[][][][][][][][]
[figure]
[[I]]

Poesieen.

[figure]

Dritter Band.


Leipzig,:
bey Heinrich Gräff,1802.

[[II]][[III]]

An die Zeitgenossen.


[[IV]]
Vereidet keiner Schule, keiner Rotte

Verkauft um schnöden Hohn und feiles Lob,

Gehorchend einzig dem gewalt'gen Gotte,

Wagt' ich zu singen, was die Brust mir hob.

Die Katarakte schoſs den Felshang nieder;

Rauh klangen, herzlich doch, des Jünglings

Lieder.

Gezündet durch das Heilige und Hohe,

Entstoben Funken der verborgnen Glut;

Das Schlechte nur, das Niedrige und Rohe

Verschmähte zürnend die geweihte Wuth.

Ich sang die Liebe meiner Rosenjugend:

Gott, die Natur, die Schönheit und

die Tugend.

[V]
Doch andre Zeiten brachten andre Lehren,

Ein neues Licht entblitzt der alten Nacht.

Man heiſst uns neue fremde Götter ehren;

Was heilig war den Vätern, wird verlacht.

Euch, meines Liedes inhaltreiche Themen,

Verhöhnen sie als wesenlose Schemen.

„Laſst einmal doch die breitgetretnen

Spuren,

„Verlockte Dichter! Thoren, die ihr seyd,

„Wiſst, nur Bedarf prosaischer Naturen

„Sind Gott, die Tugend und die Ewigkeit.

„Es schöpft aus reichern, aus den eignen

Tiefen

„Der Genius, der kühn sich selbst begriffen.

„Verschmähend, fremder Macht uns

hinzugeben,

„Frohlockend in dem heiſserrungnen Licht,

„Thun wir Verzicht auf euer ewig Leben,

„Auf eure Tugend, euren Gott Verzicht.

„Uns, die wir gar in eignen Feuern glühen,

„Rauscht der Krystallstrom ächter Poesieen.“

[VI]
So schallen rechts und links der Meister

Sprüche.

Der Jünger Echo hallt sie wiehernd nach,

Und mühsam windet sich durch Moor und

Brüche

Der Dichtung dunkler schlammgetrübter

Bach,

Der über Goldsand sonst, von Cynoglossen

Umduftet, ätherklar dahingeflossen.

Zum neuen Glauben, zu den neuen

Zungen

Mich zu bekehren, bleibe fern von mir!

Was ich gesungen hab, hab' ich gesungen.

Wir haben auch den Geist des Herrn, auch

wir!

Seyd ewig dann, ihr Genien meiner Jugend,

Mein hohes Lied: Gottheit, Natur und

Tugend!
[[VII]]

Inhalt
des Dritten Bandes.


Siebentes Buch.


  • Seite
  • An die Lyra 3
  • Hymne an das Eisen 7
  • Aristoteles Hymne an die Tugend 16
  • Congreve's Hymne an die Harmonie 18
  • Drydens Alexanderfest 26
  • Gray's Barde 37
  • Der Dorfkirchhof 48
  • Das nuſsbraune Mädchen 54
  • Die Königskinder 70
  • Königinn Anne 75
  • Die Gefangenen 81
  • Eleonora und Gutta 84
  • Seite
  • Er und Sie 88
  • Admiral Hosier's Geist 93
  • Odin's Höllenfahrt 98
  • Klage um Hoël 103
  • Das Sehnen 105
  • Die Ahnung 108
  • Sunium 111
  • Die Blumenchiffre 115
  • Elegie 118
  • An Allwina 126
  • Erinnerungen 132
  • Agathon an Thelxione 138
  • Atlantis 143
  • Das neue Jahrhundert 147
  • Endymion 149
  • Narcissus 150

Edmunds Lieder.


Erster Anhang.


  • Apologie 153
  • Wohin? Wohin? 156
  • Öd und leer 160
  • Das Lenzgefühl 163
  • Ihre Flur 165
  • Die Mondnacht 168
  • Idens Nachtgesang 170
  • Edmunds Nachtgesang 172
  • Seite
  • Der transparente Mondschein 176
  • Gruſs in die Ferne 180
  • Ihre Blumen 183
  • Seine Blumen 186
  • Die Zweifel 189
  • Die Nacht der Liebe 193
  • An die Nacht 196
  • Das Andenken 198
  • Das Abendroth 201
  • Die Sterne 204
  • Epicedion 208

Biankens Lieder.


Zweyter Anhang.


  • Der Abschied 213
  • Strada della Luce, Strada della Croce 215
  • Candore et Odore 217
  • Die Blumenchiffre 219
  • Die Errettung 221
  • Die Ekstase 223
  • Müd' und matt 225
  • An den Schatten des Numan 227
  • Das Lebewohl 231
  • Lobgesang 234
  • O Liebe 237
  • Himmelan 239
  • Am Ziele! 242

[X]

Zugabe


älterer gänzlich oder gröſstentheils umgearbeiteter Gedichte.


  • Seite
  • Die Unsterblichkeit 247
  • Der Nachtsturm 255
  • Elegie 258
  • Elegie 263
  • Elegie 267
  • Abschied von Ida 271
  • Die Erscheinung 278
  • Das Andenken 281
  • Das Ermannen 284

Epilog.


  • Der Schwan. Ein Gesicht. 291

[]

Druck- und Schreibfehler.


Dritter Band.


Seite 3. Zeile 7. das Schöne lies das Höchste.


- 14. - 14. aufthat l. aufthut.


- 26. - 11. der Tugend l. der Jugend.


- 54. - 8. Treue l. Treu.


- 65. - 5. Gemeint mich und geminnt l. geminnt
mich und gemeint.


- 104. - 15. nur l. nun.


[]
[[1]]

Siebentes Buch.


3 A
[[2]][[3]]

An die Lyra.


Güldne Lyra, dir gebühret,

Dir, der Ersten, Preis und Ruhm.

Ward ich je von fern geführet

Zu der Schönheit Heiligthum;

Merkt' ich auf der Göttinn Lehre,

Brannt' ich für das Schöne — dein

Sey das Lob und dein die Ehre,

Liedertönend Elfenbein!

A. [2]
[4]
Zwang ich Tyche dir zu dienen,

Brach mir Bahn durch Bruch und Schluft;

Seh' am Belt ein Tempe grünen,

Athm' auf Rugien Joniens Luft;

Zaubr' ich mir aus Eis und Schlossen

Einen Frühling blüthenweiſs,

Lehr aus Urnen Rosen sprossen —

Lyra, dir gebührt der Preis!

Schwing' ich mit der Ahnung Schwingen

Aus dem Eitlen mich empor,

Hör' entzückt die Sphären singen

Mit des Geistes leiserm Ohr,

Schwellt der Götter ew'ge Jugend

Meine Adern, lächelt mir

Mit Hetärenreiz die Tugend —

Güldne Lyra, Dank sey dir!

Wie du einst, o güldne Leyer,

Thraciens Gewürm bezwangst,

Über Hellas Ebentheuer

Glorreich manchen Sieg errangst;

Also auch des Wahns Chimären,

Auch die Sphynx der Leidenschaft

Hilfst du siegreich mir beschwören

Durch des Liedes Zauberkraft.

[5]
Wie du einst den frommen Dichter

Rettetest aus herber Noth

Von dem Schwert der Bösewichter,

Aus der Fluthen nassem Tod;

Also hast du oft den Zagen

Aller Angst und Qual entrückt,

Hast auf der Begeist'rung Wagen

Zum Olympus ihn entzückt.

Wie gehorsam deinen Lauten,

Still befolgend dein Gebot,

Ilions Mauern leicht sich bauten

Sonder Richtscheid, Schnur und Loth;

Also lehrst die wilden Triebe

Ordnung du und Symmetrie,

Lockst' hervor aus Zorn und Liebe

Ebenmaaſs und Harmonie.

Wie vom Gott und dir begeistert

Jason kühn das Salz durchschnitt;

Drach und Lindwurm übermeistert,

Und das güldne Vlieſs erstritt;

So laſs auch von günst'gen Winden

Meiner Argos Segel blähn,

Mich der Wahrheit Colchis finden,

Und der Schönheit Vlieſs erspähn.

[6]
Wie du Eurydicens Gatten

Ruhm verliehst im Reich' der Nacht;

Alle Larven, alle Schatten

Fühlten deines Zaubers Macht;

Charon horcht entzückt dem Tone;

Lauschend ruhte Cerberus;

Lächelnd weinte Persephone;

Selig war der Erebus —

So, o Heroldinn des Schönen,

Alles Zorns Vermittlerinn,

Wollst du einst auch mir versöhnen

Des Avernus strengen Sinn;

Daſs ich, an des Orkus Schwelle

Aller Schuld und Sorg entstrickt,

Zu den Sängern mich geselle,

Die Elysiums Ruh erquickt.
[7]

Hymne an das Eisen.


Heil dir, Mark der Natur, der gabenspendenden

Erde

Stilles Erzeugniſs, doch groſs von Kraft und herrlich

an Thaten.

Nimmer rühmt' ich das Gold, und dein, jungfräuli-

ches Silber,

Dacht' ich nimmer im Liede. Dir aber, Preis der

Metalle,

Will ich Ehre verleihn, und deine Tugenden singen.

Heil dir, ältestes Kind der Gebürg'! und ihr edel-

stes Kleinod,

Erstgeborner im Reiche der vielgestalteten Erze.

[8]
Schon in der Dinge Beginn, als die uranfänglichen

Wasser

Jegliches Stoffes trächtig die kraysende Erde noch

deckten,

Schwebtest du in dem unendlichen Meere, geselltest

dich traulich

Zu dem Gesäme des Quarz, zu des Feldspath binden-

dem Mörtel;

Schwärztest den ernsten Schörl, durchblinktest die

spielende Mica,

Härtetest, heilige Kraft, die Granitgerippe des

Erdballs.

Aber zu rasten vermochtest du nicht mit dem

Quarz und dem Spathe.

Nicht zu bändigen taugte den Trotz des Titanen der

Anden.

Noch der Sudeten Gewicht, das schwer auf die

Brust ihm gewälzt war.

Tief aufstöhnend enthobst du der Last dich; aus

dampfendem Crater

Quollst du hervor, ein Feuerstrom, gerannst zum

Basalte,

Pflastertest Riesenweg', und wölbetest Grotten des

Fingal.

Rastlos gährt' es indeſs in des Meers arbeiten-

dem Schooſse.

[9]
Niederschlugen die Lager der Erden, des Thons und

des Kalkes

Wechselnde Schichten. Wer sprengte die Mächtigen?

Welche der Kräfte

Höhlt' im gediegenen Flötz der Gäng' und Minen

und Adern

Labyrinthisch Geklüft? Du thatest es, Heros! Und

lüstern

Dich zu entwinden dem spähenden Blick helläugiger

Neugier,

Wähltest du dir zum geheimeren Sitz das verborgne

Gekämmer,

Lauschest dort in des Dunkels Schirm in mancher

Vermummung.

Bald gelüstet es dich, als Druse zu blinken. Be-

scheidner

Birgst du ein anderes Mal dich in unscheinbarer

Stuffe;

Tropfest itzt 'gar die Teufe herab ein nichtiges

Wasser,

Blühest als Blume dann, und schossest ein ästiges

Bäumchen.

Tausend sind deiner Launen und deiner Verlar-

vungen tausend.

Dennoch feſsl' ich dich, Proteus, mit mächtigem Zau-

ber des Liedes;

[10]
Dich ertapp' ich im wilden Gestein, in der bläulich-

ten Schlacke,

Dich in des Schmirgels zäherem Korn, im flüchtigen

Bleyglanz.

Freundschaft pflegst du mit jedem Genossen der wu-

chernden Sippschaft.

Willig gesellen sich dir die minder edleren

Brüder.

Aber nur ungern gehorcht dir der Sol; die züchtige

Luna

Wegert sich lang; es sträubt sich verschämt die keu-

sche Platina.

Kühner Ares, du steigst hinab in der schüchter-

nen Nais

Heimliche Grotte. Verwegen umschlingst du die Blö-

de. Bezwungen

Sinket sie dir in den brünstigen Arm. Der Umar-

mung entsprudeln

Heilende Quellen. Des Heiltranks schlürft sehnsüch-

tig der Sieche,

Fühlt sich das Herz erfrischt und gestählt die erschläf-

fende Fiber.

Heil, Dämonischer, dir [...] dir danket Tellus das

bunte

Regenbogengewand und der Farben magische

Gaukel.

[11]
Dir verdanket die glühenden Tinten die schillern-

de Steinwelt,

Dir der Saphir den Lasur, der Amethyste den

Purpur,

Dir der Smaragd sein spielendes Grün, sein Gold der

Topase,

Dir der Rubin die leuchtende Gluth, die wechseln-

den Schimmer

Danket dir der Opal, drinn des Aethers Launen sich

spiegeln.

Treflicher Künstler, wie mahlst, wie schattirst du

die Schöpfung der Pflanzen!

Dir nur danket der lachende Frühling sein duftiges

Saftgrün,

Dir den brennenden Kranz die Feuerblume. Des

Veilchens

Duftkelch glühet durch dich. Der chalcedonischen

Lychnis

Lodernde Flammen zündest du an. Der züchtigen

Rose

Leihst du den Incarnat, der Götter entzücket und

Menschen.

Glanz und Heitre verleiht dein fröhlicher Pinsel

der Thierwelt

Edleren Formen. Das Rad des Pfauen, des Schmet-

terlings Schwingen

[12]
Tauchst du in nimmer verblassende Tinten. Es dan-

ket die Taube

Dir den smaragdenen Hals, den schimmernden Fittig

das Goldhuhn.

Jedes Kügelchen färbst du des lebennährenden

Blutes,

Glühest herauf auf brauner Wange des rüstigen

Jünglings,

Hauchest die Jungfrau an mit des Frühroths leisesten

Schimmern.

Heil, Dämonischer, dir! Nicht bloſs der schaf-

fenden Mutter

Dienst du ein frommerer Sohn in ihrer geheimeren

Werkstatt.

Auch der Cultur, der Lebenverschönernden, streben-

den Fortschritt

Förderst du unverzagt, ein tausendrädriges Trieb-

werk.

Heil dir, nutzendes Erz! Aus des Schachtes täu-

schendem Dunkel

Mühsam zu Tage gefördert, zerrieben im hammern-

den Pochwerk,

Reingeschmolzen durch Ofengluth von jeglicher

Schlacke,

Wer mag zählen die Formen, die nutzenden, schmük-

kenden, blanken,

[13]
Die durch der Esse Gewalt, durch des Hammers

Schläge, der Feile

Nagenden Zahn aus dir die Hand des Fleiſses her-

vorruft.

Dein ist, friedliches Erz, die Pflugschaar, welche

die Scholle

Lockert, den strengeren Kloſs bereitet, daſs er des

Saamens

Goldenen Regen empfang', und ihn getrenlich be-

wahre.

Dein die blinkende Sense, von deren Klinge getroffen

Niederrauschet der Schwad des vollgekörneten

Weitzens.

Dein des Winzers Hippe, die leise vom blutenden

Rebstock

Löset die glühende Traube, den Quell nektarischen

Heilsafts.

Du, vom magnetischen Strom ergriffen, geleitest den

Steurer

Sicher durch Meere, die Cook nicht kannte, nicht

Magellan ahnte,

Birgt gleich der Nordstern sich, und des Wagens

strahlende Deichsel.

Dein ist, schützendes Erz, das Schwert, das das

Vaterland rettet,

Dein das donnernde Rohr, mit dessen Toden die Freyen

[14]
Niederschmettern der Feigen Volk in brüllender

Feldschlacht.

Jedes Geräth' ist dein, des wundenkundigen

Mannes

Jegliches, welches die Plagen des Siechenden mildert;

das Länzchen,

Welches die schwellende Ader erleichtert; der lüf-

tende Bohrer,

Welcher des Denkens Organ des Drucks entbürdet;

die Nadel,

Die in des Auges Tiefe den wölkenden Tropfen

hinabdrückt,

Daſs dem entflorten Stern der Weltbau strahlend

sich aufthat.

Heil dir, verschönerndes Erz, auch der Kunst,

der menschlichern, mildern,

Welche den Stoffen Gestalt verleihet und Seele dem

Todten;

Auch der Lieblichen jüngrer, wiewohl tiefsinng'rer

Schwester,

Auch der Wissenschaft dienst du, ein ewig ändern-

des Werkzeug.

Dein gehöret der Stahl, der Apollons göttliche

Schönheit,

Der Laokoons stöhnenden Schmerz aus dem Marmor

hervorruft;

[15]
Dein der Meiſsel, durch den aus rohem Blocke der

Säule

Zierlich schlanke Gestalt mit krausem Schnirkel em-

porsteigt;

Dein der Griffel, der dreist auf sprödem Kupfer

Allegri's

Weichesten Reiz nachahmt, und Guido's frischeste

Anmuth.

Dein der Verfinsterer Schrecken, die tausendzüngige

Letter,

Welche des Weisen Wort den lauschenden Völkern

verkündend,

Mächtig am Throne rüttelt des Despotism und der

Dummheit.

Heil dir, Kronions Geschenk, der Gesellschaft

förderndster Segen,

Erstes der Erze und Letztes! Vor deinen strahlen-

den Brüdern

Will ich singen dein Lob und deiner Preise gedenken!
[16]

Aristoteles Hymne an die Tugend.


Die du, o heil'ge Stärke, der Sterblichen

Mühselige Geschlechter zu Thaten spornst,

O Tugend, unsrer schwülsten Schweiſse

Köstlicher Preis und gewünschtes Kleinod.

Entbrannt in deiner Schöne, Holdselige,

Von deinem Blick begeistert, Jungfräuliche,

Trotzt Hellas Jugend jeder Arbeit,

Lacht der Gefahr, und frohlockt im Tode.

So schmeichelt nicht dem Auge des Goldes Glanz,

So mundet nicht dem Müden der süſse Schlaf,

So kos't die Annne nicht dem Säugling,

Wie du dem ewigen Geiste kosest.

[17]
Um deinetwillen stürzte Heracles sich

In endelose Mühen; es stürzten sich

Um deinetwillen Ledens Söhne

Freudigen Muthes in Noth und Arbeit.

Nach dir verlangend, wallte Patroklos Freund

Und Rächer jung noch nieder zur Schattenwelt;

Nach dir verschmachtend, zu des Ais

Düstrer Behausung der starke Ajas.

Dein werth zu werden, Brünstigumschlungene,

Verschmäht' Acharnens Zögling der Knechtschaft

Schmach,

Verschmähte selbst des süſsen Lichtes

Wonnegenuſs und des Aethers Heiltrank.

Nur dir gebührt der Hymnus. Es huldigen

Nur dir die ew'gen Töchter Mnemosynens.

Zevs Xenios ist ihres Liedes

Inhalt. Ihr Päan ist heil'ge Freundschaft.
3 B
[18]

Congreve's Hymne an die Harmonie.


I.
Wem tönt des Hymnus Feyerklang?

Wem rauscht der Lyra Hochgesang,

Gleich Nachtigallenschlag itzt schmetternd und itzt

leise?

Wen meinen unsers Päans Preise?

Dich meinen sie,

Allmächtige Harmonie.

Heil dir, dir huldigt die Natur!

Beschworen, Himmlische, von deinem Zauberschwur

Tanzt lustberauscht der Wald, hüpft lüstern rings die

Flur —

Und jene, die in nimmer müden Kreisen

Rings um das Herz des All's melodisch tönend reisen,

Wer lenkt, wer zäumt, wer bändigt sie?

[19]
Chor.
Du thust's, allmächtige Harmonie!

II.
Dein süſses Tönen, Harmonie, erscholl

Und laut aufklangen des Abyssus Schründe.

Des Lichtes nie erforschter Quell erschwoll

Die alte Nacht erschrack; tief in des Abgrunds

Schlünde

Versteckte, jeder Kraft beraubt,

Das Chaos sein geängstet Haupt.

Hervor, o Harmonie, auf dein melodisch Werde

Sprang lächelnd der Olymp, sprang thaubeperlt die

Erde.

Rings reihte sich der Sterne güldner Kranz.

In nimmer-lassen, nimmer-stummen Chören

Begannen ihren Reigentanz

Rund um den Quell des Lichts die ewig-

schönen Sphären.

Chor.
Dein hehtes Tönen, Harmonie, erscholl,

Und Nacht und Chaos floh und Lieb' und

Licht erquoll.

III.
Wer hat des Rythmus Heimlichkeiten

Dem blöden Sterblichen enthüllt?

3 B
[20]
Wer hat aus Maaſs und Zahl und Zeiten

Den Zaubertrank gemischt, der alle Schmer-

zen stillt?

Warst du es nicht, Holdselige,

Die Lätos hohen Sinn begeisterte,

Die Melpomenens Kehle regte,

Und Polyhymnien mit Muttersorgfalt pflegte?

Horch, horch, Urania singt,

Apollon's Lyra klingt.

Den süſsen Tönen lauscht das trunkne Chor der

Musen,

Entzücken schlieſst ihr Aug', und selig schwillt ihr

Busen.

Chor.
Horch, horch, Urania singt,

Apollon's Lyra klingt.

Geschloſsnen Auges lauscht um ihn der Chor der

Musen,

Und süſse Trunkenheit schwellt ihre keusche Busen.

IV.
Steig' nieder, Huldinn, Himmlische,

Und mildt' erbarmend unser brennend Weh.

Sieh, wie uns Übel tausendfach umringen,

Die Sorgen uns mit Drachenschweif um-

schlingen.

Itzt zappeln wir an banger Zweifel Schaft.

[21]
Itzt wühlt in unserm Mark der Tyger Lei-

denschaft.

Die Phantasie schwingt ihre Pfauenflügel,

Entringt der säumenden Vernunft die Zügel,

Beherrscht den Willen unbeschränkt,

Den keine Vorsicht zäumt und keine Rücksicht lenkt.

Wer zügelt den verwildernden Gedanken?

Wer wiegt das nimmersatte Herz in Ruh?

Wer mischt den Heiltrank dem Verzweif-

lungskranken?

Du thust es, Huldinn, du.

Chor.
Wer zügelt den verwildernden Gedanken?

Wer wiegt das nimmersatte Herz in Ruh?

Wer mischt den Heiltrank dem Verzweif-

lungskranken?

Du thust es, Huldinn, du!

V.
Beginnt das heil'ge Lied, geweihte Neune,

Und Lipp' und Laut' ertön' in lieblichem Vereine.

Flöſst Frieden, Eintracht, Edenslust

In jede sanftgehobne Brust.

Laſst Schwermuth den gesunknen Nacken

heben,

Der Ruhe Ahnung laſst das bange Herz

durchbeben!

[22]
Kühlt das entflammte Blut,

Entwaffnet Grimm und Wuth,

Entreiſst der Rachgier die gezuckte Waffe,

Die straffe Muskel sink', und jeder Nerv' er-

schlaffe! — —

Es ist geschehn, Getröstet schweigt der Kummer.

Es schweigt der Leidenschaft Tumult.

Von süſsen Tönen eingelullt

Sinkt aufgelöst die Welt in vielwillkommnen

Schlummer.

Chor.
Sieh es geschieht. Getröstet ruht der Kummer.

Es schweigt der Leidenschaft Tumult.

Von süſsen Tönen eingelullt

Sinkt aufgelöst die Welt in vielwillkommnen

Schlummer.

VI.
Doch ach zu schnell entschlüpft die schöne Stille.

Zu neuen Mühen rafft der Mensch, der Thor, sich

auf.

Fluchwerther Ehrgeiz, frecher Eigenwille,

Ihr rüttelt rings die Welt zu blut'gen Fehden auf.

Horch, horch, das Schlachthorn brüllt,

Zum Tode ruft die schmetternde Drommete.

Die dumpfe Trommel rollt, die helle Pfeife

schrillt.

[23]
Wo bist du hin, des Hirten Abendflöte!

Wo seyd ihr hin, des Friedens Melodieen?

Geheul zerreiſst die Luft und wilde Frenesieen.

Chor.
Wohin, wohin, friedsel'ge Melodieen?

Statt eurer gährt die Luft in wilden Frenesieen!

VII.
Sieh die verlass'ne Schöne!

Ihr Liebling zog ins Feld,

Verödet ist der Armen nun die Welt.

Mit jammerndem Gestöhne

Ruft sie des Tages ihm, durchwacht

In ungekühlter Angst die öde Mitternacht,

Umschlingt ihn träumend, sehnt mit heiſsen

Zähren

Nach Freuden sich, die, wähnt sie, nimmer

kehren.

Ach lindert ihren Harm

Mit euren weichsten Tönen,

Bis die ergrimmten Völker sich versöhnen.

Und treu und siegreich ihr in Arm

Der Liebling wiederkehrt, um nimmer sie zu

lassen,

Um ihr an treuer Brust einst liebend zu er-

blassen.

[24]
Chor.
Ach mildert ihren Harm

Mit euren weichsten Tönen,

Bis die ergrimmten Völker sich versöhnen,

Und treu und siegreich ihr in Arm

Der Liebling wiederkehrt, um nimmer sie zu lassen,

Um ihr an treuer Brust einst liebend zu erblassen.

VIII.
Genug, Urania, Himmlische!

Magst nun zurück zum Regiment der Sphären,

Zurück zur Sternenheymath kehren.

Cäcilia kommt, die Hochbegeisterte,

Cäcilia, die göttlichste der Musen,

Und zündet Himmelsglut in jedem Menschenbusen.

Melpomene reicht ihr den Preis,

Ihr Polyhymnia das Lorbeerreis,

Selbst Cynthius, der Meister hoher Lieder,

Legt Harf' und Kranz zu ihren Füssen nieder,

Der Lyra weichlicher Gesang erstummt.

Aus zehnmal tausend regen Kehlen summt,

Haucht, wehet, schwillt zum schmetternden Orkan

Der Melodieen Sturm und brauset himmelan.

Cäcilia, erhabne Meisterinn,

Nie wird der Hymnus deines Ruhms verklingen.

Für immer wird dein Lob, des Tonreichs Königinn,

Der Zungen Myrias, die du vereintest, singen.

[25]
Groſses Chor.
Willkommen, Hochbegeisterte!

Willkommen, göttlichste der Musen,

Geweihte Jungfrau, Reine, Züchtige,

Du zündest Himmelsglut in jedem Menschenbusen.

Melpomene reicht dir den Preis;

Dir Polyhymnia ihr Lorbeerreis,

Selbst Cynthius, der Meister hoher Lieder,

Legt Harf' und Kranz zu deinen Füssen nieder,

Der Lyra weichlicher Gesang erstummt.

Aus zehnmal tausend regen Kehlen summt,

Haucht, wehet, schwillt zum schmetternden Orkan

Der Melodieen Sturm, und brauset himmelan.

Cäcilia, erhabne Meisterinn,

Nie wird der Hymnus deines Ruhms verklingen.

Für immer wird dein Lob, des Tonreichs Königinn,

Der Zungen Myrias, die du vereintest, singen.
[26]

Dryden's Alexanderfest.


I.
Persia war besiegt. Den hohen Triumph zu feyern

Gab Philipp's Sohn ein königliches Mahl.

Hoch prangt' auf güldnem Stuhl

In hehrer Majestät

Der göttergleiche Held;

Rings um ihn seines Reiches Groſse,

Mit Myrthen die Stirne bekränzt, die Scheitel um-

schattet mit Rosen.

(Also geziemt es den Siegern nach blutiger Müh.)

Neben ihm lehnt' in der Blume der Tugend,

Im Glanze der Schönheit die freundliche

Thais,

Mit des Aufgangs köstlichsten Steinen ge-

schmückt —

[27]
Preiset die Herrlichen, Heldensöhne.

Ares und Küpris umarmen sich hier.

Tapfrer, nur dir

Tapfrer, nur dir

Tapferer, dir nur gebühret das Schöne

Chor.
Preiset die Herrlichen, Heldensöhne.

Küpris und Ares umarmen sich hier.

Tapfrer, nur dir,

Tapfrer, nur dir,

Tapferer, dir nur gebühret das Schöne.

II.
Timotheus, der vielberühmte Meister,

Saſs hoch auf klingender Bühne,

Rührte mit flüchtigem Finger die Leyer;

Himmelan schwellten die schwellenden Töne

Der Hörer trunkene Seelen.

Er sang, wie Vater Zevs

Die seligen Sitze verlieſs

(Dir, mächtige Lieb', erliegend).

Ein flammender Drache fuhr er herab,

Auf schlängelndem Blitze schoſs er daher

Zu Philipps schöner Gattinn,

Zur jungen Olympia.

Umschnäbelnd ihre Schneebrust,

Den Marmelleib umringelnd,

[28]
Vertraut' er sein Ebenbild ihr, des Erdballs künftigen

Herrn —

Er sang's. Dem hohen Liede

Lauschten die Zecher bewundernd.

Heil dem erscheinenden Gott! scholls auf aus den

Kreisen der Zecher.

Heil dem erscheinenden Gott! scholl's wieder vom

dröhnenden Dome.

Entzückten Ohrs

Vernahms der Held,

Und wähnte sich Gott,

Und nickt ein Gott

Und meint: es bebten die Sphären.

Chor.
Entzückten Ohrs

Vernimmt's der Held

Und wähnt sich Gott,

Und nickt ein Gott

Und meint: es beben die Sphären.

III.
Nun sang der holde Sänger Bachus Preise,

Des Ewigjungen und des Ewigschönen;

„Er kömmt, er kömmt, der fröhliche Gott,

„Dem Ernst ein Hohn, dem Gram ein Spott.

„Schmettere, muntre Drommete!

„Er kömmt und purpurne Röthe

[29]
„Verklärt sein blühend Gesicht,

„Die Augen unsterbliches Licht.

„Lasset das luftige Hifthorn hallen,

„Laſst wirbeln die Pauke, Schallmeyen erschallen.

„Er kommt holdselig und froh

„Io Io Io!

„Bachus jung und schön und froh

„Preſste Trauben, mischte Wein,

„Führte des Zechens Freuden ein,

„Bachus spendet süſse Weide,

„Zechen ist des Kriegers Freude.

„Süſs die Weide,

„Reich die Freude,

„Süſs ist Freude nach der Pein.“

Chor.
„Bachus spendet süſse Weide,

„Zechen ist des Kriegers Freude.

„Reich die Freude,

„Süſs die Weide;

„Müden mundet baſs der Wein.“

IV.
Des Lobes froh erschwillt des Königs Herz.

Noch einmal ficht er alle seine Schlachten über.

Dreymal noch schlägt er den Feind; dreymal noch

fallen die Schaaren.

Des steigenden Wahnsinns gewahret der Meister,

[30]
Gewahret der glühenden Wangen,

Gewahret des funkelnden Auges,

Sieht Fehde ihn der Erd und selbst dem Him-

mel bieten.

Er wandelt schnell die Weise

Und hemmt des Jünglings Stolz,

Er schmelzt mit Trauerlauten

In süſses Leid das Herz.

„Darius, singt er, groſs und gut,

„Verfolgt von Heimarmenens Wuth,

„Darius ist gefallen!

„Gefallen! gefallen! gefallen!

„Vom höchsten Punkt des Erdenglücks

„Ist er im Huy des Augenblicks

„In Schmach und Noth gefallen!

„Es liegt der König groſs und gut

„Und wälzet sich in seinem Blut,

„Verlassen ach von allen;

„Verlassen selbst vom treusten Freund,

„Den er am redlichsten gemeint,

„Liegt er auf nackter Erde bloſs.

„Ist keiner, der auf liebem Schooſs

„Das Haupt ihm stützet, keiner?

„Ist keiner, der das Aug' ihm schlieſst?

„Ein' arme Thrän' um ihn vergieſst?

„Ach keiner! auch nicht Einer!“

Gesunknen Blickes saſs der schnellerweichte Sieger,

Den ringsumwölkten Geist durchzuckten Ernstgedanken.

[31]
Er sah das Rad des Schicksals

Sich nimmerrastend drehn;

Ein tiefes Ach entfuhr ihm,

Und eine Thräne quoll.

Chor
Wohl mag die Thräne quellen,

Dein Geist sich wölken, Held!

Denn nimmerrastend rollet

Des Schicksals kreisend Rad.

V.
Der mächt'ge Meister lächelte.

Die Liebe, sah er, traf zunächst die Reihe.

Den nächst verwandten Ton nur durft' er rühren,

Denn Mitleid stimmt das Herz zur Liebe.

Lockend, flötend, girrend

Gleich der Nachtigall Schmettern

Scholl das Lydische Lied.

„Krieg ist Tollheit, Fechten Rasen;

„Ehr' und Ruhm sind Wasserblasen.

„Stets beginnend, nimmerendend,

„Stets zerstörend, nie vollendend,

„Dünkt die Welt dich werth des Krie-

gens,

„Werth des Kämpfens, werth des Sie-

gens?

[32]
„O vergiſs nicht des Genusses,

„Nicht des Bechers, nicht des Kusses.

„Thais thront dir lächelnd zur Seiten,

„Geneuſs was dir die Götter bereiten!“

Stürmendes Beyfallgeschrey scholl rings im Kreise der

Zecher.

Nicht länger mächtig seiner Schmerzen blickte

Der Heros die Heroinn an,

Die süſse Feindinn seiner Ruhe.

Er blickt' und seufzt', und seufzt' und

blickte,

Und blickt' und seufzt' und blickte wieder.

Übermannet zuletzt von Wein und sehnender Liebe

Sank der besiegte Sieger ihr an die schwellende

Brust.

Chor
Sieh, sieh, er blickt und seufzt und blickt,

Und blickt und seufzt und blicket wieder.

Überwältiget schon von Wein und von sehnender

Liebe

Sinkt der besiegte Sieger ihr an das schlagende

Herz.

VI.
„Mächtiger greift in der Lyra Gold!

„Horch, wie es braust, wie es zürnt, wie

es grollt!

[33]
„Weckt mir ihn auf wie mit Schlacht-

gerassel,

„Rüttelt mir ihn auf wie mit Donner

geprassel! —

„Erwache, Schläfer, erwache!

„Horch, horch, es gellt ihm ins Ohr.

„Er hebt das Haupt empor,

„Wie aus dem Grab' erwacht,

„Starrt er hinein in die Nacht.

„Rache, König, Rache!

„Siehst du im bläulichten Licht

„Die grinzenden Furien nicht?

„Hörst ihre Schlangen nicht zischen,

„Die schweflichten Blitze nicht gischen,

„Die den rollenden Augen entsprühn?

„Auf, König, stark und kühn!

„Rette der Schuldlosen Sache!

„Rache, König, Rache! —

„Siehst du die nichtige Schaar

„Mit lodernden Fackeln in Händen!

„Sie raufen das straubigte Haar,

„Sie ringen die Hände. Sie wenden

„Sich seitwärts. Siehe, sie weinen,

„Es sind die Geister der Deinen,

„Es sind der Griechen Schatten.

„Sie fielen auf Mediens Matten,

„Sie liegen unbegraben,

„Ihr Fleisch verspeisen Raben.

3 C
[34]
„Die Luft bleicht ihre Knochen,

„Noch liegen sie ungerochen.

„Räche der Tapferen Sache —

„Rache, König, Rache!

„Siehe, sie schwingen die Fackeln, die

Rächer,

„Zielen auf der Könige strahlende

Dächer,

„Winken auf die Tempel der feindlichen

Götter,

„Sie treffe der Rache versöhnendes Wet-

ten.“ —

Wüthendes Beyfallgeschrey durchtobte die gährenden

Lüfte.

Zerstöhrunglüstern sprang der König auf.

Er griff zur knisternden Fackel,

Zur Fackel die Trunkenen alle.

Thais stürmte voran,

Mit lodernder Fackel voran.

Der zweyten Helena sank das zweyte Troja in Asche.

Chor
Wohin, Wuthtrunkner, wohin?

Sieh, sieh, er greift zur Fackel.

Die Rasenden greifen zur Fackel.

Thais stürm't voran,

Mit lodernder Fackel voran.

Dir, zweyte Helena, sinkt das zweyte Troja in Asche.

[35]
VII.
So wuſste schon in grauer Vorwelt Tagen,

Als luftgeschwellte Bälge noch nicht

hauchten

Und noch der Orgel Kehlen alle schliefen,

Der Saitenkundige Timotheus

Die Seele mächtig zu beherrschen,

In süſse Wehmuth itzt sie einzugirren

Mit leiser Flöten sanftem Klageton,

Zu Raserey sie dann emporzustürmen

Mit jedem Dämon, den die Lyra bannt.

Doch itzt erschien Cäcilia,

Cäcilia, die Gottbegeisterte,

Erfand den Pallast heil'ger Harmonieen,

Erweiterte mit eingepflanzter Weisheit

Und hoher Kunst des Tonreichs enge

Gränzen,

Verlängerte die vollen Feyertöne,

Lieſs einzeln itzt des Prachtbau's Kehlen

gurgeln,

Lieſs tausendstimmig nun den heilgen Päan

brausen.

Reiche, Timotheus, dann der heiligen Jungfrau die

Palme,

Oder ihr Kämpfenden theilt beyde den ehren-

den Kranz.

C 2
[36]
Einen Sterblichen hob des Griechen Lyra zum

Himmel.

Selige Geister herab ziehet Cäciliens Lied.

Chor
Reiche, Helene, besiegt der heiligen Jungfrau die

Palme,

Oder ihr Kämpfenden theilt beyde den ehrenden

Kranz.

Einen Sterblichen hob Timotheus Lyra zum Himmel.

Himmlische Geister herab ziehet Cäciliens Lied.
[37]

Gray's Barde.


I. 1.
Verdirb, verruchter Fürst!

„Verderben treffe deine frechen Rotten!

„Birst, langmuthmüde Erde, birst!

„Nicht dulde Frevler mehr, die aller Duldung

spotten.

„Fürst, deine grasse That soll keine Buſse sühnen!

„Keim Helm, kein Harnisch, keine Eisenschienen,

„Selbst nicht die eh'rne Schaar, die um dein Bette

wacht,

„Soll retten dich vom Graun der kalten Mitternacht.

„Dich sollen Cambriens Flüch' aus tiefem Schlum-

mer schütteln.

„Dich Cambriens Wehgeheul aus grausem Traum

aufrütteln.

[38]
„Sieh, um dein Lager wankt der Schatten bleiche

Schaar.

„Entsetzen eis't dein Blut und Grausen sträubt dein

Haar.“ —

So scholl's, als Edward's Heer des Snowdon schroffen

Nacken

Sich mühsam niederwand vom steilsten Felsenzacken.

Ein Donner scholl's herab. Von kaltem Graun er-

faſst

Vernimmt den strengen Fluch der König und erblaſst.

Der kecke Gloster fühlt der Sehnen Kraft erschlaffen.

Den Speer schwingt Mortimer, und ruft: Zun Waf-

fen! Zun Waffen!

I. 2.
Hoch auf der Klippe, deren stolze Braue

Ernst niederschaut auf Conway's hohlen Strand,

Stand Leofric, der Hagre, Grause, Graue.

In langen Falten floſs um ihn sein Schneegewand.

Es flog im Sturm, nach Meteorenart,

Sein straubicht Haar, sein wildverwachsner Bart.

Mit Meisterhand und mit Prophetenfeuer

Regt er den tiefsten Gram der scherzentwöhnten

Leyer.

„Horch, horch, wie nieder in des Waldstroms

Schluft

„Die Rieseneiche stöhnt, mit ihr die Uferkluft.

[39]
„Dich faſst sie, König, mit Gigantengrimme,

„Dir rauscht sie Rache zu mit dumpfer heis'rer

Stimme.

„— Melodisch nimmer — ach! seit Cambrien's jüng-

stem Tage

„Verstummt Llewellyn's Lied, und Hoel's holde

Klage.“

I. 3.
„Kalt ist Cadwallo's Lippe,

„Die sonst des Sturmwinds Wuth beschwor.

„Gemäht ist Urrin von der Feldschlacht Hippe.

„Nie sieht mein Auge, nie vernimmt mein Ohr

„Dich, Modred, dessen magischer Gesang

„Den stolzen Plinlimmon sein Haupt zu neigen

zwang.

„Bleich, eiskalt, halbverscharrt im blut'gen Ufersande,

„Fault ihr an Arvon's leichenvollem Strande.

„Es dunkelt schon die Luft der Raben gier'ge Schaar.

„Raublüsternd scheust herab vom Felsenhorst der

Aar —

„O Dichter, Freunde, köstliche Gefährten,

„Mir, wie das Lüftchen süſs, das meine Schläfe

kühlt,

„Mir, wie die Strahlen lieb, die einst mein Auge

klärten,

„Die ihr für's Vaterland und mit ihm kämpfend

fielt —

[40]
„Sprecht, schlaft ihr itzt?

„Nein, nein, ihr sitzt

„Auf jenen Hügeln, leert den Honigbecher.

„Ihr sitzt und singt

„Und plötzlich springt

„Ihr auf, des Vaterlandes Rächer.

„So helft dem Sänger denn sein kühnes Ziel er-

streben,

„Ein schwarz Verhängniſs helft mit blut'ger Hand

ihm weben.“

II. 1.
„„Schieſst den Einschlag durch das

Fach!

„„Laſst das Webschiff lustig fliegen!

„„Lustig, lustig, Schlag auf Schlag!

„„Laſst sich's fein und zierlich fü-

gen!

„„Webt ein stattlich Leichentuch,

„„Webt es lang und breit genug,

„„Daſs es fasse Edward's Kinder,

„„Seiner Kinder Kindeskinder,

„„Ihre Tugend, ihre Tücke,

„„Und ihr ganzes Miſsgeschicke;

„„Wirkt hinein das Jahr, die Nacht,

„„Wo Mordgeschrey durch Berkley's Bogen kracht,

„„Wo um den Severn Todesröcheln weht —

„„Ein König ist's, der um sein Leben fleht!

[41]
„„Heil Frankreich's Wölfinn dir, Heil dir, der

Nimmersatten,

„„Die kalt das Herzblut schlürft des hingewürgten

Gatten.

„„Aus deinem Schooſs' entspringt, der seinen Ty-

gerzahn

„„Ins Herz der Mutter haut. Sieh, sieh den Furcht-

har'n nah'n.

„„Furcht, Flucht, Entsetzen fliegt vor seinen Rot-

ten her,

„„Und hinter ihm bleibt rings dein Frankreich öd'

und leer.““

II. 2.
„„Mächtiger Fürst, der Helden Held;

„„Da liegst du nun vom stärkern Tod gefällt.

„„Kein Busen klopft, es rinnet keine Zähre

„„Zu deines nie besuchten Grabmaals Ehre.

„„Wo ist der schwarze Krieger? Wo dein Sohn?

„„Dein Sohn ist hin! der nimmer floh geflohn,

„„Schläft mit den Schlafenden und schweigt mit

den Verstummten.

„„Die Schwärme, die noch jüngst in seinen Strahlen

summten,

„„Umgaukeln schon den neugebornen Tag.

„„Holdlächelnd blüht er auf, im Jubel wird er

wach.

[42]
„„Sieh, wie gefacht von lindem Zephyrflügel

„„Die güldne Gondel stolz des Meeres Lasurspiegel

„„Hinuntergleitet! Horch, wie jauchzt die trunkne

Schaar!

„„Wie, wird denn keiner des Orkans gewahr,

„„Der unglückdrohend schon am fernsten West

aufschauert,

„„Und auf den Abendraub in stiller Tücke

lauert?““

II. 3.
„„Schmücket zum festlichen Schmause den

Saal!

„„Füllet den Becher! bereitet das Mahl!

„„Die Krone nahmen sie dir. — So schmause denn,

Richard, schmause!

„„Wer seyd ihr Furchtgestalten? Grause

„„Gerippe, die der Tafel grinzend nahn,

„„Mit berstender Lippe du? — Du mit entfleisch-

tem Zahn?

„„Sieh! sieh! sie spotten des Gastes mit schaden-

froher Lache!

„„Rache! Schicksal! Rache! —

„„Sie säumet nicht. In lichte Flamme facht

„„Die Zwietracht Albion's Volk. Rings brüllt

die Bürgerschlacht.

„„Sie säumet nicht! Das Mark verwandter

Schaaren

[43]
„„Düngt Englands Blumenflur in hundert Jam-

merjahren.

„„Ihr Thürme Cäsar's, London's lange

Schmach,

„„Ihr Mauren, drinn so oft die Unschuld trau-

rend lag,

„„Ihr, die ihr mitbewuſst so manche Schand-

that decktet,

„„Zu feigem Meuchelmord so oft den Schläfer

wecktet,

„„Ehrt seines Vaters Ruhm, der Gattinn Hel-

denmuth

„„Und spart des frommen Kronenräubers

Blut —

„„Ach nein! ach weh!

„„Im blut'gen Schnee

„„Der Zwillingsrosen trauren England's Matten.

„„Es watet schwer

„„Der borst'ge Bär

„„Im Blut der Kinder unter Dornenschatten.

„„Gebt Flügel, Brüder, nun, gebt eurer Spuhle

Flügel.

„„Auf unsre Rache drückt und Edward's Qual

das Siegel!““

III. 1.
„„Edward, Edward, schau hinter-

wärts! —

[44]
„„Es fliegen die Spuhlen. Das Garn ist ver-

sponnen. —

„„Schon rollt sich zum Sprunge die

Natter Schmerz. —

„„Die Spuhlen sind ledig, die Fäden verron-

nen. —

„„Edward, wir opfern dein halbes

Herz! —

„„Das Werk ist vollendet! das Ziel ist ge-

wonnen!““

„Ach säumet, säumt noch! — Wie? verachtend,

spottend, schnöde,

„Wollt ihr mich lassen, mich? in dieser Jammer-

öde? — —

„Sieh, sieh im fernen West die Straſse voller

Glanz!

„Sie schmelzen, schwinden hin im luft'gen Wol-

kentanz!

„Schau Snowdon's Gipfel glühn in rosenrothem

Lichte!

„Wer seyd ihr glorievolle blendende Gesichte?

„Ach, schont des Blöden, schont! ach nicht zu rasch,

zu wild

„Umstürmt mich, Zeiten, die der Zukunft Schooſs

noch hüllt —

„Heil, Heil, um Arthur flieſst nicht mehr der Sehn-

sucht Thräne!

[45]
„Heil euch Gesalbte, Heil! Britannien's ächte

Söhne!“

III. 2.
„Umringt von mächtigen Baronen,

„Von ehrfurchtswürdigen Matronen,

„Von Räthen, deren Bart zum Gürtel niederwallt,

„Thront ihr in Herrlichkeit! — Doch diese Huld-

gestalt,

„Wer ist sie? diese Göttergleiche,

„Die Reiz mit Würde paart, des Mädchenherzens

Weiche

„Mit Löwenmuth! mit jungfräulicher Schaam

„Die Majestät, die ihr von ihren Ahnherrn kam!

„Rings um sie tönen, horch! in sel'gen Sympho-

nieen

„Die Geister des Gesang's, des Liedes Melodieen.

„Es tönt, es klingt hinab in Taliessin's Kluft:

„Erwach, Gesangesfreund, erwach aus stiller Gruft.

„Schau! die Begeist'rung hebt die Regenbogen-

schwingen,

„Ihr Falkenauge blitzt und ihre Flügel klingen.“

III. 3.
„Noch einmal singt die goldne Leyer

„Den grimmen Krieg, der Liebe süſse Qual.

[46]
„Die Wahrheit lächelt durch der Dichtung

Schleyer,

„Wie durch ein Thaugewölk der Sonne Flam-

menstrahl.

„Mit kaltem Graun, mit leisem Schmerz,

„Mit süſsem Gram, der sich zu trösten zau-

dert,

„Mit starrer athemloser Angst durchschaudert

„Des Avoniden Lied das Herz.

„Horch, es schwimmen

„Cherubstimmen

„Aus Edens Blüthenschatten säuselnd her.

„Fernhin schwirrend,

„Leiser girrend

„Verliert der Töne Fluth sich in der Zukunft

Meer — —

„Verruchter, wähntest du des Tages Strahlen-

quelle

„Durch deinen Drachenhauch auf ewig ausge-

löscht?

„Sie, die ihr leuchtend Haupt itzt in den Fluthen

wäscht,

„Hebt morgen es empor in glorievoller Helle.

„Triumph! Triumph!

„Dein Pfeil ist stumpf.

„Tyrann! Geschliffen sind der Rache Waffen.

„Verzweiflung dir!

„Und Ruhe mir!

[47]
„Zeuch deines Wegs! Ich sehne mich zu schla-

fen — — —

Er sprach's. Er sprang hinab vom schroffen Fel-

senrande,

Und weit aufbraust die Fluth, und dumpf auf dröhnt's

vom Strande.
[48]

Der Dorfkirchhof.
Elegie.


Zu Grabe sinkt der abgeschiedne Tag,

Die Heerden wanken blökend übers Feld.

Der müde Pflüger sucht sein friedlich Dach,

Und räumt der Dunkelheit und mir die Welt.

Die Landschaft dämmert in dem Abendduft,

Rings waltet Stille, die die Brust beklemmt.

Nur summst der Käfer brausend durch die Luft.

Nur pfeift der Junge, der die Pferde schwemmt.

Nur heult die Eul' im alternden Gestein

Und klagt ihr Leid dem mitbewuſsten Mond,

Wenn etwa Frevler den Bezirk entweihn,

Den seit Jahrhunderten ihr Volk bewohnt.

[49]
Hier, wo die Ulme mit dem Tax sich paart,

Wo grünbewachsen Sod' an Sode ragt,

Hier ruhn des Dorfes Ahnen wohlverwahrt,

Und keinem ward sein enges Haus versagt.

Der würzereichen Frühe frisches Kühl,

Der Schwalbe Zwitschern, die den Gatten weckt,

Des Hiefhorns Schall, des Tages froh Gewühl

Weckt nicht die Schläfer, die der Rasen deckt.

Es flammt nicht mehr der traute Heerd für sie.

Kein kosend Weib scheucht ihren Überdruſs,

Kein schmeichelnd Kind erklimmt ihr schaukelnd Knie,

Und bettelt um ein Mährchen, einen Kuſs.

Wie oft zerbröckelt' ihres Pfluges Rad

Den strengen Kloſs, der von der Dürre borst.

Von ihrer Sichel sank das güldne Schwad,

Den Streichen ihrer Axt erlag der Forst.

Nicht spotte, Stolzer, ihr bescheidnes Loos,

Ihr stilles Treiben, ihr geräuschlos Thun,

Ihr friedlich Leben, das so klar verfloſs.

Laſs unverhöhnt die Arbeitmüden ruhn.

Auch deiner harrt der ernste Augenblick,

Der, was die Schönheit, was die Macht dir gab,

Dein glänzend Elend, dein erträumtes Glück

Mit sich hinabreiſst in das düstre Grab.

3 D
[50]
Nicht tadle diese, wenn der Zeitenstrom

Sie namenlos und unberühmt verschlingt,

Wenn durch den Kreuzgang, den gewölbten Dom

Kein Mausoläum ihre Thaten singt.

Ruft wohl die Urne, bannt der Sarkophag

Den Hochgepriesnen aus der Nacht hervor?

Drommetet wohl der Ruhm den Schläfer wach?

Rührt wohl die Schmeicheley des Tauben Ohr?

Gewiſs verwest in dieser Mauren Ring

Manch edles Herz, das hohen Ahnens voll

Am Busen der Natur süſstrunken hing,

Und von den Fluthen der Begeistrung schwoll.

Doch nie entfaltet ihm die Wissenschaft

Ihr Buch, bereichert mit dem Raub der Zeit.

Früh knickte Mangel seines Geistes Kraft,

Den Strom des Genius eiste Dürftigkeit.

Wie mancher theure Edelstein versprüht

Den Glanz in Tiefen, die kein Loth ermiſst!

Wie manche Blum' erröthet und verblüht

In öden Schrunden, die kein Lichtstrahl küſst!

Wie mancher Hampden, welcher unverzagt

Den Dränger seines Dorfs zu Boden schlug,

Wie mancher Milton, der kein Lied gewagt,

Wie mancher Cromwell, nie verfolgt vom Fluch,

[51]
Mag hier vermodern! Ihr Geschick verbot

Mit Rednerkraft zu herrschen im Senat,

Zu trotzen drauſsen und daheim dem Tod,

Sich zu verew'gen durch Gesang und That.

Sie kränkte nie verrathner Liebe Gram,

Sie quälte nie zu früh entlarvter Trug;

Nie bog den Nacken ihnen Schuld und Schaam,

Nie scheuten sie des innern Richters Spruch.

Nie schüttelte sie der Begierde Sturm.

Sie wateten durch Blut zu keinem Thron,

Zertraten nicht den Menschen wie den Wurm,

Und sprachen frech dem Heiligsten nicht Hohn.

Fern von der tollen Menge Neid und Groll,

Schwang ihr bescheidner Wunsch sich nie zu hoch,

Verglitt ihr Leben schlichter Freuden voll,

Im Schooſs des Thals, das sie gebar und zog.

Jedoch auch ihr zerfallendes Gebein

Schützt ein gebrechlich Maal vor frevelm Hohn.

Der rauhe Reim, der rohgeschnitzte Stein

Erfleht für sie des Seufzers armen Lohn.

Vernimm, wer einst die morsche Bürde trug,

Vernimm die Jahre, die ihm Gott beschert!

Vernimm den mühsam buchstabirten Spruch,

Der fromm und ernst den Wandrer sterben lehrt.

D 2
[52]
Denn wer des ängstlichen Vergessens Raub

Entsagt wohl je des Daseyns bangem Glück,

Steigt wohl hinunter in den kalten Staub,

Und wirft nicht zaudernd einen Blick zurück?

Umsinkend lehnen wir an Freundesbrust,

Erblindend tappen wir nach Freundeshand.

Auch in der Urne glüht noch Lebenslust,

Fort in der Asche glimmt der Hoffnung Brand — —

Und du, der hier in schlichtem Liede preist,

Was sonst zu preisen nie das Lied gewagt,

Vielleicht, wenn einst ein dir verwandter Geist

Hieher verirrend sehnend nach dir fragt,

Daſs dann der grauen Hüttner einer spricht:

„Wir sahn ihn öfter in der Dämmrung Graun

„Den Berg erklimmen, der das Echo bricht,

„Und stieren Augs der Sonn' entgegen schaun.

„Dort unterm Buchbaum, an des Bächleins Rand,

„Wo Schatten winkt und grüne kühle Ruh,

„Warf er sich hin im schwülen Mittagsbrand

„Und sah des Bächleins Rieseln sinnig zu.

„Oft irrt' er murmelnd längst des Haynes Saum,

„Bleich wie die Liebe, wie der Gram gebückt.

„Itzt fuhr er auf, wie aus dem tiefsten Traum,

„Itzt starrt' er hin, als wär' sein Geist verzückt.

[53]
„Ein's Morgens misst' ich auf dem Hügel ihn,

„Ihn auf der Hayd',ihn unterm Buchendach.

„Der zweyte Morgen dämmert'; er erschien

„Nicht auf dem Berg, im Busch nicht, nicht am Bach.

„Am dritten trugen sie mit Sang und Klang

„Den Kirchweg ihn daher durchs hohe Korn

„Du kannst ja lesen — lies dann den Gesang

„Auf jenem Stein mir unterm Hagedorn.“

Die Grabschrift.
Dem Glücke nicht, und nicht dem Ruhm bekannt,

Schläft hier ein Jüngling in dem stillen Staub.

Sein Herz hat für die Weisheit früh gebrannt,

Doch frühe ward sein Geist der Schwermuth Raub.

Fromm war sein Sinn, und harmlos sein Gemüth,

Und süſs das Loos, das ihm der Himmel gab.

Er gab dem Himmel, was er hatt', ein Lied!

Ihm gab der Himmel, was er wünscht, ein Grab!

Nicht ferner decke seine Tugend auf,

Nicht seine Schwächen, nicht sein trübes Loos.

Bangharrend ruht er nach durchmeſsnem Lauf

In seines Gottes, seines Vaters Schooſs.
[54]

Das nuſsbraune Mädchen.


Er.
Falsch oder wahr . . . So viel ist klar,

Daſs alle Welt itzt spricht:

Aprillendunst, Sey Frauengunst

Und wandelnd Mondenlicht!

Wirb treu und wahr, Wirb Tag und Jahr

Um ihre Huld und Treu.

Wohl kos't ihr Mund: Des Herzens Grund

Ist dennoch nicht dabey.

Ein Schön'rer traun! Ist kaum zu schaun,

Spricht kaum sie freundlich an —

Hin bist du, hin Aus ihrem Sinn,

Bist ein gebannter Mann!

[55]
Sie.
Wohl ist es klar Und leider wahr,

Daſs man itzt schreibt und spricht:

Aprillendunst Sey Frauengunst,

Und wandelnd Mondenlicht.

Doch wird nach Brauch der Männer auch

Uns vieles nachgesagt,

Ohn' allen Grund Mit falschem Mund —

Gleich der nuſsbraunen Magd,

Die streng und hart Geprüfet ward;

Sie aber klar und rein

Wie lautres Gold Blieb treu und hold

Dem Liebsten ganz allein.

Er.
So laſs uns dann So Magd als Mann

Abhören Reih' um Reih',

Laſs uns das Leid der zarten Maid

Erwägen ganz getreu.

Ich bin der Mann Ich fange an,

Danächst antworte du.

Und Freunde ihr, Die ihr allhier

Zugegen seyd, hört zu —

Ich komm' bey Nacht So leis' und sacht

Als ich nur immer kann.

Ich sprech: o weh! Mein Schatz Ade!

Mich trafen Acht und Bann.

[56]
Sie.
Mein Herr, was ihr Begehrt von mir

Will ich euch nicht abschla'n.

Hier auf dem Fleck Behaupt' ich keck

Daſs Männer Unrecht ha'n.

Ohn allen Scheu Erklär' ich frey

Daſs Frauen wohl zu traun.

Beginnt und gleich Antwort ich euch,

Vertheidige die Frau'n —

Ach herbe Post! Sprich Herzenstrost,

Was giebt es, Trauter mein?

Doch sey was sey; Dir hold und treu

Bleib' ich, und dir allein.

Er.
Treu Lieb, hör' an! Ich hab gethan

Ein Ding, bös' und verrucht!

Deshalb bedroht Mich bittrer Tod

Zu meiden nur durch Flucht.

Eins muſs geschehn. Von hinnen gehn

Muſs ich, weit weit von hier:

Sonst faht man mich Und grausamlich

Nimmt man mein Leben mir.

Drum Trauteste, Ade! Ade!

Weil ich nicht weilen kann.

Ich flücht' alsbald In wilden Wald,

Ich ein gebannter Mann.

[57]
Sie.
O Herzeleid! O Erdenfreud!

Wie wechselt ihr so bald!

Der Tag so blau, Die Luft so lau,

Und plötzlich schwarz und kalt.

Du sprichst: Fahr wohl? Du meinst ich soll

Von dir mich scheiden, Freund!

Ich mich von dir? Du dich von mir?

Nein so ist's nicht gemeint!

Fährst du dahin, Fällt zum Gewinn

Nur Jammer mir und Pein.

Drum sey was sey, Dir hold und treu

Bleib' ich, und dir allein.

Er.
Ich glaube zwar Du redest wahr

Für morgen und für heut.

Du trägst um mich Wie ich um dich

Wohl Anfangs groſses Leid.

Doch laſs vergeh'n Ein'n Tag und zwe'n

Und anders wird uns seyn.

Was hülf auch dir Der Gram und mir,

Es wär' verlorne Pein!

Thu du wie ich Drum bitt' ich dich

So herzlich ich nur kann:

Laſs mich alsbald In wilden Wald

Mich den gebannten Mann.

[58]
Sie.
Wohl hast du frey Und sonder Scheu

Dein Herz mir aufgedeckt.

So sey denn auch Mein Sinn und Brauch

Dir klar und nicht versteckt.

Gehst du von hier So folg ich dir

Getrost begleit' ich dich.

Nicht seys gesagt Die nuſsbraun' Magd

Lieſs ihren Freund im Stich.

Ich bin gefaſst. Laſs dann in Hast

Uns flüchten in den Hayn.

Sey was da sey Dir hold und treu

Bleib ich und dir allein.

Er.
Mein Kind bedenk' Wie sehr es kränk'

Des Leumunds Ziel zu seyn.

Gehst du von hier Entführt von mir —

Wie wird die Welt nicht schrein!

„Sie gehn in Wald, Spricht Jung und Alt,

„Zu büſsen schnöde Lust.

„O schnöde Flucht! Von Ehr und Zucht

„Ist dieser nichts bewuſst!“

So heiſst es, so Und nimmer froh

Würd' ich der Liebsten dann —

Drum laſs allein Mich in den Hayn

Mich den gebannten Mann.

[59]
Sie.
Mag doch die Welt, Wenns ihr gefällt,

Mag doch der Klätscher Schwarm

Um mich allein Sich heiser schrein.

Es bringt mir wenig Harm.

Treu Lieb' fürwahr Ist makelbar

Und fleckenrein gewiſs.

Dich Freund in Stich Zu lassen, dich —

Dies wäre Schande, dies:

Wer solches kann Steht mir nicht an.

Sein Lieb' ist Heuchelschein.

Sey was da sey, Dir hold und treu

Bleib' ich, und dir allein.

Er.
Glaub', Liebste mir: Nicht ziemt es dir

Mit mir davon zu gehn.

An Achtlings Hand Durch Stadt und Land

Zu schwärmen, steht nicht schön!

Es muſs gespannt In deiner Hand

Der Bogen immer seyn;

Nach Diebesart Das Mädchen zart

Umlagern Angst und Pein.

Drum bleibe hier, Ich rath' es dir,

So treu ich rathen kann.

Laſs mich allein In grünen Hayn,

Mich, den gebannten Mann.

[60]
Sie.
Wohl hast du Recht. Wohl steht es schlecht

Mit Männern durchzugehn.

Doch Treu' und Huld Tilgt alle Schuld,

Macht, was nicht schön ist, schön.

Sey dann gespannt In meiner Hand

Der Bogen für und für.

Bey Tag und Nacht Ergötzt die Jagd,

Herzliebster, mich mit dir.

Doch fern von dir Gerinnet mir

Das Herz zum Kieselstein.

Denn sey was sey, Dir hold und treu

Bleib' ich, und dir allein!

Er.
Kind, Ächtlings Theil Ist Strick und Beil.

Wer ihn erschaut, der faſst

Ihn auf der Stell', Und henkt ihn schnell

Am nächsten besten Ast.

Beträfe mich Solch Unglück, sprich,

Wie wehrt' ihm deine Hand?

Was frommte dir, Was dir und mir

Der Bogen wohlgespannt?

Gewiſs du flöhst Und mich erlöst'

Kein Mensch von Acht und Bann.

Drum laſs mich bald In grünen Wald,

Mich den gebannten Mann.

[61]
Sie.
Wohl hast du Recht. Wohl zum Gefecht

Sind Frauen allzuzart.

Auch ziemet traun! Den zarten Fraun

Nicht wilder Männer Art.

Doch in Gefahr Hielt ich fürwahr

Dich, Freund, in treuer Acht.

In meiner Hand Trüg' ich gespannt

Den Bogen Tag und Nacht.

Wohl manches Weib Wagt Blut und Leib

Den Trauten zu befreyn.

Drum sey was sey Dir hold und treu

Bleib' ich, und dir allein.

Er.
Doch sorg' ich sehr, Der Flucht Beschwer

Erträgst du nicht so leicht.

Bedenk' die Flucht Durch Wald und Schlucht,

Sey's trocken oder feucht,

Kalt oder heiſs. . . In Schnee und Eis

Ruhn wir auf nacktem Plan.

Uns schirmt kein Fach, Uns deckt kein Dach;

Ein Busch mag uns umfahn.

Gar bald gewiſs Verdröſs dich dies;

Du wünschtest gerne dann

Ich wär' allein Im grünen Hayn,

Ich der gebannte Mann.

[62]
Sie.
Hab' ich bisher Getheilt mit dir

All' Lust und Fröhlichkeit;

So ziemt sich auch Nach altem Brauch

Zu theilen itzt dein Leid.

Es bleibt allzeit Mir Eine Freud',

Und diese Freud' ist die:

In deinem Arm Rührt mich kein Harm,

Quält mich die Reue nie.

Drum Freund genug! Laſs ohn Verzug

Uns flüchten in den Hayn.

Sey was da sey Dir hold und treu

Bleib ich, und dir allein.

Er.
Noch frommt es, noch! Bedenke doch,

Es giebt im grünen Hayn

Nicht Tisch noch Bank, Nicht Speis' noch Trank,

Nicht Bier, noch Meth, noch Wein!

Kein Himmelbett Mit Decken nett

Mit Tüchern blank und rein!

Zur Lagerstatt Dient Halm und Blatt

Zum Kissen dient ein Stein.

Solch Leben ach! Macht krank und schwach;

Gern meidet wer es kann.

Drum laſs allein Mich in den Hayn,

Mich den gebannten Mann.

[63]
Sie.
Im Wald, du weiſst, Ist Wild; auch preist

Man dein Geschoſs mit Fug.

So finden wir Dann im Revier

Der süſsen Kost genug.

Des Bächleins Naſs Erquickt mich baſs,

Als Wein und Bier und Meth.

In deinem Schooſs Auf Laub und Moos

Zu ruhen, welch ein Bett!

Genug! Genug! Laſs ohn Verzug

Uns flüchten in den Hayn!

Sey was da sey, Dir hold und treu

Bleib ich, und dir allein.

Er.
Nun höre, nun! Noch eins zu thun

Ziemt jetzt dir oder nie.

Kürz' ab zuvor Dein Haar ums Ohr,

Dein Röcklein übers Knie!

Dann greif geschwind Zum Bogen Kind,

Und spann' ihn alsobald.

Und eh' es tagt, Noch diese Nacht

Gehts fort in wilden Wald.

Gefällt dir dies, So eil' und wiſs

Es bricht der Tag schon an.

Sonst laſs allein Mich in den Hayn,

Mich den gebannten Mann.

[64]
Sie.
Unziemlich traun! Ist züchtgen Frau'n

Herzliebster dein Begehr.

Mein braunes Haar, Mein Röcklein gar

Zu kürzen, fällt mir schwer.

Nun immer zu! Herzmutter du

Nur machst das Herz mir groſs. . .

Jedoch Ade! Ich geh', ich geh',

Wohin mich führt mein Loos.

Komm, Freund geschwind. Die Nacht verrinnt.

Es bricht der Tag herein.

Sey was da sey, Dir hold und treu

Bleib' ich, und dir allein.

Er.
Sacht Liebchen, sacht! Mag fliehn die Nacht.

Du sollst nicht mit mir gehn.

Denn leichten Muths Und heiſsen Bluts

Bist du. Ich merk' es schön.

Was du gesagt Zu mir, behagt,

Mich nicht, so süſs es klingt

Was mir so leicht Gelang, vielleicht

Ein'm andern auch gelingt.

Leichtfert'gen Frau'n Ist nicht zu traun —

So laſs mich, laſs mich dann!

Laſs mich allein In grünen Hayn,

Mich den gebannten Mann.

[65]
Sie.
Hilf guter Gott! Es thut nicht Noth

So schnöder Worte, Freund.

Ohn' allen Dank Hast du gar lang

Geminnt mich und gemeint.

Du warbst um mich Nicht ich um dich.

Ich bin nicht schlecht gesinnt,

Bin hohen Muths Und edlen Bluts,

Bin ein Baronenkind.

Viel wählten mich; Ich wählte dich,

Wiewohl gering' und klein.

Doch blieb ich hold Und treu wie Gold,

Herzliebster, dir allein.

Er.
Ich arm und klein! Du zart und fein,

Und ein Baronenkind!

Ein Ächtling ich! Und sollte dich

Verderben, schlecht gesinnt?

Solch Ungebühr Sey fern von mir!

Wohl nur aus niederm Blut,

Wohl nur ein Knecht, So schlecht und recht,

Trag' ich doch hohen Muth.

Bleib' süſse Maid! Es wird dir Leid,

Was du um mich gethan.

Laſs mich allein In grünen Hayn,

Mich den gebannten Mann.

3 E
[66]
Sie.
In Ewigkeit Wird mir nicht Leid

Was ich gethan um dich.

Doch gehst du fort Und brichst dein Wort;

Dann, dann verderbst du mich.

Vernimm mich, Freund: Ists so gemeint,

Wie es dein Mund besagt;

Willst du böslich Verlassen mich,

Die arm' nuſsbraune Magd —

Das Tageslicht Soll nimmer nicht

Die Arme mehr erfreun;

Denn treu und hold Gleich lauterm Gold

Bleibt sie nur dir allein.

Er.
Bleib Mädchen hier. Ich rath' es dir.

Wiss' es, du bist mir alt.

Mein Herz erfreut Ein' andre Maid.

Sie harrt im grünen Wald.

Mehr als von dir Halt ich von ihr;

Ich darf es wohl gestehn.

Denn diese ist Was du nicht bist,

Gar sittsam lieb und schön.

Bleib wo du bist! Denn Zank und Zwist

Haſs ich wie Acht und Bann.

Laſs mich allein Zur Liebsten mein,

Mich den gebannten Mann.

[67]
Sie.
Mag seyn, daſs dein Im grünen Hayn

Ein ander Mädchen harrt;

Geliebt es dir, So dien' ich ihr

Nach treuer Knappen Art.

Ihr unterthan, Will ich sie ha'n

Allzeit in guter Acht,

Will zu Gebot In Noth und Tod

Ihr stehn bey Tag und Nacht.

Hab' eine Schaar! Hab' hundert gar!

Die hundert erste seyn

Laſs mich, und hold Und treu wie Gold

Bleib' ich dir ganz allein.

Er.
O Lust o Schmerz! Komm an mein Herz

Du edle treue Magd.

Wie du erprobt, Wie du belobt,

Ward nimmer Weib noch Magd.

Laſs süſse Maid, Laſs alles Leid,

Laſs fahren allen Gram.

Mich übermannt Hat allzuhand

Dein' Huld und holde Schaam.

Sey munter und froh. Es ist nicht so,

Was ich von Acht und Bann

Dir vorgesagt. Ich, edle Magd,

Bin kein gebannter Mann.

E 2
[68]
Sie.
Wohl wär' ich froh, Wenn dem also,

Wie eine Königinn.

Doch sorg' ich sehr Und ahnt mich schwer,

Du tragest Trug im Sinn.

Wenn euch gereut Der theure Eyd;

So glatt sind Mien' und Wort.

Drum sorg' ich sehr Und ahnt mich schwer,

Du schleichest heimlich fort.

Ist das dein Sinn, So fahre hin,

Es wird mein Tod dich reun.

Denn treu und hold, Wie lautres Gold,

Bleib' ich dir ganz allein.

Er.
Laſs liebes Herz, Laſs Sorg und Schmerz,

Laſs fahren alle Pein.

Mein Lieb', mein Weib, So gut als Leib

Verschreib ich dir allein.

Nach Westmoreland, Mein Erb' und Land,

Führ' ich dich, süſse Braut.

In Westmoreland Durch Priesterhand

Wirst du mit mir getraut.

Nein ich beging Kein böses Ding,

Mich traf nicht Acht noch Bann.

Eines Grafen Sohn Ward dir zum Lohn,

Nicht ein gebannter Mann!

[69]
Sie.
So seht ihr nun, Daſs übel thun,

Die Lästrer frommer Fraun!

In Angst und Noth, In Jammer und Tod

Ist Frauen wohl zu traun.

Ach wärt nur ihr So treu als wir,

So guter, ächter Art!

Das Widerspiel Gar oft und viel

Sich leider offenbahrt.

Doch sey es drum! Gar bald ist um

Hienieden uns're Zeit.

Gott lieben, dieſs Geziemt gewiſs,

Und wahrt in Ewigkeit.
[70]

Die Königskinder.


Es waren einmal zwey Königskinder,

Frisch junges frommes Blut.

Es war dem Knaben das Mägdlein,

Dem Mägdlein der Knabe gut.

„Sag an allerschönste Jungfrau,

„Wie mag ich kommen zu Dir?

„Ein groſses wildes Wasser

„Flieſst zwischen dir und mir.“ —

„Zieh aus die Kleider, zieh aus die Schuh.

„Rudre frisch mit Fuſs und Hand.

„Ich will in der Leuchten ein Licht anstecken,

„Das leuchtet dich sicher ans Land.“ —

[71]
Ein Schalk vernahm die Rede,

Trug arge List im Sinn.

„Der Liebschaft will ich steuren,

„Dieweil ich lebend bin.“ —

Daſs Gott dich strafe du arger Schalk!

Daſs Gott dich verderbe zur Stunde! —

Er blies das Licht in der Leuchten aus.

Der Königssohn ging zu Grunde.

Ein Hofbursch trat zur Thür herein,

Wohl vor die Tafelrunde.

Es war ein Bürschchen hübsch und fein,

Und flink von Sinn und Munde.

„Gott grüſs' euch, ihr Frauen und Fräulein,

„Gott gesegn' euch Essen und Trinken.

„Ich sah einen wackern Königssohn,

„Ich sah ihn schwimmen und sinken.“

Die Frauen und Fräulein sie fuhren auf

Von ihren scharlachenen Sesseln.

Gar übel sich die schöne Königstochter gehub.

Sie saſs wie auf Disteln und Nesseln.

„Ach Mutter, herzliebe Mutter,

„Spatzieren mögt' ich gehn.

„Vergönnt mir zu gehn in den grünen Wald

„Wo die schönen Blümlein stehn.“ —

[72]
„Du magst wohl gehn in den grünen Wald

„Wo die schönen Blümlein stehn.“ —

„Doch wecke dein jüngstes Schwesterlein auf

„Und laſs es mit dir gehn.“ —

„Ach Mutter, herzliebe Mutter,

„Gar lustig ists am Strand.

„Vergönnt mir zu gehn an das Wasser,

„Auf dem schönen weissen Sand.“ —

„Du magst wohl gehn an das Wasser,

„Auf dem schönen weissen Sand.

„Doch wecke dein jüngstes Brüderchen auf

„Und nimm es mit an Strand.“ —

„Mein Bruder und meine Schwester

„Sie haben noch keinen Verstand.

„Sie pflücken die schönsten Blumen ab

„Und füllen die Schuhe mit Sand!“

Die Jungfrau schied von dannen

Ging traurig an den Strand.

Da fand sie wohl einen Fischer

Der fischete hart am Land.

„Gott grüſs euch, herzlieber Fischer,

„Was bracht' euch euer Fang?

„Habt ihr nicht gefischt einen Königssohn,

„Den die wilde Fluth verschlang?“ —

[73]
„Ich hab' gefischt den ganzen Tag,

„Die Nacht so schwarz und lang.

„Ich hab' gefischt einen Königssohn,

„Der hier zu Grunde sank.“ —

„Gar übel gehub sich die Königstochter;

„Sie weinte, sie klagte, sie sprach:

„Ist mein Herzliebster todt und hin,

„Nicht mehr ich leben mag.“

„Sie nahm das goldene Kettlein vom Hals,

„Vom Arm die Spange noch warm;

„Gab Spang' und Kettlein dem Fischer,

„Und nahm ihren Liebsten in Arm.“

„Gute Nacht nun herzliebe Mutter,

„Gute Nacht, lieb Vater und Brüder.

„Gute Nacht ihr süſsen Schwesterlein,

„Ich seh' euch nimmer wieder.“

„Ich grüſs euch zu tausendmalen,

„Und bitt' euch, habt nicht Harm! !

„Ich versenke mich ins Meeres Grund

„Mit meinem Liebsten im Arm.

„Fahr wohl, fahr wohl, du schnöde Welt,

„Ich muſs itzt von dir scheiden.

„Ich muſs zu meinem Herzliebsten gehn

„Ins Reich der ewigen Freuden.“ —

[74]
Und als die Mähr' am Land erscholl,

Da war groſs Leid und Jammer;

Es haben getraurt Kanzel und Altar,

Getrauert Saal und Kammer.

Die Königstochter und sie war todt,

Ins Meeres Grund versunken.

Der Königssohn und er war todt,

In wilder Fluth ertrunken.

Nun Gott gedenk' es dem argen Schalk,

Der schuld daran gewesen!

Gedenk' es jedem noch heut zu Tag,

Der treue Liebe will lösen!
[75]

Königinn Anne.


Königinn Anne liegt zu Rimsted krank,

Nach Redby man bringen sie muſste.

Man muſste ihr holen die klügsten Fraun,

So viel man in Dännemark wuſste.

Zu Rimsted ruht Königinn Anne.

„Holt diese mir her, holt jene mir her.

„Ach holt mir die klügste der Frauen.

„Holt mir Herrn Ralambs Schwester her,

Mich verlangt lieb Trudchen zu schauen.“

Zu Rimsted ruht Königinn Anne.

[76]
Lieb Trudchen trat herein zur Thür,

Mit züchtigem lieblichem Wesen.

Gar freundlich die Kranke willkommen sie hieſs,

Sie freut' sich als sey sie genesen.

Zu Rimsted ruht Königinn Anne.

„Ach könntest du lesen, ach könntest du schreiben,

„Ach könntest du enden mein Leiden.

„Ich wollte dir schenken mein schönstes Roſs,

„In rothe Scharlaken dich kleiden.“

Zu Rimsted ruht Königinn Anne.

„Ach könnt' ich lesen, ach könnt' ich schreiben,

„Ach wäret der Bürden ihr ledig.

„Erlös' euch Gott ins Himmelsthron!

„Er ist barmherzig und gnädig.“

Zu Rimsted ruht Königinn Anne.

Schön Trudchen, sie las im Psalterbuch.

Sie schaut herüber, hinüber.

Die Buchstaben liefen ihr all' in Eins.

Es gingen die Augen ihr über.

Zu Rimsted ruht Königinn Anne.

Sie führten die Kranke hinaus und herein.

Es ward nur schlimmer und schlimmer.

„Ist niemand denn, der meinen Herrn beschickt.

„Genes' ich doch nimmer und nimmer.“

Zu Rimsted ruht Königinn Anne.

[77]
Das wurde dem flinken Leibburschen gesagt.

Er eilte zum Stalle geschwinde.

Er nahm vom Balken den Sattel blank,

Und sprang auf den Klepper behende.

Zu Rimsted ruht Königinn Anne.

Der König spatzierte auf Skoneborgs Schloſs.

Er sah ihn reiten von weiten.

„Hilf Gott wie mag es um Annen stehn!

„Was wird mir dies Reiten bedeuten?“

Zu Rimsted ruht Königinn Anne.

Der Leibbursch trat zum Saal herein,

Wohl vor die Tafelrunde.

Es war ein Bürschchen hübsch und fein

Und flink von Art und Munde.

Zu Rimsted ruht Königinn Anne.

„Herr König, ihr sitzt und schmaus't und zecht,

„Daſs die goldenen Becher erklingen.

„Königinn Anne liegt zu Rimsted krank.

„Nach Redby lieſs sie sich bringen.“

Zu Rimsted ruht Königin Anne.

„Königinn Anne liegt zu Rimsted krank.

„Nach Redby man bringen sie muſste.

„Man muſste ihr holen die klügsten Frau'n,

„So viel man in Dännemark wuſste.“

Zu Rimsted ruht Königinn Anne.

[78]
Der König schlug kräftig auf den Tisch

Daſs erklangen die Schüsseln von Golde.

„Barmherziger Gott im Himmelsthron,

„Laſs Annen nicht sterben, die Holde.“

Zu Rimsted ruht Königinn Anne.

Der König ritt eilig aus Skoneborg,

Ihm folgten dreyhundert Reiter,

Und als er nahe bey Schloſs Redby kam

Ritt er sacht und einsam weiter.

Zu Rimsted ruht Königinn Anne.

Er ritt zum steinernen Thor hinein,

Er band sein Pferd an die Mauer.

Er stieg frisch die steinernen Treppen hinan,

Halb freudig halb voll Trauer.

Zu Rimsted ruht Königinn Anne.

Er streichelt die Wangen ihr, leichenblaſs,

So rosig sonst waren die blassen.

Ach frommer Gott ins Himmelsthron,

Wollst Annen, die Fromme, mir lassen!“

Zu Rimsted ruht Königinn Anne.

„Helft herzige Frauen, ach helfet, helft!

„Ach seht nur die Blasse, die Kalte.

„Betet laut, betet kräftig, betet brünstiglich,

„Daſs Gott mir die Fromme erhalte.“

Zu Rimsted ruht Königinn Anne.

[79]
Die Frauen, sie knieten in Einen Kreis

Wohl um die Blasse, die Kalte,

Sie beteten brünstig sie beteten stark,

Daſs Gott sie dem König erhalte.

Zu Rimsted ruht Königinn Anne.

Königinn Anne schlug die Augen auf,

Aufrecht im Bett sie sich setzte.

„Gott tröst euch mein herziger Herr und Gemahl,

„Vernehmet meine Bitte die letzte.“

Zu Rimsted ruht Königinn Anne.

„Das Erste, warum ich euch bitten thu,

„Ihr werdet mir's gerne gewähren.

„Das Knäblein, das man aus dem Schooſs mir schnitt,

„Ihr haltet's in Würden und Ehren.“

Zu Rimsted ruht Königinn Anne.

„Das Zweyte, warum ich euch bitten thu,

„Ihr werdet mir's nicht versagen.

„Das Knäblein, das heute beschert euch ward,

„Pflegt sein zu allen Tagen.“

Zu Rimsted ruht Königinn Anne.

„Das Dritte, warum ich euch bitten thu,

„Ihr werdet die Bitt' nicht verachten.

„Laſst los die Gefangenen allzumal,

„Die in Ketten und Banden schmachten.“

Zu Rimsted ruht Königinn Anne.

[80]
„Das Vierte, warum ich euch bitten thu,

„Ich hoffe, es wird euch gefallen.

„Lieb Trudchen laſst euch befohlen seyn,

„Ich war ihr hold vor allen.“

Zu Rimsted ruht Königinn Anne.

„Verzeihe mir Gott die Sünde mein!

„Nichts wüſst' ich zu bereuen und beklagen,

„Als daſs ich einst des Sonntags früh

„Gestärkt meinen weiſsseidenen Kragen.“

Zu Rimsted ruht Königinn Anne.

„Nun herziger Herr, gehabt euch wohl.

„Ich höre schon die himmlischen Glocken,

„Die mich aus aller Angst und Qual

„Zur himmlischen Freude locken.“ —

Zu Rimsted ruht Königinn Anne.
[81]

Die Gefangenen


Es liegen drey Junggesellen

Gefangen auf den Tod.

„Was haben wir denn Böses begangen?

Wir liegen, wir liegen gefangen.

Erbarmt euch unsrer Noth!“

Ein Jungfräulein ging vorüber.

Es hört der Gefangnen Schreyn.

Es gehet ihm tief zu Herzen,

Es machet ihm bittre Schmerzen,

Dem zarten Jungfräulein.

3 F
[82]
Ihr Gefangnen, ich will für euch bitten,

Bittet ihr indessen Gott.

Ich will die Herren schön grüſsen,

Ich will ihnen fallen zu Füſsen,

Euch lösen vom bittern Tod.“

„Gott grüſs euch, groſsgünstige Herren!

Eine Bitte mir gewährt:

Die Gefangnen haben nichts begangen.

Laſst sie los, laſst los die Gefangnen,

Daſs Gott euch wieder erhört.“ —

„Was du willst kann dir nicht werden,

Du junge zarte Maid.

Die Gefangnen müssen sterben.

Gottes Reich müssen sie ererben,

Dazu die ew'ge Freud.

„Was die Gefangenen haben begangen,

Der Tod nur büſsen mag.

Schwer drücken der Sünde Lasten!

Laſs sie ruhen, laſs sie risten, laſs sie rasten

Bis an den jüngsten Tag.“

Das Mädchen ging von dannen

In bitterm Herzeleid.

„Ihr Gefangnen, ihr müſst sterben,

Gottes Reich müſst ihr ererben,

Dazu die ew'ge Freud.

[83]
Ihr Gefangnen, was ihr begangen,

Das büſset nur der Tod.

Schwer drücken der Sünde Lasten.

Süſs läſst sichs risten und rasten.

Ihr Gefangnen befehlt euch Gott!“

Und als die Gefangenen kamen

Wohl auf den Richteplatz,

Das Mägdlein stand in dem Kreise.

Sie winkten, sie grüſsten sie leise.

Fahr wohl, allerschönster Schatz.“

Und als das Schwert sie gerichtet,

Das Mägdlein machtlos lag.

„Mich ängstigen des Lebens Lasten.

Laſst mich ruhen, laſst mich risten, laſst mich rasten

Bis an den jüngsten Tag!“
F 2
[84]

Eleonore und Jutta.


Laut jammerten am klaren Rudborn Bach

Zwey Mägdlein. Thränen näſsten ihre Wangen.

Um ihre Trauten scholl ihr jammernd Ach,

Die in Sanct Albans Schlacht die Speere

schwangen.

Eleonore die Nuſsbraune sprach

Zur blonden Jutta, während Blitz und Schlossen

Aus ihres schwarzen Aug's Gewitternächten schos-

sen.

[85]
Vernimm die Zeitung, Schwester, die mich

schreckt:

Mein Trauter ist mit York ins Feld gezogen.

Wenn nur kein Blut die weisse Rose fleckt!

Bis, heil'ger Cuthbert, meinem Freund gewogen!

Von grausen Larven wird mein Geist geneckt.

Sieh sieh; er liegt auf leichenvoller Hayde.

Flöſst Lebenssaft ihm ein, daſs nicht mein Freund

verscheide!

Jutta.
O süſse Schwester, gleicher Jammer preſst

Auch dieses Herz. Laſs denn vereint uns trauern,

Vom Morgenthau, vom Dunst der Nacht ge-

näſst,

Wie Thränenweiden über Gräbern schauern.

Vernimm, wie rings, wo vormal Fest für Fest

Gesang und Reigen tobt', jetzt Uhu's ächzen,

Die Eule grausig heult, und Raben ängstlich

krächzen!

Eleonore.
Nicht pfeift der Minstrel mehr den Hirten

wach,

Nicht geigt der Geiger mehr zum raschen Tanze.

Kein Hifthorn hallt; und keines Hufes Schlag

Stört mehr den Fuchs aus seiner sichern Schanze.

Ich irr' im Hayn den lieben langen Tag.

[86]
Die Nacht durchirr' ich auf dem Gottesacker

Und mein schwermüthig Lied stöhrt alle Geister

wacker.

Jutta.
Wenn bleich der Mond durch Silberwolken

weint

Und nicht'ge Schatten mir vorüber beben,

Wenn süſse Träume, die der Tag verneint,

Aus Seid' und Gold' die luft'gen Elfen weben;

Wenn Richard dann mir bleich und kalt erscheint —

Wohl bleich und kalt will ich ihn doch um-

fassen,

Will ihm im kalten Arm auf bleicher Lipp' er-

blassen.

Eleonore.
Krystallner Strom, wie mancher Knapp' und

Knecht

Mag bald vielleicht an deinen Ufern bluten!

Ach dann heiſst Rudborn Rudborns-Strom mit

Recht.

Das Blut der Helden färbt die rothen Fluthen.

Laſs, Schwester, eh' zu sehr der Gram uns

schwächt,

Das Schicksal unsrer Trauten uns ergründes.

Laſs uns, wenn nicht sie selbst, doch ihre Leichen

finden — —

[87]
Sie schwankten auf. Sie streiften durch das

Land,

Zwey Hagelwolken, die die Stürme jagen.

Sie kamen, sahn Sanct Albans heil'gen Strand,

Und fanden jed' ach ihren Freund erschlagen!

Sie kehrten um zu Rudborns Blumenrand,

Wo sie umschmiegt sonst von den Trauten

ruhten;

Sie schlangen Arm in Arm und sanken in die

Fluthen.
[88]

Er und Sie.


Er.
Trautes Kind, kehr um! kehr um!

Schau der Sonne duft'ger Strahl

Hat noch nicht den Thau vom Thal

Weggetrunken; drum kehr um!

Sie.
Glatter Schwätzer laſs mich gehn!

Laſs mich, wilder Knab', in Ruh!

Mit den Täubchen, lieb und schön,

Wandr' ich dem grünen Hölzchen zu!

[89]
Er.
Liebchen, sieh, im klaren Bach

Mahlt sich jedes Blümchen nach.

Setze dich, Traute, neben mir,

Süſses Kind, bleib hier! bleib hier!

Sie.
Laſs mich gehn! Herzmutter spricht:

Jungen Mädchen ziemt es nicht

Im schönen May, im grünen Hayn

Mit wilden Knaben allein zu seyn.

Er.
Bleib doch, Herzchen! Bis nicht bang!

Hör'st du wohl den Lerchensang?

Wie der Hänfling lustig singt,

Wie der Drossel Kehl' erklingt!

Sie,
Hör' ich doch den Sing und Sang

Den lieben langen Tag entlang,

Den Sing und Sang, der immer spricht:

Traut, Mädchen, glatten Schwätzern nicht!

[90]
Er.
Schau entlang den Wiesengrund,

Von Viol' und Maaſslieb bunt,

Niemand sieht uns. Lämmlein nur

Grasen auf der stillen Flur.

Sie.
Laſs den Latz mir; laſs das Tuch,

Schäfer, oder ich muſs schreyn.

Laſs mich, Robyn, schon genug

Ist des Scherzes. Laſs mich seyn!

Er.
Siehe, wie des Geisblatts sich

Die gewalt'ge Eich' erbarmt;

Wie der Epheu brünstiglich

Den erhab'nen Ulm umarmt.

Liebchen komm an meine Brust,

Bis nicht blöde! Bis nicht scheu!

Um uns jubeln Lieb' und Lust;

Um uns scherzt je zwey und zwey.

Seiner Sie hofirt der Spatz,

Und das Täubchen kos't und girrt.

[91]
Sie.
Nur das Mägdlein sey Niemands Schatz,

Bis es beringt vom Priester wird.

Muthe mir nichts Schnödes an!

Niemands Schätzchen will ich seyn,

Bis mich trau't ein geweihter Mann.

Sprichst du Ja, so sprech ich Nein.

Er.
Ich verpfände dir Seel' und Leib.

Morgen bevor der Tag ergraut,

Sollst du seyn mein ehlich Weib,

Mir durch Priesters Hand vertraut.

Sie.
Morgen ist gut, doch besser heut.

Heut noch lass' uns zum Priester gehn.

Edel und flüchtig ist die Zeit.

Itzt gleich laſs uns vor'm Altar' stehn.

Er.
Was du willst, das geliebt auch mir.

Hand und Herz verpfänd' ich dir.

Trautchen, komm zu Sanct Cuthberts Schrein,

Werde mein und ich bin dein.

[92]
Beyde.
Nur gering ist unser Loos

Und wir sind nicht reich noch groſs.

Doch des Liebens Überschwang

Frommt statt Reichthum, Stand und Rang.
[93]

Admiral Hosier's Geist.


Spaniens Heersmacht war geschlagen.

Neben Portobello lag

Triumphirend Englands Flotte.

Heiſs und glorreich war der Tag.

Vernon nun und seine Braven

Ruhten nach der schwülen Schlacht.

Wimpel strömten, Becher klangen,

Siegsgeschrey durchscholl die Nacht.

[94]
Plötzlich gellt' ein gräſslich Heulen

Aus der dunkeln Fluth hervor.

Geister schwärmten graunlich wimmernd

Rechts und links und rings empor.

Statt der Leichentücher hüllten

Hangematten jeden ein.

Jeder schien mit scheelen Blicken

Portobello zu bedräun.

Mondstrahl flittert' auf den Wogen;

Auf dem matterhellten Meer

Hob sich Hosier's tapfrer Schatte,

Musterte das nicht'ge Heer,

Schwebte dann zu Vernon's Grusse

An des Burford Bord heran.

Dreymal tausend Geister schwärmten

Rings um ihn und er begann:

Höret, höret Hosier's Rede!

Hosier's irrer Geist bin ich.

Hier, wo ihr euch Ruhm erwandet,

Hier traf das Verderben mich.

Euch bringt Portobello Ehre,

Mir bringt's bittres Herzeleid.

Portobello! Portobello!

Wehe dir in Ewigkeit.

[95]
Seht ihr diese nichtgen Schaaren.

Krieger waren's brav und stark.

Feuer füllt' einst ihre Adern,

Ihre Knochen Löwenmark.

Seht ihr jene höhern Schatten

Mit den Blicken starr und stier?

Feldherrn waren's, wackrer Vernon,

Tapfre Feldherrn einst, wie wir.

Her kam ich mit zwanzig Segeln,

Lag dem Feind im Angesicht.

Doch was stand in meiner Order:

„Schlagen, Feldherr, sollst du nicht!“

Hätt' ich dich ins Meer geschleudert,

Unglücksorder, brav gekämpft,

Stadt und Land hätt' ich erobert,

Spanien, deinen Stolz gedämpft.

Fürchten durft' ich nichts vom Feinde,

Den die Feigheit schon bezwang.

Zwanzigen wär' leicht gelungen,

Was selbstsechstem dir gelang.

Nimmer hätte diese Küste

Unsre Schande dann geschaut.

Nimmer wären unsre Leiber

Dann dem öden Meer vertraut.

[96]
Spaniens stolze Gallionen

Hätt' ich glorreich heimgeführt,

Hätte dann als Hochverräther

Willig das Schaffott verziert.

Besser mit dem Ruhm gestorben:

„Hosier fällt fürs Vaterland!“

Als für Herzleid hier verdorben,

Ungerühmt und ungenannt.

Nicht verdreuſst uns deines Ruhmes,

Nicht beneiden wir dein Glück.

Aber denk' an unsern Jammer,

Denk' an unser Miſsgeschick.

Feldschlacht nicht hat uns gefället;

Nutzlos, ruhmlos, namenlos

Senkt' uns Gram und Grimm und Krankheit

In des nassen Grabes Schooſs.

Aus dem nassen Grabe steigen

Wir nachtnächtlich nun empor,

Gähren aus dem Wogenbruche,

Schäumen aus dem Schaum hervor,

Wandern durch das Schauerdunkel,

Weiden uns an unserm Gram,

Fluchen der verfluchten Küste,

Die uns Ruhm und Leben nahm.

[97]
Fahrt nun wohl, geliebte Brüder!

Eilet heim ins Vaterland!

Wir ach irren ruh- und rastlos

Ewig am verbannten Strand;

Ewig, wenn nicht ihr erbarmend

Unsers Bannes Fesseln brecht,

Und dereinst mit Englands Braven

Unsr' und Englands Unbild' rächt.
G
[98]

Odins Höllenfahrt.


Rasch auf sprang der König groſs,

Sattelte sein kohlschwarzes Roſs,

Reitet die Schlücht' und Schründ' hindurch,

Gelangt zu Helens düstrer Burg.

Sein gewahrt der Höllenhund;

Weit aufsperrt er den grimmen Schlund.

Dem Rachen grauſs, den Hauern stark

Entgeifert Schaum und Menschenmark.

Er schnaubt, er schnarcht den König an.

Nichts irr't den zauberkundigen Mann.

Mit funkelndem Auge, mit knirschendem Fang

Mit lautem Geklaff verfolgt er ihn lang.

[99]
Der König schreitet raschen Schritts,

Die Erd' erdröhnt der Kraft des Tritts.

Furchtlos schaut er herab herauf,

Der Hölle Pforten thun sich auf.

Rechts ein Pfeiler am östlichen Thor,

Der König ihn zum Sitz erkohr,

Wo tausend Jahr im Grabe tief

Die zukunf[t]kundige Drude schlief.

Der König schaut zum starren Nord.

Dreymal raunt er das Runenwort.

Dreymal schreibt er den Spruch in Sand,

Der die Todten aus den Gräbern bannt.

Nun säuselt's aus hohler Tief hervor.

Dumpf murmelt's in sein lauschend Ohr.

Drude.
Welches Zaubers strenge Macht

Bannt mich aus der langen Nacht,

Stört mich in der tiefen Rast?

Wer bist, wer bist du, frecher Gast?

Tausend Jahr mein Gebein schon ruht

In Winterschnee und Sommergluth,

In nässendem Thau, in stöberndem Regen.

Laſs schlafen mich, mich schlafen legen.

Ruchlos stöhrst du der Todten Rast.

Wer bist, wer bist du, fremder Gast?

G 2
[100]
Odin.
Ein Pilger bin ich, du kennst ihn nicht.

Eines Kriegers Sohn, du nennst ihn nicht.

Was droben vorgeht, meld' ich dir.

Was drunten begegnet, melde mir.

Für wen ist der schimmernde Tisch bereitet,

Für wen das güldene Bette gebreitet?

Drude.
Siehst du nicht im Becher blank

Schäumen der Biene süſsen Trank?

Drüben hangt der goldne Schild.

Für Baldern ist der Becher gefüllt.

Balders Haupt ist dem Tode gegeben.

Auch enden muſs der Asen Leben.

Ungern red' ich, fremder Gast,

Stöhre nicht ferner der Müden Rast.

Odin.
Ich beschwör' und banne dich.

Auf, Prophetinn, auf und sprich.

Wer ist, der Odin's Sohn bedroht,

Wer ist es, der ihm bringt den Tod?

Drude.
Hoder ists, der Baldern droht,

Dem Bruder bringt der Bruder den Tod.

[101]
Die müden Lippen schlieſs ich nun.

Laſs mich, Stöhrer, laſs mich ruhn.

Odin.
Ich beschwör' und banne dich.

Wach' auf, Prophetinn, wach' auf und sprich:

Von wem wird Balders Mord gerochen?

Von wem des Mörders Nacken gebrochen?

Drude.
Fern im West in Grotten tief

Odin ein Mägdlein frech beschlief.

Nun windet sich aus Rinda's Schooſs

Ein Wunderknabe knirschend los.

Er wird sein Rebenhaar nicht kämmen,

Die Glieder nicht im Strome schwemmen,

Den Speer nicht an die Mauer stemmen,

Bis Hoders Leib im Staube modert

Oder hoch vom Scheiterhaufen lodert.

Die schweren Lippen schlieſs ich nun.

Laſs mich, laſs mich endlich ruhn.

Odin.
Einmal noch beschwör' ich dich.

Einmal noch erwach und sprich:

Wer sind sie, die trübsinnig schweigend,

Ihr Haupt zur Erde niederneigend,

[102]
Ihr Flachshaar, ihre silberweissen

Schleyer zu stiebenden Fetzen zerreiſsen.

Nenne mir der Mägdlein Wehn.

Magst dann, magst dann schlafen gehn.

Drude.
König, ha! du täuschtest mich.

Starker, ich erkenne dich.

Schrecklicher, warum betrogst du mich?

Odin.
Lügnerinn, warum belogst du mich?

Hexe, du weissagst nicht gut,

Schnöde Mutter der Riesenbrut.

Drude.
Fort von hier an deinen Ort,

Und kein Frevler komm hinfort,

Stöhre fragend meinen Geist,

Bis Lok die dreydoppelten Ketten zerreiſst;

Bis wieder die alte öde Nacht

Ringsum regiert in schwarzer Tracht;

Bis zusammenbrechend der Bau der Welt

In Schutt und Graus und Graun zerfällt.
[103]

Klage um Hoël.


Hätt ich nur des Waldstroms Kraft

Mit grimmiger wüthiger Leidenschaft

Zu stürzen auf Deïra's Rotten

Und aus der Welt sie wegzuspotten.

Mein Freund, mein Hoël sank dahin,

Gestemmt auf seinen tapfern Sinn.

Von Madoch, den das Alter bückt,

Kein schnödes Gold er heischt. Geschmückt

Mit seiner Jugend Herrlichkeit

Erwarb er sich die schönste Maid.

[104]
Rüstig zum Kampf, geschürzt zum Siegen

Vierhundert wackre Krieger stiegen

Hinab in Cattrack's fettes Thal.

Wie blitzten die Reihen im Sonnenstrahl!

Gluthroth brannten der Jünglinge Backen.

Es schmückte jedes Kriegers Nacken

Ein Kettlein schön aus Gold geschlungen.

Zu rasch ach! tranken die braven Jungen

Des Nektars, den die Biene braut,

Des Rauschsafts, den das Ausland baut.

Sie jauchzen, sie taumeln, sie sinken nieder.

Aus Cattrack's Thal kehrt keiner wieder.

Keiner als Arron, Conan und ich.

Hindurch uns hauend wüthiglich

Leben wir nur (die Schlechtsten von allen)

Und singen, wie die Helden gefallen.
[105]

Das Sehnen.


Wehmuth, die mich hüllt,

Welche Gottheit stillt

Mein unendlich Sehnen?

Die ihr meine Wimper näſst,

Namenlosen Gram entpreſst,

Flieſset, flieſset Thränen!

Mond, der lieb und traut

In mein Fenster schaut,

Sage, was mir fehle?

Sterne, die ihr droben blinkt,

Holden Gruſs mir freundlich winkt,

Nennt mir, was mich quäle.

[106]
Leise Schauer wehn,

Süſses Liebeflehn

Girrt um mich im Düstern.

Rosen und Violenduft

Würzen rings die Zauberluft.

Holde Stimmen flüstern.

In die Ferne strebt,

Wie auf Flügeln schwebt

Mein erhöhtes Wesen.

Fremder Zug, geheime Kraft,

Namenlose Leidenschaft,

Laſs, ach laſs genesen!

Ängstender beklemmt

Mich die Wehmuth, hemmt

Athem mir und Rede.

Einsam schmachten, o der Pein!

O des Grams, allein zu seyn

In des Lebens Öde.

Ist denn ach kein Arm,

Der in Freud' und Harm

Liebend mich umschlösse?

Ist denn ach kein fühlend Herz,

Keines, drinn in Lust und Schmerz

Meines sich ergösse?

[107]
Die ihr einsam klagt,

Einsam, wenn es tagt,

Einsam wenn es nachtet,

Ungetröstet ach verächzt

Ihr das holde Daseyn, lechzt,

Schmachtet und verschmachtet.
[108]

Ahnung.


Schau, das junge Jahr erlau't,

Und der Ströme Grundeis thau't.

Dampfend stehn die Triften.

Horch, der Turteltauber girrt,

Und der Lerche Brautlied schwirrt

In den mildern Lüften.

Bringt des Frühlings Erstlinge,

Krokos mir und Glockenschnee,

Daſs mein Herz sich labe.

Wenn das junge Jahr verbleicht,

Streift der Abendwind vielleicht

Über meinem Grabe.

[109]
Satt des langen Zwangs zerreiſst

Sein Gespinnst der ew'ge Geist —

Fleuſst in lauen Wellen

Nicht mein Leben purpurn fort?

Fühl' ich nicht zerschlitzt den Ort,

Den die Seufzer schwellen?

Sonne, nie erlahmt dein Schwung,

Ewig frisch und ewig jung

Grün'st du, schöne Erde.

Über Land und Wasser schwebt

Gottes Hauch. Das All belebt

Sein erbarmend Werde.

Wir nur, wir . . . gefärbter Schaum . . .

Einer Lenznacht nicht'ger Traum . . .

Kommen und verschwinden.

Kaum vom schweren Schlummer wach,

Schaun wir mühsam in den Tag,

Blinzeln und erblinden. — —

Doch der dunkle Tropfe sinkt

Und des lautrern Aethers trinkt

Der genes'ne Sieche.

Los des düstern Sarkophags,

Freut sich des entflorten Tags

Die erlös'te Psyche. —

[110]
Bringt des Jahres Erstlinge,

Krokos mir und Glockenschnee,

Daſs mein Herz sich labe!

Eh des Frühlings Wang' verbleicht,

Triumphirt erlöst vielleicht

Psyche überm Grabe!
[111]

Sunium.


Dein, o Sunium, denk' ich, und deiner romanti-

schen Fluren.

Manchen lebendigern Tag hast du den Jüng-

ling gehegt.

Mancher Abend verfloſs ihm in deinen gastlichen

Hallen,

Unter ernstem Gespräch, unter vertraulichem

Scherz.

Deine Fluren sind schön, o Sunium. Deine Ge-

büsche

Schatten so kühlend, so frisch duftet der Kal-

mus des See's.

[112]
Horch, wie die Nachtigall schlägt in der blüthen-

regnenden Wildniſs.

Schau wie die güldene Saat wogt das Gelände hinan.

Gellend erschallt aus dem goldenen Bette die Flöte

der Wachtel,

Dumpfer des Rohrspatz Ruf aus dem Geröh-

richt des Sumpfs.

Dein o Sunium denk' ich und deines vergötterten

Weisen,

Welcher entschleyerten Blicks jetzund die Wahr-

heit erschaut.

Mancher gesellige Abend, und manche der nächtli-

chen Stunden,

Hold ist dem Denken die Nacht, hab ich dem

Denker gelauscht,

Über das Leiden und Thun, und über Verhängniſs

und Freyheit,

Über des Endlichen Kampf mit dem unendli-

chen Geist.

Aber dem Denker voran flog immer die Ahnung des

Dichters.

Zürnend dem zögernden Gang, sprengt' ich der

Schlüsse Gespinnst,

Stürmte hinaus in die Nacht, in die heilige. Über

der Scheitel

Rolleten Leyer und Schwan, blitzten Arktur

und Centaur,

[113]
Jeglicher funkelnde Stern und jegliche rollende Sonne,

Jegliches Rauschen im Busch, jedes Geflüster

des Schilfs,

Jegliches Echo der Nacht, die Stimm' aus andern

Welten,

Haucht in dem lechzenden Geist Ahnung des

Bessern empor.

Dein gedenk' ich, Theone. Auf Suniums blühen-

den Fluren

Wandelst du künftig. Betritt schauernd den

heiligen Grund.

Dieser Grund ist geweiht, und dieser Boden ist heilig.

Heilig und hehr ist der Platz, welcher die Asche

bedeckt,

Die einst dient' als gegliederte Hülle dem Geiste

der Weisen.

Dieser entschwang sich zu Gott — Jene zer-

stiebt mit dem Staub.

Theuer und werth ist das grünende Maal dem En-

kel der Enkel.

Theuer und werth sey auch dir, Freundinn,

das grünende Maal.

Lebe, Theone, wohl! Gleich ferne von Dünkel und

Zagheit —

Diese zermalmt das Geschick, jene der Nemesis

Grimm —

6 H
[114]
Wandl' einfältigen kindlichen Sinnes dein Leben

hinunter

Auf dem romantischen Pfad, welchen die Vor-

sicht dich führt,

Weiser Mäſsigung hold, bescheiden die Mitte be-

hauptend,

Gnügsam im Schooſse des Glücks, gilt es zu dul-

den, getrost!

Nimmer erlösch' in deinem Gemüthe die Ahnung

des Rechten,

Welche uns aufrecht erhält unter den Stürmen

der Zeit,

Welche empor uns hebt aus der Nichtigkeit gähren-

dem Strudel,

Und den geretteten Geist einst zu den Göttern

gesellt.
[115]

Die Blumenchiffre.


Eine Eugenia sah ich, vermählt dem edlen Pla-

tanus.

Froh des vertraulichen Schirms, blüheten Blu-

men umher;

Jegliche anders gefärbt, und jegliche anders ge-

stalter,

Jegliche anders begabt von der Natur und dem

Gott.

H 2
[116]
Schwermuthduftend entgegen der strahlenden Son-

ne der Schönheit,

Wendend den ahnenden Blick, schoſste der

Heliotrop.

Blendender blüht' und brannte zugleich die schöne

Ixora.

Stilleren Reizes zunächst senktest du blöde den

Blick,

Holde Mimosa. Es hing der gedankenhauchende

Diptam

Schweigsam das sinnige Haupt. Göttern und

Menschen geliebt,

Funkelt' im Schmelz des Rasens die tausendblättri-

ge Bellis.

Ein Schneeglöckchen entsproſs keimend dem

grünenden Grund.

Schlanke Eugenia, dir, gestützt auf deinem Platanus,

Danket der schimmernde Strauſs reinen harmo-

nischen Sinn.

Streb' empor in freudiger Kraft, getränkt von Au-

rorens

Duftigsten Thränen, von Gä's kräftigstem Mar-

ke genährt.

Spat laſs sinken, Geliebte, die liebesäuselnden

Blätter.

Spat einst welkend, verstreu welkend den süs-

sesten Duft.

[117]
Schön und bedeutend verwallt der Blum' unschul-

diges Leben.

Friedlich durchblüht sie des Seyns freundlich

beschlossenen Kreis,

Giebt nach verströmtem Duft und verstreutem Saa-

men dem Aether

Farb' und Gestalt, den Stoff ruhig der Tellus

zurück.
[118]

Elegie.


Neunmal blühten die Rosen, seit wir uns fanden,

Geliebte.

Nimmer vergeſs ich des Tags, wo ich, Gelieb-

te, dich fand.

Immer noch seh' ich dich, Holde, in deiner knospen-

den Schönheit.

Immer noch schwebst du vor mir leisen zephi-

rischen Tritts.

Immer noch strömt dir das ringelnde Haar um die

blendenden Schultern.

Immer noch hebt sich die Brust unter dem ro-

sigen Band.

[119]
Immer noch seh ich dein heiliges liebverheissendes

Auge,

Sehe noch immer den Blick, welcher mich faſs-

te so scheu

Und so ergreifend zugleich. Ich versank in däm-

merndes Ahnen.

Dieser, so sprach ich, fürwahr, sind die Un-

sterblichen hold.

Wahrlich, es haben die Musen an ihrer Wiege ge-

lächelt;

An der ambrosischen Brust hat sie die Schön-

heit getränkt.

Jegliche Grazie wiegt' auf weichem Schooſse das

Mägdlein.

Jeglicher höhere Reiz schmücket die Jungfrau

dereinst.

Also gedacht ich, und öde nicht mehr, nein selig

und preislich

Däuchte die Flur mir, die dich, edele Blume, gebar.

Neunmal blühten die Rosen, seit wir uns fanden,

Geliebte.

Prüfend berührte der Blick, liebend umschlang

dich der Sinn.

Auch in der Fern' umschwebte den Träumer die

holde Erscheinung.

Traulich umschmeichelte mich, Süſse, dein lieb-

liches Bild.

[120]
Fast zu sorglos gewährt' ich zu glimmen dem heim-

lichen Funken;

Achtend gering die Gefahr nährt' ich den freund-

lichen Hang.

Glimmender Funke du wuchsest zu nimmererlöschen-

der Flamme,

Nimmerermattender Zug wurde der freundliche

Hang . . .

Wer hat edel geliebt? Wer hat mit Andacht und

Inbrunst

Angebetet? um Gunst nimmer und Gabe ge-

fleht?

Wer hat jeglicher Habsucht Feind, nach Besitz

nicht gerungen?

Nimmer geworben um Lohn? nimmer gegeizt

nach Genuſs?

Wer hat reinen Sinns das Göttliche nimmer ent-

göttert?

Auch mit geheimerem Wunsch nimmer das Heil'-

ge entweiht?

Eines Blickes froh, begeistert von Einer Umar-

mung,

Höhen erflogen, die sonst nimmer der Fittig

erprobt.

Hochverehrte, du weiſst es. Ich habe mit reinem

Gemüthe

Rein dich umfangen, um Gunst nimmer noch

Gabe gefleht.

[121]
Habe mich anschaunsselig an deiner Schönheit ge-

weidet,

In dem belebenden Strahl mich aus der Ferne

gesonnt.

Habe Jahre gedient um Einen Moment des Entzük-

kens,

Habe den süſsen Moment wieder mit Jahren

bezahlt;

Habe von deinem Kuſs entflammt, von deinem Um-

fangen,

Höhen erflogen, wohin nimmer der Geist sich

gewagt.

Wären uns anders die Loose gefallen — ach laſs

es mich denken,

Welches zu denken gleichwohl schaudern und

schwindeln mich macht —

Wären die Loos' uns anders, uns schöner gefallen,

Geliebte,

Wäre, mit deinem gepaart meines der Urne ent-

rollt —

Nicht zum Beglücktesten nur, nein auch zum Er-

sten der Menschen

Hätte der freundliche Wurf deinen Gefährten

erhöht.

Feuernd von deinem Kuſs, von deiner Umarmung

begeistert,

Hätt' ich mit göttlichem Thun jeden der Tage

bekränzt.

[122]
Dir an die duftende Brust geschmiegt, dich innig

umflechtend,

Wär' im edenischen Traum selig verschwunden

die Nacht;

Jeden erwachenden Tag wär' ich verjüngt und ver-

göttert

Deiner Umarmung enttaucht, göttliche Thaten

zu thun — —

Frecher Traum, zerflattre! verweh' unheiliges Wähnen!

Irdischen Wesen geziemt Wonne der Himmli-

schen nicht.

Anders sprangen die Loos' aus der schicksalentschei-

denden Urne.

Zu den Schatten hinab führt uns gesondert der

Gott.

Dennoch gelinge dem Schicksal es nie, die Gemü-

ther zu trennen,

Dennoch entfremde der Stoff nimmer dem Gei-

ste den Geist.

Dennoch liebe mich, Edle, mit zarter ätherischer

Liebe.

Wende nicht spröderen Sinns von dem Getreuen

dich weg.

Siehest du lechzend ihn stehn in seiner bescheide-

nen Ferne,

Siehst in die Fern' ihn gedrängt von der Be-

wunderer Schwarm:

[123]
O so reiſs auf Momente dich los aus dem flattern-

den Schwarme,

Reiche ihm tröstend die Hand, lächle erbar-

mend ihn an;

Daſs nicht gänzlich in ihm der Liebe Ahnung erlösche,

Daſs nicht schauernder Frost lähme den stre-

benden Geist;

Daſs sein Leben verglüh' im Rosenschimmer der

Liebe,

Und in Elysium einst liebend die Schatten ihm

nahn.

Neunmal blühten die Rosen, seit wir uns fanden,

Geliebte;

Werden hienieden noch oft, Traute, die Rosen

mir blühn?

Solches ruhet im Schooſse der Götter; dies Eine

nur weiſs ich,

Auch zu den Schatten hinab nehm ich die Lie-

be zu dir.

Und wenn jenseit der Urne noch Liebe, die Selige,

lächelt,

Jenseit der Urne fürwahr lieb' ich noch inni-

ger dich;

Inniger noch und zarter, und nicht mit den Qualen

der Sehnsucht,

Nein mit dem ruhigen Sinn, welcher den Ma-

nen geziemt.

[124]
Erstes der Mädchen, der Lenz ist hin, der Sommer

verfärbt sich;

Blatt auf Blatt entsinkt schon dem erschöpfte-

ren Baum.

Kommen einst werden die Söhne der Fremde, auf

Tura's Gefilden

Werden sie eilenden Tritts suchen den Sohn

des Gesangs.

Wo ist der Sohn des Gesangs? so werden die Su-

chenden fragen.

Wo ist Temorens Schwan, Tura's ertönen-

der Aar?

Tura's Aar ist gehemmt in seinem tönenden

Fluge;

Stumm ist Temorens Schwan, nimmer erschallet

sein Lied. —

Und es erseufzen die Söhne der Fremde: „So bist

du gefallen,

Trefflicher Sänger, erstummt ist dein melodi-

scher Mund!“ —

Ja ich weiſs es, ich werde nicht fallen, wie Blätter

zur Herbstzeit.

Mit den Vortrefflichen wird einstens mein Na-

me genannt.

O des süſsen Gedankens, zu leben im Lobe der

Nachwelt,

Theuer der Enkelinn noch, theuer dem Enkel

zu seyn.

[125]
O des tausendmal süſsern, zu leben in deinem Ge-

dächtniſs!

O des Trostes, noch spat theuer dir, Theure, zu

seyn!

Ja ich weiſs es, Geliebte — denn unter der Miene

des Leichtsinns

Trägst du ein fühlendes Herz; unter verhüllen-

dem Scherz

Birgst du die ewige Wund' im tiefempfindenden

Busen,

Lächelst die Thränen hinweg, welche entquol-

len der Brust —

Weinen wird Ebba fürwahr dereinst um ihren Ver-

lohrnen!

Trauren wird sie noch lang' um den entflohenen

Freund,

Denken wirst du an ihn, Verlaſsne, wenn Abends

das Spatroth,

Denken an ihn, wenn der Mond Nachts in die

Fenstern dir weint —

Neunmal blühten die Rosen und bis dir die letzten

verblüht sind,

Wirst du betrauren den Freund, welcher dich

liebend entfloh.
[126]

An meine Tochter
Allwine Louise.


Erstlingstochter heil'ger Liebe,

Meine Hoffnung, meine Freude,

Meiner Augen liebste Weide,

Mein Juwel, mein köstlichst Gut;

Dich beschwör' ich bey dem Herzen,

Draus du sproſstest, bey den Schmerzen

Jener, die dich trug und tränkte,

Bleibe schuldlos, bleibe gut!

[127]
Holde Tochter, noch beschämet

Deines Auges Glanz und Helle

Den Krystall der Gletscherquelle,

Noch Golkondens schönsten Stein.

Mögst du nie im Hauch der Sünden,

Funkelnder Brilliant, erblinden!

Mögst du ewig lautrer Spiegel

Einer lautern Seele seyn!

Wie um Blumen Bienen gaukeln,

Wie durch Blüthen Weste streifen;

Also schweif mit leichtem Schweifen

Durch das Leben froh dein Fuſs.

Nie beflügle dieser Tritte

Reinen Rythmus freche Sitte.

Nimmer lähm' ihn träge Sorge,

Nie der bleyerne Verdruſs!

Welches Glöckleins hellem Klingeln,

Welcher Flöte, welcher Laute

Klarem Klang' vergleich ich, Traute,

Deiner Stimme Silberschall.

Nie verfälsche dumpfes Grollen,

Finstres Zürnen, düstres Schmollen,

Feiges Wimmern dieses Glöckleins

Silberhaltiges Metall.

[128]
Holde Tochter, sproſs und schosse,

Fröhlich, wie die Bins' am Teiche,

Wie die Feldros' im Gesträuche,

Wie der Waizenhalm im May.

Aber rastlos sey dein Sorgen

Spät am Abend, früh am Morgen,

Daſs der Leib nur schöne Fassung

Einer schönern Seele sey.

Nie von hohlem Schein geblendet,

Noch vom Netz des Trug's umwoben,

Noch von falschem Wahn verschroben,

Bleibe frommer Einfalt treu.

Feindinn jedes Rollenspieles,

Jedes lügenden Gefühles,

Wie der Äther klar und offen,

Wie der Lichtstrahl frank und frey.

Höre, Tochter, was ich bitte:

Wahr' in kindlichem Gemüthe

Lebenslänglich deine Güte,

Deine Wahrheit, Zucht und Huld,

Deine Ehrfurcht für das Sollen,

Deine Gnügsamkeit im Wollen,

Deine Innigkeit im Lieben,

Deine schweigende Geduld.

[129]
Um den Taumel lauter Freuden,

Die betäuben und ermüden,

Tausche nie den tiefen Frieden,

Der nur stilles Wirken liebt.

Seliger, als in der Menge

Herzerkaltendem Gedränge,

Fühle dich im engen Zirkel,

Der bescheidne Pflichten übt.

Süſser, als umringt vom Schwarme,

Als entflammt vom Bachanale,

Im getümmelvollen Saale

Dich in trunknen Schleifern drehn;

Süſser sey dir's, still und leise

In der Deinen trautem Kreise

Gutes schaffen, Freuden stiften

Künft'ger Erndten Saaten sä'n.

Tochter, unsers Geistes Sehnen

Strafft ein nieermattend Trachten;

Unsern Busen schwellt ein Schmachten,

Welches diese Welt nicht stillt.

Dieses Sehnen, dieses Ahnen,

Dieses ferne, leise Schwanen

Deutet auf das dunkle Jenseits,

Das sich keinem Aug' enthüllt.

3 I
[130]
Tochter, unsre Blüthen fallen.

Eine Weile kos't und tränket

Uns die groſse Mutter, senket

Freundlich lullend uns ins Grab.

Reifes, Grünes mäht der Schnitter,

Fühllos wirft das Ungewitter

Dürre Blätter, Blüthenkronen

Von dem Lebensbaum herab.

Unsre Julie keimt' und knosp'te.

Ihre Knospen sind gebrochen.

Wenig trübe Winterwochen

Weint' und lacht' und lallt' Emil.

Als das junge Jahr erlau'te

O des Jammers! sank der Traute

Von der Mutter warmen Busen

In des Grabes schaudernd Kühl.

Tochter, wähne nicht, auf immer

Werde dich der Arm beschirmen,

Welcher in des Lebens Stürmen

Itzt noch deine Schwäche stützt.

Einsam durch die Wildniſs wanken,

Stablos wirst du niederschwanken,

Wenn dich nicht der Trost der Unschuld,

Und der Unschuld Retter stützt.

[131]
Drum beschwör' ich bey dem Frieden

Deiner Zukunft, bey dem Herzen,

Draus du sproſstest, bey den Schmerzen

Jener welche dich gebar;

Ich beschwöre dich und bitte:

Bleib getreu der schönern Sitte!

O mein Erstling, o mein Liebling,

Bleibe schuldlos, gut und wahr!
I 2
[132]

Erinnerungen.


Komm, Schwester meines Herzens,

Laſs von des Rugard Höh'n

Uns staunend in die Ferne,

Ins Ungemeſsne sehn.

Sieh wie im Abendschimmer,

Von dunkler Fluth umkränzt,

Dein mütterliches Eyland

Uns hold entgegen glänzt.

[133]
Sieh, sieh im Kranz der Berge

Die Stadt, die dich gebar;

Dich, Schwester, und das Mädchen

Mit goldbestäubtem Haar.

Am donnernden Visurgis

Wallt, die ich meine, nun;

Und Friede soll und Tröstung

Auf ihrer Scheitel ruhn.

Wo rauscht ihr, heil'ge Hayne,

Wo ich im Mondenblitz

Und Sterngedämmer schwärmte,

Ihr Hayne Boldewitz.

Mir hat in euren Schatten

Urania sich verklärt,

Hat mir in ernsten Nächten

Manch hohes Lied gelehrt.

Sieh, sieh im fernen Süden

Die Berge Granitz blau'n.

In jener Berge Schründen,

In jener Waldnacht Graun,

Im Rund der Hünenmale,

Wo Hirsch und Hindinn gras't,

Hab' ich im Stolz der Jugend

Der Monden viel verras't

[134]
Wo glänzen deine Wellen,

Friedsel'ger Karow-See,

An dessen Kalmusufern

Ich sinnend wandelte,

Wo ich der Hellas Weisen,

Und Cona's Barden las,

Und lauschend ihren Tönen

Von allem Harm genaſs.

Wo säuseln deine Pappeln,

Kleeduftend Casnewitz,

In dessen Thymiangründen,

Der Einfalt stillem Sitz,

Ein blödes Mägdlein sproſste,

Das schüchtern mich umschlang,

Und liebend mir verschönert

Den rauhen Lebensgang.

Sieh dort, am Saum des Osten,

Umschürzt vom Ozean

Hebt Jasmund seine Scheitel

Titanisch mondhinan.

Wohl seyd ihr, Quoltitz Berge,

Hoch Seelow's Wolkenheerd,

Gewalt'ge Stubbenkammer,

Wohl unsers Preises werth.

[135]
Doch werther noch des Preises

Ist euer Schwesterland,

Wo nach verklungnen Stürmen

Ich süſsen Frieden fand.

Hast du nicht, stilles Wittow,

Des Schwärmers Geist gezähmt,

Und seine Kraft gezügelt,

Und seinen Trotz gelähmt?

Sey mir gegrüſst im Liede,

Vertraulich Uferland!

Geheime Kräfte walten

An deinem öden Strand.

In deinen Uferschründen

Wohnt namenlose Ruh,

Und Stein und Staud' und Welle

Spricht mir vertraulich zu.

Dort wo umschäumt Arkona

Die Brust den Wogen beut,

Schaut glanzberauscht das Auge

In die Unendlichkeit.

Erhabnes Ahnen schwellet

Des ernsten Schauers Brust,

Und Hohngelächter däucht uns

Der Erde Schmerz und Lust.

[136]
Dort, wo am flachern Strande

Die Welle leiser grollt,

Wallt, Schwester, unsre Traute,

Umglänzt von Hespers Gold.

Schürzt, Zephyrs, eure Hüften,

Bringt ihr Mariens Kuſs.

Rollt rascher, rege Wellen,

Rauscht ihr des Dichters Gruſs.

Dort wo aus Espenwipfeln

Begeistrung niederbraust,

Wo güldne Träume gaukeln,

Und süſse Schwermuth haust;

Dort üb' ich schöne Pflichten,

Und pfleg' erhabner Ruh;

Dort schleuſst mir einst die Wimper

Der Horen schönste zu.

Auch schläft im Ring der Weiden

Schon ein holdselig Paar.

Es schläft mein süſses Mägdlein

Mit Augen sternenklar.

Es schläft zu Juliens Linken

Mein freundlicher Emil.

Schlaft, Lieblinge. — Bald säuselt

Auch uns die Palm' am Ziel!

[137]
Auf Schwester meines Geistes!

Die Sonne sank ins Meer.

Schwer wälzt der Sturm und grollend

Die düstre Fluth daher.

Verwehte Wolken trüben

Des Himmels Lasurblau,

Und Inseln und Gewässer

Umflort ein neblicht Grau — — —

O Insel meiner Liebe,

O Heimath meiner Ruh,

O Amme meines Geistes,

Gedeih' und grüne du,

Bis du am Tag der Tage

Wie Gold im Ofen glühst,

Und einst, ein schön'res Eden,

Aus Schlack und Asch' erblühst.
[138]

Agathon an Telxione.


Zauber, welcher neunmal mich umwunden,

Talisman, der meine Kräfte band,

Welches Dämons Hauch' bist du zerschwunden,

Bist gesprengt von welches Heros Hand?

Weggeblasen ist der Kerkerbrodem,

Welcher schwül und ängstend auf mir lag

Lebensluft umweht mich, Lebensodem;

Golden glänzt mir der entflorte Tag.

[139]
Wo sind nun die täuschenden Gebilde,

Wo die Gaukel meiner Fantasie?

Wo die Füll' und Frisch' und Huld und Milde,

Falsche, die des Dichters Wahn dir lieh?

Wo des hohen Ideales Züge,

Das sein Rausch in dir verwirklicht sah?

Mit dem Rausche schwand des Rausches Lüge,

Und entzaubert stehst du vor mir da.

Wie? dem Geist Praxiteles entrungen

Hätte sich süſsschmerzend diese Frau?

Aus dem Meissel Polyklet's entsprungen

Wär' unsträflich dieser Gliederbau?

Diese Formen trotzten jedem Tadel?

Dieses Auge sonder Ruh und Glanz,

Diese Stirne sonder Sinn und Adel

Kämpften mit Niobens um den Kranz?

Dieses, wähnt' ich, sey der Wuchs Dionens?

Dies der Flug, den Atalanta flog?

Dies der Marmorbusen Hermionens,

Draus Orest Heroen-Frohheit sog?

Dies der Honigreiche Mund Athenens,

Dem Verständigkeit und Güt' entquoll?

Dies die Tinten Anadyomenens,

Als sie blendend dem Geschäum' entschwoll?

[140]
Also lächelten die Charitinnen

Jedem Horcher durch das Ohr ins Herz?

Also wechselten die Pierinnen

Spielend frohen Ernst und weisen Scherz?

Aus des Aethers reinstem Duft gewoben

Wäre diese Seele, dieser Leib? —

Nein, die Göttinn ist in Dunst zerstoben,

Und geblieben ist ein sterblich Weib.

Dejanirens Lieb', Ismenens Güte,

Iphigeniens himmelklarer Sinn,

Jede Unschuld, jede Schöne blühte,

Wie ich wähnt', in dieser Heuchlerinn!

Jeder Tücke, wähnt' ich, jedes Zwanges

Sey sie ledig; blank und frank und frey

Sey nicht Daphne werther des Gesanges

Als es diese meines Hymnus sey.

Wie der Künstler an dem Ideale

Seines Geistes hängt mit süſsem Hang,

Wie aus Hebens nektarvoller Schale

Der Alcide die Vergött'rung trank;

Also hing an ihr ich mit Entzücken,

Ihr verlobt, vertraut mit Schwur und Eyd.

Lüstern schöpft ich aus den falschen Blicken

Die Verdammniſs und die Seligkeit.

[141]
Ihr zu dienen sonder Dank und Spende,

Ihr zu frohnen sonder Sold und Lohn,

Ihr zu huld'gen sonder Ziel und Ende,

Däucht' ein Loos mir wie kein Königsthron.

Was an Schätzen mir die Vorzeit lehnte,

Draus zu zinsen an die Afterzeit,

Zinst' und zahlt' ich einzig ihr und wähnte

Anspruchfrey mich für die Ewigkeit.

Und sie zahlt' auch mir mit manchen Blicken,

Manchem meinungreichen Wink und Gruſs,

Manchem heuchlerischen Händedrücken,

Manchem halbgewehrten, halbvergönnten Kuſs.

Kärglich zahlte sie. Und was die Schlaue

Gestern zahlte, nahm sie heut zurück.

Willig trug ich ihre Laun' und Laue;

Glaubt' ich doch an ihrer Liebe Glück!

Ihrer Liebe? Nimmer noch geliebet

Hat dies Weib, und nun und ewiglich

Wird von diesem Weibe nichts geliebet,

Als sein eignes armes hohles Ich.

Nein, zerronnen ist der Traum, zerronnen,

Welcher funfzig Monden mich bethört,

Und das Netz das magisch mich umsponnen,

Zauberinn, ist durch dich selbst zerstöhrt.

[142]
Von den wundgeriebnen Hüften fallen

Schon die rost'gen Ketten klirrend ab.

Freudiger des Lebens Bahn zu wallen,

Raff' ich auf mich aus der Knechtschaft Grab;

Prüfe schon mit wollustvollem Dehnen

Der gelähmten Muskeln Federkraft,

Übe schon die kampfentwöhnten Sehnen,

Von der langen Sklaverey erschlafft.

Dem Entscharrten sey gesegnet, Sonne!

Dem Entschwommnen sey willkommen, Strand!

Angezogen von des Wettkampfs Wonne

Schreit' ich rüstig in den Schrankensand;

Wie Alkmäons Sohn, der Niegezähmte,

Sich dem Arm der Lyderinn entschlang,

Hydern würget', Ais Doggen zähmte,

Und gewaltig den Olymp errang
[143]

Atlantis.


Insel der Uranionen,

Wo in Thetis blauer Schooſs

Die Heroen selig wohnen,

Harmlos, mühlos, wandellos;

Heymath unbescholtner Triebe,

Freystatt, die kein Zwist entweiht,

Wo sich nimmer mit dem Triebe

Störrig das Gesetz entzweyt;

Wo sich schlieſsen alle Wunden,

Jede Quetschung sich vernarbt —

Hab' ich, Insel, dich gefunden,

Wo nicht Sinn noch Seele darbt?

[144]
Welche Kühle, welche Frische

In der balsamreichen Luft!

Welches Säuseln im Gebüsche!

Welches Hauchen! welch ein Duft!

Murmelnd durch beblümte Matten

Schlängelt sich des Bachs Krystall,

Rings erklingt aus grünen Schatten

Wachtelschlag und Drosselschall.

Wahrlich, dieses Äthers Schimmer

Wölkte nie des Nebels Grau.

Nimmer trübten Stürme, nimmer

Dieser Fluthen spiegelnd Blau.

Schmeichellüfte, lau und linde,

Lullen Sinn und Seel' in Rast;

Und dem Aug' entrollt die Binde,

Und vom Nacken sinkt die Last.

In dem reinern Elemente

Wölbet mächt'ger sich die Brust.

Aus dem labenden Nepenthe

Schlürft der Geist Dämonenlust.

Jedes Jammers wird vergessen,

Jeder Sorge Dunst verfliegt.

Alle Schranke ward durchmessen,

Und das Kleinod ist ersiegt.

[145]
Höher schlägt das Herz und freyer,

Wer den schwülen Kampf bestand.

Wahrheit lüpft den Wolkenschleyer,

Schönheit ihm ihr Duftgewand.

Jedes Dunkel ist gelichtet,

Gar zerflattert Trug und Wahn.

Jede Zwietracht ist geschlichtet,

Aller Hader abgethan.

In den Frohsinn leichter Jugend

Grollt nicht hie des Alters Harm,

Und der Wollust sinkt die Tugend

Liebend in den Schwesterarm.

Nein, der Schönheit Heiligthume

Naht kein Feind des Erebus.

Des Genusses zarte Blume

Knickt nicht hier der Überdruſs.

Nie wird Wehmuth hier zur Schwermuth.

Das Entzücken nie zur Pein;

Nie verfälscht der Reue Wermuth

Unsrer Freuden edlen Wein.

Nein, die Frucht der Hesperiden

Hütet hier kein Höllenhund;

Und die furchtbarn Eumeniden

Scheuen den geweihten Grund.

3 K
[146]
Insel der Uranionen,

Wo in Thetis sel'gem Schooſs

Die Heroen ewig wohnen

Harmlos, mühlos, wandellos.

Heymath unbescholtner Triebe,

Zarter Sehnsucht Zufluchtsort,

Freystatt achterklärter Liebe,

Süſser Ruhe sichrer Port,

Insel, die kein Strabo kannte,

Kein Nearchos uns genannt —

Gottgeliebte Atalante,

Selig, wer dich ahnt' und fand!
[147]

Das neue Jahrhundert.


Sey o Jungfrau gegrüſst, du jüngste Tochter des

Chronos!

Freudigen Muthes betritt, Heldinn, die stäu-

bende Bahn!

Manche zwar sind schon gewonnen der Preise. Den

Apfel der Schönheit

Raubte dir Phidias Zeit, Luthers die Keule der

Kraft;

K 2
[148]
Aber noch schimmert in dämmernder Ferne der

Kranz der Vollendung.

Selige, schimmert er einst dir in dem wehenden

Haar!
[][]
[figure]

[149]

Endymion.


Schöner Jüngling du schläfst? Und nicht das Ko-

sen der Göttinn,

Nicht ihr ambrosischer Kuſs scheuchet den se-

ligen Traum?

Schlafe, Beglückter! Nur schlafend besuchen die

Götter den Menschen;

Wachend fällt er sofort, herbes Verhängniſs,

dir heim
[150]

Narcissus.


Echo, die Zarte, verschmäht' er verstockt. In

sich selber entbrennend,

Fasst' ihn bethörender Wahn, deckt' ihn die

stygische Nacht.

Scheut, ihr Vergöttrer des Ich, Adrastäen. Die

Echo des Herzens

Dürft' euch erstummen, den Geist Dünkel und

Dunkel umfahn.
[[151]]

Edmunds Lieder.
Erster Anhang.


[[152]][153]

Apologie.


Liebe girret dein Lied? Schon wieder Liebe?

Nur Liebe

Girrt' es und hat es gegirrt. Weiſs es das Eine

denn nur?“

Ja, ich bekenn' es: das Eine nur weiſs es, und

mag nur das Eine.

Ja, ich gesteh' es: nur Sie hat mir genommen

das Herz.

Untergegangen in Sie, versunken in Sie und ver-

lohren,

Athmet nur Liebe der Geist, hauchet nur Liebe

das Lied.

[154]
Höheres, Heiligeres hat nie dem Geiste geschwanet!

Süsres, Entzückenderes zündete nie den Ge-

sang! . . .

Liebe, Liebe, begeisternder Drang nach dem Höch-

sten und Schönsten,

Nimmer ermattender Zug, Trefflichstes, dir sich

zu nahn,

Nimmerversiegende Kraft, Unendliches, dich zu

umfangen,

Flamme, die nimmer erlischt, Schwinge, die

nimmer erschlafft,

Sehne des Geistes, und Seele des Liedes, und

Mark der Heroen . . .

Dich nur weiſs ich, nur dich mag ich, und

singe nur dich!

Frühling duftet. Der Busch ist grün. Es blühen

die Schlehen.

Durch die ambrosische Nacht schallet der Nach-

tigall Lied.

Horch wie es schallt, wie die Sängerinn lockt, wie

sie flötet und schmettert!

Leiser und leiser nunmehr sterben die Töne

dahin.

Wiederum lockt sie, und flötet von neuem, und

schmettert noch einmal.

Wiederum stirbet dahin leiser und leiser der

Ton.

[155]
Immer das Eine nur weiſs sie, und singt nur das

Eine. Nur Liebe

Wirbelt ihr schmetterndster Schlag, schmachtet

ihr leisester Laut.

Nimmer müde gleichwohl dem ewigen Einen zu

lauschen,

Wallt im melodischen Busch Psyche, die

Edlere, hin.

Dämmerndes Ahnen, unsterbliches Sehnen, erha-

bene Wehmuth

Reget das ewige Eins ihr in der liebenden

Brust.

Edlere Psyche, nur dir erschwillet die Kehle

Aödi's.

Schönere Psyche, nur dir huldigt der Schwan

des Gesangs.

Dir an die duftende Brust sich schmiegend, ent-

weht ihm im Liede

Jeglicher lechzende Schmerz, jegliche irdische

Angst.

Ja, er gesteht es, er hat es nicht heel: Dich Eine

nur meint er,

Dich nur weiſs er, nur dich mag er, und tönt

nur von dir.
[156]

Wohin? wohin?


Wohin, wohin,

O junges Blut,

O frischer Muth,

O leichter Sinn,

Wohin, wohin?

Über Berg und Thal

In Lust und Qual,

Über See und Land,

Von Strand zu Strand,

[157]
Von Scherz zu Schmerz,

Strebt mir das Herz,

Drängt mein Gemüth

Zum lauen Süd;

Wo leis' und linde

Im Abendwinde

Die Pinie flüstert,

Die Myrthe düstert,

Aus dichtem Laube

Granat und Traube

Und Feige funkeln;

Wo rings im Dunkeln,

Ach Zitterklang

Und Mädchensang

Und Liebesdrang

Aus Busch und Wald

Erschallt, erschallt —

Dahin, dahin

Strebt lechzend mein verliebter Sinn.

Doch fort, ach fort

Zum rauhen Nord,

Auf finstern Meeren,

Durch Klipp' und Scheeren,

Zum öden Staden,

Wo gift'ger Schwaden

Die Matten näſst,

Die Brust beklemmt,

[158]
Den Athem hemmt,

Das Herz zerpreſst;

Wo Scherz und Schwank

Und Zitterklang,

Und Liebesdrang,

Und Liederschwung,

Und all was jung,

Und warm und zart,

Im Eis' erstarrt;

Dahin, dahin

Bannt mich des Schicksals strenger Sinn.

Doch junges Blut

Hat frischen Muth

Und leichten Sinn.

Mag immerhin

Durch Fichtenwälder

Und nackte Felder

Der Nordsturm rasen,

Der Eiswind blasen,

Und rings das Meer das Land verglasen —

Ein ewger Süd

Wärmt mein Gemüth,

Und Joniens Luft,

Campaniens Duft,

Italiens May

Bleibt mir getreu:

Und Lüftlein lau,

[159]
Gekühlt durch Thau,

Am fernen Staden

Mit Duft beladen

Umwehn mich zart;

Ob rings um mich die Welt auch starrt.
[160]

Öd und leer.


Leere des Sinns und der Seele, wie wend' ich,

Wie füll' ich dich, ängstendes, schauerndes Leer!

Es treibt mich, es jagt mich, es hetzt mich un-

bändig — —

Sage mir,Himmel, wonach? Sagt es mir, Fluren

und Meer!

Nennt mir dieſs nimmer ersättigte Sehnen!

Nennt mir die würgende Ungeduld!

Deutet mir diese heiſsstürzenden Thränen!

Lehrt mich, ach lehrt mich sie sühnen, die rastlos

verfolgende Schuld!

[161]
Funkelnder Sirius, schimmernder Rigel,

Bergt ihr das Gut, das dem Lechzenden fehlt?

Ergreift mich, Stürme der Nacht, und tragt mit

gewaltigem Flügel

Zu Welten mich empor, wo keine Sehnsucht

quält!

Liegt in des Abgrundes Schooſs es begraben,

Was die schmachtende Seele letzet — Hinab,

Hinab in chaotisches Graun! Hinab, es zu finden,

zu haben!

Hinab in das grausige klaffende Grab!

Faſste dein Strudel mich, alte Charybde!

Braust' ich mit Ossians Geistern umher!

Löst' ich, ein Büſser, mein sühnend Gelübde!

Glüht' ich im lybischen Sand! gefrör' ich im arkti-

schen Meer!

Umstrickten mich nur der Begierden Empusen!

Schäumte mir Wollust dein Kelch! Blinkte mir

Rache dein Stahl! —

Aber im Herzen der Frost! die schaudernde Öde im

Busen! — —

Acherontische, stygische, folternde Qual!

Wohl lockt vom Leukadischen Fels der Sprung

in die schäumenden Fluthen!

Wohl böt' ich die Deciusbrust den brüllenden

Schlünden der Schlacht!

3 L
[162]
Wohl schürt' ich alcidischen Sinns des Rogus ver-

götternde Gluthen — —

Aber wer harret dahinten? — — Erebische ewige

Nacht! — —

Hörst du sie rasseln, des Tartarus Ketten?

Siehst du die Larven im Schwefelgefild?

Wohin denn sich bergen, sich flüchten, sich retten?

Dem keine Lethe rinnt, dem kein Nepenthe quillt!
[163]

Das Lenzgefühl.


Der Lenz, der Lenz ist erschienen.

Es ergrünen die Maale der Hünen,

Es belaubt sich der heilige Hain.

Es erhellt sich der dunkele Eppich.

Ein grüner geschorener Teppich,

Gestickt mit güldenen Blumen,

So funkelt der Anger, der Rain.

Die Blumen stehen wie trunken

Herab auf die Erde gesunken,

Umarmt sie der bräutliche May.

Entgegen dem Brünstigen bebet

Ihr schwellender Schoos. Es entstrebet

Der Kraisenden drängend die Fülle

Der Leben jung und neu.

L 2
[164]
Auf brechen die Brunnen der Tiefen.

Es erwachen die Seelen, die schliefen.

Es bevölkern sich Matten und Wald.

Wie brausen die Käfer! Wie schwirren

Die zarten Libellen! Wie girren

Die Täubchen, derweil in den Lüften

Der Lerche Brautlied schallt.

Vom Hauche des Frühlings geschwollen,

Vom Athem der Liebe gequollen,

Schwelgt jeglicher Busen in Lust.

Nur mir will das Herz sich nicht weiten.

Nur mir sich der Busen nicht breiten.

Wann, ach, wann füllt sich die Leere

In dieser verschmachtenden Brust.

Ich späh' in die Näh' und die Ferne,

Ich frage die sinkenden Sterne,

Ich rufe die Blumen der Flur,

Ich belausche die Echo der Haine.

Wo wandelt, wo hauset die Eine,

Die das schmerzliche Sehnen befriedigt? —

Ach zeigt mir der Einzigen Spur!
[165]

Ihre Flur.


Der Abend blüht.

Arkona glüht

Im Glanz der tiefgesunknen Sonne.

Es küſst die See

Die Sinkende,

Von Ehrfurcht schauernd und von Wonne.

Ein grauer Duft

Durchwebt die Luft,

Umschleyert Wittow's güldne Auen.

Es rauscht umher

Das düstre Meer,

Und rings herrscht ahnungreiches Grauen.

[166]
O trautes Land!

O heil'ger Strand!

O Flur, die jede Flur verdunkelt.

Flur, deren Schooſs

Die Blum' entsproſs,

Die alle Blumen überfunkelt.

Paart nicht den Schnee

Der Lilie

Die Holde mit der Glut der Rosen.

Die Au', Ein Kranz

Voll Duft und Glanz

Reicht ihr den Preiſs, der Tadellosen.

Ihr Ambraduft

Durchweht die Luft,

Und würzet rings die Näh' und Ferne.

Und stirbt das Licht

Des Liedes nicht,

So reicht ihr Nam' einst an die Sterne.

O trautes Land,

O hehrer Strand,

Sey stolz auf deiner Blumen Blume.

Das heil'ge Meer

Und rings umher

Die Inseln huld'gen deinem Ruhme — —

[167]
Nacht hüllt den Strand.

Arkona schwand.

Verlodert sind des Spatroths Gluthen.

Das Weltmeer grollt,

Und gluthroth rollt

Der Vollmond aus den düstern Fluthen.
[168]

Die Mondnacht.


Siehe, wie die Mondenstrahlen

Busch und Flur in Silber mahlen!

Wie das Bächlein rollt und flimmt!

Strahlen regnen, Funken schmettern

Von den sanftgeregten Blättern,

Und die Thauflur glänzt und glimmt.

Glänzend erdämmern der Berge Gipfel,

Glänzend der Pappeln wogende Wipfel.

[169]
Durch die glanzberauschten Räume

Flüstern Stimmen, gaukeln Träume,

Sprechen mir vertraulich zu.

Seligkeit, die mich gemahnet,

Höchste Lust, die süſs mich schwanet,

Sprich, wo blühst, wo zeitigst du?

Sprenge die Brust nicht, mächtiges Dehnen;

Löschet die Wehmuth, labende Thränen.

Wie, ach wie der Qual genesen?

Wo, ach wo ein liebend Wesen,

Das die süſsen Qualen stillt.

Eins ins andre gar versunken,

Gar verloren, gar ertrunken,

Bis sich jede Öde füllt —

Solches, ach, wähn' ich, kühlte das Sehnen;

Löschte die Wehmuth mit köstlichen Thränen

Eine weiſs ich, ach nur Eine,

Dich nur weiſs ich, dich, o Reine,

Die des Herzens Wehmuth meint.

Dich umringend, von dir umrungen,

Dich umschlingend, von dir umschlungen,

Gar in Eins mit dir geeint — —

Schon', ach schone den Wonneversunknen.

Himmel und Erde verschwinden dem Trunknen,
[170]

Idens Nachtgesang.


Vernimm es, Nacht, was Ida dir vertrauet,

Die, satt des Tags, in deine Arme flieht.

Ihr Sterne, die ihr hold und liebend auf mich

schauet,

Vernehmt süſslauschend Idens Lied.

Den ich geahnt in liebevollen Stunden,

Dem sehnsuchtkrank mein Herz entgegenschlug,

O Nacht, o Sterne, hörts, ich habe ihn gefunden,

Deſs Bild ich längst im Busen trug.

[171]
Um seine Wiege lächelten die Musen,

Urania kost' ihm auf dem keuschen Schooſs,

Die Schönheit tränket' ihn an ihrem Nektarbusen,

Und jede Charis zog ihn groſs.

In seinen Augen blitzt prometisch Feuer.

Gerecht entbrennt sein Herz in Lieb und Zorn.

Es lüpft dem Schmachtenden die Wahrheit ihren

Schleyer;

Ihm sprudelt Phöbus heil'ger Born.

Freund, du bist mein, nicht für die kurze Reise,

Die durch das Labyrinth des Lebens führt;

Sieh, sieh die Sphären dort, die ewig schönen

Kreise,

Wo fester unser Band sich schnürt.

Freund, ich bin dein, nicht für den Sand der

Zeiten,

Der schnellversiegend Chronos Uhr entfleuſst;

Dein für den Riesenstrom heilvoller Ewigkeiten,

Der aus des Ewgen Urne scheuſst.
[172]

Edmunds Nachtgesang.


Nein, es ist kein täuschend Sehnen,

Nein, mich neckt kein eitler Traum.

Wohl vermag ich Seyn und Wähnen,

Wohl zu scheiden Zeit und Raum.

Prägt nicht itzt noch diesen Boden

Ihres Trittes Rehenspur?

Würzt nicht ihr Ambrosiaodem

Rings die amaranthne Flur?

[173]
Fühlt' ich nicht, wie leis' und bange

Mich ihr Lilienarm umwand?

Flammt nicht noch auf dieser Wange

Ihrer Wange keuscher Brand?

Bin ich nicht des Weins noch trunken,

Der auf ihren Lippen glüht?

Dessen Gluthstrom Lebensfunken

Mir durch Mark und Adern sprüht?

Schäumt nicht noch der Becher über,

Deſs ich bis zum Taumeln trank?

Bebt nicht noch in Nerv' und Fiber

Des Entzückens Überschwang?

Nein, mich trügt kein täuschend Sehnen;

Nein, mich neckt kein nicht'ger Traum.

Noch vermag ich Seyn und Wähnen,

Noch zu scheiden Zeit und Raum.

Und so wär' ein Kranz errungen,

Wie er keinen noch gekrönt?

Und die Möre wär' bezwungen,

Und die Nemesis versöhnt?

Ihn, den Matten, ihn, den Kranken,

Lezte Labsal, reich und kühl,

Und nach kühn durchmeſsnen Schranken

Wär' erreicht der Ziele Ziel?

[174]
Dennoch hüllt mich leise Wehmuth,

Mich umflort Melancholie.

Ich versink' in Schaam und Demuth.

Edle, dich verdien' ich nie — —

Laſs, Geliebte, laſs gewähren — —

Nieder sink ich kraftberaubt,

Und gebadet gar in Zähren,

Neigt verzagend sich das Haupt — —

Weg jedoch mit feigen Thränen!

Genius, gürte dich zum Streit!

Spanne die erschlafften Sehnen,

Ringe nach Vortrefflichkeit.

Weggeschmelzt sey jede Schlacke,

Die dein reines Gold versehrt!

Kühn erklommen jede Zacke,

Die dem Flug des Adlers wehrt.

Nein, Erhabne, nie erröthen

Sollst du über deinen Freund!

Mag Apollons Pfeil mich tödten,

Eh dein Liebling dich verneint,

Eh der Treffliche mich tadelt,

Eh sich Pflicht und Ich entzweyn —

Der, den Ida's Wahl geadelt,

Muſs der Menschen Erster seyn.

[175]
Sinken nur, laſs nimmer sinken,

Der durch dich so hoch sich hob!

Kräft'ge mich mit Blick und Winken:

Lohne mir mit süſsem Lob.

Reiche mir zum tapfern Kriege

Schleiff' und Schärpe, Band und Tuch,

Und wenn ich erlieg' im Siege,

Kränze meinen Aschenkrug.
[176]

Der transparente Mondschein.


Sey mir gegrüſst, sanftdämmernde Landschaft, im

täuschenden Zwielicht!

Siehe, wie rollet der Mond über den Bergen

daher.

Glänzende Wolken verschleyern des Wandelnden

freundliches Antlitz,

Siehe, sie wallen hinweg, glänzender wandelt

er hin.

Rings erschimmern die Häupter der Berge, die

Wipfel des Waldes,

[177]
Silberne Strahlen durchsprühn flitternd das säu-

selnde Laub.

Schau, es glänzet der Bach, und jegliche zitternde

Welle

Spiegelt dein leuchtendes Bild, freundliche Lu-

na, zurück — —

Komm, Geliebte, mit mir in die traulich dämmernde

Gegend,

Hier durch die thauige Flur, dort durch das

grasichte Ried,

Hier an den blumigen Rand des kalmusduftenden

Sees,

Dort in den dämmernden Hayn, drinnen die

Nachtigal schlägt.

Horch, wie sie schlägt! Wie dämmerts im Hayn!

Hellsilberne Tropfen

Regnen die Wipfel herab. Kühl ists und schau-

rig im Hayn.

Inniger, meine Geliebte, umflicht mich, noch inniger,

enger.

Schaurig und kühl ist der Hayn, einsam und

schaurig die Nacht — —

Bey den Schatten des Hayns, bey des Waldes hei-

ligen Mächten,

Bey den Gestalten, die blaſs wanken im ra-

schelnden Hayn,

Bey den Schauern der Nacht, bey jenem rollenden

Monde,

3 M
[178]
Welcher dein Antlitz bestrahlt, welcher dein

Auge verklärt —

Wie ich dich liebe, Geliebte, so liebte dich keiner,

so liebet

Keiner in Ewigkeit dich, ewiglich lieb ich

dich so.

Bey den Düften des Hayns, bey dem Ambraathem

der Matten,

Bey den Stimmen, die rings flüstern im säuseln-

den Hayn,

Bey den Gewalten der Nacht, bey jenem rollenden

Monde,

Der in der Thräne glänzt, die in den Wimpern

dir bebt — —

Liebe, liebe auch mich, wie ich dich liebe, Ge-

liebte,

Herzlich und schmerzlich und wahr liebe, Ge-

liebte, auch mich!

Inniger, Traute, umflicht mich, noch brünstiger,

inniger, enger!

Beben Entzückungen nicht rings durch das Herz

der Natur?

Zittern nicht funkelnde Thränen auf Gräsern und

Blättern und Blumen,

Strömt nicht edenischer Glanz, magische Hel-

lung um uns?

Weinet nicht lächelnd der Mond? erschauert nicht

liebend die Landschaft? —

[179]
— — Ach, die Landschaft erblaſst! Ach, es er-

löschet der Mond!

Ausgestorben ist alles, und alles erloschen und

öde — —

Ewig im Innersten nur glänzet und glühet es

mir.
M 2
[180]

Gruſs in die Ferne.


Woher, o laues Wehen,

Das schmeichelnd um mich kost?

Streifst du von Jasmunds Höhen

Daher aus fernem Ost?

Verschönt das Land der Hünen

Nicht itzt Elwinens Fuſs?

Ach bringst du von Elwinen

Mir etwa süſsen Gruſs?

[181]
Flog sie vielleicht den Hügel

Der Hindinn rasch hinan?

Und staunt den Lasurspiegel

Des Meers anbetend an?

Sieht sie im Abendschimmer

Ihr heimisch Wittow glühn,

Und fern im Spatrothschimmer

Arkona Funken sprühn?

Ich seh', ich seh' die Holde

In ihrer Schönheit Licht.

In Hespers mattem Golde

Wie glänzt ihr Angesicht!

Schwer rollen ihre Locken.

Wild schwirrt des Huthes Band.

Gleich frischgefallnen Flocken

Flieſst blendend ihr Gewand.

Im Hauch der Abendkühle,

Im sanften Abendlicht,

Verklärt vom Hochgefühle,

Wie strahlt ihr Angesicht.

In ihren Wimpern zittert

Der Rührung heil'ger Thau,

Und eine Thrän' umflittert

Der Augen heitres Blau.

[182]
Zurück, o schmeichelnd Wehen,

Das freundlich um mich kost!

Zurück zu Jasmunds Höhen,

Zum sanftgefärbten Ost!

Berühr' Elwinens Wange

Mit leichtem Zephyrkuſs,

Und flüstr' ihr leis' und bange:

Es ist des Dichters Gruſs!
[183]

Ihre Blumen.


Ihr Blumen, welche Sie geweiht,

Und die ich sorgsam aufgespart,

Ihr zaubert die Vergangenheit

Mir um zu lichter Gegenwart.

Sieh, Traute, diesen Kornblumkranz,

Einst deiner Locken schlichte Zier.

Du flogst dahin in leichtem Tanz,

Sahst trüb mich stehn und gabst ihn mir.

[184]
Kennst du noch die Leukoje wohl?

Hoch schwellte sie dein schlagend Herz.

Es schien der Mond. Der Abschied scholl.

Dieſs Blümchen brach des Abschieds Schmerz.

Sieh dieses Rosenzwillingpaar.

Einst strömt' es süſse Düfte dir.

Es welkt', es starb; und undankbar

Warfst du es hin. Ich barg es mir.

Dieſs güldne Sternchen funkelte

Auf meiner Zilie grünem Mahl.

Du pflücktest es, Holdselige,

Und gabst es mir im Abendstrahl.

Dort, wo am Strand die Fluth sich bricht,

(Du ruhtest auf dem mächt'gen Stein)

Gabst du mir dieſs Vergiſsmeinnicht

Nein, Traute, nie vergeſs ich dein.

Und als ich auf Delmora's Höh'n

Dir flehend in das Auge sah,

Erhörtest du das stumme Flehn,

Und nicktest ein erbarmend Ja.

[185]
Doch wenn ich euch, Cyanen, seh,

Ihr schmücktet jüngst noch Ihre Brust,

So überschwemmt mich selig Weh,

Mich überdrängt qualvolle Lust — —

O Blümchen, eurer jedes ruft

Erinnerungen mir ins Herz.

Zwar farbelos und arm an Duft,

Tränkt ihr mich doch mit Wonn' und Schmerz.

Ach, treuer Lieb' ist nichts gering,

Was sie durch treue Lieb' erwand.

Nicht feil ist ihr um Stern und Ring

Ein Blümlein aus geliebter Hand.
[186]

Seine Blumen.


Tausend der Blumen blühn in meinem Garten.

Schon durch des Jennerschnee krystallne Rinde

Drängen sich frühlingahnend des Galanthus

Silberne Glöckchen.

Tief im Gesträuche schwillt die Anemone.

Rings auf den Beeten glänzt der güldne

Krokos.

Heimlich erröthend strömt das blöde Veilchen

Köstliche Düfte.

[187]
Lockt dich der Schmelz der vielgefärbten Primel?

Freut dich der Silberstaub der Sammtaurikel?

Liebst du vielleicht der liebesiechen Echo

Blendenden Günstling?

Tausend der Blumen funkeln in dem Kranze,

Welcher des Sommers glüh'nde Schläffen kühlet,

Lilie du, und Nelk', und du, o Rose,

Zypriens Brautschmuck.

Tausend der Blumen blühn in meinem Garten,

Oftmal pflückt' ich die duftigsten, die schön-

sten,

Barg sie zunächst ans Herz mir, wahrte

sorgsam

Tief sie im Busen.

Dir sie zu geben, wenn der Abend wehte,

Dir sie zu reichen, wenn der Abschied schallte,

Daſs sie ein leises Gedenke mein! dir

hauchten,

Schmachtet' und brannt' ich.

Aber mich hielt die Angst, die arme Gabe

Ach, verschmäht zu sehn von der Hochver-

ehrten.

Traurig entwand ich dir mich, meine Blumen

Welketen traurig.

[188]
Klein und gering ist die Gabe treuer Liebe.

Aber verschmäht zu sehn die arme Gabe,

Knicket des Lebens Blume, stöſst den

Mordstahl

Tief in den Herzschlag.
[189]

Die Zweifel.


Einmal noch, o Auserwählte,

Sink' ich an dein athmend Herz.

Dir vertraut der Tiefgequälte

Seine Sorgen, seinen Schmerz.

Dir am Busen wimmernd liegend,

Werd' ich alles Zagens los.

Dich umflechtend, dich umschmiegend

Fühl' ich stark mich, kühn und groſs.

[190]
Auf des Zweifelmuthes Wellen

Schwankt der Hoffnung leichter Kahn;

Stürme geiſseln, Strudel schwellen

Den geschwärzten Ozean;

Schleudern itzt den morschen Nachen

Schäumend bis zum Sirius,

Stürzen dann mit lautem Krachen

Nieder ihn zum Erebus.

Manches schmeichlerische Hoffen

Flüstert leisen Trost mir zu,

Und Elysium steht mir offen,

Und der Orkus schlieſst sich zu.

Um mich säuseln Edenslüfte,

Um mich lispelt Lautenklang.

Fernher wehn Violendüfte,

Fernher flötet Brautgesang.

Seligkeit, die mich durchschaudert,

Ahnung, die mich himmelwärts

Flügelt, dir zu glauben, zaudert

Des Verzagten zweifelnd Herz.

Nein, den Blöden, nein, den Armen

Meint Adelens Liebe nicht.

Nein, nicht Lieb' ists, nur Erbarmen,

Was Adelens Auge spricht.

[191]
Ihm, dem Schlichten, Schimmerlosen,

Dem Cytherens Stern nicht glänzt,

Den nicht schmücken Heben's Rosen,

Den der Charis Kranz nicht kränzt,

Ihm beschieden, ihm, dem Armen,

Wär' der köstliche Gewinn?

Nein, nicht Liebe, nur Erbarmen

Schmelzt Adelens strengen Sinn.

Sie, die Eine, Wunderbare,

Hochbegabt an Leib und Geist,

Sie, die Holde, Reine, Klare,

Die kein Lied nach Würden preist;

Ihm, dem Schlichten, Anmutharmen,

Hätte diese sich gespart?

Nein, sie kennt nur das Erbarmen,

Nicht Gefühle zartrer Art.

Zwar, das Herz, das Liebe fodert,

Pflegt das Mitleid zu verschmähn.

Ich auch pflog, von Stolz durchlodert,

Sonst wohl mächtig mich zu blähn.

Aber ach, des Stolzes Nacken

Beugt der Liebe heilge Scheu.

Schaamroth glühn der Frechheit Backen,

Und ein Lämmlein wird der Leu.

[192]
Dir gelang es, dir, das Fieber

Meines Stolzes zu zerstreun.

Dir, erhabne, gegenüber

Fühl' ich mich gering und klein.

Meiner alten Habsucht Prasser

Fass' ich zitternd deine Hand,

Und dem nimmersatten Prasser

Gnügt dein streifendes Gewand.

Sey es Liebe, seys Erbarmen,

Was in deiner Brust sich regt,

Wenn umstrickt von Edwins Armen

Mächtiger dein Herz dir schlägt;

Auch der Zarten, Sanften, Weichen,

Weiſs die treue Liebe Dank,

Auch der Huld- und Mildereichen

Dien' und huldg' ich lebenlang.

Immer dann, und immer schneller

Gleite, leichtes Schifflein, fort.

Immer näher, immer heller

Schimmert der gewünschte Port;

Wo kein Wogenbruch mehr brandet,

Wo kein Riff, kein Strudel dräut,

Wo, wer einmal angelandet,

Sich bestandner Kämpfe freut.
[193]

Die Nacht der Liebe.


Tief Mitternacht

Ist rings im Walde. Der Sturm erwacht.

Aus grauser Wolke der Donner rollt.

Aus dunkler Ferne das Weltmeer grollt.

Das Weltmeer grollt

Aus dunkler Ferne. Der Donner rollt.

Des Hirschen Brüllen den Forst durchschallt.

Des Sturmwinds Rauschen durchbraust den Wald.

Dumpf braust der Wald.

Des Hirschen Brüllen den Forst durchschallt.

Der Hagel rasselt. Der Regen schwirrt.

Die Sparren ächzen. Das Fenster klirrt.

3 N
[194]
Das Fenster klirrt.

Der Hagel rasselt. Der Regen schwirrt.

Die Nacht ist schaurig. Doch lieb und warm

Liegt mir die Holde im trauten Arm.

Im trauten Arm

Liegt, ach, die Holde mir lieb und warm,

Mich fest umflechtend. Die Zauberluft

Durchwürzt ihr Athem mit Veilchenduft.

Mit Veilchenduft

Durchwürzt ihr Athem die Zauberluft.

Von süſsem Ahnen die Brust erschwillt.

Ambrosisches Labsal der Lipp' entquillt.

Der Lipp' entquillt

Ambrosisches Labsal. Ihr Busen schwillt

Von süſsem Ahnen. Ihr schlagend Herz

Durchströmen Schauder von Lust und Schmerz.

Ach, Lust und Schmerz

Durchströmen schaudernd ihr schlagend Herz.

Ihr süſses Girren, ihr Nektarkuſs

Verschönt zum Olymp den Erebus.

Den Erebus

Verschönt zum Olymp ihr Nektarkuſs — —

— — O weh, es dämmert. Der Tag erwacht.

Ach säume, säume, zu süſse Nacht.

[195]
Zu süſse Nacht!

Ach säume, säume, der Tag erwacht.

Die Feuerblume der Früh' entglimmt.

In wallenden Gluthen der Osten flimmt.

Der Osten flimmt,

Die Feuerblume der Früh' entglimmt.

Erwach, Geliebte, erwach! erwach!

Der Liebe Freuden verräth der Tag.

Erwach! erwach!

Der Liebe Freuden verräth der Tag.

O Tag, wo des Lauschers Auge wacht,

Weich' eilend der süſsen verschwiegnen Nacht.
N 2
[196]

An die Nacht.


Heilige Nacht, du kühlst mit leisem Fittig

Jede versengte Wange, trocknest jede

Thränende Wimper, lullst in süſsen Frieden

Jeglichen Jammer.

Fächl', o gewünschte Nacht, auch Ihre Wangen,

Schleuſs ihr die seidnen Wimper freundlich

lullend;

Lispel' in süſsem ahnungreichem Traum ihr

Schmeichelnde Tröstung,

[197]
Daſs sie des Trostes froh im Schlafe lächle,

Lächelnd die seidnen Wimper wieder öffne,

Schöner erröthend, als des jungen Morgens

Züchtige Schimmer — —

Heilige Nacht, mit deinem Rabenfittig

Fächel' auch mir die mattgesengte Schläffe,

Tauch' in des Schlummers Lethe dieses

Herzens

Lechzende Sehnsucht.

Oder umgaukle, Fantasus, mich tröstend.

Wiege mich ein in ihre Feenarme,

Laſs auf dem Schwanenflaum des edlen Busens

Nieder mich schlummern.

Schlummern zu dürfen, ach, in ihren Armen,

Opferten Könige gern die Diademe,

Gerne der Held sein Schwert, der Dichter gerne

Leyer und Lorbeer — —

Heilige Nacht, du linderst jeden Kummer,

Kräftigest jeden Nerv, stählst jeden Muskel.

Sey denn, Gewünschte, auch dem frommen

Fleher

Hold und gewärtig!
[198]

Das Andenken.


Ich denk' an Dich, Geliebte,

Vom frühsten Dämmerstrahl,

Bis Kron' und Leyer funkeln

Am ew'gen Himmelssaal.

Im lichten Mittagsglanze,

Im Graun der Mitternacht,

Stehst Du mir klar vor Augen

In jedes Reizes Pracht.

[199]
Mir winkt das Lied des Dichters,

Mich lockt des Denkers Buch.

Süſs klingt des Sängers Harfe,

Und ernst des Weisen Spruch.

Umsonst. Hinweggezogen

Folgt der entzückte Geist

Dem Strom, der ihn magnetisch

In seine Wirbel reiſst.

Wenn Nachts aus halbem Schlummer

Der Sehnsucht Sturm mich weckt,

Wenn mich der Schlag der Wachtel

Aus süſsen Träumen neckt,

Breit' ich den Arm und drücke

Dich wähnend an mein Herz;

Der Wahn zerrinnt, und einsam

Bin ich mit meinem Schmerz.

Ich flüchte sehnsuchtmüde

Zum Busen der Natur.

Doch ach, Dein Bild, Geliebte,

Folgt mir auf jeder Spur.

Es flötet Deinen Namen

Das Vöglein auf dem Zweig.

Ihn schwirrt die Grill' im Grase,

Ihn ruft die Unk' im Teich.

[200]
An Deines Auges Bläue

Mahnt mich des Äthers Blau;

An Deiner Locken Fülle

Des Nebels strömend Grau.

Mich mahnt an Deine Wangen

Der Rose keusche Gluth.

Mich an den Wein der Lippen

Der Beere quellend Blut.

Beschämt dein Schwanenbusen

Nicht der Narzisse Schnee?

Weicht nicht der Milch der Arme

Die Milch der Lilie?

Umhaucht mich nicht Dein Athem

Im Nachtviolenduft?

Ists nicht Dein süſser Name,

Den jedes Echo ruft? — —

Wohin, wohin mich retten

Vor der verborgnen Macht,

Die mich verfolgt vom Morgen

Bis in das Graun der Nacht! — —

Bey Dir, bey Dir nur, Traute,

Ist Rettung mir bewuſst — —

Ach, nur in Deinen Armen,

Ach, nur an Deiner Brust.
[201]

Das Abendroth


Der Abend blüht!

Der Westen glüht!

Wo bist du, holdes Licht, entglommen?

Aus welchem Stern herabgeschwommen?

Ein lichter Brand

Flammt See und Land.

Es lodern in dem rothen Scheine

Die Fluren rings, und rings die Hayne.

[202]
Wie sieht so hehr

Das düstre Meer!

Die Welle tanzt des Glanzes trunken,

Und sprüht lusttaumelnd Feuerfunken.

Es mahlt der Strahl

Das liebe Thal,

Das sie bewohnt, der Holden Holde

Mit Rosengluth und mattem Golde.

Geuſs Hesperus

Mit leisem Gruſs

Auf sie den Inhalt meiner Lieder,

Die schönsten deiner Rosen nieder.

Viel schöner blüht,

Viel wärmer glüht

Die blasse Rose ihrer Wangen,

Und weckt inbrünstiges Verlangen.

Von ihr Ein Blick,

Ein trauter Nick

Durchzuckt elektrisch Mark und Leben,

Und macht den feinsten Nerv erbeben.

[203]
Drum, Hesperus,

Beut Gruſs und Kuſs

Der Herrlichen, der Tadellosen,

Und opfr' ihr deine schönsten Rosen.

Bewunderung

Und Huldigung

Heischt nur das Schön, das ewig lebet,

Weil Huld und Heiligkeit es hebet.
[204]

Die Sterne.


Niedergeschlummert war die müde Sonne.

Feyerlich wallte der Nacht lasurner Mantel

Schön besäumt von schimmergelockter Sterne

Güldenem Stickwerk.

Unter dem blauen golddurchwirkten Teppich,

Halbverhüllt von des Dunkels trautem Schleyer

Standen und staunten wir, und schauten

liebend

Auf zu den Sternen.

[205]
Über der Holden vollgelockter Scheitel

Strahlte Cassiopega, blitzte Cepheus,

Funkelte Perseus Schwert, flog Andromedens

Glänzender Gürtel.

Tönenden Fittigs stieg empor der Adler,

Melodieen ergoſs der Schwan des Himmels,

Wonnegesang entlispelte der Lyra

Bebenden Sayten.

Und von der Majestät der Nacht durchschaudert,

Jeder Blöde vergessend, jede Feigheit

Groſs verschmähend umschlang ich die Geliebte

Feurigern Armes.

Und den Umschlingenden umschlang die Edle

Leisestöhnend, es stürmte Herz an Herzen,

Wange brannte an Wange. Trunken glühte

Lippe an Lippe — —

Und als ich auftaucht' aus der Wonnen Abgrund,

Siehe, da glänzten alle Sterne güldner.

Lodernder brannte Cassiopega. Funken

Sprühte Cepheus.

[206]
Tönendern Schwunges stieg empor der Adler.

Liebesgesang entquoll dem Schwan des Himmels,

Liebesgelispel girrte von der Lyra

Bebenden Sayten.

Selig erklangen alle Sphären. Alle

Glocken der Weltharmonika ertönten.

Feuriger pochten, Liebe klopften alle

Pulse des Weltalls.

Trunken noch immer ach des Nektarbechers,

Der mit Entzücken Sinn und Geist berauschte,

Wandl' ich dahin seitdem in süſser Liebe

Heiligem Wahnsinn.

Aber verklungen längst in Ihrem Herzen

Ist des süſsen Momentes süſser Nachhall;

Mir vorüber, dem sie den Brand ins Herz warf,

Wandelt sie achtlos,

Würdiget ihn, der ach nach ihr verschmachtet,

Keines holderen Blicks, noch süſsern Wortes,

Schwebet dahin mit leichtem Muth, wirft, Freude,

Dir in den Arm sich — —

[207]
Heilige Sterne, ahnen wahr die Weisen,

Ward geschrieben in euch der Menschen

Schicksal —

O wer öffnet den Sinn, wer liest mir eure

Güldenen Chiffern?

Frech zu erspähn der Zukunft Schauerdunkel,

Lüstet mich nicht; mich lüstet nur, das Eine

Zu ergründen — — nur — — Ida, deines

Herzens'

Dämmerndes Räthsel!
[208]

Epicedion.


Edmund und Ida sind hin. Sie haben des schö-

neren Lebens

Bis auf die Hefen geschlürft. Lasset in Frie-

den sie ziehn.

Wenige bittere Hefen nur blieben im güldenen

Becher.

[209]
Dem, der des Weines geschmeckt, widert der

schaalere Rest.

Lasset hinüber sie ziehn zur Insel der Uranionen,

Wo um Phaon nicht mehr Sappho die Zärt-

liche stirbt,

Wo um Narcissus nicht mehr die liebende Echo

verschmachtet,

Um Iphigenien nicht trauert der starke

Achill.

Wo gelöst von den Banden des Stoffs, vom Stachel

des Triebes,

Höchste Schönheit, an dir sich die Vergötter-

ten freun,

Froh des erhöheten Seyns, sich selig fühlend im

Anschaun,

Ruhig im heitern Genuſs, ledig des Sporns der

Begier.

Schönere Psyche, auch uns empfängt die elysische

Insel.

Edlere Psyche, auch uns tränkt der lethäische

Strom.

Jede Erinn'rung verblaſst des gemeineren irdischen

Lebens.

Alles erlischt, was uns mahnt an die Gewalt

der Natur.

3 O
[210]
Du nur schimmerst beglaubigt, o Ahnung erhabne-

ren Daseyns,

Die uns durchblitzte, wenn uns Eros berührte,

der Gott.
[[211]]

Biankens Lieder.
Zweyter Anhang.


[[212]][213]

Der Abschied.


Ihr gottgeweihten Mauern,

Ihr, deren ernster Ring,

Durchweht von heil'gen Schauern,

Eilf Sommer mich umfing;

Ihr klösterlichen Klausen,

Wo Ruh und Andacht hausen,

Die ich jetzt lassen soll —

Gehabt euch wohl!

[214]
Ihr immer grünen Bäume,

Die ihr mir freundlich lauscht

Und oft in süſse Träume

Die Schwärmende gerauscht;

Ihr duftenden Gebüsche

Voll Kühlung und voll Frische,

Voll Lispeln und Gesang,

Habt Dank! Habt Dank!

Ihr Blumen und ihr Quellen,

Ihr Rasen, seideweich,

Ihr kleinen Murmelwellen,

Nie, nie vergeſs ich euch.

Wohl aus dem Weltgedränge,

Dem lästigen Gepränge

Schaut sehnend einst der Blick

Nach euch zurück.

Ihr heiligen Jungfrauen,

Die selig Tag und Nacht

Das Antlitz Gottes schauen,

Habt mich in guter Acht!

Urbild der Huld und Güte,

Madonna, ach behüte

Vor eitelm Wahn den Sinn

Der Sünderinn!
[215]

Strada della Luce, Strada della Croce.


Durch das Kreuz zum Glanz!

Wem gebührt der Kranz?

Wer getrost gelitten,

Wer mit Kraft gestritten,

Dem gebührt der Kranz.

Durch das Kreuz zum Glanz!

Durch die Nacht zum Licht!

Herz, verzage nicht,

Ob von Nacht umschauert,

Erd' und Himmel trauert —

Schau der Ost erglüht,

Und das Dunkel flieht.

[216]
Durch den Schweiſs zum Schlaf!

Stach die Sonne, traf

Dich des Mittags Schwüle;

Abends lullt die Kühle

In gewünschten Schlaf,

Wen die Schwüle traf.

Durch den Kampf zum Sieg!

Krieg geboten, Krieg

Sey der Welt, der Schnöden!

Schande deckt den Blöden.

Drum sey bis zum Sieg

Krieg die Losung, Krieg!

Durch den Krieg zum Kranz!

Durch das Kreuz zum Glanz!

Durch Gehenna's Grauen

Hin zu Zions Auen!

Selig, wer beharrt,

Ob das Herz auch starrt!
[217]

Candore et Odore.


Siehst du der Lilie weisses Kleid

Aus dunkler Ferne winken?

Ihr Licht besiegt die Dunkelheit,

Wie Lunens Silberblinken.

O Blume, die in Eden sproſs,

In Eden sich zuerst erschloſs,

Dich trübet keine Makel.

[218]
Die ihr der Giglio's Blume führt

In Wappen und Panieren;

Begnügt euch nicht, was jene ziert,

In Schild und Ring zu führen.

Der Giglio's Sinn ist lilienklar

Und lilienrein! Seyd treu und wahr

Auch ihr in Red' und Thaten.

Spürst du der Lilie Ambraduft

Von dort herüberschweben?

Spürst rings um dich in lauer Luft

Die Wohlgerüche weben?

O Blume, die das Aug' entzückt,

O Blume, die das Herz erquickt,

O Blume, sey gepriesen!

Der Giglio's Söhne, offenbart

Der Giglio's Seelenadel!

Der Giglio's Töchter, ach bewahrt

Der Giglio s Ruf vor Tadel!

Laſst eurer Tugend süſsen Duft,

Des Vaterlands, des Auslands Luft

Bis an die Sterne würzen!
[219]

Die Blumenchiffer.


Blick auf, blick auf zur Sonne

O Auge, durch den Thränenflor!

Dem Gram entknospt die Wonne.

Aus Thränen keimt der Trost empor.

Der Iris Farbenfeuer

Durchstrahlt den grauen Duft,

Es hebt die Brust sich freyer

In abgestürmter Luft.

Süſs mundet uns die Wonne,

Die wir mit Quaal bezahlt,

Und schöner strahlt die Sonne,

Die nach Gewittern strahlt.

[220]
Der Sonn' entgegen breitet

Die Lilie ihre weiſse Brust.

Von Hoffnung aufgeweitet,

Ahnt die Verzweiflung Himmelslust.

Die Erde täuscht das Hoffen.

Der Durst bleibt ungestillt.

Doch steht die Heimath offen,

Für die das Herz erschwillt.

Was mich ergötzt blüht droben.

Nur droben grünt mein Glück.

Nach oben drum, nach oben

Schaut der bethränte Blick.
[221]

Die Errettung.


Vorüber ist der schwere Traum,

Vorüber, und ich glaub' es kaum. . . .

Ich lebe!

Ich lebe ja! und unentweiht

Blieb meiner Unschuld weisses Kleid.

Ich hebe,

Ihr heil'gen Jungfraun, nach wie vor

Den Blick zu eurem reinen Chor

Rein empor!

Es drohte namenlose Noth,

Und Schande, herber als der Tod,

Der Armen! —

[222]
„Die ihr die Unschuld schirmt und schützt,

„Den Frevler zürnend niederblitzt,

„Erbarmen!

„Ach rettet, rettet! Grimmiglich

„Umgrinsen Höllenlarven mich!

„Rettet mich!“ —

Und nieder von dem Sitz der Ruh,

Aus Christus Armen schautest du,

Madonne!

Es weinte laut der Jungfraun Chor,

Und gnädig neigte Gott sein Ohr.

O Wonne!

Er schalt. Die Höll' entsetzte sich.

Die Larven graſs und grauerlich

Lieſsen mich.

Du, deren Flehn den Sohn bezwang,

Madonna, laſs mich meinen Dank

Dir weinen!

Die ihr mein Antlitz nicht beschämt,

Des Treuen treulich euch annehmt,

Ihr Reinen,

Euch soll Biankens Lobgesang,

Euch strömen soll Biankens Dank

Lebenslang.
[223]

Die Ekstase.


Verlohren!

Verlohren!

O Lustgeschrey in meinen Ohren!

Es singt um mich wie Brautgesang;

Es klingt der Hochzeitharfen Klang;

Es lodern schon die Kerzen.

Die muntern Jungfraun scherzen.

Ihr Jungfraun, habt ihr Oels genug?

Ach füllt die Lampen, füllt den Krug.

Die Nacht ist süſs und schaurig,

Die Braut so froh und traurig!

[224]
Welch Flüstern,

So lüstern

Raunt mir ins Ohr im Düstern!

„Komm, holde Taube, süſse Braut.

„Der Priester harrt. Der Priester traut.

„Der Teppich ist gebreitet.

„Das Bette ist bereitet.

„Uns winkt des Lagers weicher Flaum

„Zu süſsem Schlaf und süſserm Traum.

„Kommst, kömmst du bald, du Fromme?“ —

Ja, Bräutgam, ja, ich komme!
[225]

Müd und matt.


O Thränen,

Die ihr mich überschwemmt;

O Sehnen,

Das meine Brust beklemmt;

O Schmachten,

Davon mein Herz erschwillt;

O himmelstrebend Trachten. . . .

Wann, wann wirst du gestillt!

5 P
[226]
Mich lasten

Der Erde Quaal und Lust.

Zu rasten,

Genügt der müden Brust.

Nur Jammer

Daucht mir die Pracht der Welt.

O dunkle lezte Kammer,

Du bist's, die mir gefällt.

Ich lechze,

Und meine Kraft wird schwach.

Ich ächze

Nach der Erlösung Tag.

Wie lange

Soll ich mich quälen noch!

Wie lange und wie bange

Ziehn an dem herben Joch!

Die Bande

Der Erde pressen mich.

Am Rande

Löst jede Fessel sich.

Am Rande

Schwank' ich; und schau' hinab,

Und ledig aller Bande,

Sink' ich ins düstre Grab!
[227]

An den Schatten des Numan.


Numan, dein gedenkt das Herz,

Nimmer werde dein vergessen!

Oft noch soll der herbe Schmerz

Mir um dich die Wange nässen.

Lange noch sey dir mein Leid,

Lange noch mein Lied geweiht.

P 2
[228]
Du, den in der grausen Noth

Mir der Gott zum Retter sandte;

Du, der von mir herben Tod,

Und noch herbre Schande wandte;

Den der Thaten Edelste

Ach sein Herzblut kostete. . . .

Dunkles Schicksal, ach warum

Muſste so mein Numan enden?

Giovanni, ach warum

Muſstest du den Freund vollenden? . . .

Doch das Schicksal, ernst und stumm,

Achtet störrig kein Warum! . . .

Numan, dein entseelter Staub

Liegt im Schooſs des Meers, und modert . . .

Oder ward vielleicht der Raub

Düstre Fluth dir abgefodert?

Hat vielleicht am öden Strand

Ihn verscharrt des Fremdlings Hand?

[229]
Nun getrost! dein beſsrer Theil,

Numan, bleibet unverlohren.

Ward nicht Christus, Aller Heil,

Numan, auch für dich gebohren?

Dennoch sollte, rein und schön,

Numans Seele untergehn?

Numan, nein, war fromm und gut.

Nein, auch Numan ward getaufet,

Ward durch Wasser und durch Blut

Vom Verderben losgekaufet.

Numan, Numan auch für die

Starb, der mich erlöste, mich!

Einstens, wenn die Wage klingt,

Wenn der ernste Richter richtet;

Wenn die Rache blitzbeschwingt,

Die verruchte Schaar vernichtet;

Wenn die Gnade, blutversöhnt,

Mich und Giovanni krönt;

[230]
Giovanni dann und ich

Fassen Numan in der Mitten,

Und der Richter neiget sich

Huldreich zu der Sünder Bitten.

Ja der Richter wird versöhnt,

Und auch Numan wird gekrönt.

Dann mit Numan Arm in Arm

Wird mein Giovanni wallen.

Aller Hader, aller Harm

Endet sich in Wohlgefallen.

Froh wird dann Bianca stehn,

Froh die Freunde wandeln sehn.
[231]

Das Lebewohl.


Fahret wohl, ihr grünen Matten,

Die der Murmelbach durchrollt.

Fahret wohl, ihr trauten Schatten,

Die ihr zwiefach Labsal zollt.

Fahret wohl, beblümte Triften,

Die ein ew'ger Frühling schmückt,

Die ihr, reich an Schmelz und Düften

Mehr denn einen Sinn erquickt.

[232]
Fromme Kinder dieser Fluren,

Die ihr freundlich mich umfingt,

Die ihr, liebende Naturen,

Euch vertraulich an mich hingt;

O ihr Guten, o ihr Frommen,

Denket mein, und lebet wohl:

Denn das Stündlein ist gekommen,

Wo ich euch verlassen soll.

Der du meine Seele schmücktest,

Edler Theodosius,

Mich mit manchem Trunk entzücktest

Aus der Schönheit Silberfluſs.

Dem für Tugend, dem für Wahrheit

Himmelhoch die Seele schwoll,

Jüngling, reich an Sinn und Klarheit,

Edler Jüngling, fahre wohl.

Dorothea, zarte Rose,

Schlummre süſs, Unschuldige,

Keusche züchtige Mimose,

Unentweihte Lilie,

Luft und Licht und Thau entfalte

Liebend deines Kelches Zier.

Schlummre süſs und schirmend walte

Gottes Engel über dir!

[233]
Holde Fluren, traute Matten,

Murmelbach voll Melodie,

Bunte Triften, grüne Schatten,

Euch vergiſst Bianka nie.

Theure Menschen, euer denken

Wird Bianka lebenslang.

Bis sie in die Gruft sie senken,

Kühlt sich nie Biankens Dank.
[234]

Lobgesang.


Schwebt empor,

Lispel meiner Lieder!

Hallt sie wieder,

Nacht und Sternenchor!

Wer hat die Bange, Blöde

In schauerlicher Öde

Geschirmet und gewahrt?

[235]
Wer in den Felsgerippen,

Im Riſs geborstner Klippen

Ihr manchen Trunk gespart?

Wer sparte, sie zu nähren,

Des Strauches rothe Beeren,

Das Ey im Adlerhorst?

Wer lieſs, für mich zu quellen,

Des Isards Euter schwellen,

Als meine Lippe borst?

Jauchze laut,

Laut, mein Lied und fröhlich!

Selig, selig,

Wer dem Herrn vertraut!

Wenn meine Füſse wankten,

Die müden Kniee schwankten,

Wer hat mich treu gestützt?

Wer in den Finsternissen

Mich vor der Natter Bissen,

Des Wolfes Zahn geschützt?

Wer in des Waldes Schlüften,

Wer in den Felsenklüften

Beschied mir süſsen Schlaf,

Und breitete die Rechte

Um mich im Graun der Nächte,

Daſs mich kein Unfall traf?

[236]
Strömt empor,

Jubel meiner Lieder —

Hallt sie wieder,

Nacht und Sternenchor!
[237]

O Liebe.


O Liebe!

Die mich bis in den Tod geliebt,

Die schmerzlich sich um mich betrübt,

Die für mich lebt' und litt und starb,

Und sterbend mir das Heil erwarb . . ,

O Liebe,

Sieh, wie ich mich betrübe,

Daſs ich nicht gnug dich liebe.

O Liebe,

Die du für mich der Thränen Fluth,

Für mich verströmt dein rothes Blut,

[238]
Für mich dein Leben ausgestöhnt,

Den Vater sterbend mir versöhnt . . .

O Liebe,

Sieh, wie ich mich betrübe,

Daſs ich nicht gnug dich liebe.

O Liebe,

O du in deinem Dornenkranz,

In deines Blutes Purpurglanz,

O sündebüſsend Opferlamm,

Mein König und mein Bräutigam . . .

O Liebe,

Sieh wie ich mich betrübe,

Daſs ich so lau dich liebe.

O Liebe,

Entzünd' in mir der Liebe Gluth,

Laſs in der Wunden rother Fluth

Mich untergehn, gar untergehn,

Um nimmer, nimmer zu erstehn . . .

O Liebe,

Tilg' alle niedre Triebe,

Daſs ich nur dich! dich! liebe!
[239]

Himmelan.


Himmelan

Strebt die müde Seele.

Herzlich ach verlangt der Satten

Aus dem kalten düstern Schatten

Nach der Heymat grünen Matten —

Brünstig strebt die Müde

Himmelan.

[240]
Himmelan

Strebt die satte Seele.

Welt, du Eitle, Welt, du Schnöde!

Wie so fremde, wie so blöde

Fühlt sie sich in deiner Öde.

Die Verbannte schmachtet

Himmelan.

Himmelan

Strebt die ew'ge Seele.

Was die Andern höchlich schätzen,

Kann nicht ihren Sinn ergötzen,

Mag nicht ihr Verlangen letzen.

Ihr Verlangen schwingt sich

Himmelan.

Himmelan

Strebt die müde Seele.

Nie geletzt ward hier ihr Sehnen,

Nur verlacht ihr süſses Wähnen,

Nur verhöhnt die heil'gen Thränen

Darum strebt die Müde

Himmelan.

[241]
Himmelan

Strebt die Gebundne.

In die freyen weiten Räume,

In die Heymat süſser Träume,

In das Kühl der Lebensbaume,

Dorthin strebt sie, strebet

Himmelan.

Himmelan

Strebet die Verlaſsne,

Zu den heimgegangnen Lieben,

Die in ihrer Ruhe drüben

Um die Schwester sich betrüben,

Dorthin strebt sie, strebet

Himmelan!

Himmelan

Schwingt sich die Erlöste.

Schau der Sehnsucht heil'ge Flammen

Schlagen über ihr zusammen,

Und verflüchtigt in den Flammen,

Schwingt sich die Erlöste

Himmelan!
3 Q
[242]

Am Ziele.


Am Ziele,

Ganz nah bin ich am Ziele.

Es glänzt das glorievolle Ziel.

Die Palme weht; sie weht so kühl.

Die Krone strahlt. Die Krone blinkt.

Der Trauring blitzt. Der Bräut'gam winkt.

Es rauschen Saytenspiele.

Ganz nah bin ich am Ziele!

[243]
Am Ziele,

Ganz nah bin ich am Ziele.

An des Krysallstroms Silberrand,

In blutbesäumtem Schneegewand,

Wallt schimmernd Athanasius,

Und labt sich am krystallnen Fluſs.

Mich ängstet noch die Schwüle,

Doch bin ich nah am Ziele!

Am Ziele,

Ganz nah bin ich am Ziele.

Der Erde Luft ist schwer und schwul.

Vor Gottes und des Lammes Stuhl

Kniet selig Athanasius.

Ihn letzt unsterblicher Genuſs.

Ihn drückt nicht mehr die Schwüle.

Er ist, er ist am Ziele!

Am Ziele,

Ganz nah bin ich am Ziele.

Ists Wahrheit, oder träumt es mir?

Mich dünkt, es rauscht schon vor der Thür.

Mich dünkt, es klopft! es rufet schon!

Ich höre schon den süſsen Ton

Der holden Saytenspiele.

Ganz nah bin ich am Ziele!

Q 2
[244]
Am Ziele,

Ganz nah bin ich am Ziele.

Wie strahlt das Ziel so hehr, so hell.

Versiegt ist meiner Thränen Quell.

Ich schöpfe der krystallnen Fluth.

Ich flamm' empor in heil'ger Glut

Seraphischer Gefühle —

Ich bin, ich bin am Ziele!
[[245]]

Zugabe
älterer gänzlich
oder
gröſstentheils umgearbeiteter Gedichte.


[][][]
[figure]
[]
[figure]
[[246]][247]

Die Unsterblichkeit.


Die ihr des freundlichen Lichts

Euch daseynsselig erfreuet,

Tröstet euch, Brüder, ihr werdet

Ewig des Lichtes euch freun.

Was wir ersehnten,

Mit des Jünglings Sehnsucht

Nach dem Kuſs der Geliebten,

Es ist, es ist mir erschienen.

[248]
Was wir ersehnten, erflehten,

Es hat, es hat mich ergriffen,

Wie den Jüngling die Eidschwurgewiſsheit,

Daſs, die er liebet, ihn liebe.

Wie den Sünder die Gnade ergreift,

Wie den Büſser der Vergebung Gefühl,

So ergriff den Vernichtungscheuen

Unsterblichkeit, dein groſses Gefühl.

Ich ahnet', ich hofft' es, jetzt glaub' ich, daſs ich bin!

Ich glaub' es, ich schau' es, daſs ich ewig

bin! —

Neige deine Wipfel, Eiche!

Ein Unsterblicher wandelt unter dir.

Ründe die silberne Scheibe, Mond!

Entblinket dem Nachtgedüft, schimmeräugige

Sterne!

Sirius, wälze dein Flammenrad! Glanzge-

gürteter Orion,

Wandle stattlich den Riesengang!

Minder, ihr Stolzen, als ich,

Seyd ihr, ihr seyd vergänglich!

Mehr als die Eich' und der Mond, mehr

als Orion und Sirius

Bin ich — bin unvergänglich.

[249]
Himmel und Erde vergehn!

Nimmer vergehet das Ich! —

Ha, wenn das Ich verginge,

Was wäre dieſs nichtige Seyn?

Eines Traumes Schatten,

Geträumt im zweifelnden Zwielicht,

Zerschwunden mit des Tages Dämmerung,

Wäre dieſs nichtige Seyn!

Ärmer noch wär' ich, als der Halm und das Gras;

Verächtlicher noch, als der Kiesel der Gasse.

Des Daseyns Entzücken empfanden sie

nicht;

Dein Grauen Vernichtung empfinden sie

nimmer.

Ach, wenn ich ewig nicht wäre,

So ächzt' ich dem kommenden Tag'

Entgegen, so ächzt' ich, käme die Nacht,

Und verhüllte mich, und schwiege ver-

traurend.

So würd' ich unter die Blumen des Frühlings

Mich strecken, und die Blume beneiden.

Du, o blühende Erde, däuchtest mir ein

offnes Grab;

Die Menschen zerfliessende Schatten.

[250]
Dich, herrliches Vorrecht des Geistes,

Unergrundliches hohes Bewuſstseyn,

Dich wird' ich ersticken in Taumel und Rausch,

Daſs mich nicht träfe der Gedanke der

Vernichtung.

Aber er träfe mich doch,

Mich umspukten grinsende Larven,

Blöketen fletschenden Zahnes mir zu:

Was jauchzest du, Schatten? Zerflattre!

Es ersinkt der Kelch der zitternden Hand;

Es entsprudelt dem blinkenden Schierlingsschaum!

Die Rose duftet Verwesung;

Die Musik tönt Gräbergeheul!

Rühret mich nicht an! Umarmet mich nicht

So brünstig, meine Geliebten!

Ach, druckt den Vergänglichen nicht so fest

an euer Herz;

An eurem Herzen dürft' er zerflieſsen!

Der Vernichtung Fittige sausen daher.

Sie sausen, sie rauschen mich an. — Ach ret-

tet, Liebende rettet! —

Wohin, Verirrte, wohin? Ermanne dich,

Seele! Ein Schall ist's,

Ein hohler Schall, der dich ängstet.

[251]
Ist hienieden auch Tod?

Auch Untergang hienieden, und Vertilgung?

Ist, was Tod wir nennen und Untergang,

Nicht Enthüllung nur, Entwicklung, Ver-

edlung?

Mag auch das edlere Selbst,

Das denkende, wollende, hoffende Selbst

Versiegen mit dem Öl, das den Nerven

tränkt,

Verstieben mit der Asche, die den Grä-

bern entstiebt?

Löscht auch der Becher der Lust, des Ruhms, der

Wollust, der Liebe,

Stillt auch die Fülle des Glücks, der Brust un-

nennbares Sehnen?

Warum dann seufzen, Beglückter, wann

dämmert der Mond,

Wann das Spätroth schimmert, und die

Sterne funkeln?

Mag auch Gott der Liebe,

Gott der ewigen Liebe,

Des Bösen Bösestes, was nur die Allmacht

vermag,

Des Bösen Bösestes wollen: Vernich-

tung?

[252]
Schreitet nicht mächtigen Schritts, fliegt unermüd-

lichen Fluges

Das All der Vollkommenheit strahlendem Ziel

Nicht näher mit jeglichem Nu, mit jegli-

chem kehrenden Pulsschlag? —

Und wir — die Einzigen, schwindelten

endlos zurück?

O Wahrheit! o Schönheit, o Tugend!

Hochheiliges Drey in des Geistes Einheit,

Du zweyte Welt in der ersten,

Du zeugest wer wir sind, und wer wir

werden!

Ihr Guten und Weisen und Reinen.

Ihr Seelen ohne Schuld und ohne Freude,

Ihr Erquetschten in der Knospe! ihr Er-

stickten in der Blüthe!

Ihr bürget wer wir sind, und wer wir

werden!

Ja wahrlich, wahrlich, ich bin!

Ich weiſs, ich glaube, ich bin!

Und werde ewig seyn —

Ewig! ewig!

[253]
Wie ertragen die Wonne?

Wie dich fassen Entzücken?

Wie genügen der lastenden schreckenden

Seligkeit?

Ich werde ewig seyn!

Frohlock', begnadigter Geist, hinauf zum wölbenden

Himmel.

Du bist unsterblich!

Frohlock' hinab in die Nacht, in das Land

der Stummen und Stillen;

Sie sind unsterblich!

Frohlock' am Saume der offenen Gruft.

Du bist unsterblich!

Frohlocke, wenn wieder sich füllet die

Gruft,

Und der grünende Hügel sich wölbet.

Thaut, Frühling', auf meinen Hügel! Regen, säusl'

auf ihn herab!

Ich bin unsterblich!

Brause Herbststurm um mein blätterbesäe-

tes Haus.

Ich bin unsterblich!

[254]
Die ihr weint an meinem Hügel, jauchzet laut!

Ich bin unsterblich!

Schwinget, schwinget die Fittich, und ei-

let mir nach!

Wir sind unsterblich!
[255]

Der Nachtsturm.


Sturm der gellenden Nacht, fürchterlich klingt und

schön

Durch die Nacht dein Geläut, klingt mir begeis-

ternder,

Als der lydischen Flöte

Weiche Wirbel im Abendkühl.

Rabenschwarz ist die Nacht. Durch die Erebische

Wälzt der Mächtige sich säuselnden Schwungs

daher,

Beugt die Groſsen der Schöpfung,

Stäupt die Höhen und zaust den Wald.

[256]
Orkan, Orkan, gegrüſst sey mir in deiner Kraft.

Orkan, Orkan, dir lauscht gerne des Jünglings Ohr,

Wenn Allfadern dein Päan

Auf der Harfe der Waldnacht singt.

Minder feyerlich fürwahr wallet anbetender

Myriaden Gesang rings durch des Münsters Schiff,

Als dein Hymnus im Dunkeln

Durch den Tempel der Schöpfung wallt.

Schön und fürchterlich ists, wenn du die Wei-

zensaat

Niedermähst, wenn dein Arm geisselt den stolzen

Forst,

Und mit Pappeln und Eiche,

Wie ein Knabe mit Diesteln, spielt.

Schön und fürchterlich ists, wenn du das Meer er-

wühlst,

Sein Vermögen zerstäupst, Schiffe, wie Kräusel

drehst,

Masten knickest, wie Binsen,

Taue reissest, wie mürben Zwirn.

Schön und fürchterlich ists, wenn du die Wolken ballst.

Manches Riesengebild segelt in weiter Luft.

Lunens Silber verblasset.

Rings erblindet der Sterne Gold.

[257]
Westgesäusel behagt lüsternen Weichlingen.

Baſs behagt mir, Orkan, dein dithyrambisch Lied.

Jeden glimmenden Funken

Fachst du, straff'st den erschlafften Nerv.

In das Dunkel hinaus stürm' ich, in schwarzer Nacht

Klimm' ich Felsen hinan, schaue vom stickeln Fels

In das gährende Chaos,

In die wühlende Nacht hinaus.

Erd' und Himmel und Meer zittern dir, Freudiger!

Freudigeres, denn du, hebet des Menschen Brust,

Triumphirt in des Daseyns

Stürmen, frohlockt im Untergang.
3 R
[258]

Elegie.


Welche fremde Gefühle durchschaudern mich!

Welche Verwirrung

Wölket die Sinne! Mich faſst wechselnd Ent-

zücken und Schmerz.

Itzt hebt seliges Ahnen empor zu den Sternen die

Seele;

Tödtliches Zagen sodann senkt in den Hades

den Geist.

Mächte, die mich befehden, ihr feindlichen fremden

Gewalten,

Sagt, was verbrach ich? was ists, daſs ihr mich

rächend verfolgt;

[259]
Daſs ihr mit dieser Erynnis mich straft, die Frie-

den und Frohsinn

Böſslich mir raubet, mit Gift wechselnd und

Nektar mich tränkt!

Laſs, laſs ab von mir, gefürchtete Liebe! Nicht

mag ich

Kosten des Kelches, der einst selbst den Alci-

den entmannt'.

Laſs, laſs ab von mir. Von deinem Athem be-

rauschet

Taumel' ich, schwindel' ich schier. Schone,

Gefährliche, mein!

Nein du willst nicht schonen. Mit jeglichem sie-

genden Reitze,

Jeder gewinnenden Huld hast du die Feindinn

geschmückt,

Diese zu freundliche Feindinn — dich, meine Ida!

Vergönne,

Daſs die Seinige dich grüſset das liebende

Herz.

Freundliche Ida, du bist so hold, wie die Schim-

mer im Osten,

Wenn der erwachende Tag röthet das dämmern-

de Grau.

Bläue des Himmels umrieselt dein schimmerrollen-

des Auge;

Röthe des Aufgangs verklärt, Huldinn, dein

blühend Gesicht.

R 2
[260]
Dunklere Tinten verschönern den Mund, und lich-

tre die Wange.

Schwelgrisch umwallt dich die Fluth goldenen

ringelnden Haars.

Abgewogen aufs strengste ward dieser Glieder Ver-

hältniſs.

Dieser Formen Kontur ward von Apelles be-

stimmt.

Doch wer redet es aus, was diese Formen veredelt,

Diese Züge verklärt, dieses Gebilde beseelt!

Wer die rährende Huld, die herzgewinnende Milde,

Wer die Ruh im Blick, wer in den Augen den

Sinn!

Wer die Einfalt und Demuth, die Zucht und Zart-

heit und Reinheit,

Welche dir jegliches Herz, erstes der Mädchen,

gewinnt.

Also fand ich dich, Ida. So siegtest du, wenig es

ahnend,

Wenig es wollend fürwahr, über des Sicheren

Herz.

Ach zu sicheres Herz, wird dir auch Ihres begegnen?

Allzuvermessenes, wird Ida nicht stolz dich ver-

schmäh'n?

Wirst du mich lieben, Geliebte? Dein schmach-

tendes Auge bekennet,

Dein Erröthen verräth, daſs du zu lieben ver-

magst.

[261]
Liebe, liebe mich dann! Wohl arm an Schönheit

und Gaben

Ward mir doch Reichthum gewährt, Reichthum

des Herzens und Sinns.

Liebe des Schönen büſst für den Mangel eigener

Schönheit,

Zartheit des Sinns ersetzt, was sonst versagte

der Gott.

Liebe, liebe mich, Ida. Es ist der Tugenden

Schönste,

Treu zu lieben, das Herz einzig dem Einzigen

weihn.

Liebe mich, meine Erwählte. Es ist die höchste

der Freuden,

Innig zu lieben, geliebt von dem Geliebten zu

seyn.

Ach, daſs du mich liebtest! Wie würde das freund-

liche Leben

Ein Elysischer Traum, Traute, so lind uns ent-

fliehn!

Arm geschlungen in Arm, und Seele verlohren in

Seele

Würden wir wandeln den Pfad, welcher zum

Cocytus führt,

Würden vom grauenden Tag bis zu den Schatten

des Abends

Irren im flisternden Busch, kosen am kosenden

Bach,

[262]
Würden, wenn thaute die Nacht, zu ambrosischem

Schlummer uns lagern,

Meine Rechte dich gürtend, die deinige mich!

Würden jede Sekunde mit Küssen beflügeln, und

jede

Fesseln mit reinem Genuſs, würden in Einem

Moment

Beyd', in Einem inbrünstigen Kuſs, in Einer Um-

armung,

Zu den Liebenden über den Sternen entfliehn.
[263]

Elegie.


Krank für Liebe zu seyn, getroffen vom Pfeil des

Verlangens

Speis' und Trank zu verschmähn, Menschen

und Freuden zu fliehn —

Thorheit däuchte mich dies. Ich spottete strenge

des Thoren;

Aber ich büſse verdient für den unheiligen Spott.

Krank bin ich, wie keiner gewesen, vor sehnender

Liebe.

Schier aus den Röhren das Mark zehret die

sengende Glut.

Nicht die Gaben der Ceres vermögen zu stärken

den Matten,

Jacchos erlesenster Most löscht nicht den dur-

stenden Gaum.

[264]
Denn es fehlt mir der Einen belebende Nähe, sie

fehlt mir,

Deren ambrosischem Mund heilendes Labsal

entquillt.

Siebenmal thaute die Früh', und siebenmal wehte

die Dämmrung,

Seit du, Geliebte, mir fehlst, seit ich ver-

schmachte nach dir.

Ja ich verschmachte nach dir. Nicht länger zu mis-

sen vermag ich

Deinen erheiternden Blick, deinen erquicken-

den Kuſs.

Siehe die Aue drauſsen. Auch ihr ist die freund-

liche Sonne

Untergegangen; schon längst birgt sie ein nei-

discher Flor.

Glanzlos liegt nun die Flur und traurend der An-

ger. So traur' ich

Seit ich dein sonnig Gesicht, freundliche Ida,

nicht sah.

O so strahle denn wieder hervor aus dem hüllen-

den Dunkel,

Morgenröthliches Licht, kläre die Seele mir auf.

Tritt hervor, o siegende Sonn', in schimmernder

Schönheit.

Bringe mir Klarheit und Glanz, Kraft und Ge-

nesung zurück.

[265]
Die du zu lange verzogst, erscheine, Geliebte, er-

scheine,

Stille das schlagende Herz, letze den lechzen-

den Durst,

Dein beraubt verschmachtet das Herz, wie die wel-

kende Blume

In der Schwüle des Tags schmachtet nach

Abend und Thau.

Lieber entbehr' ich des Lichts, als deines begei-

sternden Anschauns,

Lieber des Liedes Besuch, als dein entzücken-

des Nahn.

Silberner klingt mir dein Gruſs, als der Lyra Lis-

pel; ich höre

Lieber von dir mich genannt, als von der Zun-

ge des Ruhms.

Seliger ruht es sich, Edle, an deinem steigenden

Busen,

Als in der Mutter Natur blüthenbeschneyetem

Schooſs.

Glücklicher bin ich, umweht von deinen goldenen

Locken,

Als von des röthlichen May's schimmernden

Blüthen beschneyt.

Tausend sind der Blüthen des May's, und tausend-

mal tausend

Würzige Düft' entwehn seinem balsamischen

Hauch.

[266]
Aber du bist die schönste von allen, die frischeste,

schönste,

Duftendste Blüthe. Nur säumt, Traute, zu

lange dein Kelch

Sich zu erschlieſsen. Ach eile! dir winken der

Lenz und die Liebe,

Dir der erlauende Hauch, dir der belebende

Strahl.

Eil', hochschwellende Knospe, verbreite die Krone

der Blätter,

Öffne den duftenden Kelch, würze die schmei-

chelnde Luft.

Laſs, zu Säumige! laſs den ambrosiaduftenden Torus,

Zeige dem Harrenden dich, lächel' erbarmend

ihn an.

Eines Gruſses nur würdige ihn, nur Eines Hand-

drucks,

Eines bedeutenden Winks, Eines liebkosenden

Lauts,

Und genesen der Quaal, von unsterblichem Leben

durchfluthet,

Strebt er empor zum Olymp unter den Göttern

ein Gott.
[267]

Elegie.


Freundinn, der Frühling ist da! Ich sah ihn in

röthlichen Wolken

Über den blumigen Höh'n schweben. Die Hö-

hen herab

Sah ich ihn wandeln tanzenden Schrittes. Ein buh-

lendes Lüftchen

Haucht' um den rosigen Hals sein hyacinthenes

Haar.

Gräschen und Blümchen entsprossen des Schreiten-

den luftigem Tritte,

Schnee und Reif zerschmolz seinem erlauenden

Hanch.

[268]
Silberstiebende Bächlein durchrieseln schon schwat-

zend die Fluren,

Blitzen im Sonnenstrahl, spiegeln die Sonne

zurück.

Rascher schon zirkelt das Blut, beschleuniget schla-

gen die Pulse.

Freundlicher lacht uns die Welt, heitrer das

Leben uns an.

Denn der Frühling beginnt. Wer wollte des keh-

renden Frühlings

Sich nicht erfreuen, verjüngt mit der verjüngten

Natur,

Nicht die ergrünende Flur beschreiten erweiterten

Herzens,

Nicht mit Gesang und Tanz grüſsen den keh-

renden Lenz!

Ida, der Lenz beginnt. Komm, Tochter sanfterer

Freuden,

Komm' mit mir in das Feld. Siehe, der Frost

ist dahin,

Und der Schnee ist zerschmolzen. Es rötheln die

Äste der Haseln,

Fröhlicher sieht des Gebürgs alterergrauetes

Moos.

Was den Schlaf der Erstarrung geschlafen, in Ta-

gen des Winters,

Fühlt sich ins Leben geweckt, drängt an die

Wärm' und das Licht.

[269]
Schau, es wimmelt im Sumpf. Es beseelt sich die

Scholle. Auf schlanken

Halmen wieget sich sanft schillernder Käfer Ge-

schlecht.

Hoch in den Lüften erschallt das Lied der frohlok-

kenden Lerche,

Mit des werdenden Tags sprieſsendem blasse-

sten Strahl

Schwingt sich die Sängerinn himmelempor, und

singt, bis die Dämmrung

Berg' und Thale verhüllt, fröhlich das fröhliche

Lied.

Komm, Holdselige dann, der Natur zartfühlende

Freundinn,

Komm mit mir ins Feld. Laſs an des rieseln-

den Bachs

Saum uns lagern. Ihn stickt die tausendblättrige

Bellis,

Welche das werdende Jahr, welche das schei-

dende kränzt.

Horch' es locket die blödere Sie der flötende

Sprosser.

Schau, im Haselgebüsch polstert die Amsel ihr

Nest.

Hoch auf dem Halmdach drüben sitzt neben dem

Tauber das Täubchen,

Girret sein zärtliches Lied, liebeverlohren, ihr

vor —

[270]
Lenz und Liebe fürwahr, gebarst du als Zwillings-

geschwister

Gütige Mutter Natur. Unter den Blumen des

Hayns

Sah ich das trauliche Paar oft spielen. Dann lehr-

ten sie Liebe,

Liebe den Bach und die Flur, Liebe den Busch

und den Wald.
[271]

Abschied von Ida.


Dich verliehren soll ich? dir entsagen,

Die ich mir aus einer Welt erkohr?

Die in jenen ewig schönen Tagen

Frey und willig sich an mich verlor?

Deinem Arme soll ich mich entwinden,

Der aus Millionen mich umwand?

Deines Flammeneides dich entbinden,

Der für Zeit und Ewigkeit dich band?

[272]
Ida, kannst du Demantketten brechen,

Wie dein Finger schwache Fäden bricht?

Ida, wird sich nicht die Liebe rächen,

Der rebellisch sich dein Arm entflicht?

Willst du einsam durch das Leben irren,

Willst du stablos seinen Sturm bestehn,

Ungetröstet deine Klagen girren,

Unbeklagt ins Reich der Schatten gehn?

Oder kannst du deine Liebschaft ändern,

Leicht und luftig, wie ein Sonntagskleid?

Spielen Mädchen, wie mit Flor und Bändern,

So mit Treu und Schwur und Ewigkeit?

Finden magst du in der Freyer Reihe

Einen schönern, klügern, reichern leicht;

Doch auch einen, Ida, dem an Treue,

Dem an Zartgefühl dein Liebling weicht?

Hab' ich einzig nicht an dir gehangen

Mit Begriff, Gefühl und Fantasey,

Mit des Herzens innigstem Verlangen,

Mit des Geistes höchster Schwärmerey?

Hab' ich nicht dem Schönen, Guten, Wahren

Aufgeschlossen deinen treuen Blick?

Hab' ich nicht, um dich nur, dich zu sparen,

Aller Ruh entsagt und jedem Glück?

[273]
Gar in dich verlohren und versunken

Schwand mir Auſsenwelt und Zeit und Raum;

Überseliger Gefühle trunken,

Taumelt' ich umher im wachen Traum.

Früh und spat, du weiſst es, nah und ferne

Galt mein Denken, Dichten, Sehnen dich.

Auf und unter gingen Mond und Sterne,

Fanden voll von dir, und selig mich.

Wahrlich, Ida, so von dir durchdrungen,

So voll Andacht und Religion,

Solche Opfer, solche Anbetungen

Endlos spendend sonder Sold und Lohn,

So verschenkt an dich, an dich vergeben,

Ach, auf Gnad' und auf Barmherzigkeit,

Liebt in diesem, liebt in jenem Leben,

Liebt dich keiner mehr in Ewigkeit.

Und, o Seligkeit von kurzer Dauer!

Du auch liebtest mich. Dein knospend Herz

Öffneten des Ahnens leise Schauer,

Schütterte des Sehnens süſser Schmerz.

Zartre Tinten färbten deine Wangen,

Deine Augen sprachen zartern Sinn,

Schwankend zwischen Zagheit und Verlangen,

Mied den Träumer lang die Träumerinn.

3 S
[274]
Doch dein Lied verrieth des Herzens Wunde.

Deine Laute girrte süſsen Schmerz —

Und in unsrer trunkensten Sekunde

Sankst du liebewimmernd mir ans Herz,

Wandest los dich, flohst und sahst im Fliehen

Auf den Trunknen weinend noch zurück,

Blitze sah ich durch die Thränen sprühen.

Binden Eyde wohl, wie so ein Blick?

Und auch Eyde fehlten nicht dem Bunde.

Lebend, sterbend, schwurst du mein zu seyn,

Kamst in mancher unbelauschten Stunde,

Unsers Bundes dich mit mir zu freun.

In der Mitternächte heil'gem Grauen

Warfst du sorglos dich in meinen Arm.

Schöne Unschuld, rührendes Vertrauen,

Du durchschauerst mich mit süſsem Harm.

Aber nun des Argwohns Lauerblicke

Unsers Bundes heilge Nacht durchspähn,

Nun mich Vorurtheil und Stolz und Tücke

Hochverräther, Kirchenräuber schmähn,

Soll ich Wort und Schwur zurück dir geben?

Soll, von dir — von Licht und Luft verbannt,

Einsam schleichen durch das dunkle Leben?

Einsam irren an des Lethe Strand?

[275]
Ida, Ida, dein mich werth zu zeigen,

Böt' ich aller Bosheit Hohn und Spott,

Und verschmähend mich dem Stolz zu beugen,

Trotzt' ich Kerker, Ketten und Schaffott;

Würde keck um dich mit Tausend hadern,

Unverwandten Blicks zum Tode gehn,

Und mit Ruh aus allen meinen Adern

Mein wegfliehend Leben bluten sehn.

Aber Ida jammert, Ida trauert

Deine Feigheit, Weib, entmannet mich,

Und den Schritt drob meiner Menschheit schauert,

Thu' ich, und verlass' auf ewig dich.

Deiner Eyde sey von mir entbunden.

Sey, die du gewesen, froh und frey —

Aber ach, durch wen soll ich gesunden,

Wie entfliehn der schnöden Sklaverey?

Ausgelöscht sind meine Flammenkräfte,

Meines Geistes Sehnen abgespannt,

Gar versiegt sind meiner Wurzel Säfte,

Meiner Röhren Mark ist ausgebrannt.

Fahret wohl, ihr schimmernden Entwürfe!

Fahre wohl, süſsschmeichelnder Betrug!

Kelch, aus welchem ich Betäubung schlürfe,

Sey geleert mit einem langen Zug!

S 2
[276]
Nimm, Verzagte, denn, nimm alles wieder,

Was ich Köstliches von dir besaſs.

Deine Schleifen, Locken, Briefe, Lieder;

Auch dein Herz nimm wieder, kannst du das.

Lebe glücklich und damit die Ahnen

Dein sich rühmen, o so freye ja

Solche Farben nur und solche Fahnen,

Die Arkona noch turnieren sah.

Lebe glücklich. Wohl geziemts hienieden,

Herzlos, seellos und glückselig seyn.

Lebe glücklich; und wenn es dem Frieden

Deiner Seele frommt — vergiſs auch mein!

Nicht so leicht fürwahr mag der vergessen,

Der der Erde Edelstes verlohr,

Wenig Mädchen traun! sind würdig dessen,

Den der Mädchen Trefflichstes erkohr.

Auch den Hefenrest von meinen Tagen

Will ich dir und meiner Trauer weihn,

Will des Schicksals Eigensinn verklagen,

Und das Mitleid und die Tröster scheun.

Brechen wird die Schwermuth meiner Jugend

Kaum erschloſsne Blüthen, mich geschwind

Einer Welt entwinken, wo die Tugend

Und das Glück in ewgem Kriege sind.

[277]
Ruhig wahrlich, reuelos und müde

Werd' ich in die enge Wohnung gehn!

Langer Schlummer wird und tiefer Friede

Um den früherhöhten Hügel wehn!

Und wer weiſs, ob nicht der immerwache

Argwohn dann sein Meisterstück bereut,

Ob nicht selbst die spätversöhnte Rache

Ihrem Opfer dann ein Thränchen weiht.

Selig, wessen Flug das Land erflieget,

Wo der Seelen Scheidewand zerfällt;

Wo sich Herz an Herz vertraulich schmieget,

Und gesellig Geist zu Geist sich hält;

Wo kein Vorurtheil die Treuen tadelt,

Und kein Wahn sie auseinander reiſst;

Wo nur Güte hebt, wo Kraft nur adelt,

Und der Trefflichste der Erste heiſst!
[278]

Die Erscheinung.


Ich lag auf grünen Matten,

An klarer Quellen Rand.

Mir kühlten Erlenschatten

Der Wangen heiſsen Brand.

Ich dachte dieſs und jenes,

Und träumte sanftbetrübt

Viel Süſses mir und Schönes,

Das diese Welt nicht giebt.

[279]
Und sieh dem Hayn entschwebte

Ein Mägdlein sonnenklar.

Ein weisser Schleyer webte

Um ihr nuſsbraunes Haar.

Ihr Auge feucht und schimmernd

Umfloſs ätherisch Blau.

Die Wimpern näſste flimmernd

Der Wehmuth Perlenthau.

Ein traurend Lächeln schwebte

Um ihren süſsen Mund.

Sie schauerte, sie bebte.

Ihr Auge thränenwund,

Ihr Hinschaun liebesehnend,

So wähnt' ich, suchte mich.

Wer war wie ich so wähnend,

So selig wer, wie ich!

Ich auf sie zu umfassen —

Und ach! sie trat zurück.

Ich sah sie schnell erblassen,

Und trüber ward ihr Blick.

Sie sah mich an so innig,

Sie wies mit ihrer Hand

Erhaben und tiefsinnig

Gen Himmel, und verschwand.

[280]
Fahr wohl, fahr wohl Erscheinung!

Fahr wohl! dich kenn' ich wohl!

Und deines Winkes Meinung

Versteh' ich, wie ich soll! —

Wohl für die Zeit geschieden

Eint uns ein schönres Band.

Hoch droben, nicht hienieden

Hat Lieb' ihr Vaterland.
[281]

Das Andenken.


Freund, in welchen fernen Regionen,

Welchen sterngestickten Himmelszonen,

Schwebst du itzt auf unerspähter Bahn?

Schaust im ungeheuren Weltenraume

Ebentheuer, welche selbst im Traume

Kepler nicht, noch Galiläi sahn.

Schwärmst du etwa mit des Strahles Schwinge

Hie und dorthin in dem Schlangenringe,

Den des Ew'gen Finger trägt und hält?

Forschest lüstern nach dem Quell der Schwere,

Schiffst auf Andromeden's Nebelmeere

Untersuchest Mira's Wunderwelt?

[282]
Landest itzt am Ufer der Hyaden,

Itzt am Archipelag der Plejaden,

Am Gestad' itzt des Eridanus?

Stürzest jetzt dich in des Kochab Gluthen,

Schwimmst hinunter dann des Milchstroms Fluthen,

Bis zum glorievollen Sirius?

Oder flüchtetest du wallfahrtmüde

Zu des Angelsternes sicherm Friede,

Pflegst auf seinem Söller stolzer Ruh?

Siehst der Welten Labyrinthentänzen

Sonder Stillstand, sonder Ziel und Gränzen

In erhabener Bewundrung zu?

Schwebe, wo du schwebst, in welchen Fernen,

Walle, wo du wallst, auf welchen Sternen —

Weiſs ich doch, dein wonnetrunkner Blick

Schauet oft aus jenen Glanzgefilden

Wehmuthdämmernd nach dem blassen milden

Mutterstern, der dich gebar, zurück,

Wo du viermal sieben Sommer säumtest,

Deiner Kindheit holde Träume träumtest,

Deiner Jugend Auen froh durchflogst.

Wo du lüstern aus dem Nektarbusen

Der Natur, dem Honigmund' der Musen

Freude, Freyheit und Begeistrung sogst;

[283]
Wo des Wissens Kelch dich itzt erquickte,

Itzt der Dichtung Zauber dich entzückte,

Itzt der Ahnung Schauder dich durchdrang;

Manch befreundet Herz sich an dich schmiegte,

Manch verwandter Geist sich zu dir fügte,

Mancher Arm vertraulich dich umschlang.

Ja, ich weiſs, du schaust mit sanftem Sehnen

Oft hinunter nach dem Stern von Thränen,

Aus des Empyräums heilger Nacht.

Reifte doch dein Geist in seinen Strahlen,

Wird doch dein in seinen stillen Thalen

Lange noch mit Lieb' und Leid gedacht!
[284]

Das Ermannen.


Ermanne dich, mein Geist! Entraffe dich der

Nacht,

Die bleyern dich bedeckt. Der Schwermuth Trauer-

tracht

Beschämt das Rosenroth von Gottes schöner Welt.

Mit Helden sey ein Held!

Bist gegen Tausend du gleich klein und na-

menlos;

Bist du vor Tausenden doch herrlich auch und groſs,

Bist vor Zehntausenden trotz aller Quaal und Noth

Begünstigt von dem Gott.

[285]
Spannt deine Muskel nicht noch ungeschwäch-

te Kraft?

Schwellt deine Adern nicht die Woge Leiden-

schaft?

Giebt dem Begeisterten der Schönheit Genius

Nicht manchen Liebeskuſs?

Liegt offen nicht vor dir des Wissens Blumen-

flur?

Drückt an ihr Herz dich nicht erbarmend die

Natur?

Nimmt dich die Freundschaft nicht in jedem Le-

bensharm

Sanfttröstend in den Arm?

Ward nicht zur Letze dir das süſse Lied ver-

liehn?

Braust nicht dein Hochgesang daher gewitterkühn?

Schmelzt nicht dein leisres Lied, das warm vom

Herzen kam,

Das Herz in süſsen Gram?

Gelang im Dunkeln dir nicht manche beſsre

That,

Die keine Zeugen hier, die Zeugen droben hat?

Hast du der ernsten Pflicht, die kalt der Neigung

lacht,

Nicht Opfer gnug gebracht?

[286]
Sind dir nicht nah und fern die Guten hold

und freund?

Schmäht dich der Pöbel nicht? Sind Schurken dir

nicht feind?

Und schlieſst nicht manches Herz, das nirgends

halten kann,

Sich liebend an dich an?

Ermanne dich, mein Geist! Entraffe dich der

Nacht,

Die bleyern auf dir drückt. Der Schwermuth

Trauertracht

Laſs jenem, dem der Born der Hoffnung gar ver-

rann —

Du aber, sey ein Mann!

Nicht würdig deines Grams ist diese Spanne Zeit.

Nicht deines Schmachtens werth ist die Vergäng-

lichkeit!

Wen Erdenlust entzückt, wen Erdengram verzehrt,

Ist Hohngelächter werth!

Im Strom der Jahre schmilzt des Busens hoher

Schnee;

Zu gelbem Krokos welkt des Halses Lilie;

Der Lippen Rosenkelch wird ein verschrumpftes

Blatt;

Des Auges Blitz wird matt.

[287]
Der Erde Ruhm ist Hauch, der durch die Luft

verwallt;

Der Erde Freundschaft Schall, der hohlem Fass'

enthallt;

Der Erde Ewigkeit währt Wendung einer Hand;

Ihr Glaub' ist Ufersand.

Die Sonne sinkt und steigt; einst wird ihr

Bett ihr Grab.

Der Himmel wirft sein Heer, wie dürre Blät-

ter ab.

Der Elemente Band zerfasert und zerstäubt.

Das Ich, das Ew'ge bleibt!

Es bleibt und schwingt getrost hoch über Wahn

und Trug

Des Staubes sich empor, erfleugt mit Adlerflug

Der Wahrheit Flammenborn, der jeden Durst er-

löscht,

Und jede Makel wäscht;

Erfleugt das schönre Land, wo keine Gier uns

plagt,

Wo keine Sehnsucht lechzt, und keine Reue

nagt,

Kein schnödes Vorurtheil das Herz von Herzen

reiſst —

Ermanne dich, mein Geist!

[288]
Empor Unsterblicher! verschmäh' den bunten

Tand,

Der Blödlinge entzückt! Erfleug das Vaterland!

Durch Dulden und durch Thun erring' die beſsre

Welt!

Mit Helden sey ein Held!
[[289]]

Epilog.


5 T
[[290]][291]

Der Schwan.
Ein Gesicht.


Ich ging der Warne schönbeblümten Strand

Entlang. Wie duftet' er! Wie funkelte

Sein blumiges Gestad' im sanften Strahl

Der Abendsonne. Rechts beschattet' ihn

Der stimmenvolle Hayn; ihn säumte links

Das Gold des Waizens. Droben wölbte sich,

Reinausgeheitert durch des Eurus Hauch,

Der ewge Himmel, spiegelte sich treu

[292]
Mit jeder Purpurwolke, die empor

Aus Westen flattert', in der reinen Fluth.

So spiegelt Gott der Herr sich selbst mit Lust

In einer Menschenseele, die noch rein

Und unverfälscht und gut und redlich ist.

Ich lagerte mich an des Flusses Saum,

Von Kalmus rings umduftet. Gottes Hauch

Umsauste mich. — Da rudert' aus dem Schilf,

Voll hohen Anstands, Adels, Majestät,

Doch alles Dünkels, alles Wahnes baar,

Hervor ein königlicher Schwan. Er war

Weiſs angethan, so blendend weiſs, als sey

Sein glänzendes Gefieder aus dem Schaum

Des Meers geblasen. Langsam rudert' er

Und ernst einher. Sein melancholisch Haupt

Auf seine reine Brust gesenkt. So fand

Ich Iden einst das Auge thränenvoll,

Den Schwanenhals auf ihre Schwanenbrust

In stiller Schwermuth einsam hingeneigt.

Ich lag und lauschte. Stille war umher:

Die Sonne sank; die Lerche senkte sich

Tiefkreisend auf ihr Nest im Waizenschlag;

Und Gottes Odem hauchte leiser. — Horch!

[293]
Da weht' es süſs, wie Liebeslispel wehn,

Und seeleschmelzend, wie ein Sterbelied,

Das Heil'ge singen, über Strom und Flur.

Ich schmolz in süſse Wehmuth. Zwar vernahm

Ich nicht des Liedes Worte; doch sein Klang

Durchschütterte mich mächtig, wiegte mich

In tiefe Träumereyen ein. Ich sah,

Ich hörte Mütter, die dem Grabe nah,

Die Kinder ihres Herzens segneten,

Und Jungfraun, die zu ew'ger Reinigkeit

Sich Gott gelobten; Bräut' und Jünglinge,

Die Lipp' auf Lippen ihren Lebensgeist

Ins All der Liebe heiſs ausathmeten.

So däucht' es mir; so klang dem Schwärmenden

Des Schwanes melancholischer Gesang.

Und stiller ward der Schwärmer, lauschete

Und athmete noch leiser, daſs ihm nicht

Des Liedes schwächster Laut entschlüpfte. — Schau!

Da stieg ein Schwarm von Geyern, Kranichen,

Von Störchen, Raben, Kibitz, und was sonst

Unreinen Viehs im blauen Äther schwimmt,

Lautkreischend in die Luft. Den klaren Tag

Verdunkelte der Schwarm; des Schwarms Gekreisch.

Sein Rufen, Krächzen, Klappern überschrie

Des schönen Sängers schmelzenden Gesang.

[294]
Und ich ergrimmt' im Geist. Unmuthig schwoll

Das Herz im Busen mir, daſs ungestraft

Der dummen Kläffer höhnendes Geschrey

Das heil'ge Lied verschrie; daſs dem Gezücht

Der geistigen Eunuchen, die, entmannt

In Mutterleibe schon, dem Genius,

Des Genius göttlichsten Ausblitzungen

Haſs und Verfolgung schwuren — daſs der Brut

Ihr kirchenschändend gottverläugnend Thun

Auch auf Momente nur frommt' und gedieh.

Ich irrt' entlang den blumenvollen Strand,

Ertrat Violen und Vergiſsmeinnicht,

Entrauft erzürnt dem wilden Rosenstrauch

Sein grünes Haar, und streut' es in den Wind.

Nicht so der Schwan. Groſs, schweigend und

in Ruh

Des Selbstbewuſstseyns rudert' er dahin.

Sein Schneegefieder glänzte durch die Nacht

Der Frevler rings um ihn, wie durch die Welt

Voll Bosheit eine gute Seele glänzt.

Deſs grollten ärger noch die Frevelnden,

Und neue Bosheit keimte, wuchs und reift'

Im Hui! in ihrer neidgeschwollnen Brust.

[295]
Sie brausten eilig zum verwandten Koth,

Sie tauchten unter in den zähen Schlamm,

Belasteten Schweif, Schnabel, Schwing' und Krall'

Mit ekelhafter Beute, rauschten schwer

Beladen auf, umstürmten links und rechts

Den silberweissen Schwan, und schüttelten

Und klatschten wüsten Schmuz — wie aus der Ess'

Ein schwärzrer Brodem wirbelt, und die Luft

Verdunkelt — nieder auf den reinen Schwan.

Da wölkte sich sein blendendes Gewand,

Die Lilienweisse der gewölbten Brust,

Der klare Spiegel seiner Schwingen ward

Entstaltet, wie durch Tück' ein schön Gesicht,

Entadelt, wie ein Herz durch Bosheit wird.

Und heisser noch ergrimmt' ich, tiefer noch

Gekränkt, daſs so verächtliches Gezücht,

Zufrieden nicht, des Sängers hohes Lied

Ruchlos verhöhnt zu haben, frecher itzt

Auch seinen Leumund, seiner Sitten Zucht,

Den lautern Sinn, das tadellose Thun,

Des Geistes Einfalt und Rechtschaffenheit,

Dreist zu begeifern sich erfrechen thät.

Entrüstet wandelt' ich den Strand entlang.

Ich schauet' auf zum amethystnen Dom,

Ich nahm zum Zeugen solcher Ungebuhr

3 U
[296]
Ihn, der das heil'ge Lied dem Menschen gab

Zum Trost in seinen Mühen, ihn, der selbst

Rein, schuldlos, makellos, des Reinen nur

Sich annimmt, alles Trugs und Schmutzes Feind.

Es fehlte wenig und ich forderte

Heraus den Gott im rohen Ungestüm,

Zurückzuschleudern die verruchte Brut

In ihr Geklüft', zu rein'gen Licht und Luft

Von ihrer Gegenwart Vorwurf und Quaal.

Nicht so der Schwan. Groſs, schweigend und

in Ruh

Der Unschuld tauchete der Herrliche

Hinunter in die Fluth, verzog in ihr

Von Athemzug zu Athemzug, und sieh!

Nur schimmernder, nur reiner noch, denn vor,

Enttauchet' er der Fluth. Hinweggespühlt

War jeder Makel, jedes Schmuzes Spur.

Die dummen Neider sahn ihn, rauschten auf

In ihrer Ohnmacht knirschendem Gefühl,

Und floh'n zum Aas im nächsten Thal zurück.

Der Vogel Gottes aber schwamm getrost,

Voll hohen Anstands, Adels, Majestät,

Doch alles Dünkels, alles Wahnes baar,

Hinab die blauen Fluthen. Angeweht

Von Gottes Hauch, vom letzten rothen Strahl

[297]
Des Tags umgoldet, rudert' er dahin

In stillem Ernst. Sein melancholisch Lied

Durchwallte fey'rlicher den dunkeln Forst,

Und stillte siegend mein empörtes Herz.

Erweicht, beschämt, genesen jeder Quaal

Stand ich erröthend, wie der ferne West,

Und thränend, wie der nahe Rosenbusch

Im Abendthau — „Unsterblicher Gesang,

Rief ich begeistert aus, zu dämpfen dich,

Wie zu vermailigen des Sängers Ruf,

Versucht umsonst der Neider dumme Wuth,

Umsonst der Sykophanten Hohngeschrey.

Sein Grimm verschnaubt und ihr Geschrey verstummt.

Du aber, heil'ges Lied, des Gottes voll,

Tönst nieder zu den Enkeln, rührst, entzückst,

Und nennst des Sängers Namen, der vorlängst

Verschwunden, der gerechtern Afterwelt.

O süſse Gabe, rief ich inbrunstvoll

Und sehnsuchtvoll, des Liedes Gabe sey

Gewährt mir für das Leben! Öfter noch

Heb' aus der Wirklichkeit beschränktem Kreis,

Heb' über eitles Lob und schnöden Hohn',

Heb' über alles, was den Sinn verwirrt,

[298]
Und ängstiget den Geist, den Strebenden

Hinüber in der Dichtung güldnes Land,

Das Land der Fabel und des Ideals.

O süſse Gabe! rief ich tiefer noch

Erschüttert. Ruhig sank und groſsgeaugt

Die Sonne nieder. Feyernd lag umher

Der Wald, die Flur, der Strand. Der klare Fluſs

Glitt purpurfarbig zwischen Blumen hin.

Froh der Erscheinungen, von Licht und Glanz

Durchstrahlt mein Innerstes, leis' angehaucht

Von ungebohrner Lieder lindem Wehn,

Schied ich erweicht von dannen und erstarkt!
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Dieses Werk ist gemeinfrei.


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Kolimo+

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TextGrid Repository (2025). Collection 3. Poesieen. Poesieen. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bpq7.0