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Phantaſus.


Eine Sammlung
von

Maͤhrchen, Erzaͤhlungen, Schauſpielen und Novellen,



Dritter Band.



Berlin,: 1816.
In der Realſchulbuchhandlung.
[][[1]]

Phantaſus.
Zweite Abtheilung.
(Fortſetzung.)


III. [ 1 ]
[[2]][[3]]

Die Geſellſchaft war wieder im Gartenſaal
verſammelt. Auguſte ſchien heiter und freund-
lich, doch hatte ſie ſich ſo fern von Willibald
geſetzt, wie es nur moͤglich war, welcher mit
verdrießlicher Miene und uͤbertriebener Auf-
merkſamkeit auf den Springbrunnen nach der
andern Seite blickte. Nachdem man einige Zeit
theils geſchwiegen, theils in halber Verlegen-
heit unbedeutende Geſpraͤche angefangen hatte,
die keine Wurzel faſſen wollten, ſagte Man-
fred: es iſt zwar noch fruͤh, meine Freunde,
indeſſen wird Ernſt doch ſeine Vorleſung be-
ginnen koͤnnen, die vielleicht laͤngere Zeit aus-
fuͤllt, und uns jene Heiterkeit wieder geben mag,
die der kleine Thomas, ich weiß nicht warum,
verſcherzt hat.


Ernſt erwiederte: Wir kennen alle ein Maͤhr-
chen, welches in leichter und anmuthiger Dar-
ſtellung uns ein Gluͤck mahlt, das ſich wohl
die meiſten Menſchen mehr als jeden andern
Beſitz und Zuſtand wuͤnſchen moͤchten; dieſes
[4]Zweite Abtheilung.
Gedicht in ein vergnuͤgliches Luſtſpiel-Maͤhr-
chen zu verwandeln, habe ich ſchon vor ge-
raumer Zeit verſucht. Mich zog der reiſende
Held vorzuͤglich an, meinen Freund Friedrich
aber der leidenſchaftlich verwirrte, ſo daß wir
uns damals in die Dichtung theilten, deren
beide Haͤlften dieſe Art von Vorleſungen unter
der Herrſchaft Lothars beſchließen werden. Ich
wuͤnſche und hoffe, daß meine ſchoͤnen Zuhoͤre-
rinnen nirgend Anſtoß finden, der ſie hindern
koͤnnte, ſich der Heiterkeit zu uͤberlaſſen, von
der ich mich damals beim Ausarbeiten fuͤh-
ren ließ.


Er nahm ein Manuſkript und las.



[[5]]

Fortunat.


Erſter Theil.



Ein Maͤhrchen in fuͤnf Aufzuͤgen.


[[6]][[7]]

Erſter Akt.



Erſte Scene.

(Zimmer.)


Gratiana, Lucie.

Lucie.

Wie ich ſage; wenn die gnaͤdige Herr-
ſchaft ſo viele Dinge verlangt, ſo iſt es auch wohl
billig, daß ſie den Lohn erhoͤht.


Gratiana.

Bekoͤmmſt du nicht, wie immer?
Wird dir etwas abgezogen?


Lucie.

Seh ein Menſch! Als ich ins Haus
kam, waren Bediente hier, ein Koch, Stubenmaͤd-
chen, Kammerjungfern; und jetzt, da ich allein
Koͤchinn, Waͤſcherinn und Stubenmaͤdchen bin, und
alle Aufwartung habe, alle Gaͤnge zu thun, ſoll
ich nicht mehr kriegen, wie damals?


Gratiana.

Geh an deine Arbeit und mach'
mir den Kopf nicht warm.


Lucie.

Mir iſt der Kopf ſchon laͤngſt zu warm;
ſchmale Biſſen, elenden Lohn, und alle Haͤnde voll
zu thun, keine Minute fuͤr ſich, und ſo Sonn-
und Werkeltage: das iſt ſchlimmer, wie in der
[8]Zweite Abtheilung.
Sklaverei! — Wie ich es nur durch meine Suͤn-
den verdient habe, daß ich bei den Großthuern
hier Noth und Kummer leiden muß.

(geht ab.)

Gratiana.

Das iſt ein Elend mit dem Ge-
ſinde! Und vollends, wenn ſie Recht haben.


Theodor (tritt ein).

Gratiana.

Nun, mein geliebter Gatte?


Theodor..

Wieder nichts!
Wohin ich komme, will man mich nicht kennen.
Armuth wird mehr als Anſteckung vermieden:
Dieſelben, die mich ſonſt geherzt, gekuͤßt,
Die mir Vermoͤgen, Blut und Leben boten,
Sind jezt mit: geht's Euch wohl? — es thut mir leid,
Ein andermal — und ſolchen Reden fertig.
Noch andre thun, als kennen ſie mich nicht;
Bediente muͤſſen jene ganz verlaͤugnen;
Der reiſte uͤber Land und der iſt krank:
Graf Nimian, der ſo oft an dieſem Tiſch,
In dieſem Armſtuhl ſaß, und ſich recht gut
Den Wein und meine Tafel ſchmecken ließ,
Iſt jezt ein hoher fremder Moraliſt:
Es thut mir leid, daß man nicht beſſer haushielt,
Man wollt' es ſtets dem hoͤchſten Adel gleich thun,
Verließ die Sphaͤre, flog den falſchen Flug,
Der Haͤnfling iſt fuͤr Adler nicht geboren — —
O ich bin muͤd', gieb mir 'nen Becher Wein.


Gratiana.

Das ſind die Tiſchfreund', unſre theuren Freunde,
[9]Fortunat.
Die manches tauſend Mark, manch Landgut zehr-
ten!
Die Wichte, die mit unſerm Gluͤck erkauft ſind!
O waͤr' uns doch der Himmel nur ſo guͤtig,
Daß wir den Uebermuth, den Hohn, die Falſch-
heit,
Einſt ihnen eben ſo vergelten koͤnnten!


Theodor..

O ja, mein Herz! Wenn ich durch Gluͤck und
Fuͤgung
Doch gleich in unſerm Garten Schaͤtze faͤnde,
Uraltes Gold, daß wir's mit Scheffeln maͤßen!
Und gegen uͤber mir der Herr Graf Nimian,
Verarmt, voll Schulden, wuͤßt' nicht aus und ein,
Getraute mir nicht ins Geſicht zu ſehn,
So naͤhm' ich denn ſo hundert tauſend Mark,
Ging' zu ihm, ſagte: kann Euch das hier retten?
Da iſt's! Und ſomit fort, ohn' Dank und Quit-
tung,
Daß er ſich ſchaͤmen und bereuen muͤßte.


Gratiana.

Du bleibſt der Alte. Sahſt du nicht die Vet-
tern?


Theodor..

Zum letztenmal; das iſt noch ſchlimmer Volk;
Den Blick, den ſo ein reicher Kaufmann hat,
Wenn er verarmte Borger wittert! jedes Zwinkeln
Des Auges ſchuͤttet wie Dukaten hin,
Jedwede Mien' iſt ſchwer wie Beutel Golds,
Der Athem klingt nach Muͤnze, und man fuͤhlt
Daß die Gedanken drinn Mark Silber ſind:
[10]Zweite Abtheilung.
Nein! tauſendmal die ſchlimmer, als der Adel!
Da liegen bei dem Schwager Haufen Golds,
Man wechſelt, tauſend Stuͤck ſind abgewogen —
Was mich der Bettel doch inkommodirt!
So ruft er — fort! daß andre kommen koͤnnen!
Und hundert mir, und funfzig, zwanzig, zehn,
Verweigert er mir duͤrftgem Achſelzucken.
Das ſind die Deinen, deine Blutsfreundſchaft!


Fortunat koͤmmt herein.

Theodor..

Woher, Landſtreicher?


Fortunat.

Von der Beize komm' ich.


Theodor..

Ging's gut?


Fortunat.

Der Wind war faſt zu ſtark, der
Falk

Iſt noch zu jung. Dann war ein wildes Pferd,
Das ritt' ich fuͤr den Grafen Eglamor.


Theodor..

Das iſt auch einer von den alten Freunden.


Fortunat.

Man ſpricht davon, daß bald Turnier und Ren-
nen
Gehalten wird, der Koͤnig kommt zuruͤck.


Theodor..

O meine Hengſte! meine Hengſte! haͤtt'
Ich nur ein einzig, einzig Pferd behalten!


[11]Fortunat.
Fortunat.

Ja, Vater, faſt ſollt' man bereuen, daß
Man lebt, s' iſt wahrlich nicht der Muͤhe werth.


Theodor..

Schweig ſtill, ich habe ſchon Verdruß genug.
Am Ende — ja, um Dich thut's mir nur leid —
Groß iſt er, ſtark, nicht ohne Witz und Sinn —
Und bleibt doch immer nur ein Tagedieb.


Fortunat.

Still, Vater, Cypern iſt ja nicht die Welt,
Da draus iſt's groß und frei, wer weiß, wo noch
Mein Gluͤck mir bluͤht; ich fuͤhle Muth und Kraft,
Ich bleibe nicht wie Ihr, ſo heimiſch, ſtill
Auf einem Flecke ſitzen; und dann giebt ſich's
Wohl noch einmal, daß ich mit meinem Zuge,
Mit ſchoͤnen Pferden, Dienern, Falkenjaͤgern
Einreit'; Ihr ſteht dann vor der Thuͤr, begruͤßt
mich,
Ich tret' in's Haus, Ihr ladet mich zu Tiſch,
Und haltet mir beim Waſchen ſelbſt das Becken.


Theodor.
(giebt ihm einen Backenſchlag.)

Da nimm vorerſt den Handſchlag drauf du Bube!
Dein eigner Vater Dir, du Unverſchaͤmter,
Das Silberbecken halten, ſich vergeſſen?


Fortunat.

Schon gut, noch iſt nicht aller Tage Abend,
Und uͤber Nacht bluͤht manchem wohl ſein Gluͤck.


(geht ab.)

Theodor..

Bei alle dem recht adliche Geſinnung.
Ihm's Becken halten? Hm, ſo uͤbel nicht,
[12]Zweite Abtheilung.
Wenn er als Graf, als Herzog mal ſo kaͤme —
Ein hoher Geiſt iſt in dem dummen Jungen.
Er kennt die Welt noch nicht, wird ſchon einmal
Die wilden Hoͤrner ſich vom Kopfe rennen.


Lucie
(tritt ein).

Ich habe drinn das Eſſen aufgetragen.


Theodor..

Komm, Frau, s' iſt angerichtet.


Gratiana.

Doch, der Sohn —


Theodor..

Laß ihn, er wird ſchon kommen wenn ihn hun-
gert.


(ſie gehn ab.)

Zweite Scene.

(Marktplatz.)

Hieronymus. Valerio.

Hieronym.

Nochmals vielen Dank fuͤr Eure
Hoͤflichkeiten, die ich von Euch und Euren Freun-
den hier in Cypern genoſſen habe, wenn Ihr ein-
mal nach London kommt, will ich es Euch zu ver-
gelten ſuchen. Die Galeere, die mich nach Vene-
dig bringt, will abſeegeln, der Graf von Flandern
iſt zur Fahrt bereit, er wird gleich kommen, wenn
er ſeine Geſchaͤfte mit Eurem Freunde Ridolfo be-
endigt hat.


Valerio.

Werdet Ihr Euch vielleicht in Eu-
[13]Fortunat.
rem Vaterlande, der Lombardey, einige Zeit ver-
weilen?


Hieronym.

Ich habe diesmal keine Zeit, ich
bin laͤnger in Palaͤſtina zuruͤck gehalten worden,
und jetzt hier in Famaguſta, als ich vermuthet
hatte, und darum muß ich um ſo ſchneller nach
London eilen. Hier kommt der Graf.


Der Graf von Flandern mit Gefolge.
Ridolfo.

Graf.

Lebt wohl mein Freund. Sieh da,
Meiſter Hieronymus, der Wind hat ſich gedreht,
wir lichten in einer Stunde die Anker. Ich gehe
jetzt um nur einige Worte mit des Koͤnigs Mar-
ſchall zu ſprechen, und bin dann bereit.


(ab mit Gefolge.)

Valerio.

War der Handel gut.


Ridolfo.

Nicht ſo gar, der Graf will die
meiſten Dinge in Venedig einkaufen, das einmal
den Ruf vor allen in koſtbaren Waaren hat.


Valerio.

So beherrſcht das Vorurtheil die
Welt, denn vieles koͤnnte er hier doch beſſer und
wohlfeiler haben.


Hieronym.

So geht die Mode hin und her,
und der Kaufmann muß von ihrer Wandelbarkeit
Gewinn ziehn. Faͤngt doch Brabant an, mit Tuͤ-
chern Genua und Venedig den Preis abzugewin-
nen, wollen doch ſogar die Englaͤnder manches
ſelbſt fabriziren, was ſie ſonſt nur von Italien be-
zogen. Der Geldumſatz iſt drum immer der ſicher-
ſte Gewinn.


[14]Zweite Abtheilung.
Valerio.

Und Geld ausleihen, und auf Pfaͤn-
der borgen, nicht wahr? Wie Ihr Lombarden es
zu thun pflegt.


Hieronym.

Sacht, ſacht, mein Herr Vale-
rio. Man hat mir hier in Famaguſta geſagt, daß
Ihr und noch andre dieſe Kuͤnſte auch verſtehn.
Das Zwoͤlf und Zwanzig vom Hundert iſt durch
die ganze Welt verbreitet. — Wer iſt der ſtattliche
Herr, der dort herſchreitet?


Ridolfo.

Graf Nimian, ein vornehmer Staats-
mann.


Graf Nimian kommt mit Gefolge.

Nimian.

War das nicht der junge Fortunat,
der an uns vorbeilief?


Diener.

Er war es, gnaͤdigſter Herr.


Nimian.

Ruft ihn zuruͤck, ich habe ihm ein
Paar Worte zu ſagen.

(Der Diener kommt mit For-
tunat
)

Hieher, mein junger Menſch. — Mir iſt
geſagt worden, und ich habe es auch zum Theil
ſelbſt wahrnehmen koͤnnen, daß Ihr unſer Haus
fleißig beſucht, und Euch des nachgiebigen Gemuͤ-
thes meines Sohnes bemeiſtert Das iſt bis jezt
ohne Folgen geweſen: da aber der Knabe nun an-
faͤngt, den Erwachſenen gleich zu kommen, und
er nur in ſeinen Studien, oder in dem Umgange
mit ſeines Gleichen geſtoͤrt werden duͤrfte, ſo wer-
det Ihr ohne mein Erinnern einſehn koͤnnen, daß
es euch beiden paſſender iſt, wenn Ihr Euch mehr
entfremdet; denn jedermann ſoll mit Perſonen ſei-
nes Standes umgehn. Alles Eindraͤngen, alles Un-
[15]Fortunat.
geziemende iſt mir und allen gebildeten Menſchen
ſo unangenehm, wie es die Natur der Sache mit
ſich bringt.


Fortunat.

Gnaͤdiger Herr, bei aller Ehr-
furcht vor Euch muͤßt Ihr mir vergoͤnnen, mich
uͤber dieſe unvermuthete Ermahnung zu verwun-
dern. Ich habe Euern Sohn nicht aufgeſucht,
ich habe weder Gewinn noch Ehre durch ſeinen
Umgang erwartet, ich habe Muͤhe gehabt, ihm
einige Falken abzurichten und Pferde zuzureiten,
und er iſt zuerſt in unſer Haus gekommen, in wel-
chem ich vor einigen Jahren die Ehre gehabt habe,
Euch kennen zu lernen.


Nimian.

Kann ſeyn; habt Ihr Muͤhwaltung
fuͤr ihn uͤbernommen, werde ich in meiner Erkennt-
lichkeit derſelben nicht ſaumſelig ſeyn, aber der fa-
miliaͤre Umgang, das Cameradſeyn, das — wie
man mich hat verſichern wollen — unanſtaͤndige
Dutzen, will ich mir ein fuͤr allemal verbitten.
Man hat mich verſtanden, mein junger Freund?


(ab mit Gefolge.)

Fortunat.

Mehr als genug! Ich verlange
nichts, keinen Heller von Euch, Ihr hochmuͤthiger
Pfauhahn! Gott behuͤte, was der die Worte ſetzt
und heraus gurgelt. Ach, Herr Valerio, Euer
Diener.


Valerio.

Hoͤrt mal, junger Menſch, ich bin
froh Euch zu treffen. Es iſt wahr, Ihr ſeyd eine
gute Haut, und man kann keine Klage uͤber Euch
fuͤhren, aber ich muß Euch doch bitten und erſu-
chen, den Umgang mit meinem Sohn Felix kurz
[16]Zweite Abtheilung.
und gut abzubrechen. Ihr taugt nicht fuͤr einan-
der. Er ſoll ein Kaufmann, ein ehrſamer Buͤrger
werden, Handel lernen, das Geld zu Rathe hal-
ten, Kleider ſchonen, jungen Wein trinken und
wenig: Ihr aber ſeyd hoch hinaus, ſeyd mir zu
vornehm, verderbt mir den Jungen, ſezt ihm Al-
bernheiten und Hochmuth in den Kopf, und ſomit
bitt' ich Euch, laßt ihn laufen; haltet Euch zu
Eures Gleichen, zu jungen Adlichen, da moͤgt Ihr
von Pferden und Hunden ſprechen und Euch uͤber
uns Buͤrgersleute luſtig machen. Seyd ſo gut und
nehmt mir meine Bitte nicht uͤbel.


Fortunat.

Was ſollt' ich mit Euch anfan-
gen, wenn ich's thaͤte? Ihr wißt weder mit De-
gen noch Schild umzugehn, Ihr koͤnnt mich nicht
beleidigen. — Schoͤne Geſelligkeit hier in meinem
Vaterlande. Bin ich doch noch in meinem Leben
nicht ſo durchdringlich gehofmeiſtert worden!


(geht ab.)

Hieronym.

Wer iſt der huͤbſche junge Menſch?


Ridolfo.

Ein Windbeutel, oben hinaus; ich
habe die Ehre, durch ſeine Mutter mit ihm in
Verwandtſchaft zu ſtehn. Er iſt einer von denen,
deren es hier viele auf der Inſel giebt, die von
der Luft, von Hoffnungen, oder Verſprechungen
der Großen leben, Spaniſche Schloͤſſer bauen und
Schulden darauf machen. Sein Großvater war
ein reicher Kaufmann, der ſeinen Sohn verzog,
und ihn endlich adeln ließ. Der war ein beruͤhm-
ter Mann auf allen Turnieren und Ringelrennen,
der erſte Taͤnzer im Lande, beredt und beleſen,
machte
[17]Fortunat.
machte Verſe und ſang; wie er ſo ziemlich mit
ſeinem Vermoͤgen auf dem Trocknen war, bewarb
er ſich um die Tochter des reichſten Kaufmanns
hier, der Vater ließ ſich durch Eitelkeit blenden:
nun konnten wieder nicht genug Schornſteine rau-
chen, nicht Pferde genug gekauft und todt gerit-
ten werden, da war Feſtiren und Jagd, und Luſt-
barkeit aller Art. Das dauerte einige Jahre, dar-
auf ging denn ein Landgut, ein Meierhof nach
dem andern fort, das ganze Leibgedinge der Frau,
ſo wie ſein eignes Vermoͤgen, und jezt ſitzen ſie
im Elende und fallen allen Verwandten und Be-
kannten mit Borgen beſchwerlich.


Valerio.

Ja, ja, mancher Verwandte hat
denn auch ſeinen Vortheil dabei erſehn. Euer Land-
gut am Meer iſt im ſchoͤnen Zuſtand, Schwager.


Ridolfo.

Ich hab' es uͤber den Preis be-
zahlt, vollends damals. Nein, was das betrifft,
da hab' ich mir keine Vorwuͤrfe zu machen. Und
nachher noch einige hundert Mark verborgt, ohne
Hoffnung, einen Heller wieder zu erhalten.


Valerio.

Freilich iſt der Kaufmann immer
am ſchlimmſten dran, und am meiſten bei jenem
hochmuͤthigen Volke, das ſich zu gut duͤnkt, mit
uns umzugehn, nicht aber uns um unſer Geld
zu bringen. Ja, mein Herr Hieronymus, Ihr
glaubt gar nicht, wie ſich die Zeiten hier geaͤndert
haben. Was war das in meiner Jugend ein an-
dres Weſen mit den Handelsleuten! Ich weiß es
noch, als wenn es heute waͤre, wie mir der erſte
Thaler, den ich aus einem kleinen Vorſchuß mei-
III. [ 2 ]
[18]Zweite Abtheilung.
nes Vaters durch Handel und Verkehr eruͤbrigt
hatte, ganz anders vorkam, wie alle andre Muͤnze
der Welt, hundertmal dreht' ich ihn um und be-
trachtete ihn von allen Seiten. Als ich ein Gold-
ſtuͤck eingewuchert hatte, kuͤßt' ich es und weinte
vor Freuden. Des Nachts traͤumt' ich von Geld-
ſaͤcken Bald durfte mir mein Vater die wichtig-
ſten Geſchaͤfte vertrauen, und er hatte ſeine Freude
daran, wie ich ihm ein Profitchen nach dem an-
dern ſo ſauber vor der Naſe wegnahm, ſo daß
er am Ende wie neidiſch wurde. Keinen Rock
wollt' ich an mich wenden: — aber jezt, man ſehe
nur das junge Kaufmannsvolk, lauter Putz, Flit-
terſtaat, den Vornehmen wollen ſie's gleich thun,
wollen die Edelleute ſpielen, verachten Geld und
Gewinnſt, und ſetzen eine Ehre darin, wer am
meiſten verſchwenden kann. O die Haare ſtehn
mir zu Berge, wenn ich an die boͤſe Zeit denke!


Ridolfo.

Die ganze Welt iſt umgekehrt, das
iſt gewiß. Aber, Herr Hieronymus, Ihr ſagt kein
Wort dazu?


Hieronym.

Ihr habt recht, meine Herren,
aber ich denke jetzt auf meine Ruͤckreiſe, und muß
mich Eurem Wohlwollen empfehlen.


Valerio.

Ihr erlaubt uns erſt noch Euch zu
Eurem Schiff zu begleiten.


Hieronym.

Ihr ſeyd zu guͤtig und hoͤflich.


(gehn ab.)

Fortunat und Felix kommen.

Felix.

Es iſt dein Ernſt?


[19]Fortunat.
Fortunat.

Mein feſter Wille, ich bin des
Lebens hier uͤberdruͤſſig. Dein Vater hat mir den
Umgang mit Dir verboten, meinen Falken habe
ich fliegen laſſen. —


Felix.

Deinen Falken?


Fortunat.

Was ſoll ich mit dem, wenn ich
fortgehe?


Felix.

Aber wohin?


Fortunat.

Das weiß ich ſelbſt noch nicht,
wohin mich meine Sterne fuͤhren.


Felix.

O daß ich mit Dir koͤnnte! Aber ich
muß da beim Rechenbuch und verrufenen Muͤnzen
ſitzen; ich wollte ich haͤtte Deinen Muth.


Fortunat.

Wir ſehn uns wohl einmal wie-
der. Lebe wohl, lieber Junge, und vergiß mich
nicht.


Felix.

Lebe recht wohl wenn Du weg biſt,
wird mir die ganze Inſel wie ein Gefaͤngniß ſeyn.


(ab)

Der Graf von Flandern kommt mit Gefolge.

Fortunat.

Es will nur gewagt ſeyn; das
Schlimmſte iſt eine abſchlaͤgige Antwort, und dann
bin ich ja nachher noch ſo gut als ich war. —
Mein Herr Graf, wenn Ihr noch einen Augen-
blick von Euren Geſchaͤften abmuͤßigen koͤnnt, ſo
geruht ein Wort und eine Bitte von mir anzu-
hoͤren: wenn ich Euch laͤſtig falle, ſo habt Ihr es
nur Eurem leutſeeligen und freundlichen Weſen zu-
zuſchreiben, welches mich ſo dreiſt macht, Euch be-
ſchwerlich zu werden.


[20]Zweite Abtheilung.
Graf.

Worin kann ich euch dienen, junger
Menſch?


Fortunat.

Darin, daß ihr ſo gnaͤdig ſeyn
moͤgt, Euch von mir bedienen zu laſſen.


Graf.

Wer ſeyd Ihr? Eure Sprache und
Euer Anſtand ſind feiner, als ich an meinen Die-
nern gewohnt bin.


Fortunat.

Ein ſo edler maͤchtiger Herr wie Ihr,
bedarf der Diener von unterſchiedlicher Art. Ich bin
hier von der Inſel, meine Herkunft iſt nicht die nie-
drigſte, doch, da ich nur arm bin, wuͤnſche ich ei-
nem Herrn anzugehoͤren, auf den ich ſtolz ſeyn,
und den ich lieben kann; da iſt mein Wunſch auf
Euch gefallen; ich weiß Pferde abzurichten, mit
Waffen umzugehn, im Beizen und Jagen duͤnke
ich mir Meiſter zu ſeyn, und wo ich unwiſſend
und ſo edlen Herrn zu bedienen ungeſchickt bin,
muß mein guter Wille und Eure Nachſicht und
Belehrung meinen Mangel verzeihen und ergaͤnzen.


Graf.

Du gefaͤllſt mir mein Sohn. Wie iſt
Dein Nahme?


Fortunat.

Beſſer als mein Geſchick: For-
tunat.


Graf.

Ich koͤnnte wohl einen Diener Deiner
Art brauchen, der die Aufſicht uͤber meine Leute und
Roſſe haͤtte, und nahe um mich waͤre. Aber ich
fuͤhre Dich aus einem ſchoͤnen Lande, in eine ferne
kalte Gegend, die Ihr Italiener nicht mit beſon-
dern Wohlgefallen betrachten koͤnnt. Du entbehrſt
dort dieſer warmen Luft, dieſes heitern Himmels,
[21]Fortunat.
dieſes gluͤhenden Weins, und ich fuͤrchte, das Heim-
weh quaͤlt Dich, wie wir angelangt ſind.


Fortunat.

Edler Herr, wenn ich meine Mei-
nung ſagen darf, ſo ſcheint mir das Menſchenge-
ſchlecht aus ruhigen, buͤrgerlichen, einheimiſchen
Menſchen, und aus jenen zu beſtehen, die den Zug-
voͤgeln gleichen, denen der Trieb zu wandern mit
dem Fruͤhling und Herbſt erwacht, da jene den Spaz-
zen und Kraͤhen aͤhnlich ſind, die bei demſelben Zaun
und Strauch verharren, und Nachtigall, Droſſel
und Storch thoͤricht nennen. Mein Trieb, die Hei-
math zu verlaſſen, die uͤbrige zu Welt ſehn, und in
ſie hineinzureiſen, je ferner je lieber, iſt ſeit lange
uͤbermaͤchtig in mir. Dann bin ich auch nicht ſo
ohne Unterricht, daß ich nicht wiſſen ſollte, daß bei
Euch, gnaͤdigſter Herr, die Sonne zwar nicht ſo
heiß und lange ſcheint, daß Ihr aber dafuͤr im
Winter Eure Stuben warm und anmuthig zu ma-
chen wißt, daß man bei Euch die Weine trinkt,
die man auswaͤrts baut, und beſſer als in Cypern
und Spanien, daß man froͤhlich lebt, und zwar nicht
die Tafel in ſo großen Marmorſaͤlen aufſtellt, ſie
aber dafuͤr in den hoͤlzernen Zimmern um ſo beſſer
beſetzt. Kurz, gnaͤdiger Herr, wenn Ihr mich ir-
gend brauchen koͤnnt, ſo erſuche ich euch nochmals
demuͤthigſt, laßt mir die Gnade widerfahren, mich
zu Eurem Gefolge rechnen zu duͤrfen.


Graf.

Nun ſo folge mir denn, Fortunat, der
Wind iſt guͤnſtig, alles iſt zur Abfahrt bereit.


(gehn ab.)

[22]Zweite Abtheilung.
Dritte Scene.

(Zimmer.)

Graͤfinn von Cleve. Juliane.

Juliane.

Und nichts kann, theure Graͤfinn, Euch erhei-
tern?


Graͤfinn.

Ich bin nicht traurig, doch bekuͤmmert ſehr,
Es war ſo nah mein Gluͤck, befreit zu ſeyn
Von dem verhaßten Zwang der Vormundſchaft,
Da reiſt der Graf in ferne Welt hinein,
Verſchiebt die Hochzeit, giebt zu Land und Meer
Sich vielerlei Gefahren Preis und zoͤgert
Zuruͤck zu kommen; — nein, er liebt mich nicht.


Juliane.

Er liebt Euch, ſeht die herrlichen Geſchenke,
Die er Euch von der Reiſe ſchickt, den Purpur
Aus Syrien, Perlen, goldne Spangen, ſeht
Die Seidenzeuge, laßt das Aug' ſich freuen.
Ihr hoͤrt, daß er nur nach Venedig ging,
Zur Hochzeit einzukaufen Gold, Juwelen;
Seyd nicht betruͤbt, bald kommt er froh zuruͤck.


Graͤfinn.

Doch dieſer Trieb, ſo fern von mir zu ſeyn,
Als ſchon der Hochzeittag beſtimmt, als alles —
O nein, ich zuͤrn' ihm, werd' ihm ewig zuͤrnen!
Was iſt es in den Maͤnnern, daß die Heimath,
[23]Fortunat.
Ein ſtilles Gluͤck, die Lieb' und ihre Schaͤtze
Den Gier'gen, Unruhvollen nicht genuͤgt?


Juliane.

Das iſt ja jetzt die allgemeine Sitte
Zum heil'gen Grabe hinzuziehn, ſie meinen
Sie duͤrfen nicht das Wort mit Anſtand fuͤhren,
Wenn ſie nicht dort gebetet, von den Sitten
Der Muſelmaͤnner, von des Tempels Staͤtte,
Dem Berg der Leiden und vom Sinai
Erzaͤhlen koͤnnen: — und dann denk' ich auch
Fliegt wohl der Mann zu guter Lezt noch einmal
Mit Freuden aus und weit, weil er hernach
Der Frau, der Kinder, ſeines Landes pflegt,
Und gern zur Rechenſchaft gefordert wird
Um jegliches Gelach, um jede Jagd,
Waͤr's auch nur in des Bett's geheimer Beichte.


Graͤfinn.

Das iſt's ja, was mich quaͤlt, ſie lieben nicht,
Und doch iſt er der Beſte noch von allen


Ein Diener tritt ein.

Diener.

Gnaͤdige Graͤfinn, ſo eben iſt ein
Bothe aus Flandern heruͤber geritten, der die Nach-
richt bringt, daß der Graf gluͤcklich von Venedig
abgereiſt, und jezt ſchon auf dem Wege hieher iſt.


Graͤfinn.

Fuͤhr' ihn in mein Gemach, ich
will ihn ſelber ſprechen.

(ſie gehn ab.)

[24]Zweite Abtheilung.
Vierte Scene.

(Feld.)

Rupert, Heinz, Friedrich, andre Diener.

Rupert.

Es iſt gewiß, daß der gnaͤdige Herr
koͤmmt, es ſteht zu hoffen, daß nun alles im
Schloſſe aufgeraͤumter wird: der Herr Kanzler zieht
ihm ſchon mit den Vornehmſten der Buͤrgerſchaft
entgegen.


Heinz.

Nun wird es in unſrer Stadt ein
andres Leben werden, nun werden Luſtbarkeiten
vollauf ſeyn.


Rupert.

Und Hochzeit dazu, die Bothen ſind
ſchon hinuͤber, die Graͤfinn einzuladen, die Roſſe
und Wagen ſind fertig gemacht.


Friedrich.

Und Rennen und Stechen wird
gehalten werden, wobei ein armer Geſell wieder
einmal etwas gewinnen kann.


Der Kanzler, Buͤrgermeiſter, Buͤrger.

Buͤrgermeiſter.

Wird es nicht gut gethan
ſeyn, Herr Kanzler, die Standarten mit dem graͤf-
lichen und dem Stadtwappen voran zu ſtellen, die
guten Leute in zwei Reihen zu ordnen, die ſchoͤn
geſchmuͤckten Muſikanten in die Mitte zu nehmen,
und mit Pauken- und Trompetenklang, ſo wie der
gnaͤdigſte Graf ſich zeigt, und mit vollſtem Ge-
ſchrei ihm unſern Willkommen entgegen zu jubeln?


Kanzler.

Ihr habt weißlich die Anſtalten
[25]Fortunat.
gemacht, Herr Buͤrgermeiſter, und Eure Ord-
nungsliebe leuchtet aus allem hervor.


Buͤrgermeiſter.

So was erlebt man nur
einmal, verehrter Herr Kanzler, dabei muß es
durchaus hoch hergehn, daß Kind und Kindeskind
davon zu ſagen wiſſen. In der Stadt wird dann
mit allen Klocken gelaͤutet, auf dem Markt ſind
die Buͤhnen und der Turnierplatz ſchon aufgerichtet.


Paucken und Trompeten, der Graf mit ſeinem
Gefolge, Fortunat und andere; lautes Rufen und
Freudengeſchrei.

Graf.

Ich dank' Euch Freunde, Herrn und Landes-
leute,
Mit Ruͤhrung gruͤß' ich dieſen Heimaths-Boden,
Mein Herz eroͤffnet ſich, da alles wohl
Und heiter mir begegnet, dieſes dank' ich
Naͤchſt Gott, Herr Kanzler, Euch, Euch, Buͤr-
germeiſter,
Euch, treue Unterthanen.


Alle.

Hoch! und hoch!


Graf.

Doch eins vermißt mein Herz; wo iſt die
Graͤfinn?
Die ſchoͤne Braut, die mir den langen Weg
Vorſchwebte wie ein glaͤnzend Himmelsbild?


Kanzler.

Sie naht, mit ihr die Herrn der Vormund-
ſchaft.


[26]Zweite Abtheilung.
Muſik. Von der andern Seite die Graͤfinn, der
Herzog von Geldern, Graf von
Muͤnſter
, Gefolge.

Graf.

O ſegensreicher Tag! Ich darf dich gruͤßen,
Du ſchoͤne Blum' um dich mit Lieb' und Ehr-
furcht
Hier an mein Herz, an meine Seele ſchließen.


Graͤfinn.

Der Augenblick verſuͤßt die Trauerſtunden,
Vergilt den herben Schmerz der langen Trennung.


Herz. v. Geldern.

Empfangt die ſchoͤne Braut aus meinen Haͤn-
den,
Und mit ihr allen Himmelsſeegen, Graf.


Graf v. Muͤnſter.

Und Amen rufe jedes treue Herz.


Kanzler.

Ja Amen! Seegen Euch, dem Lande Seegen,
Begluͤckt wir all, die dieſen Bund erleben!


Buͤrgermeiſter.

Empfangt, Herr Graf, die Huldigung, den
Gruß
Der treuen Buͤrgerſchaft: das Brautpaar hoch!


Alle.

Sie leben hoch! und hoch! und tauſendmal!


(Muſik, Jauchzen.)

Graf.

Und nochmals meinen Dank aus vollem Her-
zen,
[27]Fortunat.
Ihr guten treuen Buͤrger: Fried' und Gluͤck
Soll, hoff' ich, ſtets im guten Einverſtaͤndniß
Mit Euch und meinen edlen Nachbarn, Wohlſtand
In unſer Land und Seegensfuͤlle bringen.
Auch Euch begruͤß' ich, meines Hauſes Diener;
Wie wohl iſt mir in meiner Heimath Luft.


Rupert.

Im Rahmen dieſer treuen Dienerſchaft
Hochedler Herr, ſag' ich Euch hier willkommen.


Graf.

Keinen vermiß' ich, und die mit mir zogen
Sie kehren alle wieder; dieſen treuen
Ich moͤchte Freund ihn nennen, fuͤhr' ich her
Aus fernem Lande, ſeine feine Sitte
Sein heitrer Sinn hat mir den Weg verkuͤrzt.
Komm, Fortunat, dich meiner Braut zu zeigen. —
Dir, Herrin, uͤbergeb' ich ihn, den Deinen.


Graͤfinn.

Und danken muß ich, denn wohl zeigt ſein
Weſen,
Sein Anſtand, daß ſein Gluͤck einſt beſſer war.
Ihr ſollt es nicht beklagen, mir zu folgen.


Fortunat.

Zu gluͤcklich bin ich, daß den Unverdienten
Ihr ſchon belohnt, Beſchaͤmung mag Euch ſagen
Wofuͤr ich nicht die Worte finden kann.


Graf.

Gehn wir zum Tempel, um an heil'ger Staͤtte
den ew'gen Bund zu ſchließen, uns dem Gluͤck
Durch gegenſeit'ge Schwuͤre zu verpfaͤnden.


(Alle ab mit Muſik und Frohlocken, die Diener bleiben).

[28]Zweite Abtheilung.
Rupert.

Freund, hoͤrt! Wir werden alſo
Cameraden.


Friedrich.

Wir wuͤnſchen uns Gluͤck; ich
hoffe, daß wir immer gute Geſellſchaft mitſam-
men machen werden.


Fortunat.

Ich danke fuͤr Eure Freundſchaft
und werde ſie erwiedern; aber jezt verzeiht, denn
ich muß dem Grafen und der Graͤfinn folgen.


(geht ab.)

Rupert.

So, junger Fant? das ſcheint mir
ein naſeweiſes Buͤrſchchen.


Friedrich.

Bunt, blank, aufgeſtuzt wie ein
Hafelant. Nun, wenn er nicht geſellig iſt, wollen
wir ihm das Leben ſauer genug machen.


Heinz.

'S iſt Unrecht, wie der Graf ihn
gleich uns allen vorgezogen hat; praͤſentirt ihn da
beſonders her, als wenn er ihn ſeiner Braut zum
Weihnachten beſcheerte; 's fehlte nichts, als daß
ſie ihn noch rund um mit Lichtern beſteckten.


Rupert.

Er ſcheint ein feiner Knabe, viel-
leicht von Stand, aber man muß ihm auf den
Zahn fuͤhlen.


Timotheus kommt.

Timoth.

Gluͤck zu, Cameraden! Wißt Ihr's
ſchon? Mein gnaͤdiger Herr, der Herzog, ſezt drei
große Preiſe aus, einen Ring, eine reiche Binde,
und einen ſtark verguldeten Becher, weniger darf
Euer Graf auch nicht bieten, und der von Muͤn-
ſter muß ſich auch ſehen laſſen. Das iſt was fuͤr
uns junge Geſellen!


[29]Fortunat.
Heinz.

Nun, wir hoffen alle etwas davon
zu erobern, Freund Thimotheus.


Timoth.

Im Stechen thut's mir keiner gleich,
der hoͤchſte Preis iſt ſchon ſo gut wie in meinen
Haͤnden.


Friedrich.

Seyd etwas zu vorlaut und uͤber-
muͤthig, junger Menſch.


Timoth.

Im Ringſtechen magſt Du's wohl
beſſer machen koͤnnen, oder im Armbruſtſchießen,
aber mein Seel nicht im Lanzenſtechen.


Rupert.

Kommt, kommt, ihr Narren, jezt
wird die Caͤremonie ſchon voruͤber ſeyn, laßt uns
uns fertig machen, daß wenn die Herrſchaften ihr
Spiel getrieben haben, wir auch zum unſrigen
kommen. Ich bin ein alter Kerl, aber ich nehm'
es noch mit Euch allen auf.


Timoth.

Wer's Gluͤck hat, fuͤhrt die Braut
nach Hauſe.


Heinz.

Und wer zulezt lacht, lacht am beſten.


Friedrich.

Adie: Ende gut, alles gut.


(geht ab.)

Fuͤnfte Scene.

(Zimmer.)

Der Graf. Der Kanzler.

Graf.

Mir widerſteht's, ich ſag's Euch grad heraus,
Die ſchoͤnſten Tage meines Lebens, Stunden
[30]Zweite Abtheilung.
Die nur der Luſt, der Freundſchaft, dem Entzuͤcken
Gewidmet ſollten ſeyn, mit Staatsgeſchaͤften,
Mit Liſt und Heuchelei und Politik
In boͤſem Trug, wie Ihr wollt, zu entweihn.


Kanzler.

Ihr kennt mich, gnaͤdiger Herr, ſeit vielen Jahren,
Daß ich zu derlei nie die Hand geboten,
Zu beſſerm Sinn hab' ich Euch auferzogen,
Und hoffe ehrenvoll wie ich gelebt
Auch ſo in's Grab dies graue Haupt zu legen.


Graf.

Vergebt, mein alter Freund, doch ſagt Ihr ſelbſt,
Man muͤſſe dieſe guͤnſt'ge Stimmung nuͤtzen,
Der Herzog denke wohl mit naͤchſtem anders,
Jetzt iſt er mir gewogen wie ein Vater,
Er iſt geruͤhrt, er wuͤnſcht mein Gluͤck, und zaͤrtlich
Liebkoſt er mich, wie einem lieben Kinde,
Da ſoll ich nun, indem er mir die Braut,
Ihm nah verwandt, herzlich von ihm geliebt,
Indem er mir mein hoͤchſtes Gluͤck gewaͤhrt,
Mit Feinheit und verſtellter Lieb' erſchleichen,
Was er in Ruͤhrung mir ſchon halb entbot;
Nennt Ihr das redlich, wacker, alter Herr?


Kanzler.

Ich nenn' es ſo, und Ihr ſeyd nur berauſcht
Von Eurem neuen Gluͤck, daß in der Fuͤlle
Der Seeligkeit Ihr nicht wie ſonſt mit klarem
Verſtand erwaͤgt, was nuͤtzlich iſt und gut,
Und wie der edle Menſch es mag verbinden.
Hier iſt von Luͤge, Bosheit nicht die Rede,
Nur daß Ihr die Gelegenheit ergreift
[31]Fortunat.
Die ſich Euch ſo, wie nimmer wieder beut.
Seit Menſchenaltern war es Eurer Ahnen
Beſtreben, jenen Hafen zu gewinnen,
Die See, mit ihr Verknuͤpfung fremder Laͤnder,
Den Handel ſelbſt zu fuͤhren, den die Fremden
Uns ſtets mit laͤſt'ger Vormundſchaft getrieben,
Doch die Provinzen und der ſtrenge Herzog
War immer uns entgegen; aber jetzt
Will er Euch gern durch ein Geſchenk verbinden,
Euch Liebe zeigen ohne zu verletzen,
Nun bietet er den alten Tauſch, der ſonſt
Mit Laͤcheln abgewieſen ward, den Tauſch,
Durch welchen Alles Euer Land gewinnt,
Und er das Laͤndchen nur zum Scheine nimmt,
Daß Ihr nicht braucht fuͤr ein Geſchenk zu danken.


Graf.

Doch laſſen wir's fuͤr eine andre Zeit.
Du ſagſt ja ſelbſt, es koͤnn' ihm wohl gereun.


Kanzler.

Nun nehmt das Gluͤck, da es ſich zu Euch
wendet,
Wir ſind nur Herrn von dieſem Augenblick,
Wer handeln will, muß nur auf heute traun;
Das iſt nicht Tugend, nichts dem guͤnſtigen Zufall,
Der Schwaͤche, der Nachgiebigkeit, dem Irrthum
Verdanken wollen: faßt nur ſchnell und offen
Den Augenblick, erwiedert Lieb' mit Liebe,
Vertraun mit wahrer Freundſchaft und Vertraun;
Eu'r Zagen ziemt dem Mann, dem Fuͤrſten nicht,
Wer in der Welt Geſchaͤften mitgehn will,
Der bringe ja nicht kloͤſterlich Gewiſſen,
[32]Zweite Abtheilung.
Nicht eines Liebenden, Verliebten Großmuth
Zu ſeinem Amt, ſoll Schmach Verluſt nicht folgen.
Ihr wißt es ſelbſt, wie Ihr auch Feinde habt,
Der Graf von Muͤnſter iſt Euch widerwaͤrtig,
Ihr ſeyd es Euren Unterthanen ſchuldig
Euch zu verſtaͤrken, wo Ihr's moͤglich findet.


Graf.

Du haſt mich faſt beredet: nun, ſo ſey's.


Fortunat tritt ein.

Fortunat.

Es wuͤnſcht mit Euch der durchlauchtige Herzog
Zu ſprechen, er iſt hieher unterwegs.


Kanzler.

Wir kommen zu ihm, ſag's dem gnaͤdigen Herrn.


Graf.

Ja, guter Fortunat, meld' uns ihm an.


(Fortunat ab.)

Kanzler.

So gehn wir denn, wo moͤglich abzuſchließen.


(gehn ab.)

Sechste Scene.

(Saal.)

Die Dienerſchaft.

Friedrich.

In dem fremden waͤlſchen Knecht
ſteckt ein Kobolt, das ſag' ich. Wie hat er uns
alle zugerichtet!


Heinz.
[33]Fortunat.
Heinz.

Uns alles vor der Naſe weggenom-
men! Und ich hatte, unter uns geſagt, auf die Preiſe
ſchon Schulden gemacht.


Friedrich.

Der dir aber etwas darauf ge-
borgt hat, muß ein noch groͤßerer Narr geweſen
ſeyn, als du ſelbſt.


Heinz.

Warum denn? das Gluͤck findet ja
wohl auch bei unſer einem einmal eine Thuͤr offen.


Timotheus.

Aber was ſoll ich erſt klagen
und ſagen? Hatte ich nicht ſchon den erſten Preis,
war mein gnaͤdiger Herzog nicht ſelbſt von meinem
Reiten eingenommen? Beate, die Kammerfrau,
winkte mir immer mit dem Schnupftuche zu, und
auf einmal kommt das fremde Meerwunder auf ſei-
nem Schimmel hergaloppirt, ſetzt an, und, mein
Seel, rennt mich auch mir nichts dir nichts ſo in
den Sand hinein, daß ich noch immer einige Kloͤße
kauen und ſchlucken muß, dabei thun mir die Rib-
ben ſo erbaͤrmlich weh, daß ich mich in vier Wo-
chen auf kein Pferd getraue.


Heinz.

Iſt es denn ein Wunder? Hat ihm
unſer Graf nicht das ſchoͤne Thier, gleich ſo wie
er ankoͤmmt, geſchenkt? Dem hergelaufuen Land-
ſtreicher? Das Vieh iſt ſo ſtark und hitzig, daß
kein ander Roß dagegen beſtehen kann; glaubt mir
nur, der Gaul hat den Preis gewonnen, und nicht
der Geldſchnabel.


Friedrich.

Und wir, die wir zehn Jahre und
laͤnger im Dienſt des Herrn ſind, was kriegen
wir? Man meinte wohl, die Stadt ginge zu
Grunde, wenn man uns einmal ein gutes Pferd
III. [ 3 ]
[34]Zweite Abtheilung.
zukommen ließe. Da heißt es immer: du kannſt
doch nicht reiten; es paßt fuͤr dich nicht! ſo krie-
gen wir alte Maͤhren, die wir gleich darauf in
die Sandkarren liefern koͤnnen. Aber der junge
Herr, mit den vielen bunten Baͤndern, mit den
gluͤcklichen Linamenten, wie ſie's nennen, der muß
einen ſpaniſchen Hengſt reiten, er moͤchte ſonſt
unrichtig in die Wochen kommen.


Jaͤger.

Und meinen beſten Hund, den dreſ-
ſirten, praͤchtigen Solofaͤnger, meinen Mordax,
hab' ich ihm auch geben muͤſſen. Iſt es doch nicht
anders, als haͤtte unſer Graf einen zweiten gnaͤ-
digen Herrn aus der See aufgefiſcht, der uns alle
ſchikaniren ſoll.


Koch.

Ich ſage Euch, Leute, mit dem jungen
Blut hat's eine eigne Bewandniß, ſeine Frau Mut-
ter muß eine Sirene, oder ein ſolches Meergethier
ſeyn, denn er mag gar keine Fiſche eſſen. Hab'
ich dem Butterkopf nicht neulich, da er ſich ſo
malade anſtellte, einen eignen Braten anrichten muͤſ-
ſen? Ich haͤtte ihm den Bratenwender im Bauch
moͤgen aufſtellen und abſchnurren laſſen, ſo hat mir
das Ding vor den Kopf geſtoßen. Ei ſo friß du
Kapaunen, daß ſie dir aus dem Halſe wieder her-
aus worgen.


Kellermeiſter.

Was ſagt Ihr aber dazu?
Claret muß ich dem jungen Hirngeſpinſt zu trin-
ken geben, ſie ſagen, er koͤnne unſer ſchweres Bier
nicht vertragen. Lezt ſoff er Malvaſier auf Be-
fehl unſers Herrn. Gebt Acht, das Illyriſche Mor-
[35]Fortunat.
lackengeſicht iſt noch ein Hurkind von unſerm gnaͤ-
digen Herrn.


Koch.

Wo denkſt Du hin? Biſt ſchon am fruͤ-
hen Tage betrunken? Unſer Herr Graf iſt ja nur
ein Paar Jahr aͤlter.


Kellermeiſter.

Mag's ſeyn, wie's will, kurz-
um, er ſaͤuft Claret, wie ich mir manchmal kaum
getraue.


Timotheus.

Schade was um alles andre,
wenn er uns nicht allen die Reputation genom-
men haͤtte! das lumpige Band, das ich nun nur
gewonnen habe; ich mag's kaum anſehn.


Heinz.

Aber Rupert, warum biſt Du denn ſo
ganz ſtill? Iſt es Dir denn nicht verdruͤßlich, daß
ein Camerad von uns ſo den Herrn uͤber uns
ſpielt?


Rupert.

Was hilft's? Der Herr iſt ihm ein-
mal gewogen, iſt es doch, als wenn er ihm das
Herz geſtohlen haͤtte. Da iſt nun nichts zu machen.


Koch.

Mit dem großen Kochloͤffel fahr' ich ihm
in den Hals, ſo gewiß ich Barnabas heiße!


Kellermeiſt.

Haͤtt' ich ihn nur einmal ſo
allein im Keller, ein bischen betrunken muͤßt' er
ſchon ſeyn und herum torkeln, ich verſpundte ihn
in das große Oxthoftfaß und rollte ihn hernach in
den Fluß, daß er ſeiner gnaͤdigen Mama wieder
zu ſchwimmen koͤnnte.


Stallm.

Wenn der Schimmel daͤchte wie ich,
ſo hoͤbe er einmal die beiden Hinterfuͤße etwas hoͤ-
her, als noͤthig iſt, und gaͤbe ihm, wenn er ihn
eben ſo zierlich ſtreicheln und taͤtſcheln will, einen
[36]Zweite Abtheilung.
unvermutheten Hufſchlag uͤber die Stelle weg, wo
der Menſch gewoͤhnlich das Angeſicht traͤgt, daß
er gewiß das Aufſtehn vergeſſen ſollte.


Jaͤger.

Den Sauſpieß muͤſte man ihm in die
Eingeweide ſtoßen!


Rupert.

Ihr ſchwadronirt wie die Narren
und werdet ihm alle kein Haar kruͤmmen. Mit
Verſtand waͤre hier nur etwas auszurichten, und
der fehlt Euch allen.


Heinz.

Nicht wahr, Du hoͤrſt immer das
Gras wachſen?


Friedrich.

Ja, das iſt der alte Heimchen-
greifer, der kluge Hinterdrein, der alles vorher
geſehn hat, wenn's vorbei iſt.


Timoth.

So laßt ihn aber doch reden, wenn
er vielleicht einen geſcheidten Einfall hat.


Rupert.

Was wuͤrdet Ihr nun zum Exem-
pel drum geben, wenn der Gelbſchnabel ſo ſtill
von ſelbſt abmarſchirte, und daß auf keinen von
uns die Schuld fiele?


Heinz.

Das iſt unmoͤglich, auch thut er's
nicht, denn er ſizt hier zu warm.


Friedrich.

Haab' und Gut gaͤb' ich drum,
den letzten Rock vom Leibe.


Rupert.

Was der Eſel ſchwazt. Ihr ſeyd
ſechs, ſchießt Ihr zwoͤlf Kronthaler zuſammen, ſo
ſollt Ihr ihn in etlichen Tagen los ſeyn. Aber
das Geld muß ich haben, denn ich kann's nicht
dran wenden.


Friedrich.

Zwei Kronthaler? Das iſt aber
auch ein bischen viel! Macht faſt einen Dukaten.


[37]Fortunat.
Timoth.

Topp! Hier iſt mein Beitrag; mich
geht der Handel zwar nichts an, weil ich hier
fremd bin, aber ich thu's gern, um den Wind-
beutel fortzuſchaffen. Nun habt Ihr alſo vierzehn,
wenn Eure Kameraden das Geld zahlen wollen.


Alle.

Gern, gern, guter Rupert.


Koch.

Aber mach's geſcheidt, daß wir nicht
in des Teufels Kuͤche kommen. Kommt herunter
zu mir, ich habe nichts bei mir, da wollen wir
alle aufzaͤhlen.


(gehn ab.)

Siebente Scene.

(Zimmer.)

Graf, Graͤfinn.

Graf.

Fuͤhlſt Du Dich gluͤcklich mit mir, theures Herz?


Graͤfinn.

Das war es ja, was jeder Wunſch erſtrebte,
Nur Dein zu ſeyn, von Deinem Blick zu leben,
Mein ganzes Weſen Dir, nur Dir zu weihn;
Doch Du biſt nicht zufrieden, wie Du ſollteſt.


Graf.

Ich bin's, Geliebte, nicht allein daß Du
Vom Gluͤck mir wardſt gegoͤnnt, Du bringſt zu-
gleich
Dem Land die allerſchoͤnſte Morgengabe:
[38]Zweite Abtheilung.
Geendigt ſind, beſchloſſen die Geſchaͤfte,
Die manchmal wohl mir Stunden truͤben machten,
Ich ſehe Ruhe, Wohlſtand, Gluͤck und Friede
Auf den Bezirk mit Seegen niederſchweben.
Der mir gehorcht, und dieſes dank' ich Dir;
Nun ſoll Bankett und Spiel, Muſik und Jagd
Nach ernſten Stunden inniger uns freun.


Graͤfinn.

Nun laß uns auch im Hauſe Frieden ſtiften.


Graf.

Im Hauſe?


Graͤfinn.

Mir erzaͤhlt Juliane geſtern,
Daß alle Diener Deines Schloſſes grimmig
Dem fremden Juͤngling drohn, der mit Dir kam,
Sie neiden ihm den Vorzug, der bei mir
Und Dir gegoͤnnt ihm wird.


Graf.

Er iſt ihn werth:
Der beſte Schuͤtze auf der Jagd, geſchickt
Mit Falken umzugehn, klug im Geſpraͤch,
Gewandt im Dienſt; ſieh ihn nur ſelbſt zu Roß,
Nur wen'ge Ritter wiſſen ſo die Kunſt,
Das Thier in ſeiner Herrlichkeit zu zeigen.


Graͤfinn.

Gewiß verdient er Deine Liebe, gut
Und treu erſcheint er mir, ihm ſteht auch freund-
lich
Die fremde italiaͤn'ſche Sitte, alle
Die Maͤdchen und die Weiber meines Hofs
Sind wie vernarrt in ihn.


[39]Fortunat.
Graf.

Das regt den Neid
Von jenen ungehobelten Geſellen,
Doch rath' ich keinem, ihn mir je zu kraͤnken.


Graͤfinn.

Der alte Rupert iſt der einzige
Der Freundſchaft mit ihm haͤlt, und der iſt brav,
Man ſieht ſie faſt beſtaͤndig bei einander,
So hat Juliane mir erzaͤhlt.


Graf.

Wenn der
Ihn nur zum Trunk und wuͤſten Weſen nicht
Anfuͤhrt, denn ehrlich iſt er ſonſt gewiß.
Die Jagd erwartet uns, geliebtes Kind,
Nun ſollſt Du meinen beſten Falken ſehn,
Dein Zelter ſteht geſattelt, komm zum Wald.


(gehn ab.)

Achte Scene.

(Wirthshaus.)

Wirth. Rupert. Fortunat.

Wirth.

Nur hier herein, meine lieben Herrn,
hier findet Ihr ein ſauberes Stuͤbchen, wo Ihr
von den andern Gaͤſten nicht geſtoͤrt werdet.


Rupert.

Dank, mein Herr Wirth. Nun,
was kann ich mit meinem Freunde heute Gutes bei
Euch haben?


[40]Zweite Abtheilung.
Fortunat.

Heut erlaubt mir einmal, den
Schmauß anzuordnen, ich bin ſchon ſo oft Euer
Gaſt geweſen.


Rupert.

Nichts da! Ein andermal ſoll die
Reihe an Euch kommen, aber heut, junger Herr,
muͤßt Ihr mir die Ehre erzeigen, mit mir vorlieb
zu nehmen. Nun alſo, Wirth, was habt Ihr?


Wirth.

Je nun, wenn ich nur weiß, daß es
die Herrn nicht ungnaͤdig nehmen, und daß es
huͤbſch unter uns bleibt, denn Ihr wißt wohl,
wenn es verlauten thaͤte, daß ſo koſtbare —


Rupert.

Nur heraus, fuͤr meinen jungen
theuren Freund, den ich liebe und ehre, iſt nichts
zu gut.


Wirth.

Es ſind zwei Faſanen in meine Kuͤ-
che gerathen, die ich keinem lieber goͤnnte.


Rupert.

Gebt ſie her, durch die braven Wild-
ſchuͤtzen kommt ſo etwas auch an unſer eins. Und
der Wein?


Wirth.

Einen Malvaſier hab' ich durch Pro-
tektion erhalten, wie er im Keller des gnaͤdigen
Grafen ſelber nicht beſſer ſeyn muß.


Rupert.

So gefallt Ihr mir, Wirth. —
Stellt her, — ſo, — ſchenkt ein. — Wahrlich, ein
guter Trunk. Auf Euer Wohlſeyn mein edler For-
tunat! — Nein trinkt aus, rein aus, nicht ſo zim-
perlich, ſo jungferlich. So iſt's Recht. Nun,
Wirth, ſchafft uns auch gleich die Faſanen herein.


Wirth.

Sie ſollen ſogleich ihre Aufwartung
machen

(ab.)

Fortunat.

Ihr beſchaͤmt mich immer mehr
[41]Fortunat.
und mehr, Herr Rupert; ich bin ſo reichlich vom
Grafen und der Graͤfinn beſchenkt worden, ich bin
ſo gluͤcklich geweſen, die anſehnlichen Preiſe zu ge-
winnen, ich bin alſo nicht im Mangel, und darum
ſolltet Ihr Euch nicht fuͤr mich in Unkoſten ſetzen,
ohne jemals mein Gaſt ſeyn zu wollen.


Rupert.

Sprechen wir davon nicht, mein ed-
ler, ſchoͤner Juͤngling. Ihr ſeyd jung, Ihr braucht
Euer Geld und Eure Koſtbarkeiten noch, das iſt
mit mir altem Manne eine andre Sache, ich gebe
nichts fuͤr Kleider und Schmuck aus, Frau und
Kinder habe ich nicht: was ſoll ich mit meinem
bischen Armuth machen? Seht, das verzehre ich
denn gern, und mache mir mit Wein und Speiſe
einen frohen Genuß, nun aber ſchmeckt mir allein
kein Biſſen. Mit wem ſoll ich ſchmauſen? Ihr
kennt ja ſelbſt alle die ungehobelten Bengel im
Schloſſe, Menſchen ohne Erziehung und Sitten,
die nichts wiſſen, nichts verſtehen und geſehn haben.
Immer war es mein Wunſch, einmal einen Freund
zu finden, der beſſer, verſtaͤndiger, feiner waͤre als
ich, von dem ich lernen koͤnnte; da ſeyd Ihr unter
uns aufgetreten, und gleich von erſten Augenblicke
ſah ich, daß Ihr aus einem ganz andern Holze,
als wir alle, geſchnitzt ſeyd, und darum muß ich
Euch noch danken, daß Ihr Euch nicht zu ſtolz
duͤnkt, mir dann und wann eine Stunde zu ſchen-
ken.


Fortunat.

Ich fuͤhle Eure Freundſchaft, und
meine Eitelkeit will mich uͤberreden, Euch Glauben
[42]Zweite Abtheilung.
beizumeſſen; aber wozu dieſe wiederholten Schmau-
ſereien.


Rupert.

Laßt doch einem alten Mann ſeine
Art und Weiſe.


Der Wirth kommt mit den Faſanen.

Wirth.

Hier machen die guten Burſche ihr
Compliment, meine Herrn, und wuͤnſchen nur, daß
ſie Euch gut ſchmecken und bekommen moͤgen.
Habt Ihr ſonſt noch etwas zu befehlen? Denn
Ihr verzeiht mir wohl, wenn ich drinnen nach
meinen unruhigen Gaͤſten ſehe: das iſt ſo Poͤbel,
wildes Volk durch einander, da iſt der Teufel gleich
los, wenn der Wirth nicht ſelbſt bei der Hand iſt;
der eine will Wurſt, der andere Braten, der Bier,
der Wein, jener Kohl oder Ruͤben; da muß man
einen anlachen, einen anſchnauzen, mit jenem ſpa-
ßen, Schlag nehmen und geben, grob ſeyn und
hoͤflich, alert und brummiſch: o glaubt meine Her-
ren es iſt ein beſchwerliches und kuͤnſtliches Ding,
ein Wirth zu ſeyn.


Rupert.

Wir beduͤrfen nichts weiter, und
ſind gern allein.


Wirth.

Ja, wenn alle Gaͤſte von ſolcher Ex-
traction waͤren!

(geht ab)

Rupert.

Nehmt, wie ich euch vorgelegt habe.
— Trinkt. — Seht, wie mir wohl iſt, mit ſolchem
Juͤngling, der edel denkt, der ſchoͤn gebaut iſt, der
zart fuͤhlt, der die Welt geſehn hat, der alle Tage
Edelmann und Graf ſeyn koͤnnte, ein Stuͤndchen
bei einem Glaſe Wein zu verſchwatzen.


[43]Fortunat.
Fortunat.

Ihr ſchlagt meinen Werth gar
zu hoch an.


Rupert.

Nicht ein Tuͤttelchen, Ihr ſeyd zu
beſcheiden, Ihr wißt ſelbſt nicht, was in Euch ver-
borgen. — Stoßt an Theuerſter, auf Eure bal-
dige Befoͤrderung.


Fortunat.

Wie meint Ihr?


Rupert.

Denkt Ihr denn, daß der Graf,
der Euch ſo zaͤrtlich liebt und auszeichnet, Euch ſo
laſſen wird, wie Ihr ſeyd? Nein, ich ſehe in Euch
ſchon was Großes voraus, ich ſehe die Zeit im
Geiſte, in der Ihr mein Beſchuͤtzer werden koͤnnt.


Fortunat.

Alſo meint Ihr, daß der Graf
mit mir etwas beſonders vorhaben koͤnnte?


Rupert.

Ohne allen Zweifel, — ja, es iſt
ſchon, — unter uns geſagt — beſchloſſen.


Fortunat.

Ihr macht mich begierig.


Rupert.

Eure Figur, Euer Anſtand, Eure
Art zu ſprechen, — nicht umſonſt ſeyd Ihr mit ſo
edlen Talenten begabt; Ihr ſeht ja auch, wie alle
Weiber Euch hold ſind, wie gern Euch ſelbſt die
Graͤfinn ſieht.


Fortunat.

Ihre Tugend und Hoheit nimmt
meine geringen Dienſte gefaͤlliger auf, als ſie werth
ſind, die Dienerinnen werden mir nichts nachſagen
koͤnnen, das mir zum Nachtheil gereichte.


Rupert.

Natuͤrlich nicht; Ihr ſeyd nicht zu
Ausſchweifungen geneigt, Ihr wißt Eure Zeit beſ-
ſer anzuwenden. Ihr habt auch nie an's Heira-
then gedacht?


[44]Zweite Abtheilung.
Fortunat.

Ich bin noch jung, Eheſtand iſt
eine druͤckende Buͤrde fuͤr Dienſtleute.


Rupert.

Was Ihr in allen Dingen vernuͤnf-
tig denkt, uͤber Eure Jahre hinaus — und drum
kann ich es Euch wohl vertrauen — Euer Gluͤck
iſt gemacht.


Fortunat.

Wie denn? Sprecht, mein Freund,
da Ihr mich liebt, ſo muͤßt Ihr mir nichts vor-
enthalten, das mich gluͤcklich oder ungluͤcklich ma-
chen kann.


Rupert.

Das will ich auch nicht. — Nur
einen Augenblick, ich will nur ſehn, ob der Wirth
nicht etwa horcht. — Alles gut. — Werther Freund,
Ihr habt doch wohl in dieſer Zeit bemerkt, wie
unſer Graf ſich oft mit ſeinem Kanzler eingeſchloſ-
ſen hat.


Fortunat.

Mehr als einmal, und ich habe
mich gewundert, was ſie ſo geheim berathen koͤnnen.


Rupert.

Alles geſchieht nur Euretwegen.


Fortunat.

Meinetwegen?


Rupert.

Weil die Sache in unſern Gegen-
den eben noch nicht gebraͤuchlich iſt, und man erſt
fuͤrchtete, es koͤnnte, vorzuͤglich beim Volk, einiges
Aufſehn erregen, das gewoͤhnlich alles ſchief beur-
theilt, was nicht ſeit uralten Zeiten herkoͤmmlich iſt.


Fortunat.

Was kann das Alles auf mich
fuͤr Bezug haben?


Rupert.

Laßt mich nur ausreden. Wie gern
Euch die Graͤfinn ſieht, wißt Ihr ſelbſt, der Graf
hat auch nichts dagegen, ſondern freut ſich dar-
uͤber, weil er Euch liebt: um Euch aber ſeiner Ge-
[45]Fortunat.
mahlinn ganz als Diener uͤberliefern zu koͤnnen
und allen boͤſen Leumund unmoͤglich zu machen,
der Graͤfinn Ehre auf immer ſicher zu ſtellen, ſich
auch vor der kleinſten moͤglichen Eiferſucht zu be-
wahren und Euch ſo recht ſeine Freundſchaft zu
bezeugen, hat er nach reiflicher Ueberlegung mit
ſeinem Kanzler beſchloſſen, Euch in dieſen Tagen
durch eine geſchickte ſichre Hand zum Eunuchen
oder Verſchnittenen machen zu laſſen.


Fortunat.
(ſpringt auf.)

Wie? Was?


Rupert.

Eßt, mein Lieber, trinkt.


Fortunat.

Mir widerſteht, mir ekelt alles.
Was ſagt Ihr?


Rupert.

Ihr habt ja wohl bei Euch zu
Lande ſelbſt zuweilen dergleichen Leute geſehn, die
die Rathgeber, die Vertrauten, ja mehr als die
naͤchſten Freunde und Verwandten ihrer Herrn
ſind. Unſer Graf hat nebenher, daß er beim hei-
ligen Grabe ſeine Andacht verrichtet hat, auch auf
fremde Gebraͤuche und Sitten ſein Augenmerk ge-
richtet, und denkt dieſe nun mit Euch, weil er
Euch ſo vorzuͤglich liebt, nachzuahmen.


Fortunat.

Weil er mich liebt? Entſetzlich!
Weil er mich liebt, will er mich elend, ein Unge-
heuer, einen Spott, eine Schande der Menſchen
aus mir machen?


Rupert.

Ihr ſeid erſchrocken, und ich dachte
Euch recht freudig zu uͤberraſchen.


Fortunat.

Ich muß fort! Wenn Ihr mich
lieb habt, helft mir fort, noch dieſe Nacht, gleich,
dieſen Augenblick!


[46]Zweite Abtheilung
Rupert.

Was hoͤr' ich? Ihr wollt es alſo
nicht werden?


Fortunat.

Koͤnnt Ihr noch fragen? Ich zit-
tre, bis ich die Stadt, das Land hinter meinem
Ruͤcken habe.


Rupert.

Ich dachte, weil Ihr doch ſo zuͤch-
tig und verſtaͤndig ſeyd, auch keinem Schatz habt,
und den Eheſtand nicht liebt —


Fortunat.

Lebt wohl, mein guter Rupert.


Rupert.

Bleibt doch; ſeht, waͤr' ich in Eurer
Stelle, gleich ließ' ich es mir gefallen, aber in
meiner Jugend war kein Menſch hier herum noch
auf ſolchen Gedanken gerathen.


Fortunat.

Ich gehe, ich muß fort.


Rupert.

Wie eilt Ihr denn ſo ſehr? Jezt iſt
es Nacht, die Thore ſind, wie Ihr wißt, alle
verſchloſſen, bis auf die eine Pforte. Wenn Ihr
denn durchaus Eurem Gluͤcke aus dem Wege gehn
wollt, ſo nehmt ſacht Eure Kleinodien und Euer
Geld zu Euch, beſteigt Euer Pferd, nur laßt es
erſt Tag werden, vielleicht beſinnt Ihr Euch mor-
gen oder uͤbermorgen eines Beſſeren, denn wie ich
ohne Euern Umgang leben ſoll, kann ich noch
nicht einſehn.


Fortunat.

Wenn Ihr mich nicht umbringen
wollt, ſo haltet mich nicht laͤnger.


Rupert.

Ich darf Euch nicht begleiten, man
muß nicht erfahren, daß ich Euch das Geheimniß
verrathen habe. — Aber ſo ſezt Euch doch noch,
trinkt Euren Wein aus, den Faſanen habt Ihr
[47]Fortunat.
auch noch nicht aufgezehrt. Solche Eile wird ja
der Graf gewiß nicht mit Euch haben.


Fortunat.

Der Boden brennt unter mir, der
Himmel ſtuͤrzt uͤber mir ein. Laßt Euch umarmen,
treuer, biedrer Mann; daß Ihr mir dieſe Schaͤnd-
lichkeit entdeckt habt, werde ich Euch Zeitlebens
nicht vergeſſen. Troͤſtet Euch uͤber meine Abwe-
ſenheit, und gedenkt meiner in Liebe, wie ich Eurer
gedenke.


(eilt fort.)

Rupert.

Der koͤmmt nicht wieder. Immer hinter ſich
Waͤhnt er das boͤſe Meſſer, ruhet nicht
Bis Wald und Land und Meer von hier ihn
trennen!
So denk't manch junger Fant wie klug zu ſeyn,
Und muß dem Erſten Beſten Lehrgeld geben.
Ja, ja, die Welt iſt rund, rund iſt die Liſt,
Die Einfalt geht grad aus, zerſtoͤßt die Naſe.


Der Wirth kommt.

Wirth.

Was iſt's, Herr Rupert? Unſer junger Herr,
Bleich wie das Tiſchtuch, zitternd, voller Angſt,
Rennt wie ein Blitz an mir voruͤber, ſagt nichts,
Steht mir nicht Rede, ruft nur: ich muß fort!
Muß fort! fort! ſchnell! Was hat es denn gegeben?
Ihr ſitzt ja ruhig noch beim Glaſe Wein?


Rupert.

Wißt Ihr, mein Wirth, was man Dumm-
koͤpfe nennt.


[48]Zweite Abtheilung.
Wirth.

So ziemlich, ſeht, als Gaſtwirth lernt ſich's
ſchon.


Rupert.

So'n Vogel iſt der junge Fortunat.


Wirth.

Dacht's immer mir im Stillen, wenn er gierig
Wie ſuͤßen Wein das Lob ſo in ſich zog,
Dacht' immer: ei! Herr Rupert iſt kein Pinſel,
Der bohrt gewiß dem nur ein Eſelsohr.


Rupert.

Das bitt' ich mir indeſſen aus, Herr Wirth,
Er, der den Malvaſier verzapft, den ihm
Der Keller unſers Grafen liefert, der
Faſanen ſeinen Gaͤſten vorſezt, die
Der Tafel unſers gnaͤd'gen Herrn gehoͤren,
Daß ihn der Teufel (hoͤrt Er!) nicht verſucht
Auch nur'ner Katze zu geſtehn, daß ich
Heut Nacht mit dem Maulaffen hier geweſen,
Wenn man ihm nicht den Hals umdrehen ſoll.


(ab.)

Wirth.

Ei! ei! was ſolche Kundſchaft alles ſchwatzt!
Was man im Scherz, im Ernſt ſich bieten laͤßt!
Was geht's mich an? In Gottes Nahmen moͤgen
Sie alle doch einer den andern freſſen.


(geht ab.)

Neunte
[49]Fortunat.
Neunte Scene.

(Feld.)

Fortunat.
allein.

Mein Pferd hab' ich zur Stadt zuruͤck geſandt,
Damit dem Grafen auch kein Vorwand bleibt
Mich in der Ferne aufzuſuchen, fremden Namen
Fuͤhr' ich anjezt, und jeder denkt, ich gehe
Nach Burgund hin, ſo ſagt' ich allen Leuten;
Doch wend' ich mich nach Frankreich hin in Eil,
Und dort aus einem Hafen ſtracks hinuͤber
Zum ſichern England. Keinem Freundesblick
Und keinem Laͤcheln will ich wieder traun,
Da dieſer Herr mich alſo hinterging.

(geht ab.)

Zehnte Scene.

(Saal im Schloſſe.

Heinz. Friedrich. Rupert. Der Koch.

Friedrich.

Mein Geld gereut mich Tag und
Nacht, Ihr habt uns garſtig angefuͤhrt, Freund
Rupert.


Heinz.

Ja wohl! hatte der Italiaͤner es gut
vorher, ſo hat er es jetzt noch beſſer, und waͤre er
nicht hier, ſo kaͤme er an, wenn er wuͤßte, daß er
III. [ 4 ]
[50]Zweite Abtheilung.
hier mit Euch alle Tage in Herrlichkeit und Freu-
den leben koͤnnte.


Koch.

Es ſtoͤßt unſer einem das Herz ab, und
alle Tage macht die Herrſchaft mehr aus ihm, der
Menſch wird uns alle zu Tode aͤrgern, und der
ſuperkluge Herr Rupert iſt's der dem jungen Gelb-
ſchnabel erſt noch recht viel in den Kopf ſezt, und
ſich mit unſerm Gelde luſtig macht.


Rupert.

Ja wohl, denn ohne Eure Beiſteuer
haͤtt' ich mit ihm nicht ſo ſchmauſen koͤnnen.


Der Graf tritt ein.

Graf.

Wer weiß mir hier von Fortunat zu ſagen?
Ich habe ſchon heut Morgen ihn vermißt,
Nun ſendet er den Schimmel mir zuruͤck,
Und der ihn brachte, hat ſich ſchnell entfernt;
Ich frage hin und her, doch jeder ſchweigt.
Sein Geld, die Kleinod' hat er mitgenommen:
Was kann er wollen? iſt er mißvergnuͤgt?
Wer that ihm was? Bei Gott, erfahr' ich nur
Das Mindeſte, daß wer von Euch mit That,
Mit Wort ihm etwas in den Weg gelegt,
Und waͤr er auch mein aͤltſter, treuſter Diener,
Beſchimpft wuͤrd' ich ihn aus dem Schloſſe jagen!
Sprich Rupert, denn du warſt der einzige,
Der ſein ſich annahm, der mit ihm vertraut,
Hat er dir nichts entdeckt? Bei meinem Zorn
Verſchweige nichts, was du von ihm erfuhrſt!


Rupert.

Mein gnaͤdiger Herr, verzeiht mir armen Knecht,
[51]Fortunat.
Daß ich nicht fruͤher ſchon geredet habe,
Allein die Freundſchaft die mich dieſem Juͤngling
Verband, mein heilges Wort nichts zu entdecken,
Hielt mich zuruͤck, doch Euer zorn'ger Wille
Loͤſt meine Zunge jezt. Er iſt aus Cypern,
So wie ihr wißt; in ſtillverſchwiegner Stunde
Entdeckt er mir, ſein Vater, der von Adel
Und arm geworden, hege neue Hoffnung
Am Hofe ſeines Koͤniges zu gelten.
Nun kamen geſtern ploͤtzlich Briefe an,
Die meinen Freund mit Freud' und Luſt erfuͤllten:
Der Vater iſt wie ſonſt bei Hof in Gnade,
Und ſchrieb dem Sohn, ſogleich zu ihm zu kommen,
Weil ihm der Koͤnig einen Platz beſtimmt;
Jung, wie er iſt, wollt' er ſich nicht entdecken,
Halb Schaam, daß er gedient, halb Furcht von
Euch
Erlaubniß nicht zu kriegen, trieb ihn an
In ſchnellſter Heimlichkeit Euch zu entfliehn.


Graf.

Mich freut ſein Gluͤck, doch kraͤnkt mich auch
ſein Mißtraun,
Haͤtt' er ſich mir entdeckt, mit Geld und Liebe,
Und mit Gefolge, wie es ihm geziemt,
Haͤtt' ich ihn ſeinem Vater heimgeſandt.
Mich ſchmerzt es, daß ich ihn verloren habe.


(geht ab.)

Heinz.

Alſo war der junge Menſch doch ein
Edelmann?


Friedrich.

Ja, ja, man ſah ihm gleich ſo
[52]Zweite Abtheilung.
was apartes an; er fuͤhrte ſich ſo vornehm auf,
ſeine Reden waren oft ſo gebluͤmt und bedenklich.


Koch.

Sag' ich doch, er war ein gutes Kind,
that keinem was zu Leide, freundlich gegen alle
Welt, doch ohne ſich gemein zu machen; ich fuͤr
meine Perſon habe immer einen rechten Reſpekt
vor ihm gehabt.


Heinz.

Wir alle waren ihm gut, er hatte
ſo was in ſeinen Mienen, was einem das Herz
gleich gefangen nahm.


Friedrich.

Solchen Kameraden kriegen wir
Zeitlebens nicht wieder, ich wuͤnſch' ihm alles Gluͤck.
Uebrigens Rupert, waren nun Eure Klugheit und
Eure Kuͤnſte uͤberfluͤſſig, und wir ſollten Euch mit
Eurer Weisheit brav auslachen.


Koch.

Ja wohl, ja wohl; unſer ſchoͤnes Geld!
Je nun, er wird das noch oft auf dem Brodte
kriegen, daß er uns ſo angefuͤhrt und nichts aus-
gerichtet hat.


Friedrich.

Kommt, das Mittagsmahl anzu-
richten.


(ſie gehn ab.)

Rupert.

Daß ich ein Narr waͤre und den
Dummkoͤpfen traute! Ich will mich lieber von ih-
nen foppen laſſen, als daß ich ihnen den Zuſam-
menhang entdeckte, da ich ſehe, welche große Stuͤcke
der Graf auf ihn haͤlt. Je nun, los waͤren wir
den guten Gimpel, und ich hoffe, es ſoll kein neuer
von dieſen Federn je wieder in unſern Kaͤfig flie-
gen, um uns das Futter zu verderben.


(geht ab.)

[53]Fortunat.

Zweiter Akt.


Erſte Scene.

(Spatziergang.)

Fortunat, Felix, die einander begegnen.

Fortunat
(ihn umarmend.)

Felix! Willkommen in
London! Woher? Was machſt Du hier? Ei, wie
muß ich zu der unverhoften Freude kommen?


Felix.

Mein theurer Fortunat! Wie wohl
thut einem der vaterlaͤndiſche Laut in fremder Ge-
gend! Mir waͤre es nie eingefallen, dich in London
aufzuſuchen.


Fortunat.

Ich bin ſchon ſeit einigen Wochen
hier, ich war ſeitdem in Flandern, doch bin ich
hier in England vergnuͤgter.


Felix.

Seit acht Tagen bin ich und Antonio
hier mit einem Schiffe eingelaufen, das mein Va-
ter mit Ridolfo, dem ſeinigen, hatte ausruͤſten
helfen, wir ſind ſchon wacker mit dem Verkaufen
beſchaͤftigt, und hoffen ein Anſehnliches zu ge-
winnen.


Fortunat.

Wie gefaͤllt es dir hier?


[54]Zweite Abtheilung.
Felix.

Unvergleichlich! ein luſtiges, freies Le-
ben, Maͤdchen und Weiber wie die Engel.


Fortunat.

Ich will Dich bekannt machen,
wenn du noch fremd ſeyn ſollteſt, fuͤr Geld iſt hier
Alles zu haben.


Felix.

Am Gelde fehlt es mir Gottlob nicht:
und Du?


Fortunat.

Ha! ich bin jetzt reicher als da-
heim in unſerm armſeligen Cypern, ich bin nicht
umſonſt in die Welt hineingereiſt.


Felix.

Laß uns den guten Antonio abholen,
Du weißt, er iſt etwas bloͤde und kalmaͤuſert ſo
vor ſich hin, den muͤſſen wir aufmuntern.


Fortunat.

Hier wird er ſchon aufleben muͤſ-
ſen, denn mit Kopfhaͤngen iſt in der Welt nichts
zu gewinnen; und dann will ich Euch beide zu ei-
nem Engel, zu meiner Betty hinfuͤhren, da wirſt
Du geſtehn muͤſſen, daß Du bis jetzt noch keine
Schoͤnheit geſehn haſt.


Felix.

Komm, Liebſter; o! wenn das unſre
Alten zu Hauſe wuͤßten!


Fortunat.

Glaube nur, die moraliſchen Grau-
baͤrte haben es in ihrer Jugend nicht beſſer gemacht.


Felix.

Darum wiſſen ſie auch ſo gut daruͤber
zu predigen. Wir wollen es auch im Alter unſern
Soͤhnen ſo beibringen.

(gehn ab.)

Hieronymus und Andrea kommen.

Hieronymus.

Ich kenn' Euch wohl von ſonſt, mein guter
Freund:
[55]Fortunat.
Ihr ſeyd ja der Andrea Tigurtino
Und aus Florenz? nicht wahr?


Andrea.

Ganz recht, mein Herr.


Hieronymus.

Und triebt Euch hier als lockrer Zeiſig um,
Ihr ſpieltet, tanztet, ſanget, hieltet Menſchen,
Des Nachts in Rauferein und Saufgelagen,
Wie meiſt die jungen Fremden die der Heimath
Entlaufen kaum, London zur Buͤhne machen
Der Tollheit und des Elends endlich; als
Hin alles, nichts von Haus mehr zu erwarten,
Da ſchlicht Ihr wie die Katz vom Taubenſchlage,
Und ließt den Glaͤubigern das Nachſehn hier.


Andrea.

Mein ſtrenger alter Herr, ſeyd nur ſo billig
Zu glauben, daß man ſich auch beſſern kann.


Hieronym.

Wie der verlohrne Sohn, gewiß nicht fruͤher:
Das iſt das alte Lied, ich kenn' es ſchon.
Allein was habt Ihr nun bei mir zu ſuchen?


Andrea.

Sezt Euch hier nieder, hoͤrt mich ruhig an.


Hieronym.

Doch muͤßt Ihr kurz ſeyn, denn mir mangelt
Zeit.


Andrea.

Ihr kennt doch wohl den Ritter Umfrevile?


Hieronym.

Der vor ſechs Monden nach Italien ging?


[56]Zweite Abtheilung.
Andrea.

Derſelbe, Euer edler, wuͤrd'ger Freund,
So nennt er ſich, als ich ihn vor vier Wochen
Geſehen in Turin.


Hieronym.

Und geht's ihm wohl?


Andrea.

So ſchlecht, wie's nur dem Menſchen gehen
kann:
Auf Nachſuchung des Koͤniges von Frankreich
Um ſchlechter Urſach willen, wie er ſagt,
Sizt er dort ſchwer gefangen; man verwehrt ihm
Zu ſchreiben, kaum daß ich ihn ſehen durfte.
Nun fleht er Euch und andre Freunde an,
Aus ſeiner großen Noth ihn zu erretten.


Hieronym.

Ich ſeh nicht, was ich fuͤr ihn koͤnnte thun.


Andrea.

Er meint, der Handel laͤßt mit Geld ſich ſchlich-
ten,
Daß ſeine Feind' am Hofe zu Paris
Dergleichen nur erwarten; wenn ihr ihm
Mit ein'gen tauſend Kronen helfen wollt,
So will er Euch dreifach den Werth erſetzen;
Mir hat er auch ſechshundert zugeſagt,
So wie er frei iſt, und gab mir ſo viel
Nach London herzureiſen, Euch zu ſprechen.


Hieronym.

Aufrichtig, guter Herr, wie ich gern immer
Mich zeige, dieſer Handel iſt verwirrt;
[57]Fortunat.
Wer buͤrgt mir denn (Ihr nehmt mir das nicht
uͤbel)
Daß alles, was Ihr ſagt, die ſtrenge Wahrheit?


Andrea.

So glaubt Ihr, daß ich luͤge?


Hieronym.

Ei, man luͤgt
Nicht eben immer grade zu, und findet
Doch Fußſteig', die nicht laufen wie die Straße;
Man kann ein Ding auf hundert Art erzaͤhlen,
Verſchieden immer, und doch immer wahr,
Der Kluge nimmt davon ſo viel ihm nuͤzt.


Andrea.

Seht das Juwel im Ohrring und den Namen.


Hieronym.

Ich kenn's und glaub' Euch jezt; von Herzen
gern
Moͤchte' ich auch meinem alten Freunde dienen,
Und um ſo mehr, da viel bei zu gewinnen.
Doch ſcheint es mir, er muͤſte ſich zuerſt
An ſeinen Koͤnig wenden, an den Hof.


Andrea.

Er meint durch Euch geſchaͤhe dies am beſten,
Er ſagte mir, er habe viele Neider,
Auch habe man die Reiſe ihm verdacht,
Der Koͤnig ſelbſt ſie nicht gebilligt, drum
Denkt er, daß Geld und gutes Wort, von Euch
Zur rechten Zeit, dem rechten Mann geſagt,
Genug vermoͤg', in Freiheit ihn zu ſetzen.


Hieronym.

Wir Italiaͤner ſind hier nicht beliebt,
[58]Zweite Abtheilung.
Das Volk nennt uns nur Wuchrer, Pfaͤnderjuden,
Man kann ſich als Lombarde nicht empfehlen;
Der Adel, der uns braucht, theilt die Geſinnung
Des Poͤbels doch, man ſchmeichelt und beſchimpft
uns,
Wie Ebbe oder Fluth es mit ſich bringt:
Und dann auf's Ungewiſſe mich zu wagen,
Fernem Gewinn ein Capital zu opfern —
Wohl zu verlieren — kann kein Freund verlangen;
Drum Herr Andrea, macht Euch an den Hof,
Sollizitirt, ſucht Protektion, ſchafft Buͤrgen,
Dann ſteht Euch mein Vermoͤgen gern zu Dienſte,
Denn ich bin auch kein Thor, redlichen Vortheil
Geradhin abzuweiſen. Eigentlich
Iſt es des Koͤnigs Sache; ſeht, dort koͤmmt
Der junge Ritter Gerbert, ſprecht mit dem,
Der gilt gar viel bei ſeiner Majeſtaͤt.
Adieu, mein Herr Andres, auf Wiederſehn.

(ab.)

Andrea.

Rekommandir' mich Euch, mein edler Herr. —
Das iſt ja recht ein ausgemachter Jude;
Ich ſehe ſchon, ſo treib' ich es nicht durch,
Der kann da draus in ſeinen Ketten ſitzen,
Die Freundſchaft hier verlanget Pfand und Buͤrgen.


Gerbert kommt mit einem Diener.

Gerbert.

Du trafſt ihn nicht? Wo kann er denn nun
ſeyn?


Diener.

Die Lady ſprach, er ſuch' Euch, edler Herr.


[59]Fortunat.
Andrea.

Mein edler Herr und Ritter, hoͤrt mich an.


Gerbert.

Iſt's ein Geſchaͤft, ſo kommt ein andermal,
Ich bin anjezt fuͤr Seine Majeſtaͤt
In Eil' und Sorg'; die Hochzeit in Burgund,
Vermaͤhlung ſeiner koͤniglichen Schweſter
Giebt alle Haͤnde mir vollauf zu thun,
Ein Brautſchmuck iſt gekauft von koͤſtlichen
Juwelen, der wird uͤber's Meer geſandt,
Bis das geſchehn, hab' ich fuͤr ſonſt nichts Zeit. —
Da iſt der Ritter!


Ritter Oldfield koͤmmt.

Gerbert.

Ihr ſollt gleich zum Koͤnig.


Oldfield.

Ich weiß es ſchon und will jezt zu ihm eilen.


Gerbert.

Der Koͤnig will den Schmuck Euch uͤberliefern,
Dann koͤnnt Ihr hoffentlich in kurzem reiſen.


Oldfield.

He! Peter! ſage meiner Frau daheim,
Daß ſie mich heut zum Eſſen nicht erwartet,
Wenn ich nicht da bin zur geſezten Stunde.


(ſie gehn.)

Andrea.

Das ſieht gar mißlich aus mit meinen Wuͤn-
ſchen,
Da iſt auch keiner, der mich hoͤren moͤchte,
Der ein' hat dies, der andre das zu thun.
[60]Zweite Abtheilung.
Ich ſeh', der kann verroſten in Turin
In ſeiner Noth, und ach! das ſchoͤne Geld
Das ich in Haͤnden ſchon zu haben glaubte
Iſt auch ein Traum. Man muß auf andres denken.


(geht ab.)

Zweite Scene.

(Wirthshaus.)

Fortunat, Betty, Felix, Anne, Antonio.
Walther, Kellner, ein Schiffer
treten ein.

Fortunat.

Tretet unterdeſſen hier herein meine
Freunde, und laßt uns einige Glaͤſer Wein genie-
ßen. — Ihr habt Eure Barke eingerichtet, wie
ich befahl?


Schiffer.

Vollkommen, gnaͤdiger Herr.


Fortunat.

Mit Teppichen und Polſtern be-
legt? die Speiſen und die Weine ſtehn bereit?


Schiffer.

Alles ſo, wie Ihr es gewollt.


Fortunat.

Wenn das Schiff mit den Mu-
ſikanten da iſt, ſo ruft uns, ſie ſollen vor uns
hin und in einiger Entfernung neben uns auf dem
Waſſerſpiegel ſchwimmen, damit wir in aller Luſt
des heitern Tages genießen koͤnnen. Nun geht.

(Schiffer ab)

Das iſt anders, mein Felix, nicht
wahr, als zu Hauſe hinter dem Rechentiſche ſitzen,
die Geldſorten ausſuchen, und die falſchen Heller
[61]Fortunat.
ausſchließen, um ſie Handlangern und Tageloͤhnern
aufzuheften?


Felix.

Ja wohl, und anders, Antonio, als
im Gewoͤlbe auf und ab ſpazieren, wie ein wildes
Thier hinter ſeinem Kaͤfig und jeden Voruͤberge-
henden anzurufen: befehlt Ihr vom neuſten, fein-
ſten, aͤchten Tuch? oder andre Waaren?


Antonio.

Ihr habt gut Sprechen, Freunde,
zwei ſo huͤbſche Freundinnen ſitzen neben Euch und
auf Eurem Schooß —


Betty.

Biſt du darum verlegen alberner
Tropf! Meine Schweſter wird ſich freuen, dich
kennen zu lernen. Da, trink, Einfalt, auf ihr
Wohlſeyn!


Antonio.

Wenn ihr ſie bereden koͤnnt, ſo laß
ich ihr ein eben ſo ſchoͤnes Kleid und Haube ma-
chen, auch ſolchen goldnen Schmuck, als Ihr vom
Fortunat bekommen habt. Was der Menſch un-
terwegs fuͤr Gluͤck muß gemacht haben, daß er ſo
viel Geld kann aufgehn laſſen.


Fortunat.

Sagt ich's Euch nicht zu Hauſe
ſchon? einem Menſchen wie mir, kann es niemals
fehlen.


Betty.

Da haſt du Recht, ſchoͤner Junge;
und darum lieb' ich dich.


Fortunat.

Liebſt du mich denn recht von
Herzen?


Betty.

Zweifelſt du noch? Sterben koͤnnt'
ich fuͤr Dich. Wenn Du ſo fragſt, wirſt Du mich
zum Weinen bringen.


Anne.

Sie erkennen es niemals, die wilden
[62]Zweite Abtheilung.
Landſtreicher, wie die ſchwachen gutherzigen Maͤd-
chen ſich ihnen mit Leib und Seele ergeben.

(ſingt)

Nein, nicht lieben

Nur betruͤben

Koͤnnen ſie,

Und wir Thoren

Sind verloren,

Finden nie

Was mit Thraͤnen

Und mit Sehnen

Wir geſucht,

Denn die Maͤnner

Bleiben immer

Herb, verrucht:

Zeit vertreiben

Wollen ſie,

Treu verbleiben

Nimmer nie.

Felix.

Da trink, ſchoͤnes Kind, fuͤr Dein Lied.


Fortunat.

Sing' ein anderes, Betty, Deine
Stimme iſt noch ſchoͤner.


Betty.
(ſingt)

Ach! Liebe, groß iſt deine Macht

Und peinigend dein Schmerz,

Ich lieb' ihn treu, der mich verlacht,

Das bricht mein armes Herz.

Fortunat.

Nein, das ſoll es nicht, beim
Himmel uͤber uns! Sag', Engel, was willſt Du?
Befiehl, ſinne, erdenk' doch nur etwas! Nein, ſey
nicht ſo zuruͤckhaltend, vergieb mir meinen geſtrigen
Scherz; zeige, daß Du mir vergeben haſt und for-
der jetzt etwas von mir.


[63]Fortunat.
Betty.

Weiß ich doch, daß Du großmuͤthiger
biſt, als ein Prinz. Nun ſo gieb mir den Dia-
mant von Deinem Finger.


Fortunat.

Da, nimm' ihn, mein Herz; den
hab' ich in Flandern im Lanzenſtechen gewonnen,
und die ſchoͤnſte Graͤfinn von der Welt hatte ihn
zum Preiſe ausgeſezt.


Walther.

Aber bei wem, ihr Burſchen,
ſchmauſe ich denn heut? Soll denn meine Kehle
ganz trocken bleiben, ihr Gruͤnſchnaͤbel?


Fortunat.

Bei mir, wie gewoͤhnlich.


Walther.

Mir iſt's Recht, Du Koͤniglichge-
ſinnter, laß geben, reichen, Du Bube mit dem
Feuer-Auge! Nun, Cavalier, da Du ein Edel-
mann biſt, nichts Gewoͤhnliches, kein duͤnnes Ge-
traͤnk, laß vom beſten feurigſten Spaniſchen brin-
gen, wie es ſich fuͤr einen Cavalier ſchickt, Euer
ſaures Geſoͤff kann mein Magen nicht vertragen.


Felix.

Morgen mußt Du mit mir trinken,
Alter.


Walther.

Wenn ich muß, muß ich, ſonſt
halt' ich mich da zu meinem Goldlockigen. Seht,
wie dem Flegel die rubinrothen Lippen ſo himmlich
zu Geſichte ſtehn, als haͤtte er ſie eigen beim Ju-
welier dazu beſtellt! Und die Sapphir-Augen! Kuͤ-
fer, ſagt ſelbſt, Maulaffen, habt Ihr ſchon jemals
ein ſolches Geſicht hier an Euren Waͤnden ſitzen
gehabt? Sprecht!


Kellner.

Der gnaͤdige Herr iſt ein Ausbund
von Schoͤnheit, Großmuth und Freigebigkeit.


Walther.

Da, Fortunat, trink einen Becher
[64]Zweite Abtheilung.
mit mir. Nicht von jedem laß' ich mich bewirthen,
nicht mit jedermann trink' ich aus einem Becher,
aber Du biſt nicht wie die uͤbrigen Erdenkloͤße, Du
edle Range Du! Ich ſterbe darauf, daß er der
Baſtard vom witzigſten ſchoͤnſten und vornehmſten
auf ſeiner Inſel iſt, denn im Ehebett wird derglei-
chen nie erzeugt.


Fortunat.

Ihr ſeyd heut naͤrriſch, Alter.


Walther.

Kellner, da, leer, ein friſches. —
Naͤrriſch? Ich glaube, der Pinſel nimmt's uͤbel,
daß ich ihm ſo viel Ehre erzeige. Naͤrriſch, Du
Baumwollengeſpinnſt? Soll mich doch der Henker
holen, daß mich, ſo ein alter Kerl ich auch bin,
noch nie jemand in meinem Leben mit ſolchen Au-
gen angeſchaut hat, ſo daß ich, als ich dem Jun-
gen zum erſtenmal begegnete, meinte, das Herz
muͤßte mir vergehn; und ich bin doch nicht einer
von denen, die ſich leicht bange machen laſſen, und
habe wohl ſchon Rittern und Grafen derbe Grob-
heiten geſagt. Aber Du biſt anders, Du Seiden-
raupe Du! Man ſollte meinen, ſeine Mutter haͤtte
ſich an der ſchoͤnſten Bildſaͤule aus dem Alterthume
verſehen.


Andrea tritt ein.

Andrea.

Schnell ein Glas Claret, vom be-
ſten, ich habe Eil!


Kellner.

Ei, Herr Andres! Herr Andres!
Seyd Ihr denn auch wieder da?


Andrea.

Wie du ſiehſt, Narr. Nun, Herr
Walther, wie geht's?


Walther.
[65]Fortunat.
Walther.

Mir geht's, wie immer; aber ein
Abentheurer, wie Ihr, ein herumirrender Junker von
der leeren Taſche muß ſeitdem manches erlebt haben.


Andrea.

Immer noch das loſe Maul? Iſt
Euch denn keiner ſeitdem druͤber gekommen, altes
Fell?


Fortunat.

Laßt das, der liebe Alte iſt unſer
Freund, und wir dulden es nicht, daß man einem
ſo wuͤrdigen Manne ſchimpflich begegnet.


Andrea.

So? Seyd Ihr ſein Vorkaͤmpfer?
Er ſaͤuft wohl von Eurem Wein, und hofirt und
ruͤffelt Euch abwechſelnd? Nun, wohl bekomm's,
Ihr werdet ihn ſchon noch kennen lernen.


Fortunat.

Wir verbitten uns dergleichen ein
fuͤr allemal.


Andrea.

Ich ſage kein Wort mehr. — Da
iſt der Wein; gieb, ich bin durſtig.


Antonio.

Ihr thut auch am kluͤgſten, Menſch,
denn ſeht, ſeht, — ich kann mich kaum faſſen, daß
ich Euch nicht beim Kragen nehme: Blut muͤßte
eigentlich fließen, weil Ihr dem verehrten Herrn
ſo ſchnoͤde begegnet.


Andrea.

So? — Da, nimm Dein Geld, Kell-
ner; und nun lebt wohl, auf Wiederſehn, Ihr jun-
gen, unfluͤcken, aus dem Ei gekrochnen Neſtlinge,
die der alte Uhu da ausbruͤten ſoll.

(geht ab.)

Betty.

Der unverſchaͤmte Geſell! Aber, Du
kleiner Dicker, ich haͤtte dich nicht fuͤr ſo tapfer ge-
halten.


Antonio.

O mein Seel, mir thut's leid, daß
ich ihn ſo habe gehn laſſen, ich habe mich noch
III. [ 5 ]
[66]Zweite Abtheilung.
Zeitlebens mit keinem herumgeſchmiſſen, und der
kam mir nun ſo gerade in den Wurf, der Flegel
der!


Walther.

Gieb Dich zur Ruhe, Kurzbeini-
ger, Du biſt noch jung, Du kannſt in Deinem Le-
ben noch Schlaͤge genug davon tragen, wenn Dir
das Fell ſo ſehr juckt. Der Pinſel, der von uns
ging, hatte immer nur fuͤr zehn Dukaten Verſtand,
er hat aber etliche hundert in jaͤmmerlicher abge-
ſchmackter Liederlichkeit durchgebracht, nun iſt er
ganz dumm und ſchuftig, und kann niemand, am
wenigſten mich beleidigen; wenn man ihn umſtuͤrzt,
fallen ihm nur Kupferpfennige aus der Taſche,
und ſchuͤttelt man ſein Gehirn, ſo giebt es nur
noch verſchimmelte Sentenzen, Sprichwoͤrter und
laͤngſt vergeſſene Anekdoten-Schwaͤnke von ſich.
Er iſt ſchon krepirt, und damit gut, er iſt unter
Euch: Du, Fortunat, mußt dergleichen armen
Schubjack nicht einmal mit betrunkenen Augen an-
blinzeln und mit dem Glanz Deiner Blicke ver-
golden, er wird dadurch wieder auf vier Wochen
zum wuͤrdigen Mann.


Betty.

Ja wohl. Laß dich kuͤſſen, Fortunat,
mein liebſter, liebenswuͤrdigſter Juͤngling.


Schiffer tritt ein.

Schiffer.

Die Muſikanten ſind da.


Fortunat.

Kommt, alter Herr.


Antonio.

O wenn uns unſre Vaͤter doch
nur auf ein Viertelſtuͤndchen ſo ſehn koͤnnten!


[67]Fortunat.
Felix.

Schweig, erinnre mich nicht an das
armſelige Leben zu Hauſe.


Antonio.

Ich denke nur, ſie ſollten ſich auch
einmal recht uͤber uns aͤrgern, da wir bisher den
Verdruß immer haben einſchlucken muͤſſen.


Walther.

Heut Abend muͤßt Ihr euch wie-
der einmal in der Großmuth ſehen laſſen, ihr jun-
gen Wildfaͤnge, die Freunde kommen zum Wuͤrfel-
ſpiel, die Fraͤulein Betty giebt einen Schmauß,
getanzt muß werden und gezecht, und ſo genießt
des Lebens und lernt Weisheit und Anſtand, ihr
Jungen! Auf, marſch!


(alle ab.)

Dritte Scene.

(Zimmer.)

Ritter Oldfield, Herbert, Lady Marga-
retha
.

Herbert.

Jetzt koͤnnt Ihr alſo reiſen wann Ihr wollt?


Oldfield.

Denſelben Augenblick, daß mir mein Koͤnig
Zuſendet ſeinen gnaͤdigen Befehl.


Herbert.

So lebt denn wohl! Ihr, meine ſchoͤne Frau,
Werdet nun um des Gatten Ferne trauern,
[68]Zweite Abtheilung.
Doch koͤmmt er bald geſund zu Euch zuruͤck;
Auch goͤnnt der alte Herr dem Freunde wohl
Indeß Euch zu beſuchen, Zeitvertreib,
Zerſtreuung Euch zu machen, Nachricht auch
Von ihm zu hoͤren; nicht, mein liebſter Freund?
Doch zuͤrnet nicht dem Scherz, gehabt Euch wohl.


(geht ab.)

Oldfield.

Das junge Volk, wie Fuͤllen in der Sonne
So ſpielt's und ſpringt, und denkt an keinen Ernſt.


L. Margaretha.

Und dieſer gar, vom Koͤnige geliebt,
So ſchoͤn ſich duͤnkend und ſo liebenswerth
Iſt unertraͤglich; huͤpfend, wie ein Gaukler,
Taͤndelnd und ohne Sinn dem Schalksnarrn gleich
Faͤllt er den Weibern ewig nur zur Laſt
Und meint, daß alle Herzen ihm gehoͤren.


Oldfield.

So war es freilich nicht zu meiner Zeit,
Als ich noch jung, gewandt im Tanz und Kampf,
Da mußten andre Gaben ſolchen ſchmuͤcken
Der an dem Hof ſich zeigen wollte; Witz,
Galanterie und hoͤflich feine Sitte,
Ein klug geſprochenes Wort auf jede Frage,
Und Adelſinn und Biederkeit und Ehre,
Die galten damals: doch wie immer leichter
Das Gold und Silbergeld alltaͤglich wird,
So eben iſt es mit den Menſchen auch. —
Ich hab' es ſchon in meinem Sinn erwogen,
Daß, wenn ich nach Burgund die Reiſe mache,
Der edlen Braut den Schmuck zu uͤberliefern,
[69]Fortunat.
Kannſt Du indeß zu meiner lieben Schweſter
Nach Yorkſchire reiſen; hier biſt Du verlaſſen,
Dort findeſt Du Geſellſchaft, Zeitvertreib.


L. Margaretha.

Mein lieber Mann, ich haͤtte nicht gedacht,
Daß ich Dir je Gelegenheit zum Argwohn
Von ferne nur gegeben, nun nach Jahren
Willſt Du mir den Eiferſuͤchtigen ſpielen?


Oldfield.

Je mehr ich aͤlter werde, um ſo mehr
Iſt Vorſicht, Klugheit nur an ihrer Stelle.
Stets hab' ich nicht begreifen koͤnnen, wie
Aus unbedachtem Leichtſinn ſich ſo mancher
Verdruß und Ungluͤck zubereitet, drum
Magſt Du dich meiner Ueberlegung fuͤgen.


L. Margarethe.

Daß Du mich kraͤnkſt, das gilt Dir alſo gleich?


Ein Diener koͤmmt.

Diener.

Ein junger Mann wuͤnſcht gleich mit Euch zu
ſprechen.


Oldfield.

Fuͤhr' ihn herein. — Vergieb, mein Kind, ſey
folgſam,
Denn alles dient zu Deinem eignen Beſten.


Andrea tritt herein.

Andrea.

Verzeiht, mein edler Ritter, die Beſchwer,
Die mein Beſuch Euch macht. Man ſagte mir,
Daß Ihr mit treflichen Juwelen, die
[70]Zweite Abtheilung.
Der Koͤnig angekauft fuͤr Burgunds Braut,
Bald uͤber See zu gehn gedenkt: darf ich,
Da mein Gewerb' auch mit Juwelen iſt,
Euch bitten, ſie zu ſehn?


Oldfield.

Tretet herein,
Sie ſind da drinn in einem Schrank verwahrt,
Und da Ihr Kenner ſeyd, urtheilet ſelbſt
Wie koͤniglich und koſtbar dies Geſchmeide.


Andrea.

Ich komme von Florenz, und bringe Steine,
Ich will nicht ſagen, wie vortreflich, mit,
Doch, hab' ich die geſehn, die Ihr verwahrt,
So kann ich wiſſen, ob die meinigen
Nicht unwerth ſind, dem Koͤnig ſie zu bieten,
Um jenen Schmuck noch herrlicher zu machen.


Oldfield.

So tretet nur herein, mein werther Herr.


(gehn.)

L. Margaretha.

In Wuͤſteneien will er mich verbannen,
Von Stadt und Hof und allen meinen Freunden?
Nie kennen doch die Maͤnner ihren Vortheil.
Noch fiel mir niemals ein, ihn zu vergleichen
Mit andern, Laͤcheln, Blicke zu erwiedern,
Doch koͤnnt' er leicht mich ſo verdruͤßlich machen,
Daß ich das ſuchte, was er will vermeiden.


(ab.)

[71]Fortunat.
Vierte Scene.

(Straße.)

Fortunat tritt auf.

Fortunat.

Ich bin zum Ungluͤck geboren,
alles hin, alles fort, was ich beſaß, und keine Aus-
ſicht, keine Hoffnung, etwas wieder zu gewinnen,
wenn meine Freunde, meine Landsleute mir nicht
aus der Noth helfen. O die verdammten Wuͤrfel!
verflucht, wer ſich mit ihnen einlaͤßt, wer ihnen
traut.


Felix kommt.

Felix.

Schleichſt Du auch ſo in der Daͤm-
merung durch dieſe einſame Gegend der Stadt?


Fortunat.

Ja, mein Felix, mein geliebter
Bruder; ich habe Dich ſchon in Deiner Wohnung
geſucht, ich hatte Dir etwas Noͤthiges, Dringendes
zu ſagen.


Felix.

Ich war verdrießlich fortgegangen, und
ich bin auch noch nicht vergnuͤgt. Was haͤtteſt
Du mir mitzutheilen?


Fortunat.

Lieber, jezt kannſt Du zeigen, ob
Du mein Freund biſt: durch unbeſchreibliches Un-
gluͤck, durch unbegreifliches Mißgeſchick, ſo daß
mir auch kein einziger Wurf zuſchlug, habe ich al-
les das Meinige verloren, meine guten Kleider
ſchon verkauft, alles eingebuͤßt.


Felix.

Und Du haſt gar nichts uͤbrig behalten?


[72]Zweite Abtheilung.
Fortunat.

Auch keinen Heller, um mich
heut Abend nur mit einem Biſſen Brod zu er-
quicken.


Felix.

Armer Schelm. Nach Deiner Art zu
leben, und wie Du uns dazu anfuͤhrteſt und auf-
munterteſt, dacht' ich, welche Goldgruben Dir zu
Gebote ſtaͤnden. Ei! ei! das iſt eine traurige und
boͤſe Sache, eine jaͤmmerliche Ausſicht auf viele,
viele Wochen.


Fortunat.

Hilf mir nur mit Wenigem.


Felix.

Ja, wie ſoll ich Dir helfen, guter
Junge? Geht es mir denn beſſer? Ich bin in Ver-
zweiflung: ich habe alle Waaren verkauft, aber auch
alles Geld dafuͤr rein, rein ausgegeben; ein Tag
ging nach dem andern hin, ein Vergnuͤgen folgte
dem andern, und die Maͤdchen hier ſind ja mit ih-
ren Forderungen unerſaͤttlich, man iſt zu ſchwach,
zu dumm, zu jung, ihnen etwas abzuſchlagen.
Glaube nur, ich habe weit mehr Geld in der kur-
zen Zeit durchgebracht, als Du, mir ſchwindelt
der Kopf, wenn ich daran zuruͤck denke; und wo ich
nur die Dreiſtigkeit dazu hergenommen habe, und
was nur mein Vater dazu ſagen wird! Zum Gluͤck
habe ich doch noch einiges als Bezahlung in Waa-
ren abliefern muͤſſen, aber ich kriege keinen Heiler
darauf, bei zwanzig Kaufleuten, die freilich meinen
Lebenswandel mit angeſehn haben, bin ich ſchon
herum geweſen. Was bleibt mir uͤbrig? Gottlob,
daß noch ein alter Faktor aus Cypern hier iſt, der
morgen zuruͤckreiſet, bei dieſem habe ich mich ange-
bettelt, daß er mich nur frei zuruͤcknimmt. Aber
[73]Fortunat.
das Gluͤck, mein Freund, das mir nun zu Hauſe
bluͤht, kannſt Du Dir denken, denn ſeit die Inſel
ſteht, hat noch kein junger Menſch in der kurzen
Zeit ſo viel Geld verſchwendet. Wenn Du dahin
zuruͤck willſt, glaub ich wohl, daß der alte Baltha-
ſar Dich auch mit naͤhme, er iſt eine gute Haut.


Fortunat.

Nimmermehr! Eher hier verhun-
gern, als in ſolchem Zuſtande nach Hauſe kommen.


Antonio koͤmmt.

Antonio.

Gut, daß ich Dich finde, mein
theurer, mein liebſter Fortunat, ich habe Dich ſchon
allenthalben geſucht. Du mußt, Du wirſt mich
retten. Ich will heut uͤber meine Caſſe gehn, um
wieder einmal eine recht großmuͤthige Ausgabe zu
machen, und ſehe, daß ich alles, alles bis auf den
unterſten Boden ſchon rein ledig gemacht habe.
Sey ſo gut und gieb mir lieber eine etwas anſehn-
liche Summe, daß ich bald mit Ehren zuruͤckreiſen
kann, ich hoffe Dir dann etwa in drei viertel Jahr,
oder einem Jahre hoͤchſtens, mit einer Kaufmanns-
gelegenheit alles mit meinem herzlichſten Danke
wieder zu uͤbermachen.


Fortunat.

Ha! ha! ha! Camrad und beſter
Antonio, das Schickſal macht Dich bitter ironiſch
und ſpaßhaft.


Felix.

Ja, ja, es iſt mein Seel zum Todt-
lachen! Ha! ha! ha!


Antonio.

Lachen Freunde, uͤber die Noth
ihres Gefaͤhrten?


[74]Zweite Abtheilung.
Fortunat.

Und wenn mir das Meſſer an
der Kehle ſaͤße, ſo muͤßte ich lachen.


Felix.

Ja, ich muͤßte herausplatzen, und ſtaͤnd'
ich ſchon unterm Galgen.

(ſie lachen)

Antonio.

Aber dieſe Begegnung —


Felix.

Nimm doch nur Vernunft an, Pinſel,
da Du kein Geld bekommen wirſt, daß es ihm und
mir eben ſo geht, wie Dir; wir kommen alle aus
demſelben Kloſter, wo wir das Geluͤbde der Ar-
muth abgelegt und geſchworen haben, kein Geld
bei uns zu tragen. Er wollte bei Dir borgen, und
ich dachte Dich anzuſprechen.


Antonio.

Lachen kann ich freilich nicht, wie
Ihr, aber eine wunderliche Sache iſt es.


Walther koͤmmt.

Walther.

Nun? Da ſtehn die drei Gaͤnſe
beiſammen und halten Rath, auf welcher Wieſe ſie
heut graſen ſollen. Hoͤr, Felix, heut will ich end-
lich einmal mein Verſprechen gut machen, und mit
Dir ſchmauſen, Du haſt ſelbſt geſehn, wie mich
Fortunat niemals frei geben wollte; heut bin ich
dazu aufgelegt, recht ausgelaſſen zu ſeyn. — Keine
Antwort? Verdient mein freundſchaftliches Aner-
bieten, meine Herablaſſung keinen Dank? Fahr
wohl, Narrengeſicht mit der aufgekraͤmpten Naſe!
ſo bleib' ich bei meinem Prinzen, meinem Fortu-
nat, der iſt es auch wuͤrdiger.


Fortunat.

Ach! Walther! Walther!


Walther.

Nun, was giebt's? Was ſind denn
das fuͤr phyſiognomiſche Anſtalten, fuͤr ein Alter-
[75]Fortunat.
Weiberton? Ihr ſeht ja aus, als wolltet ihr die
Kranken pflegen und Buße predigen.


Fortunat.

Ach! wertheſter Walther, wir ſind
in einem erbaͤrmlichen Zuſtande.


Walther.

Wie ſo? Ich will doch nimmer-
mehr hoffen —


Fortunat.

Zwiſchen uns allen Dreien iſt kein
Kreuzer zu theilen, alles iſt verloren, verſchwen-
det, verſpielt, verſchenkt.


Walther.

So? Alſo mit dem Ausſatz der Ar-
muth ſeyd Ihr behaftet? Fort, daß Euer Athem
mich nicht anſteckt! Alſo ſo ſchnell, ihr fremden
Gimpel, haben ſie euch gerupft? O ihr armſelig-
ſten aller armſeligen Windbeutel! Dazu mußtet
ihr uͤber das Meer ſeegeln? Mehr hat mein guter
Rath nicht bei Euch gefruchtet? Man wirft ſich
nur weg, mit ſolchem Geſindel umzugehn.


Fortunat.

Ihr habt uns ja nie gewarnt,
immer zum Verſchwenden aufgemuntert.


Walther.

Ich wollte euch zu etwas erziehn,
das ſich ſehn laſſen durfte; ihr habt mir ja nie
geſagt, daß ihr arme, bettelhafte, lauſige Wichte
waͤrt; da ich ſah, daß ihr mit Teufels Gewalt das
Geld wegſchmeißen wolltet, ſo habe ich euch doch
gezeigt, es auf gute Art zu thun.


Fortunat.

Aber helft, rathet uns nun, mein
Freund.


Walther.

Helfen? Womit? Euch Geld ge-
ben, daß Ihr es wieder an Huren wendet, verſauft
und in Spielhaͤuſern verliert? Auch habe ich
keins. Rath? Ihr ſeyd zu dumm, Rath anzu-
[76]Zweite Abtheilung.
nehmen. Haͤngt euch, je fruͤher, je beſſer, das iſt
mein Rath. Ich ſchaͤme mich vor allen Menſchen,
daß ich mich mit Euch abgegeben habe.


Fortunat.

Da Ihr ſo grob und gemein ſeyd,
ſo wißt, daß ich Euch auch nicht brauche; vergeß'
ich denn ganz das Weſen, das mich auf dieſer
Welt am meiſten liebt? Hier ſtehn wir gerade vor
ihrem Hauſe. Sie wird ſich meiner annehmen,
ſie wird fuͤr mich thun, was ich fuͤr ſie gethan
habe.

(pocht an.)

Drinnen.

Wer iſt da?


Fortunat.

Dein Fortunat, Deine Seele;
mach auf, mein Herz, mein Engel.


Betty.
oͤffnet das Fenſter.

So ſpaͤt und ſo uner-
wartet, mein Geliebteſter? Komm herein! Bringſt
Du mir den Perlenſchmuck, den Du mir ver-
ſprachſt? Gieb mir einen Kuß, Du trauter Her-
zensjunge.


Fortunat.

Ach, Betty, liebſt Du mich denn
wirklich? Willſt Du es mir beweiſen?


Betty.

Fordre mein Leben, mein Blut, Du
meine Seele.


Fortunat.

Ich bin ganz verarmt, leih mir,
gieb mir zuruͤck die dreißig Pfund, die ich Dir
vorgeſtern gab, oder nur zehn, nur fuͤnf, um mei-
ner dringendſten Noth fuͤr's erſte abzuhelfen.


Betty.

Anne! Anne! komm' doch mal her!


Anne.
(am Fenſter)

Was giebt's denn?


Betty.

Sieh doch einmal da draus den rup-
pigen, ſchaͤbigen Schuft an, der wie ein hungriger
Wehrwolf da vor mir ſteht, und mich um zehn, oder
[77]Fortunat.
dreißig Pfund anſpricht, mit demſelben Geſicht,
das er wie ein abgepruͤgelter Kater in den Mond-
ſchein hinein ſtreckt. O Du armſeliger Lump! Um
das Meinige willſt Du mich bringen? Was hab'
ich von Dir? Meine Zeit habe ich bei Dir verlo-
ren, meine Freunde, Grafen und Herren von mir
verſcheucht; und nun kommſt Du, und willſt bor-
gen? Borgen von mir?


Fortunat.

Kannſt Du ſo mit mir ſprechen?
Iſt es dieſelbe Betty, die ich ſonſt kannte? Wenn
Du kein Geld haſt, laß mich ein, es iſt kalt, mich
hungert, laß uns in Traulichkeit noch einmal eine
gute Mahlzeit, eine Flaſche Wein mit einander
genießen: das kannſt Du doch wohl fuͤr den thun,
fuͤr den Du Dein Leben aufopfern wollteſt?


Betty.

Auch noch kein Glas Duͤnnbier, Du
jaͤmmerlicher Kerl. Anne, wenn er nicht geht, ſo
lauf nach der Schaarwache.

(macht das Fenſter zu.)

Fortunat.

Traͤum' ich? Nein, es iſt Wahr-
heit, aus ihrem Munde ſpricht mein haͤrteſtes Ver-
haͤngniß und ſchilt ſo bitter meinen Leichtſinn, meine
verlorne Zeit, meine verdorbnen Sitten. O ihr
Sterne! daß ich das erleben, daß ich mich ſo ver-
achten muß.


Antonio.

Das war ein ſchlechter Troſt, Bruder.


Walther.

Kann denn dein Magen das vertra-
gen, Italiaͤner? Biſt Du denn ſo gar nichtsnuͤtzig,
daß die Creatur, die Du erhalten, gekleidet haſt,
die Dich beſtahl und pluͤnderte, daß die ſo mit Dir
reden darf? Schaͤmſt Du Dich nicht, daß Du ihr
nicht mit derſelben Hand einige Zaͤhne einſchlugſt,
[78]Zweite Abtheilung.
mit der Du ſonſt ihre verbuhlten, geſchminkten
Wangen geſtreichelt haſt? Nein, Du haſt keinen
ehrlichen Blutstropfen mehr im Leibe, keine Faſer
von einem Manne an Dir, wenn Du das alles
ſo gelaſſen, ohne Erwiederung hinnimmſt.


Fortunat.

Du haſt Recht, meine Geduld,
meine demuͤthige Sanftmuth iſt ſchimpflich. Ich
rufe ſie noch einmal heraus. Nun ſollt Ihr ſehn,
daß ich auch Galle habe.

(er pocht an)

Betty! Betty!
— Nein, nicht Betty; wie kaͤme eine ſolche ge-
ſchminkte, elende, ſeelenloſe Puppe zu einem chriſt-
lichen und ehrlichen Nahmen? Du Scheuſal, aus
Schminke, Luͤgen, Wein, und geſtohlnen und er-
bettelten Naͤſchereien zuſammen geſezt, mit ſeidnen
Fetzen behaͤngt, die die Unkeuſchheit, Deine uͤppige
verſtellte Umarmung, die Kuͤſſe auf widerwaͤrtigen
Lippen erſt erkaufen muͤſſen, hoͤre, wie ich Dich
verachte und verabſcheue! Der Henker, der Kar-
rengaul, das elendeſte Vieh iſt in der Schoͤpfung
beſſer und edler, und nimmt einen hoͤheren Rang
ein, als Du, fuͤr die ſcheußlichſte Suͤnde lebend,
in ihr athmend, ſelbſt verpeſtet um andre zu ver-
peſten!

(man hoͤrt drinn laut lachen.)

Walther.

So war's Recht; wenn das Af-
fengeſicht auch thut, als macht' ſie ſich nichts dar-
aus, ſo aͤrgert ſie ſich doch, die Worte zu hoͤren,
und Du haſt auch Dein Herz etwas erleichtert.
Nun leb' wohl, fahrt alle wohl, ihr guten Kin-
der, und betragt euch ein andermal kluͤger.


(geht ab.)

[79]Fortunat.
Felix.

Da ſtehn wir, als waͤren wir blind
mit dem Kopfe gegen eine Mauer gerannt.


Antonio.

Und gar keinen Troſt giebt es?
Wenn er auch nur ſo klein waͤre, daß ſich eine
Muͤcke darin baden und erquicken koͤnnte, es waͤre
doch etwas.


Felix.

Komm, der alte Balthaſar muß Dich
auch mitnehmen nach Cypern, wie mich, und die
Zehrung auslegen.


Antonio.

Ja, das muß er, und wenn ich
ihm zu Fuͤßen fallen ſollte. Aber unſre Alten, die
werden Geſichter ſchneiden, wenn ſie uns ſo an-
kommen ſehn!


Felix.

Wenn nur der erſte Empfang ſchon
voruͤber waͤre! Gewiß werden ſie wieder die Schuld
auf den Fortunat ſchieben. Lebe wohl, lieber Bru-
der, Gott gebe, daß wir uns einmal froͤhlicher
wieder ſehn.


Antonio.

Gehab Dich wohl, unſer Jammer
vertraͤgt nicht viele Worte.


(ſie gehn ab.)

Fortunat.

Sie koͤnnen leichter gehn, ſie finden Freunde,
Verwandte, Eltern, ihre Heimath wieder;
Nur Furcht iſt ihre Noth, es haͤngt ihr Herz
An nichts und reißt darum ſo leicht ſich los.
Doch ich? Die undankbare Creatur! Ich kann
Sie nicht, die Schoͤnheit nicht vergeſſen.
Es iſt nicht moͤglich, daß ſo ganz verhaͤrtet,
So ohne Mitleid, ſanfte Regung, Liebe,
Ihr Herz verſteinert waͤre. — Betty! Betty!
[80]Zweite Abtheilung.
Geliebtes Kind, vergieb mir, was ich ſagte,
Mein Mund nur ſprach, nichts kam aus meinem
Herzen,
Ich that's nur, die Geſellen zu beſchwicht'gen,
Daß ſie mich nicht verhoͤhnten. Sey mir gut,
Erbarme Dich und ſchenk' mir Deine Liebe,
Entſinne Dich der ſuͤßen Wonneſtunden,
Der Zaͤrtlichkeit, der ſehnſuchtsvollen Thraͤnen
Die beide wir geruͤhrt geweint. Thu' auf
Und ſage nur, daß Du mich liebſt, ich will
Ja nichts von Dir, nicht Gold, nicht Schmuck,
nicht Geld,
Nur dieſes Wort, daß Du bereu'ſt wie ich.


Betty.
(am Fenſter.)

Zum letztenmal, Du unverſchaͤmter Bettler,
Pack Dich von meinem Hauſe, dieſe Fenſter
Die Wand hier wurden dazu nicht gemacht,
Daß ſolch Geſindel dumm ſich dran betruͤge;
Gehſt Du nicht gleich, ſalb' ich Dir ſo den Kopf,
Daß Du an mich gedenkſt. Gleich fort von hier!
Daß ſich nicht Gaͤſte von Reputation
Von ſolcher Vogelſcheu verjagen laſſen.


(wirft das Fenſter zu.)

Walther.
(der vortritt.)

Ich habe hier im Winkel noch gelauert,
Weil ich mir faſt gedacht, es kaͤme ſo.
Ei, junger Menſch, willſt Du denn noch nicht ein-
ſehn,
Daß Du ein Gimpel biſt? Sich ſo erniedern,
An Liebe glauben bei der feilen Dirne!
Da nimm, Du gute Haut, die ſieben Schilling,
Thu'
[81]Fortunat.
Thu' Dir im Wirthshaus heut noch was zu gut,
Geh mit Tagsanbruch in die Lombardſtraße
Zum Kaufmann Herrn Hieronymus, der braucht
Noch treue Leute, ſag' ich ſchicke Dich,
Er fragte lezt, ob ich nicht einen wuͤßte
Ihm zu empfehlen. Biſt Du nun geſcheut,
So kannſt Du immer noch mit Rechtlichkeit
Und Fleiß, Geſchick, was werden in der Welt,
Entgehſt dem Beutelſchneiden und dem Galgen.
Leb wohl, und werde kluͤger, junger Menſch.


(ab.)

Fortunat.

Ja kluͤger, beſſer; wahrlich, es iſt Zeit!
Nun geh' ich, mich zu ſaͤtt'gen, zu erfriſchen,
Um dann mein Gluͤck beim Kaufmann zu verſuchen.
Die Noth kann uns mit jedem Ding verſoͤhnen,
So komm' ich nun in London in die Zunft,
Der ich von Cypern weg entlaufen wollte.


(geht.)

Fuͤnfte Scene.

(Waarenlager.)

Hieronymus, verſchiedene Diener.

Hieronymus.

Das ſag' ich Euch, es muß mir anders werden,
Die Unordnung im Haus kann ſo nicht bleiben.
III. [ 6 ]
[82]Zweite Abtheilung.
Verſiegelt das Paket: der Koffer da
Wird heute noch nach Southampton geſandt,
Die Ballen dort gehn gleich hinauf nach Wallis.
Mir fehlt ein Menſch, der rechtlich, ordentlich,
Nach meinem Schiff im Hafen ſehen koͤnnte,
Seit ich den Taugnichts aus dem Lohn gejagt.
Zu große Milde macht ſie alle unnuͤtz,
Hat's nicht der Menſch recht ſchlimm, ſo ſchlaͤgt
er uͤber,
Faſt keiner kann die gute Zeit ertragen.


Fortunat kommt.

Fortunat.

Mein edler Herr, Herr Walther ſchickt mich
Euch,
Ob Ihr vielleicht mich brauchtet in Geſchaͤften,
Ich ſchreibe, rechne gut, und bin zufrieden
Mit billgem Lohn.


Hieronymus.

Du haſt ein gut Geſicht,
Ein feines Weſen; bleibſt Du treu, mein Sohn,
Soll es Dir wohl in meinem Haus gefallen.
Geh nur hinein, ich ſpreche noch mit Dir,
Laß Dir ein Fruͤhſtuͤck geben, dann verſend' ich
Dich wohl nach Sandwich noch, mir fehlt ein
Menſch
Der treu iſt, Kopf zu vielen Dingen hat.


Fortunat geht hinein, Andrea tritt auf.

Andrea.

Mein Herr Hieronymus.


[83]Fortunat.
Hieronymus.

Gehorſamer Diener,
Was ſteht Euch denn zu Dienſten, junger Mann?


Andrea.

Wir ſprachen lezt der Buͤrgſchaft wegen, Herr,
Um Euren Freund im Kerker zu befrein:
Hier iſt ein edler Ritter, Nahmens Oldfield,
Sehr zugethan dem armem Umfrevile,
Der iſt geruͤhrt, und will ſein ganz Vermoͤgen
Euch gern zu Pfande geben, daß Euch Alles
Mit Zinſen der Gefangene erſezt.
Iſt Euch die Buͤrgſchaft gut genug?


Hieronymus.

Vortreflich.


Andrea.

So bitt' ich Euch, erlaubt, daß ich zu Mittag
Den Ritter zu Euch bringe, denn er wuͤnſcht
Sogleich mit Euch zu ſprechen; was Ihr auslegt
Das alles faͤllt auf Umfreviles Schultern.


Hieronymus.

Ich ſchaͤtz' es mir zur allergroͤßten Ehre
In meinem ſchlechten Haus ſo edlen Ritter
Nach meinen beſten Kraͤften zu bewirthen:
Ihr muͤßt mich wohl fuͤr 'nen argen Knicker hal-
ten,
Daß Ihr dergleichen nur erwaͤhnen koͤnnt.


Andrea.

Es war nicht als Beleidigung gemeint,
Darum vergebt mir: aber ſeyd ſo gut
Nicht gleich bei Tiſch von dem Geſchaͤft zu
ſprechen,
[84]Zweite Abtheilung.
Laßt uns erſt froh die Mahlzeit ſchließen, dann
Sey alles auch in Ordnung gleich gebracht.


Hieronymus.

Mein guter junger Menſch, ich weiß gar nicht,
Wie ich zur Ehre komme, Unterricht
Was Lebensart betrift, ſo zu empfangen:
Seyd ohne Sorg' ich weiß wohl, was ſich ſchickt
Und hatte ſonſt mit Großen ſchon Verkehr,
Bringt nur den Herrn, ich goͤnn' Euch das Pro-
fitchen,
Im uͤbrigen ſeyd meinthalb unbekuͤmmert.


Andrea.

Ich dank' Euch, theurer Herr, auf Wiederſehn.


(ab.)

Hieronymus.

Seh' einer mir den Herrn von Vorwitz an!
Den Ueberklug! Er danke doch dem Himmel,
Daß er die runde Summe ſo gewinnt.
Doch muß ich Anſtalt nun zum Schmauſe machen.
He! junger Menſch! Ihr da von heute Morgen!


Fortunat koͤmmt.

Hieronymus.

Wie nennt Ihr Euch mit Eurem Chriſten-
namen?


Fortunat.

Ich heiße Fortunat.


Hieronymus.

Geh mal ſogleich
Zur Boͤrſenhalle, Fortunat, ob Waaren
Fuͤr mich dort abgeſezt: dies iſt mein Zeichen,
[85]Fortunat.
Nimm's mit, auch kennt man dort den Namens-
zug.
Hier, ein Paar Nobel, weil Du nicht zu Mittag
Nach Hauſe kommen kannſt, iß wo Du willſt.

(Fortunat ab.)


Jezt muß ich nur die Koͤchinn inſtruiren,
Das mir nicht meine Mahlzeit Schande macht.


(geht ab.)

Sechste Scene.

(Zimmer.)

Lady Oldfield, Alice.

Alice.

Und dieſes Kleid wird auch mit eingepackt?


Lady Old.

Wie ich geſagt; was fragſt Du immer wieder?


Alice.

Was will nur Lady in der Einſamkeit
Mit allen dieſem Putz und dem Geſchmeide?
Kein Menſch wird uns dort ſehn, als Bauersleute,
Ein Paͤchter etwa, gute Pfarrerfrauen.
Was nur der Herr ſich dabei denken mag!


Lady Old.

Schweig, Unverſchaͤmte! die zu große Guͤte
Macht dich zu dreiſt. Wie ſehr war ich im Un-
recht,
Nur eine Sylbe, einen Athemzug,
[86]Zweite Abtheilung.
Ja einen einzigen Gedanken, ihm
Entgegen doch zu denken und zu athmen!
Stets ſah' ich ſeine Lieb' und Sorg' um mich,
Sein unbegraͤnzt Vertraun; wenn Weisheit jezt
Ihn treibt, mir dieſe Richtung vorzuſchreiben,
So zeig' ihm ohne Murren mein Ergeben
Wie ſehr ich ihn verehr' und mehr noch liebe.


Alice.

Nun ja, Ihr ſeyd das Muſter einer Frau,
Und er ein weiſer, kluger Ehemann;
Allein die Frau hat denn ihr Recht doch auch,
Und das muß nicht der gnaͤd'ge Herr vergeſſen
Daß er ſo viel in Jahren Euch voraus.


Lady Old.

Nicht einen Laut mehr, ſoll'n wir Freunde
bleiben!
Zu ſpaͤt erfahr' ich, daß man jedes Wort
Mit ſeiner Dienerſchaft bewachen muß.


Alice.

O nur nicht zuͤrnen, ſchoͤnſte gnaͤd'ge Frau,
Ich bitt' Euch ab, ich habe Unrecht, ja,
Beſtraft mich auch, nur nicht mit Eurem Groll. —
Wo iſt denn unſer lieber gnaͤd'ger Herr?


Lady Old.

Ein Florentiner kam ihn abzuholen
Zum Mittagseſſen nach der Lombard-Straße,
Der will ihm auch koſtbare Steine zeigen,
Die dann vielleicht der Koͤnig an ſich kauft,
Den Schmuck noch zu verſchoͤnern, den mein Herr
Nach Burgund bringen ſoll, wie Du es weißt.


[87]Fortunat.
Andrea tritt ein.

Lady Old.

Was wollt Ihr? Warum ſchaut Ihr ſo ver-
wildert?


Andrea.

Von großer Eil, — die Treppe ſchnell herauf —
Ich kann den Othem noch nicht wieder finden —
Hier, gnaͤd'ge Frau, ſind Eures Herren Schluͤſſel,
Sein Siegelring als Zeichen —


Lady Old.

Gott im Himmel!
Es iſt ihm doch kein Ungluͤck zugeſtoßen?


Andrea.

Im mindſten nicht, er ſchickt es nur zum Pfand
Mir zu vertrau'n, wir ſind dort noch im Handel,
Nun will er gern den Schmuck in Haͤnden haben,
Die Steine beiderſeitig zu vergleichen,
Und bittet gleich durch mich ihn abzuſenden.


Lady Old.

Wie bin ich doch erſchrocken! dacht' ich nicht
Als ich die Schluͤſſel ſah und dieſes Petſchaft,
Und Euer wildes Auge, daß dem Lieben
Ein unvermuthet Ungluͤck ſey begegnet.


Andrea.

Gar nichts der Art, ſchließt nur geſchwind mir
auf,
Denn meine Eil' iſt groß.


Lady Old.

Seht ſelber zu,
Verſucht die Schluͤſſel, denn ich weiß es nicht
Wo er den Schmuck bewahrt.


[88]Zweite Abtheilung.
Andrea.

In dieſem Schrank,
Hier legt er ihn hinein, als ich ihn neulich
Beſuchte, drinn iſt ein geheimes Fach,
Das mit dem kleinen Schluͤſſel hier ſich oͤffnet,
Ich habe alles ganz genau bemerkt.


Lady Old.

Er hat Euch ja wohl ſelber auch bezeichnet
Wo Ihr nachſuchen muͤßt.


Andrea.

Natuͤrlich, ja.
Hier iſt er nicht, — hier auch — auch hier iſt
nichts —
Wo doch, in aller Welt, iſt denn der Schmuck
Nur hingekommen?


Lady Old.

Hier im Schreibepult
Vielleicht, — was ſchwizt Ihr ſo, was aͤngſtet
Euch?


Andrea.

Die Eil, die große Eil. Hier wieder nicht, —
Auch hier in dieſem Laden nichts, — o Satan!
Verdammte Schluͤſſel! Teufel!


Lady Old.

Ihr vergeßt Euch,
Geht doch zuruͤck und fragt noch einmal nach,
Am Beſten iſt, es kommt der Ritter ſelbſt.


Andrea.

Da habt Ihr Recht, ganz Recht, ja, Ihr habt
Recht.


(eilt fort.)

[89]Fortunat.
Alice.

Was war dem Menſchen? Er war wie verruͤckt.


Lady Old.

Ein grober, ungezogener Geſell,
Wirft alles durcheinander, mir zu Fuͤßen
Die Schluͤſſel klirrend, laͤuft dann fluchend fort —


Alice.

Er hatte ſo was Tuͤckſches in der Miene.


Lady Old.

Der Wilhelm ſoll doch lieber gleich hinab
Zum Kaufmann gehn, hin zu Hieronymus,
Ob ſich mein Herr auch wohl befindet, bitten,
Daß er bald wieder koͤmmt; ich weiß nicht wie
Mein Herz mir ploͤtzlich ſo beklommen iſt,
Mir iſt nicht wohl —


Alice.

Kommt an die friſche Luft.


Lady Old.

Ja, Liebe, fuͤhre mich hinab zum Garten.


(gehn ab.)

Siebente Scene.

(Hieronymus Haus.)

Hieronymus, Koͤchinn, Gottfried.

Hieronymus.

Um Gottes Willen! Ach! Um Gottes Willen!
Den Tod hab' ich vom Schrecken.


[90]Zweite Abtheilung.
Koͤchinn.

Was denn, Herr?


Hieronymus.

Da geh' ich oben in den Saal hinauf —


Gottfried.

Was giebt es denn? Was ringt Ihr ſo die Haͤnde?


Hieronymus.

Ihr wißt, ich ging hinab zur Schreibeſtube
Vom Eſſen, ließ die Beiden dort allein
Und wie ich wieder komme, — heilger Gott!
Liegt drinn der edle Rittersmann ermordet!


Koͤchinn.

O Jeſus! Jeſus!


Hieronymus.

Still! Um Gottes Willen!


Gottfried.

Wer that es denn?


Hieronymus.

Der Fremde, der Verruchte!


Koͤchinn.

Ach! ach! ach! was ſoll daraus werden?


Hieronymus.

Still!
Daß nur die Nachbarn nicht, daß nur kein Menſch
Was hoͤrt —


Koͤchinn.

Wie kann da unſer eins denn ſchweigen?
Was ſoll draus werden?


Hieronymus.

Ach! ich weiß es nicht,
Mir iſt, als haͤtte mich der Blitz getroffen.


[91]Fortunat.
Andrea koͤmmt.

Hieronymus.

Da kommt er. Gott! Sagt, was habt Ihr ge-
macht?


Andrea.

Nun, alter Narr? Sollt' ich mich morden laſſen?
Wild macht der Kerl ſich uͤber mich daher,
Ich wehr' mich meiner Haut auch gegen Fuͤrſten,
Da ſtieß ich ihm mein Meſſer in den Hals.
Weg da! Mir braußt der Kopf, ich bin ſchon toll,
Ich will den alten Hund wohin verſtecken,
Wo keine Wuͤnſchelruth' ihn finden ſoll.

(ab.)

Gottfried.

Das iſt ja ein erſchrecklich frecher Menſch.


Koͤchinn.

Dazu hab' ich nun heute kochen muͤſſen!


Andrea koͤmmt zuruͤck.

Andrea.

Da hinten in den altverfall'nen Brunnen
Hab' ich den wuͤſten Mordhund ſchnell geworfen,
Packt Steine druͤber, fragt man wohl nach ihm
So ſagt, er ſey mit mir laͤngſt fortgegangen.
Ich geh' ſo weit ich immer kommen kann,
Und muͤßt' ich auch hinein in die Tuͤrkey.

(ab.)

Hieronymus.

Herr Andres! — Ha! der Menſch iſt taub
und blind —
Nein, ich vielmehr! O weh, wie iſt's mit mir?
[92]Zweite Abtheilung.
Nun kommt mir die Beſinnung erſt zuruͤck;
Ich haͤtte nicht den Moͤrder ſollen laſſen,
Wir muſten feſt ihn nehmen, da er frech
Uns wieder in die Haͤnde lief, — betaͤubt,
Erſchreckt, entſetzt, waͤlz' ich auf mich die Schuld.
O Leute, ich beſchwoͤr' euch bei den Heil'gen,
Bei Gott und ſeiner Mutter, ſchweigt, kein Laut
Von dieſer Schreckensthat! Uns bleibt nichts uͤbrig
Als ſo zu thun, wie er gerathen hat.


Wilhelm koͤmmt.

Wilhelm.

Iſt wohl der Ritter Oldfield noch bei Euch?


Hieronymus.

Nein, guter Freund, ſchon vor geraumer Zeit
Ging er von mir mit jenem Florentiner.


Wilhelm.

Kurios! Die gnaͤd'ge Frau iſt ſehr beſorgt.


(ab.)

Hieronymus.

Da faͤngt es an, mein Blut iſt lauter Eis,
Und Feuer dann, mein Herz zerrinnt in Angſt.
Wie, wenn ich's noch angaͤbe? — Doch, wer
glaubt's?
Man haͤlt mich fuͤr den Moͤrder, da er floh.


Fortunat koͤmmt.

Fortunat.

Die Ballen, die dort angekommen waren,
Hab' ich hieher geſchafft, mein lieber Herr.


[93]Fortunat.
Hieronymus.

Mir gleich, — ſchon gut, — ich weiß nicht —
vielen Dank.
Komm mit mir, Gottfried, ich will Dich verſchicken.


(ab mit Gottfried)

Fortunat.

Was fehlt dem Herrn? Er war verſtoͤrt und
traurig.


Koͤchinn.

Ach, lieber fremder Menſch, die Welt iſt Welt,
Da kommt bald Luſt, bald wieder Truͤbſal vor:
Er hat aus Mayland Nachricht heut gekriegt,
Daß ihm ein lieber Bruder dort geſtorben,
Das hat er ſich nun zu Gemuͤth gezogen.
Je nun, ſind wir doch alle ird'ſche Menſchen,
Man ſezt uns bei an dieſes Lebensfeuer,
Und ſind wir gar, ſo kommt der Tod und tiſcht
Uns alle ſich und ſeinen Freunden auf.
Geht nur hinein und eßt, Ihr ſeyd wohl hungrig.


Fortunat.

Durſtig vielmehr und muͤde, viel zu laufen
War bei dem heutigen Geſchaͤft, und ich
Bin noch der Sache nicht gewohnt genug.


Koͤchinn.

Da wird's Euch ſchmecken, was vom Mahl ge-
blieben. —
Ach ja, das liebe Mahl! Gott ſey uns gnaͤdig!


(ab.)

[94]Zweite Abtheilung.
Achte Scene.

(Straße.)

Herbert, Wilhelm.

Herbert.

Und noch keine Nachricht?


Wilhelm.

Nicht die mindeſte, unſre gnaͤdige
Frau iſt in Verzweiflung, ſie faͤllt aus einer Ohn-
macht in die andre, und ſie, wie wir alle, beſorgen
ſchon das Schlimmſte.


Herbert.

Ich habe einen Sheriff und Ge-
richtsdiener zum Hieronymus geſandt, um Haus-
ſuchung anzuſtellen. Die Sache iſt mir ſelber aͤußerſt
verdaͤchtig.


Ein Haufen Volks tritt laͤrmend auf.

Erſter.

O graͤulich! graͤulich! o zum Ent-
ſetzen!


Herbert.

Was giebt's?


Zweiter.

Gott hat's entdeckt, wunderbar!
Ja trau' einer doch den Italiaͤnern, dieſen Wuche-
rern, Pfaͤnderleihern: Mord und Todtſchlag, Gift
und Ehebruch iſt ihre Sitte, ihr Zeitvertreib.


Dritter.

Den alten Herrn hat man gefunden,
mit abgeſchnittnem Hals.


Zweiter.

Vergraben, mit Steinen zugedeckt.


Erſter.

Pluͤndern muß man das Haus, und
aller Lombarden Haͤuſer, die ganze Straße anzuͤn-
den, keinen von den auslaͤndiſchen Hunden leben
laſſen.


[95]Fortunat.
Alle.

Feuer! Feuer! Mord! Todſchlag!


Herbert.

Ruhig, Leute, das Geſetz wird ihr
Verbrechen unterſuchen, und ihre Strafe beſtimmen.


Zweiter.

Was unterſuchen! die Leiche iſt ja
gefunden worden.


Der Sheriff koͤmmt mit Wache, Hieronymus,
Gottfried, die Koͤchinn, Fortunat,
gefeſſelt.

Herbert.

Und iſt's gewiß, Herr Sheriff?


Sheriff.

Unlaͤugbar, gnaͤdger Herr; alles
iſt klar, nur finden ſich die Diamanten nirgend,
und die verſtockten Boͤſewichter behaupten alle, da-
von nichts zu wiſſen.


Herbert.

Fuͤhrt ſie fort und bewahrt ſie ge-
nau zum Tage des Gerichts, es wird wohl noch
Mittel geben, ſie zum Geſtaͤndniß zu zwingen: ich
gehe zum Koͤnige, ihm dieſe That des Entſetzens
zu hinterbringen.

(ab.)

Sheriff.

Fort in's Gefaͤngniß mit den Miſ-
ſethaͤtern!

(ſie gehn ab.)

Erſter.

Die Meuchelmoͤrder! die Spitzbuben!
Haſt Du die Viehſonomien beobachtet, Gevatter?


Zweiter.

Ja wohl Viehſonomien, denn Men-
ſchenſonomien koͤnnen die graͤulichen Schnauzen
nicht genannt werden.


Dritter.

So ein Italiaͤniſcher Hund hat
gleich was im Auge, in der ganzen Art, und auch
ſo im Geſicht, verſtehſt —


Vierter.

Natuͤrlich, gar nicht wie ein ordent-
[96]Zweite Abtheilung.
licher Chriſtenmenſch. Was der alte Mameluck,
der Heide, fuͤr ein Geſicht machte.


Erſter.

Am moͤrdriſchſten ſah doch das Weib
aus.


Dritter.

Nein, der junge Bengel, die junge
Natternbrut, dem ſah man recht in jeder Miene den
Mordbrenner an.


Zweiter.

Ja, ja, und, Gevatter, es war
derſelbe Teufelsbraten, der ſonſt die Betty Gern-
geſehn da in der Vorſtadt hatte.


Vierter.

Richtig; nun, die wird lachen, daß
ihr Liebſter am Galgen endigen muß.


Erſter.

Aber was ſtehn wir hier? Holt Stan-
gen, Eiſen, laßt uns alles im Hauſe aufbrechen,
alles durchſuchen, zerſchlagen, denn heut duͤrfen ſie
uns einmal nichts ſagen.


Alle.

Recht! Kommt! die reichen Hunde ha-
ben viel Geld und Geldeswerth! da wollen wir
jubeln!


(alle laͤrmend ab)

Neunte Scene.

(Zimmer)

Lady Sand, Alice.

L. Sand.

Nicht ſprechen will ſich meine Freundinn laſſen
Und keinen Troſt in ihren Schmerzen hoͤren?
Ich
[97]Fortunat.
Ich find' es recht, daß ſie ſich vor der Welt,
Vor eitler Neugier und Geſchwaͤtz verſchließt,
Doch ſo die Freundinn von ſich abzuweiſen,
die Thraͤn' um Thraͤne mit ihr treu vergießt,
Heißt ſuͤndigen am Schoͤnſten, Heiligſten:
Mein ſey ihr Schmerz, wenn er der ihre iſt;
So hatten wir die Freude denn gemein,
Und jede Luſt des Lebens, nun der Schatten
Der Trauer ſie ergreift, will ſie fuͤr ſich
Mit Eigennutz die Summe ganz behalten?


Alice.

Verzeih' mir Eure Gnade, wenn ich thu'
Wie meine Herrſchaft ernſtlich mir befohlen.


L. Sand.

So will ich gehn, doch leider nehm' ich auch
Die herbe Ueberzeugung mit hinweg,
Daß Freundſchaft nicht in dieſer Welt gedeiht.


Lady Oldfield koͤmmt in tiefer Trauer.

L. Oldfield.

Verweile denn, da nicht Dein Herz erbangt
Die ſterbende Verzweiflung anzuſchaun
Im Todtenbilde Deiner weiland Freundinn.


L. Sand.

O Liebſte, weine nur! welch Trauerloos!


L. Oldfield.

Faſt ſind die Quellen meiner Augen trocken,
Mein Herz verſteint, mein Sinn zerſtuͤckt, verwirrt,
Doch wenn ich mich von neuem werd' entſinnen,
Daß ich einmal ſo liebenden Gemahl
So treues Herz, ſo edlen Sinn beſaß,
III. [ 7 ]
[98]Zweite Abtheilung.
Daß ich ſo gluͤcklich war an ſeiner Bruſt,
Dann rauf' ich auch von neuem dieſes Haar,
So wie anjezt, dann gieß' ich wieder Thraͤnen,
Wie ſie von neuem fließen, ſchlage ſtuͤrmend
An dieſe Bruſt, und frage drinn das Herz
Ob es noch immer, immer leben kann?


L. Sand.

Nur nicht verzweifeln, nicht ſo wilden Gram,
Denn Du zerſtoͤrſt Dich ſelbſt in dieſer Trauer.


L. Oldfield.

Und giebt es Schmerz der dem Verluſt zu groß,
Ein Weheſchrein, das zu gewaltig waͤre?
Verdiente nicht der Todte, was die Liebe
Aus vollſter Macht zum Opfer bringen kann?
Und will ich leben? — Leben? — Was heißt le-
ben?
Wie ich ihn liebte lieb' ich jezt ſein Grab,
Der Tod iſt mir ein lieber Brautbewerber,
Willkommen alſo Schmerz, der mich zerſtoͤrt!


L. Sand.

Geliebte Freundinn, ſollte denn kein Gluͤck
Je mehr fuͤr Dich auf dieſer Erde bluͤhn?


L. Oldfield.

Es ward vom Sturm der Baum zerſtoͤrt, ent-
wurzelt.


L. Sand.

Ich liebte ſo wie Du, verlor wie Du,
Und trauerte, und wurde wieder gluͤcklich.


L. Oldfield.

Begluͤckter Leichtſinn, den ich nimmer tadle,
Doch mir hat die Natur ihn nicht vergoͤnnt.


[99]Fortunat.
L. Sand.

Vielleicht verkennſt Du nur im wilden Sturm
Der Leidenſchaft Dein eignes Herz, auch Leiden,
Geliebte, laſſen ſich erziehn wie Freuden;
Willſt Du der Trauer der Erinnrung leben,
Mußt Du in Deiner Klage maͤßig ſeyn,
Zu lauter, heftger Jammer bricht entzwei
Gewaltſam das Organ des tiefen Schmerzes;
Entweder ſtirbt der Menſch, ein ſeltner Fall,
Wo nicht, vergißt er um ſo leichter nur.


L. Oldfield.

Du laͤſterſt, ich verzeih, Du liebteſt nie.


L. Sand.

Auch ich ward ploͤtzlich Witwe, ſo wie Du,
Mein Mann war jung und liebenswerth, wie
haͤtt' ich
Ihn nicht geliebt? Ich glaubte zu vergehn,
Doch ſehnte ſich nach ein'ger Zeit mein Geiſt
Aus jenem finſtern Kerker ſeiner Leiden,
Doch nicht um ſchoͤnen Schmerzen zu entſagen.
Nur fuͤhlt' ich, wie mich alles bang' entſetzte
Was mich umgab, ich ſah nur Todsgeſtalten
Aus jedem Schrank und Seſſel ſchaurig grinſen:
Da ſtellt' ich mir im Hauſe alles um,
Die Zimmer, wo ich ihn zumeiſt geſehn
Vermied ich, ruͤckte Stuhl und Schrank,
Beſonders in ein anderes Gemach
Verſezt' ich mir mein Bett, und wie ich nun
Faſt wie in einem neuen Hauſe lebte,
Gedacht ich ſtill ſo manches Junggeſellen
Der ſonſt mich freundlich angelaͤchelt hatte;
[100]Zweite Abtheilung.
So kam es denn, daß mir das Leben wieder
Als Leben und als Freund entgegentrat,
Ich fuͤhlte nun, welch zarte wahre Liebe
Mein jetzger Mann im Herzen zu mir trug,
Fand nach dem Trauerjahr ein neues Gluͤck.


L. Oldfield.

Es bluͤhe Dir noch viele, viele Jahre,
Doch mir vergoͤnne meine Todesluſt.
Wie ſich der Fromme dort im heilgen Lande
Erfreut das Grab zu ſehn, und jeden Stein
Mit Inbrunſt kuͤßt, weil er wie damals ruht,
So ſey mir heilig, was er nur beruͤhrte,
Der Seſſel bleibe ſtehn als wie fuͤr ihn,
In dem er Nachmittags zu ſchlummern pflegte,
Papier und Feder liege, wie es liegt,
Jedwedes Buch ſey aufgeſchlagen immer
Das er aus ſeiner Hand gelegt. Wie koͤnnt' ich,
Wie koͤnnt' ich, Freundinn, Deinem Worte folgen,
Und jenes Bett verruͤcken? Nein, ich glaubte
Von neuem ihn mit frecher Hand zu morden,
Die nur ein Tuch, ein Kiſſen ſtoͤren wollte,
So wie es mir als Heiligthum da ruht.


L. Sand.

Ich billg' es nicht, doch muß ich dich bewun-
dern.
Nur dieſes noch: vergoͤnne mir zu Zeiten
Zu Dir zu kommen, Dich zu ſehn, zu troͤſten.


L. Oldfield.

Dein Anblick, Deine Liebe ſey mein Troſt,
Nicht irdſche Worte, Ueberredung nicht.
Jezt geh' ich, ewges Heil ihm zu erflehn.


[101]Fortunat.
L. Sand.

So frommem Thun will ich nicht ſtoͤrend ſeyn.


(gehn ab.)

Zehnte Scene.

(Gefaͤngniß.)

Fortunat, gefeſſelt, der Kerkermeiſter.

Fortunat.

Und alle ſind hingerichtet.


Kerkermeiſt.

Alle drei, die um den ſchnoͤden
Mord gewußt haben. Morgen kommt an Euch
die Reihe, macht Euch nur gefaßt.


Fortunat.

Himmel! da ich unſchuldig bin?


Kerkerm.

Das muͤſſen die Richter beſſer ver-
ſtehn; mitgefangen, mitgehangen. Und was iſt es
denn nun ſo Großes? Beſter, in dem Stuͤbchen
hier, ſeit ich Kerkermeiſter bin, haben gewiß ſchon
etliche hundert arme Suͤnder geſeſſen, und keiner
iſt mit dem Leben davon gekommen. Jeder meint
freilich, es ſey ganz was Apartes, weil's ihn ſelbſt
betrifft, und nur einmal in ſeinem ganzen Leben;
je nun, das iſt menſchlich; aber fuͤr unſer eins,
der das Ding von einem allgemeinen Standpunkt
anſieht, iſt es recht was Ordinaͤres und Langweili-
ges. Es haͤngen ſich alle Arten von Geſichtern und
alle Temperamente ſo friſch weg, daß es beinah
laͤcherlich wird, da noch lamentiren zu wollen. Je-
der ſollte ſagen: o den Weg ſind wohl ganz andre
[102]Zweite Abtheilung.
Leute als Du gegangen! und bedenken, wie wenig
die Welt an ihm verliert, ſo faͤnden ſich alle leich-
ter drinn: aber, wenn vom Leben die Rede iſt, weiß
der Teufel, ſo iſt das ein Umſichgreifen, ein Her-
umſchnappen, ein Feſthalten, ein Balgen darum,
einer den andern wegſtoßen wollen und allein nur
in den Teich Bethesda kriechen, daß man wirklich
die Kerle ſchon bloß dieſes verfluchten Egoismus
wegen haͤngen ſollte.


Fortunat.

Ihr fallt mir zur Laſt.


Kerkerm.

So ſeht doch einmal, wie imperti-
nent! Nun, nun, morgen hat es mit allen dieſen
naſeweiſen Einfaͤllen ein Ende, und wenn Ihr dann
auf der Leiter ſteht, werdet Ihr denken: Ach fiele
mir doch der gute, liebe Mann noch ſo ein Saͤku-
lum auf die angenehme Art zur Laſt! Denkt an
mich, das faͤllt Euch ein, Ihr junge Blume des
Feldes, deren Haupt morgen zuſammen geſchnuͤrt
wird, um unter das uͤbrige Grummt der Wieſe
zum Aufſpeiſen des großen Rindviehs, Verweſung,
gethan zu werden.


(geht ab.)

Fortunat.

So alſo wird mein Lebenslauf beſchloſſen?
Gewaltſam? Schimpflich? Als ein Miſſethaͤter?
O Rupert! Du mein wahrer, einziger Freund,
Was folgt ich lieber Deiner Weiſung nicht,
Als jezt ſo ſchmaͤhlich end'gen muͤſſen hier?
Nun ſind die Traͤume alle weggeflogen,
Die mich wohl ſonſt umgaukelten mit Luſt,
[103]Fortunat.
Erwacht bin ich, und Tod und wahres Leben
Verſchmilzt ſo ſchnell in einen Augenblick.


Ein Richter koͤmmt mit dem Kerkermeiſter.

Richter.

Entſchließt den jungen Menſchen ſeiner Feſſeln!


Fortunat.

Iſt mir der lezte Augenblick erſchienen?


Richter.

Frei biſt Du, Juͤngling, in der Todesſtunde
Erneuerten noch alle das Bekenntniß
Daß Du nichts um den ſchnoͤden Mord gewußt:
Benutze dieſe Dunkelheit der Nacht,
Die Wache wird Dich aus der Stadt begleiten,
Entfliehe ſchnell und ſchaue nicht zuruͤck;
Denn ſo in blinder Wuth iſt Volk und Poͤbel,
Sie riſſen Dich in Stuͤcke, trotz den Richtern,
Wuͤrdſt Du am Tag' und offen freigeſprochen.


Fortunat.

Ich danke Euch und meinen guten Sternen.


(beide ab.)

Kerkerm.

Seinen Sternen? Und mir kein
Wort? Er hat hier weder Sonne, Mond noch
Sterne geſehn, aber ich habe ihn Tag und Nacht
unterhalten und getroͤſtet: und jenen dankt er, und
mich ſieht er nicht von der Seite an? Ich bleibe
dabei, es wird nichts aus dem Menſchengeſchlechte,
verlorne Saat, ſchießt hoͤchſtens ins Kraut, keine
Frucht, kein Genuß dran, und wenn eins einmal
recht lieblich und anmuthig ausſieht, hat's grade
die meiſten Wuͤrmer im Kopf. In der Hand laͤßt
[104]Zweite Abtheilung.
er mir nichts, als ſein altes Violoncell hier, auf
dem er die ganze Zeit geklimpert hat.


(geht ab.)

Elfte Scene.

(Pallaſt.)

Der Koͤnig, Herbert.

Koͤnig.

Der Fall bleibt immer aͤußerſt wunderbar,
Und wo ſteht nun Erklaͤrung noch zu hoffen?
Der Moͤrder hat die Steine nicht gefunden,
Die uͤbrigen, ſie haben nichts entdeckt,
Sie ſind geſtorben mit dem hoͤchſten Schwur
Daß ſie von dem Geſchmeide nichts erfahren:
Daß mir der alte Ritter ungetreu, —
Nein, gegen dieſen Glauben kaͤmpft mein Herz,
So ſind ſie wie verſchwunden von der Erde,
Wie eingeſchlungen in der Hoͤlle Abgrund,
Und nur ohnmaͤchtig iſt mein zornig Draͤu'n.


Herbert.

In alle Haͤven, weit in alle Laͤnder
Iſt Nachricht hingeſandt, es kann kein Dieb,
Waͤr er auch noch ſo ſchlau, die Hoffnung faſſen,
Mit ſeinem Funde gluͤcklich zu entſchluͤpfen.


Koͤnig.

Ich buͤßte lieber eine Grafſchaft ein,
Und dennoch muß ich den Verluſt verſchmerzen.


[105]Fortunat.
Ein Edelmann tritt ein.

Edelmann.

Demuͤthig bittet eine ſchoͤne Frau
Gehuͤllt in Trauer um die hohe Gnade,
Zu Fuͤßen ſich dem Koͤnige zu werfen.


Koͤnig.

Sie komme naͤher. — Wer nur mag das ſeyn?
Vielleicht des Ritters Witwe, die mit Klagen
Und Wehgeſchrei mein Ohr betaͤuben will.


Lady Oldfield wird hereingefuͤhrt und wirft ſich nieder.

Lady.

Wenn meines Koͤnigs Auge ſich erniedert
So ſieht er hier die jammervollſte Frau,
Die durch verruchte Mordthat eingebuͤßt
Den theuerſten Gemahl, mein hoher Fuͤrſt
Den treuſten Unterthan.


Koͤnig.

Was kann ich thun
Um Euren ſo gerechten Schmerz zu lindern?


Lady.

Ich komme nicht zu klagen, mein Verluſt
Laͤßt Troſt nicht zu, noch Lindrung und Erſatz,
Nur dies Geſchmeide, das unſchaͤtzbar theure,
Das meines Gatten Blut hat abgezapft,
Will ich den Haͤnden Eurer Majeſtaͤt
Dem hohen Eigner hier zuruͤck erſtatten.


Koͤnig.

Erſtaunt ſeht Ihr mich, edle Frau; ſteht auf!
Wie fand ſich dieſer Schmuck, den ſchon auf ewig
[106]Zweite Abtheilung.
Ich mit Verdruß verloren achten muſte?
Wie dank' ich Euch der Gabe, ſchoͤne Frau?


Lady.

Gar wunderlich hat es ſich zugetragen,
Im feſten Schrank, verwahrt mit vielen Schloͤſſern
War das Geſchmeide ſicher ſonſt bewahrt,
Dort fand es nicht der tuͤckſche Mordgeſelle,
Wir ſuchten nach, und nirgend ward's entdeckt:
Zufaͤllig nur, als ich die Tiſch' und Schraͤnke
Mir anders ordne, in ein heller Zimmer
Ein groß altfraͤnkiſch Bett mir laſſe ſtellen,
Da findet ſich ein kleiner Wandſchrank unter
Dem Bettgeſtell, den ich ſonſt nie gekannt,
Der kaum bemerkbar war, und kuͤnſtlich nur
Von angedruͤckter Feder ſich eroͤffnet,
Dahin war dieſer Schmuck verborgen worden
Von meinem uͤbervorſichtigen Mann.
Erſchreckt, erſtaunt, in Ruͤhrung und in Freude
Nahm ich die Stein' und eilte her zum Thron,
Begluͤckt, den lezten, fernſten Argwohn ſo
Von meines Mannes Grabmal zu vertilgen.


Koͤnig.

O lebt' er, ſeine Treue zu belohnen!
Doch ſchoͤne Frau, mit Worten nur allein
Dankt nie ein Koͤnig, Eure Tugend, Schoͤnheit,
Eu'r Ungluͤck in ſo fruͤher bluͤh'nder Jugend
Verdient Mitleid, Belohnung: nehmt von mir
Den edlen Ritter Herbert zum Gemahl,
Der Euch ſchon laͤngſt gekannt, geehrt, geliebt,
So weit ſein edles Herz Euch lieben durfte;
[107]Fortunat.
Und nimm ſie, Herbert, und ich denke ſie
Als Freund und Koͤnig reichlich auszuſtatten.


Herbert.

Mein hoher Herr, die koͤnigliche Gnade
Erfuͤllt nur meiner Sehnſucht ſchoͤnſten Traum.


Koͤnig.

Was ſagt die Wittfrau denn zu meiner Bitte?


Lady.

Befehl iſt, was ein Koͤnig alſo bittet,
Es waͤre undankbar, nicht zu gehorchen.
Nur werdet Ihr der Trauernden vergoͤnnen
Ein zuͤchtig Jahr, vor Leumund ſie zu wahren.


Koͤnig.

Doch tretet ein zu meiner Koͤniginn,
In ihrer Gegenwart Euch zu verloben.


(ſie gehn ab.)

[108]Zweite Abtheilung.

Dritter Akt.


Erſte Scene.

(Einſamer Wald.)

Fortunat allein.

Hier will ich ſterben. Jede Ausſicht, Hoffnung,
Iſt nun auf ewig hin, nur Wunder kann
Mich retten, und um dieſen jammervollen
Armſel'gen Staub wird nicht die Erde gaͤhnen,
Der Himmel nicht ſein ew'ges Thor eroͤffnen,
Um mich durch Geiſterhand von hier zu fuͤhren.
Ich kann nicht mehr, die Bruſt verſagt den Othem,
Das Herz will nicht mehr ſchlagen, das Bewußt-
ſeyn
Verlaͤßt mich ſchon, und nur ein matter Schwindel
Dreht ſich in meinem Hirn. O Vaterland!
O liebſte Eltern, Luft der Heimath, Freunde,
Die mein gedenken, fahrt nun ewig wohl. —
So ward ich denn in England nur errettet
In Waͤldern von Bretagne zu verſchmachten?
Mit welcher Luſt ſah' ich die fremden Ufer,
[109]Fortunat.
Bald ſchwand das Wenige, was ich beſaß,
Ich eilte weiter, ohne Ziel und Zweck,
Und endlich fuͤhrte mich mein boͤs Geſtirn
In dieſes Waldreviers endlos Dunkel.
Seit dreien Tagen ſah' ich keinen Menſchen,
Seit dreien Tagen hab' ich nichts genoſſen,
Als geſtern an dem Quell den friſchen Trunk;
In Naͤchten hoͤr' ich Wolf und Baͤr um mich
Mit graͤßlichem Geheul, ich darf nicht ſchlafen,
Unſichre Staͤtte deut mir dann der Baum;
Den Weg verlor ich, tiefer immer tiefer
Zieht ſich hinab der Waͤlder Labyrinth,
Kein Koͤhler, keine Huͤtte, nirgend, nirgend —
Ja wenn ich auf den grimmen Moͤrder ſtieße,
Er waͤre Rettung mir. Was ſuch' ich Wege?
Der Fuß gehorcht nicht dem Gebot des Willens,
Die Sehnen all entſtrickt, und jedes Glied
Zum Tode matt: — ſo end' auch hier der Wille! —
Sanft, ſanft — ſchlaͤft ſich's,
Still, ſtill — ſtirbt ſich's,
Ruhe, Ruhe — weit umher.

Ach, wie gut, wie froh — nur weckt mich nicht!
Willſt Du was von mir, ſtrahlend Gebild?
Siehe, ich lande, betrete den guͤldnen Boden,
Wo der Traͤume kindiſch Geſpinſt zur Wahrheit
wird,
Meiner alten Amme Lieder, die lieben Geſchichten,
Die wohnen, wie ſeltſam, in dieſem, dieſem Wald!
Da fliegt mit goldnem Gelock, mit blauem Schleier,
Frei die Bruſt und frei die Schultern und Arme,
Ein ſuͤß Gebild, und rings erglaͤnzen die Tannen
[110]Zweite Abtheilung.
Und ſchuͤtteln ſich rauſchend in frohem Gelach, ent-
zuͤckter Eichbaum
Braußt ſich verwundernd in allen Zweigen.
Nun bin ich zur Stelle, ſo gebt mir Trank und
Speiſe,
Da, Wirth, nimm hin mein Leben, und gieb da-
fuͤr den vollen Becher!


Fortuna tritt auf.

Fortuna.

Erwache! Juͤngling!


Fortunat.

Sieh! ich wache! doch wozu?


Fortuna.

Mich treibt die Macht der Sterne zwingend zu
Dir her.


Fortunat.

Ja, Sterne ſind's, die unſers Lebens Wagen
ziehn,
Vernunft genuͤgt der fremden Roſſe Lenkung nicht.


Fortuna.

Ergreif' im ſchnellen Augenblick Gelegenheit,
Fortuna bin ich, Goͤttinn alles Menſchenſtamms,
Zu mir ertoͤnt der Flehenden Gebet wie ſehr:
Mich zwingt kein Wunſch und kein Verdienſt, nur
Eigenſinn,
Mein Wankelmuth lacht dieſem hold und jenem
nicht;
Ermanne Dich, und waͤhle raſch Dir ein Geſchenk,
Das ich am Zweig ſechsfache Frucht Dir bieten
darf,
[111]Fortunat.
Geſundheit, Weisheit, langes Leben, Schoͤnheit auch,
Verlangſt Du lieber Herrſchermacht, des Goldes
Kraft:
Nur ſchnell! denn bald ſucht Dein Geſtirn ein an-
dres Haus.


Fortunat.

Du willſt es, und des Herzens Wunſch ſey
ausgeſagt:
Gieb Gold mir! Schoͤnheit ward mir und auch ſchon
Verſtand,
Dem Armen wird des Lebens Laͤng' nur laͤngre
Schmach,
Und was ſoll mir die Herrſchaft, da ich laͤngſt ge-
ſehn
Daß Gold allein in jedem Land den Scepter fuͤhrt?


Fortuna.

Nimm dieſen Saͤckel, jeder Griff giebt Dir des
Gold's
Zehn wicht'ge Stuͤck, im Lande guͤltig, wo Du weilſt,
So lange Du, der Deinen einer leben mag
Behaͤlt die Wunderkraft der Saͤckel, laͤnger nicht:
Doch uͤberall der Wohlthat auch gedenke, Sohn.


Fortunat.

Was kann ich thun, Dir Dank zu zeigen, ho-
hes Bild?


Fortuna.

Alljaͤhrlich gieb am heut'gen Tag vierhundert
Stuͤck
Des Golds, als Mitgift einer Jungfrau, die ver-
armt.


(verſchwindet.

[112]Zweite Abtheilung.
Fortunat.

Wo blieb ſie? War es Traum? War's Wirk-
lichkeit?
Der Saͤckel iſt in meiner Hand, und gleich
Greif' ich hinein. — Zehn Goldſtuͤck find' ich hier —
Und wieder, — wiederum! ei, wie ſo ſchnell
Muͤnzt mir das Beutelchen von Leder dies!
Doch halt, da ſeine Wirkung ſo erprobt,
Will ich mich ohne Noth mit Gold nicht ſchleppen.
Es faͤllt vom Geiſt wie eine Binde mir,
Ich fuͤhle mich um zwanzig Jahre aͤlter,
Die Thorheit, Unbeſonnenheit der Jugend
Weit hinter mir. — Auch hebt ſich nun vom Auge
Der Schleier, reiche Landſchaft liegt vor mir,
Ich ſehe Burgen, Staͤdte in der Ferne,
Kloͤſter, Kapellen in der Morgenſonne,
Da breitet ſich ein Weg hin durch den Wald,
Erneuten Muths betret' ich dieſe Straße.


(geht ab.)

Zweite Scene.

(Zimmer im Wirthshauſe.)

Wirth, Daniel.
Wirth.

Das ſag' ich Dir, Burſche, was Du
dem alten Matthis nur an den Augen abſehn
kannſt, daß Du das flink verrichteſt, denn er bezahlt
beſſer als Grafen und Herrn.


Daniel.
[113]Fortunat.
Daniel.

Aber es iſt eine Noth, bald will er
das, bald das, er macht einem mehr Unruhe als
zehn andre Gaͤſte; und was iſt er denn am Ende?
Ein Roßtaͤuſcher!


Wirth.

Mausgehirn, unſer eins ſteht nie auf
Rang und Stand, ſondern was die Leute verzeh-
ren; wer die groͤßten Rechnungen vertragen kann,
der iſt fuͤr den Wirth der vornehmſte. Unſer Wald-
graf, der tagtaͤglich jezt hierher reitet und ſich nichts
als ein Glas Waſſer reichen laͤßt, und dem man
noch fußfaͤllig danken muß, daß er einem die Gnade
erzeigt zur Laſt zu fallen, um nichts und wieder
nichts, der iſt mir der Rechte!


Drinnen:

Daniel.


Daniel.

Gleich, Herr! — da ſchreit er ſchon
wieder.


Drinnen:

Daniel! ins Teufels Nahmen!


Daniel.

Nun, hoͤrt nur.


Wirth.

Aber warum laͤufſt Du denn nicht
auch, Tagedieb?


Daniel.

Es hoͤrt ſich mitunter ſo huͤbſch an,
wenn die Gaͤſte ſich aus der Ferne den Hals ab-
ſchreien moͤchten.


Wirth.
(ſchlaͤgt ihn.)

Ich werde Dir Beine
machen!


Matthias koͤmmt.

Matthias.
(giebt Daniel einen Tritt.)

Baͤren-
haͤuter!


Daniel.

Heut wird ja mit doppelter Kreide
angeſchrieben. Ich gehe ja ſchon.


III. [ 8 ]
[114]Zweite Abtheilung.
Matthias.

Stell mir eine Flaſche Wein auf
mein Zimmer.


Daniel.

Nicht auf den Tiſch? Wie komm'
ich nur auf das Zimmer?


Wirth.

Ei, Burſche, wenn Du Spaß ma-
chen willſt, werd ich Dir Zulage geben muͤſſen.


(ſchlaͤgt ihn.)

Matthias.

Recht ſo! Man kann nicht ge-
nug darauf ſehn, daß jeder das Seinige bekoͤmmt.

(Daniel ab.)

Habt Ihr euch geaͤrgert?


Wirth.

Die Schlingel ſind mir eben ſo viel
Naͤgel zum Sarge.


Matthias.

Ihr muͤßt bei kaltem Blut pruͤ-
geln lernen, bei Leibe nicht in Leidenſchaft, man
ſchlaͤgt im Eifer miſerabel, ſie fuͤhlen's nicht, und
man bildet ſich Wunder ein, was man leiſtet. Ich
mach's mit meinen Leuten ſo: jeder Menſch hat
ſeine Fehler, die merk' ich mir ſauber und ſage
nichts, nun koͤmmt aber eine Stunde nach Tiſch,
oder man iſt nicht wohl, das Wetter iſt zu ſchlecht
zum Ausreiten, aber man braucht doch Motion:
ſeht, da zieh' ich denn die Summe, und pruͤgle ſie
rudelweiſe. Das bekommt mir, und die Schlaͤge,
ſind gut und richtig abgewogen, man ſieht, man
zielt dann viel ſchaͤrfer.


Wirth.

Gewiß, Herr Matthias, Ihr habt
einen klaren Verſtand.


Matthias.

Wie wuͤrd ich ohne Pruͤgel fer-
tig? Jezt lieg' ich nun mit meinen funfzig Pfer-
den hier, zwanzig Leute dabei, manchmal hab' ich
des Geſindes und des Viehes noch mehr: da lernt
[115]Fortunat.
ſich's ſchon, was Regieren heißt; ohne Furcht ruͤhrt
ſich keiner. Sie ſprechen von Liebe: ja, aus Liebe
wuͤrden ſie mir bald alle meine Gaule davon reiten.


Wirth.

Iſt unſer Graf noch drinne?


Matthias.

Wieder fort! Das iſt ein kurio-
ſer Kauz, knickert und knickert er nun nicht ſchon
die zwei Tage um die zwanzig Goldſtuͤcke, die
wir aus einander ſind? Und ich laſſe die Hengſte
nicht anders, ſie ſind meine beſten.


Wirth.

Er will ſich auf der Hochzeit unſers
gnaͤdgen Herzogs auch gern ſehn laſſen.


Matthias.

Ich muß auch bald hinein nach
Angers, ich kann nicht laͤnger warten, wenn ich
meine Pferde noch losſchlagen will. Giebt er ſie
heut nicht, ſo reiſ' ich morgen. — Daniel! Da-
niel!


Drinnen.

Ja Herr!


Matthias.

Heraus Ja-Herr! Ich bin nicht
Dein Ja-Herr!

(Daniel koͤmmt.)

Dahin ſtell' den Wein,
an's Fenſter. Sezt Euch zu mir, Wirth, wir wol-
len hier eins trinken. Euer Haus liegt ſo huͤbſch
frei, man kann ſich allenthalben umſchauen, und
die Ausſicht da nach dem Walde hinunter iſt be-
ſonders erfreulich. — Daniel!


Daniel.
(hereinkommend.)

Nein, Herr?


Matthias.

Toͤlpel! Bring' etwas zum Wein,
Wurſt, Schinken, ſchnell!


Daniel.

Gleich, Herr.

(ab.)

Matthias.

Seht doch, was kommt denn da
vom Wald herauf gezottelt? Schneckt's nicht daher,
wie ein lahmer Karrngaul?


[116]Zweite Abtheilung.
Wirth.

Ein kurioſer Paſſagier. Da wett'
ich nun gleich um hundert Gulden, das ſezt wie-
der eine Bettelei ab. Der klare Profit, wenn
ſolch Geſindel einkehrt.


Matthias.

Pruͤgelt's weg, hineingehauen,
noch ehe ſie zur Rede kommen.


Wirth.

Man thaͤt's mehr, wenn uns die
Geiſtlichkeit nicht immer ſo viel von Mitleid und
Erbarmen predigte, die moͤchten, daß man keinen
Hund ſchluͤge.


Matthias.

Ach was! Geiſtlichkeit! Die Her-
ren ſelbſt ſollte man — doch man muß ſchweigen,
das Zeitalter iſt der rechten Einſicht noch nicht ge-
wachſen.


Fortunat tritt ein.

Wirth.

Hab' ich's nicht geſagt? Da haben
wir die liebe theure Zeit.


Matthias.

Laßt mich machen. — Woher des
Wegs? Was wollt Ihr? Das Pferd hat Euch
wohl abgeworfen, und die Kaͤlber auf der Weide
haben Euch hernach die Sporen gefreſſen? Nicht?
daß Ihr ſo lendenlahm die Beine hinter Euch
ſchleppt?


Fortunat.

Seyd Ihr der Wirth?


Matthias.

Himmeltauſend Element! Wofuͤr
ſeht Ihr mich an? Hab ich rothe Puckeln auf der
Naſe? Iſt mein Ruͤcken krumm? Scharr ich mit
den Beinen aus? Ein Wirth! das hat mir noch
kein Menſch geſagt!


Wirth.

Nun, nun, Gevatter, ein Wirth
[117]Fortunat.
braucht ſich ſeiner Handthierung auch nicht zu ſchaͤ-
men. — Wollt Ihr was, junger Geſell?


Fortunat.

Ich bin ſeit dreien Tagen im
Walde verirrt, ohne einen Menſchen geſehen zu ha-
ben, laßt mir ſchnell eine gute Mahlzeit von Fleiſch
und kraͤftigen Speiſen anrichten, und vom beſten
Wein geben.


Wirth.

Daniel! Daniel!


Daniel mit Brod und Tellern.

Matthias.

Gieb her. — Da, friß, Lands-
mann, armer Hund; wie das verhungert ausſieht!
Ich kann's noch wohl bezahlen, nimm den Wein
und trink auf mein Wohlſeyn.


Fortunat.

Ich dank' Euch, ich wuͤnſche aber
von meinem Eigenen zu zehren, und wenn Ihr
nachher mein Gaſt ſeyn wollt, ſo koͤnnen wir auf
mein und Euer Wohlſeyn trinken. — Beſorgt mir,
Herr Wirth, warum ich gebeten habe.


Matthias.

Sprichſt Du doch, als waͤrſt
Du der Koͤnig von Arragon, der inkognito reiſt,
und deſſen Tochter jezt an den Herzog von Bre-
tagne vermaͤhlt wird.


Daniel und andere Diener decken und bringen Ge-
richte und Wein, Fortunat ſetzt ſich und ißt.

Daniel.

Wuͤnſche Euch geſegnete Mahlzeit,
am Appetite fehlt es nicht.


Matthias.

Seht, Wirth, was das die Ge-
richte zuſammen zu freſſen verſteht! gewiß ein rei-
ſender Altgeſell aus Schlaraffenland, denn mit der
[118]Zweite Abtheilung.
Virtuoſitaͤt hab' ichs noch nie geſehn. Ich ſchwoͤ-
re, der Kerl frißt hier ſein Meiſterſtuͤck, um ſich
dann auf eigne Hand nieder zu laſſen. Gelt, wenn
die Zunft ſich hier privilegiren ließe, ſollten Ochſen
und Schweine bald nicht mehr zu bezahlen ſeyn? Wun-
der waͤr's, wenn das Unweſen nicht ſchon unterwegs
die junge Schonung als Spinat hintergeſchluckt haͤtte.


Fortunat.

Ihr ſeyd launig, ſezt Euch und
nehmt mit mir vorlieb, der Wein iſt gut.


Matthias.

Seht den Kauz, nun noͤthigt er
mich, damit ich hernach bezahlen ſoll.


Fortunat.
(legt ein Goldſtuͤck auf den Tiſch)

Hier,
Herr Wirth, und wenn ich mehr verzehre, wird's
auch nicht fehlen.


Wirth.

O Eu'r Gnaden bemuͤhn ſich doch
nicht, das wird ſich ja finden, werde nicht ſo un-
reputirlich handeln, vorher von einem ſo edlen
jungen Herrn bezahlt zu nehmen.


Matthias.
(ſezt ſich zu ihm.)

Nun, da waͤr ich,
junger Geſell; ich ſpeiſe ſtark, aber mit Euch kann
ich doch nicht in der Wette arbeiten.


Fortunat.

Trinkt von dem guten Wein,
vielleicht ſchmeckt Euch nachher das Eſſen um ſo
beſſer.


Matthias.

Sapperment der iſt vom aller-
beſten, den wende ich nur ſelten an mich. Freund,
laßt Euch rathen, da wird Euer Goldſtuͤck nicht
ausreichen.


Fortunat.
(zeigt eine Handvoll.)

Aber doch zwei,
drei, oder zwanzig.


Matthias.
(ſpringt auf.)

Ei das Dich alle Teu-
[119]Fortunat.
fel! das haͤtt ich nicht in Eu'r Gnaden geſucht!

(ſezt ſich.)

Mit wem habe ich denn die Ehre zu
ſpeiſen?


Fortunat.

Ich bin ein reiſender Edelmann,
der von ſeinen Leuten und Pferden auf ſeltſame
Art gekommen iſt, und ſich nachher in der Wild-
niß verirrt hat. Und wer ſeyd Ihr?


Matthias.

Aufzuwarten der bekannteſte Roß-
haͤndler hier im Lande. Ich gehe jezt nach Angers,
auf die große Hochzeit die unſer Herzog von Bre-
tagne mit der Erbin von Arragon feyert, und ich
waͤre ſchon dort, wenn ich nicht hier vom Wald-
grafen aufgehalten wuͤrde, mit dem ich wegen eini-
ger Hengſte nicht des Handels einig werden kann.


Fortunat.

Sind die Hengſte gut?


Matthias.

Arabiſche Raçe, gnaͤdiger Herr,
man hat ſie hier zu Lande noch niemals ſo gut ge-
ſehn und es iſt nur eine Kleinigkeit, um was ich und
der Graf noch aus einander ſind, aber ich laſſe ſie
nicht anders.


Fortunat.

Moͤchtet Ihr ſie mir verkaufen,
wenn wir einig wuͤrden?


Matthias.

Warum nicht? Ich bin im Han-
del noch ganz frei.


Fortunat.

Was fordert Ihr?


Matthias.

Herr Wirth, Ihr wißt, zwei-
hundert Goldguͤlden will mir der Graf ſchon ge-
ben, ich verlange aber

(winkt ihm.)

zweihundert und
funfzig.


Fortunat.

Ihr ſollt ſie haben, ja ſechzig,
wenn ſie mir nur gewiß bleiben.


[120]Zweite Abtheilung.
Matthias.
(kuͤßt ihm die Hand.)

O großer, be-
ſter verehrungswuͤrdigſter junger Herr! Gewiß ſeyd
Ihr Graf oder Herzog, daß Ihr ſo großmuͤthig
ſeyd, und mir ſchwante gleich, daß es mit Euch
eine beſondere Bewandniß haben muͤſſe, ſo wie ich
Euch nur aus dem Walde kommen ſah.


Fortunat.

Zeigt mir doch die Hengſte, ob
ſie mir auch gefallen koͤnnen.


Matthias.

Sie ſind wie aus dem Ey ge-
ſchaͤlt; kommt in den Stall, mein gnaͤdigſter Herr.


(ſie gehn ab.)

Daniel.

Der Mann hat Geld! das muͤßte
eine Luſt ſeyn, bei ſolchem Herrn zu dienen, dem
die Goldſtuͤcke ſo aus der Taſche fallen.


Wirth.

So? haſt Du Verlangen darnach?
Und wer wird's ſeyn? ein Gaudieb wohl, der ein
paar Reiſende gepluͤndert hat, und nun auf etliche
Tage groß thut, und in Herrlichkeit und Freuden
lebt, bis er das alte Bettelhandwerk wieder hervor-
ſuchen muß, oder ſeinen glorreichen Lebenslauf am
Galgen endigt.


Daniel.

Ihr denkt auch gleich das Schlimmſte.


Wirth.

Ein Wirth iſt immer ein Menſchen-
kenner, man kriegt gar zu viele Geſichter unter
Haͤnden; wer ehrlich Geld erwirbt, macht etwas
mehr Umſtaͤnde damit. Der Geſell iſt mir ver-
daͤchtig.


Franz tritt ein.

Franz.

Wo iſt der Roßtaͤuſcher?


Wirth.

Im Stall, er wird gleich zuruͤck ſeyn.


[121]Fortunat.
Franz.

Der gnaͤdige Graf wird ſogleich kom-
men, er will die Hengſte durchaus, und zur Noth
noch zehn Goldſtuͤcke zulegen.


Wirth.

Schade, denn die Hengſte ſind ſchon
verkauft.


Franz.

Wie? Was? der Graf wird außer
ſich ſeyn. An wen denn?


Wirth.

Iſt ſchwer zu ſagen; ein fremder
Menſch, ein ruppiger Paſſagier, der zu Fuß, hung-
rig und ziemlich verlumpt aus dem Walde gekom-
men iſt, hat ſie, ohne nur zu dingen, an ſich ge-
kauft. Reich ſcheint der Unbekannte, denn er hat
viel Gold bei ſich.


Franz.

Ich muß nur ſchnell meinem Herrn
wieder entgegen reiten, und ihm die ſaubre Bot-
ſchaft bringen. Der wird eine Freude haben.


(eilt fort.)

Wirth.

Iſt mir ganz recht, daß der filzige
Herr Graf den Verdruß und die Schande erleben
muß, daß ihm ein Vagabunde die Hengſte vor der
Naſe wegkauft.


Fortunat und Matthias kommen zuruͤck.

Fortunat.

Ihr ſeyd ein ehrlicher Mann, die
Pferde ſind das Geld werth.


Matthias.

Ich konnte nicht denken, daß
Eu'r Durchlaucht ein ſo großer Kenner waͤre; al-
les zu wiſſen und zu verſtehn, ſelbſt ohne nur ins
Maul zu ſehn, das iſt was Erſtaunliches fuͤr einen,
der nicht Tag und Nacht mit dem Viehe umgeht.


Fortunat.

Herr Wirth, koͤnnt Ihr mir nun
[122]Zweite Abtheilung.
zu Sattel und Zeug und Decken verhelfen? Wißt
Ihr vielleicht in der Gegend etliche treue Leute,
die mir als Diener folgen moͤchten! Einen geſchick-
ten Schneider muß ich auch zu bekommen ſuchen.


Wirth.

Zwei Stunden von hier iſt ein Satt-
ler auf der Burg des Grafen, der auch Vorrath
zu haben pflegt.


Daniel.

Und was Leute betrifft, treue, ge-
ſchickte, verſtaͤndige, da laßt mich einen von ſeyn,
fremder, unbekannter Herr Prinz, ich habe eine er-
ſchreckliche Expektoration in Eure Dienſte zu treten.


Fortunat.

Du gefaͤllſt mir und ſollſt mich
begleiten, wenn Dein jetziger Herr nichts dagegen
hat.


Daniel.

Meine Zeit iſt um, gnaͤdiger Herr,
er hat mir nichts zu befehlen, ich bin los und le-
dig und mein eigner Vater und Mutter.


Wirth.

Und ich bin froh, den Taugenichts
los zu werden.


Daniel.

Ei, koͤnnt Ihr mich nicht beſſer re-
kommandiren, ſo ſchweigt lieber ganz zu meinem
Lobe ſtill.


Der Graf, Franz und Diener treten ein.

Graf.

Wo iſt der Unverſchaͤmte, der es wagt
Mein Eigenthum, ſchon abgeſprochnen Handel
Mir zu entreißen? Iſt er meines Gleichen
So ſoll er die Beſchimpfung mir verguͤten,
Doch iſt er unter meinem Stand, ſo ſoll er ſchwer
Gezuͤchtigt werden fuͤr dies Unterfangen!


[123]Fortunat.
Matthias.

Mein gnaͤdiger, geſtrenger Herr, die Roſſe —


Graf.

Du ſchweigſt! und um Dein gierig Maul zu
ſtopfen,
Geb' ich Dir noch die zwanzig obenein
Die Du gefordert, doch kein Wort nun mehr!
Seyd Ihr's, Ihr Wicht, Ihr aͤrmlicher Geſell,
Der hier in meinem Bann ſo breit ſich macht?
Woher habt Ihr das Gold, mit dem Ihr prahlt?


Fortunat.

Es iſt mein rechtgemaͤßes Eigenthum,
Und das muß jeder glauben, bis ein Klaͤger
Sich ſtellt und ſchwoͤrt, daß ich es ihm entriſſen.


Graf.

Muß jeder glauben! Seht den Musje Muß!
Mein Herr von Muß, ich werd' Euch gleich be-
weiſen,
Daß man Euch hier die Naſe wohl kann putzen
Und wenn der Kopf ſelbſt an ihr haͤngen bliebe.
Ihr Schergen! auf mein Wort, nehmt dieſen Kerl,
Den Vagabunden, werft ihn in den Thurm,
In Ketten legt ihn, denn es iſt zu glauben,
Daß er wen auf der Straße hat ermordet!


(Fortunat wird weggefuͤhrt.)

Graf.

Den Richter laßt mir kommen zum Verhoͤr!
Hier, Matthias, iſt Eu'r Geld; einfaͤlt'ger Pinſel,
Ein andermal habt mehr Verſtand, mit Maͤcht'gern
Iſt's niemals tauglich, Haͤndel anzufangen:
Um ein Paar Thaler will der dumme Menſch
[124]Zweite Abtheilung.
Sich der Gefahr ausſetzen, daß ich ihn
Mit Taxen, Zoll und wie noch ſchikanire,
Vergißt, daß tauſend werth die Protektion
Von einem guͤt'gen, edlen Herrn, wie ich!
Jezt geht, ſeyd froh, daß Ihr ſo durch mir ſchluͤpft.


Matthias.

Die Fuͤße kuͤß' ich meinem gnaͤd'gen Herrn.


(ab)

Wirth.

Ich dacht' es gleich, mein gnaͤdiger Herr Graf. —


Graf.

Ich will allein ſeyn, mit dem Richter ſprechen!


(Wirth geht ab.)

Daniel.

Nehmt's nicht genau mit unſerm armen Schelm,
Er iſt ein guter Menſch: bedenkt, Herr Graf,
Ich bin Euch ſonſt auch nuͤtzlich ſchon geweſen,
Die Grete iſt doch damals ſo gekommen,
Die Liſe darf das Maul nun auch nicht aufthun,
Die Lore —


Graf.

Biſt beſeſſen? Wollen ſehn
Was ſich mit Ehren thun laͤßt; jetzo geh.


(Daniel ab.)

Der Richter tritt ein.

Richter.

Da waͤr' ich, Eu'r Gnaden, und
habe mich ſelbſt von meinem gewohnten Mittags-
ſchlaf abmuͤſſigen muͤſſen.


Graf.

Dicker, wir muͤſſen ſchnell einen armen
Suͤnder verhoͤren und zum Tode verurtheilen, der
[125]Fortunat.
Reiſende gepluͤndert und ermordet, und das ge-
ſtohlne Gut bei ſich hat.


Richter.

Aha! ein ſchoͤner Caſus! iſt lange
nicht vorgekommen. Gehoͤrt der ſaubre Vogel ge-
wiß zu der großen Bande, die damals vor einigen
und zwanzig Jahren die ganze Gegend hier herum
unſicher machte.


Graf.

Macht das Verhoͤr nur kurz, denn
die Sache wird ſich wohl klar ergeben. Es iſt beſ-
ſer, als wenn der Kerl nachher noch in weiter Welt
herum laͤuft, raͤſonnirt und unnuͤze Reden fuͤhrt.


Richter.

Recht, gnaͤdiger Herr, wie vor ei-
nigen Jahren der ſaubre Vogel, der, weil er un-
ſchuldig war, und wir ſo gutherzig dachten, ihn
laufen zu laſſen, uns einen Blam zehn Meilen in
die Runde gemacht. Ich kam die lezte Kirchweih
da an der See hinunter: glaube der gnaͤdige Herr
nur, es iſt nicht uͤbertrieben, auch da kannte man
mich durch das Renommé, und daran iſt bloß die
einzige Geſchichte Schuld. Iſt dieſer auch ſo ein
ſuperkluger, feiner, witziger und ſpitziger Geſell,
ſo wollen wir die Sache kuͤrzer und ſichrer nehmen.
Er ſoll geſtehn und damit gut.

(gehn ab.)

Dritte Scene.

(Gefaͤngniß.)

Fortunat in Feſſeln.

So bin ich wieder meinem Tode nahe,
Und habe noch in keinem Augenblick
[126]Zweite Abtheilung.
Des ganzen, langen Lebens klug gehandelt.
Warum, Verblendeter, erflehteſt Du
Von jener hohen Goͤttinn Weisheit nicht?
Jezt ſag' ich's mir, jetzo, da es zu ſpaͤt,
Daß es nur kind'ſche Unbeſonnenheit,
Nur Vorwitz war und eitle Prahlerei
Die Roſſe anzufeilſchen: waren keine
Sonſt in der ganzen weiten Welt als dieſe?
Es brannte Dir das ungewohnte Geld
In deiner Taſche, Pferde, Hunde, Jagd,
Bediente, Falken, war dein erſtes Denken,
Noch ehe du den Hunger ſelbſt geſtillt,
Und reizteſt drum die Willkuͤhr des Gewalt'gen,
Der ohne Recht und Billigkeit dir droht,
Sich deines Schatzes zu bemeiſtern. Alles
Was ich beſaß hat man mir abgenommen,
Den Dolch, das Gold und jenen Zauberſaͤckel;
Der einzge Troſt iſt nur, daß wenn ich ſterbe
Auch dieſer keinem andern frommt, denn ſo
Verhieß die Guͤtge, daß er nur ſich fuͤlle
So lange ich, der Mein'gen einer lebe.
Vielleicht kann ich mein Leben noch erbetteln,
Wenn ich das Gold weggebe; doch kein Wort
Von jenem Zauber komm' aus meinem Munde,
Wenn es die Gierigen nicht ſchon entdeckt.


Der Graf und der Richter treten ein, ſie ſetzen
ſich, Schergen umher.

Richter.

Tritt vor, Malefikant! Wie heißeſt Du?


[127]Fortunat.
Fortunat.

Weil Ihr es wiſſen wollet: Fortunat.


Richter.

Der wahre Nahme eines Teufelsbanners,
Fortunatus iſt Fauſtus gleichbedeutend,
Erinnr' ich mich aus der Grammatik noch.
Nur her, mein Fauſt, der Ihr es fauſtdick hinter
Den Ohren habt; wo ſeyd Ihr denn geboren?


Fortunat.

Auf einer Inſel, die man Cypern nennt.


Richter.

Hoho, Nur keinen dummen Spaß getrieben!
Mein Freund, Ihr wißt doch wohl, vor wem Ihr
ſteht?
Herr Graf: aus Cypern ſagt der Haſelant;
Wir haben wohl zu Haus 'ne Cyperkatze,
Von Cypermenſchen hab' ich nie gehoͤrt.


Graf.

Gleichviel woher er ſtammt, kommt jezt zur
Sache.


Richter.

Sehr wahr! Gleichviel, mein Freund, woher
Ihr ſtammt,
Will ſagen abſtammt, doch wo Ihr nun bald
Hinan Euch ſtammen ſollt zum Galgenſtamm
Das iſt die Sache, drum ſchnell raus damit:
Wer war der Herr, den Ihr zulezt ermordet?


Fortunat.

Unſchuldig bin ich, habe nie gemordet.


Richter.

O dummer Kerl, ei ſo geſteht's doch nur,
[128]Zweite Abtheilung.
Wir wiſſen ja doch ſchon im voraus Alles,
Drum laßt Euch in der Guͤte nur bereden;
Denn, Freund, wir haben hier, Ihr denkt's wohl
nicht,
Gar liebe ſaubere Tortur-Anſtalten,
Da ſchraubt und kneift und druͤckt und zieht man
Euch
So lange, bis die Wahrheit wie ein Draht
Kuͤnſtlich aus Euch herausgefoͤrdert iſt.


Fortunat.

Soll ich geſtehn, was ich niemals beging?


Richter.

Stellt Euch doch nicht ſo dumm, nehmt doch
Vernunft an,
Laßt Euch ſtill weg in Lieb' und Guͤte haͤngen,
Und zwingt uns nicht zu harten Prozeduren.
Man hat da einen Dolch bei Euch gefunden.


Graf.

Weiſt nach, wie ſolch ein Menſch, der arm nur
ſcheint,
Fremd iſt, weit her, zu den ſechshundert Nobeln
Gekommen iſt: doch koͤnnt Ihr das nicht thun,
Nicht Buͤrgen ſtellen, Leute, die Euch kennen,
So ſeyd Ihr auch ein Dieb, ein Raͤuber, Moͤrder.


Richter.

Sehr ſchoͤn geſagt! Nun, ſeht Ihr's noch nicht
ein?
Mein Seel', das nenn ich einen harten Kopf!
Das heißt Vernunft recht in die Wuͤſte pred'gen.


Fortunat.

Mein gnaͤdiger Herr Graf, geſtrenger Herr,
Ich
[129]Fortunat.
Ich bin ein armer Edelmann aus Cypern,
Ich diente ehemals dem Graf in Flandern,
Reichlich beſchenkt zog ich durch Frankreich hin,
Da nahmen Raͤuber Pferd mir und Vermoͤgen,
Verarmt gerieth ich in dies Waldgehege,
Verirrte mich und ſchmachtete drei Tage,
Als ich heraustrat fand ich dieſe Muͤnzen,
Mit denen ich mich reich und vornehm duͤnkte,
Und ſo nach Flandern dachte hinzuziehn.


Graf.

Verruchter Boͤſewicht! Du wagteſt es
Mein Eigenthum zu rauben? denn gewiß
Iſt Dir bewußt, daß Alles, was im Zirk
Des Walds ſich findet, mein mit Recht gehoͤrt?


Fortunat.

Verzeiht, Geſtrenger, der Unwiſſenheit,
Ich kannte nicht die Rechte dieſes Banns.


Richter.

Doch jetzo kennt ihr ſie und habts gehoͤrt,
Und drum hilft nun auch kein Entſchuldgen mehr.
Herr Graf, ſo gar entſetzlich, graͤulich ſchlimm
Wie wir's erſt dachten, ſcheint er nicht zu ſeyn,
Drum mein' ich daß wir ſonſtens ihn verſchonen,
Ich trage drum auf ſimples Haͤngen an.


Fortunat.

Ich appellir' in Demuth an Eur Gnaden,
Ich ſeh' es ein, verfallen iſt mit Recht
Was ich im Irrthum mein genannt, vergoͤnnt
Arm wie ich war dies Land hier zu verlaſſen,
Und gebt mir nur das Meinige zuruͤck.


III. [ 9 ]
[130]Zweite Abtheilung.
Graf.

Ich will mal guͤtger, ſeyn als Du verdienſt.
Dein Leben ſey geſchenkt; loͤßt ſeine Ketten.


Fortunat.

Mein ewger Dank dem edlen gnaͤdgen Herrn.


Richter.

Und hier iſt auch das Deinge, wie Du's nennſt,
Ein alter Dolch, gut Kaͤſe mit zu ſchneiden,
Ein Lederbeutel, koſtbar anzuſchaun,
Vielleicht ein ſeltnes pretium affectionis
Vom Weibe eines bankerotten Taͤſchners;
Nu, nu, ſey nur nicht bang, nehm' nichts heraus,
Man fuͤhlt von außen ſchon, daß nichts dadrinn,
Gerade wie mit Deinem leeren Kopf.


Fortunat.

Die gnaͤdige Geſinnung meines Herrn
Macht mich zum Vortrag neuer Bitte kuͤhn:
Dem Wirthe hier bin ich fuͤr meine Mahlzeit
Noch ſchuldig, und mir bleibt, Ihr wißt es —
nichts — —


Graf.

Auch dies will ich fuͤr Dich berichtigen.


Fortunat.

Mein Leblang ſchließ ich Euch in mein Gebet.


(ab.)

Richter.

So frißt ſolch fremd Geſindel ſich doch immer
Auf andrer Leute Koſten durch das Land.


(alle gehn ab.)

[131]Fortunat.
Vierte Scene.

(Zimmer.)

Wirth, Daniel.

Wirth.

Nichts! Nichts! Du haſt einmal
Deinen Abſchied.


Daniel.

Es war aber ſo boͤſe nicht gemeint.


Wirth.

Ich bin es nicht gewohnt, mir von
meinen Leuten den Stuhl vor die Thuͤr ſetzen zu
laſſen, auch biſt Du zu nichts zu gebrauchen, faul,
gefraͤßig, naͤſchig.


Daniel.

Ich will mich beſſern, wenn's ſeyn
muß.


Wirth.

Da ſiehſt Du es nun mit Deinem
Bettelprinzen, bei dem Du im Himmel zu leben
dachteſt, uͤber die Grenze haben ſie den Landſtrei-
cher gefuͤhrt, und er muß Gott danken, daß er noch
ſo davon gekommen iſt.


Daniel.

Alſo es bleibt dabei, wir bleiben bei-
ſammen?


Wirth.

Nein, mein gutes Stuͤck Eſel. Mache
daß Du fort koͤmmſt.


Daniel.

Ihr werdet ſehn, was Ihr zu ver-
antworten habt. Ich laufe mein Seel aus De-
ſperation in die Stadt hinein, und ſuche mir dann
den allerbeſten Dienſt in der ganzen Welt, und
dann habt Ihr's Nachſehn, dann ſchreit Ihr
weit weit uͤber das Feld nach Eurem Daniel, und
[132]Zweite Abtheilung
wer dann funfzig Meilen von hier ſizt und Euch
wacker auslacht, der bin ich!


Wirth.

Jezt geh gleich, Narr oder —


Daniel.

Adieu, adieu, wir wollen im Guten
auseinander; braucht mich nicht wie einen Spatz
vom Vogelleim loszureißen, ſacht geh' ich ab.


(ab.)

Franz koͤmmt.

Franz.

Bald haͤtt' ich vergeſſen, Euch das
Geld einzuhaͤndigen, das der Graf mir vor ſeiner
Abreiſe wegen des armen Suͤnders von neulich fuͤr
Euch gegeben hat. Lebt wohl.


(geht ab.)

Wirth.

Zwei Thaler! und die Rechnung be-
trug ſechs. Der Vagabunde war auf meine Un-
koſten großmuͤthig, der Graf nahm ihm ſein Geld,
und giebt mir die zwei Thaler davon ſtatt ſechs.
Je nun, man muß auf baldige gute und verſtaͤn-
dige Reiſende rechnen. Eins muß das andere tra-
gen, ſonſt kaͤme kein Menſch in der Welt zurecht.


(geht ab.)

Fuͤnfte Scene.

(Platz in Angers.)

Fortunat.
in praͤchtigen Kleidern, Diener die ihn
begleiten.

Entronnen war ich gluͤcklich dem Verderben,
Nun gilt's, den Kopf nicht wieder zu verlieren.
[133]Fortunat.
Seh' ich ſo viele doch mit Geld und Gut,
Vornehmen Stands, die ohne Anſtrengung
In Sicherheit und Freude leben koͤnnen:
Auch hat mir das bei Fuͤrſten wohlgefallen,
Daß ſie den Kanzler, einen alten Rath,
Der Jahr', Erfahrung, Kenntniß hat und Witz
Fuͤr ſich regieren laſſen, und in jedem Fall,
Sey er auch dringend und gefaͤhrlich immer,
Den beſten Rath, die ſichre Huͤlfe finden.
Da trat zu unſrer Tafel geſtern ein,
Ein Mann geſetzten Alters, der uns bat
Ihm beizuſteuern, daß zum Vaterland
Er wiederkehren koͤnne; viel gewandert
Iſt er im Orient, durch ganz Europa,
Hat vielerlei erlebt, vielleicht daß er
Mein Rath, mein Helfer wird auf meinen Rei-
ſen. —
Sprachſt Du da jenen Herrn aus Irland? he!


Diener.

Er wird in Kurzem, gnaͤdger Herr, erſcheinen.


Fortunat.

Bleib' einer hier, wenn der Irlaͤnder koͤmmt,
Daß er ein wenig warte, ich indeß
Will jezt das neue Roß zur Probe reiten.


(ab mit Gefolge.)

Der Graf vom Walde tritt auf. Ritter
Balthaſar
.

Graf.

Ja, Ritter Balthaſar, mein gnaͤdger Herr
Der Herzog hat nach Euch gefragt, geruͤhmt
[134]Zweite Abtheilung.
Eur tapfres Thun, er wird Euch gern befoͤrdern,
Wenn wieder Krieg entſteht.


Ritter.

Viel Dank, Herr Graf,
Daß Ihr Euch ſo bemuͤht. Ihr macht ihm Ehre
Und ziehet dieſesmal gar praͤchtig auf.


Graf.

Ja Bruder, das iſt wunderlich gekommen.
Ich war in Noth, mehr als in meinem Leben,
Da ſchickte mir der Himmel unverhofft
Zur rechten Zeit ſechshundert Roſenobel,
Nicht aufgeborgt, die ich guten Gewiſſens
Verzehren darf, und gnaͤdig wird's vermerkt
Vom Herzog, der es mir wohl mal gedenkt.
Sagt doch, kennt Ihr den fremden jungen Herrn
Der praͤchtger aufzieht hier, wie einer ſonſt?


Ritter.

Man ſagt, er ſey ein italiaͤnſcher Graf.
Da koͤmmt er wieder her mit dem Gefolge.


Fortunat mit ſeinem Gefolge.

Graf.

Verzeiht mir, edler Herr, die dreiſte Frage,
Ich hoͤre, daß Ihr aus Italien ſeyd,
Vielleicht habt Ihr von einem Umfrevile
Gehoͤrt, der in Turin gefangen ſaß,
Und der ſich klug aus ſeinen Eiſen brach,
Auf ſonderbare Art entfloh; ich kenn' ihn,
Und wuͤßte gern, was nun aus ihm geworden.


Fortunat.

Gern dient' ich meinem Herrn mit ſichrer Nach-
richt,
[135]Fortunat.
Allein ich bin ſeit lange ſchon aus Welſchland
Und komme kuͤrzlich nur von Irland her.


Graf.

Vergebt der Neugier, ich empfehl' mich Euch.


Fortunat.

Mein Stolz, wenn ich Euch irgend dienen koͤnnte.


(Graf und Ritter gehn ab.)

Matthias tritt auf.

Matthias.

Nichts alſo, mein gnaͤdiger Herr,
von meiner Waare Euch anſtaͤndig?


Fortunat.

Ich bin verſorgt mit Roſſen, mein
Guter; auch ſcheints Ihr habt die beſten verkauft,
denn die Euch noch uͤbrig geblieben, ſind nicht ſon-
derlich.


Matthias.

Im Grunde wahr, Herr Graf:
o ich hatte drei Hengſte von arabiſcher Zucht, die
haͤtt' ich ſolchem edlen Herrn praͤſentiren moͤgen,
aber die hab' ich leider unter dem Preiſe an einen
filzigen Großthuer losſchlagen muͤſſen, der mir
zwar nichts helfen, doch gewiß viel ſchaden koͤnnte.
Ein andermal, gnaͤdigſter Herr Graf, nicht?


Fortunat.

Es wird ſich finden.

(Matthias ab.)


Keiner kennt mich und ich bin nun dreiſt geworden,
am erſten Tage ſezten mich dieſe Geſichter in Ver-
legenheit. Da iſt auch noch der Burſche aus der
Schenke, der immer um mich herſtreicht und mich
allenthalben aufſucht.


Daniel kommt.

Daniel.

Nehmts nicht uͤbel, Gnaden, ſeyd
Ihrs, oder ſeyd Ihrs nicht?


[136]Zweite Abtheilung.
Fortunat.

Wer ſoll ich denn ſeyn, thoͤrichter
Menſch.


Daniel.

Je, natuͤrlich, ſeyd Ihrs! Nun,
das freut mich, das ich Euch gefunden habe.


Fortunat.

Ich kenne Dich nicht, Burſch.
Wer biſt Du denn?


Daniel.

Je, Ihr wißts ja, Ihr ſeyd ja der
Malefikant, der damals bei uns war, der mich in
ſeine Dienſte genommen hatte und nachher ins Ge-
faͤngniß kam.


Fortunat.

Unverſchaͤmter! gleich werd' ich
Deiner groben Zunge Einhalt thun laſſen!


Daniel.

Nehmts nicht uͤbel, gnaͤd'ger Herr,
Ihr habt im Grunde Recht, und ich habe es auch
ſchon gedacht, daß Ihr es nicht ſeyn koͤnnt, denn
dem armen Schelm haben ſie ja alles bis auf den
lezten Pfennig abgenommen; Ihr muͤſtet ja ein
Hexenmeiſter ſeyn, wenn Ihr mit einem Male
wieder ſo reich ſeyn ſolltet: aber nehmt mich in
Eure Dienſte, beſter, edelſter Herr; ſeht, ich habe
damals auch fuͤr Euch vorgebeten, als Ihr ſo in
Noth wart, Ihr wißt ja wohl.


Fortunat.

Ich glaube, der Menſch iſt un-
ſinnig.


Daniel.

O nichts fuͤr ungut, mein Herr
Graf, daß ich immer wieder in die Dummheit ver-
falle, aber wahrhaftig, es giebt ſo Aehnlichkeiten,
Ihr ſolltet den andern guten Menſchen nur ſelber
ſehn, und Ihr wuͤrdet Euch mit ihm verwechſeln.


Fortunat.

So bleibe, Du wunderlicher Ge-
ſell, in meinem Gefolge, aber ich gebiete Dir bei
[137]Fortunat.
meinem Zorn, laß dieſe albernen Reden. Nehm'
einer von euch ihn mit, und gebt ihm die Livree.


Daniel.

Ha ha! Herr Wirth! Iſts nun
nicht gekommen, wie ich ſagte, alter Haſenfuß?


(geht mit einigen ab.)

Leopold koͤmmt.

Leopold.

Ihr habt mich ſprechen wollen, gnaͤdger Herr?


Fortunat.

Ihr ſeyd ein vielgereiſter Mann, mein Herr,
Ihr kennt, ſo ſcheints, die Laͤnder, ihre Sitten,
Die Sprachen, habt wohl manches uͤberſtanden,
Und wißt Euch drum in Faͤhrlichkeit zu finden:
Da nun mein Sinn zu fremden Laͤndern ſteht,
Wuͤnſch' ich mir ſolchen Mann in mein Gefolge
Als Freund und Rath; nehmt Ihr den Vor-
ſchlag an
Stehn Euch zwei Roß', zwei Diener zu Gebot;
Ihr ſelber ſollt mein Freund, nicht Diener ſeyn,
Auch was Ihr irgend braucht gewaͤhr' ich Euch,
Und ſind wir heimgekehrt, Gut und Vermoͤgen,
Daß Ihr dann Euer Alter pflegen koͤnnt.


Leopold.

Dies guͤtge Anerbieten, gnaͤdger Herr,
So ſehr es alle Hoffnung uͤberſteigt
Die ich je hegen konnte, zwingt mich doch
An zweierlei Euch zu erinnern. Reiſen,
So weit, wie Ihr es wuͤnſcht, mit reichem Zuge,
Macht große Koſten, mehr, als Ihr wohl denkt,
Zwar kenn ich manches Land und ſeine Sprache,
[138]Zweite Abtheilung.
Doch wenn in ferner Gegend uns die Mittel
Ermangelten, dafuͤr wuͤßt ich nicht Rath.


Fortunat.

Deshalb ſeyd unbeſorgt, rechnet das Hoͤchſte
Was wir nur brauchen, doppelt dieſe Summe
Soll uns nicht fehlen. Nun der zweite Einwurf.


Leopold.

Durch Huͤlfe guͤtger Herrn, vorzuͤglich Eure,
Bin ich anſehnlich juͤngſtens erſt beſchenkt,
Und wollt nach Irland zu den Meinigen.
Sie haben lange nicht von mir gehoͤrt,
Sie ſind von Noth bedraͤngt, ſo muß ich fuͤrchten,
Wie koͤnnt' ich' jezt, der Heimath ſchon genaͤhert,
Von neuem mich auf lange Zeit entfernen,
Und ſie in Sorg' und Kummer dort verlaſſen?


Fortunat.

So wollen wir nach Irland erſt hinuͤber,
Verſorgen Frau und Kind und Anverwandte,
Denn feſt beſchloſſen iſts, Ihr bleibt bei mir.
Gleich wollen wir nach Schiffen uns erkundgen,
Und lieber heute noch als morgen fahren.
Kommt, theurer Freund, um alles einzurichten.


(alle gehn ab.)

Sechste Scene.

Kreuzgang eines Kloſters.

Pater Ambroſius, P. Placidus.

Ambroſius.

Heut iſt unſer gnaͤdger Herr
Abt wieder einmal wenig aufgeraͤumt.


[139]Fortunat.
Placidus.

O Freund, ein boͤſes Geſtirn hat
mich zu meiner Buße hieher verſetzt; wie hatte ich
es ſo gut in meinem vorigen Kloſter, freundliche
Vorgeſetzte, wenig wurde die Strenge der Regel
beobachtet, eine ſchoͤne Gegend, viel Freiheit und
Spazierſtunden; da fuͤhrt mich der boͤſe Geiſt in
dieſes Land voll Melankolie, Unzufriedenheit, Hun-
ger und Kummer.


Ambroſius.

Ja, wir muͤſſen es empfinden,
daß wir das Fegefeuer des heiligen Patricius in
unſrer Naͤhe haben, die armen Seelen dort werden
nicht mehr gemartert als wir.


Placidus.

Wenn man nur wenigſtens Wein
haͤtte, um die Sorgen etwas zu zerſtreuen, aber
das ſchaale, traurige Bier, die ſtrengen Faſten, der
Gehorſam, der muͤrriſche, ſcheinheilige Abt, alles iſt
zum Verzweifeln.


Ambroſius.

Iſt doch kaum ſo viel Wein da,
als die Meſſe bedarf. Der Wein iſt hier zu Lande
theuer, und der gnaͤdige Herr verſchreibt nur ſelten.


Placidus.

O Irland! Irland! du trauriges,
finſtres Land! Und dieſe Gegend hier iſt gewiß die
ungluͤckſeligſte der ganzen Inſel.


Ambroſius.

Warum habt Ihr aber auch im
vorigen Kloſter ſo wilde Streiche gemacht, daß ſie
Euch zur Strafe hieher ſezten? Und wie muͤſſen
wir erſt klagen, die wir ohne alle Vergehungen
hier ein ſo ſtrenges Leben fuͤhren muͤſſen?


Placidus.

Richtet Euch ſo ein, daß Ihr
eure kuͤnftigen Suͤnden hier im voraus abbuͤßt.


[140]Zweite Abtheilung.
Bruder Marcus koͤmmt.

Marcus.

Wo iſt der Herr Abt?


Placidus.

Er wandelt druͤben im Garten;
was giebt es denn?


Marcus.

Pilgrimme, die das Fegefeuer be-
ſuchen wollen, vornehme, reiche Leute.


(ſchnell ab.)

Ambroſius.

Koͤnnt Ihrs begreifen, daß ſich
immer noch zu Zeiten Menſchen finden, die da
hinten in den finſtern Loͤchern herum kriechen moͤgen?


Placidus.

Einer thuts dem andern nach,
um doch ſagen zu koͤnnen, er ſey dort geweſen.


Ambroſius.

Lange ſchon hats uns an Be-
ſuch gefehlt. Wenn ſie reich ſind, werden ſie ge-
wiß gut aufgenommen werden.


Der Abt, Fortunat, Leopold, Diener,
Moͤnche.

Abt.

Geſegnet ſey der Gang in dieſe Hallen,
Das fromme Herz, der tief geruͤhrte Sinn,
Die demuthsvoll zum Haus des Herren wandeln,
Zu ſchauen ſeine Unbegreiflichkeit.


Fortunat.

Ihr nehmt uns wohl, ehrwuͤrdiger Herr Abt,
Auf einen Tag in Euern Mauern auf.


Abt.

Es iſt dies arme Haͤuslein hochgeehrt,
Daß es herbergen darf den Wohlthaͤter,
Der Armen Vater, der ſo viel uns lieh.


[141]Fortunat.

He! Pater Kellermeiſter! ſchafft den Wein,
Zwei große Faͤſſer ſinds, die der Herr Graf
Uns gnaͤdigſt hat verliehn, in Eure Keller:
Die Wohlthat zwingt zu hoher Dankbarkeit,
Da ſelten hier der Trank des Rebenſtocks.
Fuͤr dies und alles andre was ihr gabt
Soll ſtets inbruͤnſtiges Gebet von uns
Fuͤr Euer Wohl zum Thor des Himmels ſteigen:


Fortunat.

Ich bin ſchon viel gereiſt, und hoͤrte oft
Von Sankt Patricius Fegefeuer reden,
Sagt mir, Herr Abt, wie iſts um dieſe Sache?


Abt.

In dieſer rauhen Gegend, edler Herr,
Die rings von Felſen ſtarrt und Tannenwaͤldern,
Lehrte zur Zeit, als hier noch Heiden wohnten,
Ein frommer, heilger Mann, Patricius.
Andaͤchtig betend und im tiefen Sinnen
Verlor er ſich im Wandeln bis hieher,
Wo vieler Hoͤhlen unterird'ſche Gaͤnge
Sich weit verbreiten, hoch und niedrig bald;
Da hoͤrt er Windesſauſen und Geheul,
Furchtbarer Stimmen Klageton und Winſeln,
Ein ſchrecklich Aechzen und dazwiſchen Lachen,
Und wie er betet faͤllt von ſeinen Sinnen
Der ird'ſche Schleier, und auf ſeine Fragen
Wird ihm die Antwort von gequaͤlten Seelen.
Daß ſie allhier von Schuld gereinigt werden.
Seitdem ward hier vom heil'gen Mann der Platz
Fuͤr eines Kirchleins Gottesdienſt geweiht;
Dann hat man dieſes Kloſter aufgebaut,
[142]Zweite Abtheilung.
Und hinter unſerm Altar in der Kirche
Iſt eine Thuͤr, die in die Hoͤlen fuͤhrt,
Wo fremde Pilger oft, die dort hineingehn
Seltſam Geheul und Brauſen, Klageton
Der armen Seelen immer noch vernehmen:
Und dies iſt Sankt Patricii Fegefeuer.


Fortunat.

Fuͤhrt uns alsbald dorthin, ehrwuͤrd'ger Herr,
Mich, meinen Freund, denn dazu kommen wir
Aus ferner Gegend her in dieſe Oede.


Abt.

Geruht vorher noch Meſſe zu vernehmen,
Geht dann geſtaͤrkt zur Dunkelheit hinein.


(alle gehn ab.)

Siebente Scene.

(Refektorium.)

Ambroſius, Placidus, Marcus,
andre Moͤnche, welche trinken.

Placidus.

Auf die Geſundheit unſers Wohl-
thaͤters.


Ambroſius.

Ein wackrer, edler Herr.


Marcus.

Dies edle Getraͤnk haben wir lange
nicht uͤber die Zunge gebracht, dieſe liebliche Gabe
des Himmels.


Ambroſius.

Und wie freundlich unſer Herr
Abt geworden iſt, daß er es uns Armen vergoͤnnt.


[143]Fortunat.
Placidus.

Nun, Bruͤder, laßt uns einmal
wie Menſchen leben, ſtimmt alle mit mir aus vol-
ler Kehle das herrliche Lied an: mihi est propo-
situm.


Marcus.

Sacht, Bruder, das Ding laßt hier
bleiben, wenn Euch der weltliche Hafer wieder ſticht,
werdet Ihr ſehn —


Placidus.

Nun? Was koͤnnte mir denn ge-
ſchehn? An einen noch ſchlimmern Ort wuͤßte mich
doch zur Strafe kein Menſch hinzubringen.


Ambroſius.

Laßts gut ſeyn, wenn Euer lezter
Convent nicht unten das Gefaͤngniß ſeyn ſoll. Huͤ-
tet Euch, ein ſolcher ſtiller Einſiedler zu werden.


Placidus.

Wo ich doch wenigſtens ſingen
duͤrfte.


Der Abt koͤmmt mit Gefolge.

Abt.

Um Gotteswillen, Freunde, wo iſt der
Pater Pfoͤrtner?


Marcus.

Hier, gnaͤdiger Herr Abt. Was
ſolls?


Abt.

Die beiden fremden Herrn ſind noch aus
den ungluͤcklichen Hoͤlen nicht heraus, wir rufen
hinein, alles ſchreit, keine Antwort; wenn ſie umge-
kommen ſind, wenn ſie in unterirdiſche Gruben
fallen, heiliger Gott, wie entſetzlich! drum, Bruder
Marcus, geht, eilt zu dem Manne, der im vori-
gen Jahr dieſe unterirdiſchen Loͤcher ausmeſſen
wollte und ſich ſo weit hineingewagt hat, er weiß
dort noch am meiſten Beſcheid, vielleicht findet er
[144]Zweite Abtheilung.
ſie noch wieder; von uns getraut ſich kein Menſch
hinein.


Marcus.

Ich hole ihn, er muß Seile und
Lichter mitnehmen.


(geht ab.)

Abt.

Schon ſo lange ſind ſie drinn! Niemand
koͤmmt mehr zu uns, den heiligen Ort zu beſuchen,
wenn ein ſo erſchreckliches Ungluͤck uns begegnen
ſollte. Und gerade ein ſo vornehmer, reicher, edler
Herr! Ich mag es nicht denken, ſo fuͤrchterlich.
Kommt, kommt, Bruͤder, alle zum Gebet und
gluͤcklichen Ausgang in die Kirche.


(alle gehn ab.)

Achte Scene.

(Unterirdiſche Gaͤnge. Finſterniß.)

Fortunat, Leopold.

Fortunat.

Mein Leopold, biſt Du in meiner Naͤhe?


Leopold.

Ja, edler Herr, ganz nah an Eurer Seite.


Fortunat.

Wie geht es Dir, mein guter treuer Freund?


Leopold.

Recht tief bekuͤmmert um Euch, lieber Herr.


Fortunat.

In dieſer wuͤſten, ſchreckenvollen Nacht,
Wo
[145]Fortunat.
Wo ſich kein Ausgang beut und keine Huͤlfe,
Kein Menſch uns hoͤrt, weit in das Labyrinth
Der unterirdſchen feuchten Hoͤlungen
Verirrt, hier, Freund, hier ſollen wir verſchmachten,
Und nie das Licht des Tages wieder gruͤßen?


Leopold.

Wir haben uns zu weit hineingewagt,
Ihr ſeyd zu kuͤhn, es kennt Eu'r ſtarkes Herz
Nicht Furcht und Vorſicht, und nun muß ich
klagen
Daß ich Euch hier mit Rath nicht nutzen kann,
Euch keine Huͤlfe hier gewaͤhren, daß
Der Edelſte, der Freundlichſte der Menſchen,
Der meinem Weib und meinen Kindern huͤlfreich
Und guͤtig war, der alle reich gemacht,
Fuͤr den ich Blut und Leben moͤchte opfern,
Daß er in friſcher Jugend hier vergeſſen
Verſchmachtet, hier begraben bleibt auf ewig.


Fortunat.

Ja, ſchrecklich! ſchrecklich! welche ſchwache
Neugier
Trieb mich in dieſes hoͤlliſche Gekluͤft?
Sehr bald erloſchen uns die Lichter, bald
Verſcholl der Moͤnche Singen fern und ferner,
Ein dumpfer Hauch wie Tod zog uns entgegen,
Truͤbſelge Einſamkeit lag vor uns da:
Was haben wir geſehn und was gehoͤrt?
Ein Windesſauſen, das der Strom der Luft
Durch dieſe vielverſchlungnen Hoͤlen weht,
Oft klang's wie hoͤhnend ziſchendes Gelaͤchter,
Daß ſich ein Thor in dieſes Grab gebettet.


III. [ 10 ]
[146]Zweite Abtheilung.

Mein Leopold, geh nochmals in die Ferne,
Und rufe laut, vielleicht vernimmt man Dich.


Leopold.

Wenn ich die Richtung nur behalten haͤtte,
So komm ich wohl dem Kloſter immer ferner.


(er geht, man hoͤrt ihn nachher fern rufen.)

Fortunat.

Bisher konnt' ich noch ſtets von Ungluͤck ſagen
Wenn mich mein leichter Sinn in Thorheit fuͤhrte:
Der Graf von Flandern wollte mich beſchimpfen,
In London ward von Weibern ich betrogen
Und falſchen Freunden, wie ſo oft geſchieht,
Nur Ungluͤck war es, was mich in den Sturz
Des Hieronymus verwickelte;
Auch war's allein nicht Unbeſonnenheit
Die mich zum Kerker des Waldgrafen fuͤhrte?
Doch das, was mich auf dieſen Stein geſetzt
Iſt nur mein eigner dumpfer, ſchwacher Sinn.
Nun hilf Dir, Thor! Was nuͤtzt Dir nun Dein
Saͤckel?
In dieſe finſtern Todeskammern mag
Selbſt niemals nicht die heitre Goͤttinn dringen. —
Mein Leopold! o weh, er iſt verſunken, —
Weit ab verirrt — und jeder ſtirbt dann einzeln,
Selbſt ohne Freundestroſt in lezter Stunde —
Mein Leopold! — Auch ihn ſtuͤrzt ich dem Tode
In ſeinen grauſenvollen Schlund hinein?
He! Leopold!


Leopold.
(ganz fern.)

Herr Graf!


[147]Fortunat.
Fortunat.

Ha! ha! Herr Graf!
Ich moͤchte rund um dieſe Felſenkeller
Ein wildes hoͤhnendes Gelaͤchter ſenden,
Daß ich ſo reich bin, daß ich Graf mich nenne,
Daß ich in meiner lezten Stunde noch
Ein Grabmal mir von Gold aufthuͤrmen kann.
Herauf! ihr Seelen, wenn in Feuerſchluͤnden,
In Seen von kriſtallnem Froſt ihr heult,
Herauf aus eurem grimmen Bett der Schmerzen,
Mit euch zu nehmen den Verzweifelnden,
Der gleich ſein Hirn an dieſen Felſenkanten
Ausſchmettern wird, daß nur der Geyer Hunger
Ihn nicht von innen ſchaudervoll verzehrt.


Leopold.
(koͤmmt zuruͤck.)

Geduldet Euch mein lieber, guter Herr,
Nur nicht verzweifeln, ſammelt Eure Seele,
Laßt nicht dem boͤſen Feinde ſo Gewalt.
Als ich dort unten, ganz dahinten war,
Da duͤnkte mir, als wenn aus fernſter Ferne
Ein ganz verlornes Schimmerlein aufblickte,
Wie Wiederſchein von Wiederſchein, daß kaum
Die ſchwarze Nacht davon durchaͤugelt ward:
Entweder iſt es Licht von Menſchen, uns
Zu ſuchen, oder ferner Schein des Tages,
Darum ſeyd muthig, denn noch leben wir,
So lang wir leben, ſollen wir auch hoffen.


Fortunat.

Wohl haſt Du Recht, mein guter Leopold.
Sieh, iſt es Traum, iſt's Blendung meines Auges,
Iſt's wirklich, daß ein Glanz dort unten ſpruͤht
[148]Zweite Abtheilung.
Und rings die feuchten Felſen ſchnell umleuchtet?
Ja, Lichter ſeh' ich, Stimmen hoͤr' ich auch!
Das ſind vielleicht die Wunder dieſer Hoͤle,
Die irren Geiſter in der Quaal hier unten.


Leopold.

Nein, es ſind Menſchen, Herr; hieher! hieher!
Sie ſuchen uns, laßt uns entgegen gehn.


Fortunat.

So war der boͤſe Traum denn auch voruͤber.


Der Abt, Marcus, Michael, Daniel,
Diener
.

Abt.

Gottlob! da ſeyd Ihr, liebſter Herr!
Was wir uns um Euch geaͤngſtigt haben! Dieſer
gute Meiſter Michael unternahm es endlich, Euch
vermittelſt Seile und Faden wieder heraus zu
winden.


Daniel.

Huͤbſch gegruͤßt am Tageslicht, mein
Herr, das noch nicht da iſt! Willkommen hier in
der dunkeln Finſterniß!


Fortunat.

Nur wer ſo lebendig eingegraben
lag, und an Huͤlfe und Rettung verzweifelte, kann
fuͤhlen, mit welchem Danke ſich ſein Herz zum
Himmel erhebt, darum laßt uns in die Kirche ei-
len, und an geweihter Staͤtte, mein Leopold, wollen
wir unſer geruͤhrtes Herz dem darbringen, deſſen
Auge uns auch in dieſen Gewoͤlben zu finden wußte.


Abt.

Ihr ſeyd in allen Dingen ehrwuͤrdig
und loͤblicher Geſinnung, edler Herr.


Fortunat.

Dann ſoll dieſer Meiſter Michael
mit meinem Dank eine anſehnliche Belohnung em-
[149]Fortunat.
pfangen, da wir ihm unſer Leben ſchuldig ſind. —
Kommt, Herr Abt; aber das verſichr' ich Euch,
weder des Patricius noch ein andres Fegefeuer
wird von mir wieder beſucht, ehe nicht meine Seele
ſelbſt hingeſandt wird, um mit andern Gebrechen
und Thorheiten auch dieſe abzubuͤßen, daß ich hier
hineingegangen war.


(alle gehn ab)

[150]Zweite Abtheilung.

Vierter Akt.


Erſte Scene.

Straße in Conſtantinopel.

Volksgedraͤnge.

1. Mann.

Seit Conſtantinopel ſteht, iſt wohl
noch nicht ſolches Gedraͤnge in den Straßen ge-
weſen.


2. Mann.

Wohinaus, Mann? Sieht er denn
nicht, daß er hier nicht durchkommen kann? Die
Leute ſind doch wie das liebe Vieh.


3. Mann.

Ihr koͤnnt doch wohl etwas Platz
machen. Und warum ſagt Ihr liebes Vieh? Ihr
ſeyd wohl aus der Familie.


1. Frau.

Seht doch den Angſtmenſchen! Aus
der Familie! Und das leideſt Du auch ſo, dummer
Mann? Kannſt ihm keine Antwort geben, Schaafs-
gehirn?


2. Mann.

Am beſten ſich mit ſolchem Poͤbel
nicht einzulaſſen.


[151]Fortunat.
3. Mann.

Poͤbel! So'n Kerl mit ſeinem lie-
ben Vieh will von Poͤbel ſprechen! Weiß er, wenn
er vor ſich hat? Ich bin der Tafeldecker beim Gaſt-
wirth zur goldnen Traube.


1. Frau.

Da haben wir's! Tafeldecker, Be-
dienter! Povrer Menſch, mein Mann iſt Buͤrger
und Viehmaͤſter.


3. Mann.

Seht doch die große Charge!


1. Frau.

Kurz und gut, andre wollen auch
die Kroͤnung des jungen Kaiſers mit anſehn, die
Decken ſind ſchon gelegt, der Thronhimmel iſt ſchon
abbrettirt, die Noppelgarden ſtehn ſchon parat, gleich
muß der Zug vor ſich gehn.


Alexis, Iſidore, Wasmuth und Helena
kommen.

Alexis.

Macht uns ein wenig Platz, liebe
Leute.


1. Frau.

Nun, wollt Ihr denn etwa mit
Eurer Koppel durch unſern Leib marſchieren, junger
Menſch?


Iſidore.

Wir haͤtten zu Hauſe bleiben ſollen
Alexis.


1. Frau.

Ja, guter Alexis, ja, Ihr brauch-
tet hier mit Euren Ellenbogen nicht ſo um Euch
zu ſtoßen um Eurer Troͤdelwaare Platz zu machen.


Helena.

Troͤdelwaare? O, liebe Frau, nur
nicht ſo hoffaͤrtig, ich habe Euch gekannt, als Ihr
noch ſchlechter aufzogt als wir, dankt Gott, daß
Ihr ein bischen zu Gluͤck gekommen ſeyd.


1. Frau.

Noch ſchlechter? Ei Gott im Him-
[152]Zweite Abtheilung.
mel ſollte doch jeden Chriſtenmenſchen vor ſolcher
Schande bewahren! So in lauter Fetzen, abgetrage-
nen Fahnen, zuſammengeflicktem Zeuge bin ich in
meinem Leben noch nicht gegangen.


Iſidore.

Komm, Alexis, wir wollen nach
Hauſe.


Alexis.

Weine nicht, Iſidore, ſey zu ſtolz,
dich von dieſem Poͤbel betruͤben zu laſſen.


1. Frau.

Poͤbel? O nun wird mir uͤbel. Ich
merke, das Wort iſt mit den neuen genueſiſchen
Schiffen aus der italiaͤniſchen Lombardei heruͤber
gekommen.


Wasmuth.

Seyd ruhig, Frau, Ihr habt ein
zu großes Maul.


2. Mann.

Es iſt wahr, Frau, halt Dich ſtille,
Du ſchreiſt ſo, daß man nachher die Trompeten
nicht wird hoͤren konnen.


Von der andern Seite.

Was die druͤben
ſchreien und zanken!


Ein andrer.

Es ſind die Keſſelflicker aus der
Fiſcherſtraße.


2. Mann.

Hoͤrſt Du, mein Schatz, wie das
Publikum von uns denkt?


1. Frau.

Das Lumpenvolk! Da ſeh ich mein
Seel welche drunter, die uns Pfaͤnder bringen und
borgen, geſtern haben ſie Geld zuſammen geliehn
und gebettelt, um die Flatſchen wieder auszuloͤſen,
womit ſie ſich heut ſo breit machen.


Von druͤben.

Wenn doch einer das Schand-
maul da druͤben ſtopfen wollte.


[153]Fortunat.
Ein andrer.

Schweigt all zuſammen und
ſtoßt und draͤngt nicht ſo.


Andre.

Es iſt nicht anders moͤglich, Herr
Jawanow, man druͤckt uns von hinten vor.


Abel tritt auf.

Abel.

Platz da! Platz! Mauert Euch nur
nicht in meine Thuͤr hinein, weg da, Ihr verhin-
dert mein Gewerbe.


1. Frau.

Geht aus dem Fenſter oder Schorn-
ſtein, wenn Ihr nicht aus der Thuͤre koͤnnt, hier
wird ſich kein Menſch drum graͤmen.


Abel.

Das Volk iſt heut wie beſoffen und toll,
und die Weiber am meiſten.


1.Frau.

Beſoffen, ſagt Ihr, Herr Abel? O
ja, wir duͤrfen Wein trinken. Euch iſt er lange ver-
boten geweſen, armer Menſch; nun Ihr Euch zum
Chriſtenthum bekehrt habt, iſt er Euch wohl noch
was Neues und ſteigt Euch bald in den Kopf?
Nicht wahr?


Abel.

Unverſchaͤmtes Geſindel! Ich werde
meine Pferde mit dem Wagen herausjagen, ſo wer-
det Ihr wohl Platz machen.


(ſchnell in das Haus ab.)

1. Mann.

Was ſagtet Ihr da, Frau Vieh-
maͤſterinn?


1. Frau.

Es iſt ja bekannt, er iſt vor etwa zwei
Jahren als ein Tuͤrke zu uns gekommen, bettelarm
und ſtellte ſich ſo fromm, als wenn er allen Heili-
gen die Fuͤße abbeißen wollte. So tauften ſie ihn
denn aus Barmherzigkeit, und etliche Vornehme
[154]Zweite Abtheilung.
ſchoſſen zuſammen, daß er wie ein ehrlicher Mann
leben konnte; ſo fing er an zu wuchern, und hat
nun dieſen großen Gaſthof gekauft, aber Niemand
will bei ihm einkehren, weil er die Leute ſo uͤber-
maͤßig ſchindet.


2. Frau.

Ganz recht, Gevatterinn und er
ſoll ehedem ſchon mal ein ordentlicher geborner
und getaufter Chriſt geweſen ſeyn, und ſich in der
Tuͤrkei zu einem reinen Gaten gemacht haben, des
Geldes wegen. Abel nennt er ſich, aber er ſollte
Cain heißen, der hochmuͤthige Spitzbube!


Einige.

Platz! ich hoͤre ſchon die Muſik.


Andre.

Weg, eilt, daß wir noch etwas zu
ſehn kriegen.

(die meiſten ab.)

Iſidore.

Wenn wir zu Hauſe geblieben waͤ-
ren, haͤtten wir das nicht erlebt.


Abel koͤmmt zuruͤck.

Abel.

Noch da, Iſidorchen? Seyd Ihr denn
gar nicht neugierig, mein allerliebſtes Kind?


Alexis.

Komm, Liebe, es iſt die hoͤchſte Zeit.


Abel.

Was der junge Menſch eiferſuͤchtig iſt!
Wer weiß, ob die junge Einfalt mich doch nicht
einmal Euch vorzieht, und ich haͤtte ſie Euch wohl
laͤngſt weggeheiratet, wenn ſie nur eine irgend raͤ-
ſonable Ausſteuer haͤtte, aber ſie iſt ja aͤrmer als
eine Kirchenmaus.


Iſidore.

Zum Heirathen gehoͤren zwei, Herr
Abel.


Abel.

Wie ſchnippiſch, und wie huͤbſch es ihr
ſteht, wenn ſie einem ſo grob begegnet.


[155]Fortunat.
Wasmuth.

Herr Abel, Euch ſteht es auch
gut, wenn Euch ſo grob begegnet wird. Kommt,
Frau und Tochter, nun wird mir ſelber die Zeit
lang.


(gehn.)

Abel.

Was ſolch Lumpengeſindel noch hoffaͤr-
tig ſeyn kann, Volk, das nicht das liebe Brod hat.
Aber huͤbſch iſt ſie bei alledem. — Was kommt
denn da angezogen? Vielleicht Fremde, vielleicht
Gaͤſte; es hat ganz den Anſchein. Mir waͤr's ſchon
Recht, denn das verdammte Vorurtheil macht, daß
die wenigſten bei mir einkehren, weil ich ein neuer
Chriſt bin, weil man ſagt, — ja die verfluchten bi-
gotten aberglaͤubiſchen Zeiten, wodurch ein ehrlicher
Mann in ſeiner Nahrung gehindert wird.


Fortunat, Leopold kommen.

Fortunat.

Wir ſind nun ſchon die ganze
Stadt durchwandert, wir verſaͤumen die Feſtlichkei-
ten, und kommen doch nicht unter. Welch Ge-
draͤnge! Welche Menge Volks! Sieh, hier iſt noch
ein Gaſthof.


Abel.

Befehlen meine gnaͤdigen Herren vielleicht
ein Quartier?


Fortunat.

Koͤnnt Ihr uns aushelfen? Seyd
Ihr vielleicht der Wirth von dieſen großen Hauſe?


Abel.

Unterthaͤnigſt aufzuwarten. Iſt Euer
Gefolge ſtark?


Fortunat.

Zwoͤlf Pferde und acht Diener.


Abel.

Alles bei mir ſteht ſo wuͤrdigem Herrn
zu Befehl, ich werde gleich Anſtalten machen.


[156]Zweite Abtheilung.
Fortunat.

Eile, mein Leopold zuruͤck, und
bringe die Leute hieher.


Leopold.

Nachher, Herr Wirth, werd' ich
mit Euch des Quartiers, der Bedienung und der
Speiſung wegen rechnen.


(geht ab.)

Fortunat.

Ich will hineingehn und die Zim-
mer betrachten.


Abel.

Spatziren der Herr Graf hinein. —
Herrlicher Fund! Wenn nur der alte Murrkopf
nicht bei ihm waͤre! — Hier, edler Herr Graf,
treten wir gleich in den großen Saal.


(gehn hinein.)

Zweite Scene.

(Kleine Huͤtte.)

Wasmuth, Helena, Iſidore.

Helena.

So giebt es keine Huͤlfe, keinen Rath
und Troſt mehr?


Wasmuth.

Unſer Elend waͤchſt von Tage
zu Tage, nun haben uns die hartherzigen Menſchen
auch noch unſer Handwerkszeug genommen: das
naͤchſte iſt verhungern.


Helena.

Alle Kleider ſind verkauft, wir duͤr-
fen uns vor Niemand mehr ſehn laſſen.


Iſidore.

Liebſte Eltern, — o Vater, weint
[157]Fortunat.
nur nicht, — ich will arbeiten, ich will alles thun:
ihr habt mich ſo lange ernaͤhrt und geliebt, es iſt zu
viel, wenn ich mein Leben fuͤr Euch hingebe.


Wasmuth.

Kind, Du mein Troſt, Du meine
wohlgerathene Tochter, daß ich Dich ſo muß ver-
gehn ſehn in bluͤhender Jugend! daß Du als eine
Elende in die weite wuͤſte Welt hinaus geſtoßen
wirſt, und nach meinem Tode vielleicht ein Boͤſe-
wicht — Kind, verſprich mir, wie Gott Dich auch
pruͤfen mag, der Tugend getreu zu bleiben.


Iſidore.

Vater, ich werde immer daran den-
ken, daß ich Euer Kind bin.


Wasmuth.

Sieh, liebes Herz, wenn der gute
Alexis nur nicht eben ſo arm waͤre, wie wir, der
mit ſeinem Handwerk ſchon ſeine alte blinde Mut-
ter ernaͤhren muß —


Helena.

Daran iſt ja nicht zu denken, das
hieße ja nur Elend auf Elend bauen.


Abel tritt herein.

Abel.

Nun, ihr armes Volk, wie geht's?
Noch immer ſo großmaͤulig? Noch immer ſo viel
großthuige Tugend und moraliſche Herrlichkeit in
Euren Lumpen?


Wasmuth.

Was wollt Ihr immer wieder
in unſerm Hauſe? Wir haben Euch einmal und
vielmal die Meinung geſagt.


Abel.

Ich komme darum nicht, ich weiß, daß
Ihr auf vornehmere Freiwerber wartet, auf Leute,
denen auch die blanken Ellenbogen ſo durch die
Jacke glaͤnzen. Ich bin heut mit einem Auftrage
[158]Zweite Abtheilung.
von jemand hergeſchickt, der Euch weiter gar nicht
kennt.


Helena.

Was ſollen die vielen Flauſen?
Kommt zur Sache.


Abel.

Ihr verdient's nicht, ihr Geſindel, was
ich fuͤr Euch thue; indeß, was hat man anders als
Undank vom Menſchengeſchlecht?


Wasmuth.

Macht's kurz und gut, Herr
Abel, denn Euer freundſchaftlicher, herablaſſender,
unhoͤflicher Ton faͤllt mir herzlich zur Laſt.


Abel.

Alſo denn: in meinem Gaſthofe iſt ein
fremder reicher Mann mit einem großen Gefolge
eingekehrt, dem Patron muß ein Ueberfluß von
Barmherzigkeit in den Magen druͤcken, denn er hat
mir den Auftrag gegeben, ihm ein armes Maͤdchen
vorzuſchlagen, die er anſtaͤndig und reichlich aus-
ſtatten will. Da bin ich nun gleich auf Euch ge-
fallen, ich habe dem Wurmdokter Euern Nahmen
genannt, und er wuͤnſcht, das Kind morgen fruͤh
zu ſprechen. Wenn Ihr ſie alſo in der achten
oder neunten Stunde zu ihm ſchicken wollt, ſo will
er ſelbſt das Noͤthige mit ihr verabreden, ich glaube
aber, er wird die Bedingung dabei machen, daß die
Jungfer Iſidore mich heirathen ſoll, weil er ſein
Geld auch nicht geradezu wird wegwerfen wollen.


Wasmuth.

Nun hab ichs genug, nun ſucht
die Thuͤr, armſelger Menſch! Alſo den Kuppler
macht Ihr auch ſchon? Mein Kind ſoll ich einem
fremden, nichtsnutzigen reichen Menſchen nun ſo
aufs Zimmer ſchicken? Und Ihr habt die Frech-
heit, das einem Vater ſelber zu ſagen? Meint ers
[159]Fortunat.
ehrlich, ſo kann er hieher kommen, ſich erkundigen,
ſehn; aber ſolche Leute giebts in unſrer Welt nicht,
darum packt Euch!


Abel.

Ich bin ſchon fort. Ich habe nie Leute
geſehn, die ſo ihr Gluͤck mit Haͤnden und Fuͤßen
von ſich ſtoßen.


(geht ab.)

Helena.

Du haſt Dich wieder geaͤrgert, lieber
Alter, und biſt doch vielleicht allzumißtrauiſch.


Wasmuth.

Lehre mich die Welt und Men-
ſchen nicht kennen! das waͤre ja wie aus alten
Maͤhrchen und Wundergeſchichten, daß es wieder
Leute gaͤbe, die in der Welt herumreiſten, um Noth-
leidende gluͤcklich zu machen. Kommt hinein, wir
haben heut nur Brod und Waſſer, aber wir koͤn-
nen uns ſagen, daß wir ehrlich ſind; iſt morgen
die Noth noch groͤßer, ſo muß der himmliſche Va-
ter ſorgen.


(ſie gehn.)

Dritte Scene.

(Gaſthof.)

Abel.
allein.

Das ganze Weſen mit meinem Gaſte iſt mir
ein Raͤthſel. Er thut ſo reich, er hat ſo viele Pferde
und Menſchen bei ſich, ſein Benehmen iſt ſo vor-
nehm, und doch kein baares Geld! Nun will er ein
[160]Zweite Abtheilung.
Maͤdchen ausſtatten, — und wovon? Ein kluger
Wirth laͤßt ſich nicht gern bei der Naſe fuͤhren;
ich habe da unter ihrer Schlafkammer einen Ein-
gang in ihre Stube von dem ſie ſich nichts traͤu-
men laſſen, und wie ich vergangene Nacht meine
Viſitation anſtelle, iſt doch auch in keinem von
allen ihren Beuteln ein einziger Kreuzer. Die Leute
muß ich genauer beobachten.


Fortunat koͤmmt.

Fortunat.

Nun, Herr Wirth? Habt Ihr
meinen Auftrag beſorgt?


Abel.

Gnaͤdiger Herr, ich muß die Ehre ha-
ben zu verſichern, daß das Menſchengeſchlecht im
Ganzen gar nichts taugt, geht man aber vollends
ins Detail, ſo ſtehn einem ehrlichen Mann die
Haare zu Berge, und laͤßt man ſich endlich gar
mit den ſogenannten Armen ein, ſo findet man doch
auch nichts, als die ausgemachteſte Niedertraͤch-
tigkeit.


Fortunat.

So?


Abel.

Ich komme dahin zu den Leuten, ich
kann wohl ſagen, mit geruͤhrtem Herzen, ich trage
das gnaͤdige Anerbieten, die unerhoͤrte Großmuth
vor, und bilde mir ein, die Leute werden in der
niedrigen Stube vor Freuden bis an die Decke
ſpringen; und was wird mir? Grobe Begegnung,
die Thuͤr wird mir unter anzuͤglichen Redensarten
gewieſen, und ich muß froh ſeyn, nur ohne koͤrper-
liche Mißhandlung davon zu kommen.


Fortunat.

So?


Abel.
[161]Fortunat.
Abel.

Kuppler nennt man mich, und giebt
Euch, mein gnaͤdiger Herr, dieſem Wohlthaͤter, die
ehrenruͤhrigſten Schimpfnahmen. Selber kann der
fremde Patron ſich herſcheeren; ſchreit der groß-
maͤulige Vater, wenn es ihm ums Großthun ſo
ſehr zu thun iſt, ich ſchick meine Tochter keinem
ſolchen liederlichen Laffen ins Haus! und derglei-
chen mehr, wie ich mich nie unterſtehen werde, ge-
gen einen ſolchen vornehmen Herrn nur in den
Mund zu nehmen.


Fortunat.

So?


Abel.

Drum daͤcht ich, wir ließen dieſes ge-
meine Geſchlepp fahren, das in ſeinem Bettel ein
Privilegium zur Grobheit zu haben glaubt. Es
finden ſich wohl andre, wuͤrdigere Subjekte in die-
ſer großen Stadt, die eine ſo ungeheure Wohlthat
mehr zu wuͤrdigen verſtehn.


Fortunat.

So?


Abel.

Oder wollen der gnaͤdigſte Herr doch in
denſelben Geſinnungen, trotz des Unwerthes der
Menſchen, fortfahren, ſo koͤnnte die unerhoͤrte
Großmuth mehr als einen begluͤcken, wenn der
Wohlthaͤter es dem Maͤdchen bei der Ausſteuer
(die, wie ich mir denken kann, anſehnlich ſeyn wird)
zur unerlaͤßlichen Pflicht machte, Euer Gnaden un-
terthaͤnigſten und unwuͤrdigſten Diener, den Gaſt-
wirth Abel zu heirathen, da mir das ſchoͤne Maͤd-
chen ſchon laͤngſt mein Herz geraubt hat.


Fortunat.

So?


Abel.

Ich bitte um Verzeihung, wenn ich
vielleicht zu dreiſt geweſen bin.


III. [ 11 ]
[162]Zweite Abtheilung.
Fortunat.

Herr Wirth, von dem Maͤdchen
und den Eltern kann ich darum nicht ſchlimmer
denken, weil ſie nicht zu mir kommen will; mor-
gen fruͤh fuͤhrt mich zu ihr, und ich will ihr die
Ausſteuer einhaͤndigen, die ich ihr zugedacht habe.


(ab.)

Abel.

So? Und wo das Geld hernehmen,
mein allerliebſter hochfahrender So- Herr? Das iſt
ein Geheimniß, dem ich noch auf den Grund kom-
men muß. Gewiß haben ſies eingenaͤht in Kleider
und Waͤſche, denn er bezahlt jede Mahlzeit, den
Wein, jedes Futter fuͤr die Pferde gleich baar und
ohne etwas abzudingen. Alſo nun will er, wer
weiß wie viel Zechinen, an ein armes Maͤdchen weg-
ſchmeißen? So? die ich aber beſſer brauchen kann.
O Einfalt, ſo mit dem Gelde zu handthieren! Ich
muß aber nicht verſaͤumen, noch dieſe Nacht meine
Operation vorzunehmen, denn morgen zahlt der
Narr das Geld und reiſt dann vielleicht fort; hab
ichs, dann heißt es: mein Geld iſt fort! Und ich:
So? und immer wieder mein: So? eben ſo un-
ſchuldig und kaltbluͤtig wie er, mein: So?

(ab.)

Vierte Scene.

(Ein andres Zimmer.)

Daniel, Jakob, Adam, Ulrich.

Adam.

Setzt Euch daher Kamerad, denn ich
hoͤre ja, daß Ihr ehemals auch von unſerm Stande
[163]Fortunat.
geweſen ſeyd, hier laßt uns eins trinken, wo Nie-
mand uns ſieht, alles ſchlaͤft, auch unſer Herr Abel
iſt zu Bett gegangen, und wir koͤnnen nun einmal
ungehindert froͤhlich ſeyn.


Jakob.

Hier, Daniel, verſucht einmal dieſen
Wein.


Daniel.

Auf eure Geſundheit, Freunde und
Kameraden. Er ſchmeckt treflich.


Ulrich.

Er iſt ein Gewaͤchs von den griechi-
ſchen Inſeln.


Daniel.

Will's glauben, denn ich bin doch
nun ſchon weit mit meinem Herrn herumgekommen,
der immer auf Reiſen iſt, aber ſolch liebliches Ge-
traͤnk iſt mir noch nirgend durch die Kehle gefloſſen.


Adam.

Was iſt denn Euer Herr eigentlich?


Daniel.

Seht, Mann, da werft Ihr mir
eine Frage vor, die mir zu ſchwer und hart iſt.
Was er iſt? Er weiß es vielleicht ſelbſt nicht recht,
ſo etwas Beſonderes muß er ſeyn. Oft denk ich,
er iſt ein Kaiſer der inkognito reiſt, oder der Prie-
ſter Johann von Indien, oder der ewige Jude,
oder noch was Kurioſeres Geld hat er immer,
und immer das ſchoͤnſte Gold, er bezahlt ohne ſon-
derlich nach dem Preiſe zu fragen, wir alle leben
bei ihm im Ueberfluß, aber keiner weiß, wo ers her-
nimmt.


Jakob.

Vielleicht hat er ein Buͤndniß mit
dem Teufel gemacht und ihm ſeine Seele ver-
ſchrieben.


Daniel.

Das hab ich auch ſchon gedacht,
aber er iſt fromm und verſaͤumt nicht leicht ſeine
[164]Zweite Abtheilung.
Meſſe, auch lieſt er oft; er iſt ein ſtiller, tugend-
hafter Herr.


Ulrich.

So hat er wohl den Stein der
Weiſen?


Daniel.

Das muß ſeyn, denn aus ſich ſelbſt
kann er doch das Geld nicht muͤnzen.


Adam.

Und wer weiß. Seht, Freunde, was
man in der Welt Fratzen, Maͤhrchen und Alte-
Weibergeſchichten nennt, hat oft ſeinen guten Grund
in den Geheimniſſen der Natur; die Folgezeit, ich
will ſagen, was nach der Vorzeit zu kommen pflegt,
erklaͤrt oft, und macht das begreiflich, was wir fruͤ-
her, oder in der Vorzeit einen Aberglauben genannt
haben; ſo ſind nun von tiefſinnigen Maͤnnern
ſchon viele Geheimniſſe entdeckt, und ſo kann jene
wunderliche, beinah abgeſchmackte, von vielen Kunſt-
verſtaͤndigen fuͤr unanſtaͤndig erklaͤrte Figur, die
manche Leute wohl ihren Kindern zu Weihnachten
zu ſchenken pflegen, doch auch als alte Sage und
Tradition ihren guten Grund in der Wirklichkeit
haben, und Euer Herr iſt vielleicht ſelbſt ein ſolches
Maͤnnchen.


Daniel.

Teufel, Adam, Ihr ſeyd ein tief-
ſinniger Denker, Ihr bringt mich da auf einen
nagelneuen Gedanken. So muͤßte man nur einen
rechten Gelehrten uͤber ihn ſchicken, um ſeine Be-
obachtungen uͤber ſolch Naturwunder anzuſtellen.


Adam.

Der Lamadienſt hat gewiß dieſelbe
Veranlaſſung gehabt, der erſte Dalai Lama war ein
ſo begabter Mann, ſeine Nachfolger haben es ihm
freilich nicht nachmachen koͤnnen, und darum ver-
[165]Fortunat.
faͤllt die Religion auch von Jahr zu Jahr. Der
eigentliche wahre Lamadienſt iſt in der ganzen kul-
tivirten Welt verbreitet.


Daniel.

Wie ſeyd Ihr, große Seele, mit
den Kenntniſſen und Eurem Ahndungsvermoͤgen nur
zum Aufwaͤrter in einem Wirthshauſe geworden?


Adam.

Bei uns in Griechenland ſind zu viele
Denker, und daruͤber bleibt keinem was Rechts zu
denken uͤbrig, tauſend theilen ſich in die Maſſe,
und keiner bekoͤmmt deshalb das Maul voll. Will
man mit einer Anſicht heraus ruͤcken, ſo haben ſie
alle Menſchen ſchon gehabt und wieder vergeſſen,
ſo wie ſie vorgeben. Ich wollte mich erſt zum
Denker aufwerfen, ich habe die Welt geſehn, ich
kann gruͤndlich und umfaſſend ſprechen, ich bin nicht
ohne Gaben, aber mein Beifall verlor ſich bald,
und da ich außer meiner geiſtigen Kraft eine große
Inklinazion zum Trinken habe, ſo dachte ich mich
an die Quelle zu begeben, und bin darum in die-
ſem Wirthshaus als Kuͤfer in Dienſte getreten.


Daniel.

Und geht's euch nicht, wie den Lehr-
lingen der Zuckerbaͤcker, denen man das Naſchen
erlaubt, weil ſie ſehr bald uͤberſaͤttigt werden, und
nachher aus Eckel nichts von den Suͤßigkeiten mehr
anruͤhren moͤgen?


Adam.

Nein, Herr Camerad, im Gegentheil,
je laͤnger ich mich unter den Faͤſſern umtreibe, je
mehr ich probire und koſte, um ſo mehr komm'
ich auf den richtigen guten Geſchmack. Unter uns,
Freunde, ich ſaufe oft mehr als die Gaͤſte, beſon-
ders wenn dummes Volk ins Haus kommt, das
[166]Zweite Abtheilung.
nichts davon verſteht, die muͤſſen das hieſige ge-
ſunde Brunnenwaſſer mit einſchlucken, ſo daß den
Neulingen der Wein gewiß nicht ſchaͤdlich wird.
Wenn mir mein Herr nur nicht ſo vorarbeitete.
Aber der ſizt ſelbſt tagelang im Keller, in chemi-
ſchen Prozeſſen, und verſucht die Verwandtſchaft
des Waſſers zu den Weinen, der Gewaltsſpitzbube!


Daniel.

Iſt es denn wahr, daß er Tuͤrke,
und vorher ſchon Chriſt geweſen iſt?


Adam.

Er hat alle Religionen kurſoriſch durch-
laufen. Er wird bei der Auferſtehung viel Verwir-
rung anrichten, denn man wird nicht gleich wiſ-
ſen, ob man den Kerl als Juden, Heiden, Tuͤr-
ken, oder Ketzer verdammen ſoll; er gehoͤrt in zu
viele Rubriken.


Ulrich.

Das iſt ein Halunke, der nicht nur
die Gaͤſte ſchindet, was mancher ehrliche Mann
thut, ſondern auch ſeine eigenen Leute.


Jakob.

Und zu betruͤgen ſucht er uns bei
jeder Gelegenheit, heftet uns falſches Geld auf,
giebt uns die Auslagen nicht wieder, nimmt oft,
wenn wir nicht gleich bei der Hand ſind, das
Trinkgeld nach ſich, und ſagt, die Gaͤſte waͤren
Hungerleider geweſen und haͤtten nichts gegeben,
und ſolcher Kniffe mehr, in denen er unerſchoͤpf-
lich iſt.


Daniel.

Arme Maͤnner! Aber ihr ſcheert ihn
doch rechtſchaffen wieder?


Adam.

Lieber Mann, darinn braucht uns ge-
wiß der groͤßte Virtuos keine Stunden zu geben.
[167]Fortunat.
Was wir ihm nur an den Augen abſehn koͤnnen,
thun wir ihm zum Poſſen.


Daniel.

Und wo Wein auslaufen will, wo
Geſchirre umſtuͤrzt, wo das Eſſen verdirbt, wo ge-
ſtohlen werden koͤnnte, da ſeyd ihr doch auch nicht
zu ſchnell bei der Hand, um den Schaden zu ver-
huͤten?


Jakob.

Gewiß nicht, wenn's platzregnet laſ-
ſen wir gern die Fenſter zu den beſten Stuben auf,
das hat noch den Vortheil, daß der Zugwind oft,
wie die Thuͤr aufgeht, ſie zerſchlaͤgt, die guten
Moͤbeln laſſen wir in der Sonne ſtehn, daß ſie
ſich werfen muͤſſen, wo wir Motten merken, ſtoͤren
wir ſie gewiß nicht, die Maͤuſe noch weniger, ſo
daß der gute Burſche mit dem Haushalt auch alle
Haͤnde voll zu thun hat.


Daniel.

Recht ſo! ſo hab' ich's auch immer
gemacht, und habe doch wohl bei zwoͤlf Wirthen
gedient. Sie treiben's einem wohl danach, daß
man die Tugend einbuͤßen muß.


Adam.

Ei was, es iſt Tugend, ſolchen Schel-
men das Leben recht ſauer zu machen.


Abel tritt herein.

Abel.

Wie? Was? Es ſitzen hier noch die Geſellen
So ſpaͤt, daß es bald wieder Morgen wird?
Scheert euch zu Bett, ihr Tagedieb', es fehlt noch
Daß ihr die Naͤcht' in Saufgelagen hinſchwelgt!


Adam.

Wir ſprechen hier in aller Lieb' und Guͤte
[168]Zweite Abtheilung.
Als gute Freund' und Cameraden nur
Von Euch, mein beſter Herr, und Euren Gaben.


Daniel.

Und ich, mein Herr, bin ſo zu ſagen Fremder,
Ein Gaſt bin ich, und kann fuͤr baares Geld
Eſſen und trinken, wann, und wo ich will.
Ich bin nicht da, um angeſchnauzt zu werden;
Es kann ſich fuͤgen, daß Ihr ſelber mir
Den Wein auftragen muͤßt, Herr Wirth! Ver-
ſtanden?


Abel.

Vollkommen, aber dieſen meinen Leuten
Hab ich das Recht zu ſagen: marſch! fort! packt
euch!
Und wenn Ihr klug ſeyd, Gimpel, geht Ihr auch!


Daniel.

Ein Gimpel? Lieber noch als Eul' und Schufut.


(ſie gehn ab.)

Abel.

Ja, zum Verzweifeln iſts, und unbegreiflich!
Erbeutet nichts, als zwanzig Stuͤck Dukaten.
Ich mache mich da unterm Bett hervor
Wo meine Fallthuͤr iſt, ſie ſchlafen all,
Da ſchneid ich ſtill dem Leopold den Saͤckel
Und finde zehn, den andern Dienern auch
Und finde zwei und drey und wieder zwei,
Und ſo bis zwanzig Stuͤck beiſammen ſind,
Nun zitternd ſchon vor Freude athmend kaum,
Mach' ich mich an den großen Prahler ſelbſt,
Das ſcharfe feine Meſſer nimmt auch gleich
Die Schnuͤre weg; ich habe ſchon den Saͤckel
[169]Fortunat.
Den er an ſeinem Leibe immer traͤgt,
Und fuͤhl' ihn leicht und leer von außen ſchon,
So daß ich ihn im Zorn weit hin von mir
Dort unter's Bett' hinwarf: drauf macht' ich
ſchnell
Die Fenſter auf, als waͤren naͤchtlich Diebe
Hereingeſtiegen. Wie in aller Welt
Will er die Ausſtattung nur moͤglich machen?
Am naͤchſten Tage mir bezahlen? Fort,
Daß er nicht glaubt, ich haͤtte noch gewacht.


(ab.)

Fuͤnfte Scene.

(Saal.)

Leopold.
tritt auf.

Um's Himmels Willen! gnaͤd'ger — gnaͤdger
Herr!


Fortunat koͤmmt im Nachtkleide.

Fortunat.

Was fehlt Dir, Freund? Du biſt verwirrt?
Siehſt bleich?


Leopold.

All' unſre Fenſter auf, mein Geld entwandt,
So auch den Knechten, die etwas beſaßen —
Seyd Ihr denn auch beraubt?


Fortunat.

O weh! mir ſchwindelt!


Ich ſinke, — reich mir ſchnell den Seſſel her —


[170]Zweite Abtheilung.
Leopold.

Ich habe etwas, Euern Sinn zu ſtaͤrken.


(ab)

Fortunat.

So iſt mein Gluͤck dann wie ein Traum ver-
ſchwunden?
Es war, es iſt nicht mehr — ich bin verloren!
Ich kann nicht mehr — dies iſt die Todesſtunde.


Leopold koͤmmt zuruͤck mit Dienern.

Leopold.

Hier, gnaͤdiger Herr, braucht dieſen ſtarken
Geiſt —
Nehmt auf den Schreck hier dieſen Becher Weins —
So habt Ihr auch, wie's ſcheint, Verluſt erlitten?


Fortunat.

Mein Freund, ich habe Alles eingebuͤßt —
Ja, Weisheit, Goͤttinn, haͤtt' ich waͤhlen ſollen,
So waͤre mir Verſtand nicht mit dem Geld
Entwichen, — ja, ich ſehe noch den Blick,
Halb hoͤhnend, halb in Mitleid eingetaucht,
Mit dem ſie von mir ſchied, — haͤtt' ich gewaͤhlt
Nicht nach dem Schein, nein nach dem innern
Werth
So haͤtte mich kein Dieb berauben koͤnnen.


Leopold.

Er phantaſirt, lauft ſchnell zu einem Arzt —


Fortunat.

Was ſprach ich, Freund! Ich weiß nicht, wo
ich bin,
[171]Fortunat.
Hoͤrt nicht auf meiner Rede leeren Klang —
Nicht weiß mein Geiſt, was meine Zunge ſpricht.


Leopold.

Vor allem, gnaͤdger Herr, beruhigt Euch,
Zwar weiß ich nicht, wie viel Ihr habt verloren,
Doch haben wir noch Pferde, reich Geſchmeide,
Wir ſuchen zu verkaufen, und entlaſſen
Von Dienern, was Ihr nicht hoͤchſt noͤthig braucht,
So trau' ich es mit Gott noch zu vollbringen
Euch in die Heimath, und zu Euren Guͤtern
Mit Ehren, ungefaͤhrdet heimzufuͤhren,
Ich bin wohl ſchon in groͤßrer Noth geweſen.


Fortunat.

Du weißt nicht, Leopold, — Du kannſt es
nicht
Begreifen noch verſtehn, — wozu der Worte?
Ich bin verloren, laß mich nun verzweifeln!


Leopold.

So viel ich weiß, mein gnaͤdger Herr, betraͤgt
Doch der Verluſt nur wenige Zechinen,
Ihr wolltet morgen eine große Summe
Aus freier Gunſt verſchenken, unterwegs
Habt Ihr auf Gut und Geld nie ſehr geachtet,
Wie faß ich's, daß Euch dies ſo nieder wirft?


Abel koͤmmt.

Abel.

Was muß ich hoͤren, mein erlauchter Herr?
In meinem Hauſe? Wie nur war es moͤglich?
Wer war ſo nachlaͤſſig in ſeinem Dienſt,
[172]Zweite Abtheilung.
Das nur der Dieb die Fenſter oͤffnen konnte?
Das bringt in uͤblen Ruf mein redlich Haus.


Leopold.

Seyd ſtill, der Herr iſt voͤllig außer ſich.


Fortunat.

Mein Saͤckel, — hier am Wamſe trug ich ihn —
Wo kann er ſeyn? Wer kann ihn wiederſchaffen?


Abel.

Sucht, Leute, denn vielleicht mag er ſich finden.


(ab mit Dienern.)

Fortunat.

Mein Leopold! voruͤber Gluͤck und Heil —
Jezt ſeh' ich, daß Du nicht ein Diener bloß,
Daß Du ein Freund mir biſt, — wie ſchmerzt es
mich,
Daß ich nicht Deine Liebe kann belohnen!


Leopold.

Wenn Ihr Euch mir nur ganz vertrauen wolltet.


Abel koͤmmt mit Dienern.

Abel.

Da unter Eurem Bett fand ich den Saͤckel
Von ſimpeln Leder, — ohne Zier, und leer —


Fortunat.

Gieb her! Er iſt's! Gieb her!


Abel.

Da, gnaͤdger Herr —


Wie ſeyd Ihr nur ſo eifrig nach dem Dinge?


Fortunat.

Weil Du's nicht weißt; weil drinn ein großer
Wechſel,
[173]Fortunat.
Den mir am Morgen ſoll ein Kaufmann zahlen. —
Bringt mich hinein, ich lege mich zu Bett,
Und laßt mich nun noch ein'ge Stunden ruhn,
Der Schreck hat mich nur zu ſehr angegriffen.


(mit Leopold und Dienern ab.)

Abel.

Der Beutel! Hm! Der Beutel! Etwas mehr
Muß es mit dieſem Saͤckel auf ſich haben.
Welch Vieh war ich, ihn gleich ſo abzugeben,
Nicht erſt zu unterſuchen! — Drinn ein Wechſel?
Ich fuͤhlte nichts. — In naͤchſter Nacht erfahr'
ich's.
Will er als Narr ſein Geld nur ſo hinaus
Zum Fenſter werfen, bin ich ihm der naͤchſte,
Der ihn beherbergt, ſpeiſt, und fuͤr ihn ſorgt,
Und hat er Geld, ſo wird es auch das meine.


(ab.)

Sechste Scene.

(Huͤtte.)

Iſidore oͤffnet die Thuͤr, Alexis tritt ein.

Iſidore.

Ach! biſt Du es, mein lieber Ale-
xis? Du weißt ja, Du darfſt nicht hier ſeyn, geh
mein Lieber; wenn Dich die Eltern finden ſollten,
wie wuͤrden ſie ſchmaͤhn!


Alexis.

Alſo das iſt Dein Empfang? Das
Deine Liebe? Ich konnte nicht laͤnger leben, ohne
[174]Zweite Abtheilung.
Dich zu ſehn. Aber Du kannſt mich wohl vergeſſen,
Du kannſt ohne mich vergnuͤgt ſeyn. Nun, ſo
lebe wohl, Gefuͤhlloſe, Du ſollſt mich nie wieder-
ſehn.


Iſidore.

Nein, bleib, mein Liebſter, bleib
und hoͤre: bleib und gieb mir einen herzlichen Kuß.
— So im Zorn darfſt Du nicht von mir gehn.
Wie kannſt Du glauben, daß ich Dich weniger
liebe?


Alexis.

Ich kann dies Leben nicht laͤnger er-
tragen, zu Hauſe nichts als Elend, ohne Freund
und Hoffnung und Beiſtand, Dich ſoll ich nicht
mehr ſehn, was noch Sonne und Fruͤhling in mei-
nem dunkeln Gefaͤngniß war, ſo muß ich wohl un-
tergehn.


Iſidore.

Aber, Liebchen, Du weißt es ja,
daß es nur meine Eltern deshalb nicht wollen, daß
Du unſer Haus beſuchſt, weil wir uns doch nicht
heirathen koͤnnen, und weil die Nachbarn gar zu
gern klatſchen und alles ins Boͤſe drehn, ſonſt ha-
ben ſie ja nichts gegen Dich, — und ich, — o
Gott! daß ich an dich denken kann, iſt mir ja
Speiſe und Trank, wenn Du vorbeigehſt ein hoher
Feſttag.


Alexis.

Wo ſind ſie denn, die Alten?


Iſidore.

In die Meſſe gegangen.


Alexis.

Da wunderts mich, daß Du haſt zu
Hauſe bleiben duͤrfen, ſo fromm der Vater iſt.


Iſidore.

Ich —

(weint.)

O laß mich, lieber
Alexis.


Alexis.

Was iſt Dir? Warum weinſt Du?
[175]Fortunat.
Nein ſprich, ſage mir, was Dich mit einemmale
ſo uͤberfaͤllt. Kann ich Dir helfen?


Iſidore.

Ach nein, nein: — ſieh nur, ich
habe wohl zu Hauſe bleiben muͤſſen, weil ich nun
gar nichts mehr, auch keinen Schleier mehr habe
— ach! ich ſchaͤme mich ja, mich ſelbſt vor Dir in
dieſen zerriſſenen Lumpen ſehn zu laſſen. Wenn
man eine Stelle zunaͤht, reißen drei neue wieder
auf. Das iſt doch wohl der groͤßte Jammer auf
der Welt.


Alexis.

Nur nicht weinen, mein Kind, nicht
ſo ſehr, — es greift mir zu ſehr durchs Herz.
Vielleicht iſt bald Huͤlfe da.


Iſidore.

Nein, Lieber, ſo werden wir ver-
kommen, vergehn und verſchmachten. — O Himmel
meine Eltern! Sie kommen Dir entgegen, Du
darfſt nicht hinaus! verſteck Dich hier, ſchnell in
meine Kammer hinein.

(Alexis ab.)

Wasmuth und Helena kommen.

Iſidore.

Schon wieder zuruͤck, lieber Vater?


Wasmuth.

Wie immer, der Gottesdienſt iſt
geendigt. — Iſt niemand hier geweſen?


Iſidore.

Kein Menſch.


Wasmuth.

Fahr mich nur nicht ſo an, ich
glaubs wohl, daß Niemand ſich nach unſerm Elend
umſchauen mag. — Wer klopft? Herein!


Abel und Fortunat kommen.

Abel.

Hier iſt der edle Herr, von dem ich
Euch ſagte, er hat ſich ſelber bis zu Euch bemuͤht,
[176]Zweite Abtheilung.
um Euch und Eure Tochter kennen zu lernen, und
wenn Ihr es werth ſeyd —


Fortunat.

Laßt mich ſelber ſprechen, Herr
Wirth.


Wasmuth.

Vor allem, gnaͤdiger Herr, nehmt
dieſen Schemel an, und geruht Euch niederzu-
laſſen. Ihr tretet in eine arme Wohnung, aber
unter ehrliche Menſchen, und da Ihr Euch nicht
zu groß duͤnkt, zu uns zukommen, ſo wollen wir,
ſo elend wir auch immer ſind, uns nicht ſchaͤmen,
uns vor Euch zu zeigen.


Fortunat.

Dieſe da iſt Eure Tochter? Wa-
rum tritt ſie nicht vor? Warum verbirgt ſie ſich?


Helena.

Ach, gnaͤdger Herr, ſie ſcheut ſich,
ihre Kleider, ihre Armuth, ſie iſt ſo wenig und ſo
ſchlecht angezogen —


Fortunat.

Dieſe Tracht, ſchoͤnes Kind,
macht Euch Ehre, denn in dieſer Stadt koͤnnte es
Euch wohl an Putz nicht fehlen, wenn Ihr den
Antraͤgen der Schlechtigkeit Gehoͤr geben wolltet.


Iſidore.

Ihr beſchaͤmt mich, edler Herr.


Fortunat.

Sagt mir aufrichtig, liebt Ihr
dieſen Mann? Sprecht ohne Scheu, denn wenn
Ihr ihn erwaͤhlt habt, ſo ſey er der Eurige, und
die Eltern hoff ich, geben in dieſem Falle meinen
Bitten nach.


Iſidore.

Ich wuͤnſche freilich im Stande zu
ſeyn, meinen Eltern in ihrer Armuth zu helfen,
aber, da ich frei ſprechen ſoll, ich bliebe lieber Zeit-
lebens unverheirathet, als daß ich dieſen naͤhme.


Wasmuth.

Nein, gnaͤdger Herr, ſie kann
ihn
[177]Fortunat.
ihn (nehmts nicht uͤbel, Herr Abel) nicht ausſtehn,
er hat ihr ſchon genug nachgeſtellt.


Abel.

Nun, nun, wir wollen daruͤber keine
Geſchichten erzaͤhlen, Freund.


Fortunat.

Nennt mir einen andern Mann
oder Juͤngling und meine Vorſprache und Huͤlfe
ſoll euch nicht fehlen.


Iſidore.

Lieber, gnaͤdiger Herr, Ihr ſeyd
ſo edel und freundlich, — ach! ich muß ſagen —


Helena.

Sprich heraus, Kind, ſcheue dich
nicht; ſie hat einen Liebſten, edler Herr, ſie haͤtte
ihn auch ſchon geheirathet, wenn der arme Burſche
nicht in demſelben Elende lebte wie wir.


Fortunat.

Ruft ihn, ich will Euch geben
was Ihr braucht, um Eure Wirthſchaft einzu-
richten.


Abel.

Wenn Ihr befehlt, ſo will ich den Knecht
ſogleich holen.


Wasmuth.

Ruhig, ich bin der naͤchſte dazu.


Iſidore.

Laßt es noch, lieber Vater, ich bitte.


Wasmuth.

Was ſoll denn die Ziererei? Gieb
mir den Hut her, Frau.


Alexis tritt hervor.

Alexis.

Es wird nicht noͤthig ſeyn, Vater,
da bin ich ſchon.


Wasmuth.

Wie? Was? Solche Streiche
gehn hinter meinem Ruͤcken vor? Solche Schande
macht Ihr mir vor dem fremden Herrn? Nun
gleich zum Hauſe hinaus, und nun wird aus der
Heirath in Ewigkeit nichts!


III. [ 12 ]
[178]Zweite Abtheilung.
Iſidore.

Liebſter Vater —


Wasmuth.

Schweig, ungerathene Dirne!
Ihr ſeht, mein wuͤrdiger Herr, wir koͤnnen, wir
duͤrfen Eure Wohlthaten nicht annehmen, denn wir
ſind es nicht werth!


Alexis.

So laßt Euch doch nur bedeuten,
guter alter Wehrwolf.


Iſidore.

Sieh, Alexis, was Du angerichtet
haſt. Sagt ich's nicht?


Wasmuth.

Nichts will ich hoͤren!


Fortunat.

Laßt den jungen Menſchen reden,
alter Mann, Ihr duͤrft gegen Eure Kinder nicht
ungerecht und grauſam ſeyn.


Helena.

Das iſt auch wahr, Herr fremder
Graf, er moͤchte ſie lieber gleich umbringen, weil
ſich die jungen Leute gern ſehn, was doch vor Gott
und Menſchen keine Suͤnde iſt.


Alexis.

Hoͤrt an, Vater: ich kam, um Eure
Tochter nach der langen Zeit nur auf einen Augen-
blick wieder zu ſehn, und weil wir ſo in Angſt vor
Euch waren, da Ihr mir das Haus verboten habt,
ſprang ich, wie wir Euch kommen hoͤrten, hier
hinein. Wollt Ihr mir nun darum Eure Tochter
nicht geben, da uns der Himmel doch ſo unverhoft
einen edlen Wohlthaͤter zuſendet, wofuͤr wir ihm
mit Freudenthraͤnen danken ſollten, ſeht, ſo ſeyd
Ihr ein rechter alter —


Wasmuth.

Was, du Range? Ich will nicht
hoffen, Boͤſewicht —


Alexis.

Nun ja, ſo ſeyd Ihr ein rechter al-
ter boͤſer unvernuͤnftiger Menſch und kein Vater;
[179]Fortunat.
aber nein, Ihr ſeyd zu gut, Ihr nehmt gewiß
Vernunft und Euer und unſer Gluͤck an.


Iſidore.

Vergebt mir, lieber Vater, wir
dachten nicht Euch zu beleidigen.


Wasmuth.

Wenn der fremde Herr glaubt,
daß Ihr ſeine Wohlthaten noch verdient, ſo will
ich Euch vergeben.


Fortunat.

Vereinigt in meiner Gegenwart
Eure Haͤnde und der Himmel moͤge Euer Buͤnd-
niß ſegnen. Empfange, Du gutes armes Maͤdchen,
von mir zur Ausſteuer dieſe vierhundert Goldſtuͤcke,
und moͤge das Gluͤck Euren Hausſtand nie ver-
laſſen.


Abel.

Vierhundert!


Alexis.

O Herr — ich moͤchte danken, —
moͤchte ſprechen, — aber es wuͤrgt mir ſo in der
Kehle, — ich kann nicht.


Iſidore.

Nehmt unſre Thraͤnen, unſre Ge-
bete an.


Helena.

Es iſt zu viel, mein theurer, gnaͤdi-
ger Herr.


Wasmuth.

Mir iſt, als wenn ich nur im
Traume laͤge. Iſidore, Kind, wie haben wir ſo
großes Gluͤck verdient?


Fortunat.

Aber es fehlt Euch an Kleidern,
an Geraͤth, an Handwerkszeug, theilt Euch mit
den Eltern noch dieſe zweihundert und ſeyd gluͤck-
lich. Kommt gleich mit mir zur Kirche, und laßt
mich ein Zeuge Eures Buͤndniſſes ſeyn.


Wasmuth.

Kommt, kommt Kinder, thut
alles, alles was der Herr befiehlt! Springt und
[180]Zweite Abtheilung.
tanzt und jubilirt und betet zu Gott fuͤr dieſen
wundervollen Tag!


Helena.

Druͤben, bei der Gevatterinn, Mann,
koͤnnen wir uns ſchnell einen beſſern Anzug kaufen.


Iſidore.

Ja, liebe Mutter, denn ſo koͤnnt'
ich unmoͤglich uͤber die Straße gehn.


Wasmuth.

Schnell, und dann in die Kir-
che! O laßt Euch die lieben theuern Haͤnde kuͤſſen,
ihr unſer Wohlthaͤter! Kommt, Kinder.


(alle gehn ab.)

Abel.

So kann ich doch ſagen, ich habe nun
etwas geſehn, was gewiß zu dem Allerſeltenſten und
Wunderlichſten auf der Welt gehoͤrt, und das ich
nicht glauben wuͤrde, wenn es mir ein andrer er-
zaͤhlen wollte. Sechshundert Goldſtuͤcke! Verruͤckt
iſt der gute Menſch, das leidet keinen Zweifel, iſt
mir auch gleichguͤltig, nur woher, woher er das
viele Geld nimmt, daß er es ſo wegſchmeißen darf,
darauf kommt es an, und dahinter muß ich kom-
men, noch dieſe Nacht. Hat er es baar, ſo ent-
geht mir's nicht, iſt mit dem Beutel, wie ich bei-
nah aberglaͤubiſch werde zu glauben, Hexerei oder
Wunder im Spiel, ſo weiß ich den auch zu finden.
Ich habe wohl bemerkt, daß er ihn ſeit der lezten
Geſchichte ſorgfaͤltig im Buſen verwahrt und nicht
mehr am Wamms traͤgt. Er wird mein, und hilft
nichts anders, ſo wird ein Meſſer, wenn er ſchlaͤft,
ſeine Dienſte thun, daß er nicht mehr erwacht.
Sie wollen bald reiſen; wie es auch ſey, mein
muß werden, was er an Schaͤtzen hat.


(geht ab.)

[181]Fortunat.
Siebente Scene.

(Zimmer)

Fortunat, Leopold.

Fortunat.

Es iſt ſchon ſpaͤt, und da wir morgen fruͤh
Mit Tages Anbruch abzureiſen denken,
So werf' ich mich bekleidet auf das Bett.


Leopold.

Ich folge gern dem Beiſpiel, doch Euch, Herr,
Der Ihr des ungewohnt, wird es ermuͤden.


Fortunat.

Ich habe groͤßere Beſchwer erduldet.


Leopold.

So gehen wir nach Eurer Heimath nun?


Fortunat.

Ja, Du haſt mir die Sehnſucht aufgeweckt,
Und, ſonderbar, daß ich nicht fruͤher ſchon
Des Vaterlands, der theuren Eltern dachte;
Der Trieb, mir Land und Staͤdte zu beſehn,
Verdeckte ganz mir mein Gemuͤth und Herz
Fuͤr jede andre Luft, doch koͤnnen wir
Von dort noch manches fremde Reich beſuchen.
Die Nacht iſt ſtill, kein Luͤftchen regt ſich jezt,
Kein Schall, kein Athem in der Einſamkeit, —
Nun ſchlafe wohl, — das Auge faͤllt mir zu.


(entſchlaͤft.)

Leopold.

Lieg hier, mein Schwerdt, daß wenn Beſuch
uns wieder
[182]Zweite Abtheilung.
So unvermuthet koͤmmt, du ihn begruͤßeſt;
Doch Fenſter, Thuͤren ſind zu gut verwahrt,
Es kann kein Geiſt, kann keine Hexe ſeyn.


(ſchlaͤft.)

Abel koͤmmt unter dem Bette hervor.

Abel.

Still! ſacht! — es iſt doch faſt zu finſter hier —
Der Wein war ſtark, ich finde nicht das Lager;
Wo bin ich denn? Im eignen Haus verirrt?
Hier liegt er ja: behend und ſein ihr Finger!


Leopold.
ſchlaͤgt ihn.

Da, nimm dein Handgeld erſt, du Diebeshund!


Abel.

O weh! mein Haupt! O weh! ich bin ver-
loren!


Leopold.
ſpringt auf.

Ihr Diener auf! Beſetzt mir ſchnell die Thuͤr!
Bringt Licht, Geſellen! Auf, mein gnaͤd'ger Herr!


Fortunat.

Was giebt es denn? Warum mich ſo erſchrecken?


Leopold.

Ich habe unſern ſaubern Dieb gepackt,
Er ſoll nicht mehr entrinnen. Bringt doch Licht!


Daniel koͤmmt mit Licht.

Daniel.

Habt Ihr den Schelm? Her Jes! Gehorſa-
mer Diener!
Der ſaubr' Herr Wirth, ſo wie er leibt und lebt.


[183]Fortunat.
Fortunat.

Weh, Ungluͤckſelger! was haſt Du gethan?


Leopold.

Im Finſtern mißt ſich's ſchwer, das Schwerdt
iſt ihm
Zu tief die Schelmengurgel eingedrungen.


Abel.

Laßt mich nur los, ich ſterb', entrinn' Euch
nicht, —
Mir widerfaͤhrt mein Recht, — o weh mir! weh!
So unvermuthet muß ich enden — — hier,
Im Frevel, — weil ich ſelbſt ein Moͤrder bin:
Der gute alte Rittersmann in London
Herr Oldfield, den ich um Kleinod' erſchlug —
Er mahnt mich jezt mit ſeinem Silberhaupt!


Fortunat.

Ihr wart der Moͤrder jenes guten Herrn,
Weshalb Hieronymus unſchuldig litt?


Abel.

So kennt Ihr die Geſchichte? Wohl, ich war's,
Und floh geaͤngſtet aus Europa fort,
Ward Muſelmann in Alexandria,
Doch fand ich nirgend Gluͤck: ſo kehrt' ich nun,
Fand hier Beſchuͤtzer, Freunde, die mich wieder
Zu Wohlſtand brachten, doch des Herzens Tuͤcke —


Fortunat.

Er iſt ſchon todt! O weh! kein Zeuge hier
Seines Geſtaͤndniſſes, wir fremd und freundlos!
So muß denn immer Unheil mich verfolgen?
Nun bin ich ſelbſt hier wie Hieronymus,
[184]Zweite Abtheilung.
Wir haben nichts, den Todſchlag zu vertreten,
Und jeder Richterſpruch wird uns verdammen.


Leopold.

Beruhigt Euch, und ſammelt Eure Geiſter,
Wir finden wohl noch Mittel zu entkommen.
Daniel, hinaus, kein Wort von Deinen Lippen
Was Du hier haſt geſehn! Treib alle Diener,
Daß ſie in ſchnellſter Eil die Roſſe ſatteln,
Die Buͤndel, das Gepaͤcke ſchleunig ſchnuͤren,
Daß binnen einer Stunde ſchon die Stadt
In unſerm Ruͤcken liegt, und laß ſie ſingen
Und froͤhlich ſeyn, ſing ſelbſt mit lauter Stimme,
Daß jeder ſehe, wie vergnuͤgt wir ſind.


Daniel.

Herr Leopold, ich hab' nur ſchlechte Stimme,
Und was iſt's denn, was wir ſo ſingen ſollen?


Leopold.

Fort, Narr! Liebeslieder! Was Ihr wollt!


Daniel.

Als wenn ſich's auf Commando ſingen ließe!


(ab.)

Leopold.

Noch iſt es finſter, Niemand wach im Hauſe,
Es liegt ein alter Brunn hinter den Staͤllen,
Da werf ich in den tiefen Raum den Schelm;
Der Born wird nicht gebraucht, da find't ihn keiner,
Und findt man ihn, ſind wir ſchon weit entfernt.


(traͤgt den Leichnam fort.)

Fortunat.

So folgt mir denn Gefahr ſtets auf der Ferſe? —
Man zieht uns ein, — wer ſag' ich, daß ich bin?
[185]Fortunat.
Mich kennt hier Niemand. Man wird tiefer forſchen
Nach meinen Schaͤtzen; die verderben mich! —
Sollt' ich den Saͤckel einem Treuen laſſen,
Ihm deſſen Kraft entdecken? Daß er mich
Durch Gold vom harten Richterſpruch erloͤſe?
Dem alten Buͤrger etwa? Der ſchien redlich.
Doch wird man fragen, woher er ſo reich
Urploͤtzlich worden, mit der Folter dann
Ihm das Geheimniß zu erpreſſen wiſſen.
Auch giebt es keinen Sterblichen, der einmal
Des Saͤckels Kraft erkannt, ihn willig wieder
Aus ſeinen Haͤnden laͤßt, ich ſelber wuͤrde
Mein Leben gern an ſolches Kleinod ſetzen.
Drum, wie es kommen mag, ſoll ſelbſt in Folter
In Todesnoth den Lippen nimmermehr
Dies theuerſte Geheimniß mir entſchluͤpfen.


Leopold koͤmmt zuruͤck.

Leopold.

Begraben beſſer als er es verdient
Liegt nun der ſaubre Herr, den Kopf nach unten,
Und Stein' und Erde uͤber ihn gewaͤlzt.
Die Pferde ſtehn bereit, die Diener warten,
Nur heiter, gnaͤdger Herr, ſo laßt uns ziehn,
Und keiner ahndet was von dieſem Vorfall.


Diener treten ein, Daniel.

Daniel.
ſingt.

Und ſoll es denn geſtorben ſeyn,

So lebe wohl zu tauſendmal,

Sehſt du vorbei dem Rabenſtein

Gedenke meiner Lieb' und Qual.

[186]Zweite Abtheilung.
Leopold.

Was iſt das fuͤr ein dummes Lied, Du Narr?


Daniel.

Jedweder Vogel ſingt nach ſeinem Schnabel. —
Die Leute aus dem Hauſe ſind ſchon auf.


Fortunat.

Hol' mir den Mantel aus dem andern Zimmer.


(Daniel ab.)

Adam, Ulrich, Jakob kommen.

Adam.

Nun reiſt ihr wieder ab, hochedler Herr?


Fortunat.

Theilt, Freunde, dieſes Gold fuͤr Eure Dienſte.


Jakob.

Wir danken, koͤniglich freigeb'ger Herr.


Daniel koͤmmt mit Mantel und Degen.

Daniel.

Hier iſt der Mantel und das Schwerdt, Herr
Graf.


(ſingt.)
Ach, Du warſt mein Verlangen!

Seit lange dacht' ich Dich zu freyen,

Dein vielgeliebter Mann zu ſeyn,

Und ſoll nun morgen hangen.

Leopold.

Iſt nicht der Menſch beſeſſen mit den Liedern?
Kannſt Du nichts Beßres ſingen, halt Dein Maul!


Daniel.

Ich falle ſo auf alte Liebeslieder.


[187]Fortunat.
Fortunat.

Bring mir den Malvaſier, der dorten ſteht,
Es geht ein Trunk noch grade einmal um.


(Daniel ab.)

Adam.

Im Hauſ' iſt hier was Großes vorgefallen.


Fortunat.

Wie ſo? Doch nichts Bedenkliches und Schlim-
mes?


Adam.

Nein, gnaͤdger Herr, nur allgemeiner Aufſtand,
Der Herr hat alle Maͤgde durchgepruͤgelt
Als geſtern fruͤh, die ſind nun dieſe Nacht
Auf und davon. Es fehlt ihm an Conduite,
An Einſicht: unſre Dienſtzeit iſt auch um,
Wir gehen alle noch heut Morgen fort.


Leopold.

So bleibt das Haus ja leer?


Ulrich.

Nicht wahr, es iſt
Sich krank zu lachen, wenn der Kerl erwacht
Und findt ſo ſauber alles ausgefegt?


Daniel koͤmmt mit Wein.

Daniel.
ſingt.

Und muß es denn geſtorben werden,

So ſchlage lind den Kopf herab,

Beſtattet ehrlich mich zur Erden,

Dann weint mein Schatz auf meinem Grab.

Leopold.

Woher, Du Vieh, haſt Du die Galgenlieder?


[188]Zweite Abtheilung.
Daniel.

Als ich mit Euch in Deutſchland draußen reiſte,
Hab' ich ſie ſo den Saͤngern abgehoͤrt,
Liebherzig, treu, ſanftruͤhrend iſt ihr Ton.


Fortunat.

Hier, Leopold, trink, laß den Becher umgehn:


Leopold.

Da, Leute. Auf des gnaͤdgen Herren Wohl.


Alle.

Er lebe, lebe viele tauſend Jahr!


Fortunat.

Viel Dank; wenn unſer guter Wirth hier waͤre,
Er thaͤt uns auch auf dieſen Trunk Beſcheid.


Leopold.

Ei, laßt den ſchlafen, alles iſt bezahlt,
Und ſezt Euch auf, der Morgen daͤmmert ſchon.


Adam.

Ja, laßt den alten Baͤr nur dorten ſchnarchen,
Es ſchmeckt uns nur, wenn er nicht bei uns iſt.


Fortunat.

Lebt wohl, ihr guten Leute, kuͤnftgen Monat
Gedenk' ich wieder hier zu ſeyn und kehrte
Da gerne ein, wo ich Euch wieder finde.


Jakob.

Nur nicht bei dieſem Menſchenſchinder hier.


(Fortunat mit den Dienern ab.

Daniel.

Lebt wohl, ihr Freunde.


Adam.

Macht! der Herr iſt ſchon
Zu Pferde.


[189]Fortunat.
Daniel.

Lebt denn alle wohl. Adieu!

(geht ab.)

Jakob.

Schnell laßt uns in ein gutes Wirthshaus gehn,
Und da verzehren, was man uns geſchenkt.


Ulrich.

Wir wollen uns mal gute Tage machen
Nach all den Plackereyen hier.


Adam.

Recht ſo.
Hu! wie die reiten! Alle ſind ſie fort!
So liebe Gaͤſte kommen niemals wieder.
Zum Keller ſteig' ich noch einmal hinab,
Und bringe ein'ge Flaſchen Wein fuͤr uns,
Dann fort, die goldne Freiheit zu genießen.


(alle gehn ab.)

[190]Zweite Abtheilung.

Fuͤnfter Akt.


Erſte Scene.

Oeffentlicher Platz.

Leopold, Daniel, Diener.

Leopold.

Die Teppiche, die Stoffe, die Gemaͤlde,
Mit Vorſicht tragt ſie, daß ſich nichts beſchaͤd'ge,
Sorgt dann, daß man die Seſſel, Ruhebetten,
Die feinen Schraͤnke in den Pallaſt ſchafft.


Daniel.

Hier lebt ſich's anders, als ſo unterwegs,
Bei knick'rgen Wirthen, ſchmiergen alten Weibern,
In ſchmutzgen Stuben, oft mit Angſt und Noth.


Leopold.

Thu Dein Geſchaͤft und laß das loſe Schwatzen.


Daniel.

Ich freue mich ja nur der grimmgen Pracht
Des koͤniglichen Herrn und ſeines Gluͤcks,
Nein, fuͤr ſo reich haͤtt' ich ihn nie gehalten.


[191]Fortunat.

Geſegnet ſey der Augenblick, die Stunde,
Der Tag, da ich von meinem Gaſtwirth lief.


(ab.)

Leopold.

So waͤren wir in Cypern angelangt,
Und mehr, wie dieſer Narr, bin ich erſtaunt.
Ich glaubte, daß er Guͤter hier beſaͤße,
Von altem reichem Stamme, Freund' und Eltern,
Doch ſcheint's, ihn kennt hier auf der Inſel Nie-
mand,
Er hat kein Haus, er kaufte dieſen Pallaſt,
Den er mit Gold und Silber fuͤrſtlich ſchmuͤckt,
Nichts iſt ſo theuer, kein Geraͤth zu reich,
Mit fremdem Namen zieht er prachtvoll auf,
Die ſchoͤnſten Roſſe, Libereyen, Falken,
Und was nur ſelten herrlich iſt zu nennen
Das nennt er ſein, kauft es zu jedem Preis;
Taͤglich ſieht er als Freund des Landes Koͤnig,
Und ihm, ſeiner Gemahlinn, hat er Perlen
Und Edelſteine zum Geſchenk geſandt,
So hohen Werths, daß Beide drob erſtaunten;
Was er als Reichthum auf den Reiſen zeigte
Iſt Armuth nur und kahle Bettelei
Gegen des Glanzes reiche Wunderwelt,
Die jezt wie goldnes Traumbild um ihn ſchwebt:
Doch ſank er leblos, todt darnieder einſt
Als er die wenigen Zechinen mißte;
Ich darf, ich will daruͤber nimmer ſinnen,
Er iſt der guͤtigſte, der beſte Herr,
Der Armuth Engel, der Verwaiſten Troſt,
Und mich hat er mit Wohlthat uͤberſchuͤttet.


[192]Zweite Abtheilung.
Fortunat koͤmmt mit Gefolge.

Fortunat.

Nun ſind wir denn zur Ruhe, lieber Freund,
Bald denk' ich mich ganz haͤuslich einzurichten,
Wenn erſt der Guͤterkauf geendigt iſt:
Morgen ſollſt Du mich uͤber Land begleiten,
Mir darf Dein Rath noch immer nicht entſtehn.


Leopold.

Nur meine Lieb' und Treue nehmt in Anſpruch,
Euch Rath zu geben bin ich zu gering.


Fortunat.

Still! mehr davon nachher, aus meinem Hauſe
Steigt jezt des Koͤnigs Majeſtaͤt und naht.


(Leopold geht ab.)

Der Koͤnig von Cypern koͤmmt mit Gefolge.

Koͤnig.

Graf, Eure Gallerie iſt zu bewundern,
Nicht ſeltne Stuͤcke nur, auch ausgewaͤhlte,
Sie zeigt von Reichthum, mehr noch von Geſchmack.


Fortunat.

Wie guͤtig iſt mein Fuͤrſt und nachſichtsvoll,
Die beſten Werke muß ich noch erwarten,
Die von Venedig die Galeere bringt,


Koͤnig.

So reiche edle Stoffe ſah ich kaum;
So groß das Haus iſt, iſt es ſchon erfuͤllt,
Was Aſien und Europa Koͤſtliches,
Was Meer und Land nur Herrliches gewaͤhrt,
Das glaͤnzt von Waͤnden, von der Deck' und Bo-
den.
Allein
[193]Fortunat.
Allein wozu, fragt das erſtaunte Auge,
Die Menge Seſſel, Tiſche, Ruhebetten,
Des Silbers aufgehaͤufter Prunk und Hausrath,
Wenn unvermaͤhlt der reiche Eigner wohnt?


Fortunat.

Da meine Reiſen nun beſchloſſen ſind,
Mein gnaͤdger Herr, und ich die Ruhe wuͤnſche,
So iſt in meinen Jahren, der ich weder
Zu jung noch alt mich fuͤhle, der Gedanke
Der naͤchſte, eine Hausfrau mir zu ſuchen.


Koͤnig.

Dann glaubt' ich Euch gewonnen erſt zu haben.
Saht Ihr auf euren weiten Reiſen nirgend
Ein Bild, das Euren Sinn gefangen nahm?


Fortunat.

Geleſen hab' ich viel von dieſer Macht,
Die Dichter uns als allbeſiegend preiſen,
Doch hab' ich noch das Auge nicht gefunden,
Des Blitzen meine Ruhe mir genommen.


Koͤnig.

So macht die Jungfraun dieſer Inſel ſtolz,
Das nie beſiegte Herz in Bann zu legen,
Die ſchoͤnen Maͤdchen hier ſind weit beruͤhmt.
Kennt Ihr des Grafen Nimian Toͤchter nicht?


Fortunat.

Das Lob der Tugend, wie der hohen Schoͤnheit
Vernahm ich oft aus aller Mund, doch nie
War ich ſo gluͤcklich ſie bei Jagd und Tanz,
Noch in des Schloſſes Gaͤrten anzutreffen,


Koͤnig.

Die Mutter haͤlt ſie ſtreng und eingezogen,
III. [ 13 ]
[194]Zweite Abtheilung.
Doch reitet morgen auf das Gut hinuͤber
Und uͤbergebt der Graͤfinn dieſen Brief:
Ihr muͤßt die wackern Leute kennen lernen,
Die ich vor allen lieb' und hoͤchlich achte,
Die immer mir und meiner Koͤniginn
Die naͤchſten bleiben werden. Ihr habt Augen
Fuͤr Bilder, zeigt, daß wenn die Schoͤnheit lebt
Sie auch den Sinn zum Wohlgefallen reize.


Fortunat.

Des Koͤnigs Wunſch iſt dem Vaſall Befehl.


Koͤnig.

Nicht ſo, mein lieber Graf, nicht dieſen Ton,
Es bleibe dies Vertraun ſtets unter uns,
Dies freundliche Verhaͤltniß aͤndre nie.
Moͤgt Ihr mir nicht eroͤffnen, welches Land
Euch ſeinen edlen Sproͤßling nennen darf?


Fortunat.

Mein Lehensherr, durch Eure hohe Guͤte
Ward mir erlaubt, des Grafen von Lanfranco,
Der erblos ſtarb, Beſitz, Pallaſt und Guͤter
Als Eigenthum zu kaufen, und vom Lande
Den Namen anzunehmen, Eur Vaſall;
Doch will ich Euch eroͤffnen, was nur ſollte
Geheimniß bleiben noch auf wen'ge Tage,
Ich bin nicht fremd, bin Euer Unterthan.


Koͤnig.

Von Cypern waͤret Ihr? Und das Geſchlecht?


Fortunat.

Mein Vater nur ein armer Edelmann
Iſt Theodor, wenn Ihr den Nahmen kennt.


[195]Fortunat.
Koͤnig.

So waͤrt Ihr Fortunat denn, der Vermißte?


Fortunat.

Derſelbe, gnaͤdger Herr, doch ſey Eur Hoheit
So huldreich mir, nur auf geringe Zeit
Unwiſſend das zu ſeyn, und mir die Gnade,
Die mich ſo hoch erhebt nicht zu entziehn,
Weil ich von armen Adel nur entſproſſen.


Koͤnig.

Ihr bleibet Graf, Ihr ſeyd mein theurer Freund,
Verdienſte, Tugend ſind's, die wahrhaft adeln,
Doch ſeyd Ihr auch von edlem Stamm ent-
ſproſſen,
Jedweder Herzog, Graf, war Edelmann.


Fortunat.

Erlaubt mir, Herr, die theure Hand zu kuͤſſen.


Koͤnig.

Umarmt mich, lieber Graf, und lebet wohl.

(Fortunat ab.)


Geht dort nicht eben Nimian, Kammerherr?


Kammerherr.

Ja, hohe Majeſtaͤt.


Koͤnig.

Ruft mir ihn her.


Nimian tritt auf.

Nimian.

Was iſt der Wille meines hohen Herrn?


Koͤnig.

Iſt's wahr, mein guter Graf, daß nothgedrungen
Ihr Eure Grafſchaft zu verkaufen ſucht?


[196]Zweite Abtheilung.
Nimian.

So iſt es, gnaͤdger Herr, die Kriegesſchaͤden,
Verluſt bei großen Haͤuſern in Venedig,
Und freilich auch des Sohnes wilder Leichtſinn,
Unuͤberlegtes Thun, das ihn verbannte,
Von Glaͤubigern, Beleidigten verfolgt,
Dies Heer von Uebeln iſt die Zuͤchtigung
Fuͤr Jugendthorheit meinem ſchwachen Alter.


Koͤnig.

Ich hoffte, daß noch Rath und Huͤlfe waͤre,
Ihr habt euch naͤher niemals mir vertraut,
Zwar war mein Schatz durch Krieg, durch Ruͤ-
ſtungen
Und neue Flotten ſelbſt mehr als erſchoͤpft —


Nimian.

Zu hohe Gnade! kannt' ich doch die Noth
Des Vaterlands, und das ſchloß meinen Mund
Den Koͤnig zu belaͤſtgen, der fuͤr Tauſend
Zu ſorgen hat, die taͤglich zu ihm ſchrein.


Koͤnig.

Und der Verkauf iſt nun ſchon abgeſchloſſen?


Nimian.

Heut kam ich in die Stadt, zu unterſiegeln.
Doch ſeltſam, noch kenn' ich den Kaͤufer nicht,
Er nennt ſich nicht, laͤßt durch Valerio handeln,
Dem ich die groͤßten Summen ſchuldig bin.


Koͤnig.

Ich ſuche darin meinen groͤßten Stolz
Treu meiner Freunde immer zu gedenken,
Es koͤmmt, veranlaßt ſo durch mich, zu Euch
Der reiche Fremde morgen auf das Land,
[197]Fortunat.
Empfangt ihn freundlich denn er iſt geſinnt
Der ſchoͤnen Toͤchter eine als Gemahl
In dieſen ſeinen Pallaſt zu entfuͤhren;
Ihm ziemt es wohl, Euch huͤlfreich dann zu ſeyn.


Nimian.

Mit neuer Wohlthat uͤberdeckt mein Herr
Die alten ſtets, und thuͤrmt ſo hoch ſie auf,
Daß jeder Dank nur niedrig ſchwebend bleibt:
Ich koͤnnte keinen reichern Eidam wuͤnſchen,
Wenn ich auf Irdiſches die Augen richte,
Allein es wohnt Unſterbliches in uns,
Die Ehre, die von Ahnen uns gekommen;
Wenn man den ſeltſam raͤthſelhaften Mann
Nur kennte, Vaterland und Stammbaum wuͤßte.


Koͤnig.

Das iſt es, was Euch immer noch bethoͤrt,
Ihr ſeht, daß er Millionen muß beſitzen,
Er iſt mein Lehnsmann, durch der Landſchaft Kauf
Und meiner Briefe Kraft ein edler Graf,
Dazu genießt er meine Gunſt und Liebe,
Die wohl ſoviel vermag als Eure Ahnen,
Die wohl noch Kraft und Lebensothem giebt
Dem Niedrigſten, ob allen hoch zu ſchweben,
Genuͤgt das nicht, ſo glaubet meinem Wort,
Er iſt ein Edelmann, ich kenn' ihn ganz.


Nimian.

Nicht zuͤrnet Eurem allertreuſten Diener,
Iſt er nur Edelmann, genuͤgt es mir.


Koͤnig.

Ich that das Meinge, thut nun was Ihr wollt.


(geht.)

[198]Zweite Abtheilung.
Nimian.

So waͤre alles bald ins Reine wieder,
Wenn mein Gemahl, die aͤngſtliche, nicht waͤre,
Schon toͤnt vor meinem Ohr der Fuͤrſt Athens,
Von Canada der Herzog, die Commthure,
Maltheſer, Johanniter, Tempelritter,
Die ſeit Jahrhunderten in ihrer Freundſchaft
Am meiſten in dem Stammbaum hell geſtralt.
Doch freilich werden wir uns fuͤgen muͤſſen,
Wie Bruder iſt der Wundermann dem Koͤnig.


(ab.)

Zweite Scene.

(Zimmer.)

Valerio, Felix.

Valerio.

Du haſt nun, dummer Burſche, Frau und
Kinder,
Und wirſt nicht klug und wirſt nicht ausgebildet;
Wie koͤnnteſt Du ſonſt einem Menſchen borgen
Der Dir von nirgendher Creditbrief brachte?
Das waͤchſt alltaͤglich in die Dick und Breite
Das kriegt ſchon graues Haar an manchen Stellen,
Und immer will der Weisheitszahn nicht kommen.


Felix.

Der Mann ſprach ſo vernuͤnftig und ſo ruͤh-
rend.


[199]Fortunat.
Valerio.

Ja wohl, im Beutel hat er Dir geruͤhrt.
So ruͤhrend! ſolch ein dummes Wort der Mode
Muß in ſoliden Kaufmanns Mund nicht kommen.


Felix.

Es ſind ja auch nur vierzig Stuͤck Dukaten.


Valerio.

Und wenn es vier, ja nur ein einzger waͤre,
So ziemt ſichs recht darum zu lamentiren,
Verlornes Geld giebt uns nur den Genuß.


Antonio koͤmmt.

Antonio.

Recht ſchoͤnen guten Abend, theure Freunde.


Valerio.

Den Dicken nimm Dir nur zum Muſter vor,
Der wird was vor ſich bringen, der verſtehts,
Treuherzig, bieder, ruhig, freigebig,
Und ſtets den Schalk, doch ruͤſtig hinter'm Ohr;
Hat auch als Narr die Jugend hingebracht,
Hat auch mit dir in London Blindekuh,
Wolf, und Verſteckens mit dem Geld geſpielt,
Doch dann brav klug geworden, treibt's faſt
ſchlimmer
Und knauſert mehr als wir, die Alten ſelbſt,
Und doch dabei ſo dick und fett, das heiß' ich
Noch Kunſt!


Antonio.

Jetzt iſt, Valerio, alles richtig,
Zuruͤck kann der Verkauf nun nimmer mehr,
So kommen wir zu unſerm baaren Gelde,
[200]Zweite Abtheilung.
Das wir ſchon in den Schornſtein ſchreiben mußten,
Und uͤberſchlagen ſinds wohl hundert funfzig
Und mehr Prozent die wir dabei gewinnen.


Valerio.

Gewiß, das muß vom Zinſe wieder zinſen,
Was ausgelegt, iſt nie ſo groß geweſen;
Allein der Aufſchub, die Termine, Zoͤgern,
Neue Verſchreibungen, die machen's dann.


Felix.

Ach, armer Nimian!


Valerio.

Er war reich genug;
Was mußt' er ſo verſchwenden? Mußte denn
Der liebe Sohn die halbe Inſel pruͤgeln,
Die vielen ſaubern Liebesavantuͤren,
Die laͤppiſchen Duellgeſchichten haben,
Grob ſeyn mit aller Welt, ſich uͤberwerfen?
Dem Hofmarſchall die Fenſter einzuſchmeißen?
Dem Praͤſidenten ſeine Prunkgemaͤcher
Unſauber machen? Sind das ſolche Thaten
Die ihm im Catechismus vorgeſchrieben?


Antonio.

Der fremde Graf hat viel bei uns beſtellt,
Die treflichſten Brokate, alle Schneider
Und Juwelier ſind auch fuͤr ihn in Arbeit.


Valerio.

Bei mir die ſchoͤnſten Seidenzeuge auch;
Er iſt ein Seegen fuͤr das Land, ſtets baar,
Und eine Freude iſt's, mit ihm zu handeln,
Er dingt Euch kaum, macht keine Winkelzuͤge,
Merkt er, daß man zu viel ihm abgefordert,
[201]Fortunat.
So hat er hoͤchſtens nur ſolch feines Laͤcheln
Als wollt er ſagen: der verſteht's Gewerbe.


Antonio.

Und gar nicht grob, wie andre große Herrn,
Laͤßt auch nicht hundert mal vergeblich kommen
Um alles auszukramen, einzupacken,
Und wieder darzulegen, um am Ende
Zu ſagen: brauche nichts, bin ſchon verſehn;
Der aber gleich: hier dieſes Stuͤck gefaͤllt mir!
Wo ſie den Mann erzogen moͤgen haben.


Valerio.

Fuͤr ihn nur gut, daß er als Graf geboren,
Zum Kaufmann waͤr' er ganz und gar verdorben.
Sohn, komm hinein, und Ihr, mein guter Freund,
Die Rechnungen noch einmal durchzugehn.


(ſie gehn ab.)

Dritte Scene.

(Garten.)

Graf Nimian, Graͤfinn Marfiſa.

Marfiſa.

Was Ihr mir da geſagt, mein Herr Gemahl,
Iſt allerdings wohl des Erwaͤgens werth,
Als Mann ſo großen Reichthums duͤrft er wohl
So glaͤnzende Verbindung aſpiriren,
Wenn er nur auch als Nahme etwas gaͤlte,
Stammt er von den Orſinos, den Colonna's,
[202]Zweite Abtheilung.
Waͤr er verwandt allhier den hohen Haͤuſern;
Man weiß ja kaum wie man ihn nennen ſoll.
Er muß doch fuͤhlen welchen Schritt er thut,
Er koͤmmt mit Koͤnigsthronen in Verwandtſchaft.


Nimian.

Gemahlinn, darin geht Ihr doch zu weit.


Marfiſa.

War nicht ein Ahnherr von Jeruſalem Koͤnig?


Nimian.

Ja, wenn Ihr Euch ſo weit hinauf verſteigt
In leere Anwartſchaft: wo lag ſein Reich?


Marfiſa.

Das ſchadet nicht, Euch blieb wie ihm der An-
ſpruch,
Als einem ſeiner Deſcendenten; wohl
Mag noch der Glauben einſt das Grab erkaͤmpfen,
Dann ſteht Ihr da als erſter Praͤtendent.


Nimian.

O laſſen wir die Thorheit, freilich wohl
Wie dieſe Herrn Koͤn'ge in partibus,
Bin ich nun auch bald Graf in partibus.


Marfiſa.

Der fremde Titel iſt mir unbekannt.


Nimian.

Die Biſchoͤf', deren Sprengel eingebildet
In Laͤndern liegt, die Tuͤrken inne haben,
Sind Herrn in partibus infidelium,
Ein Glaͤubiger iſt offenbar ein Chriſt,
Die nicht mehr meine Glaͤubger werden wollen
Sind infideles, darum bin ich bald
Ein Edelmann nur noch in partibus.


[203]Fortunat.
Marfiſa.

Ihr ſeyd gewiß, Herr Graf, ſehr tief geſunken,
Lateinſchen Scherz, Schulmeiſtern gleich, zu uͤben.


Nimian.

Was ſoll's der Worte mehr? der Koͤnig will's,
Der wuͤnſcht, den reichen Mann im Land zu
halten,
Er denkt Wohlthaͤter uns zu ſeyn, dadurch
Daß er ihn uns verknuͤpft, und ſo zu loͤſen
Dem Hauſe die Verbindlichkeit, die lange
Schon ſeine Ahnen unſern Vorfahrn hatten:
Verſaͤumt den Augenblick, er kehrt nie wieder,
Tragt mit der Armuth noch des Koͤnigs Zorn.


Marfiſa.

Wenn denn die Nothdurft gar zu ſtreng gebietet,
So geb' ich meine freie Zuſtimmung.


Nimian.

Leicht wird es unſer Eidam moͤglich machen,
Daß dieſes kleine Gut uns doch verbleibt.


Marfiſa.

Doch wenn er kommt, das ſag ich Euch, mein
Herr,
Ich ſteh nicht auf, ich geh ihm nicht entgegen.


Nimian.

Er naht, ſo ſeyd ihm freundlich mindeſtens.


Fortunat, Leopold und Diener kommen.

Fortunat.

Ich bin begluͤckt, daß mich der Koͤnig wuͤrdigt,
Als Diener ſolcher Dame mich zu ſenden,
[204]Zweite Abtheilung.
Ich uͤberreich' Euch dieſes Blatt von ihm.
Herr Graf mich freuet Euer Wohlergehn.


Nimian.

Da Ihr heut unſern armen Landſitz wuͤrdigt,
So hoff' ich auch, Ihr bleibet unſer Gaſt;
Am Abend fahren wir zur Stadt zuruͤck,
Die Koͤniginn will meine Kinder ſehn.
Ich geh', um alles eilig zu bereiten.


(geht ab.)

Marfiſa.

Setzt Euch, Herr Graf, ich wuͤnſchte lange
ſchon
Den Mann zu kennen, der der Edelſte
Von Maͤnnern, und der Angenehmſte auch
Von allen holden Frauen wird genannt.


Fortunat.

Wenn Ihr mich wuͤrd'gen wollt, als Freund
und Diener
In dieſem ſchoͤnen Land den Irrenden
Gern aufzunehmen, dann bin ich begluͤckt.


Die drei Toͤchter kommen.

Marfiſa.

Graf, ſeht da meine Toͤchter: Adelheid
Die aͤlteſte, die zweite hier Cephiſe,
Caſſandra dort die juͤngſte; Toͤchter, hier
Stell' ich Euch vor den Grafen von Lanfranco,
Den vielbekannten, weitgereiſten Mann.


Fortunat.

Mir iſt, ich ſeh' die Grazien vor mir wan-
deln,
[205]Fortunat.
Ich ſah noch keine Schoͤnheit, ſchwoͤrt, ihr Augen,
Daß ihr erſt heut zu ſehen habt gelernt.


Adelheid.

Man hoͤrt, Herr Graf, daß ihr an Hoͤfen
wart,
Die Schmeichelei iſt Eurem Mund gelaͤufig.


Fortunat.

Dann wuͤrd' ich uͤbertreiben, Falſchheit reden;
Nie wuͤnſcht ich noch mir das Talent des Dichters,
In ſchoͤnes Wort zu kleiden, was ich fuͤhlte,
Als jetzt, um wuͤrdig in Geſang zu ſprechen,
Wie dieſe Gegenwart mich hoch entzuͤckt.


Cephiſe.

Doch meinen viele, daß des Dichters Rauſch
Nur ſchoͤner Wahnſinn ſey, der bald erliſcht,
Und dem geneſ'nen Auge, das ernuͤchtert,
Nur Reue ſchafft und tiefes Mißbehagen,
Nicht jener zu gedenken, die aus Vorſatz
Die Unwahrheit in Liebesworte kleiden,
Drum muͤſſen Fraun mit Argwohn Reime hoͤren.


Fortunat.

Zum erſtenmal hoͤr' ich von jungen Lippen
Vom ſchoͤnſten Mund des Mißtrauns Lehre
predgen,
Ihr werdet, Reizende, nicht Schuͤler ziehn,
Wohl aber hoch begeiſterte Poeten.
Eu'r Laͤcheln, liebliche Caſſandra, ſagt,
Daß Ihr des Unbeholfnen Reden ſpottet.


Caſſandra.

Mit nichten, mein Herr Graf, geziemte Spott
So unerfahrner, bloͤder Jugend wohl?
[206]Zweite Abtheilung.
Weil Ihr mich fragt, ſo ſag ich, was ich dachte,
Es ſchien mir nur, der Schweſter gegenuͤber,
Waͤrt Ihr zum Dichter ſelber ſchon geworden.


Marfiſa.

Nur wenig noch waren am Hof' die Kinder,
Weil wir zumeiſt auf unſern Guͤtern lebten,
Doch ließ ich ſie erziehn nach ihrem Stande,
Tanz, Lautenſpiel, die Sprachen und Geſang
Sind ihnen wenigſtens nicht fremd. Verzeiht,
Wenn wir Euch einen Augenblick verlaſſen.
Wir kleiden uns ein wenig um, der Ehre
Des edlen Gaſtes unwerth nicht zu ſcheinen,
Und nach der Mahlzeit Euch zur Stadt zu folgen.
Herr Graf, auf Wiederſehn in kurzer Friſt.


Fortunat.

Die ſchoͤnen Gaͤnge werd' ich hier durchwandeln
Und einſam nicht, denn dieſe ſuͤßen Bilder,
Der Klang der holden Rede folgen mir,
Mit Strahlenfittig meinen Sinn umgaukelnd.

(die Damen gehn ab.)


Bleib, Leopold, ihr andern all verlaßt mich. —
Mein Leopold, ich bin nun feſt entſchloſſen
Mich zu vermaͤhlen, haͤuslich hier zu bleiben,
Du ſahſt die jungen Fraͤulein, hoͤrteſt ſie,
Jetzt rathe mir, welche ich waͤhlen ſoll.


Leopold.

Mein gnaͤdger Herr, ein jeder Rath iſt mißlich,
Allein beim Eheſtand am allermeiſten,
Ich ſelber bin noch leidlich durchgekommen,
Doch fuͤhlt ich, welche ſchwere Laſt ich trug;
Seitdem hab ich die Weiber nicht beachtet,
[207]Fortunat.
Mein Sinn war auf der Staͤdt' und Laͤnder
Sitte,
Auf Schifffarth, Krieg und Kaufmannſchaft ge-
richtet,
Ihr ſaht an Hoͤfen, in den feinſten Zirkeln
Der Damen manche, bildetet den Sinn,
Ihr laſet viel und habt noch mehr gedacht,
So wird es Eurer Weisheit leichter fallen
Den beſten Rath zu faſſen, als dem Diener,
Der unbeholfen nur den Unwill'n reizte.


Fortunat.

Ich kenne Dich, daß Du mit ſcharfem Auge
Die Menſchen pruͤfſt, nicht leicht in ihnen irrſt,
Ich fordre die Ergebenheit von Dir,
Denn ohne Dich will ich mich nicht entſchließen.
Erwaͤg', ich wandle dieſen Gang hinab,
Kehr' ich zuruͤck, verlang' ich die Entſcheidung.


(ab.)

Leopold.

Ein Wort in Eheſachen ſprechen, heißt
Den Brand in Stroh hinwerfen, ob es brennt,
Den biß'gen Hund in ſeinen Rachen faſſen,
Ob uns ſein grimmer Zahn verletzt, ob nicht:
Allein er duldet keinen Widerſpruch,
Er iſt zu reich und hochgewoͤhnt, als daß
Man ſprechen duͤrfte ſo wie Freund zu Freund,
Er hat gewiß ſchon [vor]gefaßte Meinung,
Und treff' ich die, werd ich ihm lieber noch;
Noch weiſer und erfahrner ſchein' ich dann,
Er meint ſein Gluͤck hab' er mir mit zu danken;
Doch lenkt zu einer andern ſich mein Sinn
[208]Zweite Abtheilung.
Als die er ſich erwaͤhlt gelt' ich als Thor,
Als alter eigenſinn'ger Wunderlich,
Und er traͤgt mir es wohl zeitlebens nach,
Und ſie noch mehr, denn ſie erfaͤhrt es doch,
Ich mag nun wider ich mag fuͤr ſie ſtimmen.
So ſteh' ich endlich doch auf jenem Punkt,
Den ich mit Klugheit ſtets vermeiden wollte,
Daß ſeine Gunſt am Zufalls-Faden haͤngt.
Es hat noch keinen reichen Mann gegeben
Dem ſeine Laune nicht Geſetz geweſen.


Fortunat koͤmmt zuruͤck.

Fortunat.

Nun, lieber Freund, haſt Du das Wort ge-
funden?


Leopold.

Mein gnaͤd'ger Herr, Ihr wuͤrdigt mich zu
hoch
So ernſter Sache Euch bei mir befragend,
Doch wag' ich auch ſehr viel in Eurer Gunſt:
Sagt Ihr zuerſt die Meinung wißt Ihr wohl,
Daß ich um nichts Euch widerſprechen wuͤrde,
Drum wollt Ihr, zu erfahren, wie ich denke,
Daß ich mit meinem Rathe Euch vorangeh,
Treff' ich nicht Euren Sinn, ſo zuͤrnt Ihr mir,
Auch wenn Ihr anders wollt, im Stillen fort,
Ihr ſtutzt, und ich weiß nicht, wie Ihrs gemeint:
Laßt beid' uns drum zugleich durch Zeichen ſprechen:
Es ſtehn der Blumen viele dicht im Garten,
Die Lilien moͤgen Adelheit bedeuten,
Die bunten Nelken hier Cephiſens Nahmen,
Caſſan-
[209]Fortunat.
Caſſandra dieſe kleinen rothen Roſen,
Der Blumen eine brech' ich hier fuͤr mich,
Und berge ſtill ſie unter meinen Hut,
Ihr thut dort druͤben heimlich dann daſſelbe,
Zu gleich eroͤffnen wir die Loſe drauf,
Und ſind ſie ungleich muͤßt ihr mir vergeben.


Fortunat.

So ſeys, Du Muſter der Vorſichtigkeit.


Leopold.

Nun lenke meine Hand, du gutes Gluͤck.


Fortunat.

Deck' auf! — Sieh, Beſter, beides rothe
Roͤschen,
Nun geht mir auch mein holder Gluͤcksſtern auf,
Im ſuͤßen Glanz der reizenden Caſſandra.
Laß Dich umarmen, Leid- und Freudgefaͤhrte,
Und nimm an meinem Gluͤck den vollſten Antheil,
Stets ſollſt Du mir ein Freund und Bruder
ſeyn.


Ein Diener koͤmmt.

Diener.

Es iſt, Herr Graf, fuͤr Euch nun angerichtet.


Fortunat.

Und nun zur Werbung! Suͤße Toͤne moͤge
Der Gott der Lieb' auf meine Lippen legen.


(ſie gehn ab.)

III. [ 14 ]
[210]Zweite Abtheilung.
Vierte Scene.

(Zimmer.)

Theodor, Graziana.

Graziana.

Du koͤmmſt verdruͤßlicher nach Hauſe ſtets,
Laß uns geduldig unſre Armuth tragen,
So ſind wir doch der ſchlimmſten Noth erloͤßt,
Daß mit dem Gram nicht dieſer Grimm uns quaͤlt.


Theodor..

Wie kann man anders? Soll ich dazu laͤcheln,
Daß meine Noth mit meinem Alter waͤchſt?
Daß jeder Tag der Mittel mehr uns raubt?
Verachtung, Mangel vor uns, in der Ferne
Das grimmige Geſpenſt des Hungertodes.


Graziana.

Wenn wir das Silberbecken und die Kanne,
Die uns nichts nuͤtzen doch verkaufen wollten,
Man koͤnnte manchen Monath davon leben.


Theodor..

Es iſt das letzte Stuͤck, das letzte, Frau,
Mit meinem Wappen und mein einzger Troſt,
Wenn es ſo blank zu mir heruͤber blickt.


Graziana.

Der Wuͤnſche hab' ich all mich nun entſchlagen,
Seitdem wir keine Magd mehr halten koͤnnen,
Ich ſelbſt gehn muß im Finſtern Waſſer ſchoͤpfen,
Am Markt einkaufen unſer ſpaͤrlich Mahl,
Am Feuer ſtehn, und Toͤpf' und Teller ſcheuern,
[211]Fortunat.
Die Waͤſche thun, und noch dazu vor allen
Nachbarn, mich meiner Muͤh und Arbeit ſchaͤmen,
Als wenn der Muͤßiggang was Edles waͤre,
Da kommt das Silber wie ein Feind mir vor,
Der mich verlacht und hoͤhniſch nach mir deutet,
Wenn Sonnenſchein das Glaͤnzen zu mir ſpiegelt.


Theodor..

Das ſind doch Vorurtheile, liebe Frau;
Wir wollen mit dem Lauf der Welt uns troͤſten,
Auch andern geht es ſchlecht, Graf Nimian
Iſt trotz des Hochmuths bald in unſrer Lage,
Was ſein war hat er alles ſchon verkauft.


Graziana.

Das troͤſtet nicht, daß andre elend ſind.


Theodor..

Der fremde Graf iſt mir vorher begegnet:
Das nenn' ich doch noch leben, was der treibt;
Den groͤßten Pallaſt hat er ſich gekauft,
Ihn ſo moͤblirt, wie's ſelbſt kein Koͤnig kann,
Die ſchoͤnſten Hengſte reitet er und wechſelt
Mit Rappen, Schimmeln oder ſeinem Goldfuchs,
Arabiſch ſind die meiſten und das Zeug,
Die Saͤttel, Decken, Zaͤum', das glaͤnzt von Gold:
Dann zieht er wieder auf die Falkenjagd,
Kleidt ſich des Tages drei bis viermal um,
Und immer praͤchtger, koͤſtlicher als erſt.
Er hat den Koͤnig und die Koͤniginn
Beſchenkt, wie kaum der Mogul es vermag,
Die groͤßten Perlen aus dem Orient,
Die reinſten Diamanten. Unſer Herr
Erzeigt ihm drum auch ſolche Gnad' und Freundſchaft,
[212]Zweite Abtheilung.
Damit er nur nicht aus dem Lande zieht;
Jetzt hat er ihm Gemaͤlde noch verſprochen
Die von Venedig erſt erwartet werden.
Ja, ſolcher Mann weiß doch, warum er Luft
Und Athem in ſich zieht, der kann einſt ruhig
Dem Tod' entgegen ſehn, er hat gelebt.


Graziana.

Wenn ich den Sohn noch einmal wieder ſaͤhe,
Thaͤt' ich Verzicht auf jedes andre Gluͤck.


Theodor..

Nur, Nota bene, nicht als Bettelmann,
Daß man ſich ſeiner auch noch ſchaͤmen muͤßte.
Ja, koͤnnt' er ſo mit zwei, drei Pferden kommen,
Und braͤcht' uns wohl ein Capitaͤlchen mit,
Daß wir nur eins der kleinſten Guͤter loͤßten,
Dann waͤr er mir erwuͤnſcht, mein Vaterſeegen
Sollt' ihm dann nicht entſtehn: doch neue Ar-
muth
Mit ihm ins Haus, waͤr' Elend uͤber Elend. —
Wer klopft denn da? Herein! Nur immer 'rein!


Fortunat tritt herein.

Theodor..

Ei was! mein Allergnaͤdigſter! In aller Welt
Wie kommen wir zur unverhofften Ehre?


Fortunat.

Schon lange wuͤnſcht' ich kennen Euch zu lernen,
Da ich des Guten viel von Euch gehoͤrt,
Und zuͤrne mir, daß ich nicht fruͤher ſchon
Um Eure Freundſchaft und Vertraun gebeten.


[213]Fortunat.
Graziana.

Setzt Euch, mein gnaͤdger Graf; hol doch den
Seſſel
Dort aus der Kammer fuͤr den gnaͤdgen Herrn.


Fortunat.

Ich will Euch keine Stoͤrung machen, Freunde,
Ich hoffe wohl, wir bleiben uns nicht fremd.
Und wenn ich wuͤßte, daß Ihr mir verzieht,
Setzt ich mich gern mit Euch zum ſtillen Mahl
An dieſen kleinen Tiſch; ſehr uͤberdruͤſſig
Bin ich des Laͤrms, der tobenden Geſellſchaft,
Des Glanzes dort am Hof, des leeren Prunks.


Theodor..

Mein Gott — Herr Graf, — ich weiß nicht,
was ich rede;
Hilf mir doch aus, Frau! Du! Wie ſtehſt Du da?


Graziana.

Wollt Ihr uns nicht beſchaͤmen? Unſrer ſpotten?
Ihr ſeht die Armuth, die ſich nicht verſtecken
Nicht laͤugnen laͤßt.


Fortunat.

Mein Spott waͤr arge Suͤnde;
Wenn Ihr mich ehren wollt, vertrauet mir.


Theodor..

Recht ſo! Mach keine Umſtaͤnd', Frau! Nicht
quaͤngeln!
Der Herr befiehlt's! der Herr mag denn auch eſſen
Was wir ihm bieten koͤnnen; ſchmeckt's ihm nicht,
Wird er nicht ſatt, iſt's ſeine eigne Schuld!
Hol Licht! ſetz dreiſt das kleine Stuͤmpfchen auf!
Bring dann die irdnen Schuͤſſeln, wenig drinn,
[214]Zweite Abtheilung.
Den Waſſerkrug, das kleine Spitzglas Wein,
Das grobe Deckzeug voller Fleck' und Loͤcher:
Die Freudenthraͤnen ſtuͤrzen mir ins Auge,
Das es in dieſer Welt noch Herrn giebt
Die wegſehn uͤber jed alfanzig Weſen,
Den Edelmann trotz dem zu finden wiſſen,
Und ſich mit ihm zum leeren Tiſche ſetzen.


Graziana.

Nun iſt geſchehn, was Ihr befohlen habt.


Theodor..

Ich glaube gar, Du flennſt aus Jammerſinn.
Ja Weiber bleiben Weiber, gnaͤdger Herr,
Sie kann es nun und nimmermehr verſchmerzen,
Daß es bei uns hoch herging ehemals.


Fortunat.

Doch eh' ich mich zu Tiſche niederſetze,
Erlaubt vorher die Haͤnde mir zu waſchen.


Theodor..

Und mir erlaubt das Becken Euch zu halten.
Nimm, Frau, die Gießkanne. Nun, ſiehſt Du
wohl,
Daß unſer Silber noch zu Ehren kommt?
Wie gut, daß wir das alte Zeug behielten!


Graziana.

Hier trocknet Euch, Herr Graf, an dieſem Tuch.


Fortunat.
(faͤllt nieder.)

Und keiner kennt mich? Euren Fortunat?
Mein Vater! Mutter! Gebt mir Euren Seegen.


Theodor..

Herr Gott! — Was Teufel! — Ei, Herr Graf!
da faͤllt
[215]Fortunat.
Die Kanne ihm mein Seel auf ſeinen Kopf —
Der Schreck — iſts wahr? ſeyd Ihr mein alter
Sohn?


Graziana.

Kein Traum waͤr's nur? Ach nein! ach nein!
er iſts!
Ich kenn' ihn wieder! Ja er iſts! Mein Herz
Ward umgewandt, ſo wie er zu uns trat.


Fortunat.

Ja, liebſte Eltern, theure Pfleger, nehmt,
O nehmt mich an das Herz nach langer Zeit!
Nun bin ich wieder da, nun bleib ich hier!
Liebt Ihr mich noch? Habt Ihr mir auch ver-
geben?


Theodor..

Heidi! Kommt, Leute, nehmt das ganze Haus,
Und ſchmeißt es mir hinaus zur Stubenthuͤr!
So mußt es kommen? O mein lieber Sohn,
Ja Du ſteigſt wie ein Paradies herab,
So wie das Himmelreich mit allen Thronen
Und Cherubim und Glanz und Lichtverklaͤrung!
Das haͤtt' ich nicht in Dir geſucht! Und nicht
Im Grafen Dich! — Nimm Becken auf und
Kanne,
Die bleiben uns zum ewgen Angedenken,
Auf Kind und Kindeskind, dabei erzaͤhlt man
Den Staunenden die Wundergeſchicht. O Sohn!
Oft phantaſirt' ich mir in Abendſtunden,
Wie Du einſt reich und vornehm traͤtſt herein,
Doch ſo hats nie mein frechſter Traum gewagt.


[216]Zweite Abtheilung.
Graziana.

Laß meine Liebe, meine heißen Thraͤnen
Nun auch zu Worte kommen, — ach! mein
Sohn —
Ich kann nicht ſagen, was ich wollte, — nein —
Mir ſteigt das ganze Herz zum Hals hinauf —
Nicht bloß um meine Sehnſucht mir zu ſtillen
Kehrſt Du zuruͤck, — auch nahmenloſes Elend
Und Spott, und Druck, und Gram von uns zu
nehmen.


Fortunat.

Vergebt mir nur, geliebte, liebe Eltern,
Daß ich ſo lang' in fremder Welt gezoͤgert,
Die Suͤnde fuͤhl' ich jetzt recht ſchwer im Herzen.


Theodor..

Haͤtt'ſt fruͤher kommen koͤnnen, das iſt wahr;
Allein was thuts? Nun faͤngt das Leben an,
Vorher war ich im ungebohrnen Stand!
Vergieb mir nur von damals jenen Schlag
Du liebes Kind, als Du aus hohem Geiſte
Die Worte mir prophetiſch vorgeſagt,
Daß ich Dir einſt das Becken halten wuͤrde:
Sieh, Du haſt Wort gehalten, das iſt brav,
Und wie ein Mann den Vorſatz durchgefuͤhrt.


Leopold koͤmmt herein.

Fortunat.

Du haſt, mein Leopold, hieher beſtellt
Die Leute all, wie ich Dir aufgetragen?


Leopold.

Genau wie Ihr es mir befohlen habt.


[217]Fortunat.
Fortunat.

Der wuͤrdge Mann, die theure Frau, mein
Freund,
Sind meine lang entbehrten lieben Eltern.


Leopold.

Erlaubt, daß ich Verehrung Euch bezeige.


Fortunat.

Mein Vater, hoͤrt ein wenig dieſen Mann,
Er wird Euch ſagen, was Ihr habt zu thun.


(Theodor und Leopold ſprechen leiſe beiſeit.)

Graf Nimian tritt herein.

Nimian.

Mein edler Graf, ſeltſamer Weiſe fuͤhrt
Man mich hieher, um wieder Euch zu ſehn.


Fortunat.

Ich dank' Euch herzlich fuͤr die freundliche
Einwilligung zu meinem ſchoͤnſten Gluͤck,
Gleich wollen wir vom Leibgedinge ſprechen.


Nimian.

Man ſagte mir zugleich, ich wuͤrde hier
Den Kaͤufer meiner Guͤter kennen lernen,
Nun muß ich faſt vermuthen, daß Ihr's ſeyd.


Fortunat.

Nicht eigentlich, bald wird Euch alles klar.


Theodor.
tritt vor.

Herr Graf, ich weiß nicht, ob Ihr mich noch
kennt,
Sonſt waren wir ſo ziemlich gute Freunde,
Allein ſeidem iſt maͤchtig viel geſchehn,
[218]Zweite Abtheilung.
Und mit der Zeit muß auch der Menſch ſich
wandeln.


Nimian.

Herr Theodor — ich moͤchte glauben, — fra-
gen —


Theodor..

Durch ſonderbar Geſchick iſt mir gelungen,
Daß ich der Kaͤufer Eurer Guͤter bin.


Nimian.

Wie? Ihr? Ich traͤume, oder Ihr.


Theodor..

Nein, keiner,
Hier iſt der Kaufkontrakt, hier Quittungen
Bezahlter Summen von den Glaͤubigern,
Und hier, mein alter Freund, empfangt von mir
Mit meinem beſten Wunſch das Eigenthum
In Eure Hand zuruͤck, und wenn Ihr glaubt
Mir eingen Dank ſchuldig dafuͤr zu ſeyn,
So laßt uns wieder Freunde ſeyn, wie ſonſt.


Nimian.

Die Welt geht rund mit mir! ich bin beſeſſen,
Im Wahnſinn, liege wohl in Fieberhitze
Und traͤume dieſe Phantaſien mir vor!
Nein, hier ſind die Papiere, alles richtig,
Da ſteht der Alte, dort der junge Mann,
Ich ſchaͤme mich der Thraͤnen laͤnger nicht —
Laßt Euch umarmen, alter Theodor,
Verzeiht, daß ich ſo lang' als armer Suͤnder
Als hoffaͤrtiger Narr unchriſtlich war;
O wie beſchaͤmt Ihr mich durch ſolche Großmuth.
Frau Graziana, liebe theure Frau,
[219]Fortunat.
Die mir ſo manches Mahl mit Luſt bereitet,
Vergoͤnnt mir wieder ſo wie ſonſt den Kuß;
Und mein Gemahl, die Graͤfinn hoch Marfiſa
Soll ſich, ſie ſoll vor Euch ſich demuͤthgen
Bis in den Staub.


Graziana.

Nicht das, mein lieber Freund,
Sey alles doch vergeben und vergeſſen.


Nimian.

Doch wie war Euch in Eurer Armuth moͤglich
Die großen Summen fuͤr mich aufzutreiben?


Theodor..

In meiner Armuth? Steht nicht hier mein
Peru,
Mein Ophir, mein Golkonda lieblich da?
Mein Fortunat, mein Sohn, durch den wir nun
So wie ich hoͤre auch verſchwaͤgert werden?


Nimian.

So ſeyd Ihr Fortunat, mein theurer Sohn?


Fortunat.

Nicht anders, gluͤcklich, daß in meine Hand
Der Himmel es gelegt, Euch zu erretten
Und ſeelig mich zu machen, Euer Sohn,
Mein alter Freund, wird ſeines Bannes los,
In Eure Arme kehren, wuͤrdger Erbe
Der vaͤterlichen Guͤter.


Valerio, Felix und Diener kommen.

Valerio.

Hieher bring' ich
Was mir iſt aufgetragen: laß herein
[220]Zweite Abtheilung.
Die Leute kommen, Sohn, mit Schmuck mit Klei-
dern,
Mit Goldſtoff, Perlen und Juwelen all!
Herr Graf, wie Ihr befohlen, iſt geſchehn.


Fortunat.

Mein theurer Vater, herzgeliebte Mutter,
Ich feire heut mein ſchoͤnſtes Lebensfeſt,
Daß ich Euch wiederfand, daß mir als Braut
Die Tochter dieſes edlen Grafen wird,
Hier bringen meine Diener Schmuck und Kleider,
Folgt ihnen dort ins Zimmer, legt ſie an,
Um wuͤrdig vor dem Koͤnig zu erſcheinen,
Der auch auf heute unſer Gaſt wird ſeyn.


Theodor..

Noch einen Kuß, Du biſt ein Kaiſer, Du!


(er und Graziana gehn mit den Dienern in das
Nebenzimmer.)

Valerio.

Der gnaͤd'ge Theodor, Dero Herr Vater?


Fortunat.

Ja, alter Mann. Nun, Felix, alter Freund,
Wie ſtehſt Du ſo verzuͤckt? Kennſt Du mich nicht?


Felix.

Ich wag' es nicht, ich weiß nicht, was ich denke.


Fortunat.

Als wir zu London ſchieden, dacht' ich nicht,
Daß wir uns ſo einſt wieder ſehen wuͤrden.


Felix.

Und ich noch wenger, das kann ich beſchwoͤren.
Wie gnaͤdig, daß Ihr meiner noch gedenkt.


[221]Fortunat.
(Muſik, die Thuͤren nach der Straße oͤffnen ſich, auf der
Straße erſcheint ein großer Zug mit vielen Fackeln, der
ſich nach dem Hauſe bewegt, die Braut wird von dem
Koͤnige und der Koͤniginn gefuͤhrt, viele geſchmuͤckte
Herrn und Damen folgen; in demſelben Augenblicke treten
Theodor und Graziana ſehr reich gekleidet wieder aus
dem Nebenzimmer.

Fortunat.

Des Koͤnigs und der Koͤnginn Majeſtaͤt
Gehn uns mit meiner theuern Braut entgegen,
Laßt uns nicht ſaͤumen, Vater, Mutter, Graf.


Theodor..

Entgegen! Schnell! — Valerio, ſeht, ja ſeht,
Mein guter Mann, das kommt dabei heraus,
Wenn man ſo wie mein Sohn auf Reiſen geht.


(Sie begeben ſich hinaus. Man ſieht in der Ferne den Koͤ-
nig Fortunat umarmen; dieſer ſtellt ſeine Eltern vor,
welche niederknien wollen, der Koͤnig umarmt ſie ebenfalls;
Fortunat ſchließt ſich der Braut und den Eltern an, unter
einem lauten froͤhlichen Marſche verlaͤßt der Zug die
Buͤhne.)

Valerio.

Nicht immer iſts der Fall, wenn ich dran denke
In welchem Zuſtand Du, mein Felix, mir
Als armer Suͤnder her von London kamſt.
Komm nun hinuͤber in des Grafen Pallaſt,
Wir ſollen mit die Einrichtung beſorgen.
Der hats getroffen, ganz als ſagte man:
So moͤcht ichs haben! und ſo hat ers nun.


(ſie gehn ab.)

[222]Zweite Abtheilung.

Als Ernſt ſeine Vorleſung geendigt hatte,
ſagte er: ich bin gewahr geworden, daß das
Stuͤck etwas lange waͤhrt, auch iſt mir mehr
als einmal die Furcht angekommen, es moͤchte
durch meine Darſtellung die leichtfuͤßige Grazie
der alten Erzaͤhlung gelitten haben.


Wir behaupteten ja neulich, ſagte Lothar,
daß das Drama nur dadurch entſtehn und ge-
winnen koͤnne, wenn die Novelle verliere; es
fragte ſich alſo nur, ob in dem neuen Ge-
biete ſo viel oder mehr iſt erobert worden, als
man auf dem alten freiwillig hat einbuͤßen muͤſ-
ſen. Ich glaube nicht, daß ein neuer Erzaͤhler
die alte liebe Geſchichte beſſer und unſchuldiger
vortragen koͤnne, im Schauſpiel muß die Luſtig-
keit von ſelbſt herber, die Figuren muͤſſen ſchaͤr-
fer gefaßt werden, vorzuͤglich aber muͤſſen die
beiden Theile, in welche die Geſchichte zerfaͤllt,
greller gegen einander kontraſtiren; die erſte wird
immer noch etwas vom epiſchen Charakter behal-
ten, wenn der zweite ſich ganz in das Phanta-
ſtiſche und Ausſchweifende neigt, welches das
Tragiſche nicht ausſchließt.


Mir ſchien immer, fuhr Manfred fort, dieſer
Gegenſtand, vorzuͤglich die erſte Haͤlfte, ganz un-
dramatiſch zu ſeyn: unſer Freund hat zwar durch
einige Veraͤnderungen des Gegenſtandes der
Schwierigkeit einigermaßen abgeholfen, aber er
hat uns, genau genommen, in jedem Akt eine
eigene faſt fuͤr ſich beſtehende Geſchichte vorge-
[223]Zweite Abtheilung.
tragen, und das Band, welches ſich verknuͤpfend
durch alle zieht, iſt nur ſchwach: die Unbeſtimmt-
heit und Übereilung der Hauptperſon, und die
Verlegenheiten, in welche dieſe ſich ſtuͤrzt.


Mit der Erlaubniß der Herren, ſagte Clara,
moͤchte ich anmerken, daß mir dies gerade vor-
zuͤglich gefallen hat. Wir treten ſtets in eine
neue Welt und Umgebung, die Einfalt des Hel-
den iſt liebenswuͤrdig, ſeine Eitelkeit erniedrigt
ihn nicht, und am Ende finden wir ihn als
vornehmen und gebildeten Mann wieder. Sein
Reichthum iſt der, der wahrhaft erfreulich iſt,
ohne Rechnungen, Verwalter, Bankiers und
Correſpondenz wird er fertig, und genießt ſeines
Überfluſſes. Ich geſtehe, daß ich ſchon im vor-
aus gegen die zweite Haͤlfte eingenommen und
uͤberzeugt bin, daß ſie mir weniger, als dieſe
erſte gefallen wird, weil ihr wahrſcheinlich die
Gelindigkeit mangelt, mit welcher dieſe behan-
delt iſt.


Sie ſind ſtrenge, ſagte Friedrich, und ich
werde von dieſen Worten um ſo mehr getroffen,
weil Sie Recht haben. Wenn ich mein Gedicht,
das ich Ihnen morgen mittheilen ſoll, uͤberſehe,
ſo erkenne ich mich ſelbſt, nach meinen jetzigen
Gefuͤhlen, in meiner damaligen Stimmung nicht
wieder, und ich fuͤhle ſchon jetzt die Peinlichkeit
die mich beim Vortrage aͤngſtigen wird. Das
iſt der ſonderbare Wechſel des Lebens, daß uns
das, was wir fuͤr unſer Inneres, fuͤr das Weſen
[224]Zweite Abtheilung.
unſers Selbſt halten, nach Jahren oder Mona-
ten als das Fremdeſte entgegentreten kann; ſo
muß ich fuͤrchten, daß mich meine vorige Luſt und
Laune jetzt nur beſchaͤmen und demuͤthigen wird.


Welche tuͤchtige Unwahrheit, rief Manfred,
haſt Du da eben ausgeſprochen! Zwar habe ich
daſſelbe erlebt, aber nur in leidenſchaftlicher
Stimmung, die niemals richten kann, am we-
nigſten uns ſelbſt, weil das, was die Stimme
der Verurtheilung alsdann hoͤren laͤßt, kein freies
Weſen iſt. Was wirklich wir ſelbſt ſind, kann
uns niemals fremd werden; in ſpaͤterer Zeit,
wenn der Rauſch verflogen iſt, der unſer Auge
blendete, erkennen wir um ſo lieber unſre Eigen-
thuͤmlichkeit in Geſinnungen, die wir verwerfen
wollten. Wahrſcheinlich wirſt Du erſt in Zu-
kunft abſondern koͤnnen, was in Deiner jetzigen
Stimmung Verſtimmung iſt. Lieber, es iſt na-
tuͤrlich, und ſogar ſchoͤn, daß wir, wenn wir
wahrhaft erhoben oder tief geruͤhrt ſind, eine
kleine Luͤge noch hinzu miſchen, um nur alles,
was uns geringe duͤnkt, auf immer von uns ab-
zuweiſen; aber daß es nur nicht ſo weit komme
ſich armer Verwandten oder Eltern in ſogenann-
ter guter Geſellſchaft zu ſchaͤmen. Die erleuchtet-
ſten und andaͤchtigſten Maͤnner haben immer die
koͤrperliche mechaniſche Arbeit fuͤr nothwendig ge-
halten, um nicht zu ſchwaͤrmen, oder herzensleer
zu werden; das Edle, Begeiſterte, verſtoße ja Laune,
Luſt und Lachen nicht, um ſich nicht in ſich ſelbſt
zu
[225]Zweite Abtheilung.
zu vergaffen, und endlich einen Goͤtzen ſtatt des
Gottes anzubeten. Doch trifft Dich das nicht,
mein Lieber, hoͤchſtens mich, der ich mich ſelbſt,
das heißt die menſchliche Schwaͤche, einigerma-
ßen kennen gelernt habe.


Die beiden Freunde ſahen ſich mit einem
bedeutenden Blicke an, und die Frauen, die die
Mitwiſſerinnen des Geheinmiſſes waren, wur-
den verlegen, hauptſaͤchlich aber Anton, welcher
in ſeinem boͤſen Gewiſſen meinte, Friedrich muͤſſe
es ihm und Clara anſehen koͤnnen, daß er alles
ſchon ausgeplaudert habe. Aus welchem Lande,
fing er in ſeiner Angſt an, mag das Maͤhrchen
nur herkommen?


Die Franzoſen, ſagte Lothar, beſitzen ſchon
lange dieſes Gedicht, und nennen es eine Ueber-
ſetzung aus dem Spaniſchen, doch zweifle ich,
daß es ein ſuͤdlaͤndiſches Produkt ſey, Cypern
und Spanien ſtehen immer ſehr im Hinter-
grund, England aber im Augenpunkt: hier iſt es
wahrſcheinlich entſtanden, und wohl nicht vor
dem funfzehnten Jahrhundert. Ein Zeitgenoſſe
Shakſpeares brachte es auch auf die Buͤhne,
oder er bearbeitete vielmehr ein altes Stuͤck,
welches ſchon vor ihm beliebt war.


In der alten Erzaͤhlung, fuͤgte Ernſt hinzu,
giebt es nur eine hiſtoriſche Hinweiſung, indem
des Drakula erwaͤhnt wird, der ein Zeitgenoſſe
des Mathias Corvinus und des Kaiſers Frie-
drich des Dritten war, das Maͤhrchen muͤßte
III. [ 15 ]
[226]Zweite Abtheilung.
alſo in der jetzigen Geſtalt erſt gegen das Ende
des funfzehnten Jahrhunderts geſchrieben ſeyn.
Damit ſtimmt aber der Umſtand nicht, daß Con-
ſtantinopel noch als eine chriſtliche Reſidenz an-
genommen wird. Man wird der Entſtehung von
dergleichen Geſchichten nie ganz auf den Grund
kommen koͤnnen, auch iſt eine zu weit gehende
Kritik nicht angewandt, weil von den meiſten
Maͤhrchen ſich die Grundvorſtellungen bei allen
Voͤlkern zu verſchiedenen Zeiten finden. Der
Erzaͤhler meines Volksbuchs zeigt ſich als ein ge-
bildeter Schriftſteller, ſo daß ſein Gedicht nicht,
wie ſo viele Volksbuͤcher, nur ein verſtuͤmmeln-
der Auszug aus einem aͤltern, groͤßern Werke
ſeyn kann. Das Wenige von Nachweiſung auf
Hiſtorie muß zufaͤllig hinein gekommen ſein.
Daruͤber koͤnnen wir uns nicht taͤuſchen, daß das
Ganze einen heitern modernen Anſtrich hat.


Die Bearbeitung dieſes erſten Theiles, ſagte
Wilibald, duͤnkt meinem Gehoͤr gleich einem
muſikaliſchen Stuͤcke mit ſeinen Variationen.
Derſelbe Satz, dieſelbe Aufgabe kehrt wieder,
und wird am Ende ziemlich willkuͤhrlich aufge-
loͤſt. Darum ſehen ſich die komiſchen Nebenfi-
guren aͤhnlich, und wenn nicht zuletzt die Eltern
wieder auftraͤten, und den Schluß mit dem An-
fang verknuͤpften, ſo beſtaͤnde das Stuͤck faſt
nur aus ſechs oder ſieben dialogirten Anekdoten.
Freilich hat in unſerer Welt ein durchgefallener
Autor nicht das Recht, denjenigen, der nicht ge-
[227]Zweite Abtheilung.
fallen iſt, ſondern gefallen hat, ſtrenge zu kriti-
ſiren; wenigſtens hat das Publikum dieſe Ge-
ſinnung.


So wie ich, fiel Auguſte ein; denn wahr-
lich, die Willkuͤhrlichkeiten, die Sie neulich in
Ihrem Kindermaͤhrchen verbunden haben, waren
viel willkuͤhrlicher.


Meine Herrſchaft, fing Lothar an, zeigt im-
mer traurigere Ausſichten, und alles neigt ſich
mehr und mehr, um die dramatiſche Verwir-
rung recht zu verſchlingen, zu einem Buͤrger-
kriege: ſtatt ruhiger Geſpraͤche werde ich nur
Streit gewahr, welcher die Aufklaͤrung mehr
hindert als befoͤrdert, und ich verfuͤge daher, um
wenigſtens einen Waffenſtillſtand hervor zu brin-
gen, daß Roſalia uns guͤtig die Sonate vortra-
gen moͤge, die ſie heut Morgen einuͤbte, damit
die orphiſche Kunſt die Leidenſchaften zaͤhme.


Roſalie gehorchte lachend dem Befehl, in-
dem ſie nur ſagte: unſer Herrſcher wird ein
Despot, der ſeine Regierung auch uͤber uns
Zuhoͤrerinnen erſtreckt, deren Gehorſam ihm nicht
einbedungen war.


Als ſie geſpielt hatte, ſagte ſie: die Muſik
iſt in unſern Tagen ſo allgemein verbreitet, die
Kennerſchaft und Virtuoſitaͤt ſo wenig ſelten,
daß man jetzt ein Maͤdchen faſt beleidigt, wenn
man fraͤgt: ob ſie muſikaliſch ſey; das war,
wie ich mir habe ſagen laſſen, noch vor zwanzig
oder dreißig Jahren ganz anders.


[228]Zweite Abtheilung.

Nur vergeſſe man nicht, fiel Manfred ein,
daß diejenigen, die damals Muſik trieben, meiſt
wirklich aͤchten Beruf dazu und wahren Genuß
davon hatten, ſtatt daß es in unſern Tagen leere
Mode und Kraͤnklichkeit, großentheils wahrer
Zeitverderb geworden iſt, und daß durch nichts
die Muſik ſo ausgeartet iſt, als durch dieſe zu
große Verbreitung. Alle koͤnnen ſpielen und
ſingen, und keiner verſteht es; alle ſind Kenner,
und alle wiederholen nur die Phraſen, die die
Mode eben eingefuͤhrt hat.


Wir haben, ſagte Friedrich, ſonderbare Er-
fahrungen uͤber die Natur der Muſik gemacht.
Dieſe ſchwaͤchliche allgemeine Liebhaberei hat
allerdings geſchadet, und die gruͤndliche Inſtru-
mentalmuſik, die Spieler der Bachiſchen Werke,
ſo wie der Sinn fuͤr dieſe aͤcht deutſche Erfin-
dung, werden immer ſeltner. Dies waͤre aber
nur etwas Unſchuldiges, ein Schickſal, das dieſe
Kunſt mit allen uͤbrigen Kuͤnſten gemein hat.
Aber unſere Vorfahren, die ſich an den kleinen
nuͤchternen Liedern ergoͤtzten, oder dem tiefſinni-
gen Componiſten durch das Gedankenſyſtem ſei-
ner Toͤne folgten, haͤtten ſich wohl nicht traͤu-
men laſſen, daß in dieſer ſo hoch geprieſenen, ja
heilig genannten Kunſt, ſich ein Element der
verderblichſten Weichlichkeit entwickeln moͤchte,
das ſchlimmer als jede andre Schwelgerei die
Seele erniedrigen und den Menſchen aushoͤhlen
kann. Es iſt nicht zuviel geſagt, wenn einer
[229]Zweite Abtheilung.
unſrer Freunde von einer liederlichen und obſcoͤ-
nen Muſik ſpricht. Jetzt erſt kann man recht
verſtehen, weshalb die griechiſche Geſetzgebung
auch uͤber die Muſik wachte, und eine gewiſſe
Gattung verbot, denn eben ſo wie ſie heiligt, er-
hebt, ſtaͤrkt, und alles Edle unſrer Bruſt erweckt,
ſo kann ſie auch wahrhaft ſuͤndlich veraͤchtlich
und ruchlos werden. Leider gehoͤren wohl
manche der beliebteſten und geprieſenſten neuern
Sachen zu dieſen eben bezeichneten.


Ich ſage Ihnen ganz unbefangen, ſagte
Clara mit ihrer dreiſten Art, daß ich ſie hier gar
nicht verſtehe.


Laſſen wir es gut ſeyn, rief Manfred, als
er ſahe, daß Friedrich uͤber ſeine ausgeſprochene
Meinung erroͤthete; man ſoll auch eben nicht
alles verſtehen, du biſt zu gut, um jedes Ver-
ſtaͤndniß erringen zu wollen. Vergeſſen wir
aber dieſe Seite, und gedenken wir einmal der
Inſtrumental-Begleitung in ſo manchen moder-
nen Opern: waren unſre Hiller zu nuͤchtern, ſo
ſind wir jetzt berauſcht und toll, und im Grunde
doch geiſtesarm. Wenigſtens glaube oder hoffe
ich, daß unſre Nachkommen die Barbarei nicht
werden begreifen koͤnnen, mit der wir uns ſo ge-
duldig von einem Ferdinand Cortes des Spon-
tini durch ununterbrochenes Laͤrmen und Ge-
wirre haben betaͤuben laſſen.


Alle Inſtrumental-Muſik, warf Auguſte
[230]Zweite Abtheilung.
ein, fuͤhrt vielleicht von ſelbſt zum Weltlichen,
und ſo allgemach zum Verwirrten.


Und die Orgel? fragte Roſalie, und ihre
Erfinderinn die heilige Caͤcilia?


Sie erinnern mich an einige Sonette, ſagte
Friederich, die ich Ihnen zum Beſchluß noch
mittheilen kann, indem ich voraus ſetze, daß Ih-
nen die Legende im Allgemeinen bekannt iſt.
Er las:


Die heilige Caͤcilia.
Es ſteht die holde Jungfrau im Betrachten,

Wie ſich Geraͤuſch und wilde Freude mehret,

Ihr Herz, Gemuͤth iſt ſtill in ſich gekehret,

Sie kann auf Freunde, Braͤutigam nicht achten.

Und wie die Gaͤſte drinnen tobend lachten,

Wird ihr der Geiſt mit Traurigkeit beſchweret,

Nun fuͤhlt ſie erſt, was ſie verliert, entbehret,

Nach Gott und Chriſtum muß ihr Buſen ſchmachten.

Es klingt die wilde Pfeife ſchon zum Reigen,

Verwegne Klaͤnge ſchrein im Uebermuthe,

Es droht und laͤrmt das weltliche Getuͤmmel:

Da ſieht ihr trunknes Auge nach dem Himmel,

Ihr Herz verklaͤrt die Toͤn, in ihnen ſteigen

Gebete auf zu ihrem hoͤchſten Gute.

Warum, ihr Menſchen, ſo ſpricht ſie in Klagen,

Daß ihr ſo gern dem Himmel euch entziehet?

Euch ruft ſo Furcht als Lieb' und Luſt: entfliehet!

Die Toͤne macht ihr wild, bis ſie verzagen.

[231]Zweite Abtheilung.
Wie koͤnnt ihr Erz und armes Holz ſo plagen

Euch ſelber quaͤlend? Daß kein Herz ergluͤhet,

Im liebenden Geſang zum Himmel bluͤhet,

Aus tiefen Naͤchten zu den heitern Tagen.

Verſchmaͤht Metall, verachtet Holz, verſchoͤnen

Will ich den Stand, euch Mund und Zunge leihen,

Erretten euch von Suͤnd' und wildem Toben,

Ihr ſollt auch Gott, der euch erſchaffen, loben,

Den Kirchendienſt ſoll meine Orgel weihen,

Den Glauben ſtaͤrken mit allmaͤcht'gen Toͤnen.

Jungfrau bleibt ſie vermaͤhlt, den Himmelsthoren

Entſteigt ein lichter Engel, ihrem Flehen

Rauſcht lieblich toͤnend ſeiner Fluͤgel Wehen,

Er ſingt: der Herr hat dich als ſein erkohren.

Da weint ſie, daß der Braͤutigam verloren,

Daß er den Bronn des Lebens will verſchmaͤhen,

Kann dieſer Blick, ſpricht er, den Engel ſehen,

So ſey alsbald der Goͤtzendienſt verſchworen.

Sie wirft ſich betend nieder: laß nicht rauben

Dies edle Herz, im Zweifel nicht erblinden!

Er ſieht den Seraph, glaubt, vom Licht getroffen.

Doch feſter ſteht des frommen Chriſten Hoffen,

Er hoͤrt wie alle Orgeltoͤne kuͤnden:

Ja, ſeelig ſind, die nicht ſeh'n und doch glauben!

Am folgenden Tage war bei heiterm Wetter
die ganze Geſellſchaft auf Lothars Andringen
[232]Zweite Abtheilung.
nach dem nahen Staͤdtchen gefahren, um jenes
alte Stuͤck zu ſehen, welches er ihnen ſo ſehr
angeprieſen hatte. Nur Friedrich war gedan-
kenvoll zuruͤck geblieben, weil er einen Boten
von Adelheid erwartete. Die Sonne war ſchon
laͤngſt untergegangen, als er noch immer in dem
Walde umher wandelte, der uͤber dem Garten-
hauſe ſich den Berg hinauf erſtreckte. Seine
Unruhe litt ihn nicht im Hauſe. Alles war ihm
zu eng, zu einſam und zu ſtill, und doch ſuchte
er den dichteſten Schatten des Waldes auf, um
ſeiner Melankolie und Sehnſucht recht ungeſtoͤrt
nachhaͤngen zu koͤnnen. Ploͤtzlich, als die Fin-
ſterniß ſchon die Erde rings bedeckt hatte, fiel
es ihm ſchwer in die Gedanken, daß er jetzt den
Boten verſaͤumen, daß der Brief vielleicht in
unrechte Haͤnde fallen koͤnne. Er arbeitete ſich
aͤngſtlich aus den verwachſenen Gebuͤſchen her-
vor, und ſtand auf der Landſtraße, indem ein
rothes Feuer jenſeit des Berges heraufſpruͤhte.
Er eilte nach der oberſten Hoͤhe, beſorgt, es
koͤnne wohl gar ein Feuer im Staͤdtchen ausge-
kommen, und ſeine Freunde moͤchten dort in
Noth ſeyn; freilich wußte er nicht, was er in
dieſem Falle thun ſollte, weil er immer zu ent-
fernt war, um ihnen beiſtehn zu koͤnnen. Als
er oben war, ſah er zu ſeiner Freude, wie ſehr
er ſich uͤbereilt und getaͤuſcht habe, denn die ro-
the Scheibe des Mondes ſtand ihm groß und
leuchtend gegenuͤber, noch auf den niedern Huͤ-
[233]Zweite Abtheilung.
geln ſchwebend. Tiefſinnig ſah er in das zaube-
riſche Licht, indem die Heimchen und Grillen im
Graſe ſchrillten, und aus dem Thale unten der
volle Geſang einer Nachtigall herauf ſchmetterte.
Der Mond erhob ſich, und nun lag die Land-
ſchaft auf beiden Seiten unter ihm im magiſchen
Glanze. Er ging zuruͤck und ſtellte ſich uͤber den
Garten und das Haus ſeines Freundes. Wie
ruhig lagen unten die ſchattigen Gaͤnge, wie in
ſtillen Traͤumen; der Springbrunnen lebte und
ſcherzte im Mondſtrahl und warf bunte Lichter,
die reinen Wege glaͤnzten, der volle Schein lag
auf dem Dache des Hauſes und den Fenſtern.
Dort ſah er auf ſeiner Stube das einſame Licht
brennen, welches er zuruͤckgelaſſen hatte. Das
Gebirge umher ſchaute ihn ernſt und erhaben an.


Es giebt Momente im Leben, ſagte er in Ge-
danken zu ſich ſelbſt, in welchen unſer ganzes
Daſeyn ſich wie in einen Traum aufloͤſen will,
wo Ahndungen, die lange ſchliefen, aus jener
raͤthſelhaften Ferne unſers Gemuͤthes naͤher
ſchreiten, wo Wonne und Leid ſo durcheinander
fluten, wie der Geſang dieſes gefluͤgelten
Nachtſaͤngers mit dem Bergesrauſchen und dem
Muͤhlbach unten, wo wir uns wie aus uns ſelbſt
verlieren, in die umgebende Natur wie in un-
ſre innigſte Sehnſucht hineinſtreben, und doch
recht unſers eigenſten Herzens im ſuͤßen Vergeſ-
ſen inne werden. O holde Natur, wie beutſt
du mir heut wieder die Wange zum zaͤrtlichſten
[234]Zweite Abtheilung.
Kuß, wie fuͤhl' ich deinen reinen Athem, und in
deiner Umarmung dein treues freundliches Ge-
muͤth! O Liebe, wie weht dein Geiſt uͤber die
Berge, durch die Thaͤler, im Walde und in
meiner Bruſt! Was will ich umarmen, wem
will ich mich ganz zu eigen geben? Nennen kann
ich es nicht: es hat keinen Namen als Seeligkeit.
Mein Herz iſt wie ein Magnet der Wonne und
Sehnſucht, der von druͤben aus allen Fernen,
von unten aus Baͤchen und Quellen, vom Him-
mel herab aus Mond und Geſtirnen, ja aus der
unſichtbaren verhuͤllten Ewigkeit das Entzuͤcken,
die Wehmuth, den ſuͤßeſten Schmerz und die
reinſte Freude herbeizieht. Ja, dies, was ver-
borgen und heimlich mich gruͤßt, wird einſt die
dauernde und lichtfreudige Wonne meiner Seele
ſeyn: dann erſt biſt du Suͤßeſtes, das hier Adel-
heid heißt, ganz und auf ewig mein, ich dein,
und wir beide verſinken ſpielend in den Wonne-
ſchauern ewigen Gluͤcks.


Einſam, ja arm erſchien ihm ſein Leben,
als er ſich gewaltſam von dieſen Traͤumen los-
riß, und das Haus genauer betrachtete, in wel-
ches er zuruͤckkehren wollte. Da war es, als
wenn ein Wagen muͤhſam von jenſeit herauf
ſtrebte, er hoͤrte das Schnauben der Pferde,
und bald ward er gewiſſer, als er nun deutlich
das Raſſeln den Abhang hernieder unterſcheiden
konnte. Es war ihm faſt unlieb, daß ſeine
Freunde ſchon zuruͤck kamen, und er nicht in ein-
[235]Zweite Abtheilung.
ſamer Stille den Berg herunter gehn ſollte.
Ploͤtzlich verſtummte das Geraͤuſch der Raͤder
und Pferde, er hoͤrte wieder Wald und Bach
ohne die disharmoniſche Unterbrechung, und be-
griff nicht, wo das Fuhrwerk geblieben ſeyn
koͤnne, da keine Nebenſtraßen den Berg hinun-
ter gingen. Als er ſich wieder umſah duͤnkte
ihm, daß etwas Weißes von der Spitze herab
ſchwebe, er ging wieder hinauf, und bald konnte
er unterſcheiden, daß es ein weibliches Weſen
ſey. Jetzt beeilte er ſeine Schritte, ſie kam ihm
entgegen, und ein lieber Ton begruͤßte ihn mit
der Bitte: koͤnnten Sie uns nicht Huͤlfe ſchaf-
fen? — Mein Gott, Adelheid! rief er aus, und
wollte immer noch ſeinen Sinnen nicht trauen:
Du hier? Woher? So allein? — Unſer Wa-
gen, antwortete ſie, iſt dort oben zerbrochen,
Walther iſt dabei beſchaͤftigt. — Walther, der
ernſte, aͤngſtliche, gewiſſenhafte Mann hat Dich
begleitet? fragte Friedrich wieder. — Er hat
ſich ſelbſt dazu angeboten, antwortete ſie. —
Die Welt dreht ſich um, rief der Liebende, indem
er ſich dem Wagen naͤherte, der auf einen Gras-
platz neben dem Wege hingeſchoben war. Die
Maͤnner begruͤßten ſich, und Friedrich konnte ſich
immer noch nicht ganz in die Wirklichkeit ſeines
Gluͤckes finden, das ihm ſo ploͤtzlich, ſo unerwar-
tet nur unter etwas ſtoͤrenden Umſtaͤnden wie
vom Himmel in die Arme gefallen war, denn ſo
oft er ſich auch dieſen Augenblick dargeſtellt,
[236]Zweite Abtheilung.
hatte er ihn ſich doch nie mit dieſen Umgebungen
ausmahlen koͤnnen.


Man wurde bald einig, daß das Fuhrwerk
im Freien bleiben muͤſſe, bis Manfred in der
Nacht Anſtalten getroffen, das Gepaͤck hinunter
bringen zu laſſen, Walther ſollte ſich ebenfalls
hier verborgen halten, bis man naͤhere Abrede
genommen, um beim Abendeſſen allen uͤberfluͤßi-
gen Nachforſchungen aus dem Wege zu gehn.


Als man die noͤthigſten Vorſichtsmaßregeln
genommen hatte, gingen Friedrich und Adelheid
Arm in Arm den Berg hinunter. Wie gluͤcklich,
ſprach er, trifft es ſich, daß jetzt eben Niemand
zu Hauſe iſt; ſieh, ich trage den lieben Schluͤſ-
ſel bei mir, wie oft habe ich ihn gekuͤßt, der Deine
kuͤnftige Wohnung eroͤffnet, die Zimmer liegen
abſeits, ſo daß Dich Niemand heut und morgen
bemerken wird, bis mein Freund es gut findet,
das Geheimniß aufzuloͤſen. Komm Theure, denn
ſchon ſeit Wochen erwartet Dich der Spring-
brunnen da unten, die Blumen haben jeden
Morgen noch Dir ausgeſehn, die Laubengaͤnge
ſtrecken Dir die Arme entgegen. Sieh, wie das
Licht von meinem Zimmer nach Dir herwinkt.


Nun bin ich bei Dir, ſagte Adelheid, und
mir iſt wohl, dieſe Berge und Gaͤrten, dieſer
naͤchtliche Mondſchein, alles iſt freundſchaftlich
und vertraulich um mich her: aber wie wird mir
ſeyn, wenn ich Menſchen ſehe, wenn ich erzaͤh-
len ſoll; und wenn Dein Freund mich auch guͤ-
[237]Zweite Abtheilung.
tig aufnimmt, wie aͤngſtigt es mich, daß ich
mich vor ſeiner Mutter noch verbergen muß.


Alles muß, alles wird ſich finden, troͤſtete
Friedrich, ſind wir uns doch unſers Herzens,
unſerer Liebe und der Wahrheit bewußt. Man-
fred wird das uͤbrige ordnen. Das ſey unſer
Gedanke, das wir uns gehoͤren, daß einer im an-
dern lebt, das uͤbrige liegt uns ſo weit ab, wie
ferne Welttheile, und koͤnnte nur, wenn wir es
zu nahe ruͤckten, unſre Liebe ſtoͤren und unſre
Herzen erkaͤlten.


Sie ſtanden vor dem Eingang des Hauſes.
Sey mir gegruͤßt! ſagte er, indem er die
Schuͤchterne umarmte. Er fuͤhrte ſie ſchwei-
gend uͤber den langen Gang, der die verſchiede-
nen Theile des Hauſes verknuͤpfte, er ſchloß die
entlegenen Zimmer auf, die Manfred ſchon heim-
lich eingerichtet hatte, er zuͤndete Licht an, und
indem ſich Adelheid, die er laͤchelnd und entzuͤckt
beleuchtete, in den Sopha niederließ, hoͤrte er
die Wagen vorfahren. Er eilte hinab, nahm
Manfred beiſeit in eine Laube des Gartens, und
erzaͤhlte ihm kurz ſeine und Adelheids ſonder-
bare und aͤngſtliche Lage. So kommt alles im
Leben, ſagte Manfred, beſonders unſer Gluͤck,
immer anders, als wir es uns vorgebildet ha-
ben; laß mich gewaͤhren und quaͤle Dich nicht
mehr, als noͤthig iſt; mache Dich zur Geſell-
ſchaft, und ſey ſo wenig verſtoͤrt, als Du irgend
kannſt, ſo daß die andern Weiber Dir nichts an-
[238]Zweite Abtheilung.
merken, denn die liebe Clara werde ich gleich
zur Vertrauten Deines Engels machen, die
kann ihn ohne Zweifel am beſten beruhigen.


Er ſprang fort und rief Clara zu ſich, beide
gingen vorſichtig zu Adelheid, um ihr willkom-
men zu ſagen und ihre Bedienung einzurichten.
Die uͤbrigen Freunde hatten ſich indeß ſchon um
den Tiſch geſetzt, und Friedrich mußte ſich zur
Geduld zwingen, um in ſeine wunderbaren
Traͤume, und in das Maͤrchen hinein, in welches
ſich ſein Leben ploͤtzlich verwandelt hatte, vom
Theater, von der Fahrt, von den Schauſpielern
und dem Stuͤcke ſich erzaͤhlen zu laſſen.


Sie haben gut gethan, ſagte Emilie, daß
Sie hier geblieben ſind, denn die getaͤuſchte Er-
wartung war wohl eigentlich der Spaß bei der
Sache, und unſer Lothar ſoll mich nicht zum
zweitenmal ſo um einen Nachmittag und Abend
betruͤgen.


Betruͤgen, nennen Sie es, fing Lothar an,
wenn ich Ihnen Gelegenheit gebe, ein uraltes,
luſtiges und ſeltſames Schauſpiel kennen zu ler-
nen, welches Sie jetzt weder in großen noch
kleinen Staͤdten, weder im Suͤden noch Nor-
den jemals ſehn koͤnnen? Denn, geſtehn Sie es
doch nur, daß es nichts Langweiligeres und
Truͤbſeligeres giebt, als zwiſchen den Alpen Ti-
rols und am Ufer der Nordſee, in den Weinge-
birgen des Rheins und dem Maͤrkiſchen Sande,
im breiten ſchwaͤbiſchen und geſpitzten weſtphaͤli-
[239]Zweite Abtheilung.
ſchen Dialekt dieſelben Patent-Spaͤße und pri-
vilegirten Empfindſamkeiten der aufgeklaͤrten
Modeſchauſpiele zu hoͤren. In fruͤhern Zeiten
hatte jede Provinz noch ihre Stuͤcke, die man
ſelten anderswo ſah; aber jetzt kann der Lapp-
laͤnder, indem er im Norden landet, gleich in
Kotzebues Ruͤhrung hineinſteigen, und dieſelben
Thraͤnen der Empfindung koͤnnen ihm im nehm-
lichen Stuͤck an der italieniſchen Suͤdſpitze noch
in den Augenwimpern haͤngen, ja er kann in
Rom und Neapel die uͤberſetzte Ruͤhrung ge-
nießen, und ruͤckwaͤrts in Paris und London
dieſelben bewegenden Reden in andern Zungen
hoͤren, ja man ſagt gar, daß ihn die nehmliche
Erſchuͤtterung nach Sibirien, Amerika und In-
dien verfolgt, und in ihr das Gefuͤhl dieſer Uni-
verſal-Monarchie und der Herrſchaft des deut-
ſchen Geiſtes.


Urtheilen Sie ſelbſt, fuhr Emilie fort. Es
iſt Krieg zwiſchen England und Schottland, die
Armee der Schotten wird voͤllig geſchlagen, die
beiden Prinzen, die die Anfuͤhrer waren, ſind
ihres Lebens nicht ſicher, der eine von ihnen
nimmt Dienſte im Heere des Koͤniges von Eng-
land, welcher ihn nicht kennt, der zweite, um
ſich noch beſſer zu verbergen, giebt ſich bei ei-
nem Schuſter in die Lehre. Dieſe Scenen ſind
nun diejenigen, die eigentlich die ſpaßhaften des
Stuͤcks ſeyn ſollen. Die engliſche Prinzeß liebt
aber ſchon lange dieſen zweiten Prinzen, ihr
[240]Zweite Abtheilung.
Verſtaͤndniß dauert fort, ſie entflieht endlich —


Entflieht? rief Friedrich; wo in aller Welt
haben Sie das erfahren?


Sie ſind zerſtreut, ſagte Emilie, natuͤrlich
dort im abgeſchmackten Theater. Der Prinz
begleitet, der Koͤnig verfolgt ſie, der militai-
riſche Bruder nimmt ſie gefangen, alles erkennt
und verſoͤhnt ſich.


Manfred, der indeſſen zuruͤckgekommen war,
fiel mit etwas geſpannter Luſtigkeit ein: Liebſte,
verbergen Sie es nicht, daß Sie es eigentlich
gegen die Schuſter haben, dieſe Verkleidung
iſt ihnen nicht vornehm und romantiſch genug,
wie wir es heut zu Tage nennen. Ginge der
junge hoffnungsvolle Prinz in der Verzweiflung
unter ſauber geputzte Gaͤrtner und zoͤge Blu-
men, wuͤrde er vielleicht Forſtmann und er-
goͤtzte ſich in der Einſamkeit auf dem Waldhorn,
ja wuͤrde er Muſik- oder ſogar Tanzmeiſter, ſo
wuͤrden Sie die Intrigue verzeihen und auch
wohl intereſſant finden. Floͤhe die Prinzeß et-
wa zu einem guten hoͤchſt edlen und liebenswuͤr-
digen Freund ins Gebirge, der ſie fuͤr den poe-
tiſchen Geliebten verſteckt hielte, ſo wuͤrden ſie
das Stuͤck loben.


Wahrſcheinlich, ſagte Emilie, denn alsdann
haͤtte die Sache etwas Anſtaͤndiges, ja Ruͤh-
rendes.


Denken Sie wirklich, wirklich ſo? fragte
Friedrich ſehr lebhaft.


War-
[241]Zweite Abtheilung.

Warum nicht, antwortete Emilie und wollte
fortfahren, als Manfred rief: Du ſchweigſt ein
fuͤr allemal. Du poetiſcher Verraͤther, der Du
Dich zu vornehm geduͤnkt haſt uns zu begleiten!
Was willſt Du von der herrlichen Scene wiſſen,
wo der Altgeſelle, der Spaßvogel des Stuͤcks,
den neuen Lehrburſchen unterrichtet, ihm mit
dem breiteſten Dialekt alle Geraͤthſchaften nennt,
wie er dann hochmuͤthig den Prinzen hinter ſich
hergehen laͤßt, als er ſeine Schue bei Hofe ab-
liefert, nebſt andern vortreflichen und hoͤchſt
luſtigen Einfaͤllen?


Schumacher und Schuflicker haben immer
bei unſern Vorfahren eine große Rolle in den
Poeſien geſpielt, bemerkte Lothar. Im Suͤden,
wo ſie im Freien arbeiten und an allen Begeben-
heiten der Straßen und des Marktes unmittel-
baren Antheil nehmen, iſt es nicht zu verwun-
dern, wenn ſie in vielen Spaͤßen und luſtigen
Geſchichten auftreten. Ihr froher Muth, ihre
Genuͤgſamkeit und ihr Geſang wird oft genug
ruͤhmlich erwaͤhnt. Am hoͤchſten aber hat das
alte engliſche Theater dieſen Stand gehoben,
denn in vielen fruͤheren Stuͤcken ſpielt ein
Schuſter oder cobler eine Hauptrolle, manche,
wie das heutige, drehen ſich ganz um dies Ge-
werbe, die gentle craft, oder edle Zunft, wird
noch in einem andern Schauſpiel unter dieſem
Titel ſelbſt gefeiert, welches ich aber nie ſo gluͤck-
lich geweſen bin zu Geſicht zu bekommen.


III. [ 16 ]
[242]Zweite Abtheilung.

Man trennte ſich, weil Emilie ermuͤdet war,
Friedrich ſehnte ſich nach ſeinem einſamen Zim-
mer, auch Wilibald und Auguſte ſagten den
Uebrigen gute Nacht. Manfred entfernte ſich
unter allerhand Vorwaͤnden, um den fremden
Fuhrmann abzufertigen und den muͤrriſchen Wal-
ther vom Gebirge herab zu holen, damit er ihn
am Morgen der Geſellſchaft als einen neuen
Gaſt vorſtellen koͤnne. Clara war etwas ver-
legen, weil ſie gern Roſalien das Geheimniß
entdeckt haͤtte, doch fuͤrchtete ſie Manfred, auch
war ihr Lothar im Wege. Dieſer nahm das
Geſpraͤch auf und ſagte: wenige Tage haben
mir ſo reine Freude gemacht, als der heutige.
Die Menſchen ſind ſonderbar und voller Wi-
derſpruͤche. Sie wollen in ferne Gegenden, in
vergangene Zeiten hinein gefuͤhrt werden, alle
wuͤnſchen, daß ihnen der Traum des Lebens
ſich auffriſche, und wenn ſie nun durch ein un-
ſchuldiges, heitres und bizarres Weſen in die
frohe Laune unſrer Vorfahren, die gewiß nicht
zu verachten waren, hinein gefahren werden,
ſo ſtellen ſie ſich ungeberdig, und wollen mit
aller Gewalt ausſteigen. Sehn wir denn in
dieſen Spaͤßen, in dieſer ungeſchickten aber der-
ben Zuſammenſetzung, in dieſer nicht vorneh-
men aber friſchen Luftigkeit nicht auch eine in-
tereſſante Vorwelt, und ſteht es uns denn nicht
frei, noch weit mehr zu ahnden und mit unſrer
Phantaſie zu erſchaffen, als uns vom frohen
[243]Zweite Abtheilung.
Dichter angeboten wird? Wird daſſelbe Stuͤck
aber einmal in einem kurrenten Almanach mit
Kupfern und goldnem Schnitt auf feinem durch-
ſchlagenden Papier abgedruckt, ſo finden es
die Leute gar nicht ſo uneben. Auch bin ich
daruͤber froh, daß Auguſte und Wilibald ſich
wieder ausgeſoͤhnt haben. Sie war ja ſehr
freundlich gegen ihn und von der liebenswuͤr-
digſten Laune.


Clara laͤchelte geheimnißvoll, und da Lo-
thar in ſie drang, mochte ſie die Entdeckung
nicht verſchweigen, die ſie zufaͤllig gemacht
hatte. Durch Antons Guͤte, ſo erzaͤhlte ſie,
erhielt ich vor einigen Tagen ein Sonett Wi-
libalds, welches dieſer, wie ich nun wohl ein-
ſehe, fuͤr Auguſten beſtimmt hatte. Ich las es
arglos als Poeſie, und bald darauf kam Au-
guſte zu mir, das Blatt lag aufgeſchlagen, ſie
kennt ſeine Hand, ſie las es ſtillſchweigend.
Erſt nachher erfuhr ich, daß Anton das Ge-
dicht fuͤr ſich hatte behalten ſollen. Die Zuͤr-
nende hat die Poeſie nun damals wohl nicht
als Poeſie, ſondern als eine Erklaͤrung geleſen,
die mir gelten ſollte, heut Morgen haben ſich
beide verſtaͤndigt, ſie hat das Blatt mit der
noͤthigen Erlaͤuterung empfangen, und ihr vo-
riger Unwille ſcheint nur ein verhuͤlltes Ge-
ſtaͤndniß, das unſer Wilibald aus der etwas rau-
hen Schale ohne Zweifel heraus wickeln wird.


Und das Sonett? fragte Lothar.


[244]Zweite Abtheilung.

Ich kann es auswendig, antwortete Clara,
es lautet ſo:


Was iſt doch, fragt der Irdiſche, die Liebe?

Fuͤr euch, ihr Armen, nur ein tief Verhuͤllen,

Ein dunkler Tod im eignen Widerwillen,

Ein Aengſten, das gern ſtumm verſchloſſen bliebe.

Doch wen anlaͤchelt Aug' und Mund der Liebe,

Der fuͤhlt im Herzen Wunderſtroͤme quillen,

Ein ſeelig Ahnden, niemals zu erfuͤllen: —

Wozu, daß ich den Geiſt im Wort beſchriebe?

Wem einmal Toͤne, Lichter, Farben, Sterne,

Geſchwiſterlich aufgingen, und im Bluͤhen

Aus Thraͤnen ihre Nahrung ſog die Blume:

Fuͤhlt der in Gott ein Nahe noch und Ferne?

Muß nicht ſein Herz in Ewigkeiten gluͤhen?

Antworte Du, wohnend im Heiligthume.

Ich erinnere mich, ſagte Lothar, eines
ſchoͤnen Sonettes von Flemming, mit welchem
das eben geſprochene einige zufaͤllige Aehnlich-
keit hat, denn unſer Freund hat dieſes gewiß
nicht gekannt, welches ſo lautet:


Wie? iſt die Liebe nichts? was liebt man denn

im Lieben?

Was aber? alles? Nein. Wer iſt vergnuͤgt mit ihr?

Nicht Waſſer: Sie ergluͤht die Herzen fuͤr und fuͤr.

Auch Feuer nicht. Warum? was iſt fuͤr Flammen

blieben?

[245]Zweite Abtheilung.
Was denn? Glut? aber ſagt, woher koͤmmt ihr

Betruͤben?

Denn boͤſe? mich duͤnkt's nicht, nichts ſolches macht

Begier.

Denn Leben? Nein. Wer liebt, der ſtirbt ab ſeiner

Zier,

Und wird bei Leben ſchon den Todten zugeſchrieben.

So wird ſie todt denn ſeyn? nichts minder als

dies eben.

Was todt iſt, das bleibt todt. Aus Lieben koͤmmet

Leben.

Ich weiß nicht, wer mir ſagt, was? wie? wo oder

wenn?

Iſt nun die Liebe nichts? als Alles? Waſſer?

Feuer?

Gut? boͤſe? Leben? Todt? Euch frag ich neuer

Frager,

Sagt ihr mirs, wenn ihrs wißt, was iſt die Liebe

denn?

Die Nacht war laͤngſt herein gebrochen,
alle trennten ſich, um die Ruhe zu ſuchen.


Am folgenden Nachmittage war die Ge-
ſellſchaft wieder verſammelt, und auf die Vor-
leſung des zweiten Theils des Fortunat be-
gierig, die Friedrich ihr noch ſchuldig war.
Dieſer war im Garten mit Manfred in einem
lebhaften Streit begriffen. So oft es nur moͤg-
lich geweſen, war er auf abgeriſſene Viertel-
ſtunden bei Adelheid geweſen, er hatte die Nacht
[246]Zweite Abtheilung.
nicht ſchlafen koͤnnen, und war jetzt in einer
Stimmung, daß ihm jede andre Beſchaͤftigung
ertraͤglicher als dieſe Vorleſung duͤnkte. Du
weißt es nicht, rief er aus, Du fuͤhlſt es nicht,
wie Du mich quaͤlſt! Ich bin meiner Laune
nicht Meiſter, ſchon die Geſellſchaft aͤng-
ſtigt mich, jedes geſprochene Wort druͤckt
mich nieder, und am meiſten dadurch, daß au-
ßer Clara und Roſalie noch Niemand weiß,
daß ſie hier iſt. Alle meine Gefuͤhle ſind auf-
geregt und in Verwirrung, ich kann nichts
denken oder ſprechen, und Du kannſt nun gar
verlangen, daß ich ihnen eine Maſſe von Thor-
heiten mittheilen ſoll, die ich vor Jahren in
leichtem Muthe erfand, und die mir heute wi-
derwaͤrtig und vielleicht abgeſchmackt erſchei-
nen werden.


Mein Freund, ſagte Manfred, alle dieſe
Weigerungen ſind umſonſt, die Geſellſchaft er-
wartet dieſe Unterhaltung, zu der Du ſie be-
rechtigt haſt. Entziehſt Du Dich ihr jetzt, ſo
weiß ich nicht, wie ich Dich entſchuldigen ſoll,
alle werden aufmerkſam und Dein Geheimniß,
welches Du ja ſelbſt noch ſchonen willſt, ſteht
auf dem Spiel. Auch iſt es etwas hoͤchſt Un-
billiges, daß Du Dich nur aus Laune den Ge-
ſetzen entziehn willſt, denen Du Dich unter-
worfen, die Du ſelbſt im frohen Sinne haſt
verfaſſen helfen. Es iſt tadelnswuͤrdige Schwaͤ-
che, daß Du Deine Laune nicht mehr beherr-
[247]Zweite Abtheilung.
ſcheſt, daß Du eine Regel brechen willſt, die
wir alle uͤbernommen haben, um mit einem ge-
wiſſen noͤthigen Ernſt und mit Ordnung unſer
Spiel zu treiben, die zu allen ernſten und leich-
ten Dingen nothwendig ſind, wenn das Leben
nicht zu einem leeren Geſpenſt verflattern ſoll.
Dann mißfaͤllt mir auch hoͤchlich Dein Miß-
fallen am eigenen Scherz; dulde es doch nicht
in Dir, daß ſich Deinen edlen und ſtolzen Em-
pfindungen auch etwas verwerflich Vornehmes
beimiſche, das auf Heiterkeit und Luſt verach-
tend hinab ſehn will. Iſt denn nicht die Frucht
der Liebe bitter und ſuͤß der Geſchmack? Du
kannſt Dich ja doch eben ſo wenig Deinem uͤbri-
gen gewoͤhnlichen Leben entziehn, und ſollſt es
auch nicht, weil das Hoͤchſte in uns ſelbſt ſein
Gegengewicht im Irdiſchen ſucht, um nicht in
leeren Schein hinauf zu ſchwindeln. Quaͤlt Dich
aber die Vorleſung ſo uͤbermaͤßig: nun, ſo magſt
Du denken, daß die poetiſche Nemeſis Dich er-
eilt hat, denn in manchen Augenblicken moͤchteſt
Du Dich doch vielleicht an denſelben Empfindun-
gen verſuͤndigt haben, die Du jetzt einzig naͤh-
ren und nur in ihnen athmen und leben willſt.
Und, mit einem Wort, um alles zu ſagen: Du
mußt!


Du magſt Recht haben, ſagte Friedrich la-
chend, ich will Dir Folge leiſten und dieſe Stun-
den als eine Buße anſehn. Waͤre nur das leere
ſo ernſthafte Geſicht des guten Walther nicht
[248]Zweite Abtheilung.
in der Geſellſchaft; aller Scherz faͤllt erſtorben
an ihm nieder, wie Schneegeſtoͤber am erwaͤrm-
ten Fenſter ſchmilzt.


Iſt er nicht der braune unſcheinbare Zweig,
ſagte Manfred, der Dir die laͤchelnde Frucht
Adelheid gereicht hat?


So komm! rief Friedrich. Sie eilten in
den Gartenſaal, und der Vorleſer nahm ſeinen
Seſſel ein, den man ihm ſchon hingeſtellt hatte.
Mein Schauſpiel, fing er mit ungewiſſer Stimme
an, eroͤffnet ſich mit einem Prologe, der vielleicht
dem erſten Theile vorhergehen, vielleicht auch
ganz fehlen koͤnnte, doch theile ich ihn mit, um
alles ſo zu geben, wie ich es vor mir finde. Er
fing mit ſchwankender Stimme zu leſen an, die
aber nach und nach feſter und ſichrer wurde.


[249]Zweite Abtheilung.

Prolog.


(Ein Gerichtsſaal.)

Zwei Raͤthe, ein Schreiber.

Erſter Rath.

So haben wir nun heute das Protokoll ohne un-
ſern Herrn Praͤſidenten ſchließen muͤſſen.


2. Rath.

Die Reiſe, die der Herr gemacht
hat, war nicht laͤnger aufzuſchieben, er mußte bei
der Viſitation gegenwaͤrtig ſeyn.


1. Rath.

Dazu iſt es ſo ſchoͤnes und war-
mes Fruͤhlingswetter, daß es zugleich eine Luſtreiſe
wird: die Ausſichten ſind unterwegs vortreflich,
die Chauſſeen ausgebeſſert, die Wirthshaͤuſer un-
vergleichlich, und ſein neuer Wagen der bequemſte
auf der Welt; da iſt es nicht zu verwundern, wenn
man die Geſchaͤfte willig uͤbernimmt, und einen
ziemlichen Dienſteifer ſehn laͤßt.


2. Rath.

Herr College, der Mann iſt ein
wuͤrdiger Mann, und es iſt ein Gluͤck fuͤr uns, daß
er unſerm Departement vorgeſetzt iſt: haͤtte einer
von uns das Gluͤck, kuͤnftig einmal dieſen Poſten
zu bekleiden —


1. Rath.

Daran kann keiner von uns den-
ken, dergleichen Fortun, dergleichen Carriere macht
kein anderer.


[250]Zweite Abtheilung.
2. Rath.

Gluͤck? Verdienſte, mein Lieber;
das, was man Gluͤck nennt, giebt es in ſo wohl
eingerichteten Staaten nicht.


1. Rath.

Nun, ſo nennen Sie es Zufall.


2. Rath.

Noch weniger. Zufall? Lieber,
wie vertruͤge es ſich mit der geſunden Philoſophie,
dieſen zu ſtatuiren?


1. Rath.

Je nun, leben und leben laſſen:
ſeyen wir tolerant, damit andre uns auch unſer
bischen Talent und Verdienſt goͤnnen. Eins nicht
ohne das andere. — Doch welch ein Getuͤmmel
draußen? Neue Partheien? Die Leute wiſſen ja
doch, daß die Seſſion voruͤber iſt. Nun, das
Trappeln, das Rufen, das Streiten wird wahr-
lich immer aͤrger. Hoͤren Sie nur die Ungezogen-
heit! Herr Sekretaͤr, bedeuten Sie doch einmal
den Leuten.

(Sekretaͤr ab).

— Meine Frau wird
ſchon zu Hauſe mit dem Eſſen warten.


2. Rath.

Herr College, Sie ſollten ſich
unmaßgeblich vor dem jungen Menſchen nicht ſo
bloß geben: er iſt ja im Stande, und traͤgt dem
Praͤſidenten alles wieder zu.


1. Rath.

Menſchenfurcht, Herr College, iſt
mir unbekannt: ich verlaͤumde, ich verfolge nicht,
ich laſſe dem Verdienſt Gerechtigkeit wiederfahren,
aber das Gluͤck iſt doch am Ende das, was die
Welt regiert. Doch Sie gehoͤren zu den Aengſtli-
chen, Sie ſind allzu milde, auch zu fromm, und
meinen gleich, man thut dem Schickſal und der Re-
ligion zu nahe, wenn man dem Gluͤck ſeine Rechte
einraͤumt.


2. Rath.

Nur, ums Himmels Willen, klare
Begriffe —


[251]Zweite Abtheilung.
1.Rath.

Ich kann kaum mehr hoͤren, ſo
laͤrmet das Geſindel draußen. — Nun, Herr Se-
kretaͤrs

(Der Sekretaͤr koͤmmt zuruͤck.)

Sekretaͤr.

Meine Herren Raͤthe, — ich bin
außer mir, — ſo etwas iſt hier auf unſerm Saal,
in dieſem Rathhauſe noch nie erhoͤrt worden — ich
dachte erſt, es waͤre ein Comoͤdienſpiel, oder ein
allegoriſcher Aufzug, aber es iſt die Wirklichkeit. —


1.Rath.

Was iſt es denn?


Sekretaͤr.

Ich komme hinaus — und ſehe,
— und erſtaune — und weiß mich nicht zu faſſen.


2.Rath.

Sie wollen ohne Noth unſre Neu-
gier ſpannen. —


Sekretaͤr.

Es giebt Augenblicke im Leben,
wo ſich unſer Daſeyn und unſre Seele wie zum
Traum verfluͤchtigen, wo wir einen Blick thun in
die Raͤthſel des Univerſums, und uns die Sylbe
ſchon wie auf der Zungenſpitze ſchwankt, und wir
in Ahndung die Aufloͤſung ſchon heraus koſten und
ſchmecken moͤchten, die die Charade, die uns hie-
nieden aͤngſtigt, in ihrer nackten Bloͤße darlegen
wuͤrde — und dieſen Zuſtand hab' ich jetzt erlebt.


1.Rath.

Herr Belletriſt, zur Sache! Laſ-
ſen Sie die neumodiſchen Aufſtutzungen fuͤr Ihre
gelehrte Geſellſchaft.


Sekretaͤr.

Sie werden nicht glauben, ja
ihren Augen ſelbſt nicht trauen.


2.Rath.

Lieber, wir verlieren die Geduld.


Sekretaͤr.

Ich komme hinaus, und ſehe, —
was? halb ſchwebend, halb wandelnd, halb beklei-
det, halb nackt, halb freundlich, halb ernſt, auf
einer rollenden Kugel, fliegend den Schleier, mit
entbloͤßten Schultern und Bein, ein weiblich Ge-
[252]Zweite Abtheilung.
bild, in dem ich zu meinem Erſtaunen erkenne, auch
ſie von allen Umſtehenden ſo nennen hoͤre, die For-
tuna, die weltbekannte, die allgeſuchte, die aller-
wuͤnſchte.


1.Rath.

Die Fortuna? Iſt es moͤglich?


2.Rath.

Das Gluͤck? Perſonifizirt? Al-
bernheit! Der junge Menſch iſt dumm, abge-
ſchmackt und aberglaͤubiſch geworden.


Sekretaͤr.

Und um ſie her ſtehn ſechs Klaͤ-
ger, ſechs wunderliche Figuren, die ſie mit Gewalt
ins Haus geſchleppt haben, und hier von einer ho-
hen Obrigkeit Recht und Gerechtigkeit gegen die
nichtsnutzige Perſon, wie ſie ſie im Zorne nennen,
verlangen und begehren. Dies iſt das Schreien
und Laͤrmen draußen.


1.Rath.

Aber wir leben doch in einem
merkwuͤrdigen Jahrhundert, das muß man geſtehn.


2.Rath.

Lieber, es wird die fremde Schau-
ſpielerinn ſeyn, die um Conceſſion anhaͤlt: halb
bekleidet, halb nackt, halb laͤchelnd, halb ernſt,
halb ſchwebend, halb wandelnd, alles paßt aufs
Haar, und der Phantaſt weiß nicht, was er
ſpricht.


Sekretaͤr.

Verdutzt, angepfloͤckt, ſtand ich
am Treppengelaͤnder, als ich von neuem das Ge-
ruͤmpel hoͤrte, das vorher die Herren ſtoͤrte und be-
taͤubte; und, was wars? Ein kleiner dicker Kerl,
mit groben Gliedern, ſchlecht gekleidet, mit ſtarken
Stiefeln und tuͤchtigen Abſaͤtzen, der ſich damit
abgiebt, nicht anders zu gehn, als indem er Rad
ſchlaͤgt, der poltert zum Zeitvertreib die Treppe auf
und ab: die Dame Fortuna rief nach ihm, als nach
ihrem Bedienten, der dumme Kerl rappelt herauf,
[253]Zweite Abtheilung.
bald Kopf oben, bald unten, ſchlaͤgt ſo gegen mich,
der ich hingeriſſen oben lehne, wirft mir die harten
Abſaͤtze gegen das Haupt, und mich ſelbſt eiligſt
die Treppe hinunter, die ich, wie mir es ſchien, im
raſchen anapaͤſtiſchen Maß abpurzelte, und noch
von den langen Anſchlagsſylben die Beulen am
Kopfe habe. Die Goͤttinn ſagte, der Zufall habe
mich hinabgeſtuͤrzt, und ich verwunderte mich ſtill
uͤber die unverſchaͤmte Luͤge.


2.Rath.

Da haben wir's, der Menſch iſt
auf den Kopf gefallen, und ſpricht im Wahnſinn.


Sekretaͤr.

Ich will die Dame herein laſ-
ſen, ſo koͤnnen Sie ſich ſelbſt uͤberzeugen.


(Es treten ein die ſechs Klaͤger, Fortuna, ihr
Diener,
der im Hereintreten ein Rad ſchlaͤgt.)

1.Rath.

Ums Himmels Willen, was iſt
das? Wer ſind Sie? Wo kommen Sie her? Was
wollen Sie?


Die Klaͤger.

Hier bringen wir endlich —


1.Klaͤger.

Schweigt! laßt mich reden. —
Wir bringen hier vor Ihren Richterſtuhl das fal-
ſche Weib, welches mich, ſo wie alle jene Men-
ſchen, durch ihre Bosheit ungluͤcklich gemacht hat.


2.Klaͤger.

Immer will er noch kommandi-
ren und herrſchen. Dieſe Gewohnheit ſcheint tief
im Menſchen zu wurzeln, und ſchwer auszurotten.


1.Rath.

Wir wiſſen immer noch nicht, wen
wir vor uns haben.


1.Klaͤger.

Dieſe Frau heißt Fortuna, die
Goͤttin des Gluͤcks, die uns aber alle, wie wir hier
ſind, hoͤchſt ungluͤcklich gemacht hat, es iſt uns ge-
lungen, ſie einzufangen, und wir uͤbergeben ſie hier-
mit dem loͤblichen Magiſtrat, um ſie abzuſtrafen.


[254]Zweite Abtheilung.
1.Rath.

Ganz wohl. Herr Sekretaͤr, fuͤh-
ren Sie das Protokoll.


1.Klaͤger.

Vor vielen Jahren ſchon war ich
genannt, geruͤhmt, und in allen Unternehmungen
gluͤcklich man gab mir Gewalt und hob mich hoͤher
und hoͤher, ich ward der Herrſcher des Volks, und
nun, als mein Gluͤck beginnen ſollte, als ich die
Fruͤchte aller meiner Anſtrengungen genießen und
mich als Monarch fuͤhlen wollte, ward ich geſtuͤrzt,
und mir wieder aus den Haͤnden geriſſen, was ich
kaum errungen hatte; nun bin ich das Sprichwort
der Welt, das Gelaͤchter der Thoren, der Spott
des Volks.


Fortuna.

Er ſpricht die Wahrheit, aber er
vergißt zu ſagen, daß er mir wohl ſeine Erhebung
zu danken, doch mich nicht wegen ſeines Sturzes
zu beſchuldigen hat. Haͤtte er mit Weisheit meine
Gunſt gebraucht, ſich nicht durch Willkuͤhr und Ty-
rannei verhaßt gemacht, durch Treuloſigkeit die
Freunde entfernt, durch Hochmuth und Falſchheit
ſich Feinde erweckt, haͤtte ihn ſein Gluͤck, ſtatt ihn
weiſe und vorſichtig zu machen, nicht zum wahn-
witzigen Duͤnkel gefuͤhrt, ſo daß er die Klugheit von
ſich ſtieß, ſich ſein eigner Goͤtze ward, und ſo ſelbſt
ſeinen Untergang herbei rief, ſo glaͤnzte er noch mit
meinen Gaben, und meine freigebige Guͤte umklei-
dete ihn noch. — Seht, er ſteht ſtumm und weiß
nichts zu ſagen.


2.Rath.

Das laͤßt ſich hoͤren.


Sekretaͤr.

Liegt Moral in dieſer Antwort,
die Frau zeigt Beleſenheit und Bildung.


1.Klaͤger.

Kein Wort werde ich gegen euch
Elende verlieren.

(geht ab.)

[255]Zweite Abtheilung.
2.Klaͤger.

Was aber ſoll ich ſagen? Welche
Beſtrafung des boͤſen Weibes ſoll ich begehren?
Denn in mir hat ſie ſich nicht bloß an einem einzel-
nen Weſen, ſondern an der ganzen Menſchheit ver-
ſuͤndigt. Doch, was ſage ich? Immer wieder be-
haupte ich, daß ſie gar nicht exiſtirt, oder daß ich ihr
nichts zu danken habe, ſondern alles mir ſelbſt und
meinem großen Genie.


1.Rath.

Machen Sie ſich deutlich: wor-
uͤber klagen Sie denn?


2.Klaͤger.

Freund, ich war der groͤßte, der
beruͤhmteſte Weltweiſe und Denker, mein Name flog
von Pol zu Pol, meiner Schuͤler waren unzaͤhlige,
meiner Verehrer ſo viel es Menſchen gab; Jour-
nale, Zeitungen waren voll von meinem Lobe,
man nahm meinen Namen zum Motto, mein Bild-
niß zum Aushaͤngeſchild, — ich dachte und dachte,
unterſuchte, unterſchied, bis endlich durch einen un-
gluͤcklichen Zufall —


Diener.

Holla! ho! was ſoll das nun
wieder?


2.Rath.

Warum mengt Er ſich denn hinein?


Diener.

Ich? Weil ich keine Schuld daran
trage, und meinen ehrlichen Namen nicht ſo will
verlaͤſtern laſſen.


1.Rath.

Sprech Er mit, wenn Er gefragt
wird.


Diener.

Mit einem Wort, der gute ehrliche
Herr, den Fortuna mit einem unvergleichlichen In-
genium ausgeſtattet hatte, ließ ſich nicht genuͤgen, er
ſtrebte uͤber ſein und das Ziel der Menſchen hinaus,
ward hoffaͤrthig, leugnete Gott und Welt, am Ende
ſich ſelbſt, ſchnappte richtig uͤber, ward Schwaͤrmer
[256]Zweite Abtheilung.
und Zweifler, ging alle Narrheiten durch, und
kommt nun, da ihm das Raͤdlein im Kopf abgelaufen
iſt, und ſagt der, Zufall habe gethan, was er
allein verſchuldet hat.


Fortuna.

Eigenduͤnkel hat ihn verleitet, die
Maͤßigkeit zu verachten, die auch im Sinnen und
Dichten nur die rechte Bahn findet; aus Hoch-
muth hat er ſelbſt die Spiegel in ſeinem Innern zer-
ſchlagen, in denen er das Verhaͤltniß der Welt und
ſich ſelbſt betrachten konnte, was ſeine Suͤnde ge-
than, ſoll ich buͤßen, die ich ihn mit Wohlthaten
uͤberſchuͤttet habe.


1.Rath.

Dieſe Unterſuchung gehoͤrt nicht
vor unſer Forum, hier mangeln die Thatſachen,
dies pſychologiſche Problem muß auf andre Art
aufgeloͤſt werden.


2.Rath.

Iſt der Herr Weltweiſe denn wirk-
lich toll und unbrauchbar geworden? Kann er
keine Vorleſungen mehr halten? Schreibt er nicht
mehr?


Diener.

Ganz ruinirt iſt er, manchmal ra-
ſend, immer dumm: alſo zu gar nichts mehr zu
brauchen.


Sekretaͤr.

Sehr merkwuͤrdig, daß ſich der
Geiſt, oder ſo zu ſagen die inwendigen Springfe-
dern und Reſſorts ſo anſtrengen koͤnnen, daß ſie
vor zu geſpannter Elaſticitaͤt dieſe ganz verlieren.
Sie ſind alſo jetzt ohne alle Einſichten, Herr Phi-
loſoph?


2.Klaͤger.

Dummkopf! Ich ohne Einſich-
ten? Ich, der tiefſinnigſte der Menſchen?


Sekretaͤr.

Warum klagen Sie denn alſo?


2.Klaͤger.

Weil, — weil, — Beſter, wer
ſitzt
[257]Zweite Abtheilung.
ſitzt gern im Narrenhauſe? Dahin hat man mich
unter dem Vorwande geliefert, ich ſey nicht bei mir
ſelber, — und wenn ich auch dunkle Augenblicke ha-
ben ſollte —


Sekretaͤr.

Ah ſo! Treten Sie mir nicht
ſo nahe, ich fuͤrchte mich vor tollen Menſchen. Es
ſteckt außerdem an, wie Sie werden geleſen haben,
und wer weiß, ob ich nicht jetzt gerade ſehr reizbar
und empfaͤnglich bin.


Zwei Waͤchter treten herein.

1.Waͤchter.

Nichts vor ungut! wir ſuchen
unſern Narren, der uns entſprungen iſt. — Ei,
da ſteht er ja und ſpekulirt. — Kommen Sie nur
im Guten, lieber Mann.


2.Klaͤger.

Gern, die ganze Welt iſt ja ein
Narrenhaus.


2.Waͤchter.

Richtig, darum gehn ſo ver-
nuͤnftige Leute wie Sie gleich vor die rechte
Schmiede, um nicht lange vergeblich anzufragen.


(ſie fuͤhren ihn ab.)

3.Klaͤger.

Hoͤren Sie mich an, meine Her-
ren, und laſſen Sie ſich nicht mit Verruͤckten ein.
Was mich betrift, ſo werden Sie gewiß einſehen,
daß mich die falſche Frau ungluͤcklich gemacht hat.
Sie hat mich reich gemacht, das iſt wahr, aber wie
elend neben meinem Reichthum? Kannſt Du es laͤug-
nen, Du Falſche, daß ich mit der innigſten Dank-
barkeit Deine Gaben annahm? Bewillkommte ich
III. [ 17 ]
[258]Zweite Abtheilung.
nicht den erſten Goldhaufen wie einen Gott in mei-
nem Hauſe? Kniete ich nicht vor dem Glanz?
Schloß ich ihn nicht in mein innerſtes Herz? Kann
ein Menſch Geſchwiſter, Verwandte, Freunde ſa-
gen, daß ich ihn ſeitdem geachtet und geliebt? Hat
noch ein andres Gut der Erde meine Seele an ſich
gezogen? Nein, ganz und ausſchließend ergab ich
mich dieſem; er war mein Herr, ich ſein Knecht.
Aber hat dieſer Herr mich, ſo treu ich ihm war,
guͤtig behandelt? Half es mir, daß ich vor ihm
kniete und ihn anbetete? Nein er goͤnnte mir keine
Ruhe in der Nacht, keine Freude am Tage, ja kei-
nen Biſſen Brod; ſeht ſelbſt, wie ich zum Gerippe
geworden bin. Nun hab' ich nicht Frau, noch Kin-
der, keine Geſchwiſter, noch Verwandte, nicht
Freunde und Theilnehmende, und dieſes Geld ſelbſt
quaͤlt und martert mich, und iſt mein Verfolger,
ſo ſehr ich es auch liebe.


1.Rath.

Es ſcheint, Beſter, Sie haben kei-
nen guten Gebrauch von den Reichthuͤmern gemacht
die Ihnen das Schickſal goͤnnen wollte; nach Ihrer
eignen Beſchreibung ſind Sie aͤußerſt geizig, und
dafuͤr kann dann freilich die gute Goͤttinn nicht.


2.Rath.

Wenn Sie aber mit Wohlhaben-
heit ſo geſegnet ſind, wie Sie ſelbſt ſagen, ſo koͤnn-
ten ſie viel fuͤr das Vaterland und dieſe unſre gute
Stadt in ihren Bedraͤngniſſen thun, wenn ſie zu
billigen oder gar keinen Zinſen ein Capital uns an-
vertrauen wollten.


3.Klaͤger.

Iſt das das Ende vom Liede? Ich
[259]Zweite Abtheilung.
empfehle mich, da kein Recht noch Gerechtigkeit hier
zu finden iſt.

(geht ab.)

1.Rath.

Sonderbare Menſchen! Was giebt
es denn noch zu klagen?


4.Klaͤger.

Seht mich an, meine Herren!
Nicht wahr, ich bin ein Schauſpiel zum Erbarmen?
Ein Bein verloren, einen Arm zu wenig, den Kopf
bepflaſtert und voll Wunden, die Naſe laͤdirt, ein
Auge ausgeſtoßen, und mein ganzer noch uͤbriger
Leichnam ſo dick vernarbt, wie die Rinde einer alten
Eiche. Bei jeder Wetteraͤnderung ſpuͤre ich meine
Wunden. Iſts nicht klaͤglich?


1.Rath.

Warum ſind Sie aber ſo zerhackt
und fragmentirt worden?


4.Klaͤger.

Richtig, ein Auszug, ein Epi-
tome eines Menſchen bin ich nur noch, eine abge-
kuͤrzte Ueberſicht, eine philoſophiſche Reduktion,
denn was ich nur irgend habe entbehren koͤnnen,
was nicht zum aͤußerſten Bedarf war, hat man mir
abgenommen: und wer iſt Schuld, als jene boͤſe
Sieben, die mir Staͤrke und Tapferkeit verlieh,
mich aber dafuͤr ſo wie eine geſtuzte Weide hat be-
hauen laſſen.


Fortuna.

Nicht ich! dieſer Mann konnte
ſich begnuͤgen mit dem Ruhm ſeines Muthes; aus
vielen Gefechten war er gluͤcklich und unbeſchaͤdigt
gekommen, er war ein geliebter Anfuͤhrer; aber er
konnte nicht ruhen, wo er nur von Haͤndeln und
[260]Zweite Abtheilung.
Kriegen hoͤrte, mußte er zugegen ſeyn, er ſelbſt
ſtritt und zankte mit jedem, es war nicht anders,
als fiele ſein eigner Koͤrper ihm zur Laſt, und ſo hat
er dem Gluͤck und Schickſal Trotz geboten, und nur
ſelbſt ſich beſchaͤdigt.


1.Rath.

Dies laͤßt ſich hoͤren —


4.Klaͤger.

Was laͤßt ſich hoͤren? Ein Narr
ließ ſich eben hoͤren, und wenn ich nicht mehr be-
daͤchte — Teufel! ich wollte euch mit dem Degen
ſo um die Ohren ſchlagen, — haͤtt' ich nur noch mei-
nen ehemaligen rechten Arm, ſo ſolltet ihr andre
Dinge ſehn.

(geht ab.)

5.Klaͤger.

Sehen Sie in mir einen ſehr
alten, alten Mann; ich bin nun ſchon uͤber die Ma-
ßen alt, und habe die traurige Ausſicht, noch viel
aͤlter zu werden, denn das iſt die elende Gabe, die
ich von jener Frau erhalten habe, ein unendlich lan-
ges Leben zu fuͤhren. Ich kann ihr nicht dafuͤr dan-
ken, denn ich habe nie gewußt, wie ich meine Zeit
zubringen ſoll: ſehn Sie, es iſt doch eigentlich ſehr
langweilig, ſo zu leben und immerfort zu leben, es
faͤllt genau genommen nicht viel Neues vor, ja ge-
nau beſehn, iſt das, was die Leute etwas Neues
nennen, immer ſchon etwas Altes. Wie ſoll man
nur ein ſo langes Leben hinbringen? Alles ermuͤdet
mich, alles ekelt mich an. Ich weiß nicht, wie ſo
viele ein hohes Alter ein Gut nennen koͤnnen. Und
doch will ich freilich auch nicht gern ſterben.

(gaͤhnt.)


Nicht wahr, ich bin recht ungluͤcklich?


1.Rath.

Lieber, alter, langweiliger Mann —


[261]Zweite Abtheilung.
5. Klaͤger.

Sagen Sie nichts, ich bitte Sie
recht ſehr, ſchon vorher hat mich alles das Spre-
chen herzlich gelangweilt, ich habe es auch nur ver-
geſſen fortzugehen; aber jetzt ſoll mich nichts mehr
aufhalten, vielleicht iſt draußen, oder auf der Straße
etwas das mir beſſer gefaͤllt.

(geht.)

6. Klaͤger.

Alle ſind fortgegangen, und es
ſcheint wohl, daß wir hier kein ſonderliches Recht
finden werden. Wenn Sie mich anſehen, ſo wer-
den Sie noch jetzt die Spuren finden, daß ich ein
ſehr ſchoͤner Mann geweſen bin, aber gerade dieſe
Gabe der Dame Fortuna hat mich ungluͤcklich ge-
macht, denn alle Menſchen ſind mir aufſaͤſſig gewor-
den, die Weiber haben mich gehaßt, die Maͤnner
verachtet, die haͤßlichſten erbaͤrmlichſten Geſchoͤpfe
machten neben mir Gluͤck, meine Verdienſte wur-
den nie bemerkt, daruͤber bin ich ein Menſchenfeind
und Veraͤchter aller Geſchoͤpfe geworden, ſtehe ein-
ſam und verlaſſen im Alter da, und fluche dem Ge-
ſchenk, welches mir die Frau zu meinem Verderben
zugetheilt hat.


1. Rath.

Aber, mein Herr, vielleicht haben
Sie durch Eitelkeit und Hoffarth die Menſchen von
ſich geſtoßen —


6. Klaͤger.

Recht ſo! das iſt auch ſo eine
Naſe, ſolche glatte Phyſiognomie, die mitſprechen,
die ſich etwas herausnehmen will, wo unſer eins
auftritt, die wir doch den Stempel des Ueberirdi-
ſchen, des hohen Menſchlichen wenigſtens empfan-
gen haben; aber ſolch pockengruͤbiges, verzacktes
[262]Zweite Abtheilung.
und ſchief ausgeſchnittenes Geſicht, wo die Garten-
ſcheere beim Silhouettiren ausgefahren iſt, weil ein
boshafter Geiſt dem Bildner an den Ellenbogen ge-
ſtoßen hat; ſolch gekruͤmmtes, verſeſſenes, verſtu-
dirtes Weſen —


1. Rath.

Ich weiß nicht, mein Herr, warum
ich dieſe Grobheiten dulde, und den veralteten, mit
Moos uͤberzogenen Herrn Antinous nicht —


6. Klaͤger.

Sie ſind unter mir, ich ent-
ferne mich, um mich nicht zu vergeſſen, denn man
ſoll immer nur mit ſeines Gleichen ſtreiten.

(ab)

1. Rath.

Grobes Geſindel —


Fortuna.

Sie ſehn ſelbſt, mit welchem Un-
recht ich geſchmaͤht bin, und ich danke Ihnen fuͤr
den geleiſteten Beiſtand.

(ſchwebt hinweg.)

Sekretaͤr.

Sehn Sie, ſehn Sie doch die
artige Tournure, den allerliebſten Pas, die grazioͤſe
Wendung, mit der die Holdſelige zur Thuͤr hinaus
ſchwebt.


Diener.

Leben Sie wohl.

(will gehen.)

Sekretaͤr.

Wer iſt Er denn eigentlich?


Diener.

Der Diener, der Begleiter, der
luſtige Geſellſchafter der Dame. Wollte ich klagen,
ſo faͤnde ich gar kein Ende, denn wie ich auf Erden
verlaͤſtert und verlaͤumdet werde, iſt nicht mit Wor-
ten auszudruͤcken. Faͤllt einer auf die Naſe, ſo hat
es der Zufall verurſacht, brennt ein Haus ab,
[263]Zweite Abtheilung.
ſtuͤrzt ein Menſch aus dem Fenſter und bricht den
Hals, geht ein Schiff zu Grunde, platzt einem Sol-
daten das Gewehr: wer hat alles dies veranſtaltet?
der Zufall! Am auffallendſten war es mir neulich
als ich hoͤrte, einem ſey durch einen Zufall das
Maul aufſtehn geblieben; Unſinn und kein Ende!
Taͤglich hoͤrt man: durch einen Zufall ging die
Thuͤr auf: nein, wenn ſie zugeſchlagen wird, meine
Herren, wenn das Maul zuſammen klappt, dann iſt
es ein Zufall, anders nicht; der Fuchs und der Wolf
werden in den Eiſen nur durch einen Zufall gefan-
gen, wenn es der Jaͤger auch noch ſo kuͤnſtlich ver-
anſtaltet hat; die Maſchienerie der Mausfallen be-
ruht einzig auf einem Zufall: darauf bitte ich in Zu-
kunft Ruͤckſicht zu nehmen.


Sekretaͤr.

Beſter, er ſpricht Unſinn, fuͤr
den vernuͤnftigen Menſchen giebt es gar keinen
Zufall.


Diener.

So? Weg da! Platz da!

(er ſchlaͤgt
Rad, wirft die Tiſche um, und kollert zur Thuͤr hinaus.)

Sekretaͤr.

Himmel und Erde! Sehn Sie,
Herr Rath, alle Skripturen, meine ſaubern Abſchrif-
ten, die großen Tintenfaͤſſer druͤber und hinein ge-
goſſen, die Tintenflaſchen zerbrochen, alles ein
ſchwarzes Meer, in welchem alle Buchſtaben, alle
Beweiſe, alle Protokolle, wie Pharao mit ſeinem
Gefolge erſoffen ſind.


1. Rath.

Der Boͤſewicht!


2. Rath.

Was ſoll man denken? Soll man
dies einen Zufall nennen?


[264]Zweite Abtheilung.
Sekretaͤr.

Ich bin ganz dumm geworden
und irre an mir ſelbſt; und nun alles wieder ins
Reine zu ſchreiben! Und wer es nur leſen koͤnnte!
Wir muͤſſen die Akten aus allen Fenſtern hinaus
haͤngen, daß die Sonne ſie wieder trocknen kann.


Der Praͤſident tritt herein.

Praͤſident.

Was giebt es hier fuͤr Ver-
wirrung, meine Herren?


1. Rath.

Wir hatten hier das ſonderbarſte
Verhoͤr von der Welt, Herr Praͤſident, ſechs Klaͤ-
ger brachten in dieſen Saal Niemand anders her-
ein, als die Goͤttinn des Gluͤcks, die beruͤhmte For-
tuna, ihr folgte ein wilder fataler Kerl als Diener,
der Zufall, der hier auch alles durch einander ge-
worfen hat, ſo daß wir viele Muͤhe werden anwen-
den muͤſſen, um die alte Ordnung wieder herzuſtellen.


Praͤſident.

Wie? Und ſie haben die Leute
wieder fort gelaſſen? Himmel! feſthalten haͤtten
Sie ſie muͤſſen; die Frau haͤtte uns Weisheit abge-
liefert fuͤr ewige Zeiten, bis zu den letzten Kanzel-
liſten hinab haͤtten alle Salomo's werden muͤſſen,
und Geld, Geld, welches wir alle ſo hoͤchſt noͤthig
brauchen, um unſre Verbeſſerungen in den Gang
zu bringen: eine lebendige, unerſchoͤpfliche Muͤnze
haͤtte ſie uns werden muͤſſen. Und den Zufall, den
verderblichen, der oft die beſten, kluͤgſten Plane
vernichtet, der ſo oft aller Weisheit ſpottet, der
ſchon ſo viel Unheil uͤber die Welt gebracht hat,
ihn haͤtten wir bei Waſſer und Brod dort im tief-
ſten Loch des Thurmes feſtgeſetzt, man haͤtte ihn ſo
nach und nach verkommen und verderben laſſen, daß
[265]Zweite Abtheilung.
kein Hahn darnach kraͤhte. Denken Sie doch, wel-
chen Ruhm! Welchen Nutzen wir unſerm Vater-
lande, ja der Menſchheit geſtiftet haͤtten! Das ver-
gebe ich Ihnen niemals, meine Herren, war keine
Wache da, ſo mußten ſie zum allgemeinen Beſten
ſelber zugreifen.


2. Rath.

Wir dachten nicht daran, wir ha-
ben nicht den praktiſchen Blick, das ſchnelle Genie,
welches den Herrn Praͤſidenten vor allen Staats-
beamten ſo ſehr auszeichnet.


1. Rath.

Der Herr Praͤſident tragen ja den
Arm in einer Binde? Ihnen iſt doch kein Ungluͤck
begegnet.


Praͤſident.

Eine kleine Verletzung, die
nichts zu bedeuten haben wird. Hier draußen vor
der Stadt, nahe am Thore, iſt mir etwas hoͤchſt
Seltſames begegnet: indem ich hereinfahren will,
erhebt ſich vor mir ein weibliches ſchoͤnes Gebilde,
es ſchien, als wollte ſie in den Wagen zu mir herein
ſchweben, ich haͤtte ſie halten koͤnnen, aber ſie flog
uͤber die Chaiſe hinweg, und, indem ich ihr erſtaunt
nachſehe, waͤlzt ſich radſchlagend ein dicker plumper
Kerl in den Weg, zwiſchen die Pferde hinein,
ſchlaͤgt im Purzelbaum den Kutſcher vom Sitz,
macht die Pferde ſcheu, poltert zu mir herein, ver-
letzt mich am Kopf, der Wagen wirft um, und in-
dem wir uns beſinnen, aufraffen, den Wagen rich-
ten, Bediente und Kutſcher wieder ihre Stellen
einnehmen, ſind ſchon beide Geſpenſter weit weg
entſchwunden. Der Arm aber iſt mir ausgerenkt.


Sekretaͤr.

Das war ſie, das war ſie, Ihr
[266]Zweite Abtheilung.
Gnaden, Fortuna und der Zufall. Ach, haͤtten Sie
ſie doch gegriffen und feſtgehalten, die Boͤſewichter.


Praͤſident.

Hoͤchſt ſonderbar. Ja, ich
haͤtte ſie nur am langen Haupthaar, am Schleier
feſſeln ſollen, ſie war mir ſo nahe, ſo, — doch,
gehn wir, meine Herren, ſchweigen wir von der
ganzen Geſchichte, um nicht ſeltſame Geruͤchte und
albernes Geſchwaͤtz in der Stadt zu veranlaſſen.
Alles naͤhrt jetzt leider die Vorurtheile und den
Aberglauben, man kann nicht behutſam genug ver-
fahren. Kommen Sie.

(Alle gehen ab.)

[[267]]

Fortunat.
Zweiter Theil.



Ein Maͤhrchen in fuͤnf Aufzuͤgen.


[[268]][269]Fortunat.

Erſter Akt.


Erſte Scene.

(Zimmer.)

Ampedo, Daniel.

Daniel.

Nun, mein junger Herr, warum denn ſo traurig,
aller Muth fort, ſo in die Winkel weggekrochen
und geheult, wie ein altes Weib?


Ampedo.

Du weißt es ja ſelbſt, mein guter
Daniel, daß mein Vater krank iſt und mit jedem
Tage ſchwaͤcher wird, ſo daß die Aerzte nicht mehr
viele Hoffnung haben.


Daniel.

Ja, das iſt wahr; es ſcheint wohl,
daß der gute alte Herr Fortunat bald ſein letztes
Brod wird gekauft haben, er ſieht miſerabel aus
und laͤßt die Fluͤgel recht haͤngen: weil er aber wie
ein Haͤnfling in der Mauße, wie ein Huhn iſt, das
den Pips und alle Federn aufgeſtrobelt hat, muͤßt
ihr denn darum ausſehn, wie eine gebadete Maus?
Alte Leute muͤſſen ſterben, junge muͤſſen leben, das
[270]Zweite Abtheilung.
iſt nun einmal ſeit uralten Zeiten der Lauf der
Welt. Trinkt ein Glas Wein, ſeyd wohlgemuth,
er laͤßt euch ein tuͤchtiges Vermoͤgen zuruͤck, der
alte Goldfink, euer Leben muß noch erſt angehn.


Ampedo.

Laß mich traurig ſeyn, guter
Menſch, es thut mir beſſer.


Daniel.

Wenns euch kommoder iſt, in Got-
tes Namen, heult und greint, bis euch die Augen
aus dem Kopfe fallen, mir kanns recht ſeyn, mich
koſtets nichts.


Andaloſia koͤmmt mit Dienern.

Ampedo.
(ſingt.)

Feinsliebchen rief: ich kuͤß' dich nicht,

Du haſt noch keinen Bart!

Der Juͤngling ſprach: mein Schatz, mein Licht,

Das iſt ſo meine Art,

Die Jugend iſt ſo lieb,

Das Alter iſt ein Dieb,

Waͤchſt erſt Vernunft und Bart ſo dicht,

Mag ich dich nicht, mag ich dich nicht.

Da, Caspar, trag' den Falken fort, das Vieh hat
ſich heut elend aufgefuͤhrt, er iſt gar nicht mehr,
was er war, und wird mit jedem Tage ſchlechter,
bald gut genug, ihn der Katze zum Freſſen vorzu-
werfen.

(Diener ab.)

Daniel.

Da ſeht nur den Junker, der iſt
von ganz anderem Faden gedreht, wie ihr, der
reinſte, feinſte Flachs, ſo rund und drall, und ihr
ſeyd nur aus Werg, aus dem Abgang geſponnen. —
Iſts aber Recht, junger Herr Andaloſia, ſo zu
ſchreien und zu ſingen, nichts als Falken und
Pferde im Kopfe zu haben, wenn der alte Herr
[271]Fortunat.
Vater ſo krank und ſchwach iſt, und bald das ganze
Lebenslicht ausnieſen wird? Das denkt doch auch
an gar nichts, als ſo weit ihm gerade die Naſe
ſteht, aus der Hand in den Mund, aus dem Becher
in's Bett, aus dem Bett auf die Jagd! Sapper-
lot! es giebt doch auch Tugend und Vernunft, Mo-
ral und Religion in der Welt! Beißt da doch auch
ein Bischen hinein, Wildfang, vielleicht kommt
euch der Appetit dazu im Eſſen.


Andaloſia.

Was ſo ein alter, abgewitter-
ter, verſchimmelter Domeſtik ſich herausnimmt,
wenn er ſo ein dreißig Jahr im Hauſe geklebt hat!
Biſt du, verdorrtes Schafsfell, mein Hofmeiſter,
mein Onkel, meine Gouvernante, mein Vormund,
daß dir ſo ſchaͤbige Redensarten aus dem Munde
ſtaͤuben duͤrfen?


Daniel.

Sacht! ſacht! ich dachte, ich waͤre
ein wuͤrdiger alter Mann.


Andaloſia.

Ein altes Trommelfell, das
nicht eher moraliſch knurren ſollte, bis man mit
den Trommelſtecken uͤber dich kaͤme.


Daniel.

Schon gut, ich habe mich wohl
mehr in der Welt umgeſehn, als ſo ein Wildfang
ſich traͤumen laͤßt. — Da bringen ſie den alten
Herrn, ſeht nur, wie cadu[c] er iſt, und laßt euch
ruͤhren.


Fortunat am Stabe, von zwei Dienern gefuͤhrt.

Fortunat.

Setzt mich in dieſen Seſſel, — ſacht, — nun geht,
Stellt noch das Kaͤſtchen hier erſt neben mich, —
Nun alle fort; — da ſeyd ihr, liebe Soͤhne,
[272]Zweite Abtheilung.
Ich wollt' euch rufen laſſen: — ſchließt die Thuͤren!

(Diener ab.)


Daniel, geh nun auch mit den andern fort.


Daniel.

Wird wohl nicht noͤthig ſeyn, ihr braucht ja Huͤlfe,
Umſtaͤnde macht nur nicht mit unſer einem.


Fortunat.

Ich ſage du ſollſt gehn, ich habe viel
Mit meinen lieben Soͤhnen abzuſprechen.


Daniel.

Strengt euch nicht ohne Noth die Lungen an,
Was nuzt das viele Reden? Ihr wart nie
Ein Freund davon, der Ruhm bleib' euch zum Tode.


Andaloſia.
(wirft ihn hinaus.)

Im Schlimmen fort, willſt nicht im Guten gehn! —
Der alte Menſch wird toll; verſchloſſen iſt
Die Thuͤr, mein theurer Vater.


Fortunat.

Liebe Soͤhne,
Ich fuͤhle, wie die lezte Stunde naht.


Ampedo.

Ihr ſeyd noch wohl, nein, nein, verlaßt uns nicht.


Fortunat.

Das Leben ward mir nur geliehn zum Sterben,
Wir gehn nur durch die Welt zur hoͤhern ein.
Es bleibt mir keine Zeit, geliebte Kinder,
Euch zu ermahnen, Lehren euch zu geben,
Das that ich viel und oft in beſſern Tagen,
Ich hoffe wohl, nicht alles ſey verloren,
Auch findet ihr in meinem Schreibezimmer
Verzeichnet meinen Lebenslauf, die Reiſen,
Mit vielerlei Vermahnung, vor Gefahr
Vor ſchlechten Menſchen euch zu huͤten, Regeln
Der
[273]Fortunat.
Der Klugheit, die ich bitter lernen mußte.
Leſ't dieſe Schriften mit Verſtand und merkt
Was keiner mir in harter Jugend ſagte.
Ich ſeh' in euch den Spiegel meines Lebens,
Und ſonderbar ſcheint mein Gemuͤth, ſo Schwaͤchen
Wie Tugend, unter euch vertheilt. Vernehmt
Den lezten Rath denn, den ich euch geben kann.


Ampedo.

Ich hoffe nicht zu ſtraucheln, lieber Vater,
Ein einſam ſtilles Leben kennt nicht Noth.


Fortunat.

Dir hat das fromme ſtille Weſen ganz
Von Deiner ſelgen Mutter ſich vererbt,
Mein Erſtgeborner du, doch ſeh' ich auch
In dir die Bloͤdheit und den ſchwachen Sinn
Der mancherlei Gefahr mich bloß geſtellt,
Du wirſt dich ſchwerlich wagen, weder Meer
Noch fernes Land, noch Neugier, Trieb zu reiſen,
Noch Uebermuth wird dich mit Noth bedraͤngen,
Du lebſt am liebſten heut wie morgen fort,
Du kennſt nicht Langeweil' und nicht Entzuͤcken,
Doch, naht Gefahr, wo dann die Huͤlfe ſuchen?
Der alte Leopold iſt laͤngſt geſtorben;
Der Koͤnig liebt und ſchuͤtzt uns, die Verwandten
Sind dankbar und befreundet, darauf trau' ich.


Ampedo.

Wenn ich nur keinem in den Weg was lege,
So wird auch keiner mich zum Stolpern bringen.


Fortunat.

Der Himmel fuͤg' es ſo. Du, Andaloſia,
Der juͤngere, biſt faſt mein Ebenbild,
Dieſelbe Luſt, die mich als Juͤngling trieb,
An Pferden, Falken, Hunden, Spiel und Jagd,
III. [ 18 ]
[274]Zweite Abtheilung.
Oft haſt du mir von Reiſen ſchon geſprochen,
Dein heft'ger Sinn treibt dich ins Weltgewuͤhl,
Du biſt im Stechen, im Turnir faſt immer
Der Erſte, Reiten, Springen, Tanz, die Zier
Des jungen Edelmanns iſt deine Freude:
Allein in deinem Sinn iſt Uebermuth
Und Wildheit, die mir immer fremd geblieben,
Du haſt Verſtand, ja Scharfſinn, doch ich ſah
Wie du ihn oft nur dazu brauchen mußteſt
Dich loszuwickeln aus Verdruͤßlichkeit,
Die unbeſonnen Thun dir zugezogen,
Drum huͤte dich, daß nicht dein Lebenslauf
Nur ein Verſtricken und Entſtricken ſey.


Andaloſia.

Ich werde immer nur der Ehre folgen,
Sie ſteht als Rath mir bei in Kampf und Noth.


Fortunat.

Bewahrt euch klug vor eurem Oheim hier,
Dem ſchlimmen Nimian von Limoſin,
Ich loͤßt' ihn von Verbannung, Armuth, Schande,
Und glaubte mich in Lieb' ihm zu verbinden,
Doch giebt es Herzen, die der Dankbarkeit
Nicht faͤhig ſind in thieriſcher Verſtarrung,
Und ſchuͤzt euch auch der Koͤnig, reizt ihn nicht:
Doch koͤmmt es, daß ihr je den Widerwaͤrtgen,
Daß ihr ſonſt jemand, wer es ſey, beleidigt,
Waͤhnt nicht, daß er der Kraͤnkung je vergeſſe,
Entfernt euch ihm, zieht ihn nicht zu euch an,
Am beſten Land und wuͤſtes Meer dazwiſchen;
Denn das hab' ich im Leben oft geſehn:
Leichtſinniges Vertraun dem Feinde leihn
Iſt ſchlimmer, als mit giftgen Nattern ſpielen.


[275]Fortunat.
Andaloſia.

Man ſoll ſich vor Beleidigungen huͤten,
Kann man es nicht, den Gegner ſo beſtrafen,
Daß er uns ſelbſt gern aus dem Wege geht.


Fortunat.

Ich laſſ' euch, Soͤhn', ein ſchoͤnes Gut im Lande,
Dieſen Pallaſt mit ſeinen praͤchtgen Gaͤrten,
Ihr findet vieles Gold in meinem Zimmer
In jenen feſtverwahrten Eiſentruhen,
Allein das Koͤſtlichſte, das Seltenſte,
Mehr werth als Schloß und Land, als dieſe Inſel,
Das findet ihr in dieſem Kaͤſtchen hier:
Die Todesſtunde zwingt mich, das Geheimniß,
Das lang verheelte, zu entdecken. Oeffnet
Das Schloß und hoͤret aufmerkſam mir zu.


Andaloſia.

Von dunklem Leder nur ein kleiner Saͤckel,
Ein grauer alter Hut von ſchlechtem Filz?
Dies die Juwelen? Scherzt ihr nicht, mein Vater?


Fortunat.

Zu ernſt iſt dieſe Stund'! In Todesnoth,
Verſchmachtet ſchier, arm, ausgeſtoßen, elend,
Verzweifelnd ſchon an jeder Huͤlf' und Rettung,
Erſchien mir wunderbar als wie im Traum
Ein leuchtend Bild, ein glaͤnzend hohes Weib,
Die Goͤttin war es ſelbſt, Fortuna war's,
Das Gluͤck mit allen ſeinen reichen Gaben,
Sie ſtellte mir die Wahl, ich waͤhlte Reichthum,
Und dieſen Saͤckel reichte mir die Hand,
Den unerſchoͤpflichen, doch findet ihr
Des weitern dies erzaͤhlt in meinem Buche.


Andaloſia.

Iſts moͤglich?


[276]Zweite Abtheilung.
Ampedo.

Ei, das klingt wie Zauberei.


Fortunat.

Mit dieſem Wunderſaͤckel war ich gluͤcklich
Und reiſ'te weit umher durch alle Lande,
Der Luſt genug zu thun, die um mich trieb:
Doch kam ich oft in toͤdtliche Gefahr,
Bis mir gelang, nachdem ich ſchon vermaͤhlt,
Nachdem ihr beide mir ſchon wart geſchenkt,
Das zweite Wunderkleinod aufzufinden.
Es fuͤhrte mich mein Weg einſt nach Aegypten,
Des Landes Sultan war mein alter Freund,
Dem ich manch reiches Kleinod ſchon geſchenkt,
Mit ſeinen Briefen ging ich dann nach Syrien,
Und Palaͤſtina, Perſien, bis zum Ganges,
Und kehrte wiederum zu ihm zuruͤck;
Im traulichen Geſpraͤch zeigt er mir froh
Was er an Schaͤtzen, Kleinoden, Juwelen,
Und Silbers Fuͤlle, Goldes Glanz beſaß,
Genug die Augen Sterblicher zu blenden;
Ich pries ſein Gluͤck, da fuͤhrt er mich, geſchmeichelt,
In ſein verriegelt einſam Schlafgemach,
Zieht dieſen Filtz, unſcheinbar, alt, vertragen,
Aus ſeinem Buſen; ſpricht: mein groͤßter Schatz
Iſt dieſer Hut, denn deckt er meinen Kopf,
Und nenn' ich nur den Ort, ſeys nah, ſeys fern,
So bin ich mit Gedankenſchnelle dort;
Ich ſtaunt' ihn an, er lacht', als glaubt' ich nicht,
Da kam es wie ein Blitz in meinen Sinn,
Vielleicht, ſo ſprach ich, iſt er ſchwer, gewichtig,
Und druͤckt das Hirn mit ſeiner Wunderkraft;
Der Thor darauf: nicht ſchwerer als jedweder
Gemeine Hut! und ſezt ihn ſelbſt mir auf;
[277]Fortunat.
Ich wuͤnſche mich ſogleich zu meinem Schiff,
Der Anker wird gelichtet, wie hieher,
Da prob' ich gleich das maͤrchenhafte Wunder,
Und richtig, wie er ſagte, ohne Qual
Und Koſten, unermuͤdet, bin ich bald
In Indien, dann in Groͤnland, Spanien,
In wuͤſten Inſeln, was mein Kopf nur ſinnt, —
Nun gab es keine Kraft mich feſtzuhalten,
Ich lachte jeglicher Gefahr: der arme Thor
Bot mir Millionen fuͤr den Wunderhut,
Ich ſchlug ſie aus, er haͤrmte ſich im Zorn,
Daß er nach ein'ger Zeit geſtorben iſt.


Ampedo.

Der arme Mann!


Andaloſia.

Warum auch ſchwieg er nicht?


Fortunat.

Ich bin erſchoͤpft. Nur noch beſchwoͤr' ich euch,
Sagt keinem Sterblichen von dieſen Wundern,
Nicht euren Fraun, wenn ihr einſt ſeyd vermaͤhlt,
Wie eure Mutter nichts davon erfahren,
Auch keinem Freund, es giebt ſo treuen keinen
Der nicht darnach mit allen Kraͤften ſtellte;
Und zweitens, trennt die Wundergaben nie,
Nach feſtbeſtimmten Zeiten wechſelt nur,
So kann euch keineswegs Gefahr bedraͤun,
Ein halbes Jahr beſitzt ſie Ampedo,
Dann Andaloſia: verſprecht mir dies.


Ampedo.

Gewiß, mein Vater, denn es iſt vernuͤnftig.


Andaloſia.

Wie ihr es wollt, ihr ſeyd der weiſere.


[278]Zweite Abtheilung.
Fortunat.

Verwahrt ſie feſt, ſeyd ſchweigſam. Hebt mich auf,
Fuͤhrt mich dort hin zu meiner Lagerſtatt,
Ruft meine Diener nochmals zu mir her,
Den Prieſter auch, ich fuͤhle jetzt die Hand
Des kalten Todes, und mein Geiſt enteilt
Den truͤben Wolken dieſer Zeitlichkeit.

(gehn ab.)

Zweite Scene.

(Garten.)

Daniel allein.

Daniel.

Dietrich! Komm hieher! Da ſitzt
der Junge und frißt die halbreifen Feigen hinein,
und denkt an nichts Hoͤheres. — Fall' nicht, klettre
behutſam herunter! — Der Junge hat mein Seel'
was vom Affen! Die Geſchicklichkeit, Behendig-
keit, und frißt das Obſt ſo ſauber hinein, daß man
keine Spur davon gewahr wird; kann auf Reiſen
was aus ihm werden, wenn er ſo fortfaͤhrt.


Dietrich.
(ſpringt herunter)

Da waͤr' ich!


Daniel.

Und hat noch beide Backen vollge-
ſtopft, daß ſie ihm platzen moͤchten. Friß, kaͤu'erſt
hinunter, junges Blut, dann wollen wir ein ge-
ſcheidtes Wort mit einander ſprechen.


Dietrich.

Nun ſprecht, Vater, ich bin
ſchon fertig, aber ſauber geſcheidt, denn lange kann
ich nicht verſaͤumen, auf den Baum da druͤben
ſcheint gerade die Sonne ſo recht heiß, die ſind in
[279]Fortunat.
fuͤnf Minuten auf der wahren Hoͤhe vom beſten
Geſchmack.


Daniel.

Ich daͤchte, du haͤtteſt nun die
Kinderſchuh vertreten, und wichtigere Sachen im
Kopf.


Dietrich.

Ich hoͤre ja; ſind meine Ohren
etwa nicht groß genug?


Daniel.

Der alte Herr iſt todt, der junge
Wildfang Andaloſia denkt auf Reiſen zu gehn und
will dich mitnehmen.


Dietrich.

Gut, ich bin dabei, wenn er
mich mitnimmt.


Daniel.

Aber es iſt nicht genug, daß du
als ein Eſel auf einem Pferde hinter ihm reiteſt, du
ſollſt auch vernuͤnftig, menſchlich ſeyn, mein Sohn,
und nicht wie ein Vieh, verſtehſt du, das mit den
Hoͤrnern vorwaͤrts ſich immer weiter in die fette
Wieſe hinein frißt, ohne rechts und links von den
moraliſchen und allegoriſchen Kuhblumen, Stief-
muͤtterchen, Vergißmeinnicht, Je laͤnger je lieber
Notiz zu nehmen.


Dietrich.

Richtig, das iſt ſo die gewoͤhnliche
Art, wies Vieh dergleichen hinein frißt, dumm,
ſtumm, ohne alle Reflexion und Applikation.


Daniel.

Mein Einziger, ich habe geſucht
durch die Welt zu kommen, habe auch etwas vor
mich gebracht, und denke es noch weiter zu bringen,
beſonders wenn ich mit dem Einfaltspinſel, dem
Ampedo, allein hier zuruͤckbleibe; darauf ſieh auch
immer unterwegs, denn wenn der Junge dem Al-
ten nur etwas nachſchlacht, ſo fallen immer viele
goldne Broſamen neben bei: drum gieb auch nicht
zu viel fuͤr dich ſelbſt aus, ſey nicht, wie ſo manche
[280]Zweite Abtheilung.
Großthuer, die ſich in der Fremde bei neuen Be-
kannten wollen ſehen laſſen, oder gar andre Die-
ner beſchaͤmen, ſo daß ſie das Geld mit Faͤuſten
wegſchmeißen; keiner dankts ihnen, ſondern ſie
werden nur ausgelacht: findeſt du aber einmal Ge-
legenheit, zu einem Traktement bei anderen zu
kommen, da Sohn, friß dich recht voll und dick,
ſchone dich nicht, denn dann hat der Menſch den
meiſten Seegen davon.


Dietrich.

Das ſollt ihr mir nicht zweimal
ſagen, Vater, ich will euch gewiß in der Fremde
Ehre machen, man ſoll von dem jungen Cyprier
zu reden haben.


Daniel.

Sollteſt du aus dem Dienſte kom-
men, ſo richte es ſo ein, daß du dem Herrn auf-
ſagſt, aber ich hoffe, du kommſt wieder mit ihm
zuruͤck.


Dietrich.

La, la, nachdem mir der Herr
gefaͤllt.


Daniel.

Will es dein Schickſal oder Un-
gluͤck, daß ſie dich vielleicht irgendwo zum Solda-
ten wegnehmen, und du marſchirſt nun gegen den
Feind, o lieber Dietrich, dann ja auf dem Marſch
die Augen allenthalben gehabt, merke dir jeden
Weg und Steg, du glaubſt nicht, mit welcher Si-
cherheit man nachher davon laufen kann, wenn
man ſich die Waͤlder, die Bergpaͤſſe und Hohlwege
recht ins Gedaͤchtniß gepraͤgt hat.


Dietrich.

Die Bruͤcken aber auch, oder wo
das Waſſer nicht tief iſt.


Daniel.

Gewiß, mein Sohn, wo du aber
auch ſeyn magſt, ſo halte nur an der einen goldenen
Hauptregel feſt: ſey nicht zu dienſtfertig! Ein ſol-
[281]Fortunat.
cher williger, auf jeden Ruf und Pfiff aller Nar-
ren herbei ſpringender Schlingel wird ein Pack-
eſel fuͤr die ganze Welt. Und hat er Dank?
Nein, fuͤr ſeine verfluchte Schuldigkeit wird es
ihm angerechnet. Stellt er ſich aber recht dumm,
kriecht recht langſam, hoͤrt nicht, ſieht nicht,
ſchnautzt jeden an, dem er es bieten darf, ſo ha-
ben ſie gar nicht die Dreiſtigkeit, was von ihm
zu fordern, und thut er dann einmal etwas unge-
heißen, ei ſo geht ein wahrer Sonnenſchein in
allen Geſichtern auf.


Dietrich.

Recht, es giebt ſo Narren, die
herum ſpringen, als wenn ſie ſich zerreißen woll-
ten, ſie fahren mit den Ellenbogen an Tiſche und
Waͤnde, und ſchlurren Schuh und Stiefeln ab,
daß es zum Erbarmen iſt: das ſind ſo die wahren
Buͤffelochſen um Gotteswillen, die Fleder- und
Borſtwiſche, Ofengabel und Bratenwender, Be-
ſen und Naͤhnadeln, Schloͤſſer und Tiſchler und
alles zugleich ſind, und am Abend nichts als
muͤde Beine haben, Beulen zum Dank, das Eſ-
ſen verſaͤumen, und noch dazu heben ihnen die
andern nie etwas auf.


Daniel.

Ich ſehe, Du biſt nicht ohne Ein-
ſichten und wirſt Dich alſo nicht unter die Fuͤße
treten laſſen. Sollteſt Du im Auslande Dich ver-
lieben, oder verheirathen — (ja, mein Sohn, da
hilft nun gegen das Schickſal nichts) — ſo wirſt
Du ein Hahnrei, es iſt ein alter Familienſchaden —
ſtell' Dich mal ein wenig in die Sonne — ſo —
das Geſicht etwas hoͤher — ja, Sohn, Du haſt ſo
den wahren Ausdruck, alle die Lineamente dazu, es
[282]Zweite Abtheilung.
kann Dir faſt nicht entgehn. Darum heirathe
nicht, oder ſey uͤber Vorurtheile weg.


Dietrich.

Es iſt im Grunde ein alter Aber-
glaube, Vater, wie mit den Hexen und dem Blocks-
berge: habt ihr ſchon einen mit Hoͤrnern lau-
fen ſehn?


Daniel.

In der neuen Zeit, Sohn, wo
alles ſo weich und gemuͤthlich iſt, wachſen ſie viel-
leicht nach innen. — Mein Seegen begleitet
Dich. Da kommen unſre Herren, und, wie es
ſcheint, im Streit.


Ampedo und Andaloſia treten auf.

Andaloſia.

Dietrich, mach Dich bereit, ſo-
gleich zu reiſen.


Ampedo.

Er kann und wird nicht reiſen,
bleib!


Andaloſia.

Geh, ſag' ich!


Ampedo.

Bleib, ſag' ich!


Dietrich.

Bleiben? Gehn? Beides zugleich
iſt nicht moͤglich.


Andaloſia.

Ich werde meinem Bedienten
doch befehlen duͤrfen?


Ampedo.

Aber, lieber Bruder, es iſt nicht
recht, daß Du ſo ſchnell nach unſers Vaters Tode
alle ſeine ausdruͤcklichen Verordnungen umſto-
ßen willſt.


Andaloſia.

Alles, was in der Welt ver-
ordnet wird, kann nur gehalten werden, inſofern es
mit der Vernunft beſteht, das iſt bei allen Dingen
die ſtillſchweigende Bedingung; da ſich aber das
bei unſers Vaters Teſtament gar nicht erweißlich
[283]Fortunat.
machen laͤßt, ſo iſt es auch billig, daß wir nicht zu
viele Ruͤckſicht darauf nehmen.


Ampedo.

Was iſt denn vernuͤnftig?


Andaloſia.

Alles, was uns bequem iſt.


Ampedo.

Dietrich und Daniel, geht auf je-
den Fall fort, bis wir euch rufen.


Andaloſia.

Macht euch fort!


Daniel.

Immer ſo ungeſtuͤm und herriſch!


(ſie gehn)

Ampedo.

Ich bin der aͤltere, und werde die
Aſche und die Gebote meines Vaters mehr ehren,
ich bin im Beſitz der Wunderkleinode fuͤr dieſes
halbe Jahr, und will nicht, daß ſie getheilt werden.


Andaloſia.

Lieber Bruder, Eigenſinn iſt
keine Liebe, und Hartnaͤckigkeit keine Vernunft.
Reiſe mit.


Ampedo.

Das will ich aber nicht, ich bin
nur froh, wenn ich zu Hauſe bleiben kann.


Andaloſia.

So laß mich alſo reiſen und
gieb mir den Saͤckel.


Ampedo.

Wenn ich mich noch zur Theilung
entſchließen koͤnnte, ſo muͤßte ich doch den Saͤckel
behalten.


Andaloſia.

Liebſter, wenn Du mich je ge-
liebt haſt, wenn Du ein bruͤderliches Gefuͤhl in Dir
traͤgſt, ſo laß mir dieſen und nimm den Hut, Du
kannſt Dich mit ihm auf allerhand Art erluſtigen.


Ampedo.

Was ſoll ich mit dem alten ver-
witterten Filz? Ich habe wohl geleſen, wie oft
unſer Vater in unterirdiſchen Loͤchern, oder in Ge-
faͤngniſſen in tauſend Aengſten geſeſſen hat, ich mag
dergleichen nicht. Und wohin ſoll ich mich wuͤn-
ſchen? Ich finde es doch nirgend beſſer als hier.
[284]Zweite Abtheilung.
Fremde Laͤnder mag ich nicht ſehn, hier bin ich
bekannt, alles Unbekannte macht mir Angſt: ich
koͤnnte auch die Art, das Wort, die Kunſt vergeſſen,
mich zuruͤck zu wuͤnſchen, und ſo ſaͤß' ich da drau-
ßen, wo der Pfeffer waͤchſt, und keiner wuͤßte, wo
ich geblieben waͤre. Kann dem alten Hut nicht
einmal die Kraft verloren gehn? Sieh nur ſelbſt,
wie er ſchon abgegriffen iſt. Soll der Menſch auf
Filz ſeine ganze Wohlfahrt bauen? Ich glaube
immer, unſer Vater hat auf ſeinen tauſend Reiſen
dem Wuͤnſchhut ſeinen beſten Nervenſaft ſchon ab-
gezapft.


Andaloſia.

Sey kein Thor, lieber Ampedo —


Ampedo.

Quaͤle, mich nur nicht mehr, da
haſt Du den Saͤckel. Das war von Kindheit auf
deine Art, alles durchzuſetzen. Aber mir ahndet,
daß es uns beide gereuen wird.


Andaloſia.

Laß Dich, mein zaͤrtlichſter
Freund, fuͤr Deine Willfaͤhrigkeit umarmen. Ich
habe ſchon ſo viel fuͤr Dich gemuͤnzt, daß mir die
Finger noch weh thun, Du haſt an Geld fuͤr viele
Jahre den groͤßten Ueberfluß.


Ampedo.

Der Saͤckel hats gefuͤhlt, daß
wir ihn beſchaͤftigt haben, ſchau, er ſieht ganz
mager, blaß und ſchwindſuͤchtig aus, und ſelbſt
Gemſenleder, wovon er gemacht zu ſeyn ſcheint,
muß es empfinden, wenn man ihm ſo oft aufs
Fell greift; der mag auch vielleicht in eine Ner-
venſchwaͤche verſinken, daß er nachher nur noch
Kupferdreier in ſeinen Eingeweiden hervorbrin-
gen kann.


Andaloſia.

Sey unbeſorgt, mein Bruder,
und lebe wohl.


[285]Fortunat.
Ampedo.

Sparſam werde ich leben, weil
ich in tauſend Aengſten ſtehe. — Da kommt der
langweilige Mann, unſer Oheim, Graf Limoſin.


Graf Limoſin kommt.

Limoſin.

Traute Neffen, ich traure mit euch,
zarte Juͤnglinge; weiß ich doch noch, was es mei-
nem Herzen koſtete, als mein Vater, der Graf
Nimian, und meine Mutter, Marfiſa, ſtarben,
dieſe Schlaͤge ſind fuͤr unſer empfindendes Herz die
ſchwerſten.


Ampedo.
(weint)

Ja, lieber Oheim; ach! ihr
ſeyd ſo gut, und unſer Vater war ſo gut, und wir —


Limoſin.

Ihr ſeyd ebenfalls gut, traute
Herzen. Hat mich der ſeelige, liebe, freigebige
Mann, dem ich ſchon mein Lebelang ſo viel zu dan-
ken hatte, nicht auch in ſeinem Teſtament ſo reich-
lich bedacht, daß ich es gar nicht annehmen duͤrfte
und koͤnnte, wenn es nicht gerade von ihm, dem
Einzigen herruͤhrte, und doch mache ich mir noch
ein gewiſſes Gewiſſen daraus, meinen jugendlichen
frohen Andaloſia, und meinen zaͤrtlichen und ge-
ſetzten Ampedo ſo zu berauben.


Andaloſia.

Nein, Oheim, genießt es nur froh
und wohlgemuth, wir goͤnnen es euch von Herzen.


Limoſin.

Kenn' ich nicht eure Liebe? Zarte
Pflanzen des edelſten Stamms!


Andaloſia.

Ich wollte eben zu euch kom-
men um Abſchied von euch nehmen, denn ich
denke fuͤr einige Jahr auf Reiſen zu gehn.


Limoſin.

Bemuͤhe Dich nicht, Neffe: wie
ſchoͤn, daß ich hier vorbei kam, indem ich aufs
Schloß zur Majeſtaͤt des Koͤnigs will. — Um-
[286]Zweite Abtheilung.
armt mich, theure Kinder, meine Ruͤhrung iſt zu
groß, der Seegen des Himmels begleite euch aller-
wege, beſonders Dich auf Deinen Reiſen, geliebte-
ſter, theuerſter, edelſter, ſchoͤnſter Andaloſia.

(kuͤßt
ihn, geht ab.)

Andaloſia.

Der Schelm! Ich weiß daß
er mir beim Umarmen lieber den Hals umdrehte,
wenn er nur duͤrfte.


Ampedo.

Er iſt ſo uͤbel nicht, Bruder.


Andaloſia.

Lebe gluͤcklich, guter Ampedo,
wir ſehn uns vielleicht bald wieder; Diener,
Pferde, alles iſt zu meinem Zuge bereit.

(gehn ab.)

Dritte Scene.

(London. Zimmer.)

Lord Herbert. Lady Herbert.

Herbert.

Vergeblich bleibt nur alles was wir kaͤmpfen,
Der theure Koͤnig iſt verwandelt ganz
Seit dieſer ungluͤckſeelige Adept
Hier unſer London nur betrat, Gehoͤr
Und blind Vertraun des gnaͤd'gen Herrn gewann,
Sind wir wie uͤberfluͤſſig, Reymund, heißts,
Soll kommen! was wird Reymund dazu ſagen?
Hat keiner Reymund heute noch geſehn?
Reymund hat mir ein neues Buch verſprochen;
So ſchlaͤgt die Glock' zur Meſſe, Non' und Vesper,
Und wir die alten Guͤnſtlinge am Hof
Sind unbeachtet wie verjaͤhrte Moden.


[287]Fortunat.
LadyH.

Doch iſt ja unſer Sohn nun Kammerherr,
Der Platz ſoll ihn, hoff' ich, zu hoͤhern heben.


Herbert.

Wir wollen ſehn, es laͤßt ſich nicht erzwingen;
Das iſt ein andrer Gram, und zwar der groͤßte,
Daß unſer Sohn jedes Talents entbehrt,
Er wird ſein Gluͤck am Hofe niemals machen,
So ſehn wir unſer Alter nur mit Sorgen,
Mit gegenwaͤrtgen Sorgen fuͤr die Zukunft,
Am Thor des Todes, ach! ſo ſchwer belaſtet.


Lady H.

Stets klagſt Du um den Sohn, geliebter Mann.
Er iſt ſo uͤbel nicht, er ſieht Dir aͤhnlich.


Herbert.

Ich will nicht eitel meine Jugend preiſen,
Doch wahrlich er gleicht weder mir noch Dir,
Man hielt mich hier am Hof fuͤr wohlgebaut,
Du ſelber lobteſt meine Zier und Anmuth,
Die Fremden prieſen mich (in jener Zeit
Wo es noch ſchwierig war an Hoͤfen glaͤnzen)
Als Blume aller Zucht, des Geiſtes, Witzes:
Du warſt in London hier die ſchoͤnſte Frau,
Ich ſegnete mein gluͤckliches Geſtirn,
Das durch den ſonderbaren Fall mit jenen Steinen
Und Deines Mannes Tod Dich mir verband;
Und, faſt als wollten uns der Himmel ſtrafen
Vielleicht um Eitelkeit, erzeugen wir
Nach manchem Jahr, als Du ſchon waͤhnen wollteſt
Es ſey Dein Leib fuͤr immer unfruchtbar,
Den Sohn, ſo haͤßlich und ſo mißgeſtaltet.


Lady H.

Nur das Geſicht, ſonſt iſt er gut gewachſen,
[288]Zweite Abtheilung.
Hat auch Verſtand, waͤr' nur der Fehler nicht
An ſeiner Zung', der ihn am Reden hindert.


Herbert.

Ein trauriges Gefuͤhl, ſich ſagen muͤſſen,
Daß man ein ungeſtaltes rohes Weſen
Ins Daſeyn rief; und haͤtt' ich die Verblendung
Der meiſten Vaͤter nur, ſo waͤr' ich gluͤcklich.


Lady H.

Da kommt er, laß Dich gegen ihn nichts merken.


Theodor kommt.

Herbert.

Warſt Du bei Hofe, Sohn?


Theodor..

Nun freilich war' ich,
Ich habe Seine Majeſtaͤt geſprochen,
Er war ſehr gnaͤdig, der Monarch, bis endlich
Der Goldmacher, der fremde Wunderdoktor,
Der Wurſthans zu ihm trat ins Kabinet.


Herbert.

Was iſt das fuͤr'ne Art ſich auszudruͤcken,
Und kannſt nicht laſſen das verdammte Stottern?


Theodor..

Ihr nennt es St— ottern? Weiß nicht, wie es heißt,
Ich weiß nur, daß der Hals mir ſo gewachſen,
Da klemmt ſich's, ſchnurrt und gurgelt wohl ein
Bischen.
Doch wer nicht ſcharf aufpaßt hoͤrts gar nicht, Vater,
Ich denke: Sprechen, ei! iſt immer Sprechen,
Unter Millionen doch kaum einer, ſeht,
Dems Maul Catoniſche Sentenzen immer
Und tiefe Abſtraktionen liefern thaͤte;
Wo Mehl gemahlen wird da kommt auch Kleye.


La-
[289]Fortunat.
Lady H.

Es ginge wohl noch mit, wenn Du nur ließeſt
Dies Faltenziehen, dies Geſichterſchneiden.


Theodor..

Iſt Ausdruck, gnaͤdige Mama, nichts weiter,
Erklaͤrt mit wen'gen Druckern was ich meine;
Das iſt nicht mein Geſchmack, wie viele Menſchen,
Die ſprechen, denken, fuͤhlen und entzuͤckt ſind,
Und ruͤhrt ſich auch kein Faͤltchen im Geſicht:
Das iſt die Grazie eines Haubenſtocks.


Herbert.

Schweig! Ausdruck! Dummes Zeug, es duͤrfte wohl
Bei dir Auspreſſung ſich betiteln koͤnnen.
Druͤckt nicht die Meerkatz' von inwaͤrts heraus
Als wollt' er Platz durch eigne Haut ſich machen?


Lady H.

O lieber Mann.


Theodor..

Laßt reden, gnaͤdge Frau,
Seht, der Papa iſt noch aus alter Zeit,
Das galt wohl damals, das iſt jetzt vorbei,
Wir ſind jetzt Gott Lob ungenirt und beſſer.


Lady H.

Wie geht es denn mit Deiner Freiwerbung
Bei Lady Dorothea?


Theodor..

Ganz paſſabel,
Sagt ſie nicht Ja, ſagt ſie doch auch nicht Nein.
Wer Feſtungen, Frau Mutter, will blokiren,
Der muß hauptſaͤchlich nicht Geduld verlieren:
Ich bin jetzt dran, die Dame auszuhungern,
Kein kluges Wort ſprech' ich mit ihr ſeit Wochen,
So ohne Zufuhr muß ſie ſich ergeben.


III. [ 19 ]
[290]Zweite Abtheilung.
Lady H.

Wenn ſie durch Dich nur den Verſtand empfaͤngt.


Theodor..

Was Neu's iſt in der Stadt hier vorgefallen,
Aus Cypern, oder Creta, weiß Gott wo,
('Ne Art Cretin iſt dieſer ſaubre Burſche)
Iſt da ein fremder Graf, ein Haſelant,
Ein Schnurrenmacher angekommen; Hengſte,
Arab'ſcher Zucht, Geſchmeide, praͤchtge Kleider,
Viel bunte blanke Diener, fremde Phraſen,
Und Gold, das er ſo mir nichts Dir nichts wegwirft,
Bringt mit ſich der geſchniegelte Dummerjahn.


Herbert.

Anſtaͤndig ſprich! mir wird ganz uͤbel, hoͤr' ich
Dergleichen grob gemeine Redensarten.


Lady H.

Laß ihn doch reden, denn ſonſt fehlt ihm ja
Die Uebung, ſich geſchickter auszudruͤcken.


Theodor..

Laßt's nur, genir' mich doch nicht, gnaͤdge Mutter;
Alter macht wunderlich, iſt wahres Wort.
Wollt ihr nicht glauben, wie ich ihn beſchrieben
Den Haſenfuß, tretet zum Erker dort
In jene Stub; er tummelt auf dem Markt
Die Hengſte eben, die von vorn und hinten
Ihr Wiehern hoͤren laſſen, wie ſie ſpringen.
Kommt, gnaͤdge Frau, s' iſt ſchon der Muͤhe werth.


(ſie gehn ab.)

[291]Fortunat.
Vierte Scene.

(Pallaſt.)

Koͤnig. Reymund.

Reymund.

Ein ſtiller Sinn, ein frommes
Gemuͤth, das ſind die Gaben, die jenem großen
Werke unentbehrlich ſind. Glaubt mir, daß An-
dacht, Faſten und Gebet, hauptſaͤchlich aber Man-
gel an Begierde das Meiſte thun muͤſſen, denn ſo
lange wir irdiſch ſind, gehorchen uns die Geiſter
der Erde nicht, noch weniger aber ſteigen andre
aus den feinen Elementen der Luft und des
Feuers, um unſre Befehle zu vernehmen und aus-
zurichten, darum muß der Menſch vorerſt frei ſeyn,
um andern Geiſtern die Dienſtbarkeit auflegen zu
koͤnnen.


Koͤnig.

Alles recht gut und ſchoͤn, Rey-
mund, und ich gebe mir auch Muͤhe, alles ſo ans-
zurichten, wie ihr es mir ſagt, ich eſſe, ich trinke
weniger, ich ziehe mir vom Schlafe ab, ich huͤte
mich vor Zorn und jedem ungeziemenden Wort,
ich ſammle meine Gedanken und denke mehr als
ſonſt an den Urheber der Welt: in ſo weit ſcheint
mir alles zu gelingen, nur eins, das Ihr fordert,
kommt mir unmoͤglich, ja widerſprechend vor.


Reymund.

Und was waͤre das, erhab-
ner Herr?


Koͤnig.

Ich ſoll, wie Ihr ausdruͤcklich ver-
langt, keine Begier, keinen Wunſch nach dem
Golde haben, und doch ſinnen wir Tag und Nacht
darauf, wie wir welches hervorbringen wollen, und
wenn ich ſo in den Ofen blaſe und mich abaͤſchere,
[292]Zweite Abtheilung.
wenn ich den gekroͤnten Loͤwen, und den Drachen,
und alle die Verwandlungen mit unverwandtem
Auge betrachte, wenn ich wachend und ſchlafend
davon traͤume, wie ich endlich den Stein der Wei-
ſen finden will, ſo verlangt ihr, ich ſoll gar kein
Verlangen nach dem Golde haben.


Reymund.

Gewiß, kein Verlangen nach
dem Golde, inſofern es Gold iſt, aber wohl iſt ein
Verlangen nach dem Golde erlaubt, ja ſogar huͤlfs-
thaͤtig beim Werke, inſofern Gold das Kennzeichen
iſt, daß wir endlich den Geiſt wie die Materie be-
zwungen haben, es ſoll uns nichts, als ein ge-
ſchmuͤckter glaͤnzender Herold ſeyn, der uns aus
der Unterwelt die Bothſchaft bringt, daß ſie ſich
mit allen ihren Maͤchten unſerm Geiſt und Her-
zen unterwirft. Koͤnnt ihr das Gold aber nicht
als Gold verachten, ſo wird euch die Eroberung
jener heimlichen, wunderlichen Reiche unmoͤglich
fallen.


Koͤnig.

Das ſind ſpitzfindige, verwickelte
Sachen: ich ſoll wuͤnſchen und nicht wuͤnſchen,
verlangen und nicht verlangen, Gold lieben und
verachten. Das Ding, ſieht man, hat ein uͤberſtu-
dirter Gelehrter erſonnen. Doch ſtill jetzt davon,
da kommt mein unglaͤubiger Leibarzt.


Reymund.

Dieſer iſt ganz mit ſeiner ſoge-
nannten Vernunft in der terreſtriſchen Region be-
fangen.


Koͤnig.

Richtig, eine Art von Gnome, oder
Kobold, ſo ſieht er auch aus, der unterſetzte Menſch.


Der Leibarzt tritt herein.

Leibarzt.

Wie hat mein gnaͤdiger Koͤnig
[293]Fortunat.
geruht? — Dero Puls, wenn ich bitten darf, —
ei! ei! wie haſtig! wie unzuſammenhaͤngend! wie
ſtoßend.


Koͤnig.

Nun, Doktor, was giebts? Doch
keine ſchlimme Krankheit unterwegs?


Leibarzt.

Nichts als eine hartnaͤckige und
ſehr verderbliche Obſtruktion, der Stein der Wei-
ſen iſt zu unverdaulich, der Herr Reymund iſt
die Materia peccans, die abgefuͤhrt werden muͤßte.


Reymund.

Nein, mein Herr Doktor, die
Ignoranz iſt es! Purgirtet Ihr dieſe auf allen
Wegen, ſo wuͤrdet Ihr nachher andaͤchtig und
uͤberraſcht an Euer Haupt fuͤhlen und ausrufen:
Wetter! Da drinne denkt etwas! ſeyd ſtill da
draus, ihr Leute, daß ich zuhoͤren kann!


Leibarzt.

Ein ſolcher Schwaͤrmer, ein drei-
mal geſichteter Phantaſt will vom Denken ſpre-
chen? Wie duͤrft Ihr, Verkehrter, das heilige Wort
nur in den Mund nehmen? Aber Ihr denkt
Euch nichts beim Denken; ja, da liegt der Hund
begraben! Ihr denkt Ihr denkt, aber es iſt nichts
dahinter, aberglaͤubiſch ſeyd Ihr mit Haut und
Haar, und mit Ueberſchnappen wird das Lied zu
Ende gehn: denkt an mich, Miſerabler!


Koͤnig.

Still! Still! Ruhig, meine Freunde.
Reymund —


Reymund.

Was? Ich daͤchte mir nichts
beim Denken? Und er, Majeſtaͤt, er hat nichts
als leere Formeln im Gehirn, uralte, abgeklaubte
Phraſen, die er unter anderm Wegwurf von Me-
lonenſchalen, Ruͤbenabputz und ausgekochten Kno-
chen im Kehricht gefunden hat, und wie ein ar-
[294]Zweite Abtheilung.
mer verwaiſter Hund daruͤber hergefallen iſt, um
ſie von neuem auszuſaugen.


Koͤnig.

Lieber, er weiß nichts vom Hermes
Trismegiſtus und den Verwandlungen.


Leibarzt.

So? Alſo koͤnnte die Vernunft
wohl verkocht, ausgeſogen und abgenutzt werden?
Und der Zweite, der eine Idee vom Erſten auf-
naͤhme, faͤnde ſchon den Saft und das Mark nicht
mehr darin, bloß weil jener ſchon daran gedacht?
O ſeh' Eure Majeſtaͤt doch nur aus dieſer kleinen
Probe den ungeſichteten Schwengel. Das kommt
davon, wenn ein Schwachkopf immer beim Feuer
ſteht und puhſtet, und ſich den Verſtand aus dem
Gehirn heraus braten laͤßt, um in der Retorte
die gekroͤnte Jungfrau zu attrappiren.


Koͤnig.

Doktor, ich bitt' euch —


Reymund.

Ha, ha, ha! Gekroͤnte Jung-
frau! Da hoͤre die Majeſtaͤt, wie der Unwiſſende —
ha, ha, ha! ſie mit dem gekroͤnten Loͤwen verwech-
ſelt. Mir wird uͤbel in Geſellſchaft ſolches ver-
ſchimmelten Phantaſten.


Leibarzt.

Ich kann ſchon den Geruch von
dieſer Myſtik nicht ausſtehn, baͤrbeißige Unver-
nunft!

(beide ab.)

Theodor kommt.

Theodor..

Mein Koͤnig, Majeſtaͤt die Koͤ-
niginn laͤßt bitten und erſuchen, an ihren Hof zu
kommen, alles iſt verſammelt, und ein junger
Fremder iſt da, ein Graf aus Cypern, der ſehr
hoch ſpielt, hoch ſpricht, hoch ſpringt, hoch denkt
und hoch windbeutelt, er iſt, wie alle ſagen, ein
merkwuͤrdiges Phaͤnomen.


[295]Fortunat.
Koͤnig.

Ich gehe, ſuche nachher Reymund
auf, und beſtelle mir ihn fuͤr heute Abend in mein
Kabinet.

(ab.)

Theodor..

Herr Reymund ins Cabinet?
Der Kerl muß hexen koͤnnen, wenn auch kein Gold
machen, daß er den Koͤnig ſo bezaubert hat.

(geht ab.)

Fuͤnfte Scene.

(Vorzimmer.)

Dietrich. Bertha.

Dietrich.

Du willſt mich gar nicht einmal
anhoͤren, mein Engel?


Bertha.

Was kannſt Du mir viel zu ſa-
gen haben? Meine Lady kann mich jeden Augen-
blick rufen.


Dietrich.

Laß ſie rufen, kommt doch heut
der Herr Theodor nicht, da hat ſie mehr Zeit
uͤbrig. Wie kann ſich die Dame nur mit ſolchem
Pavian einlaſſen?


Bertha.

Sie wird ihn vielleicht nur hei-
rathen, weil er reich iſt.


Dietrich.

Nur heirathen? Das iſt freilich wenig
genug. Wenn ich Dich alſo liebte, und Dir meine
Liebe erklaͤrte, und Du hoͤrteſt mich vielleicht ge-
neigt an, und ich glaubte Wunder welchen Stein
bei Dir im Brette zu haben, ſo waͤre das alles
auch vielleicht nichts weiter, als daß Du mich nur
heirathen wollteſt, wenn Du etwa bei mir auch
was zu brechen und zu beißen verſpuͤrteſt.


[296]Zweite Abtheilung.
Bertha.

Freund, Du biſt ein langweiliger
Geſell, und ſcheinſt noch gar nicht zu wiſſen, wie
es in der Welt hergeht. Aber wo iſt denn der
Herr Theodor heute?


Dietrich.

Wo anders, als bei meinem
Herrn, wo ein praͤchtiges Mittagsmahl gegeben
wird? Alle hohen Herrſchaften ſind da, auch der
Koͤnig, und der Hof, und die Koͤniginn, und
die ſchoͤne Prinzeſſinn, alles, alles!


Bertha.

Und Du fehlſt dort?


Dietrich.

Sie koͤnnen ſchon ohne mich fer-
tig werden, ich mag mit den vielen Anſtalten,
dem Laufen und dem Rennen nichts zu thun ha-
ben, der Teufel iſt bei ſolchen Gelegenheiten los;
wenn ſie aber ſchon ein Weilchen bei Tiſch geſeſ-
ſen haben, und alles wieder ruhig iſt, dann werde
ich mich hinzu machen, und was uͤbrig bleibt mit
den andern theilen, denn meine Portion darf mir
nicht entgehn.


Bertha.

Leb wohl, Du Schwaͤtzer, da klin-
gelt meine Lady.


Dietrich.

Erſt einen Kuß, ehe wir uns
trennen.


Bertha.

Ich dachte gar, ſo bekannt ſind
wir noch nicht.

(ab.)

Dietrich.

Sonſt kein uͤbles Maͤdchen, wenn
ſie die Leute mehr zu ſchaͤtzen wuͤßte. Jetzt muß
ich hin, es wird nun wohl am hoͤchſten hergehn,
und wenn mein Herr erſt etwas im Kopfe hat,
ſo kann ich thun was ich will.

(geht ab.)

[297]Fortunat.
Sechſte Scene.

(Pallaſt.)

Koͤnig. Koͤniginn. Agrippina.

Koͤnig.

So was iſt nicht erhoͤrt! Ein Unterthan,
Ein kleinlicher Privatmann, unbekannt,
Solls Koͤnigen in Herrlichkeit zuvor thun?


Koͤniginn.

Begreifſt Du's, mein Gemahl? Wir ſind beſchaͤmt,
Daß unſer Hof dagegen Handwerksherberg:
Er ſcheint auf Gold zu wandeln, Staub iſt ihm
Das glaͤnzende Metall, er waͤlzt ſich wohl
Im Goldesſtrom, wie alte Fabeln uns
Von Drachen ſingen, welche Schaͤtze huͤten;
Er lacht nur, wenn man Noth und Armuth ſagt;
So reich Bankett, ſo Pracht des Saals, Geſchirrs,
Der Decken, Diener hab' ich nie geſehn,
Er bietet uns die groͤßten Diamanten
So zum Geſchenk, wie man den Kindern wohl
Ein Zuckerkuͤchlein giebt, die Dienerſchaft
Vom Hoͤchſten bis zum Niedrigſten herab
Kehrt reich begabt von ſeiner Herberg wieder,
Mit zehn Goldſtuͤcken bis zu funfzigen;
Und morgen fragt er wohl, mit ſeiner Art
Der laͤchelnden: wie theuer eure Krone?


Koͤnig.

Ich zweifle nicht mehr, er iſt ein Adept.


Agrippina.

Adept? Was will das ſagen, theurer Vater?


Koͤnig.

Wonach ich tracht' iſt ſein, der Stein der Weiſen.
[298]Zweite Abtheilung.
Sein Gold hab' ich erproben laſſen, wenn
Es auch den Stempel traͤgt und mein Gepraͤge,
Fehlt ihm der Zuſatz doch, den ich ihm heimlich,
Den Cours ihm zu erleichtern, beigemiſcht.
O Frau und Tochter, wenn der Eingeweihte
Uns doch der Kunſt auch wollte theilhaft machen!
Seit Jahren arbeit' ich mit Reymund ſchon,
Sitz vor dem Ofen, laͤutr' und koch', verklaͤre,
Und ſuche die Viſionen zu ertappen,
Und leer iſt noch mein Beutel und bleibt leer:
Indeß kommt da ein lachend Angeſicht,
Unbaͤrtig noch, vorwitzig, naſeweis,
Und hat des Hermes Trismegiſtus Kunde,
Hat ſchon die Milch, das goldne Blut geſehn;
Ja, das iſt fuͤr den Denker zum Verzweifeln!


Koͤniginn.

Hier unſre Tochter Agrippina koͤnnte,
Wenn ſie nur moͤchte, ihn wohl aͤrmer machen
Um ſein Geheimniß, er iſt frech genug
Mit Buhlerblicken und verliebten Seufzern
Sie, wo er ſie nur wahrnimmt, zu verfolgen.


Koͤnig.

Bei meinem Zorn! —


Koͤniginn.

Nur ruhig, mein Gemahl,
Sie iſt zu klug, bethoͤren ſich zu laſſen,
Doch wenn man ſeine Thorheit ſo benuzte —


Koͤnig.

Ich will nichts wiſſen, fahrt nicht weiter fort!


Agrippina.

Er iſt mir nur veraͤchtlich und zum Lachen.


Koͤnig.

Wir ſind nun heut zu ihm entboten worden,
[299]Fortunat.
Er ſoll ſich wundern, denn ich gab Befehl
Bei Lebensſtrafe ihm kein Holz zu laſſen,
Nicht einen Splitter, Span ihm zu verkaufen:
Macht ſchnell euch fertig, mir dahin zu folgen,
Ich wuͤnſche die Beſchaͤmung nur zu ſehn,
Mit der er uns empfaͤngt, wenn ihm ſein Mahl
So laͤcherlicher Weiſ' vereitelt wird.


Koͤniginn.

Was wird er nur, ſich zu entſchuldgen ſagen?


Koͤnig.

Ich muß vorerſt Herrn Reymund noch befragen,
Was der zu ſeinem Angeſichte denkt.

(geht ab.)

Koͤniginn.

Und du, mein kluges Kind, ſey nun geſcheidt,
Mach' dieſen jungen Thoren thoͤrichter,
Der ſich im Uebermuth ſo hoch vergißt.
Kannſt du mit Blicken, Laͤcheln, ſuͤßer Rede,
Mit hingeworfnem halbgeſprochnem Wort,
Mit ſtillem Wink vernuͤnft'gen Haushalt treiben,
So zweifl' ich nicht, daß du bald, unbeſchadet
Der Ehr' und Tugend, ſein Geheimniß weißt.


(ſie gehn ab.)

Siebente Scene.

(Garten.)

Andaloſia. Haushofmeiſter.

Andaloſia.

Die Muſik wird hier im Gar-
ten vertheilt, die Blaſe-Inſtrumente in der Ferne,
[300]Zweite Abtheilung.
und mit den Geigen und Floͤten wechſelnd, um
uns nicht drinn bei der Tafel zur Laſt zu fallen.


Haushofmeiſter.

Ich habe alles ſchon ſo
angeordnet, wie mein gnaͤdiger Herr Graf es be-
fohlen hat.


Andaloſia.

Der Koͤnig liebt es, von Gold
zu ſpeiſen; ihr habt fuͤr ihn, die Koͤniginn und
die Prinzeſſinn die goldnen Geſchirre beſorgt?


Haushofmeiſter.

Allerdings; wie duͤrften
ſie heute fehlen, da mein gnaͤdiger Herr diesmal
noch mehr Aufwand als neulich machen will?


Andaloſia.

Ja, man ſoll in London von
mir zu ſagen wiſſen. Nichts darf mangeln, weil
es etwa zu koſtbar ſeyn moͤchte, kauft, was nur
zu haben iſt, und wenn ihr es dreifach mit Golde
aufwaͤgen muͤßtet. Jeden Mangel, jeden Wunſch
meiner hohen Gaͤſte, der nicht befriedigt wird, wird
mein Zorn beſtrafen. — Die wohlriechenden Oehle
und Spezereien werden doch angeordnet ſeyn? Die
Roſeneſſenz uͤber die Tafel geſpruͤtzt? Die Blumen
an den Waͤnden, daß man nicht Wand noch Pfei-
ler ſieht? Die Prinzeſſin wird daruͤber erfreut ſeyn.


Haushofmeiſter.

Ich werde ſelbſt nach
allem ſehn.

(ab.)

Andaloſia.

Es iſt ſo nichts, fuͤr ſich ſtill zu genießen,
Man iſt nur das, wofuͤr die Welt uns haͤlt,
Sieht keiner, daß ich reich bin, bin ichs nicht,
Doch ſo bewundert und beneidet werden
Von allen Großen dieſes praͤcht'gen Hofs.
Ja ſelbſt vom Koͤnig, das heißt Lebensluſt.
Wie alles vor mir kriecht, im Staube ſchmeichelt,
An meinem Blick, am gnaͤdgen Nicken haͤngt,
[301]Fortunat.
Wie jeder vor dem andern gern vertraulich
Sich an mich draͤngt, und triumphirend umſchaut
Wenn ich nur weniges mit ihm geſprochen:
Wie alle ſinnen, woher mir die Schaͤtze,
Die unerſchoͤpflichen, gekommen ſind,
Ja wie die himmliſche, die hohe Goͤttinn
Prinzeſſin Agrippina nach mir ſchaut,
Den Blick erwiedert und mein kuͤhnes Laͤcheln:
Wenn ich im Sinn mir alles dies erwaͤge,
Bin ich berauſcht von Wonne. All die andern
Sind Sklaven nur des Geizes, Eigennutzes,
Doch ſie, die Herrliche, ſie liebt mich ſelbſt,
Sie wuͤrde auch den Bettler in mir lieben.


Der Koch kommt.

Koch.

O gnaͤd'ger Herr! wir ſind ruinirt, vernichtet,
Aus iſts mit allem, total zu Grund gerichtet.


Andaloſia.

Was fehlt dir Mann? Was kann es denn nur geben?


Koch.

Was's geben kann? Oho! gar mancherlei,
So, par exemple, wenn in aller Welt
Kein Fuͤnkchen Feuer mehr zu haben waͤre,
Wenn ſichs zum Himmel wieder aufwaͤrts hoͤbe,
(Von wo's der erſte Koch Prometheus holte,
Roſtbeef, Ragouts und friſche Wurſt zu machen)
Wie ſtuͤnd' es dann um unſer Kochen, he!


Andaloſia.

Du biſt betrunken ſchon am fruͤhen Tage.


Koch.

Es giebt kein Feuer in ganz London hier,
[302]Zweite Abtheilung.
Der Hof wird muͤſſen kalten Braten eſſen,
Und das, o weh! kommt in die Chronik dann.


Andaloſia.

Verſtaͤnd' ich dich, koͤnnt' ich dir Antwort geben.


Koch.

Um Antwort gar nicht iſt es mir zu thun,
Kein Holz iſt da! ich lief zum Markt, da heißts
Bedrohet ſey mit Todesſtrafe, wer
Nur einen Span verkauft, daſſelbe draußen
Im Magazin; da will ich Kohlen nehmen,
Daſſelbe Lied: Verbot und Todesſtrafe!
Nun? Arm und Bein koͤnnen wir doch nicht unter
Die Caſſerole thun und damit feuern?


Andaloſia.

Du ſagſt die Wahrheit, guter Mann, ich merke
Der Koͤnig will uns auf die Probe ſtellen,
Den Wink verſteh ich nun, den er mir neulich
Nur ſo wie im Vorbeigehn hingeworfen,
Daß ich wohl nicht im Stande wuͤrde ſeyn
Ein Feſt, ſo glaͤnzend, noch zu wiederholen. —
Man muß in ſchnellſter Eil dies Ding verbeſſern.


Koch.

Doch wie? Geſagt iſts bald, doch ſchwer gethan.


Andaloſia.

Vertrauſt du deiner Kunſt ſo viel, mein Koch,
Daß du von feinem Zimmt, von Naͤgelein,
Muskatennuͤſſen, andern Spezerein
Die uns die fernen Indien liefern, magſt.
Ein großes Feuer ſchuͤren, daran braten?


Koch.

Das iſt nicht Kunſt, ein Feuer draus zu machen,
Die Sachen zu bezahlen, das iſt Kunſt,
[303]Fortunat.
Das thut ſelbſt draus der große Mogul nicht,
Der mitten in den Wohlgeruͤchen ſitzt.


Andaloſia.

Da haſt du tauſend Goldſtuͤck, guter Freund,
Nur eilig zu den Spezereiverkaͤufern,
Den Apothekern, reicht die Summe nicht
Magſt du noch dreimal ſo viel fordern.
Nur ſchnell! und keinen Augenblick verſaͤumt.


Koch.

Nu, das heißt wohl das Geld ins Feuer werfen,
Ich will gleich alle Diener darnach ſchicken.

(ab.)

Andaloſia.

Und ich will triumphiren im Erſtaunen
Des Koͤniges und aller ſeiner Freunde.
Von ſolchen Sachen haſt du, guter Vater,
Dir nie in deinem Leben traͤumen laſſen;
Mein Flug geht hoͤher, uͤber Wolken hoch,
Du bliebeſt ſtets des Gluͤcks furchtſamer Knecht,
Doch ich bin frei, ich fuͤhl' mich Herr der Welt,
Ungluͤck und Zufall kriechen unter mir,
Nicht reichen ſie bis in mein fuͤrſtlich Herz.

(ab.)

Dietrich tritt auf.

Dietrich.

Das war ein ſchoͤner Einkauf:
will der Herr wie ein Toller und Beſeſſener hin-
ein raſen, ſo iſt es dem vernuͤnftigen Diener wohl
erlaubt, fuͤr ſchlimmere Zeiten ſo viel als moͤglich
in Sicherheit zu bringen. Ich will das Gold hier
beim Baum verſtecken, man koͤnnte es ſonſt ge-
wahr werden. Die Gewuͤrzkraͤmer haben ſich ver-
wundert, ihre Waaren einmal nach Centnern ver-
kaufen zu koͤnnen, die ganze Stadt riecht nach
Zimmt und Muskat; ich glaube, mein Herr wird
[304]Zweite Abtheilung.
ſeinen hohen Gaͤſten nun Tannenzapfen und Ho-
belſpaͤne zu eſſen geben, da er das Feuer mit ſo
theuern und koͤſtlichen Spezereien angemacht hat.
Dergleichen Narren haben ſie hier in England nicht,
dazu mußten wir heruͤber kommen, um den Leuten
ein ſolches Beiſpiel zu geben. Was das nur fuͤr
ein Ende nehmen wird, das Brod an einem Feuer
zu backen, wie es die Heiligen im Paradieſe nicht
haben, ſo daß uns jede getrocknete Pflaume, ſchlecht
gerechnet, an die zehn Thaler koſtet, kann nimmer-
mehr zum Guten ausſchlagen; ein Feuer haben
wir drinn, fuͤr den hoͤchſten Potentaten nicht zu
ſchlecht, ſeine Suͤnden drinn abzubuͤßen.


Theodor kommt.

Theodor..

Man haͤlts nicht aus fuͤr Wohl-
geruch; wahrlich, ich merke, der Menſch kann im
Verhaͤltniß mehr Geſtank als treffliche Duͤfte er-
tragen: das Feuer iſt Wohlgeruch, der Saal eine
Blume, und dann die koſtbaren Oehle und Eſſen-
zen umher geſprengt, daß man in Ohnmacht fal-
len moͤchte. Sapperment! wie kommt der Menſch
auf ſolche unmenſchliche Anſtalten? Sieh da, Diet-
rich; wie gehts, mein guter Eſel?


Dietrich.

Wohl, gnaͤdiger Herr, zu euren
Dienſten.


Theodor..

Du willſt in meine Dienſte treten?


Dietrich.

Nein, Herr Graf, ich bin nur
außerhalb eures Dienſtes zu euren Dienſten.


Theodor..

Ich verſteh dich nicht.


Dietrich.

Je nun, ich bin zu euren Dien-
ſten euch nicht zu bedienen.


Theodor..

Mach dich deutlich.


Die-
[305]Fortunat.
Dietrich.

Denn ich will ja noch bei mei-
nem Herrn bleiben.


Theodor..

Ah ſo!


Dietrich.

Aber es kann wohl einmal Rath
dazu werden — vielleicht — wenn — indem — als —


Theodor..

Nun?


Dietrich.

Ich will ſagen, wenn es meinem
Herrn vielleicht einmal miſerabel geht, wie es doch
moͤglich iſt, zumal bei der Verſchwendung, — aber
ſo lange er noch reich iſt, will ich wie ein treuer
Freund bei ihm aushalten.


Theodor..

Du haſt Vernunft. Komm mit
hinein, du kannſt mir immer ſchon ein Bischen im
Voraus aufwarten, aber mach' dich nicht zu nahe
hinter meinen Stuhl, ich fahre gern mit den El-
lenbogen etwas weit aus. —

(Dietrich geht ab)


Aha! Lady Dorothea.


L. Dorothea koͤmmt.

Theodor..

Iſts euch auch zu duftig drinne?


Dorothea.

Ich wollte euch nur an euer
Verſprechen erinnern.


Theodor..

An welches? Denn ich habe euch
gar vielerlei verſprochen.


Dorothea.

Ich nehme mein Wort zuruͤck,
wenn ihr nicht die Summe in eure Gewalt brin-
gen koͤnnt, daß wir nach unſrer Vermaͤhlung mit
Bequemlichkeit und Glanz durch Italien, Frank-
reich, Spanien und Portugal reiſen koͤnnen, denn
Reiſen iſt meine Paſſion.


Theodor..

Mein Alter iſt zu filzig, und denkt
auch noch gar nicht ans Sterben, — ich muͤßte
III. [ 20 ]
[306]Zweite Abtheilung.
ſehn, wo ein Freund, — zwar iſt die Summe, die
ihr dazu beſtimmt, gar zu groß.


Dorothea.

Andaloſia iſt noch ein Mann,
dem eine Dame, ohne ſich zu erniedrigen, ihre
Liebe ſchenken koͤnnte.


Theodor..

So? ſolchem Gelbſchnabel! Aber
mir faͤllt ein, der Unmuͤndige hat mehr Geld als
Verſtand, er ſpielt den Großmuͤthigen, dem will
ich morgen zuſprechen, es muß ihm eine Ehre ſeyn,
mir zu borgen. Kommt nur, daß man uns nicht
vermißt.


Dorothea.

Ei, ihr ſeyd zu zaͤrtlich um mich
beſorgt.


Theodor..

Was ſich nicht ſchickt, ſchickt ſich
nicht. — Ueber des Menſchen Geldkaſten moͤcht'
ich mal kommen duͤrfen!

(ſie gehn ab.)

Andaloſia koͤmmt.

Andaloſia.

Es iſt gelungen, alle ſind erſtaunt,
Wie Maͤrchenwelt und wildes Traumgeſicht
Umduftet und umſtarrt ſie Glanz und Pracht,
Und o! was jenſeit aller Wuͤnſche mir
Dem fernſten Ufer aller Moͤglichkeiten
Noch geſtern lag, das reift die heutge Sonne
Und bringt es auf dem Fittig ſchneller Stunden
Und ſchuͤttet es zu meinen Fuͤßen aus,
Das Gluͤck, das mehr als Gold, Juwelen, Perlen,
Ja als die ganze weite Erde gilt,
Was ich mit meinen Schaͤtzen nie mag kaufen,
Die Lieb' hat ſich zu eigen mir gegeben.
Sie koͤmmt hieher zu dieſer ſtillen Laube,
Die Waͤchter ſind geſtellt, ſie wagt's um mich.


[307]Fortunat.
Agrippina koͤmmt.

Agrippina.

Erkennt ihr auch, welch Opfer ich euch bringe?


Andaloſia.

O Goͤtterglanz! ſo faͤllt denn Licht des Aethers
Dort aus dem Innerſten des innern Himmels,
Der Gegenwart Gefuͤhl in meine Seele?


Agrippina.

Sie ſind beim Feſt noch alle, luſtberauſcht,
Ein Zeichen giebt mir meine Kammerfrau
Wenn irgend ſich Gefahr dem Garten naht.


Andaloſia.

So liebt ihr mich, ihr Einzge, Auserkohrne?
Noch einmal laß das Wort von ſuͤßen Lippen
Auf dieſen Rubinſtraßen durch das Thor
Von Perlen gehn, das Wort, das wie der Phoͤnix
Mir ſuͤß're Toͤne rauſcht, als die Muſik
Die rings aus allen Lauben um uns klingt.


Agrippina.

Ja, du Verraͤther, ja, ich liebe dich,
Ich muß dich lieben, gegen meinen Willen.


Andaloſia.

So unfreiwill'ge Liebe waͤre moͤglich?


Agrippina.

Ich fuͤhl' es nur zu ſehr, denn die Vernunft,
Die Pflicht die ich den Eltern ſchuldig bin,
Die ſelbſt der Staat — o traurig hartes Wort —
Darf von mir fordern, alles zieht mich ruͤckwaͤrts,
Doch blinde Leidenſchaft treibt mich voran,
Und ihr gehorch' ich gegen meinen Willen.
Und was ſoll nun mit dieſer thoͤr'gen Liebe?
Weh mir! ihr duͤrft mein Gatte nimmer werden!
[308]Zweite Abtheilung.
Ach! daß aus dieſem Hauſ' ich bin entſproſſen,
Daß nicht die ſtille Schaͤferhuͤtte mich,
Ein frommer Schaͤfer einſam groß gezogen.


Andaloſia.

O laß den Kuß auf zarte Wangen druͤcken
Und ſagen, daß die Lieb' in alten Zeiten
Wie in den Tagen jezt, die Staͤnde gleich,
Das Hohe niedrig, Niedres hoch gemacht.


Agrippina.

Koͤnnt' ich mit dir in weite Welt entfliehen,
Den Koͤnig, meinen alten Vater toͤdten?
Auch ſelbſt auf fernen Inſeln wuͤrd' uns dann
Der maͤcht'ge Arm erreichen und beſtrafen.


Andaloſia.

Iſt es denn nur der prieſterliche Seegen,
Weltlicher Vortheil oder Eigennutz,
Der Stammbaum und des Aberglaubens Satzung
Was liebetrunkne Herzen darf vereinen?


Agrippina.

Verſteh' ich dich? Willſt du die innige Liebe,
Die ich zu dir in meinem Herzen trage,
So ganz verblenden, daß in Labyrinthe
Erſt zauberreich dann grauenvoll ich irre?


Andaloſia.

Sagt uns nicht manche alte Liebesſage
Von edlen Herzen, die ſich ſo gefunden?
Wie wurde Iſot Triſtan denn verbunden?
Ein ſchoͤn Geheimniß huͤllte wunderbar
Wie Daͤmmerlauben ein die Liebenden,
Und ſuͤßte ihnen zaubriſch den Genuß.


Agrippina.

O boͤſer, boͤſer, hinterliſtger Mann,
Was thaͤt ich nicht um dich, wenn du mich baͤteſt?
[309]Fortunat.
O welche Welt ich von Vertraun zu dir
In meinem Herzen trage, welchen Glauben,
Mein' ich doch ſelbſt, es ſey das Schlimme gut,
Wenn nur dein holder Mund mich ſo belehrt.
Liebſt du mich denn, vertrauſt mir eben ſo?


Andaloſia.

Du zweifelſt? Sprich, was ſoll ich fuͤr dich thun?
Setz' meine Treue, mein Vertraun auf Proben,
Dein herber Zweifel koͤnnte mich vernichten.


Agrippina.

Biſt du mir der, der du verſprichſt zu ſeyn, —
So komm', wann heute die verſchwiegnen Schatten.
Die Erde decken, ſtill und unſichtbar
Zu meiner Kammer —


Andaloſia.

Himmliſches Entzuͤcken!
Werd' ich bis dahin in dem Taumel-Rauſch,
Im Schwindel meiner Seele leben koͤnnen?


Agrippina.

Allein —


Andaloſia.

Du zauderſt? Was verhehlt dein Mund?


Agrippina.

Nur die Bedingung, die die Thuͤr dir oͤffnet.


Andaloſia.

O nenne ſie noch ſchneller als ich frage.


Agrippina.

Mit Kraͤnkung hab' ich ſtets vernehmen muͤſſen
Wenn Neidiſche von dir verdaͤchtig ſprachen,
Ich fordre nichts, als was du ſelber biſt.
Doch hoff' ich auch, daß jene dich verlaͤumden:
Der eine, achtend nicht der edlen Sitte,
Der Kunſt des Lanzenſtechens, Pferdetummelns
[310]Zweite Abtheilung.
Sagt dreiſt, du ſeyſt nichts als ein Kaufmannsſohn,
Der Summen ſeinem Vater frech entwandte;
Der ſpricht noch dreiſter, du ſeyſt gluͤcklicher
Corſar, der, was er raubte, leicht verſchwendet.


Andaloſia.

Die Jaͤmmerlichen! Niedrig erſt zu ſchmeicheln,
Und hinterruͤcks mit boͤſem Wort zu morden!


Agrippina.

Nein, zuͤrne nicht, du bleibſt doch der du biſt,
Und wollte dich die ganze Welt verkennen,
Nur daß es mich im tiefſten Herzen kraͤnkt
Iſt wohl begreiflich; liebt' ich dich denn ſonſt?
Ich weiß, du biſt aus niedrem Stamme nicht,
Nicht Raub und Mord gab deine Schaͤtze dir,
Doch mir zu zeigen, daß du wahrhaft liebſt,
Daß ich und du im Herzen eins nur ſind,
Entdecke mir wahrhaftig, woher dir
Des Goldes Fuͤlle mehr als Koͤngen ward.


Andaloſia.

Ich glaubte, groͤß're Pruͤfung zu beſtehn:
Doch wenn ich nun dir wahrhaft Antwort gebe —


Agrippina.

Nimm dieſen Kuß als ſtilles Unterpfand,
Daß wenn du nicht mit mir argwoͤhniſch zauderſt,
Ich jeden Argwohn laſſe: — komm zu Nacht!


Andaloſia.

Nie wird des Goldes Fuͤlle mir ermangeln,
So lang' ich dieſen Zauberſaͤckel habe,
Der ſich von meinem Vater mir vererbte.


Agrippina.

Wie? dieſe Taſche, alt und unanſehnlich?
Gieb her, daß ich ſie naͤher mir betrachte.


[311]Fortunat.
Andaloſia.

Greif nur hinein.


Agrippina.

Was find' ich da? der Saͤckel
War leer, — noch einmal, — und die Hand voll Gold.


Andaloſia.

Sie fuͤllte ſich, und wenn du Jahre lang
Den Inhalt unermuͤdet leeren wollteſt.


Agrippina.

Das iſt ein Wunder, groͤßer, ſonderbarer,
Und herrlicher, als nur die Dichter traͤumen.
Begluͤckter Juͤngling, Liebling aller Goͤtter,
Ja, daß ich dich erkohr, iſt mein Triumph,
Denn du ſtehſt hoͤher mir als Fuͤrſt und Koͤnig. —
Sie giebt das Zeichen, — man bricht wohl ſchon auf,
Leb wohl, — ich ſeh' dich heut noch in der Nacht.


(ſchnell ab.)

Andaloſia.

Und iſt es moͤglich? Iſt die hoͤchſte Wonne
Sich uͤbereilend, uͤberſtuͤrzend mir
Auf Fluͤgeln meiner Wuͤnſche angelangt?
Und faſt entſetz' ich mich, daß dieſe Welt,
Das ganze kuͤnftge Leben, wuͤrd' ich auch
Jahrhunderte durchaltern, nichts mir bietet,
Daß dieſen Stunden ſich vergleichen duͤrfte.
Noch Tage, Wochen haͤtte die Erſcheinung
Verzoͤgern duͤrfen, daß ich mich gefaßt,
Daß ich den Muth gewonnen, dieſe Beute
Als mein mit leichtem Herzen zu ergreifen.
Schwebſt du um mich vielleicht, Geiſt meines Vaters,
Der du in Schmach, im Kerker dich geaͤngſtet,
Der wohl des Koͤnigs Majeſtaͤt erſchaut
Aus bloͤder Ferne nur im Volksgedraͤng,
[312]Zweite Abtheilung.
Siehſt du vielleicht den frohen, muthgen Sohn,
Der an derſelben Staͤtte hier nicht zagt,
Arm, Herz, Begier nach dieſer Koͤnigstochter
Kuͤhn auszuſtrecken, o ſo laͤchelſt du
Der wunderbaren Schickungen gewiß.
Mit frohem Staunen ſiehſt du den Erzeugten
Nun auf des Gluͤckes hoͤchſtem Gipfel ſchweben. —
Die Gaͤſte ſind entfernt, im Taumel hier
Verſaͤum' ich ihnen Lebewohl zu ſagen.


Dietrich.
koͤmmt.

Was ſtreichſt du hier herum, du traͤger Lotter?


Dietrich.

Verzeiht, ich ſchnappe hier nach friſcher Luft.
Die Gaͤſte haben koͤniglich geſchmaußt,
Sind koͤniglich betitelt, koͤniglich
Bedient, doch war ihr Trinkgeld buͤrgerlich,
Man konnte kaum den Edelmann drinn leſen.
Man hat wohl Recht, der ganze Hof iſt geizig.


Andaloſia.

Da, Koth, nimm das, und ſey zufrieden heut.

(ab.)

Dietrich.

Wie, Koth? Warum denn Koth? Nicht Dietrich?
Du Laffe, Eſel, Taugenichts, dergleichen?
Gerade Koth? Und wirft den Beutel Gold
So ſchwer, ſo voll mir vor die Fuͤße hin:
Ich hoͤrte pred'gen einſt, auch Gold ſey Koth;
Drum gieb dich, goldner Dietrich, nur zufrieden,
Und fiſche hinterm Baum das Gold heraus
Das du ſo eilig heut vergraben mußteſt.
Bei dem Gehalt laß ichs mir wohl gefallen,
Daß in den Kothſtand mich mein Herr erhoben.


(geht ab.)

[313]Fortunat.
Achte Scene.

(Pallaſt.)

Die Koͤniginn, Agrippina.

Koͤniginn.

Aber Du wagſt doch nicht zu
viel, meine Tochter? Du haſt doch den Saͤckel ge-
nau betrachtet, und dieſer, den Du beſtellt haſt,
iſt genau eben ſo, mit denſelben Schnuͤren, den-
ſelben Baͤndern?


Agrippina.

Traut mir nur zu, liebe Mut-
ter, daß ich ihn nicht bloß obenhin angeſehn habe.
Ich habe ihn auch zerrieben, und im Graſe liegen
laſſen, damit er ganz das Anſehn von einem
ſolchen bekaͤme, den man ſchon viele Jahre ge-
braucht hat.


Koͤniginn.

Nur vorſichtig, liebes Kind, ich
zittre fuͤr Dich.


Agrippina.

Seyd unbeſorgt, Mutter; Agrip-
pina hat den Schlaftrunk ſchon bereit, dem er
nicht widerſtehn kann.


Koͤniginn.

Ich hoͤre kommen.


Agrippina.

Entfernt euch, er iſt es ge-
wiß. — Margarethe! nimm den Herrn in Em-
pfang.

(ſie gehn.)

Margarethe tritt auf.

Margarethe.

Das iſt doch bei alle dem
ein ſonderbarer Auftrag, wenn mir nicht ſo ſehr
viel verſprochen waͤre, ſo moͤchte ich dem gnaͤdigen
Herrn wohl die ganze Sache verrathen, denn er
iſt der freigebigſte Menſch von der Welt; indeſſen,
wes Brod ich eſſe, des Lied ich ſinge: ſcheint's
[314]Zweite Abtheilung.
ja bei alle dem nur ein ganz unſchuldiger Spaß
zu ſeyn, um den die Mutter ſelber weiß.


Andaloſia tritt ein.

Margarethe.

Da ſeyd Ihr ja, ſchoͤnſter
Herr Graf, die Prinzeſſinn wird den Augenblick
erſcheinen.


Andaloſia.

Hier, gute Alte, nimm fuͤr
Deine Liebe und Treue dieſen Beutel mit Gold,
als ein geringes Unterpfand meiner Erkenntlich-
keit, denn Deine Dienſte ſollen noch anders be-
lohnt werden.


Margarethe.

Laßt mich die ſchoͤnen, lieben,
weißen Haͤnde kuͤſſen, goͤttlicher Mann, Ausbund
aller Schoͤnheit, ach! Ihr verdient das allerhoͤchſte
Gluͤck, das der Himmel nur den Menſchen be-
ſcheeren kann.


Andaloſia.

Das wird mir heut.


Margarethe.

Gewiß, gewiß, doch —


Agrippina tritt ein, Margarethe ab.

Andaloſia.

O meine Sonne! mein Him-
mel! wie glorreich gehſt Du mir auf! Warum
trittſt Du mir ſo geſchmuͤckt, mit dieſem Geſchmeide
entgegen?


Agrippina.

Zittr' ich nicht vor dem Au-
genblick, indem Dein Wahn der Entzuͤckung von
Dir moͤchte genommen, und Dein ernuͤchtertes
Auge dann keinen der Reize mehr ſehn werde, die
Du jetzt an mir bewunderſt? Recht glaͤnzend
moͤcht' ich Dir erſcheinen, die ſchoͤnſte Frau der
Welt wuͤnſcht' ich um Deinetwillen zu ſeyn.


Andaloſia.

Biſt Du es nicht? Und nicht
[315]Fortunat.
die Schoͤnheit iſt es ja allein, die mich heut ent-
zuͤckt uͤber die Sterne hebt, daß Du, Du Himm-
liſche es biſt, das iſt es, was mich heut in Dei-
nen Armen wahnſinnig zu machen droht.


Agrippina.

Laß uns hier neben einander
ſitzen, und uns Aug' in Auge ſpiegeln, Red' in
Rede fluͤſtern, und Kuß auf Kuß druͤcken, um
unſre Schwuͤre zu beſiegeln.


Andaloſia.

Komm dort hinein, Geliebte,
in das lezte, heiligſte Aſyl unſrer geheimen Liebe,
entlade Dich dort dieſes beſchwerlichen Schmucks,
daß ich nichts ſehe, nichts fuͤhle als Dich allein.


Agrippina.

Mein Theurer, noch wenige
Zeit; ich zittre, meine Mutter duͤrfte noch wachen,
ihr Gemach iſt nicht fern vom meinigen.


Margarethe koͤmmt mit einem Becher.

Margarethe.

Hier iſt der Trunk, gnaͤdiger
Herr Graf, bevor Ihr Euch niederlegt.

(geht ab.)

Andaloſia.

Credenze mir, Geliebte, und
wo Du Deine Lippen andruͤckteſt, nehme ich den
Kuß dem Becher wieder, um meinen Nektar aus
dem Golde zu ſaugen.


Agrippina.

Auf Dein Wohl, auf Deine
Liebe!


Andaloſia.

Meine ganze Seele duͤrſtet, Dir
dieſen ſuͤßen Gruß zu erwiedern.

(trinkt.)

Agrippina.

Haſt Du ihn geleert, den
Becher?


Andaloſia.

Kein Tropfen iſt zuruͤck geblie-
ben, denn keine ungeweihte Lippe ſoll von dem
fluͤſſigen Golde genetzt werden, in welchem theurer
[316]Zweite Abtheilung.
als die theuerſte Perle der Wunſch Deiner Liebe
zerlaſſen iſt.


Agrippina.

Ich ſinne, wie ich die Fuͤlle
Deiner Liebe erwiedre.


Andaloſia.

Biſt Du denn nicht mein?
Dieſe Liebe unſrer beiden Herzen iſt ja nur Eine
Liebe, was in Dir klingt toͤnt auch in meiner Bruſt,
und wie Wellen fließen unſre bruͤnſtigen Seelen in
einander.


Agrippina.

Wie ſuͤß toͤnt in ſtiller Nacht
von des Geliebten ſchoͤner Lippe die Rede uͤber die
Liebe, die Einſamkeit iſt wie ein langer ruhender
Kuß, und unſer Innres erzittert wie es ſich der
unſichtbaren Welt und den Liebesgeiſtern entge-
gen ſehnt.


Andaloſia.

Doch warum ſprechen wir und
kuͤſſen nicht?


Agrippina.

Auch das Wort, das Geſtaͤnd-
niß der Liebe traͤgt Wonne in ſich.


Andaloſia.

Mein Hoffen, mein inbruͤnſti-
ges Sehnen, die ploͤtzliche Erfuͤllung, der blendende
Glanz meiner Seeligkeit, Deine ſuͤße Gegenwart
in holder heimlicher Nacht, das Nachtigallenfloͤten
Deines Mundes, alles, alles umfaͤngt und um-
webt mich mit Strahlen von Wonne, und ſchau-
kelt mich auf den Wogen von Paradieſes-Fluͤſſen,
daß dieſes ſterbliche Weſen des Leibes in holdſeli-
ger Ermattung verſchwimmt, und alle Gedanken
und Empfindungen verdaͤmmern in der Blumen-
umlaubung Deiner Naͤhe.


Agrippina.

O wie verſteh' ich Dich ſo
ganz und freue mich des zarten Sinns.


Andaloſia.

Ja, eine ſelige Ruhe, eine
[317]Fortunat.
himmliſche Muͤdigkeit, ein Ermatten wie das zum
Himmel Entſterben der Heiligen rieſelt, flutet,
fluͤſtert durch mein ganzes Weſen und ſingt dem
Geiſt ein Wiegenlied, wie Venus es wohl dem
Amor ſang.


Agrippina.

Deine Reden fallen ſo lieblich
in mein Ohr, wie im Fruͤhling die Bluͤthen vom
Baum.


Andaloſia.

Wie ſchoͤn geſagt, wie fried-
lich — wie ſanft und — und — hold? nicht
wahr?

(gaͤhnt)

Verzeih, ich weiß nicht, warum
ich Dich unterbreche.


Agrippina.

O mein Suͤßer, mein Trauter!


Andaloſia.

Wahrlich, Du Engelsbild, noch
nie —

(gaͤhnt)

Nie, niemals — Was ſagteſt Du
doch?


Agrippina.

Nichts, mein Theurer.


Andaloſia.

Nichts? Nichts?

(gaͤhnt)

Nichts,
mein Engel, will viel ſagen, denn —

(gaͤhnt)

Ich
weiß nicht, — es muß ſchon ſpaͤt ſeyn, denn die
Augen wollen wir zufallen — aber Du ſprichſt
auch gar nichts.


Agrippina.

Ich hoͤre Dir zu, Du Wonne
meines Herzens.


Andaloſia.
(gaͤhnt)

Ja, es hoͤrt ſich gut
zu, wenn Leute ſo reden, — vollends —

(gaͤhnt)


ſo recht begeiſtert uͤber das Himmliſche

(gaͤhnt)


der Liebe, — nur nicht Geſchwaͤtz, wenn ein Menſch
ſchlafen will, denn alsdann — mein Schatz, iſt es
zur Unzeit, — und den Fehler ſcheinſt Du mir zu
haben.


Agrippina.

Ich? Iſt Dir meine Liebe jetzt
ſchon gleichguͤltig?


[318]Zweite Abtheilung.
Andaloſia.

Nein, das nun eben auch
nicht —

(gaͤhnt)

aber — Ruhe muß der Menſch
haben, — denn Ruhe — ſieh, iſt der Ruhe wegen
nothwendig. — Ei, mir daͤucht, ich falle mit dem
Kopf auf den Tiſch. — Tiſch! Tiſch! Ein ein-
faͤltiges Wort. — Warum muß nun hier gerade
ein Tiſch ſtehn? — Dietrich! Dietrich!


Agrippina.

Was ſoll er? —


Andaloſia.

Was Du ſollſt, Du fauler
Menſch? Mich zu Bett bringen — das duͤnkt
dem Fratzengeſicht wohl zu viel — Dietrich — ah!
liebſter Engel! Du biſt da? Verzeih, ich war ein
wenig in Gedanken.


Agrippina.

Du biſt muͤde und ſchlaͤfrig.


Andaloſia.

Ja, mein Kind, weil der Diet-
rich nun wieder hinein gelaufen iſt — hole mir
doch mal den Flegel, er muß in der Naͤhe ſeyn, —
ich muß mich niederlegen.


Agrippina.

Komm, daß ich Dich ſelber
fuͤhre. — Margarethe! Margarethe!


Margarethe koͤmmt.

Andaloſia.

Ja, Dietrich, ja, Du biſt eine
ganz gute Haut, — nur taugſt Du nichts, — kein
gutes Haar an Dir, —

(immer gaͤhnend)

Agrippina.

Lege Dich auf dieſes Ruhebett
hier, mein Trauter.


Andaloſia.

Ich traute Dir ja, — frei-
lich — je nu, — koͤmmt Zeit, koͤmmt Rath, Af-
fengeſicht.

(ſie gehn in das zweite Zimmer)

Margarethe.

Er weiß ſich vor Schlaf
nicht zu laſſen; es iſt zum Lachen, was ſich die
Prinzeß fuͤr Schmeicheleien von ihm muß ſagen
[319]Fortunat.
laſſen. Nun ſchlaͤft und ſchnarcht er ſchon: ich
dachte wohl, daß der ſtarke Schlaftrunk ſo ſchnell
wirken muͤſſe.


Agrippina koͤmmt

Agrippina.

Hier, Margarethe, nimm dieſe
Taſche und naͤhe ſie dem Feſtſchlafenden ſchnell
und behende ſo an das Wamms, wie er dieſe trug.
Aber nimm Dich in Acht, daß er nicht mun-
ter wird.


Margarethe.

Hat nichts zu ſagen, gnaͤ-
digſte Fuͤrſtinn, drei Schneider koͤnnten ſich jetzt
auf ihn ſetzen, und arbeiten und buͤgeln, er merkt:
nichts davon.

(ab.)

Agrippina.

Endlich errungen! — Ich faſſe
hinein — richtig, zehn ſchoͤne goldne Muͤnzen —
und wieder, — und wieder — o welche Wonne!
Ich entfliehe mit meiner Beute in die innerſten
fernſten Gemaͤcher, bis er fort, — und dann, o
Du himmliſches, glaͤnzendes, lachendes Gold, dann
will ich nimmer mehr der toͤnenden Liebesreden
aus dieſem welken, unſcheinbaren Munde ziehn,
und Dir, nur Dir leben und ſeyn.

(geht ab.)

Margarethe koͤmmt zuruͤck

Margarethe.

Nun waͤre das auch ge-
ſchehn. — Er ſchnarcht aber ſo ſtark, daß es un-
anſtaͤndig wird, denn die Schildwachen draußen
muͤſſen ihn hoͤren koͤnnen. Sie muͤßten denn etwa
denken, es waͤre des Koͤnigs Majeſtaͤt ſelbſt, der
ſich bei der Koͤniginn befaͤnde, und es iſt wahr,
der hohe Mann kann auch in dieſem Orgelſpiel
[320]Zweite Abtheilung.
etwas leiſten, was man nicht alle Tage hoͤrt, denn
er hat beſonders die tiefen Toͤne ſo in ſeiner Ge-
walt, und die ſchnellen gurgelnden Paſſagen, die
dann ploͤtzlich in die Hoͤhe hinauf tremuliren, und
mit einem Schnelltriller dann wieder in den ruhi-
gen geſetzten Ton herabſpringen, daß man uͤber
die ungeheure Fertigkeit erſtaunen muß. Wenn
dann die liebe alte Koͤniginn auch anfaͤngt einzu-
ſtimmen, die ſich mehr auf die Lachtoͤne gelegt hat,
und immer ganz ploͤtzlich mit einem Seufzer ab-
ſchnappt, ohne die Cadenz zu Ende zu fuͤhren,
dann ohne alle Harmonie und Uebergang mit den
abgebrochenen roͤchelnden kurzen Saͤtzen wieder an-
faͤngt, ſo ſchnarchen und fugiren die beiden Herr-
ſchaften ein aͤußerſt wunderſames Duett. — Was
aber der einfaͤltige Spaß mit der Vertauſchung
der Saͤckel nur bedeuten ſoll? Und dazu die vie-
len Anſtalten, die Heimlichkeit, die Gefahr ſeinen
guten Namen zu verlieren? Ja, die Langeweile
treibt die Menſchen zu wunderbaren Sachen. —
Er wird immer noch nicht munter, und der Mor-
gen faͤngt ſchon an zu daͤmmern. Wie wird der
gute Menſch verdruͤßlich werden, wenn er merkt,
daß man ihn mit dieſer Liebe nur genarrt hat.
Ich muß ihn aufwecken und aus dem Schloſſe
ſchaffen, meine Reputation koͤnnte ſelbſt dabei lei-
den. — Er ruͤhrt ſich, ja. — Seht doch die
Impertinenz, nur um ſich auf der andern Seite
wieder zurecht zu legen. — Nein, mein gnaͤdiger
Herr Graf,

(ſie geht hinein)

ſo iſt es nicht gemeint,
das darf hier nicht ſein;

(ruͤttelt ihn)

ermuntert euch
doch, und ſeht um euch, daß das hier keine Schlaf-
ſtelle fuͤr euch iſt.


An-
[321]Fortunat.
Andaloſia.
(erwacht.)

Wo bin ich?


Margarethe.

Wo anders als im koͤnigli-
chen Schloſſe? ums Himmels Willen, es wird
ſchon Tag, macht Euch davon.


Andaloſia.
(taumelt heraus.)

Wie bin ich
denn hierher gekommen?


Margarethe.

Je nun, die Jugend, — die
Liebe, — Prinzeſſinnen, ſo hoch geboren ſie ſind,
bleiben doch auch Menſchen —


Andaloſia.

Die Prinzeſſinn? — Ich er-
innre mich, — wo blieb ſie?


Margarethe.

Das arme Herz, wie ſie ſah,
daß der gnaͤdige Herr ſo ſehr ſchlaͤfrig war, und
ungeachtet aller Liebkoſungen, aller zaͤrtlichen Worte
immer wieder einſchlief —


Andaloſia.

Ich? alter Narr?


Margarethe.

Habt ihr denn nicht noch
eben auf dem Ruhebett dort ſchnarchend gelegen?


Andaloſia.

Himmel! Wie ein Thier habe
ich alle Beſinnung verloren.


Margarethe.

Recht iſt es nicht, beſter
Herr, und die gnaͤdige ſchoͤne Prinzeß wird Euch
nun wohl recht boͤſe ſeyn.


Andaloſia.

Ich verdiene ihren Zorn, ich
Unwuͤrdiger. Noch weiß ich mich nicht zu ſam-
meln, mein Kopf iſt ſchwach, mein Gehirn erſchoͤpft,
o wie werd' ich erſchrecken, wenn ich meine volle
Beſinnung wieder finde. Leb wohl und ſchweig.


(geht ab.)

Margarethe.

Gimpel! Schweig! Was
giebts denn hier zu verſchweigen? Ich fuͤrchte,
die Koͤniginn und die Prinzeß werden Euch ſelbſt
damit aufziehn und Euch in die Naſe lachen, daß
III. [ 21 ]
[322]Zweite Abtheilung.
Ihr Euch aus Eitelkeit ſo leicht bethoͤren ließet.
Schweigt! Er ſpricht, als wenn er ein Koͤnig
waͤre, der fremde unbekannte, wetterwendiſche junge
Herr.

(geht ab.)

Neunte Scene.

(Zimmer.)

Andaloſia.
allein.

So wandelt dumpf ein Thier in Paradieſen,
Und ſieht nicht Blum' und Frucht, ſo reißt der
Wahnſinn
Den Freund und die Geliebte roh zerfleiſchend
Sich ſelbſt mit grimmen Biß die Glieder wund,
So bin ich ſelbſt mein eigner dummer Feind,
Durch eigne Schuld aus meinem Paradies
Schmachvoll vertrieben, ich im boͤlden Sinn
Zerriß ſelbſt meine Liebe. — Wie nur war es,
Wie moͤglich nur, daß dieſer thierſche Schlaf,
Der dumpfe Sklave der Natur, den Geiſt,
Der himmelan mich trug, bewaͤltgen konnte?
Die ſchwere Schuld muß ich ſogleich verſuͤhnen,
Ein praͤchtiges Bankett ſoll wiederum
Den ganzen Hof in meine Gaͤrten ziehn,
Die ſchoͤne Fuͤrſtinn wird durch Flehn erweicht,
So ſchnell kann Herzensliebe nicht erſterben,
Sie uͤberſieht den Fehl und Venus ſendet
Aus ihrem Himmel meine Wonneſtunde.
Doch wenig Gold hab' ich in Vorrath noch,
[323]Fortunat.
Ich eile um den Reichthum herzuſtellen. —
Wie? — Was iſt das? — Leer, immer leer der
Saͤckel? —
Ich traͤume nicht, — wie, ſollte Ampedo,
Der Bloͤde recht mit der Vermuthung haben?
Iſt wohl die Zauberkraft erſchoͤpft und todt? —
O nein, ich Bloͤder, Bloͤder, Raſender!
O ich Getaͤuſchter, plump, arg, arm Betrogner!
Wie man Schulknaben wohl und Gaſſenjungen
Um Aepfel oder Nuͤſſe hintergeht,
Wie Bauernvolk in dem Gelag der Schenken
Mit grob geſpon'nem Witze uͤbertoͤlpelt —
Ja, Toͤlpel, Narr, Bloͤdſinniger, Dummkopf ich!
Bedurfteſt Du des Schlaftrunks wohl, in der
Betaͤubung dummer, alberner zu werden?
Nimm dieſen Kopf, der mit Verſtand nicht dient,
Der kaum den Sinn hat Gras Dir aufzufinden,
Dem Hoͤrner nur noch mangeln Thier zu ſeyn,
Nimm ihn, zerſchmett'r ihn an der erſten Wand!
Was bleibt mir als Verzweiflung? — Was mir
bleibt?
Das Leben doch, die Jugend, die Geſundheit,
Die Hoffnung, kuͤnftig kluͤger noch zu werden,
Die Kraft, die eigennuͤtz'ge Taͤuſcherinn
Mit ganzem vollem Herzen zu verachten.
So ſey es, und dann den Verſuch gemacht,
Was ich verloren wieder zu erobern.


Der Haushofmeiſter koͤmmt.

Haushofmeiſter.

Ich komme, von dem Munde meines Herrn
[324]Zweite Abtheilung.
Befehle zu empfangen, wie das Feſt
Nach ſeinem Wohlgefallen einzurichten.


Andaloſia.

Vorerſt ruft ſchnell die ganze Dienerſchaft.

(Haushofmeiſter ab.)


Nicht in Bedraͤngniß Rath zu finden wiſſen
Iſt nicht des feſten Mannesſinnes wuͤrdig,
Hinweg, Du falſche Schaam, geſchehe frei
Mit Heiterkeit was doch geſchehen muß.


Alle Diener treten herein.

Andaloſia.

Ihr guten, treuen Leute, die bisher,
Das muͤßt Ihr ſelbſt bezeugen, frohe Tage
Mit mir gelebt, die ich beſchenkt, gepflegt,
Und nie gedruͤckt: es iſt anjetzt mein Wille,
Einſam und unbekannt in fremden Landen
Geluͤbden treu auf ein'ge Zeit zu leben,
An Lohn bin ich bei keinem in der Schuld,
Ihr habt voraus, behaltet was Ihr habt,
Die koſtbaren Livreen, Pferd' und alles,
Zwei Pferde nur behalt' ich mir; lebt wohl!
Erwiedert nichts; wozu, daß wir uns ruͤhren?
Je mehr Ihr mich geliebt zeigt um ſo mehr
Daß Ihr mit Schweigen alle mich verlaßt.

(Diener ab.)


Du, Dietrich, bleib. Mich zwingt ein ſeltſam
Schickſal.
Allein und ſparſam nach dem Vaterland
Nach Cypern heimzukehren, und ich will
Mit Dir die Reiſe machen.


[325]Fortunat.
Dietrich.

Aber ich
Will nicht, mein Herr; ei, ſeht mir doch den Antrag!
Ich alſo bin der einz'ge, ſchlecht genug
Und gut genug, auf knapper Pilgerfarth
Euch wie 'ne Kuͤrbisflaſche zu geleiten,
Die man nur unterwegs mit Waſſer fuͤllt,
Da Ihr die andern alle fortgeſchickt?


Andaloſia.

Ich glaubte, mich gefaͤllig Dir zu zeigen,
Da du aus Cypern biſt, und Deinen Vater
Gern wieder ſiehſt; was willſt Du unter Fremden?


Dietrich.

Sorgt nicht, mein Vater laͤuft mir nicht davon,
Wenn er nicht etwa ſtirbt, Cypern noch weniger,
Hier hab' ich unter Dienſten nur zu waͤhlen,
Ein trefflicher iſt mir ſchon zugeſagt.


Andaloſia.

So bleib, du Taugenichts, ich geh allein.


Dietrich.

Viel Gluͤck zur Reiſe! Der Graf Theodor
Koͤmmt außer ſich, daß ich nun zu ihm ziehe.

(geht ab.)

Andaloſia.

So vieles Gold beſitz' ich noch, um einſam
Nach Cypern heimzureiſen, ſeys zu Land.
Seys auf dem kuͤrzern Weg zur See. Leb wohl,
Du undankbares London, lebe wohl
Betruͤgerinn, die mit der Liebe heuchelt!


Theodor tritt ein.

Theodor..

Verzeiht, mein Theurer, daß ich frank und frei
[326]Zweite Abtheilung.
So zu euch trete, laͤngſt hab' ich gewuͤnſcht
Daß wir als Freund' uns naͤher kommen moͤchten
Wozu der Ceremonien und der Fratzen?


Andaloſia.

Ich bin in Eil, kann ich Euch worin dienen?


Theodor..

Recht ſehr: mich freut's, daß Ihr ohn' Umſchweif
ſprecht,
So macht's der brave Mann, ſo Ihr, ſo ich.
Ihr koͤnnt mich gluͤcklich machen, Euch verbinden
Auf Lebenszeit, wenn Ihr, mein Vater ſtirbt bald,
Bis dahin mir zehn tauſend Pfunde borgt.


Andaloſia.

Nennt Ungefaͤlligkeit nicht dieſes Laͤcheln
Und Achſelzucken, kamt Ihr geſtern zu mir,
So ſtand die Summe wahrlich Euch zu Dienſten,
Doch jetzt bin ich zu helfen nicht im Stande.


Theodor..

Ja, „kamt Ihr geſtern“ iſt Geſchwiſterkind
Mit dem verruchten Balg „ein andermal,“
Die Lumpen-Sippſchaft ſtammt von Luͤg und Trug,
Und Kargheit ſaͤugte ſie an ſchlaffen Bruͤſten,
Wohin man koͤmmt, ſind die Unholde da
Mit ihrem dummen Zaͤhnefleiſch und Grinſen.
Ich dachte nicht, ſo abgefuͤhrt zu werden.


Andaloſia.

Wenn Ihr mich kenntet, wuͤrdet Ihr nicht zweifeln.


Theodor..

Mag Euch nicht naͤher kennen, als ich thu,
Waͤr' eine miſerable Perſpective
In leeres Herz und Eingeweid' zu ſchaun.


[327]Fortunat.
Andaloſia.

Ihr koͤnnt mich nicht beleidgen, ſo lebt wohl.


(geht ab.)

Theodor..

Doch Dir den Hals umdrehen, filziger
Verſchwender! karger Hochmuthsteufel, Du!
Mich aͤrgert, daß ich ihm das Wort vergoͤnnt.
Die Zeit find't ſich, ihm das noch einzutraͤnken.


(geht ab.)

[328]Zweite Abtheilung.

Zweiter Akt.


Erſte Scene.

(Zimmer.)

Daniel, Diener.

Daniel.

Macht nur das Eſſen, Kinder, deckt den Tiſch,
denn Ihr wißt wohl, wenn der gnaͤdige Herr zu
Hauſe koͤmmt und findet nicht gleich alles fertig,
daß er ſich nur hin zu ſetzen braucht, ſo mault er
den ganzen Tag.

(Diener ab.)

Das iſt eine Noth
mit ſolchem ſimpeln, ſtillen, langweiligen Herrn!
Der Alte hatte noch auf ſeinem Sterbebette mehr
Leben. — Aber, ſeh ich recht? Wahrlich, der
Herr Andaloſia! So ganz allein? Ohne Gefolge?
Was hat das zu bedeuten?


Andaloſia tritt ein.

Daniel.

Iſts moͤglich, gnaͤdiger Herr, daß
meine alten Augen Euch ſo unvermuthet wieder
ſehn? Ach, welche Freude! ſo wird doch nun hier
einmal die alte traurige Langweile und Einſamkeit
etwas aufgeheitert werden!


[329]Fortunat.
Andaloſia.

Wo iſt mein Bruder?


Daniel.

Da unten in der Allee nach der
Meierei zu, auf ſeinem gewoͤhnlichen Spatziergange,
er muß bald kommen, denn nun hat er ſchon ſeine
Milch und ſein Butterbrod verzehrt, und hat ihm
der alte Meyer ſchon die Geſchichte von den jun-
gen Gaͤnſen vorgetragen, und er ſelbſt wird auch
wohl ſchon ſeinen Traum von heute Nacht ausein-
ander geſetzt haben, ſo daß er nicht lange mehr
ausbleiben kann.


Andaloſia.

Er iſt geſund und froh?


Daniel.

Lieber Himmel, ihr kennt ja ſelbſt
unſern gnaͤdigen Herrn: geſund, ja, und froh auch
auf ſeine Weiſe. Er verlangt nicht viel von der
Welt.


Andaloſia.

Wie treibt ihr es denn nun
hier?


Daniel.

Den einen Tag wie den andern;
was Gott uns an Zeit beſcheert, die verbrauchen
wir denn auch mit ſeinem Beiſtande, aber das ver-
ſichre ich Euch, wir koͤnnten hier eine Univerſitaͤt
errichten, um die Langeweile im ganzen Lande gruͤnd-
lich und auf ewige Zeiten zu ſtiften. Ich ſage
manchmal: geht doch an den Hof. — Nein. —
Macht eine kleine Reiſe! — Nein. — Ladet ein-
mal Gaͤſte. — Nein. — Wollt ihr denn nicht viel-
leicht heirathen? — Nein! — Um acht Uhr Mor-
gens ſteht der Herr auf, ſein Fruͤhſtuͤck nimmt
ihm eine Stunde weg, dann zieht er ſich an und
wieder aus, ſucht andre Kleider vor, und wechſelt
ſie wieder mit dem Schlafrock. Eine unglaubliche
Luſt ſcheint er am Auf- und Zuknoͤpfen zu haben,
denn ganze Stunden kann er damit hinbringen,
[330]Zweite Abtheilung.
oder Handſchuhe zwanzigmal anprobiren. So kommt
denn die zwoͤlfte Stunde, und er wallfahrtet nach
der Meierei. Dann wird gegeſſen und der Nach-
mittag eben ſo hingebracht. Hoͤchſtens geht der
Herr einmal auf die Jagd, aber nicht um zu
ſchießen, nur ſeinen Leuten zuzuſehn.


Andaloſia.

So haſt du es aber gut, und
wenig oder nichts zu thun.


Daniel.

Sagt das nicht, muß ich doch nach
allem ſehn, damit die Wirthſchaft nicht zu Grunde
geht; auch iſt der Herr Bruder ſo genau und gei-
tzig, daß man beinahe ſein eigenes Geld zuſetzen
muß. Ueber jeden Groſchen weitlaͤuftige Berech-
nungen, dann hat er noch das Ungluͤck, nicht zu
kapiren, und weil er nicht rechnen kann, denkt er,
jeder Menſch will ihn betruͤgen.


Andaloſia.

Er mag nicht ſo ganz Unrecht
haben.


Daniel.

Und der liebe Eigenſinn! Wenn
ich ihn an- oder auskleide, macht er alles verkehrt
und das laͤßt er ſich auch um alle Welt nicht ab-
gewoͤhnen. In der ganzen Chriſtenheit zieht man
doch gewiß den rechten Stiefel zuerſt an: er immer den
linken! jeden Morgen halte ich ihm den rechten
hin, — nichts da; ich bitte, ich werde boͤſe, ich
werfe den Stiefel weg, nehme ihn wieder, halte
ihn einladend, recht anziehend hin, nichts! er bleibt
auf ſeinem Kopf, und will ich wohl oder uͤbel,
muß ich nach halbſtuͤndigen Debatten ihm doch
gegen Vernunft und Ueberzeugung nachgeben. Das
iſt ein Kreuz mit ſolchem Herrn.


Andaloſia.

Du biſt ein Narr.


Daniel.

Außerdem hat er ſich noch eine
[331]Fortunat.
verdammte Sache angewoͤhnt, er iſt der aͤrgſte Topf-
kucker von der Welt, und wie er es anfaͤngt, iſt
unbegreiflich; denn oft ſtehn wir ganz ruhig in
der Kuͤche und ſchwatzen, mit einem male iſt der
gnaͤdige Herr hinter uns, keiner hat ihn geſehn,
keiner hat ihn kommen hoͤren; in keiner Stube iſt
man ſicher, es iſt, als wenn er durch die Waͤnde
gehn koͤnnte, dadurch wird alle Gedankenfreiheit
gehemmt, und es iſt gar kein Spaß in ſolchem
Hauſe zu machen. Aber wie koͤmmt es nur, mein
Herr Andaloſia, daß ihr ſo allein und ohne Ge-
folge reiſet?


Andaloſia.

Ein andermal davon.


Daniel.

Aber mein Sohn, der Dietrich, wird
doch wenigſtens bei euch ſeyn?


Andaloſia.

Dein Sohn? Der junge Eſel
hat ſich wie ein Halunk gegen mich aufgefuͤhrt:
als er glaubte nichts bei mir gewinnen zu koͤn-
nen, war er von meinen Leuten der einzige, der
mit Grobheit und Undank mich verließ, ob ich ihn
gleich mit mir nehmen wollte.


Daniel.

Iſt es moͤglich? Hat das ſchlechte
Kind ſo aus der Art ſchlagen koͤnnen? Muß ich
in meinem Alter den Gram erleben, Vater eines
ungerathenen Sohnes zu ſeyn? Wart Boͤſewicht!
Dir will ich den Text auslegen, wenn ich dein un-
dankbares Geſicht einmal wieder zu Geſicht krie-
gen ſollte!


Andaloſia.

Kommt nicht mein Bruder da
den Baumgang herauf?


Daniel.

Er iſt es, gnaͤdiger Herr. Nun
will ich gleich anrichten laſſen.


[332]Zweite Abtheilung.
Andaloſia.

Und ich will ihm entgegen gehn.


(ab.)

Daniel.

So recht, Dietrich! Ich ſehe, das
liebe Kind hat Verſtand, er wird ſich ſchon in der
Welt zurecht zu ruͤcken wiſſen. Er hat nicht mit
dem jungen Herrn in Compagnie eine miſerable
Figur machen wollen und Hunger und Kummer
leiden. Ephraim! Benjamin!


Zwei Bediente kommen.

Ephraim.

Was giebts, Herr Daniel?


Daniel.

Noch ein Couvert aufgelegt! Un-
ſer gnaͤdiger Herr iſt aus fremden Landen zuruͤck.
Du, Benjamin, ſuche nachher bei der Aufwartung
zu erhoͤren, warum er wieder gekommen iſt, welche
Fatalitaͤten er gehabt hat, denn von unſerm Herrn
Ampedo kriegt man doch nichts heraus, ſo maul-
faul wie er iſt und bleibt. Marſch!


(Die Bedienten ab.)

Andaloſia, Ampedo kommen.

Daniel.

Es iſt angerichtet gnaͤdige Herr-
ſchaft.


Ampedo.
(ſetzt: ſich in einen Seſſel.)

Ich kann nicht
mehr — die Ueberraſchung — der Schreck, — du,
Daniel, geh!


Andaloſia.

Geh, Alter! ich habe mit dem
Bruder zu ſprechen.


Daniel.

Wenn euch nur nichts zuſtoͤßt.


Ampedo.

Laß mich allein. —

(Daniel geht
ab.)

O Bruder, Bruder, die entſetzliche Geſchichte,
die du mir erzaͤhlt haſt, — die Unbeſonnenheit, mit
[333]Fortunat.
der du dich ungluͤcklich gemacht haſt — mir ſchwin-
delt's und dreht ſich's in allen Sinnen.


Andaloſia.

Faſſe dich nur wieder.


Ampedo.

Iſt bald geſagt. Da haben wir
nun deine ungluͤckliche Art und Weiſe und die Fol-
gen davon. Hab' ichs nicht vorher geſagt? Wie
hab' ich gewarnt! Aber natuͤrlich iſt bei dir alles
vergebens; denn wer ſich fuͤr den allerkluͤgſten
haͤlt, muß immer die allerdummſten Streiche ma-
chen. Das iſt der Gang der Natur.


Andaloſia.

Es iſt ja aber noch nicht die
Hoffnung verloren, daß ich den Saͤckel wieder ge-
winnen koͤnnte.


Ampedo.

Etwa auf die Art, die du mir
vorſchlugſt? Daß ich dir den Wuͤnſchhut gebe?


Andaloſia.

Ja, denn ſo wird es mir leicht —


Ampedo.

Einmal fuͤr allemal, daraus wird
nichts. Wir haben getheilt, da du es durchaus
ſo wollteſt, und nun behalt' ich auch mein Klein-
od, und laß es niemals aus den Haͤnden! Daß
du den Filz auch noch thoͤrichterweiſe durchbraͤch-
teſt, und wir nachher das leere Nachſehn haͤtten!


Andaloſia.

Aber, ſo laß dir doch nur
ſagen —


Ampedo.

Nichts! Diesmal wirſt du mich
nicht ſo weichherzig und nachgiebig finden. Ich
bin es meinem Vater und uns beiden ſchuldig, daß
ich unſer uͤbriges Gut erhalte und fuͤr dich mit
Verſtand habe, dazu bin ich der Aelteſte und ich
werde meine Rechte nicht unter die Fuͤße treten
laſſen.


Andaloſia.

Wenn man nicht mit dir ſpre-
chen kann —


[334]Zweite Abtheilung.
Ampedo.

Man kann mit mir ſprechen, aber
vernuͤnftig; und jezt iſt uͤberdies die Zeit zu Tiſch
zu gehen, komm nur hinein, ich muß mich ſtaͤrken
und auf meinen Schreck zu erholen ſuchen.

(ſie gehn.)

Zweite Scene.

(Straße.)

Graf Limoſin, Daniel.

Limoſin.

Es iſt alſo gewiß, wie du ſagſt,
daß mein geliebter Neffe Andaloſia wieder zuruͤck
gekommen iſt?


Daniel.

Ja, mein gnaͤdiger Herr Graf.


Limoſin.

Und er wird jezt hier bleiben?


Daniel.

Wie es ſcheint.


Limoſin.

Ich wuͤnſche, daß er ſeine Reiſe
zu ſeiner Zufriedenheit mag beendigt haben. Schoͤn,
daß er wieder da iſt, ſo kann ich auch vielleicht
ein nothwendiges Geſchaͤft mit ihm abmachen,
denn mit ſeinem Bruder iſt nichts anzufangen.
Gehſt du nach Hauſe?


Daniel.

Ja, Herr Graf.


Limoſin.

Du kannſt mich melden, daß ich
heut noch meinen Neffen meinen Beſuch machen
wuͤrde.


Daniel.

Heute gehn ſie gewiß auf die Jagd,
nach dem gewoͤhnlichen Platz, denn Herr Ampedo
pflegt den Zeitvertreib nicht leicht auszuſetzen.


Limoſin.

Empfiehl mich herzlich den liebens-
[335]Fortunat.
wuͤrdigen Kindern, dem Troſt und der Freude mei-
nes Alters.


Daniel.

Unterthaͤnigſter.

(geht)

Limoſin.

Andaloſia darf es mir nicht ab-
ſchlagen, meine Verlegenheit iſt zu groß, und Geld
haben die Menſchen ja im Ueberfluß; aber der Am-
pedo iſt vom aͤrgſten Teufel des Geizes beſeſſen,
und fuͤhrt ſelbſt ein Leben wie ein armer Hund,
doch der andre junge Bengel ſpielt gern den Groß-
muͤthigen, erwirbt ſich Dank und Huldigung, ſam-
melt mit Anſtand und Ruͤhrung dieſe Brocken der
Heuchelei, der iſt alſo leicht zu beruͤcken. O wer
den Parvenus, dieſen geſchlechtloſen unadlichen
Abentheurern einmal ſo ganz ungenirt uͤber ihre
Schaͤtze kommen koͤnnte! Das Geſindel weiß ſie
ja doch nicht anzuwenden.

(geht ab.)

Dritte Scene.

(Zimmer.)

Ampedo. Andaloſia.

Ampedo.

Ja, Bruder, nun biſt du gut und
vernuͤnftig, was einmal verloren iſt, laß verloren
ſeyn, wir richten uns ein, wir ſparen huͤbſch, und
koͤnnen ja am Ende auch die Gemaͤhldegallerie, den
Pallaſt, das Silberzeug und alles verkaufen, und
uns auf dem Gute draußen knapp und buͤrgerlich
einrichten.


Andaloſia.

Wozu? wir ſind und bleiben
immer reich.


[336]Zweite Abtheilung.
Ampedo.

Ach, Bruder, mich uͤberfaͤllt bei
jedem Thaler, den ich ausgeben muß, eine Ban-
gigkeit, man kann nicht wiſſen, wie alt man wird,
ja wer von uns weiß es denn gewiß, ob er wirk-
lich ſtirbt, und bedenke nur die Noth, die man
alsdann im Alter leiden muͤßte.


Andaloſia.

Bruder, neben deiner Vernuͤnf-
tigkeit biſt du aus lauter Grillen zuſammengeſetzt.


Ampedo.

Mein Weſen will dir nur im An-
fang nicht einleuchten, aber bald wirſt du ganz ſo
werden wie ich, wir eſſen und trinken dann maͤ-
ßig, wir gehn ſpatzieren und auf die Jagd, — ah,
ja ſo, die Leute werden ſchon draußen im Walde
ſeyn und mich erwarten, ich muß hinaus, denn wenn
man ſeine Gewohnheit veraͤndert, ſo leidet mit
Schmerz das Leben ſelbſt.


Andaloſia.

Ich bin noch muͤde, in einem
halben Stuͤndchen folge ich dir, und, um es mir
bequem zu machen, leihſt du mir wohl dazu den
Huth.


Ampedo.

Recht gern, hier nimm ihn, du
ſetzeſt ihn auf, ſprichſt das Wort und biſt bei mir;
nichts Bequemeres wie das. Lebe wohl bis dahin.


(geht ab.)

Andaloſia.

Gutmuͤthger Thor! Er denkt nicht, daß ich gleich,
Bewaͤhrt ſich nur die Kraft des Wunderhuts,
Zum fernſten Afrika entſchwinden kann.
Du ſollſt mir nur mein Kleinod wieder ſchaffen,
Mit Schmach und Rache meine Feindinn ſchlagen;
Ich nehme Ring' und koſtbare Juwelen,
Geh' in den nahen Wald nur wenig Schritte,
Daß
[337]Fortunat.
Daß nicht die Dienerſchaft das Wunder merke,
Und wuͤnſche mich ſogleich nach London hin.


(geht ab.)

Vierte Scene.

(Wald.)

Graf Limoſin, ein Jaͤger.

Limoſin.

Wo ſind die jungen Grafen?


Jaͤger.

Einer nur,
Herr Ampedo, ſitzt dort im Foͤrſterhaͤuschen.


Limoſin.

So jagt er nicht?


Jaͤger.

Er ſchaut nur zu von fern.
Wenn wir das Wild erlegen, ſchlaͤft auch wohl
Noch dabei ein: oft wieder iſt er bei uns
Im dickſten Wald, eh wir es uns verſehn,
Kein Menſch kann ſagen wie, woher, und wieder
Auf und davon, als ob er fliegen koͤnnte.


Limoſin.

Da geht er, wie es ſcheint, ſehr mißvergnuͤgt.


Ampedo koͤmmt.

Ampedo.

Noch immer nicht! — Wo er nur bleiben mag?


Limoſin.

Mein lieber Neffe —


III. [ 22 ]
[338]Zweite Abtheilung.
Ampedo.

Schoͤnen guten Tag —
Entweder kann der Thor das Wort nicht finden —


Limoſin.

Ich hoͤre, euer Bruder —


Ampedo.

Schoͤnen Dank! —
Vielleicht auch rutſcht er ſchief die Welt hinein —


Limoſin.

Iſt er nicht mit euch?


Ampedo.

Nicht doch, wie ihr ſeht —
Wenn er den Hut, — wenn er den Hut verloͤre!
Er koͤmmt nicht, und es faͤngt zu dunkeln an.


Limoſin.

Was iſt es, was euch ſo betruͤben mag?


Ampedo.

Gar nichts, — mein Bruder nur. — Vielleicht,
Da ihm der Zauberhut noch nicht gewohnt
Laͤßt er ihn unterweges fallen, ſchlaͤgt
Wohl ſtetiſch aus, wie falſche Maͤhren thun,
Bockt mit ihm, laͤßt ſich hartgemault nicht lenken,
Da liegt denn, wer weiß wo, Herr Andaloſia.


Limoſin.

Ihr ſeyd bekuͤmmert —


Ampedo.

Nein! — Doch kennt der Hut
Hieher ja alle Weg' und Steg', hat oft
Den Ritt gemacht, muß ſich im Finſtern finden.


Limoſin.

Ich ſpraͤche herzlich gern den edlen Bruder,
Ich dacht' ihn hier in eurer Huth zu finden.


[339]Fortunat.
Ampedo.

In meinem Hut? Was wißt ihr denn vom Hut?
Ihr denkt wohl gar, — mein Himmel, das ſind
Fabeln,
Er muß auf ſeinen ſimpeln Beinen kommen,
Was andern recht, das mag ihm billig ſeyn,
Man wird ihm keine Butter daran legen.


Limoſin.

Ihm keine Butter? Ich verſteh euch nicht.


Ampedo.

Gleichviel, — man ſpricht nicht immer des Ver-
ſtehns halb;
Solls nicht Geſpraͤche geben duͤrfen, Ohm,
Die nur — verſteht mich — wie man ſagen moͤchte
So gleichſam bloß um Willen ihrer ſelbſt
Ein klein Geraͤuſch mit Worten machen wollen,
Pur aus Geſelligkeit, ſo Hausmannskoſt
Still vorgeſetzt, Nachtiſch vielmehr mit Nuͤſſen.


Limoſin.

Ihr ſeyd ſo ſpaßhaft, doch ein ernſt Geſchaͤft
Fuͤhrt mich, mit Andaloſia abzuſchließen
In Eil hieher.


Ampedo.

Wohl Geldgeſchaͤfte, Herr?


Limoſin.

Vielleicht.


Ampedo.

So klagt nicht, wenn er außen bleibt,
Er iſt ſo arm wie Kirchenratzen ſind.


Daniel koͤmmt.

Daniel.

Der junge Herr gab mir fuͤr euch den Zettel.


[340]Zweite Abtheilung.
Ampedo.

Wo ſteckt er denn?


Daniel.

Da fragt ihr mich zu viel,
Kein Menſchenaug' hat ihn ſeitdem geſehn.


Ampedo.
(lieſt)

O weh! — in alle Welt! Ich werde ſchwach! —
„Mit beiden nur ſiehſt du mich wieder, Bruder.“ —
Mein Hut! Mein Hut! Mein Hut!


Limoſin.

Was iſt euch denn?
Ihr habt ihn ja dahier auf eurem Kopf.


Daniel.

Ja, Herr, er ſitzt recht feſt auf beiden Ohren.


Ampedo.

Das haͤtt' ich dir, dir das nicht zugetraut!
So treulos, gegen Wort und Abredung!
Statt nach dem Wald zu gehn, — in weite Welt!


Limoſin.

So iſt er fort? Wohin? Und wie ſo ſchnell?


Ampedo.

Ihr hoͤrt es ja; —


Limoſin.

Holt ihn im Hafen ein,


Ampedo.

Ach, ihr verſteht das Ding nicht, — er iſt fort!
Ich aͤrgre, graͤme mich zu Tod', erkranke!
O kommt zuruͤck, ich weiß nicht was ich ſpreche.


Limoſin.

So faßt euch nur, ihr habt ſo manche Woche
Ihn ja bisher entbehrt; was iſts denn weiter?
Verdruͤßlich! daß nun mein Geſchaͤft muß ruhn.


[341]Fortunat.
Ampedo.

Ihr wißt, ihr wißt ja nicht, — ich will nur ſchweigen,
Denn man ſagt leicht zu viel in Schreck und Hitze,
Und wohl erinnr' ich mich des Vaters Lehre.


(ſie gehn.)

Fuͤnfte Scene.

(Pallaſt.)

Reymund.
allein.

Hoͤchſt ſonderbar! des Koͤnigs Majeſtaͤt,
Der ich ſonſt nie zu oft mich nahen konnte,
Iſt nun ſeit lange nicht fuͤr mich zu ſprechen,
Und trau ich dem Geruͤcht, ſo laborirt
Der Herr allein, und hat den Stein der Weiſen,
Das große Elixir allein gefunden,
Wohl wie ein blindes Huhn: der Schuͤler eilt
Voraus dem Meiſter, und was naͤchtlich Wachen
Und Faſten, Keuſchheit, Andacht nicht vermochten,
Das wirft der blinden Goͤttinn kindſche Laune
Uneingeweihten hin zum Spott der Weisheit.


Der Koͤnig koͤmmt mit dem Leibarzt.

Koͤnig.

Aha, mein Guter! da ſeyd ihr ja auch.


Reymund.

Ich warte lange ſchon auf den Befehl —


Koͤnig.

Vorbei, mein Lieber, dieſe Jugendtraͤume,
[342]Zweite Abtheilung.
Die Schwaͤrmerei, Kaſtein und Beten, alles;
Ihr ſeyd auf falſchem Wege. Saht ihr wohl
Die neuen goldnen Muͤnzen ausgegeben
Aus unſerm Schatz? Wir habens, Freund, wir
habens!
Doch eur Merkur und Jovis Glanz und Venus,
Das alles iſt nur Fabelei. Wißt ihr
Woraus denn die Materie beſteht?


Reymund.

Wir ſuchen ſie nun ſchon ſeit vielen Jahren
Zu laͤutern, zu verklaͤren, zu erziehen
Durch Kunſt zur goldnen Lilienbluͤthe —


Koͤnig.

Nichts!
Viel ſimpler iſts, ich hab' ſie Freund, ich hab' ſie —
Soll ichs euch nennen? he?


Reymund.

— Mein hoher Herr —


Koͤnig.

Nun ſperrt den Sinn mal auf, ſucht zu begreifen,
Ins Ohr will ichs euch ſagen: — Leder iſts!


Reymund.

Vernehm' ich recht? Wie? Leder?


Koͤnig.

Leder, ja!
Nicht wahr, das will euch nicht zu Kopf? Verduzt,
Verdummt ſteht ihr da vor mir, — ja, mein Freund,
Kennt ihr nicht die Sentenz: es giebt manch Ding
Im Himmel und auf Erden, wovon eure
Schulweisheit ſich nicht traͤumen laͤßt. — Adieu.


(ab.)

Leibarzt.

Nun, Mann der Weisheit? Seht,
wie geſund, vollſtaͤndig, aufgeraͤumt der Koͤnig jezt
[343]Fortunat.
iſt, wie richtig er denkt, wie wohl er ausſieht, nun
er ſich alle die ungewaſchnen Grillen aus dem Ge-
hirne geſpuͤlt hat.


Reymund.

Hat er denn wirklich die Kunſt
gefunden?


Leibarzt.

Narrenpoſſen, dummer Menſch!
Er hat euch ja nur zum Beſten. Eine neue Taxe
hat er aufgelegt, auf alles Leder im Lande, auf
Schuh und Stiefeln. Hohlkopf! man geht jezt
nicht ohne ſeine Erlaubniß, und naͤchſtens wird er
darauf antragen, daß kein Menſch barfuͤßig einher-
treten darf, damit noch mehr Leder konſumirt wird:
ſeht, das ſind die Geheimniſſe.

geht ab.)

Reymund.

Nicht moͤglich! — Da kommt
die Prinzeſſinn, die zur Meſſe geht.


Agrippina koͤmmt mit Margarethe.

Reymund.

O gnaͤdge ſchoͤne Fuͤrſtinn,
Iſts wahr was man geſagt, was ſelbſt der Koͤnig
Mir jezt geſtanden? Daß ihm Sol gelaͤchelt,
Und er die hohe Kunſt —


Agrippina.

Wie man es nimmt,
Glaubt mir, die Sach iſt, wer ſie einmal kennt,
Hoͤchſt einfach, denn man ſtreckt die Hand nur aus,
Doch freilich iſt es nicht gleichviel wohin,
Wir haben jezt das rechte wahre Weſen,
Nur giebt es auch viel Schein und Nachgemachtes.


(ab.)

Reymund.

Verſteht ihr etwas von dem
Geſchwaͤtz?


Margarethe.

Ja, mein beſter Herr Inep-
[344]Zweite Abtheilung.
tus, man darf es nur nicht jedermann auf die
Naſe binden; ich habe auch dabei geholfen, ab-
ſchneiden, annaͤhen, und nun iſt die Prinzeß Ta-
gelang auf ihrer Stube und thut nichts anders,
als daß ſie heraus und herein ſpielt, und iſt ſo
gluͤcklich dabei, und lacht und freut ſich, und der
alte Papa hilft manchmal, und nicht alle duͤrfen
darum wiſſen, und das ganze Land iſt gluͤcklich,
denn der Finanzminiſter iſt ſeitdem voͤllig abgeſchafft.


(geht ab)

Reymund.

Sind ſie toll! Bin ich verruͤckt?
Iſt dies Sprache der Kunſt, iſt es Aberwitz? Ich
muß in mein einſames Gemach, um bei meinen
Buͤchern meinen Verſtand wieder zu finden.


(geht ab.)

Sechſte Scene.

(Straße.)

Andaloſia.
verkleidet, an einem kleinen Tiſchgen.

Es ſcheint, daß keiner mich erkennen wird,
Denn ſchon ſeit lange ſtreicht der Bengel Dietrich,
Der Muͤßiggaͤnger, linkſch um mich herum.
Nun, holdes Gluͤck! ſteh deinem Sohne bei.


Agrippina und Margaretha gehn voruͤber.

Agrippina.

Sieh, Margarethe. — Sind das aͤchte Steine?


Andaloſia.

Durchlauchtige Prinzeß, ich ſchmeichle mir
[345]Fortunat.
Daß alle von dem reinſten Waſſer ſind.
Ich komm' aus fernen Landen, treibe Handel,
Der Ruf von eurer Schoͤnheit, eures Reichthums,
Und eures edlen hoͤchſt freigebgen Sinns
Zog mich hieher, ſehr wuͤnſcht' ich, ſolche Dame
Geruhe ſich mit dieſem Glanz zu ſchmuͤcken.


Agrippina.

Ich gehe in die Kirche, kommt zu mir.

(ab.)

Andaloſia.

O gnaͤdges Fraͤulein!


Margarethe.

Meint ihr mich, mein Herr?


Andaloſia.

Nehmt guͤtigſt dieſen Ring von mir zur Gabe,
Er iſt der ſchlechtſte nicht auf dieſem Tiſch,
Und denkt dabei des euch ergebnen Manns,
Damit ihr die holdſelige Prinzeß,
Die eure Freundinn ſcheint, erinnern moͤgt.


Margarethe.

Ein huͤbſcher Mann, von artig feinen Sitten,
Praͤſente macht er, — ſcheint recht gut erzogen, —
Je nun, das Ausland iſt ja lang und breit,
Da kann ja mancher auch Manieren lernen. —
Ja, lieber Herr, ich thu, was ich nur kann,
Und nach der Meſſe ſehn wir uns wohl wieder.


(ab.)

Dietrich koͤmmt.

Dietrich.

Mein guter fremder Herr Juwelenkraͤmer,
Ich muß Euch ſagen, ich bin auch gut Freund
Mit einem Ausbund eines großen Herrn,
Des reichſten, maͤchtigſten, freigebigſten
[346]Zweite Abtheilung.
Im Lande hier, es iſt ein' Art von Dienſt-
Verhaͤltniß zwiſchen uns, ich thu ihm manches,
Seht, zu Gefallen, wofuͤr er denn wieder
Erkenntlich iſt.


Andaloſia.

Ihr ſeyd wohl' ſein Bedienter?


Dietrich.

Wollt Ihr Euch an Provinzialismen haͤngen? —
Ich meine nur, fuͤr ſolch ein Ringelchen
Koͤnnt' ich ihn auch vielleicht durch meinen Einfluß
Bereden, mit Euch Handel einzugehn.


Andaloſia.

Im Pallaſt hoff' ich alles abzuſetzen.


Theodor und Lady Dorothea kommen.

Theodor..

Ihr geht ſo langſam, kuckt Euch immer um,
Wir kommen, wenn der Gottesdienſt zu Ende.


Dorothea.

Wir kommen, wenn es mir beliebig iſt.


Theodor..

Was machſt Du hier, Du Tagdieb? Fort, nach
Hauſe!


Dietrich.

Ich geh' nur noch ein wenig in die Kirche.


Theodor..

Was hat ſolch Volk bei Gott dem Herr zu thun,
Wenn unſer eins, Leute von Ton und Welt
Sich ihm zu praͤſentiren ſuchen? Marſch!
Du kannſt zur Fruͤhmeß her Dich ſcheeren! Geh!


Dietrich.

Ich wollte hier nur —


[347]Fortunat.
Andaloſia.

Ja, er ſprach mit mir,
Welch zartes Freundſchaftsbuͤndniß Euch verknuͤpfe.


(Dietrich ab.)

Dorothea.

Seht doch hieher! Welch praͤchtger Schmuck!
Der Ring
Mit dieſem Solitair muß meine werden,
Kauft ihn, mein Freund, indeß geh' ich zur Kirche.


(ab.)

Theodor..

Wieder was Neues! — Hoͤrt mal, fremder Menſch,
Sind auch die Waaren aͤcht? Seyd Ihr kein
Schelm?


Andaloſia.

Mein gnaͤd'ger Herr, laßt hieſ'ge Juweliere
Die Steine pruͤfen, wenn Ihr zweifeln wollt,
Auch draͤng' ich mich zu Niemand uͤberredend,
Ich hoffe mit dem Koͤnige zu handeln.


Theodor..

Man kann doch fragen, baͤrbeißiger Menſch,
Vom Anſehn werden auch die Diamanten
Richt Graupenkoͤrner werden. Sans façon,
Was koſtet dieſes Ding da kurz und gut?


Andaloſia.

Wenn die Prinzeß ihn nicht belieben ſollte,
So laß ich ihn Euch wohl fuͤr tauſend Pfund.


Theodor..

Nehmt nicht das Maul ſo voll, die tauſend Pfund
Pflegt man hier von den Baͤumen nicht zu ſchuͤtteln.


Andaloſia.

Auch wohl ſo edle, reine Steine nicht,
Prinzeſſinn Agrippina wird ihn kaufen.


[348]Zweite Abtheilung.
Theodor..

Prinzeß! Prinzeß! Was ſoll die Ziererei?
Dem Kaufmannsvolk muß jeder Beutel Geld
Ob aus des Koͤnigs ob aus Lumpenhand
Ein gleiches gelten, das iſt Narrethei
Sich vornehm duͤnken, weil mit großer Welt
Man Handel pflegt: Kurzum, wollt Ihr zwei-
hundert?
— Er thut, als hoͤrt er nicht: — dreihundert
geb' ich
Und bleib' Euch dann noch hundert funfzig ſchuldig,
Das iſt der letzte Pfennig den ich biete.


Andaloſia.

Ich habe nicht die Ehr den Herrn zu kennen.


Theodor..

Ich heiße Theodor, bin Kammerherr,
Mein Alter iſt der wohlbekannte Herbert,
Schurrt der mal ab bin ich der einz'ge Erbe.


Andaloſia.

Ich laſſe nur den Ring ſo wie geſagt.


Theodor..

Verdammter Eigenſinn!


Margarethe koͤmmt.

Margarethe.

Ihr ſollt, mein Hert,
Sogleich aufs Schloß zu der Prinzeſſinn kommen.


Dorothea koͤmmt.

Dorothea.

Der Kaufmann raͤumt ja ſeinen Kram zuſammen.


Theodor..

He! Mann! da druͤben, ſeht in dem Palais,
[349]Fortunat.
An welchem uͤber'm Thor der Affe ſitzt,
Da wohn' ich, ich verlaß' mich drauf, daß Ihr
Noch heute zu mir kommt.


Andaloſia.

Euch aufzuwarten.

(geht ab.)

Theodor..

Er wird ſchon kommen Schatz, ſey nur getroſt,
Mir fehlts etwas an Geld, ſonſt haͤtt' ich ihm
Den großen Stein gleich mit Gewalt genommen.


Dorothea.

An Geld und an Verſtand iſt immer Mangel
In Eurer Wirthſchaft.


Theodor..

Laßt, er muß mir kommen,
Sonſt laß ich ihn mit Wache zu mir holen;
Daruͤber iſt die Meſſe nun verſaͤumt,
Was ſich nicht ſchickt, denn ſeinen Gott und Koͤnig
Muß unſer einer niemals negligiren.

(gehn ab.)

Siebente Scene.

(Pallaſt.)

Agrippina, Andaloſia.

Agrippina.

Zu theuer, viel zu theuer, werther Herr,
Wollt Ihr ſo fordern, koͤnnt Ihr nirgends Kaͤufer,
Auch unter den Monarchen ſelbſt nicht finden.


Andaloſia.

Bedenkt die weiten Reiſen, die Gefahren,
Die großen Summen, die ich ausgelegt,
[350]Zweite Abtheilung.
Und die mir lange keine Zinſen trugen;
Ich glaubte, hier in England Gluͤck zu machen,
Bei ſolcher Fuͤrſtinn, edel, reich und ſchoͤn,
Mich alles Schadens zu erholen, doch
Ihr habt ſo viel mir abgehandelt, daß
Sich ſelbſt die Reiſekoſten nicht bezahlen.


Agrippina.

Der Kaufmann glaubt, er muß beſtaͤndig klagen,
Ich habe Euch noch viel zu viel geboten,
Geduldet Euch, ich geh, Euch zu bezahlen.


(geht hinein.)

Andaloſia.

O Geiz! Du Scheuſal, das mit ſchiefen Augen
Nur mehr und mehr zu haͤufen ſucht, und ekle
Verzerrung grinzt, ſoll es dem Nachbar leihn,
Zeigſt Du ſo ſcheußlich Dich in armer Wohnung,
Beim Buͤrger, Kaufmann und dein Wucherer,
Wie widerwaͤrtig iſt Dein Angeſicht
Liegſt Du auf Haufen ungemeßnen Goldes,
Schielſt unter Kronen Du vom Thron herab. —
Wo war mein Auge nur, das dem verzerrten
Grauſamen Goͤtzenbild in Andacht flehte;
Schlief denn mein Ohr, daß es von dieſen Lippen
Orakelſpruͤche nur vernahm? O ſchwacher Muth,
Der Du in ihr den Glanz der Ewigkeit,
Der hoͤchſten Schoͤne, alles Himmliſchen
In dumpfer Trunkenheit gewahrteſt, nuͤchtern
Iſt Dir Dein Traum des Rauſches Aberwitz,
Das Herz ſtoͤßt die Erinnrung ekel von ſich
Und nennt ſich ſelbſt und das Gewiſſen Luͤgner. —
Sie holt den Zauberſaͤckel, ahndet nicht
Daß hier ihr Feind auf ſeine Beute lauert,
Und, wie der Habicht auf die Taube ſtoͤßt,
[351]Fortunat.
In weite Ferne mit ihr ſchwinden wird.
Sie koͤmmt, — ich zittre, — ja, ſie bringt ihn mit,
Befeſtigt wohl mit neuen, ſtarken Schnuͤren.


Agrippina koͤmmt.

Agrippina.

Hier zaͤhl' ich Euch — was draͤngt Ihr ſo an mich?


Andaloſia.
(ſie umfaſſend, indem er den Hut aufſetzt.)

Sogleich zum wuͤſten menſchenleeren Eiland!


(ſie verſchwinden.)

Margarethe koͤmmt herein.

Margarethe.

Gnaͤdige — ums Himmels-
willen!


Koͤnig koͤmmt mit Theodor und Gefolge.

Koͤnig.

Was giebts?


Margarethe.

Die Prinzeß — hier ſtand
ſie — weg iſt ſie! —


Koͤnig.

Nach! Nach! Sucht! Sucht!


Theodor..

Sucht! Folgt mir, ich werde ſie
finden!


Koͤnig.

Findet ſie, bringt ſie, Leute! Wo
iſt ſie?

(Alle in Verwirrung ab.)

[352]Zweite Abtheilung.
Achte Scene.

(Wuͤſte.)

Andaloſia, Agrippina.

Andaloſia.

Hier nun, wo rings die oͤde weite Luft,
Die taube See, ein mitleidlos Gefilde,
Hier —


Agrippina.

Weh mir! Weh! Wie bin ich hergerathen.
Wo bin ich denn? Wo iſt mein Haus? Mir
ſchwindelt,
Es bricht mein Herz, und alles was ich denke
Stuͤrzt gegen Wahnſinn, ſucht den Ausweg dort —
Zuſammen ſinken mir die Knie, — o beſter,
O liebſter aller Menſchen, wie ich Dich
Nicht kenne, laß mein Flehn, die Thraͤnen Dich
Bewegen, — ſey nicht taub der Huͤlfsbeduͤrftgen —
O halte mich, ich falle —


Andaloſia.

Lehne Dich
An dieſe Bruſt; — mit dieſen ſuͤßen Toͤnen
Kehrt alle Zaͤrtlichkeit in mir zuruͤck. —
Setz Dich hieher, — an dieſen Baumesſtamm.


Agrippina.

O Himmel ſieh, wie voll von rothen Aepfeln,
Daß ſich die Zweige biegen, ſuͤßer Duft
Wuͤrzt rings die Luft und ſtaͤrkt die matten Sinne,
Die Zunge lechzt, — ach, koͤnnteſt Du, mein Theurer,
Mir eine dieſer holden Fruͤchte brechen,
Den Gaumen mir in Todesnoth zu laben?


An-
[353]Fortunat.
Andaloſia.

Ich hole Dir den groͤßten dieſer Aepfel,
Was thaͤt ich nicht fuͤr Dich? Biſt Du geſtaͤrkt,
Dann ſprechen wir von meiner bittern Kraͤnkung
Nur fuͤrcht' ich, wenn ich oben pfluͤcke, regnet
Das reife Obſt herab, Dich zu verletzen.
Trag' dieſen Hut, er ſchuͤtzt das zarte Haupt.


(ſetzt ihr den Hut auf und ſteigt auf den Baum.)

Agrippina.

Ach, ſtuͤrze nicht —


Andaloſia.

Gleich bin ich oben.


Agrippina.

Wirf
Herunter ſchnell mir. — O Du guͤtger Himmel,
Waͤr' ich auf meinem Schloſſe doch daheim!


(ſie verſchwindet.)

Andaloſia.

Hier, nimm — wie? was? bin ich im Traum?
Ich raſe,
Ich ſterbe, breche mit den Baum zur Hoͤlle.

(ſpringt herab.)


O Thor! o bloͤder, dumpfer ungehirnter Thor!
So recht, Du Schalksnarr! Kannſt Du nicht
den Leib,
Die Seel' ihr nach noch werfen? Stirb!
Streck Deinen Leichnam hin in feuchten Moder,
Daß Kroͤten, Molch und Schlangen ihn verzehren!
Spei aus den Geiſt, der nur in Deinem Leibe
Wie ein Verbrecher im Gefaͤngniß wohnt!
Reiß nieder rings die Mauern, brich die Ketten,
Und ſtuͤrm Dich los mit lautem Hohngelach,
Das Weite, Freie, Leere zu erfliegen! —
III. [ 23 ]
[354]Zweite Abtheilung.
Wer bin ich denn? Ich bin ſchon laͤngſt vernichtet
Und ein Geſpenſt der Albernheit hauſt noch
Und ſpielt in dieſen Gliedern, hoͤhern Geiſtern
Mit Affengrinſen und mit Schalkheitstand
Ein Theil der Ewigkeit hinweg zu ſcherzen.
Wo find' ich Mich? Renn' ich mit dieſem Hirn
An Baum und Fels, von ihnen mir Vernunft,
Die ſie belaͤſtgen moͤchte, einzudruͤcken?
Gethiere ihr des Waldes, wilde Tauben,
Kuckuk und Heher, Staar, Du kleinſter Thor,
Lacht munter, ſcheltet mit den lautſten Toͤnen!
Ja Du des Meeres ſtummgeborne Brut,
Mit Schnalzen oͤffne Deine naſſen Kiefern,
Und deute mir das Ohr, das mir nur mangelt,
Um umzuziehn, die langgeoͤhrten Bruͤder
Am Markt, in Muͤhlen, hoͤflich zu befragen,
Wo's edle Herrlein Andaloſia blieb. —
Dahin nun beides, hin die Edelſteine,
Hin ſie, — und ich mit dieſem Dummkopf feſt
Noch eingekeilt in dieſer Zeit, mir immer
Mir immer noch bewußt, daß ich es bin,
Die Raritaͤt, die abgeſchmackteſte,
Merkwuͤrdig gnug fuͤr Geld ſie ſehn zu laſſen. —
Narr, ſchone Dich, Du raſeſt Dich ſogar
Um Deine Narrheit, — auch zum Aberwitz
Und zur Verzweiflung will die Kraft gebrechen —
Das Auge dunkelt — nimm Dein Allerletztes,
Den Apfel, den Du Dir erbeutet haſt,
Verzehr' ihn, leg' Dich dann in jenen Buſch
Zum Schlummer oder auch zum Sterben hin.


(Er geht ab, lautes Geſchrei der Turteltauben, des
Kuckuks und andrer Voͤgel, er koͤmmt mit zwei
Gemshoͤrnern auf der Stirne zuruͤck.)

Das iſt zu viel! das fehlte noch dem Helden,
[355]Fortunat.
Da tritt er wieder auf die Buͤhne hin. —
Wer mir geſagt, ich wuͤrde meinen Zuſtand,
Den vorigen troſtloſen, bald beneiden —
Gepruͤgelt, lederweich, mit Kieſelſteinen
Geworfen haͤtt' ich ihn, mit Fuß und Zaͤhnen
Gebiſſen und zerklopft, — o, laͤugne nicht,
Es iſt zu Zeiten ſo erfindungsreich,
So voͤllig unerſchoͤpflich das Geſchick,
Daß noch vielleicht aus jedem dieſer Hoͤrner
Mir Kirſchen, oder Mandelbaͤume bluͤhen,
Auf eignem Grund und Boden mich zu naͤhren.
Ha! irgendwo muß doch ehmalige
Vernunft anſchießen, ſich verkoͤrpern wollen,
Und ſo geſchahs in dieſen langen Hoͤrnern.
So will ich denn auch die Vernunft gebrauchen,
Der Kopf ſoll denken, mir nicht muͤßig ruhn,
An renn' ich wuͤthend gegen dieſe Baͤume —
Krach! eins! — das hat noch nichts geholfen — krach!
Krach! wieder! aber nichts, das ſitzt ſo feſt,
Daß ich mir eh'r den Nacken braͤche; — krach!
Vergeblich! unerſchuͤtterlich; — o wehe!
Und mehr als weh! und lauter als Geſchrei
Werf' ich den Ruf hin durch die kahle Wuͤſte,
Daß wenn hier irgend eine Furie haußt,
Ein Teufel hoͤhniſch im Gebuͤſche lauert,
Das alte ſchadenfrohe Reich der Nacht
Im fernen Wald, in Felſenklumpen bruͤtet,
Sie ſich der Angſt, der Noth erbarmen moͤgen!
O weh mir! weh! o Huͤlfe! Rettung! Huͤlfe!


Ein Einſiedler koͤmmt.

Einſiedler.

Geduldig, Weſen! Was beginnſt Du, Wunder?
[356]Zweite Abtheilung.
Was rennſt Du mit der Stirn an dieſe Baͤume?
Was klagſt Du, daß Dein Wehgeſchrei die Oede
Durchſchallt, die lange ſchon verlernte, Worte,
Des Menſchen nachzuſprechen?


Andaloſia.

Heilger Vater,
Biſt Du ein Engel, mir geſandt zur Rettung?
Biſt Du ein Menſch? Schlaͤgt Dir ein Herz,
o Alter,
In dieſem weiten rauhen Kleide, hilf!
O troͤſte mindeſtens, o ſprich zu mir,
Dein Mitleid rede, weine, hilf mir ſchrein!
O Menſch! — ich — ſieh, — ich, rathe, hilf, —
Erbarmen!


Einſiedler.

Nun ſammle Dich, kehr Dir erſt ſelbſt zuruͤck;
Das hoͤchſte Elend, wie es uns umlagert
Und in uns ſtuͤrmend bricht, trift es im Innern
Uns ſelbſt nur noch, ſo ſcheut es ſich, mit Grimm
Uns anzublicken, kruͤmmt ſich furchtſam, kriecht,
Wie es als Ungeheuer entgegen trat:
So wie die Heiligen der Wuͤſte laͤchelnd
Mit Augenwink die Leun und Tiger zaͤhmten.


Andaloſia.

O guter Rather, Ihr koͤnnt leichtlich ſprechen,
Was habt denn Ihr wohl in der Welt verloren?
Vielleicht einmal ein wenig Haar des Barts,
Wenn Ihr Euch durch die Dornenſtraͤuche draͤngtet!
Doch wuͤßtet Ihr, was ich beſaß, was mir
Durch Tuͤcke, Zufall, eignen Bloͤdſinn jetzt
Entriſſen ward, dann wundertet Ihr Euch,
Daß ich noch athmen, ſprechen, leben kann.


[357]Fortunat.
Einſiedler.

Dir iſt mein Schickſal wie Deins mir verborgen;
Doch nenne mir, was Dich am meiſten quaͤlt,
Vielleicht kann ich Dir dennoch Huͤlfe ſchaffen.


Andaloſia.

Ein goͤttlicher Geſandter waͤrſt Du mir,
Wenn Du dies Scheuſal, dieſes Hoͤrnerpaar,
Mir koͤnnteſt von der Stirne nehmen, daß
Nicht Aff' und Bock her aus dem Walde ſpringen,
Als Bruder mich und Vetter zu begruͤßen,
Daß ich mich Menſch, wenn auch im Elend fuͤhlte.


Einſiedler.

Wohl Dir, daß dies der naͤchſte Wunſch des Herzens,
Im Elend biſt Du menſchlich doch geblieben,
Und es iſt mir vergoͤnnt die Ungeſtalt
Von Dir zu nehmen. Siehſt Du jenen Baum
Mit wen'gen grauen Blaͤttern, kleinen Aepfeln?
Den einen brech' ich, iß ihn, und ſogleich
Wird Deine menſchliche Geſtalt erſcheinen.


Andaloſia.
(ißt, die Hoͤrner fallen ab.)

Wohl mir! Wie dank' ich Dir, o heil'ger Mann!
Wo bin ich denn?


Einſiedler.

Auf menſchenleerer Inſel
An Irlands Kuͤſte; einſt, vor alten Zeiten,
Trieb hier ein Zauberer die argen Kuͤnſte,
Verlockte Reiſende, ließ Schiffe ſtranden,
Und pflanzte dieſen Baum mit boͤſen Fruͤchten;
Da ward es einem heilgen Eremiten,
Der laͤngſt vor mir in meiner Klauſe wohnte,
Vergoͤnnt, den zweiten Baum ſo zu begaben,
Daß er des Zaubers Wirkung mag vernichten.
Du biſt, ſeit ich hier bin, der erſte Menſch,
[358]Zweite Abtheilung.
Der dieſen Stand betritt, nur ſelten fahren
In weiter Ferne Fiſcher mir voruͤber,
Auch weiß ich nicht, wie du hierher gekommen.


Andaloſia.

Nachher davon, doch welches Schickſal warf
Euch aus der Welt in dieſe ferne Oede?


Einſiedler.

Ich war bei Sankt Patricius Fegefeuer
Im Kloſter Moͤnch, und meiner Suͤnden wegen
Sucht' ich noch ſtill're Einſamkeit, gelobte,
Freiwillig nie ein menſchlich Angeſicht
Zu ſehen wieder, ließ von guten Fiſchern
Hieher mich fuͤhren, der Betrachtung ganz
Der Abgeſchiedenheit geweiht, den Leib
Mit Wurzeln naͤhrend und der Frucht der Baͤume.


Andaloſia.

So iſt kein Mittel von hier zu entkommen?


Einſiedler.

Wir muͤſſen an dem Strand ein Feuer machen,
Und lauſchen, bis ſich Fiſcherkaͤhne zeigen,
Mit Zeichen ſie dann rufen. Komm und ruhe
In meiner Huͤtte, und erquicke dich
Mit dem, was meine Armuth bieten kann.


Andaloſia.

Iſt es erlaubt, von dieſen beiden Aepfeln
Mit mir zu nehmen?


Einſiedler.

Ja, mein lieber Sohn,
Wenn du nicht in der Welt damit willſt freveln,
Denn mir gehoͤrt und Niemand dieſe Frucht.
Komm denn, erhole dich und ſey beruhigt.


(ſie gehn ab.)

[359]Fortunat.

Dritter Akt.


Erſte Scene.

(Pallaſt.)

Koͤnig, Agrippina.

Agrippina.

Nie, lieber Vater, geb' ich aus den Haͤnden
Das wieder, was mein Eigenthum geworden,
Was mein nur mit Gefahr des Lebens ward,
Bedenkt, wenn damals doch der Thor erwachte,
Wie ſtaͤnd' es dann um Euer Kind?


Koͤnig.

Allein
Das Wohl des Landes, meines ganzen Volks!
Kannſt Du mir nicht auf wen'ge Tage nur
Den Saͤckel fuͤr das allgemeine Beſte
Vertrauen? Denk doch, was in alten Zeiten
Wohl andre Ding fuͤrs Vaterland geſchahn.


Agrippina.

So ſpracht Ihr neulich auch, ich kenne das.


Koͤnig.

Doch nur auf wen'ge Stunden.


[360]Zweite Abtheilung.
Agrippina.

Kuͤnft'gen Monat,
Doch jetzt muß ich allein mich dran ergoͤtzen
Fuͤr meine Angſt, fuͤr jenes Wunder, das
Ich mir nie zu erklaͤren weiß, das ich
Fuͤr Traum erklaͤrte, waͤren mir die Steine
Als Unterpfand der Wahrheit nicht geblieben.


Koͤnig.

Ueber dem menſchlichen Begreifen iſts!
Im Grunde auch der Saͤckel; nur daß man
Schon dieſen mehr gewohnt iſt: ebenfalls,
Wie Andaloſia zu ihm gekommen,
Wo dieſer Menſch geblieben; kurz, mein Kind,
Sieht man mit einiger Philoſophie
In dieſes bunte hoͤchſt verworrne Leben,
So muͤſſen wir geſtehn: es giebt viel Dinge,
Die man zeitlebens nicht begreifen kann.


Agrippina.

Da kommt Herr Raimund, Ihr erlaubt mir wohl
Davon zu gehn, was der Mann unternimmt
Iſt mir am allermeiſten unbegreiflich,
Laßt Euch die Kunſt das Gold zu machen lehren,
Nur etwas Eifer mehr, braucht Ihr mich nicht.


Koͤnig.

Du ſpotteſt ohne Noth, das iſt ein Geiſt
Der hoch erhaben uͤber allen ſteht.


Agrippina ab, Raimund tritt ein.

Raimund.

Seyd Ihr ſchon heut beim großen Werk geweſen?


Koͤnig.

Es will nicht foͤrdern, denn der Weg ſcheint weit;
Kann man auf keinem Fußſteig hingelangen?


[361]Fortunat.
Raimund.

Ihr ſeyd zu weltlich auf Beſitz erpicht,
Das hindert mehr als alles. Zwar es giebt
Auch Wuͤnſchelruthen, wenn man ſie nur faͤnde,
Die uns die unterird'ſchen Schaͤtze zeigen,
Uns ſagt auch die Magie von einer Kunſt,
Die Geiſter rufen kann, und dienſtbar machen,
Daß ſie uns Schaͤtze fern aus Indien,
Aus afrikan'ſchen Wuͤſten liefern muͤſſen,
Doch graͤnzt dies Thun ſchon am verbotnen Weſen,
Auch iſt es minder glorreich und erhaben
Als jenes Wiſſen, dem wir uns geweiht.


Koͤnig.

Ganz gut, mein Freund, allein Ihr wißt ja ſelbſt
Wie umſtaͤndlich.


Raimund.

Die Kunſt iſt Zweck der Kunſt,
Ihr Streben iſt Ihr Hoͤchſtes.


Koͤnig.

Wie mans nimmt:
Waͤrs denn nicht moͤglich, ſeht, etwa zu finden
Und auszumitteln einen Zauberſtab,
Der mir, ſo wie ich da und dorthin ruͤhre,
Des Goldes Fuͤlle ploͤtzlich ſchuͤttete?
Noch beſſer, eine Taſche auszuwirken
Die mir, wie ich hinein nur greife, ſtets
Und unerſchoͤpft die goldnen Muͤnzen liefert.


Raimund.

Mein Koͤnig, dies iſt voͤllig widerſinnig,
Dergleichen giebts nicht, hats noch nie gegeben;
Es fuͤhrt die Einbildung, einmal entfremdet
Dem Himmliſchen, zu Fabel und Chimaͤre;
Der Trieb des Habens ſchaͤrft ſich immer mehr,
[362]Zweite Abtheilung.
Und die Begier, mit unſern Traͤumen buhlend
Erzeugt dann Ungeheur und Mißgeburten.


Koͤnig.

Ihr redet, Herr Adept, wie Ihrs verſteht;
Das gaͤb' es nicht? ha, kaͤm' Euch nur der Glaube
So in die Hand, wie mir es iſt geſchehn,
Wie wirs noch haben, — doch, ich ſchweige ſtill.
Kommt denn zum Ofen, wo durch Wind und Blaſen
Das Wunder, meint Ihr, ſoll gefoͤrdert werden.


(gehn ab.)

Zweite Scene.

(Zimmer.)

Lady Dorothea, Theodor.

Theodor..

Gebt Euch doch nur zufrieden, immer und ewig
Daſſelbe Lied, iſt wahrlich unausſtehlich.


Dorothea.

Ihr ſeyd mir laͤſtig mit dem rohen Weſen.


Theodor..

Kann ich dafuͤr, daß der Hansnarr nicht kam?
Bei meinem Zorn hatt' ichs ihm anbefohlen;
Seh ich den Eſel wieder, pruͤgl' ich ihn
Von einem End' Europas bis zum andern,
Weil er nicht Wort hielt einem Edelmann.
Was war denn auch ſo Großes an dem Ring?


Dorothea.

Kurz, er gefiel mir, und ich wollt' ihn haben.


[363]Fortunat.
Theodor..

Ich wollt ihn haben! daß Euch nur nicht gefaͤllt
Auch den Vollmond vom Himmel mal zu haben!
Dazu habt Ihr es ja gehoͤrt, wie nur
Ein Zauberer der fremde Schuft geweſen,
Die Taͤnze, die die Fuͤrſtinn mit ihm hatte,
Das Rennen, Suchen, Jagen, Maledein
Nach ihr, das wir in Stadt und Land getrieben.


Dorothea.

Genug, ſie hat den Ring, ich halte alles
Was man davon erzaͤhlt, fuͤr Fabelei.


Theodor..

Fuͤr Fabelei? Mit meinen eignen Augen
Hab' ich geſehn, wie ſie nicht da geweſen.
Kommt jetzt zu dem befohlenen Spatzieren,
Man ruft mich zum Begleiten, wie zur Frohn,
Dann muß ich Stunden lang das Gehn erwarten.


Dietrich koͤmmt.

Theodor..

Was giebts? Was lacht der
Burſche?


Dietrich.

O gnaͤdiger Herr, dort unter den
Baͤumen treibt ſich ein Kerl herum, aus Arme-
nien, oder Meſopotanien, wie er ſagt, in ganz
fremder wunderlicher Kleidung, einaͤugig, mit einem
Pflaſter uͤber dem Geſicht, einem grauſamen, dicken
und krauſen Haarwulſt, der ihm von allen Seiten
unter dem Turban hervor quillt; der hat einen
Korb vor ſich, mit fuͤnf oder ſechs Aepfeln drinn,
aber die allerſchoͤnſten und roͤtheſten, die ich Zeit
meines Lebens geſehn habe, die ruft er aus, und
wenn ihn einer nach dem Preiſe fragt, ſo fordert
er fuͤr jeden Apfel zehn Goldſtuͤcke, ſo daß dann
[364]Zweite Abtheilung.
alle Leute mit Lachen vorbei gehn und den dum-
men Narren ſtehn laſſen.


Dorothea.

Den muß ich ſehn. Kommt,
Freund.

(ſie gehn ab.)

Dritte Scene.

(Spatziergang.)

Andaloſia.
verkleidet, einen Korb vor ſich, der ihm
von der Schulter haͤngt.

So bin ich denn muͤhſeelig hergewandert
Und laure, bis die Rache mir gelingt
Und die Erſtattung des geraubten Guts.
Hat die Verraͤtherinn des Hutes Kraft
Entdeckt durch Zufall, darf ich wenig hoffen:
Doch kirrt ſie wohl der Fuͤrwitz, und mit Klugheit
Und kalter Liſt will ich den Plan verfolgen,
Daß ich mir ſelbſt nichts vorzuwerfen habe,
Wenn, trotz der Liſt, der Vorſatz nicht gelingt. —
Kauft doch ſchoͤn Aepfel! Aepfel von Damaskus!


Agrippina von Herbert gefuͤhrt, Mar-
garethe
.

Agrippina.

Was ruft der Mann?


Herbert.

Es ſcheinen Aepfel. Freund,
Woher des Lands? Wie nennt Ihr dieſe Frucht?


Andaloſia.

Weit her, Ihr Gnad, aus tiefem Eck von Aſia,
Und reiſ' die Welt umher die Queer und Kreutz,
[365]Fortunat.
Sonſt iſt mein Handel nach Conſtantinopel,
Cairo, Alexandria, wo die Sultan,
Die ſchoͤne Dam' in der Seraglio ſeyn,
Komm' diesmal erſtemal ins Europa,
Die Paar von Aepfeln ſeyn mir uͤbrig noch.


Herbert.

Was gilt der Reſt?


Andaloſia.

Reſt, ſagts? Ho, ho! ſeyn koſtbar,
Das Stuͤck zehn unbeſchnittene Guinee's.


Herbert.

Du biſt von Sinnen. Freund.


Andaloſia.

Gar bei Verſtand,
Dann dieſes nicht Aepfel, um zu braten,
Gebackne Pflaumen draus zu machen, Mus;
Aus dieſ'n, gegeſſen, wird Schoͤnheit und Witz,
Will ſagen, wenn ein Dam', ein Mann drein beißt,
Wirds roth und weiß, formirt anmuthig, und
Der Geiſt kriegt auch gleich neue Politur.
Die Ding werd' nur mit Hals- und Lebensgefahr
Aus einem Zaubergarten abgebrochen,
Wird man erwiſcht, geht gleich der Kragen drauf.


Theodor und L. Dorothea kommen, Diet-
rich
.

Dorothea.

Iſt das der Fremde?


Agrippina.

Sieh da, liebe Freundinn,
Der Mann hat Wunderaͤpfel zu Verkauf,
Die ſchoͤn uns machen und den Witz beleben,
[366]Zweite Abtheilung.
Und doch nur zehn Guineen fuͤr das Stuͤck. —
Komm nachher zu mir, denn ich will Dich ſprechen.


(geht ab mit Margarethe und Herbert.)

Theodor..

Thorheiten, ſag ich, und erzdummes Zeug,
Und waͤrs der Original-Apfel aus der Fibel,
Von dem der Affe fraß in meiner Kindheit,
So gaͤb' ich nicht ſo viel des Goldes drum.


Dorothea.

Ich will, hoͤrt Ihr? die eine dieſer Fruͤchte!
Es winkt mir die Prinzeß, ich geh' zu ihr.


(geht ab.)

Margarethe koͤmmt zuruͤck.

Margarethe.

Hier, mein Herr Mameluck, ſind zwanzig Goldſtuͤck,
Fuͤr zwei von dieſen Aepfeln: wollte Gott,
Ich haͤtte ſo viel uͤbrig fuͤr die letzten,
Um ſo was auch auf meinen Leib zu wenden!
Gebt Ihr nicht einen zu, Herr Socinianer?


Andaloſia.

Nichts da! Man haͤtte freilich Gotteslohn,
Dem alten Antlitz mit 'nem halben Apfel,
Mit einem Schnittchen unter'n Arm zu greifen.


Margarethe.

So ſchlimm ſtehts auch noch nicht, Herr Afrikaner,
Hier ſind Geſichter Mode, ſo wie meins.
Da iſt ſein Geld, die beiden Aepfel her!

(ab.)

Theodor..

Nun ſagt mal: iſt es Ernſt denn, oder Spaß?
Wenn ich das Ding hier in den Mund mir thaͤte,
So kriegte mein Geſicht andre Statur?


[367]Fortunat.
Andaloſia.

Gewiß.


Theodor..

Und mein Verſtand, zwar klag' ich nicht,
Der wuͤrde auch ſogleich wie neu gegoſſen?


Andaloſia.

Wer zweifelt daran?


Theodor..

Waͤrs denn auch wohl moͤglich,
Daß ſo ein Ding, (wie ſag' ich doch nun gleich?)
Mir dies verdammte Stottern hintertriebe?


Andaloſia.

Was iſt das, Schnattern?


Theodor..

O Gimpel! Stottern heißt es, und nicht Schnattern!
Es iſt das Stammeln, — das, — nun, merkt Ihr
nichts?
Wenn ich in Zorn gerathe, etwas eifre,
Daß denn die Wort', — wie jetzt, — ſo holterpolter
Zuſammenraſſeln, ſtetig werden, von
Der Stelle nicht mehr wollen, daß mir dann
Im Hals was pfeift und haſpelt, in der Kehle
Was ſchluckt und gurrt, in Zaͤhnen etwas kniſtert,
Was nur, das mag der Teufel ſelbſt nicht wiſſen.


Andaloſia.

Verſteh gleichſam, liegt in der Seele ſelbſt,
Und dafuͤr kann kein Aepfeleſſen helfen,
Sonſt koͤnnt' davon ein Pferd auch reden lernen,
Das Wiehern, Eſelſchrein geht auch beinah
Nach dieſer nemlichen Deklination.


Theodor..

Haſt Du ſelbſt von den Aepfeln ſchon gefreſſen?


[368]Zweite Abtheilung.
Andaloſia.

Zu koſtbar Gut fuͤr mich, zu theures Futter.


Theodor..

Thaͤtſt gut daran, daß beſſer Aushaͤngſchild
Dein Schnauzgeſicht fuͤr Deine Waare wuͤrde,
Denn guter Wein verdient auch guten Kranz.


Andaloſia.

Braucht nichts zu kaufen, Herr, ich werde doch
Die Aepfel los an hoͤflichere Leute.


Theodor..

Ich will den haben! Nimm die acht Goldſtuͤcke!


Andaloſia.

Ich kann und will nicht unter zehn, und Euch
Auch nicht fuͤr zwanzig.


Theodor..

O Du F — F Flaps!
Du Grobian! Maulaffe! nimm das Geld,
Sonſt ſoll — das ſchwoͤr' ich! — ſieh — ich
brech' Dir gleich
Den Hals!


Andaloſia.

Laßt los!

(ſie ringen mit einander.)

Dietrich.
(nimmt einen Apfel und laͤuft fort.)

Das war gefunden Freſſen!


Theodor..

Nun alſo; — doch, wo iſt der zweite Apfel?


Andaloſia.

Weiß nicht, ich armer Mann!


Theodor..

Ich habe meinen,
Und Du Dein Geld, leb' wohl, Du Marokkaner.


(ab.)

An-
[369]Fortunat.
Andaloſia.

Viel Gluͤck Ihr all zu Euerem Erwerb!
Nun geh' ich, werfe die Verkleidung ab,
Und lauſch' in neuer Mask' auf den Erfolg.


(geht ab.)

Vierte Scene.

(Pallaſt.)

Margarethe ſtuͤrzt herein.

Margarethe.

O weh! Jammer und Weh!
Zeter und Mordio! O weh! Suͤnde und Schande!
Muß ich das erleben? O meine arme ungluͤckliche
Prinzeſſinn!


Koͤnig und Koͤniginn kommen ſchnell herein.

Koͤnig.

Was giebts?


Koͤniginn.

Was ſchreiſt Du, Ungluͤckliche?


Margarethe.

Soll ich nicht ſchreien? Soll
ich mir nicht die Haare ausraufen? O arme, un-
gluͤckliche Eltern!


Koͤnig.

Sprich! Rede! Bei meinem Zorn!
Du machſt mich ungeduldig.


Margarethe.

Ach, Agrippina! Du Rei-
zende, Du Schoͤne, nun ſo Elende, nun ſo Ent-
ſtellte!


Koͤniginn.

Himmel! Was iſt denn mei-
nem armen Kinde begegnet? Sammle Dich, ſprich.


Margarethe.

Wir kamen vom Spatzier-
gange, die holdſeelige Fuͤrſtinn war froͤhlich und
geſpraͤchig, ſie aß mit dem groͤßten Appetit zwei
III. [ 24 ]
[370]Zweite Abtheilung.
ſchoͤne Aepfel, die ich ihr hatte kaufen muͤſſen, ſie
ſtand vor dem Spiegel und lachte; ich ging indeß
hinaus, ihr den neuen Spitzenaufſatz zu holen,
der ihr ſo himmliſch ſteht: ploͤtzlich hoͤr' ich ein
lautes Aufſchreien, ich erſchrecke, ich horche, da er-
kenne ich die Stimme meiner Prinzeſſinn, ſie klagt,
daß ſie geboren iſt, ſie will ſterben, ins Grab will
ſie ſich legen, ich begreife nicht, ich laſſe vor Er-
ſtaunen die Brabanter Spitzen fallen, laufe hin-
ein, und finde ſie, und ſehe ſie, — o wie ſoll ich
beſchreiben, was ich ſah, was ich fand?


Koͤnig.

Nun?


Margarethe.

In der Stube ſteht und
heult ein wildes Weſen mit zwei langen graden
Hoͤrnern auf dem Kopf, das zieht an den Hoͤr-
nern, als wenn es ſie ausreißen wollte, und weint
und verzweifelt.


Koͤniginn.

Und wer war das Thier?


Margarethe.

Ach, ſcheltet, nennt ſie nicht
ſo: unſre arme, ungluͤckliche Prinzeſſinn war es.


Koͤnig.

Ich will nicht hoffen. — Agrippina?


Margarethe.

Sie ſelbſt.


Koͤniginn.

Mein liebſtes Kind, meine
reizende Tochter?


Margarethe.

Ach! Niemand anders.


Koͤnig.

Was hat das zu bedeuten? Wun-
der uͤber Wunder! Erſt verſchwunden, wieder ge-
kommen, nun gar Hoͤrner auf dem Kopf! Aber iſt
es denn auch wahr? Biſt Du nicht vielleicht uͤber
die Weinflaſche gerathen, und haſt ihren Kopfputz
fuͤr Hoͤrner angeſehn?


[371]Fortunat.
Koͤniginn.

O komm, meine ſuͤße Agrip-
pina, komm, und zeige, ob dies ungeheure Elend
wirklich uͤber uns gekommen iſt.


Sie geht hinein, und fuͤhrt Agrippina heraus,
die zwei Hoͤrner auf der Stirn hat.

Koͤnig.

In unſrer Familie! daß das ſoll
in die Chronik kommen! Abgebildet fuͤr die Nach-
welt im Holzſchnitt!


Agrippina.

Nein Theure, nein, Ihr koͤnnt mich nicht erdulden,
Verſtoßt mich in die Wuͤſte zum Gethier,
Des Bild ich trage, laßt dort Wolf und Baͤr
Die Glieder mir zerfleiſchen, daß vertilgt
Vergeſſen ſey mein Schimpf, mein Angedenken.


Koͤniginn.

O maͤßge Dich, es giebt wohl Rath und Huͤlfe.


Koͤnig.

Spring, Margarethe, lauf, da iſt der Schluͤſſel!
In meinem Laboratorium iſt Herr Raimund,
Dann geh' in Eil zu meinem Leibarzt hin;
Still darf man das nicht in die Taſche ſtecken.


(Margarethe ab.)

Agrippina.

Und weiter nur verbreitet ſich die Schande,
Und groͤßer wird nur mein Verzweifeln noch.


Koͤniginn.

O faſſe Dich, mein Kind, die Menſchenkunſt
Wird fuͤr Dein Ungluͤck doch noch Mittel wiſſen.


Koͤnig.

Der Leibarzt muß, er ſteht dafuͤr in Lohn,
Hat Rang am Hofe, ein Rezept verſchreiben,
Wonach der Auswuchs wieder ruͤckwaͤrts ſinkt.


[372]Zweite Abtheilung.
Raimund und Magarethe noch draußen.

Raimund.

Elende!


Margarethe.

Ungeſchickter!


Raimund.

Toͤlpel!


Margarethe.

Narr!

(beide treten ein.)

Koͤnig.

Was giebts?


Raimund.

O Majeſtaͤt, ein ſchrecklich Ungluͤck,
Ich weiß nicht ob ich dieſen Schlag verwinde:
So herrlich waren niemals noch die Zeichen,
Das Werk war dem gekroͤnten Ende nah,
Ich obſervire mit geſpannter Angſt
Und in entzuͤckter Trunkenheit, da rennt
Die alte Furie auf mich los, und ſtoͤßt
Mir an den Ellenbogen, meine Hand
Faͤhrt aus, ich wende mich, und ſtoße, — ſtoße, —
O hoͤrt es, Koͤnig! — ſtoße die Phiole
Um und entzwei, und alles rinnt ins Feuer,
Das ſchlaͤgt in rother Lohe druͤber her
Vor Freude kniſternd, als wenns mich verlachte.


Koͤnig.

Und alles iſt umſonſt?


Raimund.

Vergeblich alles,
Es muß von vorn die Op'ration beginnen.


Koͤnig.

O Ungeſchickte —


[373]Fortunat.
Margarethe.

Laßt mich auch nur reden:
Er wollte gar nicht hoͤren, ſtand verdutzt
Wie angenagelt da und ſah ins Feuer,
Ich rief ihn zwei und dreimal; wer nicht hoͤrte
War er, der alte graue Hexenmeiſter:
Da nahm ich ihn beim Arm, ſo zart anſtaͤndig,
Wie nur ein Cavalier die Dame faßt,
Da ſpringt er 'rum und wacht aus ſeinem Traum,
Plump wie er iſt, faͤllt er mir auf den Leib,
Wir beide ſtoßen ſo das Ding ins Feuer.


Koͤnig.

O Ungluͤck uͤber Ungluͤck! Seht nur her,
Was wir indeß an unſerm Blut erleben.


Raimund.

Ich ſtaune. — Meine gnaͤdige Prinzeß,
Wie ſeyd Ihr zum Portentum denn geworden?


Koͤniginn.

Nun helft mit Eurer Wiſſenſchaft und Kunſt.


Der Leibarzt koͤmmt.

Leibarzt.

Was will die Majeſtaͤt — ei heiliger
Galen und Aeskulap! Was ſeh' ich da?


Koͤnig.

Ja, ja, mein Freund, das ſieht hier traurig aus.
Iſt Euch die Krankheit je ſchon vorgekommen?


Leibarzt.

Niemalen, das iſt neu und unerhoͤrt,
Das macht mich dumm, geht gar und gaͤnzlich uͤber
Den Horizont mir. — Wie? Woher? Warum?
Wie abzuhelfen? Das ſind alles Fragen,
Die noch in keinerlei Syſtem verzeichnet.
[374]Zweite Abtheilung.
Ei! ei! wie hart! und eben recht, und rund
Als wie gedrechſelt. Wißt Ihr Rath, Herr Rai-
mund?


Raimund.

Ich ſtehe wie vernagelt.


Leibarzt.

So wie immer:
Geht, theure Fuͤrſtinn, dort mit ihm hinein,
Die kleine Saͤge nehmt, verſucht mit Vorſicht
So weit es geht, von oben weg zu ſchneiden.


(Agrippina mit Raimund und Margarethe ab.)

Koͤniginn.

Ach, das muß Strafe wohl des Himmels ſeyn.


Leibarzt.

Was ſollt' er denn mit Hoͤrnern grade ſtrafen? —
Sollt' ſich wohl harte, unverdaute Speiſe
Zum Haupte wenden, dort verſteinern gleichſam,
Im Tode lebend wieder Wachsthum ſuchen
Und ſo die Stirn durchdringen? Iſts ein Hirſch-
horn.
Den die Prinzeß im Trank, als Gallert liebt?
Giebts ſo wie Ueberbeine, Ueberkoͤpfe?
Sind Hoͤrner nur Leichdornen, ſo vergroͤßert?
Iſts Nagelwuchs und Trieb auf falſcher Bahn?
Ich muß daruͤber leſen, gruͤndlich denken.


Drinnen.

Weh! Weh!


Leibarzt.

Welch ein Geſchrei?


Koͤniginn.

Mein armes Kind!


[375]Fortunat.
Raimund koͤmmt zuruͤck.

Raimund.

Vergeblich! Wie es mir gelingt, ein Stuͤck
Des Hornes abzuſaͤgen, ſchießt es gleich
Mit neuer Kraft und wie elaſtiſch vor,
Das Schneiden macht ihr Schmerz und fruchtet
nicht;
Was ſoll man drum ſie nur vergeblich quaͤlen?
Sie weint und hat ſich in ihr Bett verhuͤllt.


Leibarzt.

Ich rathe, hohe Majeſtaͤten beide,
Daß man Collegium medicum verſammle;
Der Caſus iſt zu wichtig und zu ſelten,
Daß ich allein ihn auf die Schultern naͤhme;
Doch mit gemeinem Rath hat man mehr Muth,
In Corpore kann unſre Kunſt nicht irren,
Wir ſtehn dann wie in Batterien verſchanzt
Und ſchießen mit Erfolg die Krankheit nieder.


Koͤnig.

So ſeys, denn wohl iſt dies der beſte Rath.


Koͤniginn.

Unſelges Kind, wie haſt Du das verſchuldet?


Raimund.

Die Kohlen werden nun erloſchen ſeyn.


(Alle gehn ab.)

[376]Zweite Abtheilung.
Fuͤnfte Scene.

(Zimmer).

Herbert, L. Herbert, Theodor.

Theodor..

Bitter und boͤſ' iſt ſie, und wollte erſt
Gar nicht mehr kommen, wie ſie doch verſprochen;
Doch ſie iſt immer zornig, bin's gewohnt:
Waͤr' ſie mal gut, wuͤrd' ich, mein Seel! erſchrecken.


Herbert.

Doch iſt es ungeziemlich, wenn der Ritter
Sich nicht den Damen will gefaͤllig zeigen,
Kein Opfer iſt zu groß, wenn ſie es fordern,
Wie mehr die Kleinigkeit, die ſie begehrte.


Theodor..

'S war nur ein Apfel, das iſt wahr, der aber
Zehn volle Pfund' und mehr noch koſten ſollte.
Letzt wollte ſie noch klein're Kleinigkeit,
Nur einen ſchoͤnen Ring fuͤr tauſend Pfund.
Jetzt, da ſie meine Braut iſt, muß ich ihr
Den Kopf noch brechen, nachher iſts vergeblich.


Herbert.

Die ungeſchlachte Weiſe, dieſe Sprache,
Wie Meſſer ſchneiden ſie durch Mark und Bein.


Theodor..

Ich ſo, Ihr ſo, das kommt auf eins hinaus,
Und's wird doch meine Frau verhoffentlich,
Da muß ichs doch am beſten wiſſen, wie
Ich ſie mir bieg' und mir akkommodire.


Herbert.

Nicht zu ertragen iſts, ich geh, um nicht
Die Widrigkeit zu hoͤren und zu ſehn,
[377]Fortunat.
Um nicht Antwort zu geben, wie ich muͤßte:
O Zeit! dies ſind nun Deine Juͤnglinge,
Wie wirſt Du ſeyn, wenn dieſe Greiſe ſind?


(ab.)

Theodor..

Die Welt ſteht doch, ſie iſt ſo feſt gerammt,
So doppelt eingekeilt und ſtark verleimt,
Daß ein'ge Dummheit mehr und weniger
Noch nicht die Fugen loͤßt: doch der Papa
Denkt, wenn man nicht recht ſachtchen ſacht die
Thuͤr
Zumacht, ſo muͤſſen Schloß und Angeln brechen.


L. Herbert.

Du ſollteſt manchmal ſeiner Laune ſchonen,
Sein Alter wird durch Widerſpruch gekraͤnkt.


Theodor..

Er lernt ſich doch ſchon etwas ein. Seht, Mutter,
Den Apfel hab' ich fuͤr mich ſelbſt behalten,
Euch darf ichs wohl geſtehn, iſt jeder ſich
Der naͤchſte doch; wenn ſie nun bei Euch ſitzt,
So geh' ich ſtill und unbemerkt hinaus,
Verſpeiſe draußen meinen Apfel, komme
Mit neuem Antlitz und mit neuem Witz
Zuruͤck, um die Geſellſchaft zu bezaubern.


L. Dorothea tritt ein.

L. Herbert.

Seyd mir gegruͤßt, verehrte, ſchoͤne Freundinn,
Schon lang habt Ihr nicht unſer Haus begluͤckt.


Dorothea.

Ich freue mich, wenn man mich hier vermißte,
Denn Euer ſo wie des Gemahles Umgang
[378]Zweite Abtheilung.
Gilt fuͤr die Bluͤthe dieſer Reſidenz,
Ich komme jedesmal, von Euch zu lernen.


L. Herbert.

Wie hoch begluͤckt, daß ich dies edle Bild,
Begabt mit Geiſt und Witz, ſoll Tochter nennen.


Theodor..

Ja wohl; nun hat's am laͤngſten doch gedauert?
Meine Geduld macht nun bald Feierabend.


Dorothea.

Wir ſprachen noch von mancherlei Bedingung —


Theodor..

Nichts da! Ganz unbedingt iſt wahre Liebe;
Zwar macht ſonſt Dingen wohl und Bieten Handel;
Ihr muͤßt auf Gnad' und Ungnad' Euch ergeben.


Dorothea.

Der Sohn iſt wie zur Folie hingeſtellt,
Er uͤbt in dieſer Maske ſich, daß heller
Auf dieſem Grund Eur holdes Weſen ſtrale.


Theodor..

Ja, ſtichelt nur! Jetzt will ich Euch verlaſſen,
Ich komme gleich zuruͤck. Verſteht, ſogleich!
Und wie? Macht Euch gefaßt, denn Ihr ſeht
Wunder!
Was gilts, Ihr ſetzt dann ſelbſt den Hochzeittag? —
Frau Mutter, reinen Mund, bitt' ich mir aus.


(geht ab.)

Dorothea.

Was meint er denn?


L. Herbert.

Weiß ich es ſelber, Kind?
Vielleicht ein neues Kleid, — er macht mir Sorge,
Er zeigt ſich ungefaͤllig, eigenſinnig, —


[379]Fortunat.
Dorothea.

Ich kenn' ihn ganz; er meint mich zu erziehn,
Wenn ich die Seine bin: mich ſo zu bilden
Wies ihm bequem, ſo ſchmeichelt ihm ſein Duͤnkel:
Allein die Maͤnner, ſelbſt die wildeſten,
Erkennen nie die Kraft, der wir gebieten,
Die ſich in Anfang tief verbirgt; wir ſchmeicheln,
Gehorchen anfangs, Kinder ſcheinen wir,
Doch nach und nach entwickelt ſich die Herrſchaft,
Und jene, die uns ziehen wollten, ſind
In kurzer Friſt von uns alſo erzogen
Wie wir ſie brauchen koͤnnen; keine Thraͤnen,
Und keine Krankheit, kein Zwiſt, kein Suͤhnen
muͤßte
Nicht in der Welt ſeyn, wenn die Frau nicht koͤnnte.
Aus ihrem Manne machen was ſie wollte.


L. Herbert.

Ihr ſprecht ſo weiſe, wie die Ehefrau
Nur koͤnnte, die drei Maͤnner ſchon begraben.


Theodor tritt ein, mit Hoͤrnern auf dem Kopf.

Dorothea.

Ei, Gott bewahr! was ſoll das Maskenſpiel?


Theodor..

Ich ſelber bins; ſelbſt ganz mit Haut und Haar!
Ne ſaubere Beſcheerung! Schoͤner Glanz!
Dankt Gott nur, Fraͤulein Braut, daß ich den Apfel
Euch weggeſchnappt, denn kaum iſt er verſchluckt
So ſchlagen ſchon aus mir die Kern' heraus.


L. Herbert.

Um Gottes Willen —


Theodor..

Ruͤhrt mich nicht viel an!
[380]Zweite Abtheilung.
Kommt nicht ſo nah, ich kriege Luft zu ſtoßen,
Mir iſt ganz ſo zu Muth wie einem Widder.
O Sapperment! haͤtt' ich den Aepfelhoͤker
Zum Klopfen vor mir, wie ich ihn da packte,
Als ſich der rammaſſirte Grobian
Mir widerſetzen wollte; er hat Kraft,
Wir pruͤgelten uns beide ganz gewiß
Daß ſeine Luſt der ganze Hof dran haͤtte.


Dorothea.

Ihr koͤnnt noch ſcherzen?


Theodor..

Scherzen? In Verzweiflung,
In Raſerei bin ich, furchtbar geſtimmt!
Merkt Ihrs denn nicht? Es iſt um toll zu werden!
Und alles andre auch bei Seit' geſetzt
Seht ſelbſt, wie ſtuͤlp' ich nur den Hut mir auf?
Soll er mir oben auf den Stangen baumeln?
Laß ich mir einen neuen modeln, wo Raum
Schon fuͤrs Gehoͤrn, und dies dann mit den Federn
Wetteifern? Geh ich immer Chapeau bas?


Dorothea.

Ihr ſeyd mir unertraͤglich, und verliert Ihr
Nicht dieſe Mißgeſtalt, ſind wir geſchieden.


Theodor..

Noch vor der Heirath? Das iſt nicht der Ton;
Nachher laͤßt ſich ein Woͤrtchen davon ſprechen.


Dorothea.

Ich bin zu fadem Scherz nicht aufgelegt.


(geht ab.)

Theodor..

Sagt, liebe Mutter, was in aller Welt
Soll aus mir werden? Geh ich nicht vielleicht
Zur Schneidemuͤhle, ſpann' den Kopf mir ein,
[381]Fortunat.
Und laß' an mir arbeiten das Getriebe?
Geh' ich zum Meſſerſchmiedt, zum Kammacher,
Und laß' aus mir Geraͤthe fertigen?
Haͤng' ich mich auf? So gebt doch Troſt und
Huͤlfe.


L. Herbert.

Mein einzig Kind, die Thraͤnen moͤgen ſagen,
Wie ich mir ſelbſt nicht Rath weiß und nicht Troſt.


(geht ab.)

Theodor..

Ich wette, der Papa hat ſeine Freude,
Hoͤhnt mich noch aus mit dieſer neuen Mode.
Ei was! wie leicht gewoͤhnt man ſich an alles:
Ich lege mich ins Bett und heul' mich ſatt;
Nur muß ich darauf denken, nicht die Pfuͤhle
Mit dieſem ſaubern Kopfſchmuck zu zerreißen:
Schlafmuͤtzen kann ich auch fuͤr jetzt nicht brauchen.


(geht ab.)

Sechſte Scene.

(Stube.)

Dietrich, Bertha.

Dietrich.

Alſo immer und taͤglich ſoll ich
den Verdruß einſchlucken?


Bertha.

Schlucke, was Du willſt, ich weiß
nicht, was ich Dir gethan habe.


Dietrich.

Was? Daß Du mir nicht ewige
Treue und Liebe ſchwoͤren willſt; daß Du nicht
einſehn willſt, daß der Mann des Weibes Haupt iſt.


Bertha.

Des Weibes Narr, mein Beſter:
[382]Zweite Abtheilung.
und was haſt Du denn im Vermoͤgen, wovon eine
Frau reputirlich bei Dir leben koͤnnte?


Dietrich.

Man richtet ſich ein, das fin-
det ſich.


Bertha.

Das Finden und das Einrichten
kenne ich. Pfui, ſchaͤme Dich, Menſch, haſt ſo
lange bei dem reichen Verſchwender Andaloſia ge-
dient, der auf Goldſtuͤcken ging, und jeden Blick
bezahlte, den man an ihn warf, und biſt doch ein
armer Schlucker geblieben!


Dietrich.

Kennſt Du mich denn ſo genau?
Kannſt Du denn wiſſen, ob ich nicht mein Schaͤf-
chen ins Trockne gebracht habe? Frauensleuten
muß man nie Geheimniſſe anvertrauen.


Bertha.

Seht doch den Unverſchaͤmten!
und er will doch noch behaupten, daß er mich lieb
hat. Das iſt aber gewiß nur Aufſchneiderei und
Wind, denn ſonſt wuͤrdeſt Du ſchon mehr geprahlt,
mir auch hin und wieder ein Geſchenk gemacht ha-
ben; ſollteſt Du aber ein ſo geiziger Filz ſein,
daß Du es nur aus Knickerei nicht gethan haͤtteſt,
ſo wuͤrde ich Dich mit den Fuͤßen aus meiner
Stube ſtoßen.


Dietrich.

Praͤſente, nicht wahr? Kleider,
und artige Fruͤhſtuͤcke, und Ohrringelchen? Gelt?
Ja, wenn ich mein Bischen Armuth geſtohlen haͤtte!


Bertha.

Und wie anders biſt Du dazu ge-
kommen, wenn Du etwas haſt, Gaudieb?


Dietrich.

Gaudieb? Das iſt bei uns zu
Lande geſchimpft.


Bertha.

Kann ſeyn.


Dietrich.

O Du Undankbare! Du weißt
nicht, was ich Dir zugedacht hatte. Sieh! Du
[383]Fortunat.
begreifſt nicht, wie ich zu dieſem Apfel gekommen
bin: o Du harte Seele, den wollte ich mit Dir
theilen.


Bertha.

Kannſt ihn ganz behalten, wenn
Du nichts Beſſeres haſt.


Dietrich.

Soll auch geſchehn. Sieh, Dir
zur Aergerniß eß' ich ihn, ſo, und ſo, und nun
ſoll der Neid Dich zerreißen, wenn Du die Wir-
kung, die Herrlichkeit wirſt gewahr werden.


Bertha.

Mit ſolchem Narren ſoll ich ge-
ſegnet ſeyn?


Dietrich.

Und wenn es recht wirkt, recht,
wie ich hoffe, ſo laß' ich Dich ſitzen!


Bertha.

Jaͤmmerlicher.


Dietrich.

Nun! Sieh mich einmal an!
Wirſt Du nichts gewahr?


Bertha.

Biſt Du betrunken? Biſt Du
unklug?


Dietrich.

O weh! Wie reißt es mir im
Kopf! O weh! Huͤlfe! Ach, welche Schmerzen!


Bertha.

Im Kopf?


Dietrich.

O unertraͤglich. Nimm, liebſter
Engel, Deine kleinen Haͤndchen und druͤcke mir die
Schlaͤfen recht. — So, — noch ſtaͤrker! — Recht
zuſammen!


Bertha.

Ich wende alle Kraͤfte an. —
Garſtiger Menſch! Stoͤßt mir gerade ins Geſicht.
Iſt das mein Dank?


Dietrich.

Ich? — Was iſt mir denn da
aus dem Kopfe geſprungen? Der Schmerz iſt weg,
aber es fuhr ja was wie ein Kloben heraus.


Bertha.

Ums Himmels Willen, Menſch,
Du biſt ein Ungeheuer!


[384]Zweite Abtheilung.
Dietrich.

Was fuͤhl' ich? Was ſeh' ich?
Hoͤrner? Wahrhaftige Hoͤrner? Du Boshafte,
Schaͤndliche! Das hat mir mein Vater wohl vor-
her geſagt! O Du Unverſchaͤmte! mir noch mit
den eignen Haͤnden die Hoͤrner heraus zu druͤcken!
Und das vor der Hochzeit!


Bertha.

Er hat Hoͤrner bekommen und den
Verſtand verloren. Was kann ich dafuͤr, daß ſie
ihm tief im Gehirne ſtecken, ſo daß man ihm nicht
den Kopf ein wenig anfaſſen darf, ſo ſchießen ſie
hervor wie Springfedern! Hat er mir nicht bei-
nah die Augen ausgeſtoßen? Vielleicht kann man
ſie ihm wieder zuruͤck druͤcken, und ſie weichen ihm
im Kopfe wieder auf, denn er hat doch nichts als
Buttermilch drinne.


Dietrich.

Buttermilch? Du Ungetreue!
Von Dir, von Deiner Untreue ruͤhren ſie her.
Ich habe meinem Vater nicht glauben wollen, und
muß nun die Wahrheit an mir ſelber erleben! O
verfluchte, verfluchte Liebe! Verflucht die Stunde,
wo Du mir zuerſt jenen Kapaunenſchenkel heim-
lich zuſteckteſt, denn damals war es um mein Herz
geſchehn! Verflucht jedes Glas, das ich auf Deine
Geſundheit ausgetrunken habe! Und ſchon vor
der Ehe! Weg da! Ich renne Dich mit dieſen
Hoͤrnern von Deiner Fabrik durch und durch!
Ich ſtoße das ganze Haus um! Ich ruinire die
Stadt!


Bertha.

Die Beſtie verdirbt alle Moͤbeln,
die Thuͤren; — was ſoll das werden?


Dietrich.
(herum wuͤthend.)

Hier! und da!
und alles ſoll zu Truͤmmern gehn! Halt!

(er rennt

ſich
[385]Fortunat.
ſich mit den Hoͤrnern in dem Thuͤrpfoſten feſt.)

Mach los!
Mach los!


Bertha.

Ja, daß Du noch mehr herum
raſeſt.


Dietrich.

Ich ſitze feſt, die Hoͤrner ſind
tief hinein gefahren: zieh! zieh! mach los!


Bertha.

Du ſiehſt, wie ich arbeite, ich kann
nicht, meine Kraͤfte ſind zu ſchwach.


Dietrich.

So lieg' ich nun hier feſt im
Hafen der Liebe; ſoll ich denn hier wie eine Saͤule
ſtecken bleiben?


Bertha.

Es iſt alles vergeblich.


Dietrich.

Ich verwachſe mit dem Hauſe in
eins, die Hoͤrner greifen durch bis ins Mauerwerk,
und wenn die Feuchtigkeit erſt eintritt, ſo quillen
ſie vielleicht bis in die Fundamente hinein. Zu
welchem Schickſal bin ich geboren! Alle Faͤlle, die
mir mein Vater vorhergeſagt, alle Rathſchlaͤge paſ-
ſen auf dieſe vermaledeite Situation nicht, hier
eingenagelt, mit gebuͤcktem Kopfe ſtehn zu muͤſſen.
Hilf los!


Bertha.

Kann ich die Mauer umreißen? —
Da laͤuft der junge Tiſchler mit ſeinem Geraͤthe
vorbei!

(klopft ans Fenſter.[)]

Hier herauf! Hieher,
lieber Martin! — Er muß Dich aus dem Pfo-
ſten losſaͤgen, ſonſt ſeh ich keine Rettung.


Dietrich.

Was muß der Menſch denken?

Martin tritt herein.

Martin.

Was ſoll ich, ſchoͤnes Kind? —
Ei, was iſt denn das fuͤr ein Spektakul? Das
iſt ja der Musje Dietrich! Im Holze feſt! Mit
Hoͤrnern!


III. [ 25 ]
[386]Zweite Abtheilung.
Dietrich.

Nur nicht viel geſprochen! Helft
mir ſchnell los!


Martin.

Es iſt wohl erlaubt, ſich ein we-
nig zu verwundern, denn ſo was ſieht man nicht
alle Tage, wenn man auch weit darum reiſen
wollte. Das hat noch keine Raritaͤtenkammer auf-
zuweiſen.


Bertha.

Nehmt die Saͤge, Lieber, und ar-
beitet ihn los.


Martin.
(ſaͤgt.)

Die Thuͤr wird aber ruinirt,
das muß ja nachher von neuem gebaut werden.
Je nun, ſo kriegt mein Meiſter deſto mehr Arbeit.


Dietrich.

Nehmt Euch in Acht, Freund,
ſchwazt nicht, daß Ihr mir nicht in die Hoͤrner
ſaͤgt, oder wir werden uns ſprechen.


Martin.

Wenn er viel Flauſen macht,
Spaßvogel, ſo laſſe ich ihn hier im Holze ſitzen,
bis ihn mit der Zeit die Wuͤrmer heraus beißen.


Bertha.

Eilt Euch, lieber, guter Martin,
die Herrſchaft moͤchte kommen.


Dietrich.

Das iſt wohl einer von Deinen
Liebhabern, der liebe Martin, nicht? Du Schand-
fleck der Natur!


Martin.

Hoͤr' er, Freund, er ſteht hier mit
ſeinem krummen Ruͤcken und Hintern ſo anziehend
da, daß, [wenn] er noch mehr ſein loſes Maul
braucht, ich ihm ein funfzig aufzaͤhlen werde. Er
kann ſich ja nicht einmal wehren, armſeliger Na-
ſeweis, er!


Dietrich.

Still, ſaͤgt, Freund, ſaͤgt, das
eine Horn wird ſchon loſe.


Martin.
(ſaͤgend.)

Dank' er doch Gott, daß
man Erbarmen mit ihm hat; wo wollte er denn
[387]Fortunat.
ſchlafen, wenn wir ihn hier eingefugt ſtehn ließen? —
Nun, nicht geriſſen, ruhig ausgehalten; gleich iſt
er frei.


Dietrich.
(reißt ſich los.)

Das war voruͤber.
Dieſe Abhaͤngigkeit war ſehr druͤckend.


Martin.

Wie kommt Ihr nur zu dem
Gewaͤchs, Freund? Wenn mancher Kunſtfreund
Euch ſo ſehn ſollte, er boͤte viel Geld fuͤr Euch.


Dietrich.

Ich kann nicht viel Rede ſtehn,
der Schmerz, die Angſt, — ich bin ſo muͤde, ſo
zerſchlagen, daß ich mich kaum aufrecht halte. Er-
laube, Bertha, mich dort ein wenig nieder zu legen.


Bertha.

Komm, mein armer Dietrich, leg [...]
Dich ein wenig auf mein Bett, und erhole Dich
von dem Schlage.

(ſie fuͤhrt ihn hinein.)

Martin.

Was ſoll man davon denken? Der
Menſch ſtellte ja den Liebhaber von der Mamſell
Bertha vor, auf die ich auch laͤngſt ein Auge hatte,
und die mir nicht ungewogen iſt. Ei, den Kerl
moͤcht' ich haben, ſo waͤre mein Gluͤck gemacht.


Bertha koͤmmt zuruͤck.

Bertha.

Der arme Menſch ſchlaͤft feſt und
ſchnarcht gewaltig; die ganze Sache iſt mir voͤllig
unbegreiflich, er klagte uͤber Schmerzen, da druͤckte
ich ihm den Kopf ein wenig, und wie ein Paar
junge Ziegen ſprangen mir die Hoͤrner entgegen,
und nun ſitzen ſie feſt und unbeweglich.


Martin.

Iſt es denn aber denklich, daß
ein ſo ſchoͤnes, liebes Kind, wie unſre Bertha iſt,
ſich mit einem ſo verwandelten Menſchen, aus dem
noch, wer weiß was, werden kann, verheira-
then wird?


[388]Zweite Abtheilung.
Bertha.

Er hat mir ſchon ohne Hoͤrner
nicht ſonderlich gefallen, viel weniger jetzt, man
muͤßte ſich ja vor allen Menſchen ſchaͤmen. Was
muͤßte der Prieſter nur ſagen, wenn wir ſo vor
den Altar traͤten?


Martin.

Und die Kinder koͤnnten auch ſolche
Waldteufel werden.


Bertha.

O Pfui, mein Lieber, denken wir
daran nicht.


Martin.

Schoͤnes Maͤdchen, mir fehlt nur
eine Summe, um Meiſter zu werden, ſonſt haͤtte
ich ſchon lange um Dich angehalten: den Kerl
muͤſſen wir feſthalten, ſo wie er da iſt, der kann
unſer Gluͤck machen; mein Vetter, der Geſell beim
Theaterſchneider, macht mir einen Satyrpelz fuͤr
ihn, ich baue einen ſchoͤnen Kaͤfig, und ſo ziehn
wir mit ihm herum und laſſen ihn fuͤr Geld ſehn,
erſt in den kleinern Staͤdten, und dann hier in
London; ich gebe ihn dann fuͤr einen wahrhaftigen
Satyr aus, die Hoͤrner ſind ja auch aͤcht, und ſo
koͤnnen wir reich durch ihn werden.


Bertha.

Martin, den Verſtand haͤtt' ich
Euch nicht zugetraut; das iſt ein Einfall, der ſein
Geld werth iſt.


Martin.

Kommt nur jetzt mit hinein, und
helft mir ihn feſtbinden und knebeln, daß er uns
nicht entlaͤuft, dann muß ich auch die Thuͤr wieder
in Stand ſetzen, dann bau' ich den Kaͤfig, und
dann wollen wir unſer Gluͤck mit ihm verſuchen.


(ſie gehn ab.)

[389]Fortunat.
Siebente Scene.

(Pallaſt.)

Koͤnig, Raimund, Leibarzt, drei
Doktoren
.

Koͤnig.

Nun wißt Ihr, meine Herrn, die ganze Sache,
Die ungluͤckſelge Tochter ſaht Ihr ſelbſt,
Die Art der Krankheit habt Ihr ſcharf gepruͤft,
Nun ſprecht, was man fuͤr Huͤlfe ſoll erfinden.


Leibarzt.

Zuerſt der edle Mann, mein Lehrer hier,
Dem aͤlteſten gebuͤhrt die erſte Stimme.


1. Doktor.

So ſehr ich langer Praxi mich beruͤhme,
So ſeltne Wunden, Schaͤden, Gliederkrankheit,
Verrenkung, unnatuͤrliche Verhaͤrtung
In Magen, Leber, Milz ich auch geſehn,
Iſt mir doch dieſer Fall nie vorgekommen.
Man lieſt, wie es wohl ſchon geſchehen ſey,
Daß ſich die Knochen erſt in Knorpel loͤſen,
In Gallert dann, und daß ein Menſch, der erſt
Sechs Schuhe maß, zu zwein zuſammen faͤllt;
Mag ſeyn, daß die Natur wohl auch einmal
Das Wunder umkehrt, und die weichen Theile
Die Fluͤſſigkeit in harte erſt verwandelt,
Und allgemach in Horn, das waͤchſt und waͤchſt,
So daß vielleicht nach einer Anzahl Jahre
Die gnaͤdige Prinzeß in Hoͤrnermaſſe
Von vielen Klaftern oder Ruthen ſchwaͤnde.


Koͤnig.

Das waͤr' ein Elend; doch klingts paradox.


[390]Zweite Abtheilung.
1. Doktor.

Es naͤhrt der Menſch zu Zeiten wie der Baum
Schmarotzerpflanzen, ſo erſcheint die s Horn,
Es darf nicht bleiben, theils, als ungehoͤrig,
Theils, weils gewiß die beſten Kraͤfte zehrt:
Dabei muß nun Diaͤt das meiſte thun,
Nahrhafte Speiſen werden ſtreng vermieden,
Auch alle Schaͤrfen, alles was erhitzt,
Nur Waſſer, wenig Brod, ein Haberſuͤppchen,
So loͤſen wir vielleicht die Haͤrtung auf,
Wenn ſtarke, wiederholte Medizin
Den Trieb erregt, nachher ihn unterſtuͤtzt.


Koͤnig.

Doch kann die Kranke daran nicht verſcheiden?


1. Doktor.

Wenns lange waͤhrt, gewiß, drum iſt es beſſer,
Es gehn zu laſſen, und nur zu beachten
Wohin Natur ſtrebt, ob zur Rindesart,
Fuͤr Lebenszeit das Horn, ob die Prinzeß
Es wie der Hirſch mit jedem Jahre wechſelt;
Faͤllt kuͤnftgen Fruͤhling das Geweih, ſo iſts
Die beſte Zeit, die Cur dann zu beginnen.


Koͤnig.

Wir ſind ſo klug noch immer, wie zuvor.


2. Doktor.

Hoͤchlich verehrt iſt mein gelehrter Freund,
Doch machen ihn die Jahre etwas aͤngſtlich:
Soll man das Neue nimmermehr verſuchen,
Verliert das alte auch den Sinn und Geiſt.
Wir ſchneiden, brennen, wo es noͤthig thut,
Wie ſtechen Staar mit Gluͤck, und amputiren
Den Menſchen oft halb weg, ihn ganz zu retten,
Wir nehmen Zaͤhne aus, ſie einzuſetzen,
[391]Fortunat.
Und ſehn den Koͤrper vor uns, wie ein Beet
Zu ackern drein, zu ſaͤen nach Belieben;
Oft ſieht ein Menſch, der einge Jahr bei uns
Die Schule frequentirt, kaum noch mehr aͤhnlich
Dem Bilde, das Natur zuerſt erſchuf,
Iſt wie Kunſtpraͤparat mehr zu betrachten:
Ich ließ noch kuͤrzlich einen von mir, dem
Der Kopf aus Silber halb beſtand, die Beine
Aus Holz, der eine Arm von Leder,
Das Wenige, was von ihm uͤbrig blieb
Das uͤbertrug geſchickt die andre Haͤlfte.
Ich bin einmal ſehr fuͤrs Maſchinenweſen,
Ein Menſch, ſo ungeformt, iſt edler ſtets
Als jenes wild gewachſene Produkt.


Koͤnig.

Wo will denn Eure Meinung nun hinaus?


2. Doktor.

Ich zeige nur, daß wirs hier leichter haben,
Denn hier iſt ja kein Mangel zu erſetzen,
Vielmehr ein Ueberfluß nur wegzuſchneiden,
Wir trepaniren etwas nur im Großen,
Bohren das Horn weg, doch ein Theil der Schaale
Des Kopfs muß auch mit fort, daß wir die Wurzeln
Zuſammt dem Baum ausreuten, ſonſt von neuem
Waͤchſt er empor, wie auch Verſuche zeigten.


Koͤnig.

Kann bei der Cur mein Kind nicht Schaden
nehmen?


2. Doktor.

Iſts tief gewurzelt, hart verwachſen, kann
Freilich der Kopf dabei in Truͤmmer gehn.


Koͤnig.

Ei, Bagatell! — Was ſoll man dazu ſagen?


[392]Zweite Abtheilung.
3. Doktor.

Der juͤngſte hier, erlaube man mir nun
Nach den verehrten Herren auch zu ſprechen
Es ſcheint wohl, daß der Majeſtaͤt des Herrn
Die Meinung unſrer Freunde nicht behagt,
Mit Unrecht nicht, denn ſicher iſt der Schaden,
Die Huͤlfe ungewiß. Ich muß nur bitten,
Nil admirari, ruhig zuzuhoͤren.
Denn alles, was jetzt alt, war auch einſt neu.
Die Fuͤrſtinn hat zwei große, ſtarke Hoͤrner,
Das iſt der Fall: wo, frag' ich, iſt das Ungluͤck?


Koͤnig.

Wo, Beſter? Auf dem Kopf, Ihr ſaht' es ja.


3. Doktor.

Nicht ſo iſt es gemeint. Wo iſt das Ungluͤck?
So frag' ich wieder. Ward nicht alles Weſen
Aus Schleim zuerſt und Wurm? Polypen, Schlangen
Entſtanden dann und Fiſche, aufwaͤrts ſtieg es
Zum Thier und Vogel, endlich ſprang der Affe
Faſt ſchon vollendet hin, und, ſiehe da,
Die neue Mißgeburt, der Menſch, erhub ſich.
So ſchuf auf ihrem Gange die Natur.
Doch ſoll es dabei bleiben? Lang auf Lauer
Lag ich, wohin der Strom der Zeiten gehe,
Ob wir zum Fliegen uns erhoͤben, Schnabel
Und Klaue ſich wo zeigten, erſt natuͤrlich
Als Monſtrum, dann zu wahrer Art gereift.
Jetzt ſeh' ich aber, daß die Menſchheit mehr
Sich mit dem Thier verbinden, ſtaͤrken will,
Und gruͤße froh die neue Morgenroͤthe.
Ein alter Weiſer ſang: es gab Natur
Dem Manne Waffen und dem Vogel Schwingen,
Dem Pferde Hufen und dem Stier die Hoͤrner;
[393]Fortunat.
Was gab ſie Weibern denn zum Kampfe? Schoͤn-
heit!
Iſts nun zu klagen, wenn ſie mit der Schoͤnheit
Zum Kampf zugleich der Gemſe Horn erhalten?
Man ſagt ſich heimlich, daß ein großer Herr.
Mit dieſem Wunder ebenfalls begabt;
Iſt meine Anmaßung nicht all zu groß,
Wenn ich in Politik zugleich mich miſche,
So rieth' ich, beide zu vermaͤhlen gleich,
Damit die neue Menſchheit ſich verbreite,
Die doppelt dann bewehrt, mit Schwerdt und Horn
Unuͤberwindlich wird. Iſt wahr die Meinung,
Daß Aepfel dieſe Umwandlung geſchaffen,
Schiffsladungen von dieſen Fruͤchten ſollte
Man holen, um das Volk auch zu veredlen,
Denn wuͤrden wir Kraft, Kuͤhnheit, Tapferkeit,
Geſundheit, Freiheit bluͤhen ſehn im Lande,


Koͤnig.

Curios! Nach Eurer Meinung muͤßte man
Sich zu dem Ungluͤck gar noch gratuliren;
So waͤre denn Collegium medicum
Und Rathſchlag druͤber leere Taͤndelel;
Das iſt am allermeiſten mir entgegen.
Wie? Vogel, Affe, Stier zu werden wuͤnſchen?
Wies Euch beliebt, doch iſts nicht mein Geſchmack


Leibarzt.

Es ſcheint, daß gar nichts Euren Beifall hat.


Koͤnig.

Auf keinen Fall; ſprecht Ihr nun was Geſcheiters.


Leibarzt.

Darf ich es wagen frei, ganz frei zu ſprechen,
So ſchmeichl' ich mir, wohl ohne Operation,
[394]Zweite Abtheilung.
Und ohne ſchwere Cur, ein ſichres Mittel
Zu der Prinzeſſinn voͤlligen Geneſung
Nach reifem Sinnen, Herr, entdeckt zu haben.


Koͤnig.

Sprecht frei, es ſoll kein Menſch Euch darum ſchelten.


Leibarzt.

Mein Koͤnig, werthe Herrn, es iſt bekannt,
Daß viele Uebel epidemiſch ſind,
Daß einer ſie vom anderen empfaͤngt;
Noch andre erben auf die Kinder fort,
Ja ſelbſt der Fall iſt oͤfter vorgekommen,
Daß von des Vaters Weh ſein Erbe frei,
Im zweiten Glied der Enkel es empfaͤngt.
Im Kind entwickelt ſich der Eltern Geiſt,
In ihm kommt oft ein ſchwach Talent zur Reife,
In ihm wird auch das Uebel offenbar,
Ein ſcharfer Blick ſieht den Zuſammenhang.
Wir wiſſen jetzt, daß unſer Schaͤdel jede
Anlage zeigt, durch klein' und groͤßre Huͤgel:
Betrachten Sie genau Herrn Raimunds Kopf,
Den ſpitzen Schaͤdel, der Theoſophie
Und Schwaͤrmerei verraͤth, beſitzt er nicht,
Doch iſt der Mann von Schwaͤrmerei durchdrungen:
Das Haupt der Majeſtaͤt iſt oben flach,
Und doch iſt ſie zur Schwaͤrmerei verleitet;
Was ihm entgeht, hat an der Tochter Kopf
Sich hoch erſt und dann hoͤher ſtets gebildet,
Des Vaters Wunderglaub' im Uebermaaß,
Im Wachſen endlich ſich als Horn geſtaltet;
Auch von Herrn Raimund iſt es ſympathetiſch
Hinuͤber taͤuſchend auf ſie abgeſprungen,
Und wie ſich die Extreme ſtets beruͤhren
[395]Fortunat.
Steht da Theoſophie im Thiereszeichen:
Denn weil bei ihr, der Armen, zartere
Organe die Verirrung fand des Geiſtes,
Ward langes Horn was bei dem Myſtiker
Und bei des Koͤnigs Majeſtaͤt Erhoͤhung
Des Schaͤdels, Beulen, nur geworden waͤre.
Geruht nun unſer Herr zum Wohl der Tochter,
Warum wie ihn demuͤthig flehend bitten,
Der Schwaͤrmerei ſich voͤllig abzuthun,
Laͤßt er den Laboranten arretiren,
Und wenn es ſeyn muß, falls er ſich nicht beſſert,
An ſeinem Leben kuͤrzen, bin ich ſicher
Daß jene uͤbertriebnen theoſophſchen
Organe der Prinzeſſinn ſchwinden werden.


Koͤnig.

Doktor, Ihr ſeyd in Ungnade gefallen! —
Das war fauſtgrob. Ich ſollte eigentlich
Nach Eurer Meinung ſelbſt die Hoͤrner — hier
Mein Freund und Lehrer hingerichtet werden —
Und Ochs und Rind waͤr' auch am End' nur
Schwaͤrmer —
Das heißt Naturphiloſophie verdrehn!
Ihr ſeyd entlaſſen: und hiemit das ganze
Collegium medicum auch aufgeloͤſt.
Ich bin erzuͤrnt, ich will es nicht verſchweigen.
Kommt von den Hoͤrnern was ins Publikum,
So ſeht Euch nur nach neuen Koͤpfen um.


(er winkt; alle bis auf Raimund gehn ab.)

Ein Kammerherr tritt ein.

Kammerherr.

Es laſſen ſich von Cypern der Geſandte
Und auch von Spanien der Herzog melden.


[396]Zweite Abtheilung.
Koͤnig.

Ich wußte, daß ſie unterwegs. Wo iſt,
An dem der Dienſt heut iſt, denn Theodor?


Kammerherr.

Er liegt zu Bett und laͤßt ſich ſehr entſchuldgen.


Koͤnig.

Schon gut. —

(Kammerherr ab.)

Was, Beſter, fan-
gen wir nun an?
Ich weiß, ſie kommen meiner Tochter wegen;
Zeigt ſie ſich nicht: was wird man davon denken?
Und ſieht man ſie, faͤngt erſt das Denken an.
Man hat ſchon lang von ferne mich ſondirt,
Die jungen Koͤn'ge wollen ſich vermaͤhlen.
Wißt Ihr in Eurer Kunſt, in Euren Buͤchern,
In den Geſtirnen, nirgend, nirgend Rath?


Raimund.

Da kommt mir ein Gedanke, ſonderbar
Und neu' vielleicht —


Koͤnig.

Er ſey auch, wie er wolle!
Gelingt es Euch, die Noth von mir zu nehmen,
So ſeyd mein naͤchſter Stellvertreter hier,
So maͤchtig wie ich ſelbſt.


Raimund.

So kommt hinein,
Und laßt den Haarkraͤusler der Fuͤrſtinn holen.


Koͤnig.

Den Windbeutel?


Raimund.

Thut nichts zur Sache, Herr,
Hab' ich es Euch erklaͤrt ſeht Ihr es ein,
Daß wir uns nur auf dieſem Wege retten.


(ſie gehn ab.)

[397]Fortunat.

Vierter Akt.


Erſte Scene.

(Barbierſtube.)

Flint, einige Geſellen.

Flint.

Frau! Frau!


Die Frau koͤmmt herein.

Frau.

Was giebts?


Flint.

Das Feuer iſt ſchon wieder ausge-
gangen. Neue Kohlen! Sieh, alle die Locken, die
ſehnſuͤchtige, die melankoliſche, und die hoffnungs-
volle muͤſſen neu aufgebrannt werden, fuͤr die zer-
ſtreute geht es noch an, daß ſie die Fluͤgel ſo haͤn-
gen laͤßt. — Feuer! Feuer! Unſer Metier iſt feu-
riger Natur. — Burſche, ſind alle die Raſirmeſ-
ſer abgezogen?


1. Geſell.

Ja, Herr Flint, alles in der
ſauberſten Ordnung.


Flint.

Rennt, ſpringt, tummelt Euch, wenn
es auch nicht noͤthig iſt, aber es muß in meinem
Laden nicht melankoliſch hergehn; lebhaft! Ein
viver Menſch macht lieber drei Gaͤnge fuͤr einen, —
[398]Zweite Abtheilung.
Frau, der Herr Leibarzt iſt voͤllig in Ungnade
gefallen.


Frau.

So?


Flint.

Ein großes Evenement. Herr Theo-
dor iſt ſehr krank, ich mußte ihn heut Morgen im
Bett raſiren, den Kopf ganz in Kiſſen eingehuͤllt,
und er ſeufzte recht ſchwer; man ſagt, daß er ſich
den Verluſt ſeines Bedienten Dietrich (unſer Ge-
vatter, Frau) ſo zu Gemuͤth gezogen hat. Ja,
der Menſch iſt doch verſchwunden, keine Seele
weiß, wie: ſie ſagen, und das hat Wahrſcheinlich-
keit, die franzoͤſiſche Geſandtſchaft habe ihn aufge-
fangen, um hinter einige Staatsgeheimniſſe zu
kommen. Herr Raimund, der Goldkoch, iſt nun
Factotum am Hofe, er wird erſter Miniſter wer-
den, der Grillenfaͤnger.


Frau.

Mann, ſchweig, Du redeſt Dich noch
einmal um den Kopf.


Flint.

Je was, wir leben in einem freien
Lande, ich werde mein Pfund nicht vergraben. Es
ſind ſechs Geſandte und dreizehn junge Prinzen
aus allen Gegenden von Europa angekommen, die
alle unſre Prinzeß heirathen wollen, das große
Heirathsgut ſticht ihnen in die Augen. — Du da,
die Kraͤuſeleiſen an den rechten Ort gelegt! — O
ich weiß alles, alles, beim Raſiren, wenn den
Staatsmaͤnnern das Meſſer an der Kehle ſitzt,
und man ihnen dann recht um den Bart zu
gehen verſteht, ſagen ſie alles. Mir ſind die inner-
ſten Falten des Kabinets kein Geheimniß.


Ein Laufer koͤmmt eilig.

Laufer.

Schnell, ſchnell an den Hof, Mei-
[399]Fortunat.
ſter Flint! Ihr ſollt eiligſt vor den Koͤnig gefuͤhrt
werden.


Flint.

Mein Himmel — ich — der Anzug —


Laufer.

Wie er geht und ſteht, hat Seine
Majeſtaͤt geſagt. Ich ſoll Euch mitbringen.


Flint.

Nun, ſo gehn wir. Doch, den Hut
wenigſtens.

(ſchnell mit dem Laufer ab.)

Frau.

Da haben wir das Malhoͤr, ſein loſes
Maul hat ihn gewiß ins Ungluͤck geſtuͤrzt, er ſpricht
uͤber alles, uͤber alle Miniſter, ſpaßt uͤber den Koͤ-
nig, nennt ihn immer einen guten Mann, ſagt, er
moͤchte mal auf acht Monat den Staat regieren,
ſpricht, das das Parlament nichts tauge, o weh,
den Mann ſeh' ich nicht wieder, ich und meine
Kinder ſind elend auf zeitlebens.


1. Geſell.

Es iſt vielleicht nicht ſo ſchlimm,
Frau Meiſterinn, vielleicht hat die ſehnſuͤchtige Locke
am Hofe ſein Gluͤck gemacht, die Erfindung gefiel
der Prinzeſſinn ganz vorzuͤglich.


Der Leibarzt koͤmmt.

Leibarzt.

Raſirt mich ſchnell, Ihr wißt,
wie ich es gern habe.

(ſetzt ſich.)

Geſell.

Der Bart waͤchſt ſtark bei der
Hitze.

(barbiert ihn.)

Frau.

Ach, Ihr Hochgelahrt, mein Mann,
der ungluͤckſelige Menſch, iſt ſchnell nach Hofe
zitirt, — wißt Ihr nicht, warum?


Leibarzt.

Nein!


Frau.

Ach, wenn es vor Hochgelahrt ein
Geheimniß iſt, ſo muß es fuͤrchterlich ſeyn. Er
wird doch wohl nicht feſtgenommen und unter die
Miliz geſteckt?


[400]Zweite Abtheilung.
Leibarzt.

Nein!


Frau.

Hat Euch denn kein Menſch, auch
der Herr Raimund, nichts davon geſagt?


Leibarzt.

Nein!


Frau.

Iſt der Koͤnig gnaͤdig, oder ungnaͤdig,
koͤnnt Ihr mir das nicht ſagen?


Leibarzt.

Nein! — Er ſchneidet mich ja,
Flegel.


Geſell.

Hochgelahrt ſprechen das Nein ſo
paſtetiſch aus, und mit ſo großer Paraphraſe, daß
Dero ganzes Geſicht auflaͤuft, ſo kann man das
Schneiden dann nicht gut unterlaſſen.


Frau.

Er wird hingerichtet, gewiß, ſie haben
lange von oben kein Exempel ſtatuirt: nun muß
er gerade daran glauben. — Da kommt ja unſer
Gevatter, der Herr Hofſchneider gerannt.


Der Hofſchneider koͤmmt ſchnell herein.

Schneider.

Iſt Euer Mann nicht hier?


Frau.

Ach, leider Gottes, nein, der iſt ge-
wiß ſchon rekolgirt.


Schneider.

Er muß gleich kommen. Es
gehn große Dinge vor. Wir bekommen alle Haͤnde
voll zu thun, und die ganze Welt wird umgedreht.


Frau.

Und mein Mann hat auch dabei
zu thun?


Schneider.

Der eben hat die Hauptſache
zu beſorgen. Da koͤmmt er, ſeht nur, wie ihm
das ganze Geſicht gluͤht.


Flint tritt herein.

Flint.

Da ſeyd Ihr ſchon Meiſter, — Frau,
gleich
[401]Fortunat.
gleich ſetz' dich hin! Du haſt Dir doch ſeit kur-
zem die Haare nicht verſchnitten?


Frau.

Nein, aber —


Flint.

Bringt nur ſchnell, ſchnell den gro-
ßen eckigen Reifrock und was dazu gehoͤrt, die Un-
terlage, das Geſtell. — Herunter mit der Haube,
Frau! — Geſellen! die Pomaden, die Eiſen, die
falſchen Haare, die Wulſte, die Kiſſen, in groͤßter,
groͤßter Eile herbei, und was fehlt, ſchnell, ſchnell
gemacht! Tummelt Euch! Unſer Regiment iſt da.


Schneider.

Ich habe vorgearbeitet, weil
man mir ſchon heute Morgen einen Wink zukom-
men ließ.


Flint.

So geht, und gleich wieder her! —
Hoͤrt, bleibt, ſeht! Gevatter, was hab' ich hier um
den Hals? Den kleinen Naſenorden, den mir des
Koͤnigs Majeſtaͤt mit eigner Hand umgehaͤngt hat. —
Nun raſch an die Arbeit!

(Hofſchneider ab.)

Frau.

Mann, du reißeſt mich entſetzlich in
den Haaren.


Flint.

Hat nichts zu ſagen, des Vaterlan-
des wegen. — Die Pomade her; ſo aufgeſteift! —
Frau, — ach, Herr Leibarzt, ich bin jezt ein ande-
rer Mann, ich habe Rang, Ober-Geheimer Staats-
Haupt-Regulateur, — das klingt — das Brenn-
eiſen her! — nicht wahr? — Helft die Wuͤlſte,
die Kiſſen unterlegen, — gebt die Elle her, Maaß
zu nehmen, — eine volle Elle hoch muß das Tuppé
ſeyn, — mehr Pomade! Das erkleckt nicht, denn
es iſt ein Thurmbau; — der Herr Raimund, das
iſt ein Mann! — das Parlement hat eine neue
Etikette und Kleiderordnung publizirt, ich bin ver-
III. [ 26 ]
[402]Zweite Abtheilung.
nommen worden im geheimen Staatsrath, ich habe
einen heiligen hohen Eid ablegen muͤſſen, nichts,
was ich erfahre, ſehe, ergruͤnde, zu verrathen, —
jezt hab' ich Einſichten, — den andern Kamm,
Gottlieb: Friedrich, ſteife Du da jene Seite, —
Peter, ſteige auf den Schemel, oben muß das
Tuppé in Form eines Herzens zuſammengehn; —
lange haben wir auf ihn gezaͤhlt, ſagte der Koͤnig
zu mir, das ganze Land vertraut ihm, Meiſter, —
aber ſein Leben ſteht auf ſeiner Treue, — hier
muß Baumwolle untergeſtopft werden. — Potz!
was kriegt die Frau fuͤr ein majeſtaͤtiſches Anſehen.


L.Dorothea kommt mit Bedienten und einem
Schneider.

Dorothea.

Iſt es denn wahr, was man
ſagt, daß eine neue Kleiderordnung und Mode ein-
gefuͤhrt iſt, wovon man hier die Probe ſehen kann,
und daß morgen bei der großen Cour Niemand
anders als im neuen Coſtum erſcheinen darf!


Flint.

Hat ſeine voͤlligſte Richtigkeit, und
ich bin eben im Begriff, die Normaldame einzu-
richten.


Dorothea.

Das ſieht aber abſcheulich aus,
Meiſter.


Flint.

Erhaben, laſſen wir nur erſt das En-
ſemble beiſammen ſeyn. Uebrigens wuͤrde mich
Lady begluͤcken, mich kuͤnftig Ober-Geheimer-Staats-
Haupt-Regulateur zu nennen, wozu mich des Koͤ-
nigs Majeſtaͤt allergnaͤdigſt zu ernennen geruht
haben.


Leibarzt.
(fuͤr ſich)

Ich begreife, der Herr Rai-
[403]Fortunat.
mund hat in der That keinen uͤblen Ausweg ge-
funden.


Der Hofſchneider und ſeine Geſellen kommen mit
Reifrock, Schnuͤrleib, Kleid u. ſ. w.

Schneider.

Hier, Gevatter.


Flint.

Zieh an, Frau, umgelegt, einge-
ſchnuͤrt, ſo — helft, Kinder. — Halt! erſt noch
recht eingepudert, weiß, ganz weiß muß die Friſur
von oben und unten ſeyn, hinten und vorne; weiß
in ſo großer Maſſe iſt erhaben. — Nun, Gnaͤ-
dige, wie gefaͤllts? Seht den Reifrock! gruͤn At-
las, wie die Erde gleichſam mit Wieſen, Wald
und Blumen; dann erhebt ſich die feſte Schnuͤr-
bruſt, die Huͤgel, die Berge; Geſchmeide um den
Hals, wie Quellen und Baͤche; das Geſicht, —
hier, die rothe Schminke aufgelegt, die ſchwarzen
Muſchen — ſonderbar, bizarr, anlockend, wie Son-
nen- Mondſchein und Finſterniß, — und nun oben,
oben der hoͤchſte Berg, wie Jungfer und Schreck-
horn, aͤchter Monblanc mit ſeinem ewigen Schnee,
herabrinnend die Perlen und Steine, wie Waſſer,
das ſich aufloͤſt, und mit dem Geſchmeide des Hal-
ſes zuſammenfließen will. — giebt es etwas Lehr-
reicheres, Tiefſinnigeres, Kunſtmaͤßigeres? — Heut
iſt der Tag des Triumphes fuͤr den Ober-Gehei-
men-Staats-Haupt-Regulateur. — Seht, Gnaͤ-
dige, ſo hoch, und noch etwas hoͤher tragen die
Prinzeſſinnen die Friſur; Graͤfinnen, ſollen nur
drei viertel Ellen hoch haben, die uͤbrigen Edelda-
men etwas uͤber eine halbe Elle. — Iſt alles fer-
tig? — Nun komm, Frau, auf dem großen Markt
[404]Zweite Abtheilung.
iſt eine Buͤhne fuͤr Dich erbaut, da wirſt Du als
Normaldame hingeſtellt, der ganze Adel nimmt
Dich in Augenſchein, um das Muſter von Dir
zu nehmen. Das haͤtteſt Du dir wohl nie traͤu-
men laſſen. — Eigentlich haͤtten die Glocken ge-
laͤutet werden muͤſſen. — Geſellen, Burſche, nehmt
die Brenneiſen, die Waͤrmpfannen, die Kohlenbek-
ken, — Du, nimm die alte Zitter, — trommelt,
klingelt, laͤrmt, was ihr nur aus Euch bringen
koͤnnt, heut iſt unſer Triumph, — und ſo auf den
Markt!

(mit den uͤbrigen, unter lautem Getoͤſe ab.)

Dorothea.

Der Mann kommt um den
Verſtand.

(Zu ihrem Schneider)

Meiſter, nehmt Euch
ein Muſter nach dieſem Anzuge, um mir die Klei-
der morgen zu beſorgen.

(ab mit ihrem Gefolge.)

Zweite Scene.

(Marktplatz.)

Volksgedraͤnge, Frau Flint auf der Buͤhne, Flint, deſſen
Geſellen, Leibarzt unten unter dem Volke, Vor-
nehme, Damen und Herren, die herzukommen.

Erſter Buͤrger.

Was hat denn die Peruͤk-
kenmacherinn gethan, daß ſie ſo an dem Pranger
ſtehen muß?


Geſell.

Narr! Sie ſteht als Muſter da,
zur Nachahmung.


Flint.

Der Eſel! Ich fordre Satisfaktion,
von des Koͤnigs eigener Perſon ſelbſt. An dem
[405]Fortunat.
Pranger! Das Geſchmeiß! kann ſich nie in Staats-
geheimniſſe finden!


1.Buͤrger.

Sey er nicht grob, Bartkratzer.


Flint.

Wo iſt die Wache? Eklatant ſoll er
beſtraft werden. Laͤſtermaul! Wenn das kein Ma-
jeſtaͤts-Verbrechen iſt, ſo verſtehe ich mich wenig
auf die Politik.


2ter Buͤrger.

Er iſt und bleibt ein Flau-
ſenmacher. Alle ſolche Kerle ſind immer halbe
Hansnarren.


Flint.

Platz fuͤr die Damen! Platz fuͤr den
hohen Adel! — Treten die hohen Herrſchaften nur
gefaͤlligſt heran. — Sehen meine Gnaͤdigſten, was
die neue Zeit hervorgebracht hat. So wird kuͤnf-
tig der ganze Hof ausſehn. Gelt? das iſt was
anders, als die bisherige Mode, die ſchlumpernden,
ſchlotternden, unbedeutenden Lappen? Wir kom-
men weiter, wir ſteigen hoͤher in die Philoſophie
hinauf, und koͤnnen mit Verachtung auf die vori-
gen Zeiten hinabſehn.


Ein Herr.

Sonderbar genug.


Eine Dame.

Allerliebſt. Nun wird man
doch nicht mehr die Geſtalt und das Weſen jeder
Dienſtmagd haben: ich war immer uͤber die ge-
meine Natuͤrlichkeit erboßt. — Kommt gleich mor-
gen zu mir, Herr — wie heißt ihr doch gleich?
Ich habe jezt nicht Zeit zu Eurem Titel.


(geht ab.)

Herr.

Herr Leibarzt, ſeht einmal, was da
angeſtiegen kommt.


Leibarzt.

Wahrlich, der Herr Theodor, der
im hitzigen Fieber gelegen hat. Ei, der Patient
wagt viel, auszugehn.


[406]Zweite Abtheilung.
Herr.

Er ſoll uͤbergeſchnappt ſeyn. Iſt es
wahr?


Leibarzt.

Nicht eigentlich uͤbergeſchnappt,
aber etwas gelitten hat ſein Kopf. Seht nur
ſelbſt die thurmhohe Muͤtze, die er ſich aufgeſetzt
hat; er ſieht aus, wie der große Mogul.


Theodor tritt auf, mit einer ſehr hohen Muͤtze auf dem
Kopf.

Theodor..

Guten Tag, ihr Herren; ich muß
mir doch das Wunder auch betrachten.


Flint.

Das hab' ich zu Stand gebracht.
Nun?


Theodor..

Ganz gut, paſſabel, die Friſur
koͤnnte etwas hoͤher ſeyn, ſo wuͤrde die Figur ge-
winnen. Kommt morgen zu mir, zum Friſiren, ihr
ſeyd ein geſcheuter Mann, wir werden uns ver-
ſtaͤndigen. Die Tracht wird mich kleiden.


Leibarzt.

Seyd ihr auch wohl? Warum
ſeyd ihr ausgegangen, und was bedeutet dieſe hohe
Muͤtze?


Theodor..

Narr, ich bin ganz geſund, muß
nach meinem Krankenlager Bewegung haben, und
unter meiner Muͤtze ſteckt ſchon die neumodiſche
Friſur, die ich noch heut Vormittag ſchonen will.

(Man hoͤrt eine Trompete)

Was giebts denn da?


Leibarzt.

Ein Karren mit wilden Thieren,
ſo ſcheints?


Theodor..

Von fremden Tuͤrken oder Per-
ſern begleitet.


Flint.

Da laͤuft das Volk alles von mei-
[407]Fortunat.
ner Dame weg und zum Vieh hin. So iſt der
Poͤbel, Geſellen, bleibt! ruhig!


Ein Karren faͤhrt herein, mit einem großen Kaͤfi[g], in
welchem ſich Dietrich als Sa [...]yr befindet. Mar-
tin
und Bertha in fremder Tracht, voran der
Ausrufer mit einer Trompete.

Ausrufer.
(ſtoͤßt in die Trompete)

Ein achtbar
edles Publikum beliebe hier zu ſehen einen hoͤchſt
merkwuͤrdigen Satyr oder Waldgott, den man mit
großen Unkoſten aus dem fremden entlegenen Grie-
chenlande heruͤbergeſchaf[f]t hat.


(Das Volk draͤngt ſich neugierig um den Kaͤfig her.)

Ein Mann.

Sieh, Frau, wie doch unſre
Vorfahren, als ſie noch Heiden waren, ſo kurios
ausgeſehn haben.


Frau.

Gott behuͤt uns unſrer Suͤnden, es
iſt ja ein Thier, Du Mann, ein wildes Vieh.


Mann.

Nein, es iſt keine Beſtie; ſieh nur
ſeine kluge Miene, er hat ſchon Conduite gelernt.


Leibarzt.

Wunder uͤber Wunder! Ich muß
nachher den Kerl genauer unterſuchen.


Theodor.
(zum Leibarzt)

Seht, Freund, wie-
der was Neues; man weiß in der That nicht,
was man ſagen oder denken ſoll.


Flint.
(herbei ſpringend.)

Aber um des Him-
mels Willen, was giebt es denn eigentlich hier? —
Wie? — Was? — Was iſt das fuͤr ein Crea-
tur oder Perſonage? — Wie, auch gehoͤrnt? —
Mein Seel, ich glaube, — ja — ich ſehe — der
Fremde iſt aus koͤnglichem Blut, er hat — Was
hab' ich geſagt? Leute, ums Himmels Willen, ich
habe doch nichts geſagt? Nein, ich meine nichts
damit; ich ſpreche ohne Verſtand und Bewußtſeyn:
[408]Zweite Abtheilung.
nicht wahr, Herr Leibarzt? Fuͤhlen Sie guͤtigſt
den Puls. Ja, ja, ich bin noch ſo viel bei mir,
daß ich es einſehe, wie ich vollſtaͤndig delirire. Ich
fuͤrchte den Schlag. Ich bin ganz außer und von
mir. — Ihr werdet mir das Zeugniß geben,
Herr Leibarzt, daß ich voͤllig von Verſtande bin. —
Kommt, Geſellen, nach Hauſe; Frau, ſteig' her-
unter, Du haſt lange genug wie ein Narr da ge-
ſtanden. Komm, ich muß mich gleich zu Bett
legen. Kommt!


Geſell.

Wir wollen noch hier bleiben, und
fuͤr unſer Geld das Wunderthier betrachten.


Flint.

Nun ſo bleibt, bleibt, aber nur rei-
nen Mund gehalten!

(ab mit der Frau.)

Geſell.

Was will denn der Meiſter? —
Sagt uns aber doch, Herr Tuͤrke, was iſt das da
eigentlich fuͤr eine Gottes-Creatur?


Buͤrger.

Ja, ſagt uns, Leute, wo ihr ihn
gefangen habt.


Frau.

Warum der Waldteufel ſo naͤrriſche
Geſichter macht.


Martin.
(mit fremder Ausſprache.)

Geduld, meine
werthen Herrn, werde alles erklaͤren. Er iſt gar
nicht gefangen, verehrtes Publikum, ſondern ge-
funden worden. Es werden jetzt in den griechiſchen
Territorien, meinem Vaterlande, 'gar erſtaunlich
gelehrte Unterſuchungen angeſtellt, man entdeckt
alte Muͤnzen und Bildſaͤulen, man graͤbt Pallaͤſte
und ganze Staͤdte wieder auf, die ſchon vor mehr
als tauſend Jahren verſunken waren, und ſo iſt
man denn auch auf uralte Goͤtzen geſtoßen die man
anfangs auch fuͤr ſteinern hielt, weil ſie ſo lange
[409]Fortunat.
tief, tief in der Erde gelegen hatten, bis mein ge
lehrter Landsmann, der beruͤhmte Doktor Pankra-
tius, mit dieſem hier einen ſehr gelungenen Ver-
ſuch gemacht hat, ihn durch die Kunſt ſeiner Ar-
kane aufzuweichen, und ihn ſo mit vieler Anſtren-
gung wieder in das Leben zuruͤck zu rufen. So
bin ich denn ſo gluͤcklich, meinen hoͤchlichſt zu ver-
ehrenden Zuſchauern einen aͤchten alten heidniſchen
Waldgott, oder Satyr genannt, zu praͤſentiren,
den man unſern dem alten bekannten Parnaſſus
entdeckt hat; ich habe Millionen nicht geſcheut,
ein ſo hoͤchſt rares und niegeſehenes Exemplar zum
Eigenthum zu erhalten, um es den kultivirten Eu-
ropaͤern, vorzuͤglich aber den erleuchteten und hoͤchſt
großmuͤthigen Englaͤndern, der reichſten und frei-
gebigſten Nation, die Wiſſenſchaft, Kuͤnſte und
Alterthuͤmer zu ſchaͤtzen weiß, vorſtellen zu koͤnnen:
und darum werden meine Geehrteſten auch gewiß
nicht vergeſſen, den fremden Mann, der ſo weit
her kommt, der dies alte mythologiſche Weltwun-
der zu ungeheurem Preiſe an ſich gekauft hat,
mit mehr oder weniger zu bedenken, nachdem
Wohlſtand oder hohes Gemuͤth den Geber be-
feuern, und die hohen Standesperſonen werden
hierin, wie in allen Dingen, den verehrungs-
wuͤrdigen Buͤrger noch uͤbertreffen. — Trompeter,
ſammle ein.


Buͤrger.

Was man nicht hoͤrt! So waͤre
ja dies Stuͤck da ein veritabler Teufel, wenn er
ein heidniſcher Gott iſt.


Martin.

Mit nichten, erleuchteter Mann,
und es wuͤrde mir dann nur leid thun, ihn ſo
weit geſchleppt zu haben; dieſe Satyren, Faunen
[410]Zweite Abtheilung.
und Waldweſen ſind ein Mittelding zwiſchen Men-
ſchen und Geiſtern, dabei haben ſie etwas Thieri-
ſches und Laͤcherliches neben dem Ehrwuͤrdigen in
ihrer Natur; die Alten hielten ſie fuͤr unſterblich,
und daß ſie wenigſtens ein ſehr langes und zaͤhes
Leben haben, beweißt, daß ſich dieſer ſo lange in
der Erde konſervirt, und wieder zum Bewußtſeyn
hat gebracht werden koͤnnen.


Buͤrger.

Aber er ſpricht ja gar nicht, ſon-
dern ſchneidet nur Geſichter.


Martin.

Die Sprache iſt ihm noch nicht
zuruͤckgekommen, auch iſt ihm die hieſige natuͤrlich
unbekannt.


Theodor..

Je mehr ich den Kerl anſehe, je
bekannter kommt er mir vor.


Martin.

Unmoͤglich, gnaͤdiger Herr, Ihr
muͤßtet ihn denn einmal wo abgebildet geſehn haben.


Theodor..

Was meint Ihr zu der Geſchichte.
Herr Leibarzt?


Leibarzt.

Das Ding iſt nicht ganz un-
moͤglich; ich habe immer ſchon geglaubt, daß viele
Geſtorbene nur Scheintodte ſein moͤchten, und daß
man Mittel finden muͤßte, ſie wieder zu beleben. —
Herr Aufſeher iſt er wild, wenn man ſich ihm naͤ-
hert? Stoͤßt, oder beißt er nicht? So moͤcht'
ich ihm wohl den Puls fuͤhlen. — Langt mal den
Arm heraus, Herr — Herr — man weiß gar
nicht, wie man ein ſolches Produkt tituliren ſoll; —
der Puls ſchlaͤgt ihm, wie allen andern Menſchen:
ganz vernuͤnftig; — recht ſchoͤn, recht loͤblich, mein
Lieber — daß Ihr — ich moͤchte wohl, daß er
[411]Fortunat.
mir die Zunge zeigte, — ſagts ihm einmal, Herr
Aufſeher.


Martin.

Das thut er niemals.


Bertha.
(beiſeit zu Martin)

Mann, die Spitz-
buͤberei wird heraus kommen.


Martin.

Sey unbeſorgt, der Knebel ſitzt
ihm zu feſt.


Buͤrger.

Seht, wie das Thier ſich wuͤrget.
Es hat Kraͤmpfe.


Frau.

Ich glaube, er freut ſich, wieder un-
ter vernuͤnftigen Menſchen zu ſeyn.


Martin.
(fuͤr ſich.)

Der Kerl macht mich doch
bange. — Sitz ſtill, Du da drinn!


Frau.

Laßt ihm doch den Spaß, ſein Ge-
ſicht zu verdrehn, die Affen thun es ja auch.


Mann.

Seht, wie er mit den rauhen Bei-
nen um ſich ſtampft, und mit den Haͤnden am
Kopf arbeitet.


Bertha.

Mann, — Du wirſt ſehn —


Martin.

Wir wollen mit ihm in das Wirths-
haus fahren.


Buͤrger.

Nein, laßt ihn noch hier, wir
wollen ihn noch betrachten. Er ſoll hier bleiben!


Ausrufer.
(heimlich zu Martin.)

Da habt
Ihr das Geld, es iſt anſehnlich viel eingekom-
men, macht die Leute ja nicht boͤſe.


Martin.
(tritt an den Kaͤfig.)

Menſch! jetzt
ſtille, oder wir ſprechen uns nachher!


Erſt. Mann.

Er iſt ja kein Menſch; er
iſt ja ein Waldteufel, ein alter Heide.


Dietrich.
(hat endlich den Knebel los gemacht.)

Ach,
lieben Leute, nichts weniger als das: ſeht, ich
[412]Zweite Abtheilung.
bin ein ganz gewoͤhnlicher armer chriſtlicher Hahn-
rei, und bitte Euch um Gotteswillen, helft mir
aus dieſem Kaſten heraus.


Frau.

Mann, was ſagt die Creatur?


Mann.

Er ſagt, er waͤre wie unſer
einer.


Frau.

Und dafuͤr haben wir unſer Geld
ausgegeben, um das zu ſehn, was wir alle Tage
im Hauſe haben?


Mann.

Du haſt recht, wir ſind ſchaͤndlich
betrogen.


Ein andrer.

Aber Hoͤrner hat er doch
einmal.


Dietrich.

Nur von der Ungetreuen da, die
mit jenem Kerl, mich, ihren Braͤutigam, im Lande
herum fuͤhrt. Ich habe ja die Hoͤrner erſt durch
meine Liebe zu ihr bekommen.


Frau.

Mann, das iſt ja ein ſchrecklicher
Spektakel.


Mann.

Ein Skandal.


Ein zweiter.

Den Conſtabel ſollte man
holen; am Ende fahren ſie uns noch fuͤr Geld im
Lande herum.


2. Frau.

Nehmen uns die Maͤnner von
der Seite, und laſſen ſie fuͤr Geld ſehn.


Viele.

Unerhoͤrt! Ins Gefaͤngniß mit dem
Spitzbuben.


Dietrich.

Gnaͤdiger Theodor! Gnaͤdigſter
Herr! Ich bin ja Euer ehmaliger Dietrich!


Theodor..

Iſts moͤglich? Dietrich? Sap-
perment! So ſehn wir uns wieder? Kerl, ich
hab' auch — — Halts Maul! So kann ich
Dich nicht wieder anerkennen!


[413]Fortunat.
Martin.
(heimlich.)

Komm, Bertha, ehe der
Tumult noch groͤßer wird; wir laſſen lieber den
Kerl in Stich.

(laut.)

Seht, wer kommt denn da
auf dem hagern lahmen Maulthier angeritten?


Leibarzt.

Bei Gott, eine wunderbare Figur
in dem alten abgetragenen Scharlachmantel!


Theodor..

Und die Naſe, die ungeheure
Naſe, die er unter dem niedergekraͤmpten Filz-
hute traͤgt.


Mann.

Nun ſteigt er ab; er geht ins
Wirthshaus zum rothen Elephanten.


Frau.

Das iſt der ewige Jude, oder ſo ein
neu aufgelebter alter Daͤnenkoͤnig.


Mann.

Er kommt wieder aus der Thuͤr.


Leibarzt.

Und hieher!


(Indeß haben ſich Martin und Bertha fortgeſchlichen.)

Andaloſia tritt in wunderlicher Verkleidung auf.

Frau.

Das iſt die Großmutter aller Naſen
in der Welt.


Mann.

Und ſo ſchoͤn mit Karfunkeln und
Rubinen beſetzt! Ein wahres Kabinetsſtuͤck.


Andaloſia.

Was giebts, Messieurs? Aben
ihr denn noch kein Medecin, kein Doktor geſehn,
daß ihr ſo alle auffeſperrt die Maul?


Theodor..

Ihr ſeyd ein Doktor?


Andaloſia.

Le plus grand der jetzigen
siòcle; komm' von Paris, wo mir die Koͤnik, der
allerchriſtlichſte majesté ſo genannt, er mir in ſeine
Arm genommen, mir gekuͤßt, hier auf der linken
Back', ein Fleck, den ick nu und nimmer wieder
waſchen thu, und ick ihn auferhoͤht und angeſtri-
[414]Zweite Abtheilung.
chen mit der Carmin. Will er, Monsieur, mir
ambraſſir, bitt' ick um Gotteswill, ſein Kuß nicht
auf der heilgen Stell zu applizir.


Theodor..

Bin nicht ſo eilig, einen Char-
latan und Marktſchreier zu kuͤſſen.


Andaloſia.

Charlatan, Marktſchreier ſagt
Monsieur? Eh bien! So groß ſein Muͤtz ſeyn,
den er uͤber die oreilles gezogen, wir werden uns
naͤher kennen lernen, sans doure, und dann wird
repararion d'honneur von ſelbſt erfolge, Mon-
sieur
mit ſein ſpitzig Turban, wie Klockethurm
von Strasbourg.


Theodor..

Es hat ſeine Gruͤnde, Herr von
Naſenthum zu Naſenheim, warum ich ſolche Muͤtze
trage.


Andaloſia.

Glaubs, der junge Mann in
die Kaſte da ſollte lieber auch ſolch bonnet de
nuit
aufſetzen, brauchte dann nicht ſeine Horn ſo
der Luft zu exponir.


Theodor..

Mach' Er ſeine Kunſt, wenn er
was kann, und kurir Er den Burſchen da.


Andaloſia.

Bagatelle vor mich, und ſaͤßen
ihm die Horn bis in die Magen tief. Steig' aus
Dein Vogelbauer mon enfant,

(er macht den Kaͤfig auf)


das kans Publicum ſoll Zeug ſeyn, wie ich Dir
kurir, denn cette maladie un ihre raisons ſeyn
mich bekannt. Hier, klein Monsieur, ſpeiſ' der-
ſelb dieſe vier große Pill ohne repugnance,
ſchluck ſie hinter — nun?

(zieht ihm die Hoͤrner ab)


Voila! er iſt ein Menſch, wie vorher. — Da,
mon garçon, ſteck Deine Horn zum Angedenk in
[415]Fortunat.
Deine Taſch, zieh Deine Stiefelpelz wieder aus, ſo
biſt Du, wie Du ſonſt warſt.


Theodor..

Iſts moͤglich?


Volk.

Wunder! Wunder! Ein Wunderdoktor!


Andaloſia.

Non, messieurs, point de mi-
racle,
Kenntniß von die Geheimniß de la nature,
Studium, enfin, Gelehrſamkeit. Meine pillules
haben die Cur effektuirt.


Theodor..

Herr Doktor, ich verehre euch
und erbitte mir euren Beſuch.


Andaloſia.

N'ai je pas dit, daß ihr mir
werdt kennen lernen? Wenn wir ſolte red'
mit einander, muß Monſieur aber den großen Py-
ramide von die Kopf thun.


Theodor..

Das wird ſich finden, beſucht
mich nur morgen fruͤh, oder heut noch.


Andaloſia.

Pas si vite, habe mehr zu
thun. — A revoir, wohne hier im Hotel zum
Elefant.


Dietrich.

Herr Theodor, ihr nehmt mich
doch wieder in eure Dienſte?


Theodor..

Wie kannſt du Dir das traͤumen
laſſen, da du als ein Monſtrum in der Welt her-
umgefahren biſt! Pfui! Alle Welt wuͤrde mit Fin-
gern auf mich weiſen.


Dietrich.

Aber mein Geld, das ich euch
aufzuheben gegeben habe —


Theodor..

Das wird ſich finden, Unver-
ſchaͤmter!

(geht ab.)

Dietrich.

Herr Doktor, lieber Herr Dok-
tor, ihr habt mich freilich wieder zum Menſchen
gemacht, aber nun macht auch, daß ich nicht ver-
[416]Zweite Abtheilung.
hungre. Wenn ihr einen Bedienten braucht, ſo
nehmt mich in eure Dienſte.


Andaloſia.

Ich koͤnnte wohl ein garçon
brauchen, aber ich leſe in Deine Phyſiognomie,
daß Du ein Vautrien, ein Nichtstaug, ſey.


Dietrich.

Ich will mich beſſern, Herr
Doktor.


Andaloſia.

Nun gut, ich ſeyn nicht grau-
ſam: aber ich muß ſu mein métier haben ein
Dienſtbot, den ich anzieh als arlequin, was man
hier zu Land nennt ein Hanswurſt, anders
kann' ich kein serviteur brauchen.


Dietrich.

Wenns ſeyn muß, immer beſſer
als Waldgott.


Andaloſia.

Nun ſo komm' mit mich, hab'
noch ſo eine Jacke von meine vorige Spaßmacher
liege. Haben Du aber auch esprit, Witz dazu,
Narrenpoſſen, dumme Streiche anzugeben, daß
Publikum brav lachen?


Dietrich.

Ach, lieber Gott, da ich nun aus
dem Elend bin, wird mir der Himmel wohl bei-
ſtehn, denn wem er ein Amt giebt, dem giebt er
auch oft Verſtand.

(ſie gehn ab.)

Mann.

Sag' ich doch, man erlebt aller-
hand, wenn man nur alt wird. Komm Frau,
was ſollen wir denn noch laͤnger hier ſtehn?
Alle Menſchen ſind nach Hauſe gegangen.


(gehn ab.)

Drit-
[417]Fortunat.
Dritte Scene.

(Pallaſt.)

Erleuchteter Saal. Große Verſammlung am Hofe, die Koͤni-
ginn, Agrippina, L. Herbert, L. Dorothea und
viele Damen in Reifroͤcken Schnuͤrbruͤſten, hohen Friſuren:
der Koͤnig, Herbert, der Hofmarſchall Raimund
und viele Vornehme in der altfranzoͤſiſchen Tracht, mit ho-
hen Friſuren: Herzog Olivarez und Graf Limoſin in
gewoͤhnlicher Kleidung. Viele ſitzen und ſpielen, andre ge-
nießen Erfriſchungen, welche Diener umher geben. Ge-
ſpraͤche, Begruͤßungen.

Koͤnig und Herzog Olivarez treten vor.

Koͤnig.

Mein theurer Herzog von Olivarez,
Ihr ſeht hier um Euch meines Hofes Bluͤthe,
Und wenn an dieſem vollen Firmament
Mein Kind nicht Stralen ſo wie ehmals wirft,
Wenn Ihr, was Euch der Ruf in Spanien ſagte,
Hier Luͤgen ſtrafen moͤchtet, ſo erwaͤgt
Daß ſchon ſeit lange Gram, Melankolie,
Der Schoͤnheit Wurm, an ihrem Herzen nagt,
Den wir auf keine Weiſe heilen koͤnnen.


Olivarez.

Wenn mir Natur fuͤr Schoͤnheit Augen gab,
So ſcheint mir, was ich immer hoffen mochte,
Von ihrer holden Gegenwart verdunkelt:
Nur muß der ungewohnte Sinn vom Staunen
Ob dieſer neuen wunderbaren Tracht,
Den Locken, Poſchen, Schminke, Pflaͤſterchen,
Und aufgeſteiftem Haar, ſich erſt erholen.


Koͤnig.

Ihr habt vielleicht nicht Unrecht; wicht'ge Gruͤnde,
Politiſche wie phyſikaliſche,
III. [ 27 ]
[418]Zweite Abtheilung.
Ja ſelbſt moraliſche Anſichten ſinds,
Die uns zu dieſer Kleidertracht vermocht.


Olivarez.

Doch weiß ich ſo viel leider nur zu ſagen.
Daß weder meines Herren Majeſtaͤt,
Noch unſrer Caſtilianer Ritterſchaft,
Kein Grande dulden wuͤrde, ſeine Koͤniginn
In dieſer ſchroffen Pracht verhoͤhnt zu ſehn.


Koͤnig.

Wie's Euer Koͤnig will und Landesſitte.

(er wendet ſich auf der andern Seite zu Limoſin)


Ihr ſteht verwundert, Graf: was werdet Ihr
Von dieſer neuen Tracht nach Cypern melden?


Limoſin.

Nur mein Entzuͤcken, denn es duͤnkt mich wahrlich
Ein Feenreich hier aufgethan zu ſehn,
Das Wuͤrdige erſcheint als Majeſtaͤt,
Das Schoͤne iſt mit Zauberglanz umkleidet;
O daß mein junger Koͤnig ploͤtzlich hier
In Mitte der Geſtalten wandelte,
Fuͤr hohen Styl den offnen Sinn zu bilden.


Koͤnig.

Ihr ſprecht als feiner Mann; ich danke ſehr
Dem Koͤnige der Euch hieher geſandt,
So freundliche Bekanntſchaft mir zu goͤnnen.


Limoſin.

Mein hoͤchſtes Gluͤck, wenn mich die Majeſtaͤt
Des allverehrten Herrn begnadgen will.


(Der Koͤnig geht zu Agrippina.)

Olivarez.
(tritt zu Limoſin)

Ich weiß nicht, Graf, wie dies Geſpenſterweſen
Mag Eurem Sinn entſprechen, doch wenn ich
Die Augen hier auf dieſes Schauſpiel werfe,
[419]Fortunat.
Und dieſen wilden Fratzen hier begegne.
So frag' ich mich: ob ich in Bedlam bin?


Limoſin.

Gar recht, mein edler Herzog, ohne Schauder
Kann keiner hier das Ungethuͤm betrachten,
Der nicht in dieſem Norden eingeboren
Und ſchon gewoͤhnt iſt dieſer Kunſtformirung.


Olivarez.

Ein Scheuſal iſt' in der Figur die Fuͤrſtinn.


Limoſin.

Es ſcheint Meerungeheuer und Seedrachen
Hat man kopiren wollen, wie ſie ſchwimmt
In dieſem eckgen ausgewackten Kaſten.


Olivarez.

Und dieſes Haar.


Limoſin.

Wie ein Kometenſchweif.


Olivarez.

Eh ſinke England in den Meeresgrund,
Eh ich von hier ſolch Abentheuer fuͤhre.


Hofmarſchall.
(tritt zu ihnen)

Irrt nicht mein Blick, ſo ſeyd Ihr unzufrieden,
Es iſt vielleicht, Ihr Herrn, des Schauſpiels Neue
Was Euch zuwider iſt und anfangs quaͤlt.


Limoſin.

Ich wuͤßte nicht zu ſagen —


Olivarez.

Ja, Herr Marſchall,
Ich kann und mag es nicht verſchweigen, mit
Ich nie begreifen werde, daß ein Grund
In der Natur ſey, ſich als Scheuſal ſelbſt
Und ohne Zwang dem Blicke darzuſtellen.


[420]Zweite Abtheilung.
Hofmarſchall.

Ihr druͤckt Euch hart aus, edler Herr, die Sache
Iſt neuerdings von unſerm Philoſophen
Dem Herren Raimund, jetzgen Staatsminiſter,
Erdacht, aus vielen und hoͤchſt triftgen Gruͤnden.
Der Staat, die Kirche, Sitte Kunſt, Geſellſchaft,
Das alles iſt nur dadurch moͤglich worden,
Daß wir uns allgemach von des Naturſtands
Urſpruͤnglichkeit entfernten mehr und mehr,
Noch liegt vor uns ein unbekanntes Ziel,
Wo dann vollendet hoch die Menſchheit thront.
Ihr muͤßt geſtehn, daß keiner wagen wuͤrde,
Wenn er nicht frech und ohne Schaam und Sitte,
Den Hof in ſeiner Nacktheit zu beſuchen:
Wie Schaam die erſte Tugend unſers Weſens,
So hat man ſich mit Recht verwundern muͤſſen,
Daß wir bisher ganz ſorglos, dreiſten Muthes,
Die Form des Menſchen nur umkleideten,
Und jeder Schritt, Bewegen, Sitzen, Stehn,
Uns daran mahnte, daß wir Menſchen ſind;
Ging nicht das Kleid in jede Biegung, Schmiegung
Gefaͤllig mit, um ſchlimmer noch als nackt
Uns darzuſtellen, und den Sinn zu irren?
Doch jetzt hat unſre Kunſt erlangt, den Menſchen
So zu verkleiden, daß man ihn nicht kennt,
Er ſieht faſt jedem Weſen aͤhnlicher
Als ſich: das iſt es, was wir haben wollten.


Raimund.
(tritt zu ihnen.)

Ja, man darf hoffen, daß auf Politik,
Philoſophie und alle Wiſſenſchaften
Nun das Gefuͤhl der Zuͤchtigkeit wird wirken,
Hauptſaͤchlich doch auf Kunſt und Poeſie,
Es wird das Ideal uns naͤher treten,
[421]Fortunat.
Und zwar das wahre, kein erlogenes,
Kein ſchaamlos Bild des alten Griechenlands,
Nein, ſtrenger Zucht entſproſſen, die Natur
Von ſich entwoͤhnt, ſich ſelbſt ein Wunder-Raͤthſel.


Olivarez.

Viel Gluͤck zu dieſer ſtattlichen Bemuͤhung.


Limoſin.

Das ſag' ich auch, charmant iſt die Idee.


Theodor triet ein, in demſelben Coſtuͤm wie die
uͤbrigen, mit uͤbermaͤßig hoher Friſur.

Limoſin.

Wer iſt der hohe wunderliche Mann?


Hofmarſchall.

Herr Theodor, ein Favorit des Koͤnigs,
Der Sohn Lord Herberts.


Theodor..

Guten Abend, Freund;
Gelt, wir gefallen, ſo neu ausgemuͤnzt?
Was heut doch von den ausgeweißten Koͤpfen
Der Saal viel heller als gewoͤhnlich ſcheint. —
Bon soir, Papa: — ich lege meine Dienſte
Der koͤniglichen Majeſtaͤt zu Fuͤßen.
Ha, Lady Dorothea, ſeyd gegruͤßt;
Seht mal den Spanier an, der ſteht am Pfeiler
So ſtarr und maulverbiſſen, das es ſcheint
Er muß der Decke Woͤlbung tragen helfen:
Der Cyprier ſieht doch nach etwas aus. —
Ah, àpropos, Ihr da aus Cypern, Herr,
Hat ſich der Mauskopf Andaloſia
Nicht wieder ſehen laſſen?


Limoſin.

Ganz verſchollen
[422]Zweite Abtheilung.
Iſt er, mein armer Neffe; freilich wohl
War auch ſein Lebenswandel nicht der beſte.


Theodor..

So? Euer Neffe? Wie kommt nun ein Mann,
Vernuͤnftig wie Ihr ſeyd und wohlgezogen,
Im Umgang angenehm, auch wohlgebildet,
In aller Welt dazu, ſolch wildes Kraut,
Solch Gaͤnſekoͤpfchen zum Neveu zu haben?


Koͤnig.
(zu Herbert.)

Ich ſehs Euch an, daß Ihr ſchon wieder zuͤrnt.


Herbert.

Ja, wie er naht, wie er den Mund nur oͤffnet,
So zittr' ich ſchon, den Aberwitz zu hoͤren.
Ich geh, mein hoher Herr, mir iſt nicht wohl,
Vielleicht hab' ich zum letztenmal geſehn
Eur huldreich Angeſicht, mein Alter druͤckt,
Mit manchem Gram vereint, mich ſchwer zu Boden.


Koͤnig.

Mein Freund, wir ſehn uns oft noch froͤlich wieder.
Schlaft wohl, und ſchonet, bitt' ich, Eure Schwaͤche.


(Herbert ab.)

Limoſin.

Wie ich mich freue, kennen Euch zu lernen
Kann ich nicht ſagen; glaubt, ich bin nicht jung,
Doch hab' ich kaum im Leben wen gefunden
Mit dem's Sympathiſiren ſich verlohnte.


Theodor..

Gehts mir denn beſſer, Schatz? Das ſag' ich ja,
Fuͤr unſer eins iſts nur 'ne Hundewelt:
Ich ſuche Freundſchaft; aber wie? Geſellen,
Gelbſchnaͤbel, Klugſichduͤnker, Obenaus,
Glattzungen, Schmeichler, die polirten Herrn
Mit Bildung, Allerweltsvortreflichkeit,
[423]Fortunat.
Sind mir ein klarer Abſcheu, Greul und Graun.
Allein ein ſimpler, ſanfter Biedermann,
Ein ſchlichter, grader, ehrlichſtiller Sinn,
Das iſt wonach mein Herz ſchon lange hungert.


Limoſin.

Mir aus der Seele, Liebſter, ganz geſprochen,
Laßt Euch umarmen, theurer, edler Freund.


Theodor..

Recht gern, nur nicht an die Friſur geſtoßen.


(umarmen ſich.)

Eine Dame.

Hat man nichts Neues in der Stadt gehoͤrt?


Junger Herr.

Vom Herren Leibarzt Seiner Majeſtaͤt
Hab' ich was faſt Unglaubliches erfahren;
Es trug ſich zu, daß auf den Markt ein Karrn
Ward hergefuͤhrt, — wer, denkt Ihr, ſaß darauf?
Und ward fuͤr Geld gezeigt? Ein Satyr wars,
Mit großen Gemſenhoͤrnern auf dem Kopf.


Koͤnig.

Mein Lieber, das Geſpraͤch iſt unanſtaͤndig,
Ich bitte habt Regard fuͤr meine Tochter.


Koͤniginn.

Bewahrt dergleichen auf fuͤr Eures Gleichen.


Agrippina.

Der junge Mann ſcheint wenig noch am Hofe
Gelebt, Geſellſchaft, gute, nicht geſehn
Zu haben.


Raimund.

Nein, er weiß noch nicht zu waͤhlen.


L. Herbert.

Die Jugend —


[424]Zweite Abtheilung.
Theodor..

Ei, ja wohl, ein trauriger
Und miſerabeler Discurs. Von Hoͤrnern!
Was geht das uns an? Sehr indelikat.
Doch freilich hab' ich ſelbſt den Kerl geſehn,
Und auch die Cur, die noch viel wunderbarer.


Koͤnig.

Die Cur? Erzaͤhlt uns doch davon ein wenig;
Das heißt: daß er die Hoͤrner auch verlor?


Theodor..

Es kam ein rother, langgenaſ'ter Menſch,
Sah aus wie Teufelsbannerei und Hoͤlle,
Ein dummer Charlatan, kurz ein Franzos,
Der gab dem Vieh nur zwei, drei Pillen ein,
Ganz kleine Kuͤgelchen, nicht werth der Rede;
Kaum hat mein Graf von Horn ſie eingeſchluckt,
Faͤllt ihm, mein Seel, das Hoͤrnerpaar vom Kopf,
Wie uͤberreife Birnen oder Aepfel;
Er ſchuͤttelt nur ein Bischen, 'runter raſſeln's
Wie duͤrres Laub, und ſaßen vorher feſt,
Sechs Pferde haͤtten ſie nicht ausgezogen.


Koͤnig.

Sehr ſonderbar; und wo blieb dieſer Arzt?


Theodor..

Er wohnt im Wirthshaus dort zum Elephanten.


Raimund.

Wir haben eine Zeit erlebt, wo manch
Geheimniß der Natur ſich offenbart.


Koͤnig.

Kommt her, mein Raimund, tretet hier beiſeit.
Erkundigt Euch doch nach dem fremden Arzt;
Geht ſelbſt zu ihm, erforſcht und pruͤft ſein Wiſſen,
Welch Gluͤck, wenn er in unſrer Noth uns huͤlfe.


[425]Fortunat.
Koͤniginn.

Was fuͤr ein Auflauf.


Hofdame..

Es zerbricht ein Leuchter.


Dorothea.

Verzeiht mir, gnaͤd'ge Koͤniginn, ich erſchrack,
Und ſprang ſo ſchnell vom Spieltiſch auf, denn
ploͤtzlich
Fiel gluͤhend Wachs und drauf ein Licht der Krone
Auf Kleid und Haͤnde mir, Herr Theodor
Hat oben dort den Leuchter angeſtoßen.


Hofmarſchall.
(zu Theodor.)

Mein Herr, des Koͤnigs Majeſtaͤt vermerkt
Mit einiger Ungnad' den Ungeſtuͤm,
Auch Eure uͤbermaͤßig aufgethuͤrmte
Der Etikett' entwachſene Friſur,
Ihr habt mit ihr, wie, das begreift man nicht,
Die ſchoͤne Krone von Kriſtall zerſchlagen.
Sitzt nieder, denn ich habe hier das Maaß
Eurer Friſur, wir druͤcken ſie herunter,
Daß ſie ſich dem Gebote fuͤgen lernt.


Theodor..

Es geht nicht, Herr Hofmarſchall; pur unmoͤglich.


Hofmarſchall.

Die leichtſte Sache von der Welt, ich nehme
Die Hand und druͤcke Haar und Puder ſo —
Was, Satan! Ei! behuͤt' mich Sanct Antonius!
Herr Theodor, Ihr habt zwei große Hoͤrner.


Koͤnig.

Wie? Hoͤrner?


Agrippina.

Weh mir! Weh!


[426]Zweite Abtheilung.
Koͤniginn.

Mein armes Kind!
O Huͤlfe! Schnell! Sie faͤllt in Ohnmacht hin
Vor dieſem grauſen Anblick.


Koͤnig.

Weh und Weh!
Ha! Kammerdiener! Kammerfrauen! bringt
Die Ungluͤckſelge in ihr Schlafgemach.


(Ab mit den Uebrigen Großes Getuͤmmel.)

Hofmarſchall.

Was ſoll man denken? Als ich die Prinzeſſinn
In meinen Armen fing, da riß mir was
Hier das Jabot von Kanten ganz in Stuͤcke.
Wars Schmuck? Wars eine Nadel? Sonderbar!
Und unſer Theodor? — Wo blieb er denn?


Limoſin.

Als wenn der Kopf ihm brennte, lief er fort.
Bei alle dem ein wunderbarer Hof.


Olivarez.

Ich reiſe ab, mir widert alles hier.


(alle gehen ab.)

Vierte Scene.

(Zimmer.)

Herbert, Lady Herbert, Theodor in einem
Armſtuhl, mit herunterhaͤngenden Haaren.

Herbert.

Nein, aͤrger ſtets und aͤrger wird der Schimpf,
Am Hof, im ganzen Land, im Volk bekannt,
[427]Fortunat.
Der Gaſſen Sprichwort, Bildchen ausgeboten
Mit ſeines Namens Unterſchrift und Wappen,
Das alles, fuͤhl' ich, giebt den lezten Stoß,
Das Hohngelach' iſt nun mein Grabgelaͤut. —
Da ſitzt die Mißgeburt, ganz unbekuͤmmert,
Verwegen recht, als muͤßt' es nur ſo ſeyn.


Theodor..

Das Schlimmſte iſt ja nun auch uͤberſtanden;
Ich hatte klug den Schaden erſt verſteckt,
Das war umſonſt: nun weiß es denn die Welt;
Was iſt es weiter? Das nur bleibt mein Vorſatz,
Vor Aepfeln hab' ich Abſcheu, unausſprechlich,
Und keiner ſoll mir je die Zunge netzen. —
Doch iſt ja Hoffnung von dem fremden Doktor —
Faͤllt das Gewaͤchs erſt ab, iſts nur wie Fabel.


L.Herbert.

Doch das wird nie, ach! das wird nie geſchehn.


Theodor..

So laͤßt man's ſtehn, und einſt nach meinem Tod
Koͤmmt's zum andern Geweih ins Jagdſchloß 'naus.


Ein Diener kommt.

Diener.

Da draußen iſt ein Menſch, der mit eur Gnaden
Gern ſprechen moͤchte, der —


Theodor..

Nun, der? Was, der?


Diener.

Der ehemal'ge Dietrich, mit Verlaub,
Doch jezt iſt er ein Narr und Haſenfuß.


Theodor..

Was gehts Dich an?


[428]Zweite Abtheilung.
Diener.

Ich denke nur, Hanswuͤrſte —
Es ſchickt ſich nicht, daß ſie ins Zimmer kommen.


Theodor..

Laß ihn herein, und ohne Handwerksneid!


(Diener ab.)

Herbert.

Und wieder neue Fratzen? Immerdar
Vertreibſt du mich. Ich mag nichts ſehn und hoͤren.


(geht ab.)

Theodor..

Kurios! Nicht ſprechen duͤrfen, wie ich mag,
Mit Narren nicht verkehren, Hoͤrner nicht,
Einfaͤlle haben nicht zu duͤrfen, nichts!
Als ging nicht alles nur auf meine Koſten.


Dietrich kommt als Harlekin.

Theodor..

Was willſt Du, Menſch?


Dietrich.

Der Doktor ſchickt mich, mein
neuer Herr, er hat nicht Zeit zu kommen, er dreht
Pillen, und er laͤßt ſagen, die Cur koͤnnte auch
ohne ihn verrichtet werden.


Theodor..

So? Mir kanns Recht ſeyn.
Nun, die Cur?


Dietrich.

Ich ſoll ſie verrichten.


Theodor..

Du? So ſchnell biſt Du zum
Doktor geworden?


Dietrich.

Ihr muͤßt mir aber verſprechen,
daß ihr mich, wenn die Cur anſchlaͤgt, wieder in
Eure Dienſte nehmen wolle, ſonſt fange ich ſie gar
nicht an.


Theodor..

Das kann ich Dir leicht verſpre-
chen, denn Du Pinſel wirſt doch nichts ausrich-
[429]Fortunat.
ten koͤnnen. Wie ſoll Dir denn die Kunſt ſo
ſchnell gekommen ſeyn? Der Habit kanns doch
nicht allein thun.


Dietrich.

Dann ſollt ihr mir mein Geld
herausgeben, das ich an Euch zu fordern habe.


Theodor..

Wenns ſeyn muß.


Dietrich.

So eßt denn dieſe vier Pillen,
eine nach der andern, und ihr ſeyd ſo wohlgeſtalt,
wie ihr nur je geweſen ſeyd.


Theodor..

Gieb. Eins, — noch aͤndert ſich
nichts, — zwei, — ſacht, mir deucht, es faͤngt an
zu wackeln, das Weſen, — drei — vier — ſeht,
Frau Mutter, da fallen die verdammten Stuhl-
beine herunter, als wenn ſie nie meine leiblichen
Glieder geweſen waͤren.

(Er klingelt, ein Diener
kommt)

Da, nehmt das Zeug, ſchmeißt es gleich
ins Feuer, daß kein Span uͤbrig bleibt, und wer
von dem dummen Weſen noch ſpricht, nur mukſt,
der hat es mit mir zu thun.

(Diener ab.)

Dietrich.

Gottlob, nun bin ich doch wie-
der in Eurem Dienſt!


Theodor..

Nein, Freund, ſieh, die Sproſ-
ſen ſind zwar glatt vom Kopf herunter, das kommt
aber von des Doktors Medizin, dazu haſt Du
nichts gethan. Das fehlte noch, daß die Leute
von uns ſagten: Das ſind ſie beide, die transfor-
mirten; wie der Herr, ſo der Knecht; ſage mir,
mit wem Du umgehſt; gleich und gleich; wie der
Prieſter intonirt, ſo ſchließt der Kuͤſter; wie man
in den Wald hineinſchreit, und dergleichen ver-
fluchte Sprichwoͤrter mehr. Wenn ich einmal aus
dem Lande gehe, oder verreiſe, dann koͤnnt' es ſich
eher paſſen, bis dahin, mein guter Dietrich, muß
[430]Zweite Abtheilung.
ich mich Deiner immer ſchaͤmen. — Kommt, Frau
Mutter, ich will mich dem Vater zeigen, nun wird
er an meinem Kopf nichts mehr auszuſetzen haben.


(ſie gehn.)

Dietrich.

Und ich bin ſo desperat, daß ich
mich aufhaͤngen moͤchte, wenn ſich das fuͤr einen
Harlekin irgend ſchickte.

(geht ab.)

Fuͤnfte Scene.

(Pallaſt.)

Koͤnig. Raimund.

Koͤnig.

Und wird er kommen?


Raymund.

Er hat es verſprochen, wollte
ſich aber nur ungern dazu verſtehn.


Koͤnig.

Welche Hoffnungen ſchoͤpft ihr?


Raymund.

Mein Koͤnig, der Menſch hat
ganz das Weſen eines gemeinen Marktſchreiers,
indeß wohnt die Kunſt oft in niedrigen Huͤtten
und verſchmaͤht den edlen Wohnſitz; ſein aͤußeres
Gebaͤude verraͤth keinen edlen Gaſt, aber freilich
liebt die Weisheit zuweilen das Inkognito.


Dietrich.
(draußen.)

Ich muß hinein, ich bin
an des Koͤnigs Majeſtaͤt von meinem Herrn ab-
geſchickt, und kein Menſch ſoll mich zuruͤck halten.


Koͤnig.

Was iſt das fuͤr ein Geſchrei.


Dietrich tritt herein.

Dietrich.

Da waͤr ich, furchtbarſter Herr
[431]Fortunat.
Koͤnig, die Leute draußen haben wenig Ceremo-
niel, daß ſie unſer eins nicht durchlaſſen wollen.


Koͤnig.

Welche Erſcheinung! Welche Tracht!
Was willſt Du?


Dietrich.

Mein Herr, der Doktor iſt drau-
ßen, und will vorgelaſſen werden.


Koͤnig.

So geht ihm geſchwind entgegen,
mein Freund, laßt ihn ſchwoͤren, dann unterrich-
tet ihn von dem Zuſtand der Krankheit, und fuͤhrt
ihn herein.

(Raymund geht ab.)

— Wie? Einen
Narren haͤlt Dein Herr, wie die gemeinen Quack-
ſalber?


Dietrich.

Ja, er will es nicht anders Er
ſagt, ſo gehoͤrte ſichs, ſo brauchten die Doktoren
nicht ſelbſt die Narren zu ſpielen, und ſeine Ein-
richtung ſey eine gute alte Sitte, da hat er mich
dazu genommen, — und ich, — ach, du lieber
Himmel — ich —


Koͤnig.

Warum weinſt Du?


Dietrich.

Mir gehn immer die Augen uͤber,
daß ich ſoll den luſtigen Patron vorſtellen, ich
war dazu nicht geboren, Majeſtaͤt, mein Schickſal
war ein beſſeres, da ich noch die Ehre hatte, Eur
Majeſtaͤt einen Becher vorzuſetzen, als ich beim
Herrn Andaloſia in Dienſten war. — Seitdem —

(weinend)

ach! habe ich große und ſonderbare Schick-
ſale erlebt — ich war indeß — doch, davon hat
mich mein jetziger Herr, der beruͤhmte Doktor,
kurirt, — nun muß ich mit Pritſche und Jacke
drunten auf den Markt Spaͤße machen, indeſſen
der große Laborant ſeine Medikamente praͤ [...]parirt —
und, habe ich nicht genug Leute herbei gelockt,
lachen ſie nicht brav und kaufen tuͤchtig, bin ich
[432]Zweite Abtheilung.
nicht witzig und ſpaßhaft geweſen, — o Maje-
ſtaͤt, ſo giebt es nachher gewichtige Schlaͤge, —
und, wie kann man wohl zu allen Zeiten ſchalk-
haft und ſcherzhaft ſeyn? — Und noch dazu, da
mich immer eine Gaͤnſehaut uͤberlaͤuft, ſo wie ich
nur ſeine Naſe gewahr werde.


Koͤnig.

Du dauerſt mich.


Dietrich.

Bedanke mich der hohen Ehre. —
Mein einziger Troſt iſt, daß ich auch wohl bald
das Kuriren von ihm weg haben werde.


Koͤnig.

Du?


Dietrich.

Ja, es iſt gar nicht ſchwer. Heut
ſchickte er mich zu meinem vorigen Herrn, dem
Herrn Theodor, der doch die großen Hoͤrner hatte,
ach! ihre Majeſtaͤt, es war ein reſpektabler An-
blick — er ſaß damit in ſeinem Großvaterſtuhl,
als wenn er die ganze Welt regieren wollte —
Nun gut! mein Herr Großnaſe hatte mir nur vier
Pillen, wie die Brodkuͤgelchen mitgegeben, die ver-
ſchluckte mein Bel zu Babel, da thats ihm einen
Ruck im Gehirn, krack! und das Geweih rap-
pelte herunter, ſo nett, als wenn einer im Ke-
gelſpiel alle neune wirft. Es ſcheint, wie es Fie-
ber- und Gichtdoktoren giebt, ſo iſt der ein rech-
ter ausgelernter Horndoktor; er hat die Kunſt
wohl in Paris gelernt.


Koͤnig.

Gewiß?


Dietrich.

Es fehlt ihm gar nicht; eins,
zwei, drei, ſchießen ſie herunter, daß es nur eine
Luſt iſt: ich habs an mir ſelbſt erlebt.


Ray-
[433]Fortunat.
Raymund tritt mit Andaloſia ein.

Andaloſia.

O Majesté, leg mir thaͤnigſt
unter zu Dero Fuͤß', daß die große Gnad' und
Herablaſſung hab', ſich unterdeß mit meine Narr'
zu entretenir. — Du, Arlequin, geh indeß auf
mein Theatre, amuſir mein Publikum, und ver-
kauf von die koſtbare Eſſenz und Arcana, bis ich
hinkomme.


Dietrich.

Majeſtaͤt, da haben wirs! Wie
ich geſagt habe.

(geht ab.)

Koͤnig.

Euer Narr, Herr Doktor, hat, ohne
es zu wollen, mir Troſt eingeſprochen denn er
erzaͤhlte mir, daß der ſonderbare Fall, den ihr jezt
kennt, auch ſchon vorgekommen iſt und daß ihr
ſichre und ſchleunige Huͤlfe dagegen wißt.


Andaloſia.

Wollen hoffe, erhabene Ma-
jesté,
hoffe, die Sache, oder die maladie mit die
cornes iſt gar ſchiedlich unter, — ſo ſeyn etlich,
die ſitzen locker, haͤnge nicht mit Gemuͤth und en-
trailles
zuſammen, andre ſeyn verſteckt, eingehakt
tief tief im inner Mechanisme des Leibes und
Seele, wachſe auch wohl nach, wenn mit Flaͤchlich-
obrigkeit kurirt werde, oder von Stuͤmper, die
meyn orne ſey corne, — ja, votre serviteur, mes-
sieurs!
da ſteckt die Knote, iſt groſſe Unterſchied
zwiſchen Horn von Buͤffel und Hirſch und Bock
und Unicorne. Denn ich muß habe die Ehre,
Majesté zu ſagen, mein Syſtem iſt nicht der Sy-
ſtem von meine Herren College, die ſpreche meiſt
wie blinde Huhn von die Farbe. Ich weiß nicht,
ob Majesté ſich genug intereſſir fuͤr Système de
III. [ 28 ]
[434]Zweite Abtheilung.
la nature, um mein Doktrin zu folge, und mich
nicht zu finde ennuyant.


Raymund.

Gewiß nicht, denn Seine Ma-
jeſtaͤt erguͤtzt ſich ſelbſt an der Chemie und deren
Geheimniſſen, und laborirt fleißig mit mir.


Andaloſia.

Ah! cant mieux, an die Ge-
lehrte iſt gut predige. Ich ſage ſo: nix iſt in die
ganze Natur, was nicht entſtuͤnde aus die Moral;
verſtehn Sie mir: es iſt alles eins mit die Mo-
ral, was wir gewoͤhnlich den Physique nennen.
Kann ich an ein Menſch Fehler und Laſter abge-
woͤhne, ſchaffe ich ihm Krankheit aus dem Leibe,
und wieder, kann ich ſein Leib ein Gebrechen, ein
Schaden wegkurire, wird auch der Seele ausge-
beſſert. Par exemple, es war vor einige Jahre,
als der Duc d'Orleans kriegte geſchenkt aus der
Niederland ein Monſtrum, war ein ſogenannt
Meerwunder, ein wilde Menſch, in der See ge-
fangen, hatte Schuppen am Leibe und auch espèce
von Floßfeder, konnte natuͤrlich nicht ſpreck, war
brutal und ohne Manier. Ich weiß nicht, ob
Sire ſchon Umgang und connoissance mit einem
Meerwunder gehabt hat.


Koͤnig.

Niemalen.


Andaloſia.

Schade, c'est bien intèressant
ſich zu verſetzen in der Seele von einem ſolchen
Creatur. Gut alſo: Monseigneur le Duc d'Or-
leans
erzeigt ſie mir die Gnade, zu ſeyn von mei-
ne Freunde, laͤßt ſie mich invitir zu ſich, wie mein
gut monstre mit ſeine Fiſchſchuppe in die Stube
auf und ab promenir. Ich ſehe ihm an, fuͤhle
ihm an ſeine Puls; nu, der ſchlaͤgt à la manière
von die wuͤſte See; ſeh an ſeine Blick, daß ſich
[435]Fortunat.
aus die Machine noch was machen laͤßt. Fragt
mir der Erzog, ob ſey der Beſtie zu kurir, oder
zu Menſchen zu mache. Je reponds: Monseig-
neur,
es ſeyn nicht bloß der Sache, daß es dem
Monsieur sauvage fehle an der education et Ma-
nières,
die Hauptſache ſeyn die Schuppe und Floß-
feder, kriegen wir ihm die aus das Leib, kriege
wir auch die Meergedanke aus ſeine Kop. Sire,
was wollen ihr ſagen? Ich nehme mein Meer-
wunder in die Lehr, purgir ihm, laß Ader, er muß
Eſſenz und erweichende Mittel nehme, die alle ge-
gen die See- education und, wie ſag ich, Fiſchei-
taͤt, (vous comprenez!) arbeite, in ſechs Wochen,
le voila, iſt er fertig, keine Schupp und keine
Floßfeder an ihm zu ſehn, und wenn mans wollt
aufwiege mit Gold, wie ich ihm praͤſentir; er
wird in eine andre Habit gethan, wird nun an ein
Philosophe gegeben und maintenant, Sire, iſt der-
ſelbe im Gefolg des Duc d'Orleans, als eine von
ſeine Freund, ſpricht Politik, iſt galant, nimmt
Taback und macht Schulde, als wie ein homme
comme il faut.
Was ſagen zu ſolcher Cur,
Sire?


Koͤnig.

Ich bin erſtaunt.


Andaloſia.

So, um auf mein vorigen
propos zu kommen, will ich ſagen, iſt es immer
eine ganz andre Sache, wovon ſolche Hornen her-
koͤmmlich ſeyn, dann ſie ſeyn qualités der Seele,
eine vis occulta, die in das Koͤrperlichkeit ſeine
Viſite macht, weil ſie zu ſtark uͤberhand genom-
men, und Harmonie geſtoͤrt hat. Majesté hat
meine kleine Hanswurſt geſehn, hatte ſie gekriegt
von Stehle und Schelmerei, war leicht kurirt,
[436]Zweite Abtheilung.
auch Monsieur Theodoſius der Große hier vom
Hofe, ſeine Horn waren vom Uebermaß von Grob-
heit und Mangel an education und galanterie.
die ſaßen auch nicht feſt; und wenn nun, wie ich
hoffe, bei gnaͤdiger Princesse auch aus kleine Un-
art erwachſen ſind, wolle wir ſie bald wieder her-
unter ſchaffe.


Margarethe koͤmmt.

Margarethe.

Die gnaͤdige Prinzeſſin iſt
jezt wach, und bittet den Herrn Doktor herein zu
kommen.


Andaloſia.

Iſt vielleicht die Kammerfrau
von die gnaͤdige princesse?


Raymund.

Ja, Herr Doktor.


Andaloſia.

Ah, mon enfant, alte Per-
ſon, komm Du mal her! Liebſt Du Deine prin-
cesse,
biſt Du ihr fidèle und kannſt thun was um
ihr? —


Margarethe.

Ach, Herr Doktor, wenn ich
ſie mit meinem Leben, mit meinem Blute wieder
herſtellen koͤnnte, es ſollte mir nichts zu theuer
ſeyn.


Andaloſia.

Bon, das trifft ſich gut, Du
kannſt etwas Solides zu ihre Beſte ausrichten.
Es iſt vor alle Ding nothwendig, daß uͤber die
Horn (wie ſag ich?) ein Futteral, ein Paar Struͤm-
pfe oder Hoſen gezogen werde, die ſie immer warm
halte, um ſie zu erweiche, daß muß nu ſeyn von
eine Creatur, das viel um die Prinzeß geweſen,
und das die Prinzeß liebt, ſonſt nuzt es nichts,
bitte alſo ihre Majestè, ſie wolle die gute Alte
[437]Fortunat.
gleich laß' maſſakrir, um von ihre Fell die chaus-
sure
zu machen.


Margarethe.

Das fehlte noch, Herr Quack-
ſalber! Seht doch! Mein Fell! Ihr moͤgt mir der
rechte ſeyn! Mein Fell! Nein, ſo iſt es nicht ge-
wettet, Herr Marktſchreier.


Andaloſia.

Alſo will ſich nicht aufopfern
fuͤr Freundinn? Fi done! Wie beſchaͤmt Euch
Oreste et Pylade, Damon et Pythias, in der alt
Fabel und Mythologie. Hat die Prinzeß keine
Katz, oder Hund, oder ſo was, das ſie viel um
ſich gehabt und geliebt?


Margarethe.

Den Affen, den Narciß
muͤßten wir nehmen, den liebt ſie am meiſten.


Andaloſia.

Bon, da ihr das gute Werk
nicht thun wollt, ſo ſey es denn die Aff, kommt
beides auf eins hinaus. Laßt gleich die Sache ma-
chen, alte lieblos Perſon.


Margarethe.

Der Scharfrichter fehlte hier
noch mit ſeinem Ebraͤiſchen Kauderwelſch.

ab.)

Koͤnig.

Wollen wir meine Tochter beſuchen?


Andaloſia.

Steh zu Befehl: bin begierig,
die Kranke zu ſehn.

(gehn ab.)

[438]Zweite Abtheilung.
Sechſte Scene.

(Zimmer.)

Lady Herbert, Theodor.

L. Herbert.

Du biſt gefuͤhllos, Stein und ohne Herz,
Daß keine Thraͤne fließt des Vaters Tod,
Den Gram um Dich mit in die Grube ſtieß.
Was ſchelt' ich, Aermſte, Dich! Jezt fuͤhl ich erſt,
Nun ich ihm nicht mehr Liebe kann erweiſen,
Wie gut er war, wie aller Tugend reich,
Daß ich ihn auch in mancher Stunde kraͤnkte.
Doch ohne Vorſatz. Ja, ſo iſt der Menſch,
Wir ſchaͤtzen nur des Lebens hoͤchſte Guͤter,
Wenn ſie auf immer uns entriſſen ſind.
Jezt kenn ich ihn und auch den herben Schmerz,
Der mit mir treu aushalten wird zum Grabe.


Theodor..

Gebt Euch zur Ruh, ihr habt ja mich noch, Mutter.
Seht nur, ich traure, was ich immer kann,
Nur heucheln mag ich nicht; wohl war er gut,
Der ſeelge Herr, doch wies im Leben geht,
Auch voller Grillen, Vorurtheil und Launen,
Er meint es gut mit mir, doch hat er nicht
Mit der Moral, Hofmeiſtern, Beſſerwiſſen,
Und ſeinen feinen Sitten, halb zu Tode
Wenn ich recht froh mich fuͤhlte, mich gequaͤlt?
Das geht mit ihm nun auch zu Grabe, Mutter,
Denn das leid' ich von Euch auf keinen Fall.
Nun haben wir ja auch die Hochzeit vor uns,
Denn endlich wird die Lady Dorothea
[439]Fortunat.
Vernuͤnftig, und erkennt, wie ich ſie liebe,
Seht, ſo kommt Troſt und Luſt zu Leid, wie immer.


L. Herbert.

So wollen wir den Abgeſchiedenen
Zur lezten Ruheſtaͤtte ſtill geleiten.

(gehn ab).

Siebente Scene.

(Zimmer der Prinzeſſin.)

Agrippina, im Lehnſeſſel ſchlafend, Andaloſia
ſitzt auf der andern Seite.

Andaloſia.

Sie ſchlaͤft. — Ob ſie den Saͤckel bei ſich hat?
Der Vater, alle, haben ſie verlaſſen.
Mein Auge irrt von allen Seiten um,
Vortheil erſpaͤhend; — ob die Thuͤr ich ſchließe?
Dann mit Gewalt mein Eigenthum ihr nehme?
Still! Thor! verdirb nicht ſelbſt durch leere Hitze,
Was du bis jezt mit Klugheit durchgefuͤhrt. —
Wie? Seh ich recht? Im Winkel dort den Hut,
Vergeſſen, nichts geachtet unter Land?
Still! leiſen, leiſen Schrittes nah ich Dir, —
Nun biſt Du wieder mein, Du trauter Schatz,
Nun wird mir auch das Schwerſte ſelbſt gelingen,
Schon fuͤhl ich mich ſo leicht, ſo heiter, wie
Der Vogel, der durch blaue Luͤfte ſchwimmt —
Ja ſchlummre nur, bald iſt die Strafe da.


Agrippina.

Wie iſt mir wohl! Ich hatte ſchoͤne Traͤume,
[440]Zweite Abtheilung.
Geneſen ſah ich mich. — Viel Dank, Herr Doktor,
Mir iſt nach eurem Mittel ſchon viel beſſer.


Andaloſia.

Erlauben Hoheit etwas nachzuſehn, —
Schau, wahrlich, da iſt ſchon die Horn viel weicher,
Bald nehm' ſie ab, verſchwinden peu á peu.
Mais, ma princesse,
erlaub, gerad heraus
Zu ſpreck, wie Arzt und confesseur ſtets ſollten:
Die Wurzel ſtecke tief, ſehr tief hinunter,
Und ſchoͤne Dame muß (das kann ich merke)
In ihre kleine Herz viel Bosheit, Tuͤcke,
Und Schadenfreude ſitzen hab, hat wohl
An die Amants und Herrn ſchon manchen Poſſen
Geſpielt mit Muthwill, denn die Horn beweiſen
Gar große, groß malice; comprenez vous?


Agrippina.

O helft mir, Liebſter, nur von dieſem Scheuſal,
So will ich ſtill und ſanft auf immer werden,
Der Hochmuth, Neid und Eigennutz ſey fern,
Nur, liebſter Doktor, endet ſchnell die Cur,
Und fordert dann zum Lohn, ſo viel ihr wollt.


Andaloſia.

Madam, das menſchlich Herz iſt naͤrriſch Kauz,
Sind die Patient recht krank und miſerabel,
Verſprechen ſie dem med'cin goldne Berge;
Sind ſie geſund, — iſt alle Wort vergeſſen,
Dann hat Natur geholfen, aus die Berge
Kriecht dann zum Lohn ein klein souris heraus.


Agrippina.

Mich ſollſt du anders kennen lernen, Freund,
Nur eile Dich, daß ich geſund mich ſehe.


Andaloſia.

Ma belle princesse, es fehlt mir jetzt am Beſten,
[441]Fortunat.
Helas! Medikament ſind ausgegangen,
Hab' ſie verbraucht fuͤr meine kleine Narr
Und Eure große Narr, Herr Theodor;
Dacht' nicht, daß hier in London epidemiſch
Die ſeltne maladie geworden waͤre.
Nun muß ich erſt ein kleine Urlaub bitte
Auf fuͤnf, ſechs Monat, denk' ich, wenigſtens,
Um in Tirol, Dalmatien, in Sizil,
Die Simpla aufzuſuch, ſie dann zu miſche.


Agrippina.

Und hier im großen London waͤre keine
Der großen Apotheken mit verſehn?


Andaloſia.

Ah oui, sans doute, mais ſeyn fuͤrchterlich theuer,
Seyn aͤrger als die Juifs, et moi, bin arm,
Das ſehn wohl Majesté, und brauchte doch,
In London hier Dukaten wohl drei tauſend,
Die ſpar' ich, wenn ich ſelbſt die Dinge ſuch!


Agrippina.

Tritt her an dieſen Tiſch, ich zaͤhl ſie auf.


Andaloſia.

So viel baar Geld hat Majesté bei ſich?


Agrippina.

Sey unbekuͤmmert, aus dem Saͤckel hier —


Andaloſia.
(ſetzt ſchnell den Wuͤnſchhut auf und um-
faßt ſie.)

Nun ſchnell nach Irlands nackten Wuͤſtenein!


(Beide verſchwinden.)

[442]Zweite Abtheilung.
Achte Scene.

Andaloſia mit Agrippina ſchnell herein.

Agrippina.

Weh mir! zum zweitenmal ſo grauſen Schreck!


Andaloſia.
(wirft die Verkleidung ab.)

Erkennſt Du mich, Verruchte? Dieſesmal
Wird nicht mein Leichtſinn, ſchwachgemuthe Ruͤhrung
Dich meiner Rach' und Deiner Straf entreißen.
Zuerſt denn!

(zieht ein Meſſer.)

Agrippina.
(kniet.)

Weh! O theurer, edler Mann!
O Du Verehrter, Unbegreiflicher,
Nur meines Lebens, meiner Ehre ſchone.


Andaloſia.

Ich bin kein Moͤrder, nur mein Eigenthum,
Um das ich viel erduldet, ſey mir wieder.

(er ſchneidet den Saͤckel ab.)


Ich halte Dich in meinen Haͤnden! ja,
Die Liſt gelang, die Feindinn liegt im Staube.
Was ſag' ich Dir, Du wandelbar Verſtellte?
Nein, zittre nicht, Du biſt bei mir geſichert,
So ferne der Begier, als wenn in heilger
Klauſur Dich ſtrenge Kloſtermauern hielten.
O ſteh, ſteh auf, mir ekelt dieſe Stellung;
Darf ſo die Koͤnigstochter ſich erniedern?
Von Ehre ſprachſt Du? O Ihr Unbeſcholtnen,
Hoffaͤrthigen, von Hochmuth Aufgeſchwellten,
Ihr bruͤſtet Euch mit leerem Wort und Klang,
Sinnloſes Schellenlaͤuten Euer Prunk:
Ihr ſeht verſchmaͤhend auf die Armen hin,
Die, von der Kraft der Goͤttinn uͤberwaͤltigt,
[443]Fortunat.
Im Arm des Liebſten aller Welt vergeſſen,
Und mit dem Theuerſten ihn gern begluͤcken;
Ihr niedern Buhlerinnen ſchmaͤht und laͤſtert,
Und ſolltet ſtill dehmuͤthig hier verehren,
Daß Herzen ganz und voll ſich dem ergeben,
Dem ſie allmaͤchtig Liebe unterwirft;
Ihr Ehrenvollen, Hochgeſtellten, Reinen,
Die Ihr noch ſchlimmer als die Sklavinn ſeyd,
Die oͤffentlich mit ihren Reizen wuͤchert,
Denn Ihr verkauft um ſchnoͤden Sold das Hoͤchſte,
Des Herzens Herzen, Wahrheit, Liebe, Treue,
Den Stolz, der nur den Menſchen macht zum
Menſchen.
Was koͤnnte Dich gefaͤhrden? Jenes heilge
Jungfrauenthum des Herzens, jene Suͤße
Der Kinderunſchuld, Deiner Liebe Bluͤthe,
Haſt Du fuͤr alle Ewigkeit dem Teufel,
Dem ſchmutzigſten des Geizes baar verkauft.
Drum blitzte falſche Liebe dieſes Auge,
Die holden Pfaͤnder, die die Seelen knuͤpfen
In Lieb' und Andacht, Schwur, Bekenntniß, Flehn,
Sie, alle gleich dem Heer verruchter Raͤuber,
Entſprangen aus dem Wahrſam ſchoͤner Lippen.
Ich Bloͤder, ſah' die Brandmal nicht und Ketten!
Ja Deine Kuͤſſe bluͤhten buhleriſch
Wie giftge Roſen mir, das Auge weinte
Die Luͤgen-Thraͤnen, die dem Liebenden
Im Wonneſchmerz den Himmel nieder ziehn. —
Und alle die Entheiligung — warum?
Um ſchoͤdes Gold! Nur darum wurden alle
Empfindungen der Seeligkeit verrathen,
Elyſium zur ſchmutzgen Winkelgaſſe,
Die Goͤtter all in Kuppler umgemarktet.
[444]Zweite Abtheilung.
Dann wurde dem Bethoͤrten Hohn und Lachen
Auf ſeinem armen Wege nachgeſandt;
Indeſſen ich, verſchmaͤht, betrogen, abſeits
Zur Armuth mich, zur Reue wenden mußte,
Und gern noch Gluͤck und Leben opferte
(Auch wenn mich Dein Beſitz niemals begluͤckt)
Daß Wort und Blick nur nicht betrogen haͤtten,
Das als das Bitterſte im Schmerz empfindend,
Daß ich geliebt, wo ich verachten mußte.
Wo willſt Du Worte finden, wo die Luͤge,
(Die fernſte taugt Dir nicht) dies abzulaͤugnen?


Agrippina.

Noch einmal werf' ich mich vor Dir zur Erde,
Nur flehen kann ich, nimmer mich entſchuld'gen.
Dein iſt das Recht, Du haſt mich ſo beſiegt,
Daß mir die Kraft zum Leben ſelbſt ermangelt,
So ſticht mir jedes Wort ins Herz ein Meſſer.
Was mein Gewiſſen dunkel mir und leiſe
Oft zugefluͤſtert, ach, die bittre Reue,
Die ich betaͤubte, haſt Du nun erweckt,
Daß ihre Stimme laut und lauter mahnt.
Und mich ihr grauſer Donnerton betaͤubt.
Ach, Andaloſia, nicht fleh' ich Dir
Um meinethalb, weil ich die Koͤnigstochter,
Daß Du mich achten moͤchteſt, ehren, ſchonen,
Nein, bei Dir ſelbſt, bei dem Gefuͤhl im Buſen,
Das einſt geliebt die tief Unwuͤrdige,
Bei Deinem eignen Werth beſchwoͤr' ich Dich,
Entweihe nicht das Herz, das mir geſchlagen,
Wirf mich nicht hart der oͤden Wildniß zu,
Dem Wahnſinn, Thieren, noch der Krankheit Graun!
Nein, Du erbarmſt Dich, denn Du biſt es noch,
Des Auge Lieb' und Sehnſucht auf mich blickte.


[445]Fortunat.
Andaloſia.

Elende, woran mahnſt Du mich? Dies Wort,
Es koͤnnte wetzen meine Grauſamkeit.
Doch nein, Dir ſei Verzeihung, doch auch Strafe,
Du ſollſt jetzt nicht zuruͤck zu Deinen Eltern —


Agrippina.

Ich will es nicht, ich mag den Hof, die Stadt
Nicht wieder ſehn, ſo lang' ich mir ein Scheuſal,
Den Feinden Hohn, dem Volk Gelaͤchter bin.


Andaloſia.

Ja, dies Gefuͤhl ſey jetzt' noch Deine Qual,
Doch werd' ich Deiner nicht vergeſſen, werde
Den Zauber dann Dir loͤſen, wie ich kann.
Schau dort hinab, in jener Felſenbucht
Liegt einſam und verſteckt ein armes Kloſter
Von frommen Nonnen, allem abgeſchieden
Sehn ſie nicht Stadt, noch Dorf, noch Menſchen je,
Denn keine Straße fuͤhrt durch dieſe Schluchten,
Nur gegen uͤber ſich und fern erhaben
Auf duͤrren Klippen zwiſchen dunklem Wald
Des heiligen Patrizius Fegefeuer;
Hier ſollſt Du buͤßen und bereuend wohnen,
Daß Deine beßre Seele auferwache;
Dann fuͤhr' ich Dich nach ein'ger Zeit zuruͤck,
Und Du wirſt mir des Geiſtes Heilung danken.


Agrippina.

Ich danke Dir ſchon jetzt, wohlthaͤtger Freund,
Daß Boͤſes Du mit Gutem willſt vergelten.
Hier, fern von Menſchen, lern' ich bald mich finden.


Andaloſia.

So folge mir, das Kloſter iſt nicht weit.


(ſie gehn ab.)

[446]Zweite Abtheilung.
Neunte Scene.

(Kloſter. Sprachzimmer.)

Aebtiſſinn, Nonnen.

Aebtiſſinn.

Ja, meine Kinder, immer dringender
Wird unſre Noth und Huͤlfe ſeh ich nicht,
Wenn ſie der Herr uns nicht in Gnaden ſendet:
Des Landes Theurung und des Jahres Mißwachs,
Der Brand der unſre Speicher aufgezehrt
Und ſchnell vernichtete den ſchmalen Vorrath;
Kein Reiſender der hieher Opfer braͤchte;
Die Felſen trennen uns von aller Welt,
Die wuͤſte Einſamkeit verſcheucht die Menſchen;
Der Biſchof iſt, Ihr wißt es, ſelbſt bedraͤngt: —
So weiß ich denn nicht Huͤlfe, Rath, noch Rettung.


Die Pfoͤrtnerinn tritt herein.

Pfoͤrtnerinn.

Ein fremder Herr will Euer Gnaden ſprechen.


Aebtiſſinn.

Entfernt Euch, meine Kinder. — Laß ihn ein.


Die Nonnen gehn ab, Andaloſia koͤmmt.

Andaloſia.

Hochwuͤrdge Frau, verzeiht dem Weltlichen,
Ders wagt, die fromme Einſamkeit zu ſtoͤren,
Im Namen einer Armen tret' ich ein,
Die Euren Troſt begehrt und eine Zelle,
Um abgeſchieden ſich und Gott zu leben.


Aebtiſſinn.

Mein edler Herr, Ihr ſeht ein armes Kloſter,
[447]Fortunat.
Das Mißwachs, Ungluͤck, Brand, noch aͤrmer
machten,
Wir, ſelbſt der Wohlthat duͤrftig, koͤnnen nicht,
Wie unſer Herz gebeut, Almoſen ſpenden.


Andaloſia.

Reich iſt die Jungfrau und von edlem Stamm,
Sie ſchaͤtzt es Gluͤck genug, in Eurem Schutz
Nur Monden hier zu ſeyn, und da ſie ſchon
Die Kunde Eurer Leiden hat vernommen,
So ſendet ſie Euch hier tauſend Guineen.


Aebtiſſinn.

Die Huͤlfe kommt uns wie vom Himmel ſelbſt.
Doch wird das zarte Bild die Einſamkeit
In fruͤher Jugend auch ertragen koͤnnen?


Andaloſia.

Sie ſucht die fern' und abgeſchiedne Ruhe,
Denn wie ſie auch mit Schoͤnheit iſt geſchmuͤckt,
Entſtellen doch zwei Hoͤrner wunderbar
Die edle Stirne, ſo daß ſie ſich ſcheut
Den Menſchen zu begegnen, darum fleht ſie,
Daß ſie verſchweigen darf der Eltern Namen,
Verhuͤllt gehn, daß ihr Niemand laͤſtig falle,
Wenn ſie nicht ſelbſt entgegen geht den Schweſtern,
Im Kloſter und der Kirche, wie im Garten.


Aebtiſſinn.

Sehr gern iſt alles ihr von mir gewaͤhrt.


Andaloſia.

So tretet ein, verehrte Agrippina.


Agrippina koͤmmt.

Aebtiſſinn.

Wohlthaͤterinn des Hauſes, ſeyd willkommen,
Naht freundlich uns, ſucht Euch die Zelle ſelbſt,
[448]Zweite Abtheilung.
Die ihr bewohnen wollt, befehlt, wie alles
Gehalten werde, daß Ihr gern hier weilt.


Agrippina.

Ich hoffe, Troſt ſoll mir die Stille geben. —
Nicht ganz, mein Freund, vergeßt mich in der Ferne.


Andaloſia.

Ich denke Euer, ſo gehabt Euch wohl.

(geht ab.)

Aebtiſſinn.

Faßt nun Vertrauen, vielgeliebte Tochter,
Zu mir bejahrten Frau, die Euch ſo freundlich
Empfangen moͤchte wie ein holdes Kind.
Hinein geht und erfriſcht Euch von der Reiſe,
Dann ruht am hellſten Ort, am freundlichſten,
Des wir uns nur in unſern Mauern freun.


Agrippina.

Vielleicht kann ich an Eurem Buſen weinen!


(ſie gehn ab.)

Zehnte Scene.

(Cypern. Zimmer.)

Daniel, Benjamin.

Daniel.

Unbegreiflich und wundervoll! Nun
iſt der Herr Andaloſia ſchon zum zweitenmale ſo
ploͤtzlich da, als wenn er vom Monde herunter
gefallen waͤre; kein Menſch denkt an nichts weni-
ger, als an ihn, und er ſteht mitten unter uns.
Haſt Du denn gar nichts hoͤren koͤnnen, junger
Menſch?


Benjamin.

Er hat ſich gleich mit ſeinem
Bruder Ampedo eingeſchloſſen und eingeriegelt.


Da-
[449]Fortunat.
Daniel.

Ob er denn diesmal auch wieder
ſo auf und davon ſeyn wird, daß man nicht weiß
wo er hin geſtoben oder geflogen iſt, der Sau-
ſewind?


Benjamin.

Da kommen ſie.


Ampedo und Andaloſia kommen.

Andaloſia.

Nun, Freunde, richtet gleich die Tafel praͤchtig zu,
Den beſten Wein! Sucht aus der Garderobe
Fuͤr mich die reichſten Kleider! Wo es fehlt,
Da kauft, — nur ſchnell! — ich will ſogleich
nach Tiſch,
Wie er uns einlud, hin zum jungen Koͤnig.

(die Diener ab.)


Ja, Bruder, nun ſoll erſt die Luſt beginnen,
Nun ich mit vielen Schmerzen Klugheit lernte.
So nimm nun, Beſter, beide Kleinod' hin,
Sie kommen Dir jetzt zu nach langer Zeit,
Behalte ſie, ſo lang' Du irgend magſt,
Fuͤrs erſte bleib' ich hier im Vaterland.


Ampedo.

Nein, Bruder, alles, was Du mir erzaͤhlt,
Die Noth, die Angſt, die mancherlei Gefahren,
Die Du und auch mein Vater habt erduldet
Um dieſen Saͤckel, macht ihn mir zum Graun,
Ergoͤtze Dich mit ihm, ſo viel Du magſt,
Ich will ihn nie in meine Haͤnde nehmen:
Auch hab' ich eingeſehn, daß ich des Golds
Niemals bei unſerm Schatz ermangeln kann,
Drum ſchiens mir klug gethan, dem Koͤnige
Das große Darlehn willig hinzugeben.


III. [ 29 ]
[450]Zweite Abtheilung.
Andaloſia.

Sehr weislich.


Ampedo.

Ja, er iſt ſeitdem ſo freundlich,
Wie nur ſein Vorfahr gegen unſern Vater;
Schutz gilt oft mehr als volle Beutel Goldes.


Andaloſia.

Mein Bruder hat an Weisheit zugenommen.


Ampedo.

Die Langeweile; darum bin ich froh
Den lieben Hut nun wieder hier zu haben,
Um meinen alten Spaß mit ihm zu treiben.


Andaloſia.

Was macht denn unſer Oheim, Limoſin?


Ampedo.

Weißt Du das nicht? Der iſt nach England hin,
Um die Prinzeß zu freyn fuͤr unſern Koͤnig.


Andaloſia.

Ei! So? Da kommt mir ein Gedanke. — Bru-
der
Doch das hat noch ein Weilchen Zeit — Du leihſt
Mir doch gewiß den Hut zum zweitenmal
Zu guter Abſicht.


Ampedo.

Ja, wenn ich Dir traute.


Andaloſia.

Nicht jetzt, nicht bald, vielleicht —


Ampedo.

Jetzt laß uns eſſen,
Und aller Noth und Plane ganz vergeſſen.


(gehn ab.)

[451]Fortunat.

Fuͤnfter Akt.


Erſte Scene.

(Pallaſt)

Koͤnig von Cypern, Ampedo, An-
daloſia
.

Koͤnig.

Wie dank' ich Eure Freundſchaft Euch, Ihr Edlen!
Ich habe nichts, das Euch belohnen koͤnnte,
Will ich mit Euch mich meſſen, bin ich arm.
Du, Andaloſia, haſt ſeit ſieben Monden
Geſtrebt fuͤr mich, und ſieh die ſchoͤnſte Braut
Sie tritt nun heut auf dies begluͤckte Ufer.
Ihr theilt mir Euren Schatz, wie einem Bruder,
Daß ich die Schuld vom Vater mir vererbt,
Dem Spend' und Wohlthun Strafe ward und Plage,
Nun tilgen, meinen Freunden nuͤtzen kann,
Daß ich mit Pracht, wie es dem Koͤn'ge ziemt,
Der holden Fuͤrſtinn heut entgegen gehe:
Ja, ew'gen Dank Euch, Theuren, Euch, dem Seegen
Des Lands, den Freunden aller Guten, mir
Des Herzens Naͤchſten; alſo bleibt mir ſtets,
Und ſinnt auf Moͤglichkeiten, meinen Dank
Durch mehr als nacktes Wort Euch anzuſagen.


[452]Zweite Abtheilung.
Andaloſia.

Wie fuͤhl' ich mich begluͤckt, wenn Ihr, mein Koͤnig,
Mich wuͤrdigt, mich als Freund zu Euch zu heben.


Koͤnig.

Verweile, Andaloſia, denn ich gehe
Mich umzukleiden, um mit Dir und andern
Der Edelſten der holden Fremdlingin
Entgegen bis zum Ankerplatz zu reiten.


(ab.)

Andaloſia.

Du willſt uns nicht begleiten, Ampedo?


Ampedo.

Nein, Bruder, ich verweil' im ſtillen Hauſe;
Dies Laͤrmen, dieſer Auflauf, Schrein des Volks,
Das Tummeln dieſer Reiter, dieſes Draͤngen,
Wo jeder eilt, die Eitelkeit zu zeigen,
Iſt nicht fuͤr mich und macht mich nur betruͤbt.
Dann draͤngt ſich mir des Lebens Richtigkeit
So recht ins innre Herz, wenn ich dies Jauchzen,
Den Krampf der Freude ſeh' der trunknen Menge,
Die niemals um ſich weiß, und dies bedarf,
Des Lebens truͤben Sumpf in Fluß zu bringen.


Andaloſia.

Ich kenne Dich nicht mehr, Du biſt verwandelt,
Und Deine Weisheit wird Melankolie.


Ampedo.

Laß auch von dieſem eitlen Prahlen, Bruder,
Warum willſt Du durch Pracht und frevlen Aufwand,
Thoͤricht Verſchwenden, der gemeinen Seelen
Ergrimmten boͤſen Neid auf Dich erregen?
Obs gut gethan, daß Du die Fuͤrſtinn auch,
Die Du gekraͤnkt, was ſie wohl nie vergißt,
Als Koͤniginn hierher bringſt, ſteht zu zweifeln;
[453]Fortunat.
Zwar haſt Du ſie geheilt, haſt ſie durch Zauber
Dem vaͤterlichen Hof zuruͤck gebracht,
Haſt ihre Neigung dann zu unſerm Koͤnig,
Des koͤniglichen Herrn zu ihr geweckt,
Du ſchenkteſt ihrem Stolz die Koͤnigskrone,
Ihm wendeſt Du die reiche Mitgift zu;
Allein —


Andaloſia.

Sey ohne Sorgen, liebſter Freund,
Ihr Ungluͤck und die lange Einſamkeit
Hat ſie verwandelt ganz, ſie fuͤhlt durch Dank
Und Freundſchaft mir auf immer ſich verbunden.
Mit Thraͤnen ſchwur am heiligen Altar
Sie feierlich, mir alles zu vergeſſen,
Auch nie ein Wort von dieſem Zauberſaͤckel
Den Lippen unbedacht entfliehn zu laſſen;
Wir ſind geſichert, gluͤcklicher als je.


Ampedo.

Es ſey, doch weiß ich nicht welch lange Furcht,
Welch truͤbes Ahnden meiner ſich bemeiſtert,
Ich zittre jedem Laut, weiß nicht warum,
Und eben dies macht mich nur aͤngſtlicher.


Der Koͤnig koͤmmt angekleidet zuruͤck.

Koͤnig.

Jetzt kommt, mein liebſter Freund, ſo Arm in Arm
Laßt uns der ſchoͤnen Braut entgegen eilen. —
Ihr geht nicht mit uns, wie ich hoͤre, Freund?


Ampedo.

Ich wuͤnſche meinem Koͤnig alles Gluͤck,
Doch paßt nicht mein Humor in dies Getuͤmmel.


[454]Zweite Abtheilung.
Koͤnig.

Auf Wiederſehn alſo bei unſerm Feſt.


(ab mit Andaloſia.)

Ampedo.

Wo ich viel wen'ger noch erſcheinen werde. —
Ich muß den Doktor fragen, was mir fehlt,
Denn ſo iſt mir im Leben nicht geweſen;
Es iſt doch pur unmoͤglich, daß der Aufwand
Von Kleidern, Schmuck, das Silber- Goldgeſchirr,
Die blankgezaͤumten Pferde, all die Pracht,
Die aufgeputzten Tafeln, das Turniren
Und Stechen, und die koſtbarlichen Preiſe,
Daß alles dies nur Albernheiten waͤren,
Das Leben ſelber nur ein ſchaaler Traum:
Nein, unſer Dokter ſoll mir was verſchreiben,
Daß anders wieder mir die Welt erſcheine.


(geht ab.)

Zweite Scene.

(Marktplatz.)

Volk, von allen Staͤnden und Altern, Diener um Wein-
faͤſſer die allen zu trinken geben, aufgehaͤufte Speiſen, alles
im Jubel.

1. Mann.

Habt Ihr ſie wegreiten ſehn,
die Herren? Unſern gnaͤdigſten Koͤnig, und den
jungen, lieben, freigebigen, praͤchtigen Andaloſia?


2. Mann.

Ja wohl, das war ein Zug!
Die Pferde, die Decken, die Kleider, die Diener!
Man kann durch die Welt reiſen, und ſieht ſo
was nicht wieder.


3. Mann.

Unſer Koͤnig kommt doch nicht
[455]Fortunat.
gegen den Andaloſia, der iſt doch die wahre aus-
gefuͤtterte gediegene Pracht, ſelber nach Fleiſcherge-
wicht, und ohne alle Beilage.


2. Mann.

Was der wieder ſchwatzt! Sein
Bruder, der Duckmaͤuſer Ampedo, der iſt wie
ſeine Beilage anzuſehn.


1. Mann.

Auf den laß' ich nichts kommen;
das iſt ein guter, lieber, ſtiller Herr, der kein Waſ-
ſer truͤbt und kein Kind beleidigt. Auch wohlthaͤ-
tig gegen die Armen.


2. Mann.

Hat ſich was von Wohlthat:
fuͤhrt nicht der alte Spitzbube, der Daniel, Caſſe
und Rechnung, der moͤchte lieber noch von den
Armen nehmen, als ihnen geben.


Vierter.

Scheltet mir den Daniel nicht;
es iſt wahr, er iſt ein Halunke, aber er ſieht bei
Gelegenheit doch auch durch die Finger.


Zweiter.

Gut, bei Deinen Lieferungen?
Du nimmſt die Haͤlfte zu viel, der Herr muß das
vierfache bezahlen, und Du quittirſt nachher alles
in allem.


Vierter.

Wenn ich nicht mehr bedaͤchte, —
es iſt nur, daß es heut einen Feſttag vorſtellen
ſoll, — und es ſchickte ſich nicht, wenn die neue
Koͤniginn ſo in unſre Pruͤgelei hinein ritte —


Erſter.

Narren allzuſammen, ſeyd ruhig
und vergnuͤgt daruͤber, daß wir ſo reiche Herrn in
unſrer Stadt haben, die brav aufgehn laſſen und
die Rechnungen des Buͤrgers nicht ſo genau durch-
ſehn. Seht da kommt der liebe Herr Ampedo
aus dem Pallaſt.


[456]Zweite Abtheilung.
Ampedo tritt auf.

Viele.
(laut rufend)

Es lebe der Herr Am-
pedo! Hoch!


Andre.

Und der Herr Andaloſia!


Ampedo.

Was giebts? Was ſoll denn dies Geſchrei, Ihr
Freunde?


Dritter.

O gnaͤdger Herr, ſoll ſich das Volk nicht freun?
Hat Euer theurer goldener Herr Bruder
Der Stadtgemeinde nicht ein ganzes Schiff
Von Malvaſier und andern edlen Weinen
Geſchenkt? Daß nun die lieben durſtgen Seelen!
Das koſtbare Gewaͤchs wie Waſſer ſaufen?
Sind druͤber nicht ſchon jetzt am fruͤhen Tage
Betrunken viele, daß ſie dort die Sonne
Fuͤr Vollmond halten? Speiſt er nicht mit
Kuchen,
Gefluͤgel und Confect, Truͤffelpaſteten,
Hier den gemeinſten wie den reichſten Buͤrger?


Ampedo.

O ja, ich weiß, mein Bruder iſt ein Narr.


Ein Betrunkener.
(taumelt heran.)

Narr? Andaloſia? Gotts Sakrament
Den hau' ich ja — ja ſo, Ihr ſeyds, Herr Ampel,
Das iſt Eur Gluͤck, ſonſt ſolltet Ihr mal ſehn,
Wie Euch der Kopf in Scherben ſollte fliegen.


Zweiter.

Hat er nicht alle Armuth heut gekleidet,
Und reich beſchenkt, damit die Koͤnigin
[457]Fortunat.
Nur Freude ſaͤh in unſrer ganzen Stadt?
Hat er nicht auf dem Weg, den ſie ſoll reiten
Auf mehr als tauſend Schritt die Purpurdecken
Von Sammt gebreitet, die er dann dem Volk
Preis geben will? Habt ihr die Buͤhnen nicht
Geſehn, die Gold und Seide glaͤnzen, wo
Turnir und Stechen wird gehalten werden,
Umhaͤngt mit Silberzindel?


Alle.

Darum hoch!
Herr Andaloſia hoch und Ampedo!


Ampedo.

Nicht wahr, wenn Ihr Euch an mich machen duͤrftet,
Die Kehle ab mir ſchneiden und Euch dann
In alle meine Koſtbarkeiten theilen,
Ihr wuͤrdet froher noch und lauter bruͤllen?


Zweiter Betrunkener.

Ja, hol mich, Herr, da ſprecht ihr reine Wahrheit.
Ei, Satan! woher habt ihr dieſen ſchoͤnen
Und ausgeſchaͤlt ausbuͤndigen Gedanken?


Erſter Betrunkener.

Wofuͤr ſieht uns Herr Ampedo denn an?
Fuͤr Meuchelmoͤrder? Wie darf er uns denn
Die Reden bieten? — Warum raͤſonniren
Auf unſern Andaloſia? Der mehr
Als Caͤſar iſt und Alexander magnus?
Was ſchimpft er denn auf unſern Ampedo?
Was gehts ihn an, daß der ein Gimpel iſt?
Herr, ins drei Teufels Namen, er muß wiſſen —


Ampedo.

Ich gehe ſchon, mein guter edler Freund.

(geht ab.)

[458]Zweite Abtheilung.
Erſter Buͤrger.

Das ſaͤuft ſich um Verſtand und Aug' und Ohr.


(Trompeter.)

Alle.

Sie kommen! ha! ſie kommen! laßt uns gehn!
Bis vor das Thor zum mindeſten entgegen!
Das klingt ins Herz! Und horch! die Glocken laͤuten!


Erſter Mann.

Nun, Bruͤder, Freunde, haltet Euch gerade.
Reſpekt nun vor der hohen Herrſchaft! Hoͤrt,
Um Gottes willen torkelt nicht! Huͤbſch ehrbar?
Betragt Euch edel, menſchlich, nicht wie Saͤue
Sonſt leidet die Reputation der Stadt.


Volk.

Entgegen! Hoch! Die Koͤn'gin lebe! Hoch!


(Alle mit Jauchzen und Getuͤmmel ab.)

Dritte Scene.

(Zimmer.)

Daniel, allein.

Daniel.

Nun hab' ich einmal das Regi-
ment allein, die Diener ſind fort, Herr Ampedo
iſt im Walde, ich will heute mein Geld abzaͤhlen.
Was will denn zu mir? Herein, nur herein; das
kann die Thuͤr nicht finden, es muß fremd ſeyn.


Dietrich koͤmmt.

Daniel.

Dietrich! Sehn Dich meine Au-
[459]Fortunat.
gen einmal wieder? Herzenskind, es iſt ja eine
Ewigkeit, daß ich nichts von Dir gehoͤrt habe.


Dietrich.

O lieber, lieber alter Vater —


Daniel.

Verſchnaufe Dich, Junge, ſammle
Dich: — ſieh, das kann ordentlich weinen, das
hab' ich nie moͤglich machen koͤnnen. Dietrich, die
Thraͤnen ſollen Dir baares Geld eintragen, denn
ſo geruͤhrt, wie jezt, bin ich in meinem Leben nicht
geweſen.


Dietrich.

Ach, lieber Vater, man bleibt
doch am Ende ein Menſch, wenn man auch ganz
unmenſchliche Schickſale erlebt hat.


Daniel.

Setz Dich. Da, trink. Haſt Du
viel erlebt? Mit wem kommſt Du?


Dietrich.

Mit einem Grafen Theodor; der
bringt die Koͤniginn her.


Daniel.

Bleib jezt hier im Hauſe, es iſt
fuͤr alle Faͤlle beſſer. — Nun erzaͤhle.


Dietrich.

Von meinem Herrn Andaloſia
ging ich weg, als er alles durchgebracht hatte.


Daniel.

Das weiß ich von ihm ſelbſt.


Dietrich.

Ich kam zu dem Grafen Theo-
dor, der mir ſchon lange gut war. Aber es war
nicht ſo, wie ich gehofft hatte, der Herr war gei-
zig, ſah ſelbſt nach allem, und mein Bischen, was
ich mir erſpart hatte, mußte ich ihm auch geben,
es mir aufzuheben, wie er ſagte. Ich ſolls noch
wieder kriegen.


Daniel.

Dummkopf! Wars viel?


Dietrich.

Doch an zweitauſend Goldſtuͤcke,
die nach unſerm Gelde mehr als viertauſend Du-
katen machen.


[460]Zweite Abtheilung.
Daniel.

Teufel! Und der ſaubre Graf iſt
jezt hier?


Dietrich.

Als Geſandter; jezt koͤnnt' er
bezahlen, denn ſein Vater iſt geſtorben, und er hat
eine reiche Frau geheirathet.


Daniel.

Wart, hinter den will ich mich
machen, ich verſtehs; mit Winſeln und Grobheit;
mich einem ſeiner Freunde entdecken und laut heu-
len, ihn in Geſellſchaften mahnen und ſo weiter.
Es ſoll ſchon gehn. Nun?


Dietrich.

Ach, nun muß ich weinen, —
ſeht, ich verliebte mich, und meine Geliebte war
meine Braut, konnte mich aber nicht ausſtehen,
alſo, natuͤrlich wie wir uns auch einmal ſtritten,
faßt ſie mich beim Kopfe und zwei ſtarke lange
Hoͤrner ſchießen mir aus der Stirne vor.


Daniel.

Was?


Dietrich.

Wie ihr mir geweiſſagt hattet,
daß es ſo in unſrer Familie laͤge, nur daß ſie bei
mir doch wirklich hervorkamen.


Daniel.

Narr, vor der Hochzeit?


Dietrich.

Natuͤrlich, ſie wollte mich ja nicht
haben. Wie ich nun boͤſe wurde, und in die Thuͤr
gerieth, mußte mich ihr Liebhaber losſaͤgen, ich
ſchlief ein und wurde geknebelt, bei Nacht und
Nebel fortgeſchafft, — ach! ach! — und nun zeig-
ten ſie mich fuͤr Geld in Flecken und Doͤrfern,
und endlich auch in London ſelbſt.


Daniel.

Wer denn?


Dietrich.

Denkt nur, wie fuͤrchterlich; mei-
ne Braut und ihr Liebſter. Ich paſſirte nemlich
fuͤr eine Waldgottheit von der griechiſchen Kirche,
[461]Fortunat.
Zum Gluͤck kam ein Menſch mit einer langen Naſe,
der gab mir Pillen ein, und die Hoͤrner fielen ab.


Daniel.

Dietrich! Dietrich! Daß du drau-
ßen in der Welt ein Windbeutel geworden biſt, da-
gegen haͤtt' ich nicht ſo viel, aber daß Du Dei-
nem eigenen Vater den Hals ſo voll luͤgſt, und
gleich in der erſten Ruͤhrung, das iſt ſuͤndlich.


Dietrich.

Fragt doch den Grafen Theodor,
wenn ihr mir nicht glauben wollt, der hat mich ſo
geſehn und viele Millionen Menſchen, — und da,
hier ſind ja die nemlichen Hoͤrner noch, die ich
zum ewigen Angedenken fuͤr Kind und Kindeskind
aufheben will.


Daniel.

Zeig. Das waͤren alſo zwei Stuͤcke
von meinem leiblichen Sohn, Bein von ſeinem
Bein geweſen?


Dietrich.

Nach meiner Cur wollte mich
Graf Theodor nicht wieder in Dienſte nehmen,
weil er ſich meiner ſchaͤmte, er hatte aber
ſelbſt Hoͤrner, trotz dem Beſten, bis ich ihn davon
kurirte: nun hatt' ich keinen Groſchen, denn noch
andre tauſend Goldſtuͤcke, die ich verſteckt hielt,
waren mir von meiner Braut geſtohlen; nun nahm
mich der rothe Doktor zu ſich, ich mußte aber
Hanswurſt werden.


Daniel.

Sohn, was erleb ich an Dir?


Dietrich.

Vater, das war ein Dienſt, daß
ich gern wieder Waldteufel geworden waͤre. Faſten
und Schlaͤge, und wieder Schlaͤge und Faſten, da-
bei Narrenpoſſen machen und ſpringen und Ge-
ſichter ſchneiden, und witzig ſeyn; und daß ich mei-
nen Herrn kurirte und mit Koͤnigen umging, machte
die Sache um nichts beſſer. Mit einem male war
[462]Zweite Abtheilung.
der Rothnaſige weg, als wenn er gen Himmel ge-
fahren waͤre; nun war ich kein Hanswurſt mehr,
ſondern ein Bettler. Endlich erbarmte ſich Herr
Theodor, und hat mich fuͤr die Koſt und ohne Lohn
mit auf die Reiſe genommen, und nun bin ich hier.


Daniel.

Deine Erzaͤhlung iſt zwar etwas
konfuſe, aber ich ſehe doch, daß ſich die Welt ſeit
meiner Jugend ſehr muß veraͤndert haben, denn
ſo was war damals nicht moͤglich. — Nein, Sohn,
dagegen hab' ich einen andern Lebenswandel ge-
fuͤhrt. Was wirſt Du ſagen? Ich habe in mei-
nen alten Tagen noch wieder geheirathet; aber
auch welche Frau! Eine Fremde, die mir ein
fuͤnf tauſend Dukaten zugebracht hat; doch iſt das
nur das Wenigſte. Sohn, ich dachte, ich koͤnnte
zuſammen raffen, erſparen, erkneifen, mit Rechnun-
gen umgehn, den Herrſchaften was vormachen, —
aber ein unſchuldiges dummes Kind war ich, und
habe von neuem in die Lehre gehn muͤſſen. —
Frau! Komm doch heraus, mein lieber, mein ein-
ziger Sohn iſt angekommen.


Bertha tritt herein, ſie und Dietrich fahren vor
einander zuruͤck.

Bertha.

Welches Schickſal!


Dietrich.

Es iſt die Moͤglichkeit!


Daniel.

Nun? Was ſoll das? Sohn, um-
arme die Stiefmutter; Frau, ſey zaͤrtlich wie ge-
gen einen Sohn.


Dietrich.

Papa — Vater — Alter, — das
iſt ja dieſelbe, meine vorige Geliebte, — die mich
fuͤr Geld hat ſehn laſſen, — davon hat ſie ja das
[463]Fortunat.
viele Geld; es iſt Blutgeld, Papa, aus meiner
Seele heraus gepreßt.


Daniel.

Alſo iſt die ganze Geſchichte doch
ſo wahr?


Bertha.

Verzeihung, lieber Alter, ich wurde
dazu von meinem vorigen Manne verfuͤhrt; ver-
gieb mir, lieber Sohn; der boͤſe Menſch iſt dafuͤr
auch auf der See geſtorben.


Daniel.

Vertragt Euch, umarmt Euch, al-
les vergeben und vergeſſen, im Grunde iſt doch
auch nichts Boͤſes dabei; was ich habe, Dietrich,
erbſt du ja doch einmal alles. Sorgt nur, daß
die dumme Geſchichte nicht unter die Leute kommt,
damit ſie uns nicht auslachen.


Bertha.

Ja, mein guter Dietrich, ich will
immer eine liebevolle Mutter gegen Dich ſeyn.


Dietrich.

Und ich ein folgſamer Sohn.
Seht, es iſt im Grunde ſo beſſer, Frau Mutter,
denn nun bin ich ſicher vor Euch, da ihr einmal
Inklinationen habt, die dem Manne Schaden brin-
gen. Vater, ihr ſeyd, glaub ich, zu alt, bei Euch
waͤchſt wohl nichts mehr?


Daniel.

Deine Mutter iſt jezt die Tugend
ſelbſt, und ich kann ſicher ſeyn.


Bertha.

Du wirſt mich kennen und ehren
lernen.


Benjamin kommt herein.

Benjamin.

O Herr Daniel, was habt
Ihr verſaͤumt! Das war ein Aufzug! Und nun
das Stechen und Turniren, und die Preiſe, und
die Ritter, und das Jubeln des Volks —


[464]Zweite Abtheilung.
Daniel.

Nun, nun, — da iſt mein Sohn
von ſeinen Reiſen wieder gekommen. —


Benjamin.

Gehorſamer Diener. — Und,
Frau, die Damen haͤttet Ihr ſehn ſollen, und wie
Herr Andaloſia um alle her iſt; und dann iſt da
ein Engliſcher Graf, er ſtottert, der hat den hoͤch-
ſten Preis gewonnen, aber ſie ſagten alle, es waͤre
nur eine Artigkeit des Koͤnigs gegen die Koͤniginn
und die Englaͤnder, Herr Andaloſia haͤtte den
Preis erhalten ſollen, der verdiente ihn, und das
Volk brachte ihm ein Vivat, und der andre Herr
fing an Reden herauszuwuͤrgen, und da lachten
alle. O das haͤttet Ihr ſehn ſollen, und die
Pracht, und die Pferde —


Daniel.

Fang nur nicht wieder von vorn
an. Wir muͤſſen nun Dietrichs wegen eine andre
Wirthſchaft machen. Frau, richte alles mit Ben-
jamin ein, ich komme gleich mit Dietrich nach, ich
will erſt nur mit ihm in Geſchaͤften zum Herrn
Theodor gehn.


Bertha.

Komm, Benjamin, hurtig. Adieu
indeſſen, Dietrich.

(Geht mit Benjamin ab.)

Dietrich.

Vater, nehmt Euch vor Benja-
min in Acht, wegen der Familien-Krankheit.


Daniel.

Mein Benjamin ſollte ſo an mir
handeln? Meine liebe Frau? Nein, Sohn, mach
Dir keine unnuͤtze Grillen.

(gehn ab.)

Vier-
[465]Fortunat.
Vierte Scene.

(Garten.)

Der Koͤnig, Agrippina, Andaloſia.

Koͤnig.

Wie freu' ich mich, daß ihr dem Sinn gebietet,
Und nicht allein dem Blut und Zorn vergoͤnnt
Das Wort zu fuͤhren: edel nenn' ich den,
Der auch im Recht den Eifer zuͤgeln kann,
Noch 'edler den, der um der Freunde Willen
Sich ſeines Rechtes ſelbſt entaͤußern mag,
Er hat den Gegner und auch ſich beſiegt.


Andaloſia.

Mein edler Herr, Ihr rechnet viel zu hoch
Den leichten Sinn, der gern dem Mann verzeiht,
Der immer nur der Leidenſchaft gehorcht,
Glaubt mir, er weiß nur ſelten, was er ſpricht,
Er findet nie das Wort, das er bedarf,
So muß er nehmen, was ſich im Gedraͤnge
Zuerſt der ungelenken Zunge bietet:
Auch hat er kein ſo rohes Wort geſprochen,
Das nicht der Edelmann vergeſſen duͤrfte.


Agrippina.

Das Volk war Zeuge, Andaloſia,
Daß Ihr den erſten Preis und Dank verdientet,
Man zweifelt nicht, wer von der edlen Jugend
Der beſte Ritter ſey in jeder Uebung,
Daß dies durch lauten allgemeinen Zuruf,
Daß Euch der Vorzug von den Damm all,
Ja ſelbſt von ſeiner Gattin Dorothea
Einſtimmig ward erkannt, das war es, was
III.[ 30 ]
[466]Zweite Abtheilung.
Sein ungebaͤndigt Herz nicht tragen konnte,
Denn eitel iſt er, wie die Haͤßlichen;
Je mehr er dieſe Schwaͤche hehlen will,
So mehr draͤngt ſie ſich jedem Auge vor.


Andaloſia.

Holdſelge Fuͤrſtinn, wie mein Alter waͤchſt,
(Wenn meiner Jugend Ihr dies Wort vergoͤnnt)
Erſcheinen mir der Ritterſpiele Kunſt,
Der Roſſe Tummeln, Ring- und Lanzenſtechen,
Die Uebungen, die ſonſt wohl alle Stunden,
Und ganz den jungen Sinn gefangen nahmen
Geringer; giebt es Augenblicke doch,
Wo ich mich ſtill verwundre, wie mein Leben
Sich widmen konnte dieſem leichten Tand;
Die truͤbe Stimmung zwar verſchwindet mir
Schnell, wie ſie kam, im froͤhlichen Getuͤmmel,
Doch kehrt ſie wieder, weilet gaſtlich laͤnger;
Und bald hat wohl des Ernſtes dunkle Wolke
Mein Innres, ſtill anwachſend, uͤberſchattet.
Drum goͤnn ich ihm den Ruhm: geſchah es nicht,
Euch, theure Fuͤrſtinn, wie die Sitte heiſcht,
Mit Lanzenkampf und Spielen zu begruͤßen,
Trat ich ihm nie als Nebenbuhl entgegen.


Koͤnig.

Ich ſuche nochmals Euren Gegner auf,
Und fuͤhr ihn her, daß er ſich Euch verſoͤhne.
Kein Groll ſoll dieſer ſchoͤnen Tage Glanz
Und dieſer Feſte Heiterkeit mir truͤben,
Will nicht der rohe eigenſinnige Mann
Vernehmen was Vernunft und Sitte ſprechen,
So ſoll er fuͤhlen, daß ich Koͤnig bin,
Und Ihr mein Freund, der naͤchſte meinem Herzen.


(geht ab.)

[467]Fortunat.
Agrippina.

Ihr ſchlaͤgt die Augen nieder, edler Ritter,
Oft trifft mein Blick in Euren Blick des Mißtrauns,
Ihr meidet meine Gegenwart, warum?


Andaloſia.

Muß ich vor Euch nicht mit Beſchaͤmung ſtehn,
Mir ſtets bewußt, wie tief ich euch verletzt?
So wie ein Morgentraum fiel von der Seele
Die irre Blendung, und ich fuͤhle klar,
Wie tief ich mich und Euren Werth verkannt;
Nun peinigt mich die Sorge, Euer Herz
Verachte mich, da mich die ſtille Ahndung
Oft uͤberſchleicht, ich muͤßte mich verachten;
Dann ruft mein Genius: Wie? dieſes Bild,
Vermochteſt Du mit Rache zu verfolgen?
Ihr habt verziehn, ich kann mir nicht verzeihn.


Agrippina.

Ich hoͤr' Euch mit Betruͤbniß und mit Freude,
Ich ſehe nun, daß Ihr mich achten koͤnnt.
Iſt Blendwerk nicht und Rauſch der Jugend Zeit?
Wir ſchmeicheln uns mit Trefflichkeit, und irren,
Wir zuͤrnen uns, und irren wiederum:
Sind wir wahrhaft erwacht, ſo ſey vergeſſen
Der wilde Fiebertraum der kranken Nacht.
Drum kraͤnke mich der Argwohn nicht, ich koͤnne
In Rache, die nur kleinen Seelen ziemt,
Euch ſelbſt und Eures Reichthums Heimlichkeit
Verrathen Euren Feinden.


Andaloſia.

Das iſts nicht,
Was ſtets mein Herz mit Sorg und Gram erfuͤllt;
Daß ich vergeſſen konnte, was Ihr ſeyd
Daß ich ſo mein Gefuͤhl vernichten konnte.


[468]Zweite Abtheilung.
Agrippina.

So knuͤpfe denn Vertraun erneut und ſtaͤrker
Nur unſre Freundſchaft feſt und immer feſter,
Entweicht in dunkeln Stunden Muth und Glaube,
So rettet Euch mit Zuverſicht zu mir.


Andaloſia.

Welch eine Ausſicht ſchließt Dein ſchoͤner Mund
Auf Freundſchaft, Gluͤck, Vertraun holdſelig auf!


Der Koͤnig kommt mit Theodor und
Dorothea.

Koͤnig.

Hier, theurer Freund, naht Euch Graf Theodor,
Er fuͤhlt, daß nur ein Mißverſtand Euch trennte:
Graf Andaloſia kennt Euren Werth;
Umarmt Euch herzlich und im Freundesdruck
Verſiegelt dieſen Bund, der mich begluͤckt,
Und werft den Zwiſt tief in den Schooß des Meers.


Andaloſia.

Wenn meine Jugend unbedacht geirrt,
So ſeht Ihr nach als Freund, ich habe nie
Euch, edler Herr, und Euren Werth verkannt.


Theodor..

Das ſag' ich auch, kontraͤr, ihr ſeyd mir lieb;
Was thuts ſo groß, daß ihr mal Flauſen macht?
Es iſt die Art des Suͤdlands, ſpaßhaft ſeyn:
Ich hab' Euch ja in London ſchon gekannt;
Kurios, wenn mans nicht endlich lernen ſollte
Freundlich zu ſeyn mit Leuten, die fatal:
Doch geht das Euch nichts an, mein liebſter Graf,
Ich dachte jezt an Menſchen dort in London,
Man ſchlaͤgt den Sack und meint doch nur den Eſel.


[469]Fortunat.
Koͤnig.

Sehr wahr, mein Lieber, folgt uns Andaloſia,
Ihr muͤßt die Bilder ſehn, dort aufgeſtellt.


(Ab mit Agrippina und Andaloſia.)

Dorothea.

Tief, tief beſchaͤmt bin ich in Eurer Seele:
Iſt das die Art, dem Edlen zu erwiedern?
Der ſich verlaͤugnet, ſelbſt ſich Unrecht giebt,
Da ihr ihn grob und roh beleidigtet?
Verachten muß er Euch, die Frau beklagen,
Die ſolchem Ungethuͤm verbunden iſt.


Theodor..

Papa iſt todt, nun hofmeiſtert wer anders.
Frau, wißt, ich bin nun alt und groß genug,
Mir ſelber mein Gewiſſen auszukaͤmmen
Wenns Noth thut. Ja, der junge Naſeweis,
Nicht wahr, der ſtuͤnd' Euch beſſer an zum Mann?


Dorothea.

Ja, gluͤcklich waͤr, ich ſag' es unverholen,
Das Maͤdchen, der er ſich ergeben wollte,
Die Zier, die Schoͤnheit, Anmuth und Gewandtheit,
Der ſeine Sinn und leichte Scherz und Witz —


Theodor..

Potz Schwatzen! Wie 'ne aufgezogne Schleuſe
Laͤuft nun und ſprudelt das Lobpreiſen her —
Seyds wohl ſchon wieder ſatt, mit glatter Stirn
Mich laufen ſehn? Ihr denkt wohl ſchon daran
Mich neu zu equipiren, daß ich kann
Im Saal die Lichter ohne Stock anzuͤnden,
Kronleuchter niederreißen? Sind wir nun,
Wie Ihr verlangtet, nicht recht weit gereiſt?
Wir geben Geld aus, mehr als ich nur habe,
Ich thu, was ich nur denke, daß es paßt,
[470]Zweite Abtheilung.
Und immer kann ich nicht das Rechte treffen.
Nicht wahr? 'nen Stein am Hals und ſo ins Meer,
Daß mich die Fiſch und Seegethiere fraͤßen,
Dann waͤr' ich angenehm und komplaͤſant?


Dorothea.

Auf ſolche Poͤbelreden kann ich nur
Durch Schweigen und Entfernung Euch erwiedern.


(geht ab.)

Theodor..

Hm! Poͤbel? Ja, das iſt ſolch liebes Wort,
Ein Abgrund alles dort hineinzuwerfen,
Was unſern Hochmuth wohl inkommodirt.
Wills mir auch angewoͤhnen: gut fuͤr Poͤbel!
Der Poͤbel denkt ſo! Sprecht Ihr mit dem Poͤbel?
Dergleichen fehlt mir noch im Hausbedarf. —
Doch darin hat ſie Recht, es mangelt Geld,
Die Reis' hieher war auch nur Zufallsſache,
Italien hat ſie druͤber nicht geſehn,
Wie ich ihr doch verſprochen. Ja, verdammt,
Sie braucht zu viel, das Geld iſt ziemlich rar,
Im Grunde bin ich auch ein geizger Hund. —
Ich ſpraͤche gern den Andaloſia an —
Doch deſſen: „kamt Ihr geſtern“ — „naͤchſtens
wohl“ —
Et cetera iſt mir in'n Tod verhaßt:
Man bringt' nen friſchen graden Wunſch ins Haus,
Und muß als Leichnam ihn zuruͤcke ſchleppen. —
Auch hab' ich mich jezt mit dem Narrn gezankt,
Und alſo — jezt erleb ichs an mir ſelbſt,
Daß Stimmungen im beſten Menſchen ſind,
In denen unſre Engliſchen Highwaymen
Uns ganz natuͤrlich duͤnken. Geld muß ſeyn,
Sonſt ſieht ſie mich nie wieder freundlich an,
[471]Fortunat.
Verliebt bin ich, und fehlt es ihr zu ſehr,
Kriegt der da einen Stein bei mir im Brett.


Limoſin koͤmmt.

Limoſin.

So ſpekulirend, lieber Einſiedler?


Theodor..

Man muß wohl ſpekuliren. Seyd Ihr nie
Tiefſinnig, wenn das Geld Euch ausgegangen?


Limoſin.

Nein, Beſter, denn ſeit vierzig runden Jahren
Bin ich in dem Syſteme eingewohnt,
Da ſtuzt man nicht mehr, findet es alltaͤglich.


Theodor..

Das lern ich nimmermehr. — Sagt mal, mein
Freund,
Wuͤrd' mir vielleicht der Andaloſia helfen?


Limoſin.

Der thut es nicht, bin ich ſein Oheim doch,
Und nie hab' ich nur einen kleinen Thaler
Loseiſen koͤnnen vom erfrornen Filz,
Wo es nicht Prahlen gilt, da giebt er nicht.


Theodor..

Ein ſchaͤndlicher, verdammlicher Charakter.


Limoſin.

Dazu habt Ihr Euch kuͤrzlich erſt entzweit,
Da koͤnnt Ihr Ehren halb ihn nicht anſprechen.


Theodor..

Wohl habt Ihr recht, das will ſich nicht recht paſſen.


Limoſin.

Ihr ſeyd von ihm beleidigt und gekraͤnkt,
Ihr, Graf, der beßre Mann, der junge Fant
[472]Zweite Abtheilung.
Schluͤg's Euch mit Hochmuth ab, und macht' Euch doch
Nachher zum Maͤhrchen unſers ganzen Hofs.


Theodor..

So braͤch' ich ihm den Hals.


Limoſin.

Ihr kennt ihn nicht,
Er iſt ſehr ſtark, im Land der beſte Fechter,
Und tolldreiſt ſchon von Kindesbeinen auf.


Theodor..

Das iſt ja wahre Hoͤllenbrut.


Limoſin.

Ihr wißt
Zugleich, wie ſehr ihn unſer Koͤnig liebt;
Habt Ihr den Blick vergeſſen, den beim Streit
Er auf uns beide warf?


Theodor..

Wie ein Skorpion.
So bin ich denn und bleib' auch auf dem Trocknen.


Limoſin.

Ich habe dieſen Neffen ſtets gehaßt.


Theodor..

Mein Abſcheu iſt er. Gern traͤnkt' ich ihm ein
Was er an mir verſchuldet, ſeinen Hohn,
Den Uebermuth, mit dem er mich beſchimpft,
Sein Prahlen, ſein Herabſehn, ſeinen Geiz;
Nun ſtellt er obenein nach meiner Frau,
Sie laͤchelt ihn ſchon an, ſie winken ſich, —
Hoͤll! Element! Wie kommt man ihm nur bei?
Iſt es erlaubt, ſo beſtialiſch reich,
So ungeheuer — ei, wie ſag' ich doch?
Es fehlt ja nichts, als daß er rings umher
Die ganze Atmosphaͤr' in Gold verwandelt —
Und ich — und ihr — todtſchlagen waͤr' das Beſte.


[473]Fortunat.
Limoſin.

Nein, maͤßigt Euch, mit Hitz' und mit Gewalt
Iſt hier nichts auszurichten. Liſt! Verſtellung!
Wir legen ihm wohl einen Hinterhalt,
Doch muͤßt Ihr klug ſeyn, daß Verdacht uns nicht
Und die Entdeckung trifft.


Theodor..

Klug wie der Teufel.


Limoſin.

Ich wuͤßte wohl, wie wir ihn fangen koͤnnten.


Theodor..

O ſagt! O ſprecht! Mir waͤſſert ſchon der Mund.


Limoſin.

Er hat ein Liebchen wohnen dort im Park,
Drei Stunden von der Stadt, und reitet oft
Des Abends hin mit wenigem Gefolge,
Im Hohlweg kann man ihn bequem erlauern;
Die fremden Diener die Ihr mit gebracht
Erkennt hier Niemand, man verlarvt ſie noch,
Was ihn begleitet ſchlaͤgt man tod, ihn ſelbſt
Schleppt man gebunden fort in dunkler Nacht.


Theodor..

Allein wohin?


Limoſin.

Fern an der Meereskuͤſte,
In Wald und Fels verſteckt, liegt mir ein Schloß,
Veraltet und Ruine, wen'ge Zimmer
Sind nur noch wohnlich, doch ein großer Thurm
Steht feſt und kann zum Kerker dienlich ſeyn.
Dahin verirrt ſich Niemand, wen'ge wiſſen
Um dies Gebaͤu, ich ſelbſt beſuch' es ſelten;
Ein alter Eiſenfreſſer ſitzt mir dort,
Der meinethalb wohl Rad und Galgen wagt.


[474]Zweite Abtheilung.
Theodor..

Laßt Euch umarmen, das nenn' ich Verſtand!


Limoſin.

Wir bleiben dann hier in des Koͤnigs Naͤhe,
Daß man uns nicht vermißt. Er muß bekennen,
Woher der unermeßne Schatz ihm kommt.
Dann theilen wir als Bruͤder und als Freunde.


Theodor..

Das ſagte mir mein Herz, als ich zuerſt
Am Hof' Euch ſah, wir muͤßten Freunde werden.
Kommt nun zum Koͤnig, zu den laͤpp'ſchen Feſten.


(gehn ab.)

Fuͤnfte Scene.

(Zimmer.)

Bertha, Benjamin.

Bertha.

Mußt Du denn fort?


Benjamin.

Herr Andaloſia will es, ich
muß mit den Pferden vor der Stadt halten.


Bertha.

Aber in ſpaͤter Nacht? Er geht
ſeinem Vergnuͤgen nach und kuͤmmert ſich nicht
weiter um den armen Diener.


Benjamin.

Neulich ſagte er mir, dieſe Ge-
ſchichte wuͤrde bald ein Ende haben; ich glaube,
er ſaͤhe es gern, wenn ein Menſch das gute Thier-
chen heirathete, es wuͤrde ihm gewiß auf eine gute
Ausſteuer nicht ankommen.


Bertha.

Dem Herrn Benjamin ſticht der
Schatz und die Mitgift wohl in die Augen? Geh,
elender Menſch!


[475]Fortunat.
Benjamin.

Wie Du nun biſt! Ich denke
ja nicht daran.


Bertha.

Ich wuͤrde Dir, Ehrloſer, auch
die Augen auskratzen.


Daniel koͤmmt.

Daniel.

Mach, mach daß Du fort kommſt,
Benjaminchen! Andaloſia iſt ein ungeduldiger
Herr, es iſt ſchon ganz finſter, und wir kriegen
eine regnigte ſtuͤrmiſche Nacht. Mein Sohn Diet-
rich hat den Schnupfen, Herr Ampedo iſt auch
nicht wohl, der will ihn bei ſich behalten. Beſtelle
das, mein Soͤhnchen.


(Benjaminab)

Bertha.

Es iſt doch grauſam, die Leute ſo
in der finſtern Nacht herum zu jagen.


Daniel.

Daran denken die Vornehmen
nicht, reitet ja der Herr doch ſelber auch mit.
Der faͤngt nun auch an, ſolider zu werden, das
will mir gar nicht gefallen, er ſpricht ſchon davon,
ſich einzuſchraͤnken. — Auch etliche Bediente will
er abdanken; nur will ich bitten, nicht meinen
Benjamin, denn der iſt der treuſte, nuͤtzlichſte,
beſte im ganzen Hauſe, und unermuͤdet; nicht
wahr, liebe Frau?


Bertha.

Der Menſch iſt gut genug.


Daniel.

Aber was ſagſt Du zum Ampedo?
Spricht der nicht manchmal ſo vernuͤnftig, daß
man erſtaunen muß? Das iſt bedenklich. Solche
Leute leben nicht lange mehr, wenn ſie erſt ver-
ſtaͤndig werden. — Hu! was das fuͤr ein Wetter
da draußen wird! Wer heut im Zimmer ſitzen
kann, der iſt geborgen.


[476]Zweite Abtheilung.
Bertha.

Der arme Benjamin.


Daniel.

Nun. die Hexen, die in der Luft
herum reiten, werden ihn nicht gleich davon fuͤhren.


Bertha.

Ich bin verdruͤßlich, ich will mich
ſchlafen legen.


Daniel.

Werde nicht krank, mein Maͤus-
chen, mein Kindchen, betruͤbe Deinen armen Da-
niel nicht ſo: komm lege Dich nieder, ich will Dir
die Nachtſuppe bringen, etwas Wein, ruhe aus,
mein Herz.


(gehn ab.)

Sechſte Scene.

(Pallaſt)

Agrippina, Limoſin, Theodor, Gefolge.

Agrippina.

Hat Niemand Andaloſia geſehn?
Seitdem er neulich unſern Hof verließ
Wird er vermißt: nach Hauſe kam er nicht;
Iſt er verreiſt? Ein Ungluͤck ihm begegnet?


Limoſin.

Ich hab' ihn nicht geſehn, denn ſeit dem Feſt
Verließ ich nicht den Pallaſt und den Hof.


Theodor..

Wir bleiben hier in unſrer Fuͤrſtin Naͤhe.


Limoſin.

Doch muß die Koͤniginn ſich drum nicht aͤngſten,
Es iſt der Bruͤder ſonderbare Art
Oft ploͤtzlich zu verſchwinden, Niemand weiß
Wo ſie geblieben, doch ſo unvermuthet
Sind ſie in ihrem Pallaſt wieder da.


[477]Fortunat.
Der Koͤnig koͤmmt herein.

Koͤnig.

Bei Gott! kenn' ich den Urheber des Frevels,
Soll meine ſchaͤrfſte Ahndung ihn ereilen!
So eben hoͤr' ich, daß des Freundes Diener
Im Wald erſchlagen iſt gefunden worden,
Von Andaloſia ſelbſt erfaͤhrt man nichts.


Limoſin.

Iſts moͤglich? Armer, ungluͤckſelger Neffe!


Koͤnig.

Nach allen Seiten ſandt' ich ſchon die Bothen,
Er iſt auf keinem ſeiner vielen Guͤter,
Es weiß kein Freund von ihm, wie ich auch fragte:
Soll er verloren ſeyn, wer troͤſtet mich?
Graf Limoſin, Euch iſt er nah verwandt,
Vereinigt Euer Forſchen mit dem meinen;
Wer Nachricht von ihm bringt, wer ihn entdeckt,
Zuruͤck ihn fuͤhrt, ſey koͤniglich belohnt.


Limoſin.

Mein Koͤnig, ſchon das Blut ruft es mir zu
Auch ohne Euer Mahnen, unermuͤdet
Die Spur des theuren Neffen zu verfolgen.


(geht ab.)

Theodor..

Soll mir ſo bald der neu erworbne Freund,
So grauſam aus dem Arm geriſſen werden?
Erlaubt, daß ich zugleich die Spaͤher ſende,
Und ſelbſt umher in Wald und Felſen forſche.


(geht ab.)

Agrippina.

So traurig ſoll das ſchoͤnſte Feſt beſchließen?


Koͤnig.

Noch hoff' ich, denn ich wuͤßte keinen Feind
[478]Zweite Abtheilung.
Der ihn verfolgte, der es wagen duͤrfte.
Vielleicht kehrt er zuruͤck. — Doch wer erſchlug
Den Diener ihm? — Laß uns zum Garten gehn,
Auch will ich aus noch neue Bothen ſenden.


(ſie gehn ab.)

Siebente Scene.

(Gefaͤngniß)

Andaloſia.
allein.

Wo bin ich? Wie bin ich hieher gekommen?
Ich ſeh' mich zwiſchen dieſen feuchten Waͤnden
Und finde mich und das Verſtaͤndniß nicht.
Wer iſts, der mich verfolgt? Und, wenn ein Feind,
Warum nicht Tod, wie meinem Diener, dort?
Ein Irrthum? Oder Plan? Wozu? Ich finde
Aus dieſem Labyrinth den Ausgang nicht. —
Es wirft das Schickſal, glaub' ich, mich hieher,
Das Daſeyn kaͤrglich nur mit Nahrung friſtend,
Der Stunden Wechſel nur an der Gedanken
Fortgang ermeſſend, um den Blick ins Innre
Des tief verdorbnen Herzens mir zu richten,
Daß ich hier lerne, was das Leben ſey.
Wie hab' ich meine Zeit, wie meinen Geiſt,
Wie allen Reichthum, den das Gluͤck mir goͤnnte,
In ſuͤndenvoller Eitelkeit vergeudet!
Wem hat mein Daſeyn fruchtend wohlgethan?
War mein Erglaͤnzen mehr als kalte Pracht
Des heitern Wintertages, der in Zacken
Gefrornen Eiſes blitzt in Baum und Strauch,
Liebaͤugelnd mit der ſtarren todten Erde,
[479]Fortunat.
Indeß ohnmaͤcht'ger Muͤcken nicht'ger Schwarm
Im kalten Strahl ein kurzes Stuͤndchen ſpielt,
Wie nachgetraͤumter Sommer? War der Landmann,
Deß ſaurer Schweiß ihm ſeine Nahrung ſchuf,
Nicht beſſer, reicher, gluͤcklicher als ich?
Dem Sohn vererbt er nur die kleine Summe,
Fleiß und Gerechtigkeit: auf den Beſitz
Der eng gezog'nen Graͤnzen laͤßt der Himmel
Mit allen Seegenskraͤften ſich hernieder,
Und bluͤht Geſundheit aus der Enkel Gluͤck.
Indeſſen ich, ein weſenlos Geſpenſt,
Umzieh' wie nicht'ge ſchwache Fruͤhlingsfaͤden,
Die jeder Windhauch wirft, und meine Gaben
Wie ungreifbarer Schaum des Golds zerflattern.
Und Du, Du wagteſt es, mit wildem Sinn
Der Liebſten Bild mit Strenge zu verfolgen,
Verachtung ihr zu bieten, wie Apoſtel
Ihr Buße, Demuth, Beß'rung predigend?
Du duͤnkteſt Dich mit reichem Geiſt geſchmuͤckt,
Und ſpielteſt luſterfuͤllt das Abentheuer.
Und nun? — Geſteh es Dir, Du liebſt ſie noch:
Geſteh' es Dir, ſie haͤtte Dich geliebt,
Waͤrſt Du mit ſehnſuchtsvollem, liebeſchwangern
Gemuͤth und Herz entgegen ihr getreten.
Sie fuͤhlte Deine nicht'ge Eitelkeit —
Da ſetzte ſie der Larve Larv' entgegen —
Zwei Todte ſpielten die Lebendigen; —
Nun waͤr' ich gluͤcklich, haͤtt' ich Gluͤck verdient.
Die Kraft der Liebe, wenn ſie wuͤrdig uns
Fuͤr ihren Dienſt befunden, haͤtte wohl
Die Hinderniſſe all hinweg gehoben.
Doch nun — da ſtehſt Du vor der nackten Mauer
Des Lebens, die ſich weit und weiter dehnt,
[480]Zweite Abtheilung.
Der Blick auf Gaͤrten, auf die freie Landſchaft
Dir ſtets gehemmt, und Angſt an Deiner Seite.


Barnabas tritt ein mit Brod und Waſſer.

Andaloſia.

Da kommt mein ſtummer melankolſcher Pfleger,
Die karge ungewohnte Nahrung reichend. —
Mein Freund, ermuth'ge Dich und laß mich los,
Du kennſt mich nicht, doch ſicher meinen Namen,
Man nennt mich nur den reichen Andaloſia,
Begehre, was Du willſt, fuͤr Deinen Dienſt. —
Du ſchuͤttelſt? Glaube mir, ich bin im Stande,
Den kuͤhnſten Traum im Lohn zu uͤbertreffen,
Ein Landgut ſey das Deine, liebſt Du Gold,
Ein Regen ſoll Dich ſtrahlend uͤberſchuͤtten.


Barnabas.

Ich kenn Euch nicht; ja, haͤttet Ihr es baar,
Hier in der Hand, — doch leicht verſpricht der
Menſch,
Seyd Ihr erſt draußen, lacht Ihr nur des Thoren
Der Euch geglaubt.


Andaloſia.

Geh mit nach meinem Hauſe.


Barnabas (ſchuͤttelt den Kopf, geht und verſchließt
die Thuͤr)

Andaloſia.

Ich darf in ſeiner Gegenwart des Saͤckels
Geheime Wunderkraͤfte nicht erproben,
Und doch vielleicht — — welch Irrſaal haͤlt mich
feſt?
Er kehrt zuruͤck, — ich wags auf Tod und Leben.


Li-
[481]Fortunat.
Limoſin tritt herein.

Andaloſia.

Mein Oheim! Ach, ein theures, Angeſicht!
Ihr habt mich aufgefunden? Welche Treue!
Fuͤhrt mich hinweg! Wer brachte mich hieher?
Wie freudig gruͤß' ich nun das Licht des Tages.


Limoſin.

Mein guter, guter Neffe, armes Kind,
Was mußt Du in der Zeit gelitten haben,
Denn Du biſt ſolches Lebens nicht gewohnt.


Andaloſia.

Laßt uns der dumpfen Kerkerluft entfliehn.


Limoſin.

Mein guter Sohn, das wird ſo ſchnell nicht gehn.


Andaloſia.

Wer darf ſein frevelnd Spiel noch mit mir treiben,
Da Ihr mich fandet, es dem Koͤnig meldet,
Wenn Euer Arm vielleicht nicht ſtark genug?


Limoſin.

Mit einem Wort, mein lieber guter Sohn,
Du biſt bei mir in dieſem Thurm zu Gaſte.


Andaloſia.

Bei Euch? Ich traͤume doch, ich raſe nicht?


Limoſin.

Nein, junger Menſch; doch faßt Euch in Geduld —


Andaloſia.

Ihr, Oheim? Iſt es moͤglich? Duͤrft Ihrs ſagen?
Mir in die Augen blicken? Nicht verſchlingt
Die Erd' Euch, und kein Blitz faͤllt her vom Him-
mel?
Was wollt Ihr denn, was denn mit mir beginnen?


III. [ 31 ]
[482]Zweite Abtheilung.
Limoſin.

Mein guter Ungeſtuͤm, Du wirſt ſogleich
Befreit, erfuͤllſt Du, was ich von Dir fordre.


Andaloſia.

So nennt es denn!


Limoſin.

So harſch nicht, lieber Juͤngling.
Gieb mir, woher Du Dein Vermoͤgen ſchoͤpfeſt.


Andaloſia.

Nun kenn' ich Euch. Und wenn ichs Euch ver-
weigre?


Limoſin.

Bleibſt Du in dieſem Thurm, bis Gott Dich ruft?


Andaloſia.

Gemeiner Schurke! wagſt Du Gott zu nennen,
Bei dieſem Bubenſtuͤck?


Limoſin.

Tobt Euch nur aus.


Andaloſia.

Und wenn ich Euch erfaſſe, Euch erwuͤrge —


Limoſin.

Draus ſtehn zwoͤlf Knechte, wartend meines Winks,
Sie reißen Dich in Stuͤcke.


Andaloſia.

O der Argliſt!
Verzeiht denn Oheim meinen raſchen Sinn,
Ich ſeh', ich muß mich fuͤgen, alſo wißt:
Mein Vater hat in ſeinem großen Hauſe
Im unterſten der Keller einen Bronn,
Der iſt voll Gold, den hat er mir gelaſſen,
Man ſchoͤpfe nun ſo viel, ſo oft man will,
Er bleibt gefuͤllt. Dies Wunder ſey das Eure
[483]Fortunat.
Halb oder ganz, wie Ihr es wollt, drum kommt
Mit mir zur Stadt —


Limoſin.

Mein Freund, Du moͤchteſt wohl
Mit dieſem plumpen Maͤhrchen Bauern taͤuſchen,
Doch mich nicht, Deinen Oheim. Ich kenn' das
Haus,
Von oben, unten, alle Gaͤng' und Winkel.
Kind, ſey geſcheid, thu Dir nicht ſelbſt zu nah.


Andaloſia.

Ihr glaubt nicht, und ich ſpreche nun kein Wort.


Limoſin.

Du ſagſt mir nicht, wie es beſchaffen?


Andaloſia.

Nein!


Limoſin.
(oͤfnet eine Thuͤr nach innen.)

Mein guter Sohn, beſinne dich, ich bitte,
Dort ſtehn die Knechte, ſieh, und auch daneben
Die Folterbank. Du haſt doch ſelbſt wohl neulich
Geſehn, wie man den Raͤuber inquirirte,
Daß ſeiner Glieder Bande faſt zerriſſen,
Bis er geſtand? Was war damit gewonnen?
Bekenne Du mein Freund mit ganzen Gliedern.


Andaloſia.

Ich ſchaudre, bin gefangen, ſeh' es wohl.
Doch wenn ich mich entdeckt, ſo bin ich frei?


Limoſin.

Natuͤrlich.


Andaloſia.

Nun ſo ſcheid ich denn von Dir
Du reiche Gabe, die das Gluͤck mir goͤnnte.
Es muß ſeyn, — alſo ſeys — es war ein Traum;
Bleibt mir doch Lebenskraft, Geſundheitsfuͤlle. —
[484]Zweite Abtheilung.
Geht, Oheim, dieſer unſcheinbare Saͤckel
Enthaͤlt, was nur die Habſucht wuͤnſchen mag.


Limoſin.

Reich' her; weshalb iſt er ſo wunderbar?


Andaloſia.

Faßt nur hinein, die Hand fuͤllt ſich mit Gold,
Und Ihr ermuͤdet, doch die Taſche nicht.


Limoſin.

Es iſt — ja wahrlich, diesmal ſprichſt Du wahr.


Andaloſia.

So lebt denn wohl.


Limoſin.

Wohin mein Sohn?


Andaloſia.

Nach Hauſe.


Limoſin.

Mein guter, junger, unerfahrner Menſch,
Du ſiehſt wohl ein, daß das mit Sicherheit
Und mit Vernunft unmoͤglich kann beſtehn.
Herbei, Ihr Knechte!

(Die Knechte treten mit Ketten herein.)


Drinnen ſchließt ihn feſt,
Daß er kein Glied bewegen kann und regen,
Der Klotz iſt da und auch die Bank von Stein!
Die Nahrung, lieber Freund, wirſt Du erhalten.


Andaloſia.

Nein, Boͤſewicht, Verruchter nimmermehr —


Limoſin.

Fuͤhrt ihn hinweg, ich bin des Redens muͤde.


(er geht, die Knechte ſchleppen Andaloſia mit
Gewalt nach dem innern Gemach.)

[485]Fortunat.
Achte Scene.

(Zimmer.)

Daniel, Dietrich.

Dietrich.

Weint nicht, weint nicht ſo ſehr,
lieber Vater. Wir ſind alle ſterblich.


Daniel.

Aber daß ſie ſo in der Bluͤthe
ihrer Jahre davon muſte!


Dietrich.

Ja, Vater; wißt Ihr nicht?
wie die Blumen des Feldes, heute Bluͤthe, morgen
Heu; ich ſage Euch, es that's der Gram um den
Benjamin.


Daniel.

Das iſt wahr, ſeit dem Tage war
ſie wie von ſich, nannte mich auch faſt immer
Benjamin.


Dietrich.

Drum iſt ſie vielleicht zur rechten
Zeit geſtorben. Seht, Vater, wenn Ihr auf Eure
alten Tage in das Ungluͤck gerathen waͤrt.


Daniel.

Haſt gewiſſermaßen Recht. Ach,
lieber Gott, wenn ich noch in die Jaluſie haͤtte
verfallen muͤſſen, ich haͤtt' es ja nicht uͤberlebt. —
Da, Dietrich, hab' ich endlich von Theodor Dein
Geld bekommen.


Dietrich.

Seht, das iſt doch auch ein klei-
ner Troſt.


Daniel.

Still, da kommt unſer kranker Her


Ampedo koͤmmt.

Ampedo.

Und keine Nachricht, keine Spur und Ahndun
Der Koͤnig weinte, ſo ſehr liebt' er ihn —
Macht Feuer im Kamin, es iſt heut kalt. —


[486]Zweite Abtheilung.
Daniel.

Ihr Gnaden, Gegentheil, recht Hundstagshitze.


Ampedo.

Mach' Feuer, ſag' ich Dir, recht ſtark, mich friert. —


Daniel.

Wie Ihr befehlt, — viel Gluͤck zur heißen Stube —


Ampedo.

Es brennt, — nun geht, ich will alleine ſeyn.

(die Diener ab.)


Ja, Bruder, wie ich immer ahndete,
Des Saͤckels wegen ward Dir nachgeſtellt,
Das hat Verderben Dir und Tod gebracht.
Scheints doch, als waͤren tuͤckſche Hoͤllengeiſter
In ſeinem engen Raum gebannt, den Eigner
In Todesnoth, Verzweifelnsangſt zu reißen.
Das iſt der Seegen boͤſer Zauberei,
Die nichtgen Guͤter, die vergaͤnglichen
Goͤnnt ſie uns taͤuſchend, das Unſterbliche,
Der theuren, theuren Seele hoͤchſtes Kleinod,
Das einzige wahre Gut, die Seele ſelbſt,
Sie wird verſpielt den aberwitzgen Kuͤnſten.
Weh mir! daß je mein Sinn ſich ſo befleckt!
Weh mir! daß ich dem falſchen Wuͤrfelſpiel
Gefaͤllig mich geſellte. Ja, Du Hoͤlle,
Ihr Schlangen und Ihr grauſen Geiſterlarven,
Ich ſag' mich von Euch los, ich will befreit ſeyn. —
Hier dieſen Zauberhut — nehmt ihn zuruͤck,
Nur weicht aus meinem Blut und Eingeweide —
Alſo zerſtuͤck' ich und zerſchneid ich ihn,
So werf' ich in das Feuer die morſchen Truͤmmer,
So wend ich mich dem Himmel wieder zu. —
Nun lach' ich aller Bosheit, — kommt denn an,
Und ſucht und forſcht bei mir das Zauberſtuͤck —
[487]Fortunat.
Der Eigennutz, die Habſucht kommt zu ſpaͤt —
Wie iſt mir? Dreht ſich Wand und Fenſter um?
Empfange, Himmel, nun die muͤde Seele.


(er ſtuͤrzt vom Stuhl.)

Daniel und Dietrich kommen ſchnell herein.

Daniel.

Was macht Ihr denn? Gott! kalt und ſtarr wie
Stein. —
Der Schlag hat ihn geruͤhrt — die heiße Stub. —
Der Gram die Angſt — hilf tragen, Sohn, faß' an,
Wir legen ihn zu Bett.


Dietrich.

Er iſt ſtarr todt,
Dem hilft nichts mehr als nur der Todtengraͤber.


Daniel.

Wir thun das Unſre. — Dann hinweg von hier,
Die beſten Koſtbarkeiten eingepackt,
Auf unſer Vorwerk eilig hingeſchafft,
Eh die Gerichte kommen und verſiegeln.


(ſie tragen den Leichnam hinaus.)

Neunte Scene.

(Gewoͤlbe.)

Limoſin, Theodor.

Limoſin.

Ich bin nicht Eurer Meinung, Theodor,
Es iſt gewagt, es wird vielleicht entdeckt —


[488]Zweite Abtheilung.
Theodor..

Und wenn er lebt iſt die Gefahr noch groͤßer,
Ich kann nicht ruhig ſeyn, ſo lang' er athmet.


Limoſin.

Thut was Ihr wollt, doch will ich nicht drum
wiſſen.


Theodor..

Von heut iſt Euer Monat um, der Beutel
Verlaͤßt Euch auf vier Wochen, kommt zu mir.


Limoſin.

Doch wenn ich was bedarf —


Theodor..

Nun, das verſteht ſich,
Ihr habt mir ja auch freundlich mitgetheilt.


Limoſin.

Die meiſten meiner Schulden ſind bezahlt,
Doch duͤrfen wir viel Geld nicht blicken laſſen,
Daß nicht der Koͤnig etwa Argwohn faßt.


Theodor..

Nun, nach und nach gewoͤhnt man ſich die Leute.


Limoſin.

He! Barnabas!


Barnabas koͤmmt.

Limoſin.

Was macht Euer Gefangner?


Barnabas.

Daß Gott erbarm, es geht mit ihm zu Ende.
Schwach iſt er, ausgemergelt, und fuͤhrt Reden —
Seht, ſo ein barſcher Kerl ich bin, vielmals
Hab' ich ſein Elend ſchon beweinen muͤſſen.


[489]Fortunat.
Limoſin.

Schließ' auf den innern Raum, der Graf mein
Freund
Will ihn beſuchen. — Ich, verlaß Euch jetzt.


(geht ab.)

Barnabas ſchließt auf, man ſieht Andaloſia in
Ketten, blaß und abgezehrt auf der Steinbank ſitzen;
ſein Haar und Bart iſt verwildert, die Kleidung zer-
riſſen.

Theodor..

Ich will doch hoͤren, was er ſagen mag.


Andaloſia.

O Lichtſtrahl! wirſt Du nimmer mich beſuchen?
O Menſchenantlitz, ſeh ich nie Dich mehr?
Nicht mehr den feuchten Blick des Auges, Freund-
ſchaft
Und holde Lieb' in ſeinem Glanze ſchwimmend?
Kann mich der Koͤnig, alle, ſo vergeſſen?
O Bruder, warum kommſt Du nicht zu mir,
Und bringſt das Wort der Freiheit und Erloͤſung?
Wie leicht iſts Dir, im Abgrund mich zu finden.
Wie, biſt Du todt? Ein Opfer auch der Bosheit?
Da droben tobt und raſ't mein wildes Gold,
Kuppelt Verbrechen mit dem Laſter, duͤngt
Die fette Bosheit und Verworfenheit,
Mordet der Jungfrau Tugend, hezt die Freunde
Zu Gift und teufliſchem Verrath: denn ſchnaubend
Sucht es, der Kette los, nach Beute gierig,
Traͤgt ſie im Rachen hin in Hoͤll' und Tod;
Gebaͤndigt nur, erzogen thut es wohl,
Doch unbewahrt erwacht der alte Blutdurſt.
Indeß verlaſſen, mit dem Tode ringend,
Mit Hunger kaͤmpfend und von Durſt gepeinigt,
Schlaflos, zermalmt, gequaͤlt von hundert Wunden,
[490]Zweite Abtheilung.
Der vor'ge Eigner hier auf Steinen ruht,
Sein ſcheuer Knecht ihm nicht ein Lager Stroh,
Nicht einen Tropfen Weins den Gaum zu netzen,
In felſenharter Grauſamkeit vergoͤnnt.
Zu graͤßlich raͤchſt Du es, Du rother Sklav,
Zu wild, daß ich Dich nicht bezaͤhmen konnte. —
Und darf ich klagen? Sah ich wohl, geblendet,
Die Noth der Millionen, meiner Bruͤder,
Die ohne Schuld im haͤrtſten Elend buͤßen?
Ein Gottesbote konnt' ich ihnen ſeyn,
Mit einem Wink Durſt, Hunger, Krankheit, Angſt,
Vom Lager ſcheuchen, daß Hoffen, Freude, Glauben,
Auf Himmelsleitern ihnen niederſtiegen.
Ich ſah nur mich, der Eitelkeit Geſpenſter,
Sie flatterten mit irrem Fluͤgelſchlage
Um Haupt und Buſen; lacht ich doch und ſcherzte —
Ja, ſchon als beßre Kraft in mir gerungen,
Sah ich nicht luͤſtern noch zur Koͤniginn,
Und ſpiegelte mich gern im Schmeichlertraum?
Und als die kind'ſche Dorothea mir
Entgegen lachte und den ſtumpfen Mann
Verhoͤhnte, winkt' ich ihr nicht ſchadenfroh,
Mein ſchwaches Herz dem Schlamm gern unter-
tauchend.


Theodor..
vortretend.

Wie gehts, mein Freund?


Andaloſia.

Ach, beſter Theodor,
Kommt ihr zu der truͤbſeligen Behauſung?
Mich zu erloͤſen? Helft mir aus den Mauern,
Daß ich in Gottes freier Luft doch ſterbe:
Die Ketten haben Arm und Bein zerrieben,
Die Wunden ſchmerzen, alle Kraft iſt hin.


[491]Fortunat.
Theodor..

Nicht wahr? Ihr koͤnntet nicht zu Roſſe ſitzen,
Die Lanze fuͤhren, ſpringen, voltigiren;
Wenn Euch die Weiber jetzo ſehen ſollten,
So zeigten ſie die Zaͤhne nicht wie Affen,
Bewunderten nicht Eure bunte Jacke,
Am Hut die großen Federn? Ach, was iſt
Der Menſch im Elend, losgelaſſen ganz
Vom Nichtigen, fuͤr ein erbaͤrmlich Weſen!


Andaloſia.

Helft mir zur Freiheit, nachher ſcheltet mich.


Theodor..

Ihr ſollt ja koͤnnen Zauberkuͤnſte treiben,
Euch durch die Luft auf viele Meilen ſchwingen;
Man munkelt ja, daß Ihrs geweſen ſeyd,
Der uns die ſaubern Aepfel hat verkauft,
Ihr waͤrt ſo fein und luſtig als der Arzt —
Nun helft Euch doch! macht Euch durch Euern Witz
Von dieſen Paar armſelgen Ketten los.
Ha! Barnabas!


Barnabas.

Mein gnaͤd'ger Herr.


Theodor..

Machs Ende,
Erdroßl' ihn hier, er faͤngt mich an zu dauern.


Barnabas.

Ich, mein Herr Graf? Nein, waͤr' ich auch ein
Moͤrder,
Wie ich es nicht bin, dieſem Jammerbilde
Koͤnnt' ich die Hand nicht zur Gewalt erheben.
Ach, laßt ihn ſo hinſcheiden und vergehn,
Waͤr er auch frei, er wuͤrde nimmer beſſer.


[492]Zweite Abtheilung.
Theodor..

Du Memme! wirf mir Deine Schaͤrpe her.


Barnabas.

Da habt ihr ſie, und nehmt ſie hin auf immer
Sie ſoll an meinen Leib nie wieder kommen.


(geht ab.)

Andaloſia.

Das wollt ihr thun, Herr Theodor? Wie, Ihr?


Theodor..
(legt ihm die Schaͤrpe um.)

Hoͤr', ſieh mich nicht ſo an, verdammter Hund,
Ich werde raſend, drehſt Du ſo die Augen!
Feſt — feſter! — ſieh, nun wirſt Du nicht die Blicke
Mehr bittend werfen, — ja, er hat geendigt —
Nun iſt mir wieder wohl: — ſein Haupt verdeck ich
Mit dieſer Binde, — fordre nun den Beutel,
Und weit damit hinweg in alle Welt!
Weit! ſo vergeß' ich dieſes hagre Scheuſal,
Bin frei, dann mag mich Graf und Koͤnig ſuchen,
Ich lache ihrer! — Graf! Graf Limoſin!


Limoſin kommt herein.

Limoſin.

Ihr habt es — ?


Theodor..

Ja.


Limoſin.

Waͤrs ungeſchehen.


Theodor..

Schweigt!
Den Beutel her, mein Freund, den Zauberbeutel!


Limoſin.

Hier iſt er.


[493]Fortunat.
Theodor..
(faßt hinein, ſieht ihn an.)

Wie?


Limoſin.

Was meint Ihr?


Theodor..

Ihr Halunke!
Ihr lump'ger Schuft! Zum Henkersknecht, zum
Moͤrder,
War ich Euch gut genug, nun, nach der That
Habt Ihr die freche Stirn, mir dieſen Quark,
Dies Leder herzuwerfen? Meint Ihr denn
Ich ſey noch dummer, als der Bloͤdſinn ſelbſt?


Limoſin.

Herr Theodor, ich habe kaltes Blut,
Allein die Worte, — zeigt den Beutel her —
Beim Himmel, bei dem Heiligſten beſchwoͤr ich,
So eben ſchoͤpft' ich noch das Gold heraus —
Und nun —


Theodor..
(zieht.)

Kein Wort, Ihr Schurke! dieſer Degen
Soll Euch den Weg zur Hoͤlle ploͤtzlich zeigen,
Nun gehts in einem hin! —


Limoſin.

Zwar bin ich alt,
Doch iſt mein Schwerdt ſo ſpitz und ſcharf wie Deins!


Theodor..

Todt! Todt! Du mußt von meiner Hand hier fallen.


Limoſin.
(zieht.)

So gelt' es denn, das wilde Spiel des Mords!


(Sie fechten, draußen Getuͤmmel)

Koͤnig.
(draußen.)

Schlagt ein! brecht ein die Thuͤr!


(Die Thuͤr wird aufgebrochen.)

[494]Zweite Abtheilung.
(Es treten ein der Koͤnig, Agrippina, Gefolge.)

Koͤnig.

Ha! was iſt das?
Wo iſt mein Andaloſia? Weh! zu ſpaͤt!
Er iſt ermordet. — Wer hat das gethan?


Limoſin.
(auf Theodor zeigend).

Der Boͤſewicht. — O, ich bin hin!


Theodor..

Ich wars,
Doch nach der That hat mich der Schuft betrogen. —
Ha! daß ein Lump, ein Katzenbuckelnder,
So ein bleichſuͤchtger, hagrer, lungenkranker —
Ich falle — ſterbe — jener Saͤckel — falſch —


Koͤnig.

Werft ſie hinaus, die todten Boͤſewichter! —
Die unten dort die Hoͤlle ſtrafen wird! —
Den edlen Juͤngling nehmt, daß ſeinen Ahnen
Wir ihn geſellen, und an ſeinem Grabe
Ihn unſre Trauer ehre. — Ungern nehm' ich
Zuruͤck die Lehen dieſer guten Bruͤder,
Die nach erloſchnem Stamme mir verfallen.


Agrippina.

Dies iſt der Zauberſaͤckel, ich erkenn' ihn:
Die Boͤſen haben ſelber ſich gerichtet,
Denn nach der Bruͤder Tod ſtarb ſeine Kraft,
Das hatten die Verraͤther nicht gewußt.


Koͤnig.

O warum kam der Knecht des fremden Moͤrders
Zu ſpaͤt, vom Tode meinen Freund zu retten!
Mit Thraͤnen kehren wir zur Stadt zuruͤck:
So ſchnell erſtirbt des Lebens Luſt und Gluͤck.


(Alle gehn ab.)

[495]Zweite Abtheilung.

Es entſtand nach der Vorleſung eine Stille,
weil man uͤber das eben Gehoͤrte nachdachte,
und keiner zuerſt einen Ausſpruch thun wollte,
endlich ſagte Emilie: mir ſcheint, der Schluß
des Stuͤckes muß eine bittre und ſchneidende
Empfindung erregen, indem das Schreckliche
zu ploͤtzlich hereinbricht.


Am wenigſten, fuͤgte Roſalie hinzu, will
es mir einleuchten, daß gerade Theodor den
Mord vollbringen muß, denn bei aller ſeiner
Widrigkeit duͤnkt er mir doch zu gut, um ſo
tief zu ſinken.


Nach einigen Hin- und Wieder-Reden
ſchien es, daß alle dem erſten Theile, wegen
ſeiner Gelindigkeit den Vorzug gaben, obgleich
Manfred dazwiſchen ſehr eifrig behauptete,
man muͤſſe beide immer zugleich betrachten,
um den ganzen Gedanken der alten Novelle zu
faſſen, der wildere Scherz wie das Schreck-
liche muͤſſe ſich ja eben in der zweiten Haͤlfte
vereinigen; der Tod der Hauptperſonen ſey
unerlaßlich, um die Geſchichte ernſthaft zu
endigen, die ſonſt einen albernen Charakter er-
halten wuͤrde.


Lothar fuͤgte hinzu: ob es gleich beim er-
ſten Anblick ſcheinen moͤchte, daß dieſer Theil,
indem er mehr an einem Ort und mit denſel-
ben Perſonen ſpielt, dramatiſcher ſeyn muͤſſe
als der erſte, ſo iſt die Schwierigkeit der Be-
arbeitung noch groͤßer, denn neben dem erſten
[496]Zweite Abtheilung.
ſchon bekannten Wunder thun ſich andere her-
vor die mit dieſem kaͤmpfen, und der Autor
mag den Knoten knuͤpfen und loͤſen, wie er
will, ſo wird er gezwungen ſeyn, am Schluß,
oder mit dem fuͤnften Akt gleichſam ein neues
Stuͤck zu beginnen, welches hier mehr, als
beim erſten Theile auffaͤllt, da uns der Dich-
ter nicht ſo wie dort an das neue Anheben ge-
woͤhnt hat.


Meine Freunde, ſagte Friedrich, der bis-
her geſchwiegen und in Gedanken vertieft ge-
ſeſſen hatte, ich fuͤhle recht gut, das ich ein
großes Wageſtuͤck unternommen, welches ſich
mein froher Muth im Anfangen nicht ſo ſchwer
vorgeſtellt hatte. Ich danke fuͤr eure Geduld
und Nachſicht.


Er ſtand auf und trat in den Garten, die
Geſellſchaft folgte ihm und alle zerſtreuten ſich,
einzeln, oder paarweiſe, Geſpraͤche fuͤhrend in
den verſchiedenen Gaͤngen. Manfred geſellte ſich
zu Friedrich, zu dem er ſagte: ermuthige dich,
mein Freund, ich hoffe, bald ſoll dieſe peinliche
Lage ſich loͤſen, daß Adelheit in der Geſell-
ſchaft erſcheint, und dein Weſen ſich wieder
frei darſtellen und ohne Hemmung entwickeln
kann.


Ich bin froh, erwiederte Friedrich, daß
dieſe Stunden voruͤber ſind, denn ich war mit
meinen Gedanken nur ſelten beim Leſen, ja ich
konnte erſchrecken, wenn ich ploͤtzlich zu dieſen
Er-
[497]Zweite Abtheilung.
Ergießungen eines ehemaligen Frohſinns zu-
ruͤckkehrte. Ich bitte dich aber mich heute
Abend bei der Geſellſchaft zu entſchuldigen,
denn ich kann nicht zu ihr zuruͤckkehren, weil
dieſe Anſtrengung ohne alle Aufmerkſamkeit vor-
zutragen, mir Kopfſchmerz zugezogen, ich will
darum Adelheid nur eine gute Nacht zurufen,
und mich dann ſchlafen legen.


Nachdem man den ſchoͤnen Abend im Freien
genoſſen hatte, kehrte man zu einem leichten
Abendmahl in den Gartenſaal zuruͤck. Lothar
hatte das Geſpraͤch wieder auf das Theater
gefuͤhrt, und als Manfred zur Geſellſchaft zu-
ruͤck kam, war man eben bei der Frage, war-
um die deutſche Schauſpielkunſt ſo ſehr geſun-
ken ſey, und wahrſcheinlich immer noch mehr
ſinken werde. Da vielen die Urſach unbegreif-
lich ſchien, ſagte Manfred: warum verwundert
ihr euch nicht vielmehr, daß es noch ſo man-
chen guten Schauſpieler giebt, und daß die
mittelmaͤßigen und ſchlechten nicht noch ſchlech-
ter ſind? Nicht weitlaͤufig zu gedenken, daß
jede Kunſt in der Regel, wenn ſie gleichſam
rohen Acker findet, erſt kraͤftig heranwaͤchſt;
ſie wird dann von Kennern unterſtuͤtzt, von
Vorurtheilen nicht geſtoͤrt, man genießt ſie mit
wahrer Liebe; hat ſie einen gewiſſen Gipfel
erreicht, ſo muß ſie, ohne alle aͤußere Veran-
laſſung, wieder herunter, denn ſie wird ſich
in ſich ſelbſt entzweien, den Mittelpunkt ver-
III. [ 32 ]
[498]Zweite Abtheilung.
lieren, um den Beifall buhlen, in Manier
ausarten, das Kleinliche mit Liebe hegen, und
unverwandt das Gegentheil von dem werden,
was ſie werden ſollte, indeſſen die praktiſchen
Kuͤnſtler und ihre Zeitgenoſſen glauben, jetzt
erſt das Wahre erbeutet und die fruͤheren Zeit-
alter verbeſſert zu haben. So iſt es allen Kuͤn-
ſten und alſo auch dieſer ergangen. Es ſind
aber bei ihr noch beſondere Umſtaͤnde eingetre-
ten, die ihr Verderbniß uͤbermaͤßig beſchleu-
nigten. Die fruͤheren Geſellſchaften, welche
herum zogen, bedurften aller Anſtrengung, um
Zuſchauer herbei zu ziehen, ſie konnten nur auf
wirkliche Theaterfreunde rechnen, dieſe muſten
erregt und befriedigt werden. Als es endlich
einigen Buͤhnen gelang, ſich feſt zu ſetzen, war
die Aufforderung noch dringender, an den mei-
ſten Orten entſtand ein ſchoͤnes Verhaͤltniß
zwiſchen Publikum und Buͤhne, die Kuͤnſtler
wurden Veranlaſſung, daß ſich Kenner bilde-
ten und dieſe halfen wieder dem Schauſpieler
weiter. Dieſes Beiſammen- und Ineinander-
leben dauerte wirklich eine Zeitlang. Konnten
wir je von einem Nationaltheater ſprechen, ſo
war es damals, als Schroͤder auf der Hoͤhe
ſeines Talentes ſtand. Eine ſcheinbar zuneh-
mende Liebe fuͤr die Kunſt war es gerade, was
ihr ſehr bald ſchadete, als die Freunde des
Theaters ſich in allen Staͤdten vermehrten.
Es wurde nun in den groͤſſeren Theatern Mode,
[499]Zweite Abtheilung.
ſeine Abende dort zubringen, und neben leere
Zerſtreutheit trat an die Stelle jener warmen
ruhigen Liebe ein flatterndes, aufbrauſendes
Entzuͤcken, eben ſo eine anmaßliche Kenner-
ſchaft und Kritik, von allem Kunſtgeſchwaͤtz das
fadeſte und nichtigſte, weil hier auch nicht
die mindeſte Kenntniß, wie doch noch bei Mu-
ſik und Mahlerei (von Skulptur und Archi-
tektur wird am meiſten geſchwiegen) noͤthig
ſchien, und jeder ſo viel Moral, oder Natur,
oder ſogenannte Pſychologie hinein mengen konn-
te, als er nur immer wollte. Jetzt ſind die Thea-
ter mehr die Verſammlungsplaͤtze der gelangweil-
ten Leute von gutem Ton, und von der Guͤte des
Stuͤcks oder der Trefflichkeit der Schauſpieler
haͤngt es in der Regel gar nicht ab, ob ſie angefuͤllt
ſind. Zwar ſind die Direktionen jetzt eben ſo oft in
Noth, als in jenen fruͤheren Zeiten, aber nur des-
wegen, weil ſie neben der Schauſpielertruppe ein
zahlreiches Orcheſter, Saͤnger und Saͤngerin-
nen, auch Springer unterhalten muͤſſen, auch
aufgefordert ſind, großen Aufwand in Kleidern,
noch groͤßern in Dekorationen zu machen. Auch
haben die Direktionen immer dieſen mannig-
faltigen, ſchwer zu vereinigenden Anforderun-
gen des Publikums gefroͤhnt, oft ſogar ſie er-
regt, um nur die Theaterfreunde aller Art zu
ihrem Markte zu locken: ſie ſetzen ſich lieber
der Gefahr aus, das Schauſpiel ſelbſt zu ver-
derben, damit jene vielſeitigen Liebhaber ſich
[500]Zweite Abtheilung.
nicht anders wohin verlaufen. Wenn aber ein
Theater alles leiſten will, ſo kann es kaum
mehr in irgend einer Art vortrefflich ſeyn. Schon
ziemlich fruͤh entſtand nun auch die Liebhaberei
an den ſogenannten natuͤrlichen Stuͤcken, die
gewiſſermaßen alle Kunſt und alles Spiel ent-
behrlich machten, denn je mehr der Darſteller
von jener Linie herunter trat, die ihn von ſei-
nen Zuſchauern trennen ſoll, um ſo willkom-
mener war er und ſo entſchiedener ſein Beifall.
Sollen nun einmal wieder aͤltere Charakter-
ſtuͤcke, oder tragiſche Rollen gegeben werden,
ſo iſt es nicht befremdend, wenn die entwoͤhn-
ten Spieler ihnen dieſelbe unbefangene Natuͤr-
lichkeit beizubringen wiſſen, da ſie uͤberdies in
dieſer Manier auch gefallen. In den neueren
Zeiten hat man wieder das Wunderbare und
Große auf die Buͤhne bringen wollen, dieſes
aber iſt fuͤr die darſtellende Kunſt gewiſſerma-
ßen noch gefaͤhrlicher geworden, weil dieſe Her-
vorbringungen ſich ebenfalls durch ihre Situa-
tionen, Theaterkoups und Effecte von ſelber
ſpielen, und dadurch des Beifalls gewiß ſind,
daß ſie jeder Weichlichkeit, Verwoͤhnung und
Albernheit der Menge ſchmeicheln. Unſre Vor-
fahren wurden von jenen alten Tragoͤdien in
Alexandrinern durch die Kunſt und Deklama-
tion ihrer Schauſpieler hingeriſſen, von denen
die unſrigen auch nicht einen Akt dem Publi-
kum ertraͤglich machen koͤnnten: aber den Schutz-
[501]Zweite Abtheilung.
geiſt und die Oktavia ſehen ſie, wenn auch
ſchlecht geſpielt, mit Freude und Ruͤhrung: und
kann man wohl behaupten, dieſe und aͤhnliche
Schauſpiele ſeyen im Ganzen oder Einzelnen
beſſer, als jene veralteten und vergeſſenen
Stuͤcke? dazu kommt, wie ſchon geſagt, daß ſo
ſelten ein Auge der Kennerſchaft uͤber die dar-
ſtellende Kunſt gefunden wird, auch iſt wenig
Brauchbares uͤber dieſen Gegenſtand im Druck
erſchienen. Aber alle Zeitungen, alle Jour-
nale enthalten Kritiken der Stuͤcke wie der
Spieler, dieſe ſind der Inhalt der taͤglichen
Geſpraͤche, und dieſe allgemeine Verbreitung der
Liebhaberei hat eben auch eine allgemeine Seich-
tigkeit herbei gefuͤhrt, und iſt die Urſache, daß
in dem ſchwatzenden Getuͤmmel keine vernuͤnf-
tige Stimme ſich hoͤren laͤßt. Jede Stadt hat
ihre Spieler, an die ſie gewoͤhnt iſt, und em-
pfindet meiſt deshalb eine ſo kleinſtaͤdtiſche Vor-
liebe fuͤr ſie, daß der Fremde, der nicht mit
bewundern kann, ſich den Haß, vorzuͤglich der
Frauen zuzieht. Endlich hat noch ein talent-
voller Kuͤnſtler, ich ſpreche von Iffland, ge-
wiſſermaßen eine Schule geſtiftet, die ihn ohne
Talent auf die aͤrmſte Weiſe nachahmt, ſich
eine Einbildung eines feinen gewaͤhlten Spie-
les macht und jenen Ausſpruch der Alten vor-
zuͤglich in Acht zu nehmen ſcheint, das Ge-
ſicht durch keinen Ausdruck der Leidenſchaft zu
verunſtalten, und bei deren ſteifen und engbruͤ-
[502]Zweite Abtheilung.
ſtigen Ungelenkheit mir immer die engli-
ſchen Clowns einfallen, wenn ſie Leute von
Stande darſtellen wollen. Sie ſind recht der Ge-
genſatz jener großartigen Schule, die Schroͤder
in ſeiner beſten Zeit ſtiftete, und aus der ſo
viele große Talente hervorgingen.


Ich wuͤnſche ich haͤtte Eckhof ſehn koͤnnen,
ſagte Emilie.


Nach allem, was ich von ihm weiß, ſagte Lo-
thar, muß er vortrefflich geweſen ſeyn, ob ich mir
gleich nach den Beſchreibungen die Art ſeiner
Darſtellung nicht vergegenwaͤrtigen kann. Auch
Reinecke muß zu den beſten Kuͤnſtlern gehoͤrt ha-
ben, ſo wie Beil in Manheim, und es thut mir
ſehr leid, daß mir dieſe Anſchauungen mangeln.
Doch freut es mich, Schroͤder noch in einigen
ſeiner vorzuͤglichſten Rollen geſehen zu haben.
Sein Organ war heiſer, ſein Ton etwas durch
die Naſe, ſeine Figur etwas zu lang und hager,
und hatte im Alter wenigſtens, keine ſchoͤne Pro-
portion. Aber ſo wie er auftrat, ohne daß er
ſich durch raffinirte Kuͤnſte umgeſtaltete, er-
kannte man ihn nicht wieder: man fuͤhlte ſich
im Kunſtwerk und vergaß doch im Augenblick
den Schauſpieler; alles, was er leiſtete, war
groß, auch ſo gar nichts von Nebenſache, Zu-
faͤlligkeit und Willkuͤhr, oder gar Angewoͤhnung,
ſondern alles diente zu dieſer Rolle und paßte
zu keiner andern; jeder Schritt, Accent und
jede Bewegung machte mit der deutlichſten Be-
[503]Zweite Abtheilung.
ſtimmtheit einen Zug am Gemaͤhlde, und ver-
ſchmolz zugleich die um ihn ſtehenden geringern
Talente ſo zu einem Ganzen, daß die Darſtel-
lung eines ſolchen Schauſpiels zu den hoͤchſten
Genuͤſſen gehoͤrt, die wir von der Kunſt nur er-
warten koͤnnen. Wie ein ſolcher Kuͤnſtler mit
dem groͤßten Dichter wetteifert und das wahr-
haft erſchafft, was dieſer oft nur andeuten kann,
ſo ergaͤnzt er zugleich jene mißrathene Weſen
ſchwaͤcherer Geiſter, indem er fuͤr ſie dichtet,
daher es eine der ungegruͤndeteſten Behauptun-
gen iſt, daß die ſchlechte Poeſie, ſich nicht mei-
ſterhaft darſtellen ließe. Nie werde ich zum Bei-
ſpiel Schroͤders alten Gouverneur im Benjowski
vergeſſen, die letzte Scene ward durch ſein Spiel
zum Erhabenſten und Herzruͤhrendſten, was die
Kunſt nur hervor bringen kann: eine Scene und
eine Rolle, mit welcher der unvergleichliche Fleck
gar nichts anzufangen wußte, die er, moͤchte man
ſagen, um einen Ausdruck vom Mahler zu bor-
gen, nur ſudelte. Sah man Schroͤder im Ko-
miſchen, ſo zweifelte man, ob man ihn hier nicht
noch groͤßer und origineller nennen ſollte. Dieſe
Ruhe und Behaglichkeit, dieſe Weiſe, durch ei-
nen Ton oder Blick eine Tiefe des Laͤcherlichen
aufzudecken, dieſe Gemeſſenheit, ohne jene mo-
derne Furcht vor der Uebertreibung, laͤßt ſich
ſchwerlich in Worten ausdruͤcken, alle koͤnnen
nur demjenigen eine Erinnerung erwecken, der
dieſen Genuß ſelber erlebt hat.


[504]Zweite Abtheilung.

Sie ſcheinen ja heut, ſagte Clara, Schroͤ-
der ihrem geliebten Fleck vorzuziehen, und doch
verſtand ich ſie neulich anders.


Liebſte Freundinn, fuhr Lothar fort, jeder
von ihnen hatte Vorzuͤge vor dem andern, und
ich will verſuchen, ihnen meine Anſicht deutlich
zu machen. Schroͤder hatte jene ſchaffende
Phantaſie im hoͤchſten Sinne des Wortes, die
das unerlaßlichſte Erforderniß des Schauſpie-
lers iſt, und er war ſich dieſer vollkommen be-
wußt, er war faͤhig, mit ſeinem Scharfſinn und
Verſtande alle ihre Tiefen zu durchdringen, und
Entdeckungen zu machen, die ſein Studium und
ſeine Kunſt zu einer zuſammenhaͤngenden Ent-
wickelung und Reiſe fuͤhrten, daher ſeine Viel-
ſeitigkeit, ſeine Sicherheit im Tragiſchen und
Komiſchen, wie in den Characterrollen: deshalb
er alles, was er uͤbernahm, vortrefflich aus-
fuͤhrte, aber auch mit voller Kenntniß ſeiner
ſelbſt nichts verſuchte, was ihm nicht gelingen
konnte. Außerdem kam ihm die Schule ſeiner
Jugend zu ſtatten, er hatte in Balletten getanzt
und in Opern geſungen, und ſo war er der viel-
ſeitigſte, gewandteſte, ſicherſte, und da er alles
im großem Style zeigte, in dieſem Sinne wohl
der groͤßte Schauſpieler ſeiner Nation ge-
worden.


Nun, und Fleck? fragte Clara wieder.


Haben Sie Geduld mit meiner Weitſchwei-
figkeit, antwortete Lothar laͤchelnd, der Ver-
[505]Zweite Abtheilung.
liebte ſpricht von ſeiner Liebe leicht zu viel.
Konnte Schroͤders Kunſt ganz aus dem Ver-
ſtande hervor gegangen ſcheinen, wenn ſeine
Phantaſie ſein Studium nicht zur ſchoͤnſten Ein-
heit verſchmolzen haͤtte, ſo mußte dieſem kla-
ren Bewußtſeyn und dieſer Vielſeitigkeit gegen-
uͤber Fleck unbedingt verlieren. Eine gewiſſe
Gattung des Komiſchen war dieſem ganz fremd,
ſeine Phantaſie gab ihm hier faſt gar keine Bil-
der, er ſpielte gern und mit Anſtrengung den
Flickwort, aber es war truͤbſelig, die edle Ge-
ſtalt ſich hier ſelbſt entſtellen und parodiren zu
ſehn, mit manchen tragiſchen Rollen wußte er
eben ſo wenig etwas anzufangen, der Odoardo
in der Emilie imponirte ihm wegen ſeiner Be-
ruͤhmtheit, er wandte ſein eifrigſtes Studium
auf ihn, und konnte nichts Lebendiges aus ihm
erſchaffen: im Rolla war er in dem verwuͤnſchten
Federnaufputz trotz der Anſtrengung ſeines Or-
gans faſt komiſch, ſein Tellheim, den er auch
bald wieder abgab, war nicht zu ertragen, und
in ſolche langweilige Stuͤcke und Perſonen, wie
den deutſchen Hausvater, legte er einen will-
kuͤhrlichen, frohen und ganz manierirten Hu-
mor, weil er ſonſt gar nichts mit ihnen anzu-
fangen wußte, und wohl uͤberhaupt nicht begriff,
wie dergleichen unterhalten koͤnne.


Nun wahrlich, rief Clara aus, eine treff-
liche Schilderung eines großen Schauſpielers.


Laſſen ſie ſich dies nicht irren, ſagte Lo-
[506]Zweite Abtheilung.
thar, ich habe ſeine ſchwaͤchſte Seite voran ge-
ſtellt, um zu zeigen, wie wenig dieſer Kuͤnſtler
jenes Bewußtſeyn von ſich, noch jene bewun-
dernswuͤrdige Vielſeitigkeit hatte. Eine Menge
von Characteren, die mit vorwiegender Huͤlfe
des Verſtandes, oder durch dieſen allein zu ei-
ner Wahrheit und Wirklichkeit geſtempelt wer-
den ſollten, verſagten ihm voͤllig, denn hier
konnte ihm jene produzirende Phantaſie allein
nicht helfen. Dieſe war es aber, die ihm, ohne
klares Bewußtſeyn, ohne Zerlegung eines Cha-
rakters in ſeine einzelnen Theile, ohne daruͤber
etwas ſagen oder lehren zu koͤnnen, beim Stu-
dium und am meiſten in der Darſtellung ſo be-
geiſterte und ihn ſo ſehr aus ſich ſelbſt entruͤckte,
daß er buchſtaͤblich in der Tragoͤdie das Ueber-
menſchliche leiſtete und hervorbrachte.


Soll ich ſie nicht der Uebertreibung beſchul-
digen? wandte Clara ſchuͤchtern ein.


Sie thaͤten mir Unrecht, antwortete der
Freund, aber ich danke Ihnen fuͤr den Wink,
um nicht zu ſehr von meiner Erinnerung hinge-
riſſen zu werden. Jedes Kunſtwerk leiſtet in
einem andern Sinne das Uebermenſchliche, ich
meinte aber hier etwas anderes und Hoͤheres,
namentlich im Gegenſatz zu Schroͤder. In jenen
Schauſpielen, die Flecks Sinne zuſagten, floß
ihm der ganze Strom der hellſten und edelſten
Poeſie entgegen, umfing und trug ihn in das
Land der Wunder, als Viſion trat alles auf ihn
[507]Zweite Abtheilung.
zu, und dieſe Poeſie und Begeiſterung ſchufen,
ihn tief bewegend, durch ihn ſo große und erha-
bene Dinge, wie wir ſchwerlich je wieder ſehen
werden. Hauptſaͤchlich ſpreche ich hier von ſei-
ner fruͤheren Zeit, denn ſo groß er bis zum
Tode blieb, mußte doch ſpaͤterhin vieles von
dieſem idealiſchen Glanze verloren gehn. Er
war ſchlank, nicht groß, aber vom ſchoͤnſten
Ebenmaaß, hatte braune Augen, deren Feuer
durch Sanftheit gemildert war, ſein gezogene
Brauen, edle Stirn und Naſe, ſein Kopf hatte
in der Jugend Aehnlichkeit mit dem Apollo: in
den Rollen eines Eſſer, Tancred (nach der al-
ten Ueberſetzung), Ethelwolf (nach Fletcher)
war er bezaubernd, am meiſten als Infant
Pedro in Ines de Caſtro, der, wie das ganze
Stuͤck, ſehr ſchwach und ſchlecht geſchrieben
iſt, von ihm geſprochen aber jedes Wort wie
die Begeiſterung des edelſten Dichters erklang.
Sein Organ war von der Reinheit der Glocke,
und ſo reich an vollen klaren Toͤnen in der Tiefe
wie in der Hoͤhe, daß nur derjenige mir glauben
wird, der ihn gekannt hat, denn wahres Floͤ-
tenlispeln ſtand ihm in der Zaͤrtlichkeit, Bitte
und Hingebung zu Gebot, und ohne je in den
knarrenden Baß zu fallen, der uns oft ſo unan-
genehm ſtoͤrt, war ſein Ton in der Tiefe wie
Metall klingend, konnte in verhaltener Wuth
wie Donner rollen, und in losgelaſſener Leiden-
ſchaft mit dem Loͤwen bruͤllen. Der Tragiker
[508]Zweite Abtheilung.
fuͤr den Shakſpear dichtete, muß nach meiner
Einſicht viel von Flecks Vortrag und Darſtel-
lung gehabt haben, denn dieſe wunderbaren
Uebergaͤnge, dieſe Interjectionen, dieſes Anhal-
ten und dann der ſtuͤrzende Strom der Rede,
ſo wie jene zwiſchengeworfenen naiven, ja an
das Komiſche graͤnzenden Naturlaute und Ne-
bengedanken gab er ſo natuͤrlich wahr, daß wir
gerade dieſe Sonderbarkeit des Pathos zuerſt
verſtanden. Sah man ihn in einer dieſer großen
Dichtungen auftreten, ſo umleuchtete ihn etwas
Ueberirdiſches, ein unſichtbares Grauen ging
mit ihm und jeder Ton ſeines Lear, jeder Blick
ging durch unſer Herz. In der Rolle des Lear
zog ich ihn dem großen Schroͤder vor, denn er
nahm ſie poetiſcher und dem Dichter angemeſſe-
ner, indem er nicht ſo ſichtbar auf das Entſte-
hen und die Entwickelung des Wahnſinnes hin-
arbeitete, obgleich er dieſen in ſeiner ganzen
furchtbaren Erhabenheit erſcheinen ließ. Wer
damals ſeinen Othello ſah, hat auch etwas Gro-
ßes erlebt. Im Macbeth mag ihn Schroͤder
uͤbertroffen haben, denn den erſten Akt gab er
nicht bedeutend genug, und den zweiten ſchwach,
ſelbſt ungewiß, aber vom dritten war er unver-
gleichlich und groß im fuͤnften. Sein Shylock
(obgleich nach einer ganz ſchlechten Bearbeitung)
war grauenhaft und geſpenſtiſch, aber nie ge-
mein, ſondern durchaus edel: ſein Laertes im
Hamlet entſprach wohl nicht der Abſicht des
[509]Zweite Abtheilung.
Dichters, er haͤtte den Geiſt uͤbernehmen ſol-
len. Viele der Schillerſchen Charaktere wa-
ren ganz fuͤr ihn gedichtet. Wallenſtein hat ihn
ſpaͤterhin auch denen bekannt gemacht, die fruͤ-
her das Theater nicht wichtig finden wollten:
Leiceſter dagegen wurde durch ihn undeutlich,
dieſer ſchwankende Character war ſeinem ſtarken
Naturell nicht angemeſſen; Fi[ſ]sko gab er nur
ſtellenweiſe vortrefflich, vom Ferdinand in Ka-
bale den Schluß des zweiten Aktes ſo, daß die
Erinnerung davon nie erloͤſchen kann: aber der
Triumph ſeiner Groͤße war wohl, ſo groß er
auch in vielem ſeyn mochte, der Raͤuber Moor.
Dieſes Titanen-artige Geſchoͤpf einer jungen
und kuͤhnen Imagination erhielt durch ihn ſolche
furchtbare Wahrheit, edle Ergebenheit, die
Wildheit mit ſo ruͤhrender Zartheit gemiſcht,
daß ohne Zweifel der Dichter bei dieſem Anblick
ſelbſt uͤber ſeine Schoͤpfung haͤtte erſtaunen muͤſ-
ſen. Hier konnte der Kuͤnſtler alle ſeine Toͤne,
alle Furie, alle Verzweiflung geltend machen,
und entſetzte ſich der Zuhoͤrer uͤber dies ungeheu-
re Gefuͤhl, das im Ton und Koͤrper dieſes Juͤng-
lings die ganze volle Kraft antraf, ſo erſtarrte
er, wenn in der furchtbaren Rede an die Raͤu-
ber nach Erkennung ſeines Vaters noch gewal-
tiger derſelbe Menſch raſet, ihn aber nun das
Gefuͤhl des Ungeheuerſten nieder wirft, er die
Stimme verliert, ſchluchzt, in Lachen aus-
bricht uͤber ſeine Schwaͤche, ſich knirſchend auf-
[510]Zweite Abtheilung.
rafft, und nun noch Donnertoͤne ausſtoͤßt, wie
ſie vorher noch nicht gehoͤrt waren. Alles, was
Hamlet von der Gewalt ſagt, die ein Schauſpie-
ler, der ſelbſt das Entſetzliche erlebt haͤtte, uͤber die
Gemuͤther haben muͤßte, alle jene dort geſchil-
derten Wirkungen traten in dieſer Scene woͤrt-
lich und buchſtaͤblich ein.


Wohl iſt der gluͤcklich zu nennen, ſagte
Clara, der dieſe großen Erſcheinungen geſehn
und oft von ihnen bewegt iſt.


In dieſen Gedichten, fuhr Lothar fort, ſo
wie im Wittelsbacher, in den er eine erhabene
Naivetaͤt legte, wie in vielen andern, war er
durch die Kraft ſeiner Phantaſie gleich auf den
wichtigen und hoͤchſten Punkt geſtellt, und es
war, als wenn ein hoͤherer Genius aus ihm
ſprach und ſich gebehrdete. Und ſo kann man
vielleicht ſagen, daß er ſeine Darſtellung nicht
erfand und ſchuf: mancher moͤchte es vielleicht
lieber ausdruͤcken, daß das Gedicht und die Art
es auszudruͤcken ihn geſchaffen haben. Will man
nun hieran den alten Streit knuͤpfen, daß ein
ſolcher kein Kuͤnſtler zu nennen ſey, will man
dieſen Namen jenem Beſonnenen ausſchließlich
beilegen, ſo weiß ich hierauf nichts zu antwor-
ten, aber das weiß ich, daß der Beſonnene auf
ſeinem Wege nie erfinden und bilden kann, was
ich von dieſem geſehn und erlebt habe. So er-
fuͤllen nach meiner Meinung Schroͤder und Fleck
das Hoͤchſte der deutſchen Kunſt, jeder den an-
[511]Zweite Abtheilung.
dern uͤbertreffend. Nur muß ich noch hinzufuͤ-
gen, daß, wie Schroͤder ſich nie vernachlaͤßigte,
ſich Fleck dies nur zu oft zu Schulden kommen
ließ, denn es traf ſich wohl, daß ein Fremder
ſeine ſchoͤnſten Darſtellungen ſchlecht von ihm
ſah, oft verlor er auch ploͤtzlich die Laune, und
mit ihr die Einſicht in ſeine Rolle, wenn er auch
guten Willen behielt, oft ſpielte er wie zufaͤllig
nur eine Scene unnachahmlich groß, und das
ganze Stuͤck ſchlecht. Seine Stimmung ver-
mochte alles uͤber ihn. Oft wurde auch zu viel
von ihm gefordert, ſo daß er wohl ermuͤden
mußte.


Sie nannten die Beſonnenheit, warf Clara
ein: Sie nehmen Sie doch unmoͤglich im allge-
meinen Sinn, ſondern bedingt, um jene beiden
Kuͤnſtler beſſer gegenuͤber zu ſtellen.


Freilich, ſagte Lothar, denn ich moͤchte mei-
nen Liebling nicht als einen Raſenden, ſondern
als einen Begeiſterten ſchildern, der in der Be-
geiſterung wohl wuſte, was er that, aber frei-
lich ohne dieſe wenig leiſten konnte. Wie ſehr
alles aus ſeiner poetiſchen großen Natur her-
vorging, zeigte ſich auch in jenem Unterſchiede,
den Goͤthe im Meiſter ſo richtig angiebt, das
Vornehme war ihm ſo fern, daß er linkiſch
wurde, wenn es in einer ſeiner Rollen zu ſehr
[512]Zweite Abtheilung.
vorherrſchen mußte, wie ihm auch der Anſtand
bei Theaterreden nie ganz gelang, dagegen das
Edle ſo ſein Weſen war, daß Koͤnige von ihm
wandeln, ſtehn und ſitzen lernen konnten.


So ein ungeheures Weſen waͤre mir laͤſtig
geworden, fiel Auguſte ein; hat er denn nie ge-
woͤhnliche, buͤrgerliche Menſchen dargeſtellt?


Viele, antwortete Lothar, es war eine Zeit,
wo er faſt taͤglich ſpielte, und man ihn in bedeu-
tenden und unbedeutenden, ihm paſſenden und un-
paſſenden Perſonen ſah. Die ſogenannten Cha-
rakter-Rollen, jene zuͤrnenden, eigenſinnigen Vaͤ-
ter, die alten Militairs, viele unbeſtimmte Buͤr-
germeiſter und wohlthuende Menſchen, auch
wackre Landſchulzen und handfeſte Bauern gab
er tuͤchtig, edel und brav, und miſchte ihnen
einen Humor bei, der ſie hoͤchſt liebenswuͤrdig
machte. Von den ruͤhrenden Figuren war der
Oberfoͤrſter in den Jaͤgern eine ſeiner ſchoͤnſten,
launigſten und tiefſten Darſtellungen. Kotzebue
konnte ſich gluͤcklich ſchaͤtzen, daß dieſes Talent
ihn dort zuerſt bekannt machte, ſo wie denn
uͤberhaupt in den achtziger und Anfang der neun-
ziger Jahre das Berliner Theater ſo zuſammen-
geſetzt war, daß ſich ſchwerlich wieder ſo viele
ausgezeichnete Talente vereinigen werden. Fleck
ſtand in dieſer Reihe oben an, deſſen ergreifen-
des
[513]Zweite Abtheilung.
des Spiel des Menſchenhaſſers dieſem erſten
Stuͤcke gleich ſo entſchiedenen Beifall verſchaffte,
wie ihn ſeit vielen Jahren kein dramatiſches
Werk erhalten hatte. Die Unzelmann war als
Eulalia eben ſo vortrefflich, ſie war erſt kuͤrzlich
nach Berlin gekommen, und welchen Zauber,
welche Grazie ſie uͤber die Gurli und viele andre
Dichtungen ergoß, iſt nicht auszuſprechen; ihr
gegenuͤber ſtand die Baranius, und dieſe bei-
den Frauen ergaͤnzten ſich ſo in Schoͤnheit und
Reiz, in Anmuth und Naivitaͤt, daß man ſie ſich
kaum getrennt denken konnte; war die eine die
muthwillige Figur, ſo war jene die ernſte, nahm
dieſe den ſtilleren Charakter an, ſo taͤndelte jene
als Bauernmaͤdchen oder Dienerinn: die Bara-
nius hatte nicht das große Talent ihrer Mitſpie-
lerinn, aber wo ſie auch ſtand, war ſie anmuthig
und ihr Spiel erfreulich: man wollte ſie auch
einmal in der Tragoͤdie bewundern, aber hier
war ſie nicht an ihrem Platz. Unzelmann war
trefflich in komiſchen Alten, in phantaſtiſchen
Charakteren, man ſah ihm eine ſehr gute Schule
und eine vielſeitige Praktik an; in manchen Rit-
terſtuͤcken, in denen er nicht gefiel, machte er
mir große Freude, er ſtellte ein herrliches Por-
trait dar und erinnerte oft an Schroͤder. Cze-
tizky, den man nicht im Tragiſchen oder in Lei-
denſchaften ſehen mußte, war Muſter in der
Darſtellung eines feinen Mannes, in jungen Mi-
III. [ 33 ]
[514]Zweite Abtheilung.
litair-Rollen, in Charakteren, die nur einen
Anflug vom Komiſchen haben, wie der Samuel
Smith in den Indianern von Kotzebue; er war
ſelbſt ein ſchoͤner Mann. Mattauſch, voller und
groͤßer, aber in allem Glanz der Jugend, trat
als Don Carlos auf, und obgleich ſein Organ
nicht volltoͤnend war, und die Kritik manches
Einzelne mit Recht tadelte, ſo habe ich doch nie
wieder dieſen Charakter mit dieſer ſchoͤnen Be-
geiſterung darſtellen ſehn; Fazir und andre der-
gleichen ſchwarze und weiße Naturkinder ſchie-
nen fuͤr dieſen Schauſpieler geſchrieben, denn ſie
wurden in ſeiner Darſtellung ſo herzlich, wahr
und liebenswuͤrdig, wie dieſelben Figuren, wenn
ich ſie ſpaͤter geſehn habe, mir als leere Affekta-
tion erſchienen ſind. Kaſelitz war in den Rol-
len einiger komiſchen Alten ſehr brav, und es
gab noch andre Talente, die ihre Stelle lobens-
wuͤrdig ausfuͤllten. Dieſe Geſellſchaft gab da-
mals manche Dramen in ſolcher Vollendung,
daß nichts zu wuͤnſchen uͤbrig blieb. Man ta-
delte freilich auch damals, man eiferte fuͤr Ge-
ſchmack und Verbeſſerung, konnte aber freilich
die Duͤrre nicht ahnden, die ſpaͤterhin eintrat.
Um die Zeit, als Iffland in Berlin auftrat, hatte
das Theater ſchon einige Schritte von ſeiner
Hoͤhe herunter gethan; ſein großes, glaͤnzendes
Talent erregte eine neue Aufmerkſamkeit, und
man muß von ihm geſtehn, daß er in einigen
[515]Zweite Abtheilung.
Gattungen einzig war, vorzuͤglich in leichtge-
faͤrbten, fluͤchtigen Charakteren, aber nie war er
groß und gewaltig, er konnte es ſeiner Natur
nach nicht ſeyn. Von ſeiner Unfaͤhigkeit zum
Tragiſchen ſprachen wir ſchon neulich, aber auch
im Komiſchen, wenn er ſich oft am meiſten be-
muͤhte, war er zu weilend, ermuͤdend, er hatte
ſeine Zuͤge zum Gemaͤhlde zu ſehr einzeln zuſam-
mengeſucht, und man ſah die Stellen zuweilen,
wo die Farbe die zuſammengeſetzten Theile nicht
hatte vereinigen koͤnnen. Seine Lieblingsrollen
zeigten auch, wohin er zu einſeitig ſtrebte. Wie
oft und an wie vielen Orten hat er nicht den
Eſſighaͤndler von Mercier gegeben! Gewoͤhnlich
war dieſe ſeine erſte Rolle. Und gerade in die-
ſem Stuͤck moͤchte ich ſein Spiel, beſonders in
der letzten Haͤlfte, ein gekniffenes, gezwacktes
nennen. Man wurde nicht froh dabei. Ich
hatte denſelben Charakter von Schroͤder geſehn,
der ihn als wuͤrdigen braven Landmann gab,
deſſen Tuͤchtigkeit, in der letzten Haͤlfte beſon-
ders, imponirte, nichts von dieſen Pauſen und
gezogenen Interjektionen. In Prag giebt ihn
der Direktor des Schauſpiels, Liebich, dieſer hebt
vorzuͤglich die joviale Naivitaͤt heraus, und ich
ziehe ſeine Darſtellung ebenfalls der Ifflandi-
ſchen weit vor. Warum von dieſem ausgezeich-
neten Kuͤnſtler in unſern ſo lobreichen Zeiten
uͤberhaupt nur ſo ſelten die Rede iſt, habe ich
[516]Zweite Abtheilung.
nie begreifen koͤnnen. Liebich iſt in Anſtands-
Rollen ſein, ohne das Gemuͤthliche zu verlieren,
wie denn uͤberall ſeine Liebenswuͤrdigkeit ſeine
Darſtellungen faͤrbt; in den leicht komiſchen Cha-
rakteren iſt er hoͤchſt erfreulich, ſein Humor iſt
ſo anmuthig, ſein Gefuͤhl ſo richtig, daß er ſelbſt
die uͤbertriebenen komiſchen Fratzen in manchem
neuen beliebten Poſſenſpiel liebenswuͤrdig zu ma-
chen weiß, uns durch Laͤcherlichkeit ergoͤtzt, aber
immer die feine Linie haͤlt, die der wahre Kuͤnſt-
ler niemals verlaͤßt, innerhalb welcher er edel
bleibt. So iſt vieles in ſeinem Munde Witz und
komiſch, was uns wohl von andern Schauſpie-
lern geſprochen, als Sottiſe beleidigen wuͤrde:
die Dichter nehmen es eben jezt nicht ſo genau.
Aber auch ernſte und ruͤhrende Charaktere gelin-
gen ihm vortrefflich, ſo iſt namentlich ſein Ober-
foͤrſter ein Meiſterſtuͤck, wenn er wohl in den bei-
den erſten Akten Fleck nachſtehen mag, ſo iſt das
ſtille Verſinken in Schmerz im letzten Theil des
Stuͤcks vielleicht noch inniger und tiefer, obgleich
er freilich auch einige große Momente nicht ſo
ergreifend, wie der verſtorbene Kuͤnſtler dar-
ſtellt. Das Prager Theater hat uͤberhaupt große
Vorzuͤge, und an jedem Abend, an welchem Lie-
bich auftritt, wird der Freund der Buͤhne ſich
befriedigt fuͤhlen. Tragiſche Rollen habe ich
von dieſem Kuͤnſtler nicht geſehen. Von Lan-
ges großartigem Styl in der Darſtellung ſpra-
[517]Zweite Abtheilung.
chen wir ſchon neulich. Seitdem iſt in Wien
der Komiker Weidmann, ſo wie der beruͤhmte
Brockmann geſtorben. Dieſen letztern ſah ich
in Collins Regulus die Hauptperſon ſo meiſter-
haft darſtellen, daß man die treffliche Schule
und den vielerfahrnen vollendeten Kuͤnſtler in
ihm erkannte. Dieſe Tragoͤdie wurde faſt durch-
gehends muſterhaft gegeben, Ziegler erreichte
als Tribun, beſonders in der Rede, das Voll-
kommenſte, was der Zuſchauer erwarten darf.
In einigen jovialiſchen heitern Rollen, die Brock-
mann mit freier Laune, aber ſehr gehalten gab,
erinnerte er mich an Schroͤders Spiel. In
Weidmann hat Wien einen unerſetzlichen komi-
ſchen Schauſpieler verloren, dieſe Wahrheit und
Natur war mir fuͤr gewiſſe Rollen noch nie vor-
gekommen, jeder Schritt, Wink, Ton war be-
deutend; aber ſo ungeſucht, daß man beim Auf-
treten jedesmal den Schauſpieler voͤllig vergaß,
und zu glauben verſucht wurde, er ſpiele ſich
nur ſelbſt, er ſey zufaͤllig gerade ein ſolcher
Menſch; ſo recht innig wohl und heiter fuͤhlte
man ſich, ſo ganz befriedigt, ohne an die Kunſt
erinnert zu werden. Ich ſah ihn als Bitter-
mann, nachdem ich am Abend vorher Iffland,
der damals in Wien war, in derſelben Rolle ge-
ſehn hatte. Fuͤr mich war keine Frage daruͤber,
wer der groͤßere Komiker ſey, obgleich jene ge-
kniffene, an manchen Stellen ſcharf accentuirte
[518]Zweite Abtheilung.
Manier des beruͤhmten Schauſpielers wegen der
Neuheit, vielleicht auch, weil das Studium mehr
hervorſchimmerte, von manchen Gebildeten vor-
gezogen wurde. In dem nemlichen Stuͤck
ward der Peter von Haſenhut vorgeſtellt, und
deſſen Darſtellung mit Weidmanns Laune verei-
nigt, gewaͤhrte mit den erfreulichſten Genuß.
Haſenhut hat ſich eine Manier zu eigen gemacht,
der ſich mehr oder weniger alle Charaktere, die
er uͤbernimmt, fuͤgen muͤſſen, dieſe Manier iſt
aber die lieblichſte und grazioͤſeſte, die man ſich
nur vorſtellen kann. Von ihm moͤchte ich einige
Clowns des großen Engliſchen Dichters vorge-
ſtellt ſehn. Eßlair iſt jezt vielleicht bei uns der
einzige Heldenſpieler, ich habe ihn zu wenig ge-
ſehn, um ihn zu beurtheilen, ſo wie ich auch
nicht von Devrient ſprechen kann, der ein herrli-
ches Talent zu entwickeln ſcheint. — Aber ich
bin beſchaͤmt, daß ich mich ſo zum Schwatzen
habe hinreißen laſſen, doch draͤngt ſich uns der
ruͤhrende Gedanke auf, daß vom Werke des
Schauſpielers ſo gar nichts uͤbrig bleibt, als die
dankbare Erinnerung und ein ungenuͤgendes Lob,
ſo werden meine Freunde mir vergeben.


Wir haben alſo in Deutſchland, ſagte Man-
fred, treffliche Kuͤnſtler gehabt, beſitzen noch
einige, und hoffentlich werden neue entſtehn; es
liegt eben ſo ſehr an den Dichtern, an den Di-
[519]Zweite Abtheilung.
rektoren, am Publikum, an den Umſtaͤnden, wenn
aus unſerm Theater nichts Sonderliches wird.
Das ſchlimmſte waͤre wohl, wenn wir den Fran-
zoſen ihre ausgebildete Manier in ihrer dekla-
mirenden Tragoͤdie, oder ihre vollendete im
Luſtſpiel nachzuahmen ſuchten. Denn ohne Zwei-
fel haben wir ein anderes Luſtſpiel und Trauer-
ſpiel als ſie, und muͤſſen es auch anders darſtel-
len. Das fuͤhlte auch Schroͤder, und ſpielte
eben deshalb franzoͤſiſche Charaktere auf deut-
ſche Weiſe.


Die Englaͤnder, fing Lothar wieder an, ha-
ben ſich, wie ich hoͤre, in der Tragoͤdie eine will-
kuͤhrliche Manier gemacht, in der ſie alle Syl-
ben zuzaͤhlen und zuwaͤgen. Dies paßt wenig-
ſtens auf den Shakſpeare nicht. Von der Sid-
bons habe ich eine große Vorſtellung, von den
maͤnnlichen Tragikern nicht. Ihr Luſtſpiel mag
trefflich ſeyn. In der Tragoͤdie koͤnnte ein neuer
Garrick wieder Epoche machen, wenn er das Pa-
thetiſche und Große von neuem mit dem Natuͤr-
lichen verbaͤnde. Garrick ſcheint im Luſtſpiel
ganz außerordentlich geweſen zu ſeyn; trotz allen
Lobpreiſern kann ich es aber nicht ſo ganz von
ſeiner Tragoͤdie glauben, ich erſehe aus ſeinen
Panegyrikern ſelbſt, daß er oft manierirt war,
ſeine Bearbeitungen des Shakſpeare geben mir
keinen großen Begriff von ſeinen Einſichten in
[520]Zweite Abtheilung.
die Poeſie, und ob Smollet in ſeinen fruͤheren
Ausfaͤllen auf ihn ſo ganz Unrecht haben mochte,
ſteht noch dahin, auf jeden Fall aber fehlte ihm
das os rotundum, die volle Stimme die einem
Tragiker durchaus unerlaßlich iſt.


Ich machte mir von Italien, ſagte Ernſt —
da ich es allenthalben gehoͤrt und geleſen hatte —
die Vorſtellung, daß es durchaus keine guten
Schauſpieler aufzuweiſen habe, und fand mich
zu meiner Freude ſehr betrogen. Von ihren
beruͤhmten Masken hab' ich kaum etwas Mittel-
maͤßiges angetroffen, den Pantalon einigemal er-
traͤglich, doch habe ich Venedig nicht beſucht.
Den Diener zweier Herren ſah' ich in Bologna
und Florenz ganz ſchlecht ſpielen, jede deutſche
Truppe wuͤrde den Scherz geiſtreicher und leben-
diger geben. Ein Schauſpiel von Gozzi habe
ich leider nirgend angetroffen, dieſe Fabeln ſind
wohl mit der Truppe Sacchi untergegangen,
eben ſo wenig jene geiſtreichen Poſſen und Ueber-
treibungen, von denen ich bei fruͤheren Reiſenden
ſo viel geleſen habe, wenn nicht ein Don Juan,
der auf dem großen Theater zu Mayland aufge-
fuͤhrt, und, wie es ſchien, improviſirt wurde,
dergleichen ſeyn ſollte, der aber im Gegentheil
das abgeſchmackteſte und platteſte Weſen war,
das mir jemals vorgekommen iſt. Dagegen
habe ich in Verona, vorzuͤglich aber in Rom,
[521]Zweite Abtheilung.
Luſtſpiele und Charakterſtuͤcke ſo vortrefflich auf-
fuͤhren ſehn, daß dem eigenſinnigſten Kenner
nichts zu wuͤnſchen uͤbrig blieb. Ein hoher Ge-
nuß iſt es, die beſſeren der Goldoniſchen Stuͤcke
von einer guten Italiaͤniſchen Truppe ſich vor-
ſtellen zu laſſen. — Es iſt uͤber unſre Erzaͤhlun-
gen vom Theaterweſen ſpaͤt geworden, ſonſt
koͤnnte ich einiges Beſtimmtere davon erzaͤhlen,
aber die Damen ſind muͤde, und es iſt Zeit, ſchla-
fen zu gehn.


Halt! rief Lothar, ich lege erſt noch meine
Regierung hiemit nieder, und uͤberlaſſe es der
Republik, einen neuen Diktator zu waͤhlen.


Auch haben wir noch gar nichts daruͤber
ausgemacht, ſagte C[lar]a, welches der vorgeleſe-
nen Dramen uns am meiſten, oder am wenigſten
gefallen habe.


Auch davon ein ander mal, ſagte Emilie,
Du liebſt es in die Nacht hinein zu wachen, und
verſaͤumſt daruͤber manchen ſchoͤnen Morgen.


So will ich fuͤr mich wenigſtes, rief Clara,
durch ein ſtummes Zeichen meine Meinung ſa-
gen. — Sie nahm eine Roſe und uͤberreichte
ſie Theodor. Ohne jemand zu nahe treten zu
wollen, fuhr ſie fort, weder dem Herrn Fortu-
nat noch Blaubart geſtehe ich hiemit meine Lieb-
ſchaft zu dem guten, edlen Kater, und deshalb
[522]Zweite Abtheilung.
ſey deſſen Erfinder der kuͤnftige Regierer des
Staates.


Meine Freunde, ſagte Theodor, ich nehme
dieſe Wuͤrde an, und verſpreche, daß meine Re-
gierung ſanft und ohne Druck ſeyn ſoll. Statt
alſo eine beſtimmte Aufgabe, wie Maͤhrchen, auf-
zulegen, oder gar Dramen zu verlangen, die uns
ſehr lange aufgehalten haben, ſey es einem jeden
vergoͤnnt, mitzutheilen was er nur will, wenn
es nur leicht und heiter iſt, ſey es nun Erzaͤh-
lung, oder ſonſt ein Scherz, nur werden durch-
aus dramatiſche Verſuche und Poeſieen aus-
geſchloſſen.


Die Geſellſchaft ging aus einander. Clara
hatte ſich indeſſen an das Fortepiano geſetzt, ſie
ſchlug die Noten auf, und ſang mit ihrer vollen
reinen Stimme das Salve Regina von Pergo-
leſe. Anton, Roſalie und Ernſt waren zugegen
geblieben. Ich beſchließe am liebſten, ſagte
Clara, den Abend mit Muſik, alle Gefuͤhle und
alle Mißklaͤnge werden in ihr ſo rein aufgeloͤſt,
daß die Nacht dann wirklich ein Schluß des Ta-
ges iſt; der Schlaf wird dann geheiligt, und
recht verſtaͤndige Traͤume kommen auf uns
herab.


Man erlaube mir, ſagte Anton, ein kleines
Gedicht mitzutheilen, das vor einiger Zeit im
Wettſtreit mit mehrern Freunden verſucht wurde.
[523]Zweite Abtheilung.
Es iſt ein ſchon oft gloſſirtes Thema, das mich
ebenfalls gereizt hat, meine Kraͤfte in einer mir
neuen, ſehr ſchwierigen Gattung zu pruͤfen, die
beſonders bei den Spaniern beliebt war. —
Er las:


Liebe denkt in ſuͤßen Toͤnen,

Denn Gedanken ſtehn zu fern,

Nur in Toͤnen mag ſie gern

Alles, was ſie will, verſchoͤnen.

Gloſſe.
Wenn im tiefen Schmerz verloren

Alle Geiſter in mir klagen,

Und geruͤhrt die Freunde fragen:

„Welch ein Leid iſt Dir geboren?“

Kann ich keine Antwort ſagen,

Ob ſich Freuden wollen finden,

Leiden in mein Herz gewoͤhnen,

Geiſter, die ſich liebend binden

Kann kein Wort niemals verkuͤnden,

Liebe denkt in ſuͤßen Toͤnen.

Warum hat Geſangesſuͤße

Immer ſich von mir geſchieden?

Zornig hat ſie mich vermieden,

Wie ich auch die Holde gruͤße.

So geſchieht es, daß ich buͤße,

Schweigen iſt mir vorgeſchrieben,

Und ich ſagte doch ſo gern

Was dem Herzen ſey ſein Lieben,

Aber ſtumm bin ich geblieben,

Denn Gedanken ſtehn zu fern.

[524]Zweite Abtheilung.
Ach, wo kann ich doch ein Zeichen,

Meiner Liebe ew'ges Leben

Mir nur ſelber kund zu geben,

Wie ein Lebenswort erreichen?

Wenn dann alles will entweichen

Muß ich oft in Trauer waͤhnen

Liebe ſey dem Herzen fern,

Dann weckt ſie das tiefſte Sehnen,

Sprechen mag ſie nur in Thraͤnen,

Nur in Toͤnen mag ſie gern.

Will die Liebe in mir weinen,

Bringt ſie Jammer, bringt ſie Wonne

Will ſie Nacht ſeyn, oder Sonne,

Sollen Gluͤckesſterne ſcheinen?

Tauſend Wunder ſich vereinen,

Ihr Gedanken ſchweiget ſtille,

Denn die Liebe will mich kroͤnen,

Und was ſich an mir erfuͤlle

Weiß ich das, es wird ihr Wille

Alles, was ſie will, verſchoͤnen.
[][][]

Dieses Werk ist gemeinfrei.


Rechtsinhaber*in
Kolimo+

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2025). Collection 3. Phantasus. Phantasus. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bpkb.0