[][][][][][][[I]]
Italieniſche
Forſchungen


Dritter Theil.

Berlin und Stettin,:
in der Nicolai’ſchen Buchhandlung.
1831.

[[II]]

ὡς ἂν εἴ τινες εὐψύχου καὶ καλοῦ σώματος γεγονότος διεῤῥιμμένα τὰ
μέρη ϑεώμενοι, νομίζοιεν ἱκανῶς αὐτόπται γίγνεσϑαι τῆς ἐνεργείας
αὐτοῦ τοῦ ζώου καὶ καλλονῆς.


(Polyb. hist. lib. 1.)

[[III]]

Vorbericht.


Seit Vaſari iſt für die Geſchichte Raphaels und
ſeiner Zeitgenoſſenſchaft nichts Umfaſſendes, nichts Er-
ſchöpfendes geleiſtet worden. Vereinzelte Briefe, Nach-
richten von bis dahin überſehenen Gemälden, neue Aus-
legungen von bekannten, gaben den Stoff, bald zu
einem eigenen Schriftchen, bald zu erläuternden An-
merkungen einzelner Stellen des Vaſari und anderer
Schriftſteller der älteren Zeit; oder ſie wurden den
beiden Ausgaben der Künſtlerbriefe beygegeben. Doch
ungeachtet der verſprechenden Titel vieler Kunſtbücher
hat Niemand bisher unternommen, in den handſchrift-
lichen Urkunden jener denkwürdigen Zeit ſich ernſtlich
nach neuen Thatſachen umzuſehn, deren Mittheilung
doch eben ſo lehrreich, als anziehend ſeyn dürfte.


Während einer früheren längeren Anweſenheit in
Italien hatte ich mehr, um mich zu unterhalten, als
in entſchiedener Abſicht geſammelt, was eben ſich dar-
*
[IV] bot; in der Folge geſtaltete ſich aus dieſen Materia-
lien ein Buch, welches, ungeachtet der großen Män-
gel ſeiner Redaction, doch in dem, freylich beſchränkten
Kreiſe ungeheuchelter Kunſtfreunde mit vielem Danke
aufgenommen wurde, eben weil es aus den Quellen
geſchöpft iſt und eigene Anſichten enthält. Vielleicht
wird es in dieſer Art Literatur, welche compilatoriſche
Arbeiten überſchwemmt haben, Veranlaſſung ſeyn, künf-
tig Autoritäten, denen man bald blindlings zu folgen,
bald ohne Gründe zu widerſprechen gewohnt war, ei-
ner ſtrengen, aber gerechten Kritik zu unterwerfen;
zudem, nach der Stellung und Lage eines Jeden, auch
die handſchriftlichen Quellen zu benutzen, aus dieſen
neue Thatſachen, oder Berichtigungen angenommener
Irrthümer an das Licht zu ziehn, endlich die Kunſt-
geſchichte nicht länger als ein Aggregat von Zufällig-
keiten und abgeriſſenen Thatſachen, ſondern als ein zu-
ſammenhängendes, gleichſam organiſches Ganze aufzu-
faſſen.


War nun freylich meine Arbeit nicht eigentlich
darauf angelegt, alles Erreichbare in ſich einzuſchlie-
ßen, ſo konnte ich doch den Wunſch nicht bewältigen,
ihr durch Einiges über die Epoche der höchſten Ent-
wickelung der neueren Kunſt, beſonders über Raphael,
gleichſam den Schlußſtein zu geben. Verſchiedene bis-
her, theils nicht erſchöpfte, theils noch ganz unberührte
Quellen der Geſchichte dieſer Zeit waren mir ihrer
Stelle nach bekannt: das Hausarchiv der Gonzaga zu
[V]Mantua für Giulio Romano und Tizian, der Medi-
zeer zu Florenz für die Regierungen Leo X. und Cle-
mens VII.
, endlich einige Handſchriften beſonders der
florentiniſchen Bibliotheken. Nicht ohne Hoffnung war
ich, auch in dem Hauſe Baglioni, ſelbſt in Rom, ei-
niges noch Ungenutzte aufzufinden. Ich kehrte in der
Abſicht, dieſe Quellen zu benutzen, nach Italien zu-
rück. In den erſten Monaten meines neuen Aufent-
haltes feſſelten mich Unfälle; in der Folge verwickelte
ich mich in verſchiedene Beſorgungen für das König-
liche Muſeum zu Berlin, welche mich früher, als ich
anfänglich beſtimmt hatte, an die deutſche Grenze und
in die Heimath zurückführten.


Der Wunſch, die Geſchichte Raphaels und ſeiner
großen Zeitgenoſſen durch bisher unbeachtete That-
ſachen zu bereichern, das Ungewiſſe und Irrige aus
Quellen erſter Hand feſtzuſtellen und zu berichtigen,
mußte demnach, da zur Rückkehr in meine andere Hei-
math wenig Hoffnung iſt, vielleicht für immer aufgege-
ben werden. Doch belehrten mich verſchiedene Werke,
welche über Raphael auch ohne Zuziehung noch un-
benutzter Quellen verfaßt worden ſind, daß es ſo vie-
ler Vorarbeiten nicht bedürfe, daß Jeder aus ſeinem
Geſichtspunkte über den allgemeinen Charakter und die
beſonderen Werke Raphaels viel Neues auffaſſen und
ausſagen könne.


Unter dieſen Werken iſt das älteſte: Braun,
G. Chr.
, Raphaels Leben und Werke, Wies-
[VI]baden
, 1815. 8., eine bloße Compilation, vornehm-
lich aus den Schriften der weimariſchen Kunſtfreunde
und des verewigten Fernow. Es ſcheint dem Verfaſ-
ſer nicht allein an eigener Anſchauung, nein ſogar an
nöthiger Bekanntſchaft mit dem Zeitalter Raphaels zu
fehlen.


Hierauf folgte: Iken, C. J. L., die vier
italieniſch. Hauptſchulen der Malerey, nebſt
der raphaeliſchen, genealogiſches Tableau,
Bremen, 1821. Fol
. Eine bloße Tabelle.


Rehberg, Friedrich, Rafael aus Urbino,
München, 1824. 2 Theile mit 38 lithogra-
phirten Tafeln, Fol
. Die eigenthümlichen An-
ſichten, Gefühle und Urtheile eines achtenswerthen
Künſtlers, welche, als für ſich beſtehend, von mir
nicht benutzt werden durften.


Quatremère de Quincy, hist. de la vie et
des ouvrages de Rafaël etc. Paris
, 1824. 8.
Dieſes Werk giebt ſich theils als eine hiſtoriſche Un-
terſuchung, theils als eine äſthetiſche Kritik der Werke
Raphaels. In Bezug auf die letzte bemerke ich, daß
ich in der allgemeinen Auffaſſung des künſtleriſchen
Charakters Raphaels ganz mit dem Verfaſſer überein-
ſtimme, ſeine Schilderungen, vornehmlich der Bilder,
welche vormals in Paris vereinigt waren, im Ganzen
mit Vergnügen und Belehrung geleſen habe. Indeß
iſt er in der Kritik ſeiner hiſtoriſchen Autoritäten min-
der glücklich. Die Manier und den Charakter des
[VII]Vaſari hat er nicht ſtudirt, wie es nöthig iſt, um zu
unterſcheiden, wo er meldet, wo nur ſchwatzt, wo er
weiß, wo nur vermuthet. Im Allgemeinen ſetzt er in
deſſen Angaben eine Zuverläſſigkeit voraus, welche man,
ehe ſie erprobt iſt, denſelben nirgend einräumen darf.
Zudem folgt er mit blindem Glauben den neueren ita-
lieniſchen Schriftſtellern, unter dieſen beſonders den
Entſcheidungen des Lanzi. Auf eine ſehr zweydeutige
Stelle in deſſen Kunſtgeſchichte, auf eine Note der
modernen Editoren des Vaſari, ſtützt er die Angabe:
das Bild im Hauſe des Marcheſe Rinuccini ſey daſ-
ſelbe, welches Raphael für den Canigiani gemalt
habe; des Münchener Bildes erwähnt er gar nicht,
entweder weil er davon keine Kunde erlangt hatte,
oder weil er die Sache für abgemacht hielt. Doch
wird ſeine hiſtoriſche Strenge beſonders durch den Um-
ſtand verdächtig daß der Verf. für die Angabe, die
bekannte Jardinière ſey für Siena gemalt, den Va-
ſari
citirt, welcher die Jardinière ſo wenig gekannt
zu haben ſcheint, als die übrigen frühe nach Frankreich
gelangten Bilder von Raphael, oder doch in Raphaels
Geſchmack. Na[ch] des Vf. eigener Definition (p. 135.),
der ich beypflich [...]e, verſteht Vaſari überall bey dem
Worte, Madonna, ein Bruſtbild der Jungfrau mit
dem Kinde. J[e]nes Bild aber für Siena nennt er
ſowohl im Lebe[n]Raphaels, als in dem anderen des
Ridolfo Ghirla[n]dajo (welchem letzten Vaſari höchſt
wahrſcheinlich d [...]e Notiz von dieſem Bilde verdankt),
[VIII] ſchlechthin: Madonna. Daß Vaſari an jener Stelle
die Jardinière bezeichnet habe, iſt eine Vermuthung
des Mariette, welche Bottari in den Künſtlerbriefen
bekannt gemacht. Mariette wollte Kunde beſitzen, daß
Franz I. dieſes Bild von ſieneſiſchen Verkäufern er-
ſtanden habe, und ſchloß daraus (doch etwas verwe-
gen), es ſey daſſelbe, welches Vaſari als von Ridolfo
beendigt leichthin erwähnt. Bekanntlich wird die ra-
phaeliſche Abkunft der Jardinière in Zweifel gezo-
gen, hat man neuerlich ein Duplicat aufgefunden, wel-
ches vorzüglicher ſeyn ſoll, worüber nur an der Stelle
zu entſcheiden iſt. Unter allen Umſtänden enthält das
Werk des Vaſari keine Zeugniſſe für d[i]e Aechtheit des
einen oder des andern Duplicats. — Ueberhaupt be-
fürchte ich, daß Hr. Q. ſein Studiun dieſes wichti-
gen Schriftſtellers darauf eingeſchränk[t] habe, die Le-
bensbeſchreibung des Raphael zu dur[c]hblättern, weil
er (p. 130. Anm.) behauptet, daß [V]aſari der ſoge-
nannten Madonna Franz I. gar nicht erwähne. Im
Leben Raphaels freylich nicht; doch wohl im Leben
des Giulio Romano, dem Vaſari de[n] größten Theil
der Ausführung dieſes Bildes beymißt, worin er wahr-
ſcheinlich den mündlichen Mittheilunger des Giulio ge-
folgt iſt.


In Anſehung des Bildniſſes aus dem Hauſe Al-
toviti giebt ſich der Verfaſſer der Ausl[e]gung des Miſ-
ſirini
ganz ohne Einſchränkung hin. [W]eder Miſſirini,
noch Wikar, dem die neue Conjectur eigentlich ange-
[IX] hört, haben, da ſie doch nun einmal auf Vaſari ſich
ſtützen wollen, das Bildniß ſich recht angeſehen, wel-
ches Vaſari in einem ſehr manierten Holzſchnitte dem
Leben Raphaels vorangeſtellt hat. Es iſt abſcheulich
gemacht; doch ſieht man, woher Vaſari es entnom-
men; denn die Beleuchtung, die Haltung des Kopfes,
der etwas vorgedrängte, geſchwellte Mund, wie end-
lich die Parthieen des Haares, laſſen nicht bezweifeln,
daß jener unbekannte Formſchneider einer ſehr flüch-
tigen Zeichnung nach dem Bilde des Hauſes Altoviti
gefolgt ſey. Allein auch die Sprachgründe des italie-
niſchen Gelehrten ſind nicht ſo unumſtößlich, als der
Verfaſſer anzunehmen ſcheint. Miſſirini hat die Elo-
cution des Vaſari nicht genug berückſichtigt und, zu
Ende ſeiner Deduction, dieſe wieder umgeſtoßen, in-
dem er ſagt: das possessivum, um auf das Sub-
ject bezogen zu werden, erheiſche den Zuſatz, proprio.
Denn es iſt dieſer Zuſatz einleuchtend nur eine Ver-
ſtärkung, keine Umwandlung des Sinnes. Dieſelbe
Conſtruction umfaßt bei Vaſari zwey in ſehr verſchie-
denen Epochen Raphaels gemalte Bilder; übrigens iſt
es nicht nöthig das: fece a Bindo, ſo buchſtäblich
zu nehmen, ſowohl in Anſehung der verknüpfenden
Erzählungsweiſe des Vaſari, als beſonders des Um-
ſtandes, daß in dem zweyten, der Madonna dell’
impannata
, von Raphaels Hand keine Spur ſich zeigt.
Bindo konnte beide Gemälde aufgekauft haben; das
zweyte verhandelte er an den Herzog Coſimo I.


[X]

Einwendungen dieſer Art, deren ich gelegentlich
verſchiedene geltend zu machen habe, nehmen jedoch
dem Werke nicht den eigenthümlichen Vorzug vieler
franzöſiſchen, practiſch angelegt zu ſeyn, die Materien
gut vertheilt, ſie in eine bequeme Ueberſicht gebracht
zu haben. Es erfreute ſich daher einer frühen Ue-
bertragung in das Italieniſche, unter dem Titel: Isto-
ria della vita e delle opere di Rafaello Sanzio
da Urbino
, del S. Quatremere etc. voltata in
Italiano, corretta, illustrata ed ampliata per
cura di Francesco Lunghena. In Milano per
Frco Sansogno 1829. XII
u. 847 Seiten gr. 8.,
woraus auf eine anſehnliche Vermehrung, ſey es brauch-
barer, oder anderer Notizen zu ſchließen iſt. Ich kenne
dieſe Arbeit nur durch Auszüge, welche mir in Brie-
fen und beſonders im Kunſtblatte (11. Nov. 1830.)
zu Geſicht gekommen ſind. Aus den letzten ſehe ich,
daß darin behauptet wird, Raphael habe des Ingegno
Sibyllen in der Kirche S. Francesco zu Aſiſi benutzt,
oder vor Augen gehabt, als er in, la pace, malte;
eine der unhaltbarſten Behauptungen der Welt, da jene
Sibyllen zu Aſiſi, wie ich gezeigt habe, geringe Pro-
ducte eines Zeitgenoſſen, nicht des Perugino, ſondern
der Allori und des Vaſari ſind, des Adone Doni von
Aſiſi
, und nur durch eine Kette von Vermuthungen,
Mißverſtändniſſen und falſchen Schlüſſen den Ruf er-
langt haben, jenem gewiß ganz alten, doch als Künſt-
ler faſt unbekannten Meiſter anzugehören. Entſtel-
[XI] lungen der Namen, z. B. „S. Domenico de’ Cagli
zu Urbino,“ für zu Cagli im Staate von Urbino,
oder „S. Hortulanus,“ für Herkulanus, werden auf
Rechnung des Auszuges, oder der Correctur zu ſetzen
ſeyn. Doch ſchien mir nach dieſen Proben nicht un-
umgänglich nöthig, die angekündigten Vermehrungen
zu benutzen, welche ich vor der Hand auf ihrem Werthe
beruhen laſſe.


Demungeachtet bezweifle ich nicht, daß unter den
von Lunghena nachgetragenen älteren Arbeiten Ra-
phaels
viele die Probe halten. Manche habe ich nach
eigener Bekanntſchaft angeführt und halte ſelbſt den we-
nig wichtigen Sebaſtian des Kupferſtechers Longhi zu
Mayland für ächt, obwohl für das Fragment eines
größeren Bildes. Dieſes mag, gleich der Pietà des
Grafen Toſi, gelegentlich der Verſetzung des Spoſa-
lizio
von Caſtello in die Lombardey gelangt ſeyn.


Der bezeichnete Auszug erwähnt des Gemäldes
nicht, welchem Herr Longhi durch einen ſchon angekün-
digten ſauberen Kupferſtich ſeine Sanction zu geben
ſucht; indeß ſchreibt man mir aus Italien, daß ſo-
wohl dieſes lombardiſche Cento, als manche andere
Gegenſtände der Speculation darin aufgeführt wer-
den, was ſeyn mag, doch von mir nicht geradehin zu
behaupten iſt.


Das Beſtreben, möglichſt vollſtändig zu verzeich-
nen, was in der Welt für Raphaels Arbeit gilt, hat
beſonders die beiden letzten Werke nicht ſelten über
[XII] die Grenzen des Möglichen und Wahrſcheinlichen hin-
ausgeführt. Allein ungeachtet des Umfanges darin
vereinigter Notizen von ſehr verſchiedenem Werthe,
und meines eigenen viel eingeſchränkteren Planes, habe
ich das Verzeichniß der früheren Werke Raphaels noch
um einige weniger beachtete Stücke erweitern können.
Ueberhaupt ſchmeichle ich mir, die Jugendarbeiten Ra-
phaels
in eine beſſere Folge und Ordnung gebracht
zu haben, als die angenommene. Eine ernſtliche Be-
ſchäftigung mit den Schulen zu Fuligno und Peru-
gia
, von welcher im vorangehenden Bande Rechen-
ſchaft abgelegt worden, hatte mich in den Stand ge-
ſetzt, durch den Nebel zu ſehen, welchen die Druck-
ſchriften ſeit Vaſari über die Jugend Raphaels ver-
breitet haben. Die verſchiedenen Epochen des Pietro
Perugino
, welche doch ſchon Vaſari, zwar allgemein-
hin, doch ganz richtig bezeichnet, waren von den Ver-
faſſern der lettere Perugine, von Lanzi und anderen
neueren Schriftſtellern nie gehörig unterſchieden wor-
den; der Andrea di Luigi, genannt Ingegno, war, bis
ich das hiſtoriſch Sichere aufgedeckt, Gegenſtand der
lächerlichſten Träumereien; ſelbſt den Pinturicchio kannte
man wenig, unterſchied ſeine eigene Arbeiten durchaus
nicht von denjenigen, welche er mit Hülfe ſehr ver-
ſchiedener Künſtler auf Unternehmung gemalt hat. So
wenig vorbereitet, mußte es dem Hiſtoriker, wie ſelbſt
dem Kenner ſchwer fallen, Raphaels früheſte Arbeiten
von den verwandten und ähnlichen der Schulen, an
[XIII] deren Wirkſamkeit er Theil nahm, zu entwirren. Al-
lein aus demſelben Grunde wird es auch nur denen,
welche, meinen Angaben im vorangehenden Bande
folgend, mit jenen Schulen ſich ernſtlich bekannt ma-
chen, ganz möglich ſeyn, zu beurtheilen, was ich über
Raphaels Jugend Neues aufgeſtellt habe. Nicht min-
der wird die Prüfung meiner Vermuthungen einer
ſehr thätigen Theilnahme des Ridolfo Ghirlandajo an
der Ausführung eines der berühmteren Werke Ra-
phaels
eine genauere Bekanntſchaft mit den Arbeiten
jenes Florentiners vorausſetzen, als die Kunſtfreunde
ſich zu erwerben pflegen.


Die Abhandlung, welche dieſen Band beſchließt, iſt
die abgekürzte Bearbeitung einer Unterſuchung, welche,
anfänglich für den erſten Band beſtimmt, nunmehr in
dieſem letzten ihre Stelle gefunden hat. So viel als
möglich habe ich darin die Wiederholung deſſen ver-
mieden, was ich bey früherer Unterdrückung des Gan-
zen in einige der erſten Abhandlungen ſchon aufge-
nommen hatte. Gern hätte ich gelegentlich der Um-
arbeitung neuere Forſchungen verglichen und benutzt.
Indeß fehlt dem neuen, intereſſanten Werke Boiſſe-
rée’s
bisher die hiſtoriſche Erläuterung, liegt dieſe über-
haupt nicht im Plane der Mollerſchen Denkmäler, wie
anderer, unſer Vaterland und Frankreich ſpeciell an-
gehender Bilder und Bilderwerke; in England, wo
freylich in früherer Zeit ſehr viel geſchehen iſt, behan-
delt man die Architectur des Mittelalters gegenwärtig
[XIV] ganz als Geſchmacksſache; in Italien endlich wird die
Kenntniß der Kunſtbeſtrebungen des Mittelalters, welche
man neuerlich durch einen Nachſtich des Werkes von
d’Agincourt mehr verwirrt, als befördert hat, gegen-
wärtig mehr, als jemals vernachläſſigt. Was uns Tra-
montanen ſchon unſer Alterthum, iſt den Italienern,
welche den Trümmern des claſſiſchen ſo nahe ſtehen,
ſchon etwas modernes. Selbſt in den früheren Zei-
ten wurden gelehrte Benedictiner, Pfarrer, Bibliothe-
kare, ein Muratori, Gori und andere, mehr durch ein
kirchliches, oder diplomatiſches, als durch ein rein kunſt-
hiſtoriſches Intereſſe bewogen, Alterthümer des Mit-
telalters abzubilden, zu erläutern und herauszugeben.


[[XV]]

Verzeichniß der Abhandlungen.


  • Erſter Theil.
  • I. Haushalt der Kunſt, Seite 1 — 133.
  • II. Verhältniß der Kunſt zur Schönheit, 134 — 157.
  • III. Betrachtungen über den Urſprung der neueren Kunſt, 157 — 179.
  • IV. Ueber den Einfluß der gothiſchen und longobardiſchen Einwan-
    derungen auf die Fortpflanzung römiſch-altchriſtlicher Kunſtfertigkeiten
    in der ganzen Ausdehnung Italiens, 180 — 195.
  • V. Zuſtand der bildenden Künſte von Karl des Großen Regierung
    bis auf Friedrich I. Für Italien das Zeitalter äußerſter Entartung,
    196 — 249.
  • VI. Zwölftes Jahrhundert. Regungen des Geiſtes, techniſche Fort-
    ſchritte bey namhaften Künſtlern, 250 — 282.
  • VII. Dreyzehntes Jahrhundert. Aufſchwung des Geiſtes der ita-
    lieniſchen Kunſt; raſcher Fortſchritt in Vortheilen der Darſtellung. —
    Einfluß der Byzantiner auf die Entwickelung der italieniſchen Male-
    rey, 282 — 355.
  • Zweiter Theil.
  • VIII. Duccio di Buoninſegna und Cimabue. Sieneſer und Flo-
    rentiner. 1250 — 1300, Seite 1 — 38.
  • IX. Ueber Giotto, 39 — 75.
  • X. Ueber die beſſeren Maler des vierzehnten Jahrhunderts. Zur
    Mehrung und Berichtigung ihrer Geſchichte, 76 — 122.
  • XI. Urkundliche Erörterung: Weshalb man den neuen Dom zu
    Siena unvollendet gelaſſen und ſich begnügt hat, den alten ſchöner zu
    ſchmücken und zu erweitern. Nebſt anderen Beyträgen zur Geſchichte
    der italieniſchen Bauhütten. Dreyzehntes und vierzehntes Jahrhun-
    dert, 123 — 163.
  • XII. Von einigen Dunkelheiten und Verwechſelungen des vier-
    zehnten und folgenden Jahrhunderts. Alberto di Arnoldo; Piero Che-
    lini
    ; Lorenzo da Viterbo; Bernardo Roſſellini; Urbano da Cortona;
    Antonio di Federigo, 164 — 209.
  • XIII. Entwurf einer Geſchichte der umbriſch-toscaniſchen Kunſt-
    ſchulen, für das funfzehnte Jahrhundert, 210 — 383.
  • XIV. Die unumgängliche Vielſeitigkeit in den Beziehungen, die
    Hinderniſſe der Entwickelung, die Urſachen des vorzeitigen Verfalles der
    neueren Kunſt, 384 — 420.
  • Dritter Theil.
  • XV. Ueber Raphael von Urbino und deſſen nähere Zeitgenoſſen:
    • I. Was Raphael vor allen neueren Künſtlern ausgezeichnet,
      Seite 3 — 21.
    • II. Raphaels Jugendwerke, 22 — 76.
    • III. Raphaels Leiſtungen zu Rom unter Julius II., 77 — 120.
    • IV. Raphael, u. die Kunſt überhaupt, unter Leo X., 121 — 154.
  • XVI. Ueber den gemeinſchaftlichen Urſprung der Bauſchulen des
    Mittelalters, 158 — 228.

XV.[[1]]

XV.
Ueber Raphael von Urbino und deſſen
naͤhere Zeitgenoſſen.


III. 1
[[2]][[3]]

I.
Was Raphael vor allen neueren Künſtlern
auszeichnet
.


Obwohl ſeit etwa dreihundert Jahren in den geſtaltenden
Kuͤnſten verlockende Theorieen und blendende Erſcheinungen
unablaͤſſig die eine die andere verdraͤngt haben, nirgend ein
ſicherer Geſchmack gegen die vorwaltende Neigung zum Neuen
und Wechſelnden ſich behaupten konnte, ſo erhielt ſich den-
noch im Verlaufe dieſer Zeit eine gewiſſe unentſchiedene Mei-
nung von dem uͤberlegenen Verdienſte Raphaels, wurden ſeine
Werke von denen, welche vom Copiren ſich Nutzen verſprechen,
ſtets als beſonders muſterhaft anempfohlen. In dieſem Be-
ginnen der aͤſthetiſchen Praxis liegt ein Widerſpruch, welcher
allein aus dem Kampfe des Gefuͤhls gegen den machtvollen
Einfluß theoretiſcher Richtungen zu erklaͤren iſt.


Dieſen letzten hielt bey den Alten das lebendigſte, rich-
tigſte Gefuͤhl voͤllig die Wage. Die neuere Bildung hinge-
gen beguͤnſtigt in Dingen des Geſchmackes den Einfluß jeg-
licher, den Anſchein eines methodiſchen Fortſchreitens bewah-
1 *
[4] renden Doctrin. Bey jenen blieb das Urtheil uͤber die groͤ-
ßeren Kuͤnſtler unangefochten, weil fuͤr deren ſehr zugaͤngliche
Werke das Gefuͤhl immerfort Zeugniß ablegte. Unter uns
aber, wo ſogar in der Sprache die lebendige Modulation
muͤndlicher Mittheilung durch Schrift und Druck zuruͤckge-
draͤngt, die unmittelbare Anſchauung geiſtvoller Kunſterzeug-
niſſe durch den Kupferſtich erſetzt wurde, gelangten Viele,
welche den unmittelbaren Erzeugniſſen des Geiſtes gegenuͤber
verſtummen, weil fuͤr das Ueberſchwengliche das Maaß ihnen
verſagt iſt, doch dahin, des aͤſthetiſchen Materiales gleichſam
im Auszuge ſich zu bemaͤchtigen, durch Umfang der Kunde
und Beleſenheit ſich geltend zu machen; wohingegen uͤber
die aͤchten Kunſtwerke, bey deren weiter Verſtreuung, nur
Wenige ein ſicheres und ſelbſtſtaͤndiges Urtheil ſich bildeten.
So konnten, in den letzten Jahrhunderten, Theorieen, deren
conſequente Anwendung das Vortreffliche herabſetzen, hinge-
gen das Geringe und Schlechte hervorheben wuͤrde, doch,
gegen die richtigeren Entſcheidungen eines gebildeten Gefuͤhles,
bey der Menge Einfluß erlangen, und ſo lange darin ſich be-
haupten, bis ſie durch neue verdraͤngt wurden. Auch erlangte
aus demſelben Grunde Einiges, welches alte Schriftſteller
poetiſch, Anderes, was ſie fluͤchtig ausgeſprochen, oder ſophi-
ſtiſch hervorgeſponnen, ein Anſehn, ja auf die Thaͤtigkeit mo-
derner Kunſt einen Einfluß, welcher, nach dem Zeugniß der
Denkmale antiker Kunſt, im Alterthume ihm keinerzeit in glei-
chem Maaße iſt eingeraͤumt worden.


Freylich erheiſcht auch der Genuß, beſonders aber die
Hervorbringung des Schoͤnen, ein gewiſſes Verſtaͤndniß. In-
deß wird die Begriffsentwickelung der aͤſthetiſchen Praxis, da
ſie unmittelbar aus dem Beduͤrfniß entſpringt, nothwendig iſt,
[5] in allen Dingen dem Beduͤrfniß auch ſich anpaſſen, anwend-
bar, brauchbar ſeyn wollen; waͤhrend die Theorie, als freyes
Geiſtesproduct, ſchon durch redneriſche Methodik und formelle
Conſequenz ſich auszeichnen und ſelbſt befriedigen kann. Im
Reſultat beider Richtungen entſteht der Unterſchied vornehm-
lich daher: daß die Praxis auch mit der Hervorbringung des
Schoͤnen ſich beſchaͤftigt, die Theorie aber nur mit dem Schoͤ-
nen ſelbſt, wie und aus welchem Geſichtspunkt daſſelbe ihr
ſich darbieten moͤge. Der Theoretiker fuͤhlt alſo nicht leicht
das Beduͤrfniß, die Schoͤnheit, als etwas fuͤr ſich Denkbares,
von den ſchoͤnen Erſcheinungen abzuſondern, befuͤrchtet wohl
ſelbſt, das Schoͤne moͤge durch Zergliederung in ſeine Ele-
mente in ſich aufgehoben, vernichtet werden; wohingegen
die Hervorbringung des Schoͤnen unablaͤſſig darauf hinleitet,
die Schoͤnheit abgeſondert aufzufaſſen, ihren abgeſonderten
Begriff bis in deſſen verborgenſte Theilungen zu verfolgen.
Denn Kunſtwerke, wie ſie gleich einem einzigen, vollen Guſſe
erſcheinen ſollen, entſtehen doch aus einer langen Folge von
Ueberlegungen und Handlungen, in welchen bald die Schoͤn-
heit im Allgemeinen, bald ganz untergeordnete Schoͤnheiten
das Augenmerk des Kuͤnſtlers ſind, wie ſelbſt, nach geendig-
tem Werke, der genaueren Beurtheilung und Wuͤrdigung des
Kenners.


Wer koͤnnte beſtreiten wollen, daß bei Auffaſſung umfaſ-
ſender Begriffe jedes unzeitige Hervorkehren des Untergeord-
neten, als eines Beſchraͤnkteren, ſtoͤrend ſey? Alſo nicht ohne
Grund beſcheidet ſich die Praxis, in der Beſtimmung des all-
gemeinen Begriffes der Schoͤnheit, mit dem Vorbehalte, in
deſſen innere Fuͤlle naͤher einzugehen, und mit Beſeitigung
aller Emphaſe, welche ſie den ſchoͤnen Erſcheinungen, dem
[6] Schoͤnen, aufbewahrt, nur dasjenige anzudeuten, was ohne
Einſchraͤnkung und Ausnahme die Schoͤnheit von anderen,
beſonders aber von ſolchen Begriffen unterſcheidet, denen ſie
ſcheinbar naͤher verwandt iſt.


Nicht bloß durch Schoͤnheit, auch durch Guͤte und
Wahrheit kann der Geiſt hoͤchlich erfreut werden. Allein es
zeigt ſich die Guͤte im Weſen, die Wahrheit in der Ueberzeu-
gung, die Schoͤnheit nur im Scheine; weßhalb ein tiefer Den-
ker unſerer Zeit ſie die „kraftloſe“ nennt. Alſo iſt die Schoͤn-
heit, auch zugegeben, daß ſchoͤne Erſcheinungen (Schoͤnes)
Vorſtellungen von Gutem und Wahrem erwecken koͤnnen, doch
an ſich ſelbſt weder Guͤte, noch Wahrheit; vielmehr: Er-
freulichkeit des Scheines, des Anſcheins, der Apparenz, deren
Urſachen verſchiedene ſind. Freylich wird hiedurch dieſer Be-
griff nur beſtimmt, nach außen begrenzt, nicht aber ſchon er-
ſchoͤpft. Sehn wir daher unverzuͤglich, welche andere Begriffe
die aͤſthetiſche Praxis ſeit den aͤlteſten Zeiten jenem allgemei-
neren untergeordnet hat.


Ueberall, wo es die Fuͤlle giebt, ſucht man durch Ein-
theilung Ueberſichtlichkeit und Ordnung zu erſchaffen. Weß-
halb denn ſollte nicht auch der Kuͤnſtler die einzelnen Schoͤn-
heitsgeſetze, deren Gewalt und Macht ihm taͤglich bemerklich
wird, mit Schaͤrfe auffaſſen, ſie unterſcheiden, und jedes fuͤr
ſich bezeichnen? Muß es doch dem Kuͤnſtler ſich aufdraͤngen,
daß jener wohlgefaͤllige Eindruck auf den Geſichtsſinn, den er
bey Verſchmelzung ſeiner Tinten, Sammlung ſeiner Lichter,
oder bey Abſchleifung und aͤußerer Beendigung ſeiner Formen-
gebilde allein bezweckt, auf ganz anderen Geſetzen beruhe, als
die Uebereinſtimmung in geometriſchen Verhaͤltniſſen und An-
reihungen, welche bey Anordnung und Zuſammenſtellung der
[7] materiellen Theile des Werkes ſeine Aufmerkſamkeit ausſchließ-
lich in Anſpruch nahm; daß von noch anderen Geſetzen der
Eindruck abhaͤngig ſey, welchen beſtimmtere, durch das Kunſt-
werk anzuregende Vorſtellungen auf das Gefuͤhl bewirken wer-
den. Schoͤnheitsgeſetze aber, von denen das eine in dem be-
ſchraͤnkten Organismus eines menſchlichen Sinnes, das an-
dere, gleich der muſicaliſchen Harmonie, in weitumfaſſenden
Naturnothwendigkeiten, das dritte im ſittlichen Gefuͤhle ge-
gruͤndet iſt, noͤthigen, auf durchaus und ſchon in den Grund-
lagen geſchiedene Schoͤnheiten zu ſchließen: die ſinnliche An-
nehmlichkeit; die Schoͤnheit geometriſcher Verhaͤltniſſe und
Anreihungen; die Erfreulichkeit durch ſinnliche Wahrnehmun-
gen mittelbar in der Seele angeregter, beſtimmterer Vorſtel-
lungen.


Indeß koͤnnen dieſe allgemeineren Unterſcheidungen der
aͤſthetiſchen Praxis nicht genuͤgen; es erheiſcht ihr Beduͤrfniß,
denſelben viele andere, noch ſpeciellere Begriffe unterzuordnen.
Der ſinnlichen Annehmlichkeit: Schmelz, Contraſt, Ton, Hal-
tung, Harmonie der Tinten, gefaͤllige Textur der Koͤrper; der
Schoͤnheit der Raumverhaͤltniſſe, deren verſchiedene Gattungen,
etwa, das Gedraͤngte, Schlanke, Bewegte, Geſammelte. End-
lich unterſcheidet ſie jene beſtimmteren Vorſtellungen, welche,
durch ſinnliche Wahrnehmungen in der Seele angeregt, in
dieſer befriedigende Gefuͤhle erwecken, in Anmuth, Reiz, Wuͤrde,
Erhabenheit, und ſo viele andere, in dem Gedaͤchtniß der Ge-
bildeten vorhandene und leicht aufzufindende Begriffe. Dieſe
und die uͤbrigen ihnen verwandten Begriffe ſind auch in die
Kunſtſprache der Theorie uͤbergegangen, wo ſie, bey ganz ver-
ſchiedener Ableitung, ihre richtige Stellung nicht immer zu
finden wiſſen, daher im Wege ſtehen, und aus dieſem Grunde
[8] haͤufig jenen allgemeineren Begriffen, denen ſie wahrhaft un-
tergeordnet ſind, hoͤchſt willkuͤhrlicher Weiſe nur beygeordnet
werden.


Aus Uebelwollen, vielleicht auch nur aus Mißverſtaͤndniß,
hat man mir eingeworfen, vielmehr mich beſchuldigt, ich be-
zwecke, das Schoͤne, oder den Inbegriff der ſchoͤnen Erſchei-
nungen, nach jedesmaligem Vorwalten der einen Schoͤnheit
uͤber die andere in verſchiedene Claſſen abzutheilen; etwa gleich
einer beſtimmten, doch ſchon veralteten Richtung der Theorie,
in ein ſinnlich und geiſtig, aͤußerlich und innerlich Schoͤnes.
Es iſt nicht ſchwer, einzuſehn, daß hier Begriffe mit Dingen
verwechſelt werden, daß man auf dieſe uͤbertraͤgt, was nur
jene gilt. Vielleicht veranlaßte ich die ungerechte Beſchuldi-
gung durch Beyſpiele, deren ich, nach allgemeinem Gebrauche,
mich bedient habe, um jene Begriffe zu einer gewiſſen An-
ſchaulichkeit zu bringen. Allein ſelbſt, wenn ich verſaͤumt
haͤtte, dieſen Grund, ſo wie die Seltenheit ſolcher ganz reinen
Beyſpiele, hervorzuheben, verſteht es ſich doch aus ſich ſelbſt,
daß es der Praxis, eben weil ſie, uͤber Allgemeines verſtaͤn-
digt, die ſchoͤnen Erſcheinungen als Concretionen auffaßt, in
welchen jene allgemeineren Eigenſchaften auf das innigſte und
in hoͤchſt verſchiedenem Verhaͤltniß verſchmolzen ſind, viel fer-
ner liege, als der Theorie, das Schoͤne nach einem moͤglichen,
doch ſtets verdeckten und ungewiſſen Vorwalten der einen
Schoͤnheit uͤber die andere zu claſſificiren. Wo das Beduͤrf-
niß eintritt, auch das Schoͤne einer uͤberſichtlichen, ordnenden
Eintheilung zu unterwerfen, wird alſo die Praxis, in Erwaͤ-
gung, daß die Art und das Verhaͤltniß des Zuſammentreffens
verſchiedener Schoͤnheiten zu einem ſchoͤnen Ganzen nothwen-
dig durch deſſen eben vorwaltenden Charakter bedingt wird,
[9] vielmehr nach dieſem ihr Schoͤnes unterſcheiden, beſtimmen,
benennen wollen. Hierin iſt ihr die Theorie bereits in das
Handwerk gefallen; denn was ſind jene Ideale der Alters-
ſtufen, der Geſchlechter, beſtimmter ſittlicher und ſonſtiger
Charaktere Anderes, als ſo viele Verſuche, das Schoͤne nach
dem Charakter des Ganzen zu claſſificiren? Doch, in Erwaͤ-
gung der unermeßlichen Mannichfaltigkeit in den Individuen
denkbarer Charakterverſchiedenheiten, bezweifle ich die Moͤglich-
keit einer durchaus erſchoͤpfenden Claſſification des einzelnen
Schoͤnen, deſſen Beduͤrfniß wohl uͤberhaupt, mit Ausnahme
der Compendien, nicht ſehr dringend iſt.


Die aͤſthetiſche Praxis alſo, was man auch ihr willkuͤhr-
lich unterlegen wolle, geht davon aus: urſpruͤnglichen Schoͤn-
heitsgeſetzen Unveraͤnderlichkeit, abſtracten Schoͤnheitsbegriffen
Allgemeinheit einzuraͤumen, den ſchoͤnen Erſcheinungen aber,
als einem (durch den Charakter) Bedingten, unbegrenzbar
Mannichfaltigen, unablaͤſſig Fortſchreitenden, ſich Verjuͤngen-
den, abzuſprechen, was man eben Allgemeinheit nennt. Die
Theorie hingegen verwirft, beſtreitet, daß die Schoͤnheit, als
ein fuͤr ſich Denkbares, abſtract aufgefaßt werde, bemuͤht ſich,
aus einem daher unbefriedigten Verlangen nach Allgemeinem,
Durchwaltendem, Geſetzmaͤßigem, das einzelne Schoͤne zu ei-
nem Allgemeinen, das Bedingte alſo zu einem Unbedingten,
zu erheben. Wiederholte Verſuche, aus dem Einzelnen, wel-
ches Neigung und Zufall jedesmal in Gunſt gebracht, aͤußere
Grenzen und materielle Normen des Schoͤnen abzuleiten;
Schoͤnheitslinien und Normalformen; Definitionen des Schoͤ-
nen, welche eigentlich nur Verzeichniſſe ſind von willkuͤhrlich
angenommenen Requiſiten; wem koͤnnten ſie fremd ſeyn?


Aus dieſen Umſtaͤnden nun erklaͤrt es ſich, daß, waͤhrend
[10] in der aͤſthetiſchen Praxis Raphaels Werke die hoͤchſte Stelle
einnahmen, die Theorie, wohin ſich ihre Vorliebe wenden
mochte, doch ſtets an denſelben zu tadeln fand. Die Praxis,
welche ſchoͤn nennt und als ein Schoͤnes bewundert, was
Schoͤnheiten darlegt, den Werth und Gehalt ſchoͤner Erſchei-
nungen nach dem Werthe in ihnen vorwaltender Schoͤnheiten
abmißt, fand in Raphaels Werken nothwendig die groͤßte Be-
friedigung. Die Theorie hingegen legte ihre abſtracten Requi-
ſite, oder materielle Normen des Schoͤnen, welche ſie freylich
meiſt auf empiriſchem Wege feſtſetzt und ableitet, daher haͤu-
fig nach neuen Erfahrungen oder Geluͤſten umgeſtaltet, als
Maaßſtab an jedes anerkannt Vortreffliche, alſo auch an Ra-
phaels
Werke, unterwarf dieſe immer neuen vergleichenden
Pruͤfungen, deren Reſultat nie guͤnſtig ſeyn konnte, da nicht
leicht ein Einzelnes dem anderen durchgehend gleich ſieht.
Dieſer Anwendung der Theorie begegnen wir indeß auch bey
Kuͤnſtlern, welche in den neueren Jahrhunderten nicht ſelten
die Praxis des Gefuͤhles theoretiſchen und kritiſchen Neigungen
aufgeopfert haben.


Unſtreitig beſaß Vaſari ein lebhaftes Gefuͤhl fuͤr Schoͤn-
heit, fuͤr aͤchtes Kuͤnſtlerverdienſt; wir duͤrfen daher annehmen,
daß in ſeiner Kuͤnſtlergeſchichte Raphaels nicht alle Lobſpruͤche
aus Manier und conventioneller Hoͤflichkeit entſpringen. Doch
iſt es unlaͤugbar, daß in dieſer unbillig gedraͤngten und fluͤch-
tigen Lebensbeſchreibung die allgemeine Anſicht des Verfaſſers
ſeinen Huldigungen Feſſeln anlegt, bisweilen zu denſelben in
offenen Widerſpruch tritt. Schon bey den Anhaͤngern und
Schuͤlern des Michelangelo Buonarota hatte die Anſicht ſich
feſtgeſetzt, es enthalte deſſen, zwar einſichtsvolle, doch fruͤher
zur Manier gediehene Formengebung eine unumſtoͤßliche Norm
[11] des großartig, wohl auch des unbedingt Schoͤnen. Davon
war auch Georg Vaſari, der Wortfuͤhrer dieſer Schule, ganz
durchdrungen. Mit bedeutungsvoller Zuruͤckhaltung (er mochte
das noch friſche Andenken Raphaels ſcheuen) deutet er nun
an zwey Stellen an, daß Raphael, was nach ſeiner Anſicht an
ihm das Beſte war, fruͤher dem Carton von Piſa, ſpaͤter der
Decke in der ſixtiniſchen Capelle ſich abgelauſcht habe. Der
Theorie nach blieb alſo dem Raphael ſchon damals kaum ein
eigenthuͤmliches Verdienſt.


Nachdem in der Folge die Schule des Buonarota, in
immer ſchwaͤcherer Wiederholung uͤbereinkoͤmmlicher Formen,
bis zum Ohnmaͤchtigen ſich erſchoͤpft hatte, daher nun auch
andere Verdienſte erſten Ranges zu billiger Anerkennung ge-
langten, ward im Tizian, bald auch im Coreggio, ebenfalls
irgend ein abſolut Schoͤnes entdeckt und wiederum, zugleich
mit jener michelangelesken Großartigkeit der Umriſſe als Maaß-
ſtab an Raphaels Werke angelegt *). Als endlich, in noch
ſpaͤterer Zeit, die Kunſt ihre Praxis faſt aufgegeben hatte,
nur mit ihrer Theorie noch beſchaͤftigt ſchien, ſollten Raphaels
Malereyen, um die Probe zu halten, ſogar bildneriſche Schoͤn-
heiten darlegen, wurden ſie daher mit beſtimmten antiken Sta-
tuen, in welchen man nunmehr endlich das Aechte, unbedingt
Schoͤne entdeckt zu haben glaubte, ganz im Einzelnen ver-
glichen **).


Freylich nun konnte man dem glanzvollen Localton des
Tizian, den kraͤftigen Gegenſaͤtzen des coreggesken Helldunkels,
[12] den großartig geſchwungenen, feſten Umriſſen *) des Michel-
angelo
, wie endlich der zierlichen Gediegenheit ganz bildneri-
ſcher Formen, in Raphaels Werken hoͤchſt ſelten und nur an
ſolchen Stellen begegnen, wo die allgemeine Aufgabe, oder
beſondere Abſicht des Kuͤnſtlers deren Eintreten geſtattete. Es
ergab ſich daher aus dieſen verſchiedenen Vergleichungen, daß
Raphaels Arbeiten, wenn auch darin einige ganz gelungene
Parthien, recht lobenswerthe Gliedmaßen vorkommen, doch
eigentlich keine einzige ganz muſterhafte (den angelegten Nor-
men genau entſprechende) Geſtalt enthalten **).


Es giebt keinen Ausweg, auf irgend eine Weiſe iſt hier
ein Irrthum. Angenommen, daß Raphael ein geringer Kuͤnſt-
ler ſey, wie er doch ſeyn muͤßte, wenn alles zur Schoͤnheit
Gehoͤrige ihm fehlte; weßhalb denn mit ihm rechten, weil
er etwa nicht leiſtet, was jedesmal fuͤr das Hoͤchſte und Beſte
gilt? Iſt er aber im Gegentheil ein vortrefflicher Kuͤnſtler, ſo
duͤrfte aus ſeinem Nichtuͤbereintreffen mit den Vorſtellungen,
welche man jedesmal vom Schoͤnen ſich hat bilden wollen,
mit ungleich mehr Sicherheit auf deren Beſchraͤnktheit, oder
gaͤnzliche Irrigkeit zu ſchließen ſeyn, als auf Maͤngel oder Un-
vollkommenheiten des Kuͤnſtlers.


Ohne Beguͤnſtigung vorgefaßter Meinungen angeſtellt,
wuͤrden demnach jene ſo oft wiederholten Vergleichungen der
Verdienſte Raphaels mit denen anderer Kuͤnſtler und Kunſt-
epochen vielmehr die Zweifel hervorgerufen haben: ob die
[13] Eigenſchaften, welche in Raphaels Werken vermißt werden,
an ſich ſelbſt vereinbar ſeyen; ob Raphael jenen, in ſeinen
Werken vermißten, ganz einſeitigen Vorzuͤgen ſein eigenthuͤm-
liches Wollen mit gutem Nutzen habe aufopfern koͤnnen.


Unerklaͤrlich iſt es, wie techniſch hoͤchſt gewandte Maͤn-
ner, die Caracci und ihre Zeitgenoſſen, uͤber die materielle Un-
vereinbarkeit der Virtuoſitaͤten, welche ſie zu verſchmelzen ſtreb-
ten, ſo dauernd ſich haben taͤuſchen wollen. Wie koͤnnte denn
der lichte Localton des Tizian mit den ſtarken Contraſten des
Helldunkels in den Gemaͤlden des Coreggio, wie der maleriſche
Schmelz dieſer beiden mit den feſten Umriſſen des Michelan-
gelo
ausgeglichen werden? wie endlich, nach den Anforderun-
gen einer ſpaͤteren Zeit, die bildneriſche Formengediegenheit mit
dem zugleich noch immer in Anſpruch genommenen maleriſchen
Reize? Ein gelehrter, ruͤckſichtsvoller Umriß wuͤrde die maleri-
ſchen Stroͤmungen von Licht und Schattenmaſſen, welche in
den Gemaͤlden des Coreggio bewundert werden, gleichſam in
ein vorgezeichnetes Strombette einengen, Zerſtuͤckelungen der
Maſſen, Haͤrten hervorrufen, aufheben, was an dem Meiſter
des Helldunkels geehrt wird. Michelangelesker Schwung, co-
reggeske Grazie, widerſtrebt nothwendig jener verbreiteten Hel-
ligkeit des Tizian, welche nur mit ſeinen, hoͤchſt einfachen Um-
riſſen auszugleichen iſt. Endlich ſtellt ſich die Unvereinbarkeit
eines bildneriſch vollendeten Umriſſes mit maleriſchem Reize
in den Beyſpielen vieler neueren, beſonders der franzoͤſiſchen
Schulen, auch denen ſehr anſchaulich vor den Sinn *), welche
[14] in den Stylgeſetzen der einzelnen Kunſtarten Verſchiedenheiten
nicht einraͤumen wollen.


Indeß, waͤren nun auch dieſe in Raphaels Werken ver-
mißten Vorzuͤge ganz ſo vereinbar, als man nicht ſelten ge-
waͤhnt hat, ſo duͤrften ſie doch an ſich ſelbſt des Opfers
einer großen Eigenthuͤmlichkeit nicht werth ſeyn. Große Mei-
ſter ſind, Tizian, Coreggio, Michelangelo, uͤberraſchender bey
erſter Bekanntſchaft ihrer Werke, als die meiſten Raphaels.
Stellen wir aber im Geiſte eine groͤßere Menge ihrer Ge-
maͤlde zuſammen, oder ſehen wir zufaͤllig viele derſelben vor
uns vereinigt, ſo ſcheint, da alle daſſelbe Wollen ausdruͤcken,
in gewiſſem Sinne eins das andere entbehrlich zu machen.
Auch muß es Kundigen auffallen, daß in denſelben die ange-
woͤhnten Formen nicht ſelten dem dargeſtellten Gegenſtande
widerſprechen, daß Michelangelo auch das Zarte rieſenhaft,
Coreggio auch das Maͤnnliche und Starke weich und ſchmel-
zend nimmt und behandelt; daß endlich Tizian auch in hiſto-
riſchen Darſtellungen nie zum Energiſchen ſich erhebt.


Raphaels Bilder hingegen, wenn wir von den Logen zu
den Stanzen, von dieſen unmittelbar in die vaticaniſche Ge-
maͤldeſammlung uͤbergehn, dort, oder im Pallaſt Pitti, oder im
vormaligen Muſeo zu Paris, ſie in groͤßter Menge vor uns
vereinigt ſehn, unterſtuͤtzen, ergaͤnzen ſich gegenſeitig, erhoͤhen
eins das Intereſſe des anderen, weil in ihnen das Subjective
nicht in dem Maaße vorwaltet, als in jenen, weil der Wille,
weil die Faͤhigkeit, den gerade ſich darbietenden Gegenſtand
richtig aufzufaſſen, ihn bis in ſein innerſtes Mark zu durch-
dringen, von der Gemuͤthsart und geiſtigen Eigenthuͤmlichkeit
des Kuͤnſtlers nur im gehoͤrigen Maaße, von angewoͤhnten
Richtungen und Handhabungen aber durchaus nicht beſchraͤnkt
[15] wird. Kunſtwerke tragen nothwendig das Gepraͤge des Gei-
ſtes, welcher ſie hervorgebracht; gewiß hat auch Raphael die
Milde ſeiner Geſinnung, die Ruhe und Beſonnenheit ſeines
Geiſtes nie verlaͤugnen koͤnnen. Allein eben in dieſen Haupt-
zuͤgen ſeiner Eigenthuͤmlichkeit iſt jene Objectivitaͤt gegruͤndet,
welche ungeachtet ſo vieler Unaͤhnlichkeit in der aͤußeren Er-
ſcheinung doch Raphaels Werke denen der Alten vergleichbar
macht, ihnen, ſollten ſie denn auch der uͤberraſchenden Virtuo-
ſitaͤt anderer Meiſter entbehren, doch ſo viel beſchaͤftigende
Mannichfaltigkeit, ſo viel tiefen Gehalt verleiht.


Doch, indem ich die Faͤhigkeit, gegebenen oder ſelbſtge-
waͤhlten Gegenſtaͤnden der kuͤnſtleriſchen Darſtellung ganz ſich
hinzugeben, ſie zu durchdringen, in ihnen neu aufzuleben, als
den meiſt unterſcheidenden Charakterzug Raphaels auffaſſe,
darf ich nicht unerwaͤhnt laſſen, was Anſpruch zu haben
ſcheint, davon ausgenommen zu werden.


Das erſte, was hier auffaͤllt, iſt jenes an Nachahmung
grenzende ſich Anſchmiegen an die Vorbilder, welche im Laufe
ſeines Jugendlebens ihm ſich dargeboten haben, beſonders an
Pietro Perugino, welcher, ſeit Vaſari, fuͤr Raphaels Lehrmei-
ſter gilt. Dieſe Erſcheinung indeß kann nur auf den erſten
Blick befremden, da es bey naͤherer Unterſuchung ſich zeigt,
daß dem Lehrling, Schuͤler und Gehuͤlfen im alten Sinne
des Wortes die Kunſt und Art des Meiſters fuͤr einige Zeit
der Gegenſtand war, den er vor anderen ins Auge faßte,
wetteifernd zu erreichen, man koͤnnte ſagen, darzuſtellen ſtrebte.
Daß Raphael hierin es weiter gebracht als, ſelbſt den Spagna
nicht ausgenommen, alle uͤbrige Schuͤler und Geſellen des
Perugino, begruͤndet demnach keinen Einwurf. Zudem zeigt
ſich gerade in ſeinen fruͤheſten Arbeiten viel unabhaͤngiges Ur-
[16] theil; denn das Einzelne, der ganzen Zuſammenſtellung Un-
tergeordnete, iſt darin haͤufig durch Vergleichungen mit dem
Leben verbeſſert, zu gleichguͤltigen oder ganz widrigen Manie-
ren des Meiſters ausgewichen, ſo daß man ſagen duͤrfte, Ra-
phael
habe in den Arbeiten der bezeichneten Art den Perugino
zugleich erreicht und uͤbertroffen. Da nun ſchon in dieſen
Nachahmungen umbriſcher Meiſter (wir werden ſehen, daß
Perugino wohl nicht allein auf Raphaels Jugendarbeiten ein-
gewirkt hatte) ſo viel eigenes Urtheil, ſo viel ſelbſtſtaͤndiger
Wille verborgen liegt, ſind die Uebergaͤnge von ihnen zu den
nachfolgenden, unabhaͤngigeren Arbeiten Raphaels gewoͤhnli-
chen Sinnen kaum bemerklich; was wiederum erklaͤrt, daß
die Kunſtgeſchichte, wie ſie beſtand und noch beſteht, der fruͤ-
heren Haͤlfte der Wirkſamkeit unſeres Meiſters nicht mehr als
zwei Manieren zutheilt; zu viel und zu wenig.


Ob man uͤberhaupt die mancherlei Kunſt- und Bildungs-
ſtufen Raphaels, nachdem ſie vorausſetzlich genauer aufgefaßt,
ſcharfſinniger unterſchieden worden, als gemeinhin geſchieht,
mit einigem Grunde Manieren (Gewoͤhnungen der Hand)
nennen koͤnne, iſt eine Frage fuͤr ſich. Ich gebe zu, daß eine
gewiſſe eigenthuͤmlich markige Pinſelfuͤhrung ſeine Theilnahme
an aͤlteren Arbeiten im Geſchmacke des Perugino eben ſowohl
bekundet und uͤber jeden Zweifel erhebt, als ſpaͤter ſeine
Retouchen in den Werken ſeiner Freunde, oder in den Vor-
arbeiten und Anlagen ſeiner Schuͤler. Indeß, da die Wen-
dungen ſeines Pinſels, ſelbſt des vertreibenden, uͤberall eben
ſo geiſtreich, als bewußt den Formen folgen, ſichtlich durch-
hin vom Gegenſtande herbeygefuͤhrt und geboten werden, ſo
wird uns Raphaels Modellirung nicht wohl fuͤr Manier gel-
ten koͤnnen, vielmehr als eine nothwendige Folge jener Ob-
jecti-
[17] jectivitaͤt erſcheinen muͤſſen, welche ihn von ſeinen Zeitgenoſſen,
ich denke, guͤnſtig unterſcheidet. Eine andere Eigenſchaft ſei-
ner Arbeiten iſt die Sauberkeit in deren Raͤndern, einfaͤrbigen
Grundflaͤchen und aͤhnlichen Nebendingen; doch auch dieſe
kann nicht wohl fuͤr Manier gelten, da ſie aus Ordnungs-
liebe, Gewiſſenhaftigkeit und billiger Beruͤckſichtigung der An-
ſpruͤche des Abnehmers entſpringt. Endlich ſcheint ſelbſt jene
Eigenthuͤmlichkeit ſeiner Pallette, der weißliche Grundton in
den Lichtern ſeiner Carnation, der Vorbereitung ſeiner Ge-
maͤlde anzugehoͤren; denn in ſolchen, deren Oberflaͤche nicht
angegriffen iſt, verdecken ihn waͤrmere Tinten, denen er, als
Unterlage ein erfreuliches Licht verleiht. Die Veranlaſſung
fuͤhrt hier die Bemerkung herbey, daß unter allen Malern der
einzige Raphael ſich bemuͤht hat, jenen lichten Glanz zu be-
nutzen und auszudruͤcken, welcher im menſchlichen Antlitz aus
dem Hervortreten der Knochenbildung, in der Stirne, laͤngs
der Naſe, unter den Augen, auch wohl am Kinn, zu entſte-
hen pflegt. Die großen Coloriſten der lombardiſchen Schulen
moͤgen dem taͤglichen Vorbilde mehr fleiſchiger Bildungen nach-
gegeben, auch ſonſt das Beduͤrfniß ſtrenger Formen weniger
gefuͤhlt haben; denn gewiß zeigen jene Theile in den Koͤpfen
des Tizian dieſelbe Weichheit, denſelben Ton, als die anſto-
ßenden Muskelbildungen, in denen des Coreggio aber etwas
von der unverhaͤrteten Beſchaffenheit der Kinderkoͤpfe. Dieſes
jedoch der Ehrfurcht vor unvergleichbaren Vorzuͤgen ganz un-
beſchadet.


Es iſt demnach der vulgaͤren Kunſtgeſchichte nicht einzu-
raͤumen, daß Raphael jemals von Manieren ſich habe beherr-
ſchen laſſen. Suchen wir nun zu verhindern, daß man, den
Namen, nicht das Vorurtheil aͤndernd, zum Style ſeine Zu-
III. 2
[18] flucht nehme, dem großen Kuͤnſtler nicht mehr Manieren, ſon-
dern verſchiedene Style beymeſſe.


Aus den Forderungen des jedesmaligen Gegenſtandes,
deſſen begeiſterte Auffaſſung vorausgeſetzt, ergeben ſich in den
Kunſtwerken viele und mehrfaͤltige Schoͤnheiten. Einige in-
deß, und keinesweges veraͤchtliche, aus der Kunſt an ſich ſelbſt,
aus der Stellung, Anordnung und Vertheilung im Raume,
aus gehoͤriger Handhabung des Stoffes, in welchem man bil-
det oder Geſtalten erſcheinen macht. Dem Wortgebrauche
neuerer Kuͤnſtler mich anſchließend, habe ich in einer der fruͤ-
heren Abhandlungen, ſchoͤne Anordnung, den allgemeinen, bil-
lige Beruͤckſichtigung, gewandte Beſeitigung der Anſpruͤche des
Stoffes, in welchem man gerade ſich ausdruͤcken will, den be-
ſonderen (maleriſchen oder bildneriſchen) Styl genannt. Daß
ſolche, von den Forderungen des Gegenſtandes ganz unab-
haͤngige Kunſtvortheile denkbar, beachtenswerth ſeyen, daß de-
ren Anwendung die Geſammtſchoͤnheit der Kunſtwerke bedinge,
wird nicht wohl mit Zuverſicht gelaͤugnet, uͤberzeugend wider-
legt werden koͤnnen. Hingegen mag man uͤber die Wahl des
wortes noch ſtreitig ſeyn, eine andere Benennung an deſſen
Stelle ſetzen, welche vielleicht den Begriff ungleich zweckmaͤßi-
ger bezeichnen wird, als Styl; ein Wort, welches ich eben
nur, dem Gebrauche mich anzuſchließen, gewaͤhlt habe.


In dieſem Sinne genommen beſaß nun freylich Raphael
mehr Styl, als irgend ein anderer unter den groͤßeren Kuͤnſt-
lern der neueren Zeit. Ein ſolcher Styl iſt indeß nicht, wie
die Style der Italiener, der Manier faſt gleichbedeutend, wie
dieſe, Gewoͤhnung, Unart, ſo oder anders mit Stoff und Ge-
genſtand umzugehn: ſondern religioͤſe Unterwerfung unter all-
gemeine, unveraͤnderliche Schoͤnheitsgeſetze, ſey es aus einem
feinſinnigen Gefuͤhle, oder aus deutlicher Erkenntniß.


[19]

Bey groͤßter Verſchiedenheit der Aufgaben finden ſich in
ſeinen Werken, von den jugendlichſten bis zu den ſpaͤteſten,
doch an keiner Stelle Spuren jener Verwirrung, jener un-
gleichen, Leerheiten aufdeckenden Anhaͤufung, welche in neueren
Gemaͤlden ſo gewoͤhnlich und ſelbſt in ſonſt vortrefflichen vor-
kommen. Bildniſſe, oder Zuſammenſtellungen von wenigen
und wenig bewegten Figuren halten ohne Zwang die Mitte
der Flaͤche; ihre Umriſſe naͤhern ſich anmuthsvoll dem Rande,
ohne ihn je zu beruͤhren, zeichnen ihre Aus- und Einbeugun-
gen gegen den Grund mit einem Liniengefuͤhle, welches an
muſicaliſche Modulationen erinnert. Schwieriger indeß, als
im Geſammelten, wird das Princip dieſer Schoͤnheit, ohne
Beeintraͤchtigung des Gegenſtandes, auch im Bewegten feſtge-
halten; daher ſetzt nichts den Styl Raphaels in ein glaͤnzen-
deres Licht, als eben der Tempelraub des Heliodor in den
Stanzen des vaticaniſchen Palaſtes. Bekanntlich hatte man
in der reflectirenden Kunſtepoche der Caracci verſucht, die
geometriſche Anordnung der Gemaͤlde unter beſtimmte Regeln
und Vorſchriften zu bringen, welche, wenn ſie uͤberhaupt auf-
zufinden ſind, nicht vielmehr dem Gefuͤhle hier Alles zu uͤber-
laſſen iſt, doch gewiß damals viel zu beſchraͤnkt und beſchraͤn-
kend aufgefaßt wurden. Nach ſolchen, ſchwerfaͤllige und er-
zwungene Gruppirungen beguͤnſtigenden Regeln, welche in der
Theorie langezeit ſich in Kraft erhalten haben, ward gelegent-
lich auch der Heliodor beurtheilt und angegriffen. Der leere
Raum in der Mitte des Bildes, die Ungleichheit der Maſſen
in den beiden einander ſcheinbar entgegengeſetzten Gruppen,
des Volkes und der Krieger, ſchienen unvereinbar mit den an-
genommenen Grundſaͤtzen der Compoſition, des Kunſtausdruckes
fuͤr die Zuſammenſtellung der materiellen Theile eines Gemaͤl-
2 *
[20] des. Oeffentlich ward dieſes lange vorwaltende Urtheil zuerſt
im Ardinghello angegriffen, gezeigt, daß es hier galt, in die
Bewegung der Boten des raͤchenden Gottes die Schnelligkeit
des Blitzes zu legen, daher der Raum, den ſie eben durch-
meſſen, noch unbeſetzt, der Volkshaufe noch zuruͤckgedraͤngt er-
ſcheinen mußte; was in der That das Gewaltige und Ueber-
menſchliche des Vorganges ganz unvergleichlich ausdruͤckt.
Habe nun auch freylich die Aufgabe dem Componiſten, als
ſolchem, hier eigenthuͤmliche Schwierigkeiten entgegengeſtellt, ſo
verdiene er darum nur um ſo mehr Bewunderung, weil er ſie
mit groͤßtem Erfolg uͤberwunden. Denn er laſſe das Volk
in ſchraͤger Richtung ſich in den Mittelgrund draͤngen, ſtelle
daher nicht dieſes, ſondern den Pabſt auf ſeinem Tragſeſſel
(auch an dieſer alluſoriſchen Epiſode haben zu peinliche Kri-
tiker Anſtoß genommen) der Gruppe verjagter Krieger gegen-
uͤber, wodurch das etwa begehrenswerthe Gleichgewicht ganz
wiederhergeſtellt werde. Uebrigens muͤſſe die Mitte des Bil-
des auch geleert bleiben, damit der Hoheprieſter, deſſen Gebet
die ganze Handlung motivirt, deutlich gezeigt werden koͤnne.


Gleiche Sicherheit des Geſchmackes zeigte Raphael in
Solchem, was nicht mehr, wie jenes, dem allgemeinen, jeg-
liche Kunſt, auch die Baukunſt, umfaſſenden Style, ſondern
ausſchließlich dem maleriſchen angehoͤrt.


In der Bildnerey beruhet die Darſtellung auf einer ge-
wandten Handhabung reeller Formen. Da nun hingegen die
Malerey des bloßen Anſcheines von Formen ſich bedient, wel-
chen ſie kuͤnſtlich auf einer Flaͤche hervorruft, ſo muß ein-
leuchtend in ihr jegliches der Apparenz Entgegenwirkende, oder
ſie Aufhebende, ſehr ernſtlich zu vermeiden ſeyn. Dahin ge-
hoͤren Localtoͤne, welche durch eine ungehoͤrige Farbe, durch
[21] zu viel Dunkelheit oder Helle, Zuſammenhaͤngendes durchſchnei-
den, alſo, was als Form erſcheinen ſoll, in Flecke verwan-
deln. Dieſes Geſetzes gewaͤrtig ſuchte Raphael den Localton
des Haares durch deſſen Helligkeit mit dem Hauptlichte der
Stirne in Zuſammenhang zu bringen, die Lichtparthieen ſeiner
Gewaͤnder, ohne lineariſche Schoͤnheiten zu vernichten, mit
Anmuth in breitere Flaͤchen zu vereinigen, Eindruͤcke und Ver-
tiefungen durch ſanfte Uebergaͤnge in die anſtoßenden Lichter
zu verſchmelzen.


Das Reſultat der eben beſchloſſenen Bemerkungen koͤnnte
den Einwurf herbeyfuͤhren: daß Raphael, da ſein reiner Ge-
ſchmack in Dingen der Anordnung und maleriſchen Behand-
lung nie ſchwankt, nie ganz ſich verlaͤugnet, den Styl, den
ich als ein Allgemeines auffaſſe, in ſein Eigenthuͤmliches ver-
wandelt habe, nach welchem ſein maleriſcher Charakter nun
eben ſo ſicher ſich beſtimmen laſſe, als nach der Objectivitaͤt,
welche ich oben hervorgehoben. Indeß kann der Styl, als
etwas dem Handwerke der Kunſt Gehoͤrendes, erlernt, durch
reflectirende Beobachtung und practiſche Nachahmung erwor-
ben werden; Raphael dal Colle, Domenico Alfani, Giulio
Romano
und andere ſind dem von Urbino in dieſem Kunſt-
vortheile oft ſehr nahe gekommen. Hingegen vermochten ſie
nicht, die Objectivitaͤt ihres Meiſters und Vorbildes zu errei-
chen, weil deſſen gluͤcklichſte Einigung liebevoller Hingebung
und deutlicher Verſtaͤndigung auf Anlagen und bildenden Le-
bensereigniſſen beruht, welche nicht wohl ſich abſichtlich her-
beyfuͤhren laſſen. Das ganz Unvergleichbare in Raphaels
kuͤnſtleriſchem Weſen bleibt alſo, was ich bereits bezeichnet
habe und nunmehr durch die verſchiedenen Epochen ſeiner
thaͤtigen Laufbahn verfolgen will.


[22]

II.
Raphaels Jugendwerke.


Georg Vaſari berichtet uns, daß Raphael, als Knabe,
unter der Leitung ſeines Vaters, Giovanni Sanzio, in der
Malerkunſt den erſten Grund gelegt habe, aus deſſen Schule
ſodann in die bluͤhendere, beruͤhmtere des Peter von Perugia
gelangt ſey. Dieſe Angabe ſtimmt zu den Sitten und Ver-
haͤltniſſen jener Zeit. Denn wer dazumal der Kunſt ſich zuwen-
dete, ward ſchon als Knabe in die Lehre gegeben, damit er,
was zum Handwerke gehoͤrt, erlerne, ehe das erwachende
Selbſtgefuͤhl, das ſteigende Bewußtſeyn ungewoͤhnlicher Na-
turgaben gegen niedrige und trockene Beſchaͤftigungen verderb-
liche Unluſt erwecke.


Seitdem, beſonders durch Lanzi, auch fuͤr dasjenige
Schoͤne und Liebenswerthe, welches aͤltere Kunſtformen ſo
haͤufig in ſich einſchließen, die Empfaͤnglichkeit geweckt wor-
den, hat man nach Arbeiten des Giovanni Sanzio ſich um-
geſehn, auch zu wiſſen begehrt, wie Raphael in fruͤheſter Ju-
gend wohl ſich angelaſſen habe.


In Urbino werden verſchiedene Stuͤcke dem Vater bey-
gemeſſen, welche Herr Johann Metzger, der bekannte floren-
tiniſche Kenner, mir, dem jener Ort ſtets unzugaͤnglich geblie-
ben, als anmuthsvoll und anziehend beſchreibt. Das eine,
Maria mit dem Kinde, von einer Mauer in Sanzio’s Hauſe
[23] abgeſaͤgt und gegenwaͤrtig in der Wohnung der Familie Sa-
lozio, wenn ich den Namen richtig ſchreibe; in einem anderen
Hauſe derſelbe Gegenſtand a Tempera; endlich in S. Francesco
ein Altarblatt, Maria auf dem Throne, umgeben von vier
Heiligen, Johannes B., Franciscus, Sebaſtian und Hierony-
mus
. Neben dem letzten knieet angeblich die Familie des
Sanzio, der kleine Raphael zur Seite der Mutter. Vielleicht
war das Gemaͤlde ein Geſchenk des Kuͤnſtlers an das unver-
moͤgende Kloſter, was ihm das Recht geben konnte, ſeine Fa-
milie darin einzufuͤhren.


Durch eigene Beſichtigung wurden mir zwey Gemaͤlde
von ungleichem Verdienſte, doch aͤhnlichem, bleygrauem Tone
bekannt, beide mit Aufſchriften. Deren eine, auf einem Bilde
der oͤffentlichen Gallerie zu Mayland, iſt freylich an vielen
Stellen unreinlich nachgeholt und lautet verdaͤchtig, wie folgt:
IOHANNES SANTIS VRB. P. Die Charaktere der an-
deren, auf dem ungleich ſchoͤneren Bilde der koͤnigl. Gallerie
zu Berlin, Nro. 215 der erſten Abtheilung, haben ein aͤchte-
res Anſehn; auch ſcheint der anmuthsvolle Knabe zur Rech-
ten in ſeinem Hemdchen den ſpaͤteren Bildniſſen Raphaels in
etwas zu gleichen, was auch fuͤr die Echtheit der Aufſchrift
eine guͤnſtige Stimmung erweckt.


Ferner zeigt man zu Urbino in der Sacriſtey des Kirch-
leins S. Andrea ein rundes Bild auf Holz, welches Raphael
noch in der Schule ſeines Vaters gemalt haben ſoll: eine
heilige Familie, S. Joſeph eingeſchloſſen. In dieſem Bilde
glaubt Herr Metzger, bey den jugendlichſten Unvollkommen-
heiten, doch den Genius Raphaels und ſogar beſtimmte, in
ſpaͤterer Zeit wiedereingekehrte Eigenthuͤmlichkeiten, beſonders
der Faͤrbung, wahrgenommen zu haben.


[24]

Unter den Truͤmmern einer der aͤlteſten florentiniſchen
Sammlungen fand ich vor einigen Jahren ein rundes Bild,
welches mir in dieſe fruͤhe Epoche Raphaels einzufallen ſchien.
Der Gegenſtand, die Madonna mit beiden Kindern und zween
halberwachſenen Engeln, deren einer das Kind der Mutter
zur Verehrung entgegenhaͤlt, der andere, niederknieend, den
kleinen Johannes dem Jeſuskinde zu empfehlen ſcheint, findet
ſich Stuͤck fuͤr Stuͤck in einem Bilde des Perugino aus ſeiner
beſten Zeit (von 1480—90), gegenwaͤrtig im Hauſe der Gra-
fen Mozzi zu Florenz, bey der Bruͤcke alle grazie. Von die-
ſem Bilde iſt das unſrige eine Art Copie, doch nur der Zu-
ſammenſtellung, der Motive, nicht der Charaktere und einzel-
nen Ausgeſtaltungen in den Lagen, Wendungen, Koͤpfen und
Haͤnden. In dieſen zeigen ſich bey wenig aͤußerer Fertigkeit
ſo viel richtige, tiefbegruͤndete Wuͤnſche und Abſichten, als in
dieſer Epoche und Schule, auf einer ſo beſcheidenen Stufe der
techniſchen Entwickelung, nur dem Raphael beyzumeſſen ſind.
Auch die ungemein ſchoͤne, zierliche Landſchaft, der friſche Lo-
calton der Carnation, die ſaubere Umraͤnderung der Tafel in
glaͤnzendem Schwarz, ſcheinen fuͤr meine Vermuthung zu ſpre-
chen. Da endlich ſelbſt mein Berichtgeber in Dingen der
Stadt Urbino darin eine Annaͤherung an jenes Bildchen zu
Urbino wahrzunehmen glaubte, der Preis aber auf zwanzig
Zecchinen zu bringen war; ſo ſchwankte ich nicht laͤnger, die-
ſes jugendlich anmuthsvolle Bild fuͤr die Sammlungen der
Majeſtaͤt des Koͤnigs von Preußen zu erſtehen. Im Muſeo
zu Berlin hat es in der erſten Abtheilung die Nummer 222.


Mit Sicherheit weiß ich nichts anzufuͤhren, was jenen
fruͤheſten, wohl auch noch bezweifelten Jugendarbeiten unmit-
telbar ſich anſchloͤſſe. Hatte Raphael, wie doch nicht ohne
[25] Grund angenommen wird, ſchon in der Schule und Werk-
ſtaͤtte ſeines Vaters eigene, ganz lobenswerthe Bilder beendigt,
ſo wird er in die Werkſtaͤtte des Perugino (wenn nicht auch
noch anderer Meiſter) ſchwerlich als Lehrling, vielmehr ſo-
gleich als Geſelle und Theilnehmer an den Arbeiten des Mei-
ſters eingetreten ſeyn. Als Pietro in Perugia ſich niederließ,
war er bereits den funfzigen nahe, war er, jenes edle Be-
ſtreben, welches ihn bis dahin uͤber die meiſten Zeitgenoſſen
erhoben hatte, gegen einſeitigen Erwerbsgeiſt vertauſchend, von
einem großen Kuͤnſtler zu einem gluͤcklichen Unternehmer von
maleriſchen Erzeugniſſen aller Art herabgeſunken. Seine da-
maligen und ſpaͤteren Arbeiten ſind daher großentheils das
Werk ſeiner Gehuͤlfen und Schuͤler. Wer aber unter ſo vie-
len haͤtte mehr Huͤlfe gewaͤhren koͤnnen, als eben Raphael?
Ich glaube deſſen tiefeindringende, belebende Theilnahme an
verſchiedenen der ſpaͤteren Werke des Perugino deutlich wahr-
zunehmen *).


In untergeordnetem Maaße zeigt ſich dieſelbe ſchon in
jenem Altargemaͤlde, welches vor etwa zwanzig Jahren aus
dem Kloſter zu Vallombroſa in die Gallerie der florentiniſchen
Kunſtſchule gelangt iſt **). Der Entwurf gehoͤrt unſtreitig
dem Pietro, welcher eben damals, ſey es, um Zeit und Ar-
beit zu erſparen, oder auch um den Wuͤnſchen ſeiner Goͤnner
zu entſprechen (das Einbrechen einer ganz neuen Kunſtzeit
mochte bey Vielen Bedenklichkeiten erwecken), die maleriſche
Gruppirung ſeiner fruͤheren Arbeiten gegen horizontale Auf-
[26] ſtellungen und regelmaͤßig figurirte Glorien zu vertauſchen be-
gann. Hingegen verrathen die Koͤpfe, Wendungen, Lagen in
den Formen, wie in den Motiven an mehr als einer Stelle
etwas jugendlich Raphaeliſches. Beſonders der Erzengel Mi-
chael zur Rechten des horizontalen Vorgrundes, welcher, ſchon
ausgebildeter, in dem Gemaͤlde der Karthauſe von Pavia von
Neuem vorkommt, zeigt jenen kleinen gerundeten Mund, jene
eigenthuͤmliche Einfachheit in den Formen der Stirn und Naſe,
den ſo hoͤchſt genuͤglichen Ausdruck, dem wir, in Raphaels fruͤhe-
ſten Arbeiten mehr als ein Mal begegnen werden. Hingegen iſt der
Sehnſuchtsausdruck in den beiden Hauptfiguren karikirt, miß-
lungen; Beweis genug, daß Perugino in dieſem Bilde nicht
ſelbſt die Hand angelegt, vielmehr daſſelbe Juͤnglingen uͤber-
laſſen hatte, welche Vieles erreichen, Einiges verbeſſern moch-
ten, nur nicht eben dieſes meiſt Eigenthuͤmliche ihres Meiſters.


Das bezeichnete Gemaͤlde zeigt das Jahr 1500. Nach
der Aufſchrift an einem Pfeiler im Wechſelgerichte (Cambio)
zu Perugia waren deſſen Mauergemaͤlde in demſelben Jahre
bereits in Arbeit *). Der Zeit nach konnte Raphael auch in
dieſem umfaſſenden, jenem Altarbilde an vielen Stellen nicht
unaͤhnlichen Werke die Hand angelegt haben. Wirklich er-
innern die Sibyllen und Propheten des ſchoͤnſten Bildes an
mehr als eine Epiſode in den bekannteren Arbeiten des jungen
Raphael. Freylich werden dieſe Figuren ſeit einiger Zeit dem
Ingegno beygemeſſen; indeß habe ich die Grundloſigkeit die-
ſer Meinung bereits aufgedeckt **).


Endlich erſchien mir auch das treffliche Altargemaͤlde der
[27] Karthauſe unweit Pavia, welches Vaſari im Leben des Pe-
rugino
als deſſen Arbeit bezeichnet und mit Lobſpruͤchen uͤber-
haͤuft, als durchaus raphaeliſirt, im Ganzen, wie in den
Theilen, voͤllig umgegoſſen.


In dieſer fruͤhen Zeit ward die Kunſt gewerbsmaͤßig ſo-
wohl betrieben, als beguͤnſtigt; weßhalb ich nicht bezweifle,
daß jenes ſchoͤne Gemaͤlde dem weitberuͤhmten Pietro aufge-
tragen worden; ſein hoffnungsvoller Schuͤler oder Geſelle war
hoͤchſt wahrſcheinlich damals ſelbſt dem Namen nach in der
entfernten Lombardey ganz unbekannt. Da nun auch in der
Anordnung und Farbenwahl einiger Einfluß des Meiſters be-
merklich wird, ſo erklaͤre ich mir, daß Vaſari, welcher nach
vielen Umſtaͤnden die Karthauſe zu Pavia nur fluͤchtig kann
geſehen haben, bey der Kunde von jener Beſtellung ſich be-
friedigte. Ueberhaupt iſt Vaſari, den der Umfang ſeiner Un-
ternehmung von genauer Erforſchung des Einzelnen abgeleitet,
nie dahin gelangt, die verſchiedenen Epochen des Perugino,
und in deſſen ſpaͤteren Arbeiten die Hand ſeiner vorzuͤglich-
ſten Gehuͤlfen befriedigend zu unterſcheiden.


Bey Aufhebung des Kloſters, in ſeiner Geſammtheit des
groͤßten Wunders der Lombardey, ſind die groͤßeren Abthei-
lungen dieſes Altarbildes durch Ankauf in das Haus des
Duca Melzi uͤbergegangen; der Karthauſe blieb, in dem Gie-
belfelde des alten Rahmens, Gott der Vater mit dem Sym-
bol des heiligen Geiſtes. Dieſer Giebelſchmuck fand und fin-
det ſich noch in einem aͤlteren Altargemaͤlde Raphaels zu
Neapel und in dem alten Rahmen der Grablegung Borgheſe,
in der Kirche S. Francesco zu Perugia; alſo war dieſe, frey-
lich der umbriſchen Schule ſeit lange gelaͤufige, Verzierung
auch dem Raphael ehrwuͤrdig und beliebt.


[28]

Unter den uͤbrigen Tafeln, denen im Hauſe Melzi, hat
man das groͤßere Mittelbild zur Ausgleichung verkleinert, auch
ſonſt mit Barbarey beſudelt. In dieſem Stuͤcke verehrt die
Jungfrau das Kind, welches ein herangewachſener Engel ihr
darreicht; wie oben, in dem aͤlteren Bilde eine Vorſtellung
des Perugino, doch ſichtlich mit Luſt ergriffen und ſeelenvoller
entwickelt. In der Luft ſchweben drey Engel, der Groͤße nach
entfernt, doch hart gezeichnet, bunt colorirt, weßhalb der Re-
ſtaurator verſucht hat, ſie durch Beſchmutzungen zuruͤckzuſetzen,
was jedoch den Zweck verfehlt. Das Kind und der Engel
ſind ebenfalls retouchirt; hingegen iſt der ſchoͤne Kopf der
Madonna ganz wohl erhalten.


Auf dem Seitenbilde zur Linken der Erzengel Michael,
zwar in der Stellung jenes anderen in dem Altarbilde aus
Vallombroſa, doch die Beine weniger geſpreizt und ausgebo-
gen, nach einem beſſeren Modell; die Hand auf dem Schilde
ſehr gluͤcklich nach dem Leben, nicht in der angenommenen
Manier des Perugino, ſondern wahr und zierlich; auch ſind
hier die Geſichtszuͤge weniger kindiſch, als des Georg in
jenem offenbar aͤlteren Gemaͤlde des Jahres 1500. Auf dem
anderen Seitenbilde zur Rechten fuͤhrt der Schutzengel den
jungen Tobias, beyde Figuren trefflich aus dem Typus des
Pietro zu hoͤherer Lebendigkeit hervorgebildet. In der Faͤr-
bung iſt das Ganze, ſo weit es bey gegenwaͤrtigem Zuſtande
noch zu beurtheilen iſt, jenem aͤlteren Bilde der florentiniſchen
Akademie noch immer nahe verwandt.


Schon ungleich entſchiedener ſcheint mir Raphael in
einem anderen, kleineren Bilde ſich auszuſprechen, welches
neuerlich aus einem Hauſe Baglioni zu Perugia in den Be-
ſitz des mehrgedachten Herrn Metzger gelangt, und, wenn ich
[29] nicht irre, verkaͤuflich iſt. Madonna mit dem Kinde, Halb-
figur, etwa zwei Drittheile gemeiner menſchlicher Groͤße. Im
Ausdruck groͤßte Ruhe und Genuͤglichkeit; in den Formen
viel Wahrheit, Ergebniß antheilvoller Beobachtung; in der
Carnation mehr Impaſto, als dem Perugino gewoͤhnlich war,
ſchwaͤrzliche Schatten, deren waͤrmere Ueberzuͤge die Zeit ver-
zehrt haben koͤnnte, da keine Firnißlage die Oberflaͤche be-
ſchuͤtzt. In Anſehung dieſer Zeichen groͤßerer Selbſtſtaͤndigkeit
darf angenommen werden, daß Raphael das Bild ſchon auf
eigene Rechnung gemalt habe, wie es denn in vieler Hinſicht
von den angefuͤhrten zu ſeinen Arbeiten in Città die Caſtello
den Uebergang bildet.


Dieſen letzten geht indeß eine Epoche voran, die ſehr
viel Raͤthſelhaftes aufzeigt, deren Erfahrungen, Neigungen,
Maximen oft muͤſſen in der Erinnerung wieder aufgeſtiegen
ſeyn, da ſie auch in den ſpaͤteren Jugendarbeiten Raphaels
mehr als einmal ſich verjuͤngt haben.


Wir entſinnen uns aus einer fruͤheren Abhandlung *),
daß Niccolò Alunno zu Fuligno einer kraͤftigen, braͤunlichen
Faͤrbung geneigt war, welche Perugino und Pinturicchio nur
voruͤbergehend, auch dann nur bedingt, Andrea di Luigi von
Aſiſi
hingegen ohne Vorbehalt angenommen. Den maleriſchen
Charakter des Ingegno, uͤber welchen Vaſari, und, nach ihm
Lanzi und Fiorillo ganz widerſtrebende Dinge melden, ſuchte
ich nach einem Bilde zu beſtimmen, welches damals bey
Herrn Metzger geſehen wurde, nunmehr in den Beſitz eines
florentiniſchen Kunſtfreundes, des Herrn von Volkmann, uͤber-
gegangen iſt. Von ebenfalls abweichender Auffaſſung der
[30] Formen abgeſehn, unterſchied ſich dieſe Arbeit, wie uͤberhaupt,
ſo beſonders von den ſpaͤteren Werken des Pietro durch einen
braͤunlichen Ton, ungemeine Kraft in den dunkleren Tinten.
Dieſelbe Eigenthuͤmlichkeit der Faͤrbung zeigte ſich in einigen
Malereyen al Fresco zu Aſiſi, deren Urheber bisher unbekannt
iſt, welche indeß mit vieler Wahrſcheinlichkeit dem einzigen
damals in Aſiſi ausgezeichneten Meiſter beyzumeſſen ſind.
Sie ſetzten hier um ſo mehr Abſichtlichkeit voraus, als es
verhaͤltnißmaͤßig ſchwieriger iſt, in Frescomalereyen warme
und kraͤftige Tinten hervorzubringen. Urkundliche Nachrichten,
welche ich auf dieſe Veranlaſſung mitgetheilt, uͤberzeugten uns,
daß Andrea den Gebrauch ſeines Geſichtes, den er, nach Va-
ſari
, ſchon um’s J. 1480 ſoll eingebuͤßt haben, noch um 1510
beſaß; ferner, daß er ſchon 1483 zu Aſiſi ein anſaͤſſiger Mei-
ſter war und ſeiner Vaterſtadt auch in der Folge treu geblie-
ben iſt. Obwohl nun Vaſari, nach ſo viel unnachdenklich er-
zaͤhlten Unvereinbarkeiten an dieſer Stelle auf Glaubwuͤrdig-
keit wenig Anſpruch hat, ſo trifft doch ſeine, der Zeit nach,
irrige Kunde von paͤbſtlichen Beguͤnſtigungen mit den geſchicht-
lichen Urkunden im Allgemeinen uͤberein *), was vorausſetzt,
daß ſein uns unbekannter Berichtgeber jene Nachrichten nicht
aus der Luft gegriffen, ſie, wenn auch fluͤchtig, doch aus acht-
baren Quellen geſchoͤpft habe. Demnach kann auch dem, was
Vaſari von freundſchaftlichen Beruͤhrungen mit dem Ingegno
erzaͤhlt, etwas Wahres zum Grunde liegen, wobey ſich dar-
bietet, daß jene anſehnlichen Stellen, welche Julius II. dem
Ingegno ſicher verliehen hat, wohl auch durch die Verwen-
dung Raphaels erlangt ſeyn moͤchten. Allein, da Ingegno
[31] ſchon im Geburtsjahre Raphaels ein anſaͤſſiger Meiſter war,
muß ſein Verhaͤltniß zu Raphael, wenn ein ſolches je ſtatt-
gefunden, nicht, wie es Vaſari angiebt, als Freundſchaft unter
Juͤnglingen aufgefaßt werden, ſondern als des Schuͤlers, oder
doch Gehuͤlfen zu ſeinem Meiſter. Auch wenn es nicht in
der Abſicht liegt, wird doch nothwendig das Wohlwollen des
erfahrenen Meiſters gegen den Neuling in Rath, Anweiſung,
Unterricht, uͤbergehen.


Wir beſitzen keine Hauschronik des Perugino gleich jener
des Francesco Francia, aus welcher Malvaſta *) den Vaſari
in Vielem berichtigt hat; keine aufklaͤrenden Briefe, noch an-
dere Urkunden, aus welchen mit Sicherheit gezeigt werden
koͤnnte, in welchem Jahre ſeines Lebens, unter welchen Um-
ſtaͤnden und Bedingungen Raphael in die Werkſtaͤtte des
Pietro eingetreten iſt. Die unbeſtimmten, ich moͤchte ſagen,
leichtſinnigen Angaben des Vaſari werden demnach die Moͤg-
lichkeit nicht ausſchließen, daß Raphael, ehe er als Gehuͤlfe
dem Perugino ſich angeſchloſſen, eine gewiſſe Zeit mit dem
Andrea di Luigi, als Schuͤler, oder als Geſelle, gearbeitet
habe.


Verſchiedenes ſcheint zu bezeugen, daß eine ſolche Ver-
bindung den Beruͤhrungen Raphaels mit dem Pietro von Pe-
rugia
vorangegangen ſey. Setzen wir, daß ich richtig geſe-
hen habe, als ich in den eben bezeichneten Bildern des Peru-
gino
Raphaels Hand wahrzunehmen glaubte, ſo zeigt ſich
unſer Kuͤnſtler in dieſen, das fruͤheſte vom J. 1500 etwa
ausgenommen, ſchon ungleich reifer, maͤnnlicher, vorgeruͤckter,
als in einigen ſeiner Gemaͤlde im braͤunlichen Tone. Deren
[32] unſchuldigſtes, ſubjectiv kindlichſtes, mindeſt gewandtes iſt
unſtreitig jene kleine Madonna, welche zu Berlin aus der Sol-
lyſchen Sammlung in die Gallerie des Muſeums gelangte
und in der erſten Abtheilung mit Nro. 223. bezeichnet iſt.
Die Unvollkommenheit der Uebergaͤnge in den nackten Formen
des Kindes, die enge Anlage der inneren Geſichtstheile, ſtehen
ſichtlich unter der Kunſtbildung, welche ein ſo faͤhiger Juͤng-
ling ſchon in der Schule und Werkſtaͤtte des Perugino erlan-
gen konnte und wirklich darin erlangt hat. Hingegen iſt in
der Pinſelfuͤhrung, iſt im Impaſto ein richtigeres Princip der
Oelmalerey, als Perugino je aufgefaßt hatte. — Giovanni
Sanzio
malte a tempera; Raphaels Bilder in Urbino, das
andere, welches ich nach Berlin gebracht, ſind ebenfalls a tem-
pera
gemalt. Lernte Raphael die Oelmalerey vom Ingegno?
Fuͤhrte dieſes Intereſſe beide Kuͤnſtler zuſammen? Gewiß naͤ-
hert ſich Raphael in ſeinen braͤunlichen Jugendarbeiten mehr
der Faͤrbung des Alunno und Ingegno.


Sehe ich in dieſem Bildchen auf den gerundeten Mund,
die Kleinheit der inneren Formen, den verhaͤltnißmaͤßig weiten
und vollen Umriß des Geſichtes, ſo laͤugne ich nicht, daß
Raphael bald nach dieſem Bilde in dem Erzengel jenes flo-
rentiniſchen mit dem J. 1500 die Hand koͤnne angelegt haben,
deſſen Geſichtsformen dieſelbe kindliche Weiſe darlegen. Sehe
ich hingegen auf das Princip der Faͤrbung, ſo ſchließt ſich
an das Bildchen im Muſeo zu Berlin ein groͤßeres naͤher an,
welches Raphael, nach der Angabe des Vaſari, fuͤr die Non-
nen der peruginiſchen Kirche S. Antonio di Padua gemalt,
darin das Chriſtuskind, auf ausdruͤckliches Verlangen der gu-
ten Kloſterfrauen, in ein weißes, rothgeſticktes Hemdchen ge-
kleidet hat. Seit laͤngerer Zeit war dieſes kraftvolle, etwas
dunkle
[33] dunkle Gemaͤlde an das Haus Colonna verkauft, dort wahr-
ſcheinlich, da Bottari nicht anzugeben wußte, wohin es gera-
then ſey, nicht aufgeſtellt worden; in der Folge, vor etwa
zwanzig Jahren, gelangte es aus dieſem Hauſe in die koͤnigl.
Gallerie zu Neapel.


Dieſes große Altargemaͤlde iſt ſchon ganz meiſterlich ge-
zeichnet und gemalt. Deſſenungeachtet zeigt ſich darin keine
andere Verwandtſchaft zum Perugino, als jene allgemeine,
welche die umbriſchen Schulen damaliger Zeit von denen der
benachbarten Laͤnder unterſcheidet. Das Bild iſt, wie die mei-
ſten des Alunno, ſehr ſchmahl und hoch; die Compoſition
entbehrt daher jener gluͤcklichen Verhaͤltniſſe, welche den Peru-
gino
auszeichnen. Zu den Fuͤßen des Thrones macht der
kleine Johannes mit dem Chriſtuskinde ſich zu ſchaffen, wel-
ches die Haͤndchen anmuthsvoll zu ihm herabreicht; auch die-
ſes ein Motiv des Alunno. Zu beiden Seiten S. Petrus und
Paulus in tiefgluͤhenden rothen und gelben Gewaͤndern. Im
Antlitze der Madonna zeigt ſich ſchon hier jener, vom Peru-
gino
ganz abweichende Charakter, dem wir ſpaͤter auch in den
Madonnen der Kappelle Ancagani, des Hauſes Conteſtabile,
ſelbſt noch in der Kroͤnung der vaticaniſchen Gallerie begeg-
nen werden.


Abweichung von der Art des Pietro Perugino, Ruͤckkehr
oder Hinneigung zu jener, wie ich annehme, aͤlteren Foͤrmlich-
keit des Raphael glaube ich in verſchiedenen anderen Ge-
maͤlden zu entdecken, welche zum Theil unſtreitig etwas juͤnger
ſind, als obige. Das aͤlteſte vielleicht jenes reiche anmuths-
volle, al guazzo auf feines Leinwand gemalte Bild der An-
betung der Koͤnige, ſonſt in der Kappelle des Hauſes Anca-
gani zu Spoleto, jetzt im Handel. Dieſem ziemlich analog
III. 3
[34] eine Pietà in gleicher Manier, auf gleichem Stoffe, welche in
das Muſeum zu Berlin gelangt iſt (1ſte Abtheil. Nro. 226.).
Der alterthuͤmlichen Randverzierung ungeachtet iſt die Ma-
donna im Hauſe Conteſtabile zu Perugia ſichtlich ſchon etwas
neuer.


Uns, die wir an eine langſame, ſich zuruͤckhaltende Bil-
dungsart gewoͤhnt ſind, wird es unſaͤglich ſchwer, die Blitzes-
ſchnelle in den Oscillationen der Entwickelung alter Kuͤnſtler
im Auge zu behalten. Es verwirrt uns, wenn wir ſehen, daß
Kuͤnſtler von der Stufe, welche ſie ſchon eingenommen, ſich
zuruͤckwendend, aͤltere Eindruͤcke, welche vergeſſen ſchienen, wie-
derum auffriſchen, ins Leben rufen, mit dem neu Erworbenen
vermaͤhlen. Selten iſt die Entwickelungsgeſchichte ſelbſt be-
ruͤhmter Kuͤnſtler umſtaͤndlich bekannt; auch Raphaels zu ſum-
mariſch, um ſchon daraus die Verſchiedenartigkeit der Erſchei-
nungen ſeines Jugendlebens erklaͤren zu koͤnnen. Alſo werden
wir von der Annahme ausgehen muͤſſen, daß er, ſeit ſeinem
Austritt aus der vaͤterlichen Schule, unabhaͤngiger gelebt und
gewirkt habe, als geglaubt wird, daher, nach Gelegenheit, bald
beym Perugino, bald wieder bey einem Anderen in Arbeit
ſich verdungen, abwechſelnd wieder auf eigene Rechnung ge-
malt habe. Hierin ſtreitet nichts gegen die Sitten und Ver-
haͤltniſſe jener Zeit, in welcher nur der eigentliche Lehrling ge-
bunden war. Auch ſtehet ihm nichts entgegen, als ein Theil
des kleinen Erziehungsromanes beym Vaſari, welcher in deſſen
Manier liegt, in allen Kuͤnſtlerleben ſich wiederholt, daher auf
hiſtoriſche Glaubwuͤrdigkeit weniger Anſpruch hat, als auf
poetiſchen Reiz *).


[35]

Klar iſt es, daß in der Geſchichte Raphaels fuͤr alle
jene jugendlichſten Erſcheinungen weder ein Grund, noch ſelbſt
ein paßlicher Raum vorhanden ſeyn wuͤrde, waͤre es unum-
gaͤnglich, dem Vaſari hier ohne Einſchraͤnkung beyzupflichten.
Er ſetzt den Anfang der Laufbahn, der ſelbſtſtaͤndigen Wirk-
ſamkeit Raphaels in deſſen Arbeiten fuͤr Città di Caſtello.
Dieſe ſind indeß ſchon ſehr ausgebildet; wir muͤßten alſo, um
die ſpaͤtere Entſtehung jener jugendlicheren Erſcheinungen zu
erklaͤren, Ruͤckſchritte annehmen. Wie willkuͤhrlich! Nun iſt
ferner das Vorzuͤglichſte der Bilder fuͤr Caſtello, das Spoſa-
lizio, mit dem Jahre 1504 bezeichnet. Von dieſem Zeitpunct
bis zu dem Eintritt Raphaels in einen ganz neuen, zum Ge-
waltigſten ihn fortreißenden Wirkungskreis (zu ſeiner Ankunft
in Rom) blieben uns demnach nur vier kurze Jahre, welche
ohnehin ſchon genug der Wunder, der kuͤnſtleriſchen Umwand-
lungen, der verſchiedenſten Leiſtungen aufzuweiſen haben; ſo
daß alſo, wie oben kein rechter Grund, ſo hier nicht einmal
ein Raum fuͤr jene kindlich jugendlichſten Arbeiten vorhanden
waͤre, wenn wir nicht annehmen, daß ſolche ſaͤmmtlich vor
dem Jahre 1504 gemalt worden ſind.


Unter den Arbeiten fuͤr Città di Caſtello gilt dem Lanzi
(nach einer Angabe der Einwohner, ſagt er) ein Altarblatt in
*)
3 *
[36] S. Niccola di Tolentino fuͤr das aͤlteſte; es ſey in ſeinem ſieb-
zehnten Jahre, alſo um 1500, gemalt worden. Laͤge es uͤber-
haupt in des Lanzi hiſtoriſcher Manier, Data zu vergleichen,
hieraus Folgen zu ziehn, ſo wuͤrde er, annehmend, daß Ra-
phael
ſchon 1500 auf eigene Rechnung gemalt habe, noth-
wendig auf die oben entwickelten, oder ihnen aͤhnliche Reſul-
tate gelangt ſeyn. Das Bild ſelbſt, welches Vaſari aus
Fluͤchtigkeit, oder weil er es nicht anerkannte, ganz uͤbergeht,
habe ich ſo wenig, als Caſtello uͤberhaupt, geſehen; kann auch
nicht angeben, ob es noch an derſelben Stelle, oder gleich den
uͤbrigen veraͤußert ſey. Indeß, wenn auch Manches in den
ſehr allgemeinen Angaben des Lanzi (die Spruͤche in den
Haͤnden der Engel, die architectoniſche Einfaſſung des Gan-
zen) die Moͤglichkeit nicht auszuſchließen ſcheint, daß in jenen
oͤrtlichen Traditionen einiger Grund, das Bild alſo dem be-
ſchriebenen der Nonnen des heiligen Anton von Padua etwa
gleichzeitig ſey; ſo wird doch, da Lanzi die fruͤheren Kunſt-
ſtufen des Raphael nicht hinlaͤnglich unterſchieden hat, auf
deſſen Zeitangabe ſo wenig, als auf ſein Kunſturtheil zu bauen
ſeyn. Um ſo weniger, da ihm das Bild des Gekreuzigten,
damals noch zu Caſtello in der Kirche S. Domenico, beynahe
gleichzeitig (circa quel tempo) zu ſeyn ſchien.


Dieſes Gemaͤlde, welches gegenwaͤrtig zu Rom die Gal-
lerie des Cardinal Feſch verſchoͤnt, zeigt am Fuße des Kreu-
zes die Worte: RAPHAEL VRBINAS P.; das Jahr iſt
nicht angedeutet. Es bildet indeß, ungeachtet der truͤgeriſchen
Verſicherung des Vaſari und Lanzi, daß man daſſelbe von
den Werken des Perugino kaum unterſcheiden koͤnne, doch ſo-
wohl in der Anordnung, als in der Zeichnung und im Auf-
trage, bereits den Uebergang zu einer beſtimmten, neueren
[37] Richtung Raphaels. Es muß daher, wenn auch nur um
Monate, doch immer ſpaͤter ſeyn, als das beruͤhmte Spoſa-
lizio. Das letzte Werk, dem Vaſari, Fortſchritte annehmend
(als wenn jedes Spaͤtere nothwendig auch ein Beſſeres ſey),
ebenfalls den Vorzug gab, enthaͤlt an dem Tempelgebaͤude des
Mittelgrundes die unverdaͤchtige Aufſchrift: RAPHAEL VR-
BINAS
MDIIII
. Dieſe Jahreszahl wird uns fuͤr das Jahr
der Vollendung gelten muͤſſen; wohl ſelbſt fuͤr den Anfang
des Jahres, da Raphael ſchon im Verlaufe des folgenden
jenen ganz neuen Weg eingeſchlagen hatte, zu welchem das
Bild des Cardinal Feſch den Uebergang macht, und auf wel-
chen wir ſpaͤter zuruͤckkommen werden.


Ueber die Anordnung, den allgemeinen und beſonderen
Charakter der einzelnen Figuren habe ich nichts zu ſagen;
durch beliebte Kupferſtiche iſt das Bild auch bey denen be-
kannt, welche das Original nicht geſehen haben. Nur be-
merke ich, daß in dem noch wohlerhaltenen, doch leider der
Sonne bisweilen ausgeſetzten Originale die Pinſelfuͤhrung
geiſtreich modellirend, der Auftrag paſtos und markig iſt, auch
bereits durch jene ſchon beruͤhrten, weißlichen, doch lichtvollen
Toͤne der Carnation ſich auszeichnet, welche unter den ſpar-
ſamen aͤußeren Kennzeichen raphaeliſcher Gemaͤlde das ſtand-
hafteſte, untruͤglichſte ſeyn moͤchten; auch, daß in den Koͤ-
pſen, beſonders in den aͤltlichen, viele Bildniſſe vorkommen;
endlich, daß in dem Bau der Geſtalten bereits jene Neigung
zum Schlanken, ja uͤbermaͤßig Verlaͤngerten hervortritt, welche,
wie ich nachweiſen werde, in der nun bald eintretenden Epoche
Raphaels wiederholt ſich bemerklich macht *).


[38]

Doch, ehe ich dieſe erſten Symptome einer voruͤbergehen-
den Hinneigung zum Willkuͤhrlichen, Fluͤchtigen, bis zum Ge-
zierten Anmuthigen, weiter verfolge, werde ich Einiges dem
Spoſalizio ſich naͤher Anſchließende, ihm wahrſcheinlich Gleich-
zeitige, oder nahe Vorangehende einſchalten muͤſſen.


Unter den Arbeiten der bezeichneten Claſſe gewaͤhre ich
bereitwillig der Pietà des Grafen Toſi zu Brescia die erſte
Stelle. Die Hoͤhe dieſer kleinen Tafel betraͤgt etwa fuͤnf
Viertheile eines rheiniſchen Fußes; die Breite drey. Nach
dem Herkommen, eine entkleidete Halbfigur; die Stellung, die
Lagen der Glieder und Formen, hier nach einem wunderbaren
Schoͤnheitsgefuͤhle in den engen Raum wohl eingeordnet. Der
Ausdruck in dem ſchoͤnen Antlitz, die reinen, zuͤchtigen Formen,
die edle Haltung des Bildes, der rechte Arm, bis zum Ge-
lenke anliegend, von dieſem aus ſanft erhoben zum Segnen.


Leider hat dieſes koͤſtliche Bildchen der Reſtaurator ſo
glatt gerieben, daß nur an einzelnen Stellen, unter den Augen,
*)
[39] an der linken Hand, einige Spuren raphaeliſcher Modellirung
wahrzunehmen ſind. Auch zeigt es an vielen Stellen unwill-
kommene Retouchen.


Der linke Arm ſchließt ſich, wie abſichtlos den Blick
auf die Seitenwunde lenkend, dem Leibe naͤher an, als der
ſegnende rechte. Mit dem gluͤcklichſten Tact fuͤr das Ange-
meſſene iſt beſonders in der Hand das Modell benutzt; ſonſt
der Oberarm, wie es auf fruͤheren Stufen den redlichen Zeich-
nern wohl begegnet, etwas lang genommen, die einzelnen For-
men zu ſehr hervorgehoben. Raphael ſcheint eben damals
ein beſtimmtes jugendliches Modell fleißig benutzt zu haben,
welches in den Figuren des Spoſalizio, der Bekleidung unge-
achtet, ſich fuͤhlbar macht, und in der bekannten Sammlung
von Handzeichnungen, ſonſt im Beſitze des Malers Boſſi,
jetzt in der Akademie der Kuͤnſte zu Venedig, wiederholt, in
Studien, vorkommt.


Dieſe Zeichnungen, gegenwaͤrtig ſieht man ſie vereinzelt
an den Waͤnden eines inneren Zimmers der Anſtalt aufge-
ſtellt, enthalten zugleich mit aͤlteren und neueren Stuͤcken eine
nicht unwichtige Zahl von Studien Raphaels, deren aͤchte
meiſt der Epoche des Spoſalizio angehoͤren. Es finden ſich
unter denſelben Studien zu Figuren der Libreria im Dome
von Siena, zum Kopfe des Johannes in der Kroͤnung der
Jungfrau, ſonſt in S. Francesco zu Perugia, jetzt in der
vaticaniſchen Gallerie.


Schoͤner, tiefer, gefuͤhlvoller, dem Bilde zu Brescia aͤhn-
licher iſt freylich die wundervolle Zeichnung der Bibliothek
Ambroſiana zu Mailand, in der Sammlung des weyland Pa-
dre Reſta, Fó. b. Dort wird ſie dem Piero della Francesca
zugeſchrieben, ein Name, auf welchen Alles paßt, weil mit
[40] demſelben gegenwaͤrtig keine Vorſtellung zu verbinden iſt; den
ſelbſt Vaſari ſichtlich mehr aus Patriotismus beguͤnſtigt. In-
deß, unangeſehn, daß unſere Zeichnung im Saume ein R.
zeigt, welches nicht zufaͤllig, noch eingeſchoben zu ſeyn ſcheint,
bezeugt Form, Wendung, Ausdruck, Zeichnungsart, daß ſie
dem Raphael von Urbino, und zwar der Epoche ſeiner Wirk-
ſamkeit angehoͤre, welche uns gegenwaͤrtig beſchaͤftigt.


Sie iſt auf grundirtem, mit Bleyweiß uͤberzogenem Pa-
pier in Sepia, Zinnober und Weiß ſchraffirt. Der Gegen-
ſtand: jugendlicher Chriſtuskopf, etwas zur Seite geneigt, der
Hals bis zum Anſatze der Schulter. Der Kopf iſt jenem in
der eben beſchriebenen Pietà nicht unaͤhnlich, doch wahrſchein-
licher vorbereitendes Studium zu einem anderen Bilde, wel-
ches, aus dem Hauſe Inghirami veraͤußert, im Jahre 1818,
von der Majeſtaͤt Ludwigs, Koͤnigs von Bayern, fuͤr Deſſen
reiche Kunſtſammlung erſtanden wurde.


Der Gegenſtand des bezeichneten Bildes iſt die Aufer-
ſtehung des Erloͤſers. Obwohl die Figur des Heilands, wel-
cher hier nicht ſchwebt, ſondern auf dem Rande des Grabes
ſteht, an verwandte Motive des Perugino erinnert, ſo iſt doch
das Antlitz beſeelter, in den Formen des nackten Oberleibes,
beſonders jedoch in den Haͤnden mehr unmittelbare Beobach-
tung und Kenntniß der Natur, als ſelbſt in den beſten Ar-
beiten des Pietro je ſich verraͤth. Wenn die ſchlafenden Sol-
daten ihm frey nachgeahmt ſind, ſo iſt doch der fliehende im
Mittelgrunde neu, die Landſchaft reicher, mehr Kraft und
Klarheit in der Carnation. Auf dem Schilde des einen Waͤch-
ters zeigen ſich Spuren der Worte: RAPHAEL SANTIVS.
Indeß iſt ihre Aechtheit der Uebermalung willen zweifelhaft.
Auch pflegen auf den Altarſtaffeln die Aufſchriften nicht an-
gebracht zu werden.


[41]

Mit dieſem Bilde zugleich ward ein gleich großes, die
Taufe Chriſti, erſtanden; beide ſcheinen, ihrer oͤligen Ueber-
zuͤge ungeachtet, a tempera gemalt zu ſeyn; vielleicht, weil
ſie, obwohl in Oel, doch wie a tempera behandelt ſind, was
in den fruͤheren Arbeiten Raphaels nicht ohne Beyſpiel iſt.
Gewiß ſind beide Ueberreſte einer Altarſtaffel von beſonders
ſorgfaͤltiger Behandlung und ungewoͤhnlicher Hoͤhe; denn an
den Ruͤckſeiten waren, als ich ſie ſah, Spuren der Saͤge be-
merklich, welche das fruͤher ſtaͤrkere Brett in ſeiner Dicke
durchſchnitten hatte. Ich ſetze hier als bekannt voraus, daß
bey Gemaͤlden, welche von Anbeginn die Beſtimmung erhal-
ten, in Rahmen aufgehaͤngt zu werden, die Tafeln auch dar-
auf eingerichtet, das iſt, in gehoͤrigem Maaße verduͤnnt wer-
den. Bey verſchiedenen aͤlteren Gemaͤlden Raphaels, denen
dieſe Zierde vormals ſicher nicht gefehlt hat, verſaͤumte Vaſari
die Gegenſtaͤnde des Gradino anzugeben. Es koͤnnen daher
noch immer vergeſſene Arbeiten dieſer Art an das Licht treten.
Kuͤrzlich brachte man ſolche Stuͤcke zu Rom in den Handel,
deren Aechtheit, ich habe ſie nicht geſehn, von Kennern aner-
kannt, doch ihr trauriger Zuſtand nur um ſo mehr bedauert
wurde. Auch ſcheint die Anbetung der Koͤnige in der Gal-
lerie des koͤniglichen Schloſſes Chriſtiansburg zu Copenhagen,
obwohl ſehr glatt gerieben, auch ihrer Velaturen beraubt,
einem raphaeliſchen Gradino derſelben Kunſtſtufe entnommen
zu ſeyn. Drey kleine Runde, welche auf ſchwarzem Grunde
zwey Schutzheilige von Perugia (S. Lodovico und S. Erco-
lano
), und das mittlere eine Pietà enthalten, wurden mir,
als Ueberreſte des Gradino der Kroͤnung der Jungfrau, ſonſt
in S. Francesco zu Perugia, von den Vorſtehern dieſer Ge-
meinde abgetreten. Ich hatte das Gluͤck, ſie der koͤniglichen
Hoheit des Kronprinzen von Preußen darbringen zu duͤrfen,
[42] deſſen fuͤr jedes Edle und Hohe empfaͤngliche Gemuͤth dieſes
Opfer zu wuͤrdigen gewußt. Der bekannteſte Kunſtfreund,
Herr Wikar, Maler, zu Rom, beſitzt ein viertes Rund mit
einer heiligen Katharina, welches demſelben Gradino angehoͤrt
und mit den uͤbrigen Stuͤcken gedient hat, entweder kleine
Vorſpruͤnge zu verzieren, oder auch laͤngere Abtheilungen von
einander abzuſondern. Auch dieſer mit den aͤußeren Kennzei-
chen Raphaels ſehr vertraute Kenner, vormals aͤſthetiſcher
Commiſſar der franzoͤſiſchen Republik in der Zeit ihrer Aus-
breitung uͤber Italien, war der Abkunft ſeines Fragments
ſehr gewiß, was die Vermuthung erweckt, er kenne deſſen
Urſprung.


Zwey Zeichnungen, deren ſchon Vaſari allgemeinhin er-
waͤhnt, ſtehen nach ihrem Charakter dem Spoſalizio ſehr nahe;
die eine im Hauſe Baldeſchi zu Perugia, die andere unter den
Handzeichnungen der florentiniſchen Gallerie der Uffizj; beide
Entwuͤrfe fuͤr Wandgemaͤlde des Chorbuͤchergemaches (libre-
ria
) im Dome zu Siena, beide in derſelben Manier, braun
mit Sepia getuſcht, und, kaum noch bemerklich, mit Deckweiß
nachgehoͤht.


Hier begegnen wir von Neuem jener vorwitzigen Will-
kuͤhrlichkeit, welche der modernen Kunſthiſtorie ſo haͤufig fuͤr
Kritik und Kennerſchaft gilt. Vaſari, die Quelle, aus welcher
hier allein geſchoͤpft wird, ſagt im Leben des Pinturicchio:
Raphael machte die Entwuͤrfe und Cartons fuͤr ſaͤmmt-
liche
Darſtellungen,“ und dagegen im Leben Raphaels: „er
habe fuͤr jenes Werk einige Zeichnungen und Cartons ge-
macht.“ Vaſari war demnach nicht gewiß, ob Raphael nur
einige, oder alle Darſtellungen entworfen; ob er nur Skizzen
und Entwuͤrfe, oder ausfuͤhrliche Zeichnungen in der Groͤße
[43] der Gemaͤlde gemacht habe. Gegen das letzte ſprechen zwei
gleich erhebliche Umſtaͤnde. Der eine: daß nun ſeit dreyhun-
dert Jahren kein eigentlicher Carton irgend einer der zahlrei-
chen Darſtellungen der Libreria an das Licht getreten iſt; der
andere: daß die Gemaͤlde ſelbſt in keinem Theile ſo ſtreng,
durch Beobachtung, oder ernſtliche Ueberlegung ausgebildet er-
ſcheinen, daß man genoͤthigt, oder nur berechtigt waͤre, anzu-
nehmen, ſie ſeyen mit Huͤlfe und nach der Vorſchrift von
Cartons im eigentlichen Sinne ausgefuͤhrt, deren Gebrauch
uͤberhaupt damals noch nicht allgemein war.


Es bliebe demnach nur ſo viel auszumachen, welcher
von beiden entgegengeſetzten Angaben des Vaſari man zu fol-
gen habe. Lanzi verſichert *): es befriedige ihn die erſte mehr,
als die andere; ſeine Gruͤnde ſind indeß von ſo leichtem Ge-
halt und ſo leichtfertig hingeworfen, daß ſie der Kritik keine
Anknuͤpfungspunkte darbieten. Auch wird es unnoͤthig ſeyn,
ſie ernſtlich zu nehmen, theils weil ſie darauf nicht Anſpruch
machen, theils, und beſonders, weil es ſich aus dem Thatbe-
ſtande ergiebt, daß jene Darſtellungen aus dem Leben Pius II.
in der Libreria des Domes nicht wohl ſaͤmmtlich von
Raphael koͤnnen entworfen ſeyn.


Daß bisher nirgendwo andere, als die genannten Zeich-
nungen ſind geſehn und erwaͤhnt worden, moͤchte dem Zufall
beyzumeſſen ſeyn, weßhalb ich auf dieſen Grund verzichten
will. Allein woher die Zeit nehmen? Sehr genau wiſſen wir
nicht, wann man begonnen habe, in der Libreria zu malen;
doch in Anſehung des Umfanges der Unternehmung und der
Gewißheit, daß ſie laͤngſt vor dem Todesjahre Pius III.
[44] (1503) muß in Arbeit genommen ſeyn, wird es hoͤchſt un-
wahrſcheinlich, daß Raphael den erſten Gedanken des Ganzen
gefaßt, und die einzelnen Darſtellungen ſaͤmmtlich entwor-
fen habe. Wie jung mußte er ſeyn, als das Werk begonnen
wurde; wie mannichfach ſahen wir ihn waͤhrend eben dieſer
Jahre beſchaͤftigt. Indeß bedarf es, eine ganz willkuͤhrliche
Annahme zu widerlegen, keiner ſo weit hergeholten Gruͤnde;
die Sache ſpricht fuͤr ſich ſelbſt; denn mit Ausnahme derje-
nigen Darſtellungen, deren Entwuͤrfe von Raphaels Hand noch
vorhanden ſind, widerſtreben alle uͤbrigen dem Charakter ſelbſt
ſeiner fruͤhen und fruͤheſten Zuſammenſtellungen durchaus, un-
terbricht und verknuͤpft in ihnen keine Art gegenſeitiger Be-
ziehung die quadrataͤre Anhaͤufung ihrer zahlreichen Figuren.


Vaſari ſpricht unter allen Umſtaͤnden nur von Entwuͤr-
fen und Zeichnungen; doch, nicht befriedigt durch die moͤg-
lichſt weite Ausdehnung des Sinnes ſeiner Angaben, gefaͤllt
man ſich, dem Raphael ſelbſt deren maleriſche Ausfuͤhrung
beyzumeſſen. Wer den naiven Localpatriotismus italieniſcher
Staͤdter kennt, den wird es nicht befremden, wenn auch die
Sieneſer einem der geruͤhmteſten Werke ihrer Stadt durch
einen ſolchen Namen groͤßeres Anſehn zu verleihen wuͤnſchen.
Dieſe haben den Bottari uͤberredet *), dem wiederum
Lanzi gefolgt iſt. Bottari indeß begnuͤgt ſich, in dem letzten,
gegen die Kirche gewendeten Bilde, der nach 1503 gemalten
Kroͤnung Pius III., Raphaels Hand, „ſogar deſſen Faͤrbung“
wahrzunehmen (ſeine Faͤrbung in einem Mauergemaͤlde? wo-
her nimmt er die gleichartigen und gleichzeitigen Gegenſtaͤnde
der Vergleichung?). Lanzi aber ſagt zu dieſer Bemerkung:
[45] „es ſcheint alſo, daß Raphael bis zu der letzten Darſtellung
fortgefahren habe, an dem Werke zu arbeiten,“ knuͤpft an
dieſe Worte Lobſpruͤche auf das Ganze, als eines Werkes,
welches dem Raphael in Anſehung ſeiner Jugend die groͤßte
Ehre bringe, faſt unerklaͤrlich ſey, ſo daß er durch den Kunſt-
vortheil weltmaͤnniſch leichter Tranſitionen Raphaels Theil-
nahme an der maleriſchen Ausfuͤhrung des Werkes behaup-
tet, ohne der Muͤhe ſich unterzogen zu haben, ſie zu zeigen
und zu beweiſen.


Sichtlich haben in der Libreria viele Gehuͤlfen die Hand
angelegt; in der Kroͤnung des Aeneas Sylvius zum officiellen
Poeten iſt des Soddoma Hand, Geiſt und Geſchmack unver-
kennbar. Man vergleiche dieſes Bild mit den faſt gleichzeiti-
gen Wandgemaͤlden im großen Hofe des Kloſters Monte
Uliveto maggiore. An anderen Stellen macht ſich Pacchia-
rotto
bemerklich, hier den al guazzo Gemaͤlden auf Leinwand
aͤhnlich, welche in der Kirche der Olivetaner außerhalb des
Staͤdtchens S. Gimignano gezeigt werden. Anderen, minder
bekannten Gehuͤlfen iſt das Geringere in dieſen Ausfuͤhrungen
beyzumeſſen, Einiges dem Unternehmer ſelbſt. Raphaels Hand
indeß verraͤth ſich nirgends; nicht einmal in den beiden Ge-
maͤlden, welche ſicher nach ſeinem Entwurfe ſind ausgefuͤhrt
worden.


Jegliche Spur jenes lebendigen, feinen Naturells, wel-
ches in beiden Zeichnungen ſich ausdruͤckt, jener bis in das
Untergeordnete ſinnvollen Abſichtlichkeit, welche in beiden die
Bewunderung der Kenner macht, iſt in deren maleriſcher und
vergroͤßerter Ausfuͤhrung ausgeloͤſcht. Die zierliche Beſtimmt-
heit in der Andeutung der Formen in Stirn und Naſe, im
Kinne, in den Backen, welche in beiden Zeichnungen ſo oft
[46] an die Koͤpfe des Spoſalizio erinnert, iſt in den ſo viel groͤ-
ßeren Gemaͤlden nicht allein, wie bey eigener Ausfuͤhrung
haͤtte eintreten muͤſſen, nicht weiter gebildet, ſogar durchaus
verwiſcht. Die jugendliche Figur zu Pferde, welche fuͤr Ra-
phaels
Bildniß gilt, hat in der Zeichnung (der florentini-
ſchen) eine durchaus verſtandene, ſchoͤn motivirte Bekleidung;
in dem Gemaͤlde hingegen ſinnloſes, ſteifmaniertes Gefaͤlte.
Beſſer iſt allerdings die Ausfuͤhrung des anderen Bildes, deſ-
ſen Zeichnung zu Perugia; ich glaube, daß Pinturicchio darin
ſelbſt Hand angelegt habe. Deſſenungeachtet treffen auch dieſe
manche der obigen Vorwuͤrfe, ſind darin Zuſaͤtze und Abaͤn-
derungen des urſpruͤnglichen Entwurfes enthalten, welche deut-
lich an den Tag legen, daß Raphael weder die Zeichnung
ſelbſt in Siena gemacht, noch deren vergroͤßerte Ausfuͤhrung
geleitet haben konnte.


Der Gegenſtand des letzten iſt: die erſte Begegnung Kai-
ſer Friedrichs III. mit ſeiner Braut, einer Prinzeſſin von Por-
tugall
. Dieſes Ereigniß fand an einem Thore von Siena
ſtatt, wo man zu deſſen Andenken eine Saͤule aufgerichtet
hat. Pinturicchio ließ dieſe Stelle, ſogar das Denkmal, auf-
nehmen und im Hintergrunde der Darſtellung anbringen; im
Vorgrunde fuͤhrte er Bildniſſe ein, von ausgezeichneten ſiene-
ſiſchen Perſonen. Allein die raphaeliſche Zeichnung im Hauſe
Baldeſchi enthaͤlt, weder die Andeutung der Bildniſſe, noch
im Hintergrunde Anderes, als die einfachſte Andeutung von
Linien der Gegend von Perugia. Es haͤtte, waͤre dieſe Zeich-
nung in Siena entſtanden, nahe gelegen, alsbald den Hinter-
grund anzudeuten, wie der Unternehmer ihn wollte. Die Com-
poſition der Figuren mußte ſo eingerichtet werden, daß nahe
Gebaͤude nicht gaͤnzlich verdeckt wurden. Daß man die neuen
[47] Figuren, daß man den Hintergrund, beide ohne raphaeliſches
Liniengefuͤhl, in die Compoſition eingeſchoben, eingedraͤngt habe,
iſt nicht ſchwer aufzufaſſen.


Raphael ſcheint demnach dieſe groͤßte Unternehmung des
Pinturicchio nur abweſend unterſtuͤtzt zu haben. Vaſari hin-
gegen erzaͤhlt: „Pinturicchio habe den Raphael, als einen
trefflichen Zeichner (verſtehe, Erfinder), nach Siena berufen,
wo derſelbe ihm einige Zeichnungen (Entwuͤrfe) machte. Daß
er jedoch damit nicht fortgefahren, ſey daher entſtanden, daß
Raphael, als er von einigen zu Siena anweſenden Malern
die Cartons von Michelangelo und Lionardo, fuͤr den großen
Saal des alten Palaſtes, habe ruͤhmen hoͤren, jene Arbeit be-
ſeitigend nach Florenz gezogen ſey.“ Ob Vaſari, welcher der
poetiſchen Neigung, Uebergaͤnge zu machen, Entſchließungen
zu motiviren, uͤberhaupt nachzugeben gewohnt iſt, hier eben-
falls nur ſich ausgedacht habe, was den Umſtaͤnden angemeſ-
ſen ſchien, oder im Gegentheil achtbaren Quellen und Tradi-
tionen gefolgt ſey, iſt nicht ſo leicht auszumachen. Nach Flo-
renz
konnte Raphael eben ſowohl uͤber Siena, als auf einem
anderen Wege gereiſet ſeyn, den Freund im Vorbeyziehn be-
ſucht, obwohl, nach den Gruͤnden, welche ich angegeben, nicht
leicht an der Arbeit anweſend Theil genommen haben. Doch
fragt es ſich, ob die Zeit, in welcher das Werk noch in Ar-
beit war, mit Raphaels erſter florentiniſcher Reiſe zuſammen-
falle; woruͤber Vaſari weder Auskunft ertheilt, noch ſelbſt er-
theilen konnte, weil er, der uͤberhaupt die ſicheren Zeitbeſtim-
mungen nicht hinreichend wuͤrdigte, auch in dieſer Beziehung
verſaͤumt hat, ſich eine Gewißheit zu erwerben, welche damals
ganz leicht mußte zu erlangen ſeyn.


Aus den Aufſchriften zweyer Gemaͤlde, glaube ich, deren
[48] Charakter hinzugenommen, darlegen zu koͤnnen, daß Raphaels
erſte Ausflucht nach Florenz zu Ende des Jahres 1504, oder
zu Anfang des folgenden, kurz an der Grenze beider Jahre
ſich muͤſſe ereignet haben. Das Spoſalizio, mit dem Jahre
1504, zeigt, nach meinen Wahrnehmungen, noch keine Spur
der Bekanntſchaft mit florentiniſchen Richtungen und Vorbil-
dern *). Hingegen iſt an dem Wandgemaͤlde im Kloſter S.
Se-
[49] Severo zu Perugia, mit dem Jahre 1505, die Einwirkung frem-
der, den Schulen von Perugia, Fuligno, von anderen Staͤdten
der Oſtſeite Mittelitaliens durchaus nicht angehoͤrender Vor-
bilder ganz unverkennbar; mehr auf ſchon ſicherer Kenntniß
beruhender Schwung in der Zeichnung, in den Gewaͤndern
jenes Maſſige, Breite, welches unter den Neueren Maſaccio
zuerſt verſucht hat. Indeß war Raphael zu keiner Zeit ein
platter Nachahmer; das neue maleriſche Element fand ihn
ſchon vorbereitet, ergriff ihn, weil es mit ſeinen eigenthuͤmlich-
ſten Wuͤnſchen und Abſichten wunderbar uͤbereintraf, ihn uͤber
ſich ſelbſt aufklaͤrte.


*)


III. 4
[50]

Schon in dem Spoſalizio zeigt es ſich deutlich, daß Ra-
phael
uͤber den eingeſchraͤnkten Kreis peruginiſcher Stellungen
hinausſtrebte, daß er ſeinen Geſtalten leichtere, belebtere Wen-
dungen zu geben trachtete, mit den Gelenken ſich ernſtlich be-
ſchaͤftigte, auf deren Kenntniß ſo Vieles beruht: Anmuth der
Lage und Wendung, gegenſeitige Beziehung und richtiger Aus-
druck der einzelnen Geſtalten. Gelenkigkeit wird aber durch
einen ſchlanken Bau beguͤnſtigt; daher gleichzeitig ſelbſt bis
zur Uebertreibung ſchlanke Figuren, in den Studien, wie in
den ausgefuͤhrten Gemaͤlden. Gleichzeitig ſtreift die Anmuth
ſeiner Lagen und Wendungen nicht ſelten an das Gezierte.
Es lag dem herrlich begabten, allein noch unerfahrenen Juͤng-
linge nahe, dieſe Richtung, deren endliches Ziel unverwerflich
iſt, voruͤbergehend bis uͤber die Grenze des Moͤglichen und
Gefaͤlligen hinauszufuͤhren.


Die aͤußeren Grenzen der Epoche, in welcher Raphael
jene fluͤchtigen, etwas gezierten, doch geiſtreich entworfenen
Gemaͤlde hervorbrachte, koͤnnen mit Zuverſicht angegeben wer-
den. Das Wandgemaͤlde im Kloſter S. Severo zu Perugia
hat das Jahr 1505 *). Das Altargemaͤlde der Ortſchaft
Peſcia blieb aber, als Raphael 1508 in Rom ſich niederließ,
noch unvollendet zu Florenz zuruͤck. Freylich nun umfaßt der
bezeichnete Zeitraum, von 1505 bis 1508, zugleich mit dieſen
etwas fluͤchtigen Werken jene emſigen, uͤberlegten, gruͤndlichen
[51] Studien und Gemaͤlde, welche gemeiniglich der florentiniſchen
Epoche Raphaels untergeordnet werden. Allein es darf uns
nicht eben befremden, daß in jener denkwuͤrdigen Epoche des
Ringens nach hoͤchſter Kraftentwickelung zwey entgegengeſetzte
Richtungen einander ſich durchkreuzend begleiten: angeſtrengtes
Studium und freyer Verſuch ſelbſtſtaͤndiger Kraft. Denn,
genau genommen, ſollte jegliche fruchtbare Geiſtesentwickelung
gleiche oder aͤhnliche Symptome zeigen, wenn auch nicht noth-
wendig, wie Raphaels, in ſo vielen gaͤnzlich verſchiedenen Pro-
ductionen. Es ſcheint, daß Raphael, von Anbeginn darauf
bedacht, in jedem einzelnen Bilde etwas Brauchbares und
Preiswuͤrdiges zu leiſten, abſichtlich vermieden habe, in dem-
ſelben Gemaͤlde widerſtrebende Richtungen zu vereinigen; der
Harmonie willen vorgezogen, das eine ſtreng und gruͤndlich,
das andere leicht und geiſtreich zu behandeln; auf dieſe Weiſe
zugleich den billigen Anſpruͤchen der Beſteller und dem Be-
duͤrfniß ſeiner kuͤnſtleriſchen Entwickelung habe entſprechen
wollen.


Die fruͤheſte Spur muthiger Erprobung deſſen, was der
junge Meiſter ohne erhebliches Studium durch eigene Kraft
vermoͤge, ſcheint in der bekannten Kroͤnung der Jungfrau her-
vorzutreten, welche vordem in S. Francesco zu Perugia, jetzt
zu Rom in der vaticaniſchen Gallerie. Vaſari erwaͤhnt die-
ſer Tafel als einer, nach ſeiner Erinnerung, taͤuſchenden Nach-
ahmung des Perugino, vor allen anderen Gemaͤlden Raphaels;
doch bleibt es undeutlich, ob er ſie auch, wie Lanzi ihn zu
verſtehen ſcheint, fuͤr das aͤlteſte gehalten. Das letzte koͤnnte
man ihm nicht wohl einraͤumen, das erſte ebenfalls nur be-
dingungsweiſe. Denn es vereinigt dieſes Bild auf eine raͤth-
ſelhafte Weiſe wiederaufſteigende Erinnerungen aus dem fruͤ-
4 *
[52] heren Jugendleben des Kuͤnſtlers mit eben jenen moderneren
Tendenzen, deren erſte Andeutung uns eben beſchaͤftigt hat.
In dem kraͤftigen Tone der Faͤrbung des Ganzen, in dem
Antlitz der Jungfrau, in dem Verhaͤltniß der inneren Geſichts-
theile zu dem vollen Umriſſe vieler anderen Koͤpfe erinnert
Manches an jene aͤlteren und aͤlteſten Gemaͤlde Raphaels,
welche ohne Zwang aus dem Vorbilde oder der Anweiſung
des Perugino nicht wohl abzuleiten ſind. Hingegen entwickel-
ten ſich unſtreitig die Charaktere der Apoſtel, beſonders aber
die niedlichen Darſtellungen im Gradino, welche gegenwaͤrtig
in eigenen Rahmen aufgeſtellt ſind, aus Lieblings- oder Ge-
wohnheits-Vorſtellungen des Pietro; iſt endlich das Beſtreben,
den Figuren mehr Schwung, Bewegung und Anmuth zu ge-
ben, als je in den Wuͤnſchen des aͤlteren Meiſters lag, ſchon
uͤber die Grenze des Richtigen hinausgefuͤhrt. Man beachte
nur den enthuſiaſtiſchen Wurf des Hauptes im Evangeliſten
Johannes. Nach allen dieſen Anzeichen ward das Bild, deſ-
ſen vereinzelte Alterthuͤmlichkeiten ich gleich anfangs einge-
raͤumt habe, ſpaͤter als das Spoſalizio, alſo gegen Ende des
Jahres 1504, oder auch wohl zu Anfang des folgenden
beendigt *).


In dieſelbe Zeit faͤllt denn nothwendig auch der vorer-
waͤhnte Gekreuzigte. Vaſari laͤßt dieſes Bild dem Spoſalizio
vorangehn und wiederum bis zur Taͤuſchung dem Perugino
gleichen. Wahrſcheinlich folgte er, als er ſchrieb, erloͤſchenden
[53] Erinnerungen, denn es ſchließt ſich vielmehr unmittelbar an
die Lunette im Kloſter S. Severo mit dem Jahre 1505. Wie
in dem Gipfel dieſes letzten, ſo auch in unſerem Bilde die
ſchwebenden Engel von wirbelnder Bewegung und ſeltſam ver-
kuͤrzter Anſicht; zudem in den Heiligen zu Fuͤßen des Kreuzes
geſuchtere Gegenſaͤtze der Wendungen und Stellungen. Uebri-
gens auch hier, wie in ſaͤmmtlichen Bildern derſelben Claſſe,
eine leichte, geiſtreiche Pinſelfuͤhrung bey geringerem, kaum das
Reisbley der Umriſſe verdeckendem Impaſto des Auftrages.


In ſchon beruͤhrtem Wandgemaͤlde des Kloſters S. Se-
vero, oben daſſelbe Motiv in den herabwirbelnden Engeln,
nicht gluͤcklicher, als dort geloͤſt; die Figuren der Heiligen zu
beiden Seiten des Heilands ſehr verlaͤngert. Uebrigens darin
der erſte Entwurf der Glorie in dem vaticaniſchen Wandge-
maͤlde der Diſputa, Chriſtus hoͤchſt edel, herrlich die ihm zur
Seite ſchwebenden Juͤnglinge, die Charaktere der ſechs Heili-
gen erhaben, die Behandlung der Gewandmaſſen breit und
anſehnlich. Dieſes hoͤchſt merkwuͤrdige Bild umſchließt gleich-
ſam den Keim alles deſſen, was Raphael um einige Jahre
ſpaͤter in Rom geleiſtet, verraͤth das einwohnende Verlangen
ſeiner Seele, zeigt, daß ſeine ſpaͤtere, glaͤnzende Entwickelung
nicht ausſchließlich beguͤnſtigenden Umſtaͤnden beyzumeſſen iſt.
In den folgenden Jahren, bis da er nach Rom gelangte,
blieb freylich ſeine Kunſt den beſchraͤnkteren Anforderungen
des buͤrgerlichen Lebens gewidmet, oder es verſchlang ſeine
Zeit das Streben nach beſtimmterem Wiſſen, in welchem er
unablaͤſſig fortſchritt.


Aus derſelben Richtung, doch wohl noch ſpaͤter, in den
Jahren 1506 oder 1507, muß jenes abweichende Madonnen-
bild entſtanden ſeyn, welches zu Rom, im Hauſe Colonna,
[54] dann Lante, endlich im Muſeo zu Berlin allen Kennern fuͤr
eine ungewoͤhnliche Production Raphaels gilt und ſeit laͤngerer
Zeit gegolten hat. Unter den Bildern Raphaels, deren Ge-
genſtand Vaſari nicht umſtaͤndlich angegeben, koͤnnte es das-
jenige ſeyn, von dem er, gegen Ende der florentiniſchen Epoche,
bemerkt: es ſey nach Siena geſandt worden *). Es ſtoͤrt
mich nicht, daß man behauptet, das Bild, welches Vaſari
hier im Sinne habe, ſey die Madonna der koͤnigl. franzoͤſi-
ſchen Sammlungen, welche den Namen der belle jardinière
erhalten hat **).


Bilder, welche, gleich der jardinière, eine gewiſſe Eigen-
thuͤmlichkeit der Compoſition haben, pflegt Vaſari zu beſchrei-
ben; die einfachen, haͤuslicher Andacht gewidmeten Madonnen
hingegen raſch zu uͤbergehen. Es iſt daher wahrſcheinlicher,
daß er die Madonna di Caſa Colonna gemeint habe, als eine
Zuſammenſtellung, welche ſeiner Feder ſo viele ſeiner beliebte-
ſten Motive darbot, wenn er ſie uͤberhaupt kannte, oder dem
Raphael ſie beymaß. Auch iſt die Madonna Colonna dem
Geſchmacke der Sieneſer wunderbar, und vielleicht abſichtlich
[55] angepaßt. Bey ſchlanken Formen zeigt dieſes Bild eine ge-
ſuchtere Grazie, als die meiſten aus derſelben Richtung Ra-
phaels
hervorgegangenen; uͤbrigens dieſelbe leichte und geiſt-
reiche Pinſelfuͤhrung, denſelben duͤnnen Auftrag, welche allen
Gemaͤlden dieſer Claſſe eigenthuͤmlich ſind und aus der Art
ihrer Entſtehung (freyer Ergießung der Phantaſie) ſich be-
quem erklaͤren laſſen. Dieſes gewandte, kenntnißreiche, kuͤhne
Bild haben Einige fuͤr aͤlter halten wollen, als das ſchon er-
waͤhnte jugendlich naive, kindliche, beſchraͤnkte, welches dieſelbe
Gallerie aus der ſolly’ſchen Sammlung erworben hat.


Gleichzeitig, wohl noch um Weniges ſpaͤter, iſt nothwen-
dig die Madonna di Peſcia, waͤhrend der franzoͤſiſchen Macht
die wichtigſte Zierde der Provincialgallerie zu Bruͤſſel, nunmehr
von Neuem im Palaſt Pitti zu Florenz. Vaſari ſagt davon:
„die Dei, florentiniſche Buͤrger, haben ihm fuͤr ihre Kapelle
in ſto Spirito zu Florenz ein Gemaͤlde aufgetragen: nach
Rom abgereiſt, habe Raphael dieſes Bild unfertig zuruͤckge-
laſſen; Herr Baldaſſare Turini von Peſcia habe es ſpaͤter,
unvollendet, wie es war, in der Pfarrkirche ſeiner Vaterſtadt
aufſtellen laſſen.“ Gegen das Ende des ſiebzehnten Jahr-
hunderts ward dieſe Tafel von den damaligen Inhabern des
Altares dem mediceiſchen Hauſe verkauft, in Folge deſſen
endlich im Palaſt Pitti aufgeſtellt. Ein dunkler Maler aus
derſelben Zeit *) hat verſucht, dem Bilde durch Vela-
turen ein Anſehn von Beendigung zu geben; es wuͤrde ver-
[56] lohnen, dieſe Ueberzuͤge abzunehmen, welche beſonders dem
Haare und Antlitz der Madonna ein fremdartiges Anſehn ge-
ben, auch ſonſt an vielen Stellen die hoͤchſt geiſtreiche Unter-
malung unnoͤthig verdecken.


Dieſe geraͤumige Tafel umfaßt mit dem heil. Petrus und
anderen Heiligen und Engeln die Madonna unter einem Thron-
himmel von ſchwerfaͤlliger Anlage (im Geſchmacke des Fra
Bartolommeo
). Zwey Engel umflattern den Thron in mehr-
beruͤhrter verkuͤrzter Anſicht und ſich ſchwingender Wendung;
die Jungfrau neigt das Haupt etwa gleich der Madonna Co-
lonna, auch in den Heiligen die Wendung etwas geſucht, das
Verhaͤltniß mehr als ſchlank; zwey Knabenengel zu den Fuͤßen
des Thrones ohne ernſtliches Studium geiſtreich hingeworfen;
die Umriſſe blicken uͤberall aus dem duͤnnen Impaſto hervor.


Wenn uͤber die Abkunft zweifelhafter Gemaͤlde eine Mei-
nung, ein Urtheil mir zuſteht, wenn es die Muͤhe lohnt, zu
unterſuchen, ob ich in ſolchen Faͤllen richtig geſehn und geur-
theilt habe, ſo werde ich hier, es pruͤfe ſie der Reiſende, Be-
merkungen uͤber ein Bild einreihen duͤrfen, deſſen Entwurf Ra-
phael
in der Madonna di Peſcia verjuͤngt zu haben ſcheint.
Es befindet ſich uͤber dem Hauptaltare der Kirche S. Giro-
lamo zu Perugia und gilt dort, nach Traditionen, oder auch
urkundlichen Beweiſen, fuͤr eine Arbeit des Pinturicchio. Die-
ſer Kuͤnſtler hatte bekanntlich den Erwerbsgeiſt ihm gleichzei-
tiger Zunftgenoſſen noch uͤberboten, ſchlug nicht leicht eine
kuͤnſtleriſche Unternehmung aus, zu deren Ausfuͤhrung die Ge-
ſellen ihm niemals fehlten. Als Unternehmer verdungener
Arbeiten hatte er Raphaels Talent bereits gelegentlich der
Wandverzierungen im ſieneſiiſchen Dome in Anſpruch genom-
men. Weßhalb denn nicht auch an dieſer Stelle? Zu Bewei-
[57] ſen urkundlicher Art iſt freylich nicht viel Hoffnung vorhan-
den; die Vorzuͤge, der Charakter des Bildes, welche beide
weit uͤber den Pinturicchio hinausgehn, ſind hier die einzigen
ganz ſicheren Stuͤtzpuncte.


Wie in der vorigen Tafel, ſo ſitzt auch hier die Jung-
frau unter einem Thronhimmel, den Thron ſchmuͤcken indeß
zierlichere architectoniſche Theile, deren Weiß ſehr rein gehal-
ten iſt. Ueber dem Throne regelmaͤßig vertheilte Cherubskoͤpfe,
wie ſonſt in dem Raphael der Muͤnchener (Duͤſſeldorfer) Gal-
lerie; ſeitwaͤrts umſchweben den Thron Engel in jener Bewe-
gung und Anſicht, welche keinem der vorangehenden Bilder
fehlten. Zu beiden Seiten des Thrones, auf dem Boden,
ſtehen die Heiligen Franciscus, Anton von Padua, Johannes
Baptiſta
und Hieronymus. Der landſchaftliche Grund von
vortrefflichen Linien, die Himmelsblaͤue nicht peruginesk dun-
kel, ſondern licht und ſtrahlend, wie Raphael ſie liebte. Der
Kopf der Madonna naͤhert ſich in den Formen dem Bilde,
welches die Madonna del Granduca genannt wird.


Leider iſt dieſes ausnehmende Bild ganz ungemein ver-
waſchen; der Kopf des heil. Franz bis auf die Untermalung.
Doch nur um ſo deutlicher ſieht man die paſtoſe Helligkeit
der Unterlagen. Der Kopf des heil. Hieronymus hat wenig
mehr, als die Laſuren eingebuͤßt; er iſt ganz raphaeliſch, das
iſt, colorirt, wie Raphael in der Mitte ſeiner florentiniſchen
Laufbahn faͤrbte.


Ueber das Ganze iſt ſo viel Schoͤnheit ausgegoſſen, es
zeigt ſich, bey gegenwaͤrtigem Zuſtande, darin ſo viel techniſch
Belehrendes, daß es, auch von dem Intereſſe des Namens
abgeſehn immer hoͤchſt beachtenswerth ſeyn duͤrfte.


Fuͤr neuer, wie dieſes, etwa dem Bilde von Peſcia
[58] gleichzeitig, halte ich eine andere unvollendet gebliebene Ma-
donna mit dem Kinde, Halbfigur, in der Hauskapelle der Fa-
milie Gregori zu Fuligno, welche, wenn ſie uͤberhaupt von
Raphaels Hand iſt, nothwendig derſelben Richtung angehoͤrt,
als die obigen Gemaͤlde. Wie bey jenem von Peſcia, ſo iſt
auch in dieſem Bilde dem Haare der Madonna offenbar nach-
geholfen, was dem Kopfe ein fremdartiges, unraphaeliſches
Anſehn giebt. Wahrſcheinlich ward in beiden Gemaͤlden das
Haar ganz weggelaſſen, fuͤr die, unterbliebene, Uebermalung
aufgeſpart. Da nun deſſenungeachtet beide, nicht als Studien
aufbewahrt, ſondern in einer Kappelle, in einem Saale ſollten
aufgeſtellt werden, ſchien vielleicht der Haarſchmuck kaum ent-
behrlich, wurde er nach den Umſtaͤnden ergaͤnzt. In dem
Bilde Gregori blickt der entſchloſſene, bewegte Umriß eben-
falls durch das Impaſto. Doch erinnere ich, daß ich dieſes
Bild nur bey Kerzenlicht, nicht am vollen Tage habe unter-
ſuchen koͤnnen.


Das Gemeinſchaftliche in dieſen und anderen, wenn es
deren noch giebt, ihnen aͤhnlichen Beyſpielen ſchmeichle ich
mir genuͤgend ins Licht geſetzt zu haben. Es bleibt mir, zu
zeigen, daß Raphael von ſolchen Uebungen und Verſuchen
ſelbſtſtaͤndiger Kraft ſich unablaͤſſig zum ſtrengſten Studien-
fleiße zuruͤckgewendet habe, die Werke aufzuzaͤhlen, welche da-
fuͤr Zeugniß ablegen.


Der ſtrenge Studienfleiß bey Loͤſung beſcheidener haͤus-
licher Aufgaben, wie ſolche dem noch wenig bekannten Juͤng-
ling unter engbuͤrgerlichen Verhaͤltniſſen gerade ſich darboten,
tritt uns zuerſt in zweien haͤuslichen Andachtsbildern entgegen,
welche Vaſari, ſo deutlich, als wahrſcheinlich, als ſeine floren-
tiniſche Laufbahn eroͤffnend bezeichnet. Vaſari erzaͤhlt: „vor
[59] Anderen habe Taddeo Taddei den jungen Raphael geehrt, ihn
ſtets (oder doch oft) in ſeinem Hauſe, an ſeiner Tafel ſehen
wollen; Raphael daher, um ſeine Dankbarkeit zu bezeugen,
habe jenem zwey Bilder gemalt, das eine in der Weiſe, welche
er beym Perugino angenommen, das andere in der ſpaͤter
(doch zu Florenz) durch fortgeſetztes Studium erworbenen.“
Die Gegenſtaͤnde meldet er nicht; es war darin nichts Auf-
fallendes, Abweichendes; alſo wahrſcheinlich ſchlichte Madon-
nen, wie haͤuslicher Gebrauch ſie damals begehrte.


Bemerken wir zuerſt, daß Vaſari hier bereits in dem Ge-
biete florentiniſcher Traditionen angelangt war, in welchem er
uͤberhaupt am beſten zu Hauſe iſt. Ferner, daß jene Anga-
ben, das perugineske Weſen des einen, das florentiniſche des
anderen Bildes, genau auf zwey andere Gemaͤlde paſſen,
welche ſeit nicht gar langer Zeit der Vergeſſenheit ſind ent-
riſſen worden: der Madonna Tempi, welche Koͤnig Ludwig
von Bayern
kuͤrzlich erkauft hat, und jener anderen des
Großherzogs von Toscana. Das letzte darf, ſeiner hoͤhe-
ren Ausbildung ungeachtet, doch der Idee und Behandlung
nach fuͤr einen Ruͤckblick auf die Richtung gelten, welche
Raphael in Perugia erhalten hatte; es kann daher bey Ra-
phaels
erſtem, nothwendig kurzem Aufenthalte in Florenz und
fruͤher, als das Mauergemaͤlde im Kloſter S. Severo gemalt
ſeyn. Das andere aber, die Madonna Tempi, verraͤth bey
gleicher Jugendlichkeit des Sinnes, doch ſchon das Beſtreben,
der florentiniſchen Gruͤndlichkeit ſich anzupaſſen, das Schwie-
rigere durch Beobachtung und ſtrenges Studium zu uͤberwin-
den, auch das Neue zu verſuchen. Das Kind, welches die
Mutter mit unvergleichlicher Innigkeit an ſich druͤckt, kommt
hiedurch in eine neue, nicht ſo leicht bequem und faßlich dar-
[60] zuſtellende Lage; beſonders war indeß die Verkuͤrzung der
Hand, auf welcher das Kind ruhet, nicht gar leicht auszu-
druͤcken; mißlungen, wie ſie iſt, verraͤth ſie doch Anſtrengung
und ernſtliche Bemuͤhung. Daß Raphael eine ſolche Schwie-
rigkeit aufgeſucht und doch ſie nicht uͤberwunden hatte, bezeugt,
daß er damals in der florentiniſchen Richtung noch ein Neu-
ling war. Demnach duͤrfen beide Bilder, bey deren innigſter
Sinnesverwandtſchaft, uns den Uebergang bezeichnen, auf wel-
chen Vaſari hinzudeuten ſcheint.


Die Madonna del Granduca habe ich zu Wuͤrzburg in
vortrefflichſter Erhaltung ſtundenlang beſehen; es iſt nicht moͤg-
lich, den Pinſel geiſtreicher zu fuͤhren, ſinnvoller zu modelli-
ren. Seither iſt dieſes ſchoͤne Gemaͤlde wiederholt gereinigt,
der Firniß erneuert, durch Abglaͤttung die urſpruͤngliche Mo-
dellirung verwiſcht worden. Mehr und mehr wird es Ge-
wohnheit, die Kunſtwerke nur noch auf ihr Ganzes anzuſehn,
die einzelnen Evolutionen des Geiſtes, die Feinheiten aus den
Augen zu laſſen; und, wenn es ſo fortgeht, wird man am
Ende auch mit leidlichen Copien ſich vollkommen begnuͤgen,
der Originale ganz entbehren koͤnnen. Daher die auffallende
Gleichguͤltigkeit bey taͤglich ſich wiederholenden, gaͤnzlichen Um-
geſtaltungen der groͤßten Meiſterwerke, das Frohlocken, der
Jubel uͤber das neue Kleid, welches ſie angethan.


Die Madonna Tempi hingegen hat zwar einige nicht
ſtoͤrende Oelretouchen von altem Dat, iſt jedoch nicht, gleich
jener anderen, glatt gerieben, der Velaturen, der Modellirung
beraubt. Deutlich ſieht man daher noch immer, daß ſie jene
Sicherheit der Modellirung nie erreicht hat, welche die Ma-
donna del Granduca vormals darlegte. Einige Unbehuͤlflich-
keit begleitet auch bey ſchon gewandten Meiſtern nothwendig
[61] das Einſchlagen ganz neuer Richtungen. Was uͤbrigens die-
ſes herrliche Bild der Idee, dem Style, der Innigkeit nach
gewaͤhre, bedarf, ſeitdem es in die Sammlungen einer der be-
ſuchteſten Hauptſtaͤdte uͤbergegangen iſt, fuͤr deutſche Leſer wohl
keiner Andeutung.


Seit Kurzem iſt im Kunſthandel, bey Nocchi in Florenz
auf dem Platze la Trinità, ein allerliebſtes Bildchen aufgetre-
ten, welches ebenfalls, wie man angiebt, dem Hauſe Taddei
gehoͤrt haben und durch weibliche Erben in andere Familien
gelangt ſeyn ſoll. Die urkundlichen Beweiſe ſind mir nicht
vorgelegt worden, duͤrften uͤbrigens nicht ſo leicht uͤberzeugend
beyzubringen ſeyn, da nicht wahrſcheinlich iſt, daß man in
den Acten der Succeſſionen und Erbtheilungen die Groͤße, den
Gegenſtand und kuͤnſtleriſchen Charakter des Bildes gehoͤrig
werde angegeben haben. Uebrigens iſt das Bild, Madonna
mit dem Kinde, obwohl gegenwaͤrtig, durch Ausfuͤllung der
Riſſe im Fleiſche, etwas glatt und ſtumpf, doch in allen er-
halteneren Theilen ſehr ſchoͤn und nicht unwerth, irgend einer
minder bekannten Seitenrichtung Raphaels beygemeſſen zu
werden. Etwas kleinliche Geſichtsformen zeigt auch das Kind
in dem Bilde des Grafen Conteſtabile; der volle Umriß des
Geſichtes der Madonna erſcheint nicht mehr ſo fremdartig,
wenn wir ihn mit den Koͤpfen in manchen aͤlteren Bildern
Raphaels vergleichen. In der Farbe iſt andererſeits mehr
Fluͤſſigkeit, weniger Impaſto, als in den meiſten Gemaͤlden
unſeres Meiſters. Malte er dieſes Bildchen vielleicht unter
dem Einfluß ſeines Freundes Fra Bartolommeo? Vaſari will,
dieſer letzte habe auf die Faͤrbung des Raphael eingewirkt;
ich wuͤßte nicht, aus welchem Bilde die Wahrheit dieſer An-
gabe zu erweiſen waͤre, wenn nicht vielleicht aus dieſem, wel-
[62] ches vorzeiten wahrſcheinlich dem Frate iſt beygemeſſen wor-
den, da zu Muͤnchen (ſ. v. Mannlichs Katalog) eine ſchlechte
und ſchwere Copie deſſelben ſchon ſeit funfzig Jahren als ein
Werk des Fra [Bartolommeo] vorgezeigt wird. Verſchiedent-
lich haben wir geſehn, wie wenig Werth in productiven Kunſt-
zeiten in ſolche, gewoͤhnlichere Arbeiten gelegt wurde, wie
leicht man ſich entſchloß, fuͤr andere und im Namen anderer
Kuͤnſtler zu arbeiten. Die Annahme, daß Raphael dieſes
Bildchen, ehe er in Florenz recht bekannt geworden, dem Fra
Bartolommeo
und in deſſen Namen gemalt habe, waͤre dem-
nach nicht von aller Probabilitaͤt entbloͤßt. In ſolchem Falle
wuͤrde Raphael ſich bemuͤht haben, dem Frate aͤhnlich zu wer-
den, ihm ſich anzuſchmiegen; wir werden ſehn, daß er noch
ungleich ſpaͤter an den Arbeiten dieſes Kuͤnſtlers wiederholt
Theil genommen hat.


Nichts ſcheint indeß der Madonna Tempi naͤher zu ſtehn,
als zwey Bildniſſe, Agnolo Doni und deſſen Gattin. Sie
wurden vor wenig Jahren zu Florenz bey den Erben dieſes
Hauſes wiederaufgefunden und gluͤcklich fuͤr die Sammlung
des Großherzogl. Palaſtes Pitti angekauft. Vaſari ſcheint
anzudeuten, daß Raphael dieſe Bildniſſe zu Anfang ſeiner flo-
rentiniſchen Laufbahn gemalt habe. „Agnolo Doni, ſagt er,
welcher gern Kunſtſachen anſchaffte, doch mit moͤglichſter
Sparſamkeit des Aufwandes, trug dem Raphael, als er zu
Florenz ſich aufhielt, dieſe Bildniſſe auf.“ Der neue An-
koͤmmling mochte zu wohlfeileren Preiſen arbeiten, oder Va-
ſari
es vorausſetzen, als er dem Doni dieſen Seitenblick zu-
wandte. Was nun Vaſari dabey im Sinne gefuͤhrt haben
moͤge, ſo ſcheint doch das Bildniß des Gatten weniger an-
ziehend, als das Gegenſtuͤck. Der Ruͤcken der Geſtalt draͤngt
[63] ſich unbequem an den Rand der Tafel, deren linke Seite da-
her unausgefuͤllt und luͤckenhaft erſcheint. In der Faͤrbung
erinnert an eine Eigenheit der Schule von Perugia, welcher
Raphael in fruͤherer Zeit oft nachgegeben hat: die im Ant-
litz der Hoͤhe der Formen ſehr nahe gebrachte Roͤthe. Hinge-
gen zeigt die Gattin einen ſchon vollendeten Bildnißmaler.
Die Carnation ein einziger, zuſammenhaͤngender Guß, die For-
men gebildet, deren Vertheilung uͤber die gegebene Flaͤche har-
moniſch, die Hand hoͤchſt weiblich, die blauen Ermel von ge-
waͤſſertem Zeuge, der uͤbrige Schmuck mit jener naiven, hoͤchſt-
maleriſchen Luſt an den ergoͤtzlichen Spielen der optiſchen Er-
ſcheinung, welcher Raphael bis an ſein Ende ſo gern ſich hin-
gegeben. Deſſenungeachtet bezeugen der Schnitt der Bekleidung,
deren Ausfuͤhrung, beſonders einige, obwohl geringe Verſehn
in der Perſpective des Geſichtes, daß er die Doni bald, wohl
unmittelbar nach dem Gatten gemalt habe, zu welchem ſie
offenbar das Gegenſtuͤck bildet. Laͤngſt haben wir uns bey
Raphael an die Schnelligkeit ſeiner Entwickelung, ſeiner Ueber-
gaͤnge gewoͤhnt; es kann uns daher nicht befremden, wenn
wir ihn faſt in demſelben Werke als Neuling auftreten, als
Meiſter endigen ſehn.


In der beruͤhmten Tribune der Gallerie der Uffizj zu
Florenz haͤngt ein weibliches Bildniß, welches, bis zu jener
neuerlichen Auffindung, den Namen der Dame Doni fuͤhrte.
Ein ſchoͤnes, nun offenbar dem Vaſari unbekanntes, doch Ra-
phaels
ſehr wuͤrdiges Gemaͤlde. Indeß pflegen in Bildniſſen
Meiſter, welche mit ſolchen Arbeiten ſelten ſich befaſſen, ihren
Charakter leicht zu verleugnen. Unter den Zeitgenoſſen der
Jugend Raphaels gab es aber zu Florenz vortreffliche Anla-
gen, was, zuſammengenommen, Vielen nunmehr zweifelhaft
[64] macht, ob die angebliche Dame Doni der Tribune von Ra-
phaels
Hand gemalt ſey, wie bisher angenommen wurde.
Obwohl von ihrer Vortrefflichkeit ganz durchdrungen, bin doch
ich ſelbſt in Verlegenheit, anzugeben, wo ſie in Raphaels
Werken mit Sicherheit koͤnne eingereiht werden.


Vaſari erzaͤhlt, daß Raphael fuͤr den Domenico Cani-
giani
ein Bild gemalt habe, deſſen Gegenſtand er umſtaͤndlich
angiebt: „Die Madonna mit dem Kinde, welches dem klei-
nen Johannes ſchmeichelt; dieſen haͤlt S. Eliſabeth, zum h.
Joſeph heraufblickend, welcher, mit beiden Haͤnden auf ſeinen
Stab geſtuͤtzt, auf die Alte blickt.“ Es befand ſich, als Va-
ſari
ſchrieb, noch bey den Erben des Canigiani. In der Folge
ſoll es in den Beſitz der mediceiſchen Fuͤrſten und, als Braut-
gabe der Tochter Coſimus III., in das pfaͤlziſche Churhaus
gelangt ſeyn. Gegenwaͤrtig findet es ſich, mit anderen Ge-
maͤlden der ehemals duͤſſeldorfiſchen Gallerie zu Muͤnchen.


Manche Beſchaͤdigung hat dieſes ſchoͤne Bild erlitten.
Vor etwa funfzig Jahren, man nennt den Thaͤter, ward die
Glorie der regelmaͤßig geordneten Cherubkoͤpfe uͤber dem
Haupte des Joſeph der Laune aufgeopfert; dieſe Koͤpfe ſind
ausradirt, oder abgehoben. Man ſieht ihre Stelle gegen das
Licht im blauen Himmelsgrunde, welcher nothwendig ſchon
beendigt war, als Raphael die Umriſſe auftrug, deren Ein-
druck noch gegenwaͤrtig wahrgenommen wird. In einer alten
Copie der Sacriſtey von S. Frediano zu Florenz, ſieht man,
wie jene geweſen. Auch ſonſt iſt das Bild beſchaͤdigt, Laſu-
ren ſind hie und da verwaſchen, ſelbſt das Impaſto iſt an
einigen Stellen angegriffen; in den Gewaͤndern zeigen ſich
Oelretouchen. Deſſenungeachtet bewahrt dieſes Bild, beſonders
der Johannes, die Landſchaft, von ſeiner urſpruͤnglichen, von
Va-
[65]Vaſari hochbewunderten Schoͤnheit genug, um außer Zweifel zu
ſtellen, daß es von Raphael nicht gar lange nach der Ma-
donna Tempi und vor der Madonna del Cardellino gemalt
ſey, welche letzte Vaſari freylich fruͤher anfuͤhrt, doch nicht
deutlich ausſpricht, ob er ſie fuͤr aͤlter halte, als die unſrige.


Man hat indeß dem Muͤnchener Bilde die Originalitaͤt
ſtreitig machen wollen. Im Jahre 1766 hatte zu Florenz
ein Bild ſich angefunden, uͤber deſſen Entdeckung zwey Noten
des roͤmiſchen und florentinifchen Herausgebers der Kuͤnſtler-
leben des Vaſari Auskunft geben, welche auch der ſieneſiſche
aufgenommen hat *). Lanzi gehet auf gewohnte Weiſe dar-
uͤber hin **). „Vaſari, ſagt er, verſetze dieſes Bild in Ra-
phaels
zweite (florentiniſche) Epoche; allein auf dem des
Marcheſe Rinuccini habe man das Jahr 1516 geleſen.“
Vielleicht ward ſchon zu Lanzi’s Zeit die Aechtheit des Bil-
des in Zweifel gezogen und umging Lanzi, als Hausfreund
des Kaͤufers, die verletzliche Frage. Von Muͤnchen aus ward
ich aufgefordert, dieſes Bild, welches der Marcheſe Rinuccini,
wie man ſagt fuͤr 16000 Kronen, erkauft hat, naͤher zu un-
terſuchen, zur Entſcheidung zu bringen, ob es wirklich die
Originalitaͤt des Muͤnchener Bildes in Zweifel ſtelle.


Nach viel vergeblicher Bemuͤhung gelang es mir im J.
1818, von den erheblichen Sammlungen des Hauſes Rinuc-
cini wenigſtens dieſes eine Bild beſichtigen zu duͤrfen. Ich
hatte mindeſtens eine Copie aus der Zeit des Originales er-
wartet, fand aber ein ungleich ſpaͤteres Bild, welches auf die
Hand eines niederlaͤndiſchen Malergeſellen ſchließen laͤßt. Al-
penformen in dem glaͤſern durchſichtigen Landſchaftsgrunde;
III. 5
[66] ſtatt des Ultramarins Smalte in dem ſonſt auch ſehr reſtau-
rirten Mantel der Madonna; ſtatt der regelmaͤßigen Glorie,
von welcher in dem Muͤnchener Bilde die Spur, in der Co-
pie von S. Frediano die Anlage zu ſehen iſt, in dieſem ver-
ſtreute Engel durch ſchwerfaͤllige Wolken halb verhuͤllt, einige
derſelben frey nach Genien in der Galathea der Farneſina;
die Charaktere verbildet, laͤſſig, gleichguͤltig, zum Modernen
ſich hinneigend; in den nackten Theilen der Kinder oſteolo-
giſch-anatomiſcher Prunk; in den Gewaͤndern, beſonders im
rothen Leibgewande der Madonna das Original ganz miß-
verſtanden. Dieſes gilt vorausſetzlich die erhaltenen, alten
Theile des Bildes; ich habe ſie ſorgfaͤltig von den Retouchen
unterſchieden, welche das Ganze auf das Roheſte beſudeln.
Die letzten werden des Ignazio Hughford Werk ſeyn, der auch
in dem Verkaufe die Hand gehalten, uͤberhaupt ſeiner Zeit
in Dingen der Kunſt großes Anſehn genoß.


Den Namen Raphaels, deſſen Lanzi erwaͤhnt, konnte ich
nicht auffinden, wohl aber die Worte: A. D. M. DXVI. DIE
XXVII. MEN. MAR.
Was damit gemeint ſey, wage ich
nicht zu entſcheiden; ſchwerlich das Dat des Bildes, wahr-
ſcheinlich auf Unkundige berechnete Taͤuſchung. Unter allen
Umſtaͤnden wird ein ſo viel neueres, auch an ſich ſelbſt ganz
unraphaeliſches Gemaͤlde keinem Beſonnenen fuͤr das Original
eines Bildes gelten koͤnnen, welches offenbar aͤlter iſt, mit den
Angaben des Vaſari genauer uͤbereintrifft, endlich auch durch
ſeine Vorzuͤge Anſpruch hat, dem Raphael ohne Zweifel und
Anſtehn beygemeſſen zu werden.


Fruͤher als dieſe heilige Familie des Canigiani haͤtte Ra-
phael
, wenn wir dem Vaſari folgen, die beruͤhmte Madonna
del Cardellino, jetzt in der Tribune der florentiniſchen Gallerie
[67] der Uffizj, fuͤr einen anderen ſeiner florentiniſchen Goͤnner, den
Lorenzo Naſi gemalt. Doch bleibt es zweifelhaft, ob er hier
von einem Urtheil uͤber beide Bilder beſtimmt wurde, oder
nur, nach ſeiner Weiſe, von dem einen Goͤnner, dem Taddei,
zu dem anderen, dem Naſi uͤberging, ohne zu beruͤckſichtigen,
was daraus in Bezug auf die Zeitordnung beider Bilder ge-
folgert werden koͤnne. Bey naͤherer Vergleichung beider Ge-
maͤlde wird es ſich leicht darbieten, daß das Muͤnchner die
ſichere Formengebung, den maleriſchen Schmelz des Florenti-
niſchen nicht erreicht. Allerdings haben beide gelitten; doch
erinnere ich mich der Madonna del Cardellino wie ſie vor
ſpaͤteren Wiederherſtellungen beſchaffen war, wie andererſeits
in der heiligen Familie zu Muͤnchen die maleriſche Behand-
lung nur um ſo beſſer ſich beurtheilen laͤßt, als an vielen
Stellen die Unterlage aufgedeckt, die Beendigung verwa-
ſchen iſt.


Man hat auch dieſem Bilde die Originalitaͤt ſtreitig ma-
chen, ihm alte Copieen entgegenſetzen wollen. Indeß, von ſei-
nen Vorzuͤgen abgeſehn, wird es auch durch die Spuren ei-
ner alten Zertruͤmmerung, deren Umſtaͤnde bey Vaſari, unge-
woͤhnlich beglaubigt. Den Gegenſtand und deſſen untergeord-
nete Motive beſchreibt derſelbe Schriftſteller ſo treffend, als
anmuthsvoll; auch iſt der Kupferſtich des Morghen uͤberall
bekannt.


Wenn die planloſe, uͤbereilte Aufhebung ſo vieler Kirchen
und Kloͤſter der Kunſt, wie deren Alterthuͤmern, da man haͤu-
fig ganz kenntnißloſe Perſonen dabey anſtellen muͤſſen, im All-
gemeinen den unſaͤglichſten Schaden gebracht hat, ſo ward
doch andererſeits auch manches vergeſſene Stuͤck durch die
Verſetzung von einſamen Stellen in die Mittelpunkte moder-
5 *
[68] ner Kunſtbildung der gaͤnzlichen Vergeſſenheit entriſſen. So
zwey herrliche Bildniſſe, deren weder Vaſari, noch ein anderer
Schriftſteller, deren uͤberhaupt kein ſchriftliches Zeugniß er-
waͤhnt; Bruſtbilder zweyer Moͤnche, welche aus Vallombroſa
in die Gallerie der florentiniſchen Kunſtſchule gelangt ſind.


Nicht leicht wird ein anderes Bild ſeinen Urheber beſſer
bezeugen koͤnnen, als dieſe. Das eine hat die Umſchrift: D.
BALTASAR MONACO — S. TVO SVCCVRRE,
welche,
in rechtem Winkel gebrochen und laͤngs des Rahmens hinge-
hend, bezeugt, daß beide Bilder nicht etwa aus einem groͤße-
ren geſchnitten ſind, ſondern ſtets die Groͤße und Figur hat-
ten, welche ſie noch gegenwaͤrtig zeigen. Denn, ſo ſeelenvoll
iſt ihr Ausdruck, daß man wohl der Vermuthung Raum ge-
ben duͤrfte, ſie haben vormals in einem hiſtoriſchen Andachts-
gemaͤlde Platz gefunden. Um den zweyten Kopf: BLASIO
GEN. SERVO TVO SVCCVRRE
. Die Profile dieſer
Koͤpfe ſtehen einander gegenuͤber, ihre erhobenen Augen ſind
auf denſelben Punkt, wahrſcheinlich auf ein Andachtsbild ge-
richtet, welches vormals in deren Mitte aufgeſtellt war. Der
eine hager, die Knochenbildung ſchaͤrfer herausgehoben; der
andere rundlicher, fleiſchiger, gefaͤrbter, aber auch, da das ſel-
tene Haar ſich ſchon zum Weißlichen neigt, viel aͤltlicher.
Offenbar hat es den Kuͤnſtler lebhaft ergoͤtzt, dieſe Individua-
litaͤten einander ſcharf und abgeſondert entgegenzuſtellen.


Der geiſtreichen Modellirung iſt in den Schatten durch
Schraffirungen nachgeholfen, welche nicht ſtoͤren, weil ſie dem
Vortrage der ſpaͤrlichen Haare ſich anſchließen; oder auch
weil das Ganze mehr als ein Formen- und Charakterſtudium
ſich geltend macht, daher auf vollendet maleriſche Erſcheinung
keine Anſpruͤche erweckt. Nicht ſelten bediente ſich Raphael
[69] auch in der Oelmalerey aͤhnlicher Schraffirungen; doch, wie
es nur vorſchwebt, nur an ſolchen Stellen, wo die volle ma-
leriſche Erſcheinung ihm entbehrlich ſchien, wo er die Phan-
taſie bloß leicht beruͤhren, anregen wollte, wie bey Studien,
Altarſtaffeln und anderen Nebenwerken.


Meiſterwerke, gleich dieſen, koͤnnen nur gegen den Ablauf
ſeiner florentiniſchen Wanderzeit entſtanden ſeyn. Sie naͤhern
ſich der Charakterſchaͤrfe vieler Koͤpfe in der Diſputa, haben
bey dieſer Arbeit dem Kuͤnſtler wenigſtens mittelbar genuͤtzt;
denn ich bin nicht gewiß, ob er jene Koͤpfe unveraͤndert darin
aufgenommen habe.


Es fehlt uns, die Epoche zu beſchließen, nur noch die
beruͤhmte Grablegung im Palaſt Borgheſe zu Rom, ſonſt in
S. Francesco zu. Perugia. Frau Atalanta Baglioni, ſagt
Vaſari, habe jenes Bild dem Raphael aufgetragen, nachdem
er zu Perugia das Wandgemaͤlde in S. Severo vollendet
hatte, alſo ungefaͤhr um 1506. Zu Florenz habe er darauf
mit den Studien ſich beſchaͤftigt, endlich, nach Perugia zuruͤck-
gekehrt, das Bild vollendet und aufgeſtellt. Es ſchwebte dem-
nach dem Vaſari vor, daß er eine laͤngere Zeit und mit Un-
terbrechung daran gearbeitet habe. Umſtaͤnde, welche er viel-
leicht von dem Jugendfreunde Raphaels, dem Ridolfo del
Ghirlandajo
erfragt hatte.


Eine ſehr ausgebildete, mit Quadraten uͤberzogene Feder-
zeichnung dieſes unvergleichbaren Werkes wird mit anderen
Zeichnungen Raphaels zu Florenz in der Gallerie der Uffizj
aufbewahrt. Vielleicht iſt es nicht zu gewagt, wenn ich der-
ſelben, beſonders in den Koͤpfen, mehr Schoͤnheit, mehr leben-
diges Gefuͤhl beymeſſe, als beyweitem dem groͤßeren Theile
des Gemaͤldes ſelbſt. Dieſem fehlt es auch in den Tinten
[70] nicht ſelten an jener Durchſichtigkeit, dem Auftrage an jener
Modellirung, dem Landſchaftlichen an jenem lineariſchen Zau-
ber, welchen wir in Raphaels Werken dieſer Zeit uͤberall
wahrzunehmen gewohnt ſind. Sollte nicht Raphael, dem be-
reits die Ausſicht auf Groͤßeres ſich eroͤffnete, ſchon in dieſem
Werke fremder Huͤlfe ſich bedient haben koͤnnen? In der ma-
leriſchen Ausfuͤhrung erinnert Manches an Zuͤge, welche ſei-
nem Freunde Ridolfo bis in ſein ſpaͤteſtes Alter (als er zu
Florenz agli Angeli noch das Abendmahl im Refectorio malte)
eigenthuͤmlich geblieben ſind. Allein auch die aͤngſtlich genaue
Vorbildung des Ganzen in jener trefflichen Federzeichnung,
wie beſonders die Quadrate, mit welchen ſie uͤberzogen iſt,
ſcheint bey einer Arbeit, welche Raphael ſelbſt ganz durchfuͤh-
ren wollte, minder noͤthig, als wenn wir den Fall annehmen,
den ich angedeutet habe. Wie oft habe ich das Gemaͤlde,
ſeine Zuſammenſtellung bewundernd, mir angeſehn, ohne mir
erklaͤren zu koͤnnen, weßhalb das Pathetiſche mich ſo kalt laſſe;
auch Andere beobachtet, welche, ohne mir, ohne es ſich ſelbſt
einzugeſtehn, doch das Anſehn hatten, gleich mir den Eindruck
des raphaeliſchen Weſens zu vermiſſen. Zudem iſt in dem
Auftrage der Farbe eine Glaͤtte, eine Aengſtlichkeit in der
Nachachtung der vorgezeichneten Umriſſe, welche in einem
Bilde Raphaels immer befremdlich bleibt. Doch gehe ich
nicht ſo weit, zu behaupten, daß Raphael das Bild durchaus
nicht beruͤhrt habe. Im Gegentheil ich ſehe ſeine Hand un-
widerſprechlich aus mehr als einem Zuge hervorleuchten; ob-
wohl nirgends ganz ſo deutlich, als in den grau in grau ge-
malten drey chriſtlichen Tugenden, welche vordem den Gra-
dino des Bildes geziert haben, jetzt in der vaticaniſchen Gal-
lerie in eigenem Rahmen aufgeſtellt ſind.


[71]

Moͤge dieſe Vermuthung, welche ich mit einiger Scheu
ausgeſprochen, mir nicht unguͤnſtig ausgelegt werden. Man
bedenke, daß ſelbſt Vaſari an der Stelle, welche ich oben aus-
gezogen habe, wunderbar um den Gegenſtand herumgeht, ab-
bricht, wiederanknuͤpft, als habe er noch etwas zu ſagen,
was er am Ende verſchweigt; daß er ſowohl im Leben Ra-
phaels
, als in dem ſpaͤteren des Ridolfo dieſen als den ver-
trauteſten Jugendfreund Raphaels darſtellt, meldet, daß der
letzte jenen vergeblich aufgefordert habe, an ſeinen roͤmiſchen
Arbeiten Theil zu nehmen, auch eines beſtimmten Bildes er-
waͤhnt, deſſen Beendigung Raphael dem Ridolfo uͤberlaſſen
habe. Unter ſolchen Umſtaͤnden durfte ich, dem Bilde gegen-
uͤber, mir eine Conjectur geſtatten, welcher an ſich ſelbſt nicht
alle Probabilitaͤt ermangelt und genau genommen nichts Poſi-
tives entgegenſteht.


Wenn ich einen Theil der Ausfuͤhrung dieſes vortreffli-
chen Bildes nicht dem Raphael, ſondern einer fremden Hand
beyzumeſſen geneigt bin, ſo muß ich hingegen in einem be-
ſtimmten Bilde des Fra Bartolommeo di S. Marco auf Ra-
phaels
Hand aufmerkſam machen. Von dieſem Kuͤnſtler be-
wundert man zu Lucca in S. Romano uͤber einem Seiten-
altare des Schiffes der Kirche einen Gott den Vater von
Engeln umgeben, auf dem Boden die beiden heil. Katharinen.
Ein Maler, der kuͤrzlich das Gemaͤlde copirt hat, will darauf
die Zahl 1509 geleſen haben, welche nur auf die Beendigung
ſich beziehen kann, daher nicht ausſchließt, daß Raphael an
dem Entwurfe, wie an einzelnen Theilen der Ausfuͤhrung
koͤnne Theil genommen haben. Nun findet ſich auf der Gal-
lerie der Uffizj zu Florenz (anfangs unter den Zeichnungen
des Lionardo) eine ausfuͤhrliche Federzeichnung der Glorie
[72] dieſes Bildes, nicht in der eigenthuͤmlich knickerigen Art des
Fra Bartolommeo (man hat von ihm eben dort einen gan-
zen Band intereſſanter Handzeichnungen), ſondern in Raphaels
florentiniſcher Weiſe die Feder zu fuͤhren. Schon hiedurch
wird der Antheil des letzten an der Geſammtproduction hoͤchſt
wahrſcheinlich. Sieht man nun ferner die ſchwebenden, halb-
wuͤchſigen Engel in der mittleren Hoͤhe des Bildes jenen der
Lunette in S. Severo, der Glorie in der Diſputa ſo genau
entſprechen, denſelben allgemeinen Zug der Geſtalt, daſſelbe
Schoͤnheitsgefuͤhl, ſo kann es nicht fehlen, daß man dabey
an Raphael erinnert werde. In fruͤheren Jahren beſchnitt
Fra Bartolommeo ſeine Formen, in ſpaͤteren gab er ihnen
zu viel Ausladung; zn keiner Zeit war ſeine Zeichnung ganz
frey von Willkuͤhr und Manier. Wie haͤtte er denn eben hier
ein Gefuͤhl, eine Kenntniß der Formen darlegen koͤnnen, welche,
waͤren ſie ſein Eigenthum, ihn dem Raphael ganz gleich ſtel-
len wuͤrden? Allein es kommt auch die maleriſche Behand-
lung in Betracht. Beide Engel ſind gegenwaͤrtig ihrer Vela-
turen gaͤnzlich beraubt, ſo daß zu Tage liegt, wie die Unter-
lagen behandelt worden. Ihre Schattenſeiten, in der Carna-
tion, ſind ſtark impaſtirt, leicht grau im Tone. Dieß iſt Ra-
phaels
Methode; Fra Bartolommeo aber ging in den Schat-
ten der Carnation von braunen Lazuren aus, welche er auch
in der Folge durch Halblazuren und Lazuren verſtaͤrkte, nie
mit einem ſie ganz verdeckenden Impaſto uͤberlegte.


Raphael hat noch zu Rom eine andere Arbeit des Frate
beendigt, mit dieſem zu Florenz in den freundlichſten Verhaͤlt-
niſſen gelebt, mit ihm uͤber techniſche Dinge ſich ausgetauſcht;
es iſt demnach in den eben mitgetheilten Bemerkungen nichts
mit den Nachrichten des Vaſari Unvereinbares. Dem letzten
[73] aber duͤrfen wir glauben, was er uͤber Raphaels Verhaͤltniß
zum Frate erzaͤhlt, weil es hinſichtlich des h. Petrus im Qui-
rinal augenfaͤllig iſt, ſonſt aber mehr als wahrſcheinlich, daß
er in allen Raphaels Aufenthalt in Florenz angehenden Din-
gen muͤndlichen Mittheilungen des Ridolfo Ghirlandajo ge-
folgt ſey, welcher in hohem Alter noch lebte, als Vaſari die
erſte Auflage ſeiner Malerleben vorbereitete. Unverzeihlich, daß
er eine ſo treffliche Quelle nicht bis auf den Grund ausge-
nutzt hat.


In dieſer Ueberſicht habe ich mich auf ſolche Stuͤcke be-
ſchraͤnkt, welche ich zu unterſuchen Zeit und Gelegenheit ge-
funden. Allein es werden verſchiedene anderweitige Jugend-
werke Raphaels genannt. Vaſari nennt zu Perugia in der
Servitenkirche, Kappelle Anſidei, eine Madonna mit S. Joh.
Baptiſta
und S. Nicolaus. Um die Mitte des achtzehnten
Jahrhunderts (Morelli, guida di Perugia) glaubte man die-
ſes Bild noch zu beſitzen, welches ich nicht mehr aufgefunden
habe, noch deſſen Schickſale kenne. Es moͤchten hier Ver-
wechſelungen die Dunkelheit vermehren. — Fuͤr den Herzog
von Urbino, meldet er ferner, habe Raphael drey kleine Bil-
der gemalt: zwey Madonnen, einen Chriſtus im Garten. Den
letzten glaubte man in der Gallerie Orleans zu beſitzen, welche
nun auch verſtreut iſt. Ob eine der bekannteren Madonnen
vormals dem Herzoge gehoͤrt habe, iſt ungewiß. Nach Lo-
mazzo
haͤtte der Herzog von Urbino auch den heil. Georg be-
ſeſſen, welcher, nach der wohlerhaltenen Bauſe unter Raphaels
Zeichnungen in der florentiniſchen Gallerie um das J. 1504
gemalt ſeyn muͤßte. — Malvaſia, Felsina pitt., im Leben
des Francesco Franciap. 44. fuͤhrt zu Bologna verſchiedene
dem Vaſari unbekannte Arbeiten Raphaels auf, deren eine
[74] wohl ſeiner fruͤheren Zeit angehoͤren duͤrfte: „das beruͤhmte
presepe (Anbetung des Kindes durch die Hirten oder die
Koͤnige), von welchem Baldi ſchreibe, daß es ſchon vor
der Vertreibung des Gio. Bentivoglio bey demſelben ſich be-
funden habe.“ Ich kann mich der Vermuthung nicht erweh-
ren, daß jenes wunderherrliche kleine Bild des Francesco
Francia
in der koͤniglichen Gallerie zu Dresden, die Anbetung
der Koͤnige, eine freye Copie, oder Nachahmung der genann-
ten raphaeliſchen Bilder ſey. Es faͤllt in die beſte Zeit des
Francia, in der Manier mit den luccheſiſchen Bildern zuſam-
men, denen es zum Gradino gedient haben koͤnnte. Vergl.
Malvaſia, welcher ebenfalls zu vermuthen ſcheint, daß Fran-
cia
das Preſepe copirt habe. Wo das Original ſich befinde,
iſt unbekannt.


In Perugia giebt es in den Kirchen, wie in den Pri-
vathaͤuſern manches Bild, welches mehr und weniger der
Hand Raphaels beygemeſſen zu werden Anſpruch hat. Im
Hauſe der Graͤfin Alfani, eine ſitzende Madonna, das Kind
ſtehend, im blauen Felde zwey Cherubskoͤpfe, in einem auf-
gerichteten Oblongo. Das Verhaͤltniß der Tafel, die Dun-
kelheit der Faͤrbung, die Stufe der Zeichnung, ſcheinen dieſes
Bild in die fruͤheſte Zeit der peruginiſchen Epoche zu ver-
ſetzen. Der Kopf der Madonna iſt ſehr geiſtig; im Saume
ihres Gewandes halb verwiſchte Buchſtaben: R. VP. B ......
P
., was vorzuͤglich im VRB. unzweydeutig erſcheint. — In
S. Agoſtino, an der Wand links vom Altare des Sacra-
ments, Madonna auf dem Throne, vier Heilige, zwey Engel
in der Luft. Die Aufſchrift A. D. M. CCCCC. VIII. K. A.
S. I.
Im K. iſt ein L verſchlungen; wohl KAL. AVGV-
STI
zu leſen. Das S. hat ein Zeichen der Abbreviatur;
[75] vielleicht: SANZIVS INVENIT. Dem Jahre nach kann
das Bild, deſſen durchſcheinende Anlage geiſtreicher iſt, als
die Beendigung, unfertig in Perugia zuruͤckgeblieben, von ei-
nem anderen Kuͤnſtler uͤbermalt ſeyn. — In casa Donnini,
eine Federzeichnung zur Anbetung der Koͤnige in der vatica-
niſchen Gallerie.


Nicht ſo ganz abſichtslos habe ich die Jugendwerke Ra-
phaels
nach beſtimmten hiſtoriſchen Gruͤnden und allgemeinen
Analogieen, ſowohl den Zeitpunkt ihrer Entſtehung, als ihre
Claſſe feſtſtellend, in dieſe Ueberſicht zuſammengedraͤngt. Denn,
indem aus ſeiner Jugendzeit hiſtoriſch ſo Weniges, auch die-
ſes nicht umſtaͤndlich bekannt iſt, giebt es kein anderes Mit-
tel, das Princip ſeiner kuͤnſtleriſchen Entwickelung zu entdek-
ken, aus welchem fuͤr die Gegenwart, wie fuͤr alle kommende
Zeiten unſchaͤtzbare Lehren ſich ableiten laſſen.


Wir haben geſehn, daß Raphael nicht, wie die gemeine
Kunſthiſtorie ihn darſtellt, in einer erſten und zweyten Manier
befangen war, daß er vielmehr die Erfahrungen aͤlterer, uͤber-
haupt anderer, Meiſter fuͤr ſein eigenes Beſtreben benutzend,
ohne ſich ſelbſt je aufzugeben, zu verlaͤugnen, jene auf das
Mannichfaltigſte in ſich abſpiegelte, daher in ſo viel verſchie-
denen techniſchen Umwandlungen ſich zeigte, daß man wohl
auch mit der doppelten Zahl nicht auskommen duͤrfte, wollte
man durchaus darauf beharren, ſeine Jugendarbeiten nach
Manieren abzutheilen. Wir haben ihn in die Richtung un-
gemiſcht umbriſcher Maler, auf welche Niemand bisher Ruͤck-
ſicht genommen, mit groͤßter Hingebung eingehen geſehn; zu-
gleich, oder auch um etwas ſpaͤter, in die Richtung des Pie-
tro Perugino
; bald wiederum ſelbſtſtaͤndiger; darauf von
Neuem hingeriſſen, theils von den aͤlteren, theils von neueren
[76] Meiſtern der florentiniſchen Schule, an welche er uͤbrigens ſich
nicht anſchließen konnte, ohne auch auf ſie zuruͤckzuwirken.


Die Gegenſtaͤnde aber, welche die Wuͤnſche und Beduͤrf-
niſſe der Goͤnner ihm zufuͤhrten, ſahen wir ihn ſtets mit leb-
hafter Theilnahme umfaſſen. Die Richtung des Alunno, des
Pietro und anderer Maler deſſelben Bezirkes ſtand, wie ich
fruͤher gezeigt habe, in genauer Verbindung mit dem aſceti-
ſchen Streben des heil. Franz von Aſiſi. Fuͤr dieſes fand
Raphael die Empfaͤnglichkeit noch lebendig, als er im Um-
kreiſe von Perugia zu wirken begann; daher wiederholte
Verſuche, im Leiden des Erloͤſers tiefe Schmerzlichkeit mit
hoher Wuͤrde zu einigen, was ihm in der Pietà des Grafen
Toſi, und ſonſt trefflicher gelungen iſt, als jemals dem Pietro,
Alunno, oder anderen Malern derſelben Richtung. Seine
Madonnen, ſeine Jeſuskinder waren, ſo lange er den Gegen-
ſtand in dieſem Sinne nahm, wehmuͤthig, ſchmerzlicher Ahn-
dung voll. Hingegen geſtalteten ſich, als er ſpaͤter dem
practiſchen, im Gegenwaͤrtigen wurzelnden Sinne der Floren-
tiner zu genuͤgen hatte, ſeine Madonnen in heitere Familien-
ſcenen voll naiven Ausdruckes geſunder Lebensfreude. Auch
Groͤßeres ſchwebte ihm vor, wie es die Wandmalerey in dem
Kloſter S. Severo uns gezeigt. Judeß draͤngte er es ſeinen
Goͤnnern nicht auf, bewahrte es ſtill in ſeinem Buſen, bis
endlich zu Rom, unerſaͤttliche Anſpruͤche eines kuͤhnen und
geiſtvollen Beſchuͤtzers ſelbſt den vermeſſenſten Wuͤnſchen von
nun an unbegrenzten Spielraum gewaͤhrten.


[77]

III.
Raphaels Leiſtungen zu Rom unterJuliusII.


Bis zur Mitte des Jahres 1508 hatte Raphael demnach
fuͤr verſchiedene Staͤdte Italiens ſo viele und treffliche Werke
vollbracht, daß wir auf eine fruͤhe Verbreitung ſeines Kuͤnſt-
lernamens ſchließen duͤrfen, aus welcher ſeine Berufung nach
Rom ſich hinlaͤnglich zu erklaͤren ſcheint. Wer denn auch un-
ter den gleichzeitigen Malern wuͤrde mit Raphael, wie er ſchon
damals war, ſich haben vergleichen laſſen? Etwa Michelan-
gelo
, oder Lionardo da Vinci? Der erſte hatte um das Jahr
1508, nach wenigen, zum Theil nicht gelungenen Verſuchen,
die Malerey faſt aufgegeben; des anderen gruͤbelnder Sinn
kaum jemals die hoͤchſte Erwartung nicht getaͤuſcht. Oder
Perugino und andere gealterte Maler des funfzehnten Jahr-
hunderts? Wie denn uͤberhaupt, bey allgemeinem Fortſchrei-
ten, Niemand ungeſtraft durchaus beym Alten bleibt, ſo wa-
ren auch dieſe Kuͤnſtler ſchon ſeit dem Jahre 1500 (ſeitdem
zuerſt Lionardo allein, dann auch Michelangelo der Kunſt durch
anatomiſche Forſchungen neue Huͤlfswege eroͤffnet hatten) in
die gleichguͤltigſte Mittelmaͤßigkeit zuruͤckgeſunken. Hingegen
empfahl den aufbluͤhenden Raphael nicht allein die ſchoͤnſte
Anlage, nein, auch die vielſeitigſte techniſche Entwickelung,
Anſtelligkeit, Gewandtheit, Ruͤſtigkeit. Julius II., deſſen Ruhm-
[78] begier die Kunſt umfaßte *), welcher ſchon fruͤher das Un-
geſtuͤm ſeines Temperaments, die Hartnaͤckigkeit ſeines Cha-
rakters gebeugt hatte, um durch Nachgiebigkeit den Michel-
angelo
von Neuem an ſich zu feſſeln, moͤchte daher den Kuͤnſt-
ler geſucht haben, nicht dieſer einen neuen Goͤnner.


Indeß erzaͤhlt uns Vaſari, Bramante von Urbino, der
Baumeiſter des Pabſtes, habe aus Ruͤckſicht auf Blutsver-
wandtſchaft und gleiches Vaterland, hier den Vermittler ge-
macht, die Aufmerkſamkeit ſeines Herrn auf Raphael gelenkt.


Nach der Analogie des Geſchaͤftsganges bey anderen
Hoͤfen duͤrfen wir annehmen, daß Bramante die Kuͤnſtler,
deren man eben bedurfte, dem Pabſte in Vorſchlag brachte
und im Namen ſeines Herrn mit ihnen unterhandelte. In
ſo weit mag Vaſari, aus welcher Quelle es ſey, doch recht
berichtet ſeyn. Wenn er indeß hat andeuten wollen, daß Ra-
phael
einzig perſoͤnlichen Ruͤckſichten (an Hoͤfen, wie in den
Gemeinweſen freylich ein maͤchtiger Hebel) ſeine Befoͤrderung
verdanke, ſo wuͤrde er hiedurch nicht den Raphael ſelbſt, eher
ſeine Goͤnner verunglimpfen. Ueberhaupt ſcheint Raphael auf
ganz anderem Wege dem Pabſte angenaͤhert zu ſeyn. Von
Jugend auf hatte die Herzogin von Urbino ihn beguͤnſtigt **),
und gerade im Jahre ſeiner Verſetzung nach Rom bewarb
ſich Raphael um eine Verwendung des Francesco della Ro-
[79]vere bey der florentiniſchen Obrigkeit *). Er ſuchte Arbeit
im oͤffentlichen Palaſt zu Florenz. Dieſes Geſuch mag ſeinen
Goͤnner auf den Gedanken geleitet haben, den Kuͤnſtler nach
Rom zu ziehn, was ihm leichter fallen und erfreulicher ſeyn
mußte, als die nachgeſuchte Verwendung bey dem Machtha-
ber eines fremden Staates.


Die Verſetzung Raphaels nach Rom, deren naͤhere Um-
ſtaͤnde unbekannt ſind, muß im Spaͤtjahre 1508 erfolgt ſeyn.
Nach dem angefuͤhrten Briefe verweilte er noch in der Mitte
des Jahres 1508 zu Florenz, lag ihm damals der Wunſch,
oder doch die Hoffnung, noch fern, nach Rom zu gelangen,
dort Beſchaͤftigung zu finden. Doch verlieren wir ſchon in
den nachfolgenden Monaten zu Florenz ſeine Spur, waͤhrend
verſchiedene dort unfertig zuruͤckgelaſſene Gemaͤlde auf eine
ungewoͤhnliche Beſchleunigung ſeiner Abreiſe ſchließen laſſen.
Der Umfang und Inhalt der Werke, welche er darauf bis
um die Mitte des Jahres 1511 zu Rom vollbrachte, noͤthigt
uns, anzunehmen, daß er bald, nachdem er Florenz verlaſſen,
alſo noch im Jahre 1508, in ſeinen neuen Wirkungskreis ein-
getreten ſey.


Raphael begann ſeine roͤmiſche Laufbahn in dem Zim-
mer des vaticaniſchen Palaſtes, welches, nach ſeiner practi-
ſchen Beſtimmung, den Namen der camera della segnatura
fuͤhrte. Vaſari vermiſchte in ſeiner Beſchreibung dieſes Zim-
[80] mers die Schule von Athen mit Vorſtellungen aus der gegen-
uͤberſtehenden Diſputa; und da es in Folge der Undeutlich-
keit ſeiner Erinnerungen nicht erhellt, welches von beiden Bil-
dern ihm fuͤr das aͤltere gegolten, ſo ſcheint man in dieſer
Beziehung in der Folge geſchwankt zu haben. Gegenwaͤrtig
indeß beſtreitet Niemand, daß unter den roͤmiſchen Arbeiten
Raphaels die Diſputa nothwendig die aͤlteſte iſt. Richtig be-
merkt Lanzi, es ſey dieſes Gemaͤlde zur Rechten (von der
Glorie zu verſtehen) begonnen worden und zeige, wenn man
von dort gegen die Linke ſich wende, erhebliche Fortſchritte;
verſtehe, techniſche; denn Raphael, welcher bis dahin nur ſel-
ten in der Malerey auf naſſem Kalk ſich verſucht hatte, war
eben daher genoͤthigt, dieſes Werk a tempera, oder mit Leim-
farben, auf dem Trockenen zu uͤbergehen, deſſen er bey zu-
nehmender Fertigkeit mehr und mehr ſich uͤberheben durfte.
Hievon abgeſehn, hatte der Kuͤnſtler ſchon damals eine ſo
hohe Stufe erreicht, daß Viele in Zweifel ziehn, ob er je-
mals in ſpaͤteren Jahren, was den Adel der Auffaſſung, die
Reinheit des Styles angeht, Groͤßeres geleiſtet habe, als eben
hier *). Andere freylich ſetzen daſſelbe Werk, als trocken,
hart und ſteif, eben ſo tief unter die ſpaͤteren, maleriſch be-
handelten, Arbeiten Raphaels.


Fuͤr
[81]

Fuͤr den Partheyloſen und Gleichguͤltigen muͤſſen aͤhn-
liche Widerſpruͤche in den Geſchmacksurtheilen uͤber denſelben
Gegenſtand hoͤchſt befremdend ſeyn, haͤufig ſelbſt ihn veran-
laſſen, vom Schoͤnen ganz ſich abzuwenden. Indeß werden
ſie weder durch ſubjective Laune, noch durch objective Zwei-
felhaftigkeit des Schoͤnen herbeygefuͤhrt, gehen vielmehr noth-
wendig hervor aus Abweichungen in der Wahl des Stand-
punktes, aus welchem das Schoͤne zu verſchiedenen Zeiten und
von verſchiedenen Perſonen aufgefaßt wird.


Im claſſiſchen Alterthume ward die Bewegung und was
man den Ausdruck nennt, auch der Schmelz und anderweitige
Sinnesreiz, bey allen vorkommenden Verknuͤpfungen von Li-
nien, Figuren und Formen einem urſpruͤnglichen (mathemati-
ſchen) Harmoniegefuͤhle unterworfen, welches, damals noch
voll Friſche und Lebendigkeit, unter den Neueren allgemach
erloſchen iſt und gegenwaͤrtig nur etwa noch in der Muſik und
Metrik ſich behauptet. Nun verlor ſich, wie in ſo viel an-
deren Beziehungen, ſo auch in dieſer, das Eigenthuͤmliche des
claſſiſchen Alterthumes nicht ſo ploͤtzlich, als man vorzeiten
angenommen hat. Denn es zeigen die Bauwerke des Mittel-
alters ſammt ihren bildneriſch-maleriſchen Zierden, obwohl ſie
den Vergleich mit den claſſiſchen nicht aushalten, doch, wenn
man ſie mit ganz modernen zuſammenſtellt, noch immer ein
gewiſſes mit techniſchem Ungeſchick und geiſtiger Befangenheit
ringendes Verlangen, ſchoͤne Configurationen hervor-
zubringen
. Dieſe eine Analogie mittelalterlicher und anti-
ker Kunſtbeſtrebungen erklaͤrt, daß in Folge taͤglich zunehmen-
der Bekanntſchaft mit den Eigenthuͤmlichkeiten aͤchtgriechiſcher
Kunſt die Verſuche und Leiſtungen des Mittelalters, welche
man langezeit durchaus verachtet hatte, nunmehr billiger Be-
III. 6
[82] ruͤckſichtigung gewuͤrdigt, auch wohl, da ein Extrem das an-
dere hervorruft, uͤberſchaͤtzt werden. Freylich ward jenes an-
tike Beſtreben nach Schoͤnheit der lineariſchen Anordnung ſchon
im funfzehnten Jahrhundert, oder in der Epoche fortgehender
Erweiterungen des Kunſtgebietes, in verſchiedenen Schulen,
vornehmlich den florentiniſchen, durch Theilung der Aufmerk-
ſamkeit in den Hintergrund gedraͤngt; indeß bewahrte es Pe-
rugino
in großer Reinheit, ward es durch ihn auf Raphael
fortgepflanzt, deſſen Jugendwerke, wie in vielen anderen Be-
ziehungen, ſo beſonders in dieſer, wie ich bereits erinnert habe,
wahrhaft bezaubern. In der Diſputa und in den Gemaͤlden
an der Decke deſſelben Zimmers ließ Raphael jene antike Ge-
meſſenheit zum letzten Male uͤber jede andere Beruͤckſichtigung
vorwalten, unterwarf ihr noch ein Mal ſeine der erreichbaren
Hoͤhe ſchon nahe ſtehende Meiſterſchaft. Alſo mußten Werke,
welche auch in anderen Dingen bereits die kuͤhnſten Wuͤnſche
erfuͤllen, denen, welche den antiken Sinn fuͤr ſchoͤne Abge-
meſſenheit in ſich belebt, oder ihn von der Natur empfangen
hatten, nothwendig die ſchoͤnſten, vollkommenſten Leiſtungen
der neueren Kunſt ſeyn.


Nun erheiſcht die Hervorbringung dieſer Schoͤnheit ſicht-
lich ein deutliches Hervorheben der Linie, Abſetzen der Flaͤ-
chen, alſo eine gewiſſe an Haͤrte grenzende Beſtimmtheit,
welche Allem, was der ſinnlichen Erſcheinung maleriſcher
Kunſtwerke Annehmlichkeit giebt, haͤufig geradehin entgegen-
ſteht. Fuͤr dieſe letzte ward aber durch Umſtaͤnde, welche um
einige Zeilen ſpaͤter uns beſchaͤftigen werden, eben als Ra-
phael
an der camera della segnatura fortarbeitete, der Sinn
lebhafter, als jemals in den vorangegangenen Zeiten, ange-
regt. Es erlangte daher jene rein ſinnliche Annehmlichkeit,
[83] welche aus breiteren Licht- und Schattenmaſſen, mannichfachen
Abſtufungen und Uebergaͤngen entſteht, Schmelz, Harmonie,
Ton, Luftperſpectiv, Helldunkel und anderes dem maleriſchen
Reize
Untergeordnete von nun an die groͤßte aͤſthetiſche Wich-
tigkeit, ward in der Theorie ſogar dem Charakter, dem Aus-
druck, uͤberhaupt ſolchem, was in Kunſtwerken den aͤußeren
Sinn kaum noch beruͤhrt, hingegen ſchon den Geiſt erfuͤllt,
das Gemuͤth hinreißt, ganz gleichgeſtellt. Aus dieſem neuen
Geſichtspunkte angeſehen, mußten Raphaels aͤltere Arbeiten
hart, gezwungen, ungefaͤllig erſcheinen, nur die ſpaͤteren, ma-
leriſchen, vollen Beyfall erlangen.


Nichts liegt mir entfernter, als dem maleriſchen Reize
ſeinen eigenthuͤmlichen Werth abzuſprechen, zu beſtreiten, daß
er ſchon fuͤr ſich ſelbſt, wie bey den Hollaͤndern der guten
Schule, hoͤchlich erfreuen koͤnne. Allein, wie die Einfuͤhrung
dieſes neuen Schoͤnheitselementes jene antike Abgemeſſenheit,
welche die Diſputa in ſo großer Vollkommenheit darlegt, noth-
wendig aus der neueren Kunſt verdraͤngen mußte, ſo wirkte
ſie auch im Einzelnen nicht durchhin guͤnſtig. Einleuchtend
vermag man Uebergang und Schmelz nur durch einen fluͤch-
tigeren Zug der Hand, die breiteren Maſſen von Licht und
Schatten nur durch erhebliche Vereinfachungen in der Ein-
theilung der Flaͤchen hervorzubringen. Alſo konnte der Kuͤnſt-
ler dem neuen maleriſchen Beſtreben ſich nicht hingeben, ohne
zugleich, wie es geſchehen iſt, von den ſchlanken, gelenkigen
Geſtalten zu ſchweren und gedraͤngten uͤberzugehen; in der fluͤch-
tigeren Behandlung aber mußten unumgaͤnglich viele Feinheiten
der Abſicht ſich verlieren. Freylich hat Raphael ſelbſt in ſei-
nen ſpaͤteſten Arbeiten hoͤhere Eigenſchaften nie gaͤnzlich dem
maleriſchen Reize aufgeopfert; verglichen mit ſeinen Zeitge-
6 *
[84] noſſen, oder mit denen, die ihm nachgefolgt ſind, erſcheinen
ſelbſt ſeine fluͤchtigſten Arbeiten als geordnet, ſorglich behan-
delt, voll lebendiger Anſchauung, innigen Gefuͤhles. Deſſen-
ungeachtet zeigt ſich in ihnen, wenn man ſie mit der Diſputa,
oder mit den Gemaͤlden der Gewoͤlbdecke deſſelben Zimmers
zuſammenſtellt, eine gewiſſe Laͤſſigkeit der Behandlung *), eine
gewiſſe Anſchwellung der Formen und Gewandmaſſen, welche
zwar den Bildniſſen und bildnißartigen Gegenſtaͤnden guͤnſtig
iſt, doch bey anderen und hoͤheren Aufgaben haͤufig die aͤltere
Weiſe Raphaels erſehnen laͤßt. Wie man denn uͤberhaupt an
der Grenze der Uebergaͤnge von einer Richtung zur anderen
leicht zu irgend einem Aeußerſten ſich hinneigt, ſo gab Ra-
phael
eben in der Schule von Athen und im Parnaß den
Geſtalten, beſonders aber den Gewandmaſſen, ungleich mehr
Schwerfaͤlligkeit, dem Vortrage aber mehr Weichlichkeit, als
jemals ſpaͤter in ſeinen nachfolgenden Bildern. Freylich zeigt
der Parnaß im Stiche des Marcanton viel Strenge des Sty-
les; allein man ſtach dazumal nicht nach Gemaͤlden, ſondern
frey nach den Handzeichnungen der Kuͤnſtler; und Raphaels
erſter Entwurf mag hier der maleriſchen Ausfuͤhrung um ei-
nige Zeit vorangegangen ſeyn.


[85]

Von 1508—1511 malte Raphael in dem Zimmer della
segnatura
. Iſt nun in der einen Haͤlfte dieſer Malereyen
jener antike Schoͤnheitsſinn vorwaltend, deſſen Anwendung
auf die Kunſt haͤufig der Styl genannt wird, auch der
ſtrenge, der Styl in der Strenge des Sinnes, in der an-
deren hingegen der maleriſche Geſchmack bereits in ſeiner Aus-
bildung ſehr weit vorgeruͤckt, ſo ereignete ſich innerhalb dieſer
kurzen Friſt jene denkwuͤrdige Umwandlung, deren eigentliche
Veranlaſſung noch immer ſtreitig iſt. Verſuchen wir die Um-
ſtaͤnde zu ermitteln, welche ſie beguͤnſtigt haben, die Perſoͤn-
lichkeiten, welche dabey thaͤtig geweſen ſind.


Wir ſuchen hier den Urſprung der neuen ſchoͤnen Ma-
nier des Vaſari, oder, wie Andere ſagen, des maleriſchen Ge-
ſchmackes. Vaſari, dem dieſe Neuerung zuerſt als ein kunſt-
geſchichtliches Moment aufgefallen iſt, wuͤrde uns dieſe Un-
terſuchung erleichtert haben, wenn er deren Gegenſtand ſtreng
vom beynahe gleichzeitig eingetretenen Uebergange zu einer
methodiſch-wiſſenſchaftlichen Zeichnungsart haͤtte unterſcheiden
wollen. Allein im Gegentheil hat er beide, ſo ganz verſchie-
dene Momente verſchmolzen und hiedurch veranlaßt, daß man
noch bis auf den heutigen Tag des Michelangelo anatomiſche
Forſchungen ſammt den antiken, vorbildlichen Denkmalen in
den meiſten Buͤchern des Faches unter den Urſachen jener
rein techniſchen Umwandlung die erſte Stelle giebt. Indeß
ſtehet die Strenge in der Zeichnung mit der Entſtehung des
maleriſchen Geſchmackes (der breiten, fluͤſſigen, harmoniſchen
Manier) in durchaus keiner Verbindung; vielmehr ſcheinen
dieſe Elemente einander gegenſeitig zu widerſtreben. Denn,
wie laͤngſt vor gaͤnzlicher Entwickelung des neuen maleriſchen
Geſchmackes Michelangelo, ſelbſt Raphael, bereits ungemein
[86] große Zeichner waren, ſo wurden ſie hingegen in der Zeich-
nung in dem Maaße laͤſſiger und willkuͤhrlicher, als ihr Ge-
ſchmack mehr und mehr zum Maleriſchen ſich hinuͤberlenkte.
In den nachfolgenden Schulen, in welchen das Maleriſche
durchaus vorwaltet, ward aber, wie es bekannt iſt, die Zeich-
nung ganz ſchrankenlos, wie, in umgekehrter Richtung, das
akademiſche Studium im verfloſſenen Jahrhunderte den ma-
leriſchen Geſchmack bey vielen Kuͤnſtlern bis auf die Wurzel
ausgerottet hat. Uebrigens bin ich bereit, den anatomiſchen
Forſchungen des Michelangelo auf Raphaels Zeichnung den
entſchiedenſten Einfluß einzuraͤumen. Denn unſtreitig erwarb
Raphael, der aus den Schulen von Perugia und Fuligno
nur eben deren conventionnelle Zeichnungsart und die Gabe
gluͤcklicher Beobachtung und Nachbildung des Lebens nach
Florenz brachte, erſt an dieſem Orte die anatomiſchen Kennt-
niſſe, welche von 1505 auf 1508 ihn ſchon in den Stand
ſetzten, ganze Gemaͤlde aus dem Geiſte zu vollenden. Denn
unſtreitig erwarb er dieſe Kenntniſſe, angeregt durch den Car-
ton von Piſa und andere Jugendwerke des Michelangelo, aus
deren Nachwirkung in eben jenen frey aus dem Geiſte hin-
geworfenen aͤlteren Gemaͤlden Raphaels gewiſſe, ſeinem eig-
nen Weſen fremde, Vibrationen der Geſtalt allein zu erklaͤren
ſind. Nicht weniger bereit bin ich, dem Mengs und Ande-
ren einzuraͤumen, daß Raphael zu Rom, vielleicht ſchon in
Florenz, mit Luſt und Begeiſterung antike Bildwerke ſich an-
geſehn, nutzbare Winke darin aufgefunden, Einzelnes daraus
mit dem Stifte, der Feder, der Kohle ſich angemerkt habe;
dieſes letzte jedoch mit der Einſchraͤnkung, daß fuͤr jene me-
chaniſch emſige Nachbildung, welche in ſpaͤteren Zeiten als
foͤrderſam angeſehn, daher in den meiſten Kunſtſchulen einge-
[87] fuͤhrt worden, ihm ſelbſt, wie den damaligen Kuͤnſtlern uͤber-
haupt, vielleicht die Luſt, gewiß die Zeit fehlte. Die (ver-
haͤltnißmaͤßig ſparſamen) Studien nach antiken Denkmalen,
welche aus Raphaels Zeitalter ſich erhalten haben, lehren ohne
Ausnahme, daß man nur um des unmittelbaren Nutzens willen,
ohne hiſtoriſche Strenge, ſolche nachzeichnete, und auf der
Stelle das Nachzuzeichnende in die eben uͤbliche Manier ſeiner
Schule uͤberſetzte. Seltener ſind reine Formenſtudien, haͤufiger
Compoſition, Typus, Coſtuͤme, das eigentliche Augenmerk des
Kuͤnſtlers. Nach ſolchen Proben aber wird, wem an hiſto-
riſcher Wahrheit mehr gelegen iſt, als an der Behauptung
vorgefaßter Meinungen, beurtheilen muͤſſen, was uͤber das
Studium der Denkmale von Vaſari an mehr als einer Stelle
angedeutet wird *).


Werden nun die anatomiſchen Studien des Michelangelo,
wie Raphaels aͤſthetiſche der antiken Denkmale, zwar als et-
[88] was fuͤr ſich Vorhandenes eingeraͤumt, doch ausgeſchloſſen
von den moͤglichen Veranlaſſungen der Entſtehung der neuen
ſchoͤnen Manier, ſo ſcheint nichts uͤbrig zu bleiben und naͤher
zu liegen, als bey den lombardiſchen und venezianiſchen Kuͤnſt-
lern ſie aufzuſuchen. Dieſe haben bekanntlich durch maleri-
ſchen Reiz beſonders ſich ausgezeichnet. Allein es faͤllt die
Ausbildung ihrer maleriſchen Technik faſt um ein Jahrzehnd
ſpaͤter ein, als Raphaels, als Michelangelo’s bewundernswer-
theſte Leiſtungen derſelben Art *). Wir werden alſo den
Urſprung und die Entwickelung des maleriſchen Geſchmackes
in den Lebensumſtaͤnden dieſer letzten aufſuchen, doch vorher
auch den Lionardo da Vinci beruͤckſichtigen muͤſſen.


Lionardo hatte die Anlagen und Neigungen eines Bild-
ners auf die Malerey uͤbertragen; in der allgemeineren An-
ordnung, in der Lage, Stellung, Anſicht der Geſtalten und
ihrer einzelnen Vergliederungen, war er bis zum Geſuchten
gewaͤhlt und zierlich. Zudem erwarb er in der Kunſt zu
malen nie ſo viel Fertigkeit, daß er der Welt in maleriſcher.
Beziehung ein großes Beyſpiel haͤtte aufſtellen koͤnnen; denn
jenes beruͤhmte Abendmahl zu Mayland war, ſo viel ſein un-
ſaͤglich elender Zuſtand **) noch erkennen laͤßt, bei weitem
mehr ein Muſter kunſtvoller Anordnung, als maleriſcher An-
nehmlichkeit. Indeß leitete eben jenes Streben, auf einer
Flaͤche dargeſtellte Formen zu denkbar hoͤchſter Vollendung zu
erheben, den Kuͤnſtler auf die ernſtlichſte Bemuͤhung um Be-
[89] leuchtung und Schattengebung, hiedurch fruͤher, als andere,
auf den Gebrauch breiterer Maſſen. Ich beziehe mich hier
nicht auf das Abendmahl, wo dieſer neue Vorzug vielleicht
nur halbentwickelt geweſen, noch auf den Carton mit dem
Reutergefechte, den Edelincks Blatt, doch nach einer entſtellen-
den Copie, uns erhalten hat; ſondern auf die Unterlage eines
nicht zu Ende gekommenen Bildes der Anbetung der Koͤnige
in der Gallerie der Uffizj zu Florenz*). In dieſem Bilde
nun iſt bereits eine bemerkliche Vereinfachung der Eintheilun-
gen, ſind die Koͤpfe und Geſtalten ganzer Gruppen durch ein
gemeinſchaftliches Dunkel zu groͤßeren Maſſen verbunden, aus
denen ſie nur durch matte Reflexe und gebrochene Lichter
ſich hervorheben. Ein ſolches Beiſpiel mußte auf ſeine Zeit-
genoſſen einwirken, wofuͤr hiſtoriſche Beweiſe vorhanden ſind.
Denn Fra Bartolommeo di S. Marco entnahm aus dieſem
Bilde die Art der Beleuchtung, zugleich die Manier, ſeine
Tafeln braun in braun zu unterlegen, worin ihm andere Flo-
rentiner zum Nachtheil der Klarheit in den Schatten und der
Haltbarkeit der Gemaͤlde gefolgt ſind. Raphael aber lebte
mit dieſem Maler in ſo innigem Verhaͤltniß, daß man wohl
annehmen darf, daß in ihren Geſpraͤchen das Maſſige des
Lionardo bisweilen in Anregung gekommen iſt. In einer an-
deren Beziehung, in den anatomiſchen Forſchungen, hatte Lio-
nardo
dem Michelangelo vorgeleuchtet, welcher ihn bis in
ſeine ſpaͤteſten Tage verehrte, und in vielen Dingen fuͤr uner-
reichbar hielt **), was den Verſuch vorausſetzt.


[90]

Gab nun auch Lionardo zur Vereinfachung in der Ein-
theilung der Flaͤchen, zur Vergroͤßerung der Maſſen, dem An-
ſehn nach den erſten Anſtoß, ſo ward er doch, als Raphael
in den Stanzen, Michelangelo in der Sixtina malte, von bei-
den ſchon in dieſem einen Stuͤcke uͤberboten; unangeſehn, daß
der Begriff der neuen ſchoͤnen Manier (des Maleriſchen) nicht
auf das Maſſige ſich beſchraͤnkt, vielmehr zugleich viele andere
dem Lionardo unerreichbare Vorzuͤge umfaßt: den Ton,
Schmelz, Uebergang und gewiſſe Spiele eines bis zum Muth-
willigen behenden Pinſels, in welchen, ſey es die Gewandt-
heit an ſich ſelbſt, ſey es vielmehr deren Erfolg, den neueren
Kunſtfreund lebhaft zu ergoͤtzen pflegt. In den meiſten die-
ſer Vorzuͤge hat, wenn wir dem Vaſari folgen, Michelangelo
in ſeinen Deckengemaͤlden der ſixtiniſchen Kappelle dem Ra-
phael
vorgeleuchtet. Ob man, oder in wiefern man dem
Vaſari einraͤumen duͤrfe, daß Raphael aus dieſem Werke Vor-
theil gezogen, iſt ſchon voralters vielfach beſprochen worden *).
Doch ſind die Acten noch nicht geſchloſſen, und Vaſari hat
auch hier die Kritik ſeiner Angaben durch eigene Verwirrung
erſchwert.


Denn er gruͤndet ſeine vielbeſprochene Behauptung, „der
Anblick der Deckengemaͤlde in der ſixtiniſchen Kappelle habe
Raphael beſtimmt, ſeine Manier zu vergroͤßern,“ auf einen
erweislich falſchen Thatbeſtand. Wie denn ſein Werk uͤber-
haupt von Verwirrungen in den Zeitangaben wimmelt, ſo er-
[91] zaͤhlte er in deſſen erſter Ausgabe *): „es ſey, als Michelan-
gelo
durch die Flucht nach Florenz dem Unwillen des Pabſtes
ſich entzogen habe, deſſen halbbeendigte Arbeit in der Sixtina
dem Raphael heimlich gezeigt worden, worauf dieſer letzte ſo-
gleich aus dem Geſehenen fuͤr ſeine Kunſt Vortheil gezogen.“
Die Deckengemaͤlde der ſixtiniſchen Kappelle koͤnnen indeß,
ſelbſt nach des Vaſari anderweitigen Angaben, nicht vor dem
J. 1509 in Anregung gekommen ſeyn; die Briefe aber, welche Ju-
lius II.
gelegentlich ſeines Unfriedens mit dem Buonaroti an die
florentiniſche Obrigkeit ſchreiben ließ, fallen in das J. 1506 **).
Dieſe Unvereinbarkeiten moͤgen dem Vaſari mit Schaͤrfe ge-
ruͤgt worden ſeyn; denn in der zweyten Ausgabe ſeiner Kuͤnſt-
lerleben ***) ſuchte er ſich aus der Sache zu ziehn, indem er
zuerſt die richtige, oder doch wahrſcheinlichere Veranlaſſung
erzaͤhlt, welche er von Michelangelo ſelbſt erfragt haben
konnte †), dann aber ſein altes, unhaltbares Maͤhrchen
[92] woͤrtlich wiederholt und hinzuſetzt: „genug, daß er auf die
eine oder andere Weiſe mit dem Pabſte ſich uͤberworfen hatte.“
Vaſari wollte offenbar ſeinen fruͤheren Irrthum nicht gerade-
hin eingeſtehen, ihn nur bemaͤnteln. Denn an mehr als einer
Stelle kommt er auf ſeine erſte Angabe zuruͤck *), hat ſie
demnach zu keiner Zeit ganz zuruͤckgenommen.


Auf irgend eine Weiſe wollte er das Subſtantielle aller
jener Andeutungen, Raphaels Nachahmung des Mi-
chelangelo
, behaupten. Denn, ohne alle Beruͤckſichtigung
fruͤherer und ganz entgegengeſetzter Verſionen, erzaͤhlt er an
einer anderen Stelle: „nachdem die Decke der Sixtina zur
Haͤlfte beendigt war, wollte der Pabſt, daß ſie aufgedeckt
werde. Ganz Rom eilte herbey und der Pabſt hatte nicht
einmal die Geduld, den Staub, welchen das Abwerfen der
Geruͤſte erregt hatte, ſinken zu laſſen, bey welcher Gelegen-
heit auch Raphael von Urbino ſie ſah und gleich darauf ſeine
Manier veraͤnderte und, um ſich zu zeigen, die Sibyllen in
[93]la Pace malte. Bramante aber verſuchte, dem Raphael die
andere Haͤlfte der Sixtina zuzuwenden *).“


Dieſer neuen Verſion laͤßt die Wahrſcheinlichkeit nicht
ſich abſprechen; denn Raphael kann dem Anblicke eines ſo
merkwuͤrdigen Werkes nicht ſich entzogen haben, dem Eindruck
deſſelben nicht ausgewichen ſeyn. Doch iſt darin noch immer
eine hoͤchſt mißliche Allgemeinheit. Denn, ohne ausgemacht
zu haben, wann Raphael zuerſt jene Arbeit in der Sixtina
geſehen, und in welchen beſtimmten Einzelnheiten er dieſelbe
nachgeahmt habe, duͤrften wir der Gefahr, etwas ganz Fal-
ſches zu meinen und zu behaupten, gar nicht ausweichen
koͤnnen.


Die Verſoͤhnung Julius II. mit dem Buonarota kann
fruͤheſtens gegen Ablauf des Jahres 1506 ſtattgefunden haben,
da nicht fruͤher Bologna in den Beſitz des Pabſtes gelangt
iſt. Wendete nun der Kuͤnſtler, nach der Angabe des Vaſari,
darauf ſechzehn Monate zu Bologna auf die coloſſale Statue
des Pabſtes, ſo konnte er, unumgaͤngliche Geſchaͤftszoͤgerungen
und eigene Angelegenheiten hinzugenommen, nicht wohl vor
dem Jahre 1509 nach Rom zuruͤckgekehrt ſeyn. Unternahm
er nun unverzuͤglich die maleriſche Verzierung der Decke der
ſixtiniſchen Kappelle? Wir wiſſen davon durchaus nichts Be-
ſtimmtes und Sicheres. Indeß verſetzte Vaſari die Beendi-
gung dieſes Werkes unſtreitig in das letzte oder vorletzte Jahr
der Regierung Julius II.**). Gab er nun ferner der ma-
[94] leriſchen Ausfuͤhrung im Ganzen zwanzig Monate, ſo muß,
wenn es mit der letzten Angabe ſeine Richtigkeit hat, dieſe
Arbeit in die Jahre 1511 bis 1513 einfallen.


Dieſe Beſtimmung trifft auch mit den Beiſpielen uͤber-
ein, durch welche Vaſari die Einwirkung der Sixtina auf Ra-
phaels
maleriſche Entwickelung uͤberzeugender zu machen ſucht:
den Sibyllen der Kirche la Pace, dem Iſaïas der Kirche S.
Agoſtino *). Denn ſchwerlich wurden dieſe Werke, deren
Zeit ungewiß, ſchon unter Julius II. gemalt, da ſie mit den
Stanzen wenig Uebereinſtimmung zeigen, da es auch nicht
wahrſcheinlich iſt, daß Julius II. geſtattet haben wuͤrde, die
Arbeit in den Zimmern des Vaticans durch andere, umfaſ-
ſende Werke zu unterbrechen. Der Iſaïas moͤchte freylich,
wegen techniſcher Verwandtſchaft zum Heliodor, gleich nach
dieſem unter dem Regierungswechſel gemalt ſeyn, welcher den
Kuͤnſtlern einige Muße gewaͤhren mußte. Indeß iſt dieſe Fi-
gur in dem Maaße Raphaels flachſte Production, daß man
ſtets geneigt ſeyn wird, ſie fuͤr eine ſeiner ſpaͤteſten Arbeiten
zu halten. Ueberhaupt ſcheint der Verſuch, mit dem Michel-
angelo
in die Schranken zu treten, erſt in die letzten Lebens-
jahre Raphaels einzufallen. Denn ein drittes Beyſpiel des
**)
[95]Vaſari, die nackten Figuren im Burgbrande *), faͤllt unbe-
ſtritten in ſo ſpaͤte Zeit.


Unter dieſen Umſtaͤnden kommen die Anachronismen des
Vaſari, deren Ausgleichung uns oben beſchaͤftigt hat, genau
genommen gar nicht in Erwaͤgung. Nur ſo viel wollte und
konnte er behaupten: Raphael habe des Michelangelo großar-
tige und maſſige Behandlung irgend ein Mal (der Zeitpunkt
kuͤmmerte ihn hier ſo wenig, als an anderen Stellen) voll
Bewunderung ſich angeſehen, und verſucht, in dieſer Beziehung
ſeinen Nebenbuhler einzuholen. Mit gehoͤriger Einſchraͤnkung
ſeiner Uebertreibungen **), werden wir ihm hierin beypflich-
[96] ten, ſogar ſeine eigenen Beyſpiele noch vermehren duͤrfen, in-
dem wir darauf hinweiſen, daß Raphael des Buonarota un-
uͤbertreffliche Auffaſſung des erzvaͤterlichen Weſens als vorbild-
lich, typiſch, angeſehn und bey verwandten Aufgaben (in
den Logen, an der Decke der zweyten Stanza) ihr ſich an-
geſchloſſen habe. Allein es iſt an dieſer Stelle unſere aus-
ſchließliche Aufgabe, zu finden, ob, und in wiefern Michelan-
gelo
, oder im Gegentheil Raphael, die Entſtehung und Aus-
bildung der ſchoͤnen neuen Manier thaͤtiger gefoͤrdert habe.


Wer nun von beiden wird dem anderen in der Auffin-
dung eines rein maleriſchen Princips vorangegangen ſeyn?
Der Bildner, welcher nur als Dilettant die einzige Manier
a tempera getrieben? oder vielmehr der Maler von Zunft
und Gewerb? — Wir beſitzen einige maleriſche Verſuche des
Michelangelo, welche in die Jahre 1500 bis 1506 fallen:
das Rund a tempera in der florentiniſchen Gallerie (1503);
das (wohl aͤltere) ſchoͤnere, halbbeendigte Gemaͤlde a tem-
pera,
ſonſt im Beſitze der Madame Day zu Rom, jetzt in
England; den Carton einer Madonna, Vorbereitung zu einem
Gemaͤlde, beym Cavaliere Buonaroti zu Florenz; das Blatt
des Marcanton, ein anderes vom Veneziano, nach Theilen
des untergegangenen Carton von Piſa. Dieſe Arbeiten gehoͤ-
ren indeß, was die Malerey angeht, ſaͤmmtlich dem ſtrengen
Style. Hingegen verraͤth ſich das Hereinbrechen des maleri-
ſchen Geſchmackes bereits in Raphaels Glorie von 1505, in
deſſen fluͤchtigeren, vor ſeiner Verſetzung nach Rom entworfe-
nen, oder ganz beendigten Gemaͤlden, beſonders in der camera
della segnatura,
welche der ſixtiniſchen Kappelle vorangeht;
waͤhrend in dieſer nicht der Spiegel des Gewoͤlbes (noth-
wendig, was Vaſari die aͤltere, zuerſt vollendete und vorlaͤu-
fig
[97] fig aufgedeckte Haͤlfte des Werkes nennt), ſondern erſt die
coloſſalen Figuren der Hohlkehle in maleriſcher Beziehung
ganz entwickelt ſind. Die Zeitfolge dieſer Thatſachen zwingt
uns, gegen den Ausſpruch des Vaſari, Raphael als den ei-
gentlichen Erfinder des maleriſchen Geſchmackes anzuſehen.
Wenn darauf Michelangelo in der Vereinfachung der Maſſen
gegen das Ende ſeines Werkes das Aeußerſte erreichte, alſo
in dieſem einzelnen Stuͤcke auch den Raphael uͤberbot, ſo lei-
ſtete dieſer hingegen in der Harmonie, in den Uebergaͤngen,
in einer geiſtig behenden Pinſelfuͤhrung, was dem Buonarota
ſtets unerreichbar blieb. Uebrigens mußte der Wetteifer zweyer
gleich außerordentlichen Geiſter die Ausbildung der neuen
ſchoͤnen Manier nothwendig beſchleunigen, vielleicht auch be-
wirken, daß ſie nicht lange bey dem Vortrefflichen ſtehen
blieb, das Ziel unmittelbar, nachdem es erreicht war, ſchon
uͤberſchritt. Auch war unſtreitig der maͤchtigſte Hebel einer
Manier, welche darauf berechnet war, theils die Arbeit zu be-
ſchleunigen, theils die Geſammtwirkung zu verſtaͤrken, das Un-
geſtuͤm der Wuͤnſche eines noch jugendlich heftigen, aber al-
ternden Fuͤrſten, vereint mit der materiellen Ausdehnung der
Unternehmungen, welche Julius II., ſeines herannahenden To-
des doch wohl nicht durchaus uneingedenk, in moͤglichſt abge-
kuͤrzter Zeit beendet ſehen wollte *).


III. 7
[98]

Uebrigens draͤngt hier nichts, der Zeit vorgreifend, zu
entſcheiden, ob, was man den ſtrengen Styl nennt, oder viel-
mehr dieſe neue, maleriſche Manier, an ſich ſelbſt die beſte
Weiſe ſey, Kunſtwerke vor den Sinn zu ſtellen, da Raphael
in beiden Formen dargelegt hat, was ſein Beſtes iſt: Fuͤlle
und Tiefe des Geiſtes, Reinheit und Innigkeit des Gemuͤthes.
Indeß zeigen ſeine Werke, da in ihm nichts jemals zur leeren
Gewoͤhnung ausgeſchlagen iſt, durchhin den Charakter der Le-
bensſtufe, welcher ſie angehoͤren. Mit dem Juͤnglingsalter
verließ er das Gebiet des heiter Naiven und ſchwaͤrmeriſch
Schmerzlichen. Madonnen, heilige Familien, Bilder des lei-
denden, ſich hingebenden Erloͤſers, Gegenſtaͤnde, in welchen er
bis dahin ſich unuͤbertrefflich gezeigt hatte, mußten, im vor-
geruͤckteren Alter, ihm nicht mehr ſo ganz dieſelbe Theilnahme
abgewinnen. Hingegen zeigte er bey Loͤſung der Aufgaben,
welche ſeine neue Stellung nunmehr herbeyfuͤhrte, maͤnnliche
Reife des Geiſtes. Durch Gluͤck, oder Beſtimmung, begeg-
nete er auf jeglicher Stufe ſeiner Kuͤnſtlerlaufbahn Anforde-
rungen, denen er gerade ganz gewachſen war. Am Fuße des
heiligen Huͤgels von Aſiſi war er ganz ſo ſchwaͤrmeriſch, als
Niccolo Alunno, als Pietro in ſeinen beſſeren Tagen, unter
den guten Buͤrgern des gewerbfleißigen Florenz, naiv, haͤus-
lich, verſtaͤndig, am Hofe der Fuͤrſten des Geiſtes, Julius
II.
, Leo X., energiſch, umfaſſend.


Raphael gelangte nach Rom, als die hierarchiſche Groͤße,
dem Wendepuncte ſchon nahe, ihren hoͤchſten Gipfel erreicht
hatte. Nie hatte ſie ein weiteres Landgebiet, mehr kriegeriſche
Macht beſeſſen; ihr geiſtiger Einfluß ward kaum beſtritten.
Nun daͤmmerte eben damals, wohl durch Einwirkung des
Cardinal Giovanni de’ Medici, der Gedanke auf: das hie-
[99] rarchiſche Rom ſolle, muͤſſe aller Geiſtesentwickelung gemein-
ſamer Mittelpunct ſeyn. Durch eine ſinnreiche, mit allen
Reizen der Malerkunſt geſchmuͤckte Vergegenwaͤrtigung dieſes
ſchoͤnen Traumes eroͤffnete Raphael in den vaticaniſchen Stan-
zen ſeine roͤmiſche Laufbahn.


Dieſe Zimmer werden durch Kreuzgewoͤlbe, welche ſie
uͤberſpannen, jedes in vier gleiche Theile geſondert. Die ca-
mera della segnatura
war, als Raphael darin ſeine Arbeit
begann, bereits durch gemalte Geſimſe abgetheilt. Dieſe bey-
behaltend, erfuͤllte der Kuͤnſtler oberhalb in jedem Viertheil
des Gewoͤlbes eines der vorgefundenen groͤßeren Runde durch
eine weibliche Figur, welche der ganzen Abtheilung gleichſam
zum Titel dient *).


Beginnen wir mit der Theologie, einer, gleich den uͤbri-
gen, von Genien umgebenen, wuͤrdevollen Geſtalt. Auf dieſe
folgt unterhalb im Zwickel deſſelben Gewoͤlbtheiles ein klei-
ner gehaltenes Bild, worin der Suͤndenfall, das negative Prin-
cip der chriſtlichen Glaubensanſicht. Dieſen einleitenden, vor-
andeutenden Bildern entſpricht, in der weiten Halbrundung
der anſtoßenden Wand, das Geheimniß der Suͤhne: die Ho-
ſtie auf einem erhoͤheten Altare ausgeſtellt, von den Kirchen-
lehrern aͤlterer und neuer Zeit umgeben; in den himmliſchen
Raͤumen Chriſtus von Engeln umſchwebt, deren Schoͤnheit
7 *
[100] mehr als irdiſch iſt, umgeben von den Evangeliſten, Erzvaͤtern,
erſten Blutzeugen der Kirche; alle in regelmaͤßiger, doch mit
ungemeiner Feinheit ſanft abgeaͤnderter Anordnung. Wunder-
bar geiſtig iſt die Geſtalt des Heilands, in den Vaͤtern und
Heiligen eine Guͤte und Milde des Charakters, welche kein
anderer Kuͤnſtler jemals erreicht hat. Man nennt dieſes Bild,
nach einer Andeutung des Vaſari*), die Diſputa.


In der folgenden Abtheilung die Wiſſenſchaft und prac-
tiſche Aufrechterhaltung des Rechtes. Die allegoriſche Figur
erfuͤllt, wie dort, das groͤßere Rund; darauf im Zwickel das
Urtheil Salomons, und in dem Halbrunde uͤber dem Fenſter
drey allegoriſche Figuren, die Tugenden, ohne welche die
Rechtswiſſenſchaft fuͤr die Menſchheit ohne Nutzen bleibt, wohl
ſelbſt ihr verderblich wird. Den ausfallenden Raum zu bei-
den Seiten des Fenſters erfuͤllen zwey Handlungen, des roͤ-
miſchen, des canoniſchen Rechts Sicherung durch Juſtinian,
durch Gregor IX.


In der dritten Abtheilung zuerſt die Philoſophie, dann
keine ſymboliſche Handlung, ſondern eine zweyte Allegorie,
die Aſtronomie, oder Aſtrologie. Das weite Halbrund der
anſtoßenden Wand enthaͤlt, was man gemeinhin die Schule
von Athen nennt. Wer zu dieſem beruͤhmten Werke den all-
gemeinen Gedanken dem Kuͤnſtler angedeutet hat, wollte offen-
bar die Philoſophie theils als Kunſt, die Wahrheit zu erfaſ-
ſen und zu behaupten, theils auch als Inbegriff menſchlichen
Wiſſens ausgedruͤckt ſehn.


Die Poeſie beſchließt den Cyclus. Die weibliche, einer
[101] Muſe aͤhnliche Figur der Allegorie erſcheint Vielen als die
ſchoͤnſte Geſtalt, welche die neuere Kunſt im Einzelnen hervor-
gebracht. In dem Zwickel deſſelben Gewoͤlbtheiles der Sieg
des Edlen uͤber das Gemeine, die Strafe des Marſyas. Im
Halbrunde uͤber dem Fenſter der Parnaß, in welchem neben
den alten Dichtern auch neuere ihre Stelle gefunden. In
dem noch uͤbrigen Raum dieſer Wand die zierlichſten Geſims-
bilder, voll anmuthiger Beziehungen auf Dinge der Poeſie.


Verſchiedentlich hat man uͤber den allgemeinen Gedanken
dieſes allegoriſchen Cyclus mit Raphael gehadert, den Kuͤnſt-
ler, nicht allein fuͤr die Loͤſung, nein auch fuͤr die Aufgabe
an ſich ſelbſt zur Verantwortung gezogen. Vielleicht uͤberſah
man, daß die Aufgabe damals (wie ſich’s gehoͤrt) noch im-
mer von denen ausging, welche die Gemaͤlde begehrten und
belohnten; unter allen Umſtaͤnden aber verkuͤmmert man ſich
ganz unnoͤthig den ſchoͤnſten Genuß, indem man Angeſichts
des Vortrefflichen mit den Anſichten rechtet, in welchen daſ-
ſelbe einen Stuͤtzpunct gefunden hat. Kuͤnſtleriſch angeſehn,
moͤchte indeß die fruͤheſte der vaticaniſchen Stanzen dem Ta-
del unterliegen, daß ſie durch ihre Fuͤlle blende. Denn mit
welchen Vorſaͤtzen wir eintreten moͤgen, ſo wird doch bey die-
ſem Reichthum ſchoͤner und anziehender Gemaͤlde nicht leicht
die Muße gewonnen, mit deſſen untergeordneten Bildern ſich
zu beſchaͤftigen, aus vielen Hunderten ein neues, bis dahin
unbeachtetes Antlitz hervorzuheben. Die erdruͤckende Wirkung
dieſer Geſtaltenfuͤlle ſcheint Raphael aufgefallen zu ſeyn.
Denn er vereinfachte in ſeinen ſpaͤteren Wandgemaͤlden die
Eintheilungen, und gab im Fortgang der Zeit mehr und
mehr der Anſicht Raum, bey Mauergemaͤlden das Architecto-
niſche durchgehend vorwalten zu laſſen.


[102]

Noch unter Julius II. vollendete er in dem Zimmer,
welches auf jene erſte Stanza folgt, die Verzierung der Decke
und, an den Waͤnden, zwey große halbrunde Gemaͤlde; die
uͤbrigen fallen ſchon in die Regierung Leo X. In den Ge-
maͤlden der Decke iſt, durch eine fehlerhafte Miſchung des
Kalkbewurfes, die Farbe erloſchen; deſſenungeachtet ſind ſie in
verſchiedener Hinſicht bemerkenswerth. Einmal verſuchte Ra-
phael
an dieſer Stelle zuerſt, durch einen breiten, leicht ver-
zierten Rand und durch Andeutungen der Spannung, auch
durch eine flachere Behandlung der Bilder, dieſen das Anſehn
von gewirkten Teppichen zu geben, was bezeugt, daß er ſchon
damals darauf bedacht geweſen, der ſchweren, druͤckenden Wir-
kung jener erſten Gewoͤlbdecke auszuweichen. Ferner wieder-
holte Raphael in einer dieſer ſcheinbaren Tapeten, dem Opfer
Iſaac, noch einmal jenen wunderlich verkuͤrzt vom Himmel
herabwirbelnden Engel, deſſen wir uns aus fruͤheren Erwaͤh-
nungen erinnern *). Endlich iſt auch dieſes bemerkenswerth,
daß hier bereits jenes eigenthuͤmliche Princip der Anordnung
hervortritt, welches den bekannten Arazzi Raphaels ſo viel
Bewunderung und Beyfall erworben hat. Die freylich ganz
verblichenen Gemaͤlde ſetzen dieſes Princip nicht ſo deutlich
ins Licht, als das vortrefflichſte Blatt des Marcantonio nach
dem Entwurfe zu einem dieſer Bilder, der Verheißung der
Nachkommenſchaft **).


Die Nachtheile jenes techniſchen Probeſtuͤckes, oder Ver-
[103] ſehns, welches nicht allein dieſen Deckengemaͤlden, ſondern
auch in dem vorangehenden Zimmer den beiden Nebenbildern
an der Wand der Jurisprudenz alle kraͤftige und dunklere
Tinten entzogen hat, mag ſogleich an den Tag gekommen
ſeyn, da in den folgenden Gemaͤlden, der Meſſe von Bolſena,
dem Heliodor, die Faͤrbung vortrefflich ſich erhalten hat, wenn
man einige Figuren ausnimmt, welche, eines beſonderen Bey-
falls ſich erfreuend, ſeit laͤngerer Zeit alljaͤhrlich unzaͤhlige
Male chalkirt werden, daher, welche Vorſicht man anwenden
moͤge, allmaͤhlig erloͤſchen muͤſſen, nach dem Grundſatze: daß
viele Tropfen am Ende den haͤrteſten Stein aushoͤhlen.


Die eine Haͤlfte der Darstellung des Wunders von Bol-
ſena
fuͤllen, in zwey Gruppen, die wundervollſten Bildniſſe;
die obere Gruppe, Julius II., einige Cardinaͤle und geiſtliche
Hofleute, jener voll Kuͤhnheit und Trotz, dieſe geſchmeidig und
fein, bildet zu der deutſchen Maͤchtigkeit und bieder ſtarrſinni-
gen Einfalt der Schweizerwachen einen im eigentlichſten Sinne
hiſtoriſchen Gegenſatz. Prieſterherrſchaft und Schweizerfußvolk
waren zu Anfang des ſechzehnten Jahrhunderts die beiden
Hebel der europaͤiſchen Staatenverhaͤltniſſe. Ich bezweifle, ob
ſie irgendwo in den Schriftſtellern ſo anſchaulich, ſo objectiv
ſich darſtellen, als eben hier. Allein auch in kunſthiſtoriſcher
Beziehung hat dieſes Gemaͤlde eine große Merkwuͤrdigkeit.
Denn, was man in Tizians, was in den Arbeiten ſeiner aus-
gezeichnetſten Schul- und Zeitgenoſſen vornehmlich bewundert,
die uͤberzeugende Kraft und Waͤrme ihres Localtons, die zarte,
ſich unterordnende Andeutung der Uebergaͤnge, Halbtoͤne, Far-
benſpielungen, ſammt dem ſaftigen, energiſchen Vortrage, alle
dieſe Vorzuͤge finden ſich in dieſem, auch als a fresco Ge-
maͤlde unvergleichbaren, Bilde bereits in unuͤbertroffener Voll-
[104] kommenheit. Um Vieles ſpaͤter war Tizian noch immer in
dem glatten, buntleuchtenden Schmelze der aͤlteren Manier
ſeiner Schule befangen, auch in der Malerey a fresco, als
er in einer Bruͤderſchaftskappelle am Platze des heil. Anton
zu Padua verſchiedene Bilder malte, ſeine Arbeit, gegen die
Meſſe von Bolſena gehalten, hoͤchſt ſchuͤlerhaft. Er ſelbſt
freylich kam zu ſpaͤt nach Rom, als daß man annehmen
koͤnnte, er verdanke der unmittelbaren Anſchauung dieſes Wer-
kes die Anregung oder Entwickelung ihm eigenthuͤmlicher Ab-
ſichten. Indeß ſcheint Giorgione, wenn das Urtheil Salo-
mons in der Gallerie des Grafen Mareschalchi zu Bologna
ſeine Arbeit iſt, wie man ſagt, und ich fuͤr moͤglich halte,
Rom fruͤh beſucht zu haben, was die Vermuthung, daß er
von dort aus die neue Manier nach Venedig gebracht, wenn
auch nicht begruͤndet, doch zulaͤßt. Unter allen Umſtaͤnden
war Rom ſeit des Michelangelo, ſeit Raphaels Ankunft in
dem Maaße der Mittelpunct damaliger Kunſtbeſtrebungen, daß
nichts unwahrſcheinlicher ſeyn duͤrfte, als zu Venedig eine
gaͤnzliche Unkunde deſſen anzunehmen, was in Rom geſchehen
war und noch taͤglich geſchah. Genug alſo, daß die Meſſe
von Bolſena um ſieben bis zehn Jahre der vollen techniſchen
Entwickelung der venezianiſchen Schule vorangeht.


In gleichem Sinne, doch ſchon um etwas laͤſſiger, hat
Raphael die Bildnißgruppe in dem anſtoßenden Halbrunde
des Heliodor behandelt. Sie prangt noch immer in aller
Kraft und Friſche ihrer urſpruͤnglichen Faͤrbung, waͤhrend die
erſchreckten Weiber in dem Volkshaufen des Mittelgrundes
unter den Haͤnden ihrer Bewunderer allmaͤhlich erblichen ſind.
Mehr hat man das Volk in der Meſſe von Bolſena geſchont,
obwohl die weiblichen Formen, da ſie ebenfalls leicht und
[105] obenhin behandelt ſind, auch hier dem kunſtbefliſſenen Reiſen-
den als eine leichte Beute ſich darbieten, alſo zum Nachzeich-
nen auffordern mußten. Mit Recht bewunderte ſchon Vaſari
in dem uͤberraſchten Meßprieſter die Vieldeutigkeit des Aus-
drucks, ergoͤtzte andere die ſuͤdliche Lebhaftigkeit der Aufwal-
lung in den Figuren, welche den wunderbaren Vorgang aus
der Naͤhe wahrnehmen.


Er ſcheint hier an ſeiner Stelle, eines Entwurfes zum
Heliodor zu erwaͤhnen, welcher zu Berlin in der, auch ſonſt
ſehr beachtenswerthen, Sammlung von Handzeichnungen des
Geheimenrathes von Savigny enthalten iſt, da Solcher auf
die Technik der Vorarbeiten zu maleriſchen Ausfuͤhrungen im
Sinne der neuen ſchoͤnen Manier einiges Licht wirft. In die-
ſer Handzeichnung ſind die Federumriſſe nur in den architecto-
niſchen Theilen aͤcht, oder doch in Raphaels Auftrag und nach
ſeiner Angabe von irgend einem ſeiner Gehuͤlfen am Lineale
und mit dem Cirkel ausgezogen, hingegen in den Figuren
durchhin von einer ſpaͤten und ungelehrten Hand hineinge-
tragen, wie es ſich theils ſchon aus dem verſchiedenen Tone
und Alter der Tinte, beſonders aber aus der Beſchaffenheit
der Federzuͤge, leicht ergiebt. Alſo wird nur, was hier mit
dem vollen Waſſerpinſel in Sepia ſchnell, doch beſonnen, hin-
geworfen iſt, mit Sicherheit fuͤr Raphaels eigene Hand zu
nehmen ſeyn. Dieſes aber beſchraͤnkt ſich auf eine einzige
Tuſchlage, welche, hoͤchſt geiſtvoll laͤngs der Schattenſeite der
Figuren und Gruppen hingeworfen, keinen anderen aͤchten
Umriß zeigt, als den aus der Schattengrenze von ſelbſt ſich
ergebenden. An der Lichtſeite verfließen dieſe Figuren in das
helle Feld des Grundes.


Bey dieſem Entwurfe war die Abſicht des Kuͤnſtlers, die
[106] vorwaltenden Schattenmaſſen feſtzuſtellen. Fuͤr die Ausbildung
der einzelnen Figuren ward anderweitig geſorgt. Hier fehlt
noch die Gruppe mit dem Pabſte; auch die Figuren im
Grunde des Tempels ſind noch nicht angedeutet, weil ſie, ins
Halbdunkel geſtellt, bey dieſer einfachſten, allgemeinſten Son-
derung des Lichtes vom Dunkelen nicht in Erwaͤgung kamen.


Unter Julius II. iſt in den Stanzen, wie uͤberhaupt,
nichts weiter gemalt, ſo vielleicht nicht einmal der Heliodor
ganz beendigt worden; wenden wir uns daher zu den uͤbrigen
Werken, welche Raphael von ſeiner Ankunft zu Rom bis zum
Jahre 1513 koͤnnte unternommen und beendigt haben.


Wie denn Vaſari uͤberhaupt die Zeitfolge wenig beach-
tet, vom Einen auf das Andere kommt, naiv und geſchwaͤtzig
hinſchreibt, was ihm jedesmal beyfaͤllt, ſo erwaͤhnt er auch
der Sibyllen in der Kirche la Pace, des Iſaïas, ſelbſt der
Galathea in der farneſiſchen Villa, unmittelbar nachdem er
Raphaels Nachahmung des Buonarota durch alte Malerge-
ſchichtchen motivirt hat, deren Unwahrheit erweislich iſt, de-
ren Unſicherheit der Erzaͤhler ſelbſt eingeſteht. Vaſari ſuchte
ſeine, hiſtoriſch ſo ſchlecht begruͤndete, Behauptung kenneriſch
durch ein ſchlagendes Beyſpiel zu unterſtuͤtzen; und wahrlich,
wenn an irgend einer Stelle, ſo verraͤth ſich in jenen Sibyl-
len, vornehmlich doch in dem Propheten, eine gewiſſe, frey-
lich hoͤchſt bedingte Nachahmung des Michelangelo. Indeß
erzeigt man dem Vaſari eine ganz unverdiente Ehre, wenn
man, ungeachtet der ſie begleitenden Verwirrung der Data,
aus dieſer Andeutung folgern will *), er habe ausdruͤcken
[107] wollen: jene Sibyllen, der Prophet, ſelbſt die Galathea, ge-
hoͤren in die Zeit Julius II. Im Gegentheil zeigt eben die
Galathea, da ſie erweislich nicht fruͤher als unter Leo X.*)
entſtanden iſt, daß Vaſari an jener Stelle ſeines Werkes
nichts weniger habe andeuten wollen, als eine gewiſſe chro-
nologiſche Folge. Der einzige vorhandene Grund, die Sibyl-
len den Stanzen der Zeit nach gleichzuſtellen, wird demnach,
als unhaltbar erwieſen, anderen Probabilitaͤten Raum geben
muͤſſen.


So unwahrſcheinlich es iſt, daß Julius II., welcher der
Beendigung ſeiner Unternehmungen ungeduldig entgegenſah,
ſollte zugelaſſen haben, die Arbeit in den vaticaniſchen Stan-
zen durch andere, ihm ferner gelegene Unternehmungen der-
ſelben Gattung zu unterbrechen, ſo gewiß iſt es, daß Raphael
unter ſeiner Regierung verſchiedene Staffeleygemaͤlde beendigt
hat. Sein Goͤnner konnte weder fordern, daß er die Oel-
malerey durchaus vernachlaͤſſige, noch ſelbſt ſeinen haͤuslichen
Fleiß controlliren. Indeß ſind die Oelgemaͤlde, welche mit
Sicherheit in dieſe Epoche Raphaels verſetzt werden koͤnnen,
nicht zahlreich.


Vaſari erzaͤhlt von einem Bildniß Julius II., welches
ſo lebendig, ſo uͤberzeugend gegenwaͤrtig ſey, daß es Furcht
*)
[108] errege. Zu ſeiner Zeit, aber auch noch ſpaͤterhin, befand es
ſich in der Sacriſtey der Kirche S. Maria del Popolo zu
Rom; doch um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts wußte
Bottari nicht mehr anzugeben, wohin es gerathen ſey. Man
glaubt, es in Florenz zu beſitzen.


Das Bild Julius II. in der Tribune der Gallerie der
Uffizj iſt allerdings ein ſchoͤnes und altes; demungeachtet wird
deſſen Originalitaͤt ſeit kurzem von einigen, vielleicht zu ge-
nauen Kennern in Zweifel gezogen. In der Gallerie Pitti
derſelben Stadt giebt es zwey Copieen deſſelben Bildes, deren
eine fuͤr geiſtreicher gelten darf, als jene der Tribune, uͤbri-
gens einen ſpaͤteren Pinſel verraͤth; eine dritte iſt im Hauſe
Corſini zu finden. Gewiß entſpricht das Bild in der Tribune
der Charakteriſtik des Vaſari nicht ſonderlich; der Ausdruck
iſt nicht gebieteriſch, noch Furcht erregend, entſpricht vielmehr
der graͤmelnden Kraftloſigkeit des Alters. Vergleichen wir
dieſes Bildniß mit denen der Meſſe von Bolſena und des
Heliodor, ſo erſcheint uns weder der Gegenſtand, noch der
Kuͤnſtler, ganz derſelbe. Sehen wir endlich auf die Behand-
lung und den Auftrag der Farbe ſo ſcheint allerdings, da
Manches, z. B. das weiße Untergewand, kein richtiges Ver-
ſtaͤndniß der Motive darlegt, vielmehr aͤngſtlich, ſtumpf, an-
ſchauungslos gemalt iſt, jener Zweifel, uͤber welchen ich mich
ſelbſt noch unentſchieden bekenne, mehr und mehr Beſtand zu
gewinnen. Ihn zu loͤſen, moͤchte eine ausgezeichnete, vielleicht
von Sebaſtian Piombo herruͤhrende Copie behuͤlflich ſeyn koͤn-
nen, welche aus der Sammlung Giuſtiniani in die oͤffentliche
Gallerie zu Berlin gelangt iſt. Ohne dieſem Bilde vor den
florentiniſchen einen hoͤheren Kunſtwerth einzuraͤumen, be-
fuͤrchte ich doch, daß es in Allem, was dem mechaniſchen
[109] Copiſtenfleiße erreichbar iſt, dem Originale naͤher ſtehe, als
jene.


In dieſe Zeit faͤllt denn auch nothwendig das beruͤhmte
Bildniß Raphaels, ſonſt zu Florenz im Hauſe Altoviti, jetzt
in der Gallerie Sr. Maj. des Koͤnigs von Bayern. Auch
uͤber dieſes Gemaͤlde ſind die Kenner unter ſich uneinverſtan-
den. Einige halten es zwar fuͤr Raphaels Bildniß, wollen
jedoch in der Arbeit die Hand des Giulio Romano erkennen;
Andere halten das Bild zwar fuͤr eines der ſchoͤnſten Oelge-
maͤlde Raphaels, doch nicht fuͤr deſſen eigenes Bildniß. Mit
beiden kann ich nur zur Haͤlfte uͤbereinſtimmen.


Die erſte dieſer Meinungen ſtuͤtzt ſich auf die Wahrneh-
mung einer gewiſſen Verwandtſchaft im Colorit mit der Al-
tartafel des Giulio Romano in der Kirche all’ anima. In-
deß hat Niemand bisher beide Gemaͤlde nebeneinandergeſtellt,
ſie auf der Stelle mit einander verglichen. Auch ſind ſie in
der That kaum vergleichbar, indem das eine, wie man ſagt,
ein idealiſches Bild, in den Tinten viel Allgemeinheit, wenig
Uebergaͤnge zeigt, das andere, ein ſehr genaues Bildniß, die
mannichfaltigſten Abſtufungen des Localtons. Allein, waͤre
nun auch die Faͤrbung ganz uͤbereinſtimmend, ſo moͤchte ein
ſolches raphaeliſiren der fruͤheren Bilder des Giulio (beſon-
ders der Steinigung des Stephanus in einer Kirche zu Genua)
uns doch nicht wohl beſtimmen koͤnnen, die eine oder die
andere, oder alle ſpaͤteren Arbeiten Raphaels, dem Giulio bey-
zumeſſen. Denn offenbar unterſcheidet ſich der Schuͤler von
ſeinem Meiſter nicht durch ſolches, worin er mit ihm uͤber-
einſtimmt (was er von ihm angenommen hat), ſondern durch
ſein Eigenthuͤmliches. Es wird demnach nur das Hervor-
treten eines ſolchen Eigenthuͤmlichen zu der Entſcheidung be-
[110] ſtimmen koͤnnen, daß irgend ein Werk Raphaels des Giulio
Hand verrathe. Wird man aber behaupten wollen, daß in
dem Bildniß des Hauſes Altoviti irgend etwas ſich zeige,
was mit der Eigenthuͤmlichkeit des Giulio, wie ſie lange nach
Raphaels Tode, nach allmaͤhligem Erloͤſchen der Eindruͤcke
des Meiſters auf den Schuͤler, ſich gebildet hat, auf einige
Weiſe uͤbereinſtimme? gewiß nicht. Zudem verweiſet das Co-
ſtuͤm, welches mit jenem der Bildnißfiguren im Heliodor zu-
ſammenfaͤllt, ferner das Lebensalter des dargeſtellten jungen
Mannes, von dem wir annehmen, es ſey Raphael ſelbſt, in
die Jahre 1511 bis 1513; aus ſo fruͤher Zeit aber iſt uͤber
die Lebensumſtaͤnde und die kuͤnſtleriſche Bildungsſtufe des
Giulio durchaus nichts bekannt. Unter ſolchen Umſtaͤnden
werden wir ſicherer gehn, uns dem Vaſari anzuſchließen, nach
deſſen Zeugniß das fragliche Bild nun ſchon ſeit Jahrhunder-
ten fuͤr Raphaels Arbeit gegolten hat. So leichtſinnig dieſer
Schriftſteller rein hiſtoriſche Dinge behandelt, ſo ſelten irrt
ſein Kennergefuͤhl, unangeſehen, daß er von dem Beſitzer des
Bildes, dem Bindo Altoviti, welcher die erſte Ausgabe der
Kuͤnſtlerbiographieen noch erlebte, die naͤheren Umſtaͤnde, oder
wenigſtens doch vernommen haben konnte, aus welcher Hand
und unter welchem Namen es ihm zugekommen ſey.


Die andere Meinung: das Gemaͤlde ſey nicht des Ra-
phael
eigenes, ſondern des Bindo Altoviti Bildniß, ward
ſchon gelegentlich der Verſetzung des Bildes von Florenz nach
Muͤnchen in Anregung gebracht, erhielt indeß erſt neuerlich
durch eine Schrift Bedeutung, in welcher der Abbate Miſſiri
dem bekannten Kuͤnſtler und Kenner, Hrn. Wikar, ſeine Feder
geliehen hat.


Viele Bildniſſe erwaͤhnt Vaſari; bey allen bezeichnete er
[111] das Object, die dargeſtellte Perſon, auf die gelegenſte, unzwey-
deutigſte Weiſe. So ſagt er im Leben Raphaels: Fece un
quadro grande, nel quale ritrasse Papa Leone etc.
(er
machte ein großes Bild, worin er den Pabſt Leo X. abbil-
dete); ferner: Fece similmente il Duca Lorenzo e il Duca
Giuliano etc.
(er machte gleichfalls den Herzog u. ſ. w.);
endlich: Agnolo Doni — gli fece fare il ritratto di se e
di sua Donna etc.
(Agnolo Doni ließ ihn das Bildniß von
ſich und von ſeiner Frau machen). Wie in dieſen Faͤllen, ſo
wuͤrde Vaſari auch von dem unſrigen, haͤtte er es fuͤr das
Bildniß des Altoviti gehalten, ſagen koͤnnen und muͤſſen: Fece,
ritrasse, Bindo Altoviti.
Indeß ſagt Vaſari vielmehr: a
Bindo A. fece il ritratto suo, quando era giovane, che é
tenuto stupendissimo
(dem Bindo A. machte er ſein Bild,
wie er jung war, ausſah u. ſ. w.). Verſtehen wir nun, mit
Miſſiri, jenes suo, als, di lui, deſſen, ſo entſtehet die Frage:
wie denn kam Vaſari, der ſtets ſo ungezwungen ſchreibt, zu
dieſer ſeltſamen Weiſe, einen hoͤchſt einfachen Sinn auszudruͤk-
ken? Nehmen wir hingegen an, daß er ein ganz neues Ver-
haͤltniß ausdruͤcken wollte: den Kuͤnſtler, welcher dem Freunde
ſein eigenes Bildniß malt, ſo erſcheint die Conſtruction eben
ſo natuͤrlich, als richtig, das letzte, weil auch nach dem
Gebrauche der italieniſchen Sprache das possessivum auf das
Subject des Satzes ſich beziehen ſoll. Wie nahe es dem
Italiener liege, den Vaſari in dieſem Sinne zu verſtehen, er-
hellt aus dem ſpaͤten Auftreten der entgegengeſetzten Aus-
legung.


Freylich nun giebt es zu Florenz, in dem Saale der
Kuͤnſtlerbildniſſe, ein Gemaͤlde, welches dem Vaſari nicht be-
kannt geworden, doch nunmehr ſeit etwa anderthalb Jahr-
[112] hunderten fuͤr eine Arbeit Raphaels und fuͤr deſſen Bildniß
gilt. Er hat dunkle Haare und Augen, erinnert im Uebrigen
allgemeinhin an jenes vom Vaſari in der Schule von Athen
angedeutete. Iſt dieſes, gegenwaͤrtig ſehr erneute Gemaͤlde
Raphaels durchhin aͤchtes Bildniß, ſo giebt es nur dieſes ein-
zige; ſind hingegen die uͤbrigen deſſen aͤchte Bildniſſe, ſo wird
dieſes entweder eine ganz andere Perſon darſtellen, oder von
einer ſpaͤteren Hand in den Haaren und Augen uͤbergangen
ſeyn. Fuͤr dieſes letzte giebt es verſchiedene Gruͤnde. Denn
es aͤhnelt in der Behandlung den ſpaͤteren florentiniſchen Ar-
beiten Raphaels, koͤnnte demnach ebenfalls unfertig in Florenz
zuruͤckgeblieben und ſpaͤter von einer anderen Hand uͤbergan-
gen ſeyn. Auch in der Madonna di Peſcia, auch in dem
Madonnenbilde der Hauskappelle Gregori zu Fuligno, ſind
die Haare von einer ſpaͤteren Hand ergaͤnzt. Nehmen wir
hinzu, daß derſelbe Prinz, welcher die Madonna von Peſcia
erſtanden und vom Caſſana die Haare der Madonna hat er-
gaͤnzen *), das Uebrige wenigſtens laſiren laſſen, auch die
Malerbildniſſe der florentiniſchen Gallerie der Uffizj groͤßeren-
theils vereinigt hat; ſo wird die Vermuthung einer ſtattge-
fundenen aͤhnlichen Ergaͤnzung des Haarſchmuckes und der
Pupillen in jenem leicht und duͤnn angelegten Bildniſſe Ra-
phaels
an Wahrſcheinlichkeit gewinnen. In der That zeigt
ſich in dieſem dunklen Haare, in dieſem undurchſichtigen Auge,
keine Spur eines paſtoſen Auftrages beſtimmter, klar verſtan-
dener
[113] dener Licht- und Formenſpiele. Alſo haͤtten wir auch dieſe
Schwierigkeit beſeitigt.


Daß Raphaels Haar blond geweſen, mit den Jahren
leicht zum Braͤunlichen ſich hingeneigt habe, erhellt aus einer
Folge von Bildniſſen, welche man ſelten im Geiſte zuſammen-
ſtellt.


Das eine bietet uns, in der Libreria des Domes zu
Siena, die Darſtellung der Canoniſation der heil. Katharina
von Siena, in welcher unter dem Haufen, neben dem Pintu-
ricchio
, auch Raphael eine brennende Kerze haͤlt. Dieſe Bild-
niſſe ſcheinen nach leichten Andeutungen fluͤchtig auf die Mauer
gemalt zu ſeyn; mit dem Bildniſſe des Pinturicchio in einer
Kappelle der Hauptkirche des Staͤdtchens Spello verglichen,
erſcheint das entſprechende in Siena ſehr roh und fluͤchtig,
faſt ganz aus der Erinnerung gemalt. Das Bildniß Ra-
phaels
iſt nicht beſſer, nicht genauer nach dem Leben ausge-
fuͤhrt, zeigt indeß, bey erheblicher Altersverſchiedenheit, den
allgemeinen Charakter und die langen blonden Haare des
unſrigen. Sehr uͤberraſchte mich in dieſer Beziehung ein ge-
malter Teller aus der Fabrik von Urbino, auf welchem ein
ganz aͤhnlicher, blonder Juͤngling, von ſchoͤner, jugendlich
raphaeliſcher Zeichnung, auf einer Bank ein neben ihm ſitzen-
des Maͤdchen umarmt haͤlt; gegenuͤber eine andere Figur,
auf einer aͤhnlich verzierten ſchraͤg vorgezogenen Bank, beſchaͤf-
tigt einen Teller zu bemalen; ihr zur Seite ein Schemel mit
den Werkzeugen und Farbennaͤpfen; das Ganze, ungewoͤhn-
lich, auf violettblauem Kobaltgrunde. Es giebt eine alte, ſpaͤ-
ter ganz verworfene Tradition von einer Liebſchaft Raphaels
mit der Tochter des Toͤpfers zu Urbino, welche durch dieſen
Teller Beſtand erhaͤlt. Denn es trifft auch das Coſtuͤm der
III. 8
[114] Figuren in die Jahre, als er, nach Vaſari, noch ehe er nach
Rom ging, ſeine Vaterſtadt mehr als einmal beſuchte, wie
endlich aus dieſer fruͤhen Theilnahme an der Induſtrie ſeiner
Vaterſtadt ſich erklaͤren moͤchte, daß in der Folge ſo viele
Gefaͤße von Majolica hoͤchſt geiſtreich im Charakter der Schule
Raphaels bemalt worden ſind. Denn, anſtatt der gewoͤhn-
lichen Erklaͤrung zu folgen, es haben einige ſeiner Schuͤler
zufaͤllig nach Urbino ſich verloren, dort um des Erwerbs willen
auf dieſe Arbeit ſich geworfen, koͤnnte man, nach jenem Bey-
ſpiel, vielmehr annehmen, daß Raphael abſichtlich dafuͤr einige
Individuen angelehrt und ausgebildet habe. Die Veredlung
der geſtaltenden Gewerbe lag durchaus in ſeinem Sinne.


Ein drittes jugendliches Bildniß deſſelben Charakters be-
ſitzt die Zeichnungsſammlung des weyland Herzogs zu Sach-
ſen-Teſchen. In dem lithographiſchen Werke, welches die
wichtigeren Stuͤcke dieſer Sammlung publicirt, traͤgt dieſe
ſchoͤne Zeichnung den Namen eines anderen Kuͤnſtlers. In-
deß wird Niemand lange blaͤttern, um den ſchoͤnen langlocki-
gen Juͤngling, mit wenigem Pflaum am noch rundlichen
Kinne, hervorzufinden, in welchem der volle, nur jugendlich
unentwickelte Charakter des Bildes enthalten iſt, welches uns
beſchaͤftigt.


Nicht leicht wird man behaupten wollen, daß in allen
dieſen, dem unſrigen verwandten Bildniſſen immer wieder
jener Bindo Altoviti ausgedruͤckt ſey, welcher noch unter Paul
III.
zu Rom Geldgeſchaͤfte machte, den Benvenuto Cellini da-
mals in Erz gegoſſen. Indeß hat Hr. Wikar dieſe Bilder
theils nicht gekannt, theils wenigſtens nicht zu Rathe gezogen.
Im Gegentheil beſchraͤnkt ſich ſeine Unterſuchung auf eine ein-
dringende, zergliedernde Vergleichung unſeres Bildes, von der
[115] einen Seite mit dem Bildniſſe Raphaels in der Schule von
Athen, von der anderen mit der Buͤſte des Bindo Altoviti
von Benvenuto Cellini. Er ſcheint mir, wie ſehr er ſucht
an den Thatbeſtand ſich ſtreng anzuſchließen, doch hier einer
unfreywilligen Selbſttaͤuſchung nicht entgangen zu ſeyn.


Die Vergleichung eines Gemaͤldes mit einer Buͤſte, eines
Juͤnglings mit einem Funfziger, einer Copie (denn Wikar
konnte in Rom nur ſchlechte Kupferſtiche, wie Morghens, oder
Copien, oder beſtens eine Bauſe vom Bilde des Hauſes Alto-
viti zur Hand haben) mit einem Originale, eines Raphaels
mit einem Cellini, unterliegt ſchon an ſich ſelbſt den groͤßten
Mißlichkeiten. Wer koͤnnte mit Zuverſicht ſagen, dieſe oder
jene andere Knochenbildung, welche der manierte Cellini in
ſeiner Buͤſte angedeutet, war genau die Knochenbildung des
Bindo, wer, daß eben dieſe Knochenbildung im Verlaufe von
fuͤnfunddreißig Jahren ſich durchaus nicht geaͤndert habe?
Allein nun auch angenommen, es ſeyen beide Bildniſſe ein
genaues facsimile der Perſon, welche ſie darſtellen, welcher
Aufwand der Einbildung iſt ſelbſt dann noch erforderlich, ſie
einander ganz aͤhnlich zu finden!


Eins noch erſchwert die Vergleichung: Raphaels Bild-
niß (ein großes Hinderniß der Behauptung jener Conjectur)
iſt ein Spiegelbild; der Spiegel aber, deſſen der Kuͤnſtler ſich
bedient, war ſichtlich nicht ganz plan. Daher ſind in dem
Bilde einige Formen leicht verſchoben, andere, auf welche
Miſſiri beſonderes Gewicht legt, durch eine alte, ins Violette
gehende Oelretouche vom Auge bis in den Mundwinkel un-
deutlich geworden. Es iſt daher mehr als wahrſcheinlich,
daß Raphaels Antlitz in manchen Zuͤgen planer und milder
geweſen, als es hier ſich zeigt.


8 *
[116]

Uebrigens ſind die Bildniſſe dieſer guten alten Zeit durch-
hin ſo gemaͤchlich ungezwungen, daß in dem Bildniſſe des
Hauſes Altoviti die Spannung in dem Blicke, die Wendung
des Kopfes uͤber die Schulter hin, nicht anders zu erklaͤren
iſt, als eben aus der nothwendigen Stellung und Lage des
Kuͤnſtlers, welcher ſich ſelbſt darſtellen mußte, wie er ſich ſah:
mit kuͤnſtleriſchem Scharfblicke, in einer etwas gezwungenen
Stellung, ſich ſelbſt ins Auge faſſend. Muß ich nun end-
lich Wikars Behauptung, daß Raphaels Bildniß in der
Schule von Athen dem unſrigen ganz ungleich ſey, ebenfalls
durchaus ablehnen *), ſo wird nichts weiter der Ueberzeu-
gung entgegenſtehen, welche die Schrift des Miſſiri zu er-
ſchuͤttern ſucht.


Vaſari ſagt gelegentlich und ſummariſch: „Raphael malte
die Beatrice aus Ferrara und andere Frauen, beſonders ſeine
eigene Geliebte, aber auch viele andere.“ Es ſcheint, daß
viele dieſer Bildniſſe, als Studien, theils unvollendet geblie-
ben, theils von ſeinen Gehuͤlfen ergaͤnzt worden ſind. Denn
es zeigt das ſchoͤne jugendliche Bildniß der Fornarina, zu
Florenz in der Tribune der Gallerie, wo im verdunkelten
Grunde das Jahr 1512 geleſen wird, im Antlitz, in Bruſt
und Hand, eine raſche, augenblickliche Behandlung, hingegen
in dem Gefaͤlte des weißen Hemdes kleinliche Emſigkeit ohne
deutliches Verſtaͤndniß. Auch jene beiden Fornarinen der
Gallerieen Sciarra und Barberini ſind bloße Studien des
[117] Nackten und der Carnation, das eine vielleicht (wenigſtens in
der Hand) von Raphael retouchirt, im Uebrigen hoͤchſt wahr-
ſcheinlich unter des Meiſters Auge angeſtellte Uebungen nach
der bereits etwas veralteten Modella. Denn in ſo ſpaͤter Zeit
bedurfte Raphael ſchwerlich noch eines Studii dieſer ſchuͤler-
maͤßigen Art, welches weder durch den Gegenſtand an ſich
ſelbſt, noch durch geiſtreich neue, poetiſch ſchoͤne Auffaſſung
Antheil erweckt. Hoffen wir, daß einige andere jener vom
Vaſari angedeuteten Studien weiblicher Koͤpfe noch immer
ſich erhalten haben und noch einmal wiederum an das Licht
treten werden.


Einige Spur der noch jugendlichen Zuͤge der Fornarina
glauben die Kuͤnſtler und Kenner auch in der bekannten Ma-
donna della Seggiola, jetzt in der Gallerie des Palaſt Pitti,
in ſo weit die Allgemeinheit des Gegenſtandes ſolches geſtat-
tet, wiederaufzufinden. Ueberhaupt ſcheint dieſes Bild in der
Zeit gemalt zu ſeyn, als Raphael, mit der Schule von Athen
beſchaͤftigt, an ſchweren Zeugen und vollen Gewandmaſſen,
auch an breiten Formen und weichem Vertreiben, voruͤberge-
hend Geſchmack gewonnen hatte. Unmittelbar nach ſeiner
Ankunft in Rom nahm die Malerey auf der Mauer, eben
weil ſie ihm neu, die Unternehmung unermeßlich, ſein Goͤnner
voll Ungeduld war, ihn ſicher eine laͤngere Zeit ausſchließlich
in Anſpruch. Zeigt nun die Madonna della Seggiola, bey
ſo feinem Verſtaͤndniß der Formen, doch eine gewiſſe Schuͤch-
ternheit des Pinſels, ſo moͤchte die Vermuthung nicht ſo ge-
wagt ſeyn, Raphael habe ſie, nach laͤngerer Verſaͤumniß der
Oelmalerey, etwa im Jahre 1510 gemalt. Wie bald indeß
er dieſer Manier (wenn jene Vermuthung haltbar iſt) die
alte Fertigkeit wieder abgewonnen, bezeugt, naͤchſt jenen
[118] ſchon angefuͤhrten Bildniſſen, beſonders die Madonna von
Fuligno.


Sie ward von einem Hoͤfling Julius II., Gismondo
Conti
*), urſpruͤnglich fuͤr die Kirche Ara Coeli zu Rom,
beſtellt, gelangte aber von dort, wie die Aufſchrift am unteren
Rande des Bildes meldet, im Jahre 1565 in die Kirche des
Kloſters S. Anna zu Fuligno, von welchem Orte ſie den
Beynamen erhalten. Die Siege der Franzoſen verpflanzten
ſie nach Paris, die der Alliirten zuruͤck nach Italien. Sie ward
darauf in der Gallerie des Appartamento Borgia, im Vati-
can
, aufgeſtellt. Marcanton hat die Glorie nach einer Hand-
zeichnung Raphaels geſtochen, franzoͤſiſche Kupferſtecher das
Bild, uͤber welches ich, da es ſo vielſeitig in Evidenz gekom-
men, nur die Bemerkungen mir geſtatte, daß vom ſtrengen
Style darin nur etwa die reine Rundung der Glorie, ſonſt
wenig uͤbrig iſt, hingegen viel Geſammtwirkung, Kraft, Har-
monie, allgemeiner Ton, beſonders eine ſehr markige maleriſche
Behandlung. Im heiligen Franciscus bereits jener Ausdruck
ſchwaͤrmeriſch ſchmerzlicher Verzuͤckung, welcher von nun an
mehr und mehr den fruͤher beliebteren einer ruhigen, befriedi-
genden Seeligkeit aus den Kirchengemaͤlden der Italiener ver-
draͤngte. Die Ausfuͤhrung dieſes Bildes faͤllt in ſo fruͤhe
Zeit, daß man die Vermuthung nicht unterdruͤcken kann, daß
Coreggio, wenn anders ſeine noch dunklen aͤlteren Lebensum-
ſtaͤnde ſolches zulaſſen ſollten, es geſehen haben, davon ange-
regt ſeyn koͤnnte.


Doch werde ich hier die Viſion Ezechiels nachtragen
[119] muͤſſen, welche nach Malvaſia*), ſchon im Jahre 1510 be-
zahlt worden, alſo nothwendig um etwas aͤlter iſt. Zu Bo-
logna
iſt dieſes kleine Bild nun laͤngſt nicht mehr aufzufinden;
Einige halten das Exemplar der Gallerie Pitti fuͤr das Ori-
ginal; andere beguͤnſtigen die Replik, welche waͤhrend der
Revolution aus der Gallerie Orleans nach England ſich ver-
loren hat. Das florentiniſche Exemplar iſt aͤußerſt praͤcis
und correct, doch fuͤrchte ich, daß es von einem jener in
neueren Zeiten zu ſehr vernachlaͤſſigten Bologneſer der Mitte
des ſechzehnten Jahrhunderts gemalt ſey. Denn in der Faͤr-
bung iſt unſtreitig Vieles moderner, als ſelbſt die ſpaͤteſten
Arbeiten Raphaels; dieſe aber gehoͤrt zu den aͤlteren. Im
Lichte gehet die Carnation ins Violettliche, an der Grenze
der Formen und Flaͤchen fehlt die Leichtigkeit der Meiſterhand,
in der Modellirung das Mark. Endlich verraͤth der Kupfer-
ſtich des Larmeſſin, nach dem Exemplare der Gallerie Orleans,
eine gewiſſe raphaeliſche Milde, welche doch nicht wohl dieſes
maͤßigen Kupferſtechers Zugabe ſeyn kann, und die Vermu-
thung, daß eben das letzte das Original, jenes florentiniſche
eine hoͤchſt meiſterhafte Copie ſey, faſt zur Gewißheit er-
hebt **). Ueber die Darſtellung an ſich ſelbſt iſt die Be-
merkung des Vaſari ganz beachtenswerth. Er ſagt, es zeige:
un Cristo a uso di Giove,Chriſtus nach Art Jupiters. In
der That gleicht dieſer Chriſtus, wenn nicht Gott der Vater
gemeint iſt, manchem Jupiter der Antikenſammlungen. Wir
[120] gelangen nun ſchon an die Grenze der ganz modernen Zeit,
da mehr und mehr die Anſicht aufkam, daß man, bey Dar-
ſtellung von Ideen, dieſe mit jeder an ſich beyfaͤlligen, wenn
auch ganz fremdartigen Form bekleiden duͤrfe. Bis dahin
ließ man, auch ohne des Grundes ſich bewußt zu werden,
die Formen aus der Idee ſich ergeben, organiſch ſich hervor-
bilden, wie es jedesmal die Nothwendigkeit gebot.


Noch faͤllt in die Epoche, deren Ueberſicht ich hier be-
ſchließe, die Ausfuͤhrung der heil. Caͤcilia, ſonſt in der Kirche
S. Giovanni a Monte unweit Bologna, jetzt, aus Paris zu-
ruͤckgekehrt, in der bologneſiſchen Gallerie. Beſtellt ward dieſes
ſchoͤne Gemaͤlde wahrſcheinlich ſchon im J. 1510, gelegentlich
der Einrichtung der Kappelle der heil. Caͤcilia, doch, nach
Malvaſia*), um einiges ſpaͤter vollendet und aufgeſtellt.
Aus der Verzoͤgerung erklaͤrt ſich das Zuſammentreffen einer
faſt alterthuͤmlichen Einfalt der Anordnung mit ſpaͤter, male-
riſcher Manier des Vortrages und nicht undeutlichen Spuren
haͤufiger Theilnahme der Gehuͤlfen und Schuͤler. Gegenwaͤr-
tig iſt freylich dieſes Werk (zu Bologna und einige Jahre
nach ſeiner Ruͤckkehr aus Paris) ſo durchhin von einem Re-
ſtaurator beſudelt, daß es mehr einer Copie, als noch ſich
ſelbſt gleicht.


[121]

IV.
Raphael, und die Kunſt überhaupt, unter
Leo X.


Als Julius II. verſchied, blieben in dem ſpaͤter unter-
nommenen Zimmer des Vaticans zwey Waͤnde unbemalt,
deren Beſtimmung, wenn dieſer Pabſt die Vollendung erlebt
haͤtte, unbekannt iſt. Die Zimmer dienten vormals zu oͤffent-
lichen Geſchaͤften, weßhalb der neue Fuͤrſt deren Beendigung
ungeſaͤumt anordnete, die nach der Aufſchrift *) ſchon im
zweyten Jahre ſeiner Regierung zu Stande gekommen iſt. Leo
wuͤnſchte darin angedeutet zu ſehn, was in ſeiner eigenen po-
litiſchen Wirkſamkeit ehrenvoll zu ſeyn ſchien: durch das Ge-
faͤngniß Petri, ſeine Standhaftigkeit in der Gefangenſchaft,
ſeine an das Wunderbare grenzende Befreyung nach der
Schlacht von Ravenna; durch den Attila**), die Vereitelung
der Plaͤne Ludwigs XII. auf Italien.


Unter dieſen Gemaͤlden iſt jenes, worin der heil. Leo
(Leo X.) den Attila (Ludwig XII.) von der Verwuͤſtung
[122]Italiens und Roms abmahnt, unſtreitig eines der unerreich-
barſten Meiſterſtuͤcke der Malerey a fresco. Zur Rechten
das erobernde Reitervolk, Roß und Mann voll ungebaͤndigter
Wildheit, unruhig, flackernd bis auf die Haarfarbe ſeiner
Pferde; zur Linken bildet der Pabſt, auf weißem Zelter, von
ſeinem Hofe umgeben, durch weichliche Ruhe zum Hunnen-
fuͤrſten den ſtaͤrkſten Gegenſatz, aber auch zu ſeinem ruͤſtigen
Vorgaͤnger in der nahen Gruppe des anſtoßenden Bildes.


Julius II. gehoͤrt der Entſchluß, einem friſchen, jugend-
lichen Talente, deſſen Fruchtbarkeit, deſſen innere Harmonie er
ahndete, vorausſah, die Verzierung dieſer Reihe von Zimmern
anzuvertrauen. Der Reichthum an Vorſtellungen, die Gruͤnd-
lichkeit ihrer maleriſchen Ausbildung, bezeugt, daß Julius
durch angemeſſene Belohnung, durch lebhafte Theilnahme am
Gelingen des Werkes, durch Ungeduld und Langmuth, den
Kuͤnſtler dahin zu lenken wußte, daß er ſein Hoͤchſtes leiſte.
Alſo ſind die beiden Halbrunde, welche Raphael bald nach
dem Tode ſeines wahres Goͤnners unter Leo X. gemalt hat,
eine nothwendige Nachwirkung des Anſtoßes, welchen der
Kuͤnſtler unter der vorangehenden Regierung erhalten hatte.
Ueberhaupt wird Leo von den Schriftſtellern, welche ihm Dank
ſchuldig ſind, als Befoͤrderer der bildenden Kuͤnſte viel hoͤher
geſtellt, als er es verdient.


Den großartigen Anſichten, dem ſtandhaften, kraͤftigen
Willen Julius II. verdanken die bewundertſten Werke der
neueren Kunſt, die vaticaniſchen Stanzen, die ſixtiniſche Kap-
pelle, ihre Entſtehung. Dieſer Herr fuͤhrte die Kunſt, welche
er nur halbentwickelt vorgefunden, im Verlaufe ſeiner nicht
langen Regierung auf jene unerreichbare Hoͤhe, zu welcher die
Nachwelt bisher nur ſchuͤchtern ihre Blicke zu erheben ge-
[123] wagt. Freylich beſaß er wenig gelehrte Bildung; allein Ge-
nialitaͤt und Energie des Willens brachte dafuͤr in ſein Ver-
haͤltniß zu Raphael, zum Buonarota: Vorausſicht deſſen, was
ihrem Talent erreichbar, Glauben an die Moͤglichkeit des noch
Unerprobten, Muth zu den groͤßten Unternehmungen, endlich
die Kraft, vor Zerſplitterungen ſich zu bewahren, welche fuͤr
das Große ſchwachen Charakteren die Mittel entziehn.


Hingegen war der Guͤnſtling der Literaͤrgeſchichte, Leo X.,
zwar ein vielſeitig gebildeter Herr, allein weder, gleich jenem,
ein politiſcher, noch uͤberhaupt ein Charakter *). Neben ge-
lehrten Forſchungen, Muſik und bildender Kunſt ergoͤtzte ihn
gelegentlich auch die Thorheit; in dem Gedraͤnge der fuͤr die
kirchliche Stiftung erfolgreichſten Begebenheiten behielt das
beſchraͤnkte Intereſſe ſeines Hauſes fuͤr ihn mehr Wichtigkeit,
als mit den Pflichten ſeiner Stellung, mit Gerechtigkeit und
Dankbarkeit vertraͤglich war. Die Zerſplitterung ſeiner Theil-
nahme, mit daraus hervorgehender Vergeudung ſeiner uner-
meßlichen Huͤlfsquellen, hinderte ihn, ſeinen kuͤnſtleriſchen Un-
nehmungen in der Anlage Großartigkeit, in der Ausfuͤhrung
Nachdruck zu geben. Wenn daher Julius die Zeit und Pro-
ductionskraft Raphaels, wie wir geſehen haben, ganz in An-
ſpruch genommen, fuͤr kleinere Arbeiten ihm wenig Muße ge-
laſſen hatte, verwendete hingegen der Kuͤnſtler unter Leo ſeine
beſten Kraͤfte ganz an untergeordnete Werke fuͤr entlegene
Kirchen und beguͤterte Einzelne.


Nachdem Raphael die Unternehmung Julius II. im
Sinne der erſten Anlage ergaͤnzt hatte, malte er bis zu ſei-
[124] nem Tode fuͤr den neuen Pabſt nichts Anderes, als die Logen,
einige Mauerverzierungen, das dritte Zimmer im Vatican,
welches nach dem Brande des Borgo benannt wird, ferner
das Bildniß des Pabſtes, die farbigen Vorzeichnungen (Car-
tons) zu den beruͤhmten Tapeten. Suchen wir aus dieſen
Werken den Standpunkt zu ermitteln, aus welchem der Pabſt
die Kunſt auffaßte, und die Art, wie er ſie beguͤnſtigte.


Die Logen des vaticaniſchen Palaſtes ſind, als architek-
toniſch-maleriſche Verzierung aufgefaßt, allerdings ein hoͤchſt
ausgezeichnetes, in ſeiner Art unvergleichbares Werk. Im
Einzelnen angeſehn, bieten ſie die Wunder des Giovanni da
Udine
, und, innerhalb der Stuccogeſimschen, kleine Figuren,
welche ſogar in der Ausfuͤhrung Raphaels werth ſind. Allein
wie ſchaͤtzbar, an ſich ſelbſt genommen, die bibliſchen Darſtel-
lungen der Deckengewoͤlbe, beſonders die Geſchichten des Mo-
ſes und Joſeph, ſeyn moͤgen, ſo iſt doch ihr Auftreten an
dieſer Stelle und in ſolcher Unterordnung unter Dinge, welche
durchaus nichts damit zu ſchaffen haben, bedenklicher, als
man an der Stelle ſich einzuraͤumen pflegt. Es ſcheint mir
ein heuchleriſches Spiel mit Vorſtellungen, deren Bedeutung
ſich verloren hatte, im Sinne des Hofes, dem der Kuͤnſtler
diente, doch nicht in dem eigenen Raphaels, dem auch da-
mals nichts entfernter lag, als ein ſolches, aller Ernſtlichkeit
entbehrendes ſich Abfinden mit den Ideen, deren Darſtellung
ihn eben beſchaͤftigte. Die Waͤnde und Pfeiler enthalten eine
wundervolle Verflechtung von Formen der Natur und der
kuͤnſtleriſchen Willkuͤhr; was in den Deckengemaͤlden Anmuth
und Liebreiz zulaͤßt, iſt mit Luſt behandelt; die uͤbrigen, vor-
nehmlich die neuteſtamentlichen Gegenſtaͤnde, uͤberließ der Kuͤnſt-
ler ſeinen mindeſt beguͤnſtigten Schuͤlern.


[125]

Noch mehr vernachlaͤſſigte Raphael die vier Darſtellun-
gen im Zimmer des Incendio del Borgo. Ihre Ausfuͤhrung
iſt unſtreitig ſeinen Schuͤlern groͤßtentheils beyzumeſſen; doch
habe ich ein Blatt mit Figuren aus der Beſtrafung der See-
raͤuber geſehn, welche ſchon in ihrem erſten fluͤchtigen Ent-
wurfe ohne Sorgfalt gezeichnet waren. Ernſtlicher freylich
durchdachte Raphael ſeine Aufgabe in den beruͤhmten Cartons
von Hamptoncourt; in dieſen vortrefflichen Compoſitionen iſt
auch der feine Sinn fuͤr die Anforderungen des Stoffes (der
gewirkten Arbeit) beachtenswerth; es iſt nicht zufaͤllig, daß er
dabey des Maſaccio und Filippino ſich erinnert, das Maſſige
eben hier mehr, als an anderen Stellen, geſucht hat. Doch,
mit Ausnahme jener beiden erſten Halbrundungen der Stan-
zen, malte er fuͤr dieſen Pabſt nur ein einziges ſorgſam und
liebevoll beendigtes Werk, das Bildniß Leo X. mit den Car-
dinaͤlen de’ Roſſi und de’ Medici, auf welches wir zuruͤckkom-
men werden.


In dieſem Bildniſſe, wie in den zwey Halbrunden der
Stanzen, ward der Perſoͤnlichkeit des Pabſtes geſchmeichelt;
in den vaticaniſchen Logen, in jenem anderen Zimmer deſſel-
ben Palaſtes, huldigte Raphael dem Geſchmacke ſeines Goͤn-
ners an abwechſelnden Thier- und Pflanzenformen, an ſeiner
Menagerie *), ſeinen Gaͤrten; die uͤberaus koſtbaren Tapeten
(fuͤr 70000 Scudi wurden ſie, nach Vaſari, gewirkt) waren,
was den Pabſt angeht, eine Schoͤpfung ſeiner Prachtliebe.
Doch nicht allein dieſe Seitenbeziehungen, auch die Vernach-
[126] laͤſſigung in der Ausfuͤhrung des groͤßten Theiles der genann-
ten Werke wirft auf die gefeyerte Kunſtliebe Leo X. ein we-
nig guͤnſtiges Licht. Da Raphael gleichzeitig fuͤr entlegene
Kirchen, fuͤr Privatperſonen, viele ſeiner herrlichſten Bilder
gemalt hat, ſo muß die Urſache ſeiner Vernachlaͤſſigung deſſen,
was er fuͤr den Fuͤrſten gemalt, in dem Geſchmacke, oder in
der Gleichguͤltigkeit dieſes letzten liegen. Dieſe Vermuthung
trifft mit einer Andeutung des Vaſari uͤberein, daß Leo, wel-
cher dem Kuͤnſtler große Summen ſchuldete, dieſen mit der
Hoffnung auf reiche Pfruͤnden und kirchliche Auszeichnungen
hingehalten habe *).


Unter den Werken Raphaels, auf welche der Fuͤrſt kei-
nen Einfluß ausgeuͤbt, behaupten die Sibyllen in la Pace die
erſte Stelle. Ich habe bereits gezeigt, daß die Gruͤnde, nach
welchen man dieſes Werk ſchon unter Julius II. entſtehen
laͤßt, ganz unhaltbar ſind; es bleibt mir, zu zeigen, daß ſie
in den erſten Jahren der Regierung Leo X., um 1515, ge-
malt ſeyn muͤſſen.


Der Hauptgrund ergiebt ſich aus dem Techniſchen.
Noch in der Meſſe von Bolſena, im Heliodor, tritt, der Form,
wie beſonders der Farbe nach, das Einzelne nicht ſelten als
ein fuͤr ſich Beſtehendes, fuͤr ſich Durchgebildetes, aus dem
Ganzen zum Nachtheil der Geſammterſcheinung zu deutlich
hervor. In viel ſpaͤteren Jahren wiederum uͤberließ Raphael
die Ausfuͤhrung der Mauergemaͤlde ſeinen Gehuͤlfen, welche
bekanntlich ſehr fleckig und wenig harmoniſch a fresco ge-
[127] malt haben. In jenen Halbrunden aber, welche er in den
Jahren 1513 und 1514 gemalt, dem Attila, der Befreyung
Petri, gelang es ihm zuerſt, den allgemeinen Ton durchaus zu
beherrſchen, die Erſcheinung des Einzelnen mit dem Ganzen
voͤllig in Uebereinſtimmung zu ſetzen, was bekanntlich in der
Malerey a fresco ſehr ſchwierig iſt, ungemein viel Erfahrung
und auf ſie gegruͤndete Methodik vorausſetzt. Stehet nun in
dieſer Beziehung unter den Mauergemaͤlden Raphaels keines
den gedachten Halbrunden naͤher, als das Werk in la Pace,
zeigt daſſelbe zugleich in der Beherrſchung der Wendungen,
Stellungen und Formen der Figuren den Kuͤnſtler auf der
groͤßten Hoͤhe ſeiner Meiſterſchaft: ſo wuͤßte ich nicht, wie
man, in Ermanglung aller anderen Zeugniſſe, anſtehen koͤnne,
es in die erſten Jahre der Regierung Leo X. zu verſetzen.


Vier Altargemaͤlde entſtanden damals ohne ſeine Mit-
wirkung, jedes in ſeiner Art das Herrlichſte der Kunſt Ra-
phaels
, der Kunſt uͤberhaupt: die Madonna mit dem Tobias,
die andere mit dem heil. Sixtus, die Kreuztragung, die Trans-
figuration.


Die Madonna del pez, wie die Spanier ſie nennen,
ſeitdem ſie die Kunſtſchaͤtze des Escorial vermehrt, hat Ra-
phael
fuͤr die Kirche S. Domenico, in Neapel, gemalt. Sie
ward, nach einer Handzeichnung von Marcanton, nach dem
Bilde von Desnoyers geſtochen, ihre Anordnung iſt daher,
ungeachtet der Entlegenheit der Stelle, ſehr bekannt. Die
florentiniſche Sammlung von Handzeichnungen in der Gallerie
der Uffizj zu Florenz enthaͤlt einen vollſtaͤndigen Entwurf des
Bildes in Roͤthel, vielleicht die Zeichnung, nach welcher Mar-
canton
jenes vortreffliche Blatt geſtochen hat.


Um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts veranlaßte
[128] der ſpaniſche Hofmaler Amiconi, indem er Zweifel gegen die
Originalitaͤt des Bildes erhob, welches der Zeit nach
wahrſcheinlich großentheils ſchon von den Gehuͤlfen iſt ange-
legt und beendigt worden, einen engliſchen Reiſenden, die Mo-
tive der Compoſition ſchriftlich zu entwickeln *). „Die Jung-
frau, ſagt dieſer, haͤlt das Kind Jeſus auf dem Schooße.
Dieſes hat einer Vorleſung des heil. Hieronymus zugehoͤrt,
welcher ſeinen Vortrag unterbricht, als er den Erzengel mit
dem jungen Tobias eintreten, den letzten der Jungfrau vor-
ſtellen ſieht. Waͤhrend nun die Madonna die Vorbitte des
Engels (um Erſtattung des Geſichtes des alten Tobias) voll
Guͤte angehoͤrt, blickt der junge Tobias mit verlegener Schuͤch-
ternheit zum Jeſuskinde auf, legt dieſes wiederum die Linke
auf das Buch, aus welchem Hieronymus vorgeleſen, gleich-
ſam die Stelle feſtzuhalten, bey welcher die Unterbrechung
eingetreten war. Hieronymus aber haͤlt die rechte Hand am
Blatte und blickt uͤber das Buch auf die Ankoͤmmlinge, gleich
einem, der bereit iſt, nach Ablauf der Stoͤrung in ſeinem
Geſchaͤfte fortzufahren.“ Das Naive, Herzige, Geſchaͤftige
in den Motiven dieſes Bildes ward durch die Aufgabe
herbeygefuͤhrt; die Eigenthuͤmer der Kappelle, in welcher Au-
genkranke Troſt und Huͤlfe ſuchten, hatten die Heiligen na-
mentlich aufgegeben, aus deren Charakter das Trauliche der
Handlung und der gegenſeitigen Beziehung der Figuren ſich
gleichſam von ſelbſt ergab. Hingegen forderte die practiſche
Beſtimmung der Madonna di S. Siſto, fuͤr die Kirche glei-
ches Namens zu Piacenza, der Jungfrau eine uͤbermenſchliche
Ho-
[129] Hoheit zu verleihen, hiedurch die Schauer des Wunderbaren
und Geiſtigen anzuregen.


Schon im vorangehenden Bande habe ich bemerkt, daß
die Madonna di S. Siſto, der erhabenſte Schmuck der Dres-
dener Gallerie, nothwendig von einer Bruͤderſchaft (com-
pagnia),
und fuͤr den Zweck beſtellt worden iſt, bey feſtlichen
Tagen, an zwey Stangen befeſtigt *), in Proceſſion durch
die Kirche, oder auch in der Stadt umher getragen zu wer-
den. Alles ſpricht fuͤr dieſe Vermuthung; die Handlung der
beiden Nebenheiligen, denn die heil. Barbara empfiehlt die
Verehrung der Madonna, der heil. Sixtus hingegen die Bruͤ-
derſchaft, welche nach ihm benannt war, der Obhut der Jung-
frau; das Bild iſt auf Leinwand gemalt, deren die roͤ-
miſchen und toscaniſchen Schulen damals hoͤchſt ſelten, und
nie ohne Veranlaſſung, ſich bedienten; das Ganze iſt
ohne Boden, ſchwebt in der Luft, eine Unſchicklichkeit in
welche weder Raphael, noch ſonſt ein Zeitgenoſſe, bey Altar-
gemaͤlden jemals verfallen iſt; nicht zu gedenken, daß auch der
Guido der Muͤnchener Gallerie, welcher ſicher einer Bruͤder-
ſchaft gehoͤrt und bey feyerlichen Umzuͤgen getragen worden,
gleich unſerem Bilde als eine Lufterſcheinung aufgefaßt, des
Bodens ermangelt, der feſtſtehenden Altargemaͤlden noͤthig iſt.
Dieſen, mir ſcheint, uͤberzeugenden Gruͤnden kann man ent-
gegenſetzen, daß Vaſari**) ſage: „Raphael habe fuͤr die
III. 9
[130] Moͤnche des h. Sixtus zu Piacenza die Tafel des Hauptalta-
res gemalt, welche die Madonna, mit den Heiligen Sixtus
und Barbara enthalte.“ Indeß muß Vaſari die Nachricht
aus zweyter Hand erhalten haben, weil er davon nichts Um-
ſtaͤndliches ausſagt, auf ein allgemeines Lob ſich beſchraͤnkt;
beſonders aber, weil er ſogar den Stoff, auf welchem das
Bild gemalt iſt, falſch angiebt, es eine Tafel (tavola) nennt,
nicht anzeigt, daß es auf Leinwand, in tela, gemalt ſey, was
er bey Bildern dieſer Zeit und Schule doch ſonſt nicht leicht
verſaͤumt.


Wer, dieſen Andeutungen durch oͤrtliche Unterſuchungen
einen hiſtoriſchen Boden zu geben, ſich kuͤnftig einmal bemuͤ-
hen ſollte, moͤge beachten, daß es hier mehr darauf ankomme,
auszumachen, ob man das Bild jemals in Proceſſion umher-
getragen habe, als, wo es in den Zwiſchenzeiten aufgeſtellt
wurde. Unter allen Umſtaͤnden erklaͤrt ſich das Viſionaͤre der
Darſtellung nur aus dieſer Beſtimmung des Bildes, verſteht
ſich die ganze Gewalt des Eindruckes, den es bewirken mußte,
nur indem man daſſelbe als mit dem Zuge langſam fortſchrei-
tend ſich vorſtellt. — Die Kuͤnſtler der guten alten Zeit pfleg-
ten fuͤr das Poetiſche ihrer Entwuͤrfe den Anknuͤpfungspunct,
den poſitiven Boden, in den Wuͤnſchen und Anſorderungen
derer zu ſuchen, welche ihnen Vertrauen ſchenkten und ihre
Leiſtungen nach den Umſtaͤnden belohnten. Kunſtwerke waren
dazumal uͤberhaupt mehr ein allgemeines, ein weſentliches,
als ein rein aͤſthetiſches Beduͤrfniß; man wollte Begriffe, Vor-
ſtellungen, Dinge, uͤber welche man mit ſich ſelbſt ein-
**)
[131] verſtanden war; dieſes brachte in die Behandlung der Aufga-
ben ſowohl Ernſtlichkeit, als Wechſel. Der aͤchte Geſchmack
findet daher in den Kunſtwerken dieſer Zeit und Art mehr
Befriedigung, als in den Dingen, welche die eitle, ſelbſtge-
faͤllige Bildung ſpaͤterer Jahre nach uͤbereinkoͤmmlichen aͤſthe-
tiſchen Grundſaͤtzen fuͤr ein meiſt nur eingebildetes Beduͤrfniß
hervorgebracht hat. Ganz wie im Leben, wie in der Natur,
iſt in der Kunſt nichts ſchoͤn, was nur der Schoͤnheit willen
ſchoͤn ſeyn will. Die noͤthige Weſenheit ertheilt aber dem
Kunſtwerke deſſen unmittelbarer Zuſammenhang mit dem ge-
ſammten Leben der Zeit, aus deren aͤchtem, tiefgefuͤhltem Ver-
langen und Beduͤrfen daſſelbe hervorgegangen iſt.


Unter den ſpaͤteren Bildern Raphaels zeugt keines ſtaͤrker
von unmittelbarer Theilnahme des Kuͤnſtlers. Bisher ward
keine Handzeichnung zu dieſem Bilde bekannt, zeigte ſich kein
Vorſtudium deſſelben, noch ſelbſt ein altes Kupferſtich, welches
bezeugte, daß ſolche vorzeiten einmal vorhanden geweſen.
Eben wie dieſe Abweſenheit von Vorarbeiten, welche den Ge-
huͤlfen zur Richtſchnur haͤtten dienen koͤnnen, ſo lehrt auch
der Vortrag der Malerey, daß jenes große Werk ein unmit-
telbarer Wurf des Geiſtes ſey. Vielleicht gab es davon nie
einen anderen Entwurf, als die Roͤthelvorzeichnung, welche vor
der letzten Reſtauration durch Abblaͤtterungen der Farbe war
ſichtbar geworden. Leider ſind die geiſtvollſten Zuͤge der Hand
des groͤßten Meiſters durch die letzte angebliche Wiederherſtel-
lung an vielen Stellen bewoͤlkt worden.


Ueber dieſe hat die oͤffentliche Meinung laͤngſt ſich ge-
ſtaltet. Lange bevor ich die Madonna di S. Siſto nach vie-
len Jahren wiedergeſehn, wußte man in Dresden, wußte man
in der Welt, daß Palmaroli bey der Reinigung ſich des Meſ-
9 *
[132] ſers bedient, das Bild ſchonungslos (nach dem Kunſtaus-
drucke italieniſcher Reſtauratoren) harmoniſirt habe; alſo war
es weder mein Verdienſt, noch meine Schuld, daß ich in eine
ſchon allgemeine Klage einſtimmte. Deſſenungeachtet ward ich
auf Veranlaſſung einer mir durchaus fremden Kritik dieſer
Arbeit von Perſonen, welche in der eigenen Sache zu Rich-
tern ſich aufgeworfen, indirect mit Bitterkeit angegriffen. Ich
habe dieſe Angriffe damals mit Schonung beantwortet, nun-
mehr laͤngſt vergeſſen, doch nicht den Schmerz, den ich em-
pfand, als ich die geiſtreichen Zuͤge der Meiſterhand, die ſee-
lenvoll modellirten Lichtflaͤchen, auf das grauſamſte beſchmutzt,
verwiſcht, entſtellt ſah. Es iſt zu wuͤnſchen, daß bey derein-
ſtiger Reinigung des Bildes unter dem Gerieſel ungewiſſer
Firnißfarbe das alte Werk minder beſchaͤdigt wiederum hervor-
treten werde, als ich zu hoffen wage.


Das beruͤhmte Spasimo di Sicilia, die Kreuztragung,
malte Raphael fuͤr das Olivetanerkloſter Sta. Maria dello
Spasmo zu Palermo; alſo ward auch hier der ſchmerzlich
erhabene Gegenſtand durch eine locale Richtung des Cultus
geboten. Die Zuſammenſtellung iſt aus dem Blatte des Au-
guſtin von Venedig
und aus dem neueren bekannt, einzelne
Koͤpfe aus franzoͤſiſchen Kupferſtichen, Vorbildern fuͤr Zeichen-
ſchulen. Eine Zeichnung der florentiniſchen Sammlung ent-
haͤlt Figuren und Gruppen dieſes Bildes in fluͤchtigem Roͤ-
thelentwurfe.


Großartigkeit des Entwurfes wird endlich auch der
Transfiguration nicht abzuſprechen ſeyn, deren Beendigung
nach Raphaels Tode nicht durchhin dem erſten Gedanken ent-
ſprechen, daher dem Tadel unterliegen mag, welcher in den
letzten Zeiten an die Stelle einer fruͤher gewoͤhnlichen, viel-
[133] leicht uͤbertriebenen Bewunderung getreten iſt. Vaſari laͤßt
dieſes Bild, welches er bereits ſehr hoch ſtellt, von Raphael
ſelbſt in allen Theilen beendigen, waͤhrend aus anderen Nach-
richten bekannt iſt, daß bey dieſer Arbeit der Tod den Mei-
ſter uͤberraſcht hat, und aus dem Werke ſelbſt erhellt, daß
Vieles darin von anderer Hand gemalt ſey. Merkwuͤrdig iſt
in dieſem Bilde die Beybehaltung des uralten Typus in der
Glorie. Dem Weſen nach findet ſich dieſelbe ganz, wie hier,
in dem kleinen Muſiv des neunten Jahrhunderts, welches Gori
aus der Sacriſtey des florentiniſchen Domes bekannt gemacht,
ſpaͤter wiederum in einem der Bildchen von Giotto, welche
zu Florenz fruͤher in der Sacriſtey der Kirche Sta. Croce, ſpaͤ-
ter in der Akademie aufbewahrt wurden. Freylich hielt ſich
Raphael nur an den Entwurf, warf er die Verkuͤmmerungen
einer halbbarbariſchen Zeit ganz aus, ſuchte er im Vortrage
Alles dem Kunſtverſtande und der Methodik ſeiner Zeit ge-
hoͤrig anzupaſſen.


Wie dieſen groͤßeren Kunſtwerken, ſo gewaͤhrte Raphael
unſtreitig auch anderen Staffeleygemaͤlden ſeine Aufmerkſam-
keit und thaͤtige Theilnahme, den Bildniſſen nothwendig, aber
auch den ſpaniſchen Madonnen, beſonders doch jener Franz
I.
, zu welcher ausfuͤhrliche Vorſtudien auf einem Blatte der
florentiniſchen Sammlung von Handzeichnungen und an an-
deren Stellen vorkommen. Doch bey weitem der groͤßere
Theil aller Gemaͤlde in Raphaels ſpaͤterem Geſchmacke ward
bald in ſeiner Werkſtaͤtte, bald ſchon außer derſelben, von ei-
nem oder dem anderen, oder verſchiedenen Gehuͤlfen des Mei-
ſters, nach deſſen Entwurf, oder nach eigenem, ausgefuͤhrt.


In den Oelgemaͤlden, deren Anlage und Ausfuͤhrung an-
dere Kuͤnſtler beſorgt haben, unterſcheidet man Raphaels Nach-
[134] huͤlfe, ſeine Hand, an einem eigenthuͤmlich markigen, der Ab-
ſicht deutlich ſich bewußten, daher nicht ſuchenden, ſondern
treffenden Auftrage der Farbe. Seine Gehuͤlfen glaͤtteten,
verwiſchten, holten nach, wie Alle, die bey der Arbeit etwas
ſuchen und beruͤckſichtigen, was außer ihnen liegt. Der Mei-
ſter hingegen vermied, beſonders in der Carnation, deren Tex-
tur in der Natur leicht rauh, poroͤs iſt, ſelbſt in den weib-
lichen Koͤpfen jene geleckte Glaͤtte, welche die Italiener fruͤhe
an den tramontanen Kuͤnſtlern mißbilligt haben. Neulingen
kann es bey dem Bemuͤhen, die eigenthuͤmliche Pinſelfuͤhrung
Raphaels aufzufaſſen und zu unterſcheiden, von Nutzen ſeyn,
das Bild des heil. Petrus von Fra Bartolommeo ſich recht
ins Auge zu faſſen, welches Raphael, nach Vaſari, durchaus
retouchirt hat. Wie Blitze leuchten die mannhaften Zuͤge ſei-
ner Hand aus der verblaſenen Laſurmanier ſeines Freundes
hervor.


Verſchiedene Bilder mißt Vaſari dem Raphael bey,
welche von dieſer Eigenthuͤmlichkeit nicht die geringſte Spur
zeigen; unter dieſen auch die heil. Familie mit dem Papier-
fenſter (dell’ impannata), jetzt in der Gallerie Pitti, zu ſei-
ner Zeit aber in der Hauskappelle des Herzogs Coſimo im
alten Palaſte, und zwar in dem Quartier, welches Vaſari
ſelbſt ausgemalt hatte; was den Verdacht erweckt, er habe,
waͤhrend der Herzog lebte, ſeine Anſicht uͤber dieſes Bild nicht
rein herausgeſprochen. So viel kann man ihm indeß glau-
ben, daß Bindo Altoviti, von welchem der Herzog das Bild
*)
[135] gekauft, daſſelbe aus Raphaels Werkſtaͤtte erhalten hatte; wor-
aus folgen wuͤrde, daß unſer Meiſter in ſeinen ſpaͤteren Jah-
ren die Erzeugniſſe ſeiner Werkſtaͤtte, gleich dem Pietro Pe-
rugino
, fuͤr eigne Arbeit zu geben pflegte. Bey verſchiedenen,
namentlich bey den franzoͤſiſchen Bildern, erwaͤhnt Vaſari des
Giulio Romano Mitwirkung, in deſſen Leben, ausdruͤcklich.
Bey anderen mochte er, wie bey dem erwaͤhnten, Ruͤckſichten
zu nehmen haben.


In der Sammlung der florentiniſchen Gallerie der Uffizj
wird eine wundervolle Roͤthelzeichnung Raphaels aufbewahrt,
der Modellact eines Juͤnglings von ſchoͤner Form und Pro-
portion. Einen fluͤchtigeren Modellact, faſt in derſelben Stel-
lung, und nach demſelben, ſchon etwas mehr ausgebildeten
Juͤngling, ſah ich in der koſtbaren Sammlung von Handzeich-
nungen, welche Herr Wikar vor einigen Jahren zu Florenz
vom Maler Fedi erkauft hat. Aus dieſen Actzeichnungen hat
man, bisweilen wohl die Natur hinzunehmend, die zahlreichen,
meiſt guten, doch nie ganz fehlerloſen Gemaͤlde des Johannes
in der Wuͤſte hervorgebildet, welche die italieniſchen und an-
dere Gallerieen aufzeigen. Vaſari giebt das florentiniſche der
Tribune *) fuͤr das Original; das landſchaftliche im Hinter-
grunde hat allerdings etwas mehr Alterthuͤmlichkeit, als in
den uͤbrigen bemerkbar iſt; doch hat auch dieſes Bild im
Nackten, bey großen Vorzuͤgen, auch ſehr empfindliche Maͤn-
[136] gel. Ich befuͤrchte daher, daß Raphael wohl jenen Act ge-
zeichnet, wohl gebilligt habe, daß er von ſeinen Gehuͤlfen und
Schuͤlern, vielleicht im Wetteifer, maleriſch ausgefuͤhrt werde,
doch ohne an irgend einer dieſer zahlreichen Repliken thaͤtigen
Antheil zu nehmen. Einige gehoͤren ſicher ſeiner Schule
an *); allein das Berliner Exemplar galt zu Florenz, wo ich
es erſtanden, nicht ohne Gruͤnde fuͤr eine Jugendarbeit des
Francesco Salviati**).


Die Gleichguͤltigkeit des Ausdruckes, die unbeſtimmte
Allgemeinheit der Charaktere, die Schwaͤchen der Zeichnung,
welche in dieſen Bildern haͤufig wahrgenommen werden, brachte
in den letzten Decennien den alten Vorwurf ***) wiederum
in Anregung, daß Raphael in ſeinen letzten Lebensjahren zu-
ruͤckgeſchritten ſey. Unſtreitig befriedigen die Werke, welche
Raphael ganz mit eigener Hand zu Ende gebracht, unter die-
ſen ſogar ſeine aͤlteſten, ungleich mehr, als jene Schuͤlerar-
beiten. Wie ſollte auch der unmittelbare Erguß eines ſo
[137] edlen Geiſtes jemals im Weſentlichen demjenigen nachſtehn
koͤnnen, was untergeordnete Talente nach ſeinem Entwurfe,
oder nach eignem unter ſeiner Leitung gemacht haben. Nach
ſolchen Arbeiten aber werden wir den Meiſter an ſich ſelbſt
nicht beurtheilen duͤrfen, vielmehr nach anderen ihn beurthei-
len muͤſſen, deren Ausfuͤhrung ihn ſelbſt ernſtlich beſchaͤftigt
hat, gleich der Madonna di S. Siſto, oder dem Spasmo.
Wird auch in dieſen vielleicht das jugendlich Naive ſeiner aͤl-
teren Arbeiten vermißt, nunwohl, ſo gewaͤhrt der Schwung
maͤnnlicher Kraft vollen Erſatz, ſucht man aber techniſche
Fortſchritte, ſo wende man ſich zu ſeinen ſpaͤteſten Bildniſſen.
In dieſen kann und will der Meiſter keinen Erſatzmann, kei-
nen Gehuͤlfen einſtellen; er muß die erheblichſten Theile ſol-
cher Bilder eigenhaͤndig malen. Nun faͤllt das Bildniß Leo
X.
nothwendig nach 1517, da erſt in dieſem Jahre de’ Roſſi,
eine der beiden Figuren im Grunde, zum Cardinal erhoben
wurde; traͤgt der beruͤhmte Klavierſpieler der Gallerie Sciarra
Colonna zu Rom die Jahreszahl 1518 *). Zeugen nun dieſe
Bilder von techniſchen Ruͤckſchritten? Haͤtte Raphael, als er
das Bildniß des Hauſes Altoviti oder die Fornarina malte,
den allgemeinen Ton ſchon ſo ſicher, als hier, beherrſcht?
Haͤtte er ſchon damals die Formen in gleichem Maaße ver-
ſtanden, die Stoffe und Nebendinge bis zur Taͤuſchung ver-
gegenwaͤrtigen koͤnnen, wie in dem Bildniſſe des Pabſtes?
Anderer Bildniſſe dieſer Zeit erwaͤhnt Vaſari, des Lorenzo und
[138]Giuliano de’ Medici (von Nemours und Urbino Herzogen),
welche ſeinerzeit zu Florenz beym Geſchaͤftsfuͤhrer des Hauſes,
dem Ottaviano de’ Medici, aufbewahrt wurden, doch zu Flo-
renz
nicht mehr vorhanden ſind; die beruͤhmte Johanna von
Aragonien
, welche er indeß, mit Ausnahme des Kopfes, dem
Giulio Romano beylegt *). Doch uͤbergehet er die Bildniſſe
der Cardinaͤle Inghirami und Carandolet, einige andere,
welche nach neueren Urtheilen fuͤr Raphaels Arbeit gelten,
aber gutentheils ſeinen Gehuͤlfen und Schuͤlern angehoͤren,
wie der Cardinal mit langem Unterarm der Gallerie Pitti
vielleicht dem Girolamo da Cotignola.


Ein anderes Zeugniß jener Thaͤtigkeit und Regſamkeit
des Geiſtes, welche den Raphael bis an ſein Lebensende be-
gleitet hat, gewaͤhrt jene Bereicherung des Gebietes der mo-
dernen Kunſt durch mythologiſche Aufgaben, denen unſer Mei-
ſter nicht fruͤher, als unter dieſer Regierung, die fuͤr neuere
Zeiten geeignete Seite abgewonnen, die paßliche Form verlie-
hen hat. Unſtreitig leitete der Geſchmack des Pabſtes, die
claſſiſche Bildung ſeiner Umgebung, den Kuͤnſtler auf ſolche
Gegenſtaͤnde hin, deren Darſtellung bis dahin ihn, wenn uͤber-
haupt, doch nur ſelten beſchaͤftigt hatte. Bekanntſchaft mit
dem Coſtuͤme alter Zeiten, Bemuͤhung um ſolches, was bey
hiſtoriſchen Aufgaben dienen kann, den Kunſtfreund zu orien-
tiren, zurechtzuweiſen, zeigt ſich bereits in der Schule von
Athen**), in den Muſen des Parnaß, in den Nebenbildern
[139] derſelben Wand; etwas ſpaͤter in den Hunnen des Attila, de-
ren Bekleidung Raphael, wie ſchon Vaſari bemerkte, aus der
Colonna Trajana entlehnt hat. Doch nicht fruͤher, als nach
der Erhebung des Cardinal Johannes de’ Medici auf den
paͤbſtlichen Stuhl, jenes freye, bald anmuthvoll naive, bald
luͤſtern ſinnliche Spiel mit alten Mythen, jene ſinnreiche Ver-
webung alter und neuer Bedeutungen, durch welche der Kuͤnſt-
ler die griechiſche Fabel recht eigentlich zu einem modernen
Kunſtelemente umſchuf. Wie Julius durch feurige Theilnahme,
ungeheuchelte Bewunderung, noͤthigen Aufwand, ſo mag Leo
den Kuͤnſtler durch Rath und gelehrte Andeutungen unterſtuͤtzt
haben. Bekanntlich erhob der Pabſt den Kuͤnſtler zum allge-
meinen Aufſeher aller roͤmiſchen Alterthuͤmer *), womit des
Vaſari etwas weitſchichtige Andeutungen uͤber Raphaels an-
tiquariſche Sammlungen und Arbeiten in Verbindung zu brin-
gen ſind.


Allein ſelbſt in dieſem Gebiete der Kunſt, in welchem
**)
[140] der Pabſt, nach der allgemeinen Richtung ſeines Geſchmackes,
doch ſich heimiſcher fuͤhlen mußte, als in jenem, ward kein
einziges Kunſtwerk auf deſſen Koſten, in deſſen Auftrag aus-
gefuͤhrt. Das erheblichſte und bekannteſte iſt die Geſchichte
der Pſyche an dem Spiegelgewoͤlbe der gegen den Garten
gerichteten Loge in der Villa des reichen Auguſtin Chigi,
welche, nach ſpaͤteren Beſitzern, gegenwaͤrtig die villa Farne-
sina
genannt wird. Marcanton und Caraglio haben einige
dieſer ſchoͤnen Erfindungen in Kupfer geſtochen; das Ganze
hat Dorigny radirt *). Die Ausfuͤhrung, in welcher ſchon
Vaſari die gewohnte Lieblichkeit und Anmuth Raphaels ver-
mißte, fiel, nach demſelben, großentheils ſeinen Gehuͤlfen, be-
ſonders dem Giulio, anheim. Vor etwa zwanzig Jahren habe
ich einige, in drey Kreiden fleißig gezeichnete Koͤpfe geſehen,
welche damals mir das Anſehn hatten, ſchoͤner zu ſeyn, als
deren maleriſche Ausfuͤhrung **). Und dennoch gehoͤrten ſie
zu einer Gruppe, welche ihrer beſſeren Ausfuͤhrung willen ge-
woͤhnlich dem Meiſter beygemeſſen wird: den zuͤrnenden Goͤt-
tinnen.


In der anſtoßenden, gegen die Tiber gerichtete Loge, der-
ſelben, in welcher Chigi dem Pabſte ein verſchwenderiſches
Gaſtmahl ausgerichtet, wo die Decke ganz von Baldaſſare
Peruzzi
ausgemalt iſt, befindet ſich jenes Bild, welches, ſeit
Vaſari, fuͤr eine Darſtellung der Galathea gehalten wird, viel-
leicht dem Kuͤnſtler ſelbſt nur unter dieſem Namen gelaͤufig
[141] war *), doch, wie ich nicht laͤugne, einen ganz anderen Ge-
genſtand darzuſtellen ſcheint. In der Abhandlung eines Un-
genannten **) uͤber den eigentlichen Gegenſtand dieſes Bildes
iſt beſonders der Gedanke hoͤchſt beyfaͤllig, daß Raphael durch
die angebliche Galathea einen neuen Cyclus habe beginnen
wollen, welcher, mit dem der aͤußeren Loge zuſammenhaͤngend,
dieſen erſt ergaͤnzt haben wuͤrde. Gewiß war es nicht des
Kuͤnſtlers Abſicht, dieſe Malerey verloren auf eine uͤbrigens
wuͤſte Wand zu werfen.


Aus dem Umſtande, daß der beabſichtigte Cyclus unvol-
lendet geblieben, ſchließe ich andererſeits, daß die Galathea,
oder Liebesgoͤttin, nicht, wie man bisweilen behauptet, ſchon
unter Julius II., vielmehr ſelbſt ſpaͤter gemalt ſey, als die
Fabel der Pſyche in der Decke der Gartenloge. Wuͤrde der
Eigenthuͤmer des Gartenhauſes, wuͤrde der Kuͤnſtler ſelbſt ein
ſo glaͤnzend begonnenes Werk ganz aufgegeben haben, um zu
einem ganz neuen uͤberzugehn? Ich bezweifle es um ſo mehr,
als ein ſolches Abſchweifen nicht mit den Gewoͤhnungen Ra-
phaels
uͤbereinſtimmen wuͤrde. Auf der anderrn Seite erklaͤrt
[142] ſich die eigenhaͤndige Ausfuͤhrung der Galathea ſehr befriedi-
gend aus dem Tadel, den die Fehler der Gehuͤlfen in der
Decke der anſtoßenden Loge, nach Vaſari*), dem Meiſter
erworben hatten. Allein auch die maleriſche Ausfuͤhrung ver-
weiſt in ungleich ſpaͤtere, als jene von Quatremere angenom-
mene Zeit. Verglichen mit den Muſen im Parnaß, deren
maleriſche Behandlung weich und ſchmelzend, deren Charakter
lind und lieblich iſt, zeigt ſich in der Galathea eine gewiſſe
an Haͤrte grenzende Feſtigkeit des Vortrages, ein neues Roth,
und in den Formen bereits ein Anklang jener Derbheit, zu wel-
cher Raphael bekanntlich ſehr ſpaͤt allmaͤhlig uͤbergegangen iſt.
Die Gegenſtaͤnde habe ich ſchon im vorangehenden Abſchnitte
gepruͤft, und an vielen Stellen gezeigt, daß man die zufaͤllige
Aſſociation von Erinnerungen, welcher Vaſari uͤberall ſich hin-
giebt, nicht wohl als eine ſichere Richtſchnur fuͤr Zeitbeſtim-
mungen benutzen koͤnne.


Mehr als die Malereyen der Farneſina verwittert ſind
die verwandten Darſtellungen in einer Loge jenes Gartenhau-
ſes, welches uͤber den Kaiſerpalaͤſten, unweit der farneſiſchen
Gaͤrten und des Kloſters S. Bonaventura belegen, in den
letzten Jahren ſo oft den Beſitzer gewechſelt hat, daß ich deſ-
ſen gegenwaͤrtig guͤltigen Namen nicht anzugeben weiß. Deſ-
ſenungeachtet werden ſie von den Kennern aufgeſucht, die Com-
poſition, beſonders ſchoͤnen Koͤpfe, bewundert, welche Raphael
mit eigener Hand koͤnnte uͤbergangen haben. Man hat dieſe
Erfindungen fruͤhe nach ihrem Werthe geſchaͤtzt, denn Marco
[143] di Ravenna hat ſie mit beſonderer Liebe und gluͤcklich in
Kupfer geſtochen.


Noch vor dem Tode des Meiſters moͤchte denn auch deſ-
ſen Gartenhaus durch kleinere, in leichte Verzierungen ver-
flochtene Bilder geſchmuͤckt worden ſeyn. In dieſen iſt die
Ausfuͤhrung ſehr fluͤchtig, die Erfindung, beſonders der Hoch-
zeit der Roxane, ſo anmuthsvoll, daß ich ihrer nie ohne Luſt
gedenke. Von dieſem Bilde giebt es ein aͤlteres Blatt vom
Meiſter mit dem Wuͤrfel, ein neueres von Volpato, welches
zu deſſen gelungeneren gezaͤhlt werden darf.


Dieſe neue Richtung der Kunſt hat, nach Raphael, be-
ſonders Giulio Romano fortgebildet, mit ihr in der Villa
Lante die Allegorie verbunden, ſie in der Villa Madama zur
Architectur in ein untergeordnetes Verhaͤltniß geſetzt, endlich
zu Mantua darin jegliches, auch das Unmoͤgliche, mit geiſt-
reicher Kuͤhnheit gewagt. Vaſari und Benvenuto Cellini ha-
ben den großen, die gute Zeit, gleich einer ruͤſtgen Eiche, um
Jahrzehende uͤberdauernden Kuͤnſtler beide zu Mantua beſucht,
und erwaͤhnen *) ſeiner umfaſſenden, ſchoͤpferiſchen Thaͤtigkeit,
als Augenzeugen, mit beachtenswerther Waͤrme. Was Giulio
zu Mantua im Palaſt del T**) claſſiſches geleiſtet, hat
Heinrich Meyer, in den Propylaͤen, vortrefflich unterſucht und
beſchrieben. Leider verliert das unvergleichbare Werk von
Jahr zu Jahr durch theilweiſen Verfall des Gebaͤudes und
bedenkliche Reſtaurationen. Uebrigens iſt darin wohl nur we-
niges von Giulio gemalt, das meiſte von ſeinen Gehuͤlfen,
[144] obwohl nach ſeinen Entwuͤrfen. Im Archiv der Gonzaghi zu
Mantua ſah ich einige Blaͤtter mit den Wochenrechnungen des
Meiſters, in welchen zehen bis zwanzig, theils wenig bekannte
Kuͤnſtler fuͤr ihre untergeordnete Arbeit im Schloſſe und im
T als bezahlt angefuͤhrt werden; andererſeits bey einem
Kunſtfreunde ausfuͤhrliche Vorzeichnungen, beſonders zum Rie-
ſenſturze, welche unendlich correcter, ſchoͤner, geiſtreicher ſind,
als deren maleriſche Ausfuͤhrung, in ſo weit ſie unter den
Retouchen zu erkennen iſt. Wie fruͤher Raphael, ſo hat auch
Giulio Vorwuͤrfen ſich ausgeſetzt, welche eigentlich nur die
geringe Faͤhigkeit oder die Uebereilung ſeiner Gehuͤlfen treffen.
Indeß iſt der Meiſter, welcher fuͤr Genua die Marter des h.
Stephanus und fuͤr Raphael den Erzengel Michael und die
Madonna Franz I. gemalt, Studien, Entwuͤrfe gemacht hat,
wie man ſie hie und da in den Sammlungen ſieht, doch nur
zu oft mit der groͤßeren Zahl der Schulzeichnungen in ſeinem
Geſchmacke vermengt wird, kein Manieriſt zu nennen Wie
ganz anders verwilderten die uͤbrigen Schuͤler Raphaels, vor-
nehmlich die Colonie, welche in Genua ſich niedergelaſſen!


Wir haben uns erinnert, daß waͤhrend der Regierung
Leo X. zwar Raphaels Methodik, Kunſteinſicht, Productions-
kraft an ſich ſelbſt ihre hoͤchſte Stufe erreicht hatte, wie es,
naͤchſt den Bildniſſen, die Dresdener Madonna, die Kreuz-
ſchleifung und andere Gemaͤlde bezeugen; auch, daß die Kunſt
in dieſer Epoche durch ein neues Element, die Fabel, berei-
chert, hiedurch zuerſt in das haͤusliche und geſellige Leben ein-
gefuͤhrt wurde. Doch haben wir auf der anderen Seite auch
die Vorboten ſich nahenden Verfalles nicht uͤberſehen. Im
Rauſche des erſten Erſtaunens uͤber die ploͤtzlich in ungeahn-
deter Schoͤnheit und Fuͤlle aus dem Dunkel auftauchende
Kunſt,
[145] Kunſt, hatten die Großen ihr gehuldigt, ihr ſich gefuͤgt. Bald
aber ging man zu einer falſchen Zuverſicht uͤber, bediente ſich
der neuen Eroberung als eines ſicheren Beſitzes, der, einmal
erworben, nicht mehr entgehen koͤnne, unterwarf daher die
Kunſt, der man anfangs mit Ehrfurcht gedient hatte, nun-
mehr den Launen und Geluͤſten der Macht. Hieraus ent-
ſtand ohne Verſchulden des Kuͤnſtlers: Zuſammenſtellung des
Unvereinbaren (die Logen), Aufopferung des Hoͤheren fuͤr
Untergeordnetes (Saal der Thierbildungen), endlich, in Folge
der Ungeduld nach ſchneller Befriedigung, der Spaͤrlichkeit der
Belohnungen, fluͤchtigere, vernachlaͤſſigte Ausfuͤhrung (die Lo-
gen, die Farneſina, andere Villen, unzaͤhlige Staffeleygemaͤlde,
ſelbſt die Cartons zu den Tapeten). Die Zeit, in welcher
Lionardo da Vinci durch den Adel und das Tiefſinnnige ſehr
vereinzelter Leiſtungen, durch ſeine mannichfaltigen Forſchun-
gen, die Gunſt und den freygebigen Schutz großer Fuͤrſten
ſich erwerben konnte, war nun voruͤber. Man wollte in kur-
zer Zeit befriedigt ſeyn, bey maͤßigem Anfwand große Raͤume
durch mancherley Andeutungen ausgefuͤllt ſehn; fuͤr die in-
nere Fuͤlle und gaͤnzliche Unerſchoͤpflichkeit des Gehaltes wahr-
haft vollendeter Kunſtwerke verlor ſich die Empfaͤnglichkeit
mehr und mehr. Es war nicht mehr weit bis zu der Epoche,
da Vaſari in Aufſchriften und in Buͤchern der Kuͤrze der Zeit
ſich ruͤhmen durfte, in welcher ſeinem haltloſen Talent gelun-
gen war, ungeheuere Saͤle und maͤchtige Triumphbogen durch
Figuren ohne Charakter, Leben und Bedeutung auszufuͤllen.
Bey abnehmender Kunſtliebe der Menge warben die Kuͤnſtler
um gegenſeitigen Neid, oder Beyfall; daher entſtand wiederum,
den Untergang der Kunſt zu beſchleunigen, Schulpedanterey
und Wetteifer im Paradoxen und Grillenhaften.


III. 10
[146]

Unter ſolchen Umſtaͤnden mußten die Arbeiten, welche in
den letzten Lebensjahren Raphaels aus deſſen Werkſtaͤtte her-
vorgegangen ſind, mehr durch den Geſchmack in der Anord-
nung, die Anmuth der Manier, den allgemeinen, ſeine Schule
ſtets empfehlenden Habitus ſich auszeichnen, als durch jene
begeiſterte Anſchauung des eben ſich darbietenden Gegenſtan-
des, welche ſeinen fruͤheren, ganz, oder doch noch groͤßtentheils
eigenhaͤndigen Arbeiten ein ſo tiefes und nachhaltiges Inter-
eſſe verleiht.


Von ſo viel ſchoͤnen Talenten, als jenes fruchtbare Zeit-
alter hervorgebracht, ſtellten ſich einige zu Raphael, andere zu
Michelangelo in ein untergeordnetes Verhaͤltniß, verfolgten die
Lombarden und Venezianer, obwohl auch dieſe von Rom aus
einen neuen Schwung erhalten, doch im Ganzen ihre eigene
Bahn, ſuchten Einzelne, dem alten Kunſtwege treu bleibend,
den ſanften Ideen, deren Ausdruck ſie allein beſchaͤftigte,
durch uͤberlegtere Zeichnung, zarteren Schmelz der Farbe,
neuen Glanz zu geben, wie Francesco Francia beſonders in
ſeinen luccheſiſchen Bildern (die beſten jetzt im herzoglichen
Schloſſe), oder Giovanni Spagna in dem Altarblatte der
Unterkirche des heil. Franz zu Aſiſi mit dem Jahre MDXVI.*)
Innocenzo da Imola, Andrea di Salerno, beſonders aber der
Peruginer Domenico Alfani, bemuͤhten ſich, den Gemaͤlden
der Mittelſtufe Raphaels in der aͤußeren Erſcheinung nahe
zu kommen; von dem letzten befindet ſich ein Madonnenbild
auf dem Hauptaltare der Kirche der Univerſitaͤt, mit ſeinem
[147] Namen im Saume des Gewandes, welches aus Raphaeliſchen
Handzeichnungen entnommen iſt, und wohl ſo viel Anſpruch
hat, fuͤr Raphaels Arbeit geltend gemacht zu werden, als
ſo viele andere Bilder dieſer Art.


Bei geringeren Anſpruͤchen, erhielt ſich unter dem Namen
Raphaels in der Tribune der oͤffentlichen Gallerie zu Florenz
eine Madonna, welche, mehr noch dem Andrea del Sarto,
als dem Raphael nachgeahmt, ein Cento der luccheſiſchen
Schule iſt; in der Duͤſſeldorfer Gallerie langezeit jener Jo-
hannes
, deſſen alte Copie zu Rom, im Capitol, fuͤr Salviati
gilt, wie jetzt in Muͤnchen das Original.


Mit beſſerem Grunde werden Schulbilder, welche oft,
beſonders in den Madonnen, dem Typus des Meiſters ſehr
nahe kommen, fuͤr deſſen Arbeit ausgegeben; ſo die vierge
aux candelabres,
jetzt im Schloſſe zu Lucca, ſonſt, nebſt jener,
welche den Schleyer aufhebt, im Beſitze des Fuͤrſten von Ca-
nino
; ſo ein zierliches Bildchen der Jungfrau bei Herrn Vin-
cenz Camoccini
, ſo eine andere, welche Edelink, und ſpaͤtere
unter dem Namen, la vierge au diadème, geſtochen haben.


Solche Aneignungen raphaeliſcher Aeußerlichkeiten ſind
nicht ſelten gluͤcklich ausgefallen. Doch einen Genius, wel-
cher dem raphaeliſchen dem Weſen nach gleichzuſtellen waͤre,
duͤrfte man in dem geſammten Zeitalter vergebens aufſuchen,
zeigte er ſich nicht etwa in den Jugendwerken des Andrea
del Sarto
. Der einfoͤrmig heitere, oberflaͤchliche Glanz der
ſpaͤteren Arbeiten dieſes Meiſters hat ſeine Bewunderer ihm
haͤufig entfremdet. Leichtſinn, oder aͤußere Unfaͤlle, brachten
ihn zeitig in haͤusliche Bedraͤngniſſe, woraus entſtand, daß
er, ſeiner angebornen Leichtigkeit nachgebend, endlich in eine
fluͤchtige, gehaltloſe Manier verfiel. Allein ſeine Mauerge-
10 *
[148] maͤlde im Hofe der Nunziata zu Florenz, vornehmlich die
beiden letzten Darſtellungen der Wunder des heil. Filippo
Benizzi
, auf deren einer das Jahr M. D. X., naͤhern ſich auf-
fallend jener lebendigen Vergegenwaͤrtigung der Aufgabe, der
Milde, der gluͤcklichen Anordnung, welche in den Werken der
Mittelſtufe Raphaels bewundert werden. Die Chiaroſcuri
des Hofes der Compagnie dello Scalzo, ein paar kleine Bil-
der, Theile einer alten Zimmerverzierung, jetzt in der Gallerie
Pitti, machen den Uebergang von jenen zu ſeinen ſpaͤteren
Arbeiten, denen ich den Reiz nicht abſpreche.


In den vorangehenden Zeilen habe ich fuͤr darin auf-
geſtellte Urtheile und Meinungen, Autoritaͤten ſelten, Gruͤnde
nicht immer angegeben. Um ſo williger wird man vielleicht
den alten, ſeit einiger Zeit oft in erinnerung gebrachten Aus-
ſpruch: daß nur Kuͤnſtler kuͤnſtleriſche Leiſtungen beurtheilen
koͤnnen, auch gegen mich in Anwendung bringen.


Ich verkenne nicht, daß man den Kuͤnſtlern dieſen Noth-
und Huͤlfsruf von verſchiedenen Seiten abgedraͤngt hat. Denn
es wird ſelten erwogen, daß lebenden Kuͤnſtlern durch in den
Druck gebrachte ſtrenge, ungerechte, oder unverſtaͤndige Beur-
theilungen ein ganz unerſetzlicher Schaden gebracht werden
kann. Nur in ſehr großen Mittelpuncten bildet ſich uͤber den
Werth oder Unwerth von Kunſtwerken, unabhaͤngig von der
Journaliſtik, eine auf eigene Anſchauung ſich gruͤndende Mei-
nung, ſind die Druckſchriften in dieſer Beziehung mehr deren
Organ, als Quelle. Alſo nur in Paris oder in London iſt
die oͤffentliche Beurtheilung von Kuͤnſtlern und Kunſtwerken
[149] ein ehrlicher Kampf, ein Kampf mit gleichen Waffen. Denn
in Laͤndern ohne Mittelpuncte der erſten Groͤße vermag der
Kuͤnſtler der Publicitaͤt literaͤriſcher Organe nichts entgegen-
zuſetzen, welche oft genug durch ein unmuthig, oder nur un-
bedachtſam hingeworfenes Wort gegen Perſonen, ſchulen,
Genoſſenſchaften, Vorurtheile verbreiten, deren Folgen nicht
zu berechnen ſind.


Durch dieſe Beruͤckſichtigung wird aber in der Frage:
ob nur Kuͤnſtler Kunſtwerke zu beurtheilen wiſſen, durchaus
nichts veraͤndert.


Was nun verſtehet dieſer alte Spruch unter dem Worte
Kuͤnſtler? Große Meiſter? oder dehnt er es auch auf ſolche
aus, welche mit geringem, oder auch gar keinem Erfolg um
die Kunſt ſich bemuͤht haben?


Nehmen wir an, er verſtehe: große Meiſter; wodurch
denn und worin wuͤrden dieſe beſonders erfaͤhigt ſeyn, die
kuͤnſtleriſchen Leiſtungen anderer gerecht und richtig zu beur-
theilen? Ob durch ihren Genius? oder vielmehr durch ihre
techniſchen Erfahrungen und wiſſenſchaftlichen Huͤlfskenntniſſe?


Nehmen wir an, durch ihren Genius; ſo ſtellet ſich dem
entgegen, daß große Kuͤnſtler einer verflaͤchenden Allgemein-
heit und Vielſeitigkeit eben nur durch entſchiedene Hingebung
in ihre Eigenthuͤmlichkeit entgehen koͤnnen, daß daher jene
Abgeſchloſſenheit, Einſeitigkeit, harte Abſtoßung alles ihnen
Fremdartigen und Entgegengeſetzten entſtehet, welche alle Kuͤnſt-
ler von großem Naturell zu gegenſeitigen Ungerechtigkeiten
zwingt. Alſo duͤrfte, auch ohne niedrige Beweggruͤnde, welche
edler Seelen unwerth ſind, in die Berechnung zu ziehn, fuͤr
Kuͤnſtler und Kunſtwerke wenig Ausſicht auf eine reine, un-
beſtochene Wuͤrdigung vorhanden ſeyn, gaͤlte jener Ausſpruch
[150] in dem Sinne, daß nur Maͤnner von aͤchtem Genius wahre
Kunſtwerke beurtheilen koͤnnen.


Setzen wir hingegen, durch ihre techniſch-ſcientifiſche
Bildung, ſo wuͤrde dieſe allerdings wohl den großen Kuͤnſtler
in die Lage verſetzen, zu beurtheilen, zu wuͤrdigen, was in
Kunſtwerken ihrem Producenten beſondere Schwierigkeit ge-
macht, alſo in ſo fern es gelungen iſt, von Tuͤchtigkeit, Kraft-
aufwand und Kenntniß zeugt. Wie in jeder menſchlichen
Thaͤtigkeitsbeziehung, ſo findet auch im Kunſtleben jener Pro-
ceß gegenſeitiger Anerkennung und Habilitirung Raum, welcher
vom Beyfall des Gefuͤhles durchaus verſchieden iſt und ganz
dem eigenthuͤmlichen Zunftleben angehoͤrt. Hierin den Mei-
ſtern die Vorberechtigung ihres Urtheils abſprechen zu wollen,
iſt wohl bis dahin Niemand in den Sinn gekommen. Indeß
ſind dieſe Erfahrungen und Kenntniſſe wohl fuͤr das Gedeihen
der Kunſt von groͤßter Wichtigkeit, doch nicht ſchon die Kunſt
ſelbſt, vielmehr nur die Mittel deren ſie ſich bedient, ihrem
eigentlichen Ziele naͤher zu kommen. Der tuͤchtige Kuͤnſtler
aber iſt ſtets geneigt, zu uͤberſchaͤtzen, was ihm die groͤßte
Anſtrengung gekoſtet: die Herrſchaft uͤber ſein Ruͤſtzeug. Es
iſt mir nicht erinnerlich, ob man es jemals ganz ſich deutlich
gemacht habe, daß der Verfall der neueren Kunſt, in ſo fern
er von der Schule des Buonaroti ausging, durch uͤberhand-
nehmende Zunftpedanterey, durch Ueberſchaͤtzung von bloßen
Huͤlfskenntniſſen, durch Prunk und Wetteifer in deren Dar-
legung, herbeygefuͤhrt wurde. Es hat demnach dieſe einzig
einzuraͤumende, ausſchließlich kuͤnſtleriſche Kennerſchaft doch
ihre mißliche, ihre gefaͤhrliche Seite, kann von dem richtigeren
Beſtreben ableiten, auf das menſchliche Daſeyn, durch Anre-
gung der Phantaſie, durch Stimmung des Gemuͤthes und
[151] Erhebung der Seele, einen wohlthaͤtigen Einfluß zu erlangen.
Eine Kunſt ohne allgemeinen Werth wird aus Vorurtheil
oder Gewoͤhnung, als ein conventionelles Erforderniß der
Sitte und des Luxus geduldet, doch nicht geliebt, nicht heran-
gepflegt werden, wie die neuere Kunſt bis Raphael von einer
ungelehrt empfaͤnglichen Menge.


Nehmen wir aber an, der Spruch umfaſſe die ſtets
zahlreiche Claſſe der mißgluͤckten Kuͤnſtler, der Klimperer und
Stuͤmper, ſo beruht offenbar deren Competenz zum ausſchließ-
lichen Kunſturtheile nicht, wie bey jenen, auf eigenem Pro-
ductionsvermoͤgen, ſondern auf den Beobachtungen und Re-
flectionen, zu welchen ihre vergeblich gebliebenen Bemuͤhungen
die Veranlaſſung herbeigefuͤhrt haben. Sie ſtehen demnach,
als bloße Empiriker, dem warmen, ſinnvollen Kunſtfreunde,
der eben ſowohl mit Schaͤrfe beobachtet, mit Nachdenken ge-
ſehen haben koͤnnte, eigentlich ganz gleich.


Ich billige nicht, daß man ohne angebornen Beruf zur
Kunſt, ohne hinreichenden Umfang der Kunde, ſich daran
mache, wie es geſchieht, Kunſtwerke zu beurtheilen, fuͤr welche
man keinen Standpunkt gefaßt hat, aͤſthetiſche Gemeinplaͤtze,
deren Verbreitung in unſeren Tagen dem Geſchmacke mehr
Nachtheil bringt, als man denkt, auf die erſten ſich darbie-
tenden Gegenſtaͤnde anzuwenden. Gegen den Vorwitz der
Neulinge, ich raͤume es aus Ueberzeugung ein, koͤnnen ſelbſt
die verfehlteſten Kuͤnſtler von Beruf vielfaͤltige Erfahrungen
und ſelbſtaufgefaßte Grundſaͤtze geltend machen. Doch gegen
den ernſtlichen Kunſtfreund, den erfahrenen Kenner, hat der
verfehlte Kuͤnſtler nichts voraus, als den groͤßeren Zeitauf-
wand, welcher eigentlich doch kaum in Frage kommt, da hier
nicht die Laͤnge der Zeit, ſondern die Art ihrer Verwendung
[152] entſcheidet. Gilt es den abſoluten Werth eines Kunſtwerks,
ſo wird hoͤchſt wahrſcheinlich der geringe und verfehlte Kuͤnſtler
zuverſichtlicher, als der Kenner, rein techniſche Maͤngel oder
Vorzuͤge zu beurtheilen wiſſen. Gilt es hingegen den allge-
meinen Eindruck, den ein Kunſtwerk bewirkt, die Originali-
taͤt, die Epoche, die Schule, den Meiſter, ſo glaube ich be-
merkt zu haben, daß der Kunſtfreund im Allgemeinen den
erſten mit ungleich mehr Unbefangenheit in ſich aufnehme,
zur Beurtheilung der Originalitaͤt und Abkunft der Kunſt-
werke im Allgemeinen mehr hiſtoriſche und kritiſche Bildung
hinzubringe, als der Kuͤnſtler von Beruf inmitten gehaͤufter
mechaniſch-techniſcher Arbeiten Zeit findet, ſich zu eigen zu
machen.


Sehr oft iſt, was Juͤnglinge zur Kunſt hinuͤberzieht,
nicht ſowohl der Beruf zur Production, als Luſt und Freude
am Producirten, alſo eigentlich der Beruf zum Kunſtfreunde
und Kenner. Ich laͤugne daher keinesweges, daß unter den
verfehlten Kuͤnſtlern vortreffliche Kenner ſich bilden koͤnnen
und haͤufig bilden. Uebrigens zeigen vielfaͤltige Erfahrungen,
daß nicht alle, ſeyen es maͤßig gute oder ganz mißgluͤckte Kuͤnſt-
ler zu Kennern ſich bilden. Es iſt nicht lange, daß des hoch-
ſeeligen Koͤnigs von Bayern Majeſtaͤt (doch nicht ohne
Zuziehung dazu berufener Kuͤnſtler?) eine Copie, welche der
beruͤhmte Guarena vor den Augen von ganz Venedig nach
einem Bildniß des Paris Bordone gemacht, fuͤr hohen Preis
als ein Original erſtanden. Hunderte von Kuͤnſtlern haben
es in der koͤnigl. Gallerie zu Muͤnchen geſehen und bewun-
dert; wenige haben gezweifelt. Freylich iſt dieſes Bild in
den Laſurparthieen gut nachgeahmt; in ſo weit iſt ein vene-
[153] zianiſches Original erreichbar. Allein in der Carnation ver-
raͤth ſich die Tonfolge der modernen, von den franzoͤſiſchen
ausgehenden Schulen: Neapelgelb im Lichte, Krapplack in
den Mitteltinten, was vornehmlich der Bruſt ein hoͤchſt mo-
dernes Anſehn giebt. — Gleichfalls erinnere ich mich eines
Originalitaͤtzeugniſſes der florentiniſchen Akademie fuͤr eine
Copie nach einer alten Copie eines Bildes von Fra Barto-
lommeo
, welche vor nicht zwanzig Jahren von einem Bo-
logneſer zu Siena in dem Hauſe eines meiner Bekannten ge-
malt worden. Weniger grobe Selbſttaͤuſchungen kommen taͤg-
lich vor, und ſchlagen nicht immer zum Vortheil derer aus,
welche dem kuͤnſtleriſchen Kunſturtheile bei Ankaͤufen ein aus-
ſchließliches Vertrauen ſchenken.


Sind nun endlich die techniſchen Erfahrungen und Fein-
heiten, die Einſichten und Huͤlfskenntniſſe, welche, da ſelbſt
der Genius derſelben nicht entbehren kann, fuͤr den Kuͤnſtler
gewiß eine hohe Wichtigkeit haben, das letzte Ziel, der eigent-
liche Zweck der Kunſt? Sind ſie nicht vielmehr bloße Huͤlfs-
mittel der Verſinnlichung deſſen, was jede offene, edle, gebil-
dete Seele erfreuen, begeiſtern, hinreißen ſoll? Wer denn
hat ein Recht zu entſcheiden, wo es das Allgemeine, das
rein Menſchliche gilt? Nicht der Zunftgenoſſe als ſolcher,
wie hoch, wie niedrig er im Handwerke ſtehen moͤge, ſon-
dern der unbefangenſte, reinſte, beſonnenſte Menſch, moͤge er
Kuͤnſtler, moͤge er dem aͤußeren Berufe nach ſeyn, was er iſt.


Den ganzen Werth, die belebende Kraft eines ſolchen
Beyfalls koͤnnen freylich nur ſolche Kuͤnſtler ermeſſen, denen
jemals die Freude zu Theil geworden, durch deutliche Ver-
gegenwaͤrtigung wuͤrdiger Aufgaben unbefangen empfaͤngliche
[154] Perſonen zu erfreuen und hinzureißen. Doch lehrt die Ge-
ſchichte, daß eine verbreitete, populaͤre Empfaͤnglichkeit dieſer
Art fuͤr die Kunſt die erſte Bedingung einer gedeihlichen Ent-
wickelung, hingegen: eine Kunſt bloß zur Befriedigung der
Kuͤnſtler, ein unerhoͤrtes Unding iſt.


[[155]]

XVI.
Ueber den gemeinſchaftlichen Urſprung der
Bauſchulen des Mittelalters.


[[156]][[157]]

Die noͤrdlichen Voͤlker, fuͤr deren Abkoͤmmlinge wir gelten,
bauten ihre Wohnungen, ſelbſt ihre Befeſtigungen, aus Holz
und vergaͤnglichen Materialien. Die Unſicherheit der Nieder-
laſſungen, oder die ſpecifiſche Waͤrme und leichtere Bearbei-
tung des Holzes, welche in den noͤrdlichen Gegenden dieſen
Stoff noch immer in Gunſt erhaͤlt, erklaͤrt, daß ſie nicht fruͤ-
her, als in ſpaͤten, ſchon hiſtoriſchen Zeiten, den Vortheilen
einer dauerhaften Baukunſt Aufmerkſamkeit zugewendet haben.
Hingegen reicht die Erfindung, in dichten, minder vergaͤng-
lichen Stoffen zu bauen, im Orient und in den Gegenden
des Mittelmeeres weit uͤber die Grenzen der deutlichen Ge-
ſchichte hinaus, weßhalb man ſeit alter Zeit oftmals durch
kuͤnſtliche Conjecturen ihren Urſprung hat erklaͤren wollen.


Geſchichtlich iſt in dieſer Beziehung nur ſo viel: daß
man nicht alſobald alle denkbare Vortheile der Conſtruction
aufgefunden und in Anwendung gebracht. Denn es blieb
unzweifelhaft den alten Indern und Aegyptern die Moͤglich-
keit der Vertheilung und Ablenkung des Druckes durch Ge-
woͤlbe und Bogen eine lange Zeit verborgen, in welcher ſie
ihre wundervollen Anlagen ganz auf Maͤchtigkeit und Staͤrke
des Geſteines begruͤndeten. Hingegen mag die Bewaͤltigung
[158] eines ſchlechteren Materiales, des Backſteins, in den weiten
Stromgebieten des aſſyriſchen Reiches fruͤhe auf eine kuͤnſt-
lichere Conſtruction geleitet haben; doch laͤßt die Unbeſtimmt-
heit alter Nachrichten, die Formloſigkeit der Truͤmmer, uns
uͤber den Grad ihrer Ausbildung im Dunkeln. Wir duͤrfen
alſo annehmen, es ſey den Griechen und Roͤmern beſtimmt
geweſen, wie in andern, ſo auch in dieſer Beziehung den Sieg
des Geiſtes zu vollenden, den Stoff der Kunſt durchaus zu
unterwerfen. Unter allen Umſtaͤnden haͤtten wir bei Ablei-
tung der verſchiedenen Bauſchulen des Mittelalters nicht
weiter aufwaͤrts zu ſteigen. Denn in Anſehung, daß dem
Mittelalter der kritiſch-eclektiſche Geiſt unſerer Tage durchaus,
und nothwendig fehlte, konnten die Erfindungen, die Grund-
ſaͤtze, ſelbſt die Launen der Baukuͤnſtler des hoͤheren und hoͤch-
ſten Alterthumes nur practiſch, und durch das Mittelglied
der griechiſch-roͤmiſchen Architectur auf die nachfolgenden Bau-
ſchulen uͤbergehen.


Griechiſch-roͤmiſch nenne ich die Baukunſt der Roͤmer
unter den Caͤſarn, weil ſie auf griechiſche Schultraditionen
ſich gruͤndete, doch, andererſeits, viele neue, theils locale und
climatiſche, theils geſchichtliche Anforderungen beruͤckſichtigend,
von ihrem Vorbilde haͤufig abzuweichen gezwungen war.


Bei einem Volke, welches, gleich den Hellenen, minder
durch Vertraͤge und Satzungen, als durch das geiſtigere Band
der Sage, der Meinung und der Geſinnung verbunden war,
mußte die Verherrlichung religioͤſer Ueberlieferungen, die Ver-
folgung patriotiſcher Zwecke die allgemein wichtigſte Aufgabe,
wie jeglicher anderen, ſo auch der Kunſt zu bauen ſeyn. Im
Tempelbau war, nach den Forderungen des Cultus und des
Herkommens, die freiſtehende Stuͤtze, oder die Saͤule, faſt
[159] unumgaͤnglich; daher deren erdenklich ſchoͤnſte Ausbildung,
was in der Baukunſt den unvergleichbaren Sinn der Grie-
chen fuͤr Maß und Verhaͤltniß faſt ausſchließlich in Anſpruch
nahm. Theater und Gerichtsplaͤtze bedurften unter dem hei-
terſten Himmel nicht durchhin der Verdeckung, wurden haͤu-
fig der Gelegenheit und natuͤrlichen Lagerung des Geſteines
abgewonnen. Die uͤbrigen Gemaͤchlichkeiten und Zierden der
Staͤdte, Zugaͤnge und abgeſchloſſenen Verſammlungsorte, ent-
wickelten ſich in verſchiedenen Formen aus den Elementen
des Tempelbau’s, deſſen hoͤchſt vollendete Ausbildung der Be-
muͤhung um buͤrgerlich Nuͤtzliches und haͤuslich Bequemes
um Vieles vorangegangen war.


Hingegen meldete ſich innerhalb der Grenzen des roͤ-
miſchen Weltreiches das Beduͤrfniß bedeckter und gegen die
aͤußere Luft wohl abgeſchloſſener Raͤume in eben dem Maße
dringender, als die Bildung der alten Welt immer weiter gen
Norden ſich ausbreitete, hatte dieſes haͤufigere Anwendung,
vielſeitigere Ausbildung des Gewoͤlbes zur Folge. Ferner
lenkte zu Rom die Anhaͤufung einer unermeßlichen Bevoͤlke-
rung auf fruͤher ungewoͤhnliche Erhoͤhung gemeiner Wohnun-
gen, alſo auf vielfaͤltige Eintheilung in der ſenkrechten Aus-
dehnung dieſer Claſſe von Gebaͤuden, oder auf Stockwerke. *)
Den griechiſchen Saͤulenbau, welcher ſeit den aͤlteſten Zeiten
auch zu Rom heimiſch geworden, mit dieſen neuen Zwecken
und Forderungen auszugleichen, war eine ſchwierige, nie ſo
ganz zu erledigende Aufgabe. Aus einer durchaus entgegen-
[160] geſetzten war die Saͤulenſtellung hervorgegangen, da ſie ur-
ſpruͤnglich beſtimmt war, ein vorſpringendes Dach zu unter-
ſtuͤtzen, abgeſchloſſene Raͤume von beſchraͤnktem Umfang durch
luftige Hallen zu umgeben, alſo nicht darauf angelegt, der
zunehmenden Ausdehnung der inneren Raͤume ins Unbegrenzte
nachzufolgen, noch der Zerſtuͤckelung der Stockwerke ſich an-
zupaſſen. Da ſie nun demungeachtet, als an ſich ſelbſt bey-
faͤllig, oder auch bloß als herkoͤmmlich, in die Bauart der
ſpaͤteren Roͤmer uͤberging, mußte ſie haͤufig ihre eigentliche
Beſtimmung, ihre wahre Stellung aufgeben, aufhoͤren, ein
weſentliches Glied der Conſtruction zu ſeyn, alſo zur nackten
Zierde herabſinken, was antike und moderne Kunſtrichter miß-
billigt haben.


Der Uebergang zu dieſer Umgeſtaltung der griechiſchen
Baukunſt duͤrfte in Alexandria zu ſuchen ſeyn. In dieſer
erſten uͤbervoͤlkerten Stadt griechiſcher Gruͤndung ward, nach
alten Kunden, die Gewoͤlbconſtruction unter aͤhnlichen Um-
ſtaͤnden bereits in Anwendung gebracht. Die Formloſigkeit
der alexandriniſchen Truͤmmer erweckt die Vermuthung, daß
man hier, wie in Babylon, haͤufig lufttrockner Ziegel ſich be-
dient habe; hieraus weiter zu ſchließen, waͤre freylich gewagt.


Unſtreitig nun offenbarten die alten griechiſchen Architec-
ten, bey Loͤſung ihrer doch meiſt hoͤchſt einfachen Aufgaben,
einen feineren Sinn fuͤr die Schoͤnheit der Verhaͤltniſſe, als
jemals die roͤmiſchen, wenn wir die Baukuͤnſtler des Reiches
der Caͤſarn uͤberhaupt roͤmiſche nennen duͤrfen. Indeß wol-
len dieſe letzten nicht aus dem Geſichtspuncte der griechiſchen
Kunſt beurtheilt ſeyn. In dieſer waͤr Schoͤnheit der Haupt-
zweck, das Practiſche aber ſo einfach, daß keine Schwierig-
keit, kein Hinderniß der Schoͤnheit daraus entſtehen konnte.
Bey
[161] Bey den Roͤmern hingegen waren praktiſche Zwecke, oftmals
ſehr verwickelter Art, die eigentliche Aufgabe der Baukunſt,
entſtand die Schoͤnheit, wenn uͤberhaupt, theils aus der Groß-
artigkeit der Anlage, dem robuſten Anſehn der Ausfuͤhrung,
theils (und darin eben nur ſtehet die roͤmiſche Architectur
gegen die griechiſche im Nachtheil) aus Verzierungen, welche,
aus ihrer urſpruͤnglichen Verbindung geriſſen, nicht immer
ohne Zwang neuen Eintheilungen und Conſtructionsweiſen
angepaßt wurden. Unbefangene werden indeß ſelbſt in dieſer
letzten Beziehung den Roͤmern zugeben muͤſſen, daß ſie in ih-
ren Theatern und Amphitheatern, in ihren Palaͤſten, Villen
und Baͤdern, die Saͤule bald als ein bedingt verſtaͤrkendes,
bald als ein bloß bezeichnendes und verzierendes Glied der
Conſtruction, mit Feinheit unterzuordnen gewußt. Und wenn
ſie dabey nicht immer aͤngſtlich auf das Herkommen der
Maße und Eintheilungen Ruͤckſicht genommen, ſo wiſſen wir
nunmehr, daß ſolches auch bey den Griechen beweglicher war,
als die Theorie zu geſtatten pflegt, ſo werden wir mehr und
und mehr einſehen lernen, daß in Bezug auf Schoͤnheit keine
Linie, keine Form, kein Verhaͤltniß in einer neuen Verbin-
dung noch ganz dieſelben ſind. Durch vermehrte Aufmerk-
ſamkeit auf die Denkmale des griechiſchen Alterthumes ward
unſtreitig der Geſchmack moderner Architecten, was Verhaͤlt-
niſſe, was lineariſchen, was gerundeten Schmuck angeht, ganz
ungemein verfeinert und zugeſchliffen. Doch wie gefaͤhrlich
es ſey, das roͤmiſche Alterthum, welches zu den Beduͤrfniſſen
und Anforderungen unſerer Tage den Uebergang bildet, unter
ſolchen Studien ganz zu verachten und zu vernachlaͤſſigen, zeigt
das Beyſpiel der modernen engliſchen Baukunſt.


Alſo war das Eigenthuͤmlichſte, das meiſt Durchgebildete
III. 11
[162] der griechiſchen Architectur ſchon ſehr fruͤhe in einer neuen
Bauart aufgegangen, welche, nach der inneren Einrichtung
des roͤmiſchen Staates uͤber alle Provinzen des Reiches ſich
ausbreitete. In dieſer mußte die Saͤulenſtellung bei Anlage
unermeßlicher Villen, Palaͤſte, Thermen, oder von Caſernen,
Gerichtshoͤfen, großſtaͤdtiſchen Wohnungen, uͤberall den Um-
ſtaͤnden ſich anfuͤgen, konnte ſie nur etwa noch in Tempeln und
Sacellen, in Zugaͤngen und Hoͤfen, nach ihrer urſpruͤnglichen
Beſtimmung in Anwendung kommen. Allein auch dieſe For-
men wurden in der Folge durch neue Gebraͤuche verdraͤngt,
weil deren Feyer Erweiterung der inneren Raͤume erforderte,
alſo nicht in den engen Zellen und geraͤumigen Vorhallen der
altgriechiſchen Tempel, ſondern in den Baſiliken, Saͤlen und
uͤberwoͤlbten Hallen der roͤmiſchen Architectur das Vorbild
ihrer Eccleſien aufſuchte. Ein Hauptmoment fuͤr die ſaͤmmt-
lichen Bauarten des Mittelalters wurde aber die Stellung
der Bogen auf Saͤulen, welche erſt in der ſpaͤteren Zeit der
roͤmiſchen Architectur in Gebrauch gekommen und von antiken
Gebaͤuden in der groͤßten uns bekannten Ausdehnung ſich
am Palaſt des Kaiſers Diocletian zu Spalatro angewandt
findet.


Viele Abweichungen von den griechiſchen Schoͤnheitsge-
ſetzen, welche in den Bauwerken der Kaiſerzeit auffallen und
gewoͤhnlich ganz aus dem Verfalle des allgemeinen Geſchmak-
kes, oder beſonderer Kunſtfertigkeiten abgeleitet werden, duͤrf-
ten demnach oftmals naͤher und billiger aus jener fortſchrei-
tenden Veraͤnderung in den Zwecken und Aufgaben der Bau-
kunſt zu erklaͤren ſeyn. Allein auch in der Architectur der
fruͤheren Chriſten entſtand nicht Alles, was abweicht, aus der
eben damals hereinbrechenden Verwilderung. Wohl die Un-
[163] gleichheit und ſchlechte Bearbeitung verzierender Theile; hin-
gegen bezeugt die freye, oft ſinnreiche Anlage des Ganzen,
daß Erfindung und richtige Beurtheilung der Aufgabe den
chriſtlichen Architecten des Alterthumes nicht in dem Maße
fehlte, als haͤufig angenommen wird. *)


Unter allen Umſtaͤnden haben ſie die Handgriffe, Kunſt-
vortheile und Zierden der roͤmiſch-griechiſchen Baukunſt zuerſt
in jenes neue Ganze umgegoſſen, welches der Baukunſt des
Mittelalters langezeit zum Vorbilde gedient. Bis in das
zwoͤlfte Jahrhundert erhielt ſich in Italien, zum Theile auch
in anderen fruͤhe chriſtlichen Landſchaften, Einiges von roͤmi-
ſcher Technik, antiker Eintheilung und Verzierungsart, ich ent-
ſcheide nicht, ob mehr durch Schultradition, ob mehr durch
Nachahmung der Denkmale. Im Ganzen alſo wird die
Geſchichte der Baukunſt des fruͤheren Mittelalters als ein
fortgehender Kampf der chriſtlich-roͤmiſchen Bauſchule gegen
aͤußere, ſie hemmende, oder doch verkuͤmmernde Umſtaͤnde ſich
darſtellen laſſen.


Allerdings haben zeitliche und locale Urſachen die Archi-
tectur der barbariſchen Jahrhunderte mehr und weniger mo-
dificirt. Es wird daher, wo, aus diplomatiſchen Gruͤnden,
die Unterſcheidung dieſer Modificationen Bedeutung und Wich-
tigkeit erhaͤlt, in Frage kommen, ob man ſie zweckmaͤßiger
nach dem Zeitalter, oder nach der Localitaͤt claſſificire. Das
Beyſpiel des claſſiiſchen Alterthumes, in welchem man die
aͤgyptiſche, griechiſche und roͤmiſche Bauſchule geographiſch
11 *
[164] unterſcheidet, mag die Kunſthiſtoriker der barbariſchen Zeiten
verleitet haben, deren Baugeſchmack, wie dort, nach den Voͤl-
kern und Staaten einzutheilen. Gothiſche, longobardiſche,
byzantiniſche, arabiſche Bauart, ſind daher gelaͤufige Kunſt-
ausdruͤcke, welche eine vorangegangene Unterſcheidung von
Eigenthuͤmlichkeiten der Bauart dieſer Voͤlker und Staaten
vorausſetzen laſſen. In den Gebaͤuden ſogar der dunkelſten
Zeiten des Mittelalters zeigen ſich freylich allerley locale Ei-
genthuͤmlichkeiten, welche zu jenen Benennungen auf den er-
ſten Blick zu berechtigen ſcheinen. Das Vorwaltende aber
iſt das Zeitliche; nach den Hauptepochen der Geſchichte wer-
den wir demnach jene meiſt ſehr leichten Modificationen der
chriſtlich-roͤmiſchen Bauart unterſcheiden muͤſſen; erſt nachdem
dieſe allgemeineren Unterſcheidungen geſichert ſind, werden wir
auf locale Verſchiedenheiten eingehen duͤrfen. Denn, wie
ſollte man, ohne vorher des Allgemeineren [ſich] verſichert zu
haben, dem Speciellen ſeine ihm zukommende Stelle anweiſen
koͤnnen? Daß man jenes verſaͤumt hat, brachte ſo viel
Schwankendes und Irriges in die Begriffe gothiſcher, lon-
gobardiſcher, byzantiniſcher, arabiſcher Architectur, als ich nach
den Umſtaͤnden feſtzuſtellen, oder ganz auszumerzen verſuchen
will. *)


[165]

Bauart der in Italien angeſiedelten Oſt-
gothen.


In unſeren Zeiten darf es wohl kaum noch in Frage
kommen, ob die Gothen in der Baukunſt Erfinder geweſen,
oder nur genutzt haben, was ſie an roͤmiſchen Kunſtfertigkei-
ten in Italien vorfanden. Denn es iſt Niemand in Dingen
der Kunſt und ihrer Geſchichte ſo unerfahren, nicht zu wiſ-
ſen, daß die germaniſchen, daß die noͤrdlichen Voͤlker uͤber-
haupt, ehe ſie mit den roͤmiſchen Kuͤnſten bekannt geworden,
nirgend aus dauerhaften Stoffen gebaut haben, *) daß an-
dererſeits die Denkmale **) der gothiſchen Herrſchaft uͤber
[166]Italien in allen weſentlichen Dingen *) mit anderen des
ſinkenden Reiches uͤbereintreffen. Es bleibt demnach nur etwa
zu zeigen, wer zuerſt die Benennung gothiſcher Architectur auf
eine Bauart uͤbertragen habe, welche nicht fruͤher hervortritt,
als um viele Jahrhunderte nach Aufloͤſung beider gothiſcher
Reiche, welche Gruͤnde, oder, wenn dieſe fehlen, welche Ver-
anlaſſungen dazu verleiten konnten, gothiſch zu nennen, was
ſicher weder den Gothen ſeinen Urſprung verdankt, noch je-
mals bei ihnen uͤblich war.


Die Bauart, welche unter uns die gothiſche genannt
wird, unterſcheidet ſich von den anderen des Mittelalters
durch die Anwendung von ſpitz zulaufenden, oder aus zween
Segmenten zuſammengeſetzten Bogen, von entſprechenden,
meiſt ſehr complicirten Gewoͤlbconſtructionen; durch eine ent-
ſchiedene Hinneigung zum Pyramidalen und Schlanken, ſo-
wohl im Hauptentwurfe, als in den Nebenformen; endlich
auch durch eine groͤßere Eigenthuͤmlichkeit in den Verzierun-
gen aller Art, denen die Einheit des Guſſes, die Ueberein-
ſtimmung nicht abzuſprechen iſt. Dieſe Bauart nun, welche
nach dem uͤbereinſtimmenden Reſultat aller neueren Forſchun-
gen nicht fruͤher, als um das Jahr 1200, ihre erſten, ein-
fachen Grundformen zu entwickeln beginnt, und noch ungleich
ſpaͤter, im Verlaufe des dreizehnten Jahrhunderts, vielmehr
in deſſen zweiter Haͤlfte, auch in der Ausgeſtaltung ihrer ver-
zierenden Theile eine gewiſſe Vollendung erreicht, laͤßt Georg
[167]Vaſari, der Stifter der Geſchichte und Theorie neuerer Kunſt-
beſtrebungen, an vielen Stellen ſeines Werkes von den
Deutſchen erfinden und ſehr ſpaͤt nach Italien verbreiten. *)
Hierin folgte er theils begruͤndeten Angaben, theils auch ei-
genen Wahrnehmungen. An einigen anderen Stellen aber
widerſpricht er ſich ſelbſt, indem er mit einer Vergeßlichkeit,
welche uͤberhaupt ſeine eigenthuͤmliche Unart iſt, die Erfin-
dung derſelben Bauart, deren Beyſpiele er bereits ganz rich-
tig in das dreizehnte und ſpaͤtere Jahrhunderte verſetzt hatte,
ohne alle hiſtoriſche Begruͤndung, gleich als wenn es laͤngſt
ausgemacht waͤre, den Oſtgothen beymißt. **)


[168]

Manche, welche von dem aͤußerſten Leichtſinn des Vaſari
noch immer nicht ſich uͤberzeugen wollen, werden vielleicht
auch hier ſich bemuͤhen, unvereinbare Widerſpruͤche auszu-
gleichen; doch iſt es unmoͤglich, ohnehin nicht der Beruf der
hiſtoriſchen Kritik, fluͤchtige und fahrlaͤſſige Schriftſteller durch
kuͤnſtliche Conjecturen zu entſchuldigen, ſondern in ihren An-
gaben das Rechte vom Falſchen zu unterſcheiden. Was in
jenen verwirrten und einander widerſprechenden Angaben des
Vaſari mit den Denkmalen, und mit allen gewiſſen Daten
uͤbereintrifft, iſt erſtlich, daß die zuverlaͤſſigen Denkmale des
gothiſchen Reiches einen leicht barbariſirten ſpaͤt-roͤmiſchen
Charakter zeigen; *) zweytens, daß jene ſpaͤte Bauart, welche
man unſtreitig auf Veranlaſſung des Vaſari, noch gegenwaͤr-
tig die gothiſche nennt, nicht fruͤher, als um das dreyzehnte
Jahrhundert, nach Italien gelangt ſey. Was hingegen ſo-
wohl jener beſſeren, richtigeren Kunde des Vaſari, als allen
ſicheren Thatſachen, ja ſelbſt der allgemeinen Wahrſcheinlich-
keit in dem Maße widerſpricht, wie die ſinnloſe Behauptung,
daß die alten Gothen eine ſo moderne Kunſt-
form ausgeſonnen haben
,“ verwirft die geſunde Kritik
als ein leeres Geſchwaͤtz, und haͤlt ſich nicht dabey auf, zu
ermitteln, ob Vaſari dabey eben nur einen gerade aufſteigen-
den Einfall hinſchreiben wollen, oder vielmehr der Autoritaͤt
**)
[169] eines Vorurtheiles gefolgt ſey, vermoͤge deſſen die italieniſchen
Annaliſten, und ſelbſt ſpaͤtere Schriftſteller, alles Fremdartige,
alles, was die Alten barbariſch zu nennen pflegten, ſeit vie-
len Jahrhunderten gothiſch nennen, und den Oſtgothen bey-
meſſen. *)


Erwaͤgen wir aber, daß Vaſari der neueren Kunſtſprache
alleiniger Schoͤpfer iſt, daß die meiſten, vielleicht alle neuere
Kunſtbegriffe bis auf ſeine Schriften ſich zuruͤckfuͤhren laſſen,
dieſe allgemein geleſen, wenigſtens durch die Auszuͤge des van
Mander
, Sandrart und neuerer bekannt ſind: ſo wird die
Entſtehung des hiſtoriſch ganz widerſinnigen Kunſtwortes,
gothiſche Architectur, ohne Zwang aus jenen verwege-
nen Behauptungen abzuleiten ſeyn. In Anſehung aber, daß
ſchon Vaſari, der Stifter dieſer hiſtoriſch widerſinnigen Be-
nennung, ſie nicht feſtgehalten und haͤufig zu der beſſer be-
gruͤndeten, maniera Tedesca, hinuͤberſchwankt; in Erwaͤgung
ferner, daß wir gegenwaͤrtig mit groͤßter hiſtoriſcher Sicher-
[170] heit die Gegenden, die Voͤlker und Zeiten kennen, welche jene
eigenthuͤmliche Bauart allmaͤhlig hervorgebildet haben: moͤchte
ich vorſchlagen, den willkuͤhrlichen Namen gothiſcher Archi-
tectur, welcher nicht aufhoͤren wird Unkundige auf irrige
Meinungen zu leiten, gegen den hiſtoriſchen, germaniſcher
Architectur,
zu vertauſchen. Ich wuͤrde, deutſche, ſagen,
was bereits ohne Nachfolge in Anregung gekommen iſt, wenn
nicht die Franzoſen und Englaͤnder in dieſer Bauart eigen-
thuͤmliche Formen entwickelt und hiedurch Anſpruͤche erwor-
ben haͤtten, welche das Wort, germaniſch, weniger auszu-
ſchließen ſcheint, als das localere, deutſch.


Bauart der Longobarden.


Gleich anderen Voͤlkern germaniſchen Urſprunges bedien-
ten ſich die Longobarden des Holzbaues, den ſie auch in
Italien eine laͤngere Zeit, beſonders in ihren laͤndlichen Nie-
derlaſſungen, beybehielten. *) Uebrigens, wie ich bereits ge-
zeigt habe, bewohnten ihre Koͤnige zu Pavia den Palaſt Theo-
dorichs
, erhielten ſie die Mauern dieſer Stadt in gutem Stande,
[171] bauten ihre Fuͤrſten und Machthaber in der Folge Kirchen
und Palaͤſte aus feſten Materialien, deren Behandlung und
Conſtruction die Longobarden nothwendig erſt in Italien er-
lernt, wahrſcheinlicher jedoch altitalieniſcher Kuͤnſtler und Hand-
werker ſich bedient haben. — Es iſt in dieſer Beziehung beach-
tenswerth, daß ſchon in den Geſetzen der longobardiſchen Koͤ-
nige der Ausdruck: magister Comacinus, ganz wie im vor-
geruͤckteren Mittelalter, allgemeinhin Maurer, Steinmetz, Bau-
kuͤnſtler bezeichnet. *) Ein Theil der roͤmiſchen Bevoͤlkerung
des Landes hatte bey erſter Einwanderung der Longobarden
nach Como ſich zuruͤckgezogen, dort zwanzig Jahre lang ſeine
Unabhaͤngigkeit behauptet, doch nach langer Umlagerung ſich
auf Bedingungen ergeben muͤſſen, welche dem Befehlshaber,
alſo wahrſcheinlich auch den Einwohnern, gehalten wurden. **)
Daher moͤgen zu Como haͤufiger, als in den offeneren Gegen-
den, roͤmiſche Kunſtfertigkeiten ſich erhalten haben. Mehr
jedoch, als dieſe Conjunctur, wird eine ernſtlichere Pruͤfung
der Denkmale dahin fuͤhren, die unbegruͤndeten Meinungen zu
zerſtreuen, welche Compilatoren ohne Fleiß und Urtheil uͤber
dieſe Gegend der modernen Kunſtgeſchichte aufgeſtellt und ver-
breitet haben.


Haͤufig ſucht man die Denkmale der longobardiſchen
Herrſchaft eben nur innerhalb des Landſtriches, den man noch
gegenwaͤrtig die Lombardey nennt; ſey es, weil man den
[172] hiſtoriſchen Begriff, longobardiſch, mit dem geographiſchen,
lombardiſch, verwechſelt, oder auch, weil man in den
Sitzen der Koͤnige, zu Pavia und Monza, die vorzuͤglichſten
Leiſtungen jener Zeit vorausſetzt; oder endlich, weil Paul
Warnefried
, dem man in longobardiſchen Dingen allein zu
folgen liebt, uͤberhaupt nur der koͤniglichen Stiftungen ge-
denkt.


Indeß war die Stellung eines longobardiſchen Koͤniges
minder beneidenswerth, als jene eines Herzoges von Spo-
leto
, oder von Benevent; hat andererſeits Pavia, waͤhrend
des eilften und zwoͤlften Jahrhunderts, der Epoche des Stei-
gens und der hoͤchſten Bluͤthe der lombardiſchen Staͤdte, ſo
viele Erweiterungen und Aenderungen erfahren, daß man be-
fuͤrchten darf, die Kirchen, deren alte Meldungen als longo-
bardiſcher Stiftungen erwaͤhnen, ſeyen ſchon laͤngſt nicht mehr
in ihrer urſpruͤnglichen Form vorhanden, vielmehr umgebaut,
erweitert, ganz oder doch zum Theile erneuert worden. Ue-
berhaupt kann es als Regel angenommen werden, daß ſehr
alte, unſcheinbare und in engeren Dimenſionen angelegte
Denkmale beſonders an ſolchen Stellen vorauszuſetzen und
aufzuſuchen ſind, welche in den nachfolgenden Zeiten keiner
Zunahme des Wohlſtandes und der Bevoͤlkerung ſich erfreut
haben. Nichts aber iſt der Bewahrung der hiſtoriſchen Denk-
male guͤnſtiger, als gaͤnzliche Veroͤdung.


Ueber jene Bedenklichkeiten hat die moderne Kunſtge-
ſchichte bisher ſich hinausſetzen wollen. Gewiß hat die Auf-
zaͤhlung der Angaben des Paul Diaconus, welche uͤberall bis
zum Ueberdruß wiederholt wird, bisher keine ernſtliche Unter-
ſuchung des gegenwaͤrtigen Zuſtandes jener alten Stiftungen
longobardiſcher Koͤnige veranlaßt. Die Bilderwerke geben
[173] uns hoͤchſt naiv Abbildungen ihrer gegenwaͤrtigen Geſtalt als
Beyſpiele der Baukunſt unter den Longobarden. *)


Ihrer Oberflaͤchlichkeit ungeachtet zeigen ſchon die Ab-
bildungen bey d’Agincourt, daß unter den Kirchen zu Pavia
keine einzige der Zeit angehoͤren kann, welche unmittelbar auf
die gothiſche folgte, daß ſie vielmehr in ihrer gegenwaͤrtigen
Geſtalt dem eilften und zwoͤlften Jahrhundert angehoͤren muͤſ-
ſen. Hingegen koͤnnte die Abbildung eines anderen Gebaͤu-
des, der Kirche S. Tommaſo in Limine, **) einige Miglien
von Bergamo, da alles Untergeordnete darin ganz falſch an-
gegeben, der Plan aber altfoͤrmig iſt, ſelbſt den Kenner vor-
uͤbergehend taͤuſchen. Mir wenigſtens floͤßte dieſe Abbildung
einigen Glauben ein, bis ich, im J. 1829, bey Beſichtigung
der Kirche, ſo viele Zeichen einer ſpaͤteren Entſtehung auf-
fand, daß ich ihr angeblich hohes Alter ganz verwerfen muß. ***)
Dem Plane, nicht den Dimenſionen, noch weniger der Ver-
zierung nach, ſcheint dieſe kleine Kirche jener des heil. Vita-
lis zu Ravenna nachgebildet zu ſeyn. Doch fand ich, daß
ſie aus kleinen, ſehr unvollkommen behauenen Bruchſteinen
und mit vielem Moͤrtel gemauert iſt, daß ſie zudem an den
Außenſeiten bereits jene duͤnnen, bis zum Kranze hinauflau-
fenden Halbſaͤulen, jenen Kranz aus kleinen halbrunden Bo-
gen hat, welche im weſtlichen Europa (auch in Italien) erſt
um das Jahr 1100 aufgekommen und uͤberall als Vorzeichen
der germaniſchen Architectur aufzufaſſen ſind.


[174]

Hingegen entdeckte ich Spuren alter Technik an den
Ruinen einer anderen, von jener nur eine Miglie entfernten
Kirche, S. Giulia, deren Gruͤndung Lupi mit viel groͤßerer
Zuverſicht in die Zeit der Koͤnigin Theodolinda verſetzt. *)
Auch dieſes Gebaͤude iſt im vorgeruͤckteren Mittelalter mit
unregelmaͤßiger Vermiſchung alter Werkſtuͤcke und ſchlechter
Bruchſteine erneuert, erhoͤht, und erweitert worden. Allein
demungeachtet zeigt ſie auswaͤrts am Sockel der drey Tri-
bunen verſchiedene Reihen ſchoͤn behauener und trefflich ge-
fuͤgter Werkſtuͤcke von bedeutender Groͤße, denen man ein-
raͤumen darf, daß ſie der alten longobardiſchen Conſtruction
angehoͤren. **)


Spuren derſelben techniſchen Behandlung zeigen ſich in
den unteren Theilen verſchiedener theils erweislich longobar-
diſcher Anlagen. So zu Breſcia im Kloſter S. Giulia, wel-
ches gegenwaͤrtig zur Kaſerne eingerichtet iſt, an einer alten,
nur gegen die Seitenſtraße hin offenen, ſonſt rings von dem
neuen Bau eingeſchloſſenen Kappelle. Ihr Grundriß bildet
ein Quadrat, deſſen Winkel nach oben abgeſtutzt ſind, um zu
der neueren Kuppel den Uebergang zu bilden. Von der
Straße her ſieht man bis auf drei Viertheile der ganzen
Hoͤhe viele antike Werkſtuͤcke von bedeutender Groͤße, darun-
ter eins mit einem Bruchſtuͤcke roͤmiſcher Inſchrift. Sie ſind
indeß genau auf einander gepaßt, unterſcheiden ſich hierdurch
von jenem Uebergange zum Gewoͤlbe der Kuppel, welcher um
[175] einige Jahrhunderte neuer zu ſeyn ſcheint. Die Unterkirche,
auf deren Daſeyn die Fenſter ſchließen laſſen, blieb mir un-
zugaͤnglich; die obere enthaͤlt an drey Seiten Altarniſchen.


Aehnliche Grundlagen von wohlgefuͤgten Werkſtuͤcken
zeigt außerhalb der Stadt das Kirchlein S. Giacomo, deren
Plan von alter Form iſt, deren Erneuerungen aber in der
Manier des eilften oder folgenden Jahrhunderts entworfen
ſind.


Unter dieſen Umſtaͤnden befremdete es mich nicht, auch
zu Pavia, laͤngs der Außenſeite der Kirche S. Michele, der-
ſelben, welche in allen Kupferwerken die Bauart der Longo-
barden repraͤſentirt, ganz aͤhnliche Grundlagen zu entdecken.
Freylich traͤumt man hier ſchon ſeit lange von Ueberreſten
einer noch aͤlteren chriſtlich-roͤmiſchen Conſtruction. Indeß
bewaͤhrt ſich die Erneuerung, welche die Kirche zur Zeit der
Groͤße und Macht der lombardiſchen Staͤdte betroffen hat,
durch eine Inſchrift, welche die Forſcher nach modernen Al-
terthuͤmern unverantwortlich uͤberſehen haben. *) Dieſe und
alle aͤhnlichen Erneuerungen erklaͤren ſich daraus: daß die
[176] longobardiſchen, wie uͤberhaupt die aͤlteſten Baſiliken von ob-
longem Grundriß, urſpruͤnglich auf einen hoͤlzernen Dachſtuhl
angelegt waren. Als man nun um das Jahr 1100 begann,
die Schiffe auch in den alten Kirchen zu uͤberwoͤlben, be-
durfte man neuer, auf dieſe Einrichtung berechneter Stuͤtzen
und Widerlagen, deren Herſtellung noͤthigen mußte, einen er-
heblichen Theil des aͤlteren Gemaͤuers abzutragen. Hiezu
kam bisweilen das Beduͤrfniß der Erweiterung des Raumes,
durchgehend der Erhoͤhung des mittleren Schiffes, nach dem
Geſchmacke oder Beduͤrfniß damaliger Zeit. Ich erwaͤhne
auf dieſe Veranlaſſung, daß Millin, *) welcher in einem fruͤ-
heren Werke bey der Kirche zu Corbeil in Frankreich die ban-
deauartigen Pilaſter und Halbſaͤulen an den Vor- und Sei-
tenanſichten der Kirchen als eine Eigenthuͤmlichkeit des zwoͤlf-
ten Jahrhunderts anerkannt hatte, bey der Kirche S. Michele
in coelo aureo zu Pavia uns die verwandten Pilaſter ihrer
Vorſeite, als die Bauart der Longobarden charakteriſirend,
umſtaͤndlich beſchreibt. Millin beſchreibt in dieſer Reiſe auch
einen antiken Triumphbogen zu Mailand als von ihm ge-
ſehn und beobachtet, welcher, da er ſchon vor ſeiner Geburt
abgetragen, nur aus aͤlteren Beſchreibungen ihm bekannt ſeyn
konnte. Vielleicht hatte er gleich wenig Zeit und Gelegen-
heit, die Kirche S. Michele zu ſehn, und wahrzunehmen, was
an der Stelle ſogleich in die Augen faͤllt: daß jenes anlie-
gende Saͤulengeſtaͤnge der Vorſeite in das altlongobardiſche
Gemaͤuer der Unterlage eingelaſſen iſt, daß man demſelben
in den alterthuͤmlichen Werkſtuͤcken mit ziemlich roh ange-
wen-
[177] wendetem Meißel Raum gemacht hat. Nichts kann das ſpaͤ-
tere Datum dieſer Verzierungen beſſer ins Licht ſetzen, als
dieſe Thatſache.


Die roͤmiſche Schule der longobardiſchen Architecten wird
indeß deutlicher, als durch jene unſcheinbaren Ueberreſte, durch
einige beſſer bewahrte Denkmale der Groͤße der alten Her-
zoge von Spoleto in das Licht geſtellt.


Durch hiſtoriſche Redlichkeit und rege Theilnahme an
vaterlaͤndiſchen Dingen gelangte ſchon im ſiebzehnten Jahr-
hundert der Graf Campello*) zu der Einſicht, welche neue-
ren Forſchern zu fehlen ſcheint: daß gediegene Arbeit, Maͤch-
tigkeit der Conſtruction, bey voͤlliger Schmuckloſigkeit, der
Charakter derjenigen Bauart ſey, welche unter der Herrſchaft
der Longobarden in Italien bey oͤffentlichen Werken in An-
wendung kam. Den longobardiſchen Urſprung der wunder-
wuͤrdigen Waſſerleitung zu Spoleto erhob er zu großer Wahr-
ſcheinlichkeit, **) indem er die Arbeit daran mit den coloſſa-
len Subſtructionen der Kirche und des Kloſters S. Pietro
di Ferentillo verglich, uͤber deren Stiftung kein Zweifel ob-
waltet. ***) Er ſah noch Ueberreſte des alten herzoglichen
Palaſtes, †) und die Kirche S. Sabino zu Spoleti.


III. 12
[178]

Die Spuren dieſer eigenthuͤmlichen Bauart werden in
dem Bezirke des alten Herzogthumes ſich weiter hinaus ver-
folgen laſſen; vornehmlich in den veroͤdeten Benedictiner-Ab-
teyen ſeiner Gebuͤrgszuͤge. Dahin gehoͤrt auch die Unter-
kirche des Domes von Aſiſi, deren uralter Malereyen ich im
erſten Bande erwaͤhnt habe. *)


Auch Toscana beſaß unter den Longobarden viele Pfarr-
kirchen, **) welche in Anſehung ihrer laͤndlichen Verſtreuung,
Wirkung longobardiſcher Lebensweiſe, nicht durchhin den aͤl-
teren roͤmiſch-chriſtlichen, oder gothiſchen Zeiten beyzumeſſen
ſind. Unter dieſen behauptet der alte Dom, oder die Johan-
niskirche, zu Florenz eine anſehnliche Stelle. Gewiß reicht
ihr Andenken ***) bis in die longobardiſchen Zeiten hinauf;
doch iſt es nicht gleichmaͤßig ausgemacht, ob ſie in dieſen,
[179] oder in noch aͤlteren Zeiten gegruͤndet ſey. Ich beziehe mich
hier nicht etwa auf die Meinung, daß ſie ein heidniſcher Tem-
pel geweſen, was Schriftſteller des ſpaͤteren Mittelalters aus-
geſonnen und verbreitet haben. *) Fuͤr chriſtlich-religioͤſe
Zwecke ward ſie unſtreitig errichtet. Alſo koͤnnte nur in
Frage kommen, ob in roͤmiſchen, gothiſchen oder in longo-
bardiſchen Zeiten.


Vieles ſpricht fuͤr das letzte. Einmal reicht die Kunde
von ihrem Beſtehen nicht weiter zuruͤck; ferner wurden auf
Anregung der Koͤnigin Theodolinda dem heil. Johannes Bapt.
uͤberall viele Kirchen erbaut; endlich ſcheinen die aͤlteſten, al-
lein in Frage kommenden Theile des Gebaͤudes nicht durch-
hin mit den chriſtlich-roͤmiſchen und gothiſchen Bauwerken
uͤbereinzuſtimmen, im Entwurfe, in den Verhaͤltniſſen, in der
Stellung des Untergeordneten, ſchon in die Bauart der caro-
lingiſchen Epoche uͤberzugehn.


Im Verlaufe von mehr als eintauſend Jahren hat dieſe
Kirche mehrfaͤltige Aenderungen erlitten. Die kleine Tribune
uͤber dem gegenwaͤrtig nach Weſten gerichteten Altare kam im
zwoͤlften Jahrhunderte an die Stelle des ehemaligen Eingan-
ges; dieſer ward gleichzeitig an die entgegengeſetzte Seite ver-
legt. **) Schon ungleich fruͤher hatte man die Außenſeiten
der Kirche in mehrfarbigem Marmor bekleidet, und was da-
mals unbedeckt geblieben, ſoll Arnolfo beendigt haben. ***)
12 *
[180] Allein der Plan der Kirche iſt, mit Ausnahme des erwaͤhnten
weſtlichen Anbaues, noch unveraͤndert der alte, und die Ver-
theilung der groͤßeren Saͤulen an den inneren Waͤnden nebſt
allen daruͤber aufgerichteten Bogen und Gewoͤlben gehoͤrt
ebenfalls zur erſten Anlage.


Doch ſelbſt ohne die Beyhuͤlfe dieſes nicht ganz erweis-
lich longobardiſchen Denkmales wird das voranbemerkte au-
ßer Zweifel ſtellen, was vorauszuſetzen war: daß Alles, was
mit einiger Sicherheit fuͤr ein Bauwerk longobardiſcher Zeiten
auszugeben iſt, den oſtgothiſchen Denkmalen ſich unmittelbar
anſchließt und zu denen der carolingiſchen Epoche den Ueber-
gang bildet.


Bauart der Italiener unter den Caro-
lingern
.


In einer der fruͤheren Abhandlungen habe ich gezeigt,
daß in den Bauwerken Carls des Großen und gleichzeitiger
Paͤbſte der allgemeine Plan, die groͤßeren Dimenſionen der
Theile, beſonders aber die techniſche Ausfuͤhrung, dem claſ-
ſiſchen Alterthume noch immer viel naͤher ſteht, als dem nach-
folgenden, ſpaͤteren Mittelalter. Indeß moͤchte es hier an
***)
[181] ſeiner Stelle ſeyn, die allgemeine Kunde von einigen Ge-
baͤuden nachzutragen, welche theils noch der longobardiſchen,
theils ſchon der carolingiſchen Epoche angehoͤren, woruͤber
nicht immer mit Zuverſicht zu entſcheiden iſt.


Dahin duͤrfte die alte florentiniſche Baſilica S. Piero
Scheraggio zu verſetzen ſeyn, deren die Annaliſten als eines
Verſammlungsortes fuͤr buͤrgerliche Berathungen haͤufig er-
waͤhnen. Seit dem dreyzehnten Jahrhunderte ward ſie ſtuͤck-
weis abgetragen, der letzte Ueberreſt unter der Regierung Pe-
ter Leopolds
mit dem anſtoßenden Gebaͤude der Uffizi auch
dem Zwecke nach verbunden. Indeß giebt uns Richa, *)
zu deſſen Zeit dieſer Reſt noch vorhanden war, einen Grund-
riß der Kirche, nach welchem ſie drey Schiffe, jedes mit ſei-
ner Tribune, enthielt; melden andere Schriftſteller, daß die
Saͤulenſchafte, ſogar ein Theil der Kapitaͤle, aus antiken Ge-
baͤuden entnommen waren. Nach Giovanni Villani**) ent-
deckte man ſeiner Zeit in der Kirche haͤufige Ueberreſte anti-
ken Pflaſters. Demungeachtet duͤrfte dieſes Gebaͤude wahr-
ſcheinlicher den longobardiſchen, als den vorangegangenen Zei-
ten angehoͤren, weil ſie ſchwerlich die ſtuͤrmiſche Epoche des
gothiſchen Krieges, der longobardiſchen Einwanderung ſo un-
verſehrt wuͤrde uͤberdauert haben, als wir ſie fruͤhe in der
Geſchichte auftreten ſehn. Im Kriege unterlag die Holzver-
dachung der alten Baſiliken dem Feuer, bey lange dauernder
Zerruͤttung der Vernachlaͤſſigung. Aus roͤmiſcher Zeit haben
[182] ſolche Gebaͤude daher nur zu Rom und Ravenna ſich erhal-
ten. Endlich ſcheint auch der Beyname der Kirche eine deutſche
Wurzel zu haben. *)


Demſelben Grundriſſe begegnen wir in der Kirche S.
Piero in Grado, auf dem Wege von Piſa nach Livorno, de-
ren Andenken ſehr weit zuruͤckreicht. **) Dieſe Kirche war
im Verlaufe des zwoͤlften Jahrhunderts durch ihre Heilig-
thuͤmer zu großem Anſehn, daher, nach der Sitte der Zeit,
durch milde Gaben zu vielem Reichthum gelangt. ***) Hier-
aus erklaͤren ſich die Spuren gleichzeitiger Erneuerungen des
Dachſtuhles, des Kranzes und anderer Stellen der Mauer-
flaͤchen. Mit Ausnahme dieſer ſpaͤteren Ergaͤnzungen, viel-
leicht auch der ganzen Weſtſeite des Gebaͤudes, welche Mor-
rona
nicht ohne Grund fuͤr einen Zuſatz haͤlt, †) iſt alles
Uebrige ſo alterthuͤmlich, daß nichts entgegenſteht, es den letz-
[183] ten longobardiſchen, oder fruͤheſten carolingiſchen Zeiten bey-
zumeſſen.


Der Grundriß dieſer Kirche unterſcheidet ſich von dem-
jenigen anderer Baſiliken der aͤlteren Zeit nur etwa durch eine
groͤßere Breite des Hauptſchiffes und durch ein gedruͤckteres
Verhaͤltniß der drey ganz halbrunden Tribunen oder Altar-
niſchen. In beiden Stuͤcken zeigt ſie eine gewiſſe Ueberein-
ſtimmung mit der Kirche S. Saba zu Nom, deren ſehr eigen-
thuͤmliche Backſteinverzierungen an der aͤußeren Mauer der
drey Tribunen vom Garten her ſichtbar ſind, doch haͤufig
ganz uͤberſehen werden.


Ausgezeichnetet iſt, als Beyſpiel ſpaͤter Nachwirkung an-
tiker Vorbilder, der Vorhof der Kirche S. Ambruogio zu
Mayland. Nothwendig faͤllt er in die Zeit der koſtbaren Be-
guͤnſtigungen, welche Ludwig der Fromme dieſer Kirche ange-
deihen ließ. Der Architect, welcher dieſen Bau geleitet, ver-
folgte darin, was im Mittelalter hoͤchſt ungewoͤhnlich iſt, das
Motiv jener roͤmiſchen Verbindung der Saͤulenſtellung mit der
Bogen-Conſtruction, welche die moderne Kunſt, die Arcade,
nennt. Dieſe alte, in einer weiten Ebene belegene Stadt
beſaß in ſo fruͤher Zeit die Mittel nicht, aus entlegenen Stein-
bruͤchen Baumaterialien herbeyzuſchaffen, bediente ſich daher in
ihren hoch-mittelalterlichen Bauunternehmungen eines ſchlecht
gebrannten Backſteins. Unter dieſen Umſtaͤnden war die Aus-
huͤlfe, welche der Architect aufgefunden, ganz ſinnreich, zeugt
ſie von Beobachtung und Nachdenken. Uebrigens zeigt die
techniſche Ausfuͤhrung von barbariſcher Ungeſchicklichkeit.


Die Kirche ſelbſt zeigt an ihrer oͤſtlichen Seite noch einige
muſiviſch verzierte, halbrunde Niſchen von ſehr alter, wohl
ſpaͤt-roͤmiſcher Anlage. Im Uebrigen iſt ihr Schiff ſeit dem
[184] zwoͤlften Jahrhundert in verſchiedenen Bauarten erneuert wor-
den, was denen, welche nach Abbildungen ſie beurtheilen,
viele Schwierigkeiten macht, *) deren Beſeitigung an Ort und
Stelle gar leicht faͤllt.


Bis um die Mitte des neunten Jahrhunderts blieb dem-
nach die Architectur neuerer Italiener dem chriſtlichen Alter-
thume verwandt, zeigte ſie, im Entwurfe, in den Eintheilun-
gen, in der Ausbildung des Einzelnen, ihre Abkunft aus der
roͤmiſchen Schule, ihr Beſtreben, dem Antiken moͤglichſt nahe
zu kommen, noch immer mit uͤberzeugender Deutlichkeit. Al-
lein auch die naͤchſtfolgende Epoche, von der Mitte des neun-
ten, bis zum Ende des zehnten Jahrhunderts, blieb in der
allgemeinſten Anlage den uͤberlieferten Formen getreu, wenn
auch andererſeits Alles, was darin zur Ausfuͤhrung und Aus-
bildung des Einzelnen gehoͤrt, von ſtets zunehmender Verwil-
derung zeigt. In dieſer Zeit wurden kleine, ſchlecht behauene
Bruchſtuͤcke durch haͤufigen Moͤrtel verbunden, die Verzierun-
gen mit groͤßter [Ungeſchicklichkeit] bearbeitet, ſo daß ſelbſt den
einfachſten Geſimſen in Kanten und Flaͤchen die noͤthigſte
Schaͤrfe fehlt.


Architectur im oſtrömiſchen Reiche, oder
byzantiniſche Baukunſt.


Fuͤr die Geſchichte der Baukunſt im neugriechiſchen, oder
oͤſtlichen Reiche iſt bisher hoͤchſt Weniges geſchehen. Die
[185] aͤlteren Sammler byzantiniſcher Alterthuͤmer waren Prieſter,
richteten daher ihre Aufmerkſamkeit ganz auf kirchliche Dinge;*)
auch wurden damals kunſthiſtoriſche Forſchungen durch die
Umſtaͤnde nicht eben beguͤnſtigt. Denn bis gegen das Jahr
1790 war bekanntlich in ganz Europa kein Baukuͤnſtler ge-
neigt, oder faͤhig, von alten Werken, welcher Zeit und Schule
ſie angehoͤren moͤgen, ganz zutreffende Vermeſſungen und ge-
naue Zeichnungen zu machen. Man beachte nur die Abbil-
dungen in den Reiſen des Nointel und Choiſeul, welche in
ihrer Zeit bereits als ein Wunder genauer Verſinnlichung auf-
genommen wurden. Ich vermuthe, daß Piraneſi, ſeiner ſchwa-
chen Perſpectivik ungeachtet, zuerſt auf die Moͤglichkeit und
den Werth genauerer Abbildungen hingewieſen, beſonders die
Englaͤnder angeregt habe, welche in dieſer ſpeciellen Beziehung,
in den Werken des Stuart, des Murphy, der engliſchen
Alterthumsforſcher, den uͤbrigen Zeitgenoſſen vorangegangen
ſind. Spaͤtere Reiſende in den levantiſchen Gegenden wurden
durch wichtigere Gegenſtaͤnde, durch die antiken noch immer
unerſchoͤpften Denkmale, von der Unterſuchung des griechiſchen
Mittelalters abgezogen.


Doch ſo weit wir noch immer von dem Zeitpunkte ent-
fernt ſeyn moͤgen, in welchem auch denen, welche die Levante
nicht beſucht haben, vergoͤnnt ſeyn wird, eine Geſchichte der
Kuͤnſte im oͤſtlichen Reiche zu compiliren, ſo iſt doch uͤber dieſen
Gegenſtand wenigſtens ſo viel bekannt, als hinreicht, um zu
unterſuchen, mit welchem Grunde von vielen Neueren die
[186] Bauart der weſtlichen Europaͤer in einem beſtimmten Ab-
ſchnitte des Mittelalters die byzantiniſche genannt wird.


Zuerſt werden wir zu unterſuchen haben, ob byzanti-
niſche Architectur
uͤberhaupt ein beſtimmter, ſicher begrenz-
ter Begriff ſey, ſodann, ob waͤhrend des Mittelalters in irgend
einer Zeit, ob an allen, oder nur an beſtimmten geographiſchen
Punkten, einzelne, oder vielmehr alle Eigenthuͤmlichkeiten der
byzantiniſchen Architectur bey den weſtlichen Europaͤern Ein-
gang gefunden haben.


Iſt, byzantiniſche Architectur, ein beſtimmter Begriff?
Nicht mehr, als lateiniſch-chriſtliche, oder weſteuropaͤiſche Ar-
chitectur, welcher Namen, Angeſichts ſo großer Verſchiedenheit
der ſucceſſiv hervortretenden Kunſtformen, Niemand ſich jemals
bedienen wird. Waͤhrend ſeiner tauſendjaͤhrigen Dauer war
das byzantiniſche Reich, wenn auch in geringerem Maße, als
der Weſten, doch immer ebenfalls jenem Wechſel der Schick-
ſale, der Anſichten, der Launen des Geſchmackes unterworfen,
welcher das neuere Weltalter vom hohen Alterthume unter-
ſcheidet. Seine Baukunſt konnte daher im eilften Jahrhun-
dert nicht dieſelbe ſeyn, als im fuͤnften, oder funfzehnten;
byzantiniſche Bauart alſo wird nichts ausoruͤcken, nichts be-
deuten koͤnnen, als eine lange Reihe ſehr verſchiedener
Bauarten, welche innerhalb des Umkreiſes des oͤſtlichen Rei-
ches einander nach und nach gefolgt ſind und verdraͤngt haben.
Unſere geringe Kenntniß von dieſen verſchiedenen Bauarten,
unſere Unwiſſenheit, verleitete uns, ſie in eins zu faſſen, wie
denn bey allem weit Entlegenen die Theile in einander uͤber-
zugehn, in groͤßere Maſſen ſich zu vereinigen den Anſchein
haben.


Jegliche Vergleichung der Bauarten beider Haͤlften der
[187] Chriſtenheit muß von der Thatſache ausgehn, daß beide Schu-
len gleichzeitig aus der roͤmiſchen des ſinkenden Reiches ent-
ſprungen ſind, daher vorausſetzlich viel Gemeinſchaftliches be-
wahrt haben, welches aus ſpaͤteren Einwirkungen zu erklaͤren
oftmals ganz unnoͤthig iſt. Ueberhaupt war die Bildung der
erſten chriſtlichen Jahrhunderte eine gemiſchte griechiſch-roͤ-
miſche, Rom laͤngſt ſchon die prachtvollſte Stadt der Welt,
das unmittelbare Vorbild der Gruͤndung Conſtantins. Dieſe
roͤmiſche Colonie erhob ſich waͤhrend des vierten Jahrhun-
derts kaum uͤber die Mittelmaͤßigkeit einer großen Provinzial-
ſtadt, weil die Kaiſer, an das Feldlager, oder ſtrategiſch wich-
tige Punkte gebunden, beide Hauptſtaͤdte zu vernachlaͤſſigen ge-
noͤthigt waren. Allein ſelbſt, als im fuͤnften Jahrhundert das
neue Rom, Conſtantinopel, der ſtaͤndige Wohnſitz begluͤckterer
Fuͤrſten ward, dieſes in noͤthigen oder prachtvollen Bauun-
ternehmungen groͤßere Thaͤtigkeit herbeyfuͤhrte, entwickelte ſich
dort noch immer kein neuer, vom roͤmiſchen Herkommen ab-
weichender Geſchmack. Denn aus hoͤchſt unverdaͤchtigen Zeug-
niſſen erhellet, daß von Theodoſius bis auf den erſten Juſti-
nian
die Bauart der oͤſtlichen Roͤmer in allen weſentlichen
Dingen derjenigen entſprach, welche gleichzeitig in Italien uͤb-
lich war. Noch gab man den byzantiniſchen Muͤnzen latei-
niſche Umſchrift, bisweilen ſelbſt die roͤmiſche Woͤlfin.


Obwohl bildneriſch untergeordnet, werden die Gebaͤude
an der Saͤule des Arcadius*) uns doch den allgemeinſten
Charakter damals zu Conſtantinopel uͤblicher Architectur ver-
ſinnlichen koͤnnen. Sie erhalten indeß durch das Zeugniß
[188] des ungenannten Topographen von Conſtantinopel, *) dem in
Bezug auf chriſtliche Alterthuͤmer Blick und Auffaſſung des
allgemeinen Charakters nicht abzuſprechen ſind, ein groͤßeres
Gewicht. Dieſer ziemlich ſpaͤte Schriftſteller war mit dem
roͤmiſchen Urſprung der byzantiniſchen Bauſchule bekannt und
vertraut; denn er meldet ohne Zeichen der Befremdung, daß
Juliana, Schweſter Theodoſius des Großen, eine Kirche von
roͤmiſchen Kuͤnſtlern**) habe erbauen laſſen. Ueberhaupt ſetzt
er die einfache, roͤmiſch-chriſtliche Anlage der aͤlteren Kirchen
dem complicirten Entwurfe der ſpaͤteren wiederholt und mit
ausgeſprochener Abſichtlichkeit entgegen. „Gemeinſchaftlich,
ſagt er, ***) mit ſeiner Mutter Helena erbaute Conſtantin die
Apoſtelkirche in laͤnglichtem Viereck und gab ihr einen hoͤl-
zernen Dachſtuhl.“ Dieſe allgemeine, durch Anſchauung der
roͤmiſchen und ravennatiſchen Baſiliken zu ergaͤnzende Charak-
teriſtik umfaßt zugleich einige andere fruͤher von ihm erwaͤhnte
Kirchen. Denn er kommt in der Folge auf dieſelben zuruͤck,
wo er von einer, der jetzigen Sophienkirche vorangegangenen
[189] ſagt: daß ſie in laͤnglichtem Viereck gebaut war, gleich den
Kirchen S. Agathonikus und Iſaacius, *) denſelben, deren
Anlage er fruͤher, doch minder beſtimmt, bezeichnet hatte. Als
eines Werkes deſſelben Conſtantinus erwaͤhnt er der gleichfalls
oblongen Kirche des Evangeliſten Johannes, und um wenig
ſpaͤter einer von Theodoſius dem Großen erbauten, uͤberwoͤlb-
ten Rotunde, deren Anlage, da unſer Berichtgeber keine Auſ-
ſenwerke anzeigt, wohl alterthuͤmlich einfach war. **) Allein
auch in einigen noch vorhandenen Denkmalen, dem Hippo-
drom, der großen Ciſterne, bewaͤhrt ſich die roͤmiſche Abkunft
der byzantiniſchen Bauſchule.


In dieſer erhielt ſich eine gewiſſe alterthuͤmliche Einfach-
heit der allgemeinen Anlage bis zu den fruͤheren Jahren der
Regierung des erſten Juſtinian, deſſen zahlreiche Bauwerke
von einem Zeitgenoſſen in einer eigenen Monographie verzeich-
net worden ſind. ***) In dieſem Werke, deſſen uͤbrigen In-
halt ich, als ſchon benutzt und hoͤchſt zugaͤnglich, uͤbergehe,
finden ſich einige Angaben uͤber zwey der fruͤheſten Werke des
genannten Kaiſers, der Kirchen S. Peter und Paul, und S.
Sergius und Bacchus, deren erſte ein laͤnglichtes Viereck ein-
nahm, die andere hingegen ins Runde gebaut war. Gyllius
giebt von der letzten, welche er noch in gutem Stande ge-
ſehen hatte, eine gedehnte, obwohl nicht ganz befriedigende
Beſchreibung. †) „Die Kirche S. Peter und Paul, ſagt er,
iſt nicht mehr vorhanden, wohl aber S. Sergius und Bac-
[190] chus, deren Titel die heutigen Griechen noch feſthalten, ob-
gleich ſie, indem die Tuͤrken ihrer ſich bemaͤchtigt haben, laͤngſt
aufgehoͤrt eine chriſtliche Kirche zu ſeyn. Sie iſt ins Runde
gebaut; ihre Kuppel von Backſteinen ruht auf acht Pfeilern
(ob ein Octogon?). Im Innern (ſchließe ich aus dem Fol-
genden) ſind an den Pfeilern zwey Reihen ioniſcher Saͤulen
vertheilt; die untere beſteht aus ſechzehn Saͤulen, welche auf
dem Fußboden ruhen (etwa, keinen Sockel, kein Baſament
haben?); die obere Reihe beſteht aus zweyundzwanzig Saͤu-
len.“ Hierauf beſchreibt er die Kapitaͤle beider, der unteren
wie der oberen Ordnung; doch verſtehe ich aus ſeinen An-
gaben nur ſo viel, daß die obere Reihe von der unteren ver-
ſchieden und nicht, wie Gyllius ſagt, von ioniſcher, ſondern
von frey componirter Ordnung war. *) So ungenuͤgend die
Beſchreibung iſt, ſo laͤßt ſie immer doch ſo viel errathen, daß
jenes Gebaͤude den roͤmiſchen und ravennatiſchen des fuͤnften
Jahrhunderts der Anlage nach gleicht.


Bis dahin alſo war im oͤſtlichen Reiche, wie mit Sicher-
heit ſich behaupten laͤßt, die Bauart derjenigen aͤhnlich, welche
aus den roͤmiſchen und ravennatiſchen Denkmalen des vierten
[191] und fuͤnften Jahrhunderts hoͤchſt bekannt iſt. Und wenn die-
ſelbe im Laufe der langen und begluͤckten Regierung Juſti-
nians
I. aus verſchiedenen Urſachen theils glaͤnzender, als nach
dem gothiſchen Kriege, nach der longobardiſchen Einwande-
rung, in Italien noch moͤglich war, theils aber auch in neuen
Formen ſich entwickelte, welche die rituellen Anordnungen des
Kaiſers im Kirchenbau nothwendig machten; ſo ward hiedurch
noch keinesweges das techniſche Syſtem, noch ſelbſt die Ver-
zierungsart der chriſtlich-roͤmiſchen Schule ganz verdraͤngt,
oder aufgehoben.


Die Sophienkirche, deren Kern, wenn gleich ſeiner viel-
faͤltigen Vorhallen und anderer Auſſenwerke beraubt, bis auf
unſere Tage ſich erhalten hat, zeigt ſowohl, daß die Baukunſt
im oͤſtlichen Reiche unter Juſtinian die verwandte der ger-
maniſirten Provinzen des weſtlichen an Kuͤhnheit und Huͤlfs-
mitteln aller Art weit uͤberbot, als auch, daß ſie ſchon da-
mals begonnen, im Grundriſſe der Kirchen vom allgemeinen
Herkommen der Chriſtenheit abzuweichen.


Die uͤberwoͤlbte Rotunde, welche die roͤmiſchen Architec-
ten der claſſiſchen Zeit zu großer Vollendung durchgebildet
hatten, diente nicht ſelten ſchon den fruͤheren Chriſten zum
Vorbilde ihrer Kirchen. Von Anbeginn mochte ſie nur etwa
der practiſche und aͤſthetiſche Werth dieſer Grundform gewon-
nen haben. Allein in der Folge erhielt das Rundgewoͤlbe
eine beſtimmte Bedeutung, welche ſie in der griechiſchen Chri-
ſtenheit zu einem unumgaͤnglichen Erforderniß des Kirchen-
bau’s erhob, *) und ihm uͤber dem Heiligthume (ίεϱατεῖον)
ſeine Stelle anwies.


[192]

Dieſe Bedeutung ſtaͤrker hervorzuheben, ſie eindringlicher
zu machen, vielleicht auch das zu jener Zeit bewundertſte Bau-
werk, das roͤmiſche Pantheon, zu uͤberbieten, *) gab man der
Rotunde, welche den Kern der Sophienkirche ausmacht, eine
uͤberwiegende Groͤße, welche die uͤbrigen, gleich weſentlichen
Theile (die geſchiedenen Verſammlungsorte fuͤr die verſchiede-
nen Abtheilungen der Gemeinde) als bloß beygeordnete er-
ſcheinen laͤßt. **) Ich vermuthe, daß die weite Ausdehnung
unter der Kuppel urſpruͤnglich ganz ἱεϱατεῖον, war, wie die
abgeſchloſſenen Logen zu den Seiten in ihren verſchiedenen
Stockwerken ***) zur Aufnahme der Gemeinde beider Geſchlech-
ter und des Hofes; in Kirchenbuße Begriffene werden in den
laͤngſt abgetragenen Vorhallen ihre Stelle gefunden haben. †)


Ver-

*)


[193]

Verſtehe ich den Plan, verſtehe ich die Schriftſteller,
welche mir eben zu Gebote ſtehen, richtig, ſo duͤrfte aus den
Anordnungen des Kaiſers zu erklaͤren ſeyn, daß ſein Archi-
tect der ſchwierigen Aufgabe ſich unterzog, eine Kuppel von
ſo großen Dimenſionen uͤber vier, durch weitgeſpannte Bo-
gen verbundenen Pfeilern aufzurichten. Ungeachtet der Vor-
ſicht, welche er in der Wahl ſeines Materiales, vielleicht auch
in den Grundlagen, angewendet hatte, brachte er ſein Werk
doch nur muͤhſam und vermoͤge vieler Nachhuͤlfe zu Stande.*)
Jene weitgeſpannten Boͤgen eroͤffneten den abgeſonderten, nie-
driger angelegten Theilen des Gebaͤudes, ſo wie den Galle-
rieen, welche in einem zweiten Geſchoſſe des Gebaͤudes dar-
uͤber angebracht waren, die Durchſicht auf den Raum unter
der Kuppel und die rituellen Handlungen, welche darin vor-
genommen wurden.


Ungeachtet dieſer ganz neuen Vertheilung des Raumes,
welche mehr und weniger allen ſpaͤteren Kirchen der griechiſchen
Chriſten zum Vorbilde gedient hat, zeigen ſich in St. Sophia
noch immer viele, noch lange nicht zur Unkenntlichkeit ent-
ſtellte Elemente der aͤlteren roͤmiſchen Baukunſt. Die Kup-
pel unterſcheidet ſich nur durch ein gedruͤckteres Verhaͤltniß,
nur durch ihre Stellung uͤber vier maͤchtigen Pfeilern von den
aͤlteren antiken und chriſtlich-roͤmiſchen. In den Dimenſionen
der Theile zeigt ſich noch immer antike Maͤchtigkeit; denn ein
Theil der aufgewendeten Saͤulenſchafte gehoͤrte zu den groͤ-
ßeſten bekannten. **) Auch in der umſichtvollen Auswahl
III. 13
[194] des Materiales, aus welchem die Kuppel conſtruirt worden,
erkennt man die roͤmiſche, in der Verarbeitung des Backſtei-
nes unerreichte Bauſchule. Auch entſpringt Alles, was in
der Anlage des Ganzen als neu, oder als abweichend vom
Alterthuͤmlichen erſcheint, ganz offenbar aus der Aufgabe, je-
nen aͤußeren Anforderungen zu genuͤgen, welche die Umſtaͤnde
eben damals herbeygefuͤhrt hatten.


Unter veraͤnderten Umſtaͤnden konnten dieſe Anforderun-
gen, welche langezeit in Kraft geblieben, doch nicht mehr ſo
ganz daſſelbe Reſultat herbeyfuͤhren. Schon um Vieles klei-
ner war die Rotunde des Kaiſers Baſilius, im vorgeruͤckten
Mittelalter die einzige, welche, in ſo fern, als ſie den vor-
herrſchenden Theil des Ganzen bildete, der Sophienkirche wohl
noch zu vergleichen ſtand. *) Aus der Beſchreibung des Pho-
tius
wird indeß nicht klar, ob ſie, gleich der Sophienkirche,
Seitengallerieen beſaß; doch erwaͤhnt er der Apſis und der
Vorhalle. Nach dem Reichthum der Incruſtationen und mu-
ſiviſchen Malereyen, war das Ganze mehr auf eine glaͤnzende
Ausbildung verzierender Theile angelegt, als auf Groͤße in
den Dimenſionen.


Ueberhaupt fehlte es dem ſpaͤteren Mittelalter nothwen-
dig ſowohl an der Kunſt, als ſelbſt an den Mitteln, Rotun-
den zu erbauen, welche in der Groͤße der Sophienkirche ver-
gleichbar waͤren. Die Ausdehnung der, als ſymboliſch, er-
forderlichen Rotunda mußte nach Maßgabe der Umſtaͤnde im-
mer mehr ſich verengen, hingegen die fruͤher untergeordneten
Seitentheile anwachſen, bis endlich, was in der Sophienkirche
[195] den eigentlichen Koͤrper, den Haupttheil des Ganzen zu bil-
den ſcheint, zur nothduͤrftigen Bezeichnung und Andeutung
des geheiligten Mittelpunktes eingeſchwunden war.


Von Herrn Profeſſor Huͤbſch zu Frankfurth erhielt ich,
kurz nach Beendigung ſeiner fruchtbaren Reiſe durch Grie-
chenland
, die Seitenanſicht einer Kirche in den Umgebungen
von Athen, mit dem Bedeuten, daß in jenen Gegenden die-
ſelbe Anlage ſich haͤufig wiederhole. In der Mitte des Ge-
baͤudes erhebt ſich eine Kuppel von geringem Durchmeſſer
auf einer Trommel, welche uͤber die Seitentheile anſehnlich
erhoͤht und durch angelehnte, vielleicht antike, Saͤulen geziert
iſt. Kirchen von dieſer Anlage werden, vornehmlich wenn ſie
viele Fragmente antiker Bauwerke enthalten, im Durchſchnitt
einer aͤlteren Epoche des Mittelalters beyzumeſſen ſeyn. *)
Hingegen gehoͤren ſolche, in denen auch die Seitentheile uͤber-
woͤlbt ſind, wahrſcheinlich den ſpaͤteren, ſchon ungleich mehr
barbariſirten Jahrhunderten. Ein Beiſpiel dieſer letzten Art
zu Miſitra. **)


Dieſer Gebrauch des vorgeruͤckten griechiſchen Mittelal-
13 *
[196] ters, die Seitenabtheilungen der Kirchen, gleich der mittlen,
zu uͤberwoͤlben, entſtand nicht aus einer Laune des Geſchmackes,
vielmehr aus dem Beduͤrfniß; denn in vielen Landſchaften des
oͤſtlichen Reiches fehlte es an Hochwald, mußte daher jede
Holzconſtruction koſtbar, oftmals unerreichbar ſeyn. Wir ſe-
hen im Koͤnigreiche Sicilien noch gegenwaͤrtig die Landkirchen,
wie zu Procida, Theil fuͤr Theil uͤberwoͤlben, und bei den
chriſtlichen Nubiern des Mittelalters, *) und in einigen Land-
ſtrichen des Orients, deckten Gewoͤlbe alle, ſelbſt die gemein-
ſten Gebaͤude. In dieſen Gegenden uͤberzog und uͤberzieht
man noch immer die Gewoͤlbe unmittelbar mit Caͤment von
einer oder der anderen Miſchung; allein auch die neueren
Griechen, wenn ich verſchiedene mir vorliegende Zeichnungen
und Andeutungen recht verſtehe, legten ihre Ziegelbedeckung
unmittelbar auf das Gemaͤuer in haltbaren Moͤrtel.


Alſo haͤtten wir vom vierten zum eilften Jahrhundert,
nach oben verſammelten Angaben, in der oſtroͤmiſchen, oder
byzantiniſchen Kirchenbaukunſt drey Epochen zu unterſcheiden:
die eine, von Conſtantin bis auf Juſtinian I., in welcher,
wie ich gezeigt habe, die byzantiniſche Bauart mit ihrem Vor-
bilde, der chriſtlich-roͤmiſchen, noch durchaus uͤbereinſtimmte;
die andere, unter Juſtinian und den zunaͤchſt folgenden Kai-
ſern, welche theils im Techniſchen ſich glaͤnzender entwickelte,
als in Italien nach dem gothiſchen Kriege noch moͤglich war,
theils aber auch den neuen rituellen Anordnungen zu ent-
ſprechen, den bis dahin uͤblichen Grundriß der Kirchen in ei-
nen complicirteren, mehr durchſchnittenen verwandelte; die
[197] dritte, etwa vom 10ten bis zum 12ten Jahrhunderte, welche
zwar, da jene Anordnungen bis in die ſpaͤteſte Zeit in Kraft
geblieben ſind, im Weſentlichen die Eintheilungen und Ab-
ſonderungen des Juſtinianeiſchen Zeitalters beybehielt, doch
in den Dimenſionen, in der Pracht und Soliditat der Aus-
fuͤhrung immer mehr ſich verengen und beſchraͤnken mußte.


Von keinem einzigen, geſchmuͤckteren Gebaͤude des grie-
chiſchen Mittelalters hat die Vorderſeite ſich vollſtaͤndig er-
halten. Nach alten Angaben waren indeß die Saͤulengaͤnge
und anderweitigen Außenwerke der Sophienkirche von ſtattli-
chen Dimenſionen. *) Ueberhaupt werden wir annehmen duͤr-
fen, daß bis auf das zwoͤlfte Jahrhundert zu Conſtantinopel
die urſpruͤngliche Beſtimmung der alten architectoniſchen Ele-
mente und Theile nie ganz in Vergeſſenheit gekommen iſt.
Denn es haben bis dahin viele, ja die meiſten Bauwerke des
vierten bis ſechſten Jahrhunderts, ſich in gutem Stande er-
halten, die Palaͤſte ſogar in bewohnbarem. **) Auch in Ita-
lien
erhielt ſich das Alterthuͤmliche laͤnger, ward ſpaͤter das
ganz Abweichende aus dem Norden eingefuͤhrt, wo die Sel-
tenheit der Vorbilder die Entwickelung des Geiſtes neuer und
willkuͤhrlicher Erfindung beguͤnſtigt hatte.


[198]

Byzantiniſche Architectur,


als neu aufgekommene Benennung irgend einer Bauart des
weſteuropaͤiſchen Mittelalters.


Welche nun von jenen drei Epochen der byzantiniſchen
Kirchenbaukunſt haͤlt man fuͤr das Vorbild irgend einer der
im weſtlichen Europa waͤhrend des Mittelalters gebraͤuchlichen
Bauarten? Ich bezweifle, daß man jemals dieſe Frage ſich
vorgelegt habe; denn es bezeugt die haͤufig wiederholte Be-
hauptung, daß S. Vitale zu Ravenna, S. Marco in Vene-
dig
und andere alte Kirchen der Sophienkirche nachgeahmt
ſeyen, von einer gaͤnzlichen Verworrenheit der Vorſtellungen. *)
Wahrſcheinlich entſtand der Name, byzantiniſcher Styl, wel-
cher in den letzten Zeiten ſo viel Eingang gefunden, eben nur
aus einigen Andeutungen des Vaſari, **) welche weder buch-
ſtaͤblich anzunehmen, noch durchaus zu verwerfen ſind. Ich
habe bereits gezeigt, daß, in Bezug auf die Malerey, ſeine
Kunde vom Einfluß der neueren Griechen im Allgemeinen
[199] richtig war, nur der Beſtimmtheit entbehrte, und verſucht,
die Art dieſer Einwirkung und die Zeit, in welcher ſie ſtatt
gefunden, aus Denkmalen und anderen Urkunden feſtzuſtellen.
Daſſelbe wird auch mit Hinſicht auf die Baukunſt moͤglich,
wenigſtens des Verſuches werth ſeyn. Suchen wir alſo aus-
zumachen, zu welcher Zeit die Italiener gewiſſe, ebenfalls noch
genau zu beſtimmende Eigenthuͤmlichkeiten der neugriechiſchen
Kirchenbaukunſt aufgenommen, oder nachgeahmt haben; fer-
ner, welcher der drey, in vorangehender Unterſuchung unter-
ſchiedenen Epochen eben dieſe von den Italienern etwa nach-
geahmten Eigenthuͤmlichkeiten angehoͤren.


Offenbar kommt die erſte, in welcher die Baukunſt des
oͤſtlichen Reiches jener des weſtlichen in allen Dingen gleich-
ſtand, hier durchaus nicht in Betrachtung. Denn nicht fruͤ-
her, als nachdem die byzantiniſche Architectur einen eigenthuͤm-
lichen Charakter entwickelt, durch groͤßere Pracht vor der gleich-
zeitigen Bauart in den alten Provinzen des weſtlichen Reiches
ſich ausgezeichnet hatte, konnte in dieſen der Wunſch entſte-
hen, ſie nachzuahmen. Geſtatteten aber die Umſtaͤnde den
Italienern, uͤberhaupt dem Occident, das Eigenthuͤmliche, Ab-
weichende, Neue, welches die byzantiniſche Baukunſt unter
Juſtinian und einigen nachfolgenden Kaiſern entwickelt hatte,
je vollſtaͤndig nachzuahmen? Bekanntlich fanden die liturgi-
ſchen Anordnungen Juſtinians nicht einmal zu Rom, nicht
einmal in der Pentapolis Eingang, blieb demnach der com-
plicirtere Grundriß der griechiſchen Kirchen mit dem Ritus
der lateiniſchen ganz unvereinbar. Die groͤßeren Dimenſionen
aber, ſo wie der Glanz und die Pracht in der Ausfuͤhrung,
welche damals die byzantiniſche Kirchenbaukunſt auszeichneten,
uͤberſtieg die Huͤlfsquellen Italiens nach dem gothiſchen Kriege,
[200] nach der [longobardiſchen] Einwanderung, bis auf die carolin-
giſchen, und viel ſpaͤtern Zeiten. Was denn nun haͤtten die
Bewohner Italiens vom ſechſten zum achten Jahrhunderte
aus der Baukunſt des oͤſtlichen Reiches entlehnen ſollen?
Das Techniſche? Keinesweges; denn, wie ich gezeigt habe,
beruhete dieſes in beiden Bauſchulen auf roͤmiſchen Traditio-
nen, iſt kein Grund vorhanden, bey den Italienern der go-
thiſchen und longobardiſchen Zeit eine gaͤnzliche Ausrottung
roͤmiſcher Baukunde anzunehmen, was zwar dem Ghiberti
und Vaſari, doch unſeren Zeitgenoſſen gewiß nicht zu verzeihen
waͤre. Nun gar das Beyſpiel, welches man dafuͤr anfuͤhrt!
Die Kirche S. Vitale zu Ravenna! *) Als wenn es nicht
laͤngſt erwieſen waͤre, daß ſie ein Werk der letzten gothiſchen
Regierung iſt, welches Juſtinian nur muſiviſch ausgeziert, **)
und mit einer Vorhalle verſehen hat.


Die roͤmiſche Bauſchule hatte unter den Gothen keine
[201] weſentliche Unterbrechung erfahren, erhielt ſich ſogar unter den
Longobarden, alſo nothwendig auch zu Rom und vornehmlich
in Ravenna. Nach modernen Erfahrungen erſcheint es frey-
lich, als muͤſſen dieſe Staͤdte unter den Exarchen dem Ein-
fluß griechiſcher Sitten und Anſichten nachgegeben haben. In-
deß war das politiſche Band nicht ſehr feſt angezogen, die
nationale und kirchliche Widerſetzlichkeit der haͤufig ganz ſich
ſelbſt uͤberlaſſenen Provinz die heftigſte. Es zeigt ſich daher
weder bei Agnellus, noch in den ravennatiſchen Denkmalen,
weder bey Anaſtaſius, noch in den roͤmiſchen Kirchen, irgend
eine, ſelbſt nicht die leiſeſte Spur des Beſtrebens, dasjenige,
was in der byzantiniſchen Architectur derſelben wirklich ganz
eigenthuͤmlich war, nach Italien zu verpflanzen. Waͤre dem-
nach S. Vitale, was ſie nicht iſt, eine byzantiniſche Kirche
aus dem Anfange des ſechſten Jahrhunderts, ſo wuͤrde ſie
demungeachtet, als ein ganz vereinzeltes Beiſpiel, nicht wohl
als Zeugniß fuͤr jenen angenommenen allgemeineren Einfluß neu-
griechiſcher auf italieniſche Architecten benutzt werden koͤnnen.


Daß man im Zeitalter Karl des Großen ſein Vorbild
in den Alterthuͤmern der alten Hauptſtaͤdte des Occidents ge-
ſucht, habe ich in einer der vorangehenden Abhandlungen ge-
zeigt; *) daß im neunten und zehnten Jahrhundert, waͤhrend
des tieferen Verfalles der architectoniſchen Technik, in Ita-
lien
der Grundriß der Kirchen uͤberall roͤmiſche Tradition
zeigt, der techniſche Verfall aber den Schluß auf irgend ein
aͤſthetiſches Vorbild ganz ausſchließt, habe ich bereits ver-
ſchiedentlich in Erinnerung gebracht. Alſo kann uͤberhaupt
jener Einfluß byzantiſcher Vorbilder, oder herbeygerufener neu-
[202] griechiſcher Baukundigen, von welchem Vaſari unbeſtimmte
Geruͤchte vernommen hatte, erſt ſeit dem eilften Jahrhunderte
Statt gefunden haben. In der That betrifft die Notiz, welche
er mittheilt, nur eben dieſen Zeitpunkt, iſt, was er daran reiht,
offenbar nichts anderes als eine ſchnell in ihm aufſteigende
Conjectur, welche er, nach ſeiner Manier, mit dem Sicheren,
oder doch Wahrſcheinlichen verknuͤpft, als wenn dieſes gleich
wohl begruͤndet waͤre.


Griechiſchen Urſprung giebt Vaſari in der Strenge nur
zween, gleich wichtigen, doch ſehr verſchiedenen Gebaͤuden:
dem Dome zu Piſa und der Marcuskirche zu Venedig. Die
allgemeinen, die beſondern Gruͤnde fuͤr die griechiſche Abkunft
dieſer beiden Kirchen ſind ſo verſchieden, als ihre Anlage,
wir werden daher die Unterſuchung trennen muͤſſen.


Wer den Dom zu Piſa, oder auch nur deſſen zahlreiche
Abbildungen in Kupferwerken mit Aufmerkſamkeit ſich ange-
ſehen, wird erkannt haben, daß er nach dem Plane der Ba-
ſiliken erbaut ſey, welcher bekanntlich ſeit dem vierten Jahr-
hunderte bey den Italienern ſtets ſich in Gunſt erhalten hat.
Abweichend erſcheint darin allein jene uͤber der Durchſchnei-
dung der Schiffe angebrachte Kuppel, welche allerdings dem
piſaniſchen Dome, wie ſo viel anderen Kirchen des eilften und
folgenden Jahrhunderts, bey erſtem Blicke eine gewiſſe Aehn-
lichkeit mit dem aͤußeren Anſehn byzantiniſcher des vorgeruͤck-
ten Mittelalters zu geben ſcheint. Ein fruͤhes Beyſpiel die-
ſer Anlage gewaͤhrt die Kirche S. Nazario e Celſo zu Ra-
venna
, welche Galla Placidia erbaut haben ſoll. *) Es iſt
daher denkbar, daß ſie aus localen, aus italieniſchen Tradi-
[203] tionen, bey ſteigenden Huͤlfsmitteln aller Art, nur ſich ver-
juͤngt habe, alſo keinem fremden Vorbilde nachgeahmt ſey.
Auf der anderen Seite iſt es jedoch gleich wahrſcheinlich,
daß, bey großer Lebhaftigkeit des levantiſchen Handels, der
Kreuzzuͤge nicht zu gedenken, den weſtlichen Europaͤern in vie-
len neugriechiſchen Kirchen die hervorragende Kuppel, oder
das Sinnbildliche ihrer Stellung uͤber dem Hauptaltare, ge-
fallen und ſie zur Nachahmung gereizt habe.


Indeß verſichert uns Vaſari, *) der Dom zu Piſa ſey
nach den Entwuͤrfen eines Griechen aus Dulicchio gebaut
worden.


An der Vorſeite des Domes zu Piſa befindet ſich zur
Linken der Hauptthuͤre eine Denkſchrift in eigener Einfaſſung
und in kleineren Buchſtaben, welche das mechaniſche, ſey es
Genie, oder Wiſſen eines ſonſt ganz unbekannten Buſketus
anpreiſet. Es wird darin geruͤhmt, daß er Saͤulen von gro-
ßer Schwere durch mechaniſche Kraͤfte mit Leichtigkeit be-
wegt und an ihre Stelle verſetzt habe. Im Fortgang aber
wird auch eine Kriegesthat angefuͤhrt, ſonſt weder das Va-
terland, noch genau das Zeitalter. **) Denn es entſpringt
die Behauptung, daß Buſketus, oder, wie Vaſari den Na-
men ſchreibt, Buſchetto, ein Grieche ſey, aus dem Mißver-
ſtaͤndniß der Vergleichung des Kuͤnſtlers mit dem Ulyſſes zu
[204] Anfang der Denkſchrift. *) Das Zeitalter aber iſt in Er-
mangelung des Jahres nur annaͤherungsweiſe in das eilfte,
oder zwoͤlfte Jahrhundert zu verſetzen. Endlich iſt ſelbſt je-
nes: splendida templa,**) nicht wohl auf den Dom zu be-
ziehen; denn man pflegte das Anbenken der Baukuͤnſtler an
den Gebaͤuden, welche ſie errichtet hatten, mit den Worten:
hoc opus, zu eroͤffnen und in groͤßeren Buchſtaben, an her-
vorſpringenden Stellen, meiſt im Frieſe der unteren Saͤulen-
ſtellung, mit einigem Anſpruch anzubringen. So zeigt ſich
denn auch an der Vorſeite des Domes zu Piſa der eigent-
liche Werk- und Baumeiſter wenigſtens der ſtattlichen Vor-
ſeite, vielleicht auch anderer Theile des Gebaͤudes, in der In-
[205] ſchrift des Frieſes uͤber der unteren Bogenſtellung. *)Va-
ſari
ſcheint ſie ganz uͤberſehen zu haben, was verzeihlicher iſt,
als ſie wiſſentlich an die Seite zu ſtellen, wie Morrona ge-
than, weil er das Gegentheil deſſen, was ſie uns ſagt, fuͤr
begruͤndeter hielt. **) Ich habe bereits gezeigt, daß bei den
langſam vorruͤckenden Bauwerken des Mittelalters viele Bau-
meiſter, bald gemeinſchaftlich, bald abwechſelnd, angeſtellt wur-
den. Alſo haͤtte er, ohne den Buſtetus ganz aufzugeben, doch
immer dem Rainaldus einraͤumen koͤnnen, worauf jene In-
ſchrift ihm Anſpruch giebt.


Allein, auch wenn des Buſchetto griechiſche Abkunft,
wenn auch ſeine Theilnahme am piſaniſchen Dombau beſſer
bewieſen waͤre, als bisher geſchehen iſt, ſo waͤre dieſes Dat
doch nicht von dem Belang, welchen Vaſari und manche
Neuere ihm beyzulegen ſcheinen. Denn es iſt der piſaniſche
Dom, obwohl ein großer und prachtvoller, der Kraft des
aufbluͤhenden Gemeinweſens angemeſſener Bau, doch keines-
weges, wie haͤufig angenommen wird, das erſte Symptom
wiederaufſtrebender Kunſt, das erſte Beyſpiel einer ſchon etwas
geregelten Bauart, vielmehr die bloße Nachbluͤthe zweyer Bau-
ſchulen, welche ſeit dem Jahre 1000 in Toscana bereits ſehr
viel erreicht hatten. Der Mittelpunkt der erſten war Flo-
[206]renz; dieſe Schule beſtrebte ſymmetriſche Anlage und zierliche
Ausbildung meiſt flach gehaltener Verzierungen. Der Mittel-
punkt der andern war Lucca, in der Folge Piſa; bei gerin-
gerer Ausbildung des Einzelnen zeigte dieſe in den Entwuͤr-
fen mehr Großartigkeit, als jene erſte.


Sichere Beyſpiele der florentiniſchen Bauart des eilften
Jahrhunderts ſind, zunaͤchſt die mehrgedachte Vorſeite der
Kirche S. Miniato a Monte, ferner die Vorſeite der Haupt-
kirche von Empoli, *) welche zwar in den Verhaͤltniſſen jener
erſten nachſteht, doch in der Bildnerarbeit von Fortſchritten
zeugt. Da man ſchon ſeit dem zwoͤlften Jahrhundert in dem
Bezirke von Florenz von dieſer Richtung abgewichen iſt, ſo
laͤßt ſich annehmen, daß die analogen Bekleidungen der Kir-
chen, S. Giovanni, und S. Salvatore zu Florenz, wie der
alten Abtey auf dem Wege nach Fieſole, jenen beurkundeten
Werken gleichzeitig ſind; nach alten Abbildungen gilt daſſelbe
von der laͤngſt abgetragenen Kirche S. Reparata, dem zwey-
ten florentiniſchen Dome. Die Baukuͤnſtler des funfzehnten
Jahrhunderts, beſonders Leon Baptiſt Alberti, verdanken die-
ſer fruͤhen Entwickelung der florentiniſchen Architectur manche
ſehr entſcheidende Anregung.


Beyſpiele der gleichzeitigen Entwickelung einer luccheſi-
ſchen Schule gewaͤhren in dieſer Stadt die Kirchen S. Mi-
chele, S. Frediano, S. Maria bianca, ſaͤmmtlich Baſiliken
[207] von großer Reinheit des Entwurfes, welche im Innern voll
antiker Saͤulenſchaͤfte und Kapitaͤle, außerhalb aber ſehr ge-
nau und ſorgſam in weißem Marmor bekleidet ſind. Die
Pilaſter an den Seitenwaͤnden der Kirche S. Michele ſchei-
nen etwas der doriſchen Ordnung Verwandtes zu bezielen.
Unter den piſaniſchen Denkmalen ſchließt ſich die Kirche S.
Paul in ripa d’Arno den luccheſiſchen naͤher an, als der
Dom, deſſen Gruͤndung allerdings ſchon in eine etwas ſpaͤ-
tere Zeit faͤllt, deſſen Beendigung bis in das zwoͤlfte Jahr-
hundert ſich verzieht, in welchem fremde, nordiſche, Manieren
auch in Italien ſich einzudraͤngen begonnen haben. *)


Unſtreitig befoͤrderte die Naͤhe der Marmorbruͤche von
Carrara dieſe, bisher unbeachtet gelaſſene, fruͤhe Entwickelung
der toscaniſchen Bauſchulen. Ich hoffe zu erleben, daß man,
die obigen Andeutungen beachtend, die Geſchichte der neueren
Architectur kuͤnftig nicht mehr mit dem verhaͤltnißmaͤßig neue-
ren, regelloſeren Dome von Piſa eroͤffne, wie noch Quatre-
mere
gethan. Unter allen Umſtaͤnden werde ich nunmehr,
ohne Anſtoß zu geben, laͤugnen duͤrfen, daß der Dom zu
Piſa, als eine reine Baſilika, ohne die drey unumgaͤnglichen
Abtheilungen, ohne die uͤbrigen Sonderungen, welche der grie-
chiſche Cultus erfordert, jemals fuͤr eine Nachahmung byzan-
tiniſcher Kirchen gelten koͤnne, wenn nicht etwa in der Kup-
pel uͤber der Durchſchneidung der Schiffe, deren byzantiniſcher
Urſprung uͤbrigens noch immer nicht in dem Maße ausge-
macht iſt, als bey der anomalen Dachconſtruction der Kirche
des heil. Marcus zu Venedig.


[208]

Auch dieſes Gebaͤude iſt, dem Grundriß nach, eine Ba-
ſilika. Der lateiniſche Ritus geſtattete ſo wenig zu Venedig,
als irgendwo im Occident, griechiſche Kirchen im Weſent-
lichen
nachzuahmen. Die Unterbrechung der Saͤulenreihen
durch breite Mauermaſſen entſtand ſelbſt hier nicht etwa aus
der Abſicht, vorſchriftmaͤßige Abtheilungen und Sonderungen
hervorzubringen, welche der lateiniſchen Kirche ſtets fremd ge-
blieben ſind, ſondern aus der Nothwendigkeit, der nun ein-
mal beliebten, ſchwerfaͤlligen und complicirten Conſtruction
des Daches Stuͤtzen und Widerlagen zu geben. Neugriechiſch,
oder byzantiniſch, bleibt denn am Ende eben nur das bezeich-
nete, aus vielen faſt gleich hohen Kuppeln zuſammengeſtellte
Dach. Im Inneren der Kirche erſcheinen dieſe Kuppeln flach
und gedruͤckt. Die Conſtruction der hohen Verdachungskuppeln
der Marcuskirche iſt uͤberhaupt wohl neuer, als der Bau der
Kirche, vielleicht dem gegenwaͤrtigen Schmuck der Vorſeite
gleichzeitig, und nur in der Abſicht, eine gewiſſe Wirkung her-
vorzubringen, moͤchte der Grund ihrer ganz unnoͤthigen Er-
hoͤhung aufzuſuchen ſeyn. Nachahmung fand bekanntlich dieſe
Art der Dachconſtruction nur in dem nahen Padua, auch
hier allein in der Kirche des heil. Anton. Das Widerſin-
nige und Verſchwenderiſche einer gedoppelten, unnoͤthig com-
plicirten Dachconſtruction mußte ſich dem Verſtande aufdraͤn-
gen; die Wirkung mochte der Erwartung nicht entſprochen
haben. In wiefern uͤbrigens neugriechiſche, oder heimiſche
Architecten an dem Entwurfe und an der Leitung des Baues
mehr Theil genommen, duͤrfte nicht durchhin mit diplomati-
ſcher Sicherheit auszumachen ſeyn. Die muſiviſchen Male-
reyen der Kirche ſind gewiß, doch ziemlich ſpaͤt, byzantiniſch;
die aͤlteren, ſchoͤneren, ganz antiken der Halle, welche die
Kirche
[209] Kirche von drey Seiten umgiebt, moͤgen, wie ich fruͤher ver-
muthet, ravennatiſche, koͤnnen aber eben ſowohl neugriechiſche
Arbeiten aus einer aͤlteren, beſſeren Zeit ſeyn. Die fruͤher
aus dem Gedaͤchtniß gemachte Bemerkung, daß die alt-teſta-
mentlichen Darſtellungen dieſer Halle auf weißem Grunde
ſtehen, gilt nur von einigen, die uͤbrigen haben einen blaſ-
ſen Goldgrund. Uebrigens gilt von denſelben Alles, was
ich bereits bemerkt habe.


Jene allgemeinen, durchaus nicht eroͤrterten Andeutun-
gen des Vaſari, dieſes letzte nach Art der ſpaͤteren Byzan-
tiner angelegte Dach der Marcuskirche, endlich die Kuppeln
uͤber den Durchſchneidungen der Schiffe uͤbrigens ganz roͤ-
miſch angelegter Baſiliken; da haͤtten wir, was die Ent-
ſtehung der Meinung erklaͤrt, daß die Bauart, welche man
waͤhrend des eilften und zwoͤlften Jahrhundert im weſtlichen
Europa befolgte, im oͤſtlichen Reiche ihren Urſprung genom-
men habe. Wir haben uns erinnert, daß in Italien, wie
uͤberhaupt in den Laͤndern, welche in kirchlichen Dingen ſich
zu Rom hielten, die Baukunſt nie aufhoͤrte nach roͤmiſchen
Erfahrungen und Grundſaͤtzen ausgeuͤbt zu werden; ferner,
daß in der Anlage der byzantiniſchen Tempel Vieles mit den
Gebraͤuchen der lateiniſchen Kirche ganz unvertraͤglich war.
Man konnte demnach in Italien zu keiner Zeit die byzanti-
niſchen Kirchen in allen Theilen, vielmehr nur unter Ein-
ſchraͤnkungen und mit Abaͤnderungen nachgebildet haben. Al-
lein ſelbſt dieſe bedingte Nachahmung neugriechiſcher Bau-
werke beſchraͤnkte ſich auf wenige geographiſche Puncte, ward
nicht einmal an dieſen jemals ganz allgemein. Denn ſogar
in Venedig, wo die Richtung des Handels und die lange
Schutzverwandtſchaft zum oͤſtlichen Reiche zu der Vermuthung
III. 14
[210] berechtigt, daß man dort den byzantiniſchen Geſchmack in Al-
lem befolgt habe, zeigt ſich doch nichts der Marcuskirche
wenn auch nur entfernt Vergleichbares. Im Gegentheil leh-
ren das Baptiſterium und die Baſiliken zu Torcello und Grado,
daß man auch in den venetiſchen Inſeln dem chriſtlich-roͤmi-
ſchen Herkommen im Ganzen treu geblieben war, daß alſo
jenes byzantiniſche Dach der Marcuskirche ſogar an dieſer
Stelle nur eine Ausnahme bildet.


Die Aufnahme einzelner und ſehr untergeordneter Eigen-
thuͤmlichkeiten der ſpaͤteren byzantiniſchen Bauart duͤrfte uns
aber, auch wenn ſie verbreiteter geweſen waͤre, als es ſich
zeigt, doch nicht gaͤnzlich berechtigen, die Bauart, in welcher
ein ſolcher Anflug ſich zeigt, die byzantiniſche zu nennen. Als
eine willkuͤhrliche, folgenloſe Benennung moͤchte ſie zu dulden
ſeyn. Doch geben ſolche grundloſe Kunſtworte haͤufig die
Veranlaſſung zu falſchen Schluͤſſen und Meinungen, welche,
wenn ſie einmal den Charakter des Vorurtheils angenommen
haben, der Wahrheit im Lichte ſtehen und ſelbſt uͤber das
Handgreiflichſte verblenden. Hat man doch vor noch nicht
langer Zeit den Urſprung der ſogenannten gothiſchen Archi-
tectur bey den Gothen geſucht. *) So kann es denn nicht
befremden, wenn Andere den Urſprung der Bauart, welche
man in unſeren Tagen willkuͤhrlich die byzantiniſche nennt, im
oͤſtlichen Reiche und beſonders in Conſtantinopel aufſuchen.


Solche Bemuͤhungen begleiten haͤufig die wunderbarſten
Selbſttaͤuſchungen. Man findet, behauptet, oder wiederholt
uͤberall: S. Vitale zu Ravenna, S. Marco zu Venedig ſeyen
[211] Nachbildungen der Sophienkirche zu Conſtantinopel. *) S. Vi-
tale aber iſt ein Rundbau, den minder erhoͤhete Theile peri-
pheriſch umgeben; S. Marco hingegen ein Viereck im Plane
der Baſiliken, deſſen eigenthuͤmliche Dachconſtruction auf den
Grundriß wenig Einfluß hat. Wie nun konnten Kirchen,
welche in ihren Grundformen durchaus verſchieden ſind, dem-
ſelben Vorbilde nachgeahmt ſeyn? Allein auch einzeln ge-
nommen iſt keine von beiden der Sophienkirche vergleichbar.
Dieſe iſt eine maͤchtige Rotunda von weitem Durchmeſſer,
uͤber vier unermeßlichen Pfeilern aufgerichtet, welche engere,
niedrigere, rechtwinklige und von einander abgeſonderte Sei-
tentheile umgeben; S. Vitale hingegen iſt die Fortbildung
eines Motivs, welches zu Rom (S. Stephano) und zu Ra-
venna
der chriſtlich-roͤmiſchen Baukunſt laͤngſt gelaͤufig war;
S. Marco endlich dem Grundriß nach eine altherkoͤmmliche
Baſilika; beide weit abweichend von der Grundform, von der
Complication der Theile, welche die Sophienkirche nicht al-
lein von jenen, ſondern uͤberhaupt von allen lateiniſchen Kir-
chen unterſcheidet.


Daſſelbe Vorurtheil verblendet einen neueren Schriftſtel-
14 *
[212] ler ſo weit, daß er an der Vorſeite der venezianiſchen Mar-
cuskirche eine bildneriſch halberhobene Nachbildung der vorma-
ligen Außenhallen der Sophienkirche wahrzunehmen glaubt. *)
Dieſer Theil des Gebaͤudes kam ſehr ſpaͤt zu Ende, als im
weſtlichen Europa laͤngſt ſchon die Neigung verſchwunden war,
in irgend einer Beziehung neugriechiſche Vorbilder nachzuah-
men, als ganz im Gegentheil weſteuropaͤiſche Bauweiſen im
Orient ſich ausbreiteten. **) Die Vorſeite der Marcuskirche
enthaͤlt daher Spuren des ſogenannten gothiſchen Geſchmackes,
welcher in Italien vielfaͤltigen Umgeſtaltungen ſich unterwer-
fen muͤſſen. Ueberhaupt iſt es unnoͤthig, die Verdoppelun-
gen und Verkruͤppelungen des alten Saͤulenſyſtemes, welche
dem zwoͤlften Jahrhundert eigenthuͤmlich ſind, aus byzanti-
niſchen Vorbildern abzuleiten. Sie entwickelten ſich allge-
mach aus der Aufgabe, die Truͤmmer alter Pracht, unter
welchen die erhaltenen Saͤulenſchaͤfte und vollſtaͤndigen Werk-
ſtuͤcke mit der Zeit ſeltener wurden, in irgend ein Syſtem der
Verzierung zu verflechten.


Saͤulen und Bogenſtellungen wurden ſeit alter Zeit vor
den Baſiliken angebracht, der Pracht, der Bequemlichkeit, der
Umgaͤnge willen. Als Vorhof, hat eine Saͤulenſtellung vor
der alten Baſilika S. Clemente ſich vollſtaͤndig erhalten. Vor
S. Giovanni e Paolo, vor S. Lorenzo derſelben Stadt wur-
den um das Jahr 1200 die Vorhallen mehr wiederhergeſtellt,
[213] als neu aufgerichtet. Spuren der Fortdauer dieſes Gebrau-
ches finden ſich hie und da aus dunkleren Epochen des Mit-
telalters; ſo zu Florenz vor S. Jacopo jenſeit des Arno.
Dieſe letzten haben gewoͤhnlich eine geringe Tiefe. Allgemach
ſchmolzen ſie zur bloßen Zierde ein, als eingemauerte Saͤu-
len, welche in der toscaniſchen Baukunſt des eilften Jahr-
hunderts uͤberall die Vorſeiten der Kirchen bis auf die Hoͤhe
der Seitenſchiffe einnehmen. Es galt den hoͤher, bis zum
Giebel hinaufgelegenen Raum entſprechend zu verzieren. Im
Bezirke von Florenz ſetzte man uͤber die Saͤulen Pilaſter, de-
ren Gebaͤlke das Giebelfeld horizontal begrenzt und hiedurch
dem Frontiſpiz der antiken Baukunſt ſich anzunaͤhern ſucht.
An anderen Stellen fuͤllte man den Raum durch eine Reihe
abſtehender Saͤulen, deren mittle die Hoͤhe des Giebels er-
reichen, die uͤbrigen, der Senkung des Daches folgend, ſich
allgemach verkleinern. Beyſpiele dieſer Art gewaͤhren der Dom
zu Fuligno, die Vorſeite der Hauptkirche von Carrara. *)
Dieſe engen Hallen waren noch zugaͤnglich, mochten die Be-
ſtimmung haben, Reliquien vorzuzeigen, Seegnungen zu er-
theilen. Im zwoͤlften Jahrhundert ſchwanden ſie aber zu ei-
ner Art Columbarium ein. Denn es giebt, beſonders zu Piſa,
Beyſpiele vier- bis ſechsfacher Reihen kleiner Zwergſaͤulen,
welche von der Hoͤhe der Seitenſchiffe bis zum Giebel ihrer
Vorſeiten hinaufreichen. Dieſe Laune aus byzantiniſchen Vor-
bildern abzuleiten, fehlt es an hiſtoriſchen Gruͤnden.


Auf aͤhnliche Weiſe zeigt ſich das Vorbild der, aus der
Ferne, ſehr artig laſſenden Zwergſaͤulengaͤnge an den Außen-
ſeiten der halbrunden Niſche zu Ende damaliger Kirchen in
[214] dem ſtattlichen Saͤulenhalbkreis an der Ruͤckſeite der ſchoͤnen
Kirche S. Frediano zu Lucca. Man mag dieſe luftigen Saͤu-
lengaͤnge auch zur Vertheidigung und zur Luſt genutzt haben;
denn ſicher hatte die halboffene, raͤumige, auf eckige, ſchmuck-
loſe Pilaſter geſtuͤtzte Halle unter dem Giebel der Kirche S.
Saba, in den veroͤdeten Theilen Roms, nie den Zweck, die
Vorſeite zu verſchoͤnern, vielmehr einen practiſchen. Andere
Seltſamkeiten und Abweichungen von bis dahin feſtgehaltenen
Ueberlieferungen aus dem chriſtlichen Alterthume erklaͤren ſich
bequemer und ſicherer aus den frey productiven Beſtrebungen
der tramontanen, beſonders der deutſchen Steinmetzen und
Baukuͤnſtler, welche, unabhaͤngig vom taͤglichen Eindrucke der
antiken Denkmale, ſchon auf eine ganz neue Bauart abzielten.
Erweislich haben dieſe noͤrdlicheren Kunſtrichtungen ſchon ſeit
dem Jahre 1100 auf Italien Einfluß gewonnen.


In Anſehung ihrer groͤßeren Beharrlichkeit beym Alten
erhielt ſich bey den Byzantinern ſicher, bis zur fraͤnkiſch-ve-
nezianiſchen Eroberung, die Bauverzierung ungleich mehr in
den hergebrachten Formen der chriſtlich-roͤmiſchen Bauſchule.
Dieſe war ſchon im vierten Jahrhunderte vom Alterthume in
vielen Dingen abgewichen. Am Palaſt Diocletians zu Spa-
latro
zeigen ſich Saͤulen uͤber Conſolen, was indeß nach ei-
nem wohlgearbeiteten Fragment im vaticaniſchen Muſeo ſchon
ungleich fruͤher gebraͤuchlich geweſen. Die Bildnerarbeit zu
umgehen (deren Schule ſchon im vierten Jahrhundert und
tiefer geſunken war, als jemals die Malerey), ſchloß man in
ſehr fruͤher Zeit die Fenſteroͤffnungen durch Bogenconſtructio-
nen verſchiedener Art, beſchraͤnkte ſich aber zuletzt auf den
Halbkreis, unter welchem man zeitig kleinere Saͤulen anbrachte,
ſowohl die Fuͤllungsmauer zu unterſtuͤtzen, als auch die Laͤ-
[215] den, oder Fenſter daran zu befeſtigen. Dieſe und aͤhnliche
Formen der chriſtlich-roͤmiſchen Architectur erhielten ſich bey
den modernen Griechen, ſo weit meine Kunde reicht, um ein
Jahrhundert laͤnger, als bey den Italienern; was die Ver-
muthung ausſchließt, daß die Seltſamkeiten der italieniſchen
Gebaͤude des zwoͤlften Jahrhunderts auf irgend eine Weiſe
neugriechiſchen Vorbildern nachgeahmt ſeyn. Liegt nun ohne-
hin deren Urſprung in den meiſten Faͤllen klar zu Tage, ſo
ſehe ich nicht, weßhalb man ſich bemuͤht, ſie auf der Grund-
lage bloßer Vermuthungen aus einer weiten und bisher nicht
umſtaͤndlich bekannten Entfernung abzuleiten.


Die hiſtoriſche Redlichkeit erfordert, hier den Umſtand
nicht zu uͤbergehen, daß in den Umraͤnderungen der griechi-
ſchen Miniaturen und Emailarbeiten nicht ſelten einige Hin-
neigung zu jener dem Orient eigenthuͤmlichen Flaͤchenverzie-
rung ſich verraͤth. Die Morgenlaͤnder werden bis auf den
heutigen Tag in der Kunſt, durch wechſelnde Farben die Flaͤche,
ohne ſie aufzuheben, zierlich zu unterbrechen, als Muſter an-
geſehn und in Teppichen, Zeugen, eingelegten Arbeiten, nach-
geahmt. Indeß kann dieſe Manier, ihrem Princip nach, durch-
aus nicht in die koͤrperliche, runde Darſtellung uͤbergehn, wird
daher auf die eigentliche Bauverzierung zu keiner Zeit einge-
wirkt haben, wovon zudem kein Beyſpiel bekannt iſt.


Wie bedingt an ſich ſelbſt, wie beſchraͤnkt auf einzelne
geographiſche Puncte der Einfluß der byzantiniſchen Architec-
tur auf die italieniſche geweſen ſey, erhellt auch daraus, daß
jene allgemein verbreitete, ernſtliche Nachahmung neugriechiſcher
Typen und Manieren der Malerey nicht fruͤher eingetreten iſt,
als im Verlaufe des dreyzehnten Jahrhunderts. Waͤre ſchon
im eilften Jahrhundert, als der Zeit, in welcher ein, freylich
[216] ſehr bedingter Einfluß byzantiniſcher Vorbilder auf die Archi-
tectur der Italiener einigermaßen erweislich iſt, die Hinge-
bung ganz allgemein und ganz unbedingt geweſen, ſo wuͤrde
ſie nothwendig auch die Malerey mit fortgeriſſen haben; um
ſo mehr, da in der Sculptur des eilften Jahrhunderts ver-
einzelte Zeugniſſe griechiſcher Schule vorkommen. *)


Uebrigens wird es nicht befremden koͤnnen, daß eben in
der Epoche der meiſt verbreiteten, lebhafteſten Nachahmung
der neugriechiſchen Malerey (wie ich im erſten Theile gezeigt
habe, das dreyzehnte Jahrhundert) die Bauart der neueren
Griechen durchaus nicht mehr beruͤckſichtigt wurde. Denn
eben damals war die Baukunſt der weſtlichen Europaͤer be-
reits in jener ſelbſtſtaͤndigen Entwickelung begriffen, welche
ich den germaniſchen Styl nenne. Weit entfernt, denſelben im
Orient aufzugeben, haben die weſtlichen Europaͤer ihn viel-
mehr dahin verbreitet, wie in Syrien und in Cyprus ver-
ſchiedene Beyſpiele noch immer bezeugen. **)


[217]

Arabiſche Bauart.


Bei Hirten und herumſtreifenden Raͤubern ſucht Niemand
ſo leicht eine eigenthuͤmliche Bauart; allein auch in den be-
gluͤckteren Gegenden Arabiens ſcheint es an Denkmalen einer
dauerhaften und zierlichen Baukunſt zu fehlen. *) Hingegen
fanden die Araber in Perſien große Pracht, welche der inne-
ren Einrichtung der Wohnungen, in den ſuͤdweſtlichen Pro-
vinzen des byzantiniſchen Reiches, ſelbſt in Spanien, Bau-
werke, welche ihren Moſcheen zum Vorbilde dienen konnten.
Es iſt gegenwaͤrtig nicht laͤnger dem Zweifel unterworfen,
daß ſie, gleich den germaniſchen Einwanderern, wenigſtens in
Aegypten und Spanien, die vorgefundenen Schultraditionen
ſogleich benutzt und ihrem Beduͤrfniß angepaßt haben. Denn
nicht bloß in der Conſtruction, nein ſelbſt in der Verzierung
verrathen ihre aͤlteſten Denkmale ſehr haͤufig den chriſtlich-
roͤmiſchen (den byzantiniſchen oder germaniſchen) Urſprung. **)


Indeß brachten die Erforderniſſe ihrer Gebraͤuche und
Sitten nothwendig in den Grundriß neuangelegter Gebaͤude
eigenthuͤmliche, vom chriſtlichen und roͤmiſchen Herkommen
abweichende Formen. Geſchmack fanden ſie in der Conſtruc-
[218] tion an der Art Boͤgen, welche man den Hufeiſen vergleicht,
nach ihnen benennt. Ich befuͤrchte, daß ſie nicht eigentlich
der Conſtruction angehoͤren, ſondern bloß durch verzierende
Ausladungen, denen haͤufig ein Saͤulchen zur Stuͤtze dient,
hervorgebracht wurden. Eigenthuͤmlich ſind ihnen ferner in
der Verzierung die flachgehaltenen, meiſt wohl ſymboliſchen
Pflanzengebilde, nach welchen man ſpaͤter jede leichtere Flaͤ-
chenverzierung, Arabeske, benannt hat; ferner die haͤufigen
Schriftſtellen und Denkſpruͤche, welche ſie mit jenen zu ver-
weben liebten. Auch ſcheint es, daß unter den Khalifen die
Wohngebaͤude der Araber an Zierde und Bequemlichkeit Al-
les uͤbertroffen haben, was, bey aſcetiſcher Richtung, damals
bey chriſtlichen Voͤlkern gewoͤhnlich war. Die mehr novel-
lenartigen Erzaͤhlungen in den arabiſchen Maͤhrchenſammlun-
gen erwecken von dem Gemach und Reiz ſolcher Wohnungen
den guͤnſtigſten Begriff; auch fand der griechiſche Kaiſer Theo-
philus
daran ſo viel Gefallen, daß er in der Naͤhe von Con-
ſtantinopel
ein Luſtſchloß nach arabiſchem Geſchmacke einrich-
ten ließ. *) Da unſtreitig der Islam dem ſinnlichen Lebens-
genuſſe einen weiteren Spielraum gewaͤhrte, als das Chriſten-
thum; da ferner aͤſthetiſche Curioſitaͤt und Grillenhaftigkeit je-
nem Zeitalter noch fern lag; ſo entſtand dieſe Nachbildung
arabiſcher Wohngebaͤude wohl nur aus dem Geſchmacke des
Kaiſers an deren erprobter Behaglichkeit.


In den Zierden der arabiſchen Baukunſt aͤlterer Zeit liegt
ſo viel mit den Anſichten der chriſtlichen Voͤlker Unvereinba-
res, daß ein Beyſpiel, wie das angefuͤhrte, wohl ohne Nach-
[219] folge bleiben mußte; eine bedingtere Nachahmung zeigt ſich
indeß an mehr als einer Stelle; zu Monreale in Sicilien; *)
ſogar, außerhalb Spoleto an dem Wege nach Rom, an der
Vorſeite der Kirche S. Pietro, deren arabiſche Einzelnheiten
eine beſondere Veranlaſſung haben muͤſſen, welche ich nicht
anzugeben weiß. Indeß berechtigen ſolche Anomalien auf
keine Weiſe zu der Behauptung, welche einige Geſchichtſchrei-
ber der Kuͤnſte aufgeſtellt haben: daß in die Bauart, welche
ich die germaniſche nenne, arabiſche Elemente eingefloſſen ſeyen,
was auf keine Weiſe einzuraͤumen iſt.


In den Bauwerken des eilften und folgenden Jahrhun-
derts finden ſich allerdings nicht ſelten Verzierungen, welche
als bloße Aggregate antiker und moderner, fremder und hei-
miſcher Formen erſcheinen, denen der organiſche Zuſammen-
hang ganz fehlt. Die germaniſche Bauart aber entwickelte
ſich organiſch, bildete, was in ihr bloß verzierend iſt, ſyſte-
matiſch aus ihren Grundformen hervor, was ſelbſt ihre Geg-
ner nicht in Abrede ſtellen. Eine Bauart von entſchiedener
Eigenthuͤmlichkeit wird uͤberhaupt nie aus einer mechaniſchen
Miſchung ungleichartiger, am wenigſten aus einer Miſchung
bloß verzierender Theile entſtehen koͤnnen. Wie daher jene
Behauptung ſchon dem allgemeinen Gedanken nach ganz falſch
iſt, ſo beruht ſie hiſtoriſch auf einer groͤblichen Fluͤchtigkeit,
aus einem nachlaͤſſigen Blaͤttern in den zahlreichen Bilderwer-
ken, welche zu Ende des vorigen, zu Anfang des jetzigen Jahr-
hunderts ſo viel Licht verbreitet, ſo viele Data einander angenaͤ-
hert, doch auch ein leeres hiſtoriſch-aͤſthetiſches Geſchwaͤtz nur zu
[220] ſehr befoͤrdert und erleichtert haben. Denn ſie beruht dar-
auf, daß man viele Grundzuͤge und Verzierungen der germa-
niſchen Bauart in den arabiſchen Denkmalen Spaniens und
anderer mohammedaniſcher Laͤnder wahrgenommen, ohne die
Zeit zu beruͤckſichtigen, in welcher dieſe Werke entſtanden
ſind. *) Haͤtte man die Zeitfolge beachtet, ſo wuͤrde es ſich
gezeigt haben, daß die Entſtehung und allmaͤhlige Entwicke-
lung der germaniſchen Architectur in den Gebieten der großen
deutſchen Stroͤme und in den naͤchſtangrenzenden Laͤndern um
mehr als ein Jahrhundert aͤlter iſt, als jene zum Germani-
ſchen ſich hinneigenden Gebaͤude der Araber und anderer Voͤl-
ker des Orients. **)


[221]

Vorgermaniſche und Germaniſche Bauart.
1100 bis 1450
.


In der herrſchenden Bauart des zwoͤlften Jahrhunderts
hatten wir nur etwa die Kuppeln uͤber der Durchkreuzung
der Schiffe aus byzantiniſchen Vorbildern ableiten koͤnnen,
darin keinen ausreichenden Grund gefunden, die neu aufge-
kommene Benennung, byzantiniſche Architectur, welche falſchen
Deutungen unterliegt, anzuerkennen. Treffender und minder
bedenklich iſt ohne Zweifel der fruͤher uͤbliche Name, vorgo-
thiſche Bauart, inſofern er naͤmlich das Weſen derſelben, wel-
ches in der Tendenz beſteht, aus der um wenig ſpaͤter die ſo-
genannte gothiſche Architectur ganz ausgebildet hervorgegan-
gen iſt, ganz richtig bezeichnet. Nach dem oben gemachten
Vorſchlage, die in der ganzen Chriſtenheit vom Jahr 1200
bis gegen 1500 herrſchende Bauart, welche man bisher die
gothiſche genannt, die germaniſche zu nennen, moͤchte jene vor-
angehende daher dem entſprechend am ſchicklichſten als die
vorgermaniſche bezeichnet werden koͤnnen.


Ihren mittelbaren Urſprung aus der alten chriſtlich-roͤ-
miſchen Bauſchule haben beide Style nie ſo ganz verlaͤugnet.
Der erſte bewahrt noch gar manches roͤmiſche Geſims und
Kapitaͤl, beide aber bleiben im Hauptentwurfe den Baſiliken,
Rotunden und regelmaͤßigen Polygonformen der antiken Bau-
kunſt getreu. Dir allmaͤhlige Umgeſtaltung ergab ſich aus
climatiſchen Forderungen, oder aus veraͤnderten Lebensgewohn-
heiten. Gewiß war der offene hoͤlzerne Dachſtuhl der alten
Baſiliken, mit welchem man auch im Norden ſich lange be-
[222] holfen, hier dem Clima nicht angemeſſen, mußte daher zeitig
durch Gewoͤlbe erſetzt werden. Dieſe wurden in den aͤlteren
Zeiten uͤber maͤchtigen Grund und Widerlagen und etwas
niedrig angelegt. *) Der Wunſch, die ſchweren, druͤckenden
Gewoͤlbe zu erhoͤhen, ergab ſich aus dem Gefuͤhle. Bey
ſteigender Bildung fand die Kunſt in der Theorie, oder doch
in der Erfahrung, Mittel die Fuͤlle, die gewoͤlbte Decke der
Kirchen hoͤher und hoͤher zu legen, ohne deshalb die Mauern
und Stuͤtzen, denen man fruͤherhin eine mehr als erforder-
liche Staͤrke gegeben, noch ſchwerfaͤlliger und maſſiger anzu-
legen. So ſehen wir waͤhrend des eilften, noch mehr im
zwoͤlften Jahrhunderte, die Schiffe der Kirchen immer ſchlan-
ker in die Hoͤhe ſich erheben, bis ſie zuletzt Verhaͤltniſſe er-
reichen, welche die nachfolgende, ſogenannte gothiſche Archi-
tectur nur in einzelnen Faͤllen bemerklich uͤberſtiegen hat.


Die veraͤnderten Verhaͤltniſſe machten denn auch veraͤn-
derte Zierden unerlaͤßlich. In Italien, beſonders in Toscana,
hatte man, von antiken Muſtern umgeben, verſucht, die Au-
ßenſeiten der Kirchen gleichſam in verſchiedene Plane zu thei-
len. Die nordiſchen Architecten hingegen entwarfen ihre Zier-
den unabhaͤngig von beſchraͤnkenden und irreleitenden Vor-
bildern, entwickelten ſie vielmehr aus den Motiven, welche die
Verhaͤltniſſe und die Conſtruction ihrer Gebaͤude darboten.
Wenn jene die Hoͤhe der Kirchen in verſchiedene Plane theil-
ten, ſuchten dieſe im Gegentheil das Dach und das deckende
Gewoͤlbe mit dem Sockel des Gebaͤudes in unmittelbaren,
[223] anſchaulichen Zuſammenhang zu bringen. Dieſen Zweck er-
reichten ſie, im Inneren der Kirchen, durch ſchmale, wenig
erhobene Pilaſter, welche im Mittelſchiffe vom Fußgeſtelle der
Saͤulen, dieſe theilend, ſogar ihr Kapitaͤl durchſchneidend, bis
zur Gewoͤlbdecke hinlaufen, und hier bald ſcheinbar, bald auch
wirklich, dem Anſatze des Gebaͤudes eine Stuͤtze darbieten.
An den Außenſeiten ſchloſſen ſich flache, etwas bandeauartige
Pilaſter, wo ſie die Hoͤhe der Mauer gewannen, an eine Reihe
bogenfoͤrmig verbundener gleich flacher Tragſteine, welche laͤngs
dem Dache ein ganz huͤbſches Gebaͤlke bilden. *)


Die Bauart des zwoͤlften Jahrhunderts iſt demnach, in
ihren ſchlanken Verhaͤltniſſen, in ihrer ganz ſinnreichen Ver-
knuͤpfung des Sockels der Hauptmauern mit dem Gebaͤlke,
der Baſamente von Saͤulen und Pilaſtern mit den Anſaͤtzen
der Hauptgewoͤlbe, gleichſam der erſte, allgemeinſte Entwurf
der germaniſchen; dieſe nur etwa deren weitere Ausbildung ins
Einzelne und Mannichfaltige. Verfolgen wir die allmaͤhlich
fortſchreitende Entwickelung der germaniſchen Architectur von
ihren erſten, noch furchtſamen, erprobenden Verſuchen bis zur
Hoͤhe ihrer vollendeten Ausbildung.


Wie die vorgermaniſche Bauart durch ihre ſchlanken Ver-
haͤltniſſe, durch ihre Verknuͤpfungen entlegener Theile der Con-
ſtruction, der erſte, ſo war der zweyte Schritt zur Begruͤn-
[224] dung des neuen architectoniſchen Syſtemes unſtreitig die An-
wendung des ſpitzen, oder aus Segmenten zuſammengeſetzten
Bogens.


Alle ſtrengeren Forſcher *) ſtimmen darin uͤberein, daß
nicht fruͤher, als innerhalb der erſten Decennien des dreyzehn-
ten Jahrhunderts der ſpitze Bogen ſyſtematiſch in Anwendung
geſetzt, ernſtlich beguͤnſtigt worden iſt. Als Nothbehelf brachte
man ihn allerdings ſchon ungleich fruͤher, doch nur hoͤchſt
ſelten in Anwendung; wie man denn uͤberhaupt vorausſetzen
darf, daß die Moͤglichkeit dieſer Conſtructionsart, deren ein-
fachſte Formen bei den alten Voͤlkern bekanntlich dem run-
den Bogen und demſelben entſprechenden Gewoͤlbe vorange-
gangen ſind, **) jedem Baukundigen ſtets klar eingeleuchtet
habe.
[225] habe. *) Alſo wird man dem dreyzehnten Jahrhundert nicht
etwa die Erfindung, vielmehr nur die ſyſtematiſche Anwen-
dung des Spitzbogens beymeſſen koͤnnen.


Die fruͤheſten Beyſpiele nicht mehr nothgedrungener, ſon-
dern abſichtlicher Anwendung des ſpitzen Bogens zeigen ſich,
meines Wiſſens, an den Giebelſeiten einiger vorgothiſchen
**)
III. 15
[226] Kirchen mit noch zuruͤckgezogenen Glockenthuͤrmen; zwar in
dem mittlen unter den drey langen Fenſtern, welche man eben
damals, dem Schiffe Licht zu geben, an den Giebelſeiten der
Kirchen anzubringen pflegte. Verſchiedenes kann beygetragen
haben, den Gedanken, daß jenes weitere Mittelfenſter durch
einen Spitzbogen gefaͤlliger ſich beſchließen moͤge, zu wecken
und auszubilden. Offenbar ſchloß dieſe Figur dem ſpitzen
nordiſchen Giebel ſich ungleich beſſer an, verminderte ſie um
einige Maße den ſchwerfaͤlligen Eindruck der weitlaͤuftigen
Mauermaſſe uͤber den Fenſtern, erweiterte ſie die beleuchtende
Fenſteroͤffnung. *) Die ſchmalen Seitenfenſter, bey welchen
dieſe Beweggruͤnde fehlten, ließ man noch beym Alten. In-
deß mußte es nach dieſem erſten Verſuche und vermoͤge deſ-
ſelben ſehr bald klar werden, daß der Spitzbogen uͤberhaupt
der pyramidalen Hauptform, welche im Norden die vielleicht
unnoͤthig hohen, doch nun einmal ſo uͤblichen Daͤcher allen
groͤßeren Gebaͤuden nothwendig ertheilten, gefaͤlliger ſich an-
ſchmiege, als der uͤbliche halbkreisfoͤrmige; hiedurch von Hand
zu Hand der Wunſch erweckt werden, zunaͤchſt alle Thuͤr-
und Fenſteroͤffnungen, alle Saͤulenabſtaͤnde durch ſpitze Boͤ-
gen zu uͤberſpannen, in der Folge auch die Conſtruction der
Gewoͤlbe auf eine entſprechende Weiſe einzurichten.


In der erſten Haͤlfte des dreyzehnten Jahrhunderts nahm
die Ausbildung dieſer neuen Conſtructionsart die Architecten
nothwendig ganz in Anſpruch. Daher zeigen die aͤlteſten Bau-
werke im ſogenannten gothiſchen Geſchmacke nicht ſelten, bey
[227] ſchon ſpitzen Bogen, in ihren noch ſehr ſparſamen *) Geſim-
ſen und Schmucktheilen aller Art haͤufig ganz die alten, zum
Theil antiken Motive. **) Allmaͤhlich jedoch neigen ſich auch
dieſe letzten mehr und mehr zum Kantigen, Geſpitzten und
Scharfen, ſchließen ſich dem Entwurfe der Strebepfeiler, der
vorſpringenden Kappellen, der Thuͤrme an, welche um dieſe
Zeit beginnen, ihre alte Stellung verlaſſend, ganz mit den
Giebelſeiten der Kirchen ſich zu verſchmelzen, oder, wie man
ſagt, in ihnen aufzugehn.


Dieſe Uebergaͤnge an deutſchen und auslaͤndiſchen Bau-
werken nachzuweiſen, iſt, nach den Arbeiten der engliſchen
Architecten und Alterthumsforſcher, oder Mollers, Boiſſerée’s
und Anderer, zwar nicht mehr ſchwierig, liegt indeß nicht in
meiner Aufgabe.


Das Princip der gothiſchen Bauart kann angegriffen,
ihre Anwendung auf die Forderungen unſerer Zeit beſtritten
werden. Niemand indeß wird laͤugnen wollen, daß ſie, nach
dem Verfalle der alten Bildung die erſte ganz eigenthuͤmliche,
daß ſie eine ſyſtematiſch durchgebildete Bauart ſey, welche
(mag man es billigen, oder tadeln) Mittel aufgefunden hatte,
die roͤmiſche Conſtruction aus ſchweren Werkſtuͤcken zu ent-
behren, den Mauerguß an deren Stelle zu ſetzen, die Arbeit
des Steinmetzen auf Solches einzuſchraͤnken, was in den Bau-
15 *
[228] werken zu Tage liegt. Wenn nun ungeachtet dieſer und ande-
rer hoͤchſt ausgeſprochenen Eigenthuͤmlichkeiten in ihren Grund-
riſſen noch immer die Hauptzuͤge der alten roͤmiſchen, ſelbſt
in ihren Verzierungen nicht ſo gar ſelten Reminiſcenzen aus
dem claſſiſchen Alterthume bemerklich werden; ſo beſtaͤtigt ſich
hierin von Neuem, daß alle Bauſchulen des Mittelalters durch
allmaͤhlige Uebergaͤnge an das claſſiſche Alterthum ſich an-
knuͤpfen: ungeachtet der Modificationen, welche beſondere Ver-
haͤltniſſe herbeygefuͤhrt haben, ſaͤmmtlich in ihrer Wurzel zu-
ſammenſtoßen. Durch die Entwickelung ihres geſchichtlichen
und gleichſam organiſchen Zuſammenhanges bezweckte ich, An-
ſichten zu verdraͤngen, welche einem bloͤdſinnigen Nachahmungs-
triebe beymeſſen, was nur aus Nothwendigkeiten, Abſichten
und Zwecken abzuleiten iſt.


[[229]]

Appendix A Regiſter.


A.
Achen, Kunſtwerke I. Band, Seite 212, 222.
Aetzeichnen I. 68 — 71.
Agoſtino d’AntonioII. 372 — 375.
Aegyptiſche Kunſt I. 25, 26.
AlfaniIII. 146 — 147.
Altchriſtliche Kunſt I. 157 — 179. — Bezeichnung ihres Charakters I.
158 — 165; Denkmale welche Allegorien und willkührliche Sym-
bole enthalten, und zwar a) auf heidniſchen Ideen beruhend I.
165 — 167, b) auf chriſtlichen I. 167 — 177; Unterſuchung,
welchem Volke die Künſtler angehört, die dieſen neuen Styl ein-
geführt I. 177 — 179.
Alte Kunſt I. 107 — 116, III. 81; auf welche Art man ſie in der
neuen Kunſt nachahmen ſolle I. 164.
Alunno, Niccolò (auch Niccolò von Fuligno genannt) II. 311, 313,
315 — 320, 324, 328, III. 29.
Anatomiſche Studien I. 69 — 70.
Andrea di SalernoIII. 146.
Andreas von PiſaII. 166.
Apollonio (es iſt fälſchlich Ayllonio gedruckt) I. 355.
ArcagnoII. 215 — 216.
ArcagnuoloII. 89 — 91, 113 — 118.
Arezzo, Kunſtwerke II. 336.
Arnoldo, Alberto diII. 166 — 168.
Aſiſi, Dom I. 193 — 194, II. 318, III. 178; Kloſter der heil. Clara
II. 213; Kirche des heil. Franz II. 36 — 37, 87 — 89, III. 146;
Kirche S. Maria degli Angeli, bey der Stadt I. 342 — 343;
Minoritenkirche II. 65 — 68; ſonſtige Kunſtwerke II. 83, 312,
313, 314 — 315, 329, 330.
Auffaſſung, in der Kunſt I. 19 — 22; Auffaſſung und Darſtellung, die
zwey Thätigkeiten in der Kunſt I. 14 — 18.
Auguſtin von FlorenzII. 296 — 298.
[230]B.
BaldovinettiII. 268.
Bamberg, Kunſtwerke I. 317.
BarnaII. 109 — 112.
Bartoli, DomenicoII. 221 — 222.
Bartoli, TaddeoII. 217 — 222, 310, 311 — 312, 395.
Bartolommeo, FraIII. 61 — 62, 71 — 73, 89.
Bartolommeo, Giovanni diII. 292, 293.
Bartolommeo, Maſo diII. 292, 293, 294.
Baſtia, la (Flecken bei Aſiſi), Kunſtwerke II. 318.
Bauart, arabiſche, beſonders in Rückſicht auf die Behauptung, daß die
germaniſche Bauart ſie nachgeahmt II. 217 — 220; germaniſche
(und vorgermaniſche) III. 221 — 228; B. der Longobarden III.
170 — 180; B. der Oſtgothen, beſonders daß ſie nicht die Erfin-
der der ſogenannten gothiſchen Baukunſt ſind III. 165 — 170.
Baukunſt, ihre Eintheilung III. 163 — 164; B. in AlexandrienIII.
160; byzantiniſche B. ſ. unten; B. vor den Griechen und Römern
III. 157 — 158; B. der Griechen nnd Römer III. 158 — 162;
beide verglichen III. 158; griechiſch-römiſche B., ihr Uebergang in
die Baukunſt des Mittelalters III. 162 — 163; italieniſche B. ſ.
unten; B. des Mittelalters III. 158, 228; B. bey den Römern
III. 159.
Bauten in Italien im Mittelalter, wie ſie geleitet wurden II. 158 — 163.
BenozzoII. 318, 320.
Berlin, Muſeum II. 79, 352, III. 23, 24, 31 — 33, 53 — 55,
108 — 109.
Bicci, Lorenzo diII. 242.
Bildende Künſte, mit den redenden verglichen I. 6 — 7.
Bologna, Kunſtwerke III. 120.
Bologneſiſche Schule I. 3, 72.
Bonachorſo II. 300.
BonamicoII. 23.
Brand des Borgo (Gemählde von Raphael) III. 125.
Breſcia, Kunſtwerke III. 38 — 39; Bauwerke III. 174 — 175.
BrunelleschiII. 241, 410.
BuonfiglioII. 311, 324.
Byzantiniſche Baukunſt, im wahren Sinne des Worts (im oſtrömiſchen
Reiche
) III. 184 — 197; als eine neue Benennung einer Bauart
des weſteuropäiſchen Mittelalters III. 198 — 216; wie weit un-
ſere Kenntniß von der Baukunſt im oſtrömiſchen Reiche geht II.
184 — 186; daß byzant. Architectur kein beſtimmter Begriff iſt
III. 186; die erſten Bauwerke tragen das römiſche Gepräge III.
186 — 191; Veränderung ſeit JuſtinianI. III. 191 — 194; dritte
Periode, von 900 — 1100 III. 194 — 197.
Byzantiniſche Kunſt, ihr Einfluß auf deutſche Kunſt I. 316 — 318;
auf die italieniſche Kunſt I. 283, 287 — 355.
C.
Cäcilia, die heilige (Bild Raphaels) III. 120.
Cambia, Arnolfo diII. 145, 155, 156 — 157.
[231]CanovaI. 135.
Caſſel, Kunſtwerke II. 307.
Caſtagno, Andrea dalII. 261, 262, 265.
Caſtello della Pieve, Peter vonII. 320.
Chelini, PieroII. 168 — 173.
Chriſtus am Kreuz, ſeine verſchiedene Auffaſſung bey Griechen und Ita-
lienern I. 279 — 282.
CimabueI. 31, 284, 285 — 286, 326, II. 4, 14, 30 — 31, 32, 37,
43 — 44, 399.
ClaudioI. 99.
Como, Kunſt daſelbſt I. 263.
Copenhagen, Kunſtſachen II. 85, 307.
CoreggioIII. 11, 13, 14, 17, 118.
Coſimo, Piero diII. 351 — 352.
CosmasI. 270 — 271.
Credi, Lorenzo diII. 304, 305.
D.
Deutſche Kunſt unter den ſächſiſchen Kaiſern I. 226 — 235.
DietiſalviII. 23 — 25, 26.
Diſputa (Gemählde Raphaels) III. 80, 82, 83, 100.
Domenico VenezianoII. 261 — 262, 265.
DonatelloII. 235, 236 — 239, 359 — 362.
Doni, AdoneII. 330.
Dresden, Kunſtwerke III. 74, 129 — 132.
DuccioII. 4, 5, 7, 8 — 14, 24, 32, 36, 43 — 44, 399.
E.
Escorial, Kunſtwerke III. 127 — 128.
F.
Federigo, Antonio diII. 201, 206 — 208.
Fieſole, Angelico daI. 65 — 66, II. 73, 243, 251 — 256, 400.
Fieſole, Mino daII. 298.
Fieſole, Kunſtwerke II. 352.
FilippinoII. 246 — 250, 273 — 276, 277, 309.
Filippo, FraII. 269 — 272, 273, 309.
Florentiniſche Bauart III. 206.
Florentiniſche Schule II. 15, 27 — 75, 76 — 77, 78 — 90, 211,
214, 222 — 310, 394, III. 82.
Florenz, Gallerie der Akademie II. 63 — 64, 69, 84 — 85, 304, 346;
Kirche S. Croce II. 57 — 62, 79 — 80, 82; Dom oder Johan-
niskirche I. 304 — 306, 336 — 341, II. 70 — 72, 233 — 235,
238, 239, 241, 288 — 294, 300 — 301, III. 178 — 180;
Kunſtſchule II. 298, 344 — 345, III. 25 — 26, 68 — 69; Klo-
ſter und Kirche S. Maria Maddalena de’ Pazzi II. 266, 343 — 344;
S. Maria novella I. 327 — 329, II. 30 — 32, 80 — 81, 96 —
97, 275, 281 — 285; S. Miniato a Monte I. 354 — 355, II.
[232] 229, 269; Ogniſanti II. 86 — 87, 277 — 279; Kirche Orſan-
michele II. 240, 303; Palaſt Pitti II. 343, III. 55 — 56, 62 —
63, 108, 117, 119, 134 — 135, 138; Servitenkirche II. 269,
302, 347; Kirche S. Trinità II. 252, 279 — 281; Gallerie der
Uffizj II. 81, 307, 308, 345, III. 42, 63 — 64, 66, 69, 71 — 72,
89, 108, 116, 127, 135 — 136, 147; ſonſtige Kunſtwerke I. 252 —
255, 307 — 309, 352 — 353, II. 30 — 32, 96, 168 — 172,
172 — 173, 239, 245 — 246, 255, 260, 263, 265 — 266,
272 — 273, 276, 294 — 295, 303 — 304, 348, 352, III. 65 —
66, 111 — 112, 148 — 149, 181 — 182.
Formen der Darſtellung I. 82 — 84.
Fornarina (Bilder des Raphael) III. 116 — 117.
Francesca, Piero dellaII. 336, III. 39 — 40.
Francia, FrancescoII. 351, III. 146.
Franken, ihre Kunſt I. 206 — 226. — Warum ſie Anfangs ſo ſehr
zurück war I. 207 — 209; Anfang des beſſeren unter PipinI.
209 — 210; Karl d. Gr. Bauten im römiſch-chriſtlichen Styl I.
210 — 213; Erklärung dieſer Erſcheinung I. 213 — 216; auch
in der Sculptur und Malerey blüht am Hofe Karl d. Gr. eine
römiſch-altchriſtliche Schule auf I. 216 — 217; über die Weih-
geſchenke, deren Mittelpunct Rom war I. 217 — 221; Ausbil-
dung der Arbeiten in Gold und Silber bei den Franken unter
Karl d. Gr.I. 221 — 222; Miniaturmalerey zu dieſer Zeit I.
222 — 226.
Fredo, Bartolo diII. 218.
Fuligno, Kunſtwerke II. 319, III. 57 — 58.
G.
Gaddi, AgnoloII. 217.
Gaddi, TaddeoII. 63, 78 — 81.
Galathea (Gemählde Raphaels) III. 106 — 107, 140 — 142.
Gegenſtand der Kunſt I. 10 — 12, 21, 127 — 129, 132 — 133.
Geſchmack in der Kunſt bey den Römern III. 3 — 4; maleriſcher G.,
daß die Strenge der Zeichnung damit nicht in Verbindung ſteht
III. 85 — 86.
GhibertiI. 93, 289 — 291, II. 232 — 237, 353 — 359, 395.
Ghirlandajo, DomenicoI. 32, 65 — 66, II. 266, 274, 276 — 286,
287, 309.
Giorgio, Francesco diII. 182 — 193, 196, 200. — daß er nicht bey
dem Bau von Pienza geweſen ſeyn könne II. 182 — 184, daß er
ſich nicht mit der ſchönen Baukunſt beſchäftigte II. 184 — 186;
ſeine Leiſtungen in der Befeſtigungsbaukunſt II. 186 — 189; daß
er nicht das Schloß zu Urbino gebaut II. 189 — 191; daß er nicht
ohne Kenntniſſe und Uebung in der ſchönen Baukunſt war II.
191 — 193.
GiorgioneIII. 104.
Giotteske Manier, giotteske Maler II. 213 — 217, 242.
Giottino II. 82 — 83.
GiottoI. 32, 99, II. 4, 31, 32 — 35, 36, 39 — 75, 76, 213, 214 —
216, 393, 399. — Ueber ſeinen Ruhm II. 39 — 40; worin ſeine
neue Manier beſtanden II. 40 — 46; Stelle aus Boccaz über ihn
[233]II. 46 — 48, aus SacchettiII. 48 — 50; Canzone von Giotto
II. 51 — 55; ſeine Charakteriſirung II. 55 — 57; Bild von ihm
in der Kirche S. Croce zu FlorenzII. 57 — 60; Beurtheilung
ſeiner Manier nach dieſem Bilde II. 60 — 63; andere Bilder,
die von ihm ſind II. 63 — 65, (eine Arbeit nicht von ihm 65 —
67) 67 — 70; ſeine Kenntniß in der Bau- und Bildnerkunſt II.
70 — 72; allgemeine Ueberſicht ſeines Verdienſtes, beſonders in
Hinſicht auf Uebertreibung deſſelben II. 72 — 75.
Giulio RomanoIII. 109 — 110, 135, 138, 140, 143 — 144.
GiuntaI. 341 — 343, II. 37.
Glasmalerey zu FlorenzII. 377 — 381.
Gothiſche Baukunſt, über die Benennung III. 166 — 170.
Gozzoli, BenozzoI. 65 — 66, II. 256 — 261.
Grablegung (Bild Raphaels) III. 69 — 71.
Graburne des Junius BaſſusI. 168.
Gratiano, GuarnieriII. 25.
Gratiano, GuidoII. 25.
Griechiſche Kunſt I. 25 — 31.
Gruamons I. 256 — 259.
Grüfte des heil. Calixtus, Wandmalereyen I. 165.
Gualdo, Matteo diII. 313.
Guido von SienaI. 333 — 336, II. 21; ein zweyter des Namens
II. 24.
Gute Hirt, der I. 167 — 169.
H.
Hamburg, Kunſtwerke II. 85.
Heliodor (Gemählde Raphaels) III. 94, 103, 104 — 106, 126.
Hieroglyphe, daß ſie noch lange nicht Kunſt ſey I. 24.
I.
Ideal in der Kunſt I. 41, 45 — 59. — Ideal als ein Begriff der Ar-
chäologen I. 45 — 47, als ein Begriff der idealiſtiſchen Kunſtphi-
loſophen I. 47 — 52, als ein Begriff der ſogenannten Schönheits-
theorie I. 52 — 56; Ideal allgemeinhin für Geiſteswerk, Unzu-
länglichkeit dieſes Ausdrucks I. 56 — 57; Begriff den die Manie-
riſten mit dem Worte verbinden I. 57 — 59.
Idealismus in der Kunſt I. 30 — 37, 40, 72 — 73, 76.
Idealiſten I. 36 — 37.
IngegnoII. 324 — 330, III. 29 — 31.
Innocenzo da ImolaIII. 146.
Iſaias (Gemählde Raphaels) III. 94, 106 — 107.
Italieniſche Baukunſt unter den Carolingern III. 180 — 184; Unter-
ſuchung der Behauptung, daß die ital. Baukunſt die byzantiniſche
Bauart nachgeahmt habe III. 199 — 216. — Beſtimmung wann
dieſe Nachahmung ſtatt gefunden haben könne, und zwar: nicht in
der erſten Periode der byzant. Baukunſt, weil dieſe damals noch rö-
miſch war III. 199, daß es in der zweyten Periode die Umſtände nicht
erlaubten III. 199 — 200; daß vielmehr bis zum zehnten Jahr-
hundert alles römiſch war III. 200 — 202; über das angeblich
[234] Byzantiniſche am Dom zu PiſaIII. 202 — 205, 207; florenti-
niſche Bauſchule um 1000 III. 205 — 206, luccheſiſche III. 206 —
207; über das angeblich Byzantiniſche an der Marcuskirche zu
VenedigIII. 208 — 209; Kritik der Nachahmung byzant. Bau-
art im eilften und zwölften Jahrhundert III. 209 — 216.
Italieniſche Kunſt unter den Gothen I. 180 — 183; unter den Lon-
gobarden I. 183 — 195; unter den Carolingern und ſächſiſchen
Kaiſern I. 196 — 205, 217, 219 — 221, 235 — 249; im zwölf-
ten Jahrhundert I. 250 — 282; im dreyzehnten Jahrhundert I.
282 — 355 (beſonders in Rückſicht auf die Nachahmung der by-
zantiniſchen Kunſt), II. 4 — 75; im vierzehnten Jahrhundert II.
76 — 112, 164 — 209; im funfzehnten Jahrhundert II. 210 —
383; Raphael und ſeine Zeit III. 22 — 154. — Ueber das falſche
Vorurtheil, daß die Gothen den Verfall der ital. Kunſt veranlaßt
I. 180 — 181, daß wir aus ihrer Zeit kein Denkmal haben I.
181 — 183; wahre Gründe jenes Verfalls I. 183 — 184; Zu-
ſtand der Kunſt unter den Longobarden in dem griechiſchen und
longobardiſchen ItalienI. 185 — 189; Kunſtdenkmäler aus der
longobardiſchen Zeit I. 189 — 195; von 400 bis auf Karl d. Gr.
die Kunſt wieder etwas zu Rom gepflegt I. 196 — 198; Denkmä-
ler aus dieſer Zeit, a) der Muſivmalerey I. 198 — 203, b) der
Baukunſt I. 203 — 205, c) der Bildnerey in Gold und Silber
I. 217 — 221; Verwirrung und tiefer Fall der Kunſt in Italien
nach Karl d. Gr.I. 235 — 239; Denkmaͤler aus dieſer Zeit I.
239 — 249; Wiederaufſtreben der Kunſt im zwölften Jahrhun-
dert I. 250; die Bildnerey geht voran I. 250 — 251, Denkmäler
I. 251 — 255; Bildnerey in ToskanaI. 255 — 256, 260, 262 —
263, Gruamons I. 256 — 259, Arbeiten lombardiſcher Bildner
I. 263 — 268, Bildner zu RomI. 268 — 272, Ferneres über
die Bildnerey I. 272 — 275; Malerey im zwölften Jahrhundert
I. 275 — 278, 280 — 282; Widerlegung der Behauptung Va-
ſari’s
, daß im frühen Mittelalter in Italien alle Ueberlieferung
der Kunſt abgebrochen, ſie ganz durch Cimabue hergeſtellt worden
ſey I. 283 — 292; Beſtimmung der byzantiniſchen Manier I.
293 — 295; daß in früher Zeit keine Nachahmung der Byzanti-
ner anzunehmen ſey I. 295 — 296; Manier der italieniſchen Künſt-
ler zur Zeit der entarteten Kunſt I. 296 — 299; Werth der by-
zantiniſchen Bildnerey I. 299 — 304, der Malerey I. 304 — 311;
Unterſchied der griechiſchen und ital. Malerey des Mittelalters I.
311 — 314; warum der byzant. Styl in Italien ſo ſpät Eingang
fand I. 314 — 315; Spuren von Verbreitung byzant. Kunſtar-
beiten und Künſtler in den Weſten in früherer Zeit I. 315 — 320,
Anſicht verſchiedener Gelehrten über dieſen Punkt, und zwar Lami
I. 321 — 325, LaſtriI. 325 — 326, della ValleI. 327 — 328,
LanziI. 328 — 330, Andere I. 330 — 331; Beweis daß dieſe
Einwirkung der byzant. Kunſt im Anfang des dreyzehnten Jahrh.
eingetreten, an Kunſtwerken aus dieſer Periode I. 331 — 348;
Urſachen warum dieß damahls geſchah I. 348 — 350; Recapitu-
lation über die Nachahmung der byzant. Kunſt I. 350 — 351, ſie
war in der Hauptepoche nur in der Malerey, nicht in der Bild-
nerey, nie in der Baukunſt I. 351; Spuren unabhängiger ital.
Malerey im dreyzehnten Jahrh. I. 351 — 355; Standpunkt des
[235]Duccio und CimabueII. 4, Unterſuchung einiger Punkte in Duc-
cio’s
Leben II. 5 — 14; über den Urſprung der florentiniſchen
Malerey und CimabueII. 14 — 19; die ſieneſiſche Schule blüht
früher auf II. 19 — 21; frühe Maler dieſer Schule II. 21 — 26;
fernerer Beweis der früheren Blüthe dieſer Schule II. 26 — 27;
über den Anfang der florentiniſchen Malerey und CimabueII.
27 — 32; urkundliche Belege II. 33 — 35; angebliche, aber un-
beglaubigte Werke des Duccio und CimabueII. 36 — 38; über
Giotto (ſ. d. Art.); Mittelmäßigkeit zu Florenz nach Giotto durch
die giotteske Manier I. 76 — 78; Auszeichnung der beſſeren Ma-
ler des vierzehnten Jahrhunderts, a) Florentiner, Taddeo di Gaddo
II. 78 — 81, GiottinoII. 82 — 83, Giovanni da MelanoII.
83 — 89, ArcagnuoloII. 89 — 92; b) Sieneſer II. 92, Simone
di Martino
und Lippo die Memmo, beſonders der erſtere II. 92 —
98, Ambruogio und Pietro di Lorenzo oder di LorenzettoII. 99 —
108, BarnaII. 109 — 112; urkundliche Belege, über Arcagnuolo
II. 113 — 118, Simon MartiniII. 118 — 122; Blüthe der
ital. Kunſt im vierzehnten und funfzehnten Jahrh. II. 164 — 165,
Künſtler dieſer Periode, deren Kunſtverdienſt noch zu ermitteln iſt,
Alberto di ArnoldoII. 166 — 168, Piero CheliniII. 168 — 173,
RuſerutiII. 174 — 175, Lorenzo von ViterboII. 175 — 176;
Bauwerke Pius II. zu Pienza, und Bernardo RoſſelliniII. 177 —
182, Francesco di Giorgio (ſ. d. Art.), Ferneres über Bernardo
Roſſellini
II. 193 — 195, Bauten die Pius II. durch ihn in Siena
ausführen ließ II. 195 — 200, Werke zu Siena die fälſchlich dem
Giorgio beygemeſſen worden II. 200 — 201; urkundliche Belege,
über Lorenzo da ViterboII. 202 — 203, Urbano da CortonaII.
203 — 206, Antonio di FederigoII. 206 — 209. — Funfzehntes
Jahrhundert II. 210 — 211; die florentiniſche Schule klebt noch
lange an der giottesken Manier II. 211 — 217, 222 — 223,
während anderwärts Schritte zum Beſſeren geſchehen: Taddeo
Bartoli
zu SienaII. 217 — 222, Niccolo di PietroII. 224
— 226, SpinelloII. 224, 226 — 229; zu Florenz erwärmt
man ſich in der Malerey immer noch an der Vorzeit II. 229 —
231, dagegen macht daſelbſt die Bildnerey ſeit dem Jahre 1400
unermeßliche Fortſchritte II. 231 — 232, GhibertiII. 232 — 236,
DonatelloII. 235 — 240, NanniII. 240, Luca della RobbiaII.
241 — 242; Verbeſſerung der Malerey zu Florenz in der Mitte
des funfzehnten Jahrh. II. 242 — 243, Maſaccio und FilippinoII.
243 — 251, Angelico da FieſoleII. 251 — 256, Benozzo Goz-
zoli
II. 256 — 261; über die Nachahmung der niederländiſchen
Malerey in ItalienII. 261 — 263; Erlöſchen der Begeiſterung
für die Aufgabe in FlorenzII. 264 — 265, Coſimo RoſelliII. 265 —
268, es bleibt nur noch der Weg eines fröhlichen ſich Hingeben
in den Reiz der natürlichen Erſcheinung über II. 268, Künſtler
dieſer Gattung II. 268 — 269, Fra FilippoII. 269 — 272, Sandro
Botticelli
II 272 — 273, FilippinoII. 273 — 276, welche eine
Schule für ſich bilden, neben der die des Coſimo Roſelli ſteht II.
276, die Domenico Ghirlandajo fortſetzt II. 276 — 286, Baſtiano
Mainardi
II. 286 — 287; Fortſetzung über die Bildnerey zu Flo-
renz
, Luca della RobbiaII. 287 — 295, AuguſtinII. 296 — 298,
andere Bildner II. 298 — 299, Bildner die zugleich malen: Au-
[236]tonio del PollajuoloII. 299 — 302, Andrea del VerocchioII.
302 — 304; dieſe Bildnerey erzeugt eine dritte Schule der Ma-
lerey zu FlorenzII. 287, Lionardo da Vinci, Schüler des Verocchio
II. 304 — 310; Umbriſche Malerſchulen II. 310 — 311, Taddeo
di Bartolo
II. 311 — 313, Niccolò AlunnoII. 313 — 320,
Fiorenzo di LorenzoII. 320 — 324, welche drey an der Spitze be-
ſonderer Schulen ſtehn; Nachfolger des Niccolò Alunno: Ingegno
II. 324 — 330, PinturicchioII. 330 — 336; PeruginoII. 336 —
349 (ſ. d. Art.), RaphaelII. 349 — 351; einige Einzelnheiten II.
351 — 352. Urkundliche Belege: über GhibertiII. 353 — 359,
DonatelloII. 359 — 362, Michelozzo di BartolomeoII. 362 —
363, Luca della RobbiaII. 363 — 372, Agoſtino d’AntonioII.
372 — 375, Nardo da MajanoII. 375 — 377, Nachtrag zu Ab-
handlung I. des Werks II. 377 — 381, zu Abhandlung VIII. II.
381 — 383. — RaphaelIII. 22 — 143 (ſ. den Art.); die der
Kunſt durch Raphael gegebene neue Richtung ſetzt Giulio Romano
fort III. 143 — 144, die Zeit unmittelbar nach RaphaelIII.
144 — 148.
Jacob von TurritaI. 336 — 341, II. 21 — 22.
Johann von BolognaI. 92.
Johannes von PiſaII. 140, 141, 156.
Julius II. (Papſt), ſein Verdienſt um die Kunſt III. 122 — 123.
K.
Kreuztragung (Bild Raphaels) III. 132, 144.
Kunſt, ihr Begriff I. 4 — 8; ihr Weſen I. 121 — 127; ihr Weſen
und ihre Auffaſſung II. 419 — 420; Kunſt und Poeſie verglichen
I. 8 — 10.
Kunſtfähigkeit I. 13 — 14.
Kunſtformen, darſtellende I. 22 — 24.
Künſtler, ſeine Lage in Bezug auf die Uebernahme von Arbeiten II.
390 — 391.
Kunſtſchulen II. 210 — 211.
L.
Leo X., ſein Verdienſt um die Kunſt III. 122 — 136.
Leo X. (Bildniß Raphaels) III. 137.
LeſſingI. 4 — 5, 129 — 132, 148 — 149.
Limine, Bauwerke III. 173 — 174.
Lionardo da VinciII. 304 — 310, 416, III. 77, 88 — 90, 145.
Lippi, FilippoII. 400.
Logen des VaticansIII. 124 — 126, 145.
Lombardiſche Bildnerſchule I. 265.
Lorenzetto, AmbruogioII. 99 — 106, 107, 393.
Lorenzetto, PietroII. 99, 106 — 108.
Lorenzo, Fiorenzo diII. 320 — 324.
Lorenzo von ViterboII. 175 — 176, 202 — 203.
Lorſch, Kloſter I. 213. III. 225.
Lucca, Kirche S. Frediano I. 244, 261 — 262; ſonſtige Kunſtwerke
I. 260 — 261, II. 307, III. 71 — 72, 146, 147.
[237] Luccheſiſche Bauart III. 206 — 207.
Luigi, Andrea diIII. 29, 30, 31.
M.
Madonna del Cardellino III. 66 — 67; M. v. FulignoIII. 117 — 118;
M. del GranducaIII. 60; M. di PeſciaIII. 55 — 56, 112; M.
del pez III. 127 — 128; M. della SeggiolaIII. 117; M. di S.
Siſto III. 128 — 132, 144; M. Tempi III. 59 — 61.
Madonnenbilder, alte I. 333 — 334.
MainardiII. 276, 286 — 287.
Majano, BenedettoII. 299.
Majano, GiulianoII. 299, 375 — 377.
Manier I. 41.
Manieriſten I. 41.
Mantegna II. 394.
Mantua, Palaſt del T. III. 143.
MarattaI. 42.
Martini, SimonII. 92 — 98, 118 — 122.
MaſaccioII. 73, 243 — 248, 251, 400.
MaſolinoII. 245.
Mayland, Kirche S. Ambruogio I. 221, III. 183 — 184; ſonſtige
Kunſtwerke II. 306, III. 39 — 40.
Melano, Giovanni daII. 83 — 89, 216.
Memmo, Lippo diII. 94.
MengsI. 3, 95, 120, 134 — 135.
Meſſe von Bolſena (Gemählde Raphaels) III. 103 — 104, 105, 126.
MichelangeloI. 66, 94, 94, II. 237, 238, 410, 411, 416, III. 10, 11,
12, 14, 77, 85, 86, 87 — 88, 89, 90, 92, 93, 96, 97.
MichelozzoII. 241, 292, 293, 362 — 363.
Miniaturmalerey II. 252.
Modellzeichnen I. 68 — 71.
Monte-Caſſino, Kunſtwerke I. 317 — 318.
Monte Uliveto maggiore (Kloſter auf dem Wege von Siena nach Rom),
Kunſtwerke II. 384 — 385, 387 — 388.
Montefalco (Ort bey Fuligno), Kunſtwerke II. 257 — 258.
Morſello Cili II. 25.
München, Kunſtwerke I. 225 — 226, III. 40 — 41, 64 — 66, 67,
109 — 116, 147.
Muſivmalerey I. 170 — 172, 175.
N.
Nachahmung in der Kunſt I. 114 — 121, II. 217.
Nanni II. 240.
Naturaliſten I. 36 — 37.
Natürlichkeit in der Kunſt I. 24 — 33, 37 — 40, 59 — 68, 71 — 77,
80 — 83.
Neapel, Kunſtwerke II. 64 — 65.
Neuere Kunſt, ihr Urſprung II. 2 — 4; ihr Gegenſtand II. 391 —
399, III. 81; Urſachen welche bis auf Raphael ihre Entwickelung
aufgehalten und nach Raphael ihren frühen Verfall bewirkt haben,
[238]a) Malerey II. 398 — 407, b) warum die neuere Bildnerey hin-
ter der alten zurückgeblieben und bald zurückgekommen, dagegen
die Malerey ein entſchiedenes Uebergewicht erlangt hat II. 408 — 420.
Nicolas von PiſaI. 272 — 273, II. 140, 144 — 154, 157 — 158, 399.
O.
Oelmalerey, wann ſie in Italien aufgekommen II. 261.
Oertlichkeit, iſt allen Kunſtwerken aufgeprägt I. 78 — 80.
P.
PacchiarettoII. 212, III. 45.
Padua, Schule von II. 394; Kunſtwerke zu P.II. 68.
ParabuoiII. 23.
Parma, Kunſtwerke I. 265 — 266.
Parnaß (Gemählde Raphaels) III. 84, 142.
Pavia, Kunſtwerke I. 192 — 193, III. 26 — 27, 173, 175 — 177.
Perugia, Kunſtwerke I. 245 — 246, II. 38, 296, 297, 311, 312, 317 —
318, 322 — 323, 331 — 332, 334, 339, 346 — 347, III. 42,
48 — 49, 53, 56 — 57, 74, 146 — 147.
PeruginoII. 310, 323, 324, 325, 328, 336 — 349, 352, 400, III.
15, 25, 26, 27, 29, 31, 77, 82. — Ueber ſein Verdienſt II. 336 —
337; über die früheſte Zeit ſeines Lebens, ſeine Lehrer, ſeine Ju-
gendwerke II. 337 — 339; ſeine Blüthezeit, die zwey Epochen der-
ſelben II. 339, erſte Epoche, wo er ſich an das Studium der Na-
tur hielt II. 339 — 341, zweyte Epoche, wo er ſich der Idee hin-
gab und das Naturſtudium vernachläſſigte II. 341 — 345; ſeine
ſpäte Zeit, wo er im Erſtreben des Vortrefflichen nachließ II.
345 — 348.
Pienza, Kunſtwerke II. 177 — 182.
Pieri, CaſtellinoII. 25.
Pietro, Niccolò diII. 224 — 226.
PinturicchioII. 320, 324, 330 — 336, 400, III. 29, 46, 47, 56 — 57.
PiomboIII. 108.
Piſa, Campo ſanto II. 69 — 70, 229, 260 — 261; ſonſtige Kunſt-
werke I. 344 — 345, II. 158, 224 — 225, III. 202 — 205, 207.
Piſtoja, Kunſt daſelbſt I. 255; Kunſtwerke I. 263 — 264, II. 271, 303.
Pollajuolo, Antonio delII. 268, 269, 299 — 302.
Pollajuolo, Piero delII. 269.
Prato, Kunſtwerke II. 270 — 271, 274.
Q.
Quellen der Kunſtgeſchichte, wie oberflächlich man ſie oft behandelt II.
91 — 92.
R.
Rafaellino del GarboII. 276.
RaphaelI. 33 — 35 (über einen Brief von ihm), 66, 79, 117, 119,
II. 64, 334, 337, 346, 347, 348, 349 — 351, 388 — 390, 396 —
397, 413 — 414, 416, III. 3, 10 — 143, 146; was ihn vor al-
len neueren Künſtlern auszeichnet III. 3, 10 — 21; ſeine Jugend-
werke III. 22 — 76; ſeine Leiſtungen zu Rom unter Julius II.
[239]III. 77 — 120; unter Leo X.III. 121 — 143. — R. legt den
erſten Grund bey ſeinem Vater III. 22, Bilder aus dieſer Periode
III. 23 — 24, ſeine Hülfe an mehreren Arbeiten des Perugino
III. 25 — 29, über die dunkle Zwiſchenepoche zwiſchen der bey
ſeinem Vater und der beym PeruginoIII. 29 — 35, ſeine eignen
Arbeiten und Theilnahme an fremden in ſeiner florentiniſchen
Epoche a) III. 35 — 58, b) (die von ſtrengem Studienfleiße zeu-
gen) 58 — 69, c) die Grablegung (das letzte Bild aus dieſer
Epoche) 69 — 70; Spuren, daß R. ſich um dieſe Zeit ſchon frem-
der Hülfe bedient III. 70 — 71; ſeine Hülfe an Arbeiten des Fra
Bartolommeo
III. 71; andere Jugendarbeiten, deren Zeit der Ver-
faſſer nicht hat unterſuchen können III. 73 — 75; allgemeine Ue-
berſicht dieſer ganzen Jugendperiode III. 75 — 76; was Raphael
dem Pabſte Julius II. empfahl III. 77 — 79; wann er nach Rom
gegangen III. 79; die Disputa, ſeine erſte Arbeit in RomIII. 79 —
80; Beurtheilung dieſer Arbeit und ſeines damahligen Standpunk-
tes in der Kunſt III. 80 — 90, über ſeine Nachahmung des Michel-
angelo
insbeſondere III. 90 — 97; kurze Recapitulation von Ra-
phaels
Gange in der Kunſt III. 98 — 99; ſeine Arbeiten in den
vaticaniſchen Stanzen unter Julius II.III. 99 — 106; ſeine übri-
gen Werke zu Rom unter dieſem Papſt, und zwar: Arbeiten die
fälſchlich in dieſe Zeit gerechnet werden III. 106 — 107, Bildniß
Julius II.III. 107 — 109, das Bildniß Raphaels, Unterſuchung
ob es das ſeinige ſey III. 109 — 116, weibliche Bildniſſe, beſon-
ders der FornarinaIII. 116 — 117, Madonna della SeggiolaIII.
117, Madonna von FulignoIII. 118, die Viſion Ezechiels III.
118 — 120, die heil. CäciliaIII. 120; Raphaels Arbeiten für
Leo X., und zwar: in den Stanzen III. 121 — 124, die Logen
III. 124, Brand des Borgo III. 125, Bildniß Leo X.III. 125, die
Tapeten III. 125; Raphaels Arbeiten unter Leo X., auf welche
dieſer Fürſt keinen Einfluß ausgeübt, und zwar: die Sibyllen III.
126 — 127, Madonna del pez III. 127 — 129, Madonna di S.
Siſto III. 129 — 132, spasimo oder Kreuztragung III. 132, Trans-
figuration III. 132, andere Arbeiten, beſonders ſolche die Raphael
nur geleitet, Andere ausgeführt haben III. 133 — 136; über den
Vorwurf daß R. in ſeinen letzten Lebensjahren zurückgeſchritten
ſey III. 136 — 138; Raphaels mythologiſche Arbeiten in dieſer
letzten Zeit 138 — 143.
Ravenna, Bauwerke III. 198, 200, 210 — 211.
RazziII. 385 — 388.
RidolfoIII. 70, 71.
Robbia, Luca dellaII. 241 — 242, 287 — 295, 363 — 372, 395 — 396.
Rom, Kirche la Pace III. 94, 106, 126 — 127; Paulskirche I. 269,
302, 303 — 304, II. 156 — 157; Peterskirche II. 69, 301 —
302; Kirche des heil. Praredis I. 239 — 240, 246 — 248; ſir-
tiniſche Kappelle II. 268, 272, 340 — 341, III. 90 — 94, 122;
VaticanI. 241, 242, 300 — 302, 306 — 307, 353, II. 254 —
255, III. 19 — 20, 51 — 52, 79, 99 — 106, 107, 118, 121 —
126, 127; ſonſtige Kunſtwerke I. 151, 165, 195, 198 — 202,
203 — 205, 222 — 225, 243 — 244, 245, 266 — 268, 270 —
271, 273 — 275, 277, 299, II. 174, 250, 307, 332, 333, 334 —
335, 341 — 342, III. 36 — 37, 69 — 71, 94, 137, 142 — 143.
[240] Römiſche Kunſteigenheiten I. 78 — 79.
Roſelli, CoſimoII. 265 — 268, 272, 274, 276, 309, 400.
Roſſellini, AntonioII. 298.
Roſſellini, BernardoII. 180 — 182, 193 — 200.
Rovezzano, Benedetto daII. 299.
RuſerutiII. 174 — 175.
S.
SalviatiIII. 136.
Sandro BotticelliII. 269, 272 — 273, 277, 309, 394, 396.
Sano di PietroII. 313.
S. Gimigiano (bey Siena) II. 109 — 111, 286.
S. Pietro in Grado (Kirche auf dem Wege von Piſa nach Livorno) I.
345 — 346, III. 182 — 183.
Sanzio, GiovanniIII. 22 — 23.
Sarto, Andrea delIII. 147.
Säule, in der Baukunſt III. 158, 159, 160, 161.
Schönheit I. 134 — 157, III. 5 — 9, 81 — 84. — Die verſchiedenen
Vorſtellungen vom Schönen I. 134 — 136; welcher Menſchengat-
tung ein Urtheil über Schönheit zuſtehe I. 136, Abtheilung inner-
halb des Schönen I. 136 — 137; a) Schönheit die nur auf ei-
nem ſinnlichen Wohlgefallen am Schauen beruht I. 137 — 140,
b) auf beſtimmten Verhältniſſen von Formen und Linien I. 140 —
144, c) auf einer in das geiſtige Bewußtſeyn greifenden Symbo-
lik der Formen, welche ein gewiſſes ſittlich-geiſtiges Wohlgefallen
erregen I. 144 — 146; über die Vereinigung mehrerer dieſer Ar-
ten der Schönheit I. 146 — 147; Schönheit in der Kunſt I.
147 — 157.
Schule von Athen (Gemählde Raphaels) III. 80, 84, 100.
Seele, die menſchliche, als Hauptgegenſtand der Kunſt I. 10 — 12.
Segnatura, eamera della (im Vatican zu Rom) III. 79, 85, 96,
99 — 101.
Settignano, Deſiderio daII. 298.
Sibyllen (Gemählde Raphaels) III. 94, 106, 126 — 127.
Siena, Dom II. 5 — 10, 12 — 13, 106 — 107, 123 — 142, III.
42 — 47, 113; Gemähldegallerie I. 297 — 298, II. 218 — 219;
öffentlicher Palaſt II. 95 — 96, 102 — 105, 226 — 229; ſon-
ſtige Kunſtwerke I. 334 — 336, 344, II. 99, 100 — 102, 105 —
106, 195 — 201, 219 — 220, 386.
Sieneſiſche Schule II. 19 — 27, 92 — 112, 211 — 212, 313. —
Sie blüht früher auf als die florentiniſche II. 19 — 21; frühe
Maler II. 21 — 26; fernerer Beweis ihrer frühen Blüthe II. 26 —
27; Simone di Martino und Lippo di MemmoII. 92 — 98, die
beyden Lorenzo oder Lorenzetto II. 99 — 108, BarnaII. 109 — 112.
SignorelliII. 333, 387 — 388.
SoddomaIII. 45.
Sophienkirche zu Conſtantinopel (Bau) III. 191 — 194, 197.
SpagnaII. 347, 348 — 349, III. 146.
Spalatro, Bauwerke III. 162.
Spello (bey Fuligno), Kunſtwerke II. 335 — 336.
SpinelloII. 67, 224, 226 — 229.
Spitz-
[241] Spitzbogen, in der Baukunſt III. 224 — 227.
Spoleto, Dom (Kunſtwerke) I. 332 — 333, II. 269 — 270; Bau-
werke III. 177.
Spoſalizio (Gemählde Raphaels) III. 48, 50.
SquarcioneII. 394.
Stanzen des VaticanIII. 99 — 106, 107, 121, 125 — 126, 127, 145.
StefanoII. 83.
Styl I. 85 — 106, III. 18. — Urſprung dieſes Wortes I. 85, Bedeu-
tung des Wortes bey den Italienern I. 85 — 86, unrichtiger Be-
griff, den einige Neuere damit verbinden I. 86, berichtigte Defi-
nition I. 86 — 87; daß der Styl aus einem Gefühl der Beſchrän-
kung der Kunſt durch den Stoff entſpringt I. 87 — 88; Einthei-
lung der Forderungen des Kunſtſtoffes in allgemeine und beſondere
I. 88; Uebereinſtimmung der räumlichen Verhältniſſe, das allge-
meinſte Stylgeſetz I. 88 — 91; Stylgeſetze welche die Bildnerkunſt
beſonders I. 91 — 94, die welche allein die Malerey I. 95 —
100; Beleuchtung des Vorſchlags, ſtatt Styl zu ſagen das
Kunſtſchöne
I. 101 — 102; noch Allgemeines über den Styl I.
102 — 106.
Symbol I. 45.
Symboliſche Darſtellung I. 24.
T.
Theorie und Praxis, ihr Gegenſatz im Kunſtgeſchmack III. 4, 9.
Theile der Kunſt I. 3 — 4.
ThorwaldſenI. 92.
Tiberio d’AſiſiII. 348.
TizianIII. 11, 13, 14, 17, 103 — 104.
Transfiguration (Bild Raphaels) III. 132 — 133.
Typus, in der Kunſt I. 84.
U.
UccelloII. 265.
UgolinoII. 25, 399.
Umbriſche Malerſchulen II. 221, 310, 313.
Urbano da CortonaII. 201, 203 — 206.
Urbino, Kunſtwerke II. 189 — 191, III. 22 — 23.
Urſprung der bildenden Künſte II. 1 — 2; U. der neueren Kunſt aus
dem claſſiſchen Alterthum I. 157 — 159, 162, 179.
Urtheil über Kunſt, Widerlegung des alten Ausſpruchs, daß nur Künſt-
ler künſtleriſche Leiſtungen beurtheilen können III. 148 — 154.
V.
VaſariI. 36, 283, II. 384, 417, III. 11, 85, 145.
Venedig, Marcuskirche, Kunſtwerke I. 175 — 177; Bauwerke III. 198,
207 — 209, 210 — 212; ſonſtige Kunſtwerke III. 39.
VerocchioII. 268, 302 — 304, 337, 338.
Verona, Kunſtwerke I. 194.
Vigoroſo II. 24.
Villa Farneſe, Kunſtwerke III. 106 — 107, 140 — 142, 145.
III. 16
[242] Viſion Ezechiels (Bild von Raphael) III. 118 — 119.
Viterbo, Kunſtwerke I. 245, II. 175 — 176.
Volterra, Dom I. 251 — 252, II. 258 — 259; ſonſtige Kunſtwerke
II. 259 — 260.
W.
WinckelmannI. 4 — 5, 21, 41 — 45, 147 — 148.
Würzburg, Kunſtwerke III. 60.
Z.
Zoan AndreaII. 394.
Zweck der Kunſt I. 1 — 4, III. 130 — 131.

Appendix B

Gedruckt bei A. W. Schade, Grünſtraße No. 18.


[[243]]

Appendix C Verbeſſerungen.


Seite 10 Zeile 8 von oben, für abſtracten, lies abſtracte.
Daſ. Zeile 2 von unten, für früher, lies frühe.
Seite 11 Zeile 8 von unten, für das Aechte, unbedingt etc., lies das
ächte unbedingt Schöne
etc.
— 14 Zeile 8 von oben, für Bekanntſchaft ihrer Werke, lies Be-
kanntſchaft ihre Werke etc.
— 50 Zeile 10 von oben, für Gemälden. Gleichzeitig ſtreift, lies
Gemälden; ſtreift gleichzeitig. —
— 71 Zeile 14 von oben, für ermangelt, lies mangelt.
— 74 Zeile 8 und 9 von oben, für der genannten raph. Bilder, lies
des genannten raph. Bildes.
— 105 Zeile 8 von oben, für Er ſcheint, lies Es ſcheint.
— 108 Zeile 5 von unten, für Sebaſtian Piombo, lies del Piombo.
— 110 letzte Zeile unten, für Viele, lies Vieler.
— 112 Zeile 2 von oben, für Er hat, lies Es hat.
— 123 Zeile 2 von oben, für Willens brachte dafür, lies Willens;
brachte daher
.
— 142 Zeile 3 von unten, für beſonders ſchönen, lies beſonders
die ſchönen
.
— 144 Zeile 15 — 16 von oben, für doch nur zu oft — wird, lies
wo ſie doch — werden


[][][][]
Notes
*)
S. Lettere sulla pittura etc. Roma 1754. To. I. p. 82. ff.
Briefe Annibale’s an ſeinen Oheim Ludwig Caracci.
**)
Weimariſche Kunſtfreunde.
*)
Lettere sulla pitt. etc. To. V. Lett. XLI. — che in quanto
a certa fierezza e terribilità di disegno M. Angelo non tenga
senza dubbio la prima palma.
**)
Beſonders naiv in einem Aufſatze der Propyläen; doch liegt
derſelbe Sinn ſchon in dem: altro che Rafaello, des Annibale.
*)
So ſchließe ich aus vielen öffentlichen Beurtheilungen moderner
Kunſtproducte.
*)
Ich ſetze hier voraus, daß der Charakter, die Kunſtepochen des
Pietro, aus einer früheren Entwickelung (Th. II. S. 336. f.) bekannt ſind.
**)
S. dieſe Forſch. Th. II. S. 346. die Anmerk.
*)
Ueber deren ſpätere Beendigung ſ. Mariotti lett. perugine, lett.
VI. p.
258.
**)
Forſchungen. Th. II. p. 330.
*)
Th. II. S. 314. ff.
*)
Th. II. S. 327.
*)
Felsina pittrice, vita di Francesco Francia.
*)
Der Patre Pungileoni verſichert uns in ſeinen über den Gio-
vanni Santi
zu Urbino angeſtellten Unterſuchungen, von welchen ich erſt,
*)
nachdem Vorſtehendes ſchon geſchrieben war, nähere Kunde erhalten, daß
derſelbe ſchon im Jahr 1494 geſtorben iſt (ſ. das Teſtament und den
Todtenſchein des Giovanni Santi in Pungileoni’sElogio storico di
Giovanni Santi. Urbino. 1822. p.
135. ff.). Dieſem dürfte, wenn
nicht aus den Urkunden ſelbſt, nichts entgegenzuſtellen ſeyn. Da Raphael
ſich nun um dieſe Zeit im eilften Jahre befand, er aber, wie wir geſe-
hen, erſt gegen das Jahr 1500 in die Schule des Pietro Perugino ge-
kommen ſeyn möchte, ſo gewinnen durch dieſen Umſtand alle obige Ver-
muthungen ganz ungemein an Wahrſcheinlichkeit.
*)
Der Padre Guglielmo della Valle, zum Vaſari, will, daß im
Oratorio zu Città della Pieve die Anbetung der Könige mit dem J. 1504,
*)
welche gemeiniglich dem Pietro beygemeſſen wird, von Raphaels Hand
a fresco gemalt ſey. Im Allgemeinen iſt dem Urtheil dieſes anmaßlichen
Mannes wenig zu trauen; indeß giebt ſeine Beſchreibung des Werkes,
welches ich nicht geſehen, ſeiner Vermuthung einen Anſtrich von Wahr-
ſcheinlichkeit. Ein deutſcher Künſtler, welcher des della Valle Vermu-
thung nicht kannte, ſchrieb mir: „Die Anbetung der Könige von Pietro
gehört zu dem Minderwichtigen, welches von dieſem Meiſter mir zu Ge-
ſicht gekommen. Nahe geſehn, erſcheint es als eine farbige Kreidezeich-
nung, ſo ſtark iſt es ſchraffirt.“ Dieſe Angabe ſcheint jene Vermuthung
zu unterſtützen. Der Künſtler ſuchte Pietro, fand etwas von ihm Ab-
weichendes, daher ſein Mißfallen. Die Schraffirungen, welche Raphael
noch in der Diſputa beybehalten, ſind das Zeichen eines ungeübten Ma-
lers al fresco, welcher mehr beabſichtigt, als er auf ein Mal hervorbrin-
gen kann. Es verlohnte, an Ort und Stelle zu unterſuchen, ob das
Werk des jungen Raphael werth ſey.
*)
Lanzi, sto. pitt. scuola Rom. ep. seconda.
*)
S. denſelben zum Vaſari, in der röm. und neueren Edd.
*)
S. Lett. sulla pitt. etc. ed. Mil. To. I. lett. 1. prima octobris
1504, den Brief, worin die Herzogin von Urbino den Raphael dem Gon-
faloniere von Florenz, Soderini, empfiehlt. Der Brief der Herzogin
hat in allen Formen das Anſehn der Aechtheit; auch iſt kein Grund
denkbar, weßhalb ein ſolcher Brief erdichtet worden ſey. Unter dieſen
Umſtänden wird man deſſen Aechtheit nicht wohl um eines einzigen
Satzes willen verwerfen können, deſſen gezwungene und fehlerhafte Con-
ſtruction, auch abgeſehen von der Unvereinbarkeit mit den Entdeckungen
des Pungileoni, den Verdacht erweckt, daß der Abſchreiber ihn nicht rich-
tig geleſen und nach ſeiner Anſicht darin geändert habe. Dieſer Satz
lautet nach dem Abdrucke der obigen Ausgabe der Lettere sulla pit-
tura. Et perchè il padre so che é molto virtuoso et é mio af-
fezionato et così il figliuolo discreto e gentile giovane, per ogni
rispetto lo amo sommamente etc.
— In dieſer Lesart überzeugt mich
das: so che é, keinesweges; es iſt eben ſo gezwungen, als unrichtig; das
so, nach der Analogie damaligen Brief- und Converſationsſtyles, iſt
ſicher nichts anderes, als: suo; die Stelle aber, wo der Abſchreiber che
é
geleſen, wenn Pungileoni’s Angaben richtig ſind, nothwendig irgend
ein praeteritum; das zweite é offenbar eingeſchoben. Einem wenig ge-
übten Leſer der Schriftarten jener Zeit konnte die Abbreviatur: sta0,
d. i. stato, leicht als: che, erſcheinen. Die Einſchiebung dieſes che
macht aber den ganzen Satz verworren und falſch. Allem Anſehn nach
hat alſo die Herzogin geſchrieben: Et perché il padre suo stato é molto
virtuoso et mio affezionato, et così il figliuolo (sendo) discreto e
gentile giovane etc.
Denn unter allen Umſtänden iſt nach figliuolo das
Zeitwort ausgefallen, ſey es in der Abſchrift, oder ſchon im Originale
durch ein Verſehen, welches nicht ohne Beyſpiel iſt. — Die Abſchrift,
*)
welche Bottari bekannt gemacht, iſt nach einem Exemplar genommen,
welches vordem in dem jetzt erloſchenen Hauſe Gaddi vorhanden war,
und gegenwärtig wohl ſich ganz verloren hat. Es fragt ſich indeß, ob
dieſes Exemplar der Originalbrief geweſen; dieſen vermuthe ich vielmehr
im Archiv der Riformagioni zu Florenz, welches mir nie geöffnet worden
iſt. — Gewiß wird man den Brief nicht, wie es ſeit Pungileoni häufig
geſchieht, ganz verwerfen dürfen, ehe man das Original geſehen und ge-
prüft hat. Daß der Abſchreiber geändert habe, erhellt ſchon aus der
Orthographie des Abdruckes. Quatremère de Quincy, hist. de la vie
et des ouvrages de Raphael, p.
19. entlehnt aus dieſem Briefe (den
er ohne Nachweiſung wiederum mittheilt) das Dat einer zweyten Reiſe
nach Florenz, welche er, nach Lanzi, aus den eingeſtanden verworrenen
Nachrichten des Vaſari hervordeutet. Beide gehen von der Meinung
aus, Raphael habe in Siena gemalt, von dort aus Florenz zum erſten
Male beſucht. Wie konnten ſie aber hierin dem Vaſari glauben, nach-
dem ſie den Beweggrund, Michelangelo’s Carton, chronologiſch als falſch
erwieſen hatten? Iſt Vaſari überhaupt ein Schriftſteller, dem man auf’s
Wort glauben muß? Sind ſeine Angaben, wo ſie zur Hälfte falſch ſind,
wie hier, nothwendig zur anderen wahr? Erweislich hat Raphael in
Siena nicht gemalt; erweislich war der Carton des Michelangelo damals
noch nicht vorhanden; erweislich zeigt ſich in Raphaels peruginiſchen
Werken vor dem Jahr 1505 keine Spur der Bekanntſchaft mit floren-
tiniſchen Vorbildern: demnach iſt des Vaſari leichtſinnige Angabe hier
nur eben ein Uebergang, wie tauſend andere ſeines weitläuftigen Werkes.
*)
Zur linken der Ergänzungen Perugins lieſt man: Rafael de
Urbino
domino Octaviano Stephani Volaterrani priore sanctam Tri-
nitatem angelos astantes sanctosque pinxit A. D. M. D. V.;
und gegen-
über Petrus de Castro Plebis Perusinus tempore domini Silvestri Ste-
phani Volaterrani
ad dextris et sinistris dive ........ sanctos san-
ctasque pinxit A. D. M. D. XXI.
*)
Nach den centurie Mss. des Tim. Bottonio, Dominicaners zu
Perugia, ſoll dieſes Bild erſt im Jahr 1525 von Raphaels Schülern
vollendet worden ſeyn; daſelbſt wird die Altarſtaffel einem M. Berto
beygemeſſen. Von Lazuren und vereinzelten Retouchen verſtanden, mag
es mit dieſer Angabe ſeine Richtigkeit haben.
*)
Vita di Raf. — ed intanto fece un quadro che si mandò in
Siena, il quale nella partita di Rafaello rimase a Ridolfo del Ghir-
landajo
, perchè finisse un panno azurro che vi mancava.
— Von die-
ſem letzten mochte Vaſari ſeine Kunde haben. — Vita di Ridolfo Ghir-
landajo
,
erwähnt er deſſelben Vorganges umſtändlicher; dort nennt er
das Bild: „Quadro d’una Madonna.“
**)
S. Bottari zur obigen Stelle. Seine Meinung iſt auf Anga-
ben und Vermuthungen des Mariette begründet, welche (lett. sulla pitt.)
in deſſen Briefen entwickelt ſind. Andere mögen richten, weſſen Ver-
muthung der Wahrſcheinlichkeit näher kommt. — So viel ich mich ent-
ſinne, iſt ſogar der Name des ſieneſiſchen Edelmannes, von dem Bottari
ſpricht, ganz unbekannt.
*)
Richa, delle chiese di Firenze, T. IX. p. 28. — „dai Dei fu
data a fare a Raffaello d’Urbino una tavola per l’altare maggiore di q.
Chiesa (Sto Spirito) ma non fu terminata; e benchè non condotta
a perfetto termine, la volle il gran principe Ferdinando nel suo ap-
partamento, dove la fece finire dal Cassana.
*)
Vas. ed. Sen. Vol. V. p. 252.
**)
Scuola Rom. ep. sec.
*)
Man lieſt den Namen des Cardinal Julian della Rovere zu
Grottaferrata und an anderen Stellen an verſchiedenen ſchönen Bau-
ſtücken. Schon vor Raphaels Ankunft hatte er in Rom viele der fähig-
ſten Maler verſammelt.
**)
S. den ſchon angef. Brief, Lett. sulla pitt. To. I. 1. (ſo in
allen Ausgg.).
*)
S. Vasari, ed. Senese, To. V. Proemio della vita di Raff.
d’Urb.
p. 236. ss.
das Ende des dort mitgetheilten Briefes, deſſen, ob-
wohl unvollſtändiges, facsimile bey Quatremère de Quincy hist. de la
vie et des ouvrages de Raphaël
, an den Tag legt, daß der ſieneſiſche
Herausgeber nicht überall richtig geleſen hatte. Vergl. bey dem letzten
p. 47. aus jenem Briefe abgeleitete Folgerungen.
*)
Lanzi, sto. pitt. Sc. Ro. Raff. — „Nondimeno ehi ne rigu-
arda ogni parte da sè, la trova d’un esecuzione così diligente e mira-
bile, che fin si é preteso, doversi questo quadro anteporre a tutti
gli altri
.“ Er zielt auf della Valle. Vergl. die entgegengeſetzte Anſicht
bey Roscoe , life of Leo X. Ed. III. p. 240., wo in der Beurtheilung
unſeres Gemäldes die Ausdrücke: formality of design, barbarous custom
of gilding some parts of the work, the soloecism of introducing a
foreign light etc
. — In letzter Beziehung habe T. Zucchero das Rechte
getroffen.
*)
Dieſe Bemerkung, welche man häufig den Romantikern ganz
zur Laſt legt, iſt im Gegentheil ſo alt, als Raphaels Werke. Vaſari
(ed. P. ce. p. 86.) ſagt von ihm: „wenn Raphael bey ſeiner Manier
geblieben wäre, und ſie nicht hätte abändern und großartiger machen
wollen, um zu zeigen, daß er eben ſo viel verſtehe, als Michelangelo, ſo
würde er nicht einen Theil des Namens, den er ſich erwor-
ben, wieder eingebüßt haben
.“ — Halten wir uns hier an die
Sache, nicht an des Vaſari Lieblingsdigreſſion auf Raphaels Nachah-
mung des Michelangelo.
*)
Die Hauptſtelle im Leben des Tizian(Ed. c. P. III. p. 813.).
In beiden Originalausgaben wird die, Raphael beſonders angehende
Stelle wörtlich wiederholt, wie folgt (Vas . ed. Torrigiani 1550. P. III.
p. 648. ed. Giunti 1568. P. III. p. 73.): E con tutto che egli havesse
veduto tante anticaglie e che studiasse continovamente, non aveva
però per questo dato ancora alle sue figure una certa grandezza etc.
Quatremère (p. 68. u. 83.)
bezieht das nachſtehende abſolute (auf
jede Art künſtleriſcher Forſchung ſich beziehende) studiasse auf das
vorangehende anticaglie. Ohne vorher zu ergänzen: le studiasse, wo-
mit übrigens Vaſari, womit ſelbſt die Crusca nicht möchte einverſtan-
den ſeyn, iſt ſeine Ueberſetzung gramm. falſch. Im Gegentheil iſt, auch
hiſtoriſch, der eigentliche Sinn dieſer ſchön geſagten Stelle dieſer: ob-
gleich Raphael ſo viele antike Denkmale (mit Luſt) geſehn und un-
aufhörlich (die Natur, ſie nachbildend, ſie analyſirend) ſtudirt hatte,
ſo etc. Q. nimmt es mit ſeinen hiſt. Belegen überhaupt viel zu leicht;
hier aber täuſchte ihn ſein Vorurtheil für den akademiſchen Studienweg.
*)
Gaudenzio Ferrari, Benvenuto Garofalo verpflanzten die Neue-
rung von Rom aus in die Lombardey.
**)
Es ward in Auftrag des Vicekönigs (Eugen) zum letzten Male
reſtaurirt, ganz übergangen.
*)
Scuola Toscana.
**)
Vasari, ed. P. cc., vita di Raffaello d’Urb. p. 84. Vergl. vita
di Lionardo da Vinci.
— In Bezug auf allgemeines Urtheil uͤber Zeit-
genoſſen war Vaſari das Organ ſeines Meiſters.
*)
S. Vas . ed. Senese, T. VII. p. 78. die Anm. des römiſchen
Herausgebers. Vergl. Lanzi sto. pitt. Scuola Rom. epoca II. Raffaello
d’Urb.
, Pitture vaticane.
— Neuerdings, beſonders nach dem letzten, wie-
deraufgenommen von Quatremère de Quincy, l. c. p. 67. ss.
*)
Firenze, Torrigiani, 1550. 8. P. III. p. 964.
**)
Raccolta di lettere sulla pitt. etc. ed. Milano, 1822. 8. Vol.
III. p. 472. dd. 8. Julii 1506.
***)
Fir, Giunti, 1568. 4. P. III. p. 728.
†)
„Wegen verweigerten freyen Zutrittes zum Pabſte ſey der Künſt-
ler unwillig geworden und habe, dem verletzten Selbſtgefühle nachgebend,
eilig nach Florenz ſich zurückgezogen.“ Dieſes ſtimmt auch beſſer mit
dem Ausdrucke der Briefe des Pabſtes: Michael Angelus sculptor, qui
a nobis leviter et inconsulte discessit,
zu der Verſöhnungsſcene
bey Vaſari(vita di Michel Agnuolo, ed. P. ce. p. 729.). In beiden
erſcheint der Künſtler als der Beleidigte, Schmollende; hingegen wäre
er nach jener anderen Erzählung des Vaſari vielmehr ſelbſt der Beleidi-
ger, indem er, wie es lautet, den Pabſt in der Sixtina durch einen her-
abgeworfenen Balken erſchreckt und um Weniges ſogar erſchlagen hätte.
*)
Vas . ed. P. cc. p. 731. „Per la qual cosa nacque il disor-
dine, come s’é ragionato, che s’hebbe a partire di Roma non volendo
mostrarla al Papa
(die Malerey der Sixtina); und p. 73. (vita di
Raff.). Avvenne adunque in questo tempo, che Michelangelo fece
al Papa nella cappella quel romore e paura, di che parleremo nella
vita sua.“
Roſcoe (life of Leo X. Ed. III. p. 245.) verſichert, dieſe
letzte Stelle ſey mit anderen eben dahinaus zielenden deſſ. Lebens nur
aus Verſehen ſtehen geblieben, hingegen im Leben des Michelangelo die
falſche Angabe ganz ausgemerzt und zurückgenommen worden, was falſch
iſt. Offenbar hat Roſcoe den Vaſari nicht ſelbſt nachgeleſen, auf Lanzi
ſich verlaſſen. — Vaſari iſt durchaus kein ehrlicher Hiſtoriker; was ſei-
nen Werth begründet, iſt der Umfang ſeiner Kunde und der Umſtand,
daß er der größten modernen Kunſtepoche Zeitgenoſſe war.
*)
Vas . ed. P. cc. p. 731. s.
**)
Id. ib. p. 737. — „Dove che finita la cappella (Sistina) ed
innanzi che venisse quel Papa a morte, ordinò S. S. se morisse, al
Cardinale etc. che facesse finire la sua sepoltura — al che fare di
*)
Vas . ed. P. cc. p. 73. 86. und 731.
**)
nuovo si messe Michelangelo — Di che egli alla sepoltura ritornato
— volse la fortuna invidiosa, che di tal memeria non si lasciasse
quel fine — perche successe in quel tempo la morte di Papa Giulio
etc.“
— Wir ſehn hieraus, daß Vaſari von der Beendigung der ſixti-
niſchen Kappelle bis zum Tode Julius II. (1513) nichts anzuführen
wußte, als einige Vorbereitungen zur Fortſetzung des früher begonnenen
Grabmals deſſ. Pabſtes. Da Michelangelo die erſte Ausgabe der Lebens-
beſchreibung des Vaſari noch erlebt hat, ſo dürfen wir annehmen, daß
Vaſari in dieſem Leben aus der erſten Quelle geſchöpft.
*)
Vas . ib. p. 86. — „E se Raffaello si fusse in questa ma-
niera fermato, ne avesse cercato di aggrandirla e variarla, per mo-
strare ch’ egli intendeva gli ignudi così bene come Mi-
chelangelo
, non si etc. — perciochè gli ignudi, che fece nella ca-
mera di Torre Borgia, dove é l’incendio di Borgo nuovo, an-
cora che sieno buoni, non sono del tutto eccellenti“
— Seinem We-
ſen nach konnte dieſer Wettſtreit methodiſcher Virtuoſität erſt bey ab-
nehmender Fruchtbarkeit, eintretender Reflexion, Raum finden.
**)
Man hat eben in dieſer Frage den Vaſari der Partheylichkeit
beſchuldigt, Andere haben ihn davon frey ſprechen wollen; beides mit einigem
Grunde. Als einer der feinſten, vielſeitigſten Kenner aller Zeiten, liebte
Vaſari unſtreitig die Bilder des Raphael mehr, als jene ſeines Meiſters;
die einen beſchreibt er auf das anſchaulichſte, die anderen überhäuft er
mit allgemeinen, leeren Lobſprüchen. Als Methsdiker, als Theoretiker,
verachtete er aber den Raphael, begegnete ihm mit einem, beſonders in
ſeinem Munde lächerlichen Ueberlegenheitsgefühle (S. vita di Raff. be-
ſonders p. 86., doch auch ſonſt), erhob er hingegen den Michelangelo
zum höchſten und allgemeinen Vorbilde. Vita di M.A. ed. P. cc. p.
736. „O veramente felice età nostra, o beati artefici, che ben così
vi dovete chiamare, da che nel tempo vostro havete potuto al fonte
di tanta chiarezza rischiarare le tenebrose lucid egli occhj“
und ſo fort
in ähnlichen Hyperbeln.
*)
Vasari vita di Michelagnuolo. — Era Papa Giulio molto de-
sideroso di vedere le imprese che faceva
— und an einer andern
Stelle: dimandandogli il Papa importunamente, quando egli fi-
nirebbe
— rispose il Papa: che satisfacciate a noi nella voglia, che
haviamo di farla presto
(die Kappelle). Dieſe und ähnliche Aeußerun-
gen des Pabſtes, welche viel Phyſiognomie haben, mochte Vaſari aus
dem Munde des Michelangelo überliefern.
*)
Die Stanzen ſind oft beſchrieben, in Kupfer geſtochen, beſehen
worden. — Bellori, Descrizione delle immaggini dipinte da Raff.
d’Urb.
nelle camere del palazzo Ap. Vat. Roma 1659
. Die größeren
Bilder geſtochen von Aquila, von Volpato; die Runde der Decke von
Morghen; die Nebenbilder und die Decke des zweyten Zimmers in Um-
riſſen von Francesco Giangiacomo, Rom 1809. Einiges noch von Santi
Bartoli
.
*)
Vas . vita di Raff. d’Urb. — „e sopra l’ostia, che é sull’ al-
tare, disputano.“
Indeß liegt dies nicht in dem Sinne der Auf-
gabe.
*)
Lunette in S. Severo, Krucifix Feſch, Madonna di Peſcia.
**)
In der ehemals von Birkenſtock, jetzt dem Herrn Sen. Bren-
tano
zu Frankfurt a. M. gehörenden Sammlung von Marcanton’s Ku-
pferſtichen befindet ſich ein beſonders ſaftiger Abdruck, den der Künſtler
ſelbſt könnte beſorgt haben.
*)
Quatremère de Q. p. 86. s. in der Anm. „Selon Vasari, et
d’après l’ordre dans lequel il fait mention des ouvrages de Raphaël,
*)
S. Lett. sulla pitt. Ed. Milano, T. I. p. 114. — Bembo, Let-
tere, lib. 9. lett.
13.
*)
ordre que nous tâchons de suivre aussi, parcequ’il indi-
que celui dans lequel ils furent exécutés
.
— Vielleicht hat
Hr. Q. den Vaſari überhaupt nicht geleſen, ſicher nicht ſtudirt. Und
doch verdient er, bedarf er, ſtudirt zu werden, da er die beiden entgegen-
geſetzten Eigenſchaften vereinigt, die Hauptquelle, aber auch eine ſehr
trübe Quelle, der neueren Kunſthiſtorie zu ſeyn.
*)
S. Vasari, vite, ed. Senese, T. V. p. 326. ff. in der Anmerk.
des röm. Editor und in den Zuſätzen des ſieneſiſchen, was dieſen Caſſana
und ſeine Arbeit in dem genannten Bilde angeht.
*)
Hr. Vinc. Camoccini ſandte vor längerer Zeit eine Chalke des
genannten Kopfes nach München, welche bey genauerer Vergleichung in
allem Weſentlichen mit dem Bilde Altoviti übereinſtimmte; dieſes un-
geachtet der nothwendig allgemeineren Behandlung der Nebenfigur eines
hiſtoriſchen Bildes.
*)
P. Casimiro Ro. memorie d’Araceli, p. 242. Vergl. Vasari,
Ed. Senese, T. V. p.
269. die Anm. des röm. Ed.
*)
Felsina pittrice, vita di Francesco Francia, gegen das Ende.
**)
Quatremère l. c. läßt es auf ſich beruhen, ob das Bild der
Gallerie Pitti, oder das andere, dem er jedoch mehr Glauben beyzumeſ-
ſen ſcheint, das Original ſey.
*)
Felsina pitt. l. c. — Quatrem. ſagt, dieſes Gemälde ſey erſt
1513 beſtellt worden, was auf einem Mißverſtändniß des Malvaſia zu
beruhen ſcheint.
*)
Leo X. año Chr. MDXIV. pont. sui II.
**)
S. Roscoe , life of Leo X. Ed. c. p. 249. s., und appendix,
No. CCVII.
*)
S. ſeine Lobredner, den Ammirato, opuscoli, vita dì Leone X.,
oder Roscoe , life of Leo X.
*)
Vasari, P. c. p. 82. — Fece una sala — e per Giovanni da
Udine
— fece fare in ciò tutti quegli animali, che papa Leone aveva,
il Cameleonte etc.
*)
Vasari, P. c. p. 87. — Perche, avendo tanti anni servito la
corte, et essendo creditore di Leone di buona somma, gli era stato
dato indizio, che alla fine della sala (di Costantino) — il Papa gli
avrebbe dato un capello rosso.
*)
S. de la Puente, viage de España, P. II. p. 78.
*)
Ich hatte das Kunſtwort: drapellone, in: Fahne überſetzt; man
hatte, aus Unkenntniß der Gebräuche, die Kirchenfahnen weich und flat-
ternd ſich vorgeſtellt, gleich den Regimentsfahnen, und darauf Einwürfe
gegründet. Proceſſionsbilder werden aber von zwey, vier und mehr Per-
ſonen an zwey Stangen getragen.
**)
Vita di Raffaello, ed c. p. 82. — Fece a’ monaci di S.
**)
Sisto in Piacenza la tavola dello altare maggiore dentrovi la nostra
Donna, S. Sisto e S. Barbara, cosa veramente rarissima e singolare.
*)
Vas . vita di fra Bartolommeo di S. Marco — ed. P. cc. p.
38. — Il S. Pietro, il quale tutto ritocco di mano del mirabile Raf-
faello
. —
*)
Vasari ed. P. cc. p. 83. Fece al Cardinale Colonna un S.
Gio. in tela.
— Der einzige florentiniſche iſt auf Leinwand gemalt. In
dieſem Bilde iſt indeß die zweyſeitige Anſicht des verkürzten Fußes per-
ſpectiviſch unmöglich, auch von beiden Handzeichnungen abweichend. In
dem Pariſer und Berliner Exemplare entſpricht dieſer Theil den erwähn-
ten Zeichnungen.
*)
Zu Florenz, Paris, Bologna, zu Rom auf dem Capitol.
**)
So ſchließt man aus der ſicheren, ſchulmäßigen Zeichnung, den
ohne paſtoſe Unterlage laſirten Schattenſeiten, der generellen Behandlung
der Landſchaft.
***)
Vas . P. c. p. 86. ſuchte den Rückſchritt Raphaels, den Grund
des Tadels, dem er in ſpäteren Jahren ausgeſetzt war, theils in einem
ſeinem Naturell unangemeſſenen Wetteifer mit dem Michelangelo(per
mostrare ch’ egli intendeva gl’ ignudi cosi bene come Michelagnuolo)
,
theils, gelegentlich der Pſyche, aus dem Umſtande, daß er die Ausführung
ſeiner Entwürfe mehr und mehr ſeinen Gehülfen überließ (l’havergli
fatti colorire ad altri col suo disegno
). Das Geräuſch muß groß ge-
weſen ſeyn, da Vaſari wagen konnte, zu ſagen: non si sarebbe tolto
parte di quel buon nome, che acquistato si haveva.
— Alſo ſehr mit
Unrecht hält man dieſe alte Bemerkung für ein Paradoxon der Roman-
tiker.
*)
Am oberen Rande des Geſtelles oder Sockels iſt die Jahreszahl
M. D. XVIII. in das Impaſto hineinvermalt. Obgleich in dieſem Bilde
das Haar, und in der Stirne die Laſur des Schattens verputzt iſt, ſo
darf es doch im Ganzen, beſonders in Vergleich des Pabſtes, für ganz
wohl erhalten gelten.
*)
Vas . P. c. p. 325.
**)
Quatremère de Quincy, vie de Raph. p. 61. ſagt gelegentlich
dieſes Werkes: „Après les innombrables découvertes dont Raphaël ne
put même pas avoir le pressentiment, et qui ont fait reparoître l’an-
tiquité iconographique presque entière; après cette multitude d’ob-
*)
S. den bekannten Brief Raphaels.
**)
jets originaux recouvrés depuis trois siècles, et qui ont opposé
aux inventions de l’Ecole d’Athènes tant de parallèles, et d’aussi pé-
rilleux, le style de cette composition a gardé sa place dans l’opinion
des artistes et les figures de beaucoup de personnages antiques qui
y sont représentés, ont continué de passer pour classiques, même à
côté de celles que le ciseau des Grecs nous a transmises: tant Ra-
phaël
eut le don de deviner l’antique.“
Trennen wir die letzte kühne
Annahme von dieſen Bemerkungen, ſo werden dieſe ſo viel ſagen und
anerkennen: daß Raphael den neueren Künſtlern gezeigt, auf welche Weiſe
antike Aufgaben, in wie weit der Habitus der alten Kunſt mit den An-
ſpruͤchen der Malerey überhaupt, beſonders der modernen, ſich ausgleichen
laſſen. Vor ihm nahm man dieſe Dinge doch zu willkührlich, zu bizarr,
ſpäter, doch eigentlich erſt in den neueſten Zeiten, mit zu viel Aengſtlich-
keit der Berückſichtigung des Hiſtoriſchen und Poſitiven.
*)
S. (Bellori) Delle immagini dipinte da Raffael d’Urbino,
nel palazzo Vaticano e nella Farnesina alla Lungara. Roma 1751.
**)
Dieſe Zeichnungen befanden ſich damals im Beſitze des Malers,
Profeſſor Abel, welcher ſpäter zu Wien verſtorben iſt.
*)
S. Raphaels Brief an Caſtiglione, lett. sulla pitt. etc. Der
Ungenannte beſeitigt dieſen Brief zu leicht, indem er annimmt: Raphael
ſey eben damals mit einer anderen Galathea beſchaͤftigt geweſen, von
welcher man nun eben nichts wiſſe.
**)
Alcune riflessioni di un Oltramontano su la creduta Galatea
di Raffael d’Urbino. Palermo 1816,
ohne Seitenzahlen. — Dieſer For-
ſcher zeigt, daß Raphael in der Geſchichte der Pſyche Wort für Wort
dem Apulejus gefolgt ſey, und ſchließt, da auch die angebliche Galathea
in allen Stücken der Schilderung des Apulejus der Erſcheinung der
Amphitrite entſpricht: daß in dem Bilde dieſe letzte gemeint ſey, und in
ihr ein neuer Cyclus anhebe, welcher, wie jener die himmliſchen, ſo hier
die telluriſchen Begebenheiten der Fabel habe zuſammenfaſſen ſollen.
*)
P. c. p. 86. — Daß Vaſari nach dieſer Bemerkung unmittel-
bar auf die Transfiguration übergeht, liegt an ſeinem Geſchmacke an
Tranſitionen im Converſationstone.
*)
Vaſari im Leben des Giulio, gegen das Ende; und Cellini, vita,
ed. Colonia per P. Martello, 4. p. 53.
**)
Cellini ſagt: al Ti. — Der Palaſt erhielt den Namen des Ba-
ſtions, auf welchem er angelegt war.
*)
Am Sockel des Bildes in der Kappelle des heil. Stephanus.
Andre Werke deſſ. Meiſters in degli Angeli, in S. Giacomo, auf dem
Wege von Trevi nach Spoleto, an dieſem letzten Orte.
*)
Als Nothbehelf, als polizeylicher Mißbrauch, kommen Stock-
werke ſchon in den griech. Städten vor; ſ. Böckh, Staatshaushalt etc.
I. S. 70. ff. — In architectoniſcher Ausbildung mit Gewißheit erſt
bey den Römern; ſ. Vitruv und die Denkmale.
*)
S. Guttensohn et Knapp, mon. di religione Christiana, ossia
raccolta delle antiche chiese di Roma dal quarto Secolo etc. Roma
1822
, gr. Fol. Heft II. u. III. daſ. 1824. Vgl. die Monum. Ra-
vennati etc.
(d. i. das Kupferwerk des Titels).
*)
Die engliſchen Alterthumsforſcher unterſcheiden ſächſiſche, nor-
männiſche und neugothiſche Bauart, nach den Epochen ihrer eigenen
Geſchichte. Dieſe Unterſcheidungen, deren erſte wir carolingiſch, die
zweyte, nach dem bisherigen Gebrauch, vorgothiſch nennen würden,
gehen nur England an, kommen daher hier nicht in Betrachtung.
*)
„Die aneinander gelehnten Steinſparren in den Höhlungen
alter Gräber (worüber Coſtenoble Abſchn. 3. §. 14.), die ſeltſamen und
räthſelhaften Erſcheinungen zu Stonehenge in England, das ſog. Lager
des Attila im Elſaß verrathen allerdings Tendenzen entgegengeſetzter
Art, welche den älteſten griech. Conſtructionen ſich entfernt anzunähern
ſcheinen. Doch wiſſen wir nicht, welchem Volke ſie angehören, hin-
gegen, daß dieſe kunſtloſen Verſuche ohne Folgen geblieben ſind.“
**)
S. bey den Topographen von RavennaTheodorichs Grab-
mal, die arianiſche Taufkappelle und ſ. Vitale. Ueber die Zahl und
Erheblichkeit ähnlicher goth. Gebäude, Agnellus (bey Murat. scr. T. II.),
im Leben des heil. Agnellus. — Den Palaſt Theodorichs aus einem
muſ. Gemälde in S. Apollinare, auf dem Titelblatte der Urkunden-
ſammlung des Fantuzzi (mon. Rav. T. I.). In Ermangelung d. W.
ſ. d’Agincourt. — Von der Archit. d. Weſtgothen meldet La Borde,
Alex. voy. pitt. en Espagne, introduction, p. 44. „L’architecture des
premiers Goths ressembloit à celle des Romains; elle étoit seule-
ment d’un goût moins pur et généralement plus massive
. — Ueber
die Bauart der Weſtgothen in Frankreich ſ. oben Abth. V. die An-
merkungen.
*)
Unweſentlich nenne ich Abweichungen der Verzierung vom An-
tiken, welche nicht nothwendig gothiſcher Erfindung ſind, oft erweislich
den Architecten des ſinkenden Reiches angehören, oder, wie einiges an
dem Denkmahle Theodorichs, mit den Verzierungen altgriechiſcher Ge-
räthe zuſammenfallen, daher ebenfalls entlehnt ſeyn könnten.
*)
S. Vasari, le vite etc. Giunti 1568. 4. vita d’Arnolfo di
Lapo
, und proemio delle vite, p. 77., wo, nach dem eilften Jahrhun-
dert: ne’ garbi di quarti acuti, nel girare degli archi secondo l’uso
degli stranieri di que’ tempi
. — Er hatte von der Einwirkung
deutſcher Architecten und Steinmetzen auf viele Bauwerke Italiens
Kunde erlangt, welche ich, Thl. II. S. 142. f., um einige urkundlich
bewährte Veyſpiele vermehrt habe. — Vasari proemio, p. 76.: Edi-
fizj, che da noi son chiamati Tedeschi
. — Dieſe traditionelle Benen-
nung iſt offenbar die ältere. — Gothiſch nannte man die deutſche Bau-
art nicht früher, als nachdem ſie (durch Brunelleſchi und andere) in
Verachtung gekommen, verdrängt worden war.
**)
Daſ. Introduzione, dell’ arch. p. 26. nach den Worten: Ecci
un’ altro specie di lavori, che si chiamano Tedeschi
, die vollſtändige
Definition deſſen, was man noch immer gothiſche Architectur nennt,
und darauf: Questa maniera fu trovata da’ Gotthi, che per
aver ruinate le fabbriche antiche e morti gli architetti
(wie Ghiberti)
fecere dopo coloro che rimasero le fabbriche di questa maniera; li
quali girarono le volte di quarti acuti etc.
Vgl. proemio p. 76.
und vita d’Arnolfo, wo verſchiedene Werke des zwölften u. folgenden
Th. (nach unſerer Art zu reden, theils im vorgothiſchen, theils im
gothiſchen Style), als: fatte alla maniera de’ Gotthi bezeichnet wer-
den. Aus den folgenden Anm. erhellt, daß. Vaſ. ſchon unter Theodo-
dorich
eine bedingte Rückkehr zum Alterthume annahm. Wo iſt denn
*)
Daſ. proemio delle vite p. 76. — finchè la miglior forma
e alquanto alla buona antica simile trovarono poi i migliori ar-
tefici; come si veggono di quella maniera per tutta Italia le piu
vecchie chiese e non antiche, che da essi furono edificate, come da
Teodorico Re d’Italia un palazzo in Ravenna un altro in Pavia etc.
**)
die Zeit, in welcher jene angebliche Erfindung der Gothen ſtatt finden
konnte?
*)
Seit Muratori und Maffei (d. i. ſeit Entſtehung genauer, er-
ſchöpfender, kritiſcher Forſchungen im Gebiete der Geſchichte des ital.
Mittelalters) haben bald die Gothen, bald die Longobarden, bald die
germaniſchen Einwanderer überhaupt, in Italien ihre Vertheidiger ge-
funden, hat man andererſeits in den Vorurtheilen älterer Zeiten (welche
eigentlich aus Religions-Differenzen entſtanden ſind) einen allgemei-
nen Entſchuldigungsgrund für alles Verkehrte und Ueble zu finden ge-
glaubt, welches Vaſari und ſo viele andere den Gothen nachgeſagt,
oder auf ſie geſchoben hatten. — Ich fordere nicht, daß Vaſari, dem
hiſtoriſche Kritik fremd war, über die Vorurtheile ſeiner Zeitgenoſſen
ſich hätte erheben ſollen. Allein, um die Unvereinbarkeit dieſer Vor-
urtheile mit den ſicheren Thatſachen, von denen er Kunde hatte, ein-
zuſehen, bedurfte es nichts weiter, als eines ſehr gemeinen Grades von
Aufmerkſamkeit und Gedächtniß. Sehr oft umſchließt bei ihm ein ein-
ziger Satz gegenſeitig ſich Aufhebendes, Wahres und Falſches.
*)
S. oben, Abth. IV. Vgl. Muratori antt. Diss. 21. — Zu
den Beyſpielen des Holzbaues bey den Franken und Burgundionen,
füge: Greg. Turon. lib. IV. c. XLI. u. lib. V. c. II. — ad basili-
cam S. Martini quae (Rothomagi) super muros civitatis ligneis ta-
bulis
fabricata est
. — Jenes erſte Dat ganz übereinſtimmend mit den
häufigen Verbrennungen der nordiſchen Sagengeſchichte.
*)
S. Legg. Longob. Rotharis L. 144. vgl. Tiraboschi sto. della
lett. It. To. V. lib. II. c. VI. §. 2
. u. Murat. antt. Diss. 24. zu
Anfang.
**)
S. Paul. Diac. hist. Long. lib. III. c. 26.
*)
Seroux d’Agincourt, hist. de l’art etc. T. I. Archit. Pl. XXIV. N. 1. 7.
**)
Daſ. Pl. cit. No. 16. 17. 18.
***)
Lupi, Marius, codex Dipl. civ. et ecclesiae Bergomatis. Vol. I.
Berg. 1784. fol. p. 209. (cap. XI. §. VIII.) — vanum tamen est de
hujus templi antiquitate eruditorum judicium.
*)
S. derſ. daſ. Nr. 204.
**)
S. daſ. Tab. I. et II. In dieſer übrigens ziemlich genauen
Abbildung ſondert ſich indeß die alte Conſtruction nicht hinreichend
von der neueren.
*)
Sie befindet ſich unter der Wölbung der Haupttribüne und
lautet wie folgt:
Quis cuperet refici testudo ma̅x̅i̅a templi
Tibunum et allas verteret eximias.
Instauravit opus niger hoc t̅u̅ B̅t̅olomeus
Phano huic canonicus vel pie Syre tibi.

Die canonici reg. ſind bekanntlich eine ziemlich ſpäte kirchliche
Stiftung. — Die Inſchrift aber verweiſet, den Sprach- und Schrift-
formen nach, in’s eilfte oder zwölfte Jahrhundert. — Ob man aus-
findig gemacht, wann der niger Bartolomeus der Inſchrift Canonicus
der Kirche geweſen, iſt mir unbekannt. Was die Inſchrift wichtig
macht, iſt deren ausdrückliche Beziehung auf das Gewölbe.
*)
Voy. dans le Milanés, T. II. p. 21.
*)
Bernardino de’ Co. di Campello, Hist. di Spoleti etc. To. I.
Spoleti 1672. 4.
**)
Derſ. daſ. lib. XII. p. 359. Dieſes gilt von den alten, der
erſten Anlage des Werks angehörenden Theilen (Grundlagen, Pfei-
lern); denn Vieles iſt darin, nach Kriegen, ergänzt worden.
***)
Daſ. p. 373., 381. Anm. und lib. XIII. zu Anfang. — Eine
etwas freye und maleriſche Abbildung dieſer merkwuͤrdigen Subſtruction,
welche in der Folge auf jene des heil. Franz zu Aſiſi geleitet haben
mag, in dem großen Kupferwerke des Piraneſi.
†)
Daſ. lib. XII. p. 361.
*)
S. Th. I. Abh. IV. S. 194. In einer Recenſion dieſes Thei-
les (Halliſche Lit. Zeitung, 1828.) wird zu der ang. Stelle geſagt: „In
Aſiſi giebt es einen Dom, und die Kirche S. Francesco; wahrſcheinlich
meint Vf. die letzte.“ Worauf der Rec. dieſe Wahrſcheinlichkeit be-
gründen will, weiß ich nicht anzugeben. Da in einer und derſelben
Stadt ſtets nur ein Dom, alſo keine Verwechſelung möglich und denk-
bar iſt, ſo pflegt man den Heiligen, dem irgend ein Dom geweiht iſt,
höchſt ſelten namentlich anzugeben. Giebt es aber einen alten, verlaſ-
ſenen Dom, ſo unterſcheidet man etwa den alten vom neuen. Auf eine
ſo eminente Unkunde, als Rec. hier darlegt, konnte ich nicht vorberei-
tet ſeyn. Indeß hätte er nur die Anmerkung deſſ. Blattes anſehen
dürfen, wo der Name des S. Rufino ausgeſchrieben ſtehet, um ſich zu
überzeugen, daß von dem Dome S. Rufino die Rede ſey und keines-
weges von einer Kloſterkirche, welche nach dem Herkommen der chriſt-
lichen Welt überhaupt niemals ein Dom ſeyn kann. Nur der Sache
willen.
**)
S. Brunetti, Fil. cod. Dipl. Toscano, P. I. Firenze 1806.
cap. III. p. 247.
ff. und p. 261. ff.
***)
Derſ. daſ. §. 9. p. 255.
*)
Maliſpini (cap. XXXVIII.) giebt dieſe Kirche noch nicht für
einen heidniſchen Tempel; erſt G. Villani (storie, lib. I. c. XLII.)
Vgl. Richa delle chiese di Fir. T. VI. p. III. der Introduz. und Vinc.
Follini
zum Maliſpini, Cap. cit. Anm. 12.
**)
S. die Abh. V.
***)
Vasari, vita d’Arnolfo, ed. c. p. 93.Gio. Villani, ſein
***)
Gewährsmann, ſpricht nur von einzelnen Theilen der Außenſeite, welche
er, gheroni, nennt, Dreyecke, alſo nothwendig die Zwickel über den
Bögen und unterhalb des Gebälkes. Arnolph baute im ſogenannten
gothiſchen Geſchmacke; das Ganze der Bekleidung entſpricht aber, zu-
gleich mit der Sculptur an den Ausgängen der Ableitungsrinnen, der
florentiniſchen Bauart des eilften Jahrhunderts.
*)
Delle chiese di Firenze, To. II. p. 3. seq. Vgl. Osserva-
tore Fiorentino, Vol. V. p. 223.
der n. Ausg.
**)
Storie univ. lib. I. c. 38. — ed ancora oggi del detto smalto
si trova cavando, massimamente nel sesto di S. Piero Scheraggio.
*)
Sie erhielt dieſen Beynamen von einem nahegelegenen Ab-
zug von Unreinigkeiten. Es mag ihm daher das Wort: Kehren, Keh-
richt, zum Grunde liegen, wenn es überhaupt erweislich, in dieſem
Sinne, altgermaniſch iſt. — Die Crusca hat bisher deſſen Wurzel nicht
ausfindig gemacht. Der Abzug ſelbſt mag übrigens der Reſt einer an-
tiken Cloaca geweſen ſeyn, da in der Nähe viel altes Pflaſter von Zeit
zu Zeit aufgedeckt wurde.
**)
Brunetti cod. dipl. Tosc. T. I. p. 269. wird S. Piero mit
den ſieben Pinien ſchon im Jahre 763 erwähnt; mit den Pinien aber
mußte auch der Beyname abſterben und einem neuen Raum geben,
welcher auf eine ſpätere Erweiterung der Kirche, gegen den Arno hin,
gegründet ſcheint.
***)
Morrona, Pisa illustrata, To. III. c. XIX. §. 6. (Ed. sec.
p. 393.)
†)
Derſ. ebendaſ. Doch kann dieſer Theil nach ſeinen techni-
ſchen Merkmalen nicht wohl ſo neu ſeyn, als jener Specialforſcher ohne
beſtimmte Gründe annimmt.
*)
S. Fiorillo, Geſch. der zeichnenden Künſte, Thl. II. S. 378.
und, von der Hagen, Briefe in die Heimath, Bd. I. S. 285.
*)
Wie bändereich die Lit. der Unterſuchungen des kirchlichen Zu-
ſtandes der neueren Griechen ſchon vor einem Jahrhunderte war, zeigt
ſich bey, Elßner, neueſte Beſchreib. der griech. Chriſten, Berlin 1737. 8.
*)
S. Banduri, Imperium orient. To. II. Tab. I. II. III. XI.
XVI. XVIII
. — nirgend unter ſo vielen eine neue, fremdartige Grund-
form.
*)
S. bey demſ. To. I. den anonymus de ant. Constantinop.
**)
Anon. cit., lib. II. (Banduri, ed. Paris. p. 37. Ven. p. 33.)
— τῶν τεχνιτῶν ἀπὸ Ρώμης ελϑόντων. — Wie ſehr man ſich daran
gewöhnt hatte, Jegliches dem Stoffe oder der Kunſt nach Köſtliche mit
Rom in Verbindung zu denken, zeigt ſich unter anderen Beyſpielen
auch in der Abh. de sepulchris, quae sunt in templo ss. Apostolorum
(ap. Bandur. To. I. p. 122. 164.)
— λάϱναζ ἀπὸ λίϑου τιμίου Ρω-
μαίου, und früher: λαϱνάκια τϱία ποϱφυϱᾶ Ρωμαῖα, wodurch die
Steinart näher beſtimmt wird.
***)
Anon. c. lib. II. (p. 32. oder 29.) Vgl. die Beſchreibung der
Kirche zu Bethlehem durch Mariti (viaggi, T. IV.); deren Abbildung
bey, Amico, piante etc. — Dieſe Kirche wird ebenfalls der Mutter
Conſtantins zugeſchrieben.
*)
Id. lib. IV. (p. 65. oder 57.)
**)
Id. lib. III. (p. 56. oder 49.)
***)
Procopius, de aedificiis Justiniani.
†)
Petrus Gyllius, de topograph. Constantinop. lib. II. c. XIV.
(bey Banduri).
*)
Derſ. daſ. — „capitula inferiorum (columnarum) echinos ha-
bent circumdantes imam partem; reliqua pars est tota vestita fo-
liis
. Superiorum volutae ex quatuor angulis capitulorum eminent,
echini vero ex latere prominent; reliqua pars folia egregie expressa
continet.“
— Die Urkunde des Baues, eine Inſchrift im umlaufenden
Frieſe der unteren Säulenſtellung, findet ſich bei Du Cange, Constan-
tinopolis Christiana lib. IV.
— Bey Ritter, Erdbeſchreibung, Thl. I.
der zweyten Ausg. S. 873. hält ein Reiſender einige Trümmer unweit
Abuſſyr in Unterägypten für Ueberreſte der Bauwerke, durch welche
Juſtinian (nach Procop) die Stadt Taphoſiris geſchmückt hat; was mir
indeß gewagt ſcheint, wenn ſie wirklich „doriſche Säulenreſte“ enthalten
ſollten, wie geſagt wird.
*)
S. Goar, R. P. F. Jac., Εὐχολόγιον, sive rituale graecor. etc.
*)
Amm. Marcellin. lib. XIV. — Pantheon, velut regionem te-
retem speciosa celsitudine fornicatam — aliaque decora urbis ae-
ternae. —
**)
S. die Grundriſſe u. Durchſchnitte bey Du Cange, Const. Chr.
***)
S. denſ. daſ. oder, d’Agincourt, welcher ſeine Abbildungen
aus jenem entlehnt hat.
†)
So verſtehe ich (anon. c. p. 77. oder 67.) die, φίνας τοῦ ναοῠ,
welche Juſtinian den in Kirchenbuße Begriffenen anwies. — Die ſpä-
teren nennen dieſe Vorhalle: ναϱϑὴξ, den Ort für die Gemeinde: ναός.
Unter letztem Ausdrucke verſtand alſo der anonymus wahrſcheinlich jene
Räume und Logen, welche nur an zwey Seiten ſich erhalten haben
(S. bey Du Cange, den Durchſchnitt). In dieſen waren die Geſchlech-
ter nothwendig geſondert, wie noch durchhin im Orient; ſ. Mariti viaggi,
To. I.
von Larnica in Cypern.
*)
Lutetiae. Paris. 1647. fo. 13. 15. not. — Vgl. anonym. s. c. lib. IV.
(p. 72. 83.)
und, für die neueren Zeiten, Allatius, Leo, de Templis
Graecor. recent. ad Jo. Morinum etc. Col. Agripp. 1645. 8. Ep. II.
No. 3. — Mariti, viaggi, To. IV. p. 166.
von S. Saba, unweit Je-
ruſalem
. „Essa é di una sola navata, con una bella cupoletta, che
corrisponde al etc.“
*)
S. die Compilation des, Du Cange, Constant. Christ. lib.
III. p.
35. oder den Gyllius.
**)
S. Procop. de aedificiis Justiniani, oder Gibbon und an-
dere, welche ihn benutzt haben.
*)
S. Photii, novae SS. Dei genitricis in palatio a Basilio Ma-
cedone extructae descriptio. ap. Bandur. Imp. or. T. I.
*)
Spon, voyage etc. T. II. p. 77. vom Kloſter des heil. Lu-
cas, unweit des alten Stiri: „l’Eglise est bien bâtie en croix Grecque,
avec un Dôme médiocre au milieu —“
Romanus Sohn ConſtantinVII.
habe ſie gegründet. Spon ſah: une vieille pancarte, qui parloit de
cette fondation.
**)
S. Chateaubriand, Itin. de Jérusalem, Vol. 1. 1811. p.
97. s. — „Misitra — église de l’archeveché — Quant à l’architec-
ture, ce sont des dômes plus ou moins écrasés, plus ou moins mul-
tipliés. Cette cathédrale a pour sa part sept de ces dômes.“
Vgl.
Willmann, travels, und Olivier, über ein Kloſter in Chios. Mit
Ausnahme des Mariti, laſſen die levantiſchen Reiſenden den Grundriß,
auf welchen es ankommt, ganz aus den Augen.
*)
S. Ritter, Erdbeſchreibung, wo a. ſ. St. die Nachweiſungen;
die Reiſen durch Perſien etc.
*)
S. Du Cange, Const. Christ.
**)
S. die byz. Hiſtoriker und Topographen; Villehardouin, hist.
de l’Empire de Const. sous les François. (Ed. 1657. fo. p. 51. 72.
81. 99. 132.)
— Vergl. Schloſſers Geſch. der bilderſtürmenden Kaiſer.
— Bey, Canisius, lect. ant. To. V. iſt auch Guntheri hist. Const.,
einzuſehn.
*)
Zum Vorbild der erſten hat augenſcheinlich am meiſten das
antike Gebäude St. Minerva Medica zu Rom gedient. Siehe die Grund-
riſſe beider bei d’Agincourt.
**)
Vaſari ſagt im Allgemeinen richtig (ed. c. P. 1. p. 77.) —
S. Marco — rifatta alla maniera Greca — col disegno di più maes-
tri Greci. Della medesima maniera Greca furono — le sette Ba-
die etc.
Dieſer Zuſatz iſt eben nur ein falſcher ſynchroniſtiſcher Schluß.
Della Valle (Vas . ed. Sen. T. I. p. 225.) bemerkt zu dieſen Worten:
Ancorchè fossero Italiani gli architetti delle nostro chiese intorno al
XImo Secolo, certo é, che quasi tutti presero per modello
quella di S. Sofia a Costantinopoli
.
— So leicht macht es
ſich die moderne Kunſtgeſchichte.
*)
S. d’Agincourt und andere.
**)
S. Bacchini, ad Agnellum, vita S. Ecclesii, bey Muratori
script. To. II.
— Hauptgründe: daß Procop. de aedif. Justiniani, ſie
nicht anführe; daß die muſiviſche Inſchrift im Innern der Kirche nicht,
gleich der nachgewieſenen der Kirche S. Sergius und Bacchus, des
Baues, ſondern nur der Weihgeſchenke des Kaiſers erwähne. Vergl.
den Text des Agnellus. Ein anderer, noch ſtärkerer Grund liegt in der
gezwungenen Anlage der Vorhalle, narthex, welche jedem Architec-
ten (bey d’Agincourt, Durand, mon. Rav. etc.) auffallen muß. Dieſer
Raum iſt, nach juſtinianiſcher Vorſchrift, für die Büßenden beſtimmt,
vielleicht in der weſtlichen Chriſtenheit das einzige Beiſpiel ſeiner Art.
Unmittelbar nach der Eroberung mochte der Kaiſer gehofft haben, ſei-
nen liturgiſchen Anordnungen auch in Italien Eingang zu verſchaffen.
Wäre die Vorhalle im erſten Plane des Gebäudes gelegen, ſo würde ſie
demſelben mehr ſymmetriſch ſich anſchließen. — Uebrigens geht das
Gebäude ganz folgerecht aus italieniſchen Präcedenzen hervor.
*)
S. Thl. I. Abh. V.
*)
S. d’Agincourt, T. I. pl. XV.; oder mon. Ravenn.
*)
Vas . ed. P. cc. p. 78. — Questo tempio, il quale fu fatto
con ordine e disegno di Buschetto Greco da Dulicchio, architettore
di quell’ età rarissimo. —
**)
S. Morrona, la Pisa ill. To. I. Ed. sec. p. 122., wo indeß
die Andeutung der Abkürzungen mangelhaft und die erſten, beſchädigten
Verſe nicht durchaus znverläſſig ſind. Die letzten Zeilen: Explendis
a fine decem de mense diebus, Septembris gaudens deserit exilium.
*)
BusketusDulichio — prevaluisse duci.
Menibus Iliacis cautus dedit ille ruinam
Hujus ab arte viri menia mira vides.
Calliditate sua nocuit dux ingeniosus
Utilis iste fuit calliditate sua.

Das K. des Namens darf nicht befremden. Es findet ſich in vie-
len Namen der it. Urkunden, bis es durch das CH. der moderneren
Orthographie verdrängt wurde.
**)
— at sua Busketium splendida templa probant.
Non habet exemplum niveo de marmore templum
Quod fit Busketi prorsus ab ingenio.

Morrona (p. 159.) nimmt an, daß dieſe Zeilen, beſonders wohl
der zweite der Form nach abſpringende Vers, ganz außer Zweifel ſetzen,
daß Buſketus den Dom entworfen habe. Hierin beſtärkt ihn die No-
tiz eines Buches im Archivio delle Riformagioni, zu Florenz, welches
den Titel, santuario Pisano, führt. Wie alt dieſes Buch ſey, küm-
mert ihn nicht. Es iſt aber eine Compilation, in welcher der Bu-
schetto da Dulicchio
, che fu architetto,
offenbar aus demſelben Miß-
verſtändniß entſtanden iſt, als jener des Vaſari. — Im Jahre 1080,
dem Dat dieſer Notiz, gab es in ganz Italien für die Geſchäftsfüh-
rung aller Art kein einziges gebundenes Buch, nur einzelne Rollen.
Die Bücher beginnen erſt nach dem J. 1200.
*)
HOC OPVS TAM MIRVM TAMQVE PRETIOSVM —
RAINALDVS PRVDENS OPERARIVS ET IPSE MAGISTER
CONSTITVIT MIRE SOLERTER ET INGENIOSE.
**)
Pisa ill. T. I. p. 158. s. — Er lieſt, operator, was falſch
iſt, und deutet (p. 160.) magister, gegen alle Beyſpiele, auf eine Weiſe,
daß dem armen Reinhard am Ende nichts übrig bleibt, als: esecutore
delle invenzioni architettoniche,
zu ſeyn. — Quatremère, hist. des ar-
chitectes etc.
macht den, Rainaldo, (dem Cicognara folgend) zum
Nachfolger des Buſchetto. Gleich willkührlich.
*)
Die erſten Verſe im Frieſe über der unteren Bogenſtellung:
Hoc opus eximii prepollens arte magistri — Bis novies lustris annis
jam mille peractis — et tribus ceptum post natum virgine verbum

Alſo: 1093. — Die Inſchrift hat ſchon Lami, hodoeporicon P. I. und
memorab. Eccl. Florent. T. IV. p. 104. s. Doch im letzten Verſe:
ex aethere, für, in.
*)
Sismondi, rep. Italiennes, T. IV., giebt demnach, in einer
Art patriotiſchen Feuers, der piſaniſchen Bauſchule zu viel.
*)
Maffei und Gibbon; noch ſpäter iſt die Preisaufgabe der wiſſ.
Geſellſchaft zu Görlitz.
*)
d’Agincourt ſcheint davon auszugehn, daß S. Vitale (er hatte
Bacchini’s ſchon nachgewieſene Abh. nicht benutzt) gleich der Marcus-
kirche von byzantiniſchen Künſtlern erbaut ſey. Nun ward bey ihm
die byzantiniſche Baukunſt ein für alle Male durch die Sophienkirche
repräſentirt. Alſo, wird er geſchloſſen haben, ſind jene Kirchen Nach-
bildungen von S. Sophia. Es iſt zu bedauern, daß ein Werk, wel-
ches ſeine tabellariſche Anlage und ſeine Wohlfeilheit allgemein ver-
breitet hat, deſſen Viele ſich als Nothbehelf, und leider auch als Richt-
ſchnur bedienen, in ſeinen Abbildungen, in den Erläuterungen, welche
ſie begleiten, ſo wenig genau und gründlich iſt. Wenn irgend etwas,
ſo wäre die neue Peterskirche zu Rom der Sophienkirche allgemeinhin
vergleichbar.
*)
Von der Hagen, Briefe in die Heimat, Bd. II. S. 111. ff. —
In einem Bilde der Gallerie della Brera zu Mayland, welches dem
Gentile Bellini beygemeſſen wird, bildet eine freye Darſtellung der da-
zumal wohl noch beſſer erhaltenen Vorſeite der Sophienkirche den Hin-
tergrund, welche jene Vergleichung in der Wurzel abſchneidet.
**)
S. Mariti, viaggi per l’Isola di Cipro etc.
*)
S. Ruhl, Denkmäler der Baukunſt in Italien, Heft II.
*)
Das Thor, dem Hauptaltare gegenüber, an der Kirche des
Kloſters Grotta ferrata, unweit Rom; daſ. der Taufſtein in der Kap-
pelle des heil. Nilus; das Hauptthor der Kirche S. Aleſſio zu Rom.
Beide vielleicht aus der Schule von Montecaſſino, ſ. Thl. I. Abh. VII.
S. 287. Zu Florenz, die Adler, an der Evangelienkanzel in S. Mi-
niato a Monte; die Kanzel aus S. Piero Scheraggio, jetzt in S. Leo-
nardo. In Deutſchland, die Sculpturen über den Seitenthoren der
Domkirche zu Bamberg. In allen dieſen Sculpturen iſt ein hochal-
terthümliches Princip.
**)
S. Mariti, viaggi, die erſten Theile. — Sogar die tramon-
tane vorgermaniſche Bauart ward von den Kreuzfahrern in den Kirchen
des heiligen Landes in Anwendung geſetzt, ſ. den Bernard. Amico,
trattato delle piante ed im. de’ sagri edifizi di Terra Sta, Fir. 1620. fo
.
*)
S. Niebuhr, voy. en Arabie.
**)
S. De la Borde, Al. voy. pitt. en Espagne, Descr. de la
Catalogne, p. 8. Pl. X. p. 36. Pl. LXI
. — Die häufigen Säulen der
Kathedralkirche von Cordova, eines ihrer geprieſenſten älteren Werke,
haben meiſt Kapitäle von componirter Ordnung. Zu dieſem Bau ſoll
man chriſtliche Architecten berufen haben; ſ. Bourgoing, tour d’Es-
pagne
, T. III. p. 87. s.
*)
S. Schloſſer, Geſchichte der bilderſtürmenden Kaiſer, Bd. I.
S. 500., und Gibbon, an ſ. St.
*)
S. von der Hagen, Briefe etc., wo die italieniſchen Topogra-
phieen und Bilderwerke nachgewieſen und benutzt ſind.
*)
Fiorillo, Geſch. der Kuͤnſte, Bd. IV. S. 23. f. ſtützt ſeine Ab-
leitung der germaniſchen Architectur von der ſpaniſch-arabiſchen zu-
gleich auf die nichts weniger als germaniſche Kathedrale von Cordova
(eines der älteſten) und den Alcazar von Sevilla (nach, de la Puente,
viage de Espanna
, eines der ſpäteſten Werke der ſpaniſchen Araber).
**)
S. die germaniſchen Theile des Schloſſes von Granada, in
dem ſpaniſchen, und in Murphy’s Bilderwerke; vgl. Pallas Reiſe, über
die tatariſchen Grabmale in den ruſſiſch-aſiatiſchen Steppenländern;
die, mosquée de Touloun, in Descr. de l’Egypte, Vol. I. Pl. 29. —
Die Morgenländer hatten früher den halbrunden in den ihnen eigen-
thümlichen Hufeiſenbogen verwandelt; ganz analog gaben ſie nun auch
dem geometriſchen Spitzbogen eine gewiſſe Quetſchung. Spät (im funf-
zehnten Jahrh.) ging dieſe Form in die germaniſche Manier der Abend-
länder (in den florid style, der Engländer) über, welche jedoch dem ſo-
genannten mauriſchen Bogen eine ſchönere Curve gegeben, wie es aus
vielen Beyſpielen bekannt iſt.
*)
So die Gebäude, welche die engliſchen Alterthumsforſcher ih-
rem Saxon und early Norman style, unterordnen; bey uns die merk-
würdige, und erhaltene Tribune der Kirche zu Königslutter im Braun-
ſchweigiſchen und andere.
*)
Bey größter Verbreitung der Kunde von den Epochen der
germaniſchen Baukunſt wäre es faſt unſchicklich, hier Beyſpiele anzu-
führen. — Indeß bringe ich noch einmal in Erinnerung, daß die Rück-
ſeite der Kirche S. Francesco zu Aſiſi, die Domkirche zu Ratzeburg und
die älteren Theile der zu Lübeck, weil ſie nicht älter ſeyn können, als
das Chriſtenthum in den ſlaviſchen Ländern, als das Todesjahr des
heil. Franz, für die Zeitbeſtimmung dieſes Styles ſehr wichtig ſind.
*)
S. Th. Warton, essay on Gothic Arch. (in den obss. on
the fairy Queen of Spenser, ed. 1762. p. 184.) „This style com-
menced about 1200.“
Er ſtützt ſich vornehmlich auf die Veränderun-
gen und Uebergänge in den Siegeln Heinrich III. Die unſrigen, die
franzöſiſchen führen auf daſſ. Reſultat. Murphy, plans and sections
of the church and abbey of Batalha, introd. p. 3. „The first spe-
cimens of this manner of building were, I believe, finished about the
beginning of the thirteenth Century.“
Der Entwurf und die Grün-
dung der wichtigſten Gebäude in ganz ausgebildetem germ. Style fällt
bekanntlich in die zweyte Hälfte des dreyzehnten Jahrhunderts, der äl-
teren, einfacheren Formen in die erſte. Dieſe Umwandlungen fallen in
eine ſo neue Epoche, daß es nicht ſchwer hielt, das Alter einer ſehr gro-
ßen Zahl ſolcher Gebäude aus den Urkunden und Inſchriften völlig
ſicher zu ſtellen, wie es geſchehen iſt.
**)
Mit den Bemerkungen aller neueren Forſcher in Ueberein-
ſtimmung ſagt Nibby (viaggio antiq. ne’ contorni di Roma, T. 11.
p. 48
.) von Theilen der, vor nicht langer Zeit entdeckten, Waſſerlei-
tung in der Nähe des alten Tusculum: „la volta di questa camera,
voltata ad arco acuto e simile in parte al tesoro d’Atreo presso
Micene e alle cosi dette Porte Ciclopiche
(ſ. das Werk des Dionigi),
*)
Ein ſolcher einzelner Fall zeigt ſich zu Piſa, wo im eilften
Jahrhunderte die Vorſeite der viel älteren Kirche S. Paolo in ripa
d’Arno
(ſ. Morrona, Pisa ill. T. III. c. XV.) nach damaliger Weiſe
durch eine flach anliegende Bogenſtellung geſchmückt worden iſt. In
dem Grundriſſe des alten Gebäudes war eine erhebliche Ungleichheit in
der Breite der beiden Seitenſchiffe; der Architect, welcher die ſpätere
Verzierung anordnete, war daher genöthigt, an der Mauer des Seiten-
ſchiffes zur Rechten die eingemauerten Halbſäulen, deren Zahl er nicht
vermindern wollte, einander um einige Fuße anzunähern. Im Halb-
kreiſe ausgeführt, würden aber die Bögen über dieſen engeren Interco-
lumnien die Höhe der übrigen nicht erreicht haben. Daher ſetzte er ſie
lieber aus Segmenten zuſammen, machte Spitzbögen, welche durch per-
ſpectiviſche Illuſionen ausgeglichen werden, dahingegen die verletzte Ho-
rizontale ſich ſtets fühlbar macht. — Es wird übrigens unnöthig ſeyn,
die Beyſpiele, welche, v. d. Hagen, Briefe, Thl. I. S. 198., angehäuft
hat, der Sichtung zu unterwerfen, da es hier nicht ſowohl darauf an-
kommt, zu zeigen, wer die Architecten des Mittelalters mit dem Spitz-
bogen bekannt gemacht habe, als vielmehr, weßhalb er in Gunſt ge-
kommen ſey.
**)
é sempre indizio di antichità assai rimota. Doch bringe ich
in Erinnerung, daß ſolche hochalterthümliche Mauerſpitzbögen ſtets in
zwey gegen einander geſtellte Steinſtücke (dieſe für ſich auch in ägypt.
Denkmalen) ausgehn, alſo des Schlußſteines entbehren, was ſchon längſt
von den Architecten bemerkt worden iſt. Hierher gehören die Stein-
ſparren in einigen Hünengräbern, die Winkelbögen in der Waſſerleitung
bey Cairo in Aegypten, deren bildliche Darſtellung im oberen Geſchoß
des carolingiſchen Gebäudes zu Lorſch beim Rhein (Moller) und ſelbſt
auf byzantiniſchen Kleinigkeiten, z. B. im Muſeo zu Cortona. S. Diss.
de cruci corton. Liburn. 1751. 4. p. 27
.
*)
Die in England ſo häufig vorkommenden gedrückten Spitzbö-
gen machen hiervon eine Ausnahme, ſind indeß nach den Beobachtun-
gen der engliſchen Alterthumsforſcher den ſpäteren Formen beizuzählen.
*)
Wie an der Kirche der heil. Eliſabeth, zu Marburg.
**)
Merkwürdig iſt in dieſer Beziehung ein Seitenthor des Do-
mes zu Lübeck, welches zu den alten noch vorgothiſchen Theilen des
Gebäudes führt. Die verdoppelten Wülſte um den Spitzbogen, die ver-
kröpften Säulchen, auf welche jene ſich ſtützen, ſind hier durchaus mit
Sculptur bedeckt, deren Motive häufiger dem griechiſchen, als dem rö-
miſchen Alterthume angehören.

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TextGrid Repository (2025). Rumohr, Carl Friedrich von. Italienische Forschungen. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bppq.0