Buch des Andenkens
für ihre
Freunde.
(Hyperion.)
BeiDuncker und Humblot.
[[II]][[III]]
Vorwort.
Ehrwürdige gewichtvolle Stimmen fordern laut und
dringend eine öffentliche Herausgabe dieſes Buches, das
als „ein Buch des Andenkens für Freunde“ bisher nur
im Stillen ausgetheilt wurde. Dieſe Bezeichnung darf
indeß auch jetzt, da jenem Verlangen nachgegeben wird,
im vollen Sinne fortdauern; denn noch immer ſind es
weſentlich die Freunde, für welche der neue Abdruck
Statt findet, nur daß den im Leben gekannten jetzt
auch die nach dem Scheiden erworbenen und künftigen
ſich anſchließen. Hiernach iſt auch der Geſichtspunkt
feſtzuhalten, nach welchem ſowohl die erſte Auswahl des
Mitgetheilten, als auch deſſen jetzige Vermehrung, bei-
nah auf das Dreifache des früheren Umfanges, ſich be-
ſtimmen mußte. Die Perſönlichkeit ſelbſt, ihr Karakter,
ihr Schickſal, ihr Sinn und ihre Begegniſſe, ſind vor
allen andern Gegenſtänden dem Antheil und der Zunei-
gung der Leſer lieb und wichtig geworden, und jedes
Blatt, welches dieſe Beziehung hatte, durfte zuläſſig und
[IV] willkommen ſcheinen, wenn auch der Stoff, in welchem
und vermittelſt deſſen ſie hervortrat, bisweilen ſonſt ge-
ringfügig oder auch ungewöhnlich dünken konnte. So
war auch oft Lob und Tadel weniger ſeines Gegenſtan-
des wegen, als um ſeiner Geſtalt und Geſinnung willen,
aufzunehmen, und in dieſem Betreff durfte kleinliche Scheu
ſo wenig als eitle Abſicht hier vorwalten. Manches lag
auf dem Wege, war nicht zu umgehen; ſo wurde denn
darüber hingeſchritten; und länger als nöthig dabei ſte-
hen zu bleiben, wäre die Schuld des Leſers. — Der
Wiederabdruck machte die Berichtigung und Ergänzung
mancher Stellen möglich, wo vorher nur ungenaue Ab-
ſchriften und Auszüge gedient hatten, nunmehr aber die
Urſchriften zur Hand waren. Freilich bleiben auch jetzt
noch immer Auslaſſungen und Lücken genug, indem vieles
Geſchriebene verloren oder noch nicht eingeſammelt, anderes
mit Abſicht zurückbehalten iſt; aber die Möglichkeit voll-
ſtändiger Mittheilung wird hier durch Erforderniſſe be-
dingt, denen nur in einer größeren Zahl von Bänden
und erſt in vielen Jahren zu entſprechen ſein dürfte.
Berlin, im December 1833.
Rahel Antonie Friederike Varnhagen von Enſe, geborne
Rahel Levin, nachher unter dem Familiennamen Robert be-
kannt, wurde geboren zu Berlin, am erſten Pfingſtfeiertage
des Jahres 1771. Sie ſtarb daſelbſt am 7. März des Jah-
res 1833, noch nicht zweiundſechszig Jahr alt, und erſt im
neunzehnten unſrer durch die tiefſte und feſteſte Liebe geknüpf-
ten Vereinigung.
Welches einzige Glück, welchen edlen Schatz und reichen
Troſt ich mit der ewig theuren Gattin verloren, iſt den Freun-
den wohlbekannt; meine Trauer braucht es ihnen nicht zu ſa-
gen; ſie fühlen meinen Verluſt in demjenigen mit, der auch
ſie ſelbſt, in mannigfacher Abſtufung und Richtung, aber ge-
wiß Alle zu ſchmerzlich hoher Würdigung, durch dieſes Schei-
den betroffen hat. Und wenn auch der volle Reichthum die-
ſes von Geiſt und Liebe beſeelten Gemüthes nicht unmittelbar
jedem Auge ganz entfaltet lag, ſo bekennen doch Alle, die
auch nur Momente dieſes in Wohlwollen und Wahrheits-
eifer ſtets erregten Lebens angeſchaut, daß ſie von dieſer Er-
ſcheinung einen ſeltenen und ahndungsvollen Eindruck der
eigenthümlichſten Kraft und Anmuth empfangen haben, der
jeder freigebigſten Vorausſetzung Raum giebt, und Alle mit-
fühlend unſrer Wehklage beiſtimmen läßt.
I. 1
[2]
Von vielen Seiten, aus einem weiten Kreiſe edler Freunde
und trauter Bekannten, werde ich dringend aufgefordert, ihrem
treuen und beeiferten Antheil einige Nachrichten über die letz-
ten Zeiten der geliebten Freundin zu geben, und auch vielfach
wird von Nahen und Entfernten der lebhafte Wunſch ausge-
ſprochen, dieſer Gabe zugleich eine Auswahl denkwürdiger
Zeugniſſe von der Geiſtes- und Sinnesart hinzuzufügen, durch
welche die Dahingeſchiedene ihnen ſo bedeutend und werth
geworden.
Zur Erfüllung beider Wünſche drängt mich das eigne
Herz, wiewohl ich vorausempfinde, daß ich dieſem am wenig-
ſten werde genügen können. Da, wo ein Lebensglück erlo-
ſchen iſt, ein würdiges Andenken aufzurichten, bedarf es andrer
Stimmungen und Kräfte, als mir jetzt vergönnt ſind.
Indeß will ich gern auch das, was der Augenblick er-
laubt, dem freundlichen Verlangen entgegenbringen. Es wird
noch immer eine reiche Darbietung ſein, wenngleich ſie mir
in Verhältniß zu dem, was zu ſagen und zu geben wäre,
arm erſcheint. Aus einem unendlichen Vorrath von Briefen,
Tagebüchern, Denkblättern und Aufzeichnungen aller Art, die
ich von Rahels Hand beſitze, will ich einige Proben liefern,
die zwar kein Ganzes ſein können, aber doch auf ein ſolches
hindeuten. Man wird aus ihnen wenigſtens ermeſſen, was
in dieſer Art einem künftigen Zeitpunkt einſt vollſtändiger auf-
zuſchließen vorbehalten bleibt. Eben ſo viel und vielleicht
mehr noch, als ich beſitze, liegt in der Welt weit umher zer-
ſtreut, welches ich möglichſt einzuſammeln, oder doch ſorgfäl-
tiger Aufbewahrung zu empfehlen wünſche!
[3]
Die Auswahl ſelbſt werde ich bei den Freunden nicht
erſt rechtfertigen dürfen. Nur Freunden aber iſt dieſe Mit-
theilung beſtimmt. Wer ſie als Unbekannter und Fremder
empfängt, möge den Inhalt aufnehmen, wie den eines gefun-
denen Briefes, der an ihn zwar nicht geſchrieben iſt, aber grade
deßhalb von ihm billig und beſcheiden behandelt zu werden
hofft. Wiſſentlich habe ich kein Blatt gewählt, das für Le-
bende verletzend ſein könnte; daß nicht jeder Tadel als ſolcher
es ſein müſſe, verſteht ſich von ſelbſt. Die nicht ausgeſpro-
chenen Namen wolle man nicht deßhalb immer auf lebende
oder ſehr bekannte Perſonen beziehen; das Errathen würde zu-
weilen um des Gegentheils willen ſchwer ſein; öfters iſt auch
die Beſcheidenheit der Andeutung gar nicht auf Verhüllung
abgeſehn. In Betreff Rahels ſelbſt glaubte ich ihre eigne
Wahrheitsliebe und Aufrichtigkeit zur Richtſchnur nehmen zu
müſſen; ſie hat aus ihrem Leben und ihren Anſichten und
Empfindungen nie ein Geheimniß gemacht, und in keinem
Fall anders ſcheinen wollen, als ſie wirklich war; auch kann
ſie in der That bei allen Edeln und Unbefangenen nur ge-
winnen, je vollſtändiger der Grund ihres Innern erkannt
wird, der den Begegniſſen und Aufgaben des Lebens ein ſo
fruchtbarer Boden ſein mußte. Der Mangel der Vollſtändig-
keit in dieſen Darlegungen könnte das einzige ſein, was die
Mittheilungen vereinzelter Bekenntniſſe für jetzt noch bedenk-
lich machen dürfte, wenn in dem Sinn und Geiſte derer,
welche hier nicht nur als geneigte, ſondern auch als vertraute
Leſer gedacht werden, nicht die ſicherſte Gewähr der Beruhi-
gung läge.
1 *
[4]
Dem gewünſchten Bericht über die letzten Zeiten und den
ſeligen Heimgang meiner geliebten Rahel habe ich einige
Blätter vorangehen laſſen, welche mein früheſtes Begegnen
und Bekanntwerden mit ihr in kurzen Zügen ſchildern; ſie
gehören einer Reihe von Denkblättern über mein eignes Le-
ben an, und lagen ſchon eine längere Zeit fertiggeſchrieben,
ohne daß jedoch die theure Freundin, der ſonſt alles unver-
züglich mitzutheilen mir Bedürfniß und Gewohnheit war, ſie
geleſen hätte. Ich hoffe auch mit dieſen Blättern mir den
Dank der Freunde zu verdienen, wiewohl ſie nur ein ſchwa-
cher Verſuch ſind, den Eindruck eines Weſens zu ſchildern,
welches vollkommen vor Augen zu ſtellen doch jede Schrift
und jede Kunſt unzulänglich bleibt, vielmehr das unwieder-
bringlich dahingeſchwundene Leben ſelbſt auf die Erde zurück-
kehren müßte! —
Aus Varnhagen’s Denkwürdigkeiten.
„Hier iſt nun auch eines perſönlichen Erſcheinens zu ge-
denken, deſſen erſter Eindruck mir in jener Zeit wurde. Eines
Abends, da ich den zum Thee Verſammelten nus Wieland
einiges vorlas, wurde Beſuch gemeldet, und bei dem Namen
entſtand ſogleich die Art von Bewegung, welche ſich der Er-
wartung von Ungewöhnlichem und Günſtigem verknüpft. Es
war Rahel Levin — oder Robert, denn auch den letztern Na-
men führte ſie ſchon damals. Oft ſchon hatte ich ſie nennen
[5] hören, von den verſchiedenſten Seiten her, und immer mit
einem ſo beſondern Reize der Bezeichnung, daß ich mir dabei
nur das außerordentlichſte, mit keinem andern zu vergleichende
Weſen denken mußte. Was von ihr inſonderheit Graf Lippe
und Frau von Boye mir geſagt, deutete auf ein energiſches
Zuſammenſein von Geiſt und Natur in urſprünglichſter, rein-
ſter Kraft und Form. Auch wenn man einigen Tadel gegen
ſie verſuchte, mußte ich im Gegentheil oft das größte Lob
daraus nehmen. Man hatte von einer grade jetzt waltenden
Leidenſchaft viel geſprochen, die, nach den Erzählungen, an
Größe und Erhebung und Unglück alles von Dichtern Beſun-
gene übertraf. Ich ſah in geſpannter Aufregung, den Andern
zum Lächeln, dem nahen Eintritt der Angekündigten entge-
gen. Es erſchien eine leichte, graziöſe Geſtalt, klein aber kräf-
tig von Wuchs, von zarten und vollen Gliedern, Fuß und
Hand auffallend klein; das Antlitz, von reichem, ſchwarzen
Haar umfloſſen, verkündigte geiſtiges Übergewicht, die ſchnel-
len und doch feſten dunkeln Blicke ließen zweifeln, ob ſie
mehr gäben oder aufnähmen, ein leidender Ausdruck lieh
den klaren Geſichtszügen eine ſanfte Anmuth. Sie bewegte
ſich in dunkler Kleidung faſt ſchattenartig, aber frei und ſicher,
und ihre Begrüßung war ſo bequem als gütig. Was mich
aber am überraſchendſten traf, war die klangvolle, weiche, aus
der innerſten Seele herauftönende Stimme, und das wunder-
barſte Sprechen, das mir noch vorgekommen war. In leich-
ten, anſpruchsloſen Äußerungen der eigenthümlichſten Geiſtes-
art und Laune verbanden ſich Naivetät und Witz, Schärfe
und Lieblichkeit, und allem war zugleich eine tiefe Wahrheit
[6] wie von Eiſen eingegoſſen, ſo daß auch der Stärkſte gleich
fühlte, an dem von ihr Ausgeſprochenen nicht ſo leicht etwas
umbiegen oder abbrechen zu können. Eine wohlthätige Wärme
menſchlicher Güte und Theilnahme ließ hinwieder auch den
Geringſten gern an dieſer Gegenwart ſich erfreuen. Doch
kam dies alles nur wie ſchnelle Sonnenblicke hervor, zum völ-
ligen Entfalten und Verweilen war diesmal kein Raum.
Kleine Neckereien mit Graf Lippe, der kürzlich bei ihr nicht
war angenommen worden, und deßhalb böſe thun wollte, er-
ſchöpften ſich bald; der ganze Beſuch war überhaupt nur kurz-
und ich wüßte mich eigentlich keines beſtimmten Wortes zu
erinnern, in welchem etwas ausgeprägt Geiſtreiches, Paradoxes
oder Schlagendes ſich zur Bewahrung dargeboten hätte, aber
die unwiderſtehliche Einwirkung des ganzen Weſens empfand
ich tief, und blieb davon ſo erfüllt, daß ich nach der baldigen
Entfernung des merkwürdigen Beſuchs einzig von ihm reden
und ihm nachſinnen mußte, Man ſcherzte darüber, und weil
der Scherz faſt verdrießlich wurde, ſo trotzt’ ich ihm deſto eif-
riger durch Niederſchreiben eines Gedichts, das den empfange-
nen Eindruck begeiſtert ſchildern wollte, und das ich die Drei-
ſtigkeit hatte, eben weil man ſie mir bezweifelte, am andern
Tage vrrſiegelt abzuſchicken, ohne daß ich weiterhin etwas
von der Sache gehört, oder ihr nachgefragt hätte, Rahel
Levin ſelbſt wiederzuſehen, war mir darauf Jahre lang nicht
beſchieden. Ihr Namen aber blieb mir als ein ungeſchwäch-
ter Zauber in der Seele, nur ahndete ich auf keine Weiſe,
daß mit jenem frühen Begegnen und jenen vorlauten Zeilen
ein erſter Ring gefügt worden, an welchem viele folgende ſich
[7] einſt anreihen und die entſcheidenſte Wendung und die dau-
erndſte Vereinigung meines Lebens geknüpft ſein ſollte.“ —
„Unter den mancherlei Perſonen, die wir in dieſem Kreiſe
oft beziehungsreich nennen oder ſchildern hörten, waren die
angeſehenſten Männer und die merkwürdigſten Frauen, mit
welchen jedes edle Intereſſe unſrer Bildung ſich verknüpft
fand. Kein Name jedoch war vielfältiger und bedeutender
genannt, als der von Rahel Levin; das Verlangen, ſie ken-
nen zu lernen, wurde deßhalb oftmals rege. Die Dame des
Hauſes, wo wir zuſammen kamen, ſprach von ihr immer als
von etwas Einzigem, Unvergleichbaren, und wenn auch in
das ſtrömende Lob hin und wieder einiger Tadel einfloß,
z. B. daß zuweilen mehr Bedacht auf äußern Schein und
mehr Einklang, wenn auch nur verſtellter, mit der gewöhnli-
chen Welt zu wünſchen wäre, ſo hatte ſie es doch in keiner
Weiſe hehl, daß ſie vor ihr ſonſt in jeder weſentlichen Be-
ziehung ſich beuge und ihr unterordne. Wenn eine Frau, die
ſelber ſo gebildet, ſo kenntnißreich, ſo fein und ſittig vor un-
ſern Augen ſtand, daß ſie uns für alles Frauenweſen faſt ein
höchſtes Muſter zu ſein ſchien, in ſolcher Weiſe von einer an-
dern ſprach, und ſie unbedingt über jede Vergleichung erhob,
ſo war das freilich ſehr auffallend, und Harſcher insbeſondere
drang darauf, jene möchte ihre Freundin einmal mit uns zu-
ſammen einladen, wo er denn doch die Vergleichung zu Gun-
ſten der erſtern ausfallen zu ſehen im voraus entſchloſſen war,
[8] und dies offen genug bekannte. Der Beſuch wurde verabredet,
Rahel erſchien, aber nur auf eine Stunde, da ſie nicht ganz
wohl war, und alſo wenig dazu geſtimmt, den etwas befan-
genen Zuſchnitt der kleinen Geſellſchaft abzuändern. Harſcher
gewann ihr keine Aufmerkſamkeit ab, und als S. kam, und
gkeich erfreut und ermuntert ſich neben ſie ſetzte, und mit ihr
in lebhaftes Geſpräch einging, wurde jede andre Anknüpfung
unmöglich. Wir waren nicht wenig erſtaunt, ſowohl im
Scherzen als im Ernſte S. nur in zweiter Rolle zu ſehen,
indem er willig jede Unterordnung anzunehmen ſchien, und
wirklich ein paarmal wie geſchlagen verſtummte, oder doch
gar ſehr zu kurz kam. Als nach raſchem Verlauf eines ſelt-
ſamen Geſprächs ihr Wagen ihr gemeldet wurde, und ſie mit
dem Verſprechen künftigen längeren Beſuches ſich wegbegab,
bot S. mit Beeiferung ſich zum Begleiter an, brachte ſie zu
ihrem Wagen, und konnte, als er zurückgekehrt war, ihres
Rühmens kein Ende finden; mehr aber, als die Worte, zeugte
ſeine Stimmung für den guten Eindruck, denn ſie blieb aufge-
weckt und gekräftigt für den ganzen Abend. Für uns war das
ein doppeltes Phänomen, wir hatten ihn noch niemals unter-
geordnet, und ſeit langer Zeit nicht ſo belebt geſehen. Die
Dame des Hauſes ſuchte vergebens bei Harſcher den Dank für
ihre bereitwillige Veranſtaltung, er war mißvergnügt, daß al-
les gleichſam nur für S. geweſen, und dann verſchwunden war,
ihn ärgerte ſogar deſſen fortdauernde Munterkeit, und gern
hätte er die ganze Erſcheinung verneint oder verkleinert, deren
Übergewicht er doch zu fühlen genöthigt, und deren vollen
Werth zu ahnden er gewiß fähig war. Ich theilte ſeine Miß-
[9] empfindung, allein in ganz anderm Bezuge, denn ich wünſchte
ſehnlich, mit dieſem wunderbaren Weſen näher bekannt zu
werden, gegen welches die andern ſo ſchnell verblaßten, und
ſchon ſah ich insgeheim mich mit ihm einverſtandener und zu-
ſammengehöriger, als mit allen dieſen.“
— „Unter den Zuhörern Fichte’s, der ſeine Reden an die
deutſche Nation damals hielt, fand ich Ludwig Robert, mit
dem ich die faſt abgebrochene Bekanntſchaft erneuerte, auch
ſeine Schweſter Rahel ſah ich mit ihm regelmäßig eintreffen,
und ich widmete ihrer anziehenden Erſcheinung die lebhafteſte
Aufmerkſamkeit, wobei doch ein ſo nah und leicht unter ſol-
chen Umſtänden ſich ereignendes Anknüpfen des Geſprächs
diesmal durch Eigenſinn des Zufalls unterbleiben ſollte.“ — —
„In dieſer Stimmung, ſo vorbereitet, ſo empfänglich, reif
und bedürftig in Geiſt und Gemüth für neuen Reiz und neuen
Troſt, begegnete ich eines Nachmittags in noch ſchneeigem
Frühligswetter unter den Linden Rahel; ihre Begleiterin war
mir wohlbekannt, ich redete dieſe an, und indem ich eine Strecke
mitging, ergab ſich, ſo unbefangen als erwünſcht, auch ein Ge-
ſpräch mit Rahel ſelbſt. Ich fand mich außerordentlich angezo-
gen, und bot all meinen Witz auf, um die ſchöne Gelegenheit
nicht ungenutzt vergehen zu laſſen; ich wußte unter andern eines
[10] ihrer eigenthümlich ausdrucksvollen Worte, das auf Umwegen
bis zu mir gelangt war, mit Bedeutung ſo hinzuwerfen, daß
darin halb eine ſchmeichelhafte Aufmerkſamkeit, halb ein nek-
kender Angriff lag. Sie bemerkte beides, ſah mich durchdrin-
gend an, gleichſam mein Unterſtehen an mir ſelber abzumeſ-
ſen, und erwiederte dann, ſie könne es wohl vertragen, daß
man ſie citire, aber nicht füglich zugeben, daß es falſch ge-
ſchehe; ſie hatte in der That einiges in der Äußerung, welche
als die ihrige gegeben war, zu berichtigen. Ich entſchuldigte
mich, daß ich die Ächtheit deſſen, was ich leider ſo weit von
ſeinem Urſprunge nach Gunſt des Zufalls auffangen müſſe,
nicht verbürgen könne, und die Folge meiner artigen Wen-
dung war der Rath, mich lieber ſelbſt bei der Quelle ſolcher
Äußerungen einzufinden. Gleich in den nächſten Tagen machte
ich von dieſer Erlaubniß den erſehnten Gebrauch. Rahel
wohnte damals in der Jägerſtraße, der Seehandlung ſchräg
gegenüber, in Obhut und Fürſorge der trefflichen Mutter, de-
ren altwürdiges und reichliches Hausweſen den ſchönſten ge-
ſelligen Verhältniſſen von jeher offen ſtand. Zuweilen hatte
ich, um Ludwig Robert zu beſuchen, dieſe Wohnung betreten;
mit wie aufgeregten Erwartungen und Geſinnungen, und zu
welch andern Geiſteseinflüſſen, betrat ich ſie jetzt!“ —
„In einzelnen Menſchen, oder in einer Gemeinſamkeit
zuſammengehöriger, und einander ſich ergänzender und über-
tragender Perſönlichkeiten, war mir ſchon einigemal das Heil
widerfahren, mich durch das bloße Lebensbegegniß, ohne müh-
ſames Streben und Verdienſt, ohne Pein der Allmähligkeit,
ſondern im Schwunge des vollen Glückes, und gleichſam
[11] durch Einen Ruck, auf ein erhöhtes Lebensfeld verſetzt zu
ſehen, wo ſchon die Luft, die ich athmete, die Sinneseindrücke,
die mir zukamen, das lebendige Spiel der umgebenden Ele-
mente, mir ein neues Daſein erſchloſſen und mich einer neuen
Bildung theilhaft machten, wo dann weiterhin wohl Eifer
und Mühe folgerecht und nachhaltig mitwirkten, und den
Gewinn ordnen und bewahren konnten, ihn ſelbſt aber nim-
mermehr hervorzubringen vermocht hätten. Solcher geſteiger-
ten Lebensſtufen zählte ich bis dahin hauptſächlich drei, das
erſte Andringen allgemeinen geiſtigen Lebens im Beginn mei-
ner Studien zu Berlin, das Freiwerden eines ſich ſelbſt be-
ſtimmenden und lebensthätigen Daſtehens, und die kräftigende
Weihe der akademiſchen Herrlichkeit zu Halle. Jetzt kam, acht
Jahre nach jener erſten, die vierte Stufe hinzu, durch das
Bekanntwerden mit Rahel; ein Wiederaufnehmen, ein Zuſam-
menfaſſen und ein Abſchließen aller früheren, ja der ganzen
Erlebungsweiſe, — denn wie viel Neues, Großes und Uner-
wartetes auch ferner mir in einem wechſelvollen Leben be-
gegnet iſt, wie mancherlei Gutes und Liebes ſich mir ent-
wickelt und angeeignet hat, ſo iſt doch in dieſen vierundzwan-
zig Jahren, die ich ſeit jenem Zeitpunkte zähle, mir kein
Begegniß, keine innere noch äußere Lebenserfahrung mir wie-
dergekehrt, die ich jener genannten anreihen, und mit ihr und
den vorhergegangenen in gleichen Werth ſtellen könnte. So
iſt mir noch heute *) Rahel das Neueſte und Friſcheſte mei-
nes ganzen Lebens, und indem ich aufzeichnen will, von wel-
[12] chen Umſtänden und Stimmungen unſer beginnendes Ver-
hältniß begleitet war, darf ich den warmen und zarten Hauch
jener ſchönen Tage in meiner Vorſtellung nicht erſt künſtlich
hervorrufen, denn ich fühle ihn und freue mich ſeiner noch
wie damals, aber zu fürchten hab’ ich gleichwohl, daß meine
Schilderung ſich durch die Bekümmerniß verdüſtert, welche,
während ich dieſes ſchreibe, meiner Seele in vielfacher Sorge
um die geliebte, von ſtürmiſchen Leiden hart befallene Freun-
din angſtvoll auferlegt iſt! Welch tröſtlichſter Rückblick wird
hier zum ſchmerzlichſten gewandelt!“ —
„Ich darf hier keine Schilderung meiner geliebten Rahel
verſuchen; ſie ganz zu kennen und zu würdigen, kann ich
niemanden zumuthen, der nicht in anhaltender Fortdauer und
in allen Beziehungen ihr vertrauter Lebensgenoſſe war; denn
ſelbſt ihre Briefe, wie reich und eigenthümlich auch die Quel-
len ihres Geiſtes und Gemüthes dort ſprudeln, geben nur ein
unvollkommenes Bild von ihrem Weſen, deſſen Hauptſache
grade die urſprüngliche, unmittelbare Lebendigkeit iſt, wo
alles ganz anders ausſieht, leuchtet und ſchattet, erregt und
fortreißt, begütigt und verſöhnt, als irgend Bericht oder Dar-
ſtellung wiederzugeben vermag. Ich will nur unternehmen,
in kurzen Zügen den Eindruck zu bezeichnen, welchen dies
Weſen damals auf mich machte.“
„Zuvörderſt kann ich ſagen, daß ich in ihrer Gegenwart
das volle Gefühl hatte, einen ächten Menſchen, dies herrliche
Gottesgeſchöpf in ſeinem reinſten und vollſtändigſten Typus
vor Augen zu haben, überall Natur und Geiſt in friſchem
Wechſelhauche, überall organiſches Gebild, zuckende Faſer,
[13] mitlebender Zuſammenhang für die ganze Natur, überall ori-
ginale und naive Geiſtes- und Sinnesäußerungen, großartig
durch Unſchuld und durch Klugheit, und dabei in Worten
wie in Handlungen die raſcheſte, gewandteſte, zutreffendſte
Gegenwart. Dies alles war durchwärmt von der reinſten
Güte, der ſchönſten, ſtets regen und thätigen Menſchenliebe,
der lebhafteſten Theilnahme für fremdes Wohl und Weh.
Die Vorzüge menſchlicher Erſcheinung, die mir bisher einzeln
begegnet waren, fand ich hier beiſammen, Geiſt und Witz,
Tiefſinn und Wahrheitsliebe, Einbildungskraft und Laune,
verbunden zu einer Folge von raſchen, leiſen, graziöſen Lebens-
bewegungen, welche, gleich Goethe’s Worten, ganz dicht an
der Sache ſich halten, ja dieſe ſelber ſind, und mit der ganzen
Macht ihres tiefſten Gehaltes augenblicklich wirken. Neben
allem Großen und Scharfen quoll aber auch immerfort die
weibliche Milde und Anmuth hervor, welche beſonders den
Augen und dem edlen Munde den lieblichſten Ausdruck gab,
ohne den ſtarken der gewaltigſten Leidenſchaft und des hef-
tigſtens Aufwallens zu verhindern.“
„Ob man ſich in dieſer Miſchung von entgegenſtehenden
Gaben und ſtreitigen Elementen, wie ich ſie anzudeuten ver-
ſucht habe, ſogleich zurechtfinden wird, bezweifle ich faſt.
Mir wenigſtens war es beſchieden, erſt vermittelſt mancher
Ungewißheit und manches Irrthums auf die rechte Bahn zu
kommen, indem ich nur in Einem auf der Stelle beſtimmt
und auf immer feſt war, daß mir der außerordentlichſte und
werthvollſte Gegenſtand vor Augen ſei. Irgend ein Vor-
urtheil, wie das mißfällige Gerede der Leute aus den ver-
[14] ſchiedenſten Kreiſen und Standpunkten ſeit ſo langer Zeit mir
wohl hätte aufbürden mögen, hatte ich nicht, auch wäre das-
ſelbe an ihrer Gegenwart ſogleich zerſchellt; der ſchlichte, na-
türliche Empfang, die harmloſe Klarheit und das anſpruchs-
loſe Wohlbehagen des anfänglich nur auf Gleichgültigkeiten
fallenden Geſprächs, mußten jede mitgebrachte Spannung auf-
löſen, und nach und nach erhob ſich dagegen eine neue, die
ganz dem Augenblicke ſelber angehörte, und ſchon darin be-
gründet lag, daß jedes Wort, rein und lauter wie der friſche
Quell aus dem Felſen, auch dem Gleichgültigſten einen Reiz
des Lebens, einen Karakter von Wahrheit und Urſprünglich-
keit gab, welche durch die bloße Berührung jedes Gewöhnliche
zu Ungewöhnlichem verwandelten. Ich empfand auf dieſe
Weiſe eine neue Atmoſphäre, die mich wie Poeſie anwehte,
und zwar durch das Gegentheil deſſen, was gemeinhin ſo heißt,
durch Wirklichkeit anſtatt der Täuſchung, durch Ächtheit an-
ſtatt des Scheins. Es konnte jedoch nicht fehlen, daß unſer
Geſpräch, dem nach allen Seiten ſo viele Wege vollkommen
vorbereitet waren, ſehr bald auf bedeutendere Dinge überging-
und endlich ganz in Beziehungen des innern Lebens verweilte,
zu welchen Bücher, Perſonen und Verhältniſſe, die jeder von
ſeiner Seite kannte, und auch dem andern bekannt wußte,
den ergiebigen Stoff nicht mangeln ließen. Wir ſprachen
von Friedrich Schlegel, von Tieck, von Frau von Staël, von
Goethe, theils in litterariſcher, theils in geſellſchaftlicher Hin-
ſicht, und unſre eigne Sinnesweiſe konnte ſich an dieſen be-
deutenden Anknüpfungspunkten ſehr gut entfalten und un-
[15] gewöhnliche Bekenntniſſe mit vieler Freiheit wagen, ohne die
Zurückhaltung einer erſten Bekanntſchaft zu überſchreiten.“
„Nicht gar zu lange waren wir allein geblieben, ſo fand
ſich andre Geſellſchaft ein. — — Die Geſellſchaft war un-
gemein belebt, in größter Freiheit und Behaglichkeit; jeder
gab ſich als das, was er ſein konnte; es war kein Grund
noch Hoffnung des Gelingens, hier einen Schein zu heucheln;
die Unbefangenheit und gute Laune Rahels, ihr Geiſt der
Wahrheit und des Geltenlaſſens, walteten ungeſtört; — —
alles ging leicht und harmlos dahin; jeder zu herbe Ernſt
wurde von Witz und Scherz aufgefangen, die ihrerſeits wieder,
bevor ſie ausarten konnten, von Wahrheit und Verſtand er-
griffen wurden, und ſo blieb alles belebt zugleich und ge-
mäßigt; ein wiederholter Anflug von Muſik, wozu das offne
Fortepiano einlud, — Rahel war ſinnvolle Kennerin und in
früherer Zeit fertige Meiſterin, — vollendete das Ganze, und
man trennte ſich noch bei guter Zeit, in erhöhter und klarer
Stimmung, die ich für mich allein dann unter dem reinen
Sternenhimmel noch eine Weile nachgenoß, indem ich ver-
gebens in meinen bisherigen Erinnerungen einen ähnlichen
Abend ſuchte.“
„Wenige Tage nur ließ meine Ungeduld einem wieder-
holten Beſuche vorangehen, und ſchon mit dieſem wuchs das
Vertrauen ſo ſchnell, daß ich nun täglich zu kommen mich
berechtigt hielt. Ich war begierig, dieſe neuen Anſchauungen
zu verfolgen, dieſen eigenthümlichen Wahrheiten und groß-
artigen Aufſchlüſſen, welche ſich mit jedem Schritte glänzender
vor mir ausbreiteten, noch näher zu treten, und dieſe neuen,
[16] von Einſicht durchſtrömten Empfindungen zu genießen, deren
ich gewahr wurde. Unendlich reizend und fruchtbar war dieſe
Erſtlingszeit eines begeiſterten Umganges, in welchem auch ich
die beſten Güter zum Tauſche brachte, die ich beſaß, und in-
ſofern kaum geringere, als ich empfing. Hier fand ich das
Wunder anzuſtaunen, daß Rahel, in gleichem Maße, als
Andre ſich zu verſtellen ſuchen, ihr wahres Innere zu enthüllen
ſtrebte, von ihren Begegniſſen, Leiden, Wünſchen und Erwar-
tungen, mochten ihr dieſelben auch zum Nachtheil auszulegen
ſein, ja ihr ſelber als Gebrechen und Fehl erſcheinen, mit eben
ſolcher Unbefangenheit und tiefen Wahrheit ſprach, als hätte
ſie nur Günſtiges und Schmeichelhaftes anzuführen, ſich nur
der ſchönſten Glückesfülle zu rühmen gehabt. Dieſe Aufrich-
tigkeit, derengleichen ich nie in einem andern Menſchen wieder-
geſehen habe, und deren ſogar J. J. Rouſſeau nur in ſchrift-
licher Mittheilung fähig geweſen zu ſein ſcheint, konnte mich
ſogar einigermaßen bedenklich und irre machen, indem oft
ſcharfe Härten aus den leidenſchaftlichen Bekenntniſſen hervor-
ſprühten, und in dem Erlebten, wie in dem darüber Gedachten
ein eignes Element aufwogte, das als gewaltſam und ſcho-
nungslos leicht Mißempfindungen weckte, beſonders wenn
man vorausſetzte, daß, nach der gewöhnlichen Weiſe, auch hier
neben dem Ausgeſprochenen noch Verſchwiegenes im Hinter-
grunde liege. Dies war aber hier der Fall keineswegs;
Rahel ſagte in Betreff ihrer ſelbſt rückſichtslos die ganze
Wahrheit, und würde auch die beſchämendſte und nach-
theiligſte, wäre eine ſolche vorhanden geweſen, demjenigen
nicht verhehlt haben, der im Bezeigen edlen Vertrauens und
ein-
[17] einſichtiger Theilnahme ſie darum befragt hätte. Sie glaubte,
indem ſie wahr ſei, niemals ſich etwas zu vergeben, noch
durch Verſchweigen etwas zu gewinnen, und ein ſolches höch-
ſtes, ausgleichendes, verſöhnendes Intereſſe für die Mitthei-
lung der Wahrheit, welches ſie empfand, ſetzte ſie für deren
Würdigung auch bei Andern ſtets, wiewohl leider meiſt fälſch-
lich, immer aufs neue voraus. Ich ſah nun Rahel nach und
nach in ihrem ganzen Lebens- und Umgangskreiſe. Hier
mußte mir nun ſofort ein unermeßlicher Abſtand klar werden,
der zwiſchen ihr und ihrer Umgebung lag. Sie ſtand in der
Mitte eines großen Kreiſes gänzlich allein; nicht verſtanden,
nicht anerkannt, nicht gehegt, nicht geliebt, wie ſie es be-
durfte und verdiente, ſondern gleichgültig außer Acht gelaſſen,
oder auch eigenſüchtig benutzt und mißbraucht, wenn die Ge-
legenheit ſich anbot; ihre außerordentlichen Gaben, ſofern ſie
als Thatſachen auch äußerlich hervortraten, konnte man ihr
nicht abſprechen, eigenthümliche Denk- und Sinnesart, Ge-
müthskraft, Geiſt, Witz und Laune mußte man ihr zugeſtehen,
aber leicht glaubten die Andern davon wenigſtens ebenſoviel
zu haben, und noch dazu die größere Beſonnenheit und Ruhe,
wofür ſie ſich die nüchterne Selbſtſucht und theilnahmsloſe
Mattigkeit anrechneten. Mit dem, was Rahel ihnen groß-
müthig lieh und als Almoſen ſpendete, glaubten ſie ihr über-
legen zu ſein. Von der Flamme edler Begeiſterung, von dem
Triebe menſchlich-reinen Mitgefühls, von dem heiligen Dienſte
der Wahrheit, welche Rahels Inneres erfüllten, ihre Eigen-
ſchaften beſeelten und bewegten, von dieſem innern Weſen
wußten die Meiſten nichts. Sie ſelbſt aber ſetzte alles, was
I 2
[18] in ihr war, bei Allen voraus, nahm jeden Funken von Gabe
und Willen, von Sinn und Leiſten, mit höchſter Anerkennung,
mit entzückter Güte auf, und konnte es nicht begreifen, wenn
die weitern Äußerungen und Handlungen dann mit dem ſo
günſtig Gedeuteten nur allzu bald nicht mehr übereinſtimmen
wollten. Aus dieſem Gegenſatz und Irrthum entſtanden na-
türlich viele Unrichtigkeiten und Nachtheile, deren Folgen ſich
ſpäterhin traurig genug darſtellten; die Sache ſelbſt aber war
mir ſchon damals deutlich, und ich wollte mein Einſehen nicht
einmal ſehr verhehlen. Ich glaubte Iphigenien unter den
Barbaren in Tauris aufzufinden, und fühlte mich nun um
ſo ſtärker zu ihr hingezogen, als ich mir bewußt war, ihr
einen Erſatz anbieten zu können, ihr eine Gebühr darbringen zu
dürfen, die ihr nur allzu oft verſagt wurde.“
„Unſer Vertrauen wuchs mit jedem Tage. Gar zu gern
theilte ich alles mit, was ich als wichtigſten und daher auch
in mancher Art geheimſten Ertrag meines bisherigen Lebens
wußte, und dem ich keine edlere Stätte finden konnte, keine,
wo ein ſo lebhafter, einſichtsvoller und wahrheitfriſcher Sinn
ihm entgegengekommen wäre. Weit entfernt, Billigung für
alles zu finden, vernahm ich manchen Tadel, und andres Miß-
fallen konnt’ ich auch unausgeſprochen errathen; nur fühlte
ich wohl, daß die Theilnahme für mich dabei nicht litt, ſon-
dern eher wuchs, und bei dieſem Gewinn konnte mir alles
Übrige nichts anhaben. Auch wurde ich mir ſelbſt gleichſam
entrückt in der gewaltigen Anziehung der außerordentlichen
Gebilde, welche zum Austauſche ſich vor mir ausbreiteten.
Mir war vergönnt, in das reichſte Leben zu blicken, wie nur
[19] der Mund der Wahrheit und die Hand der Darſtellung das-
ſelbe aus der nahen Vergangenheit herauf zu beſchwören ver-
mochten. Das Leben war reich in ſeinen äußern Verhältniſſen,
unendlich reicher aber durch ſeinen innern Gehalt, dem jene
ſich gänzlich unterordneten. Prinz Louis Ferdinand, der ge-
niale, heldiſche Menſch, den ſein hoher Standpunkt leider
mehr für ſeine Fehler, als für ſeine großen und ſchönen Eigen-
ſchaften, begünſtigte, hatte hier ſeine reinſten Empfindungen,
ſein innigſtes Streben und Denken, ſeine edelſten Erhebungen,
im Genuß einer geiſtesregen gemüthvollen Freundſchaft ge-
nährt, einer Freundſchaft, deren ſtarkem Vertrauen ebenſo ſein
politiſches Sinnen wie ſeine verliebte Leidenſchaft und jede
Wendung des bedrängten Geiſtes und Herzens ſich erſchließen
durfte, des Antheils gewiß, wie ſonſt nur die mitergriffene
Neigung ihn hervorzubringen pflegt. Männer, wie Gentz
und Friedrich Schlegel und beide Humboldt, waren dieſem
Kreiſe beeifert zugethan, bald um Blüthen und Früchte von
daher zu ſammeln, bald um deren zu bringen, und immer
ihren beſten Beifall hier zu finden. Graf Tilly, Guſtav von
Brinckmann, Hans Genelli, von Burgsdorf, Major von Gual-
tieri, Ludwig und Friedrich Tieck, Graf Caſa-Valencia, Fürſt
Reuß, Navarro, und ſo viele andre Diplomaten, Militairs,
Gelehrten und Künſtler, hatten ſich eingefunden, und mit
höherem Sinn und erregtem Bedürfniß geiſtigen Behagens
ſich angeſchloſſen und einheimiſch gemacht. Von ausgezeich-
neten Frauen wären viele zu nennen, aus den verſchiedenſten
Lebensſphären, doch ſämmtlich darin gleich, daß kein ſchein-
ſamer und müſſiger, ſondern irgend ein ächter und wahrer
2 *
[20] Bezug dem Verhältniſſe zum Grunde lag. Eine herrliche
Bildergalerie, durch welche ich unter lebenſprühenden Erklä-
rungen geleitet wurde! Die Bilder nämlich allein waren noch
gegenwärtig, der Kreis ſelber jetzt durch die Zeitverhältniſſe
völlig aufgelöſt, nachdem ſchon die einzelnen Menſchengeſchicke
durch Tod, Entfernung und andre Wandelbarkeit die dichten
Reihen gelockert hatten.“
„Aber nicht nur dieſe reiche Sammlung bedeutender Bild-
niſſe wurde mir gezeigt, ſondern noch ein andrer Schatz auf-
geſchloſſen, der das antheilvolle Gemüth ungleich ſtärker an-
ſprach. Rahel gehörte zu den ſeltenen Weſen, denen die
Natur und das Geſchick die Gabe zu lieben nicht verſagt
hatten. Was dazu gehörte, was daraus entſtehen mußte,
wenn die Weihe der höchſten Empfindung dieſen Geiſt und
dieſen Sinn vereinend ergriff, ſie emporzuheben, ſie zu zer-
ſchmettern, das konnte ein Dichtungskundiger ahnden; doch
übertrafen die Einblicke, die mir wurden, alles was ich zu
ahnden fähig geweſen war. Die Gluth der Leidenſchaft hatte
hier überſchwänglich die edelſte Nahrung gefunden und auf-
gezehrt; andres Leid und andrer Untergang erſchien dagegen
gering und kaum noch mitleidswerth. Die Briefe und Tage-
blätter, welche mir aus einziger Gunſt des Vertrauens zum
Leſen gegeben wurden, enthielten eine Lebensfülle, an welche
das, was von Goethe und Rouſſeau in dieſer Art bekannt
iſt, nur ſelten hinanreicht; ſo mögen die Briefe an Frau von
Houdetot geweſen ſein, deren Rouſſeau ſelbſt als unvergleich-
bar mit allem andern erwähnt, ein ſolches Feuer der Wirk-
lichkeit mag auch in ihnen gebrannt haben! Dieſe Papiere,
[21] nachdem ſie lange in meiner Verwahrung geweſen, ſind leider
im Jahre 1813 verloren und wahrſcheinlich vernichtet worden,
bis auf wenige, die kein genügendes Bild geben. Es ſcheint,
als ſolle dergleichen nicht zum litterariſchen Denkmal werden,
ſondern heimgehen mit den Perſonen, denen es unmittelbar
gehörte. Nächte lang ſaß ich über dieſen Blättern, ich lernte
kennen, wovon ich früher keinen Begriff gehabt, oder vielmehr,
was in meiner Ahndung geſchlummert, wurde mir zur wachen
Anſchauung. Nur das dünkte mich ein Traum, daß ich zu
dieſen Schriften gekommen war, und an ſolchem Daſein ſo
nahen Antheil gewann.“
„Die Fülle und Kraft perſönlicher Lebensentwicklung wa-
ren mit der Schönheit und Erhebung dichteriſchen und philo-
ſophiſchen Geiſtlebens in engem Bündniſſe, ſie bewegten ſich
beiderſeits in bezugvoller Übereinſtimmung. Schon ſehr früh,
weit früher, als irgend eine litterariſche Meinung der Art ſich
gebildet hatte, war Rahel von Goethe’s Außerordentlichkeit
getroffen, von der Macht ſeines Genius eingenommen und
bezaubert worden, hatte ihn über jede Vergleichung hinaus-
geſtellt, ihn für den höchſten, den einzigen Dichter erklärt,
ihn als ihren Gewährsmann und Beſtätiger in allen Einſich-
ten und Urtheilen des Lebens enthuſiaſtiſch angeprieſen. Jetzt
erſcheint das ſehr leicht und natürlich, und niemand will Goe-
the’s hohes Hervorragen verneinen, denn ſogar im Bemühen
ſie einzuſchränken giebt man die Bejahung zu, allein damals,
wo der künftige Heros noch in der Menge der Schriftſteller
mitging, und an Rang und Ruhm ganz Andre weit voran-
ſtanden, wo die Nation über den Gehalt und ſogar über die
[22] Form der geiſtigen Erzeugniſſe noch ſehr im Trüben urtheilte,
und meiſt an kleinlichen Nebenſachen und äußerlichen Über-
einkommniſſen hing, damals war es kein Geringes, mit ge-
ſundem Sinn und Herzen aus dem Gewirr von Täuſchungen
und Überſchätzungen ſogleich das Ächte und Wahre heraus-
zufühlen und mit freiem Muthe zu bekennen. Die Liebe und
Verehrung für Goethe war durch Rahel im Kreiſe ihrer Freunde
längſt zu einer Art von Kultus gediehen, nach allen Seiten
ſein leuchtendes, bekräftigendes Wort eingeſchlagen, ſein Name
zur höchſten Beglaubigung geweiht, ehe die beiden Schlegel
und ihre Anhänger, ſchon berührt und ergriffen von jenem
Kultus, dieſe Richtung in der Litteratur feſtzuſtellen unter-
nahmen. Gedenkenswerth erſcheint es, daß, während dieſe
Männer ihre Anbetung doch nicht ohne einige Abſicht auf
Ertrag und Lohn ausübten, Rahel ihrerſeits dabei mit völli-
gem Selbſtvergeſſen verfuhr; ſie hatte Goethe’n im Karlsbade
perſönlich kennen gelernt, und er mit Aufmerkſamkeit und
Antheil ihres Umgangs gepflogen, wie auch noch ſpäterhin
deſſelben mit Hochſchätzung gedacht, ohne daß ſie im gering-
ſten eine Verbindung feſtgehalten, einen Briefwechſel veran-
laßt hätte, im Gegentheil, ſie erwähnte wenig der Perſon,
deſto beeiferter aber des Genius, und nicht die zufällige Be-
kanntſchaft, ſondern die weſentliche, die das Leſen ſeiner
Schriften gab, genoß und zeigte ſie mit Stolz und Freude.
In der Philoſophie ſtand ihr gleicherweiſe der edle Fichte
voran, für deſſen Geiſteskarakter ſie ſtets in gleicher Vereh-
rung blieb, wenn auch ſein Geiſtesgehalt bei weitem nicht
alles abſchloß, was ihr Gedankenflug forderte oder geſtalten
[23] mochte. Friedrich Schlegel, Novalis, Schleiermacher, ja ſelbſt
Schelling und Steffens, waren ihr theils perſönlich, theils den
Schriften nach bekannt und werth. In der Muſik waren ihre
Lieblinge Gluck, Mozart und Righini; die italiäniſche Schule
im Geſang, und nebenher auch im Tanze, allem andern vor-
ausgeltend. Und damit dem Schätzen und Lieben auch der
Gegenſatz des Mißachtens und Verwerfens nicht fehlte, ſo
waren ihr eben ſo früh und ſo entſchieden, wie jene im Gu-
ten, die damals beliebten Bühnenherrſcher Kotzebue und Iff-
land im Schlechten bemerkt, lange vorher, ehe noch die zum
Bewußtſein erwachende litterariſche Kritik ihre muthigen An-
griffe gegen dieſe Götzen der Menge gerichtet hatte. Na-
mentlich klagte ſie, daß Iffland, abgerechnet ſein großes per-
ſönliches Talent, das doch dem ächten Genius eines Fleck
nicht zu vergleichen war, durch ſein wachſendes Anſehen und
Einwirken die Bühne und Schauſpielkunſt in Berlin auf
weithinaus zu Grunde richte, in’s Gemeine und Manierirte
hinabziehe, und der leitenden Behörde, wie ſelbſt dem Publi-
kum, die falſcheſten Maximen und Urtheile einflöße und ver-
härte. Dieſe Polemik hat Wurzel gefaßt, und ſich in der
Folge durch namhafte Autoritäten ausgebreitet, doch lange
nicht ſo ſehr, daß nicht noch heutiges Tages das Verdienſt
der richtigen Vorausſetzung durch vielfältigen Augenſchein lei-
der bewährt ſtünde.“ — — —
„Ich war nicht ſobald in dieſen neuen Lebensſtrom ein-
gegangen, als ich ſchon eilte, auch meinen Freunden eifrigen
Bericht zu geben, ihnen Schritt für Schritt den neuen Ge-
winn aufzuzeigen, und ihnen alles zu gönnen, was ſie davon
[24] ſich anzueignen Fähigkeit und Neigung haben möchten. Sie
ließen anfangs manchen Zweifel und Unglauben ſpielen, der
mich ſcherzend verwirren ſollte, mußten aber bald den Ernſt
meiner Überzeugung erkennen, und ſich zuletzt der durch hun-
dert unabweisliche Zeugniſſe ſprechenden Geiſtesmacht beugen.
Eine Freundin war verwundert und wollte nicht begreifen,
wie Rahel und ich uns auf die Dauer verſtehen könnten,
meinte jedoch lächelnd, intereſſant und original würde ich nach-
her nicht leicht eine Frau mehr finden. Ein hartnäckiger Wi-
derſacher blieb mir Harſcher, wiewohl ich grade ihm die ein-
dringlichſten und häufigſten Mittheilungen machte. Er war
ſehr fähig anzuerkennen und zu bewundern, und zeigte ſich oft
ganz hingeriſſen von tiefen und reichen Einzelnheiten, die ich
ihm berichtete, ſo daß er die Andern ſchalt und beſchämte,
welche bei ihm Tadel und Widerſpruch gehofft hatten, und
es gab wohl Fälle, wo er ſtaunend ausrief: „Hier iſt alle
Tiefe der Schleiermacher’ſchen Ethik, was ſag’ ich? hier iſt mehr
als Schleiermacher, denn hier iſt die Wiſſenſchaft in Form
des Lebens ſelbſt!“ Doch dergleichen Entflammung dauerte
nicht lange, ſondern gab unvermerkt wieder einem Mißwollen
und einer Übellaune Raum, welche tief in ſeinem Gemüthe
lagen, und gegen ein ſo freies und geſundes Weſen, wie ſich
in Rahel darſtellte, um ſo bitterer ausbrachen, als dies mit
ſeinem krankhaften und zerknitterten im hellſten Gegenſatze
war. Er konnte etwas ſo Selbſtſtändiges, aus dem Ganzen
Lebendes, und, ohne Kunſt und Anſtrengung, Wahrheit und
Schönheit Produzirendes ſchlechterdings nicht vertragen, ja
eine Art Neid und Eiferſucht ergriff ihn, und er wandte al-
[25] les an, um mich von dem neuen Verhältniſſe wieder abzu-
ziehen. Er ſelbſt folgte mir zwar zu Rahel, erfuhr die lieb-
reichſte Aufnahme, genoß der belebendſten Geſpräche, und
konnte des Staunens und Betrachtens kein Ende finden; al-
lein grade das verdroß ihn wieder, er wollte ſich nicht über-
boten ſehen, und blieb wieder weg, weil er den Zauber, wie
er ſagte, nicht wollte Herr über ſich werden laſſen. Seine
ernſtlichen Erörterungen aber, ſeine ſpöttiſchen Launen, und
was er ſonſt verſuchte, nichts hatte diesmal die geringſte Ge-
walt auf mich, er ſah es ſelber ein, und ließ mich meiner
Wege gehen, zufrieden, daß ich neben der neuen Hinneigung
auch unſrem alten Verhältniſſe nach wie vor die treuſte Be-
fliſſenheit widmete, und mich nach dieſer Seite ebenſowenig
wie nach jener irre machen ließ.“ — — —
„Rahel bezog im Laufe des Sommers eine ländliche
Wohnung in Charlottenburg, und ich ließ mir angelegen ſein,
ſie dort ſo oft als möglich zu beſuchen. Meine Arbeiten drängte
ich zuſammen auf den früheren Theil des Tages, meinen ſon-
ſtigen Umgang ſchränkte ich mehr und mehr ein, und wenn
der Nachmittag mir noch nicht frei wurde, ſo ließ ich ſelbſt
den dunkelnden Abend mich nicht abhalten, die Stunde Weges
zu Wagen oder zu Fuß eilig zu durchmeſſen, um den meiſt
drangvollen Tag in der labendſten Erholung zu beſchließen.
Die größere Einſamkeit, in welcher ich die Freundin hier ſah,
gab unſerm Geſpräch und ganzen Zuſammenſein einen freieren
Gang und reicheren Ertrag; der heimliche Schattenplatz vor
der Thüre des kleinen Hauſes in der abgelegenen Schloßſtraße,
die kühlen Spaziergänge, in den duftenden Gartenwegen,
[26] durch die breiten bäumereichen Straßen des damals überaus
ſtillen Ortes, längs des Ufers der Spree und über die Brücke,
dieſe Reize der Örtlichkeit, oft noch erhöht durch die Pracht
des Mond- und Sternenhimmels, ſind mir in der Erinnerung
unauflöslich verwebt mit den erhebendſten Geiſtesflügen und
den zarteſten Schwingungen des erregten Gemüths, welches
denn doch zugleich leidenſchaftlichen Spannungen und geſelli-
gem Widerſtreite genugſam eröffnet blieb, und daher von ſen-
timentaler Verweichlichung gar nicht bedroht war.“ — — —
„Theils mit ſich ſelber als mächtiger Gegenwart erfüllt,
theils zur unbeſtimmten Zukunft gewaltſam hinausſtrebend,
war die ſchöne Sommerzeit verfloſſen, und während der Fe-
rien mußten die Entſcheidungen ausgeführt werden, welche
wir gefaßt hatten. Jemehr der Zeitpunkt der Trennung heran-
nahte, deſto inniger fühlten Rahel und ich den Werth und
das Glück unſrer Verbindung. Wir ſuchten den Schmerz
durch Geiſtesſtärke zu verſcheuchen, aber mitten in aller Freu-
digkeit, daß wir noch zuſammen ein Glück empfanden, dem
auch die Trennung ſein Weſen laſſen mußte, überſchlich uns
die trauervollſte Wehmuth. Es ſchien Thorheit, Wahnſinn,
daß wir uns trennten, und doch blieben die gefaßten Vorſätze
unverändert, und durchaus einwilligend ſtimmte Rahel mir
bei. Wir hatten den Muth, uns zu trennen, geſtärkt durch
die Kraft des Zuſammenſeins. Meine Lebensentwicklung war
noch unvollſtändig ſogar in ihren Umriſſen, deren Geſtalt ſich
abſchließen, ſich nach vielen Seiten über viele Lücken hin er-
gänzen mußte. Wie hätte ich bleiben ſollen, in welcher Stel-
lung, in welcher Richtung? Der ſtrebenden Thätigkeit hätte
[27] kein Glück mich entſagen laſſen, im ruhigen Genuſſe weicher
Tage wäre ich nur unglücklicher geweſen. Ich mußte fort,
um als ein Andrer wiederzukommen, und mußte immer
wieder fort, bis nach genugſamen Kämpfen und Stürmen das
innere Leben ſich zu dem äußern in gehöriges Verhältniß
gebracht hatte. Ich fühlte dieſe unwiderſtehliche Nothwendig-
keit, ohne derſelben klar bewußt zu ſein, und alle entgegenge-
ſetzten Verſuche mußten mißlingen, bis die rechte Zeit gekom-
men war. Der gewonnene Schatz aber blieb mir fortan ge-
wiß, der Wechſel des Lebens und die Vielgeſtalt der Welt
vermochten über ihn nichts; auch wußten wir beide dies mit
ſtärkſter Gewißheit, und in der hiedurch gewährten Herzens-
freudigkeit erſchien ſelbſt die Trennung nur als Nebenſache,
die ſich nur jetzt nicht ändern ließe, künftig aber unfehlbar weichen
werde. Bis zuletzt nahmen zerſtreuende Thätigkeiten uns in An-
ſpruch. — — Als die Tage des Scheidens nun wirklich eintraten,
ich mir vorſtellen mußte, daß ich dieſe Augen bald nicht mehr ſe-
hen, dieſe Hand nicht mehr küſſen, dieſe Stimme nicht mehr hören
ſollte, da mußt’ ich gleichwohl verzagen, und das nahe Bild der
verlaſſen zurückbleibenden Freundin brachte mich zur Verzweif-
lung, aus der nur die Gelübde des Wiederſehens ſich um ſo
ſtärker emporhoben, und einigen Troſt gewährten.“ — — —
Ich war damals vierundzwanzig Jahr alt, Rahel um
mehr als die Hälfte dieſer Jahre älter, und dieſer Umſtand,
welcher unſre ganze Lebensſtellung weit auseinander zu rücken
ſchien, hätte dies vielleicht wirklich vermocht, wäre er in ſich
[28] ſelber wahr geweſen. Allein er beſtand nur als Zufälliges,
und war in allem Weſentlichen aufgehoben und vernichtet.
Dieſes edle Leben, dem ſchon ſo mannigfache Weltanſchauung
geworden, ein ſo großer Reichthum von Glücks- und Leidens-
looſen zugetheilt geweſen, dieſes Leben erſchien unzerſtörbar
jung und kräftig, nicht nur von Seiten des mächtigen Gei-
ſtes, der in freier Höhe über den Tageswogen ſchwebte, ſon-
dern auch das Herz, die Sinne, die Adern, das ganze leibliche
Daſein, waren wie in friſche Klarheit getaucht, und die reinſte,
erquickendſte Gegenwart ſtand herrſchend mitteninne zwiſchen
erfüllter Vergangenheit und hoffnungsreicher Zukunft. Eine
dauernde Vereinigung mußte uns jedoch damals noch verſagt
ſein. Meine Univerſitätsjahre waren noch nicht abgelaufen,
der Verſuch in das bürgerliche Leben einzutreten durfte nicht
unterbleiben, und kaum an der Schwelle von dieſem ſah ich
mich durch innere Unruhe und den Drang der Zeiten zu dem
mannigfachſten Wechſel der Verhältniſſe fortgeriſſen. Zwei-
maliger Kriegsdienſt, Reiſen, Zerſtreuung in glänzender Welt,
Lockungen des Ehrgeizes, Neigungen und Mißverſtändniſſe,
zu welchen die langwierige Entfernung Anlaß geben wollte,
nichts konnte jemals in meinem Innern das feſte Band berüh-
ren, das mich mit Rahel verknüpft hielt, die tiefe Überzeu-
gung, daß ich mein Lebensglück gefunden wiſſe, erſchüttern,
und das unermüdete Hinſtreben zu dieſem Ziel auch nur einen
Augenblick ſchwächen. Sechs Jahre vergingen auf dieſe Weiſe,
nur unterbrochen durch kurze Zeiten des Wiederſehens, in wel-
chen die Vorſätze und Hoffnungen ſich neu beſtärkten. End-
lich, nach erfolgtem Umſchwunge der allgemeinen Verhältniſſe,
[29] nach erlangtem Sieg und Frieden des deutſchen Vaterlandes,
von Paris, wo ich ſchwer krank gelegen, unter glücklichen Zei-
chen heimkehrend, konnte ich aller Hemmungen frei, die ge-
liebte Freundin in Böhmen wiederfinden, den ſchönſten Som-
mer mit ihr verleben, und darauf in Berlin, am 27. Septem-
ber 1814, mein Lebensloos für immer dem ihren anſchließen.
Die neunzehnjährige Zeit unſres ſodann wenig unter-
brochenen, zu ſtets erneutem Bewußtſein des Glückes erhobe-
nen und an innerer Entwicklung reichen Zuſammenlebens zu
ſchildern, darf ich vielleicht in ſpäterer Zeit, wenn die Fort-
ſetzung der begonnenen Denkſchriften mich wieder anziehen
kann, mit geſtärkten Kräften zu unternehmen hoffen. Hier
liegt mir nur noch ob, den viel zu frühen Ausgang dieſer
entſchwundenen Zeit zu betrachten, und von den letzten Krank-
heits- und Gemüthszuſtänden der dahingeſchiedenen Freundin
näheren Bericht zu geben.
Rahels Organiſation war von der Natur kräftig und
ſtark angelegt, dieſer Anlage jedoch im Beginne ſchon auch
widerſprochen worden. Die Mutter brachte, nach vielen zu
frühzeitigen Niederkunften, ſie als das erſte lebende Kind zur
Welt, welches aber ſo klein und zart war, und ſo ſchwach
ſchien, daß man daſſelbe in Baumwolle gehüllt eine Zeit lang
in einer Schachtel aufbewahrte.
Die Kinderjahre vergingen unter vielerlei Krankheitslei-
den, welche vielleicht durch zweckmäßige Behandlung und an-
gemeſſene Lebenseinrichtung damals zu beſeitigen geweſen wä-
[30] ren, aber unter entgegengeſetzten Umſtänden ſich befeſtigten,
und die Grundlage vieler ſpäteren Krankheiten wurden. Eine
außerordentlich frühe Entwickelung der Gemüths- und Geiſtes-
kräfte begleitete den raſchen Gang der körperlichen Ausbil-
dung. Die reizbarſten Nerven, die feinſte Empfindlichkeit für
alle Verhältniſſe der Luft und des Wetters, die leiſeſte und
ſchärfſte Thätigkeit der Sinne, die erregbarſte Theilnahme des
Herzens, alles wirkte vereint, um dieſe Organiſation den un-
berechenbarſten Einflüſſen zu überliefern, mit welchen ſie fort-
während zu ringen hatte.
Dennoch erhob ſich unter allem Widerſtreite der Umſtände
eine im Ganzen kräftige und geſunde Jugend. Dieſelben
Gaben, welche empfänglich machten, wirkten auch lebhaft zu-
rück; die geiſtige Lebenskraft war überall ſo ſtärkend gegen-
wärtig, daß bei ſolcher Hülfe die Natur auch die größten
Bürden nur leicht zu tragen ſchien. Einzelne bedeutende
Krankheiten, von eigenthümlicher Geſtalt und Heftigkeit,
wichen neubelebtem Wohlſein, und die hergeſtellten Kräfte durf-
ten getroſt mit neuen Tagereihen neue Schickungen aufnehmen.
Erſt in ſpäteren Jahren, nach vielen Stürmen und Lei-
den, die dem feinen und zarten Gewebe dieſes Körpers, in
welchem die Seele ſchon immer ſchweſterlich aushalf, aber
ihrerſeits eine Stütze nicht wiederfand, endlich vielfache Be-
ſchädigung gebracht hatten, mußte die Geſundheit ein Gegen-
ſtand ernſtlicher und ununterbrochener Sorgfalt werden; die
jedoch durch williges Selbſtvergeſſen, wo es galt für Andre
thätig und liebreich zu ſein, ſo wie durch unvermeidliche neue
Erſchütterungen, nur allzu oft geſtört wurde.
[31]
In den letzten vier Jahren beſonders erkrankte Rahel
mehrmals ernſtlich. Die Herſtellung gelang meiſt nur auf
kürzere Zeit. Rheumatiſche und gichtiſche Schmerzen, dann
Beklemmungen und krampfhafte Anfälle der Bruſt, bildeten
ſich zu ſtehenden Übeln aus, die nur ſelten ganz unterdrückt
ſchienen. Die Zwiſchenzeiten des Beſſerbefindens, in welchen
ſie mit großer Schnellkraft bis zu einem gewiſſen Grade ſich
zu erholen pflegte, wurden nach und nach kürzer, die Erho-
lung ſelbſt unvollkommener. Für Andre war noch oft genug
die völlige Täuſchung einer wahren Geneſung möglich; ſie
ſelbſt auch gab willig den ſchönen Hoffnungen Gehör, die ſich
ihr nahten, und mochte gern den guten Augenblick feſthalten,
um frohen Muthes aller vergangenen und drohenden Leiden
zu vergeſſen, wie ſie denn auch niemals ängſtlichen und
düſtern Vorſtellungen über ihren eignen Zuſtand nachhing.
Allein ſie kannte dieſen beſſer, als ſie es ſagte, oder als ſie
dafür, wenn ſie es ſagte, Glauben fand; denn dieſer gute
Willen, dieſe freundliche Regſamkeit, dieſer heitre Eifer, die
jeder guten Stunde ſogleich wieder entquollen, mußten immer
neue Zuverſicht gewähren. So wie nur eine menſchliche Ge-
genwart ſie in Anſpruch nahm, eine Geiſtesregung, ein Ge-
müthsantheil ſie ergriff, eine wenn auch noch ſo gering ſchei-
nende Beſchäftigung ihr oblag, ein wohlwollendes, oft kaum
gefordertes, und vielleicht unerkanntes, aber von ihrem Herzen
gebotenes und in der Sache richtiges Leiſten ihr eröffnet war:
ſogleich erſchien ſie geſund und ſtark, und ihr inneres Leben
bedeckte durch überſtrömende Liebe den zunehmenden Verfall
des äußern.
[32]
Die Krankheitsleiden warfen ſich hauptſächlich auf die
Nächte, in deren einſamer Stille ſie großentheils verborgen
blieben, und in ganzem Umfange nur der treuen Pflegerin
Dore bekannt wurden. Heftige Anfälle von Bruſtkrämpfen,
welche bei ſchnellſter und wirkſamſter Hülfe doch nur lang-
ſam wichen, und immer große Schwäche zurückließen, waren
nur die Steigerung eines Zuſtandes, der mehr oder minder
ſchon als der gewöhnliche gelten mußte.
Die Aufregungen der Zeit, die Unruhen, welche ausbrachen
oder drohten, die furchtbare Krankheit aus dem Orient, die Schreck-
bilder, in denen ihr Herannahen angekündigt wurde, die Sor-
gen, Theilnahmen und Mühen, welche ihr Erſcheinen auferlegte,
endlich die Trennung von dem theuern Bruder Ludwig Robert,
der einen entfernten Aufenthalt wählte, um für ſeine Thätig-
keit friedliche Ruhe und Muße zu finden, alles dieſes mußte
die ſchon vielfach angeſtrengten, und immer auf’s neue nur
allzu bereitwilligen Kräfte in übergroße Spannung ſetzen.
Im Sommer 1832 überſtand Rahel unter den größten
Leiden eine Krankheit, welche jederzeit als eine mit Lebensge-
fahr verbundene erachtet wird, und die zu überſtehen man
ihrer ſo anhaltend beſtürmten Organiſation kaum noch zu-
traute. Sie überſtand dieſelbe jedoch wunderbar, und die hie-
bei ſichtbar gewordene Lebenskraft erſchien uns als ein gün-
ſtiges Zeichen, daß ihr noch eine ganze Reihe von Jahren
beſtimmt ſein könne. Allein nach einiger Zeit ſchon fanden
ſich die alten Krankheitszuſtände wieder ein, und die wirk-
liche Schwäche wurde um ſo auffallender, als ſie auf den
Anſchein gewonnener Stärke folgte. Große Widerwärtigkei-
ten,
[33] ten, deren ihr leicht und tief erregtes Gemüth oft von Andern
ungeahndete oder doch unbegriffene zu tragen hatte, der ihr
lange verhehlte, aber endlich eröffnete Trauerfall, daß in der
Ferne der geliebte Bruder, und nach kurzer Friſt auch deſſen
Gattin, unerwartet durch Krankheit dahingerafft worden, die
Zerſtörung ſo manches Wunſches und Troſtes: dies alles ver-
eint, war ein zu gewaltſamer Angriff, dem ſie nicht meht
verhältnißmäßigen Widerſtand entgegenzuſtellen hatte.
Der Winter brachte, wie gewöhnlich, manche Verſchlim-
merung, und beſchränkte mehr und mehr die Thätigkeit und
den Antheil, den ſie, mehr noch für Andre als für ſich ſelbſt,
an den Darbietungen des Tages zu nehmen pflegte. Selte-
ner fuhr ſie aus, in das Theater gar nicht mehr, zu Beſuchen
nur bei beſonderein Anlaß und als kurze Erſcheinung, die
letztenmale, am 20. und 21. Januar, in den Thiergarten,
um Luft und Sonne zu genießen. Gar oft mußte ſie auch
der gewohnten Geſelligkeit häuslicher Abende entſagen, oder
die Unterhaltung abbrechen und ſich zurückziehen, um in
ſtiller Ruhe ihre Leiden abzuwarten oder neue Kräfte zu
gewinnen. Kehrte ſie dann zurück, ſo wollte ſie des Über-
ſtandenen nicht mehr gedenken, nahm das gehemmte Geſpräch
heiter wieder auf, und zeigte, wie in den beſten Tagen, den
liebenswürdigſten Eifer, in allen Richtungen Gutes und Er-
freuliches hervorzurufen.
Wenn ſie nur ihre gewöhnlichen Beſchwerden hatte, ſuchte
ſie es mir häufig zu verbergen, und Schmerz und Leid im
Stillen für ſich abzumachen. In heftigeren Anfällen aber
war das nicht möglich, ſie wünſchte dann auch meinen Bei-
I. 3
[34] ſtand, und begehrte, man ſollte ihr zureden und ſie tröſten.
Doch nur ſelten vermochte man das; ſie ſelbſt vielmehr erhob
ſich zu dem höchſten Troſte, ſprach die ſchönſten Empfindungen
und reichſten Ahndungen aus, und freute ſich dankbar gegen
Gott, daß ſie doch gute Gedanken habe, tröſtliche, erquickende
Vorſtellungen, ein offenes Herz, ein reines Vertrauen. So
ſagte ſie zu mir eines Morgens, nach einer ſchrecklichen Nacht,
mit dem ſo eindringenden Ton ihrer liebevollen Stimme: „O
ich bin doch ganz vergnügt, ich bin ja Gottes Geſchöpf, er
weiß von mir, und ich werde ſchon noch einſehen, wie es
mir gut und nöthig war, ſo zu leiden; ich ſoll gewiß etwas
dadurch lernen, jeder Schmerz wird in der gewonnenen Ein-
ſicht zur Freude werden, jedes Leid als Glorie daliegen! Und
bin ich nicht ſchon jetzt glücklich in dieſem Vertrauen, und in
all der Liebe, die ich habe und finde?“
Ihre häusliche Geſelligkeit war ſchon längere Zeit auf
einen kleinen Kreis erwünſchter Perſonen beſchränkt, der ſo-
wohl altbewährte, ſeit zwanzig und dreißig Jahren ihr un-
verändert gebliebene Freunde, als auch jüngere und noch ganz
neue Bekanntſchaften umfaßte. Sie wußte den verſchieden-
artigſten Eigenſchaften einen ſchicklichen Spielraum, jedem
richtigen Anſpruch eine billige Befriedigung zu verſchaffen,
und auch für ſich ſelbſt jederzeit eine ſolche zu gewinnen.
Alles Ächte, Gute und Liebliche, das ihr begegnete, war ihr
gleich ein Entzücken. So war es ein tiefer und froher Ein-
druck, den ſie noch in den letzten Wochen durch die Bekannt-
ſchaft mit einer edlen und liebenswürdigen Dame empfing,
in welcher ſie beſtätigt fand, was ſchon der Namen ihr ver-
[35] heißen hatte; dann darf ich des innigen Glückes gedenken,
welches ſie eines Abends genoß, da die theure Schwägerin
Erneſtine Robert nicht ermüdete, mit ſeelenvoller Stimme ihr
die ſchönſten Geſänge vorzutragen, nicht ahndend, daß dies
die letzte Freude ſolcher Art ſein würde, deren die leidenſchaft-
liche Muſikfreundin hier genießen ſollte! Rahel durfte noch
öftere Wiederholung dieſes Genuſſes hoffen, ſie war noch thä-
tig, dieſe zu beſprechen, zu bereiten. Allein grade in dieſer
Zeit griffen die Krankheitsbeſchwerden ſtärker und ſtärker in
ihre Tage und Stunden ein, und ſie mußte mit Betrübniß
ſich eingeſtehen, daß ſie immer weniger Verfügung darüber
habe, immer andaurender von ihren Leiden abhängig werde.
Rahel fühlte wohl, daß ihre Lage ſich nicht günſtig ver-
änderte. Die Schranken der Arzneikunde waren ihr nur zu
wohl bekannt, als daß ſie hätte von daher unbedingt Hülfe
erwarten wollen; in früheren Zeiten hatten berühmte Ärzte
viel bei ihr verſehen, ſich gröblich geirrt, und wenn ihr dieſe
Beſorgniß jetzt auch fern lag, und ſie in entſcheidenden Au-
genblicken nie Mangel an Vertrauen zeigte, ſo mußte ſie doch
das Gefühl, welches ſie von ihrer Krankheit hatte, mit den
Äußerungen, welche ſie darüber vernahm, in weitem Abſtande
finden. Sie mochte kaum noch auf Heilung rechnen. Aber
Zeiten der Erholung, längere, wiederholte Friſten, und ſelbſt
Jahre eines ſolchen Wechſels, durften ihr zuweilen möglich
ſcheinen, und ſie hörte nicht ſelten in dieſem Sinne die be-
ſtimmteſten Hoffnungen ausſprechen. Beſcheidene Plane, die
ſie mit einer lieben Freundin für den Sommer lange voraus
als angenehme Heimlichkeit verabredet hatte, ſchwebten er-
3 *
[36] freuend vor ihrer Seele, und es machte ihr Vergnügen, in
vertraulichen Augenblicken davon zu ſprechen, wobei ſie doch
zugleich mit Ergebung alles den Umſtänden unterwerfen wollte.
Allein auch Vorſtellungen ganz andrer Art, beſchäftigten ſie,
und meiſtentheils war ihr Gemüth zu geiſtigen Richtungen
hingewandt.
Zu allen Zeiten, in der Jugend wie im Alter, in ganz
geſunden, wie in kranken Tagen, waren die höchſten Aufgaben
des Menſchen, die Thatſachen der geiſtigen Welt, und die
Empfindungen und Ahndungen eines hohen Zuſammenhanges,
für Rahel die liebſten Gegenſtände der Betrachtung, der immer
wiederkehrende Inhalt des Geſprächs. In Heiterkeit und mit
Laune, wie mit Ernſt und in Erhebung, ſprach ſie oft vom
Tode, auch dem eignen, den ſie nicht fürchtete, ſondern mit
faſt neugieriger Forſchung anzuſchauen pflegte. Bei täglichen
Anläſſen, in unerwarteten Ausbrüchen, heißen Gebeten, und
tiefen, eigenthümlichen Gedankenblitzen, zeigte ſich ihr gott-
ergebener, ſtarker Sinn nach dieſer Richtung offen und frei
hingewandt. Wir waren es gewohnt, Gegenſtände und Be-
ziehungen dieſer Art täglich und ſtündlich von ihr angeregt
und erörtert zu ſehen. Allein wir mußten zu dieſer Zeit bald
gewahr werden, daß die Richtung zu dem Unſichtbaren in
Rahel nicht nur entſchiedener vorwaltete, ſondern auch in ih-
ren Äußerungen eine durchaus erhöhte, perſönlichere Bedeu-
tung empfing.
In ſolcher Weiſe ſprach ſie eines Tages unter andern mit
heitrer Innigkeit von einem ſchönen Traum, der ihr von Kindheit
an tröſtlich geweſen. „In meinem ſiebenten Jahre“, ſagte ſie,
[37] „träumte mir einmal, ich ſähe den lieben Gott ganz nahe, er
hatte ſich über mir ausgebreitet, und ſein Mantel war der
ganze Himmel; auf einer Ecke dieſes Mantels durfte ich ruhen,
und lag in beglücktem Frieden zum Entſchlummern da. Seit-
dem kehrte mir dieſer Traum durch mein ganzes Leben immer
wieder, und in den ſchlimmſten Zeiten war mir dieſelbe Vor-
ſtellung auch im Wachen gegenwärtig, und ein himmliſcher
Troſt: ich durfte mich zu den Füßen Gottes auf eine Ecke
ſeines Mantels legen, und da jeder Sorge frei werden; er
erlaubte es.“ Wie oft noch in der Folge hörte ich ſie dann
mit dem ihr ganz eigenen, rührenden Stimmenlaute bei und
nach den angſtvollſten Leiden vertrauend ſagen: „Ich lege
mich auf Gottes Mantel, er erlaubt es. Wenn ich auch leide,
ich bin doch glücklich, Gott iſt ja bei mir, ich bin in ſeiner
Hand, und er weiß alles am beſten, was mir gut iſt, und
warum es ſo ſein muß!“ Die erhabenſten Gedanken und
die lieblichſten Kindervorſtellungen waren ihr von jeher in
gleichem Maße angehörig und mit einander verknüpft.
Auch in Betreff naher und ferner Perſonen zeigten Rahels
Äußerungen eine erhöhte Innigkeit, jedes liebreiche und herz-
liche Verhältniß wurde ihr angelegener, jedes herbe und widrige
entrückter oder milder. Verſöhnung lag in ihr zu allen Zeiten
ſchon immer für alles Geſchehene bereit, ihr guter Wille war
ſchon begnügt, wenn nur der Andre ſein Unrecht zu vergeſſen
ſchien; jetzt wollte ſie für alles und jedes wechſelſeitige Ver-
zeihung ausgeſprochen wiſſen. Beſtätigt und geſegnet aber
ſollte ihr jedes Wahre und Gute ſein, und ſie verhehlte es
nicht, daß jedes ächte Gebild ihres Lebens, jede wahre und
[38] tiefe Verknüpfung mit geliebten Menſchen, ihr die Andeutung
und Bürgſchaft eines hier nicht auszuforſchenden, weſentliche-
ren Zuſammenhanges ſei.
Sie hatte mitten in ihren Leiden auf dieſe Weiſe glück-
liche Stunden, in den beſſern Zwiſchenräumen auch fortwäh-
rend die freudigſten Geiſtesgenüſſe. Die Sprüche von Ange-
lus Sileſius waren ihr faſt immer zur Hand; in Fichte’s
Staatslehre ſuchte ſie manches ihr Wichtige, z. B. über den
Karakter der Franzoſen, zu nochmaligem Betrachten wieder
auf; in Wilhelm Meiſters Wanderjahren las ſie hin und wie-
der mit ernſtem Nachdenken, und ſchrieb noch einige Bemer-
kungen darüber; daneben erfreute ſich ihr antheilvoller Sinn
auch an den wohlgeſchriebenen Theaterberichten der franzöſi-
ſchen Zeitungen, ſo wie an manchen andern Aufſätzen der Ta-
gesblätter, wie ſie denn von jeher für jedes Talent der ſchö-
nen, gediegenen und treffenden Darſtellung eine leidenſchaft-
liche Bewunderung hatte. Ein paarmal fügte es ſich, daß
ich ihr, was ſie ſonſt nicht liebte noch vertragen konnte, man-
ches vorlas, kürzere Sachen von Goethe, auch aus Angelus
Sileſius, was ſie in wahre Freudigkeit, ja in Entzücken ver-
ſetzte, und ſie drückte ihre Befriedigung beſonders auch dar-
über aus, daß ſie alles dies auf ſolche Weiſe von mir jetzt
höre, und ſich unſrer Gemeinſchaft und Einigkeit dabei ſo
innig bewußt ſein könne.
In dieſer Zeit war der Herzog von Lucca nach Berlin
gekommen, und mit ihm ſein Leibarzt. Dr. von Necher, dem
in der homöopathiſchen Heilkunſt die glücklichſten Erfolge zu-
geſchrieben wurden. Eine verehrte Freundin, ſo ausgezeichnet
[39] durch Geiſt wie durch wohlwollenden Eifer, drang in Rahel,
dieſe Gelegenheit nicht zu verſäumen, und den trefflichen,
menſchenfreundlichen, ganz uneigennützig jedem Hülfeſuchenden
zugänglichen Arzt über ihre Krankheit zu Rath zu ziehen,
oder wenigſtens ſeine Bekanntſchaft zu machen. Nach einigen
Erörterungen wurde vorläufig nur das letztere feſtgeſtellt, und
mittlerweile der Werth der neuen Heilmethode, ſo wie das
Vertrauen, welches ſie fordern dürfe, mannigfach beſprochen.
Am 16ten Februar empfing Rahel den erſten Beſuch
des Dr. von Necher, welchen Frau von Arnim (geb. Bren-
tano) bei ihr einführte. Seine Perſönlichkeit machte einen
durchaus vortheilhaften Eindruck, der ſich durch ſeine Reden
und ſein Benehmen mit jedem Augenblick verſtärkte. Seine
lebhafte Theilnahme, ſeine umſichtigen Fragen, ſein kluges
Beobachten, und die feſte Beſtimmtheit deſſen, was er ſagte,
waren dem Gemüth eben ſo wohlthätig, als ſie dem Geiſte
Vertrauen einflößten. Nach anderthalbſtündigem Geſpräch
war die Kranke aus eigenem Antriebe ſchon ganz entſchieden,
unter der Leitung dieſes Arztes die neue Heilart zu verſuchen.
Weil jedoch die Wirkung der bisher genommenen Arzneien
erſt ganz aufgehört haben ſollte, bevor die homöopathiſchen
Mittel gebraucht würden, ſo mußte der Beginn der Kur noch
um fünf Tage aufgeſchoben bleiben; nur wurden die nach den
Grundſätzen der Homöopathie nicht zuläſſigen Nahrungs- und
Reizmittel ſchon jetzt ſorgfältig entfernt.
Der Arzt hatte die Kranke in günſtigen Augenblicken ge-
ſehen, ſie war angeregt, freudig faſt, und in ihrem Vertrauen
daher um ſo raſcher und kräftiger; auch gab er in der That
[40] anfangs gute Hoffnung, nicht zwar eines völligen Geneſens,
aber doch eines zu gewinnenden Zuſtandes bedeutender Linde-
rung, in welchem noch eine ganze Reihe guter Jahre hinge-
hen könnten. In den folgenden Tagen, bei wiederholtem For-
ſchen und Prüfen, mußte dieſe Hoffnung freilich um vieles
herabgeſetzt werden, doch wurde ſie im Ganzen nicht aufgege-
ben, und ſpäterhin, bei erneuten günſtigen Zeichen, ſogar
wieder erhöht. Dr. von Necher kam nun täglich, und mei-
ſtens mehr als Einmal, wobei das Vertrauen zu ſeiner Hülfe,
ſo wie der gute Eindruck ſeiner Gegenwart nur immer zu-
nahmen. Da jedoch ſeine Anweſenheit in Berlin von unge-
wiſſer Dauer war, ſo brachte er ſchon jetzt auch den hieſigen
homöopathiſchen Arzt, Dr. Stüler, mit, der die angefangene
Kur weiterhin fortſetzen ſollte.
Die neue Lebensordnung wurde für Rahel dadurch be-
ſchwerlich und hart, daß alle gewohnten Reize und Erquickun-
gen, welche ihren ſelten ganz ruhenden Leiden eine wenn auch
nur vorübergehende Linderung oder Ablenkung zu bewirken
pflegten, jetzt unterſagt waren. In Vertrauen und Geduld
fügte ſie ſich dieſen Entbehrungen aller Art, empfand ſie aber
ſchmerzlich, und es war uns oft jammervoll, ſie den Wunſch
nach irgend einem gewohnten Labſal, zugleich ſelbſt aber auch
deſſen Verneinung ausſprechen zu hören. Als nach begonne-
ner Kur eine allgemeine Aufregung der Beſchwerden eintrat,
und dieſe zum Theil auch den genommenen Mitteln zuzu-
ſchreiben ſchien, wurde jene Entbehrung nur noch peinlicher,
und die Kranke konnte dann, in ihrer geängſteten Unruhe,
für die kein linderndes Eingreifen Statt fand, zuweilen den
[41] mißmuthigen Seufzer nicht unterdrücken, daß ſie dieſe Kur,
wenn man ihr deren harten Verlauf vorausgeſagt hätte,
ſchwerlich würde unternommen haben. Ihr Vertrauen zu dem
Arzte und ſeiner eifrigen Bemühung blieb indeß unerſchüttert
daſſelbe, und ſie betrauerte nur ſein damals befürchtetes baldi-
ges Fortreiſen.
Die Nächte waren ſchlimm; ſie wurden meiſt ſchlaflos
und oft unter großen Beängſtigungen und harten Anfällen
hingebracht, und dieſe Leiden gingen auch ſchon mehr und
mehr in die Tagesſtunden über. Rahel fühlte ſich ernſtlich
krank und im Innerſten gebeugt; ſie ſagte einmal insgeheim
zu Doro, die ihr vom Sommer ſprach: „Ach, wenn du wüß-
teſt, was ich denke! … ich denke, ich komme nicht über den
März hinaus.“ Allein in andern Augenblicken faßte ſie doch
wieder Muth, dachte mit Vergnügen an die kommende beſſere
Jahreszeit, nahm ſich zuſammen, war in alter Weiſe thätig
und theilnehmend, ordnete mit gewohnter Pünktlichkeit und
arbeitſamem Fleiß wirthſchaftliche Rechnungen, ſorgte mit
Überlegung und Vorausſicht für Nothleidende, die ſie als ihr
zugewieſene anſehen wollte, und war wie immer liebevoll be-
dacht, mehreren Perſonen ihres näheren Bereichs Angenehmes
und Gefälliges zu erweiſen, ihnen kleine Geſchenke zu berei-
ten, freundliche Mittheilungen zu machen, wie es grade der
Sinn oder die Umſtände fügten.
Am 1. März hatte ſie zum zweitenmal homöopathiſche
Arznei empfangen, und den Tag ſehr unruhig, unter wechſeln-
den Leiden hingebracht. In der Nacht zum 2. ſteigerten
[42] ſich dieſe zu einem ſo furchtbaren Bruſtkrampfe, wie bisher
noch keiner geweſen war. Sie glaubte zu ſterben, und litt
einige Stunden lang ganz unſäglich. Doch unter dem ſorg-
ſamen Beiſtande des herbeigeholten Dr. Stüler gewann ſie
nach und nach etwas Linderung, der Anfall wich, und es blieb
ein Zuſtand übrig, der zwar noch immer Aufregung zeigte,
aber endlich doch eine Lage zum Ruhen und ſogar, wiewohl
bei fortdauernd angeſtrengtem Athemholen, einigen Schlaf
erlaubte.
Die folgenden Tage und Nächte rangen mit vielem Un-
gemach; die Spannung ſtieg nicht, minderte ſich aber auch
nicht genug; eine leidliche Lage, die ſich nach vielen Mühen
auf Augenblicke gewinnen ließ, wurde nur allzuſchnell wieder
durch Beklemmungen geſtört. Die Kräfte verhielten ſich da-
bei noch über Erwarten gut; wir ſprachen ihr wiederholt un-
ſer tröſtendes Erſtaunen aus, wie viel ihre urſprünglich ſtarke
Natur auszuhalten vermöge, und wie ſchnell ihr Körper, gleich
dem Gemüth, wieder in alter Faſſung ſei, ſobald ihm nur
ein Augenblick dazu freigegeben werde. Sie ſtimmte wohl
in dieſe Meinung ein, aber ſah deßhalb ihren Zuſtand für
nicht weniger bedenklich an, und fürchtete beſonders die Wie-
derkehr des Anfalls, deſſen ſchreckliche Angſt und Qual ihr
ſchaudervoll im Sinne lag.
Die liebevollen Worte, die ſie während dieſer Zeit im-
mer an uns richtete, die troſtreichen Rückblicke, welche ſie auf
die Vergangenheit warf, und die gerührten Erhebungen, in
denen ihr [tiefſtes] Herz aufwogte, vermag ich nicht im Ein-
[43] zelnen zu wiederholen. Wir genoſſen in dieſer trüben Zeit
Stunden des reinſten Entzückens, der innigſten Verſtändigung,
und fühlten die volle Gewißheit eines unzerſtörbar begründe-
ten, wechſelſeitigen Angehörens. Merkwürdig ſind auch die
folgenden Worte, die ich gleich am 2. März, unmittelbar
und genau, wie ſie von Rahel geſprochen waren, mir auf-
ſchreiben mußte: „Welche Geſchichte! — rief ſie mit tie-
fer Bewegung aus, — eine aus Ägypten und Paläſtina
Geflüchtete bin ich hier, und finde Hülfe, Liebe und Pflege
von euch! Dir, lieber Auguſt, war ich zugeſandt, durch dieſe
Führung Gottes, und du mir! Mit erhabenem Entzücken
denk’ ich an dieſen meinen Urſprung und dieſen ganzen Zu-
ſammenhang des Geſchickes, durch welches die älteſten Erin-
nerungen des Menſchengeſchlechts mit der neueſten Lage der
Dinge, die weiteſten Zeit- und Raumfernen verbunden ſind.
Was ſo lange Zeit meines Lebens mir die größte Schmach,
das herbſte Leid und Unglück war, eine Jüdin geboren zu
ſein, um keinen Preis möcht’ ich das jetzt miſſen. Wird es
mir nicht eben ſo mit dieſen Krankheitsleiden gehen, werd’ ich
einſt nicht eben ſo mich freudig an ihnen erheben, ſie um kei-
nen Preis miſſen wollen? O lieber Auguſt, welche tröſtliche
Einſicht, welch bedeutendes Gleichniß! Auf dieſem Wege wol-
len wir fortgehen!“ Und darauf ſagte ſie unter vielen Thrä-
nen: „Lieber Auguſt, mein Herz iſt im Innerſten erquickt;
ich habe an Jeſus gedacht, und über ſein Leiden geweint; ich
habe gefühlt, zum erſtenmal es ſo gefühlt, daß er mein Bru-
der iſt. Und Maria, was hat die gelitten! Sie ſah den ge-
[44] liebten Sohn leiden, und erlag nicht, ſie ſtand am Kreuze!
Das hätte ich nicht gekonnt, ſo ſtark wäre ich nicht geweſen.
Verzeihe mir es Gott, ich bekenne es, wie ſchwach ich bin.“
Am 5. März war in keiner Hinſicht eine Verſchlimme-
rung merkbar; im Gegentheil, es zeigte ſich auf Rücken und
Schultern ein Ausſchlag, demjenigen ähnlich, durch den ſchon
in früheren Jahren ein gefahrvoller Zuſtand ſich zum glück-
lichen Ausgange gewendet hatte. Wir konnten neue Hoffnung
faſſen, der Arzt bezeigte ſeine große Zufriedenheit, Rahel lä-
chelte freundlich ob den guten Verheißungen, ſie fand das Le-
ben wünſchenswerth, und ohne die höheren Gedankenreihen,
in denen ſie ergeben und getroſt weilte, zu verlaſſen, wandte
ſie von daher den Blick auch mit Liebe den nächſten Darbie-
tungen des Tages zu. Ein ſchöner Fliederbaum, den ihr im
vorigen Sommer die von ihr ſehr geliebte Gräfin von Yorck
geſchenkt hatte, trieb unerwartet in dieſen Tagen junge Knos-
pen; man brachte ihn vor das Bette der Kranken, die ihn
tiefathmend und entzückt betrachtete, und das zarte Grün wie-
derholt küßte; das erſte für ſie und das letzte dieſes neuen
Frühjahrs! Ihre Sanftmuth und Hingebung in dieſen Tagen
war unausſprechlich. „Wir wollen einander alles verzeihen,“
ſagte ſie mehrmals, und: „Wir ſchleppen einander wechſel-
ſeitig mit, ihr mich, ich euch;“ ferner: „Im Himmel ſehen
wir uns Alle wieder.“ Als Dore einmal von ihr ſprach, und
dabei die gewöhnliche Benennung „gnädige Frau“ anwandte,
rief ſie wohlbehaglich, und als ob ſie ſich von einer Laſt be-
freite: „Ach was! es hat ſich aus gegnädigefraut! nennt mich
[45] Rahel.“ Sie ſprach dies nicht in dem Sinn eines nahen Ab-
ſchiedes, ſondern in dem eines Aufgebens von Schein und
Tand, wie ihr auch für das Weiterleben zu Muthe ſei und
bleiben ſolle. Eine ſolche erhöhte Stimmung zeigte ſich über-
haupt in der faſt wehmüthigen Herzlichkeit, welche ſie ihren
Nächſten und den Freunden bewies, deren Beſuch ſie empfing.
Die Gegenwart ihres jüngſten und nur noch einzigen Bruders
Moritz Robert, den ſie immer beſonders geliebt hatte, war ihr
jedesmal ein erquickender Troſt; um ihn aufzumuntern, ver-
ſicherte ſie ihm freundlich, es gehe ihr gar nicht ſchlecht, und
wenn er ſie vorwärts niedergebeugt ſitzend fände, ſo ſei das
bloß, weil es ihr ſo für den Augenblick bequem ſei; ſie könne
ſich recht wohl grade halten, aber habe nur jetzt keinen Grund
es zu thun. Auch erfreute ſie der Anblick des lieben Nichten-
Kindes Eliſe, das noch auf Augenblicke zum Beſuch an ihr
Bette kam. Theure Freunde und Freundinnen nahten ihr
grüßend und heilwünſchend, unter dieſen noch am Abend der
Fürſt und die Fürſtin von Carolath, die am andern Morgen
abreiſen wollten.
Der 6. März kam heran, die Beſchwerden waten groß-
die Entbehrung jedes Labſals ungemein peinlich, das Verlan-
gen nach Erquickung und Ruhe ſprach ſich in geſteigerten
Klagen aus. Die fleißigen Beſuche des Dr. von Necher, der
mehrmals im Tage wiederkam, und immer neuen Aufſchub
ſeiner Abreiſe verkündigte, erfreuten ſie jedesmal. Sie nahm
auch an dieſem Tage noch jeden gewohnten Antheil an allem,
was vorging und geſprochen wurde, und die ungeſchwächte
[46] Belebung ihres Herzens bewies ſich auch in den ſchmerzlichſten
Ausrufungen über die Herzogin von Berry, in deren Geſchick
ſie nur die Tiefe des Leidens ſehen wollte, zu welchem der
Menſch gebeugt werden könne. Sie verlangte alles zu wiſſen,
was die Zeitungen von der unglücklichen Fürſtin meldeten,
und hörte nicht auf, ſie zu bedauern.
Ein Verſuch aufzuſtehen und einige Schritte im Zimmer
zu machen, zeigte noch reichliche Kräfte, und ſie ſelbſt wie
auch wir Andern hatten davon einen guten Eindruck. Über-
haupt ſtimmten die Verſicherungen der Ärzte, auch nicht-homöo-
pathiſcher, ſämmtlich darin überein, daß eine dringende Gefahr
jetzt nicht vorhanden, der ganze Zuſtand aber und ſeine fernere
Entwicklung dennoch mit größter Beſorgniß zu betrachten ſei.
Bald aber wurde bemerkt, daß der Ausſchlag ſich an Umfang
und Stärke gemindert zeige; doch ſchien ein freiwillig einge-
tretener Schweiß ihn wieder hervorzutreiben, und die Unter-
haltung dieſes Schweißes wurde angelegentlich empfohlen.
Die Ärzte hatten Rahel zu Mittag beſucht; der Bruder eben-
falls, die Schwägerin kam gegen Abend, und auch der Bruder
wollte wiederkommen, wurde aber durch die Nachricht abge-
halten, es habe ſich nicht verſchlimmert, und man wünſche
die Kranke ruhen zu laſſen. Sie fragte einigemal nach ihm,
weil er ihr geſagt hatte, daß er noch wiederkommen würde,
doch hatte ihre Erwartung, ihn zu ſehen, durchaus nichts Un-
gewöhnliches. Mit einem Gruße des Arztes, der neuen Auf-
ſchub ſeiner Abreiſe melden ließ, kam noch am ſpäten Abend
Frau von Arnim, verweilte einen Augenblick am Fuße von
[47] Rahels Bette, und wurde von ihr mit den Worten angeredet,
ſie komme ſtets als ein „minister of heaven,” dann aber wie-
der mit Dank und Freundlichkeit entlaſſen.
Beim Eintritt der Nacht, und als der Schweiß aufgehört
hatte, empfand Rahel ein unwiderſtehliches Bedürfniß, ſich
umzukleiden; da ſie es ſich nicht ausreden ließ, ſo geſchah es,
aber mit größter Vorſicht. Sie ſelbſt war dabei lebhaft thä-
tig, und bezeigte eine außerordentliche Befriedigung, dies er-
langt und vollbracht zu haben. Sie fühlte ſich höchſt erquickt,
und hoffte nun auch eine Lage zu finden, in der ſie etwas
ſchlummern könnte. Sie ſagte mir deßhalb gute Nacht, und
hieß mich gleichfalls ſchlafen gehen. Auch Dore ſollte ſich
niederlegen und ſchlafen, die aber nicht geneigt war noch
Zeit hatte, dieſer Weiſung zu folgen.
Es mochte nach Mitternacht ſein, und ich lag noch wach,
als Dore mich rief, ich möchte kommen, es ſei ſehr ſchlimm.
Seit dem Augenblicke, daß ich weggegangen war, hatte Rahel,
anſtatt die gehoffte Ruhe zu finden, mit ſtets anwachſenden
Beſchwerden zu ringen gehabt, die jetzt in völligen Bruſt-
krampf übergegangen waren. Ich fand ſie in einem Zuſtande,
der wenig geringer ſchien, als der vor ſechs Tagen. Die für
ſolchen Fall, den man zwar nicht wahrſcheinlich, aber doch
möglich erachtet hatte, dagelaſſenen Mittel wurden eifrig an-
gewandt, allein diesmal mit minderem Erfolg. Der ſchreck-
liche Kampf dauerte fort, und die theure Leidende, in Dore’s
Armen ſich windend, rief mehrmals, der Andrang gegen die
Bruſt ſei nicht auszuhalten, es ſtoße ihr das Herz ab; fürch-
[48] terlich rang dabei das Athemholen. Nachdem ſie geklagt,
duß es ihr auch den Kopf angreife, daß ſie darin wie eine
Wolke fühle, lehnte ſie ſich zurück; eine Täuſchung, daß Lin-
derung eintrete, blitzte nur auf, um für immer zu erlöſchen,
die Augen waren gebrochen, der Mund verzogen, die Glieder
gelähmt! In dieſem Zuſtande fanden ſie die herbeigerufenen
Ärzte; ſie verſuchten ihr noch einige Mittel einzuflößen, allein
der Nervenſchlag, der ſie getroffen hatte, machte jede Hülfe
vergeblich. Nach anderthalb Stunden bewußtloſen Daliegens,
während deſſen nur noch die Bruſt ſich in gewaltſamen Zügen
regte, hauchte dies edle Leben den letzten Athem aus. Der
Anblick, den ich kniend an ihrem Bette faſt leblos aufnahm,
drückte ſich glühend für ewig in mein Herz!
Wir ſtarrten betäubt die entſetzliche Gewißheit an. Das
oft genug Befürchtete hatte uns dennoch grauſam überraſcht;
nicht in dieſer Woche, nicht an dieſem Tage, ſelbſt in der
letzten Stunde noch nicht, hatten wir dieſe Wendung erwarten
dürfen, denn bevor der Nervenſchlag hinzutrat, war kein Zei-
chen ſchlimmer und bedenklicher, als bei den vor ſechs Tagen
erlittenen Zufällen, die denn doch, wenn auch nach hartem
Kampfe, wieder nachgelaſſen hatten. So entſchwand uns die
Theure ohne Wort und Blick des Abſchieds, aber auch, wir
dürfen es hoffen, ohne Gefühl des letzten Kampfes und ohne
Bewußtſein des Scheidens!
Eine ſeltne Theilnahme in allen Klaſſen wurde durch die
Nachricht dieſes Trauerfalles erregt, in den höchſten wie in
den unterſten Kreiſen zeigte ſich tiefes, herzliches Bedauern
und
[49] und würdigende Anerkennung. Die edlen Eigenſchaften der
unverſiegbaren Güte, des einſichtigen Wohlthuns und eines
allgemein erfreuenden Benehmens, wurden auch von den Leu-
ten des niedrigſten Standes herzlich geprieſen, denen die
reichen Gaben des Geiſtes als ſolche nicht erkennbar ſein
konnten. Der weite Kreis der Freunde, der älteſten wie der
jüngſten, Alle ſtimmten beeifert in dem klagevollen Bekennt-
niß überein, daß ihnen ein reichſtes und bedeutendſtes Le-
bensbild, ein höchſtes Ziel, zu welchem ſich Gedanken und
Erinnerungen immer neu vertrauend hingezogen fanden, da-
hingeſunken ſei.
Die Beſtattung erfolgte am 14. März in einem Grab-
gewölbe auf dem Kirchhofe vor dem halliſchen Thore, wo der
Prediger Dr. Marheineke das Andenken der Entſchlafenen
durch eine würdige und inhaltvolle Rede feierte, und damit
die erhabenen Tröſtungen des geiſtlichen Wortes vereinigte.
Eine Frau, die nicht durch Stand und Namen, noch durch
Schönheit und glänzende Verhältniſſe, die Blicke der Welt
hat auf ſich ziehen, noch durch ſchriftſtelleriſche oder künſtle-
riſche Verdienſte berühmt werden können, ſondern einzig durch
das unbefangene gleichmäßige Walten einer in ſich ſtets wah-
ren, und dabei gütigen und erweckenden Perſönlichkeit, durch
ihr einfaches tägliches Leben, auf die umgebende Welt gewirkt,
und dabei gleichwohl den Beſten ihrer Zeit gleichgeſtanden,
überall ſo tiefen und eigenthümlichen Eindruck gemacht, und
eine ſo beharrliche Aufmerkſamkeit und zuneigungsvolle Ach-
tung, ja eine ſo allgemeine Wohlgeſinnung erworben, eine
I. 4
[50] ſolche Frau wird zu allen Zeiten als eine ſeltne und werthe
Erſcheinung gelten dürfen.
Mögen die nachfolgenden Blätter durch ihre treuen Züge
den Freunden das ganze Lebensbild glücklich erneuen helfen!
Berlin, im April 1833.
K. A. Varnhagen von Enſe.
[51]
An Markus Theodor Robert, in Breslau.
Lieber Markus. Meiner Rechnung nach biſt du mir eine
Antwort ſchuldig; ich hätte dir auch nicht geſchrieben, wenn
ich dich nicht um etwas bitten, fragen und beſchwören wollte.
Donnerstag ſind Papa und Mama hier angekommen. (Bei
dieſem Wort bekomme ich deinen Brief. — Ich bitte dich
noch Einmal, bedenk’ uns und die Folgen; ſei nur aufmerk-
ſamer! —) Ich gab Mama gleich einen Brief, den die
Dienstags-Breslauer-Poſt mitgebracht hat, verſteht ſich heim-
lich; der Inhalt dieſes Briefs iſt: etwas von unſren Geſchich-
ten: und dann eine Klage über dich (genau was es iſt, hat
er nicht geſchrieben) und die Bitte, dich zu ermahnen; ſonſt
müßt’ er es Papaen melden. Du kannſt dir denken, was das
auf unſre gedrückte Mutter für Eindruck machen muß. Be-
queme dich, ich bitte dich um Gottes willen, nur noch eine
kurze Zeit: ſoll ich dir ſchreiben, daß ſich Alle bequemen müſ-
ſen, und alle die Moral und vernünftige Sachen, die du mir
unzähligemal ſelbſt geſagt haſt? und die du wirklich fühlſt,
denn ich kenne dich, obgleich du der ganzen Welt dunkel biſt.
Verſtand haſt du; und ein gutes Herz auch; an was kann
4 *
[52] es dir fehlen. Unſer Zuſtand muß dir nur nicht lebhaft genug
mehr ſein; denk dir, wenn Klage an Papa kommt, ob nicht
alles Leiden auf Mama zurückkommt: „Nun hat er uns
alles verſchüttet, ich habe es wohl vorher geſagt, zu allem
laſſ’ ich mich überreden, du biſt an allem ſchuld;“ ſiehſt du,
auf Mama kommt alle Schuld; und noch unzählige Sachen,
die du dir nicht denken kannſt — die du dir denken mußt.
Bedenk’ nur uns, was wir leiden müſſen: du kannſt es nicht
faſſen, denn ich kann es nachher immer nicht nach der Reihe
denken; und du willſt dich nicht ein bischen ſchicken. Du
wirſt auch ſagen, Mama hat mich hergeſprengt (denn ich
kenne deine raſche Art zu denken); wie war es zuletzt bei
uns? Du weißt es ſelbſt. Ihre Herzensmeinung war gewiß
dabei gut; und hat ſie doch gefehlt,? ſo mußt du es, mußt
du es gut machen, durch eine kurze Geduld wieder gut machen.
Unſre Mutter iſt ſchwach, ſie hat viel gelitten, muß noch viel
leiden, ſtürbe ſie uns, ſo wäre dem Verſtand nach gewiß der
Tod auch für uns das Beſte, ich wenigſtens würde ihn wäh-
len. — Laß dich nicht von meinem Brief ängſtigen, du weißt
ich bin etwas ängſtlich. Ich beſchwöre dich, brauch nur deine
Vernunft. Fehlet es dir an etwas, mach mich zu deiner Ver-
trauten, Geld oder alles andre in der Art ſollſt du haben.
Wir können überhaupt glücklich leben, wenn wir hinkommen,
und du uns auch Freude machſt. Du haſt ein gutes Herz —
du haſt das meinige ganz geſehen; und kannſt auch glau-
ben, daß ich dich liebe.
Grüß die Gad, Betty und Zadig; mit der Gad haſt du
Recht, ich werde ihr ſchreiben: mach die Gad und Betty be-
[53] kannt, ſie verdienen es beide (die Gad in Ehren), ich kenne ſo
ein gewiſſes kleines Vorurtheil —. Grüß die Gad nochmahl.
Anmerk. Der frühſte von Rahels Briefen unter den bewahrt ge-
bliebenen. Als Sechszehnjährige drückt ſie darin ſchon den Karakter, die
Stellung und Stimmung, ſo wie die Wirkungsweiſe ihres ganzen Le-
bens aus.
An David Veit, in Göttingen.
So eben hab’ ich Ihren Brief ausgeleſen.
Wüßt’ ich nur wieder auch Ihnen was recht Angeneh-
mes zu ſchreiben, was Sie auch ſo intereſſirt! Sie glauben
gar nicht, wie gern ich mich bedanken möchte! Das Einzige,
was ich thun kann, iſt Ihnen gleich zu antworten, damit
Sie ſo den ganzen völligen Eindruck ſehen; und das thu’ ich
auch, während daß meine Schwägerin ſich friſiren läßt, denn,
iſt die fertig, ſo muß ich daran. Wir fahren zu Bouché, die
Hyazinthen ſollen ſchon im Freien blühen. Wiſſen Sie nur,
ich weiß recht, was Sie an mir gethan haben, erſtlich das
ſchreckliche Anſehen und Beſehen (wovon Sie aber, glau-
ben Sie mir, auch Ihren Nutzen haben werden) und das Be-
ſchreiben ohne alle Beſchreibung; ich weiß es, glauben Sie
mir ich weiß es, wie es unterwegs iſt, jede Minute iſt ver-
rückt, alles macht Mühe, die Zeit hätten Sie prächtig anwen-
den können, es wird ſo ſchwer, Details zu beſchreiben, wenn
man ſie auch noch ſo gut geſehen hat, im Gegentheil, darum
nur um ſo viel ſchwerer. Alſo den ganzen Brief, und alles
was drin ſteht, haben Sie mir zu Gefallen gethan, gemacht
[54] und gedacht: bloß mir ein Vergnügen, eine Satisfaktion zu
geben. Mehr kann ich nicht thun; ich thu’ Ihnen wieder
einmal ſo was. Denn ich weiß gewiß einmal etwas, das Sie
gern wiſſen wollen, und kann es gut beſchreiben, und
will es thun, ich opfere Ihnen gern die Zeit. Glauben thu’
ich Ihnen alles, auf ein Haar. —
Sie wiſſen doch ſonſt immer gern ſo genau was ich denke;
und das iſt auch ein Vergnügen zu wiſſen, wenn man Leute
fände, die einem das ſagten, dann könnte man klug werden.
Ich will Ihnen aber diesmal über Ihren Brief alles ſo ſagen,
Sie ſollen Ihre Freude dran haben. Ich fange mit einer
gräßlichen Thorheit an, zeig’ Ihnen alſo mein Innerſtes; ich
habe nicht geglaubt, daß Goethe ſo ſubaltern antik (Sie ſe-
hen, ich weiß kein Wort) angezogen geht, denn ein Menſch,
der alles weiß, weiß auch dies, und warum ſollt’ er ſich nicht
ein bischen apprivoiſirter kleiden, noch dazu da er am Hofe
lebt und in den neueſten Geſellſchaften iſt, das käme ganz
natürlicherweiſe von ſelbſt, ſo wie ich jetzt glauben muß, er
geht mit Bedacht anders, und das begreif’ ich nicht. Nun
iſt es aber wohl noch ganz anders, er mag aus Bequemlich-
keit ſo gehen, mag lange nicht nach ſo etwas geſehen haben,
mag ſo etwas ſeinen Leuten überlaſſen; und dann, er weiß
nur alles, und er mag ſo ſein. Was Sie mir übrigens ſchrei-
ben, iſt mir gar nicht aufgefallen, die Leute machen einen
immer irr, und wenn die einen nicht zurechtweiſen wollten,
wäre man ſchon längſt klug. Natürlich hat man ſich ihn
ungefähr ſo denken müſſen, und warum ſollt’ er anders ſein,
[55] wer hat ein größeres Privilegium zum Mies-ſein, als er?
Aber da kommen die gleich mit ihren Querſachen von Stolz
und anderem Dummen, kurz ſo dumm, als ſie ſelbſt ſind.
Das linke Hand antrauen verſteh’ ich auch nicht; vielleicht
hat die Perſon gewollt, und überhaupt verſteh’ ich den Werth
und die Wirkung dieſer Ceremonie nicht. Ignorance, mais
tout de bon. Ich glaube Ihnen in allem ganz, und glau-
ben Sie mir, ich habe Ihnen die Mühe der ringsum abge-
hauenen Vorurtheile aller Art wohl angeleſen; Sie haben ſo
einfach nur erzählt, was da war, wie in Goethe’s Karne-
val. Das iſt eine erſchreckliche Mühe, ich weiß es, weil man
da nur thut, was man ſchon gethan hat, was das einzige
iſt, was man thun muß, ſehen, und ehe man vorurtheilt
und ſich etwa verurtheilt; das muß ein jeder thun, und dies
noch einmal zu thun iſt ſehr langweilend. Sie haben mir
die prächtigſte Satisfaktion ſeit langer Zeit gegeben (nun
frag’ ich gar keinen mehr darüber aus), und fragen noch
lange, ob Sie ſo fortfahren ſollen: Herr Gott! das wäre zu
viel, ſo exakt brauchen Sie nicht zu ſein, ich will ſchon ver-
ſtehen, aber hören Sie ja nicht auf, alles zu beſehen, und
unmenſchlich zu fragen, das iſt das Wahre.
Wie können Sie aber nur ſo grauſam ſein, und mich
ermahnen, ich ſolle oder müſſe das alles ſehen! Wiſſen Sie
denn nicht, daß ich vergehe, ganz vergehe, wie etwas, das
aufhört: iſt es einem ordentlichen Menſchen möglich, Berlins
Pflaſter ſich für die Welt ausgeben zu laſſen (dies abſcheu-
liche, windige Klima nur! ſeit vorgeſtern hat’s zum erſten-
male geregnet, und heut’ iſt gut Wetter) und kann ein Frauen-
[56] zimmer dafür, wenn es auch ein Menſch iſt? Wenn meine
Mutter gutmüthig und hart genug geweſen wäre, und ſie
hätte nur ahnden können, wie ich werden würde, ſo hätte ſie
mich bei meinem erſten Schrei in hieſigem Staub erſticken
ſollen. Ein ohnmächtiges Weſen, dem es für nichts
gerechnet wird, nun ſo zu Hauſe zu ſitzen, und das Himmel
und Erde, Menſchen und Vieh wider ſich hätte, wenn es weg
wollte, (und das Gedanken hat, wie ein anderer Menſch)
und richtig zu Hauſe bleiben muß, das, wenn’s mouvements
macht, die merklich ſind, Vorwürfe aller Art verſchlucken muß,
die man ihm mit raison macht; weil es wirklich nicht raison
iſt zu ſchütteln, denn fallen die Gläſer, die Spinnrocken, die
Flore, die Nähzeuge weg, ſo haut alles ein. (Jettchen war
eben hier, die und die Veit ſind auch enchantirt von Ihnen —
mais vraiment enchantées, — ſie goutiren ganz die Sim-
plizität, die Mühe und Aufmerkſamkeit, und daß keine Frage
übrig bleibt). Hören Sie aber nur um Gottes willen nicht
auf, mir beſonders von der Schönheit der Örter zu ſchreiben,
und bleiben Sie (überhaupt) ſich gleich, wo möglich!
Was Sie mir von Wieland mittheilen, war mir nicht
weniger äußerlich angenehm, und noch mehr über meine Er-
wartung hübſch, was er hübſch über ſeine jetzigen Geſchriften
(nicht Schriften und nicht Geſchreibe) ſagt, Bravo! und wie
er angezogen geht, recht prälatenartig außer Ornat; und dann
ſeine Geduld alles zu ſehen gefällt mir auch, recht Wielan-
diſch; ſchön weiß er gewiß iſt ſchön, indeſſen klebt es aller
Orten, nehme man’s wo es ſitzt, was man zu Hauſe hat, hat
man feſt; und alt iſt er auch, was ſoll er machen, ſo ein
[57] ſachtes Amuſement! — Von Herder müſſen Sie der Ungenüg-
ſamen doch noch etwas ſchreiben, wann Sie wollen und wie
Sie wollen.
Es iſt mir als ſähe ich das doch alles noch einmal, es
wird mir nie einkommen, daß ich ein Schlemihl und eine Jüdin
bin, da es mir nach den langen Jahren und dem vielen Den-
ken darüber nicht bekannt wird, ſo werd’ ich’s auch nie recht
wiſſen. Darum „naſcht auch der Klang der Mordaxt nicht
an meiner Wurzel“, darum leb’ ich noch. Das hab’ ich
Ihnen doch noch alles nicht geſagt, darum ſchreib’ ich’s Ih-
nen, daß Sie Vergnügen daran haben ſollen. Lieber Veit,
ſchicken Sie mir doch Ihre Adreſſe, ich möcht’ Ihnen gern auf
meine eigene Hand ſchreiben, das Einlegen iſt mir fatal. Er-
breche man immer unſere Briefe, die verſteht doch kein Menſch,
und Intereſſe hat’s für kein Weſen (wenn Sie ſie erſt gele-
ſen haben).
Was ſoll ich Ihnen von uns, von hier ſchreiben. Wir
ſprechen nicht einmal davon. Glauben Sie nicht, daß das
Verachtung ſein ſoll; was nur halbwege iſt und vorgeht, ſollen
Sie wiſſen. Jetzt iſt aber wirklich gar nichts, nichts in der
Stadt, und nichts bei uns. Meine Familie grüßt Sie und
Mad. Liman auch, die haben mit goutirt. Herrn Simon
Veit dank ich’ für ſeine Theilnahme. Ein andermal reiſ’ ich
mit Ihnen, Herr Veit, und mach’ mir aus der ganzen Welt
nichts, aber im Ernſt. Vorgeſtern war Jonas den ganzen
Tag bei mir, ich hab’ ihn mit zu Hauſe genommen; ich bin
oft bei Mad. Veit, ſie und ich nehmen den größten Antheil
an Ihrem Vergnügen. Haben Sie’s doch, wenn wir’s nicht
[58] haben können. Mad. Veit geht faſt gar nicht aus und ſtillt
beſtändig, befindet ſich aber à merveille! Jonas war wirklich
charmant, und iſt es immer, wenn ſie ihn nicht verderben.
Adieu, Herr Veit.
Leben Sie wohl, lieber Veit, und haben Sie recht Ver-
gnügen, denn Sie haben’s für mich mit, weil ich welches da-
von habe. Wann kommen Sie wieder — wie iſt das, ſo
etwas will ich wiſſen. — — Vielen Dank. —
Apropos, lieber Veit, ich habe mir für vier Groſchen ein
halb Buch fein Papier gekauft, und ſchneide mir mit Ihrem
Federmeſſer die Feder ſelbſt. Imaginez.
An Guſtav von Brinckmann, in Berlin.
Heute, Herr von Brinckmann, hab’ ich Ihren Brief mit
den Verſen erhalten, ihn geleſen, auf den Brunnen gegangen,
der Fr. geleſen, zu Haus gegangen, und nun die Verſe gele-
ſen, mit denen ich dieſen Augenblick fertig bin; ich hab’ ver-
geſſen, welche Sie für die beſten halten, und Ihren Brief
hab’ ich nicht. (Ich verſprech’ Ihnen, es ſoll ſie keiner als
höchſtens die Fr. leſen.) Ich denke alſo in meinem Sinn, die
an den Grafen Hatzfeldt und die von der Roſe ſind die be-
ſten; doch kann ich mich ſehr irren, Sie wiſſen, Geſchriebnes
leſ’ ich das erſtemal ſehr flüchtig. Der Brief aber, den Sie
in meinem Sinn und Namen gedichtet haben, iſt meiſterhaft —
und ſo würd’ ich die Dinge gewiß ausdrücken, wenn ich im
Stande wär, manche zu denken, die Sie, ich weiß es wohl,
[59] nicht ohne Bedacht geſchrieben haben; ſoll ich ſagen par déli-
catesse? — Welt — finesse — oder ſo etwas — oder —
weil Sie doch nicht ganz aus ſich herausgehen wollten —
denn mich hätten Sie gewiß noch beſſer attrappiren können,
ich will nicht „erreichen“ ſchreiben. Sie haben aber Recht,
wo ſollt’ ich die Art des Danks her kriegen, für dieſen gro-
ßen Brief und für dieſe vielen Verſe; und Sie wollten mir’s
dadurch erleichtren, daß ich auch eine faſt angemeßne Klage
gegen Sie führen kann, darum beſchenken Sie mich, und be-
ſchuldigen mich in ein- und demſelben Athem, daß ich dieſes
Geſchenk nicht werth wäre, denn hieße das eigentlich nicht,
nicht werth ſein, wenn ich’s nicht verſtünde, wider Willen Ihre
Briefe geleſen hätte, und mich nicht ſo damit freute, als man
ſoll, und ich wohl kann? Wir ſind alſo quitt; Sie haben
mich außerordentlich beſchenkt, und ich weiß es und bedanke
mich ſo ſehr als ich kann; mehr kann ich nicht thun, um mich
meiner Dankbarkeit zu entledigen, ich müßte Ihnen denn das
Geſchenk und den guten Willen zurückgeben können. So lang
ich nur das Gedächtniß behalte, wird es ein regret für mich
bleiben, daß Sie nicht hier ſind, denn mir vor ſichtlichen Au-
gen etwas Gutes entziehen laſſen, iſt bei mir unverſchmerzlich,
ja ich ſeh’s was Sie hier thäten, und Sie können nicht her
kommen; dieſe Umſtände können ſich nie wieder treffen, und
ich weiß deutlich, was es geweſen wäre, was ich mir nicht
denken kann, und was ich verloren habe. Ihnen die ganze
Urſache detaillant zu ſchreiben, wäre zu weitläufig, und (was
halt’ ich nicht für riskant) in einem Brief vielleicht zu riskant.
Ich muß mich alſo drüber wegſetzen.
[60]
Ich komme wieder vom Brunnen, und kann Ihnen in
dieſem Brief nicht mehr viel ſchreiben, denn ich höre, die
Poſt geht heut ab; und heut ſind meine Menſchen gekom-
men, mit denen ich ſehr beſchäftigt bin, doch muß ich Ihnen
noch ſagen, was ich ſeit geſtern ſchon weiß, daß ich mich näm-
lich nicht geirrt habe, denn der Herr hat geſtern bei Tiſch,
wo ich nicht war, deutlich erzählt, er könne mich nicht leiden.
(Sie kennen mein Schickſal, was ich alles erfahre; alſo hab’
ich auch das erfahren, und dem Erzähler verſprochen, daß es
ein Geheimniß bleiben ſoll; Sie wiſſen alſo, was Sie zu thun
haben.) — Ein andermal, mein lieber Herr von Brinckmann,
ſchreib’ ich Ihnen was Beſſres — als eine leidige Geſchichte;
doch kann Ihnen mein Brief nicht gleichgültig ſein, Sie wer-
den’s ihm ſchon anſehen, wie er gemeint iſt, und die offenher-
zige Zutraulichkeit iſt auch was werth. Leben Sie wohl.
Daß Ariſtokraten liebenswürdig ſind, daran hab’ ich nie ge-
zweifelt, ſie müßten denn abſcheulich ſein. Es thut mir leid,
daß ich die hübſche Frau nicht geſehen habe. Vive l’esprit!
wie ſchmacht’ ich eigentlich. Wenn es möglich iſt, grüßen
Sie den Herrn von Humboldt recht ſehr von mir. Natürlich
hab’ ich Unglück, ſie nicht kennen zu lernen. Adieu, ich muß
diniren.
Alles grüßt Sie. R. L.
An Guſtav von Brinckmann.
Sie wiſſen mich und Ihre Handſchrift nie zu beurtheilen;
hätt’ ich noch ein Wort nicht leſen können! ſelbſt die mytho-
[61] logiſchen Wörter waren mir deutlich; ſo wiſſen Sie auch nie,
wann ich zu Hauſe bin, kommen hundertmal, wenn ich aus
bin, und nicht Einmal, bin ich zu Hauſe, das gilt von geſtern;
wenn Sie nicht engagirt waren, da ſaß ich zu Haus, und
hoffte ordentlich Sie zu ſehen. Sie können einen mit den
abſcheulichſten Wörtern ausſöhnen, mit Und, was verbindet
dieſes Wort nicht manchmal! nur zu nehmen: Mad. die und
die und ihr Mann, und tauſend Etcetera. Und glauben
Sie denn, daß ich ganz dumm bin, mir dabei zu ſchreiben,
die Beiden in den Gedichten wären nicht Eine Perſon, ich
wäre alſo dumm genug zu glauben, es könne eine und die-
ſelbe ſein — ſo ſchöne Gedichte und ſo ſchlechte Vermuthun-
gen, ſo beleidigt — und ſich noch bedanken zu müſſen —
wie ich muß.
An Guſtav von Brinckmann.
Ich hab’ es wohl gedacht, daß Sie krank ſind, und war
auch mehr als Einmal im Begriff, Sie zu fragen, dann
kam’s mir wieder ſo anmaßend vor, Sie zu fragen, ich glaubte
es mal wieder nicht, und wurde auch gar verhindert. Sie
ſind in einem abſcheulichen Zuſtand! nicht eſſen, leſen, ſchla-
fen können, und mir hilft all Ihre gute Laune und Witz
nicht, ich weiß, daß Sie doch ausſtehen. Müſſen denn ſolche
Menſchen auch Zahnweh haben? ich denke, die wiſſen doch
genug von ihrer Exiſtenz. Ich weiß, das Ärgerniß wird Ih-
nen von dem, was ich Ihnen ſage, nicht bleiben; Sie werden
[62] lieber ſo recht völlig an die Schönheit denken bleiben. Ihr
Billet bekam ich heute Morgen, wie die Baranius bei mei-
ner Schwägerin war, aber Sie kamen nicht, und hätten tau-
ſendmal mehr Vergnügen gehabt, als das Billet. Nein, wie
ſie ſchön war! noch hab’ ich Kopfſchmerzen davon, ſo paradox
das klingt; es war das kleine Zimmer, und unſer ganzes
Haus und Mad. Liman und Scholz und ich und meine
Mutter drängten ſich ihr nah, ich am nächſten, und achtete
Hitze und gelinde Kopfſchmerzen nicht, aber das Plaiſir zu
ſehr, und das vermehrte ſie bis halb zwei Uhr, daß ſie ging.
Und da reden die dummen Menſchen noch lange ſchlecht
davon, als wenn dies Drängen nicht eben ſo natürlich, als
das Luftſchöpfen wäre, und anders thut ſie doch nichts, als
ſie läßt ſich drängen. Sie verſtehen’s nur gar nicht, Ehre
verdient ſo etwas, opfern müßten ſie; und bei dem Reden
drängen ſie, und bei dem Drängen reden ſie. Die Schiefge-
zauberten, uns zur Laſt Verkehrten! Mich ſollen ſie nicht
wegkriegen. Sie war ſo ſchön! und erzählte ſo was Schönes,
wozu man nicht dumm ſein kann, und wohl Gefühl haben
muß; und die hübſche Art! Wenn ich Sie ſehe, will ich’s
Ihnen wieder erzählen. Meine Mutter ſagte ihr, daß ſie
ſchön ſei, ſie bat ſie nämlich mit Tournüre, einen großen Hut-
ſtrich raufzuſchlagen! und andren Menſchen verdenkt man
das. Wenn ich nur ein Haus allein ausmachte, es ſollte
gewiß ein neck’ſches ſein, nichts als Schönes ſollte man drin
ſehen; und fragen Sie noch, ob Sie eine geſchmackvolle Ge-
ſellſchaft drin fänden! Schonen Sie ſich nur, und kommen
Sie derweile in mein paſſables, wo manchmal was drin
[63] vorfällt, und wo ein tüchtiger guter Wille wohnt, und Ihnen
nicht unſichtbar iſt. Wenn ich ein Mann wäre, würd’ ich
Sie beſuchen; rühmen Sie die Einrichtungen, wenn ſie kön-
nen, ich kann nicht. Damit ein ſchlechtes Mädchen nicht
dumm handeln kann, ſoll ein gutes eingeſchränkt ſein? Gut
ausgedacht! Adieu, damit wir ohne bittre Galle ſcheiden, den-
ken wir an die ſchöne Baranius.
Adieu.
R. L.
An David Veit, in Göttingen.
— Aber darin haben Sie groß Recht, man kann nicht
mit wenig genug Menſchen über Dinge ſprechen, und über
nicht wenig genug Dinge mit dieſen. Freilich werden wir uns
verändern, ich gewiß; und wenn nichts geſchieht, ſo werde ich
dreiſter, ſicherer, feſter, und, ſo Gott will, wohl durchgreifen-
der, und will Minerva, härter gegen meine eigene Weichlich-
keit, und immer gefaßt ohne Störung auf allgemeine Ge-
meinheit und Schlechtigkeit, ſtark genug, einen Guten oder
etwas Gutes einmal unter dem verbreiteten Gewimmel von
Schlechten leiden zu laſſen! Amen! wie Timon im Shakes-
peare! — Nichts bleibt. Und iſt man nicht veränderlich, ſo
muß man ſich ſo machen. Ich war die ganze Zeit her neu-
gierig, wann ich wohl und wie ich wieder das erſte Ver-
gnügen haben würde; geſtern hatt’ ich’s; O! Schade; daß
ich’s Ihnen nicht vorſtellen kann! ich weiß es, und ich laſſ’
es doch nicht! Ich habe die Marchetti geſtern kennen lernen;
[64] ſie hat mir vorgeſungen; ſie iſt eine einzig liebenswürdige
Frau; jede Bewegung iſt ein Reiz, ein Zauber, ein Wahn-
witz zum Lachen und zum Weinen. Zum Glück ſeh’ ich nun
ihre Blicke immerfort, und geſtern hatt’ ich immer die Angſt,
ich würde ſie nicht behalten. Der Geſang; dieſes Girren,
der Ausdruck; es giebt nur Einen Ausdruck! Dieſe Güte
und Lieblichkeit, o wahrer Zauber! anerkannter, wirklicher;
das heißt Paſſion, das heißen Geſchenke von den Göttern;
das heißt Muſik; das heißt Schönheit. Empfinden Sie’s, ſo
iſt es gut für Sie, ſo können Sie es auch einmal genießen,
wenn Sie ihm begegnen. Geſchrieben habe ich nur für mich!
An David Veit, in Göttingen.
— Nun will ich Ihnen genau ſagen, was ich von mei-
nem unrichtigen Schreiben weiß, ohne mich im geringſten ent-
ſchuldigen zu wollen; weil ich mich durch ihre Frage gar
nicht angeklagt fühle. Ich mag mir wirklich noch ſo viel
vornehmen, auf die Orthographie, während ich leſe, Acht zu
geben, ſo geſchieht’s faſt niemals; und bringe ich es einmal
gleich anfangs beim Leſen dahin, ſo leſe ich gar nicht, ſon-
dern ſehe nun nur wieder, wie die Wörter geſchrieben ſind;
deſſen werde ich gar bald überdrüſſig, und leſe wieder; das
iſt nun entſetzlich traurig für mich, und jeder Geringſte kann
daher mehr lernen als ich, und es wäre entſetzlich, wenn mir
nicht der Ausweg zum Troſt übrig gelaſſen wäre, daß ich der
ſchlechten Seite meines Kopfes gar nicht Schuld geben kann,
und
[65] und daß es grade die gute iſt, die mir dieſen Streich ſpielt.
Es iſt wahr, daß ich immer an das Weſentliche denke, wovon
ich leſe, und daß ich alle Mittel dazu nur ſo ſchnell als mög-
lich brauche, und ſie dann vergeſſe; ich ordne mir alles, was
ich höre und leſe, zu einem Ganzen, und werd’ ich in dieſem
Geſchäft auch oft an Dinge erinnert, die hier nicht eigentlich
hingehören, ſo lege ich auch die geſchwind an ihren Ort, und
packe weiter, aber ohne jemals an die Mittel zu denken, die
ich nun einmal habe und auswendig weiß. Daher lerne ich
nichts, und daher kann ich auch ſehr ſchwer jemand etwas
lehren; Alle, die mir Unterricht geben, fangen an, mir etwas
herzupredigen, das immer aus einem Geſichtspunkt genommen
iſt, woraus ich dieſe Sache nicht nehme; nun ſprechen ſie
Stunden lang ohne allen Zuſammenhang für mich, ich höre
aber doch mit der größten Anſtrengung zu, denn unter allen
dieſen Dingen ſagen ſie doch etwas, das ich ſchon längſt ein-
mal gern habe wiſſen wollen, und was ich in meinem Kram
brauchen kann; ſo iſt mir’s noch mit allen Meiſtern gegan-
gen, und ſo verſtehe ich erſt jetzt, was ſie mir ſonſt geſagt,
und ich noch behalten habe; wie ich nie Antworten in der
Art verſtehe, wozu ich die Fragen nicht gemacht habe, und
ſo ein Meiſter ſagt einem Antworten dutzendweiſe hinter ein-
ander her, und die ſoll man behalten! Ich glaube aber nicht
wie Sie, daß ich, wenn ich franzöſiſch ſchriebe, weniger Fehler
machte. — Es iſt mir recht innerlich lieb, daß Sie jetzt fleißig
ſind; Kenntniſſe ſind die einzige Macht, die man ſich ver-
ſchaffen kann, wenn man ſie nicht hat, Macht iſt Kraft,
und Kraft iſt alles; findet man denn einmal am Ende, daß
I. 5
[66] alle unſere Spekulationen ein in nichts zerfließendes Blend-
werk waren, ſo bleiben uns dann die wirklichen, brauchbaren
Kenntniſſe, die uns Andern vor- oder nachſtehen machen,
und die ſchon an und für ſich genug gewähren, um auch noch
unſer Vergnügen daraus zu machen. — Ich bin der erſte
Ignorant der Welt! der dabei ſo viel auf Kenntniß hält,
und nicht aus erſchrockener Unwiſſenheit, wie die andern, nein,
ich weiß was es auf ſich hat. Nun kann mir nichts in der
Welt mehr helfen, und ich muß mich ſo aufbrauchen, kann
auch an wenig andern Menſchen Troſt finden, und wenn ſie
auch von Kenntniſſen ſtrotzten, denn was ſind ſie dabei dumm,
weitläufig und pedantiſch! Glauben Sie aber ja nicht, daß
ich die einzige Zierde meiner Unwiſſenheit, die Sorgloſigkeit
darüber, dieſe einzige Liebenswürdigkeit, verloren habe. —
Apropos! wenn ich franzöſiſch ſchreibe, fällt mir ſchlechterdings
kein deutſches Wort ein.
An Guſtav von Brinckmann.
Man kann auch eſſen ohne Zähne, ſtarke Bouillons,
Weinſuppen, Kompots u. ſ. w. Wenn Sie nur ganz dieſel-
ben Tropfen haben, als der Eigenſatz ihre ſind, ich bilde mir
ein, ſie müſſen Ihnen helfen. Halten Sie ſich nur wirklich,
beim Schreiben muß man ſich ſo bücken, und das macht ärgere
Zahnſchmerzen, ich kenne das alles ſehr gut. Ich weiß gar
nicht, wie Sie das meinen, wenn Sie ſich für den Antheil
bedanken, den ich an Ihnen nehme, ſoll man an Schmer-
[67] zen keinen Antheil nehmen, wo man wie von ſeiner Exiſtenz
überzeugt iſt, daß man nicht helfen kann, und alſo auch gar
keinen Troſt finden kann, da bleibt einem doch nichts, als
Antheil, den man ſich nicht erwehren kann, und der alſo nichts
verdient. Was ſagen Sie zu meiner moraliſch-philoſophiſch-
ennuyanten Abhandlung? Sie iſt mir wirklich mir ſelbſt ſo
rausgeplatzt, und ſoll gar für Sie nicht ſein, ſchenken Sie ſie
mir. Sie haben wohl gar keine Geſellſchaft? — und die
wäre Ihnen grad ſehr gut, dabei könnten Sie gradeſitzen,
und brauchten ſich nicht tödtlich zu ennuyiren; beim Schrei-
ben und Leſen ſitzen Sie krumm und echauffiren ſich; oder
ſind Sie lieber allein, wenn Sie krank ſind? Ich bin ſo.
Wenn nicht ein förmliches „Es ſchickt ſich“ in der Welt her-
umliefe und den Ton angäbe, ſo wäre ich jetzt bei Ihnen und
früge Sie das, und ich würde gleich ſehen, ob ich Sie ennu-
yöre, und da liefe ich weg. So iſt’s — einer nach dem an-
dern purzelt auf die Welt; ändert nichts drin, wenigſtens
nichts, was er gern will, und geht wieder ab. Iſt die Be-
merkung traurig, trivial, oder alt, — wahr iſt ſie, buchſtäb-
lich wahr, und ihre Ewigkeit macht ihre Wahrheit aus, drum
iſt ſie traurig, alt und trivial. Adieu. Machen Sie ſich nur
nicht zu ſchwach. Eſſen Sie wo möglich etwas.
An David Veit, in Göttingen.
— Ich darf Ihnen doch etwas erzählen? — denn mein
Brief wird wieder recht lang. Dieſen Mittag bei Tiſche nahm
5 *
[68] Theodor die Kinder in großes Verhör, weil er wirklich eine
große Unart gefunden hatte, nämlich unſern Namen oben in
meinem Flur auf die Wand geſchmiert. Röschen ſagte frei
und lachend: ich war es nicht, Ludwig eben ſo: ich auch
nicht; nur Moritz läugnete, der ſagte nämlich, ich habe ja
gar kein Bleiſtift, und dabei blieb er, das antwortete er wohl
ſechszehn- bis ſiebenzehnmal, auf alle Fragen, die nun in die
Kreuz und Quer, wie ein wirkliches Verhör, und mit Ver-
ſtand ihn ängſtigend, von allen Seiten hin und her gethan
wurden; ſeine Farbe zeugte wider ihn, aber ſelbſt das Roth-
werden unterdrückte er und blieb recht hübſch dabei: „ich habe
ja kein Bleiſtift.“ Er hatte es nun endlich ſo gut wie ge-
ſtanden, und obgleich ein Flor von Spaß über der ganzen
Geſchichte war, ſo wollten ſie ihn doch zum völligſten Ge-
ſtändniß ängſtigen, ſo ſagt’ ich: „Nun, geſtehen kann er’s
doch nun nicht, genug, daß er’s geläugnet hat,“ das gefiel
mir ſehr. Kaum hatt’ ich die Worte gehört, ſo mußt’ ich
ſelbſt entſetzlich lachen. Sagen Sie mir, wie kann ich ſelbſt
lachen, ich dachte ſie doch erſt, ehe ich ſie ſagte? Nun ja, der
Klang! Es gingen noch ſehr hübſche Dinge bei der Geſchichte
vor; zuletzt, wie er’s denn nun wirklich geſtanden hatte, ſo
ſagte Mama: „Man läugnet nicht, man ſagt lieber, ich
war’s, und ich habe nicht gewußt, daß es unrecht iſt, nun
werd’ ich’s nicht mehr thun;“ darauf ſagte er ganz bieder:
„Ich habe erſt ſehen wollen, ob’s ſo geht.“ Überhaupt hat
er recht hübſch geläugnet, Sie hätten’s ſehen ſollen. Ich habe
dabei viel gedacht, auch mäßigte ich das Verhör ſo viel als
möglich, und bei meiner ganzen Mühe, ein dickes Gewand
[69] drüber zu halten, brachten ſie es doch dahin, mir es zu Flor
zu zerreiben; denn dieſes Läugnen gefiel mir nicht, denn der
Junge (wie ein Kind) war ſeiner Sache nicht gewiß, und das
große Crime, das man ihm immer entgegenwälzte, erſchreckte
ihn alle Augenblicke von neuem, ſo gut er ſich auch faßte, und
dieſer Schreck und dieſe Verlegenheit haben immer eine ſehr
ſchlechte Wirkung im Karakter, und darum war’s mir auch
ſo höchſt peinlich mitanzuſehn, ich gab mir alle Mühe, dieſes
unbedachtſame Verhör, ſoviel als möglich war, in ein Exercice
des Ausredens zu verwandeln, mit öffentlicher Bewilligung:
um ſo mehr wurd’ ich faſt mißverſtanden, aber es ging noch
toll genug, Theodor ahndete ſo ziemlich. Warum verbietet
man den Kindern ſo ausdrücklich Läugnen und Ausreden?
die man (zwar leider! — aber doch) braucht! man erzieht
ſie ja für den Tummel der Welt, und nicht für einen poſiti-
ven Himmel, der ein rothes Herz und ungeflecktes Gewiſſen
genau belohnt? Warum lehrt man ſie nicht Lügen, Läugnen
und Ausreden ſagen, als ein nothwendiges Übel, und zeigt
es ihnen dabei wie andere ſchwere Arbeit, die man ſchon von
ſelbſt wegläßt, wenn man’s nicht nöthig hat, und ſich zarte
Hände ſchont; ſo würde man denn ſein Gewiſſen ſchon pfle-
gen. Fürchterliche Moral! Bei mancher gebildeten Inquiſi-
tion könnte mein Renommee wenigſtens langſam gebra-
ten werden. Und das wäre nicht einmal das Schlimmſte,
ſie hat auch hier das Anſchn von Thorheit und Dummheit,
denn ſie ſcheint unausführbar; im genaueſten Verſtande der
Worte wohl, das fühl’ ich ſo gut, als jemand, der’s hört,
aber daß man ſie Kindern begreiflich machen kann, ohne ſie
[70] zu predigen, und ſie ihnen predigen kann, ohne ſie ihnen lieb
zu machen, und grade als Predigt ſie ihnen nützlich ohne
ſchön vorzuſtellen, alles durch Handlungen und Widerwillen
am rechten Ort gezeigt, das glaub’ ich doch; bis Sie oder
einer mir das Gegentheil beweiſen. —
— Von Homer — o weh! denn es iſt ordentlich ein
Schmerz, ſo ſchön kommt mir die Odyſſee vor! — Wie die
Griechen von den Menſchen ſprechen — wie ſie immer alles
Letzte zuſammenfaſſen und es ganz gemein ſagen, damit es
ganz groß iſt und edel klingt — ſie faſſen immer alles, ſo
wie es iſt, und betrachten und erzählen’s nur; den Menſchen
thun die Götter alles; das Fatum iſt über die Götter; eine
Macht erlegt die andere, und ſie erzählen wie ſie’s leiden,
Haben Sie bemerkt, daß Homer, ſo oft er von Waſſer re-
det, immer groß iſt, wie Goethe wenn er von den Sternen
redet? Dem ſeine Sternreden ſind Ihnen gewiß nicht ſo ge-
genwärtig, wie mir: in Iphigenie Oreſt, in den kleinen Ge-
dichten „an Lida,“ und noch unendlich oft in ſeinen beſten
und geringeren Sachen. —
An Guſtav von Brinckmann, in Berlin.
Dieſe Minute hab’ ich Ihren ſcharmanten Brief ausge-
leſen; er iſt ſo ſcharmant, daß er die Angſt, die er mir machte,
[71] überwog. Sie werden ſich wohl wundern, daß ich mich äng-
ſtige, und wiſſen wohl gar nicht, daß ich an Krankheit und
hausbacknem Übel rechten Theil nehmen kann — beſonders
hat mich diesmal Ihr Brief Zeile vor Zeile geängſtigt, weil
ich weiß, daß jede Silbe, ſo wie Sie mir Ihren Zuſtand be-
ſchreiben, äußerſt ſchädlich iſt; und dabei muß ich immer den-
ken, Sie thun es meinetwegen, und konnt’ es gar nicht mehr
ändern: Sie haben Ihren Zweck über die Maßen erreicht, und
haben ſich wichtig bei mir bis zur Angſt gemacht; ich weiß,
wie vieles Sie mir auch hierauf wieder ſagen können, daß
Sie das durch Krankheit nicht gewollt, nicht gebraucht hätten,
und tauſend ähnliche Etcetera’s. Ich hab’ aber doch Recht;
denn nähmens Sie’s auch ſo, ſo hätt’ ich mich erſt gerächt,
und Sie hätten nur die Strafe, die noch gar gegen das Ver-
brechen, deſſen Sie ſich ſchuldig machen, nichts iſt, daß Sie
ſich wirklich ſtellen, als hätten Sie verſtanden, ich will mich
wichtig machen; ich hab’ Ihnen ja deutlich geſagt (aber habe
zu wahr geſprochen — um geglaubt zu werden), daß ich nur
darum ſagte, es ſei viel, daß ich ſchreibe, damit Sie das
wenige (wie ohne dieſe Erklärung natürlich geweſen wäre)
nicht für nichts halten ſollen; das war wahr; und es wär’
Ihnen beſſer zu Muthe, wenn Sie es ſimpel geglaubt hätten.
Nach dieſem Zank fällt mir gleich ein, Sie recht inſtändigſt
zu bitten, Ihre neuſten Platitüden nicht obwalten zu laſſen,
ſondern eine ganz alte auf meine Spezialverordnung in Ge-
brauch zu nehmen, nämlich ernſtlich und zärtlich für Ihre
Geſundheit zu ſorgen; und eine ernſte, nie zum Spaß aufge-
legte Freundin, die ich mit hier habe, und die mich nie ver-
[72] läßt, und oft quält, läßt Ihnen mit einem gewiſſen Blick,
mit dem ſie auf des Schickſals Befehl die Göttin der Wahr-
heit bei ihrer Geburt beſchenken mußte, und deſſen Sie ſich
erinnern werden, ſagen. Sie möchten, wenn Sie leben oder
glücklich ſein wollten, Ihrem Erbfeind, Ihrem Ehrgeiz ſich
aus den Klauen winden, denn ſo wie er Sie damit ſtrei-
chelt, ſo wird er Sie noch zerfleiſchen, nicht verzehren, aber
verderben, ganz ſchwach, und alſo ganz elend machen; Sie
ſollen ſich Ihrem Geſandten für ſo krank ausgeben, als Sie
ſind; und ſich nicht ſchwacherweiſe mit der kitzlenden Idee
hinhalten, daß obgleich Sie die ganze Platitüde der pedanti-
ſchen Erfüllung der Pflicht bewitzlen, Sie ſie doch erfüllen,
und ſich die Schreier und Vertheidiger derſelben auf die
edelſte Art vom Leibe halten. Ich bin dieſe Freundin; das
Ennui, nicht das Schreiben der Ehiffren, wird Ihnen noch
die Auszehrung machen, wenn Sie ſich nicht gehörig krank
angeben werden: mehr ſag’ ich nicht. Nun will ich Ihnen eine
kleine Schadloshaltung für all dieſe Schelte (und was noch
ſchlimmer iſt, für all dieſe Wahrheiten) geben. Tadel, hat
wenig Macht über mich; mit Lob aber bin ich zu fangen,
und es hat nicht wenig Antheil an dieſem Brief, welches Sie
mir in Ihrem letzten gaben, daß Sie es ſo rühmen, und ſich
ſo mit freuen, daß ich Ihnen ſchrieb (etwas hat auch Ihre
Krankheit gethan). Wie gefällt Ihnen dieſe Schwäche!?
Ihre Bosheit wird ein hübſches Diné davon haben. Ich ſeh’
es ſchon, Sie wollen Mariens und meine Bekanntſchaft nicht
haben: denn Sie haben das einzige Mittel erwählt, um mich
abzuſchrecken, und ſchildren ſie mir als verſchloſſen — Sie
[73] wiſſen, wie ich das haſſe: Sie wollen dieſe Bekanntſchaft
nicht, ich muß es glauben, denn ſonſt hätten Sie’s mir ver-
ſchweigen müſſen, wenn ſie verſchloſſen wäre. Ich werde
ihr keine Avancen machen, und träf’ ich ſie in allen Bädern
der Welt zugleich, und in ſonſt noch geſelligen Paradieſen:
einer Verſchloſſenen muß das lieb ſein, und als Ihre Freun-
din kann ich mich nicht enthalten, ihr die Cour zu machen.
Leben Sie wohl, mein lieber Brinckmann. Mittwoch ſeh’ ich
Sie, da will ich ſo dankbar ſein, als ich kann, um wenig-
ſtens dem vielen, was Sie für mich gethan haben, mit ruhi-
gem Gewiſſen in die Augen zu ſehen. Ihre göttlich geſchrie-
bene Stadtgeſchichte hab’ ich goutirt, das iſt bei der der beſte
Dank. Adieu. Grüßen Sie Mayers.
An Guſtav von Brinckmann, in Berlin.
Vor einer Viertelſtunde war ich noch im Bette, um mich
zu trocknen, da bekam ich Ihren erſten Brief, jetzt beantworte
ich ihn noch während dem ſchönſten Bade-Schwindel; das
zur Strafe Ihres ſtummen Charlotten- und Chiffres-Lebens:
denn ſo oft Sie geſchrieben hätten, ſo oft hätt’ ich geantwor-
tet. Wie denn der Menſch auf alles verfällt — und ich be-
ſonders alles möglich glaube — ſo — dacht’ ich ſogar, Sie
wären böſe; — ich ſchloß alſo, und ſchloß falſch: ſchon ſieben
Meilen machen, daß man nicht ſehen kann, ſchließen muß,
und alſo leicht und oft falſch ſchließt; und doch will man
aus der Welt klug werden. Ich hoffe bald ganz dumm dar-
[74] aus zu werden; und dann werd’ ich wohl beſſer ſehen. Sie
wollen ein Freund ſein?! zärtlich, und auf Ihrer Freunde
Geſundheit bedacht, ſind Sie in keinem Fall: wie können Sie
mich während einer angreifenden Kur, mit einer ſolchen Arbeit
beladen — zu unterſuchen, ob Sie verliebt ſind. Ja, Sie
ſind es. Da haben Sie Ihren Schreck. Denn ſo ſehr Sie
die Gottloſigkeit ſtudiren, ſo ſehr erſchrecken Sie ſich doch;
was man ſtudirt, iſt kein frei Geſchenk der Götter, iſt nicht
mit uns geboren, das erlernen wir nie: bringen es wohl wei-
ter drin, haben vor den Dummen viel voraus, aber vor uns
ſelbſt nichts; laſterhaft muß man auch geboren ſein, und die
Tugend muß man ſtudiren, dann iſt’s was, dann liebt man
ohne Schreck, dann handelt man: und fragt Jahre nach-
her, in müßigen, unbeſetzten, langweiligen Stunden ſich
ſelbſt, ob man geliebt hat. Dahin bringen Sie’s nie: alſo
lieben Sie; Laſter-Studenten, die lieben was ſie liebenswür-
dig finden, und wär’ in ihrer Bruſt auch nur ein Fleckchen
leer um ein Grübchen zu lieben, viel weniger denn, wenn ihr
guter Geſchmack da oft aufräumt, und es überhaupt geräumig
iſt wie in aller Bruſt, wo nur gewöhnlich zu viel umherſteht:
alſo lieben Sie.
Glauben Sie nicht, daß ich das von heute her weiß,
aber ich wußte nur nicht, daß Sie da noch Zweifel begegnen
würden, wo ſie mir ſelbſt die freiſte reinſte Ausſicht geſtatte-
ten; hier im Bade hatte ich mir die Mühe des Unterſuchens
nicht gemacht, nachgeſehen habe ich noch einmal, und dieſelbe
Summa Liebe herausgebracht wie in Berlin. Dumm bin ich
nicht geworden; wenn ſtudirende Laien das Laſter lieben, ſo
[75] hat das nie was zu ſagen; und beſonders hat das auf Ihre
und ihre Handlungen keinen Einfluß, und das iſt doch die
Hauptſache. Beſſer oder ſchlechter iſt man doch nicht; quälen
kann man ſich allenfalls ſelbſt ein bischen, und wie man das
in der Liebe doch eigentlich nicht weggeben kann, ſind Sie
doch fein genug zu wiſſen (um mich des Worts zärtlich nicht
ohne Noth zu bedienen) alſo — ergo! ſchadet uns Studenten
die Verrücktheit — der Liebe — nichts! außer was ſie uns
ſo ſchadet, und das iſt wirklich Kleinigkeit gegen das Ver-
gnügen, etwas ſo beſonders liebenswürdig zu finden. Sein
Sie getroſt auf Mariens Hierſein; Sie vergeſſen mich immer
(anſtatt ſich), werd’ ich denn die Liebenswürdige aus den
andren nicht herausfinden; und glaub’ ich Ihnen denn nicht!
weiß ich denn nicht, daß Sie ſich umſonſt nicht intereſſiren;
und wenn ich auch für diesmal nichts ſähe, ich doch noch im-
mer was vorausſetzte! Ich weiß aber recht, wie Ihnen zu
Muthe iſt, und will diesmal Ihre Furcht nicht ſchelten, die
Sie diesmal nicht vor mir haben, nur vor jedem andren
mehr hätten, der ſchon einmal ſo viel weiß als ich. Sehen
Sie, ich verſteh’ wahrhaftig ſo was, und wenn ich recht in’s
Wahrheit ſagen herein komme, ſo mach’ ich mir ſelbſt Kom-
plimente; das thu ich aber doch nur, wenn es mir recht auf-
liegt jemanden beruhigt zu wiſſen, wo man es in der Welt
faſt nie ſein kann, und wo es wahre Wonne iſt es zu ſein.
Par parenthese dünkt mich, das iſt Freundſchaft; man iſt doch
noch immer dran, ſie zu definiren.
Frau von Ha. gefällt mir recht gut, Schönheit kann ihr
niemand abſtreiten; beſonders iſt ſie gegen mich ſehr artig
[76] und gefällt mir darum nur deſto beſſer, ſie war mit Mad.
Kircheiſen bei uns und hat verſprochen wieder zu kommen,
auch werd’ ich ſie wieder beſuchen. Herr von Poch hat Recht,
die Geſellſchaft abominabel zu finden, er ſah ſie ſchon mit
ſolchen Blicken d’un aimable an, daß ſie zehnmahl ſtädtiſcher,
galanter, feiner und verachtender ihrerſeits hätte ſein können,
um daß er ſie doch ſo gefunden hätte; mich feſſelt ſie auch
bis auf einige Ausnahmen nicht, aber ſie könnte den Herrn
von Poch ſchmieden, ohne daß ſie mich nur mehr anzöge:
doch leb’ ich recht artig mit den Leuten hier, denn ſie ſind
ſehr gütig gegen mich; und Sie wiſſen, wie ich auf antwor-
ten halte, und was ich für ein geſelliger Hund neben meiner
Tadelſucht bin.
Stünde mir doch die Sprache ſo zu Gebote, wie ich die
Fähigkeit habe, in meinem Kopf alles ſchnell und zu meinem
Gebrauch zu verarbeiten, was ich erfahre; ſo weiß ich, würd’
Ihnen das genügen, was ich Ihnen über Johanna zu ſagen
wüßte. Für’s erſte aber glauben Sie nicht, daß ich wie ein
Prahler lüge; ſonſt finden Sie keinen Zuſammenhang in dem,
was ich ſage, und meine Mühe, und vielleicht ein hübſcher
Augenblick für Sie, geht verloren. Johanna kommt mir wie-
der ſo vor als vorhin, und ändert ſich in meinen Augen nach
und vor den verſchiedenen Erzählungen nicht. Ein feines,
gebildetes, verſtändiges Frauenzimmer wird nicht platt und
nicht dumm: kann aber ſchwach, und unſelbſtſtändig ſein,
und iſt’s gewöhnlich; iſt man das, ſo ſind unzählige Modi-
fikationen möglich, wohin denn auch alle die gehören, worin
uns Johanna wochweiſe erſcheint; je feiner ein Frauenzimmer
[77] iſt, je ſchneller findet ſie ſich in alles, worein ſie ſich finden
muß, das iſt eine ſchöne Eigenſchaft; und ein völlig liebens-
würdiges Geſchöpf muß dabei noch Kourage und Selbſtſtän-
digkeit dabei haben, um nicht auch jedesmal zu werden, was
ſie ſcheinen muß, und auch nicht jedesmal zu ſcheinen, was
ſie ſcheinen ſoll. So find’ ich denn noch immer Prätenſion
und nicht Abſicht (die ich auch ohne Noth nicht liebe), wie ſie
Ihnen jetzt glauben machen will, in ihrem Betragen; ſollte
ſie nicht klug genug ſein und Geſchmack genug haben, daß,
wenn man ihr die Wahrheit an den Hals ſetzt, auch die ihre
aus ſich zur einzigen anpaſſenden Gegenwehr hervorzuſuchen,
und endlich Vergnügen dran zu finden, die Bürde von Lug
von ſich zu werfen, obgleich ſie die Laſt erſt hernach fühlt,
die ſie ſich auflud. Freilich wollte ſie repräſentiren, und mußte
ſie repräſentiren, aber wollen, wo man nicht muß, gefällt mir
nicht; daher billige ich ihr Betragen gegen Fr., obgleich ich
muthiger und grader zu Werke ginge, und finde ihr Glück-
ſeligkeits-Prahlen weniger hübſch, weil ich glaube, daß ſie’s
gar nicht nöthig hatte: ſie wird aber wohl immer ſo lebhaft
und Beifall zu lieben zu angewohnt ſein, um ſich dieſen Troſt
von Unbequemlichkeit und Zeitverluſt je recht vom Halſe zu
ſchaffen. Ich kann mir denken, daß ſie jetzt ſehr liebenswür-
dig, angenehm, und witzig, iſt; kommt da noch eine Doſis
Aufrichtigkeit hinzu, ſo kann es hinreißen. Mich würde es
gewiß einnehmen und mir ſehr gefallen, denn ich hab’ ſie lie-
benswürdig und hingebend gedacht, noch wie ſie mich ſchätzte
und ſonſt nichts that; goutirt ſie denn nicht, weiß ſie nicht
alles? wo Kourage fehlt, hätt’ ich ſie: es thut mir alſo aller-
[78] dings ſehr leid, Johanna nicht zu ſehen: und ſie verliert
auch.
Stieglitz iſt, auch wie ich glaube, ſo wie Sie ſagen,
und wenn ein ſolcher Karakter Einfluß hat, ſo wiſſen Sie
wie er ihn hat; da er ohnehin die Welt mit ihren Heeren
von Ordnungen in ſeinen Reihen für ſich hat, und Muth
dazu gehört, ſich mit fremder Macht neben dieſe Reihen zu
ſtellen, denn mit Vortreten richtet man nichts aus; obgleich
man ſich — Noth am Mann — auch dahin muß (wenig-
ſtens mit einem, mit dem ich mein Leben zubringen will,
denn es iſt doch beſſer einmal zu ſtreiten, als ewig zu fin-
giren) ſtellen können. Was die erhabenen Klatſcher anbe-
trifft; ſo ſind ſie mir ihrer Erhabenheit halber noch gleich-
gültiger, als andre Klatſcher, weil ich ſo was nie anders als
mit völliger Gleichgültigkeit verachte; ſo, daß ich mir nicht
einmal die Mühe geben kann, die es erfordert, um aus dem
Geklatſche klug zu werden: glauben Sie ja nicht, daß das
nur Worte ſind, Sie würden dabei verlieren, wenn auch nur
Wahrheit. Unausſtehlicher ſind mir aber doch kluge Klatſcher
mehr als dumme, und es kömmt mir darum an denen häßli-
cher vor, weil es mir ſcheint, bei jenen muß ein gemeiner pli
im Gemüthe noch hervorbringen, was bei dieſen nur der ge-
meine Verſtand, und Leere und Langeweile und Unüberlegt-
heit thut. Eins hab’ ich vergeſſen: ich haſſe wie Sie Koket-
terie ohne Kourage; ich für mein Theil zieh die Menſchen
auch öffentlich vor, die ich auszeichne, aus Furcht und Kühn-
heit, weil ich denke: warum denn nicht? nicht meine beſſre
Wahl ſo gut als ihre ſchlechte? und aus Furcht, ich könne
[79] mich nicht gut verſtellen; und eine größere Avanie kenne
ich nicht.
An Guſtav von Brinckmann, in Berlin.
Denſelben Tag, wo ich den großen Brief von Ihnen be-
kam, erhielt ich auch einen von der Freundin, den ich Ihnen,
ſobald ich Sie ſehe, zeigen werde. Ich warnte ſie, ſich nur
in irgend etwas einzulaſſen, und beſonders, ſich nicht irre ma-
chen zu laſſen; fand ſie aber feſter, gefaßter, geſcheidter, und
vernünftiger, als je, und auch, als ich je glaubte, daß ſie
ſein könne; ſie nahm alles vom erſten Augenblick an wie
wir — das werden Sie aus ihrem Brief ſehen — nur ſchmerzte
ſie Johanna noch ein wenig, und das kann ich nicht mal für
Schwäche rechnen — denn — glauben Sie mir einmal auf
parole d’honneur d’une femme véridique! — es ſchmerzt uns
mehr, eine Frau aufzugeben, als einen Mann. Den glauben
wir nie ſicher zu haben — wenn wir ihn auch mehr lieben —
dem ſagen und zeigen wir nie ſo alles — wenn er auch
mehr über uns ſchaltet — und am Ende — . . iſt Zu-
trauen, und das Rechnen auf einen Menſchen, doch das Meiſte,
was wir geben können. Es vergißt ſich alles — wenn auch
erſt wieder in einem neuen Engagement —, aber ein verän-
derter Freund, ein nie verſtandenes und doch oft angenom-
menes Zutrauen kann nie wieder in uns aufgenommen wer-
den, und bleibt uns ſehr empfindlich, und wenn man’s auch
viel vergißt, ſo oft man dran denkt, thut’s leid, und man
denkt „ſchade!“, wenn’s weiter nichts iſt. — —
[80]
Nun von etwas, was mich überraſcht, entzückt hat, wo-
von ich ganz eingenommen bin: von Herrn von Ha. Was
iſt das für ein prächtiger Mann! warum rühmt den keiner:
und nicht mehr? Was ſoll ich ihn loben! Kurz, Sie wiſſen
doch, daß mir kein Mann mit ſeiner Frau gefällt? Er ge-
fällt mir. Und nun halt’ ich’s für möglich, zu heirathen.
Er iſt fein und natürlich, ſimpel und voller Tournüre, hell-
ſehend und voller Gutmüthigkeit. Und was ich ſo ſehr
liebe, umgänglich; und hübſch. Mündlich will ich ihn erſt
recht loben. Frau von Ha., die ich doch ſchon kannte, hat
unendlich bei mir gewonnen, ſie ſpricht viel beſſer und hat
viel mehr Verſtand als ich dachte, iſt ſimpel und recht aimable,
hat kleine Frauenzimmerſachen an ſich, die ſie (im Gegentheil)
ſehr gut kleiden, und die ſie an ſich hätte, wenn gar kein
ander Frauenzimmer exiſtirte, iſt manchmal ein bischen ſchwach,
aber auch ſo hingebend dabei, daß man ſich gleich drin ver-
lieben kann; und iſt beſonders mit Ha. ſo hübſch und be-
ſcheiden, daß es eine Weide zu ſehen iſt; ſie iſt wunder-
hübſch, und ſo zuthulich und angenehm gegen Frauenzimmer,
als man’s nur verlangen kann; und ich finde ſie beſonders
natürlich, und darum bin ich ihr auch herzlich gut. Marie
hab’ ich nicht können kennen lernen, obgleich ſie ſehr artig
gegen mich war, und ich ſogar einmal bei Tiſche neben ihr
ſaß, weil ſie mir Platz machte; ſie kommt mir noch ſo vor
wie ſonſt, und ich glaube Ihnen alſo noch. Sie ſchien mir
ein bischen ängſtlich an ihre Kotterie gefeſſelt, und iſt man
immer mit vielen und ſehr Bekannten, ſo iſt das für einen
Dritten um ſo ſchwerer etwas zu erfahren oder nah zu kom-
men;
[81] men; auch hat ihr ganzer Maintien für mich was ängſtliches,
und iſt er nicht zurückſchreckend und anſteckend, ſo dämmt er
doch die Bekanntſchafts-Schritte unvermeidlich zurück. Eine
jede fremde Mlle. hätt’ ich nicht anders als ſehr artig nennen
müſſen, wenn ſie mich ſo wie Marie behandelt hätte, von der
aber mußt’ ich wohl um Ihrentwillen mehr Unterſuchung we-
nigſtens, und auch Annäherung erwartet haben, denn es fiel
mir deutlich auf, die nicht zu finden, um ſo mehr, da ſie mir
Frau von Ha. zeigt, wie mich dünkt. — Ich hab mich recht
gefreut, daß Sie mit meinem erſten Brief ſo zufrieden waren:
apropos, freilich haben Sie recht, daß die Männer (und ich
ſage bei allen) bei den Damen mit gewiſſer impertinence (ich
kann jetzt auf kein ſchicklich Wort kommen, und ſchrieb das;
ich hab’ Ihren Brief nicht bei der Hand) weiter kommen, als
durch das erfüllteſte Herz, und den vollſten Kopf; mündlich
darüber wann und ſo viel Sie wollen. Bald komm’ ich nach
Haus, in’s weite, breite, ſtaubige, helle, leere Berlin. Leben
Sie wohl, und ſein Sie mit dem Brief zufrieden. Ich bin
ſehr müde. Adieu.
An M. Th. Robert, in Berlin.
Mit welchen Worten ſoll ich das ſagen, was ich dir gern
mit einem einzigen Schrei mittheilen möchte! Der erſte ſüße
Augenblick iſt der Brief von euch, den ich jetzt Morgens um
8 ſchon habe, und gleich beantworte. — Vier Tage bin ich
über Wüſten, Felder und Sand zerſtoßen worden, um mich
I. 6
[82] dieſen Schornſteinen gegenüber, dieſem regnigten Höfchen gegen-
über zu befinden, und euch zu ſchreiben; ich, die ich euch immer
ſpreche! Das hat mir aber auch niemand geſagt! Selbſt die
Gegenden der Reiſe find’ ich höchſtens gleichgültig, und gar
nicht hübſch, dies Wort laſſ’ ich nur höchſtens von Berlin nach
Kroſſen gelten. Hier ſitz’ ich, und tauſend Felder, Wälder, Dör-
fer und Pflaſter ſind zwiſchen uns, und die Sandkörner, und
all das Gelebe und Gewebe! Nicht ein Wort hab’ ich unter-
wegs gedacht! Kurz, eine Reiſe gemacht! daß ich Mama’n
ſchon annoncirt habe, ſo reiſ’ ich nicht zurück! Ein Huhn,
ein armes kleines Huhn iſt doch ein kleines Ding, ißt lauter
kleine Körner in der größten Geſchwindigkeit, aber es hat bei
Gott! kein Körnchen aufnehmen können, derweile der gräß-
liche Reiſegeſellſchafter ſchwieg! aber ich bin auch bald ge-
ſtorben! was die Welt von ihm ſagt, iſt zu wenig, iſt
nichts! Dieſe Eigenliebe, Eigenanbetung, durch vier lange
Tage durch, hielt ich für unmöglich, und werde ſie wieder für
unmöglich halten, ſobald ich dieſen Menſchen werde vergeſ-
ſen haben! Dieſe alten Geſchichten, von Mama auf’s un-
begreiflichſte unterſtützt, von alten unintereſſanten Menſchen,
und Geſchichten, die ich ſchon kenne, dieſe triviale entſetzliche
Moral — „die Beſtrafung folgt dem Laſter; ich behaupte
es,“ par exemple dieſes! — dieſes ewige Gerede, dieſes
Nahſitzen, dieſes Bewundern, daß er ſo wenig Schnupftücher
trotz des Schnupftabacks brauche, dieſe Gemeinheiten, dieſes
Bepatſchen aller Lebensmittel, die ich ihm nicht geſchwind
genug aus den Händen reißen konnte, und alſo nur in den
Wirthshäuſern, was ich mir allein konnte geben laſſen, ge-
[83] nießen konnte, dieſer Ekel, dieſes aber- und abermal ewige
Geſpreche von ſich, und wie er’s macht und jedes macht, und
ſeine Krankheit, und ſein Nießen in beide Hände, und ſein
gar nicht ſchlafen! — Denken konnt’ ich auch nicht; denn
auf den Fuß, gar nichts zu ſprechen, ſetzt’ ich mich, eh’
wir aus dem Thor kamen (ſo ging’s ſchon in der Stadt), und
faſt immer mit dem Geſichte aus dem Fenſter, aber das litt
er nicht, denn, wenn er erzählte, (erinnert euch wann er er-
zählte), ſo ſagte er: „Hören Sie zu, Sie mögen zuhören“,
und faßte mich dazu an! — alſo mußt’ ich ihn anſehen, um
das nicht zu hören und zu leiden. Geſtern macht’ ich aber
die Augen zu, und, ſo meinen ſie hab’ ich den ganzen Tag
geſchlafen. Eine Freude hab’ ich aber doch! die völlige Ge-
wißheit, daß ich Konvulſionen nie bekommen kann; es muß
phyſiſch unmöglich bei mir ſein. Bedauert mich! bedauert
mich! Ich ſag euch das, die das Mitleid ſo haßt. Ich mein’
auch nicht, bedauert mich, ich meine, bewundert mein Loos!!! —
alles kommt mir zu. Kaum komm’ ich vom Bade, ich Schwache!
ſo folgt eine ſolche Reiſe; ich treffe eine neu etablirte Schul,
eine neu etablirte Equipage, wovon der Stall unter uns iſt,
mit einem wilden Pferd, das an einer Kette liegt, und die
ganze Nacht ſo ſtampft, als wolle man ein Haus niederreißen;
wenigſtens wie ſie gegen Jordans über eins einriſſen, ging’s
eben ſo. Dies thu’ ich alles Mama zu Gefallen. Vor Frei-
enwalde war ich krank, und das ſoll mich erholen! Und was
bin ich nicht von jeher für ein Schlemihl; mit dem muß ich
reiſen, mit dem niemand reiſt, und dann nimmt ſie noch un-
verhofft zur Fête Röschen mit; damit vier ſind: das iſt
6 *
[84] aber alles nichts. Wie mir Louis entgegenkommt, iſt das
Erſte, was ich höre, daß die Gad nach Kaliſch iſt, und in drei
Wochen wiederkommt! Das iſt ſchlecht, und davon ſchweig’
ich. Wetter hat Er mir gut gemacht, lauter temps couvert
und Regen; aber bloß um mich beim Leben zu erhalten, denn
ſonſt wär’ ich ganz gewiß in einer Ohnmacht wenn auch
nicht geſtorben, doch ſo geworden, daß ich ſchlechterdings auf
die Art nicht weiter gefahren wäre. Nun bliebe mir Theater;
das iſt nicht hier, ſondern in Grüneberg und kommt Septem-
ber wieder.
Nun ſoll das Gute kommen! Die Tante will mit uns
nach dem Gebirge und Grüneberg reiſen. —
In einem öffentlichen Garten zur Stadt Paris ſprach ich
den Geheimrath Levaux, der von Wien kam, und Wunder
von Frau von Arnſtein erzählte, von ihrem Haus, Prinzen,
Miniſter, Grafen, Geſandten, Garten, ſpät eſſen, und alles
was wir ſchon von Wien wiſſen. Die Sebottendorf ſcheint
nichts von ihres Mannes Wunde zu wiſſen, ſie ſoll liebens-
würdig wie immer ſein. — Die Herren gingen in den Billard-
ſaal, ich blieb mit den Frauen zurück, die unausſtehlichſten,
die ich kenne, ich war bei dieſen Thieren angeſchmiedet, denn
es regnete; ſie haben mich auch den Nachmittag bald um
meinen Verſtand ennuyirt, ich vergeſſ’ es nicht! —
Die Stadt kann man ordentlich ſehr ſchön nennen, ſo
viel hübſche Straßen, und ſo ſehr hübſche Gebäude und Häu-
ſer findet man häufig in den andren, ganz in unſrem Ge-
ſchmack; auch groß find’ ich die Stadt, und man hat ihr im-
mer Unrecht gethan. — Heut’ fahren wir nach einem der ge-
[85] ringſten Klöſter, wie man ſagt; und ich finde, daß es ein
enormes Gebäude iſt; ich will ſie alle ſehen; Mad. Gaspari
wird mich hinführen, wenn ich zurückkomme, und dazu will
ſie mir bei den Jeſuiten eine Muſik von Mozart beſtellen,
die er zur Meſſe und auf Gebete komponirte, die der Kaiſer
Joſeph in’s Deutſche überſetzen ließ: kurz, wenn man hier
nichts ſieht, als Kirchen und Klöſter, ſo hat man eine der
größten Merkwürdigkeiten geſehen, wenigſtens wir, die wir
von ſo was nichts wiſſen, und ſogar wenig glaubten: nun
brenne ich erſt vor Begier, Italien, das ſorgloſe, katholiſche,
muſikaliſche Italien zu ſehen. Alſo ennuyire ich mich hier
nicht; auf die Jeſuiten freue ich mich gar todt. Der Gottes-
dienſt iſt ſchön und angenehm, denn es iſt ewige Muſik,
Gemählde, ſchöne Gebäude, Gerüche, und hübſche Koſtume;
die Lebensart aber in dem Frauenkloſter für mich ſchrecklich,
par exemple alle Zimmer dieſer Mädchen ſtehen offen, ganz
egale Möbel und egal ſchlechte Betten, auch die der Äbtiſſin
Baroneß Mutius, welche ſehr artig iſt; ſie pflegen Kranke,
und heißen Eliſabether; jeder Orden iſt verſchieden in Lebensart
und Regeln; dieſe ſehen Männer, ich ſelbſt ſah welche bei ih-
nen: ausgehen dürfen ſie nicht: und möblirt ſind ſie nicht ſplen-
did, ſie dürfen nicht einmal. Aber von der Ordnung, Aufge-
räumtheit und Reinlichkeit hab’ ich immer nur geträumt, und
ſie heute gefunden. Dieſe Jungfren ſind Gärtner, Apotheker,
laſſen Ader, backen Brot, kurz thun alles; auffallend ſind mir
ihre grobe Mannshände geweſen, wovon ich auch nicht eine
Ausnahme fand, und noch mehr ihr Mannsgang, den eine
jede hat, nämlich ganz ſo, als wenn Berger eine Paterrolle
[86] ſpielt; viele ſind nicht religiös, aber die es ſind, beten und
ſingen auch nur in Gedanken, und amüſiren ſich, hab’ ich be-
merkt; wenn einer luſtig wird, kniet er nieder und ſieht das
erſte beſte Bild an, welche jeden Fleck bedecken; kurz, für je-
mand, der ſich nicht wie wir amüſirt, iſt nichts amüſanters
als die katholiſche Religion; die Nonnen ſind tolerant und
ſehr artig, ſie ließen (nämlich die Äbtiſſin) viele Empfehlun-
gen an den Onkel machen, und invitirten mich wieder; alſo
wußten ſie, wer ich bin. Unvermuthet hab’ ich euch faſt alles
über dieſen Katholizismus geſagt; ich ſchreibe en courrier,
und glaube jeden Augenblick, man wird den Brief zur Poſt
wegnehmen. — Ihr habt recht geſchwinde Nachricht von mir.
Ich werde noch recht klug: und das Gebirge nun noch! Adieu.
R. L.
An M. Th. Robert, in Berlin.
Wenn Bieſt und Konſorten nicht wären, hätt’ ich mich
geſtern königlich amüſirt; ich bin ganz mit Breslau ausge-
ſöhnt, ſo hübſch find’ ich die meiſten Gebäude, denn die
Stadt wäre ſchön, wenn nicht manche Gebäude in den ſchö-
nen Straßen ſtörten, und manche Straßen in der ſchönen
Stadt; die Gärten ſind ſchön, die Menſchen auf einem guten
Ton, alle dieſe Gärten und Plätze für’s Publikum eingerich-
tet, dieſe Menſchen zum Vergnügen geſtimmt, und Equipagen
ſicht man weit über die Proportion als bei uns, die alle
jagen, erſtlich iſt es Ton, zweitens haben ſie einen Boden wie
[87] der im Charlottenburger Garten, und geſunde Pferde, und
zum Überfluß vor allen Thoren Chauſſee. Als ich geſtern
aus dem Kloſter kam, ging ich, nachdem ich euch geſchrieben
hatte, zur Sina; ſie wohnt nah’ an einem ſchönen Markt,
wo ſie hinſehen kann, in einer guten Straße, in einem Hauſe
ſo groß wie Herzens, im größten Stil gebaut; die Hälfte der
zweiten Etage bewohnt ſie, der Kommandeur von Friedrich
die andre, unten zwei andre Familien, wovon eine Präſident
von Danckelman iſt, zwei Schildwachen vorm Hauſe: ſie iſt
ganz ordentlich wie ich’s meine eingerichtet, ſehr propre
und intelligent, iſt recht gut möblirt, ganz modern und ſim-
pel, und ein Zimmer mit Mahagoni, Bronze, und comme il
faut; große Zimmer und große Ordnung und Propretät wäre
ſchon genug. Sie iſt ſehr glücklich, liebt ihren Mann, und
hat mir mit Thränen geſagt, ſie glaube immer dieſen Men-
ſchen gar nicht werth zu ſein; und wie ich ſie geſtern mit
ihm ſah, fand ich auch das beſtätigt, daß ſie mit ihm ſo
glücklich iſt, ſie kann, und ſpricht alles vor ihm, daß ſie ſich
in ihrer Denkart nicht von ihm geniren ließe u. ſ. w. Sie
kann ſich ihrer Liebe zu ihm ſo wenig enthalten, daß ſie oft
in Liebkoſungen ausbricht — die ich doch ſonſt und immer
gar nicht leiden kann — die ſich bei ihr aber hübſch, natür-
lich, lebhaft, unſchuldig und kindiſch machen: denn es ſieht
immer aus, als dächte ſie: wenn ich dich nicht hätte, wäre
ich doch in Breslau verloren! ich verdien’ dich nicht, du
biſt zu gut, Gott wie freu’ ich mich mit meinem Glück, bin
ich wirklich noch ſo glücklich! kurz ſie liebt und herzt ihn ſo,
wie ſie uns ſonſt liebte, denn er iſt ihr alles. Genug ich bin
[88] zufrieden, denn ſie iſt froh. Dieſen Morgen kommt ſie zu
mir, überhaupt werd’ ich heute nach meinem Sinn ausgehen
können, weil die Tante zu morgen packt, und mir dieſe Frei-
heit ſchon annoncirt hat, und ich ſchon gepackt habe.
Eben hat mich unſer Soldat Ludwig unterbrochen, mit
dem ich eine himmliſche ſentimentale franzöſiſche Konverſation
hatte; wie der Franzöſiſch ſpricht, und wie die Soldaten ge-
bildet reden! ſo was iſt nicht zu ſchreiben, Il est bien mal-
heureux, et tant charmé de trouver de braves gens de Ber-
lin, il ne peut pas exprimer le plaisir sensible et les senti-
mens viß, — et comme nous serons la dupe des Polonais —
et ses larmes de joie; kurz, das Franzöſiſch, und die Rührung!
Geſtern nach Tiſch fuhren wir nach dem Dorfe Schanz
aus einem ſchönen Thore auf der prächtigſten Chauſſee, die
durch die ſchönſten Felder führt, an deren Ende du das Ge-
birge immerweg ſiehſt, und wo man, wie Sonntags in Leipzig
vorm Thor, nichts als Equipagen, Reiter und Spazirer ſieht.
Auf dem Wege nach dieſem Dorfe liegt ein neu angelegtes
Wirthshaus, was jetzt Mode iſt, und vorigen Sonntag durch
Konzert und Menſchen eingeweiht wurde, ein ſchönes Gebäude,
mit Billard, Raum und aller Bequemlichkeit, ein neuer Gar-
ten, das Ganze auf dem Felde, im Hof ſtanden fünfzehn bis
zwanzig Wagen, eine Menge Reitpferde, wir gingen hinein,
fanden viel Menſchen, ungefähr die Klaſſe wie Sonntag im
Winter beim Hofjäger, ſahen uns um, und fuhren weiter nach
Schanz. Das iſt ein Pavillon mit Billard und Zubehör an
einem Dorfe; dieſer Pavillon ſteht in einem halb regel- halb
unregelmäßigen Garten, der ſehr ſchön iſt! Dieſer Garten
[89] iſt mit einem Leipziger Roſenthal in größtem Stil umge-
ben, wo Weidenalleen und Wieſen mit Gängen und Felder
und Wälder, und wieder Wieſen und Gänge, die ſchönſten
Spazirgänge machen, ohne an Größe und Natur zu verlie-
ren, ein Boden wie die Stuben, und man geht wie auf lau-
ter Terraſſen. Wieder ſo viel Menſchen, und alle mögliche
Erfriſchungen, und Kuchen, und was ihr wollt; die Tante
kennt jeden Menſchen, und jeder Menſch ſie. Von da nach
einem Garten Weiße, wieder ſo viel Menſchen; der Garten
nicht groß, doch führt die Hauptallee auf’s Feld, und ge-
währt wieder den Berghorizont. Darin war ein Chor guter
Muſiker, und zwei junge Leute, Studenten von den Jeſuiten,
ſangen nicht übel Duo’s aus allen Opern, mitten im Garten,
welches hier ſehr gebräuchlich iſt; Diskant und Tenor, ein
Fremder gab ihnen ein Duo, und ſie ſangen’s vom Blatte.
In dieſem Garten ſprach ich den kleinen Unruh, der immer
aus den Wolken fallen wollte, mich zu ſehen, ſeinen Augen
nicht traute u. dgl., wir freuten uns ſehr, und hofften uns
wiederzuſehen. Von da nach Paris, wo uns der Onkel er-
wartete, der da Kränzchen mit den Erſten der Stadt hatte.
Das laſſ’ ich mir, bis ich mein Gebirg’ geſehen habe, nur ge-
fallen. In dieſem Garten ſind alle Offiziere von uns und hier:
im Garten und in den nahen Sälen ſpeiſten Leute, wie bei
Richards, es war alſo helle und große Promenade; manche
Leute ſah ich überall, wie bei uns; die Muſik war mitten
im Garten als es finſter war mit Licht etablirt, und drum
herum ich mit Louis und Röschen, und die Menſchen; es wurde
ſehr munter, die Offiziere ließen Walzer ſpielen, und walzten
[90] untereinander mit Degen und Pfeifen. Der Onkel ging frü-
her von ſeinem Tiſch und nahm den größten Antheil an die-
ſer Freude; er kennt und iſt gekannt vom größten Stutzer bis
zum faltigen Etatsminiſter; die Offiziere hatten ihre Degen
abgenommen, und tanzten prächtig, offizierig, unſre und die
hieſigen; einige ſind unſre Nachbarn, alle artig und beſchei-
den. Das Ding nahm ein Ende, und wir holten Bieſt und
Konſorten aus dem Kabinet, und fuhren nach Hauſe, zu Bette.
Denkt euch, das wirklich himmliſche Schanz muß ich allein
goutiren, wie wird’s mir mit meinem Gebirg gehen! Wehe!
Wehe! Wehe! ſagt die Döbbelin in Kora: Wehe! Wehe!
Wehe! heul’ ich ihr nach. Geſtern ging ich immer eine halbe
Meile vorauf, und ließ mich doch nicht beſtändig ſtören,
und zur Reiſe hab’ ich mir ſchon ausgebeten, ſoll man mich
nicht viel fragen; und ſagen. Wir nehmen Rekommandatio-
nen an alle merkwürdige Menſchen und Klöſter mit, die auf
unſrer Tour liegen. Wie klug werde ich werden! Ich bin
auch ſchon horndumm von dem Zuhauſebleiben geworden.
Wenn ich vom Gebirg komme, ſehe ich alle Merkwürdigkeiten
Breslau’s ich habe die Beſchreibung, und finde Schleſien und
dieſe Stadt äußerſt intereſſant. Ihr müßt das einmal ſehen,
Kinder. —
Nun ganz geſchwinde noch zwei Worte. Geſtern Mor-
gen war die Sina und Herr Gad bei mir; mein freier Tag
iſt mir aber nicht gelungen, ich ging nämlich nach Tiſch zur
Sina, und gegen Abend fuhren ſie mit mir nach Morgenau,
es wurde aber windig, und wir kehrten durch und um das
[91] hübſche Thor nach ſeinem Hauſe zurück; für mich iſt ein ſchö-
nes Haus und Straße ſchon ein Genuß, und aus dem meinen
zu exiſtiren, doppelter. — Jetzt bin ich fix und fertig angezo-
gen, um in Wagen zu ſteigen; wir erwarten eure Briefe, wo-
rauf ich gar nicht — wegen Zeitmangel — antworten werde,
denn, ſind ſie erbrochen, ſo reiſen wir weg. Es iſt ſonderbar,
von einem fremden Orte wegzureiſen, um wiederzukommen;
aber hübſch; „man grämt ſich nicht, man ſchämt ſich nicht,“
und packt alles ganz kommode, weil man alles bei der Hand
hat, und ſchon en train iſt. Jetzt muß ich hinunter. Lebt
wohl. Wehe! Wehe! Wehe! was muß ich allein ſehen! und
ärger als allein.
Adieu. R. L.
An M. Th. Robert, in Berlin.
Nichts! Nichts! — — kann ich euch ſchreiben von dem,
was ich heute geſehen habe, — — einen realiſirten Wieland,
mit allem was ich mir noch von einem ſchönen Schloß dachte,
Fürſtenſtein, das dem Grafen Hohberg gehört, hab’ ich geſehen;
eine Meile von hier. Gott ſollte mich aber behüten, es euch
beſchreiben zu wollen. Er! wird mir günſtig! denn nicht allein
ich habe das erſte Wetter, ſondern ich habe das enorme
Glück, intereſſante Menſchen zu finden, die ſich für mich in-
tereſſiren. Heute zum Exempel zeigte mir Schloß und Garten
ein Menſch, Doktor Hinze, Arzt des Grafen. Keine Details,
Kinder! Ich kenne ganz euren Ärger, aber ich kann nicht,
bei Gott ich kann nicht. Wir logiren hier bei göttlichen Leu-
[92] ten, die uns von einem Vergnügen zum andren und nicht zu
Athem kommen laſſen, und wie kann man Unbeſchreibliches
beſchreiben, höchſtens! höchſtens erzählen! höchſtens? nein gar
nicht, ganz und gar nicht. Aber, ſo wahr mir Gott helfen
ſoll, ſo wahr ich das Glück immer ſuche, kurz, ſo wahr ich
exiſtire, daß ich meine alten Polypſchmerzen gehabt habe, or-
dentliche Herzſchmerzen — aus wahrem, kochenden, inn-
ren Verdruß, euch das nicht zu zeigen; euch; es allein ſehen
zu müſſen! Das verſchmerz’ ich nie; nie; nie. Alſo giebt’s
kein Glück; wenn ich mir eins bei den Haaren her ziehe,
ſoll ich’s noch ohne euch genießen?! ich verſchmerz’ es nicht.
Und, glücklich will ich nicht ſein, wenn ich nicht jetzt Herz-
ſchmerzen habe, indem ich’s mich nur erinnre, daß ich’s allein
geſehen habe! Jetzt iſt 8 Uhr Abends. Morgen früh reiſen
wir nach Kloſter Grüſſau; ein ſehr berühmtes, in einer wun-
derbar ſchönen Gegend. Wenn ich zu Hauſe komme, mach’
ich eine Reiſebeſchreibung, jetzt kann ich euch aber nichts ſagen,
notiren thu’ ich aber jeden Schritt, und erzähl’ euch auf’s
ausführlichſte. Lebt wohl, meine einzigen armen Kinder!
Markus, vergiß Profeſſor Meyer nicht. Grüß die Unzel-
mann tauſend- und tauſendmal; nun weiß ich, daß ſie da
iſt, und nicht, was ſie macht!
In kurzem geh’ ich in alle Geſellſchaften, ſehe Gegend,
Klöſter, Kirchen, Städte, logire bei Privatleuten und bin wun-
derbar aufgenommen, wo ich nur den Namen des Onkels
nenne: „und ich ſelbſt bin höflich, und ſie iſt hübſch.“ Ihr
wißt, ich prahle nicht, und finde nichts leicht hübſch; hier iſt’s
groß, und die Aufnahme ſelten. Gott ſchütze euch! wer weiß,
[93] wie lang’ ich nun nicht ſchreibe. Heute war’s ganz wie Wie-
land, bis auf die Orangenwälder. Grüßt Navarro, und viele-
vielemal Briuckmann, der dieſen Brief leſen ſoll. Die Steine
bei Wallenberg hab’ ich geſtern geſehen, Erzählung — Be-
ſchreibung — lächerlich!! Auf mich machte es einen lächerlichen
Eindruck, ich mußte lachen. Denkt euch noch eine Welt;
aber von Steinen: und ihr ſeid fertig. Drei Meilen Berge
und Wald; aber von Steinen. Pfui, pfui, ich beſchreibe!
Aber ſo iſt’s wirklich. — Par parenthèse reiſe ich mit Zöllner’s
Reiſen in Schleſien, und ſchlage nach was ich geſehen habe,
und was ich ſehen ſoll. Nun werd’ ich klug; nun wird’s.
Darum mußt’ ich lachen, wie ich die Steinen-Welt ſah, es
fiel mir immer ein: nun hat Er eine aus Steinen; wahrhaf-
tig. Ich wohne bei wunderbar guten Leuten hier ſeit Mitt-
woch Mittag, da kamen wir von Schweidnitz her; ich war
im Kränzchen der Stadt gleich ſelben Abend; artige, wohl-
angezogene Leute, Alle Equipagen. Auch im Bade Altwaſſer
war ich heute. Von Grüſſau geht’s weiter, vierzehn Tage
wird uns die Reiſe wohl noch koſten, das rechne ich ſchon. —
Adieu, Kinder, Adieu!
An M. Th. Robert, in Berlin.
Stellt euch vor, liebe Kinder, was mir paſſirt. Übermor-
gen ſind es volle vierzehn Tage, daß ich mit Unholden, ſchmutzi-
gen Unholden, wovon ihr keinen Begriff habt, wie zur Fracht
des Tages zwei Meilen, höchſtens drei, herumziehe; und Diens-
[94] tag, nicht übermorgen, komm’ ich erſt nach Breslau, wohin
ich mich ſehne — nun könnt ihr euch denken: Geſtern Mor-
gen um 10 Uhr reiſten wir von Hirſchberg ab, wo wir dritte-
halb Tage in einem Wirthshaus vorm Thor lagen, ohne einen
Menſchen zu ſehen, und ſchlecht Wetter en compagnie ab-
warten mußten. Zwei Komödien ſahen wir zu meiner Ret-
tung dort, und der Wirth hatte ein Klavier, ſonſt wäre dort
meine heilige Grabſtätte geworden; nun wird wohl dieſes
Dorf den Ruhm erlangen; denn ich halt’ es nicht aus. Ge-
ſtern um 6 Uhr Abends gelangten wir auf bergigten, ſteinig-
ten Dorfnebenwegen, unter Platzregen und Wind, bis auf die
Knochen naß, hier an; auf einem Edelhof, der vielfältig ſchöne
Ausſichten hat, die aber faſt bis jetzt noch alle vernebelt lie-
gen, obgleich die Sonne ſo weit über die Wolken geſiegt hat,
daß ſie ſie doch müſſen durchblicken laſſen, aber dies iſt erſt
der erſte Moment. Dieſes Gut gehört dem Herrn Kriegsrath
Balde. Keine Beſchreibung, de grâce! Seine Tochter, eine
nicht ununterrichtete Frau, Wittwe eines Kriegsraths, empfängt
uns, nachdem er uns in ein enormes Haus geführt hat, an
der Treppe, mit einem weißatlasnen Rock, der ein Florfalbala
hat, das ſo hoch geht, daß man nur den wenigſten Theil vom
Rocke ſieht, und einer karmoiſin tuchenen Levite; ein ſchwar-
zer Florhut von agreabler Façon, worauf eine weiße Aſter-
guirlande reſidirt, bemüht ſich umſonſt eine großquaſtige Friſur
zu bedecken, die hinten ein langer langer Cadogan ſchließt.
Nichtsdeſtoweniger ſiehſt du hier viel Silber, nichts als Bou-
gies, den beſten Tiſch, Wein und Deſſert, Koch, Jäger, Schrei-
ber, Verwalter, enorme Zimmer, und wenn man zu Tiſche
[95] geht, werden beide Battants aufgemacht. Schrecklicher Dis-
kurs; und drei Stunden bei Tiſch. Was mich rettet, iſt die
große Unterrichtung des Kriegsraths, der Schleſien, nicht al-
lein theoretiſch, ſondern auch praktiſch, und nicht allein prak-
tiſch, ſondern auch wie ein unterrichteter Mann bis auf jeden
Nagel kennt, und es mittheilt, und weil er ſieht, daß ich auf-
merkſam zuhöre, mir mittheilt: ich wünſchte immer, Begriffe
vom Landweſen zu haben, ich bekomme ſie durch dieſen Mann
ſo ziemlichermaßen, auch von der Landesverfaſſung. Ihr
wißt, ich habe das Talent, auch wenn ich in übler Situation,
ſo viel herauszuziehen, als nur möglich, alſo thu’ ich’s.
Ich hab’ es doch ſo weit gebracht, daß wir dieſen Mittag
von Falkenhain um 2 Uhr abreiſten, und vier Meilen bis hier-
her machten; morgen fahren wir acht Meilen bis Breslau
hinein. Wir hatten das angenehmſte Wetter von der Welt,
nach einer kleinen Stunde kamen wir endlich aus dem Ge-
birge in’s Land herunter; das war kein kleiner Genuß für
mich — die ſchöne Welt einmal wieder en gros zu ſehen.
Denn Gebirge ſei ſo ſchön es will, und gefalle mir auch noch
ſo gut, indem ich’s ſehe, wenn ich in’s Land komme, wird mir
doch wohl. Wir hatten vier Löwen von Pferden vom Kriegs-
rath bis hierher, und ich amüſirte mich ſehr mit dieſen vier
Meilen; ich ſprach kein Wort, und ſogar Konſorten waren
erſchöpft nach ihrer Art. — Bei unſrer Wirthin (wie in jedem
ſchleſiſchen Wirthshaus) iſt ein Fortepiano, worauf ein Junge
von eilf Jahren recht artig ſpielte, und ſeine Schweſter von
zwölf Jahr auch, ich ließ ſie ſpielen, und bat mir die Erlaub-
[96] niß aus, auch zu ſpielen. Da exercirt’ ich denn bis jetzt 9 Uhr,
die Andern ſpielen Piquet, und ich habe noch Zeit euch meine
Geſchichte zu ſchreiben. Ich mache mir kein Gewiſſen draus,
euch dieſen Brief voll unmuthigen Inhalts zu ſchicken; erſtlich
iſt das Leben ſo; zweitens iſt’s meine wahrhafte Geſchichte,
des Gemüths und der Begebenheiten. Lieber Hans, ich will
dich noch angelegentlich bitten, Linen anzubefehlen ꝛc. Nun
werd’ ich bald hinaufgehen müſſen, denn ich ſchreibe bei mei-
ner Wirthin, unter dem originalſten, gar nicht ungeſcheidten
Geſpräch der Kinder und einer Frau. Adieu. Man trägt
das Eſſen ſchon hinauf. Morgen Abend leſ’ ich eure Briefe,
ich freu’ mich recht darauf. Adieu.
Zum zweitenmale mußt’ ich geſtern Abend die Breslauer
Thürme anſtatt der unſrigen ſehen! wie verzehrt einen Unge-
duld nicht —! Wir hatten ein Wetter! als hätt’ es Apoll
zu einer Landfête ſentimental beſtellt, das genoß ich denn den
ganzen Tag, und athmete noch Geſundheit zum Vorrath ein.
(Apropos, ich bin ſehr geſund, ſogar mein Fuß iſt ganz beſſer.)
Wie ward mir aber, wieder in dieſe enge Straße einzukriechen
und in dieſes Haus; ich, die ich Luft für das erſte Requiſit
halte, und vierzehn Tage lauter Feldluft geathmet hatte!
mir wurde ſo angſt und bange, daß ich mich eine Stunde lang
vor der Thür aufhielt. — Aus ganz Polen flüchtet hier alles
her; geſtern ſollen die polniſchen Wagen den ganzen Tag wie
ein Leichenzug hereingezogen ſein: und die Mad. Kobiſch hat
ſchon dem Miniſter geſagt, ſie würde den Vornehmſten ihr
ſchönes Haus anbieten, welches er ſehr genehmigte, — ſo
geht’s
[97] geht’s uns Preußen jetzt: für mich ſind das Stiche in’s Herz.
Wenn’s Glück gut geht, muß ich noch flüchten. Eben be-
komme ich noch heute ein Briefchen von dir, Hans, ſchönen
Dank! Alſo iſt die Unzelmann wirklich aufgetreten, bravo,
bravissimo! — Brinckmann fängt nun an, eben ſo ſchlecht zu
werden, als ſeine Grundſätze, denn daß er mir nicht ſchreibt,
iſt doch unerhört! oder iſt er bloß glücklich? ich frag’s ihn
ſelbſt. Navarro hat mir einen ſo melankoliſchen, deſolanten
Brief geſchrieben, daß ich ihm heute gar nicht antworte viel-
leicht. — Was du mir von ihm ſchreibſt, Franz, goutir’
ich, und wußt’ ich vorher.
An Guſtav von Brinckmann, in Berlin.
Jetzt hab’ ich Ihren Brief erhalten, ausgeleſen, und ant-
worte ſchon. Nur göttliche Weſen, wie Furien, Merkure,
Amors und dgl. können Schuld ſein, wenn Sie mir nicht
ſchreiben: das dacht’ ich auch, eh’ ich Ihren Brief bekam.
Entſchuldigen Sie ſich doch nicht wegen Sentiments, Witz,
Wortſpielen und ſo etwas, Sie wiſſen, wie ich das liebe: alſo
nie wieder. Ich nehme Theil an Ihrem Zuſtand, denn ich
kenne ihn, mich hat er bis zur Abſtumpfung geplagt; ſchmerz-
haft iſt er, aber nicht gefährlich für Unſereinen, leider iſt
aber auch „ſchmerzhaft ohne Gefahr“ kein Troſt; für uns
unambitiöſe Philoſophen! Eiferſüchtig ſind Sie nicht, mein
Lieber: man kann es bloß nicht aushalten! wenn einer
ein Gut veraaſ’t, was wir königlich verwirthen wollten, und
I. 7
[98] glaubt, es gehöre ihm, weil er Geld genug hat es zu kaufen,
und tugendhaft genug iſt es nicht zu ſtehlen, weil er den Aus-
putz dran ſchätzt, es verdient, und weil er ſich näher an der
Schüſſel befindet, es klug zu machen glaubt, daß es ihm
präſentirt wird: freilich iſt das nicht auszuhalten! ich kenne
es! Und wenn einem weiter nichts paſſirte, ſo müßte man
klug werden, und auf das Syſtem „vom Recht“ kommen.
Lieben thun Sie aber; das ſagte ich lang: das iſt kein Un-
glück, daß Sie aber lieben können, iſt eins: und was ſagen
wir zu einem Unglück?! Daß aber die Heirath geſchehen
wird, iſt ſchrecklich !!! ſchrecklich; und, wie ich glaube, nur
zu gewiß. Denn es iſt ja ganz unſinnig. Das mein’ ich
im Ernſt, und nicht aus Bosheit. Iſt denn nicht der ärgſte
Unſinn vernünftig angezogen, reſpektabel behandelt, und am
ſicherſten für uns andren Armen ausgeführt! Wir wollen aber
doch nicht tauſchen, und uns mit uns freuen. Wie! ſind
wir auch manchmal; und ſo werden wir ſein, ſobald ich wie-
derkomme. Laſſen Sie ſich immer meine Briefe mittheilen,
ſie ſind auch für Sie. Leben Sie wohl; vielleicht ſchreib’ ich
morgen noch ein Wort. Meinen Beifall haben Ihre Verſe.
Analog, man muß den deutſchen Ramlers doch ſagen, was
ſie thun ſollten.
Ihre
R. L.
An M. Th. Robert, in Berlin.
— Der Onkel, der alles hervorſucht, um mich zu amüſiren,
und deſſen Prinzip es iſt, daß man alles ſehen muß, ſchlug
[99] vor, was er in fünfzehn Jahren nicht gethan hat, mich auf
einen jüdiſchen Hochzeitball zu führen, wohin wir eigentlich
Alle gebeten waren, aber wohin nur unſer junges Haus ging.
Ich ging aus Neugierde; jüdiſch, eng u. ſ. w. — die Aufnahme.
als käme der Großſultan in ein lang verlaſſenes Serail, mich
beſchämte das: Hitze zum Sticken. Belohnt wurde ich aber
durch eine beauté, die ich dort ſah, eine beauté! Gad ſeine
Schwägerin von fünfzehn Jahr, mündlich die Beſchreibung;
viele Hübſche waren auch noch; überhaupt ſieht man hier
viele hübſche Hände.
— Du aber, Franz, deſeſperirſt mich! ſchreibſt mir von
Reichardt. Soll ich vergehen? von weitem. Und dann Goethe.
Warum kömmt ſo was Leuten zu, die nicht ſo für Freude und
Genuß zitterten! Wenn’s eine giebt, ſo giebt’s eine, die ich
nicht verſteh’, einſeh’ und begreife: nein, es giebt keine Gerech-
tigkeit! und von mir fordert man alles. Ich vergeh’ aus
Schmach: Reichardt kann ich nicht einmal begegnen! — Der
Onkel ſieht jetzt gar keine Leute, weil ihm der Kopf mit Po-
len verrückt iſt, hat er mir jetzt eben ſelbſt geſagt, und giebt
darum auch das einzige Souper nicht, was er geben wollte,
wenn nicht heute noch gute Nachrichten kommen. Die Polen
emigriren noch immer ſtark hierher. Ich lerne alſo keinen
Menſchen kennen. Auch aus einer Reiſe nach Dyhrnfurt
wird nichts deßhalb. Ich habe das ſchönſte guignon: und
blieb’ ich mir ſelbſt nicht, wär’ ich dumm wie ein Ochſe. Sagt
einmal, Kinder, wie das iſt: Brinckmann hat mir noch auf
das Ringchen nicht geantwortet; und Navarro ſchreibt mir
7 *
[100] zwar geſtern, aber es iſt keine Antwort auf den Brief, den ich
bei euch einlegte: und Lady Herz antwortet mir gar nicht. —
Lebt wohl! Grüßt die ſchönen Menſchen, beſonders die Unzel-
mann. Auch Gualtieri vielmal. —
An David Veit, in Jena.
Mit einer Art von Angſtthau auf der Stirne ſetz’ ich mich
diesmal hin Ihnen zu ſchreiben — denn ich will wieder ſo
aufrichtig ſein, daß es eine Schande iſt; und Ihnen meine
Meinung über zwei Rezenſionen ſagen, die ellenlang werden
wird; und wozu ich noch keine Worte habe. Vorige Woche
habe ich die berühmte Schiller’ſche Rezenſion über Matthiſ-
ſons Gedichte geleſen — die ich eigentlich Ideen über die
Dichtkunſt nennen würde — (lachen Sie mich nicht aus).
O Laokoon, o Leſſing! hab’ ich nur denken können. Wenn
der was Allgemeines ſagte, ſo beſtimmte er was, ſetzte er
was feſt, (freilich hat er ſich zu todt geärgert!) — wenn der
rezenſirte, tadelte er, wenn er tadelte, gab er die Urſachen an.
Ich habe die Rezenſion nicht mehr zur Hand, ich kann Ihnen
alſo keine Stellen mehr anführen, über die ich etwas wußte,
als ich ſie las. Man macht ſo viel Lärm von dieſer Rezen-
ſion, und als ob ſie ſo ſchwer wäre; ich habe eben keine ſo
hagelneue Ideen darin geſunden. Die Vergleichung der Dicht-
kunſt mit der Mahlerei, und alſo auch die fernere Anwen-
dung des Landſchaftsmahlers und Geſchichtsmahlers, iſt mir
gar nicht aufgefallen, und iſt, dünkt mich, hundertmal in Leſ-
[101] ſing vorgekommen; den wollen ſie mit aller Gewalt vergeſ-
ſen; weil ſeine Rezenſionen (denn viele ſeiner Werke, und
beſonders Laokoon, kommen mir wie Rezenſionen der Künſte
vor) nicht ſo ſentimental waren, und er nicht immer das
Genie rezenſirte, analyſirte, das hohe Menſchliche herausſuchte,
und bewies, daß das Genie ein Genie iſt, — ſondern das
Kunſtwerk vornahm, aufſtellte, mit Gründen tadelte, oder für
das alte Lob welche zeigte, den Forderungen ſichere Gränzen
ſteckte, und mit richtendem Blick und euthuſiaſtiſchem Bei-
fall das Genie ſie erreichen ſah, und ſeine Genialität in
Ruhe ließ.
Glauben Sie nur nicht, ich ſähe nicht ein, daß eine jetzige
Rezenſion anders ausfallen muß, als eine vor zehn oder
zwölf Jahren — die immer viel bedeuten, und die letzten
beſonders —, und daß die jetzigen guten, wie die früheren,
ſo verſchieden ſie ſein mögen, doch immer nur anders modifi-
zirte Äußerungen ein- und deſſelben Genies ſind; oder daß
ich mir gewiſſe Dinge, die man jetzt ſehr in Anſchlag nimmt,
und ſie in die Penſion der Vernunft giebt, und ſie mit der
in der ernſteſten Geſellſchaft gehen läßt, ohne über deren Sen-
timentalität mitleidig zu rümpfen, — nicht deutlich genug ge-
macht habe, und alſo nicht folgen kann, wenn man davon
ſpricht: o nein! Ich habe das verſtanden, was ich geleſen
habe, und mit dieſer letzten Phraſis noch niemals gelogen.
Aber auch was Wieland einmal ſo feſt baute, fängt ſchon
bei ſeinem Leben an, Breſchen zu bekommen (ſo wüthend iſt
man jetzt, alle Gebäude zu zerſtören, um ihren Grund zu
unterſuchen). — „Doch neue Bahnen ſich zu brechen, heißt in
[102] ein Neſt gelehrter Weſpen ſtechen,“ das leiden jetzt die Weſ-
pen eher, als mit falſchen Fußtritten in alten Bahnen die
Kreuz und Quer ſpaziren zu gehn, und andern Leuten weis
machen zu wollen, man hätte die Bahn neu gemacht. Nicht
daß Schiller das wollte, das will Schiller gewiß nicht; warum
iſt er aber nicht deutlich, und fängt da an, wo Leſſing
aufgehört hat, und nimmt es dann ganz anders und wie er
will, und neu, und wie man’s jetzt nehmen muß; was ſchwankt
er herum, und ſetzt nichts feſt. Er hat freilich definirt was
die Dichtkunſt iſt, aber doch nur Eine Art, und man iſt doch
in vielen andern noch immer Dichter. Er ſagt einmal, ich
weiß es wohl, man könnte wohl Gemählde vorſtellen, aber
man müßte dann auch zeigen, daß man es als das, was man
Menſch nennt, thut, der das Gemählde nur immer als ein
Stück ſeiner Situation betrachtet, und als Mittel gebraucht,
ſeine Empfindungen damit zu äußern, und dem Gemählde
ſelbſt durch die Art der Zuſammenſtellung ſeine eigene Phyſio-
nomie aufdrückt — Sie haben die Rezenſion geleſen, und
werden mich ſchon verſtehn: Sie ſehen, ich habe nur den
Sinn behalten, und auch iſt das mehr mein alter eigner; es
wäre Jammerſchade, wenn ich nicht beſſer dächte, als ich mich
ausdrücke —, thäte man das nicht, ſo wäre man ein mecha-
niſcher Kopiſt, oder Erzähler; nun ja, das dünkt mich iſt alt
genug; aber auch bloß Erzählen iſt manchmal dichteriſch, und
bloß Kopiren das dichteriſcheſte in einem Werk; zu rechter
Zeit nur das zu thun iſt groß, und fordert eben ſo tiefe
Menſchenkenntniß, als Empfindungen und Ideen in die Be-
ſchreibung einer Landſchaft zu bringen. Sehen Sie, ſo giebt’s
[103] noch tauſend Branchen, die er hätte ausführen und ohne ſie
einzuſchränken unter eine Regel bringen können; dann hätt’
er über die Dichtkunſt geſchrieben: Sie werden ſagen, in ei-
ner Rezenſion geht das nicht an; gut. Hat er aber rezen-
ſirt? gar nicht. Er hat ein paar Gedichte angeführt, wo
er den hübſchen Gang derſelben, als Beſchreibung lebloſer
Gegenſtände, aushebt, und den Versbau lobt; ja hören Sie
wenn das nicht drin wäre, ſo wären ſie auch ſchlecht, und
wie alle Frühlinge in allen Kalendern. Da er doch geſucht
hat, ihn zu loben, ſo wundert mich erſtaunt, daß er nicht
andere Dinger dieſer Sammlung genommen hat, als „die
Elfen“ und noch einige, deren Namen mir nicht einfallen will.
Soll ich das für neu halten, daß er ſagt, der Dichter müſſe
nicht zu ſubjektiv zu Werke gehen, und ſich mehr an den ob-
jektiven allgemeinen Eindruck der Dinge halten, die man na-
türliche Empfindungen nennt; weil es nothwendig iſt, daß
man viele Deutſche, — was ſag’ ich viele? Legionen! — von
neuem daran erinnern muß, daß ſie nicht von ihrem Birn-
baum, ihrer Charlotte, und endlich ihren ſeichten unver-
ſtändlichen Empfindungen ſprechen ſollen? — Die Meinung,
daß ein Dichter, wenn er ſimple einfache Verhältniſſe oder
Naturerſcheinungen ſchildern will, es nicht thun ſoll als ein
Menſch, der ſich nicht feinere und verwebtere hat denken kön-
nen ſondern als ein Menſch, der ſie nicht hat finden können,
in der wirklichen Welt (ich weiß Schillers Worte nicht; ich
glaub’ er ſagt praktiſches Vermögen) und zu dem Einfachen
wie durch das Fegfeuer gereinigt zurückkömmt, halt’ ich auch
nur wie verſteckten Tadel; wie das bischen Rezenſion über-
[104] haupt; die überhaupt nur eine ergriffene Gelegenheit iſt, Ge-
danken vorzutragen, die man (je unreifer ſie ſind) nicht mehr
gut findet bei ſich zu tragen, und eine Probe ſind, die man
ſich ſelbſt ablegt, nach den neuen Syſtemen die Dinge zu
nehmen. Denn ſonſt kann dieſe letzte Regel nur unerzogenen
Menſchen gelten, daß die keinen Geſchmack haben iſt ausge-
macht, daß zu dem ſittliches Gefühl, zu dieſem Vernunftprü-
fung unſrer eignen Empfindungen gehört, eben ſo; und daß
man ihnen keinen einſchwätzen wird, noch gewiſſer. Und daß die
nicht verſtehen was Schiller ſagt, noch gewiſſer; jemehr die-
ſer letzte Gedanke neu ſein und auf viele andre Dinge ange-
wendet werden könnte. En effigie käm’ ich in der Litteratur-
zeitung, oder andern ſolchen Orten, vor, wenn ich nicht das
erbärmlichſte Nichts wäre, und man um dieſen Brief wüßte;
als das ſchamloſeſte Geſchöpf würd’ ich von Partikuliers bei-
der Geſchlechter verabſcheut, wenn andere Leute, als Gelehrte,
darum wüßten: aber auch Sie bitte ich, mich, noch jetzt we-
nigſtens nicht, für zügellos arrogant zu halten, bis Sie meine
Meinung über die zweite Rezenſion geleſen haben, von der ich
eben ſo aufrichtig reden will; ſonſt müßten Sie dann ſchweigen,
weil Sie nicht wüßten, womit Sie mich vergleichen ſollten. Die
Rezenſion über den Gartenkalender hab’ ich noch nicht geleſen,
weil ich mir geſtern von Hrn. von Brinckmann einen Pack
Litteraturzeitungen geben ließ, und wie ich ſie die Nacht durch-
ſuche, keine Gartenkalender-Rezenſion, ſondern eine über Wol-
demar von Hrn. von Humboldt finde, von der ich mich ſchon
lange abſchrecken ließ, weil ſie dieſelbe für zu ſchwer aus-
ſchrieen, und ich beſcheiden-dumm es glaubte (es verleitet doch
[105] nichts mehr zur Dummheit als Beſcheidenheit, das iſt ausge-
macht), aber da ich ſie einmal in Händen hatte, ſo bracht’
ich ſie auch vor die Augen. Ja wirklich dann würd’ ich
mich ſchämen, wenn ich die nicht verſtünde, und ſie mir ein-
mal einer erklären könnte; nicht daß ſie leicht wäre, ich ge-
ſtehe ſelbſt, man muß ſchon über die Dinge, von denen er
ſpricht, gedacht haben, um zu verſtehen, was er ſagt, aber
eben, darüber nicht gedacht zu haben, würd’ ich mich ſchä-
men: als ſittliche Frau ſchämen; ich glaube das iſt alles,
was man darüber ſagen ſollte. Eine Frau iſt wirklich ſo
elend, als ihr partage (ich weiß nun kein Wort) zu ſein
ſcheint, wenn ſie nicht einmal weiß, warum es ſo ſcheint, und
was ſie vermag und nicht vermögen ſoll, um es nicht
ſo zu machen als es ſcheint; ſie iſt wirklich elend, wenn ſie
nicht wenigſtens Hrn. von Humboldt ſchnell verſteht,
wenn er auch Dinge ſagt, die ſie niemals würde geſagt
haben: gewußt muß ſie ſie haben, oder ſie iſt wirklich als
eine Unterklaſſe, wofür ſie viele halten, zu bedauern; und iſt
wirklich ſo elend, als alle elende Menſchen, die nicht beſſer
ſein können als ihre ſchlechte Lage. Sogar geſchrieben ſcheint
mir dieſe Rezenſion leicht, — mir, der die einfachſte Geſchichte
manchmal ſchwer zu verſtehen wird, die niemals Worte hat
etwas auszudrücken, und die der Andern ſchwer verſteht, —
wegen ihrer Präziſion, Beſtimmtheit, und großen Zuſammen-
hangs. — Weh mir, mit was für Menſchen iſt man umge-
ben Hören Sie! für ſo dumm habe ich ſie alle doch nicht
gehalten. Für einen außerordentlich philoſophiſchen Kopf lie-
ßen ſie Humboldt immer gelten, und rühmten ihn, und erho-
[106] ben ihn! aber die Menſchenkenntniß wollten ſie ihm abſpre-
chen. Hat er denn nie mit ihnen geſprochen, wie er in dieſer
Rezenſion geſchrieben hat? oder haben ſie ihn total nicht
verſtanden! Sonſt müßten ſie ja nur all ihr bischen Wunder
vor ſeiner Menſchenkenntniß niedergelegt haben, und hätten
den philoſophiſchen Kopf ganz vergeſſen müſſen: nicht als ob
er ihn bei dieſer wunderbaren Rezenſion vergeſſen hätte, im
Gegentheil, er hat darin beſtimmt, was Menſchenkenntniß
iſt; er hat ſie als eine Kunſt ſo zu ſagen zergliedert und feſt-
geſetzt, und weil die nun einmal ſich an Moralität und
Menſchheit lehnt, dieſe zu Regeln gemacht, wie Schönheit bei
Kunſt, und auch die Regel wieder als Schönheit und natür-
liche Konſequenz zergliedert und befeſtigt. Kurz, der weiß das
Beſte nicht, der dieſe Rezenſion nicht verſteht, und wer ſie
nicht über allen Ausdruck bewundert, verſteht ſie nicht.
Nun nennen ſie mich anmaßend, und wie Sie wollen! —
aber noch nicht, das Beſte kommt noch! Sie werden doch
nun gewiß glauben, ich nehme mein Urtheil über Woldemar
zurück? Stellen Sie ſich vor: nein! Ich will einräumen und
muß glauben, auch Jacobi habe alles das über ſein Buch ge-
dacht, was Hr. von Humboldt drüber ſagt: ſo kann ich da-
mit noch nicht zufrieden ſein, und mache eben, was beim Re-
zenſenten das übermäßigſte Lob iſt, beim Verfaſſer zum Tadel.
Ein Roman iſt doch immer ein Kunſtwerk des Genie’s, worin
man alles das wohl finden muß, was Humboldt ſagt, und
was man auch in jeder Schilderung menſchlicher Situationen
findet, wenn ſie mit Wahrheit geſchildert und nicht von ge-
meinen Menſchen genommen ſind. Hr. von Humboldt hätte
[107] über jeden nicht ſchlechten Roman dieſe außerordentliche Re-
zenſion machen und das drüber denken können; aber Jacobi
muß das nicht denken, wenn er ſchreibt, und das dünkt mich
las ich in ſeinem Buche; ich fand immer die Feſtſetzung eines
Syſtems darin, und nicht außerordentliche Karaktere, die mich
es finden ließen, wenn ich ſie unterſuchte; es kam mir immer
vor, als theilte er mir einen Plan mit, wie er ein Buch
machen wollte, und darum konnt’ ich nie Genie darin finden;
Sinn, Menſchenkenntniß, Philoſophie immer, und im zweiten
Theil vermißt’ ich auch die. Ein Genie muß Vorfälle der
Natur ergreifen und zuſammenzuſtellen wiſſen, und mit drun-
ter andeuten, was es ſelbſt darüber denkt, oder auch nicht,
ſo muß man, wenn man ſelbſt nachdenkt, allgemeine Regeln
darin auffinden können, oder als Wahrnehmungen drin fin-
den; ein Kunſtwerk muß mir aber nicht immer ſagen, was es
will, es muß es gleich zeigen. Darin unterſcheidet ſich die
Rezenſion von dem Werke ſelbſt, das ſie rezenſirt, und Jaco-
bi’s Werk kommt mir nur vor, wie eine Skizze zu Hrn.
von Humboldt’s Rezenſion, und es ſollte doch der Text ſein.
Ein guter Rathgeber müßte Jacobi einem neuen Goethe oder
Rouſſeau in ihrer Jugend ſein. Man muß wohl etwas zu
beweiſen im Sinne haben, wenn man einen Roman ſchreibt,
aber man muß noch jung genug in ſich ſein es nur zu füh-
len, und es nicht ewig analyſirt auf der Zunge tragen; ſonſt
wird’s eine Lehre, wie man beweiſen ſoll, und nicht ein le-
bendiges aus der Natur gegriffenes Exempel für den Beweis.
Darum ſcheint mir Hrn. von Humboldt’s Rezenſion ſo voller
tiefen zerlegten Inhalts, der hier Genie iſt, weil er unter-
[108] ſuchen ſoll, und in Jacobi’s Roman ſelbſt keins. Schreiben
Sie mir ja genau Ihre Meinung hierüber: und ſprechen Sie
einmal mit klugen Leuten darüber; denn daß was Kluges her-
aus kommen kann, glaub’ ich wohl. Nun will ich einmal
mit Humboldt ſelbſt den zweiten Theil des Woldemar durch-
gehen, (ich habe die Litteraturzeitung noch). Daß er immer
ſagt, Jacobi habe nur Fingerzeige gegeben, das find’ ich nicht:
mir hat er deutlich und vernehmlich beſtändig geſprochen.
„Etwas Zartes, wie das ſtille Bündniß zweier Herzen, ſcheut
jede, auch die leiſeſte Berührung,“ ſagt Humboldt wahr; aber
ein Herz, wo ein guter Kopf drauf ſitzt, läßt ſich doch von
fremder Berührung nicht irre machen. „Nur aus ſich ſelbſt
will es hervorgehen, nur in unentweihter Einſamkeit will es
ſich entwickeln, und die Hand, die ſich ihm naht, kann es zer-
nichten, ehe ſie es berührt.“ Ich glaube, eine profane Hand
kann es nie berühren, und nie den Einfall haben es berühren
zu wollen, denn die ahndet es gar nicht. Können ſich denn
nicht ein Paar geſcheidte Menſchen verheirathen, wenn ſie
auch wiſſen, daß ſie nicht zum Heirathen ſind, und fortleben
vor wie nach, ohne daß es die Andern merken; und findet
eine Henriette, daß Woldemar eine Alwina haben muß, kann
ſie ſie ihm nicht ohne Lärm und sans façon geben? Wer wird
dem Romane die einzelnen ſchönen Züge abläugnen, aber zum
Bewundern ſind ſie mir zu bekannt, und in meiner Welt zu
oft zugekommen. „Und eine gewiſſe Befreundung mit Din-
gen dieſer Erde iſt ſüßer, als die Weiſen denken,“ führt Hr.
von Humboldt an. Ja, das hat Rouſſeau in der Heloiſe,
Goethe im Werther und Taſſo, tauſendmal bewieſen, und
[109] nicht gepredigt; der Franzoſe läßt die Dame den Salat mit
den Fingern rühren, und viel mehr dgl. und Goethe läßt die
Damen Taſſo’n Kleider ſticken und wählen, und ihn nur deſto
beſſer darum lieben, und Werthern entzückt Brot ſchneiden
ſehen, tauſend Dinge für die Kinder machen u. ſ. w. Hätte
doch Hr. von Humboldt eins von dieſen Werken vorgenom-
men, ſo hätte man zwei Genie’s zu gleicher Zeit bewundern
und verſtehen lernen, und das größte menſchliche Vergnügen
gehabt, ein Genie das andere bewundern zu ſehn. „Nach-
theilige Stadtgerüchte“ müſſen eine Henriette auch nicht einen
Augenblick (und können auch gar nicht, wie ſie uns Jacobi
ſchildert) verleiten, Woldemar in Unruhe zu ſtürzen, den ſie
kennt, und dem ſie ſich lange in ſich aufgeopfert hat („ſtill
ſich widmete“ ſagt Goethe in Erwin und Elmire, das könn-
ten Sie doch nicht wiſſen). Das auf dem Sterbebette des
Vaters gegebene Gelübde iſt nicht außer der Natur, tritt aber,
wie Hr. von Humboldt ſelbſt anmerkt, hier affektirt auf: hat
ſie’s aber gegeben, warum iſt ſie mit Woldemar nicht auf
dem Fuß, daß ſie’s ihm ſagen kann, oder hält es wofür es
iſt, für ein Freundſchaftsſtück an einen nicht mehr zu ändern-
den, ſterbenden, angſtvollen Vater! Und warum kann es Wol-
demar nicht gelaſſen hören? Sie ſind alſo beide noch nicht
fertig! Hätte Hr. von Humboldt doch über fertige Menſchen
ſo geſprochen, die durch äußere Umſtände ſo in Verlegenheit
ſind, und wo man nicht jeden Augenblick denken muß: könnt’
ich ihnen nur die Augen öffnen: und lieber mitfühlen muß,
wie ſchrecklich es manchmal zu leben iſt, und daß dann von
Verzweiflung nichts retten kann, als eben das, was die Trauer
[110] macht; daß man beſſer iſt, als wofür man muß gehalten wer-
den: das wäre göttlich geweſen! Warum hat er Taſſo nicht
genommen; da ſind ſie geſittet, und können ſich doch nicht
helfen. Die Lage, daß Woldemar und Henriette zu liirt ſind
um ſich zu heirathen oder zu lieben (das erſtere geht noch
weit eher an), iſt mir nicht beſonders und nicht neu; wie mir
denn auch alles, was Hr. von Humboldt noch ſehr Schönes
von Sinnlichkeit, Moral und überhaupt Allgemeines ſagt,
ſehr verſtändlich, deutlich und begreiflich ſcheint. Auch die
Einleitung zur Rezenſion hab’ ich verſtanden: und gleich und
ſehr leicht. Wundern Sie ſich nur nicht: und glauben Sie’s
nur. Morgen werd’ ich Ihr kleines Briefchen beantworten,
heute bin ich zu müde. Ich bleibe alſo bis jetzt dabei, im
zweiten Theil werden ſie plötzlich toll; ich hatte das Buch
ganz vergeſſen, und nur mein Urtheil darüber behalten. Hum-
boldt hat’s recht aufgefriſcht. Die Rezenſion iſt was Erſtes!
Dabei bleibts; göttlich! —
Ich kann mich von den Rezenſionen gar nicht wieder
trennen! Sie iſt doch außerordentlich, die des Woldemar!
Sie haben keinen Begriff, wie mir die gefällt. So zuſam-
mengegriffen, was man beurtheilen ſoll, und dann, wie man’s
beurtheilen ſoll. Ich will endlich nur einmal aufhören; aber
ſo hab’ ich mir lange gewünſcht möchte man einmal die Men-
ſchen nehmen: und nun kommt ein Humboldt und thut’s, ſo
ein Humboldt, den man kennt. Nein, dieſe Satisfaktion iſt
zu groß. Sie müſſen nur wiſſen, daß ich bei der Matthiſ-
[111] ſon’ſchen Rezenſion nicht reines Gemüths war: denn man
hatte mir vorher ſo viel geſagt, und beſonders ſie ſo enorm
ſchwer ausgegeben, daß ich in Ärger verfiel ſie zu finden wie
ſie iſt. Ich weiß ſelbſt, daß ſie Hr. von Humboldt ſo ſehr
gut fand, und die eine Idee ſo beſonders, „daß der Menſch
dahin zurückkommen müſſe, aber nicht ſtehen bleiben, von wo
aus ihn die Natur ſchickt;“ das alles hat mich anſtatt ein-
zunehmen, nur noch krippſcher gemacht. Kennen Sie gar kei-
nen ordentlichen Menſchen in Jena? Reden Sie doch einmal
mit einem von der Rezenſion, und als ob Sie meiner Mei-
nung wären (den Hals wird’s Ihnen doch nicht koſten), und
hören Sie, ob alle Menſchen Sie für unſinnig halten, und
ob ich’s auch thun muß! Denn zu denken, vielleicht biſt
du verrückt, iſt ſchrecklich; weiß ich’s gewiß, ſo reformir’ ich
mich. — —
Ich ſoll Ihnen ein Wort über den Hrn. von Humboldt
ſchreiben; ich weiß keins, das werden ſie doch deutlich aus
den vorigen Blättern ſehen. Und wenn ich ſagte, verlaſſen
Sie ſich nicht zu ſehr auf ihn, ſo meint’ ich, verlaſſen Sie
ſich nicht zu ſehr auf ſich und das Verhältniß, das zwiſchen
Ihnen beiden ſein kann, und ſein Sie immer fein, zurückhal-
tend, artig (im Syſtemſinne, lieber Jünger), und was er ſich
erlaubt (im Urtheil hauptſächlich), erlauben Sie ſich nicht:
und diesmal war es zu „ſorgliche Freundſchaft“, was aus
mir ſprach. —
Ich fühle mit Ihnen; das heißt, ich nehme Antheil und
bedaure Sie, daß Sie ungeſellig leben müſſen. — Ich be-
ſchwöre Sie aber auch, bei allen Seelen aller ſeligen größten
[112] Generale, unſren Friedrich an der Spitze, benutzen Sie dieſes
Herzeleid, wie die Spitze meiner Beſchwörung ſo oft thut,
und brauchen Sie eine défaite, wo die Welt und Sie ſich
verloren glauben, ſich unverſehens aufzuraffen, über den An-
blick von Kadaver und Ermattung zu ſiegen, und durch Muth
und Fleiß alles zu erſetzen, was Sie verloren gaben, um er-
müdet, aber mit Sieg gekrönt und ruhig, den Genuß Ihrer
ſchweren Thaten erwartend, in Ihre Hauptſtadt einzuziehen.
Was bleibt einem anders übrig, als recht viel zu wiſſen!
Erſt heut und geſtern hab’ ich raſend werden wollen (und
will noch), daß ich nichts weiß, und nichts lernen kann, denn
ich fühle, was das für ein Geſchick ſein muß, das einem das
giebt. Und dann muß man doch jetzt recht viel wiſſen, ſonſt
weiß man gar nichts. —
Ihre Leidenſchaft für unſren Briefwechſel iſt ganz recht-
mäßig, und im höchſten Grade auf das Gefühl der Würdig-
keit gegründet; und wenn die äußern Umſtände etwas thun,
ſo mögen ſie (o! ich werde mich entſetzlich ausdrücken, ich
kann aber nicht anders) Ihnen nur gleichſam größeren Raum
geben, in dem Sie ſich ſo recht über dieſen Briefwechſel freuen;
daß, da Sie doch alles Genuſſes (ich muß das Wort brau-
chen) beraubt ſind, ſie Ihnen doch dieſen, den Sie mit Leiden-
ſchaft lieben, haben laſſen müſſen, und noch ſelbſt dazu haben
thun müſſen, ihn zu erhöhen. — —
Zuletzt, wenn man’s auch gar nicht mehr bedarf, kommt
alles in Gleichgewicht, alſo auch wohl ich, mit der dankbaren
Welt, und ihr Urtheil über mich, und alles was ich wohl
könnte
[113] könnte mit ihr zu theilen haben. Mir gefällt (ich fahre hier
fort in Ihrem Brief, wie Sie’s gethan haben, obgleich ich
keine Folge einſeh) dieſe ungleiche Miſchung von Aufrichtig-
keit und Zurückhaltung, die unter uns obwaltet, daher bin
ich nicht neugierig zu ſehen wann ſie ſich wird in Gleichge-
wicht ’geſetzt haben; denn ich halte es nicht für unmöglich,
aber dann würde es mir nicht ſo gut gefallen, ſtell’ ich mir
vor; ungeachtet ich weder für, noch dagegen, mit Willen
etwas thun werde: und überhaupt kommt ſie mir nicht ſo
problematiſch vor. —
Nun kommt wieder Woldemar. Ja freilich hab’ ich
Humboldts Rezenſion geleſen: ja, ſie iſt „ein Kunſtwerk“,
das war das Wort. Nun es iſt mir doch lieb, daß ſich un-
ſere Urtheile begegneten: urtheilen Sie über dieſe beiden Ur-
theile, ich will Ihnen nicht vorgreifen, um ſo mehr da ich
ſchon weiß was ich denken ſoll. Die Ideen in Woldemar,
obgleich ſie mir in Zuſammenhang mit Jacobi’s übrigen
Werken nicht geläufig ſind, waren mir recht faßlich und kei-
neswegs unbekannt; um ſo mehr, da er ſelbſt deutlich genug
davon vorſpricht. Ich fühle ganz wie lächerlich es
klingt, aber um wahr zu ſein muß ich’s diesmal ſagen, nur
ganz Unkundigen (wie Humboldt ſagt) können ſie entgangen
ſein. Sie haben übrigens mein Entzücken über dieſe Rezen-
ſion zu Gedanken überſetzt: und wenn ich mich mir ſelbſt
deutlich machen will, leſ’ ich die kleine Stelle in ihrem Brief
drüber. Die Lieblingsidee, der man darin auf die Spur kom-
men kann, iſt, glaub’ ich, was die wahre Bewunderung ein-
fordert. — Herrn von Brinckmann will ich ſo gut als mir
I. 8
[114] Gerechtigkeit widerfahren laſſen; er hatte ſich zwar geirrt,
und mir ſtatt der Gartenrezenſion eine theologiſche gelaſſen,
aber die Humboldt’ſche gab er mir mit Bedacht. — —
Hören Sie, mit der Delikateſſe bin ich ſehr liirt, und
um Ihnen nur eine confidence zu machen, ſie hat meine
ganze Liebe; und ich bin ſo paſſionirt, daß ich auch meinen
ſcharfen Augen nicht traue, und ſie nicht von der Hand laſſe.
Und noch ganz beſonders darum, weil mich das vor vielen
Begegnungen ſchützt, denen ich mit einer andern Paſſion
ausgeſetzt ſein würde, die ich ſchlechterdings nicht vertra-
gen kann.
Thümmel kann machen was er will; ich habe auch den
erſten Theil geleſen, und wenn Sie den zweiten werden ge-
leſen haben, werd’ ich’s auch thun. Warum wird man nicht
affektirt ſein, wenn man ſonſt nichts in ſich findet; und
warum wird Affektation nicht verhindern das zu finden, was
ſonſt noch da ſein kann? —
Es iſt etwas Gleichgültiges, aber Sie werden doch An-
theil nehmen, wenn ich Ihnen erzähle, daß ich vorige Woche
in himmliſchem Wetter zwei Tage mit den Geſchwiſtern, dem
jungen Ehpaar, mehreren Damen und zwei Engländern in
zwei Wagen in Potsdam war, alles geſehen habe und gött-
lich gefunden, beſonders eine Ausſicht vom Belvedere aus,
über Potsdam, Sansſouci, Palais und alles, und wohl ein
paar Meilen in die Runde Spree und Havel vereinigt, und
ein enormes Vergnügen nach meiner Art gehabt habe. Übri-
gens hab’ ich ganz prächtig Konverſation mit den Engländern
machen können, die ihre Sprache ſprachen, und ich franzö-
[115] ſiſch. Mit meinem Engliſch geht’s wunderſchlecht, drum ſchweig’
ich ſo ſehr.
Graf Bernſtorff war hier: er hat mich nur grüßen laſſen,
und ich hab’ ihn nur im Wagen geſehen. Das verſchmerz’
ich nicht. Kann ich mich nun empfehlen? —
An Guſtav von Brinckmann.
Sie und Hauptmann Cuhn halten mich für ignoranter,
als ich bin; ich kann nur wiſſen, ob das viel iſt, denn alle
andren Leute glauben mir nicht, daß ich nichts weiß. Die
Reihe des nicht verſtanden werdens iſt noch lange nicht an
Ihnen; ich habe Sie ſehr wohl verſtanden, Sie meinten, ich
ſei nicht immer die rechte Levin, manchmal die falſche, eine
andre; verſtanden hab’ ich Sie, aber Recht geb’ ich Ihnen
nicht; manchmal bin ich wohl anders, aber dann bin ich erſt
die Rechte, nämlich die wahre, wenn ich ſo aus Grund mei-
nes Herzens ſpreche (wozu ich ein wenig ärgerlich ſein muß),
dann halten Sie mich für falſch: dann bin ich die ächte.
Übrigens aber will ich gar nicht läugnen, daß ich Sie wohl
nicht mag verſtanden haben; aber mißverſtanden hab’ ich Sie
gewiß nicht, und ich bitte Sie ein- für allemal, das nie zu
fürchten, denn ich weiß immer, daß Sie etwas Gutes meinen,
wenn ich auch nicht gleich weiß was: diesmal wußt’ ich’s
auch nicht recht, aber ich merkte gleich (ich ſchwör’ es Ihnen),
daß Sie nicht deutlich waren, und daß ich auch nicht recht
verſtand, und dabei wußt’ ich doch wohl, was Sie meinten,
8 *
[116] und habe Sie gar nicht mißverſtanden. Ich werd’ Ihnen
nicht ſagen, daß Sie mir glauben ſollen, weil mir diesmal
wirklich am guten Willen weniger liegt, als daß Sie über-
zeugt ſein ſollen, die Gründe dazu, bin ich gewiß, finden
Sie von ſelbſt, wenn Sie mich gelaſſen erwägen. Was Sie
mir über den Woldemar und über die Wahrheit ſagen, wünſch’
ich könnte gedruckt, und von den Menſchen verſtanden wer-
den; trotz Ihrem eigennützigen Wunſch, ſie möchten dumm
bleiben, damit man Briefe ſchreiben kann. Überhaupt aber
iſt Ihr heutiges Billet von allen, die ich von Ihnen geſehen
habe, das erſte — und gefällt mir über die Maßen; alles
was Sie von allgemeinen Wahrheiten drin ſagen, iſt einzig;
und was Sie mir beſonders ſagen, prächtig, ganz wahr und
mit einer candeur und Naivetät ausgedrückt — die ich noch
gar nicht bei Ihnen gefunden habe, obſchon Sie oft Wahr-
heiten geſchrieben haben — die mir für die Wahrheit und
Güte derſelben bürgt. Wir haben uns heute in die Wahrheit
eingelaſſen, wenn wir aber bedenken, daß es doch nicht die
Tugend iſt, ſo wird ſie uns wie eine Göttin vorkommen, und
in dieſer Eil können wir ihr wohl ein bischen die Kour ma-
chen, wenn wir beſonders bedenken, daß man durch ſie hinter
alle Untugenden kommen kann, und ſie entdeckt; was Sie
beſonders von ihr geſchrieben haben, kann ich nur bejahen,
um einigermaßen etwas Ihnen Würdiges zu thun; welches
ich auch aus Grund meines Herzens, Verſtandes und den
Winkeln all meines Lebens thu.
Adieu. R. L.
[117]
An David Veit, in Jena.
„Außer meinem Leben könnt Ihr mir nichts nehmen,
was mir gleichgültiger iſt,“ antwortet Hamlet dem Olden-
holm, als der ihm ſagt: „Ich will Abſchied von Euch nehmen,
gnädigſter Herr.“ So etwas ungefähr hab’ ich Luſt Ihnen
zu antworten, darauf daß Sie mein Urtheil Humboldten ge-
zeigt haben; denn auf nichts in der Welt hab’ ich weniger
Anſpruch zu machen, als auf ein litterariſches („um dieſes
armſelige Wort beizubehalten,“ ſagt Oldenholm zu ſeiner
Tochter, als ſie ihm von Hamlet’s Zuneigung ſprach) gutes
oder rechtes Urtheil. Alſo nichts kann mir ſchmeichelhafter
ſein, als wenn man ein ſolches von mir billigt, und auch
nichts gleichgültiger, als wenn man ein ſolches von mir zeigt.
Wenn ich aber dieſes Zeigen für ſo wichtig, als Sie es tha-
ten, gehalten hätte, ſo würde ich’s im Leben nicht gethan
haben, denn was in der Welt hätte von der andern Seite
den Kalkül richtig machen können, wenn Sie bei mir wirklich
ſo viel verloren hätten, als ſie ſich einbilderiſch vorſtellten?
Mein Urtheil „war ſo richtig und gründlich, daß es ſo viel
Würdige als möglich wiſſen mußten,“ gut! aber ſo erforder-
lich ſcheint mir das doch nicht, um ſo viel auf’s Spiel zu
ſetzen. Sie haben aber auch gewiß dabei gewußt, wie ich’s
nehmen kann; und darum nur thaten Sie’s. Genug davon:
denn ich finde, man kann mit einem Briefe, worin ein Urtheil
über ein Kunſtwerk ſteht, machen was man will; und alles
[118] Perſönliche fällt weg, wenn es ein Mädchen geſchrieben hat,
wo man das, was einem nicht darin gefallen mag, auf die
leichteſte und rechtmäßigſte Art, als Ignoranz von ihrer Seite,
verwerfen kann. Was aber in der That nicht hübſch war,
iſt, daß Sie mich deßhalb ſo lange auf einen Brief haben
warten laſſen! Wie komm’ ich dazu! Warum laſſen Sie
mich warten, wenn Sie Luſt haben meine Briefe zu zeigen,
und warum ſpeiſen Sie mich nun mit einem ſolchen ab?
denn auch daran, daß Sie den Tag ſo wenig Zeit haben, ſo
kurz und obenhin ſein mußten, hat Ihr langes Warten Schuld;
hätten Sie mir den Tag ſchreiben zu müſſen geglaubt? Iſt
das mein Lohn! Sie! mit Gerechtigkeit und Empfindung.
Ach, ich ſehe wohl, ich ſtehe zu hoch bei Ihnen; Sie verken-
nen mich. Ich bin eitel. Es iſt bei Gott wahr, glauben
Sie mir, Und ſchreiben Sie mir genau, wenn auch nicht
ausführlich, was Sie Humboldten gezeigt haben; und was
Sie Exklamation nennen, Ich will es wiſſen, hören Sie!
Wie oft langweil’ ich mich Ihnen zu Gefallen? Noch eins!
wenn er ſich nicht gewundert hat, ſo hat er ſich auch nur
vor Ihren Augen gefreut; denn, iſt das Urtheil gut und
richtig, wie es neu und original gewiß iſt, er hat nicht ge-
wußt, daß ein ſolches mein ſein kann, und mußte ſich ge-
wundert haben, Hat er denn über Woldemar eingeſtimmt?
So hat er ja der ganzen Welt Pulver vorgeſtreut, die es ver-
dient! Sie antworten mir über nichts, und ſo ſehr gut
über das bischen, worüber Sie antworten; ſehen Sie alſo,
was Sie für ein wenig Gerechtigkeit empfindender, wenig
wohlthuender Menſch ſind! — Eine eigene Art haben der
[119] Herr Veit mir Briefe abzuzwingen. Sie beweiſen immer,
daß Sie in Todesangſt wären, wenn ich nicht ſchriebe: was
kenn’ ich Schrecklicheres als Angſt, ich ſchreibe alſo. Und
das Einmal wie das andere. Nun, nun, man treibt’s wie
es geht: würd’ es mal anders gehn, Sie trieben’s anders.
Das iſt keine Kunſt. Was hab’ ich in der langen Zeit den-
ken ſollen? Freilich hatt’ ich keinen Urtheilsſpruch von Ihnen
zu erwarten, der auf Tod und Leben von ſo viel Schönem
und Edlen ging; aber ich konnte mich doch auch ſogar äng-
ſtigen, denn was konnt’ es ſein! Daß ich den einzigen Fall,
der wirklich war, nicht rathen konnte, müſſen Sie gewußt
haben. Warten Sie nicht wieder ſo lange, und ſchreiben Sie
mir nicht wieder ſo wenig Antwort: und nun iſt Friede.
Klug haben Sie auch gehandelt; da Sie ſich doch ſchon ver-
leiten ließen, werthe Weſen (Sie wiſſen doch, welches Wort
ich nicht brauchen darf? künftig mach’ ich ein Quadrat bei
ſolcher Gelegenheit) auf’s Spiel zu ſetzen: auch hab’ ich, und
hätt’ ich auch ohne Ihr Erinnern, kein Wort von Ihnen als
Buße angeſehn; und Ihr procédé gefällt mir; obgleich ich
die Sache bei der Meinung, die Sie davon hatten, nicht
würde gethan haben.
Mein lieber Herr, thun Sie mir auch was zu Gefallen,
und ſagen Sie mir (wahr), wie es ſich machte, daß Sie
mit Hrn. von Humboldt von mir und meinen Briefen ſpre-
chen konnten: das alles will ich genau wiſſen! — Heute hab’
ich Ihren Brief in der Taſche und nicht neben mir, es liegen
zu viel Bücher auf dem Tiſch; ich ſchreib’ alſo, was mir ein-
fällt. Ich geh’ noch in die Komödie, brenne ſchon Licht, und
[120] bin noch nicht friſirt, es iſt vier Uhr, oder ſo was. — Ich
finde es nicht ſo ſonderbar, daß Sie mich um Rath fragen,
ob Sie ſich die preußiſchen Staaten, oder auch Deutſch-
land, verſchlagen ſollen; oder nur ſo, wie mir denn das Rath-
fragen überhaupt vorkömmt. Und auch darin denke ich über
Sie beſonders; denn ein Menſch, der gar glauben kann, daß
eine Frage ſtattfindet, wenn die Rede von einer Aufopferung
iſt, die ein halbes Jahr betrifft, das doch in keinem Fall
ohne Fleiß verloren geht, in Vergleich von immerwäh-
render, wahrſcheinlicher Verſagung ſeiner, unſerer, Staa-
ten: der muß fragen; worauf denn ich antworte: Sie gehen
ohne alle weitere Überlegung nach Halle. Nicht,
als könnt’ ich Sie mir jemals als einen Doktor vorſtellen,
ſo wie man doch alles in Gedanken kann, oder als ob ich’s
jemals gethan hätte; aber Sie müſſen’s doch immer ſein
können, und auch bei uns. Ich kann mir gar nicht denken,
daß Sie etwas Beſtimmtes ſein können: auf dieſe Weiſe ein
Amt oder Stand, gleicht mir ſo ſehr einer Einſchränkung, als
eine Heirath; und wie weit eher begegnet man nicht einem
verſtändigen Mann oder einer ſolchen Frau, als einem ſolchen
Amt oder Stand! „Man muß aber leben!“ hallt es vom
Schilde aller Vernünftigen wieder, worauf ich jetzt ſchlug, ich
weiß es; „daher aber die ſchlechten Ehen,“ hau’ ich wieder
zu; „wie iſt es zu ändern?“ hallt es wieder; das weiß ich
nicht, ich ſag’ auch nur, es iſt ſchlecht. —
Apropos! Keinem Menſchen antwort’ ich mehr auf ſo
etwas; nicht aus Eigenſinn oder Vorſatz, nein, weil ich nicht
[121] kann, und auch über die gewöhnlichſten Dinge nicht mehr
Rede ſtehen kann, niemals weiß wo ich wohl anfangen ſollte,
und was ich ſo eigentlich zu vertheidigen habe. Sie haben
mir noch ein Stück zur Erklärung der Mißverſtändniſſe der
Leute über mich geliefert: ja ja, ſie mögen gewiß Recht
haben, aber — erſtlich ſchaden ſie mir und helfen ſie mir
gar nicht, Freude hab’ ich von keinem, und wär’ ich — wo-
für ſie ſich ausgeben, ſo würden ſie mir in meiner Gegen-
wart nicht beſſer begegnen, als ſie thun, denn ich muß es
nur ſagen, in meiner Gegenwart genieße ich die größte Ach-
tung, und welcher Menſch hat nicht die Hälfte der Andern
wider ſich! Mir alſo kann, muß, mit einer ſehr kleinen Zahl
für mich ſehr genügen, ſogar überflüſſig, wenn ich als er-
bärmliches Mädchen bedenke, wie die für mich ſein müſſen.
Abſcheulichkeiten (im Sinn der Leute) erinnere ich mich ſchlech-
terdings nicht geſagt zu haben; ſogar in individuellen Ge-
ſchichten geb’ ich immer dem Unrecht, der mit mir ſpricht —
darüber muß ſich die Honnetetät freuen; freilich erinnere ich
mich oft vertheidigt zu haben, was die unbegreifenden
Stümper alle thun — mehr oder weniger, mit erſtaunten
Abtheilungen und Modifikationen — das iſt aber alles meine
rechte Schuld nicht: ſie könnens mir gar nicht vergeſſen, daß
ich zu meinen vierzehn Jahren witzig war, ſie fürchten mich, weil
ſie mich für klug halten (ihr gewöhnlich Wort); ſie wiſſen
aber nicht, daß ich einen verſtändigen Gedanken im Kopf
habe; aber ein paar Bonmots ſind ihnen von mir zu Ohren
gekommen, die meiſtens Tadel überzogen, und nun iſt ihnen
jeder Blick aus meinen unglücklich tiefliegenden Augen zu-
[122] wider und verdächtig; und was dieſem Haß den rechten
Schwung giebt, und ihn, ſo unbedeutend ich bin, friſch erhält,
iſt, daß ſie mich keiner Grobheit zeihen, und mir keinen
ſchlechten Streich nacherzählen können, und doch ſehen, daß
ich mir nichts aus ihnen mache. Das ärgert von einem jeden,
und das vergiebt man nicht. Sein Sie verſichert, ich bin
kein närriſcher Phantaſt, dem das ſchmeichelt; — wenn ich’s än-
dern könnte, thät’ ich’s: ich büße aber, und dabei iſt denn
nichts zu thun, als zu büßen. Meine Buße beſteht in Ennui;
daß man mir oft nicht traut in Ernſt und Spaß; daß man
mich ins Geſicht und hinter meinem Rücken anklagt, ohne daß
ich mich vertheidigen kann, weil ich immer nichts zu verthei-
digen weiß; daß ich ſehr oft in Verlegenheit komme, nicht
in Verlegenheit kommen zu können; daß ein jeder Narr
denkt, er erfüllt ſeine Pflichten — wie ſie ihre Seichtigkeit
nennen, gewöhnliche Dinge in hundert Abtheilungen zu thun,
was man mit Einmal konnte, und tauſend ekelhafte, wäſſerige
Etcetera’s; daß ſie mich verſchreien, und mir trauen, denn
ſie machen mich zu ihrem Confident. Das muß ich ausſtehn.
Weiter aber nichts. Keine Kränkung, keine Erniedrigung,
keinen vergeblichen Wunſch: aber ſtören thun ſie mich auch;
denn, das iſt wahr, ſie erſchweren mir oft die Schritte, die
ich mache, durch unzeitiges Lob, welches faſt noch ärger iſt,
als ihr plumper unſinniger Tadel, welche Epithete ihrem Lobe
noch weit mehr gehören. Und das iſt der ſchlimmſte Effekt
dieſes Defekts meiner Renommee; denn nur eigentlich ein
kleines Pünktchen auf dieſer wirft all den Schatten, der mich
ſo viele Konfuſion erleben läßt. Und dieſes Pünktchen, das
[123] iſt wahr, würde mir, ſollte ich mal meine jetzige Gegend ver-
laſſen müſſen, dieſe ſchwere Abreiſe einzig erleichtern. Denn
ich geſteh es, einmal friſch wo anzukommen, wo mich noch
keine geborne Bekannte kennen, ſollte mir ſehr wohl thun!
Und ich goutire des Herrn von Humboldt Lebensweiſe mit
einem großen Seufzer; den ich ſeufze: und denn doch, er-
haben über Gram und Schmerz, weiter lebe; wie ich kann.
— — Ich bin in vielen Fällen unvermuthet gelaſſen und ge-
duldig, und hab’ auch erlangt mir vieles abzugewöhnen, was
ich nicht an mir leiden konnte; aber darin hab’ ich noch kein
Sandkorn breit über mich gewonnen, nicht eine unwiderſteh-
liche Leidenſchaft zu haben, auf verkehrte Fragen — und be-
ſonders, und faſt nur, wenn ſie mich betreffen — immer
verkehrte Antworten zu geben, und wär’s auch nur durch
Miene, durch ein enthaltenes oder gezwungenes Lächeln, kurz
durch ein Nichts, ich muß ſie geben. Nie fällt’s mir ein,
und iſt mein Vergnügen gar nicht, jemand zum Narren zu
halten (wie man ſo ſagt), ſo ſehr man mich deſſen beſchuldigt
und von mir fürchtet, aber wenn mir ſo einer — wie ſie
denn manchmal unwiderſtehlich thun — in’s Garn läuft,
dann geſchieht’s mir wohl, daß ich ihn, der Unglaublichkeit
wegen, noch ein bischen beſſer umwinde, auch dünkts mich
immer eben ſo unhöflich ihn zurückzuführen. Das kann ich
im ganzen Ernſt aus Höflichkeit nicht; und ganz unange-
facht bei komiſchen Gelegenheiten bin ich immer noch nicht,
Iſt das Verbrechen? Was thun die Andern? Wie ſchweig’
ich! Mir kann in der Welt nichts vortheilhafter ſein, als
eine Belohnung; und ich habe nicht einmal das Glück daran
[124] zu glauben, — Vergeltung mein’ ich eigentlich. Man ver-
fährt wirklich von mancher Seite grauſam mit mir; obgleich
ich nur daran denke, wenn ich’s ſchreibe, und in der That
wenig von dem bedarf, was man mir geben könnte. Ich
habe mich darum unterfangen ſo ausführlich gegen Sie von
mir zu ſein, weil ich die Meinung habe, es ſei von einem
jeden Menſchen intereſſant, Wahrheit von ihm über ſich zu
hören; und bei Ihnen iſt das gar ein goût particulier. Ich
wurde zu dieſer Weitſchweifigkeit durch die Stelle Ihres Briefs
und mich ſelbſt verleitet. Sollte man niemals thun, wozu
man Hang hat! Nun, ſo wäre das Gegentheil auch das ein-
zige, was einem übrig bliebe. Aus dem Fenſter ſtürzen.
Sie haben mich auch gefragt, wie ich lebe. Wiſſen Sie’s
noch nicht? Bei allem was heilig iſt und bei meiner Ehre,
„es iſt des An- und Ausziehens nicht werth, der Morgen
weckt zu neuen Freuden nicht, und der Abend läßt keine Luſt
zum Hoffen übrig.“ — Manche ganze Woche bin ich zu
Hauſe. Geſtört immer. Geben Sie mir keinen Rath! —
Das kann mir nicht gefallen; daß aber die Zeit ſo ſtille ſtehen
möchte, wünſch’ ich doch: denn nun kann’s nur ärger kom-
men — wenn nicht Fortuna große Looſe herunter ſchickt; und
ob ich gewöhnt bin, die von ihr zu erwarten, iſt gar keine
Frage — mündlich könnt’ ich Ihnen das alles detailliren. Ich
wünſche keinen neuen Sommer, keinen neuen Winter, nichts
wünſch’ ich als ich mehr. Denn voriges Jahr wünſcht’ ich nur
zu reiſen, weil ich krank war; aber jetzt bin ich ſeit acht Wo-
[125] chen geſund, und bedarf alſo das auch nicht mehr; als ich
möcht’ ich auch nicht reiſen. Nichts wünſch’ ich jetzt, als mich
zu verändern, äußerlich und innerlich, ich bin nicht gut, gefalle
mir nicht, und bin mich überdrüſſig; dazu werd’ ich aber nicht
gelangen, und ich muß ſo bleiben, ſo gut als mein Geſicht;
älter können wir beide wohl werden, ſonſt aber nichts. Die
Konfuſion nimmt überhand; ich bin mit keinem Menſchen über
keine Sache mehr einig: ich mache ſie immer noch größer, denn
wenn wir uns nicht verſtehen, laß ich’s dabei, und ſage aus
Hang und Paſſion meine Sache weiter, jene auch, und dann
iſt’s das Höchſte; ſchweigen thu’ ich zu eben der unrechten
Zeit. Dabei ſeh’ ich doch viel Menſchen, und erfahre alles,
denn grade wo ich hin komme, ſind Alle. Kein Vergnügen
oder irgend eine Satisfaktion hab’ ich gar nicht, und nie be-
gegn’ ich oder hör’ ich was Intereſſantes; dabei muß ich mich
noch für glücklich halten, daß es mir nicht noch ärger geht,
wie es doch gar zu gut könnte. Auch fürcht’ ich jede Ver-
änderung. Ich bleib’ auch immer mager: von Beaumarchais
Narren muß ich doch nicht ſein, die „dabei (bei Langerweile)
fett werden“ können.
Wenn Sie der Brief nicht amüſirt, ſo iſt das ſehr na-
türlich, zwei amüſiren ſich nie zugleich: und da Sie doch nun
ſo friſch wiſſen, daß ich mir nicht helfen kann, ſo werden
Sie’s mir weniger übel nehmen, daß ich Ihnen nicht helfen
kann; ich kann Ihnen nicht helfen. Sie werden dieſe Klagen
ſo nicht verſtehen, ich müßt’ Ihnen das alles ſagen und zu
verſtehen geben. Ich fühle, daß es ſo kein Menſch verſteht,
und ſich weit was Schöneres darunter vorſtellt; und es iſt
[126] gemein; von meiner Seite meine ich, ich verlange gemeine
Sachen; die man aber haben muß. Nun nehme ich Ihren
Brief, und ſeh’ was noch zu antworten iſt. Apropos, das
fällt mir ein; Livländern bin ich gut, ſie haben immer blaue
Augen, ſind blond, haben gute Zähne, gehen reinlich, und
haben ſchöne Sprache. Bravo wenn das iſt! — Nun nehm’
ich Ihren Brief. — Ach Gott was finde ich da! Warum
ich mich Ihrer annehme? Ich bin ſo wahr mit Ihnen; weil
— Ihnen nichts gut thut, als die Wahrheit; weil Sie eine
Art von Geiſt haben — ich weiß es noch nicht zu nennen —
der, wenn es auch Örter giebt, wo er nicht hingeblickt hat,
doch wenn man ihn hinwendet, gleich recht ſieht, und ſeine
ganze vorige, wie jetzige und künftige Exiſtenz mit dem Licht
erhellt, was er jetzt erblickt — nun, das in Worte zu bringen
iſt mir recht ſchwer geworden; Sie werden’s merken — warum
ſoll mir das nicht gefallen? Urtheilen Sie ſelbſt, ob ſo ein
Menſch ein vorzüglicher iſt! Übrigens ſind alle andere Menſchen,
mit denen ich liirt bin, mir ſo gleich; das iſt mir gar nicht
geſund; aber Sie können mir Gegenunterricht von ſo vielen
Seiten her geben, und das iſt mir recht. Und dann! — brin-
gen Sie immer alles in’s Reine, was ich denke und ſage —
und verſtehen faſt immer das Reine gleich davon, und das
iſt mir nothwendig. Weiter weiß ich jetzt nichts. Über die
Miſchung von Aufrichtigkeit und Zurückhaltung müſſen Sie
mir mal ſchreiben; denn ich weiß nicht, was Sie meinen,
und will es gerne wiſſen: diesmal haben Sie ſich geirrt.
Über die Delikateſſe ſchreiben Sie ganz vortrefflich: wenn ich
es geſchrieben hätte, wäre es gar nichts geweſen, aber daß
[127] Sie es wiſſen iſt viel: das kommt wieder nur vom richtigen
Denken; meine Krankheit iſt’s, alſo muß ich die ſchäd-
lichen Effekte wohl kennen, bei Ihnen iſt es reines Denken.
Daran laborir’ ich eben; darin möcht’ ich mich ändern. Ver-
geblich! ich ſuche mein Glück nicht in Ruhe, ohne Ruhe kann
ich aber ſchlechterdings nicht glücklich ſein, und kann ich nicht
glücklich ſein, ſo muß ich doch ruhig ſein. Leben Sie wohl!
Antwort!
Nehmen Sie dieſen Brief nicht zu ernſt; ich hätte ganz
anders ſchreiben können, dabei es eben ſo wäre. Die vielen
Kleckſe ſind für mich ſo ſehr ſchokant als für Sie: aber in
ganz Berlin ſchenkt und ſchneidet mir kein Menſch eine Feder;
mit gekauften kann ich nicht ſchreiben; ſchneiden kann ich
keine; ich will’s mir aber von der Unzelmann lehren laſſen,
die es ſehr gut kann.
Diesmal wiſſen Sie gewiß nicht, was in dem Briefe ſteht,
eh’ Sie ihn erbrechen.
An Guſtav von Brinckmann.
Mit einemmale will ich Sie wenigſtens über mich
ganz einig machen. Je suis tout aussi malade, tout aussi bête,
et amou .... — je ne peux pas écrire ce mot — jugez, si
je suis affairée. Aber .... — ich ſchweige. Wenn Sie
ſich, si vous ne vous moquez pas; ſo iſt das der ascendant,
den ich über Sie habe. Ich verberge Ihnen meine bêterie,
wenn ich ſchwach bin bleib’ ich im Bette: und das giebt mir
[128] Stärke. Übrigens ſuchen Sie, mein Herr, mir den ascendant
ſchon abzulauern: daß Sie ſich ſo ſehr ſchwach gegen mich
ſtellen, mich ſo hoch über ſich ſetzen; dadurch machen Sie
mich zum Idole, und ſich zum lebenden Menſchen, dem es
unter andern auch wohl thut, ſich zu ſammlen, zu bewundren,
zu fürchten, zu beten. Iſt nun der kleine Hausgott nicht
von Gold oder Marmor, und glaubt in ſeiner gehirnloſen
Bruſt ſeiner eignen Anbetung, ſo wird er ſein eigner — und
noch Andrer Narr. Ich habe mich, in der großen allgemeinen
Weltnoth, einem Gotte ganz gewidmet; und ſo oft ich
noch gerettet worden bin, ſo iſt es der, der mich gerettet hat,
die Wahrheit. Auch von Ihnen ſoll ſie mich diesmal retten:
denn ſie iſt’s, die mich zwingt, und mir zuredet, aufrichtig
gegen Sie zu ſein. Dieſe Aufrichtigkeit muß Sie beruhigen,
befriedigen und verſtummen machen. Oder ich bin wirklich
werth, in einem Kapellchen zu ſtehen, und die Augen vor mei-
ner eignen Glorie zu ſchließen. Votre amie la plus bête.
R. L.
An Guſtav von Brinckmann.
Falſch, grundfalſch — angenommen Sie hätten mehr als
Sie wiſſen daraus gelernt — daß Sie aus dieſem Buch et-
was hätten erfahren können, was Sie nicht wüßten; es müßte
denn Geſchichte ſein. Falſch, grundfalſch, daß ich die vier
Bände nicht durchleſen werde; denn ich werde gewiß etwas
daraus lernen. Falſch, grundfalſch, daß Sie nicht glauben
an
[129] an Ihrer eigenen Empfindung irre gemacht zu werden; wenn
der Gott in mir, etwa es wollte. Würden Sie ſich jetzt ſchon
mit Trotz waffnen, wenn Sie nicht einem ſchweren Kampfe
entgegen ſähen? Erkennen Sie Vernunft nicht für das ſchwere
Geſchütz, und iſt Trotz dagegen gebrauchen nicht die Flagge
der Unvernunft?
Sie müſſen aber beſtraft werden; denn Sie ſprachen von
Wehren, eh’ ich an Angreifen dachte und nur eine Miene
machte. Dieſer Aufſtand muß beſtraft werden; und ich will
mich auf folgende Weiſe rächen: Ich habe das Buch noch nicht
geleſen, ich kann es alſo hübſch oder häßlich finden, das ſind
zwei Fälle; der erſte würde Sie ein bischen mit ihm vereini-
gen — was Sie doch nicht mehr als gerne thun — und be-
ruhigen; dieſer Genuß ſoll Ihnen nun nicht werden, oder viel-
mehr, Sie ſollen nie erfahren, ob Sie ihn gehabt haben.
Daher will ich mich auch vorher beſtimmen wie Sie, und
vorher ſagen, daß mir das Buch gefällt, und in aller Ewig-
keit dabei bleiben; weil es Ihnen gefallen hat. Sie ſehen, ich
kehre Ihren Trotz um, und beſtrafe Sie nach Götterart, durch —
Willfährigkeit in Ihren böſen Willen. Aber Bernſtorff ganz
allein ſoll erfahren — dem ſchreib’ ich’s — wenn’s mir nicht
gefällt, denn den kann ich Ihnen nicht auf Ihrer Seite laſſen.
Sie meinen doch, es iſt groß, daß Sie mir das Buch ge-
ſchickt haben? keineswegs; erſtens fanden Sie’s heute, dann
haben Sie gar ſo große Furcht nicht, und letztens haben Sie
durch Ihr kühnes Billet allem Verdruß vorgebogen, den ich
Ihnen etwa machen konnte. Aber an Bosheit kommt man
I. 9
[130] ſeinem Meiſter nie gleich: die iſt ein Talent, und unerſchöpf-
lich wie ein ſolches.
An David Veit, in Jena.
Wenn man einen Menſchen als Freund anſieht, ſo hat
er nichts davon, als daß man ihn eben ſo ſchlecht, unhöflich,
und hart behandelt, als ſich ſelbſt; aber auch keinen andern
wieder ſo — finden Sie ein Wort — ſüß iſt mir zu ſchlecht,
und ein anders weiß ich doch nicht. Es war Ihnen äußerſt
unangenehm, ſo lang nichts von mir zu hören; das hab’ ich
jeden Tag gefühlt, jeden Tag Briefe an Sie komponirt, und
doch nicht geſchrieben. Ich bin Ihnen eine angenehme Empfin-
dung ſchuldig — ſie löſchen die unangenehmen, die man hatte,
nicht aus, aber ſie verdrängen doch neue; ich bin überzeugt —
ich warte auch umſonſt — und noch — auf einen Brief, und
kurz ich kenne das — es war mir eben ſo unangenehm, Ih-
nen keinen Brief zu ſchicken, als es Ihnen war, keinen von
mir zu bekommen. Sie geſtehen mir hierin viel zu: glauben
mir alſo gern, und können doch nicht; Sie werden nachden-
kend, und wollen’s finden. Ich will Ihnen helfen, ich will
mich deutlich machen. Der Grad der Unannehmlichkeit war
ſich gleich, die Art ſehr verſchieden. Aber ziehen Sie ein böſes
Gewiſſen vor? Ein böſes Gewiſſen war’s zwar nicht; denn
ich konnte Ihnen wahrlich nicht ſchreiben, und doch wußt’ ich,
daß mit vieler Mühe und vieler Zeit, ich wohl könnte. Ich
will Sie einmal tief in meine Seele ſchauen und nichts darin
[131] erblicken laſſen, wie mich ſelbſt (wie iſt hier nicht anſtatt
„als“; ich erblicke auch nichts, ſoll es heißen); denn wahr-
haftig mir ſelbſt macht’s Mühe mich deutlich zu denken.
Die Haupturſache, warum ich nicht ſchrieb, ſind Meiſter, die
Horen, und die Meſſe; über die erſten kann man — außer
Bücher — nicht ſchreiben, — und mit niemand möcht’ ich lie-
ber darüber ſprechen, als mit Ihnen, — und die Meſſe wollt’
ich als nichts Ungewiſſes berühren; weil das bei mir Hölle,
Teufel, und alle ſchlechten Erfindungen der Dinge ſind, die
alles erfunden haben, und die wälze ich ſo leicht nicht auf
einen Andern.
Sehen Sie, daß ich nichts thun kann; bei dem Wort
„Andern“ trat die Liman und Weſſely in die Stube, und
aus war das Schreiben. Mama will mich nicht nach Leipzig
mitnehmen; ſie will nur in einem halben Wagen fahren; —
kurz die Einrichtung der paar Umſtände, unter denen ich
keuche, iſt ſo, daß auf alles, nur auf mich keine, Rückſicht ge-
nommen wird; obgleich man manchmal, wenn ich in Agonie
par exemple liege, ſolche Mienen macht. Ich bin krank. Nun
ſag’ ich’s ſelbſt; und kann gar nicht wieder geſund werden,
als durch Pflege. Niemand lebt, der mich pflegen würde,
alſo muß ich’s ſelbſt thun, und wie mit Gewalt. Denken
Sie ſich die Pflege! denn ich bin krank durch gêne, durch
Zwang, ſo lange ich lebe; ich lebe wider meine Neigung, wenn
ich auch nur immer dagegen handeln ſeh. Ich verſtell mich,
artig bin ich, daß man vernünftig ſein muß, weiß ich; aber
9 *
[132] ich bin zu klein das auszuhalten, zu klein, ich will nicht
rechnen, daß ich keinen empfindlichern, reizbareren Menſchen
kenne, und der immer in Einer Unannehmlichkeit tauſend em-
pfindet, weil er die Karaktere kennt, die ſie ihm ſpielen, und
immer denkt und kombinirt; ich bin zu klein, denn nur ein
ſolcher kleiner Körper hielt das nicht aus. Mein ewiges Ver-
ſtellen, meine Vernünftigkeit, mein einziges Nachgeben, wel-
ches ich ſelbſt nicht mehr merke, und meine Einſicht, verzeh-
ren mich, ich halt’ es nicht mehr aus; und nichts, niemand
kann mir helfen. Einmal kann man ſo etwas ſagen, erklä-
ren, demonſtriren; ich bin nicht zu delikat; ich hab’s gethan,
zwanzigmal gethan: indem ich rede, ſcheint manche unbehülf-
liche Miene mich zu verſtehen; aber vergeblich! hör’ ich auf,
und handle — weil ich Vernunft erwarte — weiter, ſo iſt’s
wieder vorbei. Meine Hülfe will geahndet ſein, und im gan-
zen Hauſe ahnd’ ich nur; und da kann ich nicht heraus;
weil die Welt eingerichtet iſt. Ich bin krank: und muß mir
ſelbſt helfen. Ausruhen will ich mich auf’m Lande; ich ziehe
acht Meilen von hier bei Zehdenik mit irgend einer Freundin
oder meiner Line allein, ſo bald als möglich, und fange die
andre Woche ſchon hier zu baden an, bade dort, geh’ im Juli
nach Freienwalde, dann wieder zurück nach Zehdenik, und
bleibe, ſo lange man’s auf’m Lande aushalten kann. Baden
will ich ein ganzes Jahr. Ausruhen muß ich mich; hier töd-
ten ſie mich; und erſt recht, wenn ſie ſich’s einfallen laſſen,
mir helfen zu wollen.
— Ich geh’ faſt gar nicht aus; weil keine Luft mir gut
genug iſt, alle Geſellſchaft wo ich hinkommen kann, ver-
[133] haßt, die Komödie eklig iſt, und das Konzert auch. In Ge-
ſellſchaft bekomm’ ich unmittelbar vom Zuhören Ennui’s- und
Anſtrengungs-Schmerzen, im Theater daſſelbe, und vom Zug,
im Konzert daſſelbe; zu Haus von Leſen, Schreiben oder was
ich thue, wobei der Körper nur zehn Minuten lang in Einer
Richtung ſein muß: zu dicke, zu dünne, zu warme, zu kalte
Luft, und jeder Affekt, macht mir ein Erbrechen, wie jeder
Schmerz, der nur ein bischen ſolide wird. Dabei vergeh’ ich
für Überdruß, — nun das halt’ Einer aus! Die Reizbarkeit
und Empfindlichkeit kann nicht höher ſteigen. Und doch! —
Ich geh’ auf’s Land. „Der Erde näher, den erdgebornen
Rieſen gleich.“ Dann hatt’ ich Ihnen ſo viel auf Ihre drei
Briefe zu antworten, und das iſt Mühe; und ohne das wollt’
ich nicht; denn was ſollten Sie ohne dieſes Detail denken;
und Ihnen das zu geben, ſtrengt mich nicht wenig an, jeder
Gedanke und das Schreiben. Nun verdammen Sie mich.
Glauben Sie mir — verrückt bin ich nicht — ich fehle nicht
gemein; es iſt immer ein unumſtößlicher Berg die Urſach, wenn
man ihn auch nicht ſieht: ich fehle nicht gemein. Ich habe
ſolche Phantaſie; als wenn ein außerirdiſch Weſen, wie ich
in dieſe Welt getrieben wurde, mir beim Eingang dieſe Worte
mit einem Dolch in’s Herz geſtoßen hätte: „Ja, habe Empfin-
dung, ſieh die Welt, wie ſie Wenige ſehen, ſei groß und edel,
ein ewiges Denken kann ich dir auch nicht nehmen, Eins hat
man aber vergeſſen; ſei eine Jüdin!“ und nun iſt mein gan-
zes Leben eine Verblutung; mich ruhig halten, kann es fri-
ſten; jede Bewegung, ſie zu ſtillen, neuer Tod; und Unbeweg-
lichkeit mir nur im Tod ſelbſt möglich. Dieſe Raſerei iſt
[134] wahr, iſt zu überſetzen. Lächlen Sie, oder fühlen Sie Thrä-
nen aus Mitleid, ich kann Ihnen jedes Übel, jedes Unheil,
jeden Verdruß, da herleiten: und mich dekontenancirt’s nicht,
lächerlich in eines Andern Augen zu ſein. Dieſe Meinung iſt
mein Weſen; und das muß ich Ihnen klar beweiſen, eh’ ich
ſterbe. Die Satisfaktion kann ich mir nicht verſagen. Ich
will mir in Ihrem Namen antworten, und die Vernunft aus
Ihrem Munde reden laſſen. „In,“ würden Sie ſagen, „es
iſt Ihnen das größte Unglück widerfahren, was Sie nur tref-
fen konnte, Sie ſind lahm: aber hören Sie, ſehen Sie, ſchmek-
ken Sie, wenn Sie immer Ihren Fuß betrachten, ſo ſind Sie’s
ja ſelbſt, die ſich lahm machen.“ Ja, wenn ich aus der Welt
leben könnte, ohne Sitten, ohne Verhältniſſe, fleißig in einem
Dorf. Ja, würde der Lahme ſagen, wenn ich nicht zu gehen
nöthig hätte; ich habe aber nicht zu leben, und jeder Schritt,
den ich machen will, und nicht kann, erinnert mich nicht an
die allgemeinen Übel der Menſchen, gegen die ich gehen will,
ſondern ich fühle mein beſonder Unglück noch, und doppelt
und zehnfach, und eins erhöht mir immer das andere. Wie
häßlich bin ich nicht dabei; iſt denn die Welt klug, ſagt man
denn: „Der Arme iſt lahm, bringen wir dem Armen das ent-
gegen, ach wie ſchwer muß ihm jeder Tritt werden, man
ſieht’s!“ Nein; ſie achten ſeine Tritte nicht, weil ſie ſie nicht
machen, ſie finden ſie häßlich, weil ſie ſie ſehen, und bringen
ihm nichts entgegen, weil ihnen ſeine Mühe nichts ſchadet,
und ihre eigne ihnen entſetzlich iſt. Und der Lahme, zu gehen
gezwungen, ſollte nicht unglücklich ſein? Hab’ ich je ein lah-
mes Gleichniß geſehen, ſo iſt es dieſes; es hinkt ſo, daß man
[135] mein Unglück nicht im geringſten daraus erſehen würde, wenn
man’s nicht kennt.
Nun will ich Ihre Briefe ſuchen, und ſehen, worauf ich
antworten muß. Eben hab’ ich dem Hrn. von Brinckmann
abſagen laſſen: „es iſt mir unmöglich.“ Der vom 5. Januar
ſoll den Anfang machen. Tauſend, tauſend Dank für Fichte’s
Buch, das war der Pflug, der mich urbar zu den Horen
machte; die intereſſiren mich jetzt am allermeiſten; ich verſteh’
ſie ganz, mit den Menſchen muß man nicht darüber reden;
und auch geradezu ſage ich, wie ſie, ich verſteh’ oder leſe ſie
nicht; und ihre Gemeinnützigkeit ſagt die erſte Epiſtel, das
Erſte in der Welt, alles, und niemand kann noch etwas
ſagen. Die wird am wenigſten verſtanden, und die Men-
ſchen halten ſich an die Ankündigung, weil die das Einzige
iſt, was ſie faſſen können, und dabei ſchreien ſie! meine
Ohren vertauben. Leute, die von jeher für fein paſſirt ha-
ben, verſtehen ſie auch nicht. „Wie kann man Empfindun-
gen erklären, in Syſteme faſſen,“ iſt ihr letzter Grund, den
ſie denken, und was ſich darauf bauen läßt, ſagen ſie.
Wahre Dankbarkeit für Ihre Nachricht von den Horen! nur
immer ſo! „Solche Schläge.“ Das kann ich Ihnen nicht
erſetzen. Dieſen Brief muß ich Ihnen mündlich und ausführ-
lich beantworten; Sie ſprechen darin von meinem Karakter,
ich gebe Ihnen gern Auskunft darüber, weil Sie’s als ein
Ganzes faſſen. Alſo ſeh’ ich nicht ein, woher der gemeine
Menſchenverſtand zu ſeiner Meinung gekommen iſt? Sie
glauben’s ſelbſt nicht. Aus Schwäche und Schwächen Gitter
zu machen: ich fühle mich ſtark, und bin ſchamlos genug, es
[136] mir manchmal merken zu laſſen, es nicht verbergen zu können.
Bei Gott! ſo geht’s mit jeder Gabe; ſie ſei Fehler oder Ver-
dienſt — in unſerm Geenge — und da ziemt ſich nichts als
Mitleid und Nachſicht, und weil man doch Billigkeit — nach
Menſchenverſtand — fordern kann, ſo fordr’ ich’s. Kühn bin
ich, ja — das wiſſen Sie am beſten — wenn ich mich auch
vor einem Puthahn fürchte: fürcht’ ich doch, wie die Meiſten,
nicht ein Gewitter. —
Wiſſen Sie was? Beſuchen Sie mich auf meinem Lande;
da wollen wir alles abmachen. Ohne daß es jemand weiß.
Ich läugne es jedem, dem, der’s geſehen hat. Sie ſind
aber nicht kühn. Wenn’s am Reiſegeld liegt, das will ich
Ihnen dort wiedergeben. Ich habe öfters auch keins. Kurz,
das findet ſich noch. Scholz wird mich dort beſuchen, und
Hr. von Oertel, ſonſt mag ich keinen, und es kommt auch
niemand, es iſt zu weit ausgeſucht. Scholz iſt in Wien
mit Hrn. von Carmer, dem Sohn des Großkanzlers, ſechs bis
acht Wochen. —
Das was mich am meiſten von einem Menſchen ſchmeich-
len kann, haben Sie mir über meinen Ihnen vorenthaltenen
Brief geſagt. „Bin ich nicht werth, — ſagen Sie zum Ge-
präge alles Guten zuletzt, — ihn zu leſen, oder halten Urſa-
chen Sie ab, die Gewicht haben, ſo würd’ ich ihn auch gar
nicht richtig nehmen, — (Sie ſetzen meine Überzeugung über
Ihre, das hofft man gar nicht, und verdient es nie; „ich hofft’
es, ich verdient’ es nicht.“ haben Sie mir einmal vordekla-
mirt) — nicht recht verſtehen, und wozu ſollte er mir dann?
nur laſſen Sie ihn leben.“ Bei mir ſind die Perlen nicht
[137] vor die Säue geworfen: ich verſteh’ wohl was gut iſt, und
mir Gutes zu thun, iſt ein Vergnügen. Bei Dankbarkeit
denkt man nichts; ich läugne ſie auch immer: empfinden und
verſtehen bis auf’s geringſte Undchen, was einer thut, das
wäre Dankbarkeit, und iſt ſo ſelten zu finden, wie Apolls
Schönheit, und auch von der wird geſagt, ſie exiſtirt nicht. —
Ich finde den erſten Theil von Hume nicht unintereſſant, grade
wie ein Volk entſteht, weiß ich gern, und daraus denk’ ich
mir ſeine Art und Weiſe, die es noch hat; und durch ſein
Land und ſeine Lage; das ſpätere Setzen eines Volks iſt ſich
gleicher; ſind die Menſchen civiliſirt, ſo ſehen ſie ſich immer
ähnlicher; und die ſpätere Geſchichte will ich nur wiſſen, weil
ſie andere Leute wiſſen, und ſie einmal exiſtirt, über die denk’
ich nicht ſo viel. —
An David Veit, in Jena.
Ich ſchreib’ Ihnen gleich Antwort, weil ſie dann immer
beſſer wird, als wenn ich erſt warte, und weil ich Ihnen den
andern Monat gar nicht ſchreiben werde wegen Freienwalde.
Vorgeſtern nahm ich hier das letzte Bad; weil ich es vor
Schwäche nicht aushalte. Sie werden das an meiner alterir-
ten Handſchrift bemerken können. Die Verſe an den alten
Mann ſind ohne allen Vergleich beſſer als die andern, — ich
ſpreche hier wie’s mir vorkömmt, — ſie ſind ein Ganzes, Ein
Gedanke, und auch der Ton, in dem ſie gehen, gefällt mir
beſſer als der andere. — Daß Sie für Latrobe nichts Beſſe-
[138] res gemacht haben, thut mir leid; er wird’s verſtehen. Wenn
Sie etwa meiner Meinung ſind, ſo thun Sie mir den Ge-
fallen und ſagen es ihm ſelbſt; wenn Sie ſich auch par hazard
aus Ihrer poetiſchen Ehre nichts machen. Ich bitte mir auch
ein Wort über dieſe Meinung von Ihnen aus. Dieſen La-
trobe habe ich geſehen. Im Theater. Er geht ohne Puder,
und iſt kurzſichtig; ſieht melancholiſch aus; und trug einen
braunen Rock. Obgleich ich mich ſeiner Züge ſchlechterdings
nicht mehr erinnern kann, ſo weiß ich das noch. Ich hörte
von ihm, durch Jettchen glaub’ ich, die durch Zelter; bei
Faſch auf der Akademie war er auch. Man ſprach als in-
tereſſant von ihm; weil ſie aber nie wiſſen, was hübſch und
intereſſant iſt, ſo war ich ſchon dickhäutig, und gab gar nicht
Acht auf ihn, und wo ſollt’ ich ihn auch ſehen? ich kannt’ ihn
nicht. Geſchehen iſt geſchehen, darüber denk’ ich immer wie
ein großer Mann; das heißt, ich bekümmre mich um meinen
Verdruß nicht. Er muß kein Barbar ſein, denn Apoll will
ihm wohl, und er wußte ſich ihn günſtig zu machen; er muß
ein vorzüglicher, gebildeter Engländer ſein, weil er (die Schwä-
chen kann man wohl nicht gut ſagen) die Stärken ſeiner
Nation einſieht; er muß ein Menſch ſein, weil ihn Goethe
liebt. Meine Etcetera’s können Sie ſich nun ſchon denken.
Bis zu der vierten Hore glaubte ich, und glaubte auch
zu finden, daß Goethe die Unterhaltungen ſchriebe. Dieſe
letzte Advokatengeſchichte hat mich aber dekontenancirt, daß
ich in mir dieſen Glauben ſchlechterdings ausſtrich. Sollen
die ganzen Unterhaltungen etwas Ganzes ſein, nun ſo muß
ich mir dieſe Geſchichte als die Rede eines Duinmen in einem
[139] Roman oder in einer Komödie gefallen laſſen, für mich iſt ſie
nicht, ich finde ſie unerträglich, ſo recht wie vom Boccaccio.
Weiter hab’ ich darüber nichts zu ſagen; außer daß der Leſer
immer verliert, wenn man ihm ein Werk biſſenweiſe zu-
ſteckt. Vor der Geſchichte war’s hübſch in derſelben Hore.
Sie wiſſen, im Bürgergeneral erkannt’ ich Goethen an Einem
Worte. Über Meiſter werd’ ich mich wohl hüten etwas zu
ſagen: weil ich nicht kann. Wenn wir ihn zuſammen läſen,
ſollten Sie ihn gewiß anders finden als jetzt. Noch hab’ ich
kein Wort darüber geſagt — ich kann nun faſt gar nicht
mehr reden, — denn die Leute verſtehen ihn einem immer in
die Ohren hinein. Auch ich finde die Ähnlichkeit mit Aurelien;
und zuletzt nicht. Mit Jettchen aber noch weit weniger. Von
der ihrem Karakter liegt die wilde Handlung mit dem Dolche
zu weit, und auch von ihrem Geiſte, denn ſie ſetzt Phantaſie
voraus, mich trennt aber nichts davon als meine Denkungs-
art. Wenn ich einmal ganz glücklich geweſen wäre, wie
Aurelie, und mich in dieſem Glück bis zu einem Kinde ver-
geſſen hätte, ſo könnt’ ich nie wieder ſo unglücklich werden.
Was will man denn? Der Augenblick der Reife kann nicht
dauern; und ganz könnt’ ich mich nie in dem Menſchen ge-
irrt haben, dem ich mich ſchenkte. So ſicher fahr’ ich Jaſon
in meinem Wolkenwagen. Sollt’ ich ihn aber für ſchmelzbar
halten, ſo iſt auch kein Freund vor einem ſolchen Riß mit dem
Dolche ſicher. Ich wette, der Geſichtspunkt iſt Ihnen neu.
Er iſt es auch, denn ich lege den Kopf unter die Guillotine,
wenn ihn Ihnen noch Eine zeigt, Einer unmöglich! So
denk’ ich aber überhaupt über weiblich Glück; drum ſagt’ ich’s.
[140] Und ſonſt wäre ja auch meine Unähnlichkeit mit Aurelien
nicht zu verſtehen. Nun giebt’s noch viele Interims-Glücke,
die muß man gebrauchen wie man kann. Wie alles in der
Welt. „Sehe jeder wie er’s treibe, ſehe jeder wo er bleibe,
und wer ſteht, daß er nicht falle.“ Iſt man aber gefallen,
ſetze ich hinzu, und ſei’s eine Mamſell, ſo ſtehe man mit An-
ſtand und Freimuth auf, und ſuche ſich zu heilen, wenn
man nicht todt iſt. Ich ſpreche darum über alles mit Ihnen
en gros, weil Sie, umgekehrt wie gewöhnlich die Menſchen,
daraus leicht die einzelnen Fälle verſtehen, da die Andern
durch viele einzelne erſt etwas Ganzes faſſen. — In Aurelien
habe ich oft meine eigenen Worte gefunden, und noch mehr
in dem aus Leſſing Abgeſchriebenen. Das ſtreichen Sie aus,
denn da könnte mich immer einer für abereitel (aberwitzig) hal-
ten. Ich kenne Jettchens Gedanken vom Meiſter nicht. Ja
ich wäre ordentlich in dem Buche vorgekommen (wie Sie
ſagen: „Ob das Verluſt wäre!“). Wenn er auch alles er-
funden hat, Aurelien auch, die Reden von ihr hat er einmal
gehört, das weiß ich, das glaub’ ich. Es ſagt’s ja die
Prinzeſſin im Taſſo auch; nur aus einem andern Ton. Wie
groß iſt das! Gehört hat er’s aber. Die Frauen laß ich
mir nicht abſtreiten. Entweder, man denkt ſo etwas als
Frau, oder man hört’s von einer Frau. Zu erfinden iſt das
nicht. Alles andere nur Menſchenmögliche geſteh’ ich ihm zu.
Das weiß ich aber als ich. Im Grunde gefällt mir der erſte
Theil von Meiſter beſſer; im Grunde ſollte man von keinem
Werke ſprechen, welches nach und nach erſcheint, und keins
ſo herausgeben.
[141]
— Warum wollten Sie verlegen, kalt oder anders ſein
als ſonſt, wenn Sie mich ſehen? Mich dünkt es iſt alles noch
ſo wie es war. Überhaupt erinnere ich mich nie, ob etwas
vor einer Epoche, in der wir uns geſehen, oder nachher vor-
gegangen iſt. Ich behalte nur das Total, wie ich mit einem
Menſchen ſtehe, und wie er iſt. Iſt es aber bei Ihnen anders,
und Sie könnten wirklich verlegen ſein, ſo ſein Sie höflich.
Das iſt meiſt nützlich, und nie ſchädlich. — Warum wollten
Sie niemanden einen Brief ganz von mir zeigen? mir würd’
es gleich ſein, nichts davon darf ſcheuen geſehen zu werden.
Wollten Sie etwa die Wahrheiten, die ich Ihnen manchmal
ſage, oder die Art, wie wir mit einander ſind, nicht ſehen
laſſen? Ich verſteh das nicht. Könnt’ ich mich nur den
Menſchen aufſchließen wie man einen Schrank öffnet, und,
mit Einer Bewegung, geordnet die Dinge in Fächern zeigen!
Sie würden gewiß zufrieden ſein; und, ſobald ſie’s ſehen,
auch verſtehen. Warum wollten Sie nicht einen Brief ganz
von mir zeigen, und lieber alle verbrennen? Ich kann mir
gar keine Urſache denken. Beſinnen Sie ſich nur auf die
Wahrheit, ſie iſt manchmal ſchwer zu finden. Ich glaube
nicht, daß Jettchen Ihre Muthmaßungen übel nehmen würde.
Daß Schummel ſo ein Buch ſchreiben kann, iſt mir doch
nicht aufgefallen, obgleich ich ihn nur Einmal ſah, und er
witzig, ſcharmant war, und mir ſehr gefiel. Er ſchien mir
aber gleich der Sklave ſeiner Art und Erzählungsweiſe zu
ſein, und mehr, daß er ihr, als daß ſie ihm zu Gebote ſtehe.
Zum Glück hat ihn noch eine gute Art attrapirt, ſonſt wär’
er unerträglich; daß er aber in jeder andern Bahn, in die er
[142] ſich wagt, leicht fade werden kann, ſcheint mir in der Regel.
— Wozu dieſer Ausfall auf Schummel! — Das Gedicht von
Goethe auf die Knappſchaft zu Tarnowitz iſt himmliſch. Ja,
ja, Redlichkeit iſt das Wort, das ich meine, die und Verſtand,
die bahnen manchen Weg. Redlichkeit iſt Wahrheit; und
nur ein Narr liebt ſie nicht. Und wie himmliſch, „helfen“
ſagt er, ja helfen thun ſie auch nur. Die Welt findet man
fertig wie ſie iſt. Die Wege muß man ſuchen. Noch Eins!
wie göttlich paßt dies alles im Allgemeinen, mit jedem Wort
und wie ganz für den Fall und die Knappſchaft, ſogar ſelbſt
für die moraliſch-verſtändlich: und wie ſchön, umgekehrt, ſieht
man erſt bei einer zweiten Überſicht, daß es auch für dieſen
einzelnen Fall anpaſſend gilt. Es iſt ein wirkliches Gedicht,
dieſe Zeilen, jedes Wort iſt dichteriſch, es iſt ein Ganzes und
iſt eine allgemeine Wahrheit. Es fängt ſo fragend, ſo phan-
taſtiſch an, und ſchließt ſo bündig; und die Wahrheit iſt ſo
grabend, und ſo tief wie ein Bergwerk ſelbſt. Kurz, mir
ſcheint’s ſehr poetiſch: und ſo orakelartig, wie die Dichter
ſprechen ſollten. In dieſen Zeilen hat er auch wieder die
ſtille Natur, und die bewegte Welt, und dann die Wahl, die
einem bleibt, berührt. Mehr giebt’s doch nicht. Ein wahrer
Dichter muß an die äußerſten Enden greifen — bezeichnet er
den Taſſo ſelbſt; den hab’ ich ſtudirt, wie er Hamlet — und,
dieſe bei jedem kleinen einzelnen Fall immer natürlich berüh-
ren, iſt ein großer Dichter. Ich bin ſchon wieder in Goethe
hineingekommen: dann muß man mir vieles verzeihen. Ich
werd’ Ihnen ſchon einmal ſagen wie ſo. In einem Briefe
[143] klänge mir das zu ſchön. Sie kennen doch von der Art Ge-
ſichter, die zu ſchön ſind? —
Wenn Sie etwas von einem Auflauf, es ſei aus welcher
Zeitung, oder von dem erſten Menſchen hören, der hier war,
ſo glauben Sie nichts, als daß betrunkene Schneidergeſellen
Händel mit einem Scheerenſchleifer in der engen Lappſtraße
am dritten Feiertag ſuchten und bekamen, weil er vor ſeiner
Thüre ſchliff; er wehrte ſich, es miſchten ſich nach und nach
alle Schneider und Geſellen jeder Zunft darein, demolirten
ſein kleines Häuschen, eh’ Polizei und Hülfe kam, widerſetz-
ten ſich der Wache, die ſehr verdoppelt wurde, ihnen aber
nichts thun durfte, weil man nicht Muth ſie zu reizen hatte.
Den andern Tag hat man den aber von Potsdam bekommen,
und nun ſitzen die meiſten ſchon, ſollen hängen und allerhand.
Es wurde ausgetrommelt, ſich nicht zu attruppiren, das war
vorgeſtern; den zweiten Tag wurde Lärm geſchlagen um die
Soldaten zu verſammeln, und die neugierige müßige Menge
auseinander zu treiben, und unter die Kerle gehauen und ge-
ſchoſſen wie nichts Gut’s. Leider einen Tag zu ſpät. Sie
forderten immer ihre Gefangnen heraus, wer das that wurde
ſogleich ſelbſt einer. Kein Straßenjunge giebt ihnen Recht:
und jeden ärgert als geſitteten Preußen die dumme Ge-
ſchichte; außer die witzigen Unholde in der Geſellſchaft; die
verhaßten! —
[144]
An Guſtav von Brinckmann, in Berlin.
Es iſt recht und billig und klug und gut, wenn ich Ihnen
ſchreibe, wenn ich mich auch nicht für das Buch gehörig be-
danken kann; erkenntlich werd’ ich mich doch gewiß für Sie
zeigen, indem ich nur ſo ſchreibe. Was iſt intereſſanter als
ein neuer Menſch!? alſo Hr. von Burgsdorf zuerſt. Ich danke
Ihnen; für die Idee, mir ſeine Bekanntſchaft machen zu wol-
len. Sagen Sie ihm, wir kennten uns ſchon. Goethe wäre
der Vereinigungspunkt für alles was Menſch heißen kann,
und will; ich hoffte aber, unſre nähere Bekanntſchaft würde
ſich noch weiter zu meinem Vergnügen, und gewiß mit kei-
ner Unannehmlichkeit für ihn ausbreiten. Ich kenne aber
Burgsdorf übrigens; und weiß von ſeinen Freundſchaften u.
ſ. w. — Erwarten Sie ſich nur die unzuſammenhängendſten
Fragen, und ja keinen Brief. — Es ſchreibt mir niemand.
Denn ich ſoll immer die Beſte bleiben, ich mag’s ſo ſchlecht
machen, als ich will. Weil ich aus Grundſatz, aus Regime,
aus Plan — einmal nicht ſchreibe, ſo ſchreiben ſie mir Alle
wieder nicht. So machen ſie mir’s immer: ſie thun, was ich
mit Urſache thue, ohne Urſache: und aller Tadel fällt auf
mich zurück; und alle Vertheidigungen bleiben ſie rüſtig ge-
nug zu behalten, und zu gebrauchen. Glauben Sie nicht, daß
ich mir übrigens etwas daraus mache; denn was könnte ich
erfahren. Die Zwei, die mir allenfalls was ſchreiben könnten,
ſchreiben mir nie; Jettchen und die Veit: und alles andre —
von Geſchichten, Intereſſe, Verſtand, und alles was mir
ange-
[145]angenehm ſein kann — haben Sie mir in den zwei Brie-
fen zukommen laſſen. Es war alſo nur dem Schickſal ein
Vorwurf ohne Leidenſchaft.
Lieber B. wie gefall’ ich Ihnen mit meinem neuen Karak-
ter? Sie werden doch wohl wiſſen, daß es kein neuer iſt.
Sich es wenigſtens erinnren. Denn immer hab’ ich Ihnen
geſagt, ich lebe nur derweile ſo, ich thu’ noch einmal ganz
was anders. Dies — iſt noch gar nichts. Das leiſeſte
Präludium. — Apropos, ſagen Sie doch Burgsdorf, daß ich
sauvage bin, und daß man alles mit mir ſprechen kann, da-
mit wir das eklige Bekanntwerden übergehen, und gleich à
notre aise ſind —. Die Frau, bei der ich eigentlich hier ge-
blieben bin, iſt offenbar eine der erſten. Sogar mit Einem
Fuß auf wildem Boden, — und kann ſie ſich nicht entſchlie-
ßen, den andern nachzuheben, ſo iſt’s, daß er auf lieblichſtem
Gefild unter den duftendſten wohlthätigſten Blumen ſteht,
von denen es jeder milden Seele hart ſcheint davon zu wei-
chen, und ſich in der lichtleeren, ſchmeichelloſen Weite zu ver-
fangen, wohin auch mein Muth mich nicht hätte treiben kön-
nen, wenn die Wahrheit mich nicht hingeſtoßen hätte.
Bis hierher konnt’ ich die lange, lange Zeit nur ſchrei-
ben, und dieſes Büchelchen ſchrieb ich geſtern. Dieſe Frau
alſo wäre fertig, wenn — ſie ganz unglücklich geweſen wäre.
(Verſtehen? Sie mich? O! nur diesmal, denn diesmal kann
ich nicht erklären.) Nicht daß ſie Vorurtheile des Standes,
oder irgend einer Art, oder Rückfälle hätte! alle häßlichen
I. 10
[146] hat ſie abgelegt, aber in die ſchönen, rücklings-bigoten iſt ſie
noch verliebt; und mit Verliebten iſt nicht zu traitiren, wiſſen
Sie wohl — und ich kann’s am wenigſten. Hingegen —
iſt ſie aber, eine der liebenswürdigſten Kreaturen, blond, blau-
äugig, mit Phyſionomie, Wuchs, Grazie, Karakter, Ausdruck,
kurz, wenn ſie länger in Berlin bliebe, als zwei Tage, ſo
wären Sie den unbequemſten Gaſt, das ſogenannte Herz, auf
einmal los.
Denken Sie ſich — wie ich hier lebe; (um dieſe Gräfin
Pachta bin ich hiergeblieben, und um zu brauchen, um Luft,
Geſundheit, um viele kleine Urſachen — Goethe ſagt, im Götz,
jedes Ding hat ein paar Urſachen —) ich wohne aber nicht
bei ihr, ſondern neben ihr an, ganz allein mit einem Mäd-
chen, eſſe Mittag und Abend allein, kurz, bin Wind und Wel-
len überlaſſen: und komme mir doch nicht verlaſſener als zu
Hauſe vor. So verlaſſen ſchein’ ich mir immer. Iſt es Glück,
iſt es Unglück: ich weiß es ſelbſt nicht. Ich will’s indeſſen
für Glück halten — da man doch alle Tage unglücklich wer-
den kann, ſo iſt doch beſſer, man iſt’s vorher. Überhaupt
ſollte man ordentlich meinen, ich ſei jetzt glücklich; und ich
kann doch nur nicht mehr wünſchen; und weiß es giebt kein
Glück, will lieber einmal dumm, als in Schmerzensgefühl le-
ben, mich wieder geſund werden laſſen, und neue Ideen ſamm-
len. Das iſt alles. Ich weiß nicht, es iſt als wär’ vor vie-
len Jahren etwas in mir zerbrochen worden, woran ich
nun ſelbſt eine boshafte Freude hätte, daß man es doch nun
nicht mehr zerbrechen kann, und nicht daran zerren, ſchlagen;
obgleich es nun ein Ort geworden iſt, wo ich ſelbſt nicht mehr
[147] hinkommen kann. (Und iſt ein ſolcher Ort in einem, ſo
kann man gleich nicht glücklich ſein.) Ich kann mich auf
nichts mehr beſinnen; und gelingen mir Kleinigkeiten nicht,
ſo muß ich im Augenblick mir ſo eine Raiſon darüber machen,
daß es kein Anderer glaubt, und ich mich darüber erſchrecke.
Glauben Sie nicht, daß ich im Enthuſiasm ſpreche und etwas
vergeſſe; nein, ich denke wohl an Goethe. Ich weiß, daß
wenig Menſchen ſo deutlich und dunkel Glück fühlen kön-
nen, — ich weiß nur nicht mehr was welches iſt — aber we-
niger hat mich das rohe — Vollgefühl — laſſen Sie mich
dieſes Wort brauchen — ihn zu ſehen und zu genießen, be-
glücken können, — denken Sie ſich dieſes Leider! nach ſol-
chen Wünſchen — als der vernünftige Gedanke, nun biſt du
doch auch einmal glücklich, du haſt doch auch Glück, ſo iſt
das lange Leben doch durch einen Punkt für dich. Denn es
iſt ſchrecklich ſich für die einzige alles verunglückende Krea-
tur halten zu müſſen: und das that ich, denn außer das
iſt mir meines Wiſſens nie etwas geglückt. Nun hab’ ich
noch dabei die Idee, daß jedes und alle Dinge eigentlich
zu etwas Gutem geſchehen — wenn es auch erſt in Ewigkei-
ten dazu wird — Thorheit iſt das gradezu nicht, denn ich
kann auch anders denken — das iſt aber immer die Haupt-
ſache, um die es ganz ſo und nicht anders geſchieht, und
dann hat’s noch durch Harmonie guten Einfluß auf alle Ne-
bendinge. Die Hauptſache ſchien aber, diesmal, ich mir.
Denn was konnte einem ſenſationfähigen Geſchöpf lieber ſein,
alſo wozu Goethe’s Reiſe noch beſſer, daher bin ich die Beſte,
diesmal, und um mich iſt dieſe Wunderbarkeit geſchehen —
10 *
[148] wie denn jedes Evenement eine iſt, weil es ſo und nicht an-
ders geſchieht — ich mußte mich Dienstag entſchließen, Mitt-
woch nach Karlsbad zu gehen, mußte plötzlich einen neuen
Karakter bekommen, ſtarkes Hüftweh einen Tag vorher; Goe-
the, der in eilf Jahren nicht in Karlsbad war, mußt’ auch
denken, und hinreiſen, in dieſen kleinen Berg-Einſchuß, wo
ich grade bin, und die Welt iſt ſo breit, ſo groß. Und das
iſt nicht Wunder? das iſt nicht Glück? Zwar — heut, könn-
ten Sie glauben, ſag’ ich Ihnen alle meine Thorheiten —
ich habe immer eine Idee. Nämlich ich kann mir eigentlich
gar nicht erklären, was Bewegung iſt. Wenn ich nach etwas
lange, greif’ ich es, und nehme es. Ja das iſt gut; aber wie
iſt das. Nun denk’ ich mir immer, alles hat Wirkung, was
nur ſo exiſtirt und geſchieht: und Wünſche ſollten keine ha-
ben? Ich denke mir immer, Wünſche mit Sinn, gute Wün-
ſche, von den wahr-innigen, wo man ſo denkt ſie müßten
Sterne herabziehen, und die ganze Welt wäre doch eigentlich
dazu eingerichtet, müßten auch was zuwege bringen können.
Ich denke mir, ſie gehören ſo in die Harmonie der Dinge,
daß ſie auch wirken. Denn obgleich nichts recht iſt, ſo ſieht
man doch, in dem Wirrwarr der krummen Linien, die gra-
den, die ſie machen ſollten. Und mich dünkt, beharrliche Wün-
ſche können auch etwas. Oder war das nicht eigentlich das
größte Recht, daß ich Goethe ſah. Wer ſoll ihn denn
ſehen, immer ſeine Wäſcherin, und Hausknechte, und vornehme
Leute, und Menſchen, die über den Urſprung der Steine und
über Recht ſchreiben und ꝛc.? Ich danke Ihnen auch wie ich
ſoll, und wie Sie’s nur wünſchen können, für den An-
[149] theil! Es iſt mir lieb, daß Ihnen mein Bruder den Brief
mitgetheilt hat. Ich bedaure Sie innigſt, und wie ein Sach-
verſtändiger, wegen der Zähne — den Kopf ſollt’ ich lieber
ſagen, wo haben Sie den gehabt — und der Perücke; es iſt
ſchrecklich! Vergeſſen Sie ja den Fuß nicht, um G —
willen ziehen Sie nicht aus, und wenn Sie’s möglich machen
können, ſo laſſen Sie dieſe Perücke auch nicht in Ihr Haus
ziehen. Beobachten Sie vor allen Dingen, äußerſt wenig
mit dieſem Redoutablen zu ſprechen, das garantirt Sie doch
wenigſtens vor der Hand, auf keinen eigentlichen Fuß mit
ihm zu kommen. Und dann amüſiren Sie ihn auch nicht.
Überlegen Sie’s nur, es iſt von allen Seiten gut. Geht’s aber
gar nicht, ſo komm’ ich Ihnen zu Hülfe, und heirathe ihn.
Iſt Humboldt noch in Berlin? Und Ihr Nachbar iſt weg.
Schade! Das kommt vom Spekuliren! Die Gräfin Pachta
iſt eine Freundin des ſauvagen Hrn. von Heß, Ihrem Freund
aus Hamburg. Endes oder nach Auguſt komm’ ich wieder.
Das wird auch gut und ſchlecht ſein, jetzt iſt es auch gut
und ſchlecht. Meinen Freund Gualtieri hab’ ich noch hier.
Leben Sie wohl! Ich bin’s übrigens. Apropos, es iſt eine
ſehr junge, hübſche, liebenswürdige Schwägerin von dem Men-
ſchen Bernſtorff hier. Meyers kommen in ein paar Tagen,
hat mir die Bernſtorff geſagt. Adieu.
Ihre R.
Leben Sie wohl, Und halten Sie es nur für viel,
daß ich Ihnen bei kaltem Blute, heute, die Scharteke ab-
[150] ſchicke. Wenn Sie ſie erſt werden dechiffrirt haben — und
können Sie nicht, ſo thu’ ich’s mündlich — ſo wird es Sie
doch amüſiren. Ich frankire den Brief nicht, weil er beſſer
ankömmt.
An David Veit, in Jena.
Mich dünkt ich hab’ Ihnen den konfuſeſten Brief von
der Welt geſchrieben: und dieſen nachſchicken, könnte nicht
ſchaden. Wie es kam, wiſſen Sie; die Zeit war zu kurz:
und indem ich ſchrieb, wußt’ ich, daß ich etwas anderes ſa-
gen wollte, und ließ die Feder immer laufen, aus Mattigkeit,
damit Sie doch nur etwas bekämen. Ich beſinne mich auch
nach der Zeit auf das, was ich Ihnen geſchrieben hatte; ſo
glücklich kömmt es mir doch eben nicht vor. Im Gegen-
theil. Mich dünkt, ich freue mich ſo ſehr, nicht unglücklich
zu ſein, daß ein Blinder müßte ſehen können, daß ich gar
nicht glücklich ſein kann. Ich meine das leidende Glück.
Wobei man leidet, nichts thut. Das iſt Glück; und zu dem
hab’ ich ſogar die Fähigkeit verloren. Auch ſprachen Sie von
dem ruhigen. — Aus eben der Urſache iſt’s ja, daß ich mich
gar nicht blindlings von einem Menſchen kann einnehmen
laſſen; darum bet’ ich ja nicht an. Sie wiſſen ja, daß ich
alles ſehe — wie ich Ihnen in der Komödie ſagte — denn
ſonſt wär’ ich ja in Goethe verliebt, und ich bet’ ihn ja nur
an. — Das „Nur“ iſt hier kein Unſinn. — Ich hab’ in mei-
nem vorigen Briefe geſagt, daß ich zu gut wüßte, was bei
[151] manchen Gelegenheiten im Menſchen vorgehen könnte, um
daß ich mich je zieren würde, aber ich hab’ es ſo geſagt, daß
Sie mich mißverſtehen müſſen. Ich meinte es in der Art:
daß ich nie etwas übel deute oder nehme, weil es Andere
thun, und man es bei der Gelegenheit zu thun pflegt, oder
ſich hier effarouchiren müßte; ſondern ich ſei gewöhnt alles zu
unterſuchen, was in mir vorgeht, wie es wohl bei Andern
kann gegangen ſein, was ich von ihnen wahrnehme; und wie
ich das wiederum am beſten nehmen könnte. Wie könnt’ ich
alſo wild aufflattern, wo die Rede nur unter vernünftigen
Menſchen iſt, und von vernünftigen Dingen, und grade mit
meinem eignen Flüchten das einzige Geräuſch, den einzigen
Sturm erregen, der hier möglich iſt. Sie ſind anders wie
ich. Was iſt denn nun da? Iſt es nicht genug, daß wir in
ſo vielen Dingen gleich denken, uns immer ſchnell berichti-
gen können, ſollen ſie noch gleich in uns vorgehen? Das geht
nicht; wie geſagt. Die Ordnung wäre zu groß, und dann
ſchien’s als wäre die Welt darum da. Und ich ſehe auch den
Grund dieſer Unmöglichkeit zu gut, zu deutlich ein, als daß
ſie mich mehr aufbringen ſollte: im Gegentheil, ich hab’ uns
von jeher für zu verſchieden gemacht gefunden, als daß ich
unſere jetzige Übereinſtimmung nur hätte hoffen dürfen, denn
mir ſcheint’s doch, als gingen die Dinge in uns ganz anders,
ſehr verſchieden, wo nicht umgekehrt, übereinander. Die Re-
ſultate werden oft gleich das Ende. Daher dünkt mich iſt
unſre Freundſchaft ein wahrer Triumph — der einzig genieß-
bare für mich — das Produkt zweier vereinigt vernünftigen
Weſen, die, ſie mögen weichen und wandeln, ſich unbezwei-
[152] felt bei der Wahrheit wiedertreffen, wohin ſie immer kehren,
die ſie immer im Ernſte ſuchen. Unterſuchen Sie einmal die
ėklatanteſte Liebe — was man ſo nennt — was iſt denn die?
Augenblickliches Übereinſtimmen — meiſtens bei einer Irrung
gegründet, fortgeſetzt, beſiegelt, und verſchwunden — was ſie
denn für recht himmliſch und mit Wuth feſt halten, je weni-
ger Grund ſie wider die Unzuverläſſigkeit deſſelben aufzufin-
den ahnden. Nicht daß ich die Liebe von dem ganzen Wahr-
heitsboden wegzuräſonniren dächte! (Gott behüte, ich bin einer
der größten Sklaven und Anhänger des himmliſchen Kindes),
nein; ſie findet nur bei gewiſſen Freundſchaften — ich habe
kein ander Wort — nicht Statt, und mit denen zuſammen
iſt ſie zwar die größte Idee für Menſchen und ihre Verhält-
niſſe; hingegen iſt ſie mir bis jetzt ’auch nur als ſolche be-
gegnet. Ich komme mir recht vor wie ein irrer Menſch; dem
man ſeine Tollheit ausreden will, man ſchwatzt, man beweiſt,
er verſteht, giebt Recht, und beweiſt zuletzt, wieder daraus,
ſeine eigne Behauptung. So bin ich auch; denn eben wollt’
ich Sie fragen, hab’ ich nun nicht Recht, daß ich liebe wo ich
kann oder muß, und meine Freunde wieder beſonders betreibe?
Kurz! Was liebt man? Das Schöne und Gute. Wo liebt
man’s? Wo man’s findet. Wann liebt man’s? Wenn man’s
findet. Alſo ſeitenweiſe, ſeitenweiſe: wie uns die ganze Welt
erſcheint; mein Fehler iſt es nicht; es mag ein Zuſammen-
hang in ihr ſein, uns erſcheint aber auch nicht der rechte.
Und daß mir dieſe Wahrheit als der einzige erſcheint, den ich
finden kann, macht, daß ich nicht kann. Und nun iſt die
Tollheit aus. Nun ſtreiten Sie noch einmal von vorne!
[153]
Sagen Sie einmal, lieber Veit, iſt Ihnen wohl ſchon ein
ungebildeter Menſch in meiner Art vorgekommen? Mir noch
nicht. Andere, die etwas nicht wiſſen, denen iſt auch dieſe
Unwiſſenheit unbekannt, und die ganze Sache, die es betrifft;
bei mir aber ganz anders; ich kenne die Unwiſſenheit, die
Sache, mich, die Mittel, und bleibe doch wie ich war. Mir
fällt das bei dieſem konfuſen Brief wieder ein, wo Sie mir
gewiß die Gedanken noch heraus klauben werden, worum ich
Sie auch bitten wollte. Wie kann man ſo genau, ſo pünkt-
lich, ſo gründlich, ſo äſthetiſch möcht’ ich faſt ſagen, wiſſen
was ſchön geſchrieben iſt, und ſich ſelbſt nicht beſſern: ſogar
mein Geſchmack, mein Urtheil beſſert ſich, und ich ſpreche
ſchlechter, als die geringſte Frau, die drei Friedrichs von Sieg-
fried geleſen hat. Jeder kann beſſer ſchreiben und reden, mit
viel dümmern Gedanken, Ich fühl’ das alle Tage; und zu-
letzt ärgert’s mich doch. Wenigſtens möcht’ ich die Urſache
begreifen, da mir die Einſicht nicht fehlt. Ich goutire jedes
„Und“, „Wohl“, „Denn“, das mindeſte Wörtchen; weiß
ſo ſchön den Unterſchied bei Dichtern zu finden und bei Schrift-
ſtellern, weiß ſie zu karakteriſiren, zu klaſſifiziren, viel beſſer
als Andere; und ich glätte mich doch nicht aus, beſſere mich
nicht. Ich weiß genau, wenn ich einmal einen Perioden
gut geſchrieben habe, aber das hilft mir nichts. Sprechen
thu’ ich gar wie eine Rotüriere. Wenn ich nicht noch origi-
nelle Gedanken hätte, müßten die Unwiſſendſten ſagen, ich
ſei’s. —
[154]
An Guſtav von Brinckmann, in Berlin.
— Geſtern früh ſchickt mir der Prinz de Ligne für Sie
dieſe Verſe hier, und die ich vortrefflich finde; genug ich gou-
tire ſie ohne ſie loben zu können, wie mir das immer geht.
Aber es freut mich, Ihnen Einmal in meinem Leben mehr als
ſchlecht abgefaßte Dankſagungen ſchicken zu können. Ich habe
dieſe Verſe und die Ihrigen jedem hier gezeigt, der es werth
iſt. Die Gräfin Pachta findet ſie außerordentlich. Zeigen Sie
ſie wenigſtens Mad. Liman und meiner Familie, und dem
Prinzen Louis, weil er alles goutirt.
Es iſt mir leid, Burgsdorf nicht in Berlin zu finden, und
noch mehr, die Bekanntſchaft der Frau von Humboldt zu
verſäumen. — Ich bin außer mir vor Freude, daß Mad. V.
Frieden geſchloſſen hat. Gottlob! ſo wird man doch wieder
einen Menſchen ſehen; der allein denkt, handelt, fühlt; und
den die Andern eigenſinnig nennen. Wenn’s ihr nur gut
geht! denn ich kann mir gar nicht denken, daß die Urſachen,
die ſie in Berlin quälten, zur Hölle zurück ſein ſollten. —
Ich hab’ einen Grafen Einſiedel kennen lernen, der mit
Ihnen auf der Schule war, in Italien gereiſt iſt, und jetzt in
Dresden iſt, wo ich ihn ſehen werde. Von hier iſt er ſchon
lange weg. Er gefällt mir; er verſteht Muſik, und liebt
Wahrheit.
Wollen Sie wohl einen Gedanken, den ich hatte — Sie
haben mir dies ſchon ſo lange proponirt — in hochtrabende
[155] Verſe oder Reime bringen? ohne Reime, glaub’ ich, wär’s
noch hübſcher. Es war nämlich vorgeſtern Illumination hier,
und wir ſaßen an Einem Ufer des Teichs, um ſie am andern
zu ſehen. Ich aber, anſtatt die Lampen anzuſehen, ſah flei-
ßig in’s Waſſer und an den Himmel; und da ſtand oben ein
heller ſchöner Stern, hoch und unbeweglich. Im Waſſer war
er auch ſchön, aber er rührte ſich mit dem Winde, wechſelte
oft ſeine Form, und war manchen Augenblick trüb. Da fiel
mir ein, ſo ſei’s mit den Menſchen; man beurtheile ſie weit
von ſich ab, in ihren Verhältniſſen, da müſſen ſie ſich regen
und bewegen, haben keine Form, und ſcheinen trübe. Indeß
man ſie eigentlich gar nicht ſieht, die feſt ſtehen müſſen wie
der Stern, wir ſehen nur immer ein windiges bewegtes Waſ-
ſer, und heben den Kopf nicht in die Höh. Mir gefällt der
Gedanke: und daß er mir eingefallen iſt, dafür kann ich nicht.
Wenn Sie dieſen Brief haben, können Sie mir keinen
mehr ſchreiben, der mich trifft. Ich bin nicht ganz geſund
— das hofft’ ich nicht einmal — aber ich bin viel beſſer; und
tanze unter andern wie eine Pikniks-Mamſell. Geſtern erſt
wieder tüchtig; und Sonntag auch, und künftigen wieder, und
ſo immerfort. Ein Schmerz iſt es aber doch, alles ſo allein
zu genießen, zu ſehen, zu hören! wie ich! Ich thu’ es zwar
nicht — aber — doch. Ein ganzes Leben hab’ ich allein ge-
lebt. Ja, wenn ich nie einen Berliner wiederſähe, ging’s
auch an; aber ſo — fehlt ihnen nun das alles. Adieu. Viel-
leicht ſchreib’ ich morgen, wenn es Zeit iſt, noch ein Wort.
R. L.
[156]
Apropos, le prince de Ligne a dit quelque chose de moi
en prose, qui me flatte infiniment plus que tous ses vers;
c’était à l’occasion de l’illumination, pour laquelle il m’avait
promis de venir me prendre à huit heures, mais il restait à
un thé jusqu’à neuf heures, et lorsqu’on lui disait qu’il oubli-
ait sa promesse etc. il dit: „Ah! je la connais si hien, que
je lui voudrais manquer tous les jours!“ Il a aussi dit que
je suis la meilleure amie. Donc il ne faut plus en douter. —
An David Veit und Horn, in Jena.
Dieſen Moment erhalt ich Ihren Brief, komm’ aus dem
Bade, und die Poſt will auch ſchon weg. Übermorgen reiſe
ich nach Dresden; den 17. komm’ ich zu Haus. Da find’
ich erſt die Briefe, die nach Berlin gegangen ſind. Die Stelle
„ſie ſchwuren ſich, entzückt, doch unſchuldsvoll, im Antlitz des
keuſchen Monds, was man nicht ſchwören ſoll,“ iſt von Wie-
land; darum Verſe tout faits. Zur Gräfin Pachta können
Sie immer gradezu, meinen und Ihren Namen nennen. —
Mit uns, lieber V., bleibt’s beim Alten; das heißt, es wird
immer beſſer. Sie haben Recht.
Kammen Sie nun, Harn! Das, dünkt mich, iſt der ſchönſte
Brief. — Sie kommen aber unverändert und unüber-
legt, nach wie vor, nach Berlin, Horn! Sorgen laſſen
Sie mich.
Sie haben mich glücklich gemacht, meine Herren! Mit
Goethe. „Ich hofft’ es, ich verdient’ es nicht.“ Beinah
[157] möcht’ ich ſagen, ich faſſ’ es nicht. Nämlich, ich wundere
mich ſo. Wie ſo kann er wiſſen, daß ich Empfindung habe!?
Niemanden hab’ ich mich in meinem Leben weniger in irgend
einer Art zeigen können, als ihm. Durch Zeitumſtände; und
Menſchen; liebe Menſchen. Doch ſchweigen wir davon.
Wie von allem Redewerthen. Er iſt Goethe. Und was ihm
ſcheint und er ſagt, iſt wahr. Von mir ſelbſt glaub’ ich ihm.
Ich ſeh ihn ſchon einmal wieder, das andere Kurjahr. Wenn
Sie ihn, vor Berlin, ſehen, Horn, ſo grüßen Sie ihn, von
dem Menſchen, der ihn immer angebetet, vergöttert hätte,
auch wenn ihn niemand rühmte, verſtünde, bewunderte. Und
wenn er ſich wunderte, daß ein gemäßigtes Mädchen ihm eine
anſcheinende Extravagance ſagen ließe; ſo ſollt’ er’s nicht
thun, und lieber bewundern, daß ſie ihn ſo reſpektirte, daß
es einen Reſpekt gäbe, der ſie allein zurückhielte, es ihm
nicht zu ſagen. Sagen Sie ihm, es wäre nicht Affektation,
ſondern Pflaumenweichheit! Überhaupt könnt’ ich nicht dafür,
daß die Andern alles affektirten, was ich im Ernſt meine.
Hab’ ich Recht? Ja, ja, ich bet’ ihn an. —
Anmerk. Veit hatte an Rahel geſchrieben:
— „Den zweiten Tag nach unſrer Ankunft war Ball, und Goethe
kam mir entgegen, mit den Worten: „Nun, wie geht’s Ihnen denn, lie-
ber Herr Veit? Sie haben ſich hierher gemacht; ſehr recht. Wo kommen
Sie denn jetzt her“ u. ſ. w. Als ich ihm hierauf geantwortet hatte, und
ihm ſagte, daß ich in Töplitz acht Tage geweſen, und hingereiſt wäre, um
Sie zu ſprechen: „Ja da haben Sie wohl recht gethan, verſetzte er, wenn
Sie ſie in langer Zeit nicht geſehn hatten; freilich — Ja es iſt ein Mäd-
chen von außerordentlichem Verſtand, die immer denkt, und von Empfin-
dungen — wo findet man das? Es iſt etwas Soltenes. O wir waren
auch beſtändig zuſammen, wir haben ſehr freundſchaftlich und vertrau-
[158] lich mit einander gelebt.“ Zu Horn, der ſich ihm von ſelbſt präſentirte,
hat er geſagt, Sie hätten ſtärkere [Empfindungen], als er je beobachtet
hätte, und dabei die Kraft ſie in jedem Augenblick zu unterdrücken; und
noch mehr, (ich war nicht zugegen).“ — —
Horn hatte ſo berichtet:
— „Wenn es uns auch gleichgültig iſt die Meinung der Menge von
uns zu erfahren, ſo iſt es uns deſto intereſſanter, die Meinung eines lie-
benswürdigen und geliebten Menſchen zu hören; hier iſt ſie! — Ich ſagte
— ich weiß nicht mehr was, und wüßte ich es auch, wär’s doch hier un-
bedeutend — darauf antwortete Goethe: „In, es iſt ein liebevolles Mäd-
chen; ſie iſt ſtark in jeder ihrer Empfindungen, und doch leicht in jeder
Äußerung; jenes giebt ihr eine hohe Bedeutung, dies macht ſie angenehm;
jenes macht, daß wir an ihr die große Originalität bewundern, und dies,
daß dieſe Originalität liebenswürdig wird, daß ſie uns gefällt. Es iſt
nicht zu läugnen, es giebt viele wenigſtens original ſcheinende Menſchen
in der Welt; aber was ſichert uns dafür, daß es nicht bloßer Schein iſt?
daß das, was wir für Eingebungen eines höberen Geiſtes zu halten ge-
neigt ſind, nicht bloß Wirkung einer vorübergehenden Laune iſt? — Nicht
ſo iſt es bei ihr; — ſie iſt, ſo weit ich ſie kenne, in jedem Augenblicke ſich
gleich, immer in einer eigenen Art bewegt, und doch ruhig, — kurz, ſie
iſt was ich eine ſchöne Seele nennen möchte; man fühlt ſich, je näher
man ſie kennen lernt, deſto mehr angezogen, und lieblich gehalten.“ —
Dies war’s, was ich Ihnen ſo gern ſelbſt ſagen wollte; nehmen Sie es,
wie es iſt; ich habe ſeine Worte, wo mein Gedächtniß mich nicht verließ,
beibehalten. — Meinen ſchönſten Werth habe ich hingegeben; ich muß,
wenn es mir möglich iſt, noch einmal zu Goethe nach Weimar um Worte
köſtlichen Sinnes zu ſammeln, um die Weisheit in ihrer liebenswürdig-
ſten Geſtalt noch viel aus ſeinem Munde zu hören. Wie hat ſich meine
Meinung von ihm geändert, ſeit ich im Karlsbad war; ſchon deßwegen
iſt es mir lieb, da geweſen zu ſein. — Wir ſprachen weiter, und kamen
auf Ihre große Liebe zu ihm als Dichter: „Es iſt mir doppelt lieb, ſagte
er, denn es iſt bei ihr keine allgemeine Idee; ſie hat ſich jedes Einzelne
deutlich gemacht. Eine allgemeine Idee beweiſt größtentheils, daß wir
unſre Würdigung des Dichters aus der Meinung Anderer nehmen; haben
wir uns aber jedes Einzelne deutlich gemacht, ſo zeigt das natürlich, daß
wir ſelbſt rein empfunden und deutlich gedacht haben.“ —
[159]
An Guſtav von Brinckmann, in Berlin.
Ich lebe in allem Betracht, lieber Brinckmann, denn ich
leide ſo ziemlich, bin unpäßlich und habe chagrin; aber es
ſchadet nichts. Meine Wunderäugige ſah ich geſtern zur
Probe, und wenn ich mich von einem Gang-Spaziren werde
erholt haben, ſo will ich ſie beſuchen. Es iſt ſchrecklich! ich
bekomme wieder eine neue Paſſion für dieſe Frau. Das fehlt
mir noch. „Schrecklich dacht’ ich’s mir, und ſchrecklicher iſt’s
noch geworden.“ Taſſo. Ich hörte viel von ihr, aber nicht
das Rechte, aber ich verzeih’ es; denn ich würd’ es auch nicht
ſagen können.
Wiſſen Sie, was das Komiſchte iſt, durch ſie, die mir
doch fremd ſein ſollte, fühl’ ich mich Humboldt verwandter.
Es giebt alſo Zauber; denn es iſt erlaubt, das ſo zu nennen,
was man ſich nicht deutlich machen kann. Folgen Sie nur
meinem Beiſpiel, ruhen Sie ſich, und dann gehen Sie in
Geſellſchaft.
An Guſtav von Brinckmann, in Berlin.
Lieber Brinckmann, mir zittern die Hände, alſo kann ich
Ihnen nur ſagen, daß die Frau von Ha. nur vierzehn Tage
hier war, wovon ich ſie acht ſah, dann ging ſie wieder auf
vierzehn nach Töplitz. Sie ſagte mir in Karlsbad, daß Ma-
riane mit dem Bruder und der Schwägerin auch hieher kom-
[160] men wollen, und grämte ſich, ſie nicht erwarten zu können.
Sie ſind aber noch nicht hier. Ich glaub nicht, daß ſie kom-
men. — Ich grüße Sie freundlich und danke Ihnen, ſchreiben
kann ich nur nicht. Sagen Sie Frau von Humboldt daſſelbe;
und daß ihr Brief rein und unerfleht und unerwartet — für
mich — wie ein Glück gekommen wäre. Denn ich hätte nicht
geglaubt, daß ſie mich ſo lieb hätte: und freue mich immer-
meg damit. Sagen Sie ihr, daß auch ich ſo etwas nicht
umſonſt ſage und wenn es nicht wahr iſt. Seit vorgeſtern
hab’ ich Burgsdorf. — Mit den erſten Kräften, die zum
Schreiben hinlänglich ſind, ſchreib’ ich der Humboldt. Adieu.
An David Veit, in Halle.
Wie geht’s Ihnen denn, lieber Veit? Ich — finde mich
ſo nach und nach wieder, und beſſer. Sogleich ruf’ ich Sie
an. Sie ſind mir wohl gar böſe? Thun Sie das nicht: ich
bin und bleibe Galeerenſklave. Ich habe viel in Karlsbad
von der Kur gelitten; ſie hat mir doch aber ſo gut gethan,
daß ſie mich ſogar geſtärkt hat. C’est tout dire von Karls-
bad; nun weiß ich aber genau, was ich auf immer von
meiner Krankheit zu denken habe, und auch zu thun. Von
heut an bleib’ ich noch wenigſtens fünf Wochen hier. Hier
bin ich gern; ſogar das Wetter iſt immer rein und heiter
hier. Schreiben macht mir noch einigen Schwindel und Dröh-
nen. Leben Sie wohl! werd’ ich jemals geſcheidt, und beſchäf-
tige mich wieder, ſo ſollen Sie gewiß hören, wie, Auch wenn
mir
[161] mir ſonſt etwas begegnet. Die Gräfin Pachta iſt nicht hier,
ſie beſuchte mich aber in Karlsbad, und ſprach viel von Ih-
nen. Die Bernard aus Breslau iſt aber hier, und mit der
Liman bin ich hier; und dann iſt Herr von Burgsdorf —
ich kann mein Freund ſagen, und hoffen, daß ich es werth
bin — hier, ein Märker von Berlin. Das iſt der helle Punkt
in meiner hieſigen Exiſtenz. Nicht grad der, den Schiller
meint, aber der helle Punkt auf einem Gegenſtand, der den
andern Schatten und Lichtern ihre Richtung bedeutet. Haben
Sie meinen Brief bekommen, den ich Ihnen vor meiner Ab-
reiſe ſchrieb? Werden Sie mir ſchreiben? Wie iſt Ihnen denn
jetzt, was machen Sie denn dieſen Sommer? Hören Sie nichts
von Latrobe? Sie ſollten doch. Ich wollt’ Ihnen ſchon lange
ſchreiben, aber ich war immer zu ſchwach, krank, und ange-
griffen. Sein Sie alſo mit dieſem Brief, wie er auch iſt, zu-
frieden. Denn Sie können es ſein. Sie glauben mir doch
noch? Entſchuldigung ſoll dies nicht ſein: denn Sie hätten
mir wohl ſchreiben können, aber auch nicht Anklage. Viel-
leicht liegt ſogar zu Hauſe ein Brief von Ihnen. Adieu!
Bis ich nicht ſterbe, verändere ich mich doch nicht. Und doch
bin ich ſehr verändert. Meiſter muß ja nun bald kommen.
Wie leſ’ ich hier den Taſſo! mit Burgsdorf; wie find’ ich
mich hier nach und nach, und Goethe. Adieu. Ich will doch
meinen Namen ſchreiben; vielleicht erkennen Sie den Brief
nicht. Es iſt Spaß.
R. L.
(R. Robert iſt meine Addreſſe.)
I. 11
[162]
An Guſtav von Brinckmann, in Berlin.
Ich habe der Liman dieſen Brief mitgeben wollen; aber
wie man denn noch immer ſchlechter iſt, als ſeine Vorſätze,
ſo iſt es nicht geſchehen. Früher bekommen Sie ihn aber, als
durch die Liman, denn ſie kömmt den Mittwoch nach meiner
Rechnung an, und dieſen Brief haben Sie Dienstag. Ich
wollte Ihnen aber gerne die gute Senſation machen, daß Ih-
nen eine gute Freundin von einer andern einen Brief mit-
bringen ſollte, der ein Einſchluß von einem Manne iſt, der
Sie gewiß recht ſchätzt. Prinz de Ligne hat mir vorgeſtern
dieſen Brief und Billet überſandt. Geſtern war er auch bei
mir, vermuthlich um noch etwas darüber zu ſagen, mein Bad
verhinderte mich aber, ihn anzunehmen. Was Sie ihm ſchick-
ten, hat mir ſehr gefallen: ihm auch, denn den Morgen dar-
auf hatte ich ſchon die Antwort. Übrigens ſind Sie in ſeinen
Werken mit gedruckt, ich ſah’s in einem Theil davon, den ich
hier durchblätterte, ich komme auch darin vor. Nämlich ſo,
er hat doch voriges Jahr manches an Sie und mich addreſ-
ſirt, worauf Sie antworteten, Ihre Antworten alſo und ſeine
Anreden ſind der Folge nach gedruckt. Es nimmt ſich ordent-
lich aus, als wenn wir ſchon geſtorben wären. Sie werden
doch vermuthlich etwas von mir wiſſen wollen? Nun, ich
befinde mich ſo ziemlich beſſer, lebe ſtill, diät und häuslich,
und ruhig mit Mariane, Mad. Bernard (die Kluge aus Bres-
lau) und Burgsdorf, der Sie tauſendmal lieber hat, als Sie
[163] denken und ich dachte, und den ich millionenmal lieber
habe als vorher. Heute iſt die Liman weggereiſt, und nun
ſind wir ſogar ſchon fleißig; er iſt zu Haus und lieſt, und
ich ſchreibe für’s erſte Ihnen. — Dieſen Winter will ich gerne
fleißig ſein, und mich danach einrichten. So ſtark fühl’ ich
mich doch ſchon. Leben Sie wohl, und ſchonen Sie ſich, als
ob ich Sie öfterer und mündlich ermahnte; bald ſeh’ ich Sie!
Adieu!
Jettchen grüß’ ich überherzlich, und wünſche ganz eigent-
lich, ſie den Winter viel zu ſehen.
An David Veit, in Halle.
Was iſt Ihnen, Lieber? Warum antworten Sie mir
nicht? Sind Sie verſtockt? Ich meine nicht, wie ein Sün-
der; wie eine Quelle, wie ein Schmerz im Herzen, meine ich.
Sind Sie abgekommen von der Stimmung, in der Sie an
mich denken, in welcher Sie mir ſchreiben? Ich bedaure Sie;
und kann doch nichts anderes vermuthen. Ich habe Ihnen
zwei Briefe geſchrieben, einen in der Mitte — ungefähr —
vorigen Monats, und den andern von Berlin. Warum!
antworten Sie mir nicht? Vielleicht kommen die Briefe
ſchlecht an: ich addreſſire ſie noch immer an den Profeſſor
Klügel. Dieſen wird Ihnen Mlle. Mariane Meyer geben;
vielleicht, daß die ſchöne Überbringerin wirkt, für mich meine
ich, daß Sie mir dann ſchreiben. Wiſſen Sie mir nichts mehr
zu ſagen, da ich Ihnen nicht ſchreibe? Wiſſen Sie nicht, daß
11 *
[164] ich nicht konnte? Ich hab’ es Ihnen ja geſagt. Und müſſen
Sie eben ſo ſchlecht ſein, als ich! — — oder iſt es wahr,
und möglich, daß Sie unzufrieden mir mir ſind — aus wer
weiß welcher Urſach — können Sie es dennoch, irgend
jemand beſſer ſagen, mich gerechter, für Sie, ſoulagirender,
bei irgend einem Weſen als bei mir ſelbſt verklagen? —
Schweigen Sie aber, wie es wohl kömmt, eben weil man
angefangen hat zu ſchweigen, ſo iſt das auch ſehr unrecht.
War Ihnen nicht ſonſt wohl, fühlten Sie ſich nicht aufgelöſt,
wenn Sie zu mir ſprachen? Und ſollte man ſich das wohl
verſagen, oder vernachläſſigen?
Ich weiß noch nicht, ob ich Mlle. Meyer dieſen Brief
gebe, oder ihn auf die Poſt lege, damit Sie ihn noch früher,
in Halle, bekommen. Sein Sie gütig gegen ſie; ſie muß Ih-
nen als eine gute Freundin von mir, und als ein artiges,
feines, liebenswürdiges Mädchen, angenehm ſein. Sie wird
ſich an Sie, in Leipzig, wegen manches wenden, als z. B.
Beygangs Anſtalt zu ſehn u. dgl. Zeigen Sie ihr was Sie
ſonſt Gutes und Hübſches können. Sie wird Ihnen eine
Idylle von Goethe zeigen, welche im künftigen Muſenalma-
nach ſtehen wird, von der ich nicht ſchweige, weil ich will,
ſondern weil ich muß. Ich werde — doch noch — alle Tage
empfindlicher: und Goethe, und ich, ſind ſo konfundirt in mir,
daß ich mit ſeinen Worten empfinde — ſo falſch es iſt —
nicht einmal denke: ja, ja, es geht noch immer crescendo:
der weiß es, was ich meine, er kann alles ſagen. Es iſt
ein Gott! Leſen Sie die Idylle. Glauben Sie nicht, daß
ich wegen der Idylle ſo friſch raſe. Nein, Iphigenie laſen
[165] wir geſtern, und Taſſo vorher; wie die Iphigenie iſt! Nun
gontire ich ſie erſt recht. Millionenmal hab’ ich an Sie
dabei denken müſſen, alles was ich auswendig wußte, wußte
ich von Ihnen, („Frei athmen macht das Leben nicht allein“
u. ſ. w.) und dabei dacht’ ich wieder, wenn er das wüßte,
müßte er ſich doch freuen. Herr von Burgsdorf las ſie mir,
wenn Sie Mariane ſehen, fragen Sie ſorgfältig, ob er
in Leipzig iſt, und gehen Sie grad zu ihm, oder an ihn heran;
ſagen Sie: ich bin Veit, wenn Mariane nicht à portée iſt
Sie zu präſentiren: er will Sie auch kennen. Es wird Sie
nie gereuen, und immer freuen. Auch von Markus oder Rös-
chen können Sie ſich vorſtellen laſſen, oder — ſind die unbe-
hülflich, unwillig, oder ungeſchickt — ſich ihn bloß zeigen
laſſen. Mama kennt ihn auch, Feu auch. Alle zum Zeigen,
und Ausfragen. Sie wiſſen, ich kann ſehr umſtändlich ſein,
quoique je manque quelquefois de me trouver mal d’une Um-
ſtändlichkeit. Wie gern käm’ ich nach Leipzig! Unabhängig
davon, daß ich die Idee habe, daß Goethe wohl dahin geht;
und was heißt hier unabhängig! Kann man gewiſſe Dinge
trennen? Aber ich bin arm; ich haſſe dieſe Ohnmacht! und
doch „übt ſie meine Geduld, wie ein Freund.“ Morgen früh
reiſ’ ich zur Gräfin Pachta nach Prag. Ich mache, zum er-
ſtenmal, einen von den Streichen, die Sie mir immer wün-
ſchen; und vielleicht, billigten Sie dieſen doch nicht. Aber
ich will auch nichts von Billigkeit wiſſen, ſie hat mich zum
Grabe gereift, ſoll mich aber mit meinem Willen nicht be-
graben helfen. Ich bin — wie ich war, lieber Veit, nur aus-
gebildeter, wenn Sie wollen. Ja ich habe viel gewonnen
[166] ſeit dem Winter. Ja, ja. Das hören Sie gerne; am liebſten
von mir. Ich weiß es. Laſſen Sie mich auch etwas von
ſich wiſſen. Stehen bleiben, können Sie doch nicht. Gethan,
gelernt, geleſen, hab’ ich nichts, nichts, gar nichts. R. L.
Adieu.
Apropos. Profeſſor Beck und einen Schweizer Heß hab’
ich kennen lernen. Der Erſte kann Ihnen bunte Dinge von
mir ſagen. Ich äſtimirte ihn aus Stimmung ſo wenig und
nichts, damals, daß ich ihm die reine Wahrheit ſagte. Er
könnte ſie in ein wenig Länge wohl goutiren. Kennen Sie
Richardſon? einen Engländer, der auch in Halle ſtudirt. —
An Guſtav von Brinckmann, in Berlin.
Es iſt doch prächtig, ſich ſo ganz tief in Norden ſo einen
Bernſtorff zu halten, der, was ich nicht ſagen kann, ſo einzig
gut vorträgt, obgleich ich’s denke; und der, was man nur
ganz dunkel weiß, einen ſo deutlich denken macht. Ja, ſo
mein’ ich’s accurat, wie Bernſtorff; dabei weiß ich aber auch,
daß Sie ſich nicht werden helfen können, und wenn Sie’s
auch ſelbſt geweſen wären, der den B — ſchen Brief geſchrie-
ben hätte: den ich — und ich glaube auch er — mehr wie
eine Abhandlung als wie ein Stärkungsmittel anſah. Troſt
iſt er in allem Fall; denn die Theilnahme, die Menſchlichkeit,
die Bildung, die Gefaßtheit, und leider die Leiden, leuchten
aus jedem Worte; und einen Bernſtorff zu haben, der ſolche
Worte zu uns ſpricht, iſt viel.
[167]
Iſt ein Raub! den man dem blinden verrätheriſchen
Schickſal gemacht hat; ein unwiederbringlicher. Den aber zu
genießen, und eine M —, wie Sie ſie ſich einbilden, müßte
ja einen Menſchen unſinnig machen; ſo etwas erträgt man
nicht. Glauben Sie nicht, daß ich hier Figuren rede; mein
innigſter Glaube iſt, daß man eigentliches völliges Glück
nicht aushielte: ich wenigſtens fühle ſo was, und unglücklich
fühlt’ ich mich ſchon oft. Mit Unglück wird man aber nie
fertig, bei Glück iſt es aber ſo ganz aus; und das, glaub’
ich, erträgt man nicht. Können Sie aber glücklich werden,
ſo wagen Sie’s nur doch: ich verzweifle gar nicht daran.
Sie wiſſen, Ihre Lage kam mir gleich, und kömmt mir noch
nicht ſo verzweifelt vor. Wenn nur M — ihre Kraft anwen-
den will, und daran können Sie doch nicht zweifeln: ganz
können Sie ſich nicht geirrt und getäuſcht haben. Sie haben
mich gar ſehr durch das Buch, und unausſprechlich durch den
Brief verpflichtet. Wie werd’ ich denn einen ſolchen Brief
fordern! Aber eine größere Fète, als mir alles vom Grafen
Kalkreuth zu ſagen und von Bernſtorff zu zeigen, können
Sie mir nicht machen.
An David Veit, in Jena.
— Den vierten Band des Meiſter hab’ ich längſt ge-
leſen; mein Bruder bracht’ ihn von Leipzig mit; und ich kann
nun ungebundene Bücher leſen. Auch den Almanach hatte
ich gleich bei meiner Ankunft, auf ſehr kurze Zeit von Hum-
[168] boldt (welcher Montag nach Halle reiſt), und habe nur ein-
mal die Xenien und alles von Goethe durchleſen können. Vom
Meiſter zu ſprechen iſt noch nicht genug, den muß man
zuſammen leſen; das Schreiben haſſ’ ich wirklich mehr als
jemals. Wie er über Kunſt, Muſik und Theater ſpricht,
S. 409—411. Überhaupt, die Satisfaktionen, die ich darin
erlebe, gehen doch weit; ſie müſſen’s im Leſen merken. Aber
Sie haben mich lange nicht geſehen; und ich habe mich ſehr
verändert. Wie er ſagt, die Leute nehmen immer bei Kunſt-
werken u. dgl. ihr Gewiſſen und andere armſelige Bedürfniſſe
mit! Sehen Sie, daß Mignon die intereſſanteſte iſt? Das
Zucken vom Munde nach der linken Seite nahm mich gleich
ein. Wie lieb iſt’s mir, daß ſie ſtarb; und an ihrem eigenen
Herzen! Hingegen haſſ’ ich die Thereſe cordialement. Warum
iſt ſie nicht mit einer Perücke geboren? Da wäre ja der Ver-
walter gleich fertig geweſen. Geſehen hab’ ich ſie nun frei-
lich nicht: alſo hübſch, ſehr hübſch kann ſie geweſen ſein —
und ein Lothario, kann zuletzt alles, beſonders wenn er ehrlich
wird, oder iſt. Daß Wilhelm die nicht bekommen hat, hat
mir ordentlich die Bruſt befreit. Wie meiſterhaft iſt es von
Goethe, ſeine Perſonnagen ſo kennbar zu beſchreiben und ſpre-
chen zu laſſen, und nie ſeine feine, gebildete Sprache zu ver-
läugnen! Wie meiſterhaft iſt Laertes, mit welchem tiefen und
leichten Blick in den gewöhnlichſten Menſchen, durch ein paar
Züge und Urſachen dargeſtellt. Friedrich aber, im letzten
Theile, den hat er ſprechen hören, das erfindet auch er nicht.
Wie er denn überhaupt oft gehorcht haben muß: und das
Vertrauen aller Arten von Menſchen muß zu beſitzen gewußt
[169] haben. Neben ſeinem einzigen Sehen. Das bin ich über-
zeugt. Ich habe freilich alle Theile noch einmal geleſen, in
Töplitz, auf dem Geiersberg, in Dresden und in allen Wirths-
häuſern und in Berlin. —
An Guſtav von Brinckmann, in Berlin.
Nun ohne Spaß; das heißt deutſch. Sie vermuthen es
gewiß gar nicht mehr von mir, lieber Brinckmann, was Sie
mir für eine große Freude mit dem Schlegel machen, welche
ſchöne ganz einzeln ſtehende Hoffnung Sie mir durch ihn er-
wecken: aber noch weniger, und gar nicht, daß ich ſeine Re-
zenſion geleſen habe. Das iſt ein Kopf, worin Operationen
geſchehen; in den andern regt ſich’s, und fällt auch wieder,
und die Veränderungen ſind eben ſo viel Ungefähre. Wenn
ich ihn nur werde kennen lernen; ich meine, wenn ich nur
etwas für ihn bin. Iſt er herablaſſend? Jung iſt er zwar;
aber ſo klug! il sera — comme nous — „triste comme s’il savait
tout,” und wird nichts mehr wiſſen wollen. Ich laſſ’ Sie
aber für meine Aufnahme ſorgen; und will ihn ſchlechterdings
nur durch Sie kennen lernen. Ich bedarf wirklich etwas, was
mich freut und erhebt; ich habe ſo lange in Finſterniß ge-
lebt, daß meine ſtarken Augen im Hellen nicht ſehen, nur
thranen.
Gräfin Engſtröm ſeh’ ich mehr, und ſehr affable; ſie ge-
fällt mir auch immer beſſer; ſie hat ſehr Recht, in ihren Mann
verliebt zu ſein, denn angenehmer und komplaiſanter iſt leicht
[170] keiner. Hymen vergaß ihm, von Amor anders beſchäftigt
oder beſtochen, die Binde abzureißen, er ging unter die Ab-
gefertigten, und ſie bleibt ihm für’s Leben; und qu’il est aimé
celui qui rend aimable. Mit meinem Lieben iſt’s eigentlich
nichts, auf Glauben — denn der Verräther reicht mir nur
dünne Binden, und den Andern keine für mich. Adieu, lieber
Brinckmann, mündlich werde ich Ihnen manches Intereſſante
erzählen, fragen Sie mich nur aus. — Wir kommen leider
bald; die ſchönen! wohlbekannten Mauern machen mir
bange. Adieu.
An Guſtav von Brinckmann.
Ich halte es für Recht, wenn Einer nach dem Andern
ein bischen ſieht. Was machen Sie denn, haben Sie Mi-
graine oder Schweden? Man hat Sie in unſerm Hauſe nicht
geſehen, und Ihre Geliebteſten wiſſen nichts von Ihnen; ich
bin ſeit dem Sonnabend hier, und melde mich alſo. Es iſt
mir um ſo lieber, daß ich geſtern Hrn. Fr. Schlegel habe ken-
nen lernen, nun kann ich Sie wieder zu mir bitten. Sonſt
ſah’s immer aus, als ſollten Sie mir den bringen, die andern
Leute ſind doch ſo. Sein Äußeres gefällt mir; Sie wiſſen
doch noch, daß das Äußere eines Menſchen der Text von allem
iſt, was ſich über ihn ſagen läßt? Ich hab’ ihn gebeten, Sie
zu mir zu bringen; warten Sie das nicht ab! Auch heute
geh’ ich erſt gegen 6 Uhr ſpaziren, und dahin, wo einer will.
R. L.
[171]
An Roſe, in Berlin.
Ich kann mir das große Vergnügen machen, dich mit einer
hellglänzenden, gutkleidenden, goldenen, ziemlich langen Kette
zu beſchenken. Ich ſchicke ſie dir, damit du ſie früher haſt,
und trägſt, und damit das Vergnügen mich zu ſehen und die
Kette zu bekommen, nicht wie Dinte und Waſſer zuſammen
fließt; in dir meine ich; jedes wird reiner und ſtärker: und
es kann Einer dem Andern nicht genug Genüſſe verſchaffen.
Es wird dich um ſo mehr freuen, da ſie von mir kommt, da
dir niemand dergleichen ſchenkt, und niemand es ſo mit Wonne
thun kann; und ich bis jetzt noch nie im Stande war, der-
gleichen zu thun. Sage nur, ich hätte ſie mit noch einer an-
dern geſchenkt bekommen. Ich habe ſie eingetauſcht; entre
nous für den Ring. Sage Hans viel Zärtliches von mir!
Heute habe ich die Bonnets bekommen, ich danke ſo ſchön als
ſie ſind. Schreibt Otterſtedt niemanden? Mir nicht. Möllen-
dorf ſoll nur kommen, der ſoll ſchön haben! Walter (Gual-
tieri) iſt noch böſe?! der ſoll wieder ſchöne Dinge geſchwatzt
haben! Sag’ ihm, wie ſo er noch Geld heraus haben wollte?
„Pourquoi n’y-a-t-il plus rien de commun entre nous?”
N’y-a-t-il plus rien de commun entre nous, Walter? ne me
répondez pas, car je ne vous écris pas; je ne veux point de
réponse, j’ai voulu avoir une lettre. So gemein ſind Sie noch,
daß Sie gegrüßt ſein wollen? Sie verdienen nicht, daß ich
Ihnen ſchreibe, was de Ligne von Ihnen ſagt. Hab’ ich nie
[172] verdient, daß Sie meinetwegen Ihre Faulheit — die ich ehre —
überwinden? Wenn Sie mich auch nur ſo geſcholten haben,
wie Sie thaten. Ich verſtehe nur meine unbegreifliche Lang-
muth nicht, Ihnen zu ſchreiben. — Leben Sie wohl; Sie ſind
unglücklich genug, daß ich nicht bei Ihnen bin; wenn Sie
ſich auch nichts aus mir machen.
Adieu Röschen. Küß Mama die Hände; reiſt ſie wohl
noch mit mir nach Zehdenik, wenn ich zu rechter Zeit komme?
Meinen faulen Markus — er hat Recht — grüß’ ich auch;
und meine abgöttiſche Hanne. Die ſoll was Schönes [kriegen].
Moritz ſoll ſich waſchen, es iſt gewiß nöthig. Achard macht
ſich doch etwas aus einem Gruß. Ich grüß’ ihn. Der Schul-
zen ſchicke ich die Ohrringe.
An David Veit, in Paris.
Sie werden Addreſſe, Format, Hand, nichts mehr erken-
nen; und es ſind Ihre zwei Lieblinge, die Ihnen ſchreiben.
Lindner und ich. Wie liebt er Sie! verliebt iſt er noch
immer. Vorige Woche trat er zu mir in’s Zimmer; unſer
zweites Wort war Veit, und dabei blieb’s. Ich machte
gleich den Vorſchlag zu ſchreiben, er that es gleich, ich jetzt.
Wie ſchmerzlich, mein Freund, vermiſſen wir Sie! Wir ha-
ben uns immer lieber, und denken dadurch ein Drittes her-
vorzubringen, und das ſind Sie. Wie gegenwärtig ſind Sie
uns auch! wie ſind unſere Gedanken immer bei Ihnen; ach!
ſo gewiß, und Sie fühlen’s doch nicht, bis Sie dieſen Brief
[173] leſen. Wir wiſſen, daß Sie ohne uns nicht recht glücklich
ſein können. Wir ſind’s auch nicht. Lindner hat mir Ihren
letzten Brief vorgeleſen! — iſt es nicht ſo gut, als ob Sie
ihn mir geſchrieben haben? Es gefiel mir, daß Sie mir nicht
ſchrieben. Schreiben ſoll man ſich auch! Ich war gewiß von
Ihnen. Waren Sie’s denn von mir auch? Nein. Sie ken-
nen die ganze Seele nicht, die lieber in ihre Vernichtung, in
die ſchrecklichſte Exiſtenz willigen würde, als darein, daß es
ihr möglich ſein ſollte, ehrenvolle Dinge — ſo muß ich ſie
nennen — zu vergeſſen. Ich bin wie ich war, Veit. Sie
können mir grade in die Augen ſehen, und Sie werden ſie
beſſer finden. Lindner ſagt’s auch. Ich bin auch beſſer. Über-
zeugter von dem, was in mir war: überzeugt, daß es unum-
ſtößlich iſt, und zufrieden damit. Ich putze es aus, ich pflege
es, ich liebe es. Schmerz? — iſt zufällig, könnte auch eben
ſo gut Freude ſein. Darum ertrag’ ich ihn mit Thränen, aber
willig; nicht allein, ich kann nicht, ich mag auch nicht mehr
tauſchen. Er macht mich nicht mehr mißvergnügt, er macht
mich klar und macht mich ſtark. Und vieles ſchmerzt auch
nicht mehr. Sie würden zufrieden mit mir ſein in jedem Be-
tracht. Die ganze Scala meiner Seele giebt reine Töne an,
obgleich man ſchrecklich! mit den Saiten umgegangen iſt,
Glauben Sie, ſchrecklich; ſogar zum Erzählen wär’s ſchreck-
lich Man iſt entweder dem Wahnwitz, oder dem Tod, oder
der Geneſung ausgeſetzt; mir ſind die beiden erſten nicht wi-
derfahren. Ich bin beſſer, kann ich auch nicht ſagen; ich bin
jenſeits, möcht’ ich ſagen. Verſtehn Sie? Vom Schickſal be-
ſchimpft, aber nicht mehr beſchimpfbar. Unglück iſt Schimpf
[174] vom Schickſal. „Er komme und ſage mir es noch einmal,“
ſagt Gräfin Orſina. Ich bin wie ich war, und nie, nie! ſol-
len Sie mich verändert finden; und fänden Sie mich im Toll-
hauſe eine papierne Krone auf dem Haupte, erſchrecken Sie
nicht, Sie finden die Freundin wieder. Die Freundin alles
Guten, die Liebe, das Streben darnach; ganz aufgelöſt, zer-
ſtört, nicht wieder müßten Sie mich finden, um mich anders
zu finden.
Geglückt iſt mir nichts, ſeit ich Sie nicht ſah. Ich bin
noch in derſelben Lage. Im Gegentheil, drei Freundinnen,
worin ich die Humboldt mitzähle, ſind mir entkommen, zu
denen ich flüchten wollte; die eine heirathet einen ſchwediſchen
Baron, meine Freundin in Prag hat eine ernſte Verbindung,
die ihr jede Empfindung und Zeit einnimmt. Ich bin oft
ohne Unterſtützung, aber nicht allein; Sie wiſſen, wie ich aus
dem Menſchen ſpinne: aber ohne Freund, kurz, ohne jemand,
der mich ganz erräth. Lindner war mir ſo lieb! Ich hatte
mich ſo ſchnell an ihn gewöhnt; ich muß ihn wieder ver-
lieren! ich treib’ ihn ſogar. Er hat eine Verbindung. — Veit,
jetzt ſollten Sie mich ſehen! jetzt weiß ich erſt wahr zu ſein!
und das iſt noch gar nichts gegen die Idee, die ich davon
habe. Das quält mich [oft]; es gehört Geſchicklichkeit, Ver-
ſtand dazu, wahr zu ſein. „Nur die Galeerenſklaven kennen
ſich.“ Goethe und das Leben iſt mir noch immer Eins; ich
arbeite mich in beide hinein.
Sein Sie gutes Muths; wir ſehen uns gewiß, wir leben
gewiß noch mit einander. Wer nur gelaſſen iſt, und dem’s
nur auf ein paar Jahre nicht ankömmt! Uns, mir, muß die
[175] Gelegenheit auch noch kommen: und am Ende will ich, das
iſt die beſte Gelegenheit. Ein bischen ſpäter kann man wol-
len. Sein Sie vergnügt! Sie haben Freunde! — nach Ihrer
Definition; Sie ſind ein Freund und geliebt. Mir ſind viele
Menſchen von Gehalt und guten Eigenſchaften aufgeſtoßen:
einer hat dieſe, einer jene, aber keiner „widerſprechende gute“
(ich zitire Sie), alſo kein großer Mann. Vivent! die Ju-
gendfreunde! Sie! und wir!
Lindner gedeihet in meiner Gegenwart, er ſagt’s ſelbſt,
und ich hab’ ihn ſehr lieb! Nicht wahr? Sie freuen ſich? Er
iſt nur meinetwegen hiergeblieben, und ich habe ihn ſo aufge-
nommen — wie ich aufgenommen ſein will. Mit wahrer
Liebe. Übermorgen, Sonnabend, reiſt er. Im Winter kommt
er wieder. Dies und die Opern ſind meine einzigſte Freude
für den ſchwarzen Winter; für den Sommer hab’ ich auch
nichts. Gar nichts. Adieu! weiter nichts. Wie viel gute all-
gemeine Dinge, die ſich auf uns beziehen, ſag’ ich Lindner.
Beſſer kann ich Lindnern nicht ſchreiben: und anders gar
nicht. Wenn ich nicht wahr ſein ſoll, kann ich gar nichts
ſein. Und Sie machten mir bang in Ihrem Brief: als be-
fürchteten Sie, ich würde ihm ein ſchädlich Wort zufließen
laſſen. Sie haben auch Recht: ich bin auch gefährlich. Wer
ſich nicht herab ſtimmen kann, iſt gefährlich und ſchädlich.
Ich habe gar keine Zeit: und meine Stimmung raubt mir
was ich hätte. Mein Brief wollte auch nicht ſo ganz Ant-
wort werden; und wären Sie nicht, lieber Veit, ſo wär’s
gar keine geworden. Sie haben aber Recht, Lieber. Ich bin
Ihnen recht gut, weil Sie Lindnern ſo gut ſind. Da haben
[176] Sie ſich eine eigne Stätte in meinem Herzen erbaut. Von
unſern Affairen künftig. Latrobe war zweimal bei mir. Er
gefällt mir ſo —! daß ich ihm austérité und krauſe Haare
verzeihe. So lächerlich dies klingt, ſo viel will es ſagen. Ob
ich ihn ſatisfaiſire, weiß ich nicht. Ich glaub’ es nicht. Er
hat zu viel von mir gehört, und hört zu wenig von mir. Er
kommt zu ſelten. Kurz, er iſt wie ich: und darum kommen
wir nicht zuſammen. Zu fein, zu ſkrupulös. Ich lieb’ ihn
ſehr. Er ſieht ſchon aus wie ein Menſch. Ich vertraute ihm
à diserétion. Ich muß mit Mama weg. Sie nimmt mich
mit nach der Stadt. Adieu. Sonnabend das Weitere.
R. L.
An Guſtav von Brinckmann, in Paris.
Ein échantillon von einem Brief, den Sie bekommen ſol-
len, mein lieber Freund, iſt das nur. Auf jede Zeile in Ih-
ren drei Briefen werde ich Ihnen antworten; und ſo, daß
Sie zufrieden ſein ſollen; Sie hätten dieſe Antwort ſchon,
aber Friedrich Schlegeln fiel einmal vor ein paar Wochen
ein, Sie ſeien von Paris nach Stockholm geſchickt, alſo war-
tete ich noch; und nun war die Stimmung und der im Kopf
komponirte Brief verloren. Sie ſollen aber, bei allen Höllen-
plagen ſei’s geſchworen! (die wir hier genießen) nichts ver-
lieren: Sie bekommen in ein paar Wochen einen furchtbar
langen Brief: aus dem Sie ſehen ſollen, daß Sie ſich nicht
mit mir wie mit dem Ci-devant unterhalten, daß Sie nicht
nur
[177] nur aus ſich ſelbſt den ſchönen Purpur ſpinnen, daß ihm
auch die helle Sonne der wahrſten Freundſchaft entgegenſtrahlt,
Alſo in dieſem Briefe keine Antwort. Nur eine Leidenſchaft,
die ſpornendſte unter allen, ſei befriedigt; der Zorn. Mlle.
X —! —! —!!! —! —!!!? die bildet ſich ein (denn das
thut ſie, wenn ſie ſo albern tadelt und lobt), man hätte ſie
hier bewundern müſſen. Foi de marchande de mode ou de
coiffeuse (die ich jeden Augenblick ſein könnte), die letzte fran-
zöſiſche Aktrice ging in Pyrmont vor zwei Jahren eben
ſo gut als Mlle. X — angezogen. Nichts hat ſie herge-
bracht, was neu wäre; jede Kaufmannsfrau in Hamburg,
wo alle vierzehn Tage ein franzöſiſch Schiff ankömmt, geht
ohne Vergleich hübſcher: mit Schals wollten es die Demoi-
ſelles durchſetzen; die man in allen Gattungen und aus allen
Theilen der Welt hier zum Ekel hat. Kurz, ſie waren hier
nichts. Wiſſen Sie was ich ihnen abſah? wofür ich ſie hielt?
(woran ich keinem Zweifel den Eingang bei mir laſſe, und
käme er von Ihnen! daß es in der ganzen Welt welche giebt,
wo nur ein Konvent oder ein Hof iſt,) für Pikniks-Mamſells
aus Paris. Wiſſen Sie was das iſt? qui n’entrevoient la
bonne société qu’au bal, die eifrig die Moden nachmachen,
aber ſie ſich doch nur immer um die rechte Minute zu ſpät
zuſammenſtopplen können. Die ſprechen von Paradiesvogel?
Von Hackenſchuh? — Im Theater war ich ſeit drei Monaten
dreimal; ich abhorrire es. Daß ich gar keiner von den blin-
den Grazienfindern der Unzelmann bin, wiſſen ſie zu gut;
ſie ſtarrte aber letzthin in Don Carlos für Juwelen — keine
Clairon kann prächtiger, und keine Hamilton geſchmackvoller
I. 12
[178] neuer ſein; und Alle eifern ihr nach. Keine Frage! der
größte Theil der Juwelen war ihr von einer vornehmen
Freundin geliehen; den andern ſchafft ſie ſich alle Jahr nach
dem Benefiz zum Einkaufspreiß an. Ich laß mir nichts weiß
machen: ich glaube (und wenn ich auch in Paris wäre:
und, was noch weit mehr iſt ich glaube in Berlin) nichts
von Paris, was über den Einkaufspreiß wäre, der über der
Taxe iſt, die ich mir einmal nach der Aufnahme aller Welt-
waaren gemacht habe. Wenn ich ſehe, ehapeau bas! den
Himmel glaub’ ich; wenn ich ihn ſehe: und das Sehen ſoll
mich vor Beſchränktheit, vor Unglauben ſchützen. Ich vergehe
hier vor Überdruß, Zorn, Froſt und Langerweile! — Sagen
Sie der Humboldt, ſie müßte das für mich thun. Ich hätte
jetzt in der ganzen Welt keinen Wunſch, der befriedigt werden
könnte, als den, ſie en miniature gemahlt zn haben, Sie ſoll
es mir ſchicken. Sagen Sie ihr, es wäre eigenlich ſchrecklich,
daß ich wüßte, daß Sie wiederkäme: denn ſonſt wär’ ich ſchon
verzweifelt, und das wäre beſſer. Verzweifelt bin ich wohl:
aber ich laufe doch nicht weg. Ich bin doch nicht raſend.
Fragen Sie doch meine Humboldt, ob ihr Herr von Elsner
keinen Brief von mir gebracht hat. Sie ſoll ihn fordern laſ-
ſen. Fürchten Sie ſich, Brinckmann! ich werde Ihnen über
das Heirathskapitel ernſte Antwort ſchreiben: den Spaß ha-
ben Sie alle von mir. Adieu! Schlegel grüßt, er wird Ih-
nen ſchreiben. Ich leſe Humboldts Buch; bin aber noch im
Anfang: mir kann er gar nicht weitläufig genug ſchreiben.
Nun werden Sie doch nicht noch ſtreiten? Müßten es doch
nur alle Diebe leſen, die dichten wollen in Proſa oder Verſen,
[179] ſo wär’ man ſie los: und die Xenien würden lauter artige
erwachſene Oden. Wahrſcheinlich werden Sie hören (als
Diplomatiker), daß Reuß eine gefährliche Lungenentzündung
hat; ſeit geſtern, wo eine Kriſis war, iſt Hoffnung. Es iſt
fatal! Ich kann Andere ausliefern. Er hält ſich aber, wie’s
ſcheint, an die Qualität, nicht an die Quantität.
An Guſtav von Brinckmann, in Paris.
Brief über Brief bekomme ich, mein guter lieber Brinck-
mann, und Sie denken, ich antworte Ihnen nicht! Nein, wir
haben Ihnen einen großen Brief durch Geheimrath Ephraim
geſchickt. Den ſcheinen Sie aber nicht bekommen zu haben.
Ihnen, mein Freund, ſollt’ ich von Allen, die ich kenne, am
erſten ſchreiben; Sie machen ſich am allermeiſten daraus. Sie
ſind durchdrungen von Artigkeit, und fühlen’s auch ſchon als
ſolche am meiſten. Artigkeit bleibt’s immer; und wenn man
auch ſeinem geliebteſten Freund Dinge, die einen wirklich drük-
ken, ſchreibt. In der Entfernung ſich noch ſo mechaniſch mit
ihm abgeben wollen, es bleibt immer viel. Darum, mein lie-
ber Brinckmann, rechne ich’s Ihnen auch ſo hoch an, daß
Sie ſchreiben: nur überhaupt ſchreiben, und dann mir, die es
ſo eavalièrement zu empfangen ſcheint; und es ganz anders
empfängt. Ich verſichere Sie — und mit Bedacht — Ihre
meiſten Korreſpondenten rabattiren vom Werth Ihrer Briefe,
weil Sie ſo Vielen ſchreiben und ſo oft, und bei mir ſteigen
ſie, umgekehrt, dadurch im Preiß. Es iſt, als wollte man ſich
12 *
[180] nicht geſchmeichelt fühlen oder freuen, wenn ich lache, weil ich
viel lache: es iſt ein großer Unterſchied in dieſem Lachen; und
ſo weiß ich ihn auch in Ihrem Schreiben zu machen. Ich
lache, weil ich einmal gutmüthig, richtig — epiſch geſtimmt
bin (hab’ ich von Humboldt gelernt) — weil ich reizbar bin,
und nie auf meine momentane Stimmung verſeſſen — wie
man ſehr gewöhnlich ſpricht — bin. Sie ſchreiben, weil Sie
gutmüthig, voller Egards, Einfälle, und in tauſend Rapports
mit den Menſchen ſind, die alle Faulheit überwiegen, die Sie
auch noch, wenn’s auf’s Rühmen und Meſſen ankömmt, mit
der Horde von Letzten gemein haben; und worauf ſie ſich
etwas einbilden. Genug von ihnen! aber nicht zu viel: denn
das wollt’ ich Ihnen ſagen. Es liegen ſechs Briefe von Ih-
nen auf meinem Tiſche. Ich diſtingire ganz allein den großen,
wo von Mad. Staël die Rede iſt. Was in dem ſteht, ſchrei-
ben Sie nur mir! Mein lieber Freund! geht es Ihnen ſchlecht?
Mir auch! (Ich wollte Ihre Briefe wieder durchleſen, aber
ich habe die Kraft nicht; ſie liegen alle neben mir.) Ich werde
aus dem Gedächtniß ſchreiben. Es geht mir ſchlecht! und ich
weiß nicht, wie es mir ohne den Gedanken gehen würde,
daß die Humboldt wiederkommt. Raſend werde ich nicht, und
umbringen thu’ ich mich auch nicht; aber ich ſterbe aus lan-
gueur und das thu’ ich jetzt auch. Heirathen ſagen Sie. Ich
kann nicht heirathen; denn ich kann nicht lügen. (Denken
Sie nicht, daß ich mir etwas darauf einbilde: ich kann nicht,
wie man die Flöte nicht ſpielen kann.) Sonſt thät’ ich’s jetzt.
Ich würde mir zur tâche und zum Lebensplan machen, einen
Mann glücklich zu machen, der mich aus allen ſeinen Kräften
[181] liebt, und den meine Gegenwart ſchon beglückt. Aber ich kann
mir keine Äußerung der Liebe für ihn abgewinnen: und es
geht alſo nicht. Es iſt ein braver, rechtlicher, geſcheidter
Menſch, ohne Vorurtheile — aber meine fehlen ihm — er
denkt, man liebt, ſieht ſich betrogen, und nimmt einen kon-
venablern, der einem en gros alles anbietet, was man ver-
nünftig fordern kann, und von dem man mehr, als er je ein
Weib lieben konnte, geliebt iſt. Es iſt ein kluger, und ein
nobler Mann; was weiß er aber alles nicht! — ich wäre
fremd bei ihm; und er heimiſch bei mir. Das täuſcht ihn
auch; und das verführte ihn. Das ängſtigt und ſchmerzt mich
auch, ich hätte ihn nicht heimiſch ſollen werden laſſen. Kaum
aber — ich weiß das auch — kann ich das wehren. Noch
auf eine Manier kann ich heirathen, wenn ich dem Menſchen
faſt gleichgültig bin, und er alle ſeine Freiheit behält, und
mir ſeine Perſon gefällt, Das fühl’ ich, und weiß ich deutlich.
Vorurtheile muß er ſchon einmal nicht haben, ſonſt halt’ ich’s
nicht aus. Tugendhaft will ich gern ſein: das bin ich jetzt
auch — und bin zu nichts anderm gemacht — nur zum Lü-
gen muß mich ein dummer Mann nicht zwingen können, und
ich mich ſtellen müſſen, als ob ich ihn ehrte. Reden muß ich
können, was ich will: und mein Läſtern muß er lieben; und
wenn ich ihn ehren könnte! was ich ehren nenne!! — ich
glaube, ich weiß nicht — ich wäre noch glücklicher, als
durch die Liebe. Nun hab’ ich Ihnen auch geſagt, was Sie
längſt wiſſen: und das Diplom des Freundes ſchriftlich aus-
gefertigt. Das wollt’ ich; das verdient der Staël-Brief, wo
auch Sie mich ſo beſonders auszeichnen. (Ich leſe ihn nicht,
[182] aber ich weiß.) Sie ſchreiben mir darin, (ich leſe ihn doch!)
Sie ſchreiben mir, Sie lieben mich in der Entfernung inniger
und treuer, ich glaub’ es Ihnen. Sie haben auch eine von
den in ſich wahren Menſchen gefunden, die es nie aufhören
können zu ſein, und die ein ſcharfer Verſtand über ſich ſelbſt
erhellt, und ihnen Rechenſchaft ablegt; das ſind Freunde: das
haben Sie erkannt, und für ewig. Kein Wuſt, kein Mißver-
ſtand konnte da nicht ſtören, kein Roſt anſetzen. Auch ich
wußte es immer. Und oft was Kälte ſchien, war Stolz —
heißt Freude — und sécurité. Ich ſchicke Ihnen das erſte
Blättchen dieſes Briefes mit, das mich ſo rührte, und
ſchmeichelte — Sie ſchicken mir es gleich wieder — ſchmei-
chelte, ſag’ ich, die Schönheiten der Natur ſchmeicheln uns auch;
ich verſtehe unter Schmeichlen nichts Falſches. Jeder reine
Genuß ſchmeichelt, iſt eine Schmeichelei des Schickſals; wel-
ches uns eben ſo gut alles verſagen kann. Verſtehen Sie
mich? wenn ich mich gehen laſſe, werde ich unverſtändlich.
Ich beantworte nun Strophe nach Strophe Ihren Brief —
ich antworte eigentlich ſchon den ganzen Winter in mir —;
Brinckmann, Sie ſchreiben mir meiſterhaft über die Staël,
und eine Ungeduld ergreift mich, daß ich’s nicht kann drucken
laſſen. Zwar würden es dann auch die Letzten leſen, aber die
Erſten auch. Ich habe Sie ganz verſtanden, glauben Sie
mir’s! Lehren Sie ſie deutſch. Sagen Sie ihr, ſie hätte au
fond de l’Allemagne eine innige Anbeterin; ſie wäre mir in
der unglücklichſten Epoche meines Lebens wie ein Gott zu
Hülfe gekommen; la terre m’avait manquée sous mes pieds,
da hätt’ ich dies in ihrem Buche sur les passions geleſen, wel-
[183] ches Sie mir gaben: „à vingt-cinq ans la terre nous semble
manquer sous nos pieds,“ unſre Freunde, unſer Geliebter ver-
läßt uns — „wir müßten unſer Glück in Lieben finden, das
könne uns niemand rauben,“ wie ich das las, kannt’ ich ſie,
und gelobte ihr Liebe. Es giebt kein Glück: es giebt nur
Sieg, und Plaiſir. Hierin hat man ewig zu wählen, oder
vielmehr nur die Natur, ob ſie uns eine blonde oder brünette
Seele mitgiebt. Sagen Sie ihr, ſie ſoll mich nicht verachten,
weil ich ein Frauenzimmer bin: auch bei mir hätte es ſchwer
gehalten, ſie gelten zu laſſen. Sagen Sie ihr, ich kenne ſie
wahrſcheinlich beſſer, als irgend jemand, mit dem ſie je liirt
war. Sie wiſſen, was bei mir Goethe iſt. Alles, mein gan-
zes innres Leben, und er, — iſt Eins bei mir. Aber ich glaube
nicht, daß ihr Goethe geholfen hätte; freilich wenn ſie ihn
verſtanden hätte, ſo hätte ſie das andere auch gewußt, und
ein Probirſtein iſt er, ausbilden thut man ſich durch ihn, der
Stern im Leben iſt er, aber ohne ihn muß man alles ſein.
Vielleicht wenn ſie eine Deutſche wäre. Im Grunde — muß
man alles von ſelbſt ſein. Ihr Staël-Brief endigt, ich ſoll
manchmal mit unſern Freunden von Ihnen ſprechen — wenn
ich Ihnen nun ſage, daß alle Abend — wenigſtens — die
Rede von Ihnen iſt; daß wir Ihrer bald leichter, bald ern-
ſter, und immer mit Liebe gedenken. Die Liman, meine Schwe-
ſter, alle ſind wir Ihnen gut! Sie leben immer unter uns:
ach! und wir hoffen, Sie kommen wieder. Wenden Sie alles
an! Selbſt meine Mutter, wenn ſie mir vorrechnet, ich habe
alle Freunde verloren, kömmt Brinckmann an die Spitze. Wo
ſollten Sie uns auch nicht einfallen; wer ergriff alles leichter,
[184] durchſah es beſſer, und war voll ſchonenderer Rückſichten, und
wahrer Höflichkeit, wem ſtand beſſer ſeine Laune zu Gebot,
ſelbſt im Schmerz! Ich leſe Ihren zweiten Brief; der mit
dem Staël-Brief zuſammen kam. Darin ſchreiben Sie mir,
Sie ſind verwaiſt, traurig und muthlos, und ſetzen hinzu:
„Ich fühle, daß ich dieſe Klagen eigentlich bloß in den Schooß
einer ſchwachen gutmüthigen Freundin ausſchütten ſollte —
Sie ſind freilich nicht ſchwach, aber Sie ſind außerordent-
lich geſcheidt und das iſt beinah das Nämliche.“ Auch
begehren Sie keinen Troſt u. ſ. w. Wie können Sie mir das
ſchreiben? Kennen Sie mich nicht? Ich zeige eine harte, rohe
Außenſeite, weil ich es ſonſt nicht aushielt’, und die Andern
mit. Wenn ich meine Wunden zur Schau tragen ſollte,
wie die Andren — ihre Ritze —, es wäre eine Schlachtbank.
O! glauben Sie nicht, daß das, was ich Ihnen ſage, über-
trieben iſt. Darum bin ich nur ſo erſchrocken, wenn mir et-
was widerfährt, weil es auf ewig iſt. Ein zartes Gemüth
beleidigen, heißt es verderben. Wem ſollen Sie ſonſt etwas
ſagen, als mir! dazu bin ich gemacht. Schon oft dünkte
mich, wenn ich mir nichts mehr denken konnte, und ich denk’
es eigentlich; darum hab’ ich nur eine ſolche Seele wie ich
habe, darum widerfuhr, bis auf die geringſte Kleinigkeit, mir
alles ſo, und nicht anders, damit ich verſtehen ſoll, was jeder
fühlt, und was jedem fehlt, das iſt der einzige Menſchentroſt,
der andre kömmt von Gott! von der ganzen Welt, in aller
ihrer Ausdehnung und Bewegung. Um keine Gabe will ich
geachtet ſein, keinen Vorzug will ich genießen, alles iſt ein
Talent, aber dies iſt ein ſelbſterrungenes, eine einzige Gabe!
[185] um dieſe müßte man mich auszeichnen, ehren; ich liebe mich
darum. Und alles tadelt mich darum. Ich trage dies leicht;
aber verächtlich iſt es mir. Darum appuyire ich darauf, wenn
man mich verkennt. Ich bin zu reich, um zu prahlen (pour
étaler), und aus wahrer Beſcheidenheit thu’ ich’s nicht; ſie
ſind mir alle zu arm, und ich ſollte noch Koſtbarkeiten zei-
gen? „Frech wohl bin ich geworden, ihr Götter wißt, und
wißt nicht allein, daß ich auch fromm bin und treu.“ Das
ſei mein Epitaph. Wenn wir uns nicht wiederſehen, oder
wenn wir uns auch wiederſehen, ſehen Sie dieſen Brief als
mein Teſtament an. Er iſt mit einer Wahrheit geſchrieben,
wie man auf dem Todtenbette ſpricht — vielleicht glauben
Sie aus Furcht, Gott behüte! — weil man’s da nicht mehr
der Mühe werth hält unwahr zu ſein. Zeigen Sie der Hum-
boldt dieſen Brief, wenn Sie wollen. Sie ſchreiben mir fer-
ner, Sie wären „kindiſch“ und „toll mit Methode“? nun
toller, kindiſcher, kurz ärger als ich ſelbſt, iſt nichts. Ich bilde
mich aber ſehr; ich will nicht mehr mit Gewalt glücklich ſein;
und weiß, wie ſo ſich widerſprechende Dinge nicht vereinigen
laſſen, als das äußere und das innere Glück; nur eine harte
Wahl bleibt dem Menſchen, und das iſt, selon moi, ſein freier
Wille, von dem man ſo viel ſpricht. Bei Manchen geht das
nun freilich zuſammen, und auf Augenblicke immer nur, und
ſähen ſie ganz genau nach, nie. Meine Fähigkeiten ſind
immer noch nicht angegriffen, und daher bin ich immer noch
gut, epiſch geſtimmt. Je suis rassie,aber, traurig! und
bei guter Laune, höchſt verwundet; und über dies und über
mich ſelbſt erhaben. Daraus werden Sie klug; ich bin’s.
[186] Ich ſchreibe ſo garſtig. Das hält mich auch zu ſchreiben ab,
wenn es mir darauf ankömmt, das zu ſagen, was ich will.
Bald bin ich hier allein, ohne Bekannte. Mariane iſt
weg, die Fließ geht in vierzehn Tagen. Die Unzelmann iſt
auf einige Monat nach Wien. Jettchen geht auch in vierzehn
Tagen dahin. Gualtieri kommt nicht mehr — ein Mißver-
ſtändniß mit meinem Bruder —. Genelli ſeh’ ich ſehr wenig.
Die Grotthuß verreiſt. Was ich thu’, weiß ich nicht; entweder
ich geh nach Prag, wenn die Pachta will, woran ich zweifle
— dies mündlich, im Winter in Paris —, oder ich geh’ nach
Pyrmont, oder mit Schlegels, die nach vierzehn Tagen hierher
kommen auf einen Monat, nach Jena. Alles iſt unbeſtimmt
bei mir, und ich will ſehr diesmal auf die innre Stimme lau-
ſchen. Kommen Humboldts wieder nach Paris, ſo komm’ ich
zum Winter hin, wenn ich bei ihr wohnen kann. Freuen
Sie ſich alſo. Das iſt alles, was ich von Plänen im Leibe
führe; das ſind meine Lebenspläne. Das gefällt mir ſchon!
und was ich habe, wirklich beſitze, macht mich freudetrunken.
Meine Freiheit iſt im Grunde groß. Nichts ſetzt ihr eine
Gränze, als mein Vermögen, und wer fände die nicht endlich.
Wiſſen Sie, wie viel Geld ich mir jetzt wünſche, außer „das
viele“? So viel, ein Findelhaus zu errichten. Dann nähm’
ich mir Kinder heraus, die mir wohlgefielen, zum Erziehen;
und das wären meine. Adieu mon ami! Sein Sie nicht
zu dankbar, lieber Brinckmann, und leben Sie wohl! Jetzt
geht der Frühling an. Die Sonne ſcheint recht, Adieu! Es
grüßt alles was lebt, — Schlegel, den Schlechten, kann ich
nicht zum Schreiben bekommen. Dieſer Brief iſt den 9. und
[187] 10. März geſchrieben, und ſoll den 11. abgehen. Burgsdorf
muß mir das ſchicken, was ich in dem kleinen Brief fordere,
der in Ihrem liegt: und der auch morgen erſt abgeht.
An die Schwägerin M. Th. Robert, in Pyrmont.
— Jetzt iſt acht Uhr, deine Fanny und meine Hanne
haben jetzt eben, zum Geburtstag der erſtern, Schokolade mit
Kuchen, anſtatt Kaffee und Semmel, mit einer Glückſeligkeit
und Redſeligkeit hinter geſogen und gewürgt, deren auch nur
wenig Kinder fähig ſind; bedenk’, ob ich ſie dir auf jedem
Ball in Pyrmont und bei jedem Vorfall im Leben wünſche.
Ich ſaß mit meiner auf einem Stuhl, deine hatte die Schulz
auf ihrem Schooß; ſie hat Handſchuh und Fußſchuh von
Mama bekommen, und von mir und Hanne wird zum Nach-
mittag eine Puppe fabrizirt, der Vater bringt des Mittags
etwas, und ſo wird der ganze Tag gebähren, und ein wah-
rer Geburtstag ſein. Überhaupt! wenn du dich mit der Sehn-
ſucht abfinden kannſt, ſo kannſt du ganz ruhig ſein. Für die
Putten wird unausſprechlich geſorgt: du kennſt meine Lei-
denſchaft zu ihnen, ſie ſind ewig bei mir: ihr Fleiſch wird
beiderſeits feſter, auch bleichen ſie; meine ſchläft mit der Kou-
ſine in der gelben Stube, ich im Saal, die Thüre offen. Um
neun Uhr eſſen wir, mit dem letzten Biſſen geht meine zu
Bett, Line bleibt bei ihr, bis ich komme. Für Erkältung,
Deutſch, Artigkeit und Lektion, wird nach Möglichkeit geſorgt.
Ich thue weiter gar nichts, denn ich leſe nicht einmal mehr,
[188] um mich zu ſtärken; und die Putten, obgleich ſie einen matt
genug machen können, ſind mir doch Heilkraft. — Die Furcht
vor dem Bär iſt weg, nachdem ſie durch Vetter auf’s äußerſte
gekommen war, den ich aber im ſtrengſten Sinn des Worts
geſchlagen habe; — ſie mußte immer ſelbſt brummen,
und ich bramm ſo lange, bis es ihr keinen Eindruck mehr
machte. Auch iſt ſie nun durch mich von des Bären Abreiſe
überzeugt, und daß er keine Treppen ſteigen kann. — (Nun
iſt Nachmittag: nichts greift mich ſo an, als Schreiben). Von
der Köchin hat ſie einige Bouquets von kleinen rothen Be-
ſingen bekommen, die ſie mir ganz in Erſtarrung zeigte,
Dann fuhr ſie mit der Schulz und mir die Morgenpromenade
nach Hoppe, an dem ſie einen herrlichen Spielkammeraden
hatte; beſonders unermüdet. Dann kam der Vater nach
Hauſe, und brachte, zu abermaliger Erſtarrung, einen Fächer
und Schärpe; Hanne kauft jetzt für vier Groſchen ein! —
Deine ſpringt vor Tiſche mit Einmal vom Sopha; „Rahle!
ich will dir was zu eſſen holen.“ Ich vergeſſe das, weil ſie
gar zu viel thut und ſagt. Eine ganze Weile nachher, kommt
ſie: „Da! Da!“ ich ſehe immer nichts. Was bringt ſie?
Ein Erdbeerchen, und das muß ich eſſen. Ja, lieber Hans!
Warum kann ich jetzt nicht mein Glück in deinen Buſen
weinen! Daß wir jetzt getrennt ſind! — Über’s Jahr vielleicht
bin ich ſelbſt Mutter. Nun heirathet ein jeder Menſch —
lachen muß ich auch; aber es iſt wahr! Ringe ſind gewechſelt;
ich habe ſein Bild. Schneller entſtand keine Liebe; ſoll ich
es Sympathie nennen? — oder wie willſt du es nennen? —
wie ich heißen werde? ſogar der Name iſt ſchön. Einen Tag
[189] ſah ich ihn, den zweiten ſchenkt er mit einen Ring, vorgeſtern
ich ihm einen, geſtern ſchickt er mir ſein Bild: muß er mich
nun nicht den Sonntag heirathen? Umarme mich! — Jeder
Brief von dir iſt mir eine ächte Freude. Du denkſt es dir
in deiner biedern Seele gewiß gar nicht ſo. Wir wollen auch
recht geſund werden! Philoſophinnen ſind wir doch ſchon;
dazu Geld, und man riskirt bei der etwanigen Unſterblichkeit
nichts. Meine Geſundheit iſt artig ſeit vier Tagen. — —
An Guſtav von Brinckmann, in Paris.
Kein Brief, lieber Brinckmann! Bitten, Beſtellungen, kurz
eine Art von Geſchäften; folglich Ennui. Vor ein paar Mo-
naten wollt’ ich Ihnen einen Brief von Mad. Unzelmann
ſchicken; man ließ mir aber ſagen; Sie ſeien auf der Reiſe
von Paris nach Stockholm. Da gab ich ihn wieder zurück.
In dieſen kann ich ihn nun nicht einlegen. Vor einem Mo-
nat ungefähr war Mariane Pollet hier, die von Karlsbad
kam, ſie kam unvermuthet mit Boye’s zu mir. Gleich wa-
ren wir intim. Ich hab’ ihr ſo gut gefallen, als ſie mir. Sie
verſteht das Leben: und das iſt alles was man fordern kann;
fehle ihr auch übrigens was da wolle. Sie macht es einem
leicht und angenehm, iſt voller Verſtand; was red’ ich! Sie
kennen ſie. Ich lieb’ ſie ordentlich. So voll Leben, das ganze
Weſen voll Phyſionomie! und kein ſtörendes Vorurtheil. Kurz,
recht liebenswürdig. Sie ſchickt Ihnen einliegenden Zettel.
Sie war nur drei Tage hier; wir ſahen uns beſtändig; und
[190] es iſt mir, als kennt’ ich ſie von Kindheit an. Wir haben
auch manche Parthie mit einander verabredet. Die Veit läßt
Ihnen ſagen, wie ſo Sie ſie mit Einmal außer Ihrem Karak-
ter behandlen, und ihr auf einen Brief, wo welche von Schle-
gel, Schleiermacher, eingeſchloſſen waren, nicht antworten.
Sie will mir nicht glauben, und behauptet, Sie müßten ihn
bekommen haben. Friedrich Schlegel iſt ſchon in Jena, und
Mad. Veit reiſt die andere Woche mit meiner Mutter nach
Leipzig, von wo ſie die Schlegels nach Jena holen, und wo
ſie den Winter mit ihrem jüngſten Sohn bleibt. — „Die
Nacht — ſie mußte ſich erhellen.“ Ich bin noch mittenin.
Auch ſollen Sie von mir kein Wort hören; ſo elend geht
es mir. Ich glaubte das Leben, den Schmerz zu kennen: aber
dieſen Sommer hab’ ich ihn erſt erfahren. Nun — zweifl’
ich auch nicht mehr, nun kann es immer ärger werden! Ich
bin aber nicht ſo elend, wie ſonſt: ich habe mehr Muth; und
ſollte mir auch nur eine Hand zu retten übrig bleiben.
Ich rette ſie; und da mich dieſe Leiden, dieſes Verlaſſenſein
nicht ſtupid gemacht hat, bloß zerriſſen, ohne zu tödten —
nun! ſo iſt man ja wohl gemacht um dies zu leiden, und ſo
zu werden, wie ich werde. Von mir alſo nichts. Darum
ſchrieb ich auch ſo lang nicht; hätt’ ich auch noch immer nicht
geſchrieben — von der Pachta in dieſem Briefe auch nicht.
Nächſtens ſchick’ ich Ihnen eine Kopie von einer Antwort,
die ſie mir dieſen Frühling auf Ihren vorletzten Brief ſchickte,
und worauf ich das Päckchen mit Ihren Gedichten zurück-
gehalten habe! Glauben Sie! es war recht. Der Unver-
ſtand war geſchwollen bis zu einer Tollheit. Was macht meine
[191] Humboldt? von der ich nicht einmal weiß, wo ſie iſt!!!! Sa-
gen Sie mir etwas!
Nun kommt die Bitte und die Hauptſache in meinem
Brief. Beſorgen Sie ſie, als wenn ſie ganz für mich wäre!
obgleich ſie für Gualtieri iſt. — — Thun Sie das für Ihre
Freundin.
Ihre R. L.
Was ich nicht bekommen habe, kann ich vergeſſen; was
mir aber geſchehen iſt, kann ich ich nicht vergeſſen; behüt Gott
jeden, dies zu verſtehen!
Jedes gewaltſame und plötzliche Aufhören iſt mir unan-
genehm; weil wir etwas Unausgeführtes vor Augen und in
der Seele behalten, welchem wir ſpäter oder früher auch wie-
der ſo begegnen. Wenn aber das Leben eher aufhört, als
es ausgeht, ſo iſt das ſchön; denn da bleibt umgekehrt etwas
Ganzes zurück, und nicht etwas Trauriges oder Ekelhaftes.
Man kann mit den [Empfindungen], wie mit andern Gü-
tern, ſchlecht haushalten. Man kann durch eine geſchäftige
Einbildungskraft ſo dem natürlichen Ausbruch der Ideen vor-
greifen, daß, wenn die Zukunft als Gegenwart erſcheint, man
nur eine Vergangenheit zu wiederholen hat, und befremdet
iſt, ſich gelaſſen bei Dingen zu finden, die man als das Ent-
ſetzlichſte gefürchtet hat. Das pflegt man abgeſtumpft zu nen-
nen; und es iſt doch nur das eigentlichſte Unglück.
[192]
Wenn man nur immer die Geſchicklichkeit hätte, wahr
ſein zu können, ſo wäre es nicht möglich, ſich je ſchämen zu
dürfen; denn man hat ſich entweder etwas zu geſtehen, was
man ändern, oder was man nicht ändern kann. Aber man
irrt ſich, wenn man glaubt, daß man nicht immer wahr ſein
dürfe; man hat entweder nur keine Aufmerkſamkeit darauf,
keine Geſchicklichkeit die Wahrheit zu finden, oder am öfter-
ſten keine Gegenwart des Geiſtes, ſie zu ſagen; ſo lügt man;
denn ſie nachzuholen, dazu gehört ſchon eine heroiſche Tugend,
und Fleiß.
Billigkeit, Haß und Vorliebe, wird geübt; aber keine
Gerechtigkeit. —
Man lernt ſpät lügen, und ſpät die Wahrheit ſagen.
Wir hätten uns brauchbar für uns ſelbſt gemacht, wenn
wir über das, was rohe Sache in uns iſt, einen uneinge-
ſchränkten Willen hätten; und das, was Willen iſt, zur un-
biegſamen Sache machten. Der Menſch muß ſich zur Wand,
zu etwas Undurchdringlichem, ganz nach ſeiner Willkür machen
können, damit er mit den Sachen und mit den Menſchen,
die ſich als Sachen aufwerfen, kämpfen kann.
So lange wir nicht auch das Unrecht, welches uns ge-
ſchieht und uns die kühlen brennenden Thränen auspreßt,
auch für Recht halten, ſind wir noch in der dickſten Finſter-
niß, ohne Dämmerung.
Wenn
[193]
Wenn wir nicht albern wären; würden wir unſinnig.
Mittagzeit — Abendeſſen — Gutenmorgenſagen, — die al-
berne Regelmäßigkeit ſchützt uns. Wer hat es nicht gefühlt,
daß ihn Müdigkeit vor Raſerei ſchützt: aber nicht allein, weil
man dann entſchlafen muß, denn ich glaube, wenn ſelbſt die
Einrichtung der Natur ſo wäre, daß wir keinen Schlaf be-
dürften, es wäre nicht hinlänglich. Wir müſſen wiſſen,
daß wir ſchlafen werden, das ſchützt uns.
Die niederträchtigen Menſchen ſind die, welche, was ſie
in ſich loben, nicht auch in Andern ehren.
Wer zu ſchönen verſteht, der kann auch kränken: wer
aber kränkt, verſteht nicht auch zu ſchonen.
Der Dichter unterſcheidet ſich auf dieſe Weiſe vom Lügner:
daß der erſte eine Lüge nicht ohne Wahrheit erzählt, und der
zweite eine Wahrheit nicht ohne Lüge erzählen kann.
Es giebt Leute mit ſchönen Fähigkeiten, aber von gerin-
ger Denkungsart.
Das darf den Werth meiner Gaben nicht herabſetzen,
daß ich ſie mit Liebe gebe! Nur bei gemeinen Seelen ſtumpft
dies die Luſt des Empfangens ab. Und auch nur eine ge-
meine Seele arbeitet dem klug entgegen; wer ſich durch Klug-
I. 13
[194] heit kalt erliſtet, was ihn frei überſtrömen ſoll, dem fehlt wohl
das Einzige, was Geſcheidte von der Klugheit abhält! —
Lieber verzweifle ich.
Man iſt nie mit einem Menſchen zuſammen, als wenn
man allein mit ihm iſt. — Ich gehe noch weiter, — man iſt
es nie eigentlicher, als wenn man an ihn in ſeiner Abweſen-
heit denkt, und ſich vorſtellt, was man ihm ſagen will.
Es gehört mit zu den Kenntniſſen, wie man das Leben
behandeln ſollte, zu wiſſen, daß man Berechnungen anſtellen
ſoll, wo das Herz und ein edles Gemüth ſich ſträubt zu rech-
nen: und daß man es wagt, ſich dem Zufall zu ergeben, wo
alles berechnet werden könnte.
Wenn ich mich verrechnet und folglich geirrt habe, und
es iſt mit Scharfſinn geſchehen, ſo bin ich zufrieden. Hab’
ich aber richtig vermuthet, und der Ausgang giebt mir Recht,
ſo kann ich zufrieden ſein, und wenn ich noch ſo dumm zu
Werke gegangen bin.
Darum ſcheut man ſich, und nicht genug, manthes aus-
zuſprechen, weil man es gleichſam in die Welt, aus der über-
ſinnlichen, hineinhebt: und für die Wirkung nicht mehr ſtehen
kann. Das fühlt der Dümmſte oft, und der Kluge iſt oft
nicht klug genug, auf dieſes Gefühl zu lauſchen.
Es iſt aber auch nicht gut, auch nur das Geringſte zu
[195] verſchweigen: und wenn man alles ſagen könnte, wäre alles
beſſer. Auf dieſe Vollkommenheit müßte ſich jedes Individuum
üben, wie die Menſchheit ſie erwarten muß.
In der geringſten Stube iſt ein Roman, wenn man nur
die Herzen kennt.
Was heißt das, Satisfaktion haben? Die hat man
immer, wenn man mit ſich in Ordnung iſt; das heißt aber
nur das Nothwendige nicht vermiſſen; daß auch Andere mir
genügen, iſt allein der ſchöne Überfluß, der glücklich macht.
Giebt es Wunder, ſo ſind es die in unſrer eigenen Bruſt;
was wir nicht kennen, nennen wir ſo. Wie überraſcht, wenn
auch nicht beſchämt, wenn uns die Begeiſterung wird, ſie zu
gewahren!
Da eine willkürliche Einrichtung Statt haben konnte, ſo
iſt es kein Vorurtheil, daß ein Weib nicht Liebe bekennen
darf. Der Liebe Verdammniß zum Sterben, iſt Verſchmä-
hung. Bei einem Weibe kann ſie das Gewand von Keuſch-
heit und Schüchternheit nehmen, bei einem Manne ſteht ſie
gewandlos, tödtend da.
Symptome der Liebe giebt’s. Wenn man folgende Pe-
riode von Mad. Genlis ganz auf ſich anwenden kann: „Mais
13 *
[196]je n’ai plus ni caractère ni volonté! insensé, faible et mépri-
sable, je n’attends rien de vous, et sans but comme
sans espérance je cède malgré moi au charme irrésistible que
je trouve à vous aimer;“ ſo kennt man eins. Das andere
iſt, wenn einem jede körperliche Berührung, außer der des ge-
liebten Gegenſtandes, unwillkürlich und unwiderſtehlich ekelt.
Die ganze Welt iſt eigentlich ein tragiſcher Embarras.
Einen gepackten Reiſewagen und einen Dolch ſollte ein
jeder haben; daß, wenn er ſich fühlt, er gleich abreiſen kann.
Es gelingt einem beinah nie eine Sache, von der es einem
nicht nachher leid thut, daß ſie einem gelungen iſt; und es
mißlingt keine, daß es einen nicht nachher freute.
Düngen Sie mit Verzweiflung, — aber ſie muß ächt
ſein, — und Sie werden vortreffliche Ärnte haben.
An Guſtav von Brinckmann, in Hamburg.
Lieber! Brinckmann. Sehen Sie mich in Thränen geba-
det zu Ihren Füßen; und nicht leiden, daß Sie nach Schwe-
den gehn. Ich bin ja bei Ihnen. Gott! macht denn das
alles aus, daß ich nicht reiſen kann. O! Sie würden gewiß
gleich um ein Merkliches beſſer, wenn ich nur hinein träte.
Ach Gott ach Gott! jedes Wort, fürcht’ ich, ſchadet Ihnen,
[197] welches ich ſchreibe: O! ſchrecklicher Zuſtand! den kannt’ ich
bis jetzt nur aus Büchern. Alles, alles ſoll ich kennen lernen. —
Lieber! beſter! Freund, laſſen Sie ſich nicht von meinen Brie-
fen affiziren! — Ich bin ſelbſt in der Bruſt — wie es Jean
Paul neunt — ſo! krank, daß ich nicht anders ſprechen kann.
Auch ich war viel mediziniſch krank und bin ſo zerriſſen, daß
nur Thränen kommen und Thränen-Worte, ſein Sie gefaß-
ter, laſſen Sie ſich — ich beſchwöre Sie! — nicht ſo ſehr
durch mich rühren. Sehen Sie mich zu Ihren Füßen, und
mit der größten phyſiſchen Gewalt nicht leiden, daß Sie
reiſen. Müſſen?!! — welche Gewalt, welche politiſche
Rückſicht kann Sie, wenn Sie ſich ſo fühlen, noch zurückhal-
ten. Sterben Sie nicht an Pflicht; die nicht anerkannt wird.
Sein Sie nicht ſo eitel-grauſam gegen Ihre Freunde, ge-
gen mich. O! könnt’ ich Sie bewegen! Haben Sie kein Geld?
auf den Augenblick? Ich will es gleich ſchaffen. Nehmen
Sie die Summe indeß von Mad. Sieveking. Ich will hoffen —
und bin überzeugt, Sie ſehen hierin nicht mehr etwa, als einen
guten Morgengruß — und nicht einmal rühren darf es Sie;
ſonſt bin ich gar verloren. Markus Herz kurirt alle Brüſte, und
eben jetzt wieder den jungen Gilly, den alle andere Ärzte ver-
loren gaben. Und ich kurire Sie gewiß. Und ſchon in ſo
ſchwachen, abgeſpannten Stunden mich bei ſich zu haben, muß
Ihnen alles ſein. Nur wenn die Humboldt um Sie wäre,
das könnte mich tröſten; und ſo als wenn ich es wäre, wäre
es doch lange nicht. Ich ſchreibe meiner Schwägrin: die ſoll
Sie zwingen, und wenn Sie ſich nicht zwingen laſſen, Mad.
Sieveking, die wird Sie doch nicht behalten wollen, um daß
[198]ſie Sie pflegen kann?! So lange haben Sie gemacht —
innen gelitten — ich weiß wie — und außen gearbeitet, ge-
ſpaßt und geſchrieben, geleſen und gedichtet, bis Sie keine
Kräfte mehr haben, Ich ſtürbe gern. Erſt geſtern Nacht war
ich krank, und ungewohnt-krank, ich hoffte gleich: „Ach viel-
leicht iſt dies der Tod.“ — ich ward den Tag über beſſer,
und den Abend bekam ich Ihren Brief.
Wenn ich Sie verlöre, verlör’ ich einen großen Theil von
mir ſelbſt. Denn eine Seite kennen Sie in mir, die niemand
kennt außer Sie — nennen kann ich ſie nicht, nicht einmal
bezeichnen in dieſem Augenblick — und die muß erkannt wer-
den, ſonſt iſt ſie todt. Ich vermag gar nichts anders zu ſchrei-
ben, als kommen Sie. Kommen Sie. Und reiſen Sie nur
in keinem Fall nach Schweden: denn nach Hamburg kann ich
doch noch kommen. Aber kommen Sie hierher, hierher!!!
Leben Sie wohl; mir iſt ſo wüſt und kränklich, daß ich weni-
ger als je, vernünftig und zweckmäßig zu ſein vermag. Ich
glaube, ich habe gar keinen Kopf mehr. Über den Pachta-
Brief hab’ ich nichts und will ich nicht antworten. Kommen
Sie hierher! nur hierher. — Unſre Luft iſt ganz gut für die
Bruſt, der Staub iſt zu vermeiden. Kommen Sie, kommen
Sie. Ich wiederhole dies wie ich die Augen aufſchlage. Sie
kommen. Sie laſſen ſich erbitten. Es giebt kein Müſſen
von der Art.
[199]
An Guſtav von Brinckmann, in Hamburg.
Lieber Brinckmann, ſchreiben Sie mir nicht! Niemanden!
Nichts, gar nichts! Sie ſchreiben mir: „Meine beſte Freun-
din“, und Sie wiſſen doch nicht gewiß, daß das wahr iſt.
Keine hat mehr Penetration in Herzen (nicht im Herzen, in
Herze mein’ ich); es kann alſo keine andere ſein: und eine
gewiſſe Ähnlichkeit haben wir, die noch über Alle erheben
muß. Es iſt nicht Stolz. Brinckmann, man iſt nicht ſtolz mit
Thränen in den Augen. Prof. Herz meint, das Moos könne
ſehr ſchädlich ſein. Wie in Acht müſſen Sie ſich neh-
men! Waſſerfenchel, meint Herz, ſollen Sie brauchen. Schik-
ken Sie die Relation; aber daß Sie ſie nur nicht ſchrei-
ben!!! Auch beim Diktiren, Nachrichtgeben, und beſonders
Erzählen vom alten Zuſtand in Paris, echauffiren Sie ſich
nicht! Schicken Sie die Relation ſobald als möglich zu mei-
nem Bruder; die Kaufleute ſchicken jetzt oft Eſtafetten, da
kann ſie mit gehen; wonicht, ſo legt er ſie auf die Poſt. Je
ehr ſie hier iſt, je ehr haben Sie Verhaltungsbefehl. Sehen
Sie ihn als einen ſolchen an. Vom Rezept meint Herz, es
ſei äußerſt, äußerſt gleichgültig. Wie hat mich dies ſchon be-
ruhigt. Wie lange gedenken Sie denn noch in Hamburg zu
bleiben? — Wiſſen Sie, daß ich jetzt ſehr liirt mit der Gräfin
Schlabrendorf bin, Graf Kalckreuths Schweſter? Sie iſt aber
ſeit einem Monat bei ihrem Bruder zu Siegersdorf. Sie ken-
nen ſie. Alſo nichts mehr. Ein Öl der Seele fehlt ihr: die
derben Eigenſchaften hat ſie beinah alle; und eine außer-
[200] ordentliche, man darf — das heißt was anders, als man
kann — ihr alles ſagen. Man kann ihr alles erklä-
ren. Errathen — Errathen —! iſt freilich nur mein Glück.
Doch geht’s gut. Wiſſen Sie, wer jetzt noch meine Bekannt-
ſchaft gemacht hat? Prinz Louis. Den find’ ich gründlich lie-
benswürdig. Er hat mich gefragt, ob er mich öfter beſuchen
dürfe, und ich nahm ihm das Verſprechen ab. Solche Be-
kanntſchaft ſoll er noch nicht genoſſen haben. Ordentliche
Dachſtuben-Wahrheit wird er hören. Bis jetzt kannt’ er nur
Mariane, aber die iſt getauft, und Prinzeß, und Frau von
Eibenberg; was will das ſagen?! Noch kenn’ ich einen Mann,
der mir ſehr gefällt, einen Kouſin von Chriſtian, er iſt bei un-
ſerm auswärtigen Departement, und reiſt zu Chriſtian, Sie
werden ihn alſo ſehen. Sprechen Sie von mir und grüßen
ihn recht freundlich. Gehen Sie auch zu Mad. Brun, geb.
Münter, danken Sie ihr, nämlich ſagen Sie ihr, ich hätt’ es
nicht für möglich gehalten, daß ſie noch meiner gedenkt, und
freute mich ſtalz wie ein Kind, daß ſie mich durch Mlle. Ja-
cobi hat grüßen laſſen. Ich war ihr ſehr gut: ſo verſchieden
wir ſein mögen — ſie hat einen ſtillen Hinterhalt in der Seele,
der immer mein Freund iſt, wenn’s der Menſch auch nicht
weiß. Vielleicht ſchreib’ ich ihr; ſie war immer zutraulich zu
mir: und komm’ ich nach Kopenhagen — wie alles möglich
iſt — ſo iſt ſie meine Freundin, und ich geh’ und wende mich
gleich an ſie. Liberal iſt ſie ſo! — Mein neuer Bernſtorff
iſt nicht wie wir; Sie werden ſchon ſehen. Aber ich lieb’
ihn. Nicht zu ſein, wie wir, und doch zu ſein wie er, iſt an-
betungswürdig. Sprechen Sie ihm von mir: ich will gern,
[201] er ſoll mehr Gutes von mir wiſſen, als er weiß. Ich hab’
Ihnen von dieſen weltlichen Dingen geſchrieben; um Ihnen
davon zu ſchreiben, und uns au courant des Lebens zu ſetzen;
das geht ſeinen Gang fort; wir mögen in uns hegen, was
wir wollen. Apropos, Jean Paul iſt hier. Noch hab’ ich ihn
nicht geſehen. Ich will ihn ſehen; aber ich muß ihn nicht
ſehen. Einen nur mußt’ ich ſehen. Ich muß mir den Richter
immer ſchmutzig denken! — weil er keinen Geſchmack hat.
Denken Sie nur nicht, daß ich ihn nicht liebe. Au contraire,
dieſen Winter lacht’ und weint’ ich nur mit ihm. Adieu! und
— wär’s wohl möglich, daß ich mit meiner, grad’ meiner
Laune den Richter nicht goutirte? Adieu. Leben Sie recht
wohl!
Alles grüßt. Nun iſt’s als hätte man einen Pfropf her-
ausgezogen, und die Liebe kommt ſtromweiſe.
An Guſtav von Brinckmann, in Hamburg.
Beſter Freund, ich fange indeß hierauf an zu ſchreiben,
weil ich noch kein Papier habe. Dieſes Blättchen von Herz
hat er hier bei mir geſchrieben; was er mir ſagen wollte,
ward während des Sagens zu weitläufig, und da ergriff er
dieſe Manier. Wa er keine Vorurtheile hat, iſt er ordentlich
göttlich, und liebenswürdig- vernünftig und gelaſſen.
Folgen Sie ihm ja diesmal. Zufrieden, Lieber? Eine Laſt
iſt mir vom Herzen — aber zufrieden? — ſo iſt man, ich
fühle — gleich wieder eine neue. Schreiben Sie nur nicht, lie-
[202] ber Engel! Jedes Wort, was ich ſehe, koſtet mich einen
ſchweren Odemzug. „Gute Küche“. Wenn ſie nur für Sie
gut iſt; ach wie vielerlei Sorgen hab’ ich! — Sie ſtrengen ſich
doch an, — gute Pflege — wie dankbar, wie beredt ſind Sie
nicht gewiß dafür! — Es bleibt doch immer ein fremdes Haus.
Nur bei mir dürften Sie keine Emotions haben. Ich wüßte
ſchon alles zu machen. Sie kennen mich wahrhaftig noch
nicht; praktiſch. Was iſt zu thun — leiden, wie immer. Muß
Sie denn Ihr König zu einer beſtimmten Zeit ſprechen? Könn-
ten Sie nicht fordern, ſich hier bei einem berühmten Arzte
und Freund kuriren zu wollen, und dann die Rede ſtehen
und jeden Auftrag fördern? Ach Brinckmann! ich fürchte
Ihre Leidenſchaft in dieſen Zeiten, wo man weder Geliebten
noch König, Vaterland oder Republick treu iſt, es innerlich
religiös ſein zu wollen, opfern Sie alles — ſich und uns,
auf. Leben Sie, oder ſterben Sie! Handlen Sie nach Ihrem
Innerſten: daher kommt nur Glück. Aber wiſſen Sie, daß
es mir nicht entgeht: „Verbiete du dem Seidenwurm zu
ſpinnen.“ Taſſo.
An Guſtav von Brinckmann, in Hamburg.
Lieber Brinckmann! denken Sie ſich meinen Verdruß, wie
ich das Formular vom Gebrauch des Guajac gar nicht im
Bref finde: künftige Poſt ſollen Sie’s haben. Herz iſt
grade heut im Thiergarten. Ich weiß nichts neues zu bitten!
— Schreiben Sie nicht, will ich nur ſagen; nicht mehr:
[203] kommen Sie vor Schweden. — Wie befinden Sie ſich?
ſchwebt mir auf den Lippen, — Was hilft mir alles, Sie
bleiben Seidenwurm, ich auch ein Wurm. So ſind wir Alle
Würmer. Glücklich ſind die, die da ſpinnen. Spinnen thu’
ich redlich; und was das rühmlichſte, das köſtlichſte, das glück-
lichſte iſt, noch an dem erſten ſelben Faden. Das ſind die
Erwählten, die ſo wurmartig ſind. — Sonntag war Jean
Paul bei mir: ich war launig — ich hatte grad acht ſehr lau-
nige Tage, voller kurioſer Ausdrücke und Bonmots — nicht
er. Das war gut. Er hat überaus etwas Beruhigendes an
ſich. Vor dem könnt’ ich mich gar nicht ſchämen. Nie hat
ein Menſch ſo ganz anders ausgeſehen, als ich ihn mir denken
mußte. Keine Ahndung vom Komiſchen. Er ſieht ſcharfſinnig.
und die Stirn von Gedanken wie von Kuglen zerſchoſſen aus.
Er ſpricht ſo ernſt, ſanft, und gelaſſen, und geordnet, hört ſo
gern — ſüß möcht’ ich ſagen — und väterlich zu — daß ich
nie geglaubt hätte, es ſei Richter. Und blond iſt er! „Sie
ſind es nicht!“ möcht’ ich immer zu ihm ſagen. Das reizt
mich nur noch mehr: denn nun iſt er Richter, und hat die
neuen rührenden Eigenſchaften noch obenein. „Die wenig-
ſten Menſchen ſind etwas werth, außer die wenigen, die eben
Richters ſind.“ Er ſagt: „Die wenigſten Menſchen haben
Geld (Geld!) außer eben dieſe wenigen.“ Die ſind auch
immer noch beſſer, als man ſie ſchon kennt. Er hat mir
heute ein kleines, aber Jean-Paul’ſches Billet geſchrieben —
es iſt auch Brinckmann’ſch, Sie ſollen gleich hören; wir ſag-
ten’s Alle — es war eine Antwort, ich mußt’ ihm ſchreiben:
denn Fleck wollte Antwort haben, welchen Tag er Wallenſtein
[204] ſehen will; er hat Fleck noch nicht geſehen, — pensez! Ich
habe das Glück, die Glorie, für mich, meinen Fleck Rich-
tern zu zeigen: in meine Loge geht er. Iffland hat er ge-
ſehen; bei einem Haar hätte Deutſchland den für den Erſten
geleſen. Das durft’ ich nicht zugeben. Er wollte ſchon weg-
reiſen. Aber — er bleibt — um Fleck, auf mein Treiben.
Ich halte es in der That für wichtig, ſolch einen Mann au
fait zu ſetzen. Ich ſchreib’ Ihnen das Billet zum Amüſement
ab; in der Gewißheit, daß ich Ihr Ehrenwort habe, daß
Sie es niemanden ſagen und zeigen; alle Menſchen ſind zu
plump; und prahlen damit, und prahlen weiter; ich kann
nicht leiden, wenn man eine Seele wie Richters — denn die
lieben wir — wie ein ausländiſch Thier behandelt, welches
man herum promenirt: — „Berlin — und die Schauſpieler —
und die zwei Stücke — und Ihre gütige Verwendung gefal-
len mir ſo ſehr, daß ich Freitags und Montags, und — wenn
Gott die Schöpfung von Haydn noch Einmal ſchafft — ſo
gar Dienstags hier bin, Ich dank’ Ihnen recht innig, daß
Sie meine Bitte zu der Ihrigen gemacht haben.“ Das war
ein Freundſchaftsſtück. Adieu! Nicht wahr, man muß nur in
Berlin bleiben; hier kommt noch alles her, Bonaparte mit al-
len Franzoſen, bin ich überzeugt: Pyramiden und Berge mit,
wenn man nur bis darauf zu warten verſteht. Ich geh
doch bald weg. Anderwärts müſſen ſie auch etwas haben.
Adieu! Wenn Sie kämen!!! und nachher mit dem König
ſprächen. Wir hören beide nicht auf zu ſpinnen.
[205]
An Frau von Boye, in Stralſund.
Als L. wegreiſte.
Vor einer Stunde kam L. noch ganz unerwartet, denn er
ſollte ſeiner Ausſage nach, ſchon dieſe Nacht gereiſt ſein. Ich
hätte gewünſcht, ihm mehr zu gefallen, und mehr mit ihm zu
leben: beides ging nicht. Doch lebten wir nicht deßhalb wenig
miteinander, weil ich ihm nicht gefiel, ſondern, ich gefiel ihm
nicht, weil wir zu wenig miteinander lebten. Ich erkannt’
ihn gleich, und unwiderruflich für edel; du hatteſt mir ihn
auf eine Art bezeichnet, wie ich zu thun pflege, wenn ich will,
daß Zeit geſpart werden, und alles gleich richtig ſein ſoll: er
war offen gegen mich, und behandelte mich auch wie einen
Edlen. Nichts beſticht, nichts fordert mich mehr auf, nichts
gewinnt mich ſchneller, nichts reizt mich ſo. Ich trat ihm mit
offnen Armen und Herzen entgegen: ich wollt’ ihm all meine
Zeit, ſeines ganzen Hierſeins, widmen; am meiſten um ihn
ſchnell das Beſte von Berlin genießen zu laſſen. Seine Zeit
war aber anders beſetzt. Er hatte andere Wünſche; legte
ſich Pflichten auf — war ſein eigner Lohnlakai — ließ ſich
Zeit auf alle Art ſtehlen: und ich ſah’ ihn kaum. Alle Ver-
ſprechen ſchienen ihm heilig, außer die mir gegebenen: und ich
konnte nie unterſcheiden, ob er ſie mir nicht ganz feſt gege-
ben; oder ob er ſie mir nur nachher ſo auslegte. Mir ſchien
das Erſte: aber ich glaubte ihm, weil ich nie ſo etwas weiß;
und es auch am Ende gleich iſt, ob er nicht feſt verſprach,
oder nicht feſt hielt. In beiden Fällen will man nicht zu
[206] gern: „Wer viel erwägt, ſucht Gründe nicht zu wollen.“
Leſſing. Und das war mir das Wichtigſte. Lieber L.! ich
klage Sie nicht an. Es iſt bloß Geſchichte und meine Ent-
ſchuldigung. Denn Geſchichte, wie Sie ſie erzählen können
und müſſen, würdeſt du mir, Freundin, übel deuten müſſen.
Dies Ganze that mir etwas weh: dies will ich nicht mehr
leiden, und da wollt’ ich mich zwingen; und zwang mich.
Da ſah es aus, als hätt’ ich Launen, und als ſei ich hart.
Dies benehme du L’n. Im Gegentheil! es weint alles in mir:
alles verwundet mich jetzt; und Thränen entquillen auch jetzt
den Augen. Ich bleibe nur noch wenige Wochen hier, was
ſollte mir eine kurze und innige Bekanntſchaft?! — Ich
machte die Ausnahme für dich und ihn, und — es ging
nicht; die Zeit, in der es vorgehen ſollte, ſchenkt’ er mir
nicht einmal. O! Gott ſo tief hat es mich nicht gekränkt:
ich ſchob ihn gleich zu den Andern; wo es nicht ging. Am
Ende haſt du, oder vielmehr doch ich mich geirrt. Ich glaubte,
da er dich liebt, würde ihm mein Umgang der liebſte ſein.
So ließeſt du mich ihn erwarten. Er liebt dich: und deine
Familie iſt ihm das Liebſte, auch gut! Ich habe noch den
Fehler: wenn ich einen Edlen finde, ſo dichte ich ihm gleich
alle andern Geiſteseigenſchaften hin zu, die ich habe und
liebe; und da irrt man ſich, die Menſchen haben dann ge-
wöhnlich grad andere. Sag’ ihm nur, er ſoll ſtolz ſein, und
das lieben, was ihm muß mißfallen haben; das war grade
der Pack Liebe und Wohlwollen und gute Meinung, die ſo
auf ihn los fiel. Ich gedenke es jetzt nicht viel mehr ſo zu
machen: und ein Graf, und ein Menſch mehr Bekanntſchaft,
[207] bei mir, iſt jetzt für mich gar nichts. Jeder andere Fremde
hätte mich auch gar nicht affiziren können. Nur dein L. der
ſich mir gleich als edel ankündigte; dem ich einmal — wie
eine Karpe den Rachen aufſperrt zum Biſſen — gute Zeit
machen wollte. Dies ſei meine Entſchuldigung! Ich bin
noch mehr zu entſchuldigen; der Menſch gefiel mir in
ihm, aber — doch genug! ich bin ihm gut, ſehr gut; und
habe die beſte Meinung von ihm. Es iſt mir ein Troſt, ihn
für dich in Stralſund zu wiſſen. Bleibt doch beide nicht dort!
Ich reiſe nun mit der Schlabrendorf. Siehſt du, ich, die
nie wollte, habe weichen müſſen. Ich muß alles, was ich
kenne, was ich liebe, was mich ärgert und kränkt, reizt und
freut, verlaſſen! — Um nichts. In keiner Hoffnung. Es
iſt eine Art Tod. Das Schmerzliche davon iſt es: das Schreck-
liche und Erhabene davon hat es nur nicht. Sterben muß ich:
aber todt werd’ ich nicht ſein. Ich weiß die Sache geht wei-
ter. Nun! es giebt geborne Krieger und geborne Gärtner,
ich muß zur Schlacht! — und als Gemeiner — ſtill den
Kanonenkuglen entgegen ſtehen. Wem ich gehorche, weiß ich
nicht; aber geſchoben werd’ ich, nicht kommandirt. — Alles
geht hier auseinander. K’n ſchreib’ ich nicht mehr und er mir
auch nicht. Ich habe wie Poſa verloren. Und möchte doch
nicht zu den Menſchen gehören, die nicht ſich auf das Spiel
ſetzen. Alle, die ich hier liebte, haben mich mißhandelt. Sie
wiſſen’s nicht: ich ſag’ es nicht; drum geh’ ich. Glaube nur
nicht, daß ich hoffe, dort würd’ ich würdig empfangen: Gott
bewahre! Die Komödie geht von neuem los; lieben muß ich.
Nur bei dieſer Truppe durft’ ich nicht mehr bleiben. In’s
[208] Unwürdige darf’s doch nicht übergehen? Adieu! Bedauer mich
nicht! du wirſt doch nicht klug daraus. Die Vagabunden ha-
ben die häuslichſte Seele: das glaub! Wenn ich etwas Be-
ſonderes thu’, glaub mit dem Pöbel nicht: ich habe mich ver-
ändert; ich war lange dazu fähig, es ſei auch noch ſo
alltäglich (das Übrige würde mir ſchon ausgelegt werden)
oder beſonders. Adieu! — Und ſterb’ ich — ſuch’ alle meine
Briefe — durch Liſt etwa — von allen meinen Freunden
und Bekannten zu bekommen (und K’n ſag’, ich befehl’ es
ihm als eine Todte und Getödtete — nicht juſt von ihm —
daß er ſie gebe) — und ordne ſie mit Brinckmann. Es wird
eine Original-Geſchichte und poetiſch. Adieu! Grüß Luiſe.
Ich glaube L. liebt ſie. Giebt das bloß Thränen, oder Traue?
Dies, Freundin, bind’ ich dir als eine Pflicht auf. Ich
will es. Das darf man doch von einer Freundin fordern.
Leb’ wohl! — Beim Schlimmſten aber — beim Tode ſelbſt —
laſſ’ uns denken — daß wir zu den Edelſten gehörten, und
mit offnen Augen lebten. Adieu, liebe Freundin. Verſichre
dich doch endlich meiner Liebe! Adieu! —
An Frau von Boye, in Stralſund.
Wie kömmſt du darauf, meine liebe Freundin, nicht zu
wiſſen, daß ich von deiner Treue und Liebe überzeugt bin?!
— Jeder Menſch trägt ſein Schickſal in ſich: das ſind Wünſche,
nach Dingen, ohne die wir nicht weiter leben können. So,
mußteſt du fort; und mich verlaſſen; oder vielmehr aus den
Augen
[209] Augen laſſen. Ich habe nie aufgehört auf dich zu rechnen.
— Wenn ich mich geäußert habe, du verſtehſt mich nicht; ſo
meint’ ich, du könneſt wahrſcheinlich nicht faſſen, daß ich treu
bin, und untreu ſein muß; — daß ich untreu bin, und
treu ſein muß: und daß, wenn du auch das begriffſt, du doch
nicht den daraus entſpringenden Handlungen in ihren Modi-
ſikationen, von meiner großwelligen! und kleinwelligen Seele
getragen, immer leicht folgen kannſt; daher ſagt’ ich: mißbil-
lige und beurtheile mich nicht, wenn ich dir auch verändert
ſcheine: ſein werd’ ich es nur als blaſſe Hülle zwiſchen
Brettern.
Heute iſt Donnerstag, ich reiſe Mittwoch; — das ganze
Herz im tiefſten Grunde, voll Liebe für alles was ich liebte:
was beſchloſſen iſt, iſt nicht wieder anzuſetzen, wie ein abge-
hauener Kopf — mein Schmerz iſt daher nicht mehr von Spit-
zen, ſondern drückend, und dumpf; und in der Bruſt iſt mir
wie ein gedämpftes Trommeln — wie ich aber, während S[c]e-
nen und die Nacht im Bette, einſah und beſchloß, daß ich
gehen mußte; o! da war ich außer mir! und jeder Schmerz,
und jede Beleidigung, und jede Kränkung, und alle verfloſſe-
nen Jahre tobten losgelaſſen in mir. Ich habe etwas Schreck-
liches erlebt; eben weil es mich nicht umbrachte. Daß man
die Unſchuld und ihr Bewußtſein nicht zuſammen haben kann!!
Das iſt das Unheilige in der Welt — ich nenne Unſchuld,
wenn man das rechte Unglück nicht kennt: dieſe Bekanntſchaft
infamirt: ich laſſ’ es mir nicht ausreden! Man iſt kein reines
Geſchöpf der Natur mehr, kein Geſchwiſter der ſtillen Gegen-
ſtände mehr; wenn man einmal aus Schmerz, Erniedrigung,
I. 14
[210] zuſammengeängſtet, in Verzweiflung gern ſeine Exiſtenz
gegeben hätte, um nicht ſchmerzfähig zu ſein: wenn man al-
les, die ganze Natur, für grauſam gehalten hat. Nun
hab’ ich zwei Anſichten der Welt — wehe! — und die mir
am natürlichſten iſt, die natürliche, iſt eine künſtliche geworden!
Wehe! wehe! O! verſtehſt du das?! Wie viel Frauen kön-
nen wohl dadurch unglücklich werden? und die dummen Dir-
nen ſprechen alle. Dabei, ſteh’ ich der Welt — man ſagt
ſonſt umgekehrt, „die Welt mir“ — noch offen: die ganze
Skala ſteht da; und läßt ſich reiner angeben, vielfältiger,
williger, als bei irgend einem Geſchöpf, das ich kenne.
Grüße L.! ſag’ ihm, ich erbete auch Glück für ihn: er irre
ſich: beurtheilen könne er mich durch Studiren nicht. Ich
könne noch glücklich ſein.
Ich verliere dieſen Winter an Berlin den ſchönſten Auf-
enthalt in der mir bekannten Welt. Humboldts, Burgsdorf,
du und noch ein Freund und Jean Paul Friedrich Richter
kommen nach Berlin, um zu wohnen. Zeig Richtern, aber
nur er wiſſe das, meinen vorigen und dieſen Brief. Er hat
gewünſcht, Briefe von mir zu ſehen. Zeig ihm auch luſtige.
Er ſoll mich mehr kennen, ich wünſche es, weil es mir wohl-
thut und ſchmeichelt: und weil er mich kennen ſoll; ſo et-
was iſt ihm noch nicht vorgekommen; er mußt’ es ſich aus-
denken. Ich zeig ihm das, wie ein Spektakel, wie die Mar-
chetti. (Wenn er denkt, ich präparire und affektire, ſo irrt er
plump.) Ich hätte es gern gleich gethan, aber es iſt ſchwerer,
als ein Komödienbillet nehmen; und auch jetzt ſieht er nur
eine Dekoration. Nichts von Luſtſpielen, Balleten, und den
[211]vielen Etcetera. Sag ihm, er ſoll nach dem Tadel von mir
nicht hören, und beſonders nicht nach dem Lob meiner Freunde;
die faſſen ſchlecht. Meine Geſchwiſter könne er anhören; da
würd’ er finden, wie unbeſiegbar brav ich bin, und ce que les
Français appellent égale. Das kontraſtirt mit meinen andern
Eigenſchaften, und es weiß es kein Fremder. Bei Hans kannſt
du ihn kennen lernen — das heißt du mußt. Er iſt gütig,
und ganz für uns. Du kannſt auch gradezu ihn bitten laſ-
ſen, oder bei ihm vorfahren. Ich bin ſo liirt mit ihm, daß
dich dieſer Brief ganz legitimirt.
An Roſe, in Berlin.
Morgen geht dieſer Brief ab.
Deinen Brief hab’ ich erhalten: und bin ſehr froh, daß
du froh biſt! Alſo du haſt Glück. (Hätteſt du all dies,
welches mir fehlt; wie ungeheuer!) Freilich Glück. Und wenn
es dir auch nur geſchienen hätte, als könnteſt du einen fro-
hen Schritt in’s Leben thun, ſo iſt auch dies ſeltener Gewinn,
und wenn du ihn zu faſſen verſtehſt, wie jeder Genuß, nicht
wieder zu verlieren. Um wie viel glücklicher aber biſt du,
Roſe, wenn es dir möglich wird, im Leben einen Mann zu
beglücken — wie du glaubſt — die Zauberkraft von den
Göttern verliehen zu haben, beinah jeden Schmerz — durch
Berührung! — von einem Weſen, was leiden kann, zu verſcheu-
chen. So iſt’s wenn man von einem Manne, der einer iſt,
geliebt wird, und ihm mit treuer Seele gerne dient — alles
14 *
[212] für ihn thun kann was er wünſcht, ohne Zwang und mit
Belohnung. Ein hohes Glück; und doch noch nicht das größte;
wie viel Glück giebt’s! — Wenn man nun ſelbſt liebt.
Das faſſ’ ich kaum; und darum giebt’s dies auch nicht. Ich
gratulire dir! Ich ſchreibe nicht gerne; du ſiehſt es wohl:
ich werde ſehr traurig: denn ich bin’s. Und in Paris hab’
ich dies bis zu einem Grade der Gewißheit erfahren, die kei-
nen Zuſatz erlaubt, und bedarf. Darum ſchreib’ ich auch nicht.
Sag’ das den Geſchwiſtern, Hans, und Vetter. Es iſt keine
von den Traurigkeiten, die wieder vergeht; die wie ein durch
Wolken gebrochener Schein eine Gegend angenehm-melan-
choliſch verdunkelt und erhellt. Nein, die Gegend ſelbſt iſt
zerſtört, und meine ewige himmliſche Laune kann nur Son-
nenblicke darauf werfen. Sie bleibt die Traurigkeit, die Ein-
ſicht, der Ernſt; es iſt vorbei. Hier war es lange dunkel,
und kein Sturm, ich hab’ es geſehen. Auch wußt’ ich es vor-
her. Die Reiſe nach Paris war nur der letzte Pulsſchlag ei-
nes friſchen Herzens; nun bin ich hier, nun iſt es aus. Ich
bin äußerlich wie ich war, beinah eben ſo angenehm, wie
du mich kennſt, und werd’ auch beinah eben ſo bleiben. Die-
ſer Brief iſt eine Art Geſchäftsbrief, wie du ſehen wirſt. So
wie ich jetzt lebe, bin ich — und vorzüglich für den Winter
(wozu Detail) mit tauſend Unbequemlichkeiten, und für meine
Revenüen viel zu theuer, und ſind Humboldts weg, viel zu
wüſt und unintereſſant — hier ziemlich ſchlecht. Es iſt mir
alſo lieb, und ſehr lieb, wenn du früher nach Amſterdam rei-
ſeſt. Im März oder April reiſen Humboldts, dann will ich
einen Mann zur Geſellſchaft ſuchen, um nach Amſterdam zu
[213] kommen, und mit Mama zu Hauſe reiſen. Sag’ ihr das.
Hier bin ich viel zu arm mit meinem Geld — wenn ich
nicht bis zum Sommer eine ganz andere Einrichtung finde:
welches ich gar nicht glaube. (Denn mir geht es einmal nicht
gut: und die infamſte Eingeſchränk[t]heit erleb’ ich noch oben-
ein.) Bitte Mama, ſie möchte mir wo möglich mit einem
Pariſer Kaufmann einen Muff ſchicken; es wird hier ſehr
kalt, ich habe keinen, und ſie ſind hier ſehr theuer. Von
Pelz ſoll er ſein, warm, das iſt alles. Schickte ſie doch den
Brüdern auch immer etwas. Schreib’ mir präciſe Antwort
wegen deiner — und nun auch meiner Reiſe. Über die Nie-
derlande reiſ’ ich unter keiner Bedingung nach Hauſe: ich
müßte denn mit Humboldts zu gleicher Zeit über Frankfurt
gehen. Meine Reiſe war das Schrecklichſte und Wunderbarſte
mit, welches ich je ausſtand: denn es iſt wieder nicht zum
Nacherzählen, weil es niemand glaubt. Die Wege und noch
jemand waren ſchrecklich geworden: jeder Menſch kann
mir dies bezeugen. Aber in der Ausübung! — Aber wel-
chen Karakter zeigte ich, und welche Erfahrung: bis 60
deutſche Meilen von Berlin antwortete ich gar nicht. Dies
in Amſterdam mündlich. Von Paris auch nichts: ihr ſollt
ſchon alles erfahren. Der Ort iſt ungeheuer; unter jedem
Geſichtspunkt, und für mich, die übrige polizirte Welt kon-
zentrirt. Eben ſo modern, angefüllt mit allen geweſenen
Zeitaltern, die es zerbrochen und ſchwankend, zum allgemeinen
Zergehen — wenn nicht Zerplatzen —, in ſich hält. Es läßt
ſich nichts Einzelnes mehr darüber ſagen. Wie über die Welt
ſelbſt; das Wiederſprechendſte. was Leute — die zu Hauſe
[214] kommen etwa — darüber ſagen können, iſt alles wahr. Den
Zuſammenhang könnte nur ein großer Mann finden, der der
Welt ihr Schickſal vorzurechnen vermag. Was ich weiß,
ſollt ihr mündlich hören; es kann nichts Großes, nichts Gan-
zes ſein: aber es wird nichts Altes und Gewöhnliches ſein.
Das Theater tröſtet mich noch weniger, als ich glaubte.
Adieu. Hanne iſt mein ganzes Leben, und komm’ ich wieder,
beſtimmt ſie mich.
An Roſe, in Berlin.
Erſt vorgeſtern, Roſe, bekam ich deinen Brief vom 16. Ok-
tober aus Leipzig. O! ſchreibt doch durch keine Freunde; die
Poſt, bei allen ihren Fehlern, iſt für Briefe der beſte. Keinen
Muff hab’ ich nicht gehört noch geſehn, auch ſchreibſt du mir
nicht, wo er wohl zu langen wäre.
Du haſt gute Opinion von meiner Laune: ſie iſt jetzt
nicht zu Hauſe, wenn ſie wiederkömmt, wird ſie dir einmal
danken. Du weißt gar nicht wie glücklich du biſt, daß du
glücklich biſt. Könnt’ ich’s dich mit meiner Unglücks-Seele
koſten laſſen! Aber genießt irgend ein Weſen die Unſchuld?
wird man der Jugend gewahr? gedeihet viel Liebe auf Er-
den? Und — beſteht nicht das Glück aus den drei Dingen?
Doch haſt du noch Bewußtſein genug. Genieße: freue dich.
Reiße an dich, was du kannſt; empfinde den Beſitz. Dies
kann dich ſogar gegen Verluſt jeder Art ſtählen. Und ſag’
mir oft, ſobald es dir nur gemüthlich und thunlich iſt, daß
[215] dir wohl iſt. Ich werde gewiß nach Amſterdam kommen, es
ſind fünf oder ſechs Tagereiſen von Paris. Die Pläne, die
man alſo darauf zu machen hat, müſſen tief im Gewölbe
der Bruſt bleiben, und nur wirken, und geſchehen, zu-
gleich. —
— Du haſt Recht, Roſe, daß du mit dem meiſten Ein-
kauf bis Amſterdam warten willſt; es iſt da alles zu haben;
und es wird dir in jeder Rückſicht leichter, dir dort zu ver-
ſchaffen was du magſt. Trakaſſire alſo Mama’n gar nicht;
erſpare ihr jeden Ärger; und laß ſie bei der Meinung, wenn
ſie etwa wenig giebt, es ſei viel. Stell dich ſo an, damit
ſie’s nicht einmal merkt. Es kann dir doch, da du glück-
lich biſt, auf ſolche Kleinigkeit nicht ankommen?! — und bei
Mama’n iſt es die erſte Sache, die ihr rein gelingt, das weißt
du ſelbſt; verbittre ſie ihr alſo nicht. Laß dir ſogar in Am-
ſterdam nicht alles machen, denn ich will die neuſten Moden
von Paris mit dorthin bringen, und das wird weit ſchöner
ſein. Wenn du mir nur ein bischen Geld dazu ſchicken kannſt,
welches dir doch leicht ſein muß: denn jetzt biſt du viel reicher
als ich. Erkundige dich dann auch genau, was in Holland
Kontrebande iſt oder nicht. Hab die Güte für mich, und bitte
die Bernard, ſie möchte mir einen Brief an Mad. Genlis
ſchicken, den ich ſelbſt abgeben muß: ich will ſo gerne hinge-
hen! und der dumme Lombard führt mich von Einem Tag
zum andern herum. Ich muß hin! Sag’ ihr das. Ich
thue ihr ſonſt nie wieder etwas zu Gefallen. Und
ſo bald als möglich. —
[216]
An Roſe, in Berlin.
Ihr ſeid doch Alle von Natur ſo ſchlecht, als ich’s mir
vornehmen muß, wenn ich’s ſein will. Vorzüglich du, Roſe!
Welche Stimmung, welcher Zuſtand, welche Beſchäftigung
kann dich abhalten, mir zu ſchreiben. Ich kenne ſie alle; Zeit
haſt du genug. Du ſollſt mir ja keine unterhaltende Briefe
ſchreiben, wozu eine gewiſſe Luſt und Stimmung gehört: aber
eine Antwort auf zwei dringende Briefe, wovon einer nach
Leipzig an dich war, und der andere ſpäter an Mama nach
Berlin; von welchen beiden ich ihre richtige Ankunft hin-
länglich weiß, durch einen Brief von dir durch Geheimrath
Ephraim. (der wohl an fünf Wochen ging) und einen zwei-
zeiligen von Markus hierher, worin er mich bedeutet, künfti-
gen Poſttag „würden mir Alle ſchreiben.“ Und ſo ſoll ich
noch zur Stunde etwas ſehen: weder einen Brief noch eine
Antwort auf irgend eine dringende Frage. Denn mir ſind
ſie dringend, die Fragen, die ich machte. Wie oft! hab’ ich
nicht das betrieben, was euch dringend war!? Und was denkt
ſich Mama? Sie kann ja dreiſt, ja oder nein antworten.
Wenigſtens ſchickt mir nur alles, was ich wiſſen ſoll, grad
mit der Poſt. Denn Freundſchafts-Briefe laufen fünf Wochen:
ich bezahle lieber zwei, drei Livres.
Heute vor acht Tagen iſt Burgsdorf weggereiſt, der hat
einen langen und auch wohl amüſanten Brief für euch; vier-
zehn Tage bleibt er auf ſeiner Reiſe, er nimmt den Brief mit
nach Ziebingen, und dann ſchickt er ihn euch. Eilf Tage geht
[217] dieſer, übermorgen geht er ab; alſo könnt ihr berechnen.
Treib Markus an, daß der gleich mit S. ſpricht, wenn Burgs-
dorfs Brief kömmt, aber eh dieſer Brief da iſt, ſag’ ihm nichts:
denn ſonſt denkt er was er bei S. ausüben ſoll! und es iſt
gar nichts. Wie kannſt du ſo ſchlecht ſein, und mir gar
nichts von Hanne ſchreiben; ob du ſie oft ſiehſt, und wie das
iſt. Hanne verbittert mir recht das Leben. Wenn ich die hier
hätte, wollt’ ich glücklich ſein. Und wie könnte, und würde
ſie hier lernen! J! Nun! auf dieſer Erde gelingt mir nichts.
Dreimal, mit heute, hat mir von Fanny geträumt, und heute
von Hanne und Fanny! Wenn ſie mir nur Fanny nicht in
die Schule ſchicken, derweile ich weg bin! Wenn ich die Kin-
der hätte, und genug, nur genug, nicht viel Geld, ging
ich nie hier weg. Aber — das mündlich, was ich beabſichtige,
will, und betreiben werde. Tanzt denn Hanne noch? Fran-
zöſiſch lernt ſie in Berlin nicht: und andere Dinge auch nicht;
das kenne ich beſſer! ich hab’ auch auf die Manier nichts
gelernt. Hält ſie die Schultern noch ſo hoch? Kommt ſie oft
zu Mama? Wie iſt’s mit ihrem Zähne-Wechſeln? Sag’ doch
der Mutter, ſie ſoll immerweg den Zahnarzt nachſehen laſſen,
der ihr die Zähne auszieht: hier thun das alle Menſchen,
was haben ſie aber für Zähne! Trabt die L. noch ſo in der
Welt herum? Gott! was könnte ſich nicht ehr verändern!
Sieht es jetzt menſchlich bei der Bernard aus? ſie hat doch
wenigſtens ordentlich Meuble? Kommt Walter auch zu euch?
Weißt du? den hab’ ich ordentlich, lieb. Ich muß für
ihn ſorgen, an ihn denken, und ihn lieb haben. Ja! er iſt
ſo empfindlich! außer mir, hab’ ich noch nie ſolche einen
[218] empfindlichen Menſchen geſehen. Und glaub mir nur, wenn
er wirklich einen Zug zu mir hatte, ſo war es der; wenn er
es auch nicht wußte. Werden die Menſchen ſehr alt? wie
ſteht’s mit den Haaren, und den Falten: bei mir prosperirt
beides; ich werde grauſam häßlich: und von nichts! — Ach
ja, doch! aber nicht von Ärger oder Motion, körperlicher oder
anderer Art, aber von ſonſt, und ganz inwendig.
Was macht und ſpielt Fleck? Seht ihr den großen Phi-
loſoph und Dichter? Und was macht der abgedroſchene
Schlingel, der polisson Moritz? Sitzt ſeine Weſte und ſein
Zeug noch ſo ſchlecht, verliert er noch all ſeine Handſchuh, iſt
er luſtig und witzig? ſchreib mir doch einmal etwas von ihm!
Und — geht unſer Dichter noch in bloßen Füßen und dem
Schanzlöper bis zu Mittag, und in den Mittag? wächſt
und ſeilt ſich ſein Gedicht? lieſt er? ſpricht Moritz noch ſolch
ſchönes Deutſch? und — — !!! — iſt Mama jetzt glücklich,
klein und allein zu leben? oder hat ſie Verdruß von der
Ecke her? befindet ſie ſich gut? Lebt Muhme Sara noch?
und hat ſie Freude an deinem Brautwerden erlebt? Gieb
doch! ſo lange du in Berlin biſt, der Blumenfrau etwas;
dann komm’ ich wieder; und ſag’ ihr das. Denn ſterben —
thut ſchon einmal kein Armer.
— Ich bitte dich, Roſe, thu dein Mögliches, daß, wenn
Vandeul aus Polen zurück kömmt, daß man ihn zu ſchickli-
chen Gelegenheiten bei Markus bittet (lies dies nur Hans),
denn du haſt keine Vorſtellung, wie ſeine Mutter mich be-
handelt! Mach’ ihn wo möglich mit der Boye bekannt:
das iſt ein Amüſement. Sag’ ihr, ſie ſoll mir einen etwas
[219] umſtändlichen Brief über ſich, Berlin, und all unſre Bekann-
ten, und Relationen, und Nebendinge ſchreiben. Von mir,
ſprecht keinem, und — ich bitte euch, laßt rathen — ſagt
es nicht — ich käme gar nicht wieder. Hört ihr? gar nicht.
Gott wie haſſ’ ich hier alles was ich ſonſt haſſen ſollte. Nun!
wenn ihr mich wiederſeht. Ein Blaſebalg aus einer Grob-
ſchmidt-Schmiede iſt nichts! gegen mich.
Maimon todt! (es ſteht auch hier ziemlich lahm in
der Zeitung) und Selle, hat weg müſſen! et son épouse?
Was macht und wo iſt Prinz Louis? das will ich auch wiſ-
ſen. Wie gehen die Opern? wie nimmt’s die Marchetti?
Nichts ärgert mich mehr, als das Geprahle, was die Zim-
merleute und die Deutſchen alles werden in die Blätter
nach der Aufführung der Oper ihres deutſchen Freundes wer-
den ſetzen laſſen; und hinter dem dichtriſchen Righini ſeiner
ſteht beinah immer nichts. Moritz, brauch doch meine Per-
rücke zur Redoute. Adieu!
Rahel.
Bunim, die Schulzen, die kleine Köchin und beſonders
Achard zu grüßen.
An Frau von Boye, in Berlin.
Was geſchieht dem Thätigen, Hülfreichen? Ein kleiner
Dank, und neue Laſt; neue Aufträge. Unſere Gemüthsart
iſt der Kannevaß zu unſerm ganzen Leben: deines muß alſo
ein Dienen, ein Beſorgen ſein und bleiben, und ein bischen
Verwirren — nebenher. Aber, liebe Freundin, bei mir —
[220] biſt du die Einzige, der man dies ganz verzeihen kann.
Sei nicht böſe, und höre! Du erblickſt weder Ohrringe noch
Halsband! Erſtlich iſt nichts Neues in der Art Mode, als
das Alte, — wenn es nicht ſolche Leute ſind, denen man gar
nichts nachmachen kann, und die das Elendeſte tragen, was
wir ſchon getragen haben; ſo tragen ſie lauter brillantene
Reifen in den Ohren, die wir auch ſchon lange kennen, die
aber wirklich immer hübſch bleiben werden. Zweitens haſt du
mir keinen Preis beſtimmt, und nur wohlfeil geſagt, wohlfeil
iſt relativ. Drittens kann man dergleichen nicht in einem
Brief ſchicken. — Moden und alle Nachrichten, mein Närrchen,
bekömmſt du, ehe du dieſen Brief zu Geſichte bekömmſt. Ich
bilde mir nicht wenig darauf ein, dich ohne Sporn ſo thätig
beſorgt zu haben; und dein großes Gemüth beruhigt zu ha-
ben. Glaub’ aber nur ohne Spaß, daß ich ſelbſt eine Mode-
biene bin; und keine Ruhe habe, bis ich euch gehörig koſtu-
mirt weiß. Vielleicht hab’ ich zu mandiren vergeſſen, daß
man zu den wattirten Spencern wattirte Röcke von eben dem
Zeuge trägt (nur Taffent), und wenig Überröcke. Man trägt
ſehr viel ſchwarzen Krepp auf dem Kopf, und auch ſchwarze
Krepp-Roben, die Schleppe kann aber in der That nicht an-
ders als ungeheuer lang ſein, es iſt ſonſt wirklich wie eine
alte Robe. Um den Krepp auf dem Kopf macht man weiße
Perlchen oder ſchwarzen Schmelz. Zu Krepp-Roben weiße
Schuh ohne Spitzen, zu ſchwarzen Taffent-Roben ſchwarze
Strümpfe und Schuh, zu braunen braune. Die Hemdchen,
wie wir ſie auch haben, über den Roben, und mit einem
förmlichen Hemdeknopf oder Handknopf, wie die Männer
[221] trugen — jede Mama hat ſolche — oben am Halſe durch
zwei Knopflöcher zu. Die Schärpen etwas breiter. Alles
was weiße Seide iſt, muß ſehr geblaut ſein, ſonſt iſt es gar
nicht frais; ſowohl weißer Taffent zu Unter- und Oberklei-
der, als Taffent- und Atlasband. Es ſieht auch gut zu Ro-
bengarnirung und Unterkleidern aus, der Muſſelin wird weiß
davon, und es iſt frais. Nun weiß ich aber auch nichts
mehr! — als dir Aufträge zu geben. (Theile alle Moden
Hans gleich mit.) Tauſend, tauſend Dank, daß du dir Soſt-
manns Briefe aushändigen läßt; lies ſie, ſiegle ſie ein, mache
meine Aufſchrift drauf, und gieb ſie meiner Mutter. Du wirſt
aus dieſen Briefen ſehen, daß ich in keinem Verhältniß mit
ihm war. Es iſt mir bürgend für meine Bildung, daß ich
vor ſeinem Tode eben ſo als jetzt „Friede mit ihm!“ dachte.
Er wollte mich ſprechen, und machte dazu bei der Bernard
von weitem Manöver, eh er wegreiſte; das konnte ich freilich
nicht: aber weil ich ihn krank und unruhig wußte, ließ ich
ihm die Hoffnung dazu nach ſeiner Reiſe nicht benehmen;
damit ihm das Bad anſchlagen könne in völliger Ruhe. Das
ſagt’ ich der Bernard alles dazu. Verſöhnter als im Leben
bin ich aber auch nicht; ein verwirrter harter Mann war
er; ob er’s jetzt gleich nicht mehr iſt. Eins begreife ich nicht,
wie man gegen Todte ungroßmüthig ſein kann, wie die Alten
— Barbaren —, die ſie als Leichname herumſchleppten u. dgl.
Der Tod iſt uns Allen ſo gemein — und iſt eine ſolche harte
Pauſe! — daß er uns mit Gewalt, die ganze Menſchheit vor
die Augen rückt; und wie kann man dann noch, kleine Rache
oder irgend etwas Kleines wollen! (Auch dieſen Artikel ſoll
[222] Hans und Roſe ganz ſehen.) Einliegenden Brief an Burgs-
dorf lieſt du Richtern, ſiegelſt ihn gleich zu, und ſchickſt ihn
gleich ab, es liegt Burgsdorf und mir ſehr viel daran. Du
ſprichſt nie! von dem Brief, und ſagſt Richtern daſſelbe. Ich
laſſ’ ihn ihm leſen, weil ich ihn grad ſchrieb, als ſeiner kam,
und ich leicht von mir nichts Beſſers ſagen könnte: wenigſtens
in der Geſchwindigkeit, und unter Kinderlärm, Nähterin, Vi-
ſiten, Geldbezahlen, und ſo etwas, geſchrieben, daß der ganze
Brief beinah eine Ellipſe iſt; ſo möcht’ er das nur nicht kraß
nehmen, was ich von Geheimrath Meyers Vorurtheilen ſchrieb;
ſondern ich meine nur, daß die Judenmeinung überhaupt den
Tinten der andern Meinungen Schatten und Farben liehe,
und plumpe Lügen über mich glaubhaft anſtriche: und mehr
dergleichen Lücken in meinem Briefe. Adieu. Grüße deinen
Mann und deine Mutter recht ſehr von mir; aber ſprich nicht
von mir! Übermorgen ſchreib’ ich nach Hauſe. Humboldts
grüßen dich: ſie beſonders, weil du ihre Augen ſonſt lobteſt.
Grüß Brinckmann. —
An Roſe, in Berlin.
Es iſt beinah 7 Abends, ich bin ganz allein, (eine Strümpfe
ſtopfende Line rechne ich nicht.) Es regnet. Meine Seele läßt
ſich heute vielleicht — was ſag’ ich vielleicht, gewiß — weniger
beſchreiben als je. Das ſei aber geſagt! — daß ich heute
gegen — wie ſoll ich es nennen? — alles was mir begegnet
iſt, eine Unverſöhnlichkeit hege, die, wenn ſie nicht auf dem
[223] höchſten Grade iſt, doch nie auf einem höheren Grade war!
Ich ſehe ordentlich hübſch davon aus! Nach meinem Sinn.
Etwas Zuſammengenommenes, lieb-Gewiſſes in meinem Ge-
ſicht, was ich mir gar nicht kenne; ſo gewiß iſt es, daß Ein-
heit und Energie hübſch macht. Ich bin dabei ruhig: und
habe in meiner Tiefe eine Art Amüſement, welches ſonſt nur
ein äußeres Spektakel verſchafft; und ich möchte ſagen, alle
Stimmungen zugleich. Mehr läßt ſich aber gar nicht
ſagen: denn welches ruhiges Gedränge! — alle Empfindun-
gen meines vorigen Lebens — und kennen wir mehr von un-
ſerm ganzen Sein? — gehen wie Banco’s Geſchlecht vorüber.
Doch das noch! das Ganze giebt mir eine Helden ſtimmung
und Muthwillen. Ich wollte, heute käme es dem Menſchen-
geſchlecht auf eine Wahrheit an — ich glaubte dem Tod
ſelbſt nicht — und ſagte ſie ihm. Dabei kann ich wenig
antworten, und bin bis zur Rührung traurig. — Ich las
deinen Brief noch Einmal, und will dir, mir nichts dir
nichts — comme si de rien n’était iſt beſſer — antworten,
Erſtlich muß ich einen Irrthum löſen. Wenn ich ſchrieb,
„quäle Mama nicht mit der Ausſteuer,“ und was ich
noch alles Mildrendes und Ausführliches hinzuſetzte, ſo meint’
ich nur, und konnte nur meinen, daß du diejenigen Dispüte
und Verdrüſſe vermeiden möchteſt, die ohne eine ſtarke
raison, die noch eine ſtärkere zur Unterlage hat, beinah, oder
gar nicht, mit Mamaen, bei ſolchen Expeditionen, zu vermei-
den ſind: und die ich auch nicht würde haben vermeiden kön-
nen. Ich hielt dich weder für jünger, noch für eitler, noch
für ungroßmüthiger, als du biſt. Nur wollte ich Mamaen
[224] auf wenige von deinen Unkoſten, als ein bischen übertriebene
Vorſicht, Reſignation u. dgl., eine Freude unvermiſcht erhal-
ten, deren Reinheit dir leichter unbefleckt ſcheinen kann, wegen
mehr Unbekanntſchaft mit ihrem vorigen Leben, als mir
zu haben erlaubt, und möglich iſt; und — weil ich ein-
mal den Einfall hatte; und nicht ganz gewiß war, du
möchteſt ihn auch haben. Hiervon ſo viel; weil es ſchien, ich
kenne dich nicht, und ich thue dir Unrecht. Deine Geſund-
heit iſt das Erſte, was reparirt werden muß: aber erſt in
Amſterdam. Es ſcheint mir wichtig: weil meine ganze Krank-
heit eben ſo — aus Geſundheit anfing. Ich möchte euch
gerne Alle von meinen Üblen retten! Angſt und rege Zweifel
heben Menſchen wie wir, die nicht leichtſinnig ſind, bei allen
eigentlichen Unternehmungen: ſieh alſo dem bischen Beklem-
mung wie einem alten Feind in die Augen; und ſie weicht
wie ein ſolcher, oder ängſtigt dich wenigſtens nur wie ein
körperliches Übel, und mehr nicht. Die Titel der Dinge ſind
das Fürchterlichſte! wer ſagt dir, daß du heiratheſt? die
dummen Leute meinen es. Je mehr dir Karl gefällt, je mehr
er dich liebt, je weniger iſt es wahr. (Karl?!) Auch gehſt
du nicht von uns — denn geht man nicht immer von einem
Ort zum andern? — weil es gar nicht ausgemacht iſt, wie
lange du bleibſt. Denn nichts iſt ausgemacht. Mein An-
blick wird dich ſtärken. Und wiſſe nur Eins! Es giebt nach
dem Unglück noch etwas. (Das iſt der ärgſte Fall.) Das
kann man aber vorher nicht wiſſen. Könnt’ ich dir doch ein
Gefühl, eine Gabe mittheilen! Wollteſt du heirathen?
Karl? hatteſt du Gründe dazu? Nun! dieſe Gründe dauren
ewig;
[225]ewig; wenn auch der Augenblick vorüber iſt. Daß aber dieſe
Gründe und der Augenblick nicht zuſammen dauren: macht
die ganze Menſchlich- und Endlichkeit aus. Willſt du kein
Menſch ſein? Recht. Bring dich um. Bei mir iſt’s um-
gekehrt; was recht endlich, und recht menſchlich iſt, beruhigt
mich; und ganz. Sprich viel mit mir; dies und meine Ant-
worten werden dir wohlthun, und dich löſen. Es iſt ſüß,
und voll Troſt, in der öden Welt, zu einem Gemüthe reden
zu dürfen, welches jeden Schmerz kennt; und mit einer Zunge
vernehmlich antwortet, — eine Art Beſcheid —, daß man
nicht allein herum irrt, und nicht unerhörte! Leiden
(ganz neue) zu beſtehen hat. Dieſen Troſt, und keinen an-
dern! können ſich die Menſchen gewähren, wenn ſie Freunde
ſein wollen. Ich möcht’ ihn dir gerne ſchaffen, weil ich ihn
nicht hatte. Ich danke dir für alle freundliche Äußerungen
und alles Lob, das du mir ertheilſt, es freut mich! Grüß
Friedel. Ich möchte dem geſunden Menſchen hier manches
zeigen. Er denkt, er hat mich vergeſſen: und es iſt gar nicht
wahr; er wird einmal ſehen, wenn er mich wiederſieht, wie
ich ihm auf’s Herz fallen werde; mich vergißt man nur in
meiner Abweſenheit. Doktor Markuſe mache ich tauſend Kom-
plimente!!! ich denke oft an ihn. Sein kinderliebendes Ge-
müthe ſteht mir auch von weitem vor: und wenn ich wieder-
komme, ſoll er einer von den Wenigen ſein. Die gemeinen
Bengels will ich aber alle gar nicht gekannt haben. Es thut
mir leid, daß in der B. nicht mehr Harmonie für’s Äußere
iſt: ſie hat große Eigenſchaften; hätte ſie ſie doch nicht in
ordinaire, und flitterſtaat-ähnliche Verhältniſſe geſperrt! für
I. 15
[226] mich, leider! ich lieb ſie aber. Sie iſt brav bis zur Thätig-
keit, — aber auch alles Übrige bis zur Thätigkeit. Hundert
Komplimente an Mama! ich danke ihr auf’s durchdrungenſte
für ihren freundlichen Brief! Sag’ nur! ich wäre ihr erſtes
Kind, und würde auch wohl ihr letztes ſein; — aber in ein
paar Jahren würden die Leute die Mutter nur an meiner
Ehrerbietung und Kindliebesäußerungen unterſcheiden können.
Den Lotteriezettel haſſ’ ich aber nach wie vor. Ich habe
noch immer die größte Forderung an Fortuna, und zeitlebens
laſſ’ ich ſie nicht los. Adieu! Ludwig ſchreib’ ich noch. Mo-
ritz grüß’ ich wenn er will.
Adieu. R. L.
Der Menſch als Menſch iſt ſelbſt ein Werk der Kunſt,
und ſein ganzes Weſen beſteht darin, daß Bewußtſein und
Nicht-Bewußtſein gehörig in ihm wechſeln. Darum liebe ich
Goethe ſo! und habe mir erlaubt zu ſagen, der Dichter als
Künſtler müſſe alle ſeine Stimmung am Ende brauchen, wie
der Bildhauer ſeinen Marmor — und gewiſſermaßen ent-
heiligt auch der Dichter ſich immer: ſo lange er ſelbſt lei-
dend fühlt, wird er nicht Dichter, und er wird ſchlecht
Dichter, wenn er leidend fühlt; dies wechſelt bei dem großen
Goethe ja in ſolcher Präziſion, daß er ewige Thränen der
Bewunderung erregt: und iſt Bewunderung nicht die eigentlichſte
Rührung? und das andere nur Mitleid? Warum lieben Sie
denn die harmoniſche Ausbildung unſerer Anlagen über alles!
und wollen ſie im Gefühl nicht erlauben? — warum ſoll
der Dichter am Ende nur ſelbſt eine lyriſche Stimmung ſein
[227] ſollen? in einer Stimmung kann keine Harmonie ſein. Daß
dieſer Menſch überhaupt Dichter ſein muß, iſt Zwangs genug:
das Übrige muß frei geſchehen, darin übt dieſer Künſtler der
Menſchheit überhaupt nach, und dies allein, dieſer Wechſel
nur macht ihn zum Dichter! Und in welcher rührenden Voll-
kommenheit Goethe! Dies mein refrain für die Ewigkeit. So
iſt’s auch mit der Liebe, die auch bei weitem nicht ſo na-
türlich iſt, als man ſie verſchreit; erſt fühl’ ich, daß ich lieben
kann, dann, will ich lieben, dann, muß ich lieben. Dies
konſtituirt eine große Leidenſchaft — etwas rein Menſchliches
— derſelbe Wechſel. Der ſie ſchildern kann, iſt ein Dichter,
der ſie fühlt, ein Liebender, der ſie erklärt, ihre Beſtandtheile
bis zum möglichſten Bewußtſein auflöſet, ein Philoſoph. Wie
oft werden ekelhaft in einem Menſchen und in der Beur-
theilung eines Menſchen dieſe drei Dinge verwechſelt.
Sie wundern ſich, daß ich zu Gott beten kann? Geht
unſer Nachdenken über uns ſelbſt doch oft ſo weit, daß wir
keinen Beweis für unſere Exiſtenz haben, und wir müſſen uns
fühlen: heißt das nicht, uns ſelbſt anbeten? Wenn das Be-
dürfniß auf’s höchſte geſtiegen iſt, ſo fühlen wir Gott, und
dann beten wir! Auch hierin iſt der Wechſel; hier am Ende
der Dinge, für uns, ſchmerzhaft und groß, aber immer der-
ſelbe: erkennen müſſen wir ihn, wenn auch nicht in jedem
Augenblick fühlen. Das iſt kein Menſch, der ſich nicht oft
ganz fühlt; das iſt kein denkender Menſch, der nicht dem
Wechſel von Bewußtſein und Nicht-Bewußtſein nachſpäht:
und das nennt Ihr Schiller den Bruch. Aus dieſem Bruch
geht unſer Arbeiten an, unſer Leben, bewußt oder unbewußt,
15 *
[228] dieſen aufzulöſen. Ob wir damit zufrieden ſein wollen, wiſſen
wir nicht: denn das iſt unſere Gränze, und es geſchieht nur
mit halbem Bewußtſein, wenn wir unzufrieden ſind; ſind
wir ohne Bewußtſein zufrieden, ſo iſt das religiös; ſind
wir’s mit Bewußtſein nach dem Nachdenken, ſo würd’ ich’s
fromm nennen.
An Roſe, in Berlin.
Es iſt mir lieb, daß Lemos glücklich wird. Es iſt doch
der Berliner? Ich ſah gar kein Ende für ihn ab. Das ſollte
ich aber öfter thun; dann käme manches Ende mehr! — Die
Mutter ſpricht wohl mehr davon, als daß ſie eigentlich glück-
lich iſt. Sag’ ihr doch ein Wort der Gratulation von mir.
Sage auch Mamaen, ich hätte Hans eine Liſte der vorzuneh-
menden Reparaturen auf meinem Dachquartier geſchickt, die
möchte ſie doch die Gnade haben zu beherzigen. Hans ſelbſt
ſage, ich ließe ſie bitten, den Kindern die Haare mit huile
antique zu beſtreichen; man thut dies mit einem kleinen Pin-
ſel ſehr bequem. Beſonders Hanne ihre; damit ſie ohne ſteif
und kraus machendes Waſſer rein werden und bleiben; Fanny
ihre ſind noch die ſchönen, feinen, lockigen Erſtlinge. Ich
ſchicke ihr bei der erſten Gelegenheit neues Öl: das ſag’ ich
nicht aus Gemeinheit; aber weil ich juſt von Öl ſpreche. Sag’
ihr auch: ſie würde mich unendlich verbinden! Fanny nicht
vor meiner Zurückkunſt in die Schule zu ſchicken. Sie iſt noch
ſo lieblich und jung! ich möchte ſie gerne noch ganz kinderich
[229] und frei wieder ſehen. Von Neuigkeiten ſchreib’ ich nie
etwas; und es ſoll mich auch niemand danach fragen. Weil
ſie alle die Zeitungen enthalten; ich keine weiß, keine wiſſen
will, und keine über meine Zunge und Feder kommen ſoll.
Wir haben noch immer das ſanfteſte Sommerwetter, und in
den Tuilerien kann man gleich gehen, wenn es nur nicht
regnet. Denk dir! ich habe keinen Menſchen um in die Thea-
ter zu gehen: und es ſind hier alle Tage einige zwanzig.
Manchen Tag weiß ich nicht, was in allen zwanzig gegeben
wird, als z. B. heute. Zu Hauſe hab’ ich Menſchen, und
keine Stücke, und hier umgekehrt. Ich laß mir aber alles in
Geduld, wirklich in Geduld gefallen. Ich werde hier einen
Brief an Burgsdorf beilegen, den wirſt du gleich auf die Poſt
ſchicken. Wenn ich morgen vom Schreiben nicht zu fatiguirt
ſein werde — denn zu morgen Abend muß alles zu Lombard
— ſo ſchreib’ ich dir auch noch, Ludwig! Dein Brief war
wunderhübſch, und hat mich ſehr amüſirt und gefreut: ſpäter
oder früher werd’ ich dir ſuchen eben ſolchen zu ſchreiben.
Nette grüß ich ganz erſchrecklich! ſag’ ihr, ſie ginge mir gar
nicht aus den Gedanken, und alles was ich für mich bedächte,
bedächte ich immer für ſie mit. Sag’ ihr: „Und die Nacht,
ſie muß ſich erhellen.“ Sagt Goethe. So lange ich lebe,
hätte ſie eine Freundin, deren Freundſchaft gewiß nicht mehr
allzulange müßig bleiben wird. Kurz, ich denke ernſtlich drauf,
ihr das Leben zu erleichtern; ſie möchte mir hierauf nicht ant-
worten: es verſteht ſich ganz von ſelbſt: und nur ihrer ver-
zweifelten Lage willen wiederhol’ ich es auch nur hier. Adieu,
liebe Kinder.
R. L.
[230]
Was die Menſchen ſo unnatürlich, und eigentlich recht
menſchlich unglücklich macht, iſt, daß man ſich nicht entſchlie-
ßen mag, nicht glücklich zu ſein; ſind wir aber einmal bis
dahin gehetzt, ſo tritt plötzlich das Alter ein. Unſer Be-
ſtreben iſt nicht mehr nach dem Unendlichen, wir theilen das
Leben; und nehmen, wie man zu ſagen pflegt, den Augenblick
mit. Thränen, Glanz und Wuth haben ein Ende; wir wer-
den ſtarr, freundlich, und haben Falten.
Das Alter kommt plötzlich, und nicht nach und nach, wie
man denkt; wie jedes Erkenntniß.
— In eins, drei, fünf Jahren werden Sie’s bereuen, nicht
hier geblieben zu ſein; denn es ordnet ſich alles wieder, und
das Vergnügen hat man obenein. Jetzt in Ihrer vernünftigen
Apathie des vermeinten Überdruſſes werden Sie freilich nicht
das Glück und die Kraft haben, mich und die Reue zu fühlen:
und Sie haben alle Zeit, zu glauben ich verſtehe Sie nicht,
und klüger hätte man’s nicht machen können. Ich bin ein
anderer Geſelle. Sie in meiner Lage, unter den Umſtänden,
wie ich ſie ſah, und mit denen ich kämpfte, wären Sie todt
geblieben. Ich lebe. Das völligſte Leben, mit Bewußtſein.
Als Magd muß mir jedes geweſene Unglück dienen. Ein
bischen äußeres Glück, und ich bin die glücklichſte Kreatur.
Laſſen Sie ſich von meinem Bruder und von meiner Schwä-
[231] gerin all meine Briefe zeigen, auch von Roſe, und Sie wer-
den meine Geneſung erkennen. —
So lange man nicht das Leben liebt, geht noch alles an.
Wie kann das Leben gut ſein, da man wie in einem un-
ſichern Schiffe vor den ſchönſten Ufern vorbeifliegt, und nur
in Eil und durch Geſchicklichkeit ſich Blumen und Schätze er-
reißt, an dürren Klippen aber wider Willen feſtgebannt wird,
oder zerſchmettert!
Das würdigſte Glück auf Erden iſt, in mancher Berau-
bung immer zu leben: das geſchieht nur ausgezeichneten Men-
ſchen, nämlich ſolchen, die das kennen, was göttlich wäre;
beſitzen kann es niemand. Unſere Wünſche ſind unſere Seele,
der Genuß iſt endlich, und allein das Wirkliche. Und wir
ſollten uns und allem, was leben muß, den Wechſel und jede
Thorheit nicht geſtatten? Anfangen muß anderes: beſin-
nen muß man ſich auch. Eine Thräne zwiſchen einem Genuſſe
und dem andern bleibt dem Zarten als Leitfaden und Zeichen
des Himmels auf der Erde.
Wie wir ſelbſt ſind, ſchließen wir ja auch nur. Wir
müſſen ja Momente zuſammennehmen, und das Paſſendſte
als etwas Ganzes anſehn.
[232]
An Roſe, in Amſterdam.
Geſtern, liebe Roſe, iſt der Hr. von Bielfeld ab von hier
nach Amſterdam gereiſt, dem ich ein Billet gegeben, worin ich
dir ein wenig aus dem Herzen ſchrieb. Er wird in einigen
Wochen ankommen: ſo lange kann ich nicht warten. Laß dir
ſagen, mein Kind! — daß ich wieder traurig, ganz traurig
bin. Und warum nicht! fehlt mir nicht, trotz den ungeheuren
Gaben und Geſchenken, jede Spitze des Glücks? Müſſen
„ſie nicht alle verweſen, die Wünſche im Herzen?“ Wird
mir wohl Einer frei und ſchön; geht je ein geheimer Wunſch
und das Glück zuſammen? mißräth mir nicht alles? Hab’
ich nicht nur etwas, weil ich’s wie eine Art raſender Prieſter
mir erreiße; erreiße ich gerne? Habe ich nicht die ruhigſte,
ſpielendſte Seele? Habe ich auch nur das Geringſte, wenn
ich ruhig bleibe, und ſpielen möchte? Fehlt mir nicht immer
der Glanz, und die Spitze der Dinge; ſo daß ich das, was
ich habe, ſchätze, und gewiß erkenne, doch nicht genießen —
nicht genießen, wie man genießet — kann! Hilft das Über-
täuben mit ſich, das Läugnen und Lügen mit Andern, hilft
all mein reicher, freier, ergiebiger Geiſt! Iſt man nicht eben
ſo arm ohne des Glücks Hülfe, als ohne Gaben der Natur?
kann ich mir wohl ſogar noch rein wünſchen — mit Aufge-
bung alles andern — bei Hanne’n zu ſein? biſt du nicht
weg? verlier ich nicht alles; und muß es Glück nennen! O!
trag es wer es will! ich bin, und mag ſo groß nicht ſein.
Könnt’ ich wollen, ſo wär’ ich. (Bartholdy und noch ein
[233] junger Deutſcher leſen ſachte bei mir, ich ſchreibe und weine.)
Es iſt noch härter, vom Glück, als von der Natur verlaſſen
zu ſein. Denn ich behaupte, die Andern fühlen’s nicht. Was
einem von innen fehlt, kann man nicht fühlen; was iſt der
dumpfe Mangel gegen einen lichten, klaren, ſchmerzenden. Ich
werde dir meine ganze Reiſe, meinen ganzen Aufenthalt, alles
erzählen, und du wirſt mir wieder gar nicht Unrecht geben
können. Seit deinem letzten Briefe bin ich ſehr geſchlagen.
Fort biſt du! Keine Roſe tritt mehr mit treuem Schritt und
Gemüth zu mir, die mich ganz, meine Schmerzen ganz, ganz
kennt. Wenn ich krank an Leib oder Seele bin, allein — al-
lein —, du trittſt nicht mehr zu mir, dein Zimmer leer, ganz
leer, auf immer leer. Um ein Glück zu probiren. Ach Gott!
— und probiren — kann ich — auch nicht einmal. Mir
geht’s gut!! Der Garten, in dem wir mal in der Lindenſtraße
zuſammen mit Hanne und Feu — es war ſehr ſchön! —
waren, ſoll Roſe heißen; mit Hanne und Hans will ich manch-
mal hingehen; weiter ſoll es kein Menſch wiſſen. Hans re-
grettirt dich ſehr, und empfindet ſehr gut. Weißt du noch die
Nacht, als das vorletzemal Fink wegreiſte? wie du oben ſchla-
fen mußteſt, und dann bei mir bleiben; in ſolchen Zuſtand —
doch nicht durch ſolche Urſach — kann ich leicht wieder kom-
men; und, liebe Roſe, was mag dir bevorſtehen! doch nein,
du heißt Roſe, haſt blaue Augen, und ein ganz ander
Leben, als ich mit meinen Sternen, Namen und Augen.
Aus iſt’s in der Welt mit mir, ich weiß es, und vermag es
nicht zu fühlen, ich trag’ ein rothes Herz, wie Andere, und
hab’ ein dunkles, troſtloſes, häßliches Schickſal. Aber es heißt
[234] nicht: nicht Schickſal, nicht Armuth, nicht ſo dergleichen.
Aber! —
Wie iſt dir? ſchreib’ mir bald! du haſt weinen müſſen!
Vielleicht hab’ ich dir das Herz beſchwert, aber ich kann nicht
dafür. Biſt du glücklich, ſo ſchadet’s dir nicht, und biſt du
unglücklich, ſo hilfts. Stell dir vor! ich habe etwas enge
Handſchuh, die ich während dem Schreiben ausziehen mußte:
nun habe ich bemerkt, daß meine Hände während dem ſo gelb
geworden ſind wie die Gelbſucht: ſo! affizir ich mich, — ich
ging auch hinaus, und brach mich etwas. Kennſt du ſo et-
was, außer mich? Sag einmal! wenn ich glücklich wäre?
Wie iſt dir? gefällt dir dein Haus, deine Zimmer, ſeine Lage,
dein Tiſch. Fühlſt du dich verheirathet? Mama iſt wohl
ganz froh. Ich weiß gar nicht, wann ich komme; ich käme
ſehr ungern mit der Gräfin, und werde wohl müſſen. Und
wie ängſtige ich mich vor Berlin. Da bin ich wieder einge-
ſperrt. Dabei freue ich mich auf Berlin; Hanne, die Zimmer
— und die fürchte ich auch, und wie — und denn der Winter,
alle Augenblicke der Winter! —
Grüße eine millionmal Mama! — und ſage ihr, ich gra-
tulire ihr gewiß von Herzen! — um ſo mehr, da ich ihr nie
eine Freude machen konnte — Gott wollte es nicht —, aber
ich in ihrer Stelle würde großes Mitleid mit ſolchem Kinde
haben. Doch ſoll ſie nicht traurig über mich ſein! ich erkenne
alles was ſie für mich thut, und danke ihr mit der größten
Rührung: es iſt um ſo mehr, da ſie nicht ſo denkt, wie ich,
und es doch thut. Sag’ ihr nur, ich hätte das Schickſal der
Nationen und der größten Männer vor Augen, die gehen
[235] auch ſo auf den Wogen der ganzen Welt auf und unter:
und mir kämen ſchon von je her alle Menſchen wie Früh-
lingsblüthen vor, die der frühe Wind abweht, untereinander
wirrt; keine weiß wie ſie fällt; die wenigſten tragen Früchte,
die Jahrszeit geht ihren Gang; die Menſchen ſehen es ganz
für ihre Rechnung an, und haben meiſt genug zu leben. Sag
das alles Mamaen. Gott ſtärke dich. Ich erwarte Briefe
von Markus; danach, und nach Wetter und Wegen, richtet
ſich meine Reiſe. Hier blühen alle Bäume, und dabei iſt kein
wohlthätiges Frühlingswetter wie bei uns. Überhaupt iſt vie-
les häßlicher von der Natur, und übrigens. Mündlich. Adieu!
R. L.
Du wirſt ſehen, meine liebe Citoyenne, wann dieſer Brief
geſchrieben iſt: er lag zum Abgehen, als ich geſtern, den 15.,
deinen aus Amſterdam bekam. Er ging alſo nur fünf Tage,
und ſehr ſchnell. Du haſt mir ſo wenig geſchrieben: und
Mama ſchreibt: „du wärſt gewiß glücklich, wenn dir Gott
Geſundheit ſchenkt.“ Iſt das nur façon de parler, oder biſt
du unpaß? Du ſchreibſt, du habeſt noch kein Theater geſehen,
und Ludwig ſchreibt wieder, er hat eines geſehen. Das reim’
ich mir alles zuſammen. Du biſt doch nicht unpaß, von der
Reiſe, Heirath, Agitation und alles zuſammen? Fang ſo
etwas nicht an! Ich muß dir nur ſagen, ich habe keine ge-
ſunde Stunde. Ich bin gar nicht krank, geh beſtändig
aus: aber auch nicht ein Ahndungsgefühl von Ge-
ſundheit. Immer Gliederſchmerzen, Mattigkeit und Schläf-
rigkeit. Wie oft! geh’ ich nicht nach Plaiſirs, bloß weil ich
nicht kann, und mich (ich mich) zu fatiguirt fühle; com-
[236] ment trouvez-vous cela? Ich ſeh ſchon ein, ſo früh, um mit
Mamaen zu Hauſe reiſen zu können, kann ich nicht kommen;
hélas! aber, glaub’ mir, ich könnte ein langes hélas ſagen,
und es wäre das richtigſte Accompagnement für mein Leben
als Text. Die Wege ſind zu ſchlecht, — frag’ alle Men-
ſchen, in Amſterdam wird man’s auch wiſſen —, und die Tage
zu kurz, ich kann dieſe Fatiguen mit der Gräfin — mit
der ich nun reiſen muß — nicht wagen. Um zu kommen,
will ich aber all meine Kräfte anſtrengen: ich muß doch ſehen,
wo du geblieben biſt. Ein andermal geben wir uns Alle
rendez-vous in Paris: das fordere nur in der erſten Liebe
von deinem Mann; Markus hat es mir ſchon verſprochen;
und von ſelbſt. Ich küſſe Mama hunderttauſendmal die
Hände: und danke ihr für alles, auch für die Mühe, daß ſie
mir ſchreibt. Haben Sie nicht recht an mich gedacht, Mama,
wie Roſe’ns Hochzeit war? So geht’s. Bchandlen Sie mich
wie ein Jüngſtes, die pflegen die Lieblinge zu ſein, ich will es
mir gefallen laſſen. Nun ſehen Sie doch das ſo lang ge-
wünſchte Meer; wie ich Paris! ſo geht’s. Dabei bleib’ ich,
wie ſo’n alter Narr. Können Sie nichts in der Lotterie ge-
winnen? Probiren Sie’s einmal in Amſterdam.
Ich habe auch Brief von Hauſe. Da iſt alles wohl.
Ich habe hier Armide von Gluck auf’s infamſte, und Merope
von Voltaire auch ſehr ſchlecht geſehen, weil ſie großes Un-
glück, wie’s die Alten ſchilderten, gar nicht kennen. Die Rau-
court iſt wie Fleck, und ſpielte natürlich doch oft gut, aber
im Ganzen vergriffen. Und das Übrige himmel ſchreiend.
Es ſitzt eine erzfranzöſiſche Dame bei mir, und lieſt derweile,
[237] eine Freundin der Gräfin; vorher ſchrieb ich mit einem Kou-
rier an Markus, da war Bokelmann, ein hübſcher, junger,
gebildeter und bildungsluſtiger Hamburger, bei mir, der von
hier nach Cadix zu ſeiner Schweſter geht, und Wieſels, und
Bartholdy und Gropius, kurz, die Menſchen nehmen hier,
wie bei mir, kein Ende. Die Gräfin und Hrn. von Rothkirch
vergaß ich.
Ludwig, du freuſt mich in die Seele hinein. Du
haſt die gehörige Leidenſchaft für den Fiſchhalter und ſei-
nesgleichen. Freilich! alles mein’ ich eben ſo! Dein Brief
macht mir Amſterdam anſchaulicher, als du denken kannſt.
Und du würdeſt mir gewiß eben ſo unpartheiiſch und unbe-
fangen einen Ort beſchreiben können, als ich euch Paris.
Alſo mit den Juden ſteht’s hier ſo ſchlecht?! Es liegt doch
an ihnen. Denn ich verſichre dich, ich ſage hier allen Leuten,
daß ich eine bin; ch bien! le même empressement. Aber nur
ein Berliner Jude kann die gehörige Verachtung und Lebens-
art im Leibe haben; ich ſage nicht: hat ſie. Ich verſichre dich,
ordentlich eine Art contenance giebt’s einem auch hier, aus
Berlin zu ſein und Jude, wenigſtens mir; ich weiß darüber
Anekdoten. Lebt wohl, die Dame kann nicht ewig leſen.
R. L.
Was hat denn Walter und Alle zu Roſens Reiſe geſagt?
Schreibt mir bald! Line grüßt und gratulirt, Tage und halbe
Nächte durch. Die Humboldt nimmt den größten Antheil.
[238]
An David Veit, in Hamburg.
Veit, das iſt nicht wahr! aber Sie irren ſich bloß. Als
ich noch in Berlin war, konnt’ ich mir, und hatte ich mir
ſchon ausgerechnet, wenn du in Paris biſt, ſchreibſt du Veit;
und was iſt natürlicher oder vielmehr gewöhnlicher, als daß
ich’s doch nicht that. (Die gewöhnliche Faulheit und Nach-
läſſigkeit iſt’s doch nicht.) Aber ſeitdem ich alle Tage, auf
Wieſen, in Feld und Zimmern, beſtändig, und wie ich mag,
von Ihnen ſpreche, wäre es ſündlich, mein Freund, nicht
auch zu Ihnen zu ſprechen; und alle dieſe herzlichen (herz-
liche treue Meinung, ſagt Goethe) Gedanken, wie Götterdank,
bloß im Herzen zu behalten, oder ſo umſonſt auffliegen zu
laſſen. Daß man Liebe zu Schüſſen und Wunden vergleicht,
iſt einfacher, als man denkt; man fühlt ſie bloß, das iſt ihr
Weſen; und da bleibt einem denn nichts, als das Vergleichen.
So hat Bokelmann meine ganze Liebe zu Ihnen aufgeregt:
und ich fühle ſie wirklich wie einen alten Schaden; wie ich
mir Wunden mit verhaltenen Kugeln denken muß, und wie
ich wirklich oft alte Krankheiten erregt fühle. Glauben Sie
denn, daß irgend etwas Wichtiges, Geſcheidtes, Gutes, ſo
vor mir vorüber gehen kann, wie bei andern Leuten — wie
Wolken über dem Waſſer, wäre zu hübſch geweſen, um es
hier anzuwenden. — Unmöglich! das iſt mein einziger
Werth, durch den ich mich als ich erkenne, und von Andern
unterſcheide. Das thun Sie auch! Ich bitte Sie, trauen Sie
mir ganz; Sie verlören ſonſt zu viel dabei! Eins ſein Sie
[239] noch gewiß — und wie ſollte ich dabei ſchlechter werden? —
es hat noch immer keines Menſchen Meinung, in keiner Sache,
unter keinen Umſtänden, Einfluß auf meine Gedanken, und
hat es bis jetzt niemand gehabt. Das kann ich mit der hei-
ligſten Unterſuchung verſichern! Damit müſſen Sie zufrie-
den ſein: und mich ewig lieben. Ich bin auch von Ihnen
ſo überzeugt, wie von mir ſelbſt. Nur ſehen möcht’ ich Sie
wieder! Sie mich auch? ganz beſonders gern? Sie ſollten.
Könnt’ ich Ihnen nur gegenwärtig werden, wie Sie mir!
Wiſſen Sie denn etwas von Bokelmann? Wiſſen Sie
denn, daß er viel von Ihnen weiß? Weiſen Sie dieſe Fra-
gen ganz von ſich ab, wenn ich Unrecht habe, ich nehme ſie
denn auch zurück: ſie gründen ſich nur noch auf mein Über-
gewicht und meine Autorität, die ich ſonſt in ſolchen Stücken
über Sie hatte; und zum Theil — doch das fällt mir jetzt
erſt ein — darauf, daß Sie ihn nicht zu mir ſchickten. Doch
dazu mögen Sie tauſend Urſachen gehabt haben: und es iſt
auch ohnehin ſo beſſer. Ich lernte ihn von ungefähr beſſer
kennen, und Sie waren der Vermittler. Auch glaub’ ich ſteif
und feſt, gewiſſe Menſchen müſſen ſich kennen lernen; nicht
allein, wenn ſie zuſammen ſind; ſondern die Umſtände müſ-
ſen ſie zuſammen beſorgen. Mein Aberglaube! Sie werden,
mit ſcharfem Geiſte und geordneten Worten, genau zu be-
ſtimmen wiſſen, welch ein himmelweiter Unterſchied zwiſchen
unſern Anlagen und unſerer Ausbildung iſt; ich weiß es, auch
ohne es ſagen zu können, oder ſagen zu mögen — abfragen
könnt’ ich mir’s meiſterhaft laſſen —, und doch kann ich vor-
trefflich mit Bokelmann leben: er hat ein ſolch liebenswürdi-
[240] ges, braves Gemüthe, welches man immer trifft, daß er einen
ſelbſt erſt wieder daran erinnert, daß man brav iſt; ſo etwas
durchaus Unbeſudeltes und Edles, ſo etwas Unangetaſtetes,
daß auch kein Irrthum jugendlicher Unwiſſenheit oder Be-
ſchränktheit bei ihm iſt, ſondern alles Reinheit und Geſund-
heit. Und meinem Alter iſt nichts beſſer, als ſeine Jugend.
Urtheilen Sie, ob ich ihn liebe. Wenn wir nicht Einer Meinung
ſind, ſo kommen wir gleich auf den Punkt, wo wir eigent-
lich ſcheiden, und wir ſcheiden in Frieden und mit Bedacht:
welch einen Vorzug, welchen hellen, unbefangenen und regſa-
men Geiſt ſetzt das voraus. Sie wiſſen, wie ich das Gegentheil
haſſe; und wie man damit in dieſem Jammerthal zu kämpfen
hat! — oder, wie das vielmehr der ächteſte, eigentlichſte
Jammer in dieſem beliebten, mir beliebten Erdenthale iſt. Ich
kann mir nicht vorwerfen, daß ich das Schlechte nur haſſe:
ich liebe das Gute, was ich finde, mit der leidenſchaftlichſten,
tiefſten Verehrung, mit dem deutlichſten Bewußtſein; — und
das iſt mein Glück! — meine Schönheit, die mir der Him-
mel gab, das Geſchenk der Götter! Ich darf nicht einmal
murren. Veit! Sie haben zu Bokelmann geſagt, „unſer
Verhältniß ſei Ihnen das liebſte geweſen, und es ſei doch
auch nichts.“ Nein! mein Galeerenſklave, das iſt nicht wahr!
Oft mag es ſeine Grazie verloren haben; ſeine Würde und
ſeine Ewigkeit — bis Sie mir ein anderes Wort ſchaffen —
nie! Und wie wir beſſer werden, wird es auch beſſer. Ich
werde wirklich beſſer: alſo bin ich es von Ihnen überzeugt,
und alles iſt gut. Nur der Zweifel kann uns dieſes Glück
rauben! ich leid’ es nicht: und ich zweifle nie. Iſt das er-
haben,
[241] haben, ſo bin ich es. So, denk’ ich mir, iſt Religion; man
bedarf ſie, und dann hat man ſie gleich. Wer braucht Ge-
ſchichte: brauchen wir Beweiſe? Wir wollen Stifter ſein, mö-
gen uns Andere nachglauben. Dabei bleibt’s; ich kann Sie
zwingen: ich fühl’s und ich thu’ es. Ich werde die erſte
Gelegenheit ergreifen, nach Hamburg zu kommen; das ſein
Sie gewiß. Ihrenthalben. Und ich ergreife jetzt gut. Ich
bin verwundet nach Frankreich gereiſt, und kehre gefaßt zurück.
Wer ohne Panzer ſeinen Buſen in der harten Welt umher-
trägt, der muß verwundet werden; das wußt’ ich nur nicht:
der Schreck iſt das Meiſte, und wenn man das Bluten noch
für Sterben hält. Wunden werden immer kommen, aber
nicht unerwartet. „Er komme, und ſage es mir zum zweiten-
male,“ ſagt Gräfin Orſina.
Ich ſchrieb mir letzthin in ein kleines Büchelchen: „Lange
exiſtiren die guten Dinge, ehe ſie ihr Renommee haben, und
lange exiſtirt ihr Renommee, wenn ſie nicht mehr ſind.“ Das
iſt alles, was ich Ihnen über Paris ſagen möchte. Lange,
dünkt mich, iſt es und kann es nicht mehr Paris ſein; nach-
dem ſeit Jahrhunderten ganz Deutſchland Paris geworden iſt.
Denn mir kömmt Paris vor wie ein zuſammengedrängtes
Deutſchland, und wenig verſchieden. Das könnt’ ich ſehr
ausſpinnen: ein andermal! thun Sie’s ſelbſt; derweile. Eine
Nation, die Vaudeville’s haben kann, kann keine Muſik
haben. Die große Oper iſt tragiſch, und das Tragiſche hat
viel von der Oper. Ich bin unpartheiiſch: das würden Sie
mir bei jedem einzelnen Urtheil zugeſtehen; aber für unbe-
dingtes Lob zu deutſch. Daraus machen Sie nun, was Sie
I. 16
[242] wollen! Steif, bornirt u. ſ. w. wie Sie wollen! Vielleicht
ſchick’ oder bring’ ich Ihnen noch einmal etwas über Paris,
dann können Sie berichtigen und ſtreiten. Adieu. Antworten
Sie mir. Es iſt 12 Uhr nachts, wenigſtens. —
An Mama und Roſe, in Amſterdam.
Den Abend vor Vorgeſtern brachte mir Mendelsſohn den
ſo ſehnlichſt erwarteten Brief von Ihnen, in dem Sie mir
ſagen, daß Sie bis den 12. Mai warten wollen; und ſagte
mir gleich dabei, erſt morgen ginge eine Poſt, morgen Mit-
tag, nach Amſterdam. Hier iſt meine kategoriſche Antwort.
Ich reiſe den erſten Mai. Sollten aber, mich unvorher-
zuſehende Umſtände abhalten, ſo erfahren Sie es vor dem
10. Mai, heilig. Die Gräfin — und bis jetzt hab’ ich kei-
nen andern Begleiter, macht mir viel zu ſchaffen! Sie will
mit der Diligence. Es giebt keinen Preis, um welchen ich
das thäte. (Urſachen mündlich.) Nun will ſie immer ſo er-
ſchrecklich wohlfeil, mit Einſpännern und ſo dergleichen, rei-
ſen. Ihren Wagen hat ſie mit Möllendorf nach Berlin ge-
ſchickt, alſo haben wir keinen. Kurz! ich weiß nur, daß ich
kommen will, und noch gar nicht wie. Über Hals und Kopf
aufpacken, iſt auch nicht angenehm. Doch komm’ ich. Roſe!
wenn du hier wärſt, was wollt’ ich dir zeigen. Es iſt ein
Menſch. Was ſagt ihr zu der politiſchen Begebenheit? Mir
kömmt die Welt jetzt accurat vor wie ein Spektakel, wo zu
viel Menſchen ſind. An einem Ende fangen ſie ſich an zu
[243] drängen: lange me[r]kt’s der entgegengeſetzte Winkel nicht, ſieht
zu; am Ende hebt und drängt ſich’s doch dort auch. So
geht’s jetzt in Deutſchland. Wer weiß, wie’s noch Allen geht!
Wenn auch eine Konſequenz in dieſem Gedränge zu finden
ſein mag; Menſchen-Pläne ſind’s doch lange nicht mehr. Und
die Ausreden der anſcheinend Gewalthabenden kann ich auch
nicht leiden. Den Brief an Bürger Schimmelpennink werd’
ich wohl nicht abgeben: er wohnt ſchon auf dem Lande; ſie
ſind ſehr elegant: und ich bin weniger als je geneigt, mir
eine Ehre anthun zu laſſen; denn ſo iſt ja noch die Welt,
daß nur ein äußerer und kein innerer Karakter ſchützt vor
angethaner Ehre. Hab’ ich aber eine Gelegenheit, ſo
geh’ ich doch aus Ehrerbietung für den citoyen Aſſer hin.
Der Brief iſt immer gut, und ich danke! und ſag’ es für ähn-
liche Fälle, daß es gut iſt: die Wahl zu haben iſt immer
ſchön. Iſt der Bruder Schimmelpennink nur ein halber
Menſch, ſo ſag’s ihm gradezu. Mach dir das Vergnügen.
Erkennſt du, welche Leidenſchaft in meiner Bruſt herrſcht;
welche es iſt? Roſe, ich danke. Dein Logis macht mich ſehr
traurig, denn welche Lücken ſetzt das noch außer ſeiner eige-
nen Schlechtigkeit voraus. Was muß man für Wähne im
Kopfe haben, und für eine Art von Lebensart, um zu den-
ken, man kann das einer Wohlerzognen anbieten. Ich weiß
auch, du wirſt dir mit und durch Karl alles ändern. Aber
wozu kämpfen. Doch biſt du übertrieben glücklich! —
und du ſiehſt ein, ich — muß viele Zimmer haben, um mein
Sorgen-Haupt zu placiren, et pour promener mon coeur
foulé. „Un coeur est comme un pied,“ ſagt Walter. Wer-
16 *
[244] den ſie mir wohl Hanne von Pyrmont zu Hauſe laſſen? Hätt’
ich nur mehr Geld. Ich freue mich übertrieben auf mein
Logis!!! ſag das Mamaen. Auf das und die Kinder; Wal-
ter will ich über alle Vorſtellung gut behandlen und vorzie-
hen (ein neuer ſechſter Aktus! —) und weiter nichts. Leſen?
— daß alles zittert. Verſtehſt du den ſechſten Akt gar nicht?
o! ja! ich erkläre ihn mit zwei Worten, einer Miene und
einem Blick mündlich. Roſe! Vetter kommt her: und ich reiſe
weg. Ich mache mir nichts draus. Das gehört zur Ausbil-
dung meiner Phyſionomie, das fehlte mir. Biſt du zufrieden?
ich hätte hier nichts von ihm. Als Verdruß. Toll müßt’
ich ſein; und toll bin ich nicht. Wenn ich toll ſein will,
hab’ ich andere Mittel. Adieu! Arnſteins kommen auch.
Antwort, Kinder! Die Humboldt grüßt. Grüß Bielfeld, wenn
du ihn ſiehſt.
An Frau von Boye, in Stralſund.
Auch die Beſtgeſinnteſten haben keinen Troſt für einander,
das weiß ich Schmerzensreiche gewiß: aber frappiren kann
man ſich, und das hilft. So höre denn! was jede Dumpf-
heit, jeden Schmerz, jedes andere Wunder in dir [ſuspendiren]
muß; — und hoffe. Denn du wirſt hoffen können. Dein
Brief hat mich glücklich gefunden. Darum ſchreib’ ich gleich.
Damit dir gleichſam aus einer Gruft von Glück geantwortet
wird; wo man ſonſt nur, unbekannt das Unglück hört. Als
ſich dein Brief mit dem heilig-innigen Wunſch endigte, er
[245] möchte mich in einer glücklichen Stimmung treffen, drückt’ ich die
Hand, die ich hielt, und zeigte mit Triumph der Freundin die Zei-
len. Niedlich bezeigt ſich das Glück nicht gegen mich, aber groß;
denn übermorgen reiſt ſie, weit, und auf unbeſtimmt. Auf’s
Leben iſt nichts beſtimmt, als der Fund. Und ſo hoffe auch
du! „Die Nacht, ſie muß ſich erhellen.“ Und wenn ſich
nichts ändert, ſo ändert ſich unſere Stimmung. Es giebt ein
Verzweiflen, in welchem man nichts fordert; und es giebt
auch eine Liebeſtimmung — möcht’ ich’s nennen — in der man
auch nichts fordert. Ich kenne beides. Roſenblätter ſtreut
einmal das Glück nicht vor einem, erlaubt es einem aber die
Augen zu öffnen, — ſo eile man ſich, das für viel zu erken-
nen, und ſauge das Liebliche recht ein. Iſt es recht lieblich,
ſo will man’s nicht beſitzen, man will es blühen ſehen. Am
Ende ſind alle unſre Thränen und herbſten Leiden doch nur
um den Beſitz; und man kann nie etwas anders beſitzen, als
die Fähigkeit zu genießen; die bringt freilich den Wunſch
des Beſitzes ganz einfach mit ſich: nun ſo wünſche doch, und
gieb dich zufrieden; mehr iſt das Leben nicht. Tadlen kannſt
du’s wie du willſt: ich tadle gewiß mit: hingegen iſt’s nicht
zum Bleiben eingerichtet, das beweiſt mir nicht allein der Tod,
ſondern alles Unvollkommene, und unſer ſchmerzhaftes, trei-
bendes Schwanken am meiſten. Tadle das Leben; aber die
Schmerzen haben, haben noch das meiſte. Mach dich bekannt
mit ihnen, es ſind auch gute Freunde, und was flüſtern ſie
nicht alles; jede Freude. Vielleicht kennt man ſie nur ſo.
Schreibe mir, meine Treue, wenn dich das tröſtet. Ich nehme
jedes Wort auf. Weine, weine oft. Ich hab’ auch geweint.
[246] Aber ich bin entbunden von meinem alten Wahn: ich klage
weder mich, noch meinen Freund an. Helden ſind wir nicht;
er war’s in einer Art nicht, ich in der andern nicht. Doch
laſſ’ ich mir meinen Vorzug. —
Wir werden uns wiederſehen, und es wird dir wohl wer-
den. Ich werde dir allerhand Troſt in die Seele leben,
und das thut am beſten. Du biſt müſſig in einen Gegenſtand
verloren. Ich finde dich vertieft, aber nicht lebendig, nicht
vegetativ. Vielleicht bin ich rauh; aber denke hin und her,
das thut gut: und — liebe wenn du mußt. Thu was du
kannſt; ich auch. Ich bleib dir treu, das iſt auch viel. Wann
kommſt du nach Berlin? Den 1. Mai reiſe ich nach Amſter-
dam, da bleib’ ich eine quinzaine, dann mit Mama zu Hauſe;
wo ich mit Prätenſion wegreiſte, und ohne Forderung wieder-
komme; ich werde ſie Alle beſſer finden, — ſie mich vielleicht
auch —, und gütiger bin ich gewiß! Und dann meine Hanne!
die Bücher, die ganze Welt, die ich aufgenommen habe, und
noch aufnehmen muß. —
Antworte mir. Grüß Boye; Luiſe, und hundertmal Lippe!
Sag, bei mir iſt nichts verloren, ich wollte ſchon noch himm-
liſch gut gegen ihn ſein. Vernachläſſigen könnte man mich
nur in der Zeit, aber nicht in der That. Und wenn ich wirk-
lich etwas für ihn wäre, ſo würde er mich immer finden.
Hübſch wär’ es, wenn du mir ein karakteriſirendes Wort über
deinen Freund geſchrieben hätteſt! Laß Charlotte Rantzau,
von der ich jetzt hier viel rede, laß die niedlich-liebenswürdige,
durch Lippe von mir grüßen.
Deine R. L.
[247]
Moden giebt’s keine neue. Theater ſchlecht. Alles mir
ſo bekannt wie’s Berliner. Was thuſt du dieſen Sommer?
Humboldts reiſen den letzten Mai nach Erfurt, Jena u. ſ. w.
und zum Winter nach Tegel. —
Man karakteriſirt jetzt häufig Dichter und Gedichte, und
ſehr oft ſteht der Name Goethe an der Spitze, am Ende und
in der Mitte. Die ſeine Werke in Rangordnung bringen
wollen, nennen bald dieſes, bald jenes erſt, bald erklären ſie
den Goethe aus dem einen, bald aus andern ſtückweiſe, und
ſcheinen ſo hin und her zu rathen, aus welchem er wohl ganz
zu erkennen ſei? Warum ſtellen ſie nicht Einmal die ſimple
Frage auf: Aus welchem von ſeinen Werken könnte man
wohl ſchließen, ob er wohl alle übrige gemacht haben könne?
Iſt dieſe Frage zu beantworten, ſo hätte man den Anfang
jener Rangordnung gleich gefunden, und ſie könnte ihren
Fortgang nehmen. Ich würde Taſſo auf dieſe Frage nennen.
Und jeder, der etwas nennt, müßte Gründe angeben.
So lange das Recht noch auf der Seite der Tollheit iſt,
ſo wagt man noch immer etwas, ſich unter die Ungebildeten
zu miſchen.
Ein bis zum Nebel trübes Wetter ließ Regen fallen, der
die Straßen, wie’s im Frühling pflegt, noch nicht ganz ſchwärzte,
[248] und zweifeln, ob es zum April ginge, oder der Tag wirklich
zum Oktober gehört.
Es giebt recht wenig Menſchen, die Einfälle haben.
Die Andern plagen einen aber abſcheulich mit ihrem bis-
chen Armuth.
Des wirklichen Unglücks ſchämt man ſich.
Und man kann es eigentlich daran erkennen.
Von Menſchen kommt kein Glück. Da erwartet man
es nur.
An Guſtav von Brinckmann, in Berlin.
Mit Graf Voß und mir hat es ſich plötzlich verändert.
Ich lieb’ ihn nun, weil er ein unbekanntes tendre für mich
hat; für mich. Erſtlich, lieb’ ich die Leute, die ein tendre ha-
ben können, und dann, die wieder beſonders, die ein unbe-
kanntes haben können; und noch beſonders, die, die eins für
mich haben können. Ich bin ſo nichts, wenn man mich nicht
lange kennt, daß die ſchon etwas bei mir gelten, die mich nur
von Anſehen haſſen. Welches Mitleid muß er in der Seele
tragen, welcher Aufmerkſamkeit muß er fähig ſein, für mich
[249] ein tendre haben zu können! Ich bedarf keines „Laſters“ bei
der Art Menſchen — und wie Sie ihn beſchreiben. Ich bin
aber ſchon längſt mit ihm ausgeſöhnt: ſeit ich weiß, daß
ihn Luiſe liebt; ich glaubte, ſie hätte ihn nur geheirathet.
In Schlegels Kollegium hoff’ ich ihn kennen zu lernen; das
iſt eine natürliche Art. Ich dank’ Ihnen, daß Sie bis zur
Thätigkeit an mich denken. Ich freue mich, den Jacobi’ſchen
Kalender zu leſen. Sie werden Freude an meinem Goutiren
haben. Mlle. Reimarus muß äußerſt geiſtvoll und lebhaft
ſein; was ich noch von ihr geleſen habe, iſt ſprechend ähnlich.
Nämlich: von guten Portraiten kann man die Ähnlichkeit er-
kennen, wenn man die Menſchen, die ſie darſtellen, auch nicht
geſehen hat. Aus ihren Worten erkennt man ein ganzes le-
bendiges, ihr gehöriges Leben. Ich lieb ſie von weitem. Ich
dank’ Ihnen für die Stelle; für die Mühe, und für den Ge-
danken. Werden Sie mich beſuchen? Morgen bin ich bei
Mad. S — mit unſerm Iſter-Mädchen — ſo nenn’ ich ſie —
wenn man mir nicht abſagt. Leben Sie wohl! Ich bin ſeit
ein paar Tagen, und beſonders ſeit heute, auf verdrießliche
Stellen in mir geſtoßen. Manchmal merkt man ordentlich,
was man aufgiebt. Adieu.
Anmerk. Der Ausdruck „Laſter“ ſcheint hier, wie auch in an-
dern Stellen, nach ſcherzhafter Übereinkunft grade den ſittlichen Geiſt in
ſeiner genialen Freiheit zu bedeuten, wo die beſchränkte Gewöhnlichkeit
ihn nicht mehr faßt, und wohl gar als ſein Gegentheil bezeichnet. S.
Philoſophiſche Anſichten, von G. von Brinckmann. S. 204. ff.
[250]
An den Grafen L.
Den Abend als ich Sie zuletzt ſah, dacht’ ich gleich, daß
ich den andern Morgen ein Billet von Ihnen erhalten würde:
ich nahm mir vor, es nicht zu leſen. So lag es bis jetzt bei
mir. Vergeſſen hab’ ich’s nicht; jetzt aber erſt fiel mir ein:
es kann ja aber etwas darin ſtehen, worauf er denken kann
du ſeiſt verrückt wenn du nicht antworteſt. Und ſo erbrach
ich Ihr Billet.
Ich werde in der erſten Stunde, wo ich Zeit habe, Ihre
Briefe zuſammen ſuchen: einige werden fehlen, die hab’ ich
in der Geſchwindigkeit zerriſſen, als ſie Einmal jemand bei
mir leſen wollte, der die Art hat, alles leſen zu wollen. Daß
ich Ihnen ſchreibe, iſt die Folgung des ſchönſten, leiſeſten Rufs
in mir: ich will keine Art von Dank, Sie ſollen es bloß nicht
für hoheitliche verſtockte Rechtlichkeit halten. Auch geb’ ich
Ihnen Ihre Briefe nicht aus gleichgültiger Rechtlichkeit: ſon-
dern, weil ich weiß, daß unter manchen Umſtänden, nur der
Schreiber Briefe verſteht, und dann gebühren ſie ihm. Damit
ſag’ ich auch nicht, daß ich ſie nicht verſtanden habe.
Nun ſag’ ich Ihnen aber, daß man Sie lieben (muß,
wenn man Sie kennt) kann, aber umgehen kann man noch
nicht mit Ihnen. Wenigſtens nicht in Geſellſchaft. Dies vor
der Hand nicht zu thun, hatte ich mir feſt vorgenommen.
Wollen Sie morgen Vormittag um 12 Uhr zu mir kom-
men, ſo will ich mit Ihnen ſprechen. Mir ganz allein
[251] iſt es vorbehalten, mich über alles rechtfertigen zu können,
wenn ich will.
Ich will, weil ich kann: weil ich kann, brauchte ich nicht.
Aber Sie brauchen es; und in dieſem Sinne, aus dieſer Ur-
ſach brauch ich’s auch. Dies iſt der Ruf in mir, und noch
um einen leiſeren folg’ ich dieſem Rufe.
Adieu! R. L.
An Roſe, in Amſterdam.
Vorgeſtern Abend aßen Markus’ens bei uns und Chriſtel
— die jetzt während einer Spiel-Reiſe alle Abend kömmt —
Mama prätendirte de but en blanc, ſie ſollten den andern
Mittag mit den Kindern bei uns eſſen: Fragen, die geſcha-
hen, blieben unbefruchtet. Chriſtel invitirte ſich, Mama nahm
ſie mit einer Feſteslaune an. Geſtern Morgen ſteh’ ich auf,
und geh’ in einem mild-himmelumzogenen Wetter in Geſchäf-
ten aus; Line predigt mir während dem Anziehen vor, Mama
habe Marktorte, und Sardellenſalat, und „ließen —! in der
rothen Stube decken.“ Ich verſchwobe! Ich ſage: „Ach
Gott! es wird Purim ſein,“ denn den Hahn hatt’ ich ſchon
den Abend geahndet. Poin du tout — ſag’ ich, als Epiker, —
„Ne, der iſt erſt in vierzehn Tagen.“ Meine Konjekturen
und Gedanken gingen mir aus: ich that daſſelbe. Als ich
ganz zuletzt zur Unzelmann komme, erzähle ich ihr die Bege-
benheit, und die Marktorte, verſprech’ ihr davon; ſie kann
auch nichts ergründen, ich behaupte es muß ein anniversaire
ſein, etwa eine ſilberne Hochzeit, oder Papa’s ſeliger Geburts-
[252] tag; und ſo eil’ ich, weil es ſchon ſpät war, gedankenſchwer
nach Haus. „Vorne ſind ſie Alle.“ erklang’s ſchon in der
Entrée.
In der Rothen; Mama, Chriſtel, Markus’ens, die Kinder.
Ein zierlicher Tiſch, mit Symmetrie, von zwei Sardellen-
Saläten, Pflaumen- und Artiſchocken-Kompötten, kurz Sym-
metrie; und Servietten ohne Tournüre, nämlich unerzogen
aus der Waſchfrauen Hand. Ich verſchwobe! „Alle Wetter!“
ſag’ ich, „was iſt das! das iſt nicht umſonſt! heraus mit der
Sprache, Mama, oder Sie überleben den Tag nicht!“ Und
ſo ſah ich, und Alle furchtſam, nach den ſilbernen Schwertern.
Wie Mama das Meſſer an der Kehle hat, lächelt ſie, wird
freundlich, und ſagt: „Nun, ihr Narren, heut vorm Jahr
war Roſe ihre Hochzeit! und da konnt’ ich euch nicht trakti-
ren, darum thu’ ich es heut.“ — „God save great George the
sister!“ ſang alles los, und ſchwamm in Thränen. Da kam
die Suppe. Sie mußte aber warten; ſie, die nie ohne eini-
ges Gewitter erkalten darf; denn Ludwig war abgeſchickt, Wal-
ter zu holen; und der Einfall kam aus Mama. Nun, sister,
beurtheile, ob ſie deinen wirklichen Hochzeitstag magnanimer
geſtimmt war. Auch die Suppe war ſtill; ſchloß jeden Rauch
in ſich, und bewahrte ihre Kröpfchens warm, bis die Jungens
angewaltert kamen. Nachher zittrendes Rindfleiſch mit Auſter-
ſauce, die Kompötte, der Hahn, die Marktorte, „Bier, Wein,
Waſſer und Brot,“ beſchreibt Fanny immer. Nach Tiſch in
tiefen verſunken; und was ächt Levin’ſch iſt, kein Menſch
hat auch nur eine Geſundheit proponirt — heute fällt’s mir
erſt ein — ſtatt deſſen ſchlug ich vor und erbot mich, Roſen
[253] den Tag und ſeine Begebenheit zu beſchreiben. Du lachſt,
und weinſt; ich weiß es. Moritz iſt nun auch bei dir ange-
kommen; und alles iſt gut, bis zur künftigen Generation!
Es wachen aber die Götter über uns. „Die ich kenne, ge-
winnen nicht,“ ſagt Vetter, das unterſchreib’ ich auch mit mei-
nem Namen, ſetzte aber vorher noch: „und verlieren nicht ſehr!
werden nicht guillotinirt, kriegen keine Krebsſchäden etc.!!!
Gott ſegne euch! Die Soirée blüht mehr als je. Keinen Eſel
haben wir noch nicht, Gentz müßt’ es wegen dem lieblichen
und anerkannt geliebten Karakter ſein. Aber „unſer Eſel“
iſt und bleibt weg. Jeder grüßt und fragt, Nette, Boye,
Chriſtel, die Humboldt, Vetter, alles; Moritz und Roſe. Ich
grüße Karl. Roſe, ſchick mir ſolches ſilbern Band übergoldet
wie die Nordholländerinnen tragen, und Haken dazu!
Bunim und die Kouſine ſangen mit. — Ich will ſolche
Haken — drei Stück — die in’s Geſicht gehen. Du weißt
ſchon, Roſe!
An David Veit, in Hamburg.
So viel Sie hier ſehen werden lieber Veit, kann ich wie-
der ſchreiben: und auch wohl mehr. Von meiner Krankheit
dereinſt mündlich. Wenn es wahr iſt, daß Sie mich
lieb haben, ſo ſchicken Sie unverzüglich, gleich, auf
der Stelle, er mag ſein wo er will, Bokelmann dieſen
Brief. Er ſoll mir auf der Stelle antworten. Ich muß wiſ-
ſen, wo er iſt und ob er hierher kömmt. Ich bleibe den gan-
[254] zen Sommer hier, und ohne großes Ereigniß auch dieſen
Winter. Ich bin noch ſchwach: fahre aber ſchon einen Mo-
nat aus. Ich bin ohne Freund, und beinah ohne Herz.
Nie hat mir ein Menſch beſſer gefallen, als Stieglitz.
Wie er in’s Zimmer trat, liebt’ ich ihn. Dem vertraut ich
mich ohne Verabredung; und die bedarf’s auch bei ihm nicht.
Dieſer Ernſt, dieſe Sanftmuth, dies ſchöne Geſicht. Ich bin
recht glücklich, daß ich ihn kenne. Er ſah mich in der größ-
ten turpitude, ſo häßlich! Nein, ſolch ſchönes Gemüthe! Ich
halte es für ein Unglück, daß er nach Taurien ging; doch
iſt es gut, denn ein verheiratheter Menſch ſollte wenigſtens
die Fakultät ſeines ganzen Herzens veräußert haben, und alle
übrige dazu anwenden, und in dieſem Fall müßte er dann
doch wenigſtens ein ſchlechtes Gewiſſen haben. Ich will nicht
hoffen, daß Sie, auch Sie, dieſe Strenge überraſcht; plump,
wie es die Menſchen meinen, die ich haſſe, wenn ſie von
Pflicht, Gewiſſen, Recht u. ſ. w. ſprechen, kann ich es nicht
meinen. Alſo Stieglitz iſt verloren. „Wie ſonderbar iſt es
doch, daß dem Menſchen nicht allein das Unmögliche, ſondern
auch ſo manches Mögliche verſagt iſt.“ Meiſter zu Aurelie.
Das ſchönſte Diktum! ganz aus dem Herzen und gradezu den
Geiſt anſprechend: denn nur der menſchliche Geiſt macht den
amüſanten Unterſchied von möglich und unmöglich.
Sie kann ich alſo nur in Hamburg ſehen. Nun! die
Tage bringen alles. Hat man Ihnen geſagt, wie ich Sie liebe?
wie gegenwärtig Sie mir ſind? Schlechte Menſchen werden
das Gute überdrüſſig, das Schlechte gewohnt; ich — nun
auch Gottlob zu ſagen — ich, Gottlob!! bin immer wie-
[255] der bis in’s tiefſte Herz frappirt. Und jetzt bin ich ſo weit,
daß mir das für manches äußere Glück ſteht; es äußere ſich
in Schmerz oder Glück.
Als ich nach Frankreich reiſte, glaubte ich nicht wiederzu-
kommen, und ſiegelte jedes Menſchen Briefe ein, und machte
ſeine Aufſchrift. Als ich wiederkam, ging ich auf einen Bo-
den, der an meine Wohnung gränzte, und fand einen einzel-
nen Brief, von einem Portugieſen Navarro, und ein Stück
Band, wovon ich Ihnen die Hälfte geſchickt habe. Auf dem
Schloßplatz ſah ich Sie zuerſt, einen weißen Strohhut hatte
ich auf, der mit einem Gaze-Tuch zu beiden Backen herunter
gebunden war, und dies Band war darauf. Verwahrt hatte
ich’s nicht; aber der Zufall, ich erkannt’ es gleich. Sie ſind
der einzige Menſch, bei dem ich weiß was ich an hatte, als
ich ihn zuerſt ſah. Verliebt war ich nie in Sie: nun traue
einer auf Zeichen. Adieu! Schicken Sie, Liebſter, Beſter,
gleich gleich! Bokelmann den Brief. Nichts iſt mir wichti-
ger! Ich habe alle ſeine doch nun geleſen. Schreiben Sie
mir gleich, Bokelmann, ich bitte Sie.
R. L.
Werden Sie antworten, Veit? Schicken Sie mir Ihre
Addreſſe noch einmal. Künftig einmal einen ganzen Brief
über Stieglitz.
An den Grafen L.
— Nun weiß ich es. Die Erde iſt ein ſchlechter Pla-
net, ſagt Fr. Schlegel. — Lebte man doch in einem gütigen
[256] Klima, wäre ſtark, um fleißig zu ſein! weiter giebt’s nichts.
Alles andere wird und muß immer erbärmlich werden. Zu
falſch, zu künſtlich, oder zu ſehr der Nothdurſt iſt es aufge-
ſtellt. —
— Warum ſoll man nicht außer ſich ſein? Das ſind
ſchöne Parentheſen im Leben, die weder uns noch Andern ge-
hören: ſchöne nenn’ ich ſie; weil ſie uns eine Freiheit geben,
die wir und die uns bei geſundem Verſtande niemand ein-
räumen würde. Würde ein Menſch ſich entſchließen, ein
Nervenfieber zu nehmen? und doch kann es uns das Leben
retten. Es kommt aber von ſelbſt. —
— Ich liebe den Zorn; übe ihn, aber protegire ihn auch.
Drei Dinge nur ſind nie im Stande mich zu affiziren, näm-
lich, wenn man mir ſagt, ich ſei gemein, affektirt, oder dumm.
Die drei glaub’ ich niemals; und bin ich nicht ſehr ſchlechter
Laune, ſo muß ich immer darüber lachen. —
An Frau von Boye, in Paris.
Deine Drohungen nur, und das lebhafte Vergnügen, von
einer Art Statthalter, wie du biſt, aus meinem verwirrten Po-
ris Nachricht zu bekommen, können mich nur bewegen, die
ſchreckliche Handlung, die zerſtörende für mich, des Schreibens
zu begehen. Laß dir aber geſagt ſein! und faſſe es mit Ver-
ſtändigkeit auf; daß du von geforderten Briefen von mir
gar nichts haſt. Vorgehen thut hier nichts; und das Alte
faßt mich ſo mit Ekel, daß jeder Gaſt mich aushauen würde
und
[257] und aus meinem Zimmer ſchmeißen, wenn nur eine Glas-
ſcheibe vor meinem Herzen wäre. So ohne Liebe für ſie war
ich nie. Wo dies hinführt, kann ich auch gar nicht berechnen.
Wenn mir Dinge für dich einfallen, oder es geht irgend
etwas vor, ſo ſchwör’ ich bei der Seine! — meinem Styx —
du erfährſt es von mir! Die Unzelmann nimmt Ende dieſes
Monats Iphigenie von Goethe zum Benefiz. Schwertſtreiche
gehen mir ſchon jetzt durch’s Herz, dies laut ausgehaucht mit
dem beſoffenen Publikum zu hören; und! wie wird das wer-
den. Thoas, Lapin-Iffland; Oreſt, Mattauſch; Pylades, Be-
ſchort; Arkas, Labes. Die Schick ſchnappt nach Luft, ſingt
und lebt wie immer. Ich werde ihr deine Briefe ſpediren.
Sag Friedrich Schlegel, er müſſe mir antworten! ſonſt war
ich im Lycée de Paris! Grüß die Pobeheim, und mach’ ihr
verſtändlich, warum ich nicht ſchreibe: und wie Schreiben
nichts iſt; nur Leben. Und wie ich daher auch ſuche wieder
zu kommen. Sie ſoll Schlabrendorf an mich erinnern, und
ihm ſagen, der Italiäner habe mir kürzlich aus Mailand
geſchrieben, wo er Humboldts geſprochen hat. Löwen-
hjelm grüß’ ich ſehr! wo wohnt der? — Du wohnſt gut;
doch die Honoré wäre beſſer. — Wo wohnt Otterſtedt? Woh-
nen iſt ein großes renseignement. Wo wohnt Friedrich? In’s
Theater geh’ ich gar nicht mehr. Publikum, Haus, Stücke,
Schauſpieler, drückt mich in’s elendeſte Leben hinab;
und reine Marter würde mir die Kälte des Hauſes, die viel
kälter iſt, als der regnigte dunkle Winter bis jetzt. Aus geh’
ich auch nicht, außer Sonntag und Mittwoch zu Wilhelm
Schlegel in die Vorleſung. — Suche Franzoſen kennen zu
I. 17
[258] lernen. Aber keine rekommandirte; auch keine gefährliche:
liebliche von der zweiten Klaffe; die iſt die erſte. Warum
ſchreibſt du nichts von Beanvilliers? Mit meiner Eßluſt und
Kunde geht’s crescendo. Die Raucourt wie die Gardel muß
man ſich erſt einſehen; wie eintanzen z. B. — Betrachte die
erſte mehr als Maske. Und bei der Gardel muß man ordent-
lich fleißig im Zuſehen ſein. Die Herzogin von Kurland iſt
hier und die Pignatelli.
R. L.
Die Pobeh. ſoll mir ſagen laſſen, daß ſie noch ſo glück-
lich iſt. Und ſie ſollte Einmal bedenken, wer jetzt alles in
Paris bei ihr wäre, und unter welchen Umſtänden. Ob einen
das nicht berechtigte, an die ganze Mythologie zu glauben! —
Es giebt geiſtreiche Menſchen, die mögen thun was ſie
wollen, es iſt mir alles lieb; es giebt auch ehrliche Leute, bei
denen es mir ſo iſt. Aber ſolchen begegne ich nur äußerſt
ſelten.
Wenn ein Menſch das, was er ehren und ſchonen ſollte,
mißbraucht, Schwäche oder Vernunft eines Andern: das bringt
auf; wird aber ein Menſch aufgebracht, ſo macht das kalt,
und man kann es wie ein ſchönes Gewitter beobachten.
Die dunkelſten Sachen, und alles was wir je geleſen ha-
ben, werden an uns wahr, wie die trivialſten Sprichwörter.
[259]
Wenn ich mir ihn denke, ſo treten die Thränen mir in’s
Auge: alle andere Menſchen liebe ich nur mit meinen Kräf-
ten; er lehrt mich mit den ſeinen lieben. Und ich weiß auch
gar nicht, wie ſehr ich noch werde lieben müſſen. Wie oft
dacht’ ich ſchon, mehr trägt dein Weſen nicht: und das We-
ſen änderte ſich. Mein Dichter!
Negerhandel, Krieg, Ehe! — und ſie wundern ſich, und
flicken.
Die Menſchen, die die kleinen Gefälligkeiten des Lebens
nicht deutlich fordern, von denen denkt man leicht, daß ſie
ſie gar nicht bedürfen, vermiſſen, und zu genießen verſtehen.
Hieraus laſſen ſich Klugheitsregeln zum Gebrauch ziehen.
Das Fühlen iſt etwas Feineres, als das Denken: das
Denken hat das Vermögen ſich ſelbſt zu erklären, das Fühlen
kann das nicht, und iſt unſere Gränze, dieſe Gränze ſind wir
ſelbſt; es weiß nur, daß es exiſtirt. Mit Gränzen ließe ſich
alles definiren; und die Gränze, die das nicht mehr erlaubt,
umſchließt unſer eigenes Weſen, und iſt folglich ein Theil
deſſelben.
Was iſt das für ein ordinairer Mann! Wenn der nicht
zu gleicher Zeit mit uns lebte, würde kein Menſch von ihm
ſprechen.
17 *
[260]
Sie iſt eine von den Perſonen, die, wenn ſie einmal eine
andere Querſtraße gehen, ſich gleich fürchten und nicht mehr
wiſſen, ob ſie auch noch gut ſind!
„Dieſe Lücke, dieſe Lücke!“ Werther. Verſtehen Sie’s
recht tragiſch, wie Sie wollen; wenn Sie weiter leben, biegt
ſich’s doch bis zum Komiſchen hinab. Weinen kann man
ja doch.
Denken iſt Graben, und mit einem Senkblei meſſen.
Viele Menſchen haben keine Kräfte zum Graben, auch andere
keinen Muth und Gewohnheit, das Blei in’s Tiefe ſinken
zu laſſen.
Schlechte Skribenten. Wer wird ſich denn dadurch, daß
ſie ſich drucken laſſen, zu ihrem Umgang zwingen laſſen!
Das iſt ja eine miſerable Perſon, die nichts von ſich
ſelbſt weiß; die nie bis zu dem Punkte gekommen iſt, wo ſie
ſich entſchuldigen kann, und ſich doch entſchuldigt.
An Guſtav von Brinckmann, in Berlin.
Alſo außer leidend, krank? Hr. Rehberg hat es mir
geſtern geſagt. Auch ich war krank: und ich leide!
Vor ungefähr zehn Tagen war Pauline bei mir vor dem
[261] Bette, und hat mir ihre Geſchichte erzählt: eine Stelle war
darin für mich, wie ſie es ſagte, ſo erſchütternd, daß ich or-
dentlich einen Krampf bekam, und ſie zu reden aufhören wollte.
Viel gelobte ich mir dabei. Und auch ich bin ganz ver-
kannt und verloren dadurch. Verloren. Dieſes ganze Le-
ben iſt mir entriſſen, wenn ich auch den Himmel in mir trage!
Denken Sie wie, und was ich gelobt!!!! —
Nur Gutes will ich glauben: immer helfen.
Vergeſſen Sie den geſtrigen Tag nicht; es war ein un-
glücklicher für mich; für eine würdige Freundin.
Wenn Sie geſund ſind, beſuchen Sie mich! Ob ich heute
in die Oper gehe, weiß ich noch nicht: vor- und nachher bin
ich zu Hauſe.
Was machen Sie? reden Sie!
Kömmt Krankheit und Leiden bei Ihnen zuſammen?
Kann Ihnen Sprechen augenblickliche Erleichterung geben?
Sprechen wir! —
Anmerk. Um dieſe Zeit erſchien in Brinckmanns Gedichten eine
von ihm ſchon früher an Rahel gerichtete Elegie, welche man wegen ihres
zarten und bezeichnungsvollen Ausdrucks gern hier wiederſinden wird.
[262]
Gedichte von Karl Guſtav von Brinckmann. Erſtes Bänd-
chen. Berlin, bei Sander 1804. S. 92. ff,
— Dieſe ganze Lehre iſt in einem Seelenzuſtand entſtan-
den und erfunden, der nicht dauren kann; ſie iſt der Moment
der Weihe der Verläugnung und Wiedergeburt; das neue
Leben iſt alſo im Tode zu finden, worauf ſie ſich bezieht, und
wir fangen mit ihr an. Sie iſt eigentlich die Religion, die
aufs aller Heiligſte getrieben in jeder Seele allein ausbre-
chen und wirken und leben, und eigentlich nicht mitgetheilt
werden ſollte.
Zuſammen auszuüben und zur Prachtreligion iſt ſie nicht
zu machen. Weil ſie aber Verläugnung und Aufopferung
heiſchte, verbreitete ſie ſich wie eine Leidenſchaft über die
Erde; ſo iſt ſie würdig und ſchön in den Herzen, wo ſie
[263] herrſcht wie Leidenſchaft: aber angewandt auf Staat und
Leben verkehrt und Jahrtauſende hemmend, und ſo allgemein
und tief eingedrungen, daß ſie auch da wirkt, wo man ſie
gar nicht zu finden glaubt und nicht ahnden ſollte. Dabei
dauert ſie zu lange; wie jeder Zuſtand der Menſchheit, für
einen einzelnen Menſchen. Sie iſt auf die natürlichſte Weiſe
in ihren Wirkungen ihrer Natur widerſprechend: denn das
Leben quillt wieder hervor, und ſie ſtrebt Tod-erzielend nach
dem Himmel.
Mich dünkt, daß die kleinſte bis zur größten bürgerlichen
Einrichtung dies ausdrückt, man mag damit bezwecken wollen
was man will. Sie hat die Natur — die Erde — umgeſtal-
tet, auf der wir hauſen, und kann ſich gar nicht ſelbſt auf-
reiben, weil ſie ſich nun wirklich, endlich auf etwas Wirkliches
bezieht: und eine Erdrevolution kann uns nur aus dieſem
dauernden Übergangszuſtand retten. Nur in Ermattung kann
ſie von ſelbſt gerathen. Worin ſie denn bereits iſt: und kei-
nem Zuſtand ſteht dieſe weniger an, als dem enthuſiaſtiſch
leidenſchaftlichen, exaltirten.
So werden mir wenigſtens gar ſehr viele Erbärmlichkeiten
klar, die man die neumodiſchen nennen könnte, wenn es nicht
fremdartig wäre ganze Zeitalter unter dieſen Begriff zu brin-
gen, auf dieſe Weiſe zu bezeichnen.
An Guſtav von Brinckmann.
— Ich habe Paulinen alles auf’s allerverſtändlichſte er-
klärt; weil ſie mich grade, mit wiederholten Fragen nerven
[264] krank marterte: ich verabſcheue Fragen, von denen ich
glaube, daß man ſie ſich ſelbſt beantworten ſollte: und Pau-
line iſt ganz kindiſch im Wiederholen jeder Art. Mein
Tod! —
Wenn ich „kleinen Kreis“ ſagte, ſo meine ich damit die
große Welt. Von Tilly, D —, Caſa-Valencia kann ich nicht
reden wollen.
Ihr heutiges Billet zeig’ ich Paulinen nicht. Was ſie
wiſſen ſollte, weiß ſie. — Griechiſch find’ ich ſie gar nicht:
Sie wiſſen, daß ſie mir lieb iſt. Aber nichts drückt mir ſo
Berlin auf! Und ich behaupte ſogar, nur ein eingefleiſchter
Berliner vermag ſie ganz aufzufaſſen, obgleich es nicht
drei thun. Dies hab’ ich ihr oft ſelbſt geſagt: manches an-
dere aber nicht. —
An David Veit, in Hamburg.
Mit dem man ſein Leben verleben möchte, dem kann
man nicht ſchreiben! Welchen Gedanken, welches Anfath-
men, möchte man ihm nicht ſagen, nicht zeigen? der könnte
unſer Zeuge ſein, unſere Exiſtenz bekräftigen! Und in zurück-
geſcheuchter, trüber, faſt unerkannter Angſt verſchwenden
wir artig die Tage, laſſen uns friſch darauf los vernünftig
nennen, und ſind wahnſinnig aus Zagheit. Das Staaten-
leben — Leben iſt zu umfaſſend — iſt aber ſo angethan,
daß auch das ganz recht iſt; man kommt zu ſeinen Reſultaten,
aber in lauter Entbehren, ausgeſchloſſen aus dem Paradieſe,
[265] wo man ſich Luft, Speiſe und Gefährten ſelbſt ſuchen darf:
das friſche geſunde, ſich nie trügende Herz wird Begierde ge-
nannt, nach einer Art von Kinderſtube, Kerker oder Tollhaus
verwieſen: und ſo gehen wir grau durch Städte nach dem
Kirchhof. Gott, wie komm’ ich darauf! Ich will es Ihnen
ſagen. Ich fühle eine ganze Thränenfluth in der Bruſt über
dem Herzen; und jedes erinnert mich an alles. Nichts er-
ſcheint mir mehr einzeln: ich fühle mich ganz gefangen, und
mein Geiſt iſt reger, als je. Mit dem höhern Leben tröſt’
ich mich nicht! Ein ſchönes Erdenleben würde das nicht
ausſchließen. Es erhöht und ſchärft jeder Augenblick mir
das immer inniger tiefe Gefühl des unzufaſſenden Verluſtes!
unſere Organe ſind zu endlich, es zu faſſen; und höhere Weſen
haben gewiß eine Trauer über uns, deren wir unfähig ſind,
und die ich wie errechne! — das Kälteſte, das Wenigſte,
was Menſchenkinder können — der große Schmerz, der große
Verluſt, die Unmöglichkeit, ſich aus der vorgefundenen Ver-
wirrung anders, als ſterbend, abſcheidend, trennend, verein-
zelt, zu ſcheiden, macht den Tod ja nur möglich. Verſtehen
Sie dies ſo umfaſſend, als Sie können: in Bezug auf Men-
ſchenverkehr, auf die tiefſten Anlagen und Bedürfniſſe des
Herzens, auf die Natur, die wir einſtweilen die todte nennen,
auf jede Organiſation. Sie ſehen, ich weiß es wohl, warum
Sie mir nicht ſchreiben. Sie haben ein großes Glück. Seiner
Geſchichte nach, wovon man die letzte unverſtandene Ankunft
der Erſcheinung chance nennt, und ſeinem innern unendlichen
Werthe nach! Welche Freundin haben Sie gewählt, gefun-
den und empfunden! Ich verſtehe einen Menſchen, Sie ganz.
[266] Vermag es, wie doppelt organiſirt ihm meine Seele zu leihen,
und habe die gewaltige Kraft, mich zu verdoppeln ohne mich
zu verwirren. Ich bin ſo einzig, als die größte Erſcheinung
dieſer Erde. Der größte Künſtler, Philoſoph, oder Dichter, iſt
nicht über mir. Wir ſind vom ſelben Element. Im ſelben
Rang, und gehören zuſammen. Und der den andern aus-
ſchließen wollte, ſchließt nur ſich aus. Mir aber war das
Leben angewieſen; und ich blieb im Keim, bis zu meinem
Jahrhundert, und bin von außen ganz verſchüttet, drum
ſag’ ich’s ſelbſt. Damit ein Abbild die Exiſtenz beſchließt.
Auch iſt der Schmerz, wie ich ihn kenne, auch ein Leben; und
ich denke, ich bin eins von den Gebilden, die die Menſch-
heit werfen ſoll, und dann nicht mehr braucht, und nicht mehr
kann. Mich kann niemand tröſten: ſolch weiſen Mann
giebt’s nicht: ich bin mein Troſt; nun giebt es noch das Glück!
das iſt aber wie beleidigt von mir: und ich fühle auch, ich
beleidige es. Das Glück definir’ ich Ihnen ein andermal.
So ungefähr ſteht’s mit mir. Lebten Sie in Einer Stadt mit
mir, Sie hätten einen unendlichen Genuß! Sie können ſich
das ewige Erblühen meines Lebens gar nicht denken. Aber
Sie müßten ſich die Strenge gefallen laſſen, mich nur zu
ſehen, wann ich will. Sterben Sie nur nicht! das hängt
ganz von Ihnen ab. Ich will mich gewiß nicht ſo vergeſſen.
Ein Menſch wie wir kann nur aus inadvertance ſterben; das
fühl’ ich auf’s lebhafteſte. Auch giebt es eine andere Art,
das Leben zu erhalten; es giebt Tropfen auf andern Sternen,
die allein hinlänglich ſind, ein von Erde geſponnenes Leben
zu erhalten; den Umſchwung, die Nahrung, des begriffenern,
[267] gröbern Lebens, u. ſ. w.!!! Sein Sie nicht ängſtlich! ich bin
gewöhnlich gelaſſener. Wenn ich aber an Menſchen ſchreibe,
geſchieht es mir, daß der ſchwer erfüllte Horizont meiner
Seele los gewittert. Himmliſche Menſchen lieben Gewitter.
Auch ein Grund, warum ich das Schreiben ſcheue. — —
Wenn Jemand ſagte: „Sie glauben wohl, es iſt ſo
etwas Leichtes originell zu ſein! Nein, man muß ſich viel
Mühe geben; und es koſtet ein ganzes Leben voll Anſtrengung“,
ſo würde man ihn nur für verrückt halten, und gar keine
Frage mehr anſtellen. Und doch wäre die Behauptung ganz
wahr, und dabei ganz ſimpel. Originell wäre gewiß jeder
Menſch, und müßte es ſein; wenn die Menſchen nicht bei-
nahe immer ganz unverzehrte Sprüche in ihren Kopf an-
nähmen, und auch ſo wieder hinaus ließen. Wer ſich ehrlich
fragt, und ſich aufrichtig antwortet, iſt mit allem, was ihm
im Leben vorkommt, immerfort beſchäftigt, und erfindet un-
abläſſig, es ſei auch noch ſo [oft] und lange vor ihm erfunden
worden. Es gehört Ehrlichkeit zum Denken, und es giebt
gewiß beinah ſo wenig abſolute Stumpfköpfe, als Genies.
Einem imbécile fehlt das Vermögen im Kopfe zum Denken;
und einem Genie wird dies ſo leicht durch das glückliche Zu-
ſammentreffen und Zuſammenſtimmen ſeiner Eigenſchaften,
daß es beinahe iſt, als nähme ein anderes Weſen dieſe Ope-
ration in ihm vor. Imbéciles wären gewiß immer originell;
[268] es giebt aber faſt keinen reinen; ſie haben meiſt noch Ver-
ſtand genug, unehrlich zu ſein.
Nun weiß ich mit einemmale, warum es mich ſo empört,
wenn ein Menſch, was ihm ungeſund iſt, immer wieder ge-
nießt; nicht allein, weil es von der unangenehmſten Wirkung
und thieriſch iſt; ſondern weil es nicht einmal thieriſch iſt;
die Thiere wiſſen, was ihnen heilſam iſt, und vermeiden das
Gegentheil. Es heißt die Vernunft ſelbſt auf eine thieriſche
Weiſe gebrauchen, dieſes natürliche Gefühl zu übertäuben und
nicht zu achten.
Die meiſten Leute wiſſen gar nicht, was das iſt: Schätzen
und Verehren. Sie bedienen ſich aber doch ſehr häufig des
Ausdrucks — und Einer macht den Andern immer irrer; aber
ganz behaglich im Irren. Abſcheulich. —
Es ſchwert beinah auf jedem Menſchen eine Verdammniß;
ſie begreifen ſie aber nicht; ſie fühlen ſie beinah nicht. Ich
kenne meine, und es thut mir nicht leid. Unheilbar!
Wenn es einem lange ſchlecht geht, mit Einem Worte, in
einem gewiſſen Alter, wird man ganz blaſirt über Schlechtes
— wie ich neulich zu P. ſagte, — das ſind aber ſchlechte
Leute, die es über Gutes werden. —
[269]
Antwort.
„Ich hab’ Unrecht, denn ich kann nicht beweiſen, daß
ich Recht habe. Und das iſt ja ſehr Unrecht.“
An Roſe, in Amſterdam.
Karltge, mein Alter! ich bitte bleib hübſch zu Hauſe!
denn ich bin’s wie meines Lebens gewiß, ihr habt ſeit Freitag
eine Landparthie, das Wetter iſt umgeſchlagen. Euch, liebe
Kinder, hilft’s nichts, und der Welt ſchadet es! Es kann ſo
ernſt bis zur Hungersnoth werden! Die Minute, wo ihr
in Amſterdam wart, wurde das göttlichſte Wetter! ohne Spaß,
Kinder!
Denk dir, Roſe, mir träumt heute Nacht, Louis kommt
wieder an! Ich ganz wie außer mir küſſ’ ihn immer, und
ſage: „Gott wie iſt das? iſt die Mutter hier? ſo etwas pflegt
ja gar nicht zu geſchehen, wie kommt ihr wieder, ſprich Louis,
rede du mit mir, Gott, Gott! ſo etwas Gutes iſt gewiß ein
Traum, ſprich du mit mir, faß mich an, damit ich’s weiß“:
ſo ängſtige ich mich, bis du auch hinein kommſt; ich ſage dir
daſſelbe; du erzählſt mir, ihr ſeid gleich wieder umgekehrt
wegen Toby. „Wollt’ es denn der Vater?“ ſag’ ich; —
Nein! aber wir thaten’s doch. — „Faß mich an, es iſt gewiß
ein Traum!“ Du beruhigeſt mich aber; und ich glaube zu
leben. So quäl’ ich mich viele Stunden. Und ich verſichere
dich, der Traum war garſtig und quält mich noch! Denn
[270]du ſahſt immer ſo aus, als wüßteſt du doch heimlich, es ſei
ein Traum, und du wollteſt es mir nur nicht ſagen. Wie
ein Geiſt aus einer andern Welt ſahſt du aus, der recht viel
verſchweigt und trägt, und du ſahſt doch aus wie du. Und
dann bin ich auch betrübt, daß ſo etwas immer nur ein Traum
iſt: und daß man es im Traum ſchon nicht mehr glaubt. Das
kommt alles von Karltge’s zärtlichem Brief! Es iſt ganz
natürlich, Karl, daß du mich liebſt. Ich liebe dich auch; —
und frag Roſe, ob das bei ſo bewandten Umſtänden nicht
raſend viel iſt — und nur auf dieſe einzige Weiſe kann ein
Menſch etwas von dem andern wiſſen; die ſich nicht lieben,
exiſtiren nicht für einander. Über’s Jahr beſuch’ ich dich!
Wenn ich nicht regieren muß; oder auf dem Miſt liege!
Iſt das nicht das beſte Zeichen? die beſte Schmeichelrede?
Dein uller Brief hat mich recht gefreut! Weil er mit Trieb
geſchrieben war; das kann ich gleich ſehen. Roſe! Scholz iſt
im Haag Chargé d’affaires; und außer ſich, dich zu ſehen.
Fahre alſo um Gottes willen hin. Und laß ihn gleich holen!
ich verſichere dich, er iſt brav. Schicke Karl gleich hin.
Zeigt ihm dieſen Brief. Antworten kann ich nicht gleich. Ich
bin bos — nicht bös — mit der Welt. Was machen denn
deine olle Underbrucks, Luitzi? „In einem Thal, wo junge
Hirreten!“ du Eſel! Liebe Erdbeere, red’ ihm meine Worte
vor! Scholz ſoll den Jungen küſſen. Kinder ſchreibt mir von
Dedem, was er für Hoffnungen, für ein Schickſal hat, und
ob er „bos“ mit euch iſt. Sag Scholz, ich dank’ ihm für
den Brief, weil er mir Freude macht. Gott, wie kann er nicht
wiſſen, daß er in Paris an mich denken muß. Kommt nicht
[271] alles Franzöſiſche, Großſtädtiſche in ihm von mir her? Lec-
türe, auswärtiges Departement, Very’s? Alles. Adieu! Ich
lebe wie ein Schuft; ganz allein. Tilly kommt nur, wenn
er ganz in Verzweiflung iſt; und will ich ſpaziren gehen,
iſt’s des Abends mit Feu. Werd’ ich’s aushalten? Nein!
„Nein, nein, nein! mein ſtolzer Sinn erliegt!“ Bravour-Aria
aus der ſchönen Arſene. Ich mißhandle wirklich nun die
Jungens! und wen à la tête? Vetter. Ich irre mich nie!
nur hör’ ich auf des tiefen Herzens Widerſpruch nicht: und
zehn Jahr nachher muß ich ihm doch folgen. Adieu, grüßt
Papa und Alle.
Quaſt, der mir klagen kommt, grüßt herzlich, und beklagt
ſich, nur ſo in Pauſch und Bogen gegrüßt zu ſein! Die Kin-
der ſind wohl; die Grüße werd’ ich beſtellen. Da beſuch ich
immer, damit ſie mich nicht beſuchen; allein ſein hat Gold
im Munde! Wer kennt die Morgenſtunde, vielleicht die
Leute, wo die Zitronen blühen. Ich bin ganz luſtig?! gewiß
von vielem Waſchen, ſonſt wüßt’ ich nicht! Der Fiſch im
Waſſer? ‒ ‒ alſo doch ein wahr Wort! Das Sprichwort,
— bête! Adieu.
Frau von Genlis ſagt vom Eintritt der jungen Leute in
die Welt, daß nur Narren das Vergnügen der Geſellſchaften,
Schauſpiele und Bälle darin ſähen; aber ſinnige junge Per-
ſonen ſollten dieſe merkwürdige Epoche — époque mémorable,
— wo ſie aus dem Innern ihrer Familie in die Klaſſe der
Bürger — eitoyens — aufgenommen würden, um einen Ring
[272] in der großen Kette zu bilden, aus einem andern Geſichts-
punkte anſehen. Sie ſpricht in dieſem Kinderbuche, welches
ſie den kleinen La Bruyere nennt, und worin ſie mit ganz
fertigen Sätzen aus der Geſellſchaft würfelt, mit kleinen Per-
ſonen von ſieben, acht, bis fünfzehn Jahren. Denen ſpricht
ſie von Staat, citoyens, von Verbannungen — worunter ſie
Miniſter und Ausgewanderte meint —, vom Zuſtand der
Reue und dem Troſte des Alters, von Ämtern und verlorenen
Freuden vor; als ob das klügſte Kind nicht noch weniger zu
einem von allen Seiten ſchon beleidigten Menſchen zu machen
wäre, als ein dümmeres! Kann man ſich wohl verſtehen,
wenn man nicht dieſelben Dinge erlebt hat? und gehören
dazu nicht innere Fähigkeiten und äußere Ereigniſſe in der
Zeit, die ein Fünfzehnjähriger nicht gehabt hat? Mit dem
Eintritt in die Welt meint ſie aber auch weiter nichts, als
die Einführung in die Geſellſchaftsſäle. —
Sie ſagt auch: „Tous les sentiments qu’il est impos-
sible de conserver toute sa vie, ne viennent point de l’ame.”
Es giebt auch Menſchen, die nicht während ihres ganzen Le-
bens die Seele ganz behalten: und ſo iſt ihr auch das An-
denken und die Ideen der Liebe vergangen. —
„Schwache und begränzte Menſchen ſind ganz nothwen-
dig oft undankbar.“ Es giebt wirklich ſchwache Herzen; wie
Köpfe. Undankbar iſt nicht, wenn man nicht dankt: undank-
bar iſt, wenn man annimmt, was man nicht leiſten würde. —
„Il n’y a guère que les secrets cachés par l’amour pro-
pre, qui soient exactement gardés.” Wahr! aber auch die,
die uns zu viel in Andrer Augen ſchmeicheln würden. —
Seit
[273]
Seit der Zeit ‒ ‒ ‒ Es gelangt keine Freude zu meinem
Herzen; wie ein Geſpenſt ſteht er unten, und drückt es mit
Rieſengewalt zu; und nur Schmerzen kommen dahin; dies
Geſpenſt, dies verzerrte Bild, ich lieb’ es! Sagen Sie mir,
wann wird dieſer Wahnſinn, dieſer gräßliche Schmerz en-
den! Wodurch? Sonntag, den 15. September 1805. Eben
wie 1804.
An Frau von F., in Berlin.
— — Sie ſind mir lieb, folglich auch der Brief: aber
welche Mühe haben Sie ſich gegeben! Nicht allein, ſo viel,
ſo klein geſchrieben zu haben; — aber den Egoismus heraus
zu ſtöbern! Wenn Sie ſchon auf’s Allgemeinſte gehen wollen,
es giebt noch etwas Allgemeineres, als ihn! Laſſen wir dies! —
Können Sie mir gut ſein, liebe Freundin? Ja! Weil ich
Ihnen gut ſein kann, keine von uns ſtumpf oder zunichte iſt.
Gut! Ich bin eigenthümlich? Bin ich dies mit Bewußtſein
und Geiſt, ſo werd’ ich jede Eigenthümlichkeit ehren, und eine
ſchöne ſchätzen und pflegen. Das kann uns aber nicht ver-
hindern, uns mit Gründen ſo ernſt zu bekriegen, bis eine jede
von uns in das Gebiet gedrängt iſt, wo andere Waffen gel-
ten. Dies iſt geiſtiger Umgang, ohne den ich — eigentlich
nicht umgehen kann! Dies wird ſich bei uns ſchon machen,
dafür laſſ’ ich uns beide ſorgen; — wie ich es überall liebe,
viel vorauszuſetzen! — Machen Sie ſich keine zu große Idee
I. 18
[274] von mir; ſonſt können Sie mich nicht lieben! Denken Sie,
wenn Sie wollen, alles Gute von mir, das Sie zu denken
fähig ſind; nur denken Sie ſich nicht nichts — und überlaſſen
es meinen etwanigen Fähigkeiten, dies auszufüllen. Ich habe
Sterbliche, die ich bis zur Vergötterung liebe; aber es ſind
nur mir bekannte, geſteigerte, geordnete, glückliche Eigenſchaf-
ten in ihnen, nicht dunkle Unbeſtimmtheiten, die mir dieſen
Troſt, dieſe Wonne gewähren. —
Die vier eitelſten Menſchen, die ich gekannt habe, ſind
Frau von Gr., Doktor Böhm, Major von Gu., und Graf
Tilly. Doch müſſen Frau von Gr. und Doktor Böhm an
der Spitze ſtehen, weil die beiden ganz ausdrücklich ſich ſelbſt
etwas vorlügen, und offenbar nun bereits ſeit dreißig Jahren
Schmeichelviſiten an ſich ſelbſt ablegen. Sie möchten vor
Glück und Süßigkeit untergehn! wiederholen ſich ewig; kön-
nen ſich ganze [Geſchichten] einbilden; geben ſich Kenntniſſe,
die ſie nicht haben, verſagen ſich keine Gabe, kurz, machen
ſich ohne Umſtände glücklich; und haben nur — auch keinen
ächten, — einen falſchen Ärger, wenn ſie ja einmal bemerken,
daß Einer wohl anders über ſie meinte, als ſie ſelbſt; da es
ſie aber in ihrer Meinung und in ihrer großen behaglichen
Lüge nicht ſehr ſtört, ſo rügen ſie es bloß wie eine Erdrei-
ſtung, die geahndet werden müßte, als eine in der Geſellſchaft
eingeſchlichene Unordnung, die ſie nur ſcheinbar ergreift: denn
auch Geſellſchaft an und für ſich intereſſirt ſie nicht, und nur
im oberflächlichſten augenblicklichſten Bezuge auf ſie ſelbſt.
[275] Sie ſind beide unbedingt die größten Narren, die ich kenne!
Mir aber doch bemerkenswürdig; weil die erſtere ſogar eine
Anlage, wenn man ſo ſagen dürfte, zur edlen Seele hat; von
überekelhafter Süßigkeit gegen ſich ſelbſt aber, in ſchlaffer,
nicht derber Gemeinheit aufgelöſt; kurz, eine offenbare När-
rin, ſo daß man ſich ihrer ſchämen muß, und nur als ein
Geſellſchaftsheld ihre beſſern Eigenſchaften nennen kann, in
förmlicher Verhandlung, und von den Dümmſten und Klüg-
ſten beſtritten. Doktor Böhm hatte Anlagen zum Verſtand;
bei ihm geht aber die Vertheidigung ſeiner Behaglichkeit bis
zur gewaltſamſten Härte; womit er die Verkehrtheit verbin-
det, ſich auf Ehrlichkeit ſo viel einzubilden, daß der größte
Sänger z. B. mit dieſem Maß von Einbildung auf ſein
Talent ein unerträglicher Narr wäre. Er ſieht in der ganzen
menſchlichen Geſellſchaft nichts — als ſich ſelbſt auf einem
Thron von Arzneien, und die übrigen Sterblichen im Staub!
Der iſt ordentlich blind. Noch iſt es ſonderbar, daß beide
aus einer und derſelben gebildeten Stadt Deutſchlands ſind,
dort unter ſehr günſtig ſcheinenden Umſtänden erzogen wur-
den, und Gelegenheit hatten, Europa kennen zu lernen. Sie
ſind Eines Alters, und haben dieſelben Geſellſchaften geſehn;
ſie verachten ſich einander ſehr. —
Dann kommt Major von Gu., der mit Gewalt eitel
war, aus dem klarſten Bewußtſein; der den Moment der
Negation für ſich nicht ertragen wollte; der es ſich deutlich
geſagt hatte; der alle Menſchen, und ſich ſelbſt an der Spitze,
zur Huldigung zwang; der überall der merkwürdigſte war.
Von dem ich oft gedacht habe, und ſagen muß, er war eines
18 *
[276] höheren Grades von Schmerz fähig, als alle mir bekannte
Menſchen, mich mit eingerechnet; denn er ertrug ihn ſchlech-
terdings nicht. Stellte ihm ſein Geiſt und ſein Körper die
Dinge auf die Weiſe, und ſo erhöht, oder forderte ſeine Seele
ſchärfer und mächtiger ihr Wohlſein: genug, er erzwang’s in
äußern Bedingungen jedesmal. Daher war er gewaltthätig
und ſo auch in ſeiner Eitelkeit. Er ſelbſt war nie ſein Narr;
die Mitſpielenden mußten es aber ſein: Verführung, Über-
redung, Gewalt, Überzeugung, galten ihm nicht gleich, muß-
ten ihm aber dienen helfen. So konnte er närriſch ſcheinen,
ohne es zu ſein. Weinen, ſich rächen, drohen, ſeicht leben,
zwingen, klügeln, ſich anſtrengen, ſchmeicheln — natürlich
nicht lange; alles konnte und gebrauchte er, nichts war ihm
zu groß, nichts zu klein, um den Moment des Zurücktretens
zu vermeiden. Von eigenem Geiſte getrieben, ſtellte er ſich
wohl ſelbſt zurück; und beurtheilen konnte er ſich ſehr gut,
wenn es wieder auf Urtheil ankam. Niemals hat jemand
das Schöne ſeines Gemüths weniger in Umlauf geſetzt, es
ſelbſt weniger beſichtelt! Seine Moralität fühlte er immer
fertig; er wollte aber mit vieler Gewalt und ununter-
brochener Anſtrengung auch ein Aſyl in der Welt für ſein
beſſeres Sein; er war durchaus kein Dulder; und ſo ergriffen
von dem Gefühl, welches ihm dies verbot, ſo durchdrungen
von der Einſicht, daß der Moment auch eine Zukunft iſt, daß
er mir oft aus dem tiefſten Geiſte ſagte: „Ja! das Würm-
chen, ſehen Sie’s kriechen, es hat ſeinen Moment, er iſt alles.
Es lebt wie ich; es iſt an ſeiner Stelle, niemand kann da
ſein!“ — und ſo ſprach er von niederſchlagenden Scenen —
[277] deren Nichtigkeit er ſchärfer als irgend ein Menſch wußte —
„der Moment iſt doch da! in dieſem Moment iſt des Kerls
Vortreten etwas; denn ich fühl’s ja; ich habe ja den ſchlech-
ten Moment.“ Einen ſolchen Moment zu vernichten, wandte
er alles an. Dies war ſeine Eitelkeit. —
Nun kommt Graf Tilly. Der iſt komiſch und ſchlecht,
denn er hat Reue, und iſt unſicher über ſich; bei eben ſo an-
haltender und heftiger, aber mehr beſchränkter Gewaltthätig-
keit, weil er dabei ſo außerordentlich viel, nicht allein auf
Andrer Äußerung über ihn und Behandlung ſeiner, wie alle
Eitlen, giebt, ſondern ſogar auch ſein beſſeres Urtheil ſehr
leicht, und faſt immer, dem ihren nachſtellt: dies bringt nun
alle Augenblicke die ausgelaſſenſte, gewaltthätigſte Anmaßung
zum Vorſchein, die plötzlich an Kinderzweifeln über alle ge-
ſellige Gegenſtände bricht, und ihn von dem empörteſten und
empörendſt ausgelaſſenen Zorn in die ungewiſſeſte Beſtürzung
und lächerlichſte Ungewißheit ſchleudert; dies in den geringſten
Kleinigkeiten, die ſeinem beweglichen treffenden Verſtande, und
ſeiner immer fertigen und glücklichen Gabe ſich auszudrücken,
bei weitem nicht gewachſen ſind. Ich glaube, die gegen ſeine
übrigen Gaben unverhältnißmäßig große Gabe zu ſprechen
war davon ein verſteckter Grund. Er war leicht von ſeinen
und auch Anderer Behauptungen beſtochen und überwältigt,
wenn ſie nur gut und in einem gewiſſen Zuſammenhange ge-
ſtellt waren, und handelte ganze Lebenszeiten hindurch nach
einem ſolchen Ausſpruche, ohne daß er mit ſeiner Überzeugung
und ſeinem Gewiſſen Eins geweſen oder geworden wäre. So
ward er tugendhafte und religiöſe Vorſtellungen ſeiner Er-
[278] ziehung und ſeines Familienlebens nie los: und ſein Leben
war halb lächerlich halb ſchrecklich anzuſehn: für ihn gewiß
meiſt eine innere Angſt und Marter, von Mitteln der Eitel-
keit zur augenblicklichen Ruhe gebracht: ein ſchwankender Zu-
ſtand, zu welchem auch Geburt, Schönheit und Geiſtesgaben
ihm wirkten, und alte verderbte Erziehung, die ſonſt häufiger
mit großen Vorſtellungen und Achtung der Religion und
Sitte zuſammenging. Er war ein Exempel ehemaliger ver-
kohrter Franzoſenwelt und Erziehung. Er genoß alle ihre
Vortheile, und erlag ihren tiefen Fehlern. —
Das Widerſpiel zu den vier Eitlen iſt T., welche mit
Wahrheit in einem Briefe an eine Freundin von ſich ſelbſt
ſagte: „Wenn ich in der Nähe von Fürſten wäre und mit
ihnen lebte, würde ich für die niedrigſte Schmeichlerin gehal-
ten werden! Weil ich jedes Menſchen Perſönlichkeit umgehe,
und bei der größten Meinungsunabhängigkeit nur immer aus
allgemeingeltenden Gründen widerſpreche, ein ſolcher Wider-
ſpruch wird gar nicht bemerkt, ſo ſehr er auch wirkt; Beifall
und Lab ſuche ich aber ſo perſönlich zu machen, als möglich.
Dieſes Verfahren, welches unbegreiflich unbemerkt bleibt, würde
bei hohen Perſonen ſehr auffallen. Meine beſten Freunde,
wenn ſie dies leſen, werden mir nicht beipflichten, ſondern
meinen, ich lobe mich ungeheuer aus Vorliebe; ich aber bin
überzeugt, daß dies Geſagte die ſtrengſte, in jedem Tage zu
erprobende Wahrheit iſt, und bin gar nicht beſchämt.“
[279]
An Frau von F., in Berlin.
Sie wohnen auf Ehre und Seligkeit zu weit! Ich mag
mich noch ſo ſehr zwingen, es kommt doch heraus. Eh’ ich
nun zu Ihnen käme, verginge mehr, als eine Viertelſtunde,
kurz, die Zeit verginge auf dem Wege. Von heute iſt aber
gar die Rede nicht: denn heute verbietet es das Wetter.
Davon haben Sie gar keine Idee! von dieſer ſchädlichen —
man fühlt’s — Rauhigkeit. Ich nenne das ein Unwetter,
denn es iſt eigentlich keines: ſo war es vor allem Wetter,
eine Ungeburt aller Beſtandtheile zu einem Wetter — ich
glaube ordentliche Nationen kennen das gar nicht — die ſchon
organiſirte Weſen vernichten. Dies wird Ihnen alles wie
Hyperbeln zum Scherz gemacht däuchten — Gott bewahre!
Es ſind lauter Schmerzen und Unbehagen, die mein Körper
ſo deutlich leidet, daß es nur ein Schattenriß iſt von dem,
was ich von dieſem grauen Unhold ausſtehe; der mir Leben
und Freude nimmt, und mich verhindert auch nur ohne Unge-
mach über den Flur zu gehen, geſchweige ein Fenſter aufzu-
machen, oder die Straße zu betreten. Glauben Sie nicht,
daß mir etwas Beſonderes begegnet iſt. Nein! Ich habe nur
manchmal das edle Bedürfniß, unſer Klima in allen ſeinen
Gräueln auszuſprechen; und dann dünk’ ich mich beſſer; und
bin zufrieden mir bewieſen zu haben, daß ich ein beſſeres ver-
ſtünde. Tiefer Ernſt iſt es mir aber, und leiden thue ich auch.
— Ich ſchicke Ihnen ein wenig vinaigre des quatre voleurs.
Er iſt mild und aufweckend, und hat durchaus nicht das
[280] Überreizende der andern Mittel aus ſeiner Klaſſe. Sein Sie
nicht zu dankbar. Ich kenne Sie. Mich macht eine zu holde
Aufnahme meiner Selbſt, und was ich thue, ganz perplex.
Antworten Sie nicht! —
Aus einem Schreibbuche.
Oft leſ’ ich in dieſem Buche; und dann iſt mir, als wär’
ich todt, und ein Anderer lieſt es. — Jahre lang quält man
ſich, um ein kleines, kleines Reſultätchen endlich hervorzubrin-
gen. Dies iſt die Beute! möcht’ ich ſagen. Die Mühe aber
iſt ſie; die Anſtrengung, das ehrliche Beſtreben, nicht zu ruhen,
bis wir die kleine Beute finden. Wahrlich ſchwach iſt unſer
Geiſt und faul; witklich! Kindheit: mit Licht und Sonnen-
ſchein werden wir ermuntert und gelockt. Was wir finden,
ſei uns eins. Daß wir finden, iſt der Punkt.
So ekle ich mich auch, das Meiſte, wenn es mir ſchon
Einmal entfahren iſt, zu ſagen oder in gutgeſetzten Worten
aufzuſchreiben. Mich dünkt, es iſt ſo wenig; und es wird zu
nichts, zu kalt, wenn man’s erſt ſchreibt, und gar denkt, ich
will es ſchreiben. Darum kann ich auch gar nicht ſchreiben,
obgleich ich ſolche Liebhaberei an ſchöner Sprache und gutem
Ausdruck habe. Oft möcht’ ich lieber ändern, was Andere ge-
ſagt haben: da dünkt mich wenigſtens nicht dabei, ich ver-
derbe meine redliche Gedanken.
Auch kommt’s mir vor, hätt’ ich eine Stimmung ausge-
drückt, in Proſa, oder Verſen, ich könnte ſie nun nie wieder
[281] haben, nie mehr mit Ehren von ihr ſprechen: ich hätte ihr in
das zarte Geſicht geſchlagen. Und es iſt nicht Faulheit und
Unwiſſenheit allein, die mich ſo unfähig erhalten.
Dichter aber führen große Gebäude auf; die formen die
Welt, die ſie finden, ab; und ſie laufen ganz heimlich mit
durch. Ein Nachkomme ſoll ſie mal errathen, beweinen, zu
ihnen ſich wenden. Kaum ein Zeitgenoſſe!
Menſchen ohne Kontenance ſind eiferſüchtig, — nicht bloß,
daß ſie die Eiferſucht zeigen, weil ihnen die Kunſt, ſie zu
verbergen, fehlt. — Man iſt nicht eiferſüchtig, wo man liebt:
aber allda, wo man geliebt ſein will, oder geglaubt hat es
zu ſein. — Auch ein Reſultat von heute, welches mich viel
koſtet ... nicht Eiferſucht — aber lange Zeit: und viel Den-
ken. Denn das begriff ich gar nicht.
An Frau von F., in Berlin.
Sinken Sie nicht! Ich fürchte es immer, und wenn ich
auch nur Einen Tag nicht komme. Mich hält die alte Feſtung
wieder ab! das iſt nicht zum Durchſetzen.
Geſtern blieb ich ganz allein: und ſchrieb den ganzen
Abend; was Sie wiſſen, und Geſchäfte; und dann las ich die
Zeitung, hatte Kopfweh, und ging zu Bette. Wenn Men-
ſchen zu mir kommen, ſo merk’ ich, daß, ſo traurig ich eigent-
lich ſein kann, und ſo wenig Erfreuliches ich mir eigentlich
zu rekapituliren und zu erwarten habe, ich doch recht gerne
[282] allein bin. Ich dachte viel an Sie, und war ſo aufgebracht
über Ihres, als über Meines; und aufgebrachter über Ihres.
Ich erkläre Ihnen das. Waren Sie allein?
Heute — ſchrieb ich wahrhaftig wieder den Morgen: und
auch an Moritz, den ich grüßte und Ihrer Beſſerung ver-
ſicherte. Ich habe auch geſtern einen Brief von ihm gehabt,
worin er mir die Hoffnung giebt, daß wir uns dieſen Winter
noch ſehn werden. Aber nur die Hoffnung — und die kenn’
ich ſchon!
Antworten Sie mir nicht! ich fühle es jetzt, Federkritzeln
iſt tödtlich. Ich dachte, als ich das Papier zurechtlegte, ich
würde Ihnen einen recht tröſtlichen Zettel ſchreiben; er iſt nicht
ſo geworden. Heute thäte mir nur gêne gut: in Ermange-
lung des Rechten! Tra la la la! das Rechte —!
„Vorüber, ihr Schafe, vorüber!“ — — —
Nun ja! — Aber auch der Winter vorüber! und wir
Muth, das Geringe gering zu achten! „Nichts iſt erbärmli-
cher, als ein Menſch zwiſchen zwei Meinungen“ ſagt auch
der Dichter mit ſehr ſchönen Worten im Clavigo, deren ich
mich jetzt nicht erinnre.
So wollen wir nicht ſein; den Tod ſelbſt will ich mir,
hab’ ich mir durch Muth abgewehrt: Sie müſſen mit her-
über! Morgen ſeh’ ich Sie! Grüßen Sie ſehr Mad. J.,
und bewillkommen Sie das Glückskind! Und fragen Sie den
Grafen aus!
[283]
An Frau’ von F., in Berlin.
Glauben Sie, Liebe, daß ich den Brief, den ich letzthin
bei Ihnen ſiegelte, abgeſchickt habe? Gott bewahre! keinen
Muth! — Sie kennen mich nur ſtark: wüßten Sie auch,
wie zäh’ ich bin, wahrhaftig! ſchwach dünkt mich noch zu
edel. —
Ich begreife es nicht! ich bin mit meinem Geiſte nicht
ſtill geſtanden; aber mit meinem Herzklopfen ſeit achtzehn
Monaten. Ich bereue es nicht. Ob ich dieſes oder anderes
hätte — die „Witterung des Glücks“ bleibt aus! da gebär-
det man ſich, wie man kann; das heißt, man weint und
weint nicht. Alles in der Welt, nur nicht „ſich tröſten“;
mich dünkt, Schmerzen ſind die Rückſeite des höchſten Glük-
kes, und mit mächtigem Herzen mag ich es feſthalten, und
wenn es auch mir nur verkehrt begegnen konnte. Sinken
Sie nicht!! Daß ich Sie morgen harmoniſch in Ihren Zügen
finde! ausgeſchlafen! muthig zum Sommer! und Nichtigkeiten
gar nicht achtend finde. Wie jung ſind Sie! Wie groß
die Welt! — — Sie, Sie können ſich ja noch immer etwas
Schöneres denken, als das, was Ihnen begegnete: vielleicht
begegnet Ihnen noch etwas Schöneres, als Sie ſich denken
können! — Denken Sie ſich!!! —
Das Kind Pauline iſt bei mir ſeit fünf Uhr. Wie eine
Klapperroſe ſieht ſie aus; lärmt und ſpielt mit Sand. Meine
[284] einzige Erfriſchung! Ein Kinder-Umgang hat auch den Vor-
zug, beinahe nichts Menſchliches an ſich zu haben; wie ein
Stück Garten erfreut’s — und beſſer — und läßt einen ruhig.
An Guſtav von Brinckmann.
Hier iſt das Büchelchen. (Die Weihnachtsfeier.) Wenn
Sie auf den Abend kommen — Kouriere abgerechnet — ſo
können Sie’s ſchon ausgeleſen haben. Ich weiß mir etwas
damit, es Ihnen zu ſchicken: erſtlich, weil ein eigentlichſtes
Vergnügen (von Liebe an Litteratur, an Freundſchaft, Neuem
und Bewunderung zuſammengeſetzt) ich Ihnen zuerſt machen
kann: da dies Ihre Pflicht gegen mich ſein ſollte; und zwei-
tens, weil ich glaube, Sie werden nun gerührt ſich bei Jo-
hannes etwas Mühe geben, mir Adams Vorleſung zu ſchaffen!
Wenn Sie mir nicht abſagen laſſen, erwarte ich Sie:
Sie geniren ſich aber nicht. Damit wir alle drei Vergnügen
haben.
R. L.
Karakter iſt das aus den Verhältniſſen aller Eigenſchaf-
ten eines Menſchen oder Werkes u. ſ. w. und durch ihre ein-
mal geſetzte und gegebene Zuſammenſtellung nothwendige Re-
ſultat; in der Handlungsweiſe, Erſcheinung u. ſ. w. Mich
dünkt, nichts anders iſt Karakter, im weiteſten. allgemeinſten
Urſinne des Worts. Man kann gewiß dieſe Erklärung noch
bündiger faſſen, das fühle ich ſogar ſelbſt; aber auf einen
[285] andern Grundfuß wohl nicht ſtellen. Definitionen, meine
Freude!
Mich darf meine Freundin beleidigen — behandeln wie
ſie will. Darf man nicht mit ſich umgehen wie man will?
Aber in andern Dingen bin ich ſo ſtreng mit ihr, als ich nur
mit mir ſelbſt bin.
J. Wie inkonſequent ſind Sie! Erinnern Sie ſich gar
nicht mehr, wie Sie ſonſt ſprachen?
R. Sie meinen, daß ich alles vergab! Jetzt will ich
plötzlich einen Preis auf mein Ich ſetzen. Zeigen Sie meine
Briefe, worin ich anders ſprach; und ſagen Sie: So hat ſie
ſich verändert! —
Wer mir glaubt, dem nur kann ich die Wahrheit ſagen.
An Frau von F., in Berlin.
Wenn ich nicht ſo geſund bin, und ſolches Wetter iſt,
daß ich des Morgens kommen kann, ſo bleib ich dreiſt weg.
Was hilft ſolches Viſiten-Geſitze. Ich mache das zur Hand-
lung, Viſiten-geſitzen. Iſt wohl dabei an Sprechen, Denken,
Mittheilen, Blicken beinah, zu denken? Sahen Sie den grän-
zenloſen Ennui des Einen? die Ungewißheit und Mattigkeit
des Mahlers? der mir ſonſt unwiderſprechlich die Cour macht
— nicht die man einer Frau, ſondern die man einer Fürſtin
[286] oder Künſtlerin macht. Auch muß jeder Blick von mir, jede
Inflexion des ganzen Körpers und der Stimme ein voller
und genauer Ausdruck deſſen geweſen ſein, was in mir vor-
ging. Denn mit dem Alter, mit jedem halben Tag, werd’ ich
der Verſtellung unfähiger. Und o! wie richtig das. Mein
ewiges Denken macht mir alles ſchneller klar als ſonſt, und
in mir graben hat mich empfindlicher gemacht, als die frei-
gebige Natur ſelbſt es beabſichtigte. Hoffnungsloſigkeit macht
mich auch rückſichtsloſer; Unrecht dulden auflehnender; Man-
gel an Laune launiger, wenn ich einen Reſt davon verſpüre;
und endlich die Schlechtigkeit — die eines ſchlechten Apfels
der noch nicht reifen wollte, mit verfaulten Kernen, anſtatt
geſundem Innern — ſtrafluſtig. So, und noch tauſendfach
anders, fühlte ich mich; und ſo ſchien ich dem Mahler in’s
Geſicht wie die Sonne, die wohl den Blödeſten blendet, ohne
daß er ein Wort von ihr je zu expliciren vermag! Gott, wenn
Sie doch einmal ausgingen! zu mir, und wir zuſammen aus.
Machen Sie ſich einmal auf! Sie können ſich ſonſt ganz
einliegen. Glauben Sie denn, daß ich nicht ganz herunter
bin? Würde ich ſonſt ein Wort der Klage bei Ihnen vor-
laſſen? Ich glaube nun endlich, bei Gott! ich ertrag es nicht
länger! Lebhafter wird mir alle Tage, was geſchehen iſt.
Und andre Menſchen ſagen, man tröſtet ſich! Ich bin ſo
empfindlich bis zur Empörung! Und auf dieſe Weiſe är-
gerte mich auch geſtern E.! Nicht daß ſeine Verdutztheit nicht
jedem erſchienen wäre wie ich’s Ihnen mündlich — weil es
ſchriftlich die Dinte nicht werth iſt! — erzählen werde; aber
ſonſt, — Gott, ſonſt! — achtete ich auf ſo etwas gar nicht,
[287] ſo offen ſchien mir noch die Welt! Jetzt weiß ich, es wer-
den nur Dienstage und Mittwoche; und in denen will ich
alles richten und ſchlichten! Und jedes beleidigt mich; nicht
weil es von dieſem oder jenem kommt, ſondern weil ich zu
viel beleidigt bin. „Le coeur foulé.” Wahrhaftig ich hätte
anders gemacht ſein ſollen zu dem, was ich vorſtelle. — Die-
ſen halt’ ich für einen Troſtbrief; herbe Klagen verſcheuchen
unſre eignen, ins tiefe Herz: und hülfreich werden wir dem
Andern, und können wir auch nicht helfen, ſo iſt es Diverſion
und macht verſtutzt!
Heute Abend bleib’ ich zu Hauſe; ich will den Huſten
nicht böſe machen, ſoll ich mich davon auch noch plagen laſ-
ſen, und mir Wochen rauben! Sie ſollen aber ungefähr wiſ-
ſen, was ich mache. Der Graf Tilly hat mir geſchrieben, er
wolle zu mir kommen; er ſpricht ungeheuer gut. Das zeig’
ich Ihnen einmal durch ſeine Briefe. Er inkommodirt mich
nicht, ſagt mir alles, ich bin ihm ein Sprechſaal, er mir eine
Art von Lebenaufführer; das hat etwas von Freundſchaft,
ohne daß auch der geringſte Akkord vorzukommen braucht,
und es iſt tauſendmal beſſer, als vieles Verfehlte. Dabei hat
er die größte Lebensart, und bei dem unerzogenen Krob, wel-
ches man hier überall ſieht, iſt das ein wahrer Wieſenflor,
ein Sopha, eine Gondel für die Seele. Ich finde, die ſelbſt
ſo derb und ungeübt-hart ſcheint, daß unſre Geſellſchaften ſo
grob als unſre Stücke ſind. Mir ein wahres ununterbro-
chenes Leiden. Ich will Ihnen das kleine Billet abſchreiben,
welches mir Tilly heute ſchickte. „Que je sache, chère petite,
si vous passez la soirée chez vous? Il me semble qu’il y a
[288] dix ans que nous nous sommes vûs pour la dernière fois,
d’un autre côté je crois que c’est hier, ce que je souhaite
c’est que se soit aujourd’hui.” Sehen Sie die Ungeduld, die
Wenigkeit, die Natürlichkeit, das gute Schreiben! Der richtige
Ausdruck in den wenigen Zeilen des ganzen Verhältniſſes, die
Sorgloſigkeit! Ich beſinne mich nicht mehr genau auf die
Worte meines Billets; es war aber eben ſo klein! — Wie
finden Sie mich mit Abſchreiben und Erzählen? Und mein
Händchen? Adieu! Sein Sie gutes Muthes! Bin ich morgen
— ach Gott nein! morgen Vormittag geh’ ich zu Fichte.
Aber ich werde doch zu kommen ſuchen. Sinken Sie nicht!
das fehlte mir noch! —
An Frau von F., in Berlin.
Liebe beſte Freundin, es iſt auf Ehre ein Leid! daß ich
nicht kommen kann. Aber das Wetter iſt Mord, und mein
Katarrh auf der größten Höhe. Ich habe die Ausſicht, allein
zu bleiben, und bin weniger als je geſchickt dazu. Jetzt die-
ſen Augenblick geht Egl. aus meinem Zimmer, es mag beinah
halb 6 ſein. Als ich mich mehr aus Verdruß, und weil es
die Stunde iſt, zum Schlaf niedergelegt hatte, und „ſich die
Knoten der ſtrengen Gedanken zu löſen anfingen“ klopft et-
was an mein zweites Zimmer, ich, überzeugt, daß zu dieſer
Stunde niemand, aber auch niemand zu mir kommen kann,
denke, es iſt neben an, und bleibe liegen; man klinkt die
Thüre auf, und Egl. ſteht da. Aus dem Schlaf macht’ ich
mir
[289] mir nichts, alſo war es mir recht lieb. Er ſprach aber ſehr
untereinander: und — wie richtig hab’ ich geſehn — die ganze
Paſtete — dies infame Wort iſt hier das beſte — kam zum
Vorſchein, wie ich es den erſten Tag explizirte, was er unter
Genie verſtanden hatte. Eine Art monſtruöſes Geſchöpf, wie
es eigentlich keins giebt. Abtheilungen, die trivialen, von
Verſtand und Güte — — kurz, ich erlaß Ihnen die Details,
nur wiſſen Sie, er meinte ich mache mir nichts aus Güte, —
nur aus — Unding! — Verſtand. Es wird Sie mit anſchei-
nendem Recht wundern, daß ich mir — deren Herz es wie
eine friſche Quelle immer weit wegſtößt — plötzlich aus frem-
dem Urtheil etwas mache! Ich will es Ihnen erklären. Wäre
es ein Eindruck, den ich gemacht hätte, ich nähme es
hin! So iſt es aber ein kleines Syſtem von Vormeinungen,
die ſich Egl. über mich gemacht hat, ehe er je einen Ton von
mir vernahm, und nun, daß ich ihm offen, wie einem jeden,
die dreimal, die ich ihn etwa ſah, entgegen kam, und freund-
licher als Vielen; vernimmt er mich ſelbſt nicht: und weiß
daher weniger von mir, als vorher, weil er noch dazu den-
ken kann: „ich kenne ſie ja!“ Und die längſt verrauchte
Dummheit fremder Ignoranten ſchadet, oder hindert mich in
einem neuen, mir angenehmen Umgang. O! geſegnet, tau-
ſendmal geſegnet, liebe Sinne! Mit euch vernimmt man
ſelbſt! Gott! ſoll ich denn ewig Schutt räumen, den Andere
mir laſſen? Was iſt es garſtig, ſich immer erſt legitimiren
zu müſſen! darum iſt es ja nur ſo widerwärtig, eine Jü-
din zu ſein!!
Überhaupt bin ich jetzt, wiſſen Sie, empfindlich! und es
I. 19
[290] kränkt mich doppelt, daß Mißverſtändniſſe über mich eine
Folge einer ausgezeichneten Offenheit und eines edlen Trotzes
ſind; den ich nie aufgebe, und hielten mich alle Erdbewoh-
ner für einen Schinderknecht. Mich gut zeigen kommt mir
vor, wie mich glücklich ſtellen, oder Agonie läugnen!
Gott Gott! Könnte ich dieſen Abend Sie in mein Zim-
mer haben? Erſtlich wären Sie geſund; und ich bliebe mit
Ruhe zu Hauſe und wir wären beieinander. Bald hätt’ ich
es vergeſſen: Egl. hat mir aufgetragen Sie zu grüßen, er
lobte Sie ſehr. Sie ſind liebenswürdig, er achtet Sie, und
ich ſoll Sie umarmen. Das thu’ ich mit dem höchſten Wohl-
wollen! Dies Wort bedeutet diesmal mehr, als Sie meinen:
es iſt Liebe mit Zufriedenheit gepaart! Ich bin ganz froh
mit dem wie Sie ſind: das wo wünſch’ ich Ihnen heilſamer!
Bedenken Sie Ihre Jugend; und den Reichthum der Welt!
Der Winter, die Nacht, die trüben Gedanken, die Schmerzen,
alles wird vom Leben verzehrt! Schlechtes Geräthe von der
Götterflamme. Morgen ſehen Sie mich, und machten Mar-
beths Hexen das Wetter!
An Ludwig Robert, in Paris.
Lieber Ludwig! Geſtern erhielt ich deinen Brief über die
Hochzeit. Ich finde dieſen Brief außerordentlich ſchön. Diable!
du ſchreibſt urplötzlich ſchöne Briefe! Auch mir geht’s „wie’n
Mühlrad rum“ wenn ich die Welt, ihren Zuſtand, und der
Leute wollendes nicht Wollen mit anſehe! — und ich empfand
[291] dies ſtark beim bloßen Leſen deines Briefes; — das Tragiſche,
Hochtraurige dabei iſt; daß ein Einzelner — ſo lange er dies
bleibt — particulier — an dieſem Schwindeltanz Theil neh-
men muß: er iſt mittendrin, nicht drüber, er athmet die
Luft, ſie drehen ihn: und das Höchſte, wozu er kommt, iſt,
ſich zu ſagen: ich athme infame Luft, und ſie drehen mich!
Darum mein hoher Drang, meine anbetende Liebe für die
ſparſam der Erde Abgelaſſene, für die Wenige, die durch eine
reine bornirte Anſicht ſo viel Kraft in ſich erhalten: durch
einen ungeſtörten Willen, und Wollen, der Welt ihre Ge-
ſchichte auf Jahrhunderte vorzuſchreiben. Dieſer Wille mag
Irrthum ſein; vom Geiſt erleuchtet oder nicht! — dies bringt
mich auf Luther; und Luther, und alles, was geſchieht, was
ich lebe und athme, auf dies. Vorgeſtern ſah ich das Stück.
Den Anfang verſäumte ich. Ich bin über dieſes Stück kei-
nes Menſchen Meinung. Die ganze Welt hat es vor mir
geſehen, und wieder durchaus nicht gefaßt. Zeitungen leſe ich
nicht. Bogenvoll ſah ich aber gedruckt darüber liegen. Die
werd’ ich dir ſchicken: denn die Berliner Zeitung iſt voll davon.
Julius von Voß ſoll uns ein Leſſing ſein! Mich zwingt kei-
ner durch drucken laſſen zum Umgang mit ihm. Warum du
die Bogen leſen willſt, iſt mir unbegreiflich. Elegante [Zeitun-
gen], weißt du, leſe ich auch nicht! Habe ich die Mode geſehen
ſo iſt das alles. Doch werd’ ich ſie dir zu ſchicken ſuchen.
Gott, wie kannſt du das leſen wollen! Sobald es gedruckt iſt,
ſchicke ich es dir; und ſollte es mir der Poſt ſein! Heute iſt
mir das Herz zugeſchnappt: und dann habe ich zu nichts Ver-
ſtand. Ich erlebte dieſer Tage Kränkungen; und will durch-
19 *
[292] aus weg! Ich ſuche mir mit der größten Anſtrengung Geſell-
ſchaft nach Böhmen. Goethe kommt ganz gewiß nach Karls-
bad, einen Sonnenblick muß meine Seele jetzt haben, ich werde
ſonſt wahnſinnig. Kann ich nach Böhmen nicht, ſo reiſ’ ich
mit der vorhandenen Gelegenheit nach Amſterdam und von
dort nach Paris. Auf eine oder die andere Art. Schreib
mir alſo gleich, wie lange du noch bleibſt!!
In dieſer Stimmung, ſiehſt du, kann ich keine Rezenſion
über Luther ſchreiben. Ich habe und hatte aber eine göttliche
im Kopf. So viel voraus! So viel Glück hat ein Deutſcher
noch nie gehabt, einen Punkt zu finden, woraus ſich das
erſte, einzige und das beſte deutſche Nationalſtück machen
ließ. Dieſer Punkt iſt Luther. Er, Deutſchland, Deutſchlands
Exiſtenz, ſeine Litteratur, ſein fragender Sinn, und ſeine wirk-
liche Geſchichte, die aus des Landes Karakter hervorgeht, und
durch Luthers ſtarken Ruf und Auftreten begann, und da ſich
erſt von allen andern Völkern trennte: iſt Eins! Begreife,
welch ein Stück ſich davon machen laſſen kann! Niemand
konnte dieſen Vorwurf verderben: — ich hätte müſſen ein
gutes Stück draus machen, — Werner hat viel verfehlt; viel
geleiſtet; nichts verdorben. Er zeigt Geiſt: aber nur einen.
Auch haben ihm die Neuern ſein wirkliches Talent behaucht.
Ich hoffe der reine Spiegel läßt ſich noch abwiſchen. Ich hoffe
ihm das ſelbſt zu ſagen. Nun nichts mehr: über Chriſtenheit
und Religion weiß ich noch manches; und in wie fern ſie
auftreten kann. In jedem Fall iſt es ein ganz anderes Stück-
chen, als die gute und auch beliebte Jungfer Orleans! Dies
Sujet meinte Schiller; und das Mädchen griff er. So denk
[293] ich. Dein Vorſchlag, mir und der Guten, ſo zu ſagen, zu-
gleich zu ſchreiben, widerſteht mir. Fühl doch, daß du un-
möglich mit der Geiſtesvigueur, und Freiheit, und Scherz, in
allem Ernſt und Kürze über jede Sache an ſie ſchreiben kannſt,
als an mich! und daß unwillkürlich dadurch der Brief ſchon
anders wird: obgleich deinem geſtrigen nichts anzumerken iſt.
Glaubſt du denn nicht, daß ich auch deine Briefe aufbewah-
ren würde? und über Staaten, Völker, und Litteratur, ſogar
Racen, das iſt ja alles für mich. Doch wie du willſt.
An Frau von F., in Berlin.
— Liebe Freundin! Laſſen Sie große Herzen für ſich
mitgelitten haben; entzünden ſolche Geiſter das Licht des
Ihrigen früher! Haben Sie nur den Willen ſich zu heilen
— es iſt wie eine Wunde: auch ſie entzündet fieberhaft
jedes Lebensprinzip, — verbannen Sie, wenn es nur möglich
iſt, das Willkürliche, wahrhaft Leidenſchaftliche! Hören Sie
auf Goethe — mit Thränen ſchreibe ich den Namen dieſes
Vermittlers in Erinnerung großer Drangſale, — der es im
Meiſter deutlich ſagt, daß die Jugend zu viel Kräfte zu
haben glaubt, und ſie aus Willkür dem verlorenen Gute wie
nachwirft. Er ſagt es anders. Leſen Sie es nach, liebe
Tochter, wie man die Bibel im Unglück lieſt: wo Meiſter
Marianen verliert, im erſten Bande ſteht es; er wird krank,
und Goethe ſchließt ein Kapitel damit; es iſt eine Götter-
ſtelle, ein Wolkenſpruch über dieſen Drang der Jugend.
[294] Sträuben Sie, in der Ehrlichkeit Ihres Herzens, ſich nicht
gegen Farbe und Geſtalt; wenden Sie keinen Reiz von ſich!
Doppelte Natur trägt der Menſch in ſich; wo ihn das Schick-
ſal krönt, darf er ſie beide gebrauchen; der Augenblick, mit
ſeinen ſichtbaren wandelnden Schätzen, iſt ein freudiger Spie-
gel für ihn; und er darf auch dann wagen, ſein Herz einer
Ewigkeit zu überlaſſen: beachtet aber das Schickſal uns nicht,
ſo dürfen wir unſer Weſen trennen! Thun Sie’s jetzt. Laſ-
ſen Sie Geiſt und Sinne ſpielen: halten Sie ſich nicht mit
Gewalt an einen ſchon entflohenen Gegenſtand, der das Ge-
bilde Ihres eigenen Verlangens war! — Des Menſchen
Geiſt iſt unendlich, ſein Herz unzerſtörbar. Da Sie weiter
leben müſſen, leben Sie wirklich! Daß Welt und Luft und
Leben und Geſtalt auf Sie eindringe! Nur gefalle Ihnen
nichts im Schmerze; er vergeht doch; und dann iſt Jugend,
Schönheit und Geſundheit weg, und man hat ehrlicher und
unehrlicher Weiſe ſich ſelbſt etwas aufgeführt. — Sie aber,
Liebe, müſſen wahrhaftig gegen die Empfindlichkeit ar-
beiten; verdrießlich müſſen doch Ihre Freunde ſein dürfen! es
nicht verbergen dürfen, iſt großer Troſt — wo nicht der ein-
zige! Wie wollen Sie Ihren Freunden denn ernſt ſchützend
beitreten? — Im Ganzen beſſern Sie ſich! An der Seele
zimmert jeder ordentliche Menſch ſo lange er lebt. Faſſen
Sie ſich in dieſer Arbeit, und zerſtören Sie nicht mit jugend-
licher Überkraft alles von neuem. —
[295]
An Frau von F., in Berlin.
— Sein Sie nicht ſo ängſtlich! Selbſt phyſiſchen Schmerz
halte ich für Verwirrung, in die wir nicht einzudringen ver-
mögen: und es iſt nicht gleich, ob uns dieſe das Leid macht,
oder etwas andres, weil unſer ewig bewegter Geiſt, unſere
Arbeit, unſer Schmerz ſelbſt, ſie unfehlbar auflöſen müſſen.
Alles kann ſich nicht allein ändern, alles ändert ſich ganz
gewiß; von heut zu morgen, ganz unvermuthet. Die größte
Veränderung kommt auch von innen heraus: in uns geht ſie
vor, und wie plötzlich; wie eine Blume ſich erſchließt, immer
in einem Moment; ſieht die Welt auch den Prozeß vorher,
jene ſelbſt erathmet Licht nur mit einemmale. Kleinere Vor-
fälle aber ſind beinahe immer eins, wie ſie kommen; und auch
ſelbſt muß man ſie ſich nach geſchehener That zurechte legen,
und mit Kunſt und Gewalt Honig aus ihnen ziehen. Wer
vermag die zu berechnen! Ich ſpreche heute aus voller Seele!
denn auch mir iſt viel Mißwachs vorgekommen, und nicht
ganz von der geringſten Art. Aber den ganzen gehäſſigen
Eindruck, den er mir macht, nehm’ ich dazu hin, um mir zu
ſagen und zu zeigen, wie ich mir nichts mehr weiß machen
laſſe, wie jedes Ding nur droht, und weder freut noch ſchadet,
und jedes Ereigniß erſt durch die, welche es gebiert, fertig
wird, und man die künftigen Geſchlechter beider Welten nicht
kennt; nicht weiß, neben wem im Gedränge man Tod oder
Leben findet! Klarheit im Geiſte, reiner und wo möglich ſtar-
[296] ker Wille, iſt unſere Äufgabe und unſer einziges Glück; zu
dem übrigen können wir lachen, beten, weinen. — —
Alles was in den franzöſiſchen Romanen vorkommt, geht
noch gar nicht über den Kreis hinaus, in welchem „die Män-
ner noch roh ſind, und folglich die Weiber noch affektirt ſein
müſſen.“ Oder beide ſind monſtruös verderbt — das berühmte
Buch von Laclos — d. h. in Albernheit ſich verlierend;
wie Gurli in Naivetät; und Thekla, auf Maximen ſchreitend,
zum Nichts hin trabt, wankt, und ſtolpert! Dieſe beiden
letzten ſind durchaus Pendants; und ſchlechtere Mahler, die
aber nach dem Leben mahlten, haben beſſere gemacht.
An Roſe, in Amſterdam.
Es war mir recht angenehm, ſo ſchnell zu erfahren, daß
mein großer Brief euch richtig und unverſehrt überkommen iſt.
— Die erwähnte Sache verſtehe ich wirklich gar nicht, außer
ſehr im Großen, wie ein gut organiſirter Kopf alles verſtehen
muß. Im Detail hangen dieſe Menſchen, wie jede Volks-
klaſſe in jedem Lande, zu ſehr von der jedesmaligen Verfaſ-
ſung deſſelben, worin ſie ſich befinden, ab: um daß ich ihre
zeitliche und örtliche Zuſtände ſollte beurtheilen können. Es
iſt mir aber in der Seele lieb, wenn etwas Gutes für die
holländiſchen Juden bewirkt wird; ihre Zahl iſt groß; und
[297] die Fähigkeit, und das Recht, ſich zu propagiren, haben ſie
auch; und ſchon das Gute, welches man einem Menſchen
angedeihen läßt, iſt unberechenbar. Nur wünſche ich, man
möge ihnen wahrhaft nützen können: bis jetzt gelang dies
noch mit dieſer zerriſſenen, verwahrloſten, und noch mehr als
alles dies verdient verachteten Nation nicht!
Glaube nicht, Roſe, daß mich irgend eine Trägheit oder
Rückſicht abhalten kann, an D. zu ſchreiben, als die tiefſte
und gründlichſte Überzeugung, daß er ſich gar nichts aus mir
macht: und ich höchſtens ihm en personne, ihm gegenüber
ſtehend, ein Achthaben auf mich abdrängen könnte. Du
irrſt, alte Roſe! und verwechſelſt mein tiefes Eindringen in
die Gemüther der Menſchen, und mein ſchnelles Auffaſſen
ihrer Eigenheiten, mit dem Eindruck, welchen ich auf die Men-
ſchen mache. Ich verſichere dich, ich bin belehrt worden, daß
er über negativ weg ſteht; und ordentlich nicht gut zu
nennen iſt. Auch ich war lange unſchuldig darin; und glaubte,
harmlos wie ich bin, und bis zur Feigheit nachgiebig, wären
ſie mir gut; indeß ſie mich nur gebrauchten: der
Menſch will gereizt ſein; ſo bin ich ſelbſt; aber gar nicht
reizend. Bewunderns würdiges und Rührendes giebt
es wenig; und noch Wenigere, die gerührt werden können,
oder zu verehren verſtünden. — Laß den Zorn gegen Ludwig
ſinken; und bedenke, daß alle Levin’s ſehr nachläſſig ſind; —
ich begreife, daß nach einem freundlich innigen Zuſammenſein
ſolches Schweigen empört; und auch ich war ſchon oft gegen
jeden zornig — bin wie Polonius im Hamlet, der immer klug
predigt, und dumm handelt. — Ich wollte aber gern, ihr ge-
[298] brauchtet Ludwig etwas mit Gewalt; trotz ſeiner Läſſigkeit
und eurer Aufgebrachtheit. Jetzt kommt es auf nützen an!
Mama und Alle ſind ſehr wohl. Ich ſchrieb nur heute,
damit auch ihr eine ſchnelle Antwort erhaltet: da ich doch
ſehe, daß es geht. Markus iſt in Breslau. Adieu. Schreibt
mir nur bald wieder!
R. L.
Es giebt ein Farbenſpiel — ich will es ſo nennen, — in
unſerer Bruſt, das ſo zart iſt, daß, ſobald wir es ausſprechen
wollen, es zur Lüge wird; ich ſehe die Worte, wenn ſie ſich
aus meinem Herzen gearbeitet haben, wie in der Luft vor mir
ſchweben; und ſie bilden eine Lüge; ich ſuche andere, die Zeit
geht vorüber; und auch wären ſie nicht beſſer geworden!
Dieſe Scheu hält mich ab, zu ſprechen. — Eine Empfindung
iſt ſchön; ſo lange ſie nicht zur Geſchichte wird: mit dem
Leben ſelbſt iſt es ſo! Zu leben, die volle Empfindung der
Exiſtenz: iſt ſchön; und im Abhaspeln wie wochenartig, und
daher ſchmerzhaft — die hohe freie Seele ſoll Bedingungen
ertragen. —
— So „heiter“ bin ich auch zuvor geweſen. Und iſt
ein wenig weniger Gleichgewicht jetzt in meinem Vergnügt-
ſein, ſo kommt es daher, daß ich mich ſtark bei Schwäche
fühle; und mich gefaßt auf alles finde. Ich war indignirt,
Sinn und Verſtand noch verpfändet zu wiſſen, ohne Reiz;
[299] und ohne wirkliche Erſcheinung, aus Krankhaftigkeit,
Mangel, Stierheit. Kurz, ich freue mich etwas, daß auch
nur ein bischen Vegetation auf einem Orte zu ſehen iſt, den
ich ſeit fünf (und mehreren Jahren eigentlich —) als den
Schauplatz von Verwüſtungen kenne; von dem ich leben
ſoll, mein Herz. Aber dieſer kleine Bosheits-Troſt, läßt und
giebt er mir nicht auch den Rückblick auf ewige und erneute
Trauer? Davon wollt’ ich ſchweigen.
Mit dem Schickſal bin ich nicht „ausgeſöhnter:“ ich
denke ſchon länger, es giebt keins. Es giebt ein Univer-
ſum, in dem entwicklen wir uns; und es iſt ganz gleich, wel-
ches Schickſal wir haben, wenn wir zu Sinne gekommen ſind;
die Entwickelung iſt unſer Schickſal. Kein Zahnweh! und
der Reſt ſind wir alles ſelbſt. —
An Frau von F., in Berlin.
Es iſt ſchon ſtockfinſtre Nacht, mit Licht und allem, und
noch nicht gar lange, daß mir Ihr Brief überreicht wurde.
Da es zum Kommen zu ſpät iſt, ſo will ich Ihnen doch durch
einige Zeilen, und wo möglich Punkt für Punkt, antworten.
Ja, ich bitte Sie, liebe Freundin, denken Sie „an die weni-
gen Wochen, da ich zufrieden mit Ihnen war.“ Nicht deß-
halb, weil ich zufrieden mit Ihnen war, ſondern, weil Sie
vergnügt waren, mich in die Seele hinein freuten; weil jene
Zeit Ihnen Bürge iſt, daß Sie, daß man vergnügt ſein kann,
wenn man nicht körperliche Leiden hat; das andere Trauer
[300] durch Unterſuchung, Überlegung, Zerſtreuung — welches alles
in der Zeit geſchieht, darum nennen’s die Menſchen „mit der
Zeit“ — vergehen muß. Hätte ich nur das letztemal mit
Ihnen ausſprechen können! aber ich glaube, obgleich ich noch
zwei ſehr gute Dinge zu ſagen hatte, daß es ſo gut wie ge-
ſchehen iſt. Sie haben es geendigt! „Kein Zug, der dem
Urbilde gleich käme,“ ſagen Sie ja, den Göttern gelobt, ſelbſt!
Sein Sie getroſt, arme Leidenerwählte! Solche Gedanken
hat man nie umſonſt! Ja, ja, es ſind die herbſten Leiden!
einen ſolchen ſelbſtgeſchaffenen Gegenſtand zu lieben, der einem
nur das bischen Eindruck verleiht, und einen ſolchen Gegen-
ſtand nicht mehr zu lieben! Alles gleich. Alles Schmerz,
Verneinung. Dieſe iſt der reinſte Schmerz. Aber nun alle
andern ſcheuslichen Gemüthsbewegungen, welche daraus ent-
ſpringen! O welcher innerliche Jammer, welche Noth! wel-
cher wahre Krieg mit allen ſeinen Folgen und Gefolge, in
der tiefſten Ähnlichkeit. Wer kennt dies beſſer als ich. Aber
unendliche Kraft ſoll man dagegen anwenden; ich bin
zernichtet, und ich rathe noch zur Vernichtung; alles iſt beſſer
als ein Spott ſeiner ſelbſt ſein, und ein ſelbſtgeſchaffenes
Werk anzuſchmachten. Todtes erlangt man nie! man kann
es nicht beſitzen. Auch ſo ſcharf braucht es nicht immer her-
zugehn, und man ſtößt unverhofft auf ſanftere Mittel; nur
ſcheuen ſoll man auch Verzweiflung nicht, die unbekannt iſt.
— Sie ſagen gut: „Ich werde gar nichts gethan haben, und
es wird mit einemmale alles fertig da ſtehn;“ ſo iſt es immer,
alles, ich behaupte ja, auch das Alter, kommt plötzlich, —
das Fertigwerden iſt nur immer ein Moment! Nun ſetz’ ich
[301] noch hinzu: Und wanken und erſchrecken Sie doch nicht,
wenn Sie auch oft glauben werden fertig zu ſein, und plötz-
lich die ganze Krankheit wieder fühlen! Sehnſucht iſt’s als-
dann: und dieſe ein Zeichen des Lebens. Mehr als das Leben
kennen wir ja ohnehin nicht; das ſind wir; das haben wir;
und daraus kann immer etwas Schönes werden. Und wie
wunderbar! Fühlen Sie ſich nur einmal! Rechnen Sie das
bischen Liebeselend nicht. Die Elenden ſind elend! —
Sie werden geneſen! Laſſen Sie ſich auch nicht irre
machen, wenn ich nicht immer freundlich ſein kann: ich kann
es bei meiner innern Verfaſſung, bei gewiſſen Verwirrungen,
nicht; auch Krankheit! Und wenn ich in dieſem Briefe ge-
hemmt ſpreche, ſo iſt’s weil auch ich an mir hämmere, und
ein paar ſchlimme Wachnächte in meinem Bette mit meinem
Herzen verbracht habe; und zum Theil wie zu mir ſelbſt
ſprach. Sie ſehn, wie freundlich und geſprächig ich gleich
werde, wenn Sie geſund werden wollen. Die Welt iſt ſo
voll! Ihr Herz thätig: wo ſollte Armuth, Noth in Armuth,
herkommen, mit geſunden Sinnen, und dem Muthe, ſich jede
Wahrheit zu ſagen! —
An Frau von F., in Berlin.
Als ich heute an die Worte in Ihren erſten Zeilen kam:
„Haben Sie etwas wider mich,“ lachte ich, es war mehr als
lächeln! — Mir iſt nicht eingefallen, daß ich böſe ſein könnte!
Das müſſen Sie auch aus meinem letzten Billet geſehen haben.
[302]Die Menſchen, die mich beleidigen können, haben
mich ſchon vorher beleidigt, eh’ ſie’s thaten. Sie werden
mich nicht beleidigen, darum können Sie mich nicht beleidi-
gen. Egl. aber z. B. mag machen was er will, er beleidigt
mich immer, denn er hat mich beleidigt, und er muß mich
beleidigen, weil er einmal dieſen Punkt getroffen hat; und
ſo Mehrere! —
Sie haben übrigens in allem Recht, was Sie ſagten.
Nichts iſt odiöſer, als ſich hinter Ignoranz verſtecken, weil
es zärtlich gegen ſich ſelbſt und roh gegen die Andern und
eine ungeſchickte Lüge iſt, und dieſe Kompoſition die ſchlechteſte
Art von Nichtswürdigkeit iſt.
Wenn ich die Leute, nicht die Menſchen, gut behandle,
ſo iſt das, weil ich mich nicht zu allen Zeiten ſo grob zu
machen vermag, als es zu ihnen ſtimmte, und weil mein Zorn
gedämpft wird von der Furcht, die ſie mir einflößen, und
die ganz dieſelbe iſt, die ich vor wilden Hunden habe. Meine
Verachtung aber iſt gewiß die ächteſte! —
Ich komme ſo bald zu Ihnen, als ich kann. Sobald
ich wieder ganz beſſer bin, und der Fußboden trocken. Mor-
gen in jedem Fall.
Ich lernte, daß es Klarheit und Glück in, und durch uns
ſelbſt giebt: dies kann wieder kommen, wenn es ginge; und
das Bewußtſein davon kann mir nichts rauben. Auch für
Andre muß es Troſt ſein, ein Herz voll ſchlecht behandelter
Liebe, die alle Leidenſchaft werden mußte, im ſchönen Port
[303] ſeines eigenen innern Landes angekommen zu ſehen. Sie
müſſen auch dahin! „Dahin! dahin!“ wie Goethe ſagt.
Dies iſt das Land. —
Liebe iſt ſo ganz das Innere alles Lebens, daß ein simu-
lacre davon auch noch die beſten Wünſche in Anſpruch nimmt,
und ewigen Antheil erhält. —
Nun hab’ ich auch erfunden, was ich am meiſten haſſe:
Pedanterei; ſie ſetzt ganz nothwendig Leere voraus: und hält
ſich deßhalb feſt an Formen. Iſt ſie von der beſſern Art, ſo
thut ſie dies im halben Gefühl dieſer Leere mit Rechtſchaffen-
heit; iſt ſie aber von der ſchlechten, ſo thut ſie es mit Stolz
und Prahlerei, nicht ahndend und zugebend, daß etwas an-
deres exiſtire. Es kann alſo nichts Unleidlicheres geben,
als dieſe Stupidität im völligen Marſch begriffen zu ſehen:
wie Narrheit, anmaßend und langweilig: gar nicht zum Er-
tragen! Was mich aber empört, iſt dieſe Klaſſe, die mit Prä-
tenſion ſittlich!!! ſind. Dies hebt alles auf; gradezu auf,
was nur ſo genannt werden kann, — und nichts anderes;
ich kann es zum Himmel ſchwören, iſt meiner Seele ſo zu-
wider!
Es iſt mir nicht möglich ein ſo ordinair gedachtes und
ſo wenig wohlklingend geſchriebenes Buch, als Bruno, zu
[304] leſen. Ich kann nicht errathen, von wem es iſt: aber un-
möglich von Schelling. Seiner Verbindung wegen; und weil,
wenn man in eine Wiſſenſchaft gedrungen iſt, und mit den
meiſten Litteratoren der Zeit ſtreitet — ſie alſo kennt — nichts
dergleichen zu Papiere ſetzen kann. Ich las alſo den meiſter-
haft geſchriebenen Roman weiter, ſtudirte Franzoſen und Fran-
zöſiſch. Dachte noch Einmal viel über Geſellſchaft, Erziehung:
den Unplan derſelben. Über Sitte, Lügen, Verehrung des
grad Verächtlichen; Freude an der Tödtung der ewigen Na-
tur. Kurz, an die ganze Leerheit und Frevelhaftigkeit der
Albernheit. Und gelobte meinen Göttern auf’s Neue!! Schrieb
manches in ein blaues Buch, welches ich heute hinzulegen
nicht vergeſſen hatte; ſpielte ein wenig von Righini: ſchrieb
das: höre 11 rufen; warte auf Mondſchein, will ein bischen
gehen um zu ſchlafen. —
— Bruno krepirt mich ſehr: den Tag hätte ich in jedem
Fall, bei mir — wenn auch mit andern Büchern — zuge-
bracht. An Spaziren iſt nicht zu denken. Außer wenn etwa
warmer Mond käme.
Ich glaube, Sie loben mich aus Eiferſucht nicht! Ich
habe mein heutiges Betragen himmliſch gefunden! bei Vor-
ſatz ſo viel Natur zu behalten, iſt eine Haltung, die ich
anbete. — Sind Sie zufrieden mit meiner Liebe und Bewun-
derung zu mir? Den bittern Tadel ſehen zu laſſen, bin
ich zu weichlich: und zu verwundet. „Le coeur foulé” —
ſagte
[305] ſagte mein geſtorbener einziger Freund Gualtieri — „comme
une jambe.”
Mir iſt gut: weil ich nach den innren Bergwerken gar
nicht reiſe; nichts zur Sprache kommen laſſe; und in jedem
Fall nur auf Wiederholungen kommen könnte, wenn nicht eine
plötzliche Glücksſonne aufbräche. — Noch immer freut es mich,
von der Folter geſpannt zu ſein: und an ein Unterkommen
denk’ ich nicht. Freies Feld mit Schloßen iſt nach ſolcher Par-
thie auch etwas. Und an ſichere Palläſte auf der unſichern
Herberge Erde, denk’ ich ſo nicht mehr! Gott! wie ſchön iſt
Lear. Ich weinte: als ich mir Shakeſpeare überlegte; über
ſeine bloße Exiſtenz! Deutlicher kann ich’s nicht ſagen. Ich
ſagte zu Louis, er ſpricht oft wie wir; und würde uns ſehr
geliebt haben. Einmal ſagt Lear: „Sagt mir, iſt ein Wahn-
witziger ein Bürgerlicher oder ein Adlicher?“ Wie tauſendfach
ſchön auf ſeiner Stelle! —
Ich wiederhole mein altes Wort. Körperliche Leiden
minderte ich durch jedes Mittel! Ich kenne nur die höchſte
Leidenſchaft, den höchſten Schmerz des Herzens. Dieſe kann
man ſich nicht allein lindern. Ich überlebte ſie: wahrſchein-
lich weil ich nicht ſterben konnte. — Ich weiß, daß der Schmerz
ſich nicht ausſpricht, und daß es aus dem rauſchenden Strom
ſchöpfen heißt: ein wenig Waſſer behält man: aber den Strom
erſieht nur der daraus, der ihn kennt. „Der laute Schrei des
I. 20
[306] Schmerzes;“ den ſegnet ja der unſelige Taſſo auch! „Wenn
der Menſch es nicht mehr erträgt.“ Ich verſteh ihn immer!
O! den einzigen Vortheil, den einzigen gewährt der wahre
Schmerz, wenn er bis zur Beſinnung dringt; den traurigen,
den erhabenen, — daß er nie wiederkommen kann. Daß er
uns wirklich von dem Stück Leben losgeſchnitten hat, wo-
ran er blutend riß! So ging es mir. Erhaben nenn’ ich
dies: weil, wenn man von der Welt, in der man lebt, getrennt
iſt; und doch noch lebt, man nothwendig erhaben ſein muß.
Wenn auch nur, als traurige Betrachtung, daß es ſo, und
nicht anders iſt. Die Wahrheit dieſer Anſicht. —
— Ich will nur meine „Mördergrube“ aufſchließen!
Von Liebhabereien hab’ ich eigentlich keinen Begriff; mir
iſt immer, als müſſe man alles haben, oder haben können,
was zu haben ſei! Aber Glaswerk und namentlich Flakons,
und Stöcke, geben mir einen Begriff, eine Art Vorſchmack
von dem, was Liebhaberei ſein muß. Ich ſchicke Ihnen ein
kleines Weihnachten von einem andern Kaliber. Leſen Sie
einmal in vehementem Franzöſiſch, was ich ſo oft in Deutſch
ſchimpfe, predige, nicht begreife, meine, und was mir ewig
mein geliebtes Herz ſagen wird und geſagt hat. Ich werde
es ſehr deutlich ſchreiben: ſo können Sie es Ihren Gäſten
zum Weihnachten mittheilen. Wenn ſie es nur wie ein Buch
nehmen! Nämlich, das Buch für ſich, und das Leben wieder
für ſich!! — Ich könnte Ihnen noch viel über Weihnachten
[307] ſagen! das einzige Feſt im Jahr, welches den Eindruck eines
Feſtes auf mich macht — weil es kein anniversaire eines ge-
weſenen Feſtes iſt, ſondern ein unter uns fortlebendes —
aber wie melancholiſch! — wenn ich wollte — vor dem
Jahre weint’ ich noch bitterlich, als ich die Beſcheerungskro-
nen erzündet ſah; und ich mir die ſichere approbirte Ruhe
dachte, die ein Glück ſein könnte. Jetzt — denk’ ich an
vor’m Jahr, und denke mir nichts. Wie ein Geſtorbener
komm’ ich mir vor. Und Prätenſion an Glück, an irgend ein
eingerichtetes, erwartetes Glück, macht mich wie Komödie,
ganz ohne Bitterkeit und Schmerz lächeln. Die Krone
brennt: und ich wundere mich mehr, wie Menſchen etwas
wiederholen können. Mit welcher Inbrunſt ſchenkt’ ich vor
drei und zwei Jahren: ich weine jetzt nicht einmal. —
Ich habe dieſen Morgen die Bemerkung gemacht, daß,
wenn einem etwas Entſetzliches geſchieht, auch körperlich, man
ſich erſt beklagt, wenn es vorbei iſt.
Dann hab’ ich geſtern Abend bemerkt, daß, ganz umge-
kehrt wie man denken ſollte, Leute, die ſich häufig Ausreden
bedienen, und denen Lügen nicht fremd und zuwider ſind, und
ſeit Kindheit eine bekannte, gangbare, in Gebrauch ſtehende
Münze in ihrer Taſche, eben die ſind, denen man ohne Vor-
bereitung, ohne wahre Hoffnung ſie zu betrügen, etwas weiß
machen kann; ganz leicht! Ich habe es mir auch ſchon er-
klärt. Dieſe Menſchen ſind immer mit kleinen Geſchichten
20 *
[308] des Tages ganz beſchäftigt — die ihre kleinen Lügen ſelbſt
immer propagandiren —, von Äußerlichkeiten ſo eingenom-
men, daß ſie auf der Menſchen Weſen, Stimme, Ton, Blick,
Mienen, Haltung, Seele und Art wenig merken, oder ſchief:
und beſonders halten die Elenden Ausflüchte und Behelfe für
wahre Klugheit, die ſie Andern ſehr ſelten zutrauen; be-
ſonders Phantaſten nicht, wie ſie innigere Menſchen nennen.
Dies iſt ſehr wahr. —
Mit M. hatte ich ein merkwürdig Geſpräch über ſeine
geweſene Liebe! Und von D. erzähl’ ich Ihnen auch. Wol-
len wir ſie nach den Inſeln ſchicken?? Gäb’ es Strafe, gäb’
es Recht, ſo würde Europa zur wüſten Inſel! —
— Mein eigenes Sprechen erregte mich — wie immer —
und die Möglichkeit es zu können, iſt, war und bleibt mir
lieb. Wenn ich aber ſo viel ſpreche, ſo iſt es gewöhnlich
um Ennui und Verlegenheit mit Gewalt los zu werden:
dieſe zwei haſſe ich; und ſie ſind mir wie eine Daumenſchraube
auch für den kleinſten Augenblick unleidlich. Sonſt lieb’
ich Schweigen und Zuhören: und in einer ſchönen Geſellſchaft
wird einem das immer. Und unterbrechen kann man hinwie-
derum auch die Andern. Gewöhnlich iſt Plappern bei mir
Behelf für den Abend; und Schmerzenszeichen. Sprech’ ich
über Liebe und dergleichen, ſo kann ich nur ſcherzen, und ver-
kehrt ſprechen. Über Muſik aber ſpreche ich nie als im Ernſte;
weil man da nicht allein rechtſchaffen ſein, ſondern auch den-
[309] ken muß, und wenn Einer alſo nichts verſteht, nur abgeſchmackt
iſt; ſo reizt mich dies, nicht es ihm, wenn auch in verkehrten
Bildern, zu zeigen; das wäre nur grob; aber war auf die
tiefſte Sitte verkehrten Anſpruch macht, den muß man abfüh-
ren; wenigſtens daß es die Andern merken, und man dem ge-
rechteſten Anſpruch des Menſchen etwas abrächet. Bujar weiß
aber von Muſik, und das meint’ ich ganz ernſt, ohne Kon-
vulſion. —
Ich ließ ihn etwas von Goethe leſen: und ich liebe ihn
wegen ſeinem regen Sinn für Muſik, und Muſik in Gedich-
ten; dies von einem Franzoſen, im Deutſchen, ergötzte und
unterhielt mich. — Ich bin rege und amüſabel: und freue
mich darüber. Dies, mit großem erſtandenen Leid geſellt,
giebt dem ganzen Weſen dies Gewicht, das es gehen macht. —
Menſchen ohne Sitten (aber nicht wie ſie beim Thee da-
von ſprechen) ſind die wahre Geißel der Andern) Daher
kommt alles! Was kann man denn wohl mit einem tau-
ben, vertäubten Gewiſſen begreifen und faſſen; und mit einem
matten ſtockigen Herzen. Und ſie tragen alle face humaine!
(Menſchlich Angeſicht. Daß aber Geſicht im Franzöſiſchen
eher kommt, iſt beſſer.) Man ſollte die Fratzen und Schreck-
bilder ſehen, wenn ſie ausſähen, wie ſie ſind. Kommt das nie?
Mich dünkt, das wäre ein Schritt: und ſie müßten ſich immer
hübſch vorkommen: und die Beſſerung nicht daher kommen.
[310]
Je weniger ein Menſch ſelber zärtlich ſein kann, je nöthi-
ger hat er’s, daß man’s mit ihm ſei: aber nur Herzen erſchlie-
ßen Herzen: und wo Mangel iſt, iſt wohl Noth; nur das
Lebendige aber fühlt, was es nöthig hat. Doch haben alle
Sterbliche Momente von Leben.
Überall hab’ ich an nichts mehr einen Ekel, als mich zu
verſtellen. Für Königreiche, für ein Leben in glücklichen Thä-
lern! aber nicht, damit die, die einen niemals kennen, ein we-
nig anders kennen. Was in mir vorgeht, das iſt gut: ich
ſorge gar nicht! —
An Ludwig Robert, in Paris.
— Wie freut es mich in der tiefſten Seele, dieſelbe Auf-
nahme für unſer Schickſal in der deinigen zu ſehen! Nicht
Silbenmaß, nicht Dictionnaire jeder Art, nicht Titel, welche
Akademieen uns verleihen, ſind das errungene Gut des durch-
ſchmerzten Herzens! Das geſtählte Herz ſelber iſt es: die ſich
alles gewärtige Seele! der nichts bleibt, als ihr eigenes Ge-
wiſſen, die, von dieſem innerſten Punkt des Seins aus, ſich
auf ſich ſelbſt ſtemmt, und ſo ihre Exiſtenz erwartet! mit
ungetrübten, ungefangenem Geiſte, unſere Mitgift, auf daß
wir nicht vergehen — aus dem Hauſe Gottes. Der Kinder-
ſinn — nicht in neumodiſcher, nachplaudernder Sprache —
[311] der Kinderſinn aus Ehrlichkeit und reiner Aufführung behalten,
der Kinderſinn, der nichts anders iſt, als das reine Auffaſſen,
geſondert von der ewigen Arbeit, und dem immerwährenden
und neuen Abſondern; dies iſt Glück. Das andere iſt For-
tüne, Chance, ein gutes Mittagsmahl, gute Toilette, kurz
Dinge, die einem nicht entgehen müſſen — wie lieben wir
ſie —, denen man aber immer geſund und ganz entgehen
muß. — Verehrt, verehrt Fichte’n! Mit Thränen hab’ ich
es geleſen, daß ihr unſern verehrten Lehrer, den rechtſchaffen-
ſten Mann! in Paris leſet. Er hat mein beſtes Herz heraus-
gekehrt, befruchtet, in Ehe genommen; mir zugeſchrieen: „Du
biſt nicht allein!“ und mit ſeinen gewaltigen Klauen einen
Kopf, die rohe Menge, bezwungen, ſo bald ſie ſich nur ſtellt.
Und Mit- oder Nachwelt muß endlich ſich ſtellen, ihr eignes
wildes Drängen hält ſie an! und Jahrhunderte ſpäter erfährt
ſie, was ſie verblindet floh; ſieht es vor ſich, was ſie unter
ſich glaubte. Waffen, Geſetzbücher u. ſ. w. zeigen es ihr end-
lich, und halten als Polizei ſie in Ordnung. Dann duckt
ſie, und erkennt es an; und ſtemmt ſich von neuem gegen
Neues. O! hielte doch die Erde ſo lange, bis ihre letzte
Schuppe vom menſchlichen Geiſte fiel, und ein Erwählter er-
lebte dies Spektakel! — —
Humboldt iſt täglich bei uns. Mein ganzes Denken und
Trachten geht dahin, in eine beſſere Gegend zu kommen.
Bleib du ja in Paris, behalte dir nur immer Reiſegeld für
den Weg nach Amſterdam. Iſt mir das Glück nur irgend
günſtig, ſo komme ich auch: mit meiner Freundin etwa.
Humboldt will uns auf den canariſchen Inſeln abſetzen. Und
[312] erzählte uns ſo davon — und wie Griechen und Römer ſie
die glücklichen genannt haben —, daß ich in einem wilden
Rattenloch zu ſitzen glaubte. — Ich weiß aber auch, daß
Deutſchland ſein Liebes für Deutſche behält. —
Daß in Europa Männer und Weiber zwei verſchiedene
Nationen ſind, iſt hart. Die einen ſittlich, die andern nicht;
das geht nimmermehr! — ohne Verſtellung. Und das war die
Chevalerie. Dieſe wenigen Worte ſind ſehr wahr: enthalten
viel Unglück und viel Schlechtes. Es ſchreibt einmal Einer
ſolch Buch. —
An Frau von F., in Berlin.
Es iſt mir nicht zuwider, es rührte mich ſelbſt bis in’s
Tiefſte des Herzens, was Sie mir ſchrieben. Ich war auch
ſanft, meine edle, ſanfte Liebe, als ich Ihnen geſtern ſchrieb;
und mit Glorie ſeh’ ich’s ein, daß edle Herzen andern edeln
zum Troſt und Glück zu ſprechen vermögen. Schließen Sie
das für ewig in Ihre Seele. Das iſt Troſt, das iſt Beute,
die die Himmelskraft der Reinheit uns auf Erden vergönnt
— ja der Erde raubt, möcht’ ich ſagen. Folgen Sie dem
ſchönen Herzen; tauchen Sie ſich in ſein reines Element recht
unter; thun Sie ſich wohl! Des Geiſtes Klarheit wird fol-
gen, und wie eine reine Gegend, in Morgenſonne, werden
Sie Ihr Inneres zur Luſt erblicken; freudig, jung und kräf-
[313] tig; bis ins Innerſte hell; hochaufjauchzend das Herz, wie
Bergesquellen im ſtrahlenden Licht.
Und wer ertrüge nicht der Nächte Dunkel und ihre
Schauer, wenn man ſich eines ſolchen Tages erfreut, und er-
innert! In des wahren Lebens aufſteigender Bahn führt kein
Schritt zurück: dies iſt der Handſchlag des Himmels, beim
ſchweren Dienſte um’s Sein; und der Regenbogen, glaub’ ich,
wovon das alte Teſtament uns ſpricht. — Sein Sie vergnügt,
und ſchwimmen Sie im Element der Tage.
An Ludwig Robert, in Paris.
Geſtern erhielten wir deine Briefe vom 13. worin du
ſagſt, daß du einen von mir erhalten habeſt. Du mußt den
Poſttag nachher einen zweiten bekommen haben. Ich ſchrieb
dir einen Sonnabend aus freien Stücken, und den Sonntag
nachher brachte mir Hr. R. einen dicken Brief von dir, mit
der Romanze; darauf ſchrieb ich dir den Dienstag gleich wie-
der einen ausführlichen Brief, den du nun auch ſchon haben
wirſt. — Ich will durchaus, daß du noch in dieſer Athena
bleibſt: und will alle deine Gründe bekämpfen. Erſtlich iſt
vor dem erwünſcht- und erflehten Frieden kein Ort ſicherer
und ungeſtörter in ſeiner Exiſtenz, als ſie, Athena. Ich habe
mir ausrechnen laſſen, daß, nach dem was du brauchteſt, und
jetzt brauchen kannſt und willſt, der Unterſchied monatlich
zwanzig Thaler Gold beträgt. Dieſe mußt du wahrlich durch
Klugheit einſparen; und dort bleiben, wo alle Meiſterwerke
[314] der vergangenen Welt dich anſprechen und deine Seele auf
Kunſt lenken, dir jedes Studium erleichtern, dich dazu anrei-
zen: dort, wo der Mittelpunkt der ganzen Weltbewegung iſt;
und wo du gezwungen biſt, Geſchichte zu denken; dies heißt
ſie ſtudiren, wenn man ſich denn noch die Materialien dazu
zuſammenlieſt. „Wie macht man es, um zu ſparen? Ach es
iſt mir gehäſſig!“ ſagſt du. Dies iſt die Anſtrengung, die
uns Allen fehlt! Ich rathe es dir auch nicht im Detail, lie-
ber Junge; wo es alle Tage wieder kommt, und wirklich
unerträglich iſt. Mir wie dir; und ärger; und eben ſo
unmöglich. Sondern durch eine einzige kräftige Anordnung,
und Einrichtung im Großen. Die dir nichts entzieht, als was
Vergeudung — le superflu (si peu) nécessaire — iſt. Ich
weiß es von jungen Leuten, die ganz comme il faut ſind, daß
ſie mit der dir bewilligten Summe lebten. Du mußt dich in
Penſion geben; einem Jungen kann es ſo ſehr auf die Gegend
z. B. nicht ankommen. Du erkundigſt dich nach einer guten.
In Frankreich iſt das ſeit undenklichen Zeiten Sitte, und ein-
gerichtet. Rouſſeau, alle Gelehrten, lebten vor ihrer Krönung
ſo. Da bezahlt man Wohnung, Aufwartung, Koſt, und auch
wohl Wäſche — ein großer Artikel — in Eins. Ich weiß,
dieſe drei Dinge geſchmolzen ſind beinah die zwanzig Thaler.
Ich kenne dein Logis, Reſtaurateurs und Wäſche in Paris.
Dies ſuche durchzuſetzen, — und vielleicht noch ein paar Klei-
nigkeiten, die ich der Ferne wegen nicht errathen kann, und
du bleibſt à ton aise. Gieb dir aber ein wenig Mühe; bleibe
gelaſſen und übereile dich nicht! Daß du, lieber Junge, von
tauſend Kleinigkeiten in dieſer reizenden Stadt gereizt biſt,
[315] das iſt nicht wahr! Ich kenne uns; dies reizt uns alles nicht:
dich gar nicht! Von zwei oder drei Menſchen biſt du viel-
leicht gereizt, ihre hohle — eben weil ſie nicht gereizt ſind —
nach allen Richtungen hinhängende Lebensart zu führen; und
das könnte dir in Heidelberg — zum Beiſpiel — wie in Pa-
ris begegnen. Ich durchdringe in deiner Seele deinen Hang
nach einem deutſchen akademiſchen Leben; ich fühle es dir nach
und kenne ſeinen Urſprung. Vergiß auch nicht, daß uns dieſe
Sehnſucht heftiger im Auslande befällt, und daß unſern Geiſt
deutſch auszubilden, uns nichts abhalten kann, und eine ge-
bildete, uralt-gebildete Stadt, die das Zentrum vom alten
Europa, und auch von einem neuen iſt, uns dazu aufregt
anſtatt uns zu hemmen; und deine Sehnſucht ſelbſt, das Her-
vortreten derſelben, verdankſt du ihr. Du kennſt noch nicht
den Schreck, den ich in Brüſſel hatte — doch noch Frank-
reich —, ſich aus Frankreich zu finden: das Herz pochte mir
im Theater. Wie unter Barbaren dünkt man ſich. Was
ein Deutſcher in Frankreich vermiſſen kann, trägt er in ſich;
findet er mit zwei gebildeten Landsleuten wieder: was man
aber außerhalb Frankreich vermißt, das iſt nirgend! und, wie
gute Luft, krankt man nur erſt, wenn man ſie nicht mehr hat.
Es ſind die äußern Lebensbedingniſſe! Vergiß auch nicht, daß
ſo bald keine neue Bildung in Deutſchland anſchießen wird
noch kann; wenigſtens keine öffentlichen Anſtalten; und je-
mand, der ein Deutſcher iſt, wie du, kann an allem andern
in der Ferne eben den heilſamen Antheil nehmen. Vergiß
nicht, daß noch Jahrhunderte vergehen werden, eh wir Deut-
ſchen aufhören werden, den von unſern Landsleuten vorzuzie-
[316] hen, der uns mit Beute fremder Bildung, und Kenntniß des
Fremden zurückkehrt; ſei es auch eines Nachbarlandes; und
Frankreich wird in vielem noch lang unſer Vorbild bleiben.
Überlege dies alles, und übereile dich wenigſtens nicht. Auch
hoff’ ich noch immer, der Friede ſoll mich auch nach den Ufern
der Seine führen. Ach Gott, welche Sehnſucht nach Frie-
den! Müßt’ ich auch hierbleiben. Können ſich denn die Men-
ſchen nicht verſtändigen! Ich habe in dem zweiten Brief,
den du nun haben mußt, auf alles geantwortet. Wir Alle
ſind wohl. Unſer Zimmer hat des Abends zwei Lichter, wie
du es kennſt. — Ich bin ganz vergnügt: mich ſtört nichts als
die vielen Bettler auf der Gaſſe; für die nun auch bald auf
gut Rumford’ſch geſorgt wird. Ich theile oft Frühſtück und
alles mit ihnen. Dir kann ich es wohl ſagen. — Campan,
Sohn der Erzieherin, iſt ſehr wohlerzogen und unterrichtet,
Bujac kennſt du. Humboldt lieſt uns was, und iſt liebens-
würdig. Schick mir das Wenige, was du von Phädra über-
ſetzt haſt; vorgeſtern war ſtark die Rede davon, Humb. be-
griff nicht, warum Schiller nicht treuer überſetzt habe; und ich
bin äußerſt begierig, ihm deines zu zeigen.
Es mag mit oder ohne Bedacht geſchehen ſein, es iſt von
einem mächtigen Dichter, daß die drei Weiber im Meiſter, die
lieben, Mariane, Aurelie und Mignon, nicht konnten leben
bleiben: es iſt noch keine Anſtalt für ſolche da.
[317]
Ich beneide keinen Menſchen mehr, als um Dinge, die
niemand hat.
Ich bin wie die geringſte meiner Äußerungen; und die
unwillkommenſte löſt ſich, bin ich überzeugt, für den, der’s
ſieht, in dem Zuſammenhang meines Weſens auf. Dies iſt
meine beſte Eigenſchaft: die ich zu oft ſelbſt andeutete! —
und die einzige, die meine Ecken, vom harten Schickſal ange-
ſchlagen, allein verſchlingt.
Wer immer nur an Geſchichten, Vorfälle, denkt: hat
einen gemeinen Winkel in der Seele. Und der ſtrahlt Fin-
ſterniß, wie eine entgegengeſetzte Sonne.
Zu dem reinen einzigen Enthuſiasmus der edelſten höhe-
ren Theilnahme gehört guter Wille gar nicht allein: — auch
die größte Verehrung gebiert ſie nicht allein! Ein Auffaſſen,
ein Durchdringen, ein in jedem Punkte anſaugendes Begreifen
des innigſten Weſens unſerer Freunde gehört vom Himmel
verliehen dazu! Iſt er mir geworden, dieſer Antheil? Ich
bin in Sehnſucht vergangen. Und bis jetzt, liebt’ und haßte
ich mit regem Leben alles in den Menſchen, was ich verſtand,
und ſah; und begnügte mich ſtückweiſe, mit dem was ich
in dieſem und jenem für mich vorfand. Zerſtreut, ehrlich,
[318] aufmerkſam auf die ganze Welt, jugendlich keinen Genuß noch
nicht fordernd; lief ich bis zu meinem jetzigen Alter umher!
Arm find’ ich mich: und ohne Anſpruch; und ſchweige. Alle
Kräfte, jede Neigung hab’ ich aufgeboten, das ganze Herz
gegeben. Und bin verſpottet. Kein Opfer hab’ ich mehr
zu bringen. Nun bin ich müde: die kleinſte Verſtellung iſt
mir zu viel: und ehrlich iſt alles was ich ſein kann. Brüsque
ſcheint bei mir alles: und wirklich iſt man es, wenn man
keine Zeit, keine Kräfte mehr verlieren will. —
Wer mich verkennt, beleidigt; kennt mich nicht; iſt kein
Menſch, iſt eine Sache für mich. — Wir ſind Alle nicht exquis:
und wollen immer, wenn wir nur können, ſehr ſanft ſein! Es
macht uns ruhig. Und da uns Alle einmal die Erde um-
ſchließt, und wir auf ihr beinah in Einem Kampf, oder
Druck bleiben; ſo wollen wir uns wie Einen anſehen, und
unſere Krankheiten, wie die unſerer Glieder, pflegen, heilen,
ſchonen, vermeiden, ertragen. Wie moraliſch! wie ſanft! Mir
kommt’s aber heute ſo vor. Kann ich mich für eine jähe Be-
leidigung, für eine Effronterie, nicht gleich rächen, ſo vergeht
ſie für mich. Was ſoll ich machen! — Es war nicht viel,
weil es geſchehen konnte: — es lag in den Umſtänden, daß
es möglich war; und dies ſind die Miniſter der Götter,
ſie tragen uns, wenn wir nicht kämpfen, wenn wir uns
darauf hinlegen. Kurz, leicht, leicht: und lieb, lieb! —
[319]
Ich weiß gar nicht, wie man ein Miſanthrop ſein kann?′
Je mehr mir die Menſchen im Einzelnen Schlechtes thun, je
empfindlicher werde ich gegen jedes gute Wort: ich liebe immer
wieder Neue. Es iſt auch von den andern nur Ausrede; die
liebten nie Menſchen; ſondern allerhand Dinge? — Und ein
Haß, ein ſogenannter, ein Mißverhältniß, welches aufthaut,
iſt wahrlich eine Art Frühling, Ankündigung neuen Lebens,
und Atmoſphäre zum Athmen. Nur das Gute iſt wahr; das
andere Verwirrung und ganz negativ.
— Der Mann, von dem ich ſprach, es iſt der Freund —
der einzige — der mich zwar vergeſſen hat — dem ich’s tau-
ſendmal vorher ſagte — und der mich nicht vergeſſen kann —
weil ich eins ſeiner moraliſchen Ideale realiſirt, ja auch ge-
ſchaffen habe — wenn er mich ſieht, wieder an mich denken
muß —, der mir kürzlich die viele Angſt gab; deſſen Ge-
müth und Dummheit ich ewig lieben werde; der jede Wahrheit
faßt: ach! und Sie glauben nicht, und niemand, wie wenig
Geiſtern dies Talent ward! — (Gentz!) — Sie glauben nicht,
wie gerührt ich von dem lebendigen Andenken dieſes Menſchen
und dieſer Dinge bin! Alles müſſen wir laſſen: unſere innigſte,
intimſte Empfindung! Ach und kein Sterblicher, kein Nero,
kein Spinoza, keiner, keiner, kein Mann! war je überzeug-
ter davon als ich!!! mit dem rauhſten, mit dem zarteſten
Herzen! Ach Gott! —
[320]
An Frau von F., in Berlin.
Ich muß Ihnen doch ein Winterwort, Sie werden gleich
ſehen, warum ich es ſo nenne, ſagen; Sie glauben nicht, wie
ich in mir nachſtöre, mir alles abfrage — wirklich ganz aus
und über menſchliche Verhältniſſe hinaus komme, und doch
nur immer wieder hinein; wie unendlich iſt ſelbſt der Menſch
als Menſch: wie iſt es nichts, als Arbeit, immer neue Arbeit,
ſo lange er es bleibt; wie iſt er nur eine Zuſammenſtellung
von Gedanken, und eine Macht zu dieſer Zuſammenſtellung!
Wie ungerecht ſind wir manchmal gegen uns, und immer
gegen Andere; wir fordern Beſtand — wo wir nur ächtes
Bemühen, Ernſt, Unſchuld, und ein wenig guten Scherz zu
fordern haben. Was Einer ernſt meint, worüber auch
Einer, mit Bewußtſein, ſcherzt, wir ſollten zufrieden ſein; und
jede andern Eigenſchaften als Talente lieben und ſchätzen;
recht nachſichtig ſein! — Zu verachten, hat man ja noch
alle Verwirrten; zu ſtören, ewig unſere polypenartige eigene
Verwirrung. Pflegt man auf ſolche Dinge nicht im Winter
zu kommen?
Ich ließ Ihnen ſagen, ich würde zu Ihnen kommen die-
ſen Morgen: ich fühle nach dem Aufſtehn, daß ich nicht kann.
Heute ſollte ich mit meinen Geſchwiſtern nach Potsdam: ich
habe darauf gedrängt. Ab! ich gehe nicht; ſie. Sonntag
ſoll ich auf dem Garten zu Mittag eſſen, aber ich will nicht.
— Ich
[321] — Ich vergeſſe den Frieden nicht. Wie ein ſchweres
Unglück erſchreckt er mich, wenn ich ihn einen Augenblick ver-
geſſen habe. —
Ich bin wie der Prinz in der Zauberflöte. Ich poche an
alle Tempel, da ich nicht geſtorben bin vom erſten Zurück-
weiſen. Und man kann nicht ſagen, wie der kranke Ham-
let: „Iſt es edler, dulden, oder muthig dem Spiel ein Ende
machen;“ ſondern, edel iſt, eine Überſicht über ſeine eigene
Natur und die Umſtände, die uns umgeben, zu behalten; und
mit Bewußtſein und Schmerz entbehren; und mit Bewußtſein
im Genuß genießen; auf alles, und ſogar auf eigene Rück-
fälle, gefaßt ſein; und an Entwickelung glauben.
Was mir noch lieb iſt: iſt, daß ich mich kennen gelernt
habe. Der letzte Beweis meiner Stehekraft ſoll mir ferner die-
nen mich noch muthiger zu machen; muthig, durchaus Unwür-
diges nicht an der Stelle von Glück zu dulden. Wer nur im
Herzen lebt, und aus dem Herzen giebt, ſoll gar nicht ſchlechte
Münzen annehmen. Aus der Welt hat mich Geburt geſtoßen,
Glück nicht eingelaſſen, oder herunter; ich halte mich ewig an
meines Herzens Kraft und an was mein Geiſt mir zeigt. Dies
iſt der mir von der Natur angezeigte Kreis: und in dem bin
ich mächtig und die Andern nichtig.
Wäre ich nur über gewaltſamen Tod, cachot, Operatio-
I. 21
[322] nen, und Blindheit weg. Dann ſtünd mir der Tod — die
Welt — offen. — Es iſt alles wie es iſt; d. h. „anders.“
Mit Schrecken nahm ich geſtern, in einem Tage wahr,
wo meine Nerven frei und ich aufgelegt zur Beſchäftigung
war, und mir Kräfte dazu glaubte, daß ich’s nicht vermag;
und daß mich meine Krankheit unfähig gemacht hat! Ich war
mit Vergnügen bis halb 11 allein und wollte etwas thun,
und that auch manches: aber wie ward mir nach einigen
Stunden! Ganz ſchlecht; und daher auch meine Nacht und
mein Morgen! — Alſo die einzige Rettung, das was ich für
mich vermöchte, Fleiß, den kann ich nicht ertragen; und alles
andere kann ich mir nicht verſchaffen! Ich muß alſo alles
wie Wetter ohne Schirm über mich ergehen laſſen; und ich
kann es grade nur ſo machen, wie ich es mache. Tiefe Ge-
fangenſchaft, und dabei noch Tadel, und Rath, von Feinden,
Freunde genannt; und von Leuten, die nicht an mich denken,
Feinde genannt! Und helle lichte Einſicht. Aber auch welche
Ergebung! dies iſt mein ganzer Glaube, mein ganzer Kultus!
meine tiefſte Meinung, die ich nicht auszuſprechen vermag,
und nicht ausſprechen ſollte! — Alles iſt ſo wie es iſt — und
nur Kleinigkeiten; kleine Momente von Ewigkeiten exiſtiren
für mich. —
Klagen Sie nur: klagen Sie immer: die Klage iſt eine
Perſon, wenn ſie ächt iſt, ich verſtehe ſie, und ſo ſoll ſie als
ſolche anerkannt werden; keine wirkliche Perſon ſoll unterge-
[323] hen; unerkannt, das iſt das größte Unheil! Die Seele ge-
biert auch: mit Liebe und Schmerzen; aber vielfältig, und
ohne Bande; ſie bleibt nicht zum Unterpfand zurück; ſie
läßt alles zurück —, und ich hoffe, ich fühle, auch die Fähig-
keit zu Erdendingen — Clabaudagen im höhern Sinn — und
die Gemeinſchaft mit ihnen. Ich könnte noch lange ſo fort
ſchreiben, zum Glück iſt das Papier zu Ende! —
An Frau von F., in Berlin.
Leſen Sie dieſen Brief, als käme er erſt in acht Tagen
an. Ich hatte ihn geſtern geſchrieben. Es iſt ein
guter.
Obgleich Sprechen und Schreiben zu gar nichts hilft, ſo
ſollte man gar nicht aufhören zu ſprechen und zu ſchreiben!
Dieſen finſtern Satz, wovon jede Hälfte nur für ſich allein
wahr iſt, nur zum Scherz! Ich bin dieſen Morgen nicht
deutlich geweſen; und Sie haben mich auch nicht recht ver-
ſtanden. Mir iſt das, wovon die Rede war, zu wichtig, auch
iſt es auf einen Punkt gekommen, wo es deutlich werden
muß — um ſo mehr, da vom nunmehrigen Halbverſtehn nur
ein Falſchverſtehn entſtehen müßte, — um es nicht nach allen
meinen Kräften und meiner beſten Einſicht mit Ihnen zu
verfolgen.
Was wir eigentlich unter dem Worte Menſch verſtehen,
iſt doch die Kreatur, welche mit ihres Gleichen in vernünfti-
ger Verbindung ſteht, in einem Verhältniſſe mit Bewußtſein,
21 *
[324] an welchem wir ſelbſt zu bilden vermögen, und auch genöthigt
ſind immerweg zu bilden. Wir mögen ſein wie wir wollen,
wir mögen machen, was wir wollen, wir haben das Bedürf-
niß liebenswürdig zu ſein. Dieſem ſchönen, reinen, menſch-
lichſten, lieblichſten Triebe folgen wir Alle. Im höchſten
Sinne genommen — aber auch bis auf das Zerſplittertſte
hinab — das ganze Lebensgewebe der Menſchen, als Men-
ſchen, iſt nichts als dies ins Unendliche modifizirt. In Ihnen,
als in einem zarten, lebhaften Gemüthe, iſt dieſes Bedürfniß
dann auch ſehr lebhaft. Was in der Welt iſt aber liebens-
würdiger — und glücklicher — als eine aufgeſchloſſene Seele
für alles, was Menſchen betreffen kann! und was hinwieder
giebt eine reinere Laune, als eben dieſer Zuſtand, der ſich ſelbſt
durch ſeine Dauer, durch ſein bloßes Daſein, erhöht und pro-
pagirt! Die ganze Welt gewinnt Sie; und Sie die ganze
Welt! Kommen Sie davon zurück — welches die Irrmeinung
noch ſo vieler Guten iſt — das man nur Eines mit ganzer
Seele faſſen kann. Prägen Sie ſich recht ein, es entſproſſe
Ihnen einen Augenblick die Überzeugung, was liebens-
würdig iſt, und Sie ſind es! nicht, wie Sie mir heute ſchrie-
ben, „eine Arbeit iſt es,“ die ich fordere — wozu Sie jetzt
unfähig ſind, wozu man immer unfähig iſt — ſondern einen
Augenblick von Überzeugung, einen Augenblick geſunder An-
ſicht fordere ich.
Mehr gedemüthigt, als ich, wird man nicht, mehr Kum-
mer genießt man nicht; größeres Unglück in allem, worauf
man den größten und kleinſten Werth ſetzt, erlebt man
nicht, mehr ſieh man nicht untergehen; eine gepeinigtere Ju-
[325] gend bis zu achtzehn Jahren erlebt man nicht, kränker war
man nicht, dem Wahnwitz näher auch nicht; und geliebt habe
ich. Wann aber ſprach die Welt mich nicht an, wann fand
mich nicht alles Menſchliche, wann nicht menſchliches Inter-
eſſe: Leid und Kunſt und Scherz! In dem Augenblick, wo
Schmerz und zerreißendes Vermiſſen die Seele auseinander-
zerrt, kann man, muß man nicht Geiſtesſchätze ergraben wol-
len. Als dann muß man vom Vorrath zehren, von Vorrath
an den Schätzen, von Vorrath an dem höchſten menſchlichen
Intereſſe, am menſchlichen Intereſſe. Antworten Sie mir
nicht, daß Gaben der Natur nur dazu fähig machen; und
zum Beiſpiel, daß ich mich nicht mit Ihnen vergleichen ſoll.
Wer ſo raiſonniren kann, wie Sie über manche Gegenſtände,
der hat Kräfte: nur ſein Intereſſe iſt falſch gerichtet.
Ein gebildeter Menſch iſt nicht der, den die Natur ver-
ſchwenderiſch behandelt hat; ein gebildeter Menſch iſt der, der
die Gaben, die er hat, gütig, weiſe und richtig, und auf die
höchſte Weiſe gebraucht: der dies mit Ernſt will; der mit
feſten Augen hinſehen kann, wo es ihm fehlt, und einzuſehen
vermag, was ihm fehlt. Dies iſt in meinem Sinne Pflicht,
und keine Gabe; und konſtituirt, für mich, nur ganz allein
einen gebildeten Menſchen. Darum wende ich Sie endlich
mit Ihren Augen auf das zu ſehen, was Sie eigentlich ver-
abſäumen. Dies iſt, ſich mehr zum Allgemeinen — à géné-
raliser — zu erheben; daß nicht Allgemeines Sie immer auf
Einzelnes führe, ſondern umgekehrt. Dies iſt höchſt liebens-
würdig; dies würde Sie ganz liebenswürdig machen. Dies
können Sie erlangen; denn dies kommt plötzlich, durch einen
[326] Gedanken; wie bei Ihnen das Gegentheil auch nur durch
einen Gedanken, Auch wiederhole ich, was ich ſchon geſagt
habe: ſogar geſund werden Perſonen, wie wir, nur wenn ſie
den höchſten Ekel vor Krankſein faſſen; wenn ſie durchdrun-
gen davon ſind, daß Geſundſein höchſt liebenswürdig iſt. Sie
können ſich meinen Drang nicht denken: mit einem Trank
möchte ich Ihnen dieſe Überzeugung eingeben! Aber es ge-
lingt, ich bin ſicher! Sein Sie nur recht kokett!
Montag, den 14. Bis hieher hatte ich ſchon geſtern
Abend geſchrieben; aber dann bekam ich, wie aus blauer Luft
plötzlich einen Fieberanfall: er dauerte bis 2 in der Nacht;
mit allem Zubehör, außer Kopfweh; ich erſpare Ihnen die
Beſchreibung! bitte Sie aber, heute nicht zu kommen, ich bin
ihn mir als den dritten Tag gewärtig, und diesmal außer-
ordentlich ſchreckhaft dabei: mit Lachen und Weinen. Mor-
gen iſt’s vorbei; und dann beſuchen Sie mich: das geringſte
Erblaſſen, jedes Zucken von Ihnen, würde mich unleidlich
machen. Geſtalten hinderten und erſchreckten mich geſtern
bis zu Herzklopfen und Schweiß. Ich habe ein Bad genom-
men; fühle aber ſchon jetzt, daß ich’s heute Abend noch habe.
Sehen Sie auch meine verſchiedene Hände.
Ich habe Ihren Brief geleſen, und ſchicke meinen doch
ab! Eben ſchrieb ich Ihnen meine Geſundheit ab, als ich
Ihren erhielt. Faſſen Sie ſich: denken Sie nicht immer an
Tollheit; es kann eine Liebhaberei werden. Zerſtreuung! Mir
wird der Kopf immer ſchwerer! Kommen Sie morgen! Ich
bin ja ſanft, dünkt mich; ſanfter kann ich auch nicht ſein:
ich verſtehe nur das zu ſagen, was ich denke, anderes ſehr
[327] ſchlecht: und was ich Ihnen ſage, Liebe, ſagte ich, beim All-
mächtigen! mir ſelbſt, und habe es mir geſagt. Leben Sie
wohl! über mich ſein Sie ganz ruhig, ich habe nur einige
ſchlechte Stunden. Leben Sie wohl! Es iſt gut, daß Sie
ſich geſtern mit den Menſchen zwangen, und ſie unterhielten
und im Gang erhielten. Es zerſtreut, weil es beſchäftigt.
Sie werden ſchon immer geſchickter werden. Ich denke viel
an Sie! Adieu. Ich kann gar nicht mehr! Leſen Sie meinen
großen Brief, als käm’ er erſt in acht Tagen an!
An Guſtav von Brinckmann, in Königsberg.
Freitag Abend um 8 Uhr.
Lieber Brinckmann! Wie iſt alles anders! O! dürft’ ich
reden! vermöchte ich es auch! Sie ſind der erſte Menſch —
außer Bruderbriefe nach Hamburg — dem ich ſeitdem ein
Wort ſchreibe. Als ich Ihren letzten, vierten Brief vom 27.
November 1807. bekam, konnte ich vor Fieber ihn kaum leſen;
ſchreiben, lieber, alter, wahrer Freund, kann ich noch nicht.
Mir ſtehen die lichten Thränen bei dieſen Worten in den Au-
gen, O! Gott, was iſt geworden, ſeit ich zu einem ſolchen
nicht ſprach, Wie vermehrte Ihr Brief, Ihr ſanfter, deßhalb
verwundender Brief mein Fieber! Schuldig ſcheine ich nur:
aber iſt das nicht tauſendfach genug? verließ ich Sie nicht
ſcheinbar — und was haben Menſchen anders — im Leben —
was haben wir anders, als das bischen Überfahrt! Aber nie-
drig bin ich nicht geworden. Weil es mir gut geht, iſt es
[328] nicht geſchehen. Ich ſchrieb aus Furcht nicht! denn niemand
hat wohl die mehr ausgeſtanden, als ich. Wer glaubt wohl
auch an mehr Möglichkeiten! Alles iſt nicht geſchehen, als
bis es beim Thee erzählt, in den Zeitungen geleſen wird. Ich
getraute mir den gleichgültigſten Brief nicht zu ſchreiben: und
jedes freundſchaftliche Wort erſtockte mir im Herzen; der ein-
zige Gedanke, daß die Briefe geleſen würden, machte es mir
unmöglich zu ſchreiben. Unſer dicker Freund brachte mir zwar
Ihren großen Brief, und verſprach mir eine Gelegenheit, Ih-
nen antworten zu können; aber er hielt mir nicht Wort; und
weiß ſich vielleicht noch gar in ſeiner Seele etwas damit. ‒ ‒ ‒
Bei meinem „Theetiſch,“ wie Sie es nennen, ſitze nur ich mit
Wörterbüchern; Thee wird gar nicht bei mir gemacht, außer
alle acht oder zehn Tage, wenn ſich Schack, der mich nicht
verlaſſen hat, welchen fordert. So iſt alles anders! Nie war
ich ſo allein. Abſolut. Nie ſo durchaus und beſtimmt ennuyirt.
Denken Sie ſich, ennuyirt! Denn nur Geiſtreiches, Gütiges,
Hoffnunggebendes, kann eine ſo Gekränkte, eine ſo Getödtete
noch hinhalten. Alles iſt aber vorbei! Im Winter, und im
Sommer auch noch, kannt’ ich einige Franzoſen: mit denen
ſprach ich hin und her, und wir ſprachen das ab, was fremde
geſittete, litteraturliebende und übende Menſchen, die nicht
Eines Landes ſind, abſprechen und abſtreiten können. Die
ſind Alle weg. Meine deutſchen Freunde, wie lange ſchon;
wie geſtorben, wie zerſtreut! In dieſem Augenblick ſehe ich
nur meinen zweiten Bruder, der mit mir bei meiner Mutter
wohnt, und den Mann, der bei uns einquartirt iſt. Eine Art
von Gualtieri. (Er heißt Bribes.) Ohne Deutſch natürlich; aber
[329] doch eine Einmiſchung; denn er iſt von der ſpaniſchen Gränze;
ganz ſüdlich, ſchöne Anlagen, ſogar zum Denken, aber höchſt ver-
ſchlagen, ich meine wie ein Schiff; weit weg, und wieder ſehr nah.
Unſere, ich kann ſagen meine Deutſchheit, macht ihn ſehr
ſtutzig, und des Streitens über alle Gegenſtände in der Welt,
und des Geiſtes, hat gar kein Ende! Er hat auch Geiſt,
aber meiner beunruhigt ihn; und jeder Frau ihrer könnte ihn
ärgern. Nun ſehen Sie ihn vor ſich! nicht wahr? Er wohnt
beinah ſchon ſeit drei Monaten bei uns, und es iſt nicht ab-
zuſehen, wann er geht. Er iſt hübſch, ſehr natürlich, nie
affektirt. Äußerſt empfindlich; ich gehe wie ein Löwenwächter
mit ihm um. Sehen Sie es nicht? Er haßt mich etwas;
aber er braucht mich doch. — Wie ſehr mir dies alles Seele,
Herz, Geiſt und alles was man ſonſt noch hat, brach läßt,
beweiſt mir mein unſäglicher, unausdrückbarer Ennui! denn
außer dieſen beiden Menſchen, darum beſchrieb ich auch den
Ihnen Unbekannten, und Mad. F., die noch immer krank iſt,
ſehe ich niemand. Pauline ſah ich bis jetzt; nun auch nicht
mehr. Dies alles mündlich, ‒ ‒ Ihre Grüße an ſie hab’ ich
beſtellt.
Wann, Brinckmann, kommen Sie denn her! Wird
denn das nicht wieder? Glauben Sie wenigſtens, lieber
Freund, daß kein Wort in Ihren vier himmliſchen Briefen
verloren ging; Spaß, Ernſt, Trauer, alles ging nach ſeinem
Orte in meiner Seele. Ich bin wie ich war, Brinckmann;
die Schläge haben das Alte in mir geſtählt, und bewährt,
und mich wahrlich neu, und weiter urbar gemacht, Ich bin
noch des Scherzes, der Freude und des höchſten Leides fähig,
[330] nur ganz umwerfen kann mich nichts, denn ich liege. Auf
Eines bin ich faſt ſtolz. Der Ausgang der Dinge ändert
meine Meinung eben nicht. Wenn ich bei Ihnen ſäße, hätte
ich Ihnen manches Erfreuliche über den innren Menſchen mit-
zutheilen. Was die Welt betrifft, das helfen Sie ja ſogar
machen, oder zuſehen. Über Zufälle, die uns Freunde raub-
ten, wollen wir ſchweigen. Einer hatte einen Freund, und
der war ich. Unſere Stadt iſt wenig modifikabel und ſehr
modificirend; ich hatte immer eine Ahndung davon, die ich
auch verſchiedenerweiſe ausdrückte, jetzt habe ich die klarſte
Überzeugung. Es iſt noch ohnehin, die ſittlichſte, vielleicht in
Europa. Und an gewiſſe Augenblicke denke ich mit Rührung.
A. Humboldt ſah ich viel; er kennt mich wenig, und goutirt
mich gar nicht. — —
Frau von Staël iſt in Wien, ich möchte faſt ſagen bei
Frau von Arnſtein. Engliſcher Brinckmann, laſſen Sie ſich
nach Wien ſchicken, und nehmen Sie mich mit!!! Allenthal-
ben möchte ich hin: nur nicht nach Norden. Wegen meinem
Rheumatism. (Apropos, ein rheumatiſches Fieber war mein
letztes.) Geht das nicht? Was iſt für ein Stern auf Ihrem
Siegel? Sind Sie Ritter geworden? — Ich möchte Ihnen gern
etwas Intereſſantes ſchreiben, ich weiß aber nichts! Ach ja!
Burgsdorfs Vater iſt Johanniter-Kommandeur geworden, durch
den Tod eines Hrn. von Buddenbrock, und hat eine Revenue
von 5 bis 6000 Thalern. Schön! Gut für ſeine Gelehrtenfa-
milie. Er (der Sohn) hat einen Brief von Frau von Hum-
boldt gehabt, wovon er mir weiter nichts ſagen wollte, als
daß er eine ſehr ruhige Stimmung andeute; ich hörte ihn aber
[331] doch in ſo weit ab, daß es mir ſchien, es ſei eine alte heftige
Rührung, die er nicht verſtand. Natürlich! Auf mich iſt die
Humboldt böſe. Die ganze Welt, außer Sie!! — Wie mich
der Nil (Gentz) beunruhigt hat, und noch zu denken giebt, das
glauben Sie nicht! Noch Eins! den Herzog von Weimar ſah
ich im vorigen Winter viel. Sie kennen ihn, ich kannte ihn
nicht; ich rechne es immer einem Menſchen hoch an, wenn es
ſich leicht mit ihm leben läßt; mir war er als Goethens Fürſt
intereſſant. Mir ſind ein paar komiſche Anekdoten mit ihm
begegnet, Adieu für heute; das Papier iſt alle, mein Süd-
länder lieſt ſchon bei mir, ich bin müde; und — merken Sie’s
dem ganzen Brief nicht an, daß ich denke, er wird geleſen?
Ich kann wahrlich dann nicht ſchreiben. Aber ich ſchreibe Ih-
nen noch viel. Adieu.
um 12 Uhr.
Denken Sie ſich mein Glück, als ich geſtern voller Kopf-
ſchmerzen den vollgeſchriebenen Bogen an Sie wegſchiebe, tritt
mein Bruder in’s Zimmer: „an Brinckmann“, ſage ich; (denn
wochenlang quälte nicht allein ich mich damit, daß ich Ihnen
ſchreiben wollte und nicht könne, ſondern auch meine beiden
Hausgenoſſen,) „aber es iſt gar kein Brief, weil mich noch
immer meine alte Furcht regiert, und ich auch noch nicht un-
gefähr weiß, wie ich den Brief abſchicken ſoll.“ Gieb ihn mir,
ſagt er; Montag geht ein Kourier, ich kenne den Mann, es
iſt ein ganz ordentlicher Menſch. Nun will ich noch vorher
des Mannes Bekanntſchaft machen. In ſo weit bin ich nun
wohl froh, daß ich weiß, der Brief kommt in Ihre Hände:
[332] denken Sie aber, daß ich meiner Seele einprägen kann, er ſei
ſicher, und keinen Unfällen ausgeſetzt? Ja manchen Augen-
blick dünkt mich ein Kourier noch unſicherer. Lieber Freund,
ſchreiben Sie mir aber: Sie glauben gar nicht, welche Nah-
rung und Beſchäftigung Ihre Briefe für mich ſind. Sogar,
(dummes Sogar!) der Witz iſt abgeſtorben. Wenn Sie nur
wüßten, wie ich Sie mir täglich auffriſche, wiederhole, und um
mich herſtelle! Ihren rührenden Scherz, die gütige Kinderlaune,
die ehrwürdige, liebende Jugend, den freundlichen Ernſt, das
komiſche Gehenlaſſen, die ewige feſte ſittliche und tief von mir
verehrte Sicherheit! Sie wiſſen, daß ich, für Gehenlaſſen,
bei dem der es darf, den größten Sinn habe; ſo lachten wir
vorgeſtern z. E. ganz ohne Aufhören über „Seekinder.“ Sie
wiſſen es wohl gar nicht mehr! Sie ſaßen Einmal bei mir
am Fenſter, und es liefen ziemlich artige Kinder über die äu-
ßere Treppe der Seehandlung, oder kamen aus dem Hauſe,
und da frugen Sie ganz anſpruchslos: „Was ſind denn das
für Seekinder?“ — Aber auch ich habe Ihnen unzählige, und
bei Gott beſſere, und zärtlichere Briefe geſchrieben, als dieſen.
Und unter welchen Martern; denn dachte ich nicht ewig da-
bei, er bekommt ihn nicht, du behältſt es nicht; ach! und was
denkt er unterdeß von dir. Ganze Regionen von Gedanken
und Meinungen richten ſich nur an Sie; und alle übrigen
kann ich Ihnen auch ſagen. That ich es bis jetzt nicht, ſo
war das ein Reſt von Jugend. Ich ſchwieg mehr, als ich
jünger war: wenn auch nicht überall, doch über mich. Nun
aber, da alles verloren iſt, kann man ja als Gemählde-Aus-
ſtellung einem Kenner und Kunſtliebenden alles ſagen; das
[333] laſſe ich mir nicht weiß machen, daß die, welche nichts von
Kunſt wüßten, die Natur recht liebten: wie Thieren traue ich ihnen
nie! ſie ſind zahm, ſo lange ſie nicht beißen; ich aber ſehe
ſie zum Aufſpringen immer fertig. Ich bin bei dieſen Zeilen
recht traurig geworden. Gott! hab’ ich denn alles verſpielen
müſſen! Alles verlieren, bis auf freundlichen leiſen Umgang? Nun,
wir werden uns ja wohl noch Einmal ſehen: und dann will
ich’s verſuchen, Ihnen mein ganzes Leben in eine kurze Er-
zählung zu drängen. Es iſt nur noch trauriger, daß es keine
Titel hat — Unglück ohne Titel und ohne Rächer und Theil-
nahme — man zählt es für nichts! — ein Tropfen Blut,
und alle Tribunale, alle Zeugen ſtehen auf; ein blauer Fleck
wird geahndet! Nur nicht was mir geſchehen iſt. Es thut
mir leid, daß ſo allerhand in meinem Briefe vorkommt: aber
es geht nicht anders, und auch darum ſchreib’ ich oft nicht:
von Haus zu Haus, da kann man beim Scherz bleiben, da
ſchreibt man ſich des Tages Vorfall und ſeine Narrheit, und
da iſt ſelbſt Ernſteres nicht ſo erdrückend und ſchwer an ſeiner
Stelle, denn die Welle nimmt es mit; aber ein ſolcher Todten-
gräber, wie dieſer Brief, muß, wenn er etwas wird, ſchmerz-
haft werden! Verzeihen Sie ihn mir. Ich muß Ihnen aber
doch ſagen, daß ich den Sommer, das Wetter, und die Luft
und das Feld, genoſſen habe, wie noch wenige in meinem Le-
ben. Vom Winter der Verzweiflung nah, und ganz ver-
magert, ſah ich wieder einem eingemauerten Sommer in
Berlin entgegen, wo ich abends um 11. mit dem Bedienten
ein bischen durch die Straßen gehen würde — ſo iſt ſeit
vielen Sommern meine Lage; — ich war allein und wollte
[334] es nicht mehr dulden: auch ging meine Geſundheit zu Ende.
Ich fuhr mit einemmale nach Charlottenburg hinaus, einem
meiner liebſten Orte in der Welt; — miethete mir Stube,
Kammer, Küche, für ſechs Thaler monatlich in der Schloß-
ſtraße, ich hatte noch weniges Geräthe von der Bleiche, be-
ſorgte das hinaus. Und nach dem ſchweren Augenblick fühlte
ich mich wirklich glücklich, und glücklich, daß ich dieſes Ge-
fühls für Luft und Grünes, dieſes Zufalls noch habhaft wer-
den konnte. Ich glaube es war mein letztes. Der Auguſt
taugte ſchon nichts. Hitze thut mir wohl; wir waren, außer
zum Schlafen und Eſſen, immer im Garten. Nur wenige
Schritte wohnten wir davon. Ganz Charlottenburg kannt’
ich: nämlich Arme. Mündlich von dieſem rührenden Aufent-
halt. Schreiben Sie mir, Brinckmann, wenn ich auch nicht
ſo ſehr gut ſchreibe; auch litterariſch kann niemand Ihre
Briefe beſſer ſchätzen, beurtheilen und goutiren, als ich. Apro-
pos! ich habe einen Brief von Roux an Pauline geleſen, der
mich ſehr lachen machte. Der hat ja Sprache, Anſicht, Aus-
druck, alles, im Deutſchen von Ihnen angenommen. Und es
war dem Bettler — wenn ich dem Armen ſage, iſt es zu zwei-
deutig — nicht genug, wirklich verliebt in Pauline zu ſein, er
mußte doch den Ausdruck von Ihnen dazu borgen, der ſich
gefliſſentlich nur, und Andern, das was ſie von Grazie und
Eigenheit und Wahrheit in ſich hat, ſo zu vergegenwärtigen,
und darzuſtellen beluſtigt. Unwiſſender Bettler! Ich ſetze ihn
nicht zu ſehr herab; fürchten Sie nichts! Sie aber, ſtellen
Sie ihn auf keine Orte, wo er das Genick herunter bricht,
wenn Urtheil vorbei ſtreift! Ich kenne ihn ſehr: und alle
[335] ſeine ſonſtigen Briefe. Empfehlen Sie mich, wenn Sie wol-
len, der Gräfin Golz; die muß jetzt ein prächtiges Kind ha-
ben: es war ja hier ſchon ſo ſchön. —
— Ich bin nicht bei Fichte; ſo unpaß fühlte ich mich. —
Es geht gewiß vorüber — mit der Zeit — ſagen die Leute
ſehr getröſtet! das heißt, mit ihnen ſelbſt. Luſtig! doch bin
ich es beinah: ſehr ruhig wenigſtens. Heute dachte ich: „Quel-
quefois je me rends justice, quelquefois moins que justice,
quelquefois plus que justice.“ Es iſt einem wohl, wenn man
keine Anſprüche hat. Wenn einem nichts beſonders wünſchens-
werth ſcheint, wenn man ſich vom gleichgültigſten wie vom
beſſeren Leben wie auf einem Elemente tragen läßt, und mit
Thier-Augen auf den Gegenſtänden haftet, und auch ſo ſie
gleiten läßt. Dies iſt aber ein bloßes Erzeugniß phyſiſchen
Befindens, und augenblicklichen Feierns des Geiſtes: der eben
ſeinen Vorrath verarbeitet hat! Dauert es? Weiſe iſt’s, auch
die kürzeſte Dauer zu freſſen — savourer fehlt uns —. Sehen
Sie, weiſe!! ganz müde eigentlich! — und ſehnſüchtig nach
Wärme und Geſundheit; und nicht ungeneigt zu ſterben. Und
auch bereit das Schönſte zu leben. Aber es giebt nichts. Dies
weiß ich wirklich anders, als bisher. Ungeheuer gelaſſen:
das iſt ſchlimm! Da haben Sie bavardage! — Dies iſt ein
rechtes Stimmungsbillet! —
[336]
An Frau von F., in Berlin.
Schreiben Sie nur, und ſprechen Sie’s heraus! Dies thut
dem Geiſte, Körper, Seele und dem Herzen gut. Auch kön-
nen Sie’s; wie ich mit Ihrem Brief belegen kann. Iſt einem
zum Schweigen zu Muthe, ſo finde ich das gut; muß einer
ſprechen, ſo iſt mir, als wäre dies wieder beſſer: und ſo iſt
es auch. Sprechen und ſich äußern beſonders, iſt beſſer; man
entwickelt ſich eigenſt dadurch, und läßt eben ſo viele Kon-
terfeis, in Zeitfolge, ſeines Seins; da dies niemanden ſchadet,
ſo iſt es für Studirende gut; dies ſollten wir Alle ſein, wenn
uns die Lagen und Ereigniſſe nicht beengten; auf die Ver-
drießlichen, die da ſagen könnten: wozu die Geſchichte, Gale-
rien von Gemüthsſtimmungen, Karakteren und Bemerkungen?
— auf die muß man keine Rückſicht nehmen, und keine an-
dere Sorgfalt verwenden, als es ihnen ein wenig wohl und
leicht zu machen: dies ſind die Kranken. Wenn es möglich
iſt, haben Sie keine Geſpräche mit dem ehrlichen Kerl,
dem Doktor, mehr! Er amüſirt Sie: und ſetzt Ihnen doch
dabei manchen Schreck in die Seele, und macht Ihnen ſchäd-
liche, und dabei wieder verführende Gemüthsbewegungen; er
iſt klug genug, um daß ſein Antheil reize, und ſeine blitz-
dauernde Einſicht ſchmeichle, und dumm genug, um daß man
ſich, gerade wo es ſchädlich iſt, wieder über ihn wegſetzt. Dies
alles zuſammen nennt’ ich gerne ſchädliches Amuſement; auf
deutſch, ſchadenbringendes Hinhalten und Erſchwächen.
Es
[337]
Es iſt wahr, wie Sie es ſagen, Ihr Geiſt iſt krank.
Der Benennung ausweichend ſagte ich Ihnen dieſes ſchon
lange; ſetzte es Ihnen nach meinen Kräften auseinander.
Und das Mittel zur Stärkung, der Verkehrtheit auszuwei-
chen, iſt eben, ein allgemeineres, für den Geiſt höheres, In-
tereſſe zu umfaſſen.
Jetzt zwar iſt alles wider Sie. Aber nichts muß Sie ab-
halten, den Sommer als Sommer zu behandeln: Luft zu
genießen, zu ſuchen. Und, auch im ärgſten Fall, nicht ein
Grab für Lebendige in Ihrem Zimmer einzurichten. Prägen
Sie ſich den gerechten Haß und Ekel gegen Krankheit und
Unglück ein, und ſie weichen! Auch ich habe es verſucht! man
glaubt das Schickſal und die Menſchen zn erweichen, wenn
man ſein tiefes Unglück recht eigenwillig hervorſpinnt. Ver-
gebens! beide haben kein Herz! In die friſchen Reihen ſtellen
Sie ſich, als zu Empfangender, als im Nothfall Mitkämpfender,
mit Einem Wort, als rüſtiger Prätendent; und Schickſal und
Menſchen zählen Sie feigherzig mit. Sie — genießen groß-
herzig, was Sie denen auf ganz andere Dinge als wir rech-
nend aus den Händen reißen können: und machen Sie einen
Verluſt; raſch ein anderes gegriffen! „Hart!“ ſagen Sie.
„Unmöglich!“ Nein! noch ſind Sie jung. Verwinſeln Sie die
Jahre nicht. Es ſchreibt es niemand ein; einſam haben Sie
Ihren Schmerz: einer reicht hin zum Stählen, wenn man
gewiß weiß, niemand hört einem zu. Elende Reſultätchen,
die ich Ihnen auf einem Blättchen geben könnte! Glück er-
weint man nicht. Man rührt auch nicht, weil man brav iſt;
ſondern wenn man gefällt. Raſch! Menſchen giebt es viel.
I. 22
[338] Hübſches haben Viele. Und bis Sie den Halbgott finden,
bis es wie eine Erſcheinung vor Ihnen ſteht, lieben Sie Ein-
zelnes in Einzelnen; und beweinen Sie niemand ohne Zer-
ſtreuung: man vergißt ſie, wenn man ſich des Andenkens
nicht ſtolz erfreut. Selten ſtand der vor Ihnen, der nicht zu
erſetzen wäre; und ein ſolcher iſt ewiger Gewinn, und wäre
er todt. Das weiß ich an Louis und Gualtieri. Adieu.
Auch ich ſchwatze. Der Wind wird ſich wohl legen. Ich will
Sie heute ſehen.
An Varnhagen, in Berlin.
Du haſt keine Vorſtellung davon, mit welchem Schreck
ich erwache! Eine hemmende Überlegung, die ſelbſt nie zu
Ende kommt, drückt mir das Herz zu, und wie zurück. So
blieb ich wie unentſchloſſen im Bette liegen; wie unentſchloſ-
ſen; denn wußt’ ich nicht eben zu gut wie alles iſt, und daß
nichts zu beſchließen iſt? Es wurde mir alles zur Angſt. Ich
dachte, ich wolle es dir ſchreiben, und nahm den Band Goethe
in die Hand, und ging herunter. Da lag er neben mir, und
ich wie verzweifelt neben ihm! — Ein Feſt war ſonſt ein
neuer Band Goethe bei mir; ein lieblicher, herrlicher, ge-
liebter, geehrter Gaſt, der mir neue Lebenspforten zu neuem,
unbekannten, hellen Leben gewiß erſchloß. Durch all mein
Leben begleitete der Dichter mich unfehlbar, und kräftig und
geſund brachte der mir zuſammen, was ich, Unglück und
Glück zerſplitterten, und ich nicht ſichtlich zuſammenzuhalten
[339] vermochte. Mit ſeinem Reichthum machte ich Kompagnie,
er war ewig mein einzigſter, gewiſſeſter Freund, mein Bürge,
daß ich mich nicht nur unter weichenden Geſpenſtern ängſtige;
mein ſuperiorer Meiſter, mein rührendſter Freund, von dem
ich wußte, welche Höllen er kannte! — kurz, mit ihm bin ich
erwachſen, und nach tauſend Trennungen fand ich ihn immer
wieder, er war mir unfehlbar; und ich, da ich kein Dichter
bin, werde es nie ausſprechen, was er mir war! Noch muß
ich weinen, ſo rührt es mich! — Nun haſt du geſehen, wie
ich nach dem Buche nicht fragte; und eine Art von Furcht,
die meine Nachläſſigkeit unterſtützte, hielt mich ab von dem
Buche; ich fürchtete, ihn und mich nicht mehr darin zu finden.
Dies auch als Zeichen meines Abſterbens, meines Grams, mei-
nes Hinſeins, wollte ich dir ſchreiben, und ich verging vor
Schreck und Erſtarren und Weh darüber! aber dumpf blieb
es, und unfruchtbar der Schmerz! Mein Freund, mein einzi-
ger Freund neben mir, und wir beide todt, todt! Mein Früh-
ſtück blieb ein wenig lange, und einen Augenblick ließ es die
Angſt doch zu, daß ich das Buch nahm. So leſe ich auch
ohne Muth und Hoffnung — und finde — grade was mir
iſt! Lies das Vorſpiel! Seite 14. ſagt die luſtige Perſon vie-
les, und am Ende:
Dichter.
22 *
[340]
Mein Freund hat es auch diesmal für mich ausgeſprochen!
Und niemals will ich an dem nun verzweifeln! Urtheile, wie
er heute, in dem Augenblicke, auf mich wirkte! Allen Dank,
alle Zärtlichkeit hat er wieder in mir aufgeweckt. Dies mußte
ich dir doch ungefähr ſo ſagen, wie es war. Und nun das
geſchehen iſt, preßt ſich doch mein Herz wieder zu. Ich will
nun weiter leſen. —
Ich habe erfunden: die Gemeinen verſtehen ſich unter-
einander; ſie haben ordentlich eine Münze des Verſtändniſſes
erfunden, wo kein Heller reiner Gehalt drin iſt; aber davon
leben ihre Geiſter, andere Nahrung fordern ſie nicht. Und
am Ende der Rechnung zahlen ſie ſich ſelbſt damit aus; und
der Umlauf geht wieder los. So verſtehen ſie vortrefflich
Y. und Z., und alle ihre nobeln Sentiments: und billigen ſich
ganz ernſthaft! Hätten Gewächſe der Erde Sprache, ſo lob-
ten ſich die niedrigern und ärmern auch; und wer weiß, ob
nicht Todtenblumen ſich mit Gewalt in köſtliche Vaſen ſtell-
[341] ten, und in prächtigen Zimmern und Lauben ſtänken! Sol-
chen Wirrwarr möchte ich ſehen! Wie Pferde-Rebellion! Alles
möchte ich deutlicher und härter! Beichten, durch Zauber ver-
anſtaltet, auch; wie käme da ein jeder zu dem Seinigen: das
Gold ſchrollte in die Erde zurück.
An Varnhagen, in Berlin.
— Mir war ganz krank; — die große Erſchütterung des
Herzens, das gewaltige Schwanken der ganzen Seele, welches
alles ſich in Angſt auflöſt, und beim Erwachen Schreck iſt,
rüttelt ja wohl ein wenig zuſammen. — Mein Ausziehen thut
außerordentlich viel dabei! Erſtlich ſchon etwas zu beſorgen
zu haben für eine Sache, die man verabſcheut; wo einem
Unrecht geſchieht, das ſchlecht wirket; in einen fremden und
keinen neuen Ort zu kommen. Meine Leidensgruft, das
Stammhaus meiner Qual zu verlaſſen, mich plötzlich im
ſtrengſten Verſtande des Worts allein, und ohne jede Hoff-
nung, ohne irgend einen Plan, mit der tiefſten Einſicht, mit
der beleidigtſten Seele, ohne Muth zur Beſchäftigung zu fin-
den. Du weißt, wie ich ſonſt lebte. Umringt, verfolgt vom
Morgen bis in die tiefe Nacht, wenn auch nur von ſcheinba-
ren Freunden. In meiner Familie belebt, und noch Unzählige
mit mir im Verkehr; die Stadt, Theater und Muſik. — Ver-
zeihe! Nimm hier in der Stadt dieſe Klage noch hin! Es
iſt der Hefen unſeres Umgangs. Über Feld, weiß ich, ſchon
jetzt, werde ich dir anders ſchreiben. Wozu auch ſo! Wer
[342] hat mehr Trennungen erlebt, als ich; ich kenne die Zeit in
ihrem Fortſchreiten; mit Rieſenſchritten und Rieſenarmen reißt
ſie das Neue hervor, und tritt hinter ſich alles zu Grabe.
Drum, es mag dich noch ſo wundern, gieb mir meinen Ring
wieder! Laß mich etwas beſitzen, Freundesauge gleich! Ich
fürchte mich. So wahr ich lebe! Ich ſehe in keines Men-
ſchen Geſicht die Sicherheit, die gewiß aus dem meinigen
ſtrahlt. Es wird mir ängſtlich und ungeheuer. Ich kann
nicht ohne den Ring zurückbleiben. Er weiß, wie ich alles
meine, er ſieht aus, wie ich, als ich jung war; laſſe mir die-
ſes Bild! Dir kann er nicht nützen; und was hülfe es dir,
wenn ich ihn mir ununterbrochen zurück wünſchte! Du weißt,
wie ich ihn dir gab; es war ein redlicher, dankbarer élan des
Herzens: er muß auch bei mir und meinem Herzen blei-
ben. Du wirſt es einſehen. Verzeih, verzeih! daß ich mein
Herz und ſeine Angſt abſchreibe; — Zaubermittel, es gleich
zu ſtillen, giebt es nicht. Genug ich werde ſelbſt dafür ſor-
gen, und ſorge ſchon. Hätte ich Vergnügen, Zerſtreuung, ich
ſage es ſelbſt ich brauchte kein Glück. Sei du ganz vergnügt. —
Gieb mir den Ring wieder, und ſei vergnügt! Denke an die
Scheine der Sonne, an Wipfel, Thäler und Berge, und an die
ſtärkenden großen Luftzüge: und auch ich würde das freudig
genießen. Sieh das Wetter! Adieu.
Rahel.
Komme nur nicht unglücklich; ich bin auch wohl! Allhei-
lende Kraft allheilender Natur!
[343]
An Gentz, in Prag.
Nie werden Sie mich los! So lange uns Eine Erde
trägt. Auch ich bin im Unglück — wie Sie vom vorletzten
Winter ſchrieben, „Sie ſchämten ſich ſo glücklich zu ſein,“ —
erblüht. Wer war mir ewig gegenwärtig, für wen zitterte
ich? für Sie. Ewiger, immer geliebter Freund. Welches war
mein Mittelpunkt von Verdruß, über alles Weltunglück? daß
es mich noch mehr von Ihnen trennte! Sie mögen ſich ver-
ändert haben, wie Sie wollen: Sie ſind derſelbe! für mich
derſelbe; ſo wie ich Ihnen nur gegenwärtig werde. Wie ſehr,
geliebter theurer Freund, lieber alter dicker Gentz! ſind Sie’s
mir! Sind Sie noch ſo naiv? O! ja. Sie Taubenſträßler.
Mit dem gelblichen Überrock. O! Ich ſehe Sie auch noch
wieder! Wie lange, wie ſehr ich mich über unſere Trennung
gegrämt habe! Dies geſchieht gewiß ſelten: weil ſelten Men-
ſchen ſolche Einſicht von einander haben. Dabei weiß ich doch,
daß Sie mich vergeſſen haben: nämlich, daß ich Ihnen gar
nicht gegenwärtig bin; aber das thut nichts, das iſt nur eine
Tournüre Ihres Gemüths. Morgen Mittag reiſe ich auf zwei
Tage nach Magdeburg, und von da nach Leipzig. Dazu
habe ich mich mit Gewalt entſchloſſen; weil ich zu feſt und
ſtupid im ewigen Bleiben wurde. Ich bleibe die Meſſe über
dort. Sie ſchreiben mir dorthin, oder hierher nur durch einen
Reiſenden. Nicht mit der Poſt. Es geht nicht! Oſtern iſt
mein letzter Termin, und ſollte ich mit einem Bettelſack abge-
hen, ich verlaſſe dies breitſtraßige Neſt!
[344]
Ich habe viel in und mit der Zeit gelitten; bin aber jetzt
ganz geſund und in der Seele friſch: und ſtehe in nichts ſtille.
Und ſo wächſt die Liebe zu Ihnen mit. Wir haben zwei
Freunde verloren! Pauline iſt nach der Schweiz endlich. Sie
war ſtark; aber ſie verplumpte ſich: obgleich ſie für mich doch
Reiz behielt. Sie und mich liebt ſie am meiſten.
Dieſen Brief nimmt ein Freund, ein lieber Menſch, ein
ganz junger, mit nach Dresden, und ſucht ihn dort jemanden
mitzugeben. So ſchreiben Sie mir wieder; und ſchreiben
Sie mir, ob Sie verliebt ſind. Mir geht’s wie immer, alſo
habe ich Ihnen nichts zu ſagen über mich. — Hier kenne ich
faſt niemanden. Athen kann nicht ausgeſtorbener, und mir
fremdartiger ſein. Der Freund, der von mir reiſt, war mein
einziger, und mehr! Er geht nach Tübingen; er iſt Arzt.
Nichts wirft mich mehr ganz um, als Krankheit: und Ge-
fängniß. Sonſt — kenne ich die Welt. Heute bin ich der
Reiſe wegen zerſtreut, ſo ſollt’ ich Ihnen nicht geſchrieben
haben. Die Trennung von meinem Freund etonnirt mich, die
Öde, der Schmerz kommt nach; auch fühlt’ ich ihn voraus,
nur jetzt nicht. Übermorgen früh reiſt er. Ich wollte ſo die
breite Stadt nicht ertragen! — Ich ſchrieb in einem fremden
Haus, wo noch Zwei an meinem Tiſche ſchrieben: das beden-
ken Sie! Nur daß ich eben ſo ächt, eben ſo gut bin als
ſonſt, und Sie ewig mein Gentz bleiben, ſollten Sie Undank-
barer, Zerſtreuter, wiſſen. Wiſſen Sie’s auch! Haben Sie
hübſche Kleider? ziemliches Geld? —
[345]
Aus einem Tagebuch.
Kamen wir gegen 5 in Potsdam an: der Weg dahin
ſchöner, als man es je ſagt, und wie auch ich es immer wie-
der vergeſſe; in Schöneberg ſprachen wir bei Mad. Ephr. an,
die an den Wagen kam; in Potsdam kauften wir Früchte.
Potsdam war lange nicht ſo öde, als ich’s dachte; keine Zer-
ſtörung, lebhafter in den Straßen, als ſonſt. Viel von den
Pocken blinde Kinder. Viel und gutes Obſt. Die Menſchen
bei weitem dienſtfertiger als ſonſt. — Gleich hinter Potsdam
ungemein und wie nicht zu vermuthen ſchön. Beſonders Ar-
tiſchockenfelder, die, ſähe man ſie in andern Ländern oder
Klima, ganz bedruckt wären: alles verräth Anbau dort. Wie
angenehm iſt Chauſſée! Welch Gefühl von Sicherheit; wel-
cher Troſt, daß ſie das Land ſchaffen kann. Die Havel über-
raſcht einen von Viertelſtunde zu Viertelſtunde in ganz an-
ſehnlich großen Seen rechts und links, und häufig findet man
ſie grade vor ſich. Es iſt ſchön, daß ſie ſo krumm herum-
läuft, wie die arme Spree, die auch ihr Möglichſtes thut.
Man reiſt ordentlich ganz angenehm dieſen Weg: ſonnen-
orange mit ſpike-farbenen Abendwolken mit glattabgeſchnitte-
nem Umriß war der liebe Himmel; ſo blieb es hell und lange
ohne Sterne; ſie traten auch hervor, und ſo kamen wir ſicher,
das heißt behaglich und mit dem geliebten preußiſchen Sicher-
heitsgefühl, mit ihnen nach Großenkreuz, einem Bauerhauſe
in einem Dorfe in Duſchwald gelegen. So nenne ich einen
Wald, nicht größer als ein Buſch. In einer Stube ſaßen
[346] von Dragonern zurückgebliebene Mädchen — wie die Wirthin
ſie erklärte — und eine Societät Krob! Wie eitel waren ſie,
wie vergnügt, wie redſelig, wie ennuyirt und wollend; Einer
mit ſchnarrender Sprache nahm das Wort, und erzählte ihnen
mit Gewalt Anekdoten; ſie hörten ſie nur mit Geduld. Kurz,
wie in einem Salon: nur mit Schmutz überzogen. Wir aßen
in einer zweiten Stube; Braten, Kuchen, Bier. Ich trank
Kaffee vorher. Die Wirthin ſchien vernünftig, ein ſehr hüb-
ſches Mädchen wartete auf, blond mit kurzer Naſe; und ſon-
derbar ſtach ihre Traurigkeit zu dieſer überaus muntern Bil-
dung ab. Sie ſagte mir, ſie ſei nicht traurig. Aber blieb ſo.
Sehr guter Kaffee; und gutes Bier. — Auch in dieſem klei-
nen Hauſe bemerkte ich mehr Wohlſtand und Aufwartung als
ſonſt: die Wirthin ſchien ſehr zufrieden mit ihrem Unglück.
Um halb 9 fuhren wir bei den ſchönſten Sternen auf der wei-
ßen Chauſſee im ſtärkſten Trabe ab, und ſo blieb’s, und war
durchaus nicht finſter. Gemachter Weg iſt der größte Landes-
ſegen, er leuchtet ſogar. — Als wir ſo viel gefahren waren,
daß ich dachte, wir hätten bald eine Meile zurückgelegt, ſah
der Poſtillon nach dem Hinterrade; ich frug gleich. „Das iſt
weg!“ ſagte er, alle Speichen waren zerbrochen. — Nach
einer Viertelſtunde kam uns ein leerer Poſtwagen entgegen,
wir beide ſtiegen in Heu, denn es war ein kompleter lieber
Bauerwagen; und fuhren voraus nach Brandenburg. Schade!
daß es nicht länger dauerte, denn nun war es erſt ſchön.
Das Heu roch nach allen guten Kräutern und nach Pfeffer-
münze, wir lagen beinah darin, wie frei, wie ſchön, wie nächt-
lich, wie bequem. Wir kamen in einer Viertelſtunde nach
[347] dem heimathlichen Brandenburg, ſo iſt die preußiſche Stadt.
Schwer kam ein Hausknecht ohne Licht: noch ſchwerer das
Licht; und noch ärger ein Mädchen. Wir nahmen nichts
mehr; unſer Wagen kam, und wir endlich in’s Bette. Hier
hat ſich die alte Saumſeligkeit und Unvernunft erhalten, als
ob die Reiſenden für die Wirthe kämen, und dafür bezahlt
würden. Unterwegs war es zu meinem Erſtaunen umge-
kehrt. Alle Menſchen, und der Poſtillon an der Spitze, glaub-
ten ſich für uns geſchaffen; mich ängſtigte es ordentlich. Das
Volk hat ſich ſehr verändert. —
Die Nacht beſſer als ich dachte. Am Morgen, Magde-
burg ſchwamm in Sonne: die dicken Weiden mit den dicken
Haaren. Ankunft. Zimmertauſch. Markt. Kugelkarren. Kon-
ſkription. Leſen. Nathuſius Garten; hübſche Frau, Kind.
Nachhauſefahrt luſtig.
Von Magdeburg. Um halb 11, nicht weit von unſerm
Wirthshauſe, in einem von den engen Gäßchen, mußten wir
hinter einem Wagen halten, auf welchen Mehlſäcke von einer
Bodenluke hinabgelaſſen wurden; unſer Poſtillon blies, aber
wer weder ſich ſtören ließ, noch rückte oder rührte, waren die
Auflader: mich empörte ſowohl die Geduld des Poſtillons, als
die raſende Unbilligkeit der Leute, die gelaſſen verlangten,
man ſolle ihr Geſchäft abwarten, womit ſie eine Straße ein-
nahmen. Es ſtanden andere Markthelfer und Leute umher,
die die Sache einſahen, und etwas drein redeten, beſonders
ein Alter, der uns zu amüſiren dachte, und mit einem jungen,
[348] der auf dem Wagen ſtand und die Säcke packte, ſcherzte, und
ihm von der wartenden Poſt ſprach. Mit einemmale antwor-
tete der junge, der ziemlich wie ein eleganter Hausknecht aus
einem vornehmen Wirthshauſe ausſah: „Ich muß auch fort.“
Warum nicht gar! ſagt der Alte; worauf der junge, ganz
rüſtig und bequem geſchäftig aufladend, folgendes Lied mit
einer ganz luſtigen Melodie, doch rührenden Ausdrucke, unge-
fähr ſo ſang, als: Ja, ja! Es kann nicht anders ſein, mit
mir iſt’s auch aus; „Mit mir iſt es aus, mit mir hat’s ein
End’; Huſar muß ich werden im Leibregiment.“ — I! nicht
doch! erwiederte der Alte: — „Gott ſtraf mich,“ ſagte der
Huſar, „ich habe ſchon Quartier und alles.“ Ich griff nach
meiner Bleifeder, um das Lied aufzuſchreiben, in dem fuhr
ihr Wagen, und unſerer. Wir fuhren aus den Thoren und
Wällen von Magdeburg; am letzten Thore und beim letzten
Examen durch einen Offizier, knüpperte unſer Poſtillon an den
Pferden, ein Höke ſaß dicht neben der Wache, und erzählte
fünf ſehr aufmerkſam zweiflenden und amüſirten weſtphäliſchen
Soldaten von der Übergabe der Stadt, wie da ein Soldat,
der brav war, mit ſeinem Obriſtwachtmeiſter geſprochen habe ꝛc.
mit einemmale geht ein gemeiner geſunder Mann vorüber, der
Erzähler unterbricht ſich gelaſſen, aber plötzlich: „Nun, wie
iſt’s abgelaufen?“ — „Gut! mir können ſie einen Dr — thun,
ich habe achtzehn Jahr den Preußen gedient.“ Die ſechs blie-
ben dicht vor der Wache mir nichts dir nichts ſitzen. Wir
holten den Menſchen noch ein; ich beſah ihn, er war kaum
dreißig, rüſtig und wohlausſehend. — Man fährt durch Dör-
fer, die wie franzöſiſche ausſehen. Feſter Boden, die Elbe
[349] links; dicht vor Schönebeck vorbei, und ſieht einen Theil der
Salinen-Anſtalten ganz nah. Vier Meilen nach Kalbe, da
gingen wir ein wenig ſpaziren, aßen Bierſuppe und Tauben.
Der Magdeburger Poſtillon hatte einen ekligen Karakter:
ſagte, er lebe von ſeinen Gütern, und führe, um die Welt zu
ſehen: nachdem ich mit ihm geſprochen hatte, fuhr er gut.
Wir fuhren um 2 von Kalbe, gleich hinter dem Ort wird es
ſehr ſchön: der Weg geht ſonderbar immer ringsum. Gen-
darmen ſetzten Deſerteurs nach: ſie ritten mit uns. Eine Fähre
ſetzt einen über die ſchmale Saale, einem Mühlbach ähnlich,
man fährt ſüdlich, wenn’s nicht rundum geht; hat den Harz
und den Blocksberg und den halliſchen Petersberg rechts, die
untergehende Sonne hinter ſich. Nah an Köthen ſahen wir
auf Stoppelfeld Geſellſchaften von zwanzig, vierzig, zehn,
Rebhühnern laufen, Haſen zu ſechs, drei, fünf; und viele.
In Köthen kamen wir um halb 7 an: ich überredete meinen
Reiſegefährten, obgleich es finſter war, die Stadt zu ſehen.
Ich redete einen kleinen artigen Jungen in der Straße an,
uns zu begleiten: er that es gütig. Wir ſahen des Herzogs
Schloß und Garten ꝛc. — Als ich nach Hauſe kam, hatte ich
den Mordſchreck, dies Büchelchen verloren zu haben: der Haus-
knecht fand es mit der Laterne im Schloßgarten. Liebes dum-
mes Buch, du koſteſt mich acht Groſchen, aber küſſen möcht’
ich dich, die haſt du gut verdient! —
[350]
An Frau von F., in Berlin.
Es iſt 9 Uhr Morgens; ich bin gewaſchen, angezogen,
habe alles, jede Kleinigkeit, auf einen beſtimmten Ort gebracht;
kurz, bin wie ein Wohnender — ich ſchreibe nicht wie zu
Hauſe, denn da war’s nicht gut —; ich ſchlief ſchlecht, weil
ich dieſe Nacht noch auf Betten ruhen ſollte, [auf] ſolchem trock-
nen Waſſer aber nicht ſchlafen kann, für’s erſte noch im Kom-
toir gebettet war, weil mein Zimmer — man erwartete uns
noch nicht — geſcheuert war. — Auch kennen Sie das ſehr
gut: ich mußte mir noch alles ausdenken. Um halb 5 Abends
kamen wir geſtern an. Nach einer halben Stunde kam mein
Bruder. Ich zog mich an, wir gingen in die Komödie; man
gab das Intermezzo. Die Erfindung witzig; und wo es nicht
plump vor lauter Plattheit iſt, ſehr amüſant: wie kann Kotze-
bue bei ſo vielen Einfällen und glücklichem Ordnen in Sce-
nenfolge, und Effekt, ſo wenig feines Urtheil, genannt Ge-
ſchmack, haben! Geſpielt wurde es meiſterhaft! Hier
muß man la comédie allemande ſehen; — wir verſtehen unter
Komödien alles; Zauberflöte, das Mädchen von Orleans ꝛc.
— Opitz und eine Frau, deren Namen ich noch nicht weiß
[Brede], ſagten affektirte Verſe göttlich! Noch zwei Frauen
ſpielten ſehr gut, Künftig, wenn ich die Namen weiß, De-
tails. Wie bilden ſich unſre Gendarmenmärktler etwas ein! —
und bleiben doch nur wie ihr verderblicher Anführer in ewiger
Verlegenheit, im Suchen nach Laune: und wie ſo wenig ſpie-
len ſie in Fresko; und in welchen glücklichen Verhältniſſen
[351] hier! wie in dem Maß, was wir Deutſche dulden können:
denn wir dulden nicht viel Affektation; und ſo ſcheint uns
gradezu alles, wozu ein Übereinkommen vorausgeſetzt iſt, wenn
es ſich auf Zierlichkeit, und Effekt bezieht. Auch angezogen
waren ſie ſehr gut. Man kleidet ſich jetzt in der Welt egal:
und kleine Städte — und -ſtädter — werden nur dem Lokal-
maße nach beſtimmt; ich fand’s mit Anzügen ſo in Weſtpha-
len, im Köthenſchen, und in Sachſen. Nach dem Theater gin-
gen wir in das Hotel de Bavière eſſen. Leider um ein Vier-
tel auf zehn! ich hoffe noch einen Wacher zu entdecken. —
Wir reiſten gut; ich ſah Horizonte, Land, Luft, Menſchen,
Scheine! — Apropos ich wohne in einer ſehr lebhaften Straße
vorn heraus, ein hübſches Zimmer mit einem großen Alkoven,
einem kleinen Kabinet, alle Bequemlichkeit mit Wandſchrän-
ken; das Zimmer iſt franzöſiſch, nicht brandenburgſch gebaut,
alſo zum Wohnen! Es iſt die größte Ordnung bei mir. Nur
habe ich noch keine Geſellſchaft. Auch Alleinſein fürchte ich
nicht! Bücher, Sopha, Geſundheit. — Die Stadt iſt in Al-
larm, Bürgerwache, Entgegenreiten, Ehrenpforten. Man er-
wartet heute den König von Sachſen und Napoleon. Sie
gehen nach Erfurt, paſſiren unſere Straße. —
An die Gräfin ☉☉☉.
Dies iſt mein zweiter Brief, liebe Gräfin, den ich Ihnen
ſeit dieſem Sommer ſchreibe. Mein erſter war eine Antwort
auf den von Ihnen, der mich ſo ſehr freute, als ich es Ihnen
doch eigentlich nicht bezeigen konnte; und indem ich Ihnen flüch-
[352] tig mein Leben, d. h. mein inneres Sein berichtete. Von Woche
zu Woche wollte ich Sie wieder anreden, obgleich mich Ihr
Schweigen weiter nicht wunderte, noch mein Brief eine direkte
Antwort erforderte; aber freundliche und unfreundliche Wellen
des Lebens verſchlangen mit meiner Zeit die Ausführung mei-
nes Vorhabens, deſſen Lebendigkeit manchmal bis zur Qual
in mir ſtieg. Nun aber bin ich nach vierzehn Tagen von
Leipzig zurückgekommen, wohin Unruhe und ein kleines nicht
zu Stande gekommenes Geſchäft mich rief und ſtürzte; und
plötzlich erzählt mir ganz diskurſiv der Baron B., der hier
durchreiſt, daß Lothario unumſtößlich gewiß heirathet. Mein
Schreck war beinah dem gleich, als ich die noch verſchleierte
Exiſtenz von Leontine erfuhr — B. dachte ich ſei närriſch —
das ganz Unerwartete erhöhte ihn um die Hälfte: denn nie
konnte ich eine endlich wirkliche Ausführung eines ſo derben
Vorhabens von Lothario erwarten. Welchen Henkerſchlag
hatte ich Cäcilien beizubringen, wenn ſie es etwa nicht wußte!
Geſtern kam ſie zu mir, beklagte ſich — eine Wiederholung
von mehr als ſechs Monaten — über Vernachläſſigung in
jeder Rückſicht; und nach langem Schmachten, Miſſen, und
Verlegenheit nach Geld, war endlich ohne ein Wort des Tro-
ſtes und der Freundſchaft die nackte, kahle Penſion für das
Kind angekommen; ſo beträgt ſich, ſo ſtumm immer Lothario,
wenn er in Verlegenheit iſt; dies bemerkte mir das Mädchen
von neuem. Wie erſchrak ich von neuem! Und wie ein
Wundarzt mußt’ ich mich nun entſchließen, ihr den Mordſchlag
beizubringen. Ich verſchone Sie mit den Details! Wiſſen
Sie ſoviel: daß ihr Herz und ſeine Forderungen ſchon längſt
mit
[353] mit der unerbittlichen Allgewalt des Unglücks abgetödtet iſt:
daß ihr erſter Schmerz ſich auch von neuem nur dahin wandte
und geſtaltete, den letzten Pulsſchlag zu tödten. Aber welche
Angſt, welche Sorge erwachte, und wüthete in ihr für das
Kind! Sie kann ſich wenig mit Worten und mit der Schrift
äußern — und jeder Schmerz kehrt in ſie ſelbſt zurück. Ich
ſah es, und hätte vergehen mögen! Was auch hätte ſie von
dieſem feigen Manne nicht zu erwarten! ſeine Feigheit iſt ja
ſo gediegen, daß ſie Grauſamkeit iſt. Auf ſein machtloſes
Herz iſt nicht zu rechnen; gebrauchen wir alſo ſeine Furcht
vor éclat; Cäcilie hat Briefe, die ihn vielleicht vor Gericht
zu nichts zwingen können, ihn aber in den Augen aller Recht-
lichen ſo darſtellen, daß er davor zittert. Da ihn Gott ſo
ſchwach unter unſere Augen gebracht hat, ſo nutze man für
dies arme Kind, welches er Baſtard in ſeinem Herzen nennt,
und welches aus deſſen Blute iſt, ſeine Schwäche! Sprechen
Sie, Gräfin, Worte des Ernſtes zu ihm. Sie muß er hören,
ſchätzen und fürchten, Ihnen muß er ſich gleich ſtellen! Sie
ſind ihm an männlicher Kraft und Muth und Rechtſchaffen-
heit überlegen. Er denkt, ſpricht und ſchreibt nicht beſſer und
richtiger als Sie. Bei weitem. Ihren Wandel kennt die
Welt, die, wie ſie auch zuſammengeſetzt iſt, nach zehn Jahren
immer die verfloſſenen richtig beurtheilt. Sie ſind ihm an
Macht und Geburt in der Geſellſchaft gleich; Sie ſind ſchon
die einmalige Beſchützerin, der wahre Ritter dieſer beiden un-
glücklichen Femellen — Weiber drückt mir noch nicht alles
aus! Sprechen Sie zu dem vergeſſenen Manne. Und da er
Cäcilien das Herz gebrochen und vernichtet hat; daß er ſein
I. 23
[354] Kind und die Mutter endlich ſicher der Noth und der ewigen
Sorge, und dem ſchändlich prekairen und abhängigen Zu-
ſtand entreißt. Es bleibt der Schmach, des Jammers, des
Ertragens genug! Er glaubt ſich — der vielfach verflochtene,
der vierfache Vater — frei und leicht —! — und jungherzig
genug, edles Liebesglück zu bereiten und zu genießen, ein jun-
ges Fräulein will er ſich zugeſellen, und der endlich Gemahl
und Beſchützer ſein, und Kinder und keine Baſtarde!! mit
ihr zeugen; deren Jugend in jedem Sinn will er ſaugen. Und
ſie — ſoll ewig ignoriren, was er, ſeine Geſchichten, und die
Welt ſei. Ich ſchweige! Sie kennen das Greuelgebäude,
welches Geſetz und Sitte Europa’s ſchützen! welches ganze
Vegetationen von Liebe und Treue verheert und ſchändlich
gebraucht; und das Beſte, die Beſſern unter ſeinem Schutt
erſtickt. Ich füge kein Wort hinzu: und weiß, Sie reden die-
ſen Mann für die beiden Geſchöpfe an! Für jetzt empfindet
nur die Mutter die Schmach und Angſt: an ſeine eigne Toch-
ter wird die Reihe kommen. Daß er nur nicht denkt, ſie von
Cäcilien zu trennen! dem größten Skandal ſetzt ſie ſich lieber
aus; und es gehen mehr bettlende Weiber mit Kindern um-
her. Ich wenigſtens rathe ihr im ſchlimmſten Fall dieſen
Schritt nicht ab. Haben Sie doch die Gnade mich mit einer
Antwort zu erfreuen! Sie wiſſen aus meinem letzten Brief,
aus dieſem, aus meinem Wandel und meinem Sein, wie ſehr
ich Sie ſchätzen muß; ich füge nur noch hinzu, daß mich meine
wahre Hochachtung Ihnen ergeben macht.
Rahel.
Cäcilie wird ihm nicht ſchreiben.
Anmerk. Der Brief that ſeine Wirkung; vollkommen.
[355]
An Varnhagen, in Tübingen.
Nun iſt es wahr, nun iſt die raſende Zeit, vor der ich
mich nicht einmal fürchten wollte. Dich zu lieben ſträubt’ ich
mich; das war ja vernünftig; ich wollte dem Entbehren, dem
neuen Miſſen nicht den edlen Hals beugen; und es war doch
edler, das Herz gehen zu laſſen. Nur das Glück weigerte,
blieb aus wie immer. — Mit dir könnte es ein Leben ſein,
ſo iſt es nur — ein Steuren, ein Steuren ohne Ziel!
Du haſt geſehen, ob leere hohle Wünſche mich treiben,
ob ich nicht das ganze Leben mit einem Freunde, bei einem
Einzigen, in ſeiner ganzen Fülle und Mannigfaltigkeit finde.
Und was ich leiſten könnte, hat mir ja das zerſtreute Schick-
ſal noch nie abgefordert! —
Seit zehn Tagen habe ich ein Katarrhalfieber; geſtern
war der neunte Tag: ich hoffte, wie immer, der letzte; ich
ſpürte aber auch heute noch Fieberbewegung, und habe zu be-
ſtimmten Stunden Nervenzuſtände. Immer ſo bei mir, jedes
Fieber iſt ein gelindes Nervenfieber. Bis geſtern war ich in
dem tiefruhigſten Zuſtand dabei: es war eine Erlöſung, die
mir von oben kam. Ich konnte mich in meinen Zuſtand, in
mein Haus, in deinen Verluſt nicht faſſen und finden: ruhig
machte mich plötzlich das Fieber. Glaube aber nicht, daß ich
von Agitation krank geworden bin: von reiner Erkältung;
Rheumatism auf den Nerven: wie ewig bei mir. Aber er
hätte mich nicht erlegt, hätte ein überaus großer Schreck, der
23 *
[356] größte in meinem Leben, nicht meinen ganzen Körper ab-
geſpannt. —
Wie iſt es mit meinem Brief, den ich dir an Gentz mit-
gab? Ich habe einen vortrefflichen von ihm gefunden, einen
alten: daraus könnteſt du ſein ganz Gemüthe, und unſer Ver-
hältniß ſehen. Beides würde dir ſehr gefallen. Ich war auch
jetzt ganz erfreut und bewegt, wie ich ſie las; denn es waren
zwei Briefe: und die Kouſine hatte ſie eigentlich zu verwah-
ren, und einen himmliſchen von Prinz Louis. Alles ſteht in
dem. Seine ganze Seele. Über ſeine Liebe ſpricht er ganz
ausführlich; über ſich und die Welt; und daß er ſterben muß,
und will. Und in welchem Tone! Mit welcher edlen Be-
wußtloſigkeit ſeiner eigenen Trauer; wie überaus mild iſt die,
wie ernſt er! Wenn du dieſen Brief geleſen haſt, kennſt du
ihn ganz; kennſt alle die ich verbrannt habe; es ſind nur Va-
riationen, heftiger, eiliger, ausführlicher, oder lebendiger, von
den Ereigniſſen des Moments aufgeregt. Schicken kann ich
ihn natürlich nicht! — Wie las ich ihn dreifach mit Schmerz,
daß du ihn nicht ſehen konnteſt! —
— Ich bin ja ganz verwundert über Lafontaine! den
Deutſchen. Über deſſen Erzählung in dem Almanach! (Im
Cotta’ſchen Damenkalender für 1809.) Zwar habe ich noch
nie etwas von ihm geleſen, — und noch nichts aus, was ich
etwa auf dem Tiſche fand, — als dieſe Erzählung; und es
iſt möglich, er wiederholt ſich. Jedoch glaube ich, das Gute
darin, weil es das überaus Einfache iſt, qualifizirt ſich auch
[357] für den Gröbſten nicht zur Wiederholung. Für mich hat er
ganz neu, und ſo idealiſch, als es möglich iſt, daß es ſein
kann, die Eltern der Rebecca erfunden und geſchildert. Und
mit einem Ernſt, und unangefochten, bis zum Tragiſchen ver-
folgt. Und ganz bis zum Ende ſchön, wie ihre Seelen gar
nicht verſöhnt werden, nur ihr Herz unter allen Umſtänden
der Tochter bleibt. Die Scene des Zanks, wo die Mutter ihre
Macht ausüben will, und die Herzenseinigkeit und Gottesglau-
ben ſie Alle verbündet, iſt ſehr ſchön! Hätte er nur dem Vater
einige Züge mitgegeben, wodurch man ſehen könnte, daß er
ein geſcheidter Mann iſt: mir geht das ſehr ab. Ich dächte,
wenn man ſo viel Talent hat, könnte man mehr haben. Auch
der Geliebte müßte mehr ſein, als der ehrliche Nimrod; einiger
Geiſt würde ihn ſehr ſchmücken, und das Buch accentuiren.
Aber es fließt ein ſchöner Bach hindurch. — Ich bin ganz
deiner Meinung in was du über Goethe’s pilgernde Thörin
ſagſt: und bin froh, daß du es geſagt haſt. Mir kommt es
ganz wie eine Überſetzung vor; nicht als ob es überſetzt wäre;
aber die Meiſterſchaft liegt doch darin, Franzoſen, ihre Lebens-
weiſe, ihre Sprache, ſo aufgefaßt zu haben, um ſie unverlo-
ren, in unſern Kräften, bis zur kleinſten Phraſenbewegung,
wiederzugeben; und dabei für ſeine Erkenner ſo ſehr Goethe
zu ſein, und zu bleiben, wie nur jemals! Dies heißt doch
eigentlich überſetzen; und bürgt für jede zu unternehmende lit-
terale. Es freut mich in die Seele, daß er dich an Diderot
erinnerte. —
[358]
An Varnhagen, in Tübingen.
Endlich bin ich verdrießlich. Weißt du, was das heißt!
Aber was kommt auch zuſammen. Die Jahreszeit ſelbſt wird
toll: und ſchon ſeit dem Juli — du wirſt es lächerlich finden
— konvulſirt der Winter in den Sommer hinein! — Seit
geſtern quäle ich mich damit, ob ich dir ſchreibe, oder nicht.
Lügen kann ich gar nicht: bei dir grade tritt die ganze Wahrheit
hervor. Und doch habe ich dir auch Hübſches zu ſchreiben. —
O! die Gaben, die ich habe, hat man nicht umſonſt! Dafür
muß man ausſtehen. Mein ſcharfes Wiſſen, Sondern, und
Scheiden; das große Meer in mir, mein präziſer, tiefer, gro-
ßer Zuſammenhang mit der Natur; kurz, das bischen Be-
wußtſein darüber, was hier doch ſo viel iſt; koſtet mich was!
Welche Schmerzen, welche Unruh, welches Vermiſſen läßt das
aufſchießen; und wie muß ich es verarbeiten! Ich zweifle,
daß du ſelbſt einen Begriff davon haſt! Und wie ekelhaft,
herabziehend, ärgerlich, beleidigend, unſinnig, ſchwächlich, nie-
drig meine Umgebungen, denen ich nicht entfliehen kann:
und die, ſo lang ich es nicht kann, mich auch verfolgen: ein
gelindes Ausweichen hilft gar nichts. Ein einziges Beſudlen,
eine Berührung macht mich ſchmutzig, ſtört meinen Adel.
Dieſer Kampf dauert ewig! So lang ich gelebt habe, und
leben werde! Wodurch ſoll er enden? Dieſe Einſicht, nicht
daß es bleibt, aber daß meine Konvulſionen umſonſt ſind,
und doch nur mit allen meinen Kräften aufhören können,
bringt hart an Raſerei! Alles was mir Schönes im Leben
[359] begegnet, geht mir fremd, als Beſuch vorüber; und mit Un-
würdigen ſoll ich anerkannt leben müſſen! Sie brauchen und
mißbrauchen mich nur. Und geſellig ſtellen wir uns beider-
ſeits; ſie, weil ſie mich brauchen; und ich, weil ein Zwei-
kampf, einer mit Blut, es nicht enden kann. Du ſiehſt, ich
bin außer mir! So nennt man es, wenn das wahre Herz
ſpricht. — Die Narren und Lügner beſchützen ſich unter ein-
ander. Ich habe aber kein Geſetz, keinen Verwandten, keinen
Freund. Und bei dieſer Ungerechtigkeit ärgert mich ſogar der
Tadel. Keiner, nicht Einer tadelt mich, der nicht in ihrer
Meinung ſelbſt gegen Alle gefehlt hat: meiner nimmt ſich kei-
ner an, mich verfolgen ſie, weil ich für jeden bei dem andern
ſprach. Ich will dich mit den kleinlichen — und auch mich —
Geſchichten verſchonen, die mich aus der Entfernung her die-
ſer Anſicht zudrängen. O! wie entwachſen wäre ich ihnen
durch deine Nähe! durch die Nähe eines Freundes. Einer
befreundeten Kreatur. — Die Frauen, die ich ſehe, bringen
mich ganz herunter, phyſiſch. Meine Nerven. Sie ſpannen
mir die Gedanken ſo ab. Sie ſind ſo erſtaunlich matt, bei-
nah unklug aus Zuſammenhangsloſigkeit. Und nehmen die
Parallele von ſich zu mir ſo gewiß an, daß nur aus dem
Zimmer laufen mich retten kann. Lügen thun ſie auch: weil
ſie’s ſo oft nöthig haben; und weil Verſtand zur Wahrheit
gehört: und Lügen ennuyirt mich bis zur Krankheit: ſo iſt
auch meiſt ihr Unglück: und wenn ſie welches haben, kommen
ſie zu mir. Geſtern kam ein Mädchen zu mir, die in ſtar-
ken drei Jahren meine Schwelle nicht betreten hatte: eine
Freundin von Louis Geliebte, ich mußte denken, ſie ſei auch
[360] gegen mich: weil man in ihrer Geſellſchaft mich verantwort-
lich für die Wege, die ſich ſeine Leidenſchaft erlaubt hatte,
machen wollte; und ſie war es auch; nun hat ſie eine Kata-
ſtrophe, ſie übergeht all ihren Umgang, und ſtürzt weinend
in mein Zimmer, ich fange ſie auf; und auf meinem Sopha
findet ſie Troſt, Rath, Zuſprechen; kurz, eine Freundin. Ge-
rührt war ich nicht. Auch nicht ſchmeichlend, aber thätig; und
ſehr wie ein Mann. Mir war ſo. So plagt mich jetzt noch
eine andere Matte, deren Geliebter heirathet. Ein Lothario,
ohne Jarno’s, ſeine Liddy’s zu heirathen, ohne Zweikampf für
mißbrauchte Gattinnen, ohne Güter und Geld für ſeine Ba-
ſtarde! — Als ich nachmittags wegging, ſchien plötzlich nach
vielen Tagen die Sonne. Die beſchienenen Bäume lockten
mich weiter. Wie Frühling war’s; und auch wie ein ſtiller,
feſter, mit Schnee ſchon eingeſtampfter (aber nicht abgeſchmol-
zen) Januarabend. So zogen mir auch Wetter, allerhand
erlebte, durch das Gemüthe, wie durch die Bruſt; alle Gänge,
die ich je gemacht hatte, mit ihren Bildern und meinen un-
ſchuldigen Herzenslagen, zogen recht ſchnell, und doch ſehr
vernehmlich, und wie mit einemmale, wie eine zu überſehende
Reihe — Banco’s Geſchlechte in etwas ähnlich — vor mei-
nem Geiſte vorüber. Ich wußte das ſelbſt, und es war mir
doch ſo ſonderbar! Nur die Zukunft blieb ganz verſchloſſen,
auch das dacht’ ich auch nur einen Augenblick, (die ſchließt
in der That nur wirkliche Hoffnung, Narrheit oder Jugend
auf.) Die milde Luft des Augenblicks erweiterte ſehr meine
Augen, ich ſah weit. George’s Garten, des Prinzen Haus —
wahre Grabſtätten — lockten mich. — Der Garten war ſchon
[361] ſehr licht, und dem Frühling, wenn er verſpricht und die Un-
ruh in die Adern treibt, nicht unähnlich; es war als tanzte
der Herbſt mit ihm; wie große Herrn nach Schlachten und
Krieg ſich Feſte geben! — Nun lockte mich wieder die Brücke,
ich ging hinüber, klar war das Waſſer, die Sonne recht warm,
und ich nach dem Schiffbauerdamm. Da dacht’ ich, das iſt
Varnhagens Weg. Und mir wurde wieder weh! In der größ-
ten Sonne weiter! Am Ephraim’ſchen Garten mußt’ ich um-
kehren; es wird zu einſam, und durch den Thiergarten konnt’
ich doch gar allein nicht. Ich ſah deinen Weg noch Einmal
an, und kehre langſam um; indem ich’s thue, hatte ich die
Sonne hinter mir, und einen herrlichen, dicken, grünen, von
ihr beſchienenen Baum vor mir, der im Ephraim’ſchen Vorgar-
ten ſteht. Ich gehe heran, um niedrighängende, noch ſehr
konſervirte Blätter für dich zu nehmen. Ich konnte es nicht
aushalten, den Baum allein zu ſehen: er hatte mir das Herz
erquicken können! Als ich aber heran kam, war der Zweig
doch viel höher, als es ausſah. Ich war ganz allein; ein
Bürger kömmt vom Thiergarten her an, mit einem Stock
unter dem Arm, einem grauen Kleide, einem dreieckigen Hut.
„O! mein Herr, Sie ſind doch größer als ich, der Baum iſt
noch ſo ſchön grün, reißen Sie mir wohl ein Blatt ab!“ Der
Mann ſuchte mit großem Antheil das grünſte, gab es mir
recht mit Freude; und als ich mich bedankt hatte, und von
ihm ging, ſah er mich mit großem Vergnügen an; er ſchien
ſich zu freuen, daß Eine mit einem Schanzlöper, und Hut
und Schal an ſo was Vergnügen findet. Ich habe es in
Waſſer geſtellt, und ſchicke es hier mit. —
[362]
— Bei Mad. F. fand ich Raimond. Der hatte von
einem Freund geſprochen, der ſehr gut deklamirte, aber weder
Talma noch irgend einem nachmachte. Ich hatte ihn gebeten,
er möchte ihn bringen, und er brachte dann geſtern Monſieur
Richard. Er ſagte die Scenen, wo Othello vor dem Senat
erzählt, durch welche Künſte er Desdemona bekommen habe.
Da mahlte er ſie ſelbſt ab, anſtatt mit Entzücken, mit Selig-
keit: mit Unglauben und Nichtbegreifen; er machte ihr nach.
Falſch! Dies iſt ſehr franzöſiſch: jedoch auch deutſch. Dann
ſagte er eine Scene, wo Achill von ſeiner Geburt ſpricht, und
was er thun will. Die ſagte er wie ein Götterſohn! und ſchon
mit einer phyſiſchen Löwenkraft. — Nun frug er nach Moliere,
und ich erſchrak, wie er Tartüffe aufſchlug. Zu bekannt!
dacht’ ich: aber ich Eſel dachte nur an den Gang, an den
Plan des Stücks. Er las denn alſo! — Und ich lachte ſo,
wie bei der vollkommenſten Vorſtellung. Wie ich in Iffland
und Langhans in fünf Jahren nicht lachte. Dieſe Vollkom-
menheit iſt aber ſelbſt ſchon zum Lachen! Und Moliere, —
dieſe Sprache! — die hatte ich wieder vergeſſen — dieſe ſpru-
delnde Bewegung, dieſer Witz, der gar keiner mehr iſt; ſon-
dern Leben, die Sache! O! ich bitte dich, goutire den! oder
vielmehr, höre ihn von Franzoſen, und du mußt es. Ich litt
wieder, denn ich gönnte mir es gar nicht! Ein wirkliches fran-
zöſiſches Spektakel. Großmutter, Mann, Frau, Jungfer, Tar-
tüffe, Bräutigam, alles ſpielte er; ſchreien vor Lachen mußte
man: und ohne kraſſes Nachmachen, ganz edle Nüancen, und
doch die ächteſte Komödie! O! hätte ich einen Zeugen, dem du
glaubteſt! hätte es nur Chamiſſo oder Neumann gehört! —
[363] Und ſei nur ſtill! ich dachte wohl vorher an Fichtens Wort
des vorigen Winters: „Sie halten ein Lehrgedicht in Verſen
für ihre beſte Komödie.“ Und fand es doch ſo göttlich! Wort
für Wort! Der Menſch hat großes Talent. — Raimond ſagte
immer, von meinem Lobe ergriffen, und auch vom Meiſter:
„Quelle profonde connaissance du coeur humain!” und es war
ſo wenig die Rede bei Moliere vom coeur humain, als bis
jetzt hier von Bomben. Wie die das nehmen! Und lachen bei
denſelben Stellen. Aber ſie nennen etwas anderes coeur hu-
main. Wie ich Moliere ſo ſehr liebte, erzählte mir Richard
dieſe Anekdote von Piron: Il était au parterre, à voir Tartuffe;
et en fut si charmé qu’il disait toujours, oh! oh! que c’est
beau, divin, charmant! enfin, des interjections; quelqu’un qui
se tenait devant lui, lui dit à la fin: Monsieur, vous oubliez
que vous êtes dans un endroit public et que vous n’êtes pas
seul!” Comment? criait — aber ſchreien muß man — Piron,
insensible! vous n’avez donc point de coeur? vous ne savez
pas que, si cette pièce n’avait pas été faite, elle ne le serait
jamais!” Adieu, beſter Freund, nimm den Brief wie er iſt! Den
ſchicke ich nun wieder heute des grünen Blattes wegen. — Werde
nicht traurig! Man muß ſich ja wenigſtens ſchreiben können! —
An Varnhagen, in Tübingen.
— Wie allein habe ich ſein müſſen! Sieh, ich konnte
nicht einmal einen Freund finden, — du haſt mir in den er-
ſten Tagen unſerer Bekanntſchaft abgefragt, was ich unter
[364] einem Freund verſtünde; und als ich fertig war, ſagteſt du:
dies haben die Alten Freundſchaft genannt; es ſei die antike
Freundſchaft, — und die hohlen Luſtbilder belebte ich alle ſelbſt.
Ein Roland, ein Don Quixote iſt nicht wahrhafter als ich. —
Du wirſt ſchon alles aus meinem Briefe nach dieſer Erinnrung,
und der Kenntniß, die du von mir haſt, ergänzen. Ich ver-
mag nichts zu ſagen. Das Weſentlichſte, bis jetzt unſägliches,
bleibt zurück; das was ich ausſprechen ſoll, das was nur ich
auszuſprechen vermag, kann, wenn es auch Schmerzen nur
erzeugt haben, nur im Glück ausgeſprochen werden; (wenn
es auch oft ſcheinen mag, mein Schmerz ſei beredt.) Im
Glück, oder im Tod. Bis dahin bindet Scham mich noch.
Wahres Unglück ſchämt ſich; habe ich immer geſagt: oder
vielmehr nie; Einmal mir es ſelbſt aufgeſchrieben. —
— Ich wußte geſtern auf einen Moment alle Gründe,
warum es mir ſo gehen muß: und es beruhigte mich ganz
einen Augenblick — immer vermag das der Geiſt über’s Herz.
Und doch werd’ ich den herbſten Wünſchen wieder überliefert,
den größten Wogen des Gemüths! Ich wußt’s auch geſtern
ſchon; und der Wunſch, es möchte doch nicht ſo ſein, und
mir die Helle des Augenblicks bleiben, wie gutes heilſames
Wetter, war mein erſter Wunſch, aus der dunklen Zukunft
im Herzen; da liegt ſie zu ewiger Entfaltung drin! Verzeih
mir! auch dir zeige ich mich ſo ungraziöſe! O! ich verſtehe
es ja ſehr gut, was ſchön iſt, oder nicht: und ſehe auch das,
wenn es auch mich betrifft. Aber ſei nur ruhig und mach
[365] dir keine Sorge! du kennſt mich ja in der Nähe, und da bin
ich beſſer: bequem, leicht und luſtig genug. Auch weißt du,
habe ich ja einen ſtarken Hals, wie ich dir ſchon ſagte, und
wende den Kopf wohl wieder empor, aus dem finſtern Ab-
grund! Eins muß ich dir noch ſagen, was ich geſtern in
meinem Bette dachte, und das zum erſtenmal in meinem Le-
ben. Daß ich mich, als ein Verwandter, und Eleve von
Shakeſpear, von Kindheit an mit dem Tod beſchäftige, kannſt
du glauben. Aber noch nie konnte mich mein Tod rühren;
und auch daran, daß das nicht ſo war, dachte ich nicht.
Geſtern aber, in meinem Bette, dacht’ ich, daß ich dir doch
heute noch ſchreiben wollte; wenn du an das denken wollteſt,
was mir begegnet iſt — da du doch ſo vieles weißt, ſo viel
eigentlich, und nur vieles noch nicht —; ſo ſollſt du auch
denken, daß einen Tag, von dem ich dir ſchon ſprach, mein
Geſchick mir in Folgendem klar vor Augen trat. — — —
Dies dacht’ ich geſtern muß Varnh, wiſſen, wenn er an mich
denken ſoll; und wenn ich todt bin. Mir ſchien, als müſſe
ich ſterben — als ob mein Herz über dieſe Erde wegzog, und
ich würde ihm folgen — und mein Tod that mir nachher
leid: denn noch nie, nun ſah ich es, hatte ich gedacht, daß
er irgend einem Menſchen leid thun würde: von dir wußte
ich es; und es war zum erſtenmal in meinem Leben, daß ich
das dachte; und daß ich wußte, daß ich’s noch nie gedacht
hatte. So einſam habe ich gelebt. Wiſſe es. Ich dachte
auch, wenn ich todt ſein werde, wird Varnh. erſt wiſſen, was
ich für Schmerzen hatte; jedes Schreien wird vergeblich ſein,
meine Geſtalt begegnet ihm in aller Ewigkeit nicht: wegge-
[366] wiſcht bin ich dann, wie der Prinz und Gualtieri. Und nie-
mand kann mir dann wohlthun; mit dem ſtärkſten Willen,
mit der Ausübung der Verzweiflung nicht: dieſer Gedanke an
dich, über mich, war es, der mich endlich rührte. Ich habe
es dir ziemlich ſchreiben können: ich dachte es doch noch ganz
anders; aber ich nahm mir feſt vor, es dir zu ſchreiben; wenn
es dich auch martert. Ich lebe ja, und liebe dich. Ja Varn-
hagen, meine Liebe war hart: überlege es dir. Auf Seligkeit
nicht, weil es meine war, und jeder eine ſolche Liebhaberei
an ſeiner haben muß, eben weil er ſie kennt. Aber du ſollſt
ſie wo möglich ſehen, ihre Gänge nachſpüren, denn ſelten iſt
ſo viel Kraft und ſo viel Schmerz, und dieſe Unbefangenheit!
denn welche Entwicklung ging in jedem Sinn dabei in mir
vor: wem diente, und wen kannte ich nicht dabei, was wußte
ich nicht! Kurz, du ſollſt es wiſſen, weil es reich und ſonderbar
war; und ich eine Seele haben will, ein menſchlich Wrſen! —
Über die Darſtellung der Gegenden denke ich bei weitem an-
ders, als du! Sie darzuſtellen, oder ſie beſchreiben, iſt ſchon
ein unendlicher Unterſchied, und bald muß ein Dichter das eine,
bald das andere. Du z. B. haſt in deinem Dresdener Briefe
die Brücke ganz göttlich beſchreiben, und willſt du je in einem
Gedicht eine Beſchreibung, ſo brauchſt du nie eine beſſere zu
machen. Goethe aber z. B. hat durch ſeinen ganzen Hermann
und Dorothea durch — ohne daß Einer ſo gütig iſt, daran
zu denken — von der erſten Zeile bis zur letzten, ſo genau
eine Gegend, einen Tag, und ſein ganzes Wetter und Schrei-
ten dargeſtellt, daß er ein Element ſeines Gedichts iſt, und wie
ein wahrer Tag, eine wahre Gegend, es machen hilft. Das
[367] weiß ihm meines Wiſſens noch keine gedruckte Zeile Dank.
Wer da nicht die Gegend ſieht, von der Goethe ſpricht, dem
fehlt die Camera obscura, von der Jean Paul ſpricht; und
Goethe hat es ſo eingerichtet, daß ſie wirklich beinahe fehlen
kann, und nur der ſie nicht ſieht, den man etwa zweimal hin-
tereinander an denſelben Ort führen, und ihm einbilden kann,
es ſeien verſchiedene. —
— Ich dachte, Jean Paul wüßte nichts mehr von mir!
und das bischen, was er wiſſen könnte, wäre böſe! Ich ſchrieb
ihm zuletzt über die Weiber, die er immer vorkommen läßt,
und verlangte andere. Das, dacht’ ich, hätte ihn gebiſſen!
nämlich mich für dumm und vorwitzig zu halten. Er iſt aber
ganz gut. Wie du ihn ſchilderſt — dick iſt er alſo jetzt?
Daß ſeine Meinungen ſich ſo biegen, ſteht hell und klar in
ſeiner Äſthetik und Levana, ſchlechte Bücher. Anpochende,
aufhauende Meinungen fürchtet er, und daher imponiren ſie
ihm auch. Und da die letzten grade ſo waren, ſo fügte er ſich
unter, mit zu vieler Liebe, wie ein beſtraftes, fürchtendes Kind.
Dabei iſt ſeine Arbeit ſpinnenartig, und gleich kommt jeder
Vorrath in ſein neueſtes Gewebe. So hat ihn auch die kühne
Richtung der neumodiſchen Empfindſamkeit, nach Altmodiſchem,
als Katholizism u. dgl. erſchreckt; und ſeine kriecht ihr etwas
nach, ihr eignes natürliches Gehege vergeſſend. Der muß ſich
für allein halten, um Original zu bleiben; jedes, viel, alles,
kann er mit dieſer Gabe nicht ergreifen. Sein Traum einer
Wahnwitzigen iſt göttlich, und ſeit recht lange mal wieder
[368] ächt. Wie ſchön gleich geſchrieben! da ſieht man recht, wenn
er ſich verſenken, iſoliren will, was er dann iſt. Umgang mit
noch lebenden Schriftmenſchen, auch nur ihre Bücher, ihre Kri-
tiken nun gar! iſt ihm todtſchädlich. Wie ſo er mich nur für
humoriſtiſch hält! mich dünkt, ich habe nie etwas in ſeiner
Gegenwart geſagt; aber ich weiß ſchon; weil ich ſein Komi-
ſches ſo raſend goutire. Und das weiß er. Dazu gehört
auch Humor. — Als ich grade nach Paris reiſen wollte, ſah
ich in der Jägerſtraße mit Jean Paul aus dem Fenſter und
ſagte ihm: Ich begreife es gar nicht: ich reiſe in acht Tagen;
und ſeit ich meiner Reiſe gewiß bin, werden mir alle die be-
kannteſten Gegenſtände fremd; ich erkenne die Ecke drüben
nicht mehr; ſie iſt mir wie die fremdeſte Straße. Es war
wahr. Er ſagte ganz in ſich gekehrt, und beinahe mit Kopf-
ſchütteln: „das iſt eine große Phantaſie! Sie haben eine
große Phantaſie!“ Wie ſo? ſagte ich! Er ſchwieg aber,
und ich auch, weil es von mir war. Ich verſtand ihn nicht,
und verſtehe noch nicht was er meinte. Denn es war ja ein
Unvermögen und ganz negativ. Meinte er, daß ich mich ſo
los denken konnte, und die neuen Gegenſtände mir ſchon vor-
hielt? Antworte mir! —
Anmerk. Von J. P. Richter finden ſich aus jener frühen Zeit noch
ein paar Briefblättchen vor, die hier ſtehen mögen. Er ſchrieb an Rahel:
1.
Geflügelte! — in jedem Sinn; denn hier hätten Sie noch einige
Wintermonate lang Ihre Reiſeſchwingen zuſammengelegt behalten ſollen.
Mit unbeſchreiblichem Intereſſe hab’ ich einige Ihrer Briefe von Ihrer
Freundin, die ſie ſo ſehr verdient, geleſen; aber mit eben ſo vielem
Schmerz. Sie behandeln das Leben poetiſch, und das Leben daher Sie.
Sie
[369] Sie bringen die hohe Freiheit der Dichtkunſt in die Gebiete der Wirklich-
keit, und wollen die Schönheiten dort, auch als Schönheiten hier wieder-
finden; — aber die poetiſchen Schmerzen ſind, in die Proſa des Lebens
überſetzt, rechte wahre Schmerzen. — Vor der Muſe iſt der Teufel ſchön
und die Parze, aber ſie wohnet nur in uns, und der Teufel ſo oft außer
uns, und hat dann keine milde Beleuchtung.
Leben Sie froh unter einem Volke, das ſie beſſer faſſen werden, als
dieſes Sie.
Schreiben Sie mir, aber kein Brief wird mir gefallen, als der
längſte. —
J. P. F. Richter.
2.
Mit Zuneigung und Freudigkeit hab’ ich Ihren Brief an mich und
Ihr vortreffliches Votivgemählde von Paris geleſen, und mit herzlichen
Wünſchen für Ihre raſche, kräftige, geflügelte Nutur. Mög’ Ihr Herz
nicht verkannt werden, auch nicht von — Ihnen! Mögen die Menſchen,
da Sie oft, glaub’ ich, ohne Orthographie handeln ſo wie ſchreiben, dar-
über den geiſtigen Werth nicht überſehen! — Aber gerade, wenn die Seele
am ſchönſten ſpricht und tönt, wird ſie Andern unſichtbar, wie die Saite
verſchwindet, wenn ſie tönt. — Jedes Blättchen, und noch mehr jedes
Blatt von Ihnen wird mich erfreuen. Friede und Freude ſei mit Ihnen!
Richter.
An Varnhagen, in Tübingen.
Geſtern Abend habe ich den Sigurd geleſen. — Lange,
lange nicht hat mir etwas ſo gefallen! So ſchön kam es mir
vor, ſo feſt, ſo eigen, ſo ächt, ſo ſtill erſonnen, friſch mit Ge-
ſundheit ausgeführt: ſo wenig Überflüſſiges geſagt darin: zu-
ſammenhängend und neu, von einem neuen Menſchen endlich
glücklich gefertigt. Indem ich’s las, freut’ ich mich immer
ſchon des Lobes, und deiner Freude und Zufriedenheit, welches
ich dir aus vollem Herzen ſpenden würde. Seine Runen
kamen mir bis in den innerſten Sinn, mit ihren Reden, und
I. 24
[370] die erſte Geliebte Sigurds, die da nichts traut, und das
Ganze; wie ich nur Lady Macbeth und Einmal Juden die
lange Nacht habe weinen ſehen, ſo mußt’ ich das Buch weg-
legen, und Schleuſen eröffneten ſich innen, laut reden und
ächzen mußt’ ich dabei. Aufgelöſt und geſchloſſen ſchien mir
ganz klar auch mein Leben; — es thut mir gut endlich! —
und das Ganze ſo ſchön! Du kennſt meinen Haß gegen jede
andere, als die olympiſche Mythologie, gegen nordiſche Sa-
gen, Runen u. dgl. und die neue Hoffnung auf die alten
Nebelgötter. Alles das that mir nichts: und dein lieber
Freund, der liebe Fouqué, traf richtig mein doch unbefange-
nes Gemüth! —
— Alle Tage kommt mir das Erbärmliche erbärmlicher
vor: und gar nicht mit Ingrimm, Zorn, oder Wehmuth. Nein,
ganz in Zerſtreuung verloren, wie über eine Sache, die ſo ge-
wöhnlich iſt, daß man ſie zeitlebens ſchon weiß. Meine Lage
bringt es auch mit ſich; ſo paradox dies im Augenblick klingt.
Meine Einſicht iſt ſo tüchtig, meine Weltkenntniß ſo gereift,
daß dieſe beſtätigenden Entdeckungen meinen Geiſt nicht be-
reichern noch ſtutzig machen; mein Gemüth kann nur noch von
Edlem, Ausgezeichnetem, Geiſtvollem und Reichem affizirt
werden: denn vom Schlechten bin ich im Äußern ſo ſehr her-
unter und zurück, als es nur mit mir ging: Neues iſt hier nicht
möglich; und dieſe Lage bleibt nun wohl ohne ungeheure Revo-
lution — im Schlechten — wie ſie iſt. Gutes! Glück, du kannſt
mich entzücken und beſchäftigen; und Einfluß auf mich haben!
[371] Sonſt — iſt es wie es war. — Vormittag war ich im ſchön-
ſten Wetter weit allein in den Straßen ſpaziren. Es wirkte
ſo gut, daß mir luftig in der Seele, hell und klar im Kopf
zu tauſend Gedanken wurde; und ich genoß vom ganzen
Gange ſo recht eigentlich den Genuß. Wie vieles wußte ich
mit einemmale deutlich, was Jahre lang ungeboren als
Schmerz in meiner Seele lag, und nun hervor an der
Sonne, im hellen Bewußtſein, beruhigendes Gut wurde.
Ich empfand den Beſitz der mancherlei Gemüthsreichthümer
recht ſchwelgend, und doch fromm, möchte ich ſagen; denn
meine Freude war nur Freude, und glich einem erwärmend
hellen Lichte. Auch dachte ich über die ganze Maſſe der Men-
ſchenbildung; und ob wohl alle Eſſenz davon, das höchſte
Entzücken edler, reichbegabter Menſchen an einander, und je-
der andere erhellte, erhobene Moment im Leben, das Placken
und den Jammer Aller werth iſt, den es zum Dünger Jahr-
hunderte lang erfordert? Arbeitende Karrende, und ich, brach-
ten mich auf den Gedanken. —
An Varnhagen, in Tübingen.
Dienstag Abend, bald 10 Uhr.
— — Weißt du, warum ich dir beſonders ſchreibe, mein
einziger Vertrauter meiner Gedanken, — wegen Heinſe! Denke
nur nicht, daß ich ſtupid bin! Ich habe mich bloß gröblich
geirrt; und das wieder auf Anſtiften meines Gedächtniſſes!
Wie ich dir ſagte, Ardinghello gefalle mir nicht, meinte ich
24 *
[372] beſtändig ein anderes Buch, deſſen Titel mir nun nicht ein-
fällt; iſt dir ſo etwas vorgekommen? Vorletzte Nacht beſann
ich mich erſt auf den wirklichen Ardinghello, weil ich mir den
göttlichen Briefſteller Heinſe gar nicht mit dem andern Buch
zuſammenreimen konnte. Ich hatte, als ich dir das letztemal
ſchrieb, von den Briefen nur wenige geleſen. Der liebe, liebe
Kerl. Die ſtrotzende Pflanze; der Ehrliche! Warum haſt du
mir das Buch nicht viel heftiger empfohlen? da du doch von
Schlegels Gemähldebeſchreibung ſo eingenommen biſt! Wie
anderer Art ſind die! Heinſe’s. Dem hatte Gott ſeine rich-
tigen fünf Sinne gegeben — und allen ein weites Ge-
ſicht — und dann den köſtlichen, von Muſen und Grazien
bereiteten, von Apoll bewilligten, dazu, der ſie alle zu-
ſammenhält. Ich kann mir wirklich einen gut ausgeſtatteten
Menſchen, einen ſolchen, nicht denken, ohne einen Areopag
von Göttern, die ihm Gaben mitgeben, auf die Erde! Alſo
nicht nur Redensart! Ich wollte dir erſt vieles über das
Buch ſagen: nun ich weiter darin bin, kann ich nur über
ihn ſprechen. Weißt du’s noch? wo nicht, lies es nach!
was er über Rubens ſagt! Beſonders wie er ſo lange von
ihm ſpricht, ohne ihn zu nennen; anfangend: „Es war ein-
mal ein Mann;“ ein Meiſtergeſchichtchen. Goethe, glaubte
ich nur, könne ſo etwas! Und die Beſchreibung der Amazo-
nenſchlacht; der Fall Sanheribs; die Beſchreibung der Ru-
bens’ſchen Landſchaft! er athmet ſie ein, er riecht ſie! Wenn
ich nur Raphaels Johannes in der Wüſte ſehen könnte, das,
glaub’ ich, iſt ſein beſtes Bild; ich habe die berühmteſten in
Paris und Dresden geſehn; aber dieſen Gedanken machte mir
[373] ſchon Forſter in ſeinen Anſichten; und Heinſe giebt mir die-
ſelbe Sehnſucht. Und wie er von meinem beſten Freund, dem
Apoll von Belvedere, ſpricht! den ich nun perſönlich kenne,
und der ganz vertraut mit mir war — dabei mußt du wiſſen
haſſe ich nichts ſo, als über Gemählde ſchreiben; und die
neueren Babler haben es mir gar verekelt. Die ſtimmen ſich
erſt katholiſch, katalogiſch, chronologiſch, papſtmittelaltrig-ge-
ſchichtlich, und dann legen ſie los; zeigen unſern Augen, und
den Griechen, den Platz an; und zeigen dem, der Sinne hat,
welche ihnen fehlen. Sinne, Sinne, die fünf Sinne! Gott,
könnte man doch ſolchen fleißigen, ſtrebenden, ſich allein em-
porbewegenden Manne, wie Heinſe, etwas anthun! Oft habe
ich geweint bei dieſem Buche. Sonſt konnte Preußen ſtolz
ſein: und Friedrich der Zweite wog uns in die Höhe in Eu-
ropa: wir hatten Alle einen Theil an ſeinen Siegen, von und
an ſeiner Einſicht: ich auch! Nichts wär’ ich, bei meiner Ge-
burt, ohne ihn; er gab jeder Pflanze Raum in ſeinem ſonne-
zugelaſſenen Lande. Und eine Ehre war’s, ſich daher zu nen-
nen: und wirklicher Vortheil für Leib und Geiſt. Antworte
mir hierauf nicht. Ardinghello iſt mir nicht mehr in allen
Details gegenwärtig; aber noch ſind mir die Briefe lieber.
Adieu bis morgen.
In Erwartung des italiäniſchen Lehrers.
— Du haſt mir geſchrieben, ich möchte dir etwas über deine
Gedichte ſagen, über die, die du noch von Dresden ſchickteſt. Ich
habe ſie noch nicht wieder nachgeſehen: ich werde es aber thun;
und was ich nun ſage, bezieht ſich im geringſten nicht beſonders
[374] auf ſie: denn ich weiß nichts von ihnen in dieſem Augenblick.
Heinſe aber, und ſein foyer in ſich, macht mich natürlich an
junge [Schriftſteller] denken; und an meinen liebſten. Seine
wirklichſte Geſtaltung, und den Platz, den er einnimmt, als der
Menſch, als welchen er ſich zeigt, und da iſt; und dadurch, als
Schriftſteller: dies iſt er doch nur, und verdankt er ſich und wir
ihm, dadurch, daß er ſich ſelbſt glaubt: und keinem Andern. Auf
ſeine Kräfte und die Zuſammenſtellung ſeiner Gaben kommt es
nicht an; dies macht ihn nur ärmer oder reicher. Aber jedes,
was er aufnimmt, von der geringſten Senſation an in ſich, bis
zum größten Aufruhr; von der oberflächlichſten Wahrnehmung,
bis zu ſeinem ſtrengſten Denken; hat er ſich ſelbſt zuſammen-
getragen; und nichts Vorgefundenes von den größten Mei-
ſtern nimmt er in ſich auf, ohne es bis zu ſeinem Blute, mit
neuer Inſekten- oder Löwenarbeit, zu verwandeln. So ſcheint
mir der Menſch aus ſeinen Briefen; ſeine Arbeiten kenne ich
nicht. Das Eigene, Herz und inneres Leben Anſprechende,
was er ſelbſt hat, müſſen ſie immer haben. Dieſer Menſch
nun bringt mich wieder auf den Gedanken, den ich ſeit kur-
zem für dich habe: ſeit deinen Klagen, deiner Angſt über dein
Talent; ſeit deinem Entſchluß über dein Studium. Frei mußt
du ſein: und innerlich noch freier. Laß dich ganz gehen,
wenn du arbeiteſt — dichteſt — denk’ an keinen Freund; an
kein Muſter, an die größten Meiſter nicht — als um zu ver-
meiden — an kein Drucken; an nichts! Folge deinem inner-
ſten, ſüßeſten Hange; ſtelle dich dar: alles was du ſiehſt,
und ſo wie du’s ſiehſt. Was dir das Liebſte, das Schreck-
lichſte, das Peinlichſte, das Heimlichſte, das Verführeriſcheſte
[375] iſt, das kehre hervor mit deinen göttlichen Worten. Nennen
kann ich es noch nicht: aber du haſt ein einziges Talent.
Warum verſtehſt du die unverſtändlichſten Zuſtände und Re-
gungen in dir, die wetterartigſten, mir, in farbenreichen, hel-
len, hervorſpringenden, immer ſchön- und kunſtreichen Wor-
ten darzuſtellen. So behandle Welt, Publikum, Papier, wenn
du dichteſt. Ich bin’s gewiß, dann wird’s einzig gut. Nur
dies ehrſt, vergötterſt du, die Welt, und ich, in Goethe,
Shakeſpeare, Cervantes, und in allen Großen; daß es ſich
darſtellt; noch Einmal wie es die Natur that; je reicher, je
mehr Welt darin enthalten! und dann irren die ſchwachen
Leſer und Seher; und denken, es iſt nur die Welt, die dar-
geſtellt iſt. Mit nichten! Schwache Nachahmer vergeſſen
aber ſich; und wollen eine Welt ohne ſich darſtellen. Solche
giebt es nicht! Jeder ſicht mit ſeinen Augen, lebt mit ſeinen
Sinnen eine Phyſionomie hinein. Ich weiß, hiervon biſt du
durchdrungen; und haſt mir, ich beſinne mich nur nicht, wo
und wie, was Ähnliches geſagt. Du haſt eine ſolche Einſicht
in dein Weſen, welche vielleicht noch nie ein Menſch deiner
Art, und wie du dich ſchilderſt und findeſt, gehabt hat: du
biſt ſo ehrlich, mit Anlagen es nicht zu ſein; daß es ein Wun-
der — nicht moraliſch genommen — iſt. Dies allein muß
dein Talent originaliſiren auf eine Weiſe, wie es vielleicht
noch nie geſchah, und ſchaſſen, wie es noch nie keins gab.
Denn dazu gehören beſtimmte Talente; beſtimmte Akkorde
von Gaben. Dieſe Überzeugung raubt mir nichts! denn ich
ſehe es, wie ich dein Geſicht ſehe. Auch hierin iſt nicht
Stärke und abgeſondertes Weſen auf die gewöhnliche Weiſe
[376] dargethan: und wie es iſt, erhebt es ſich über ſich ſelbſt;
und eine neue Stärke geht aus ihm hervor, ein neuer Zu-
ſammenhang; beinah ohne Anlage dazu. Das giebt dir dei-
nen Reiz: denn dies iſt dein Eigenſtes: dies macht dich zu
Varnhagen unter den Menſchen: dies, wiſſen ſie’s auch nicht
zu nennen, ſehen ſie alle; dies und die natürliche Sanftheit,
aus deiner erſten Natur entſpringend, macht es pikant und
beruhigend zugleich. Nur im Aufruhr dieſer deiner zwei Na-
turen, weicht alle Ruhe. — — Aber wirſt du Herr dieſer
beiden Naturen; ſo entſteht eine neue Frucht auf der Erde.
Die liebe ich ja ſo! und kannſt du ſie als Künſtler wieder
nachahmen; neue, ſchöne Kunſtſtücke. Stücke der Kunſt: ich
weiß nicht, ob es Werke werden. Kannſt du mich wohl ver-
ſtehen, Lieber, wie ich mich ausgedrückt habe? Ganz ſchlecht
iſt es nicht. Geſehen iſt es gut. Liebe, rechtes Durchdringen,
gehört zum Sehen und Erkennen. — Ich wollte dir nur recht
anrathen, mein geliebter Freund, und liebes Kind, recht du
ſelbſt zu ſein; recht in Üppigkeit und Schwelgerei zu arbeiten,
dich recht auf dich ſelbſt zu beſinnen; und zu machen, als
warſt du allein auf der Welt; wenigſtens als ſprächeſt du
eine Sprache für dich allein, und müßteſt erſt erwarten, ob
welche kommen, die ſie auch ſprechen. Wie ſoll ich es dir
nur ausdrücken?! Das wird dich nicht vom Verkehr mit
allen lebenden Schreibern und Schriften ſcheiden: im Gegen-
theil, dir wird immer mehr zu- und unter die Hände fallen;
aber greife und behandle es ganz nach deiner Art. O! ich
ſeh’ im Geiſte, welche Art von Werken du liefern könnteſt,
und habe nicht einmal das Talent, es auszuſprechen. — Ich
[377] lege dir ein kleines Blättchen ein, was Heinſe über die ſchwei-
zeriſchen Landtänze ſagt: natürlich habe ich nie welche ge-
ſehen; aber ich weiß doch, daß es ſo wahr iſt: wie man es
an guten Portraiten ſieht, daß ſie ähnlich ſind, ohne je die
Menſchen geſehen zu haben, die ſie vorſtellen. Rembrandt
hat ſolche in der Pariſer Galerie! und wie ſchön, wie perlen-
artig abgeſondert hervorſprudelnd, wie wenig bedacht die lie-
ben Worte, mit denen er es erzählt! — —
Heute kommen unſere Truppen herein: jetzt. Die Offi-
ziere — dreihundert Kouverte — ſpeiſt die Stadt im Komö-
dienſaale; der erſte Rang iſt für die Offiziere genommen,
übrigens iſt Freikomödie, Harlekin und ein unbedeutendes
Stück. Die ganze Stadt iſt hin, um ſie zu ſehen: ich
nicht. Den ganzen Morgen hab’ ich häufige, bittere Thrä-
nen der Rührung und Kränkung geweint! O! Ich habe es
nie gewußt, daß ich mein Land ſo liebe! Wie Einer, der durch
Phyſik den Werth des Bluts etwa nicht kennt; wenn man’s
ihm abzieht, wird er doch hinſtürzen. Ich kann aus losge-
laſſenem Schmerz nicht hingehn, jeder Reitknecht mit preußi-
ſchen Pferden, der vorbeigeht, pumpt mir einen Strom von
Thränen ab. Ich ſprach laut im heftigſten Schluchzen zu
meines Freundes Büſte. Ja, ich bin von meinem Lande ge-
nährt und erzogen; und denke, ich bin doch modifizirt über
alles, wie die Beſten darin; dies wäre mir in jedem Lande
geſchehen: aber ich habe ja in meinem gelebt; ſehen, und den-
ken, und Antheik nehmen lernen: und wahrlich, ein jeder war
[378] hier geſchützt: und das fühlte ich immer. Was mich unaus-
ſprechlich kränkte dieſe Woche, war, daß mir ein preußiſcher
Militair begegnete, dem Jungen nachliefen, und alle Men-
ſchen nachſahen; und auch ich wußte nicht, ob es ein Offizier,
ein Unteroffizier, oder ein Soldat war! Vielleicht kannſt du
noch nicht fühlen, was das heißt — für einen Berliner, un-
ter Friedrich dem Zweiten zum Theil erzogen. Wie ein
Schweizer Berge kennt, ein Franzoſe Höflichkeit übt, ein Eng-
länder von ſeinem Parlamente weiß, ſo wußte hier bis auf
die albernſte Demoiſelle jeder, was gut marſchiren, aufſitzen
u. dgl. war. Ohne zu wiſſen, daß ſie es wiſſen. Und nun
ſchloß ich nur, es ſei ein Preuße; und erkannte den Grad
nicht mehr! Nun aber kein Wort mehr! und ich beſchwöre
dich auch, mir nichts über Politik zu antworten. — Mein
Kopf iſt ganz angegriffen, ſo beſchäftigt mich der Welt Lauf.
Borniren thut mich mein Land doch nicht; was Närriſches
drin vorgeht, ärgert und frappirt mich genug, und die große
Weltbewegung und die Kadavergeſtalten, die ſie verdrängen
muß, ergötzt mich doch! Gott wie himmliſch ſchön ſieht in
dieſem Augenblick meine lange breite Straße aus, dicker
Schnee, heller Sonnenſchein, und Ein dicker Strom Men-
ſchen ſtrömt durch, ſo weit man ſehen kann, du weißt wie
weit, von den Soldaten zurückkommend! Und denke dir meine
abgelegene Gegend, eine Meile. Vom Bernauer Thor kom-
men ſie. O! Könnteſt du die mahleriſch ſchöne Straße ſehen.
Die ſchöne, wirklich ſchöne Stadt. Alle Franzofen ſagten
es auch. Ich hatte nicht geglaubt, daß noch ſo viel Kutſchen
in der Stadt wären. Der Lärm! O! wärſt du hier! Ich
[379] thue nichts, als vom Fenſter nach meinem Brief laufen; und
weinen. Von weitem nach der Mohrenſtraße marſchiren jetzt
welche. So viel Pelze und Damen glaub’ ich ſind in der
Welt nicht. — Nun habe ich welche geſehn, ein Trupp ging
hier vorbei; ſie ſahen gut aus. Wie Franzoſen; ſehr gut:
und wie aus dem Krieg; und doch wohlbehalten. — — Ich
komme von Mama! Ich habe mich geirrt, Freikomödie iſt
nicht; aber die Ränge ſind in Beſchlag genommen. Lies doch
die Zeitungen, da ſteht alles drin. Adieu! — —
Die Stelle aus Heinſe von dem Schweizertanz in Unter-
walden: der ihn zwei Stunden inniglich ergötzt hat: „Ihr
Tanz iſt das ernſthafteſte, feierlichſte Zittern der Luſt in allen
Weſen, das bis zur Angſt geht, beſonders bei den Manns-
leuten. Alle ihre Bewegungen und Tritte und Schwenkun-
gen ſind ſehr freiwillig, und hangen viel von jedem ab. Das
Jauchzen dazwiſchen, das einem wiehernden Gegirre gleicht,
macht es vollkommen zu einem erlaubten öffentlichen Vorſpiel
von Hochzeit.“ — „Wiehernden Gegirre“, iſt das nicht wie
in einem Portrait? Unterſteht ſich ein Mahler, fällt es ihm
ein, in einem erſonnenen Geſichte ſolche Disparate anzubrin-
gen, wie ſie in der Natur wohl da ſind, für die, welche ſie
ſehen? So ſchön mahlt er auch Lavater: ich habe nie eine Zeile
von ihm geleſen, und bin überzeugt von der Ähnlichkeit.
An Varnhagen, in Tübingen.
— — Siehſt du, daß du ein andres Leben haben mußt,
und nicht in öder, geſellſchaftloſer Stadt ein Bücherleben ſüh-
[380] ren kannſt? Es haben nicht alle Menſchen Handlangergeiſter,
und können in Büchern ſtöbern in dem ganzen langen Tag
— meine Dinte geht ſchon wieder gar nicht! — von allen
Göttern bereitet; eine Art Ruhm zuſammen zu tragen, von
dem ſie ſich nachher nähren, wie Würmer von Staub; ohne
Saft, Licht, Sonne, Farbe, Luft und Waſſer. Schelte dich
nicht! Sich Widerſprechendes kann der kleine, kleine Menſch
nicht: klein iſt er ſehr, ganz klein! Du vermagſt zu leben,
und das Leben zu ſehen; haſt ein Talent, auszudrücken was
du geſehen haſt; und mehrere; und kannſt, lebend mit Men-
ſchen, Luft, Farben und Freiheit, noch vieles geſchwind lernen.
Verzage nicht ſo leicht. —
— Die berühmten Römerinnen ſind es recht umſonſt.
Gerechter Gott, was iſt es leicht und natürlich, ſein Vater-
land zu lieben, wenn es einen nur ein bischen wiederliebt!
Man thut es ja ſchon ohne Gegenliebe. Ich will gar nicht
mehr unglücklich ſein, und viel Armuth ſtill ertragen, wenn
ich nur daran denke, daß unſere Soldaten keine Prügel mehr
bekommen. Der Magiſtrat hatte ihnen Röcke entgegenge-
ſchickt; tauſend ſchöne Züge von Eintracht und Einſicht und
ſchnell geheilter Thorheit gehen hier vor; ich weiß aber nicht,
welche heilſam ſind der Poſt zu vertrauen, und welche nicht.
Könnt’ ich doch nur nach meinem Tode mein Land glücklich
ſehen! Das wäre Exiſtenz genug! Scharf iſt den Soldaten
Artigkeit anbefohlen, und wird auch geübt: doch laufen noch
rohe Geſchichten mit unter. Ein Kaufmann hier — der
Name iſt mir nur entfallen — bekam vier Gemeine von den
Huſaren zur Einquartirung — wir haben jetzt unſere eignen
[381] Truppen für’s erſte mit Wohnung, Licht und Holz zu ver-
ſorgen — ein Lieutenant ohne Billet kam mit und blieb; der
Wirth ließ ihm höflich andeuten, daß er auf ſein Haus kein
Billet habe; der Lieutenant aber ward murrend und ging nicht;
die Wirthin kam, es ihm höflich auseinanderzuſetzen, daß er
nicht bleiben könne, er widerſprach ihr, und blieb; nun kam
der Mann, und ſagte es ihm nachdrücklicher, worauf der
Menſch denn endlich ſagte, ſie könnten thun, was ſie wollten,
aber ſie würden es ſchon ſehen, er ginge nun, da er einmal da
wäre, nicht weg; und ſo ſtürzt er dem Vater in die Arme.
Es war ihr ſeit zwei Jahren todtgeglaubtes Kind: Schlittſchuh
zu laufen, war er ausgegangen, und nicht wieder zurückge-
kommen. Sie hatten Trauer um ihn getragen; er aber war
nach Kolberg gegangen, hatte ſich anwerben zu laſſen; und ſo
hat er ſich zum Lieutenant geſchlagen. Nun wurden aber die
Eltern böſe, daß er ſie in Gram und Angſt gelaſſen hätte:
er aber ſagte, das habe er müſſen, wegen des Augenblicks,
den er nun erlebt habe. Iſt das nicht eine ſchöne Geſchichte? —
— Ich habe vorgeſtern Nachmittag, mitten in den Hein-
ſe’ſchen Briefen, ein berühmtes, oder doch vielmehr nur ein
jetzt viel beſprochenes Buch, ganz geſchwind geleſen; weil man
es mir ſchickte, ich hinein ſah, immer das Intereſſe ſuchte, und
ſo wohl beinah ein Viertel las, und es ſo ſchlecht fand, daß
ich es ſchnell durchzuſehen beſchloß. Dies Buch, Jacopo Ortis,
aus dem Italiäniſchen überſetzt, hat mir Italien ordentlich
verdorben. Als hätte ein Müßiggänger einem eine ſchlechte
Figur in eine himmliſch ſtille Ausſicht hineingekleckſt. Solches
nordiſches, armſeliges Brüten hätte ich nie hinter den Alpen
[382] vermuthet; und eh’ ich erfahren hatte, daß es wirklich ein
Welſcher geſchrieben, glaubte ich ein Deutſcher hätte es dort
gethan, und ein anderer habe es überſetzt. Vaterlandsliebe,
und verliebte Liebe, ſpielen da ſolche abgeſchmackte leidende
Rollen, heben ſich gegenſeitig auf, aber nicht empor, daß
einem ſo matt wird, als dem Jacopo — ſchon der Name! —
ſelbſt. Einem Vater werden da drei bis vier Perſonen geopfert,
der nicht drei Sous werth iſt, und den der Verfaſſer noch
loben zu müſſen glaubt. Kurz, ein ſehr ſchlechtes und ſchlecht
konzipirtes, unangenehmes Buch. Da aber die häßliche Ge-
ſchichte wahr ſein ſoll, ſo ſtirbt doch Einer ſo natürlich am
Ende, daß der Tod mir mich ſelbſt zu packen ſchien; und da
dacht’ ich an die Lieben mit Sehnſucht! —
— Mir ſagt’s heute, und heute wie ein Augure, mein
krankes, geängſtigtes Herz. Ja, es iſt krank. — Verzeihe
meine Angſt meiner verſtrickten Seele! — alles ſchlägt mir
fehl, alles in der Welt, außer du. Und der Winter, meine
wirkliche — und auch außen wirklich gewordene — Einſam-
keit, mein feines Nervenſpiel — ach, ſo wie es mich erhöht,
und erhellt, kann es mich ſehr elend, in gräuelvolle Abgründe
ſtürzen machen. Meinem Geiſt, meiner Einbildungskraft iſt
alles möglich, ach! und meine Erfahrung widerſpricht ihnen
in nichts. Das bischen von den Menſchen angenommene phy-
ſiſche Möglichkeit, iſt mir auch nichts. Laß dich nicht traurig
machen! Aber wenn Dolche auf mich gezückt wären, Kano-
nen ihre Rachen gegen mich blökten, ich würde hinfallen, aber
nicht anders ſprechen können. Das Ungewiſſe tödtet mich.
Ich muß Freiheit haben und Gewißheit. So war ich immer;
[383] und eine lebenslängliche Verheimlichung, Unterdrückung dieſes
Bedürfniſſes, des innerſten Seins, dieſes Bluts-Nerven-Denk-
und Geiſtesverhältniſſes, hat es nicht geändert, getödtet: nein!
ausgewachſen iſt es, zum mich tödtenden Leben-Giganten iſt
es geworden! Fürchte dich nicht! Ich werde mich beſänftigen.
Aber wie ein ſchwarzer, dicker, tiefer Höllenfluß wogt’s ſchmerz-
haft drückend in mir herauf; keine Welle noch zu unterſchei-
den, daß des Geiſtes- oder das Sonnenlicht andere Bilder in
ihnen ſpiegeln könnte! Furcht wird’s, reine Furcht! —
Was du mir über den Meiſter geſchickt haſt, hat mich
ganz beſonders gefreut. — Das ganze Buch iſt für mich nur
ein Gewächs, um den Kern als Text herumgewachſen, der im
Buche ſelbſt vorkommt, und ſo lautet: „O wie ſonderbar iſt
es, daß dem Menſchen nicht allein ſo manches Unmögliche,
ſondern auch ſo manches Mögliche verſagt iſt!“ Du kennſt
die Stelle von mir. Und dann die andre, daß dem Menſchen
jeder Strich Erde, Fluß und alles genommen iſt. Mit einem
Zauberſchlage hat Goethe durch dies Buch die ganze Proſa
unſers infamen, kleinen Lebens feſtgehalten, und uns noch
anſtändig genug vorgehalten. Daran hielten wir, als er uns
ſchilderte; und an Theater mußte er, an Kunſt, und auch an
Schwindelei den Bürger verweiſen, der ſein Elend fühlte, und
ſich nicht mit Werther tödten wollte. Den Adel wie er iſt,
und der den Andern als Arena — ich weiß das Wort jetzt nicht
— vorſchwebt, als wo ſie hin wollen, zeigt er beiläufig, gut
und ſchlecht, wie es fällt. Dann bleibt noch die Liebe; und
[384] darüber iſt die gedrängteſte Bemerkung die, welche ich an-
führte, und wo ſich Geſchichten darum bis zur Niedrigkeit und
bis zur Tragik bewegen; die Menſchen treffen ſich nicht; Vor-
urtheil, wenn ſie ſich getroffen haben, trennt ſie, der Harfner,
Aurelia u. ſ. w. und da der Menſch hier nichts begreift, weil
ihm die andre Hälfte, wozu dies Irrſpiel gehören mag, fehlt,
ſo bricht Meiſter und Goethe in die Betrachtung aus, daß
unſer Mögliches hier, was wir dafür halten, auch mit Ket-
ten gehalten ſein mag, an Pilaſtern, die auf andern Welten
ruhen, die wir nicht kennen; unterdeß bewegen ſich aber die
Menſchen, und dies trägt er uns in ſeinem Buche wie in
einem Spiegel vor. Verzeih, und ſieh die entſetzliche Eil! —
Künftig einmal über jedes Wort!
— Mir fällt aber immer ein, was Goethe’s Carlos dem
Clavigo ſagt, nämlich, es ſei nichts Erbärmlicheres als ein
Menſch zwiſchen zwei Empfindungen, von denen er keiner
ganz angehört; anderes, als dieſer muſenvergeſſene Menſch
weiß ich auch nichts. Könnt’ ich verhindern, daß dieſer Brief
in der rauhen Entfernung kein Leid machte! Vergeblich! Es
entwickelt ſich Stufe vor Stufe, Folge aus Folge: und das
Reich des Herzens und die andern Reiche ſcheinen ohne Zu-
ſammenhang. Glück hat der, dem dieſer Folgengang wohl-
thut, Unglück der, dem er weh thut. —
Nun hab’ ich geweint; und es iſt mir in der That, als
ſei ein Tropfen gelöſet von dem finſtern Strome tief in mir;
ein Tropfen, nicht mehr! Ich habe in Heinſe’s Briefſammlung
geleſen.
[385] geleſen. Es ging ihnen wie uns. Man ſollte ſich nicht tren-
nen! Drei ſind ſchon todt: Gleim, und Heinſe und Forſter.
Sie wollten ſich immer ſehn. Sie waren Männer; Gleim
ſchon, wo ich jetzt leſe, neunundſechszig Jahre alt; Müller
ſechsunddreißig, und wie ſehnſüchtig, wie lebendig-feurig ihr
Wunſch, ſich zu ſehen; und immer zunehmender. Auch ſie
intereſſirte Europa, und was für Menſchen darin geſchehen
ſollte, ſo lebhaft! Wie ſie riethen und kombinirten! Vom
Fürſtenbund, von Joſeph, von Friedrich Wilhelm, vom da-
maligen Koadjutor Dalberg, von allen Gelehrten, ihren Wer-
ken, den Kriegen; wie wahr, wie wahrſcheinlich ſah alles aus;
wie jetzt! Ihre Herzen ſchlugen in unſäglicher Unruhe von
Wunſchesſtürmen in ihrer Bruſt, wie unſere! auch wir wiſſen
nichts; und können nur leben: und thun’s nicht; wie ſie.
Einige wenige und zwanzig Jahre haben kluge Leute zu Nar-
ren gemacht; und die uns preisgegebene erſte Sandfläche der
Erde ſcheint wirklich verändert. O! wie weint’ ich über ihre
Liebe: mit welcher Leidenſchaft empfand ich ihre Sehnſucht,
ihre ſtürmenden Wünſche mit! Ich hatte es nöthig, o Gott!
auch ohne Gegenſtand müßt’ ich ewig fortlieben! Nun ſeh’
ich es; es ſind die geiſtigen Schläge meines Herzens, aber
alle Herzen ſind nicht ſo: das habe ich erſt heute in meinem
Kopfe erfahren. Den Unterſchied habe ich in tauſend Schmer-
zen erlebt; auch gefühlt; aber nie genannt, und in meinem
Geiſte aufgeſtellt. Der mir ſo ſehr bekannte Johannes Müller
iſt mir doch lieb geworden: man liebt ſo zärtlich, ängſtlich,
ehrenvoll keinen neunundſechszigjährigen Mann, wenn man
nicht wacker iſt: und aufhören kann das auch nicht. Und
I. 25
[386] nun iſt es mir wieder lieb, daß er in Kaſſel, in einem ſich
zurecht rückenden Staate, iſt! Es geht zwar karg mit ihm
her, und man ſieht ſelten ſein Gemüth in reichen Bewegun-
gen: aber er ſpricht wohl nur nicht davon; und geht einen
andern Weg- (wozu ich die Veranlaſſung in ſeiner Seele und
eigentlichen Geſchichte wohl auffinden möchte;) aber ein-
zelne und auch ſehr ſchön ausgedrückte Äußerungen ſind mir
unumſtößliche Beweiſe, und bürgen mir für die ſchönſten Re-
gungen in ihm. In ſeinen körperlichen Anlagen iſt gewiß
das Weſentlichſte und die Wurzel von vielem zu ſuchen; aber
dem früh ſich entwickelnden Geiſte muß doch auch auf die
Spur zu kommen ſein, und das möchte ich. Wüßt’ ich nur
mehr von ihm, ich wollte ſchon! Auch geleſen habe ich nur
Schlechteres von ihm, und beinahe nichts.
An Meritz Robert, in Hamburg.
Hier haſt du einen Brief, den dir die arme alte Frau-
ſchon den Sonnabend geſchrieben hat. Als ich deinen Brief
bei ihr bekam und auch las, mußt’ ich ſo ungezähmt lachen,
daß ich ihr vieles verlas. Sie lachte auch ſehr: und iſt ſehr
froh, daß du vergnügt biſt; ſie hatte mir aufgetragen dir zu
ſagen, daß ſie ſich ein Vergnügen draus macht, dir die Hem-
den zu verehren; hat es dir aber indeſſen ſelbſt geſchrieben.
Ich kann dir verſichern, daß ich gar nicht lache, und dein Brief
eine Komödie (Kommedje, wie die Juden auf der Gaſſe ſagten)
für mich war. Ich dächte, du könnteſt es den wenigen Wor-
[387] ten, die ich dir geſchrieben habe, anleſen, wie ich lebe; da du
mich aber fragſt, ſo ſei es dir geſagt. Übernatürlich ſchlecht.
Mama weiß ich in einem düſtern, ruppigen, unbequemen chez-
elle; ohne Geſellſchaft, ohne Genuß, ganz das bischen Glanz
und Zuſammenhang und Wohlhabenheit weg; und mit Ver-
druß genug! im erbarmungswürdigſten Geiz, faſt allein exiſti-
rend, alſo die iſt mir für die Einſamkeit, in welcher ich lebe,
und ſo ungerecht, und ſo zwecklos, und mit ſo vielem Verdruß,
und mit ſo vieler Kränkung, bin hineingeſtoßen worden, kein
Erſatz. Im bitterſten Gegentheil, eine heimlich drückende Sorge,
eine immer ſich erneuernde Kränkung mehr. Ich muß mir
einen Bedienten halten, und tauſend Kleinigkeiten; und lebe
theuer und ſchlecht, und bin dabei in meinem alten Neſte, und
kein neuer Gegenſtand erquickt mir die Sinne; dabei bin ich
viel krank dieſen Winter, und immer wenigſtens kränklich,
viel allein, oder mit abgetragenen, eben ſo unglücklich geiſtlo-
ſen armen Bekannten. Niemals in Geſellſchaft, niemals im
Theater, nie zu Wagen; Talglichte; und Branntwein anſtatt
eau de Cologne. Bis Oſtern habe ich nur mein Quartier, wel-
ches bequem für meine Vermögensumſtände iſt (zwar habe
ich es nicht zurecht machen laſſen; und die Möbel die du mir
kennſt), aber zu hoch für mich zu ſteigen, und um ein Bad
zu nehmen; das Haus mir verhaßt; wegen Lärm, und alles.
Die Jägerſtraße und jede ordentliche Familien-Einrichtung
iſt mir nicht nur ein Stich, ſondern Hiebe in’s Herz. Alſo
bis Oſtern kann ich nur in Berlin bleiben, dann will ich nach
Wien: und erlaubt es der Krieg nicht, nach Paris. Allein
bin ich allenthalben, und reicher hier auch nicht. Ich kann
25 *
[388] vor Gottes Thron ſchwören, daß ich nie für Ohr, Auge, Geiſt
oder Herz, auch nur das mäßigſte Angenehme gewahre. Dies
iſt mein niedertrachtvolles Leben! nun iſt es reif. Die Karak-
tere, das nothwendig erfolgende immer ärgere Spiel derſelben,
mag dir entfallen ſein, und entfällt einem vor dem Thore ſchon
immer......
Über deinen Brief habe ich gelacht, und das iſt mir noch
lieb, und ein Troſt. Ich muß den Sommer von Berlin. Ich
habe es vorigen Sommer mit einem lauten heiligen Fluch in
den Himmel hinein geſchworen, und breche den Fluch nicht.
An ſich ſelbſt muß man glauben können. Du kennſt unſere
ſelbſtgezeugten Vorurtheile. Robert reiſt in weniger Zeit mit
dem Baron Drieberg nach Wien, und will zum Frühjahr wie-
der hier ſein. Ich habe keine Idee wie ich fortkomme, aber
ich muß fort; aber wie ich hier bleiben könnte, das weiß ich
auch nicht. Ohne Quartier in noch aus der Stadt. Ohne
Geld mir irgend ein agrément ſchaffen zu können, ohne Be-
kannte zu irgend einer Promenade, weder die Gute, noch Nette,
noch die Schwägerin wirſt du mir doch zu rechnen erlauben.
Mlle. Bauer reiſt auch weg, die ſitzt jetzt bei mir und näht
das Weihnachtsgeſchenk, was Hanne ihrer Mutter macht, eine
kleine Tiſchdecke, fertig. „Der jüngſte Bruder hätte weg-
bleiben können?“ eben wollte ich ſagen, ich hätte beim Aus-
ziehen aus dem Bauche, einen Schaden anrichten ſollen, aber
da fielſt du mir ein. Meine tiefſte Kränkung iſt, daß wenig
Menſchen ſo viel Talent zu leben haben als ich, und zum
lachen, und daß ich und das ſchöne Geſchenk in Schmerz un-
tergehen müſſen. Ich könnte mich göttlich amüſiren. Daran
[389] erkenne ich dich, daß dich die G. entzückt. Wir ſind umge-
kehrt, wie das andere Schund-Krop. (Gentz nannte ſie Alle
kurzweg Schund, mir iſt das nicht genug). Die Sauzähne
prahlen ſich immer was vor mit ihrer Liebe und Sanftheit;
und eine Makrone, ein Hecht, ein Schlitten, ein Epaulet, ein
Vers, eine Loge, ein Kreuzer iſt ihnen lieber als ihr Gegen-
ſtand, und ihre eigenen Herzen: und wir ſchimpfen und ſchim-
pfen, und ſind gefangen. Du Eſel nun ganz beſonders. Durch
bloßes Zuhören und Zulachen, und durch die Stube, durch
Eſſen. Bequemlichkeit: und unbewußt, durch was das andere
Krop Liebe nennt. Veit rangirt ſich ganz richtig. Das ſind
ja alle unſichere Menſchen, die ſich eine Moral von außen,
und nach ihr, ein ſolches Schickt-ſich ſchaffen; die mit von
uns ſeit zehn Jahren verlaſſenen Dingen ſich balgen; und
denken nun haben ſie etwas Würdiges, weil auch in Journa-
len davon geplaudert wird, und nennen unſere alten von uns
angeekelte (und wir wegen ihnen bitter verſchrieen) Schau-
ſpieler Künſtler, und ſaugen Ennui für Ergötzlichkeit ein. So
macht’s jetzt hier das ganze Neſt; was blaffte, als die noch
jung und reizend waren, die ich damals ſah, und die jetzt
Runzeln in Seel’ und Körper haben, aber geheimräthlich thun.
Der arme Veit, der ſollte mit ſeinem bischen gerettetem Ver-
ſtandesvermögen der Natur einen Prozeß machen, und ſich
ſeine Sinne herausſchaffen! anſtatt die armen Kunden mit
Lapin’ſchen Anekdoten zu morden. Adieu, ſchreib mir! R.
[390]
An Varnhagen, in Tübingen.
— Ich habe in keinem Ereigniß Glück. Bin ich glücklich,
ſo kommt’s von meinem innern Reichthum; und daß ich nie
Unwürdiges wählte, und alſo frei bin. Bis jetzt nun habe
ich unter den Ausſpizien, im ſtrengſten Verſtande, unter den
Flügeln von Friedrich dem Zweiten gelebt. Jeden Genuß,
von außen her, jedes Gut, jeden Vortheil, jede Bekanntſchaft,
kann ich von ſeinem Einfluß herleiten: dieſer iſt über meinem
Haupte zerſprengt: ich fühle es beſonders ſchwer! Sein eigener
Geiſt — und grade weil er meinem ſo unähnlich iſt, will ich
ihm blind gehorchen, und nicht aus meinem Geiſte Elend
weiter ſpinnen — befiehlt ſchnell eine kühne Wahl; auch er
hätte ſich ſchnell entſchloſſen, ich folge ſeinem Winke! —
An Varnhagen, in Tübingen.
— Armer! Möchte ich zu dir ſagen, der nichts in ſeiner
Seele feſthalten kann! wie du es ſelbſt beſchreibſt. Aber viel-
leicht verlangſt du zu viel von dir: und es iſt mit allen Men-
ſchen ſo! Ich für mich weiß nichts mehr zu ſagen. Wenn
du mich liebſt, wird es ſich finden: ich kann nicht mehr ringen.
Mit und um nichts: und ein errungen Glück ekelte mich von
je. Frag dich ſelbſt, ob ich dich genug liebe; ob ich ehrlich,
und brauchbar zum Umgang bin. Und lebe wohl! die Nacht
ſinkt. Ich umarme dich. — Die Konſkription kommt hier gar
[391] nicht zu Stande, ſo viel Menſchen laſſen ſich anwerben: die
wohlerzogenſten; Juden und alles; ach! es möchte jeder den
alten Ruhm wieder aus der Erde graben. Wie die seigneurs
ſehen unſere Soldaten aus: höflich, comme il faut: wie die
Franzoſen. Sie bekommen keine Schläge mehr!! —
An Varnhagen, in Tübingen.
Drei Poſttage ſind vergangen, ohne daß ich dir ſchrieb:
auch habe ich in dreien keinen Brief von dir erhalten: und
es iſt mir, als ſchrieben wir uns gar nicht mehr. So fremd
iſt mir das! So viel Affekte ſind in der Zeit durch meine
Seele gegangen. Ich glaube, du biſt ſchon in Hamburg: und
ſchreibe dieſen Brief nur auf gerathewohl, damit du dich nicht
ängſtigen mögeſt: ſolche Briefe werden immer ſchlecht: auch
bin ich in der ſchlechteſten Stimmung. Ich bin endlich her-
unter. Seit dem letzten Dienstag vor vierzehn Tagen war
ich Morgen und Abend bis geſtern bei Ludwig Robert; nur
vorgeſtern Abend nicht. Und nun nicht mehr: morgen fährt
er aus. Ich habe viel gelitten. Ich ſage das nicht leicht;
und geleiſtet. Alles in den Wind; oder wieder in meine eigene
Seele hinein! — Ich habe heute an Campan wegen der Gu-
ten ihrer abſcheulichen Korreſpondenz ſchreiben müſſen: die,
obgleich ſie mir mit Worten auf Worten hat geſtehen müſſen,
daß es keine iſt, doch nicht unterläßt die Paſſion aufzuführen
fünf Akte durch; mit der kleinen pièce! diable! Lies dieſen
einliegenden Zettel. Ewig will ſie Theilnahme an dem, wor-
[392] aus ſie ſelbſt nichts macht. Mein Robert’ſches Leid hatte
das Gute, mich von der legitim zu entfernen! Ich vergehe
in der That! nun ganz! — Heute habe ich erſt dein Tage-
buch geleſen, was ſchon ſo lange bei mir liegt — heute erſt
bleibe ich zum erſtenmal ſeit Roberts Krankheit zu Hauſe:
jetzt iſt es 2 Uhr — und worin du Juſtinus Kerner für mich
ſehr deutlich beſchreibſt! Mir iſt er lieb! — Auch ich habe
Jungs Geiſterkunde; das Buch, und die Theorie gefallen mir
ſehr gut — nämlich der Punkt, woraus ſie geht —, er und
die Geſchichten grundſchlecht. Ehrlich iſt er auch nicht mehr.
Siehſt du nicht, daß er ſich nun ſchon zu glauben zwingt?
oder vielmehr mit Glaubensreden ſeine ſtörende Erkenntniß
übertäuben will? Es geht ihm in einem andern Weg wie
Jean Paul; die Meinungen der Bücher, die er hat leſen
müſſen, haben ihn irre gemacht; und zum wirklichen Den-
ken kann der nicht kommen. Seine Deduktionen ſind kinder-
haft, und für einen ſtudirten Mann zu beſtrafen! ſeine Ge-
ſchichten die lächerlichſten Offenbarungen von Pöbel — der
nicht wahrnehmen kann — ohne Sinne und ohne je einen
Namen. Ein gebildeter Menſch darf ſich nicht einmal auf-
führen, wie der ſeine Verklärten ſich noch herumtreiben läßt.
Herumtreiben kann kommen; und ſchrecklich ſein; aber ſo
plump ſchneiderhaft doch wohl nicht. Das Buch hat das
größte Intereſſe für mich. Sein Inhalt. Kerner’s Geſchichte
iſt mir lieber, als alle die in dem Buche. Ich möchte die
Muſik haben, die er grade ſpielte. In ihren Verhältniſſen
kann etwas ſein. —
Schreibe mir wieder. Ich liebe dich! und freue mich über
[393] den Eingang, den Goethe bei dir findet, es wird noch beſſer
werden! Nach deiner Lehre bin ich ja auch noch jung! mir
wachſen auch noch alle Erkenntniſſe, wenn ich eine neue ge-
winne. Geſtern Morgen hörte ich in einem Saale des Schloſ-
ſes eine Probe von Righini’s Tedeum, worin die Stadt mit
ſang, und auch die Schweſtern des Königs, und welches einen
Tag nach ſeiner Ankunft im Dom aufgeführt werden ſoll: der
Meiſter ſchickte mir ein perpetuell Billet zu dieſen Proben und
zur Aufführung: er frug mich auch nach dem Ende um alles!
Leider log ich faſt; mir gefiel es nicht. Keine Weihe, keine
Kirche iſt drin zu ſpüren: aber wohl gli infernali: und Thea-
ter, mit Einem Wort. Sage es aber niemanden! Auch war
der Saal ſehr ungünſtig. Freitag wird eine andere im Ritter-
ſaale ſein, ich muß meint- und Righini’s wegen hin. Doch
iſt ein ſehr ſchönes Gebet drin. Die Kaſtraten fehlten. Tom-
bolini ſang ſehr kirchlich und ſchön: der einzige. Faſch Schule,
ſchlecht. Einer hält ſich an dem andern. Muſik iſt Freiheit
im Ausdruck der Affekte; wo die fehlt, iſt das ganze Weſen
der Muſik verfehlt: und eine verfehlte Ausübung einer Kunſt
alſo; und iſt das Verkehrte auf’s peinigendſte, d. h. unkünſt-
leriſchte dargeſtellt; und iſt umgekehrt, was Fichte vom Witz
ſagt: „Die Evidenz des Verkehrten.“ Ich habe von There-
min, der geſtern bei Robert war, gehört, Schleiermacher habe
auch, und eben ſo wie ich, ungünſtig von dieſer Muſik ge-
urtheilt, er ſoll nur wenig davon gehört haben. Theremin
frug gradezu um mein Urtheil: ich hütete mich! Ich lobte ſie.
Righini iſt zu aufmerkſam auf mich; und die Menſchen zu
erpicht auf was ich ſage.
[394]
Dieſe Minute! einen Brief von dir! O! wie hat jede
Zeile mein Herz mit anderer Angſt belegt und gepreßt. Un-
dankbarer! Blinder. Ich liebe dich. Dich zu ſehen, mit dir
zu leben, iſt mein höchſter, ja und faſt mein einziger Wunſch
noch. — Aber ſoll ich dich verlieren! — ſo wollt’ ich’s ſchnell.
Wie eine Operation. Gegen mich, Unkundiger, war ich hart;
und weil du mich dazu zwangſt, gradheraus gegen dich. Un-
dankbarer. Weil ich dir nur den Entſchluß und nicht den
Weg dazu zeigte, hältſt auch du mich für hart?! Ja ich bin
es, ich Unſelige! Und ewig! gegen mich. Ich wollte dir
nicht zwei leidende Weiber zeigen; und zeigte dir ein eiſer-
nes. Noch jetzt, wenn du mich verlaſſen mußt, werd’ ich nicht
jammern. Schwanken liebe ich nicht: das iſt die Gränze
meiner Natur; weil ich’s nicht verſtehe. Und vom Schwan-
ken kam unſer Leid. — Mir kann’s nicht anders gehen! Ich
ſeh’s; mein Geiſt bereitet’s ſelbſt. Wär’s mit dieſem Leben
nur genug: und bezög ſich nichts auf Künftig! Adieu. —
An Varnhagen, in Tübingen.
Geliebter Freund, viele Zeit vor dem Poſttage muß ich
dir wieder ſchreiben, damit es ausführlicher und verſtändlicher
wird. Heute Morgen ſollte es gleich mein Erſtes ſein: jetzt
iſt es ſchon zwei Uhr, und es wird nun nicht ſo gut werden.
Aber Mama ſchrieb mir früh ein demüthiges Billet, worin ſie
zwar das Ganze auf mich wohl dreimal beruhen ließ: ich
möchte hinkommen und machen daß Robert ausfährt — es iſt
[395] Sommerwetter — er ſei zu verdrießlich; ich war geſtern, weil
die Stadt wegſchwimmen wollte, und ich zu thun hatte, gar
nicht dort; flugs, zog ich mich an, und watete hin. Robert
aber fuhr nicht; Chamiſſo und Hitzig kamen bald: mit denen
redete er auch nicht; Hitzig ſprach mit mir; der protegirt mich
ſehr. Dann ſuchte mich Humboldt dort auf, mit ſeinem zwölf-
jährigen Sohne, den er nur Sonntags aus einer Peſtalozzi-
ſchen Lehranſtalt nimmt; mit denen ging ich weg, und bei der
Guten heran. Nun bin ich hier und ſoll mich ſammlen, ſoll
zuſammen ſcharren, was ſchon in meinem Kopf viel beſſer zu-
ſammen ſtand. Habe Einſicht darüber, dann wirſt du Nach-
ſicht haben. — Nun von uns, Lieber! Deine äußere Lage,
und wie die das innere Sein bedingt, habe ich wohl nicht
vergeſſen; und ſogar erwähnt. Sagte ich nicht, wenn wir
nur Geld hätten, es wäre alles anders: und wiſſen wir nicht
ohne alle Erwähnung, daß Stand ein Stück Geld, oder die
Bahn dazu iſt? — — Ich irrte mich. Weder du noch ich,
werden ſich ändern: ich handelte in meinem alten Irrwahn;
wieder meinend, Feſtes könne Feſtes um ſich her bilden; und
der Evidenz der Einſicht müſſe jeder Sinn weichen: und es
iſt grade nur die Natur des meinigen. Die Einſicht wird
dir; und das Gemüth läuft einen andern Gang, wie ein Fluß;
Gott weiß von welcher Erdkrümmung, von welchem Planeten
getrieben! — Ich irrte mich wieder; ich wollte wieder etwas
machen. Das kann ich durchaus nicht: vielleicht Andere auch
nicht. Und es iſt dumm, ſich zu fürchten; iſt jetzt nicht auch
Zukunft? dieſe will man immer ſo ſchön, ſo ſicher haben.
Liebt’ ich dich doch ſchon ſchwankend; warum will ich’s für
[396] künftige, in einigen Monaten, nicht. Der größte Hieb von
dir iſt mir angebracht: du zeigteſt dich gleich wahr, wie du
biſt, jetzt kann’s nur wieder ſo kommen. — Nachſichtig aber
kannſt du doch mit mir ſein! Stell dir meine Natur, meine
Art mich zu geben, dar; und bedenke was mir begegnet iſt,
alles! Mein Schickſal: da kommt der Ausdruck wohl aus
dem Gleichgewicht. Und auch ich, Varnhagen, ſtellte mich dir
konzentrirt, und alſo ärger dar. — Unglücklicher, als ich vor
deiner Bekanntſchaft war, kann ich nicht werden. Und in ei-
nem vorigen Briefe ſchrieb ich ſchon: „Ich dachte eine Zeit
lang, nicht allein zu ſein; ich bin es wieder;“ damit meinte
ich nur das. Mußt du mich alſo laſſen, ſo thue es ganz ge-
troſt. Folge deinem Herzen, deinem innren Sinn ganz! Willſt
du, begehrſt du, eine Zeit lang mit mir zu ſein; ſo komme
auch! Mein Herz empfängt dich! — wie du es dir nur wün-
ſchen kannſt, wie du es ſchon erlebt haſt. Findeſt du das
wieder, eiſern, tüchtig, koloſſal — ich weiß daß es auch Lob
iſt — ſo bin ich es! So wird mein Herz immer auf dem
Papier. Ich verſteh nicht ſanft, weiblich, lieblich, halb zu wäh-
len: ſo daß man mich auffangen und halten muß. Und auch
jetzt wähle ich wieder ganz. — Darüber, daß wenn ein Beſſe-
rer als du käme; der mich ganz erfüllte, in Anſpruch nähme,
wie du ſagſt: darüber gieb dich auch zufrieden. Erſtlich, iſt
das in aller Ewigkeit, bei jedem Paar Menſchen der Fall.
Eben weil die Möglichkeiten doch in’s Unendliche gedacht
werden können. Aber damit ſei es ſo, als wenn ich des
Nero — glaube ich — goldenes Haus bekomme; dann reiße
die Stadt worin ich wohne ein, und ich will ſtill ſchweigen. —
[397]
— Was, und wie mein Lieber, ſoll ich denn da entſchei-
den? Frei, zu allem in der Welt, biſt und bleibſt du mit
mir in aller Ewigkeit, rück- und vorwärts hin; das iſt aus-
gemacht. — Alle Verwirrung liegt, wie du ſagſt, in den Um-
ſtänden: (und wahrlich, mir gefällt jetzt nur eine Art ſie zu
bekämpfen: mit einem Heere!) die aber gründen ſich alle, und
gründeten ſich in der Vergangenheit, bloß auf den Gemüths-
zug, den du mir ausgeſprochen haſt. — Ich werde nun nichts
mehr ändern, oder bereiten wollen. Das iſt eben ſo gut, ſo
ſchlecht meine ich, als Affektiren: weder außen muß man Um-
ſtände provoziren und zurecht ſtellen wollen; noch innen Ge-
fühle: beides geht nicht; bleibt alſo unwahr. Edler iſt’s;
weil es ſtiller und geſcheidter iſt, abzuwarten in Stummheit,
und in anſtändiger Haltung, was geſchehen kann, und was
Einem werden kann; und ſeine Einſicht darüber zu erklären,
erhellen: werde ich das nicht ſo ausführen können, ſo werde
ich bloß fehlen. Nun verzeih’ mir auch! — Du fürchteſt, daß
dein Brief mich „in einer heftigen Stimmung träfe!“ Wenige
ſind exploſiver als ich; das weiß ich ſelbſt. Unvernunft aber
wirft bei mir, oder erzeugt vielmehr, die größte Exploſion
nicht! Nie hat Zorn etwas in meiner Seele geſchaffen, was
nicht lange ihr von meinem Geiſte überkommen wäre. Zurück-
halten kann ich es lange: aber nur früher oder ſpäter wär’
es hervor gekommen. Das mußt du doch auch ſchon bemerkt
haben. An dir, mein Lieber, iſt nun jede Entſcheidung: und
ich erwarte ſie mit reiner Seele. Noch Einmal aber, und aus
Grund des Herzens bitte ich dich, folge ganz und gar dem
[398] deinigen; und wie ich mich ſchon ausdrückte, deinen Augen!
Nicht mehr meinetwegen; damit dir, dir lieber Freund, wohl
ſei! Denk dir dich Einmal, Jammer in der Tiefe, und einen
Stachel in deinem Herzen, an meiner Seite! — Bin ich denn
hart, wenn ich wähle und ſcheide? Iſt Einſicht haben und
gebrauchen hart? Freilich laſſen ſich graziöſe Frauen leiten;
und auch die Tänze ſtellen das vor! Aber ich wäre noch
ungeſchickter, wenn ich anders ſein wollte! —
Nun erwarte ich, ob ich heute etwa einen Brief von dir
kriege! Ich habe Aug. Wilh. Schlegel ſeine franzöſiſche Bro-
ſchüre über die beiden Phädren geleſen: ſchlechtes Franzöſiſch;
und ein ſchlechtes Gemüth; und ein Gemüth zu Racine wie
ein Auge mit einer Perl drauf! Ein verſtockter, vorfleißiger
— vorwitziger — Schwächling: ich bin ſehr böſe auf ihn.
Stumpfer kranker Kritiker, der nichts von Liebe weiß; wie er
nur noch ſeine Werke muß geſchrieben haben; mir ein kom-
plettes Räthſel. — Neumann hat mir ſchon früh dieſen Mor-
gen les mémoires de Beaumarchais gebracht, ich forderte ſie
mal vor einiger Zeit: er ging im heilloſeſten Wetter zu ſei-
nem Buchhändler wegen Machiavelli: es iſt ſolcher Wind, daß
Wellen auf dem Platze getrieben werden. Du ſiehſt ich leſe
noch dann und wann. Was fehlt denn deinem armen Kerner?
hat er Abwartung? weibliche? Verwandte? Ich bin ſeit Ro-
berts Krankheit noch weichlicher geworden. Er hat doch keine
Angſt von ſeiner Erſcheinung in der Krankheit bekommen?
dergleichen giebt’s. Humboldt ſehe ich öfter: er iſt wie vor
fünfzehn Jahren. Geſtern ſah ich die Unvermählte von Kotze-
bue; in ſeiner, in des Kotzebue Art, ein Beweis von vier
[399] Akten mit Wohlthaten geſpickt, daß Ledigbleiben keine Schande,
und wohl gar ſchwerer ſei, als Gattin zu ſein: kurz, des Meiſters
und Parterre’s würdig. Beim Herausgehen traf ich meine
Schwägerin, die ſagte mit engliſcher Naivetät, und in einem
unnachahmlich reſignirten Ton: „Wie immer bei Kotzebue,
ganz ſchlecht, und man weint: er ſchämt ſich gar nicht!“
und wirklich, er ſchämte ſich nicht, ſich ſelbſt und die abge-
droſchenſten Präzepte zu wiederholen, und ganz ärgerlichma-
chenden Edelmuth aufführen zu laſſen. Auf Wiederſehn!
Es dunkelt ſchon! So eben habe ich mit einem dicken, beinah
roth-blonden Nachbarkind gegeſſen. Seit Neujahr hab’ ich
es in der Koſt: (ich bedarf das Sieb der Geſelligkeit: ſonſt
wird mir jeder Genuß zu hart hinunter zu ſchlucken) die Leute
ſind arm. — Es iſt kein Brief von dir angekommen. Lebe
wohl. Sei mir hold! Quäle dich nicht, und thue nach dei-
nem Herzen! Ich will ſchlafen, und leſen. Ich bin jetzt recht
geſund. Aber den März fürcht’ ich ein wenig: mein Kranken-
monat. Ich ſchreibe aber doch nun nur wenn ich Nachricht
von dir habe: alſo du ängſtigſt dich nicht.
Deine Rahel.
An Varnhagen, in Tübingen.
Da ich dir Dienstag noch nach Tübingen ſchreiben will,
muß ich nur gleich anfangen, und kann nichts Beſſeres thun.
O! lieber theurer Freund, dies war ein zu gräßlicher Winter
und Herbſt. Ein Leben voll Glück ſollte damit nicht errungen
werden müſſen. Wie betrübt, geängſtigt, gedrückt, verzweifelt
[400] war ich noch vor zehn Minuten! wie ennuyirt! Noch ſoll ich
mich, nach allem, was ich wahrlich ſchon erlebt habe, in ſol-
cher kleinen, niedren, ungewiſſen, nun gar einſamen, von Men-
ſchen und Künſten, und Natur geſchiedenen Lage, herumbalgen.
Und all mein Muth, meine Klarheit, meine Gaben, ſollen mir
zu nichts dienen können, als daß ich wie eine Verzweifelte —
Verlaſſene — davongehen kann. Dies iſt doch die trockene
Geographie meines Zuſtandes. So war es doch dieſen ganzen
Winter — geſpickt mit tauſend Kränkungen, Neckereien, Be-
leidigungen und Unſinnen, ohne Labe für Herz, Geiſt, Phan-
taſie (Hoffen durch Geiſt für Herz). Du weißt die drei guten
Senſationen, die ich vielleicht hatte; ich theilte ſie dir ja mit!
— als du noch nichts wählen konnteſt, und auch mich nicht
laſſen konnteſt. Und können wir uns wohl gegenſeitig durch
etwas helfen, als durch Liebe und friſchen Herzensmuth?! O
und was ich ſagen kann, und geſagt habe, iſt das wenigſte!
Die Reihe der Gedanken, die bei mir in der Zeit aufgeregt
wurden, der Ärger, der Verdruß, das Unbehagliche, das in
jedem Augenblick in meiner Lage mich anpickende, anpackende,
immer wiederkehrende, ſich aus jedem Neuen neu erzeugende
Ungemach, auf Menſchen-Seichtigkeit, Schlechtheit und Dumm-
heit zu meinem Wahnſinn gegründet; dies getrübte, gekränkte,
empörte, und geſunde nie ermüdete Herz! dieſe Stützenloſigkeit
nach jeder Seite! Auch du, Varnhagen, mißdeuteſt meine
Kraft. Ein ſiebzigfaches Leid, eine Äußerung davon iſt ſie!
Dieſe Woche habe ich erfunden, was ein Paradox iſt. Eine
Wahrheit, die noch keinen Raum finden kann ſich darzuſtellen;
die gewaltſam in die Welt drängt, und mit einer Verrenkung
hervor-
[401] hervorbricht. So bin ich leider! — hierin liegt mein Tod. —
Nie kann mein Gemüth in ſchönen Schwingungen ſanft ein-
her fließen, wozu dies Schöne in der Tiefe meines geiſtigen
Seins wie in den tiefen Eingeweiden der Erde verzaubert
liegt. — Wie richtig, geliebter Freund — und wie traurig —
vergleichſt du mich — wie überaus witzig, nie hat man et-
was erſchöpfend Ähnliches über mich geſagt!! — vergleichſt
du mich zu einem Baume, den man aus der Erde geriſſen
hat, und dann ſeinen Wipfel hineingegraben; zu ſtark hat
ihn die Natur angelegt! Wurzel faßt der Wipfel, und unge-
ſchickt wird Wurzel zu Wipfel! Das, Lieber, leider! leider!
bin ich. Dies iſt der Durchmeſſer meines Lebens. Seine erſte
Verſchlingung zum Wirklichen. Laß dies mein Epitaph ſein,
und dies iſt daſſelbe, was mein „Paradox“ iſt. — Mit dem:
„Sie arbeitet viel!“ meinte ich weiter nichts, als die Indig-
nation: „die denkt noch ſie arbeitet! Sie, arbeiten!“ und
dann gleich hinterher: „Ja! bei ihr iſt auch alles Arbeit!“
und das alles drückt’ ich aus Eil und Überdruß kurzmöglichſt
aus. Sonſt meint’ ich nichts; iſt das aber witzig, ſo war ich
es: ich finde es nicht. Antworte mir hier drauf; was den
Geiſt ſo geregt hat, iſt mir intereſſant, und wär’s über einen
verlorenen Weſtenknopf! — Das Buch der Frau, die du ge-
troffen haſt, und ſie, iſt doch noch weit lügenhafter, als man
ohne des allmächtigen Gottes eigenhändigen Witz, oder die
Dummheit erfinden kann, die er in dem Puppenkopf zum Statt-
halter gelaſſen hat. Sie lügt wie ein Räuber mit der Piſtole
auf der Bruſt; und man muß ſein ſchönes Eigenthum Wahr-
heit ihr laſſen; oder dieſes rechtmäßige Gut durch harten Kampf
I. 26
[402] wiedererringen; und nur, wenn man ſich dazu entſchließt, kann
man ihr ihr Attentat beweiſen, ſonſt geht ſie noch als weinen-
der, verkannter, verwieſener Bettler ab. So hat ſie mir es
vor Jahren, als ich ſie in Paris kennen lernte, mit vielen Um-
ſchweifen gemacht. Das Ende — denn wozu etwas anderes
davon wiederholen! — war, daß ich als maréchaussée, und
Richter zugleich, ihr endlich antwortete: „Wenn Sie wahr
ſein werden, dann werde ich Sie lieben.“ Sie wollte —
wirklich — vor Weinen platzen, ſo hatt’ ich ihr den Keil der
Wahrheit in’s Herz geſchlagen, und es mußte ſpringend von
einander! — Geiſtig Zerknirſchung genannt: — „Weinen Sie
nicht!“ konnte ich nur ſagen; und dabei blieb’s! Nachher
drehete ſie in einem Brief auch dies Geſpräch wieder um, —
aber ein Tacitus’iſcher, unerbittlicher, ziemlich kurzer zeigte ihr
ihren Kuſchwinkel an. In den vielen Diskuſſionen ſagte ſie:
„Hypochondriſch bin ich nicht“, — ſie freute ſich der imagi-
nairen Anklage — „ich zwinge mich ja, jeder Andere läge.“
Hypochondriſch ſind Sie gar nicht! — kriegte ſie — aber
krankſüchtig! Sie denken Krankſein iſt hübſch; und nie ſagen
Sie mit Freude: Heute befinde ich mich gut! — Iſt der Menſch
nicht genialiſch, ſo will ich nur Freiheit von ihm. Negation;
wo Negation iſt. Will man’s anders, ſo iſt das Verwirrung,
und meiſt leidenſchaftliche. — —
Wie wahr iſt das, was du über Freundſchaft auf einem klei-
nen Zettel mir ſchickteſt: „Jedem Gebildeten muß man alles ſagen
können.“ Wie Schade! daß ich jetzt unfähig bin, dir auf die
Zettel, die ich ſo gut finde — auch Neumann iſt ſehr davon
eingenommen; dem gab ich ſie alle — zu antworten. Spre-
[403] chen wollen wir darüber! Und daß die Gemeinen, die ſich
keine Rechenſchaft geben können, in der Liebe ſo blind Recht
haben: je gröber ſie ſcheint; je mehr auf Äußeres, auf den
Eindruck gegründet! O! es fiel mir viel bei den Zetteln ein!
Mündlich. Ich laſſe deine Briefe Einmal drucken, und das
Geld wollen wir verfahren: und die Welt hat doch noch Vor-
theil. Adieu. Ich erliege. —
— O! wäre ich ſteingeſund, hätte Klima, Freunde; wahr-
lich, ich wollte das Beſte anſtändig entbehren und vermiſſen.
So aber bin ich ja wie unter eine Horde wilder Thiere ge-
ſtoßen, die alle nichts ſind, als freſſender, verzehrender, per-
ſonifizirter Mangel. Ich ertrage bei meinem Geſundheits-
und Geiſteszuſtand die Sorge, die elende, mir im innerſten
Geiſte verhaßte Sorge der Ungewißheit nicht! Für Pöbel iſt
die, der in ſeinem eignen Geiſte auch ungewiß iſt, und dem
wahrhaftig eigentlich alles, wenn er ſich recht abfragt, egal
iſt. —
— Gegen 4 Uhr ging ich nach Hauſe eſſen; mit einer
großen hübſchen Nähterin, die ich jetzt oft bei mir habe; und
die Neumann lobt; die amüſirte ich ſehr; dann legte ich mich
nieder; und ſchlief wirklich ein wenig ein: aber der unſelige
zehnmal während meinem Fieber und meiner Geneſung weg-
geſchickte Baron Bielfeld — unſer letzter Geſandter in Kon-
ſtantinopel — ließ mich wecken: Line hatte nicht den Muth,
ihm wieder abzuſagen. Ich bemühte mich drei Viertelſtunden
ihn zu ennuyiren, war aber dadurch in eine Laune gekommen,
daß die Nähterin ſich ſchon wälzen wollte, und daß er ſich
26 *
[404] recht ſehr gut amüſirte; endlich trieb ich ihn doch weg; und
beſchied ihn ſpät mit der Guten zu mir zu kommen. Baron
Drieberg trat in die Stube; er war dreimal im Tag dage-
weſen, um mich zu ſprechen, weil er durchaus, obgleich er gar
nicht zu mir kam, Briefe von mir nach Wien haben wollte.
Ich ſchalt ihn gradezu: er begab ſich gleich, durchdrungen, der
Briefe: und ich Eſel ſetzte mich hin, ihm einen nach Prag
zu ſchreiben: vier große geſtörte Seiten! als der Brief fertig
war, und ich ſieglen will, ſagte er nein! dies koſte hundert
Louisd’ors: ich laſſe alſo meinen nur für meinen Freund Gentz
geſchriebenen Brief offen in ſeinen Händen. Was ſchadet
mir ein junger Baron! — Meine Nähterin beurtheilte ihn
und Bielfeld ſehr gut. Ehrlich iſt er. Ich trug ihm auf, den
Prinzen de Ligne zu grüßen: und da wurde er wie außer ſich,
und wollte einen Brief! Ich — that es: aber nicht als Eſel.
Dieſen alten Freund lieb’ ich von Herzensgrunde, und will in
Relation mit ihm bleiben; für dich hauptſächlich; wenn du
mal nach Wien gehſt: und ſo wollte ich mich bei ihm auf-
friſchen. Ich konnte ihm, von Drieberg und Nettchen bela-
gert und geſtört an meinem Tiſch, doch einen ſehr guten Brief
ſchreiben: von dem, als er fertig war, ich glaubte, es könne
keiner ſein; es war aber einer; und ein rechter Schmeichelbrief.
Nämlich, er freut ihn gewiß. Und das Franzöſiſch! Drieberg,
ohne im geringſten etwas zu thun, als ſeinen Namen zu nen-
nen, ſehr empfohlen. Meinen Freund habe ich auch für ihn
um ſeine beſten Bekanntſchaften gebeten; dabei iſt er Baron,
hat Geld. So iſt’s. Die empfehle ich! — Ich bin heute
munterer, weil ich auf zwei Stunden relâche habe. Das iſt
[405] mein doppeltes hundertfaches Verzweiflen, daß ich ſo vergnügt
ſein könnte. Es können wahrlich nicht alle Menſchen. —
Ob eine Wahrheit grob iſt oder nicht, darüber kann man
ihr als ſolcher nichts anhaben; ſie entſpricht ihrem Weſen,
wenn ſie wahr iſt; und wo ſie hin trifft, das iſt der Ort, der
ſie zur Grobheit oder Höflichkeit macht.
An Varnhagen, in Tübingen.
— Meinen Plänen iſt nun auch von der pekuniairen
Seite in die Räder gefallen! Und ich muß, bei dieſem völli-
gen Brankrutt an Geduld, wieder eine mehr haben! Es ſei!
So iſt der Muß. Doch hab’ ich noch Muth; und werde ganz
luſtig: denn Geldnoth iſt mir doch eigentlich ſo fremd, daß
ich immer denke, ich bin es nicht, und ſpiele nur ſo einen
Roman. Auch iſt dies die erſte Zeit in meinem Leben, wo
ich mir vorgenommen habe, Muth zu haben, und mir ſelbſt
zum Trotz; und wo ich dies angefangen habe auszuführen. —
Ich unterhielt geſtern meine Geſellſchaft ſehr gut und luſtig,
und wiſſe nur, das gab mir Muth. Geſtern ging’s mir doch
ſo ſchlecht; und Abends, mit allem dem im Herzen, ſpielt’
ich und war ich die Niedliche, Vergnügte? nach die meiſt
Unterhaltende? Es geht alſo? Allons! — Du giebſt mir noch
den meiſten Muth. Noch nie hatte ich einen ſolchen Freund!
Ach wärſt du doch ein Handelsmann. Vieles ließe ſich dann
[406] in der wirblend-wankenden Welt machen. Künftig erfährſt
du Genaueres. Falſche Freundſchaften aber, will ich von nun
an wieder falſch behandlen! — — Nun aber ſeh’ ich ein; ich
kann nichts ändern. Und will mir das Härteſte grade heraus
ſagen! Wie zögerte ich über meine Umgebung; und nun
ſcheide ich doch! Tragiſch bleibt’s; fortdauernd ſeine innerſte
Natur hart behandlen zu müſſen; und mit Umwegen nur ihr
gewähren zu können. Dabei kann man nur luſtig, wohlge-
muth, oft ruhig, aber nicht glücklich ſein; à la bonne heure!
Meine Geſchichte fängt früher an, als mit meinem Leben:
und ſo geht’s jedem, der’s verſteht. Nun ſind wir bis an’s
Leben gekommen! von da geht’s nach dem Exiſtiren: das iſt
komiſch und tragiſch: nun ſind wir an der Kunſt; die muß
man verſtehen; machen, und zuſehen; und das wollen wir:
warum? weil’s nicht anders geht; und, nun? möchte ich für
mein Leben gern eine luſtige Ecoſſaiſe auf dem Papier hier
ſpielen, die ich im Kopfe habe, um zu zeigen es geht von
vorne an. Adieu! — Neumann gewöhnt ſich ſehr zu mir, er
kömmt meiſt alle zwei Abende, oder auch manchmal hinterein-
ander: die Zeit beugt ihn: ich kann ihn etwas erheitern: ich
bedaure immer Leute, die keine andere Reſſource als mich ha-
ben. Er iſt ganz naiv mit mir: er will mich über alles aus-
fragen, weil er ſieht, daß ich ſo aufrichtig bin: dann muß ich
ihn ordentlich auslachen: dann lacht er mit. Geſtern bei
Tiſche ließ ich ſie recht viel lachen, Alle: und applaudirte
mich ſelbſt nicht wenig. — Dein Landſchäftchen erinnert einen
ordentlich an Land! —
[407]
Mich peinigt übernatürlich der Frühling, und daß ich
nicht fort bin! Und die infame Ungewißheit, die nun gar
noch die Welthändel auf ihren Flügeln ſchlingen, damit ich
ſie nie mit eigenen Händen endlich erdroßlen kann! —
Aus einem Tagebuch.
Ein fürchterlicher Tag für mich. Immer ſchlechter! Das
erſte Kriegesjahr, mit Bujac; und dem mit Vorbedacht er-
zählt. Voriges Jahr, in des Prinzen Louis Haus das Schrek-
kenskonzert: und nachher Bribes erſchrocken. Heute im viel-
gefürchteten Trenkiſchen Hauſe allein: und mit großer Sorge!
Mit großer Sorge dies ſchreibend, wie ich es über’s Jahr in
noch älterer Noth leſen werde! Von ungefähr nahm ich dies
Buch in die Hand, um von Hemſterhuis etwas aufzuſchrei-
ben, und beim Datum fiel mir der Königin ihr Geburtstag
ein und dieſer Gräuel. In Herder — dem Armen — habe
ich geleſen. Wie hart iſt es, von Kinder- und Geſchwiſter-
liebe zu leſen! — für mich. Hemſterhuis ſagt: „Religion iſt
die freie Beziehung jedes Individuums auf’s höchſte Weſen.“
Durch’s bloße Benennen wird ſie ſchon unwahr.
Kalt, und Schnee auf den Dächern. Geſtern Abend ka-
men M’s. zu mir. — Da ſprach ich recht dumm. Es war
ein Streit; und ſie blieben ſo ſehr auf der Oberfläche; und
[408] das noch dazu in allen Richtungen, und nach allen Wegen
laufend, eilend, zurückfliehend, ſtillſtehend, umkehrend; und
ſcharmützelten ſo mit mir, daß ich Orte und Dinge vertheidi-
gen mußte, an denen mir gar nichts lag; und in der Empö-
rung und Erhitzung, kam es mir wie aus der Acht, ſie in die
Tiefe zu führen, wo ſie mir nicht hätten entwiſchen können,
und wo ſie ſich nicht hätten regen ſollen. Aber ſchon oben
reizte mich die Unregelmäßigkeit; die Rede war von den Vor-
rechten, die die Geburt in unſern Staaten ertheilen kann; bei
Gelegenheit, daß B. dieſe genommen habe; welches man für
unſinnig und eitel — auf die faule Bärenhaut gelegt, und
auch nicht Einmal ſich die Mühe genommen zu denken! —
erklären wollte. Ich ſtieß gleich aus, mich wundere dieſer
Schritt nicht: denn er, B., hätte es nicht ertragen können,
ohne Namen umher zu gehen, und habe etwas, es ſei was
es wolle, unternehmen müſſen, um ſich, ſei’s um den Preiß
ſeines Blutes, eine äußere Exiſtenz zu verſchaffen. Ich ſähe
das ein, und fände, er habe Recht. Nun wurden ſie weiſe,
und meinten, ich ſei eitel. Wir kamen vom Grund ab, weil
hoch oben ſie ſchon Unrecht hatten! Die Frau ſagte: „Ich
trage eine Welt in mir.“ O! Großer Gott! was meint ſie
wohl damit?! hätte ſie doch dieſe Phraſe nie gehört! Das
ſtupide Prahlen, was nicht mal Verſtand genug gehabt hatte,
etwas zu erfinden, oder nur im Arſenal der Gebrauchsreden
zweckmäßig zu wählen, empörte — indignirte — mich ſo, daß
ich ſie nur anſah, etwas ſchwieg, und dann etwas Dummes
ſagte; anſtatt ihr zu erwiedern: je vielfältiger dieſe innere
Welt ſei, je mehr nehme ſie die äußere in Anſpruch, und jedes
[409] Mißverhältniß ſtöre ſie nur vielfacher, inniger, und verletze
nur reichere Harmonien! Man habe nur ſo viel äußere Welt,
als man im Stande ſei mit ſeiner — ihrer! — innern auf-
zufaſſen, und die Welten ließen ſich in dieſem Sinne nicht
trennen. Und ihre Behauptung führe zu der, daß man ſie
mit ihrer innern Welt in einen Kerker ſetzen könnte, und ſie
müßte ſich die äußere denken; wenn ſie mir die Art zugäbe,
ſo könnten die Grade hier nichts thun. Der wäre aber toll,
der ſich, ohne von Realität unterſtützt, etwas einbilden könnte,
ohne zu wiſſen, daß es Einbildung iſt. Und dies Talent ginge
mir wirklich ab. Ich bewies aber Anderes! Oberflächlicheres;
bloß in’s Einzelne getriebene, mit realen Namen bezeichnete
Folgerungen dieſes Grundgedankens. Ich behielt etwas Recht;
ſie ſtellten ſich weiſe; und ich blieb als heftig und aufgereizt,
und als ein unzubefriedigendes Herz ſtehen! Dies verdroß
mich: mit einem erfüllten Herzenswunſch ging ich ja geſtillt
auf den höchſten Berg für mein Leben! Obſchon unbefriedigt
und verzweifelt über die Menſcheneinrichtungen. Ich zeigte
und äußerte mich auch ſo, als wäre der höchſte Platz mir der
liebſte: weil auch auf dieſen geſpannten Anſpruch mir nichts
Einmal zu entgegnen war: ich ſchwang mich auf die Hyper-
bel, um mich gar nicht mehr erreichen zu laſſen. Sie blieben
weiſe und gemäßigt: er, der ganz gegen ſeine Einſicht nach
niedren Leidenſchaften gewaltthätig gehandelt hat; ſich in
faule Verhältniſſe köpflings eingegraben hat: Jahre lang ſelbſt
ſchon darüber in Verzweiflung, in lauter, war: und nun wie-
der ſtolz drauf iſt; weil er zu matt iſt, es zu ändern oder
ſchmerzlich leiden zu wollen! der, was bürgerliche Rechte, und
[410] Genüſſe und Gelingen heißt, erſchöpft hat, und vorgegeben
hat, ſein Herz — das tiefſte reinſte Wollen — ſei befriedigt!
der ſtellt ſich weiſe neben mir! der ewig Wahren, Geſchmerz-
ten, Verunglückten! Ich trage eine Welt von Umſchauung,
und Geiſtesbeweglichkeit und Liebesquellen in mir! — ſonſt —
müßt’ ich immer verzweiflen. „Das Leben iſt nicht viel“?
Gerechter Gott! was denn? Ein lebendig genußreiches, ge-
foltertes Herz ſoll ich gelaſſen dabei ſitzen und bei meiner einen
Hälfte — Kadaver kann ich’s nicht einmal nennen — war-
ten, dulden, trauren, „ſtolz ſein“? womit? daß ich mich nicht
tödte? daß ich Beſſeres tief auffaßte? Das Leben iſt wenig,
wenn ich’s in der Hand halte wie eine Erbſe, und es mit
allem ſeinen Bewußtſein wegwerfe. Dies um einen großen,
oder auch grad’ um keinen Preiß kann ein jeder. Aber es ſich
Minute vor Minute entreißen, entwinden laſſen? durch eine
Anſtalt — eine ſanktionirte! — von Menſchen? Und die Ver-
nunft ſoll auch noch neigend Ja ſagen, und in Bürgeruniform
auf den Feſten erſcheinen, die von meiner Lebenseſſenz bereitet
ſind. Gottes Strafe kann nicht ausbleiben! Rückwärts geht
die Natur nicht! dieſe inn’re Empörung wogte und tobte
in mir; und lauter Dummes ſagte ich! weil ich dies ver-
ſchwieg. Mir aber zum Troſt ſchrie ich in mein Innres hinab:
Herrſchſucht, hohle Nichtigkeit, iſt es nicht, die dich erbittert;
Herzensgerechtigkeit iſt’s! Die Rechte aller Geborenen möch-
teſt du um Blutes Preiß hervorklauben aus dem Schutt, und
Bau, und Einſturz des falſchen ſtolzen Gebäudes. Warum
gefielen dir ſonſt die Bürger — heute in der Stelle des Mo-
niteurs — am beſten? Warum hätteſt du lieber einen Woll-
[411] mantel als die andern umgehabt? Hier iſt die Stelle! „Le
5 mai 1789 sera éternellement une des époques les plus mé-
morables dans nos fastes. Ce fut dans ce jour que l’on vit,
après 175 ans d’interruption recommencer enfin ces États
généraux, demandés avec tant d’instances pour toute la nation,
ces États, dont elle attendait sa destinée. Le tableau qu’ils
offrirent sera longtemps présent à la mémoire de ceux qui en
furent spectateurs. Une vaste salle construite et décorée d’un
grand goût, soutenue par vingt colonnes doriques, exécutée
dans toutes ses parties en style du même ordre, mille à douze-
cents représentants de la France, divisés en trois ordres, occu-
pant le fond de la salle. Le clergé, d’un côté, dans son plus
riche costume: de l’autre, les députés de la noblesse, couverts
de plumes ondoyantes sur des chapeaux de forme féodale, et
de manteaux noirs éclatants de dorure et d’une coupe à la
fois élégante et théatrale, tons l’épée au côté. Dans le fond
à gauche, les cinq ou six cents députés du tiers-état, sans
épée, en noir, habits et manteaux de laine, cravattes blanches
et chapeaux rabattus. Un trône avec toute la richesse et la
pompe royale s’élevant du fond de cette salle, le roi rendant
un compte public de l’état du royaume aux députés du peuple:
tel fut le tableau que cette première journée présenta.“ Eigent-
lich wollte ich mir nur wegen des Eindrucks, den ſie mir ge-
macht hat, dieſe Stelle abſchreiben. —
Etwas Wirres über Voltaire.
Voltaire iſt doch recht dumm; man irrt ſich nur oft, und
denkt er iſt klug, wenn er etwas Geſcheidtes ſagt; dies kommt
[412] aber nur von ſeiner Ungründlichkeit; er iſt zu oberflächlich,
um nicht allerhand zu meinen und zu ſagen; er irrt nicht tief;
und aus Mangel an Zuſammenhang ſagt er ſo vielerlei. Im
Artikel homme in ſeinem dictionnaire philosophique iſt er der
Wahrheit darum ſo nah, weil er nebenan iſt. Wenn das die
hörten, bei denen ich ihn oft ſo lobe!
Welche ſtupidirende Unruhe, welche Sorge, Angſt, bear-
beitet mich! Ewig erkältet! Wetter, das einen gefangen hält!
Augenweh, nichts hintereinander thun zu können! So eben
war Dr. Böhm hier: er läßt mir einen quälenden Huſten,
oder vielmehr meine Abendheiſerkeit und Mattigkeit, und
nennt es Frühling. Dieſer Frühling dauert ſeit dem Oktober.
O! wie ſchön! — alles! und der Krieg wie ein Gewitter; die
Sonne iſt weg, die Luft ſteht ſtill, die Wolken tief; niemand
traut ſich mehr aus: ſo bin ich im Lande eingeſperrt, des
Ringens in der Ohnmacht müde.
An Varnhagen, in Hamburg.
Dieſen Mittag erhielt ich deinen Brief. Wie mit einer
Hand von Meſſern ſchnitt er mir heftig von allen Seiten in
das Herz. Ich fühlte deinen Schmerz; und das ganze Leſen
war ein langer Schreck. Ich war auch grade ſehr erſchöpft
und hungrig; und blieb wie vernichtet ſitzen. Ich las ihn
[413] wieder; und fand deinen Schmerz wieder; ich fand aber auch,
daß er im geheimen Herzen dir meiſt ſelbſt unbekannt bleiben
wird: und daß du den Tag leidlich, ja recht gut leben wirſt.
Hätte ich dir gleich geſchrieben, armer lieber unſeliger Freund, es
wäre ſanfter geworden. Ich theilte, ich fühlte jeden Schmerz:
jetzt iſt mein Herz nur gedrückt und böſe. Armer! auch nur
ſo viel Schmerz, als ein Brief lang iſt: iſt gräßlich, und um
die Exiſtenz der Welt zu viel! wie herb und ganz ohne Er-
hebung, und ſüßeren Schmerz, ja wie erlähmend iſt das Un-
glück eines Andern, nicht unſer eigenes, zu durchdringen!
Heute empfand ich das bis auf den Hefen meines Herzens!
Von mir iſt die Rede nicht mehr: „Mit mir iſt’s aus, mit
mir hat’s ein End, Ich bin Huſar unterm Leibregiment!“
hundert- und hundertmal hab’ ich mir das ſeit Leipzig geſagt.
Du haſt alſo Abſchied von mir genommen, und auch von dir
ſoll ich getrennt ſein! Nichts, nicht eine einzige Silbe, oder
ihre Stellung, war mir neu in deinem Briefe, alles wußte
ich: nie leider dachte ich’s mir anders, und als es außer mir
als Sentenz daſtand, ärgerte es mich. Laß mich dies und
kein ander Wort gebrauchen. Ich bin nicht mehr dazu, Leid
zu ſpinnen; wie ein Mörder muß es mich anfallen! Nun
es thut’s, wo es kann. Was ſoll, was habe ich dir nach
dieſem Abſchied noch zu ſchreiben? Jeder muß ſich von neuem
wieder eine Exiſtenz ſuchen. O! Gott, bei allem Geiſte, den
ich habe, auch ich bin nicht gemacht, „im Glückstopf nach eit-
len Gütern dieſer Welt zu greifen“, und von neuem immer dazu
verdammt, geſtoßen. Nun ja! ich beuge mein Haupt endlich
unter dem furchtbaren Beil: ich will. Ich muß. Weiter! O!
[414] welche harte Thräne löſt ſich los! Ich will weiter. Es wäre
ja keine Tragödie, wenn ich nicht wider meine Natur handlen
müßte; und es ſoll ja unwiderſprechlich eine ſein. Nun ſtille!
Nur der kann Unglück haben, der einſehen kann, wie ſo es
welches iſt; ſo biſt du: ſo bin ich: wo ſollten andere Geſchöpfe
dazu kommen, „recht unglücklich“ zu ſein? Trennung iſt
Tod; und weiter lebt die Welt! was iſt nur ſeit deinem Briefe
von dieſen Morgen vorgefallen! Viel ſprach ich mit der Gu-
ten: die Bethmann und Liman ließen ſich zum Abend melden:
ich nahm ſie an; und ſchrieb Humboldt ſcherzhaft auch zu
kommen; bekam Geſchäfts- und galante Billette, wurde um
Rath gefragt in Geſchäften; antwortete, aß, wollte ſchlafen.
Las Familienbriefe. Nun ſchreibe ich dir. Jetzt erbreche ich
wieder einen Brief von einer dir unbekannten Dame. Alles
franzöſiſch, die Dame iſt aus Paris; weiß aber deutſch. Ich
hab’s geleſen. Von Campan, dem ich morgen antworten will,
habe ich auch einen unangenehmen Brief erhalten. Er iſt
ſchon wieder in Paris. Das iſt mir lieb. Er will mir ſeinen
mir ſehr bekannten, bei ihm erzogenen Bedienten nach Frank-
furt entgegen ſchicken. — Er iſt inspecteur des ponts et chaus-
sées mit viertauſend Livres Gehalt mehr: und geht eine zwan-
zigjährige, naive, „innocente, un peu devote“ Wittwe beſu-
chen, und heirathet ſie, wenn ſie will: zweiunddreißigtauſend
Livres Renten auf Gütern hat ſie. Du ſiehſt, der iſt auch
weg. Ich bin wie Fouqué’s Held, wie er den Berg hinauf
geht. Alles fällt von mir ab. Ich habe eine Art freudiger
Bosheit am Exceß. — Schreibe mir, wenn es dir möglich und
gemüthlich iſt, zwing’ und preſſe dich nicht dazu; ich werde
[415] es ſchon verſtehen. Ich werd’ es auch ſo machen. Du weißt
wie ich bin, Trennung ohne Hoffnung erlaubt mir beinah nie
zu ſchreiben. Kann ich weg, ſo ſag’ ich dir’s. Gott verlaſſ’
uns nicht. Das Ende des Briefs ſchmerzt mich unnatürlich
ſehr. Adieu.
Rahel.
Mich ſtörten ein Herr und eine Dame in Geſchäften. Je-
der krabbelt und windet ſich jetzt aus dem Schutt unſeres
Landes zur Luft empor: und Viele, viel zu Viele wollen Rath
und That von mir. Der in allem zu Ärmſten! — Hätte ich
nur eine Gegend!
R. L.
An Varnhagen, in Hamburg.
Lieber, Beſter! Soll ich noch etwas Gutes glauben? mich
aus dem Sterbebette wieder aufrüttlen, um wieder hingeworfen
zu werden? Wenn du hier biſt, will ich’s glauben! Auch ich
vermag nicht mehr zu ſchreiben: nicht — au pied de la lettre
— die Feder (du ſiehſt’s) zu führen. — Wenn du kommen
willſt, komm ſo bald es nur geht. Ich bin wie der Vogel
auf dem Zweige. Habe nur bis Johannis Quartier: muß
tauſend Sachen vorher, und mit dir arrangiren. Freilich liebte
ich Wien!! dort wäre ich reich! Nun iſt aber Krieg. — Schrift-
lich kann ich nichts mehr mittheilen. So hab’ ich auch Har-
ſcher mit meinem muthloſen niedergelegten Herzen noch nicht
geſchrieben. Aber daß wir ihn ſehen ſollen, mit ihm leben
ſollen, gehört dazu. Sag’ ihm das, und tauſend Liebes von
mir. Das Leben iſt ſo wüſt, ſchwarz, unverſtändlich und zer-
riſſen: und vor dem Tod ſollte man ſich willkürlich trennen! —
[416]
Etwas muß man freilich thun, wenn man nicht reich iſt:
und in böſer Zeit. Warten wir hier die erſten Schlachten,
und die Wendung ab. Jedoch weiß man’s vorher: ſo gut
das ohne Zeitung möglich iſt. — Wien meine ich, aber Paris
laſſe ich mir wo möglich bereiten. Anders kann ich doch nichts
thun! — Wir wollen uns über kein Vorhaben, und über kei-
nen Plan ängſtigen, alle Menſchen können jetzt nicht, was ſie
ſich ausdachten: wie Würmchen muß man von einem Spärt-
chen Holz, von einem Gräschen, von einem vergoldeten Träub-
chen zu dem andern kriechen. Kurz, ſehen wie’s geht: wie
man „fortkommt.“ Wären die Nächſten nur nicht elend.
Wären wir in der Schweiz vorläufig. Man iſt da der Welt,
den Bergen und Bädern nah! —
An Karoline Gräfin von Schlabrendorf, in Schleſien.
— Wir ſchmachten hier eben ſo in Ungewißheit über alles
Öffentliche, wie man es nur immer auf dem Lande kann. Als
ob nach lange verheerendem Wetter, wo man eben von den
Überbleibſeln ſich das Leben noch zurechte ſtellen will, doch noch
Wolken genug daſind, um den ganzen Himmel mit Gewitter-
drohung zu beſchwerden, ſo ſtehen wir dunkel und gedrückt
da. Mit tauſend Fäden in unſerm Lande verwachſen jeder
Einzelne mit welchen es ſteht, wie Sie wiſſen; man will und
darf’s nicht nennen. Leſen Sie, liebe Gräfin? Die letzten
Monate ich ſehr wenig; die Unruhe erlaubt es mir nicht: die
geſtörte Lage. Schillers Wallenſtein liegt ſeit drei Tagen auf
meinem
[417] meinem Tiſch, und was auf dem Tiſche liegt, lieſt man am
Ende doch: wie paßt jetzt jedes Wort, jede Tragödie in der
Tragödie! wie verſteh’ ich jetzt Welthändel und Dichter erſt!
Es giebt großartigere Geiſtesſchwingungen, was einen zu be-
denken zwingt, daß von je die Welt in Gährung ſtand, und
nicht ſchlecht hat der Dichter den uns noch wüthenden drei-
ßigjährigen Krieg gegriffen. Es iſt die Rede im Grunde von
denſelben Dingen; die Leidenſchaften, daſſelbe Wollen ſetzt ſie
in Gährung; man hört dieſelben Namen faſt, für Länder und
Familien. Mich macht’s etwas geſetzt; dies, oder was ſtren-
ges Denken fordert. So that mir dieſen Winter Graf Kalck-
reuths Buch ſehr gut. In allem konnt’ ich ihm nicht folgen,
in manchem ſeiner Meinung nicht ſein: doch zwang er mich
zu denken; und ſchön ſpricht er über Geſetz, Richter, Urtheil,
Polizei, Duell (hier über wie meines Wiſſens noch niemand).
Der denkt ſich was aus, auf ſeinem Gute. Ich kann mich jetzt
nicht auf den Namen beſinnen. (Siegersdorf.) Iſt Ihnen zu
Geſichte gekommen: Wallstein, tragédie en einq actes et en
vers, précédée de quelques réflexions sur le théatre allemand etc.
par Benjamin Constant de Rebeeque? Ich habe es mir von
Leipzig kommen laſſen, weil es mir merkwürdig ſchien: ſo find’
ich’s auch. Es iſt eine in der Litteratur bezeichnete, und nicht
nur da begründete Gränze zwiſchen Deutſchen und Franzoſen,
von einem Franzoſen deutſch aufgefaßt, und franzöſiſch abge-
faßt. Es geht ſo weit, daß er einigemale mit franzöſiſchen
Worten in der Vorrede nicht franzöſiſch ſchreibt: und nur
einem Deutſchen verſtändlich iſt, wenn der ſich’s zurück über-
ſetzt. Er iſt von Auguſt Wilhelm Schlegel gefüttert, hat es
I. 27
[418] aber, bis auf einige Stellen, in’s Blut aufgenommen. Einige-
mal glücklich ausgedrückt, und meiſt ganz gefühlt: das Stück
ſelbſt habe ich noch nicht geleſen. Aus den dreien hat er Eins
gemacht. Liebten Sie’s zu leſen? ſo ſteht es zu Befehl. Ich
empfehle mich Ihnen, und bitte um Antwort: und wenn Sie
mir antworten, wäre es ein Benefiz, wenn Sie mir ein Wort
über Ihre Stimmung und Lage ſagten: dies iſt das Leben,
wollten Sie denn ſchon todt für mich ſein? Mit Humboldt
habe ich viel von Ihnen geſprochen.
Ihre R. L.
Aus einem Tagebuch.
Morgens Varnhagen weg: ich gleich nach Charlottenburg.
Vernichtet durch die Linden, nichts ſehend. Auf dem Wege
aber das Land, das Licht, die Bäume empfunden; und mich
des Glücks gewundert; draußen aber in Charlottenburg alles
wie mit einer Klappe zu! Schlaf und Dumpfſein und Hun-
ger bemächtigten ſich meiner; ich ging gleich zur F., aß dort;
und ging mit ihr nach dem Garten. Er war ſchön, ich ſah
es, aber empfand es nicht ſehr. Wir gingen eſſen, und ich
ſchlafen. Schwer erwachte ich: wir wollten gehen: ſo oft wir’s
verſuchten, regnete es: wir mußten hinein, tranken Thee, ſie
ſprach, nicht ich, von ſich. Aſſommirt ging ich zu Hauſe:
eder Gegenſtand machte mir Schreck und eine verwaiſete
Furcht.
[419]
Erwachte ich mit Schreck: wollte ſchreiben, aber konnte
nicht; ging allein, unter grauem Himmel weg; am Ende
Charlottenburgs, Berlin zu, ſprach mich ein Lahmer Almoſen
fordernd an; er kannte mich; es war ein junger Kanonier,
bei Jena in’s Knie geſchoſſen; ich ging der Spree zu querfeld
mit ihm, er erzählte mir alles: und wollte mich weiter, als
ſein eigen Ziel war, begleiten, ſeines Beines wegen wollte ich
nicht: ich ging allein. Schön, ſehr ſchön war Wieſe und Feld
und Luft, und Schein und Kraut. Tauſend tauſenderlei ſah
ich auf der Wieſe, alles alles hätte ich gerne Marwitz gezeigt;
er war der Letzte, den ich ſah, der ſo etwas verſtand. Halb
betrübte mich die Welt doppelt, und ich fühlte mich herb bis
in’s Innerſte abgeriſſen, erſchlagen, und weggeworfen; halb
tröſtete es mich, daß ich doch noch etwas empfand. Alles
überlegte ich mir noch Einmal; machte mir die Eindrücke über
Marwitz recht klar, überdachte alles, immer in größern Um-
fängen; ging nach zwei Stunden mit ſchwerem Körper nach
Hauſe. Als ich weiter der neuen Trauer meiner Seele nach-
ſpüren wollte, ward ich noch gräulicher geſtört, man kam mir
mit der Nachricht entgegen, es ſei ein toller Hund im Orte,
er habe einen andern, und auch ein Kind gebiſſen. Das fehlte
mir! Nun war an kein Ausgehen zu denken. Den Tag blieb
ich, ſchrecklich erſchlagen und mit peinigender Angſt im Her-
zen, und vielen Schrecken über mich ſelbſt, zu Hauſe. Um 6
fuhren wir nach Schöneberg, um nicht im Orte eingeſperrt zu
bleiben. Der Weg war reizend, und ſah ganz üppig aus:
die Sonne, die bald aus röthlichem und weißem ſehr zerſtreu-
27 *
[420] ten Gewölk hervorkam, bald ſich verkroch, machte es noch
lebhafter, und ſehr oft wird ſolches Thal in beſſerer Gegend
ſchön genannt: die Klappe ging wieder einen Augenblick von
meinem Herzen. Ich ſah wieder, was Fahren ſei; und bat,
da mir Gott doch keine Menſchen geben wollte, um Pferde!
Ach viel ernſter als man denkt. Wir kamen zu Madame
Ephraim, wo wir Thee tranken, und ganz loſe gleichgültige
Geſellſchaft von Herrn und Damen fanden: ohne Koketterie:
nichts in der Welt! Sie aber, Mad. Ephraim, ſprach mir
ein paar Minuten über das Freie: über den Einfluß dieſer
Natur auf das Gemüth, und dann über den abgehauenen
Prater, und beſonders über ſeine Bäume, wie ein Dichter: ſo
ſehr hatte ſie dieſe Bäume und ihre Phyſionomie, wie ſie es
nannte, empfunden. Dies war mir in Schöneberg das Liebſte
und das Wunderſamſte; dieſes geſunde, große, reine und jede
Thorheit überwältigende Gefühl für dieſes Stück Natur. —
Wir fuhren in einem feuchten Nebelabend nach Hauſe; zu
ſehen war nichts mehr: ich kam wieder erſchreckt an: alle
Einrichtungen, noch ſo kürzlich belebt, durch Beziehung und
Sorgfalt, die ich allein liebe, die mir innerſtes Bedürfniß iſt, —
verwaiſt! Umſonſt! o! welche Angſt. Und welche Verſchmä-
hung des Himmels; der es immer ſo wieder werden läßt.
Bäuerinnen, Bettlerinnen haben, was ich ſchwer mit Herzens-
blut beweinen muß: jetzt wieder beweine: ach und nie ſagen
darf! Ich las ein wenig, und ging von der Feuchtigkeit be-
täubt zu Bette.
[421]
Ließ mir morgens die F. ſagen, ſie führe nach der Stadt, ob
ich nichts zu beſtellen habe: ich war zu aſſommirt, mitzufahren
oder nur irgend etwas zu verſuchen. „Nein“, ließ ich ſagen:
und blieb. Harſchern wollte ich hundertmal ſchreiben; Varn-
hagen auch; vergeblich! Line, die meinen bedauernswürdigen
Zuſtand ſehen mochte, rieth mir, bat mich, auszugehen: ich
ließ mich endlich in großer Furcht nach dem Garten bringen —
weil da kein Hund hinein kann; ſetzte mich auf eine kleine
Treppe, die zur Spree führt, und nähte mir ein Kleid; von
12 bis nach halb 3 blieb ich. Bürger von der Wache, und
ein zwanzigjähriger Gardedükorps-Sohn, den ich ſeit drei
Sommern kenne, und der anglen wollte, geſellten ſich zu mir.
Nach 2 kam Line: ich ging noch quer den waldigen Theil
des Gartens durch. Gerechte Götter, wie ſchön: hätte doch
mein Herz den giftigen Fleck nicht! das Bedürfniß nach Men-
ſchen. Nach einem Freund. Wär’s doch nicht aufgeregt! Ich
bin ja oft geſund; und will nichts; und ſehe es ein! Um 5,
hatte ich mit dem jungen Menſchen verabredet, wollten wir
zu Waſſer fahren. Ein bejahrter Bürger ſprach von Gewit-
ter, und wollte doch mit: der Junge aber wollte lieber ſeinen
Bruder mitnehmen: ich ſchwieg: aber das Gewitter kam grade
um 5 Uhr; ich ſaß am Fenſter und nähte mein Kleid fertig,
zum Leſen war der Regen zu ſchön: vorher ſchrieb ich doch
bitter an Varnhagen: ich weiß aber nicht, ob ich’s abſchicke.
Im Leben, welches die Götter geben, iſt Schreiben nicht nö-
thig: in anderm hilft’s nichts! Später gingen wir in Graf
Kameckens Garten, und nach dem Schloßgarten. Schön war
[422] der Himmel; ſonſt nichts; ich war ſo krank, als die dampfende
feuchte Erde. Und lebte vor Ohrenſauſen und vor Betrübniß
nicht. Todt ging R. neben mir: endlich wurde ihr unwohl:
bei mir lag ſie: dann ſprach ſie: dann ging ſie. Ich las ein
wenig: das Sauſen aber litt es nicht: ich aß, und ging zu
Bette.
Heute den 16. war ich noch nicht aus: im Zimmer iſt’s
kühl und feuchtlich: mir angſt genug. Ich ſchrieb dieſen Bo-
gen: und will Harſchern ſchreiben, denn morgen geht die Poſt.
Welche Tage! wie unwürdig! —
Freitag ſchrieb ich bis gegen 2 Uhr, da kamen die Be-
ſuche: ich mußte nur noch Harſchers Brief zumachen; und ging
mit ihnen in ziemlichem Wetter nach dem Kuchenladen; und
mit einem Umweg nach Hauſe. Das Fräulein ſprach unſicher
und nichtig: vernichtigte mir Wolken, Waſſer und Umriſſe.
Ich mußte lange meine geſtörten Nerven erholen. In der
Seele war mir weh; und fremd all dieſe zu bekannte Umge-
bung: ich wollte aus Unwillen am Unwürdigen mir nichts
wiederholen, und ſo wiederholte ich bruchſtückweiſe alles! Wir
gingen um 6 zu den Damen; wüſt wurde vor der Thüre, der
Kälte wegen, umhergegangen. Ich hielt’s nicht aus, und ging
mit N. Dieſer Gang war gut: das Wetter vermildert; der
Weg hübſch; die Sonne da! Aber ich elend: mir nichts an-
eignen könnend: nur disguſtirt mein ewig von neuem zerriſſe-
nes, nicht zu heilendes Leben in der Seele fühlend, vor dem
Geiſte habend. Schwer war mir der Körper; die Feuchtigkeit
[423] hatte ihn mir voll Gicht geſchüttet; unwohl kam ich zurück:
L. war gekommen, der Stumme! Man trank Thee. Mir
wurde immer unwohler. Wir wollten nach Berlin fahren; es
war ſehr kalt, und naſſe Maſſen in der Luft. Ich holte mir
einen Wattenrock, ward zu Hauſe ſehr krank, machte es ab:
und fuhr ganz ermattet mit. Fahren iſt die einzige zuſam-
menhaltende Zerſtreuung. Pferde! Pferde! in dem Menſchen-
mangel! flüchtig, und deutlich genug, zeigt es, ohne Anſtren-
gung oder aufmerkſame Mühe, Gegenſtände; führt in die Luft,
und bezeugt uns noch Kräfte und Macht zu unſerm Gebot.
Rückzu war es noch kälter; ich ließ mir Alphonse von Mad.
de Genlis holen und las: und ging geängſtigt zu Bette. Am
andern Morgen war Sturm und Regen. Ich las nur das
Buch aus: ging ſpät zu R., die ſterile war. Ich ſprach end-
lich wie mit mir allein. Kündigte ihr an, daß ich den andern
Morgen nach der Stadt wollte: Einſamkeit ohne Liebe, ohne
Hoffnung, ohne Beziehung, ohne Zukunft, erträgt mein Geiſt
nicht. Ich ging zu Hauſe, hatte heftige Gichtſchmerzen im
Arm. Las die Straußfedern. Wie niederträchtig; wie durch
Gift fühlt man ſich bei dieſem Leſen, aus Seelen-Ekel, aus-
einandergehen. In welcher niederträchtigen Wuth — aus Mat-
tigkeit geboren — muß der Menſch dies geſchrieben haben,
und wie kann man in ſolchem Zuſtand nur noch die Feder
halten! Er hätte als Koth umfallen ſollen. —
— Frau von Bl. kam; ich fand ſie bloß mager, und
grimaſſirend. Wir kamen auf Empörendes zu ſprechen. Sie
hat keinen Muth zu leben, und keine Prätenſion daran. Sich
ſagen zu können: du biſt wie man dich fordert, ohne Zweck,
[424] ohne Inhalt, beinah ohne Ziel, iſt ihr ganzes Sein und Stre-
ben. Rührend iſt es, eine Frau in dem Alter mit ſo dürfti-
ger Nahrung und um die noch ſich balgen zu ſehen, rührend
in dem Moment, wo man die Beſchränkung doch auch als
Unſchuld ſieht: lächerlich in ſeinen Details und empörend der
ſtupide Stolz, die klotzartige Zufriedenheit damit; ärgerlich
die Verehrung der Geiſter, die abſtrakt ſich Großes zu denken
vermögen, und zaghaft armſelig in wirklicher Entfaltung des
reellen Lebens daſtehen! Und im Vergleich mit dem Reichthum
des wirklichen Lebens — und wären’s nur ſeine Schmerzen
und die Phantome vom Irrthum erzeugt, — der innern Ve-
getation und Bildung aller Art: verächtlich klein bis zum
Vergeſſen! — Sie glaubt zu lieben, ohne Gegenliebe; ohne
die höchſte Achtung: ohne Nähe des Geliebten: ohne ausſchlie-
ßendes bezauberndes Wohlgefallen an ſeiner Perſon; ohne
Hoffnung je mit ihm vereinigt zu ſein! Als ich dies alles ab-
gefragt hatte, ſagte ſie dieſen pathetiſchen Spruch, lang aus-
wendig gelernt, ohne Sinn, ohne Inhalt, ohne Bedeutung:
— Andere haben ihr ſchon mehr gefallen, geſtand ſie, bewun-
dern und ſchätzen muß ſie Andere auch mehr: — „Innerlich
kann ich mich an niemand ſo anſchließen, als an ihn.“ Zehn-
jährige Entfernung; keine Hoffnung ſich zu ſehen; kein Zau-
ber der Perſon; keine Verehrung des Karakters, des Geiſtes,
der Geſinnung; Unzufriedenheit mit dem Betragen; Neigung
für Andere! Wo iſt nun der Sinn dieſer großen Geſinnung
dieſer großen Frau, in dieſer großen Liebe? So fand ich ſie
novice — comme un conscrit, möchte ich mit Bribes ſagen —
in allen ihren Fragen an mich, ſo wenig entzaubert von der
[425] Welt, ſo wenig Eleganz und Vornehmheit von edlem Sein
unterſchieden, ſo wenig geordnet die zerſtückten Elemente in
dem Weltverkehr nach den wahren Naturreichen, daß ich ein
wenig begabtes Rieſenkind vor mir zu haben glaubte. Gar
nicht erholen konnte ich mich: denn lange hatte ich ſie nicht
geſehen; viel gelebt, gedacht, gelitten, geleſen, geſehen in der
Zeit: ſie ſei mitgegangen, dacht’ ich heimlich. Und ich komme
von meinem Erſtaunen nicht zurück! Mit der gehen kluge
Männer um? Dies bewundern ſie? halten ſie aus? Mehr
hat ſie ihnen nicht nachdenken gelernt? meine ich. Rein
gemein iſt’s, Dumpfheit zu ehren, und ſich von ihr ehren zu
laſſen, ohne Einſicht; um nicht an Wundes in ſich, oder Grau-
ſes für den Geiſt, oder Ungefälliges für die Welt, zu kom-
men! Nein, nie werd’ ich dies begreifen! — Sie frug mich
kindiſch und unzweckmäßig über W. und ſprach in inhaltloſem
Lob über G. Ich mußte ihr auch dumm antworten. —
— Geſtern, Mittwoch, ſtand ich auf, las, zog mich an,
und ging zu Frau von Bl., weil ich mein dummes Antworten
bei ihr gut machen wollte: auch aus Freundlichkeit: ich konnte
aber nicht zu unſern vorigen Reden zurückkommen: ſie war
zugeriegelt, mir meine und meiner Freunde Vertheidigung zu
werth. Sie machte mir einige ſo dumme, nichtige, kleine Fragen
über Prinz Louis, ſtieß ein ſo dummes sentiment in Form einer
Meinung aus, daß ich für ewig weiß, ſie hat nie den Muth
in ſich zuſammengehabt zu lieben noch zu leiden: und weiß
auch gar nicht, welchen Punkt im Herzen Liebe trifft. Um
[426] halb drei wollte ich gehen. trat herein, grüßte mich, ſagte
„Wie geht’s,“ ohne die Antwort abzuwarten, ohne mich an-
zuſehen. — Sah mich nicht Einmal an; auch beim Begleiten
nicht; — was iſt das für eine Verlegenheit? Dabei lobt er
mich? Er ſieht ſehr zuſammengeſchrumpft, ſchlimm und unor-
dentlich, und präoccupirt und beſorgt aus. —
An Wilhelm von Humboldt, in Königsberg.
Ohne auf irgend etwas Gutes weder in der Nähe noch
in der Ferne hoffen zu können, ſiegle ich ein Billet an Mlle.
Cramer zu, und denke weiter zu leſen; erdrückt von der Geiſt-
loſigkeit aller Menſchen, die nun noch um mich ſind, aber
auch wie ein Geiſt ganz von ihnen abgelöſt: man überreicht
mir Ihren Brief! (Hr. Uhden ſchickte ihn mir; die Schönar-
mige, die ich noch nicht geſehen habe, iſt geſtern Abend um
7 Uhr angekommen.) Ich freue mich des Briefes, deß, was
Sie mir ſchicken: ich freue mich, daß es Ihnen ſo ſteril geht
als mir! Ich begreife durchaus, was Sie mir ſchreiben; An-
weſende müſſen Abweſende aus dem Herzen hervorrufen; und
zu Angedenken — souvenirs — gehört Umgebung; und wenn
ich hier Andern diente, ſo wäre es billig, daß in Königsberg
mir es Einer thäte. Vor kurzer Zeit hatte ich noch einen ſol-
chen Umgang, daß ich von Ihnen ſprechen, und ſehr gut an
Sie denken konnte: Alexander von Marwitz ſah ich oft, nun
iſt er ſeit vierzehn Tagen verreiſt: „eine andere Heerde zu
hüten!“ Als er hörte, daß ich Sie kenne, frug er mich ſehr
[427] geiſtvoll über Sie aus; denn er iſt es. Ich ſagte ihm grade,
was er in dem gegebenen Augenblick verſtehen konnte, und
was ihm auch eine runde Einſicht gab. Ich war ſehr beſchei-
den, und ſetzte ſein Genie diesmal nicht auf die Probe. Ich
machte ihm begreiflich, wie univerſell Sie ſeien; und daß Sie
von keinem Alter ſind. Sein und mein Freund, ein junger
Doktor Varnhagen war zugegen; und obgleich der mehr über
Sie, durch mich weiß, ſo wollte ich nicht über Sie doziren:
alles was nicht tête à tête abgeſprochen wird, gewinnt un-
willkürlich dies Anſehen, welches auch in’s Weſen dringt. Ich
konnte ihn aber mit meinen glücklich gewählten Ausdrücken
völlig bedeuten, was mit Ihnen alles vorfallen kann, und
was Sie Einen alles können ſagen machen. Dies glückte mir
in einfacher, nicht portraitirender kleiner Rede ſo gut; daß
in Marwitz Verſtummen mein Freund ſagte: „Sie haben es
vortrefflich geſagt, wie Humboldt iſt, und gegen Sie ſteht.“
Marwitz iſt das werth: ich muß Sie daran erinnern, obgleich
ich weiß, daß Sie Zutrauen zu ihm haben, und ſeinen Karak-
ter gleich einſahen; ich hatte ſein völliges ſehr bald: und auch
das rechne ich ihm für einen Geiſtesblick in die Gemüther an.
In einem Billet, welches er mir einen Augenblick vor ſeiner
Abreiſe ſchickte — Varnhagen iſt mit ihm — worin er mir
Briefe zu verwahren gab, bat er mich, wenn ich Ihnen ſchriebe,
oder Sie ſähe, ihn ja bei Ihnen zu entſchuldigen! daß er Sie
in Ungewißheit gelaſſen habe; die Umſtände, wie ich weiß,
waren ſo gedehnt, und wurden nachher plötzlich ſo dringend.
Nun iſt er voll Ernſt, Willen und Muth; und auch auf Wi-
derwärtigkeit gefaßt; ſein jüngerer Bruder iſt ſehr ſchwer
[428] am Schenkel von einer Kanone verwundet; achtzehn Jahr,
und muß lahm bleiben in jedem beſſern Fall: ich habe vom
20. Juni Nachrichten von ihnen gehabt; ſie waren bei dieſem
Bruder. Verzeihen Sie Marwitz, und protegiren Sie ihn ſehr:
ich weiß wie vorzüglich Sie ihn behandelten, und doch mögen
Sie ihn noch nicht ſo en détail kennen als ich. Erwogen
haben Sie ſein Weſen, und durchdrungen muß es Ihr Blick
haben; und an Ihnen hatte ich meine Freude, als ich’s ver-
nahm! Von dertrempe iſt mir beinah noch keiner vorge-
kommen: er iſt ja wie alt bei ſeiner Jugend; dies muß man
aber auch gleich ſein, ſonſt wird man nur ein Stock, und
bleibt nicht jung.
Ich wohne zwar in Charlottenburg, bin aber leider mehr
hier: es iſt eine plötzliche Kälte eingefallen, die mir wehe thut,
und da fuhr ich gleich herein. Überall iſt bei mir kein Stuhl,
keine Taſſe verrückt: und nur ich habe mich hin und her zu
bewegen, um hier oder in Charlottenburg zu ſein. Und das
wollten Sie nicht leiden? Sie ſcheinen es gar nicht zu ver-
ſtehen, wie ſchön man in Charlottenburg ſein kann; und
vergeſſen zu haben, wie leicht hin und her. Daß Frau
von Humboldt einen Sohn hat, weiß ich ſchon; daß ſie in
Neapel bleibt, freut mich in der Seele. Weiß ich doch ein
genießendes fühlendes Weſen in den Naturanſtalten! Weiß
ich doch, daß Einer von meinen Ausgezeichneten lebt! —
Sein Sie nur mit Graf Dohna nicht Ein Herz und Eine
Seele! Und bedenken Sie, wie entfernt die diſtribuirenden
Mächte des Himmels ihn von Ihnen halten: wenn auch ir-
diſche Götter und Statthalter ihn Ihnen nahe ſtellen. Wenn
[429] er auch ſogenannt rechtſchaffen iſt: das weiß ich. — Und Sie
wiſſen nicht, wann Sie kommen? Hier ſagt man crescendo
der König käme, ſeine Pferde ſeien abgegangen. Der Schön-
armigen, der ich einen Rapport von der Tochter Spiel machen
mußte, ſchrieb ich: „Sagen Sie Hrn. von Humboldt, ich wäre
in Verzweiflung, daß ich noch hier, und er in Königsberg blei-
ben müßte!“ Es war buchſtäblich wahr. Wie können Sie
mir nur etwas ſchicken, was ich tragen ſoll, und ſo wenig da-
bei ſchreiben; darum nun ſchreib’ ich ſo geſchwätzig! Sie ſind
dort in der Dürre: möge dieſer plauderhafte Brief Ihnen ein
Repräſentant eines plauderhaften, vertraulichen, altberliniſchen
Abends ſein! Deßhalb gebe ich mich ſo preiß mit Schreiben.
Ganz erſtaunt bin ich, Ihnen Dankbarkeit eingeflößt zu ha-
ben; Sie haben ſich auch nur verſprochen, lieber Humboldt!
Sie wollten ſagen, Sie ſeien noch, wenn Sie daran erinnert
würden, ein wenig verwundert, daß ich nicht durchaus ſo gar-
ſtig bin, als Sie mich während des Haſſes immer wähnten,
oder vielmehr vorausſetzten; und unbeachtet ließen. Ewig
wird es in Ihrer Menſchen-Kunde und Jagd, und in Ihrem
Leben ein Brachfeld bleiben, daß Sie mein Weſen ſo über-
gehen konnten; von Äußerlichkeiten wie von kleinen Wällen
und Thürmchen zurückgeführt, weit weg, zu leeren flachen Ge-
bäuden in nachahmenden Umriß der gewöhnlichen Regelmäßig-
keit! Weil ein kräftigeres Gemüth ſich tiefer zurückzog; unter
den Prahlern nicht prahlen wollte, und weltlich ſich zeigte,
ging der Naturforſcher vorüber? Weil ſchönere, erlernte Aus-
drücke mir nicht zu Gebote ſtanden, und ich ſie zur Hälfte
verſchmähte, entging Ihnen auch, mein unbefangener, eindrin-
[430] gender Geiſt? Und die herbe jugendliche Schale ſcheuchte auch
den Kundigen vorbei? Welch Studium hätten wir miteinan-
der vollbringen können; welche Welten von Leben entdecken
können: welche Rechenſchaft hätten Sie von mir einholen kön-
nen! Schämen Sie ſich, Sie fleißiger ſchlechter Forſcher! Ich
muß Ihnen nun noch eine Kränkung zufügen; und es thut
mir leid, daß die jetzt kommen ſoll! Ich war mir die Tirade
über mich ſelbſt nicht vermuthen, eh ſie hier ſtand; und was
nun kommt, habe ich Ihnen zugedacht. Mad. Huber ihr Buch
habe ich geleſen: ſie nennt es das Leben ihres Mannes Huber:
unverſehens ſchildert ſie ſich in dem Buche. Schreiben kann
ſie ja nicht Einmal. Ehren will ſie ſich gerne; zu dem Behuf
nennt ſie ſich bald Weib, bald Eheweib, bald Gattin, bald
Frau. Sie ſucht in allen weiblichen Titeln herum, um dieſen
Zweck zu erreichen. Mit Ihnen möchte ich mir die Marter
anthun, dies Buch noch Einmal zu leſen; und Wort vor
Wort Rechenſchaft fordern, und welche geben. In der ganzen
mir bekannten Litteratur kenne ich nur Ein ähnliches Buch:
les mémoires de Marmontel. Der ſtäubt ſich in aller Mühe
auch ſelbſt aus; und denkt, geſchickt mit dieſen ſanften Hieb-
chen ſein Leben von ſeiner Aufführung zu ſäubren. Welche
gewöhnliche — um nicht das rechte Wort zu gebrauchen! —
Geſinnungen profeſſirt die Frau in jedem Blatte! Und jede
Geſinnung ärgerte mich nachher noch Einmal, wenn ich an
Ihr Lob dachte. „Mit ſolchen Künſten lockt man ſolche Her-
zen!“ Hätten Sie ſie reizend gefunden, mir ſie ſo genannt!
Aber dies die erſte Frau?! Zeile vor Zeile unternehme ich mir
dies Buch mit Ihnen durchzugehen! Ich hatte es von mei-
[431] nem Freund Varnhagen dieſen Frühling: ich machte ihn ra-
ſend! — Sie hatten mich gelehrt, ſie für etwas zu halten —
er fand es aber ſchon vorher ſo, ſagte er mir. Ich habe
gleich, wie ich Ihren Brief bekam, geantwortet; das iſt die
beſte Art. Sonnabend kann dieſer Brief erſt abgehen: ſchickt
mir bis dahin Hr. von Laroche nichts, ſo laſſe ich’s holen:
ich will darüber mit Ihnen in dieſem Briefe noch ſprechen.
Wenn Sie mir die Ehre erzeigen, zu antworten — und Sie
thun’s! — ſo ſchreiben Sie ja recht deutlich! Adieu bis
Sonnabend!
Der Brief wird mir jetzt abgeholt, weil dem Kanzleidiener
ſein Weg hier vorbei fällt, und er mich von Miniſter Maſſow,
mit dem ich in Einem Landhaus wohnte, noch kennt, und mir
abſolut einen Gefallen thun will. Ich kann alſo Hrn. von
Laroche’s Sendung nicht abwarten, und muß Ihnen ſo Adieu
ſagen. — Nun habe ich mit dem Manne geſprochen: er will
morgen wiederkommen. Es iſt Nachmirtag, und ich habe noch
Zeit Ihnen zu ſagen, daß ich vorgeſtern Abend noch ganz par
hazard bei der Schönarmigen war. Die Familie findet Sie
allerliebſt; und nach ihrer Erzählung toben Sie doch auch ein
wenig in dem Radziwill’ſchen Hotel; vergleichen die Menſchen
zu Meerkatzen; kurz wie hier. Daß Sie ernſt bei dieſen klei-
nen Redeflüßchen geblieben ſind, war ich überzeugt. Mit Einem
Wort, der Chef wird geliebt. Sonſt fiel nichts vor; außer
daß ich an allem und an jedem Worte abnehmen konnte wie’s
dort ſteht. Hier ſagt man wieder ſeit zwei Tagen, der König
käme nicht. — Lieber Geheimer Staatsrath, wirken Sie mir
[432] doch wo möglich aus, daß die Charlottenburger Chauſſée re-
parirt wird! Es iſt die einzige im Lande, die danieder liegt;
und grade die, auf der ich, und alle guten Einwohner Ihres
— doch ewig Ihres — Berlins leben und hauſen. Es koſtet
Sie ein Wort, und Steinchen blüht darauf neben Steinchen!
Eine Grauſamkeit wär’ es gegen mich, wenn Sie dieſes Wort
nicht ſprechen: und für ewig wüßt’ ich, wie es mit dem Haſſe
ſteht. Denken Sie ſich die Wallungen meines Herzens für
Sie, wenn meine Augen den erſten Arbeiter auf dieſem Wege
ſehen. Fünf Tage geht ein Brief von hier zu Ihnen: in vier-
zehn kann ſchon der Chauſſéemann und mein Herz hammern.
Ich fürchte mich recht, daß Sie ſo viel von meiner Ihnen ver-
haßten, und in der That diesmal abſcheulichen Handſchrift
ſehen müſſen: zerreißen Sie ja gleich dieſen Brief! Leben Sie
wohl; ich muß den Brief ſieglen, und habe noch nicht zu Hrn.
von Laroche geſchickt.
Ich habe Ihr Geſchenk ſchon um: es iſt vom beſten Ge-
ſchmack! Goethe wollte mir ſchon einen Roſenkranz ſchenken;
und verſäumte es. Zehen Jahr ſpäter mußt’ ich ihn von Ih-
nen bekommen. Es freut mich ungemein. Unſere Eleganten
vom höchſten Schlage tragen ihn, und Ihnen danke ich ihn
am liebſten. Leben Sie wohl.
Ich ganz allein und krank. Ganz allein, und froh drü-
ber; geleſen; gelegen. Gehen konnte ich nicht. Abends um S.
der Beſuch! komplett unausſtehlich, überzeugungsunfähig.
Schlechter Kopf. Engliſcher Romanheld in Stolz. Närriſch
ganz
[433] ganz bis in Unſinn hinein. — Nachmittag ein ſtarkes Gewit-
ter. Ich leſe St. Real’s Fragmente aus der römiſchen Ge-
ſchichte. Sehr ſchlecht geſehen, und nicht gut geſchrieben. Was
nöthig iſt, und alles, und was Andre wiſſen, erfährt man
draus. Es iſt alles, Sitten und Staaten, noch komplett
römiſch. Nur verwiſchter; und beinah wie, links beſſer, und
rechts ſchlechter: wie es fällt.
An Varnhagen, in Wagram.
Vielleicht, mein Freund, haſt du einen ſehr guten Brief
nöthig in dem Augenblick, in welchem du dieſen erhältſt, und
das wird kein guter werden. Schlecht iſt nun einmal alles,
muß alles werden, weil wir uns getrennt haben! — Du mußt
nun bleiben. Sei tapfer und brav! Denk’ an mich, wenn du
in einem Gefecht biſt: du weißt, ich bin furchtſam: aber den
unbekannten Tod würd’ ich wählen, wär’ ich durch eigene
Wahl darin; und wiche nicht. — Du weißt, wie ich über
Krieg, über dieſen denke. Krieg iſt für keinen gebildeten
Menſchen. Die nicht wiſſen, daß der Körper die Perſon iſt,
können ihn ſich zerſchießen laſſen: ſonſt nur in dem Augen-
blick, wo man angegriffen wird, muß man ſich wehren, und
wenn Zorn und Rache fort reißt! Du ſelbſt fühlteſt es tief
bei des jungen Marwitz Schenkelwunde. Der Unſelige! Doch
konnteſt du ohne Muth- und Thatbeweis nicht leben — ſo
führ das herzhaft aus! — Auch ich ginge in Schwerter, um
den Preiß; das Schickſal ſelbſt forderte ich. Lâche bin ich
I. 28
[434] nicht; gethan will ich alles haben, was helfen kann: mein
tiefes gränzenloſes Unglück liegt darin, daß ich keine That zu
meiner Hülfe weiß! — — Marwitz hat mir mit derſelben
Poſt einen großartigen, edlen, himmliſch ausgedrückten Brief
geſchickt. — Sein Bruder iſt außer Gefahr, ſchreibt er. —
Marwitz lieb ich nach wie vor. Sei gut gegen ihn: er iſt
etwas unſicher über dich geworden. Wie edel drückt er das
aus! Wie fragend! Kannſt du denn ſein Gemüthe nicht fin-
den, wie ich; den Lebenspunkt, das Herz, wo alle ſeine Eigen-
ſchaften hinlaufen und ausgehen? —
An Fouqué, in Nennhauſen.
Nur ein flüchtiger Gruß wird es auch heute! Wenn Mar-
tern Ihnen Erſatz ſein könnten, ſo hätten Sie völligen; ſo habe
ich mich gemartert durch das Aufſchieben des Schreibens. Ihr
Brief iſt mir nicht zur Hand, ſonſt ſollte doch dieſer Ihnen
lieber werden. Wie ſehr rührte Ihrer mein Herz; wie ernſt
fand ich ihn; und Sie dadurch. Wußt’ ich’s doch, daß man
zu ſolchem Scherz, wie Sie ihn üben, nicht kommen kann
ohne inneres Scheitern! Sie kommen mir in Ihrem Briefe
ſehr an ſich und an Ihr Talent verwieſen vor: und drückte
er auch nur eine einzelne Stimmung aus, und ſind Ihnen
hundert und wieder hundert noch ſo freudige, reiche durch die
Seele gegangen: ich kenne doch den beleidigten Punkt im
Gemüthe, wo dieſe entſpringt, und nur zugedammt werden
kann, nie aufgehoben. In welchem Zuſtande aber, lieber
[435] freundlicher Mann, traf mich Ihr Schreiben. Ich die das
zäheſte Leben in ſich trägt, war bis zum Ennuyiren ver-
nichtet — alle andere Seelenzuſtände war ich durchgegangen.
Aus dieſem Opiumszuſtand bin ich nun freilich ſcheinbar, wenn
auch in der Wirklichkeit nicht, durch tauſend andere Hetzen
gekommen: durch den Frühling und durch die bittere Über-
zeugung in der Verzweiflung ſelbſt. Was mir iſt? daß ich
noch nie gefehlt habe; noch nie leichtſinnig oder eigennützig
handelte, und mich doch aus dem immer ſich fort, und neu
entwicklenden Unglück meiner falſchen Geburt nicht hervorzu-
wälzen vermag. Dies ſind wenige, leicht und bald auszuſpre-
chende Worte; aber es ſind die Bogen, worauf mein ganzes
Leben hindurch die ſchmerzlichſten, giftigſten Pfeile abgedrückt
ſind. Feſt ſtehen ſie die Bogen, aus ihrer Richtung führt
mich keine Kunſt, — keine Überlegung, keine Anſtrengung,
kein Fleiß, keine Unterwerfung. Das Glück, das große, wen-
det mir ganz den Rücken. In dieſer Attitüde findet mich ein
jeder: und nie war Einer über-edel genug, um mich wie eine
Glückliche zu behandlen: die fordern darf, und der man lei-
ſtet. Jedes menſchliche Verhältniß iſt mir mißglückt. Meine
Einſicht über mich ganz geſchärft: aber meine Herzensfaſern
zu ſchwach. Ich folge ihr nicht, der Einſicht. Menſchen lok-
ken, rühren, und reizen mich. — Niemand; kein Dichter, kein
Philoſoph keiner Zeit, ſieht ſie mehr durch als ich: und um
mit ihnen wirklich, in der That umzugehen, muß man ſich
doch immer einſetzen: ſonſt trat man ihnen ja in der Wirk-
lichkeit nicht nah, vertrauen muß man ſich doch, ſonſt handelt
man, aber lebt nicht. Auch bin ich kein alberner Miſanthrop!
28 *
[436] Ich traue und liebe, und bedarf noch rechts und links; aber
das Glück, das Schickſal, Gott, die Götter; wie es einer nen-
nen will: ich nenne es jetzt immer die événements: die empö-
ren mich ganz! Warum nicht eins zu meiner Gunſt; warum
in dem großen, unermeßlichen Tollheitsgewühl nicht Einer toll
zu meinem Vortheil? Auf allen Seiten, auf allen Punkten
ſehe ich ja das für Andere; für einen jeden, für eine jede er-
füllt. Ein ſolches Glück, das mich perſönlich erheben ſollte,
kann in meinem Lebenskreiſe ſich nicht mehr intenſiv, als
große Chance; noch extenſiv für meine noch zu lebende Zeit,
ereignen. Ich ſehe alſo der Welt zu. Das Leben, die Natur,
iſt für mich da. Berechnen Sie alſo die lutte in meinem Le-
ben; die großen, die kleinen bittern Momente. Mit dem
ſchärfſten Bewußtſein über mich ſelbſt. Mit der Meinung,
daß ich eine Königin (keine regierende) oder eine Mutter ſein
müßte: erlebe ich, daß ich grade nichts bin. Keine Tochter,
keine Schweſter, keine Geliebte, keine Frau, keine Bürgerin
Einmal. Auf ſolcher Fläche umgetrieben, fand mich Ihr Brief
krank, und wartend auf Entſcheidung; nur wo ich athmen
ſollte. Früſtrirt von Brüdern, Varnhagen und meiner Mutter.
Pläne und Engagements kenne ich aber ſeit dieſem Frühling
nicht mehr: und das iſt kein hohles Wort diesmal! darunter
verſtehe ich nicht: ich glaube Andern nicht mehr: ſondern, ich
halte mich Andern nicht mehr gebunden; ob ich nun von ih-
nen hoffe, mögen Sie beurtheilen. Ein Punkt muß kom-
men, den man dem Schickſale ſelbſt als Ziel anſetzt; einer
muß ſein, worauf ſich alles Recht gründet. Gegenſeitigkeit
der Anſprüche. Es iſt geſchehen! Ich hielt das Band: allein
[437] halt’ ich’s nicht mehr. — Dieſer Brief iſt wie Ihrer, aus dem
Herzen, und an einen Freund: daß Sie ſo dieſes Herz fan-
den, iſt nicht meine Schuld. Ich wollte Ihnen nur einen
Gruß ſchreiben. —
Können Sie denn gar nicht Einmal auf acht Tage wie
ein freier Mann nach Berlin kommen? Wollen Sie etwa
bei mir wohnen? Ich kann Ihnen ein ſehr großes luftiges
Zimmer geben: welches Sie kennen. Ich wohne nebenan,
wenn ich in der Stadt ſein muß; gewöhnlich bin ich in Char-
lottenburg, wo ich wohne und bade. Meine Mutter hält
mich jetzt nur oft hier. Reiſe ich in wenigen Tagen nicht auf we-
nige Tage nach Freienwalde; ſo will ich Hannchen dadurch über-
raſchen, nach Rathenau zu kommen; dahin kommen Sie auch!
und dann gehe ich mit den Kindern ſpaziren. Alles dies nur,
wenn ſich meine Mutter in der Zeit ſo viel beſſert. Antwor-
ten Sie mir bald, lieber Fouqué: aber invitiren Sie mich ja
nicht zu ſich: ein Gut, wo ich nicht der Herr bin, iſt mir das
Unbehaglichſte von der Welt. Und ſich mit Vielen einpaſſen,
wo man Einen ſucht, zeitverderbend; wenn man auch die An-
dern jeden für ſich ſelbſt ſuchen würde: man müßte ſie doch
ſchon kennen. Wenn ich komme, bringe ich Prinz Louis
Brief mit. Wie gräßlich war es mir, als ich Sie das eine-
und letztemal ſah, nicht mit Ihnen allein bleiben zu können!
drum war ich ſo dorfdumm beim Abſchied. Leben Sie wohl,
lieber Dichter! Nur zwei würde ich jetzt ſo nennen! Den
Andern kennen Sie. Leben Sie ſehr vergnügt, lieber Fouqué,
und prägen Sie es ſich ja recht ein, wenn Ihnen etwas in
[438] Ihrem Leben gelungen iſt: ich will mit in dieſem Augenblick
für Sie leben. Adieu.
Rahel.
Der Krieg iſt aus! Ich habe Marwitz vierzehn Tage
gekannt, mein ganzes Herz liebt ihn: ſeine Exiſtenz iſt ein
Troſt für mich. Sie wiſſen, er iſt mit Varnhagen hin nach
dem Krieg. Vor vierzehn Tagen hatte ich noch Nachricht
von ihnen.
Ich habe dieſen Brief im Krankenzimmer geſchrieben, da-
her der Fleck.
An Fouqué, in Nennhauſen.
Donnerstag Abend, Sie Guter, Kindiſcher, brachte man
mir Ihren Brief hierher nach Charlottenburg, mit der Einlage
an Varnhagen; Sonnabend reiſte ſie ſchon auf die beſte Weiſe,
die hier unter den vorfindlichen Umſtänden erfunden werden
kann: durch des öſterreichiſchen Miniſters Korreſpondenz. Ich
habe dieſelbe Hypochondrie über Adreſſen; es geht bei mir ſo
weit, daß ich ſie von Freund und Feind vor dem Abgang
leſen laſſe, weil eine ewige Furcht mich anwandelt, ſie ſeien
ſchlechterdings nicht zu leſen: ich bin von nichts ſo eingenom-
men als von meinen Schwächen, und liebe ſie beſonders wenn
ich ſie bei Andern finde. Auf der Stelle hätte ich Ihnen ge-
antwortet; aber man hat mir eingebildet, nur Donnerstag
gehe ein Brief an Sie gut ab; und den Donnerstag war es
zu ſpät. Wie wird ſich Varnh. mit Ihrem Briefe freuen!
Mich freute er auch, aber auf eine andere Weiſe: Ihr kindi-
[439] diſches Weſen darin rührte mich. Wie Sie von ſeiner und
Ihrer Muſe ſprechen! Sie ſind gewiß ſchon Einmal älter,
als jetzt, geweſen. — Leben Sie nicht ſo einſam, lieber Fou-
qué! nicht ſo in ſich gezogen; jetzt iſt es noch lieblich für An-
dere ſchön in Ihnen; es muß aber ſtocken. Ich habe es ja
geſehen: Sie ſind einer recht lebendigen, munter witzigen, herz-
lich ächten, vielſeitigen Mittheilung fähig; alſo bedürfen Sie
ihrer auch recht eigentlich: nichts muß in uns brach liegen;
am wenigſten Menſchenverkehr, die innerliche Anregung, die
nur ihrer Berührung entſtehen kann: was macht denn ſonſt
wohl das eigentlichſte Weſen des Menſchen aus, und macht
ihn dazu, als daß er andere Weſen, die Angeſicht tragen, da-
für annimmt, und ſie behandelt wie ſich ſelbſt: wann kann
er das beſſer, als im vielfältigſten, reichhaltigſten, häufigſten
Umgang aller Art mit ihnen! Ich tadle nicht ſowohl Ihre
Einſamkeit, als Ihr leidenſchaftliches ſtagnantes Wohlgefallen
daran; Ihr Lob derſelben; Ihr Vergraben und Verkriechen,
in der Meinung, dieſe, und nur dieſe ſei Ihnen gut, heilſam,
paſſend. Dahinter, oder vielmehr davor iſt ein Schmerz;
der ſoll uns nie wegdrücken; bekräftigen, erfriſchen, erneuen,
urbar machen ſoll er uns zu allem; und der Inbegriff von
allem für Menſchen iſt menſchlicher Umgang, man mag es
drehen wie man will. Man kann nach der Einimpfung des
größten Schmerzes, wenn man ihn auch erlebt hat, doch noch
lebendig umhergehen. Sie ſind ein Dichter, und ſchenken den
Menſchen das Schönſte vom Menſchen. Und ſo giebt’s noch
manche Weiſe, wie man ihnen, eingeſperrt und abgeſperrt von
ihnen, göttliche Dienſte leiſten kann: aber Ihnen fehlt doch
[440] das Leben innerhalb der fünf Sinne; das nähere, täglich
emotionirende, blutumtreibende, wortausſtoßende, und geſtalt-
vollere lebendige Gedanken abſetzende. Sie ſollen kein Eremit
ſein! ich habe keinen Sinn dafür! — nur für Eremiten-Ge-
danken mitten unter Menſchen; ja, unter den gewöhnlichſten:
denn ach! — oder finden Sie das nicht? — ſie ſtellen ſo gut
die außerordentlichſten vor! Kurz, ich kenne mir nichts als
Menſchen: und nur dann bekömmt Einſamkeit ihren Sinn! —
wenn man dann allein iſt. Daß Sie Ihr Kind ſo lieben,
wer goutirt das mehr als ich! Aber, wenn es möglich iſt,
lieben Sie’s nicht mit Leidenſchaft! — Lieber, lieber Fouqué
— das heißt, mit Prätenſion. Ich habe kein Kind: aber dies
Verhältniß iſt — beinah daher — mein einziges Studium:
niemals kann ein Kind leiſten; leiſten, was Eltern ihr Herz
ausfüllen könnte. An ſeiner Exiſtenz, an ſeiner Entwickelung,
an ſeiner Natur können Sie ſich freuen, ſeines Herzens höchſte
Blüthe fällt in ein anderes Gehäge als in Ihres. Sagen Sie
ſich das früh, bald! Wundern Sie ſich nicht, mich die Kin-
derloſe ſo ſprechen zu hören, und in dem Eltern-Schmerz ſo
kundig zu ſehen: viele Reiche des Schmerzes habe ich ergrün-
det, und ihre Gründe; getrieben von einem. Ich mußte Klar-
heit über alle Lebensverhältniſſe haben; das Herz mußte ſprin-
gen, oder erleuchtet werden! Mir thut Gewißheit, Gründe,
Klarheit gut. Es muß Ihnen auch ſo ſein! Verſtehen Sie
mich? So frage ich immrr, wenn ich weiß, daß ich undeut-
lich war.
Hanne, meine Hanne, hat mir Wunder und Zeichen von
Ihrem Kinde erzählt: Sie ſind nicht allein ſo eingenommen
[441] von ihr: (ich habe den Namen vergeſſen.) Nur zweimal in
ihrem Leben habe ich Hanne von irgend etwas ſo ergriffen
und ſprechſelig geſehen: Einmal, als ſie jünger war, und ich
mit ihr dem Gießhauſe vorbei ging, und ſie oben auf einer
Mauer deſſelben einen Pappelbaum gewahr wurde, der drollig
genug da herauswächſt: und dann, wie ſie aus Nennhauſen
zurückkam, über Ihr Kind. Seine Augen, ſeine Haare char-
mirten ſie; ſeine Sprache — ſie ſagt, wie Fouqué, accu-
rat! — röthlich ward ſie, wenn ſie von dem Kinde ſprach;
und immer fing ſie wieder an. Das machte mich ſehr gewiß
über das Kind; Hanne iſt nie demonſtrativ; und ſie war ganz
wie erlegt von ſeinem Reiz, und einnehmenden Weſen.
Nun aber ein Zank, lieber Fouqué! was iſt das, daß Sie
gar nicht antworten, wenn Sie ſchreiben: Sie ſchreiben mir
auf den Brief, den Ihnen Hanne brachte, als ſchrieben Sie
aus dem Stegreif; auch nicht eine Silbe Antwort. Ich liebe
Antwort. Wenn Sie das immer thun, kann ich auch am
Ende nur antworten. Sie müſſen approbiren oder tadlen,
oder Recht geben oder widerſtreiten. Sie ſehen, ich dringe
wieder auf das Lebendigſte im Briefumgang! Machen Sie
aber doch wie es Ihnen recht und gemüthlich iſt: ich liebe zu-
letzt alles wie es mit und in Ihnen iſt! Nur freuen Sie ſich
nicht ſo mit Jean Paul Richters Rezenſionen: ich haſſe ſie
von ihm; mit ſeinem laxen Schreiben: eine Rezenſion ſoll
packen und vor die Augen halten: und er fließt wie eine Phan-
taſie auf dem Piano — höchſtens. Nein! das will ich nicht!
Auch der Brief an Sie war zu litterariſch! ſo monatsſchrift-
lich, wie von einer Univerſität zur andern; ſo mager und karg;
[442] ſo abgetragen freundlich; ſo nichts bezeichnend, ſo dürftig
witzig: hier wo Sigurd hätte wallen machen ſollen. Nein!
Lieber will ich Silbenmaße und Proſodie ſtudiren, und dann
eine ſchreiben: die ſoll das ungerüttelte Publikum gewiß rütt-
len. Verzeihen Sie der Freudeverderberin! — Apropos, Achim
Arnim und Brentano ſind hier: ich habe ſie auf der Straße
geſehen. — Ich bekomme doch alles von Ihnen was gedruckt
iſt? Sie wiſſen, daß ich’s verdiene. Leben Sie wohl. Schrei-
ben Sie mir! — was und wie es Ihnen durch den Kopf geht.
Sie ſchreiben es einer treuen Seele, keinem ſtumpfen Geiſte;
einer wahren Freundin. Und kommen Sie ja zum oder im
Winter zu uns!
Ihre gute gute Freundin. Rahel.
An Roſe, in Amſterdam.
Liebe Roſe, bleibe geſund! Ich bin es noch; und erſchöpft,
oder vielmehr Gedanken und Schmerz ſtocken jetzt in mir. Ich
ſitze in Mamaens Haus neben Robert und ſchreibe, die Kouſine
kämmt ſich, Bunim geht die Stube auf und ab. Ich habe
einen grauen taftenen Wattenrock an, einen gelben Strohhut
mit ſchwarzem Flor. Dieſe Details zur Beruhigung, daß du
ſiehſt, wie alles hier iſt. Mama wußte nicht, daß ſie gefähr-
lich iſt, oder wenigſtens verbarg es uns ſo gut, daß wir ihr
nichts anmerkten. Sie ſagte Donnerstag noch: „Ich tauſche
nicht mit der Königin, die iſt nicht ſo glücklich, als ich.“ So
fühlte ſie ihre Pflege und Aufwartung. Giebt es einen Troſt
in ſolchem Schmerz, ſo wird meiner auch deiner ſein, daß ein
[443]Menſch nicht mehr geliebt, gepflegt und abgewartet und mit
Sorge und Witz aufgewartet wurde, als dieſe reine Mutter!
Sie lebte zuletzt als reiche glückliche Frau. Starb in Roberts,
Markus, der Kouſine und meiner Gegenwart; wir auf den
Knien betend. Sonnabend Nacht punkto 1 Uhr. Drei Stunden
vorher, ſchien’s, hatte ſie das Bewußtſein verloren. Ihre letzte
zuſammenhängende Phraſe war: „Robert ſoll ſchlafen gehen.“
Er hatte gewacht. Das ſagte ſie um 5 Uhr. Freitag glaubte
ſie noch an eine Reiſe nach Holland, die ſie projektirte; und
die ich ihr zur Freude vormahlte: als ich vom Poſtillon und
Wald ſprach, ſchnalzte ſie mit der Zunge wie ein Kutſcher:
uns zu ermuntern, und auch ſich zu täuſchen. Ich hielt ihr
noch todt die Hand: im Fall ſie es fühle: ich war mit zum
Begräbniß, und ging nur von ihrer Seite als mir durch Erde
ihr Anblick entzogen war. Warum ſollten Fremde, ſo lange
ihre Geſtalt exiſtirt, um ſie ſein, und nicht ihre wahre Wär-
terin und Freundin! Beneide uns nicht!!! ich fühle, du
wirſt es: es iſt ein nicht einzubildendes Weh, eine ſanfte Mut-
ter lange ſterben und leiden zu ſehen: die Seele iſt für immer
davon vergiftet; und deine regrets kompenſiren ſich mit die-
ſem ſchneidenden Jammer. Glaube es! — Sie nahm noch löffel-
weiſe Kaffee, Bouillon, und Wein, bis vier Stunden vor dem
Tod. Wir ließen ſie das Sterben nicht moraliſch empfinden;
und glauben ſie getäuſcht zu haben. Ich werde dir die Hälfte
von den Haaren ſchicken, die ich von der Wärterin abſchnei-
den ließ, als ſie noch warm war: und ſonſt ein Andenken
durch eine Sache die ſie täglich brauchte. Ich habe ein Kopf-
zeug, ihren Sidur und eine Nadelbüchſe genommen. Faſſe
[444] dich! Sammle dich; tröſte Karl, denke an Louis. Wir hier
wollen für einander ſorgen: und ſo die Mutter ehren.
Deine Rahel.
An Roſe, in Amſterdam.
Liebe Kinder, Sonnabend um 7 Uhr und noch viel ſpäter
eigentlich ich, erhielten wir eure Briefe; die Unmöglichkeit, ſo-
gleich zu antworten, trat ein, weil unſere Poſt ſchon geſchloſ-
ſen war, und unerbittlich iſt: auch heute nun fühl’ ich mir
die wahre verve euch zu antworten, wie ich bei eigentlich in-
nerer Muße wohl könnte, nicht, aber euch warten laſſen wäre
jetzt arg, weil ich euch nicht früh genug auch meiner Freund-
ſchaft verſichren kann, und nicht früh genug euch bezeugen
kann, wie eure liebe Briefe wohlthuend für uns Alle waren,
und mir beſonders eine ſtillende Betrachtung einflößten. Mein
Geiſt aber iſt nicht geſammelt genug dieſen Morgen. Meine
Seele nicht heiter, mein Herz zufällig nicht froh genug, auch
euch den wahren Balſam aus meinem Innern fließen zu laſ-
ſen, den ich wohl bei mir trage; dich beſonders, lieber Karl,
zu tröſten — obgleich wir beide gewiß längſt übereingekom-
men, daß es keinen Troſt giebt —. Ich weiß, ich kann ein-
dringlich mit dir reden; unſere Denkart, und Geiſteswendung,
wirkt ſich durch’s Geſpräch nicht entgegen, und unſere Gedan-
ken gehen, nach einigem Ringen mit einander, geſtärkt und
geklärt zuſammen. Nur heute iſt mein Geiſt nicht beredt; ſo
ſehr ich auch wünſche, dir grade heute zureden zu können, die-
[445] ſes Wünſchen rüttelt den Wunſch, jetzt um euch zu ſein, recht
auf! Arme Roſe! wir waren, wir ſind doch noch zuſammen,
konnten von unzähligen Dingen und Kleinigkeiten ſprechen,
die Mama betrafen, und die nur wir wußten, und ſo ihr das
luftige Mauſoleum errichten, wovon unſere Bruſt den Grund
verſchließt; aber noch Einmal und für immer ſei’s geltend
geſagt, du haſt auch vielen, für dich vielleicht unaushaltbaren
Jammer, und was noch mehr iſt. Ärgerliches — in die Länge
gezogen — und Beſchwerliches verſäumt. Mir giebt dieſe Be-
trachtung beinah den Stolz und das Gefühl von Glück, den
ein großer Glückszufall geben muß, daß wir durchaus zwei
gebildete Familien haben, eure und unſere; daß wir uns alle
tröſtlich, jeder vermöge ſeines Geiſts und ſeiner Lage, gegen
einander benehmen ohne Affektation und Empfindſamkeit, und
uns wirklich in unſern Gemüthern aufrecht erhalten, wie wir
in unſern Umſtänden einander unterſtützen werden: und daß
jetzt unſere wahrhaft weiſe männliche Liebe gegeneinander zum
Vorſchein kommt. Urtheile, Karl, wie dein zutraulicher lieber
Brief, in welchem du auch von uns Troſt haben willſt, und
dich wie an wahre liebe Geſchwiſter wendeſt, auf mich gewirkt
haben muß! — Laß deinen Freund bedenken, daß Ambition
etwas Hohles iſt; ſie iſt der Anſpruch an die Meinung An-
derer über uns. Wer ſind dieſe Andern? Wen liebt man
darunter? Wen achtet man darunter? Schlecht darf ein
Publikum nicht von uns denken; aber daß es uns bewun-
dert, vorzieht, beehrfurchtet, iſt das wohl einen Seufzer
werth? Hat dein Freund ohne den Titel und die Penſion
bequem zu leben? Das iſt die Frage. So laß ſie Alle ihn
[446] titlen wie ſie wollen! Und weiß er denn nicht, einen Titel
beſeſſen haben, heißt ihn ewig tragen! — ewig, wenn er
uns nicht entehrend wegen einer ehrwidrigen That entnom-
men iſt; und auch dann bleibt uns noch ſein Abglanz, ſo
hoch haben die Menſchen ihre Lenker und Regierer über
ſich geſtellt. Was will dein Freund? gegen ſeines Landes
Schickſal kann nur ein kriegriſcher Held handlen: und auch
denen ſtreiten es Geſchichtsphiloſophen ab: er ſelbſt ſei nur
ein Werkzeug des Schickſals, ſagen ſie. Muß nicht anerkannt
werden, was er gethan hat, durch ſeine Wirkung? Und iſt
ihm an anderm Anerkennen wohl gelegen; iſt nicht grade die
rohe Menge, eben weil ſie roh iſt, unfähig, unſer Thun zu
erkennen? Sollte es ihm anders, als Jeſus, Moſes, Friedrich,
und — Gott weiß die Namen aller Führer und Geſetzgeber,
gehen? Wer ſein Pflugeiſen in Einrichtungen umhertreibt, wer
Geſetze aufhäuft, zur Saat, deſſen Ernte erleben nur künftige
Geſchlechter. Geht’s doch jedem nur irgend thätigen Privat-
menſchen eben ſo! Wenn ich Meines erzählen ſollte! — —
Mündlich einmal; und kurz. Und findet er ſich unbequem auf
dem Boden, wo ſeine Mutter ihn hingeſetzt hat, ſo glaube er ſich
nicht feſtgeklebt; die Natur hat uns Füße und Neugierde ge-
geben, die ganze Erde zu kennen: für unſern Geiſt iſt das
Stückchen Rund ohnehin zu klein; bringen wir’s nicht mit dem
Firmament in Verbindung, und wollen dem Urgeiſte ſelbſt ſeine
Schöpfungskünſte weglauren und uns vordoziren? Mit Klug-
heit und Vorſicht verſuche man einen andern Fleck Erde, wenn
einem der alte ſehr zuwider iſt. Aber behutſam! Ich liebe
Frankreich; und wenn mir Gott erlaubt, noch Einmal ſo
[447] viel Geld zuſammen zu haben, als man zu einer Reiſe braucht,
ſo beſuche ich euch, und gehe nach Frankreich. — Du, liebe
Roſe, ſchone und pflege deine Geſundheit! das allein ganz
Weſentliche, um zu leben: wie unbändig leid iſt es mir, daß
die Trauer bei euch ſo ſtrenge iſt, das aggravirt den Schmerz
durch Langeweile: hier trauren wir nur ſechs Wochen: länger
zu trauern koſtet 100 Dukaten. Wäre ich nur bei dir! Ich
werde dir von Mamaens Haaren hier einlegen; weine nur
nicht zu ſehr! Man kann es mäßigen, und provoziren: man
thut das letztere, aber mit Unrecht: man wird ſelbſt alt, häß-
lich, und kommt näher dem Tode: nur die Thränen ſind ſchön,
deren man ſich gar nicht enthalten kann. Dir ſoll auch die
Taſſe verwahrt werden, woraus Mama alle Morgen ihren
bürgerlichen guten Kaffee trank; und ein Halstuch, was ſie
in der Krankheit trug, und ich ihr aus Paris mitgebracht habe.
Sage mir nur, wie ich es ſchicken ſoll. Verſichere deine Fa-
milie, daß wir Alle ihren reinen Antheil und den Ausdruck
deſſelben empfunden haben. Und daß in Leid und Freude,
und Hülfe ihr wieder Drei beſitzet, die redlich mit euch fühlen,
weinen, leiden, und für euch thun. Lebt recht wohl! Macht
euch nur mögliche Zerſtreuung! und du Karl ſchreibe mir wei-
ter von deiner Meinung, deinem Gemüth und deiner Geſund-
heit. Ich bin ja nach Roſe deine erſte Freundin; und Freun-
dinnen ſind gut!
Eure Rahel.
Leſ’t Goethens neuen Roman! „Die Wahlverwandt-
ſchaften.“ Geiſtesſtärkung!
[448]
An Fouqué, in Nennhauſen.
Es wäre nur lächerlich, wenn ich Ihnen die Größe des
Opfers verſtändlich machen wollte, welches ich mache Ihnen
zu ſchreiben, ohne daß es verſtändlich würde. Seit Sonnabend,
Guter, Lieber, der es wohl werth iſt, an welchem Tage ich Ih-
ren Brief erhielt, quäl’ ich mich, Ihnen zu antworten. Heute
geht die Poſt nach Ihnen, heute iſt der letzte Termin; und
um einer Welt Gewinn — inn- oder äußern — hätte ich Sie
nicht einen Poſttag länger ungewiß über mich laſſen können,
wiſſend, welchen Stimmungen Sie unterworfen ſind; Zuſtänden
eigentlich: die ſind und bleiben mir doch das Heiligſte, das
mich zu allem Treibende, ja Verleitende. Und denken Sie nur!
Auch der Schlechteſte bringt mich mit einer leiſen Fähigkeit
zu ſolchem, zu allem — beinah; mich zu opfern immer: dieſe
Handlungsweiſe ſchrie man ſonſt ſo ſehr an: ach! und ich
klage nur, nun und in aller Ewigkeit, ihren Grund an, weil
der leider ewig iſt. Zweiflen Sie nie an mir, lieber Freund;
Sie mögen nichts von mir hören; oder was Sie wollen! Die
Miſchung, woraus ich gemacht bin, iſt zu feſt; ich höre auf;
oder bleibe, ohnerachtet, ja ſogar vermöge, aller ihr möglichen
Modifikationen, immer dieſelbe. Bis zu meinem zweiten Jahre
hinab kann ich mich beſinnen; und finde denſelben Gemüths-
weg, dieſelben Fäden, an denen mein Geiſt ſpinnt, die Ehre
und die Sitte immer aus demſelben Punkt ausgehen; und den
ewig im Herzen; wie ein unzerſtörbares Reſſort. Dem Freunde
aber ſoll und kann dieſe bloße Anlage nicht genug ſein: Thä-
tigkeit
[449] tigkeit derſelben heißt nur Leben; und die Freunde müſſen und
ſollen das Meiſte davon haben, genießen, und brauchen. Zwei
Wege ſtehen mir offen, Ihnen zu ſchreiben, ſo wie ich mich
fühle: entweder, mich bei Seite zu legen, und mich zu zwin-
gen, Ihnen von dem zu ſprechen, was wir grade vorhaben;
oder, meine Seele vor Ihnen ſpielen zu laſſen wie ſie kann,
daß Sie beurtheilen, was dieſes Spiel hemmt, treibt, trübt,
und daß Sie am Kaskadenfall noch Luſt der Betrachtung fän-
den; das letztere iſt unvermerkt ſchon geſchehen; und zeigt ſich
überall bei mir leicht, in jeder Wortfügung. Ich kann mich
gar nicht bilden: in nichts! mein tobendes Herz — in Sanft-
muth, Liebe, Freude, Schmerz; in allem! — bildet ja alles
in und an mir: bis zu meinem jedesmaligen Stil im Schrei-
ben. Und kein Fleiß hilft mir; aller kehrt in mich ſelbſt zu-
rück: Gott! was hätte ich für eine Erziehung haben müſſen,
wenn ich nur hätte leidlich werden ſollen! Sehen Sie, wie
lyriſch, wie auf mich ſelbſt gekehrt, und zurückgeführt durch
alles ich heute ſein muß!
Ich habe lange nichts Erfreuliches erlebt, geſehen, ver-
nommen. Auch keinen Himmel, keine Muſik; nichts von Kunſt;
kein reges Menſchengemüth, kein Geſpräch von Geiſt. Habe
viel Arges erlebt. Mit einer Leidenſchaft von Schmerz, die
ich jetzt nicht mehr beſchreiben kann, meine Mutter ſich vier
Monate quälen ſehen; und dann vor zwei Monaten ihrem
Tode beigewohnt. Alle Leidenſchaft hatte ich ſchon kurz vor
ihrer Krankheit auf dieſe Mutter geworfen. Und ihre namen-
loſe Gemüthsheiligkeit, wie ihre Fehler, und Mißverſtändniſſe
gegen mich, regten mich gleich auf! Ihr Tod zerriß wahn-
I. 29
[450] ſinnig mein Herz. Abgeſchnitten bin ich. Dies Verhältniß
konnte mir kein feindliches Geſchick ganz rauben, da ich in
der Reihe der Naturweſen Einmal bin, nur verderben, ver-
gällen. Und ich hielt es hoch empor: beſonders zuletzt. Meine
Mutter mußte mich lieben. Das einzige Bild, was mir zu
einem Erdenwunſche übrig geblieben war, war das Glück,
ein einziges Jahr! die zu pflegen, in Ruhe und Wohlha-
benheit. Vergebens! So wie dieſer Wunſch, dieſes Bild, aus
dem Herzen herauf athmete, vor meiner Stirn ſich bildete:
fiel ſie in Elend, mir zum Fluch: und ſtarb auch. Nun giebt’s
für mich nur ein Wogen auf Erden. Eine allgemeine Liebe,
ein Anziehen, ein Leiſten nach allen Seiten hin; eines wie es
ſich für einen Gott, für einen Märtyrer ſchickt. Auch ich ſchicke
mich darin. Ich ſchätze und ſehe meinen Geiſt ein: der mich
nach keiner Seite hin bändigt: fühle gern meine Seele und
Thaten gebunden von meinen ewigen ſittlichen Überzeugungen,
die ich mit unabläßlichen Beſtrebungen ergründe, und denen
ich ewig freudig, ja nur freudig folge. Ich bin mit mir ſelbſt
einig, und halte mich für eine ſchöne gute Gabe. Das erſte
größte innre Bedürfniß iſt mir erfüllt; ja, die eigentliche
menſchliche Exiſtenz, das was Eins mit ihr iſt, ohne welches
ſie mir gleich auseinander rinnt. Und ich ſehe es ein; und
bin ſehr froh. Über’s ganze Leben weg froh! Doch freund-
lich für den Tag, in ſeiner Entwickelung nach außen hin kann
das Leben nur werden, angenehm, wechſelwirkend unter Men-
ſchen, wenn die erſten Verhältniſſe geſegnet ſind; wenn uns
die Eltern gelingen. Das geſchah mir nicht halb: alſo wird
nie etwas mit mir. Nie. Aber dieſes halbe Band, mir auch
[451] nur halb in einer Mutter gelaſſen; war ſehr wichtig! Ich
wußte gar nicht, was ich alles wegen meiner Mutter that,
und empfand. Sie hat mich wirklich als Waiſe verlaſſen.
Kinderlos. Ihr bracht’ ich lange dies Opfer. Doch hiervon
Einmal mündlich. Denn wie es erſcheinen kann, oder er-
zählt werden kann, klingt es unſinnig, und muß auch unwahr
erſcheinen. Auch darüber bin ich ſehr gefaßt keine Kinder zu
haben. So lange man ſie nicht hat, fehlt einem der Sinn:
ſo denke ich: ſich aber Sinne, und neue Organe zu wünſchen,
dieſes Begehren geht ins Unendliche. Auch gehören die Kinder
den Eltern nur durch der Eltern Liebe: und allein liebt man
genug; ja, immer. Und welche Störung, wenn man nicht
ganz des Vaters Natur in ihnen lieben kann, des Vaters
Schutz und Liebe an ihnen erlebt. Und dann! Ich mag mein
Schickſal nicht ſo gerne lebendigen Naturen — durch meine
eigentlichſte — eingeben. Geſchähe es, ſo wäre ich auch darü-
ber ruhig. Größer ſind die uns bekannten Naturkräfte (und
organiſch über die ganze Erde wirken ſie), als alle unſere
Überlegungen; unter ihren Geſetzen ſtehe ich mit all meinen
Gedanken.
Nun ich mich Ihnen ſo überliefert habe, nun fragen Sie
noch, ob Sie ſich mir zeigen ſollen! Alles dies, was hier ſteht,
und was ich noch hinzufügen will, hielt mich ab, Ihnen zu
ſchreiben. Iſt es genug? Gott! was hat es mich für rheto-
riſche Mühe gekoſtet, nur ſo viel davon zu Papier zu kriegen!
Hören Sie den Reſt, der als Rinde um alles Übrige ſitzt, und
mich nicht ſchreiben läßt. Seit ſieben Wochen habe ich die
mir unangemeſſenſten Geſchäfte; die alle darauf abzwecken,
29 *
[452] daß ich nicht ärmer werde und nicht in mehr Unordnung
komme. Solche ſind nicht für mich; und nur in dem Fall
erträglich, wenn ich einem Andern dadurch Ordnung in ſein
materielles Leben ſchaffe; iſt’s aber nur für mich, daß ich Liſten
machen, rechnen, zählen, beſprechen, verſchließen, etwas zan-
ken, bezahlen, beſorgen ſoll: ſo bin ich meine eigene Dienſt-
magd. Kommt nun noch dazu, daß ich ſeit fünfzehn Jahren
es mit Mühe, Recht, und Vernunft nicht habe dahin bringen
können, dem Einmal nicht ausgeſetzt zu ſein: daß ich es ewig
befürchtet habe, und daß es ärger noch eingetroffen iſt: daß
ich ſonſt noch ein Verhältniß habe, das mich kleinlich in die
Tagesaugenblicke hinein quält, und mich auf Groſchen rech-
nen macht, ſo iſt’s ein Wunder, daß ich Ihnen ſchreibe; daß
ich die Numancia ſo beherzigt habe. Künftig von ihr — die
mir göttlich gefällt! — und von Goethens Roman.
Ihr Kind war hier! das konnten Sie mir nicht einen
Augenblick ſchicken? Sie hätten doch wahrhaftig die acht
Meilen fahren können, bloß um es mir zu bringen. Ich ver-
göttre Kinder. — Kommen Sie her! Schönere Briefe als Sie
ſchreibt kein Menſch. Die Handſchrift muß ſich ordentlich
nach den köſtlich-fallenden Worten richten; die wie Sommer-
Regentropfen ſanft, groß, dicht, in geſetzmäßiger Ordnung,
und eben daher natürlich, erquicklich, unſchuldig, kühlend, aus
Sommer erzeugt, niederfallen, ſich niederlegen! Wo bekom-
men Sie die Ruhe her, die Innigkeit ſo ſanft ausfließen zu
laſſen! Sie Böſewicht: Sie nehmen einem die Talente alle
weg. Niemand, lieber Fouqué, goutirt Ihre Briefe ſo, als
ich raſender Kritiker. Sprechen Sie zu mir: ich verdiene es
[453] durch Treue im Auffaſſen. Sonnabend erhielt ich auch einen
Brief von Varnhagen aus Wien. Wenn Sie ihn wollen,
ſchicke ich ihn Ihnen auf einen Poſttag. Er reiſt mit ſeinem
Obriſten nach Italien, es geht ihm gut: er iſt derſelbe. —
Leben Sie wohl! ich bin ſehr müde vom Schreiben. Ich liebe
Sie recht vom Herzen. Sie ſind ein lieber Menſch. Kommen
Sie auch her!
Rahel.
Künftig von Numancia und Goethe.
Schreiben Sie Varnhagen, er bittet darum. Wollen Sie
ihm dieſen Brief ſchicken? Nämlich wenn Sie wollen. —
So brauche ich ihm nur wenige Worte zu ſchreiben. Vor-
läufig, im Fall. Grüßen Sie ihn aus Herzensgrunde. Ita-
lien freut mich. Er ſoll friſch bleiben. Und meiner verſichert,
ſo lange ich lebe. Wenn er kann, ſoll er machen, daß mir
Marwitz ſchreibt. Ich habe Varnhagen vier Briefe geſchrieben.
Und viel ſpäter als den Juli. Marwitzen drei; ich habe eben
ſo viele von Marwitz; nach ſeiner Kataſtrophe keinen.
An Varnhagen, in Wien.
Vorige Woche, lieber Freund, erhielt ich ein Packet Briefe,
ſie waren von meinem Bruder, Pauline, Fouqué und dir.
Glück zu! Sei ja vergnügt, erkenntlich! Erkenne das Glück,
die Reiſe, die Umgebung, die Umſtände; laß nicht den ſchönen
Zeitſtrom in den Zwanzigern ungenoſſen, ungenützt vorüber
gehen. Doch du biſt gewitzigt; und leichtſinnig! Ich gratu-
lire dir zu deinem herrlichen Obriſten! du zeigſt ihn mir ähn-
[454] lich; ich liebe ihn. Man ſieht die Ähnlichkeit einem Bilde an:
kennt man das Original auch nicht; wenn das Bild nur gut
iſt. Vergiß meinen Antheil und meine Freundſchaft nicht: und
unſre Einigkeit, die dich allerwärts begleitet. Schreiben kann
ich nicht. Fouqué ſchrieb mir — es war ſein zweiter Brief —
ſo kläglich, daß ich ihm antworten mußte. Als ich den Brief
fertig hatte, war er ſo lyriſch, ſtellte ſo ganz und gar mich
dar, daß ich ihm, als ich ihn zuletzt bat, er möchte dir ſchrei-
ben, zuredete, er möchte dir ihn ſchicken, weil ich wohl fühlte,
ein zweites Lied ſei unmöglich; dabei verſprach ich ihm, daß
wenn er es wollte, ſo wollte ich ihm auch deinen ſchicken. Das
thu’ ich nun nicht: weil ich grauſame Gewiſſensbiſſe bekam:
und mir gleich hinterher vornahm, dich erſt zu fragen. Des
Du’s wegen, und der Verſichrung, noch mit mir zu leben.
Sonnabend nur konnt’ ich wegen Verdrüſſen und Ermüdung
dir nicht ſchreiben. Fouqué aber ſchickt dir meinen Brief
unfehlbar. — Lieber, was iſt das? Man ſchreibt mir, du
würdeſt deine und meine Briefe drucken laſſen? Woher ſchreibt
ſich nur das Gerede? Das ſollte auch nicht exiſtiren!
Sprich doch nicht mit Menſchen von dergleichen; die es bis
zu unreinen Menſchen hinſprechen! denn das ſind doch die
gewiß, die es bis zum Theegeſpräch treiben. Zum Glück be-
ſitze ich unſere Briefe. Sie kamen dieſen Sommer auf deine
Addreſſe an; und der Briefträger brachte wie andere Päcke ſie
mir. — Aber auch die andern beiden Korreſpondenzen ſchicke
mir; da du doch reiſeſt, und wir noch nicht in Einem Orte
leben. Du kennſt mich, und wie ich dir vertraue. Laß mich
aber immer antworten können: „Ich beſitze die Briefe!“ wenn
[455] die Leute ſagen, ſie werden gedruckt. Füge keine Art von Be-
ſorglichkeit zu meinem Jammerleben. Das, Varnhagen, biſt
du mir — die du verehrſt, und von der du alle Wunden und
Gemüthsſchwächen kennſt — ſchuldig. — Puſtere dich auch ge-
gen die ** nicht auf; im Fall ſie dir heute ſchreibt, wie ich
vermuthen muß; ſie fahre auch noch ſo hochtrabend und lady-
artig einher. Sei ſanft, mein theurer Freund — nun haſt du
ja eine Schlacht mitgemacht —, auch gegen die Leute, die
geklatſcht haben mögen. Mir zur Liebe und zur Ehre ſei ſanft
und galant im Schreiben nach Hamburg und Berlin. —
Es iſt ganz nach meinem Sinn, daß du Militair und
mit dem Obriſten bleibſt: um Gottes willen verlaſſe den und
die Karriere nicht; der Diplomat findet ſich da ein! Wie du
ſagſt und ſiehſt. Behandle ihn ja immer ferner gut: und laß
Laune, kleine Bosheit und Probirſucht ja nicht ſpielen. Sei
ſelbſt geſchmeidig! man muß es ja mit dem Geliebten auch
ſtets ſein. Es iſt nicht niedrig, da dir der Obriſt gefällt und
du ihn liebſt. Wir kommen wohl wieder zuſammen. Ich denke
es gewiß: es muß ſo kommen; es iſt keine empfindſame Hoff-
nung, verſetzt mit Zweifel. Drum kann ich’s auch ſo ſtill ab-
warten. Fouqué wird dir meinen Brief ſchicken. Ich glaube
es gewiß! ich kann nicht ſchreiben. Gerne ſchickt’ ich dir Goethe
und die Numancia! Wüßt’ ich dich nur noch in Wien; Ge-
legenheit habe ich. — Lebe wohl! Sei meiner verſichert. Und
bedaure mich im kalten Klima! Vielleicht ſind wir noch auf
der Erde der Sonne nah glücklich beieinander. Ich beſtärke
mich in allen meinen Denkungsarten täglich.
Rahel.
[456]
Ich ſehe Schede’s und Schleiermachers, die mir gut ſind.
Brentano iſt noch hier.
Nun kommt mir Joſephinens Schickſal erſt groß vor.
Kinder einer Ehe, wo ſie unter dem Volke ſtand, wie im Traum
Könige werden zu ſehen; ſelbſt zur erſten Frau der Erde ge-
krönt zu werden; mit der größten Macht beſchützt; den klei-
nen Sorgen entrückt, nur noch unmittelbar unter der Gewalt
des Himmels ſtehend; den ganzen irdiſchen Olymp als
ſchmeichlende Diener unter ſich; Königstöchter wie zu ihrem
Hof gehörig gebückt und in Entfernung von ſich gehalten,
nur durch Gnade und als Vorzug zu ſich gerufen; ſicher ge-
macht durch gewonnene Schlachten und beſiegte Nationen. —
Dann aufgeſchüttelt, doch wie aus einem Traum. Der Ge-
mahl, der Sohn, die Tochter, bleiben Könige! Und auch das
fabelhafte Glück ihrer Kinder, muß ihr Erniedrigung, Herab-
ſetzung däuchten! Eine kleine Fürſtin, Tochter eines kleinen
Herrn, kann einen Sohn gebären, der Frankreichs Thron be-
ſteigt. Wie wird man dem entgegenjauchzen, den erziehen,
ihm ſchmeichlen, ihn fürchten, ſchonen, hegen! Die Kanonen-
ſchüſſe, die ſeine Geburt ankündigen, müſſen Joſephine zur
Niobe verſteinern. Die machen die Kronen ihrer Kinder zu
unſcheinbaren Ordenszierden höherer Vaſallen; die donnern
ihre Generation in die Vergangenheit. — Nun kann ich mit
ihr fühlen, da das Schickſal große Vorkehrungen zu großem
Unglück für ſie unternommen hat. Unglücklicher iſt ſie, als
eine geborne Königin: die entſtieg ihrem Schickſal gleich, wie
[457] aus der Erde, dem dunklen Mutterſchoße; Joſephinen aber
neckte es: „Sieh! ſo hoch kann ich, ohne daß er ſich regen
mag, wie einen Ball den Menſchen werfen; tief kann ich ihn
hinabrollen!“ Und ihrer Kinder raſendes Glück, der Gipfel
ihres Stolzes, die empfindlichſte Freude, wird ihr unheilbar-
ſtes Weh, ihr grimmigſtes Leid! — Selbſt nichts zu ſein, er-
trägt ſich, für Freiheit, und für den Gedanken: du warſt’s.
Aber ſeine angehörigen Lieben gleichſam angeführt zu haben
durch den Glauben an ſein eigen Glück; ſie von dieſem, und
ſeinen ewigen Dienern, den Menſchen, haben ſchmeichlen laſſen;
und die ſich feig und nur nach dem Hunger gewandt zurück-
ziehen ſehen, ſeine Lieben allein und beſchämt, dem Troſte un-
zugänglich! Da bleibt die Wunde friſch; der Schlag, die Be-
täubung vor dem wahren Tod!
Die jetzige Geſtalt der Religion iſt ein beinah zufälliger
Moment in der Entwickelung des menſchlichen Gemüths; und
gehört mit zu ſeinen Krankheiten. Sie hält zu lange an;
und wird zu lange angehalten. Beides thut großen Schaden.
Beſonders iſt es jetzt ſchon närriſch, da dieſes unbewußte An
halten mit eigenſinnigem, leeren Bewußtſein vollführt wird,
und, wo Bewußtſein eintreten ſollte, wirkliche bewußtloſe
Starrheit wie eine Krankheit zu heilen vor uns ſteht. Ich
will hierüber nicht weitläufiger ſein. —
[458]
Der junge R., ich glaube er hat in Heidelberg ſtudirt,
einundzwanzig Jahre alt, ſchrieb an M. neulich einen langen
Brief, worin man ſieht, was er geleſen hat und was er hat
ſprechen hören. Der neue Katholizismus geht ihm im Kopfe
herum, und Kunſt und Bilder und Muſik, wie man davon
ſpricht; und wie ſie nur von denen aufgenommen werden,
die von ſelbſt nie darauf gekommen wären; die dieſe großen
Muſengeſtalten nie im Weltwirrwarr herausgefunden hätten.
Der junge, gute, ſonſt unſchuldige Mann ſpürt eine Leere in
ſich, die ihm etwas widert, daher ſucht er um ſich; hält ſei-
nen Ennui für traurige Anklänge von wer weiß was; dies
alles untereinander weiß er in einem Meere angelernter Phra-
ſen und Worte auszudrücken, plätſchert darin herum, es ſind
eben ſo viele Wellen; taucht unter, ſteigt wieder hinauf; ſie
tragen ihn, und ſo findet er ſich gehoben von Ausdrücken,
von Zeichen! Alles dies fällt mir nur bei ihm wieder ein; und
ich zeichne es mir wirklich auf, weil ich die — dafür gehal-
tene — gute Erziehung ordentlich für affadirend halte. Es
iſt grade ſo, als wäre ſolche Bildung zu Kaufe: ſo bekommt
jetzt jeder um ein Billiges ſeinen Vorrath von Bildung mit,
aus den Schulen, den Häuſern, den Büchern, den Theeſtuben;
die Induſtrie des Erfindens wird ihm durch den großen Über-
fluß ganz unmöglich gemacht. Und ein doppelter Frager, ein
doppelter Antworter muß jetzt in einem Kopfe ſitzen, wenn er
nur auf den Gedanken kommen ſoll, ſich Rechenſchaft über
den Scheinreichthum zu fordern, womit er allenthalben durch-
kommt. Kunſt, Religion u. dgl. ſind die Louisd’or; Menſch-
[459] heit, Gemüth, große Münze; ſo durch. Kommt das reale
Leben, immer von neuem aus Erde und Wolken, dem einma-
ligen armen Leibe, ihnen nun wirklich vor die Augen, an die
Kehle, ſo erkennen ſie ſich und dies Leben nicht, wiſſen ſich
in nichts zu entſchließen, verſtehn nichts zu behandeln, machen
alſo, wenn auch nur in bloßer Perplexität des Anſtarrens
und Wartens, alles verkehrt; befinden ſich ſchlecht dabei, und
nennen’s Unglück. Ja wohl! Bei allen Nationen, wenn ſie
untergingen, war gewiß eine ſolche leere Münze für irgend
ein großes Lebenselement im Gange.
Als ich vorgeſtern, von R’s Briefe wie geſpornt, mir ſei-
nen Verlauf hinſchreiben mußte, konnte ich für den Gedanken,
den ich dabei hatte, daß gewöhnliche Menſchen nur das Welt-
gewirre ſehen, wie es daſteht, ohne ſeine Quellen zu ergrün-
den, noch das ewige Walten der Grundlaute und Grundfar-
ben — ich weiß wieder keinen Ausdruck — zu gewahren, kei-
nen Ausdruck finden, da fiel mir, wie meiſt immer, ein Bild
ein, und hohe Muſengeſtalten ſah ich wie verkannte Wohl-
thäter und Götter ungeſehen umherwandeln: und ich ſchrieb
Muſengeſtalten; dann brauchte ich das Gewirre der Welt,
welches ich auch ſah, und da ſchrieb ich Weltwirrwarr;
wohl gleich an Goethe denkend! Nachher fiel mir aber erſt
ein, daß er, in demſelben Gedichte auch eine große Muſenge-
ſtalt brauchte. Ich dachte noch Einmal über das Gedicht,
und verſtand es ganz anders! Ich freute mich unendlich, daß
die beiden Ausdrücke mir auch gekommen waren: und konnte
[460] es nicht erdulden, daß, wenn man dieſe Blätter leſen würde,
man nun denken müßte, ich habe ſie freundſchaftlich, eben
weil ich ihn liebe, aus dem Hans Sachs gebraucht: ich wollte,
daß man wiſſen ſoll, wie es in mir zugegangen iſt. Noch
wünſche ich darauf aufmerkſam zu machen, daß wenigſtens
ich es gar nicht nenne ein Gedicht verſtehn, bis mir nicht
Ähnliches vor oder nach dem Leſen damit begegnet iſt. Ich
verſtehe kein Buch, bis ich mir nicht ſagen kann, wie der
Autor dazu gekommen iſt, es zu machen, wie es in ihm da-
bei vorging: ſo muß jedes Buch einen Text in ſich tragen,
wie einen Kern, um den es herumwächſt; und, iſt es ſehr gut,
und je beſſer es iſt, ſo wieder in ſeinen einzelnen Theilen!
So war mir z. B. der Kopf ganz verſchloſſen über „Erl-
könig“, und erſt den vorigen Winter verſtand ich ihn plötz-
lich. Noch weiß ich kein Wort über „das Waſſer rauſcht,
das Waſſer ſchwoll“, hingegen verſtehe ich die Pandora und
die natürliche Tochter von Goethe ganz anders, als ſeine an-
dere Leute. Das iſt das Alter. In dem Fürſten iſt alle
Leidenſchaft in Tochterliebe umgewandelt, und dieſe noch un-
behandelte Liebe als Leidenſchaft zeigt Goethe. Epimetheus
iſt alt wie ein Sohn der Erde, von ihr, und Kenntniß ihrer,
von Alter, von Undank, von der angehäuften Zahl der Übel,
gedrückt, von Hoffnung endlich entblößt! Das wahre Alter;
nicht einmal ungeduldig: den „welken Kranz“ betrachtend,
die Jungen bedauernd, nicht beneidend, und doch raſtlos im
Schaffen, weil die Noth es grade heiſcht. Mir hat’s einen
entſetzlichen Eindruck gemacht: ich verſtand gleich das Alter.
Ich wurde damals alt. Auch alt wird man plötzlich. Auch
[461] das Alter entfaltet ſich wie eine Blüthe plötzlich aus der
Knospe, wenn ſchon die ganze Jugend es vorbereiten muß.
An Fouqué, in Berlin.
So eben erhalte ich dieſen Brief von Varnhagen, den
ich Ihnen ſogleich ganz ſchicke, nämlich einſiegle. Morgen
werden Sie ihn wohl erſt bekommen. Ich bitte Sie zu mir
zu kommrn. Auch morgen! entweder gegen eins, oder gegen
6 Uhr. Dann will ich Ihnen V’s andere Briefe geben; und
Sie ſprechen. Heute bin ich ſehr in Eil; ich muß aus. Ich
bin V’s Meinung: ich will auch, daß das, was von mir exi-
ſtirt, nicht untergehe. Exploſionen haben es heraufgeworfen,
es iſt Edelgeſtein drunter. Es lebe das Leid!
Adieu. Rahel.
Der Krieg iſt nichts anders, als ein mißverſtandenes und
verkehrtes Streben im Menſchen nach einer Univerſalmonar-
chie. Nach dem Beſitz und Verſtändniß der Erde wird darum
nur allein geſtrebt und gehandelt, weil dies unſere uns ange-
zwungene Gränze iſt; der Geiſt, ein wenig freier, ſucht we-
nigſtens die Bewegung und ihre Geſetze, anderer Planeten zu
ergründen: der Menſch, ſeiner wahrhaft menſchlichen Natur
nach in ſich, ruht nicht eher, bis er alles ſeiner Vernunft und
Einſicht in ſich und um ſich her unterworfen hat. Mit dem
Kopfe denkt man; dem fügen ſich alle Glieder des geſammten
Körpers, dienſtbar mit ihren Kräften: unſere Einſicht ſoll von
[462] einem jeden Menſchen können angenommen werden: oder wi-
derſtritten werden; daß wir ſeine annehmen müſſen. Der Aller-
verſtändigſte muß nothwendig alle Übrigen überzeugen können:
und der Vortheil Aller muß auf eine beſtmögliche Art zu ver-
einigen ſein: ſie Alle zuſammen müſſen ſich die ganze Erde
mit ihren Produkten, die ganze bekannte Natur mit ihren
Kräften unterwürfig machen; und erhaſchten ſie mehr Plane-
ten, eine weitere Natur, auch dieſe. Ja, der Menſch iſt ge-
drungen, alle ſeine Gedanken und Spekulationen mitzuthei-
len, wenn ſie ſich auch nur auf ihn ſelbſt beziehen (und Eitel-
keit iſt es nur dann, wenn er einen andern Grund, als dieſen
Drang in ſich, dafür annimmt es zu thun). So möchte ein
jeder gern Alle zwingen, wie die beſſere Einſicht alles in uns
ſelbſt Verſchiedene zwingt; die Natur brachte einen Menſchen
hervor, der Menſch will aus dem Geſchlecht Einen Menſchen
machen: zu Aller Vortheil. Und wird dieſes nicht bei den
ſchändlichſten Kriegen von je, und in allen Zeitungen jetzt,
zum Vorwand angegeben? Beziehen ſich nicht alle Gründe,
die die Staaten angeben, immer auf vorgebliche Beabſichti-
gung des Vortheils Aller? Würden ſie Gewalt brauchen,
wenn die andern gütlich, guten oder ſchlechten Gründen folg-
ten? Und geſchähe dies, wäre nicht ein Staat der einſicht-
vollſte? in dem Staat es die Vernünftigſten, die, die alles
verſtänden und am beſten kombiniren könnten, die Häupter
und Herrſcher? und iſt aller Krieg nicht das wilde Streben
dazu? Darum das ewige, anſcheinende Zurückfallen der Geſchichte,
nichts anders, als ihre Verſuche zu einer Univerſalherrſchaft.
[463]
An Roſe, in Amſterdam.
Liebe geliebte Schweſter, welche bittre, bittre unverdauliche
Vorwürfe mache ich mir, euch, meine ſehr Lieben, auf eure in-
time wahrhafte Freundſchaftsbriefe durchaus nicht geantwortet
zu haben: ihr müßt glauben, ich habe ſie nicht empfunden.
Nur geſtört war ich dieſen Winter: gräßlich geſtört. Durch
ein Geſchöpf, welches mir alle Stimmung, alle Muße raubte.
Noch ſitzt dieſe Perſon neben mir, und jammert und weint.
Zu bedauren war ich; aber erzählen kann ich es in einem
Briefe nicht. Meine Angſt und mein Gewiſſen treiben mich
dazu, dir dieſe wenigen unverſtändlichen Worte zu ſchreiben,
ſonſt thät’ ich’s noch nicht. Zu euch kommen thäte ich gerne:
ich habe aber noch kein Geld zur Reiſe — zu leben habe ich
— zuſammenfinden können. Dir Karl und Roſe dankt mein
tiefſtes wahrſtes Herz für euer Anerbieten, bei euch zu leben.
Ganz und durchaus Recht gebe ich dir, Karl, auf deinen letz-
ten Brief, den du mir ſchreibſt. Das Leben kann man ehr
zerreißen, in Dürftigkeit hinbringen, eh man die Ehre zerreißt;
ich denke wie du, wie Roſe: was Ehre iſt, worin ſie in dei-
ner Lage, in deinen Verhältniſſen beſteht, kannſt du nur ganz
allein beurtheilen: und ich füge mich im voraus mit meiner
klarſten Überzeugung allen deinen Beſchlüſſen: nur theile ſie
mir mit. — Warum verſtummt ihr: wenn ich nicht reden kann!
Ihr müßt mir immer ſchreiben; und alles was euch betrifft
mittheilen! — oder ihr ſetzet voraus, es iſt lockeres loſes We-
ſen, daß ich euch nicht ſchreibe. Nur Störung iſt es, von
[464] Ewigkeit, und für alle Ewigkeit, wenn es eintritt. Ich werde
euch mittheilen, was ich für meinen Sommer beſchließen kann,
noch weiß ich es nicht. Mama und das Verhältniß zu ihr,
das zerriſſene, geht mir nicht aus dem Kopf. Alle reell irdiſche
Bande ſind für mich lädirt, vernichtet. Nur meine Geſchwiſter
habe ich noch, nur das iſt mir noch natürlich. Schreibt mir
von euren Plänen. Sollten wir Geſchwiſter nicht alle nach
der Wärme ziehen können, und mäßig da, von mäßigem Ein-
kommen leben können? Nein? Gott? — mein einziger
Plan in der ganzen Ausſicht in’s winzige Leben hinein!
Verliebt bin ich nicht mehr. Wenn man dir’s erzählen ſollte,
glaube es nicht! Mir glaube: ich bin es nicht. Antwortet
mir, geliebte Freunde. Ich ſchreibe euch dann friſch wieder,
und beſſer umgeben, und geſtimmt. Markus hat ſein jüngſtes
Töchterchen die vorige Woche plötzlich verloren. Es war uns
ein großer Jammer. Ich weinte, wie Eltern, wie er ſelbſt:
wir faſſen uns aber ſehr vernünftig: ich bin zum Troſt immer
dort. Und es iſt niemand von uns krank. Moritz in Ham-
burg vergnügt und geſund. — Roſe, der Onkel in Breslau
wird im März achtzig Jahr! ich liebe ihn. Ich war in einer
kleinen Korreſpondenz mit ihm, er ſchreibt noch überirdiſch
ſchön: und iſt voller Witz, Lebendigkeit und der friſcheſten
Empfindung. Frau von Humboldt kommt zum Frühling, ihr
Mann iſt Geheimer Staatsrath hier, Miniſter des geiſtlichen
Departements eigentlich. Es ſind intereſſante und gelehrte
Leute hier; aber nichts von Kunſt: keine Muſik; kein friſcher
Muth. Etwas Furcht vor allem; und Unſicherheit in allem.
Adieu. Schreibt mir: und ſeid ewig meiner verſichert. Von
euch
[465] euch ſchreib ich auch dem Onkel, von unſerer Einigkeit in allem
und unſerer Liebe und wahren Harmonie mit Karl. Adieu.
Eure Rahel.
Es liegt noch ein großer Brief bei mir, den ich dir im
Winter einmal ſchrieb. Aber ich bereute zornige Worte gegen
Andere drin, und ließ ihn liegen.
An Varnhagen, in Prag.
Welch einen Katzenbrief haſt du der Guten geſchrieben!
Ja, er ahmt die glatten, kleinen Bewegungen eines Katzen-
rückens bis in den kleinſten Theilen ſeiner anſcheinend verwik-
kelten Phraſen bis zum Verwechſeln nach, und könnte der
Menſch aus einem Briefe eine Katze machen, wäre es ihm ver-
gönnt, deiner finge Mäuſe. Die kann aber eine Welt um
ſich her zur Katze machen! Dieſe Hunde-Ader, daß du ihr
gut biſt; mußte ſie nicht unter das Glanzfell? Muß ich nicht
endlich nur ſie loben? Hat man ſie auch lieb, wie man es
denn thut; zwingt ſie einen nicht zu ewiger? bei mir ganz
unerhörter Empörung durch ihre ungeheure Verſteinerung —
ach nein! das iſt es nicht — mehr wie ein glattes feſtes Auſter-
thier, in ſich geſchloſſen, zu kleinen, blinden, trüben Funktio-
nen — gegen Überzeugung. Ich behandle ſie jetzt ganz wie
du es ihr im Briefe machſt: nur nicht mit ſo kleiner, regel-
mäßiger, ebenmaßvoller, geſchloßner Schrift und Art: rhapſo-
diſcher, zerſtreuter; größerer, unebenerer Handſchrift! Geſtern
Nachmittag ſchickte ſie mir deinen Glanzbrief, mit einer Oblate
I. 30
[466] geſichert, und mit den Worten auf dem Umſchlag: „Leſen Sie
den Brief, Liebſte! und laſſen Sie mir ſagen, ob Sie wohl
einmal ſchreiben. Ich bin ganz beſchämt!“ Nun ſpreche ich
es ihr noch zurechte! Kurz, es muß ihr wohl ſein — in der
Schale — und ſie muß mich nicht quälen! Und nun von uns.
Keiner von uns will mehr, daß mein ehrliches Leben auch ge-
ſchaut werde von ſolchen, die es ſelbſt ſind; und genug findet
man immer, unter Deutſchlands Leſern, wenn man nur druk-
ken läßt. Immerfort erzeugt die Erde auch wieder ſolche.
Ich weiß, welche Freude, welches Behagen mir ein Fünkchen
Wahrheit in einer Schrift aufbewahrt macht! Nur davon be-
kömmt die Vergangenheit Leben, die Gegenwart Feſtigkeit;
und einen künſtleriſchen Standpunkt, betrachtet zu werden;
nur Empfindungen, Betrachtungen durch eine Hiſtorie erregt,
ſchaffen Muße, Götterzeit, und Freiheit; wo ſonſt nur allein
Stoßen und Dringen und Drängen, und ſchwindliches Sehen
und Thun möglich iſt; im wirklichen Leben des bedingten be-
ſchränkten Tages, wie er vor uns ſteht! Nicht weil es mein
Leben iſt, aber weil es ein wahres iſt; weil ich auch vieles
um mich her oft, mit kleinen unbeabſichtigten Zügen, für For-
ſcher, wie z. E. ich einer bin, wahr, und ſogar geſchicht-er-
gänzend ausſprach. Und endlich, weil ich ein Kraftſtück der
Natur bin, ein Eckmenſch in ihrem Gebilde der Menſchheit,
weil ſie mich hinwarf, nicht legte, zum grimmigen Kampf mit
dem, was das Schickſal nur konnte verabfolgen laſſen; jeder
Kampfgeſell der Natur, der größern Geſchichte, iſt in einen
Geſchichtsmoment geworfen, wo er kämpfen muß, wie bei einem
Thiergefecht in der Arene; glückliche Veteranen, wirken weiter,
[467] zu ihrem und der Menſchen Bewußtſein; unglückliche, zer-
ſchellen; mich trugen Gedanken und Unſchuld, als ich zer-
ſchellt ſchon war, empor, zwiſchen Himmel und Erde. Kurz,
wie es mit mir iſt, kann ich nicht ſagen; ich will nichts mehr.
Kein Plan, kein Bild; es ſchwankt und ſchwindet die Erde
mit den Lebensgütern; der Lebensſchatz iſt alles! Sehen, lie-
ben, verſtehen, nichts wollen, unſchuldig ſich fügen. Das große
Sein verehren, nicht hämmern, erfinden und beſſern wollen:
und luſtig ſein, und immer güter! So wie ich war und werde,
mögen meine Brüder mich ſehen! Ich aber ſelbſt will aus
meinen Briefen alles ſuchen, und verwerfen; und nicht in vier-
zig, fünfzig Jahren, wie du der Guten ſchreibſt, ſondern viel
früher; ich will noch leben, wenn man’s lieſt. Ich mache
mir nichts aus der Welt. Ich habe keinen Plan; wer den
nicht auszuführen hat, hat keine Rückſicht; und Schande kann
ich nicht haben: Schande, die mir das Leben hemmte; andere
achte ich, wie du weißt, nicht. Nur meine Billigung iſt mir
nöthig und wichtig. Adieu, Lieber! Dieſen Sommer, und das
früh, und wahrſcheinlich ſehr bald, komme ich nach Töplitz,
und auch wohl vorher nach Prag.
Lebe wohl! R. L.
Unglück bringt Schande; Glück Ehre. Es iſt heute ſehr
ſchönes Frühlingswetter. Ich bin gepeinigt, und darf den
Frühling nicht empfangen, wie ich könnte.
30 *
[468]
An Varnhagen, in Prag.
— In meiner Unſeligkeit hab’ ich dir vergeſſen geſtern
zu ſagen, daß vorgeſtern Frau von Fouqué bei mir war. De
but en blanc; ſchon ſehr liebenswürdig: ſie brachte mir ihren
Sohn mit. Und ich fand ſie ganz vortrefflich. Sie ließ ſich
von Hanne zu mir führen, die ſie von Nennhauſen kennt,
und fand Marwitz bei mir. Wir frühſtückten. Wie ſie nur
in’s Zimmer trat, waren wir, und dadurch die ganze Geſell-
ſchaft, als ob wir uns vierzig Jahre kennten. Es iſt eine
femme consommée; und ich habe an die dreißig Gutmüthig-
keiten an ihr bemerkt: und noch viel mehr Großartigkeiten.
Marwitz kannte ſie: wie ſchön behandelte ſie ihn, und Hanne;
wie allerliebſt, überaus gut den Sohn. Wie frei ihr ganzes
Benehmen; lieb möchte ich ſagen. Kein Gedanke von dem
Stolze, den man ihr anſchielt, nämlich nacherzählt. Jedoch
ſagt Hanne, ſie ſei hier nicht dieſelbe [geweſen]. Marwitz fand
ſie auch ſehr gut. Heute iſt ſie zu Hauſe gereiſt: ich werde
Fouqué’n ſchreiben und ihm gratuliren. Schön werden die
Augen, wenn ſie ſie in die Höhe ſchlägt, das thut ſie im
Eifer oft. Daß ſie kam, iſt ſchon unbefangen: Fouqué z. B.
nannte ſie mir in Briefen nie. Mir geht’s ſonderbar; ſonſt
werden die Autoren beſucht; ich bin ein elender Leſer, und die
Schreibenden ſuchen mich auf. — Wahrhaftig, ich glaube, ich
verſtehe die Kunſt zu ſchweigen; mit der Feder, wie manche
geſchickt mit dem Maule! —
[469]
An Alexander von der Marwitz, in Böhmen.
Sehr lieber Marwitz! An dreißig Briefe habe ich ſchon
an Sie komponirt, und heute Morgen, noch im Bette einen
ſehr ſchönen. Aber jetzt grade, da ich ganz erſchöpft von ei-
nem an meinen Bruder bin, ſchreibe ich Ihnen in größter Eil
und Nervenirritation, dieſen, der ganz ſchlecht wird, werden
muß, iſt. Warum hör’ ich nichts von Ihnen, da Sie mir’s
doch von ſelbſt verſprachen? Sie ſind mir doch ſehr gut?
Und das muß ſein. Noch nicht Einmal, habe ich gefühlt, ha-
ben Sie mich mißverſtanden. Mir träumte vorletzte Nacht
ſehr ſchön von Ihnen. Wir beide, Sie und ich, waren Som-
mers in einer weiten Ebene mit allen nur möglichen Bekann-
ten. So ſonnig und groß alles war, ſo befanden ſich doch
Alle nur auf einem Sanddamm, einen Fahrweg breit, der
durch die graſigen, doch waſſerreichen Felder und Wieſen mit
tendurch nach einem Waſſer ging, welches auch durch Über-
ſchwemmung der Gegend näher gekommen war. Ungefähr
einen Markt weit, war das Gedränge der Menſchen und Be-
kannten größer, und ſehr wimmlend; wir hielten uns, weil
ich es nicht liebe, ferner unter wenigern. Nach einigem
Warten, und Sehen, daß es doch noch ſehr lange dauren
müſſe, eh’ Alle, welches nur nach und nach gehen konnte, über-
geſchifft ſein würden, und mir auch herankommen könnten —
die Reiſewagen ſtanden zerſtreut auf dem Sanddamm, und
man ſah das Ufer und Schiffe eine Viertelmeile weit, hell,
grün und ſonnig vor ſich nach Morgen zu — ſagte ich Ih-
[470] nen: wir wollten etwas zurück der Sonne nach, die Gegend
unterſuchen gehen. Schweigend und gehend willigten Sie ein.
Bald wurde es bergigt, die Sonne gelb und abendlich, ich
ging voran, und um eine Ecke, einen gemachten Gartenſteg
hinauf: mit einemmale Göttliches ſehend: grüne hohe geſchnitzte
Wände, und Ausſichten in friſche geputzte Thäler, durch ganz
freundlich ausſehende friſch-grüne Berge hinab. Einer ſah
beſonders ſchön belaubt und dunkelgrünglänzend aus; ſehen
Sie das, wandt’ ich mich um, faßte Ihre Hand, die Sie
mir gaben, auch reichten; und wir küßten uns vor Freude
auf den Mund; ſo ging’s wieder weiter, Sie hinter mir, der
Pfad führte mich in ein rundes, ganz kleines und umſchloſſe-
nes Bergthal, wie ein Hof; ich bog nochmal links, und fand
einen Hof, mit offenſtehenden Zimmern, „was iſt das? aber
ich beſehe es!“ ſagte ich ſcheu; Sie mir nach! Eine Reihe
moderner Zimmer, mit Inſtrumenten, Büchern, Zeichen- und
Nähzeug, Blumentöpfen, Tüchern über den Stühlen; kurz,
ganz wohnig. Mit einemmale ſteht ein Herr vor mir, nach
fünfzig, ohne Hut, wie ein Abbé; er kam aus noch andern
Zimmern. — Ja! im Hof waren ſchöne Hühner, Enten, al-
les lebendig — „Mein Herr! ſagte ich, verzeihen Sie! wir
haben uns, das ſo ſehr Schöne und Sonderbare der Gegend
beſehend, plötzlich in Ihrem Hof befunden, — es war Mond-
ſchein geworden im Hof, — da war aber niemand, hier auch
nicht; und ſo kam es, daß wir weiter gingen; verzeihen
Sie! aber wie ſo iſt hier alles offen? nehmen Sie’s ja nicht
übel! „Hier kommen Viele ſo herein, ſagte der Mann; das
ſchadet nichts; und als ich ihn doch noch anſah, ſetzte er hinzu
[471] halb fragend: „hier iſt das Taubſtummen-Inſtiſtut; wir ſind
hier friedlich, und uns thut niemand was; da wurd’ ich
einen blondlichen dreizehnjährigen Knaben mit einem Buche
in der Hand gewahr; ich wollte ihn auch entſchuldigungsmä-
ßig grüßen, aber er ſah ſchüchtern auf ſein Buch, und las
weiter. So verſchlang ſich der Traum, ohne daß Sie geſpro-
chen hätten, und ohne daß wir gegen Morgen nach dem Waſ-
ſer zurückkamen. Welches mir auch im Traum ſehr lieb iſt!
So bin ich. Wollen Sie nun im Ernſte auch nicht ſprechen?
Mir nicht antworten? Mir nicht ſagen, daß und wann ich
Sie in Töplitz ſehen kann? Ich komme nun beſtimmt hin,
mein Bruder Moritz hat mich gefragt, wie viel ich dazu ha-
ben will. Antworten Sie mir gleich, Lieber! Nach Ihnen
richte ich mich ſehr! — Ich lege Ihnen hier einen herrlichen
Brief von meiner Freundin bei, den ich vorige Woche erhielt.
Ich antworte ihr in Du aus angeregter Seele. Mißverſtehen
Sie nichts darin! Leſen Sie ihn, als wären Sie bei mir.
Zeigen Sie ihn ja von ungefähr Gentz nicht: lang entfernt
von mir könnte er, wird er wohl, das unheilig Scheinende
auch nur unheilig finden. Ich verlange weit mehr: und ver-
lange es von Ihnen; meine höchſte Äußerung von Achtung,
Vertrauen und Vorausſetzung des Talents; jemanden behand-
len wie mich ſelbſt. Und nicht, wie Wilhelm Humboldt ſchon
vor zehn Jahren ſagte: „Ich will nicht mit lauter Verwunde-
ten zu thun haben;“ ich nicht mit Krüpplen! Ich habe Hum-
boldt nur vorgeſtern geſehen; er verfehlte mich öfters. Doch
waren wir nicht allein. Es ſchimmerte alles nur durch Minna,
die im Reuß’ſchen Garten gegenwärtig war, wo H. wohnt,
[472] und mit uns ſpazirte. Adieu! Lieber! Antwort! und das
gleich. Rahel. Hier iſt helles Sonnenwetter mit Kälte, ich
rheumatiſch davon. Nordoſtwind. Der gräßlichſte.
An Varnhagen, in Steinfurt.
Dieſen Augenblick erhalte ich deinen Brief aus Kaſſel,
lieber Freund. Und zuerſt muß ich von Steffens ſprechen!
den ich natürlich nie ſah. — Ich bin ſehr eingenommen von
Steffens. Wundere dich nicht; ich habe ſeinen Aufſatz über
Univerſitäten geleſen, leſe jetzt — lache nicht! — ſeine geo-
gnoſtiſch-geologiſchen Aufſätze als Vorbereitung zu einer in-
nern Naturgeſchichte der Erde. Ich habe ſie Humboldt weg-
genommen. So nur kann ich von Geſchichte und Natur reden
hören, die ſind ihm Eins. So denk’ ich ungelehrt auch. Und
verſtehe ihn ſehr wohl. Doch kann ich nicht mehr über ihn
ſchreiben, du kennſt mich, weil ich das ſchon Einmal im größ-
ten Enthuſiasmus an Moritz ergehen ließ, der es gleich leſen
ſoll. — Ja! er ergründet’s ja ſelbſt, nichts entwickelt ſich nach
ſeinen Anlagen, alles iſt geſtört, ſage ich; einer größeren, uns
unbekannten Beziehung gehören wir und alles an; das denk’
ich lange, lange! —
— Wäre ich nicht in der größten Weltſchmiede endlich
wirklich, von lauter Schlägen, fertig geworden, ſo hätte
ich heute den Tod eingenommen über den mir beigeſandten
Brief. —
— Ich bin in nichts verändert. Nur noch geſchwinder
[473] immer zufrieden, oder vielmehr fertig, über die Ereigniſſe. Nur
Eins iſt anders in mir. Ich kenne den Tod mehr, durch
Mama. Und ſehe ihn überall; und er hat auch mehr Macht
über mich bekommen. Ich bin ſterblicher geworden. Ängſtigen
thut mich das nicht beſonders: aber ärgerlich macht es mich.
Ich habe beſtändig vor Augen, wie Einer umfalltn kann, ver-
welkt, wie eine andere Pflanze, mitten drin. Es kann mich
gar nicht rühren, aber ſo ekeln, ſo ärgern. Und daß man
nicht durch ſeinen Willen leben bleiben kann! und ſo ekelhaft
wird; verſteinerte man doch! —
An Frau von F., in Berlin.
— Aber Liebe! Was ſoll ich wohl ſprechen, nachdem Sie
mir meine eigenen Worte ſo im ſchlimmen Sinn angeführt
haben; mit welchem Zutrauen kann ich ſprechen, wenn Sie
mich ſo, nicht aus Bosheit, aber im Ernſte auslegen! Ein
Menſch, wie ein Buch, kann dem Sinne nach zerriſſen werden,
und dann kann man alles daraus machen. Das pflegt ſich
Fichte beim Anfang ſeiner Bücher zu verbitten. Dies Recht
des Denkers an ein feindliches Publikum, kann ſich der Menſch
bei ſeinen Freunden gewiß gewärtigen. Ich that es. Beru-
higen Sie ſich wo möglich auch; und ſchütten Sie lieber Ein-
mal ganz Ihre Vorwürfe und mein Vergehen aus! Iſt aber
das Herz davon nicht zu reinigen, ſo muß die unbezwingliche
Neigung zu mir neben ſolcher Mißbilligung ewig nur wie-
der Schmerzen machen; Ihnen und mir. Und bedenken Sie,
[474] wie mir ſein muß, immer zu ſehen, und zu denken, daß mir
nur Gnade vor Recht ergeht. Soll ich das als Löwe oder
als Hündchen ertragen? Aber Sie haben doch Recht: von
beiden iſt in meiner Natur; ein Blick des Menſchen zähmt
das vergeßliche Hündchen: und ſo werd’ ich morgen an Ihrer
Thüre bellen: ſchlafen Sie wohl, und machen Sie’s Einmal
mit mir ab! —
An Moritz Robert, in Hamburg.
Shakſpeare läßt Einen, ich weiß nicht in welcher Tra-
gödie, der nach einem Kranken gefragt wird, antworten: „Tod
und Leben zanken ſich um ihn.“ Sie zerrten an mir. Leben
riß mich aus Todesgluth, zerbrochen, verwundet heraus. Kaum
noch, Bruder, halt’ ich die Feder. Fünf Wochen hatte ich den
Keuchhuſten und Bruſtkrampf: ohne Luft. Alle Tage ein an-
der Mittel. Kurz alle, außer Aderlaß. Endlich bekam ich
mit ewigem Erbrechen ein kaltes Fieber. Viermal erkannt’
ich’s nur. Noch ſechsmal ließ mich’s Böhm als Kriſis haben.
Zwanzig Stunden jedesmal. Alles Geld zu wenig. Dir,
mein Freund, dank’ ich, daß ich’s hatte; dir, daß die Sorge
mich nicht umbrachte. Nach dir ſchrie ich in der höchſten
Noth. In Agonieen; und glaubte dich weit, in Frankreich.
Zu ſterben glaubt’ ich gewiß. Ich habe viel gebetet und ge-
weint. Mein Herz war entzwei; da den Hauptkrampf, da
Senfpflaſter u. ſ. w. Nun muß ich mich ſechs Wochen vor
Luft ſequeſtriren; in Angſt leben, daß das Fieber kommt; in
[475]ſechs Monaten iſt an kein Baden zu denken. Eſſen thu’ ich
beinah noch nicht. Ohne Nettchen wäre ich geſtorben: die
Kouſine ward verſchrieben, weil’s Einer nicht aushielt: als ſie
kam, ſaß ich ſchon am Fenſter. Ich genas. Und nun keine
Klage mehr. Fluch war’s. Iſt’s. Fluch auf Flüche! Nach
zehn Jahren kann ich auf dieſe Weiſe nicht reiſen. Muß
auf dieſe Weiſe dem Sommer, auch im Geneſen, das Fen-
ſter zumachen. — Markus meint, du würdeſt kommen! Schön!
Segen! Adieu, morgen und Sonnabend mehr. Dies ſind
meine erſten Zeilen. Schreib mir auch! Ich fahre alle Tage
aus. Adieu. — Als ich grade im Fieber lag, war die ſchmerz-
lichſte Hitze: die Sonne auf mein Zimmer; ein heißer Umſchlag
auf meinen Leib. Ich bekam einen Ausſchlag: dabei mußt’
ich ſchwitzen. Gott, was giebt’s! Adieu, verzeih die Erzäh-
lung. Es wird auch Freude kommen. Adieu. —
Sonnabend Vormittag. Geſtern, geliebter Bruder, hatte
ich die große Agitation mit der Königin auszuſtehen. — Man
hatte mir ihre Krankheit nicht verborgen — in der größten
Höhe der meinen: Markus dachte mich damit zu tröſten; zog
mir bald den Tod zu. — Wundere dich nicht! meine Fieber-
phantaſieen hatten darin beſtanden, daß ich unaufhörlich
Mama und Robert ihre Krankheiten ſah. Ich litt fünf
Wochen an Luft, und die Königin auch an der Bruſt! Du
kennſt Nerven. Ein Glück, ein Ungefähr, daß ich’s überlebte.
— Ich fuhr geſtern gleich nach Schöneberg, wohin ich immer
fahre, wegen Feld und Landſtraße und trockener Luft, und
zerſtreute mich ſehr! Alles blüht, blinkt, lebt und webt! Solch
Jahr gab’s noch nicht. Unſere Gegend ſieht reich aus.
[476] Alles iſt auch im Überfluß auf den Märkten. Der Ärmſte ißt
gut und kann es. Mein Sommer iſt hin: Vergnügen kann
ich nicht haben. Ich nehme mich gränzenlos in Acht — das
muß man bei kaltem Fieber — aber ich ſchreite auch fort in
der Beſſerung. Biete mir nichts an, lieber Junge, ich habe
genug. Aus dem Todesbette dirigirte ich doch noch eine ge-
wiſſe Ökonomie. — Lebe geſund! Und wenn ich nicht oft
ſchreibe, wundre dich nicht. Es wird mir ſauer. Antworte
du! Adieu, Lieber. Das Leben iſt gewiß eine Buße; eine
Reinigung, wo Gott, aus Güte, auch Lockungen, auch Freu-
den, zugelaſſen hat. Ich fühl’s, es wird mir immer klarer.
Sieh die Königin! Sie tanzte noch, als ich ſchon todringend
keuchte. Gott ſei uns gnädig! — —
— Ich muß nun hier in Leid und Krankheit angebannt
bleiben. Gott will es unmittelbar! — Meine Geſchichte iſt
meine Klage. Gott nur hört das Geſchrei meines Innren.
Seit geſtern iſt mir Ruhe von ihm geſchickt. Ich bete, und
reinige meine Seele. Ich bemühe mich, meinen Zorn, und
Rache, die ich liebte, wenn auch nicht übte, zum Opfer zu
bringen. — Gentz, Marwitz, und der Horizont, thun mir weh.
Aber auch dies bemühe ich mich in Unterwerfung anzunehmen.
Gott iſt mir gnädig darin. Es iſt eine Sünde dergleichen
auszuſprechen: mein Herz zwingt mich: und lügen müßt’ ich.
ſchrieb’ ich was anders.
[477]
Empörung und Wahrheit.
(Wie Dichtung und Wahrheit.)
Ich habe nie ſolchen Fleiß und ſolche Anſtrengung ge-
ſehen noch imaginirt, als die G. anwendet, um alles in ſich
zu verwirren; zu läugnen was wahr iſt, und zu ſcheinen was
nicht exiſtiren kann. Sie hat gar kein Gewiſſen. Wenn ſie
ſich auch manchmal eins über etwas macht. Ihre Reue iſt
mir nur ekelhaft, und nie rührend; daher iſt ſie auch ſo häufig.
Die iſt bei ihr ein Schlafrock, ganz kokett fabrizirt, der einem
weißmachen ſoll, nun ſei ihr behaglich, endlich ſei ſie natür-
lich: ſie iſt nichts als ein halsſtarriges Fortſpielen der Lüge;
welches bis zur Beſtrafungsluſt empört. Sie iſt komplet und
abſolut überzeugungsunfähig; und recht innerlich widerwärtig.
Hat Verſtand, iſt liſtig; in einem beſchränkten Kreiſe witzig,
aber völlig ohne Sinn: daher iſt ihr Muſik und das ganze
Gefolge von Künſten durchaus verſchloſſen und ganz fremd,
die ganze Atmoſphäre und Pflanzennatur iſt ihr zu; die wahre
Natur der Dinge, wie ſie zu einander ſtehen, bleibt ihr auch
fern; weil ſie nur vom Allgemeinen auf’s Einzelne, aber nicht
von dieſem zu jenem mit ihren Gedanken gelangen kann.
Halb iſt das ein Unvermögen des Kopfes, halb eigennützige
Eitelkeit. Kurz, ſo in der Tiefe ſah ich noch nie einen Men-
ſchen unehrlich und geſchäftig lügen, als ſie. Dies reizt mich
auch immer wieder, ſie anzuſehen. —
Robert verglich eine andre Frau mit ihr. Gott behüte!
ſagte ich, mit der hat nichts Ähnlichkeit; die iſt einzig; das
[478] iſt eine einzige Pflanze in ihrer Art, von der kein Geſchlecht
exiſtirt: es iſt die Dürftigkeit in Blüthe. Die Natur konnte
die auch nur Einmal hervorbringen. Es iſt ganz richtig. —
An Frau von F., in Töplitz.
Ich muß Ihnen, Liebe, ſehr in Haſt antworten auf einige,
und auf einen dicken Brief, den ich heute durch Mlle Cramer
von Ihnen erhielt. Beruhigen Sie ſich. Ein Gewiſſen iſt ſo
etwas Intimes, daß nichts anderes, als es ſelbſt, mitſprechen
kann, wo von ihm die Rede iſt. Geſchehene Dinge zu ändern
liegt außer der Sphäre menſchlichen Vermögens! Ich verzeihe
Ihnen willigſt, ſo oft ich den „Schmerz der Liebe“ vergeſſe.
Das iſt unſere größere Lebenszeit; aber auch ich kann ein fait
nicht ändern; höchſtens die Handlungen nicht begehen, die mir
meine Gefühle darüber diktirten, und das will ich, und thue
es. Sie ſagen aber ſelbſt, Sie mußten Ihrem Herzen Luft
machen; wodurch, Liebe? — wenn Sie mich in der Baronin
nicht ſchilderten; und thaten Sie es, ſo bin ich doch getrof-
fen! Verwirren Sie ſich in Ihrer Reue nicht: ſondern,
vergeſſen Sie einen Flecken! und ſuchen Sie in Ihrem eigenen
Herzen über mich, und was ich Ihnen ſein kann, einig zu
werden, das allein wird Ihnen heilſam ſein, und kann Ihnen
Ruhe hierüber geben. Durch ſtrenge Selbſtſichtung kann man
ſie überall nur erlangen. Drum unterſtehe ich mich, Ihnen
dieſen Rath zu geben. Ich bin mit mir über meine Men-
ſchen im Reinen; und alle meine Arbeit geht nur dahin, dies
[479] zu erlangen. Dieſes Beſtreben raubt mir auch noch den letz-
ten Reſt von äußerem Talent. Mein Urtheil aber, iſt ſo ge-
bildet, und in einem ſo hohen Grade fertig, daß dies eins iſt.
— Wenn ein Mann von einem Weibe, und einer erſt
kürzlich Bekannten, borgt, haſſe ich: beſonders, wenn noch
bekannte Männer vorhanden ſind. Dies in Betreff M’s. —
Ganz recht! Ich, und meine Briefe, und alle meine Äußerun-
gen, müſſen immer ſehr „verſchiedene Empfindungen“ in Ihnen
hervorbringen. Es iſt in mir noch ein für Sie unverdauliches
Ingrediens. Es wird Ihnen dereinſt deſto beſſer ſchmecken,
und bekommen. Meine einmalige Miſchung — trempe —
iſt nicht zu ändern: und wenn man ſie karakteriſiren wollte,
muß man dies von ihr ſagen. — Mich peinigt jetzt meine
Schwäche, und mein ſehr unbequemes Ausziehen. Mein neues
Quartier iſt nicht frei. Alle meine alte Meubel muß ich um-
arbeiten laſſen. Und am Ende bin ich mesquin, und gar in
keiner Art wie ich will auf einem Orte eingerichtet, wo ich
nur hingehöre, weil ich ſo lange auf ihm geblieben bin. Ich
fühle es ewig, und tief, daß ich keine Bürgerin bin; und
unſer Thal keine Gegend, kein Klima hat. Adieu. Viel Ver-
gnügen. Kommen Sie bald.
Rahel.
Vorhin wurde ich von einem Beſuch geſtört, und war ſo
ärgerlich drüber, daß ich lieber den Brief ſchloß, ohne nach
der Perſon aufzuſehen. Noch ein Wort von St. M. Ich
würde Ihnen gratuliren, wenn er durch einen lahmen Arm
von der Armee kommen könnte, wie der deutſche junge Mann:
ich kann mich auf ſeinen Namen nicht beſinnen; — (Türck-
heim, diable!!) jetzt aber weiß ich wirklich nichts zu ſagen,
[480] als daß mir lieb iſt, was Sie dabei freuen kann. Kurz: le-
ben aber iſt immer das Vornehmſte. So freue ich mich un-
endlich über Bribes. Adieu!
An Frau von F., in Dresden.
Ihr Brief, liebe Freundin, machte mir Vergnügen, weil
er voller Wahrheit iſt. Das Gute, welches darin für mich
ſteht, kann ich gleich glauben! Und glauben auch Sie nur,
wie in dieſem Briefe, daß meine Härten ächter Umgang
ſind — ich nenne die Dinge ſo, mit Ihnen — und mein
Lob jedesmal freudig aus meinem Herzen dringt. Dieſe Art
zu ſein muß einen eben ſo natürlichen Zuſtand des Gemüths
in Andern hervorbringen, wenn ſie rein geſtimmt ſind; na-
türlich, ohne befangenes Urtheil, ohne eine Forderung, die,
geſichtet, auf nichts gegründet wäre, als auf den Wunſch,
es möchte ſo ſein, wie es einmal nicht iſt! Gewöhnlich dann
auch ſind ſolche Forderungen verdrießlich ausgedrückt, welcher
Verdruß von dem heimlichen Bewußtſein ihres Ungrundes her-
rührt, und den Gemißhandelten auch ſehr aufbringt, weil er
oft ſchweigen muß, um nicht ganz zu verletzen. Doch iſt dies
thöricht und unrecht: und ich will’s noch mehr aus mir
ausrotten.
Wie Sie aber nicht mehr durch meinen Umgang verän-
dert ſind, bewundre ich in der That, [...]t Ihnen! Und das
iſt es auch, was mich oft aufbrachte, wenn es oft und oft
den Schein haben mußte, daß ganz etwas andres meinen
Zorn
[481] Zorn erregte. Nicht, daß Sie nicht unendlich ſeit unſerer Be-
kanntſchaft gewonnen hätten! Der ganze Horizont Ihrer
Begriffe iſt erleuchtet, ein ganzer Wuſt von alten Meinun-
gen, Urtheilen und Wünſchen bei Seite geſchafft; ganze Felder
ſind mit neuer Saat verſorgt; Ihr Geiſt iſt beweglicher und
ſelbſtthätiger geworden. Eine neue Welt haben Sie in’s
Auge bekommen; eine lächerliche, in betrüglichem Schein
ſchwebende, bei Seite rollen laſſen. Aber im Zuſammenhange
Ihres Weſens haben Sie nicht gewonnen. — Und wie iſt
es möglich, daß man eine Gemüthsehrlichkeit in jemanden
bewundert, ohne auf der Stelle eben ſo zu werden? Ohne ſo
zu ſein! Kraft der Ausübung kann man bewundern, ohne
ſie zu beſitzen, Fähigkeit des Geiſtes, Stärke des Kopfes,
Reichthum des Herzens, ſeine Empfindlichkeit, ſein Vermögen!
Gut. Aber wie kann man ein ſtrenges Bemühn, in alles
dies Zuſammenhang zu bringen, einen ehrlichen Umgang im
Innern der Seele, im Gebiete des Gewiſſens, lieben und prei-
ſen, ohne immer und ewig daſſelbe, was man bewundert, zu
üben! — Der Menſch kann nicht recht auseinanderſetzen,
was das iſt, der Wille. Aber ein jeder ſieht, das Aug’ in
ſich gekehrt, vernimmt, nach ſeinem Innern horchend, daß es
ein letztes Wollen in ihm giebt, unterſchieden von dem vielen
zerſpaltenen, ein Wollen, welches mit den beſten Überzeugun-
gen zuſammenſtimmt, und der reinſte, alſo der, uns be-
kannte, beſte Willen iſt. Dieſer, im Zuſammenhange mit je-
dem unſrer Beſtreben und all unſern Äußerungen, macht
wahrhaft liebenswürdig, und iſt allein liebenswürdig. Wenn
Sie, meine Freundin, alſo mich lieben, ſo muß dieſer Punkt
I. 31
[482] Sie anziehen, dieſe Sonne Sie erwärmen und Ihr Auge lei-
ten. Ich habe den vorzüglichen Geiſt nicht, den man mir ſo
verſchwenderiſch zugeſteht, oder vielmehr tauſend und tauſend
Menſchen haben ihn auch. Verſtand haben gar die meiſten
Leute und hundert Bekannte mehr als ich. Kenntniſſe und
Talente habe ich gar nicht. Und doch eine ſichere Meinung,
ein treffendes und eigenthümliches Urtheil auch über dieſe
Dinge. Durch Kraft der Ehrlichkeit: durch den großen durch-
gehenden Zuſammenhang aller meiner Fähigkeiten, durch den
ewig unzerſtörbaren Zuſammenhang und das unauflösliche
Zuſammenwirken meines Gemüths und meines Geiſtes, durch
die ewig redliche Wachſamkeit darauf, durch die unerſchrockene
Kühnheit gegen arge Reſultate meines Urtheils und meines
Betragens, ſobald ich beide für richtig erkenne. Dies iſt meine
ganze Grazie, nur die ſchafft Liebe. Wer mich um etwas an-
dres liebt, der betrügt mich, oder ſich, der lügt, oder iſt albern.
Darum freut mich nicht allein ſo ſelten Äußerung von Liebe,
ſondern empört ſie mich ſogar. Aber wie verloren rinnt mein
ganzes Herz in ein anderes über, wenn ich dieſes wirklich durch
das meine gerührt, berührt glauben kann. —
Nehmen Sie um alles, was man in der Welt Freund-
ſchaft nennen kann, ja dieſen Brief gut! Es iſt der beſte,
den ich Ihnen noch je geſchrieben habe. Ich will es Ihnen
erklären. Ich dachte bis heute, bis geſtern eigentlich — bis
Ihr Brief kam — ich könne Ihnen nie ganz die Wahrheit
ſagen, ſie ſei zu hart, dachte ich, ſie beziehe ſich zu unmittel-
bar auf Ihr Inneres, auf den lebendigſten Mittelpunkt deſ-
ſelben, — es giebt eigentlich keine andere Wahrheit — ich
[483] würde verwunden, und nicht ändern. Ihr Brief aber war ſo
naiv, daß er mir Hoffnung machte, Eingang bei Ihnen zu
finden: und, mir ſelbſt unverhofft, iſt gleich dieſer da! Ich
habe Ihnen noch nie ſo über Sie geſprochen: aber wenn Sie
jede Zeile durchgehn, die ich Ihnen je ſchrieb, ſo wird dieſer
Brief immer als Text zum Grunde liegen. Ihn trug ich
immer in der Seele; nur ſchmeichelte ich zuweilen, wo ich
nicht verletzen wollte, und oft kam ich der Wunde doch hart
und nah an! Dies iſt mein Unrecht; und Ihnen nicht be-
kannt, in ſeiner Erſcheinung oft ſo gefällig, und dann wieder
ſo unleidlich! Es ſoll wo möglich alles anders werden: näm-
lich beſſer, wahrer, unter uns. —
An Frau von F., in Dresden.
Ich fürchte, Liebe, mein Brief, den ich den letzten Sonn-
abend abſchickte, wird wieder Ihren Zorn erregen, und darum
ſchreib’ ich dieſen, obgleich ich nicht weiß, wie ich ihn abfaſſen
ſoll. Ich ſagte ſchon dein Prinzen Louis: „Was ſoll ich Ih-
nen ſagen, oder vielmehr ich habe Ihnen gar nichts zu ſagen,
wenn ich Ihnen nicht die Wahrheit ſagen ſoll!“ Und ſo wahr
ich lebe! es geht mir mit Ihnen auch ſo. Sie ſcheinen mir
übel genommen zu haben, daß ich von „verwirren“ ſprach.
Sie thun das jedesmal, wenn ich dazu ſtimme, worüber Sie
ſich Jahre lang bitter anklagen. Ich will es nicht mehr thun:
überhaupt alles beitragen, daß Ihnen Berlin nicht ein ſolcher
Gräuel ſei. Auch ich habe nichts was mich freut, worauf ich
31 *
[484] hoffe ꝛc. und war noch dazu den Sommer hier, ohne Nah-
rung für meine Einbildung zu holen: ich hätte Ihnen Wien
nicht verdacht. Neue Städte, neue Orte, ſind für nicht Glück-
liche wie das Stellwechſeln für Kranke in ihrem Bette: immer
doch für’s erſte beſſer; il y a longtems que je professe ce
malheur. Man gewöhnt ſich nur mit einer ſchielen Seele an
Unnatürliches; graden Gemüthern bleibt eine verrenkte Lage
ewig verhaßt: und ſo ſoll’s mir auch bleiben. Vor ſchreien
muß man ſich das bis an’s Grab, ſo iſt man doch bis da-
hin würdig eines beſſern Schickſals gekommen. Wie lange
ſage ich Ihnen ſchon, daß ein arges Ereigniß, ein Ärger
u. dgl. nur die erſte Stunde auch mich wirkt: nun wird’s
mit Ihnen auch ſo. Ja, ja! man erfährt alle Tage mehr!
Aber nicht in dem hausbackenen Sinn, wie es die dummen
Leute mit Gedankenloſigkeit und Anmaßung ſagen; was man
ſo, durch ruppige Menſchenkenntniß und durch Verſtandesein-
ſicht, über Fortuna, ihre Gunſt, ihre Wahl, die paar Bemer-
kungen über Völkerregierung, über die Bildung der Staaten,
über den ewigen Krieg aller Mißverſtändniſſe und Verkehrt-
heiten unter einander, aus Erfahrung haben kann, das ſind
Kinderſpielwerke für einen ſchnellen Kopf. Aber die Horizonte,
die ſich in uns ſelbſt einer nach dem andern erhellen, die Ab-
gründe, die man mit Strenge da gewahr wird, vor denen
man umſonſt zurückſcheut, wo man durch muß; die Gefilde
auch, die Vegetationen, die Reiche, die da erblühen; das ſind
die Erfahrungen, die man macht, und wovon geſchwiegen
wird! Sie werden mal ſehen, was Sie noch alles in ſich er-
leben: geben Sie nur Acht; das iſt die Kunſt! Alle Men-
[485] ſchen werden Sie nach und nach verſtehen, und am Ende ſich
ſelbſt. Hier ſpringt mir eine Frage vor’s Geſicht, die gar
nicht hieher zu paſſen ſcheint: was lieben Sie denn an mir?
So heißt die Frage. Bald ſind Sie böſe auf mich, bald ſeh-
nen Sie ſich nach mir. Noch nie habe ich dieſen Widerſpruch
bewirkt. Am häufigſten bin ich nicht beachtet worden; viel
mißachtet; lange, lange nicht geliebt; gehaßt oft; geliebt
übernatürlich ſelten, von Geliebten äußerſt kurz, von ein paar
Freunden nur; von Freundinnen ſehr ernſt und ſehr lange.
Aber auf ſolche doppelte Weiſe, wie bei Ihnen, lebt’ ich noch
in keiner Bruſt. Eine Zeile Ärger, eine Zeile Sehnſucht, eine
Stolz, eine Demuth; bin ich an dieſem Wechſel ſchuld?
Überlegen Sie’s: ich gebe mich ganz Ihrem Ausſpruch. Ich
erinnere mich nicht, in Bezug unſeres Umgangs, des ferneren,
geſchrieben zu haben, „daß ich meinen Gefühlen Gewalt an-
thue, und nicht handle wie die mir diktiren.“ Sie ſagen „ich
habe Unrecht es zu thun, es iſt ein Zwang bei dem nichts
herauskommt“; und „geniren Sie ſich nicht, würden Sie ſa-
gen, wenn Sie nicht wüßten, daß ich keine Rückſicht auf Sie
nehme.“ Das nennt man den Stuhl vor die Thüre ſetzen.
Aber in demſelben Brief laden Sie mich ſo oft wieder hinein,
daß ich mich drinnen glaube. „Heraus“ kommt auch etwas,
und wären’s nur meine letzten beiden Briefe; dieſen nicht mit-
gerechnet. Ich bilde mir auf mein Weſen nichts Beſonderes
ein; aber wahr und einfach, weiß ich, daß ich bin, und dies
kann ich nicht mit Wiſſen läugnen laſſen. Ich ſage ſtolz von
mir wie ich denke: und thue ich beſcheiden, ſo habe ich die
Leute nur zum Narren: d. h. ich ſpreche nach ihren ſchwachen
[486] Ohren, — denn Beſcheidenheit kann wohl Urſache ſein, keine
Anſprüche zu machen aber die allergrößten zu haben kann ſie
nicht verhindern. Den Abſcheu vor dem Zuhauſekommen fühle
ich deutlich mit Ihnen, der iſt Ihnen auch nicht abzunehmen:
das iſt eigentlich der Gräuel vor Berlin. In Berlin giebt er
ſich. Sie werden wieder arbeiten, der Winter Ihnen verbie-
ten das Freie zu ſuchen, Sie werden Ihr chez soi lieben, die
fremden Geſtalten vergeſſen, und an dem Buſen Ihrer Freunde
ſanft ruhen, und das Irrleben abſchwören. Im Ernſt! ma-
chen Sie ſich noch recht viel Vergnügen! Und kommen Sie
verſöhnt zu „deinem dich ewigliebenden Bruder“ ſchreibt Mo-
ritz immer!
Seit drei Tagen iſt hier Mordkälte, nehmen Sie ſich vor
kalt Fieber in Acht; in Dresden wird es ſchrecklich kurirt!
An Varnhagen, in Steinfurt.
— — Auch iſt für mich alles Schickſal, Entwickelung,
Geſchichte. Ich ſchiebe nichts auf Menſchen. Ein höheres
Gebiet regiert dies. Dies iſt meine ganze Religion; darin
leb’ ich. — Ich habe viel Unglück erlebt: dazu hatte ich Ta-
lent: der größte Virtuos bin ich darin. Heraus bin ich aus
der Sphäre; mein Loos iſt raus aus dem Lotto; am Körper
kann ich nur noch torturirt werden: mit der Natur hab’ ich
noch zu ſchaffen. — Sehen wir uns, ſo findeſt du mich doch
lebendig wieder: nicht allein nicht begraben, ſondern, zum
Weiterleben, mit Geiſt, und Verſtand, und aller redlichen, le-
[487] bendigen Theilnahme fertig. Was ſollt’ ich wohl noch ſagen!
Weißt du was? — Die Univerſität, wenn ſie auch, als blo-
ßer Anfang zu einer, verſcheiden muß, iſt ſchön; und wahrlich
einem jeden hier nach ſeinen Kräften lieb. Sie iſt ein Pro-
dukt des Geiſtes. Mitten in der Beſiegung, der Armuth, ja
der Furcht, der Störung, erdacht, entworfen, angefangen!
Ein Grünen der Erde durch ihr eigenes Feuer, möge Phöbus
gnädig leuchten, und keine Pfeile den Kühnen ſchicken! Neu-
mann iſt ſeit dem September noch mit dem Grafen auf den
Gütern. Mit Fouqué bin ich durch meine Krankheit außer
Briefwechſel. Doch leſe ich viel von ihm; er und die Baro-
nin ſchreiben Robert. Ich bin in Briefwechſel mit Gentz;
mein einzig Vergnügen. Marwitz ſoll in Friedersdorf ſein. —
Berlin iſt nicht ſchöner geworden, aber alles übrige häßlicher:
alſo im Winter weiß man nicht wo man ſich hinwünſchen
ſoll! Fürſt de Ligne ſchreibt mir auch jetzt. Ich habe ihm
ſechs Seiten franzöſiſch geſchrieben vorige Woche, mit dem
härteſten Gewiſſen. Meine Franzoſen verſtehen mein Deutſch.
Der Philolog Wolf, der in Wien war, lobt Friedrich Schle-
gels Liebenswürdigkeit. Wolf ſchreibt göttlich wie kein ande-
rer Deutſcher. Aber ich denke vor vierzehn Tagen, als ich
ihn eben las, und ganz anbetete, der Schlag rührt mich, ihn
ſächſiſch ſingen zu hören; wie kann man in ſolchem Geſange
ſolche Perioden ausgraben? Ja! er gräbt ſie manchmal los!
Als ich Schleiermachern Wolfs Zuſchrift an Goethe ſo ſehr
lobte, meinte der, ſie ſei auf den Effekt geſchrieben. „Nun da
hat er gut gerechnet; auf mich hat ſie den größten gemacht,“
ſagt’ ich pathetiſch ernſt; Schleiermacher lachte mir in’s Ge-
[488] ſicht; ich mußte gleich mitlachen. Brentano hat ein wun-
derſchönes Gedicht auf die Einweihung der Univerſität ge-
macht. — —
Unſchuld iſt ſchön; Tugend iſt ein Pflaſter, eine Narbe,
eine Operation.
An David Veit, in Hamburg.
— Ich danke Ihnen recht ſehr, lieber Veit! Weil Sie
mir gratuliren. Was hilft es aber, mein Freund, mit frem-
den Augen in die Glückſeligkeit ſchauen! wie der engliſche
Dichter es ausdrückt —, die Stimmung in dieſen Zeilen wird
der Revers von der ſein müſſen, die mein Bruder hier hinge-
ſetzt hat; und ſo wird doch ein Ganzes ſich zuſammenfinden,
wenn auch kein Gleichſtimmiges. (Ich kann jetzt gar nicht
mehr ſchreiben, weil, ſo wie ich nur die Feder in der Hand
habe, mir die tiefſten Meinungen des Geiſtes und Herzens
entfahren, und gar nichts anderes mir zu Gebote ſteht. Dieſe
aber ſind meiſt kritiſch, oder lyriſch; und beides ſchickt ſich,
fühl’ ich wohl, nicht für mich; die ich Weib, alt, und Mäd-
chen bin, und ſein ſoll. Aus dieſen Geſichtspunkten bitte ich
ſie, die Erklärungen — déclarations —, woraus dieſer Brief
nun beſtehen wird, anzuſehen.) Wiſſen Sie alſo, daß ich
nichts von dem, was ich gethan, und ganz beſonders von dem,
was ich unterlaſſen habe, bereue; daß ich ſtreng eben ſo denke,
wie ich von je gedacht habe; und wenn ein Unterſchied Statt
[489] hat, es nur eine Modifikation iſt, eine Entwickelung und
Begründung meiner eigenen Natur; das iſt, umfaſſendere,
deutlichere, ineinandergreifendere Gründe für meine Meinun-
gen, und ein Schärfen aller meiner Zu- und Abneigungen.
Ich bin ungelehrt wie immer; „verſtehe aber, was kluge Män-
ner ſagen;“ und Geſchichte der Dinge, womit Denker aller Art
und wiſſenſchaftliche Leute ſich beſchäftigen, iſt für mich auch
Geſchichte, intereſſant, und auch der Gegenſtand meiner innern
Beſchäftigung. Und das von Natur, und trotz — nicht durch
— Umgebung: alſo fruchtbar für meine Seele; und glücklich.
Nun werde ich Ihnen in zwei Worten deutlich ſagen können,
wie es mir äußerlich geht. Es mögen nun wohl zehn Jahre
ſein, daß ich Ihnen ſagte: „Sein Sie überzeugt, daß in mei-
nem Schickſal ſich nichts geändert hat, ſo lange ich noch auf
der Dachſtube lebe, und Line habe. Von der Dachſtube kam
ich durch ungünſtige Umſtände, vor anderthalb Jahren. Line
habe ich noch. Und wenn ich dem Glücke nicht danken kann,
ſo halt’ ich mich für überzeugt, liegt der Punkt des Zaubers
darin, daß ich nicht beide behielt, bis ich ſie zugleich los wer-
den konnte. Ich bin tiefgründlich abergläubiſch; und ſage
Ihnen alſo das hier im größten Ernſt. Vernunftwidrig, und
mit Gewalt, konnt’ ich in dieſer Sache nichts thun; das er-
laubt und glückt nur einem andern Weſen; abſolut, nicht
meinem; alſo auch eine muthige Wahl würde mir nur Un-
heil gebracht haben; ſtellen Sie alſo keine Frage hierüber an.
Ich habe große Krankheiten ausgeſtanden. Alle meine Kräfte
und Funktionen verwirrten ſich. Jetzt neigen ſich in unzäh-
ligen Wellenſchlägen dieſe Übel zur ſtillen Fläche der Geſund-
[490] heit: und, es iſt kein Scherz, mein Körper — die Körperſeele
— fragt gewiſſermaßen Geiſt und Herz, ob er wohl weiter
leben ſoll? Ich ſehe das ganze Jahr meinen Arzt nicht.
Vorigen Sommer kurirte er mich ſchlecht, und trotz ihm
wurde ich beſſer; ich ſollte weiter leben: der Vorrath von Le-
ben war da! Nun wiſſen Sie das über mich, was in geſchrie-
bene Worte zu faſſen iſt. Antworten Sie mir ſo, daß ich
das von Ihnen erfahre! Und glauben Sie, daß Sie ſelbſt
mich nicht gegen Sie verändern können.
Rahel.
Das Papier war fettig! Gräßlich. — Ich kenne vorzüg-
liche Menſchen. Sie ſind mir auch gut: und lieben mich zu
ſehen, wie einen Fels, wie Wolkengebilde, und ſturmbewegte
Wellen u. dgl. Keiner herbergt den Menſchen in mir; wo ſie
doch alle untertreten! Dies iſt die Wahrheit.
An Varnhagen, in Prag.
— Ich habe keine Laune — ich habe auch Kopfſchmer-
zen — dir einen Spazirgang mit Harſcher und Marwitz im
Thiergarten und beim Hofjäger zu beſchreiben, wo ein unend-
licher Regen uns überfiel, und wo es göttlich war, und wurde.
Wiſſe ſoviel, daß alle Liebe, keine Liebe mehr, mich hält oder
beſeligt, oder nur einen Augenblick mich hoffen läßt, ruhen
läßt, ohne den Gedanken des Zuſammenbleibens. Ich bin
kein Vagabund, und nichts kann ſich in mir, aus mir heraus
entwickeln, als die Urwünſche des edeln, unbeſtechlichen, nicht
zu verwüſtenden Herzens. Ich hoffe nichts. Und weiß nun,
[491] daß ich nie nichts hoffte von dem, was ich kannte: das Ächte,
für mich von Gott Gemachte, hätte mich ergriffen, gefaßt
mit ſeinen Händen, wie ich es gefaßt hätte. Auch dir, mein
Freund, würd’ ich jetzt keine Vorſchläge des Zuſammenſeins
und Bleibens machen, wenn etwas Beſſeres für dich da wäre,
oder du es glaubteſt. So aber biſt du der meiner Freunde,
der es weiß und ſagt, daß nichts für ihn da iſt. Und ſo
ruf’ ich dich noch Einmal. Was ſollte auch da ſein? Vater-
land; große Handlungen; in der, für die Idee leben; Reli-
gion haben: — ſind Schalen. Schalen, bei den Menſchen,
die das nächſte von Gott Gegebene nicht zu faſſen wiſſen mit
ihren Sinnen, zu halten, mit einem gottgekräftigten Herzen.
— Ich erliege vor Kopfweh, von der geſtrigen Feuchtigkeit. —
Ich kenne auserwählte Menſchen, die eine Welt bilden könn-
ten, mit dem Vermögen, mit den Kräften und Kenntniſſen,
die ſie haben; aber ſie genügen ſich nicht, wie ſie mir genü-
gen würden. Blieben ſie bei einander, in einer ſchönen Ge-
gend, beſorgten ihre Lebensbedürfniſſe, ihre Geſchäfte, jeder für
ſich, und für die Andern gelegentlich, ſtudirten weiter, fänden
Eheweiber, lebten feſt und freudig und ſicher, und ohne wei-
teren hohlen Plan, als dies zu wollen; auch Aufſehen zu
machen würd’ ihnen nicht entgehen, und ſie bildeten ſchon von
ſelbſt einen lebendigen, einen weiterwirkenden Kreis um ſich
her. Was iſt alle Geſellſchaft, aller Staat, und alle jemali-
gen Einrichtungen eines ſolchen, anders, als Mittel, Zweck
und Folge eines ſolchen Lebens? Aber Ruhm wollen ſie; zeh-
ren, ohne beizutragen: und nichts kriegen ſie. Beſſere noch,
denken ſie, werden ſie finden, und nichts finden ſie. Mit
[492] Herr Jeſus liiren ſie ſich lieber, um es nur nicht mit ihren
wahren Freunden und Brüdern zu ſein, denen ſie leiſten ſol-
len, die ſie ertragen ſollen, denen ſie opfern ſollen, um zu
erleben, daß der Freunde Leben aufgeht, wie ein glücklich Ge-
wächs! H. ſprach ich geſtern in dem Sinn, und machte ihn
ſehr unglücklich. Aber noch lange ſagt’ ich nicht alles; ich
verſchwieg die Details. Marwitz hab’ ich dies noch nie ge-
ſagt; weil ich ihn zu ſehr liebe; und es zu perſönlich würde.
Auch kann es mal hervorbrechen; und von weitem, ſind wir
getrennt, gewiß. —
An Alexander von der Marwitz, in Friedersdorf.
den 5. Mai 1811.
Sie ſind nun im dickſten Frühling; das denk’ ich mir.
Hundertfältiges Grün, geputzte Blüthen, alles empfängt Sie,
und weht Ihnen Juni-Gedanken an, das thut der Mai;
leichtere Schatten präſentiren ſich ſchon. Ob ich es Ihnen
gönne! und ſollte ich unterdeß eingeſperrt ſein. Und doch iſt
es mir, als raubte man Ihnen von dem Genuß, weil ich nicht
zuſehe, wie Sie genießen; kein Wort höre. Geſtern war ein
verdutzendes Wetter, und den ganzen Tag beleidigte es mich,
daß es Ihr Reiſewetter ſein mußte. Wie ganz anders wäre
Ihnen das Entkommen aus der Stadt bei einem lieblichen
Wetter, wie heute, vorgekommen. Ich rechnete mich zu Tode,
den ganzen Tag, wie das iſt. Als ich nach 11 Uhr von Ma-
dame F. ging, konnt’ ich durchaus keine Gewißheit in mir
[493] bekommen, ob Sie ſchon zu Hauſe ſind: weil man immer ſpä-
ter abreiſt, als man ausſetzt. Wie ich aber zu Hauſe war,
und es halb 12 wurde, war mir mit einemmale, als wären
Sie nun bei ſich. Es regnete um dieſe Zeit nicht, der Mond
leuchtete, obgleich ſeine Scheibe nicht zu ſehen war; und die
ganze Straße, der ganze Markt, die Stadt, roch nach Bäu-
men, wie ein Wald; kurz, der Geruch, nach dem Sie immer
im Thiergarten frugen. Hr. von Quaſt führte mich — er war
mit mir aus der Komödie gegangen, wo er mich beſucht hatte,
und ich ſchleppte ihn mit zur Mad. F. — Robert ging neben
her; Quaſt fing zuerſt an; welch göttlich Wetter, nichts iſt
ſchöner, als ſolcher Abend — es ſchlug eine Nachtigall —
ſolcher ſtiller, wenn dann eine ſingt! — überhaupt war der
geſtern ſehr mild, ſanft, zart, ſittig; die vornehme Geſellſchaft
thut ihm gut, auch, glaub’ ich, liebt er wieder. — Ich lobte
den Baumgeruch; und ſo kamen wir an. Ich blieb mit Ro-
bert allein, und machte bald ein Ende. — Nun kommt der
Steckbrief von Wolff; in dem dieſer ſtecken ſollte, welches nun
umgekehrt iſt, und da Sie ſchuld ſind, Sie es auch entſchul-
digen müſſen! — Sehen Sie, wie Jean Paul’ſch man wird,
wenn man nicht ſchreiben kann, und nur etwas Witz ſtellt
ſich ein? Mein tiefſter Ernſt. Ich kam natürlich, wie wenn
man allein geht, und niemand auf einen wartet, zu ſpät nach
Möllendorfs Loge. Und im Korridor hört’ ich ſchon eine mir
unbekannte Stimme ſehr theatraliſiren; das Aufeinanderfolgen
der Scenen war mir nicht gegenwärtig, und ſtutzend dacht’
ich, wenn er das nur nicht iſt. Ich trete ein, und Maria iſt
auf der Bühne, mit Mortimer vor ſich. Ich erkenne Wolff,
[494] und ſehe zu allererſt, eine verdrehte Bewegung des Unter-
arms und der Hand. (Aus der er auch nie herauskommt.)
Auch mit den Füßen und Beinen weiß er ſich bei weitem nicht
ſo gut zu behelfen, als unſere Akteurs. Worüber ich aber
ganz ernſthaft, und faſt traurig in der Seele ward, iſt, daß
ich mir durch ihn vorſtellen muß, das weimariſche Theater iſt
nicht beſſer, als unſers; oder vielmehr, wenn es auch in man-
chen Stücken beſſer iſt, ſo hat es doch unſere Fehler; dieſe
Fehler aber ſind mir die allergräßlichſten, und erſt ſeit den
guten Stücken mit den demonſtrirenden Verſen bei den mit-
telmäßigen ſteifen Gemüthern der gewöhnlichſten Subjekte beim
Theater Mode geworden. Dieſer große, alle Wahrhaftigkeit
und Schönheit des Spiels aufhebende Fehler beſteht darin,
daß die Mimen den Zuſtand der Perſonnage, die ſie darſtel-
len, nicht aufgefaßt haben, ſich nicht angeeignet haben, ſich
ihn nicht anzueignen vermögen. Sie wiſſen nicht, und füh-
len’s nicht, wie die Großen unter ihnen, daß Worte, Phraſen,
nur Behelfe ſind, um Gemüthszuſtände von ſich zu geben;
nichts, als ein Bild dieſer Zuſtände; und Bilder ſelbſt nur
karakteriſtiſchere Zeichen des Beſtrebens nach Ausdruck. Pomp-
haft, und unverſtändig, trennen ſie dem Dichter jetzt ein Wort
vom andern, führen dies, ſo zu ſagen einzeln, ſeinem gröbſten
Verſtändniſſe nach, auf, und wollen dem Autor nachhelfen.
Dann und wann denken ſie ſich aus, wie man etwas machen
müſſe. Und das ganze Studium dieſer Kunſt beſteht doch nur
darin, auf’s pünktlichſte zu wiſſen, was man nicht machen
darf. Durchdrungen muß der Schauſpieler vom ganzen Stück
ſein, jede Rolle, jede Zuſammenſtellung wiſſen, und kennen;
[495] muß vom Himmel die Gabe haben, Zuſtände zu faſſen, und
auszudrücken, das letztere iſt eine rohere, äußerlichere und all-
gemeinere; wenn er dann nicht thut, was er nicht darf, —
und dieſe prohibirenden Geſetze aus allen Gegenden des Rechen-
ſchaft gebenden Geiſtes zuſammen hat, — und ſich freies Spiel
läßt, ſo werden wir Gutes haben. Unſere jetzigen Akteurs
aber, wiſſen von keinem Stück, keinem Dichter, keiner Stim-
mung, keinem menſchlichen Zuſtand; und ennuyiren mich bis
zur Nervenkriſpation. Auch Hr. Wolff nahm jedes Wort,
wie unſere Stich’s, einzeln; und bekam nie die Rolle zuſam-
men. Seine Stimme iſt nicht ſchlecht, noch unangenehm, (das
R ſpricht er ſcharf, alſo tragiſch), aber ſie iſt ſich nicht gleich,
und drückt nie jemand aus, der aus einem Punkt der Seele
heraus lebt; ſondern nur einen Menſchen, der bald von einer,
bald von einer andern großen Idee, oder von ſolchen Men-
ſchen, erfaßt ſein kann: folglich kann er nichts Bewunderns-
werthes, nichts Verehrungswerthes — einen ſolchen Menſchen
nämlich — darſtellen: gewiß mancherlei romantiſch Anziehen-
des, Bemitleidwerthes; wenn er nach Karakteren, und nicht
nach Worten ſpielen wird. Ich habe eine Ahndung, daß er
Lieder, u. dgl., in tollen Reimen und Verſen, gut ſagen kann.
Wie das Parzenlied; welche von Schiller: und ſehr vieles
von Shakeſpear. Wo er vague bleiben kann, und anklingen
an ganz phantaſtiſche allgemeine Zuſtände der außermenſchli-
chen Dinge, und auch ſolchen phantaſtiſchen Gemüthszuſtänden,
kann er wohl ſehr gut ſein; das glaub’ ich, durch ſeine Au-
gen, die man im dritten Range ſieht, durch ein adliches Ge-
müthsweſen, welches ihn ſogar während des ſchlechten Spiels
[496] bemeiſtert; und weil er, ſo wie es nur reimte, ungewöhnlicher,
phantaſtiſcher, in weitern Kreiſen, und allgemeiner wurde,
gleich gut wurde, und einem Schönes in den Sinn brachte.
So viel! weil er von Weimar kommt. Wo der künſtleriſchte
Deutſche lebt; von dem ich hoffte, daß er ganz Kunſtwidriges,
in ſeiner Nähe nicht aufkommen läßt; ja, tödtet, mit Macht
und Wache. Bei ſeinem Entſchluſſe. Es muß doch nicht gehen;
und das iſt es, was mich ſo ernſt über unſere deutſche Kunſt
machte, und dieſen langen Brief veranlaßt. Sind Sie darü-
ber mit mir einverſtanden? Und vergeben ihn mir? Ich meine,
ſehen Sie ein, wie er entſtanden iſt? Ihnen mußt’ ich ihn
doch ſchicken! Sie werden noch mehr, noch viele Plage mit
mir haben.
Mlle. Beck ſpielte die Eliſabeth göttlich. Sie unterſchrieb
ſtumm, allein, wie Eliſabeth ſelbſt! Die Bethmann hatte ſehr
ſchöne Momente. Spielte aber zu Anfang heftiger als ſonſt.
An Alexander von der Marwitz, in Friedersderf.
ter, den 7. Mai 1811. Schreiben Sie mir auch
immer die Stunde und das Wetter.
Ich bin ſehr zerſtört, weil mich geſtern etwas atrore be-
leidigte und kränkte; — — höchſt umbringend, aſſommirend
für mich, weil ich deutlich ſah, wie ich bei meinen Nächſten
ſtehe, und was ſie von mir denken und ſagen. Traurig, weil
ich dieſem Sein ausgeſetzt bleiben muß, ohne Rettung: und
man gegen mich noch die Moraliſchen ſpielen kann, eben weil
ich geſtellt bin, daß ſich niemand meiner annimmt, als ich
ſelbſt.
[497] ſelbſt. Deutlich fiel es mir heute Morgen ein, daß ſie mich
eigentlich ſo anſehen, wie der Köhlerjunge das Mädchen von
Orleans. Und ich auf eine gemeinere Art untergehe. Ich
ſchreibe Ihnen dieſe ekelhaft traurige Geſchichte, weil ſie mir
vor der Seele ſteht, und weil ich die Art von Stimmung ver-
loren habe, die dazu gehört, Ihnen Mad. Wolff zu beſchrei-
ben, die ich nach meiner Kataſtrophe die Jungfrau ſpielen ſah;
und es doch thun will. Ich aß nach vielen herben Thränen
gegen 5, mußte mich niederlegen, und ging nach 6 Uhr in
Möllendorfs Loge, wo ich glücklicherweiſe allein war. Die
Details künftig. Möllendorf, — der zuletzt kam —, ſagte:
„Ich ſehe nun, daß Weimar wenig Feuerſtellen hat.“ — —
Sie nüancirte aber die ganze Rolle mehr, als ich es je ſah.
— Sie betete beſſer, als man glauben konnte; mit etwas
ſtärkerer Stimme, als zu erwarten war. — Starb ziemlich
gut. Sie wurde herausgerufen: und das aus wahrer Ehrfurcht
vor Goethe. Das freut mich ſehr! — Die Applaudeurs ſag-
ten deutlich: Goethe ſei ihr Orakel. Sie ſagte: „Wenn
Ihnen mein ſchwaches Talent nur den geringſten Theil der
Freude gemacht hat, die ich jetzt empfinde, ſo bin ich ſehr
glücklich.“ Heute ſeh’ ich ſie zum Thee bei Frau von Grott-
huß, — er, Hr. Wolff, wird dort, weil es Goethe ſagte, den
Prometheus — „ein etwas abſtruſes Werkchen von mir“ —
vorleſen. Davon ſchick’ ich Ihnen Freitag die Rezenſion, mit
A. Müllers Buch, und Xenien von Robert! Sie ſchreiben
mir! in meiner Wüſte. Ihr Daſein, Ihr Andenken, ſtellt mir
viel vor. Ich ſag’ Ihnen nicht alles, was. — Adieu. R. L.
I. 32
[498]
An Alexander von der Marwitz, in Friedersdorf.
Heute, jetzt, mein theurer Freund, grüße ich Sie nur. Ob-
gleich ich Ihnen viel zu ſchreiben habe, und hätte, und ſeit
den ganzen zwei Tagen in Gedanken geſchrieben habe. Alles
richt’ ich an Sie. Geſtern Morgen war Nanny lange bei
mir, nachher Mad. Schleiermacher. Nachmittags Harſcher,
mit dem ich in Bellevue war. Er blieb auch den Abend bei
mir. Erweichte ſich nach ſeiner Art. Die Art beſteht aber
doch darin, nichts zu fühlen was vor ihm iſt: mich auch nicht.
Doch ſagte er, ich thäte ihm wohl. Jetzt leb’ ich faſt nicht
vor Erſchöpfung und Nervenirritation. Sehen Sie meine
Handſchrift! Alle Tage werde ich ſchwächer; jedoch komme
ich oft in göttliche Zuſtände. Ich werde es verſuchen, ſie deut-
lich zu machen. Sehr komiſch mußt’ ich’s finden, als mir Har-
ſcher ſagte, ſie kennen Wolffs. Und nun ich mit meinem gro-
ßen Brief! Er thut mir nicht leid. Ich beſuchte Mad. Wolff
heute Morgen und Frau von Grotthuß: habe eine Menge
Sachen beſorgt, und Mad. Bethmann bei mir geſehen. Nun
muß ich eſſen und ruhen, und Wolff in einem Luſtſpiele ſehen.
Künftig den Bericht von dieſem Spiel und dem Grotthuß’ſchen
Abend. Der Mann gefällt mir, und Morgen, wo ich mit
ihnen bei Mad. Bethmann bin, will ich ihm ſehr die Kour
machen. Auch die Frau habe ich ſchon ſehr getröſtet, die von
Berlin dekontenancirt iſt. „Mir wird wieder wohl, ſeit Sie
hier ſind!“ ſagte ſie mir dieſen Morgen, und wollte mich
nicht weglaſſen. Ich bin wieder wie die Jungfrau! Ich,
[499] „die all dies Herrliche vollbracht“, wie iſt mir? Sehr wun-
derbar, Marwitz. Mühſam, geplagt: nicht aber ſchlecht. Und
wie ſchätze ich, wie empfind’ ich, was ich habe, und was ich
lieben kann. Sie ſchreiben mir. Adieu. Gott wie iſt das
Grün, wie zauberartig, verzaubert oft die Stadt. Wären
Sie nur bis heute hiergeblieben, das mit Ihnen zu ſehen!
Von Schleiermachers und allem künftig! — Sie wollen mir
Bettine bitten. Denken Sie! —
An Alexander von der Marwitz, in Friedersdorf.
den 16. Mai 1811.
„Mehr und Beſſeres kann Ihnen mein beunruhigtes,
zerrüttetes Gemüth nicht geben.“ Dieſen Schreck muß ich
von Marwitz haben, das von meinem geliebteſten Freund er-
leben! Wie oft könnte ein in Wunden zerriſſenes Herz heilen,
geneſen, zum Leben berührt werden, in ſeiner Noth; von einem
einzigen Blicke, von einem Worte, von einer Bewegung, einer
Inflexion der Stimme, des geliebten Menſchen, auf den der
Ringende harrt; nicht aus Schwäche, aus Menſchenelend
harrt, und harren muß. Vergebens! Nicht Blick, nicht Wort,
nicht Ton kommt zu uns: wir verſchmachten, vergehen, leben
nicht; und Welt, und wir ſelbſt manchmal, wähnen uns ge-
tröſtet. „Die Menſchen verſtehen einander nicht,“ ſagt Wer-
ther. Sogar die Jammertöne werden nicht erkannt, die aus
eines jeden Bruſt geſchlagen werden; vom Andern nicht! dies
iſt wahr und ſchrecklich! Das andere Schreckniß beſteht darin,
32 *
[500] daß wir auch nicht heilen, nicht helfen können, wenn der von
uns Geliebte leidet! Wir verſtehen ihn ganz, ſein Leid reißt
in unſerer Bruſt; und einſam iſt er, einſam ſind wir. Dieſe
Klauſe, worin jede Menſchenſeele haftet, und wo Liebe dann
und wann Leben und Leben vermählt, wie Licht, vom Him-
mel geſchenkt nur, hinüber trägt, — dies iſt der Graul, wo-
vor der Menſch erſtarrt (des Denkers Geſchäft in Gebet über-
gehen muß), und ich verzweifle. Mit mir iſt es aus. Sie
erſcheinen mir, den ich lieben kann. Jung und gut dotirt,
wie ich es nur wünſchen mag, ſtehen Sie vor mir; ich lerne
Sie auch genau kennen: Sie erkennen mich, ich bin Ihre
Freundin; das Meiſte und Beſte der Welt, des Lebens, ſehen
wir mit gleichen Augen, mit gleichem Geiſte an; fühlen, ſind
überzeugt, jeder vom Andern, daß er ein lebendiges, unſchad-
haftes Herz im Buſen trägt; beſitzen und lieben unſere fünf
Sinne. Ich tröſte mich — wie man ſich an einem Kinde
etwa tröſten kann — eine ähnliche Natur in ihren beſten Ver-
mögen, in ihren geheimſten, feinſten Nuancen zu kennen, auf
der Erde zu wiſſen, der es glücklicher gehen ſoll, als mir;
kurz, — die Worte ſind alle dumm, und drücken plumpe Ge-
danken und Abſichten und Verhältniſſe und regrets aus! — ich
kenne, durchſchaue und empfinde Sie ſo, daß mein Glück und
Ihr Glück Einen Strom geht! Sie wiſſen, ich halte nur auf
Beieinanderleben; aber Sie ſind der Erſte, den ich nie wieder
ſehen, wieder hören will, wenn es Ihnen nur gut geht, wenn
Ihre Natur mit ihren Bedürfniſſen ſich nur deployiren darf;
Eins wiſſen Sie nicht, Marwitz, wie über alles zu faſſende
Maß dies bei mir viel iſt. Wiſſen Sie dabei, daß Ihre Ge-
[501] genwart mir wie das Auge der Welt geworden iſt; ich ſehr
ſie, auch wenn Sie nicht da ſind; aber in die Augen ſehe ich
ihr nicht: ich weiß auch nicht, ob ſie mich ſieht. Ich habe
viel geliebt, aber nie einen Menſchen wie Sie. Und mußte
auch mein wahnſinniges Herz mich bis zu den Gränzen mei-
nes eignen Seins reißen, ſo war mein Geiſt nie irre: und
einem wirklichen Gegenſtande war es aufbewahrt mich zu
lehren, daß das Maß nicht in mir, ſondern in ihm abgeſteckt
iſt. (So habe ich Goethe geliebt in ſeinen Werken.) Von
dieſem Freund, deſſen Wohlſein ein neues anderes Lebensziel
für mich werden mußte, hör’ ich nun auch die trüben zer-
ſtockenden Klagetöne, mit denen ich die Atmoſphäre durchdrin-
gen mußte, und kann ihm gar nicht helfen. Fühlen
Sie das? begreifen Sie’s? das wollt ich Ihnen ſagen: und
ſo viel mußte vorhergehen. Einſam ſteht jeder; auch liebt
jeder allein; und helfen kann niemand dem Andern. Halten
Sie kein Wort, keinen Unmuth, keine Stimmung zurück: be-
ehren Sie mich damit: ich will Ihr Leben wie meines ertra-
gen, doppelt leben iſt ja ſchön; ſo wie es dem Menſchen
möglich iſt, will ich es gerne annehmen, dahinnehmen. Auch
weiß ich wohl, lieber Marwitz, daß ſolche Stimmung nicht
permanent iſt, wechſelt, ſich beim Schreiben an Intime mehr
entwickelt, mehr aufbrauſt; ich weiß alles hierbei zu ſtellen, zu
würdigen; es iſt, als ob Sie zu ſich ſelbſt ſprächen: ſprechen Sie
zu mir! Ich danke Ihnen für die Beſchreibung Ihres Hauſes:
ich weiß, daß Sie ſie zu Anfang für mich imaginirten, aber wie
einzig richtig ſah ich dadurch Ihren Zuſtand, Ihre Denkungs-
art, und die Veranlaſſung zu den vielfältigen Stimmungen in
[502] der einen Grundanſicht! Ich kann mir Vorfahren und alles
denken (Sie wiſſen es), wovon ich entfernt bin; wenn es
edel, wenn es natürlich, einfach und groß iſt. Mir thut der
Frühling auch vielfach weh. Ich kann nicht allein leben;
und bin es: nicht ohne Beziehung; und habe keine. Reger
und reger nur wird mir Sinn und Herz; beſtimmter und
ſchärfer der Geiſt: und dieſer Frühling zaubert mir, zieht mir
alle verfloſſenen durch’s Herz; macht es mir erklommen ſtill
ſtehen, vor Angſt, vor allen künftigen! Auch nur Worte!
Gott weiß, wie bange, erſtockende, zum Tod erſtarrte, be-
trübte Momente ich durchfühlen, durchleben muß, Schreiben
Sie mir nur! Wenn auch nur noch ſo wenige, noch ſo trübe
Worte. Um 6 Uhr, als ich nach dem Thiergarten gehen
wollte, kam H.; ich hatte ſo eben Ihren Brief erhalten und
las ihn; er bat mich, Sie freundlich zu grüßen, Ich zeigte
ihm und zeige ihm Ihren Brief nicht. Er brachte mich hinaus,
Gute Nacht! Es war heiß, ohne Regen, und iſt jetzt ziem-
lich kühl.
ſchein, die Laden nur ein wenig offen.
Wenn Sie nicht geſchrieben hätten: „Antworten Sie
gleich,“ ſo wüßte ich gar nicht einmal, ob Sie dergleichen
Briefe von mir haben wollen, wo ſo alles darin ſteht, wie
es an mir vorübergeht, wie ich darin wühlen muß, — ſo
wenig antworten Sie, oder thun nur dergleichen. Diesmal
haben Sie Recht; und dies eine hier angeführte Wort iſt
Antwort auf alles, was ich ſchrieb. Künftig aber ſprechen Sie
auch ein wenig zu mir zurück. Leſen Sie Adam Müllers
[503] Buch z. B.? Ihr Haus gefällt mir ja ſehr gut! Es iſt ſinnig
und bequem eingerichtet, und einzurichten geweſen. Darin
könnte einem wohl werden. Sie müſſen gut in den Zimmern
ſchlafen: die dicken Mauern beruhigen, und halten Hitze und
Kälte ab. Sind die Kaſtanien dicht vor Ihren Fenſtern, daß
Sie ſie anfaſſen können? Können Sie auf die Wipfel ſehen,
oder gar drüber weg? Beſchäftigen Sie ſich? Können Sie
arbeiten? Laſſen Sie Ihrem Körper ja Zeit, Fortſchritte zu
machen. Dazu müßte die Seele erfriſcht werden; und ge-
ſunde Seelen werden dies doch am Ende nur durch Menſchen.
So wie die beſtorganiſirten Geſundheiten am leichteſten lei-
den, ſo können nur dumpfe Seelen in Einſamkeit gedeihen.
(Sehen Sie dies Schreiben! Ich ſchreibe mit einem Stück
Holz, welches ich mit der Scheere zugeſtutzt habe.) Ich grüble
mich zu Tode über Sie, bis ich Sie fertig habe. Was kann
ein Menſch mit ſolchem Bewußtſein, wie Sie es haben, ich
möchte ſagen ein wiſſenſchaftliches Bewußtſein, ausrichten.
Sie können der Zeit nicht entfliehen. Es giebt nur Lokal-
Wahrheiten, und die Zeit iſt nichts, als die Bedingung, unter
welcher ſie ſich bewegen, entwickeln, leben, wirken. Alle be-
kannte Weſen ſind darin ſtreng gebannt; jeder Menſch in
ſeine Zeit. Unſere iſt die des ſich ſelbſt in’s Unendliche, bis
zum Schwindel, beſpiegelnden Bewußtſeins. Und die größten
Heldenanlagen, die wirkungsreichſte und fähigſte Natur muß
austrocknen, vergehen, in Luft und Flammen aufgehen, wenn
ſie doppelt begabt, recht menſchlich begabt iſt; wenn ihr ein
ſpekulativer ſinnender Geiſt zugeſellt iſt, ein ſcharfes intelli-
gentes Verſtändniß, eine zu bewegende Dichterphantaſie, ein
[504] ſtarkes, aber zartes Herz. Einem verſtehenden Menſchen iſt
in der zerſtückelten neuen Welt, wo Griechen, Römer, Bar-
baren und Chriſten ausgehauſt haben, nichts übrig, als
das Heldenthum der Wiſſenſchaft. Staatshelden, die erſt ver-
nichten und erobern ſollen, haben und dürfen kein großes
Bewußtſein haben. Sogar Staatsverwalter müſſen den Kran-
ken, den ſie vor ſich haben, talentartig, ziemlich empiriſch und
inſtinktartig behandeln. Auf eine andere Weiſe gebricht der
Muth, und der Augenblick, mit allen Vortheilen ſchwanger,
avortirt. Sie nun ſind der Menſch mit den doppelten Ga-
ben, mit dem zwiefachen Sinn; und wie geknebelt, erdroſſelt,
ſtehen Sie mitten drin. Dies iſt Ihr Unglück, Ihr Leid.
Sie ſcheinen zu ſchwanken, und eine ausgeſogene Welt iſt
es, die farb- und marklos um Sie her wogt. Ich ſpreche
nicht, wie alle Menſchen, von der armen franzöſiſchen Revo-
lution; die war ſchon da, eh ſie ausbrach. Zu zerrieben lie-
gen die Elemente der Menſchheit von den Jahrhunderten da,
weil es der Staub der Trümmern iſt, die Gottloſigkeit und
Blödſinn geſchlagen haben; nicht eine heilſame Miſchung,
durch frommes Beginnen und ehrliches Handeln erzeugt. Iſt
ſie ganz in chaotiſchem Aufruhr, die Welt, ſo ſtrebt der Geiſt
hinweg, nach dem Himmel; eine Religion bringen die Seuf-
zer, die élans der Seele, von ihm herab; zweimal kommt ſie
nicht in gleicher Geſtalt, und da dieſe für die Erde iſt, iſt
auch keine ewige vorhanden; es iſt auch jetzt eine neue Reli-
gion da. Mir iſt ſie verkündet, ſtark, in der Seele. Allein
bin ich aber noch. Zu eitel ſind noch meine Freunde. Die
ganze Welt können jetzt nur die Schlechten umſchaffen.
[505] Menſchengebäude laſſen ſich nicht aufführen, wehren kann
man ſich nicht, entfliehen auch nicht. Hütten aber, und ſtille
Anſtalten ſind zu treffen: dazu aber ſind die Guten zu ſtolz.
Einen Namen ſollen ihre Thaten, ihre Werke haben; nach
Alexander, nach Moſes, nach Chriſtus ſollen ſie heißen. Es
ſind der Guten mehr da als je; ſeien ſie gut, leben ſie gut;
leben ſie nah, ſoviel als möglich; und dies für eine That an-
geſehen, iſt viel möglich. Die Kolonie iſt gleich da; nur ohne
Projekt, nur das Allernächſte immer gut gemacht; ſo ſehr
hindert keine Regierung, und hindern ſie wirklich, die Regie-
rungen, ſo iſt es ja gut zuſammenſein, ſich helfen, beſprechen,
ſich da wiſſen, ſehen. Kann einer ſterbend die Welt, ſein
Land retten: ich rathe es ihm und wären Sie es. Geht es?
nützt es? Das Grübeln über Rettung und die Zeit, die am-
bitiöſen Verſuche, ſind das Schlechteſte. Leben, lieben, ſtudi-
ren, fleißig ſein, heirathen, wenn’s ſo kommt, jede Kleinigkeit
recht und lebendig machen, dies iſt immer gelebt, und dies
wehrt niemand. Und von einer großen, immer größern Ver-
einigung dieſes wollender Menſchen ſollte nichts, gar nichts
entſtehen? Ein Wachsthum ſolcher Vereinigung müßte alle
rohen Anſtalten ſprengen, in ſich aufnehmen. Aber dies hat
keinen Namen, und es unterbleibt: oder es geſchieht auch nur
unbewußt; denn es geſchieht allwährend. Aber die
Braven, Sie, tummeln ſich elend. Auch ich ſehe Sie ſo, wie
Sie ſich mir mit wenigen Worten ſchilderten. Ganz ſehe ich
das ganze Sein und Thun ihrer Seele, meine lehrt mich dies.
Sie können „die Berührung des Gemeinen nicht dulden;“
das ſind ja die Strohhalme, die auch mich dem Wahnſinn
[506] nah bringen, mir alles Blut umwenden, und die Beſinnung
rauben. Auch den „faulen Fleck“ kenne ich. Sie müſſen
„das Gemeine verachten lernen.“ Sie müſſen das können.
Sie müſſen es abſolut lernen! Durch Zwang, durch Gewalt
an ſich ſelbſt ausgeübt, erreichen Sie dies nie. Sonſt würd’
ich Ihnen, wie Hamlet ſeiner Mutter räth, ſagen: wirf den
ſchadhaften Theil (des Herzens) weg! (wenn ſie ihm ſagt:
du ſpalteſt mir das Herz.) Durch Fleiß aber, durch unab-
läſſigen Fleiß und Anſtrengung können Sie das Gemeine
verachten lernen. Durch unabläſſigen! Ich kenne auch dieſe
Krankheit, und wehre ſie mir ewig ab. Ein ununterbroche-
nes Unterſuchen deſſen, was gemein iſt, rettet allein davon.
Denn ſo unſinnig iſt unſer Inneres nicht, daß wir das Ge-
meine als ſolches lieben könnten und halten wollten; aber
wir unterſcheiden’s nicht ſchnell, und laſſen uns meiſt von
Andern, und oft von uns, übertölpeln; und überſchreien die
ewige Stimme in uns. Habe ich Sie verſtanden? Meinten
Sie dies? ſo rotten Sie’s aus; laſſen Sie dies Ihr erſtes
und immerwährendes Geſchäft ſein; wo Sie’s nur finden.
Dies wird Ihnen auch die nöthige „Beſonnenheit“ geben es
„abzuwehren.“ Adieu für jetzt! —
Ich ſchäme mich, da ich die beklexten Bogen vor mir
ſehe, daß ich Ihnen dies als eine ordentliche Sendung ſchik-
ken ſoll; Sie es ordentlich aufmachen und leſen ſollen, was
ich ſo gut zurückhalten kann. Sprechen kann man noch ſo
ungezimmerte Dinge; die Luft, und das neutrale Ohr, be-
[507] wahrt ſie nicht, aber dergleichen Phraſen und Perioden mit
dicker Dinte, bleiben unbeſcheiden. Vieles davon wünſche ich
wieder zu Ihrer Kenntniß! Andrerſeits ſchiene es mir auch
wieder zu präparirt, und wie eine Toilette, wenn ich es beſ-
ſer zu machen ſuchte; mir war ſo als ich ſchrieb; und Sie
nehmen es als geſprochene Worte hin: da iſt viel erlaubt.
Warum bin ich entfernt von Ihnen? Schlechtes erzeugt
Schlechtes. (Hier ſtörte mich mein Schuſter, und dann F.,
der zwei Tage in Potsdam war, und den ich aber nun doch
employirte, mir dieſe Kritzelfeder zu ſchneiden: jetzt ſteht er
neben mir, und ſchneidet ein Kouvert.) Ich habe mir jetzt an-
gewöhnt, abends nach dem Thiergarten zu Markus zu gehen;
es ſind viel Blumen und Blüthen und ſchöne Bäume da,
hinten geht es nach dem Felde, ich bringe mit wen ich will.
Das Aſyl iſt artig genug. Jedoch geh’ ich auch leicht nach
andern Orten. Der Wald iſt göttlich! — wunderbar ſchön.
So dünkt mich hatten ſich Laub, Zweige, Blätter, Scheine
und Farben nie. Alles ſo zauberartig! Und wahrhaftig, ich
befinde mich doch nicht ſo prächtig. — Mad. Herz hat mir
ſehr freundlich und natürlich von Dresden geſchrieben; in wel-
chem ſie unter dem Namen „M. der Koloß“ nach Ihnen
fragt. H’n aber wie ein Kind pflegen möchte! —
Anmerk. Zum beſſern Verſtändniſſe der Stimmungen und Anſich-
ten, welche durch die ganze Zeitlage überwiegend bedingt waren, wird es
nöthig, hier aus den Briefen von Marwitz einiges mitzutheilen.
Goldene, göttliche Worte, liebe Rahel: „Leben, lieben, ſtudiren, flei-
ßig ſein, heirathen, wenn s ſo kommt, jede Kleinigkeit recht und lebendig
machen, dies iſt immer gelebt, und dies wehrt niemand.“ Ja ich weiß
[508] das; fernab ſind mir längſt alle Träume von Heldengröße und äußerer
Bedeutſamkeit gezogen; führt mich das Schickſal dahin, wo ich in großen
Kreiſen zu wirken habe, ſo will ich auch das können; aber meine Hoff-
nungen, meine Pläne ſind nicht darauf geſtellt. Ich will nichts als das
Rechte, Gute, Ewige, und das läßt ſich in allen Formen darſtellen, und
alſo auch in der lieben himmliſch einfachen, die jene Worte ausſprechen.
Ich klage auch nicht über die Zeit; ganz dumm iſt, wer das thut. Wem
das Herrliche im Gemüthe gegeben iſt, dem wird alle Zeit herrlich. Und
worüber klage ich denn? darüber, daß ich dem Gemeinen Gewalt in mir
gegönnt habe, daß ich mich habe übertölpeln laſſen, durch pöbelhafte nich-
tige Meinungen, ſo daß es mir zuweilen ſcheint, als ob ſie ſich krebsartig
und unheilbar in meine Seele hineingefreſſen hätten. Wie kann die Be-
ſonnenheit, die Sanftmuth einem ſo ganz entweichen, wie mir zuweilen!
Sie werden es dieſen Zeilen anſehen, daß ich ruhiger geworden bin.
Ein Paroxysmus iſt vorüber. Ob er wiederkehrt? Es iſt jetzt Abend
nach einem drückend warmen Tage. Die Sonne ſteht vor meinen Fen-
ſtern hinter gelben Nebeln, und ein friſcher Baum- und Blüthengeruch
weht durch die Luft. Ob ich arbeite? Nein. Ehe ich nach Berlin ging,
konnte ich’s, und recht tüchtig, jetzt nicht mehr. Ich habe mich zu zwin-
gen verſucht, aber umſonſt. Darum laſſ’ ich mich jetzt gehen. Ich habe
Philoſophie treiben wollen, aber grade dazu gehört die religiöſeſte Ruhe,
die friſcheſte Heiterkeit des Gemüths, die angeſtrengteſte Sammlung.
Ich leſe Moritz (ſeine Reiſe nach England, jetzt die nach Italien).
Er gefällt mir ſehr wohl, denn er iſt ein ächter Menſch, ganz ohne
Schein und Lüge. Er hat ein mildes, offnes und freundliches Gemüth,
und eine große Gehnſucht nach dem Edlen und Ungemeinen.
Das Wetter iſt fortdauernd ſehr ſchön, mild und glühend zugleich.
Auch Mirabeau habe ich geleſen, ſeine Briefe aus dem Donjon von Vin-
cennes, viel beſſer und karakteriſtiſcher, als ſeine lettres de cachet, die
größtentheils ſchiefe und kleinliche Anſichten enthalten; die gewaltige
Fülle ſeines Herzens, die bei dem fürchterlichſten, dem ertödtendſten Un-
glück ſeinen Geiſt ſtark und lebendig erhält, die offenbart ſich viel mehr
in jenen Briefen. Seine Beredſamkeit iſt die wahre, denn er macht, er
erdenkt ſie niemals, ſondern ſie ſtrömt ihm ewig aus dem Quell eines
immer bewegten Gemüths hervor. Ich bin überzeugt, daß er grade eben
[509] ſo gut geſprochen hat, wie geſchrieben, denn alles iſt ihm unmittelbar
gegenwärtig, er hat nicht nöthig zuſammen zu raffen und langſam Rath
zu ſuchen für den Mangel des Augenblicks bei vergangnen Stimmungen
und Anſichten.
Ihren ſanften, reichen, ſtarken, verſtändigen Brief, liebe Rahel,
habe ich in dieſem Augenblick erhalten. „Eigentlich, ſchreiben Sie, müſ-
ſen Ihnen meine Briefe lieb ſein.“ O über alles Maß ſind ſie mir das,
und meine einzige Furcht iſt nur die, daß Ihr lebensreiches tiefbewegtes
Gemüth einmal verſchmähen wird ſich auszuſtrömen gegen meine ver-
welkende Seele. Jetzt zur Sache. Ich bin bis jetzt hier geblieben,
und hatte vor, noch einen Monat hier zu bleiben, weil, ungeachtet der
Geſpenſter, die in meinem Innern herum wandeln, doch eigentlich der
Körper durch Landluft und beſonders durch Bäder gedeiht, und ich jene
durch eine muntre Thätigkeit, die dann folgen ſollte, bald zu verſcheuchen
hoffte. Aber ich traue nicht mehr, denn geſunder bin ich zwar, als da
ich Berlin verließ, aber nicht weniger reizbar. Ein einziger Moment,
das fühle ich, kann mich dahin zurückwerfen, wo ich war, und was am
Ende aus dem finſtern Brüten werden kann, überſehe ich nicht. Nun
ſehe ich zwei Auswege. Der erſte iſt, mit Ihnen nach Töplitz zu gehen,
unbeſchreiblich reizend für den Augenblick, aber bedenken Sie, daß die
Schwierigkeit, mir ein Verhältniß zu bilden (das ich haben muß) mit
jedem halben Jahr, das ich verſäume, unmeßbar ſteigt. Ich bin vier-
undzwanzig Jahr alt. In dieſem Alter muß man thun und arbeiten,
entweder ſtudiren, oder ein Amt ſuchen, wenn ſich einem die Ausſicht
nicht öffnen ſoll auf eine müßige, verächtliche und verachtete Exiſtenz.
„Gut, werden Sie antworten, ich gebe dir Recht, wie ich dir Recht ge-
geben habe. Arbeite, ſtudire, wenn du kannſt; aber du kannſt nicht.
Darum gehe dahin, wo Seele und Leib dir geſunden, wo die Kraft dei-
nes Innern ſich wieder aufrichtet. In müßiger Beſchaulichkeit geht dir
die immer mehr zu Grunde, und dein einſames Harren führt dich nur
zu ärgerer Verſunkenheit. Faſſe dich, ſo lange du [kannſt], ſuche mit dei-
nen letzten Kräften die Geſundheit auf, und haſt du ſie gefunden, dann
ſei thätig.“ Ich ſehe die Stärke dieſer Gründe vollkommen ein, meine
liebe Freundin, und frage mich nur, ob es nicht zweckmäßiger iſt, den
andern Weg einzuſchlagen, auf dem ich das Nothwendige mit dem Be-
quemen und Nützlichen verbunden ſehe, nämlich auf weite Reiſen zu
gehn, erſtlich nach der Inſel hin, und von da weiter dorthin, wo ich
Dienſte nehmen kann. Ich weiß es wohl, es iſt eine gewagte Sache,
Abſchied zu nehmen von ſeinem Vaterland, beſonders für einen Kran-
[510] ken, denn heilt ihn nicht unmittelbar die friſche rüſtige Thätigkeit des
Reiſens, ſo muß ihm doppelt weh werden in den fremden Umgebungen.
Was meinen Sie, liebe Rahel? hätte ich die Ausſicht, ein Heldenthum
der Wiſſenſchaft in mir zu gründen, ſo ſollte mich nichts forttreiben aus
meinem Winkel hier, aber die iſt mir ganz verdunkelt durch meine arge
Krankheit. Soll ich mich nun anſchließen an die leibliche Seite meines
Vaterlandes, die ich erſt begeiſtern, erſt einer großen ſpekulativen Anſicht
unterwerfen muß, wenn ſie mir nicht ganz gebrechlich und todt erſcheinen
ſoll. Alſo wieder die Wiſſenſchaft wäre da vonnöthen, deren ich mich
nicht mächtig fühle. Dort aber flammt ein hoher Enthuſiasmus, eine
große Angelegenheit wird von großen Talenten mächtig vorwärts getrie-
ben, die eigne Thätigkeit kann ſich emporrichten und ſtärken durch die
fremde; auch Freunde habe ich dort. Wäre es ſo unrecht, die Kraft der
ſüdlichen Sonne an mir zu prüfen? Ich muß ſchließen, liebe Rahel,
denn die Poſt geht durch. Am Sonntag mehr, und, wo möglich, Ge-
ordneteres, Beſonneneres. Auf keinen Fall bleibe ich länger hier, als
bis ich die Kur ausgebraucht habe, (das dauert noch drei Wochen). Dann
muß das Entſcheidende geſchehn, wenn Ihr nächſter Brief es nicht früher
herbeiruft. Adieu. A. M.
— So wie manchmal Menſchen keinen hübſchen Zug im
Geſichte, keine zu lobende Proportion am Körper haben, und
doch einen gefälligen Eindruck machen; recht tadlenswürdige
Gemüthseigenſchaften haben, und doch angenehm ſind; ſo iſt
es bei mir umgekehrt. Ich bin nicht ſo unglücklich, als man
denken ſollte, wenn ich mir dies recht überlege; im Gegentheil,
dieſes Denken macht mich ſehr ruhig. Ich vergöttre doch ge-
wiß Schönheit, bete ſie an. Kenne ihre ganze Macht, ihr
ganzes Glück, was ſie giebt, und mit ſich führt. Ich habe
mir’s ein wenig überlegt. Die Mißgeſchicke, die unmittelbar
vom Himmel kommen, ertrag’ ich immer mit ganzer Seele,
ruhig. Wo aber Unbill, von Menſchen ausgeführt, mich be-
fährdet; da iſt meine Seele nicht zuſammen, und dies kann
[511] ich gar nicht ertragen. Auch habe ich gefunden, daß ich das
Allernöthigſte, das Natürlichſte, die rechtmäßigſte Lebensnah-
rung gewiß gelaſſen entbehren kann, wie ich noch von keinem
ſah; aber meine Anſprüche unter und von Menſchen müſſen
mir nicht betrügriſch vorenthalten, oder entrückt werden. Wo
von Recht und Sitte die Rede, muß es mir gehalten werden;
an offenbare Gewalt gäbe ich auch das ruhig hin; geſtohlen
aber mit Heuchler-Worten und Thaten muß es mir nicht wer-
den; und dies Stehlen von Staat und Geſellſchaft konnivirt
werden. Mein Ehrgeiz geht bei mir über alles; dieſe Em-
pörung halt’ ich dafür. Denn nie, iſt mir eingefallen mehr
als Andre ſein zu wollen, oder ihnen ihr Recht nicht zu thun.
An Alexander von der Marwitz, in Friedersdorf.
Geſtern Abend um halb 12 kam ich im ſchönſten, aber
kalten Mondſchein, nach vielen Promenaden, mit den gräß-
lichſten Kopfſchmerzen nach Hauſe — die Geſchichte dieſer
Schmerzen nachher in zwei Worten; um Ihnen eine Idee
meiner Geſundheit zu geben, — und finde, wie unverhofft!
Ihren Brief. Mein lieber, lieber Marwitz! Wie berührte
dieſer Brief lieb und ſchmerzhaft mein Herz. Wo ſtellt der
mich hin! — Wie der Staatsſekretair der Eliſabeth, der das
Urtheil der Maria in Händen hat, und es auf ſeine Gefahr
vollziehen laſſen ſoll oder nicht: erſt neulich, als ich Maria
wieder ſah, dacht’ ich, „nie hätteſt du ſo gehandelt wie der!
Eliſabeth müßte aus dem Kabinet wieder vor!“ Gott hat
[512] mir eine große Gabe verliehen; ich habe ein Herz, was außer
ſich ſein kann; keines Menſchen Geiſt iſt mehr darauf geſtellt,
faßt mehr, was Verzweiflen iſt, als meiner; will ich aber einen
Gegenſtand erwägen, alle ſeine Seiten betrachten, ihn in ſeinen
Beziehungen richten und meſſen, ſo legen ſich wie durch ein
Gottesgebot alle Wellen des hochbewegten Gemüths; und wie
auf einem erhabenen Berge allein, vermag ich zu urtheilen
und zu beſchließen. Nur eine Leidenſchaft, Zorn, kann mich
da hinabſchleudern. — Es kommt darauf hier an, in dem was
wir vor uns haben, genau zu finden was in Ihrem Gemüthe
vorgeht; was dies Gemüth durchaus, geſtellt in die Menſchen-
welt, nicht ertragen kann; und genau zu unterſuchen und
klar hinzuſtellen, was ſie iſt dieſe Welt 1811, und was unſer
Vaterland in ihr iſt. Ich habe jetzt Ihren Brief wieder gele-
ſen. Sie werden ſich der Dilemma’s erinnren, die Sie uns
darin vorlegten. Eines davon heißt ſo: „Soll ich mich nun
anſchließen an die leibliche Seite meines Vaterlandes, die ich
erſt begeiſtern, erſt einer großen ſpekulativen Anſicht unter-
werfen muß, wenn ſie mir nicht ganz gebrechlich und todt er-
ſcheinen ſoll.“ Bei welcher Sache in der Welt muß dies ein
Menſch wie Sie nicht? Iſt irgend in der Welt etwas ſo,
als es der Haufen ſieht, der darum, und darin wühlt? Ma-
chen die höheren Beziehungen, die wir allein im Innern be-
arbeiten, nicht ganz allein das Hohe einer jeden Angelegen-
heit, eines jeden Gegenſtandes aus? Wie ein Anderer lüder-
lich wird, ſo wollen Sie ſich doch nicht in jene Angelegenheit
ſtürzen, nur damit Sie etwas trägt, hebt, und fortbringt, was
nicht Sie iſt? Sie iſt ſchön dieſe große Sache, wie Sie ſie
mir
[513] mir ſchildern. Auf Reiſen gehen, die Freunde finden, Schö-
nes mit ihnen vollbringen; und mit einemmale, eine zerbrochne
bürgerliche, eine krankhafte Exiſtenz hinter ſich laſſen. Thun
Sie das, ſag’ ich Ihnen nach dieſer Anſicht: und bald. Denn
hiebei giebt’s kein Warten, wie bei Kammerdienſte nehmen.
Nun ſtellen Sie ſich einmal einen Augenblick vor, wie Ihnen
mitten, und zwiſchen den öſterreichiſchen Schlachten war, wie
hohl, wie leer, wie elend; wie alles ſich in kleinen Mühſelig-
keiten, Strapatzen und Unſinnigkeiten zerſpaltete. Wie fremd,
und allein, Sie ſich trotz der Freunde, unter den näher ver-
wandten Sprachgenoſſen fühlen mußten; bloß weil ein Geſetz,
eine Sitte, eine Ambition, uns doch mit ihnen nicht verbindet.
Nationales ſchaffen Jahrhunderte, und der beſte Wille, des
beſten Einzelnen kann es nur gründen, nicht ſchaffen. Dies
bedenken Sie! Wie wird es unter den zwei ſchon unter ſich
verſchiedenen Völkern ſein [Engländern und Spaniern]; wo-
von das eine ſo ſehr zur Nation gezimmert iſt, daß es
glatt und fertig nichts Fremdes mehr aufnimmt? Ein ande-
res iſt es, wenn der dringende Augenblick Nation mit Nation
aufregt, wie Sturm verſchiedene Erden; dann iſt ſolch Auf-
ſtehen natürlich, und gemächlich in ſeiner Noth. Ein Einzel-
ner reißt ſich immer nur los, und fühlt, in oft wiederholten
Momenten dies Geriſſene und dies Alleinſein. Wären Sie
Einmal auf der Inſel dort, oder in jenem Lande! — auch
dann iſt ein Mitgehen oft natürlich; man hilft angegriffenen
Fremden, wo man als Gaſt Freund geworden iſt; und er-
zählt nachher den Hausgenoſſen daheim, wie dem ſchlechten
Streich begegnet werden mußte, und was einen aufgehalten
I. 33
[514] hatte. Es iſt hart, in einem ſtagnirenden kranken Lande mit
zu ſiechen: es iſt hart, die kranken Freunde der peſthaften
Noth zu überlaſſen; und dereinſt zu erfahren, oder nie, wer
blieb, was blieb, wer ſank! Unmöglich kann und werde ich
Ihnen ſagen, ſiechen Sie mit. Es giebt edle Gemüther, die
lieber ſterben, rüſtige, die den geſunden Bluttodt lieber ſuchen.
So ſank Louis. Und ſind Wiſſenſchaften denn wirklich nichts
für Sie; ſo müſſen Sie hinziehen wie er. Zwei Dinge er-
wägen Sie noch. Kann es Ihre Geſundheit? vermag ſie es?
Und werden Sie nicht einſam ohne Krieg und Bewegung in
den fremden Ländern liegen bleiben? Dies müſſen Sie, und
der Arzt, und die erſten zwei Monate — die erſten zwei Mo-
nate dort — beſtimmen: und — ſollen wahrlich die Beſſern
uns verlaſſen, und wie in einem Naturaufruhr, das Unterſte
nach langem Preſſen, Stillſtand, und unſichtbarer Gährung
zu oben kommen, und das Ungefähr entſcheiden, ob dies ſich
bilden kann? Aber alles in dieſem Brief hier Erwogene muß
nicht erwogen werden; und allein dieſe, allein wichtige Frage
gefragt werden: können Sie es aushalten, hier zu bleiben,
oder nicht? Müſſen Sie ſich ſelbſt noch Beweiſe von Thätig-
keit geben; ſchämen Sie ſich zu ſehr, wie ein Alter, oder wie
ein Weib, oder wie ein Kind, oder „ein Pflaſtertreter“, wie
Sie ſich einmal ausdrückten, hier herum zu warten; können
Sie ſich wartend nicht achten, und nicht achten laſſen: ſo müſ-
ſen Sie dahin, je eher je lieber. So iſt es ein Duell: und
mehr nicht: aber das iſt in ſeinem Augenblick auch ſehr
viel. Denn man kann nicht weiter leben. Und ich rathe es
Ihnen aus tiefſter innerſter Seele, aus dem Herzen voll von
[515] Liebe, wie ich es mir ſelbſt rathen würde. Sie müſſen nicht
elend leben. Hier iſt der Platz, wo ich Ihnen Paulinens letz-
ten Brief ſchicken muß. So iſt es wenn Einer todt iſt. Keine
Kunde von ihm. Kein Laut: zu ihm, von ihm. Pauline
hatte acht Tage ein Meſſer in ihrem Bette nach Louis Tod;
und ſie hat mir geſchworen, und ſo daß ich’s glaube, ſie hätte
ſich erſtochen, wenn ſie hätte nur ein Zeichen kriegen können,
daß es Louis weiß: aber ſo in der ewigen Stummheit, ewi-
gen, vielleicht doppelten Getrenntheit! — Mit ſeinen Briefen
ſitzt man dann, wenn Einer todt iſt; nichts, nichts iſt mehr;
kein Zeichen des wühlendſten empörendſten Schmerzes, der all-
gewaltigſten Liebe dringt mehr, durch keine Möglichkeit zu
ihm. Aber alles müſſen Sie thun, ehe Sie elend leben. Sie
können ja auch Glück haben, leben bleiben; und vieles heilen
in der Welt. Gehen Sie; ſagt übernatürlich ruhig mein tief-
ſter Geiſt; ich mag mich unterſuchen wie ich will. In meiner
ganzen Liebe zu Ihnen ſehe ich, ich mag’s machen wie ich
will, nur Sie: gewaltig lenken Sie von allem Eigennutz, von
aller Beſchauung und Befühlung meiner eignen Gefühle, meine
ganze Seele auf Ihr Sein. Sie fühle ich. Wie Ihnen ſein
muß, immer. Gehen Sie; und wenn Sie todt ſein werden;
das Ärgſte; ſo wiſſen Sie jetzt, werde ich denken: „Leben, ſo
leben, elend leben, das konnte er nicht.“ Und kann ſich jetzt
in Ihnen und um Sie nichts ändern, ſo werd’ ich nachher
nicht denken: es hätte geſchehen können. Dies ſei Ihr Troſt
über mich: dies wird meiner ſein. Ein herrliches Zuſammen-
leben giebt es doch nicht! Wäre ich Ihr Freund, ſo wie ich
eine durchaus Elende bin, ſo verließ ich Sie jetzt nicht. Nun,
33 *
[516] mein theurer Freund, erwägen Sie ſich ſelbſt, was ich nicht
kann; und ſchicken Sie mir das Urtheil. Laſſen Sie ſich aber
durch die Strenge, die das Zuſammenſchieben alles zu Erwä-
genden ſchon allein in dieſem Briefe ausmacht, nicht übereilen,
und meinen Sie nicht, Sie müßten auch ſo ſchnell wählen,
als der Brief dringend ſcheint. All dieſe Worte ſind nur Ge-
danken, wie anderer Menſchen ihre, über jedes Unternehmen
und Geſchäft. Laſſen Sie mich diesmal auf keinen Brief
ſchmachten. Länger als den 12. bleibe ich nun durchaus nicht.
O wie viel, über wie vieles, habe ich Ihnen ſo einen Tag
über zu ſagen! Was ich kontinuirlich noch für Entdeckungen
in mir mache! Wie vieles ſähen wir! In Briefen geht das
nicht. Von meinen Kopfſchmerzen! — weil es heute Nacht
gewittern ſollte, kriegte ich ſie, bei ganz kühlem ſchönen
Wetter. Es waren Gewitter-Kopfſchmerzen, aber es dachte
nicht an Gewittern, alſo konnt’ ich ihren Grund nicht finden.
Ein lauter langer Donnerſchlag weckte mich um 3 Uhr in
der Nacht. Einem ſtarken Gewitter ſah ich zu. Nun bin
ich beſſer. Adieu.
R. R.
Eins noch vergaß ich; vielleicht der Aufenthalt, die Reiſe
allein nach der Inſel, thun ſie Ihnen ſchon gut. Schwer aber
iſt es jetzt ſchon hinkommen.
Ich muß den Brief wieder aufreißen. Er drückt nicht
aus, was ich im Ganzen ſagen wollte; ich ſprach zu viel vom
Tod und von der Trennung. Denken Sie an das Leben: und
wie die Inſel, das geſunde — doch verhältnißmäßig geſunde
— Volk, wie die Reiſe, das viele Neue, zn Beſichtigende, zu
Vergleichende, auf Sie wirken, Sie beſchäftigen, rüſtig machen
[517] muß. Und was Sie uns hiervon mitbringen, dereinſt für uns
gebrauchen können. Sein Sie dort fleißig, Sie werden es
dort können. Vor allen Dingen aber ſein Sie geſund, und
wenigſtens im Stande hinzugehen. Reiſen ſetzt immer eine
gewiſſe Müſſigkeit voraus, oder man muß ſie dazu voraus-
ſetzen; gebrauchen Sie die allgemeine — die nicht abzuändernde
Pauſe zu einer Reiſe. Bedenken Sie dies, und antworten
Sie mir. —
Mittwoch nach einem Regen war ich mit allen Schleier-
machers und einigen Andern in Charlottenburg. Schl.s kamen
von ungefähr zu mir, Mad. Liman auch. Kurz ich machte
ihnen Allen Luſt. Es war ſehr ſchön, aber der, der mit mir
gleich ſieht, fehlte mir. Alſo beinah die Augen. Alle freuten
ſich. Mit Ha. ſprach ich nicht ein Wort: par le hazard le
plus juste du monde. Im Freien iſt er ſchrecklich: und in der
Schleiermacher’ſchen Familie denkt er, iſt er, und muß er mun-
ter ſein! und o! Gott! wie. Das müſſen Sie ſehen. —
An Alexander von der Marwitz, in Friedersdorf.
Sagen Sie, Lieber, was iſt das? Geſtern vor acht Ta-
gen ſchreiben Sie mir, und ſagen mir, Sie würden mir den
Sonntag mehr ſchreiben, Sie erhalten unterdeß einen dicken
Brief von mir, und nun erwarte ich Ihren verſprochenen ver-
gebens! ich muß mich ja immer ängſtigen, wenn Sie mir ſo
etwas thun! Wodurch geſchah’s denn diesmal? Mir iſt es
ſogar im Briefe, in der Entfernung recht unangenehm: nun
[518] muß ich Abſchied von Ihnen nehmen! Mittwoch reiſe ich.
Alſo bis Dienstag kann ich nur noch Nachricht von Ihnen
haben — erkundigen Sie ſich doch nach der Poſten Lauf und
Ankunft — ſchnelle, nahe Nachricht. Wie unangenehm, mich
zu entfernen, ohne einen Brief zu entfernen! Vieles habe ich
zu beſorgen und zu thun. Mir alles Verhaßtes! Schwer
wird’s mir zu reiſen: ich ſehe nun, ohne ſchöne Heimath reiſt
es ſich ſchlecht, und ſchwer. Thätig ſein ohne Glück, und daß
ich’s ſage, ohne irgend eine Hoffnung, iſt nur Narren möglich;
vom Unweſen ſich verzehren, erſchlagen laſſen wie vom Gewit-
ter, das kann man allenfalls in ſeiner Herzens-morgue; —
wie drückt dies ſelbſtgeſchmiedete Wort mein Verhältniß zu
den beiden Sprachen aus! — Ich mag nicht über eine Elende
grüblen, oder auch nur ſchwätzen! Das Wetter iſt der größte
Reiz! Die Sonne plinkt der Erde zu! bald iſt ſie da, bald
nicht. Lebendig reden Schatten und Licht miteinander. „Wäre
nur das Mögliche möglich!“ aber auch nicht! Und warum
büßt, und beſſert man ſich nicht ſchnell, wenn es weiter nichts
ſein ſoll! Wenn ein Nahbekannter ſtirbt, und vorher viel
leidet, komme ich immer zu der ergrimmten Talbot’ſchen Laune.
Schon die Dinge im Leben, die nicht ſchnell und mit einem
Effort gelitten und abgemacht werden können, eklen mich, nun
gar das ganze heilige Daſein! Warum die edle Seele ein-
ſperren, und warum ſie hoch, und niedrig bis zum unfläthig-
ſten Kothe kommen laſſen, wie Waſſer, welches bald Sumpf
iſt, und die niedrigſten Dienſte leiſtet, bald als luftiger Gebirgs-
thau Sonne und Sterne abſpiegelt. Leben Sie wohl. Mein
ganzes Herz iſt mit Ihnen, und ſprengt die dicke Rinde des
[519] augenblicklichen, doch zu ernſt und oft ermüdeten Unmuths!
Schreiben Sie mir, wenn ich Vergnügen haben ſoll. Und
alles was Sie betrifft. Ich mache zwei Nachtlager bis Dres-
den, bin den dritten Tag dort, und bleibe höchſtens drei
Tage, dann über den Geiersberg.
Rahel.
Anmerk. Marwitz antwortete noch hierauf:
O Verzeihung, meine theure Freundin, daß dieſes Blatt Sie ſo lange
hat warten laſſen. Das einliegende war vor acht Tagen geſchrieben, und
ſollte fort in dem Augenblick, da ich Ihren gen altigen Brief erhielt. Wie
ſinnlos, wenn ich jene Kleinigkeiten Ihnen geſandt, und auf die große
lebenentſcheidende Frage nicht grantwortet hatte. An jenem Tage ſelbſt
war nicht mehr Zeit dazu, an den ſorgenden fühlte ich mich zu unwürdig.
Wie Gentz muß ich ſagen: was ſoll ich mein armes Wort gegen die don-
nernde Muſik Ihres Innern austauſchen? So blieb ich ſtumm, bei vie-
len innern Vorwürfen. Mit mir wird es beſſer. Zwar will mir das
Herz noch zuweilen erkranken, aber ich gebiete ihm Rube. Wille und
Thatigkeit bändigen es. Sie gehen nun, liebe Rahel. O ſeien Sie ja
glücklich, machen Sie ſich meinetwegen keinen Kummer. Untergehen
kann ich, aber mir zum Ekel, Andern zur Laſt leben, oder auf eine un-
auſtändige, gemeingrauſame Art endigen, das kann ich nicht, und das
iſt doch noch ſehr glücklich. Ich habe in dieſer Zeit zuweilen an den
Selbſtmord gedacht, und immer iſt es mir vorgekommen, wie eine ver-
ruchte Rohheit, das heilige Gefaß ſo blutig, ſo überlegt zu zerſtören.
Auch die kann unvermeidlich werden durch Übermaß der Neth, das fühle
ich wohl. Wunderlicher Zuſtand. Indem ich dies ſchreibe, wird es mir
klar, wie bei jeder nicht gemeinen Natur der Körper nach muß, ſo wie
es bloß ein Glück dieſer Zeiten iſt, daß andre äußerlich anſtändigere Wege
offen ſtehn, die einen ablenken von dem gewöhnlichen grauſamen. — Die
Bader thun mir ſehr wohl. Sie erinnern ſich der Mauer zwiſchen mir
und der Natur, die mich an dem übrigens göttlichen Abend beim Hof-
jäger ängſtete. Die iſt zerſtört, meine Nerven ſind rein und empfänglich
geſtimmt, und die Kämpfe gegen die „Herzens-morgue“ werden ſeltner.
Ich verſtehe die Dichter Mirabeau, Goethe, Winckelmann, Pindar, freue
mich an ihnen; nur der ſtrengen Wiſſenſchaft bin ich noch nicht gewach-
ſen. Adam Müller iſt mir widerwartig, doch werde ich ihn wieder vor-
nehmen; er ſelbſt weiß zwar nichts recht, der hohle gemachte Geſell, doch
[520] regt er in ſchöpferiſchen Momenten des Leſers vieles an. Halbgeſehn
hat er vieles. Die Wanderjahre las ich vor vierzehn Tagen, und hätte
Ihnen damals viel darüber ſagen mögen. —
An Alexander von der Marwitz, in Friedersdorf.
Bei der anhaltendſten Hitze, ohne Regen.
Ich habe Ihren Brief vor mir, und will darauf antwor-
ten, als ob Sie mit mir ſprächen. So ſollten Sie es auch
machen! — dann iſt und bleibt eine Korreſpondenz lebendig —
und iſt nicht ſo viel Tod im Leben, iſt es ſelbſt nicht eigent-
lich das Ringen mit ihm, daß man es verbreiten, vermehren
ſoll, wo nur möglich? — —
Als ich geſtern nun beim Zuhauſekommen Ihren dicken
Brief fand, getraut’ ich mir vor Luſt beinah nicht ihn zu er-
brechen, ich las ihn doch haſtig, aber er freute mich nicht. Im
Gegentheil, das Herz ſank mir; und ſo iſt es noch. Warum
ſoll ich es nicht ſagen? Nein, Lieber! So trübe können Sie
nicht bleiben. In Friedersdorf nicht. Ich ſage es Ihnen noch
Einmal, wüßt’ ich Sie gut, ich ging es ein, auf immer einen
andern Planeten, als den zu bewohnen, wo Sie ſind, und
Sie einen andern, als wo ich bin. Ich kann Ihr Leben nicht
in der Luft erhalten: das iſt ausgemacht; dazu gehört Ein-
mal ein anderer Wurf, ein anderes Ereigniß. Aber ſo dürfen
Sie nicht vereinſamen, auch ein halbes Jahr nicht, auch kei-
nen Sommer durch. In Friedersdorf iſt keine Geſellſchaft für
Sie; und die müſſen Sie haben; lebendigen, alles anregenden
Umgang. Könnten Sie irgend ein ſtrenges Studium vollſüh-
[521] ren, auch gut: ein Geſchäft abmachen, das dem künftigen Le-
ben Luft macht, wieder! Aber was in’s Himmels Namen
wollen Sie ſo dort abwarten? Als ich es nur wünſchte,
daß Sie in Töplitz ſeien, ſchlug ich es Ihnen nur Einmal,
wie nicht, vor: ein kleiner Ekel vor dem Müſſigſein von
Ihrer Seite, ein leiſer Plan zu einem Amte, ein weitſchichtiger
zum Studiren, machte mich mit Recht bis im innerſten Ge-
wiſſen ſchweigen. Jetzt aber, bin ich ganz überzeugt, iſt Töp-
litz was Sie bedürfen. Ein ländlich ſchönes Thal, und eine
ſolche Lebensart, mit der jetzt möglichen belebendſten Geſell-
ſchaft. Mit der Möglichkeit, bei Ihrer Denkungsart — grade
nach Ihren letzten beiden Briefen — ihr, ſo viel als Sie nur
wollen, auszuweichen. Bäder können Sie ja da nehmen, von
welcher Sorte Sie wollen: auch ſolche wie in Friedersdorf.
Sie finden Goethe, Gentz, den Herzog, Varnhagen, Adam
Müller; alſo Sprecher. Eine Menge umgänglicher Bekannte
von meinem Gehege. Mich, als Salz, und Quirl aller dieſer
Dinge; als Bequemlichkeitsrath. Leben Sie doch dort, wie
Sie nur wollen. Sich für krank, für bizarr auszugeben,
ſchelten zu laſſen, koſtet Sie ja nichts! Leben Sie, wenn
Töplitz Sie ekelt, auf dem Weg nach den Steinbädern. Gött-
lich! da lebte mal ein fränkiſcher Graf, den ich kannte. Nur
daß Sie mir nicht ſo vergehen, ſo verharſchern! Je länger
Sie bleiben wo Sie ſind, je weniger Kraft und Grund finden
Sie in ſich auf, weg zu kommen! Es wird himmliſch in
Töplitz ſein; wir ſehen eine Unmenge von Menſchen; behand-
len, bereden, belachen, ſtudiren ſie. Wer hindert Sie zu le-
ſen, zu baden, zu thun was Sie wollen! Erſt nach drei
[522] großen Krankheiten, verſpürt’ ich in der vierten den Krampf
im Herzen, von dem Sie ſprechen. Sie ſollen ihn durchaus
nicht haben!! bei Ihrer Jugend: Sie ſind ja eigentlich gar nicht
gekränkt; vergehen, wie eine Blume, ſollen Sie nicht. Jetzt
müſſen Sie wirklich mir nahe leben. Soll ich Sie auf einen
Irrthum aufmerkſam machen? Sie wollen in einem Bade, in
einem äußerlich müßigen Leben nicht das Anſehen haben, als
verweichlichten Sie ſich in Unthätigkeit; und unterdeß geſchieht
das in der Wirklichkeit in Friedersdorf. Sie gehen da in
Ihren eignen Stimmungen wie in einem Zauberwald umher,
und werden bald nichts mehr vernehmen können! Kaum,
Lieber, entſchließen Sie ſich, mir zu antworten, auf Punkte
der lebendigen Mittheilung, und möchten mir reine Stimmun-
gen ſchicken, die ich gewiß! alle in mein Herz aufnehmen
möchte, und mit meinen Augen, und eigener Seele erahnde.
Dieſe aber müſſen die Dekoration Ihres Lebens nicht werden;
dieſe müſſen von der lebenden und lebendig machenden Sonne
hervorgerufen, modifizirt werden. Von den Sonnen anderer
Geiſter. Überlegen Sie das, Lieber, und erwägen Sie genau,
wie meine Luſt, Sie in Töplitz zu haben, hier mitwirken kann;
ich bin nicht ganz im Stande es zu unterſcheiden. Nur dies
weiß ich, wüßt’ ich dieſe Menſchen, dies Thal, bei Wiesbaden
zum Beiſpiel; ſo ſagte ich, gehen Sie da hin: oder irgend
einen geliebten belebenden Kreis von Freunden von Ihnen.
Ich kenne nur den, der in Töplitz ſich verſammelt. Und rechne
viel auf mich. Ich bin geſchaffen das zu verlebendigen was
da iſt; ja manches nur im Keim Daſeiendes zu ſchaffen. Ich
habe ſchon oft gut auf Sie gewirkt. Varnhagen wird auch
[523] ſehr gut ſein. Ihnen ſei es als Geheimniß geſagt: er kommt
vielleicht mich abzuholen. Iſt er aber den 10. Juni nicht hier,
ſo reiſe ich allein ab; das weiß er. Überlegen Sie alles.
Wollen Sie, müſſen Sie in Friedersdorf bleiben: ſo beſchwöre
ich Sie, ſchreiben Sie mir, wie Sie gethan haben, jede Stim-
mung, jeden Moment des Befindens, jede krankhafte Laune:
und ſchreiben Sie überhaupt. Denn im Kriege war Ihre
Freundin nicht aufmerkſamer, nicht beſorgter um Sie, als jetzt.
Bleiben Sie in dem Winkel dort, ſo wird in Töplitz, und
ginge es mir noch ſo gut — ginge es mir! als ob ich dies
Maß und Ziel nicht kennte! — ſo bleibt mir ein Stein auf
dem Herzen; ein Gewiſſen; ein guter Theil von mir ſelbſt
zurück. Hierüber ſprechen Sie nicht; dies waſchen Worte nicht
aus. Warum haben Sie mir nicht geſchrieben, wo Ihre Nièce
iſt; ſo hätte ich Sie doch erkannt, wenn ſie mir begegnet wäre.
Warum iſt das Kind mitten im Sommer hier? es muß Ihnen
leid ſein, daß es weg iſt. Für mich war es ſehr tröſtlich, die
lebenverbreitende, innige Kreatur Ihnen nahe zu wiſſen. Meine
Nichten prosperiren ſehr im Thiergarten. Sie haben ange-
nehme Nachbarinnen, junge Fräulein, die auch Geſellſchaft
haben; und ich führe ihnen auch Geſellſchaft hin; Luft, Blü-
then, Bäume, und eine Schaukel, die das agrément des gan-
zen Quartiers — wie es die Franzoſen meinen, Viertels —
macht. —
Stünde doch in einem von den hundert geleſenen Jour-
nalen was Sie mir über Adam Müller geſchrieben haben! In
Einem Worte haben Sie ſich nur geirrt. „Talent“ grade hat
er nicht; Eingebungen zu Vergleichen; er weiß ſie aber nicht
[524] zu beherrſchen, dies iſt Talent, und brockt, wie Sie es beſchrei-
ben, alle Welten und Syſteme untereinander. Mich reizt er
recht: weil er doch das Höchſte anrührt mit dieſen Einfällen,
und man in einem ewigen Rektifiziren bei ihm bleibt: auch
macht er mich, und eben daher denken, wiewohl er einen in
dieſem Geſchäfte auch ſehr ſtört. Kompleten Unſinn ſagt er.
Seit Sonntag leſe ich ſeinen zweiten Band. Dreimal nennt
er Rom, wenn er ihm grade alles Ewige abſchwatzt, die ewige
Stadt; und eben ſo lügenhaft furchtſam flagornirend Adam
Smith den großen Mann! Weſſen Titel der iſt: daß er
vor dem Prinzen Bernhard und einer Anzahl Diplomaten
las — ich denke, ich raſe wie ich das vorne leſe, — der muß,
wenn er radotirt, ſchon meinen, er weiſſagt der Natur ihre
Künſte; und läßt das kommende Menſchengeſchlecht hinter
ſich. Was der der Natur alles für Geſchäfte aufträgt und
für Abſichten abſieht, die Stellen, die Sie anmerkten, ſind mir
accurat aufgefallen. Nun bitte ich Sie, leſen Sie im zweiten
Bande von Seite 265 bis 267 vorbei; nein, 268 ſteht es erſt
recht: was ſich da wieder „die Erde vorbehält!“ Zwanzigtau-
ſend Geſichtspunkte hat er. Und Seite 269 was die Natur
wieder mit dem Menſchen anſtellt. Lauter Einfälle, die ihm
après coup, nach dem Reſultat entfahren. Gewiß fünf un-
ſinnige Stellen habe ich gefunden; ich hatte aber kein Papier
bei der Hand. Die Sie notirten, iſt göttlich! Olympiſcher
Unſinn, ſagten wir immer, als Kinder.
Das glaub’ ich! Mirabeau’s Briefe aus dem Donjon ſind
göttlich. Der ſoll ſchlecht geweſen ſein? Nie hab’ ich es ge-
glaubt. An mir hat er in der Nachwelt die Freundin, den
[525] Freund, der ihm vielleicht bei der Mitwelt fehlte: wie oft
dacht’ ich dies bei dieſem Manne. Ich bin ewig ſein Freund.
„Ich weiß, was in dir lebt, ich kenne dich ganz!“ hätte Ein-
mal ich ihm dies ſagen können, wie Goethe die Wahrheit vor
ſich ſah. Wie oft habe ich es Mirabeau’n nachgerufen. Es
iſt mein Freund. „Träf’ ich ihn draußen.“ Schiller. „O!
gäb’ ein guter Gott, daß wir dem Wurm gleich, in ein be-
ſonntes Thal — —!“ O! wäre nur Zeit da, das erlittene
Unrecht gut zu machen. Das Verſchwinden in Nichts iſt in
dieſer Betrachtung ſchrecklich. Dies eine Anknüpfen, Erinn-
ren, wünſche ich nur. So lange ich lebe, ſchließe ich Mira-
beau ernſt in mein Herz. —
Sie antworten. Und genau. Und benehmen mir meine
Furcht immer auf’s neue wegen meiner volumes. Sie antwor-
ten hübſch gleich. Eigentlich müſſen Ihnen meine Briefe lieb
ſein: ſie enthalten ſo vielerlei; und in Ihrer Wüſte dort!
„Munter, nicht ſo altklug gethan.“ Überlegen Sie alles; und
ſuchen Sie aus reinen ſtillen Geſichtspunkten zu antworten,
wie ich mich bemüht habe zu ſchreiben. Neumann war ganz
munter und geſellig. Der Schweizer blind, und eitel. Den
habe ich ganz weg. Unheilbar iſt er. Alle Naturgaben
glaubt er nur verkrümelt zu haben. In wenigen rein ſpe-
kulativen Momenten ſtellt er ſich anders dar: und die ſind
abgeſchnitten von ihm und ſeinem Benehmen.
Ei! Ei! So mächtig muß das Herzensmeer ſein, wenn
Handel und Wandel oben getrieben werden ſoll, werden darf.
Adieu. R.
[526]
An Varnhagen, in Töplitz.
den 16. September 1811.
Lieber guter Varnhagen. Wie iſt dir? — Wie iſt ihm;
wie iſt ihm jetzt? dacht’ ich den ganzen Weg her; im ſchön-
ſten Nebel, in der hellſten, reichſten, lichteſten Wunderſonne;
allein, und mit Andern; bei Nacht und des Mittags. Geſtern
war dir am ärgſten, geſtern Abend: da war die Sonne rund
um die Erde, und du hatteſt deine Liebſte nicht geſehen: und
viele ſolche Tage ſollen vergehen! Lieber! Höre zum Troſte,
daß ich mich weit mehr über das Getrenntſein von dir gräme,
als ich’s je gedacht hätte. Auch mir iſt ganz ängſtlich: ich
fühle mich plötzlich ſo abgeriſſen, von Schutz, Sicherheit, und
Liebe, daß ich rund um mich herum gehen könnte, um nur zu
ſehen, um nur zu finden: zu wem gehörſt du denn? zu was?
Geſtern machte ich gegen Abend den hertlichſten Gang mit
Marwitz und Lippe, wohl eine Meile, die Oſtrawieſe hinauf.
Du weißt, ob und wie ich Marwitz liebe, es waren zwei
Freunde: wir gingen manchmal ſtill, groß und göttlich war
der weite Raum, die prachtvolle Sonne und Abendröthe, die
ernſten und ganz andern Bäume als in Böhmen, die unend-
lichen Alleen; allein ich mußte denken, allein und fremd biſt
du hier, wenn dieſe Beiden nicht mitgehen wollen; allein und
fremd, wenn ſie auch neben dir bleiben; du biſt nicht ihr Lieb-
ſtes, ſie beziehen nicht alles auf dich. Wie gewiß lebt’ ich
bisher! Und ich war nicht undankbar, Varnhagen! nimm es
nicht ſo roh, wie das Wort hier daſteht: es war nicht nur
[527] Dankbarkeit, es war liebende Sehnſucht; und mein Herzenſeh-
nen antwortete deinem, mein Herz hielt Takt mit deinem. Und
ſo ſind meine meiſten Momente. Ein Berechnen was du thuſt,
ein Sehnen nach dir, ein Jammern über deine Sehnſucht. Mar-
witz war mir zu Anfang etwas fremd, ſeine Perſönlichkeit:
obgleich ich ganz roth wurde, als ich ihn krumm vorne über
— du kennſt ihn — in Zehiſta gewahr wurde. So kamen
wir, weil wir Pirna beſehen hatten — wovon künftig — um
9 Uhr in Dresden, ich blieb eine Nacht in einem Wirthshaus,
und wohne jetzt in Marwitz Quartier, denke dir! — wenn man
die Brücke nach der Neuſtadt hin zu Ende iſt, das erſte
Haus rechts, meine Fenſter ſehen die Brücke gerad hinauf bis
nach dem Schloſſe, und beide Ufer. Göttlich! könnteſt du
es ſehen! Ich muß mich fördern, es hat 10 geſchlagen; Mar-
witz, der jetzt im Wirthshaus wohnt, kommt um halb 11 zur
Galerie. — Ich wohne in dem Häuschen, wo ich zu dir im
Vorbeigehen ſagte: hier möchte ich wohnen. Geſtern in der
Kirche verlor ich Marwitz, ging mit Hebenſtreits, die ich fand;
ſah Pitt-Arnim, Dalwigk, Grotthuß, d’Eſtourmel; den
Unterſtrichenen wich ich allen aus. —
Bei uns wird Krieg: was ſagſt du dazu! — Erwarte
aus Berlin nur Nachrichten über unſer Land, und unſere Si-
tuation von mir. — Mein theurer Freund! Ich bin ganz
von deinem Beſten in dir überzeugt; und von deiner Liebe
zu mir.
Uber alles hab’ ich nun mit Marwitz ſchon geſprochen.
Über Künſte denken wir ganz gleich. Er iſt äußerſt ſanft und
innig und nachgiebig mit mir; und ſehr lieb, ehrlich und brav.
[528] Nicht ganz geſund. Il prend les armes, on va à Potsdam pour
étudier, comme il s’est exprimé. Grüße ja Beethovens und
unſern liebſten Oliva! B’hüt ihn Gott! Adieu, Liebſter!
Wenn ich ſo etwas aufbreche, was du gewickelt haſt! ein
Schmerz und eine Liebe!
Adieu. —
An Varnhagen, in Prag.
Mein wahrer einziger Freund, vor einer halben Stunde
erhielt ich erſt deinen Brief, obgleich er ſchon geſtern Abend
hier war, wegen dem Sonntags zugeſchloſſenen Komtoir. Alle
deine Gemüthsbewegungen gaben auch meinem dieſelben!
Thränen waren zwiſchen mir und dem Briefe. Faſſe dich,
mein Freund. Denn höre. Bei Naturen, wie die meinige,
geht kein ernſtes Denken, kein Empfinden, kein ernſtes Wol-
len, keine ernſte Liebe wie ein Schatten vorbei! Biſt du, wie
ich es ſehe und weiß, ganz von meinem Daſein durchglüht
und erfüllt, ſo werde auch ich in deiner Nähe glücklich ſein,
und dich zu Schutz und Umgang wählen können. Ich fühlte
es vor deinem Briefe. Wir ſehen uns gewiß bald. Dies ſei
dein Troſt; ich will es und du willſt es. Quäle mich nicht
mit Kleinigkeiten, und wir können ein edles und ſchönes Le-
ben führen. Findet ſich gar und gar kein Mittel, ſo kommſt
du unterdeß ohne Mittel, und es muß ſich nachher eines
finden. Dieſen Fall ſetz’ ich, wenn du es nicht aushältſt, und
die Trennung dich zu ſehr mordet. Erſt laſſe mich nur nach
Hauſe
[529] Hauſe kommen. — Halte dieſen Brief nicht für unzärtlich,
ich habe keine Zeit, und packte alſo das Weſentlichſte für
dich, ſo hieß mich meine Zärtlichkeit. — Ich verſäume die
Galerie, und ſoll Nachmittag mit Marwitz nach der Meißner
Gegend eine Meile von hier fahren. Bis jetzt haben wir
alles zu Fuß abgemacht. Ich lebe ſehr eingezogen. Abends
immer bei mir mit Marwitz, dem Mahler Friedrich Meyer
aus Rathenau, Lippe, oder den Dlls. Hebenſtreit. Geſtern
war ich mit Marwitz allein, und da laſen wir Novalis, und
hatten die tiefſinnigſten Geſpräche. Wir leben wie zwei Stu-
denten, wovon der eine eine Frau iſt; er ißt Mittags mit
mir, dann und wann Meyer auch. Lippe zankt ſich gehörigſt
mit mir: und war geſtern nicht da, weil ich vorgeſtern bei
ſeinem ſonderbaren Ernſte lachen mußte. Marwitz iſt mild
und gehorſam, und wie ein jüngerer wahrer Bruder gegen
mich; angeſchloſſen, aber ohne jede reizende und gereizte Ga-
lanterie. Mir lieb, recht, bequem und angenehm; wir haben
den vielſeitigſten reichſten Wortwechſel. Er ſpricht außer-
ordentlich richtig, gütig und unbefangen, und oft, von dir.
Er denkt über Adel und des Bruders Geſchichte anders, als
ich glaubte; du weißt alſo wie!!! du würdeſt dich über die
Ausdrücke todt wundern. —
Sei verſichert, ich denke oft, oft, bei jedem Vorfall, Wet-
ter, Schein, Bild, ja bei gutem Eſſen an dich. Wie ſollt’ ich
nicht! Du haſt mich gelehrt in einer Atmoſphäre von Liebe
zu wohnen; und alles berührt mich unheimiſch und kalt ohne
ſie. Ich kenne dich ganz und liebe dich: und rechne auf dich;
und auf dein Fortſchreiten in jedem Sinn. —
I. 34
[530]
Grüße ja den Obriſt; ich laſſe ihn fragen, ob er böſe auf
mich iſt? — Grüße ſehr Oliva. Ich habe lange lange
nicht ſo zärtlich geſchrieben, wie ich dich hege und an dich
denke. Es ging alles in den Plan dich zu ſehen über.
Grüß nur den armen Beethoven; und ich gedenk’ ihm
ſtets ſeine unerwartete Gefälligkeit, daß er mir gleich et-
was vorſpielte. Wie ſo hält er aber ſo viel von mir? Den
Plan der Oper will ich durchſehen, er ſoll ihn mir nur ſchik-
ken; und aufrichtig will ich ſein, ich kann gar nicht anders.
An Alexander von der Marwitz, in Potsdam.
O! mein theurer Freund, je mehr vorgeht, je ſchrecklicher
iſt es, daß Sie weg ſind. Ich erliege, ich bin überwältigt
von dem Strom der Gedanken an Sie, ſeid Sie weg ſind;
welche Welle davon, ſollt’ ich ſchöpfen, um ſie Ihnen zu ſen-
den? Was iſt nicht alles ſchon vorgefallen, was hab’ ich
Ihnen nicht alles adreſſirt! Oft hatte ich auch Augenblicke,
wo ich zu furchtſam war, Sie in Ihrer neuen Umgebung, in
der neuen Laufbahn gleich zu ſtören; Sie gleichſam nicht un-
befangen zu ſich ſelbſt kommen zu laſſen, Ihnen mein Anden-
ken aufzudringen! Und andere hatte ich, wo ich dachte; er
weiß, daß ihn deine Gedanken belagern, und es iſt ihm lieb,
er hat es nöthig, er denkt es. Furcht behielt aber die Ober-
hand; und es iſt auch beſſer, Sie ſehnen ſich nach meinen
Briefen und Worten, als daß Sie ſie einen Augenblick weg-
wünſchen. Das iſt wahr; und ich geſtehe es.
[531]
Es hilft Ihnen nicht, mein lieber Marwitz, daß Sie meine
ganze Unwiſſenheit überſchaut haben: die gelehrteſten Leute
kommen in meine Einſamkeit zu mir, und bleiben von 7 bis
dreiviertel auf 11 tête-à-tête bei mir. Der Philologe Wolf
that das dieſen Abend. Sie haben ſich nichts mehr zu ſchä-
men. Dieſer Mann denn, ſprach dieſe ganze Zeit auf die
reichhaltigſte, geiſtreichſte, naiveſte, offenſte Art mit mir. Von
allen ſeinen Arbeiten (wovon er mir ſchon morgen die Wol-
ken ſchickt, und einen Aufſatz über die deutſche Sprache, und
mir alles geben wird, was ich nur irgend verſtehen kann),
Plänen, Geſinnungen, über alle Gelehrte, und Stadtgenoſſen.
Über ſein früheres Leben, ſeine Liebſchaften, Heirath, Ehe, Frau,
Kinder und ihre Erziehung. Über die Art und Weiſe wie er
ſeine Arbeiten konzipirt, und unergründlich liebenswürdig was
er davon hält; was er noch zu ſchreiben gedenkt, wie er
vieles verfaßte, was er vom Überſetzen denkt; von Voß,
Schiller, Schleiermacher, Humboldt, Friedrich Schlegel, deſ-
ſen Frau und Bruder, Goethe, deſſen Ehe, und Geſchichte;
ſeinem Leben mit ihm; vom Herzog, der Herzogin; Deutſch-
land, und ſeine Meinung darüber (meine Satisfaktion! es
war meine.), von Mad. Herz, Frau von Berg, Gräfin
Voß, ihrem Mann, Stein und Varnhagen. Kurz, ich kann
mich des lebendigen Geſprächs und der Gegenſtände nicht al-
ler erinnren; für mich Arme fiel es aber doch zu einem Leid
aus; mit welchem Jammer bedauerte ich, daß Sie vier Mei-
len weit waren, mit welcher Anſtrengung wollt’ ich alles für
Sie behalten. Wie ſchön ſprach er über die Wolken! Welche
Vorrede für mich! Mit welchem großartigen Zutrauen
34 *
[532] über alle Dinge, mit welchem leiſen, nur nöthigen Verbot!
Wenn ich Sie ſehe, bleibt Ihnen alles das unverlvren. Wel-
cher Verluſt, getrennt zu leben! Laſſen Sie mich’s auf dem
ſtummen Papier ſagen! Andere Menſchen können getrennt
leben, wir zwei nicht. Es iſt zu wahr; ich ſag’ es dreiſt.
Geſtern Abend, war eben ſo lange und allein, Harſcher
bei mir. Wir ſprachen meiſt von Ihnen; ich in lallenden
Verſuchen, ob es anginge zu ſagen, wie ich Sie ſehe. Er
war ganz rein, wahr, ſanft, aufrichtig. Sprach ſchön über
Sie; und ſagte, er könne Sie ſo, wie ich Sie liebe, nicht
lieben. Schleiermacher und ich liebten Sie am meiſten. Ich
vertheidigte mich nicht. Er geſtand rührend, weil ich mehr
wäre als er (Harſcher), könnt’ ich Sie mehr lieben. Ich war
ganz wahr gegen ihn, und nahm ihn für mich ein. Er ge-
ſtand mir, er ſei nicht gekommen, um uns zwei nicht zu ſtö-
ren; ich ſetzte ihm wahrhaft auseinander wie das nicht ge-
ſchehen wäre, wenn er ordentlich geweſen wäre, und was unter
dieſem Ordentlich zu verſtehen ſei, er ſah es ein, und gab mir
ſanft Recht. Er habe wider mich geſprochen, ſagte er mir
auch, und Sie hätten mich mit dem größten Feuer ritterlich
vertheidigt. „Beſſer,“ dacht’ ich, und ſchwieg. Er fing mich
an ſehr zu bewundern: und auch wieder zu zweiflen, ob ich
ſo gut ſei, als ich mich zeigte. Aber nicht unangenehm. Ich
ſprach ihm über ſein Innerſtes, traf es, und konnte ihm ſehr
wohlthun: da eben ging ſeine Bewundrung los; und bei mei-
nem ſcharfen Sehen und Wiſſen; bei meiner Liebe. Über
Schl. ſprach er ſehr klar; und klagte über ſeine Stumm-
heit; und klagte ihn an, mit mir nichts zu haben, und be-
[533] dauerte es. Dies alles aber in der natürlichſten, allmähligſten
Folge, und nicht im geringſten wie es hier ſteht. Jeder Menſch,
jedes Ding, und er ſich ſelbſt, wurden ihm klar und lieber;
er fühlte das am Ende ſo, daß er ſagte: bei Ihnen wird mir
wohl! und faßte ſich am Kopf, und ſetzte hinzu, mir wird
klar im Kopf. „Ich bin, die all das Herrliche vollbrachte,“
(die Jungfrau von Schiller) und ſchwankend geh’ ich mit der
Fahne her. Ich werde „todt ſein“, wie Alfonſo’s Mutter;
darben wie die „Schweſter von Urbino.“ Nicht ganz ſo;
lieber Freund! — —
Es iſt ganz richtig, daß Sie mir nicht ehr ſchrieben, und
überall nicht ohne Bedürfniß, und die eigentliche Möglichkeit
dazu; aber es giebt eine Pflicht, und die hätte Sie dazu brin-
gen ſollen, die hätte mich dazu gebracht. Haben Sie meinen
Zuſtand ſo ganz vergeſſen können? und daß Ihre Schriftzüge
ſchon allein jetzt mein liebſtes, tröſtliches Geſichte ſind? Es
thut nichts! Mein innerſtes Herz weiß immer, worauf es zu
rechnen hat, und es war mir nichts Unerhörtes, Unerwartetes.
Was mich aber das Gegentheil hoffen machte, war meine
grimmige Bitte, die in einzelnen Worten Sie ſo zu faſſen
wußte, daß Sie mir nach mancher Viertelſtunde, das Verſpre-
chen wie von ſelbſt gaben, daß Sie mir bald, ja gleich ſchrei-
ben würden. Als kein Brief, und kein Brief kam, dacht’ ich
mir endlich, Sie wollten mir nicht eher, als im eingerichteten
Quartier ſchreiben; und, Sie haben noch keine Arbeit, und
wären gleich zu Fouqué’s gereiſt — nicht dumm von mir, —
[534] aber nur meine dritte, tiefſte Vermuthung war wahr, er ver-
ſchiebt’s bis auf eine lebendige Stimmung, und hat nichts
mitgenommen, welches ihm die eingiebt, Zwingen Sie ſich
nun nicht mehr mir zu ſchreiben, und machen es ganz nach
Ihrer Bequemlichkeit, Bedürfniß und assiette. Auch ich habe
endlich Ihren Brief nicht in der beſten geleſen: und Sie wer-
den es wohl jedem ſchweren Worte anmerken. Mein Herz iſt
ſteinſchwer, und gedrückt mein Gemüth trotz meines Geiſtes
Muth, heute. — Wie aus einem tiefen Gefängniſſe hinaus
fühl’ ich was Sie ſchreiben. Ich ſegne mit beſtem Herzens-
antheil Ihre Spazirgänge in Sansſouci! Gnädiger Gott,
warum bin ich nicht an ſolchem Ort! ich habe es nöthiger,
als je. Ja, einen Ort: ſeit wie lang ſchon wälzt dies große
Bedürfniß ſich mir näher; Sinn und Leben benehmend ſteht
es nun groß, dunkel, und erdrückend über mich weg! — vor
mir. Durch dies ſeh’ ich faſt nur wie ein Verrückter Ort und
Gegenſtände, die mich wirklich umgeben. Geſtern unter den
Linden befiel mich ein ſolcher Zuſtand: fremd, ganz fremd,
und ruppig, ſchienen mir Linden, Straße und Häuſer; die
Menſchen zur Furcht; nicht Einer ein Geſicht, eine Phyſiono-
mie, der albernſte, äußerlichſte, hölzernſte, zerſtreuteſte Aus-
druck, albern-eitle Frauen; nicht kokett, auf Neigung ſich be-
ziehend, oder im Vollgenuß irgend einer Art. Die Armuth
der Stadt, wo ich jedem berechnen kann, was er hat, verzehrt,
will oder kann; die ſchreckbare wüſte Beziehungsloſigkeit, die
nicht an Staat, noch Liebe, Familie, oder irgend eine ſelbſter-
zeugte Religion anreicht. Ihr ſchwindlender, eitler, nichtiger,
ſtrafbarer Taumel! Ich dadrunter, noch beziehungsloſer, mit
[535] vollem leerem Herzen; fruſtrirt um alles was wünſchenswerth
iſt; getrennt vom Letzten. Kurz, wie vor einem ſündenhaften
Zaubertempel — denn die Wirklichkeit entſchwand dem den-
noch nicht todten Gemüth, — deſſen Wanken ich ſchon ſehe,
deſſen Einſturz gewiß iſt, der mich und Alle treffen muß.
Nicht gewiß ob ich wirklich wache, halb träumend ging ich ſo
umher; mir ſagend, es iſt beſſer, daß du hier gehſt, als einen
einſamen abſtrakten Spazirgang zu machen mit denen, die
nicht die Rechten ſind; du willſt auch alle Tage ſo hingehen;
was machſt du dir draus, ſie exiſtiren nicht für dich. Als
aber rückzu ganze Damenfamilien mit uns gingen, Legations-
frauen, Banquier-Töchter und Weiber, Baroninnen, Staats-
rathstöchter, Geſandten-Grafen, und ich wie unter Todten
war, in eine verlegne Angſt gerieth — oder Schläfrigkeit, wie
mir das jetzt immer geſchieht — nahm ich mir vor, nicht mehr
dahin zu gehen. —
— Jedoch es wird alles anders, als es ſelbſt die Umſtände
zu beabſichtigen ſcheinen, und keine Zukunft fürcht’ ich mehr
den Namen nach, als ihres allgemeinen. Was mich drückt,
iſt das Sparen: weil ich wahrlich es immer that, und nicht
weiß, wo ich die Maſchine anſetzen ſoll. Mit Einem Wort,
ich war bereitet und gefaßt nach Schleſien zu gehen, und ſoll
mich hier nun faſſen und einrichten: wollte meinem Onkel al-
les klagen und Rath von ihm, und muß nun in der prekairen
niedrigen Lage bleiben. Thut nichts! ich will ſie nicht ſo an-
ſehen, und mit Groben nicht ſein zu fühlen ſuchen. Nun werde
ich Sie ja dieſen Winter dann und wann ſehen. Kommen
[536] Sie nach Berlin, ſo treten Sie bei mir ab, wenn es Sie nicht
genirt. —
Vorgeſtern ſuchte mich Wolf wieder, ohne mich zu finden:
geſtern ſchrieb ich ihm kein ſchlechtes gehörig kurzes Billet, wo-
rin ich ihm Frau von Crayen als Lockung oder Warnung
aufſtellte, je nachdem er’s nehmen wollte; er ließ mich fragen,
wann ſie käme; 7 war die Stunde; er kam um 6 und blieb
eine, er hatte ſchweren Wein getrunken, und wollte ſich der
Geſellſchaft nicht ausſetzen. Er ſcheint oft kommen zu wollen,
er merkt, daß meine Zunge das Vortreffliche ſchmeckt, das mag
ihm ſelten bei unſchuldigen Frauenbildern geſchehen; und ſchien
ſehr dankbar für meinen Zettel; ich hatte ſeine Vorrede be-
wundert, und es ihm mit leiſen, erfaſſenden Worten geſagt,
wünſchend, eine neue Elegie möchte ihm für uns Alle danken,
weil es nur der Eine könnte. Harſcher und Neumann kamen
ſpäter auch. Harſcher ganz unbefangen, alert, unſchuldig.
An Alexander von der Marwitz, in Potsdam.
in meine Stube hinein, den 26. Oktober 1811.
Theuerſter lieber Freund, welche Worte aus Ihrem Briefe
ſoll ich erſt aufnehmen, ſie ſtürmen alle auf mich ein, und be-
wegen, rühren, und beruhigen mir das Herz; als ich ihn zuerſt
las, waren mir das die liebſten, heilendſten, treffendſten, wie
ein goldglänzender, entzündender Pfeil: das Ende Ihres gan-
zen Briefs: „Gleich Antwort. Ihre Briefe ſind mir unent-
behrlich.“ Ich bekam aber den am Donnerstag geſchriebenen
[537] Brief (wenn er auch erſt Freitag abgegangen wäre; wie
ſchrecklich langſam gehen die Briefe! Meine auch?) erſt heute,
als man bald Licht anzünden mußte (mit einem von Barne-
kow zugleich), als ich ihn ohne Schlüſſel ſah, und ſo ſchwer,
ſo wußte ich, er mußte viel für mich enthalten; aber ganz
Liebes kommt einem immer unverhofft. Vieles, liebſter Freund,
habe ich viel einfacher geſagt, als es ausgeſehen haben muß.
Nämlich grade das, was Sie anführen. — Freilich ſeh’ ich
Ihnen in die Augen! Aber zu meiner größten Ehre eher, als
Sie mir es ſagten; unbefangen mit voller Liebe. In die Au-
gen, wo ich alle Menſchlichkeit finde; wahren Troſt, Sicher-
heit, Erſatz. Ich erlaſſe Ihnen viele Worte des ächteſten ſtrö-
mendſten Wohlwollens; ſie ſtrömen beſſer als alle Vorwürfe!
— Aber Sie ſollen frei davon ſein; und ich will ſie allein,
ſelbſt bekämpfen, dieſe Fluth! Ich ſagte es ganz ehrlich:
„Zwingen Sie ſich nun nicht mehr, mir zu ſchreiben.“ Nun,
da ich ſo lange, trotz Ihrem Verſprechen „gleich zu ſchreiben“,
hatte warten müſſen. Zwingen Sie ſich nun nicht, da ich
dies ausgehalten habe, wo es mir ſo nothwendig war, Sie
es ſo einſahen. Die übrigen Stimmungen, in denen man nicht
ſchreibt, ſollte dies heißen, kenne ich. Und dies ſelbe ſollte es
auch heißen, wenn ich die Briefe gleich zurückforderte, ohne
ein Wort von Ihnen. Böſe, Marwitz, war ich nicht; denn,
haben Sie nicht den offenbaren Vorwurf geleſen? Wie er
aus meinem Herzen kam; ganz wie er mich nur drin ſchmerzte.
Sie ſahen, fühlten mein Bedürfniß, ſo daß Sie ſelbſt es mir
zum Troſt verſprachen, und der Brief kam nicht! Dies ſagte
ich Ihnen klar: und haben wir nicht längſt verabredet, daß
[538] arge Vorwürfe gar nicht gemacht werden können? Sehen Sie
bis auf meinen ſchwarzen Herzensgrund: ich freue mich, daß
ich Sie quälte: aber bei Gott, ich wollte es nicht, und dachte
es nicht. Verzeihen Sie mir aber überhaupt meine Stimmun-
gen jetzt! Ich habe ergründet, was es iſt. — — So lauf’
ich, wie Sie mich ſchon gehämmert kennen, mit geſchlagenem
Herzen in dieſer Stadt umher; wo nichts iſt, wie Sie auch
wiſſen, als was ich Ihnen beſchrieb: ärmer in allem, als ich
ſonſt war (mit phyſiſch krankem Herzen). Nun nicht mehr,
Lieber! Schon vor Ihrem Brief überlegt’ ich’s mir oft. Die
Einſamkeit iſt nicht für mich. Trotz meiner regen thätigen
Sinne iſt der ſtärkſte, ich ſehe es nun wohl (kurz vor meinem
Ende beinah) mein Herz; ſoll das ſchweigen und ohne Gegen-
ſtand ſein, ſo entſteht die Kerkerangſt bei mir (der wahre Tod
iſt Kleinigkeit, der iſt ein Aufhören einer Natur in die andere
hinein — er ſei nun wie und was er wolle —), verdumpfen
thun alle meine Sinne und Funktionen, und das ganze Leben
zieht in die Angſt hinein, über dieſen Zuſtand! Ich ſeh’ es
ja, darf ich hoffen Sie zu ſehen, ſind Sie hier, wäre Pauline
hier, die mich tauſendfach erheitert, die ich vielfältig lieben
kann: die ganze verſtäubte Stadt wäre mir belebt; und voll
wären meine Tage, ich vermißte nichts; obgleich ich alle ſterb-
liche Güter zu genießen wüßte. Ihre ehrenvolle herrliche An-
rede an mich, paßt alſo nicht auf mich, mein lieber lieber
Freund. Mein Geiſt und Gefühl ſind andere Helden! Ich
kann mir „die Herrlichkeit des wahren Lebens“ nur „ſchaffen“
an der Seite eines Sterblichen, den ich lieben kann. Aber
„der Gott in mir“ wird mich „aufrichten“! Denn ich ſchaffe
[539] mir gewiß, was ich brauche, oder beweine es! In Dumpfheit
wird mich mein Schöpfer nicht laſſen. —
Die Anekdote von dem ſächſiſchen Handwerksburſchen iſt
eine der großartigſten, es iſt mir unendlich lieb, daß ſie Ihnen
begegnet iſt; dem einfachſten Menſchen. Ich gönne ſie Ihnen
mehr, als mir. —
Ich habe Ihnen geſtern Abend in der entſetzlichſten Eil
raſend ſchlecht geſchrieben: nicht eins wie es aus dem andern
hervorgeht, nicht ein bischen Zuſtand, Stimmung ausgedrückt,
Gedanken dargeſtellt. (Auch jetzt, ſchon bei den wenigen Wor-
ten, bin ich dreimal hinausgeholt worden, zu einer con-
sulte,) — Daß ich mich geſtern Abend in allem ärmer nannte,
damit meinte ich nicht beſonders das Geld; aber ich meine es
ſehr mit. Bedenken Sie, welche Geſellſchaft ich verlor: wel-
chen reichen geſelligen Umgang, — den Aufenthalt bei meiner
Mutter, der noch Sinn in mein Leben brachte — mein einzi-
ger nennbarer Titel, — und bei der ich wirklich dreimal rei-
cher war, als noch vor einem Monat. Wie behaglich wenig-
ſtens dies alles meinen Aufenthalt hier machte; wie ich mich
für Andere regen konnte, ihnen und Freunden zu allen Tages-
ſtunden angenehm ſein konnte. Dies alles müſſen Sie nur
noch hören, damit Sie eine Einſicht in meine Zerſchlagenheit
bekommen, und mir die dumpfe Klage, den benommenen Sinn
zu Gute halten, mit dem ich Sie ſeit Potsdam quäle; rechnen
Sie dazu die Art meiner Komplexion, und was Sie ſchon von
mir und meinem Leben wiſſen. Ich hatte beinah nie ein re-
elles mir gehöriges; und mir iſt genommen worden, und ge-
[540] nommen. Schlag auf Schlag auf mich gefallen, ſeit Jahren!
— dies alles erwägend werden Sie mir ſogar noch Faſſung
finden. Kommt mir das Leben entgegen, auch noch ſo kärglich,
ſo bin ich immer da; ſelten dauert’s länger als Augenblicke,
daß ich ganz losgelaſſen meinen perſönlichen Schmerz aus dem
Herzen laſſe, und nur mit meiner eigenen Erlaubniß in Ge-
genwart eines Freundes; bald bin ich immer wieder gefaßt,
und zu ſeiner Rede, zu was ihm lieb iſt, fertig. Nur in Brie-
fen iſt das anders. Wo kein Gegenſtand meinen Blick trifft,
kein fortſchreitendes Verhältniß mich auffordert und in Anſpruch
nimmt, da bin ich nur mir ſelbſt gegenüber, und ſchaue immer
nur in mein Inneres: ein Vergangenes — Unthätiges — was
wahrlich zu herb wenigſtens, wenn auch nicht zu ſchlecht,
der großen ſich bildenden Folgen wegen, für ein ſo zartes leicht
tonangebendes Innre war, Dies iſt aber alles ſchon wieder
vorüber mit Ihrem geſtrigen Briefe. Seine Worte, und die
Hoffnung Sie zu ſehen, entbanden mir das Herz, Leben ſehe
ich wieder überall: wie der Sommer den Winter wegtreibt,
man weiß nicht wie ſo; weil er da iſt, man weiß nicht wo
der Winter bleibt, der vorher ſo wirklich da war; mit ſeinem
Zuſammenziehen, Erſtarren, Dunkelheit, Trübe und Zugeſchloſ-
ſenheit. Sie ſehen, ich habe wieder mit einem Lobe von mir
geendigt. Ich kann die Furie bei Ihnen nicht untergehen laſ-
ſen. Sie und dieſe, ſind mir beide zu lieb. Aber, wenn ich
auch oft denke, auch ihm lügſt du doch; man iſt nicht wahr.
So bedenke ich wieder; Sie kennen mich doch, und auch mein
Elendeſtes, und ich bin aufrichtig genug zu wünſchen, es möchte
wahr ſein. So iſt es auch; denn nach und nach ſage ich
[541] Ihnen ja alles; und es zeigt ſich auch alles ſolchen Augen,
wie Ihre.
— Nach Gentz vergaß ich zu fragen. Wie ſehr ich ihn
geliebt habe, habe ich ihm geſagt; was ich ihm bin, weiß er;
wie er iſt, weiß ich; er hat das Bedürfniß nicht mich zu ſehen,
thut dazu nichts, in ſo langer Zeit, alſo liegt er in meinem
Heiligthume auch ſtill, weit zurück. So kam es. Ich lieb’ ihn
für ewig, und werde ihm auch wohl ſchreiben. — Wolf habe
ich ſeit der Zeit nicht wieder geſehen; Sie ſchreiben göttlich
über ihn, das erzähl’ ich ihm. Schreiben Sie ja über Adam
Smith, es iſt nothwendig, finde ich nach Ihren Worten, die
ich ganz verſtehe; er iſt mehr als ein Mitregent Napoleons.
Ein Zeichen, Produkt und Triebrad der Zeit: was er aber treibt,
muß den vorſchnellen Faulen gezeigt werden. Thun Sie es
ja, ſo lange er Ihnen noch gegenwärtig, und ganz wichtig
iſt, ehe Sie wieder zu noch größern Kreiſen mit Ihren Ge-
danken kommen, und der Ihnen auch nur ein kleineres Be-
dingniß, eine kleinere Wirkung des großen Umſchwungs aller
Dinge ſcheint, bewegt von ſo hohen, daß ein Menſch ſchon
zufrieden ſein kann, wenn er ſie in ſein Bewußtſein kriegt, zur
Ausdehnung und Bereicherung alles Denkens. Machen Sie
ſich den jetzigen Augenblick zu Nutze; und ſetzen Sie ihn gleich
auseinander. Sie können die Worte über ihn, die Sie mir
geſandt haben, ſehr gut dazu gebrauchen. Wo möglich ſchaff’
ich Ihnen heute noch irgendwo Fr. Schlegel. Sie ſind ſo flei-
ßig, wie ich Ignvrant es ſein ſollte. Aber ich gönne es Ihnen
doch lieber, als mir. Sprechen Sie nur von allem mit mir:
ich verſtehe es doch. Sie wiſſen’s auch, und thun es! Ich
[542] bin wahrlich geboren zum Ignoranten. Weide iſt doch auf
dieſem wilden Eiland, und fehlet alle Geiſtesſpur des thätigen
ſinnigen Menſchengeſchlechts, ſo ſind gute Dämonen, die ſich
dieſer Wildniß annehmen, und Anſpruchloſe herrlich bewirthen.
Bei Ihrem Reichthum müſſen Sie auch einen ſolchen wilden
Park haben, wo der Dämon gar aufpaſſend lauert, und Sie
verſteht; der iſt mein Troſt: nicht wie nichtige Nymphchen,
die nicht wiſſen was man will und ſagt, finden Sie doch we-
nigſtens à qui parler, und können immer denken, ich habe
einen Herrn beſucht! Sie ſehen, ich werde ganz toll!
Ich verfolge Sie alle Tage in Sansſouci! Aber ich bitte,
legen Sie ſich nicht auf kalte Steine und Stufen! Auf ſan-
digen, ſonnigen trockenen Boden, wenn ich bitten darf! Ich
habe darin mitzuſprechen. Sie haben mir auch zu befehlen.
Wie gerne käme ich hinüber. Ich will mich doch bei Leuten
erkundigen, die hinfahren. Ich weiß, warum Sie’s wünſchen:
damit nicht alle Blätter ſchon ab ſeien. —
Ich finde die Anekdote vom ſächſiſchen Geſellen überna-
türlich ſchön. So wirkt Geſchichte; und ihr Wirken iſt Ge-
ſchichte. Seit fünfzig Jahren ſteht Sansſouri, und Welten
haben ſich umgekehrt, die Sieger es umwühlt; nun denkt der
Sachſe mitten im Garten, er iſt nicht drin; das Lager ſoll
erſt kommen. So ſinkt erſt nach und nach Meinung von
Stand zu Stand herab; ſolche Kerle wandern noch in Deutſch-
land umher; und in fünfzig Jahren weiß ſo Einer erſt von
den Schaffwerken der jetzigen Erobrer. Und wie ſtill macht
die Anekdote! So ſtill wird von Gemüth zu Gemüthe Gro-
[543] ßes in ſchützender Unwiſſenheit bewahrt. Adieu! Sie kommen.
Und ich ſchreibe Ihnen noch unterdeß ein Stücker fünfzig- bis
ſechszigmal.
Ihre R. R.
An Guſtav von Barnekow.
Mein ſehr allerliebſter Barnekow! der mir wirklich das
Gemüth erheitert und ſtärkt, wenn ich mir ihn nur beſtimmt
und lebhaft denke, wie jetzt hier vor dem Papier gebannt,
Ihren wenigſtens achtmal geleſenen Brief neben mir. Sie
fehlen mir immer und ewig: d. h. ich merke es beſtändig; und
meine liebſten Freunde müſſen in dem Bedauren über den Ver-
luſt Ihrer Gegenwart mit einſtimmen, und die allerliebſten
und intimſten ſind auch am einſichtigſten darüber. Für’s erſte
aber hören Sie nur erſt, wer Sie grüßen läßt. Die Nichten,
mit ihrer Mutter, die mich ſchon vor dem Datum des Briefes
ſtörten, aber es ausdrücklich verlangten, ich müßte gar er-
ſchrecklich grüßen, beide Roberts, Hr. von Heiſter, Mad. Froh-
berg, Mad. Oppenheim und ihre Tochter Mariane, die alle
haben Ihren Brief geleſen. Er war ſo, daß ſie ihn leſen
konnten, und es macht ihnen zu viel Vergnügen, als daß ich
es Ihnen nicht gönnte. Mittwoch aber kam Marwitz — Sie
wiſſen, welche Nummer der bei mir hat — unverhofft von
Potsdam (wo er bei der Kammer ſteht, und wohin ich ihm
ſchon gemeldet hatte, daß ein Brief von Ihnen in meine Hände
gekommen ſei), und blieb bis Donnerstag Mittag. Ich las
alſo Ihren Brief mit ihm, zu allererſt: er ſah ganz Ihre Art
[544] ein, und als ich ihm ſagte, ich hätte viel beſſere noch in Töp-
litz erhalten, mußt’ ich den großen Briefklump durchſuchen,
und wir laſen auch die, wovon ihm nicht eine Wendung,
keine Naivetät, keine derbe Innerlichkeit, wie auch nicht das
Milde des Ganzen, aus anſtehender Stärke gebildet, entging.
Als er ausgeleſen hatte, ſagte er mit dem freundlichſten We-
ſen, die Augen noch auf den wieder eingeſteckten Brief gewen-
det: „Ich wollte, er wäre hier!“ — Das glaube ich, ich auch!
— „Ich bin ihm recht gut!“ — Sie glauben nicht, wie mich
das entzückte! Nichts freut mein Herz ſo ſehr, als wenn ſich
meine Freunde anerkennen; und ich kann triumphirend ſitzen
und denken, du biſt die Erſte, du haſt den entdeckt; und nun
müſſen ſie ihn lieben! Oft hab’ ich Heterogenſcheinendes ver-
einigt; oft aber, wollten die beſten Seiten an den Menſchen
nicht zu einander paſſen, und roher unüberlegter Tadel drängte
ſich an die Stelle des alles befördernden Wohlwollens, trotz
meinem beſten Bereiten; daher fühl’ ich mit lebendiger Freude
wenn es mir gelingt, meine Lieben in Liebe für einander zu
entzünden, und wenn ſie meiner beiſtimmen und huldigen
müſſen. Ich kam mit dem, was ich für das Schmeichlendſte
halten mußte, zuerſt heraus: nun hören Sie auch, welche
Thorheit mir am meiſten in Ihrem Brief ſchmeichelte und
gefiel. Daß Sie keinen Rum trinken, und noch an
meinen Ausſpruch denken! So bin ich: nicht beſſer. Aber Ihr
eitles, weiches, liebes Herz wird das verſtehen. Ich hatte auch
ohne dieſen Ihren letzten Brief nicht vergeſſen, und oft genug
Andern wiederholt, wie eine einzige Bemerkung, über dies Ge-
tränk beim Thee, Eingang fand in Ihrer regen Seele, durch
den
[545] den beweglichen, auffaſſenden Geiſt; der nichts verſchmäht, ſo
klein es ſein mag, wenn es edle Beziehungen hat, und das
Gemüth es aufnehmen kann. Alles dies bewies mir deutlichſt
die Rum-Geſchichte, und daß nichts Gutes von mir, und ſpalte
es ſich in die winzigſten Fädchen, bei Ihnen verloren geht.
Solche Freunde brauche ich, und liebe ich; bei meinem klei-
nen Seelenkram, und bei ihrem Großhandel! Schreiben Sie
mir ja immer, wie es Ihnen geht! Wie es mir geht, wiſſen
Sie ganz. Außer daß eine Gemüthsruhe und Klarheit ſich
meiner bemächtigt, wie ſonſt wohl Mißſtimmung, und Unver-
ſtand es thun; woran ich lange litt. Ich rechne jetzt noch
auf keine Zukunft; und danke allen Dämonen für den ge-
ſchenkten Augenblick! Glauben Sie ja nicht, daß äußere Er-
eigniſſe mich ſo glücklich lenken: im Gegentheil, hierin geht’s
mir ſchlecht; ich verſchone Sie mit dem Detail. Wiſſen Sie
nur, daß kein Souper mehr bei mir exiſtirt: ich regrettire es
aber weniger, da Sie mir doch fehlen: und ich keinen Ange-
nehmen kenne. Ich bin ſpät im Abend meiſt bei Mad. F.,
nicht täglich; wo auch nur wenige, und für mich nicht ein
erträglicher Menſch, kommen. Ich war die erſten Wochen mit
Marwitz, jetzt bin ich allein, mit Büchern. Und ich ſchwöre
Ihnen, ich habe keinen Moment Zeit! In das liebe Thea-
ter gehe ich nicht. Sie wiſſen es! Iffland liegt brach, da
Sie fort ſind, aber lauter Brennmaterialien ſammlen ſich für
ihn an. Eigentlich, exiſtirt er nur für mich, wenn Sie von
ihm ſprechen. Um aber nicht gar zu dumm, und menſchen-
ſcheu, und ungeſchickt zu werden, ging ich vorgeſtern auf einen
Polterabend — ſolchem ich nie beigewohnt hatte. — Ein gräf-
I. 35
[546] lich Lokal. Masken. Zigeuner, Zauberer, Bauern, Guckkaſten-
Leute: Herren und Damen aus allen Klaſſen. Ich fand alte
Bekannte, und neue, die mich zu kennen vorgaben. Die Mas-
ken ſprachen Verſe: auch Muſen kamen; zwei, die tragiſche
und die komiſche. Auch Genien. Lächerlich, und gut. Die
Zigeuner, Jettchen Fromm, eine Mlle. Krüger, und ein ſchöner
junger Liman, waren ſehr gut; die Muſen waren heiſer; to-
tal! aber ſahen gut aus. Eine ſechszehnjährige Jüdin war
dort, in ſolcher vollkommenen, klaren Sternenſchönheit, daß
ſie bloß dadurch abſolut wie eine Prinzeß ausſah. Ich ver-
liebte mich für Sie. Total! Ich kenne meine Schuldigkeit.
Gott! hätten Sie dies Geſchöpf geſehen! Ich hatte ſie nie
geſehen. Sie wohnt hier, und heißt Itzig: nicht von der be-
kannten Familie. Nun wiſſen Sie alles, was ich weiß. Für
heute nämlich. Künftig mehr! Ich erliege! ich habe heute
ſchon zehn Seiten ſchreiben müſſen: und ſchrieb heute nur Ih-
nen eiligſt, damit Sie nicht, Gott behüte und bewahre, weg
ſein möchten! Peinzeß Wilhelm hat zwei Prinzen, wie die
Zeitungen Ihnen werden geſagt haben. Von Aktricen waren
nur drei, und von den Herren Einer da. Die hielten’s nicht
vornehm genug. Adieu. Schreiben Sie ja! und alles von
ſich. Ihre treue
R. Robert.
Das Bischen, was ich von Berlin ſehe, ekelt mich an;
„die ſtolze, gedemüthigte!“ elende.
Ihr Datum war göttlich! Schreiben Sie ja ferner natür-
lich, das Briefe zeigen, wenn man’s weiß, ſtört in ſo etwas.
[547]
An Alexander von der Marwitz, in Potsdam.
— Geſtern war es beinah 3, als ich aufhörte an Sie zu
ſchreiben: ich ging zur Fr. um etwas wegen des Abends zu ver-
abreden, und wollte allein umherlaufen; mir war ſehr unwohl
am Gehirn. Sie ging aber mit! und ich führte ſie an das Pots-
dammer Thor, wo wir im Achteck, oder wie es heißt, umhergin-
gen; das ſchönſte, mildeſte Wetter, der lieblichſte Sonnenſchein,
Berlins beſte Luft; wir gingen ziemlich lange; über den Wil-
helmsplatz, die Linden durch, nach Hauſe. Weit nach 4 Uhr.
Ich wollte eſſen, mich ſehr lange ruhen, und zu Bethmanns.
Point du tout; ich finde inliegenden Zettel — den freundlich-
ſten im Leben — von Markus, und aus Schwäche gehe ich
richtig in die Zauberflöte, bis 8 da! — hatte ich meine Qual
mit Ihnen! Ich gönnte mir keine Note. Sie wurde wirk-
lich — wenn ich das hier ſage! — von Seiten des Orcheſters
gut gegeben. Die Madam ſpricht ſehr gut und modifizirt
das Deutſche aus; ſingt, und deklamirt beſonders, mit gro-
ßem Maß, war gut angezogen — die Sternenkönigin — und
ſingt gräßliche Koloratur. Der Sänger, eine ſchöne geſunde
Bruſtſtimme, ohne feine Seele zum Vortrag, kann viel lernen,
auch von dem Fehlenden! Mlle. Schmidt, keine Ahndung von
Pamina! — aber ſehr gut geſungen. Alſo ich doch in einem
Leid! Das thun Sie mir aber nicht an! Torquato Taſſo
wird dieſen Monat hier gegeben. Zu dem Tag ſind Sie
hier. Für den Platz forge ich. Dann fuhr ich zu Mad. Beth-
mann; wo Frau von der Recke nicht war: aber Hr. Tiedge,
35 *
[548] Stägemann — Geh. Staatsrath, — Komödien-Schulz, ein
muſikaliſcher Herr Volange, Deutſcher; Herr Greuhm, Herr
von Lüttwitz, Mlls. Sebald, zwei Markuſe’s, Mad. Frohberg.
Beide Markuſe’s ſangen ſehr gut und viel; die Sebalds
auch, und gut franzöſiſch; die Liman und Bethmann vortreff-
lich italiäniſch; die Liman, wie niemand in der Stadt. Ich
nannte ſie beſtändig Limanetti. Ich ſprach nur mit Herrn
von Lüttwitz, der mich amüſirte. Und Einmal, aus respeet
humain, mit der Töplitzer Sebald, damit ſie, den Äußerungen
gegen Sie zufolge, nicht denken ſollte, ich ſpiele Ball mit ihr.
Mit den Herren allen hatte ich auch geſprochen — apropos!
Bernhardi war auch da — mit Hrn. Tiedge und Stägemann
beſonders. Als ich gegen 10 Uhr nach Hauſe komme, finde
ich einen liebenswürdigen Brief von Redtel, den ich mit Stolz
Ihnen danke! Und nun erliege ich! — und gehe ſpaziren,
warte auf einen Brief von Ihnen, und gehe heute Abend zum
Thee bei Mad. Lercaro. Alles dieſes fade, weil Sie’s nicht
miterleben: uns nicht fade war, nur hier ſo iſt. Adieu!
— Er ſprach alles und jedes ſich vom Herzen, mit einem
Zutrauen, einem Bedürfniß, was allein mich ſchon gewinnt!
Öde kommt’s mir vor, wenn alles was im Hauſe geſchehen
ſoll, was ich thue, ſich nur auf mich bezieht; freudig bin ich
nur, wenn ich mich bequeme, ſchaffe, beſorge, bedenke für An-
dre. Hélas! Nach und nach ſehe iſt erſt ein, aus welchen
geſelligen Beſtandtheilen ich gemacht bin; ſonſt ſchrieb ich al-
les der verliebten Liebe zu; ach! und die ſelbſt ſchwoll und
[549] flammte nur von dieſen Eigenſchaften getrieben, genährt, ent-
zündet, zur verzehrend-verheerenden Gluth auf! Zu Aſche
iſt mein Herz: wie ich Campan ſchrieb: ich überlegt’ es noch
geſtern; es liebt nicht mehr für ſeine Rechnung; ſeine Seele
lebt nur noch, und der Geiſt; es iſt wirklich todt. Und in Einem
hat der ſtumpfſinnige Freund Recht; daß er ſich wundert, daß ich
weiter lebe. Sehen Sie, wie traurig ich bin. Ich weine
auch: und ſage das Meiſte nicht, niemals. Und doch ſehe
ich dies ſo ganz anders an: und kann es wie ein Glück be-
trachten. Ich bin ſo unendlich frei in meinem Innren. Wie
nicht verpflichtet der Erde. O! ich kann es gar in Worten
nicht ſagen. Mir iſt noch immer zu Muthe wie damals,
als ich vierzehn Jahr alt war. Für Andere, für die große
Leute war alles: und ſo iſt es noch, vergeſſe ich meine gräß-
lichen Schmerzen, die grimme Schmach; — und ich habe ei-
gentlich kein Talent, mich mit ihnen abzugeben, zu wieder-
käuen wie es war, weil, von Natur aus, ich zum Unglück
nicht gemacht bin; die war üppig ſtolz, übermüthig vor Freude,
als die Erde mich empfing; aber weiter ging es ſchlecht;
daher der ſtarke Bruch; und ich bin ſchlecht und gut; d. h. viel
und nichts nutz. Aber gar nicht recht zum Unglück, obgleich
ich’s empfinde, und genoß, wie Wenige! den größten Dichter
ſetz’ ich da nicht über mich; es traf in’s friſche, in’s bewußte
Leben. Mit großer Gefälligkeit ſprech’ ich von mir: aber Sie
wiſſen zu viel von mir, als daß Sie nicht alles, was ich er-
grüblen kann, auch wiſſen ſollten. Und es iſt doch nichts in-
tereſſanter, als ein Menſch, dem Menſchen. Sie glauben
nicht, wie ironiſch ich mich über mich ſelbſt erheben kann, bis
[550] zur freieſten Luſtigkeit, ohne Groll und Zorn; und wie ich
gewöhnlich ganz von meinem Schickſale abgewandt bin.
Neue Kräfte, neuer Muth, neues Sehen, ein friſches unper-
ſönliches Herz, ein geſunder Kopf, ein recht geiſtiger Geiſt,
die helfen ſehr. Und Sie; Sie helfen mir auch; Sie machen
es mir wahr und wirklich, was ich liebe: was ich in mir
liebe. Sie vergewiſſern es mir, daß ich kein Träumender al-
lein hier bin! — Um von einer ſchönen Frau zu ſprechen!
Frau von B. iſt eine. Aber glauben Sie’s? Ich ſah ſie nur
von ferne, und mied ſie; die Mutter war auch da, und dieſe,
eine überaus gute Frau, mied ich ſo, daß ich Umwege machte,
und auf einem Ball am einen Ende des Saals blieb, bloß
weil ſie auf dem andern waren; und bloß — weil ich die
tödtend nichtigen Dinge nicht ſagen wollte, ohne Endzweck,
Plan und Luſt; und ganz beſonders, weil dieſe Mutter einen
gemeinen freundlichen Mann — geweſener preußiſcher Offizier
— hat; den floh ich eigentlich, und alle die Menſchen, und
weil man ſo ſehr um ſie her war, um die Schöne. Wenn
ſie etwas von der Natur — von „Grünes“ — weiß, ſo iſt
das ſehr viel. Doch glaub’ ich’s; warum nicht!?
Sie haben mir geſtern einen göttlichen Brief geſchrieben;
ich weiß nicht welche Miſchung von unbezwinglicher, aber
eben bezwungener Rührung, ja, Erſchütterung, zwiſchen
jedes auch noch ſo gleichgültige Wort gedrungen iſt! So
ſtark, ſo ernſt, ſo thränenreich klang mir noch kein Brief von
Ihnen! und ſo aus Einem Stück! Sie glauben nicht, wie
es mich ſchmeichelt, daß Sie mich des Franzöſiſchen wegen
loben; weil ich es gar zu gern wüßte! und all meines, ich
[551] mag es machen wie ich will, deutſch bleibt. Alſo die mindeſte
Illuſion, die ich Ihnen nur machen konnte, iſt mir Gold werth.
So viel iſt aber dabei wahr; ich ſchrieb es ſo ſchnell als
dies hier, und ſehr bewegt; wie immer. —
Anmerk. Einiges aus einem Briefe von Marwitz mag hier einzu-
ſchalten ſein: er ſchrieb aus Potsdam:
Ich ſoll Sie immer wieder beruhigen wegen Ihrer volumes, ſchreiben
Sie mir, liebe Rahel. So hören Sie denn, wie ich ſie empfange. Ich
leſe ſie drei- bis viermal hintereinander durch, manche Stellen noch viel
öfter, lege ſie dann weg, mit dem Gefübl eines Geizigen, der ſeinen Schatz
wieder um ein raar tauſend Thaler vermehrt ſieht (das iſt grade mein
Fall; anders kann der Geizige ſeinen Schatz nicht fühlen, als ich in Einer
Rückſicht Ihre Briefe), und dann laufe ich ein- oder mehrere Stunden im
Zimmer umher, und laſſe den Inhalt Ihrer Zeilen in mir nachklingen;
antworten kann ich in dieſer Stimmung nicht, denn ich bin zu agitirt,
fühle zu ſehr das Ganze, als daß ich an ein Einzelnes anknüpfen und
mich darüber ausſprechen könnte. Und nun beruhige ich Sie nie mehr
von neuem. So haben Ihre Briefe immer auf mich gewirkt, ſo werden
ſie immer auf mich wirken. Senden Sie mir daher nur ja immer dieſe
volumes, liebe Freundin; es können tauſend Umſtände kommen, um deret-
willen ich nicht ſogleich antworte (Sie haben mir ja auch auf drei Briefe
von Töplitz nicht geantwortet), äußere Hinderniſſe, geſtörte Stimmungen,
aber ſeien Sie ein- für allemal überzeugt, daß darum nicht minder jedes
Ihrer Worte mir zum innerſten Herzen dringt, und dort verjagt, was
von Unmuth oder Stumpfheit ſich feſtgeſetzt haben mag. Wie ſoll ich Ih-
nen beſonders für Ihre beiden letzten Briefe danken, für den unausſprech-
lichen Reichthum tiefer innerer und lebendiger äußerer Dinge, mit dem
Sie mich überſchüttet haben. Ich will einiges beantworten.
Ja, liebe Freundin, Sie haben ein egoiſtiſches Herz, aber ein ſolches,
welches das Eole, Hohe, Kraftige, Wahre an ſich ziehen und genießen will.
Jeder Rechte hat einen ſolchen Egoismus, ſetzt ſich als Mittelpunkt
des Weltalls, aber wie wenigen Hochbegabten ward, ſeit die Erde ſteht,
die Fülle des Herzens, „die Gerechtigkeit der Seele“, die Penetration
des Geiſtes verliehen, um ihn zu befriedigen wie Sie. Laſſen Sie Rabels
Herz zu Aſche geſunken ſein, das menſchliche Herz ſchlägt weiter in Ihnen
mit freieren, höheren Pulſen, abgewandt von allem Irdiſchen, und doch
[552] ihm ganz nahe, die ſcharfe Intelligenz denkt weiter und in größern Krei-
ſen; aus dem grünen, friſchen, lebendigen Thal hat Sie der Schickſals-
ſturm hinaufgehoben auf Bergeshöh, wo der Blick unendlich iſt, der Menſch
ferne, aber Gott nahe. —
— Reinhardts inneres Weſen beſteht in einer Unperſönlichkeit, in
einer reinen unſchuldigen Offenheit, welche um ſo liebenswürdiger iſt, da
ſie gar nicht auf einer ſchwachen Negativität, ſondern [auf] einem eben ſo
feſt beſtimmten, wie ſanften und milden Karakter ruht. Weil ich wußte,
daß er ſie verſtehen würde, hatte ich ihm, ehe er nach Berlin zurückging,
viele Ihrer Briefe vorgeleſen. Sie begeiſterten ihn durchaus, und er faßte
ſie ganz von der rechten Seite. Wie er zurückkam, fragte ich ihn natür-
lich gleich, ob er Sie geſehn und wie? Er lobte Sie ſehr, auf Tiefen ſei
das Geſpräch nicht gekommen, aber nie habe er einen Menſchen geſehn,
der mit der Energie und der Leichtigkeit von allem den Mittelpunkt
ergriffe. —
Mit Smith bin ich fertig. Viele auf unſre [Verſaſſung] ſich beziehende
Dinge habe ich geleſen. Auf Sansſouci war ich lange nicht, es iſt jotzt
dort ſtürmiſch und öde, öfters ging ich im neuen Garten, wo der fluthende
See und die vielen dichten Tannengebüſche es lebendiger machen, und die
Marmorhalle vor dem Hauſe mir ernſte, vornehme, rührende und ſchwer-
müthige Gedanken erweckt.
An Fonqué, in Nennhauſen.
Ein leichtes Flußfieber, welches mich Montag befiel, hin-
derte mich Schriftzüge zu machen, was ſeit einer großen Ner-
venkrankheit mir immer ſchwer wird, und auch immer das
Erſte wird, was ich unterlaſſen muß; dieſe Schwierigkeit geht
dann auf Gedanken, Empfindung und Ausdruck über; ſonſt
hätte ich wohl gleich auf Ihren Brief geantwortet, den ich
Sonntag Abend, als ich meine Nichten zu einem Ball anzog,
erhielt. Ich möchte Ihnen danken, wenn man dergleichen be-
kommen könnte, ohne es zu verdienen; in dieſer Antwort will
[553] ich Ihnen von neuem zeigen, daß ich es wohl verdiene, ſo
von Ihnen bedacht und angeredet zu werden! Und dieſe Er-
kenntlichkeit wird Ihnen der wahrſte wirklichſte Dank ſein.
Ich gratulire Ihnen aus dem theilnehmendſten, einſichtsvoll-
ſten Herzen, daß Ihnen jene ſchöne Erſcheinung begegnete;
und mir, daß Sie mir nach ſo langem Schweigen davon ſpre-
chen mußten. (Ich merke, daß ich noch nicht ſchreiben kann,
und hunderttauſend beſſere Briefe Ihnen während fünf Tagen
geſchrieben habe, als dieſer hier. Auch hat man mich hier mit
einem Beſuch, und einem Brief und Einlage geſtört. Jetzt
alſo — wie zur Unzeit, hör’ ich auf: doch nein! noch ein bis-
chen!) Könnt’ ich Sie nur für verliebt halten! — was Sie
mir verbieten — von der Liebe kann man nichts Abſurdes ſa-
gen, ſagt Chamfort; und ſo iſt es auch wahr, daß ſie die
tiefſte Überzeugung iſt. Ich freue mich alſo Ihres Glücks,
daß Sie ein Geſchöpf von Angeſicht zu Angeſicht ſahen, wel-
ches jeden Ihrer Blicke von neuem reizt, und die Überzeugung
in Ihnen zum Leben hervorruft, daß es ein reiner, lieber, ver-
ſtehender Engel iſt. Je vollkommener das Geſchöpf, je weni-
ger von unſerm eignen Herzensglanz beſchienen, je „freuden-
reicher“, „ruhiger“, je weniger „Verlangen“ flößt es ein. Lie-
ben iſt ein außerirdiſches Verhältniß; eine Empfindung. Ein
Glück. Alles Übrige, was ſich auf Beſitz, außer dem Herzen,
bezieht, Verhältniß; ſchlecht, und peinigend. Ich tadle hier
niemand: ich bedaure uns Alle! Ich gönne Ihnen dieſe
helle Sonne im Leben, die das Graue, erſtickend-tödtende,
verſcheucht, und die zum Erſtaunen weckenden Kinderfarben
wieder hervorruft; das Herz zum neuen Umſchwung alles Le-
[554] bens und Seins berührt! Es hängt von Ihnen ab, ob Sie
es verliebt nennen wollen, das erfriſchte Sein; ich beneide es
Ihnen; ich gönne es Ihnen. Ich möchte es auch haben; ich
freue mich, daß Sie von dem Zauber getroffen ſind. Ohne
das Glück, namenlos zu lieben, iſt die Erde mir ein unver-
ſtändlicher, ängſtlicher Klumpen; entweichender himmelaufſtei-
gender Dunſt alles Denken! Ihnen wird alles doppelt ge-
deihlich; und des Herzens, und der Augen Liebling, wird Ih-
nen gütige Göttin, Muſe; die wohl weiß was Liebe iſt, und
es nicht verſchmäht ſich den Augen, dem Herzen zu fügen, in
der geliebten Erſcheinung! Alſo vielfach glückauf! Warum
aber ſprechen Sie von der Schönen wie von einer wirklichen
Bewohnerin des Himmels; warum ſollte ſie nicht wiederkom-
men? Sie ſie nicht beſuchen können, oder finden, treffen?
Wäre das Glück zu groß? Faſſen Sie es! Wollen Sie durch
Leben nichts an der Empfindung, an dem Eindruck ſtören?
Laſſen Sie’s gehen wie Gott will. Bleibt es ſo, ſo bleiben
Sie wie Sie ſind; muß es anders werden, ſo konnt’ es anders
werden: iſt der letzte Fall, ſo wünſch’ ich Ihnen mit aller
ſeiner Sehnſucht, den erſten; und ſo thun Sie auch.
Ich habe viel die Zeit her an Sie gedacht: ich habe Un-
dine geleſen, den Todesbund: und eine Geſchichte eines jungen
Wahnſinnigen in einem Almanach von 1812, der Name iſt
mir entfallen. Dies letzte halte ich für das Gelungenſte in
Betreff des Vollkommenen, und Tadelloſen. In Undine ſind
die größten, ja die witzigſten Elemente zum Großen; es ſind
aber drei verſchiedene darin, die ſich nicht ergänzen, und har-
moniſch organiſch zum Leben bringen, ſondern ſie leben neben-
[555] einander; und hindern ſie ſich nicht zu ſichtbar, ſo hindern
ſie mich. Sie heißen Liebe, Sittlichkeit, und Spekulation,
über die Möglichkeiten des menſchlichen Seins, bis zu den
Gränzen anderer Weſen. Welch ſchönes neues Süjet!
(Sechs Uhr Abends, mir iſt ſehr unwohl; ich werde den
Brief nicht fertig bekommen; er ſoll aber weg, damit Sie nicht
länger warten, und mich nicht für undankbar halten müſſen.
Künftig will ich Ihnen alles ſchreiben, was er enthalten ſollte.)
Der Todesbund iſt aber für jemand, der Sie ſo kennt wie ich,
das Intereſſanteſte; und eben wo es nicht Buch iſt, wo Fou-
qué durchbricht und dies auseinanderſpaltet. Mich dünkt ich
habe tiefe Blicke ſeit dieſem Buche in Ihnen — in Sie, wie
ſagt man denn? — geſchickt. In allen dreien aber fand ich
liebe herrliche Züge, wie ſie nur Ihnen entſchlüpfen können.
Ich gebe Ihnen hier meine Kritik, wie Sie der Welt Ihre
Bücher geben; zur Kritik. Alles ſchlecht: alles kurz, roh, er-
bärmlich! wie ich unpaß bin! Nachſicht! Einſicht!
Geſtern war ich kränklich, und allein von 3 bis nachts
1 Uhr auch zu leſen nur halbſtundenweiſe fähig. Da kramt’
ich in einer kleinen, kleinen! Kinderkommode, und fand inlie-
gendes Billet, mit Schnallen von meinem Vater, manches von
meiner Mutter, und Trümmern alten Lebens aller Art. Da-
mit man die Karte nach meinem Tod erkennen ſoll, ſchrieb ich
drauf, was auf der Rückſeite ſteht: als ich es aber unvorſich-
tigerweiſe auf die Karte ſelbſt geſchrieben hatte, gefiel ſie mir
nicht mehr, und ich ſteckte ſie gleich zu Ihrem letzten Briefe.
Hier iſt ſie nun: Ihnen kann ſie dadurch nicht unangenehmer
ſein, und muß Ihnen ein doppeltes Geſchenk gewähren. Sie
[556] iſt ein Wechſel, worauf Ihnen die Tücher ſogleich ausgeliefert
werden ſollen. Auch ſollen Sie die Briefe und Billets haben,
die ich von Louis konſervirt habe: weil Sie ſie am meiſten
lieben werden. Sie aber vermachen ſie mit den Tüchern, wie-
der Ihrem liebſten Verwandten, und ſo der weiter, und immer
der Liebſte dem Liebſten. Er iſt ein geſchichtlicher Mann. Er
war die feinſte Seele: von beinah niemand gekannt, wenn auch
viel geliebt; und viel verkannt. Es iſt nicht Eitelkeit, daß
ich mich ſo mit hinüber ſpielen möchte. Meine ehrenvollſten
Briefe ſind verbrannt, daß Feinde ſie nicht leſen! Denn alles
ſchrieb der Vielverworrene der vertrauten Freundin, oft auf
einen Bogen, auf einer Blattſeite. Mit wahrhaftem Vollge-
fühl ſag’ ich Ihnen aber: „Schade, daß meine Briefe an ihn
nicht da ſind!“ Gerne ließ ich der Welt das Exempel, wie
wahrhaft man mit einem Königlichen Prinzen, der ſchon vom
Ruhm geführt, und hoch geliebt war, ſein kann. Er hat alles
was er ſchriftlich beſaß — wie ich — vor dem letzten Ausmarſch
in Schricke verbrannt, weiß ich vom Major Möllendorf. Auch
hat ſich nichts gefunden. Sonſt hätte man das Geklatſche
ſchon gehört. Man kann Fürſten die Wahrheit ſagen; und
verſchweigt man ſie bei einem Wüthrich, um Martern auszu-
weichen: ſo wird er dies ſchon merken. Mißhandelt wurde
Louis oft — zur Empörung — aber ſchmeichlen thaten ſie ihm
doch, und die Wahrheit hab’ ich ihm nicht ſagen hören, wenn
nicht Perſönlichkeit dazu trieb; und großartig dies, nur von
Einer; von Paulinen. Mir aber machte er es möglich, ſie ihm
jedesmal wie ich ſie einſah zu zeigen. Halb, gewiß, gebührt
dieſem menſchlichſten Menſchen dieſer Ruhm! Das Menſch-
[557] lichſte im Menſchen faßte er auf; zu dieſem Punkte hin wußte
ſein Gemüth jede Handlung, jede Regung der Andern zurück-
zuführen. Der war ſein Maßſtab, ſein Probirſtein; in allen
Augenblicken des ganzen Lebens. Das iſt das Schönſte was
ich von ihm weiß. Nie ſprach er darüber mit mir, nie ich mit
ihm. Ich ſah es aber ein, lebenslang. Er erröthete, wenn
Menſchen von andern zum Narren gehalten wurden: das ſah
ich, als man dies Einmal ziemlich gelinde mit einem verrück-
ten Juden Schapſe in ſeiner Gegenwart vornahm: er ſchenkte
ihm Wein ein, und behandelte ihn geſchwind als Gaſt. Mein
Verhältniß zu ihm war ſonderbar: beinah ganz unperſönlich.
Obgleich er ſeine letzte Lebenszeit mit und bei mir zubrachte
(mehr als die letzten drei Jahre). Von uns zu einander, war
nicht die Rede. Doch mußt’ er mir alles ſagen: komponirte
er, ſollt’ ich bei ihm ſitzen; ſpielte er — am Ende gezwungen
— Karten, auch. Mein Gräuel! Ich werde Ihnen noch viel
von ſeinein Innren ſagen, wie ich’s weiß, was Sie aufſchrei-
ben können. Wir hatten Einmal, er, und ich, und Pauline,
eine Konteſtation, wo denn häufig drin vorkam, was er mir
geſagt hatte, und nicht hätte ſagen ſollen; und er machte ihr
dieſelben Vorwürfe. Mit einemmale, gelangweilt, ſagte ich
zu ihm: „Prägen Sie ſich feſt ein, daß Sie mir alles wieder-
ſagen, und daß mir Pauline auch alles wiederſagt; ich kann
das nicht behalten, was ich ſagen, oder was ich verſchweigen
ſoll, ſolchen Kopf habe ich nicht. Sie ſagen es mir ja dann
doch beide zuſammen.“ Er lächelte ganz fein, und unvermerkt,
und ſchwieg. Einmal ſchrieb ich ihm eine Antwort nach Schricke,
ſehr aus dem Herzen, worin ich ihm ſagte, „wenn ich Ihnen
[558] die Wahrheit nicht ſagen ſoll, ſo hab’ ich Ihnen gleich gar
nichts zu ſagen; dies iſt unſer einzig Verhältniß.“ Ich ſchrieb
ihm „Gnädiger Herr;“ und „Königliche Hoheit;“ und Sie.
Im Geſpräch eben ſo, nur in ſehr guter Laune, im Scherz,
und urgenten Fällen anders. Er nannte mich Kleine, Levi,
oder Rahel, oder Mlle. Levi vor Leuten. Vor vielen Jahren,
als wir noch nicht ſo ſehr liirt waren, und er nur viel zu mir
kam: attakirt’ er mich über Goethe. Ich ſprach nie von Goe-
the. Fing mich in einer Thüre; und docirte, wie ſchlecht Eg-
mont ſei, ſehr lange, mir zur marterndſten Langenweile, weil
ich nur der Schicklichkeit fünf Worte opferte, und gar nicht
antwortete. Wie Goethe einen Helden habe ſo ſchildern kön-
nen! in einer miſerablen Liebſchaft mit ſolchem Klärchen ꝛc.
Ein Jahr vor ſeinem Tod ſchrieb er aber ſeiner Geliebten, er
ſei vom Herzog von Weimar mit Goethen zu Hauſe gegangen,
habe ſich in ſein Bette gelegt; Goethe davor; und da wäre
er denn bei Punſch aufgethaut, er habe über alles mit ihm
geſprochen, und nun habe er geſehen, was es für ein Mann
iſt; mit noch vielem Lobe; welches er ſo beſchließt; „Laß dies
ja der Kleinen leſen; denn alsdann bin ich ihr gewiß unter
Brüdern dreitauſend Thaler mehr werth.“ Dies, Fouqué, war
mein größter Triumph in der Welt.
Ein großer Prinz, mein Freund, der Vetter meines Königs,
der Neffe Friedrichs des Zweiten, der noch von Friedrich ſelbſt
gekannt war, mußte mir das ſchreiben; ohne daß ich je von
Goethe mit ihm geſprochen hatte. Es mußte der menſchlichſte
Prinz ſeiner Zeit, in ſeinen eigenen leibhaften Freunden dem
größten Dichter huldigen. Dies ſchreib’ ich Ihnen aus Eitel-
[559] keit. Nun aber ſetzt’ ich mich hin, und ſchrieb Louis einen
großen Brief, worin ich ihn bat ſich zu erinnren, daß ich nie
mit ihm von Goethe geſprochen hätte, nie ihm geſagt, er ſoll
etwas von ihm leſen; jetzt aber möcht’ er es thun, und nicht
Einzelnes um Goethens Werke kennen zu lernen, ſondern alles
von ihm um Goethe kennen zu lernen, aus ihrem Zuſammen-
hang. Jetzt ſei er’s werth, denn jetzt liebe er ꝛc. Er hatte
mir erzählt: wie er ſonſt gar ſich nicht hätte zu lieben unter-
ſtanden, wenn es nicht eine berühmte Elegante war; wie er
war, wie franzöſiſche Koterien und Familien ſind. Eine Menge!
Mündlich.
Sie Glücklicher. Ein Kind, eine Familie, eine Muſe,
Muße, ein ſchönes Feenbild, alles haben Sie! Ich — bin
ziemlich herunter. Wozu leb’ ich wohl. Gott weiß es wohl:
doch fühl’ ich es nicht. Ich bin nichts, thu nichts, erfreu nie-
mand mehr; und mich auch nicht. Und will ich ein Narr
werden, ſo will ich’s aus alter Gewohnheit nicht leiden. Eine
Dummheit. Labſal iſt Narrheit, für arme Leute, ſollen die
ihr Stück Welt ſehen wie es iſt?
Für Ihr Kind möcht’ ich die Bibel, wie Rouſſeau für alle,
Lafontaine’s Fablen, verbieten. Welche Reife gehört dazu,
dieſes Buch nach der neuſten Mode — nach der neuſten, oder
nach der neuſten; wie Sie wollen — zu verſtehen! Es muß
es für ein Buch von Geſchichten halten. An die Anfänge der
Dinge, mein’ ich, ſollen wir nicht Kinder, ſondern ſie uns er-
innren. Sie meinen das auch; und es iſt Lohn, für die
Kleine ſolche Geſchichten zu leſen.
Gerne käm’ ich nach Nennhauſen! bin ich aber nicht furcht-
[560] ſam in einem fremden Hauſe? nicht bequem? an mein Mäd-
chen gewöhnt? Iſt nicht trübes Wetter? Sie haben Recht,
lieber Fouqué, daß Sie ſich voraus entſchuldigen: Sie werden
wohl in den vierzehn Tagen nicht zu mir kommen! Kommt
Frau von Fouqué nach Berlin? Legen Sie mich ihr zu Fü-
ßen: ich könnte wohl vor ihr knien und mir erzählen laſſen,
nach den Augen ſehen: und auch ihr vom Sommer erzählen.
Ich empfehle mich dem älteſten Fräulein, wie alle Meinigen
thun. Robert will ja mit dem Feſt zu Ihnen ſchliddren.
Adieu! Trauen Sie mir wie bis jetzt. Ihre Freundin R. R.
Ich habe den ganzen Sommer mit Varnhagen gelebt:
im Anfang ſchlecht; und dann ſehr gut. Heute ſähe ich ihn
ſehr gerne. Ich lieb’ ihn.
An Alexander von der Marwitz, in Potsdam.
Ich bin es gar nicht werth, an Sie zu ſchreiben; ich bin
zu disguſtirt; nicht etwa auf eine ſchöne Art, wie ich es ſonſt
wohl war in witziger Verzweiflung, in ſchmerzhaft-reicher Her-
zensempörung! Nein, hölzern und zu bin ich geworden, ſtumm:
und eine Talbot’ſche Verachtung drückt mir das inn’re Reich
wie mit einem unerbittlich-künſtlichen, hölliſchen Grabſtein zu:
ein Indignationsgefühl nur ſteigt wie ſcheuer Seufzer, oder
Blick, nach den ehmals gekannten, lichten, reichen, Jugendhö-
hen, mir ſelbſt zum Zeichen, daß ich noch lebe, noch weiter zu
leben habe. Es kann mir kein Menſch hierauf antworten:
denn
[561] denn kein Menſch kann wiſſen, was ich alles gedacht habe
dieſe Tage her, wie ich es mir ſelbſt nicht mehr erinnre; kein
Menſch kann wiſſen, durch welche wohlgeordnete — wenn auch
nicht ausgedachte — Veranſtaltung ich Schritt vor Schritt, in
dieſe finſtere rettungsloſe Mordfalle getrieben worden bin;
ohne Hülfe, mit unendlicher! Gegenarbeit; Geduld, Kraft,
Frommheit, Wuth, Wehre! (Giebt es eine Notiz von uns,
in einem höheren reicheren Geiſt, ſo weiß der’s.) Umſonſt.
Es iſt geſchehen! Wenn auch große Naturanlagen, Munter-
keit, Lebendigkeit, Unglauben an das Äußerſte! Scham,
oft das Anſehen nehmen, als ſei es anders mit mir, es iſt
geſchehen, ich bin hin! und lebe um es zu fühlen. Glauben
Sie nicht, daß ich dies ſo in grammatikaliſchen unverſtändli-
chen Worten denke, ich fühle es jusqu’au vif! in jedem Augen-
blick des Tages; keiner geſtaltet ſich natürlich, alle drückend,
ſchmerzhaft. Und in welcher Organiſation hauſt das Übel!
in der geſundeſten, feinſten. empfindlichſten, bewußteſten!
Zuviel der Laute des eklen Unglücks! Wie kam ich nur dar-
auf! Aber es iſt richtig, ich kann ja das kleinſte Benehmen
nicht erklären, ohne dies. Ein paarmal im Leben ſchrollte
mein Herz ſo zurück, daß ich den Tod berührte; es wußte —
das Bewußtvollſte unſeres ganzen Seins — daß es zum Tod
verdammt war. Frevlerweiſe blieb ich doch leben; und das
iſt mein Verbrechen, meine Sünde, mein Unrecht, meine Schmach;
und Gottes harter großer Fluch, der mich hätte umfallen laſ-
ſen ſollen. Ich ergeb’ mich in den ewigſten Schmerz. Und
ſollte ſchweigen. Sie ſehen, nur Zerſtreuung, Leben, Bewe-
gung, Hülfeleiſten, Sehen, Eitelkeit, kann mich retten; bin
I. 36
[562] ich allein, ſo leg’ ich mir Millionen Höllen zurechte, wie Kin-
der mit Bauſteinen, oder Sand thun. Bis geſtern war ich
zu Hauſe; krank, meiſt allein: geſtern Abend z. B. las ich
ſpät, und konnte dann die Nacht nicht ſchlafen. Ich kann
das nie vertragen. Geſtern Morgen ging ich zum erſtenmal
aus, und weil mir Minna Sonnabend geſchrieben hatte, ſie
wollen mich beſuchen, ſo ging ich zu Sch.’s, und lud ſie zu
geſtern Abend; worauf mir Mamſell und Madam ingénument
ſagten, Montag ſähen ſie immer bei ſich Leute, aber jeden
andern Tag; ſie kommen alſo dieſen Abend. Wie finden Sie
die Grobheit, mir nicht zu ſagen, ich ſoll zu ihnen kommen?
Die Leute die ſie da ſehen! Ich kenne ſie alle. Sagen
Sie mir, warum ſind alle Leute ſo niedrig, mir Sottiſen zu
machen, bloß in dem Gedanken: die kann uns doch nichts
thun. — Fragen Sie mich aber nun nicht, warum ſehen Sie
ſie heute? Hören Sie warum. Weil ich wirklich nicht in der
Lage bin, ihnen etwas zu thun: und, ſein Sie verſichert,
wenn ich heut zu Stand oder Vermögen, oder nur paſſage-
rem Einfluß käme, ich Alle behandelte, wie ſie’s verdienen.
„Wie hat ſie ſich verändert!“ würden Sie ſagen! Nicht im
geringſten. Seit mehr als acht Jahren iſt das deutlich
bei mir beſchloſſen. Ich verläugne ſie. Diesmal aber dacht’
ich ſo: Siehſt du ſie gar nicht, ſo inkommodirt dich das;
und er giebt dir kein Buch mehr: ſo gehſt und ſchickſt du hin,
wenn du etwas willſt, für dich oder Andere. — Gedenken
thu’ ich’s ihnen doch. Und wäre mir heute das Mindeſte
vorgefallen, wie ich es ſogar vermuthete, ſo ließ ich ihnen
um 6 Uhr abſagen. Auch Herr Harſcher war ſeit dem Tag,
[563] wo er mit Redtel bei mir war, und mich im Bette liegen ſah,
weder bei mir, noch hat er geſchickt, was ich mache. Wie
würde er es finden, wenn ich ihn nicht wie den erſten
élégant, oder den vornehmſten Mann behandelte: er aber
ſchickt und geht gewiß zu Andern, die er ſich als Damen kon-
ſtituirt hat. Glück zu! zu der ſchönen Sitte. Ob ich den
konvoitire, fragen Sie ſich ſelbſt. „Wer nichts aus ſich macht,
ſagt Figaro, aus dem macht die Welt auch nichts.“ Alſo
auch hierin hab’ ich, was mir gebührt.
Nun werd’ ich Punkt vor Punkt auf Ihren Brief ant-
worten. Eins nur noch auf Ihren vorletzten, auf den ich noch
ſo viel zu antworten habe. Wie mit einem kalten langen
Schwert zogen Sie mir durch’s Herz mit einer Rede darin.
Einer wohlgemeinten Marwitziſchen herrlichen Rede. Was
ſagen Sie mir nicht Erhebendes; zum genußreichſten Stolz
erhebenden Beifall; wie befriedigt es mich von Ihnen, lobend
erkannt zu ſein, als eine Ausgezeichnete! dem aufhorchenden,
gieren, eitlen — perſönlichen, dies iſt’s — Herzen entging
nichts; und nahrungsbedürftig ſog es alles ein; eh dieſe
Worte kamen: „Die ſcharfe Intelligenz (ſo endet Ihre Auf-
munterung) denkt weiter und in größern Kreiſen;“ dann
folgt: „Aus dem grünen friſchen, lebendigen Thal
hat Sie der Schickſalsſturm hinaufgehoben auf
Bergeshöh, wo der Blick unendlich iſt, der Menſch
fern, aber Gott nah.“ Mit Moritz ſaß ich am Fenſter,
als ich dies las, und geſchwinde Thränen ſtürzten mir in den
Schooß, über die Wangen, allenthalben hin. So iſt Un-
glück; ſind meine Freunde wahr, ſo müſſen Sie mir das
36 *
[564] Schreckenswort ſagen. Aus dem grünen lebendigen friſchen
Thal ſoll ich verbannt ſein, und doch leben? Ich!? die
Gott — an den ſie mich verweiſen; erkennen Sie mich ganz!
— nicht kennt, als in der Zeit; durch Sinn, und Sinne; und
bei nichts, ſich nur nichts, denken kann! Er zeigt, er offen-
bart ſich uns, in Erde, Farb, Geſtalt, Herzensſchlag der Freude
oder des Schmerzes; mir hat er das Bewußtſein über dieſes
Wiſſen, beſonders erſchloſſen: ich bete die mir ganze be-
kannte Natur an, und finde nichts gemein, als eine niedre,
enge, lügenhafte Geſinnung. Ich? ſoll verſchlagen ſein, ohne
todt zu ſein? Sie haben’s geſprochen, Freund. Unglück kann
der beſte Freund nur nennen, nicht mindern durch Troſt. Sie
haben Recht, nennen Sie’s; ich thue es auch; und wieder weil
es wahr iſt, will ich es, ſo wie es iſt, an mein Herz drücken.
Sie wollten das vorletztemal Freitag kommen, ich blieb
in Beſorgniß, und las Urquijo’s Briefe, meine. Sie kamen
Sonntag, und wiſſen wie Sie mich nach dieſem hier erwähn-
ten Brief von Ihnen, der Lektüre der meinigen, und Moritzens
langen Unterredung, fanden; darauf kam die ſchlechte Soirée:
die bei Markus vorher. Nun erklären, ergänzen Sie ſich
mich. Dies alles, weil Sie mein Freund, mein lieber Marwitz
ſind, zu dem ich wohl ſprechen kann, und den ich nicht wie
andere Sieche umgehen, und hintergehen mag; weil Sie, wenn
Sie eine wie mich kennen, gleich viel erfahren; und weil Sie
gar nicht in der Irre ſein ſollen, ganz wiſſen ſollen, was Sie
an mir haben, was ich werth bin. Aber folgern müſſen Sie!
Jede Kleinigkeit. Eins können Sie mir zur Ehre glauben,
inkonſequent und unbewußt, unerwogen iſt faſt nichts: näm-
[565] lich das Tadlenswerthe gewiß nicht; wie bei wenigen Menſchen
iſt es hierin mit mir. Sonntag habe ich Fouqué geantwortet;
ziemlich lang; und Abends ſpät auch an Varnhagen geſchrie-
ben, weil er mir ſehr lebendig geworden war, und ich eine
große Luſt dazu fühlte, und Luſt ihn zu ſehen; einen kleinen
Brief, ich war zu krank. Denſelben Tag erhielt ich einen
Brief von Barnekow. Er ſchreibt, ich ſollte ihm bald ant-
worten, ſein Vater wäre mindeſtens ſo begierig drauf, als er.
Dieſes gute Vernehmen, welches er noch mehr berührt, freut
mich ſehr. —
Wie ich ſehe, bin ich zu angegriffen, und muß morgen
erſt Ihren Brief von vorgeſtern und geſtern beantworten.
Mir gefiel er grade ſehr gut, mit ſeinen vielen Notizen, wo
der Marwitz drin leibt und lebt, und ſein Ekel! Auf alles
Antwort von mir! Wären die Federn nicht, ſo wär’ ich nur
halb müde. Bringen Sie mir ja Federn von Hrn von Neu-
mann! Er giebt ſie. Er hatte mich ſchon vorher grüßen laſ-
ſen. Redtel defendrai-je jusqu’au dernier retranchement.
Wenn einer ganz und ergriffen in ſeinen Meinungen iſt, ſo
ſchweigt man wohl: das thu’ ich auch. Ich ſchwieg auch
mehr über Taſſo, als ich noch dachte. Ganz gut war’s nicht;
und warum ſollen Sie nicht erſt ganz und gar Ihres ſagen,
was doch auch nachher vorausgeſetzt werden müßte. Sie hat-
ten Recht zu ſprechen, als Reiner und Geſcheidter. „So hat
der Tempel dich bewahrt,“ Marwitz! Aber die Dame hat
Unrecht; iſt nämlich unvorſichtig, höchſtens kindiſch; — be-
ſchämen oder ennuyiren muß man, wo möglich keinen, mit
dem man weiter zu leben gedenkt. Mit dieſer Sentenz zur
[566] künftigen Ehe Ihre Sie liebende „Furie.“ Denken Sie ſich
einen unterwürfigen Ton und eine Art Verneigung dazu.
Eh ich nun weiter ſchreibe, muß ich Ihnen nur noch ſa-
gen: beurtheilen Sie mich nur nicht nach dieſem Briefe; denn
der Gedanke, zu Ihnen zu ſprechen, die That ſelbſt, belebte
mich ſchon, ich bin aber wirklich wie ich mich zu Anfang ſchil-
derte und benannte, holzartig, und verſtockt; ſchon ganz über-
drüſſig jeder Agitation, da ich mich ganz ohne den geringſten
Erfolg ſchon ewig und in aller Ewigkeit appaiſiren muß. Daß
Redtel es nicht im Ernſte meint, wenn er mir Sie lobt, das
kann ich noch nicht glauben. Und nun an Ihren Brief, der
geleſen und beantwortet werden ſoll! Erſte Antwort! Ich
bitte Sie inſtändigſt, ſchonen Sie ſich! laſſen Sie ſich nicht
von Ambition und nicht von Ennui zu Arbeiten treiben, die
Ihre Organiſation, die im Ganzen angeſprochen ſein will, nicht
duldet: ich weiß wohl, daß Sie sage ſind; aber verſuchen Sie
auch nicht — dies thut man immer — zu viel. Ich habe mir
den grauſamſten Nervenzuſtand, vorgeſtern Abend mit Leſen
gemacht, der noch dauert. Im Kopf nämlich. Ich probire
auch. Zweite Antwort. Es kann erſt nach ein paar Kriegen
neuerer Art kommen, daß die andern Leute eben ſo gut aus-
ſehen, als die Offiziere. Der Deutſche hält nichts auf ſeine
Perſon, und fürchtet zu affektiren; nur das Militair konnte
dazu en corps, wie zu einer Pflicht, gezwungen werden, da
rottete Zwang die Scham aus, weil ſie ſich doch ſagen konn-
ten: „Ich und die Kammeraden müſſen — gradegehen, ſo und
[567] nicht anders grüßen, uns ernſt und würdig darſtellen, dieſe und
keine andere Manier haben.“ Bei dieſem geübten Äußern
können die leicht gut ausſehen; und nur erträgliche Gemüths-
eigenſchaften, eine gute ſchimmert da ſchön durch, und zeigt
ſich bequem. Die guten Civiliſten hingegen, wenn ſie durch
Uniform neben jene Klaſſe gehoben werden, müſſen zwiefach
verlieren, weil man dann gar durch den ſcheinbaren Rock und
die ſcheinbare Reglung aufmerkſam gemacht wird, und jenes
regelmäßige gewandt-ſtolze Betragen erwartet, ohne befriedigt
zu werden, und aus übler Laune dann in die gute kommt,
ſie recht lächerlich zu finden. Bei uns haßte ich alle Unifor-
men, die nicht militairiſch waren, von je. Frau von Hüner-
bein lieb’ ich, weil ſie gefallen will und gefällt, und fabelhaft
unbefangen und aufrichtig in manchen Dingen; und ſehr gut.
Machen Sie die Bekanntſchaft von Frau von B., über die
Sie mir ganz excellent ſchreiben. Und mir das völlig vor die
Seele bringen, was ich äußerſt dunkel und verwirrt von ferne
fühlte und ſah. Dies war es doch eigentlich, was mich nicht
zwang zu ihr hin zu gehen; ich ſah wohl, ſie war hübſch,
aber kein großartiger Reiz wußte mich zu zwingen. Unterſu-
chen Sie ſie recht; da ſie ohnehin hübſch und liebenswürdig,
aimable, iſt. Dritter Punkt. Ich kenne den Komödienſaal in
Potsdam, wenn es nämlich der iſt, wo die Logen ſind: mir
gefällt er; und glauben Sie, wenn man nicht eine beſondere
Avantüre hat, ſo iſt es gut, wenn eine doch nur mittelmäßig
große Ballgeſellſchaft in Einen Saal gepreßt iſt, wenn man
auch dadurch in Winkel gebannt wird. Gedränge iſt der Haupt-
charme, und zerſtreut ſich erſt eine ſolche Geſellſchaft, die doch
[568] aus Bekannten beſteht, ſo iſt ſie auch aufgelöſt und gar nichts.
Vierter Punkt. Wiſſen Sie, warum man Ihnen den Menſchen
ſo lobte, hinter dem Sie nichts fanden? Sie ſagen es ſelbſt:
„Ein Menſch, der ohne große Eitelkeit und ohne Heuchelei be-
ſtändig wichtige und herzliche Mienen macht, während gar
nichts in ihm vorgeht.“ Mienen, und das Äußere ſcharf auf
das Innere zu beziehen, verſtehen die wenigſten Menſchen in
der Welt; von den darſtellenden Künſtlern nur — Gott! wie
wenige; und dieſe werden, wiſſen Sie, auf den Galerien wie-
der nicht verſtanden, und ſolche bewundert — nämlich mit
Aufrichtigkeit — die, wie Ihr guter Herr, wichtige, herzliche
Mienen machten, wo nichts dahinter iſt. „Preiſen“ thut die
Welt gern die, die ſie ohne weiteren Schaden und Inkommo-
dität loben kann, die nichts verlangen von ihr, nichts ſind,
und in ihrer Sprache loben und tadlen, und worauf ſie doch
bequem, wenn auch ohne Überzeugung, ihre Faullenzer-Hoff-
nungen ſchieben kann. Jedoch haben Sie Recht, ganz zu er-
gründen, wie es übereinander geht, und die geſellſchaftlichen
Urſprünge, das geht nicht! — Fünfter Punkt. Das Bild der
todten Königin iſt von den wenigen in der Welt, die ich be-
ſitzen möchte. Und nicht nur weil es unſere Königin iſt, und
mich ſo erſchüttert hat. Sondern weil ich es meiſterhaft finde,
der ganze Horror des Todes ohne ſeinen Ekel! Sanft und
ſchrecklich und mit Liebe berührt es uns, denn es iſt noch ſchön!
Und durchaus die größte, genauſte Ähnlichkeit; bei weitem
der Königin beſtes Bild. Dieſe Ähnlichkeit der geſchloſſenen
Augen! Man muß ſie tauſendmal genau angeſehen, ſtudirt
haben, um es zu wiſſen. Wie freue ich mich, daß wir auch
[569] hierin übereins ſind! Grüßen Sie Ternite von mir. Sie ha-
ben über ihn erſchöpfend Recht. Sechſter Punkt. Über das
Landrecht ſind Sie eben ſo erſchöpfend. Ich wußte aber,
daß es als Flicke gemacht worden iſt, und alſo eine ſein muß.
Ich bin überzeugt, daß das Alte Blatt vor Blatt vorgenom-
men worden iſt, und ohne überhauptige Rück- oder Anſicht
nach der nächſten Bequemlichkeit geändert worden, aber daher
auch zum Gebrauch, zur Anwendung der Ausſprüche, höchſt
unbequem iſt, wie denn die Welt empfindet und ſchreit. Sie-
benter Punkt. Ich danke, daß Sie meinem Gebot leben, und
nichts zurückhalten von dem, was Sie mir einmal geſchrieben
haben. Bleiben Sie dabei! Ich laſſe Ihnen auch ein Fenſter
an mein Herz machen. Hier ſchicke ich Ihnen vielleicht wirk-
lich eine „Menge glühender Kohlen“ auf Ihr „hübſches
Haupt“ — Sie wiſſen doch, daß ich Ihre klare Haare ſo
liebe. Nur geſchrieben über die Propyläen! Und auch von
Ariſtoteles ſeiner Politik. Schonen Sie ſich! Sie ſchreiben,
Sie ſind ſehr verdutzt, ich auch. Harſcher kam ganz radiant,
Sch’s hätten mich ſehr liebenswürdig gefunden — ich kann
mich ſchlechterdings nichts beſinnen, als daß ich viel ſprach
und mich ziemlich amüſirte, und ſie bis halb 1 Uhr blieben.
Mad. Spazier war auch da — und will heute Abend kom-
men. Ich ſagte Ja. H. ſagte ganz ingénument: „Waren
Sie noch krank? ich glaubte nicht, daß es was wäre.“ Ich
erzählte ihm, ja. Ich balge mich nicht mehr mit den Men-
ſchen. Denke aber, wie ich Ihnen ſchreibe. Man frug mich
auch geſtern nach Ihnen. Auch heute H. Schreiben Sie
mir! welchen Tag Sie kommen. Ja, Lieber? o! ja. Adieu.
[570] „Deine dich ewigliebende Schweſter“ (oder Bruder) iſt bei
uns aus Ironie Mode.
R. R.
An Varnhagen, in Prag.
und der 15. December 1811.
Um 11 Uhr erhielt ich deinen Brief, ich war eben aus
dem Bette geſtiegen, (weil meine Nächte noch ſchlaflos, und
meine Tage eben nicht beſonders der Mühe werth ſind, daß
ich es mit Muth verlaſſen könnte, du ſollſt ſchon verſtehen,
wie ſo das;) als mir Dore deinen Brief überreichte. O! mein
lieber, in gewiſſem Sinne, einziger Freund! hätten doch alle
die guten Gefühle, die Gefühle der ernſteſten, wahreſten Freund-
ſchaftsliebe, die des Beifalls, der Vorſätze, der Anhänglichkeit,
kurz die ganze Liebe mit all ihrem Inhalt, ſich zu Papier
ſetzen wollen, die mir dieſer Brief ablockte! Als es klingelt,
dacht’ ich: ein Brief von Varnh.; und er war es! Wer mich
nicht warten läßt, und in keiner Liebe mich täuſcht, biſt doch
du. Wenn’s wirklich drauf ankömmt. Wiſſe auch du, daß
als ich keinen Brief, und keinen Brief von dir bekam; ich
wohl fühlte, du könneſt meinen reproche — nicht Vorwurf,
nicht Verweis, beides aber — anders noch genommen haben,
als er aus mir hervorging, und der Gedanke bildete der Sehn-
ſucht das Thor. Ich dachte: zeig’ es ihm, wie du doch von
ihm denkeſt, wie er bei dir ſteht; und an wen ſich deine Seele
wendet, wenn — ſie ſich überlegt hat, und ſieht, und fühlt
wie allein ſie iſt, und was auf der Welt ihr bleibt. Nein,
[571] dies Glück, daß ich einem Menſchen ſo wichtig als dir gewor-
den bin, ſoll mir nicht umſonſt begegnen, muthig und klug
will ich’s ergreifen, was mir noch ein Gnadenblick der Götter
gönnt. Das Größte, der größte Beſtandtheil zum Größten,
iſt mir ja in dir, in deiner Liebe dargeboten; ich nehm’ es an.
Wahr darf ich ganz mit dir ſein, mich ganz zeigen, wie ich mich
mir nur ſelbſt zeigen kann, und du liebſt mich doch. Ich
habe den verſtändigſten Freund; und frei ſollſt auch du in
allen Dingen bei mir ſein, und bleiben. Zuſammenleben wol-
len wir aber. Und auch meinem Onkel zu ſagen, wie ich von
dir denke, wie wir ſtehen, wie du von mir denkſt, bin ich ge-
ſonnen. (Dieſer Brief kann nur wieder, was er enthält, kurz
berühren: ich kann noch nicht gut ſchreiben.) Donnerstag
vor acht Tagen bekam ich Nervenanfälle, wie ich ſie nie hatte.
Zittern und Dröhnen im höchſten Grade: ich wurde gehal-
ten, ſprach im Anfang unaufhörlich; von halb 10 ging’s
an, um halb 4 Nachts lief Line zu Nettchen; Böhm, den ich
jetzt haſſe, der Lüge wegen, wollt’ ich durchaus nicht. Oft
konnt ich nicht ſprechen, mein Geſicht grimaſſirte. Ich rief
nach dir: und in Augenblicken, wo mir Zunge und Gaumen
kalt wurden, und das Gehirn aufhören wollte, dacht’ ich zu
ſterben. Ohne Angſt. Vorher in der Nervenangſt hatte ich
gräßliche: aber noch nicht ſolche, wie ich ſchon genoſſen habe.
Als Line weg war, kam das Dröhnen auf’s Äußerſte! Die
Zunge wurde nach einiger Neigung zum Erbrechen — welches
wohl an vierzehnmal geſchah — ganz kalt; Zittern und
Dröhnen hörten plötzlich auf; ich ward wie müde; glaubte,
ſo ſtirbt man, und ſagte zu Dore: Grüß Varnhagen! weil
[572] ich mehr nicht ſagen konnte, mir alles bei dachte: und meinte,
du und die Andern müßten ſich auch alles bei denken. Da
trat Nettchen herein; ich kam zu mir, ſprach und bewirthete
ſie gleich. Sie ging bald, ich ließ mir endlich Thee geben,
und die Mädchen zu Bette gehen, gegen 7 ſchlief ich ein.
Den ganzen Tag ſchlief ich krankhaft, mit einem Nebel um’s
Gehirn; ich trank ſchwarzen ſtarken Kaffee um es zu bändi-
gen; kam in Agitation; heilte mich langſam mit Stillliegen
und Limonade. Töne konnt’ ich nicht ertragen. Leſen, und
Töne und Schreiben noch ſchwer. Ich gehe aus. War vor-
geſtern zum erſtenmal in Taſſo von Goethe; war dieſen Mor-
gen bei Markus, der unpaß iſt, und auch beſſer. Ich zog
mich erſt an, und machte den Beſuch bevor ich dir antwortete,
weil das Leſen deines Briefes mich zu ſehr angeſtrengt hatte.
Das Buchſtaben ziehen affizirt mich ſehr. Alſo verzeih die
Trockenheit des Briefes, er ſoll vor Tiſche fertig, weil er vor
7 auf die Poſt muß, und ſoll heute fort, damit du ihn, Lie-
ber, Guter, Geliebter, — eigentlich cher amant! — geſchwind
bekommſt. Ich kurire mich ſelbſt; und bin ſehr wider das
Kuriren, nicht wider Ärzte, noch ihre Wiſſenſchaft und Kunde.
Wie man aber gewöhnlich kurirt, iſt zu unſinnig, ja gefähr-
lich. Ein Arzt muß mich kennen, überſehen, oft ſehen, und
vom Gang meines Innren wiſſen. Böhm ſieht mich nie.
Meine eigne Elaſtik muß mir helfen, oder mich tödten. Die
Eſel können, habe ich erfahren, beides nicht. Meine Krank-
heit war rheumatiſcher Reiz, auf Drüſen und zerſtörte über-
reizbare Nerven, herabgeſtimmt vom Töplitzer Baden, und
vom Stagniren des höchſten Organs, des Herzens. Dies hat
[573] zu viel gelitten: und leidet zu viel, es muß der Zugwind der
Freude hindurch, des Reizes! Es liegt gefangen, und beleidigt
da! Das geht wohl vor den groben Augen der ſtupiden
plumpen Prätendenten! — aber Natur und ihr Werk läßt
ſich nicht umgehen, ſie nimmt ihr Wort zurück, wenn’s auf’s
Äußerſte kommt. Das iſt der Tod und arge Krankheit. Er-
ſchrick dich nicht! Ich geneſe noch oft! Und dein Daſein,
die Hoffuung, das Beſtreben mit dir zu leben, erhält mich. —
Gieb dir Mühe hierher zu kommen! Ich bitte dich! —
Marwitz war Dienstag hier, ich werd’ ihn grüßen. Ich bin
in allen Dingen ſeine Verwalterin, er zeigt mir alles was er
ſchreibt, ſchreibt mir alles was er lieſt; kurz, die größte edelſte
Freundſchaft: mit mir iſt er nicht ſtolz. Sondern wie mein
Kind; wie ein liebes Kind. H. war geſtern Abend bei mir.
Er hat nichts Großes in der Seele. Wie iſt Graf Bentheim?
frug er mich geſtern, denn durch ein Wort denkt er jede Kennt-
niß und Kunſt beim Schopf zu kriegen, und will mir meines
beſonders abfragen. Ich ſtrömte in des Grafen Lob, und
ſagte, ich hätte lange keinen Mann geſehen, der mir ſo ge-
fiele; und auch ſeine Perſon. Zum Verlieben. Übrigens aber
iſt mein Gemüth ſo ſehr von Bentheims überzeugt, daß ich
in jeder wichtigern Sache mich, meine Ehre, und mein Glück,
ihm ganz anvertraue; das iſt aber nicht genug; ich traue ſei-
ner Seele auch jedes feine Verſtändniß einer andern feinen
Seele zu, und find’ ihn mir in Blick und Gefühl ohne Mühe,
unwillkürlich natürlich verwandt und lieb. Sag’ ihm, ich
wäre ſeine wahre Freundin, und er ſolle das nicht kühn fin-
den; denn man hätte keine andern Freunde am Ende, als die
[574] einen lieben können; und das konnt’ ich gleich, wie ich ihn
ſah; der erſte Eindruck iſt aber nur ewig wahr, und richtig.
In meinem Schlafzimmer hab’ ich Prinz Louis Ferdinands
Büſte, und trotz dies mein geliebter verlorner Freund iſt, ſo
iſt mir die Büſte doch auch wegen des Grafen Ähnlichkeit
lieb; und dies iſt ſehr viel! Ich weiß aber, Louis ſelbſt wäre
damit zufrieden. Dies lies ihm alles. Ja ſogar ſeinen Bru-
der hab’ ich durch ihn lieb, der leiſen, doch verbreiteten Ähn-
lichkeit wegen. Sag’ dem Grafen, wie ich jetzt nicht ſchreiben
kann; mir es aber vorbehalte; wie erfreut ich von ſeinem
guten Gruß bin, und daß er mir noch wohl will. Bleiben
wir leben, ſo entgeht er uns nicht: wir leben noch viel mit
ihm. Ich nehme an allem, was ihn betrifft, den regeſten
Antheil. Dem Geheimrath Wolf werde ich das Blättchen mit
ein paar Worten ſchicken. Dienstag Abend, grad als Marwitz
kam, mußt’ ich hin zu ihm zu einem Thee, wo Woltmanns
waren: ziemlich tiède, aber doch natürlich alles: ich noch mehr
todt als lebendig. —
Mir gefällt der Vorfall mit Goethen und dein Schreiben
an ihn. Wenn er wiſſen will, wer die Verfaſſer ſind, mich
kannſt du nennen! und alle meine Türpitüden! — wie Gentz
mir einmal ſchrieb, ich ſchriebe Briefe, wo die Blüthen und
Früchte drin liegen, mit ſamt den Wurzeln und der Erde
dran aus dem Boden gezogen. Und Würmchen. Dies iſt
meine Türpitüde. Mir liegt gar nichts dran, ob es gedruckt
wird: wenn Goethe es nur geſehen hat; er nur weiß, welche
bewußte Liebe für ihn ſchon mit ihm zugleich lebt. Wie ver-
göttert er in Deutſchland, in Berlin wird. Das Publikum
[575] hat ihn in ſeinen Schriften, und die, die ihn nicht mit Herz-
ſchlag und allen Sinnen verehren, hegen, ewig zu ihrem eig-
nen Erſtaunen und Freude immer von neuem lieben, die wer-
den doch die Andern nicht verſtehen, die das manchmal von
ſich geben mußten. Ich hab’ ihm ſeit drei Wochen, wo Taſſo
zum erſtenmal gegeben wurde, alle Tage anonym ſchreiben
wollen. Auch Krankheit hielt mich ab; dort wurd’ ich es.
Ein einzig Publikum, Leute mit Büchern ſitzen und hören’s
da. Junge Offiziere, geſpannt wie bei Schlachten, ſtehen und
horchen. Meine Wonne! Es mußten achthundert Men-
ſchen Goethens Götterworte hören und in die Seele einnehmen.
Es wurde weit beſſer geſpielt, als man je denken ſollte. Das
Ganze war von tiefer Wirkung, und herzzerreißend bei der
Kataſtrophe. Referire mir ja von Goethe. Gott! wie verab-
göttre ich den immer von neuem. Gottlob, daß du ſein Le-
ben geleſen haſt. Wie weint’ ich im Taſſo bei jeder Stelle;
wie der Souffleur im Meiſter; aus Schönheit. Wie Taſſo
das Gedicht giebt; welch ein Moment! die Fürſten wie edel,
wie einſichtig. Welche Lehre, wie großartig! Ich höre nicht
auf! —
Man muß ſich von weitem nicht ſchelten: man verſteht
ſich dann noch weniger, als in der Nähe! Alſo — halten
wir uns an die Folge all dieſer Schelte. An deine und meine
Liebe. Ich umarme dich aus Herzensgrunde! und ermuntere
dich zu jedem, was dich mir näher bringt. Ich drücke dich
in Liebe an mein Herz. Leb’ vergnügt! Ich habe beinah
kein Vergnügen. Die Bekanntſchaft mit Gräfin Pachta freut
mich äußerſt. Sag’ ihr, wie ich von ihr denke. — Von der
[576] Pachta haſt du mir ſehr gut geſchrieben; wie denn dein ganzer
Brief ſehr gut iſt. Für deine Liebe aber kann ich dir nur mit
meiner danken, und mit der Einſicht über das Glück, von ei-
nem Menſchen geliebt und eingeſehen und getraut zu ſein.
Schwache Worte! Du, der du ſo wenig lieben kannſt, liebſt
mich! aber dein Sinn bedurfte derber Speiſe. Ich verſtehe
dich. Und das — liebe ich in dir. Lebe wohl! Ich mag auf
vieles nicht geantwortet haben; mit den erſten Kräften, künf-
tig. Mir hat Barnekow, Goſchitzki, und auch Fouqué wieder
geſchrieben; denen ſoll ich nun allen antworten! — Es wird
ſchon ganz dunkel. Adieu Lieber! Ich ſeh dich an. Nicke dir!
Deine treue — trotz Sturm und Schelte — die dich liebt und
kennt. R. Deine Bekanntſchaft mit Gräfin Pachta freut mich
weit mehr, als ich es geſchrieben habe; ganz überaus.
An Alexander von der Marwitz, in Potsdam.
Sonnabend Vormittag halb 12 Uhr.
— Geſtern aber hätte ich Ihnen doch geſchrieben, wenn
mich nicht Heinrich Kleiſt’s Tod ſo ſehr eingenommen hätte.
Es läßt ſich, wo das Leben aus iſt, niemals etwas darüber
ſagen; von Kleiſt befremdete mich die That nicht; es ging
ſtreng in ihm her, er war wahrhaft, und litt viel. Wir ha-
ben nie über Tod und Selbſtmord geſprochen. — Sie wiſſen
wie ich über Mord an uns ſelbſt denke: wie Sie! Ich mag
es nicht, daß die Unglückſeligen, die Menſchen, bis auf die
Hefen leiden. Dem wahrhaft Großen, Unendlichen, wenn man
es
[577] es konzipirt — kann man ſich auf allen Wegen nähern; be-
greifen können wir keinen; wir müſſen hoffen auf die gött-
liche Güte; und die ſollte grade nach einem Piſtolenſchuß ihr
Ende erreicht haben? — Unglück aller Art dürfte mich berüh-
ren? Jedem elenden Fieber, jedem Klotz, jedem Dachſtein,
jeder Ungeſchicklichkeit ſollte es erlaubt ſein, nur mir nicht?
Siechen auf Krankheits- und Unglückslagern ſollt’ ich müſſen,
und wenn es hoch und ſchön kommt, zu achtzig Jahren ein
glücklicher imbécille werden, und von dreißig an ſchon mich
ekelhaft deterioriren? Ich freue mich, daß mein edler Freund
— denn Freund ruf’ ich ihm bitter und mit Thränen nach —
das Unwürdige nicht duldete: gelitten hat er genug. — Kei-
ner von denen, die ihn etwa tadeln, hätte ihm zehn Thaler
gereicht; Nächte gewidmet, Nachſicht mit ihm gehabt, hätt’
er ſich ihm nur zerſtört zeigen können. Den ewigen Kalkul
hätten ſie nie unterbrochen, ob er wohl Recht, ob er wohl
nicht Recht zu dieſer Taſſe Kaffee habe! Ich weiß von ſei-
nem Tod nichts, als daß er eine Frau, und dann ſich erſchoſ-
ſen hat. Es iſt und bleibt ein Muth. Wer verließe nicht das
abgetragene inkorrigible Leben, wenn er die dunklen Möglich-
keiten nicht noch mehr fürchtete; uns loslöſen vom Wünſchens-
werthen, das thut der Weltgang ſchon. Dies von denen, die
ſich nichts zu erfreuen haben; forſche ein jeder ſelbſt, ob es
Viele oder Wenige ſind. —
Anmerk. Heinrich von Kleiſt hatte kurz vor ſeinem Tode folgenden
Zettel an Rahel geſchrieben:
„Obſchon ich das Fieber nicht hatte, ſo befand ich mich doch, in Folge
deſſelben, unwohl, ſehr unwohl; ich hätte einen ſchlechten Tröſter abge-
I. 37
[578] geben! Aber wie traurig ſind Sie in Ihrem Brief — Sie haben in Ih-
ren Worten ſo viel Ausdruck, als in Ihren Augen. Erheitern Sie ſich;
das Beſte iſt nicht werth, daß man es bedauere! Sobald ich den Steffens
ausgeleſen, bringe ich ihn zu Ihnen.
Ihr
H. v. Kleiſt.“
An Varnhagen, in Prag.
Vorgeſtern beim Beſcheeren dacht ich an dich, und wußte,
daß du an mich dachteſt! — Aber weg mit dieſen alltäglichen
Erinnerungen — ſagt Hamlet. Seit Goethens Brief vor mir
liegt. Wie eine Überſchwemmung iſt es über mich gekommen:
ein Meer iſt alles; und es muß ſich erſt jedes nach und nach
daraus bilden. Ob ich dir danke — du weißt es; du wirſt
es erfahren. Du weißt, ob ich eitel nach Beifall ſtrebe, den
ich mir nicht ſelbſt gebe; ob ich große Bemühungen anſtelle,
um gelobt zu werden. Aber meine wirklich namenloſe Liebe
und bewundernde Verehrung dem herrlichſten Mann und Men-
ſchen Einmal zu Füßen legen zu können, war der geheime,
ſtille Wunſch meines ganzen Lebens, ſeiner Dauer und ſeiner
Intenſivität nach. In Einer Sache hab’ ich meinem tiefſten
Innerſten gefolgt, mich von Goethe ſcheu zurückzuhalten. Gott,
wie recht war es! Wie keuſch, wie unentweiht, wie durch ein
ganzes, unſeliges Leben durchbewahrt, könnt’ ich ihm nun die
Adoration in meinem Herzen zeigen. Durch alles, was ich je
ausdrückte, geht ſie hindurch, jedes aufgeſchriebene Wort
beinah enthält ſie. Und auch er nur wird es mir anrechnen
können, wie ſchwer es iſt, ſolche liebende Bewunderung ſchwei-
[579] gend ein ganzes Leben hindurch in ſich zu verhehlen. Wie
beſchämt ſchwieg ich vor zwei Jahren, als Bettine mir einmal
als von dem Gegenſtand ihrer größten Leidenſchaft feurig und
ſchön in dem von Herbſtſonne glänzenden, ſtillen Monbijou
von ihm ſprach! Ich that, als kennt’ ich ihn gar nicht. So
ging’s mir oft; ein andermal ſchwatz’ ich wieder. Du kennſt
es. Jetzt muß es Marwitz aushalten. Alle unſere Geſpräche
fangen mit ihm an, und hören mit ihm auf. Nun wieder
ſein Leben. Die Propyläen las mir Marwitz geſtern vor. Und
ſo geht es immer weg mit ihm: urtheile, da du mich ganz
kennſt, wie ſich meine Seele freut, daß er weiß, wie man ihn
liebt; und er weiß es nicht. Alles müßt’ er ſehen, wiſſen,
hören. Nenne mich nur, wenn du willſt. Er wird ſich zwar
doch unangenehm wundern, daß es eine ſo nichtsbedeutende
Perſon iſt; in Welt und Litteratur. Aber mein’ ganzes menſch-
liches Sein ihm darzulegen ſcheue ich mich nicht; und bin
daher nur halb verlegen, daß ich es nur bin. Vor allen Din-
gen muß der Mann nicht mehr rathen, und ich ſtünde lieber
als der größte Plöter da, als ihn wie vor einem Räthſel zu
ſehen. Du kennſt meinen gränzenloſen Haß gegen Räthſel,
Errathen u. dgl. Nein, welch einen Goethiſchen, allerliebſten
Brief er dir ſchickte! Der iſt wohl klug! Ich gönne dir die
lieben himmliſchen Worte. Wie gütig! So gütig, glaub’
ich, hat er noch nicht geſchrieben an unbekannte Leute. Ich
danke dir auch recht umſtändlich und ausführlich. Wie froh
ich aber bin, daß das Büchelchen erſt unter dem Schutz ſei-
ner Beurtheilung erſcheinen ſoll, das glaubſt du nicht! Du
weißt, ich traute dem Dinge nicht gar ſehr; und war ſchon
37 *
[580] zufrieden, daß er erführe, wie geliebt, wie geehrt er iſt; und
nun findet er es gar thunlich, ich glaubt’ es nicht. Nun wird
es aber gewiß ganz ſchicklich. Von „Wohlwollenden“ ſpricht
er! In ſeinem Leben ſchon entzückte mich das beſcheidene tiefe
Wort bis zu Thränen; Marwitz mußte es gleich auch finden.
Freilich Wohlwollende! Und nun ſchreibt er dir gar Wohl-
wollende. Ich halt’ es nicht aus! Gerne gebe ich ihm, was
er nur von dem Buchſtaben G zu ſehen wünſcht; wühlte ihm
das tiefſte Herz auf, ſpannte alle Reſſorts des Gedächtniſſes.
Aber wie ſoll ich unter den Briefen wählen? Sie noch leſen
iſt gräßlich. Wenn du ſie hätteſt, könnteſt du ihm alles zei-
gen, und was er nur wiſſen möchte. Leg mich ihm huldigend
wie dem größten Fürſten zu Füßen.
Nach dieſem herzberührenden Glück mußt’ ich gleich den
Tod des Kindes leſen. Sag Joſephinen, ich möchte ſie in
meine Arme ſchließen. Ich habe hier mit ihr geweint, bin
hier mit ihr erſtarrt. — Lieber Varnhagen, tröſte ſie ja! ſtehe
ihr recht bei. Eigentlich meine beſte Freundin, meine verehr-
teſte. Liebe beſte Joſephine, ich weine, und umarme dich.
Liebe, Arme! Wie hart! —
Heute muß ich aufhören. Es iſt 12. Leb wohl, und wiſſe
mich ewig deine Freundin, weil ich wahr mit dir ſein kann.
Adieu, Guter, Ehrlicher, gegen mich! —
Anmerk. Cotta hatte gewünſcht, daß einige vorzüglich Goethe’n
betreffende Briefſtellen, bevor ſie gedruckt würden, zu Goethe’s Kenntniß
gelangen möchten. Sie waren ihm demnach von mir zugeſandt worden.
Rahels Name war durch G. bezeichnet. Er hatte Folgendes geant-
wortet:
[581]
„Zu einer Zeit, da ich im Begriff ſtehe, mir und Andern von meinem
Leben und meinen Werken Rechenſchaft zu geben, konnte mir wohl nichts
erwünſchter ſein als zu vernehmen, wie ſo bedeutende Perſonen, als jene
Korreſpondenten ſind, aus deren Briefen Sie mir gefällig Auszüge mit-
theilen, über mich und meine Produktionen denken. Dieſe beiden Wohl-
wollenden machen ein recht intereſſantes Paar, indem ſie theils überein-
ſtimmen, theils differiren. G. iſt eine merkwürdige, auffaſſende, ver-
einende, nachhelfende, ſupplirende Natur, wogegen E. zu den ſondernden,
ſuchenden, trennenden und urtheilenden gehört. Jene urtheilt eigentlich
nicht, ſie hat den Gegenſtand, und inſofern ſie ihn nicht beſitzt, geht er
ſie nichts an. Dieſer aber möchte durch Betrachten, Scheiden, Ordnen,
der Sache und ihrem Werth erſt beikommen, und ſich von allem Rechen-
ſchaft geben. Merkwürdig iſt es mir, daß zuletzt E. mehr an G. heran-
gezogen wird, eine Wirkung, welche dieſe letztere Natur nothwendig gegen
denjenigen ausüben muß, der ſie liebt und ſchätzt.
Doch was ſage ich das Ihnen, der Sie die Perſonen, ihre Verhält-
niſſe und den ganzen Briefwechſel kennen, dagegen ich mir hievon nur
ein unvollkommenes Bild aus den Bruchſtücken zuſammenbauen muß.
So ſehr ich übrigens von dem Wohlwollen dieſer Perſonen und von
der Theilnahme an mir gerührt bin; ſo wünſchte ich doch, wo nicht die
ganze Korreſpondenz, doch größere Auszüge daraus zu ſehen, theils um
mir ein deutlicheres Bild von den Individualitäten zu machen, und das
allzu Schroffe dieſer Fragmente hie und da mehr ans Leben geknüpft zu
ſehen, theils auch über Mitlebende und kürzlich Abgeſchiedene ihre Ge-
ſinnungen zu vernehmen, wie mir die Stellen über Jean Paul, Heinſe,
Johannes Müller, ſehr merkwürdig geweſen ſind. Vielleicht können Sie
in der Folge mir noch eins und das andere mittheilen.
Was den Druck betrifft, ſo laſſen Sie mich darüber noch denken. Es
ſind ſo wenige Bogen, daß ſie auf eine eigene Art gedruckt werden müß-
ten, wenn ſie ein Heftchen machen ſollten. Irgendwo in einer Samm-
lung ſtänden ſie wohl am ſchicklichſten, aber freilich, in welcher? Doch
das eben wäre zu bedenken. Ich verwahre das Manuſkript ſorgfältig,
und wenn es nicht gedruckt würde, erhalten Sie es wieder. Vielleicht
habe ich das Vergnügen Ihnen bei meinem nächſtkommenden Aufenthalt
in Karlsbad zu begegnen, und für das mir geſchenkte Vertrauen aufrich-
tig zu danken.
Mich Ihrem gewogenen Andenken beſtens empfehlend
Goethe.“
[582]
An Fouqué, in Nennhauſen.
Eine gedehnte Unpäßlichkeit, die mir grad das Schreiben
unmöglich machte, hielt mich ab, Ihnen zu antworten, welches
mich recht peinigte, weil ich mich mehr als je gedrungen dazu
fühlte. Ich bin noch nicht ſchreibefeſt, Sie müſſen alſo nach-
ſichtig vorlieb nehmen!
Sie haben ſchon richtig gefühlt und gewählt: ich bin
wohl Ihres Zutrauens werth. Was Sie in Ihrer Seele er-
wägen, und mir die Ehre erzeigen darzulegen, erwäg’ ich mit,
und mit einem Ernſte, als wäre es für meine eigene Seele:
wie es denn auch iſt. Ich fange damit an, mit Ihnen darin
übereinzuſtimmen, daß die beiden Theile Ihres Briefes ganz
und gar nur zwei Theile eines Ganzen ſind, und alſo gewiß
zuſammengehören: nur muß ich, meinem Triebe nach, auf den
zweiten zuerſt antworten.
Wie können Sie nur glauben, daß irgend ein Menſch —
nicht „ich“ — wie Sie zu mir ſprechen, „eine Kraft, eine
Klarheit“ in ſich habe, die ihn über „die ſchrecklichen Ab-
gründe“ empor hielte? er ſchwebte ja doch nur! und iſt das
der forſchenden Seele genug? Kann irgend eine Philoſophie,
ein Denken, uns über uns — die Gränze unſers Seins —
hinaus bringen? Müſſen wir uns nicht auf Gnade und Un-
gnade ergeben? Einem perſönlichen Weſen, von dem uns
das moraliſche Daſein (ich bin gräßlich von einem Kinde ge-
ſtört worden, welches ſeine Lektion bei mir macht!) ganz und
[583] untheilbar und unzerſtörbar überkommen iſt, wie die ſichtbare
Welt, in deſſen Schooß wir flüchten, und dem wir ein tau-
ſendfach entzündetes Herz gezwungen ſind zuzutrauen, wovon
ein glimmendes Fünkchen auch unſer Daſein ausmacht? Ein
großes Urherz worauf ſich unſeres bezieht.
Der Menſchen Gedanken können weit ſchweifen; und ſich
in engem Kreiſe, und in der Tiefe verwirren. Das wiſſen
auch Sie, aus Beobachtung und eigner Bruſt. Davon kann
man „lernen, die Mitmenſchen nachſichtig, und ſich ſelbſt ſtrenge
zu betrachten.“ Jedem ächten Menſchen traue ich das zu;
man hat ſich ja gar nicht, wenn man ſich nicht ſtreng faßt;
man hat keinen Andern, wenn man ihn nicht mit Liebe faßt.
Daß wir uns ſelbſt lieben, dafür hat Gott geſorgt; wir kön-
nen uns nicht entkommen, ſonſt wichen wir von uns ſelbſt.
Doch haben Sie Recht; man kann täglich nachhelfen an
Strenge gegen ſich, und Nachſicht für Andere; im Kleinen
fehlt man doch! Gott ſegne Ihnen in aller Ewigkeit Ihr
Glück! die Offenbarung gefunden zu haben. Dieſe Gnade
iſt dem Geſchenk des Daſeins zu vergleichen, und iſt wie dies,
ſo poſitiv und wirklich, daß kein Wort mehr dazu paßt.
Dies Glück muß jeder, der einen Begriff davon haben, ein
Bedürfniß dazu fühlen kann, in tiefſt-unterworfener Demuth
abwarten; und mit gedoppelter Kraft, das Große auch im
Dunklen ehren. Auch eine göttliche Aufgabe, für ſeine Men-
ſchen! Ich bringe Ihnen ein großes Opfer, Fouqué! ſolche
Worte aus meiner Seele zu laſſen; ich thue es, weil ich Ih-
nen nur durch ſolche zeigen kann, wie ehrlich ich es gefühlt
habe, welche hohe Gabe von Veneration Sie mir darbrach-
[584] ten; und weil man über ſolche Dinge nicht ungewiß bleiben
muß, was aus ihnen geworden iſt, wenn man ſie ausgeſpro-
chen hat!
An „Indifferentismus“ habe ich nie gelitten. War mir
etwas indifferent, ſo wußte ich nichts davon, und es berührte
mich nicht. War mir etwas wichtig und wurmte mir, ſo ver-
hehlte ich’s wohl, aber ich verläugnete es nicht. Meine Er-
ziehung, die keine war, hat wohl dazu beigetragen. Mir
wurde nichts gelehrt; ich bin wie in einem Walde von Men-
ſchen erwachſen, und da nahm ſich der Himmel meiner an:
viel Schmutz und Unwahrheit iſt nicht an mich gekommen.
So kann ich aber nun auch nichts lernen. Auch keine Reli-
gion, und erwarte auch die von oben. Nämlich den Namen
zu meiner, oder eine neu offenbarte. („Abhängig von den
Menſchen“ bin ich nur inſofern ſie mich lieben ſollen, und ich
mit ihnen leben muß; mein Herz und meinen Geiſt kann nie-
mand als durch Gründe regieren. Ich verſtehe alſo den Aus-
druck von Ihnen nicht, wenn Sie ſagen, Sie waren ſonſt
abhängig von ihnen.) Können Sie alſo Marie’n einen poſi-
tiven Glauben über poſitive Ereigniſſe zu ihrer ewigen Ruhe
beibringen, ſo thuen Sie es. Wird es ihr aber, ohne jene
Syſteme wie Sie durchgegangen zu ſein, nützen wie es Ihnen
jetzt nützt; oder ſie davor ſchützen, daß nicht geſchieht was
Ihnen geſchah? Das ſagen Sie mir; und, kann ein Menſch
dem andern — ohne Offenbarung — ein Religionsgefühl,
Meinung, und Anſicht beibringen? Iſt das nicht der letzte
intime Akt zwiſchen der Kreatur und dem, was ich nicht nen-
nen mag? Oder wollen Sie ſie nur vor Dünkel und Un-
[585] wahrheit, und Verläugnen des Furchtbaren ſchützen? In je-
dem Fall bin ich ſchon Ihrer Meinung, daß ſie die Bibel
leſe! Wonach ich auch ſtehe; ich Waldmenſch. Ich kann
keine kriegen. Nur um Gottes willen! laſſen Sie ſie das
Große, Göttliche, Unendliche ſelbſt finden. Wie frevel-ſünd-
haft! den Menſchen nicht alle Fragen, nicht ſolche Entdeckun-
gen ſelbſt machen zu laſſen! Adieu für heute; es iſt ſchon
ganz dunkel. Morgen ſchreibe ich Ihnen noch.
Noch Eins! Aber ganz etwas anderes! Ganz! Wenn
ich ſo in das Fouqué’ſche Schreibehaus hineinſchreibe, es iſt
doch ganz ehrlich und naiv von mir! Ich weiß wohl, daß
ich Ihnen leſenswerthe Dinge ſchreibe; aber meine Worte, und
Ihre! Wie exerzirte Soldaten mit ſchönen Uniformen ſteht
alles von Ihnen da; und meine, wie die zuſammengelaufenen
Rebellen mit Knittlen! — Auch ändere ich mich nicht. Weil
ich nicht kann, ich begreife nicht, warum nicht.
Sie ſind der Erſte, dem ich dieſe Jahrszahl ſchreibe, und
nicht ohne Emotion. Jede Veränderung, wo man beitragen
ſoll, um ſie hervorzubringen, oder zu markiren, macht mich et-
was ſtutzig; gerne wünſcht’ ich Ihnen Glück; unterſtehe ich es
mich wohl? Meine Wünſche avortiren alle ſo köpflings,
daß ich ſie mit Zaubermittlen vergraben möchte; außer dem
lichten Bewußtſein meiner Seele. Darum wag’ ich — im
größten Ernſte! — nichts auszuſprechen gegen Sie; aber was
Sie am empfindlichſten glücklich machen kann, das geſchehe,
und was Sie am meiſten fürchten können, bleibe entfernt!
[586] Geſtern war ich in einer Geſellſchaft, wo man durchaus, weil
Sylveſter war, eine haben wollte, und in dem Sinne auch
mich eingeladen hatte; keiner beſaß dort mein Herz, aber für
Alle war es doch recht wohlgeſinnt. Man ſah gegen Mitter-
nacht öfters nach den Uhren, wovon meine Unruhe geweckt
wurde; bei jedemmale mehr, endlich ſchlug es 12; Alle ſtanden
mit den Gläſern auf, und wünſchten! Ich kann Ihnen die
namen loſe Trauer von mir nicht ausprechen! kaum konnt’
ich ſtehen; nur großer Jammer fiel mir ein, — an mich dacht’
ich nur undeutlich — jetzt wein’ ich auch —, zwei waren da-
runter, die dies Jahr ſchwere Krankheiten überſtanden hatten;
und ich, die Geſteinigte, ſtand auch da. An die zwei hielten
meine Gedanken ſich, und ich war die Einzige, die wahrhaft
litt, und ſelbſt die Einzige, die an die Kranken dachte: die
Eine hatte ihren Mann, der Andere ſeine Frau da. Nein!
nein! Von Glück muß die Rede nicht mehr ſein! Von nichts
mehr! Denn zu meinem eigenen Skandal muß ich über alles
weinen; aus Herzens- und Augenſchwäche; wie erbärmlich,
miséable: mir ganz verhaßt und verächtlich! Aber zu miß-
handelt wurde — wird — die Natur, aus der ich beſtand!
Nun kein Wort mehr! Auch keine Entſchuldigung: ſolche
Worte entſchuldigen, wie Geſchrei, ſich ſelbſt.
Als ich Ihnen geſtern antworten wollte, las ich natürlich
Ihren Brief noch einmal, und machte mir bei jedem zu beant-
wortenden Punkte ein Kreuz am Rand. Nun will ich mal
nachſehen! An welchen noch „Anderen“ als an Fichte wollten
Sie denn den Erwachſenen weiſen, der Chriſti Lehren erfaſſen
möchte? Der Erwachſene bin ich.
[587]
Von Prinz Louis habe ich Ihnen noch manchen Nachtrag
zu machen: alles nur mündlich; es findet ſich, wie oft, wenn
ich etwas vortrage, oder mich rechtfertigen will, daß ich das
Weſentlichſte weglaſſe. Empfehlen Sie mich auf das allerbeſte
bei Frau von Fouqué! ſie hat auch in meinem Herzen eine
ſchöne Wohnung! — wenn ſie mir aber wirklich gut iſt, ſo
bitten Sie ſie, daß ſie ſich ſchon jetzt Stunden für mich aus-
denkt, und in Beſchlag nimmt für den Berliner Aufenthalt!
Mit ſtrenger Überlegung iſt das zu machen: man muß nur
eine ſolche Zeit nicht ohne Vorbereitung über ſich kommen
laſſen. Der arme Robert boßt ſich hier, nicht wegkommen zu
können. — Da innerlich kein Menſch dem andern helfen kann,
ſo führen ſie ſich allerlei Scenen auf, wo ſie’s äußerlich ſo
vortragen, als ob das doch ſo ſein könnte; als hätten ſie die
Welt gemacht: Natur aber, wendet den großen Blick weg
von dem wimmlenden Haufen Elend; und verläßt auch ſo
ihre wenigen Getreuen, die in ihrem Vermiſſen, in ihrem Seh-
nen, die Wahrhaftigkeit, bald, als goldene Zeit, vor-, bald
rückwärts ſuchen!
Mariechen gebe ich einen Kuß über die Augen, wenn ſie’s
erlaubt. Hätte ich doch nimmer gedacht, daß ſie ſich meiner
Halsbänder noch erinnert. Ich will wieder für Unterhaltung
ſorgen; ſagen Sie ihr das!
Warum ſollte Louiſe nicht wiederkommen? Sie nicht hin-
reiſen? Ich laſſe mir das nicht einbilden. Und Sie, müſſen
es gar ſo verzagt nicht aufgeben. Einer Muſe, ſeiner Göt-
tin, iſt man die größten Wallfahrten ſchuldig: warum woll-
ten Sie ſo ſchief leben, und das nicht ausführen? Sich mit
[588] Ihrer Einbildungskraft, mit Vorſtellungen des Schönſten ab-
ängſtigen und ableben, wenn Sie das Glück haben, daß Ihre
größte für Sie geſchaffene Augenweide, nicht ſo mißgeboren,
verſunken oder gefeſſelt iſt, daß Sie allen Lebensthau mit
Ihren Augen aus ihren Blicken ſich holen können! „Nütze
deine jungen Tage!“ weil meine alle ſo zu meinen Füßen lie-
gen, und ſinken, möchte ich gerne jeden Menſchen zum Leben
wecken! — Adieu.
Gott ſchütze Sie! Rahel.
[][][][][]
- Lizenz
-
CC-BY-4.0
Link zur Lizenz
- Zitationsvorschlag für diese Edition
- TextGrid Repository (2025). Varnhagen, Rahel. Rahel. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bpmh.0