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Poetiſche
Schriften



Dritter Band.

Mit allergnaͤdigſten Freyheiten.

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Ode
an den Freyherrn
Eberhard von Gemmingen
Seiner regierenden Herzoglichen Durchl.
von Wuͤrtemberg ꝛc.
Geheimenrath ꝛc.


III[][3]
Ode.
Freund, — ich nenne Dich ſo auch vor den Augen
der Welt,

Als Dich mein hingeriſſenes Herz

Jm ſympathetiſchen Zug der erſten Wallungen nannte,

Die meine durchdrungene Seele gefuͤhlt.

Denn ſie kante Dich ſchon, da ich zuerſt Dich erblickte,

Als haͤtten wir uns ſeit Aeonen geſehn.

Welch ein ſeliger Tag war nicht am Leinenſtrand der,

Da unſre Herzen zuerſt ſich vereint!

Als wir in himmliſcher Luft, in einem laͤndlichen Gar-
ten,

Die goͤttliche Freundſchaft auf hellem Gewoͤlk

Laͤchelnd uͤber uns ſahn, wie ſie mit blumichten Van-
den

Die ſich gefundnen Seelen umzog.

A 2Liebt
[4]Ode.
Liebt euch zaͤrtlich und treu! (ſo ſprach harmoniſch ihr
Mund,)

Jhr wart laͤngſt fuͤr einander beſtimmt.

Jch floh vom ſtralenden Tand, und von dem Poͤbel in
Purpur,

Der meine holdſeligen Freuden nicht ſchmeckt.

Bey dem maͤchtigen Thron gieng ich unſichtbar vor-
uͤber,

Und ſchenk euch im Tempel der Muſen mein
Gluͤck.

Nicht vergebens winkt euch durch jenen heiligen Hain

Die hohe Dichtkunſt in ſpaͤtere Welt.

Sie giebt euch auch nicht umſonſt die hohe melodiſche
Leyer,

Fuͤr jeden in gluͤcklichem Gleichlaut geſtimmt.

Singt die Freundſchaft darauf, das groͤßte Geſchenke
des Himmels,

Das von dem Menſchen zum Engel erhebt.

Wir
[5]Ode.
Wir umarmten uns, Freund, und ſahn mit fuͤhlendem
Blick

Der holden Goͤttin im Stralenweg nach.

Der Muſen und Grazien Chor ſchloß uns in laͤchelnde
Kraiſe;

Die Dichtkunſt gab uns gefaͤllig die Hand.

Und ſie reichte Dir, Freund, die maͤchtigtoͤnende Leyer,

Die noch dem Kenner in Nachwelten ſchallt.

Jch war lauter Gefuͤhl, als deine zaubernde Hand

Die reinen ſilbernen Saiten durchflog.

Erſtaunend ſah ich, wie ſchnell Du Harmonien geler-
net,

Nur einem Haller und Klopſtock bekant.

Kaum gedachte mein Stolz des Lehrlings Toͤne zu hoͤ-
ren,

Und ihn beſtuͤrzte des Meiſters Geſang.

A 3Furcht-
[6]Ode.
Furchtſam ſing ich Dir ietzt — Denn eines Pultes
Virgil,

Und einer eroberten Locke Homer,

Hat mich vielleicht nur umſonſt mit hohen Toͤnen ent-
zuͤcket,

Die unnachahmlich dem Deutſchen noch ſind.

Doch der Beyfall von Dir ſoll meine Kuͤhnheit bede-
cken

Mit der ich zu ſchwindelnden Pfaden geklimmt.

Blicke guͤtig auf mich von jenen umleuchteten Hoͤhn,

Auf die Dich die guͤnſtige Muſe gefuͤhrt.

Dies iſt mein groͤßeſter Ruhm, daß mich ein Gem-
mingen liebet,

Und meinen gewagten Accorden zuhoͤrt.

Meine Leyer ſoll nie in ſanften Toͤnen erzittern,

Daß ſie von unſerer Freundſchaft nicht ſingt.



[[7]]

Oden und Lieder.

Erſtes Buch.


A 4
[[8]][[9]]
[figure]
An ſeinen Schutzgeiſt.
Der du vom ſtralenden Thron des Unerſchafnen dich
ſchwungeſt,

Um der Beſchuͤtzer zu ſeyn von meiner unſterblichen
Seele;

Himmliſcher! ſing in mein Lied mit Toͤnen der goͤttli-
chen Harfe,

Vom Halleluja der Himmel beſeelt.

A 5Laͤchle
[10]Oden und Lieder.
Laͤchle gefaͤllig herab auf eine ſterbliche Leyer,

Welche fuͤr dich nur ertoͤnt in mitternaͤchtlichen Stun-
den.

Sage, wie dank ich dir doch die Sorgen, aͤtheriſcher
Juͤngling,

Die mich ſchon in der Kindheit beſchuͤtzt;

Aber die ietzo noch mehr in einem reifenden Alter

Wider den maͤchtigen Reiz der lockenden Wolluſt mich
wafnen?

Tief in der Seele hoͤr ich die Stimme von meinem
Geliebten,

Die mir erhabne Gedanken zuruft.

O! warum kanſt du mir nicht, o mein Beſchir-
mer, erſcheinen,

Wenn mein erzitterndes Herz des Ewigen Throne ſich
nahet;

Und hingeneigt in den Staub, in Thraͤnen der Reu
ihm zuweinend,

Sich ſeiner Erbarmung unwerth erkennt.

Oder
[11]Erſtes Buch.
Oder erſchieneſt du doch in meiner erkenntlichen
Seele,

Wenn ſie die Sorgfalt erwaͤgt, mit der ihr Engel ſie
ſchuͤtzet;

Wenn ſie in einſamer Nacht, in einem heiligen Tief-
ſinn,

Zum ſtralendem Kraiſe der Seligen koͤmmt.

O! mein unſterblicher Freund, beſchuͤtze noch fer-
ner die Seele,

Die dir der Schoͤpfer vertraut; daß ich einſt froh dich
umarme,

Wenn du mit maͤchtiger Hand mich uͤber die Felder des
Todes

Zu jenem Triumphe der Ewigkeit bringſt.

Wann du nun da ſtehſt vor mir in feyerlichem
Gewande,

Und voll Vertraulichkeit mich und ewiger Freundſchaft
umlaͤchelſt;

Goͤttlicher, werd ich alsdann nicht deiner Umarmung
zuſtroͤmen,

Schnell als ein Stral aus dem Meere des Lichts?

Lehre
[12]Oden und Lieder.
Lehre die Seel’ alsdann, mit deinem Feuer zu
denken;

Lehre mich, goͤttlicher Freund, die Lieder der heiligen
Sphaͤren,

Bis die Seele mit dir am Throne meines Erretters

Sich in unendliche Jubel verliert.


Die
[13]Erſtes Buch.

Die Begraͤbniſſe.
Steige hinab, o eremitiſche Seele,

Unter den Staub des dich erwartenden Grabes.

Scheue du nicht den ſchwarzen entſetzlichen Anblick

Jm dunklem Schattenreich.

Seyd mir gegruͤßt, ihr Monumente des Schre-
ckens:

Vor euch erbebt nur die unmaͤnnliche Seele,

Welche, noch nie dem Gegenwaͤrtgen entriſſen,

Stets an dem Staube klebt.

Schauernd ſteh ich — Tief in die traurende Stille

Sind ſie verhuͤllt, des Todes oͤde Gefilde!

Auf das Gebein, vor ſeiner Zerſtoͤrung gefuͤrchtet,

Tritt des Geringern Fuß.

Siehe!
[14]Oden und Lieder.
Siehe! wie prahlt in der betruͤgriſchen Jnnſchrift

Vornehmer Grab. Jm ſtillen Schatten des Ahorns

Ruht, ungeruͤhmt vom panegyriſchen Marmor,

Des Weiſen Aſchenkrug.

Mich auch empfaͤngt einſt eine der ſchauernden
Hoͤhlen,

Wenn ſich mein Haupt, gleich einer ſterbenden Roſe,

Welcher der Nordwind Unſchuld und Purpur geraubet,

Jn dunkle Schatten neigt.

Hier oder da wird mein Gebeine dann ſchlafen.

Gluͤcklich, wenn noch in Thraͤnen die zaͤrtliche Freund-
ſchaft

Um mich ſich haͤrmt, und meine verlaßne Geliebte

Um mich geklaget hat.

Ru-
[15]Erſtes Buch.
Ruhet dann ſanft, o ihr entſchlafnen Gebeine!

Moder und Staub wird euch nur herrlicher machen.

Herrlicher noch ſollt ihr die zaͤrtlichen Freunde,

Und die Geliebte ſehn!


Der
[16]Oden und Lieder.

Der Religionseifer.
An Herrn G ‒ ‒ ‒.

Mein G ‒ ‒ ‒, iſt nicht ein frommer Eifer,

Der mit dem Schwerd und mit der Flamme predigt,

Mehr haſſenswerth, als des Erobrers Blutdurſt,
Der Laͤnder wuͤrgt?

Die Wuth erwacht, ſie wuͤtet in ſich ſelber;

Und ſie vergraͤbt in rauchende Ruinen

Jhr Vaterland. Der Vater mordet Soͤhne,
Und duͤnkt ſich fromm.

Wenn ſie erwacht, wie ſie in Frankreich flammte,

Und dreißig Jahr Germanien verheerte;

Warum hat ſie der kriegeriſche Prieſter
Selbſt fromm genannt?

Ach,
[17]Erſtes Buch.
Ach, daß ſein Herz nicht ſanft und menſchenliebend

Dem ſtillen Geiſt der Duldung nachgefolget!

So haͤtt’ er nicht von Voͤlkern andre Voͤlker
Mit Blut getrennt!

Sie haͤtren nicht in neugebauten Tempeln

Jn fremder Luft die Thraͤnen hingeweinet,

Die Rache ſchreyn; und ihrem Vaterlande
Ungern geflucht.

Weit herrlicher ruͤhmt Fama in die Nachwelt

Des Batavers, und Preußens Menſchenliebe.

Sie ſind belohnt. Jn reichen Colonien
Waͤchſt ihre Macht.

IIIter Theil. BDie
[18]Oden und Lieder.

Die Orgel.
Hoͤre den rauſchenden Wind in der ſtillerwartenden
Orgel,

Die er bereitet zum hohen Geſang!

Folge mir, wertheſter Freund, bis unter die ſchauern-
den Graͤber;

Heilige ganz dich der frommen Muſik!

Himmel! ihr Jubel hebt an. Die hohen harmoniſchen
Donner

Brauſen zu unſerm erſtaunenden Ohr.

Kraft von dem Himmel hebt mich! So klangen die Hal-
len des Tempels

Von der Trommeten feſtlichem Schall.

Unter mir droͤnet der Grund, und einſame Graͤber er-
zittern,

Von dem belebenden Schalle begruͤßt.

Alſo, doch maͤchtiger noch, wird ſie der Engel begruͤßen,

Mit der Poſaune des letzten Gerichts.

Wenn
[19]Erſtes Buch.
Wenn nun der Richter erſcheint auf einer verblendenden
Wolke,

Und in dem Felde der Todten es rauſcht;

Wenn das belebte Gebein nun, ſeinem Erwecker gehor-
chend,

Stimmen der ſtarken Poſaune vernimmt.

Und dann der Richter der Welt die Heiligen um ſich
verſammelt,

Oder Verworfne zum Feuer verſtoͤßt;

Und auf ihr Antlitz alsdann die Thronen und Cherubim
fallen,

Vor dem Allmaͤchtgen in Ehrfurcht gebeugt.

Eben ſo toͤnet der Schall durch jubilirende Roͤhren,

Seele, was hebt dich zum Himmel empor?

Biſt du nicht durch die Gewalt der hohen harmoni-
ſchen Lieder

Unter die Choͤre der Engel verzuͤckt?


B 2An
[20]Oden und Lieder

An Selinen.
Zum zweyten mal, o meine theure Seline,

Reißt dich die ſchwarze Welle hin?

Zum zweyten mal ſchwimmſt du auf tobendem Meere

Den grimmigſten Gefahren zu?

Mit banger Nacht ſchwaͤrzt ſich der ſtuͤrmende Himmel,

Der Donner donnert vom Olymp;

Der wilde Blitz erleuchtet ſchrecklich den Abgrund,

Der oft dein zagend Schif verſchluckt.

Verfolge nicht ein ungluͤckſeliges Maͤdchen,

Natur, mit ſo viel Grauſamkeit!

Gebeut doch ietzt dem niederrollenden Donner,

Gebeut doch ietzt der frechen Fluth.

Du
[21]Erſtes Buch.
Du hoͤrſt mich nicht? nicht das bewegliche Weinen

Des aͤrmſren Kindes, das verzagt?

Auſs neu waͤlzt ſich auf dunkeln wuͤtenden Wellen

Die blaſſe Todesangſt ins Schif.

Wohin, wohin reißt dich die brauſende Woge

Seline, hoͤrſt du mich nicht mehr?

Jch ruf am Strand, mit aufgehabnen Haͤnden:

Seline, hoͤrſt du mich nicht mehr?

Was hoff ich noch am ungluͤcksvollen Geſtade —

Empfange mich, grauſames Meer!

Kan ich ſie nicht auf dieſem Truͤmmer erretten,

So ſterb ich wenigſtens mit ihr!


B 3Der
[22]Oden und Lieder.

Der Choral.
Schlummer und ſchimmernder Reif, und ſtille ver-
trauliche Wolken

Haͤngen ſchon uͤber der ſchlafenden Welt.

Breite dich, einſame Nacht, mit ſanfteinwiegenden Fluͤ-
geln

Ueber die ruhige Haͤlfte der Welt.

Traurig verſinkt die Natur in einen heiligen Schauer,

Wie er in Waͤldern der Barden gewohnt;

Oder auch, wie er vordem auf menſchenfeindliche Grot-
ten

Frommer veralteter Einſiedler fiel.

Singe der Mitternacht ietzt, du Saͤnger auf ſilbernen
Saiten,

Heilig, der Nacht gleich, ſey heilig dein Lied.

Singe den hohen Choral mit Bachs ehrwuͤrdigen Toͤnen;

Fuͤlle mit Andacht das zitternde Herz!

Welch
[23]Erſtes Buch.
Welch ein erhabner Geſang! Die Seele fuͤhlt ihn; und
ſchauernd

Schwingt ſie ſich uͤber die Himmel hinauf.

So, aber ruͤhrender noch, ertoͤnten die Choͤre des Him-
mels,

Maͤrtyrer! als ihr, mit Blute bedeckt,

Eure gefaltete Hand zum Ewigen aufhubt, und ruhig

Unter den Qualen den Feinden vergabt;

Als euch der Seraph erſchien, und triumphirend die
Seele

Ueber des Todesthals Schreckniſſe hob.

Die du den Saͤnger gelehrt, o Tonkunſt unter den En-
geln,

Sing ihm, du heilige Saͤngerin, auch,

Wenn er die Stunde nun ſieht, die fuͤrchterlichſte der
Stunden,

Welche den Chriſten oft ſelber erſchreckt.

B 4Leit
[24]Oden und Lieder.
Leit ihn mit ſicherem Schritt dann uͤber die Baͤche des
Todes;

Sing ihm den hohen Geſang des Olymps!

Stimmen des heiligen Chors und Stimmen der goͤtt-
lichen Harfen

Jauchzen ihm unter Unſterblichen zu!


Phan-
[25]Erſtes Buch.

Phantaſie.
Okehre wieder zuruͤck, ſchwarzer Gedanke,

Zum Throne der Melancholey!

Jn mir erbebend, ſah ich, Goͤttin der Schwermuth,

Geſandten deines finſtern Hoſs.

Schon uͤberſchatteten mich graͤßliche Fluͤgel

Der ſchreckensvollen Einbildung.

Es ſchwaͤrmten um mich herum ſchwarze Phantomen,

Die in dem ſchweren Blut entſtehn.

Jch gieng in Graͤbern herum unter den Todten,

Und Geiſter kamen um mich her.

Seline ſelbſt trat daher himmliſch geſtaltet,

Mit einem Blumenkranz gekraͤnzt.

B 5Sie
[26]Oden und Lieder.
Sie ſetzte ſich an den Fuß einer Cypreſſe,

Die rauſchend aus dem Grabe wuchs;

Sie lachte mich an, doch die Augen erſtarben,

Jn denen ich den Himmel ſah;

Und es ward Schrecken und Nacht, da ſie erblaßte,

Und mein Geſchrey durchdrang die Luft —

O kehre wieder zuruͤck, ſchwarzer Gedanke,

Zum Throne der Melancholey!


An
[27]Erſtes Buch.

An Amintas.
Du ſaheſt ſie, als in Kleanthens Armen

Dein zaͤrtlich Herz dem Freund entgegen klopfte,

Und deinen Wunſch die Freundſchaft ganz erfuͤllte.

Du ſaheſt Sie — Mein Herz nennt mir ſie ewig!

Jhr holder Blick drang unter dunkeln Thraͤnen

Doch ſanft hervor, und laͤchelte voll Unſchuld.

Wie an der Bruſt ein fruͤh ungluͤcklich Maͤdchen

Dem blanken Stahl des wilden Moͤrders laͤchelt.

O! mein Amint, du liebſt, und liebeſt gluͤcklich!

Doch du kennſt auch der Liebe bittre Schmerzen.

Beklag ein Herz, der Zaͤrtlichkeit geſchaffen,

Doch nur geliebt zum Ungluͤck und Verderben.

Dir
[28]Oden und Lieder.
Dir will ich oft die ſchweren Thraͤnen weinen,

Die Freundſchaft heiſcht und reine Liebe fordert.

Doch ſchon mein Damon iſt geliebt und gluͤcklich;

Sollt ich mich nicht in Deinem Gluͤcke troͤſten?


Die
[29]Erſtes Buch.

Die Erſcheinungen.
Senkt euch herab, mitternaͤchtliche Schauer,

Von des Olymps dunkeln Wolkengebuͤrgen;

Fuͤllt dies Gemach, von der ſterbenden Lampe

Furchtſam erhellt.

Jetzt, da das Herz aller Furchtſamen klopfet,

Und ſich mit Angſt vor Erſcheinungen fuͤrchtet,

Wuͤnſch ich, vertieft in den ſchrecklichen Stunden,

Geiſter um mich.

Ach! biſt du todt, oder lebſt, wie die Todten,

Die mich geliebt, ungluͤckſelige Schoͤne!

O ſo komm tetzt! Waͤr es auch nur ein Schatten

Trauriger Furcht.

Wei-
[30]Oden und Lieder.
Weinend wollt ich dieſem Schatten zueilen,

Saͤh er dir gleich! Doch dich kettet das Schickſal

Feſt an den Fels — Koͤnnten Seelen erſcheinen,

Ach du erſchienſt!

Flieſſe dahin, ungeſehene Thraͤne,

Netze dies Blatt mitternaͤchtlicher Klagen!

Dunkel und ſchwer, wie ein trauriger Nebel,

Steigen ſie auf.

Du nur allein, der in heiliges Dunkel

Weiſe das Buch unſers Schickſals gehuͤllet,

Hoͤre du ſie! Eine billige Wehmuth

Opfert ſie dir.


Veſuv.
[31]Erſtes Buch.

Veſuv.
An den Freyherrn von G ‒ ‒ ‒.

Wenn ſich die ſchrecklichſte Nacht mit ihren gefuͤrchte-
ten Fluͤgeln

Ueber ein ſchlafendes Thal am dunklem Veſuve gebreitet:

Schaudert der bangen Natur, und eherne Wolken voll
Donner

Haͤngen herab auf das wartende Thal.

Aber auf einmal ertoͤnt, tief in den Gewoͤlben des
Berges,

Bruͤllen verſchloſſener Gluth, und dunkles Gemurmel
des Abgrunds.

Ploͤtzlich ergießen ſich Dampf und Gluth und fliegende
Felſen

Ueber das Thal, das mit Schrecken erwacht.

Weinend ergreifet alsdann in voller Verzweiflung
ein Juͤngling

Bey der erkalteten Hand ſein halbohnmaͤchtiges Maͤd-
chen;

Fuͤhrt ſie mit Todesangſt fort von wuͤſten dampfenden
Feldern,

Welche das ſchreckliche Feuer verheert.

Um
[32]Oden und Lieder.
Um ſie fliegt Donner und Dampf und Schwefel und
gluͤhender Bimsſtein,

Und der erſchrockene Fuß fuͤhlt ſchon den Abgrund er-
beben.

Beyden eroͤfnen vielleicht die ſich entzuͤndenden Schluͤnde

Feurige Graͤber unter dem Schritt.

Aber durch Feuer und Dampf fuͤhrt ſie ein ſchuͤ-
tzender Engel,

Ehe der gluͤhende Fluß noch ſeine zerſchmelzenden Wel-
len

Ueber das rauchende Feld, gleich einem Bache der Hoͤlle,

Aus den metalliſchen Schleuſen ergießt.

Eine geſicherte Hoͤh, geſichert vor Feuer und Aſche,

Thuͤrmet ſich maͤchtig vor ſie; und friſche balſamiſche
Myrthen

Nehmen ſie freundlich auf in ihre wohlthaͤtigen Schat-
ten,

Welche noch nie die Verwuͤſtung geſtoͤrt.

Freund,
[33]Erſtes Buch.
Freund, wie der wilde Veſuv, wenn er die flam-
mende Wolke

Ueber Jtalien jagt, ſo donnert ietzt Ungluͤck auf Ungluͤck.

Koͤnteſt du doch aus der Noth ein zitterndes Maͤdchen
erretten,

Welches das eiſerne Schickſal verfolgt.

Aber ihr winket kein Wald mehr hinter verſchon-
ten Gebirgen,

Grimmiger bruͤllet um ſie das dunkle ſchwere Gewitter.

Aſche bedecket ihr Haupt, und ihren fliehenden Schritten

Folget die ziſchende flammende Fluth.


IIIter Theil. CDie
[34]Oden und Lieder.

Die Nacht.
Das Ende vieler dunklen Tage

Die treue Nacht bricht ſchon herein.

Verhuͤlle dich, mein Geiſt, und klage,

Vielleicht iſt dieſe Stunde dein.

Ein Leiden, das man unterdruͤcket,

Vermehret den geheimen Schmerz;

Und jede Thraͤne, die erſticket,

Graͤbt blutig ſich in unſer Herz.

Jetzt, da die Thoren mich verlaſſen,

Die dieſen truͤben Tag umſchwaͤrmt;

Will ich dem Schmerz mich uͤberlaſſen,

Der minder wird, wenn er ſich haͤrmt.

Der
[35]Erſtes Buch.
Der Schlaf wird mich voruͤber gehen,

Der oft den Ruͤcken mir gewandt,

Wenn noch von aufgehellten Hoͤhen

Das Morgenroth mich weinend fand.

Jch fleh ihn an, mir zu erſcheinen,

Doch er iſt wie ein falſcher Freund;

Er koͤmmt im Gluͤck nur zu den Seinen,

Und flieht ein Auge, welches weint.

Schon ſiegt der Tag mit hellem Strale,

Wo biſt du, holder Gott der Ruh?

Er koͤmmt, und druͤckt zum erſtenmale

Ein Auge voller Thraͤnen zu.


C 2An
[36]Oden und Lieder.

An Selinen.
Vortreflichſte deines Geſchlechts, in deren goͤttliche
Seele

Der Schoͤpfer alle die Tugend gehaucht,

Durch die oft ein irdiſcher Geiſt, zum Thron der Gott-
heit geriſſen,

Sich unter heilige Seraphim draͤngt.

Die Seraphim lieben ihn ſchon, und die Unſterblichen
Gottes

Erziehn ihn um ſich zur Ewigkeit auf;

Und lehren auf Erden ihn ſchon ein Lied zum Lobe der
Allmacht,

Und in die guͤldenen Harfen ein Lied;

Ach daß noch, Seline, mich nicht die hohe Saͤngerin
lehret

Die G ‒ ‒ C ‒ ‒ und K ‒ ‒ gelehrt!

Sie, welche hoch uͤber mir ſtehn, ſie wuͤrden dich edler
beſingen,

Und deine wuͤrdigern Herolde ſeyn.

Doch
[37]Erſtes Buch.
Doch wie? Soll noch laͤnger mein Herz die ſtillen
Lieder erſticken,

Die deine Tugenden in ihm erzeugt?

So ſchallte mein kuͤhner Geſang, von deinem Werthe
begeiſtert,

Nicht in die hellere kuͤnftige Welt;

So haͤtte dein Auge noch nicht, wenn es erheiternder
laͤchelt,

Als von dem Himmel ein lichtes Gewoͤlk

Jn mein gleichguͤltiges Herz die heilige Flamme gegoſſen,

Die zu unſterblichen Liedern mich zwingt;

So haͤtte mir deine Hand nie den Gram vom Auge ge-
trocknet,

Der uͤber die traurige Wange gethaut;

Der Stirne die Jugend entzog, und den gewaltigſten
Schmerzen

Und dunkler Verzweiflung zum Opfer mich gab;

C 3So
[38]Oden und Lieder.
So haͤtt’ ich nicht Thraͤnen geſehn, durch die die maͤch-
tige Liebe

Dein blaues ſiegendes Auge getruͤbt;

So haͤtt’ ich nicht Seufzer gehoͤrt, und unnachſprechli-
che Worte,

Die eine Seele der andern nur ſagt.

Du Tag, da ihr ſanftes Geſicht, wie die Fruͤhlingsſon-
ne, mir aufgieng,

Sey du mir ewig ein feſtlicher Tag!

Da ſagte mein klopfendes Herz, und ſagt’ es voller Be-
wegung:

Das iſt Sie! Und ich empfand es, Sie wars.

So laͤchelt an Even vordem ein heitres Auge voll Un-
ſchuld,

Und froͤlich huͤpfte die junge Natur:

Wie ihr triumphirender Blick, der aus unſchuldigen
Augen

Tief in die weichere Seele mir drang.

Die
[39]Erſtes Buch.
Die Seele verlohr ſich in ſie, und ward erhabner ge-
bildet,

Und ſchloß ſich ſuͤßen Entzuͤckungen auf;

So wie dem maͤchtigen Stral die junge Roſe ſich oͤfnet,

Und froh des Morgenthaus Segen empfaͤngt.

Mein weichergebildetes Herz empfand nun hoͤhere Freu-
den,

Als die, ſo flatterud die Jugend durchflog.

Wie paradieſiſch ward mir das Thal ehrwuͤrdiger Eichen,

Das dich zu mir, o Seline, gefuͤhrt!

Da ſah ich den Himmel zuerſt vom Lenz und Freude
verguͤldet;

Da erſt verſtand ich der Buͤſche Geraͤuſch;

Da gieng der holdſelige Weſt zuerſt gefuͤhlt mir voruͤber,

Und fuͤhlend hoͤrt ich der Nachtigall Lied.

C 4Wie
[40]Oden und Lieder.
Wie hab ich nicht damals entzuͤckt den ſelgen Himmel
geſegnet,

Der uͤber ſchimmernden Gegenden hieng,

Und gluͤckliche Thaͤler umfloß, wo Blumen, die du
mir pfluͤckteſt,

Der Tugend einſame Thraͤne benetzt!

O koͤnt ich, Seline, dir doch der Stunden eine belohnen,

Die in ſchuldloſen Freuden entflohn!

Nur eine der Zaͤrtlichkeit Macht entfallne redende Thraͤ-
ne!

Nur einen mir unvergeßlichen Blick!

Zwar danket dir, Vorſicht, mein Herz fuͤr die mir koſt-
baren Stunden,

Die Lieb und Freundſchaft mit Freude gekraͤnzt,

Ach wenige Stunden ſinds nur! Der melancholiſchen
Tage

Und der durchweinten Naͤchte ſo viel!

Doch
[41]Erſtes Buch.
Doch wollt’ ich mit ruhigem Blick den halbverbluͤheten
Fruͤhling

Gleich ſchwarzen Wintern dahinſtuͤrmen ſehn;

Wenn nicht in dem maͤchtigſten Leid der letzte Troſt
der Verlaßnen,

Die Hofnung ſelber mir Armen entfloͤh.

Willſt du auch, o Hofnung, mich fliehn? Soll ich noch
troſtloſer weinen,

Als G ‒ ‒ ‒ Sch ‒ ‒ und G ‒ ‒ geweint,

Die ihr unerbittliches Loos, den beſten Freunden ent-
riſſen,

Jn ferne leere Gegenden ſtieß?

Jch weine, der Hofnung beraubt, gleich einem ungluͤck-
lichen Juͤngling,

Der ſich, zum Treffen und Tode bereit,

Noch einmal mit ſehnlichem Blick der Himmelsgegend
zuwendet,

Jn welcher ſeine Geliebte verzagt.

C 5Okehre
[42]Oden und Lieder.
O kehre doch wieder zuruͤck in die veroͤdete Seele,

Die deine ſchmeichelnde Macht nur erhaͤlt!

Entdecke mir, Hofnung, den Troſt, auch in der ferne-
ſten Ausſicht,

Selinen einmal nur wieder zu ſehn.


Die
[43]Erſtes Buch.

Die Bomben.
Sieh, ſchrecklich flieht ſie dahin die alles zerſchmet-
ternde Bombe!

Sie ſpruͤht Verderben und Tod aus ihrem entzuͤndeten
Schlunde;

Aus ihrem Bauche ſchwingt ſich die ungeheure Ver-
wuͤſtung;

Jhr Athem toͤdtet, wie die Peſt.

So ſtuͤrmt ſie grauſam und wild in nie eroberte Staͤd-
te;

Den Donnern der Mitternacht gleich zertruͤmmert ſie
prangende Thuͤrme,

Streut Flammen uͤber die Stadt; verwuͤſtet heilige
Tempel,

Und ſtuͤrzet Schloͤſſer in den Staub.

Entflammend wuͤhlt ſie ſich ietzt in Vorrathshaͤuſer von
Pulver

Und Steine, Funken und Rauch, und wilde ſchmettern-
de Stralen

Verbreiten gleich Blitzen den Tod; und eine Nacht der
Verwuͤſtung

Bedeckt mit Schutt und Graus die Stadt.

So
[44]Oden und Lieder. Erſtes Buch.
So machen Sterbliche ſich zu himmelſtuͤrmenden
Rieſen;

Sie rauben der raͤchenden Hand des Himmels die ſtra-
fenden Donner,

Und wuͤten wider ſich ſelbſt mit Flammen des ſchwar-
zen Cocytus,

Und wafnen ſich mit Hoͤllenblitz.



[[45]]

Oden und Lieder.

Zweytes Buch.


[[46]][47]
An den Freyherrn von G ‒ ‒
Klage nicht immer, o Freund, von einem feindlichen
Schickſal,

Welches wir feindlicher noch in ſchwarzen Stunden uns
bilden.

Stelle die Welt dir nicht blos von ihrer traurigen Seite,

Stelle ſie dir von der guten auch vor.

Soll ich den Vorhang einmal, der deine Freuden
verhuͤllet,

Aufziehn mit zaubernder Hand, und dir in heitern Pro-
ſpecten

Helle Gefilde voll Gluͤck, und lachende Landſchaften zeit
gen,

Welche die Melancholie dir verbarg?

Biſt du nicht weiſe mein Freund? Gewiß ein Ge-
ſchenke des Himmels

Nicht oft zu Ahnen gelegt, und zu weſtindiſchem Reich-
thum!

Kan dir das tobende Meer, kan dir die wuͤtende
Flamme

Rauben das, was nur der Seele gehoͤrt?

Waͤreſt
[48]Oden und Lieder.
Waͤreſt du nun ein Monarch, dem Millionen ge-
horchten,

Deſſen gefuͤrchteten Ruhm unuͤberwindliche Flotten

Ueber das zagende Meer kleinmuͤthigen Jnſeln verkuͤn-
digt,

Wuͤrdeſt du etwa gluͤckſeliger ſeyn?

Wuͤrdeſt du, einſam und ernſt, mit deiner erha-
benen Seele

Mehr noch bekannt ſeyn, als ietzt? und wuͤrden ver-
ſtorbene Weiſen,

Dichter aus Rom und Athen zum Throne des Koͤnigs
ſich wagen,

Welcher nur blutiger Ehre gefolgt?

Oder gedaͤchteſt du denn, wenn du beladene Flot-
ten

Ueber die Meere geſchickt, dich mit dem Golde zu troͤ-
ſten?

Oder vermeinteſt du wohl in Cyperns bunten Gefilden

Gluͤcklicher ohne die Schwermuth zu ſeyn?

G —,
[49]Zweytes Buch.
G —, gluͤcklich biſt du, daß deine denkende Seele

Sich mit ſeraphiſchem Schwung zu hoͤhern Sphaͤren
erhebet.

Fließt auch dein Leben dahin, gleich Baͤchen in trauri-
gen Thalern;

Jſt denn dies Leben der Klage wohl werth?

Aber der Himmel hat ja dein philoſophiſches Le-
ben

Auch mit dem Gluͤcke durchwebt, und mit der Freude
gefaͤrbet.

Sage, fuͤr was fuͤr ein Gluͤck willſt du die Stunden
vertauſchen,

Die du in einſamen Naͤchten durchdenkſt?

Hoͤreſt du nicht auch entzuͤckt der holden Pirkerin
Stimme?

Ruͤhret dich nicht im Concert die Biankiniſche Geige?

Schaͤumet Champagner Wein nicht in deinem umkraͤn-
zeten Becher;

Singet die Huberſche Leyer nicht dir?

IIIter Theil. DHeit-
[50]Oden und Lieder.
Heitre die Stirne dann auf, die eremitiſche Run-
zeln

Lange mit Tiefſinn und Ernſt und Unzufriedenheit fur-
chen.

Wende den Blick zum Olymp, und deine maͤchtige Leyer

Singe dir froͤliche Stunden herab!


Das
[51]Zweytes Buch.

Das Mitleid.
Wer hat ein reizender Geſicht,

Als Jungfer Marjonette?

Allein wer hoͤrt wohl, daß ſie ſpricht,

Wie man vermuthet haͤtte?

Sie neigt ſich artig, und ſteht da,

Und ſagt aufs hoͤchſte: Was? und Ja.

Ach! ſie iſt noch Monade!

Wahrhaftig, das iſt Schade!

Finettens Puppenangeſicht

Kan noch von fern entzuͤcken.

Sie hat viel Narren, wie ſie ſpricht,

Jn ihren Liebesſtricken.

Der Kluge geht vorbey, und lacht.

Sie macht, mit ihrer Flitterpracht,

Der Gaſſe nur Parade.

Wahrhaftig, das iſt Schade!

D 2Mein
[52]Oden und Lieder.
Mein Fraͤulein Hey iſt frey im Scherz,

Und ſanft in ihrer Gnade.

Sie liebt mein buͤrgerliches Herz

Jn ziemlich hohem Grade.

Allein ich weiß nicht, wie das iſt,

Daß ſie den Adelſtand vergißt —

Die Lieb iſt wohl nur Gnade.

Wahrhaftig, das iſt Schade.


An
[53]Zweytes Buch.

An die Sonne.
Die du in dunkeln Wolken

Dein ſtralend Haupt verſteckeſt;

O liebe liebe Sonne,

Willſt du mir ietzt nicht ſcheinen?

Du ſcheinſt dem leeren Thoren,

Wenn ſein geſtickter Aufſchlag

Jn deinen Stralen funkelt.

Du ſcheinſt der eiteln Dame,

Wenn ihre Zitternadel

Des Buͤrgers Auge blendet.

Du wirſt ja mir auch ſcheinen,

Damit mein weißes Maͤdchen

Mich nicht umſonſt erwartet.


D 3An
[54]Oden und Lieder.

An das Clavier.
Du Zeitvertreib ſo mancher jungen Schoͤne,

Und manches jungen Herrn, der dir ſein Opfer bringt,

Wenn er, entzuͤckt in ungefuͤhlte Toͤne,

Ein welſches Ach in zwanzig Tacten ſingt.

Auf dir war nie ein welſches Lied erklungen,

Du warſt noch von dem Tand der ewgen Triller frey.

Das, was ich ſang, ward immer deutſch geſungen;

Doch mein Geſchmack bleibt dir nicht mehr ſo treu.

Dir hat der Schwung der Oper ſchon gefallen.

Es feſſelt dich nicht mehr der deutſchen Tonkunſt Zwang.

Du faͤngſt ſchon an, die Triller nachzulallen,

Die bis ins Herz die Pompeati ſang.

Wie
[55]Zweytes Buch.
Wie voll biſt du von neuen Zaͤrtlichkeiten,

O ſiegendes Clavier, da dich die Oper hebt.

Die Symphonie rauſcht ſchon durch deine Saiten;

Der Unmuth flieht, und alles iſt belebt.


D 4An
[56]Oden und Lieder.

An den Freyherrn von G ‒ ‒
Der du in Acten verſenkt, verwirrte Proceſſe durch-
wuͤhleſt,

Und deine Leyer vergeſſen haſt;

G —, opfre nicht ſtets auf dem Altare der Themis,

Und flieh die ſtaubichte Canzeley.

Die Muſen vertragen ſich nicht mit Advokaten und
Schreibern,

Sie fliehn Archive voll Actenſtaub.

Nicht oft dringt ſich der Geſchmack bis zu dem rechten-
den Volke,

Das von der Zankſucht der Menſchen lebt.

Und du, du ſuchteſt vielleicht den hohen Trieb zu er-
ſticken,

Der dich zum Tempel der Zukunft fuͤhrt?

Nein, dazu biſt du zu groß! Auf! ſtimme von neuem
die Leyer,

Der oft der Leinenſtrand zugehoͤrt.

Schnell
[57]Zweytes Buch.
Schnell geht dies Leben dahin, und man vergißt nach
dem Tode

Selbſt Helden ohne des Dichters Kunſt.

Viel Millionen ſind Staub; laͤngſt ſind die Namen
vergeſſen;

Doch lebt Homerus und Flaccus noch.


D 5Ein-
[58]Oden und Lieder.

Einladung an H. E ‒ ‒
Sieh, Damon, wie von finſtern Bergen

Der Regen und der Unmuth brauſt,

Und wie ein wolkengleicher Nebel

Den ausgeſtorbnen Wald umhuͤllt.

Jn ungehemmten dicken Guͤſſen

Verfließt der melancholſche Tag.

Die Sonne ſteckt in ſchwarzen Wolken;

Wer weiß, ob wir ſie wieder ſehn.

Doch, Damon, uͤberlaß dem Schickſal,

Wie es die liebe Sonne fuͤhrt;

Und komm, und hoͤre, wie im Ofen

Der Stamm der feſten Eiche kracht.

Wir
[59]Zweytes Buch.
Wir wollen, vor die truͤben Fenſter,

Die ſichernde Gardine ziehn;

So ſehn wir nicht den wilden Regen,

Der uͤber hohe Daͤcher ſchaͤumt.

Was fuͤrchten wir des Nordwinds Wuͤten

An einem bunten Caffeetiſch!

Wir koͤnnen Fruͤhlingswetter ſchaffen,

Durch Freundſchaft, durch Geſpraͤch, und Wein.

Komm, Damon, komm, du ſollſt es ſehen,

Wie Luſt und Freude bey uns herrſcht;

Und wie die ſchimmernde Bouteille

Das traurige Gemuͤth erhellt.

Jetzt,
[60]Oden und Lieder.
Jetzt, da uns noch kein kruͤmmend Alter

Die eingeſchrumpfte Stirne furcht;

Jetzt, Damon, laß uns uns genießen,

Daß ungeſorgt die Tage fliehn.


Die
[61]Zweytes Buch.

Die Entſchluͤſſe.
Alzindor bittet mich zum Weine,

Sein Wein iſt gut. Ob ich erſcheine?

Das kan wohl geſchehn!

Doch denket er mich zu beſtechen,

Von ſeiner Narrheit nicht zu ſprechen?

Das will ich doch ſehn!

Die Vettern ſagen: Bleib zu Hauſe,

Und laufe nicht zu jedem Schmauſe!

Das kan wohl geſchehn!

Doch denken mich die klugen Herren

Wie einen Haͤnfling einzuſperren?

Das will ich doch ſehn!

Man
[62]Oden und Lieder.
Man ſoll nicht in Paſquillen ſingen,

Und Den und Die in Verſe bringen.

Das kan wohl geſchehn!

Allein denkt man mich ſcheu zu machen,

Die Narren gar nicht auszulachen?

Das will ich doch ſehn!

Mein Vormund ſpricht: Er will ſchon lieben?

Das koͤnnt er immer noch verſchieben!

Das kan wohl geſchehn!

Ja, ja; noch weicht dem Wein die Liebe;

Doch ſtets verſchmaͤht ich ihre Triebe!

Das will ich doch ſehn!

Daß
[63]Zweytes Buch.
Daß ich nach meines Doctors Lehre

Jm Fieber allen Wein verſchwoͤre;

Das kan wohl geſchehn!

Doch wenn das Fieber mich verlaſſen,

Sollt ich den Wein noch immer haſſen?

Das will ich doch ſehn!


Die
[64]Oden und Lieder.

Die Seuche.
Eine gefuͤrchtete Zeit! Mit peſtilenziſchem Fittig

Wallet auf Nebeln die Seuche daher.

Furchtbar verjaget ihr Arm den harten maͤnnlichen
Winter

Ueber Gefilde voll Regen und Sumpf.

Hat ſie nicht Monathe ſchon des Nordpols Pforte ge-
ſchloſſen,

Und die Pallaͤſte der Kaͤlte geſperrt?

Noch hat erfriſchender Schnee nicht uͤber Berge geſtoͤ-
bert;

Oder der Bach ſich mit Eiſe bedeckt.

Aber auf ſuͤdlichem Sturm brauſt die verderbende Goͤt-
tin

Ueber die faulenden Waſſer daher.

Gegenden trinken das Gift aus manchem unzeitigen Re-
gen,

Lau, wie der Regen im fruchtbaren Lenz.

Ueber
[65]Zweytes Buch.
Ueber die zitternde Stadt ſchaut ſie verwuͤſtend herunter,

Mit der Meduſa verderbendem Blick;

Streuet mit raͤchender Hand vergiftende Maſern und
Frieſel,

Fieber und toͤdtende Pocken umher.

Juͤnglinge fallen dahin von ihrer maͤhenden Sichel,

So wie die Roſen vom Nordwind gebeugt.

Schoͤnen von himmliſchen Reiz ſehn durch verwuͤſtende
Blattern

Jhre bezaubernde Schoͤnheit verheert.

Nahe dich, wuͤtendes Weib, nicht auch der matten Se-
rene,

Welche den Einfluß der Witterung fuͤhlt.

Und melancholiſcher wird, wenn immer weinende Wol-
ken

Ueber ermattete Gegenden ziehn.

IIIter Theil. EMache
[66]Oden und Lieder.
Mache dich auf von dem Pol, du Feind verderbender
Seuchen,

Stuͤrme, wohlthaͤtiger Winter, herab!

Reinige guͤtig die Luft, und ſtroͤm im ſchimmernden
Froſte

Alle die hitzigen Duͤnſte hinweg.


An
[67]Zweytes Buch.

An die Liebe.
Liebe, du Goͤttin zaͤrtlicher Schmerzen

Jn unſern jungen fuͤhlenden Herzen,

Laß mir, holde Liebe,

Meine Traurigkeit.

Wenn ich mich betruͤbe,

Ehret dich mein Leid.

Einſame Thraͤnen liebender Jugend

Sind oft die Zeichen hoͤherer Tugend,

Als des Weiſen Lehren,

Der in Wuͤſten flieht;

Und das Schwerdt vor Heeren,

Das zum Siege zieht.

E 2Lie-
[68]Oden und Lieder.
Liebe, du bildeſt Herzen von neuen.

Zaͤrtliche Toͤne will ich dir weihen.

Daß mein Herz empfunden,

Das verdank ich dir.

Und auch truͤbe Stunden,

Liebe, ſende mir!


An
[69]Zweytes Buch.

An drey Orangenbaͤumchen.
Euch, die aus einer Orange

Seline dankbar geſaͤt;

Euch, von holdſeligen Haͤnden

Der Liebe ſaͤuſelnd erzogen;

Euch, Baͤumchen, ſing ich dieſes Lied.

Den ſanften Grazien aͤhnlich,

Wachſt ihr freundſchaftlich empor,

Und den geſelligen Schatten,

Und eure ſpielenden Blaͤtter,

Umtanzt der Weſte leichtes Volk.

E 3Das
[70]Oden und Lieder.
Das Reich der farbigten Blumen,

Wenn es der Fruͤhling beherrſcht;

Selbſt die monarchiſche Staude,

Die nach Jahrhunderten bluͤhet,

Die Aloe, reizt mich nicht ſo.

Der Reif der ſchimmernden Naͤchte

Geh ſanfter uͤber euch weg!

Die bunte Goͤttin der Blumen,

Ja ſelbſt die maͤchtige Liebe

Beſchuͤtz euch vor der Raͤuber Hand!


An
[71]Zweytes Buch.

An das Clavier.
Du triumphirende Macht uͤber den traurigen Gram,

Du Meiſterſtuͤck der hohen Harmonie,

Du, mein getreues Clavier, o! ſinge die Tage hinweg,

Die, Naͤchten gleich, mit ſchwarzen Fluͤgeln fliehn.

Sonſt rauſcht’ ein froͤhlicher Ton, wie er in Opern ent-
zuͤckt,

Die Saiten durch, und jauchzte Symphonien;

Auch klang ein gaukelnder Tanz, von pantomimiſchen
Fuß

Dem ſchwarzen Gott der Hoͤlle vorgetanzt.

Sonſt ſang ein lachender Lied ſiegender Augen Triumph,

Die himmelblau, als wie im Lenz die Luft,

Jn mein empfindendes Herz die ſanfte Liebe gefloͤßt,

Fuͤr die allein mein Herz geſchaffen war.

E 4Doch
[72]Oden und Lieder.
Doch ietzt, verlaßnes Clavier, ſchweiget das ſchmei-
chelnde Lied,

Das Hagedorn der Freud und Jugend ſpielt.

Jn Diſſonanzen gehuͤllt, ſchaf ich mir einſam den Ton,

Der meinen Schmerz in finſtern Noten ſagt.

Wenn der erheiternde Stral beſſerer Hofnung mir lacht,

Und nicht mein Flehn der leichte Wind verweht;

Dann ſoll ein ſcherzendes Lied, dir, o Seline, geweiht,

Durch deine Macht den Liebesgott erhoͤhn.


An
[73]Zweytes Buch.

An die Nachtigall.
Du Saͤngerin der Naͤchte,

Du liebe Philomele,

Du ſingeſt ja ſo klaͤglich.

Was iſt dir wiederfahren?

Jch glaube, daß du liebeſt.

Ach! lieber kleiner Vogel,

Jch lieb auch, wie du liebeſt,

Und bin der Stadt entflohen,

Und bin hieher gekommen,

Einmal recht auszuweinen.

Dort in den großen Haͤuſern,

Da iſt man immer luſtig;

Da will man immer lachen;

Da ſollt ich auch mit lachen;

Da bin ich weggelaufen.

E 5Komm,
[74]Oden und Lieder. Zweytes Buch.
Komm, ich will mit dir klagen.

Wie zaͤrtlich kanſt du klagen!

Mich ruͤhren deine Seufzer;

Du ſuchſt wohl die Geliebte,

Die man von dir getrennet.

Mich hat von meinem Maͤdchen

Das Schickſal auch getrennet.

Doch, Vogel, du biſt gluͤcklich!

Sieh nur, du haſt ja Fluͤgel,

Du kanſt ja zu ihr fliegen.

Jch wollte hier nicht ſitzen,

Und um mein armes Maͤdchen

An dieſen Linden weinen.

Haͤtt ich nur deine Fluͤgel;

Wie wollt ich zu ihr fliegen!



[[75]]

Oden und Lieder.

Drittes Buch.


[[76]][77]
An den Freyherrn von Zedlitz.
Mein Zedlitz, wie gluͤcklich biſt du im Umgang der
lehrenden Todten!

Die Noth des Dummkopfs kenneſt du nicht,

Wenn ihn in ſeinem Pallaſt die Langeweile verfolget;

Wenn ſie zu hirnloſen Schoͤnen ihn ſcheucht;

Wenn er im wilden Baſſet die leeren Naͤchte durchwa-
chet,

Und in dem traurigen Lomberſpiel gaͤhnt;

Wenn ſeinem ekelnden Sinn ſo wenig ſein Pferd, als
der Becher,

Noch Maskerade zum Zeitvertreib wird;

Wenn er das Leere nun fuͤhlt, mit dem das Schickſal
ihn ſtrafet,

Das ihm zwar Ahnen und Reichthuͤmer gab;

Doch welches dagegen ihn auch der hohen Gaben berau-
bet,

Die man nicht immer von Ahnen ererbt;

Dann,
[78]Oden und Lieder.
Dann, Zedlitz, findet man dich im Krais der baͤrtigen
Weiſen.

Und bey den Helden des bluͤhenden Roms.

Du wageſt kuͤhn auch alsdann dich zu tiefſinnigen Brit-
ten,

Und zu der galliſchen Dichter Geſang.

Wo bleibt alsdann dir der Tag, wo bleibt der Abend
des Winters?

Rauſcht er mit eilendem Fittig nicht fort?

Und hat der Morgen nicht oft dich bey der vertrauli-
chen Lampe

Auf Miltons Geſaͤnge horchend geſehn?

Welch ein entzuͤckender Troſt iſt die Geſellſchaft der Mu-
ſen!

Sie folgen ſelber im Ungluͤck uns nach.

Sie laſſen uns niemals allein; und ſind ſowohl in der
Wuͤſte,

Als in bevoͤlkerten Staͤdten bey uns.


An
[79]Drittes Buch.

An den Sylphen Ariel.
Beſchuͤtzer meiner Schoͤne,

Wachſamer Ariel,

Erſchein auf dieſe Toͤne,

Und nimm von mir Befehl.

Selinden zu bewachen,

Sey kuͤnftig dein Beruf!

Nichts muß dich groͤßer machen,

Seit Gabalis dich ſchuf.

Dich finde nicht der Morgen

Bey meines Maͤdchens Putz.

Jn weit erhabnern Sorgen

Beweiſe ſich dein Schutz.

Belindens braunen Locken

Gab Pope dich zur Wacht,

Jetzt nimm ſo unerſchrocken

Selindens Herz in Acht.

Wenn,
[80]Oden und Lieder.
Wenn, uͤberdeckt mit Treſſen,

Der Stutzer um ſie ſchwebt,

Und ſeinen Blick vermeſſen

Der Narr nach ihr erhebt;

So ſcheuche dein Gefieder

Den leeren Stutzer fort,

Und donnre Narren nieder

Durch ein geſcheutes Wort.

Erhalt in ihren Herzen

Den Spott, der ſiegreich iſt,

Wenn in gezwungnen Scherzen

Der Landwitz ſich ergießt.

Ein niederſchlagend Lachen

Bewafn’ ihr Angeſicht,

Den Junker klein zu machen,

Der aus Baniſen ſpricht.

Be-
[81]Drittes Buch.
Bedeckt nun die Gefilde

Von Abend Thau und Ruh;

So ſetze meinem Bilde

Der Liebe Reizung zu.

Gieb, daß ich ſo ſie ruͤhre,

So wie ſie mich geruͤhrt,

Als ſie an dem Claviere

Mein zaͤrtlich Herz entfuͤhrt.


IIIter Theil. FEin-
[82]Oden und Lieder.

Einladung
An H. P. G - - -.

Freund, unſer Leben iſt kurz, der Thoren aber ſind
viel,

Die uns die theuren Stunden entziehn.

Sey geitzig, Freund, auf die Zeit, die uns die Freund-
ſchaft noch goͤnnt.

Es ſey uns jede Stunde, wie Gold.

Schon lange gruͤnt uns nicht mehr der abgeſtorbene
Wald,

Der in den ſuͤſſen Schatten uns rief;

Schon lange ſingt uns nicht mehr der Vogel Zaͤrtlich-
keit vor,

Und wuͤſte Stuͤrme brauſen daher.

Der Schenktiſch laͤchelt zwar auch in Strephons praͤch-
tigem Saal

Aus heitern Caravinen dir zu;

Doch, Freund, der praͤchtige Saal herberget luͤgenden
Wein,

Und einen Narren, ſchlimm, wie ſein Wein.

Nein
[83]Drittes Buch.
Nein, G —, eile zu mir! wie froh erwartet dich ſchon

Das Weinglas, und mein treues Clavier!

Ein ungeſchwefelter Wein, und von der Lieb ein Ge-
ſpraͤch

Geht allen Feſten der Koͤnige vor.

Wer weiß, wie lange das Gluͤck uns hier beyſammen
noch laͤßt,

Da es uns immer grauſam getrennt.

Es hat vielleicht uns vereint, um noch grauſamer zu
ſeyn,

Wenn es uns wieder ſchrecklicher trennt.

Freund, wo iſt G — hin. Er ward uns wieder ge-
ſchenkt;

Nun bringt kein Wunſch ihn wieder zuruͤck.

Es fließt ein trauriger Bach tief in das einſame Thal;

Allein er fließt nicht wieder zuruͤck.

O Freund, komm eilig zu mir, und ſcherz den Unmuth
hinweg,

Der unſre truͤben Stirnen umwoͤlkt!

Es fliehe Schwermuth und Gram, wenn das helltoͤ-
nende Glas

Auf unſrer Freunde Wohlſeyn erklingt!


F 2Auf
[84]Oden und Lieder.

Auf einen Dompfaffen.
O Vogel, den ein gutes Gluͤck

Zu einem Dichter brachte,

Der dich im erſten Augenblick

Zu ſeinem Liebling machte;

Mein Papchen, ſey nicht ſo betruͤbt,

Daß nun ein Kaͤficht dich umgiebt.

Du kanſt zwar nichts, und ſitzeſt ſtumm,

Doch niemand ſoll dich hoͤhnen.

Du biſt, mein Papchen, ſchoͤn und dumm;

Sind das doch viele Schoͤnen.

Soll deiner Farben Pracht vergehn,

So macht dich deine Treu doch ſchoͤn.

Ach
[85]Drittes Buch.
Ach lieber Vogel, koͤnteſt du

Dich zu Selinden ſchwingen,

Und vor der ſuͤßen Abendruh

Mir Nachricht von ihr bringen!

Ach Papchen, fliege doch zu ihr!

Den beſten Zucker geb ich dir.


F 3An
[86]Oden und Lieder

An Herrn Fleiſcher,
einen Virtuoſen auf dem Clavier.

O Fleiſcher, umſtroͤme mein Herz mit Meeren ſera-
phiſcher Toͤne;

Reiß mich zu ſuͤßen Entzuͤckungen hin!

Du ſpielſt; wie praͤchtig ertoͤnt, die Stimme der maͤch-
tigen Tonkunſt,

Durch Silberſaiten des hohen Claviers.

So wie im Tempel, das Chor der unentheiligten Saͤn-
ger,

Ein Feſt mit Halleluja begruͤßt;

Und in dem Dom der Triumph der majeſtaͤtiſchen Or-
gel

Von heiligen Tagen die Feyer anhebt:

So
[87]Drittes Buch.
So rauſcht Accord durch Accord; doch ſchnell gehn rie-
ſelnde Laͤufe,

Und zarte Triller die Saiten hinauf.

Wie aͤngſtlich zittert mein Herz vom Winſeln der klaͤg-
lichen Saite,

Die unter dem ſchaffenden Finger erſeufzt.

So weint im horchenden Wald die Nachtigall zaͤrtliche
Lieder;

So ſang die Colizzi dem lauſchenden Ohr;

Und ſo weint auch ein Poet in Elegien voll Wehmuth

Um ſeiner Schoͤne fruͤhzeitiges Grab.

Unwillig murret der Baß, daß im Diskante die Sai-
ten

Die ſchnelle Rechte heller belebt.

Doch ploͤtzlich brauſeſt du auch mit deiner Linken hin-
unter,

Und herrſcheſt zur Oberſtimme den Baß.

F 4Nun
[88]Oden und Lieder.
Nun jauchzt das ganze Clavier, und feyert hohe Ge-
ſaͤnge,

Jn Phantaſien voll Anmuth und Pracht.

O Fleiſcher, folgen dir nicht die maͤchtig bezauberten
Herzen.

Wie ſonſt dem Thrazier Waͤlder gefolgt?


Der
[89]Drittes Buch.

Der Unwillige.
Man iſt geplagt von allen Seiten!

Man mag ſtets wider Narren ſtreiten,

Sie wachſen doch ſo ſchnell wie Gras.

Zuweilen mag man ſie noch ſehen;

Doch ſtets die Herren auszuſtehen,

Das iſt kein Spaß!

Kleont lud mich vor wenig Tagen;

Und das kan ich mit Wahrheit ſagen,

Daß ich bey ihm recht praͤchtig aß.

Nicht lange war ich da geweſen,

Da fieng er an ſich herzuleſen,

Das war kein Spaß!

F 5Seline
[90]Oden und Lieder.
Seline ſpricht, daß ſie mich ſchaͤtzet,

Und uͤber alle Menſchen ſetzet;

Allein der Guckguck glaub ihr das.

Oft find ich, was ich ihr nicht ſchenke,

Band, Doſen, Ring, und Ohrgehenke.

Das iſt kein Spaß!

Herr Abgrund zieht mich in die Ecken,

Vom Staat mir etwas zu entdecken,

Und laͤchelt, und vertraut mir was.

Dafuͤr bin ich gar ſchoͤn verbunden;

Er raubt mir meine beſten Stunden.

Das iſt kein Spaß!


An
[91]Drittes Buch.

An den Harz.
O Gegend, ſchrecklich und rauh, wo melancholiſche
Berge

Mit ſtarrem Haupt die Gewitter durchſchaun;

Wo um den drohenden Fels die werdenden Donner ſich
ſammeln,

Und jede Wolke zum Regenguß wird;

Wo bald im rauſchenden Bach die Kutſche des Reiſen-
den wallet,

Bald durch die engſten Felſen ſich zwingt;

Bald auf der Spitze des Bergs die Wolken um ſich
begruͤßet,

Und bald in Thaͤlern, gleich Abgruͤnden, irrt;

Wo nur der knarrende Karn von flimmernden Erzten
erſeufzet,

Das Thal vom raſenden Puchwerke ſchallt;

Und wo im ewigen Rauch, gleich einem dampfenden
Aetna,

Manch Huͤttenwerk weite Gehoͤlze verſchlingt;

Wo
[92]Oden und Lieder.
Wo nur mit blaſſem Geſicht bey Hammerwerken und
Gruben

Ein Bergmann etwa die Wege durchkreuzt;

Verſchwindet, wenn man ihn ſieht, faͤhrt in die Tiefen
der Erde,

Und laͤßt den Wald ſo oͤd, als er war;

O Harz, wofern auch in dir der laͤchelnde Morgen ſich
bildet,

Und Abends Purpur die Felſen bekroͤnt;

So laß auch den heutigen Tag mit aller der Anmuth
ſich ſchmuͤcken,

Die einen Harztag zu ſchmuͤcken vermag.

O Donner, rolle du nicht von ungeſelligen Bergen;

Und du, o Sturmwind, ſtuͤrme du nicht.

Der Weſtwind flattre durch euch, ihr tauſendjaͤhrigen
Eichen;

Die Tanne rauſche Vergnuͤgen und Ruh;

Daß
[93]Drittes Buch.
Daß ihr Serenen nicht ſchreckt, wenn ſie mit aͤngſtli-
chen Augen

Die unabſehlichen Waͤlder erblickt.

Der toͤdtende Huͤttenrauch flieh, von ſanften Weſten
zerſtreuet,

Und froͤhlich ruf ihr der Bergmann: Gluͤck auf!


Die
[94]Oden und Lieder.

Die Aufmunterung.
Es iſt ſonſt nicht meine Sache,

Daß ich Complimente mache;

Doch ietzt faͤllt mir manchmal bey,

Ob ich nicht zu furchtſam ſey.

Meinem Freund darf ichs nicht ſagen,

Denn der predigt ſo genug:

Junger Menſch, werd einmal klug.

Freylich muß man etwas wagen.

Wer wird lange fragen?

Neulich ſagt ich, mir iſt bange,

Daß ich Doris nie erlange;

Sie iſt ſo voll kleiner Liſt,

Daß es nicht zu ſagen iſt.

Ey, (ſprach er,) wer wird verzagen?

Sagt ihr zaͤrtlich Auge nicht

Alles das, was ſie nicht ſpricht?

Soll ſie denn ausdruͤcklich ſagen:

Wer wird lange fragen?

Liebes
[95]Drittes Buch.
Liebes Maͤdchen, laß dich kuͤſſen,

Sagt ich zaͤrtlich zu Clariſſen,

Doch das Maͤdchen that ganz breit;

Ey, wer kuͤßt die ganze Zeit?

Gleich drauf, ohn ein Wort zu ſagen,

Macht ich mir von neuem Muth,

Kuͤßte ſie; und es war gut.

Und ihr Auge ſchien zu ſagen:

Wer wird lange fragen?


Der
[96]Oden und Lieder.

Der Eisbrunn.
Der du vom nackenden Fels im Krais der finſtern Ge-
buͤſche

Dich ſammelſt, und in die Wieſe dich ſchlingſt;

O Quell, der Lieder verdient, ſo wie Blanduſiens Quel-
len,

Dich ſingt mein Lied in die kommende Welt.

Schon ſieht mein heiterer Blick von fern den mooſich-
ten Eichbaum,

Der uͤber den kahlen Felſen ſich neigt;

Und der durch duͤrres Geſtein, mit halbverdorreten Wur-
zeln,

Zu deinen wohlthaͤtigen Wellen ſich dringt.

O du kryſtallener Quell, zu dir komm ich mit Selinen,

Dein angenehmes Geſtade zu weihn.

Mit einem lachenden Strauß will ich den Sonnenhut
zieren,

Von dem die ſchimmernde Schleife ſich kruͤmmt.

Und
[97]Drittes Buch.
Und aus der ſilbernen Fluth will ich die Wangen bene-
tzen,

Die ihr mein Blick oft mit Unſchuld gefaͤrbt.

Zu gleichem Scherze bereit, wird ſie mich laͤchelnd be-
ſprengen,

Und dankbar kuͤß ich die raͤchende Hand.

So zaͤhlt der Enkel dich einſt zu jenen unſterblichen
Quellen,

Weil ich die rauſchenden Eichen geruͤhmt,

Jn deren Schatten zuerſt ich ſanfterroͤthend Selinen,

Die ſchoͤnſte Hand, mit Empfindung gekuͤßt.


IIIter Theil. GDer
[98]Oden und Lieder.

Der Adel.
An den Freyherrn von G - - -.

Freund, der Adel, der dich unterſcheidet,

Den der Buͤrger ſpottend oft beneidet,

Dieſer Vorwurf in ſo viel Satyren

Wird dich ſtets zieren.

Wer gewohnt iſt, ſo, wie du, zu denken,

Und zur Weisheit ſeinen Trieb zu lenken,

Der ſtolziert nicht auf zerrißne Fahnen

Ruhmwerther Ahnen.

Er gebraucht nur, leichter ſich zu heben,

Was ein Zufall ihm umſonſt gegeben;

Da der Ruhm und Glanz von Wapenſchilden

Nicht Helden bilden.

Stand
[99]Drittes Buch.
Stand und Adel von dem Muth gebohren

Wird zur Thorheit bey den ſtolzen Thoren.

Und wie oͤfters blaͤht die hohe Dame

Nichts, als ihr Name.

Hat ſie etwa angenehmre Wangen?

Lacht ihr Auge zaͤrtlicher Verlangen?

Und zeigt ſie uns etwa hoͤhre Sinnen

Als Buͤrgerinnen?

Jſt der Junker zum Soldaten beſſer?

Jſt ſein Fortgang in der Weißheit groͤßer?

Oder iſt er, wenn Parteyen ſprechen,

Nicht zu beſtechen?

G 2Freund,
[100]Oden und Lieder.
Freund, du weißt es, einen wahren Weiſen

Muß die Nachwelt, ohne von, auch preiſen;

Da der Ritter, der den Fuchs bekrieget,

Vergeſſen lieget.

Dich G —, braucht kein Stand zu heben;

Du wirſt ewig durch dich ſelber leben.

Auch als Buͤrger muͤßt es dir gelingen,

Dich hoch zu ſchwingen.


Ein-
[101]Drittes Buch.

Einladung
an einen Freund auf dem Harze.

Fliehe doch einmal, o Freund, aus zugeſtoͤberten Thaͤ-
lern,

Welche ſo bald noch die Sonne nicht ſehn.

Biſt du von Stuͤrmen nicht taub, die hohe Tannen
durchbrauſen?

Wuͤnſcheſt du ewig in Bergen zu ſeyn?

Komm in die muntere Stadt! Jn einem fluͤchtigen
Schlitten

Fliegeſt du uͤber den glaͤnzenden Schnee.

Froͤhlicher ſchuͤttelt dein Roß ſchon alle die jauchzenden
Schellen;

Froͤhlicher ſetzt es den Reigerbuſch auf.

G 3Eine
[102]Oden und Lieder. Drittes Buch.
Eine bezauberte Welt wird deinen Augen ſich oͤfnen,

Wenn ſich die praͤchtige Scene dir zeigt;

Wenn du den Helden im Glanz, und ſeine ſingende
Schoͤne

Unter den Wundern der Oper erblickſt,

Waͤlder, und wallendes Meer, und Goͤtter, Helden,
und Drachen,

Schlachten zu Land und zu Waſſer ſiehſt du.

Zeiget dir dieſes der Harz? Singt dort der heiſere
Cantor,

Wie der verſchnittne Verliebte hier ſingt?

Aber wofern dich zu uns auch nicht die Herrlichkeit lo-
cket,

Welche das bunte Theater verſpricht;

Siehſt du doch Carlen am Hof, und an dem Himmel
die Sonne!

Siehſt du die oftmals des Winters im Harz?



[[103]]

Oden und Lieder.

Viertes Buch.


[[104]][105]
An den Verfaſſer
der Oden, Lieder und Erzaͤhlungen
*).
Der du mit kuͤhnem Schwung, gleich einem thraci-
ſchen Adler,

Fern von gemeinen Hoͤhn der ſklaviſchen Saͤnger dich
hebeſt,

O Freund, verachte den Schwarm, der niedre Ketten
noch liebet,

Womit das Vorurtheil ihn angeſchmiedet hat.

Umſonſt beneidet er des Saͤngers muthige Frey-
heit,

Der nie das Laſter ſchont, wenn es auch Purpur beklei-
det.

Poetenpoͤbel wird nie zu dieſer Freyheit ſich ſchwingen;

Jhn blendet noch zu ſehr der Titel, und die Macht.

G 5Doch,
[106]Oden und Lieder.
Doch, Huber, wenn du dich mit deinen freymuͤ-
thigen Liedern

Vom unterthaͤnigen Schwarm der kriechenden Reimer
entferneſt:

O ſo vergiß nicht, o Freund, daß du in Deutſchland
noch ſingeſt,

Das nicht die Freyheit kennt, die einen Britten hebt.

Nicht hohen Stand zu ſcheun, und keinen Reich-
thum zu fuͤrchten;

Vom Laſter nicht verfolgt, vom Laſter ſicher zu ſchrei-
ben;

Die Freyheit herrſchet allein auf jener gluͤcklichen Jn-
ſel,

Wo man Unſterblichkeit auch mit Guineen lohnt.


Der
[107]Viertes Buch.

Der Abend.
Der Abendſtern winkt unſrer Erde

Die Ruh am Horizont herauf;

Des Tages Arbeit und Beſchwerde

Hoͤrt auf dem ſtillen Erdkrais auf.

Der Landmann, deſſen ſtille Huͤtte

Der Gott des Schlafes gern bewohut,

Tritt vor die Thuͤr mit ſchwerem Schritte,

Und ſieht mit Gaͤhnen in den Mond.

Doch in der Stadt im weiten Zimmer

Spuͤlt man die großen Glaͤſer aus,

Und bey des Wachslichts ſtolzem Schimmer

Erhebet ſich der Abendſchmaus.

Da
[108]Oden und Lieder.
Da ſchimmern Weſten bey den Hauben,

Da herrſcht und jauchzt der freye Spaß;

Und treuer Saft aus rheinſchen Trauben

Stuͤrzt unaufhoͤrlich in das Glas.

Doch, Freund, was machſt du mit dem Weine,

Der ſchlechtgenuͤtzt ſein Lager druͤckt?

Und warum hat ihn von dem Rheine

Der milde Weingott dir geſchickt?

Jch ſeh ſchon, wie auf deinem Saale

Die Trunkenheit, nicht Bacchus, rauſcht;

Freund, man entheiligt die Pokale,

Wenn man ſich ſo, wie ihr, berauſcht.

O! daß
[109]Viertes Buch.
O! daß in ungewuͤrzten Zuͤgen

Der edle Saft verſchwendet wird;

Und daß der Menſch auch im Vergnuͤgen

Zu ſeiner Schande ſtrafbar irrt!

Nur Freunde, die ſich gluͤcklich duͤnken,

Wenn ſie dem Becher Lieder weihn;

Wir, Freund, wir muͤßten mit dir trinken,

So wuͤrde dir dein Wein, erſt Wein.


An
[110]Oden und Lieder.

An Selinen.
Was iſt der Muſe Pflicht an dieſem feſtlichen Tage,

Der deinen holden Namen fuͤhrt;

Als daß ſie ihn fuͤr ſich in ſtiller Einſamkeit feyret,

Und ihm die Winterblumen weiht.

Du, Knabe, nimm zur Hand die lockenſchaffenden Ei-
ſen,

Und kraͤusle mir mein braunes Haar!

Verſchwende deine Kunſt in ſanfterduftenden Locken

Von Puder und von Roſenoͤl!

Jch will geputzter ſeyn, als ein beſiegender Juͤngling,

Auf den ſein weißes Maͤdchen hoft;

Den Pracht und Jugend ſchmuͤckt, und dem Verlangen
und Liebe

Die aufgebluͤhten Wangen faͤrbt.

Der
[111]Viertes Buch.
Der ſchoͤnſte Weihranch ſoll mein heitres Zimmer durch-
dampſen,

Daß Gram und ſchwere Duͤnſte fliehn.

Und der geſchmuͤckte Tiſch, mit indiſchem Thone bede-
cket,

Soll unter meinem Spiegel ſtehn.

Auf dem will ich dies Lied zu einem Opfer dir bringen,

Nebſt einem bunten Blumenſtrauß;

Und fuͤr ein beſſeres Gluͤck ſchick ich die treueſten Wuͤn-
ſche

Zu dem verſoͤhneten Olymp.

Auch ſoll mein Saitenſpiel in ſeinen ſanfteſten Toͤnen

Zum allzuharten Schickſal flehn.

Sang eine Leyer doch ein Maͤdchen aus dem Gebiete

Des fabelhaften Hoͤllengotts.

Er-
[112]Oden und Lieder.
Erhoͤre meinen Wunſch, o unerbittliches Schickſal,

Da dieſer Wunſch nicht eitel iſt!

Laß mich Selinens Haar mit Wintergruͤne bekraͤnzen,

Wenn dieſer Tag mir wieder lacht.


Die
[113]Viertes Buch.

Die Linde.
Du majeſtaͤtſche Linde,

Worunter oft Lucinde

Mit ruhigem Gemuͤth

Der Nacht entgegen ſieht;

O ſchuͤtte von den Aeſten,

Bewegt von ſanften Weſten,

Der Bluͤthen ſuͤßen Duft

Jn die gekuͤhlte Luft.

Die einſame Lucinde

Genießt dich nur, o Linde,

Und koͤmmt, als Nachbarin,

Jn deinen Schatten hin.

Von Bluͤthen uͤberdecket

Haſt du ihr Herz erwecket;

Wie oft hat deine Pracht

Sie nicht entzuͤckt gemacht!

IIIter Theil. HSo
[114]Oden und Lieder.
So bald die erſten Stralen

Die wilden Huͤgel malen,

Gruͤßt dich der Voͤgel Ton,

Und auch Lucinde ſchon.

Und wenn, mit traͤgen Roſſen,

Der Ackersmann verdroſſen

Nach ſeinen Huͤtten zieht,

Gruͤßt dich ihr muntres Lied.

O bluͤhe fuͤr Lucinden!

Jhr Herz nur kan empfinden,

Durch weſſen ſtarke Macht

Dein Haupt in Wolken lacht.

Mehr kan ein Kleiſt nicht fuͤhlen,

Wenn er, am Bach im Kuͤhlen,

Auf Thomſons Laute ſpielt,

Als hier Lucinde fuͤhlt.

Es
[115]Viertes Buch.
Es ſchleicht mit ſtillen Schritten

Der Abend um die Huͤtten,

Der hohe Wald wird grau,

Und Wieſen traͤnkt der Thau;

O ſchicke durch die Luͤfte

Viel tauſend ſuͤße Duͤfte,

Zum Anwunſch ſanfter Ruh,

Lucindens Fenſter zu!


H 2An
[116]Oden und Lieder.

An Herrn E - -.
O E —, huͤlle dich nicht in Melancholey!

Verlaß die Grotte, die du bewohnſt,

Und ſitze nicht immer allein beym klagenden Young,

Jn ſchwarze Nachtgedanken verwoͤlkt.

Schon ziehn die Stuͤrme daher vom brauſenden
Harz;

Der Blocksberg dampfet ſchon Wetter herab.

So wie der Preußen Armee vom Berge ſich waͤlzt,

So ziehn die Wolken feindlich vom Harz.

Denk an die dunkele Zeit, in Stollberg verweint,

Da du des Unmuths Vaterland ſahſt.

Orkane wurden da jung, und reiſ’ten mit dir;

Jetzt naht ſich dieſe ſchreckliche Zeit.

Komm,
[117]Viertes Buch.
Komm, Freund, und heitre ſie auf! Schon war-
tet Caffee,

Und ein wohlthaͤtiger Ofen auf dich!

Dem Tobacksgotte brennt ſchon ein flammendes Licht,

Das raͤchend ſchlechte Verſe verzehrt.

Nun, E —, iſt es ein Jahr, daß wir dich hier
ſahn;

Jch weihe dieſen Abend mit Wein.

Wie herrlich blinkt er im Glas! Komm, ſtoß mit mir
an;

Seline, Cleon, und Doris, und Du!


H 3Das
[118]Oden und Lieder.

Das ſchlafende Maͤdchen.
Die Goͤttin ſuͤßer Freuden,

Die Nacht, ſtieg aus dem Meer,

Und ſanfter Liebe Leiden

Sang keine Floͤte mehr;

Der Mond mit blaſſem Scheine

Verſilberte die ſtillen Haine.

Da fuͤhrte mich die Liebe

Zu meinem Maͤdchen hin.

Jch fand ihr Aug oft truͤbe

Aus Lieb und Eigenſinn;

Und niemals durft ichs wagen,

Jhr was von Kuͤſſen vorzuſagen.

Nach-
[119]Viertes Buch.
Nachlaͤßig hingelehnet,

Schlief ſie ietzt am Clavier.

Zur Ehrfurcht ſters gewoͤhnet,

Naht ich mich nicht zu ihr;

Doch weckten ihre Wangen

Mein ganzes zaͤrtliches Verlangen.

Wenn Weſte ſich liebkoſen,

Lacht ſo nicht ihr Geſicht;

Und ſo ſchoͤn ſchlaͤft auf Roſen

Die Blumengoͤttin nicht.

Jn ihren ſanften Mienen

War nie der Himmel mehr erſchienen.

H 4Kanſt
[120]Oden und Lieder.
Kanſt du ſie ietzt nicht kuͤſſen,

So kuͤſſeſt du ſie nie!

So wollt ich mich entſchlieſſen —

Ach! da erwachte ſie!

Nichts konte mehr mich ſtrafen!

Sie wird ſo ſchoͤn nicht wieder ſchlafen!


An
[121]Viertes Buch.

An den Baron von S - -.
Freund, ſetze dich ruhig zu mir im Schatten hoher
Orangen,

Umwoͤlket vom paradieſiſchen Duft!

Doch ſitzeſt du lieber vielleicht in jenem heiligen Dunkel

Des ſchattenreichen Caſtanienwalds?

Du wirſt mich bald nicht mehr ſehn! Viel Meilen voll
Waͤlder und Felſen

Sind zwiſchen uns, eh noch die Thraͤne verſiegt.

Dann wirſt du nicht mehr mich ſehn; nicht unter den
zackichten Tannen,

Nicht mehr am Springbrunn der großen Allee.

Wenn ich nun weg bin, o Freund, wenn du die zaͤrt-
liche Stimme

Der holden Freundſchaft durch mich nicht mehr
hoͤrſt;

Wenn meine Pflicht dich nicht mehr zu edlen Thaten er-
mahnet,

Und zur Umarmung der Muſen dich lockt;

H 5Wenn
[122]Oden und Lieder.
Wenn ich nun weg bin, und fern von mir, und fern
von dem Vater,

Den dir der Himmel zur Nachfolge ſetzt,

Du ſelbſt Geſetze dir giebſt: ſo folge doch immer dem
Glanze,

Jn dem die himmliſche Tugend erſcheint!

Sey groß, nicht durch die Geburt, die oft auch Tho-
ren erhoͤhet,

Groß durch ein edles gefaͤlliges Herz.

Hoͤr nicht den ſchmeichelnden Ruf der Wolluſt, welche
dich hindert,

Zum ewgen Tempel der Ehre zu gehn.

So werd ich mit froͤhlichem Blick in aller Entfernung
dich ſegnen,

Wenn du die gegebne Hofnung erfuͤllſt.

So wird, zufrieden mein Herz, in ſuͤßen Freuden er-
zittern,

Wenn du mit reinem Leben mich lohnſt.


Der
[123]Viertes Buch.

Der Befriedigte.
Jetzt, da die Erde ſich verjuͤngt,

Und jeder Vogel Freude ſingt;

Jetzt ſollt’ ich Brunnenflaſchen leeren?

Das plaudert mir kein Doktor ein.

Gebt mir die Flaſchen voller Wein!

Das laͤßt ſich hoͤren!

Was Bav in einem Abend ſchreibt,

Wenn Pflicht und Amt dazu ihn treibt,

Das laſſe, wer da will, ſich lehren.

Jch lobe, was, ohn Amt und Pflicht,

Mein Damon beym Burgunder ſpricht.

Das laͤßt ſich hoͤren!

Spe-
[124]Oden und Lieder.
Speront reimt, doch er reimt fuͤr ſich.

Was thut das? Jhr ſeyd wunderlich;

Das kan ihm ja kein Menſch verwehren.

Daß ihr euch, ihn zu leſen, ſcheut.

Daß ihr nicht ſeine Freunde ſeyd —

Das laͤßt ſich hoͤren!

Man ladet mich in Gaͤrten ein.

Sie werden uns willkommen ſeyn —

Allein, ich fuͤrchte ſie zu ſtoͤren.

Es iſt wohl viel Geſellſchaft da? —

Es geht noch. Daphne — Daphne? Ja!

Das laͤßt ſich hoͤren!


Die
[125]Viertes Buch.

Die Geige.
An den Freyherrn von Zedlitz.

Hier liegt ſie wartend und ſtill, die Cremoneſiſche Laute,

Kein Glanz verraͤth den bezaubernden Ton.

Jn prachtloſer Einfalt hat ſie der welſche Kuͤnſtler er-
ſchaffen;

Noch ſchlafen die Harmonien in ihr.

Wer nimmt den Bogen, o Freund, und folget dem
maͤchtigen Benda?

O! ſingt uns niemand vom Benda ein Lied?

Was hoͤr ich? Taͤuſchet das Ohr der zaͤrtlichſten Saͤn-
gerin Stimme,

Wenn ſie verſchwindende Triller hinſeufzt?

Jſt
[126]Oden und Lieder.
Jſt dies ein Kuͤnſtler allein? Auf einer einzigen Geige

Rauſcht er vollſtimmig, als wie ein Concert?

Welch ein entzuͤckender Ton, der ſich, wie Farben in
Farben,

Jn andern Toͤnen unmerklich verliert!

Tief unten brauſet das G, mit einer donnernden Stim-
me,

Furcht und Entſetzen zum ſtaunenden Ohr.

So wie ein wilder Orkan, in Hoͤhlen des Harzes ver-
ſchloſſen,

Die ſchallenden Felſen murmelnd durchbruͤllt.

Und in der helleſten Hoͤh, der oft der Stuͤmper ent-
ſtuͤrzet,

Ertoͤnt reinklingend der ſilberne Ton.

Die hoͤchſte Note klingt ſtark, wie an dem Thurm der
Pagode

Das kleinſte Gloͤckchen harmoniſch erklingt.

Auf
[127]Viertes Buch.
Auf Virtuoſen ſey ſtolz, Germanien, die du gezeuget.

Jn Frankreich und Welſchland ſind Groͤßere nicht.

Klopſtocke zaͤhlſt du nicht viel. Jhn lohnt der nordiſche
Ludwig;

O! hatteſt du keine Belohnung fuͤr ihn?


Die
[128]Oden und Lieder.

Die Wolken.
Der bunte Wald verbluͤhte;

Die ſchwuͤle Sonne gluͤhte:

Als ich am kuͤhlen Nachmittag

Jm Schatten einer Linde lag.

Da ſah ich mit Vergnuͤgen

Die leichten Wolken fliegen;

Sie flogen nach der Gegend hin,

Jn der ich oft im Geiſte bin.

Nach welchem Himmelstheile

Fliegt ihr, wie ſchnelle Pfeile,

Rief ich der einem Wolke nach,

Die aus der dunkeln Tiefe ſprach:

Hoch
[129]Viertes Buch.
Hoch uͤber dieſe Huͤgel

Traͤgt uns des Windes Fluͤgel;

Wir kommen von dem Ocean,

Und laufen die beſtimmte Bahn.

Da ſprach ich zu dem Kinde

Des Meeres und der Winde:

Wie gluͤcklich ziehſt du an den Ort

Von allen meinen Wuͤnſchen fort.

Vielleicht wirſt du Selinden

Jm heitern Garten finden,

Wie ſie, von dickem Laub beſchuͤtzt.

An hohen Eichen einſam ſitzt.

Schwebt dort auch in den Luͤften

Ein Heer von ſchwuͤlen Duͤften;

So maͤßige der Sonne Gluth,

Daß ſie in kuͤhlen Schatten ruht.


IIIter Theil. JAn
[130]Oden und Lieder.

An Herrn E - -.
Freund, Freund! die Jahre fliehn hin, ſo wie ein
ſtaͤubender Bach,

Der von dem ſteilen Felſen fliegt;

Und wie ein fliehender Weſt, wenn er dem bluͤhenden
Gras

Jn ſchneller Flucht die Spitzen beugt.

Meynſt du, ſie kommen zuruͤck, wenn ſie uns einmal
entflohn?

Nein, Freund, auf ewig ſind ſie hin.

Nicht Wuͤnſche halten ſie auf, und keine Leyer ſingt ſie

Aus der Vergeſſenheit zuruͤck.

Und dennoch liebſt du noch nicht? O Freund, beſchaͤft-
ge dein Herz,

Da es noch zart und fuͤhlend iſt;

Eh unbarmherzig die Hand des Alters uͤber dich faͤhrt,

Und Runzeln auf die Stirne kruͤmmt.

Der
[131]Viertes Buch.
Der Himmel ſchuf nicht umſonſt dein leichtempfinden-
des Herz;

Es muß doch wo ein Maͤdchen ſeyn,

Das auf den Juͤngling noch hoft, dem ſie die Seufzer
verraͤth,

Und dem ihr loſes Auge lacht.

Sie geht mit irrendem Schritt im oͤden Garten her-
um,

Und windet einen Blumenſtrauß,

Und ſieht ihn ſehnſuchtsvoll an; Die Thraͤne zittert
herab,

Daß ſie ihn keinem ſchenken kan.

O E —, ſuche ſie doch, damit das Maͤdchen nicht
weint,

Daß ihre ſchoͤnen Tage fliehn!

Du biſt ein Menſch, ein Poet. Gedoppelt iſt dein
Beruf,

Zu lieben, eh dein Lenz verſtreicht.


J 2Das
[132]Oden und Lieder.

Das Clavier.
Du Echo meiner Klagen,

Mein treues Saitenſpiel,

Nun koͤmmt nach truͤben Tagen

Die Nacht, der Sorgen Ziel.

Gehorcht mir, ſanfte Saiten,

Und helft mein Leid beſtreiten —

Doch nein, laßt mir mein Leid,

Und meine Zaͤrtlichkeit.

Wenn ich untroͤſtbar ſcheine,

Lieb ich doch meinen Schmerz;

Und wenn ich einſam weine,

Weint doch ein liebend Herz.

Die Zeit nur iſt verlohren,

Die ich mit goldnen Thoren,

Bey Spiel und Wein und Pracht,

So fuͤhllos durchgelacht.

Jhr
[133]Viertes Buch.
Jhr, holde Saiten, klinget

Jn ſanfter Harmonie!

Flieht, was die Oper ſinget,

Und folgt der Phantaſie.

Seyd ſanft, wie meine Liebe,

Beſinget ihre Triebe,

Und zeigt durch eure Macht,

Daß ſie euch ſiegend macht.


J 3Die
[134]Oden und Lieder.

Die Doſe.
Du Hausgeraͤth bey Thoren und bey Weiſen,

Dich, Doſe, ſoll die Leyer dankbar preiſen,

Vom Ceremoniel im Lehnſtuhl angekettet,

Haſt du oft unbemerkt vom Sprechen mich errettet.

Wenn ich gefuͤhlt, wie ſteif ich da geſeſſen,

Beym Dummkopf ſtumm, ſo nahm ich nur vermeſſen

Und voller Stolz Rappee; und ohne mein Bemuͤhen

Sah ich das finſtre Weib, die Langeweile, fliehen.

Es fehlt uns nie an Zuflucht in dem Leben.

Der Faͤcher ward dem Frauenvolk gegeben;

Geſchickt darauf zu ſehn, ihn auf und zu zu machen,

Bewahrt die Kluͤgſten oft vor Plaudern und vor Lachen.

Ein
[135]Viertes Buch.
Ein gutes Gluͤck hat uns die Doſ’ erfunden.

Sie ſey mein Troſt in langen trocknen Stunden!

O Schickſal! ſoll ich oft mich bey Viſiten quaͤlen,

So laß nur nie Rappee der treuen Doſe fehlen!


J 4Die
[136]Oden und Lieder.

Die Landſchaft.
Geliebtes Feld, dein aufgeklaͤrter Himmel,

Der ſanft und rein um ſtille Fluren fließt,

Empfange mich vom Laͤrm und vom Getuͤmmel

Der weiten Stadt, wo Unmuth mich umſchließt.

Wie froͤhlich ſteigt aus ſilberfarbnen Wellen

Das Morgenroth zum feuchten Horizont!

Der graue Wald, den Luſt und Tag erhellen,

Zeigt in der Hoͤh die Wipfel ſchon umſonnt.

Die Lerche fliegt in muſikalſchen Schaaren

Mit ſuͤßer Stimm auf ſichren Haiden fort;

Und fuͤrchtet nicht des falſchen Garns Gefahren,

Und fuͤrchtet nicht des Feuerrohres Mord.

Voll
[137]Viertes Buch.
Voll Anmuth lockt das bluͤhende Geſtade,

Die Ocker fließt mit ſanftern Wellen fort;

Am Ufer tanzt die lachende Najade,

Der Tanz und Weſt ihr fliegend Haar verwirrt.

Der wilde Buſch, von Bluͤten uͤberſchneyet,

Beſieht ſich ſtolz in ſpiegelklarer Fluth;

Sie fließt dahin, von keinem Sturm entweihet,

So rein und ſtill, wie Silber in der Gluth.

Es haͤngt indes an Klippen voller Weide

Der baͤrtge Bock, der die Geſtraͤuche nagt;

Da unbeſorgt der Hirte Lieb und Freude

Auf heiſerm Rohr den oͤden Felſen ſagt.

J 5O Ein-
[138]Oden und Lieder. Viertes Buch.
O Einſamkeit, duͤrft ich mich dir ergeben!

Hier herrſcheſt du im ungeſtoͤrten Hain.

Warum muß ich im Laͤrm der Staͤdte leben?

Hier koͤnnt ich froh, wie dieſer Hirte, ſeyn!



[[139]]

Oden und Lieder.

Fuͤnftes Buch.


[[140]][141]
An das Schiff,
welches Klopſtocken nach Daͤnnemark fuͤhrte.

O! der guͤnſtigſte Wind ſchwelle dein Seegel auf,

Leichtes Fahrzeug, das ietzt uͤber die Wogen hin

Mit dem Dichter und Freund, jeder Bewundrung werth,

Zu den daͤniſchen Ufern fliegt.

Leuchte, ſilberner Mond, in der geſtirnten Nacht

Seinem einſamen Pfad, uͤber die ſtille Fluth!

Und du ſchuͤtzender Geiſt, ihm vom Olympus geſchickt,

Bring ihn ſicher ans treue Land!

Mehr
[142]Oden und Lieder.
Mehr als menſchlich ſchlug dem in der geſtaͤhlten
Bruſt

Das gepanzerte Herz, welcher dem leichten Holz

Auf der trotzigen See, unter der Winde Wuth,

Kuͤhn ſein Leben zuerſt vertraut.

Der den weſtlichen Sturm, oder den wilden Suͤd,

Und den dunkeln Orkan uͤber ſich brauſen ließ;

Nicht des Siebengeſtirns Einfluß gefuͤrchtet hat,

Noch der truͤben Hyaden Zorn.

Den im brauſenden Meer ſchwimmender Ungeheur

Lange Schaaren umringt; den Leviathan oft

Stuͤrmend nachgefolgt iſt, wenn er in wilder Luſt

Stroͤme gegen die Wolken blies.

Hatte
[143]Fuͤnftes Buch.
Hatte zehnfacher Tod furchtbare Schrecken gnug,

Fuͤr den Brittiſchen Mann, welcher die Welt umſchift?

Der Horns Vorgebirg ſah, ohne verzagt zu ſeyn,

Und die Felſen um Staatenland?

Nur vergebens dehnt ſich zwiſchen den Jndien

Und der aͤlteren Welt, weites Gewaͤſſer aus;

Durch den Ocean ſteurt ſicher Columbus fort,

Und gruͤßt donnernd die neue Welt.

Jm entwendeten Blitz ſchrecklich, den Goͤttern
gleich,

Tritt er ſiegreich ans Land; weſtlicher Reichthum fließt

Jn das maͤchtige Schiff, welches mit Fittigen

Durch das ſtaunende Weltmeer flog.

Doch
[144]Oden und Lieder.
Doch es brachte zu uns dieſes Verwegnen Schiff

Mit dem neueren Gold neuere Laſter auch.

Durch Gewuͤrze geſtaͤrkt, eilte der Seuchen Gift

Schneller unſeren Herzen zu.

Jene ſchwelgende Stadt hob nun ihr ſtolzes Haupt,

Stolz durch indiſches Gold, gegen die Wolken auf.

Jhr geſchminktes Geſicht ſpiegelte Hochmuthsvoll

Jn den Wellen des Tagus ſich.

Aber raͤchend ergrif Gott den verborgnen Blitz,

Daß die Veſten der Welt unter ihm bebeten.

Und ſein Feuer fuhr aus, fraß die verderbte Stadt

Und die Schloͤſſer der Koͤnige.


An
[145]Fuͤnftes Buch.

An Herrn Prof. Gaͤrtner.
Mein Gaͤrtner, ſieh, der rauhe Harz

Glaͤnzt, weiß von hohem Schnee;

Und von bereiften Kiefern haͤngt

Kandirtes Eis herab!

Die Ocker rauſchet ſtiller fort,

Die blaue Well’ erſtarrt;

Und uͤber kahle Felder faͤhrt

Der flockenreiche Sturm.

Komm an den freundlichen Camin!

Mit unſparſamer Hand

Thuͤrm ich, den jungen Buchenwald,

Zu hellen Flammen auf.

IIIter Theil. KDie
[146]Oden und Lieder.
Die reine Quelle brauſet ſchon

Jm ehernen Gefaͤß.

Die guͤldne Frucht Heſperiens

Saugt hellen Zucker ein.

Und nun dampft aus dem irdnen Meer

Der koͤnigliche Punſch.

Heil, England, dir! Heil dir! o Mann,

Der uns den Punſch erfand!

Jetzt lachen wir des Winters Wuth,

Der um die Fenſter ſtuͤrmt;

Und ſprechen Weisheit, hochentzuͤckt,

Jndem die Schale raucht.


Die
[147]Fuͤnftes Buch.

Die Pantomime.
An Herrn Sekr. Gl. in H - - -.

Von tauſend Seufzern beſtuͤrmt, bewegt ſich praͤchtig
und ernſthaft

Der majeſtaͤtiſche Vorhang vor uns.

Auf einmal rauſcht er empor! Schon lag vor warten-
den Augen

Die ſchimmernde Pantomimenwelt da.

Schon borſten Felſen entzwey! ſchon brannt’ im inner-
ſten Abgrund

Die Gluth der Hoͤlle, gemalt auf Papier;

Da ſtroͤmten Waſſer dahin; da tanzten ſcheckigte Teufel

Vor ihrem Koͤnig im rothen Gewand.

K 2Do
[148]Oden und Lieder.
Doch alles wartete noch, es pochten die ſeufzenden Her-
zen;

Da trat ſie, die Zauberin, ſiegend hervor,

Und ſchnell lief Jauchzen und Luſt durch alle frohen
Geſichter,

Ah — ſagte Juͤngling und Alter zugleich.

Sie gieng mit ſiegendem Stolz, ſo wie die Goͤttin der
Liebe,

Von Amouretten begleitet, daher;

Jhr weißes wallendes Haar floß auf dem blendenden
Buſen,

Und jedes Herz ward durch ſie beſtrickt.

Von hohem Mitleid entbrannt, ſprach ihr gefaͤlliges
Auge

Troſt in des armen Harlekins Herz.

Getroͤſtet, kniet er vor ſie; und kuͤßt ihr die Hand mit
Entzuͤcken,

Und in Gedanken kuͤßt jeder mit ihm.

Auf
[149]Fuͤnftes Buch.
Auf einmal ſah ich erſtaunt, an ihre Seite gelehnet,

Den Gott der Liebe, mit Bogen und Pfeil.

Und bey ihm lag noch geſpitzt ein ganzer Haufe von
Pfeilen,

Die er mit moͤrdriſchen Augen beſah.

Wie grauſam ſchoß er umher! Es flog vom bunten
Theater,

Gewiß des Sieges, der ſauſende Pfeil.

Ein jeder grif ſich ans Herz, und fand ſein Herz ſchon
verwundet,

Und zog den toͤdlichen Pfeil aus der Bruſt.

So wie Ulyſſes ehmals den ſtarken Bogen geſpannet,

Und ſiegend Freyer auf Freyer gehaͤuft;

So ſiegt des Liebesgotts Pfeil. Es fielen Freyherrn auf
Freyherrn,

Und Gnaden auf Excellenzen dahin.

K 3O G —
[150]Oden und Lieder.
O G — wie gieng es dir da! Jch ſah dein Antlitz ver-
wandelt,

Da dich der Pfeil des Kupido verletzt.

Freund! rief ich; — aber ſchon war mein warnender
Zuruf vergebens,

Dich zog die ſtolze Siegerin fort.

Ach! daß die Liebe geſiegt! daß unſer G — ſo gefallen,

Der Held, der gluͤcklich die Liebe geflohn!

Nun traͤgt er Ketten, und ſeufzt, und ſchmuͤckt der Sie-
gerin Wagen,

Und ſinget traurige Lieder ihr nach.


An
[151]Fuͤnftes Buch.

An den Herrn Rittmeiſter von S - -.
Du wafneſt dich, o junger Held,

Mit deiner Ahnen Speer;

Und ziehſt hin in den dunkeln Streit

Des Siegers Adlern nach.

O ruͤſte nicht den holden Blick

Mit Finſterniß und Tod;

Und ſchmiede nicht mein Vaterland

Jn neue Ketten ein!

Wer weiß, wo von den Mauren dich

Ein braunes Maͤdchen ſieht,

Das klaͤglich nach dem Vater weint,

Den du gefangen fuͤhrſt.

K 4Jhr
[152]Oden und Lieder.
Jhr maͤchtig Aug entwafnet dich;

Du ſiehſt dich zaͤrtlich um,

Und ſchlieſſeſt Frieden, welchen kaum

Dein Heldenmuth verwuͤnſcht.


An
[153]Fuͤnftes Buch.

An Herrn von St - -
St - -, warum ietzt das glaͤnzende Feld an der krieg-
riſchen Donau

Unter dem ſtreifenden Ungar entflieht;

Oder der eiſengeharniſchte Reuter, der wilde Pandure,

Zu der Jablunka Gebirge ſich draͤngt;

Was geheim in der Seele der groſſe Friedrich beſchlieſ-
ſet,

Wenn er vor Legionen ſich ſtellt,

Die, wie ein ſchweres Gewitter am langſam donnern-
den Himmel,

Schrecklich und dunkel zum Schlachtfelde ziehn;

St - -, dies laß uns nicht forſchen. Wir brauchen zur
Freude des Lebens

Oeſterreichs Schwerdt nicht, nicht Galliens Heer.

Ach! wie entflieht uns ſo ſchnell die leichte heitere Ju-
gend,

Mit ihr die Freude, die Liebe, der Scherz!

K 5Phoͤbe
[154]Oden und Lieder
Phoͤbe lachet nicht immer mit hellem Geſicht aus den
Wolken,

Jmmer nicht lacht uns der bluͤhende Lenz.

Wird nicht die Locke ſchon grau? Laß dann die Sorge
dem Koͤnig,

Und uns die Freude, den Freund, und den Wein.

Warum wollen wir nicht in laubichten Lindengewoͤlben,

Oder hier unter dem Ulmenbaum ruhn?

Uns mit Roſen bekraͤnzen, und mit der Burgundiſchen
Traube,

Weil wir noch leben, die Herzen erfreun?

Vor dem berauſchenden Nektar entfliehen die nagenden
Sorgen,

Auch die verhaßte Melancholey flieht.

Kuͤhl uns, o Knabe, den Wein in dieſem ſilbernen
Brunnen,

Welcher von ſchallenden Felſen ſich gießt.


Klagen
[155]Fuͤnftes Buch.

Klagen
eines ungluͤcklichen Liebhabers.


Erſte Ode.
Denk ihn hinaus — den ſchrecklichen Gedanken,

Der maͤchtig dich ergreift!

Wie ſchwarz! — Er liegt auf der gebeugten Seele,

Wie ein Gebirge liegt.

Sie liebt dich nicht! Tief im zerrißnen Herzen

Sagts ein geheim Gefuͤhl.

Bald waͤchſt es auf, und mit dem lautſten Donner

Ruft es: Sie liebt dich nicht!

O Mit-
[156]Oden und Lieder.
O Mitternacht, die dicken Finſterniſſe

Sind noch nicht finſter gnug;

Verhuͤlle doch in zehnmal ſchwaͤrzre Schatten

Den thraͤnenvollen Blick!

Sie liebt dich nicht! Jch kan dir nicht entfliehen,

Gedanke, voller Quaal!

Laß ab, laß ab! Schon blutet dir das Opfer

Schon ſtirbt das kalte Herz.


Zwey-
[157]Fuͤnftes Buch.

Zweyte Ode.
Warum dringt durch die lange Nacht

Ein zweifelhafter Stral?

O Hofnung, Hofnung! taͤuſche nicht

Ein ungluͤckſeligs Herz!

Laß mich in tiefer Traurigkeit,

Jn der die Seele ſtirbt!

Verzweiflung ſelbſt iſt Troſt fuͤr mich,

Wofern du mich betruͤgſt.

Zu grauſam! — dennoch liſpelſt du

Dem bangen Herzen ein:

Jch ſey vielleicht — vielleicht geliebt;

O niedriger Verrath!

Meynſt
[158]Oden und Lieder.
Meynſt du, der ſchimmernde Betrug

Soll Kraft dem Herzen leihn?

Mehr gluͤcklich war es, ganz durchbohrt,

Ganz, o Verzweiflung, dein.

Umſonſt, umſonſt! — Voll Grauſamkeit

Betaͤubeſt du den Schmerz.

Verbinde meine Wunden dann,

Und reiß ſie blutger auf!


Dritte
[159]Fuͤnftes Buch.

Dritte Ode.
Nicht verzweifelungsvoll, oder des ſuͤßeſten Gluͤcks

Ungewiß, klaget mein zaͤrtliches Herz;

Nein, ich werde geliebt, und nun, da ſie mich liebt,

Bin ich doch dreymal ungluͤcklicher noch!

Daphne, liebe mich nicht! Ueber uns haͤnget voll Nacht

Schrecklich ein eiſerner Himmel herab.

Nicht ein guͤtiger Stral ſchimmert uns hinter der Nacht,

Furcht und Entſetzen ſchwebt rund um uns her.

O parteyiſches Gluͤck, warum laͤchelſt du nie

Liebender Unſchuld und ſtandhafter Treu?

Jſts der Zaͤrtlichkeit Loos, immer vom toͤdtlichen Gram,

Langſam gequaͤlet, das Opfer zu ſeyn?

Jetzo,
[160]Oden und Lieder.
Jetzo, da du mich liebſt, Daphne, faßt mich mein
Schmerz

Unuͤberwindlich, wie ſprech ich ihn aus!

Ach! du liebeſt nur den, welchen ein ploͤtzlicher Sturm

Auf den betruͤgriſchen Wellen ergrif;

Grauſam ſchmiß ihn der Sturm von dem zaubriſchen
Land

An den verwuͤſteten Felſen hinan;

Jhn ergreift ſein Geſchick, ach! und der eiſerne Arm

Schmiedet ihn feſt an den blutigen Fels.


An
[161]Fuͤnftes Buch.

An den Freyherrn von Zedlitz,
bey Ueberſendung des Murners in der Hoͤlle.

Die Muſe, die der Ewigkeit

Der Maͤuſe Schlachten ſang,

Und zu der Berenice Haar

Der Fermor Locke hob;

Die ſah ich, (Nachwelt, glaub’ es mir!)

Jm friſchen Lindenhayn.

Ein helles Erz am Goͤttermund

Klang durch Germanien.

Jhr freyes Haar floß in die Luft,

Der Zephyr ſchwebte drauf;

Das Lachen flog um ihre Stirn,

Die Phoͤbus Laub umwand.

IIIter Theil. LDie
[162]Oden und Lieder.
Die Scherze flatterten um ſie,

Gehuͤllt in falſchen Ernſt;

Der ziegenſuͤßge Satyr ſprang

Mit Gratien einher.

Jhr folgten in dem frohen Chor,

Mit ſcharfem Hohn im Blick;

Maͤonides, mit ihm Virgil,

Der Stolz von Latium.

Und Deſpreaux, der voller Salz

Des fetten Moͤnchs gelacht;

Und der, durch welchen Albion

Mit Griechenland ſich maß.

Der
[163]Fuͤnftes Buch.
Der kuͤhne Deutſche draͤngte ſich,

Da die Trompet’ erſcholl,

Voll Stolz herzu. Die Goͤttin ſprach

Mit heitrer Majeſtaͤt:

Jhr Soͤhne Theurs, die lange Nacht

Der Barbarey entflieht;

Jhr raͤchet durch den feinren Witz

Des ſchweren Clima Schuld.

Doch nehmet die Poſaune nicht

Zu fruͤh! Und wenn ihr ſingt,

So bleibt nicht immer Wiederhall,

Und ſeyd Original!

Der deutſche Stutzer wird zu oft

Vom Satyr aufgefuͤhrt,

Und eure Schoͤnen ruͤhren nicht,

Die ihr aus Wolken greift.

L 2Welch
[164]Oden und Lieder. Fuͤnftes Buch.
Welch eine große Schilderey

Liegt vor euch, die Natur!

Ahmt ihr, nicht ſchlechten Muſtern, nach,

Erfindet, und bleibt neu!

So ſprach ſie, Zedlitz, und ich ſtieg

Hinab zum Erebus.

Das Ungeheur am Hoͤllenthor,

Gezaͤhmet durch Geſang.

Kroch, mit dem fuͤrchterlichen Schwanz

Sanftſchmeichelnd vor mir hin;

Und durch der Muſe Gunſt ſah ich

Der Thier’ Elyſium.



[[165]]

Oden und Lieder.

Sechſtes Buch.


[[166]][[167]]
Ode
auf die unvermuthete Ankunft

des
Erbprinzen,
Nachdem
Braunſchweig kurz vorher durch den
Prinzen
Friedrich

gluͤcklich entſetzt worden.


Das franzoͤſiſche Kriegsbeer ruͤckte unvermuthet vor
Braunſchweig und Wolfenbuͤttel. Nach einer drey-
taͤgigen Bombardirung wurde Wolfenbuͤttel einge-
nommen, und Braunſchweig mußte ein gleiches
Schickſal erwarten; als der Prinz Friedrich mit ſehr
vielem Muth einen wichtigen Poſten des Feindes an-
grif, uͤberwaͤltigte, und die Stadt gluͤcklich entſetzte.
Der Erbprinz war kurz darauf in eigner Perſon mit
der groͤßten Geſchwindigkeit von den Enden Weſtpha-
lens herzugceilt, und vereitelte die Abſichten des
franzoͤſiſchen Heeres.


L 4Der
[168]Oden und Lieder.
Der Erbprinz iſts! Sein Auge blitzt

Den Heldengeiſt, der ihn verraͤth.

Er hoͤrt es, fliegt herzu, und ſchuͤtzt

Sein Vaterland, das Jhn um Huͤlfe fleht.

So eilt der Blitz vom Niedergang

Zum Aufgang hin, des Raͤchers Willen,

Zu dem der Unſchuld Winſeln drang,

An den Verbrechern zu erfuͤllen.

Schon wieherte das ſtolze Roß

Des Galliers um uns herum;

Und Braunſchweigs Fluren, oͤd und bloß,

Und jeden Hain, vor tiefen Schrecken ſtumm,

Um-
[169]Sechſtes Buch.
Umzingelte das freche Heer;

Sie jauchzten, trunken vor Vergnuͤgen,

Und ſahn im Staub uns ſchon ſo ſehr,

Als wie der Welfen Mauren liegen.

Mit Feuer, das der Bosheit Hand,

Nicht Menſchen aͤhnlich mehr zu ſeyn,

Dem finſtern Tartarus entwandt,

Gedachten ſie, uns unſerm Tod zu weihn.

Schon ſtand im dunkeln Sturm der Feind

Vor unſern Waͤllen; ſchon verſiegte

Vor ihm die Fluth; und ſchnell erſcheint,

Da jeder Stral von Hofnung truͤgte.

L 5Der
[170]Oden und Lieder.
Der Sieger Friedrich. Maͤchtig bricht

Sein Phalanx durch; die Schanze trinkt

Der Feinde Blut; Er koͤmmt, Er ficht;

Der Ewge waͤgt; und Frankreichs Schale ſinkt.

Was flieht er ſo, der ſtolze Feind,

Der mit der Hoͤlle Brand geruͤſtet,

Zu unſerm Untergang vereint,

Sich kuͤrzlich noch ſo hoch gebruͤſtet?

Er flieht. Vergebens! Jhn ereilt

Carls Erſtgebohrner; und ſein Schwerdt,

Das nie unthaͤtig ſich verweilt,

Nimmt Rach an ihm, da er den Ruͤcken kehrt.

O Prinzen, Eure tapfre Hand

Zerbricht die Feſſeln! welch Vergnuͤgen,

Zu ſtreiten fuͤr das Vaterland,

Und fuͤr das Vaterland zu ſiegen!


Ge-
[171]Sechſtes Buch.

Gebet um den Frieden.
HErr! GOtt und Vater deiner Kinder!

Vergißt du, Schoͤpfer, deiner Welt?

Jſt niemand, welcher fuͤr uns Suͤnder

Dir, Richter, in das Rachſchwerdt faͤllt?

Noch ſendeſt du zum Blutvergieſſen

Den Todesengel vor dir her;

Und unter des Erwuͤrgers Fuͤſſen

Liegt alles wuͤſt, entſtellt, und leer.

Schau doch mit Einem Blick der Gnaden

Auf die zerſtoͤrte Welt herab!

Und ſieh, wie ganze Myriaden,

Das Schwerdt frißt, und das weite Grab.

Sieh,
[172]Oden und Lieder.
Sieh, wie die Fluren oͤde liegen;

Wie ohne Troſt der Landmann ſteht,

Der unter ſeiner Herrſcher Siegen

Jm Mangel ſchmachtet und vergeht.

Leer, und mit Thraͤnenvollen Blicken,

Verlaͤßt er ſein gepluͤndert Haus;

Es lodert hinter ſeinem Ruͤcken,

Sinkt, und zerfaͤllt in Schutt und Graus.

Und ſeine ſchwachen Kinder weinen

An ſeiner Hand umſonſt um Brod;

Und jeder Seufzer von den Seinen

Jſt fuͤr ſein Herz langſamer Tod.

Von
[173]Sechſtes Buch.
Von ſeinem Reichthum, aller Haabe,

Bleibt ihm zur Huͤlle kein Gewand.

So ſchleppt er ſich am Pilgerſtabe

Fern in ein unbekanntes Land.

Rund um umgeben von Gefahren,

Entrinnt er ſo aus Mord und Brand;

Und ferner Voͤlker Kriegesſchaaren

Bedecken ſeiner Fluͤſſe Strand.

Die Elbe waͤlzt zum Oceane

Die Fluth, durch Leichen aufgeſchwellt.

Und an der Oder winkt die Fahne

Zu wilden Schlachten in das Feld.

Die
[174]Oden und Lieder.
Die Spree ſieht ihrer Kinder Zagen,

Sieht ihrer Freuden ſich beraubt;

Und bey der Unterdruͤckten Klagen

Verbirgt der Weſerſtrom ſein Haupt.

Wohin man blickt, ſieht man Verheeren;

Die Staͤdte wuͤſt, das Land in Blut;

Und uͤber beyde Hemiſphaͤren

Verbreitet ſich des Krieges Wuth.

O ſieh darein! Erbarmer, Retter!

Du wirſt dich uns nicht ganz entziehn;

Wirſt nicht, verhuͤllt in Nacht und Wetter,

Stets wider uns zur Rache ziehn.

Ruf
[175]Sechſtes Buch.
Ruf ab das Schwerdt vom Feld der Todten,

Das uns zum Fluch geſchaͤrfet ward!

Und ſende deinen Friedensboten

Dem Erdkreis, welcher auf ihn harrt!

Vernimm das Flehen frommer Bether!

Du lenkſt der Fuͤrſten Herz allein;

Lenk es zum Frieden! Laß ſie Vaͤter,

Und Menſchen wieder Menſchen ſeyn!


Ode
[176]Oden und Lieder.

Ode
An Seine Hochfuͤrſtl. Durchl.
den Herzog
Ferdinand,

von Braunſchweig.
Am Abend der feyerlichen Beerdigung
der
Herzogin Frau Mutter

entworfen.


Wer iſt der Traurige, der ſo gebeugt,

So ganz von Schmerz erfuͤllt,

Jn ſchwarzen Leichenflohr gehuͤllt,

Den Blick zur Erde neigt?

Wie,
[177]Sechſtes Buch.
Wie, Muſe, Ferdinand? Ja! Sieh ihn ſtehn

An ſeiner Mutter Grab.

Die heiſſe Thraͤne rollt herab;

Wer kan Jhn trauren ſehn,

Und unempfindlich ſeyn? Fließt, Thraͤnen, fließt,

Die ihr den Helden ehrt!

Wie ſehr war ſie die Fuͤrſtin wehrt,

Um die er ſie vergießt!

O du, ietzt mehr als Fuͤrſt, indem du weinſt,

Bewundrung ſchaut dich an.

Wie groß der Fuͤrſt, der weinen kan,

So menſchlich, wie du weinſt!

IIIter Theil. MDer
[178]Oden und Lieder.
Der wird einſt in der Schlacht, wenn nun das Feld

Voll von Erſchlagnen liegt,

Auch dann noch weinen, wenn er ſiegt,

Und mehr ſeyn, als ein Held.

Doch folg ihm weiter! Sieh, ietzt oͤfnet ſich

Die dunkle Fuͤrſtengruft.

Er geht, wohin ſein Herz ihn ruft,

Sieht, Tod, noch naͤher dich.

Wie groß, wie ſchaudervoll, wie voll Gewalt

Jſt dieſer Anblick nicht!

Wie ſteht hier Sarg an Sarg! Wie ſpricht

Des Todes Schreckgeſtalt!

Hier
[179]Sechſtes Buch.
Hier ſchlummern ſie nunmehr, o Ferdinand,

Die Helden, die voll Muth,

Mit dir aus Einem Stamm, ihr Blut

Verſpritzt fuͤrs Vaterland.

Hier liegt dein Albrecht, dort der tapfre Franz,

Sie fielen in der Schlacht;

Doch ſchlummern ſie nicht hier in Nacht,

Sie deckt des Nachruhms Kranz.

Und hier, (du weinſt aufs neu, o Muſe!) hier

Dein Liebling — Nenne nicht

Den Namen, der das Herz uns bricht!

O Ferdinand, von Dir,

M 2Von
[180]Oden und Lieder.
Von ſeines Bruders Muth zum Ruhm gefuͤhrt,

Fiel Er, der junge Held;

So wie die zarte Blume faͤllt,

Wenn ſie der Nord beruͤhrt.

Wie oft, o Fuͤrſtengrab, eroͤfnet ſich

Dein fuͤrchterliches Thor?

Was Braunſchweigs Stamm aufs neu verlohr

Sey lange gnung fuͤr dich!

Laß ab, o Vorſehung, mit dieſem Schlag!

Noch ruft der nahe Krieg

Die Helden fort zum Ruhm, zum Sieg,

Zum fuͤrchterlichen Tag,

Wo
[181]Sechſtes Buch.
Wo Blut vergoſſen wird. Steh ihnen bey,

Weyh, Vorſicht, ihren Stahl,

Weyh ihn zum Sieg, damit einmal

Dies Blut das letzte ſey!

O Zeit, in der des Kriegs Gebruͤlle ſchweigt,

Wenn nahſt du dich, o Zeit,

Da aus des Himmels Herrlichkeit

Der guͤldne Friede ſteigt?


M 3Em-
[182]Oden und Lieder.

Empfindungen chriſtlicher Dank-
barkeit.

Wenn ſich mein Geiſt, Allmaͤchtiger!

Der Gnaden Menge denkt,

Womit du mich, mein GOtt und HErr,

So unverdient beſchenkt:

Dann iſt mein Herz, ſo hoch erfreut,

Ganz deiner Guͤte voll,

Und weiß fuͤr heiſſer Dankbarkeit

Nicht, wie es danken ſoll.

Als ich noch in der Mutter Schoos,

Jn Nacht verborgen, ſchlief;

Beſtimmteſt du, o HErr, mein Loos,

Das mich zum Leben rief.

Du
[183]Sechſtes Buch.
Du ſprichſt des Sterblichen Geſchick,

Eh er geboren iſt;

Und ſo ward ich, (o welch ein Gluͤck!)

Durch die Geburt, ein Chriſt.

Schwach an der Bruſt, vernahmſt du ſchon,

Was kein Gebet noch war,

Und neigteſt zu des Weinens Ton

Dein Ohr gefaͤllig dar.

Wenn ich als Juͤngling von dem Pfad

Der Tugend mich verirrt;

Hat mich unſichtbar, HErr, dein Rath

Oft wieder drauf gefuͤhrt.

M 4Du
[184]Oden und Lieder.
Du warſt mein Schutz, und meine Wehr

Fuͤr Ungluͤck und Gefahr;

Und fuͤr dem Laſter, das noch mehr,

Wie ſie, zu fuͤrchten war.

Jch ſah, von Krankheit bleich, durch dich

Mein Leben hergeſtellt;

Und deine Gnade ſchmuͤckte mich,

Wenn Suͤnde mich entſtellt.

Von Freudenſtrahlen glaͤnzt mein Blick,

Da du ſo hoch mich liebſt,

Und mir in wahrer Freundſchaft Gluͤck

Mehr, als ich wuͤnſchte, giebſt!

Und
[185]Sechſtes Buch.
Und welche Wohlthat, HErr, iſt nicht

Dies Herz, das fuͤhlen kan!

Dies Herz, ganz dein, das dankbar ſpricht,

Was du an mir gethan!

Kein Tag ſoll wuͤrdger mir vergehn,

Als, Ewger, dir zum Preis;

Jch will mit Hymnen dich erhoͤhn,

Als Juͤngling, und als Greis.

Jn Schrecken, Angſt, Gefahr und Noth,

Trau ich allein auf dich.

Durch dich geſtaͤrkt, iſt ſelbſt der Tod

Mir nicht mehr fuͤrchterlich.

M 5Wenn
[186]Oden und Lieder.
Wenn krachend ietzt, der Bau der Welt,

Sich aus den Angeln reißt:

Will ich den preiſen, der mich haͤlt,

Dich, der mich leben heißt;

Dich, der mich bey der Welten Sturz

Mit ſtarkem Arm erhob! —

Selbſt Ewigkeit, HErr! iſt | zu kurz,

Zu preiſen all dein Lob!


Ode
[187]Sechſtes Buch.

Ode
an die Frau Schloßhauptmannin
von Spiegel.

Ueber das Abſterben
Jhres Gemahls.


Noch ſeh ich Dich gen Himmel ſchauen,

Mit thraͤnendem von Angſt gebrochnem Blick!

O Du gebeugteſte der Frauen,

Wo iſt nunmehr Dein ganzes irdſches Gluͤck?

Es iſt dahin! — Als wenn im Wetter

Ein ſchneller Stral vom ſchwarzen Himmel faͤhrt,

Den Baum entflammt, und Stamm und Blaͤtter

Mit wilder Glut im Augenblick verzehrt.

So
[188]Oden und Lieder.
So liegt Dein Spiegel! Laß den Klagen

Den freyen Larf; zu ſehr verdient er ſie!

Du ſieheſt ihn zur Gruft getragen

Zu hart geraubt, zu unverhoft, zu fruͤh!

Nicht deiner Zaͤhren Strom zu wehren,

Naht ſich zu dir die Muſe, ſelbſt gebeugt;

Jch wuͤrde weniger Dich ehren,

Wenn weniger Dein Herz ſich uns gezeigt.

Jch ſelbſt, der ich nicht das verlohren,

Was Du verlierſt, ich ſteh noch ſtumm und kalt;

Mir klingt in den erſchrocknen Ohren

Sein Roͤcheln noch; noch ſeh ich die Geſtalt

Des
[189]Sechſtes Buch.
Des Sterbenden. Mußt ich es ſehen,

O Theureſter, wie dir das Auge brach!

Jch ſahs; mir blieb der Athem ſtehen,

Jch ſprach Gebet, kaum wiſſend, daß ichs ſprach.

So war die edle Seel entwichen!

Er lag vor uns, den wir ſo ſehr geliebt,

Ein kalter Leichnam, ſtarr, verblichen,

Wir all um ihn lautweinend und betruͤbt.

Tritt her zu ſeiner fruͤhen Bahre

Leichtſinniger! tritt her, ſieh ſchreckensvoll,

Daß Jugend, ſo wie graue Haare,

Des Todes Schwerdt, gleich grauſam, treffen ſoll.

Du
[190]Oden und Lieder.
Du fliehſt? — Mit furchtbar weiten Schritten

Hohlt er dich ein; wie eitel iſt dein Fliehn!

Nicht Klagen, Thraͤnen, oder Bitten,

Nicht Stand, nicht Pracht, nicht Gold, entfernen ihn.

Wenn jemals Thraͤnen ihn geruͤhret,

So haͤtten ihn die Deinigen geruͤhrt,

Gebeugte Frau! Doch er vollfuͤhret

Den ſchweren Schlag, und ach! er iſt vollfuͤhrt!

Du, der du ſeine Pfeile lenkeſt,

O Ewiger! der du auch ſolchem Schmerz,

Auch ſolchem Jammer, Kraͤfte ſchenkeſt,

O ſchau herab auf Jhr zerrißnes Herz!

Zer-
[191]Sechſtes Buch.
Zerriſſen blutet es — zerriſſen

Von deiner Hand; denn iſts nicht deine Hand,

Die Jhr das groͤßte Gluͤck entriſſen,

Das reinſte Gluͤck, das Sterbliche gekannt?

Wie liebten ſie! Ach! gieb der Seele,

Die ſo geliebt, nun einſam uͤbrig iſt,

Gieb an des Gatten Todtenhoͤle

Jhr deinen Troſt, den noch ihr Herz vermißt.

Laß, wenn ſie weint, ſie Lindrung weinen!

Zwar hoͤrt ſie noch die heilge Stimme nicht,

Die unter Graͤbern und Gebeinen

Des Chriſten Troſt in unſre Seelen ſpricht.

Doch
[192]Oden und Lieder.
Doch einſt wird ſie die Stimme hoͤren,

Wird fuͤhlen, HErr, was ſie erſt nicht empfand;

Und deinen hohen Willen ehren,

Der Wohlthat auch im Jammer Jhr geſandt.


An
[193]Sechſtes Buch.

An
die Goͤttin der Geſundheit.


Als ſich der Erbprinz im Achner Bade
befand.


Die Opfer dampfen dir zu Ehren,

Die du im Himmel wohnſt,

Und von den ſeegensreichen Sphaͤren

Das Flehn der Sterblichen belohnſt.

O Goͤttin, huldreich ſchaue nieder

Vom Thron, der dich erhebt;

Wo dich mit goldenem Gefieder

Gluͤck und Zufriedenheit umſchwebt;

IIIter Theil. NAuf
[194]Oden und Lieder.
Auf ihn, den Helden, der vorm Heere

Geliebt ward; ſelbſt vom Feind;

Auf Jhn, der edlern Menſchheit Ehre,

Jhn, jeder Tugend wahren Freund.

Den Kranz, der Ueberwinder lohnet,

Brach er mit tapfrer Hand;

Hat ſeines Blutes nicht geſchonet,

Hat es verſpritzt fuͤrs Vaterland.

Als nach der ungluͤcksvollen Wunde

Uns ſein Verluſt gedroht,

Wie jauchzten da in ſchwarzer Stunde

Die Kriegesfurien, der Tod!

Viel
[195]Sechſtes Buch.
Viel Tage giengen da verhuͤllet

Jn Traurigkeit vorbey!

Doch unſer Flehen ward erfuͤllet,

Du gabſt Jhn, Goͤttin, uns aufs neu.

Laß ietzt fuͤr Jhn die warmen Quellen

Zwiefach wohlthaͤtig ſeyn!

O ſprudelt ſanft, ihr Heilungswellen,

Du, Himmel um Jhn her, ſey rein!

Gruͤnt ſchoͤner um Jhn her, ihr Felder,

Rauſch Jhm, o Waſſerfall!

Umſchattet friſcher Jhn, ihr Waͤlder,

Sing Jhm noch ſuͤßer, Nachtigall!

N 2Jch
[196]Oden und Lieder.
Jch ſeh’s! — Schon ſinkt Ruh und Vergnuͤgen

Von des Olympus Hoͤhn.

Der Goͤtterſohn ſoll nach den Siegen

Belohnung ſeiner Thaten ſehn.


All-
[197]Sechſtes Buch.

Allgemeines Gebeth.
Allmaͤchtiger, der ſeinen Thron

Jn Himmeln hoch erhoͤhet;

O hoͤre mich, der Erde Sohn,

Der dir im Staube flehet!

Du ſchufſt mich Staub, und ließeſt Staub

Zum Engel ſich erheben;

Hier unten der Verweſung Raub,

Um ewig dort zu leben.

Ein denkend Thier! Wie arm, wie bloß,

Jſt es, der Herr der Erden!

Ein denkend Thier! Wie frey, wie groß,

Unſterblich ſoll es werden!

N 3Welch
[198]Oden und Lieder.
Welch ein Geſchenk gabſt du mir nicht,

Da du Vernunft mir ſchenkteſt,

Und der Erkenntniß goͤttlichs Licht

Jn meine Seele ſenkteſt!

Verleih mir doch die Wiſſenſchaft,

Mein ewges Gluͤck zu finden;

Und gieb mir Willen, Muth, und Kraft,

Mich ſelbſt zu uͤberwinden.

Lehr mich, was mein Gewiſſen ſagt,

Dem Himmel vorzuziehen!

Und laß mich, was es unterſagt,

Mehr als die Hoͤlle fliehen.

Mach
[199]Sechſtes Buch.
Mach fuͤhlend dieſes harte Herz,

Wenn meine Bruͤder leiden;

Und laß an meines Haßers Schmerz

Sich nie mein Auge weiden.

Laß mich nie mit verwegner Hand

Nach deinem Donner trachten;

Noch jeden, der dich nicht erkannt

Der Hoͤlle wuͤrdig achten.

Jm Gluͤcke Furcht, im Ungluͤck Muth

Sey alles, was ich flehe.

Was du, mein Schoͤpfer willſt, iſt gut,

Und was du willſt, geſchehe!

Laß mich mein Brodt durch deine Gunſt

Nicht ohne Muͤh erwerben.

Und lehre mich die große Kunſt

Zu leben, und zu ſterben.

N 4O du,
[200]Oden und Lieder. Sechſtes Buch.
O du, vor dem der Seraph kniet,

Den Cherubim umringen,

Von allen Sternen ſchallt das Lied,

So deine Heilgen ſingen.

Jch beuge, Herr, vor dir mein Knie;

Du haſt den Staub erhoben!

Heil mir! ich bin ein Geiſt, wie ſie,

Der Menſch darf, Herr, dich loben!

Ende der Oden und Lieder.




[[201]]

Muſikaliſche Gedichte.


N 5
[[202]][203]

Die
Pilgrime auf Golgatha.

Ein muſikaliſches Drama.



Perſonen des Drama.


  • Ein Einſiedler.

  • Der zweyte Pilgrim.
  • Der erſte Pilgrim.

  • Ein Engel.

  • Chor der Pilgrime.

Recitativ.

Der erſte Pilgrim.

Ehrwuͤrdger Einſiedler! Wie gluͤcklich biſt du nicht!

Fern von der Welt aufruͤhriſchem Getuͤmmel,

Zeigt uns dein ruhiges Geſicht,

Von goͤttlicher Zufriedenheit

Und
[204]Muſikaliſche Gedichte.
Und hoher Andacht, einen ganzen Himmel.

Die tiefe Nacht der Einſamkeit,

Jn deiner rauhen Hoͤhle,

Wird von verwerflichen Gedanken

Niemals entweiht.

Der ganze feyerliche Golgatha

Liegt ſtets vor deinen Augen da,

Und bringt vor deine fromme Seele

Den Tod des Goͤttlichen, der hier fuͤr Menſchen ſtarb,

Und Eden uns aufs neu erwarb.

Wir kommen hier zu dieſer Hoͤh,

Nach einer Reiſe voll Beſchwerde;

Und wollen dieſer heilgen Erde

Voll Jnnbrunſt, doch von Aberglauben rein,

Auch unſre Thraͤnen weihn.

Arie.
[205]Muſikaliſche Gedichte.

Arie.

Golgatha!

Meiner Andacht wuͤnſcht ich Fluͤgel,

Eh ich deine Todeshuͤgel

Jn der Fern entdeckt.

Ganz von Andacht hingeriſſen,

Will ich hier die Erde kuͤſſen,

Die des Heilands Blut befleckt.

Recitativ.

Der zweyte Pilgrim.

Du frommer Mann,

Wir riſſen uns von unſern Suͤnden,

Einmal mit Ernſt bemuͤht, der Seelen Ruh zu finden.

Wir giengen manche rauhe Bahn,

Die heilge Stelle ſelbſt zu ſehen.

Auf
[206]Muſikaliſche Gedichte.
Auf der fuͤr uns ein ſolches Heil geſchehen.

O! zeig uns jeden Ort, den ehmals der Gerechte

Mit ſeinem Fußtritt eingeweiht,

Damit wir, ſeine Knechte,

Jm Schatten dieſer Einſamkeit

Jedwede Stelle kuͤſſen,

O! koͤnnt uns, ſo wie dir, die ganze Lebenszeit

Jn heiligen Betrachtungen verfließen,

Und koͤnnten Seufzer Suͤnden buͤſſen!

Arie

Fuͤr ſo viel Leiden, ſo viel Plagen,

Die unſer Heiland hier ertragen,

Entbehren wir der irdſchen Freuden

Des Lebens gern,

Und weihen es dem HErrn.

Reci-
[207]Muſikaliſche Gedichte.

Recitativ.

Der Einſiedler.

Heil euch! ihr Wanderer!

Die Andacht, die den Pilgerſtab

Zu dieſer Reiſ’ euch gab,

Hat aus dem Sturm der Welt auch mich hieher begleitet.

Nicht traͤger Muͤßiggang hat zur Einſiedeley

Voll Eigenliebe mich geleitet;

Mein juͤngers Leben floß nicht ungenuͤtzt vorbey;

Doch da ich meine Jugend

Dem Dienſt der Welt geweiht,

So hoft ich, wuͤrde mir der Himmel es vergeben,

Jn dieſer wilden Einſamkeit

Mein Alter ihm allein zu leben.

Bequemlichkeit und falſches Gluͤck

Des
[208]Muſikaliſche Gedichte.
Des vorgen Lebens, hilft die Gnade mir vergeſſen;

Sie liſpelt mir wahrhafte Ruh

Jm Schatten rauſchender Cypreſſen

Mitleidig zu.

Der Wald, der dieſe Hoͤhle

Mit dunklen Zweigen uͤberhaͤngt,

Beſchirmet meine Seele

Mit einer einſamen beſtaͤndgen Nacht

Vor der Zerſtreuung Macht.

Jhr ſteht mit mir auf Golgatha,

Hier, wo der Thaten groͤßeſte geſchehen,

Die je die Welt geſehen,

Ob ſie im Stillen gleich geſchah;

Nicht von dem Pomp der eiteln Ehr umgeben,

Durch den die Menſchen ihre Thaten heben.

Hier
[209]Muſikaliſche Gedichte.
Hier ſtarb ein Gott! — ein Gott, der fuͤr uns Suͤn-
der

Ein Menſch erſt ward;

Hier ſtarb ein Menſch, der alle Menſchenkinder

An Unſchuld uͤbertraf!

Und warum ſchweiget denn der Weltkrais, und die Lie-
der

Der Voͤlker ſchallen nicht um dies Gebirge wieder?

Warum liegt denn die weite Chriſtenheit

Jn traͤger Unempfindlichkeit begraben?

Will ſie zu ihrer Dankbarkeit

Mehr, als das groͤßeſte von allen Wundern haben?

Arie.

Jn ſiebenfaͤltge Nacht

Neigt ſich das Haupt des Sohns der Allmacht
hin.

Er gab den Thron des Himmels, Glanz und
Macht

IIIter Theil. OFuͤr
[210]Muſikaliſche Gedichte.
Fuͤr Suͤnder hin.

Und dennoch liegen die Geſchlechter

Jn Unempfindlichkeit?

Wer ſah vom Himmel mehr Barmherzigkeit,

Und von der Erde mehr Undankbarkeit?

Recitativ.

Doch, wie iſts moͤglich, daß in ſteten Freuden

Der Weltmenſch, o Meſſias, deine Leiden

Mit Dankbarkeit ermißt,

Und nicht vergißt?

Wie kan er beym Geraͤuſch der Saiten,

Bey Liedern der Sirenen;

Jm Strudel maͤchtger Eitelkeiten,

Zu innrer Harmonie geſtimmten Toͤnen,

Und
[211]Muſikaliſche Gedichte.
Und zu Empfindungen der Seraphim,

Sein Herz gewoͤhnen:

Da alle wilden Leidenſchaften,

Empoͤrt, und voller Ungeſtuͤm,

Dies Herz beſtreiten.

Arie.

Wie toben nicht des Meeres Wogen,

Wenn Dunkel den Olymp umzogen,

Und Donner auf den Fluthen bruͤllt!

Doch wie viel wilder iſt der Leidenſchaften

Wuͤten,
Wenn Ernſt und Weisheit nicht gebieten,
Und Tugend ihren Aufruhr ſtillt.

O 2Reci-
[212]Muſikaliſche Gedichte.

Recitativ.

Der zweyte Pilgrim.

O frommer Alter, zeig uns dann

Die theure Stelle, wo der Pfahl geſtanden,

Woran den Gottmenſch Moͤrder banden;

Damit ich fromm die Haͤnde

Von da gen Himmel breite,

Und die Geluͤbde ganz vollende,

Mit welchen ich dem Herrn mich weihte.

Der Aberglaube gab mir nicht

Den Pilgerſtab zu dieſer Reiſe;

Jch weis, der wahre Chriſt

Kan, ohne dieſe Wallfahrt anzutreten,

So feuriger, ſo frommer Weiſe

Zu ſeinem Heiland aller Orten beten,

Als
[213]Muſikaliſche Gedichte.
Als wir auf Golgatha;

Doch ſollte nicht die Hoͤh,

Worauf das groͤßte Wunderwerk geſchah,

Der Wandrer fromme Neugier mehr verdienen,

Als alle praͤchtigen Ruinen

Der Koͤnigsgraͤber, und der ſtolzen Mauren,

Mit Menſchenblut erbaut,

Die, tiefgeſtuͤrzt, nunmehr im Staube trauren?

Der erſte Pilgrim.

Soll der, der ſelbſt die heilge Gegend ſchaut,

Worin der Allmacht Sohn die Blinden ſehend machte,

Die Todten aus den Graͤbern brachte,

Und endlich fuͤr ein ſuͤndiges Geſchlecht

Mit tauſend Martern ſtarb;

O 3Soll
[214]Muſikaliſche Gedichte.
Soll der denn nicht mit Recht

Jn heiliger Entzuͤckung ſich verlieren?

Und ſollt ihn nicht des Ortes Anblick ruͤhren,

Auf welchem ehemals der große Suͤhnaltar

Fuͤr uns zum Himmel aufgerichtet war?

Arie.

Die Wehmuth weint der Menſchlichkeit zu

Ehren
Auch in der Ferne bittre Zaͤhren,
Wenn ſie den Tod des Freundes hoͤrt:
Allein wie wird ihr Schmerz vermehrt,
Wenn ſie ſich ſelber auf ſein Grabmaal lehnet,
Und deſſen Todtenſtaub bethraͤnet,
Den ſie noch jenſeit des Grabes verehrt.

So
[215]Muſikaliſche Gedichte.
So traurt der Chriſt mit bangem Herzen,

Wenn er, Meſſias, deine Schmerzen

Jn heiligen Geſchichten hoͤrt:

Allein, wie wird die Andacht nicht vermehrt,

Wenn Golgatha ſich ſelbſt ihm zeiget,

Er ſelbſt hinab zu deinem Grabe ſteiget,

Und deinen Tod darinnen verehrt!

Recitativ.

Der Einſiedler.

Ja, fromme Wanderer! Betrachtet dieſen Berg

Mit heiligem Vergnuͤgen

Mehr, als die praͤchtigſte der ſtolzen Pyramiden,

Die ſeiner Fuͤrſten Aſchenkruͤgen

Aegypten aufgethuͤrmt.

O 4Zu
[216]Muſikaliſche Gedichte.
Zu Ehren deſſen, welcher hier verſchieden,

Steht Golgatha,

Selbſt von Unglaͤubigen beſchirmt,

Zum großen Denkmaal ſeines Todes da.

Jhr werdet zwar fuͤr eure Suͤnden

Durch dieſe Wallfahrt nicht Vergebung finden,

Wenn wahre Buße nicht

Fuͤr euch zum Gottmenſch ſpricht;

Doch kommet ihr mit tiefgebeugter Seele,

Nicht gleich den ſtolzen Frommen,

Zu ſeiner heilgen Grabeshoͤhle,

Und ſeyd ihr durch der wahren Andacht Geiſt

Hieher gereiſt;

So ſeyd mir tauſendtauſendmal willkommen.

Duett.
[217]Muſikaliſche Gedichte.
Duett.

DerI.Pilgr.
Wir wollen uns dem Orte,

O JEſu, voller Demuth nahn,

Wo dir des Todes Pforte

Voll grauſer Nacht ſich aufgethan.

DerII.Pilgr.
Mit tiefgebeugtem Herzen,

O Heiland, opfern wir dir Dank

Fuͤr alle Todesſchmerzen,

Jn welche deine Seele ſank.

Beyde.

Verſchmaͤh ihn nicht, der Thraͤnen
frommen Dank!


DerI.Pilgr.

Wir trotzen nicht auf unſrer Tugend
Staͤrke;


DerII.Pilgr.

Wir trotzen nicht auf unſre guten
Werke;


Beyde.

Wir hoffen unſre Seligkeit
Nur von Barmherzigkeit.


O 5Reci-
[218]Muſikaliſche Gedichte.

Recitativ.

Der Einſiedler.

Mit welchem heiligen Entzuͤcken

Muß ich die Demuth nicht erblicken,

Die, Pilgrime, mit ſo viel Andacht ſpricht!

Erhebt dann das Geſicht,

Und uͤberſchaut erfreut

Den Schauplatz der erhabenſten Geſchichte —

Beſtralt vom Sonnenlichte

Ragt Tabor dort aus dem Gewoͤlk hervor;

Viel naͤher ſtreckt ſein Haupt Moria hier empor!

Und unter ihm der Oelberg, deſſen Hoͤhen,

Meſſias, dich im blutgen Schweiß geſehen.

Gethſemane! die ſchwaͤrzſte Mitternacht

Ward hier vom Gottmenſch durchgewacht.

Hier
[219]Muſikaliſche Gedichte.
Hier drang der Mordſucht Fackel auf ihn ein;

Den Miſſethaͤtern gleich ward er hinweggebracht.

Und endlich ſtarb der Fromme, der Gerechte,

Allhier auf Golgatha fuͤr Suͤnder und fuͤr Knechte.

Chor der Pilgrime.

Sey uns geſegnet, du heiliger Berg, du

Zeuge des Bundes,
Welchen die Allmacht mit ſterblichen Menſchen
von neuem errichtet,
Und mit dem Blute des goͤttlichen Sohns auf
ewig verſiegelt.

Recitativ.

Der Einſiedler.

Dort unten an des Berges Fuß

Liegt in dem Felſen eingehauen

Das unentweihte Grab, des Heilands Ruheſtatt.

Der Hain rauſcht hier ein heiligs Grauen;

Und
[220]Muſikaliſche Gedichte.
Und oftmals hat

Die einſame Melancholey

Hier Lieder der Unſterblichen gehoͤret,

Die des Erloͤſers Sieg verehret.

Chor der Pilgrime.

Sey uns geſognet, du heiliges Grab, du

Pforte des Lebens,
Welches aus dir, von neuem mit ſtralendem
Schimmer bekleidet,
Triumphirend heraustrat, und ſich zur Ewig-
keit aufſchwang.

Recitativ.

Der Einſiedler.

Was ſeh ich? Engel ſteigen nieder —

Jhr hoher Beyfall kroͤnet eure Lieder;

Die Toͤne der Unſterblichen,

Der
[221]Muſikaliſche Gedichte.
Der heilgen Waͤchter Chor

Erfuͤllet unſer Ohr.

(Man hoͤret eine ſanfte andaͤchtige Muſik.)
Recitativ.

Der erſte Pilgrim.

Welch eine ſuͤße Harmonie!

So klangen Sterblicher Geſaͤnge nie.

Vom Berge ſteiget dort

Ein holder Wanderer herab;

Es ſtralt in ſeiner Hand der helle Pilgerſtab;

Sein jugendliches Angeſicht

Gleicht dem Geſicht der Erdenbuͤrger nicht.

O dies iſt einer von des Himmels Choͤren,

Die wir ietzt uͤber uns erſchallen hoͤren.

Wir
[222]Muſikaliſche Gedichte.
Wir neigen uns vor dir

Mit Ehrfurcht, hoher Wanderer des Himmels.

Accompagnement.

Der Engel.

Wie ſelig ſind die frommen Klagen,

Die ihr hier eurem Jeſu weint!

Die ſelgen Geiſter, die ſie hoͤren,

Antworten euch mit ihren Choͤren:

Wie ſelig ſind die frommen Klagen,

Die ihr hier eurem Jeſu weint!

Es werden es die hellen Sphaͤren

Durch aller Himmel Himmel ſagen:

Wie ſelig ſind die frommen Klagen,

Die ihr hier eurem Jeſu weint!

Es
[223]Muſikaliſche Gedichte.
Es ſchallen eure frommen Lieder

Vom Golgatha zum Tabor wieder;

Der Berge Nachhall muͤſſe ſagen:

Wie ſelig ſind die frommen Klagen,

Die ihr hier eurem Jeſu weint!

Chor der Pilgrime.

Seyd uns geſegnet, ihr Thraͤnen des Mit-

leids, um Jeſu geweinet;
Seyd uns geſegnet, erweichet das Herz zur
Reue, zur Buße,
Welche nicht ſtolz ſich bruͤſtet, und nur im Stil-
len zu Gott ſchreyt.

Recitativ.

Der Engel.

Du, heiliges Gebirge, ſollſt alſo

Von Wanderern nicht unbeſuchet liegen!

Der Himmel ſchaut, ihr Pilger, mit Vergnuͤgen

Die
[224]Muſikaliſche Gedichte.
Die Anbetung, die ihr hier Jeſu weiht.

Und ſollte nicht der Menſch, voll Dankbarkeit,

Dich, Golgatha, mit Thraͤnen netzen,

Da alles, was darauf geſchah,

Fuͤr ihn allein geſchah?

Fuͤr Engel zitterte nicht Golgatha;

Fuͤr Engel blutete nicht Gottes Lamm,

Fuͤr Menſchen ganz allein ſtarb es am Kreuzesſtamm.

Und dennoch ſehn auch Engel mit Ergetzen,

Auf dies Gebirg, und ſteigen oft herab,

Und ſingen Lieder um ſein Grab.

O welche Leiden ohne Zahl

Hat dazumal

Der ganze Himmel nicht empfunden,

Als Golgatha zerriß,

Und
[225]Muſikaliſche Gedichte.
Und Todesfinſterniß

Das Auge des Erloͤſers deckte!

Chor der Pilgrimme.

O Himmel! wer kan es ermeſſen,

Daß der, der auf der Allmacht Thron geſeſſen,

Vom Thron herunter ſteigt, die Krone nie-

derlegt,
Und gleich dem Suͤnder ſtirbt, den ſeine Stra-
fe ſchlaͤgt.

Recitativ.

Der Engel.

Und dennoch that er es!

Mich duͤnkt, ich ſehe hier aufs neu

Die großen heilig furchtbarn Scenen wieder —

Der Cherub faͤllt erſchrocken nieder,

IIIter Theil. PUnd
[226]Muſikaliſche Gedichte.
Und huͤllt ſein Angeſicht

Tief in ſein glaͤnzendes Gefieder;

Der Seraphinen Lieder

Verſtummen vor des Hoͤchſten Thron —

Man hoͤret, um der Allmacht Sohn,

Ein banges Klagen in den Sternen,

Ein banges Klagen in den Himmeln,

Ein banges Klagen auf der Erde. —

Der Abgrund thut ſich auf —

Die Hoͤlle bruͤllt Triumph herauf;

Die Sonne ſtarrt zuruͤck in ihrem Lauf,

Und ſchwarze Mitternacht verhuͤllt die Welt.

Erſchuͤttert fuͤhlt, der Todten weites Feld,

Der neuen Auferſtehung Macht;

Sie gehn hervor aus Grab und Nacht.

Arie.
[227]Muſikaliſche Gedichte.
Arie.

Du Suͤnder, dem die heilige Geſchichte

Des Heilands Martertod gelehrt,

Erzittre, wenn einſt an dem Weltgerichte,

Der Gottmenſch richtet, welchen du entehrt!

Beym letzten Donner der Poſaunen

Wirſt du, Unglaͤubiger, erſtaunen,

Daß der dein Richter iſt, den du verſchmaͤht,

Dann wirſt du glauben, doch zu ſpaͤt.

Recitativ.

Der Einſiedler.

O himmliſcher Gefaͤhrte, deine Reden

Sind wie der Warnung Stimm aus Ungewittern.

P 2Gieb,
[228]Muſikaliſche Gedichte.
Gieb, Himmel! daß wir ſelig werden

Mit Furcht und Zittern.

Der Engel.

Seyd immer Wanderer auf Erden,

Und opfert nicht bloß redneriſchen Dank

Dem, der fuͤr euch den Kelch des Todes trank;

Erfuͤllt gehorſam ſein Gebot,

Und preiſet ſeinen Tod

Durch tugendhaftes Leben.

Arioſo.

Jhr ſeyd theuer erkauft, darum preiſet Gott.


Schlußchor.

Der Allmacht Sohn hat uͤberwunden!

Wir preiſen dich, ſieghafter Held,

Be-
[229]Muſikaliſche Gedichte.
Bedecket mit glorreichen Wunden,

Fuͤrs Heil von einer ganzen Welt!

Der Freche von unheilgen Saamen,

Der, Tugend, dein Gefuͤhl verlohr,

Entweihe nicht der Chriſten Namen,

Und ſinge nicht in unſer Chor!


P 3Das
[230]Muſikaliſche Gedichte.
Das befreyete Jſrael.
Nach Anleitung des Moſaiſchen Lobgeſanges
im 15ten Kapitel des 2 B. Moſ.
Chor.
Laßt uns dem Herrn lobſingen,

Er hat die groͤßte der Thaten gethan!

Das Meer fuhr hinweg auf des Oſtwindes Schwingen;

Kam wieder in ſchrecklichen Stuͤrmen heran,

Und deckte Roß, und Wagen, und Mann.

I.
Noch lag von Mann, und Wagen, und Roß,

Des Schilfmeers Geſtade bedeckt;

Denn Gott ergriff ſein toͤdtlich Geſchoß,

Wo-
[231]Muſikaliſche Gedichte.
Womit er die Koͤnige ſchreckt.

Die Wagen brauſten; auf Leichnamen ſtunden

Die Kinder Abrams, und ſchauten umher;

Und ſieh, ihre Feinde waren verſchwunden,

Und Pharaons Heerſchaaren waren nicht mehr.

II.
Da kam der Geiſt des Herrn mit heilgem Ungeſtuͤm

Auf Moſen, ſeinen Knecht, herab.

Er ſang den Sieg, den Gottes Hand ietzt gab,

Und alles Jſrael ſang im Triumph mit ihm.

Das Chor von einem verſammleten Volke

Erfuͤllte die Wuͤſte mit Jubelgeſchrey;

Und Jubel ſtieg auf zur beſchuͤtzenden Wolke,

Und Engel ſtimmten dem Jubelton bey.

P 4III.
[232]Muſikaliſche Gedichte.

III.
Jch will dem Herrn lobſingen,

Er hat die groͤßte der Thaten gethan!

Das Meer fuhr hinweg auf des Oſtwindes Schwingen;

Kam wieder im ſchrecklichen Sturme heran,

Und deckte Roß, und Wagen, und Mann.

Jch will dem Herrn lobſingen;

Der Herr iſt meine Staͤrke,

Er iſt mein Heil, mein Lobgeſang.

Verkuͤndiget, ihr Himmel, ſeine Werke

Vom Aufgang bis zum Niedergang!

Jch will dem Herrn lobſingen,

Er iſt der rechte Kriegesmann.

Sein Mund gebot dem Meere zu verſchlingen,

Und es verſchlang Roß, Wagen und Mann.

IV.
[233]Muſikaliſche Gedichte.
IV.
Aegypten ſtand auf, und die rollenden Wagen,

Die eiſernen Reuter bedeckten das Feld.

Die Wuͤſte ſtieg auf im Staub;

Ganz Jſrael war ſchon ihr Raub;

Die Krieger befiel Entſetzen und Zagen;

Da ſchaute der Herr von ſeinem Gezelt.

Er ſtieß die Raͤder mit Ungeſtuͤm

Von ihren Axen herab;

Jm dunklen Sturme kam ſein Grimm,

Das wallende Weltmeer ward ihr Grab.

V.
Wir wollen ſie erjagen,

Gedachte voller Stolz der Feind.

P 5Des
[234]Muſikaliſche Gedichte.
Des Schwertes Schaͤrfe ſoll ſie ſchlagen;

Aegyptens Hand ſoll ſie verderben,

Sie ſollen ſterben!

Chor.
Aegyptens Hand ſoll ſie verderben,

Sie ſollen ſterben!

VI.
Da ließeſt du die Tiefe wallen,

Das Meer bedeckte ſie.

Gefallen, gefallen, gefallen,

Gefallen, gefallen ſind ſie!

Chor.
Gefallen, gefallen, gefallen,

Gefallen, gefallen ſind ſie!

VII
[235]Muſikaliſche Gedichte.
VII.
Wer iſt dir gleich, Herr, unter den Goͤttern?

Wer iſt dir gleich, Herr Zebaoth!

Wer geht, wie du, auf toͤdtenden Wettern?

Wer hilft uns, ſo wie du, o Gott!

Maͤchtig, heilig,

Schrecklich, glorreich,

Wunderthaͤtig biſt du, Gott!

Chor.
Maͤchtig, heilig,

Schrecklich, glorreich,

Wunderthaͤtig biſt du, Gott!

VIII.
[236]Muſikaliſche Gedichte.
VIII.
Du haſt dein Volk geleitet,

Das du erloͤſet haſt;

Und ihm den Weg bereitet

Zur heilgen Wohnung, deiner Raſt.

Die Voͤlker hoͤrens, und zagen,

Und Angſt koͤmmt die Philiſter an;

Die Fuͤrſten Edoms und Moabs verzagen,

Und bleich fuͤr Furcht ſteht Canaan.

Sie ſahn, wie du Aegypten bezwangſt

Durch deinen großen Arm.

Laß uͤber ſie fallen Erſchrecken und Angſt

Durch deinen großen Arm!

Bis
[237]Muſikaliſche Gedichte.
Bis in dem maͤchtigen Kriege

Dein treues Jſrael ſiege,

Das du erworben haſt.

IX.
Pflanze ſie, Herr, auf den Huͤgeln

Deines heilgen Erbtheils ein;

Unter deines Cherubs Fluͤgeln

Laß, o Herr, ſie ſicher ſeyn.

Laß ſie ſich zu deinem Ruhme,

Gott, in deinem Heiligthume

Jhres großen Koͤnigs freun.

Pflanze ſie, ꝛc.

Schlußchor.
Der Herr wird Koͤnig ſeyn,

Der Herr wird Koͤnig ſeyn!

Jn
[238]Muſikaliſche Gedichte.
Jn alle Ewigkeiten!

Antwortet, ihr jauchzenden Reihn:

Der Herr wird Koͤnig ſeyn!

Wer kan ſeine Thaten verſchweigen!

Antwortet, ihr Pauken und Reigen;

Der Herr wird Koͤnig ſeyn

Jn alle Ewigkeiten.


Die
[239]Muſikaliſche Gedichte.
Die Auferſtehung.
I.
Du tiefe, todte, grauenvolle Stille

Ums heilge Grab; um des Geopferten,

Des Gottverſoͤhners, Grab!

Verhuͤlle mich! Verhuͤlle

Mein Herz in Traurigkeit, mein Aug in Nacht! —

Soll ich den Todten ſehn?

Sehn den Verbluteten, am Holz Verbluteten?

Wer waͤlzet mir vom Grab

Den Felſen ab?

Doch
[240]Muſikaliſche Gedichte.
Doch wie? das Grab iſt offen? — Leer?

Wie ſchauderts mich! Auch nicht den Todten mehr —

Chor.
Der Herr iſt erſtanden! Der Herr iſt erſtanden!

Jhn halten die Banden

Des Todes nicht mehr!

Die Suͤnd’ iſt verſchlungen!

Der Tod iſt bezwungen!

Hallelujah! dem Gottmenſch, dem Sieger des
Todes!

Hallelujah! dem ewigen Sohn!

II.
Der Engel Gottes fuhr herab,

Schnell, wie der wetterleuchtende Blitz;

Sein
[241]Muſikaliſche Gedichte.
Sein Kleid war weiß, wie der ſchimmernde Schnee

Des Grabes Huͤter ſahn erſchrocken in die Hoͤh;

Betaͤubet, ſeellos, legte ſie ſein Blitz,

Ums Grab zerſtreuet, vor ſich hin.

Er aber trat ans Grab,

Und waͤlzete die Laſt des Felſen ab.

Da zitterte der Erde Grund

Dem maͤchtigen Gange des Kommenden;

Und ietzt trat aus des Grabes Graus

Der Sieger des Tods im Triumphe heraus.

Chor.
Der Herr iſt erſtanden! der Herr iſt erſtanden!

Jhn halten die Banden

IIIter Theil. O.Des
[242]Muſikaliſche Gedichte.
Des Todes nicht mehr!

Die Suͤnd’ iſt verſchlungen!

Der Tod iſt bezwungen!

Hallelujah! dem Gottmenſch, dem Sieger des
Todes!

Hallelujah! dem ewigen Sohn!

III.
Was ſchallt aus allen Tiefen

Fuͤr ein Geheul empor?

Mit kaltem Schauder hoͤrt mein Ohr

Hinunter in die Tiefen.

Es ſind nicht Klagen — Seufzer nicht,

Was aus der tiefſten Tiefe bricht.

Es iſt ein ſcheußliches Gebruͤll,

Es
[243]Muſikaliſche Gedichte.
Es iſt Verzweiſelung!

So bruͤllt ſie, die Verzweifelung!

Chor.
Es iſt Verzweifelung!

So bruͤllt ſie, die Verzweifelung,

Wenn ſie der Rache Blitz durchfaͤhrt,

Und kein Erbarmer mehr ſie hoͤrt.

IV.
Als ſich der Sieger ietzt aus ſeinem Grabe riß,

Fuhr er hinab ins Reich der Finſterniß,

Wo ſich die Satane, lautjauchzend, im Trinmph

Q 2Des
[244]Muſikaliſche Gedichte.
Des Todes des Meßias freuten.

Mit bitterm, nur der Hoͤlle wuͤrdgem, Hohn

Sprach Satan von dem Goͤtterthron:

Jhr habt ihn ſterben ſehn, den Traͤumer, den Propheten,

Den Sohn der Allmacht, wie er ſich genannt —

Doch Satan konnt’ ihn toͤdten!

Mit meiner viel gewaltgern Hand

Riß ich ihn in den Staub! — Verweſe da,

Du Goͤtterſohn! — —

V.
So ſprach der wilden Laͤſtrung Stimme,

Als unter ihm der Hoͤlle Veſte bebt,

Er
[245]Muſikaliſche Gedichte.
Er koͤmmt, er koͤmmt in ſeinem Grimme,

Der Gottmenſch, der Gekreuzigte,

Der Todte, welcher lebt!

Zehntauſend Donner ſandt er vor ſich her;

Die Fuͤrſten ſtuͤrzten von den Thronen,

Und ohn Erbarmen, ohne Schonen,

Ward jeder in dem Feuermeer

An ſeinen Felſen angeſpießt,

Um da Jahrtauſende in Pein,

Mit Flammen uͤberſchwemmt zu ſeyn.

Da bruͤllte die Verzweifelung

Das ſcheußliche Geheul aus allen Hoͤhlen.

Ein ſcheußliches Geheul drang von verdammten Seelen

Q 3Dem
[246]Muſikaliſche Gedichte.
Dem Raͤcher nach, der, nach der Hoͤlle Sieg,

Herauf zur Erde ſtieg!

Chor.
Preiß ihm! dem Starken, der des Raubes

Den Tod, und die Hoͤlle beraubt!

Durch den Gott das Geſchlecht des Staubes,

Durch Blut, durch theures Blut erloͤſt,

Und uns nicht ganz zur Hoͤlle verſtoͤßt.

Hallelujah, dem Gottmenſch, dem Sieger der Hoͤlle!

Hallelujah! dem ewigen Sohn.

VI.
Welch eine herrliche Geſtalt

Koͤmmt unter jenen Schatten her?

Und
[247]Muſikaliſche Gedichte.
Und welche goͤttliche Gewalt

Spricht lauter in mir? — Er! ==

Er iſts, er iſts, den ich beweint ==

Es iſt der Goͤttliche, der Menſchenfreund

Mein Heiland, und mein Gott! —

VII
O laß mich hier zu deinen Fuͤßen

Den Staub, o du Geſalbter, kuͤſſen,

Der dich, des Todes Sieger, traͤgt,

Mein Auge ſtroͤme Freudenzaͤhren,

Daß du, um einſt mich zu verklaͤren,

Dich ſelber in den Staub gelegt.

Q 4VIII.
[248]Muſikaliſche Gedichte.
VIII.
Mit kaltem Schauder bebt ich ſonſt,

Wenn ich hinab ins Thal des Todes ſah!

Da war kein Stral vom Licht —

Da war kein Helfer fuͤr mich da.

Oft zagte tief in ſich

Die Seele, voll Verzweifelung,

Und ſtraͤubte ſich, und rung

Und fuͤrchtete, nicht mehr zu ſeyn! —

Der gegenwaͤrtgen Gottheit Schein

Erhellt ietzo das finſtre Todesthal.

Der beſſern Hofnung Stral

Erhellt der Seele Traurigkeit

Mit kuͤnftger Ewigkeit.

VIIII.
[249]Muſikaliſche Gedichte.

VIIII.
Auch ich bin Staub, auch ich, ich werde

Dereinſt in deinem Schooß, o Erde,

Sanft ruhn, wie Er.

Doch ſoll kein Tod mich zaghaft machen.

Jch weiß, ich weiß, ich werd erwachen,

Und auferſtehn, wie Er.

X.
Und o! des großen Tags!

Wann ietzo der Trommeten Schall

Jn alle Graͤber dringt;

Und aller Welten Wiederhall

Q 5Den
[250]Muſikaliſche Gedichte.
Den Kommenden verkuͤndigt, der ins Feld

Der Todten koͤmmt und da Gerichte haͤlt.

Wenn nun, o Herr, ſo wie dein Wort gebeut,

Das Feld der Todten rauſcht; die Ewigkeit

Die Myriaden nimmt; und insgeſammt

Dein Wort ſie losſpricht, oder ſie verdammt.

XI.
Laß mich nicht, Unerbittlicher,

Wenn Himmel und Erde vergehn,

Jn deinem Zorn dich ſehn!

Noch biſt du Richter nicht;

Noch
[251]Muſikaliſche Gedichte.
Noch hoͤreſt du das Flehn, das durch die Wolken bricht;

Laß mich, o Herr, zum Leben auferſtehn!

Chor.
Du Sohn des Ewigen! hoͤr unſer Flehn!

Laß uns zum Leben auferſtehn!

XII.
So biſt du auch fuͤr mich erſtanden,

O du Gekreuzigter!

So wird der Hoͤlle Spott zu Schanden,

Und ich lobſinge dir, o Herr!

Schlußchor.
Jauchzt Lieder dem Herrn, der Herr iſt erſtanden!

Jauchzt ihm in ſeinem Heiligthum!

Es
[252]Muſikaliſche Gedichte.
Es miſchen von den hoͤhern Sphaͤren

Die Engel ſich zu unſern Choͤren,

Die Erde ſchallt von ſeiner Thaten Ruhm.

Jauchzt Lieder dem Herrn, der Herr iſt erſtanden!

Jauchzt ihm in ſeinem Heiligthum.


Die
[253]Muſikaliſche Gedichte.

Die Tageszeiten.
Jn vier Cantaten.



Der Morgen.
Arie.
Der Morgen koͤmmt, mit ihm die Freu-

de!
O ſieh! mit blitzendem Geſchmeide
Schmuͤckt ſich fuͤr dich das Feld.
Jndem du aus dem Meere ſteigeſt,

Und
[254]Muſikaliſche Gedichte.
Und dich in Pomp den Voͤlkern zeigeſt,

Frohlockt dir eine halbe Welt.

Recitativ.
Der ganze Himmel ſchwimmt in Glanz.

Die guͤldnen Stunden fuͤhren ihren Tanz

Um dich herum, und gruͤßen, Sonne, dich!

Und alle Sphaͤren klingen;

Und alle Waͤlder ſingen;

Und alle Harmonien dringen

Auf zum Olymp, und gruͤßen, Sonne, dich.

Dir ſingt die helle Kriegstrompete

Jm waffenvollen Feld;

Dir
[255]Muſikaliſche Gedichte.
Dir ſingt des Hirten ſanfte Floͤte

Jm ſtillen Thal.

Dich gruͤßt, durch feyerliche Lieder,

Der Muſelmann, der Heid, und Chriſt.

Doch du, o Chriſt, weih deine frommen Lieder

Nur Jhm, der wundervoll das Nichts gebaͤhren
hieß,

Und Erden ſchuf, und Sonnen leuchten ließ.

Arie.
Allmaͤchtger! groß im Sonnenglanz,

Und groß in majeſtaͤtſcher Nacht!

Verſchmaͤh nicht Morgenopfer ganz

Von Sterblichen gebracht.

Jauchzt
[256]Muſikaliſche Gedichte.
Jauchzt ihm voll Ehrfurcht, dunkle

Waͤlder!
Jauchzt ihm, erwachte frohe Felder!
Jauchz’ ihm lautwallend, Ocean!
Und du, o Menſch, o bet ihn an!


Der
[257]Muſikaliſche Gedichte.
Der Mittag.

Arie.
Der Mittag, begleitet von faͤchelnden

Stunden,
Eroͤfnet ſein Fuͤllhorn, mit Blumen um-
wunden,
Und gießt es auf alles verſchwenderiſch aus.
Die allgemeinen wohlthaͤtigen Feſte
Erfriſchen des Koͤnigs gewoͤlbte Pallaͤſte,
So wie des Landmanns umſchattetes Haus.

IIIter Theil. RRe-
[258]Muſikaliſche Gedichte.
Recitativ.
Empfange mich, ehrwuͤrdger Eichenwald!

Jetzt, da wir ganz vom Mittagsſtral ermatten,

Sucht die Betrachtung gern den ſtillen Aufenthalt

Jn deinem kuͤhlen Schatten.

Der laute Bach rollt murmelnd in das Thal;

Der Weſtwind waͤlzet ſich im Wipfel hoher Buchen,

Da Bienen ohne Zahl

Von Blumen ihren Raub mit ſtetem Summen
ſuchen.

Die Heerde lagert ſich im Klee,

Jndeß der Hirt von einer luftgen Hoͤh

Soin Horn ertoͤnen laͤßt! und, durch den Weſt
erfriſchet,

Den ſuͤßen Lobgeſang zur Baͤche Murmeln miſchet.

O wie
[259]Muſikaliſche Gedichte.
O wie begluͤckt iſt der, den nie ſein Herz verdammt!

Und den kein leerer Stolz, kein Durſt nach Gold
entflammt!

Der, wenn die ganze Welt in Laſtern um ihn
brennet,

Sich kalt erhaͤlt; nach keinen Wuͤrden rennet;

Und, fern vom Laͤrm der falſchheitsvollen Stadt,

Frey unter Linden ruht, die er gepflanzet hat.

Arie.
Nie kan man groͤßre Wolluſt fuͤhlen,

Jndem uns tauſend Luͤfte kuͤhlen,

Als wenn ein dankbar Herz den Herrn der
Schoͤpfung ehrt.

Der Koͤnig, dem der Wein aus guͤldnen
Schalen winket,

Der Hirt, der aus der Quelle trinket,

Vergeſſe nie den Geber, der ihn naͤhrt.

R 2Der
[260]Muſikaliſche Gedichte.
Der Abend.

Arie.
Senke dich von Purpurwolken,

Holder Abend, ſanft herab!

Hauche reine friſche Luͤfte!

Schuͤttle Thau, und Roſenduͤfte,

Von den feuchten Schwingen ab!

Recitativ.
Der Wald ſteht dunkelgruͤn; von langen Matten

Erhebet ſich der kuͤhle Thau.

Der Abendwind erquickt, bey kuͤhlem Schatten.

Das ſtille Thal, die Au.

Jetzt
[261]Muſikaliſche Gedichte.
Jetzt rauſcht der Buſch, ietzt wallen die Gefilde;

Der laute Bach rinnt hell und milde

Von Felſen ab, und alles faͤllt vergnuͤgt

Jn Schlaf und Traum, vom Weſtwind eingewiegt.

Arie.
Komm, holder Schlaf! die matten Augen

ſinken,
Die guͤldnen Sterne winken
Zur ſuͤßen Ruh.
Nichts kan des Frommen Schlummer ſtoͤren,
Er wird beſchuͤtzt von ſtarker Engel Heeren;
Der Himmel deckt ihn zu.

R 3Die
[262]Muſikaliſche Gedichte.
Die Nacht.

Arie.
O Nacht! und du, o feyerliche Stille!

Jndem ich mich in eure Schatten huͤlle,

Fall ich hin in den Staub vor dem, der

mich gemacht.
Von dieſer Unterwelt Getuͤmmel
Hebt unſer Herz nichts mehr zum Hunmel
Als deine Majeſtaͤt, o Nacht!

Re-
[263]Muſikaliſche Gedichte.

Recitativ.
Sie koͤmmt! Jhr helles Sternenkleid

Fließt uͤber ihren praͤchtgen Wagen,

Begeiſtert von der Macht der dunkeln Einſamkeit,

Steht ietzt der Chriſt, durch ſie geweiht,

Und denket ſeine Sterblichkeit.

Er hoͤrt die Todtenglocke ſchlagen,

Jndem er unter Graͤbern irrt,

Und auf den Staub hinweint, der er auch werden
wird.

Doch welcher Troſt ſtralt in die bange Seele?

Umſonſt ſchreckt ihn des Grabes dunkle Hoͤhle;

Von jedem Stern ruft ihm ein Engel zu,

Daß er unſterblich iſt. Er ſchmeckt des Troſtes
Ruh;

Weit
[264]Muſikaliſche Gedichte.
Weit hinter jener Nacht ſieht er den Vorhang
ſinken,

Und Palmen, ihm beſtimmt, und Seraphim ihm
winken.

Arie.
Wie wird des Grabes Nacht entweichen,

Wenn uͤber Schrecken, Graus und Leichen,

Des Chriſten ewger Morgen glaͤnzt!

Sein Auge wird den Finſterniſſen,

Sein Geiſt der Sterblichkeit entriſſen;

Und ſeine Seligkeit iſt rein, und unbegraͤnzt.


Ende des dritten Theils.


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Notes
*)
Stuttgard 1751.

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CC-BY-4.0
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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2025). Zachariae, Justus Friedrich Wilhelm. Poetische Schriften. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bptz.0