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[[II]][[III]]
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[V]
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[[VII]]Inhalt
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[][[1]]
3 A
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A. [2]
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[14]
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[16]
[17]
3 B
[18]
[26]
[37]
[48]Der Dorfkirchhof.
[49]
3 D
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D 2
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3 E
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E 2
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3 F
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F 2
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G
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6 H
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[126]An meine Tochter
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3 I
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I 2
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3 K
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K 2
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[[151]]Edmunds Lieder.
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3 L
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3 M
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M 2
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3 N
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N 2
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3 O
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[[211]]Biankens Lieder.
[[212]][213]
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5 P
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P 2
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3 Q
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Q 2
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[[245]]Zugabe
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3 R
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R 2
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3 S
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S 2
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[[289]]
5 T
[[290]][291]Der Schwan.
[292]
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3 U
[296]
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[298]
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[figure]
[[I]]Poesieen.
[figure]
Dritter Band.
Leipzig,:
bey Heinrich Gräff,1802.
bey Heinrich Gräff,1802.
[[II]][[III]]
An die Zeitgenossen.
[[IV]]
Vereidet keiner Schule, keiner Rotte
Verkauft um schnöden Hohn und feiles Lob,
Gehorchend einzig dem gewalt'gen Gotte,
Wagt' ich zu singen, was die Brust mir hob.
Die Katarakte schoſs den Felshang nieder;
Rauh klangen, herzlich doch, des Jünglings
Lieder.
Gezündet durch das Heilige und Hohe,
Entstoben Funken der verborgnen Glut;
Das Schlechte nur, das Niedrige und Rohe
Verschmähte zürnend die geweihte Wuth.
Ich sang die Liebe meiner Rosenjugend:
Gott, die Natur, die Schönheit und
die Tugend.
[V]
Doch andre Zeiten brachten andre Lehren,
Ein neues Licht entblitzt der alten Nacht.
Man heiſst uns neue fremde Götter ehren;
Was heilig war den Vätern, wird verlacht.
Euch, meines Liedes inhaltreiche Themen,
Verhöhnen sie als wesenlose Schemen.
„Laſst einmal doch die breitgetretnen
Spuren,
„Verlockte Dichter! Thoren, die ihr seyd,
„Wiſst, nur Bedarf prosaischer Naturen
„Sind Gott, die Tugend und die Ewigkeit.
„Es schöpft aus reichern, aus den eignen
Tiefen
„Der Genius, der kühn sich selbst begriffen.
„Verschmähend, fremder Macht uns
hinzugeben,
„Frohlockend in dem heiſserrungnen Licht,
„Thun wir Verzicht auf euer ewig Leben,
„Auf eure Tugend, euren Gott Verzicht.
„Uns, die wir gar in eignen Feuern glühen,
„Rauscht der Krystallstrom ächter Poesieen.“
[VI]
So schallen rechts und links der Meister
Sprüche.
Der Jünger Echo hallt sie wiehernd nach,
Und mühsam windet sich durch Moor und
Brüche
Der Dichtung dunkler schlammgetrübter
Bach,
Der über Goldsand sonst, von Cynoglossen
Umduftet, ätherklar dahingeflossen.
Zum neuen Glauben, zu den neuen
Zungen
Mich zu bekehren, bleibe fern von mir!
Was ich gesungen hab, hab' ich gesungen.
Wir haben auch den Geist des Herrn, auch
wir!
Seyd ewig dann, ihr Genien meiner Jugend,
Mein hohes Lied: Gottheit, Natur und
Tugend!
Inhalt
des Dritten Bandes.
Siebentes Buch.
- Seite
- An die Lyra 3
- Hymne an das Eisen 7
- Aristoteles Hymne an die Tugend 16
- Congreve's Hymne an die Harmonie 18
- Drydens Alexanderfest 26
- Gray's Barde 37
- Der Dorfkirchhof 48
- Das nuſsbraune Mädchen 54
- Die Königskinder 70
- Königinn Anne 75
- Die Gefangenen 81
- Eleonora und Gutta 84
- Seite
- Er und Sie 88
- Admiral Hosier's Geist 93
- Odin's Höllenfahrt 98
- Klage um Hoël 103
- Das Sehnen 105
- Die Ahnung 108
- Sunium 111
- Die Blumenchiffre 115
- Elegie 118
- An Allwina 126
- Erinnerungen 132
- Agathon an Thelxione 138
- Atlantis 143
- Das neue Jahrhundert 147
- Endymion 149
- Narcissus 150
Edmunds Lieder.
Erster Anhang.
- Apologie 153
- Wohin? Wohin? 156
- Öd und leer 160
- Das Lenzgefühl 163
- Ihre Flur 165
- Die Mondnacht 168
- Idens Nachtgesang 170
- Edmunds Nachtgesang 172
- Seite
- Der transparente Mondschein 176
- Gruſs in die Ferne 180
- Ihre Blumen 183
- Seine Blumen 186
- Die Zweifel 189
- Die Nacht der Liebe 193
- An die Nacht 196
- Das Andenken 198
- Das Abendroth 201
- Die Sterne 204
- Epicedion 208
Biankens Lieder.
Zweyter Anhang.
- Der Abschied 213
- Strada della Luce, Strada della Croce 215
- Candore et Odore 217
- Die Blumenchiffre 219
- Die Errettung 221
- Die Ekstase 223
- Müd' und matt 225
- An den Schatten des Numan 227
- Das Lebewohl 231
- Lobgesang 234
- O Liebe 237
- Himmelan 239
- Am Ziele! 242
[X]
Zugabe
älterer gänzlich oder gröſstentheils umgearbeiteter Gedichte.
- Seite
- Die Unsterblichkeit 247
- Der Nachtsturm 255
- Elegie 258
- Elegie 263
- Elegie 267
- Abschied von Ida 271
- Die Erscheinung 278
- Das Andenken 281
- Das Ermannen 284
Epilog.
- Der Schwan. Ein Gesicht. 291
[]
Druck- und Schreibfehler.
Dritter Band.
Seite 3. Zeile 7. das Schöne lies das Höchste.
- 14. - 14. aufthat l. aufthut.
- 26. - 11. der Tugend l. der Jugend.
- 54. - 8. Treue l. Treu.
- 65. - 5. Gemeint mich und geminnt l. geminnt
mich und gemeint.
- 104. - 15. nur l. nun.
[]
Siebentes Buch.
3 A
[[2]][[3]]
An die Lyra.
Güldne Lyra, dir gebühret,
Dir, der Ersten, Preis und Ruhm.
Ward ich je von fern geführet
Zu der Schönheit Heiligthum;
Merkt' ich auf der Göttinn Lehre,
Brannt' ich für das Schöne — dein
Sey das Lob und dein die Ehre,
Liedertönend Elfenbein!
A. [2]
[4]
Zwang ich Tyche dir zu dienen,
Brach mir Bahn durch Bruch und Schluft;
Seh' am Belt ein Tempe grünen,
Athm' auf Rugien Joniens Luft;
Zaubr' ich mir aus Eis und Schlossen
Einen Frühling blüthenweiſs,
Lehr aus Urnen Rosen sprossen —
Lyra, dir gebührt der Preis!
Schwing' ich mit der Ahnung Schwingen
Aus dem Eitlen mich empor,
Hör' entzückt die Sphären singen
Mit des Geistes leiserm Ohr,
Schwellt der Götter ew'ge Jugend
Meine Adern, lächelt mir
Mit Hetärenreiz die Tugend —
Güldne Lyra, Dank sey dir!
Wie du einst, o güldne Leyer,
Thraciens Gewürm bezwangst,
Über Hellas Ebentheuer
Glorreich manchen Sieg errangst;
Also auch des Wahns Chimären,
Auch die Sphynx der Leidenschaft
Hilfst du siegreich mir beschwören
Durch des Liedes Zauberkraft.
[5]
Wie du einst den frommen Dichter
Rettetest aus herber Noth
Von dem Schwert der Bösewichter,
Aus der Fluthen nassem Tod;
Also hast du oft den Zagen
Aller Angst und Qual entrückt,
Hast auf der Begeist'rung Wagen
Zum Olympus ihn entzückt.
Wie gehorsam deinen Lauten,
Still befolgend dein Gebot,
Ilions Mauern leicht sich bauten
Sonder Richtscheid, Schnur und Loth;
Also lehrst die wilden Triebe
Ordnung du und Symmetrie,
Lockst' hervor aus Zorn und Liebe
Ebenmaaſs und Harmonie.
Wie vom Gott und dir begeistert
Jason kühn das Salz durchschnitt;
Drach und Lindwurm übermeistert,
Und das güldne Vlieſs erstritt;
So laſs auch von günst'gen Winden
Meiner Argos Segel blähn,
Mich der Wahrheit Colchis finden,
Und der Schönheit Vlieſs erspähn.
[6]
Wie du Eurydicens Gatten
Ruhm verliehst im Reich' der Nacht;
Alle Larven, alle Schatten
Fühlten deines Zaubers Macht;
Charon horcht entzückt dem Tone;
Lauschend ruhte Cerberus;
Lächelnd weinte Persephone;
Selig war der Erebus —
So, o Heroldinn des Schönen,
Alles Zorns Vermittlerinn,
Wollst du einst auch mir versöhnen
Des Avernus strengen Sinn;
Daſs ich, an des Orkus Schwelle
Aller Schuld und Sorg entstrickt,
Zu den Sängern mich geselle,
Die Elysiums Ruh erquickt.
Hymne an das Eisen.
Heil dir, Mark der Natur, der gabenspendenden
Erde
Stilles Erzeugniſs, doch groſs von Kraft und herrlich
an Thaten.
Nimmer rühmt' ich das Gold, und dein, jungfräuli-
ches Silber,
Dacht' ich nimmer im Liede. Dir aber, Preis der
Metalle,
Will ich Ehre verleihn, und deine Tugenden singen.
Heil dir, ältestes Kind der Gebürg'! und ihr edel-
stes Kleinod,
Erstgeborner im Reiche der vielgestalteten Erze.
[8]
Schon in der Dinge Beginn, als die uranfänglichen
Wasser
Jegliches Stoffes trächtig die kraysende Erde noch
deckten,
Schwebtest du in dem unendlichen Meere, geselltest
dich traulich
Zu dem Gesäme des Quarz, zu des Feldspath binden-
dem Mörtel;
Schwärztest den ernsten Schörl, durchblinktest die
spielende Mica,
Härtetest, heilige Kraft, die Granitgerippe des
Erdballs.
Aber zu rasten vermochtest du nicht mit dem
Quarz und dem Spathe.
Nicht zu bändigen taugte den Trotz des Titanen der
Anden.
Noch der Sudeten Gewicht, das schwer auf die
Brust ihm gewälzt war.
Tief aufstöhnend enthobst du der Last dich; aus
dampfendem Crater
Quollst du hervor, ein Feuerstrom, gerannst zum
Basalte,
Pflastertest Riesenweg', und wölbetest Grotten des
Fingal.
Rastlos gährt' es indeſs in des Meers arbeiten-
dem Schooſse.
[9]
Niederschlugen die Lager der Erden, des Thons und
des Kalkes
Wechselnde Schichten. Wer sprengte die Mächtigen?
Welche der Kräfte
Höhlt' im gediegenen Flötz der Gäng' und Minen
und Adern
Labyrinthisch Geklüft? Du thatest es, Heros! Und
lüstern
Dich zu entwinden dem spähenden Blick helläugiger
Neugier,
Wähltest du dir zum geheimeren Sitz das verborgne
Gekämmer,
Lauschest dort in des Dunkels Schirm in mancher
Vermummung.
Bald gelüstet es dich, als Druse zu blinken. Be-
scheidner
Birgst du ein anderes Mal dich in unscheinbarer
Stuffe;
Tropfest itzt 'gar die Teufe herab ein nichtiges
Wasser,
Blühest als Blume dann, und schossest ein ästiges
Bäumchen.
Tausend sind deiner Launen und deiner Verlar-
vungen tausend.
Dennoch feſsl' ich dich, Proteus, mit mächtigem Zau-
ber des Liedes;
[10]
Dich ertapp' ich im wilden Gestein, in der bläulich-
ten Schlacke,
Dich in des Schmirgels zäherem Korn, im flüchtigen
Bleyglanz.
Freundschaft pflegst du mit jedem Genossen der wu-
chernden Sippschaft.
Willig gesellen sich dir die minder edleren
Brüder.
Aber nur ungern gehorcht dir der Sol; die züchtige
Luna
Wegert sich lang; es sträubt sich verschämt die keu-
sche Platina.
Kühner Ares, du steigst hinab in der schüchter-
nen Nais
Heimliche Grotte. Verwegen umschlingst du die Blö-
de. Bezwungen
Sinket sie dir in den brünstigen Arm. Der Umar-
mung entsprudeln
Heilende Quellen. Des Heiltranks schlürft sehnsüch-
tig der Sieche,
Fühlt sich das Herz erfrischt und gestählt die erschläf-
fende Fiber.
Heil, Dämonischer, dir [...] dir danket Tellus das
bunte
Regenbogengewand und der Farben magische
Gaukel.
[11]
Dir verdanket die glühenden Tinten die schillern-
de Steinwelt,
Dir der Saphir den Lasur, der Amethyste den
Purpur,
Dir der Smaragd sein spielendes Grün, sein Gold der
Topase,
Dir der Rubin die leuchtende Gluth, die wechseln-
den Schimmer
Danket dir der Opal, drinn des Aethers Launen sich
spiegeln.
Treflicher Künstler, wie mahlst, wie schattirst du
die Schöpfung der Pflanzen!
Dir nur danket der lachende Frühling sein duftiges
Saftgrün,
Dir den brennenden Kranz die Feuerblume. Des
Veilchens
Duftkelch glühet durch dich. Der chalcedonischen
Lychnis
Lodernde Flammen zündest du an. Der züchtigen
Rose
Leihst du den Incarnat, der Götter entzücket und
Menschen.
Glanz und Heitre verleiht dein fröhlicher Pinsel
der Thierwelt
Edleren Formen. Das Rad des Pfauen, des Schmet-
terlings Schwingen
[12]
Tauchst du in nimmer verblassende Tinten. Es dan-
ket die Taube
Dir den smaragdenen Hals, den schimmernden Fittig
das Goldhuhn.
Jedes Kügelchen färbst du des lebennährenden
Blutes,
Glühest herauf auf brauner Wange des rüstigen
Jünglings,
Hauchest die Jungfrau an mit des Frühroths leisesten
Schimmern.
Heil, Dämonischer, dir! Nicht bloſs der schaf-
fenden Mutter
Dienst du ein frommerer Sohn in ihrer geheimeren
Werkstatt.
Auch der Cultur, der Lebenverschönernden, streben-
den Fortschritt
Förderst du unverzagt, ein tausendrädriges Trieb-
werk.
Heil dir, nutzendes Erz! Aus des Schachtes täu-
schendem Dunkel
Mühsam zu Tage gefördert, zerrieben im hammern-
den Pochwerk,
Reingeschmolzen durch Ofengluth von jeglicher
Schlacke,
Wer mag zählen die Formen, die nutzenden, schmük-
kenden, blanken,
[13]
Die durch der Esse Gewalt, durch des Hammers
Schläge, der Feile
Nagenden Zahn aus dir die Hand des Fleiſses her-
vorruft.
Dein ist, friedliches Erz, die Pflugschaar, welche
die Scholle
Lockert, den strengeren Kloſs bereitet, daſs er des
Saamens
Goldenen Regen empfang', und ihn getrenlich be-
wahre.
Dein die blinkende Sense, von deren Klinge getroffen
Niederrauschet der Schwad des vollgekörneten
Weitzens.
Dein des Winzers Hippe, die leise vom blutenden
Rebstock
Löset die glühende Traube, den Quell nektarischen
Heilsafts.
Du, vom magnetischen Strom ergriffen, geleitest den
Steurer
Sicher durch Meere, die Cook nicht kannte, nicht
Magellan ahnte,
Birgt gleich der Nordstern sich, und des Wagens
strahlende Deichsel.
Dein ist, schützendes Erz, das Schwert, das das
Vaterland rettet,
Dein das donnernde Rohr, mit dessen Toden die Freyen
[14]
Niederschmettern der Feigen Volk in brüllender
Feldschlacht.
Jedes Geräth' ist dein, des wundenkundigen
Mannes
Jegliches, welches die Plagen des Siechenden mildert;
das Länzchen,
Welches die schwellende Ader erleichtert; der lüf-
tende Bohrer,
Welcher des Denkens Organ des Drucks entbürdet;
die Nadel,
Die in des Auges Tiefe den wölkenden Tropfen
hinabdrückt,
Daſs dem entflorten Stern der Weltbau strahlend
sich aufthat.
Heil dir, verschönerndes Erz, auch der Kunst,
der menschlichern, mildern,
Welche den Stoffen Gestalt verleihet und Seele dem
Todten;
Auch der Lieblichen jüngrer, wiewohl tiefsinng'rer
Schwester,
Auch der Wissenschaft dienst du, ein ewig ändern-
des Werkzeug.
Dein gehöret der Stahl, der Apollons göttliche
Schönheit,
Der Laokoons stöhnenden Schmerz aus dem Marmor
hervorruft;
[15]
Dein der Meiſsel, durch den aus rohem Blocke der
Säule
Zierlich schlanke Gestalt mit krausem Schnirkel em-
porsteigt;
Dein der Griffel, der dreist auf sprödem Kupfer
Allegri's
Weichesten Reiz nachahmt, und Guido's frischeste
Anmuth.
Dein der Verfinsterer Schrecken, die tausendzüngige
Letter,
Welche des Weisen Wort den lauschenden Völkern
verkündend,
Mächtig am Throne rüttelt des Despotism und der
Dummheit.
Heil dir, Kronions Geschenk, der Gesellschaft
förderndster Segen,
Erstes der Erze und Letztes! Vor deinen strahlen-
den Brüdern
Will ich singen dein Lob und deiner Preise gedenken!
Aristoteles Hymne an die Tugend.
Die du, o heil'ge Stärke, der Sterblichen
Mühselige Geschlechter zu Thaten spornst,
O Tugend, unsrer schwülsten Schweiſse
Köstlicher Preis und gewünschtes Kleinod.
Entbrannt in deiner Schöne, Holdselige,
Von deinem Blick begeistert, Jungfräuliche,
Trotzt Hellas Jugend jeder Arbeit,
Lacht der Gefahr, und frohlockt im Tode.
So schmeichelt nicht dem Auge des Goldes Glanz,
So mundet nicht dem Müden der süſse Schlaf,
So kos't die Annne nicht dem Säugling,
Wie du dem ewigen Geiste kosest.
[17]
Um deinetwillen stürzte Heracles sich
In endelose Mühen; es stürzten sich
Um deinetwillen Ledens Söhne
Freudigen Muthes in Noth und Arbeit.
Nach dir verlangend, wallte Patroklos Freund
Und Rächer jung noch nieder zur Schattenwelt;
Nach dir verschmachtend, zu des Ais
Düstrer Behausung der starke Ajas.
Dein werth zu werden, Brünstigumschlungene,
Verschmäht' Acharnens Zögling der Knechtschaft
Schmach,
Verschmähte selbst des süſsen Lichtes
Wonnegenuſs und des Aethers Heiltrank.
Nur dir gebührt der Hymnus. Es huldigen
Nur dir die ew'gen Töchter Mnemosynens.
Zevs Xenios ist ihres Liedes
Inhalt. Ihr Päan ist heil'ge Freundschaft.
[18]
Congreve's Hymne an die Harmonie.
I.
[19]
Wem tönt des Hymnus Feyerklang?
Wem rauscht der Lyra Hochgesang,
Gleich Nachtigallenschlag itzt schmetternd und itzt
leise?
Wen meinen unsers Päans Preise?
Dich meinen sie,
Allmächtige Harmonie.
Heil dir, dir huldigt die Natur!
Beschworen, Himmlische, von deinem Zauberschwur
Tanzt lustberauscht der Wald, hüpft lüstern rings die
Flur —
Und jene, die in nimmer müden Kreisen
Rings um das Herz des All's melodisch tönend reisen,
Wer lenkt, wer zäumt, wer bändigt sie?
[19]
Chor.
Du thust's, allmächtige Harmonie!
II.
Dein süſses Tönen, Harmonie, erscholl
Und laut aufklangen des Abyssus Schründe.
Des Lichtes nie erforschter Quell erschwoll
Die alte Nacht erschrack; tief in des Abgrunds
Schlünde
Versteckte, jeder Kraft beraubt,
Das Chaos sein geängstet Haupt.
Hervor, o Harmonie, auf dein melodisch Werde
Sprang lächelnd der Olymp, sprang thaubeperlt die
Erde.
Rings reihte sich der Sterne güldner Kranz.
In nimmer-lassen, nimmer-stummen Chören
Begannen ihren Reigentanz
Rund um den Quell des Lichts die ewig-
schönen Sphären.
Chor.
Dein hehtes Tönen, Harmonie, erscholl,
Und Nacht und Chaos floh und Lieb' und
Licht erquoll.
III.
3 B
[20]
Wer hat des Rythmus Heimlichkeiten
Dem blöden Sterblichen enthüllt?
3 B
[20]
Wer hat aus Maaſs und Zahl und Zeiten
Den Zaubertrank gemischt, der alle Schmer-
zen stillt?
Warst du es nicht, Holdselige,
Die Lätos hohen Sinn begeisterte,
Die Melpomenens Kehle regte,
Und Polyhymnien mit Muttersorgfalt pflegte?
Horch, horch, Urania singt,
Apollon's Lyra klingt.
Den süſsen Tönen lauscht das trunkne Chor der
Musen,
Entzücken schlieſst ihr Aug', und selig schwillt ihr
Busen.
Chor.
Horch, horch, Urania singt,
Apollon's Lyra klingt.
Geschloſsnen Auges lauscht um ihn der Chor der
Musen,
Und süſse Trunkenheit schwellt ihre keusche Busen.
IV.
[21]
Steig' nieder, Huldinn, Himmlische,
Und mildt' erbarmend unser brennend Weh.
Sieh, wie uns Übel tausendfach umringen,
Die Sorgen uns mit Drachenschweif um-
schlingen.
Itzt zappeln wir an banger Zweifel Schaft.
[21]
Itzt wühlt in unserm Mark der Tyger Lei-
denschaft.
Die Phantasie schwingt ihre Pfauenflügel,
Entringt der säumenden Vernunft die Zügel,
Beherrscht den Willen unbeschränkt,
Den keine Vorsicht zäumt und keine Rücksicht lenkt.
Wer zügelt den verwildernden Gedanken?
Wer wiegt das nimmersatte Herz in Ruh?
Wer mischt den Heiltrank dem Verzweif-
lungskranken?
Du thust es, Huldinn, du.
Chor.
Wer zügelt den verwildernden Gedanken?
Wer wiegt das nimmersatte Herz in Ruh?
Wer mischt den Heiltrank dem Verzweif-
lungskranken?
Du thust es, Huldinn, du!
V.
[22]
Beginnt das heil'ge Lied, geweihte Neune,
Und Lipp' und Laut' ertön' in lieblichem Vereine.
Flöſst Frieden, Eintracht, Edenslust
In jede sanftgehobne Brust.
Laſst Schwermuth den gesunknen Nacken
heben,
Der Ruhe Ahnung laſst das bange Herz
durchbeben!
[22]
Kühlt das entflammte Blut,
Entwaffnet Grimm und Wuth,
Entreiſst der Rachgier die gezuckte Waffe,
Die straffe Muskel sink', und jeder Nerv' er-
schlaffe! — —
Es ist geschehn, Getröstet schweigt der Kummer.
Es schweigt der Leidenschaft Tumult.
Von süſsen Tönen eingelullt
Sinkt aufgelöst die Welt in vielwillkommnen
Schlummer.
Chor.
Sieh es geschieht. Getröstet ruht der Kummer.
Es schweigt der Leidenschaft Tumult.
Von süſsen Tönen eingelullt
Sinkt aufgelöst die Welt in vielwillkommnen
Schlummer.
VI.
[23]
Doch ach zu schnell entschlüpft die schöne Stille.
Zu neuen Mühen rafft der Mensch, der Thor, sich
auf.
Fluchwerther Ehrgeiz, frecher Eigenwille,
Ihr rüttelt rings die Welt zu blut'gen Fehden auf.
Horch, horch, das Schlachthorn brüllt,
Zum Tode ruft die schmetternde Drommete.
Die dumpfe Trommel rollt, die helle Pfeife
schrillt.
[23]
Wo bist du hin, des Hirten Abendflöte!
Wo seyd ihr hin, des Friedens Melodieen?
Geheul zerreiſst die Luft und wilde Frenesieen.
Chor.
Wohin, wohin, friedsel'ge Melodieen?
Statt eurer gährt die Luft in wilden Frenesieen!
VII.
[24]
Sieh die verlass'ne Schöne!
Ihr Liebling zog ins Feld,
Verödet ist der Armen nun die Welt.
Mit jammerndem Gestöhne
Ruft sie des Tages ihm, durchwacht
In ungekühlter Angst die öde Mitternacht,
Umschlingt ihn träumend, sehnt mit heiſsen
Zähren
Nach Freuden sich, die, wähnt sie, nimmer
kehren.
Ach lindert ihren Harm
Mit euren weichsten Tönen,
Bis die ergrimmten Völker sich versöhnen.
Und treu und siegreich ihr in Arm
Der Liebling wiederkehrt, um nimmer sie zu
lassen,
Um ihr an treuer Brust einst liebend zu er-
blassen.
[24]
Chor.
Ach mildert ihren Harm
Mit euren weichsten Tönen,
Bis die ergrimmten Völker sich versöhnen,
Und treu und siegreich ihr in Arm
Der Liebling wiederkehrt, um nimmer sie zu lassen,
Um ihr an treuer Brust einst liebend zu erblassen.
VIII.
[25]
Genug, Urania, Himmlische!
Magst nun zurück zum Regiment der Sphären,
Zurück zur Sternenheymath kehren.
Cäcilia kommt, die Hochbegeisterte,
Cäcilia, die göttlichste der Musen,
Und zündet Himmelsglut in jedem Menschenbusen.
Melpomene reicht ihr den Preis,
Ihr Polyhymnia das Lorbeerreis,
Selbst Cynthius, der Meister hoher Lieder,
Legt Harf' und Kranz zu ihren Füssen nieder,
Der Lyra weichlicher Gesang erstummt.
Aus zehnmal tausend regen Kehlen summt,
Haucht, wehet, schwillt zum schmetternden Orkan
Der Melodieen Sturm und brauset himmelan.
Cäcilia, erhabne Meisterinn,
Nie wird der Hymnus deines Ruhms verklingen.
Für immer wird dein Lob, des Tonreichs Königinn,
Der Zungen Myrias, die du vereintest, singen.
[25]
Groſses Chor.
Willkommen, Hochbegeisterte!
Willkommen, göttlichste der Musen,
Geweihte Jungfrau, Reine, Züchtige,
Du zündest Himmelsglut in jedem Menschenbusen.
Melpomene reicht dir den Preis;
Dir Polyhymnia ihr Lorbeerreis,
Selbst Cynthius, der Meister hoher Lieder,
Legt Harf' und Kranz zu deinen Füssen nieder,
Der Lyra weichlicher Gesang erstummt.
Aus zehnmal tausend regen Kehlen summt,
Haucht, wehet, schwillt zum schmetternden Orkan
Der Melodieen Sturm, und brauset himmelan.
Cäcilia, erhabne Meisterinn,
Nie wird der Hymnus deines Ruhms verklingen.
Für immer wird dein Lob, des Tonreichs Königinn,
Der Zungen Myrias, die du vereintest, singen.
Dryden's Alexanderfest.
I.
[27]
Persia war besiegt. Den hohen Triumph zu feyern
Gab Philipp's Sohn ein königliches Mahl.
Hoch prangt' auf güldnem Stuhl
In hehrer Majestät
Der göttergleiche Held;
Rings um ihn seines Reiches Groſse,
Mit Myrthen die Stirne bekränzt, die Scheitel um-
schattet mit Rosen.
(Also geziemt es den Siegern nach blutiger Müh.)
Neben ihm lehnt' in der Blume der Tugend,
Im Glanze der Schönheit die freundliche
Thais,
Mit des Aufgangs köstlichsten Steinen ge-
schmückt —
[27]
Preiset die Herrlichen, Heldensöhne.
Ares und Küpris umarmen sich hier.
Tapfrer, nur dir
Tapfrer, nur dir
Tapferer, dir nur gebühret das Schöne
Chor.
Preiset die Herrlichen, Heldensöhne.
Küpris und Ares umarmen sich hier.
Tapfrer, nur dir,
Tapfrer, nur dir,
Tapferer, dir nur gebühret das Schöne.
II.
[28]
Timotheus, der vielberühmte Meister,
Saſs hoch auf klingender Bühne,
Rührte mit flüchtigem Finger die Leyer;
Himmelan schwellten die schwellenden Töne
Der Hörer trunkene Seelen.
Er sang, wie Vater Zevs
Die seligen Sitze verlieſs
(Dir, mächtige Lieb', erliegend).
Ein flammender Drache fuhr er herab,
Auf schlängelndem Blitze schoſs er daher
Zu Philipps schöner Gattinn,
Zur jungen Olympia.
Umschnäbelnd ihre Schneebrust,
Den Marmelleib umringelnd,
[28]
Vertraut' er sein Ebenbild ihr, des Erdballs künftigen
Herrn —
Er sang's. Dem hohen Liede
Lauschten die Zecher bewundernd.
Heil dem erscheinenden Gott! scholls auf aus den
Kreisen der Zecher.
Heil dem erscheinenden Gott! scholl's wieder vom
dröhnenden Dome.
Entzückten Ohrs
Vernahms der Held,
Und wähnte sich Gott,
Und nickt ein Gott
Und meint: es bebten die Sphären.
Chor.
Entzückten Ohrs
Vernimmt's der Held
Und wähnt sich Gott,
Und nickt ein Gott
Und meint: es beben die Sphären.
III.
[29]
Nun sang der holde Sänger Bachus Preise,
Des Ewigjungen und des Ewigschönen;
„Er kömmt, er kömmt, der fröhliche Gott,
„Dem Ernst ein Hohn, dem Gram ein Spott.
„Schmettere, muntre Drommete!
„Er kömmt und purpurne Röthe
[29]
„Verklärt sein blühend Gesicht,
„Die Augen unsterbliches Licht.
„Lasset das luftige Hifthorn hallen,
„Laſst wirbeln die Pauke, Schallmeyen erschallen.
„Er kommt holdselig und froh
„Io Io Io!
„Bachus jung und schön und froh
„Preſste Trauben, mischte Wein,
„Führte des Zechens Freuden ein,
„Bachus spendet süſse Weide,
„Zechen ist des Kriegers Freude.
„Süſs die Weide,
„Reich die Freude,
„Süſs ist Freude nach der Pein.“
Chor.
„Bachus spendet süſse Weide,
„Zechen ist des Kriegers Freude.
„Reich die Freude,
„Süſs die Weide;
„Müden mundet baſs der Wein.“
IV.
[30]
[31]
[35]
Des Lobes froh erschwillt des Königs Herz.
Noch einmal ficht er alle seine Schlachten über.
Dreymal noch schlägt er den Feind; dreymal noch
fallen die Schaaren.
Des steigenden Wahnsinns gewahret der Meister,
[30]
Gewahret der glühenden Wangen,
Gewahret des funkelnden Auges,
Sieht Fehde ihn der Erd und selbst dem Him-
mel bieten.
Er wandelt schnell die Weise
Und hemmt des Jünglings Stolz,
Er schmelzt mit Trauerlauten
In süſses Leid das Herz.
„Darius, singt er, groſs und gut,
„Verfolgt von Heimarmenens Wuth,
„Darius ist gefallen!
„Gefallen! gefallen! gefallen!
„Vom höchsten Punkt des Erdenglücks
„Ist er im Huy des Augenblicks
„In Schmach und Noth gefallen!
„Es liegt der König groſs und gut
„Und wälzet sich in seinem Blut,
„Verlassen ach von allen;
„Verlassen selbst vom treusten Freund,
„Den er am redlichsten gemeint,
„Liegt er auf nackter Erde bloſs.
„Ist keiner, der auf liebem Schooſs
„Das Haupt ihm stützet, keiner?
„Ist keiner, der das Aug' ihm schlieſst?
„Ein' arme Thrän' um ihn vergieſst?
„Ach keiner! auch nicht Einer!“
Gesunknen Blickes saſs der schnellerweichte Sieger,
Den ringsumwölkten Geist durchzuckten Ernstgedanken.
[31]
Er sah das Rad des Schicksals
Sich nimmerrastend drehn;
Ein tiefes Ach entfuhr ihm,
Und eine Thräne quoll.
Chor
Wohl mag die Thräne quellen,
Dein Geist sich wölken, Held!
Denn nimmerrastend rollet
Des Schicksals kreisend Rad.
V.
[32]
Der mächt'ge Meister lächelte.
Die Liebe, sah er, traf zunächst die Reihe.
Den nächst verwandten Ton nur durft' er rühren,
Denn Mitleid stimmt das Herz zur Liebe.
Lockend, flötend, girrend
Gleich der Nachtigall Schmettern
Scholl das Lydische Lied.
„Krieg ist Tollheit, Fechten Rasen;
„Ehr' und Ruhm sind Wasserblasen.
„Stets beginnend, nimmerendend,
„Stets zerstörend, nie vollendend,
„Dünkt die Welt dich werth des Krie-
gens,
„Werth des Kämpfens, werth des Sie-
gens?
[32]
„O vergiſs nicht des Genusses,
„Nicht des Bechers, nicht des Kusses.
„Thais thront dir lächelnd zur Seiten,
„Geneuſs was dir die Götter bereiten!“
Stürmendes Beyfallgeschrey scholl rings im Kreise der
Zecher.
Nicht länger mächtig seiner Schmerzen blickte
Der Heros die Heroinn an,
Die süſse Feindinn seiner Ruhe.
Er blickt' und seufzt', und seufzt' und
blickte,
Und blickt' und seufzt' und blickte wieder.
Übermannet zuletzt von Wein und sehnender Liebe
Sank der besiegte Sieger ihr an die schwellende
Brust.
Chor
Sieh, sieh, er blickt und seufzt und blickt,
Und blickt und seufzt und blicket wieder.
Überwältiget schon von Wein und von sehnender
Liebe
Sinkt der besiegte Sieger ihr an das schlagende
Herz.
VI.
[33]
3 C
[34]
„Mächtiger greift in der Lyra Gold!
„Horch, wie es braust, wie es zürnt, wie
es grollt!
[33]
„Weckt mir ihn auf wie mit Schlacht-
gerassel,
„Rüttelt mir ihn auf wie mit Donner
geprassel! —
„Erwache, Schläfer, erwache!
„Horch, horch, es gellt ihm ins Ohr.
„Er hebt das Haupt empor,
„Wie aus dem Grab' erwacht,
„Starrt er hinein in die Nacht.
„Rache, König, Rache!
„Siehst du im bläulichten Licht
„Die grinzenden Furien nicht?
„Hörst ihre Schlangen nicht zischen,
„Die schweflichten Blitze nicht gischen,
„Die den rollenden Augen entsprühn?
„Auf, König, stark und kühn!
„Rette der Schuldlosen Sache!
„Rache, König, Rache! —
„Siehst du die nichtige Schaar
„Mit lodernden Fackeln in Händen!
„Sie raufen das straubigte Haar,
„Sie ringen die Hände. Sie wenden
„Sich seitwärts. Siehe, sie weinen,
„Es sind die Geister der Deinen,
„Es sind der Griechen Schatten.
„Sie fielen auf Mediens Matten,
„Sie liegen unbegraben,
„Ihr Fleisch verspeisen Raben.
3 C
[34]
„Die Luft bleicht ihre Knochen,
„Noch liegen sie ungerochen.
„Räche der Tapferen Sache —
„Rache, König, Rache!
„Siehe, sie schwingen die Fackeln, die
Rächer,
„Zielen auf der Könige strahlende
Dächer,
„Winken auf die Tempel der feindlichen
Götter,
„Sie treffe der Rache versöhnendes Wet-
ten.“ —
Wüthendes Beyfallgeschrey durchtobte die gährenden
Lüfte.
Zerstöhrunglüstern sprang der König auf.
Er griff zur knisternden Fackel,
Zur Fackel die Trunkenen alle.
Thais stürmte voran,
Mit lodernder Fackel voran.
Der zweyten Helena sank das zweyte Troja in Asche.
Chor
Wohin, Wuthtrunkner, wohin?
Sieh, sieh, er greift zur Fackel.
Die Rasenden greifen zur Fackel.
Thais stürm't voran,
Mit lodernder Fackel voran.
Dir, zweyte Helena, sinkt das zweyte Troja in Asche.
[35]
VII.
C 2
[36]
So wuſste schon in grauer Vorwelt Tagen,
Als luftgeschwellte Bälge noch nicht
hauchten
Und noch der Orgel Kehlen alle schliefen,
Der Saitenkundige Timotheus
Die Seele mächtig zu beherrschen,
In süſse Wehmuth itzt sie einzugirren
Mit leiser Flöten sanftem Klageton,
Zu Raserey sie dann emporzustürmen
Mit jedem Dämon, den die Lyra bannt.
Doch itzt erschien Cäcilia,
Cäcilia, die Gottbegeisterte,
Erfand den Pallast heil'ger Harmonieen,
Erweiterte mit eingepflanzter Weisheit
Und hoher Kunst des Tonreichs enge
Gränzen,
Verlängerte die vollen Feyertöne,
Lieſs einzeln itzt des Prachtbau's Kehlen
gurgeln,
Lieſs tausendstimmig nun den heilgen Päan
brausen.
Reiche, Timotheus, dann der heiligen Jungfrau die
Palme,
Oder ihr Kämpfenden theilt beyde den ehren-
den Kranz.
C 2
[36]
Einen Sterblichen hob des Griechen Lyra zum
Himmel.
Selige Geister herab ziehet Cäciliens Lied.
Chor
Reiche, Helene, besiegt der heiligen Jungfrau die
Palme,
Oder ihr Kämpfenden theilt beyde den ehrenden
Kranz.
Einen Sterblichen hob Timotheus Lyra zum Himmel.
Himmlische Geister herab ziehet Cäciliens Lied.
Gray's Barde.
I. 1.
[38]
„Verdirb, verruchter Fürst!
„Verderben treffe deine frechen Rotten!
„Birst, langmuthmüde Erde, birst!
„Nicht dulde Frevler mehr, die aller Duldung
spotten.
„Fürst, deine grasse That soll keine Buſse sühnen!
„Keim Helm, kein Harnisch, keine Eisenschienen,
„Selbst nicht die eh'rne Schaar, die um dein Bette
wacht,
„Soll retten dich vom Graun der kalten Mitternacht.
„Dich sollen Cambriens Flüch' aus tiefem Schlum-
mer schütteln.
„Dich Cambriens Wehgeheul aus grausem Traum
aufrütteln.
[38]
„Sieh, um dein Lager wankt der Schatten bleiche
Schaar.
„Entsetzen eis't dein Blut und Grausen sträubt dein
Haar.“ —
So scholl's, als Edward's Heer des Snowdon schroffen
Nacken
Sich mühsam niederwand vom steilsten Felsenzacken.
Ein Donner scholl's herab. Von kaltem Graun er-
faſst
Vernimmt den strengen Fluch der König und erblaſst.
Der kecke Gloster fühlt der Sehnen Kraft erschlaffen.
Den Speer schwingt Mortimer, und ruft: Zun Waf-
fen! Zun Waffen!
I. 2.
[39]
Hoch auf der Klippe, deren stolze Braue
Ernst niederschaut auf Conway's hohlen Strand,
Stand Leofric, der Hagre, Grause, Graue.
In langen Falten floſs um ihn sein Schneegewand.
Es flog im Sturm, nach Meteorenart,
Sein straubicht Haar, sein wildverwachsner Bart.
Mit Meisterhand und mit Prophetenfeuer
Regt er den tiefsten Gram der scherzentwöhnten
Leyer.
„Horch, horch, wie nieder in des Waldstroms
Schluft
„Die Rieseneiche stöhnt, mit ihr die Uferkluft.
[39]
„Dich faſst sie, König, mit Gigantengrimme,
„Dir rauscht sie Rache zu mit dumpfer heis'rer
Stimme.
„— Melodisch nimmer — ach! seit Cambrien's jüng-
stem Tage
„Verstummt Llewellyn's Lied, und Hoel's holde
Klage.“
I. 3.
[40]
„Kalt ist Cadwallo's Lippe,
„Die sonst des Sturmwinds Wuth beschwor.
„Gemäht ist Urrin von der Feldschlacht Hippe.
„Nie sieht mein Auge, nie vernimmt mein Ohr
„Dich, Modred, dessen magischer Gesang
„Den stolzen Plinlimmon sein Haupt zu neigen
zwang.
„Bleich, eiskalt, halbverscharrt im blut'gen Ufersande,
„Fault ihr an Arvon's leichenvollem Strande.
„Es dunkelt schon die Luft der Raben gier'ge Schaar.
„Raublüsternd scheust herab vom Felsenhorst der
Aar —
„O Dichter, Freunde, köstliche Gefährten,
„Mir, wie das Lüftchen süſs, das meine Schläfe
kühlt,
„Mir, wie die Strahlen lieb, die einst mein Auge
klärten,
„Die ihr für's Vaterland und mit ihm kämpfend
fielt —
[40]
„Sprecht, schlaft ihr itzt?
„Nein, nein, ihr sitzt
„Auf jenen Hügeln, leert den Honigbecher.
„Ihr sitzt und singt
„Und plötzlich springt
„Ihr auf, des Vaterlandes Rächer.
„So helft dem Sänger denn sein kühnes Ziel er-
streben,
„Ein schwarz Verhängniſs helft mit blut'ger Hand
ihm weben.“
II. 1.
[41]
„„Schieſst den Einschlag durch das
Fach!
„„Laſst das Webschiff lustig fliegen!
„„Lustig, lustig, Schlag auf Schlag!
„„Laſst sich's fein und zierlich fü-
gen!
„„Webt ein stattlich Leichentuch,
„„Webt es lang und breit genug,
„„Daſs es fasse Edward's Kinder,
„„Seiner Kinder Kindeskinder,
„„Ihre Tugend, ihre Tücke,
„„Und ihr ganzes Miſsgeschicke;
„„Wirkt hinein das Jahr, die Nacht,
„„Wo Mordgeschrey durch Berkley's Bogen kracht,
„„Wo um den Severn Todesröcheln weht —
„„Ein König ist's, der um sein Leben fleht!
[41]
„„Heil Frankreich's Wölfinn dir, Heil dir, der
Nimmersatten,
„„Die kalt das Herzblut schlürft des hingewürgten
Gatten.
„„Aus deinem Schooſs' entspringt, der seinen Ty-
gerzahn
„„Ins Herz der Mutter haut. Sieh, sieh den Furcht-
har'n nah'n.
„„Furcht, Flucht, Entsetzen fliegt vor seinen Rot-
ten her,
„„Und hinter ihm bleibt rings dein Frankreich öd'
und leer.““
II. 2.
[42]
„„Mächtiger Fürst, der Helden Held;
„„Da liegst du nun vom stärkern Tod gefällt.
„„Kein Busen klopft, es rinnet keine Zähre
„„Zu deines nie besuchten Grabmaals Ehre.
„„Wo ist der schwarze Krieger? Wo dein Sohn?
„„Dein Sohn ist hin! der nimmer floh geflohn,
„„Schläft mit den Schlafenden und schweigt mit
den Verstummten.
„„Die Schwärme, die noch jüngst in seinen Strahlen
summten,
„„Umgaukeln schon den neugebornen Tag.
„„Holdlächelnd blüht er auf, im Jubel wird er
wach.
[42]
„„Sieh, wie gefacht von lindem Zephyrflügel
„„Die güldne Gondel stolz des Meeres Lasurspiegel
„„Hinuntergleitet! Horch, wie jauchzt die trunkne
Schaar!
„„Wie, wird denn keiner des Orkans gewahr,
„„Der unglückdrohend schon am fernsten West
aufschauert,
„„Und auf den Abendraub in stiller Tücke
lauert?““
II. 3.
[43]
„„Schmücket zum festlichen Schmause den
Saal!
„„Füllet den Becher! bereitet das Mahl!
„„Die Krone nahmen sie dir. — So schmause denn,
Richard, schmause!
„„Wer seyd ihr Furchtgestalten? Grause
„„Gerippe, die der Tafel grinzend nahn,
„„Mit berstender Lippe du? — Du mit entfleisch-
tem Zahn?
„„Sieh! sieh! sie spotten des Gastes mit schaden-
froher Lache!
„„Rache! Schicksal! Rache! —
„„Sie säumet nicht. In lichte Flamme facht
„„Die Zwietracht Albion's Volk. Rings brüllt
die Bürgerschlacht.
„„Sie säumet nicht! Das Mark verwandter
Schaaren
[43]
„„Düngt Englands Blumenflur in hundert Jam-
merjahren.
„„Ihr Thürme Cäsar's, London's lange
Schmach,
„„Ihr Mauren, drinn so oft die Unschuld trau-
rend lag,
„„Ihr, die ihr mitbewuſst so manche Schand-
that decktet,
„„Zu feigem Meuchelmord so oft den Schläfer
wecktet,
„„Ehrt seines Vaters Ruhm, der Gattinn Hel-
denmuth
„„Und spart des frommen Kronenräubers
Blut —
„„Ach nein! ach weh!
„„Im blut'gen Schnee
„„Der Zwillingsrosen trauren England's Matten.
„„Es watet schwer
„„Der borst'ge Bär
„„Im Blut der Kinder unter Dornenschatten.
„„Gebt Flügel, Brüder, nun, gebt eurer Spuhle
Flügel.
„„Auf unsre Rache drückt und Edward's Qual
das Siegel!““
III. 1.
[44]
[45]
„„Edward, Edward, schau hinter-
wärts! —
[44]
„„Es fliegen die Spuhlen. Das Garn ist ver-
sponnen. —
„„Schon rollt sich zum Sprunge die
Natter Schmerz. —
„„Die Spuhlen sind ledig, die Fäden verron-
nen. —
„„Edward, wir opfern dein halbes
Herz! —
„„Das Werk ist vollendet! das Ziel ist ge-
wonnen!““
„Ach säumet, säumt noch! — Wie? verachtend,
spottend, schnöde,
„Wollt ihr mich lassen, mich? in dieser Jammer-
öde? — —
„Sieh, sieh im fernen West die Straſse voller
Glanz!
„Sie schmelzen, schwinden hin im luft'gen Wol-
kentanz!
„Schau Snowdon's Gipfel glühn in rosenrothem
Lichte!
„Wer seyd ihr glorievolle blendende Gesichte?
„Ach, schont des Blöden, schont! ach nicht zu rasch,
zu wild
„Umstürmt mich, Zeiten, die der Zukunft Schooſs
noch hüllt —
„Heil, Heil, um Arthur flieſst nicht mehr der Sehn-
sucht Thräne!
[45]
„Heil euch Gesalbte, Heil! Britannien's ächte
Söhne!“
III. 2.
„Umringt von mächtigen Baronen,
„Von ehrfurchtswürdigen Matronen,
„Von Räthen, deren Bart zum Gürtel niederwallt,
„Thront ihr in Herrlichkeit! — Doch diese Huld-
gestalt,
„Wer ist sie? diese Göttergleiche,
„Die Reiz mit Würde paart, des Mädchenherzens
Weiche
„Mit Löwenmuth! mit jungfräulicher Schaam
„Die Majestät, die ihr von ihren Ahnherrn kam!
„Rings um sie tönen, horch! in sel'gen Sympho-
nieen
„Die Geister des Gesang's, des Liedes Melodieen.
„Es tönt, es klingt hinab in Taliessin's Kluft:
„Erwach, Gesangesfreund, erwach aus stiller Gruft.
„Schau! die Begeist'rung hebt die Regenbogen-
schwingen,
„Ihr Falkenauge blitzt und ihre Flügel klingen.“
III. 3.
[46]
[47]
„Noch einmal singt die goldne Leyer
„Den grimmen Krieg, der Liebe süſse Qual.
[46]
„Die Wahrheit lächelt durch der Dichtung
Schleyer,
„Wie durch ein Thaugewölk der Sonne Flam-
menstrahl.
„Mit kaltem Graun, mit leisem Schmerz,
„Mit süſsem Gram, der sich zu trösten zau-
dert,
„Mit starrer athemloser Angst durchschaudert
„Des Avoniden Lied das Herz.
„Horch, es schwimmen
„Cherubstimmen
„Aus Edens Blüthenschatten säuselnd her.
„Fernhin schwirrend,
„Leiser girrend
„Verliert der Töne Fluth sich in der Zukunft
Meer — —
„Verruchter, wähntest du des Tages Strahlen-
quelle
„Durch deinen Drachenhauch auf ewig ausge-
löscht?
„Sie, die ihr leuchtend Haupt itzt in den Fluthen
wäscht,
„Hebt morgen es empor in glorievoller Helle.
„Triumph! Triumph!
„Dein Pfeil ist stumpf.
„Tyrann! Geschliffen sind der Rache Waffen.
„Verzweiflung dir!
„Und Ruhe mir!
[47]
„Zeuch deines Wegs! Ich sehne mich zu schla-
fen — — —
Er sprach's. Er sprang hinab vom schroffen Fel-
senrande,
Und weit aufbraust die Fluth, und dumpf auf dröhnt's
vom Strande.
Der Dorfkirchhof.
Elegie.
Zu Grabe sinkt der abgeschiedne Tag,
Die Heerden wanken blökend übers Feld.
Der müde Pflüger sucht sein friedlich Dach,
Und räumt der Dunkelheit und mir die Welt.
Die Landschaft dämmert in dem Abendduft,
Rings waltet Stille, die die Brust beklemmt.
Nur summst der Käfer brausend durch die Luft.
Nur pfeift der Junge, der die Pferde schwemmt.
Nur heult die Eul' im alternden Gestein
Und klagt ihr Leid dem mitbewuſsten Mond,
Wenn etwa Frevler den Bezirk entweihn,
Den seit Jahrhunderten ihr Volk bewohnt.
[49]
Hier, wo die Ulme mit dem Tax sich paart,
Wo grünbewachsen Sod' an Sode ragt,
Hier ruhn des Dorfes Ahnen wohlverwahrt,
Und keinem ward sein enges Haus versagt.
Der würzereichen Frühe frisches Kühl,
Der Schwalbe Zwitschern, die den Gatten weckt,
Des Hiefhorns Schall, des Tages froh Gewühl
Weckt nicht die Schläfer, die der Rasen deckt.
Es flammt nicht mehr der traute Heerd für sie.
Kein kosend Weib scheucht ihren Überdruſs,
Kein schmeichelnd Kind erklimmt ihr schaukelnd Knie,
Und bettelt um ein Mährchen, einen Kuſs.
Wie oft zerbröckelt' ihres Pfluges Rad
Den strengen Kloſs, der von der Dürre borst.
Von ihrer Sichel sank das güldne Schwad,
Den Streichen ihrer Axt erlag der Forst.
Nicht spotte, Stolzer, ihr bescheidnes Loos,
Ihr stilles Treiben, ihr geräuschlos Thun,
Ihr friedlich Leben, das so klar verfloſs.
Laſs unverhöhnt die Arbeitmüden ruhn.
Auch deiner harrt der ernste Augenblick,
Der, was die Schönheit, was die Macht dir gab,
Dein glänzend Elend, dein erträumtes Glück
Mit sich hinabreiſst in das düstre Grab.
3 D
[50]
Nicht tadle diese, wenn der Zeitenstrom
Sie namenlos und unberühmt verschlingt,
Wenn durch den Kreuzgang, den gewölbten Dom
Kein Mausoläum ihre Thaten singt.
Ruft wohl die Urne, bannt der Sarkophag
Den Hochgepriesnen aus der Nacht hervor?
Drommetet wohl der Ruhm den Schläfer wach?
Rührt wohl die Schmeicheley des Tauben Ohr?
Gewiſs verwest in dieser Mauren Ring
Manch edles Herz, das hohen Ahnens voll
Am Busen der Natur süſstrunken hing,
Und von den Fluthen der Begeistrung schwoll.
Doch nie entfaltet ihm die Wissenschaft
Ihr Buch, bereichert mit dem Raub der Zeit.
Früh knickte Mangel seines Geistes Kraft,
Den Strom des Genius eiste Dürftigkeit.
Wie mancher theure Edelstein versprüht
Den Glanz in Tiefen, die kein Loth ermiſst!
Wie manche Blum' erröthet und verblüht
In öden Schrunden, die kein Lichtstrahl küſst!
Wie mancher Hampden, welcher unverzagt
Den Dränger seines Dorfs zu Boden schlug,
Wie mancher Milton, der kein Lied gewagt,
Wie mancher Cromwell, nie verfolgt vom Fluch,
[51]
Mag hier vermodern! Ihr Geschick verbot
Mit Rednerkraft zu herrschen im Senat,
Zu trotzen drauſsen und daheim dem Tod,
Sich zu verew'gen durch Gesang und That.
Sie kränkte nie verrathner Liebe Gram,
Sie quälte nie zu früh entlarvter Trug;
Nie bog den Nacken ihnen Schuld und Schaam,
Nie scheuten sie des innern Richters Spruch.
Nie schüttelte sie der Begierde Sturm.
Sie wateten durch Blut zu keinem Thron,
Zertraten nicht den Menschen wie den Wurm,
Und sprachen frech dem Heiligsten nicht Hohn.
Fern von der tollen Menge Neid und Groll,
Schwang ihr bescheidner Wunsch sich nie zu hoch,
Verglitt ihr Leben schlichter Freuden voll,
Im Schooſs des Thals, das sie gebar und zog.
Jedoch auch ihr zerfallendes Gebein
Schützt ein gebrechlich Maal vor frevelm Hohn.
Der rauhe Reim, der rohgeschnitzte Stein
Erfleht für sie des Seufzers armen Lohn.
Vernimm, wer einst die morsche Bürde trug,
Vernimm die Jahre, die ihm Gott beschert!
Vernimm den mühsam buchstabirten Spruch,
Der fromm und ernst den Wandrer sterben lehrt.
D 2
[52]
Denn wer des ängstlichen Vergessens Raub
Entsagt wohl je des Daseyns bangem Glück,
Steigt wohl hinunter in den kalten Staub,
Und wirft nicht zaudernd einen Blick zurück?
Umsinkend lehnen wir an Freundesbrust,
Erblindend tappen wir nach Freundeshand.
Auch in der Urne glüht noch Lebenslust,
Fort in der Asche glimmt der Hoffnung Brand — —
Und du, der hier in schlichtem Liede preist,
Was sonst zu preisen nie das Lied gewagt,
Vielleicht, wenn einst ein dir verwandter Geist
Hieher verirrend sehnend nach dir fragt,
Daſs dann der grauen Hüttner einer spricht:
„Wir sahn ihn öfter in der Dämmrung Graun
„Den Berg erklimmen, der das Echo bricht,
„Und stieren Augs der Sonn' entgegen schaun.
„Dort unterm Buchbaum, an des Bächleins Rand,
„Wo Schatten winkt und grüne kühle Ruh,
„Warf er sich hin im schwülen Mittagsbrand
„Und sah des Bächleins Rieseln sinnig zu.
„Oft irrt' er murmelnd längst des Haynes Saum,
„Bleich wie die Liebe, wie der Gram gebückt.
„Itzt fuhr er auf, wie aus dem tiefsten Traum,
„Itzt starrt' er hin, als wär' sein Geist verzückt.
[53]
„Ein's Morgens misst' ich auf dem Hügel ihn,
„Ihn auf der Hayd',ihn unterm Buchendach.
„Der zweyte Morgen dämmert'; er erschien
„Nicht auf dem Berg, im Busch nicht, nicht am Bach.
„Am dritten trugen sie mit Sang und Klang
„Den Kirchweg ihn daher durchs hohe Korn
„Du kannst ja lesen — lies dann den Gesang
„Auf jenem Stein mir unterm Hagedorn.“
Die Grabschrift.
Dem Glücke nicht, und nicht dem Ruhm bekannt,
Schläft hier ein Jüngling in dem stillen Staub.
Sein Herz hat für die Weisheit früh gebrannt,
Doch frühe ward sein Geist der Schwermuth Raub.
Fromm war sein Sinn, und harmlos sein Gemüth,
Und süſs das Loos, das ihm der Himmel gab.
Er gab dem Himmel, was er hatt', ein Lied!
Ihm gab der Himmel, was er wünscht, ein Grab!
Nicht ferner decke seine Tugend auf,
Nicht seine Schwächen, nicht sein trübes Loos.
Bangharrend ruht er nach durchmeſsnem Lauf
In seines Gottes, seines Vaters Schooſs.
Das nuſsbraune Mädchen.
Er.
Falsch oder wahr . . . So viel ist klar,
Daſs alle Welt itzt spricht:
Aprillendunst, Sey Frauengunst
Und wandelnd Mondenlicht!
Wirb treu und wahr, Wirb Tag und Jahr
Um ihre Huld und Treu.
Wohl kos't ihr Mund: Des Herzens Grund
Ist dennoch nicht dabey.
Ein Schön'rer traun! Ist kaum zu schaun,
Spricht kaum sie freundlich an —
Hin bist du, hin Aus ihrem Sinn,
Bist ein gebannter Mann!
[55]
Sie.
Wohl ist es klar Und leider wahr,
Daſs man itzt schreibt und spricht:
Aprillendunst Sey Frauengunst,
Und wandelnd Mondenlicht.
Doch wird nach Brauch der Männer auch
Uns vieles nachgesagt,
Ohn' allen Grund Mit falschem Mund —
Gleich der nuſsbraunen Magd,
Die streng und hart Geprüfet ward;
Sie aber klar und rein
Wie lautres Gold Blieb treu und hold
Dem Liebsten ganz allein.
Er.
So laſs uns dann So Magd als Mann
Abhören Reih' um Reih',
Laſs uns das Leid der zarten Maid
Erwägen ganz getreu.
Ich bin der Mann Ich fange an,
Danächst antworte du.
Und Freunde ihr, Die ihr allhier
Zugegen seyd, hört zu —
Ich komm' bey Nacht So leis' und sacht
Als ich nur immer kann.
Ich sprech: o weh! Mein Schatz Ade!
Mich trafen Acht und Bann.
[56]
Sie.
Mein Herr, was ihr Begehrt von mir
Will ich euch nicht abschla'n.
Hier auf dem Fleck Behaupt' ich keck
Daſs Männer Unrecht ha'n.
Ohn allen Scheu Erklär' ich frey
Daſs Frauen wohl zu traun.
Beginnt und gleich Antwort ich euch,
Vertheidige die Frau'n —
Ach herbe Post! Sprich Herzenstrost,
Was giebt es, Trauter mein?
Doch sey was sey; Dir hold und treu
Bleib' ich, und dir allein.
Er.
Treu Lieb, hör' an! Ich hab gethan
Ein Ding, bös' und verrucht!
Deshalb bedroht Mich bittrer Tod
Zu meiden nur durch Flucht.
Eins muſs geschehn. Von hinnen gehn
Muſs ich, weit weit von hier:
Sonst faht man mich Und grausamlich
Nimmt man mein Leben mir.
Drum Trauteste, Ade! Ade!
Weil ich nicht weilen kann.
Ich flücht' alsbald In wilden Wald,
Ich ein gebannter Mann.
[57]
Sie.
O Herzeleid! O Erdenfreud!
Wie wechselt ihr so bald!
Der Tag so blau, Die Luft so lau,
Und plötzlich schwarz und kalt.
Du sprichst: Fahr wohl? Du meinst ich soll
Von dir mich scheiden, Freund!
Ich mich von dir? Du dich von mir?
Nein so ist's nicht gemeint!
Fährst du dahin, Fällt zum Gewinn
Nur Jammer mir und Pein.
Drum sey was sey, Dir hold und treu
Bleib' ich, und dir allein.
Er.
Ich glaube zwar Du redest wahr
Für morgen und für heut.
Du trägst um mich Wie ich um dich
Wohl Anfangs groſses Leid.
Doch laſs vergeh'n Ein'n Tag und zwe'n
Und anders wird uns seyn.
Was hülf auch dir Der Gram und mir,
Es wär' verlorne Pein!
Thu du wie ich Drum bitt' ich dich
So herzlich ich nur kann:
Laſs mich alsbald In wilden Wald
Mich den gebannten Mann.
[58]
Sie.
Wohl hast du frey Und sonder Scheu
Dein Herz mir aufgedeckt.
So sey denn auch Mein Sinn und Brauch
Dir klar und nicht versteckt.
Gehst du von hier So folg ich dir
Getrost begleit' ich dich.
Nicht seys gesagt Die nuſsbraun' Magd
Lieſs ihren Freund im Stich.
Ich bin gefaſst. Laſs dann in Hast
Uns flüchten in den Hayn.
Sey was da sey Dir hold und treu
Bleib ich und dir allein.
Er.
Mein Kind bedenk' Wie sehr es kränk'
Des Leumunds Ziel zu seyn.
Gehst du von hier Entführt von mir —
Wie wird die Welt nicht schrein!
„Sie gehn in Wald, Spricht Jung und Alt,
„Zu büſsen schnöde Lust.
„O schnöde Flucht! Von Ehr und Zucht
„Ist dieser nichts bewuſst!“
So heiſst es, so Und nimmer froh
Würd' ich der Liebsten dann —
Drum laſs allein Mich in den Hayn
Mich den gebannten Mann.
[59]
Sie.
Mag doch die Welt, Wenns ihr gefällt,
Mag doch der Klätscher Schwarm
Um mich allein Sich heiser schrein.
Es bringt mir wenig Harm.
Treu Lieb' fürwahr Ist makelbar
Und fleckenrein gewiſs.
Dich Freund in Stich Zu lassen, dich —
Dies wäre Schande, dies:
Wer solches kann Steht mir nicht an.
Sein Lieb' ist Heuchelschein.
Sey was da sey, Dir hold und treu
Bleib' ich, und dir allein.
Er.
Glaub', Liebste mir: Nicht ziemt es dir
Mit mir davon zu gehn.
An Achtlings Hand Durch Stadt und Land
Zu schwärmen, steht nicht schön!
Es muſs gespannt In deiner Hand
Der Bogen immer seyn;
Nach Diebesart Das Mädchen zart
Umlagern Angst und Pein.
Drum bleibe hier, Ich rath' es dir,
So treu ich rathen kann.
Laſs mich allein In grünen Hayn,
Mich, den gebannten Mann.
[60]
Sie.
Wohl hast du Recht. Wohl steht es schlecht
Mit Männern durchzugehn.
Doch Treu' und Huld Tilgt alle Schuld,
Macht, was nicht schön ist, schön.
Sey dann gespannt In meiner Hand
Der Bogen für und für.
Bey Tag und Nacht Ergötzt die Jagd,
Herzliebster, mich mit dir.
Doch fern von dir Gerinnet mir
Das Herz zum Kieselstein.
Denn sey was sey, Dir hold und treu
Bleib' ich, und dir allein!
Er.
Kind, Ächtlings Theil Ist Strick und Beil.
Wer ihn erschaut, der faſst
Ihn auf der Stell', Und henkt ihn schnell
Am nächsten besten Ast.
Beträfe mich Solch Unglück, sprich,
Wie wehrt' ihm deine Hand?
Was frommte dir, Was dir und mir
Der Bogen wohlgespannt?
Gewiſs du flöhst Und mich erlöst'
Kein Mensch von Acht und Bann.
Drum laſs mich bald In grünen Wald,
Mich den gebannten Mann.
[61]
Sie.
Wohl hast du Recht. Wohl zum Gefecht
Sind Frauen allzuzart.
Auch ziemet traun! Den zarten Fraun
Nicht wilder Männer Art.
Doch in Gefahr Hielt ich fürwahr
Dich, Freund, in treuer Acht.
In meiner Hand Trüg' ich gespannt
Den Bogen Tag und Nacht.
Wohl manches Weib Wagt Blut und Leib
Den Trauten zu befreyn.
Drum sey was sey Dir hold und treu
Bleib' ich, und dir allein.
Er.
Doch sorg' ich sehr, Der Flucht Beschwer
Erträgst du nicht so leicht.
Bedenk' die Flucht Durch Wald und Schlucht,
Sey's trocken oder feucht,
Kalt oder heiſs. . . In Schnee und Eis
Ruhn wir auf nacktem Plan.
Uns schirmt kein Fach, Uns deckt kein Dach;
Ein Busch mag uns umfahn.
Gar bald gewiſs Verdröſs dich dies;
Du wünschtest gerne dann
Ich wär' allein Im grünen Hayn,
Ich der gebannte Mann.
[62]
Sie.
Hab' ich bisher Getheilt mit dir
All' Lust und Fröhlichkeit;
So ziemt sich auch Nach altem Brauch
Zu theilen itzt dein Leid.
Es bleibt allzeit Mir Eine Freud',
Und diese Freud' ist die:
In deinem Arm Rührt mich kein Harm,
Quält mich die Reue nie.
Drum Freund genug! Laſs ohn Verzug
Uns flüchten in den Hayn.
Sey was da sey Dir hold und treu
Bleib ich, und dir allein.
Er.
Noch frommt es, noch! Bedenke doch,
Es giebt im grünen Hayn
Nicht Tisch noch Bank, Nicht Speis' noch Trank,
Nicht Bier, noch Meth, noch Wein!
Kein Himmelbett Mit Decken nett
Mit Tüchern blank und rein!
Zur Lagerstatt Dient Halm und Blatt
Zum Kissen dient ein Stein.
Solch Leben ach! Macht krank und schwach;
Gern meidet wer es kann.
Drum laſs allein Mich in den Hayn,
Mich den gebannten Mann.
[63]
Sie.
Im Wald, du weiſst, Ist Wild; auch preist
Man dein Geschoſs mit Fug.
So finden wir Dann im Revier
Der süſsen Kost genug.
Des Bächleins Naſs Erquickt mich baſs,
Als Wein und Bier und Meth.
In deinem Schooſs Auf Laub und Moos
Zu ruhen, welch ein Bett!
Genug! Genug! Laſs ohn Verzug
Uns flüchten in den Hayn!
Sey was da sey, Dir hold und treu
Bleib ich, und dir allein.
Er.
Nun höre, nun! Noch eins zu thun
Ziemt jetzt dir oder nie.
Kürz' ab zuvor Dein Haar ums Ohr,
Dein Röcklein übers Knie!
Dann greif geschwind Zum Bogen Kind,
Und spann' ihn alsobald.
Und eh' es tagt, Noch diese Nacht
Gehts fort in wilden Wald.
Gefällt dir dies, So eil' und wiſs
Es bricht der Tag schon an.
Sonst laſs allein Mich in den Hayn,
Mich den gebannten Mann.
[64]
Sie.
Unziemlich traun! Ist züchtgen Frau'n
Herzliebster dein Begehr.
Mein braunes Haar, Mein Röcklein gar
Zu kürzen, fällt mir schwer.
Nun immer zu! Herzmutter du
Nur machst das Herz mir groſs. . .
Jedoch Ade! Ich geh', ich geh',
Wohin mich führt mein Loos.
Komm, Freund geschwind. Die Nacht verrinnt.
Es bricht der Tag herein.
Sey was da sey, Dir hold und treu
Bleib' ich, und dir allein.
Er.
Sacht Liebchen, sacht! Mag fliehn die Nacht.
Du sollst nicht mit mir gehn.
Denn leichten Muths Und heiſsen Bluts
Bist du. Ich merk' es schön.
Was du gesagt Zu mir, behagt,
Mich nicht, so süſs es klingt
Was mir so leicht Gelang, vielleicht
Ein'm andern auch gelingt.
Leichtfert'gen Frau'n Ist nicht zu traun —
So laſs mich, laſs mich dann!
Laſs mich allein In grünen Hayn,
Mich den gebannten Mann.
[65]
Sie.
Hilf guter Gott! Es thut nicht Noth
So schnöder Worte, Freund.
Ohn' allen Dank Hast du gar lang
Geminnt mich und gemeint.
Du warbst um mich Nicht ich um dich.
Ich bin nicht schlecht gesinnt,
Bin hohen Muths Und edlen Bluts,
Bin ein Baronenkind.
Viel wählten mich; Ich wählte dich,
Wiewohl gering' und klein.
Doch blieb ich hold Und treu wie Gold,
Herzliebster, dir allein.
Er.
Ich arm und klein! Du zart und fein,
Und ein Baronenkind!
Ein Ächtling ich! Und sollte dich
Verderben, schlecht gesinnt?
Solch Ungebühr Sey fern von mir!
Wohl nur aus niederm Blut,
Wohl nur ein Knecht, So schlecht und recht,
Trag' ich doch hohen Muth.
Bleib' süſse Maid! Es wird dir Leid,
Was du um mich gethan.
Laſs mich allein In grünen Hayn,
Mich den gebannten Mann.
3 E
[66]
Sie.
In Ewigkeit Wird mir nicht Leid
Was ich gethan um dich.
Doch gehst du fort Und brichst dein Wort;
Dann, dann verderbst du mich.
Vernimm mich, Freund: Ists so gemeint,
Wie es dein Mund besagt;
Willst du böslich Verlassen mich,
Die arm' nuſsbraune Magd —
Das Tageslicht Soll nimmer nicht
Die Arme mehr erfreun;
Denn treu und hold Gleich lauterm Gold
Bleibt sie nur dir allein.
Er.
Bleib Mädchen hier. Ich rath' es dir.
Wiss' es, du bist mir alt.
Mein Herz erfreut Ein' andre Maid.
Sie harrt im grünen Wald.
Mehr als von dir Halt ich von ihr;
Ich darf es wohl gestehn.
Denn diese ist Was du nicht bist,
Gar sittsam lieb und schön.
Bleib wo du bist! Denn Zank und Zwist
Haſs ich wie Acht und Bann.
Laſs mich allein Zur Liebsten mein,
Mich den gebannten Mann.
[67]
Sie.
Mag seyn, daſs dein Im grünen Hayn
Ein ander Mädchen harrt;
Geliebt es dir, So dien' ich ihr
Nach treuer Knappen Art.
Ihr unterthan, Will ich sie ha'n
Allzeit in guter Acht,
Will zu Gebot In Noth und Tod
Ihr stehn bey Tag und Nacht.
Hab' eine Schaar! Hab' hundert gar!
Die hundert erste seyn
Laſs mich, und hold Und treu wie Gold
Bleib' ich dir ganz allein.
Er.
O Lust o Schmerz! Komm an mein Herz
Du edle treue Magd.
Wie du erprobt, Wie du belobt,
Ward nimmer Weib noch Magd.
Laſs süſse Maid, Laſs alles Leid,
Laſs fahren allen Gram.
Mich übermannt Hat allzuhand
Dein' Huld und holde Schaam.
Sey munter und froh. Es ist nicht so,
Was ich von Acht und Bann
Dir vorgesagt. Ich, edle Magd,
Bin kein gebannter Mann.
E 2
[68]
Sie.
Wohl wär' ich froh, Wenn dem also,
Wie eine Königinn.
Doch sorg' ich sehr Und ahnt mich schwer,
Du tragest Trug im Sinn.
Wenn euch gereut Der theure Eyd;
So glatt sind Mien' und Wort.
Drum sorg' ich sehr Und ahnt mich schwer,
Du schleichest heimlich fort.
Ist das dein Sinn, So fahre hin,
Es wird mein Tod dich reun.
Denn treu und hold, Wie lautres Gold,
Bleib' ich dir ganz allein.
Er.
Laſs liebes Herz, Laſs Sorg und Schmerz,
Laſs fahren alle Pein.
Mein Lieb', mein Weib, So gut als Leib
Verschreib ich dir allein.
Nach Westmoreland, Mein Erb' und Land,
Führ' ich dich, süſse Braut.
In Westmoreland Durch Priesterhand
Wirst du mit mir getraut.
Nein ich beging Kein böses Ding,
Mich traf nicht Acht noch Bann.
Eines Grafen Sohn Ward dir zum Lohn,
Nicht ein gebannter Mann!
[69]
Sie.
So seht ihr nun, Daſs übel thun,
Die Lästrer frommer Fraun!
In Angst und Noth, In Jammer und Tod
Ist Frauen wohl zu traun.
Ach wärt nur ihr So treu als wir,
So guter, ächter Art!
Das Widerspiel Gar oft und viel
Sich leider offenbahrt.
Doch sey es drum! Gar bald ist um
Hienieden uns're Zeit.
Gott lieben, dieſs Geziemt gewiſs,
Und wahrt in Ewigkeit.
Die Königskinder.
Es waren einmal zwey Königskinder,
Frisch junges frommes Blut.
Es war dem Knaben das Mägdlein,
Dem Mägdlein der Knabe gut.
„Sag an allerschönste Jungfrau,
„Wie mag ich kommen zu Dir?
„Ein groſses wildes Wasser
„Flieſst zwischen dir und mir.“ —
„Zieh aus die Kleider, zieh aus die Schuh.
„Rudre frisch mit Fuſs und Hand.
„Ich will in der Leuchten ein Licht anstecken,
„Das leuchtet dich sicher ans Land.“ —
[71]
Ein Schalk vernahm die Rede,
Trug arge List im Sinn.
„Der Liebschaft will ich steuren,
„Dieweil ich lebend bin.“ —
Daſs Gott dich strafe du arger Schalk!
Daſs Gott dich verderbe zur Stunde! —
Er blies das Licht in der Leuchten aus.
Der Königssohn ging zu Grunde.
Ein Hofbursch trat zur Thür herein,
Wohl vor die Tafelrunde.
Es war ein Bürschchen hübsch und fein,
Und flink von Sinn und Munde.
„Gott grüſs' euch, ihr Frauen und Fräulein,
„Gott gesegn' euch Essen und Trinken.
„Ich sah einen wackern Königssohn,
„Ich sah ihn schwimmen und sinken.“
Die Frauen und Fräulein sie fuhren auf
Von ihren scharlachenen Sesseln.
Gar übel sich die schöne Königstochter gehub.
Sie saſs wie auf Disteln und Nesseln.
„Ach Mutter, herzliebe Mutter,
„Spatzieren mögt' ich gehn.
„Vergönnt mir zu gehn in den grünen Wald
„Wo die schönen Blümlein stehn.“ —
[72]
„Du magst wohl gehn in den grünen Wald
„Wo die schönen Blümlein stehn.“ —
„Doch wecke dein jüngstes Schwesterlein auf
„Und laſs es mit dir gehn.“ —
„Ach Mutter, herzliebe Mutter,
„Gar lustig ists am Strand.
„Vergönnt mir zu gehn an das Wasser,
„Auf dem schönen weissen Sand.“ —
„Du magst wohl gehn an das Wasser,
„Auf dem schönen weissen Sand.
„Doch wecke dein jüngstes Brüderchen auf
„Und nimm es mit an Strand.“ —
„Mein Bruder und meine Schwester
„Sie haben noch keinen Verstand.
„Sie pflücken die schönsten Blumen ab
„Und füllen die Schuhe mit Sand!“
Die Jungfrau schied von dannen
Ging traurig an den Strand.
Da fand sie wohl einen Fischer
Der fischete hart am Land.
„Gott grüſs euch, herzlieber Fischer,
„Was bracht' euch euer Fang?
„Habt ihr nicht gefischt einen Königssohn,
„Den die wilde Fluth verschlang?“ —
[73]
„Ich hab' gefischt den ganzen Tag,
„Die Nacht so schwarz und lang.
„Ich hab' gefischt einen Königssohn,
„Der hier zu Grunde sank.“ —
„Gar übel gehub sich die Königstochter;
„Sie weinte, sie klagte, sie sprach:
„Ist mein Herzliebster todt und hin,
„Nicht mehr ich leben mag.“
„Sie nahm das goldene Kettlein vom Hals,
„Vom Arm die Spange noch warm;
„Gab Spang' und Kettlein dem Fischer,
„Und nahm ihren Liebsten in Arm.“
„Gute Nacht nun herzliebe Mutter,
„Gute Nacht, lieb Vater und Brüder.
„Gute Nacht ihr süſsen Schwesterlein,
„Ich seh' euch nimmer wieder.“
„Ich grüſs euch zu tausendmalen,
„Und bitt' euch, habt nicht Harm! !
„Ich versenke mich ins Meeres Grund
„Mit meinem Liebsten im Arm.
„Fahr wohl, fahr wohl, du schnöde Welt,
„Ich muſs itzt von dir scheiden.
„Ich muſs zu meinem Herzliebsten gehn
„Ins Reich der ewigen Freuden.“ —
[74]
Und als die Mähr' am Land erscholl,
Da war groſs Leid und Jammer;
Es haben getraurt Kanzel und Altar,
Getrauert Saal und Kammer.
Die Königstochter und sie war todt,
Ins Meeres Grund versunken.
Der Königssohn und er war todt,
In wilder Fluth ertrunken.
Nun Gott gedenk' es dem argen Schalk,
Der schuld daran gewesen!
Gedenk' es jedem noch heut zu Tag,
Der treue Liebe will lösen!
Königinn Anne.
Königinn Anne liegt zu Rimsted krank,
Nach Redby man bringen sie muſste.
Man muſste ihr holen die klügsten Fraun,
So viel man in Dännemark wuſste.
Zu Rimsted ruht Königinn Anne.
„Holt diese mir her, holt jene mir her.
„Ach holt mir die klügste der Frauen.
„Holt mir Herrn Ralambs Schwester her,
Mich verlangt lieb Trudchen zu schauen.“
Zu Rimsted ruht Königinn Anne.
[76]
Lieb Trudchen trat herein zur Thür,
Mit züchtigem lieblichem Wesen.
Gar freundlich die Kranke willkommen sie hieſs,
Sie freut' sich als sey sie genesen.
Zu Rimsted ruht Königinn Anne.
„Ach könntest du lesen, ach könntest du schreiben,
„Ach könntest du enden mein Leiden.
„Ich wollte dir schenken mein schönstes Roſs,
„In rothe Scharlaken dich kleiden.“
Zu Rimsted ruht Königinn Anne.
„Ach könnt' ich lesen, ach könnt' ich schreiben,
„Ach wäret der Bürden ihr ledig.
„Erlös' euch Gott ins Himmelsthron!
„Er ist barmherzig und gnädig.“
Zu Rimsted ruht Königinn Anne.
Schön Trudchen, sie las im Psalterbuch.
Sie schaut herüber, hinüber.
Die Buchstaben liefen ihr all' in Eins.
Es gingen die Augen ihr über.
Zu Rimsted ruht Königinn Anne.
Sie führten die Kranke hinaus und herein.
Es ward nur schlimmer und schlimmer.
„Ist niemand denn, der meinen Herrn beschickt.
„Genes' ich doch nimmer und nimmer.“
Zu Rimsted ruht Königinn Anne.
[77]
Das wurde dem flinken Leibburschen gesagt.
Er eilte zum Stalle geschwinde.
Er nahm vom Balken den Sattel blank,
Und sprang auf den Klepper behende.
Zu Rimsted ruht Königinn Anne.
Der König spatzierte auf Skoneborgs Schloſs.
Er sah ihn reiten von weiten.
„Hilf Gott wie mag es um Annen stehn!
„Was wird mir dies Reiten bedeuten?“
Zu Rimsted ruht Königinn Anne.
Der Leibbursch trat zum Saal herein,
Wohl vor die Tafelrunde.
Es war ein Bürschchen hübsch und fein
Und flink von Art und Munde.
Zu Rimsted ruht Königinn Anne.
„Herr König, ihr sitzt und schmaus't und zecht,
„Daſs die goldenen Becher erklingen.
„Königinn Anne liegt zu Rimsted krank.
„Nach Redby lieſs sie sich bringen.“
Zu Rimsted ruht Königin Anne.
„Königinn Anne liegt zu Rimsted krank.
„Nach Redby man bringen sie muſste.
„Man muſste ihr holen die klügsten Frau'n,
„So viel man in Dännemark wuſste.“
Zu Rimsted ruht Königinn Anne.
[78]
Der König schlug kräftig auf den Tisch
Daſs erklangen die Schüsseln von Golde.
„Barmherziger Gott im Himmelsthron,
„Laſs Annen nicht sterben, die Holde.“
Zu Rimsted ruht Königinn Anne.
Der König ritt eilig aus Skoneborg,
Ihm folgten dreyhundert Reiter,
Und als er nahe bey Schloſs Redby kam
Ritt er sacht und einsam weiter.
Zu Rimsted ruht Königinn Anne.
Er ritt zum steinernen Thor hinein,
Er band sein Pferd an die Mauer.
Er stieg frisch die steinernen Treppen hinan,
Halb freudig halb voll Trauer.
Zu Rimsted ruht Königinn Anne.
Er streichelt die Wangen ihr, leichenblaſs,
So rosig sonst waren die blassen.
Ach frommer Gott ins Himmelsthron,
Wollst Annen, die Fromme, mir lassen!“
Zu Rimsted ruht Königinn Anne.
„Helft herzige Frauen, ach helfet, helft!
„Ach seht nur die Blasse, die Kalte.
„Betet laut, betet kräftig, betet brünstiglich,
„Daſs Gott mir die Fromme erhalte.“
Zu Rimsted ruht Königinn Anne.
[79]
Die Frauen, sie knieten in Einen Kreis
Wohl um die Blasse, die Kalte,
Sie beteten brünstig sie beteten stark,
Daſs Gott sie dem König erhalte.
Zu Rimsted ruht Königinn Anne.
Königinn Anne schlug die Augen auf,
Aufrecht im Bett sie sich setzte.
„Gott tröst euch mein herziger Herr und Gemahl,
„Vernehmet meine Bitte die letzte.“
Zu Rimsted ruht Königinn Anne.
„Das Erste, warum ich euch bitten thu,
„Ihr werdet mir's gerne gewähren.
„Das Knäblein, das man aus dem Schooſs mir schnitt,
„Ihr haltet's in Würden und Ehren.“
Zu Rimsted ruht Königinn Anne.
„Das Zweyte, warum ich euch bitten thu,
„Ihr werdet mir's nicht versagen.
„Das Knäblein, das heute beschert euch ward,
„Pflegt sein zu allen Tagen.“
Zu Rimsted ruht Königinn Anne.
„Das Dritte, warum ich euch bitten thu,
„Ihr werdet die Bitt' nicht verachten.
„Laſst los die Gefangenen allzumal,
„Die in Ketten und Banden schmachten.“
Zu Rimsted ruht Königinn Anne.
[80]
„Das Vierte, warum ich euch bitten thu,
„Ich hoffe, es wird euch gefallen.
„Lieb Trudchen laſst euch befohlen seyn,
„Ich war ihr hold vor allen.“
Zu Rimsted ruht Königinn Anne.
„Verzeihe mir Gott die Sünde mein!
„Nichts wüſst' ich zu bereuen und beklagen,
„Als daſs ich einst des Sonntags früh
„Gestärkt meinen weiſsseidenen Kragen.“
Zu Rimsted ruht Königinn Anne.
„Nun herziger Herr, gehabt euch wohl.
„Ich höre schon die himmlischen Glocken,
„Die mich aus aller Angst und Qual
„Zur himmlischen Freude locken.“ —
Zu Rimsted ruht Königinn Anne.
Die Gefangenen
Es liegen drey Junggesellen
Gefangen auf den Tod.
„Was haben wir denn Böses begangen?
Wir liegen, wir liegen gefangen.
Erbarmt euch unsrer Noth!“
Ein Jungfräulein ging vorüber.
Es hört der Gefangnen Schreyn.
Es gehet ihm tief zu Herzen,
Es machet ihm bittre Schmerzen,
Dem zarten Jungfräulein.
3 F
[82]
Ihr Gefangnen, ich will für euch bitten,
Bittet ihr indessen Gott.
Ich will die Herren schön grüſsen,
Ich will ihnen fallen zu Füſsen,
Euch lösen vom bittern Tod.“
„Gott grüſs euch, groſsgünstige Herren!
Eine Bitte mir gewährt:
Die Gefangnen haben nichts begangen.
Laſst sie los, laſst los die Gefangnen,
Daſs Gott euch wieder erhört.“ —
„Was du willst kann dir nicht werden,
Du junge zarte Maid.
Die Gefangnen müssen sterben.
Gottes Reich müssen sie ererben,
Dazu die ew'ge Freud.
„Was die Gefangenen haben begangen,
Der Tod nur büſsen mag.
Schwer drücken der Sünde Lasten!
Laſs sie ruhen, laſs sie risten, laſs sie rasten
Bis an den jüngsten Tag.“
Das Mädchen ging von dannen
In bitterm Herzeleid.
„Ihr Gefangnen, ihr müſst sterben,
Gottes Reich müſst ihr ererben,
Dazu die ew'ge Freud.
[83]
Ihr Gefangnen, was ihr begangen,
Das büſset nur der Tod.
Schwer drücken der Sünde Lasten.
Süſs läſst sichs risten und rasten.
Ihr Gefangnen befehlt euch Gott!“
Und als die Gefangenen kamen
Wohl auf den Richteplatz,
Das Mägdlein stand in dem Kreise.
Sie winkten, sie grüſsten sie leise.
Fahr wohl, allerschönster Schatz.“
Und als das Schwert sie gerichtet,
Das Mägdlein machtlos lag.
„Mich ängstigen des Lebens Lasten.
Laſst mich ruhen, laſst mich risten, laſst mich rasten
Bis an den jüngsten Tag!“
[84]
Eleonore und Jutta.
Laut jammerten am klaren Rudborn Bach
Zwey Mägdlein. Thränen näſsten ihre Wangen.
Um ihre Trauten scholl ihr jammernd Ach,
Die in Sanct Albans Schlacht die Speere
schwangen.
Eleonore die Nuſsbraune sprach
Zur blonden Jutta, während Blitz und Schlossen
Aus ihres schwarzen Aug's Gewitternächten schos-
sen.
[85]
Vernimm die Zeitung, Schwester, die mich
schreckt:
Mein Trauter ist mit York ins Feld gezogen.
Wenn nur kein Blut die weisse Rose fleckt!
Bis, heil'ger Cuthbert, meinem Freund gewogen!
Von grausen Larven wird mein Geist geneckt.
Sieh sieh; er liegt auf leichenvoller Hayde.
Flöſst Lebenssaft ihm ein, daſs nicht mein Freund
verscheide!
Jutta.
O süſse Schwester, gleicher Jammer preſst
Auch dieses Herz. Laſs denn vereint uns trauern,
Vom Morgenthau, vom Dunst der Nacht ge-
näſst,
Wie Thränenweiden über Gräbern schauern.
Vernimm, wie rings, wo vormal Fest für Fest
Gesang und Reigen tobt', jetzt Uhu's ächzen,
Die Eule grausig heult, und Raben ängstlich
krächzen!
Eleonore.
[86]
Nicht pfeift der Minstrel mehr den Hirten
wach,
Nicht geigt der Geiger mehr zum raschen Tanze.
Kein Hifthorn hallt; und keines Hufes Schlag
Stört mehr den Fuchs aus seiner sichern Schanze.
Ich irr' im Hayn den lieben langen Tag.
[86]
Die Nacht durchirr' ich auf dem Gottesacker
Und mein schwermüthig Lied stöhrt alle Geister
wacker.
Jutta.
Wenn bleich der Mond durch Silberwolken
weint
Und nicht'ge Schatten mir vorüber beben,
Wenn süſse Träume, die der Tag verneint,
Aus Seid' und Gold' die luft'gen Elfen weben;
Wenn Richard dann mir bleich und kalt erscheint —
Wohl bleich und kalt will ich ihn doch um-
fassen,
Will ihm im kalten Arm auf bleicher Lipp' er-
blassen.
Eleonore.
Krystallner Strom, wie mancher Knapp' und
Knecht
Mag bald vielleicht an deinen Ufern bluten!
Ach dann heiſst Rudborn Rudborns-Strom mit
Recht.
Das Blut der Helden färbt die rothen Fluthen.
Laſs, Schwester, eh' zu sehr der Gram uns
schwächt,
Das Schicksal unsrer Trauten uns ergründes.
Laſs uns, wenn nicht sie selbst, doch ihre Leichen
finden — —
[87]
Sie schwankten auf. Sie streiften durch das
Land,
Zwey Hagelwolken, die die Stürme jagen.
Sie kamen, sahn Sanct Albans heil'gen Strand,
Und fanden jed' ach ihren Freund erschlagen!
Sie kehrten um zu Rudborns Blumenrand,
Wo sie umschmiegt sonst von den Trauten
ruhten;
Sie schlangen Arm in Arm und sanken in die
Fluthen.
Er und Sie.
Er.
Trautes Kind, kehr um! kehr um!
Schau der Sonne duft'ger Strahl
Hat noch nicht den Thau vom Thal
Weggetrunken; drum kehr um!
Sie.
Glatter Schwätzer laſs mich gehn!
Laſs mich, wilder Knab', in Ruh!
Mit den Täubchen, lieb und schön,
Wandr' ich dem grünen Hölzchen zu!
[89]
Er.
Liebchen, sieh, im klaren Bach
Mahlt sich jedes Blümchen nach.
Setze dich, Traute, neben mir,
Süſses Kind, bleib hier! bleib hier!
Sie.
Laſs mich gehn! Herzmutter spricht:
Jungen Mädchen ziemt es nicht
Im schönen May, im grünen Hayn
Mit wilden Knaben allein zu seyn.
Er.
Bleib doch, Herzchen! Bis nicht bang!
Hör'st du wohl den Lerchensang?
Wie der Hänfling lustig singt,
Wie der Drossel Kehl' erklingt!
Sie,
Hör' ich doch den Sing und Sang
Den lieben langen Tag entlang,
Den Sing und Sang, der immer spricht:
Traut, Mädchen, glatten Schwätzern nicht!
[90]
Er.
Schau entlang den Wiesengrund,
Von Viol' und Maaſslieb bunt,
Niemand sieht uns. Lämmlein nur
Grasen auf der stillen Flur.
Sie.
Laſs den Latz mir; laſs das Tuch,
Schäfer, oder ich muſs schreyn.
Laſs mich, Robyn, schon genug
Ist des Scherzes. Laſs mich seyn!
Er.
Siehe, wie des Geisblatts sich
Die gewalt'ge Eich' erbarmt;
Wie der Epheu brünstiglich
Den erhab'nen Ulm umarmt.
Liebchen komm an meine Brust,
Bis nicht blöde! Bis nicht scheu!
Um uns jubeln Lieb' und Lust;
Um uns scherzt je zwey und zwey.
Seiner Sie hofirt der Spatz,
Und das Täubchen kos't und girrt.
[91]
Sie.
Nur das Mägdlein sey Niemands Schatz,
Bis es beringt vom Priester wird.
Muthe mir nichts Schnödes an!
Niemands Schätzchen will ich seyn,
Bis mich trau't ein geweihter Mann.
Sprichst du Ja, so sprech ich Nein.
Er.
Ich verpfände dir Seel' und Leib.
Morgen bevor der Tag ergraut,
Sollst du seyn mein ehlich Weib,
Mir durch Priesters Hand vertraut.
Sie.
Morgen ist gut, doch besser heut.
Heut noch lass' uns zum Priester gehn.
Edel und flüchtig ist die Zeit.
Itzt gleich laſs uns vor'm Altar' stehn.
Er.
Was du willst, das geliebt auch mir.
Hand und Herz verpfänd' ich dir.
Trautchen, komm zu Sanct Cuthberts Schrein,
Werde mein und ich bin dein.
[92]
Beyde.
Nur gering ist unser Loos
Und wir sind nicht reich noch groſs.
Doch des Liebens Überschwang
Frommt statt Reichthum, Stand und Rang.
Admiral Hosier's Geist.
Spaniens Heersmacht war geschlagen.
Neben Portobello lag
Triumphirend Englands Flotte.
Heiſs und glorreich war der Tag.
Vernon nun und seine Braven
Ruhten nach der schwülen Schlacht.
Wimpel strömten, Becher klangen,
Siegsgeschrey durchscholl die Nacht.
[94]
Plötzlich gellt' ein gräſslich Heulen
Aus der dunkeln Fluth hervor.
Geister schwärmten graunlich wimmernd
Rechts und links und rings empor.
Statt der Leichentücher hüllten
Hangematten jeden ein.
Jeder schien mit scheelen Blicken
Portobello zu bedräun.
Mondstrahl flittert' auf den Wogen;
Auf dem matterhellten Meer
Hob sich Hosier's tapfrer Schatte,
Musterte das nicht'ge Heer,
Schwebte dann zu Vernon's Grusse
An des Burford Bord heran.
Dreymal tausend Geister schwärmten
Rings um ihn und er begann:
Höret, höret Hosier's Rede!
Hosier's irrer Geist bin ich.
Hier, wo ihr euch Ruhm erwandet,
Hier traf das Verderben mich.
Euch bringt Portobello Ehre,
Mir bringt's bittres Herzeleid.
Portobello! Portobello!
Wehe dir in Ewigkeit.
[95]
Seht ihr diese nichtgen Schaaren.
Krieger waren's brav und stark.
Feuer füllt' einst ihre Adern,
Ihre Knochen Löwenmark.
Seht ihr jene höhern Schatten
Mit den Blicken starr und stier?
Feldherrn waren's, wackrer Vernon,
Tapfre Feldherrn einst, wie wir.
Her kam ich mit zwanzig Segeln,
Lag dem Feind im Angesicht.
Doch was stand in meiner Order:
„Schlagen, Feldherr, sollst du nicht!“
Hätt' ich dich ins Meer geschleudert,
Unglücksorder, brav gekämpft,
Stadt und Land hätt' ich erobert,
Spanien, deinen Stolz gedämpft.
Fürchten durft' ich nichts vom Feinde,
Den die Feigheit schon bezwang.
Zwanzigen wär' leicht gelungen,
Was selbstsechstem dir gelang.
Nimmer hätte diese Küste
Unsre Schande dann geschaut.
Nimmer wären unsre Leiber
Dann dem öden Meer vertraut.
[96]
Spaniens stolze Gallionen
Hätt' ich glorreich heimgeführt,
Hätte dann als Hochverräther
Willig das Schaffott verziert.
Besser mit dem Ruhm gestorben:
„Hosier fällt fürs Vaterland!“
Als für Herzleid hier verdorben,
Ungerühmt und ungenannt.
Nicht verdreuſst uns deines Ruhmes,
Nicht beneiden wir dein Glück.
Aber denk' an unsern Jammer,
Denk' an unser Miſsgeschick.
Feldschlacht nicht hat uns gefället;
Nutzlos, ruhmlos, namenlos
Senkt' uns Gram und Grimm und Krankheit
In des nassen Grabes Schooſs.
Aus dem nassen Grabe steigen
Wir nachtnächtlich nun empor,
Gähren aus dem Wogenbruche,
Schäumen aus dem Schaum hervor,
Wandern durch das Schauerdunkel,
Weiden uns an unserm Gram,
Fluchen der verfluchten Küste,
Die uns Ruhm und Leben nahm.
[97]
Fahrt nun wohl, geliebte Brüder!
Eilet heim ins Vaterland!
Wir ach irren ruh- und rastlos
Ewig am verbannten Strand;
Ewig, wenn nicht ihr erbarmend
Unsers Bannes Fesseln brecht,
Und dereinst mit Englands Braven
Unsr' und Englands Unbild' rächt.
[98]
Odins Höllenfahrt.
Rasch auf sprang der König groſs,
Sattelte sein kohlschwarzes Roſs,
Reitet die Schlücht' und Schründ' hindurch,
Gelangt zu Helens düstrer Burg.
Sein gewahrt der Höllenhund;
Weit aufsperrt er den grimmen Schlund.
Dem Rachen grauſs, den Hauern stark
Entgeifert Schaum und Menschenmark.
Er schnaubt, er schnarcht den König an.
Nichts irr't den zauberkundigen Mann.
Mit funkelndem Auge, mit knirschendem Fang
Mit lautem Geklaff verfolgt er ihn lang.
[99]
Der König schreitet raschen Schritts,
Die Erd' erdröhnt der Kraft des Tritts.
Furchtlos schaut er herab herauf,
Der Hölle Pforten thun sich auf.
Rechts ein Pfeiler am östlichen Thor,
Der König ihn zum Sitz erkohr,
Wo tausend Jahr im Grabe tief
Die zukunf[t]kundige Drude schlief.
Der König schaut zum starren Nord.
Dreymal raunt er das Runenwort.
Dreymal schreibt er den Spruch in Sand,
Der die Todten aus den Gräbern bannt.
Nun säuselt's aus hohler Tief hervor.
Dumpf murmelt's in sein lauschend Ohr.
Drude.
Welches Zaubers strenge Macht
Bannt mich aus der langen Nacht,
Stört mich in der tiefen Rast?
Wer bist, wer bist du, frecher Gast?
Tausend Jahr mein Gebein schon ruht
In Winterschnee und Sommergluth,
In nässendem Thau, in stöberndem Regen.
Laſs schlafen mich, mich schlafen legen.
Ruchlos stöhrst du der Todten Rast.
Wer bist, wer bist du, fremder Gast?
G 2
[100]
Odin.
Ein Pilger bin ich, du kennst ihn nicht.
Eines Kriegers Sohn, du nennst ihn nicht.
Was droben vorgeht, meld' ich dir.
Was drunten begegnet, melde mir.
Für wen ist der schimmernde Tisch bereitet,
Für wen das güldene Bette gebreitet?
Drude.
Siehst du nicht im Becher blank
Schäumen der Biene süſsen Trank?
Drüben hangt der goldne Schild.
Für Baldern ist der Becher gefüllt.
Balders Haupt ist dem Tode gegeben.
Auch enden muſs der Asen Leben.
Ungern red' ich, fremder Gast,
Stöhre nicht ferner der Müden Rast.
Odin.
Ich beschwör' und banne dich.
Auf, Prophetinn, auf und sprich.
Wer ist, der Odin's Sohn bedroht,
Wer ist es, der ihm bringt den Tod?
Drude.
[101]
Hoder ists, der Baldern droht,
Dem Bruder bringt der Bruder den Tod.
[101]
Die müden Lippen schlieſs ich nun.
Laſs mich, Stöhrer, laſs mich ruhn.
Odin.
Ich beschwör' und banne dich.
Wach' auf, Prophetinn, wach' auf und sprich:
Von wem wird Balders Mord gerochen?
Von wem des Mörders Nacken gebrochen?
Drude.
Fern im West in Grotten tief
Odin ein Mägdlein frech beschlief.
Nun windet sich aus Rinda's Schooſs
Ein Wunderknabe knirschend los.
Er wird sein Rebenhaar nicht kämmen,
Die Glieder nicht im Strome schwemmen,
Den Speer nicht an die Mauer stemmen,
Bis Hoders Leib im Staube modert
Oder hoch vom Scheiterhaufen lodert.
Die schweren Lippen schlieſs ich nun.
Laſs mich, laſs mich endlich ruhn.
Odin.
[102]
Einmal noch beschwör' ich dich.
Einmal noch erwach und sprich:
Wer sind sie, die trübsinnig schweigend,
Ihr Haupt zur Erde niederneigend,
[102]
Ihr Flachshaar, ihre silberweissen
Schleyer zu stiebenden Fetzen zerreiſsen.
Nenne mir der Mägdlein Wehn.
Magst dann, magst dann schlafen gehn.
Drude.
König, ha! du täuschtest mich.
Starker, ich erkenne dich.
Schrecklicher, warum betrogst du mich?
Odin.
Lügnerinn, warum belogst du mich?
Hexe, du weissagst nicht gut,
Schnöde Mutter der Riesenbrut.
Drude.
Fort von hier an deinen Ort,
Und kein Frevler komm hinfort,
Stöhre fragend meinen Geist,
Bis Lok die dreydoppelten Ketten zerreiſst;
Bis wieder die alte öde Nacht
Ringsum regiert in schwarzer Tracht;
Bis zusammenbrechend der Bau der Welt
In Schutt und Graus und Graun zerfällt.
Klage um Hoël.
Hätt ich nur des Waldstroms Kraft
Mit grimmiger wüthiger Leidenschaft
Zu stürzen auf Deïra's Rotten
Und aus der Welt sie wegzuspotten.
Mein Freund, mein Hoël sank dahin,
Gestemmt auf seinen tapfern Sinn.
Von Madoch, den das Alter bückt,
Kein schnödes Gold er heischt. Geschmückt
Mit seiner Jugend Herrlichkeit
Erwarb er sich die schönste Maid.
[104]
Rüstig zum Kampf, geschürzt zum Siegen
Vierhundert wackre Krieger stiegen
Hinab in Cattrack's fettes Thal.
Wie blitzten die Reihen im Sonnenstrahl!
Gluthroth brannten der Jünglinge Backen.
Es schmückte jedes Kriegers Nacken
Ein Kettlein schön aus Gold geschlungen.
Zu rasch ach! tranken die braven Jungen
Des Nektars, den die Biene braut,
Des Rauschsafts, den das Ausland baut.
Sie jauchzen, sie taumeln, sie sinken nieder.
Aus Cattrack's Thal kehrt keiner wieder.
Keiner als Arron, Conan und ich.
Hindurch uns hauend wüthiglich
Leben wir nur (die Schlechtsten von allen)
Und singen, wie die Helden gefallen.
Das Sehnen.
Wehmuth, die mich hüllt,
Welche Gottheit stillt
Mein unendlich Sehnen?
Die ihr meine Wimper näſst,
Namenlosen Gram entpreſst,
Flieſset, flieſset Thränen!
Mond, der lieb und traut
In mein Fenster schaut,
Sage, was mir fehle?
Sterne, die ihr droben blinkt,
Holden Gruſs mir freundlich winkt,
Nennt mir, was mich quäle.
[106]
Leise Schauer wehn,
Süſses Liebeflehn
Girrt um mich im Düstern.
Rosen und Violenduft
Würzen rings die Zauberluft.
Holde Stimmen flüstern.
In die Ferne strebt,
Wie auf Flügeln schwebt
Mein erhöhtes Wesen.
Fremder Zug, geheime Kraft,
Namenlose Leidenschaft,
Laſs, ach laſs genesen!
Ängstender beklemmt
Mich die Wehmuth, hemmt
Athem mir und Rede.
Einsam schmachten, o der Pein!
O des Grams, allein zu seyn
In des Lebens Öde.
Ist denn ach kein Arm,
Der in Freud' und Harm
Liebend mich umschlösse?
Ist denn ach kein fühlend Herz,
Keines, drinn in Lust und Schmerz
Meines sich ergösse?
[107]
Die ihr einsam klagt,
Einsam, wenn es tagt,
Einsam wenn es nachtet,
Ungetröstet ach verächzt
Ihr das holde Daseyn, lechzt,
Schmachtet und verschmachtet.
Ahnung.
Schau, das junge Jahr erlau't,
Und der Ströme Grundeis thau't.
Dampfend stehn die Triften.
Horch, der Turteltauber girrt,
Und der Lerche Brautlied schwirrt
In den mildern Lüften.
Bringt des Frühlings Erstlinge,
Krokos mir und Glockenschnee,
Daſs mein Herz sich labe.
Wenn das junge Jahr verbleicht,
Streift der Abendwind vielleicht
Über meinem Grabe.
[109]
Satt des langen Zwangs zerreiſst
Sein Gespinnst der ew'ge Geist —
Fleuſst in lauen Wellen
Nicht mein Leben purpurn fort?
Fühl' ich nicht zerschlitzt den Ort,
Den die Seufzer schwellen?
Sonne, nie erlahmt dein Schwung,
Ewig frisch und ewig jung
Grün'st du, schöne Erde.
Über Land und Wasser schwebt
Gottes Hauch. Das All belebt
Sein erbarmend Werde.
Wir nur, wir . . . gefärbter Schaum . . .
Einer Lenznacht nicht'ger Traum . . .
Kommen und verschwinden.
Kaum vom schweren Schlummer wach,
Schaun wir mühsam in den Tag,
Blinzeln und erblinden. — —
Doch der dunkle Tropfe sinkt
Und des lautrern Aethers trinkt
Der genes'ne Sieche.
Los des düstern Sarkophags,
Freut sich des entflorten Tags
Die erlös'te Psyche. —
[110]
Bringt des Jahres Erstlinge,
Krokos mir und Glockenschnee,
Daſs mein Herz sich labe!
Eh des Frühlings Wang' verbleicht,
Triumphirt erlöst vielleicht
Psyche überm Grabe!
Sunium.
Dein, o Sunium, denk' ich, und deiner romanti-
schen Fluren.
Manchen lebendigern Tag hast du den Jüng-
ling gehegt.
Mancher Abend verfloſs ihm in deinen gastlichen
Hallen,
Unter ernstem Gespräch, unter vertraulichem
Scherz.
Deine Fluren sind schön, o Sunium. Deine Ge-
büsche
Schatten so kühlend, so frisch duftet der Kal-
mus des See's.
[112]
Horch, wie die Nachtigall schlägt in der blüthen-
regnenden Wildniſs.
Schau wie die güldene Saat wogt das Gelände hinan.
Gellend erschallt aus dem goldenen Bette die Flöte
der Wachtel,
Dumpfer des Rohrspatz Ruf aus dem Geröh-
richt des Sumpfs.
Dein o Sunium denk' ich und deines vergötterten
Weisen,
Welcher entschleyerten Blicks jetzund die Wahr-
heit erschaut.
Mancher gesellige Abend, und manche der nächtli-
chen Stunden,
Hold ist dem Denken die Nacht, hab ich dem
Denker gelauscht,
Über das Leiden und Thun, und über Verhängniſs
und Freyheit,
Über des Endlichen Kampf mit dem unendli-
chen Geist.
Aber dem Denker voran flog immer die Ahnung des
Dichters.
Zürnend dem zögernden Gang, sprengt' ich der
Schlüsse Gespinnst,
Stürmte hinaus in die Nacht, in die heilige. Über
der Scheitel
Rolleten Leyer und Schwan, blitzten Arktur
und Centaur,
[113]
Jeglicher funkelnde Stern und jegliche rollende Sonne,
Jegliches Rauschen im Busch, jedes Geflüster
des Schilfs,
Jegliches Echo der Nacht, die Stimm' aus andern
Welten,
Haucht in dem lechzenden Geist Ahnung des
Bessern empor.
Dein gedenk' ich, Theone. Auf Suniums blühen-
den Fluren
Wandelst du künftig. Betritt schauernd den
heiligen Grund.
Dieser Grund ist geweiht, und dieser Boden ist heilig.
Heilig und hehr ist der Platz, welcher die Asche
bedeckt,
Die einst dient' als gegliederte Hülle dem Geiste
der Weisen.
Dieser entschwang sich zu Gott — Jene zer-
stiebt mit dem Staub.
Theuer und werth ist das grünende Maal dem En-
kel der Enkel.
Theuer und werth sey auch dir, Freundinn,
das grünende Maal.
Lebe, Theone, wohl! Gleich ferne von Dünkel und
Zagheit —
Diese zermalmt das Geschick, jene der Nemesis
Grimm —
6 H
[114]
Wandl' einfältigen kindlichen Sinnes dein Leben
hinunter
Auf dem romantischen Pfad, welchen die Vor-
sicht dich führt,
Weiser Mäſsigung hold, bescheiden die Mitte be-
hauptend,
Gnügsam im Schooſse des Glücks, gilt es zu dul-
den, getrost!
Nimmer erlösch' in deinem Gemüthe die Ahnung
des Rechten,
Welche uns aufrecht erhält unter den Stürmen
der Zeit,
Welche empor uns hebt aus der Nichtigkeit gähren-
dem Strudel,
Und den geretteten Geist einst zu den Göttern
gesellt.
Die Blumenchiffre.
Eine Eugenia sah ich, vermählt dem edlen Pla-
tanus.
Froh des vertraulichen Schirms, blüheten Blu-
men umher;
Jegliche anders gefärbt, und jegliche anders ge-
stalter,
Jegliche anders begabt von der Natur und dem
Gott.
H 2
[116]
Schwermuthduftend entgegen der strahlenden Son-
ne der Schönheit,
Wendend den ahnenden Blick, schoſste der
Heliotrop.
Blendender blüht' und brannte zugleich die schöne
Ixora.
Stilleren Reizes zunächst senktest du blöde den
Blick,
Holde Mimosa. Es hing der gedankenhauchende
Diptam
Schweigsam das sinnige Haupt. Göttern und
Menschen geliebt,
Funkelt' im Schmelz des Rasens die tausendblättri-
ge Bellis.
Ein Schneeglöckchen entsproſs keimend dem
grünenden Grund.
Schlanke Eugenia, dir, gestützt auf deinem Platanus,
Danket der schimmernde Strauſs reinen harmo-
nischen Sinn.
Streb' empor in freudiger Kraft, getränkt von Au-
rorens
Duftigsten Thränen, von Gä's kräftigstem Mar-
ke genährt.
Spat laſs sinken, Geliebte, die liebesäuselnden
Blätter.
Spat einst welkend, verstreu welkend den süs-
sesten Duft.
[117]
Schön und bedeutend verwallt der Blum' unschul-
diges Leben.
Friedlich durchblüht sie des Seyns freundlich
beschlossenen Kreis,
Giebt nach verströmtem Duft und verstreutem Saa-
men dem Aether
Farb' und Gestalt, den Stoff ruhig der Tellus
zurück.
Elegie.
Neunmal blühten die Rosen, seit wir uns fanden,
Geliebte.
Nimmer vergeſs ich des Tags, wo ich, Gelieb-
te, dich fand.
Immer noch seh' ich dich, Holde, in deiner knospen-
den Schönheit.
Immer noch schwebst du vor mir leisen zephi-
rischen Tritts.
Immer noch strömt dir das ringelnde Haar um die
blendenden Schultern.
Immer noch hebt sich die Brust unter dem ro-
sigen Band.
[119]
Immer noch seh ich dein heiliges liebverheissendes
Auge,
Sehe noch immer den Blick, welcher mich faſs-
te so scheu
Und so ergreifend zugleich. Ich versank in däm-
merndes Ahnen.
Dieser, so sprach ich, fürwahr, sind die Un-
sterblichen hold.
Wahrlich, es haben die Musen an ihrer Wiege ge-
lächelt;
An der ambrosischen Brust hat sie die Schön-
heit getränkt.
Jegliche Grazie wiegt' auf weichem Schooſse das
Mägdlein.
Jeglicher höhere Reiz schmücket die Jungfrau
dereinst.
Also gedacht ich, und öde nicht mehr, nein selig
und preislich
Däuchte die Flur mir, die dich, edele Blume, gebar.
Neunmal blühten die Rosen, seit wir uns fanden,
Geliebte.
Prüfend berührte der Blick, liebend umschlang
dich der Sinn.
Auch in der Fern' umschwebte den Träumer die
holde Erscheinung.
Traulich umschmeichelte mich, Süſse, dein lieb-
liches Bild.
[120]
Fast zu sorglos gewährt' ich zu glimmen dem heim-
lichen Funken;
Achtend gering die Gefahr nährt' ich den freund-
lichen Hang.
Glimmender Funke du wuchsest zu nimmererlöschen-
der Flamme,
Nimmerermattender Zug wurde der freundliche
Hang . . .
Wer hat edel geliebt? Wer hat mit Andacht und
Inbrunst
Angebetet? um Gunst nimmer und Gabe ge-
fleht?
Wer hat jeglicher Habsucht Feind, nach Besitz
nicht gerungen?
Nimmer geworben um Lohn? nimmer gegeizt
nach Genuſs?
Wer hat reinen Sinns das Göttliche nimmer ent-
göttert?
Auch mit geheimerem Wunsch nimmer das Heil'-
ge entweiht?
Eines Blickes froh, begeistert von Einer Umar-
mung,
Höhen erflogen, die sonst nimmer der Fittig
erprobt.
Hochverehrte, du weiſst es. Ich habe mit reinem
Gemüthe
Rein dich umfangen, um Gunst nimmer noch
Gabe gefleht.
[121]
Habe mich anschaunsselig an deiner Schönheit ge-
weidet,
In dem belebenden Strahl mich aus der Ferne
gesonnt.
Habe Jahre gedient um Einen Moment des Entzük-
kens,
Habe den süſsen Moment wieder mit Jahren
bezahlt;
Habe von deinem Kuſs entflammt, von deinem Um-
fangen,
Höhen erflogen, wohin nimmer der Geist sich
gewagt.
Wären uns anders die Loose gefallen — ach laſs
es mich denken,
Welches zu denken gleichwohl schaudern und
schwindeln mich macht —
Wären die Loos' uns anders, uns schöner gefallen,
Geliebte,
Wäre, mit deinem gepaart meines der Urne ent-
rollt —
Nicht zum Beglücktesten nur, nein auch zum Er-
sten der Menschen
Hätte der freundliche Wurf deinen Gefährten
erhöht.
Feuernd von deinem Kuſs, von deiner Umarmung
begeistert,
Hätt' ich mit göttlichem Thun jeden der Tage
bekränzt.
[122]
Dir an die duftende Brust geschmiegt, dich innig
umflechtend,
Wär' im edenischen Traum selig verschwunden
die Nacht;
Jeden erwachenden Tag wär' ich verjüngt und ver-
göttert
Deiner Umarmung enttaucht, göttliche Thaten
zu thun — —
Frecher Traum, zerflattre! verweh' unheiliges Wähnen!
Irdischen Wesen geziemt Wonne der Himmli-
schen nicht.
Anders sprangen die Loos' aus der schicksalentschei-
denden Urne.
Zu den Schatten hinab führt uns gesondert der
Gott.
Dennoch gelinge dem Schicksal es nie, die Gemü-
ther zu trennen,
Dennoch entfremde der Stoff nimmer dem Gei-
ste den Geist.
Dennoch liebe mich, Edle, mit zarter ätherischer
Liebe.
Wende nicht spröderen Sinns von dem Getreuen
dich weg.
Siehest du lechzend ihn stehn in seiner bescheide-
nen Ferne,
Siehst in die Fern' ihn gedrängt von der Be-
wunderer Schwarm:
[123]
O so reiſs auf Momente dich los aus dem flattern-
den Schwarme,
Reiche ihm tröstend die Hand, lächle erbar-
mend ihn an;
Daſs nicht gänzlich in ihm der Liebe Ahnung erlösche,
Daſs nicht schauernder Frost lähme den stre-
benden Geist;
Daſs sein Leben verglüh' im Rosenschimmer der
Liebe,
Und in Elysium einst liebend die Schatten ihm
nahn.
Neunmal blühten die Rosen, seit wir uns fanden,
Geliebte;
Werden hienieden noch oft, Traute, die Rosen
mir blühn?
Solches ruhet im Schooſse der Götter; dies Eine
nur weiſs ich,
Auch zu den Schatten hinab nehm ich die Lie-
be zu dir.
Und wenn jenseit der Urne noch Liebe, die Selige,
lächelt,
Jenseit der Urne fürwahr lieb' ich noch inni-
ger dich;
Inniger noch und zarter, und nicht mit den Qualen
der Sehnsucht,
Nein mit dem ruhigen Sinn, welcher den Ma-
nen geziemt.
[124]
Erstes der Mädchen, der Lenz ist hin, der Sommer
verfärbt sich;
Blatt auf Blatt entsinkt schon dem erschöpfte-
ren Baum.
Kommen einst werden die Söhne der Fremde, auf
Tura's Gefilden
Werden sie eilenden Tritts suchen den Sohn
des Gesangs.
Wo ist der Sohn des Gesangs? so werden die Su-
chenden fragen.
Wo ist Temorens Schwan, Tura's ertönen-
der Aar?
Tura's Aar ist gehemmt in seinem tönenden
Fluge;
Stumm ist Temorens Schwan, nimmer erschallet
sein Lied. —
Und es erseufzen die Söhne der Fremde: „So bist
du gefallen,
Trefflicher Sänger, erstummt ist dein melodi-
scher Mund!“ —
Ja ich weiſs es, ich werde nicht fallen, wie Blätter
zur Herbstzeit.
Mit den Vortrefflichen wird einstens mein Na-
me genannt.
O des süſsen Gedankens, zu leben im Lobe der
Nachwelt,
Theuer der Enkelinn noch, theuer dem Enkel
zu seyn.
[125]
O des tausendmal süſsern, zu leben in deinem Ge-
dächtniſs!
O des Trostes, noch spat theuer dir, Theure, zu
seyn!
Ja ich weiſs es, Geliebte — denn unter der Miene
des Leichtsinns
Trägst du ein fühlendes Herz; unter verhüllen-
dem Scherz
Birgst du die ewige Wund' im tiefempfindenden
Busen,
Lächelst die Thränen hinweg, welche entquol-
len der Brust —
Weinen wird Ebba fürwahr dereinst um ihren Ver-
lohrnen!
Trauren wird sie noch lang' um den entflohenen
Freund,
Denken wirst du an ihn, Verlaſsne, wenn Abends
das Spatroth,
Denken an ihn, wenn der Mond Nachts in die
Fenstern dir weint —
Neunmal blühten die Rosen und bis dir die letzten
verblüht sind,
Wirst du betrauren den Freund, welcher dich
liebend entfloh.
An meine Tochter
Allwine Louise.
Erstlingstochter heil'ger Liebe,
Meine Hoffnung, meine Freude,
Meiner Augen liebste Weide,
Mein Juwel, mein köstlichst Gut;
Dich beschwör' ich bey dem Herzen,
Draus du sproſstest, bey den Schmerzen
Jener, die dich trug und tränkte,
Bleibe schuldlos, bleibe gut!
[127]
Holde Tochter, noch beschämet
Deines Auges Glanz und Helle
Den Krystall der Gletscherquelle,
Noch Golkondens schönsten Stein.
Mögst du nie im Hauch der Sünden,
Funkelnder Brilliant, erblinden!
Mögst du ewig lautrer Spiegel
Einer lautern Seele seyn!
Wie um Blumen Bienen gaukeln,
Wie durch Blüthen Weste streifen;
Also schweif mit leichtem Schweifen
Durch das Leben froh dein Fuſs.
Nie beflügle dieser Tritte
Reinen Rythmus freche Sitte.
Nimmer lähm' ihn träge Sorge,
Nie der bleyerne Verdruſs!
Welches Glöckleins hellem Klingeln,
Welcher Flöte, welcher Laute
Klarem Klang' vergleich ich, Traute,
Deiner Stimme Silberschall.
Nie verfälsche dumpfes Grollen,
Finstres Zürnen, düstres Schmollen,
Feiges Wimmern dieses Glöckleins
Silberhaltiges Metall.
[128]
Holde Tochter, sproſs und schosse,
Fröhlich, wie die Bins' am Teiche,
Wie die Feldros' im Gesträuche,
Wie der Waizenhalm im May.
Aber rastlos sey dein Sorgen
Spät am Abend, früh am Morgen,
Daſs der Leib nur schöne Fassung
Einer schönern Seele sey.
Nie von hohlem Schein geblendet,
Noch vom Netz des Trug's umwoben,
Noch von falschem Wahn verschroben,
Bleibe frommer Einfalt treu.
Feindinn jedes Rollenspieles,
Jedes lügenden Gefühles,
Wie der Äther klar und offen,
Wie der Lichtstrahl frank und frey.
Höre, Tochter, was ich bitte:
Wahr' in kindlichem Gemüthe
Lebenslänglich deine Güte,
Deine Wahrheit, Zucht und Huld,
Deine Ehrfurcht für das Sollen,
Deine Gnügsamkeit im Wollen,
Deine Innigkeit im Lieben,
Deine schweigende Geduld.
[129]
Um den Taumel lauter Freuden,
Die betäuben und ermüden,
Tausche nie den tiefen Frieden,
Der nur stilles Wirken liebt.
Seliger, als in der Menge
Herzerkaltendem Gedränge,
Fühle dich im engen Zirkel,
Der bescheidne Pflichten übt.
Süſser, als umringt vom Schwarme,
Als entflammt vom Bachanale,
Im getümmelvollen Saale
Dich in trunknen Schleifern drehn;
Süſser sey dir's, still und leise
In der Deinen trautem Kreise
Gutes schaffen, Freuden stiften
Künft'ger Erndten Saaten sä'n.
Tochter, unsers Geistes Sehnen
Strafft ein nieermattend Trachten;
Unsern Busen schwellt ein Schmachten,
Welches diese Welt nicht stillt.
Dieses Sehnen, dieses Ahnen,
Dieses ferne, leise Schwanen
Deutet auf das dunkle Jenseits,
Das sich keinem Aug' enthüllt.
3 I
[130]
Tochter, unsre Blüthen fallen.
Eine Weile kos't und tränket
Uns die groſse Mutter, senket
Freundlich lullend uns ins Grab.
Reifes, Grünes mäht der Schnitter,
Fühllos wirft das Ungewitter
Dürre Blätter, Blüthenkronen
Von dem Lebensbaum herab.
Unsre Julie keimt' und knosp'te.
Ihre Knospen sind gebrochen.
Wenig trübe Winterwochen
Weint' und lacht' und lallt' Emil.
Als das junge Jahr erlau'te
O des Jammers! sank der Traute
Von der Mutter warmen Busen
In des Grabes schaudernd Kühl.
Tochter, wähne nicht, auf immer
Werde dich der Arm beschirmen,
Welcher in des Lebens Stürmen
Itzt noch deine Schwäche stützt.
Einsam durch die Wildniſs wanken,
Stablos wirst du niederschwanken,
Wenn dich nicht der Trost der Unschuld,
Und der Unschuld Retter stützt.
[131]
Drum beschwör' ich bey dem Frieden
Deiner Zukunft, bey dem Herzen,
Draus du sproſstest, bey den Schmerzen
Jener welche dich gebar;
Ich beschwöre dich und bitte:
Bleib getreu der schönern Sitte!
O mein Erstling, o mein Liebling,
Bleibe schuldlos, gut und wahr!
[132]
Erinnerungen.
Komm, Schwester meines Herzens,
Laſs von des Rugard Höh'n
Uns staunend in die Ferne,
Ins Ungemeſsne sehn.
Sieh wie im Abendschimmer,
Von dunkler Fluth umkränzt,
Dein mütterliches Eyland
Uns hold entgegen glänzt.
[133]
Sieh, sieh im Kranz der Berge
Die Stadt, die dich gebar;
Dich, Schwester, und das Mädchen
Mit goldbestäubtem Haar.
Am donnernden Visurgis
Wallt, die ich meine, nun;
Und Friede soll und Tröstung
Auf ihrer Scheitel ruhn.
Wo rauscht ihr, heil'ge Hayne,
Wo ich im Mondenblitz
Und Sterngedämmer schwärmte,
Ihr Hayne Boldewitz.
Mir hat in euren Schatten
Urania sich verklärt,
Hat mir in ernsten Nächten
Manch hohes Lied gelehrt.
Sieh, sieh im fernen Süden
Die Berge Granitz blau'n.
In jener Berge Schründen,
In jener Waldnacht Graun,
Im Rund der Hünenmale,
Wo Hirsch und Hindinn gras't,
Hab' ich im Stolz der Jugend
Der Monden viel verras't
[134]
Wo glänzen deine Wellen,
Friedsel'ger Karow-See,
An dessen Kalmusufern
Ich sinnend wandelte,
Wo ich der Hellas Weisen,
Und Cona's Barden las,
Und lauschend ihren Tönen
Von allem Harm genaſs.
Wo säuseln deine Pappeln,
Kleeduftend Casnewitz,
In dessen Thymiangründen,
Der Einfalt stillem Sitz,
Ein blödes Mägdlein sproſste,
Das schüchtern mich umschlang,
Und liebend mir verschönert
Den rauhen Lebensgang.
Sieh dort, am Saum des Osten,
Umschürzt vom Ozean
Hebt Jasmund seine Scheitel
Titanisch mondhinan.
Wohl seyd ihr, Quoltitz Berge,
Hoch Seelow's Wolkenheerd,
Gewalt'ge Stubbenkammer,
Wohl unsers Preises werth.
[135]
Doch werther noch des Preises
Ist euer Schwesterland,
Wo nach verklungnen Stürmen
Ich süſsen Frieden fand.
Hast du nicht, stilles Wittow,
Des Schwärmers Geist gezähmt,
Und seine Kraft gezügelt,
Und seinen Trotz gelähmt?
Sey mir gegrüſst im Liede,
Vertraulich Uferland!
Geheime Kräfte walten
An deinem öden Strand.
In deinen Uferschründen
Wohnt namenlose Ruh,
Und Stein und Staud' und Welle
Spricht mir vertraulich zu.
Dort wo umschäumt Arkona
Die Brust den Wogen beut,
Schaut glanzberauscht das Auge
In die Unendlichkeit.
Erhabnes Ahnen schwellet
Des ernsten Schauers Brust,
Und Hohngelächter däucht uns
Der Erde Schmerz und Lust.
[136]
Dort, wo am flachern Strande
Die Welle leiser grollt,
Wallt, Schwester, unsre Traute,
Umglänzt von Hespers Gold.
Schürzt, Zephyrs, eure Hüften,
Bringt ihr Mariens Kuſs.
Rollt rascher, rege Wellen,
Rauscht ihr des Dichters Gruſs.
Dort wo aus Espenwipfeln
Begeistrung niederbraust,
Wo güldne Träume gaukeln,
Und süſse Schwermuth haust;
Dort üb' ich schöne Pflichten,
Und pfleg' erhabner Ruh;
Dort schleuſst mir einst die Wimper
Der Horen schönste zu.
Auch schläft im Ring der Weiden
Schon ein holdselig Paar.
Es schläft mein süſses Mägdlein
Mit Augen sternenklar.
Es schläft zu Juliens Linken
Mein freundlicher Emil.
Schlaft, Lieblinge. — Bald säuselt
Auch uns die Palm' am Ziel!
[137]
Auf Schwester meines Geistes!
Die Sonne sank ins Meer.
Schwer wälzt der Sturm und grollend
Die düstre Fluth daher.
Verwehte Wolken trüben
Des Himmels Lasurblau,
Und Inseln und Gewässer
Umflort ein neblicht Grau — — —
O Insel meiner Liebe,
O Heimath meiner Ruh,
O Amme meines Geistes,
Gedeih' und grüne du,
Bis du am Tag der Tage
Wie Gold im Ofen glühst,
Und einst, ein schön'res Eden,
Aus Schlack und Asch' erblühst.
Agathon an Telxione.
Zauber, welcher neunmal mich umwunden,
Talisman, der meine Kräfte band,
Welches Dämons Hauch' bist du zerschwunden,
Bist gesprengt von welches Heros Hand?
Weggeblasen ist der Kerkerbrodem,
Welcher schwül und ängstend auf mir lag
Lebensluft umweht mich, Lebensodem;
Golden glänzt mir der entflorte Tag.
[139]
Wo sind nun die täuschenden Gebilde,
Wo die Gaukel meiner Fantasie?
Wo die Füll' und Frisch' und Huld und Milde,
Falsche, die des Dichters Wahn dir lieh?
Wo des hohen Ideales Züge,
Das sein Rausch in dir verwirklicht sah?
Mit dem Rausche schwand des Rausches Lüge,
Und entzaubert stehst du vor mir da.
Wie? dem Geist Praxiteles entrungen
Hätte sich süſsschmerzend diese Frau?
Aus dem Meissel Polyklet's entsprungen
Wär' unsträflich dieser Gliederbau?
Diese Formen trotzten jedem Tadel?
Dieses Auge sonder Ruh und Glanz,
Diese Stirne sonder Sinn und Adel
Kämpften mit Niobens um den Kranz?
Dieses, wähnt' ich, sey der Wuchs Dionens?
Dies der Flug, den Atalanta flog?
Dies der Marmorbusen Hermionens,
Draus Orest Heroen-Frohheit sog?
Dies der Honigreiche Mund Athenens,
Dem Verständigkeit und Güt' entquoll?
Dies die Tinten Anadyomenens,
Als sie blendend dem Geschäum' entschwoll?
[140]
Also lächelten die Charitinnen
Jedem Horcher durch das Ohr ins Herz?
Also wechselten die Pierinnen
Spielend frohen Ernst und weisen Scherz?
Aus des Aethers reinstem Duft gewoben
Wäre diese Seele, dieser Leib? —
Nein, die Göttinn ist in Dunst zerstoben,
Und geblieben ist ein sterblich Weib.
Dejanirens Lieb', Ismenens Güte,
Iphigeniens himmelklarer Sinn,
Jede Unschuld, jede Schöne blühte,
Wie ich wähnt', in dieser Heuchlerinn!
Jeder Tücke, wähnt' ich, jedes Zwanges
Sey sie ledig; blank und frank und frey
Sey nicht Daphne werther des Gesanges
Als es diese meines Hymnus sey.
Wie der Künstler an dem Ideale
Seines Geistes hängt mit süſsem Hang,
Wie aus Hebens nektarvoller Schale
Der Alcide die Vergött'rung trank;
Also hing an ihr ich mit Entzücken,
Ihr verlobt, vertraut mit Schwur und Eyd.
Lüstern schöpft ich aus den falschen Blicken
Die Verdammniſs und die Seligkeit.
[141]
Ihr zu dienen sonder Dank und Spende,
Ihr zu frohnen sonder Sold und Lohn,
Ihr zu huld'gen sonder Ziel und Ende,
Däucht' ein Loos mir wie kein Königsthron.
Was an Schätzen mir die Vorzeit lehnte,
Draus zu zinsen an die Afterzeit,
Zinst' und zahlt' ich einzig ihr und wähnte
Anspruchfrey mich für die Ewigkeit.
Und sie zahlt' auch mir mit manchen Blicken,
Manchem meinungreichen Wink und Gruſs,
Manchem heuchlerischen Händedrücken,
Manchem halbgewehrten, halbvergönnten Kuſs.
Kärglich zahlte sie. Und was die Schlaue
Gestern zahlte, nahm sie heut zurück.
Willig trug ich ihre Laun' und Laue;
Glaubt' ich doch an ihrer Liebe Glück!
Ihrer Liebe? Nimmer noch geliebet
Hat dies Weib, und nun und ewiglich
Wird von diesem Weibe nichts geliebet,
Als sein eignes armes hohles Ich.
Nein, zerronnen ist der Traum, zerronnen,
Welcher funfzig Monden mich bethört,
Und das Netz das magisch mich umsponnen,
Zauberinn, ist durch dich selbst zerstöhrt.
[142]
Von den wundgeriebnen Hüften fallen
Schon die rost'gen Ketten klirrend ab.
Freudiger des Lebens Bahn zu wallen,
Raff' ich auf mich aus der Knechtschaft Grab;
Prüfe schon mit wollustvollem Dehnen
Der gelähmten Muskeln Federkraft,
Übe schon die kampfentwöhnten Sehnen,
Von der langen Sklaverey erschlafft.
Dem Entscharrten sey gesegnet, Sonne!
Dem Entschwommnen sey willkommen, Strand!
Angezogen von des Wettkampfs Wonne
Schreit' ich rüstig in den Schrankensand;
Wie Alkmäons Sohn, der Niegezähmte,
Sich dem Arm der Lyderinn entschlang,
Hydern würget', Ais Doggen zähmte,
Und gewaltig den Olymp errang
Atlantis.
Insel der Uranionen,
Wo in Thetis blauer Schooſs
Die Heroen selig wohnen,
Harmlos, mühlos, wandellos;
Heymath unbescholtner Triebe,
Freystatt, die kein Zwist entweiht,
Wo sich nimmer mit dem Triebe
Störrig das Gesetz entzweyt;
Wo sich schlieſsen alle Wunden,
Jede Quetschung sich vernarbt —
Hab' ich, Insel, dich gefunden,
Wo nicht Sinn noch Seele darbt?
[144]
Welche Kühle, welche Frische
In der balsamreichen Luft!
Welches Säuseln im Gebüsche!
Welches Hauchen! welch ein Duft!
Murmelnd durch beblümte Matten
Schlängelt sich des Bachs Krystall,
Rings erklingt aus grünen Schatten
Wachtelschlag und Drosselschall.
Wahrlich, dieses Äthers Schimmer
Wölkte nie des Nebels Grau.
Nimmer trübten Stürme, nimmer
Dieser Fluthen spiegelnd Blau.
Schmeichellüfte, lau und linde,
Lullen Sinn und Seel' in Rast;
Und dem Aug' entrollt die Binde,
Und vom Nacken sinkt die Last.
In dem reinern Elemente
Wölbet mächt'ger sich die Brust.
Aus dem labenden Nepenthe
Schlürft der Geist Dämonenlust.
Jedes Jammers wird vergessen,
Jeder Sorge Dunst verfliegt.
Alle Schranke ward durchmessen,
Und das Kleinod ist ersiegt.
[145]
Höher schlägt das Herz und freyer,
Wer den schwülen Kampf bestand.
Wahrheit lüpft den Wolkenschleyer,
Schönheit ihm ihr Duftgewand.
Jedes Dunkel ist gelichtet,
Gar zerflattert Trug und Wahn.
Jede Zwietracht ist geschlichtet,
Aller Hader abgethan.
In den Frohsinn leichter Jugend
Grollt nicht hie des Alters Harm,
Und der Wollust sinkt die Tugend
Liebend in den Schwesterarm.
Nein, der Schönheit Heiligthume
Naht kein Feind des Erebus.
Des Genusses zarte Blume
Knickt nicht hier der Überdruſs.
Nie wird Wehmuth hier zur Schwermuth.
Das Entzücken nie zur Pein;
Nie verfälscht der Reue Wermuth
Unsrer Freuden edlen Wein.
Nein, die Frucht der Hesperiden
Hütet hier kein Höllenhund;
Und die furchtbarn Eumeniden
Scheuen den geweihten Grund.
3 K
[146]
Insel der Uranionen,
Wo in Thetis sel'gem Schooſs
Die Heroen ewig wohnen
Harmlos, mühlos, wandellos.
Heymath unbescholtner Triebe,
Zarter Sehnsucht Zufluchtsort,
Freystatt achterklärter Liebe,
Süſser Ruhe sichrer Port,
Insel, die kein Strabo kannte,
Kein Nearchos uns genannt —
Gottgeliebte Atalante,
Selig, wer dich ahnt' und fand!
Das neue Jahrhundert.
Sey o Jungfrau gegrüſst, du jüngste Tochter des
Chronos!
Freudigen Muthes betritt, Heldinn, die stäu-
bende Bahn!
Manche zwar sind schon gewonnen der Preise. Den
Apfel der Schönheit
Raubte dir Phidias Zeit, Luthers die Keule der
Kraft;
K 2
[148]
Aber noch schimmert in dämmernder Ferne der
Kranz der Vollendung.
Selige, schimmert er einst dir in dem wehenden
Haar!
[figure]
[149]
Endymion.
Schöner Jüngling du schläfst? Und nicht das Ko-
sen der Göttinn,
Nicht ihr ambrosischer Kuſs scheuchet den se-
ligen Traum?
Schlafe, Beglückter! Nur schlafend besuchen die
Götter den Menschen;
Wachend fällt er sofort, herbes Verhängniſs,
dir heim
Narcissus.
Echo, die Zarte, verschmäht' er verstockt. In
sich selber entbrennend,
Fasst' ihn bethörender Wahn, deckt' ihn die
stygische Nacht.
Scheut, ihr Vergöttrer des Ich, Adrastäen. Die
Echo des Herzens
Dürft' euch erstummen, den Geist Dünkel und
Dunkel umfahn.
Edmunds Lieder.
Erster Anhang.
[[152]][153]
Apologie.
„Liebe girret dein Lied? Schon wieder Liebe?
Nur Liebe
Girrt' es und hat es gegirrt. Weiſs es das Eine
denn nur?“
Ja, ich bekenn' es: das Eine nur weiſs es, und
mag nur das Eine.
Ja, ich gesteh' es: nur Sie hat mir genommen
das Herz.
Untergegangen in Sie, versunken in Sie und ver-
lohren,
Athmet nur Liebe der Geist, hauchet nur Liebe
das Lied.
[154]
Höheres, Heiligeres hat nie dem Geiste geschwanet!
Süsres, Entzückenderes zündete nie den Ge-
sang! . . .
Liebe, Liebe, begeisternder Drang nach dem Höch-
sten und Schönsten,
Nimmer ermattender Zug, Trefflichstes, dir sich
zu nahn,
Nimmerversiegende Kraft, Unendliches, dich zu
umfangen,
Flamme, die nimmer erlischt, Schwinge, die
nimmer erschlafft,
Sehne des Geistes, und Seele des Liedes, und
Mark der Heroen . . .
Dich nur weiſs ich, nur dich mag ich, und
singe nur dich!
Frühling duftet. Der Busch ist grün. Es blühen
die Schlehen.
Durch die ambrosische Nacht schallet der Nach-
tigall Lied.
Horch wie es schallt, wie die Sängerinn lockt, wie
sie flötet und schmettert!
Leiser und leiser nunmehr sterben die Töne
dahin.
Wiederum lockt sie, und flötet von neuem, und
schmettert noch einmal.
Wiederum stirbet dahin leiser und leiser der
Ton.
[155]
Immer das Eine nur weiſs sie, und singt nur das
Eine. Nur Liebe
Wirbelt ihr schmetterndster Schlag, schmachtet
ihr leisester Laut.
Nimmer müde gleichwohl dem ewigen Einen zu
lauschen,
Wallt im melodischen Busch Psyche, die
Edlere, hin.
Dämmerndes Ahnen, unsterbliches Sehnen, erha-
bene Wehmuth
Reget das ewige Eins ihr in der liebenden
Brust.
Edlere Psyche, nur dir erschwillet die Kehle
Aödi's.
Schönere Psyche, nur dir huldigt der Schwan
des Gesangs.
Dir an die duftende Brust sich schmiegend, ent-
weht ihm im Liede
Jeglicher lechzende Schmerz, jegliche irdische
Angst.
Ja, er gesteht es, er hat es nicht heel: Dich Eine
nur meint er,
Dich nur weiſs er, nur dich mag er, und tönt
nur von dir.
Wohin? wohin?
Wohin, wohin,
O junges Blut,
O frischer Muth,
O leichter Sinn,
Wohin, wohin?
Über Berg und Thal
In Lust und Qual,
Über See und Land,
Von Strand zu Strand,
[157]
Von Scherz zu Schmerz,
Strebt mir das Herz,
Drängt mein Gemüth
Zum lauen Süd;
Wo leis' und linde
Im Abendwinde
Die Pinie flüstert,
Die Myrthe düstert,
Aus dichtem Laube
Granat und Traube
Und Feige funkeln;
Wo rings im Dunkeln,
Ach Zitterklang
Und Mädchensang
Und Liebesdrang
Aus Busch und Wald
Erschallt, erschallt —
Dahin, dahin
Strebt lechzend mein verliebter Sinn.
Doch fort, ach fort
Zum rauhen Nord,
Auf finstern Meeren,
Durch Klipp' und Scheeren,
Zum öden Staden,
Wo gift'ger Schwaden
Die Matten näſst,
Die Brust beklemmt,
[158]
Den Athem hemmt,
Das Herz zerpreſst;
Wo Scherz und Schwank
Und Zitterklang,
Und Liebesdrang,
Und Liederschwung,
Und all was jung,
Und warm und zart,
Im Eis' erstarrt;
Dahin, dahin
Bannt mich des Schicksals strenger Sinn.
Doch junges Blut
Hat frischen Muth
Und leichten Sinn.
Mag immerhin
Durch Fichtenwälder
Und nackte Felder
Der Nordsturm rasen,
Der Eiswind blasen,
Und rings das Meer das Land verglasen —
Ein ewger Süd
Wärmt mein Gemüth,
Und Joniens Luft,
Campaniens Duft,
Italiens May
Bleibt mir getreu:
Und Lüftlein lau,
[159]
Gekühlt durch Thau,
Am fernen Staden
Mit Duft beladen
Umwehn mich zart;
Ob rings um mich die Welt auch starrt.
Öd und leer.
Leere des Sinns und der Seele, wie wend' ich,
Wie füll' ich dich, ängstendes, schauerndes Leer!
Es treibt mich, es jagt mich, es hetzt mich un-
bändig — —
Sage mir,Himmel, wonach? Sagt es mir, Fluren
und Meer!
Nennt mir dieſs nimmer ersättigte Sehnen!
Nennt mir die würgende Ungeduld!
Deutet mir diese heiſsstürzenden Thränen!
Lehrt mich, ach lehrt mich sie sühnen, die rastlos
verfolgende Schuld!
[161]
Funkelnder Sirius, schimmernder Rigel,
Bergt ihr das Gut, das dem Lechzenden fehlt?
Ergreift mich, Stürme der Nacht, und tragt mit
gewaltigem Flügel
Zu Welten mich empor, wo keine Sehnsucht
quält!
Liegt in des Abgrundes Schooſs es begraben,
Was die schmachtende Seele letzet — Hinab,
Hinab in chaotisches Graun! Hinab, es zu finden,
zu haben!
Hinab in das grausige klaffende Grab!
Faſste dein Strudel mich, alte Charybde!
Braust' ich mit Ossians Geistern umher!
Löst' ich, ein Büſser, mein sühnend Gelübde!
Glüht' ich im lybischen Sand! gefrör' ich im arkti-
schen Meer!
Umstrickten mich nur der Begierden Empusen!
Schäumte mir Wollust dein Kelch! Blinkte mir
Rache dein Stahl! —
Aber im Herzen der Frost! die schaudernde Öde im
Busen! — —
Acherontische, stygische, folternde Qual!
Wohl lockt vom Leukadischen Fels der Sprung
in die schäumenden Fluthen!
Wohl böt' ich die Deciusbrust den brüllenden
Schlünden der Schlacht!
3 L
[162]
Wohl schürt' ich alcidischen Sinns des Rogus ver-
götternde Gluthen — —
Aber wer harret dahinten? — — Erebische ewige
Nacht! — —
Hörst du sie rasseln, des Tartarus Ketten?
Siehst du die Larven im Schwefelgefild?
Wohin denn sich bergen, sich flüchten, sich retten?
Dem keine Lethe rinnt, dem kein Nepenthe quillt!
Das Lenzgefühl.
Der Lenz, der Lenz ist erschienen.
Es ergrünen die Maale der Hünen,
Es belaubt sich der heilige Hain.
Es erhellt sich der dunkele Eppich.
Ein grüner geschorener Teppich,
Gestickt mit güldenen Blumen,
So funkelt der Anger, der Rain.
Die Blumen stehen wie trunken
Herab auf die Erde gesunken,
Umarmt sie der bräutliche May.
Entgegen dem Brünstigen bebet
Ihr schwellender Schoos. Es entstrebet
Der Kraisenden drängend die Fülle
Der Leben jung und neu.
L 2
[164]
Auf brechen die Brunnen der Tiefen.
Es erwachen die Seelen, die schliefen.
Es bevölkern sich Matten und Wald.
Wie brausen die Käfer! Wie schwirren
Die zarten Libellen! Wie girren
Die Täubchen, derweil in den Lüften
Der Lerche Brautlied schallt.
Vom Hauche des Frühlings geschwollen,
Vom Athem der Liebe gequollen,
Schwelgt jeglicher Busen in Lust.
Nur mir will das Herz sich nicht weiten.
Nur mir sich der Busen nicht breiten.
Wann, ach, wann füllt sich die Leere
In dieser verschmachtenden Brust.
Ich späh' in die Näh' und die Ferne,
Ich frage die sinkenden Sterne,
Ich rufe die Blumen der Flur,
Ich belausche die Echo der Haine.
Wo wandelt, wo hauset die Eine,
Die das schmerzliche Sehnen befriedigt? —
Ach zeigt mir der Einzigen Spur!
Ihre Flur.
Der Abend blüht.
Arkona glüht
Im Glanz der tiefgesunknen Sonne.
Es küſst die See
Die Sinkende,
Von Ehrfurcht schauernd und von Wonne.
Ein grauer Duft
Durchwebt die Luft,
Umschleyert Wittow's güldne Auen.
Es rauscht umher
Das düstre Meer,
Und rings herrscht ahnungreiches Grauen.
[166]
O trautes Land!
O heil'ger Strand!
O Flur, die jede Flur verdunkelt.
Flur, deren Schooſs
Die Blum' entsproſs,
Die alle Blumen überfunkelt.
Paart nicht den Schnee
Der Lilie
Die Holde mit der Glut der Rosen.
Die Au', Ein Kranz
Voll Duft und Glanz
Reicht ihr den Preiſs, der Tadellosen.
Ihr Ambraduft
Durchweht die Luft,
Und würzet rings die Näh' und Ferne.
Und stirbt das Licht
Des Liedes nicht,
So reicht ihr Nam' einst an die Sterne.
O trautes Land,
O hehrer Strand,
Sey stolz auf deiner Blumen Blume.
Das heil'ge Meer
Und rings umher
Die Inseln huld'gen deinem Ruhme — —
[167]
Nacht hüllt den Strand.
Arkona schwand.
Verlodert sind des Spatroths Gluthen.
Das Weltmeer grollt,
Und gluthroth rollt
Der Vollmond aus den düstern Fluthen.
Die Mondnacht.
Siehe, wie die Mondenstrahlen
Busch und Flur in Silber mahlen!
Wie das Bächlein rollt und flimmt!
Strahlen regnen, Funken schmettern
Von den sanftgeregten Blättern,
Und die Thauflur glänzt und glimmt.
Glänzend erdämmern der Berge Gipfel,
Glänzend der Pappeln wogende Wipfel.
[169]
Durch die glanzberauschten Räume
Flüstern Stimmen, gaukeln Träume,
Sprechen mir vertraulich zu.
Seligkeit, die mich gemahnet,
Höchste Lust, die süſs mich schwanet,
Sprich, wo blühst, wo zeitigst du?
Sprenge die Brust nicht, mächtiges Dehnen;
Löschet die Wehmuth, labende Thränen.
Wie, ach wie der Qual genesen?
Wo, ach wo ein liebend Wesen,
Das die süſsen Qualen stillt.
Eins ins andre gar versunken,
Gar verloren, gar ertrunken,
Bis sich jede Öde füllt —
Solches, ach, wähn' ich, kühlte das Sehnen;
Löschte die Wehmuth mit köstlichen Thränen
Eine weiſs ich, ach nur Eine,
Dich nur weiſs ich, dich, o Reine,
Die des Herzens Wehmuth meint.
Dich umringend, von dir umrungen,
Dich umschlingend, von dir umschlungen,
Gar in Eins mit dir geeint — —
Schon', ach schone den Wonneversunknen.
Himmel und Erde verschwinden dem Trunknen,
Idens Nachtgesang.
Vernimm es, Nacht, was Ida dir vertrauet,
Die, satt des Tags, in deine Arme flieht.
Ihr Sterne, die ihr hold und liebend auf mich
schauet,
Vernehmt süſslauschend Idens Lied.
Den ich geahnt in liebevollen Stunden,
Dem sehnsuchtkrank mein Herz entgegenschlug,
O Nacht, o Sterne, hörts, ich habe ihn gefunden,
Deſs Bild ich längst im Busen trug.
[171]
Um seine Wiege lächelten die Musen,
Urania kost' ihm auf dem keuschen Schooſs,
Die Schönheit tränket' ihn an ihrem Nektarbusen,
Und jede Charis zog ihn groſs.
In seinen Augen blitzt prometisch Feuer.
Gerecht entbrennt sein Herz in Lieb und Zorn.
Es lüpft dem Schmachtenden die Wahrheit ihren
Schleyer;
Ihm sprudelt Phöbus heil'ger Born.
Freund, du bist mein, nicht für die kurze Reise,
Die durch das Labyrinth des Lebens führt;
Sieh, sieh die Sphären dort, die ewig schönen
Kreise,
Wo fester unser Band sich schnürt.
Freund, ich bin dein, nicht für den Sand der
Zeiten,
Der schnellversiegend Chronos Uhr entfleuſst;
Dein für den Riesenstrom heilvoller Ewigkeiten,
Der aus des Ewgen Urne scheuſst.
Edmunds Nachtgesang.
Nein, es ist kein täuschend Sehnen,
Nein, mich neckt kein eitler Traum.
Wohl vermag ich Seyn und Wähnen,
Wohl zu scheiden Zeit und Raum.
Prägt nicht itzt noch diesen Boden
Ihres Trittes Rehenspur?
Würzt nicht ihr Ambrosiaodem
Rings die amaranthne Flur?
[173]
Fühlt' ich nicht, wie leis' und bange
Mich ihr Lilienarm umwand?
Flammt nicht noch auf dieser Wange
Ihrer Wange keuscher Brand?
Bin ich nicht des Weins noch trunken,
Der auf ihren Lippen glüht?
Dessen Gluthstrom Lebensfunken
Mir durch Mark und Adern sprüht?
Schäumt nicht noch der Becher über,
Deſs ich bis zum Taumeln trank?
Bebt nicht noch in Nerv' und Fiber
Des Entzückens Überschwang?
Nein, mich trügt kein täuschend Sehnen;
Nein, mich neckt kein nicht'ger Traum.
Noch vermag ich Seyn und Wähnen,
Noch zu scheiden Zeit und Raum.
Und so wär' ein Kranz errungen,
Wie er keinen noch gekrönt?
Und die Möre wär' bezwungen,
Und die Nemesis versöhnt?
Ihn, den Matten, ihn, den Kranken,
Lezte Labsal, reich und kühl,
Und nach kühn durchmeſsnen Schranken
Wär' erreicht der Ziele Ziel?
[174]
Dennoch hüllt mich leise Wehmuth,
Mich umflort Melancholie.
Ich versink' in Schaam und Demuth.
Edle, dich verdien' ich nie — —
Laſs, Geliebte, laſs gewähren — —
Nieder sink ich kraftberaubt,
Und gebadet gar in Zähren,
Neigt verzagend sich das Haupt — —
Weg jedoch mit feigen Thränen!
Genius, gürte dich zum Streit!
Spanne die erschlafften Sehnen,
Ringe nach Vortrefflichkeit.
Weggeschmelzt sey jede Schlacke,
Die dein reines Gold versehrt!
Kühn erklommen jede Zacke,
Die dem Flug des Adlers wehrt.
Nein, Erhabne, nie erröthen
Sollst du über deinen Freund!
Mag Apollons Pfeil mich tödten,
Eh dein Liebling dich verneint,
Eh der Treffliche mich tadelt,
Eh sich Pflicht und Ich entzweyn —
Der, den Ida's Wahl geadelt,
Muſs der Menschen Erster seyn.
[175]
Sinken nur, laſs nimmer sinken,
Der durch dich so hoch sich hob!
Kräft'ge mich mit Blick und Winken:
Lohne mir mit süſsem Lob.
Reiche mir zum tapfern Kriege
Schleiff' und Schärpe, Band und Tuch,
Und wenn ich erlieg' im Siege,
Kränze meinen Aschenkrug.
Der transparente Mondschein.
Sey mir gegrüſst, sanftdämmernde Landschaft, im
täuschenden Zwielicht!
Siehe, wie rollet der Mond über den Bergen
daher.
Glänzende Wolken verschleyern des Wandelnden
freundliches Antlitz,
Siehe, sie wallen hinweg, glänzender wandelt
er hin.
Rings erschimmern die Häupter der Berge, die
Wipfel des Waldes,
[177]
Silberne Strahlen durchsprühn flitternd das säu-
selnde Laub.
Schau, es glänzet der Bach, und jegliche zitternde
Welle
Spiegelt dein leuchtendes Bild, freundliche Lu-
na, zurück — —
Komm, Geliebte, mit mir in die traulich dämmernde
Gegend,
Hier durch die thauige Flur, dort durch das
grasichte Ried,
Hier an den blumigen Rand des kalmusduftenden
Sees,
Dort in den dämmernden Hayn, drinnen die
Nachtigal schlägt.
Horch, wie sie schlägt! Wie dämmerts im Hayn!
Hellsilberne Tropfen
Regnen die Wipfel herab. Kühl ists und schau-
rig im Hayn.
Inniger, meine Geliebte, umflicht mich, noch inniger,
enger.
Schaurig und kühl ist der Hayn, einsam und
schaurig die Nacht — —
Bey den Schatten des Hayns, bey des Waldes hei-
ligen Mächten,
Bey den Gestalten, die blaſs wanken im ra-
schelnden Hayn,
Bey den Schauern der Nacht, bey jenem rollenden
Monde,
3 M
[178]
Welcher dein Antlitz bestrahlt, welcher dein
Auge verklärt —
Wie ich dich liebe, Geliebte, so liebte dich keiner,
so liebet
Keiner in Ewigkeit dich, ewiglich lieb ich
dich so.
Bey den Düften des Hayns, bey dem Ambraathem
der Matten,
Bey den Stimmen, die rings flüstern im säuseln-
den Hayn,
Bey den Gewalten der Nacht, bey jenem rollenden
Monde,
Der in der Thräne glänzt, die in den Wimpern
dir bebt — —
Liebe, liebe auch mich, wie ich dich liebe, Ge-
liebte,
Herzlich und schmerzlich und wahr liebe, Ge-
liebte, auch mich!
Inniger, Traute, umflicht mich, noch brünstiger,
inniger, enger!
Beben Entzückungen nicht rings durch das Herz
der Natur?
Zittern nicht funkelnde Thränen auf Gräsern und
Blättern und Blumen,
Strömt nicht edenischer Glanz, magische Hel-
lung um uns?
Weinet nicht lächelnd der Mond? erschauert nicht
liebend die Landschaft? —
[179]
— — Ach, die Landschaft erblaſst! Ach, es er-
löschet der Mond!
Ausgestorben ist alles, und alles erloschen und
öde — —
Ewig im Innersten nur glänzet und glühet es
mir.
[180]
Gruſs in die Ferne.
Woher, o laues Wehen,
Das schmeichelnd um mich kost?
Streifst du von Jasmunds Höhen
Daher aus fernem Ost?
Verschönt das Land der Hünen
Nicht itzt Elwinens Fuſs?
Ach bringst du von Elwinen
Mir etwa süſsen Gruſs?
[181]
Flog sie vielleicht den Hügel
Der Hindinn rasch hinan?
Und staunt den Lasurspiegel
Des Meers anbetend an?
Sieht sie im Abendschimmer
Ihr heimisch Wittow glühn,
Und fern im Spatrothschimmer
Arkona Funken sprühn?
Ich seh', ich seh' die Holde
In ihrer Schönheit Licht.
In Hespers mattem Golde
Wie glänzt ihr Angesicht!
Schwer rollen ihre Locken.
Wild schwirrt des Huthes Band.
Gleich frischgefallnen Flocken
Flieſst blendend ihr Gewand.
Im Hauch der Abendkühle,
Im sanften Abendlicht,
Verklärt vom Hochgefühle,
Wie strahlt ihr Angesicht.
In ihren Wimpern zittert
Der Rührung heil'ger Thau,
Und eine Thrän' umflittert
Der Augen heitres Blau.
[182]
Zurück, o schmeichelnd Wehen,
Das freundlich um mich kost!
Zurück zu Jasmunds Höhen,
Zum sanftgefärbten Ost!
Berühr' Elwinens Wange
Mit leichtem Zephyrkuſs,
Und flüstr' ihr leis' und bange:
Es ist des Dichters Gruſs!
Ihre Blumen.
Ihr Blumen, welche Sie geweiht,
Und die ich sorgsam aufgespart,
Ihr zaubert die Vergangenheit
Mir um zu lichter Gegenwart.
Sieh, Traute, diesen Kornblumkranz,
Einst deiner Locken schlichte Zier.
Du flogst dahin in leichtem Tanz,
Sahst trüb mich stehn und gabst ihn mir.
[184]
Kennst du noch die Leukoje wohl?
Hoch schwellte sie dein schlagend Herz.
Es schien der Mond. Der Abschied scholl.
Dieſs Blümchen brach des Abschieds Schmerz.
Sieh dieses Rosenzwillingpaar.
Einst strömt' es süſse Düfte dir.
Es welkt', es starb; und undankbar
Warfst du es hin. Ich barg es mir.
Dieſs güldne Sternchen funkelte
Auf meiner Zilie grünem Mahl.
Du pflücktest es, Holdselige,
Und gabst es mir im Abendstrahl.
Dort, wo am Strand die Fluth sich bricht,
(Du ruhtest auf dem mächt'gen Stein)
Gabst du mir dieſs Vergiſsmeinnicht —
Nein, Traute, nie vergeſs ich dein.
Und als ich auf Delmora's Höh'n
Dir flehend in das Auge sah,
Erhörtest du das stumme Flehn,
Und nicktest ein erbarmend Ja.
[185]
Doch wenn ich euch, Cyanen, seh,
Ihr schmücktet jüngst noch Ihre Brust,
So überschwemmt mich selig Weh,
Mich überdrängt qualvolle Lust — —
O Blümchen, eurer jedes ruft
Erinnerungen mir ins Herz.
Zwar farbelos und arm an Duft,
Tränkt ihr mich doch mit Wonn' und Schmerz.
Ach, treuer Lieb' ist nichts gering,
Was sie durch treue Lieb' erwand.
Nicht feil ist ihr um Stern und Ring
Ein Blümlein aus geliebter Hand.
Seine Blumen.
Tausend der Blumen blühn in meinem Garten.
Schon durch des Jennerschnee krystallne Rinde
Drängen sich frühlingahnend des Galanthus
Silberne Glöckchen.
Tief im Gesträuche schwillt die Anemone.
Rings auf den Beeten glänzt der güldne
Krokos.
Heimlich erröthend strömt das blöde Veilchen
Köstliche Düfte.
[187]
Lockt dich der Schmelz der vielgefärbten Primel?
Freut dich der Silberstaub der Sammtaurikel?
Liebst du vielleicht der liebesiechen Echo
Blendenden Günstling?
Tausend der Blumen funkeln in dem Kranze,
Welcher des Sommers glüh'nde Schläffen kühlet,
Lilie du, und Nelk', und du, o Rose,
Zypriens Brautschmuck.
Tausend der Blumen blühn in meinem Garten,
Oftmal pflückt' ich die duftigsten, die schön-
sten,
Barg sie zunächst ans Herz mir, wahrte
sorgsam
Tief sie im Busen.
Dir sie zu geben, wenn der Abend wehte,
Dir sie zu reichen, wenn der Abschied schallte,
Daſs sie ein leises Gedenke mein! dir
hauchten,
Schmachtet' und brannt' ich.
Aber mich hielt die Angst, die arme Gabe
Ach, verschmäht zu sehn von der Hochver-
ehrten.
Traurig entwand ich dir mich, meine Blumen
Welketen traurig.
[188]
Klein und gering ist die Gabe treuer Liebe.
Aber verschmäht zu sehn die arme Gabe,
Knicket des Lebens Blume, stöſst den
Mordstahl
Tief in den Herzschlag.
Die Zweifel.
Einmal noch, o Auserwählte,
Sink' ich an dein athmend Herz.
Dir vertraut der Tiefgequälte
Seine Sorgen, seinen Schmerz.
Dir am Busen wimmernd liegend,
Werd' ich alles Zagens los.
Dich umflechtend, dich umschmiegend
Fühl' ich stark mich, kühn und groſs.
[190]
Auf des Zweifelmuthes Wellen
Schwankt der Hoffnung leichter Kahn;
Stürme geiſseln, Strudel schwellen
Den geschwärzten Ozean;
Schleudern itzt den morschen Nachen
Schäumend bis zum Sirius,
Stürzen dann mit lautem Krachen
Nieder ihn zum Erebus.
Manches schmeichlerische Hoffen
Flüstert leisen Trost mir zu,
Und Elysium steht mir offen,
Und der Orkus schlieſst sich zu.
Um mich säuseln Edenslüfte,
Um mich lispelt Lautenklang.
Fernher wehn Violendüfte,
Fernher flötet Brautgesang.
Seligkeit, die mich durchschaudert,
Ahnung, die mich himmelwärts
Flügelt, dir zu glauben, zaudert
Des Verzagten zweifelnd Herz.
Nein, den Blöden, nein, den Armen
Meint Adelens Liebe nicht.
Nein, nicht Lieb' ists, nur Erbarmen,
Was Adelens Auge spricht.
[191]
Ihm, dem Schlichten, Schimmerlosen,
Dem Cytherens Stern nicht glänzt,
Den nicht schmücken Heben's Rosen,
Den der Charis Kranz nicht kränzt,
Ihm beschieden, ihm, dem Armen,
Wär' der köstliche Gewinn?
Nein, nicht Liebe, nur Erbarmen
Schmelzt Adelens strengen Sinn.
Sie, die Eine, Wunderbare,
Hochbegabt an Leib und Geist,
Sie, die Holde, Reine, Klare,
Die kein Lied nach Würden preist;
Ihm, dem Schlichten, Anmutharmen,
Hätte diese sich gespart?
Nein, sie kennt nur das Erbarmen,
Nicht Gefühle zartrer Art.
Zwar, das Herz, das Liebe fodert,
Pflegt das Mitleid zu verschmähn.
Ich auch pflog, von Stolz durchlodert,
Sonst wohl mächtig mich zu blähn.
Aber ach, des Stolzes Nacken
Beugt der Liebe heilge Scheu.
Schaamroth glühn der Frechheit Backen,
Und ein Lämmlein wird der Leu.
[192]
Dir gelang es, dir, das Fieber
Meines Stolzes zu zerstreun.
Dir, erhabne, gegenüber
Fühl' ich mich gering und klein.
Meiner alten Habsucht Prasser
Fass' ich zitternd deine Hand,
Und dem nimmersatten Prasser
Gnügt dein streifendes Gewand.
Sey es Liebe, seys Erbarmen,
Was in deiner Brust sich regt,
Wenn umstrickt von Edwins Armen
Mächtiger dein Herz dir schlägt;
Auch der Zarten, Sanften, Weichen,
Weiſs die treue Liebe Dank,
Auch der Huld- und Mildereichen
Dien' und huldg' ich lebenlang.
Immer dann, und immer schneller
Gleite, leichtes Schifflein, fort.
Immer näher, immer heller
Schimmert der gewünschte Port;
Wo kein Wogenbruch mehr brandet,
Wo kein Riff, kein Strudel dräut,
Wo, wer einmal angelandet,
Sich bestandner Kämpfe freut.
Die Nacht der Liebe.
Tief Mitternacht
Ist rings im Walde. Der Sturm erwacht.
Aus grauser Wolke der Donner rollt.
Aus dunkler Ferne das Weltmeer grollt.
Das Weltmeer grollt
Aus dunkler Ferne. Der Donner rollt.
Des Hirschen Brüllen den Forst durchschallt.
Des Sturmwinds Rauschen durchbraust den Wald.
Dumpf braust der Wald.
Des Hirschen Brüllen den Forst durchschallt.
Der Hagel rasselt. Der Regen schwirrt.
Die Sparren ächzen. Das Fenster klirrt.
3 N
[194]
Das Fenster klirrt.
Der Hagel rasselt. Der Regen schwirrt.
Die Nacht ist schaurig. Doch lieb und warm
Liegt mir die Holde im trauten Arm.
Im trauten Arm
Liegt, ach, die Holde mir lieb und warm,
Mich fest umflechtend. Die Zauberluft
Durchwürzt ihr Athem mit Veilchenduft.
Mit Veilchenduft
Durchwürzt ihr Athem die Zauberluft.
Von süſsem Ahnen die Brust erschwillt.
Ambrosisches Labsal der Lipp' entquillt.
Der Lipp' entquillt
Ambrosisches Labsal. Ihr Busen schwillt
Von süſsem Ahnen. Ihr schlagend Herz
Durchströmen Schauder von Lust und Schmerz.
Ach, Lust und Schmerz
Durchströmen schaudernd ihr schlagend Herz.
Ihr süſses Girren, ihr Nektarkuſs
Verschönt zum Olymp den Erebus.
Den Erebus
Verschönt zum Olymp ihr Nektarkuſs — —
— — O weh, es dämmert. Der Tag erwacht.
Ach säume, säume, zu süſse Nacht.
[195]
Zu süſse Nacht!
Ach säume, säume, der Tag erwacht.
Die Feuerblume der Früh' entglimmt.
In wallenden Gluthen der Osten flimmt.
Der Osten flimmt,
Die Feuerblume der Früh' entglimmt.
Erwach, Geliebte, erwach! erwach!
Der Liebe Freuden verräth der Tag.
Erwach! erwach!
Der Liebe Freuden verräth der Tag.
O Tag, wo des Lauschers Auge wacht,
Weich' eilend der süſsen verschwiegnen Nacht.
[196]
An die Nacht.
Heilige Nacht, du kühlst mit leisem Fittig
Jede versengte Wange, trocknest jede
Thränende Wimper, lullst in süſsen Frieden
Jeglichen Jammer.
Fächl', o gewünschte Nacht, auch Ihre Wangen,
Schleuſs ihr die seidnen Wimper freundlich
lullend;
Lispel' in süſsem ahnungreichem Traum ihr
Schmeichelnde Tröstung,
[197]
Daſs sie des Trostes froh im Schlafe lächle,
Lächelnd die seidnen Wimper wieder öffne,
Schöner erröthend, als des jungen Morgens
Züchtige Schimmer — —
Heilige Nacht, mit deinem Rabenfittig
Fächel' auch mir die mattgesengte Schläffe,
Tauch' in des Schlummers Lethe dieses
Herzens
Lechzende Sehnsucht.
Oder umgaukle, Fantasus, mich tröstend.
Wiege mich ein in ihre Feenarme,
Laſs auf dem Schwanenflaum des edlen Busens
Nieder mich schlummern.
Schlummern zu dürfen, ach, in ihren Armen,
Opferten Könige gern die Diademe,
Gerne der Held sein Schwert, der Dichter gerne
Leyer und Lorbeer — —
Heilige Nacht, du linderst jeden Kummer,
Kräftigest jeden Nerv, stählst jeden Muskel.
Sey denn, Gewünschte, auch dem frommen
Fleher
Hold und gewärtig!
Das Andenken.
Ich denk' an Dich, Geliebte,
Vom frühsten Dämmerstrahl,
Bis Kron' und Leyer funkeln
Am ew'gen Himmelssaal.
Im lichten Mittagsglanze,
Im Graun der Mitternacht,
Stehst Du mir klar vor Augen
In jedes Reizes Pracht.
[199]
Mir winkt das Lied des Dichters,
Mich lockt des Denkers Buch.
Süſs klingt des Sängers Harfe,
Und ernst des Weisen Spruch.
Umsonst. Hinweggezogen
Folgt der entzückte Geist
Dem Strom, der ihn magnetisch
In seine Wirbel reiſst.
Wenn Nachts aus halbem Schlummer
Der Sehnsucht Sturm mich weckt,
Wenn mich der Schlag der Wachtel
Aus süſsen Träumen neckt,
Breit' ich den Arm und drücke
Dich wähnend an mein Herz;
Der Wahn zerrinnt, und einsam
Bin ich mit meinem Schmerz.
Ich flüchte sehnsuchtmüde
Zum Busen der Natur.
Doch ach, Dein Bild, Geliebte,
Folgt mir auf jeder Spur.
Es flötet Deinen Namen
Das Vöglein auf dem Zweig.
Ihn schwirrt die Grill' im Grase,
Ihn ruft die Unk' im Teich.
[200]
An Deines Auges Bläue
Mahnt mich des Äthers Blau;
An Deiner Locken Fülle
Des Nebels strömend Grau.
Mich mahnt an Deine Wangen
Der Rose keusche Gluth.
Mich an den Wein der Lippen
Der Beere quellend Blut.
Beschämt dein Schwanenbusen
Nicht der Narzisse Schnee?
Weicht nicht der Milch der Arme
Die Milch der Lilie?
Umhaucht mich nicht Dein Athem
Im Nachtviolenduft?
Ists nicht Dein süſser Name,
Den jedes Echo ruft? — —
Wohin, wohin mich retten
Vor der verborgnen Macht,
Die mich verfolgt vom Morgen
Bis in das Graun der Nacht! — —
Bey Dir, bey Dir nur, Traute,
Ist Rettung mir bewuſst — —
Ach, nur in Deinen Armen,
Ach, nur an Deiner Brust.
Das Abendroth
Der Abend blüht!
Der Westen glüht!
Wo bist du, holdes Licht, entglommen?
Aus welchem Stern herabgeschwommen?
Ein lichter Brand
Flammt See und Land.
Es lodern in dem rothen Scheine
Die Fluren rings, und rings die Hayne.
[202]
Wie sieht so hehr
Das düstre Meer!
Die Welle tanzt des Glanzes trunken,
Und sprüht lusttaumelnd Feuerfunken.
Es mahlt der Strahl
Das liebe Thal,
Das sie bewohnt, der Holden Holde
Mit Rosengluth und mattem Golde.
Geuſs Hesperus
Mit leisem Gruſs
Auf sie den Inhalt meiner Lieder,
Die schönsten deiner Rosen nieder.
Viel schöner blüht,
Viel wärmer glüht
Die blasse Rose ihrer Wangen,
Und weckt inbrünstiges Verlangen.
Von ihr Ein Blick,
Ein trauter Nick
Durchzuckt elektrisch Mark und Leben,
Und macht den feinsten Nerv erbeben.
[203]
Drum, Hesperus,
Beut Gruſs und Kuſs
Der Herrlichen, der Tadellosen,
Und opfr' ihr deine schönsten Rosen.
Bewunderung
Und Huldigung
Heischt nur das Schön, das ewig lebet,
Weil Huld und Heiligkeit es hebet.
Die Sterne.
Niedergeschlummert war die müde Sonne.
Feyerlich wallte der Nacht lasurner Mantel
Schön besäumt von schimmergelockter Sterne
Güldenem Stickwerk.
Unter dem blauen golddurchwirkten Teppich,
Halbverhüllt von des Dunkels trautem Schleyer
Standen und staunten wir, und schauten
liebend
Auf zu den Sternen.
[205]
Über der Holden vollgelockter Scheitel
Strahlte Cassiopega, blitzte Cepheus,
Funkelte Perseus Schwert, flog Andromedens
Glänzender Gürtel.
Tönenden Fittigs stieg empor der Adler,
Melodieen ergoſs der Schwan des Himmels,
Wonnegesang entlispelte der Lyra
Bebenden Sayten.
Und von der Majestät der Nacht durchschaudert,
Jeder Blöde vergessend, jede Feigheit
Groſs verschmähend umschlang ich die Geliebte
Feurigern Armes.
Und den Umschlingenden umschlang die Edle
Leisestöhnend, es stürmte Herz an Herzen,
Wange brannte an Wange. Trunken glühte
Lippe an Lippe — —
Und als ich auftaucht' aus der Wonnen Abgrund,
Siehe, da glänzten alle Sterne güldner.
Lodernder brannte Cassiopega. Funken
Sprühte Cepheus.
[206]
Tönendern Schwunges stieg empor der Adler.
Liebesgesang entquoll dem Schwan des Himmels,
Liebesgelispel girrte von der Lyra
Bebenden Sayten.
Selig erklangen alle Sphären. Alle
Glocken der Weltharmonika ertönten.
Feuriger pochten, Liebe klopften alle
Pulse des Weltalls.
Trunken noch immer ach des Nektarbechers,
Der mit Entzücken Sinn und Geist berauschte,
Wandl' ich dahin seitdem in süſser Liebe
Heiligem Wahnsinn.
Aber verklungen längst in Ihrem Herzen
Ist des süſsen Momentes süſser Nachhall;
Mir vorüber, dem sie den Brand ins Herz warf,
Wandelt sie achtlos,
Würdiget ihn, der ach nach ihr verschmachtet,
Keines holderen Blicks, noch süſsern Wortes,
Schwebet dahin mit leichtem Muth, wirft, Freude,
Dir in den Arm sich — —
[207]
Heilige Sterne, ahnen wahr die Weisen,
Ward geschrieben in euch der Menschen
Schicksal —
O wer öffnet den Sinn, wer liest mir eure
Güldenen Chiffern?
Frech zu erspähn der Zukunft Schauerdunkel,
Lüstet mich nicht; mich lüstet nur, das Eine
Zu ergründen — — nur — — Ida, deines
Herzens'
Dämmerndes Räthsel!
Epicedion.
Edmund und Ida sind hin. Sie haben des schö-
neren Lebens
Bis auf die Hefen geschlürft. Lasset in Frie-
den sie ziehn.
Wenige bittere Hefen nur blieben im güldenen
Becher.
[209]
Dem, der des Weines geschmeckt, widert der
schaalere Rest.
Lasset hinüber sie ziehn zur Insel der Uranionen,
Wo um Phaon nicht mehr Sappho die Zärt-
liche stirbt,
Wo um Narcissus nicht mehr die liebende Echo
verschmachtet,
Um Iphigenien nicht trauert der starke
Achill.
Wo gelöst von den Banden des Stoffs, vom Stachel
des Triebes,
Höchste Schönheit, an dir sich die Vergötter-
ten freun,
Froh des erhöheten Seyns, sich selig fühlend im
Anschaun,
Ruhig im heitern Genuſs, ledig des Sporns der
Begier.
Schönere Psyche, auch uns empfängt die elysische
Insel.
Edlere Psyche, auch uns tränkt der lethäische
Strom.
Jede Erinn'rung verblaſst des gemeineren irdischen
Lebens.
Alles erlischt, was uns mahnt an die Gewalt
der Natur.
3 O
[210]
Du nur schimmerst beglaubigt, o Ahnung erhabne-
ren Daseyns,
Die uns durchblitzte, wenn uns Eros berührte,
der Gott.
Biankens Lieder.
Zweyter Anhang.
[[212]][213]
Der Abschied.
Ihr gottgeweihten Mauern,
Ihr, deren ernster Ring,
Durchweht von heil'gen Schauern,
Eilf Sommer mich umfing;
Ihr klösterlichen Klausen,
Wo Ruh und Andacht hausen,
Die ich jetzt lassen soll —
Gehabt euch wohl!
[214]
Ihr immer grünen Bäume,
Die ihr mir freundlich lauscht
Und oft in süſse Träume
Die Schwärmende gerauscht;
Ihr duftenden Gebüsche
Voll Kühlung und voll Frische,
Voll Lispeln und Gesang,
Habt Dank! Habt Dank!
Ihr Blumen und ihr Quellen,
Ihr Rasen, seideweich,
Ihr kleinen Murmelwellen,
Nie, nie vergeſs ich euch.
Wohl aus dem Weltgedränge,
Dem lästigen Gepränge
Schaut sehnend einst der Blick
Nach euch zurück.
Ihr heiligen Jungfrauen,
Die selig Tag und Nacht
Das Antlitz Gottes schauen,
Habt mich in guter Acht!
Urbild der Huld und Güte,
Madonna, ach behüte
Vor eitelm Wahn den Sinn
Der Sünderinn!
Strada della Luce, Strada della Croce.
Durch das Kreuz zum Glanz!
Wem gebührt der Kranz?
Wer getrost gelitten,
Wer mit Kraft gestritten,
Dem gebührt der Kranz.
Durch das Kreuz zum Glanz!
Durch die Nacht zum Licht!
Herz, verzage nicht,
Ob von Nacht umschauert,
Erd' und Himmel trauert —
Schau der Ost erglüht,
Und das Dunkel flieht.
[216]
Durch den Schweiſs zum Schlaf!
Stach die Sonne, traf
Dich des Mittags Schwüle;
Abends lullt die Kühle
In gewünschten Schlaf,
Wen die Schwüle traf.
Durch den Kampf zum Sieg!
Krieg geboten, Krieg
Sey der Welt, der Schnöden!
Schande deckt den Blöden.
Drum sey bis zum Sieg
Krieg die Losung, Krieg!
Durch den Krieg zum Kranz!
Durch das Kreuz zum Glanz!
Durch Gehenna's Grauen
Hin zu Zions Auen!
Selig, wer beharrt,
Ob das Herz auch starrt!
Candore et Odore.
Siehst du der Lilie weisses Kleid
Aus dunkler Ferne winken?
Ihr Licht besiegt die Dunkelheit,
Wie Lunens Silberblinken.
O Blume, die in Eden sproſs,
In Eden sich zuerst erschloſs,
Dich trübet keine Makel.
[218]
Die ihr der Giglio's Blume führt
In Wappen und Panieren;
Begnügt euch nicht, was jene ziert,
In Schild und Ring zu führen.
Der Giglio's Sinn ist lilienklar
Und lilienrein! Seyd treu und wahr
Auch ihr in Red' und Thaten.
Spürst du der Lilie Ambraduft
Von dort herüberschweben?
Spürst rings um dich in lauer Luft
Die Wohlgerüche weben?
O Blume, die das Aug' entzückt,
O Blume, die das Herz erquickt,
O Blume, sey gepriesen!
Der Giglio's Söhne, offenbart
Der Giglio's Seelenadel!
Der Giglio's Töchter, ach bewahrt
Der Giglio s Ruf vor Tadel!
Laſst eurer Tugend süſsen Duft,
Des Vaterlands, des Auslands Luft
Bis an die Sterne würzen!
Die Blumenchiffer.
Blick auf, blick auf zur Sonne
O Auge, durch den Thränenflor!
Dem Gram entknospt die Wonne.
Aus Thränen keimt der Trost empor.
Der Iris Farbenfeuer
Durchstrahlt den grauen Duft,
Es hebt die Brust sich freyer
In abgestürmter Luft.
Süſs mundet uns die Wonne,
Die wir mit Quaal bezahlt,
Und schöner strahlt die Sonne,
Die nach Gewittern strahlt.
[220]
Der Sonn' entgegen breitet
Die Lilie ihre weiſse Brust.
Von Hoffnung aufgeweitet,
Ahnt die Verzweiflung Himmelslust.
Die Erde täuscht das Hoffen.
Der Durst bleibt ungestillt.
Doch steht die Heimath offen,
Für die das Herz erschwillt.
Was mich ergötzt blüht droben.
Nur droben grünt mein Glück.
Nach oben drum, nach oben
Schaut der bethränte Blick.
Die Errettung.
Vorüber ist der schwere Traum,
Vorüber, und ich glaub' es kaum. . . .
Ich lebe!
Ich lebe ja! und unentweiht
Blieb meiner Unschuld weisses Kleid.
Ich hebe,
Ihr heil'gen Jungfraun, nach wie vor
Den Blick zu eurem reinen Chor
Rein empor!
Es drohte namenlose Noth,
Und Schande, herber als der Tod,
Der Armen! —
[222]
„Die ihr die Unschuld schirmt und schützt,
„Den Frevler zürnend niederblitzt,
„Erbarmen!
„Ach rettet, rettet! Grimmiglich
„Umgrinsen Höllenlarven mich!
„Rettet mich!“ —
Und nieder von dem Sitz der Ruh,
Aus Christus Armen schautest du,
Madonne!
Es weinte laut der Jungfraun Chor,
Und gnädig neigte Gott sein Ohr.
O Wonne!
Er schalt. Die Höll' entsetzte sich.
Die Larven graſs und grauerlich
Lieſsen mich.
Du, deren Flehn den Sohn bezwang,
Madonna, laſs mich meinen Dank
Dir weinen!
Die ihr mein Antlitz nicht beschämt,
Des Treuen treulich euch annehmt,
Ihr Reinen,
Euch soll Biankens Lobgesang,
Euch strömen soll Biankens Dank
Lebenslang.
Die Ekstase.
Verlohren!
Verlohren!
O Lustgeschrey in meinen Ohren!
Es singt um mich wie Brautgesang;
Es klingt der Hochzeitharfen Klang;
Es lodern schon die Kerzen.
Die muntern Jungfraun scherzen.
Ihr Jungfraun, habt ihr Oels genug?
Ach füllt die Lampen, füllt den Krug.
Die Nacht ist süſs und schaurig,
Die Braut so froh und traurig!
[224]
Welch Flüstern,
So lüstern
Raunt mir ins Ohr im Düstern!
„Komm, holde Taube, süſse Braut.
„Der Priester harrt. Der Priester traut.
„Der Teppich ist gebreitet.
„Das Bette ist bereitet.
„Uns winkt des Lagers weicher Flaum
„Zu süſsem Schlaf und süſserm Traum.
„Kommst, kömmst du bald, du Fromme?“ —
Ja, Bräutgam, ja, ich komme!
Müd und matt.
O Thränen,
Die ihr mich überschwemmt;
O Sehnen,
Das meine Brust beklemmt;
O Schmachten,
Davon mein Herz erschwillt;
O himmelstrebend Trachten. . . .
Wann, wann wirst du gestillt!
5 P
[226]
Mich lasten
Der Erde Quaal und Lust.
Zu rasten,
Genügt der müden Brust.
Nur Jammer
Daucht mir die Pracht der Welt.
O dunkle lezte Kammer,
Du bist's, die mir gefällt.
Ich lechze,
Und meine Kraft wird schwach.
Ich ächze
Nach der Erlösung Tag.
Wie lange
Soll ich mich quälen noch!
Wie lange und wie bange
Ziehn an dem herben Joch!
Die Bande
Der Erde pressen mich.
Am Rande
Löst jede Fessel sich.
Am Rande
Schwank' ich; und schau' hinab,
Und ledig aller Bande,
Sink' ich ins düstre Grab!
An den Schatten des Numan.
Numan, dein gedenkt das Herz,
Nimmer werde dein vergessen!
Oft noch soll der herbe Schmerz
Mir um dich die Wange nässen.
Lange noch sey dir mein Leid,
Lange noch mein Lied geweiht.
P 2
[228]
Du, den in der grausen Noth
Mir der Gott zum Retter sandte;
Du, der von mir herben Tod,
Und noch herbre Schande wandte;
Den der Thaten Edelste
Ach sein Herzblut kostete. . . .
Dunkles Schicksal, ach warum
Muſste so mein Numan enden?
Giovanni, ach warum
Muſstest du den Freund vollenden? . . .
Doch das Schicksal, ernst und stumm,
Achtet störrig kein Warum! . . .
Numan, dein entseelter Staub
Liegt im Schooſs des Meers, und modert . . .
Oder ward vielleicht der Raub
Düstre Fluth dir abgefodert?
Hat vielleicht am öden Strand
Ihn verscharrt des Fremdlings Hand?
[229]
Nun getrost! dein beſsrer Theil,
Numan, bleibet unverlohren.
Ward nicht Christus, Aller Heil,
Numan, auch für dich gebohren?
Dennoch sollte, rein und schön,
Numans Seele untergehn?
Numan, nein, war fromm und gut.
Nein, auch Numan ward getaufet,
Ward durch Wasser und durch Blut
Vom Verderben losgekaufet.
Numan, Numan auch für die
Starb, der mich erlöste, mich!
Einstens, wenn die Wage klingt,
Wenn der ernste Richter richtet;
Wenn die Rache blitzbeschwingt,
Die verruchte Schaar vernichtet;
Wenn die Gnade, blutversöhnt,
Mich und Giovanni krönt;
[230]
Giovanni dann und ich
Fassen Numan in der Mitten,
Und der Richter neiget sich
Huldreich zu der Sünder Bitten.
Ja der Richter wird versöhnt,
Und auch Numan wird gekrönt.
Dann mit Numan Arm in Arm
Wird mein Giovanni wallen.
Aller Hader, aller Harm
Endet sich in Wohlgefallen.
Froh wird dann Bianca stehn,
Froh die Freunde wandeln sehn.
Das Lebewohl.
Fahret wohl, ihr grünen Matten,
Die der Murmelbach durchrollt.
Fahret wohl, ihr trauten Schatten,
Die ihr zwiefach Labsal zollt.
Fahret wohl, beblümte Triften,
Die ein ew'ger Frühling schmückt,
Die ihr, reich an Schmelz und Düften
Mehr denn einen Sinn erquickt.
[232]
Fromme Kinder dieser Fluren,
Die ihr freundlich mich umfingt,
Die ihr, liebende Naturen,
Euch vertraulich an mich hingt;
O ihr Guten, o ihr Frommen,
Denket mein, und lebet wohl:
Denn das Stündlein ist gekommen,
Wo ich euch verlassen soll.
Der du meine Seele schmücktest,
Edler Theodosius,
Mich mit manchem Trunk entzücktest
Aus der Schönheit Silberfluſs.
Dem für Tugend, dem für Wahrheit
Himmelhoch die Seele schwoll,
Jüngling, reich an Sinn und Klarheit,
Edler Jüngling, fahre wohl.
Dorothea, zarte Rose,
Schlummre süſs, Unschuldige,
Keusche züchtige Mimose,
Unentweihte Lilie,
Luft und Licht und Thau entfalte
Liebend deines Kelches Zier.
Schlummre süſs und schirmend walte
Gottes Engel über dir!
[233]
Holde Fluren, traute Matten,
Murmelbach voll Melodie,
Bunte Triften, grüne Schatten,
Euch vergiſst Bianka nie.
Theure Menschen, euer denken
Wird Bianka lebenslang.
Bis sie in die Gruft sie senken,
Kühlt sich nie Biankens Dank.
Lobgesang.
Schwebt empor,
Lispel meiner Lieder!
Hallt sie wieder,
Nacht und Sternenchor!
Wer hat die Bange, Blöde
In schauerlicher Öde
Geschirmet und gewahrt?
[235]
Wer in den Felsgerippen,
Im Riſs geborstner Klippen
Ihr manchen Trunk gespart?
Wer sparte, sie zu nähren,
Des Strauches rothe Beeren,
Das Ey im Adlerhorst?
Wer lieſs, für mich zu quellen,
Des Isards Euter schwellen,
Als meine Lippe borst?
Jauchze laut,
Laut, mein Lied und fröhlich!
Selig, selig,
Wer dem Herrn vertraut!
Wenn meine Füſse wankten,
Die müden Kniee schwankten,
Wer hat mich treu gestützt?
Wer in den Finsternissen
Mich vor der Natter Bissen,
Des Wolfes Zahn geschützt?
Wer in des Waldes Schlüften,
Wer in den Felsenklüften
Beschied mir süſsen Schlaf,
Und breitete die Rechte
Um mich im Graun der Nächte,
Daſs mich kein Unfall traf?
[236]
Strömt empor,
Jubel meiner Lieder —
Hallt sie wieder,
Nacht und Sternenchor!
O Liebe.
O Liebe!
Die mich bis in den Tod geliebt,
Die schmerzlich sich um mich betrübt,
Die für mich lebt' und litt und starb,
Und sterbend mir das Heil erwarb . . ,
O Liebe,
Sieh, wie ich mich betrübe,
Daſs ich nicht gnug dich liebe.
O Liebe,
Die du für mich der Thränen Fluth,
Für mich verströmt dein rothes Blut,
[238]
Für mich dein Leben ausgestöhnt,
Den Vater sterbend mir versöhnt . . .
O Liebe,
Sieh, wie ich mich betrübe,
Daſs ich nicht gnug dich liebe.
O Liebe,
O du in deinem Dornenkranz,
In deines Blutes Purpurglanz,
O sündebüſsend Opferlamm,
Mein König und mein Bräutigam . . .
O Liebe,
Sieh wie ich mich betrübe,
Daſs ich so lau dich liebe.
O Liebe,
Entzünd' in mir der Liebe Gluth,
Laſs in der Wunden rother Fluth
Mich untergehn, gar untergehn,
Um nimmer, nimmer zu erstehn . . .
O Liebe,
Tilg' alle niedre Triebe,
Daſs ich nur dich! dich! liebe!
Himmelan.
Himmelan
Strebt die müde Seele.
Herzlich ach verlangt der Satten
Aus dem kalten düstern Schatten
Nach der Heymat grünen Matten —
Brünstig strebt die Müde
Himmelan.
[240]
Himmelan
Strebt die satte Seele.
Welt, du Eitle, Welt, du Schnöde!
Wie so fremde, wie so blöde
Fühlt sie sich in deiner Öde.
Die Verbannte schmachtet
Himmelan.
Himmelan
Strebt die ew'ge Seele.
Was die Andern höchlich schätzen,
Kann nicht ihren Sinn ergötzen,
Mag nicht ihr Verlangen letzen.
Ihr Verlangen schwingt sich
Himmelan.
Himmelan
Strebt die müde Seele.
Nie geletzt ward hier ihr Sehnen,
Nur verlacht ihr süſses Wähnen,
Nur verhöhnt die heil'gen Thränen
Darum strebt die Müde
Himmelan.
[241]
Himmelan
Strebt die Gebundne.
In die freyen weiten Räume,
In die Heymat süſser Träume,
In das Kühl der Lebensbaume,
Dorthin strebt sie, strebet
Himmelan.
Himmelan
Strebet die Verlaſsne,
Zu den heimgegangnen Lieben,
Die in ihrer Ruhe drüben
Um die Schwester sich betrüben,
Dorthin strebt sie, strebet
Himmelan!
Himmelan
Schwingt sich die Erlöste.
Schau der Sehnsucht heil'ge Flammen
Schlagen über ihr zusammen,
Und verflüchtigt in den Flammen,
Schwingt sich die Erlöste
Himmelan!
[242]
Am Ziele.
Am Ziele,
Ganz nah bin ich am Ziele.
Es glänzt das glorievolle Ziel.
Die Palme weht; sie weht so kühl.
Die Krone strahlt. Die Krone blinkt.
Der Trauring blitzt. Der Bräut'gam winkt.
Es rauschen Saytenspiele.
Ganz nah bin ich am Ziele!
[243]
Am Ziele,
Ganz nah bin ich am Ziele.
An des Krysallstroms Silberrand,
In blutbesäumtem Schneegewand,
Wallt schimmernd Athanasius,
Und labt sich am krystallnen Fluſs.
Mich ängstet noch die Schwüle,
Doch bin ich nah am Ziele!
Am Ziele,
Ganz nah bin ich am Ziele.
Der Erde Luft ist schwer und schwul.
Vor Gottes und des Lammes Stuhl
Kniet selig Athanasius.
Ihn letzt unsterblicher Genuſs.
Ihn drückt nicht mehr die Schwüle.
Er ist, er ist am Ziele!
Am Ziele,
Ganz nah bin ich am Ziele.
Ists Wahrheit, oder träumt es mir?
Mich dünkt, es rauscht schon vor der Thür.
Mich dünkt, es klopft! es rufet schon!
Ich höre schon den süſsen Ton
Der holden Saytenspiele.
Ganz nah bin ich am Ziele!
Q 2
[244]
Am Ziele,
Ganz nah bin ich am Ziele.
Wie strahlt das Ziel so hehr, so hell.
Versiegt ist meiner Thränen Quell.
Ich schöpfe der krystallnen Fluth.
Ich flamm' empor in heil'ger Glut
Seraphischer Gefühle —
Ich bin, ich bin am Ziele!
Zugabe
älterer gänzlich
oder
gröſstentheils umgearbeiteter Gedichte.
[][][]
[figure]
[][figure]
[[246]][247]Die Unsterblichkeit.
Die ihr des freundlichen Lichts
Euch daseynsselig erfreuet,
Tröstet euch, Brüder, ihr werdet
Ewig des Lichtes euch freun.
Was wir ersehnten,
Mit des Jünglings Sehnsucht
Nach dem Kuſs der Geliebten,
Es ist, es ist mir erschienen.
[248]
Was wir ersehnten, erflehten,
Es hat, es hat mich ergriffen,
Wie den Jüngling die Eidschwurgewiſsheit,
Daſs, die er liebet, ihn liebe.
Wie den Sünder die Gnade ergreift,
Wie den Büſser der Vergebung Gefühl,
So ergriff den Vernichtungscheuen
Unsterblichkeit, dein groſses Gefühl.
Ich ahnet', ich hofft' es, jetzt glaub' ich, daſs ich bin!
Ich glaub' es, ich schau' es, daſs ich ewig
bin! —
Neige deine Wipfel, Eiche!
Ein Unsterblicher wandelt unter dir.
Ründe die silberne Scheibe, Mond!
Entblinket dem Nachtgedüft, schimmeräugige
Sterne!
Sirius, wälze dein Flammenrad! Glanzge-
gürteter Orion,
Wandle stattlich den Riesengang!
Minder, ihr Stolzen, als ich,
Seyd ihr, ihr seyd vergänglich!
Mehr als die Eich' und der Mond, mehr
als Orion und Sirius
Bin ich — bin unvergänglich.
[249]
Himmel und Erde vergehn!
Nimmer vergehet das Ich! —
Ha, wenn das Ich verginge,
Was wäre dieſs nichtige Seyn?
Eines Traumes Schatten,
Geträumt im zweifelnden Zwielicht,
Zerschwunden mit des Tages Dämmerung,
Wäre dieſs nichtige Seyn!
Ärmer noch wär' ich, als der Halm und das Gras;
Verächtlicher noch, als der Kiesel der Gasse.
Des Daseyns Entzücken empfanden sie
nicht;
Dein Grauen Vernichtung empfinden sie
nimmer.
Ach, wenn ich ewig nicht wäre,
So ächzt' ich dem kommenden Tag'
Entgegen, so ächzt' ich, käme die Nacht,
Und verhüllte mich, und schwiege ver-
traurend.
So würd' ich unter die Blumen des Frühlings
Mich strecken, und die Blume beneiden.
Du, o blühende Erde, däuchtest mir ein
offnes Grab;
Die Menschen zerfliessende Schatten.
[250]
Dich, herrliches Vorrecht des Geistes,
Unergrundliches hohes Bewuſstseyn,
Dich wird' ich ersticken in Taumel und Rausch,
Daſs mich nicht träfe der Gedanke der
Vernichtung.
Aber er träfe mich doch,
Mich umspukten grinsende Larven,
Blöketen fletschenden Zahnes mir zu:
Was jauchzest du, Schatten? Zerflattre!
Es ersinkt der Kelch der zitternden Hand;
Es entsprudelt dem blinkenden Schierlingsschaum!
Die Rose duftet Verwesung;
Die Musik tönt Gräbergeheul!
Rühret mich nicht an! Umarmet mich nicht
So brünstig, meine Geliebten!
Ach, druckt den Vergänglichen nicht so fest
an euer Herz;
An eurem Herzen dürft' er zerflieſsen!
Der Vernichtung Fittige sausen daher.
Sie sausen, sie rauschen mich an. — Ach ret-
tet, Liebende rettet! —
Wohin, Verirrte, wohin? Ermanne dich,
Seele! Ein Schall ist's,
Ein hohler Schall, der dich ängstet.
[251]
Ist hienieden auch Tod?
Auch Untergang hienieden, und Vertilgung?
Ist, was Tod wir nennen und Untergang,
Nicht Enthüllung nur, Entwicklung, Ver-
edlung?
Mag auch das edlere Selbst,
Das denkende, wollende, hoffende Selbst
Versiegen mit dem Öl, das den Nerven
tränkt,
Verstieben mit der Asche, die den Grä-
bern entstiebt?
Löscht auch der Becher der Lust, des Ruhms, der
Wollust, der Liebe,
Stillt auch die Fülle des Glücks, der Brust un-
nennbares Sehnen?
Warum dann seufzen, Beglückter, wann
dämmert der Mond,
Wann das Spätroth schimmert, und die
Sterne funkeln?
Mag auch Gott der Liebe,
Gott der ewigen Liebe,
Des Bösen Bösestes, was nur die Allmacht
vermag,
Des Bösen Bösestes wollen: Vernich-
tung?
[252]
Schreitet nicht mächtigen Schritts, fliegt unermüd-
lichen Fluges
Das All der Vollkommenheit strahlendem Ziel
Nicht näher mit jeglichem Nu, mit jegli-
chem kehrenden Pulsschlag? —
Und wir — die Einzigen, schwindelten
endlos zurück?
O Wahrheit! o Schönheit, o Tugend!
Hochheiliges Drey in des Geistes Einheit,
Du zweyte Welt in der ersten,
Du zeugest wer wir sind, und wer wir
werden!
Ihr Guten und Weisen und Reinen.
Ihr Seelen ohne Schuld und ohne Freude,
Ihr Erquetschten in der Knospe! ihr Er-
stickten in der Blüthe!
Ihr bürget wer wir sind, und wer wir
werden!
Ja wahrlich, wahrlich, ich bin!
Ich weiſs, ich glaube, ich bin!
Und werde ewig seyn —
Ewig! ewig!
[253]
Wie ertragen die Wonne?
Wie dich fassen Entzücken?
Wie genügen der lastenden schreckenden
Seligkeit?
Ich werde ewig seyn!
Frohlock', begnadigter Geist, hinauf zum wölbenden
Himmel.
Du bist unsterblich!
Frohlock' hinab in die Nacht, in das Land
der Stummen und Stillen;
Sie sind unsterblich!
Frohlock' am Saume der offenen Gruft.
Du bist unsterblich!
Frohlocke, wenn wieder sich füllet die
Gruft,
Und der grünende Hügel sich wölbet.
Thaut, Frühling', auf meinen Hügel! Regen, säusl'
auf ihn herab!
Ich bin unsterblich!
Brause Herbststurm um mein blätterbesäe-
tes Haus.
Ich bin unsterblich!
[254]
Die ihr weint an meinem Hügel, jauchzet laut!
Ich bin unsterblich!
Schwinget, schwinget die Fittich, und ei-
let mir nach!
Wir sind unsterblich!
Der Nachtsturm.
Sturm der gellenden Nacht, fürchterlich klingt und
schön
Durch die Nacht dein Geläut, klingt mir begeis-
ternder,
Als der lydischen Flöte
Weiche Wirbel im Abendkühl.
Rabenschwarz ist die Nacht. Durch die Erebische
Wälzt der Mächtige sich säuselnden Schwungs
daher,
Beugt die Groſsen der Schöpfung,
Stäupt die Höhen und zaust den Wald.
[256]
Orkan, Orkan, gegrüſst sey mir in deiner Kraft.
Orkan, Orkan, dir lauscht gerne des Jünglings Ohr,
Wenn Allfadern dein Päan
Auf der Harfe der Waldnacht singt.
Minder feyerlich fürwahr wallet anbetender
Myriaden Gesang rings durch des Münsters Schiff,
Als dein Hymnus im Dunkeln
Durch den Tempel der Schöpfung wallt.
Schön und fürchterlich ists, wenn du die Wei-
zensaat
Niedermähst, wenn dein Arm geisselt den stolzen
Forst,
Und mit Pappeln und Eiche,
Wie ein Knabe mit Diesteln, spielt.
Schön und fürchterlich ists, wenn du das Meer er-
wühlst,
Sein Vermögen zerstäupst, Schiffe, wie Kräusel
drehst,
Masten knickest, wie Binsen,
Taue reissest, wie mürben Zwirn.
Schön und fürchterlich ists, wenn du die Wolken ballst.
Manches Riesengebild segelt in weiter Luft.
Lunens Silber verblasset.
Rings erblindet der Sterne Gold.
[257]
Westgesäusel behagt lüsternen Weichlingen.
Baſs behagt mir, Orkan, dein dithyrambisch Lied.
Jeden glimmenden Funken
Fachst du, straff'st den erschlafften Nerv.
In das Dunkel hinaus stürm' ich, in schwarzer Nacht
Klimm' ich Felsen hinan, schaue vom stickeln Fels
In das gährende Chaos,
In die wühlende Nacht hinaus.
Erd' und Himmel und Meer zittern dir, Freudiger!
Freudigeres, denn du, hebet des Menschen Brust,
Triumphirt in des Daseyns
Stürmen, frohlockt im Untergang.
[258]
Elegie.
Welche fremde Gefühle durchschaudern mich!
Welche Verwirrung
Wölket die Sinne! Mich faſst wechselnd Ent-
zücken und Schmerz.
Itzt hebt seliges Ahnen empor zu den Sternen die
Seele;
Tödtliches Zagen sodann senkt in den Hades
den Geist.
Mächte, die mich befehden, ihr feindlichen fremden
Gewalten,
Sagt, was verbrach ich? was ists, daſs ihr mich
rächend verfolgt;
[259]
Daſs ihr mit dieser Erynnis mich straft, die Frie-
den und Frohsinn
Böſslich mir raubet, mit Gift wechselnd und
Nektar mich tränkt!
Laſs, laſs ab von mir, gefürchtete Liebe! Nicht
mag ich
Kosten des Kelches, der einst selbst den Alci-
den entmannt'.
Laſs, laſs ab von mir. Von deinem Athem be-
rauschet
Taumel' ich, schwindel' ich schier. Schone,
Gefährliche, mein!
Nein du willst nicht schonen. Mit jeglichem sie-
genden Reitze,
Jeder gewinnenden Huld hast du die Feindinn
geschmückt,
Diese zu freundliche Feindinn — dich, meine Ida!
Vergönne,
Daſs die Seinige dich grüſset das liebende
Herz.
Freundliche Ida, du bist so hold, wie die Schim-
mer im Osten,
Wenn der erwachende Tag röthet das dämmern-
de Grau.
Bläue des Himmels umrieselt dein schimmerrollen-
des Auge;
Röthe des Aufgangs verklärt, Huldinn, dein
blühend Gesicht.
R 2
[260]
Dunklere Tinten verschönern den Mund, und lich-
tre die Wange.
Schwelgrisch umwallt dich die Fluth goldenen
ringelnden Haars.
Abgewogen aufs strengste ward dieser Glieder Ver-
hältniſs.
Dieser Formen Kontur ward von Apelles be-
stimmt.
Doch wer redet es aus, was diese Formen veredelt,
Diese Züge verklärt, dieses Gebilde beseelt!
Wer die rährende Huld, die herzgewinnende Milde,
Wer die Ruh im Blick, wer in den Augen den
Sinn!
Wer die Einfalt und Demuth, die Zucht und Zart-
heit und Reinheit,
Welche dir jegliches Herz, erstes der Mädchen,
gewinnt.
Also fand ich dich, Ida. So siegtest du, wenig es
ahnend,
Wenig es wollend fürwahr, über des Sicheren
Herz.
Ach zu sicheres Herz, wird dir auch Ihres begegnen?
Allzuvermessenes, wird Ida nicht stolz dich ver-
schmäh'n?
Wirst du mich lieben, Geliebte? Dein schmach-
tendes Auge bekennet,
Dein Erröthen verräth, daſs du zu lieben ver-
magst.
[261]
Liebe, liebe mich dann! Wohl arm an Schönheit
und Gaben
Ward mir doch Reichthum gewährt, Reichthum
des Herzens und Sinns.
Liebe des Schönen büſst für den Mangel eigener
Schönheit,
Zartheit des Sinns ersetzt, was sonst versagte
der Gott.
Liebe, liebe mich, Ida. Es ist der Tugenden
Schönste,
Treu zu lieben, das Herz einzig dem Einzigen
weihn.
Liebe mich, meine Erwählte. Es ist die höchste
der Freuden,
Innig zu lieben, geliebt von dem Geliebten zu
seyn.
Ach, daſs du mich liebtest! Wie würde das freund-
liche Leben
Ein Elysischer Traum, Traute, so lind uns ent-
fliehn!
Arm geschlungen in Arm, und Seele verlohren in
Seele
Würden wir wandeln den Pfad, welcher zum
Cocytus führt,
Würden vom grauenden Tag bis zu den Schatten
des Abends
Irren im flisternden Busch, kosen am kosenden
Bach,
[262]
Würden, wenn thaute die Nacht, zu ambrosischem
Schlummer uns lagern,
Meine Rechte dich gürtend, die deinige mich!
Würden jede Sekunde mit Küssen beflügeln, und
jede
Fesseln mit reinem Genuſs, würden in Einem
Moment
Beyd', in Einem inbrünstigen Kuſs, in Einer Um-
armung,
Zu den Liebenden über den Sternen entfliehn.
Elegie.
Krank für Liebe zu seyn, getroffen vom Pfeil des
Verlangens
Speis' und Trank zu verschmähn, Menschen
und Freuden zu fliehn —
Thorheit däuchte mich dies. Ich spottete strenge
des Thoren;
Aber ich büſse verdient für den unheiligen Spott.
Krank bin ich, wie keiner gewesen, vor sehnender
Liebe.
Schier aus den Röhren das Mark zehret die
sengende Glut.
Nicht die Gaben der Ceres vermögen zu stärken
den Matten,
Jacchos erlesenster Most löscht nicht den dur-
stenden Gaum.
[264]
Denn es fehlt mir der Einen belebende Nähe, sie
fehlt mir,
Deren ambrosischem Mund heilendes Labsal
entquillt.
Siebenmal thaute die Früh', und siebenmal wehte
die Dämmrung,
Seit du, Geliebte, mir fehlst, seit ich ver-
schmachte nach dir.
Ja ich verschmachte nach dir. Nicht länger zu mis-
sen vermag ich
Deinen erheiternden Blick, deinen erquicken-
den Kuſs.
Siehe die Aue drauſsen. Auch ihr ist die freund-
liche Sonne
Untergegangen; schon längst birgt sie ein nei-
discher Flor.
Glanzlos liegt nun die Flur und traurend der An-
ger. So traur' ich
Seit ich dein sonnig Gesicht, freundliche Ida,
nicht sah.
O so strahle denn wieder hervor aus dem hüllen-
den Dunkel,
Morgenröthliches Licht, kläre die Seele mir auf.
Tritt hervor, o siegende Sonn', in schimmernder
Schönheit.
Bringe mir Klarheit und Glanz, Kraft und Ge-
nesung zurück.
[265]
Die du zu lange verzogst, erscheine, Geliebte, er-
scheine,
Stille das schlagende Herz, letze den lechzen-
den Durst,
Dein beraubt verschmachtet das Herz, wie die wel-
kende Blume
In der Schwüle des Tags schmachtet nach
Abend und Thau.
Lieber entbehr' ich des Lichts, als deines begei-
sternden Anschauns,
Lieber des Liedes Besuch, als dein entzücken-
des Nahn.
Silberner klingt mir dein Gruſs, als der Lyra Lis-
pel; ich höre
Lieber von dir mich genannt, als von der Zun-
ge des Ruhms.
Seliger ruht es sich, Edle, an deinem steigenden
Busen,
Als in der Mutter Natur blüthenbeschneyetem
Schooſs.
Glücklicher bin ich, umweht von deinen goldenen
Locken,
Als von des röthlichen May's schimmernden
Blüthen beschneyt.
Tausend sind der Blüthen des May's, und tausend-
mal tausend
Würzige Düft' entwehn seinem balsamischen
Hauch.
[266]
Aber du bist die schönste von allen, die frischeste,
schönste,
Duftendste Blüthe. Nur säumt, Traute, zu
lange dein Kelch
Sich zu erschlieſsen. Ach eile! dir winken der
Lenz und die Liebe,
Dir der erlauende Hauch, dir der belebende
Strahl.
Eil', hochschwellende Knospe, verbreite die Krone
der Blätter,
Öffne den duftenden Kelch, würze die schmei-
chelnde Luft.
Laſs, zu Säumige! laſs den ambrosiaduftenden Torus,
Zeige dem Harrenden dich, lächel' erbarmend
ihn an.
Eines Gruſses nur würdige ihn, nur Eines Hand-
drucks,
Eines bedeutenden Winks, Eines liebkosenden
Lauts,
Und genesen der Quaal, von unsterblichem Leben
durchfluthet,
Strebt er empor zum Olymp unter den Göttern
ein Gott.
Elegie.
Freundinn, der Frühling ist da! Ich sah ihn in
röthlichen Wolken
Über den blumigen Höh'n schweben. Die Hö-
hen herab
Sah ich ihn wandeln tanzenden Schrittes. Ein buh-
lendes Lüftchen
Haucht' um den rosigen Hals sein hyacinthenes
Haar.
Gräschen und Blümchen entsprossen des Schreiten-
den luftigem Tritte,
Schnee und Reif zerschmolz seinem erlauenden
Hanch.
[268]
Silberstiebende Bächlein durchrieseln schon schwat-
zend die Fluren,
Blitzen im Sonnenstrahl, spiegeln die Sonne
zurück.
Rascher schon zirkelt das Blut, beschleuniget schla-
gen die Pulse.
Freundlicher lacht uns die Welt, heitrer das
Leben uns an.
Denn der Frühling beginnt. Wer wollte des keh-
renden Frühlings
Sich nicht erfreuen, verjüngt mit der verjüngten
Natur,
Nicht die ergrünende Flur beschreiten erweiterten
Herzens,
Nicht mit Gesang und Tanz grüſsen den keh-
renden Lenz!
Ida, der Lenz beginnt. Komm, Tochter sanfterer
Freuden,
Komm' mit mir in das Feld. Siehe, der Frost
ist dahin,
Und der Schnee ist zerschmolzen. Es rötheln die
Äste der Haseln,
Fröhlicher sieht des Gebürgs alterergrauetes
Moos.
Was den Schlaf der Erstarrung geschlafen, in Ta-
gen des Winters,
Fühlt sich ins Leben geweckt, drängt an die
Wärm' und das Licht.
[269]
Schau, es wimmelt im Sumpf. Es beseelt sich die
Scholle. Auf schlanken
Halmen wieget sich sanft schillernder Käfer Ge-
schlecht.
Hoch in den Lüften erschallt das Lied der frohlok-
kenden Lerche,
Mit des werdenden Tags sprieſsendem blasse-
sten Strahl
Schwingt sich die Sängerinn himmelempor, und
singt, bis die Dämmrung
Berg' und Thale verhüllt, fröhlich das fröhliche
Lied.
Komm, Holdselige dann, der Natur zartfühlende
Freundinn,
Komm mit mir ins Feld. Laſs an des rieseln-
den Bachs
Saum uns lagern. Ihn stickt die tausendblättrige
Bellis,
Welche das werdende Jahr, welche das schei-
dende kränzt.
Horch' es locket die blödere Sie der flötende
Sprosser.
Schau, im Haselgebüsch polstert die Amsel ihr
Nest.
Hoch auf dem Halmdach drüben sitzt neben dem
Tauber das Täubchen,
Girret sein zärtliches Lied, liebeverlohren, ihr
vor —
[270]
Lenz und Liebe fürwahr, gebarst du als Zwillings-
geschwister
Gütige Mutter Natur. Unter den Blumen des
Hayns
Sah ich das trauliche Paar oft spielen. Dann lehr-
ten sie Liebe,
Liebe den Bach und die Flur, Liebe den Busch
und den Wald.
Abschied von Ida.
Dich verliehren soll ich? dir entsagen,
Die ich mir aus einer Welt erkohr?
Die in jenen ewig schönen Tagen
Frey und willig sich an mich verlor?
Deinem Arme soll ich mich entwinden,
Der aus Millionen mich umwand?
Deines Flammeneides dich entbinden,
Der für Zeit und Ewigkeit dich band?
[272]
Ida, kannst du Demantketten brechen,
Wie dein Finger schwache Fäden bricht?
Ida, wird sich nicht die Liebe rächen,
Der rebellisch sich dein Arm entflicht?
Willst du einsam durch das Leben irren,
Willst du stablos seinen Sturm bestehn,
Ungetröstet deine Klagen girren,
Unbeklagt ins Reich der Schatten gehn?
Oder kannst du deine Liebschaft ändern,
Leicht und luftig, wie ein Sonntagskleid?
Spielen Mädchen, wie mit Flor und Bändern,
So mit Treu und Schwur und Ewigkeit?
Finden magst du in der Freyer Reihe
Einen schönern, klügern, reichern leicht;
Doch auch einen, Ida, dem an Treue,
Dem an Zartgefühl dein Liebling weicht?
Hab' ich einzig nicht an dir gehangen
Mit Begriff, Gefühl und Fantasey,
Mit des Herzens innigstem Verlangen,
Mit des Geistes höchster Schwärmerey?
Hab' ich nicht dem Schönen, Guten, Wahren
Aufgeschlossen deinen treuen Blick?
Hab' ich nicht, um dich nur, dich zu sparen,
Aller Ruh entsagt und jedem Glück?
[273]
Gar in dich verlohren und versunken
Schwand mir Auſsenwelt und Zeit und Raum;
Überseliger Gefühle trunken,
Taumelt' ich umher im wachen Traum.
Früh und spat, du weiſst es, nah und ferne
Galt mein Denken, Dichten, Sehnen dich.
Auf und unter gingen Mond und Sterne,
Fanden voll von dir, und selig mich.
Wahrlich, Ida, so von dir durchdrungen,
So voll Andacht und Religion,
Solche Opfer, solche Anbetungen
Endlos spendend sonder Sold und Lohn,
So verschenkt an dich, an dich vergeben,
Ach, auf Gnad' und auf Barmherzigkeit,
Liebt in diesem, liebt in jenem Leben,
Liebt dich keiner mehr in Ewigkeit.
Und, o Seligkeit von kurzer Dauer!
Du auch liebtest mich. Dein knospend Herz
Öffneten des Ahnens leise Schauer,
Schütterte des Sehnens süſser Schmerz.
Zartre Tinten färbten deine Wangen,
Deine Augen sprachen zartern Sinn,
Schwankend zwischen Zagheit und Verlangen,
Mied den Träumer lang die Träumerinn.
3 S
[274]
Doch dein Lied verrieth des Herzens Wunde.
Deine Laute girrte süſsen Schmerz —
Und in unsrer trunkensten Sekunde
Sankst du liebewimmernd mir ans Herz,
Wandest los dich, flohst und sahst im Fliehen
Auf den Trunknen weinend noch zurück,
Blitze sah ich durch die Thränen sprühen.
Binden Eyde wohl, wie so ein Blick?
Und auch Eyde fehlten nicht dem Bunde.
Lebend, sterbend, schwurst du mein zu seyn,
Kamst in mancher unbelauschten Stunde,
Unsers Bundes dich mit mir zu freun.
In der Mitternächte heil'gem Grauen
Warfst du sorglos dich in meinen Arm.
Schöne Unschuld, rührendes Vertrauen,
Du durchschauerst mich mit süſsem Harm.
Aber nun des Argwohns Lauerblicke
Unsers Bundes heilge Nacht durchspähn,
Nun mich Vorurtheil und Stolz und Tücke
Hochverräther, Kirchenräuber schmähn,
Soll ich Wort und Schwur zurück dir geben?
Soll, von dir — von Licht und Luft verbannt,
Einsam schleichen durch das dunkle Leben?
Einsam irren an des Lethe Strand?
[275]
Ida, Ida, dein mich werth zu zeigen,
Böt' ich aller Bosheit Hohn und Spott,
Und verschmähend mich dem Stolz zu beugen,
Trotzt' ich Kerker, Ketten und Schaffott;
Würde keck um dich mit Tausend hadern,
Unverwandten Blicks zum Tode gehn,
Und mit Ruh aus allen meinen Adern
Mein wegfliehend Leben bluten sehn.
Aber Ida jammert, Ida trauert
Deine Feigheit, Weib, entmannet mich,
Und den Schritt drob meiner Menschheit schauert,
Thu' ich, und verlass' auf ewig dich.
Deiner Eyde sey von mir entbunden.
Sey, die du gewesen, froh und frey —
Aber ach, durch wen soll ich gesunden,
Wie entfliehn der schnöden Sklaverey?
Ausgelöscht sind meine Flammenkräfte,
Meines Geistes Sehnen abgespannt,
Gar versiegt sind meiner Wurzel Säfte,
Meiner Röhren Mark ist ausgebrannt.
Fahret wohl, ihr schimmernden Entwürfe!
Fahre wohl, süſsschmeichelnder Betrug!
Kelch, aus welchem ich Betäubung schlürfe,
Sey geleert mit einem langen Zug!
S 2
[276]
Nimm, Verzagte, denn, nimm alles wieder,
Was ich Köstliches von dir besaſs.
Deine Schleifen, Locken, Briefe, Lieder;
Auch dein Herz nimm wieder, kannst du das.
Lebe glücklich und damit die Ahnen
Dein sich rühmen, o so freye ja
Solche Farben nur und solche Fahnen,
Die Arkona noch turnieren sah.
Lebe glücklich. Wohl geziemts hienieden,
Herzlos, seellos und glückselig seyn.
Lebe glücklich; und wenn es dem Frieden
Deiner Seele frommt — vergiſs auch mein!
Nicht so leicht fürwahr mag der vergessen,
Der der Erde Edelstes verlohr,
Wenig Mädchen traun! sind würdig dessen,
Den der Mädchen Trefflichstes erkohr.
Auch den Hefenrest von meinen Tagen
Will ich dir und meiner Trauer weihn,
Will des Schicksals Eigensinn verklagen,
Und das Mitleid und die Tröster scheun.
Brechen wird die Schwermuth meiner Jugend
Kaum erschloſsne Blüthen, mich geschwind
Einer Welt entwinken, wo die Tugend
Und das Glück in ewgem Kriege sind.
[277]
Ruhig wahrlich, reuelos und müde
Werd' ich in die enge Wohnung gehn!
Langer Schlummer wird und tiefer Friede
Um den früherhöhten Hügel wehn!
Und wer weiſs, ob nicht der immerwache
Argwohn dann sein Meisterstück bereut,
Ob nicht selbst die spätversöhnte Rache
Ihrem Opfer dann ein Thränchen weiht.
Selig, wessen Flug das Land erflieget,
Wo der Seelen Scheidewand zerfällt;
Wo sich Herz an Herz vertraulich schmieget,
Und gesellig Geist zu Geist sich hält;
Wo kein Vorurtheil die Treuen tadelt,
Und kein Wahn sie auseinander reiſst;
Wo nur Güte hebt, wo Kraft nur adelt,
Und der Trefflichste der Erste heiſst!
Die Erscheinung.
Ich lag auf grünen Matten,
An klarer Quellen Rand.
Mir kühlten Erlenschatten
Der Wangen heiſsen Brand.
Ich dachte dieſs und jenes,
Und träumte sanftbetrübt
Viel Süſses mir und Schönes,
Das diese Welt nicht giebt.
[279]
Und sieh dem Hayn entschwebte
Ein Mägdlein sonnenklar.
Ein weisser Schleyer webte
Um ihr nuſsbraunes Haar.
Ihr Auge feucht und schimmernd
Umfloſs ätherisch Blau.
Die Wimpern näſste flimmernd
Der Wehmuth Perlenthau.
Ein traurend Lächeln schwebte
Um ihren süſsen Mund.
Sie schauerte, sie bebte.
Ihr Auge thränenwund,
Ihr Hinschaun liebesehnend,
So wähnt' ich, suchte mich.
Wer war wie ich so wähnend,
So selig wer, wie ich!
Ich auf sie zu umfassen —
Und ach! sie trat zurück.
Ich sah sie schnell erblassen,
Und trüber ward ihr Blick.
Sie sah mich an so innig,
Sie wies mit ihrer Hand
Erhaben und tiefsinnig
Gen Himmel, und verschwand.
[280]
Fahr wohl, fahr wohl Erscheinung!
Fahr wohl! dich kenn' ich wohl!
Und deines Winkes Meinung
Versteh' ich, wie ich soll! —
Wohl für die Zeit geschieden
Eint uns ein schönres Band.
Hoch droben, nicht hienieden
Hat Lieb' ihr Vaterland.
Das Andenken.
Freund, in welchen fernen Regionen,
Welchen sterngestickten Himmelszonen,
Schwebst du itzt auf unerspähter Bahn?
Schaust im ungeheuren Weltenraume
Ebentheuer, welche selbst im Traume
Kepler nicht, noch Galiläi sahn.
Schwärmst du etwa mit des Strahles Schwinge
Hie und dorthin in dem Schlangenringe,
Den des Ew'gen Finger trägt und hält?
Forschest lüstern nach dem Quell der Schwere,
Schiffst auf Andromeden's Nebelmeere
Untersuchest Mira's Wunderwelt?
[282]
Landest itzt am Ufer der Hyaden,
Itzt am Archipelag der Plejaden,
Am Gestad' itzt des Eridanus?
Stürzest jetzt dich in des Kochab Gluthen,
Schwimmst hinunter dann des Milchstroms Fluthen,
Bis zum glorievollen Sirius?
Oder flüchtetest du wallfahrtmüde
Zu des Angelsternes sicherm Friede,
Pflegst auf seinem Söller stolzer Ruh?
Siehst der Welten Labyrinthentänzen
Sonder Stillstand, sonder Ziel und Gränzen
In erhabener Bewundrung zu?
Schwebe, wo du schwebst, in welchen Fernen,
Walle, wo du wallst, auf welchen Sternen —
Weiſs ich doch, dein wonnetrunkner Blick
Schauet oft aus jenen Glanzgefilden
Wehmuthdämmernd nach dem blassen milden
Mutterstern, der dich gebar, zurück,
Wo du viermal sieben Sommer säumtest,
Deiner Kindheit holde Träume träumtest,
Deiner Jugend Auen froh durchflogst.
Wo du lüstern aus dem Nektarbusen
Der Natur, dem Honigmund' der Musen
Freude, Freyheit und Begeistrung sogst;
[283]
Wo des Wissens Kelch dich itzt erquickte,
Itzt der Dichtung Zauber dich entzückte,
Itzt der Ahnung Schauder dich durchdrang;
Manch befreundet Herz sich an dich schmiegte,
Manch verwandter Geist sich zu dir fügte,
Mancher Arm vertraulich dich umschlang.
Ja, ich weiſs, du schaust mit sanftem Sehnen
Oft hinunter nach dem Stern von Thränen,
Aus des Empyräums heilger Nacht.
Reifte doch dein Geist in seinen Strahlen,
Wird doch dein in seinen stillen Thalen
Lange noch mit Lieb' und Leid gedacht!
Das Ermannen.
Ermanne dich, mein Geist! Entraffe dich der
Nacht,
Die bleyern dich bedeckt. Der Schwermuth Trauer-
tracht
Beschämt das Rosenroth von Gottes schöner Welt.
Mit Helden sey ein Held!
Bist gegen Tausend du gleich klein und na-
menlos;
Bist du vor Tausenden doch herrlich auch und groſs,
Bist vor Zehntausenden trotz aller Quaal und Noth
Begünstigt von dem Gott.
[285]
Spannt deine Muskel nicht noch ungeschwäch-
te Kraft?
Schwellt deine Adern nicht die Woge Leiden-
schaft?
Giebt dem Begeisterten der Schönheit Genius
Nicht manchen Liebeskuſs?
Liegt offen nicht vor dir des Wissens Blumen-
flur?
Drückt an ihr Herz dich nicht erbarmend die
Natur?
Nimmt dich die Freundschaft nicht in jedem Le-
bensharm
Sanfttröstend in den Arm?
Ward nicht zur Letze dir das süſse Lied ver-
liehn?
Braust nicht dein Hochgesang daher gewitterkühn?
Schmelzt nicht dein leisres Lied, das warm vom
Herzen kam,
Das Herz in süſsen Gram?
Gelang im Dunkeln dir nicht manche beſsre
That,
Die keine Zeugen hier, die Zeugen droben hat?
Hast du der ernsten Pflicht, die kalt der Neigung
lacht,
Nicht Opfer gnug gebracht?
[286]
Sind dir nicht nah und fern die Guten hold
und freund?
Schmäht dich der Pöbel nicht? Sind Schurken dir
nicht feind?
Und schlieſst nicht manches Herz, das nirgends
halten kann,
Sich liebend an dich an?
Ermanne dich, mein Geist! Entraffe dich der
Nacht,
Die bleyern auf dir drückt. Der Schwermuth
Trauertracht
Laſs jenem, dem der Born der Hoffnung gar ver-
rann —
Du aber, sey ein Mann!
Nicht würdig deines Grams ist diese Spanne Zeit.
Nicht deines Schmachtens werth ist die Vergäng-
lichkeit!
Wen Erdenlust entzückt, wen Erdengram verzehrt,
Ist Hohngelächter werth!
Im Strom der Jahre schmilzt des Busens hoher
Schnee;
Zu gelbem Krokos welkt des Halses Lilie;
Der Lippen Rosenkelch wird ein verschrumpftes
Blatt;
Des Auges Blitz wird matt.
[287]
Der Erde Ruhm ist Hauch, der durch die Luft
verwallt;
Der Erde Freundschaft Schall, der hohlem Fass'
enthallt;
Der Erde Ewigkeit währt Wendung einer Hand;
Ihr Glaub' ist Ufersand.
Die Sonne sinkt und steigt; einst wird ihr
Bett ihr Grab.
Der Himmel wirft sein Heer, wie dürre Blät-
ter ab.
Der Elemente Band zerfasert und zerstäubt.
Das Ich, das Ew'ge bleibt!
Es bleibt und schwingt getrost hoch über Wahn
und Trug
Des Staubes sich empor, erfleugt mit Adlerflug
Der Wahrheit Flammenborn, der jeden Durst er-
löscht,
Und jede Makel wäscht;
Erfleugt das schönre Land, wo keine Gier uns
plagt,
Wo keine Sehnsucht lechzt, und keine Reue
nagt,
Kein schnödes Vorurtheil das Herz von Herzen
reiſst —
Ermanne dich, mein Geist!
[288]
Empor Unsterblicher! verschmäh' den bunten
Tand,
Der Blödlinge entzückt! Erfleug das Vaterland!
Durch Dulden und durch Thun erring' die beſsre
Welt!
Mit Helden sey ein Held!
Epilog.
5 T
[[290]][291]
Der Schwan.
Ein Gesicht.
Ich ging der Warne schönbeblümten Strand
Entlang. Wie duftet' er! Wie funkelte
Sein blumiges Gestad' im sanften Strahl
Der Abendsonne. Rechts beschattet' ihn
Der stimmenvolle Hayn; ihn säumte links
Das Gold des Waizens. Droben wölbte sich,
Reinausgeheitert durch des Eurus Hauch,
Der ewge Himmel, spiegelte sich treu
[292]
Mit jeder Purpurwolke, die empor
Aus Westen flattert', in der reinen Fluth.
So spiegelt Gott der Herr sich selbst mit Lust
In einer Menschenseele, die noch rein
Und unverfälscht und gut und redlich ist.
Ich lagerte mich an des Flusses Saum,
Von Kalmus rings umduftet. Gottes Hauch
Umsauste mich. — Da rudert' aus dem Schilf,
Voll hohen Anstands, Adels, Majestät,
Doch alles Dünkels, alles Wahnes baar,
Hervor ein königlicher Schwan. Er war
Weiſs angethan, so blendend weiſs, als sey
Sein glänzendes Gefieder aus dem Schaum
Des Meers geblasen. Langsam rudert' er
Und ernst einher. Sein melancholisch Haupt
Auf seine reine Brust gesenkt. So fand
Ich Iden einst das Auge thränenvoll,
Den Schwanenhals auf ihre Schwanenbrust
In stiller Schwermuth einsam hingeneigt.
Ich lag und lauschte. Stille war umher:
Die Sonne sank; die Lerche senkte sich
Tiefkreisend auf ihr Nest im Waizenschlag;
Und Gottes Odem hauchte leiser. — Horch!
[293]
Da weht' es süſs, wie Liebeslispel wehn,
Und seeleschmelzend, wie ein Sterbelied,
Das Heil'ge singen, über Strom und Flur.
Ich schmolz in süſse Wehmuth. Zwar vernahm
Ich nicht des Liedes Worte; doch sein Klang
Durchschütterte mich mächtig, wiegte mich
In tiefe Träumereyen ein. Ich sah,
Ich hörte Mütter, die dem Grabe nah,
Die Kinder ihres Herzens segneten,
Und Jungfraun, die zu ew'ger Reinigkeit
Sich Gott gelobten; Bräut' und Jünglinge,
Die Lipp' auf Lippen ihren Lebensgeist
Ins All der Liebe heiſs ausathmeten.
So däucht' es mir; so klang dem Schwärmenden
Des Schwanes melancholischer Gesang.
Und stiller ward der Schwärmer, lauschete
Und athmete noch leiser, daſs ihm nicht
Des Liedes schwächster Laut entschlüpfte. — Schau!
Da stieg ein Schwarm von Geyern, Kranichen,
Von Störchen, Raben, Kibitz, und was sonst
Unreinen Viehs im blauen Äther schwimmt,
Lautkreischend in die Luft. Den klaren Tag
Verdunkelte der Schwarm; des Schwarms Gekreisch.
Sein Rufen, Krächzen, Klappern überschrie
Des schönen Sängers schmelzenden Gesang.
[294]
Und ich ergrimmt' im Geist. Unmuthig schwoll
Das Herz im Busen mir, daſs ungestraft
Der dummen Kläffer höhnendes Geschrey
Das heil'ge Lied verschrie; daſs dem Gezücht
Der geistigen Eunuchen, die, entmannt
In Mutterleibe schon, dem Genius,
Des Genius göttlichsten Ausblitzungen
Haſs und Verfolgung schwuren — daſs der Brut
Ihr kirchenschändend gottverläugnend Thun
Auch auf Momente nur frommt' und gedieh.
Ich irrt' entlang den blumenvollen Strand,
Ertrat Violen und Vergiſsmeinnicht,
Entrauft erzürnt dem wilden Rosenstrauch
Sein grünes Haar, und streut' es in den Wind.
Nicht so der Schwan. Groſs, schweigend und
in Ruh
Des Selbstbewuſstseyns rudert' er dahin.
Sein Schneegefieder glänzte durch die Nacht
Der Frevler rings um ihn, wie durch die Welt
Voll Bosheit eine gute Seele glänzt.
Deſs grollten ärger noch die Frevelnden,
Und neue Bosheit keimte, wuchs und reift'
Im Hui! in ihrer neidgeschwollnen Brust.
[295]
Sie brausten eilig zum verwandten Koth,
Sie tauchten unter in den zähen Schlamm,
Belasteten Schweif, Schnabel, Schwing' und Krall'
Mit ekelhafter Beute, rauschten schwer
Beladen auf, umstürmten links und rechts
Den silberweissen Schwan, und schüttelten
Und klatschten wüsten Schmuz — wie aus der Ess'
Ein schwärzrer Brodem wirbelt, und die Luft
Verdunkelt — nieder auf den reinen Schwan.
Da wölkte sich sein blendendes Gewand,
Die Lilienweisse der gewölbten Brust,
Der klare Spiegel seiner Schwingen ward
Entstaltet, wie durch Tück' ein schön Gesicht,
Entadelt, wie ein Herz durch Bosheit wird.
Und heisser noch ergrimmt' ich, tiefer noch
Gekränkt, daſs so verächtliches Gezücht,
Zufrieden nicht, des Sängers hohes Lied
Ruchlos verhöhnt zu haben, frecher itzt
Auch seinen Leumund, seiner Sitten Zucht,
Den lautern Sinn, das tadellose Thun,
Des Geistes Einfalt und Rechtschaffenheit,
Dreist zu begeifern sich erfrechen thät.
Entrüstet wandelt' ich den Strand entlang.
Ich schauet' auf zum amethystnen Dom,
Ich nahm zum Zeugen solcher Ungebuhr
3 U
[296]
Ihn, der das heil'ge Lied dem Menschen gab
Zum Trost in seinen Mühen, ihn, der selbst
Rein, schuldlos, makellos, des Reinen nur
Sich annimmt, alles Trugs und Schmutzes Feind.
Es fehlte wenig und ich forderte
Heraus den Gott im rohen Ungestüm,
Zurückzuschleudern die verruchte Brut
In ihr Geklüft', zu rein'gen Licht und Luft
Von ihrer Gegenwart Vorwurf und Quaal.
Nicht so der Schwan. Groſs, schweigend und
in Ruh
Der Unschuld tauchete der Herrliche
Hinunter in die Fluth, verzog in ihr
Von Athemzug zu Athemzug, und sieh!
Nur schimmernder, nur reiner noch, denn vor,
Enttauchet' er der Fluth. Hinweggespühlt
War jeder Makel, jedes Schmuzes Spur.
Die dummen Neider sahn ihn, rauschten auf
In ihrer Ohnmacht knirschendem Gefühl,
Und floh'n zum Aas im nächsten Thal zurück.
Der Vogel Gottes aber schwamm getrost,
Voll hohen Anstands, Adels, Majestät,
Doch alles Dünkels, alles Wahnes baar,
Hinab die blauen Fluthen. Angeweht
Von Gottes Hauch, vom letzten rothen Strahl
[297]
Des Tags umgoldet, rudert' er dahin
In stillem Ernst. Sein melancholisch Lied
Durchwallte fey'rlicher den dunkeln Forst,
Und stillte siegend mein empörtes Herz.
Erweicht, beschämt, genesen jeder Quaal
Stand ich erröthend, wie der ferne West,
Und thränend, wie der nahe Rosenbusch
Im Abendthau — „Unsterblicher Gesang,
Rief ich begeistert aus, zu dämpfen dich,
Wie zu vermailigen des Sängers Ruf,
Versucht umsonst der Neider dumme Wuth,
Umsonst der Sykophanten Hohngeschrey.
Sein Grimm verschnaubt und ihr Geschrey verstummt.
Du aber, heil'ges Lied, des Gottes voll,
Tönst nieder zu den Enkeln, rührst, entzückst,
Und nennst des Sängers Namen, der vorlängst
Verschwunden, der gerechtern Afterwelt.
O süſse Gabe, rief ich inbrunstvoll
Und sehnsuchtvoll, des Liedes Gabe sey
Gewährt mir für das Leben! Öfter noch
Heb' aus der Wirklichkeit beschränktem Kreis,
Heb' über eitles Lob und schnöden Hohn',
Heb' über alles, was den Sinn verwirrt,
[298]
Und ängstiget den Geist, den Strebenden
Hinüber in der Dichtung güldnes Land,
Das Land der Fabel und des Ideals.
O süſse Gabe! rief ich tiefer noch
Erschüttert. Ruhig sank und groſsgeaugt
Die Sonne nieder. Feyernd lag umher
Der Wald, die Flur, der Strand. Der klare Fluſs
Glitt purpurfarbig zwischen Blumen hin.
Froh der Erscheinungen, von Licht und Glanz
Durchstrahlt mein Innerstes, leis' angehaucht
Von ungebohrner Lieder lindem Wehn,
Schied ich erweicht von dannen und erstarkt!
- Holder of rights
- Kolimo+
- Citation Suggestion for this Object
- TextGrid Repository (2025). Collection 3. Poesieen. Poesieen. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bpq7.0