbeeren
ſuchte, und da ſie fragete, was mein Töchterlein in der
Schürzen trug und dieſe roth würde und ſtockete, wär
alſobald unſer Geheimniß verrathen, hätt ich mich nicht
begriffen und geſaget: was gehts dich an, ſie träget
Tannenzapfen umb damit einzuheitzen, was ſie auch gläubte.
Wir ſatzten uns dahero für, in Zukunft nur des Nachts
und bei Mondenſchein auf den Berg zu ſteigen, und ka¬
men noch vor der Magd zu Hauſe, woſelbſt wir unſern
Schatz in der Bettſtätt verburgen, damit ſie es nicht
merken ſollte.


[51]

Capitel 10.

Wie wir nach Wolgaft reiſen und daſelbſten gute
Raufmannſchaft halten.


Zwei Tage darauf, ſagt mein Töchterlein, die alte
Ilſe aber meint drei Tage (und weiß ich nit
was wahr iſt) ſeind wir endiglichen zur Stadt geweſt,
angeſehen Meiſter Rothoog die Kiſte nit eher fertig hatte.
Mein Töchterlein deckete ein Stück von meiner ſeeligen
Frau ihrem Brautkleid darüber ſo die Kaiſerlichen zwar
zerfetzet, doch als ſie es darauf wohl draußen liegen laſ¬
ſen, von dem Winde in den Pfarrzaum war getrieben,
wo wir es wiederfunden. War auch ſchon vorher ziem¬
lich unlieblich, ſonst achte ich, hätten ſie es wohl mit
ſich geführet. — Umb der Kiſten willen aber nahmen
wir die alte Ilſe gleich mit, ſo ſelbige tragen mußte,
und da Birnſtein eine faſt leichte Waare iſt, gläubete
ſie es leichtlich, daß nur etwas Eßwaar in ſelbiger vor¬
handen ſei. Setzeten alſo bei Tages Anbruch mit Gott
unſern Stecken vor uns. Bei dem Zitze *)lief ein Haaſe
vor uns über den Weg, was nichts Gutes bedeuten ſoll;
ach ja! — Als wir darauf gen Bannemin kamen, fragte
ich einen Kerl, ob es wahr ſei, daß hier eine Mutter
ihr eigen Kind für Hunger geſchlachtet, wie ich vernom¬
4 *[52] men. Er ſagte ja, und nannte das alte Weib Zisſe¬
ſche. Der liebe Gott aber hätte ſich für ſolchem Gräuel
entſetzet, und es hätte ihr doch nicht geholfen, maſſen
ſie ſich ſo ſehr bei dem Eſſen geſpeiet, daß ſie davon
den Geiſt aufgegeben. Sonſten meinte er, ſtünd' es im
Kapſel ſchon etwas beſſer, dieweil der liebe Gott ſie
reichlich mit Fiſchen ſowohl in der Sehe als im Ach¬
terwaſſer geſegnet. Doch wären auch hier viel Leute
für Hunger geſtorben. Von ſeinem Pfarrherrn Ehre
Johannes Lampius*) verzählete er, daß ſein Haus
von den Kaiſerlichen gebrennet ſei, und er in einer Kir¬
chenbude **) läge. Ich ließ ihne grüßen, und möcht
er doch bald einmal ſich zu mir aufmachen (welches
der Kerl auch zu beſorgen verſprach), denn Ehre Jo¬
hannes iſt ein frommer gelehrter Mann, und hat auch
etzliche lateiniſche Chronosticha auf dieſe elendig Zeit
in metro heróico geſtellet, ſo mir ſehr gefallen, muß
ich ſagen ***).


[53]

Als wir nun über die Fähr kamen, ſprachen wir
auf den Schloßplatz bei Sehms ein, ſo ein Krüger iſt,
welcher uns verzählete, daß die Peſt noch immer nit
ganz in der Stadt aufgehöret, worüber ich faſt erſchrake,
zumalen er auch noch viele andere Gräuel und Leiden
dieſer betrübten Zeit, ſo hier und an andern Orten be¬
ſchehen, uns für Augen ſtellete, e. g. von der großen
Hungersnoth im Land zu Rügen, wo viele Menſchen
für Hunger ſo ſchwarz wie die Mohren geworden, ein
wunderlich Ding, ſo es wahr iſt, und möchte man daraus
faſt gießen, wie die erſten Mohren enſtanden ſeind *).
Aber das laſſen wir jetzt in ſeinen Würden. Summa
als Meiſter Sehms uns verzählet, was er Neues wußte,
und wir daraus zu unſerm Troſte ſahen, daß der Herr
uns nicht allein heimbgeſuchet in dieſer ſchweren Zeit,
rieffe ich ihn in eine Kammer, und fragete ihn, ob es
hier nicht wo Gelegenheit hätte, ein Stück Birnſtein
zu verſilbern, ſo mein Töchterlein an der Sehe gefun¬
den. Aber er ſagte erſtlich nein, darauf aber ſich be¬
ſinnende hub er an: „halt laß Er ſehen. Denn es ſeind
hier beim Schloßwirth Niclas Grecken zwo holländiſche
fürnehme Kaufleute in Herberge, als: Dieterich von
Pehnen und Jakob Kiekebuſch, welche Theer und Bret¬
[54] ter kaufen, item Schiffholz und Balken, vielleicht daß
dieſe auch auf Seinen Birnſtein feilſchen, doch geh Er
Selbſten auf das Schloß, denn ich weiß nit mehr vor
gewis, ob ſie heute noch hier ſeind.“ Solliches thate
ich auch, obwohl ich bei dem Manne noch nichts ver¬
zehret, angeſehen ich erſt abſehen wöllte, wie's mit dem
Handel abliefe, und die Witten ſo der Kirchen gehör¬
ten, bis ſo lange verſpaaren. Kame alſo auf den Schlo߬
hof. — Aber du lieber Gott, wie war auch Sr. fürſt¬
lichen Gnaden Haus ſeit kurzer Zeit faſt zur Wüſtenei
worden. Den Marſtall und das Jagdhaus hatten anno
1628 die Dänen gebrochen; item viele Zimmer im
Schloſſe geruiniret, und in Sr. fürſtlichen Gnaden des
Herzogen Philippi Locament, wo er mich ao. 22 mit
meinem Töchterlein, wie man weiter unten leſen wird,
ſo mildiglich getractiret, hauſete jetzt der Schloßwirth
Niclas Graeke, und waren all die ſchönen Tapecereyen,
worauf die Wallfahrt Sr. fürſtlichen Gnaden weiland
Bagislai X. gen Jeruſalem fürgeſtellet war, heraußer¬
geriſſen, und die Wände grau und garſtig *). Solli¬
ches ſahe mit betrübtem Herzen, fragte darum alſo¬
[55] bald nach den Kaufleuten, welche hinter dem Tiſche ſa¬
ßen, und ſchon Abſchiedszeche hielten, dieweil ihr Reiſe¬
geräthe allbereits umb ſie lag, umb damit nacher Stet¬
tin aufzubrechen. Als nun der eine von der Zeche auf¬
ſprange, ein kleiner Kerl, mit einem gar ſtattlichen
Wanſt, und einem ſchwarzen Pflaſter über der Na¬
ſen, und mich fragete: was ich wölle? nahme ich ihn
abſeiten in ein Fenſter, und ſagte: daß ich ſchönen Birn¬
ſtein hätte, und ob er geſonnen, mir ſolchen zu ver¬
ſilbern, was er gleich zu thun verſprach. Und nachdem
er ſeinem Geſellen etwas ins Ohr gemürmelt, wurd
er faſt lieblich ausſehen, und reichte mir auch erſt den
Krug, bevorab wir in meine Herberge gingen. That
ihm alſo recht wacker Beſcheid, da ich, wie obbemel¬
det noch nüchtern war, ſo daß mir gleich baß umbs
Herze wurde. (Du lieber Gott, was gehet doch über
einen guten Trunk ſo es mit Maßen geſchieht!) Dar¬
auf ſchritten wir in meine Herberge, und mußte die
Magd die Kiſte abſeiten in ein Kämmerlein tragen.
Doch hatte ich ſelbige kaum aufgethan, und das Kleid
davon gezogen, als der Mann (ſo Dieterich von Peh¬
nen war, wie er mir unterwegs geſaget) für Freuden
die Hände in die Höhe hub, und ſagete: daß er ſol¬
chen Segen in Birnſtein noch niemals nit geſehen, und
wie ich dazu gekommen? Antwortete alſo, daß ihn mein
Töchterlein an der Sehe gefunden, worüber er ſich ſehr
verwunderte, daß es hier ſo viel Birnſtein hätte, und
mir gleich vor die ganze Kiſte 300 Fl. bote. War
[56] für Freuden über ſolchen Bot außer mir, doch ließ mir
nichtes merken, beſondern feilſchte mit ihme bis auf
500 Fl. und ſöllte ich nur mit ins Schloß kommen und
dorten gleich mein Geld haben. Beſtellete dahero gleich
bei dem Wirth einen Krug Bier, und vor mein Töch¬
terlein ein gutes Mittagbrod, und machte mich mit
dem Mann und der Magd, ſo die Kiſte truge wieder
ins Schloß auf, bittende: er wölle aber, umb gemeiner
Verwundrung willen, nichtes nicht von meinem großen
Seegen zu dem Wirth oder ſonſt zu männiglich hier in
der Stadt ſagen, und mir mein Geld ſonderlich *) auf¬
zählen, maſſen man auch nit wiſſen könnte ob mir die
Schnapphanichen **) nicht unterweges aufpaßten, wenn
ſie ſolches erführen, welches der Mann auch thät. Denn
er mürmelte gleich ſeinem Geſellen wieder ins Ohr, wor¬
auf dieſer ſeinen ledernen Rock aufthät, item ſein Wams
und ſeine Hoſen, und ſich ein Kätzlein von ſeinem Wanſt
ſchnallete, ſo trefflich geſpicket war, und er ihme rei¬
chete. Summa: es währete nit lange, ſo hatte ich mei¬
nen Reichthumb in der Taſchen, und bate der Mann
noch überdies, wenn ich wieder Birnſtein hätte, ſölle
ich ja gen Amſterdamm an ihn ſchreiben, was ich auch
zu thun verſprach. Aber der gute Kerl iſt, wie ich her¬
nachmals erfahren in Stettin an der Peſt mit ſeinem
Geſellen verſtorben, welches ich ihm nicht gewünſchet. ***)[57] Darauf wäre bald in große Ungelegenheit kommen. Denn
da ich mich ſehnete auf meine Kniee zu fallen, und die
Zeit nit abwarten konnte, wo ich meine Herberge er¬
reichet, lief ich die Schloßtreppe bei vier Stufen hinauf,
und trat in ein klein Gemach, wo ich mich für dem Herrn
demüthigte. Aber der Wirth Niclas Gräke folgte mir
alsbald, und vermeinete, daß ich ein Dieb ſei und wollte
mich feſt halten, wußte dahero nicht anders los zu kom¬
men als, daß ich fürgabe, ich wäre trunken worden von
dem Wein, ſo mir die fremden Kaufleute geſpendet (denn
er hatte geſehen, welchen trefflichen Zug ich gethan) an¬
geſehen ich heute Morgen noch nüchtern geweſen, und
hätte mir ein Kämmerlein aufgeſucht umb ein wenig
zu ſchlummern, welche Lüge er auch gläubete (ſo es
anders eine Lüge war; denn ich war ja auch in Wahr¬
heit trunken, obgleich nit vom Wein, ſondern von Dank
und Andacht zu meinem Schöpfer) und mich derohal¬
ben lauffen ließ. —


Doch nun muß ich erſtlich meine Hiſtorie mit Sr.
fürſtlichen Gnaden verzählen, wie mir oben fürgenom¬
men. Als ich Anno 22 von ungefährlich mit meim
Töchterlein, ſo damals ein Kind bei 12 Jahren war,
hier in Wolgaſt in dein Schloßgarten luſtwandelte, und
ihr die ſchönen Blumen zeigete, ſo darinnen herfürge¬
***)[58] wachſen waren, begab es ſich, als wir umb ein Buſch¬
werk lenketen, daß wir meinen gnädigen Herrn Herzog
Philippum Julium mit Sr: fürſtlichen Gnaden dem
Herzogen Bogislaff ſo hier zum Beſuche lag, auf ei¬
nem Hügel ſtehen und disputiren ſahen, wannenhero wir
ſchon umbkehren wollten. Da aber meine gnädige Her¬
ren alsbald fürbaß ſchritten, der Schloßbrücken zu, be¬
ſahen wir uns den Hügel, wo dieſelben geſtanden, und
erhobe mein klein Mädken alsbald ein laut Freudenge¬
ſchrei, angeſehen, ſie einen koſtbaren Siegelring an der
Erden liegen ſahe, ſo Ihro fürſtliche Gnaden ohn Zwei¬
fel verloren. Ich ſagete dannenhero: komme, wir wol¬
len unſere gnädigen Herren ganz eilend nachgehen, und
ſagſtu auf lateiniſch: Serenissimi principes quis ve¬
strum hunc annulum deperdidit
*)? (Denn wie
oben bemeldet hatte ich mit ihr die lateiniſche Sprach
ſchon ſeit ihrem ſiebenten Jahr traktiret) und ſagt nun
einer: ego; ſo giebſtu ihm den Ring. Item fräget
er dich auf lateiniſch, wem du gehöreſt, ſo ſei nit blöde
und ſprich: ego sum filia pastoris Coserowiensis**)
ſiehe ſo werden Ihre fürſtlichen Gnaden ein Wohlge¬
fallen an dir haben, denn es ſeind beide freundliche
Leute, inſonderheit aber der große, welches unſer gnädi¬
ger Landesherr Philippus Julius ſelbſten iſt.


[59]

Solliches verſprach ſie zu thun; doch da ſie im Wei¬
terſchreiten merklich zitterte, redete ich ihr noch mehr
zu und verſprach ihr ein neu Kleid ſo ſie es thäte, an¬
geſehen ſie ſchon als ein klein Kind viel umb ſchöne
Kleider gegeben. Als wir dahero auf dem Schloßhof
kommen, blieb ich bei der Statue Sr: fürſtlichen Gna¬
den des Herzogen Ernſt Ludewig *) ſtehen, und blies
ihr ein, nunmehro dreuſt nachzulaufen, da Ihre f. G.
nur wenige Schritte für uns gingen, und ſich ſchon ge¬
gen die große Hauptthüre wendeten. Sollich-s thät ſie
auch, blieb aber plötzlich ſtehen und wollte wieder umb¬
kehren, weil ſie ſich vor den Sporen Ihrer f. G. ge¬
fürchtet, wie ſie nachgehends ſagete, maßen dieſelben faſt
heftig geknarret und geraſtert.


Dieſes ſahe aber meine gnädige Frau, die Herzo¬
ginne Agnes aus dem offenen Fenſter, in welchem ſie
lage und rief, S. f. G. zu: „mein Herre, es iſt ein
klein Mädchen hinter Euch, ſo Euch ſprechen will, wie
es mir ſcheinet,“ worauf Sr. f. G. ſich gleich niedlich
lächelnd umwendete, ſo daß meinem kleinen Mädken der
Muth alſobald wiederkehrete und ſie den Ring in die
Höhe haltende auf lateiniſch ſagete, wie ihr geboten.
Darüber verwunderten ſich beide Fürſten über die Ma¬
ßen, und nachdeme Se. fürſtliche Gnaden, mein gnädi¬
ger Herzog Philippus ſich an den Finger gefühlet, ant¬
[60] wortete er: Dulcissima puella, ego perdidi*) wor¬
auf ſie ihm ſolchen reichete. Davor klopfete er ihr die
Wangen und fragte abermals: Sed quaenam es et
unde venis?
**) worauf ſie dreuſt ihre Antwort thät,
und zugleich nach mir an der Statuen mit dem Finger
wieſe, worauf Se. fürſtliche Gnaden mir winketen, näher
zu kommen. Dieſes Alles hatte auch meine gnädige Frau
aus dem Fenſter mitgeſehen, war aber mit einem Male
wegk. Doch kam ſie ſchon zurücke, ehe ich noch zu mei¬
nen gnädigen Herren demüthig herangetreten, winkete
alsbald meinem Töchterlein, und hielt ihr eine Blin¬
ſche ***) aus dem Fenſter welche ſie haben ſollte. Da
ich ihr zuredete lief ſie auch hinan, aber Ihre fürſtliche
Gnaden kunnte nit ſo tief niederlangen, und ſie nit ſo
hoch über ſich umb ſelbige zu greifen, wannenhero meine
gnädige Frau ihr gebot, ſie ſölle in das Schloß kom¬
men und da ſie ſich ängſtiglich nach mir umbſchauete
mich auch heranwinkete, wie mein gnädiger Herr ſelb¬
ſten, der alſobald die kleine ſcheue Magd bei der Hand
faſſete und mit Sr: fürſtlichen Gnaden dem Herzogen
Bogislaff vorauf ging. Meine gnädige Frau kam uns
aber allbereits bei der Thüren entgegen, liebkoſete und
umbſing mein klein Töchterlein, ſo daß ſie bald dreuſt
wurde, und die Blinſche aß. Nachdem nun mein g.
Herr mich gefraget, wie ich hieße, item warumb ich
[61] ſeltſamer Weiß meinem Töchterlein die lateiniſche Sprache
gelernet, antwortete ich: daß ich gar viel durch einen
Vetter in Cöln von der Schurmannin *) gehöret und da
ich ein faſt trefflich ingenium bei meinem Kinde ver¬
[62] ſpüret, auch in meiner einſamen Pfarren genugſam Zeit
dazu gehabt, hätte ich nit angeſtanden, ſie von Jugend
auf fürzunehmen und zu unterweiſen, maßen ich keine
Knäblein beim Leben hätte. Darüber verwunderten
ſich I. I. f. f. G. G. und thaten annoch einige latei¬
niſche Fragen an ſelbige, welche ſie auch beantwortete,
ohne daß ich ihr etwas einblieſe, worauf mein gnädi¬
ger Herr, Herzog Philippus auf deutſch ſagete: wenn
du groß geworden biſt und einmal heirathen wilt, ſo
ſags mir, dann ſolltu von mir wieder einen Ring ha¬
ben und was ſonſten noch vor eine Braut gehöret, denn
du haſt mir heute einen guten Dienſt gethan, angeſe¬
hen mir dieſer Ring ein groß Kleinod iſt, da ich ihn
von meiner Frauen empfangen. Ich blies ihr darauf
ein, Sr: fürſtlichen Gnaden vor ſolches Verſprechen die
Hand zu küſſen, was ſie auch thät.


(Aber, ach du allerliebſter Gott, verſprechen und
halten, ſeind zweierlei Ding! Wo iſt jetzt Se: fürſtli¬
chen Gnaden? Darumb laß mich immer bedenken: nur
Du biſt allein wahrhaftig und was Du zuſagſt hälltſtu
gewis. Pſ. 33, 4. Amen.)


Item als Se, fürſtliche Gnaden nunmehro auch nach
mir und meiner Pfarren gekundſchaftet und gehöret,
daß ich alt adlichen Geſchlechtes und mein Salarium
faſt zu ſchwach ſei, rief ſie dero Canzler D. Rungium,
*)[63] der draußen an dem Sonnenzeiger ſtund und ſchauete,
aus dem Fenſter und befahle ihme, daß ich vom Klo¬
ſter zu Pudgla, item von dem Kammergut Ernſthoff
eine Beilage haben ſollte, wie oben bemeldet. Aber
Gott ſeis geklagt, habe ſelbige niemalen erhalten, ob¬
wohl das Instrumentum donationis*) mir bald her¬
nach auch durch Sr: fürſtlichen Gnaden Canzler geſen¬
det ward. —


Darauf gab es vor mich auch Blinſchen, item ein
Glas wälſchen Wein aus einem gemalten Wappenglas,
worauf ich demüthig mit meinem Töchterlein meinen
Abtritt nahm.


Umb nun aber wieder auf meine Kaufmannſchaft
zu kommen, ſo kann männiglich vor ſich ſelbſten abneh¬
men, welche Freude mein Kind empfande, als ich ihr
die ſchöne Dukaten und Gulden wieſe, ſo ich vor den
Birnſtein erhalten. Der Magd aber ſagten wir, daß
wir ſolchen Segen ererbet durch meinen Bruder in Hol¬
land, und nachdem wir abermals dem Herrn auf un¬
ſern Knieen gedanket, und unſer Mittagsbrod verzeh¬
ret, hielten wir gute Kaufmannſchaft an Fleiſch, Brode,
Salz, Stockfiſch, item an Kleidern, angeſehen ich vor
uns drei von dem Wandſchneider die Winternothdurft
beſorgete. Vor mein Töchterlein aber kaufte noch ab¬
ſonderlich eine geſtrickte Haarhaube und ein roth ſei¬
din Leibichen mit ſchwarzen Schurzfleck und weißem Rock,
[64]item ein fein Ohrgehänge, da ſie faſt heftig darumb
bat, und nachdem ich auch bei dem Schuſter die Noth¬
durft beſtellet, machten wir uns endiglichen, da es faſt
ſchon tunkel ward, auf den Heimbweg, kunnten aber
faſt nit alles tragen, ſo wir eingekaufet. Derohalben
mußte uns ein Bauer von Bannemin helfen, ſo auch
zur Stadt geweſen war, und als ich von ihm erfor¬
ſchet, daß der Kerl, ſo mir die Schnede Brod gegeben,
ein Katenmann, Namens Pantermehl geweſt, und an
der Dorfſtraßen wohne, ſchobe ich ihm zwo Brode in
ſeine Hausthüre, als wir davor gekommen, ohne daß
er es gemerket, und zogen darauf unſerer Straßen bei
gutem Mondſchein weiter, ſo daß wir auch mit Gotts
Hülfe umb 10 Uhren Abends zu Hauſe anlangeten.
Dem andern Kerl hatte ich auch vor ſeine Mühe ein
Brod geben, obwohl er es nit verdient, angeſehen er
nit weiter als bis zum Zitze mit uns gehen wollte. Doch
laß ihn laufen, habs ja auch nit verdienet, daß mich
der Herr ſo geſegnet! —


[65]

Capitel 11.

Wie ich die ganze Gemein geſpeiſet,itemwie ich
nach Gützkow zum Roßmarkt gereiſet und was mir
alldort gearriviret.


Des andern Morgens zutheilete mein Töchterlein
die lieben Brod, und ſchickte einem Jeglichen
im Dorf eine gute Schnede. Doch da wir ſahen, daß
unſer Fürrath bald würde auf die Neige laufen, ſchik¬
kete abermals die Magd mit einer Karren, ſo ich von
Adam Lempkem gekauft, nach Wolgaſt mehr Brod zu
hohlen, welches ſie auch thate. Item ließ ich im gan¬
zen Kapſel herumbſagen, daß ich am Sonntag wölle
das heilige Abendmahl halten, und kaufete unterdeß im
Dorf alle großen Fiſche, ſo ſie fingen. Als nun end¬
diglich der liebe Sonntag kam, hielt ich erſtlich Beicht
mit der ganzen Gemein, und darauf die Predigt über
Matth. 15, 32. Mich jammert des Volks, denn ſie
haben nichts zu eſſen. Solliches deutete aber fürs erſte
nur auf die geiſtliche Speiß, und erhobe ſich ein groß
Seufzen unter Männern und Weibern, als ich zum Schluß
auf das Altar wieſe, worauf die liebe Seelenſpeiſe ſtund,
und die Worte wiederholte: mich jammert des Volks,
denn ſie haben nichts zu eſſen. (NB. den bleiernen
Kelch hatte mir in Wolgaſt geliehen, und vor die Pa¬
tene ein klein Tellerlein gekaufet, bis Meiſter Bloom
den ſilbernen Kelch und die Patene, ſo ich beſtellet würde
5[66] fertig halten.) Als ich nun darauf das heilige Nacht¬
mahl conſacriret und ausgetheilet, item den Schlußvers
angeſtimmet, und ein Jeglicher ſtill ſein Vater unſer
gebet, umb aus der Kirchen zu gehen, trat ich aber¬
mals aus dem Beichtſtuhl herfür, und winkete dem Volk
annoch zu verharren, da der liebe Heiland nit blos ihre
Seelen ſondern auch ihren Leib ſpeiſen wölle, angeſe¬
hen er mit ſeinem Volk noch immer eben daſſelbige
Erbarmen hätte, wie weiland mit dem Volk am gali¬
läiſchen Meer. Solliches ſöllten ſie ſehen. Trat alſo
in den Thurm und langete zween Körbe herfür ſo die
Magd in Wolgaſt gekaufet, und ich zu guter Zeit hier
hatte verhehlen laſſen, ſatzete ſie für das Altar und zog
die Tüchlein womit ſie bedecket waren, davon, worauf
ſich faſt ein laut Geſchrei erhob, maſſen ſie den einen
voller Bratfiſch, den andern aber voller Brod funden,
ſo wir heimlich hineingethan. Machte es darauf wie
der Heiland, dankete und brach es und gab es meinem
Fürſteher Hinrich Seden, daß er es den Männern und
meinem Töchterlein, daß ſie es den Weibern fürlegen
mußte, worauf den Text: mich jammert des Volks denn
ſie haben nichts zu eſſen auch leiblich anwandte, und
auf und nieder in der Kirchen ſchreitend, unter großem
gemeinen Geſchrei ſie vermahnete, immer Gottes Barm¬
herzigkeit zu vertrauen, fleißig zu beten fleißig zu ar¬
beiten und in keine Sünde zu willigen. Was übrig
blieb mußten ſie vor ihre Kinder und alten Greiſe auf¬
heben, ſo zu Hauſe geblieben waren.


[67]

Nach der Kirchen, und als ich kaum meinen Chor¬
rock abgethan, kam Hinrich Seden ſein gluderäugigt
Weib wieder und verlangete trotziglich noch ein Meh¬
res vor die Reiſe ihres Mannes nach der Liepe; auch
hätte ſie vor ſich ſelbſten noch Nichtes erhalten, ange¬
ſehen ſie heute nit in der Kirchen geweſen. Solliches
verdroß mich faſt, und ſagete ich zu ihr: warum biſtu
nit in der Kirchen geweſen? Doch wäreſtu demüthig
kommen, hätteſtu auch jetzt noch etwas erhalten, da du
aber trotziglich kümmſt, geb' ich dir Nichts. Gedenke
doch wie du es mit mir und meinem Kinde gemacht.
Aber ſie blieb bei der Thüren ſtehen und gluderte trotzig
in der Stuben rings umbher, bis ſie mein Töchterlein
beim Arm nahm, und heraus führete, indeme ſie ſprach:
„hörſtu? du ſollt erſt demüthig wieder kommen, ehe du
etwas empfäheſt; kömmſtu aber alſo, ſo ſolltu auch dei¬
nen Theil haben und wir wollen nit weiter mit dir
Auge um Auge, Zahn um Zahn rechnen, das möge der
Herr thun ſo ihm beliebt, wir aber wöllen dir gerne
vergeben!“ Hierauf ſchritt ſie endlich nach ihrer Weiß,
heimlich mummelnd aus der Thüren, doch ſpiee ſie ver¬
ſchiedentlich auf der Straßen aus, wie wir durch das
Fenſterlein ſahen.


Bald darauf beſchloß ich einen Jungen bei 20 Jah¬
ren und Claus Neels geheißen bei mir in Dienſt zu neh¬
men, und vor einen Knecht zu gebrauchen, angeſehen der
alte Neels in Loddin ſein Vater mich faſt harte darumb
anlag, auch der Burſche an Manieren und ſonſten mir
5 *[68] wohl gefiel. Denn da es heuer einen guten Herbſt hatte,
beſchloß annoch mir vor's erſte zwei Pferde zu kaufen
und mein Ackerland abermals zu beſäen; denn wiewohl
es ſchon ſpät im Jahre war, meinete ich dennoch, daß
der grundgütige Gott es wohl geſegnen könnte, wenn er
wollte.


Auch war ich nit ſonderlich umb das Futter für ſel¬
bige beſorgt, maßen es in der Gemein einen großen Ueber¬
fluß an Heu hatte, da alles Vieh wie bemeldet geſchla¬
gen oder fortgetrieben war. Gedachte alſo im Namen
Gottes mit meinem neuen Ackersknecht gen Gützkow zu
ziehen, wo auf dem Jahrmarkt viel meklenburgiſche Pferde
gezogen wurden, angeſehen dort noch eine beſſere Zeit
war. *) Hierzwiſchen aber thät ich mit meinem Töch¬
terlein noch mehr Gänge auf den Streckelberg zur Nacht¬
zeit und im Mondſchein, funden aber nichts rechtes, ſo
daß wir ſchon gläubeten unſer Segen ſei zu Ende, als
wir in der dritten Nacht große Stücke Birnſtein bra¬
chen faſt größer als die, ſo die beiden Holländer gekau¬
fet. Solche beſchloß nunmehro an meinen Schwager
Martin Behring gen Hamburg zu ſchicken, maſſen Schif¬
fer Wulff aus Wolgaſt, wie mir geſaget ward, noch
in dieſem Herbeſt hinaufſeegeln wöllen, um Theer und
Schiffesholz überzuführen. Packete alſo alles in eine wohl¬
verwahrete Kiſte, und nahm ſelbige mit gen Wolgaſt,
[69] als ich mit meinem Ackersknecht gen Gützkow aufbrach.
Von dieſer Reiſe will mir ſoviel vermelden: daß es all¬
dorten faſt viele Pferde aber wenig Käufer hatte. Dan¬
nenhero kaufete zwo ſchöne Rappen das Stück zu 20 Fl.
item einen Wagen umb 5 Fl. item 25 Scheffel Rog¬
gen, ſo auch vom Meklenburg dahin geführet war umb
1 Fl. den Scheffel, da er in Wolgaſt faſt gar nit mehr
aufzugabeln iſt, und alsdann wohl an die drei Fl. und
drüber gilt. Hätte darumb hier in Gützkow ſchöne Kauf¬
mannſchaft in Roggen halten können, ſo es meines Amts
geweſt, und ich auch nit befürchtet, daß die Schnapp¬
hanichen, woran es in dieſer ſchweren Zeit faſt überhand
nimmt, mir mein Korn wieder abgenommen, und noch
wohl dazu gemaltraitiret, und erwürget hätten, wie Etz¬
lichen geſchehen. Denn inſonderheit wurde ſolche Räu¬
berei zu Gützkow zu dieſer Zeit in der Strelliner Hei¬
den mit großem Spök *) getrieben, kam aber mit des
gerechten Gottes Hülfe gerade an das liebe Tageslicht,
als ich mit meinem Ackersknecht alldorten in den Jahr¬
markt verreiſet war, und will ich ſolliches hier noch be¬
melden. Vor etzlichen Monden war ein Kerl zu Gütz¬
kow aufs Rad geſtoßen, weil er durch Verführung des
leidigen Satans einen reiſenden Handwerksmann erſchla¬
gen. Derſelbige aber fing alſobald an ſo erſchröcklich zu
ſpöken, daß er zur Abend- und Nachtzeit mit ſeinem ar¬
men Sünderkittel von dem Rade herniederſprang, ſobald
[70] ein Wagen vor dem Galgen vorbeifuhr, der an der Land¬
ſtraßen nacher Wolgaſt zu ſtehet, und hinter den Leuten
herſetzte, wo ſie denn mit vielen Abſcheu und Grauen
die Roſſe anklappten, ſo daß es einen großen Rumor
auf dem Knüppeldamm ſchlug welcher benebenſt dem Gal¬
gen in ein klein Hölzlein führete, der Kraulin geheißen.
Und war ein wunderlich Ding, daß in ſelbiger Nacht
die Reiſenden faſt immer in der Strelliner Heiden ge¬
plündert oder erwürget wurden. Dannenhero ließ die
Obrigkeit den Kerl von dem Rade heben und begrube
ihn unter dem Galgen in Hoffnung, daß der Spök ſich
legen ſölle. Aber es ſaß nach wie vorab bei Nachtzei¬
ten ſchloweiß auf dem Rade, ſo daß Niemand nicht mehr
die Straße gen Wolgaſt fahren wollte. Da begab es
ſich denn, daß in benanntem Jahrmarkt gegen die Nacht¬
zeit der junge Rüdiger von Nienkerken von Mellenthin
auf Uſedom belegen, ſo in Wittenberge und anderswo
ſtudiret, und nun wieder heimkehren wollte mit ſei¬
nem Fuhrwerk, dieſer Straßen zog. Hatte ihm kurz
vorhero noch ſelbſten im Wirthhauſe geperſuadiret, daß
er von wegen den Spök zur Nachtzeit in Gützkow ver¬
bleiben, und des nächſten Morgens mit mir fahren wölle,
was er aber verwegerte. Als ſelbiger Junker nun die
Straße gefahren kömmt, ſieht er auch wieder alſobald
den Spök auf dem Rade ſitzen, und iſt er kaum an
dem Galgen fürüber, als das Geſpenſte herniederſpringt,
und ihm nachſetzet. Der Fuhrmann enſetzet ſich mäch¬
tiglich, und macht es wie alle anderen, klappet die Pferde
[71] an, ſo faſt ſcheu geworden, und für Angſt den Miſt ge¬
laſſen und beginnet mit großem Rumor über den Knüp¬
peldamm zu jagen. Hierzwiſchen bemerket aber der Jun¬
ker beim Mondenſchein, daß der Spök einen Pferde¬
apfel über welchen er rennet, breit tritt, und nimmt ſo¬
gleich bei ſich ab, daß ſolches kein Geſpenſt ſei. Rufet
dannenhero den Fuhrmann, er ſölle halten, und da die¬
ſer nit auf ihn höret, ſpringet er von dem Wagen, zeucht
ſeinen Stoßdegen, und eilt dem Spök auf den Leib. Als
der Spök ſolches gewahr wird, will er umbkehren, aber
der Junker ſchlägt ihne mit der Fauſt in das Genicke,
daß er gleich zur Erden ſtürzet und ein laut Gejünſe *)
erhebt. Summa: nachdem der Junker ſeinen Fuhrknecht
gerufen, bringt er den Spök bald darauf wieder in die
Stadt geſchleppt und ergab es ſich, daß ſelbiger ein Schu¬
ſter war, Namens Schwelm. (Dieſem Schelm hat der,
Teufel recht das W. eingeflicket! — ) So bin ich auch
bei dem großen Auflauf mit Mehren hinzugetreten, und
habe den Kerl geſehen. Er zitterte, wie das Blatt ei¬
ner Espen, und als man ihm hart zuredete: er ſölle frei¬
willig bekennen, maßen er dann vielleicht ſein Leben ret¬
ten könne, ſo es ſich anders fände, daß er Niemand nit
erwürget, bekannte er auch: daß er ſich habe durch ſein
Weib ein arm Sünderkleid nähen laſſen, ſolches ange¬
than und ſich zur Nacht und inſonderheit, wann er in
Erfahrung gebracht, daß ein Wagen in der Stadt ſei
[72] ſo nacher Wolgaſt wölle, vor dem Kerl auf das Rad
geſetzet, wo es dann in der Tunkelheit und der Ferne
nit zu ſehen geweſt, daß ſie ſelbander dorten geſeſſen.
Wäre nun ein Wagen angekommen, und er herabgeſprun¬
gen und hinten nach geloffen, hätte ſich alles ſogleich ent¬
ſetzet und ſein Augenmerk nit mehr auf den Galgen ſon¬
dern blos auf ihm gehabt, forts die Pferde angeſchlagen
und mit großem Rumor und Gepolter über den Knüp¬
peldamm gekutſchiret. Solches hätten aber ſeine Geſel¬
len in Strellin und Dammbecke gehöret, (zwo Dörfer,
ſo faſt drei Viertel Wegs entfernt ſeind) und ſich fer¬
tig erhalten den Reiſenden wenn ſie nachgehends bis da¬
hin gelanget, die Pferde abzuſpannen und ſelbige zu plün¬
dern. Als man nachgehends den Kerl begraben, hätte
er ſeinen Spök noch leichter gehabt etc. Dieſes Al¬
les wäre die reine Wahrheit, und hätte er ſelbſten in
ſeinem Leben Niemand etwas abgenommen, noch ihn er¬
würget, dahero man ihm verzeihen wölle, dieweil er ganz
unſchuldig ſei, und alles was an Raub und Mord für¬
gefallen, ſeine Geſellen allein verübet hätten. Ei du fei¬
ner Schelm, aber der Teufel hat dir das W nit umb¬
ſonſt eingeflicket. Denn wie ich nachmals erfahren, iſt
er ſammt ſeinen Geſellen, wie billig, wieder aufs Rad
geſtoßen.


Umb nun wieder auf meine Reiſe zu kommen,
ſo iſt der Junker nunmehro zur Nacht mit mir in der
Herbergen verblieben, und am andern Morgen frühe
ſeind wir beide aufgebrochen, und da wir gute Kund¬
[73] ſchaft *) mit einander gemacht bin ich auf ſeinen Wagen
geſtiegen, wie er geboten, um mit einander unterweges
zu converſiren, und mein Claas hat hintennach gefahren.
Habe auch bald gemerket, daß er ein feiner, ehrbarer, und
wohlgelahrter Herre ſei, angeſehen er nit nur das wüſte
Studentenleben verlobete **), und ſich freuete, daß er nun¬
mehro, den argen Sauftonnen entronnen, ſondern auch
ſein lateiniſch ohne Anſtoß redete. Hatte dannenhero viel
Kürzweil mit ihm auf dem Wagen. Doch zuriß uns
in Wolgaſt auf dem Fährboot das Seil, ſodaß uns der
Strom bis nach Zeuzin ***) niederführete, und wir end¬
lich nit ohne große Mühſal ans Land gelangeten. Hier¬
zwiſchen war es faſt ſpät worden, und kamen wir erſt
umb 9 Uhren in Coſerow an, wo ich dann den Jun¬
ker bate, bei mir die Nachtherberge zu nehmen, was
er ſich auch gefallen ließ. Mein Töchterlein ſaß am
Kamin und nähete vor ihre kleine Päte ein Röcklein aus
ihren alten Kleiden zuſammen. Erſchrak dahero heftig
und verfärbete ſich, als ſie den Junker mit mir eintre¬
ten ſahe und hörete er wölle hier zur Nachtherberge
verbleiben, angeſehen wir bishero nit mehr Betten als
zur höchſten Nothdurft von der alten Zabel Nering¬
ſche, der Heidereuter — Wittwen zu Ueckeritze gekau¬
fet hatten. Dannenhero nahm ſie mich gleich abſonder¬
lich: wie es werden ſölle? Mein Bette hätte heute ihre
kleine Päte, ſo ſie darauf geleget, nit wohl zugerichtet,
[74] und in ihrs könne ſie doch den Junker unmöglich legen,
wenn ſie ſelbſten auch gerne bei der Magd niederkrühe.
Und als ich ſie fragete: warumb denn nit? verfärbete
ſie ſich abermals wie ein roth Laken und hub an zu
weinen, ließ ſich auch den ganzen Abend nit wieder ſe¬
hen, ſo daß die Magd alles beſorgen, und ihr, verſtehe
meiner Töchterlein Bette endlich nur mit weißen Ley¬
lachen vor den Junker überziehen mußte, da ſie ſelb¬
ſten es nit thun wollte. Führe hier ſolches an, damit
man ſehen möge, wie die Jungfern ſeind. Denn am
andern Morgen trat ſie in die Stuben mit ihrem roth
ſeidin Leibichen, mit der Haarhauben und dem Schurz¬
fleck, summa mit Allem angethan, ſo ich ihr in Wol¬
gaſt gekaufet, ſo daß der Junker ſich verwunderte und
viel mit ihr unter der Morgenſuppen converſirete, wor¬
auf er alsdann ſeinen Abſchied nahm, und mich bate,
wieder einmal in ſeine Burg vorzuſprechen.


[75]

Capitel 12.

Was ferner Freudiges und Betrübtes fürgefallen
itemwie Wittich Appelmann gen Damerow auf die
Wulfsjagd reutet, und was er meinem Töchterlein
angeſonnen.


Der Herr ſegnete meine Gemeind wunderlich in
dieſem Winter, maßen ſie nicht nur in allen Dör¬
fern eine gute Menge Fiſche fungen und verſilberten,
beſondern auch die Coſerowſchen 4 Saalhunde *)ſchlu¬
gen, item der große Stormwind vom 12ten Decembris
eine ziemliche Menge Birnſtein an den Strand trieb,
ſo daß nunmehro auch viele Menſchen Birnſtein fun¬
den, doch nit ſonderlich von Größe, und wieder anfin¬
gen ſich Viehe, als Küh und Schaafe von der Liepen
und andern Orten zu kaufen, wie ich mir ſelbſten denn
auch wieder zwo Kühe zulegete. Item lief mein Brod¬
korn, ſo ich zur Hälfte auf meinen Acker, und zur an¬
dern Hälfte auf den alten Paaſschen ſeinen ausgeſtreuet
noch ganz lieblich und holdſelig auf, da uns der Herr
bis dato einen offenen Winter geſchenket; aber wie es
bei eines Fingers Länge aufgeſchoſſen, lag es an eim
Morgen wieder umbgeſtürzet und geruiniret und aber¬
mals durch Teufels-Spöck, maſſen auch jetzo wie zu¬
vorab nit die Spur eines Ochſen oder Pferdes im Acker
[76] zu ſehen war. Der gerechte Gott aber wölle es rich¬
ten, wie es denn jetzo auch ſchon geſchehen iſt. Amen.


Hierzwiſchen aber trug ſich etwas Abſonderliches zu.
Denn als Herr Wittich meines Vernehmens eines Mor¬
gens aus dem Fenſter ſchauet, daß das Töchterlein ſei¬
nes Fiſchers, ein Kind bei 16 Jahren, deme er fleißig
nachgeſtellet, in den Buſch gehet, ſich trocken Holz zu
brechen, macht er ſich auch alſobald auf, warumb? will
ich nit ſagen und mag ſich ein Jeglicher ſelbſten ab¬
nehmen. Als er jedoch den Kloſterdamm eine Weile
aufgeſchritten und bei der erſten Brücken kömmt, da wo
der Ebreſchenbaum ſtehet, ſiehet er zwo Wülfe, ſo auf
ihn zulaufen, und da er kein Gewehr nit bei ſich füh¬
ret, als einen Stecken, klettert er ſofort in einen Baum,
worauf die Wülfe umb ſelbigen herumtraben, ihn an¬
blinzen mit den Augen, das Maul löcken, und endlich
ſich mit den Vordertatzen gegen den Baum in die Höhe
auffheben, und hineinbeißen, wobei er gewahr wor¬
den, daß der eine Wulf, ſo ein He und ein langer fei¬
ſter Feger geweſen nur ein Auge gehabt. Hebet alſo
an in ſeiner Angſt zu ſchreien, und die große Langmuth
des barmherzigen Gottes wollte ihn auch noch einmal er¬
retten, doch ohne, daß er dadurch klug worden wäre.
Denn das Dirnlein, ſo ſich auf der Wieſen hinter ei¬
nen Knirkbuſch verkrochen, als ſie den Junker kommen
ſieht, rennet forts auf das Schloß zurücke, worauf denn
auch viel Volks alſobald herbeifähret, die Wülfe verja¬
get, und den Junker erlöſet. Selbiger ließ dahero eine
[77] große Wulfsjagd des andern Tages in der Kloſterhei¬
den anſagen, und wer den einäugigen Feger ihm todt
oder lebendig brächte, ſölle eine Tonne Bier zum Beſten
haben. Doch haben ſie ihn nit gefangen, obgleich ſie
in den Netzen ſonſten bei vier Wülfen dieſen Tag ge¬
habt und geſchlagen. Alſo ließ er auch weiters in mei¬
nem Kapſel die Wulfsjagd anſagen. Doch wie der Kerl
kömmt, die Glocke auf dem Thorm zu rühren, hält er
nit ein wenig inne, wie es bei Wulfsjagden der Brauch
iſt, ſondern ſchläget sine mora*) immer tapfer zu an
die Glocke, ſo daß männiglich glaubt es ſei ein Feuer
aufgegangen, und ſchreiend aus den Häuſern herfürſpringt.
So läuft auch mein Töchterlein herbei (denn ich ſelbſten
war zu einem Kranken nach Zempin gefahren, angeſe¬
hen mir das Gehen ſchon etwas ſchwer fiele, und ichs
nunmehro ja auch beſſer haben mochte,) hat aber noch
nit lange geſtanden, und nach der Urſachen geforſcht als
der Amtshaubtmann ſelber auf ſeinem Schimmel mit
drei Fuder Zeug hinter ihm herbei galoppiret und dem
Volk befiehlet, ſogleich zur Heiden aufzubrechen und auf
den Wulf zu klappern. Hierauf will er ſchon mit ſei¬
nem Jägersvolk, und etzlichen Männern, ſo er ſich aus
den Häufen gegriffen, weiter reuten, umb hinter der Da¬
merow den Zeug zu ſtellen maßen die Inſel dorten wun¬
derlich ſchmal iſt **) und der Wulf das Waſſer ſcheuet;
[78] als er meines Töchterleins gewahr wird, ſein Pferd wie¬
der umbdrehet, ſie unter das Kinn greifet, und freund¬
lich examiniret, wer und woher ſie ſei? Als er ſolches
erforſchet, ſagt er, daß ſie ſchier ſo hübſch ſei, als eine
Engelin, und daß er gar nit gewußt, daß der Prieſter
hieſelbſten eine ſo ſchöne Dirne hab. Reutet darauf wei¬
ter, ſich noch wohl an die zwei oder drei Malen nach
ihr umbſchauend, und gelangt auch im erſten Treiben
ſchon zu dem einäugigten Wulf, ſo im Rohr an der Sehe
gelegen, wie ſie gleich an der Looſung verſpüret. Denn
der Wulf looſet immer auf einen Stein, die Wölfin aber
thät ihre Looſung mitten in den Weg und es iſt plat¬
ſchicht, wogegen ſeins immer faſt dicke iſt. Das hat den
Junker ſehr ergetzet und haben die Zeugknechte ihn mit
großen eiſernen Zangen aus dem Garn herfürhohlen
und halten müſſen, worauf er ihn bei einer Stunden
lang unter großem Gelächter langſam und jämmerlich zu
Tode gemartert, was ein prognosticon iſt, wie ers
nachhero mit meinem armen Kinde gemacht, denn Wulf
oder Lamm iſt dieſem Schalksknecht gleich. Ach du ge¬
rechter Gott! — Doch ich will nichts übereilen noch zu¬
vorkommen.


Des andern Tages kömmt den alten Seden ſein glu¬
deräugigt Weib, ſo wie ein lahmer Hund mit dem Hin¬
dern drohete, und ſtellet meinem Töchterlein für: ob ſie
nit wölle bei dem Amtshaubtmann in Dienſt treten, lo¬
bet ihn als einen frommen und tugendſamen Mann, und
wäre alles was die Welt von ihm afterrede, erſtunken
[79] und erlogen, wie ſie ſelbſten deren Zeugniß ablegen könne,
angeſehen ſie länger denn zehn Jahre bei ihme in dem
Dienſt geſtanden. Item lobet ſie das Eſſen, ſo ſie dor¬
ten hätte, und das ſchöne Biergeld, ſo große Herren,
welche hier gar oft zur Herberge lägen, vor die Aufwar¬
tung ſpendeten, wie ſie denn ſelbſten von Sr. f. G. dem
Herzogen Ernſt Ludwig mehr denn ein Mal einen Ro¬
ſenobel überkommen. Auch hätt es hier ſonſten oft viel
junge hübſche Leut, ſo daß es ihr Glück ſein könnte, maſ¬
ſen ſie ein ſchön Frauensbild wäre, und nur das Aus¬
ſuchen hätte, wen ſie heirathen wölle; daß ſie aber in
Coſerow, wo Niemand nit käme, ſich krumm und dumm
ſitzen könne, bevorab ſie unter die Hauben geriethe etc.
Darob erzürnete ſie mein Töchterlein über die Macht
und antwortete: ei du alte Hexe, wer hat dir geſaget,
daß ich wölle in Dienſt treten, umb unter die Hauben
zu kommen. Packe dich, und komm mir nit ferner in
das Haus, denn ich habe mit dir Nichtes zu ſchaſſen,
worauf ſie denn auch alſobald wieder mummelnd ihrer
Straßen zog.


Kaum aber waren etzliche Tage verſchienen, und ſtehe
ich mit dem Glaſer in der Stuben ſo mir neue Fenſter
eingeſetzet, als ich mein Töchterlein in der Kammer bei
der Küchen ſchreien höre. Laufe alſo gleich hinein, und
perhorrescire heftiglich, als ich den Amtshaubtmann ſelb¬
ſten in der Ecken ſahe, wie er mein Kind umbhalſet hält.
Läßt ſie aber alſogleich fahren und ſpricht: ei Ehre
Abraham, was habt Ihr für eine kleine ſpröde Närrin
[80] zur Tochter. Will ihr nach meiner Weiß einen Kuß zum
Willkommen geben, da wehret ſie ſich, und thut einen
Schrei, als wär ich ein junger Fant, der ſie überſchli¬
chen, ſo ich doch wohl doppelt ihr Vater ſein könnte.
Als ich hierauf ſchwiege, hüb er an fortzufahren, daß
er ſie habe zuverſichtlich machen wollen, maſſen er ſie,
wie ich wüßte in ſeinen Dienſt begehrete und was er ſonſt
fürbrachte und ich vergeſſen hab. Nöthigte ihn darauf
in die Stube, dieweil er immer meine von Gott geſetzte
Obrigkeit ware, und fragte demüthiglich: was Se. Ge¬
ſtrengen von mir wöllen? worauf er freundlich zur Ant¬
wort gab: daß er wohl billig mir zürnen möchte, an¬
geſehen ich ihn vor der ganzen Gemeine abgekanzelt, ſol¬
ches aber nit thun, ſondern die Klageſchrift contra me
(gegen mich) ſo er ſchon gen Stettin an Se. fürſtliche
Gnaden geſchicket und mir leicht den Dienſt koſten könnte,
wiederkommen laſſen wölle, ſo ich ſeinen Willen thät. Und
als ich fragete: was Sr. Geſtrengen Willen wär, auch
mich von wegen der Predigt ſoviel entſchuldiget, als ich
konnte, gab er zur Antwort: daß er ſehr benöthiget ſei
um eine treue Ausgeberſche, ſo er dem andern Frauens¬
volk fürſetzen könnte, und da er in Erfahrung gezogen,
daß mein Töchterlein eine treue und wackere Perſon ſei,
möcht ich ſie ihme in den Dienſt geben. Siehe, ſprach
er zu ihr und zwackete ſie in die Backen, ſo will ich
dich zu Ehren bringen obwohl du ein ſo junges Blut
biſt, und doch ſchreiſtu, als wöllt ich dir zu Unehren ver¬
helfen. Fu ſchäme dich! (Mein Töchterlein weiß dieſes
[81] noch Alles verbotenus*), ich hätte es über allen Jam¬
mer, ſo ich nachgehends gehabt, wohl hundertmal ver¬
geſſen). Aber ſie ließ ſich ſolches verdrießen, indem ſie
von der Bank aufſprange und kurz zur Antwort gab:
ich danke Ihme für die Ehre, will aber nur meinem Papa
wirthſchaften helfen, das wird beſſer Ehre vor mich ſein,
worauf der Junker ſich zu mir hinwendete, und was
ich dazu ſagte? Ich muß aber bekennen, daß ich in nit
geringer Angſt ware, inmaſſen ich an die Zukunft ge¬
dachte, und an das Anſehn, in welchem der Junker bei
Sr. fürſtl. Gnaden ſtande. Gab alſo demüthig zur Ant¬
wort: daß ich mein Töchterlein nit zwingen könne, ſie
auch gerne umb mich behielte, angeſehen meine liebe Haus¬
frau in der ſchweren Peſtzeit bereits dieſes Zeitliche ge¬
ſegnet, und ich nicht mehr Kinder hätte, denn ſie alleine.
Se. Geſtrengen müchten dannenhero nicht ungnädig wer¬
den, wenn ich ſie nicht bei Sr. Geſtrengen in den Dienſt
ſchicken könnte. Dieſes verdroß ihn heftiglich, und nach¬
deme er noch eine Zeitlang umbſonſt disputiret, valedicirte
er endlich, doch nicht, ohne mir zu dräuen, daß er es mir
ſchon gedenken wölle. Item hat mein Knecht gehöret ſo
in dem Pferdeſtall geſtanden, daß er umb die Ecken ge¬
hend für ſich geſaget: ich will ſie doch wohl kriegen!


Solches machte mich ſchier wieder ganz verzaget,
als den Sonntag darauf ſein Jäger kam, Namens
Johannes Kurt, ein hübſcher, großer Kerl und wohl¬
6[82] geputzet. Hatte einen Rehbock vor ſich auf das Pferd
gebunden, und ſagte: daß Se. Geſtrengen mir ſolchen
verehret, in Hoffnung ich würd mich beſinnen über un¬
ſern Handel, anerwogen er ſeit der Zeit umbſonſt nach
einer Ausgeberſche überall herumbgegabelt. Se. Geſtren¬
gen wölle auch, ſo ich mich anders ſchickete, bei Sr. fürſt¬
lichen Gnaden ein Fürwort thun, daß mir aus dem fürſt¬
lichen aerario die Dotation des Herzogen Pilippi Julii
verabreichet würde, etc. Dieſer junge Kerl erhielt aber
dieſelbige Antwort, denn ſein Herr ſelbſten und bate ihn
er wölle den Rehbock nur wieder mitnehmen. Aber ſol¬
liches wegerte er ſich, und da ich ihn, von ungefährlich vor¬
hero geſaget, daß Wildprett vor mich das liebſte Eſſen
ſei, verſprach er: mich auch in Zukunft reichlich zu ver¬
ſorgen, weilen es gar viel Wild in der Heiden hätte,
er öftermalen hier im Streckelberge pürſchen ginge, und
ich (wollte ſagen mein Töchterlein) ihm abſonderlich ge¬
fiele, zumalen ich nit ſeines Herren Willen thät, welcher
im Vertrauen geoffenbaret, kein Mädchen nit im Friede
ließe, es alſo auch meine Jungfer nit laſſen würde. Wie¬
wohlen ich nun ſein Wildprett recuſirete, bracht er es
doch und kam inner 3 Wochen wohl an die vier oder
fünf Malen, und wurde immer freundlicher gegen mein
Töchterlein. Schwätzete endlich auch viel von ſeinen gu¬
ten Dienſt, und daß er ſich eine gute Hausfrau ſuche,
wo wir denn alſobald merketen, aus welcher Ecken der
Wind blieſe. Ergo*) gab ihm mein Töchterlein Ant¬
[83] wort, wenn er ſich doch eine Hausfrauen ſuche, ſo wun¬
dere es ihr, daß er die Zeit verliere, umbſonſt nach Coſerow
zu reuten, denn hier wiſſe ſie keine Hausfrau vor ihn,
welches ihn faſt ſchwer verdroß, und er nit wieder kam.


Nun hätte männiglich gläuben ſollen, der Braten
wäre doch auch vor den Amtshaubtmann zu riechen ge¬
geweſt; nichts deſtoweniger aber kam er bald darauf
wieder herbeigeritten, und freiete nun gerade raus vor
ſeinen Jäger um mein Töchterlein. Verſprach auch, er
wölle ihm ein eigen Haus in der Heiden bauen, item
ihm Keſſel, Schüſſeln, Betten etc. verabreichen, ange¬
ſehen er den Kerl aus der heiligen Taufe gehoben, und
er ſich auch inner ſieben Jahren wacker und gut in ſeinem
Dienſt geſtellet. Hierauf gab ihm mein Töchterlein zur
Antwort, daß Se. Geſtrengen ja bereits gehöret, daß ſie
ihrem Papa nur wirthſchaften wölle, ſie auch noch viel zu
jung wäre, umb ſchon vor eine Hausfrau zu gelten.


Solches verdroß ihn aber nit, wie es den Anſchein
hatte, ſondern nachdem er noch eine Zeitlang viel umb¬
ſonſt discuriret, ging er freundlich abe, wie ein Kätzlein,
ſo ſich auch ſtellet, als ließe ſie von der Maus, und hin¬
ter die Ecken kreucht, ſo es doch nicht ihr Ernſt iſt, und
ſie alsbald wieder herfürſpringt. Denn er ſahe ſonder
Zweifel, daß er ſeine Sache ſehr tumm angefangen, dar¬
umb ging er, ſie beſſer anzuheben, und Satanas ging
mit ihm, wie weiland mit Judas Iſcharioth.


6 *[84]

Capitel 13.

Was ſonſten in dieſem Winter fürgefallen, item wie
im Frühjahr die Zauberei im Dorfe anhebt.


Sonſten iſt in dieſem Winter nichts Sonderliches
fürgefallen, als daß der barmherzige Gott gro¬
ßen Seegen gab, im Achterwaſſer wie in der Sehe, und
wieder gute Nahrung in der Gemeine kam, ſo daß auch
von uns konnte geſaget werden, wie geſchrieben ſtehet:
ich hab dich ein klein Augenblick verlaſſen, aber mit gro¬
ßer Barmherzigkeit will ich dich ſammlen *). Dannen¬
hero wurden wir auch nit müde dem Herrn zu danken,
und thät die Gemeine der Kirchen viel Gutes, kaufete
auch wieder neue Kantzel- und Altartücher, da der Feind
die alten geraubet, item wollte mir das Geld vor die
neuen Kelche wieder erſtatten, ſo ich aber nit genom¬
men hab.


Doch hatte es noch bei zehen Bauern im Kapſel
die ihr Saatkorn zum Frühjahr nit ſchaffen kunnten an¬
geſehen ſie ihren Verdienſt vor Vieh und das liebe Brod¬
korn ausgegeben. Machte alſo mit ihnen einen Ver¬
trag, daß ich ihnen wölle das Geld dazu fürſtrecken, und
könnten ſie es mir in dieſem Jahr nicht wieder aufbrin¬
gen, möchten ſie es im nächſten mir wiedererſtatten, wel¬
[85] ches ſie auch dankbarkich annahmen, und ſchickten wir
bei ſieben Wagens nacher Fredland in Meklenburg, vor
uns Alle Saatkorn zu hohlen. Denn mein lieber Schwa¬
ger Martin Behring in Hamburg hatte mir allbereits
durch den Schiffer Wulf, der zu Weihnachten ſchon wie¬
der binnen gelaufen war, vor den Birnſtein 700 Fl. über¬
machet, die ihme der Herr geſegnen wölle.


Sonſten ſtarb dieſen Winter die alte Thiemkſche in
Loddin, ſo vor eine Großmutter im Kapſel ware, und
auch mein Töchterlein gegriffen hat. Aber ſie hat in
letzter Zeit wenig Arbeit gehabt, immaſſen ich in dieſem
Jahre nur zwei Kinder getaufet, als Jung ſeinen Sohn
in Ueckeritze, und Lene Hebers ihr Töchterlein, ſo die
Kaiſerlichen geſpießet. Item ſind es faſt fünf Jahr, daß
ich die letzten Brautleute vertrauet. Dannenhero män¬
niglich gießen mag, daß ich hätte mögen zu Tode hun¬
gern, wenn der gerechte Gott mich nit auf andere Weiß
ſo grundgütig bedacht und geſegnet hätte. Darumb ſei
ihm allein die Ehr. Amen.


Hierzwiſchen aber begab es ſich nit lange darauf, als
der Ambtshaubtmann das letzte Mal da geweſen, daß
die Zauberei im Dorfe begunnte.


Saß eben und traktirte mit meinem Töchterlein den
Virgilium im zweiten Buch, von der gräulichen Verwü¬
ſtung der Stadt Troja, ſo doch noch erſchröcklicher gewe¬
ſen denn unſere, als das Geſchreie kam, daß unſern Nach¬
bauern Zabel ſeine rothe Kuh, ſo er ſich vor wenigen
Tagen gekaufet, im Stalle alle Viere von ſich geſtoßen,
[86] und verrecken wölle, und ſolches ein ſeltſam Ding wäre,
angeſehen ſie noch vor einer halben Stunden wacker ge¬
freſſen. Mein Töchterlein möchte doch hinkommen, und
ihr drei Haare aus dem Schweif ziehen und ſelbige un¬
ter der Stallſchwellen verſcharren. Denn ſie hätten in
Erfahrung gebracht, wenn ſolches eine reine Jungfer thät,
würde es beſſer mit der Kuh. Thät ihnen mein Töch¬
terlein alſo den Willen, dieweil ſie die einige Jungfer
im ganzen Dorf war (denn die andern ſeind noch alle
Kinder) und ſchlug es auch von Stund an, ſo daß ſich
männiglich verwunderte. Aber es währete nit lange ſo
kam Witthahnſche ihrem Schwein beim geſunden Freſ¬
ſen auch was an. Selbige kam alſo angelauffen: daß
mein Töchterlein ſich umb Gotts Willen erbarmen und
ihrem Schwein auch etwas gebrauchen wölle, da böſe
Menſchen ihme was angethan. Dannenhero erbarmte
ſie ſich auch, und es half alſogleich wie das erſte Mal.
Doch hatte das Weib, ſo gravida war, von dem Schrök¬
ken die Kindesnoth überkommen, und wie mein Töchter¬
lein kaum aus dem Stalle iſt, geht ſie jünſend, und ſich
an allen Wänden ſtützend und begreifend in ihre Bude,
rufet auch ringsumbher die Weiber zuſammen, da die
rechte Großmutter wie bemeldet verſtorben war und wäh¬
ret es nit lange, ſo ſcheußt auch etwas unter ihr zur
Erden. Doch als ſich die Weiber darnach niederbücken,
hebt ſich der Teufelsſpök, ſo Flügel gehabt, wie eine
Fledermaus, von der Erden, ſchnurret und burret in der
Stuben umbher, und ſcheußt dann mit großem Rumor
[87] durch das Fenſter, daß das Glas auf die Straßen klin¬
get. Wie ſie aber nachſehen, iſt allens fort. Nun kann
man genugſam bei ſich ſelbſten abnehmen, welch ein
groß, gemein Geſchrei hieraus entſtande. Und judi¬
cirte faſt das ganze Dorf, daß Niemand nit, denn den
alten Seden ſein gluderäugigt Weib ſolchen Teufelsſpök
angerichtet.


Aber die Gemein wurde bald in ſolchem Glauben
irrig. Denn deſſelbigen Weibes ihre Kuh kriegt es bald
auch ſo, wie alle Andern ihre Kühe. Kam dahero auch
wehklagend herbeigelaufen, daß mein Töchterlein ſich ih¬
rer erbarmen wöll, wie ſie ſich der Andern erbarmet,
und umb Gotts willen ihrer armen Kuh helfen. Hätte
ſie ihr verarget, daß ſie von dem Dienſt beim Ambts¬
haubtmann ihr etwas geſaget, ſo wär es ja aus gutem
Herzen geſchehn etc. Summa, ſie beredete mein un¬
glücklich Kind, daß ſie auch hinginge, und ihrer Kuh half.


Unterdeſſen lag ich an jeglichem Sonntag mit der
ganzen Gemein auf meinen Knieen dem Herrn an, daß
er dem leidigen Satan nit wölle geſtatten uns dasjenige
wiederumb zu nehmen, was ſeine Gnad uns nach ſo vie¬
lerlei Noth aufs Neu zugewendet, item, daß er den au¬
torem
von ſolchem Teufelsſpök an das Tageslicht brin¬
gen wölle, umb ihm die verdiente Straf zu geben.


Aber es half Allens nit. Denn allererſt waren we¬
nig Tage verſtrichen, ſo kam Stoffer Zuter ſeiner bun¬
ten Kuh auch was an, und kam er wieder, wie all die
Andern zu meinem Töchterlein geloffen. Ging ſie alſo
[88] auch hin, aber es wollte nit anſchlagen ſondern das Viehe
verreckete faſt unter ihren Händen.


Item hatte Käte Berow von das Spinngeld, ſo ſie
dieſen Winter von meim Töchterlein erhalten, ſich ein
Ferkelken angeſchaffet, ſo das arme Weibſtück wie ein
Kind hielte und bei ſich in der Stuben lauffen hatte.
Selbiges Ferkelken kriegt es auch wie die andern im
Umbſehen; doch als mein Töchterlein hiezu gerufen wird,
will es auch nit anſchlagen, ſondern es verrecket ihr aber¬
mals unter den Händen, und erhebt das arme Weibs¬
bild ein groß Geſchrei, und reißt ſich für Schmerz die
Haare aus, ſo daß es mein Kind erbarmet und ſie ihr
ein ander Ferkelken verſpricht, wenn meine Sau wer¬
fen würd. Hierzwiſchen mochte wohl wieder eine Woche
verſtreichen, in währender Zeit ich mit der ganzen Ge¬
mein fortfuhre, den Herrn umb ſeinen gnädigen Bei¬
ſtand, wiewohl umbſonſt, anzurufen, als Sedenſche ihr
Ferkel auch was ankömmt. Läuft dahero wieder mit
großem Geſchrei zu meiner Tochter, und wiewohl dieſe
ihr ſagt, daß ſie ja ſähe, es wölle nit mehr helfen, was
ſie vor das Vieh gebrauchte, hörte ſie doch nit auf, ſel¬
biger mit großem Lamentiren ſo lange anzuliegen, bis ſie
ſich abermals aufmachte, ihr mit Gotts Hülfe beizuſtehn.
Aber es war auch umbſonſt, angeſehen das Ferkelken
ſchon verreckete, bevorab ſie den Stall verlaſſen. Was
thät aber nunmehro dieſe Teufelshure? Nachdeme ſie
mit großem Geſchrei im Dorf umbhergeloffen, ſaget ſie:
nun ſähe doch männiglich, daß mein Töchterlein keine
[89] Jungfer mehr wäre, denn warumb es ſonſt jetzt nit mehr
helfen ſollte, wenn ſie dem Viehe was gebrauchte, ſo
es doch vorhero geholfen? Hätte wohl ihre Jungfer¬
ſchaft in dem Streckelberg gelaſſen, wohin ſie dieſen Früh¬
jahr ſo fleißig trottire, und wüßte Gott, wer ſelbige
bekommen! Doch weiter ſagt ſie noch nichtes, und er¬
fuhren wir dies Allens nur hernachmals. Und iſt wahr,
daß mein Töchterlein dieſen Frühjahr iſt mit und ohne
mich in den Streckelberg geſpaziret, umb ſich Blumen
zu ſuchen, und in die liebe Sehe überzuſchauen, wobei
ſie nach ihrer Weiß diejenigen Versus aus dem Vir¬
gilio
ſo ihr am Beſten gefallen, laut gerecitiret, (denn
was ſie ein paar Mal laſe, das behielte ſie auch.)


Und ſolche Gänge wegerte ich ihr auch nicht, denn
Wülfe hatte es nicht mehr im Streckelberge, und wenn
es auch noch einen hatte, ſo fleucht er vor dem Men¬
ſchen zur Sommerszeit. Doch nach dem Birnſtein ver¬
bot ich ihr zu graben. Denn da er nunmehro ſchon zu
tief fiele, und wir nicht wußten, wo wir mit dem Auf¬
wurf bleiben ſöllten, daß es nit verrathen würd, nahm
ich mir für, den Herrn nicht zu verſuchen, beſondern zu
warten, bis mein Fürrath am Gelde faſt klein würde,
bevorab wir wieder grüben.


Solliches thät ſie aber nicht, wiewohl ſie es verſpro¬
chen, und iſt aus dieſem Ungehorſamb all unſer Elend
herfürgegangen. (Ach du lieber Gott, welch ein ernſt Ding
iſt es doch umb dein heilig viertes Gebot!) Denn da Ehre
Johannes Lampius von Crummin, ſo mich im Frühjahr
[90] heimbgeſuchet, mir verzählet, daß der Cantor in Wolgaſt
die opp. St. Augustini*) verkaufen wölle, und ich in
ihrer Gegenwärtigkeit geſaget, daß ich ſolche wohl vor
mein Leben gerne kaufen möchte, aber das Geld davor
nit übrig hätte, ſtunde ſie ohne mein Wiſſen des Nachts
auf, umb nach Birnſtein zu graben, ſolchen auch ſo gut
ſie könnte in Wolgaſt zu verſilbern und zu meinem Ge¬
burtstag welcher den 28ſten mensis Augusti einfällt,
mir heimlich die opp. St. Augustini zu verehren. Den
Aufwurf hat ſie aber immer mit tännin Zweigen bedek¬
ket, ſo es genugſam in der Heiden hat, damit Niemand
nichtes verſpüren möchte.


Hierzwiſchen aber begab ſich, daß der junge nobi¬
lis
Rüdiger von Nienkerken eines Tages angeritten kam,
um Kundſchaft von dem großen Zauber zu überkom¬
men, ſo hier im Dorfe ſein ſölle. Als ich ihme nun
ſolchen verzählet, ſchüttelte er ungläubig das Haupt und
vermeinete daß es mit aller Zauberei faſt Lüg und Trug
wäre wovor ich mich heftiglich perhorrescirete angeſehen
ich dieſen jungen Herrn für einen klügeren Mann ge¬
halten, und nun ſehen mußte, daß er ein Atheiſte war.
Solches aber merkete er und gab lächelnd zur Antwort,
ob ich jemals den Johannem Wierum **) geleſen, ſo
[91] nichts wiſſen wölle von der Zauberei, und argumentire
daß alle Hexen melancholiſche Perſonen wären, die ſich
ſelbſten nur einbildeten, daß ſie einen pactum mit dem
Teufel hätten und ihm mehr erbarmens — denn ſtraf¬
würdig fürkämen? Hierauf gabe ich zur Antwort, daß
ich ſolchen zwar nit geleſen, (denn ſage, wer kann Al¬
lens leſen, was die Narren ſchreiben?) aber der Augen¬
ſchein zeige ja hier und aller Orten, daß es ein unge¬
heurer Irrthumb ſei, die Zauberei zu leugnen, immaſ¬
ſen man alsdann auch leugnen könnte, daß es Mord,
Ehebruch und Diebſtahl gäb.


Aber dieſes Argumentum nannte er ein Dilemma *)
und nachdeme er viel von dem Teufel gedisputiret, ſo
ich vergeſſen, da es arg nach Ketzereien roche, ſagete er:
er wölle nur von einem Zauber in Wittenberg erzählen,
ſo er ſelbſten geſehen.


Als dorten nämblich ein kaiſerlicher Haubtmann vor
dem Elſterthore eines Morgens ſein gutes Roß beſtie¬
gen, um ſein Fähnlein zu inſpiciren, hebet ſolches alſo¬
bald an, ſo grimmig zu toben bäumet, ſchüttelt mit dem
Kopfe, pruſtet, rennet und brüllet, nit wie Pferde ſonſt
thun, daß ſie wiehern, ſondern es iſt anzuhören geweſt
**)[92] als wenn die Stimm aus einem Menſchenhalſe käme,
ſo daß männiglich ſich verwundert, und Allens das Rö߬
lein für bezaubert gehalten. Es hätte auch alſobald den
Hauptmann abgeworfen, ihm mit ſeinem Huf den Schä¬
del eingeſchlagen, daß er da gelegen und gezappelt, und
hätte nunmehro ins Weite wöllen. Da hätte ein Reu¬
tersmann ſein Handröhr auf das verzauberte Roß ab¬
gedrucket, daß es gleich auf den Weg zuſammengeſchoſ¬
ſen und verrecket ſei. So wäre er auch mit vielen hin¬
zugetreten dieweil der Obriſt alſofort Befehlig an den
Feldſcheerer gegeben, das Roß aufzuſchneiden, umb zu
ſehen, wie es innerlich mit ihm ſtünde. Wäre aber al¬
les gut geweſt, und beide der Feldſcherer und Feldme¬
dicus hätten teſtificiret daß es ein kern geſund Roß ſei,
wannenhero denn Allens noch weit heftiger über Zau¬
berei geſchrieen. Hierzwiſchen aber hätte er ſelbſten (ver¬
ſtehe den jungen Nobilis) geſehen daß dem Rößlein ein
feiner Rauch aus der Naſen gezogen, und als er ſich
niedergebucket, hätte er alſobald einen Lunten herfürge¬
zogen, faſt bei eines Fingers Länge, ſo noch geſchwelet,
und ihme ein Bube mit einer Nadel heimlich zur Na¬
ſen hineingeſtoßen. Da wäre denn die Zauberei auf ein¬
mal vergeſchwunden, und man hätte den Thäter nachge¬
ſpüret, ſo auch alſobald gefunden wär, nämblich der Reut¬
knecht von dem Haubtmann ſelbſten. Denn da ſein Herr
ihm das Wammes ausgeklopfet, hätte er einen Eid ge¬
than, es ihm zu gedenken, ſo aber der Profoſt ſelbſten
gehöret, der von ungefährlich am Stall geſtanden und
[93] geharnet. Item hätte ein anderer Kriegsknecht bezeu¬
get, daß er geſehn wie der Kerl ein Stück von der Lun¬
ten geſchnitten, kurz zuvor ehe denn er ſeinem Herren
das Roß vorgeführet. — Alſo meinte nun der junge
Edelmann wär es mit jeglicher Zauberei, ſo man da¬
mit auf den Grund ginge, wie ich ja auch ſelbſten in
Gützkow geſehen, wo der Teufelsſpök ein Schuſter ge¬
weſt, und würd es auch hier im Dorf wohl auf gleiche
Weiß zugeſtehn. Vor ſolche Rede wurde ich aber dem
Junker von Stund an, als einem Atheiſten abhold, wie¬
wohlen ich in Zukunft leider Gottes geſehen hab, daß
er faſt recht gehabt, denn wäre der Junker nit geweſt,
wo wäre dann mein Kind?


Doch will ich Nichtes übereilen! — Summa: ich
ging faſt verdrüßlich über dieſe Wort in der Stuben umb¬
her, und fing der Junker nunmehro an mit meinem Töch¬
terlein über die Zauberei zu disputiren, bald deutſch und
bald lateiniſch, wie es ihm ins Maul kam, und ſollte
ſie auch ihre Meinung ſagen. Aber ſie gab ihm zur
Antwort, daß ſie ein dumm Ding ſei und keine Mei¬
nung haben könnte, daß ſie aber dennoch gläube, der
Spök hier im Dorfe ginge nit mit rechten Dingen zu.
Hierüber rief mich die Magd abſeiten (weiß nit mehr
was ſie wollte) doch als ich wieder in die Stuben kam,
war mein Töchterlein ſo roth, wie ein Schaarlachen und
der Junker ſtunde dicht vor ihr. Fragete ſie dannen¬
hero gleich als er abgeritten, ob etwas fürgefallen, ſo
ſie aber leugnete und erſt nachgehends bekannte: daß er
[94] in meinem Abweſen geſaget, daß er nur einen Men¬
ſchen kenne, ſo zu zaubern verſtünde, und als ſie ihn ge¬
fraget, wer derſelbige Menſch denn wäre, hätte er ſie
bei der Hand gegriffen und geſaget: „Sie iſt es ſelbſten
liebe Jungfer, denn ſie hat meinem Herzen etwas an¬
gethan, wie ich verſpüre!" Weiteres aber hätte er nich¬
tes geſaget, als daß er ſie dabei mit brennenden Augen
ins Angeſicht geſchauet und darüber wäre ſie ſo roth
worden.


Aber ſo ſeind die Mädchens, ſie haben immer ihre
Heimblichkeiten, wenn man den Rücken drehet, und iſt
das Sprüchwort wahr:

Mätens to höden

Un Kücken to möten

Sall den Düwel ſülfſt vertreten! *)


wie man leider nachgehends noch weiter finden wird.


[95]

Capitel 14.

Wie der alte Seden plötzlich verſchwindet, itemder
große
Gustavus Adolphdusnacher Pommern kommt,
und die Schanze zu Peenemünde einnimmt.


Mit der Zauberei war es nunmehro eine Zeit¬
lang geruhlig *) ſo man die Raupen nicht
in Anrechnung zeucht, welche mir meinen Obſtgarten gar
jämmerlich geruiuiret, und welches ſicherlich ein ſeltſam
Ding war. Denn die Bäumleins blüheten alle ſo lieb¬
lich und holdſeelig, daß mein Töchterlein eines Tages
ſagte, als wir darunter umbher gingen, und die Allmacht
des barmherzigen Gottes preiſeten „ſo uns der Herr wei¬
ter geſegnet, iſt es dieſen Winter bei uns alle Abend
heiliger Chriſt!“ Aber es ſollte bald anders kommen.
Denn es befanden ſich im Umbſehen ſo viele Raupen
(große nnd kleine, auch von allerhand Farb und Colör)
auf den Bäumen, daß man ſie faſt mit Scheffeln meſ¬
ſen mochte, und währete nit lange, als meine arme Bäu¬
mekens, alleſammt wie die Beſenreiſer ausſahen, und das
liebe Obſt, ſo angeſetzet, abfiel, und kaumb vor meinem
Schwein zu gebrauchen war. Will hierbei auf Nie¬
mand rathen, doch hatte gleich dabei meine eigenen Ge¬
danken, und habe ſie noch, Sonſten ſtand mein Ger¬
[96] ſtenkorn, ſo ich bei 3 Scheffeln in die Worth geſtreuet
ſehr lieblich. Auf dem Felde aber hatte ich nichtes aus¬
geworfen, angeſehen ich die Bosheit des leidigen Sa¬
tans ſcheuete. Auch hatte die Gemeine heuer nit viel
Seegen an Korn, inmaſſen ſie zumb Theil aus großer
Noth keine Winterſaat geſtreuet, und die Sommerſaat
auch nit fort wollte. Sonſten an Fiſchen fungen ſie in
allen Dörfern durch die Gnade Gottes viel, inſonderheit
an Häring, welcher aber ſchlecht im Preiſe ſteht. Auch
ſchlugen ſie manchen Saalhund *) und habe ich ſelb¬
ſten um Pfingſten aus einen geſchlagen, als ich mit mei¬
nem Töchterlein an der Sehe ging. Selbiger lag auf
eim Stein dicht am Waſſer und ſchnarchete wie ein Menſch.
Zog mir alſo die Schuhe aus und ging heimblich hinzu,
daß er nichts merkete, worauf ich ihme mit einem Stek¬
ken ſo über die Naſen ſchlug (denn an der Naſen kann
er wenig vertragen) daß er gleich ins Waſſer purzelte.
Doch war ihm die Beſinnung ſchon wegk, und mochte
ich ihn nunmehro leichtlich ganz zu Tode ſchlagen. Es
war ein feiſtes Beeſ't, obwohl nit gar groß, und brie¬
ten wir doch aus ſeinem Spek an die 40 Pott Thran,
ſo wir beſchloſſen zur Winternothdurft aufzuheben.


Hierzwiſchen aber begab es ſich, daß dem alten Seden
flugs etwas ankam, alſo daß er das heilige Sacrament
begehrete. Urſache konnte er nit angeben, als ich zu ihm
kam, hat es aber vielmehr wohl nit thun wöllen, aus
[97] Furcht für ſeiner alten Liſen, ſo mit ihren Gluderaugen
ſein immer hüthete, und nicht aus der Stuben ging. Son¬
ſten wollte Zutern ſein klein Mädchen, ein Kind bei
12 Jahren am Gartenzaum auf der Straßen, wo ſie
Kraut vor das Vieh gepflücket, gehört haben, daß Mann
und Frau ſich etzliche Tage zuvorab, wieder heftig ge¬
ſcholten, und der Kerl ihr fürgeſchmiſſen, daß er nun¬
mehro gewißlich in Erfahrung gebracht, daß ſie einen
Geiſt habe, und wölle er alſobald hingehen und es dem
Prieſter verzählen. — Wiewohlen das nur Kinderre¬
den ſeind, will es doch wohl wahr ſein, anerwogen Kin¬
der und Narren, wie man ſaget, die Wahrheit ſprechen.


Doch laß ich das in ſeinen Würden. Summa: es
wurde immer ſchlimmer mit meinem alten Fürſteher, und
wenn ich ihne, wie ich den Brauch bei Kranken hab,
alle Morgen und Abend heimbſuchte, umb mit ihm zu
beten, und oftmalen wohl merkete, daß er etwas annoch
auf ſeim Herzen hatte, kunnte er doch nichtes herfürbrin¬
gen, angeſehen die alte Liſe immer auf ihrem Poſten ſtunde.


So verblieb es eine Zeitlang, als er eines Tags umb
Mittag aus zur mir ſchickete: ich wölle ihme doch ein
klein wenig Silbers von dem neuen Abendmahlkelch ab¬
ſchrapen *), weilen er den Rath gekriegt daß es beſſer
mit ihm werden würd, wenn er es mit Hühnermiſt ein¬
nähm. Wollte lange Zeit nit daran gehen, maßen ich
gleich vermuthete, daß darbei wieder Teufelsſpök verbor¬
7[98] gen, aber er tribulirete ſo lange, bis ich ihme den Wil¬
len that.


Und ſiehe, es half faſt von Stund an, ſo daß er am
Abend, als ich kommen war mit ihme zu beten, ſchon
wieder auf der Bank ſaß, ein Topf zwischen den Beinen,
aus welchem er ſeine Suppen kellete. Wollte aber nit
beten (ein ſeltſam Ding, da er doch ſonſten ſo gerne
gebetet, und oftmals kaum die Zeit ausharren kunnte,
ehe ich kam, ſo daß er wohl an die zween oder dreien
Malen geſchicket, wenn ich nit gleich zur Hand ware,
oder ſonst wo mein Weſen hatte), ſondern ſagete, er
hätte ſchon gebetet, und wölle er mir vor meine Mühe
den Hahnen zu einer Sonntagsſuppen geben, wovon er
den Miſt eingenommen, maßen es ein großer ſchöner
Hahnen ſei, und er nichts Beſſeres hätte. Und, weilen
das Hühnerwerk ſchon aufgeflogen, trat er auch zu dem
Wiem *) ſo er in der Stuben hinter dem Ofen hatte,
und langete den Hahnen herab, ſo er meiner Magd
unter den Arm thät, ſo gekommen war mich wegkzurufen.


Hätte aber den Hahnen umb alles in der Welt nit
eſſen wollen, beſondern ließ ihn zur Zucht laufen. Wie
ich nun ginge, fragte ihn noch, ob ich am Sonntage dem
Herrn vor ſeine Beſſerung danken ſölle, worauf er aber
zur Antwort gab, daß ich ſolches halten könne, wie mir
geliebte. Verließ alſo kopfſchüttelnd ſein Haus und nahm
mir für, ihn alſogleich rufen zu laſſen, wenn ich in Er¬
[99] fahrung gezogen, daß ſeine alte Liſe nit heimiſch ſei (denn
ſie hohlete ſich oft von dem Amtshaubtmann Flachs, umb
ſolchen aufzuſpinnen). Aber ſiehe, was geſchah ſchon nach
etzlichen Tagen? Es kam das Geſchreie, der alte Seden
wäre wegkgekommen, und Niemand wüßte nit, wo er
geblieben. Sein Weib vermeinete, er wäre in den Strek¬
kelberg gangen, und kam dahero dieſe vermaledeyete
Hexe auch mit großem Geheul bei mir vorgelaufen, und
forſchete von meinem Töchterlein, ob ſie ihren Kerl nit
wo hätte daſelbſten laufen geſehen, dieweil ſie ja alle
Tage in den Berg ginge. Mein Töchterlein ſagte nein;
ſollte aber, ſeis Gott geklagt, bald genugſamb von ihme
erfahren. Denn als ſie eines Morgens, ehe denn die
Sonne aufgegangen geweſt, von ihrer verbotenen Grä¬
berei zurückkömmt, und in den Wald niederſteiget, hö¬
ret ſie flugs ſich zur Seiten einen Grünſpecht (ſo ſicher¬
lich die alte Liſe ſelbſten geweſt) ſo erbärmlich ſchreien,
daß ſie in das Gebüſche tritt, zu ſehen, was er hätte.
So ſitzt nun dieſer Specht auf der Erden vor einem
Fluſch Haaren, ſo roth und ganz ſo geweſt ſeind, wie
den alten Seden ſeine, burret aber mit einem Schna¬
bel voll auf, wie er ihrer gewahr wird und verkreucht
ſich damit in ein Aſtloch. Wie mein Töchterlein noch
ſtehet und dieſen Teufelsſpök betrachtet, kömmt der alte
Paaſsch, ſo das Geſchrei auch gehöret, und mit ſeinem
Jungen ſich Daukelſchächte *) in den Berg gehauen, auch
7*[100] herbei und entſetzet ſich gleicher Weiß, wie er die Haare
an der Erden ſieht. Und vermeinen ſie erſtlich, daß ihn
ein Wulf gefreſſen, ſehen dannenhero ſich auch überall
umb, aber finden kein einig Knöchelken. Wie ſie aber
in die Höhe ſchauen, kommt es ihnen für, als ob oben
im Wipfel auch was Rothes glitzerte, und muß der Junge
in den Baum ſteigen, wo er denn alſogleich ein groß
Geſchrei anhebt, daß es hier auch auf eim Paar Blät¬
ter einen guten Fluſch rother Haare hätte, ſo mit den
Blättern zuſammengeklebet wären, wie mit Pech. Aber
es wäre kein Pech nit, ſondern ſähe roth und weißſpreng¬
lich aus, wie Fiſchküt *). Item wären die Blätter rings¬
umbher, wo auch keine Haare ſäßen, bunt und fleckicht,
und voll unſauberen Stankes. Wirft alſo der Junge
auf Geheiß ſeines Herren den Kletten herab, und judi¬
ciren ſie beide gleich unten, daß dies den alten Seden
ſein Haar und Hirn ſei, und ihn der Teufel bei leben¬
digen Leibe gehohlet, weil er nit hat beten wöllen und
dem Herrn danken vor ſeine Beſſerung. Solches gläu¬
bete ich auch ſelbſten, und ſtellte es auch am Sonntag
ſo der Gemeine für. Aber man wird weiters unten ſe¬
hen, daß der Herr noch andere Urſachen gehabt ihn in
die Hand des leidigen Satans zu geben, angeſehen er
ſich auf Zureden ſeines böſen Weibes von ſeinem Schöpfer
losgeſagt, umb nur wieder beſſer zu werden. Vor jetzo
aber thät noch dieſe Teufelshure, als wäre ihr das grö¬
[101] ßete Herzeleid zugefüget, inmaſſen ſie ſich die rothen Haare
bei ganzen Fluſchen ausriße, wie ſie von dem Grünſpecht
durch mein Töchterlein und den alten Paaſsch hörete und
lamentirte, daß ſie nunmehro auch eine arme Wittib ſei,
und wer ſie in Zukunft verpflegen würd etc.


Hierzwiſchen feierten wir auch an dieſer öden Kü¬
ſten, ſo gut wir kunnten und mochten mit der ganzen
proteſtantiſchen Kirchen den 25ſten Tag mensis Junii,
wo für nunmehro 100 Jahren die Stände des heil. Rö¬
miſchen Reichs dem großmächtigſten Kaiſer Carolo V
ihre Confeſſion zu Augsburg fürgeleget, und hielte ich
die Predigt über Matth. 10, 32. von der rechten Be¬
kenntnüß unſers Herrn und Heilandes Jeſu Chriſti, wor¬
auf die ganze Gemeine zum Nachtmahl ging. Doch ge¬
gen den Abend deſſelbigen Tages, als ich mit meinem
Töchterlein zur Sehe geſpatziret war, ſahen wir umb den
Ruden viel hundert Maſten von großen und kleinen Schif¬
fen, höreten auch ein merklich Schießen und judicirten
alsbald daß es der großmächtigſte König Gustavus Adol¬
phus
ſein möchte, ſo nunmehro, wie er verſprochen, der
armen bedrängeten Chriſtenheit zur Hülf käme. Im wäh¬
renden Judiciren aber ſegelte ein Boot von der Oie *)
heran, worinnen Käthe Berowſche ihr Sohn ſaß, ſo dor¬
ten ein Bauer iſt und ſeine alte Mutter heimbſuchen
wollte. Selbiger verzählete, daß es würklich der König
[102] wär, ſo dieſen Morgen von Rügen mit ſeiner Flotten
den Ruden angelaufen, allwo ein Paar Oier Leut ge¬
fiſchet und geſehen, daß er alſofort mit ſeinen Officirers
an das Land geſtiegen, und alldort mit geblöſſetem Haupt
auf ſeine Knie gefallen ſei. *)


Ach du gerechter Gott, da hatte ich unwürdiger Knecht
am lieben Abend noch eine größere Jubelfreude, denn
am lieben Morgen, und kann man leichtlich bei ſich ſelb¬
ſten abnehmen daß ich nicht angeſtanden, mit meim Töch¬
terlein alſofort auch auf meine Kniee zu fallen, und es
dem König nachzuthun. Und weiß Gott, ich hab in mei¬
nem Leben nicht ſo brünſtig gebetet denn dieſen Abend wo
der Herr uns ein ſollich Wunderzeichen fürſtellete, daß der
Retter ſeiner armen Chriſtenheit gerade anlangen mußte
an dem Tag, wo ſie ihn aller Orten umb ſeine Gnad
und Hülfe für des Pabſtes und Teufels Mord und Liſt
auf ihren Knien angeſchrieen hatte. Konnte auch die
Nacht darauf für Freuden nicht ſchlafen, beſondern ging
ſchon zur frühen Morgenzeit nach der Damerow, wo
Vithen ſeinem Jungen etwas angekommen war. Gläu¬
bete ſchon es würd auch Zauberei ſein, aber es war die¬
ſes Mal keine Zauberei, angeſehen der Junge in der
Heiden etwas Schlimmes gefreſſen hatte. Was es für
Beeren geweſt, kunnte er nit mehr ſagen, doch zog das
Malum, ſo ihm das Fell ganz roth wie Scharlach ge¬
machet, alsbald fürüber. Als ich darumb bald hernacher
[103] den Heimweg antrate, begegnete ich einem Boten von
Peenemünde ſo Ihro Majeſtät der großmächtigſte Kö¬
nig Gustavus Adolphus an den Amtshaubtmann ge¬
ſendet, daß er ihme am 29 Juny um 10 Uhren Mor¬
gens ſölle drei Wegweiſer bei Coſerow geſtellen, um
Sr. Majeſtät durch die Wälder nach der Swine zu ge¬
leiten, allwo die Kaiſerlichen ſich verſchanzet hatten. Item
verzählete er, daß Ihro Majeſtät ſchon geſtern die Schanze
zu Peenemünde eingenommen (was wohl das Schießen
bedeutet, ſo wir den Abend zuvor gehöret) und hätten
die Kaiſerlichen gleich Allens verlaufen, und die rechten
Buſchreuter geſpielet. Denn nachdeme ſie ihr Lager in
Brand geſtecket, wären ſie zu Buſch geſprungen umb
zum Theil nacher Wolgaſt, zum Theil nach der Swine
zu entkommen.


Alſobald beſchloß nun in meiner Freud Sr. Maje¬
ſtät ſo ich mit des Allmächtigen Gotts Hülf ſehen ſollte
ein carmen gratulatorium*) zu fabriciren, welches
mein Töchterlein ihme überreichen könnte.


Thät ihr alſogleich nach meiner Heimbkunft den Für¬
ſchlag, und fiele ſie für Freuden mir davor umb den
Hals, und fing alsdann an in der Stuben umbherzu¬
tanzen. Doch als ſie ſich ein wenig beſunnen, meinete
ſie, daß ihr Kleid nicht gut genug wäre, umb Sr. Ma¬
jeſtät darinnen aufzuwarten und möchte ich ihr noch ein
blau ſeidin Kleid mit gelbem Schurzfleck kaufen, da die¬
[104] ſes die ſchwediſche Colör ſei, und Sr. Majeſtät ohne Zwei¬
fel baß gefallen würd. Wollte aber lange nicht daran,
anerwogen ich ſolch hoffärtig Weſen haßete, aber ſie tri¬
bulirete ſo lange mit ihren guten Worten und Küßleins,
daß ich alter Narre ja ſagete und meinem Ackersknecht
befahl, noch heute mit ihr nach Wolgaſt zu fahren umb
ſich den Zeug zu kauffen. Achte darumb, daß der ge¬
rechte Gott, ſo den Hoffärtigen widerſtehet, und den De¬
müthigen Gnade giebt, mich von wegen ſolcher Hoffart
mit Recht geſtrafet. Denn ich hatte ſelbſten eine ſünd¬
liche Freude, als ſie mit zwo Weibern, ſo ihr ſöllten nä¬
hen helfen, zurücke kam, und mir den Zeug fürlegete.
Des andern Tages hub auch alſogleich das Nähen mit
der Sonnen an, in Währendem ich mein carmen fa¬
bricirete. War aber noch nit weit gelanget, als der junge
Edelmann Rüdiger von Nienkerken vorgeritten kam, umb
ſich zu erkundigen, wie er ſagte, ob Se. Majeſtät in
Wahrheit über Coſerow marſchiren würd. Und als ich
ihm hievon geſaget, was ich wußte, item unſer Fürha¬
ben mitgetheilet, lobete er ſolches gar ſehr, und inſtrui¬
rete mein Töchterlein (die ihn heute freundlicher anſah,
als mir recht war.) wie die Schweden das lateiniſch
ſprächen als ratscho pro ratio, üt pro ut, schis,
pro scis, etc.
damit ſie Sr. Majeſtät nit die Antwort
ſchuldig blieb. Und hätte er ſowohl in Wittenberge als
in Griepswalde viel mit Schweden converſiret, wöllten
dahero, ſo es ihr geliebte ein klein colloquium anſtel¬
len, und wölle er den König machen.


[105]

Hierauf ſetzte er ſich vor ſie auf die Bank, und hatten
ſie beide alſogleich ihr Geſchwätze, was mich faſt heftig
verdroß, inſonderheit als ich ſahe, daß ſie die Nadel we¬
nig rührete, aber ſage, Lieber, was kunnte ich dabei thun?
— Ging alſo meiner Straßen und ließ ſie ſchwätzen bis
gegen den Mittag, wo der Junker endlich ſich wieder
aufmachete. Doch verſprach er am Dienſtag, wenn der
König käm, ſich auch einzuſtellen, gläube auch, daß die
ganze Inſel alsdann wohl bei Coſerow zuſammen lau¬
fen würde. Als er fort war, und mir die vena poe¬
tica *) wie leicht zu erachten, noch verſtopfet war, ließ
ich meinen Wagen anſpannen und fuhre im ganzen Kap¬
ſel umbher, in allen Dörfern das Volk vermahnende, daß
ſie am Dienſtag umb 9 Uhren an dem Hühnenſtein vor
Coſerow wären, und ſollten ſie alle niederfallen auf ihre
Kniee, wenn ſie ſähen, daß der König käm, und ich auf
meine Knie fallen würd, item gleich einſtimmen, wenn
die Glocken anhüben zu läuten und ich den ambroſiani¬
ſchen Lobgeſang intonirete. Solches verſprachen ſie auch
alle zu thun, und nachdeme ich am Sonntag in der Kir¬
chen ſie noch einmahl hiezu vermahnt und vor Se. Ma¬
jeſtät von ganzem Herzen, zu dem Herrn gebetet, kun¬
ten wir kaum den lieben Dienſtag vor großen Freuden
erharren.


[106]

Capitel 15.

Von der Ankunft des großmächtigſten KönigsGu¬
stavi Adolphi
, und was ſonſten dabei fürgefallen.


Hierzwiſchen wurde nun auch mein carmen in
metro elegiaco
*) fertig, ſo mein Töchterlein
abſchriebe, (inmaſſen ihre Handſchrift trefflicher iſt, denn
die meine) und wacker memorirete, umb ſolches Sr. Ma¬
jeſtät aufzuſagen. Item wurden die Kleider fertig, ſo
ihr faſt lieblich ſtunden, und ginge ſie den Montag zu¬
vor in den Streckelberg unangeſehen es eine ſo große
Hitze war, daß die Krähe auf den Zaum jappte **).
Denn ſie wollte ſich Blumen ſuchen zu einem Kranz, wel¬
chen ſie aufzuſetzen gedachte, und ſo auch blau und gelb
ſein ſöllten. Kam auch gegen Abend wieder mit einem
Schurzfleck voll Blumen aller Art, doch waren ihre Haare
ganz naß, und hingen ihr kladdrig ***) um die Schul¬
tern. ( Ach Gott, ach Gott, ſo mußte mir armen Mann
Alles zu meinen Verderben gereichen!) Fragete alſo
wo ſie geweſt, daß ihre Haare ſo kladdrig aus ſähen,
worauf ſie zur Antwort gab, daß ſie von dem Kölpin †)
umb den ſie ſich Blumen gepflücket zum Strande gan¬
[107] gen und ſich dorten in der Sehe gebadet, dieweil es eine
große Hitze geweſt und ſie Niemand nit geſehen. Könnte
doch Sr. Majeſtät nun morgen, wie ſie kurzweilig fort¬
fuhre, duppelt als eine reine Jungfer unter die Augen
treten. Mir gefiel ſolches gleich nicht, und ſahe ich ehr¬
bar aus doch ſagete ich Nichtes.


Am andern Morgen ware das Volk ſchon umb 6 Uh¬
ren umb den Hühnenſtein, Männer, Weiber, Kinder,
Summa: was nur gehen kunnte, das hatte ſich einge¬
funden. Auch war mein Töchterlein ſchon umb 8 Uh¬
ren ganz in ihrem Schmuck, nämblich eim blau ſeidin
Kleid, gelbem Schurzfleck, gelbem Tüchlein und einer gel¬
ben Haarhauben, ſo genetzet ware, und worauf ſie das
Kränzlein von blau und gelben Blümeken ſetzte. Wäh¬
rete nit lange ſo war mein Junker auch wieder da, gleich¬
falls ſauber und ausſtaffiret, wie eim Edelmann zuſte¬
het. Hätte doch Kundſchaft einziehen wöllen, wannen¬
her ich mit meinem Töchterlein nach dem Stein ginge,
angeſehen ſein Herr Vater, Hans von Nienkerken item
Wittich Appelmann wie die Lepels vom Gnitze auch noch
kämen, auch viel Volks überall auf der Landſtraßen lief,
als wenn es heute allhie Jahrmarkt hätte. Aber ich
ſahe ſogleich, daß es ihme nur umb die Jungfer zu thun
war, anerwogen er gleich wieder ſein Weſen mit ihr
hatte, und alſofort auch das lateiniſche Geſchwätze, an¬
hub. Sie mußte ihm ihr Carmen an Se. Majeſtät
aufſagen, worauf er den König fürſtellend, ihr antwor¬
tete: dulcissima et venustissima puella, quae mihi
[108] in coloribus coeli, ut angelus domini appares, uti¬
nam semper mecum esses, nunquam mihi male
cederet
*), worauf ſie roth wurd, und mir es nicht
viel anders erging, doch aus Aerger, wie man leichtlich
gießen mag. Bate dahero, Se. Geſtrengen, wölle nur
zum Stein ſich aufmachen, angeſehen mein Töchterlein
mir noch meinen Chorrock umbhelfen müßte, worauf er
aber zur Antwort gab: daß er ſo lange in der Stuben
warten wölle und könnten wir ja zuſammen gehen. Sum¬
ma:
ich geſegnete mich abermals für dieſem Junker, aber
was half es? da er nit weichen wollte, mußte ich ſchon
ein Auge zuthun und wir gingen bald hernacher zuſam¬
men nach dem Stein, wo ich mir allererſten 3 tüchtige
Kerls aus dem Haufen griff, daß ſie auf den Thum ge¬
hen ſöllten, und anheben mit den Glocken zu läuten, wenn
ſie ſähen, daß ich auf den Stein ſtiege und mein Schwei߬
tüchlein ſchwenkete. Solliches verſprachen ſie auch zu thun,
und gingen gleich abe, worauf ich mich mit meim Töch¬
terlein auf den Stein ſetzte, und ſicherlich gläubete, der
Junker würd ein Anſehn gebrauchen, aber er thät es
nicht, ſondern ſatzte ſich mit auf den Stein. Und ſaßen
wir drei ganz allein daſelbſten, und alles Volk ſahe uns
an, doch kam Niemand nit näher, umb meines Töch¬
terleins Putz zu betrachten, auch die jungen Dirnens nicht,
[109] wie ſie doch ſonſten pflegeten, was mir nur nachhero
beigefallen iſt, als ich erfuhre, wie es ſchon darzumalen
umb uns ſtund. Gegen 9 Uhren kam auch Hans von
Nienkerken und Wittich Appelmann angegaloppiret und
rief der alte Nienkerken ſogleich ſeinen Sohn mit faſt
heftigem Ton ab, und da er nit gleich hörete, ſpren¬
gete er zu uns an den Stein und ſchrie, daß alle Welt
es hörete: „Kanſtu Bub nit hören, wenn dein Vatter
dir rufet!“ worauf er ihm verdrüßlich folgete, und ſa¬
hen wir aus der Fernen, daß er ſeinen Sohn bedreuete,
und vor ihm ausſpiee. Wußten noch nit, was ſolches
bedeutete; ſollten es aber leider Gotts bald erfahren.
Bald darauf kamen auch von der Damerow her die bei¬
den Lepele vom Gnitze *) und ſalutirten ſich die Edel¬
leut auf einem grünen Brink dicht bei uns, doch ohne
uns anzuſehen. Und hörte ich, daß die Lepele ſagten,
ſo dieſer Straßen gezogen waren, daß von Sr. Majeſtät
noch nichtes zu ſehen wär, aber die Scheerenflotte umb
den Ruden würde ſchon unruhig und käme bei vielen
hundert Schiffen angeſegelt. Da ſolches nun Mehrere
gehöret, lief alles Volk ſogleich zur Sehe (ſo nur ein
klein Endiken von dem Stein iſt) und die Edelleute rit¬
ten ſelbſten hinan, ausgenommen Wittich, ſo von dem
Pferde geſtiegen war, und da er ſahe, daß ich den al¬
ten Paaſsch ſeinen Jungen in eine hohe Eiche ſchickete
umb nach dem König überzuſchauen, ſich alſofort wieder
[110] an mein Töchterlein gemacht hatte, die nunmehro ganz
allein auf dem Stein ſaß. „Warumb ſie ſeinen Jägers¬
mann nicht genommen und ob ſie ſich nit beſinnen wölle,
und ihn noch nehmen, oder ſonſten bei ihme (dem Amts¬
haubtmann) ſelbſten in Dienſt treten, denn thäte ſie die¬
ſes nicht, ſo achte er, daß es ihr leid werden müge.“
Worauf ſie ihm, wie ſie ſagete, zur Antwort gegeben:
daß ihr nur eines leid thät, nämblich daß Se. Geſtren¬
gen ſich ſo viel vergebliche Mühe umb ſie gäbe. So¬
mit wär ſie eiligſt aufgeſtanden, und zu mir an den Baum
getreten, wo ich dem Jungen nachſahe, wie er droben
kletterte. Unſere alte Ilſe aber ſagete, daß er einen
großen Fluch gethan als ihm mein Töchterlein den Rük¬
ken gewendet, und alſobald in das Ellerholz getreten wäre,
ſo dicht an der Landſtraßen hinläuft, und wo die alte
Hexe Liſe Kolken auch geſtanden.


Hierzwiſchen ging ich aber mit meinem Töchterlein
auch zur Sehe, und war es wahr, daß die ganze Flotte
von dem Ruden und der Die herüber kam, und gen Wol¬
lin zu ſteuerte, auch gingen manche Schiffe ſo nah an
uns fürüber, daß man kunnte die Soldaten darauf ſte¬
hen, und die Waffen blitzen ſehen. Item höreten wir
die Pferde wiehern, und das Kriegsvolk lachen. Auf eim
ging auch die Trummel und auf einem andern blöke¬
ten Schaafe und Rinder. In währendem Schauen aber
wurden wir flugs einen Rauch von einem Schiff gewahr,
und es folgete ein großer Knall, alſo daß wir bald auch
die Kugel ſahen auf dem Waſſerſpiegel rennen, ſo daß
[111] es ringsumbher ſchäumete und ſprützete, und gerade auf
uns zukam. Lief alſo das Volk mit großem Geſchrei
auseinander, und höreten wir deutlich darüber das Kriegs¬
volk auf den Schiffen lachen. Aber die Kugel hob ſich
alsbald in die Höhe, und ſchlug dicht bei Paaſsch ſei¬
nem Jungen in eine Eiche, ſo daß gegen 2 Fuder Sträuch
mit großem Rumor von dem Schlag zur Erden ſtürze¬
ten und den Weg überſchütteten, wo Sr. Majeſtät kom¬
men mußte. Dannenhero wollte der Junge nit mehr
oben im Baum bleiben, wie ſehr ich ihn dazu vermah¬
nete, ſchrie aber in währendem Niederklettern daß ein
groß Haufen Kriegsvolk nunmehro bei Damerow aus
der Heiden käm, und ſolches wohl der König ſein möchte.
Darum befahl der Amtshaubtmann geſchwind den Weg
aufzuräumen, und da ſolliches eine Zeitlang währete, in¬
maſſen ſich die dicken Aeſt und Gezweige rechtes und lin¬
kes in den Bäumen umbher geklemmet hatten, wollten
die Edelleut, als Allens fertig war, Sr. Majeſtät ent¬
gegenreuten, blieben aber auf dem kleinen Brink halten,
dieweil man dicht vor uns in der Heiden es ſchon fah¬
ren, klappen und ſprechen hörte.


Währete auch nit lange, als die Kanonen herfürbra¬
chen, und ſaßen die drei Wegweiſer oben darauf. Da
ich nun den einen kannte, ſo Stoffer Krauthahn von Peene¬
münde war, ginge ich näher, und bat ihne, mir zu ſa¬
gen, wann der König käm. Aber er antwortete: daß
er weiter ginge mit den Kanonen, bis Coſerow, und möcht
ich nur Acht haben auf den langen ſchwarzen Mann,
[112] ſo einen Hut mit einer Feder trüg, und eine güldene
Kettin umb ſeinen Hals, ſolliches wäre der König und
ritte er alsbald hinter der Haubtfahnen, worauf ein gel¬
ber Löwe ſtünd. Obſervirete alſo genau den Zug, wie
er aus der Heiden herfürbrach. Und kamen nach der
Artollerie, zuvorauf die finniſchen und lappiſchen Bogen¬
männer, ſo mitten im Sommer, was mich verwunderte,
noch in Pelzen einhertrottireten. Darauf kam viel Volks,
ſo ich nit erfahren, was es geweſen. Alsbald ſah ich
über den Haſelbuſch ſo mir im Wege ſtund, daß ich nit
Allens gleich obſerviren kunnte, wenn es aus dem Buſch
kam, die große Haubtfahn mit dem Löwen und hinten¬
nach auch den Kopf von einem ganz ſchwarzen Mann
mit güldiner Kettin umb ſeinen Hals, ſo daß ich gleich
judicirete, dies müßte der König ſein. Schwenkete da¬
hero mein Schweißtüchlein gen den Thurm zu, worauf
auch alſofort die Glocken anſchlugen, und in Währen¬
dem uns der ſchwarze Mann näher ritte, zog ich mein
Käpplein ab, fiel auf meine Kniee, und intonirete den
ambroſianiſchen Lobgeſang, und alles Volk folgete mir
nach, riß ſich auch die Hüte vom Haubt, und ſank auf
allen Seiten ſingend zur Erden; Männer, Weiber, Kin¬
der, ausgenommen die Edelleut, ſo ruhig auf dem Brink
halten blieben, und erſt, als ſie ſahen, daß Se. Ma¬
jeſtät dero Roß anhielt (war ein pechſchwarzer Rapp
und blieb gerade mit den Vorderfüßen auf mein Acker¬
ſtück ſtehen was ich für ein gut Zeichen nahm) zogen
ſie auch die Hüt und gebehrdeten ſich aufmerkſam. Nach¬
[113] deme wir geendet, ſtiege der Amtshaubtmann raſch vom
Roß, und wollte mit ſeinen drei Wegweiſern, ſo hinter
ihm gingen, zum König, item hatte ich mein Töchter¬
terlein bei der Hand gefaßt und wollte auch zum Kö¬
nig. Winkete alſo Se. Majeſtät den Amtshaubtmann
ab und uns hinzu, worauf ich Se. Majeſtät auf latei¬
niſch beglückwünſchte, und Ihr hochmüthiges Herze rüh¬
mete, daß ſie der armen bedrängten Chriſtenheit zu Schutz
und Hilfe, hätte den deutſchen Boden heimbſuchen wöl¬
len, es auch vor ein göttlich Anzeichen prieſe, daß ſol¬
liches gerade an dieſem erſchienen Jubelfeſt unſerer ar¬
men Kirchen beſchehen ſei, und möchte Sr. Majeſtät es
gnädiglich aufnehmen, wenn mein Töchterlein ihme was
zu beſcheeren gedächt, worauf Sr. M. ſie lieblich lächelnde
anſahe. Sollich freundlich Weſen machte ſie wieder zu¬
verſichtlich, da ſie vorhero ſchon merklich gezittert, und
antwortete ſie, ihm ein blau und gelbes Kränzlein über¬
reichend, auf welchem das carmen lag: accipe hanc
vilem coronam et haec
*) worauf ſie anfinge das
carmen herzubeten. Hierzwiſchen wurde Se. Majeſtät
immer lieblicher, ſahe bald ſie an, und bald in das car¬
men
und nickete beſondern freundlich mit dem Haubt
als der Schluß kamb, und lautete ſelbiger alſo, wie ich
annoch herſetzen will:


tempus erit, quo tu reversus hostibus ultor

intrabis patriae libera regna meae;

tunc meliora student nostrae tibi carmina musae
8[114]
tunc tua, maxime rex, Martia facta canam.

tu modo versiculis ne spernas vilibus ausum

auguror et res est ista futura brevi!

sis foelix, fortisque diu, vive optime princeps,

omnia, et ut possis vincere, dura. Vale!*)

Als ſie nun ſchwiege, ſprach Se. Majeſtät: pro¬
prius accedas patria virgo
, ut te osculer**), wor¬
auf ſie, ſich verfärbende ihm an das Roß trat. Und
gläubete ich, er würde ſie nur auf die Stirne küſſen, wie
ſonſten die Potentaten zu thun pflegen, aber nein! er
küßete ſie alſo gerade auf den Mund daß es ſchmatzete
und ſeine langen Hutfedern ihr umb den Nacken hingen,
ſo daß mir abermal ganz bange vor ſie wurd. Doch
richtete er ſich bald wieder in die Höhe, nahm die gül¬
dene Kette ſich ab, an welcher unten ſein Conterfett bum¬
melte, und hing ſie meinem Töchterlein mit dieſen Wor¬
ten umb ihren Hals: hocce tuae pulchritudini! et si
favente deo redux fuero victor
, prommissum car¬
men et praeterea duo oscula exspecto.***)


[115]

Hierauf kam der Amtshaubtmann abermals mit ſei¬
nen drei Kerls an, und verneigete ſich vor Sr. Maje¬
ſtät zur Erden. Da er aber kein Lateiniſch nit kunnte,
item auch kein Italiäniſch oder Franzöſiſch verſtande, ſpielte
ich alſobald den Dolmetſcher. Denn es fragete J. M.
wie weit es bis zur Swine wär, und ob es dorten noch
viel fremd Kriegsvolk hätte? Und meinete der Amtshaubt¬
mann daß annoch an die 200 Krabaten im Läger lä¬
gen, worauf Se. Majeſtät dem Roß die Spornen gab
und freundlich nickende ausrief: valete*). Nun kam
aber erſt das andere Kriegsvolk, bei 3000 Mann ge¬
waltig, aus dem Buſch, ſo gleichfalls ein wacker An¬
ſehn halte, auch keine Narrentheidinge fürnahm, wie es
ſonſten wohl pfleget, als es bei unſerm Häuflein und den
Weibern vorbeizog, ſondern fein ehrbar einhertrat, und
begleiteten wir den Zug noch bis hinter Coſerow an die
Heiden wo wir ihn dem Schutz des Allmächtigen em¬
pfohlen, und ein Jeglicher wieder ſeiner Straßen heimbzog.


8 *[116]

Capitel 16.

Wie die kleine Maria Paaſschin vom Teufel übel
geplaget wird, und mir die ganze Gemein
abfällt.


[Ehe] ich weiters gehe, will ich zuvorab vermelden
daß der durchläuchtigſte König Gustavus Adol¬
phus
, wie wir alsbald die Zeitung bekommen auf der
Swine an die 300 Krabaten niedergehauen, und dar¬
auf zu Schiff nacher Stettin gefahren iſt. Gott wölle
ihm ferner gnädig ſein. Amen.


Nunmehro aber nahm meine Noth von Tage zu Tage
zu, angeſehen der Teufel bald ſo luſtig wurde, wie er
nie nicht geweſen. Gläubete ſchon, daß Gottes Ohren
auf unſer brünſtig Gebet gemerket hätten, aber es ge¬
fiele ihm, uns noch härter heimbzuſuchen. Denn etzliche
Tage nach der Ankunft des durchläuchtigſten Königs G. A.
kam das Geſchreie, daß meiner Tochter ihre kleine Päte
von dem leidigen Satan beſeſſen ſei und gar erbärm¬
lich auf ihrem Lager haushalte, ſo daß ſie Niemand nit
halten könne. Machte ſich mein Töchterlein alſogleich
auf nach ihrer kleinen Päte, kam aber alſobald weinend
zurücke: daß der alte Paaſsch ſie gar nit zu ihr gelaſ¬
ſen, ſondern ſie faſt hart angeſchnauzet und geſaget, ſie
ſölle ihm nie wieder in ſein Haus kommen, immaſſen
[117] ſein Kind es von dem Stuten *) gekriegt ſo ſie ihm am
Morgen verehret. Und es iſt wahr, daß mein Töch¬
terlein ihr einen Stuten geſchenket, indeme die Magd
den Tag vorher nacher Wolgaſt geweſen war, und ein
Tüchlein voll Stutens mitgebracht. —


Solche Botſchaft verdroß mich faſt heftig und nach¬
deme ich meinen Prieſterrock angezogen, machte ich mich
auf den Wegk zum alten Paaſschen umb den leidigen
Satan zu beſchweren, und ſolchen Schimpf von meinem
Kinde abzuwenden. Fand alſo den alten Mann auf der
Dielen **), wie er an der Bodenleiter ſtand und wei¬
nete, und nachdem ich den Frieden Gottes geſprochen,
fragete ihn allererſt, ob er in Wahrheit gläube, daß
ſeine kleine Marie es von dem Stuten gekriegt, ſo ihr
mein Töchterlein verehret? Er ſagete: ja! und als ich
darauf zur Antwort gab: daß denn ich ſelbſten es auch
hätte kriegen müſſen item Pagels ſein klein Mädchen,
angeſehen wir auch von dem Stuten geſſen, ſchwieg
er ſtille, und ſprach mit einem Seufzer: ob ich nit
wölle in die Stube gehen und ſehen, wie es ſtünd. Als
ich dannenhero mit „dem Frieden Gottes“ hereintrat,
ſtunden an die ſechs Menſchen umb der kleinen Marie
ihr Bette, und hatte ſie die Augen zu und war ſo
ſteif wie ein Brett, weshalben Stoffer Wels (als er
denn ein junger und wähliger Kerl iſt) das Kindlein
[118] bei eim Bein ergriff und es von ſich reckete, wie einen
Zaunpfahl, damit ich ſähe, wie der Teufel es plagete.
Als ich nun ein Gebet anhob und Satanas merkete, daß
ein Diener Chriſti angekommen, fing er an ſo ſchröcklich
in den Kindlein zu rumoren, daß es ein Jammer an¬
zuſehen war. Denn ſie ſchlug alſo mit Händen und Füſ¬
ſen umb ſich, daß ſie kaum vier Kerls halten kunnten,
item ging ihr das Bäucheken ſo auf und nieder, als
wenn ein lebendiges Geſchöpf darinnen ſäße, ſo daß letz¬
lich die alte Hexe Liſe Kolken ſich oben auf das Bäu¬
cheken ſetzete. Als es nun ein wenig beſſer wurd, und
ich das Kindlein aufforderte den Glauben zu beten, umb
zu ſehen ob es wirklich der Teufel ſei ſo ſie beſeſſen *)
würd es noch ärger, denn zuvor, angeſehen ſie anhub
mit den Zähnen zu knirſchen, die Augen zu verkehren,
und alſo gräulichen mit den Händen und Füſſen zu ſchla¬
gen, daß ſie ihren Vater ſo auch einen Bein hielt, faſt
mitten in die Stuben wurf, und darauf ſich den Fuß
gegen das Bettholz zerquetſchete, daß das Blut ihr her¬
fürſprang, auch die alte Liſe Kolken mit ihrem Bäuche¬
ken auf niederflog, als ein Menſch, ſo in einem Schock¬
reep **) ſitzet. Und als ich hierauf nit müde wurd,
[119] ſondern den Satan beſchwore, aus ihr zu fahren, finge
ſie allereſt an zu heulen, und darauf wie ein Hund zu
bellen, item zu lachen und ſprach endlich mit grober
[Baßſtimmen], als ſie ein alter Kerl führet: „ik wieke
nich *).“ Aber er hätte ſchon weichen ſollen, wenn nicht
Vater und Mutter mich bei Gotts Sacrament beſchworen,
ihr arm Kind in Frieden zu laſſen, dieweil es ja nichts
hülfe, ſondern immer ärger mit ihr würd. Stunde alſo
nothgedrungen von meinem Fürhaben ab, und vermah¬
nete nur die Aeltern, daß ſie wie das cananäiſche Weib
ſollten Hülfe ſuchen in wahrer Bußfertigkeit und unab¬
läſſigem Gebet, auch mit ihr im beſtändigem Glauben
ſeufzen: ach Herr, du Sohn Davids, erbarme dich mein,
meine Tochter wird vom Teufel übel geplaget, Matth.
am 15ten dem Heiland würde dann alsbald das Herze
brechen, daß er ſich ihres Töchterleins erbarmete und dem
Satan zu weichen beföhle. Item verſprach ich am Sonn¬
tag mit der ganzen Gemein für ihr armes Töchterlein
zu beten, und möchten ſie ſelbige, wo irgend möglich
ſelbſt zur Kirchen tragen, anerwogen ein brünſtig Kir¬
chengebet durch die Wolken drünge. Solliches verſprachen
ſie auch zu thun, und ging ich nunmehro betrübt zu Hauſe,
wo ich aber bald erfuhr, daß es etwas beſſer mit ihr
worden wär, und war alſo wieder wahr, daß der Sa¬
tan außer dem Herrn Jeſu nichts mehr haſſet, denn die
Diener des Evangeliums. Aber harre, er bringet dich
[120] dich doch unter die Füße (Geneſ. am dritten) es wird
dir Nichtes helfen!


Bevorab aber noch der liebe Sonntag kam, merkete
ich, daß mir männiglich aus dem Wege ging, ſowohl
im Dorfe als im Kapſel, wo ich etzliche Kranken heim¬
ſuchete. Inſonderheit als ich in Ueckeritze zu dem jun¬
gen Tittelwitz wollte, arrivirete es mir, wie folget: Clas
Pieper, der Bauer, ſtund in ſeinem Hofe und klöbete
Holz, wurf aber alſobald, als er mein anſichtig wurde,
die Axt aus der Fauſt, daß ſie in die Erde fuhr, und
wollte in ſeinen Schweineſtall laufen, indem er ein Kreuze
ſchlug. Winkete ihm alſo, daß er bleiben ſölle und war¬
umb er für mir, als ſeinem Beichtvater liefe? Ob er viel¬
leicht auch gläube, daß mein Töchterlein ihre kleine Päte
behext? Ille*): ja ſo gläube er, dieweil es der ganze
Kapſel gläube. Ego: warumb ſie ihr denn vorhero ſo
viel Guts gethan und in der ſchröcklichſten Hungersnoth ſie
wie ein Schweſterlein gehalten? Ille: ſie hätte wohl ſchon
mehr verwirket denn dieſes. Ego: was ſie denn verwirket
hätte? Ille: das bliebe ſich gleich. Ego: er ſölle es
mir ſagen, oder ich müßte es dem Richter klagen. Ille:
das ſölle ich nur thun, worauf er trotziglich ſeiner Stra¬
ßen ging. — Und kann man nunmehro leichtlich gie¬
ßen, daß ich Nichtes verſäumete überall Kundſchaft ein¬
zuziehen, was man meinete, daß mein Töchterlein ver¬
wirket, aber es wollte mir Niemand Nichtes ſagen, und
[121] hätte ich mich zu Tode grämen mügen über ſolchen bö¬
ſen Leumund. Auch kam in dieſer ganzen Wochen kein
Kind zu meinem Töchterlein in die Schule, und als ich
Urſachs halber die Magd ausſchickete, brachte ſie Bot¬
ſchaft, daß die Kinderken krank wären, oder auch die Ael¬
tern ſie zu ihrem Handwerk gebrauchten. Judicirete alſo
und judicirete, doch half es mir Allens nicht, bis der liebe
Sonntag in das Land kam, wo ich gläubte, ein groß
Nachtmahl zu haben, angeſehen ſich ſchon viele zu Got¬
tes Tiſch im vorab gemeldet. Doch kam es mir gleich
ſeltſam für, daß ich Niemand, wie ſie doch ſonſten zu
thun pflegeten, auf dem Kirchhof ſtehen ſahe: meinete
aber, ſie wären in die Häuſer getreten. Aber als ich
endlich mit meim Töchterlein in die Kirche kam, waren
nur bei ſechs Menſchen verſammlet, unter welchen die
alte Liſe Kolken und ſahe die vermaledeyete Hexe nit al¬
ſobald mein Töchterlein mir folgen, als ſie ein Creuze
ſchlug und wieder zur Thurmthüren hinaus rannte, wor¬
auf die übrigen fünf, benebſt meinem einigen Fürſteher
Claus Bulken (denn für den alten Seden hatte ich annoch
keinen wieder angenommen) ihr folgeten. Ich entſatzte
mich, daß mir das Blut geranne, und ich alſo zu zit¬
tern begunnte, daß ich mit der Achſel an den Beichtſtuhl
fiel. Fragete mein Töchterlein alſo, welcher ich noch Nich¬
tes geſaget hatte, umb ſie zu verſchonen: „Vater was
fehlet den Leuten, ſind ſie vielleicht auch beſeſſen?“ wor¬
auf ich wieder bei mir kam und auf den Kirchhof ging,
umb nachzuſehen. Aber ſie waren alle wegk, bis auf
[122] meinen Fürſteher Claus Bulken, welcher an der Linden
ſtand, und für ſich ein Liedlein pfiff. Trat alſo hinzu
und fragete, was den Leuten angekommen, worauf er zur
Antwort gab: das wiſſe er nicht. Und als ich aber¬
mals fragete, warumb er ſelbſten denn auch gelaufen
wär, ſagte er: was er hätte allein in der Kirchen thun
ſollen, dieweil der Bedelt *) doch nit hätte gehen kön¬
nen. Beſchwure ihn alſo mir die Wahrheit zu ſagen:
welch gräulicher Verdacht gegen mich in die Gemein ge¬
kommen? aber er antwortete: ich würd es bald ſchon
ſelbſten erfahren, und ſprang über die Mauer, und ging
in der alten Liſen ihr Haus, ſo dicht am Kirchhofe ſteht.


Mein Töchterlein hatte eine Kälberſuppen zum Mit¬
tag, vor die ich ſonſt Allens ſtehen laſſe, aber ich kunnte
keinen Löffel voll in den Hals bringen ſondern ſaß und
hatte mein Haupt geſtützet und ſanne, ob ich es ihr ſa¬
gen wöllte oder nicht. Hierzwiſchen kam die alte Magd
herein, ganz reiſig und mit einem Tuch voll Zeug in
der Hand und bat weinende, daß ich ihr den Abſchied
geben wölle. Mein arm Kind wurde blaß, wie ein Leich
und fragete verwundert, was ihr angekommen? Aber
ſie antwortete blos: „nicks! **)“ und wiſchete ſich mit
der Schürzen die Augen. Als ich die Sprache wieder
gewunnen, ſo mir ſchier vergangen war, dieweil ich ſahe,
daß dies alte, treue Menſch mir auch abtrüunnig wor¬
[123] den, hub ich an, ſie zu examiniren, warumb ſie fort wölle,
da ſie doch ſo lange bei mir verharret, auch in der gro¬
ßen Hungersnoth uns nicht verlaſſen wöllen, beſondern
getreulich ausgehalten, ja mich ſelbſten mit ihrem Glau¬
ben gedemüthiget und ritterlich auszuhalten vermahnet,
was ich ihr nie vergeſſen würd, ſo lange ich lebte. Hier¬
auf finge ſie an nur noch heftiger zu weinen und zu
ſchluchzen und brachte endlich herfür: daß ſie annoch eine
alte Mutter bei 80 Jahren in der Liepen wohnende hätte,
und wölle ſie hin, ſelbige bis an ihr Ende zu pflegen.
Worauf mein Töchterlein aufſprunge und weinend zur
Antwort gab: „ach alte Ilſe darumb willtu wegk, denn
dein Mütterlein iſt ja bei deinen Bruder; ſage mir doch,
warumb du mich verlaſſen wilt, und was ich gegen dich
verwirket, damit ich es wieder gut machen kann?“ Aber
ſie verbarg ihr Geſicht in der Schürzen und ſchluchzete
nur ohne ein Wörtlein herfürzubringen, wannenhero mein
Töchterlein ihr die Schürzen wegkziehen, und ihr die Wan¬
gen ſtreicheln wollte, umb ſie zum Reden zu bringen.
Aber als ſie ſolliches merkete, ſchlug ſie mein arm Kind
auf die Finger und rief: pfui! ſpiee auch vor ihr aus
und ging alſobald aus der Thüren. Solliches hatte ſie
nie nit gethan, da mein Töchterlein ein klein Mädken
war, und entſatzten wir beide uns alſo, daß wir kein
Wörtlein ſprechen kunnten.


Währete aber nit lange; ſo erhob mein arm Kind
ein groß Geſchrei, und worf ſich über die Bank und la¬
mentirete immerdar rufend: „was iſt geſchehn, was iſt
[124] geſchehn?“ Gläubete alſo daß ich ihr ſagen müßte, was
ich in Kundſchaft gezogen, nämlich, daß man ſie vor eine
Hexe anſäh, worauf ſie anfinge zu lächeln, anſtatt noch
mehr zu weinen, und aus der Thüren lief, umb die Magd
einzuhohlen, ſo bereits aus dem Hauſe gangen war, wie
wir geſehen hatten. Kehrete aber nach einer Glocken¬
ſtunden mit großem Geſchrei zurücke: daß alle Leute im
Dorfe vor ihr gelaufen, als ſie ſich hätte von der Magd
Kundſchaft einziehen wöllen, wo ſie geblieben. Item hät¬
ten die kleinen Kinder geſchrieen, ſo ſie in der Schulen
gehabt, und ſich vor ihr verkrochen, auch hätte ihr Nie¬
mand nit ein Wörtlein geantwortet, ſondern wie die Magd
vor ihr ausgeſpieen. Wäre jedoch auf dem Heimbwege
gewahr worden, daß ſchon ein Boot auf dem Waſſer
ſei, darauf eilends an das Ufer gelaufen, und der al¬
ten Ilſen aus vollen Kräften nachgeſchrieen, ſo allbereits
in dem Boot geſeſſen. Aber ſie hätte ſich an Nichtes
gekehrt, ſich auch gar nit einmal nach ihr umbgeſehen,
ſondern ſie mit der Hand fortgewinket. — Und nun¬
mehro fuhr ſie fort zu weinen und zu ſchluchzen den gan¬
zen Tag und die ganze Nacht hindurch, daß ich elender
war, denn zuvor in der großen Hungersnoth. Doch ſollt
es noch ärger kommen, wie man im folgenden Capite
ſehen wird.


[125]

Capitel 17.

Wie mein arm Kind als Hexe eingezogen und gen
Pudgla abgeführet wird.


Tags darauf, Montag den 12ten July, morgens
umb 8 Uhren, als wir in unſerer Kümmerniß
ſaßen und judicireten, wer uns wohl ſollich Herzeleid be¬
reitet, auch bald übereinkamen, daß Niemand anders nit,
denn die vermaledeyete Hexe Liſe Kolken es geweſt, kame
ein Wagen mit vier Pferden vor mein Haus gejaget,
worauf ſechs Kerls ſaßen, ſo alſogleich herunterſprungen.
Und gingen zwo an der Vorder-, andere zwo an der
Achterthüren ſtehen, und aber zwo worunter der Büttel
Jacob Knake, kamen in die Stuben und geben mir ein
offen Schreiben von dem Amtshaubtmann, daß mein Töch¬
terlein, ſo als eine gottloſe Hexe im gemeinen Geſchrei
ſtünde, vom peinlichen Rechts wegen ſölle eingehohlet
und inquiriret werden. Nun kann männiglich vor ſich
ſelbſten abnehmen, wie mir umb das Herze wurd, da
ich ſolches laſe. Stürzete zu Boden, wie ein umbgehaue¬
ner Baum, und kam erſt wieder bei mir, als mein Töch¬
terlein ſich mit großem Geſchrei auf mich wurf und ihre
Thränen mir warm über das Angeſicht liefen. Als ſie
aber ſahe, daß ich wieder bei mir kam, finge ſie an mit
lauter Stimmen Gott davor zu preiſen, ſuchte mich auch
zu tröſten, daß ſie ja unſchuldig wär und ein gut Ge¬
[126] wiſſen vor ihren Richter trüge, item recitirete ſie mir
das ſchöne Sprüchlein Matth. am 5ten Selig ſeid ihr,
wenn euch die Menſchen um meinetwillen ſchmähen und
verfolgen, und reden allerlei Uebels wider euch, ſo ſie
daran lügen.


Und möchte ich nur aufſtehen und meinen Rock über
das Wammes überziehen und mit ihr kommen, denn ohne
mich ließe ſie ſich nicht vor den Amtshaubtmann führen.
Hierzwiſchen nun aber war das ganze Dorf vor meiner
Thüren zuſammengeſtürzet, Weiber, Männer, Kinder;
hielten ſich aber geruhlich und ſahen nur Alle nach den
Fenſtern, als wöllten ſie uns durch das Haus ſchauen.
Als wir uns beide fertig gemacht, und der Büttel, ſo
mich anfänglich nicht mitnehmen gewollt, nunmehro aber
ein Einſehen gebrauchte, vor ein gut Trinkgeld, ſo ihm
mein Töchlerlein verehrete, traten wir an den Wagen,
aber ich ware ſo machtlos, daß ich nit hinaufkummen
kunnte.


Kam alſo der alte Paaſsch, ſo es ſahe, und half
mir auf den Wagen, wobei er ſagte: „ Gott tröſt Em,
wat müt he an Sien Kind erlewen *) und mir die Hand
zum Abſchied küßete.


Auch kamen noch mehr an den Wagen, ſo ihm fol¬
gen wollten, aber ich bate: ſie ſöllten mir das Herze
nicht noch ſchwerer machen und nur ein chriſtlich Auf¬
[127] ſehen auf mein Haus und meine Wirthſchaft haben, bis
ich wiederkäm. Möchten auch fleißig vor mich und mein
Töchterlein beten, daß der leidige Satan, ſo lange Zeit
wie ein brüllender Löwe in unſerm Dorf umbhergangen,
und nun mich ſelbſten zu verſchlingen drohe, ſeinen Wil¬
len nicht vollenführete, ſondern mich und mein Kind ver¬
laſſen müßte, wie den unſchuldigen Heiland in der Wü¬
ſten. Aber hiezu ſagete Niemand nichts, beſondern als
wir wegk fuhren, hörete ich gar wohl, daß Viele hin¬
ter uns ausſpieen und Einer ſagte: (mein Töchterlein
meinete, es wäre Berowſche ihre Stimme geweſt) „wi
willen di lewer Föhr unter dem Rock böten, as vör di
beden *). Seufzeten noch über ſolche Reden, als wir
gen den Kirchhof kamen, wo die vermaledeyete Hexe
Liſe Kolken in ihrer Hausthüren ſaß, ihr Geſangbuch
für Augen und laut das Lied: „Gott der wohn’
uns bei” quäckete, als wir fürüberfuhren, welches mein
arm Töchterlein alſo verdroß, daß ſie unmächtig wurd,
und mir wie todt auf den Leib fiel. Bat alſo den Gut¬
ſcher zu halten, und ſchriee der alten Liſen zu, daß ſie
uns ſölle einen Topf mit Waſſer bringen; aber ſie thät,
als könne ſie nit hören, und fuhr fort zu ſingen daß es
ſchallte. Dannenhero ſprang der Büttel ab, und lief auf
mein Begehr in mein Haus zurück, umb einen Topf mit
Waſſer zu hohlen, kam auch alſobald wieder mit dem
[128] Topf, und alles Volk hinter ihm, ſo nunmehro anhub,
laut zu judiciren, daß es das böſe Gewiſſen ſei, ſo mein
Kind geſchlagen, und ſie jetzunder ſich ſchon ſelbſten ver¬
rathen. Dankete dahero Gott, als ſie wieder ins Leben
kam, und es aus dem Dorf ging. Aber in Ueckeritze
war es nicht anders, inmaſſen dort auch alles Volk zu¬
ſammengelaufen war, und vor Labahnen ſeinem Hof auf
dem Brink ſtund, als wir ankamen.


Selbiges hielte ſich aber ziemlich geruhſam, als wir
fürüber fuhren, unangeſehen Etzliche riefen: „wo iſt 't
möglich, wo iſt 't möglich!“ ſonſten hörte ich nichtes.
Aber in der Heiden an der Waſſermühlen brach der Mül¬
ler mit allen ſeinen Knappen herfür, und ſchriee lachend:
„kiekt de Hex, kiekt de Hex!“ worauf auch ein Knappe,
mit dem Staubbeutel, ſo er in den Händen hatte, alſo
nach meim arm Kind ſchlug, daß ſie ganz weiß wurd,
und das Mehl wie eine Wolke umb den Wagen zoge.
Auf mein Schelten lachete der arge Schalk und vermei¬
nete: wenn ſie nie keinen andern Rauch, denn dieſen,
in der Naſen kriegte, künnte es ihr nicht ſchaden. Item
wurd es in Pudgla noch faſt ärger, denn in der Müh¬
len. Das Volk ſtand alſo dicke auf dem Berg, vor dem
Schloß, daß wir kaum durch kunnten, und ließ der Amts¬
haubtmann, wie zu einem Aviso, annoch das arme Sün¬
derglöcklein auf dem Schloßthurm läuten, worauf auch
aus dem Kruge und den Häuſern noch immer mehr Volks
herbeirannte. Etzliche ſchrieen: „ iß dat de Hex!“ Etzliche:
„kiekt de Preſterhex, de Preſterhex!“ und ſonſten mehr,
[129] was ich aus Schaam nicht hieher ſetzen mag, rafften
auch den Koth aus der Rönne, ſo aus der Schloßkü¬
chen läuft, und bewurfen uns damit, item mit einem
großen Stein, der aber auf ein Pferd fiel, alſo, daß es
ſcheu wurde, und vielleicht den Wagen umbgeworfen hätte,
wenn nicht ein Kerl hinzugeſprungen und es gehalten.
Solches geſchahe allens vor der Schloßpforten, in wel¬
cher der Amtshaubtmann lächelnd ſtund, eine Reiherfe¬
der auf ſeim grauen Hut, und uns zuſahe. Als das
Pferd aber zur Ruhe gebracht, kam er an den Wagen,
und ſprach ſpöttiſch zu meinem Töchterlein: „ſieh! Jung¬
fer, du wollteſt nit zu mir kommen, und nun kommſt
du ja doch!“ worauf ſie zur Antwort gab: ja ich komme
und möchtet Ihr einſt zu Eurem Richter kommen, als
ich zu Euch, worauf ich Amen ſprach und ihn fragete,
wie Se. Geſtrengen es für Gott und Menſchen verant¬
worten wölle, was er an mir armen Mann und meim
Kind thäte? Aber er antwortete: warumb ich mitgekom¬
men? und als ich ihm von dem unartigen Volk hieſelbſt,
item von dem argen Mühlenknappen ſagte, vermeinete
er: dieſes wäre nicht ſeine Schuld, bedräuete auch das
Volk umbher mit der Fauſt, ſo einen großen Rumor
machte. Darauf befahl er meim Töchterlein abzuſteigen,
und ihme zu folgen, trat voran in das Schloß, winkete
dem Büttel, ſo mitlaufen wollte, unten an der Trep¬
pen zu verharren, und hob an mit meim Kind allein
den Windelſtein in die obern Gemächer aufzuſteigen.


Aber ſie blieſe mir heimlich zu: „ Vater verlaßt mich
9[130] nicht!“ und folgete ich bald darauf ihnen ſachte nach,
hörete auch an der Sprach in welchem Zimmer ſie wa¬
ren, und legete das Ohr daran umb zu horchen. Und
ſtellte der Böſewicht ihr für, daß, wenn ſie ihn liebha¬
ben wölle, ſollt es ihr Allens Nichtes ſchaden, und hätt’
er ſchon Macht in Händen, ſie für dem Volk zu erret¬
ten, wölle ſie aber nit; ſo käme morgen das Gericht, und
möchte ſie vor ſich ſelbſten abnehmen, wie es ihr erginge,
dieweilen ſie, wie viel Zeugen geſehen, mit dem leidigen
Satan ſelbſten Unzucht getrieben und ſich von ihm küſ¬
ſen laſſen. Hierauf ſchwieg ſie ſtille, und ſchluchzete nur,
was der Erzſchalk vor ein gut Zeichen nahm und fort¬
fuhr: haſtu den Satan ſelbſten geliebt, kannſtu mich
auch ſchon lieben, und näher trat, umb ſie zu umbhal¬
ſen, wie ich merkete. Denn ſie ſtieß einen lauten Schrei
aus, und wollte zur Thüren heraus, aber er hielt ſie feſte,
und bate und dräuete, wie der Teufel es ihm eingab.
Und wollte ich ſchon hineintreten, als ich hörete, daß ſie
ihm mit den Worten: „weiche von mir Satan!“ alſo
in das Geſichte ſchlug, daß er ſie fahren ließ. Worauf
ſie unverſehens aus der Thüren ſprang, ſo daß ſie mich
zur Erden ſtieß, und mit einem lauten Schrei ſelbſten
über mir hinfiel. Hievor erſtarrete der Amtshaubtmann,
ſo ihr gefolget war, hub aber alſobald wieder an zu
ſchreien: „wachte Pfaffe, ich werde dir horchen lehren!“
und lief hinzu und winkete, dem Büttel, ſo unten an
der Treppen ſtund. Selbigen hieß er, mich die Nacht
in ein Loch ſtecken, weilen ich ihn behorchet, worauf er
[131] wiederkommen ſölle, umb mein Töchterlein in ein ander
Loch zu ſtecken. Aber er beſunne ſich wieder, als wir
den Windelſtein halb hernieder geſtiegen waren, und ſprach,
er wölle es mir noch einmal ſchenken, der Büttel ſölle
mich nur laufen laſſen und mein Töchterlein in ein feſt
Verwahrſam bringen, ihme nachhero auch die Schlüſſel
übergeben, angeſehen ſie eine verſtockte Perſon ſeie, wie
er aus dem erſten Verhör gemerket, ſo er mit ihr an¬
geſtellet.


Hierauf wurde denn mein arm Kind von mir ge¬
riſſen, und ward ich unmächtig auf der Treppen, weiß
auch nit, wie ich herniederkommen, ſondern, wie ich wie¬
der bei mir kam war ich in des Büttels ſeiner Stuben,
und ſein Weib ſprützete mir Waſſer unter der Naſen.
Alldorten blieb ich auch die Nacht auf eim Stuhl ſitzen,
und ſorgete mehr, denn ich betete, angeſehen, mein Glaube
faſt ſchwach worden war, und der Herr kam nit, ihn
mir zu ſtärken.


9 *[132]

Capitel 18.

Vom erſten Verhoͤr und was daraus erfolget.


Am andern Morgen, als ich auf dem Vorhof auf-
und niederginge, dieweil ich den Büttel vielmahls
umbſonſt gebeten mich zu meinem Töchterlein zu gelei¬
ten (er wollte mir aber nit einmal ſagen, wo ſie ſäß)
und letzlich für Unruhe dorten umbher lief, kam gegen
ſechs Uhren auch ſchon ein Wagen von Uzdom *) auf
welchem Se. Edlen, Herr Samuel Pieper Consul di¬
rigens**)item der Camerarius Gebhard Wenzel und
ein Scriba***) ſaßen, ſo ich zwar erfahren wie er ge¬
heißen es aber wieder vergeſſen hab. Auch mein Töch¬
terlein hat es wieder vergeſſen, angeſehen ſie ſonſt ein
faſt trefflich Gedächtnüß hat, mir auch das Meiſte von
dem, was nunmehro folget, vorgeſagt, alldieweil mein
alter Kopf faſt berſten wollte, ſo daß ich ſelbſten wenig
mehr davon behalten. Trat alſo gleich an den Wagen
und bate, daß Ein ehrſam Gericht mir erlauben wölle,
bei dem Verhör zugegen zu ſein, inmaſſen mein Töch¬
terlein noch unmündig wär, welches mir aber der Amts¬
haubtmann nicht zugeſtehen wollte, ſo inzwüſchen auch
[133] an den Wagen getreten war von dem Aerker, wo er
übergeſchauet. Doch Seine Edlen, Herr Samuel Pie¬
per, ſo ein klein, kurz Männeken war mit einem feiſten
Bäuchlein und eim Bart, grau mengeliret und ihme bis
auf den Gürtel herabhängende, reichte mir gleich die Hand
und condolirete mich als ein Chriſt in meiner Trübſale:
ſölle nur in Gottes Namen in das Gerichtszimmer kom¬
men und wünſchte er von Herzen, daß Allens erſtunken
und erlogen wär, ſo man gegen mein Töchterlein für¬
gebracht. Aber ich mußte noch wohl bei zween Glok¬
kenſtunden ausharren, ehe denn die Herren wieder den
Windelſtein herabkamen. Endlich gegen neun Uhren hö¬
rete ich, daß der Büttel die Stühl und Bänken im Ge¬
richtszimmer rückete, und da ich vermeinete, daß nun¬
mehro die Zeit gekommen, trat ich hinein und ſetzte mich
auf eine Bank. Es war aber noch Niemand nicht da,
außer dem Büttel und ſein Töchterken, ſo den Tiſch ab¬
wiſchte und ein Röslein zwiſchen den Lippen hielt. Sel¬
bige ließ ich mir verehren, umb daran zu riechen, und
meine ich auch, daß man mich heute todt aus der Stu¬
ben getragen, wenn ich ſie nicht gehabt. So weiß der
Herr uns ſelbſt durch ein ſchlecht Blümlein das Leben
aufzuhalten, wenn es ihm geliebt! —


Endlich kamen die Herren und ſatzten ſich umb den
Tiſch, worauf Dn. Consul*) allererſt dem Büt¬
tel winkete, mein Töchterlein zu hohlen. Hierzwiſchen
[134] aber fragete er den Amtshaubtmann, ob er Ream*)
habe ſchließen laſſen, und als er nein! ſagete, gab er
ihm einen Verweis, ſo daß es mir durch das Mark zog.
Aber der Amtshaubtmann entſchuldigte ſich, daß er, an¬
geſehen ihres Standes ſolches nit gethan, ſie aber in ein
feſt Gewahrſam habe bringen laſſen, aus dem es un¬
müglich ſei zu entkommen, worauf Dn. Consul zur Ant¬
wort gab, daß dem Teufel viels möglich ſei, und ſie nach¬
hero würden die Verantwortung haben, wenn Rea fort¬
käme. Das verdroß den Amtshaubtmann und er ver¬
meinete, wenn der Teufel ſie könne durch das Gemäure
führen, ſo bei ſieben Fuß Dicke, und drei Thüren vor
hätte, könne er ihr auch gar leichte die Ketten abreißen,
worauf Dn. Consul antwortete: daß er ſich nachhero
ſelbſten die Gefängnüß beſehen wölle. — Und meine
ich, daß der Amtshaubtmann blos darum ſo gütig ge¬
weſt, weil er noch immer in Hoffnung geſtanden (wie
man ſolches auch nachmals erfahren wird) mein Töch¬
terlein zu ſeinem Willen zu beſchwatzen.


Nunmehro aber ging die Thüre auf, und mein arm
Kind trat herein mit dem Büttel, aber rücklings **)
und ohne Schuhe ſo ſie draußen mußte ſtehen laſſen.
[135] Es hatte ſie der Kerl bei ihren langen Haaren gegrif¬
fen, und leitete ſie alſo vor den Tiſch, worauf ſie ſich
erſt umbkehren und die Richter anſehen mußte. Dabei
hatte er ein groß Wort und war in alle Wege ein dreu¬
ſter und muthwilliger Schalk, wie man bald weiters hö¬
ren wird. Nachdeme nun Dn. Consul einen großen
Seufzer gelaſſen und ſie von Kopf bis zu den Füßen
ſich angeſehen, fragete er erſtlich, wie ſie heiße, und wie
alt ſie wär, item ob ſie wüßte, warumb ſie hieher ge¬
fordert? Auf letzten Punkt gab ſie zur Antwort: daß
der Amtshaubtmann ſolches ja bereits ihrem Vater ver¬
meldet, und wölle ſie Niemand Unrecht thun, gläube aber,
daß der Amtshaubtmann ſelbſten ihr zu dem Geſchrei
einer Hexen verholfen umb ſie zu ſeinem unkeuſchen Wil¬
len zu bringen. Hierauf verzählete ſie, wie er es vom
Anfang an mit ihr getrieben, und ſie durchaus zu einer
Ausgeberſchen verlanget. Da ſie aber ſolches nicht hätte
thun wöllen, obgleich er ſelbſten unterſchiedliche Malen
zu ihrem Vater ins Haus gekommen, hätte er einsmals
als er aus der Thüren gegangen für ſich in den Bart
gemummelt: „ich will ſie doch wohl kriegen!“ wie ſol¬
ches ihr Ackersknecht Claus Nels im Pferdeſtall, wo er
geſtanden, mit angehöret. Und ſolches habe er alſobald
zu vollenführen geſucht indeme er viel mit einem gott¬
loſen Weibe, ſo Liſe Kolken hieße, und früher bei ihme
im Dienſt geſtanden, converſiret. Selbige möchte wohl
die Zauberſtückchen geſpielet haben, ſo man ihr andichte,
ſie wiſſe von keinem Zauber. Item verzählete ſie: wie
[136] der Amtshaubtmann es geſtern Abend mit ihr gemacht,
als ſie kaum angekommen, und wäre er nunmehro auch
zum erſtenmale friſch mit der Sprache herfürgerückt, weil
er gläube, ſie in ſeiner Gewalt zu haben. Ja er wäre
ſelbſten dieſe Nacht wieder ins Gefängnüß zu ihr kom¬
men und hätte ihr abermals die Unzucht angetragen,
und wölle er ſie ſchon frei machen, wenn ſie ſeinen Wil¬
len thäte. Da ſie ihn aber abgeſtoßen, habe er mit ihr
gerungen, wobei ſie ein laut Geſchrei erhoben, und ihne
an der Naſen gekratzet, wie annoch zu ſehen wäre, wor¬
auf er ſie verlaſſen. Darumb könne ſie den Amtshaubt¬
mann nicht vor ihren Richter anerkennen, und hoffe zu
Gott, daß er ſie retten würd aus der Hand ihrer Feinde,
wie weiland er die keuſche Suſanna gerettet. —


Als ſie hierauf mit lautem Schluchzen ſchwiege, ſprang
Dn. Consul auf nachdem er den Amtshaubtmann, wie
wir alle, nach der Naſen geſehen, und alldorten auch die
Schramme befunden und rief wie verſtürzet: Sprech Er,
umb Gotteswillen, ſprech Er, was muß ich von Sr. Ge¬
ſtrengen hören? worauf der Amtshaubtmann, ohne ſich
zu verfärben, alſo zur Antwort gab: daß er zwar nicht
nöthig habe vor Sr. Edlen zu ſprechen, angeſehen er das
Oberhaupt vom Gericht wäre, und aus zahlloſen in¬
diciis
herfürgehe, daß Rea eine boshafte Hexe ſei, und
darumb kein Zeugnüß gegen ihn oder männiglich able¬
gen könne, daß er aber dennoch ſprechen wölle umb
dem Gericht keine Aergernüß zu geben. Alle Anſchuldi¬
gungen ſo dieſe Perſon gegen ihn herfürgebracht wären
[137] erſtunken und erlogen. Doch hätte er ſie in alleweg vor
eine Ausgeberſche miethen wöllen, inmaſſen er umb eine
ſolche ſehr benöthigt geweſt, da ſeine alte Dorte ſchon
ſchwach würde. Auch hätte er ſie zwar geſtern gleich
insgeheimb fürgenommen, umb ſie im Guten zum Ge¬
ſtändnüß, und dadurch zur Milderung ihrer Strafe zu
perſuadiren, angeſehen ihn ihre große Jugend gejammert,
hätte aber kein unartiges Wort zu ihr geſaget, noch wäre
er in der Nacht zu ihr kommen, beſondern die Schramme
hätte ihm ſein klein Schooßhündlein, Below geheißen,
gekratzet, mit dem er heute Morgen geſpielet. Solli¬
ches könne ſeine Dorte bezeugen, und hätte die ſchlaue
Hexe dieſes gleich benutzet, umb das Gericht uneinig zu
machen und dadurch mit des Teufels Hülfe ihren Vor¬
theil zu gebrauchen, alldieweil ſie fast eine verſchmitzte
Creatur wäre, wie das Gericht auch bald weiters erſe¬
hen würde.


Nunmehro aber faßete ich mir auch ein Herze und
ſtellte für, daß Alles ſo wahr ſei, wie es mein Töch¬
terlein ausgeſaget, und ich geſtern Abend ſelbſten vor der
Thüren mitangehöret, daß Se. Geſtrengen ihr einen An¬
trag gethan und Narrentheidinge mit ihr zu treiben ver¬
ſucht, item daß er ſie ſchon in Coſerow einmal hätte
küſſen wöllen, item, was Se. Geſtrengen mir ſonſten
für Herzeleid von wegen dem Miſtkorn zugefüget.


Aber der Amtshaubtmann überſchriee mich alſobald
und ſprach: wenn ich ihne, als einen unſchuldigen Mann
in der Kirchen von der Kanzel verläumbdet, wie die ganze
[138] Gemeinde ſein Zeuge wär, würd es mir ein Leichtes
ſein, ſolches auch hier für Gericht zu thun, unangeſehen
ferner, daß kein Vater für ſein Kind ein Zeugnüß ab¬
legen könne.


Aber Dn. Consul wurde ganz wie verſtöret und
ſchwiege und ſtützete darauf ſein Haupt in tiefen Gedan¬
ken auf den Tiſch. Hiezwiſchen fing aber der dreuſte
Büttel an ihm zwiſchen den einen Arm durch an ſeinen
Bart zu fingeriren und gläubete Dn. Consul wohl, es
wäre eine Fliege, und ſchlug ohne empor zu ſchauen,
mit der Hand darnach. Als er aber auf den Büttel
ſeine Hand traf, fuhr er in die Höhe, und fragete ihn
was er wölle? worauf der Kerl zur Antwort gab: O
Em kröp da man ehne Luus de ick griepen wollde *).


Solche Dreuſtigkeit verdroß Se. Edlen alſo heftig,
daß er dem Büttel eine Maultaſche ſtach und ihm bei
harter Strafe befohl aus der Thüren zu reiſen.


Hierauf wendete er ſich an den Amtshaubtmann und
ſchriee für Zorn: was, alle zehn Teufel, wie hält Se, Ge¬
ſtrengen den Büttel in Reſpeckt? Und überhaupt iſt das
Allens ein ſeltſam Ding, woraus ich nicht klug werden
kann. — Aber es antwortete der Amtshaubtmann: „nicht
alſo? ſollte Er nit klug daraus werden, wenn er an die
Aale gedenkt? —


Hierauf wurde Dn. Consul mit eim Mal ganz
blaß, alſo daß er zu zittern begunnte, wie es mir für¬
[139] kam, und er den Amtshaubtmann abſeiten in ein ander
Zimmer rief. Habe niemals erfahren können, was ſol¬
ches zu bedeuten gehabt, ſo er von den Aalen ſagte. — —


Hierzwiſchen ſaß aber Dominus Camerarius Geb¬
hard Wenzel und käuete eine Feder, und ſchauete dabei
mit vielem Grimm bald auf mich, bald auf mein Töch¬
terlein doch ohne ein Wörtlein zu ſagen, auch antwor¬
tete er dem Scriba nicht, der ihm oft etwas ins Ohr
blieſe, denn daß er brummete. Endlich kamen die zwo
Herren wieder zur Thüren herein, und begunnte Dn.
Consul
, nachdem er ſich mit dem Amtshaubtmann wie¬
der geſetzet, mein arm Kind faſt heftig anzufahren, daß
ſie Ein löblich Gericht zu turbiren verſuchet, inmaßen
Se. Geſtrengen ihme das Hündlein ſelbſten gezeiget ſo
ihm die Schramme gekratzet, und dieſes auch von ſeiner
alten Ausgeberſchen bezeuget wurde. (Ja, die wollte
ihn auch wohl nicht verrathen, denn die alte Vettel hat
es Jahre lang mit ihm gehalten, und auch einen gad¬
lichen *) Jungen von ihm, wie man noch weiters erfah¬
ren wird!)


Item ſagete er, daß ſo viel indicia ihrer Uebelthat
fürhanden, daß es, unmöglich ſei ihr Glauben zu ſtellen,
ſie ſölle dannenhero Gott die Ehre geben und in allen
Stücken aufrichtig bekennen, umb ihre Strafe zu mildern.
Möchte alsdann noch, ihrer Jugend halben, mit dem
Leben davon kommen etc.


[140]

Hierauf ſetzte er ſich die Brille auf die Naſe und
hube an ſie bei vier Stunden zu verhören aus eim Pa¬
pier, ſo er in Händen hielte. Und waren ſolches et¬
wan die Haubtſtücke, ſo wir Bede davon behalten haben.


Quaestio*). Ob ſie zaubern könne?


Responsio**). Nein, ſie wiſſe keinem, Zau¬
ber nicht.


Q. Ob ſie denn böten ***) könne?


R. Wär ihr ingleichen unbekannt.


Q. Ob ſie wohl mal auf den Blocksberg geweſt?


R. Der wäre vor ſie zu weit, und kenne ſie we¬
nig Berge mehr, denn den Streckelberg, wo ſie öfter¬
malen geweſt.


Q. Was ſie denn dorten fürgenommen?


R. Sie hätte zur Sehe überſchauet oder ſich Blüm¬
leins gepflücket, item ſich auch wohl eine Schürze dür¬
res Reiswerk gehohlet.


Q. Ob ſie dorten wohl den Teufel angerufen?


R. Wäre ihr niemalen in den Sinn gekommen.


Q. Ob der Teufel ihr denn ohne Anrufen dorten
erſchienen?


R. Davor ſolle ſie Gott bewahren.


Q. Alſo ſie könne nit zaubern?


R. Nein!


Q. Was denn Stoffer Zuter ſeiner bunten Kuh an¬
gekommen, ſo plötzlich in ihrem Beiſein verrecket?


[141]

R. Das wiſſe ſie nicht, und wäre das eine ſelt¬
ſame Frag.


Q. Dann wäre es auch wohl eine ſeltſame Frag,
warumb Käthe Verowſchen ihr klein Ferkelken verrecket?


R. Allerdings, ſie verwundre ſich, was man ihr zur
Laſt lege.


Q. Alſo hätte ſie dieſes auch nit behexet?


R. Nein, da ſei Gott vor.


Q. Warumb ſie denn aber der alten Käthen wenn
ſie unſchuldig wär, ein Ferkelken wieder verſprochen, wenn
ihre Sau werfen würd?


R. Das hätte ſie aus gutem Herzen gethan, Hie¬
bei aber hube ſie an, faſt heftig zu weinen und ſagte:
ſie ſehe wohl, daß ſie dieſes Alles der alten Liſe Ko¬
ken verdanke, welche ihr oftmalen gedrohet, wenn ſie ihr
Unbegehren nicht hätte erfüllen wöllen, denn ſie verlange
Allens, was ihren Augen fürkäme zu eim Geſchenk. Sel¬
bige wär auch zu den Leuten gangen, als das Vieh im
Dorf bezaubert geweſt, und hätte ihnen zugeredet, daß,
wenn nur eine reine Jungfer dem Vieh ein Paar Haare
aus dem Schwanz griffe, es mit ſelbigem beſſer wer¬
den würde. So habe ſie ſich denn erbarmet und wäre
Hingangen, weilen ſie ſich eine reine Jungfer gefühlet,
und hätt es auch etzliche Male geholfen, letzlich aber
nicht mehr.


Q. Weme es denn geholfen?


R. Zabels rother Kuh, item Witthanſchen ihrem
Schwein, auch der alten Liſen ihrer eignen Kuh.


[142]

Q. Warumb es denn nachmalen nit mehr geholfen ?
R. Das wiſſe ſie nit, vermeine aber, wiewohl ſie
Niemand nit beſchweren wölle, daß die alte Liſe Kol¬
ken ſo lange Jahre im gemeinen Geſchrei als Hexe ge¬
weſt, dieſes alles angerichtet und unter ihrem, Namen
das Vieh bezaubert und auch wieder ungebötet, wie ihr
geliebet, blos umb ſie in das Elend zu ſtürzen.


Q. Warumb die alte Liſe denn auch ihre eigene
Kuh bezaubert, item ihr eigen Ferkelken verrecken laſ¬
ſen, wenn ſie den Rumor im Dorf gemacht und wirk¬
lich böten könne.


R. Das wiſſe ſie nicht; es möchte wohl einer ſein,
(wobei ſie den Amtshaubtmann anſahe) der ihr allens
doppelt erſtatte.


Q. Sie ſuche vergebens die Schuld von ſich zu wen¬
den, denn ob ſie auch nicht dem alten Paaſschen, ja ih¬
rem eignen Vater die Saat bezaubert, und durch den
Teufel umbſtürzen laſſen, item die Raupen in ihres Va¬
ters Baumgarten gemacht?


R. Die Frage wäre bald ſo ungeheuer, denn die
That. Da ſäße ihr Vater, Se. Edlen müge ihne ſelb¬
ſten fragen, ob ſie ſich jemals als ein ruchlos Kind ge¬
gen ihn gezeiget. Hier wollte ich aufſtehen und das
Wort nehmen, aber Dn. Consul ließ mich nit zu Worte
kommen, ſondern fuhr fort zu examiniren, weshalben ich
verſtürzet ſtille ſchwieg.


Q. Ob ſie denn auch leugne, daß ſie daran Schuld
geweſt, daß die Witthahnſche einen Teufelsſpök zur Welt
[143] gebracht, ſo gleich ſich aufgenommen und durchs Fenſter
gefahren, auch nachhero als die Wehemutter nachgeſe¬
hen, verſchwunden geweſen.


R. Jawohl, ſie hätte eher denen Leuten Gutes gethan
ihr Lebelang, denn ihnen geſchadet, und ſich oft ſelbſten
in der grauſamen Hungersnoth den Biſſen vom Munde
wegkgezogen, und ihn Andern, inſonderheit den kleinen
Kindleins abgetheilet. Solches müge ihr auf Befragen
die ganze Gemeind bezeugen. Da nun aber die Zaube¬
rer und Hexen den Menſchen Böſes und nicht Gutes
thäten, wie unſer Herr Jeſus Matth. am 12ten lehre,
allwo die Phariſäer ihn auch geläſtert, daß er durch Beel¬
zebub die Teufel austriebe; ſo möge Se. Edlen ſich ab¬
nehmen, ob ſie in Wahrheit eine Hexe ſein könne.


Q. Er werde ihr die Gottesläſterungen alsbald zei¬
gen; er ſähe ſchon daß ſie ein groß Maul hätte, und
ſölle ſie nur antworten, auf was ſie gefraget würd. Denn
es käme nit darauf an, was ſie denen Armen für Gu¬
tes gethan, ſondern womit ſolches beſchehen. Möchte
dahero anzeigen, wie ſie benebſt ihrem Vater plötzlich
zu ſolchem Reichthumb gelanget, daß ſie in ſeidinen Klei¬
dern einherſtolzire, da ſie vorhero doch ganz arm geweſt?


Hiebei ſchauete ſie auf mich und ſprach: Vater ſoll
ichs ſagen? worauf ich antwurtete: ja mein Töchterlein,
jetzunder mußt du alles fein aufrichtig ſagen, wenn wir
dadurch auch wieder blutarme Leut würden. Sie be¬
zeugete alſo wie ſie zuerſt in unſerer großen Noth den
Birnſtein gefunden, und was für ein Gewinn uns dar¬
[144] aus herfürgegangen durch die beiden holländiſchen Kauf¬
leut.


Q. Wie dieſe Kaufleut geheißen?


R. Dieterich von Pehnen und Jakob Kiekebuſch,
wären aber, wie wir durch einen Schiffer in Erfahrung
gezogen in Stettin an der Peſt verſtorben.


Q. Warumb wir ſolchen Fund verſchwiegen?


R. Aus Furcht für unſerm Feind, dem Amtshaubt¬
mann, ſo dem Anſchein nach uns zum Hungerstode ver¬
dammet, indeme er der Gemeind verboten, uns nichts
mehr bei harter Pön zu verabreichen, und wölle er ihr
ſchon einen beſſern Prieſter zuweiſen.


Hierauf ſahe Dn. Conſul wieder den Amtshaubt¬
mann ſcharf ins Angeſicht, welcher zur Antwort gab:
daß er ſolches in alleweg geſaget, angeſehen der Prie¬
ſter ihn faſt abſcheulich abgekanzelt, daß er aber auch
gar wohl gewußt, es ſei noch weit mit ihm vom Hun¬
gerstod.


Q. Woher ſo viel Birnſtein in den Streckelberg
käm? Sie ſölle nur geſtehn, daß ihr der Teufel ſolchen
zugetragen.


R. Davon wiſſe ſie nichts. Doch hätte es alldor¬
ten eine große Ader von Birnſtein, wie ſie männiglich
noch heute zeigen könnte, und hätte ſie ihn daraus ge¬
brochen, das Loch aber wieder mit tännin Zweigen wohl
verwahret, daß man es nit finden müge.


Q. Wann ſie in den Berg gangen wäre, des Tags
oder des Nachts?


[145]

Hierauf verfärbete ſie ſich und hielt einen Augen¬
blick inne, gab aber alſobald zur Antwort: daß ſolches
bald des Tages bald in der Nacht beſchehen ſei.


Q. Warumb ſie ſtöttere, ſie ſölle nur frei bekennen,
daß ihre Straf geringer würd. Ob ſie nit den alten
Seden dorten dem Satan übergeben, daß er ihn durch
die Luft geführet, und nur ſein Hirn und Haare noch
zum Theil oben in der Eichen geklebet?


R. Sie wiſſe nit, ob es ſein Haar und Hirn ge¬
weſt, auch nit, wie es dorten hinkommen. Weilen ein
Grünſpecht eines Morgens ſo jämmerlich geſchrieen, wäre
ſie an den Baum getreten; item, der alte Paaſsch, ſo
das Geſchrei auch gehöret, wäre ihr alſobald gefolget
mit ſeiner Holzart.


Q. Ob der Grünſpecht nit der Teufel geweſen, ſo
den alten Seden ſelber gehohlet?


R. Das wiſſe ſie nicht. Er müſſe aber ſchon lange
todt geweſt ſein, dieweil das Hirn und Blut ſo der Junge
vom Baum gehohlet, ſchon betrucknet geweſen.


Q. Wie und wann er denn zu Tode kommen?


R. Das wiſſe der allmächtige Gott. Es hätte wohl
Zutern ſein klein Mädchen ausgeſaget, daß ſie eins Tages
als ſie Neſſel vor das Vieh an Seden ſeinem Zaun ge¬
pflücket, vernommen, daß der Kerl ſein gluderäugigt Weib
bedräuet: er wölle es dem Prieſter ſagen, daß ſie, wie
er nunmehro gewißlich in Erfahrung gezogen, einen Geiſt
habe, worauf der Kerl auch alsbald verſchwunden ſei.
10[146] Doch wären ſolches Kinderreden, und wölle ſie Niemand
nit damit beſchweren.


Hierauf ſahe abermalen Dn. Consul dem Haubt¬
mann ſteif ins Angeſicht, und ſagte: die alte Liſe Kol¬
ken müſſe noch heute eingehohlet werden, worauf aber
der Haubtmann keine Antwort gab, und er fortfuhre:


Q. Sie verbleibe alſo dabei, daß ſie Nichtes vom
Teufel wiſſe?


R. Dabei verbliebe ſie und werde ſie verbleiben bis
an ihr ſelig Ende.


Q. Und doch hätte ſie ſich, wie Zeugen geſehen, von
ihm an hellem Tage in der Sehe umbtaufen laſſen. Hier
verfärbete ſie ſich aber eins und hielt ein wenig inne.


Q. Warumb ſie ſich wiederumb verfärbe? ſie ſölle
doch umb Gottes willen an ihre Seligkeit gedenken und
die Wahrheit bekennen.


R. Sie hätte ſich in der Sehe gebadet, angeſehen
der Tag ſehr heiß geweſen, das ſei die reine Wahrheit.


Q. Welche keuſche Jungfer ſich wohl in der Sehe
bade? du leugſt oder wiltu etwan auch leugnen, daß du
den alten Paaſsch ſein klein Mägdlein durch einen Stu¬
ten behext?


R. Ach wohl, ach wohl! Sie liebte das Kindlein
wie ihr eigen Schweſterken, hätte ſie nit blos mit allen
andern umbſonſt informiret, beſondern auch in der gro¬
ßen Hungersnoth ſich den Biſſen oftmalen aus dem Munde
gezogen und ihr denſelben eingeſtecket. Wie ſie darumb
ihr ſolch Leid hätte zufügen mügen?


[147]

Q. Wiltu noch immer leugnen? Ehre Abraham
wie verſtockt iſt ſein Kind! — Schaue denn her, iſt das
keine Hexenſalbe *) ſo der Büttel dieſe Nacht aus dei¬
nem Koffer gehohlet? Iſt das keine Hexenſalbe, he?


R. Ware nur eine Salbe vor die Haut, ſo darnach
fein weiß und weich werden ſölle, wie der Apotheker in
Wolgaſt ihr geſaget, bei dem ſie ſolche gekaufet.


Q. Hierauf fuhr er kopfſchüttelnd fort: Was? Wiltu
denn auch endlich noch leugnen, daß du dieſen verſchie¬
nen Sonnabend den 10ten July, Nachts umb 12 Uh¬
ren den Teufel deinen Buhlen auf dem Streckelberg mit
gräulichen Worten angerufen, er dir darauf als ein gro¬
ßer und haarigter Rieſe erſchienen und dich umbhalſet
hab, und geherzet?


Bei dieſen Worten wurd ſie blaſſer denn ein Leich,
und fing an alſo heftig zu wanken, daß ſie ſich an ei¬
nen Stuhl halten mußte. Als ich elender Menſch, der
ich wohl vor ſie mich in den Tod geſchworen, ſolches ſah
und hörete, vergingen mir die Sinnen, alſo daß ich von
der Bank ſtürzete und Dn. Consul den Büttel wieder
hereinrufen mußte, umb mir aufzuhelfen.


Als ich mich in etwas wieder vermündert **) und der
dreuſte Kerl unſere gemeine Verſtürzung ſahe, ſchrie er
greinende das Gericht an: Iſt’t rut, iſi’'t rut, hett ſe ge¬
10 *[148] bichtet*)? worauf Dn. Consul ihme abermals die Thüre
wies mit vielen Scheltworten, wie man ſich ſelbſten ab¬
nehmen kann, und will dieſer Bub genug dem Amtshaubt¬
mann immer die Vetteln zugeführet haben, wie es heißt,
denn ſonſten achte ich, wär er nicht ſo dreuſt geweſen.


Summa: ich wäre faſt umbkommen in meim Elend,
wenn ich nicht das Röslein gehabt, ſo mit des barm¬
herzigen Gotts Hülf mich wacker hielt, als nunmehro
das ganze Gericht aufſprange, und mein hinfällig Kind
bei dem lebendigen Gott und ihrer Seelen Seligkeit be¬
ſchwore, nit ferner zu leugnen, ſondern ſich über ſich ſelb¬
ſten, wie über ihren Vater zu erbarmen, und die Wahr¬
heit zu bekennen.


Hierauf thät ſie einen großen Seufzer, und ſo blaß
ſie geweſen, ſo roth wurde ſie, inmaßen ſelbſten ihre
Hand auf dem Stuhl wie ein Scharlaken anzuſehen war,
und ſie die Augen nit von dem Boden hube.


R. Sie wölle auch jetzunder die reine Wahrheit be¬
kennen, da ſie wohl ſähe, daß böſe Leute ſie des Nachts
beſchlichen. Sie hätte Birnſtein vom Berge gehohlt, und
bei der Arbeit nach ihrer Weiß, und umb ſich das Grauen
zu vertreiben, das lateiniſche carmen gerecitiret, ſo ihr
Vater auf den durchlauchtigſten König Gustavum Adol¬
phum
geſetzet, als der junge Rüdiger von Nienkerken
der oftermalen in ihres Vaters Haus gekommen und ihr
von Liebe vorgeſaget, aus dem Buſch getreten wäre, und
[149] da ſie für Furcht aufgeſchrieen, ſie auf lateiniſch ange¬
redet und in ſeinen Arm genommen. Selbiger hätte ei¬
nen großen Wulfspelz angehabt, damit die Leute ihn nit
erkennen möchten, ſo ſie ihme etwan begegneten und es
ſeinem Herrn Vater wieder verzählen, daß er des Nachts
auf dem Berg geweſt.


Auf ſolch ihr Bekenntnüß wollte ich ſchier verzweif¬
len und ſchriee für Zorn: o du gottlos ungehorſamb Kind,
alſo haſtu doch einen Buhlen? Habe ich dir nicht ver¬
botten des Nachts auf den Berg zu ſteigen? was haſtu
des Nachts auf den Berg zu thun? und hub an alſo
zu klagen und zu winſeln und meine Hände zu ringen,
daß es Dn. Consulem ſelbſten erbarmete, und er nä¬
her trat, umb mir Troſt einzuſprechen. Hierzwiſchen aber
trat ſie auch ſelbſten heran und hub an mit vielen Thrä¬
nen ſich zu vertheidigen: daß ſie wider mein Verbot
des Nachts auf den Berg geſtiegen, umb ſo viel Birn¬
ſtein zu gewinnen, daß ſie mir heimblich zu meinem Ge¬
burtstag die Opera Sancti Augustini ſo der Cantor
in Wolgaſt verkaufen wölle anſchaffen müge. Und könne
ſie nicht davor, daß der Junker ihr eines Nachts auf¬
gelauert, doch ſchwöre ſie mir bei dem lebendigen Gott,
daß dorten nichts Ungebührliches fürgefallen, und ſie an¬
noch eine reine Jungfer ſei.


Und hiemit wurde nunmehro das erſte Verhör be¬
ſchloſſen denn nachdem Dn. Consul denen Schöppen et¬
was ins Ohr gemürmelt, rief er den Büttel wieder her¬
ein, und befahle ihm: auf Ream ein gut Augenmerk
[150] zu haben, item ſie nunmehro nit mehr los im Gefäng¬
nüß zu belaſſen ſondern anzuſchließen. Solches Wort
ſtach mir abermals durch mein Herze, und beſchwur ich
Se. Edlen angeſehen meines Standes und meiner alt¬
adlichen Abkunft, mir nicht ſolchen Schimpf anzuthun und
mein Töchterlein ſchließen zu laſſen. Ich wölle mich vor
Eim achtbaren Gericht mit meinem Kopf verbürgen daß
ſie nit entrinnen würde, worauf Dn. Consul, nachdem
er hinausgangen und ſich die Gefängnüß angeſehen, mir
auch willfährig war, und dem Büttel befahl es mit ihr
zu laſſen, wie zeithero.


[151]

Capitel 19.

Wie der leidige Satan unter des gerechten Gottes
Zulaſſung uns ganz zu unterdrücken befliſſen, und
wir alle Hoffnung fahren laſſen.


Selbigen Tages, wohl umb 3 Uhren Nachmittags,
als ich zu dem Krüger Conrad Seep gangen war,
umb doch etwas zu genüßen, anerwogen ich nunmehro
in 2 Tagen Nichtes nicht in meinen Mund bekommen,
denn meine Thränen, er mir auch etwas Brod und Wurſt
benebſt einer Kannen Bier fürgeſetzet, tritt der Büttel
ins Zimmer, und grüßete von dem Amtshaubtmann doch
ohne daß er ſeine Küſſe *) anrührete: Ob ich nicht wölle
bei Sr. Geſtrengen das Mittagsmahl ſpeiſen, S. G. hätt
es nicht gleich beachtet, daß ich wohl noch nüchtern wär,
dieweil das Verhör ſo lange gezögert. Ich gab hier¬
auf dem Büttel zur Antwort: daß ich mir allbereits,
wie er wohl einſäh, mein Mittagsbrod hätte verabrei¬
chen laſſen und mich bei Sr. Geſtrengen bedanket. Dar¬
über verwunderte ſich der Kerl und gab zur Antwort:
ob ich nicht ſäh, wie gut es Se. Geſtrengen mit mir
vermeinete, wiewohl ich ihn, wie einen Juden abgekan¬
zelt. Söllte doch an mein Töchterken denken, und nach¬
[152] läſſig *) gegen Sr. Gnaden ſein, ſo könnte vielleicht noch
Allens gut ablaufen. Denn Sr. G. wäre nicht ein ſo
grober Eſel als Dn. Consul, und hätt es gut mit mir
und meim Kind im Sinn, als einer rechtſchaffenen Obrig¬
keit geziemete.


Als ich nun mit Mühe den dreuſten Fuchs loos wor¬
den, verſuchete ich ein wenig zu genüßen, aber es wollte
nicht herunter, bis auf das Bier. Saß dahero bald wie¬
der und ſanne, ob ich mich bei Conrad Seep einmiethen
wöllte, umb immer umb mein Kind zu ſein, item, ob
ich M. Vigelio dem Pfarrherrn zu Benz, nicht wöllte
meine arme und verführte Gemeind übergeben, ſo lange
mich der Herre noch in Verſuchung hielte. Da wurd
ich wohl nach einer Stunden durchs Fenſter gewahr, daß
ein lediger Wagen für das Schloß gefahren kam, auf
welchen alſobald der Amtshaubtmann und Dn. Consul
mit meinem Töchterlein ſtiegen, item der Büttel, ſo hin¬
ten aufhackte. Ließ dannenhero Allens ſtehn und liegen
und lief zu dem Wagen, demüthig fragende: wohin man
mein arm Kind zu führen geſonnen? Und als ich hö¬
rete, daß ſie in den Streckelberg wöllten, umb nach dem
Birnſtein zu ſehen, bat ich, daß man mich müge mit¬
nehmen, und bei mein Kind ſitzen laſſen, wer wüßte, wie
lange ich noch bei ihr ſäß. Solches wurde mir auch
verſtattet, und bote mir der Amtshaubtmann unterwe¬
ges an, daß ich könnte im Schloß meine Wohnung auf¬
[153] ſchlagen, und an ſeinem Tiſch ſpeiſen, ſo lange mir ge¬
liebte, wie er auch meim Töchterlein alle Tage von ſei¬
nem Tiſch ſchicken würd. Denn er hätte ein chriſtlich
Herze und wüßte ganz wohl, daß wir ſöllten unſerm
Feinde verzeihen. Vor ſolche Freundſchaft bedankete mich
aber unterthänigſt, wie mein Töchterlein auch that, an¬
erwogen, es uns jetzunder noch nit ſo arm erginge, umb
uns nicht ſelbſten unterhalten zu können. Als wir vor
der Waſſermühlen vorbeikamen, hatte der gottloſe Knappe
wieder den Kopf durch ein Loch geſtecket, und ſchnitt mei¬
nem Töchterlein ein ſchiefes Maul. Aber Lieber, es ſollt
ihm aufgedruckt werden! Denn der Amtshaubtmann win¬
kete dem Büttel, daß er den Buben heraushohlen mußte,
und nachdeme er ihm ſeinen duppelten Schabernack, ſo
er gegen mein Kind bewieſen fürgehalten, mußte der
Büttel den Kutſcher ſeine neue Peitſche nehmen, und ihme
50 Prügel aufzählen, die weiß Gott nicht aus Salz und
Waſſer waren. Er brüllete letzlich wie ein Ochſe, wel¬
ches aber Niemand vor dem Rumor der Räder in der
Mühlen hörete, und da er ſich ſtellete, als könnte er nicht
mehr gehen, ließen wir ihn auf der Erden liegen und
fuhren unſrer Straßen. —


In Ueckeritze lief auch viel Volks zuſammen, als wir
durchkamen, ſo ſich aber ziemlich geruhſam hielte ohn al¬
lein einen Kerl, ſo salva venia in den Weg hoffirete,
als er uns kommen ſah *). Der Büttel mußte auch
[154] wieder abſpringen, kunnte ihn aber nicht einhohlen, und
die Andern wollten ihn nicht verrathen, ſondern gaben
für: ſie hätten nur auf unſern Wagen geſehen und es
nicht beachtet. Kann auch immer wahr ſein! und will
es mir dahero fürkommen, daß es der leidige Satan ſelb¬
ſten geweſt, umb über uns zu ſpotten, denn merke, umb
Gottes willen, was uns im Streckelberg gearriviret! Ach,
wir kunnten durch Verblendung des böſen Feindes die
Stelle nit wiederfinden, wo wir den Birnſtein gegraben.
Denn wo wir vermeineten, daß ſie ſein mußte, war ein
großer Berg Sand wie von eim Stumwind zuſammen¬
geblaſen, und auch die tännin Zweige, ſo mein Töchter¬
lein hingedecket, waren wegk. Sie ward faſt unmäch¬
tig, als ſie ſolches ſahe, und range die Hände und ſchriee
mit ihrem Erlöſer: mein Gott, mein Gott, warumb haſtu
mich verlaſſen!


Hierzwiſchen jedoch mußten der Büttel und der Kut¬
ſcher graben. Aber es befand ſich kein Stücklein Birn¬
ſtein bei eines Körnleins Größe, worauf Dn. Consul
das Haubt ſchüttelte und mein arm Kind faſt hart an¬
ſchnauzete. Und als ich zur Antwort gab, daß der lei¬
dige Satan wie es den Anſchein hätte, uns wohl die
Kuhle verſchüttet, umb uns ganz in ſeine Gewalt zu über¬
kommen, mußte der Büttel aus dem Buſch einen hohen
Staken hohlen, umb damit noch tiefer zu ſtoßen. Aber
es war nirgends ein hart Objectum zu fühlen, obgleich
der Amtshaubtmann wie Dn. Consul und ich ſelbſten
in meiner Angſt überall mit der Stangen probireten.


[155]

Dannenhero bat mein Töchterlein das Gericht mit
gen Coſerow zu kommen, wo ſie annoch vielen Birnſtein
in ihrem Koffer hätte, ſo ſie allhier gefunden. Denn
wär es damit Teufelswerk, ſo würde ſelbiger auch wohl
verwandelt ſein, dieweil ſie in Erfahrung gezogen, daß
alle Geſchenke ſo der Teufel denen Hexen zu verehren
pflege, ſich alſobald in Koth oder Kohlen umbwandelten.


Aber Gott erbarm’s, Gott erbarm’s, als wir in Co¬
ſerow zu gemeiner Verwunderung wieder ankamen, und
mein Töchterlein an ihren Kaſten trat, war alles Zeug
darinnen umbgeriſſen und der Birnſtein fort. Sie ſchriee
hierauf ſo laut, daß es hätte einen Stein erbarmen mö¬
gen und rief: das hat der böſe Büttel gethan! Als er
die Salbe aus meinem Koffer gehohlet, hat er mir elen¬
den Magd auch den Birnſtein geſtohlen. Aber der Büt¬
tel, ſo dabei ſtund, wollte ihr in die Haare fahren und
ſchriee: du Hexe, du vermaledeiete Hexe iſt es nit ge¬
nug, daß du meinen Herrn verleumbdet, willtu mich nun
auch noch verleumbden? aber Dn. Consul wehrete ihm,
daß er ſie nicht anfaſſen durfte. Item war all ihr Geld
fort, ſo ſie ſich für heimblich verkauften Birnſtein geſpaa¬
ret, und wie ſie vermeinete, ſchon an die 10 Fl. betragen.


Aber ihr Kleid, welches ſie bei der Ankunft des durch¬
lauchtigſten Königs Gustavi Adolphi getragen, wie die
güldene Kettin mit dem Conterfett, ſo er ihr verehret,
hatte ich wie ein Heiligthumb in meinem Kirchenkaſten
bei denen Altar- und Kanzeltüchern verſchloſſen, und fan¬
den wirs auch noch für. Doch als ich ſolches entſchul¬
[156] digte, und ſagete: daß ich es ihr hier bis auf ihren Hoch¬
zeitstag aufhegen wöllen, ſahe ſie mit ſtarren Augen in
den Kaſten und rief: „ja wenn ich gebrennet werd, o
Jeſu, Jeſu, Jeſu!“ — Hier ſchudderte ſich Dn. Con¬
sul
, und ſprach: ſieh, wie du immerdar dich mit deinen
eigenen Worten ſchlägeſt. Umb Gottes und deiner Se¬
ligkeit willen bekenne, denn wenn du dich unſchuldig be¬
findeſt, wie kannſtu daran denken, daß du brennen ſollt.
Aber ſie ſchauete ihm noch immer ſtarr in die Augen,
und hube an auf lateiniſch auszurufen: innocentia, quid
est innocentia? ubi libido dominatur innocentiae
leve praesidium est
*).


Hier ſchudderte ſich Dn. Consul abereins alſo, daß
ihm der Bart wackelte und ſprach: was, kannſtu in Wahr¬
heit lateiniſch? Wo haſtu das Lateiniſche gelernet? und
als ich ſolche Frage ihm beantwurtet, ſoviel ich für Schluch¬
zen dazu im Stande war, ſchüttelte er ſein Haubt und
ſprach: habe im Leben nicht vernommen, daß ein Weibs¬
bild lateiniſch kann. Hierauf fiel er vor ihrem Kaſten
auf die Kniee, und ſuchete alles darinnen durch, rückete
ihn darauf von der Wand, und als er Nichtes gefun¬
den, ließ er ſich ihr Bette zeigen und machte es damit
auch ſo. Solches verdroß letzlich den Amtshaubtmann
und fragete ihn: ob ſie nicht wieder fahren wöllten, in¬
maßen es ſonſten Nacht würde? Aber er gab zur Ant¬
[157] wort: nein, ich muß erſt den Packzeddul *) haben, ſo
ihr der Satan gegeben, und fuhr fort überall umbher¬
zuſuchen, bis es faſt tunkel war. Aber ſie fanden Nich¬
tes nicht, wiewohl Dn. Consul ſammt dem Büttel in
der Küchen wie im Keller kein Plätzlein verſchoneten.
Darauf ſtiege er brummend wieder auf den Wagen, und
befahl, daß mein Töchterlein ſich ſo ſetzen mußte, daß
ſie ihne nicht anſäh.


Und hatten wir jetzunder mit der vermaledeieten He¬
xen der alten Liſe Kolken wieder daſſelbige spectacu¬
lum
, angeſehen ſie wieder in ihrer Thüren ſaß, als wir
vorbeifuhren und aus voller Kehlen: „Herr Gott dich
loben wir!“ anſtimmte. Quäkete aber wie ein ange¬
ſtochen Kalb, ſo daß es Dn. Consul verwunderte, und
nachdem er vernommen, wer ſie wäre, fragete er den
Amtshaubtmann, ob er ſie nicht gleich wölle durch den
Büttel aufgreifen und hinten an den Wagen binden laſ¬
ſen, umb nachzulaufen da wir keinen Platz mehr vor ſie
hatten. Denn er hätte nun ſchon oftmalen in Erfah¬
rung gezogen daß alle alte Weiber, ſo rothe Gluderau¬
gen und eine ſinnige Kehle hätten, auch Hexen wären,
unangeſehen, was Rea Verdächtiges gegen ſie ausſaget.
Aber er gab zur Antwort: daß er ſolches nit thun könne,
dieweil die alte Liſe ein unbeſcholten und gottesfürchtig
Weibsbild wäre, wie Dn. Consul anjetzo auch ſelbſten
[158] hören künnte. Doch hätte er ſie auf morgen mit den
andern Zeugen fordern laſſen. —


Ja, wahrlich, ein ſchön, gottesfürchtig Weibsbild!
— denn wir waren kaum aus dem Dorf, als ein alſo
ſchwer Wetter einbrach mit Donner, Blitze, Sturm und
Hagel, daß rund umb uns das Korn zu Boden geſchla¬
gen wurde, wie von eim Dreſcher, und die Pferde faſt
wild für dem Wagen wurden; währete aber nit lange.
Doch mußte mein arm Töchterlein auch wieder die Schuld
tragen *) inmaßen Dn. Consul vermeinete, daß nicht
die alte Liſe, wie es doch ſo klar, wie die Sonne iſt,
ſondern mein arm Kind dies Wetter gemacht. Denn,
Lieber ſage, was hätt es ihr nutzen können, wenn ſie
auch die Kunſt verſtanden? Aber ſolches ſahe Dn. Con¬
sul nicht ein, und der leidige Satan ſollte unter des
gerechten Gottes Zulaſſung es alſobald noch ärger mit
uns machen. Denn wir waren allererſt an den Herren¬
damm **) kommen, als er wie ein Aderbar ***) über
uns angefahren kam und eine Pogge alſo exact von
oben nieder warf, daß ſie meim Töchterlein in den Schooß
fiel. Selbige ſchriee hell empor, aber ich blieſe ihr ein,
ſtille zu ſitzen und wollte die Pogge heimblich bei eim
Fuß vom Wege werfen.


Aber der Büttel hatte es geſehen und rief: Herr
[159] Je, Herr Je, kiekt de verfluchte Hex, wat ſchmitt ehr
de Düwel in den Schoot? worauf ſich der Amtshaubt¬
mann und Dn. Consul umbſahen, und befunden, wie
ihr eine Pogge in den Schooß kroch, ſo der Büttel aber
zuvor erſt dreimal anblieſe, ehe er ſie anfhub und den
Herren zeigete. Davor bekam Dn. Consul das Speien
und befahl, nachdem es fürüber, dem Gutſcher ſtille zu
halten, ſtieg vom Wagen und ſagete: wir ſöllten nur
nach Hauſe fahren, ihm wäre übel und wölle er zu Fuß
nachlaufen, ob es beſſer werden möchte. Zuvor aber
blieſe er noch dem Büttel heimblich ein, (wie wir aber
deutlich verſtanden) er ſölle alſogleich wenn er zu Haus
käm, mein arm Kind, jedoch menſchlich anſchließen, wor¬
auf weder ſie noch ich für Thränen und Schluchzen ant¬
wurten konnten. Aber der Amtshaubtmann hatte es auch
gehöret, was er ſagte, und als wir ihn nit mehr ſehen
konnten, hub er an meim Töchterlein von hinten zu die
Wangen zu ſtreicheln: ſie ſölle nur zufrieden ſein, er hätte
auch ein Wörtlein dazwiſchen zu reden und der Büttel ſölle
ſie noch nicht ſchließen. Sie möge aber doch aufhören, ge¬
gen ihn ſich alſohart zu gebährden, wie bishero, und über¬
ſteigen bei ihm auf ſein Bund ſitzen gehen damit er ihr
heimblich einen guten Rath geben könne, was zu thun
wäre. Hierauf gab ſie mit vielen Thränen zur Antwort:
ſie wölle nur bei ihrem Vater ſitzen bleiben inmaßen ſie nit
wüßte, wie lange ſie noch bei ihm ſäß, und bäte ſie um
Nichtes mehr, denn daß Seine Geſtrengen ſie möge in Frie¬
den laſſen. Aber ſolches that er nicht ſondern druckete
ſie mit ſeinen Knieen in den Rücken und in die Seiten
[160] und da ſie ſolches litte, weilen es nicht zu ändern ſtund,
wurd er dreuſter und nahm es für ein gut Zeichen. Hier¬
zwiſchen ſchriee aber Dn. Consul dicht hinter uns: ( denn
dieweilen ihn grauete, trottirete er dicht hinter dem Wa¬
gen) „Büttel, Büttel, kommt geſchwinde her: allhier liegt
ein Schweinsigel mitten im Weg!“ worauf der Büttel
auch vom Wagen ſprang.


Solches aber machte den Amtshaubtmann noch dreu¬
ſter, und ſtund letzlich mein Töchterlein auf und ſprach:
„Vater wir wollen auch zu Fuß gehen ich kann mich
vor ihme hier hinten nit mehr bergen!“ Aber er riß
ſie beim Kleid wieder nieder und rief zornig: „wachte
du boshafte Hex, ich werde dir helfen zu Fuß gehen,
wiltu alſo, ſo ſolltu in Wahrheit noch dieſe Nacht an
den Block,“ worauf ſie zur Antwort gab: „thu Er was
Er nicht laſſen kann; der gerechte Gott wird hoffentlich
auch einſt mit Ihm thun, was er nicht laſſen kann.


Hierzwiſchen aber waren wir beim Schloß ankom¬
men und kaum vom Wagen niedergeſtiegen, als Dn.
Consul
ſo ſich einen guten Schwitz gelauffen, auch mit
dem Büttel anlangete, und dieſem ſogleich mein Kind über¬
gab, ſo daß ich ihr kaum noch valediciren konnte. Blieb
alſo händeringend im Tunklen auf der Dielen ſtehn und
horchete wohin ſie gingen, alldieweil ich nicht das Herz
hatte nachzufolgen, als Dn. Consul ſo mit dem Amts¬
haubtmann in ein Zimmer getreten war, wieder aus
der Thüren ſchauete und dem Büttel nachrief Ream noch
einmal wieder anherzubringen. Und als er ſolches thät,
[161] und ich mit in das Zimmer trate, hielt Dn. Consul
einen Brief in der Hand, und nachdem er dreimal aus¬
geſpucket, hube er an: „willſtu noch leugnen du verſtockte
Hex? horch mal zu, was der alte Ritter Hans von Nien¬
kerken an das Gerichte ſchreibt!“ Und hierauf las er
uns für: daß ſein Sohn alſo verſtürzt ſei, über die Sage
ſo die vermaledeiete Hexe auf ihn gethan, daß er von
Stund an krank worden wäre, und ihme, dem Vater
ginge es auch nicht beſſer. Sein Sohn Rüdiger, wäre
wohl einige Mal, wenn es der Weg ſo gefüget, beim
Pastore Schweidler eingekehret mit dem er auf einer
Reiſe Kundſchaft gemachet, ſchwüre aber, daß er ſchwarz
werden wölle, wenn er jemalen mit der verfluchten Teu¬
felshuren, ſeiner Tochter, irgend eine Kurzweil oder Nar¬
rentheiding betrieben, geſchweige Nachts auf dem Berg
geweſt wäre, und ſie dort umbhalſet hätte.


Auf ſolche erſchröckliche Botſchaft fielen wir Beide
(verſtehe mein Töchterlein und ich) zu gleicher Zeit in
Unmacht, angeſehen wir auf den Junker annoch unſere
letzte Hoffnung geſetzet, und weiß ich nicht, was man wei¬
ters mit mir fürgenommen. Denn als ich wieder bei
mir kam, ſtund der Krüger Conrad Seep über mir, und
hielt mir einen Trichter zwüſchen den Zähnen in welchen
er mir eine Bierſuppen einkellete, und hatte ich mich
niemalen elender in meinem Leben befunden, wannen¬
hero Meiſter Seep mich auch wie ein klein Kindlein aus¬
ziehen und zu Bette bringen mußte.


11[162]

Capitel 20.

Von der Bosheit des Amtshaubtmanns und der
alten Liſen,
itemvom Zeugenverhör.


Am andern Morgen waren meine Haare ſo bis
dato grau mengliret geweſt, ganz weiß wie ein
Schnee, wiewohlen mich der Herre ſonſten wunderlich
geſegnet. Denn umb Tagesanbruch kam eine Nachti¬
gall in den Fliederbuſch vor mein Fenſter und ſange alſo
lieblich, daß ich gleich gläubte ſie ſei ein guter Engel
geweſt. Denn nachdeme ich ſie eine Zeitlang angehöret,
kunnte ich mit einem Mal wieder beten, was ich ſeit
dem Sonntag nit mehr können. Und da nun der Geiſt
unſers Herrn Jeſu Chriſti anhub in meinen Herzen zu
ſchreien: „Abba lieber Vater!“ *) nahm ich daraus eine
gute Zuverſicht: Gott wölle mich ſein elendig Kind wie¬
der zu Gnaden annehmen, und nachdem ich ihm für ſo
viel Barmherzigkeit gedanket, gewann ich nach langer
Zeit wieder eine ſo erquickliche Ruhe, daß die liebe Sonne
ſchon hoch am Himmel ſtund, als ich aufwachte.


Und dieweil mir noch alſo zuverſichtlich umbs Herze
war, richtete ich mich im Bette empor und ſang mit hel¬
ler Stimmen: „Verzage nicht du Häuflein klein!“ wor¬
auf Meiſter Seep in die Kammer trat, vermeinende ich
[163] hätte ihn gerufen. Blieb aber andächtig ſtehen, bis ich
fertig war, und nachdem er ſich anfänglich über meine
ſchloweißen Haare verwundert, verzählete er, daß es ſchon
bei ſieben Uhren wär, item wäre meine halbe Gemein
ſchon allhier bei ihme verſammlet, um heute Zeugniß
abzulegen, worunter auch mein Ackersknecht Claus Neels.
Als ich ſolches vernommen, mußte der Krüger ſelbigen
alſofort aufs Schloß ſchicken, umb zu fragen, wann das
Verhör anhübe, worauf er die Botſchaft brachte: daß
man es nit wiſſe, inmaſſen Dn. Consul ſchon heute
gen Mellenthin zu dem alten Nienkerken gefahren, aber
noch nicht wieder zurücke wär. Dieſe Botſchaft gab
mir wieder einen guten Muth und fragete ich den Bur¬
ſchen: ob er auch kommen wär, umb gegen mein arm
Kind zu zeugen? Darauf ſagete er: nein, ich weiß Nich¬
tes von ihr denn Gutes, und wollte ich den Kerls wohl
was brauchen, aber —


Solche Rede verwunderte mich und drang ich faſt
heftig in ihn mir ſein Herze zu offenbaren. Aber er
hub an zu weinen und ſagte letzlich: er wiſſe nichtes.
Ach er wußte nur zu viel und hätte jetzunder mein arm
Kind retten können, ſo er gewollt. Aber aus Furcht vor
der Marter ſchwieg er ſtille, wie er nachgehends bekannte.
Und will ich hier gleich einrücken, was ihm dieſen Mor¬
gen geariviret:


Er gehet, umb allein mit ſeiner Braut zu ſein, welche
ihm das Geleit geben (ſie iſt Steffen ſeine Tochter von
Zempin, verſtehe aber nicht den Bauern, ſondern den
11 *[164] lahmen Gicht-Steffen ſeine) heute in guter Frühzeit von
Haus, und gelanget ſchon gegen 5 Uhren in Pudgla an,
wo er aber noch Niemand im Kruge fürfindet, denn
die alte Liſe Kolken, welche aber auch alſobald auf das
Schloß wackelt. Und dieweil ſeine Braut wieder heim¬
gekehret, wird ihm die Zeit lang und er ſteiget über den
Krügerzaun in den Schloßgarten, allwo er hinter eim
Buſchwerk ſich auf den Bauch wirft umb zu ſchlafen.
Währet aber nit lange, ſo kömmt der Amtshaubtmann
mit der allen Liſen an und nachdem ſie ſich überall umb¬
geſchauet und Niemand befunden, gehen ſie in eine Laube
dicht vor ihm, worauf ſie ein ſolch Geſpräch geführet:


Ille. Jetzunder wären ſie beide allein, was ſie nun
von ihm wölle?


Illa. Sie käme, umb ſich das Geld zu hohlen vor
die Zauberei, ſo ſie im Dorf angerichtet.


Ille. Was ihm alle dieſe Zauberei genützet? Mein
Töchterlein ließe ſich nicht ſchröcken, ſondern würde im¬
mer trutziger, und gläube er nicht, daß er ſie jemalen zu
ſeinem Willen bekäm.


Illa. Sölle ſich nur Zeit laſſen, wenn es erſt zur
Angſtbank ginge, würde ihr ſchon das Bruſen *) an¬
kommen.


Ille. Das wäre möglich aber ehe bekäme ſie auch
kein Geld?


Illa. Was? Ob ſie ihm vor ſein Vieh auch was
brauchen ſölle?


[165]

Ille. Ja, wenn ihr der podex früre, möge ſies
thun. Im Uebrigen gläube er, daß ſie ihm ſelbſten
ſchon was gebrauchet, angeſehen er eine Brunſt zu der
Pfaffentochter hätte, wie er vormals nie verſpüret.


Illa. (lachende) Daſſelbige hätt er vor 30 Jah¬
ren geſagt, als er ſich allererſt an ſie gemacht.


Ille. Pfui du alte Vettel, hilf mir nicht darauf,
ſondern ſiehe nur zu, daß du drei Zeugen bekömmſt wie
ich dir letzlich geſaget, denn ſonſten, ſorge ich, recken ſie
dir doch noch die alten lahmen Lenden.


Illa. Sie hätte die drei Zeugen und verlieſſe ſich
im Uebrigen auf ihn. Denn wenn ſie gerecket würde,
würde ſie Allens offenbaren, was ſie wüßte.


Ille. Sie ſölle ihr großes Maul halten und zum
Teufel gehen.


Illa. Ja, aber zuerſt müßte ſie ihr Geld haben.


Ille. Sie kriegte kein Geld nicht ehbevor er mein
Töchterlein zu ſeinem Willen bracht.


Illa. So möge er ihr doch allererſt ihr Ferkelken
bezahlen, ſo ſie ſich ſelbſten umb nicht in Mißgunſt zu
kommen zu Tode gehext.


Ille. Sie könne ſich wieder eines ausſuchen, wenn
ſeine Schweine trieben und ſölle nur ſagen ſie hätt es
ihm bezahlt. Hiemit, ſagte mein Ackersknecht, wären auch
ſchon die Schweine getrieben und eines in den Garten gelau¬
fen, da die Pforte aufgeſtanden, und weil der Säuhirt ihm
gefolget, wären ſie beide auseinander gangen, doch hätte die
[166] Hexe noch für ſich gemürmelt: Nu help Düwel help, datt
ick — aber ein Mehreres hätte er nicht verſtanden.


Solches Alles verſchwieg mir aber der furchtſame
Knabe wie oben bemeldet und ſagete nur mit Thränen: er
wiſſe Nichts. Gläubete ihm alſo und ſatzte mich vor das
Fenſter umb auszuſchauen, wenn Dn. Consul wieder
heimkehren würde. Und als ich ſolches geſehen, hub ich
mich alſogleich empor und ging auf das Schloß, wo mir
der Büttel auch ſchon mit meim Töchterlein, ſo er bringen
ſollte, vor dem Gerichtszimmer begegnete. Ach, ſie ſahe
ſo froh aus, wie ich ſie lange nit geſehen und lächelte
mich an mit ihrem lieblichen Mündlein; da ſie aber mein
ſchloweiß Haar erblickte, thät ſie einen Schrei, alſo daß
Dn. Consul das Gerichtszimmer offen ſchlug und her¬
aus rief: „ha, ha, du merkeſt wohl ſchon, welche Zei¬
tung ich dir bringe, komm nur herein du verſtockt Teu¬
felskind!“ worauf wir zu ihm in das Zimmer traten
und er anhube ſeine Worte an mich zu richten, nach¬
dem er ſich mit dem Amtshaubtmann, ſo bei ihm war,
niedergeſetzet.


Als er mich geſtern Abend vor einen Todten hätte
zu Meiſter Seep tragen laſſen, (ſagte er) und dies
mein verſtockt Kind, wieder wär ins Leben bracht, hätt
er ſie abereins aus allen Kräften beſchworen nicht län¬
ger dem lebendigen Gott zu lügen ſondern die Wahr¬
heit zu bekennen, worauf ſie ſich aber faſt ungeberdig
geſtellet, die Hände gerungen, geweint und geſchluchzet
und letzlich zur Antwort geben: daß der junge Nobi¬
[167] lis ſolches unmüglich könne geſaget haben, beſondern ſein
Vater hätte dieſes geſchrieben, welcher ihr abhold wäre,
wie ſie wohl gemerket, als der ſchwediſche König in Co¬
ſerow geweſt wäre. Dieſe ihre Sag hätte er, Dn. Con¬
sul
, zwar gleich in Zweifel gezogen, wäre aber als ein
gerechter Richter heute Morgen zu guter Zeit mit dem
scriba nacher Mellenthin gefahren, umb den Junker zu
verhören.


Und könne ich nun ſelbſten abnehmen, welch erſchröck¬
liche Bosheit in meim Kind ſtecke. Denn der alte Rit¬
ter hätte ihn an das Bett ſeines Sohnes geführet, ſo
noch für Aerger krank läge, und ſelbiger hätte Allens,
was der Vater geſchrieben, beſtättiget, und die ſchänd¬
liche Unholdin (wie er mein Kind genennet) verfluchet,
daß ſie ihm wölle ſeine adliche Ehre rauben. „Was
ſagſtu nun“ fuhr er fort, „wiltu noch deine große Uebel¬
that leugnen. Sieh hier das Protokollum ſo der Jun¬
ker manu propria unterſchrieben?“ Aber die elendige
Magd war hierzwiſchen ſchon wieder umbgefallen, und
der Büttel hatte ſolches nicht alſobald geſehen, als er
nach der Küchen lief, und mit einem brennenden Schwe¬
felfaden zurücke kam, den er ihr unter der Naſen hal¬
ten wollte.


Aber ich wehrete es ihm und ſprützete ihr einen Topf
mit Waſſer über das Geſicht, ſo daß ſie auch wieder die
Augen aufſchlug und ſich an einen Tiſch in die Höhe
richtete. Stand aber jetzo eine ganze Zeit, ohne ein Wört¬
lein zu ſagen, noch meines Jammers zu achten, bis ſie
[168] anhub freundlich zu lächeln und alſo zu ſprechen: Sie
ſähe wohl, wie wahr der heilige Geiſt geſaget, verflucht
iſt, der ſich auf Menſchen verläßt *) und hätte die Un¬
treue, ſo der Junker an ihr bewieſen, gewißlich ihr ar¬
mes Herze gebrochen, wenn der barmherzige Gott ihme
nicht gnädig zuvorgekommen und ihr in dieſer Nacht ei¬
nen Traum eingegeben, ſo ſie erzählen wölle, nicht umb
den Richter zu perſuadiren, ſondern umb das weiße Haubt
ihres armen Vaters wieder aufzurichten.


Nachdeme ich die ganze Nacht geſeſſen und gewa¬
chet (ſagete ſie) hörte ich gegen den Morgen eine Nach¬
tigall gar lieblich in dem Schloßgarten ſingen, worauf
mir die Augen zufielen und ich entſchlief. Alsbald kam es
mir für, als wäre ich ein Lämmlein, und weidete in Coſe¬
row ruhig auf meiner Bleichen. Da ſprang der Amts¬
haubtmann über den Zaun, wandelte ſich aber in einen
Wulf umb, der mich in ſein Maul nahm, und mit mir
auf den Streckelberg zulief, allwo er ſein Neſt hatte.
Ich armes Lämmlein zitterte und blökete vergeblich und
ſahe meinen Tod für Augen, als er mich vor ſein Neſt
niederſetzete, allwo die Wülfin mit ihren Jungen lag.
Aber ſiehe, alſobald reckete ſich eine Hand, wie eines
Mannes Hand durch das Gebüſche, und ergriff die Wülfe,
einen jeglichen unter ihnen mit eim Finger und zerſchei¬
terte ſie alſo, daß Nichtes von ihnen übrig blieb, denn
ein grau Pulver. Darauf nahm die Hand mich ſelb¬
ſten auf und trug mich wieder zu meiner Bleichen. —


[169]

Lieber, wie ward mir anjetzo zu Muthe, als ich dies
Allens und auch von der lieben Nachtigallen hörete, woran
du nunmehro auch nicht mehr zweifeln wirſt, daß ſie Got¬
tes Dienerin geweſt. Ich umbhalſete mein Töchterlein
ſogleich mit tauſend Thränen und verzählete ihr, wies
mir gangen, und gewunnen wir Beide einen ſolchen Muth
und Zuverſicht, als wir noch nie gehabt, ſo daß ſich
Dn. Consul verwunderte, wie es den Anſchein hatte,
der Amtshaubtmann aber blaß wurde wie ein Laken,
als ſie anjetzo auf die beiden Herrſchaften hinzutrat und
ſprach: „jetzo machet mit mir, als euch geliebet, das
Lämmlein erſchröcket nicht, denn es ſtehet in der Hand
des guten Hirten!" Hierzwiſchen trat nun auch Dn. Ca¬
merarius
mit dem Scriba ein, entſatzte ſich aber, als
er ungefährlich mit dem Rockzipf meim Töchterlein an
die Schürzen ſtieß und ſtund und ſchrapete, an ſeim Rock,
als ein Weib, ſo Fiſche ſchrapet. Endiglich, nachdem
er zuvor zu dreien Malen ausgeſpieen, redete er das
Gerichte an: ob ſie nicht anheben wöllten, den Zeugen¬
eid abzunehmen, angeſehen alles Volk ſchon längſtens im
Schloß und Kruge verſammblet wäre. Solches ward
angenehm aufgenommen, und erhielt der Büttel Befehl,
mein Kind ſo lange in ſeinem Zimmer aufzubewahren,
bis das Gericht ſie wieder rufen würd. Ging alſo mit
ihr; hatten aber viel Plage von dem dreuſten Schalk,
inmaßen er nicht blöde war, den Arm meinem Töchter¬
lein umb die Schulter zu legen, und in mea praesentia*)
[170] von ihr ein Küßeken zu verlangen. Aber ehbevor ich
noch kunnte zu Worte kommen, riß ſie ſich loß und rief:
ei du böſer Schalk, ſoll ichs dem Gerichte klagen, haſtu
vergeſſen, was du ſchon aufgeladen? worauf er aber la¬
chend zur Antwort gab: „kick, kiek, wo vet *)" und
nunmehro fortfuhr, ſie zu perſuadiren, daß ſie ſich ſölle
williger finden laſſen, und ihren eignen Vortheil nicht
vergeſſen. Denn er hab es eben ſo gut mit ihr im Sinn,
als ſein Herr, ſie möge es gläuben oder nicht, und was
er weiters ſkandaliſirte und ich überhöret hab. Denn
ich nahm mein Töchterlein auf meinen Schooß und legte
mein Haubt in ihren Nacken und ſo ſaßen wir ſtille und
weineten.


[171]

Capitel 21.

De confrontatione testium.*)


Als wir wieder vorgefordert wurden, war die ganze
Stuben voll Menſchen, und ſchudderten ſich etz¬
liche, als ſie uns ſahen, etzliche aber greineten. Und war
meines Töchterleins Sage ganz ſo, wie hiebevor vermel¬
det worden. Als aber unſre alte Ilſe fürgerufen ward,
ſo hinten auf einer Bank geſeſſen, alſo daß wir ſie nit
ſehen kunnten, war die Kraft, womit ſie der Herr an¬
gethan wieder zu Ende, und wiederhohlete ſie des Hei¬
lands Worte: der mein Brod iſſet, tritt mich mit Füſ¬
ſen, und hielt ſich an meim Stuhl feſt. Auch die alte
Ilſe kunnte vor Jammer nit gerade gehn, weder vor
Thränen zu Worte kommen, ſondern ſie rang und wand
ſich wie eine Gebärerin für dem Gerichte. Als ſie aber
Dn. Consul bedräuete, daß der Büttel ihr gleich ſölle
zu Wort helfen, bezeugete ſie, daß mein Kind gar oft
zu nachtſchlafender Zeit heimblich aufgeſtanden, und den
böſen Feind laut angerufen hätte.


Q. Ob ſie gehöret, daß Satanas ihr Antwort geben?


R. Hätte ſie niemalen nit gehöret.


Q. Ob ſie gewahr worden, daß Rea einen Geiſt
gehabt und in welcher Geſtalt? Sie ſölle an ihren Eid
gedenken und die Wahrheit reden.


[172]

R. Hätte ſie niemalen nit verſpüret.


Q. Ob ſie wohl gehöret, daß ſie zum Schornſtein
heraus gefahren?


R. Nein, ſie wäre immer heimblich aus der Thü¬
ren gangen.


Q. Ob ſie nie am Morgen einen Beſenſtiel oder
Ofengabel vermiſſet?


R. Einmal wäre ihr Beſen fortgeweſt, ſie hätte
ihn aber hinter dem Backofen wiederfunden, und möchte
ſie ſelbſten ihn wohl in Gedanken dort hingeſetzet haben.


Q. Ob ſie nie gehöret, daß Rea einen Zauber vor¬
gehabt, oder dieſen und jenen verwünſchet.


R. Nein, niemalen, ſondern ſie hätte ihrem Näch¬
ſten nur Gutes angewünſchet, auch in der bittern Hun¬
gersnoth ſich ſelbſten den Biſſen aus dem Mund gezo¬
gen und ihn Andern abgetheilet.


Q. Ob ſie denn auch nicht dieſe Salbe kenne, ſo
man in Rea Koffer fürgefunden?


R. O ja, die Jungfer hätte ſie ſich vor die Haut
aus Wolgaſt mitgebracht, auch ihr abgetheilet, als ſie
einmal ſpröde Hände gehabt, und hätte ſolches wacker
angeſchlagen.


Q. Ob ſie ſonſten noch was zu ſagen wiſſe?


R. Nein, nichtes, den alles Gute.
Hierauf wurde mein Ackersknecht Claus Neels auf¬
gerufen. Selbiger trat auch weinend hinzu, antwortete
aber auf alle Fragen mit Nein, und bezeugete endlich
daß er nie Unrechtes von meinem Töchterlein geſehn noch
[173] gehöret, auch von ihrem nächtlichen Wandel nichts ver¬
nommen, angeſehen er im Stall bei den Pferden ſchliefe,
und auch ſicher gläube, daß böſe Leute, wobei er auf
die alte Liſe ſah, ihr dies Herzeleid bereitet, und ſie ganz
unſchuldig ſei.


Als nunmehro auch an dies alte Satanskind die Reihe
kam, ſo ein Hauptzeugniß ablegen ſollte erklärete mein
Töchterlein abermalen, daß ſie das Gezeugniß der alten
Liſen nit annehmen müge und das Gericht umb Gerech¬
tigkeit anriefe, denn ſie wäre ihr von Jugend auf gramm
und länger in dem Geſchrei der Zauberei geweſt, denn
ſie ſelbſten.


Aber die alte Vettel rief: Gott vergebe dir deine
Sünden. Das ganze Dorf weiß, daß ich ein fromm Weib
bin, und meinem Gott diene, wie ſich gebühret, worauf
ſie den alten Zuter Witthahn und meinen Fürſteher Claus
Bulk aufrief, welche auch für ſie Zeugniß ablegeten. Aber
der alte Paaſsch ſtund und ſchüttelte das Haubt, doch
als mein Töchterlein ſagte: Paaſsch warumb ſchüttelt
Ihr mit dem Kopf? verzufzete *) er ſich und gab zur
Antwort: „i, nicks **)!“


Dieſes wurde aber auch Dn. Consul gewahr und
fragete ihn: ob er etwas Unartiges wider die alte Liſe
fürzubringen habe, ſo möge er Gott die Ehre geben und
ſolches bekennen; item ſtünde es einem Jeglichen erlaubt,
[174] ſolches zu thun, ja das Gericht beföhl es ihme an, zu
ſprechen, ſo er etwas wüßte.


Aber aus Furcht vor dem alten Drachen, ſchwiegen
ſie Alle ſo mäuſeken ſtille, daß man die Fliegen kunnte
brummen hören umb das Dintenfaß. Da ſtund ich Elen¬
der auf, und ſtreckete meine Arme über mein verzagt
und verſtürztes Volk aus und ſprach: könnet ihr mich
alſo kreuzigen mit mein arm Kinde, hab' ich das umb
euch verdienet? Sprecht doch, ach will Niemand ſpre¬
chen? — Aber ich hörete wohl Etzliche heulen, doch Nie¬
manden ſprechen, und jetzunder mußte ſich mein arm Töch¬
terlein wohl zufrieden geben.


Und war die Bosheit der alten Vettel ſo groß, daß
ſie meinem Kinde nicht nur die erſchröcklichſte Zaube¬
reien fürhielt, beſondern auch die Zeit ausrechnen wollte,
wann ſie ſich dem leidigen Satan ergeben, umb ihr zu¬
gleich ihre jungfräuliche Ehr zu rauben, inmaßen ſie be¬
hauptete, daß dazumalen Satanas ihr ſonder Zweifel
wohl die Jungfrauſchaft genommen, als ſie nit mehr
hätte das Viehe heilen mügen, ſondern es geſtorben wär.
Hiezu ſagte mein Töchterlein aber Nichtes, denn daß ſie
die Augen niederſchlug und verſchamrothete über ſolche
Unfläterei und auf die andere Läſterung, ſo die Vettel mit
vielen Thränen ausſtieß, daß ſie nämblich ihren Mann
lebendig dem Satanas übergeben antwortete ſie, wie oben
gedacht worden. Doch als die Vettel auf ihre Umtaufe
in der Sehe kam, und fürgab, daß ſie im Buſch nach
Erdbeeren geſuchet, worauf ſie alsbald meines Töchter¬
[175] leins Stimm erkannt, und herangeſchlichen wäre, und
ſo das Teufelswerk gewahret, fiel ſelbige ihr lächelnd
in die Rede, und gab zur Antwort: „ei du böſes Weib,
wie kannſtu meine Stimm, wenn ich an der Sehe ſpreche,
oben auf dem Berg in der Heiden hören. Du leugſt
ja, denn das Mürmeln der Wellen macht es dir unmüg¬
lich!" Solches verdroß den alten Drachen, und wollt'
ers beſſer machen, macht es aber noch ärger, indem er
ſprach: „du rührteſt ja das Maul, wie ich ſehen kunnte,
und daraus habe ich abgenommen, daß du den Teufel
deinen Buhlen angerufen!" Denn mein Töchterlein ver¬
ſetzte alſobald: O du gottlos Weib du ſagſt ja, du wärſt
in der Heiden geweſt, als du meine Stimm gehöret;
wie magſtu denn in der Heiden ſehen, ob ich unten am
Waſſer das Maul rühre, oder nit? —


Solche Widerſprechung verwunderte auch Dn. Con¬
sulem
und hub er an die alte Vettel zu bedräuen, daß
ſie doch noch am Ende würde gerecket werden, wenn ſie
ſolche Lügen fürbrächte, worauf ſelbige aber zur Ant¬
wort gab: „ ſo ſehet denn ob ich lüge!" Als ſie nacket
ins Waſſer ginge, hatte ſie noch kein Zeichen an ihrem
Leib, als ſie aber wieder daraus herfürſtieg, ſahe ich,
daß sie zwiſchen den beiden Brüſten ein Zeichen bei ei¬
nes Wittens Größe hatte, woraus ich abnahm, daß der
Teufel ihr ſolches geben, obwohl ich ihn nicht umb ſie
geſehen, noch ſonſt einen Geiſt oder Menſchenkind, son¬
dern es den Anſchein hatte, daß ſie ganz allein war.


Hierauf ſprang der Amtshaubtmann von ſeinem Seſ¬
[176] ſel und rief: daß ſolchem gleich müßte nachgeforſchet wer¬
den, worauf Dn. Consul zur Antwort gab: ja, aber
nit durch uns, ſondern durch ein Paar ehrſame Weiber.
Denn er achtete nit, daß mein Töchterlein ſagte: ſol¬
ches wäre ein Muttermaal, und hätte ſie es von ihrer
Jugend auf gehabt. Dannenhero mußte den Büttel ſeine
Frau kommen, welcher Dn. Consul etwas ins Ohr
mürmelte, und als kein Bitten und Weinen helfen wollte,
mußte mein Töchterlein mitgehen. Doch erhielt ſie es,
daß die alte Liſe Kolken ihr nicht folgen durfte, wie ſie
es zwar gewollt, ſondern unſre Magd, die alte Ilſe.
So ging ich auch mit in meinem Gram, weilen ich nicht
wiſſen kunnte, was die Weibsbilder mit ihr fürnehmen
würden. Sie weinete heftig, als ſelbige ſie auszogen,
und hielt ſich für Schaam die Hand für die Augen.


Ach Gott, ſie war gerade ſo weiß auf ihrem Leibe,
wie meine Seelige, da ſie doch in ihrer Jugend wie ich
mich erinnere, faſt gelb geweſt, und ſah ich mit Ver¬
wundrung den Fleck zwiſchen ihren Brüſten, von dem
ich vorhero auch nie was in Erfahrung gezogen. Aber
alſobald ſchriee ſie heftig auf und ſprang zurücke, an¬
geſehen den Büttel ſein Weib, wie Niemand gewahr
worden, ihr eine Nähenadel in den Fleck geſtoßen, alſo
daß das rothe Blut ihr über die Brüſte lief. Darob
erzürnete ich heftig, aber das Weib gab für, daß ſie
ſolches auf Geheiß des Richters gethan *) , wie es auch
[177] nicht anders war. Denn als wir wieder in das Ge¬
richtszimmer kamen und der Amtshaubtmann fragete wie
es ſtünd, bezeugete ſie, daß alldorten zwar ein Maal
bei eines Guldens Größe und gelblich anzuſehen fürhan¬
den, daß aber Gefühl in ſelbigem wäre, angeſehen Rea
laut aufgeſchrieen als ſie unvermerkt mit einer Nadel
hineingeſtochen. Hierzwiſchen ſprung aber Dn. Came¬
rarius
plötzlich auf und trat für mein Töchterlein ihr
die Augenlieder auseinanderſchiebend, worauf er zu zit¬
tern begunnte, und ausrief: ſehet hier, das Zeichen wel¬
ches nimmer treugt *) worauf das ganze Gericht auf¬
ſprung, und ihr das kleine Maalein beſchauete ſo ſich
unter dem rechten Liede wies, was von eim Gerſtenkorn
gekommen, aber Niemand nit gläuben wollte. Beſon¬
dern Dn. Consul ſprach: Sieh, der Satan hat dich ge¬
zeichnet an Leib und Seelen? und du fähreſt dennoch
fort, dem heiligen Geiſt zu lügen, aber es wird dir nich¬
tes helfen, und machſtu dein Urtel nur ſchwerer. O
du ſchaamlos Weibsbild, willtu der alten Liſen ihr Ge¬
zeugniß nit annehmen, willtu es dann auch nicht dieſer
Leute Zeugniß, ſo dich ſämmtlich haben auf dem Berge
mit ihr deinen Buhlen, den Teufel, anrufen hören, wor¬
*)12[178] auf er dir als ein haarigter Rieſe erſchienen und dich
geherzet und geküſſet?


Hierauf traten der alte Paaſsch, Witthahnſche und
Zuter herfür und bezeugeten, daß ſolches umb Mitter¬
nacht geſchehen und ſie auf ſolch Bekenntnüß leben und
ſterben wöllten. Die alte Liſe hätte ſie in der Samb¬
ſtagsnacht bei 11 Uhren gewecket, ihnen einen Krug
Bier fürgeſetzet, und ſie perſuadirt der Prieſtertochter
heimblich nachzugehen umb zu ſehen, was ſie in dem
Berg thäte. Und hätten ſie zu Anfang nit gewollt,
aber umb der Zauberei im Dorf auf den Grund zu kom¬
men, hätten ſie ſich endlich nach einem andächtigen Ge¬
bet willig finden laſſen und wären ihr in Gottes Na¬
men gefolget.


Hätten die Hexe auch bald durch das Buſchwerk im
Mondſchein geſehen, wo ſie gethan, als wenn ſie ge¬
graben und laut in einer abſonderlichen Sprachen ge¬
redet, worauf der grimmige Erzfeind plötzlich erſchienen,
und ihr umb den Hals gefallen. Nunmehro wären ſie
verſtürzet fortgerannt und mit des allmächtigen Gottes
Hülfe, auf den ſie von Anbeginn ihr Vertrauen geſetzet,
auch erhalten und beſchützet worden vor der Macht des
böſen Feindes. Denn wiewohlen er ſich nach ihnen umb¬
geſehen, als es im Buſch geruſtert, hätte er ihnen doch
nit ſchaden mögen.


Endlich wurde es meim armen Töchterlein auch noch
als ein Crimen ausgelegt, daß ſie unmächtig worden,
als man ſie von Coſerow nacher Pudgla abgeführet und
[179] wollte es abereins ihr Niemand gläuben, daß ſolches vor
Verdruß über der alten Liſen ihren Geſang geſchehen
ſei und nicht aus eim böſen Gewiſſen, wie der Richter
fürgab.


Als nunmehro ſämmtliche Zeugen verhöret waren
befragete Dn. Consul ſie noch, ob ſie letzlich das böſe
Wetter gemacht, item was die Pogge zu bedeuten ge¬
habt, ſo ihr in den Schooß gefallen item der Schweinsigel,
ſo vor ihm mitten im Wege gelegen, worauf ſie zur Ant¬
wort gab: daß ſie ſo wenig das Eine gethan, als ſie umb
das Andre wiſſe, worauf aber Dn. Consul abermals
mit dem Kopf ſchüttelte und ſie dann letzlich fragete,
ob ſie wölle einen Advocaten haben, oder Allens der be¬
ſten Einſicht des Gerichtes anheimſtellen, worauf ſie zur
Antwort gab: daß ſie in alle Wege einen Advocaten wölle,
und ſchickete ich dannenhero des nächſten Tages meinen
Ackersknecht Claus Neels nach Wolgaſt umb den Syndicus
Michelſen zu hohlen, der ein frommer Mann iſt und bei
dem ich etzliche Male eingekehret bin, wenn ich zur Stadt
gefahren, dieweil er mich höflichſt invitiret.


Auch muß ich noch notiren, daß meine alte Ilſe nun¬
mehro wieder bei mir zog, denn nachdeme die Zeugen
fortgangen waren blieb ſie annoch allein im Zimmer
und trat muthiglich für mich bittend, daß ihr müge ver¬
vergönnt werden, ihren alten Herrn und ihr liebe Jung¬
fer wieder zu pflegen. Denn nunmehro hätte ſie ihre
arme Seel gerettet und Allens geoffenbaret was ſie wüßte.
Darum könnte ſie es nit länger mit anſehen, daß es
12 *[180] ihrer alten Herrſchaft ſo traurig ginge, und ſie nicht
einmal einen Mund voll Eſſen hätten, angeſehen ſie in
Erfahrung gezogen, daß die alte Seepſche, ſo die Koſt
vor mich und mein Kind bis dato bereitet, oftermalen
die Grütze hätte anbrennen laſſen, item die Fiſche und
andere Koſt verſalzen. Auch wäre ich vor Alter und
Gram ja alſo ſchwach, daß ich Beiſtand haben müßte,
und wölle ſie mir ſolchen getreulich leiſten auch gerne
im Stall ſchlafen, wo es ſein müßte. Lohn verlange
ſie nicht dafür, und ſölle ich ſie nur nicht verſtoßen.
Solche Gutheit erbarmete mein Töchterlein zu Thrä¬
nen, und ſprach ſie zu mir: ſiehe Vater die guten Men¬
ſchen kommen ſchon wieder zu uns, ſollten uns die gu¬
ten Engel denn auf immer verlaſſen? Ich danke dir alte
Liſe, ja du ſollt mir die Koſt bereiten, und ſie mir im¬
mer bis an die Gefängnißthür tragen, wenn du nit wei¬
ter gehen darfſt, und letzlich darauf achten, was der Büt¬
tel damit fürnimmt, hörſtu?


Solches verſprach die Magd zu thun, und nahm ſie
von jetzo an in einem Stall ihre Herberge. Gott lohn
es ihr am jüngſten Gerichte, was ſie für mich und mein
arm Kind gethan!


[181]

Capitel 22.

Wie derSyndicus Dn.Michelſsen gearriviret und
ſeine Defenſion für mein arm Töchterlein ein¬
gerichtet.


Des andern Tages umb drei Uhren Nachmittags
kam Dn. Syndicus angekarret und ſtieg bei
mir im Kruge ab. Er hatte einen großen Sack mit
Büchern bei ſich, war aber nicht ſo freundlich, als ich
ſonſten an ihme gewohnt geweſt, beſondern ehrbar und
geſchweigſam. Und als er mich in meim Zimmer ſa¬
lutiret und gefraget, wie es müglich wäre, daß mein Kind
zu ſolchem Unglück kommen, verzählete ich ihm den gan¬
zen Fürgang, wobei er aber nur mit dem Kopf ſchüt¬
telte. Auf meine Frag ob er heute noch wölle zu mei¬
nem Töchterlein gehen, antwortete er Nein! ſondern daß
er zuvor erſt die Akta ſtudiren wölle. Nachdem er alſo
ein wenig von einer wilden Enten geſſen, ſo meine alte
Ilſe vor ihm gebraten, hielt er ſich auch nit auf, ſon¬
dern ging alſofort aufs Schloß, von wannen er erſt des
andern Nachmittags heimkehrete. Er war aber nicht
freundlicher, denn er bei ſeiner Ankunft geweſt, und folgte
ich ihm mit Seufzen, als er mich invitirete, nunmehro
ihn zu meinem Töchterlein zu geleiten. Als wir mit
dem Büttel eintraten, und ich mein arm Kind, ſo in
ihrem Leben niemalen ein Würmlein gekränket zum er¬
[182] ſtenmal in Ketten vor mir ſahe, hätte ich aufs Neu
für Jammer vergehen mögen. Doch ſie lächelte und rief
Dn. Syndico entgegen: „Iſt Er der Engel der mich,
wie St. Petrum von meinen Ketten befreien will *)?"
worauf er mit einem Seufzer zur Antwort gab: „das
gebe der allmächtige Gott!" Und da weiter kein Stuhl
im Gefängnüß fürhanden ( ſo ein garſtig und ſtinkend
Loch war, und worinnen es ſo viele Kellerwürmer hatte,
als ich in meinem Leben nicht geſehn) als der Stuhl
worauf ſie an der Wand ſaß, ſetzeten Dn. Syndicus
und ich uns auf ihr Bette, welches man ihr auf mein
Bitten gelaſſen, und befahl ſelbiger dem Büttel nun¬
mehro wieder ſeiner Straßen zu gehen, bis er ihn ru¬
fen würd. Hierauf fragete er mein Töchterlein, was
ſie zu ihrer Entſchuldigung herfürbringen wölle, und war
ſie noch nit weit in ihrer Defenſion gekommen, als ich
an dem Schatten, ſo ſich an der Thüren rührete, ab¬
nahm daß Jemand vor ſelbiger ſtehen mußte. Trat
alſo eiligſt in die Thüre welche halb offen ſtund, und
betraf den dreuſten Büttel, welcher hiervor ſtehen geblie¬
ben umb zu horchen. Solches verdroß Dn. Syndicum
dermaßen, daß er ſeinen Stock ergriff umb ihm das Kehr¬
aus zu geben; aber der Erzſchalk lief alſobald von dan¬
nen, als er ſolches merkete. Dieſes benützete mein Töch¬
terlein umb ihrem Herrn Defensori zu erzählen, was ſie
von dieſem dreuſten Kerl ausgehalten, und daß ihr müge
[183] ein anderer Büttel geben werden inmaßen er in vergan¬
gener Nacht noch wieder in böſer Abſicht bei ihr geweſt,
ſo daß ſie letzlich laut geſchrieen und ihn mit den Ket¬
ten aufs Haubt geſchlagen, worauf er endlich von ihr
gewichen. Solches verſprach Dn. Syndicus zu beſor¬
gen, aber ihre Defenſion anlangend, die ſie nunmehro
fortſetzte, ſo vermeinete er, daß es beſſer geſchähe, wenn
des impetus*) nicht weiter gedacht würde, ſo der Amts¬
haubtmann auf ihre Keuſchheit verſuchet. Denn, ſprach
er, dieweil das fürſtliche Hofgericht in Wolgaſt dein Ur¬
tel ſpricht, würde dir ſolches Fürgeben mehr ſchaden denn
nützen, angeſehen der Praeses deſſelbigen ein Vetter von
dem Amtshaubtmann iſt, und häufig mit ihme auf der
Jagd converſiret. Dazu kömmt daß du, als einer ſo
großen Uebelthat gerüchtiget, nicht fidem haſt, zumalen
du keine Zeugen wider ihn ſtellen kannſt. Es würde
dannenhero nimmer zu Recht wider dich erkannt wer¬
den, daß du ſolche Sag in der Urgicht **) ſollteſt be¬
kräftigen, als von welcher ich dich durch meine Defen¬
ſion zu löſen, doch anhero kommen bin. Solche Gründe
ſchienen letzlich uns beiden vernünftig und beſchloſſen wir,
die Rache dem allmächtigen Gott zu überlaſſen, der in
das Verborgene ſiehet, und dem wir alleine unſere Un¬
bill klagen wöllten, da wir ſie denen Menſchen nicht
klagen durften. Was mein Töchterlein aber ſonſt für¬
brachte, von der alten Liſen, item in dem guten Leu¬
[184] muth, in welchem ſie ehedem bei männiglich geſtanden,
wöllte er Allens zu Papier bringen, und von dem Sei¬
nen hinzufügen ſo viel und ſo gut es ihm müglich, umb
ſie von der Marter mit des allmächtigen Gottes Hülfe
zu erlöſen. Sie ſöllte ſich nur geruhſam halten, und
ſich demſelbigen empfehlen. Binnen zweener Tagefriſt
hoffe er mit ſeiner Defenſion fertig zu ſein, umb ihr
ſolche fürleſen zu können. — Als er nunmehro den
Büttel wieder rief, kam ſelbiger aber nit, ſondern, ſchik¬
kete ſein Weib, umb die Gefängnüß zuzuſchließen, und
nahm ich mit vielen Thränen von meim Kind Abſchied,
unterdeß Dn. Syndicus auf ihren dreuſten Kerl ſchalt
und ihr verzählete, was fürgefallen, umb es ihm wie¬
der zu ſagen. Doch ſchickete er das Weib noch einmal
wegk, und kehrete alsdann wieder umb, ſagende, er hätte
vergeſſen gewiſſe Kundſchaft einzuziehen, ob ſie wirklich
die lateiniſche Sprach verſtünde. Sie möge alſo ihre
Defenſion einmal auf lateiniſch ſagen, ſo es ihr müglich.
Und hob ſie nunmehro an, eine Viertelſtunde lang und dar¬
über, ſelbige alſo zu führen, daß nit bloß Dn. Syndicus,
ſondern ich ſelbſten mich über ſie verwundern mußte, ange¬
ſehen ihr kein einzig Wörtlein fehlte, denn das Wörtlein
„Schweinsigel“ ſo wir beide in der Eile aber auch nit
wußten, als ſie uns darumb befragete. Summa: Dn.
Syndicus
wurde ein groß Theil freundlicher als ſie ihre
Oration beendiget, und valedicirete *) ihr mit dem Ver¬
ſprechen, ſich alſofort an die Arbeit zu machen.


[185]

Und ſahe ich ihn nunmehro nit wieder bis auf den
dritten Tag morgens umb 10 Uhren, angeſehen er im
Schloß auf einem Zimmer arbeitete, ſo ihm der Amts¬
haubtmann gegeben, allwo er auch geſſen, wie er mir
durch die alte Ilſe ſagen ließ, als ſie ihm des andern
Tages die Frühkoſt bringen wollte.


Um vorbemeldete Zeit aber ließ er mich durch den
neuen Büttel rufen, ſo allbereits auf ſein Fürwort aus
Uzdom angekommen. Denn der Amtshaubtmann hätte
ſich faſt ſehr erzürnet, als er vernommen, daß der dreuſte
Kerl mein Kind im Gefängnüß wäre angangen und im
Zorn gerufen: „potz Element, ich werde dich careſſiren
helfen!“ ihm darauf auch mit einer Hundepeitſchen, den
Buckel wacker abgebläuet, ſo daß ſie jetzunder wohl Friede
vor ihm haben ſölle.


Aber der neue Büttel war faſt ärger denn der alte,
wie man leider bald weiters hören wird. Er hieß Mei¬
ſter Köppner und war ein langer Kerl mit eim grau¬
ſamen Antlitz, und einem alſo großen Maul, daß ihm
bei jeglichem Wort der Speichel zur Seiten herausfuhr,
und an ſeim langen Bart, wie ein Seifenſchaum beklei¬
ben blieb, alſo daß mein Töchterlein für ihm eine ab¬
ſonderliche Angſt hatte. Auch that er bei jeglicher Ge¬
legenheit, als wenn er hohnlachete, welches auch beſchah
als er uns die Gefängnüßthüre aufgeſchloſſen, und mein
arm Kind in ihrem Jammer ſitzen ſah. Ging aber als¬
bald ungefordert ſeiner Straßen, worauf Dn. Syndicus
ſeine Defenſion aus der Taſchen zog, umb uns ſolche
[186] fürzuleſen. Und haben wir nur die fürnehmſten Stücke
davon behalten, ſo ich hier anführen will, die Autores
aber größtentheils vergeſſen:


  • 1) hub er an daß mein Töchterlein bishero immer
    in eim guten Geſchrei geweſen, wie nicht nur das ganze
    Dorf, ſondern auch meine Dienſtleute bezeugeten, ergo
    könne ſie keine Hexe ſein, inmaßen der Heiland geſaget:
    ein guter Baum kann nicht arge Früchte bringen Matth.
    am ſiebenten.


    2) was die Zauberei im Dorf anbelangte, ſo möchte
    ſolche wohl die alte Liſe angerichtet haben, angeſehen
    ſie einen Haß gegen Ream trüge, und ſchon lange in
    eim böſen Geſchrei geweſt und hätte nur die Gemein
    aus Furcht für dieſer alten Hexen nit ſprechen wöllen.
    Darumb müſſe noch Zutern ihr klein Mädchen ver¬
    höret werden, als welche es gehört, daß ihr Ehekerl
    zu der alten Liſen geſaget: ſie hätte einen Geiſt, und
    wölle ers dem Prieſter ſagen. Denn wiewohl ſelbige
    annoch ein Kind wäre, ſtünde doch geſchrieben Pſ. 8:
    Aus dem Munde der jungen Kinder und Säuglinge haſtu
    dir eine Macht zugerichtet, und hätte der Heiland ſelb¬
    ſten Matth. 21 auf das Gezeugniß derer Kinder ſich
    berufen.


    3 ) Dannenhero möchte die alte Liſe auch wohl die
    Ackerſtücke item die Obſtbäume bezaubert haben, aner¬
    wogen nicht anzunehmen ſtünde, daß Rea ſo ſich bis¬
    hero als eine artige Tochter bezeuget, ihren, eigenen Va¬
    ter ſölle das Korn behexet, oder ihm Raupen gemacht
    [187] haben. Denn Niemand ſage die Schrift könne zween
    Herrn dienen.


    4) item möchte ſie auch wohl der Grünſpecht ge¬
    weſen ſein, ſo Reae wie dem alten Paaſschen im Strek¬
    kelberg begegnet wäre, und ſelbſten ihren Ehekerl aus
    Furcht vor dem Prieſter dem böſen Feind übergeben ha¬
    ben, anerwogen wie Spitzel de expugnatione Orci
    beibrächte, item der malleus maleficarum*) außer
    Zweifel ſetzete, die leidigen Kinder des Satans ſich of¬
    termalen in allerlei Thiere verkehreten, nicht minder als
    es der garſtige Unhold ſelbſten ſchon im Paradieſe ge¬
    than, da er unſere erſten Aeltern unter der Geſtalt ei¬
    ner Schlangen verführet. Geneſ. am 3ten.


    5) Hätte die alte Liſe auch wohl das böſe Wetter
    gemacht, als Dn. Consul mit Rea vom Streckelberg
    gekommen, alldieweil es unmüglich wäre, daß dieſes Rea
    geweſt, indem ſie auf dem Wagen geſeſſen und die
    Hexen, wenn ſie Wetter macheten, immer im Waſſer
    ſtünden, und ſich ſolches rücklings über den Kopf wür¬
    fen, item die Steine mit eim Stock weidlich abklopfe¬
    ten, wie Haunold fürbringe. Selbige möge denn auch
    wohl am beſten um die Pogge und den Schweinsigel
    wiſſen.


    6) Würde Reae irrthümlich als ein crimen aus¬
    geleget, was doch zu ihrer Rechtfertigung deihen müßte,
    [188] uämlich ihr plötzlicher Reichthumb. Denn der malleus
    maleficarum
    beſage ausdrücklich, daß nie eine Hexe nicht
    reich würde, beſondern Satanas zur Unehre Gottes ſie
    immer umb ein Spottgeld kaufe, damit ſie nit durch
    ſolchen Reichthumb ſich verriethen *), dieweil nun aber
    Rea reich worden wäre, könne ſie ihr Gut nicht durch
    den leidigen Erzfeind gewonnen haben, beſondern es wäre
    wahr, daß ſie Birnſtein im Berg gefunden. Daß ſolche
    Ader aber nachmalen nit zu finden geweſt, möge auch
    wohl durch den Zauber der alten Liſen beſchehen ſein,
    oder die Sehe hätte auch den Berg unten abgeſpühlet,
    wie oftermalen geſchähe, alſo daß er oben nachgeſchoſſen,
    und die Stätte verſchüttet wäre; ſo daß hierbei nur ein
    miraculum naturale**) ſich ereugnet. Den Beweis
    ſo er aus der Schrift beibrachte haben wir vergeſſen,
    da er auch nur gadlich ***) war.

    7) ihre Umtaufe anlangend; ſo hätte die alte Vet¬
    tel ſelbſten geſaget, daß ſie weder den Teufel noch ir¬
    gend einen Geiſt oder Menſchen umb Ream geſehen,
    und möge ſie ſich dannenhero immer natürlich gebadet
    haben, umb des andern Tages den ſchwediſchen König
    zu begrüßen, angeſehen es heißes Wetter geweſen und
    [189] ſolches nicht geradezu die Schaamhaftigkeit einer Jung¬
    fer turbire.


    Denn daß ſie Einer ſehen würd, hätte ſie wohl ſo
    wenig vermuthet, als die Bathſeba die Tochter Eliams
    das Weib Uriae des Hethiters, ſo ſich auch gebadet,
    wie 2 Sam. 11, 2 geſchrieben ſtünd, ohne zu wiſſen,
    daß David ihrer anſichtig worden. Auch könne ihr Maal
    kein Satansmaal ſein, dieweil ein Gefühl darinnen vor¬
    handen geweſt; ergo wäre es ein natürlich Maal, und
    erlogen, daß ſie es vor ihrem Bade noch nicht gehabt.
    Ueberdieß wär in dieſem Punkt der alten Vettel gar
    nit zu trauen, da ſie dabei von einer Wiederſprechung
    in die andere gerathen, wie Acta beſagten.


    8) Auch die Zauberei mit Paaſschen ſeim klein Töch¬
    terlein müge Reae nit mit Recht zugemuthet werden.
    Denn da die alte Liſe auch in der Stuben aus und ein¬
    gegangen, ja ſich auf das Bäucheken des kleinen Mägd¬
    leins geſetzet, als Pastor ſie beſuchet, möge dieſes böſe
    Weib, ſo einmalen einen großen Groll auf Ream trüge
    ſolches Zauberwerk mit der Macht des böſen Feindes
    und unter Zulaſſung des gerechten Gottes auch wohl
    fürgenommen haben. Denn der Satanas ſei ein Lüg¬
    ner und ein Vater der Lügen wie unſer Herr Chriſtus
    ſage, Johannes am achten.


    9) Anlangend nun den Spök des leidigen Böſewichts,
    ſo in Geſtalt eines haarigten Rieſen auf den Berg er¬
    ſchienen; ſo wäre dieſes freilich das ſchwerſte Gravamen,
    anerwogen nit blos die alte Liſe ſondern auch drei acht¬
    [190] bare Zeugen ſein anſichtig worden. Allein wer wüßte,
    ob die alte Liſe auch nit dieſen Teufelsſpök herfürge¬
    bracht umb ihren Feind ganz zu verderben. Denn wie¬
    wohlen ſolcher Spök der Junker nit geweſt, wie Rea
    fürgegeben, wäre es gar leichtlich müglich, daß ſie den¬
    noch nit gelogen, beſondern den Satanas, der die Ge¬
    ſtalt des Junkers angenommen, für ſelbigen angeſehen.
    Exemplum gäbe die Schrift ſelbſten. Denn alle Theo¬
    logi
    der geſammten proteſtantiſchen Kirchen ſtimmeten
    darinnen überein, daß der Spök, ſo die Hexe von En¬
    dor dem Könige Saul gewieſen, nicht Samuel ſelbſten,
    beſondern der leidige Satanas geweſt. Nichts deſto¬
    weniger hätte Saulus ihn für den Samuel gehalten.
    Alſo möge die alte Vettel Reae auch wohl den leidi¬
    gen Teufel herfürgezaubert haben, ohne daß ſie es ge¬
    merket, daß es nicht der Junker, ſondern Satanas ge¬
    weſt, der nur des Junkers Geſtalt angenommen, umb
    ſie zu verführen. Denn da Rea ein ſchön Weib ſei,
    wäre es nicht zu verwundern, daß der Teufel ſich mehr
    Müh umb ſie gäbe, denn umb eine alte trockene Vet¬
    tel, angeſehen er von jehero nach ſchönen Weibern ge¬
    trachtet umb ſie zu beſchlafen. Geneſ. 6, 2.

Endelich brachte er für: daß Rea auch nicht als
eine Hexe gezeichnet und weder eine krumme Naſe noch
rothe Gluderaugen hätte. Wohl aber hätte die alte Liſe
beides, ſo Theophrastus Paracelsus als ein ſicher Merk¬
zeichen der Zauberei angäbe, ſprechende: „die Natur
zeichnet Niemands alſo, es ſei denn ein Mißgeräth, und
[191] ſeind dies die Hauptzeichen ſo die Hexen an ihnen ha¬
ben wenn ſie der Geiſt Asiendens überwunden hat.“ —


Als Dn. Syndicus nunmehro mit ſeiner Defenſion
fertig war, war mein Töchterlein ſo erfreut darüber,
daß ſie ihm wollte die Hand küſſen; allein er riß ſeine
Hand zurücke, und puſtete dreimal darüber, ſo daß wir
leichtlich vermuthen kunnten, es wäre ihme mit ſolcher
Defenſion annoch ſelbſten kein Ernſt. Brach auch alſo¬
bald mürriſch auf, nachdem er ſie dem Schutz des Höch¬
ſten empfohlen, und bat mich, meinen Abſchied kurz zu
machen, da er heute noch wieder nach Hauſe wölle, was
ich denn auch leider thun mußte.


[192]

Capitel 23.

Wie mein arm Töchterlein ſoll mit der peinlichen
Frag beleget werden.


Als nunmehro Akta an Ein lobſam Hofgericht ver¬
ſchicket worden, währete es wohl an die 14 Tage
bevorab Antwort kam. Und war Se. Geſtrengen der
Amtshaubtmann ſonderlich freundlich gegen mich, erlaubte
auch, da das Gericht wieder heimbgekehret, daß ich mein
Töchterlein ſo oft ſehen kunnte, als ich begehrete, wan¬
nenhero ich den größten Theil des Tages umb ſie war.
Und, wenn dem Büttel die Zeit zu lange währete, daß
er auf mich paſſen mußte gab ich ihm ein Trinkgeld,
und ließ mich von ihm mit meim Kind einſchließen. Auch
war der barmherzige Gott uns gnädig, daß wir oft und
gerne beten mugten. Denn wir hatten wieder eine ſteife
Hoffnung und vermeineten, daß das Creuz, ſo wir ge¬
ſehen, nun bald wäre fürübergezogen und der grimmige
Wulf ſchon ſeinen Lohn bekommen würde, wenn ein lob¬
ſam Gericht Acta einſähe, und an die fürtreffliche De¬
fenſion gelangete, ſo Dn. Syndicus vor mein Kind ge¬
fabriciret. Darumb fing ich auch wieder an aufzuhei¬
tern, zumalen als ich ſahe, daß meinem Töchterlein die
Wangen ſich gar lieblich rötheten. Doch am Donner¬
ſtag den 25ſten mensis Augusti umb Mittag fuhr
Ein ehrſam Gericht abereins auf den Schloßhof, als ich
[193] mit meim Kind nach meiner Weiſ' wieder im Gefäng¬
nüß ſaß und die alte Ilſe uns die Koſt brachte, ſo aber
für Thränen uns die Nachricht nicht geben kunnte. Aber
der lange Büttel ſchauete lachend zur Thüren herein und
rief: „ho ho, nu ſind ſe da, nu wadd dat Ketteln wohl
los gahn*)“ worüber mein arm Kind ſich ſchudderte **)
doch mehr über den Kerl denn über die Botſchaft. Sel¬
biger war auch kaum fortgangen, als er ſchon wieder
kam, umb ihr die Ketten abzunehmen und ſie abzuhoh¬
len. Folgete ihr alſo in das Gerichtszimmer, wo Dn.
Consul die Sentenz Eines lobſamen Gerichtes fürlas,
daß ſie über die gefaßten Artikul noch einmal in Güte
ſölle gefraget werden, und bliebe ſie verſtockt, wäre ſie
der peinlichen ſcharfen Frag zu unterwerfen, denn die
beigebrachte Defenſion haue nicht aus, beſondern es wä¬
ren, indicia legitima praegnantia et sufficientia ad
torturam ipsam
***) fürhanden als:

wobei Ein Hochlobſam Hofgericht an die 20 Autores
13[194] citiret, wovon wir aber wenig behalten. Als Dn. Con¬
sul
ſolches meinem Töchterlein fürgeleſen, hub er wie¬
derumb an, ſie mit vielen Worten zu vermahnen, daß
ſie müge in Güte bekennen, denn die Wahrheit käme
jetzunder doch an den Tag.


Hierauf gab ſie ſtandhaft zur Antwort: daß ſie nach
der Defenſion Dn. Syndici zwar ein beſſer Urtel ge¬
hoffet; allein, da es Gott gefiele, ſie annoch härter zu
prüfen, beföhle ſie ſich ganz in ſeine gnädige Hand und
könne ſie nicht anders bekennen, denn ſie vorhero gethan,
daß ſie nämblich unſchuldig ſei und böſe Menſchen ſie
in dies Elend geführet. Hierauf winkete Dn. Consul
dem Büttel, welcher aus der andern Stuben Pastorem
Benzensem
*) in ſeinem Chorrock hereinließ, ſo von
dem Gericht beſtellet war, umb ſie noch beſſer aus Got¬
tes Wort zu vermahnen. Selbiger thät einen großen
Seufzer und ſprach: „Maria, Maria, wie muß ich dich
wiederſehen!“ worauf ſie anhub gar heftig zu weinen,
und ihre Unſchuld abermals zu betheuern. Aber er keh¬
rete ſich nicht an ihren Jammer, beſondern nachdem er
ſie hatte das „Vaterunſer, Aller Augen und Gott der
Vater wohn uns bei“ beten laſſen, hub er an ihr den
Gräuel fürzuſtellen, den der lebendige Gott an allen Zau¬
berern hätte, angeſehen ihnen nicht nur im alten Teſta¬
mente die Strafe des Feuers wäre zuerkannt worden,
[195] ſondern auch der heilige Geiſt im N. Teſtament aus¬
drücklich ſage, Gall. am fünften: daß die Zauberer nim¬
mer würden das Reich Gottes erben, ſondern ihr Theil
würde ſein in dem Pfuhl, der mit Feuer und Schwefel
brennet, welches iſt der andere Tod Apocal. 21. Sie
möge alſo nicht trotziglich ſein, noch dem Gericht die
Schuld geben, wenn ſie alſo geplaget würde, denn das
Alles geſchähe aus chriſtlicher Liebe und umb ihre ar¬
me Seele zu retten. So müge ſie denn umb Gottes
und ihrer Seeligkeit willen nicht länger ihre Buße ver¬
ſchieben, ihren Leib martern laſſen, und ihre arme Seele
dem leidigen Satan übergeben, welcher ihr doch nicht
in der Höllen halten würde, was er ihr hier auf Er¬
den verſprochen, denn er wäre ein Mörder von Anfang
und ein Vater der Lügen Joh. am 8ten. O, Maria
rief er aus mein Kindlein, die du ſo oft auf meinem
Schooß geſeſſen und für die ich jetzunder alle Morgen
und Abend zu meinem Gotte ſchreie, wiltu mit dir und
mir kein Erbarmen tragen, ſo trage Erbarmen mit dei¬
nem rechtſchaffenen Vater, den ich für Thränen nicht
anſehen kann, da ſein Haar in wenig Tagen ſchlooweiß
geworden, und rette deine Seele mein Kind, und bekenne!
Siehe dein himmliſcher Vater betrübet ſich anjetzo nicht
minder über dich, denn dein leiblicher Vater, die heiligen
Engel verhüllen für dir ihre Augen daß du, die du einſt
ihr lieblich Schweſterlein wareſt, nunmehro eine Schwe¬
ſter und Braut des leidigen Teufels worden biſt. Dar¬
umb kehre umb und thue Buße! Dein Heiland rufet
13*[196] dich verirrtes Lämmelein heute wieder zurück zu ſeiner
Heerden. Sollte nicht gelöſet werden dieſe, die doch
Abrahams Tochter iſt, von den Banden, welche Sata¬
nas gebunden hat, lautet ſein barmherzig Wort Lukas
am dreizehnten; item: kehre wieder zu abtrünnige Seele,
ſo will ich mein Antlitz nicht gegen dich verſtellen, denn
ich bin barmherzig, Jeremias am dritten. So kehre
denn wieder du abtrünnige Seele zu dem Herrn dei¬
nem Gotte! — Der eines abgöttischen Manaſſes ſein
bußfertiges Gebet erhöret 2. Chronika 33. der die Zäu¬
berer zu Epheſe durch Paulum zu Gnaden aufgenom¬
men Act. 19, Derſelbige dein barmherziger Gott rufet
dir anjetzo zu, wie dorten dem Engel der Gemein zu
Epheſo gedenke wovon du gefallen biſt und thue Buße
Apocal 2. O, Maria, Maria, gedenke wovon du ge¬
fallen biſt mein Töchterlein und thue Buße! —


Als er hierauf ſtille ſchwieg, währete es eine faſt
große Zeit, ehebevor ſie für Thränen und Schluchzen
ein Wörtlein herfürbringen konnte, bis ſie endlich zur
Antwort gab: wenn Lügen Gott nicht minder verhaßt
ſeind, als die Zauberein; ſo darf ich auch nicht Iügen,
ſondern muß umb Gottes willen bekennen, wie ich im¬
mer bekennet, daß ich unſchuldig bin.


Hierauf ergrimmete Dn. Consul in ſeinen Mie¬
nen und fragete den langen Büttel, ob Alles in Be¬
reitſchaft ſei item die Weiber bei der Hand wären,
umb Ream auszukleiden, worauf er nach ſeiner Weiſe
lachend zur Antwort gab: „hoho an mir hat’s noch
[197] niemalen gefehlt und ſoll's auch heute nicht fehlen, ich
will ſie ſchon kitzeln, daß ſie bekennen ſoll."


Als er ſolches geſaget, redete Dn. Consul wieder
mein Töchterlein an und ſprach: du biſt ein dumm Ding,
und kenneſt die Pein nit, ſo dir bevorſtehet, darumb biſt
und bleibſt du verſtockt. Aber folge mir anjetzo in die
Marterkammer, daß der Angſtmann die Inſtrumenta
zeige, ob du vielleicht noch einen andern Sinn bekömmſt,
wenn du erſt geſehen, was die peinliche Frag bedeutet.


Hierauf ging er voran in ein ander Zimmer und
folgete ihm der Büttel mit meim Kind. Doch als ich
nachgehen wollte, hielt mich Pastor Benzensis feſt und
beſchwor mich mit vielen Thränen ſolches nicht zu thun,
beſondern hier zu verbleiben. Aber ich hörete nicht auf
ihn ſondern riß mich los und ſchwur dagegen, ſo lange
ſich noch eine Ader und Sehne in meinem armen Leib
rührete, wöllte ich mein Kind nicht verlaſſen. Kam
alſo auch in das andere Zimmer, und von dannen in
einen Keller nieder, wo die Marterkammer war, in
der es aber keine Fenſtern hatte, damit Niemand das
Geſchrei derer Geängſteten von draußen hören müge.
Darumb brenneten hier bereits zween Fackeln, als ich
eintrat, und wiewohlen Dn. Consul mich gleich zurück¬
weiſen wollte, ließ er ſich letzlich doch erbarmen, daß
ich bleiben durfte.


Und trat nun dieſer hölliſche Hund der Büttel her¬
für und zeigte meinem armen Kind mit Frohlocken, zu¬
erſt die Leiter ſprechende:
[198] ſieh! darauf wirſt du zuerſt geſetzet und die Hände und
Füße dir angebunden. Darauf bekommſt du hier die
Daumſchrauben an, wovon dir gleich das Blut aus
den Fingerſpitzen herfürſprützet, wie du ſehen kannſt, daß
ſie annoch roth ſind vom Blut der alten Guſt Biehlkſchen,
welche vor einem Jahr gebrennet wurde, und anfänglich
auch nit bekennen wollte. Wiltu dann noch nit beken¬
nen, ſo ziehe ich dir hier die ſpaniſchen Stiefeln an, und
ſeind ſie dir zu groß, ſo klopfe ich dir einen Keil dazwi¬
ſchen, daß die Wade ſo hinten iſt ſich nach vorne zeucht
und das Blut dir aus den Füßen herausſcheußt, als wenn
du Brummelbeeren durch einen Beutel preßeſt.


Wiltu dann noch nit bekennen — holla! brüllete
er anjetzo und ſtieß mit dem Fuß an eine Thür hinter
ihme, daß das ganze Gewelbe erbebete, und mein arm
Kind für Schreck in die Kniee fiel. Währete auch nit
lange, ſo brachten zween Weiber einen Keſſel in wel¬
chem glühend Pech und Schwefel proddelte *) ließ alſo
der Höllenhund den Keſſel zur Erden ſetzen, hohlete un¬
ter ſeim rothen Mantel, ſo er umbhatte, eine Fledder¬
wiſch herfür, woraus er an die ſechs Poſen zog und
ſelbige alsdann in den glühenden Schwefel tunkete. Als
ſolches geſchehen, und er ſie eine Zeitlang im Keſſel ge¬
halten, wurf er ſie auf die Erden, worauf ſie hin und
herfuhren, und den Schwefel wieder von ſich ſprützeten.
Nunmehro rief er wieder meim armen Kind zu: ſieh!
[199] dieſe Poſen werf ich dir alsdann auf die weißen Len¬
den, und frißt der glühende Schwefel dir ſogleich das
Fleiſch bis auf die Knochen durch, damit du einen Vor¬
ſchmack gewinneſt von der Luſt der Höllen, die dein
harret.


Als er ſoviel mit Hohnlachen geſprochen, überkam
mich ein ſo großer Jachzorn, daß ich aus der Ecken
herfürſprang, wo ich mein zitternd Gebein an einer al¬
ten Tonnen geſtützet, und ſchriee: „o du hölliſcher Hund
ſprichſtu das aus dir ſelbſten, oder haben es dich An¬
dere geheißen,“ wofür der Kerl aber mir einen Stoß
auf die Bruſt gab, daß ich an die Wand zurücke fiel,
und Dn. Consul im großen Zorn rief: Alter Narre,
da Er ja durchaus allhier verbleiben will; ſo laſſe Er
mir den Büttel in Frieden, wo nicht, ſo laſſe ich Ihn
alſogleich aus der Kammer bringen. Was der Büttel
geſaget, iſt ſeine Schuldigkeit, und wird es Seiner Toch¬
ter alſo ergehen, wenn ſie nicht bekennet, und zu ver¬
muthen ſteht, daß der hölliſche Feind ihr was gegen
die Pein gebrauchet *). Hierauf fuhr der hölliſche Hund
wieder zu meim armen Töchterlein fort, ohne mein wei¬
ters zu achten, als daß er mir in das Angeſicht lachete
[200] „ſieh! wenn dir nunmehro deine Wolle genommen iſt,
ho ho ho, ziehe ich dich durch dieſe zwo Ringe unten
an der Erden und oben am Boden in die Höhe, recke
dir die Arme aus und binde ſie oben an die Decken,
worauf ich dieſe beiden Fackeln nehme und ſolche dir
unter den Achſeln halte, daß deine Haut gleich wird
als die Schwarte von einem Schinken, ſo im Rauch
gehänget. Alsdann ſoll dir dein hölliſcher Buhler nit
mehr beiſtehen und du ſollt die Wahrheit ſchon beken¬
nen. Nunmehro haſt du Allens geſehen und gehöret,
was ich mit dir im Namen Gottes und der Oberkeit
fürnehme.


Jetzunder trat wiederumb Dn. Consul für und ver¬
mahnete ſie nochmals die Wahrheit zu bekennen. Als
ſie aber bei ihrer Sag verharrete, übergab er ſie de¬
nen beiden Weibern ſo den Keſſel gebracht, daß ſie ſie
nackend ausziehen ſöllten, wie ſie von Mutterleib kom¬
men, und ihr darauf das ſchwarze Marterhemd anzie¬
hen, nachgehends aber noch einmal und zwar baarfuß,
die Treppe hinaufleiten vor Ein ehrſam Gericht. Aber
da die eine von dieſen Weibsbildern des Amtshaubt¬
manns ſeine Ausgeberſche war (die andere war den
dreuſten Büttel ſeine Frau) ſagte mein Töchterlein, daß
ſie ſich nur wölle von ehrſamen Weibern angreifen laſ¬
ſen, nicht aber von der Ausgeberſchen und müge Dn.
Consul
ihre Magd rufen laſſen, ſo wohl annoch in
ihrem Gefängnüß ſäße und in der Bibel läſe, wenn er
ſonſten kein ehrſam Weibsbild in der Nähe wüßte. Hier¬
[201] auf erhub die Ausgeberſche ein groß Maul und ein ge¬
waltig Schimpfen, was ihr aber Dn. Consul verbott,
und meinem Töchterlein zur Antwort gab: daß er auch
dieſes ihr nachſehen wölle und müge nur den dreuſten
Büttel ſeine Frau die Magd aus dem Gefängnüß an¬
hero rufen. Nachdem er ſolches geſaget griff er mich
unter meinen Arm und flehete mich alſo lange mit ihm
gen Oben zu kommen, dieweil meinem Töchterlein an¬
noch kein Leides geſchehen würde, bis ich ſeinen Willen
thate.


Währete aber nit lange, ſo kam ſie ſelbſten baar¬
fuß und in dem ſchwarzen Marterhemde mit den bei¬
den Weibsbildern heraufgeſtiegen, doch alſo blaß, daß
ich ſie kaum ſelbſten kennen kunnte. Der abſcheuliche
Büttel aber ſo dicht hinter ihr ging, griff ſie an die
Hand, und ſtellete ſie vor Ein ehrſam Gericht.


Nachdem ſolches geſchehen, ging das Vermahnen
wieder los und ſagte Dn. Consul: ſie ſölle einmal nie¬
derſehen auf die braunen Flecken, ſo in dem Hemde wä¬
ren. Dieſes wäre auch noch das Blut der alten Biehlk¬
ſchen, und müge ſie bedenken, daß umb wenig Minu¬
ten ihr eigen Blut auch daraus herfürſprützen würde.
Hierauf gab ſie aber zur Antwort: dieſes bedenke ich
gar wohl, doch hoffe ich, daß mein treuer Heiland, der
mir unſchuldig dieſe Pein hat auferleget, ſelbige mir auch
wird tragen helfen, wie den heiligen Märtyrern. Denn
haben dieſe mit Gottes Hülfe die Pein im rechten Glau¬
ben überwunden, ſo ihnen die blinden Heiden anthaten,
[202] kann ich auch die Pein überwinden, welche mir blinde
Heiden anthun, ſo zwar Chriſten ſein wöllen, aber grau¬
ſamer ſeind, denn die alten. Denn die alten Heiden
haben die heiligen Jungfrauen doch nur von denen grim¬
migen Beſtien zureißen laſſen, ihr aber, welche ihr das
neue Gebot habet: daß ihr euch untereinander lieben
ſollt, wie Euer Heiland euch geliebet hat, damit Jeder¬
mann daran erkenne, daß ihr ſeine Jünger ſeid, Johan¬
nes am dreizehnten, ihr wollet ſelbſten dieſe grimmigen
Beſtien ſpielen und den Leib einer unſchuldigen Jung¬
frauen, ſo eure Schweſter iſt, und euch nie was Leides
gethan lebendig zureißen. So thut denn, was euch ge¬
liebet, doch ſorget, wie ihr es für eurem höchſten Rich¬
ter verantworten wöllet. Ich ſage nochmals: das Lämm¬
lein erſchröcket nicht, denn es ſtehet in der Hand des gu¬
ten Hirten.


Als mein unvergleichlich Kind alſo geredet, ſtund
Dn. Consul auf, und nahm ſeine ſchwarze Kappen ab,
ſo er immer trug, dieweil ihm die Haare auf dem Schei¬
tel ſchon ausgefallen, verneigte ſich auch vor dem Ge¬
richt und ſprach: Eim ehrſamen Gericht wird angezei¬
get, daß nunmehro die Urgicht und peinliche Frag der
verſtockten und gottesläſterlichen Hexen Maria Schweid¬
ler anheben ſoll, im Namen Gottes des Vaters, des Soh¬
nes und des heiligen Geiſtes. Amen.


Hierauf ſtund das ganze Gericht auf bis auf den
Amtshaubtmann, ſo ſchon vorhero aufgeſtanden, und un
ruhig in der Stuben auf– und abgegangen war. Doch
[203] weiß ich von Allem, was nunmehro erfolget und ich ſelb¬
ſten gethan hab, kein Wörtlein mehr, will es aber ge¬
treulich berichten, wie es mir mein Töchterlein und an¬
dere testes vermeldet. Und zwar verzählen ſie alſo:


Als Dn. Consul nach ſolchen Worten die Sanduhr
genommen, ſo auf dem Tiſche ſtund und vorauf getreten,
habe ich durchaus mit wöllen, worauf erſtlich Pastor
Benzensis
mit vielen Worten und Thränen mich gebe¬
ten von meinem Fürhaben abzulaſſen, darauf aber, wie
es nichtes verfangen, mein Töchterlein ſelbſten mir die
Wangen geſtreichelt, und geſprochen: Vater habt Ihr
auch geleſen, daß die heilige Jungfrau dabei geweſt als
man ihren unſchuldigen Sohn gegeißelt? Darumb gehet
nunmehro auch zur Seiten. An meinem Scheiterhaufen
aber ſollet Ihr ſtehen, das verſpreche ich Euch, wie die
heilige Jungfrau unter dem Creuze geſtanden hat, doch
anjetzo gehet, gehet, denn Ihr werdet es nicht ertragen,
und ich auch nicht! —


Als ſolches aber auch nit verſchlagen, hat Dn. Con¬
sul
dem Büttel Befehl geben mich mit Gewalt zu grei¬
fen und in ein Zimmer einzuſperren, worauf ich mich
aber losgeriſſen, ihme zu Füſſen gefallen und ihn be¬
ſchworen bei den Wunden Jeſu Chriſti, er wölle mich
nit von meinem Töchterlein reißen. Solche Gnade und
Gutthat würde ich ihm nimmermehr vergeſſen, beſondern
Tag und Nacht für ihn beten, auch am jüngſten Ge¬
richt vor Gott und den heiligen Engeln ſein Fürbitter
ſein, wenn er mich mitgehen ließe. Ich wölle mich auch
[204] ganz geruhſam verhalten, und kein einzig Wörtlein ſagen,
nur mitgehen müßte ich, etc.


Solches hat den guten Mann alſo erbarmet, daß
er in Thränen ausgebrochen und alſo gezittert hat für
Mitleid mit mir, daß die Sanduhr ihm aus der Hand
gefallen, und dem Amtshaubtmann für die Füße getrün¬
delt *) iſt, als hätt ihm unſer Herr Gott ſelbſten ein
Zeichen gegeben, daß ſeine Uhr bald abgelaufen wär.
Hat es auch gar wohl verſtanden; denn er iſt blaß wor¬
den, wie ein Kalk, als er ſie aufgenommen, und Dn.
Consuli
wiederumb zugeſtellet. Selbiger hat endlich
nachgegeben, indeme er geſaget, daß dieſer Tag ihm an
die zehn Jahre älter machen würd, doch dem dreuſten
Büttel befohlen, welcher auch mit gangen iſt, mich al¬
ſogleich wegkzuführen, ſo ich in währender Marter ru¬
mor machen ſöllte. Und iſt nun das ganze Gericht nie¬
dergeſtiegen doch, ohne den Amtshaubtmann, der geſa¬
get, daß ihm der Kopf wehe thät, und er gläube, daß
ſein alt malum, die Gicht, wiederkäme weshalben er in
ein ander Zimmer gangen iſt. Item iſt Pastor Ben¬
zensis
auch von dannen gegangen.


Drunten im Keller hätten allererſt die Büttel Tiſche
und Stühle gebracht, worauf ſich das Gericht geſetzet,
und Dn. Consul mir auch einen Stuhl hingeſchoben;
doch wäre ich nit darauf niedergeſeſſen, beſondern hätte
mich in einer Ecken auf meine Kniee geworfen. Als
[205] ſolches beſchehen, wäre das leidige Vermahnen wieder
losgangen, doch da mein Töchterlein wie ihr unſchuldi¬
ger Heiland für ſeinen ungerechten Richtern kein einzig
Wörtlein Antwort geben, wäre Dn. Consul aufgeſtan¬
den und hätte dem langen Büttel Befehl gegeben ſie
nunmehro auf die Marterbank zu ſetzen.


Sie hätte gezittert wie ein Espenlaub, als er ihr
die Füße und Hände feſtgebunden, und als er nunmehro
ein alt garſtig und köthigt Tuch, worin er den Tag Fiſche
getragen, wie meine Magd geſehen, und worauf noch
die hellen Schuppen bei Haufen geſeſſen, ihr umb ihre
lieblichen Aeugeleins binden wöllen, wäre ichs gewahr
worden und hätte mein ſeidin Halstuch abgelöſet, bit¬
tende, er wölle dieſes nehmen, welches er auch gethan.
Hierauf wären ihr die Daumſchrauben angeleget und
ſie nochmals im Guten befraget; doch ſie hätte nur ihr
blindes Haupt geſchüttelt und mit ihrem ſterbenden Hei¬
land geſeufzet: Eli, Eli, lama ſabachthani, und hierauf
griechiſch: ϑεέ μȣ ,ϑεέ μȣ, ἵνα τί με ἐγκατέλιπες. *)
Darauf wäre Dn. Consul zurückgeprallet, und hätte ein
Creuz geſchlagen (denn dieweil er kein Griechiſch ver¬
ſtunde, hätte er gegläubet, wie er nachgehends ſelbſten
ſagte, ſie hätte den Teufel angerufen ihr zu helfen) und
nunmehro mit lauter Stimmen dem Büttel zugeſchrieen:
ſchraubet!


[206]

Als ich aber ſolches gehöret, hätte ich einen erſchröck¬
lichen Schrei herfürgeſtoßen, daß das ganze Gewelbe ge¬
zittert, worauf mein, für Angſt und Verzweiflung ſter¬
bendes Kind da ſie meine Stimme erkennet, erſtlich mit
ihren gebundenen Händen und Füßen gerucket, wie ein
Lämmlein auf der Schlachtbank, ſo verſcheiden will, und
darauf gerufen: „laſſet mich los, ich will Allens beken¬
nen, was ihr wollet." Dieſes hätte Dn. Consulem alſo
erfreuet, daß er in währender Zeit der Büttel ſie los¬
gebunden, auf ſeine Kniee gefallen und Gott gedanket
hätte, daß er ihme von dieſer Qual geholfen. Doch
wäre mein verzweifelt Kind nicht alſobald abgebunden
und hätte ihre Dornenkron (verſtehe mein ſeidin Hals¬
tuch) abgelegt, als ſie von der Leiter geſprungen und
ſich auf mich geſtürzet, der ich wie ein Todter in tiefer
Unmacht in der Ecken gelegen.


Solches hätte Ein ehrſam Gericht verdroßen, und
nachdem die beiden Büttel mich wegkgetragen, wäre Rea
vermahnet nunmehro, wie ſie verſprochen, ihre Urgicht
zu thun. Wäre aber zu ſchwach geweſt, um auf ihren
Füſſen zu ſtehen, und wiewohlen Dn. Camerarius ge¬
brummet, hätte Dn. Consul ihr dennoch einen Stuhl
geben, auf welchem ſie ſich geſetzet. Und ſeind dieſes
die hauptſächlichſten Fragen geweſt, ſo ihr auf Befehlich
Eines Hochlobſamen Hofgerichtes wie Dn. Consul ge¬
ſaget, fürgeleget worden, und ad protocollum genom¬
men ſind:


Q. Ob ſie zaubern könne?


[207]

R. Ja ſie könne zaubern.


Q. Wer ihr ſolches gelehret?


R. Der leidige Satan ſelbſten.


Q. Wieviel Teufel ſie habe?


R. Sie hätte an einem geung.


Q. Wie dieſer Teufel hieße?


Illa. (ſich beſinnende) hieße Disidaemonia*).


Hierauf hätte ſich Dn. Consul geſchuddert und ge¬
ſaget: das müßte ein recht erſchröcklicher Teufel ſein, die¬
weil er niemalen ſolchen Namen gehöret. Sie ſölle ſel¬
bigen buchſtabiren, damit der Scriba keinen error mache,
welches ſie auch gethan, und iſt hierauf fortgefahren wie
folget:


Q. In welcher Geſtalt ihr ſelbiger erſchienen?


R. In der Geſtalt des Amtshaubtmanns, oftmalen
auch wie ein Bock mit grimmigen Hörnern.


Q. Ob und wo ſie Satan umgetaufet?


R. In der Sehe.


Q. Welchen Namen er ihr geben?


R.*).


Q. Ob auch Etzliche aus der Nachbarſchaft bei ih¬
rer Umtaufe geweſt und welche?


Hier hat mein unvergleichlich Kind ihre Aengelein
[208] gen Himmel geſchlagen, eine Zeitlang ſtille geſchwiegen,
als beſünne ſie ſich, ob ſie die alte Liſe angeben ſölle,
oder nicht und dann endlich geſaget: nein!


Q. Müßte doch Paten gehabt haben! Welches dieſe
geweſen und was ſie ihr eingebunden zum Pathengeld?


R. Wären nur Geiſter dabei geweſt, weshalben die
alte Liſe auch nichtes geſehen, als ſie über die Umtaufe
hinzugekommen.


Q. Ob der Teufel ihr beigewohnet?


R. Sie hätte nirgend anders denn bei ihrem Va¬
ter ihre Wohnung gehabt.


Q. Sie wölle wohl nit verſtehen. Ob ſie mit dem
leidigen Satan Unzucht getrieben, und ſich fleiſchlich mit
ihm vermiſchet?


Hier iſt ſie alſo verſchaamrothet, daß ſie ſich mit
beiden Händen die Augen zugehalten, und darauf ange¬
hoben zu weinen und zu ſchluchzen, und da ſie nach vie¬
len Fragen keine Stimme von ſich geben, iſt ſie ver¬
mahnet worden, die Wahrheit zu reden, widrigenfalls
ſie der Angſtmann wieder auf die Leiter heben würd.
Hat jedoch endlich „nein!“ geſaget, welches aber Ein ehr¬
ſam Gericht nicht gegläubet, ſondern ſie dem Angſtmann
abermals befohlen, worauf ſie mit ja geantwortet.


Q.*)


[209]

Q. Ob ſie von dem Satan in Wochen gekommen,
oder einen Wechſelbalg erzeuget und in welcher Geſtalt?


R. Nein wäre nie geſchehen.


Q. Ob ihr der böſe Geiſt kein Zeichen oder Maal
an ihrem Leib geben und wo?


R. Die Maale hätte Ein ehrſam Gericht ja all¬
bereits geſehen.


Nunmehro ſeind wieder die Zaubereien im Dorf für¬
gekommen, ſo ſie alle eingeſtanden. Doch hat ſie Nich¬
tes wiſſen wöllen umb den alten Seden ſeinen Tod,
item umb der kleinen Paaſchen ihre Krankheit, wie
letzlich, daß ſie mit der Macht des böſen Feindes mein
Ackerſtück umgehaket, und mir Raupen in meinem Kohl¬
garten gemacht. Und wiewohlen ſie abermals mit der
Folter bedräuet worden, der Angſtmann ſie auch zum
Schein hat wieder auf die Bank ſetzen müſſen und ihr
die Daumſchrauben anlegen, iſt ſie doch ſtandhaft ver¬
blieben, und hat geſprochen: was wöllet Ihr mich mar¬
tern, da ich doch weit ſchwerere Dinge bekennet, denn
dieſe ſind, ſo mir nicht das Leben aufhalten werden wenn
ich ſie leugne.


Dieſes hat auch Ein ehrſam Gericht letzlich eingeſe¬
hen und ſie wieder von der Marterbank heben laſſen,
zumalen da ſie den articulum principalem*) einge¬
ſtanden, daß ihr Satan wahrhaftiglichen als ein Rieſe
*)14[210] wäre auf dem Berg erſchienen. Von dem Wetter und
der Poggen, item dem Schweinsigel iſt aber nichtes mehr
fürgekommen, alldieweilen Ein ehrſam Gericht nunmehro
wohl ſelbſten die Unſinnigkeit eingeſehen, daß ſie hätte
Wetter machen ſöllen, da ſie ruhig auf dem Wagen ge¬
ſeſſen. Schließlich hat ſie noch gebeten, daß ihr müge
vergönnt werden, in demſelbigen Kleid dereinſt ihren Tod
zu erleiden, welches ſie angehabt, als ſie den ſchwediſchen
König ſalutiret, item ihrem elenden Vater zu vergönnen,
daß er mit zum Scheiterhaufen führe, und dabei ſtünde,
wenn ſie gebrennet würde, wie ſie ihm, ſolches in Ge¬
genwärtigkeit Eines ehrſamen Gerichtes verſprochen.


Darauf iſt ſie dem langen Büttel wieder überlie¬
fert und ſelbigem anbefohlen worden, ſie in ein ander
und ſchwerer Gefängnüß zu ſetzen. Doch ehe er mit
ihr aus der Kammer gangen, iſt den Amtshaubtmann
ſein Hurenbalg, ſo er mit der Ausgeberſchen gezeuget,
mit einer Trummel in den Keller kommen, hat immerzu
getrummelt und geſchrieen: kamt tom, Goſebraden, kamt
tom, Goſebraden *) ſo daß Dn. Consul in einen ſchwe¬
ren Zorn gerathen, und hinter ihm her geloffen. Aber
er hat ihne nicht kriegen mögen, dieweil er in dem Kel¬
ler guten Beſcheid gewußt. Und hat mir der Herr ſon¬
der Zweifel meine Unmacht geſchicket, daß ich dieſes neue
Herzeleid nicht mehr haben ſöllte. Darumb ſei ihm, al¬
lein die Ehre. Amen.


[211]

Capitel 24.

Wie der Teufel in meiner Gegenwärtigkeit die alte
Liſe Rolken hohlet.


Als ich mich nach meiner obgedachten Unmacht
wiederumb verhohlet, ſtand den Krüger ſein Weib
über mir mit meiner alten Magd und kelleten mir eine
Bierſuppen ein. Die alte getreue Perſon ſchriee laut
auf für Freuden, als ich meine Augen wieder aufſchlug,
und erzählete mir darauf auf meine Erkundigunge, daß
mein Töchterlein ſich nit hätte recken laſſen, beſondern
freiwillig ihre Uebelthat bekennet, und ſich für eine Hexe
ausgegeben. Solche Kundſchaft war mir in meinem
Jammer faſt erquicklich, angeſehen ich das Feuer für
eine geringere Strafe erachtete, denn die Marter. Aber
als ich anheben wollte zu beten, wollt’ es nicht gehen,
worüber ich abereins in großen Mißmuth und Ver¬
zweiflung kam, und gläubete, daß der heilige Geiſt gänz¬
lich ſein Angeſicht von mir elenden Menſchen abgewen¬
det hätte. Und wiewohlen die alte Magd, als ſie ſol¬
ches merkete, ſich für mein Bette ſtellete, und anhub
mir vorzubeten, war es doch umbſonſt, und war und
blieb ich ein verſtockter Sünder. Doch erbarmete der
Herr ſich mein ohne mein Verdienſt und Würdigkeit,
maßen ich bald in einen tiefen Schlaf verfiele, und am
andern Morgen umb Betglockenzeit erſtlich wieder auf¬
14 *[212] wachete, wo ich auch wieder beten kunnte, und über
ſolche Gnade Gottes annoch in meinem Herzen jubili¬
rete, als mein Ackersknecht Claus Neels zur Thüren
hereintrat, und verzählete, daß er ſchon geſtern gekom¬
men wäre umb mir Kundſchaft zu geben von wegen
meinem Hafer, dieweil er nunmehro Allens eingeauſtet *),
Und wäre auch der Büttel mit ihm kommen, ſo die
alte Liſe Kolken eingehohlet, inmaßen Ein lobſam Hof¬
gericht, wie der Büttel fürgegeben, ſolches befohlen.
Und wäre das ganze Dorf darüber in Freuden geweſt,
aber auch Rea hätte geſungen und jubiliret und unter¬
wegs zu ihnen und dem Büttel geſaget, (denn der Büt¬
tel hätte ſie ein wenig hinten aufhacken laſſen) das ſölle
dem Amtshaubtmann was Schönes bedeuten. Sie ſölle
nur für Gericht kommen, dann werde ſie wahrhaftig
kein Blatt vor ihren Mund nehmen, und männiglich
ſich verwundern was ſie herfürbringen würde. Solch
ein Gericht wäre ihr ja was Lächerlichs, und hofirete ſie
salva venia in die ganze Brüderſchaft, et caet.


Als ich ſolches gehöret, faßte ich wieder eine ſteife
Hoffnung und ſtund auf, umb zu der alten Liſen zu
gehen. Hatte mich aber noch nicht ganz verkleidet **),
als ſie ſelbſten ſchon den dreuſten Büttel ſchickete, daß
ich doch ganz eilends zu ihr kommen und ihr das Nacht¬
mahl geben müge, dieweil ſie dieſe Nacht faſt ſchwach
[213] worden. Dachte dabei mein gut Theil und folgete dem
Büttel in Haſt, wiewohl nicht, umb ihr das Nachtmahl
zu geben wie männiglich vor ſich ſelbſten abnehmen
kann. Dabei vergaß ich alter ſchwacher Mann aber,
mir Zeugen mitzunehmen. Denn aller Jammer, ſo ich
zeithero gelitten, hatte mir meine Sinne alſo umbſchat¬
tet, daß mir ſolches gar nicht in die Gedanken kam.
Nur der dreuſte Büttel folgete mir und wird man wei¬
ters hören, wie dieſer Bube dem Satan Leib und Seele
übergeben, umb mein Kind zu opfern, da er ſie doch
hätte retten mügen. Denn als er die Gefängnüß auf¬
geſchloſſen (es war daſſelbe Loch wo mein Töchterlein
zeithero geſeſſen) ſahen wir die alte Liſe auf der Er¬
den liegen in eim Bund Stroh und einen Beſen zum
Kopfküſſen (als wöllte ſie jetzunder damit zur Höllen fah¬
ren, da ſie nit mehr darauf zum Blocksberg fahren
kunnte) ſo daß ich mich ſchudderte als ich ihr anſichtig
wurde.


Und war ich kaum eingetreten als ſie ängſtlich ſchriee:
„ick bin ene Hex, ick bin ene Hex, erbarm he ſich un
geb he mi fix *) dat Nachtmal, ick will Em uck Allens
bekennen!" Und als ich ihr zurief: ſo bekenne! ſprach
ſie: daß ſie ſelbſten allen Zauber mit dem Amtshaubt¬
mann im Dorf angerichtet, und mein Kindlein ſo un¬
ſchuldig daran wäre, als die Sonne am Himmel. Doch
hätte der Amtshaubtmann mehr ſchuld, angeſehen er
[214] ein Hexenprieſter wäre, und einen weit ſtärkeren Geiſt
denn ſie hätte, welcher Dudaim *) hieße, und ſie die
Nacht in das Genicke geſtoßen, alſo daß ſie es nim¬
mer hohlen würd. Selbiger Geiſt hätte das Ackerſtück
umgepflüget, den Birnſtein verſchüttet, das Wetter ge¬
machet, meinem Töchterlein die Pogge auf ihren Schooß
geworfen item ihren alten Ehekerl durch die Luft von
dannen geführt.


Und als ich fragete, wie ſolches müglich geweſen,
da ihr Kerl doch bis faſt nahe an ſein Ende ein Kind
Gottes geweſt, und gerne hätte beten mögen, wiewohl
ich mich gewundert, daß er plötzlichen in ſeiner letzten
Krankheit andere Gedanken gekriegt, gab ſie zur Ant¬
wort, daß derſelbige eines Tages ihren Geiſt geſehen,
ſo ſie in Geſtalt einer ſchwarzen Katzen in ihrem Kof¬
fer gehabt und Stoffer hieße und dieweil er gedrohet,
ſolches mir zu verzählen, wäre ihr bange worden, und
hätte ſie ihn durch ihren Geiſt alſo krank machen laſ¬
ſen, daß er an ſeiner Aufkunft verzaget wäre. Nun¬
[215] mehro hätte ſie ihn vertröſtet, daß ſie ihn alſobald wie¬
der heilen wölle, wenn er Gotte abſagete, der ihm doch
nit helfen könnte wie er wohl einſäh. Solches hätte
er zu thun verſprochen, und da ſie ihn alſobald wie¬
der wacker gemacht, wären ſie mit dem Silber, ſo ich
vor ihn von dem neuen Abendmahlskelch abgeſchrapet
hätte, zur Nachtzeit an den Strand gangen wo er ſel¬
biges mit den Worten in die Sehe hätte ſchütten müſ¬
ſen: ſo wenig dieſes Silber wieder an ſeinen Kelch kömmt,
komme meine Seele wieder zu Gott, worauf ihn der
Amtshaubtmann ſo auch da geweſt umgetaufet im Na¬
men des Satans und ihne Hans genannt. Päthen
hätte er nit mehr gehabt, denn ſie, (verſtehe die alte
Liſe) allein. Da er aber in der Johannesnacht zum
erſten Male mit ihnen auf dem Blocksberg geweſt (es
wäre aber der Herrenberg *) ihr Blocksberg) wäre auch
von meim Töchterlein die Rede geweſt. Und hätte Sa¬
tanas dem Amtshaubtmann es ſelbſten zugeſchworen,
daß er ſie haben ſölle. Er wölle dem Alten (womit
der Böſewicht Gott gemeinet) wohl zeigen was er könne,
und ſölle der Zimmermannsjunge vor Aerger was Schö¬
[216] nes in ſeinen Hoſen finden (pfui du Erzböſewicht, daß
du ſolches von meinem Erlöſer geredet!) Hierüber hätte
ihr alter Kerl gemürmelt, und da ſie ihme niemalen
recht getrauet, hätte der Geiſt Dudaim ihn eines Ta¬
ges auf des Amthaubtmanns Befohl durch die Luft ge¬
führet, dieweil ihr Geiſt Stoffer geheißen, zu ſchwach
geweſt, umb ihn zu tragen. Selbiger Dudaim wäre
auch der Grünſpecht geweſen, ſo mein Töchterlein und
nachgehends den alten Paaſschen mit ſeinem Geſchrei
herbeigelocket, umb ſie zu verderben. Doch wäre der
Rieſe ſo auf dem Streckelberge erſchienen kein Teufel
geweſt, ſondern wie ihr Geiſt Stoffer geſagt, der Jun¬
ker von Mellenthin ſelbſten.


Und wäre dies Allens die reine Wahrheit, worauf
ſie leben und ſterben wölle. Bäte dahero umb Gottes
Willen, ich wölle mich ihrer erbarmen und ihr auf ſolch
ihr bußfertig Bekenntnüß die Vergebung ihrer Sünden
ſprechen und das Nachtmahl reichen, denn ihr Geiſt
ſtünde dort am Ofen und lachete wie ein Spitzbube,
daß es nunmehro mit ihr aus wäre. Aber ich gab
zur Antwort: ich wollte ja lieber einer alten Sau das
Nachtmahl geben, denn dir vermaledeyeten Hexen, die
du nicht blos deinen eigenen Ehekerl dem Satanas über¬
geben, beſondern auch mich und mein arm Kind mit
Höllenpein zu Tode marterſt. Doch ehe ſie noch ant¬
worten kunnte, begab es ſich, daß ein Wurm bei eines
Fingers Länge, und gelb an ſeinem Steiß, in die Ge¬
fängnüßthüre gekrochen kam. Als ſie ſolchen ſahe, thät
[217] ſie ein Geſchrei, wie ich es nimmermehr gehöret, noch
zu hören begehre. Denn als ich in meiner Jugend in
der Schleſien ſahe, wie ein feindlicher Soldat einer Mut¬
ter in ihrer Gegenwärtigkeit ein Kindlein ſpießete, mei¬
nete ich, das ſei ein Geſchrei geweſt, ſo die Mutter
thät; aber dieſes Geſchrei war ein Kinderſpiel gegen
das Geſchrei der alten Liſen. Alle meine Haare recke¬
ten ſich gen Himmel, und auch ihre rothen Haare wur¬
den alſo ſteif, und wie die Reiſer von dem Beſen an¬
zuſehen, worauf ſie lag. Brüllete auch ebenmäßig: „das
iſt der Geiſt Dudaim, den mir der verfluchte Amtshaubt¬
mann ſchicket, das Nachtmahl umb Gottes willen das
Nachtmahl — ich will auch noch viel mehr bekennen —,
ich bin ſchon an die 30 Jahre eine Hexe! — das Nacht¬
mahl, das Nachtmahl! Alſo brüllende ſchlug ſie mit
Händen und Füßen umb ſich, dieweil das garſtige Ge¬
würm ſich gehoben, und allbereits umb ihr Lager ſchnur¬
rete und burrete, daß es ein Gräuel anzuſehen und hö¬
ren war. Und rief die Unholdin umwechſelnd bald Gott
bald ihren Geiſt Stoffer bald mich an, ihr beizuſprin¬
gen, bis das Gewürm ihr mit einem Male in den of¬
fenen Rachen fuhr, worauf ſie allſogleich verreckete und
ſchwarz und blau, wie eine Brummelbeer wurde.


Hörete darauf weiter nichtes, als daß das Fenſter
klirrete, doch nicht gar harte, beſondern als wenn eine
Erbſe dagegen geworfen würd, woraus ich leichtlich ab¬
nehmen kunnte, daß Satanas mit ihrer Seelen hindurch
gefahren. Der barmherzige Gott bewahre doch jedes
[218] Mutterkind für ſolches Ende und Jeſu Chriſti unſers
lieben Herrn und Heilandes willen, Amen.


Als ich mich in etwas wieder verhohlet, was aber,
lange dauerte, inmaßen mein Blut zu Eis geronnen,
und meine Füße ſo ſteif wie ein Stock waren, hub ich
an nach dem dreuſten Büttel zu ſchreien, welcher aber
nicht mehr im Gefängniß war. Solches nahm mich ein
Wunder, da ich ihn doch kurz zuvorab noch geſehen, ehe
denn der Wurmb kam und ahnete mir gleich nichts Gu¬
tes. Und alſo geſchah es auch. Denn als er endlich
auf mein Rufen hereinkam, und ich ſagete: er möge
das Aas auskarren laſſen, ſo hier eben im Namen des
Teufels verrecket wäre, that er ganz verwundert und
als ich ihme zuhielt, er würde doch ein Zeugnüß able¬
gen für mein Töchterlein von wegen ihrer Unſchuld, ſo
die Vettel auf ihrem Todeslager bekennet, ſtellete er
ſich noch mehr verwundert und ſprach: daß er Nichtes
gehört hätte. Dieſes ſtieß mir wie ein Schwert durch
mein Herze und fiel ich draußen an einen Piler *) wo
ich wohl eine ganze Zeit geſtanden. Ging aber als ich
wieder zu mir ſelbſten kam zu Dn. Consuli, welcher
nach Uſedom abfahren wollte und ſchon auf dem Wa¬
gen ſaß. Auf mein demüthig Bitten aber kam er wie¬
der in das Gerichtszimmer mit dem Camerario und
Scriba herab, und verzählete ich anjetzo ihnen Allens
was fürgefallen, und wie der gottloſe Büttel leugne,
[219] ſolches auch gehört zu haben. Hierunter habe ich aber
viel Wirriſches geſprochen, und unter andern geſaget,
daß die Fiſchlein alle zu meim Töchterlein in den Kel¬
ler geſchwummen kämen, umb ſie zu erlöſen. Nichts
deſtoweniger ließ Dn. Consul, welcher oftmalen ſein
Haupt ſchüttelte, den dreuſten Büttel rufen, und befra¬
gete ihn nach ſeinem Gezeugnüß. Aber der Kerl gab
für, daß er gleich wäre fortgangen da er gemerket daß
die alte Liſe beichten wölle, um nicht abereins ange¬
ſchnauzet zu werden. Er habe darum auch Nichtes ge¬
hört. Hierauf hätte ich, wie Dn. Consul nachgehends
dem Benzer Paſtoren geſaget meine Fäuſte geballet und
geantwurtet: was du Erzſchalk krochſt du nicht wie ein
Wurmb in der Stuben umbher? Darumb hätte er mich
auch, wie einen wirriſchen Menſchen, nicht weiter ange¬
höret, noch dem Büttel einen Eid abgenommen, ſon¬
dern hätte mich im Zimmer ſtehen laſſen, und wäre wie¬
der auf ſeinen Wagen geſtiegen.


Weiß auch nicht, wie ich herauskommen bin, und
war mir am andern Morgen als die Sonne aufginge
und ich bei Meiſter Seep, dem Krüger, in meim Bette
lag der ganze casus, wie ein Traumb. Kunnte auch
nit aufſtehen, beſondern mußte den lieben Sonnabend
und Sonntag ſtille liegen, wo ich viel Allotria geſchwäz¬
zet. Erſt den Sonntag gegen Abend als ich angehoben
mich zu ſpeien und die grüne Galle ausgebrochen, (iſt
kein Wunder nicht!) iſt es beſſer mit mir worden. Umb
dieſe Zeit kamb auch Pastor Benzensis vor mein Bette
[220] und verzählete mir, wie ich es wirriſch gemachet, rich¬
tete mich aber durch Gottes Wort alſo auf daß ich wie¬
der recht aus dem Herzen beten kunnte, was der barm¬
herzige Gott meinem lieben Gevatter noch am jüngſten
Gericht vergelten wölle. Denn das Gebet iſt faſt ein
ſo wackerer Tröſter, wie der heilige Geiſt ſelbſten, von
dem es kommt und verbleibe ich dabei ſo lange ein
Menſch noch beten kann, daß er nicht im äußerſten Un¬
glück ſei, wenn ihm ſunſten auch Leib und Seele ver¬
ſchmachtet wäre. (Pf. 73.)


[221]

Capitel 25.

Wie Satanas mich wie den Waizen ſichtet, mein
Töchterlein aber ihm wackeren Widerſtand thut.


Am Montag fuhr ich bei guter Zeit von mei¬
nem Lager und alldieweil ich mich ziemlich wak¬
ker fühlete, ging ich aufs Schloß, ob ich nicht möchte
zu meim Töchterlein gelangen. Konnte aber keinen ein¬
zigen Büttel nit finden, vor die ich ein Paar Schreckens¬
berger *) als ein Biergeld mit genommen. Das Volk
ſo ich antraf wollte mir’s auch nit ſagen, wo ſie wä¬
ren, item den dreuſten Büttel ſein Weib auch nit, ſo
in der Küchen ſtand und Schwefelfaden machete. Und
als ich fragete: wann ihr Mann denn wiederkäme? ver¬
meinete ſie, es würde wohl nit viel vor morgen frühe
werden, item käm auch der andere Büttel nit ehen¬
der. So bat ich ſie denn, mich ſelbſten zu meinem Töch¬
terlein zu geleiten ihr die zwo Schreckensberger zeigende,
aber ſie gab zur Antwort, daß ſie die Schlüſſel nit hätte,
und auch nicht zu überkommen wüßte. Ebenmäßig wollte
ſie auch nit in Erfahrung gezogen haben, wo mein Töch¬
terlein jetzunder ſäße, damit ich durch die Thür mit ihr
ſprechen künnte. Item ſageten der Koch, der Jäger
[222] und weme ich ſonſten in meinem Gram begegnete, ſie
wüßten nicht in welchem Loch die Hexe ſitzen müge.


Ging dannenhero rund umb das Schloß, und legete
an jedes Fenſterken, ſo mir wohl den Anſchein hatte,
daß es ihr Fenſterken wär, meine Ohren und rufete:
Maria mein Töchterlein wo biſtu? item, wo ich ein
Gegitter fand, fiel ich auf meine Kniee, neigete mein
Haupt und rufete eben alſo in den Keller. Doch es
war Allens umbſonſt, ich bekam nirgends nicht eine Ant¬
wort. Solches hatte endiglichen der Amtshaubtmann
geſehen, und kam mit gar freundlicher Mienen zu mir
aus dem Schloß gangen, griff mich bei meiner Hand,
und fragete, was ich wölle? Und als ich ihm zur Ant¬
wort gab: daß ich mein einzig Kind ſeit verſchienenen
Donnerſtag nit geſehen und er ſich erbarmen möge, und
mich zu ihr führen laſſen, ſprach er, daß ſolches nit an¬
ginge, doch ſölle ich mit ihm auf ſein Zimmer kom¬
men, umb über die Sache ein Mehres zu reden. Un¬
terweges ſagete er: die alte Hexe hat Euch wohl was
Schönes von mir verzählet, aber Ihr ſehet, wie der
allmächtige Gott ſie in ſein gerecht Gericht genommen.
Sie iſt ſchon lange reif geweſt vor das Feuer, aber meine
große Langmuth, worin eine gute Obrigkeit immer dem
Herren nacheifern muß, hat es bis dato überſehen und
nun machet ſie mir zum Dank ſolches Geſchreie. Und
als ich ihm verſetzete: „wie weiß Ew. G. daß die Hexe
Ihme ein ſolch Geſchrei gemachet?“ hub er anfänglich
an zu ſtöttern und ſprach alsdann: Ei Ihr habet es
[223] ja ſelbſten dem Richter geklaget. Aber derowegen habe
ich dennoch keinen Zorn auf Euch, ſondern weiß Gott
im Himmel, daß Ihr alter ſchwacher Mann mich er¬
barmet und ich Euch gerne hülfe ſo ich könnte. Hier¬
zwiſchen führete er mich an die vier bis fünf Treppen
hinauf, ſo daß ich alter Mann ihme letzlich nit mehr
folgen kunnte, und ſtill ſtund und nach Luft jappete.
Aber er faßete mich bei meiner Hand und ſprach: „kum¬
met nur, ich muß Euch allhier erſt ſehen laſſen, wie es
ſteht, denn ſonſt nehmet Ihr doch nit meine Hülf an,
wie ich ſorge, und ſtürzet Euch ſelbſten ins Verderben!“
Und traten wir anjetzo auf eim Altan oben am Schloß
wo man nach dem Waſſer überſchauet, worauf der Böſe¬
wicht fortfuhr, alſo zu ſprechen: Ehre Abraham müget
Ihr gut in der Ferne ſehen? und als ich ſagete: daß
ich ſolches ehender wohl gekunnt, mir aber die vielen
Thränen anjetzo wohl möchten meine Augen betrübt ha¬
ben, zeigete er auf den Streckelberg und ſprach: ſehet
Ihr dorten Nichtes? Ego: Nichtes denn ein ſchwarzes
Flecklein ſo ich aber nicht erkennen mag. Ille: ſo wiſ¬
ſet dieſes iſt der Scheiterhaufen auf dem Euer Kind
Morgen frühe umb 10 Uhren ſoll gebrennet werden,
und den die Büttel bauen! Als der Höllenhund ſolches
ſagte, thät ich einen lauten Schrei und wurde unmäch¬
tig. Ach du lieber Gott, ich weiß nicht, wie ich dieſen
Schmerz mit meinem Leben überwunden, aber du haſt
mich ſelbſten unnatürlich geſtärket, umb mich nach ſo
vielem Heulen und Weinen wieder mit Freude zu über¬
[224] ſchütten, denn ſonſt achte ich, wär es unmüglich gewe¬
ſen, ſolche Trübſal zu überwinden, darumb ſei deinem
Namen auch ewiglich Preis und Ehr o du Gott Is¬
raels. *)


Als ich wieder zu mir ſelbſten kam, lag ich in eim
ſchönen Zimmer auf einem Bett und empfande einen
Geſchmack in meinem Munde wie Wein. Aber dieweil
ich den Amtshaubtmann allein umb mich ſahe mit ei¬
nem Krug in der Hand ſchudderte ich mich und thät
meine Augen wieder zu, umb mich zu beſinnen, was ich
thun und ſagen wöllte. Solches wurde er aber alſo¬
bald gewahr und ſprach: ſchuddert Euch nicht alſo, ich
meine es gut mit Euch und will euch darumb eine Frage
fürlegen, welche Ihr mir auf Euer prieſterlich Gewiſ¬
ſen beantworten ſollet. Saget Ehre Abraham welches
iſt eine größere Sünde: Hurerei treiben, oder zween
Menſchen ihr Leben nehmen? Und als ich ihm zur Ant¬
wort gab: zween Menſchen ihr Leben nehmen! fuhre
er fort: ei nun ſehet, das will Euer verſtockt Kind thun!
Ehender ſie ſich mir ergiebet, der ich ſie immer retten
gewöllt, und noch heute retten kann, wiewohl ihr Schei¬
terhaufen ſchon aufgebauet wird, will ſie ſich ſelbſten
das Leben nehmen und Euch elendem Menſchen ihrem
Vater dazu, denn ich achte, daß Ihr dieſe Trübſal ſchwer¬
lich überwinden werdet. Darumb beredet ſie doch umb
Gottes willen, daß ſie ſich auf ein Beſſeres beſinnet, ſo
[225] lange es mir noch müglich iſt, ſie zu erlöſen. Sehet
ich habe ein Häuslein zwo Meilen von hier, mitten in
der Heiden belegen, wo kein Menſch hingelanget, da¬
hin laſſe ich ſie in dieſer Nacht annoch bringen, und
möget Ihr bei ihr wohnen Euer Lebelang, ſo es Euch
gefällt. Ihr ſollet es ſo gut haben, als Ihr nur wün¬
ſchen möget, und laſſe ich morgen frühe ein Geſchrei
machen, die Hexe wäre zur Nacht mit ihrem Vater
fortgelaufen und Niemand wiſſe, wohin ſie kommen ſei.
Alſo ſprach die Schlange zu mir, wie weiland zu un¬
ſrer Aeltermutter der Eva, und mir elenden Sünder kam
es auch für, als ob der Baum des Todes, den ſie mir
zeigete, ein Baum des Lebens wäre, alſo lieblich war
er anzuſchauen. Doch gab ich zur Antwort: dieſes wird
mein Töchterlein nimmermehr thun, und ihrer Seelen
Seeligkeit aufgeben umb ihr arm Leben ſich zu erhal¬
ten. Aber auch jetzo war die Schlange wieder liſtiger,
denn alle Thiere des Feldes (verſtehe inſonderheit mich
alten Thoren) und ſprach: ei wer ſaget denn, daß ſie
ihrer Seelen Seeligkeit aufgeben ſoll? Ehre Abraham
muß ich Euch die Schrift lehren? Hat nicht unſer Herr
Chriſtus die Mariam Magdalenam zu Gnaden aufge¬
nommen, ſo doch in offenbarer Hurerei gelebet, und hat
er nicht der armen Ehebrecherin die Vergebung ange¬
kündiget, ſo doch noch ein weit größer crimen*) be¬
gangen; ja ſagt St. Paulus nit geradezu, daß die Hure
15[226] Rahab ſelig worden, Hebräer am 11ten, item St. Ja¬
cobus am zweiten, das Nämbliche? Wo aber leſet ihr,
daß ein Menſche ſelig worden, ſo ſich ſelbſten und ſei¬
nen Vater muthwillig das Leben genommen? Darumb
beredet doch umb Gottes willen Euer Kind, daß ſie in
ihrem verſtockten Sinn nicht muthwillig Leib und Seele
dem Teufel übergebe, ſondern ſich retten laſſe, dieweil
es noch Zeit iſt. Ihr möget ja bei ihr bleiben und
Allens wieder wegbeten, ſo ſie geſündiget, auch mir mit
Eurem Beiſtand gegenwärtig ſein, der ich gar gerne be¬
kenne, daß ich ein armer Sünder bin, und Euch viel
Leides zugefüget, doch noch lange nicht ſo viel Leides, Ehre
Abraham, denn David dem Uriae welcher aber gleich¬
wohl ſeelig worden, unangeſehen er den Mann ſchänd¬
lich um ſein Leben brachte, und nachgehends ſein Weib
beſchlief. Darumb hoffe ich armer Menſch auch ſeelig
zu werden, der ich müglichſt noch eine größere Brunſt
zu eurem Töchterlein habe, denn dieſer David zur Bath¬
ſeba, und will ich Euch Allens gar gerne doppelt wie¬
der vergelten, wenn wir nur erſtlich in der Hütten ſeind.


Als der Verſucher ſolches geredet, bedünketen mich
ſeine Worte ſüßer denn Honig und gab ich zur Antwort:
ach, geſtrenger Herr, ich ſchäme mich, ihr mit ſolchem An¬
trag unter die Augen zu treten, worauf er aber alſobald
ſprach: ſo ſchreibet es ihr, kommt, hier iſt Black, Feder
und Papier.


Da nahm ich, wie Eva, die Frucht und aß, und gab
ſie meinem Töchterlein, daß ſie auch eſſen ſöllte, will
[227] ſagen ich recapitulirete Allens, ſo mir Satanas einge¬
geben auf dem Papier, jedoch in lateiniſcher Sprachen,
dieweil ich mich ſchämete es deutſch zu ſchreiben, und
beſchwure ſie letzlich nicht ſich und mich umb das Leben
zu bringen, beſondern ſich in Gottes wunderliche Schik¬
kung zu fügen. Auch wurden mir meine Augen gar
nicht aufgethan, als ich geſſen ( verſtehe geſchrieben ) noch
merkete ich, daß nicht Honig, beſondern Galle unter der
Tinten war, ſondern ich überſetzete dem Amtshaubtmann
denſelbigen mit Lächeln, wie ein beſoffener Menſche (die¬
weil er kein lateiniſch verſtunde) worauf er mich auf
die Schulter klopfete, und nachdem ich den Brief mit
ſeinem Signet verſchloſſen, rief er den Jäger, und gab
ihm ſelbigen, umb ihn meinem Töchterlein zu bringen,
item fügete er Black, Feder und Papier benebſt dem
Signet hinzu, daß ſie mir alſogleich antwurten möge.


Hierzwiſchen nun war er gar lieblich zu reden, lo¬
bete mich und mein Kind, und mußte ich ihm unter¬
ſchiedlichen Malen Beſcheid thun aus ſeinem großen Kruge,
in welchem er einen faſt ſchönen Wein hatte, trat auch
an einen Schrank und hohlete mir Pretzeln zum Zubei¬
ßen, ſagende, ſo ſöllte ich es nunmehro alle Tage ha¬
ben. Als aber nach einer halben Stunden wohl der
Jäger mit ihrer Antwort zurücke kehrete und ich ſel¬
bige angeſehen, begab es ſich allererſt daß meine Au¬
gen aufgethan wurden und ich erkannte, was gut und
böſe war. Hätte ich ein Feigenblatt gehabt, ſo würde
ich ſelbiges auch aus Schaam dafür gehalten haben, ſo
15*[228] aber hielt ich meine Hand dafür und weinete alſo hef¬
tiglich, daß der Amtshaubtmann in einem ſchweren Zorn
gerith, und fluchend mir befahl ihm zu ſagen, was ſie
geſchrieben. Verdollmetſchete ihm alſo den Brief, wel¬
chen ich anhero ſetze, damit man meine Thorheit und
meines Töchterleins Weisheit daraus erlerne. Es lau¬
tete aber derſelbe wie folget*):

IESVS!


Pater infelix!


Ego cras non magis pallebo rogum aspe¬
ctura, et rogus non magis erubescet, me sus¬
cipiens, quam pallui et iterum erubescui, literas
tuas legens. Quid? et te pium patrem, pium
servum Domini, ita Satanas sollicitavit, ut com¬
munionem facias cum inimicis meis et non in¬
telligas: in tali vita esse mortem, et in tali morte
vitam? Scilicet si clementissimus Deus Mariae
Magdalenae aliisque ignovit, ignovit, quia re¬
sipiscerent ob carnis debilitatem, et non iterum
peccarent. Et ego peccarem cum quavis dete¬
statione carnis et non semel, sed iterum atque
iterum sine reversione usque ad mortem? Quo¬
modo clementissimus deus hoc sceleratissima
[229] ignoscere posset? infelix pater! recordare, quid
mihi dixisti de sanctis Martyribus et virginibus
domini quae omnes mallent vitam quam pudi-
citiam perdere. His et ego sequar, et sponsus
meus, Jesus Christus, et mihi miserae, ut spero,
coronam aeternam dabit, quamvis eum non mi¬
nus offendi ob debilitatem carnis ut Maria, et
me sontem declaravi, cum insons sum. Fac
igitur, ut valeas et ora pro me apud Deum
et non apud Satanam, ut et ego mox corain
Deo pro te orare possim.


Maria S.


captiva.

[230]

Als der Amtshaubtmann ſolches gehöret, wurf er
den Krug, ſo er annoch in Händen hielt, alſo zur Er¬
den nieder, daß er zerborſte, und ſchriee: die verfluchte
Teufelshure, ſo ſoll der Büttel ſie dafür auch eine ganze
Stunde piepen laſſen und was er ein Mehres herfür¬
ſtieß in ſeiner Bosheit, und ich vergeſſen hab. Doch
bald wurde er wieder als gütlich und ſprach: „ſie iſt
unklug, gehet einmal ſelbſten zu ihr, ob Ihr ſie zu Eu¬
rem und ihrem eigenen Vortheil bereden möget, der
Jäger ſoll Euch einlaſſen, und horchet der Kerl, ſo ge¬
bet ihm nur gleich in meinem Namen ein Paar Ohr¬
feigen, höret Ihr Ehre Abraham! Geht geſchwinde und
bringet mir ſobald als müglich eine Antwort!“ Ging
alſo dem Jäger nach, welcher mich in einen Keller ge¬
*)[231] leite, wohin kaum ſo viel Licht durch ein Loch fiel, als
ein Gulden groß, und wo mein Töchterlein auf ihrem
Bette ſaß und weinete. Und kann man vor ſich ſelb¬
ſten abnehmen, daß ich auch alſogleich angefangen hab
und nichts Beſſeres kunnte, denn ſie. Lagen uns alſo
eine lange Zeit ſtumm in den Armen, bis ich ſie letz¬
lich um Vergebung bat, von wegen meinem Brief, aber
von dem Amtshaubtmann ſeinen Auftrag ſagete ich ihr
Nichtes, wie es gleich mein Fürſatz war. Es währete
aber nit lange, ſo hörten wir ihn ſelbſten ſchon in den
Keller von oben niederſchreien: „was — (hier thät er
einen ſchweren Fluch) machet ihr dort ſo lange? im
Augenblick Ehre Johannes herauf!“ ſo daß ich kaum
noch Zeit hatte, ihr ein Küßeken zu geben, als der Jä¬
ger auch ſchon wieder mit den Schlüſſeln da war, und
wir uns trennen mußten, obgleich wir annoch von Nich¬
tes geſprochen, als daß ich ihr mit Wenigem verzählet,
wies mit der alten Liſen gearriviret ſei. Und kann man
ſchwerlich gläuben, in welche Bosheit der Amtshaubt¬
mann geriethe, als ich ihm ſagete: mein Töchterlein ver¬
bliebe ſtark, und wölle ihm nicht Gehör geben. Er ſtieß
mich vor meine Bruſt, und rief: „ſo geh zum Teufel
infamer Pfaff!“ und als ich mich umbwendete umb weg¬
zugehen riß er mich wieder zurück und ſprach: aber
ſagſtu von Allem, ſo wir fürgehabt, ein Wörtlein, ſiehe
ſo laß ich dich auch brennen, du alter, grauer Hexen¬
vater, worauf ich mir ein Herze faßte und zur Antwort
gab: daß mir ſolches eine große Freude ſein würde, in¬
[232] ſonderheit wenn es ſchon morgen mit meim Töchterlein
zuſammen beſchehen könnte. Antwortete aber nichtes ſon¬
dern ſchlug die Thüre hinter mir zu. Aber ſchlag du
nur, ich ſorge der gerechte Gott wird dir die Thüre des
Himmelreichs auch dermaleinſt wieder vor deiner Naſen
zuſchlagen! —


[233]

Capitel 26.

Wie ich mit meinem Töchterlein und der alten
Magd das heilige Abendmahl genieße und ſie dar¬
auf mit dem blanken Schwert und dem Zeterge¬
ſchrei zum letzten Mal vor Gericht geführet wird,
umb ihr Urtel zu vernehmen.


Nun ſollte wohl männiglich judiciret haben, daß
ich in der ſchweren Dienſtagsnacht kein Auge zu¬
gethan, aber Lieber, hier ſiehſtu, daß der Herr mehr
thun kann denn wir bitten und verſtehen, und ſeine Barm¬
herzigkeit alle Morgen neu iſt. Denn ich ſchlief wie¬
der umb die Morgenzeit ganz geruhlich ein, als hätte
ich keine Sorge mehr auf meim Herzen. Und als ich
aufwachete kunnte ich auch wiederumb ſo wacker beten,
als ich lange nicht gekonnt, ſo daß ich in aller meiner
Trübſal für Freuden weinete über ſolche Gnade des
Herrn. Doch betete ich nun Nichtes, als daß er mei¬
nen, Töchterlein wölle Kraft und Stärke verleihen, ihr
Marterthum, ſo er ihr auferlegt, in chriſtlicher Geduld
zu ertragen, mir Elenden aber einen ſolchen Schmerzens¬
ſtich durch ſeinen Engel in mein Herze zu geben, wenn
ich mein Töchterlein brennen ſäh, daß es alſofort ſtille
ſtünd, und ich ihr folgen künnte. Alſo betete noch, als
die Magd in ihren, ſchwarzen Putz hereintrat, mit mei¬
nes Lämmeleins ſeidinen Zeug auf ihren Aermel und mit
[234] vielen Thränen vermeldete: daß das arme Sünderglöck¬
lein vom Schloßthurm ſchon zum erſten Male geläu¬
tet, auch mein Töchterlein nach ihr geſchicket, umb ſie
anzuputzen, dieweil das Gerichte aus Uſedom allbereits
angelanget, und ſie umb zween Stunden ſchon ihren
letzten Gang thun würde. Auch ließe ſie ihr ſagen, daß
ſie ihr Blümekens blau und gelb von Farb zu einem
Kranz mitbringen möge, fragete dannenhero, was für
Blümekens ſie nehmen ſölle. Und dieweil für dem Fen¬
ſter ein Topf mit Feuerlilien und blau Aeugeleins *)
ſtunde, ſo ſie mir geſtern hereingeſetzet, ſprach ich: du
kannſt keine beſſeren Blümekens vor ſie pflücken denn
dieſe ſeind, darumb bringe ihr ſolche, und ſage ihr:
daß ich um eine halbe Glockenſtunden dir nachkommen
würde, umb mit ihr das Nachtmahl zu genüßen. Hier¬
auf bat die alte treue Perſon, daß ſie mit zum Nacht¬
mahl gehen müge, was ich ihr auch verſprach. Und
hatte ich mich kaum verkleidet und meinen Chorrock an¬
gezogen, als Pastor Benzensis auch ſchon in die Thüre
trat und mir ſtumm wie ein Fiſch umb meinen Hals
fiel und weinete. Als er die Sprache wieder gewunn,
verzählete er von einem großen miraculum (verſtehe
Daemonis) ſo beim Begräbnüß der alten Liſen ſich er¬
äugnet. Denn als die Träger den Sark hätten in die
Grube hinunter laſſen wöllen, hätt' es alſo laut in ſel¬
bigem rumort, als wenn ein Tiſchler ein tännin Brett
[235] bohrt. Hätten alſo gegläubet, die alte Vettel wäre
wieder aufgelebet, und den Sark wiederumb aufgema¬
chet. Aber ſie wäre noch gelegen wie ſonſt, braun und
blau von Farb und kalt wie ein Eis; doch wären ihr
ihre Augen offen gangen geweſt, ſo daß männiglich ſich
entſetzet, und einen Teufelsſpök vermuthet, als denn auch
gleich darauf eine lebendige Ratze aus dem Sark ge¬
ſprungen und in einen Todtenkopf gefahren wäre, der
am Grabe gelegen. Nunmehro wäre Allens fortgelau¬
fen, dieweil die alte Liſe von jeher in eim böſen Geſchrei
geweſt, bis er ſelbſten letzlich wieder an das Grab ge¬
treten, worauf die Ratze verſchwunden geweſen, und nun¬
mehro die Andern auch wieder einen Muth bekommen
hätten. Alſo verzählete der Mann, und wird man nun
leichtlich gießen, daß dies in Wahrheit Satanas geweſt,
ſo der Vettel als ein Wurmb in den Rachen gefahren,
und eigentlich die Geſtalt einer Ratzen gehabt, wiewohl
es mich wiederumb wundert, was er ſo lange in dem
Aas gemachet; es möchte denn ſein, daß die böſen Gei¬
ſter, Allens was garſtig, ebenſo lieb haben, als die En¬
gellein Gottes Allens was ſchön und lieblich iſt. Aber
dieſes laſſe ich in ſeinen Würden, ſumma: ich entſatzte
mich nicht wenig für ſeiner Rede, und fragete ihn, was
er nunmehro von dem Amtshaubtmann gläube: Hier¬
auf zuckete er mit ſeinen Achſeln und ſprach: ſelbiger
wäre, ſo lange er denken könne ein böſer Bube gewe¬
ſen, hätte ihm inner 10 Jahren auch ſein Miſtkorn nicht
mehr geliefert, doch daß er ein Hexer wäre, wie die
[236] alte Liſe geſagt, gläube er nicht. Denn wiewohlen er
bei ihme noch gar nicht zu Gottes Tiſch geweſt, hätt
er doch vernommen, daß er in Stettin oftermalen mit
S. fr. G. dem Herzogen hinzugegangen und ihme der
Pastor an der Schloßkirchen ſolches ſelbſten durch ſein
Communionbuch documentiret. Dannenhero könne er
auch unmöglich gläuben, daß er mein Töchterlein ſölle
unſchuldig in ihr Elend ſtürzen, wie die Vettel geſaget.
Auch hätte mein Töchterlein ſich ja gutwillig für eine
Hexe ausgeben. Hierauf gab ich zur Antwort: daß ſie
es aus Furcht vor der Marter gethan; ſonſt, ihren Tod
anlangend, ſo ſcheue ſie ſelbigen nicht, worauf ich ihm
mit vielen Seufzern berichtete, wie der Amtshaubtmann
geſtern mich elenden und ungläubigen Knecht zum Böſen
gereizet, daß ich ſchier willens geweſt, mein einzig Kind
ihme und dem Satan zu verkaufen, und nicht würdig
wäre, heute das Sacrament zu empfahen. Wie mein
Töchterlein aber einen viel ſteiferen Glauben, denn ich
gehabt, was er aus ihrem Schreiben ſehen könnte, ſo
ich annoch in der Taſchen hätte. Gab es ihm alſo in
ſeine Hand, und nachdeme er es geleſen, ſeufzete er nicht
anders denn ein Vater und ſprach: wäre es müglich,
ſo könnte ich für Schmerz in die Erde ſinken, aber kum¬
met, kummet mein Bruder, auf daß ich ihren Glauben
ſelbſten ſehe.


Und gingen wir nunmehro auf das Schloß; doch
ſtand unterweges auf dem Brink vor dem Förſter item
umb das Schloß ſchon Allens voller Menſchen ſo aber
[237] ſich annoch geruhſam verhielten, als wir fürüber gin¬
gen. Meldeten uns alſo wieder bei dem Jäger (ſei¬
nen Namen habe ich niemals behalten mügen, dieweil
er ein Polacke war, doch war er ein anderer, als der
Kerl, welcher mein Töchterlein freien ſollte, und den der
Amtshaubtmann wegkgejaget) welcher uns auch alſofort
in ein ſchön, groß Zimmer brachte, wohin mein Töch¬
terlein ſchon aus dem Gefängnüß abgehohlet war. Auch
hatte die Magd ſie allbereits geputzet, und war ſie ſo
ſchön als ein Engel anzuſehen. Hatte die güldene Ket¬
tin mit dem Conterfett wieder umb ihren Hals item
den Kranz in ihren Haaren, und lächelte als wir hin¬
eintraten ſagende: „ich bin bereit!“ — Hiefür entſatzte
ſich aber Ehre Martinus und ſprach: „ei du gottlos
Weibsbild, nun ſage mir Niemand mehr von deiner Un¬
ſchuld! du willt zum Nachtmahl und nachgehends zum
Tode gehen, und ſtolziereſt einher, als ein Weltkind, ſo
auf den Tanzboden trottiret?“ Hierauf gab ſie zur Ant¬
wort: verdenk Ers mir nicht Herr Päte, daß ich in dem¬
ſelbigen Putz, in welchem ich letzlich für den guten ſchwe¬
diſchen König getreten, auch will für meinen guten himm¬
liſchen König treten. Solches ſtärket mein ſchwaches
und verzagtes Fleiſch, angeſehen ich hoffe, daß der treue
Heiland mich auch ſo an ſein Herz nehmen und mir ſein
Conterfett umbhängen wird, wenn ich demüthig die Hände
zu ihm ausſtrecke und ihm mein carmen aufſage, wel¬
ches lautet: „o Lamm Gottes unſchuldig, am Stamm
des Kreuzes geſchlachtet, gieb mir deinen Frieden o Jeſu.“
[238] Solches erbarmete meinen lieben Gevatter und er ſprach:
ach Päte, Päte, ich wollte dir zürnen, und du zwingeſt
mich mit dir zu weinen, biſtu denn unſchuldig? Ja ſprach
ſie: Ihme Herr Päte kann ichs wohl ſagen, ich bin un¬
ſchuldig, ſo wahr mir Gott helfe in meiner letzten Noth
durch Jeſum Chriſtum Amen.


Als dieſes die Magd hörete, erhube ſie ein ſo großes
Geſchreie daß es mir leid wurde, daß ich ſie mitgenom¬
men und hatten wir alle ſie genug aus Gotts Wort
zu tröſten, bis ſie wieder in etwas geruhlich wurde.
Und als ſolches beſchehen, ſprach mein lieber Gevatter:
wenn du ſo hoch deine Unſchuld betheureſt, muß ich ſol¬
ches zuvor dem Gericht auf mein prieſterlich Gewiſſen
vermelden, und wollte aus der Thüren. Aber ſie hielt
ihn feſte und fiel zur Erden und umklammerte ſeine Füße
und ſprach: ich bitte Ihne umb die Wunden Jeſu, daß
Er ſchweiget. Sie werden mich auf die Folter ſtrecken
und meine Schaam blößen, und ich elendes ſchwaches
Weib werde Allens in ſolcher Marter bekennen, was
ſie wöllen, zumalen wenn mein Vater wieder dabei iſt,
und mir alſo Leib und Seele zuſammen gemartert wird.
Darumb bleib Er, bleib Er, iſt es denn ein Unglück un¬
ſchuldig zu ſterben, und nicht beſſer unſchuldig, denn
ſchuldig?


Solches verſprach mein guter Gevatter letzlich und
nachdeme er eine Zeit geſtanden und vor ſich gebetet,
wiſchte er ſich ſeine Thränen ab, und hielt nunmehro
die Vermahnung zur Beichte, über Eſaias 43 v. 1 und 2:
[239] fürchte dich nicht denn ich habe dich erlöſet, ich habe
dich bei deinem Namen gerufen, du biſt mein! So du
ins Feuer geheſt ſollſt du nicht brennen und die Flamme
ſoll dich nicht anzünden, denn ich bin der Herr dein Gott
der Heilige in Israel, dein Heiland.


Und als er ſeine tröſtende Anſprach geendiget, und
ſie nunmehro fragete, ob ſie auch williglich, bis zur letz¬
ten Stunde das Creuz tragen wölle, ſo der barmherzige
Gott ihr nach ſeinem unerforſchlichen Willen auferleget,
ſprach ſie die ſchönen Worte, von welchen mein Gevat¬
ter nachgehends ſagte, daß er ſie in ſeinem Leben nicht
vergeſſen würde, dieweil er niemalen eine alſo gläubige,
freudige, und dennoch hochbetrübte Gebährde geſehen.
Sie ſprach aber: o heiliges Creuz, welches mein Jeſus
mit ſeinem unſchuldigen Leiden geheiliget, o liebes Creuz,
welches von der Hand eines gnädigen Vaters mir auf¬
erleget wird, o ſeeliges Creuz, durch welches ich mei¬
nem Jeſu gleich gemacht und zur ewigen Herrlichkeit
und Seligkeit gefördert werde, was ſollt ich dich nicht
willig tragen du ſüßes Creuz meines Bräutigams und
Bruders! Kaum hatte Ehre Johannes uns darauf die
Abſolution und nachgehends das heilige Sacrament mit
vielen Thränen gereichet, als wir auch ſchon einen gro¬
ßen Tumult auf der Dielen vernahmen und gleich dar¬
auf der dreuſte Büttel zur Thüren hereinſchauete, und
fragende: ob wir fertig wären, alldieweil Ein ehrſam
Gericht ſchon auf uns warte. Und als er ſolches ver¬
nommen, wollte mein Töchterlein erſtlich von mir ihren
[240] Abſchied nehmen, was ich ihr aber wehrete und ſprach:
nicht alſo, du weißt was du mir verſprochen, wo du
hingeheſt, da will ich auch hingehen, wo du bleibeſt, da
bleibe ich auch, wo du ſtirbſt, da ſterbe ich auch*),
ſo anders der Herr, wie ich hoffe, die brünſtigen Seuf¬
zer meiner armen Seelen erhöret. Darumb ließ ſie mich
fahren und umbhalſete nur die alte Magd und dankete
ihr für alles Gute, ſo ſie ihr von Jugend auf gethan,
und bate, daß ſie nicht mitgehen und ihr ihren Tod
durch ihr Geſchreie noch mehr verbittern wölle. Die
alte treue Perſon kunnte lange nicht für ihren Thrä¬
nen zu Worte kommen. Letzlich aber bat ſie mein arm
Töchterlein um Vergebung daß ſie ſelbige auch unwiſ¬
ſend angeklaget und ſagte, daß ſie ihr für ihr Lohn an
die 5 Ließpfund Flachs gekaufet, damit ſie bald von ih¬
rem Leben käm.


Solches hätte heute Morgen ſchon der Schäfer von
Pudgla mit gen Coſerow genommen und ſölle ſie es
ſich recht dicht umb ihren Leib legen, dieweil ſie geſe¬
hen, daß die alte Schurnſche ſo in der Liepen gebrennet
wäre, viele Qual ausgeſtanden von wegen dem naßen
Holz ehebevor ſie zu Tode kommen.


Doch ehender ihr mein Töchterlein noch danken kunnte,
begunnte das erſchröckliche Blutgeſchrei im Gerichtszim¬
mer: denn eine Stimme ſchriee ſo laut ſie konnte: „Zeter
über die vermaledeyete Hexe Maria Schweidlerin, daß
ſie von dem lebendigen Gotte abgefallen!“ und alles
[241] Volk draußen ſchriee nach: Zeter über die vermaledeyete
Hexen! — Als ich ſolches hörete fiel ich gegen die Wand
aber mein ſüßes Kind ſtrakete mir mit ihren ſüßen Hän¬
deleins meine Wangen und ſprach: Vater, Vater ge¬
denket doch, daß das Volk über den unſchuldigen Je¬
ſum auch kreuzige, kreuzige! geſchrieen, ſollten wir den
Kelch nicht trinken, den uns unſer himmliſcher Vater
gegeben hat? —


Nunmehro ging auch ſchon die Thüre auf, und trat
der Büttel unter eim großen Tumult des Volks herein
ein blankes ſcharfes Schwerdt in ſeinen Händen tra¬
gende, neigete es dreimal vor meinem Töchterlein und
ſchriee: „Zeter über die vermaledeyete Hexe Maria
Schweidlerin, daß ſie von dem lebendigen Gotte abge¬
fallen!“ und alles Volk auf der Dielen und draußen
ſchriee ihm nach ſo laut es kunnte: „Zeter über die ver¬
maledeiete Hexe!“


Hierauf ſprach er Maria Schweidlerin komm für
Ein hochnoth-peinliches Halsgericht, worauf ſie ihme mit
uns beiden elenden Männern folgete (denn Pastor Ben¬
zensis
war nicht weniger geſchlagen als ich ſelbſten)
die alte Magd aber blieb für todt auf der Erden liegen.


Und als wir uns mit Noth durch das viele Volk durch¬
gedränget, blieb der Büttel vor dem offenen Gerichts¬
zimmer ſtehen ſenkete abermahlen ſein Schwert vor meim
Töchterlein und ſchriee zum dritten Mal: „Zeter über
die vermaledeyete Hexe Maria Schweidlerin daß ſie von
dem lebendigen Gotte abgefallen!“ und alles Volk wie
16[242] die grauſamen Richter ſelbſten ſchrieen nach, ſo laut ſie
kunnten: „Zeter über die vermaledeyete Hexe!“


Als wir nunmehro ins Zimmer traten, fragete Dn.
Consul
erſtlich meinen Herrn Gevatter: ob die Hexe
bei ihrem freiwilligen Bekänntnüß in der Beichte ver¬
blieben, worauf er nach kurzem Beſinnen zur Antwort
gab: man müge ſie ſelbſten fragen, da ſtünde ſie ja.
Selbiger ſprach alſo ein Papier in ſeiner Hand neh¬
mend, ſo vor ihm auf dem Tiſche lag: Maria Schweid¬
lerin, nachdem du deine Beichte gethan und das heilige
hochwürdige Sakrament des Abendmahls empfangen, ſo
gieb mir noch einmal Antwort auf jetzt folgende Fragen:


  • 1) wahr, daß du von dem lebendigen Gott abge¬
    fallen und dich dem leidigen Satan ergeben.
  • 2) wahr, daß du einen Geiſt gehabt, Disidaemonia
    genannt, der dich umgetaufet und mit welchem,
    du dich unnatürlich vermiſchet.
  • 3) wahr, daß du dem Vieh allerhand Uebles zugefüget.
  • 4) wahr, daß dir Satanas auf dem Streckelberg
    als ein haarigter Rieſe erſchienen? —

Als ſie dieſes Alles mit vielen Seufzern bejahete,
ſtund er auf, nahm ſeinen Stab in eine Hand und ein
zwotes Papier in die andere ſetzte auch ſeine Brill auf
die Naſen und ſprach: ſo höre jetzunder dein Urtel:


(Dieſes Urtel hab ich mir nachgehends abgeſchrie¬
ben; die anderen Acta wollte er mir aber nicht über¬
laſſen, ſondern gab für, daß ſie in Wolgaſt lägen und
lautete ſelbiges wörtlich alſo:)
[243] Wir zu Einem hoch-noth-peinlichen Halsgericht
verordnete Amtshaubtmann und Schöppen:


nachdem Maria Schweidlerin des Paſtoren zu Co¬
ſerow Abraham Schweidleri Tochter nach ange¬
ſtellter Inquiſition wiederhohlentlich das gütliche Be¬
känntnüß abgeleget: daß ſie einen Teufel habe Di¬
sidaemonia
genennet, der ſie in der Sehe umbge¬
taufet und mit dem ſie ſich fleiſchlich und unnatür¬
lich vermiſchet, item daß ſie durch ſelbigen dem Vieh
Schaden zugefüget, er ihr auch auf dem Streckelberg
als ein haarigter Rieſe erſchienen: erkennen und ſpre¬
chen für Recht: daß Rea ihr zur wohlverdienten Strafe
und Andern zum Exempel billig mit vier glühnden
Zangenriſſen an ihren Brüſten zu belegen und nach¬
mals mit dem Feuer vom Leben zum Tode zu brin¬
gen ſei. Dieweil wir aber, in Betrachtung ihres
Alters ſie mit den Zangenriſſen aus Gnaden zu ver¬
ſchonen gewilliget, als ſoll ſie nur durch die einfache
Feuerſtraf vom Leben zum Tode gebracht werden.
Inmaßen ſie denn dazu hiemit condemniret und ver¬
urtheilt wird. Von peinlichen Rechts wegen.


Publicatum Pudgla zu Schloß den 30ſten men¬
sis Augusti anno salutis
1630 *).


16 *[244]

Als er das letzte Wort ausgeſprochen, zerbrach er
ſeinen Stab und warf meinem unſchuldigen Lämmelein
die Stücken vor ihre Füße, indem er zu dem Büttel
ſprach: jetzt thut Eure Schuldigkeit! Aber es ſtürzeten
ſo viel Menſchen beides Männer und Weiber auf die
Erde, um die Stücken des Stabs zu greifen (dieweil
es gut ſein ſoll vor die reißende Gicht item vor das
Vieh wenn es Läuſe hat) daß der Büttel über ein Weibs¬
bild zu Boden fiel, ſo vor ihm auf den Knieen lag, und
ihm alſo auch von dem gerechten Gott ſein naher Tod
vorgebildet wurde. Solches beſchahe auch dem Amts¬
haubtmann jetzunder zum andern Mal; denn da das
Gerichte nunmehro aufſtand und Tiſche, Stühle und
Bänke umbwarf, fiel ihm ein Tiſch, dieweil ein Paar
Jungen darunter ſaßen, ſo ſich um den Stab ſchlugen,
alſo auf ſeinen Fuß, daß er in großen Zorn gerieth,
und dem Volk mit der Fauſt dräuete, daß Jeder ſölle
50 Arſchprügel haben, beides Männer und Weiber, ſo
ſie nicht augenblicklich geruhſam wären und aus der
*)[245] Stuben gingen. Solches ſetzte eine Furcht, und nach¬
dem ſich das Volk auf die Straße verlaufen, zog der
Büttel ein Seil aus ſeiner Taſchen, womit er meim
Lämmelein alſo ihre Hände auf den Rücken zuſammen¬
bande, daß ſie laut zu ſchreien begunnte; aber dieweil
ſie ſahe, wie es mich wieder an mein Herze ſtieß, ſich
alſofort begriff und ſprach: „ach Vater bedenket, daß
es dem lieben Heiland auch nicht beſſer ergangen!“ Die¬
weil aber mein lieber Gevatter, ſo hinter ihr ſtund, ſahe,
daß ihre Händelein und abſonderlich die Nägel braun
und blau worden waren, thät er eine Fürſprache bei
Eim ehrſamen Gericht, worauf aber der abſcheuliche Amts¬
haubtmann zur Antwort gab: ei laſſet ſie nur, ſie muß
fühlen was es bedeutet von dem lebendigen Gotte ab¬
zufallen. Aber Dn. Consul war glimpflicher, inma¬
ßen er dem Büttel Befehl gab, nachdem er die Stricke
befühlet, ſie menſchlich zu binden und ein wenig nach¬
zulaſſen, was ſelbiger nunmehro auch thun mußte. Hie¬
mit war mein lieber Gevatter aber noch nicht zufrieden,
ſondern bat, daß man ſie müge ohne Bande auf den
Wagen ſetzen, damit ſie ihr Geſangbuch gebrauchen könne.
Denn er hätte die Schule beſtellet, um unterweges ein
geiſtlich Lied zu ihrer Tröſtunge zu ſingen, und wollte
ſich verbürgen, da er ſelbſten mitzufahren geſonnen, daß
ſie nicht von dem Wagen kommen ſölle. Im Uebrigen
pflegeten ja auch Kerls mit Forken *) umb den Wa¬
[246] gen der armen Sünder und abſonderlich derer Hexen
zu gehen. Aber ſolches wollte der grauſame Amtshaubt¬
mann nit zugeben, dahero es verblieb, wie es war, in¬
deme der dreuſte Büttel ſie alsbald auch bei ihrem Arm
ergriff und aus dem Gerichtszimmer führete. Auf der
Dielen aber hatte es einen großen Scandalum, ſo mir
wiederumb mein Herze durchſchnitt. Denn die Ausge¬
berſche und den dreuſten Büttel ſein Weib ſchlugen ſich
dort umb meines Töchterleins ihre Betten, wie umb ihr
alltagſch Zeug, ſo die Ausgeberſche vor ſich gehohlet,
das andere Weib aber auch haben wollte.


Selbige rief nunmehro gleich ihren Mann zur Hülfe
welcher auch furts mein Töchterlein fahren ließe, und
der Ausgeberſchen mit ſeiner Fauſt alſo in ihr Maul
ſchlug, daß ihr das Blut daraus herfürging und ſie ein
grauſam Geſchrei gegen den Amtshaubtmann erhube,
welcher mit dem Gericht uns folgete. Selbiger bedräuete
ſie beide vergeblich, und ſagte, daß er nachgehends, wenn
er wiederkam, die Sache unterſuchen und einem Jegli¬
chen ſeinen Theil geben wölle. — Hierauf wollten ſie
aber nicht hören, bis mein Töchterlein Dn. Consulem
fragte: ob ein Jeder ſo da ſtürbe, und alſo auch ein
armer Sünder die Macht habe ſein Haabe und Gut zu
vermachen, weme er wölle? Und als er zur Antwort
gab: „ ja, bis auf die Kleider ſo dem Scharfrichter ge¬
hören!" ſprach ſie: „gut, ſo kann der Büttel meine
Kleider nehmen, mein Bette aber ſoll Niemand haben,
denn meine alte getreue Magd Ilſe geheißen!" Hier¬
[247] auf erhub die Ausgeberſche ein lautes Fluchen und Schimpfen
gegen mein Kind, welche aber nicht darauf achtete, ſon¬
dern nunmehro aus den Thüren vor den Wagen trat,
wo alſo viel Volks ſtunde, daß man Nichtes ſahe, denn
Kopf an Kopf. Und drängete ſich ſolches alsbald mit
ſolchem Rumor umb uns zuſammen, daß der Amtshaubt¬
mann, ſo inzwiſchen auf ſeinen Schimmel geſtiegen war,
dem Volkes immer rechtes und linkes mit ſeiner Reit¬
peitſchen in die Augen hauete, und ſie doch kaum wei¬
chen wollten. Und als es letzlich doch half und ſich an
die zehn Kerls mit langen Forken umb unſern Wagen
geſtellet, ſo meiſtentheils auch noch Stoßdegen an ihrer
Seiten hatten, hub der Büttel mein Töchterlein hinauf
und band ſie an den Leiterbaum feſte. Mich ſelbſten
hub der alte Paaſsch hinauf, ſo dabei ſtunde, und auch
mein lieber Gevatter mußte ſich hinaufheben laſſen, alſo
ſchwach war er von allem Jammer worden. Selbiger
winkete nunmehro ſeinem Küſter, Meiſter Krekow, daß
er mit der Schulen vor dem Wagen vorauf gehen, und
von Zeit zu Zeit einen Vers aus dem feinen Liedlein:
„Ich hab' mein Sach Gott heimgeſtellt“ anheben ſölle,
was er auch zu thun verſprach: Und will ich annoch
notiren, daß ich ſelbſten mich bei meim Töchterlein auf
das Stroh ſetzte, und unſer lieber Beichtvater Ehre Mar¬
tinus rückwärts ſaß. Der Büttel jedoch hackete mit dem
bloßen Schwerte hinten auf. Als ſolches Allens beſche¬
hen, item das Gericht auf einen andern Wagen geſtie¬
gen, gab der Amtshaubtmann Befehlig zum Abfahren.


[248]

Capitel 27.

Wie es uns unterwegen ergangen;itemvon dem
erſchröcklichen Tode des Amtshaubtmanns bei der
Mühlen.


Wir hatten aber viel Wunder unterwegen und
groß Herzeleid. Denn gleich an der Brücken
ſo über die Bach führet, die in den Schmollen *) läuft,
ſtund der Ausgeberſchen ihr abſcheulicher Junge wieder,
trummelte und ſchriee, ſo laut er kunnte: „tom Goſe¬
braden, tom Goſebraden!“ worüber das Volk, alſobald
ein groß Gelächter erhub und ihm nachrief: ja, tom
Goſebraden, tom Goſebraden! Doch als Meiſter Kre¬
kow den zwoten Verſch anſtimmete, waren ſie wieder
in etwas geruhlich, denn die meiſten halfen ihm ſingen
aus ihren Büchern, ſo ſie ſich mitgebracht hatten. Als
er aber darauf in etwas inne hielte, ging der Lärm
wiederumb von vorne an. Etzliche ſchrien, der Teufel
hätte ihr dieſes Kleid geben und ſie alſo herausgeputzet,
kamen dahero auch, und weil der Amtshaubtmann vor¬
auf geritten, umb den Wagen und beföhleten ihr Kleid,
inſonderheit die Weiber und jungen Mädkens; etzliche
aber ſchrieen wiederumb dem Jungen nach: tom Goſe¬
braden, tom Goſebraden! worauf ein Kerl zur Antwort
[249] gab: ſe wadd ſich noch nich braden laten, gewt man
Paß *) ſe p. .t dat Für ut!" Dieſes und annoch ein
Mehreres an Unflätereien, ſo ich aber aus Schaam nit
notiren mag, mußten wir mit an hören und ſchnitt es
mir inſonderheit durch mein Herze als ein Kerl ſchwur
daß er von ihrer Aſchen etwas haben wölle, da er von
dem Stab nichts gekriegt, denn es gäbe faſt nichts Beſ¬
ſeres vor das Fieber und die Gicht, denn Hexenaſche.
Winkete alſo dem Custodi wiederumb anzuheben, wor¬
auf ſie ſich eine Zeitlang d. i. ſo lange der Verſch wäh¬
rete, auch wieder geruhſam hielten, nachgehends aber
es faſt noch ärger macheten, denn zuvor. Doch dieweil
wir jetzunder zwiſchen denen Wieſen waren, und mein
Töchterlein die ſchönen Blümeleins ſahe, ſo rings umb
den Graben ſtunden, verfiel ſie in tiefe Gedanken und
hub wieder an aus dem feinen Liedlein St. Augustini
zu recitiren wie folget:


flos perpetuus rosarum ver agit perpetuum,

candent lilia, rubescit crocus, sudat balsamum,

virent prata, vernant sata, rivi mellis influunt,

pigmentorum spirat odor liquor et aromatum,

pendent poma floridorum non lapsura nemorum

non alternat luna vices, sol vel cursus syderum

agnus est foelicis urbis lumen inocciduum.**)
[250]

Durch dieſen Casus gewunnen wir, daß alles Volk
ſich fluchend von dem Wagen verlief und bei einem gu¬
ten Musketenſchuß hinter uns her trottirete, dieweil ſie
gläubeten, daß mein Töchterlein den leidigen Satan umb
Hülfe anriefe. Nur ein Burſche bei 25 Jahren ſo ich
aber nicht kunnte, blieb wenig Schritte hinter dem Wa¬
gen, bis ſein Vater kam und da er nit mit Gutem wei¬
chen wollte, ihn alſo in den Graben ſtieß, daß er bis
an die Hüften ins Waſſer verſank. Hierüber mußte
ſelbſten mein arm Töchterlein lächeln und fragete mich,
ob ich nicht mehr lateiniſche Lieder wüßte, umb uns das
dumme und unflätige Volk noch ferner vom Leibe zu
halten. Aber, ſage Lieber, wie hätte ich jetzunder la¬
teiniſche Lieder recitiren mügen, ſo ich ſie auch gewußt!
Doch mein Confrater Ehre Martinus wußte annoch
ein ſolches, ſo zwar ein ketzeriſches Lied iſt; doch weil
es meinem Töchterlein über die Maßen gefiel, und er
ihr manchen Verſch an die drei und vier mal vorbeten
mußte, bis ſie ihn nachbeten kunnte, ſagete ich Nichtes.
Sonſt bin ich immer ſehr ſtreng gegen Ketzereien geweſt.
**)[251] Aber ich tröſtete mich, daß unſer Herr Gott es ihr in
ihrer Einfalt wohl verzeihen würde. Und lautete die
erſte Zeil alſo: dies irae, dies ille.*) Inſonderheit
aber gefielen ihr dieſe beiden Verſe, ſo ſie oftmals mit
großer Erbauung betete, und ich darumb hieher ſetzen will:


judex ergo, cum sedebit,

quidquid latet, apparebit

nil inultum remanebit;

item:

rex tremendae majestatis

qui salvandos salvas gratis,

salva me, fons pietatis! —**)

Als aber die Kerls mit den Forken, ſo umb den
Wagen gingen, ſolches höreten, und zugleich ein ſchwer
Wetter vom Achterwater ***) aufkam, vermeineten ſie
nit anders, denn daß mein Töchterlein es gemachet, und
da das Volk ſo hinten nachſetzete, auch ſchrie: „dat het
de Hex dahn, dat hett de verfluchte Hex dahn!” ſprun¬
gen ſie alle zehn bis auf einen, ſo verblieb, über den
[252] Graben und liefen ihrer Straßen. Solches ſahe aber
Dn. Consul nit alſobald, welcher mit Eim ehrſamen
Gericht hinter uns fuhr, als er dem Büttel zurief: was
ſolches bedeute? und der Büttel rief über den Amts¬
haubtmann, ſo ein wenig vorauf war, aber alſobald
umbkehrete, und nachdem er die Urſache erfahren, denen
Kerls nachſchriee, daß er ſie alle wölle an den erſten
beſten Baum anhenken laſſen, und mit ihrem Fleiſch
ſeine Falken füttern, wenn ſie nit alſobald umkehreten.
Solches half abereins und als ſie wieder kamen, gab
er einem Jeglichen an die ſechs Schmiſſe mit ſeiner
Reitpeitſchen, worauf ſie verblieben, doch ſo weit von
dem Wagen ſich hielten, als ſie für den Graben kunnten.

Hierzwiſchen aber kam das Unwetter von Süden
näher mit Donner, Blitze, Hagel und Sturmwind, als
wenn der gerechte Gott ſeinen Zorn offenbaren wöllte
über die ruchloſen Mörder und ſchlug die Wipfel derer
hohen Buchen umb uns zuſammen, wie Beſen, alſo daß
unſer Wagen ganz mit Blättern wie mit Hagel bedek¬
ket war und Niemand vor dem Rumor ſein eigen Wort
hören kunnte. Solches geſchahe gerade, als wir von
dem Kloſterdamm in die Heiden hinabfuhren. Und ritt
der Amtshaubtmann jetzunder hinter uns bei dem Wa¬
gen auf welchem Dn. Consul ſaß. Doch als wir als¬
bald über die Brücke wollten vor der Waſſermühlen,
faßte uns der Sturmwind, ſo vom Achterwater aus einer
Lucken herüberblies alſo, daß wir vermeineten, er würde
unſern Wagen in den Abgrund ſtoßen, ſo wohl an die
[253] 30 Fuß tief war und drüber. Und da gleicherweiſe
die Pferde thäten als gingen ſie auf Glatteis und nicht
ſtehen kunnten, hielt der Gutſcher ſtille, umb erſt das
Wetter fürüber gehen zu laſſen, welches aber der Amts¬
haubtmann nit alſobald gewahr wurde, als er herbei¬
geſprenget kam und dem Gutſcher befahl alſogleich wei¬
ter zu fahren. Selbiger hauete alſo die Pferde an, aber
ſie ſpartelten *), daß es abſonderlich anzuſehen war,
wannenhero auch unſere Wächter mit den Forken zurück¬
blieben, und mein Töchterlein für Angſt einen lauten
Schrei that. Und waren wir gerade ſo weit kommen,
wo das große Rad unter uns lief, als der Gutſcher mit
dem Pferde ſtürzete, und ſelbiges ſich einen Fuß zubrach.
Jetzo ſprang der Büttel vom Wagen, ſtürzete aber auch
alſobald auf den glatten Boden, item der Gutſcher, nach¬
dem er ſich aufgerichtet, fiel er alsbald wieder nieder.
Dannenhero gab der Amtshaubtmann ſeinem Schimmel
fluchend die Sporen, welcher aber auch anhub zu ſpar¬
teln wie unſere Pferde gethan. Doch kam er damit
gegen uns geſpartelt, ohne daß er geſtürzet wäre, und
dieweil er ſahe, daß das Pferd mit dem zubrochenen Fuß
ſich immer wieder aufrichten wollte, aber alſobald wie¬
der auf dem glatten Boden zuſammenſchoß, brüllete und
winkete er, daß die Kerls mit den Forken kommen möch¬
ten, und die Mähre ausſpannen, item den Wagen hin¬
überſchieben, damit er nicht in den Abgrund geriſſen
[254] würde. Hierzwiſchen aber kam ein langer Blitzſtrahl
für uns in das Waſſer niedergefahren, welchem ein Don¬
ner alſo plötzlich und greulich folgete daß die ganze Brücke
erbebete, und den Amtshaubtmann ſein Pferd (unſere
Pferde wurden aber ſtille) einige Schritte zurückpral¬
lete, worauf es den Boden verlohr, und mit dem Amts¬
haubtmann kopfüber auf das große Mühlenrad hinunter
ſchoß, daß ſich ein ungeheuer Geſchrei von allen Men¬
ſchen erhub, ſo hinter uns an der Brücken ſtunden. Und
war eine Zeitlang vor dem weißen Schaum Nichtes zu
ſehen, bis den Amtshaubtmann ſeine Beine mit dem Rad
in die Höhe kamen, und hierauf auch der Rumpf, aber
der Kopf ſteckete zwiſchen den Schaufeln des Rades, und
alſo lief er, erſchröcklich anzuſehen mit ſelbigem immer
rundum. Seinem Schimmel aber fehlete nichts, ſondern
ſchwamm ſelbiger hinten im Mühlenteich. Als ich ſol¬
ches ſahe, ergriff ich die Hand meines Lämmeleins und
rief: ſiehſtu Maria unſer Herr Gott lebet noch, und
fähret annoch heute auf dem Cherub, und fliegt daher
und ſchwebt auf den Fittigen des Windes und will un¬
ſere Feinde zuſtoßen wie Staub vor dem Winde, und
will ſie wegräumen wie den Koth auf den Gaſſen *).
Da ſchaue nieder was der allmächtige Gott gethan. Als
ſie hierauf ihre Augen ſeufzend gen Himmel erhub, hör¬
ten wir Dn. Consulem ſo laut hinter uns ſchreien, als
er kunnte; da aber Niemand nicht für den grauſamen
Wetter und Tumult des Gewäſſers ihn verſtunde, ſprung
[255] er von dem Wagen und wollte zu Fuß über die Brücke
gehen fiel aber gleichfalls auf ſeine Naſe, alſo daß ſie
blutete, und er nunmehro auf Händen und Füſſen wie¬
der zurücke kroch, und alsbald ein groß Wort mit Dn.
Camerario
hatte, welcher ſich aber nicht auf dem Wa¬
gen rührete. Hierzwiſchen hatten ſchon der Büttel und
der Gutſcher das verwundete Pferd ausgeſpannet, ge¬
bunden und von der Brücken geſchleift, kamen dahero
wieder zum Wagen, und befohlen uns von ſelbigem zu
ſteigen, und zu Fuß über die Brücke zu gehen, welches
auch geſchahe, inmaßen der Büttel mit vielem Fluchen
und Schimpfen mein Töchterlein ablöſete, auch dräuete
ſie nachgehends für ihre Bosheit bis auf den ſpäten
Abend zu braten. (Konnte es ihme nicht ſo ſehr ver¬
denken, denn es war fürwahr ein ſeltſam Ding!) Aber
obwohl ſie ſelbſten gut hinüberkam, fielen wir beide,
Ehre Martinus und ich, wie alle Anderen doch auch an
die drei Malen zu Boden, bis wir endlich durch Got¬
tes Gnade vor dem Müllerhaufe wohlbehalten angelan¬
geten, allwo der Büttel dem Müller bei Leibes Leben
mein Töchterlein übergab und an den Mühlenteich nie¬
derrannte, umb den Amtshaubtmann ſeinen Schimmel
zu retten. Der Gutſcher ſölle aber unterdeß ſehen, daß
er den Wagen und die anderen Pferde von der behex¬
ten Brücken brächte. Wir hatten aber noch nicht lange
bei dem Müller vor der Thüren unter einem großen
Eichbaum geſtanden, als Dn. Consul mit Eim ehrba¬
ren Gericht und allem Volk ſchon über die kleine Brücke
gefahren kam, ſo nur ein Paar Mousquetenſchüſſe von
[256] der erſten entfernet iſt, und ſelbiger kaum das Volk
abhalten kunnte, daß ſie nicht mein Kind angriffen und
lebendig zerriſſen, angeſehen Alle, wie auch Dn. Con¬
sul
ſelbſten vermeineten, daß kein Anderer, denn ſie,
benebſt dem Wetter, auch die Brücke behext (zumalen
ſie ſelbſten nicht darauf gefallen) und den Amtshaubt¬
mann um ſein Leben gebracht, was doch Allens erſtun¬
ken und erlogen war, wie man Weiters hören wird.
Er ſchalt ſie dannenhero für eine vermaledeyete Unhol¬
din, die nach abgelegter Beicht und dem Genuß des hei¬
ligen Abendmahls noch nicht von dem leidigen Satan
abgefallen wäre. Aber es ſölle ihr Allens nicht helfen,
ſie werde dennoch ihren Lohn alsbald empfangen. Und
dieweil ſie ſtille ſchwieg, gab ich hierauf zwar zur Ant¬
wort: ob er nicht ſähe, daß der gerechte Gott dies alſo
gefüget, daß der Amtshaubtmann, ſo meim unſchuldigen
Kind Ehre Leib und Leben zu nehmen gedacht, allhier
als ein erſchröcklich Exempel ſein eigen Leben laſſen müſ¬
ſen, aber es wollte nit verfangen, ſondern er vermei¬
nete: daß dieſes Wetter unſer Herr Gott nicht gemacht,
könne ein Kind einſehen, oder ob ich vielleicht auch ver¬
meinete, daß unſer Herr Gott die Brücke behext? Ich
müge doch endlich aufhören mein boshaft Kind zu recht¬
fertigen und ſie lieber zur Buße vermahnen, da dies ſchon
das zweite Mal ſei, daß ſie Wetter gemacht, und mir doch
kein vernünftiger Menſch glauben würde, was ich ſage, etc.


Hierzwiſchen aber hatte der Müller allbereits die
Mühle angehalten, item ſein Waſſer geſtauet, und wa¬
ren an die vier bis fünf Kerls mit dem Büttel auf das
[257] große Rad niedergeſtiegen, umb den Amtshaubtmann,
ſo bis dato noch immer auf und niedergangen war, aus
denen Schaufeln zu ziehen. Solches kunnten ſie aber
nicht ehender, als ſie eine Schaufel zerſaget, und wie
ſie ihn letzlich ans Land brachten, befand es ſich, daß
er ſich das Genick abgefallen und bereits ſo blau als eine
Trembſe *) anzuſehen war. Auch war ihme der Hals
abgeſchunden und das Blut lief ihm annoch aus Maul
und Naſen. Doch hatte das Volk mein Töchterlein
nicht ſchimpfiret, ſo ſchimpfirete es ſie jetztunder, und
wollte ſie mit Koth und Steinen werfen, wenn es Ein
ehrſam Gericht nicht mit aller Macht gewehret, ſagende ſie
würde ja alsbald ihre wohlverdiente Straf empfangen.


Auch ſtieg mein lieber Gevatter Ehre Martinus wie¬
der auf den Wagen und vermahnete das Volk, der Ober¬
keit nit vorzugreifen, angeſehen das Wetter wiederumb
ein wenig nachgelaſſen, daß man ihn hören konnte.
Und als es ſich in etwas zufrieden geſtellet, übergab
Dn. Consul dem Müller das Leich von dem Amts¬
haubtmann, bis er mit Gottes Hülf wiederkäme, item
den Schimmel ließ er ſo lange an die Eiche binden, die¬
weil der Müller ſchwur, er hätte keinen Raum in der
Mühlen, inmaßen ſein Pferdeſtall annoch voll Stroh
läge, er wölle dem Schimmel aber etwas Heu fürgeben,
und ein gut Augenmerk auf ihn haben. Und jetzto mu߬
ten wir elendigen Menſchen, nachdem der unerforſch¬
17[258] liche Gott unſere Hoffnung aufs Neue zu Waſſer ge¬
macht, wieder auf den Wagen ſteigen, und der Büttel
flätſchete die Zähne für Grimm, als er die Stricke aus
der Taſchen hohlete, umb mein armes Töchterlein aber¬
eins an die Leiter zu binden. Hohlete dannenhero, da
ich leichtlich es ihm anſehen kunnte, was er im Sinne
hätte, zween Schreckensberger aus meiner Taſchen und
blieſe ihm in das Ohr: „macht es gnädig, ſie kann
Euch ja nimmermehr fortlaufen, und helfet Ihr ihr nach¬
gehends recht bald zu Tode, ſo ſöllet Ihr annoch zehn
Schreckensberger von mir haben!“ Solches half, und wie¬
wohl er für dem Volk ſich geſtellete, als hohlete er tüchtig
an, dieweil es aus allen Kehlen ſchriee: „hahl düchtig,
hahl düchtig!“ bund er ihre Händekens in Wahrheit doch
gelinder, denn früher und zwar, ohne ſie an der Leiter feſte
zu machen, hackete aber wiederumb hinter uns mit dem blan¬
ken Schwert auf, und nachdeme Dn. Consul nunmehro
ein lautes: „Gott der Vater wohn’ uns bei“ gebetet, auch
der Custos wiederumb ein neu Lied angefangen, (weiß
nicht mehr, was er geſungen, mein Töchterlein weiß es
auch nit mehr) ging es nach dem Willen des uner¬
forſchlichen Gottes weiter, und zwar alſo, daß Ein ehr¬
ſam Gericht nunmehro vorauf fuhr, alles Volk aber zu
unſerer Freude nachblieb, ſo wie auch die Kerls mit den
Forken ein gut Ende hinter uns trottireten, dieweil der
Amtshaubtmann todt war.


[259]

Capitel 28.

Wie mein Töchterlein endlich durch des allbarm¬
herzigen, ach des allbarmherzigen Gottes Hülf
gerettet wird.


Hierzwiſchen war ich aber, von wegen meinem
Unglauben, womit mich Satanas wiederumb ver¬
ſuchte, alſo ſchwach worden, daß ich meinen Rücken an
den Büttel ſeine Kniee ſtützen mußte, und nicht vermei¬
nete, ich würde das Ende bis an den Berg mehr ableben.
Denn nunmehro war auch die letzte Hoffnung, ſo ich
mir gemachet, verſchwunden, und ich ſahe, daß meim
unſchuldigen Lämmelein auch alſo umb ihr Herze war.
Hierzu kam, daß Ehre Martinus ſie ſchalt, wie Dn.
Consul
gethan, und ſagte: er ſähe anjetzo ſelbſten,
daß alle ihre Schwüre, Lügen geweſt und ſie in Wahr¬
heit Wetter machen könne. Hierauf gab ſie zur Ant¬
wort und zwar lächelnde, obwohl ſie ſo weiß, wie ein
Laken anzuſehen war: „Ei Herr Päte, gläubet Er denn
in Wahrheit, daß unſer Herr Gott nicht mehr das Wet¬
ter macht? Seind denn Gewitter umb dieſe Jahreszeit
alſo ſelten, daß ſie der böſe Feind nur machen kann?
Nein, ich habe den Taufbund, ſo Er einſtmals für mich
geſchloſſen nicht gebrochen und will ihn nimmer brechen,
ſo wahr mir Gott gnädig ſei in meinem letzten Stünd¬
lein ſo nunmehro ſchon geſchlagen!" Aber Ehre Mar¬
17*[260] tinus ſchüttelte ungläubig mit ſeinem Kopf und ſagte:
Der Teufel muß dir viel verſprochen haben, daß du bis
an dein Ende alſo verſtockt bleibeſt, und den Herren
deinen Gott läſterſt, aber harre! du wirſt bald mit
Schrecken gewahr werden, daß er ein Vater der Lügen
iſt, Joh. am achten. Als er ſolches und ein Mehres
geſaget kamen wir in Uekeritze an, wo alles Volk Groß
und Klein wieder aus den Thüren ſtürzete, auch Jakob
Schwarten ſein Weib, ſo in der letzten Nacht, wie wir
vernahmen, nur ihre Niederkunft gehalten. Und kam
ihr Kerl ihr vergeblich nachgerannt umb ſie aufzuhalten.
Sie ſagte: er wäre ein Narr, das wäre ſchon ſo lange
her, und ſölle ſie den Berg auf ihren Knieen hinauf¬
kriechen, ſo wölle ſie die Prieſterhexe doch auch brennen
ſehen. Hätte ſich lange darauf gefreuet, und wenn er
ſie nicht fahren ließe, wölle ſie ihme Eins auf ſein Maul
geben, etc.


Alſo gebehrdete ſich das grobe und unflätige Volk
umb unſern Wagen und da ſie nicht wußten, was un¬
terwegen geariviret, liefen ſie ſo nahe gegen uns, daß
das Wagenrad einem Jungen über ſeinen Fuß ging,
kamen auch, und inſonderheit die Mädkens wiederumb
an, und befühleten meinem Töchterlein ihre Kleider, woll¬
ten ihre Schuhe und Strümpfe aber auch ſehen und
frageten wie ihr zu Muthe wär, item ein Kerl: ob ſie
eins trinken wölle, und was ſie ſonſten mehr für Nar¬
rentheidinge trieben, ſo daß ſie letzlich, und als Etzliche
kamen und ſie um ihren Kranz, und die güldene Kette
[261] baten, ihr Haupt lächelnd zu mir wendete und ſprach:
„Vater ich muß nur wieder auf lateiniſch anfangen,
denn ſonſt läßt mir das Volk keine Ruhe!“ Aber es
war dieſes Mal nit vonnöthen. Denn da unſere Wäch¬
ter mit ihren Forken nunmehro die hinterſten auch er¬
reichet, und ohne Zweifel verzählet hatten, was fürge¬
fallen, höreten wir alsbald, ein groß Gerüſte hinter uns:
daß ſie umb Gottes Willen zurücke kommen ſöllten, ehe¬
bevor ihnen die Hexe etwas anthäte, und da Jacob
Schwarten ſein Weib ſich nicht daran kehrete, ſondern
mein Töchterlein immerfort quälete, daß ſie ihr ihren
Schurzfleck zu eim Taufkleid vor ihr Kindlein geben
müge, dieweil er ja doch nur verbrenne, ſchmiß ihr letz¬
lich ihr Kerl mit einem Knüppel ſo er von eim Zaun
brach, alſo in den Nacken, daß ſie mit großem Geſchrei
niederſtürzete, und wie er kam, umb ſie aufzurichten,
ihn bei ſeinen Haaren niederzog und, wie Ehre Mar¬
tinus ſagte, nunmehro doch in Ausführung brachte, was
ſie ihm gelobet, angeſehen ſie ihn mit einer Fauſt im¬
mer aus aller Macht auf die Naſe geſchlagen, bis die
anderen Leute hinzugeloffen und ſie abgehalten hätten.
Hierzwiſchen aber hatte das Wetter ſich faſt verzogen
und ſuckete *) nach der Sehe zu.


Und als wir nunmehro auch durch die kleine Heide
gelanget, ſahen wir plötzlich den Streckelberg für uns
mit vielem Volk und den Scheiterhaufen auf ſeiner
[262] Spitzen, auf welchem der lange Büttel ſprang, als er
uns ankommen ſahe und mit der Mützen winkete, ſo
viel er kunnte. Hierüber vergingen mir aber meine Sin¬
nen, und iſt es meinem Lämmelein auch nit viel anders
ergangen. Denn ſie hat hin und her geſchwanket wie
ein Rohr, und abereins ausgerufen, ihre gebundenen
Händeleins gen Himmel ſtreckende:


Rex tremendae majestatis! —

qui salvandos salvas gratis,

Salva me fons pietatis. —*)

Und ſiehe, wie ſie es kaum ausgeſprochen, iſt die
liebe Sonne wieder herfürgetreten und hat einen Regen¬
bogen auf dem Gewölk geformiret, recht über den Berg,
alſo, daß es luſtig anzuſehen geweſt. Und war dieſes
offenbarlich ein Zeichen des barmherzigen Gottes, wie
er uns oftermalen ſolche Zeichen giebt; aber wir blin¬
den und ungläubigen Menſchen achten es nit ſonderlich.
So hat ſie es auch nit geachtet, denn obwohl ſie an den
erſten Regenbogen gedacht, ſo uns unſere Trübſal für¬
gebildet, hat es ihr doch unmüglich geſchienen, daß ſie
annoch könnte errettet werden, und iſt alſo matt wor¬
den, daß ſie auf das liebe Gnadenzeichen weiter gar
nicht geachtet, und ihr Kopf, (dieweil ſie ihne nicht mehr
an mich lehnen konnte, angeſehen ich ſo lang ich gewach¬
ſen in dem Wagen gelegen) ihr alſo war vorne überge¬
[263] ſacket, daß ihr Kränzlein meinem Herrn Gevatter faſt
ſeine Knie berühret. Und hat ſelbiger nunmehro dem
Gutſcher anbefohlen, einen Augenblick ſtille zu halten, und
zu einer kleinen Flaſchen mit Wein gegriffen, ſo er im¬
mer in ſeiner Taſchen führet, wenn Hexen gebrennet
werden *) umb ihnen in ſolcher Angſt beizuſpringen,
(will es hinfüro auch ſo halten, dieweil mir dieſe Mode
von meim lieben Gevatter wohl gefällt). Von ſolchem
Wein hat er erſtlich mir in meinen Hals gegoſſen, und
nachgehends auch meinem Töchterlein, und ſeind wir kaum
wieder zu uns kommen, als ein grauſamer Rumor und
Tumult ſich unter dem Volke hinter uns erhoben, und
ſelbiges nicht nur in Todesangſt gerufen: der Amtshaubt¬
mann kommt wieder! beſondern auch, da es weder vor¬
wärts noch rückwärts entweichen mügen (denn hinter
ſich ſcheueten ſie das Geſpenſt und vor ſich mein Töch¬
terlein) zur Seiten gelaufen, und zum Theil in den Buſch
geſprungen, zum Theil aber bis an den Hals in das
Achterwaſſer gewatet. Item iſt Dom. Camerarius, ſo
bald er geſehen, daß das Geſpenſt auf den Schimmel
aus dem Buſch gekommen, ſo auch einen grauen Hut
mit einer grauen Feder aufgehabt, wie der Amtshaubt¬
mann hätte, unter ein Bund Stroh in den Wagen nie¬
dergekrochen, Dn. Consul aber hat abereins mein Kind
verwünſchet, und ſchon denen Gutſchern Befehlig gege¬
[264] ben, ſo toll zu fahren als ſie könnten, wenn auch alle
Pferde darauf gingen, als der dreuſte Büttel hinter uns
ihme zugeſchrieen: es iſt nicht der Amtshaubtmann, be¬
ſondern der Junker von Nienkerken, der die Hexe ſicher¬
lich wird retten wöllen, ſoll ich ihr darum mit dem Schwert
das Genicke abſtoßen? Bei dieſen erſchröcklichen Worten
kamen mein Töchterlein und ich erſt wieder gänzlich zur
Beſinnung, und hohlete der Kerl ſchon hinter ihr mit ſei¬
nem blanken Schwert aus, dieweil ihm Dn. Consul ein
Zeichen mit der Hand gab, als mein lieber Gevatter,
ſo es gewahr worden (Gott müge es ihm an jenem Tage
lohnen, ich kann es ihm nicht lohnen) mein Töchterlein
mit aller Gewalt rückwärts auf ſeinen Schooß riß. Und
wollte der Bube ſie nunmehro auf ſeinen Schooß erſte¬
chen. Aber der Junker war auch ſchon da, und als
er ſolches ſahe, juge er ihm ſeinen Jägerſpieß, ſo er in
Händen hatte, zwiſchen die Schultern, daß er gleich kopf¬
über zur Erden fiel, und ſein eigen Schwert ihme mit
Schickung des gerechten Gottes alſo in ſeine Seite fuhr,
daß es aus der andern wieder herausbrach. Lag alſo
und brüllete, was aber der Junker nicht achtete, ſondern
zu meinem Töchterlein ſprach: „Jungfer, meine liebe
Jungfer, Gott ſei Dank, daß Sie gerettet iſt!" Dieweil
er aber ihre gebundenen Händekens ſahe, knirſchete er
mit ſeinen Zähnen ſprang alſofort, ihre Richter verwün¬
ſchend, vom Roſſe, und ſchnitt ihr mit dem Schwerte,
ſo er in der Rechten hielt, den Strang durch, nahm
darauf ihre Hand und ſprach: „ ach liebe Jungfer, wie
[265] viel habe ich mich umb ſie gegrämet, aber ich kunnte
ſie nicht retten, dieweil ich, wie ſie ſelbſten in Ketten
gelegen hab, was ſie mir auch wohl anſehen wird.“


Aber mein Töchterlein kunnte ihm kein Wörtlein Ant¬
wort geben, beſondern fiel für Freuden abereins in Un¬
macht, kam aber alsbald, da mein lieber Gevatter noch
etwas Fürrath an Wein hatte, wieder bei ſich. Unter¬
deſſen aber that mir der liebe Junker Unrecht, was ich
ihm aber gerne verzeihen will. Denn er ſchnarchete mich
an und nannte mich ein altes Weib, das Nichtes künnte
als heulen und wehklagen. Warumb ich nit alſogleich
dem ſchwediſchen König nachgereiſet wäre, oder warumb
ich nicht ſelbſten nacher Mellenthin gekommen und ſein
Gezeugnüß mir gehohlet, da ich ja wüßte, was er von
denen Hexen dächte? (Ja, du lieber Gott, wie konnte
ich anders, als dem Richter gläuben, ſo dort geweſen
war. Das hätten wohl mehr Leut gethan, denn alte
Weiber; aber an den ſchwediſchen König hatte ich keine
Gedanken, und, Lieber ſage, wie hätte ich auch zu ihm
reiſen und mein eigen Kind verlaſſen mögen! Aber ſol¬
ches bedenken junge Leute nicht, dieweil ſie nit wiſſen,
wie einem Vater zu Muthe.)


Nunmehro war aber Dn. Camerarius, da er ge¬
höret, daß es der Junker ſei, wieder unter dem Stroh
herfürgekrochen, item Dn. Consul vom Wagen geſprun¬
gen und herbeigeloffen laut den Junker ſcheltende und
fragende: aus was Macht und Zuverſicht er ſolches thäte,
da er zuvor doch dieſe gottloſe Hexe ſelbſten verdammet?
[266] Aber der Junker zeigte mit dem Schwert auf ſeine Leute,
welche an die 18 Kerls mächtig jetzunder auch mit Sä¬
beln, Pieken und Mousqueten aus dem Buſch geritten
kamen, und ſprach: da ſeh Er meine Macht, und würd’
ich Ihme hier gleich etwas vor ſeinen podex geben
laſſen, wenn ich nit wüßte, daß Er ein dummer Eſel
wäre. Wann hat Er mir ein Gezeugnüß über dieſe recht¬
ſchaffene Jungfer abgenommen? — Er lügt in ſeinen
Hals, wenn er ſolches behauptet. Und als Dn. Consul
nun ſtund und ſich verſchwure, verzählete der Junker zu
Aller Verwunderung wie folget:


Nachdem er von dem Unglück gehöret, ſo mich und
mein Kind getroffen, hätte er alſogleich ſein Pferd ſat¬
teln laſſen, umb gen Pudgla zu reuten und ein Zeug¬
niß von unſerer Unſchuld abzulegen: Solches hätte aber
ſein alter Vater nicht geſtatten wöllen, alldieweil er ver¬
meinet, dadurch ſeine adeliche Ehre einzubüßen, wenn es
an den Tag käme, daß ſein Sohn mit einer verrufe¬
nen Hexen die Nacht auf dem Streckelberge converſiret
habe. Hätte ihm dahero, da er mit Bitten und Drohen
nichts ausgerichtet, Hände und Füſſe binden, und in das
Burgverliß ſetzen laſſen, wo bis dato ein alter Diener
ſein gepfleget, der ihm nicht hätte los geben wöllen, ſo
viel Geld er ihm auch geboten; wannenhero er in große
Angſt und Verzweiflung gerathen, daß unſchuldig Blut
umb ſeinet willen fließen ſölle. Aber der gerechte Gott
hätte es annoch gnädig abgewendet. Denn da ſein Va¬
ter von dem Aerger faſt heftig krank worden, und die
[267] ganze Zeit über auf dem Bette gelegen, hätte es ſich
heute Morgen umb Betglockenzeit begeben, daß der Jä¬
ger nach eim Rudeärpel im Schloßteich geſchoſſen, un¬
verſehens aber ſeines Vaters ſeinen Lieblingshund, Pak¬
an geheißen ſchwer verwundet. Solcher wäre ſchreiend
zu ſeines Vaters Bett gekrochen, und alldorten verrecket,
worüber der Alte in ſeiner Schwachheit ſich alſo geär¬
gert, daß ihn alſofort der Schlag gerühret, und er auch
ſeinen Geiſt aufgegeben.


Nunmehro hätten ihn aber ſeine Leute herfürgezogen
und nachdem er ſeines Vaters Augen zugedrücket, und
ein Vaterunſer über ihm gebetet, hätte er ſich alſogleich
mit allem Volk aufgemachet, ſo er in der Burg auf¬
treiben können, umb die unſchuldige Jungfer zu retten.
Denn er bezeuge hieſelbſten vor männiglich und auf Rit¬
ter Wort und Ehre, ja bei ſeiner Seelen Seeligkeit, daß
er der Teufel geweſt, ſo der Jungfer auf dem Berg
als ein haarigter Rieſe erſchienen. Denn dieweil er
durch das Gerücht es vernommen, daß ſelbige ofterm¬
len dorthin gehe, hätte er gerne wiſſen wöllen was ſie
dorten thäte, und ſich in einen Wulfspelz verkleidet, daß
Niemand ihn kennen müge von wegen ſeinem harten
Vater. Und hätte er ſchon zwei Nächte dorten zuge¬
bracht, bis die Jungfer in der dritten gekommen und
er geſehen hätte, daß ſie nach Birnſtein in den Berg ge¬
graben, auch nicht den Satanas angerufen, ſondern vor
ſich ein lateiniſch carmen gerecitiret. Solches hätte er
dahero in Pudgla zeugen wöllen, aber aus gedachter
[268] Urſache nicht gekönnet, beſondern ſein Vater hätte ſei¬
nen Vetter Clas von Nienkerken, ſo bei ihm zum Be¬
ſuch geweſt, ſich für ihn in das Bette legen, und ein
falſch Gezeugnüß ablegen laſſen. Denn, alldieweilen Dn.
Consul
ihme (verſtehe den Junker) in langen Jahren
nicht geſehen, anerwogen er in der Fremde geſtudieret;
ſo hätte ſein Vater wohl gegläubet, daß er leichtlich
getäuſchet werden müge, wie denn auch beſchehen.“


Als ſolches der rechtſchaffene Junker vor Dn. Con¬
sule
und allem Volk bezeugte, welches nunmehro wie¬
der in haufen herbeigelaufen kam, da es hörete, daß
der Junker kein Geſpenſt geweſen, fiel es mir wie ein
Mühlenſtein von meinem Herzen, und dieweil mich das
Volk rief (ſo bereits den Büttel unter dem Wagen her¬
fürgezogen, und alſo dicke um ihn wimmelte, wie ein
Bienenſchwarm) daß er ſterben wölle, mir aber zuvorab
noch etwas offenbaren, ſprang ich ſo leicht wie ein Jung¬
geſelle von dem Wagen, und rief Dn. Consulem und
den Junker gleich mit mir, geſtalt ich wohl mir abneh¬
men kunnte, was er auf ſeinem Herzen hätte. Und
ſaß er auf eim Stein, und das Blut ſtund ihm wie
ein Pferdeſchwanz aus ſeiner Seiten, (angeſehen man
ihm das Schwert herausgezogen) wimmerte, als er mich
ſahe und ſprach: daß er in Wahrheit Allens hinter der
Thüren gehöret, was die alte Liſe mir gebeichtet, als
nämlich, daß ſie alle Zaubereien ſelbſten mit dem Amts¬
haubtmann an Menſchen und Viehe angerichtet, umb
mein arm Kind zu erſchröcken und alſo zu einer Huren
[269] zu machen. Solches hätte er aber verſchwiegen, dieweil
der Amtshaubtmann ihm dafür ein Großes verſprochen,
müßte es aber jetzunder, wo der gerechte Gott die Un¬
ſchuld meines Töchterleins an den Tag brächte, freiwillig
bekennen. Bäte dahero mich und mein Kind ihme zu
vergeben, und als Dn. Consul ihn hierauf kopfſchüt¬
telnd fragete, ob er auf ſolch ſein Bekenntnüß leben und
ſterben wölle, ſprach er noch „ ja!“ fiel ſodann aber al¬
ſogleich auf die Seite zur Erden nieder und gab ſeinen
Geiſt auf.


Hierzwiſchen aber war dem Volk auf dem Berge,
ſo von Coſerow, vom Zitze vom Gnitze etc. alldorten
zuſammengelaufen war, umb mein Töchterlein brennen
zu ſehen, die Zeit lang worden und kamen ſie nunmehro
wie die Gänſe, einer nach dem andern, in langer Reihe
den Berg niedergelaufen, umb zu ſehen, was gearivi¬
ret. Und war auch mein Ackersknecht Claus Neels dar¬
unter. Als ſelbiger aber ſahe und hörete, was geſche¬
hen, hube der gute Kerl vor Freuden an, laut zu wei¬
nen und verzählete nun auch, was er in dem Garten
den Amtshaubtmann zu der alten Liſen ſprechende ge¬
höret, und wie er ihr ein Schwein verſprochen, dafür
daß ſie ihr eigen Ferkelken todt gehexet umb mein Töch¬
terlein in ein böſes Geſchrei zu bringen, summa: Allens,
was ich ſchon oben notirt habe und er bis dato aus
Furcht vor der Marter verſchwiegen. Hierüber verwun¬
derte ſich alles Volk, und entſtunde ein groß Lamenti¬
ren, ſo daß Etzliche kamen, worunter auch der alte Paaſsch
[270] befindlich, und mir wie meinem Töchterlein Hände und
Füſſe küſſen wöllten und uns nunmehro ebenſo lobeten
als ſie uns vorhero verachtet hatten. Aber ſo iſt das
Volk; dannenhero auch mein Vater ſeliger zu ſagen
pflegte:


Volkes Haß:

Ein ſchneidend Glas;

Volkes Gunſt:

Ein blauer Dunſt!

Auch careſſirete mein lieber Gevatter mein Töchter¬
lein in einem zu, ſie auf ſeinen Schooß haltend, und
wie ein Vater weinend ( denn ich kunnte nicht mehr wei¬
nen als er weinete). Sie ſelbſten aber weinte nicht,
beſondern bat den Junker, welcher wieder an den Wa¬
gen getreten war, einen Reuter an ihre alte, treue Magd
nacher Pudgla zu ſchicken, umb ihr zu ſagen, was gear¬
riviret, welches er auch alſogleich ihr zu Willen that.
Aber Ein ehrſam Gericht, (denn nunmehro hatten Dn.
Camerarius
und der Scriba ſich auch ein Herz ge¬
faſſet und waren von dem Wagen geſtiegen) war an¬
noch nicht zufrieden geſtellet, angeſehen Dn. Consul
anhub dem Junker von der behexten Brücken zu erzäh¬
len, welche kein anderer könne bezäubert haben, denn
mein Töchterlein. Hierauf gab der Junker zur Antwort:
daß ſolches in Wahrheit ein ſeltſam Ding ſei, inmaßen
ſein eigen Roß ſich darauf ein Bein zubrochen, und er
darumb den Amtshaubtmann ſein Pferd genommen, ſo
er unter der Mühlen angebunden geſehen. Er gläube
[271] aber nicht, daß dieſes der Jungfer zuzuhalten wäre, ſon¬
dern daß es ganz natürlich zuginge, wie er ſchon halb
und halb verſpüret, aber nit die Zeit gehabt, es zu un¬
terſuchen. Darumb wölle er bitten, daß Ein ehrſam Ge¬
richt und alles Volk, wie mein Töchterlein ſelbſten, wie¬
der umbkehre, umb ſelbige mit Gottes Hülfe auch von ſol¬
chem Verdacht rein zu waſchen, und männiglich ihre gänz¬
liche Unſchuld zu bezeugen.


In ſolches Fürhaben willigte Ein ehrſam Gericht und
dieweil der Junker den Amtshaubtmann ſeinen Schimmel
meinem Ackersknecht übergeben, umb den Leichnam, ſo
man dem Roß vorne über den Hals geleget, nacher Coſe¬
row abzuführen, ſtieg der Junker bei uns auf den Wagen,
aber ſetzete ſich nicht bei meim Töchterlein, beſondern rück¬
wärts bei meim lieben Gevatter nieder, gab auch Befehlig,
daß nit der alte Gutscher, ſondern einer von ſeinen Unter¬
thanen unſern Wagen fahren ſölle, und alſo kehreten wir
in Gottes Namen wieder umb. Custos Benzensis, wel¬
cher auch mit den Kindern in die Wicken gelaufen war, ſo
annoch am Wege ſtunden (mein ſeliger Custos ſollt es
nicht geweſt ſein, der hatte mehr Courage) ging wieder
mit der lieben Jugend fürauf und mußte nunmehro, auf
Befehlig ſeines Herrn Paſtoren, den ambroſianiſchen Lob¬
geſang anſtimmen, welches uns alle mächtiglich erbarmete,
inſonderheit mein Töchterlein, ſo daß ihr Buch naß wurde
von ihren Thränen, und ſie es letzlich wegklegete und ſprach,
indem ſie dem Junker ihre Hand reichete: „wie ſoll ich es
Gott und Ihme danken, was Er an mir gethan?“ wor¬
[272] auf der Junker zur Antwort gab: „ich habe mehr Ur¬
ſache Gotte zu danken, als Sie liebe Jungfer, angeſe¬
hen Sie unſchuldig in ihrem Kerker gelitten, ich aber habe
ſchuldig gelitten, dieweil ich durch meine Leichtfertigkeit
Ihr Ungelücke angerichtet. Gläube Sie mir, als ich
heute Morgen das arme Sünderglöcklein zum erſten
Male in meim Verließ klingen hörete, vermeinete ich
ſchon zu vergehen, und als es ſich zum dritten Male ver¬
nehmen ließe, wäre ich wohl unſinnig worden in meinem
Schmerz, wenn der allmächtige Gott es nicht ſo gefü¬
get, daß er faſt in ſelbigem Augenblick meinem wunder¬
lichen Vater ſein Leben genommen, umb Ihr unſchuldig Le¬
ben durch mich retten zu laſſen. Darumb habe ich auch
dem lieben Gotteshauſe einen neuen Thurm angelobet, und
was ſich ſonſten befinden wird, denn nichts Bitteres hätte
mir auf Erden geſchehen mügen, denn Ihr Tod liebe Jung¬
fer, und nichts Süßeres, denn ihr Leben!"


Aber mein Töchterlein weinete und ſeufzete nur bei
dieſen Worten, und wenn er ſie anſahe, ſahe ſie zit¬
ternde auf ihren Schooß nieder, ſo daß ich gleich argu¬
mentirete, mein Jammer ſei annoch nicht zu Ende, ſon¬
dern ſölle nur ein ander Thränenfaß angeſtochen wer¬
den, wie denn auch geſchahe. Hiezu kam, daß der Eſel
von custos, nachdem er den Lobgeſang beendet und wir
annoch nicht zur Stelle waren, gleich den nachfolgenden
Geſang anhube, welcher aber ein Sterbenslied war, näm¬
lich dieſes: Nun laſſet uns den Leib begraben. (Gott
ſei Dank, hat ſolches aber bis dato noch nichts Böſes
[273] bedeutet). Mein lieber Herr Gevatter ſchnarchete ihn
davor nicht wenig an und ſölle er aus Strafe vor ſeine
Dummheit auch das Geld vor die Schuhe nit kriegen,
ſo er ihm allbereits aus dem Kirchenblock verſprochen.
Aber mein Töchterlein getröſtete ihn und verſprach ihme
vor eigene Unkoſten ein Paar Schuhe, angeſehen es viel¬
leicht beſſer für ſie wäre, er ſtimmete umb ſie einen Lei¬
chen- dann einen Freudengeſang an.


Und als den Junker ſolches verdroß und er ſprach:
„ei liebe Jungfer, Sie weiß nit wie Sie Gott und mir
vor Ihre Rettung danken ſoll, und Sie ſpricht alſo?“
gab ſie wehmüthig lächelnde zur Antwort: ſie hab es nur
geſaget umb den armen custodem zu beruhigen. Aber
ich ſahe es ihr gleich an, daß es ihr Ernſt war, die¬
weil ſie ſchon jetzt bei ſich befunde, daß ſie zwar aus
einer Brunſt gerettet, doch in die andere kommen ſei.


Hierzwiſchen gelangeten wir wieder bei der Brücken
an und ſtunde alles Volk und ſperreten die Mäuler auf,
als der Junker vom Wagen ſprang, und nachdem er
zuvor ſein Roß erſtochen, ſo noch auf der Brücken lag
und ſpartelte, auf ſeine Kniee fiel, mit der Hand auf
den Boden hin und her wiſchete und letzlich Ein ehrſam
Gericht herbeirief, dieweil er nunmehro den Zauber auf¬
gefunden. Aber es wollte Niemand nicht ihm folgen
denn Dn. Consul und ein Paar Kerls aus dem Hau¬
fen, worunter auch der alte Paaſsch befindlich, item ich
und mein lieber Gevatter, und zeigete uns der Junker
nunmehro ein Stücklein Talg bei der Größe einer gu¬
18[274] ten Nuß, ſo auf dem Boden lag, und womit die ganze
Brücke übergeſchmieret war, ſo daß ſie faſt ein weißlich
Anſehn hatte, was aber männiglich in der Angſt für
Mehlſtaub aus der Mühlen gehalten, item mit einer
andern materia, ſo als Marderdreck ſtunk, wir aber
nicht erkannten. Bald darauf funde ein Kerl auch noch
ein ander Stücklein Talg, und zeigete es dem Volk, wor¬
auf ich ausrief: ho ho das hat Niemand, denn der gott¬
loſe Mühlenknappe gethan vor die Prügel, die ihm der
Amtshaubtmann hat geben laſſen, weil er mein Töch¬
terlein geläſtert und erzählete nunmehro den Fürfall,
von welchem Dn. Consul auch gehöret, und dannenhero
alſogleich den Müller rufen ließ.


Selbiger that aber als wüßte er von Nichtes, und
berichtete nur, daß ſein Mühlenknappe ſeit einer Stun¬
den abgewandert ſei. Doch ſagete ein Mädken, ſo bei
dem Müller im Dienſt ſtunde, daß ſie heute Morgen
für Tagesanbruch, als ſie aufgeſtanden, umb das Vieh
auszulaſſen, den Knappen habe auf der Brücken liegen
und ſcheuren ſehen. Hätte ſich weiters nicht daran ge¬
kehret, ſondern wäre alsbald noch wieder eine Stunde
ſchlafen gangen. Wohin der böſe Bube aber gewan¬
dert, wollte ſie ſo wenig in Erfahrung gezogen haben,
denn der Müller. Als der Junker dieſe Kundſchaft er¬
langet ſtieg er auf den Wagen und hub an das Volk
zu vermahnende, wobei er letzlich es auch perſuadiren
wollte, nicht mehr an Zauberei zu gläuben, dieweil ſie
ſähen, wie es mit der Hexerei befindlich wäre. Als ich
[275] ſolches hörete, entſatzte ich mich, wie billig in meim prie¬
ſterlichen Gewiſſen, und ſtieg auf das Wagenrad und
blieſe ihm ein, daß er umb Gottes willen von dieſer
Materia aufhören ſölle, dieweil das Volk, wenn es den
Teufel nicht mehr fürchte, auch unſern Herrgott nicht
mehr fürchten würde *).


Solches thät der liebe Junker mir auch alſogleich
zu Gefallen, und fragete nur das Volk noch, ob ſie
jetzunder mein Töchterlein ganz für unſchuldig hielten.
Und nachdem ſie „ja!“ geſaget, bate er ſie, nunmehro
geruhſam nach Hauſe zu gehen und Gott zu danken,
daß er unſchuldig Blut gerettet. Er wölle jetzo auch
wieder umbkehren und hoffe er, daß Niemand mich und
mein Töchterlein beſchweren würde, wenn er uns allein
nacher Coſerow zurückfahren ließe. Hierauf wandte er
ſich eilends an ſelbige, gab ihr die Hand und ſprach:
„Lebe Sie wohl liebe Jungfer, ich hoffe Ihre Ehre auch
bald vor der Welt zu retten, und danke Sie nicht mir,
ſondern Gott!“ Alſo machte ers auch mit mir und
meinem lieben Gevatter, worauf er von dem Wagen
ſprang und bei Dn. Consuli auf ſeinen Wagen ſitzen
ging. Selbiger hatte auch bereits etzliche Worte zum
Volk geſprochen, auch mich und mein Kind umb Ver¬
gebung angerufen (und muß es ihme zur Ehre nachrüh¬
men, daß ſeine Thränen dabei auf die Backen nieder¬
floſſen) wurde aber von dem Junker alſo ſehr gedrän¬
18 *[276] get, daß er kürzlich abbrechen mußte, und ſie ohne ſich
umbzuſehen über die kleine Brücke von dannen fuhren.
Nur Dn. Consul ſahe ſich noch einmal umb und rief
mir zu: daß er in der Eil vergeſſen habe, dem Scharf¬
richter zu avertiren, daß heute nicht gebrennet würde;
ich müge alſo in ſeinem Namen meinen Fürſteher von
Uekeritze auf den Berg ſchicken und ihm ſolches ſagen
laſſen, was ich auch that. Und iſt der Bluthund auch
noch in Wahrheit auf dem Berg geweſt, doch obwohl
er längſt gehöret was fürgefallen, hat er doch ſo er¬
ſchröcklich zu fluchen angefangen wie der Schulze ihm
den Befehl Eines ehrſamen Gerichtes überbracht, daß es
einen Stein hätte erwecken mögen, hat auch ſeine Mütze
ſich abgeriſſen, und ſelbige mit Füſſen getreten, woraus
man gießen mag, was an ihme iſt. Doch umb wieder
auf uns zu kommen, ſo ſaß mein Töchterlein, alſo ſtill
und blaß wie eine Salzſäule nachdem der Junker ſie ſo
plötziglich und unvermuthet verlaſſen, wurde aber als¬
bald in Etwas wieder getröſtet, als die alte Magd an¬
gelaufen kam, ihre Röcke bis an die Knie aufgeſchürzet,
und ihre Strümpfe und Schuhe in den Händen tragend.
Wir höreten ſie ſchon aus der Ferne für Freuden heu¬
len, dieweil die Mühle ſtille ſtund, und fiel ſie wohl
an die dreien Malen auf der Brücken, kam aber letzlich
auch glücklich hinüber und küßete bald mir, bald mei¬
nem Töchterlein Hände und Füße, nur bittende: wir
wöllten ſie nicht verſtoßen, beſondern ſie bis an ihr ſelig
Ende bei uns behalten, was wir auch zu thun verſpra¬
[277] chen. Und mußte ſie hinten aufhacken, da wo der dreuſte
Büttel aufgehacket war, angeſehen mein lieber Herr Ge¬
vatter mich nicht verlaſſen wollte, bis ich wieder in meine
Widemen gekommen. Und da den Junker ſein Kerl
bei dem andern Wagen aufgehacket war, fuhr uns der
alte Paaſsch zurück, und alles Volk ſo bis dato gewar¬
tet, trottirete jetzt wieder umb den Wagen her, und lo¬
bete und beklagete uns, wie es uns vorhero verachtet
und geſchmähet hatte. Wir waren aber kaum durch
Uekeritze gelanget, als ein abermalig Geſchrei erging:
„de Junker kümmt, de Junker kümmt!" ſo daß mein
Töchterlein hoch auffuhr für Freuden und ſo roth wie
eine Erdbeer wurde, von dem Volk aber Etzliche ſchon
wieder begunnten in den Buchweizen zu laufen, ſo am
Wege ſtunde, dieweil ſie abermals vermeineten, es wäre
ein Spükels *). Es war aber in Wahrheit der Jun¬
ker wieder, ſo auf einem ſchwarzen Rappen angeſpren¬
get kam, und als er gegen uns war ausrief: „ſo eilig
ich es auch habe liebe Jungfer, ſo muß ich dennoch
umbkehren und ſie bis in Ihr Haus geleiten, angeſehen
ich eben gehöret, daß das unflätige Volk ſie unterweges
ſchimpfiret, und ich nicht weiß, ob ſie jetzunder ſicher ge¬
nug iſt. Hierauf trieb er den alten Paaſsch zur Eile
an, und da das Ampeln **) mit ſeinen Beinen, ſo er
fürnahm nicht ſonderlich die Pferde in den Trab brin¬
gen wollte, ſchlug er von Zeit zu Zeit das Sattelpferd mit
[278] der flachen Klingen über den Rücken, ſo daß wir in Kur¬
zem in das Dorf und vor die Widemen gelangeten.
Doch als ich ihn bate, ein wenig abzuſteigen, wollte er
nicht, beſondern entſchuldigte ſich, daß er heute noch über
Uſedom nacher Anclam reiſen müße, empfohle aber dem
alten Paaſsch ſo ein Schulze bei uns war, mein Töch¬
terlein auf ſeinen Kopf an, und möge er alſogleich, wenn
etwas Sonderbares ſich eräugnen ſollte, ſelbiges dem
Rentmeiſter in Pudgla, oder Dn. Consuli in Uſedom
vermelden, worauf er, als der Mann ſolches zu thun
verſprach, mit der Hand uns winkete, und wieder von
dannen jagte, ſo ſehr er kunnte.


Aber er war noch nit bei Pagels umb die Ecke
kommen kehrete er zum dritten Male zurück, und als
wir uns verwunderten ſprach er: wir möchten ihme ver¬
geben, daß er heute kurz von Gedanken ſei.


Ich hätte ihme doch vormals geſaget, daß ich an¬
noch meinen Adelsbrief hätte, und bäte er mich, ihn ſel¬
bigen einige Zeit zu lehnen. Hierauf gab ich zur Ant¬
wort: daß ich ſelbigen erſt herfürſuchen müßte, und müge
er dannenhero ein wenig niederſteigen. Aber er wollte
nit, beſondern entſchuldigte ſich abereins, daß er keine
Zeit nit hätte. Blieb darumb vor der Thüren halten,
bis ich ihme den Brief brachte, worauf er ſich bedan¬
kete und ſprach: „laß Er ſich dieſes nicht verwundern;
Er wird bald ſehen was ich im Sinne habe!" Und hie¬
mit ſtieß er ſeinem Rappen die Sporen in die Seite
und kam nicht wieder.


[279]

Capitel 29.

Von unſrer großen, abermaligen Trübſal und letz¬
licher Freud.


Und hätten wir jetzunder wohl zufrieden ſein und
Gotte Tag und Nacht auf unſern Knieen dan¬
ken mögen. Denn unangeſehen, daß er uns ſo gnädig¬
lich aus ſo großer Trübſal erlöſet, hatte er auch das
Herze meiner lieben Beichtkinder alſo umbgekehret, daß
ſie nicht wußten was ſie uns Gutes thun ſöllten. Brachten
alle Tage Fiſche, Fleiſch, Eier, Würſte und was ſie mir
ſonſten beſcheeren thäten, und ich wieder vergeſſen hab.
Kamen auch den nächſten Sonntag alle zur Kirchen, Groß
und Klein (außer der Klienſchen in Zempin ſo unter¬
deſſen einen kleinen Jungen gekriegt und annoch ihre
Wochen hielt) allwo ich über Hiob 5, Verſe 17, 18, 19
meine Dankpredigt hielte: „ſiehe, ſelig iſt der Menſche
den Gott ſtrafet, darum wegere dich der Züchtigung des
Allmächtigen nicht. Denn er verletzet und verbindet, er
zuſchmeißet und ſeine Hand heilet. Aus ſechs Trübſalen
wird er dich erretten, und in der ſiebenten wird dich
kein Uebel rühren," wobei ich oftermalen von wegen
dem Heulen ein wenig inne halten mußte, daß ſie ſich
verpuſten könnten. Und hätt ich mich in Wahrheit an¬
jetzo mit dem Hiob, nachdeme ihn der Herr wiederumb
gnädig aus ſeinen Trübſalen erlöſet, wohl mügen in Ver¬
[280] gleichung ſtellen, wenn nicht mein Töchterlein geweſen
wäre, ſo mir abereins viel Herzeleid bereitete.


Sie weinete ſchon, als der Junker nicht abſteigen
wollte, und wurde letzlich, da er nicht wiederkam immer
unruhiger von einem Tag in den andern. Saß bald
und las in der Bibel, bald in dem Geſangbuch, item
in der Hiſtorie von der Dido bei dem Virgilio, oder
lief auch auf den Berg und hohlete ſich Blümekens (hat
alldorten auch der Birnſteinader wieder nachgeſpüret, aber
nichtes befunden, daraus männiglich die Liſt und Bos¬
heit des leidigen Satans abnehmen mag). Solches
ſahe ich etzliche Zeit mit Seufzen an, doch, ohne ein
Wörtlein zu ſagen (denn Lieber, was kunnte ich ſagen?)
bis es immer ärger wurd, und da ſie jetzunder mehr
denn jemalen zu Hauſe und im Felde ihre carmina re¬
citirete, beſorgete ich daß das Volk ſie wiederumb in ein
Geſchrei bringen würde, und ginge ihr eines Tages nach,
als ſie wieder auf den Berg lief. Gott erbarms, ſie
ſaß auf ihren Scheiterhaufen, ſo annoch da ſtunde, doch
alſo, daß ſie ihr Antlitz zur Sehe gekehret hatte und reci¬
tirete die Versus, wie Dido den Scheiterhaufen beſteiget,
umb ſich aus Brunſt zum Aeneae zu erſtechen nämlich:

At trepida et coeptis immanibus effera Dido

Sanguineam volvens aciem, maculisque trementes

Interfusa genas, et pallida morte futura

Interiora domus irrumpit limina, et altos

Conscendit furibunda rogos. — — —*)

[281] Als ich ſolches ſahe und hörete, wie weit es mit ihr
kommen, entſatzte ich mich auf das Höchſte und rief:
„Maria, mein Töchterlein machſtu?“ Sie erſchrak,
als ſie meine Stimme hörete, blieb aber auf ihrem
Scheiterhaufen ſitzen, und gab zur Antwort, indem ſie
das Geſicht mit ihrem Schurzfleck bedeckete. „Vater
ich brenne mein Herze!“ Trat alſo näher zog ihr den
Schurzfleck fort und ſprach: „Wiltu mich denn noch
einmal zu Tode grämen?“ worauf ſie ihre Augen mit
den Händen bedeckete und lamentirete: „ach Vater,
warumb bin ich hier nicht gebrennet? ſo hätte meine
Pein doch nur eine kurze Zeit gewähret, nun aber wäh¬
ret ſie ſo lange ich lebe!“ That noch immer als mer¬
kete ich nichtes und ſprach: „Warumb leideſt du denn
ſo viel Pein mein liebes Kind?“ worauf ſie zur Ant¬
wort gab: „ich habe mich ſo lange geſchämet es Ih¬
me zu ſagen, umb den Junker, umb den Junker, mein
Vater, leide ich ſo viele Pein! Er gedenket mein nit
mehr und verachtet mich, obwohl er mich gerettet, denn
ſonſt wäre er wohl ein wenig vom Roß geſtiegen und
hineinkommen, aber wir ſeind ihm viel zu ſchlecht!“
*)

[282]

Und hube ich nun zwar an, ſie zu tröſten und ihr
die Gedanken auf den Junker auszureden, aber je mehr
ich tröſtete, je ärger wurd es. Doch ſahe ich, daß ſie
noch heimblich eine ſteife Hoffnung hatte von wegen dem
Adelsbrief, den ich ihme hatte thun müſſen. Solche
Hoffnung wollte ich ihr auch nicht benehmen, dieweil
ich ſie ſelbſten hatte, beſondern, umb ſie nur zufrieden
zu ſtellen, flattirete ich letzlich ihrer Hoffnung, worauf
ſie auch etzliche Tage geruhſamer wurde, und nicht wie¬
der auf den Berg lief, wie ich ihr verboten, Nahm
auch ihre kleine Päte, die Paaſſchin wieder im Kate¬
chismus für, angeſehen der leidige Satan ſie mit des
gerechten Gottes Hülfe nunmehro wieder gänzlich ver¬
laſſen. Doch quinete *) ſie noch und ſahe alſo blaß
aus wie ein Laken. Als aber bald hiernach das Ge¬
ſchreie kam: Niemand in der Burg zu Mellenthin wiſſe,
wo der Junker verblieben, und vermeine man, daß er
todt geſchlagen wäre, nahm ihr Jammer wieder über¬
hand, alſo daß ich meinen Ackersknecht zu reuten nacher
Mellenthin ſchicken mußte, umb Kundſchaft von wegen
ihme einzuhohlen. Und hat ſie wohl an die zwanzig
Malen nach ſeiner Wiederkunft aus der Thüren und
über das Hackelwerk geſchauet, iſt ihm auch bis an die
Ecke gegen Pagels entgegengelaufen, als ſie letzlich ſahe
daß er wiederkam. Aber, du lieber Gott, er brachte
[283] uns böſere Nachricht, denn das Geſchreie uns gebracht,
ſagende: die Burgleute hätten ihm verzählet, daß ihr
junger Herre gleich noch ſelbigen Tages abgeritten, als
er die Jungfer gerettet. Und wär er zwar nach dreien
Tagen zur Begräbnüß ſeines Vaters retourniret, aber
auch gleich hierauf wieder abgeritten, und hätten ſie nun¬
mehro an die fünf Wochen weiter Nichtes von ihme ge¬
höret, wußten auch nicht wohin er gefahren und vermei¬
neten, daß ihn böſe Lotterbuben wohl geſchlagen hätten.


Und nunmehro hube mein Jammer größer an, denn
er jemalen geweſen; denn ſo geduldig und gottergeben
ſie ſich vorhero erwieſen, daß keine Märtyrin hat mügen
ſtärker in Gott und Chriſto ihrem letzten Stündlein ent¬
gegen gehen, ſo ungeduldig und verzweifelt war ſie an¬
jetzo. Hatte alle Hoffnung aufgeben, und ſich ſteif in
den Kopf geſetzt, daß in dieſer ſchweren Kriegeszeit die
Schnapphanichen den Junker geſchlagen. Nichtes wollte
davor helfen auch das Beten nit, denn wenn ich mit
ihr auf meinen Knieen den Herren anrief, fing ſie letz¬
lich immer an ſo erſchröcklich zu lamentiren, daß ſie
der Herre verſtoßen, und ſie nur zum Unglück auf Erden
erwählet ſei, daß es mir wie ein Meſſer mein Herze
durchſchnitt, und mir die Gedanken mit denen Worten
vergingen. Lag auch des Nachts und winſelte wie eine
Schwalbe und ein Kranich und girrete wie eine Taube,
und ihre Augen wollten ihr brechen *), dieweil ſie kei¬
[284] nen Schlaf darinnen bekam. Rief ich ihr dann aus
meinem Bette zu: „ mein liebes Töchterlein, willtu denn
noch nit aufhören, ſo ſchlafe doch!“ ſo gab ſie zur Ant¬
wort: „ſchlaf Er nur mein Herzensvater, ich kann nit
ſchlafen, ehe denn ich den ewigen Schlaf ſchlafe; ach
mein Vater, warumb bin ich nicht gebrennet?“ Aber
wie hätte ich ſchlafen mügen, da ſie nicht ſchlafen kunnte;
ſagte zwar alle Morgen, daß ich etwas geſchlafen, umb
ſie zufrieden zu ſtellen; aber es war nicht alſo, beſon¬
dern wie David ſchwemmete ich auch mein Bette die
ganze Nacht und netzete mit meinen Thränen mein La¬
ger *). Verfiel auch wieder in großen Unglauben, alſo
daß ich nicht beten kunnte und mochte. Doch der Herre
handelte nicht mit mir nach meinen Sünden und vergalt
mir nicht nach meiner Miſſethat, beſondern ſeine Gnade
ſollte auch über mir elenden Knecht bald höher werden,
denn der Himmel über der Erden **).


Denn was geſchah am nächſten Samtstag? Siehe
unſere alte Magd kam außer Athem in die Thüre ge¬
fahren: daß ein Reuter über den Herrenberg käme, hätte
einen großen Federbuſch an ſeinem Hut wehende, und
gläube ſie, es wäre der Junker. Als mein Töchterlein
ſo auf der Bank ſaß umb ſich ihre Haare auszukäm¬
men, ſolches hörete, thät ſie einen Freudenſchrei, daß es
einen Stein in der Erden hätte erbarmen mügen, und
[285] rannte alſogleich aus der Stuben, umb über das Hak¬
kelwerk zu ſchauen. Währete auch nit lange, ſo kam
ſie wieder zurücke gelaufen, fiel mir umb meinen Hals
und ſchriee in einem wegk: „der Junker, der Junker!“
wollte darauf abereins heraus ihme entgegen, was ich
ihr aber wehrete, und ſölle ſie ſich lieber ihre Haare
wegkſtecken, was ſie auch einſah und lachende weinende
und betende zugleich ſich ihre langen Haare wieder auf¬
bund. Nunmehro kam aber auch der Junker ſchon umb
die Ecken gegaloppiret, hatte ein grün ſammet Wam¬
mes an, mit rothen ſeidinen Aermeln, und einen grauen
Hut mit einer Reiherfeder, summa war ſtattlich ange¬
than, wie eim Bräutigam gebühret. Und als wir nun¬
mehro aus der Thüren liefen, rief er meinem Töchter¬
lein auf lateiniſch ſchon von ferne entgegen: quomodo
stat dulcissima virgo
*)? worauf ſie zur Antwort gabe:
bene, te aspecto**). Sprung alſo lächelnd vom Roß,
und gab ſolches meinem Ackersknecht, ſo mit der Magd
auch herbeikommen war, umb ſein zu pflegen, verſchrak
ſich aber als er mein Töchterlein alſo blaß ſahe, und
ſprach, ſie bei ihrer Hand faſſend, auf teutſch: „mein
Gott, was fehlet Ihr liebe Jungfer, Sie ſieht ja blaſſer
aus, denn da Sie auf den Scheiterhaufen ſollte?“ worauf
ſie zur Antwort gab: „ich bin auch alle Tage zum Schei¬
terhaufen gefahren, ſeitdem Er uns verlaſſen, lieber Herre,
[286] ohne bei uns einzuſprechen, oder uns kund zu thun, wo
Er geblieben.“


Solches gefiel ihme und ſprach, wir wöllten nur
allererſt in die Stube gehen, ſie ſölle Allens erfahren.
Und nachdeme er ſich alldorten den Schweiß abgewiſchet
und auf die Bank bei meim Töchterlein niedergeſetzet
hatte, verzählete er, wie folget. Er hätte ihr ja alſo¬
gleich verſprochen, er wölle ihre Ehre erſtlich vor aller
Welt reſtituiren, und hätte ihm dannenhero noch am
ſelbigen Tage, als er uns verlaſſen, Ein ehrſam Gericht
ein kurz Gezeugnüß ausſtellen müſſen von Allem was
fürgefallen, inſonderheit aber von dem Bekenntnüß des
dreuſten Büttels, item meines Ackerknechtes Claus Neels,
womit er annoch in der Nacht, wie er verſprochen, gen
Anclam geritten und des nächſten Tages nacher Stettin
zu unſerm gnädigen Herrn dem Herzogen Bogislav.
Selbiger hätte ſich faſt heftig verwundert, als er von
der Bosheit ſeines Haubtmanns vernommen und wie
ers mit meinem Töchterlein gemachet, auch gefraget,
ob ſie des Paſtoren Tochter ſei, ſo einſtmalen in Wolgaſt
im Schloßgarten den Siegelring Sr. fürſtl. Gnaden,
Philippi Julii, chriſtmilden Gedächtniſſes, gefunden, und
da er ſolches nicht gewußt, ihn abereins gefraget: ob
ſie auch lateiniſch verſtünde? Und als er, der Junker,
letztes bejahet und geſaget, ſie könne beſſer lateiniſch denn
er, hätte S. f. G. geantwortet: ſo will ſie es genugſam
ſein, und ſich alſogleich die Brille aufgeſetzet und ſelbſten
acta für ſich genommen. Hierauf, und nachdeme S.
[287] f. G. das Gezeugnüß Eines ehrſamen Gerichtes kopf¬
ſchüttelnd geleſen, hätte er demüthig umb eine Ehren¬
erklärung vor mein Töchterlein gebeten, auch S. f. G.
imploriret ihm literas commendatitias*) an unſern
allergnädigſten Kaiſer, nacher Wien mitzugeben, umb
meinen Adelsbrief zu renoviren, angeſehen er geſonnen
ſei, kein ander Mädken in ſeinem Leben zu heurathen
denn mein Töchterlein.


Als ſie ſolches hörete, that ſie einen Freudenſchrei
und fiel in Unmacht mit dem Kopf an die Wand. Aber
der Junker begriff ſie in ſeine Arme, gab ihr an die
drei Küßekens (ſo ich nunmehro auch ihme nicht wegern
wollte, da ich mit Freuden ſahe, wo es hinauslief) und
als ſie wieder bei ſich kommen fragete er: ob ſie ihn
nicht wölle, daß ſie bei ſeinen Worten einen ſolchen Schrei
gethan? worauf ſie ſprach: „ob ich Ihn nicht will mein
Herre? Ach faſt ſo lieb als meinen Gott und Erlöſer
will ich Ihne! Nunmehro hat Er mir erſtlich mein Le¬
ben gerettet, und mein Herze vom Scheiterhaufen ge¬
riſſen, auf dem es ohne Ihn gebrennet hätte ſein Leben¬
lang !“ Weinete hierauf für Freuden, als er ſie auf ſei¬
nen Schooß niederzog, und umbfing mit ihren Hände¬
kens ſeinen Nacken.


Saßen auch alſo und careſſireten eine ganze Zeit,
bis der Junker wieder mein anſichtig wurde und ſprach:
„was ſagt Er dazu, es iſt doch auch Sein Wille Ehre
[288] Abraham?" Ei Lieber, was hätte ich wohl dazu ſagen
können denn Alles Guts? Weinete ja ſelbſten für Freu¬
den, wie mein Kind, und gab darumb zur Antwort:
warumb es nicht mein Wille ſein ſollte, da es Gottes
Willen wär? Aber ob der gute und rechtſchaffene Jun¬
ker auch bedacht hätte, daß er ſeinem adlichen Namen
einen Abbruch thun würde, wenn er mein Töchterlein,
ſo als eine Hexe im Geſchrei, und nahe vor dem Schei¬
terhaufen geweſt, ſich zu ſeiner Frauen nähme?


Hierauf ſprach er: mit nichten, dieſem hätte er
längſtens präcaviret und fuhr nunmehro fort uns zu
erzählen, wie er es angefangen, nämblich S. fürſtl. G.
hätten ihme verſprochen, alle Scripta, ſo er begehret,
inner vier Tagen fertig zu halten, wo er von der Be¬
gräbnüß ſeines Vaters heimbzukehren hoffe. Wäre de¬
rohalben auch gleich wieder nach Mellenthin abgeritten,
und nachdem er ſeinem Herrn Vater die letzte Ehr er¬
wieſen, hätte er ſich auch alſogleich wieder aufgemacht,
und befunden, daß S. f. G. unterdeß ihr Wort gehal¬
ten. Mit ſolchen Scriptis wäre er nacher Wien ab¬
geritten und wiewohl er viel Leid, Mühe und Gefahr
unterwegens ausgeſtanden (ſo er uns ein ander Mal
erzählen wölle) wäre er doch glücklich in dieſe Stadt
gelanget. Alldorten hätte er aber von ungefährlich ei¬
nen Jeſuiten getroffen mit welchem er einſtmalen als
studiosus etzliche Tage ſein Locament in Prag ge¬
habt, und ſelbiger ihme auf ſein Anliegen geantwortet:
er ſölle guten Muths ſein, angeſehen Seine Majeſtät
[289] in dieſen ſchweren Kriegsläuften Geld gebrauche, und
wölle er, der Jeſuit, Allens machen. Solches wäre auch
beſchehen, und hätte die Kaiſerliche Majeſtät nicht blos
meinen Adelsbrief renoviret, beſondern auch die Ehren¬
erklärung S. f. G. des Herzogen confirmiret, ſo daß er
nunmehro männiglich Red und Antwort von wegen ſei¬
ner Braut ſtehen könne, wie nachgehends von wegen ſei¬
ner Frauen. Und als er nunmehro die Acta aus ſei¬
nem Buſen herfürzog und mir ſelbige in die Hand gab
ſprach er: aber jetzunder muß Er mir auch einen Ge¬
fallen thun Ehre Abraham, nämblich mich morgen, wo
ich mit meiner Braut zu Gottes Tiſch zu gehen ver¬
hoffe, mit ſeinem Töchterlein einmal für allemahlen ab¬
zukündigen, und nachgehends ſchon übermorgen zu trauen.
Sage Er nit Nein hiezu, denn mein Pfarrer, Ehre Phi¬
lippus
ſpricht, daß ſolches bei Adlichen in Pommern
nicht ungebräuchlich, wannenhero ich auch zum Montage
die Hochzeit in meiner Burg allbereits angeſaget, als
wohin wir fahren wollen und wo ich auch mein Bei¬
lager zu halten gedenke. Gegen ſolches Anſuchen hätte
nun mancherlei zu moniren gehabt, inſonderheit, daß er
zu Ehren der heiligen Dreieinigkeit ſich wöllte dreimal
kündigen laſſen, wie es der Brauch iſt, und mit ſeiner
Hochzeit annoch warten, aber da ich meim Töchterlein
anſah, daß ſie auch gern recht bald Hochzeit hätt, in¬
maßen ſie ſeufzeln und ſo roth wie ein Scharlaken wurde,
kunnt ich es ihnen nicht abſchlagen, ſondern verſprach
Allens, was ſie wollten. Hierauf vermahnete ſie Beide
19[290] zum Gebet, und nachdem ich meine Hände auf ihr Haupt
geleget, dankete ich dem Herrn ſo brünſtiglich, wie ich
ihm noch nimmer gedanket, alſo daß ich letzlich für mei¬
nen Thränen nicht weiter kommen kunnte, ſondern ſie
mir meine Stimme erſäufeten.


Hierzwiſchen war aber des Junkers ſein Wagen mit
vielen Truhen und Koffers vor der Thüren angelan¬
get, und ſprach er: jetzo ſoll Sie auch ſehen liebe Jung¬
fer, was ich Ihr mitgebracht, und gab Befehlig Allens
in das Zimmer zu tragen. Ei Lieber, welche ſchöne Sa¬
chen hatte es darinnen, ſo ich mein Lebtage nit geſe¬
hen! Allens was Weiber gebrauchen, war hier fürhan¬
den, inſonderheit an Kleidern, als Leibichen, gefaltete
Höcke *), lange Mantel, zum Theil mit Futterfell ver¬
bremmet, Schleier, Schürzen, item das Brauthemd ſo
mit güldenen Borten beſetzet war und worauf der kurz¬
weilige Junker an die ſechs oder ſieben Mirthenbüſcher
vor ſie geleget hatte, umb ſich daraus ſelbſten einen Kranz
zu machen. Item nahm es kein Ende an Ringen, Hals¬
kettlein, Ohrenperlein etc. ſo ich zum Theil, vergeſſen
hab. Auch wollte der gute Junker mich nit unbeſcheert
hinterlaſſen, inmaßen er mir ein neu Meßgewand (die¬
weil das alte die Feinde geraubet) auch Futterhemde,
Hoſen und Schuhe, summa Allens was zur Mannsklei¬
dung gehört, mitgebracht hatte, weshalben ich nur im
[291] Stillen den Herrn anrief, daß er uns für ſolchen Staat
und Hoffarth nit abermals in ſeinem Zorn ſtrafen wölle.
Als mein Töchterlein dieſes Allens ſahe, wurde ſie be¬
trübt, daß ſie ihme nichts mehr geben könne denn ihr
Herze allein, und die Kettin von dem ſchwediſchen Kö¬
nig ſo ſie ihme umb den Hals hing, und ihn weinende
bate, ſie vor ein Brautgeſchenke zu behalten. Solches
verſprach er auch letzlich und daß er ſie mit in ſeinen
Sarg nehmen wölle, doch zuvorab müſſe mein Töchter¬
lein noch damit vertraut werden, wie mit dem blauen
ſeidinen Kleid, denn dieſes und kein anderes ſölle ihr
Brautkleid ſein, welches ſie ihme auch angeloben mußte.


Doch mit der Magd begab ſich noch ein ſeltſamer
Fürfall, ſo ich allhier noch notiren will. Denn nach¬
deme das alte treue Menſch gehöret, was hieſelbſten
geariviret, war ſie für Freuden außer ſich, ſprang und
klatſchete in ihre Hände, und ſagete letzlich zu meim
Töchterlein: nunmehro würde ſie ſicherlich nicht mehr
weinen, wenn der Junker in ihr Bette liegen wölle,
worüber ſelbige alſo erſchaamrothete, daß ſie aus der
Thüren lief. Und als der Junker nunmehro wiſſen
wollte, was ſie damit ſagen wölle, verzählete ſie ihme,
daß er ſchon einmal als wir von Gützkow kommen, in
meines Töchterleins Bette geſchlafen, worüber er den
ganzen Abend ſeinen Kurzweil mit ihr hatte, als ſie
wiederkam. Der Magd verſprach er aber, da ſie ſchon
einmal meines Töchterleins Bette vor ihn gemacht, ſölle
ſie es auch zum andern Mal machen, und übermorgen
19 *[292] wie auch mein Ackersknecht, mit nacher Mellenthin fah¬
ren, damit Herrſchaft und Geſinde ſich nach ſo viel Trüb¬
ſal zuſammen freuen könnten.


Und da der liebe Junker bei uns die Nachtherberge
nehmen wollte, mußte er bei mir in der kleinen Ach¬
terſtuben ſchlafen (denn ich kunnte doch nit wiſſen was
fürfallen würde). Schlief auch bald wie ein Dachs, aber
in meine Augen kam kein Schlaf, für Freuden, ſondern
betete die ganze liebe Nacht oder gedachte an meine
Predigt. Erſt umb die Morgenzeit druſete ich ein we¬
nig ein, und als ich aufſtund ſaß der Junker ſchon in
der Vorderſtuben bei meim Töchterlein, welche allbereits
das ſchwarze ſeidine Kleid anhatte, ſo er ihr mitgebracht,
und wie durch ein Wunderwerk friſcher ausſahe, denn
da der ſchwediſche König kam, ſo daß ich ſie mein Leb¬
tage nit friſcher und hübſcher geſehen. Item hatte der
Junker ſchon ſein ſchwarz Wammes an und ſuchte ihr
die beſten Zweigleine zum Myrthenkranz aus, den ſie
ſich wunde. Legte aber ihren Kranz ſogleich auf die
Bank, fallete ihre Händleins und betete nach ihrer Ge¬
wohnheit den Morgenſeegen, als ſie mich ankommen
ſahe, welche Demuth den Junker ſehr erfreuete, und
er bat es in Zukunft bei ihme auch alſo zu halten, was
ſie auch zu thun verſprach.


Bald hierauf gingen wir auch zur lieben Kirchen
in die Beichte und, dieweil der Junker mein Töchter¬
lein unter ihrem Arm gefaſſet, blieb alles Volk für
Verwunderung ſtehen und rißen den Hals auf, ſo weit
[293] ſie kunnten. Sollten ſich aber annoch mehr verwundern,
als ich nach der Predigt erſtlich die Ehrenerklärung Sr.
f. G. mit der Confirmation der Kaiſerlichen Majeſtät
und nachgehends meinen Adelsbrief auf teutſch ihnen
fürlas, und letzlich mein Töchterlein mit dem Junker
zu kündigen begunnte. Lieber, da mürmelte es in der
Kirchen nit anders als wenn die Bienen ſummen. (NN.
Dieſe Scripta ſeind jedoch bei dem Feuer, ſo vor einem
Jahr in der Burg auskam, wie ich nachgehends ver¬
melden werde, verbrennet, wannenhero ich ſie allhier
nicht in origine allegiren kann.)


Darauf gingen meine lieben Kinder mit vielen Volk
zu Gottes Tiſch, und nach der Kirchen kamen ſie faſt
alle umb ſie und wünſcheten ihnen Glück. Item kam
der alte Paaſsch noch auf den Nachmittag zu mir ins
Haus, und bat mein Töchterlein abereins umb Verge¬
bung, daß er ſie unwiſſend beleidiget; wöllte ihr gerne
ein Hochzeitsgeſchenke verehren, aber er hätte jetzunder
Nichtes, doch ſölle ſeine Frau ihr zum Frühjahr ein
Huhn ſetzen und wölle er dann ſelbſten die Küken nacher
Mellenthin bringen. Hierüber mußten wir allzumalen
lachen, inſonderheit der Junker, welcher letzlich ſprach:
ſo du mir ein Hochzeitsgeſchenke macheſt, mußtu auch
zur Hochzeit geladen werden, darumb machſtu wohl
morgen mitkommen.


Worauf mein Töchterlein ſprach: und Eure kleine
Marie, meine Päten ſoll auch mitkommen und ſoll meine
Brautjungfer ſein, wenn es mein Herre erlaubet. Hie¬
[294] rauf hub ſie an, dem Junker Allens zu verzählen was
mit ſelbiger durch die Liſt des leidigen Satans fürge¬
fallen und männiglich ihr zur Laſt geleget, bis der ge¬
rechte Gott ihre Unſchuld gerettet, und bate, da der
liebe Junker beföhle, daß ſie daſſelbige Kleid zu eim
Traukleid haben ſölle, worinnen ſie den ſchwediſchen Kö¬
nig ſalutiret und nachgehends zum Scheiterhaufen ge¬
fahren ſei, er ihr auch verſtatten müge, ihre kleine Pä¬
tin, als indicium secundum*) ihrer Trübſal mit ſich
vor eine Brautjungfer nehmen.


Und als er ſolches verſprach, hieß ſie den alten
Paaſsch ſein Mädken ihr anhero zu ſchicken, umb ihr
ein neu Kleid anzupaſſen, ſo ſie ſchon für 8 Tagen vor
ſelbiges zugeſchnitten, und die Magd heute noch fertig
nähen ſölle, welches Allens den alten guten Kerl ſo er¬
barmete, daß er laut zu weinen begunnte und letzlich
ſagte: ſie ſölle es nicht umbſonſt gethan haben, denn
vor das eine Huhn ſölle ſeine Frau ihr nunmehro zum
Frühjahr auch drei Hühner ſetzen.


Als er wegk war und der Junker nichts anders
thäte, denn mit ſeiner Braut ſchwätzen, beides deutſch,
wie lateiniſch, macht ich es beſſer und ging auf den
Berg zu beten, wobei ich ihr nachfolgete, und auf den
Scheiterhaufen ſtieg, umb hier einſamlich dem Herrn
mein ganzes Herze zu einem Dankopfer zu bringen, die¬
weil dieſes ſein liebſtes Opfer iſt. Pf. 51, v. 19.


[295]

Die Nacht nahm ich den Junker wieder bei mir,
aber als am andern Morgen kaum die Sonne auf —


Hiemit enden dieſe intereſſanten Mittheilungen, die
ich nicht die Abſicht habe, mit eigenen Zuthaten zu ver¬
wäſſern. Meine Leſer, und inſonderheit meine ſchönen
Leſerinnen mögen ſich nun nach Gefallen das Glück dieſes
vortrefflichen Paares weiter ausmalen.


Alle weiteren hiſtoriſchen Spuren ſeines Daſeins wie
des Daſeins des Pfarrers ſind verſchwunden, und nur
ein in die Wand der Kirche zu Mellenthin gefügter
Denkſtein iſt übrig geblieben, auf welchem der unver¬
gleichliche Junker mit ſeinem noch unvergleichlicheren
Weibe abgebildet iſt, noch die „güldene Kettin mit dem
Konterfett des ſchwediſchen Königs" auf ſeiner treuen
Bruſt. Beide ſcheinen kurz hinter einander geſtorben
und in einem Sarge begraben zu ſein. Denn im Kirch¬
gewölbe ſieht man einen großen Doppelſarg in welchem,
der Tradition zufolge, ſich auch eine goldene Kette von
unſchätzbarem Werth befinden ſoll. Vor einigen 20 Jah¬
ren wollte der Gutsbeſitzer v. M. welcher durch ſeine
unerhörte Verſchwendung nahe an den Bettelſtab ge¬
kommen war, dieſen Sarg öffnen laſſen um daraus
das koſtbare Kleinod zu entwenden, aber er vermochte
es nicht. Wie durch einen mächtigen Zauber wurde
[296] er in ſeinen Fugen feſtgehalten und iſt bis auf den heuti¬
gen Tag noch uneröffnet geblieben. Möge ers auch
bis auf jenen großen Tag und nie die frevelnde Hand
der Habſucht oder der Neugier dieſe heilige Aſche heili¬
ger Menſchen entweihen! — Zum Schluß noch das
Denkmal des guten Paares in getreuer Zeichnung.



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Notes
*)
Und in der That kommen im Original einige Rechnungen vor,
die wohl beim erſten Anblick zu dieſem Irrthum verleiten konnten,
und außerdem iſt die Handſchrift ſchwer zu leſen, und an einigen Stel¬
len vergilbt und verrottet.
*)
Auch dieſen Proceß gedenke ich noch herauszugeben, da er ein
ungemeines pſychologiſches Intereſſe hat.
*)
Horſt, Zauberbibliothek, VI, 231.
*)
Vorläufige Proben des Ganzen befanden ſich bereits in der
Chriſtoterpe von 1841 und 42.
**)
vom alten Pommerlande. Buch V.
*)
Schloß auf Uſedom, früher ein berühmtes Kloſter.
*)
Allmoſen in der Gemeinde eingeſammelt.
*)
umzaubern.
*)
Ein anſehnlicher Berg am Meere nahe bei Coſerow.
*)
auch haben, auch haben.
**)
Pſ. 145, 15, 16.
*)
beſchwichtigen.
**)
Wachholderbüſche.
*)
o Jammer der Feind ist da! — Ueber die wunderbare
Bildungsweiſe des Mädchens erklärt ſich unſer Verfaſſer
ſpäter.
*)
komm nur wieder hervor, es ſind Freunde!
*)
Wachholdergebüſch.
**)
fand im Jahre 1628 ſtatt und häufte das Elend
des 30jährigen Krieges auf der hieſigen Inſel auf das Un¬
erträglichſte. Schade, daß die Schilderung des alten Pfar¬
rers, welche er ohne Zweifel in dem Vorhergehenden gege¬
ben, verloren iſt.
*)
Pfarrhaus.
*)
Dies iſt ein Irrthum. Das nachfolgende Lied iſt von
dem Cardinal-Biſchof von Oſtia Peter Damianus († 23ſten
Febr. 1072) nach Auguſtins Proſa überdichtet.
**)
Wir verſuchen hier eine Ueberſetzung dieſer ſchönen
Stelle:
**)
Alle Bürger dieſes Landes *) leben nur von einem Brod. —
Hungrig ſtets und ſtets geſättigt, trübt ihr Sehnen keine
Noth,

Fühlen nie der Sattheit Ekel, auch die Qual des Hun¬
gers nie,

Athmend eſſen ſie beſtändig, ha und eſſend athmen ſie!

Ewig blüht die Roſenknospe hier im ew'gen Frühling auch

Weiß die Lilie, roth der Krokus, duftend träuft der Bal¬
ſamſtrauch,

Grün die Wieſen, grün die Saaten, und von Honig rinnt
der Bach.

Das Aroma ſüßer Blumen haucht und duftet tauſendfach.

Blühnde Wälder tragen Aepfel, deren Stengel nimmer
bricht.

Und nicht Sonne, Mond noch Sterne wechſeln dorten
mehr ihr Licht.

Denn ihr Licht, das nimmer ſchwindet, iſt des Lammes
Angeſicht.

*)
Es war von den Engeln und Seelen der Heiligen die Rede.
*)
Ein Buſen, den der Peenefluß in der Nähe bildet.
*)
Iſt jetzt nicht mehr vorhanden.
*)
Ein abgelegener Theil der Inſel Uſedom.
**)
Plattdeutſch, für Schnitte.
*)
Dieſes entſetzliche Ereigniß führt auch Micraelius in
ſeiner pommerſchen Geſchichte an.
**)
wo nach Joſephus daſſelbe geſchah.
***)
Da! aber betet auch für mich, daß ich zu Hauſe
komme, denn wenn man unterweges riechet, daß ich Brod
habe, ſchlägt mich mein eigener Bruder todt, könnt Ihr
glauben.
*)
zur Saat vorbereitet, d. i. gepflügt und geeggt.
*)
Laß Er daß nur ruhen und bete er nur für uns.
**)
Da hat Er auch was, und wenn es verzehret iſt,
kann er noch einmal kommen.
*)
etwa 16 Pfennige.
*)
Schandpfahl.
*)
glaube und du haſt gegeſſen.
*)
Braxen, Blei, ein zum Karpfengeſchlecht gehöriger Fiſch.
*)
Rinde.
*)
Dieb.
**)
Warte, dir ſoll der Teufel die Arme aus¬
reißen, komm mir nur wieder ins Haus.
***)
ihr könnt ihr ja etwas vorpredigen, als ihr mir
gethan habt.
*)
kochen.
*)
befahren bis zu dieſer Stunde in kleinen Fahrzeugen
(Polten und Quatzen) alltäglich das Achterwaſſer und kau¬
fen dem Bauern die gefangenen Fiſche ab.
*)
ſtöhnte.
**)
ſchicklicher.
***)
betteln.
*)
Matth. 6, 34.
*)
Kommt auch jetzt noch öfter vor, und iſt dem Her¬
ausgeber ſelbſt begegnet. Doch enthielt die kleine ſchwarze
Ader nur wenige Stücken Bernſtein mit Holzkohle vermiſcht,
letzteres ein ſicheres Zeichen ſeines vegetabiliſchen Urſprungs,
worüber beiläufig geſagt, jetzt auch kaum ein Zweifel ob¬
waltet, ſeitdem man in Preußen ſogar ganze Bernſteinbäume
aufgefunden hat, und auf dem Muſeum zu Königsberg be¬
wahrt.
*)
Wahrſcheinlich Räucherpulver.
*)
Dorf auf der Hälfte des Weges zwiſchen Coſerow
und Wolgaſt, jetzt Zinnowitz genannt.
*)
In dem hieſigen Pfarrarchiv ſind auch noch einige,
obgleich ſehr kurze und unvollſtändige Andeutungen von ſei¬
nen Leidenstagen während jenes Schreckenkrieges vorhanden.
**)
Bude, davon Büdner, eine Hütte.
***)
Der alte Herr hat ſie ſogar unter die noch vor¬
handenen Kirchenrechnungen geſetzt, und mögen ein Paar
davon zur Probe hier ſtehen:
auf 1620VsqVe qVo DoMlne IrasCerIs, sIs nobIs pater!
auf 1628
InqVe tVa DeXtra ſer operaM tV ChrIste benIgne!
*)
Auch Micraelius im alten Pommerlande, V, 171, 12.
gedenket dieſes Umſtandes, ſagt aber blos: „Die nach Stral¬
ſund überliefen waren ganz ſchwarz vom erlittenen Hun¬
ger anzuſehen.“ Daher wohl die ſeltſame Uebertreibung des
Wirths und der noch ſeltſamere Schluß unſers Autors.
*)
vergl. Hellers Chronik der Stadt Wolgaſt, S. 42. ff.
die Unordnung rührte wohl daher, weil der Nachfolger von
Philippus Julius († 6ten Febr. 1625) und zugleich der letzte
Pommerſche Herzog, Bogislaus XIV. in Stettin reſidirte.
Zur Zeit iſt das Schloß eine gänzliche Ruine, und nur
noch mehrere große mit Kreuzgewölben verſehene Keller ſind
vorhanden, in welchen die dortigen Kaufleute zum Theil
ihre Waaren-Niederlagen haben.
*)
beſonders, privatim.
**)
Räuber.
***)
Auch Micraelius gedenket dieſer holländiſchen Han¬
delsleute, a. a. D. V., S. 171, behauptet aber, die Urſache
***)
ihres Todes ſei zweifelhaft geweſen, und habe der Stadt¬
phyſikus Dr. Laurentius Eichstadius in Stettin, einen eigenen
medizinaliſchen Discurs darüber geſchrieben. Doch nennt
er einen derſelben Kiekepoſt anſtatt Kiekebuſch.
*)
Geſtrenge Fürſten, wer von Euch hat dieſen Ring
verloren.
**)
ich bin die Tochter des Pfarrers zu Coſerow.
*)
Der Vater von Philippus Julius † zu Wolgaſt den
17ten Junius 1592.
*)
mein ſüßes Mädchen, ich habe ihn verloren.
**)
Aber wer biſt du und woher kömmst du?
***)
Vielleicht Plinze, eine Art Kuchen.
*)
Anna Maria Schurmann geb. zu Cöln am 5ten
Novbr. 1607, geſtorben zu Wiewardin d. 5ten May 1678
war nach dem übereinſtimmenden Zeugniß ihrer Zeitgenoſ¬
ſen ein Wunder der Gelehrſamkeit und vielleicht das ge¬
lehrteſte Weib, das je auf Erden lebte. Der Franzoſe Nandé
urtheilt von ihr; was die Hand bilden und der Geiſt faſ¬
ſen kann, trifft man bei ihr allein. Keine malt beſſer, keine
bildet beſſer in Erz, Wachs und Holz. In der Stickerei
übertrifft ſie alle alten und neuen Weiber. Man weiß nicht
in welcher Art der Gelehrſamkeit ſie ſich am mehrſten aus¬
gezeichnet. Nicht mit den europäiſchen Sprachen zufrieden,
verſieht ſie hebräiſch, arabiſch, ſyriſch und ſchreibt ein La¬
tein, daß kein Mann, der ſein Leben darauf verwendet, es
beſſer kann. Der berühmte Niederländer Spanheim nennt
ſie „eine Lehrerin der Gratien und Muſen,“ der noch be¬
rühmtere Salmaſius geſteht: er wiſſe nicht in welcher Art
der Gelehrſamkeit er ihr den Vorzug geben ſolle, und der
Pole Rotyer nennt ſte gar „das einzige Exemplar aller
Wunderwerke an einem gelehrten Menſchen, und ein gänz¬
liches Monstrum ihres Geſchlechts doch ohne Fehler und Ta¬
del.“ Denn in der That behielt ſie bei ihrem außerordent¬
lichen Wiſſen eine bewunderswürdige Demuth, wiewohl ſie
ſelbſt geſteht, daß die unmäßigen Lobſprüche der Gelehrten
ſie jezuweilen zu eigener Selbſtverblendung verleitet hät¬
ten. In ſpäteren Jahren trat ſie zu der Gemeine der La¬
badiſten über, welche manche Aehnlichkeit mit den neuern
Muckern gehabt zu haben ſcheint, ſtarb aber unvermählt,
da eine frühe Liebe (ſchon in ihrem 15ten Jahre) mit dem
Holländer Caets ſich zerſchlagen hatte. Als Seltſamkeit von
ihr wird angeführt, daß ſie gerne Spinnen gegeſſen. — Ihre
*)
geſammelten Werke gab der berühmte Spanheim unter
dem Titel: Annae Mariae a Schurmann opuscula, Leyden 1648,
zuerſt heraus.
*)
Schenkungsurkunde.
*)
Wallenſtein war nämlich vom Kaiſer mit Meklen¬
burg belehnt und ſchonete daher des Landes ſo viel er konnte.
*)
Spukerei.
*)
Gewimmer.
*)
Bekanntſchaft.
**)
verachtete.
***)
jetzt Sauzin.
*)
Seehunde.
*)
ohne zu pauſiren
**)
Die Breite, welche immer mehr ab nimmt, beträgt
jetzt kaum noch einen Büchſenſchuß.
*)
wörtlich.
*)
Daher.
*)
Jeſaias 54, 7.
*)
Die Werke des heiligen Auguſtin.
**)
Ein niederländiſcher Arzt, der lange vor Spee und
Thomaſius das Unweſen des Zauberglaubens ſeiner Zeit in
der Schrift confutatio opinionum de magorum Daemonomia
Frankfurth 1590 angriff, dafür aber von Bodinus und an¬
*)
verfänglicher Schluß.
**)
dern, ſelbſt für den ärgſten Hexenmeiſter verſchrieen wurde.
Und allerdings iſt es auffallend daß derſelbe freidenkende
Mann früher in einer andern Schrift de praestigiis Daemo¬
num
, die Beſchwörungen der Geiſter gelehrt, und darin die
ganze Hölle mit dem Namen und Zunamen ihrer 572 Teu¬
felsfürſten beſchrieben hatte.
*)
d. i. etwa Mädchen und Küchlein zu hüthen; ſoll
(wohl) den Teufel ſelbſt verdrießen, wobei jedoch zu bemer¬
ken, daß die hochdeutſche Sprache das maleriſche Wort „mö¬
ten" nicht ausdrücken kann, welches eigentlich bedeutet, mit
vorgeſtreckten Armen das Korn oder irgend einen andern lok¬
kenden Gegenſtand vor dem Andrange der Thiere zu ſchützen.
*)
ruhig
*)
Seehund.
*)
plattdeutſch; für: abſchaben.
*)
plattdeutſch: Gerüſt, auf welchem die Hühner ſitzen.
*)
Dachſchächte.
*)
Eingeweide der Fiſche.
*)
Ruden und Oie, zwei kleine Inſeln zwiſchen Uſedom
und Rügen.
*)
Man ſehe auch das Theatrum Europaeum J. 226 fl.
*)
Glückwünſchungs-Gedicht.
*)
poetiſche Ader.
*)
im elegiſchen Versmaaß.
**)
Ein kleiner Landſee in der Nachbarſchaft des Meeres.
***)
plattdeutſch: nach Luft ſchnappen.
†)
plattdeutſch: zottig, mit dem Nebenbegriff des feuchten.
*)
Du ſüßeſte und anmuthigſte Dirne, die du mir wie
ein Engel des Herrn in den Farben des Himmels erſcheinſt,
wärſt du doch immer um mich, dann würde es mir niemals
unglücklich ergehen!
*)
Eine Halbinſel auf Uſedom.
*)
Nimm dieſen ſchlechten Kranz und dieſes.
*)
d. i.
Einſt wird kommen die Zeit, wo du, ſiegfreudiger Rächer
Wirſt heimkehren zur Flur meines befreieten Volks;
Dann, ein beſſeres Lied bringt dir die Muſe des Sängers,
Denn ſie preiſet o Herr deine heroiſche That!
Drum verachte ihr heut nicht dies verwegene Stammeln:
Sie weiſſaget ja nur dein nachwaltendes Glück.
Geh, leb wohl, ſei tapfer und ſtark, o beſter der Fürſten,
Daß du alles beſiegſt, ſelber das harte Geſschick!
**)
Komm näher, vaterländiſche Jungfrau, damit ich
dich küſſe.
***)
Dies deiner Schönheit und, wenn ich mit Gottes
*)
Lebt wohl!
**)
Hülfe ſiegreich zurückkehre, erwarte ich das verſprochene Ge¬
dicht und außerdem zwei Küſſe.
*)
plattdeutſch: für Semmel.
**)
plattdeutſch: für Flur.
*)
Man nahm nämlich in jener ſchrecklichen Zeit an,
daß wenn der Kranke die drei Artikel, und außerdem einige
auf das Erlöſungswerk bezügliche Bibelſprüche nachſprechen
konnte, er nicht beſeſſen ſei, weil Niemand Jeſum einen
Herrn heißen könne ohne durch den heiligen Geiſt! 1 Cor. 12,3.
**)
plattdeutsch: für Schaukel.
*)
ich weiche nicht.
*)
jener.
*)
Klingbeutel.
**)
Nichts.
*)
Gott tröſt Ihn, was muß Er an Seinem Kinde er¬
leben.
*)
Wir wollen dir lieber Feuer unter dem Rock anlegen,
als für dich beten.
*)
oder Uſedom, ein Städtchen, von dem die ganze In¬
ſel den Namen führt.
**)
d. i. erſter Bürgermeiſter.
***)
Protokollführer.
*)
d. i. dominus Consul oder der Herr Bürgermeiſter.
*)
Die Verklagte.
**)
Dies lächerliche Verfahren ſchlug man in der Re¬
gel bei dem erſten Verhör einer Hexe ein, weil man in dem
Wahne ſtand, ſie bezaubere ſonſt von vorne herein die Rich¬
ter mit ihren Blicken. Hier wäre der Fall nun allerdings
gedenkbar geweſen.
*)
O ihm kroch da nur eine Laus, die ich greifen wollte.
*)
Plattdeutſch für: halberwachſen.
*)
Frage.
**)
Antwort.
***)
entzaubern.
*)
Man glaubte, der Teufel gäbe den Hexen eine Salbe,
um ſich durch deren Gebrauch unſichtbar zu machen, in Thiere
zu verwandeln, durch die Luft zu fahren u. ſ. w.
**)
plattdeutſch: d. i. ermuntert.
*)
Iſts heraus, iſts heraus, hat ſie gebeichtet?
*)
wahrſcheinlich Mütze.
*)
nachgebend.
*)
Entweder wohl um ſeine Verachtung auszudrücken,
oder aus einem abergläubiſchen Bewegungsgrund.
*)
Unſchuld, was iſt Unſchuld? Wo die Begierde gebie¬
tet, da hat die Unſchuld eine ſchwache Schutzwehr. — Worte
des Cicero, wenn ich nicht irre.
*)
Man ſtand nämlich in dem Wahn, daß, wie der
Menſch dem Teufel, ſo der Teufel dem Menſchen ſich hand¬
ſchriftlich
verpflichte.
*)
Denn die Entſtehung von dergleichen plötzlichen Un¬
gewittern ſchrieb man auch den Hexen zu.
**)
führt bis auf den heutigen Tag dieſen Namen und
iſt eine Viertelmeile von Coſerow entfernt.
***)
Storch; Pogge, plattdeutſch: Froſch.
*)
Galat. 4, 6.
*)
Niedriger, plattdeutſcher Ausdruck.
*)
Jeremias 17, 5.
*)
In meiner Gegenwart.
*)
Sieh, ſieh, wie ſpröde!
*)
Von der Confrontation der Zeugen.
*)
plattdeutſch: für zuſammenfahren.
**)
ei nichts.
*)
Man nahm nämlich an, daß dergleichen Maale bei
*)
Man ſehe u. a. Delrio disquisit. magicae lib. V. Tit.XIV.
No.
28.
*)
den Hexen alsdann unzubezweifelnde Zeichen des Teufels
wären, wenn ſie kein Gefühl hatten, und wurde dieſe
Procedur mit jedem, der Zauberei Verdächtigen, vorge¬
nommen.
*)
Apoſtelgeſchichte 12, 7.
*)
Angriff.
**)
Auf der Folter.
*)
Nahm Abſchied.
*)
Der berühmte Hexenhammer Innocentius VIII. wel¬
cher 1489 erſchien und das bei den Hexenproceſſen zu beob¬
achtende Verfahren vorſchrieb.
*)
Die Originalworte des Hexenhammers Tom.I.quaest. 18.lauten auf die Frage cur maleficae non ditentur: ut juxta com¬
placentiam daemonis in contumeliam creatoris, quantum possi¬
bile est, pro vilissimo pretio emantur, et secundo, ne in divi¬
tiis notentur.
**)
natürliches Wunder.
***)
plattdeutſch: für mittelmäßig.
*)
ho, ho, nun ſind ſie da, nun wird das Kitzeln wohl
anfangen.
**)
plattdeutſch: für ſchauderte.
***)
rechtmäßige überwiegende und hinreichende Gründe
zur Tortur.
†)
böſes Gerückt.
††)
öffentlich begangene Zauberei.
†††)
die Erscheinung des Teufels auf dem Verge.
*)
Den Prediger zu Benz, einem unfern von Pudagla
belegenen Kirchdorfe.
*)
brodelte.
*)
Denn man wähnte, wenn die Hexe die Marter mit
ungewöhnlicher Geduld ertrug, oder gar dabei einſchlief,
wie unbegreiflicher Weiſe öfter vorkam, der Teufel hätte
dieſe Gefühlloſigkeit ihnen durch ein Amulet verliehen, das
ſie an geheimen Theilen des Körpers verborgen hielten. Zed¬
lers Univerſallexicon Bd. 44. unter dem Artikel Tortur.
*)
plattdeutſch: für gerollet.
*)
Mein Gott, mein Gott, warum haſt du mich ver¬
laſſen. Matth. 27, 46.
*)
griechiſch und nach der Erasmusſchen Ausſprache:
Deiſidaimonia, d. i, der Aberglaube. Welch bewunderns¬
würdiges Weib! —
*)
Dieſer Name iſt durchaus nicht im Manuſcript zu
enträthſeln.
*)
Dieſe abſcheuliche Frage kann ich nur lateiniſch her¬
ſetzen: „num semen Daemonis calidum fuerit aut frigidum“
worauf ſie geantwortet, daß ſie ſich darauf nicht mehr be¬
ſinnen könne, Uebrigens kommt dieſe Frage in allen He¬
*)
Hauptartikel.
*)
xenproceſſen vor, und wird unbegreiflicher Weiſe immer
mit „frigidum“ beantwortet.
*)
Kommt zum Gänſebraten!
*)
eingeärndtet, plattdeutſch.
**)
angekleidet.
*)
ſchnell.
*)
Dieſes merkwürdige Wort kommt ſchon 1 Moſ. 30,
15. ff. als der Name einer Pflanze vor, welche die weib¬
liche Fruchtbarkeit erregt; doch ſind die Ausleger von jeher
über das Weſen und die Natur derſelben uneins geweſen.
Die LXX geben es durch mandragoras und iſt von den zu¬
verläßigſten ältern und neuern Theologen angenommen, daß
es die in der Geſchichte der Zauberei ſo berüchtigte Alraun¬
wurzel geweſen ſei. Sonſt führen ſeltſamer Weiſe die Teu¬
fel immer chriſtliche Namen, wie auch bald darauf der Geiſt
der alten Liſe Stoffer d. i. Chriſtoph genannt wird.
*)
Berg in der Nähe von Coſerow. In faſt allen He¬
xenprozeſſen kommen Berge dieſer Art in der Nähe des Wohn¬
orts der betheiligten Perſonen vor, wo der Teufel in der
Walpurgis- und Johannesnacht mit ihnen ſchmauſet, tan¬
zet und Unzucht treibt, auch von den Hexenprieſtern die ſa¬
taniſchen Sacramente ausgeübt werden, welche eine Nach¬
äfferei der göttlichen ſind.
*)
Pfeiler, plattdeutſch.
*)
Eine alte Silbermünze mit dem Bilde eines Engels,
welche 3 bis 4 Ggr. galt.
*)
Tobias 3, 22. 23.
*)
Verbrechen.
*)
Er iſt ſichtbar von einer weiblichen Hand geſchrie¬
ben und wahrſcheinlich die Originalhandſchrift. Siegellack
oder Wachs iſt aber daran nicht zu bemerken, weshalb ich
annehmen möchte, daß er offen überbracht wurde, was bei
*)
ſeinem fremden Inhalt ja auch keine Gefahr hatte. Uebri¬
gens laſſe ich abſichtlich die wenigen Sprachfehler ſtehen,
welche er enthält, da mir jede Correktur dieſes Kleinodes
als ein Verrath an den, Character dieſes unvergleichlichen
Weibes erſcheinen würde.

Ueberſetzung.


JESUS!


Unglücklicher Vater!


Ich werde morgen nicht mehr erblaſſen, wenn ich den
Scheiterhaufen erblicke, und der Scheiterhaufen wird nicht
mehr erröthen, wenn er mich aufnimmt, als ich erblaſſete
und wiederum erröthete, als ich deinen Brief las. Wie?
auch dich frommen Vater und frommen Knecht hat Satan
ſo verführt, daß du Gemeinſchaft machſt mit meinen Fein¬
den, und nicht einſiehſt, daß der Tod in ſolchem Leben,
und in ſolchem Tode das Leben ſei? Denn wenn der gnä¬
dige Gott der Maria Magdalena und andern verziehen hat,
ſo verziehe er ihnen, weil ſie Buße thaten wegen der Schwäche

*)

ihres Fleiſches und nicht abermals ſündigten. Und ich ſollte
ſündigen bei einem gänzlichen Abſcheu meines Fleiſches, und
nicht einmal, ſondern wiederhohlt, ohne Umkehr, bis an mei¬
nen Tod? Wie würde der gnädige Gott dies dem verwor¬
fenſten aller Weiber verzeihen können? Unglücklicher Va¬
ter, erinnere dich, was du mir geſagt haſt von den heiligen
Märtyrern und den Jungfrauen des Herrn, welche alle lie¬
ber das Leben als ihre Keuſchheit verlieren wollten. Die¬
ſen will auch ich folgen, und mein Heiland Jeſus Chriſtus
wird auch mir Elenden, wie ich hoffe, die ewige Krone ge¬
ben, obgleich ich ihn nicht minder beleidigt habe, wegen
Schwäche meines Fleiſches wie Maria, und mich für ſchul¬
dig erklärt, da ich doch unſchuldig bin. Suche alſo ſtark
zu werden und bitte für mich bei Gott, und nicht beim Teu¬
fel, damit auch ich bald im Angeſicht Gottes für dich be¬
ten kann.
Die gefangene Maria S.

*)
vielleicht Vergißmeinnicht.
*)
Buch Ruth 1, v. 16.
*)
Leſer, welche mit der abſcheulichen Gerechtigkeitspflege
der Zeit nicht bekannt ſind, werden ſich wundern, über dies
ſchnelle und eigenmächtige Verfahren. Allein es liegen mir
Original-Hexenproceſſe vor, worin ein ſimpler Notar auf
die Folter wie auf den Tod ohne Weiteres erkannt hat und
*)
iſt es ſchon als ein Zeichen der Humanität zu betrachten,
wenn man die Acten zur Feſtſtellung der peinlichen Frage
an eine Univerſität oder einen fremden Schöppenſtuhl ver¬
ſandte. Das Todesurtel ſcheint dagegen faſt immer von
den Untergerichten geſprochen zu ſein, wobei an Appellation
nicht zu denken war. Dabei ſpudeten und haſteten ſich die
Herren, ſo unglaublich, wie es hier auch wieder geſchieht,
daß dies beiläufig geſagt, die einzige gute Eigenſchaft ſein
möchte, die der neueren Gerechtigkeitspflege von der alten
anzuwünſchen wäre.
*)
Heugabeln.
*)
See, nahe bei Pudagla,
*)
Achtung.
**)
Ewig blüht die Roſenknospe hier im ew'gen Früh¬
ling auch

Weiß die Lilie, roth der Krokus, duftend träuft der
Balſamſtrauch,

**)
Grün die Wieſen, grün die Saaten, und von Honig
rinnt der Bach,

Das Aroma ſüßer Blumen haucht und duftet tauſendfach.

Blühnde Wälder tragen Aepfel deren Stengel nimmer
bricht.

Und nicht Sonne, Mond noch Sterne wechſeln dorten
mehr ihr Licht.

Denn ihr Licht, das nimmer ſchwindet, iſt des Lammes
Angeſicht.
*)
Jener Tag, der Tag des Zornes ꝛc. eines der ſchön¬
ſten katholiſchen Kirchenlieder.
**)
D. i.:
Wenn der ernſte Richter ſchlichtet

Und der Herzen Dunkel lichtet,

Bleibt nichts Böſes ungerichtet;
ingleichen:

König majeſtätſcher Größe,

Der umſonſt deckt unſre Blöße

Quell der Liebe, komm, erlöſe! —

***)
Ein Meerbuſen, den die Peene in dieſer Gegend
bildet.
*)
plattdeutſch: ſtraucheln.
*)
Pſalm 18, 11. 43.
*)
Kornblume.
*)
plattdeutſch: ſich ſenken.
*)
König majeſtät'ſcher Größe!
Der umſonſt deckt unſre Blöße,

Quell der Liebe, komm, erlöſe!

*)
Dies geſchah in damaliger Zeit ſo häufig, daß in
manchen Parochien Pommerns wohl ſechs bis ſieben ſolcher
elenden Weiber jährlich den Scheiterhaufen beſteigen mußten.
*)
Vielleicht eine tiefe Wahrheit!
*)
Geſpenſt.
**)
Plattdeutſch: Zappeln.
*)
Nach Schillers Uebersetzung:
*)
Sie ſelbſt zur Furie entſtellt
Vom gräßlichen Entſchluß, der ihren Buſen ſchwellt,

Mit bluterhitztem Aug’, geſtachelt von Verlangen,

Der Farben wechſelnd Spiel auf krampfhaft zuckenden
Wangen,

Jetzt flammenroth und jetzt vom nahenden Geſchick

Durchſchauert, bleich, wie eine Büſte,

Stürzt in den innern Hof, und Wahnſinn in dem Blick

Beſteigt ſie das entſetzliche Gerüſte.

*)
plattdeutſch: für kränkeln, mit dem Nebenbegriff des
Stöhnens.
*)
Jeſaias 38, 14.
*)
Pſalm 6, 7.
**)
Pſ. 103, 10.
*)
Wie ſteht es ſüße Jungfrau?
**)
gut, da ich dich erblickt habe.
*)
Empfehlungsſchreiben.
*)
Die Bedeutung dieſes Kleidungsſtückes iſt mir un¬
bekannt, wenn es nicht etwa ein Schreibfehler iſt und Röcke
heißen ſoll.
*)
zweites Wahrzeichen.

Dieses Werk ist gemeinfrei.


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TextGrid Repository (2025). Collection 3. Maria Schweidler die Bernsteinhexe. Maria Schweidler die Bernsteinhexe. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bpwq.0