[][][][][]
Grundſaͤtze
des
Natur-
und

Voͤlckerrechts,

worinn
alle Verbindlichkeiten
und
alle Rechte
aus der Natur des Menſchen

in einem beſtaͤndigen Zuſammenhange
hergeleitet werden.


Herausgegeben
von
Chriſtian Freyherrn von Wolff,
Koͤnigl. Preußl. Geheimden Rath, der Halliſchen
Univerſitaͤt Cantzler und Senior.

Auf Verlangen aus dem Lateiniſchen ins Teutſche uͤberſetzt.

Halle im Magdeburgiſchen: ,
zu finden in der Rengeriſchen Buchhandlung.
1754.

[][]

Sr. Koͤnigl. Hoheit
Dem
Durchlauchtigſten Fuͤrſten
und Herrn
HERRN
Auguſt Wilhelm
Printzen in Preußen

u. ſ. w.
 Seinem gnaͤdigſten Herrn.


[]
Durchlauchtigſter Fuͤrſt
und Herr,

Wahrheit und Gerechtigkeit
ſind die Stuͤtzen des ge-
meinen Weſens: fehlen jene, ſo faͤllet
dieſes uͤber den Haufen. Die Wahr-
heit kann von der Gerechtigkeit nicht
getren-
[] getrennet werden, wenn anders nicht
die Sitten, welche die gemeine Mey-
nung gut heiſſet, den betriegeriſchen
Schein derſelben annehmen ſollen. Es
beſtehet aber die Gerechtigkeit in ei-
nem beſtaͤndigen und unwandelbaren
Willen einem jeden ſein Recht wieder-
fahren zu laſſen, und folglich niemand
zu beleidigen, oder ein Unrecht zu-
zufuͤgen. Was unter dem Recht ver-
ſtanden werde, kann man nicht voͤllig
einſehen, wenn man nicht zugleich er-
kennet, was gut, billig und richtig
ſey. Demnach thut ein Gerechter
nichts ohne eine Empfindung von ſei-
)( 3ner
[] ner Pflicht, und ohne ein Beſtreben
recht zu handeln; und auf ſolche Art
erwirbt er ſich einen gegruͤndeten und
wahrhaften Ruhm, welchen keine aus
Neid erwachſene Verleumdung zu
ſchande machen kann. Die Guͤte, Bil-
ligkeit und Richtigkeit der menſchli-
chen Handlungen bewircket nicht die
Meynung der Menſchen, als welche
weder beſtaͤndig iſt, noch auch mit ſich
in allen uͤbereinſtimmet; ſondern es
ſtammet ſelbſt von der Natur der
Menſchen her, und hat in dem Weſen
und Natur der Dinge den hinreichen-
den Grund, daß ſie gut, billig und
recht
[] recht ſind. Derowegen unterſcheidet
ſich die Wahrheit von der Meynung,
als welche ihre ewige Dauer ſelbſt von
dem unveraͤnderlichen Weſen und Na-
tur, wie der Menſchen, alſo auch der
uͤbrigen Dinge, herleitet. Es brin-
get auch die Meynung, indem ſie nie-
mahls einen feſten und unbeweglichen
Beyfall gewaͤhren kann, keinen be-
ſtaͤndigen und unwandelbaren Willen
mit ſich; ſondern es iſt das Gemuͤth
nicht ſelten in einer Sache von der
aͤuſſerſten Wichtigkeit zweifelhaft, und
kommt an Klippen. Die Wahrheit
allein, als welche nur eine einige und
)( 4unver-
[] unveraͤnderlich iſt, nie aber jemand
hinter das Licht fuͤhret, verdienet ei-
ne Mutter der Beſtaͤndigkeit und des
immerwaͤhrenden genennet zu werden.
Dieſes hat mich bewogen, das keuſche
und heilige Recht, welches die Natur
ſelbſt unter eintzelnen Menſchen und
Voͤlckern geſtiftet hat, daß es der
Grund, den man nie erſchuͤttern kann,
von der Gluͤckſeligkeit des gantzen
menſchlichen Geſchlechts ſeyn ſollte,
aus der eignen Natur des Menſchen
in einem ununterbrochenen Zuſam-
menhange, wiewol in einer abgepaſ-
ſeten Kuͤrtze, damit ich mehreren
nuͤtzlich
[] nuͤtzlich ſeyn koͤnte, in ein kleines,
doch aͤchtes Lehrgebaͤude zu bringen,
wobey ich aber geſorget habe, daß die
Kuͤrtze der Deutlichkeit keinen Nach-
theil erwecken moͤchte. Dieweil ich
nun ſattſam uͤberzeuget bin, daß
Ew. Koͤnigl. Hoheit, als welche
Wahrheit und Gerechtigkeit lieben,
die Arbeit, welche ich zu ſtande ge-
bracht, nicht misfallen werde: ſo un-
terſtehe ich mich Hoͤchſt Denenſel-
ben
dieſes den Blaͤttern nach kleine,
in Abſicht aber auf den Nutzen groſ-
ſe, und des Reichthums der Sachen
halber wichtige Buch in tiefſter Un-
)( 5terthaͤ-
[] terthaͤnigkeit zu uͤberreichen, und mich
zugleich Dero Gnade zu empfehlen,
nebſt dem innbruͤnſtigen Wunſch, daß
GOtt Dieſelben im Hoͤchſten Wohl-
ſeyn erhalten wolle. Jch erſterbe


Ew. Koͤnigl. Hoheit
unterthaͤnigſter und Ehrfurchts-
volleſter Diener
Chriſtian Freyherr von Wolff.


[]

Vorrede.


Nachdem ich das wichtige
Werck des Natur- und
Voͤlckerrechts gaͤntzlich
zum Ende gebracht ha-
be; ſo faße ich nunmeh-
ro, damit ich vieler Nu-
tzen befoͤrdern moͤchte, dasjenige, was in
jenem weitlaͤuftig abgehandelt worden, in
einer fuͤglichen Kuͤrtze zuſammen, und ſtel-
le es unter dem Titel der Grundſaͤtze des
Natur-
[]Vorrede.
Natur- und Voͤlckerrechts an das Licht.
Doch muß ich von dieſem Vorhaben Re-
chenſchaft geben. Da mir die Liebe zur
Wahrheit gleichſam von Natur eingepflan-
tzet iſt, und ich deßwegen ſchon oft erinnert
habe, daß ich mich aus keiner andern Ab-
ſicht auf die Erlernung der Matheſis be-
flißen, als die Urſach von der ſo groſſen Ge-
wißheit in der Geometrie auf das genaueſte
zu erkennen; ſo hat mir, als ich dieſe er-
kant hatte, nichts ſo ſehr am Hertzen gele-
gen, als daß ich die Wahrheit offenbar
machte, und ihr nicht aus einer Ueberre-
dung ſondern aus Ueberzeugung meinen
Beyfall ertheilete. Mit eben dieſem Ge-
muͤthe bin ich zu der Auswicklung der Rech-
te geſchritten, und habe die Quelle alles
Rechts in der menſchlichen Natur gefun-
den, welches von den alten ſchon lange ein-
geſchaͤrfet, von den neuern wiederholet,
keinesweges aber erwieſen worden; ich aber
habe mich nicht durch Meynungen uͤberre-
det, ſondern vielmehr bis zur Wahrheit
uͤberzeuget. Auf ſolche Weiſe iſt mir nicht
nur die Art, nach welcher uns die Natur
ſelbſt zur Ausuͤbung und Unterlaßung ge-
wiſſer Handlungen verbindet; ſondern auch
der
[]Vorrede.
der gantze weitlaͤuftige Umfang des Rechts
der Natur, nach welchem es ſich auf alle
menſchliche Handlungen, welche es auch im-
mer ſind, erſtrecket, bekant worden; und
ich habe endlich verſtanden, wie die poſiti-
ven Rechte aus dem Rechte der Natur ent-
ſtehen muͤßen, damit ſie frey von allem Ta-
del vor dem Richterſtuhle der Vernunft
nicht beſorgen duͤrfen, daß man wider ſie
ſprechen moͤchte. Daraus folgt nun gleich-
ſam von ſich ſelbſt, daß nicht weniger bey
allem poſitiven Rechte, als bey dem na-
tuͤrlichen, Wahrheit ſey, und dieſe durch
den Weg des Beweiſes eingeſehen, und
mithin was fuͤr Recht gehalten wird, oder
gehalten werden ſoll, von dem, was es
wircklich iſt, gewiß und genau unterſchie-
den werde. Denn gleichwie das Natur-
recht den Willen aller Menſchen in eintzel-
nen Handlungen lencket; alſo lencket es auch
den Willen des Geſetzgebers, deſſen natuͤr-
liche Freyheit eben ſo wenig, als bey ein-
tzelnen Menſchen, die Verbindlichkeit auf-
hebet. Alles dieſes nun konte auf keine an-
dere Weiſe ans Licht kommen, als wenn
man den Fußtapfen des Euclidis, wel-
cher die Geſetze einer wahren Vernunftleh-
re
[]Vorrede.
re gar ſtrenge in Obacht genommen, folgte,
und demnach alle Woͤrter mit einer voll-
ſtaͤndigen Erklaͤrung belegte, alle und jede
Saͤtze genugſam beſtimmte, und beydes die
Erklaͤrungen als auch die Saͤtze dergeſtalt
ordnete, daß ſich die folgenden aus den vor-
hergehenden gaͤntzlich verſtehen ließen, und
die Wahrheit der letztern aus den voraus-
geſetzten erhellen muſte. Damit ich dieſe
mir vorgeſteckte Abſicht erhalten moͤchte, ſo
habe ich in dem weitlaͤuftigen Wercke das
Natur- und Voͤlckerrecht zu beweiſen unter-
nommen, und es vor nicht gar zu langer
Zeit zum Ende gebracht; ich zweifle auch
keinesweges, ohne mich einer Ruhmraͤthig-
keit ſchuldig zu machen, daß ich dadurch
der gantzen Rechtsgelehrſamkeit ein Licht an-
gezuͤndet habe, und es nun endlich klar ſey,
was Cicero ſehr geſchicklich geſagt, daß die
Rechtswiſſenſchaft nicht aus den zwoͤlf Ta-
feln, noch aus den Befehlen der Praͤtoren,
ſondern allerdings aus dem innerſten der
Philoſophie herzuholen ſey. Denn ich ha-
be nicht nur die Naturgeſetze, welche ſich
ſowol auf alle privat-, als auch oͤffentliche
und Voͤlckerrechte erſtrecken, in eine Ueber-
einſtimmung gebracht; ſondern es iſt auch
von
[]Vorrede.
von mir gewieſen worden, daß, wenn man
die poſitiven Geſetze, in den Faͤllen, worinn
ſie von den natuͤrlichen abweichen, nach der
Richtſchnur der natuͤrlichen, vermoͤge der
natuͤrlichen Theorie der buͤrgerlichen, oder
poſitiviſchen Geſetze, welches gewiß auch
keinen geringen Theil des Rechts der Na-
tur ausmacht, ob er gleich bisher gaͤntzlich
verlaſſen und unbearbeitet geblieben iſt,
pruͤfet, ſich zwiſchen der natuͤrlichen und
buͤrgerlichen Rechtsgelehrſamkeit die ſchoͤn-
ſte Uebereinſtimmung erzeuge, und mithin
in allen eine beſtaͤndige Eintracht und Ue-
bereinkommen ſey. Diejenigen, welche ſich
auf die Rechte legen, ſind gemeiniglich der-
jenigen Methode, welche allein zur Wiſ-
ſenſchaft fuͤhret, unkundig, und uͤberſehen
das weite Feld des Rechts der Natur nicht.
Derowegen ſcheinet es wol nicht, daß mein
Werck nach ihrem Geſchmack ſeyn werde;
noch vielweniger aber reimet ſich es zu der
Faͤhigkeit der Anfaͤnger, als welchen auch
die Weitlaͤuftigkeit im Wege ſtehet. Da
mir nun das Amt das Natur- und Voͤl-
ckerrecht zu lehren aufgetragen iſt; ſo mu-
ſte ich mich bemuͤhen, daß ich die zur Er-
kentniß der Geſetze begierige Jugend zu ei-
ner
[]Vorrede.
ner gruͤndlichen und gewiſſen Wiſſenſchaft
des Rechts anfuͤhrete, und den wahrhaf-
ten Prieſtern der Gerechtigkeit einen gebah-
neten Weg zu dem innern des Rechts ver-
ſchafte, damit ihnen die Reiſe nicht mehr
zu langwierig zu ſeyn deuchtete, wie ich ſie
in dem Wercke des Natur- und Voͤlcker-
rechts angetreten hatte. Auf daß ich nun
dieſe mir vorgeſetzte Abſicht erreichen moͤch-
te, ſo habe ich in dieſen Grundſaͤtzen alle
Erklaͤrungen und Saͤtze, welche in dem
groͤſſern Werck enthalten ſind, wenige aus-
genommen, die ſich durch jene leicht verſte-
hen laſſen, zuſammen gefaſſet, damit nicht
das geringſte vermiſſet wuͤrde, was zu dem
gantzen privat, allgemeinen oͤffentlichen,
und eigentlichen Voͤlckerrecht gehoͤret. Ue-
berdem, welches das vornehmſte iſt, habe
ich beſonders geſorget, daß man die Gruͤn-
de aller Saͤtze einſehen koͤnte, und in den
Erklaͤrungen nichts annehmen duͤrfte, was
noch einige Dunckelheit in dem Gemuͤthe
zuruͤcke ließe, daß man es nicht voͤllig ver-
ſtehen koͤnte. Und darum habe ich alles in
eine ſolche Ordnung gebracht, daß das fol-
gende mit dem vorhergehenden beſtaͤndig
zuſammen haͤngt, und dieſes vermittelſt je-
nes
[]Vorrede.
nes ein durchgaͤngiges Licht gewaͤhret. Es
iſt zwar nicht moͤglich geweſen, in der Aus-
wickelung der Gruͤnde, ſo wie es die Stren-
ge des Beweiſes erfordert, und wie ich es
in dem groͤſſern Wercke geleiſtet habe, aus-
fuͤhrliche Beweiſe zu geben, als welche
mein gegenwaͤrtiges Vorhaben nicht ver-
ſtattet hat; allein dies hindert nicht, daß
man nicht von allen und jeden die aͤchten
Gruͤnde, welche fuͤr die hinlaͤnglich ſind,
deren Augen das helleſte Licht noch nicht
vertragen koͤnnen, zu erkennen im Stande
waͤre. Denn es iſt nicht allen, ja gar kei-
nem gleich vom erſten Anfang an gegeben,
das Sonnenlicht nach Adler Art anzuſe-
hen; ſondern vorerſt tappet ein jeder bey
dem hellen Mittage im Dunckeln. Nach
und nach aber, wenn das Licht der Seele
zunimmt, wie es alſo die Gewohnheit der
Natur mit ſich bringt, verlangen diejeni-
gen noch ein groͤßres, welche vorher mey-
neten gaͤntzlich im Hellen zu wandeln, und
ſo geſchieht es endlich, daß ſie ſich nach
dem, wovor ihnen vorhin eckelte, nun be-
gierig ſehnen, und ihnen nichts anders Ge-
nuͤge thut als Beweiſe, welche Nachah-
mungen der Euclideiſchen ſind. Daraus
)( )(wird
[]Vorrede.
wird aber am Ende vollſtaͤndig erhellen,
daß ich in dem weitlaͤuftigen Wercke des
Natur- und Voͤlckerrechts keine unnuͤtze Um-
ſchweife geſucht, ſondern auf keinem kuͤr-
tzern Wege zum Ziel kommen koͤnnen.
Jm uͤbrigen damit ich es gleichſam auf
einmahl vorſtelle, wie alle Verbindlich-
keiten und alle Rechte der Menſchen aus
der menſchlichen Natur ſelbſt, als aus
ihrer Qvelle, fließen; ſo muß ich noch
eines und das andere melden. Der
Menſch beſteht aus Seele und Leib; und
wie dieſer aus verſchiedenen Werckzeugen
zuſammengeſetzt iſt, deren Verrichtungen
zuſammengenommen auf einen gemeinſa-
men Endzweck losgehen, z. E. wie die
Verrichtungen der Werckzeuge, wodurch
das Leben beſtehet, auf die Erhaltung
des gantzen Koͤrpers, oder des Lebens
und deſſen Geſundheit abzwecken; ſo
wohnen auch der Seele verſchiedene Ver-
moͤgen bey, durch deren vereinigten Ge-
brauch der einer Vernunft theilhaftige
Menſch, welche ihn eben von den uͤbri-
gen Thieren unterſcheidet, geſchickt ge-
macht wird ein der Vernunft gemaͤßes
Leben zu fuͤhren. Dieſe Geſchicklichkeit
der
[]Vorrede.
der Werckzeuge ihre Verrichtungen abzu-
warten, und der Vermoͤgen zu ihrem
Gebrauch, welchen ſie bey der Betrei-
bung des Lebens eines Menſchen haben,
machen die weſentliche Vollkommenheit
eines Menſchen aus. Da die Natur,
welche niemahls ein Haar breit von dem
Pfade der Wahrheit abweichet, nicht
den geringſten Widerſpruch, als der ein
beſtaͤndiger Hauptfeind der Wahrheit iſt,
leidet; ſo kommt derſelben keine andere
Lenckung der menſchlichen Handlungen zu,
als daß ſie durch eben dieſelben Endur-
ſachen beſtimmet werden, wodurch ſie die
natuͤrlichen Handlungen beſtimmet, und
ſie folglich mit den natuͤrlichen zu einer-
ley Ziel eilen. Und die Geſchicklichkeit
die freyen Handlungen ſo und nicht an-
ders zu beſtimmen, macht eben die zu-
faͤllige Vollkommenheit des Menſchen aus.
Kommt dieſe nun zu der weſentlichen
Vollkommenheit, ſo ſtellet ſie die gantze
Vollkommenheit des Menſchen dar. Da-
her aber ruͤhret es, daß die freyen Hand-
lungen der Menſchen ſich durch eine in-
nere Guͤte und Schaͤndlichkeit unterſchei-
den laßen. Da aber der Menſch ver-
)( )( 2moͤge
[]Vorrede.
moͤge der Natur uͤberhaupt beſtimmet iſt
das Gute zu begehren und das Boͤſe zu
verabſcheuen; ſo iſt die innere Guͤte ein
Bewegungsgrund gewiſſe Handlungen
auszuuͤben, und die innerliche Haͤßlichkeit
ein Bewegungsgrund gewiſſe Handlun-
gen zu unterlaßen. Daraus erzeuget ſich
nun die natuͤrliche Verbindlichkeit; und
die Lenckung der Handlungen, wovon ich
geredet habe, nimmt die Geſtalt eines
Geſetzes an, ſo von der Natur ſelbſt ge-
geben worden. Damit aber dieſer Ver-
bindlichkeit Genuͤge geſchehen moͤge, ſo
muß auch den Menſchen ein Vermoͤgen
beygeleget ſeyn dasjenige zu thun, ohne
welches kein Genuͤge geleiſtet werden
kann; und alſo entſteht aus jener, als
aus einer Quelle, ein Recht ſo wol
zum Gebrauch der Sachen, als auch zu
gewiſſen Handlungen. Es befinden ſich
aber die Menſchen von der Natur, daß
ſie bloß mit vereinigten Kraͤften und mit
einer wechſelsweiſe einander geleiſteten
Huͤlfe auf dieſe Vollkommenheit los ge-
hen koͤnnen, welches die eintzige Quelle
der Gluͤckſeeligkeit iſt. Und derowegen
hat die Natur ſelbſt die Pflichten gegen
uns
[]Vorrede.
uns mit den Pflichten gegen andere durch
ein freundſchaftliches Liebesband ver-
knuͤpfet, daß zu beyden einerley noth-
wendige und an ſich unveraͤnderliche Ver-
bindlichkeit iſt. Unterdeſſen da die Kraͤf-
te des Menſchen nicht unerſchoͤpflich ſind,
und deswegen nicht ohne Grund verſchwen-
det werden muͤßen; ſo iſt man andern
keine Pflichten mit der Hintanſetzung ſei-
ner ſelbſt, und uͤberdem nicht mehr als
in unſerer Gewalt ſtehet, endlich auch
nicht denen, welche ſelbſt in ihrer Ge-
walt haben, was ſie von andern verlan-
gen, ſchuldig. Weil aber keinem Men-
ſchen von Natur ein Recht uͤber die Hand-
lungen eines andern zukommt; ſo muß
man, wie dem um ſeines Mangels wil-
len bittenden, alſo auch dem, der es lei-
ſten ſoll, uͤber die Verabſaͤumung ſeiner
ſelbſt, und von dem, was in ſeiner Ge-
walt iſt, das Urtheil laßen. Es iſt aber
nicht ſelten einem fremder Huͤlfe Beduͤrf-
tigen daran gelegen, daß er von dem,
was er von einem andern bittet, gewiß
ſey. Derowegen kommt ihm ſelbſt von
Natur ein Recht zu, ſich andere zu gewiſ-
ſen Gewaͤhrungen verbindlich zu machen,
)( )( 3ſo
[]Vorrede.
ſo daß dieſelben, wo ſie nicht wollen, zur
Ausrichtung ihrer Schuldigkeit koͤnnen ge-
zwungen werden. Daraus erwaͤchſet in
Abſicht auf die Dinge, wozu man an-
dern verpflichtet iſt, ein Unterſchied zwi-
ſchen der vollkommenen und unvollkom-
menen Verbindlichkeit; und eben daher
entſteht zu dem, was uns andere ent-
richten ſollen, entweder ein vollkommes,
oder ein unvollkommnes Recht. Es ver-
ſchwindet aber der Grund dieſes Unter-
ſchiedes bey denenjenigen Dingen, welche
verbothen werden, daß man ſie andern
nicht thun ſolle, dieweil es allezeit gewiß
iſt, daß man ſolche unterlaſſen muͤße. De-
rowegen iſt in Abſicht auf die verneinen-
den Handlungen die natuͤrliche Verbind-
lichkeit vollkommen, ſo, daß der andere
ein vollkommenenes Recht hat nicht zu
leiden, daß dies und jenes geſchehe, und
denjenigen, welcher etwas thut, zu zwin-
gen, daß er es nicht thue, oder ins kuͤnf-
tige auf das neue zu thun ſich nicht unter-
fange. Weil endlich keinem von Natur ein
eigenthuͤmliches Recht zu einer Sache im
eintzelnen betrachtet zuſteht; ſo ſind von
Natur alle Sachen, was ihren nothwen-
digen
[]Vorrede.
digen Gebrauch anlanget, gemein. Aus
dem, was bisher geſagt worden, erhellet,
welches denn der natuͤrliche, und zwar
urſpruͤngliche, Zuſtand der Menſchen,
welchen ſie von Natur haben, ſey. Al-
lein es war nicht etwa nur ein einiger
Grund, welcher die Menſchen noͤthigte,
daß ſie, welches auch das Naturgeſetz gar
wohl leiden kann, ja ſelbſt erfordert, von
der urſpruͤnglichen Gemeinſchaft abwi-
chen, und die vorher gemein geweſenen
Dinge einem eigenthuͤmlichen Recht un-
terwurfen. Und daher iſt das Eigenthum
entſtanden, welches das Recht ſich ande-
re zu gewiſſen Leiſtungen verbindlich zu
machen noch weiter ausgedehnet, die Ar-
beiten denen eigenthuͤmlichen Sachen gleich
geſchaͤtzet, und die Verbindlichkeit Sa-
chen und Arbeiten einander mitzutheilen
noch den Pflichten hinzugeſetzet hat. Dar-
aus fließen alle Rechte der Sachen, ſo
wol in, als zu einer Sache, ſie moͤgen
Nahmen haben wie ſie wollen, von freyen
Stuͤcken, und das Vertheidigungsrecht
erhaͤlt auch noch weitere Graͤntzen. Die
Verbindlichlichkeit das menſchliche Ge-
ſchlecht fortzupflantzen verknuͤpft mit der
)( )( 4Zeu-
[]Vorrede.
Zeugung die Auferziehung auf das aller-
genaueſte, und leget deswegen den Eltern
ein gewiſſes Recht uͤber die Handlungen
der Kinder bey. Und weil die Ehen die-
ſes Endzwecks halber vollzogen werden,
ſo erlangt ein Ehegatte vermoͤge der Ein-
willigung ein gewiſſes Recht uͤber die
Handlungen des andern. Weil auch die
Leiſtung beſtaͤndiger Arbeiten fuͤr einen
beſtaͤndigen Unterhalt, worinn natuͤrli-
cher weiſe die Knechtſchaft beſtehet, mit
dem Recht der Natur uͤbereinſtimmt;
ſo tritt aus der Unterwerfung ein Recht
des Herrn uͤber die Handlungen des
Knechts hervor. Derowegen weil das
Recht uͤber die Handlungen des andern
die Herrſchaft heißt; ſo erhellet nunmeh-
ro der Urſprung der Privatherrſchaft,
worinn das Recht uͤber die Perſonen, wie
man es gemeiniglich nennet, enthalten iſt.
Da nun aber eintzelne ihre Rechte nicht
genug vertheidigen, auch dieſelben von
andern, die dazu keine Luſt bezeigen wuͤr-
den, ohne Gewalt und ſehr zweifelhaf-
ten Ausgange nicht erhalten, und nicht
fuͤglich fuͤr dasjenige ſorgen konten, was
zum hinlaͤnglichen Unterhalt des Lebens
gehoͤ-
[]Vorrede.
gehoͤret, und zur Gluͤckſeeligkeit dienet;
ſo ſind die buͤrgerlichen Geſellſchaften dem
Geſetz der Natur gemaͤß zuwege gebracht
worden, und ſo iſt aus der Unterwer-
fung die buͤrgerliche oder oͤffentliche Herr-
ſchaft, aus welcher alles oͤffentliche oder
allgemeine Staatsrecht hergeleitet wird,
entſtanden. Endlich da die Staaten nun-
mehro als eintzelne Perſonen, welche im
natuͤrlichen Zuſtande leben, angeſehen
werden muͤßen; ſo treffen ſie alle Ver-
bindlichkeiten und Rechte, welche alle und
jede, die im natuͤrlichen Zuſtande leben,
angehen. Weil nun unter dieſe Rechte
auch das Recht ſich einen andern zu ge-
wiſſen Leiſtungen zu verbinden gerechnet
wird; ſo flieſſen daraus die Rechte der
Buͤndniſſe und anderer Vertraͤge der
Voͤlcker. Und weil dadurch, daß ſich
eintzelne Perſonen in buͤrgerliche Geſell-
ſchaften begeben haben, die Verbindlich-
keit das gemeinſame Wohl mit vereinigten
Kraͤften zu befoͤrdern nicht aufgehoben
werden koͤnnen; ſo hat, gleichwie ſelbſt
die Natur alle und jede Menſchen ver-
moͤge derſelben in eine Geſellſchaft ver-
ſetzet hat, auch eben dieſe Natur unter
)( )( 5den
[]Vorrede.
den Voͤlckern eine Geſellſchaft geſtiftet,
aus deren Beobachtung nach Anleitung
der natuͤrlichen Theorie der buͤrgerlichen
Geſetze ein gewiſſes Recht, ſo mit dem
buͤrgerlichen verwandt iſt, und welches,
daß ich mit dem Ulpiano rede, weder
gantz von dem natuͤrlichen abweichet,
noch auch ſich aller Orten nach demſel-
ben richtet, hergeleitet wird. Aus dem,
was nur kuͤrtzlich geſagt worden, kann,
wie ich meyne, nicht undeutlich erhellen,
daß alle Rechte, als welche unter einan-
der in beſtaͤndigen Zuſammenhange ſind,
aus der menſchlichen Natur ſelbſt herge-
leitet werden, und daß hiermit klar ſey,
was die Alten geſagt haben, daß das
Recht ſelbſt durch die Natur aufgerichtet
worden ſey. Man wird dieſen Zuſam-
menhang vollſtaͤndiger einſehen, wenn
man dieſe Grundſaͤtze ſelbſt mit aufmerk-
ſamen Gemuͤth durchzuleſen beliebet. Jm
uͤbrigen werde ich kein eitler Prophet
ſeyn, wenn ich vorherſage, daß, wenn
ſich iemand dieſe Grundſaͤtze fein bekant
gemacht hat, er eine gruͤndliche und wah-
re
[]Vorrede.
re Rechtswiſſenſchaft erhalten werde, da
er denn das vollſtaͤndigſte Licht, ſo bald
es ſeine Schaͤrfe des Geſichtes nicht mehr
verletzet, aus dem groͤſſern Werck erwar-
ten muß; und wenn er ſich auf das buͤr-
gerliche Recht befleißiget, ſo wird er ſich
faſt ohne Muͤhe eine Erkaͤntniß deſſelben
zuwege bringen. Eines iſt noch zuruͤck,
was ich zu erinnern fuͤr noͤthig erachtet
habe, daß ich nehmlich in dieſen Grund-
ſaͤtzen nichts angenommen, was man an-
derswo herholen muͤße, gleichwie hinge-
gen das Natur- und Voͤlckerrecht in dem
groͤſſern Werck mit den uͤbrigen Theilen
der Weltweisheit zuſammen gehaͤnget iſt;
damit man ohne Anſtoß in denſelben fort-
gehen koͤnne, wenn auch gleich ein Leſer
in meinen philoſophiſchen Wercken nicht
ſollte bewandert, oder auch ſo gar in der
Weltweisheit noch im hoͤchſten Grade ein
Fremdling und Ankoͤmmling ſeyn. Denn
wenn einige Begriffe anderswoher zu ent-
lehnen waren, ſo habe ich dieſelben zu-
gleich erklaͤret. Gleichwie ich aber hier-
mit dem mir aufgetragenen Amte ein Ge-
nuͤgen
[]Vorrede.
nuͤgen geleiſtet habe; ſo wuͤnſche ich nichts
mehr, als daß alle, welche das Vertrauen
haben, daß ihnen meine Arbeit zu ſtatten
kommen koͤnne, diejenigen Fruͤchte, wel-
che ich verheiße, daraus genieſſen moͤgen.
Es gebe GOtt, welcher ſelbſt der Urhe-
ber alles Rechtes, welches ich erklaͤret
habe, iſt, daß Recht und Gerechtigkeit
auf der gantzen Erde bluͤhen moͤgen!


Halle, den 4. September, im
Jahr 1749.



[]

Vorrede des Ueberſetzers.


Geehrter Leſer.

Es iſt natuͤrlich, daß ich geglaubt
haben muß, wir Deutſchen haͤt-
ten in unſerer Sprache zu we-
nig gute Compendia des Rechts
der Natur drucken laßen, denn ſonſt haͤtte
ich nicht daran gedacht, die Arbeit des vor-
treflichen Herrn Barons von Wolf zu
uͤberſetzen. Mein Gedanke iſt vielleicht un-
recht. Deutſchland iſt zu fruchtbar an pa-
triotiſchen Schriftſtellern. Sie muͤſſen die-
ſen
[]Vorrede des Ueberſetzers.
ſen Mangel laͤngſt vollkommen erſetzt ha-
ben. Vielleicht bin ich nur ſo unbekant mit
den Maͤnnern, die gute Rechte der Natur
deutſch geſchrieben haben. Jſt dieſes, ſo
waͤre es nicht unmoͤglich, daß ich bloß aus
Mangel dieſer Erkenntnis bewogen wor-
den waͤre das Recht der Natur ins Deut-
ſche zu uͤberſetzen. Es bewog mich aber
vornaͤmlich eine andere Urſach. Ein Goͤn-
ner und Freund
der Gelehrten, der bey
ſeinen wichtigen Geſchaͤften, die Er dem
Staate und den Kriegsdienſten unſers
groſſen Koͤnigs widmet, auch die philoſo-
phiſchen Wiſſenſchaften als ein Kenner liebt,
verlangte es von mir. Unſere Univerſitaͤt
ehrt dieſen vortreflichen Herrn ſo ſehr,
daß ich nicht das geringſte unterlaßen konte,
was Jhn von meiner beſondern Ergeben-
heit uͤberzeugte. Jch entſchloß mich zur
Ueberſetzung, um Jhm die beſondere groſſe
Hochachtung zu entdecken; mit welcher ich
den erhabnen Character dieſes edlen Geiſtes
ſo
[]Vorrede des Ueberſetzers.
ſo gleich verehrte, als ich das Gluͤck hatte
ihn naͤher kennen zu lernen. Der Herr
Baron von Wolff billigte meinen Vorſatz.
Er entdeckte mir die Art, nach welcher Er
wuͤnſchte, daß die Ueberſetzung eingerichtet
werden moͤchte, damit die Uebereinſtim-
mung mit ſeinen andern deutſchen Werken
erhalten wuͤrde. Jch folgte dieſem Plan
mehr als meinen eigenen Gedanken, von der
Schreibart einer guten Ueberſetzung. Es
iſt mir mehr daran gelegen, daß ich von
dem Herrn Cantzler ſelbſt verſichert wor-
den, daß die Gedancken der Ueberſetzung
voͤllig mit den ſeinigen uͤbereinſtimmten, und
nach ſeinem Sinn ausgedruckt waͤren; als
wenn ich mit einem etwas veraͤnderten
Ausdruck mehr meinem Genie gefolgt waͤre.
Der Herr Cantzler hat ſich ſo gar die Muͤ-
he genommen, die letzte Reviſion der ge-
druckten Bogen zu uͤbernehmen, da der
Abdruck nicht hier ſondern in Halle geſche-
hen konte. Er hat auch in derſelben einige
Aus-
[]Vorrede des Ueberſetzers.
Ausdruͤcke geaͤndert, von welchen er glaub-
te, daß ſie ſeinen Sinn beſſer anzeigen. Jch
habe mich beſonders bemuͤht nie von dem
Redegebrauch abzuweichen, der in den Ci-
vilrechten eingefuͤhrt iſt. Die Ueberſetzung
hat die Abſicht erfuͤllt, die ich mir bey der-
ſelben vorgeſetzt hatte. Sie hat den
Beyfall des Herrn Cantzlers, unter deſſen
Augen ſie bis auf den Anfang des Regi-
ſters gedruckt worden iſt. Jch wuͤnſche
nichts mehr, als daß ſie vielen vortheil-
haft ſeyn moͤge.

Franckfurt an der Oder,
den 15. April 1754.
Gottlob Samuel Nicolai.


Grund-
[[1]]

Grundſaͤtze
des
Natur- und Voͤlcker-
Rechts.



Der erſte Theil.


Von dem Recht der Natur
uͤberhaupt, von den Pflichten
gegen ſich ſelbſt, gegen andere
und gegen GOtt.


Das erſte Hauptſtuͤck.


Von dem Unterſchied der
menſchlichen Handlungen und
ihrer Zurechnung.


§. 1.

Jnnere Handlungen nenntDie in-
nere
Hand-
lungen

man diejenigen, welche allein
durch die Kraft der Seele
Nat. u. Voͤlckerrecht. Awuͤrck-
[2]I. Th. 1. H. Vom Unterſchied menſchl. Handl.
und aͤuſ-
ſere, freye
und noth-
wendige.
wuͤrcklich werden; aͤußete Handlungen
aber ſind diejenigen, welche durch die Be-
wegung der Theile unſers Koͤrpers die Wuͤrck-
lichkeit erhalten. Es ſind aber dieſelben
entweder freye Handlungen, welche auf
einige Weiſe von dem freyen Willen ab-
haͤngen; oder natuͤrliche (nothwendige),
welche von demſelben nicht abhaͤngen, ſondern
durch das Weſen und die Natur der Seele
und des Koͤrpers beſtimmt werden. Daher
iſt klar, daß es keine aͤußere freye
Handlungen giebt, ohne daß innere
dabey ſind, mit welchen ſie zuſam-
menhaͤngen.


§. 2.

Eine po-
ſitive
oder be-
gangene
und pri-
vative
oder un-
terlaſſene
Hand-
lung.

Es iſt uͤberdem eine Handlung entwe-
der poſitiv, eine auszuuͤbende (actio poſiti-
va),
wenn ſie in der That ausgeuͤbet wird;
oder privativ, eine zu unterlaßende (actio
privativa),
welche in der Unterlaßung einer
Handlung beſteht, welche gethan werden
konnte. Eine poſitive freye Handlung heiſt
eine Begehungs-That(factum com-
miſſionis)
. Eine privative, oder verneinen-
de freye Handlung, heiſt eine Unterlaſ-
ſungs-That
(factum omiſſionis). Dieſe
pflegt man auch ſchlechtweg die That(fa-
ctum),
jene die Unterlaſſung(non fa-
ctum)
zu nennen. Oft verſteht man
auch, nach Beſchaffenheit der Sache,

von
[3]und ihrer Zurechnung.
von welcher man redet, unter der
That die Unterlaßung zugleich mit.


§. 3.

Wenn ein Menſch etwas frey ausuͤbt,Die Zu-
rechnung.

oder unterlaͤßt; ſo nennt man ihn eine
freye Urſache der Handlung,
eben wie
er auch die freye Urſache von allem demje-
nigen genannt wird, was aus derſelben
Handlung folgt. Das Urtheil, wodurch
man erklaͤrt, die freye Urſache ſey entweder
die handlende Perſon von der Handlung
ſelbſt, oder desjenigen, was aus derſelben
erfolgt, es ſey gut, oder boͤſe, wird die Zu-
rechnung
genannt. Daher koͤnnen kei-
ne andere Handlungen zugerechner
werden, als die freyen, in ſo weit, als
ſie frey ſind;
folglich auch diejenigen,
welche, wenn man ſie an und vor ſich
ſelbſt betrachtet, zwar natuͤrliche
Handlungen ſind, aber dennoch von
einer vorhergehenden freyen Hand-
lung abhaͤngen.


§. 4.

Wer ſo handelt, daß er von einem andernEine ge-
zwunge-
ne Hand-
lung.

durch eine aͤußere Gewalt angetrieben wird,
und bey der Handlung ſich wie ein Werck-
zeug (inſtrumentum) verhaͤlt, der handelt
gezwungen.
Aber gezwungen leidet
derjenige, welcher die Kraͤfte nicht hat, der
Handlung eines andern zu wieberſtehen.
Jn dieſem Falle iſt der Mangel des Wie-
A 2derſte-
[4]I. Th. 1. H. Vom Unterſchied menſchl. Handl.
derſtehens eine privative, (verneinende),
gezwungene Handlung
(actio priva-
tiva coacta)
. Weil eine gezwungene
Handlung
keine freye Handlung iſt; ſo
kann ſie niemanden, als dem, der ſie er-
zwinget, zugerechnet werden: Wenn
man ſie aber nachher billiget; ſo
wird die Billigung zugerechnet.


§. 5.

Eine
Hand-
lung wie-
der Wil-
len, mit
Willen,
oder
freywil-
lige.

Von einer gezwungenen Handlung iſt
diejenige unterſchieden, welche man eine
Handlung wieder Willen nennet (actio-
nem invitam),
wenn jemand das thut, was
er lieber unterlaſſen, und das unterlaͤßt, was
er gern thun wolte, wenn er nur ein Uebel,
welches aus der entgegen geſetzten Hand-
lung entſtehet, vermeiden koͤnte. Dieſer
wird die freywillige Handlung mit Wil-
len
(actio voluntaria) entgegen geſetzet,
welche weder gezwungen iſt, noch wieder
den freyen Willen desjenigen, der handelt,
ausgeuͤbet wird. Eine Handlung wie-
der Willen wird
alſo vollbracht, wenn
jemand entweder durch Furcht, oder
Gewalt von einem andern bewogen
wird, etwas zu thun, oder zu unter-
laßen. Eine Handlung wieder ſei-
nen Willen wird
dennoch zugerechnet,
obgleich weniger, als eine freywillige
Handlung
(§. 3.); weil derjenige, der
nicht
[5]und ihrer Zurechnung.
nicht freywillig (ungern) eine Handlung
ausuͤbt, einige Entſchuldigung hat.


§. 6.

Es ſind aber die freyen HandlungenDie uͤ-
berlegte
Hand-
lung, die
unuͤber-
legte, die
Ueberle-
gung.

entweder uͤberlegte, welche nicht eher, als
nach geſchehener Ueberlegung (conſultatio-
ne),
ausgeuͤbet werden; oder unuͤberlegte,
wenn jemand, ohne daß er vorher die Sache
uͤberleget, die Handlung ausuͤbt. Es be-
ſtehet aber die Ueberlegung in der Wuͤrckung
des Verſtandes, durch welche man unter-
ſucht, ob eine Handlung auszuuͤben ſey, oder
nicht, und auf was vor Art dieſelbe auszu-
uͤben ſey. Da nun eine uͤberlegte Hand-
lung
mehr eine freye Handlung iſt, als ei-
ne unuͤberlegte (§. 1.); ſo wird eine uͤ-
berlegte Handlung mehr zugerech-
net, als eine unuͤberlegte; und je mehr
die Handlung uͤberlegt worden iſt,
deſto mehr wird ſie zugerechnet.


§. 7.

Alles Vermoͤgen (facultates) der SeeleDie Be-
ſtim̃ung
der Hand-
lungen.

iſt an und vor ſich ſelbſt zu gewiſſen Hand-
lungen, und alle Glieder des Koͤrpers ſind
zu gewiſſen Verrichtungen geſchickt; folg-
lich ſind ſo wohl dieſe, als jene zu einem ge-
wiſſen Zweck beſtimmt, auf welchen die na-
tuͤrlichen Handlungen, oder die Handlun-
gen der Natur abzielen (§. 1.). Es iſt aber
aus der Erfahrung klar, daß die freyen
Handlungen, entweder durch eben

A 3die-
[6]I. Th. 1. H. Vom Unterſchied menſchl. Handl.
dieſelben Endurſachen(rationes fina-
les)
beſtimmt werden koͤnnen, durch
welche die natuͤrlichen Handlungen
beſtimmt werden; oder daß es durch
verſchiedene geſchehen koͤnne.


§. 8.

Der in-
nere Zu-
ſtand und
der aͤuſ-
ſere.

Der Zuſtand uͤberhaupt beſtehet darinn,
wenn veraͤnderliche Beſtimmungen (Dinge),
d. i. diejenigen die auch anders beſchaffen
ſeyn koͤnnen, mit einerley beſtaͤndigen Be-
ſtimmungen (Dingen), die nicht anders be-
ſchaffen ſeyn koͤnnen, zugleich wuͤrcklich ſind.
Dieſer Zuſtand iſt der innere, in ſo weit
als dieſe veraͤnderliche Beſtimmungen in
eben demſelben Subject ſich befinden; oder
der aͤuſſere, in ſo weit ſie ſich neben dem
Subject befinden, oder von auſſen zu dem-
ſelben gerechnet werden.


§. 9.

Die
Vollkom-
menheit.

Die Vollkommenheit einer Sache
uͤberhaupt beſtehet in der Uebereinſtimmung
des Mannigfaltigen in einem, oder des Vie-
len, was von einander unterſchieden in ei-
ner Sache enthalten iſt. Die Ueberein-
ſtimmung
aber nennt man die Beſtim-
mung, wodurch alles, etwas gewiſſes zu er-
halten, zuſammen geſchickt iſt. Alſo beſte-
het die Vollkommenheit einer Uhr darinne,
daß ſie durch ihre Einrichtung die Stun-
de und ihre Theile genau anzeigen kann.


§. 10.
[7]und ihrer Zurechnung.
§. 10.

Jm Gegentheil beſtehet die Unvoll-Die Un-
vollkom-
menheit.

kommenheit in dem Mangel der Ueber-
einſtimmung (diſſenſu) des Mannigfaltigen,
oder des Vielen, ſo von einander unterſchie-
den iſt in einer Sache. Es beſtehet aber
der Mangel der Uebereinſtimmung
(diſſenſus), wenn in derſelben nicht alles ſo
beſchaffen iſt, wie es ſeyn ſollte, um da-
durch zuſammen etwas gewiſſes zu erhalten.
Alſo iſt ein unvollkommenes Auge, wenn
einige Dinge in der Einrichtung deſſelben
vorkommen, welche verhindern, daß eine
Sache, die man ſiehet, nicht klar und
deutlich in demſelben abgebildet werden
kann.


§. 11.

Es iſt aber die weſentliche Vollkom-Die we-
ſentliche
und acci-
dentelle
Vollkom-
menheit;
Hand-
lungen,
welche
dahin ab-
zielen.

menheit(perfectio eſſentialis) diejenige,
welche in der Uebereinſtimmung der weſent-
lichen Beſtimmungen enthalten iſt; durch
welche man ſich naͤmlich eine Sache, als ei-
ne Sache von dieſer Art, oder Gattung vor-
ſtellet. Die accidentelle(accidentalis)
Vollkommenheit aber iſt diejenige, wel-
che in der Uebereinſtimmung der accidentel-
len Beſtimmungen mit den weſentlichen be-
ſtehet; als z. E. wenn die Fertigkeit erhal-
ten wird, die Kraͤfte der Seele, oder die be-
wegenden Glieder des Koͤrpers zu gebrau-
chen. Die accidentelle Vollkommen-
A 4heit
[8]I. Th. 1. H. Vom Unterſchied menſchl. Handl.
heit muß alſo eben denſelben Beſtim-
mungsgrund haben, den die weſent-
liche Vollkommenheit hat
(§. 9.);
daher haben die freyen Handlungen,
welche mit den natuͤrlichen durch ei-
nerley Endzwecke
(rationes finales)be-
ſtimmt werden, die Abſicht, die Voll-
kommenheit des Menſchen, oder ſei-
nes Zuſtandes zu befoͤrdern
(§. 8. 9.);
und derowegen befoͤrdern diejenigen die
Unvollkommenheit, welche durch
verſchiedene Endzwecke beſtimmt
werden.


§. 12.

Die gu-
ten und
boͤſen
Hand-
lungen.

Da man alles dasjenige gut nennet,
was den Menſchen und ſeinen Zuſtand voll-
kommener macht; boͤſe oder uͤbel aber, was
denſelben unvollkommener macht; ſo ſind
diejenigen freyen Handlungen gut,
die zur Vollkommenheit des Men-
ſchen und ſeines Zuſtandes behuͤlflich
ſind; und
folglich mit den natuͤrlichen
Handlungen, durch einerley Endzwe-
cke beſtimmt worden ſind. Boͤſe aber
ſind diejenigen, welche auf die Un-
vollkommenheit des Menſchen und
ſeines Zuſtandes abzielen;
und folglich
mit den natuͤrlichen Handlungen
nicht durch einerley Endzwecke, ſon-
dern durch verſchiedene beſtimmt
werden.


§. 13.
[9]und ihrer Zurechnung.
§. 13.

Eine Handlung iſt an und vor ſichEine
Hand-
lung die
an und
vor ſich
ſelbſt gut,
an und
vor ſich
ſelbſt boͤ-
ſe, an und
vor ſich
ſelbſt
gleich-
guͤltig iſt.

ſelbſt gut(actio in ſe bona), welche durch
ihre weſentliche Beſtimmungen, das iſt
durch diejenigen, welche machen, daß man
ſie ſich als eine ſolche Handlung vorſtellt,
gut iſt. Auf eben die Art erkennet man,
was eine an und vor ſich ſelbſt boͤſe
Handlung
ſey (actio in ſe mala). Die
Handlung aber, welche in ſich betrachtet we-
der gut, noch boͤſe iſt, wird eine an und
vor ſich gleichguͤltige Handlung
(actio
per ſe indifferens)
genannt. Jn ſo fern
ſie
aber wegen der zufaͤlligen(acciden-
tales)
Beſtimmungen, die dazu kom-
men, entweder zu unſerer, oder un-
ſeres Zuſtandes Vollkommenheit, oder
Unvollkommenheit gereichet, wird
ſie entweder gut, oder boͤſe.


§. 14.

Derowegen haben die HandlungenDie in-
nere Guͤ-
te und
das inne-
re Uebel
(Schaͤd-
lichkeit)
der Hand-
lungen.

eine innere Guͤte, oder ein inneres
Uebel;
in ſo fern ſie an und vor ſich ſelbſt
gut, oder boͤſe ſind, oder wegen der hinzu-
kommenden Beſtimmungen (accidentales
determinationes)
gut, oder boͤſe werden;
daß es alſo nicht noͤthig iſt, daß ſie erſt
durch einen Befehl gute, oder durch ein
Verboth boͤſe Handlungen werden.


A 5§. 15.
[10]I. Th. 1. H. Unterſchiede menſchl. Handl.
§. 15.

Hand-
lungen,
welche ei-
nen Be-
wegungs-
grund in
ſich ent-
halten,
und an
und vor
ſich ſelbſt
begeh-
rens-odeꝛ
verab-
ſcheu-
ungswuͤꝛ-
dig ſind.

Weil die Natur des Menſchen ſo be-
ſchaffen iſt, daß er das Gute begehret, das
Boͤſe aber verabſcheuet; ſo ſind die in
ſich guten, oder boͤſen Handlungen
an und vor ſich ſelbſt begehrens- oder
verabſcheuungswuͤrdig
(actiones in-
trinſecae bonae, vel malae per ſe appeti-
biles, vel averſabiles ſunt)
. Denn die
Handlungen, bey welchen ein inne-
res Gute, oder ein inneres Boͤſe be-
findlich iſt,
(actiones bonitatem, vel ma-
litiam intrinſecam habentes)
ſind an und
vor ſich ſelbſt gut, oder boͤſe, oder werden
wegen der dazu kommenden Beſtimmungen
(propter determinationes accidentales ac-
cedentes)
gut, oder boͤſe (§. 14.); folglich
enthalten ſie einen Bewegungsgrund
in ſich, ſie zu wollen, oder nicht zu
wollen
(motivum volitionis \& nolitionis
in ſe continent);
ſo daß, wenn man ſie
deutlich erkennet, man ſie entweder will,
oder nicht will. Daher aber erhellet fer-
ner, 1) daß die Handlungen, welche
die Volkommenheit des Menſchen,
oder ſeines Zuſtandes befoͤrdern, ei-
nen Bewegungsgrund in ſich ent-
halten, ſie zu wollen, und alſo an und
vor ſich ſelbſt begehrungsfaͤhig ſind,
oder ſo beſchaffen, daß man ſie will;
2) daß aber die Handlungen, welche

die
[11]und ihrer Zurechnung.
die Unvollkommenheit des Menſchen,
oder ſeines Zuſtandes befoͤrdern, einen
Bewegungsgrund in ſich enthalten,
ſie nicht zu wollen, und alſo an und
vor ſich ſelbſt verabſcheuungsfaͤhig
ſind, oder ſo beſchaffen, daß man ſie
nicht will.


§. 16.

Die Richtigkeit einer HandlungDie
Richtig-
keit einer
Hand-
lung.

(rectitudo actionis) iſt die Uebereinſtim-
mung derſelben mit allen weſentlichen Be-
ſtimmungen des Menſchen, ſo daß alſo die
Handlung den hinreichenden Grund in ih-
nen allen zuſammen genommen habe; und
folglich durch dieſelben deutlich eingeſehen
werden koͤnne, warum ſie ſo und nicht an-
ders beſchaffen ſeyn muͤße. Eine richti-
ge Handlung erfordert
alſo den uͤber-
einſtimmenden Gebrauch aller Kraͤfte der
Seele, wie auch der bewegenden Kraft (fa-
cultatis loco motivæ)
.


§. 17.

Derowegen, wenn bey einer freyenDer
Mangel
der
Hand-
lung, die
Schuld,
die Boß-
heit.

Handlung entweder von Seiten des
Verſtandes, oder des Willens, oder
der bewegenden Kraft etwas fehlt;
ſo entſteht ein Mangel der Richtig-
keit.
Man nennt aber den Mangel der
Richtigkeit einer Handlung, welchen man
durch den Gebrauch des Verſtandes haͤtte
vermeiden koͤnnen (vincibilem),ein Verſe-
hen
[12]I. Th. 1. H. Vom Unterſchied menſchl. Handl.
hen(culpam). Wenn es aber am Willen
fehlet, Boßheit, oder auch unterweilen Vor-
ſetzlichkeit
(dolum). Ueberhaupt pflegt
man auch den Mangel der Richtigkeit einer
Handlung im Lateiniſchen culpam zu nen-
nen. Ueberwindlich iſt (vincibile),
was durch den Gebrauch ſeiner Kraͤfte ver-
mieden werden konte. Daher iſt klar, daß
ſo wohl die Handlungen, die aus
Verſehen, als mit Vorſatz geſchehen,
einem zugerechnet werden koͤnnen

(§. 3.). Jm Gegentheil aber nennt man
das unvermeidlich(invincibile), was
durch den Gebrauch unſerer Kraͤſte gar nicht
vermieden werden kan. Derowegen weil
wir diejenigen Dinge, die durch einen
bloſſen Zufall geſchehen,
daran wir gar
keine Schuld haben, unmoͤglich vermeiden
koͤnnen; ſo koͤnnen ſie uns auch nicht zu-
gerechnet werden
(§. cit.); als z. E.
wenn der Hagel das Getreyde niederſchlaͤgt,
oder eine Ueberſchwemmung ein Haus ein-
reiſſet.


§. 18.

Was mit
Vorſatz
und aus
Verſehen
geſchie-
het.

Weil es unmoͤglich iſt, daß wir etwas
unbekanntes wollen, oder nicht wollen koͤn-
ten; und alſo der Wille und das Nichtwol-
len von dem Verſtande, oder der Erkentniß-
kraft abhaͤngen; ſo thut derjenige, der
vorſetzlich eine boͤſe Handlung voll-
bringet, ſolches mit Wiſſen und Wil-

len;
[13]und ihrer Zurechnung.
len: Wenn er aber aus Verſehen et-
was thut; ſo geſchiehet es ohne ſein
Wiſſen und Willen.


§. 19.

Das Verſehen und die Boßheit beſtehenUrſprung
des Ver-
ſehens
und der
Bosheit.

in einem Mangel der Richtigkeit der Hand-
lung, den man haͤtte vermeiden koͤnnen (§.
17.). Der Mangel, den man vermeiden
kan, entſtehet aus Unterlaſſung des Ge-
brauchs unſerer verliehenen Kraͤfte

(§. cit.). Alſo kommet das Verſehen und
die Boßheit von dem Mangel des Gebrauchs
unſerer Kraͤfte.


§. 20.

Von dem Mangel des Gebrauchs mußDas Un-
vermoͤ-
gen zu
handeln.

man das Unvermoͤgen zu handeln
(impotentiam agendi) unterſcheiden. Es
beſtehet daſſelbe darinnen, daß der Gebrauch
der Seelen- und Leibes-Kraͤfte nicht von un-
ſerem Willen abhaͤnget; und alſo derſelbe
uns unmoͤglich wird. Was von dieſem
Unvermoͤgen herruͤhret, kan nicht
vermieden
(§. 17.), und folglich auch nicht
zugerechnet werden, wofern wir uns
daſſelbe nicht durch unſere Schuld
zugezogen haben
(§. cit.).


§. 21.

Es giebt viele Wuͤrckungen, welche zurDie Ar-
ten des
Verſe-
hens.

Erkentnißkraft gehoͤren; und bey freyen
Handlungen, zu den Wuͤrckungen der bewe-
genden Kraft vorausgeſetzt werden muͤſſen.
Nach
[14]I. Th. 1. H. Unterſchiede menſchl. Handl.
Nach ihrer Verſchiedenheit, giebt es daher
auch verſchiedene Arten des Verſehens. Al-
ſo iſt der Mangel der Aufmerkſamkeit bey
unſern Handlungen die Unachtſamkeit
(incogitantia); wenn man unterlaͤßt, das-
jenige zu bedencken, wodurch man erkennen
koͤnnte, was aus ſeiner Handlung unter
den gegenwaͤrtigen Umſtaͤnden Gutes oder
Boͤſes erfolgen koͤnte, die Unbedachtſam-
keit
(inconſiderantia); wenn man nicht
acht hat auf das Schlimme, was in gegen-
waͤrtigem Falle erfolgen kan, und man haͤt-
te vorausſehen koͤnnen, die Unvorſich-
tigkeit
(improvidentia); wenn man
alle Ueberlegung, die zur Richtigkeit einer
Handlung erfordert wird, bey Seite ſetzet,
die Uebereilung(præcipitantia in agendo);
der Mangel der Beurtheilung, was zu thun
rathſamer ſey, nach Beſchaffenheit der ge-
genwaͤrtigen Umſtaͤnde, die Unklugheit
(imprudentia); die Abweſenheit aller
Sorgfalt wegen der Richtigkeit der Hand-
lung, die Sorgloſigkeit(incuria); die
Unterlaſſung alles deſſen, was in gewiſſer
Abſicht geſchehen ſollte, welche von dem
Mangel des Gebrauchs der Erkentnißkraͤf-
te herruͤhret, die Nachlaͤßigkeit(ne-
gligentia)
. Daher iſt klar, weswegen man
gemeiniglich alle Arten des Verſehens un-
ter dem Namen der Nachlaͤßigkeit zu be-
greifen pflegt; und daß der Fleiß(dili-
gentia),
[15]und ihrer Zurechnung.
gentia), welcher ihr entgegen geſetzet wird,
darinnen beſtehet, daß man alles dasjenige
thut, was in einer gewiſſen Abſicht geſche-
hen muß.


§. 22.

Man hat auch einen Mangel der Rich-Das
mittlere,
oder vor-
ſetzliche
Verſe-
hen.

tigkeit der Handlung, welcher in dem Falle
entſtehet, da gewiſſe Pflichten nicht zugleich
beobachtet werden koͤnnen, und die Ausnah-
me nicht recht gemacht wird. Dieſe wol-
len wir das mitlere Verſehen, oder das
Mitlere zwiſchen Verſehen und Boß-
heit
(culpam mediam) nennen, andere
nennen ſie ein vorſetzliches Vorſehen
(culpam propoſiti); als z. E. wenn je-
mand, aus Mitleiden, dem Knecht des an-
dern, der gefeſſelt iſt, die Ketten loß macht,
damit er davon laufen kan. Was alſo
durch eine mitlere Handlung zwi-
ſchen Verſehen und Boßheit ge-
ſchieht, das weiß einer zwar, aber
er will es doch nicht vor und an ſich
ſelbſt
(directe). Dieſes Mitlere zwi-
ſchen Verſehen und Boßheit wird unten, bey
der Abhandlung von den Pflichten, die nicht
zugleich beobachtet werden koͤnnen (colliſio-
ne officiorum),
klaͤrer werden.


§. 23.

Die Intention (intentio agentis) iſt dasDie In-
tention,

ſowohl
die ei-

Wollen desjenigen (volitio ejus), warum
man etwas thut; als z. E. wenn man ein
fal-
[16]I. Th. 1. H. Vom Unterſchied menſchl. Handl.
gentliche,
als die
entfernte.
falſches Zeugniß ableget, damit ein Unſchul-
diger verdammt werden ſoll. Dieſe Inten-
tion
iſt die eigentliche(directa), wodurch
eben dasjenige hervor gebracht werden ſoll,
warum man etwas thut; als in dem gege-
benen Exempel iſt die eigentliche Intention,
daß der Unſchuldige ſoll verdammet werden.
Die entfernteIntention (indirecta) iſt,
da man eben dasjenige an und vor ſich
ſelbſt nicht will, was aus ſeiner Handlung
erfolgt, welches doch aber eben ſo wohl,
als das, was man will, aus derſelben er-
folgen kann. Gleicherweiſe iſt die Abſicht
theils unmittelbar(immediata), da
man auf eine Sache, um ihrer ſelbſt willen, ei-
ne Abſicht hat; theils mittelbar(mediata),
da man auf eine Sache wegen einer andern
die Abſicht hat, in ſo ferne wir naͤmlich
durch dieſelbe das erhalten, worauf man
die Abſicht hat.


§. 24.

Eine gu-
te Liſt und
eine
ſchlimme.

Die Alten nenneten eine gute Liſt
(dolum bonum), die Verſtellung ſeiner
wahren Willensmeinung, wegen einer nicht
unerlaubten Abſicht. Daher wird, im Ge-
genſatz gegen dieſelbe, das eine ſchlimme
Liſt
(dolus malus) genennet, wovon wir
vorhin geredet und welche wir die Boßheit
genannt haben (§. 17.).


§. 25.
[17]und ihrer Zurechnung.
§. 25.

Die ſchlimme Liſt, oder Boßheit, wirdEine vor-
ſetzliche
Boßheit,
und eine
zum Theil
unvorſetz-
liche Boß-
heit.

eingetheilt 1) in die vorſetzliche Boß-
heit
(dolum ex propoſito), da man das
Uebel, was aus einer Handlung entſpringet,
entweder eigentlich, oder entfernter Weiſe
zur Abſicht hat. 2) Jn die zum Theil
unvorſetzliche Boßheit
(dolum ex re),
da man das Uebel zwar nicht zur Abſicht
hat, aber nachdem man es nach geſchehe-
ner That erkannt, doch will, daß derjenige,
den es betroffen, den Schaden tragen ſoll.
Jn dem erſten Fall wird ein unaͤchter Edel-
ſtein wiſſentlich fuͤr einen wahren verkauft;
in dem letzten, von einem der es zwar nicht
weiß, aber doch nach dieſem, was bezahlt
worden iſt, nicht wieder herausgeben will.


§. 26.

Die Menſchen pflegen auch oft anDie
Theil-
nehmung
an der
Hand-
lung ei-
nes an-
dern.

den Handlungen eines andern Theil
zu nehmen
(concurrunt ad actionem),
in ſo weit ſie naͤmlich durch eine von ihren
Handlungen zur Wuͤrcklichkeit der Handlun-
gen des andern etwas beytragen, entweder
durch ihren Verſtand, da ſie den Begriff ei-
ner Handlung einem beybringen, der nichts
davon weiß, die Umſtaͤnde, die in gewiſ-
ſen Faͤllen vorfallen, bekannt machen, rath-
geben, Bewegungsgruͤnde etwas zu thun,
oder zu unterlaſſen beybringen; oder durch ih-
ren Willen, als durch befehlen, bitten, ver-
Nat. u. Voͤlckerrecht. Bbiethen,
[18]I. Th. 1. H. Vom Unterſchied menſchl. Handl.
biethen, anmahnen, abmahnen, bedrohen,
anlocken, anhalten oder noͤthigen, anrathen
oder abrathen; indem wir auf dieſe Weiſe,
was wir wollen, oder nicht wollen, dem an-
dern zu verſtehen geben; oder endlich durch
eine Wuͤrckung der bewegenden Kraft, als
wenn wir andern helfen, benoͤthigten Werk-
zeuge hergeben, in der Abſicht Exempel ge-
ben, den andern anzureitzen, eben das zu
thun. Es iſt daher leicht klar, daß die
Menſchen, durch Theilnehmung an
einer Handlung, auch derſelben theil-
haftig werden;
und daß uns folglich
die Handlung des andern, an welcher
wir theilnehmen, in ſo weit zuge-
rechnet werde, als dieſe Theilneh-
mung von unſerem freyen Willen ab-
haͤngt
(§. 3.); daß aber eines andern
Handlung, an der wir auf keine
Weiſe theilnehmen, uns auch nicht
koͤnne zugerechnet werden.
Die ver-
ſchiedenen Arten, durch welche man an der
Handlung des andern theilnehmen kann, be-
zeugen es hinlaͤnglich, daß bey der Theil-
nehmung ſo wohl ein Verſehen
(cul-
pa),
als Boßheit(dolus)ſtat fin-
den kann, und daß uns alſo eines an-
dern Handlung bald mehr, bald we-
niger zugerechnet werden koͤnne.


§. 27.

Die
Einwilli-

Zu den inneren Handlungen gehoͤrt die
Ein-
[19]und ihrer Zurechnung.
Einwilligung (conſenſus), welche darinnengung und
wie vie-
lerley
dieſelbe
iſt.

beſtehet, daß wir wollen, es ſolle eben das-
jenige geſchehen, oder unterlaſſen werden,
was der andere thun, oder unterlaſſen will.
Wenn man mit ausdruͤcklichen Worten, oder
durch ein anderes gleichguͤltiges Zeichen er-
klaͤret, daß man eben das wolle, was der
andere will, ſo heißt dieſes die ausdruͤck-
liche Einwilligung
(conſenſus expreſ-
ſus);
wenn dieſelbe aber anderswoher, als
z. E. aus Handlungen, oder Unterlaßungen
derſelben geſchloſſen wird, ſo nennt man ſie
die ſtillſchweigende Einwilligung(ta-
citum conſenſum);
und eben dieſelbe wird
die vermuthete Einwilligung(con-
ſenſus præſumtus)
genannt, wenn ſie
nur wahrſcheinlicher Weiſe geſchloſſen wird.
Denn die Vermuthung(præſumtio) be-
ſtehet darinnen, daß man, aus wahrſchein-
lichen Gruͤnden, eine zweifelhafte Sache, in
einem vorkommenden Falle, vor gewiß an-
nimmet. Da die Art und Weiſe, wie man
ſeine Willens-Meinung in Abſicht einer ge-
wiſſen Handlung anzeigt, die Handlung
ſelbſt nicht veraͤndert; ſo iſt die ſtill-
ſchweigende Einwilligung nicht we-
niger eine wahre Einwilligung, als
die ausdruͤckliche.


§. 28.

Der Einwilligung wird der wiedrigeDer
Wieder-
wille.

Wille(diſſenſus) entgegen geſetzet, da man
B 2will,
[20]I. Th. 1. H. Vom Unterſchied menſchl. Handl.
will, das ſolle geſchehen, was der andere nicht
will, daß es geſchehen ſoll, oder daß das nicht
geſchehe, was der will, daß es geſchehen ſoll.
Es iſt aber, eben auf die Art, wie vorher (§.
27.), klar, daß der wiedrige Wille ent-
weder der ſtillſchweigende, oder der
ausdruͤckliche ſey;
wie auch, welcher der
vermuthete(præſumtus) genanut wird;
und daß der ſtilſchweigende nicht we-
niger, als der ausdruͤckliche, ein wah-
ter Wiederwille ſey.


§. 29.

Die Ge-
nehm-
haltung.

Die Anzeige der Einwilligung, ſie mag
ausdruͤcklich, oder ſtillſchweigend geſchehen,
wenn ſie nachgehends (ex poſtfacto) dazu
koͤmt, wird die Genehmhaltung(rati-
habitio)
genant. Derowegen giebt der-
jenige, der eine Handlung genehm-
haͤlt, zu erkennen, daß er in dieſelbe
gewilliget habe;
daß es alſo eben ſo viel
iſt, als ob ſie mit ſeiner Einwilligung ge-
ſchehen waͤre.


§. 30.

Warum
man die
vermu-
thete
Einwil-
ligung
keine
wahre
nennen
koͤnne.

Uebrigens ſagt man, in eben der Bedeu-
tung, daß wir etwas ausdruͤcklich wol-
len, oder nicht wollen
(expreſſe velle,
vel nolle);
wie auch, daß Wollen und
nicht Wollen vermuthet werde.

Wahrſcheinliche Dinge koͤnnen falſch ſeyn,
und es iſt nicht gantz gewiß, ob ſie wahr
ſind, oder nicht. Daher kann auch die
ver-
[21]und ihrer Zurechnung.
vermuthete Einwilligung, oder das
vermuthete Wollen und nicht Wol-
len falſch ſeyn (truͤgen);
und folglich
kann ſie nicht wahr genannt werden;
aber ſie wird, wie alles wahrſchein-
liche, ſo lange vor wahr gehalten,
bis man das Gegentheil beweiſet.

Wenn alſo das Gegentheil bewieſen wird,
ſo daß gewiß iſt, dasjenige ſey falſch, was
man fuͤr wahr hielt; ſo uͤberwindet die
Wahrheit die Vermuthung,
ſo daß
dieſe denn aufhoͤret.


§. 31.

Die ſtillſchweigende Genehmhal-Die Ei-
genſchaff-
ten der
Genehm-
haltung.

tung erfordert die Kentnis der Hand-
lung, die genehmgehalten wird;
weil
derjenige, welcher eine Handlung des an-
dern genehmhaͤlt, ſeine Einwilligung nach-
her anzeigt (§. 29.): und weil die ſtill-
ſchweigende Einwilligung aus dem, was
man gethan, oder unterlaſſen, geſchloſſen
wird; ſo erfordert die ſtillſchweigende
Genehmhaltung, daß die genehmhal-
tende Perſon etwas thut, oder unter-
laͤßt, welches ſie nicht haͤtte thun, oder
unterlaſſen koͤnnen, wenn man dasje-
nige nicht voraus ſetzet, was genehm-
gehalten werden ſoll.


§. 32.

Die Unwiſſenheit(ignorantiam) nenntDie Un-
wiſſen-
heit.

man den Mangel eines Begriffes von
einer Sache an ſich, oder von einem Ur-
B 3theile,
[22]I. Th. 1. H. Vom Unterſchied menſchl. Handl.
theile, welches ſich auf die Sache beziehet.
Die Unwiſſenheit laͤßt alſo keine ſtill-
ſchweigende Genehmhaltung zu
(§.
31.), und wenn dieſelbe nicht vermie-
den werden konte, ſo entſchuldiget
ſie;
aber nicht alsdenn, wenn ſie haͤt-
te koͤnnen vermieden werden (§. 17.);
und dieſe hat einen Einfluß in das
Verſehen.


§. 33.

Die zu-
ſammen-
geſetzte
Unwiſ-
ſenheit,
oder der
Jrthum.

Die Scholaſticker nennen dieſe Unwiſſen-
heit die einfache(ſimplicem); den Jr-
thum
(errorem) nennen ſie die zuſam-
mengeſetzte Unwiſſenheit
(ignorantiam
compoſitam),
da man Begriffe verbindet,
welche nicht verbunden werden koͤnnen.
Denn der irret, der einen wahren Satz fuͤr
einen falſchen haͤlt, und folglich dem Sub-
ject entweder eine bejahende, oder verneinen-
de Eigenſchafft zueignet, welche demſelben
nicht zukommen kann. Daher nennet man
den Jrthum, den Mangel der Uebereinſtim-
mung des Begriffs mit der Sache; und es
iſt klar, daß ein Jrthum, der vermie-
den werden kann, einen Einfluß in das
Verſehen hat und einen nicht entſchul-
diget
(§. 17.).


§. 34.

Von der
Zurech-
nung der

Gleicherweiſe iſt offenbahr, daß ſo
wohl die Unwiſſenheit (§. 32.), oder
der Jrthum (§. 33.), wenn beyde haͤt-

ten
[23]und ihrer Zurechnung.
ten koͤnnen vermieden werden, mitUnwiſ-
ſenheit
u. des Jr-
thums.

recht zugerechnet werden (§. 3. 17.). Jm
Gegentheil aber iſt klar, daß die Un-
wiſſenheit und der Jrthum, wenn ſie
nicht vermieden werden koͤnnen, auch
nicht zugerechnet werden koͤnnen.

Eben dieſes muß man von den Handlun-
gen behaupten, die aus Unwiſſenheit und
Jrthum geſchehen.


Das zweyte Hauptſtuͤck.


Von der Verbindlichkeit, dem
Rechte und Geſetze, und dem
Grundſatze des Rechts
der Natur.


§. 35.

Die Verbindlichkeit, wenn man ſieDie thaͤ-
tige Ver-
bindlich-
keit.

wie eine Handlung betrachtet, die
wir die thaͤtige(obligationem
activam)
nennen wollen, iſt die Verbin-
dung eines Bewegungsgrundes mit einer
Handlung, es mag dieſelbe eine auszuuͤbende,
oder zu unterlaſſende ſeyn. Es beſtehet aber
ein Bewegungsgrund(motivum) in
der Vorſtellung des Guten, welches aus der
auszuuͤbenden Handlung, und des Boͤſen,
welches aus der zu unterlaſſenden Handlung
fließt. Da wir nichts anders wollen, als was
wir uns als gut vorſtellen, und nichts anders
nicht wollen, als was wir uns als boͤſe
B 4oder
[24]I. Th. 2. H. Von der Verbindlichkeit,
oder ſchlimm vorſtellen; ſo erhellet aus der
Natur des Willens und des Nichtwollens,
daß der Menſch nicht anders ver-
bunden werden kann, als durch ei-
nen Bewegungsgrund, der mit der
Handlung verknuͤpft wird.


§. 36.

Daß es
eine na-
tuͤrliche
Verbind-
lichkeit
giebt.

Selbſt durch die Natur wird der
Menſch verbunden, die Handlungen
zubegehen, welche ſeine und ſeines Zu-
ſtandes Vollkommenheit befoͤrdern.

Denn, weil die Handlungen, welche die Voll-
kommenheit des Menſchen und ſeines Zu-
ſtandes befoͤrdern, einen Bewegungsgrund
des Willens, diejenigen aber, welche die Un-
vollkommenheit befoͤrdern, einen Bewe-
gungsgrund des Nichtwollens in ſich ent-
halten; ſo ſind jene an und vor ſich ſelbſt
begehrunswuͤrdig, dieſe verabſcheuungswuͤr-
dig (§. 15.). Folglich wird der Menſch
auch durch die Natur zu denjeni-
gen Handlungen verbunden, welche,
wie die natuͤrlichen, durch eben
dieſelbe Endurſachen
(rationes finales),
nicht aber durch verſchiedene beſtimt
werden
(§. 11).


§. 37.

Sittlich
moͤglich,
unmoͤg-
lich und
nothwen-
dig. Die

Weil es unmoͤglich iſt, daß etwas zu-
gleich ſeyn und nicht ſeyn kann; ſo iſt es noth-
wendig, daß ein Menſch, der ein menſch-
liches Leben, oder ein Leben, das ſeiner Na-
tur
[25]dem Rechte und Geſetze ꝛc.
tur gemaͤß iſt, fuͤhren will, ſo und nicht an-leidende
Verbind-
lichkeit.

ders ſeine Handlungen beſtimme. Daher
nennet man das ſittlich unmoͤglich(mo-
raliter impoſſibile),
was der Natur des
Menſchen, als eines vernuͤnftig handelnden
Weſens, wiederſpricht; ſittlich moͤg-
lich
(moraliter poſſibile) aber iſt,
was derſelben nicht wiederſpricht, oder
mit derſelben uͤbereinkoͤmt, das iſt, wel-
ches einen hinreichenden Grund in der-
ſelben hat. Und ſittlich nothwen-
dig
(moraliter neceſſarium) iſt dasjenige,
deſſen Gegentheil (moraliſch) ſittlich unmoͤg-
lich iſt. Die ſittliche Nothwendigkeit zu
handeln ſelbſt iſt die Verbindlichkeit
(obligatio), welche wir die leidende
(obligationem paſſivam), in Gegenſatze ge-
gen die thaͤtige (§. 36.), nennen. Gemei-
niglich nennt man ſie ſchlechtweg die Ver-
bindlichkeit (die Obligation), und giebt auf
die thaͤtige Verbindlichkeit nicht Achtung.
Daß niemand dazu verbunden wer-
den koͤnne, was entweder an und
vor ſich ſelbſt, oder ihm unmoͤglich
iſt;
darf nicht bewieſen werden.


§. 38.
Wie die
natuͤrli-
che Ver-
bindlich-
keit be-
ſchaf-
fen ſey.

Dieſe Verbindlichkeit aber ſo wohl die
thaͤtige, als leidende: welche ſelbſt aus der
Natur koͤmt, wird die natuͤrliche(natu-
ralis)
genant. Daß alſo die natuͤrli-
B 5che
[26]I. Th. 2. H. Von der Verbindlichkeit,
che Verbindlichkeit diejenige iſt, wel-
che ihren hinreichenden Grund ſelbſt in
dem Weſen und der Natur des Menſchen
und der uͤbrigen Dinge hat. Da nun
dieſe unveraͤnderlich und nothwendig iſt;
ſo iſt die natuͤrliche Verbindlichkeit
auch unveraͤnderlich und nothwendig;
weil dieſelbe alſo bald da iſt, als man
das Weſen und die Natur des Men-
ſchen und der uͤbrigen Dinge annimt.


§. 39.

Ein na-
tuͤrliches,
wilkuͤhr-
liches, ein
goͤttliches
u. menſch-
liches Ge-
ſetz.

Ein Geſetz nennt man die Vorſchrift,
nach welcher wir unſere Handlungen einzu-
richten verbunden ſind. Man nennt dasje-
nige ein natuͤrliches Geſetz, welches ſei-
nen hinreichenden Grund ſelbſt in der Na-
tur des Menſchen und der Dinge hat. Aber
ein wilkuͤhrliches(lex poſitiva) iſt das-
jenige, deſſen Verbindlichkeit von dem
Willen eines vernuͤnftigen Weſens abhaͤn-
get; und beſonders iſt es ein goͤttliches
Geſetz,
wenn es von dem Willen Gottes,
ein menſchliches (weltliches) aber, wenn
es von dem Willen eines Menſchen abhaͤn-
get. Das Geſetz der Natur, wird gemei-
niglich auch das Recht der Natur
genannt.


§. 40.

Die Un-
veraͤn-
derlich-
keit des

Das Geſetz der Natur iſt unveraͤn-
derlich und nothwendig.
Denn weil
das Geſetz der Natur
den hinreichen-
den
[27]dem Rechte und Geſetze ꝛc.
den Grund in der Natur des MenſchenGeſetzes
der Na-
tur.

und der Dinge ſelbſt hat (§. 39.); und
alſo eine natuͤrliche Verbindlichkeit
in ſich faſſet
(§. 38.), dieſe aber unver-
aͤnderlich und nothwendig iſt; ſo muß es
auch das Geſetz der Natur ſeyn (§. cit.).


§. 41.

Da das Weſen und die Natur des Men-Der Ur-
heber des
Geſetzes
der Na-
tur.

ſchen und der Dinge von GOtt ihren Ur-
ſprung haben, und man, bey deren Anneh-
mung, ſogleich das Geſetz der Natur (§. 40.)
und deſſelben Verbindlichkeit (§. 38.) an-
nehmen muß; ſo iſt der Urheber des
Geſetzes der Natur GOtt ſelbſt, der
den Menſchen verbindet, ſeine Hand-
lungen demſelben gemaͤß einzurich-
ten;
und alſo iſt die natuͤrliche Ver-
bindlichkeit
auch eine goͤttliche; und
das natuͤrliche Geſetz iſt auch ein
goͤttliches
(§. 39.).


§. 42.

Auf gleiche weiſe beweiſen wir, daß dasDie All-
gemein-
heit des
Geſetzes
der Na-
tur.

Geſetz der Natur alle Menſchen ver-
binde; und daß von der natuͤrlichen
Verbindlichkeit kein Meuſch befreyt
werden koͤnne;
weil naͤmlich das natuͤr-
liche Geſetz den hinreichenden Grund in der
Natur des Menſchen und der Dinge ſelbſt
hat (§. 39.), und die Verbindlichkeit,
welche daſſelbe in ſich begreift (§. 40.), al-
ſo bald ſtatt findet, wenn man die Natur und
das
[28]I. Th. 2. H. Von der Verbindlichkeit,
das Weſen der Menſchen und der uͤbrigen
Dinge annimt (§. 38.).


§. 43.

Der al-
gemeine
Grund-
ſatz des
Rechts
der Na-
tur.

Aus eben demſelben Grunde, verbin-
det uns das Geſetz der Natur, die
Handlungen auszuuͤben, welche die
Vollkommenheit des Menſchen und
ſeines Zuſtandes befoͤrdern; und die-
jenigen zu unterlaſſen, welche ſeine
und ſeines Zuſtandes Unvollkommen-
heit befoͤrdern;
folglich, die freyen
Handlungen mit den natuͤrlichen,
durch eben dieſelben Endurſachen,
nicht aber durch verſchiedene zu be-
ſtimmen
(§. 36. 39.); und gleichfals
alle Gefahr von uns und unſerm Zu-
ſtande abzuwenden.
Dieſer Grundſatz
des Rechts der Natur (principium juris
naturæ)
iſt gantz allgemein. Aus demſel-
ben werden, durch eine beſtaͤndige Ver-
bindung von Schluͤſſen, alle Wahrheiten
hergeleitet, welche zum Rechte der Natur
gehoͤren; wie aus dem folgenden, hinlaͤng-
lich klar werden wird. Diejenigen, wel-
che aus dem Willen GOttes das Recht der
Natur herleiten wollen, muͤſſen dieſen
Grundſatz zulaßen, weil GOtt die Men-
ſchen verbindet, ihre Handlungen dem Geſetz
der Natur gemaͤß einzurichten (§. 41.).


§. 44.

Daß und
wie die

Unter den Menſchen treffen wir die Be-
duͤrfnis
[29]dem Rechte und Geſetze ꝛc.
duͤrfnis an, daß niemand ſich und ſeinenMen-
ſchen un-
ter ein-
ander ei-
ner gegen
den an-
dern ver-
bunden
iſt.

Zuſtand allein vollkommen machen kann;
ſondern ein jeder anderer Huͤlfe noͤthig hat.
Da nun das Geſetz der Natur die Menſchen
verbindet, ſich und ihren Zuſtand vollkom-
mener zu machen, und die Unvollkommen-
heit abzuwenden (§. 43.); ſo verbindet
das Recht der Natur die Menſchen,
1) ſich und ihren Zuſtand mit verei-
nigten Kraͤften vollkommener zu ma-
chen; und ein jeder iſt verbunden, zur
Vollkommenheit des andern ſo viel
beyzutragen, als er kann;
folglich ſo viel
ohne Schaden der Verbindlichkeit
gegen ſich ſelbſt
(§ 42.), in den Faͤl-
len, in welchen einer des andern
Huͤlfe noͤthig hat, geſchehen kann;

weil es keinem frey ſtehet, daß er die Ver-
bindlichkeit, die er ſich ſelbſt ſchuldig iſt, ver-
abſaͤume (§. cit.): 2) auch alle Hand-
lungen zu unterlaßen, wodurch der
andere, oder ſein Zuſtand unvollkom-
mener gemacht wird.


§. 45.

Weil ein jeder ſchuldig iſt, ſeiner Verbind-Von
demjeni-
gen, was
noͤthig
iſt, damit
der Ver-
bindlich-
keit ein
Genuͤge
geſchehe.

lichkeit ein Genuͤge zu leiſten (§. 42.); ſo
ſtehet einem jeden frey, das zu thun,
ohne welchem er ſeiner Verbindlich-
keit kein Genuͤge leiſten, oder dieſel-
be nicht erfuͤllen kann.
Wie weit ſich
dieſe Freyheit erſtrecket, muß man aus der
Noth-
[30]I. Th. 2. H. Von der Verbindlichkeit,
Nothwendigkeit derjenigen Dinge beurthei-
len, die zur Erfuͤllung der natuͤrlichen Ver-
bindlichkeit erfordert werden.


§. 46.

Was das
Recht iſt
u. der Ur-
ſprung
deſſel-
ben.

Die Faͤhigkeit, oder das moraliſche Ver-
moͤgen etwas zu thun, oder zu unterlaſſen,
wird das Recht genannt. Daher erhel-
let, daß das Recht aus der leidenden
Verbindlichkeit entſtehe; und daß
kein Recht ſeyn wuͤrde, wenn keine
Verbindlichkeit da waͤre; wie auch,
daß uns durch das natuͤrliche Geſetze
ein Recht zu allen denjenigen Hand-
lungen gegeben werde, ohne welche
wir die natuͤrliche Verbindlichkeit
nicht erfuͤllen koͤnnen
(§. 45.). Alſo
hat man ein Recht zum Gebrauch der Spei-
ſen; weil wir verbunden ſind unſeren Leib
zu erhalten, und dieſes beſtehet in der Faͤ-
higkeit, die Speiſen dieſer Verbindlich-
keit gemaͤß einzurichten. Wenn uns al-
ſo das Geſetze der Natur zu einem
Zweck verbindet, ſo giebt es uns
auch ein Recht zu den Mitteln;
folg-
lich, wenn nur ein eintziges Mittel da
iſt, ſo bedienen wir uns auch deſſel-
ben mit Recht.
Denn es iſt ohnmoͤg-
lich, daß man einen Zweck erhalten kann, oh-
ne ſich der Mittel zu bedienen.


§. 47.

Ein ge-
biethen-

Das Geſetz der Natur nennt man ein
Geboth,
[31]dem Rechte und Geſetze ꝛc.
Geboth, oder gebiethendes Geſetzdes, ver-
biethen-
des, er-
lauben-
des Ge-
ſetz.

(præceptiva), welches uns verbindet, Hand-
lungen auszuuͤben; ein (Verboth), oder
verbiethendes Geſetz(lex prohibitiva),
welches uns verbindet, Handlungen zu unter-
laſſen; eine Erlaubniß, oder ein erlau-
bendes Geſetz
(permiſſiva), welches uns
das Recht giebt, etwas zu thun, oder zu un-
terlaſſen. Eben dieſe Eintheilung findet
auch bey den wilkuͤhrlichen Geſetzen (legibus
poſitivis)
ſtat.


§. 48.

Die Natur des Me[n]ſchen iſt ſo beſchaf-Ein voll-
kommen-
machen-
des Geſetz
der Na-
tur.

fen, daß er dasjenige dem andern vorzieht,
von welchem er erkennet, daß es beſſer ſey,
als das andere. Es iſt aber die natuͤrliche
Verbindlichkeit da, ſo bald die Natur und
das Weſen des Menſchen und der Dinge
da iſt (§. 38.), und das Geſetz der Natur
enthaͤlt die natuͤrliche Verbindlichkeit in ſich
(§. 40.); daher verbindet uns auch das
Geſetz der Natur, dasjenige, was beſ-
ſer iſt, dem andern vorzuziehen;
und
in ſo weit, als es uns hierzu verbindet, wird
es ein volkommenmachendes Geſetz
(lex perfectiva) genennet.


§. 49.

Das, was wir auszuuͤben verbunden ſind,Was
ſchuldig,
was er-
laubt u.
uner-
laubt iſt.

iſt unſere Schuldigkeit(debitum); das
was mir verbunden ſind, nicht auszuuͤben
oder zu unterlaſſen, iſt unerlaubt(illici-
tum);
[32]I. Th. 2. H. Von der Verbindlichkeit,
tum); das, zu deſſen Ausuͤbung wir nur
das Recht haben, iſt erlaubt(licitum).
Die natuͤrliche Schuldigkeit koͤmt
alſo von einem natuͤrlichen Geboth;
das Unerlaubte von einem Verboth;
das Erlaubte von einer Zulaſſung

(§. 47.). Ehrbahr oder Ehrlich(hone-
ſtum)
nennt man alles dasjenige, was mit
dem Geſetze der Natur uͤbereinſtimmet, daß
alſo derjenige ein ehrlicher Mann(ho-
neſtus)
genennet wird, der alle ſeine
Handlungen nach der Richtſchnur des Geſe-
tzes der Natur einrichtet; in ſo weit er
naͤmlich nichts vornehmen will, als nur das,
was er, ohne Nachtheil ſeiner Verbindlich-
keit, und Vermoͤge ſeines Rechtes vorneh-
men kann. Daher iſt ferner klar, was
das heiſſe: als ein ehrlicher Man leben,
oder einen Ehrbahren Wandel fuͤh-
ren
(honeſte vivere).


§. 50.

Daß der
Gebꝛauch
des
Rechts
nicht
verhin-
dert wer-
den
muͤße.

Wenn andere das Recht haͤtten, den Ge-
brauch des Rechts zu verhindern; ſo wuͤr-
den wir gar keinen haben. Ja das Geſetz
der Natur wuͤrde ſich ſelbſt zuwieder ſeyn,
wenn es dem einen ein Recht gaͤbe, etwas
vorzunehmen; und dem andern das Recht
zugeſtuͤnde, den Gebrauch dieſes Rechts nach
ſeinem Gefallen zu verhindern: da dieſes nun
offenbahr wiederſprechend iſt; ſo verbin-
det das Geſetz der Natur, indem

es
[33]dem Rechte und Geſetze ꝛc.
es uns ein Recht giebt, auch die uͤbri-
gen den Gebrauch dieſes Rechts nicht
zu verhindern,
und daher erwaͤchſt uns
das Recht nicht zu leiden, daß wir ver-
hindert werden;
folglich dem zu wie-
derſtehen, der ſich bemuͤhet uns zu hin-
dern.
Es iſt alſo klar, daß die Erlaubniß,
nach der Erklaͤrung eines Geſetzes uͤberhaupt,
ein Geſetz genennet werde (§. 39. 47.).


§. 51.

Ein Geboth iſt zugleich ein Ver-Ein Ge-
both iſt
ein Ver-
both des
Gegen-
theils.

both des Gegentheils. Denn weil die Ver-
bindlichkeit in der moraliſchen Nothwendigkeit
zu handeln beſtehet (§. 37.), die natuͤrliche
Verbindlichkeit aber gantz unveraͤnderlich iſt
(§. 38.); ſo verbindet eben zugleich das Geſetz
der Natur das Gegentheil zu unterlaſſen,
iudem es uns etwas zu thun verbindet.


§. 52.

Das Geſetz der Natur verbinderDie Ver-
bindlich-
keit recht
zu han-
deln.
Was
richtig
iſt.

uns, uns vollkommener zu machen (§. 43.),
folglich auch einen uͤbereinſtimmenden
Gebrauch aller Kraͤffte bey den Hand-
lungen zu erhalten
(§. 9.). Da nun die
Richtigkeit der Handlungen von dem uͤberein-
ſtimmenden Gebrauch aller Kraͤfte abhaͤngt (§.
16.); ſo verbindet es uns recht zu han-
deln. Und recht
(rectum) iſt dasjenige, in
welchem von Seiten keiner Kraft etwas mehr
erfordert werden kann.


§. 53.

Weil bey einer richtigen Handlung, von Sei-Was zur
Richtig-

Nat. u. Voͤlckerrecht. Cten
[34]I. Th. 2. H. Von der Verbindlichkeit,
keit der
Hand-
lung er-
fordert
wird.
ten keiner Kraft, etwas fehlen darf (§. 52.);
ſo wird zu einer richtigen Handlung
erfordert von Seiten des Verſtandes 1)
ein hinlaͤnglich beſtimmter Begriff der
Handlung, und ein wahres Urtheil
von ihrer Guͤte oder Schaͤdlichkeit,
oder von dem Rechte das uns zukoͤmt;
2) von Seiten des Willens und Nicht-
wollens
daß der Wille beſtimmet wird,
durch die innre Guͤte, oder das Recht
das uns zukoͤmt, das Nichtwollen
aber
durch das innere Uebel, oder durch den
Mangel des Rechts;
3) endlich von Sei-
ten der bewegenden Kraft eine Bewe-
gung der Theile des Koͤrpers, die mit den
inneren Handlungen uͤbereinſtimmet
(§.
16. 14. 43. 46.). Dieſes erſtreckt ſich weiter, als
es dem erſten Anſehen nach ſcheinet, weil die Rich-
tigkeit auf alle Arten der Handlungen, ſie moͤ-
gen beſchaffen ſeyn, wie ſie wollen, ſich erſtreckt.


§. 54.

Das
wohlan-
ſtaͤndige
und un-
anſtaͤndi-
ge.

Man ſagt dasjenige ſtehe einen wohl
an
(hominem decet), welches einigen Grund
in denen Eigenſchafften hat, die in demſelben
befindlich ſind, oder von welchem man ſich
vorſtellet, daß ſie ſich in ihm, oder in ſeinem
Zuſtand befinden, warum er ſo vielmehr, als
anders handeln muß. Das aber iſt unan-
ſtaͤndig
(dedecet), was mit einer von denen
Eigenſchafften, die in ihm ſind, oder von welchen
man ſich vorſtellet, daß ſie ſich in ihm befinden,
oder mit ſeinem Zuſtande nicht uͤbereinſtimmt,
oder demſelben wiederſpricht. Dasjenige, was
dem
[35]dem Rechte und Geſetze ꝛc.
dem Menſchen wohl anſtehet, wird der Wohl-
ſtand,
und was ihm unanſtaͤndig iſt der Uebel-
ſtand
genennet.


§. 55.
Das na-
tuͤrliche
Geſetz
des
wohlan-
ſtaͤndi-
gen.

Da das Geſetz der Natur auf die Vol-
kommenheit des Menſchen dringet (§. 43.),
und folglich keinen Wiederſpruch der aͤuſſe-
ren Handlungen leidet (§. 9. 10.); ſo ver-
bindet es auch die wohlanſtaͤndigen
Handlungen auszuuͤben, und die un-
anſtaͤndigen zu unterlaſſen. Man hat

alſo ein natuͤrliches Geſetz des Wohl-
anſtaͤndigen.
Dieſes natuͤrliche Wohlan-
ſtaͤndige, auf welches das Geſetz der Natur
dringet, muß nicht mit dem willkuͤhrlichen
(arbitrario) verwechſelt werden, welches nur
bloß nach den Meinungen der Menſchen fuͤr
wohlanſtaͤndig angeſehen wird Aus dem, was bis
hieher geſagt worden, erhellet von was vor einem
weiten Umfang das Recht der Natur ſey.


§. 56.

Das Recht der Natur hat einen hinrei-Von dem
Unter-
ſcheide
des
Rechts
der Na-
tur in ſo
weit es
in her
Natur
des Men-
ſchen ge-
gruͤndet.

chenden Grund in der Natur und dem We-
ſen der Menſchen (§. 39.). Wenn es alſo
denſelben in der Natur und Weſen hat, wel-
che den Menſchen und den Thieren gemein iſt,
ſo heiſt es das Menſchen und Thiere ge-
meine Recht der Natur
(jus naturae
hominum \& brutorum commune);
die Roͤ-
miſchen Rechtsgelehrten nennen es das
Recht der Natur
im eingeſchraͤnckteren
Verſtande. Wenn es aber in der Natur und
C 2dem
[36]I. Th. 2. H. Von der Verbindlichkeit,
dem Weſen, welche den Menſchen eigen-
thuͤmlich iſt, oder in demjenigen, worinn
der Menſch von den Thieren unterſchieden
iſt, ſeinen hinreichenden Grund hat; ſo heiſt
es das den Menſchen eigene Recht(ius
hominum proprium);
bey den Roͤmiſchen
Rechtsgelehrten das Voͤlcker-Recht(jus
gentium.)
. Wenn es endlich in demjenigen
ſeinen hinreichenden Grund hat, welches in
einigen einzelnen Menſchen, oder in einem be-
findlich, ſo nennt man es, einiger Men-
ſchen, oder eines einigen, eigenes
Recht
(jus qvorundam, aut unius proprium).
Daher erhellet zugleich, welche Verbindlich-
keiten allen Menſchen gemein
(obliga-
tiones omnium hominum communes),
und
welche einigen oder einem allein ei-
gen ſind
(qvorundam, vel unius propriae).
Eben dieſes muß man auch von den Rechten
annehmen, die aus dieſen Verbindlichkeiten
flieſſen (§. 46.). Und daher ſind einige
Menſchen zu mehreren Dingen ver-
bunden, als die uͤbrigen;
wie an ſeinem
Orte deutlicher gelehret wird.


§. 57.

Erklaͤ-
rung und
Einthei-
lung der
Pflicht.

Eine Handlung, die nach dem Geſetz be-
ſtimmt iſt, in ſo weit als wir verbunden ſind die-
ſelbe alſo zu beſtimmen, wird die Pflicht
(officium) genennet; und beſonders die
Pflicht gegen ſich ſelbſt, welche der
Menſch ſich ſelbſt ſchuldig iſt; die Pflicht
gegen andere,
welche er andern ſchuldig
iſt,
[37]dem Rechte und Geſetze ꝛc.
iſt; und endlich die Pflicht gegen GOtt,
welche wir GOtt ſchuldig ſind. Daß es
Pflichten gebe, die allen Menſchen ge-
mein ſind, und Pflichten, die nur ei-
nige oder einen betreffen,
iſt aus dem,
was eben erſt (§. 56.) geſagt worden, klar.


§. 58.

Eine Handlung, die dem Geſetz der NaturWas
Suͤnde,
Ueber-
tretung
und
Beob-
achtung
des Geſe-
tzes ſey.

zuwieder iſt, nennt man eine Suͤnde, und
ſie iſt eine Begehungsſuͤnde(peccatum
commiſſionis),
wenn ſie in einer vollbrachten
Handlung beſtehet; eine Unterlaſſungs-
ſuͤnde
(peccatum omiſſionis) aber, wenn ſie
in einer unterlaſſenen Handlung beſtehet,
wenn naͤmlich dasjenige nicht geſchiehet,
was wir zu thun verbunden waren. Gleich-
wie man aber ſagt, daß derjenige ein Ge-
ſetz halte,
(beobachte, ſervare legem), der
das thut, was das Geſetz zu thun verbindet,
und das unterlaͤßt, was es verbiethet; alſo
uͤbertrit der das Geſetz(legem transgredi-
tur),
welcher das Gegentheil thut, oder ſuͤn-
diget. Daher erhellet, was die Uebertre-
tung des Geſetzes
(transgreſſio legis) ſey;
der die Beobachtung des Geſetzes(cu-
ſtodia legis)
entgegen geſetzet wird, welches
die Bemuͤhung iſt, das Geſetz zu halten.


§. 59.
Wenn
man
Pflichten
gegen
andere
abſchla-
gen kann.

Man iſt andern keine Pflichten ſchuldig, als
in ſo fern derjenige, der ſie leiſten ſoll, das
Vermoͤgen dazu hat, und der andere nicht
im Stande iſt, das, was er verlangt, ſelſt zu
C 3thun,
[38]I. Th. 2. H. Von der Verbindlichkeit,
thun, oder ſich zu verſchaffen (§. 44. 57.). Wenn
derowegen nicht in unſerm Vermoͤgen
iſt dem andern eine Pflicht zu leiſten, oder
der andere kan ſich ſelbſt rathen; ſo kann
man ſein Begehren mit Recht abſchla-
gen
(§. 46.). Daher iſt zugleich klar, wenn
man unrechtmaͤßiger weiſe einem eine Pflicht
verſaget, und wenn man ſolglich durch die-
ſes Abſchlagen ſuͤndiget (§. 58).


§. 60.

Was in
unſerm
Vermoͤ-
gen ſte-
het, und
was nicht
in unſern
Vermoͤ-
gen ſte-
het.

Es iſt alſo nothwendig, daß man gehoͤriger
maſſen erwege, was in unſerm Vermoͤgen,
und was nicht in demſelben ſtehet. Es ſte-
het
naͤmlich in unſerem Vermoͤgen(in po-
teſtate noſtra eſt),
was wir durch den Gebrauch
unſerer Kraͤfte, ſo wohl des Leibes als der See-
len, Dinge die uns zugehoͤren, und durch an-
derer Huͤlffe und Beyſtand erhalten, oder
vermeiden koͤnnen. Es ſtehet aber nicht
in unſern Vermoͤgen,
was wir durch den
Gebrauch unſerer Kraͤfte des Leibes und der
Seele, und der Dinge die uns zugehoͤren,
wie auch durch anderer Beyſtand und Huͤlfe
zu erhalten, oder zu vermeiden nicht im Stan-
de ſind. Es iſt uns aber allein zuzu-
rechnen, daß etwas nicht in unſerm
Vermoͤgen ſtehet,
wenn wir ſelbſt Ur-
ſache ſind, warum es nicht in unſerm
Vermoͤgen iſt
(§. 3.). Es hat dieſe Be-
trachtung nicht allein ihren Nutzen, wenn wir
andern unſere Pflichten erweiſen; ſondern
auch bey anderen Arten der Handlungen. Al-
ſo
[39]dem Rechte und Geſetze ꝛc.
ſo erſtreckt ſich keine Verbindlichkeit
uͤber unſer Vermoͤgen
(§. 37.).


§. 61.

Die Pflichten gegen andere, zu deren Lei-Liebes-
Dienſte
und der-
ſelben
Verſa-
gung.

ſtung ein Menſch dem andern natuͤrlicher
Weiſe verbunden iſt, werden gemeiniglich
Liebes-Dienſte(officia humanitatis), Hoͤf-
lichkeits-Pflichten genennt. Dieſelben ver-
ſagt man andern alſo mit Recht, wenn
es nicht in unſerm Vermoͤgen iſt, ſie
zu erweiſen, oder der andere unſere
Huͤlffe nicht braucht
(§. 59.). Folglich
wenn die Perſon, von der etwas be-
gehret wird, es nicht thun kan, oder
darf
(§. 60.); oder wenn dasjenige,
was geſchehen ſoll, an ſich, oder ver-
moͤge des Geſetzes unmoͤglich iſt;
2)
oder die Perſon, welcher der Dienſt ge-
leiſtet werden ſoll, nicht ſo beduͤrftig
iſt, daß ſie ſich ſelbſt nicht zu helffen
weiß
(§. 17.).


§. 62.

Uebrigens iſt diejenige Verbindlichkeit eineEine ur-
ſpruͤngli-
che und
eine her-
geleitete
Verbind-
lichkeit.

urſpruͤngliche(obligatio primitiva), die
ihren naͤchſten Grund in dem Weſen und in
der Natur des Menſchen hat; hingegen eine
hergeleitete(obligatio derivativa), welche
ihren Grund in einer andern Verbindlichkeit,
oder in andern Verbindlichkeiten und Rech-
ten zugleich hat. Eben dieſes gilt von den
Pflichten (§. 57.); und weil aus den Ver-
bindlichkeiten die Rechte herkommen (§. 46),
C 4auch
[40]I. Th. 2. H. Von der Verbindlichkeit,
auch von den Rechten. Denn es iſt eine be-
ſtaͤndige Verbindung zwiſchen allen Verbind-
lichkeiten und Rechten, daß eines aus dem
andern durch eine ununterbrochene Reihe
von Schluͤſſen hergeleitet werden kann; und
alſo alle einen Jnbegriff verbundener Wahr-
heiten ausmachen, welches ein Syſtem ge-
nennet wird, und von uns ein wahres Sy-
ſtem
(ſyſtema veri nominis); weil dieſe
vortrefliche Benennung, wie es auch bey an-
dern zu geſchehen pflegt, gar zu ſehr gemiß-
brauchet wird.


§. 63.

Der
Streit
der Geſe-
tze und
die Aus-
nahme.

Es traͤgt ſich bey vorkommenden Faͤllen oͤff-
ters zu, daß man mehrere Geſetze der Natur,
die man zugleich beobachten ſolte, nicht zu-
gleich beobachten kann; ſo ſagt man, daß die
Geſetze gegen einander ſtreiten
(leges
inter ſe collidunt)
. Weil man nun eines
dem andern vorziehen muß, ſo geſchieht eine
Ausnahme
(exceptio), und das Geſetz
wird vorgezogen(vincit), welchem man
ein Genuͤge leiſtet; dasjenige aber wird nach-
geſetzet
(cedit), welchem man kein Genuͤ-
ge leiſten kann.


§. 64.

Von der
Colliſion,
oder dem
Streit
der Ge-
ſetze.

Alſo iſt klar, daß bey der Colliſion der
Gebothe von den Pflichten gegen ſich
ſelbſt und gegen andere, in dem Fall
der Colliſion, der Pflichten gegen ſich
ſelbſt und gegen andere, die Pflichten
gegen ſich ſelbſt vorgezogen werden;

weil
[41]dem Rechte und Geſetze ꝛc.
weil das Geboth von den Pflichten gegen an-
dere die Ausnahme wuͤrcklich in ſich begreift
(§. 44. 59.). Und weil ein Geboth etwas
auszuuͤben, ein Verboth etwas zu unterlaßen,
verbindet (§. 47.); eine Erlaubniß aber nur
ein Recht giebt, etwas auszuuͤben (§. cit.),
folglich die Handlung nur zu einer erlaubten
Handlung machet; ſo muß bey der Colli-
ſion eines Geboths oder Verboths mit
einer Erlaubniß, das Geboth oder
Verboth vorgezogen werden
(§. 37.).
Weil das Verboth das, was das Geboth for-
dert, in dem Falle moraliſch unmoͤglich
macht (§. 37. 47.); ſo muß das Verboth
dem Geboth vorgezogen werden
(§.
37.). Eben auf die Weiſe wird bey der
Colliſion von Gebothen das, was uns
zu groͤſſerer Vollkommenheit verbin-
det, vorgezogen
(§. 48.). Andere Faͤlle
werden wir am gehoͤrigen Ort vortragen.
Denn wie es das Syſtem uͤberhaupt nicht
anders zulaͤßt; alſo gehet es auch bey demje-
nigen nicht anders an, was eine Nachahmung
deſſelben ſeyn ſoll. Eben dieſes nehmen wir
auch in andern Faͤllen in acht.


§. 65.

Es kann geſchehen, daß wir zu demjeni-Von der
Colliſion
einerley
Pflichten.

gen noch aus einer andern Urſach verbunden
ſind, wozu wir ſchon uͤberhaupt einem jeden,
weil er ein Menſch iſt, verbunden ſind; und
daß alſo die Verbindlichkeit, die aus einer
zwiefachen Urſache, oder aus mehrern ent-
C 5ſteht,
[42]I. Th. 2. H. Von der Verbindlichkeit,
ſteht, ſtaͤrcker wird. Daher wenn einer-
ley Liebes-Dienſt mehrern geleiſtet
werden ſoll; ſo wird, im Fall eine Col-
liſion entſtehet, die ſtaͤrckere Verbind-
lichkeit vorgezogen;
oder derjenige
muß vorgezogen werden, dem wir
mehr verbunden ſind.


§. 66.

Von dem
Gebꝛauch
des
Rechts.

Der Gebrauch des Rechts(exercitium
iuris)
begreift alle Handlungen in ſich, die
vermoͤge deſſelben demjenigen erlaubt ſind, dem
das Recht zukoͤmmt. Denn das Recht ſelbſt
beſtehet in der bloſſen Moͤglichkeit zu handeln
(§. 46.). Und derjenige bedient ſich ſeines
Rechts
(jure ſuo utitur), der dasjenige
wuͤrcklich thut, was er vermoͤge ſeines Rech-
tes thun kann. Derowegen muß niemand
in dem Gebrauch ſeines Rechts verhin-
dert werden
(§. 50.). Da uns nun des-
wegen ein Recht gegeben wird, damit wir
der Verbindlichkeit ein Genuͤgen leiſten koͤn-
nen (§. 46.); ſo iſt das der rechte Ge-
brauch des Rechts, welchen die Pflich-
ten erfordern (§. 57.). Jm Gegentheil be-
ſteht der Mißbrauch.


§. 67.

Von der
Bekant-
machung
des Ge-
ſetzes.

Die Bekanntmachung des Geſetzes
(legis promulgatio) iſt die Handlung, wo-
durch denjenigen das Geſetze kund gemacht
wird, die es verbinden ſoll. Da nun das
Geſetz der Natur ſeinen hinreichenden
Grund in der Natur und dem Weſen! des
Men-
[43]dem Rechte und Geſetze ꝛc.
Menſchen und der Dinge hat (§. 39.); ſo
wird durch dieſelbe erkannt, wozu es uns
verbindet und ein Recht giebt; folglich, da
wir dieſes durch den Gebrauch unſeres Ver-
ſtandes erkennen koͤnnen, ſo iſt keine Be-
kantmachung bey demſelben noͤthig.

Da aber die willkuͤhrlichen Geſetze von
dem Willen eines andern herkommen (§. 39.),
den man nicht weiß, wenn er nicht bekannt
gemacht wird; ſo muͤſſen ſie bekannt ge-
macht werden, und koͤnnen auch nicht
eher verbinden, als nachdem ſie oͤf-
fentlich bekannt gemacht worden ſind.

Da nun die Verbindlichkeit von dem Willen
des Geſetzgebers koͤmmt (§. cit.); ſo verbin-
den ſie entweder von der Zeit an, da
ſie bekannt gemacht worden ſind, oder
von der beſtimten Zeit
(termino),wel-
che in dem Geſetz angezeigt worden.

Wem aber das Recht zukomme, Geſetze zu ge-
ben, wird am gehoͤrigen Orte vorgetragen
werden.


Das dritte Hauptſtuͤck.


Von der allgemeinen Verbindlich-
keit und dem allgemeinen Recht der
Menſchen uͤberhaupt.


§. 68.

Die allgemeine Verbindlichkeit(ob-Die all-
gemeine
Verbind-
lichkeit.

ligatio univerſalis) iſt diejenige, die
jeden Menſchen verbindet, in ſo fern
er
[44]I. Th. 3. H. Von der allgem. Verbindl.
Das all-
gemeine
Recht.
er ein Menſch iſt. Und das allgemeine
Recht
(jus univerſale), was aus derſelben
entſtehet (§. 46.), iſt dasjenige, was einem je-
den Menſchen zukoͤmmt, in ſo fern als er ein
Menſch iſt.


§. 69.

Daß es
allgemei-
ne Ver-
bindlich-
keiten u.
Rechte
gebe, und
welche
dieſelben
ſind.

Weil die natuͤrliche Verbindlichkeit ſelbſt
in der Natur und dem Weſen des Menſchen
ihren hinreichenden Grund hat, und mit der-
ſelben zugleich da iſt (§. 38.), und weil die
Natur und das Weſen uͤberhaupt bey allen
Menſchen einerley iſt; ſo iſt die Verbind-
lichkeit, die der Menſch als ein Menſch
erfuͤllen muß, bey allen Menſchen ei-
nerley;
und folglich ſind auch die Rech-
te, die dem Menſchen zukommen, in ſo-
fern als er ein Menſch iſt, bey jedem
Menſchen einerley.
Alſo iſt klar, daß
es allgemeine Verbindlichkeiten und
allgemeine Rechte gebe.
Ja, da in dem
Rechte der Natur diejenigen vornaͤmlich vor-
getragen werden, welche aus der Natur und
dem Weſen, ſo allen Menſchen gemein, her-
geleitet werden; ſo werden auch in demſelben
vorzuͤglich allgemeine Verbindlichkeiten und
allgemeine Rechte erklaͤret.


§. 70.

Die na-
tuͤrliche
Gleich-
heit der
Men-
ſchen.

Jm moraliſchen Verſtande ſind die Men-
ſchen
einander gleich(homines æquales),
deren Rechte und Verbindlichkeiten einerley
ſind; aber ungleich(inæquales) diejenigen,
deren Verbindlichkeiten und Rechte nicht ei-
nerley
[45]und dem allgem. Recht der Menſchen.
nerley ſind. Die Menſchen ſind alſo als
Menſchen von Natur einander gleich
(§. 69.).


§. 71.

Da ein Vorrecht(prærogativa) dasjeni-Es giebt
kein na-
tuͤrliches
Vorrecht

ge iſt, welches einem vor dem andern, mit
dem er ſonſt gleiches Recht hat, zukoͤmmt;
ſo hat kein Menſch von Natur als ein
Menſch ein Vorrecht; und daher
giebt es auch kein natuͤrliches Vor-
recht
(§. 70.).


§. 72.

Ja, weil jeder Menſch von Natur mit demVon dem
was er-
laubt und
uner-
laubt, u.
was man
ſchuldig
iſt.

andern einerley Rechte und einerley Verbind-
lichkeiten hat (§. 69.); ſo iſt dasjenige,
was natuͤrlicher Weiſe dem einen, in
ſo weit als er ein Menſch iſt, erlaubt
iſt, auch dem andern erlaubt; ja, was
einer dem andern ſchuldig iſt, das iſt
der andere ihm auch ſchuldig
(§. 49.).


§. 73.

Daher iſt ferner klar, das, was manWas der
andere
thun und
nicht thun
ſoll; und
die Be-
ſtaͤndig-
keit der
Pflichten
gegen an-
dere.

rechtmaͤßiger Weiſe nicht will, daß es
uns von andern geſchehe, das muß
man einem andern auch nicht thun;
und was man rechtmaͤßiger Weiſe
will, daß es geſchehen ſoll, das muß
man auch gegen andere ausuͤben.
Die-
jenigen, welche anders handeln, ſtreben nach
einem Vorrecht, und dergleichen findet von
Natur unter den Menſchen nicht ſtatt (§. 71.);
ſie heben auch die natuͤrliche Gleichheit auf
(§. 69.),
[46]I. Th. 3. H. Von der allgem. Verbindl.
(§. 69.), welche in Anſehung der allgemeinen
Verbindlichkeiten und Rechte ſo lange beſte-
het, als der Menſch ein Menſch iſt, folglich
ſo lange er lebet. Wenn alſo auch Un-
gleichheiten unter den Menſchen ein-
gefuͤhrt werden;
denn daß dieſes geſche-
hen koͤnne, wird am gehoͤrigen Ort bewieſen;
ſo bleibet man ihnen doch das ſchul-
dig, was ein Menſch dem andern zu
leiſten ſchuldig iſt,
oder die Liebes-
Dienſte
(§. 61.).


§. 74.

Vom an-
gebohr-
neu
Rechte.

Das angebohrne Recht(jus connatum)
nennt man dasjenige, welches aus einer an-
gebohrnen Verbindlichkeit entſtehet. Es iſt
aber eine angebohrne Verbindlichkeit
(obligatio connata) diejenige, welche aus der
Natur und dem Weſen des Menſchen noth-
wendig erfolget, und davon nicht getren-
net werden mag. Da nun dieſe wegen
der Unveraͤnderlichkeit des Weſens und
der Natur unveraͤnderlich iſt, davon ſie
gar nicht getrennet werden kann; ſo iſt auch
das angebohrne Recht ſo genau mit
dem Menſchen verbunden, daß es ihm
nicht genommen werden kann;
denn er
hat daſſelbe um ſeiner Verbindlichkeit ein
Genuͤge zu leiſten (§. 46.).


§. 75.

Vom
Range.

Der Rang(præcedentia) iſt das Recht
des Vorzugs in der Ordnung, die von meh-
reren zugleich zu beobachten iſt. Weil unter
Perſo-
[47]und dem allgem. Recht der Menſchen.
Perſonen, die gleich ſind, kein Rang ſtatt fin-
det (§. 70.), ſo koͤmmt auch keinen Men-
ſchen von Natur ein Rang zu.


§. 76.

Von Natur haben alle Menſchen einerleyVon dem
Recht
uͤber die
Hand-
lungen
eines an-
dern.

Rechte (§. 69.). Wenn wir alſo ein Recht
uͤber die Handlungen des andern haben ſolten,
ſo, daß er ſeine Handlungen nach unſerm Wil-
len einrichten muͤſte, und das nicht thun koͤn-
te, was ihm gefiele; ſo wuͤrde er wieder ein
Recht uͤber unſere Handlungen haben: da
nun dieſes offenbahr wiederſprechend iſt, in-
dem es ohne Unterſchied, von allen Menſchen
gelten muͤſte; ſo hat niemand von Natur
ein Recht uͤber die Handlungen
(in
actiones)
eines andern. Jn dem Weſen
und in der Natur des Menſchen, worinn
das Geſetz der Natur, und alſo eine jede Ver-
bindlichkeit und jedes Recht, das aus derſelben
entſtehet, ſeinen hinreichenden Grund hat, iſt
kein Grund enthalten, warum dieſem oder jenem
Menſchen ein Recht uͤber dieſes oder eines andeꝛn
Menſchen Handlungen zukommen ſollte.


§. 77.

Es ſind alſo von Natur die Hand-Von der
natuͤr-
lichen
Freyheit

lungen des Menſchen gar nicht dem
Willen eines andern, er ſey wer er
wolle, unterworffen;
und er darf in ſei-
nen Handlungen
niemanden als ſich
ſelbſt folgen.
Und dieſe Unabhaͤnglichkeit
bey den Handlungen von dem Willen eines
andern, oder die Einrichtung (dependen-
tia)
[48]I. Th. 3. H. Von der allgem. Verbindl.
tia) ſeiner Handlungen, nach ſeinen eigenen Wil-
len wird die Freyheit(libertas) genannt. Von
Natur ſind
alſo alle Menſchen frey.
Da aber die natuͤrliche Verbindlichkeit unver-
aͤnderlich iſt (§. 38.), ſo hebt die Frey-
heit die natuͤrliche Verbindlichkeit
nicht auf, noch veraͤndert etwas in
derſelben.


§. 78.

Was da-
her von
Seiten
der an-
dern vor
eine Ver-
bindlich-
keit ſtatt
findet.

Da vermoͤge der natuͤrlichen Frey-
heit,
der Menſch in ſeinen Handlungen ſich
bloß nach ſeinem Willen, nicht aber eines an-
dern richten darf (§. 77.); ſo iſt eben daher
ihm zu erlauben, daß er bey der Be-
ſtimmung ſeiner Handlungen ſeinem
Urtheil folge, und daß er nicht gehal-
ten iſt einem Menſchen Rechenſchaft
zu geben, warum er dieſes thue, oder
nicht thue; wenn er nur nicht gegen
jemand anders etwas unternimmt,
welches er zu unterlaſſen vollkommen

(perfecte)verbunden iſt (§. 80.).


§. 79.

Beobach-
tung der
Liebes-
Dienſte.

Daher erhellet ferner, daß man es in
Beobachtung der Liebes-Dienſte dem
Urtheil desjenigen, der ſie leiſtet, uͤber-
laſſen muͤſſe, ob es in ſeinem Vermoͤ-
gen ſtehe, ſie zu leiſten, oder nicht;
eben wie demjenigen, der dieſelben ver-
langet, das Urtheil von ſeiner Beduͤrf-
nis uͤberlaſſen wird;
folglich wenn einer
dem andern einen Liebes-Dienſt ab-

ſchlaͤgt,
[49]und dem allgem. Recht der Menſchen.
ſchlaͤgt; ſo muß es derjenige, der ihn
begehrt, damit zufrieden ſeyn, und
der andere kann von ihm nicht ge-
zwungen werden, daß er ihn leiſten
muß.
Aber dem ohngeachtet, ſuͤndiget
der, welcher ihn ohne Recht abſchlaͤgt

(§. 58.).


§. 80.

Und daher erhellet, in welchem VerſtandeVon der
vollkom-
menen u.
unvoll-
komme-
nen Ver-
bindlich-
keit, von
dem voll-
komme-
nen und
unvoll-
komme-
nen Rech-
te.

die Verbindlichkeit zu den Liebes-Dienſten
unvollkommen genannt wird, und in welcher Ab-
ſicht dieſelben unvollkommen ſchuldige Pflich-
ten genannt werden; ſie werden naͤmlich nicht
ſo genannt, als ob die natuͤrliche Verbindlich-
keit unvolkommen waͤre, ſo daß etwas unſe-
rer Freyheit uͤberlaſſen waͤre, ob wir derſelben
ein Genuͤge leiſten wolten, oder nicht, als
welches der natuͤrlichen Freyheit wiederſpre-
chen wuͤrde (§. 77.), ſondern weil derjeni-
ge, der um dieſelben bittet den andern nicht
zwingen kann, daß er ſie leiſte (§. 79.). Da-
her heiſt die Verbindlichkeit eine unvoll-
kommene Verbindlichkeit
(obligatio im-
perfecta),
zu deren Erfuͤllung niemand gezwun-
gen worden kann; ſo wie im Gegentheil dieje-
nige eine vollkommene(perfecta) genannt
wird, zu deren Erfuͤllung der andere gezwun-
gen werden kann. Und deswegen heiſt fer-
ner ein vollkommenes Recht(jus perfe-
ctum)
dasjenige, welches mit dem Recht
verbunden iſt, den andern zu zwingen, daß
er der Verbindlichkeit ein Genuͤge leiſte, wenn
Nat. u. Voͤlckerrecht. Der
[50]I. Th. 3. H. Von der allgem. Verbindl.
er dieſelbe nicht erfuͤllen wolte; ein unvoll-
kommenes Recht
(jus imperfectum) aber,
welches das Recht den andern zu zwingen
nicht in ſich faſſet. Das vollkommene Recht
wird auch allein das Recht, ſonderlich im
buͤrgerlichen Geſetzen genannt, wo man nur
auf das vollkommene Recht ſiehet; das un-
vollkommene wird vom Grotius die Faͤ-
higkeit
(aptitudo), vom Ariſtoteles aber
die Wuͤrdigkeit(meritum) genannt; in ſo
weit als derjenige, dem etwas geleiſtet wer-
den ſoll, deſſelben werth iſt. Die Wuͤrdig-
keit
alſo desjenigen, der um einen Lie-
bes-Dienſt bittet, iſt die Beduͤrfniß.


§. 81.

Wie das
Recht be-
ſchaffen
iſt, das
erfordert
wird, der
natuͤrli-
chen Ob-
ligation
ein Ge-
nuͤge zu
leiſten.

Das Recht, welches uns das Geſe-
tze der Natur giebt, damit wir unſe-
rer Verbindlichkeit ein Gnuͤge thun
koͤnnen,
da dieſe nothwendig und unveraͤn-
derlich iſt (§. 38.), und wir folglich nicht
leiden doͤrffen, daß wir in dem Gebrauch
unſers Rechtes von einem andern gehindert
werden, iſt ein vollkommenes Recht;
denn es entſtehet aus der vollkommenen Ver-
bindlichkeit, niemanden in dem Gebrauch deſ-
ſelben zu hindern (§. 66.), mit dieſer iſt das
Recht verbunden, nicht zu leiden, daß wir in
dem Gebrauch unſers Rechtes verhindert
werden. Da nun dieſes ein vollkommenes
iſt (§. 80.); ſo muß auch dasjenige Recht,
von dem es ſeinen Urſprung hat, ein voll-
kommenes Recht ſeyn. Es iſt alſo ein je-
des
[51]und dem allgem. Recht der Menſchen.
des angebohrnes Recht ein vollkom-
menes Recht
(§. 74.).


§. 82.

Und daher erhellet, weil ich verbundenVon dem
Rechte
Liebes-
Dieuſte
zu bit-
ten.

bin, anderer Huͤlfe in denen Faͤllen zu ſuchen,
in welchen ich mir ſelbſt nicht hinlaͤnglich hel-
fen kann (§. 44.); ſo iſt das Recht, Lie-
bes-Dienſte zu bitten, ein vollkomme-
nes Recht, obgleich das Recht zu den Lie-
bes-Dienſten, die hier und jetzt von die-
ſem geleiſtet werden, ein unvollkomme-
nes Recht iſt
(jus imperfectum eſt) (§. 79.
80.). Da niemand den andern in dem Gebrauch
ſeines Rechts verhindern darf (§. 66.); ſo muß
man
auch niemand verhindern, um ei-
nen Liebes-Dienſt zu bitten; und wenn
er bittet, ſo muß man es mit gelaße-
nem Gemuͤthe anhoͤren.
Weil wir bloß
verbunden ſind Liebes-Dienſte dem Beduͤrfti-
gen zu leiſten; ſo iſt nothwendig, daß ſie erbe-
then werden muͤßen.


§. 83.

Ungerecht(injuſtum) iſt dasjenige, wasVom ge-
rechten
und un-
gerech-
ten, billi-
gen und
unbilli-
gen.

dem vollkommenen Rechte des andern zuwie-
der geſchieht; unbillig(iniquum), was dem
unvollkommenen Rechte des andern zuwieder
geſchieht. Es geſchieht aber etwas dem
Recht des andern zuwieder
(fit contra
jus alterius),
wodurch daſſelbe entweder ihm
benommen, oder vermindert, oder der Ge-
brauch deſſelben, es ſey auf was vor Art und
Weiſe es wolle, verhindert wird; ſo wie im
D 2Gegen-
[52]I. Th. 3. H. Von der allgem. Verbindl.
Gegentheil etwas dem Recht des andern
gemaͤß
(ſecundum jus alterius) geſchieht,
wenn nichts wieder daſſelbe unternommen
wird, noch unterlaſſen, was vermoͤge deſſel-
ben (eodem ſtante) geſchehen muß. Ge-
recht
(juſtum) nennt man dasjenige, was
dem vollkommenen Rechte des andern gemaͤß
geſchieht: Billig(æquum) aber dasjenige,
was dem unvollkommenen Recht des andern
gemaͤß geſchieht. Weil die buͤrgerlichen Geſe-
tze einige Dinge dulden, welche natuͤrlich un-
gerecht ſind, wie wir am gehoͤrigen Orte zei-
gen werden; ſo iſt das buͤrgerlich gerech-
te
(civiliter juſtum) enger eingeſchraͤnckt, als
das natuͤrlich gerechte: und, im Gegenſatz ge-
gen dieſes, nennt man billig, was gantz al-
lein mit dem natuͤrlichen Geſetz uͤbereinkoͤmmt,
oder demſelben gemaͤß iſt.


§. 84.

Von der
Frech-
heit oder
unge-
zaͤhmten
Freyheit.

Mit der Freyheit muß die Frechheit
(Licentz, licentia) nicht verwechſelt werden,
welche, der natuͤrlichen Verbindlichkeit und
dem natuͤrlichen Recht zuwieder, auf alles ſich
erſtreckt, was einem gefaͤllt; und iſt alſo ei-
ne ungezaͤhmte Begierde, alles dasjenige zu
thun, was einem gefaͤllt. Weil ſie mit der
natuͤrlichen Verbindlichkeit, von welcher kein
Menſch befreyet werden kann (§. 42.), ſtrei-
tet; ſo kann keinem Menſchen eine
Frechheit, oder ungezaͤhmte Freyheit
zukommen.


§. 85.
[53]und dem allgem. Recht der Menſchen.
§. 85.

Gleichwie aber die Tugend uͤberhauptVon der
Gerech-
tigkeit
und Un-
gerech-
tigkeit.

die Fertigkeit iſt, ſeine Handlungen nach dem
Geſetz der Natur einzurichten, und das La-
ſter,
welches ihr entgegen geſetzet wird, die
Fertigkeit, ſeine Handlungen auf die entgegen
geſetzte Weiſe einzurichten, als ſie im Geſetz
der Natur vorgeſchrieben iſt; alſo wird be-
ſonders die Gerechtigkeit(juſtitia), diejenige
Tugend genannt, durch welche man einem
jeden ſein vollkommenes Recht gewehret, oder
ungekraͤncket laͤßt, daß man naͤmlich nichts thut,
was demſelben zuwieder iſt, ſondern dasjenige
thut, was nach demſelben geſchehen muß (§.
83.); und im Gegentheil iſt die Ungerech-
tigkeit
(injuſtitia) das Laſter, da man dem
andern ſein Recht nicht gewehret, da man
naͤmlich das thut, was demſelben zuwieder
iſt, und das unterlaͤßt, was nach demſelben
geſchehen muß. Wenn man die Gerechtig-
keit
auf alles Recht, ſo wohl auf das voll-
kommene, als auf das unvollkommene erſtreckt,
und in jeder Handlung in Erwegung ziehet,
in ſo fern ſie ſich auf andere beziehet, oder be-
ziehen kann, ob ſie gleich hauptſaͤchlich uns
ſelbſt angehet, ſo wird ſie die allgemeine
Gerechtigkeit
(juſtitia univerſalis) genannt;
und wenn ſie alsdenn in eingeſchraͤnckterer
Bedeutung genommen wird, ſo nennt man
ſie die beſondere Gerechtigkeit(juſtitiam
particularem)
. Jm uͤbrigen iſt die natuͤr-
liche Gerechtigkeit von weiterem Um-

D 3fange
[54]I. Th. 3. H. Von der allgem. Verbindl.
fange als die buͤrgerliche (§. 83.), und
die ungezaͤhmte Freyheit iſt die Mut-
ter der Ungerechtigkeit
(§. 84.).


§. 86.

Daß Ge-
rechtig-
keit und
Billig-
keit gebo-
then, das
Gegen-
theil aber
verbo-
then iſt.

Weil man niemand in dem Gebrauch ſei-
nes Rechts verhindern darf (§. 50.), und
ihm daſſelbe auch nicht benommen werden
kann (§. 74.); ſo darf niemand etwas
thun, was dem Recht des andern zu-
wieder iſt; ſondern ein jeder muß viel-
mehr das thun, was nach demſelben
geſchehen ſoll
(§. 83.). Derowegen muͤſ-
ſen wir einem jeden ſein Recht geweh-
ren, und keinem ſein Recht verletzen,

und folglich muͤſſen wir gerecht, nicht
aber ungerecht ſeyn (§. 85.). Und weil
das unvollkommene Recht eben ſo, wie das
vollkommene aus der natuͤrlichen an ſich voll-
kommenen, Verbindlichkeit entſtehet; alſo, daß
derjenige ſuͤndiget, der demſelben zuwieder
handelt (§. 79. 80.); ſo muͤſſen wir uns
gegen jedermann billig, und gegen nie-
mand unbillig erweiſen
(§. 87.).


§. 87.

Was das
Unrecht
uͤber-
haupt iſt,
und daß
es verbo-
then iſt.

Die Verletzung des vollkommenen Rechts
eines andern wird das Unrecht(injuria) ge-
nannt. Daher erhellet, daß das Unrecht
verbothen (§. 86.) und natuͤrlich un-
erlaubt ſey
(§. 49.). Ob wir aber gleich
bis itzt nichts anders als das angebohrne Recht
feſt geſetzt haben; ſo werden wir doch am ge-
hoͤrigen Orte zeigen, daß dasjenige, was wir
hier
[55]und dem allgem. Recht der Menſchen.
hier von der Gerechtigkeit und von dem Un-
rechte ſagen, auch auf die erworbenen Rech-
te angewendet werden muͤſſe. Jm uͤbrigen, gleich
wie die ungezaͤhmte Freyheit die Mutter
der Ungerechtigkeit iſt (§. 85.); alſo iſt ſie auch,
die dem Unrecht Thuͤr und Angel oͤffnet
(§. 54.).


§. 88.

Man ſagt, daß derjenige den andern be-Von der
Beleidi-
gung.

leidige(alterum lædit), wer ſein vollkom-
menes Recht verletzet, oder ihm unrecht
thut; und alſo iſt bey jeder Beleidigung
das Unrecht.
Weil wir niemand unrecht
thun duͤrfen (§. 87.); ſo muß auch nie-
mand beleidiget werden.
Ob aber gleich
die Beleidigung und das Unrecht in eben der-
ſelben Handlung beſtehen; ſo ſieht man doch
datin den Unterſchied, daß die Beleidigung
ſich auf die Perſon, deren Recht verletzet
wird, als eine Handlung beziehet, die ſie nicht
dulden darf; das Unrecht aber wird als eine
Verletzung des Rechts an und vor ſich ſelbſt
angeſehen, ohne auf die Perſon zu ſehen, die
dadurch beleidiget wird, naͤmlich als eine
Handlung, die an ſich unerlaubt, oder man
ſieht nur auf das Recht ſelbſt, welches ver-
letzet wird. Wie aber die natuͤrliche Gerech-
tigkeit von weiterem Umfange iſt, als die buͤr-
gerliche (§. 85.); alſo ſind auch die natuͤrli-
chen Beleidigungen von weiterm Umfange, als
ſie im buͤrgerlichen Rechte beſtimmt werden.
Noch deutlicher wird dieſes aus der bald fol-
genden und kuͤnftigen Abhandlung werden.


D 4§. 89.
[56]I. Th. 3. H. Von der allgem. Verbindl.
§. 89.

Von der
Sicher-
heit und
dem Um-
fange der
natuͤrli-
chen Be-
leidi-
gung.

Die Verbindlichkeit zu dem, was durch das
Geſetz der Natur verbothen wird, da es in ei-
ner Unterlaßung beſtehet (§. 47.), iſt jederzeit
gewiß. Derowegen erwaͤchſt aus der
Verbindlichkeit, die durch ein Ver-
both entſtehet, ein vollkommenes
Recht, nicht zu leiden, daß der andere
etwas thue, zu deſſen Unterlaſſung er
uns verbunden iſt
(§. 46.). Da nun
niemand beleidiget werden darf (§. 88.), ſo
hat ein jeder Menſch von Natur das
Recht, nicht zu leiden, daß er von ei-
nem andern beleidiget werde;
und die-
ſes Recht, das von Natur einem jeden, er
ſey wer er wolle, zukoͤmmt, wird das Recht
der Sicherheit
(jus ſecuritatis) genannt;
welche Sicherheit in der Befreyung von der
Furcht beleidiget zu werden beſtehet. Daher
iſt ferner klar, daß natuͤrlicher Weiſe die
Beleidigung auf jede Handlung ſich
erſtreckt, die im Geſetz der Natur in
Anſehung anderer verbothen iſt;
und
daß folglich die Beleidigung eine jede
Handlung ſey, dadurch der andere,
oder ſein Zuſtand unvollkommener
wird (§. 44.); daß
aber die Verweige-
rung eines Liebes-Dienſtes keine Be-
leidigung ſey
(§. 79.).


§. 90.

Von dem
Rechte
ſich zu

Weil wir nicht ſchuldig ſind zu leiden, daß
ein anderer uns beleidige (§. 89.); ſo iſt es
erlaubt,
[57]und dem allgem. Recht der Menſchen.
erlaubt, demjenigen zu wiederſtehen,wehren,
oder zu
verthei-
digen.

der es verſucht(intentanti)uns zu be-
leidigen.
Da nun die Handlung, wodurch
man demjenigen wiederſtehet, der es verſucht,
oder unternimmet uns zu beleidigen, die Ge-
genwehre, oder die Vertheidigung
iſt;
ſo hat der Menſch von Natur ein
Recht ſich zu wehren,
oder zu verthei-
digen
(jus defenſionis); folglich ſind ihm
alle Handlungen erlaubt, ohne welchen
er die Beleidigung von ſich nicht ab-
wenden kann
(§. 46.); und dieſe muͤſ-
ſen aus den vorkommenden Umſtaͤnden
beſtimt werden.


§. 91.

Auf gleiche Weiſe folgt, daß, weil wir nichtVon der
Verhuͤ-
tung der
Beleidi-
gungen.

ſchuldig ſind zu leiden, daß der andere uns
beleidige (§. 89.); ſo iſt es uns erlaubt Be-
leidigungen zu verhuͤten
(læſiones præ-
cavere);
folglich andere zu verbinden,
daß ſie uns nicht beleidigen.


§. 92.

Da wir einen andern nicht verbinden koͤn-
nen, etwas zu unterlaſſen, wenn wir nicht mitWie wir
ſie ver-
huͤten.

der Handlung einen Bewegungsgrund verbin-
den (§. 35.), der Bewegungsgrund zum Nicht-
wollen aber in der Vorſtellung eines Uebels be-
ſtehet; ſo iſt es erlaubt, denjenigen ein na-
tuͤrliches Uebel zuzufuͤgen, welcher uns
in der That beleidiget hat (§. 91.), damit
er uns nicht ſelbſt von neuem, oder ande-
re die ſeinen Exempel folgen, uns belei-

D 5di-
[58]I. Th. 3. H. Von der allgem. Verbindl.
digen, oder auch er, oder andere nach ſei-
nem Exempel, andere beleidiget.


§. 93.

Von der
Strafe
und dem
Recht zu
ſtrafen.

Ein natuͤrliches uͤbel (malum phyſi-
cum),
welches einem wegen eines ſittlichen
Uebels von dem zugefuͤgt wird, der das Recht
einen zu verbinden hat, nennt man die
Strafe(pœnam). Dem Menſchen
koͤmmt
alſo von Natur das Recht zu
denjenigen zu ſtrafen, welcher ihn be-
leidiget hat.
Und in ſo weit die Strafe
die Abſicht hat, das Gemuͤthe der beleidigenden
Perſon zu aͤndern, wird ſie eine beſſernde
Strafe
(pœna emendatrix) genennet; in ſo
fern ſie aber andere von Beleidigungen ab-
ſchrecken ſoll, heiſt ſie eine exemplariſche
(exemplaris). Da nun die Beſſerung des
Gemuͤths desjenigen, der einen andern beleidi-
get, und die Furcht bey denen zu erwecken,
welche der Muthwille zu Beleidigungen rei-
tzen koͤnnte, die Abſicht des Strafenden ſind;
die Strafe aber als ein Mittel anzuſehen iſt,
wodurch man dieſe Abſicht erhaͤlt; ſo muß
man die Groͤſſe der Strafe aus den
vorkommenden Umſtaͤnden beſtimmen

(§. 46.).


§. 94.

Vom un-
endlichen
Rechte.

Ein unendliches Recht(jus infinitum)
nennet man dasjenige, dem man uͤberhaupt
keine Grentzen ſetzen kann; ſondern dieſelben
erſt aus den Umſtaͤnden in einem vorkommen-
den Falle beſtimmen muß. Es iſt alſo ſo
wohl
[59]und dem allgem. Recht der Menſchen.
wohl das Recht ſich zu wehren, oder
zu vertheidigen, als das Recht zu
ſtrafen unendlich
(§. 90. 93.).


§. 95.

Aus dem, was wir bisher vorgetragen ha-Welches
die ange-
bohrnen
Rechte
ſind.

ben, erhellet, welche Rechte dem Menſchen an-
gebohren ſind, naͤmlich das Recht zu demje-
nigen, ohne welches man der natuͤrlichen Ver-
bindlichkeit kein Genuͤge leiſten kann (§. 46.),
worunter auch das Recht um Liebes-Dienſte
zu bitten (§. 82.), und den andern dazu voll-
kommen zu verbinden, enthalten iſt (§. 97.),
die natuͤrliche Gleichheit (§. 70.), die Frey-
heit (§. 77.), das Recht der Sicherheit (§.
89.), und das daher entſpringende Recht ſich zu
wehren, oder zu vertheidigen (§. 90.), und
das Recht zu ſtrafen (§. 93.). Wie aber
hieraus andere Rechte eutſpringen, und wie
dem Geſetz der Natur gemaͤß andere Ver-
bindlichkeiten gemacht, und andere Rechte er-
langt werden, wollen wir am gehoͤrigen Orte
zeigen.


§. 96.

Der Menſch iſt eine ſittliche PerſonEine ſitt-
liche Per-
ſon, und
der na-
tuͤrliche
ſittliche
Zuſtand.

(perſona moralis), in ſo weit als er als das
Subject von gewiſſen Verbindlichkeiten und
von gewiſſen Rechten angeſehen wird. Und
daher wird ſein ſittlicher Zuſtand(ſtatus
moralis)
derjenige genannt, welcher durch
Rechte und Verbindlichkeiten beſtimmt wird;
und er heiſt der natuͤrliche, in ſo fern als
die Verbindlichkeiten und Rechte, durch welche
er
[60]I. Th. 3. H. Von der allgem. Verbindl.
er beſtimmt wird, natuͤrlich ſind, oder nach
dem Geſetz der Natur ihm zukommen; und
derowegen werden die Menſchen im na-
tuͤrlichen Zuſtande allein durch das
Recht der Natur regiert.


§. 97.

Von der
Art ſich
einen an-
dern
vollkom-
men ver-
bindlich
zu ma-
chen, und
ein voll-
komme-
nes Recht
zu erwer-
ben.

Weil aber der Menſch, wenn er ſeiner Ver-
bindlichkeit ein Genuͤge leiſten will, ſehr oft
anderer Huͤlfe noͤthig hat; weil es ihm aber
auch daran gelegen iſt, daß er von derſelben
Huͤlfe gewiß ſey; ſo hat er auch ein Recht zu
denjenigen Handlungen, ohne welche er ſeiner
natuͤrlichen Verbindlichkeit kein Genuͤge lei-
ſten kann (§. 46.); und alſo hat er das
Recht, ſich andere zu gewiſſen Hand-
lungen, oder Dienſtleiſtungen verbind-
lich zu machen.
Auf dieſe Weiſe erlangt er
ein vollkommenes Recht zu denſelben,
ſo
daß, da er vorher erdulden muſte, daß ſie ab-
geſchlagen worden, er nun dieſelben erzwin-
gen, oder den andern dazu noͤthigen kann (§.
79, 80.), und ſolchergeſtalt das, was vor-
her willkuͤhrlich war, nun nothwen-
dig iſt, und er durch die Unterlaſſung
beleidiget wird, und ihm Unrecht ge-
ſchieht
(§. 88.).


§. 98.

Vom
Recht zu
kriegen.

Das Streiten mit Gewalt(certa-
tio per vim)
nennt man die Gewaltſame
Behauptung ſeines Rechtes, dadurch man ent-
weder eine zuzufuͤgende Beleidigung, oder ein
Unrecht abwenden; oder diejenigen, die uns
belei-
[61]und dem allgem. Recht der Menſchen.
beleidiget, oder uns Unrecht gethan
haben, verbinden will, uns in Zu-
kunft nicht mehr zu beleidigen; oder auch die-
jenigen, welche wir uns etwas zu leiſten ver-
bunden haben, mit Gewalt dazu anzuhalten
ſuchet, in ſo weit ſie ſich nicht gutwillig
dazu bequemen wollen. Den Zuſtand derje-
nigen die mit Gewalt ſtreiten, nennt man
den Krieg. Und daher erhellet, daß
dem Menſchen das Recht zum Kriege
zukomme, und daß keine andere recht-
rechtmaͤßige Urſache zu demſelben ſeyn
koͤnne, als das Unrecht, das einem
geſchehen iſt, oder geſchehen ſoll (§. 87.
83.); daß aber das Abſchlagen eines
Liebes-Dienſtes keine rechtmaͤßige Ur-
ſache des Krieges ſey
(§. 79.).


§. 99.

Der Friede wird dem Krieg entgegen ge-Vom
Frieden.

ſetzt, und man nennt ihn alſo denjenigen Zu-
ſtand, in welchem kein Krieg iſt. Weil man
niemanden beleidigen darf, und alſo alles Un-
recht unterlaſſen ſoll; ſo ſind die Men-
ſchen verbunden den Frieden zu ſu-
chen.
Alſo iſt der Friede der Natur
gemaͤß, der Krieg aber wieder dieſelbe

(§. 38.). Es iſt auch nicht die Natur, ſon-
dern die Boßheit der Menſchen, die ihrer
Pflicht kein Genuͤgen leiſten wollen, oder das
Unrecht ſchuld an dem Kriege (§. 98.).


§. 100.

Aus dem, was wir vorher geſaget haben,Von der
Verbind-

erhel-
[62]I. Th. 3. H. Von der allgem. Verbindl.
lichkeit,
die einer
ſich zuzie-
het, und
dem er-
woꝛbenen
Rechte.
erhellet, daß auſſer den angebohrnen Ver-
bindlichkeiten und Rechten, noch andere ange-
troffen werden, da die Verbindlichkeiten durch
eine dazu kommende Handlung der Menſchen
entſtehen, und die Rechte durch dieſelben er-
langt werden (§. 95.), jene nennt man Ver-
bindlichkeiten, die einer ſich zuzieht
(ob-
ligationes contractas)
, die daraus entſprin-
gende Rechte aber, werden erworbene
Rechte
(jura acquiſita) genannt. Es iſt
klar, daß niemand ſich ſelbſt von der
Verbindlichkeit, die er ſich zugezogen
hat, befreyen koͤnne (§. 97.); und daß
alſo daß erworbene Recht,
das aus der-
ſelben entſtanden iſt, niemanden wieder
ſeinen Willen genommen werden koͤn-
ne:
welches wir auch oben von der ange-
bohrnen Verbindlichkeit und von dem ange-
bohrnen Rechte erwieſen (§. 42. 74.). Weil
alſo die Verbindlichkeiten entweder angeboh-
ren, oder zugezogen werden, und die Rech-
te entweder angebohrne, oder erworbene Rech-
te ſind; ſo iſt uͤberhaupt klar, daß nie-
mand ſich von ſeiner Verbindlichkeit
befreyen, noch das Recht jemanden
wieder ſeinen Willen genommen wer-
den kan.


§. 101.

Vom all-
gemeinen
und eige-
nen Rech-
te.

Es giebt ſo wohl Rechte, welche allen oh-
ne Unterſchied zukommen, als auch Rechte,
die einem allein, oder mehreren zuſammen
genommen, im Gegenſatz gegen alle, zukommen;
und
[63]und dem allgem. Recht der Menſchen.
und gleicherweiſe giebt es Verbindlichkeiten,
welche auf eben die Art allen, mehreren zu-
ſammen, oder einem allein gehoͤren, welches da-
her erhellet, weil die natuͤrliche Verbindlich-
keiten alle Menſchen angehen (§. 74.), die
zugezogenen aber, nur denjenigen, welchen
wir, uns insbeſondere etwas zu leiſten, verbun-
den haben (§. 100.); und eben ſo kommen die
angebohrnen Rechte allen Menſchen zu, das
erworbene Recht aber nur dem, welcher ſich
einen andern, was gewiſſes zu leiſten, verbun-
den hat (§§. cit.). Daher nennen wir das
gemeine Recht(jus commune), was al-
len ohne Unterſchied zukoͤmmt; das eigene
(beſondere) Recht aber (jus proprium),
was nur einem, oder mehreren, im Gegen-
ſatz gegen alle, zukoͤmmt. Auf gleiche Weiſe
verſteht man, was eine allgemeine, und was
eine beſondere, oder eigene Verbindlich-
keit
ſey. Es iſt aber klar: daß das eigene
Recht, alle andere ausſchließt, und
wenn mehreren zuſammen genommen
ein beſonderes
(eigenes) Recht zu-
koͤmt; ſo iſt unter denſelben ein ge-
meinſchaftliches Recht.


§. 102.

Der natuͤrliche Zuſtand der Menſchen iſtVom ur-
ſpruͤng-
lichen u.
entſtande-
nen Zu-
ſtande.

entweder der urſpringliche(originarius),
in ſo weit derſelbe gantz allein durch ange-
bohrene Rechte und Verbindlichkeiten beſtimt
wird; oder der entſtandene(adventitius),
in ſo weit derſelbe durch die zugezogene Ver-
bindlich-
[64]I. Th. 3. H. Von der allgem. Verbindl. ꝛc.
bindlichkeiten, und durch erworbene Rechte,
aber allein nach dem Geſetze der Natur be-
ſtimt wird. Den urſpringlichen Zuſtand
hat alſo der Menſch von der Natur allein, den
entſtandenen aber nur durch eine dazu
gekommene menſchliche Handlung.
Es
iſt auch leicht erweißlich, daß der Friede zum
urſpruͤnglichen Zuſtande gehoͤre (§. 99.),
der Krieg aber zu dem dazu gekommen

(§. 96.), und weil die Abſicht bey dem Kriege iſt,
ein Unrecht, als welches die Urſache deſſelben,
zu vermeiden, oder zu wenden (§. 98.); ſo
iſt der Krieg natuͤrlicher weiſe des
Friedens wegen erlaubt
(§. 99.); folg-
lich muß man den Krieg nicht fuͤhren,
als des Friedens wegen.
Denn Krieg
fuͤhren
iſt nichts anders, als durch Gewalt
ſtreiten. Damit man aber nicht in der Unter-
ſcheidung des urſpruͤnglichen Zuſtandes von
dem entſtandenen zuweilen zweifle; ſo muß
man mercken, daß der Menſch im urſpruͤng-
lichen Zuſtande an und vor ſich ſelbſt ein
Recht haben koͤnne, deſſen Ausuͤbung aber
nicht anders, als in dem entſtandenen ſtatt fin-
det, in ſo weit naͤmlich die Handlung eines
andern macht, daß es ſtatt finden kann.
Ein Exempel finden wir in dem Rechte uns
zu wehren, oder zu vertheidigen, und dem Rech-
te zu ſtrafen, wenn wir den Urſprung von bey-
den genauer unterſuchen.


Das
[65]

Das vierte Hauptſtuͤck.


Von den Pflichten des Menſchen
gegen ſich ſelbſt, und den Rechten,
die damit verbunden ſind.


§. 103.

Der Menſch muß, ſo viel er kann (§. 37.),Von der
Verſchie-
denheit
und der
Verbin-
dung der
Pflichten.

ſo wohl ſich, folglich theils ſeine See-
le, theils ſeinen Leib, als auch ſeinen
Zuſtand verbeſſern (§. 43.). Man hat
alſo Pflichten gegen die Seele, gegen
den Leib, und in Abſicht auf den aͤuſ-
ſern Zuſtand
(§ 57.), und dieſelben ſind
zu verbinden; man muß ſich nicht einer
alſo befleißigen, daß die uͤbrigen verab-
ſaͤumet werden; und derjenige, der
mehr Vermoͤgen hat, und mehr an-
wenden kann, wie auch mehrere Huͤlfe
von andern zu erwarten hat, iſt auch ein
mehreres zu leiſten verbunden.


§. 104.

Die Guͤter der Seele(bona animi) ſindVon der
Bemuͤ-
hung,
das Gute
zu erhal-
ten.

diejenigen, welche die Seele; des Leibes,
welche den Leib; des Gluͤcks, welche den aͤuſ-
ſeren Zuſtand vollkommener machen. Dem-
nach muß ſich einjeder bemuͤhen, daß
er von den Guͤtern der Seele, des Lei-
bes und des Gluͤcks ſo viel erhaͤlt, als
in ſeinem Vermoͤgen ſtehet
(§. 103. 60.);
folglich muß er ſich vor allem Uebel oder
Schaden des Leibes, der Seele und des
Gluͤcks in acht nehmen.


Nat. u. Voͤlckerrecht. E§. 105.
[66]I. Th. 4. H. Von den Pflichten
§. 105.

Von der
Erkent-
nis ſein
ſelbſt und
andrer.

Es iſt alſo nothwendig, daß der
Menſch ſich ſelbſt, ſo wohl der Seele
und dem Leibe nach, als auch ſeinen
Zuſtand kennen lerne;
und weil die Er-
kentnis unſer ſelbſt durch die Erkentnis
anderer befoͤrdert wird, in ſo weit als
daraus erhellet, was vor Vollkommen-
heiten und Unvollkommenheiten der Menſch
und ſein Zuſtand haben koͤnne, durch
was vor einen Gebrauch der Kraͤfte jene
erhalten werden, und durch was vor eine Un-
terlaſſung des Gebrauchs und Misbrauch
der Kraͤffte man in dieſe verfaͤllt; ſo muß der
Menſch auch andere kennen lernen,
und in dieſer Abſicht auf andere fleiſ-
ſig und ſorgfaͤltig acht geben.


§. 106.

Von der
Vollkom-
menheit
der See-
le.

Der Gebrauch der Kraͤfte der Seele beſteht
in ihren Wuͤrkungen. Jn der Uebereinſtim-
mung des Gebrauchs aller Kraͤfte der See-
len, ſo wohl der obern, als der untern, beſteht
die Vollkommenheit der Seele (§. 9.).
Da nun der Menſch verbunden iſt, ſich im-
mer mehr und mehr vollkommen zu machen;
ſo muß er ſich nicht allein bemuͤhen,
daß er zu einem jeden Gebrauch der
Kraͤfte ſeiner Seele geſchickt werde,
ſondern es auch dahin bringe, daß der
Gebrauch aller Kraͤfte bey einer jeden
Handlung uͤbereinſtimme,
wie wir die-
ſes
[67]des Menſchen gegen ſich ſelbſt.
ſes ſchon oben (§. 52.) gelehrt haben; folg-
lich muß ſo wohl die Unterlaſſung des
Gebrauchs einiger Kraͤfte bey den Hand-
lungen, als auch der Mangel der Ueber-
einſtimmung vermieden werden
(§.
51.). Da die Geſchwindigkeit etwas zu thun
die Fertigkeit iſt; ſo iſt der Menſch ver-
bunden, die Fertigkeit zu erlangen ſei-
ne Kraͤfte zu gebrauchen, und dieſen
Gebrauch zur Uebereinſtimmung zu
bringen.


§. 107.

Deswegen koͤmt einem Menſchen dasVon dem
Rechte,
das ihm
in dieſer
Abſicht
zukoͤmmt.

Recht zu demjenigen zu, ohne welches er
den Gebrauch ſeiner Kraͤfte nicht er-
langen, noch den Gebrauch derſelben
zur Uebereinſtimmung bringen kan

(§. 46.).


§. 108.

Da der Verſtand die Faͤhigkeit iſt, ſichDaß der
Verſtand
vollkom-
men ge-
macht
werden
muͤſſe.

die Sachen deutlich vorzuſtellen; folglich
nicht allein von einander zu unterſcheiden,
was in einer Sache befindlich iſt, ſondern
auch beſtimmte Urtheile zu faͤllen, daß naͤm-
lich, vermoͤge deſſen, was von einer Sache
angenommen wird, ihr etwas anderes ent-
weder zukomme, oder nicht zukommen koͤn-
ne, wie auch recht zu ſchlieſſen; ſo muͤſſen
wir uns befleiſſen eine Fertigkeit zu
erlangen, in einer jeden Sache, die
uns zu erkennen vorkoͤmmt, was in
ihr enthalten, zu unterſcheiden, be-

E 2ſtimmte
[68]I. Th. 4. H. Von den Pflichten
ſtimmte Urtheile zu faͤllen, und recht
zu ſchlieſſen.
Weil aber dieſes nicht ge-
ſchehen kann, wenn wir nicht im Stande ſind,
die Aufmerckſamkeit zu erhalten, d. i.
zu machen, daß wir uns derjenigen Sache,
von welcher wir gedencken, mehr bewuſt ſind,
als anderer Dinge, die uns beyfallen, oder
beyfallen koͤnnen; und uͤber dieſelben nach-
zudencken,
d. i. unſere Aufmerckſamkeit
von einem zum andern beſonders zu wenden,
was in derſelben befindlich iſt; ſo muͤſſen
wir auch ſorgfaͤltig bemuͤher ſeyn, daß
wir einen ſo ſtarcken Grad der Auf-
merckſamkeit, als uns moͤglich iſt, nebſt
der Fertigkeit nachzudencken erhalten.


§. 109.

Daß
man das
Vermoͤ-
gen zu
begehren
und zu
verab-
ſcheuen
vollkom-
men ma-
chen
muͤße.

Des Menſchen Vermoͤgen zu begehren iſt
uͤberhaupt beſtimmt, das Gute zu begehren; und
das Vermoͤgen zu verabſcheuen das Boͤſe zu ver-
abſcheuen. Die Vollkommenheit des Ver-
moͤgens zu begehren
beſteht in der Moͤglich-
keit, nicht anders als durch ein wahres Gut, des
Vermoͤgens zu verabſcheuen aber in der
Moͤglichkeit, nicht anders als durch ein wah-
res Uebel beſtimmet zu werden. Jm Gegen-
theil beſtehet die Unvollkommenheit von
jenem
in der Moͤglichkeit, durch ein Schein-
gut, welches man nach einem gegenwaͤrtigen
Vergnuͤgen, das aber ſchaͤdlich iſt, ſchaͤtzet, und
die Unvollkommenheit von dieſem in
der Moͤglichkeit, durch ein Scheinuͤbel be-
ſtimmt zu werden, welches nach einem ge-
genwaͤr-
[69]des Menſchen gegen ſich ſelbſt.
genwaͤrtigen Mißvergnuͤgen, das aber nicht
ſchaͤdlich iſt, geſchaͤtzet wird. Wir muͤſſen
uns alſo bemuͤhen, daß unſer Vermoͤ-
gen zu begehren niemahls auf etwas
anders, als ein wahres Gut, und un-
ſer Vermoͤgen zu verabſcheuen auf
nichts, als ein wahres Uebel gerichtet
wird;
folglich muͤſſen wir uns befleißi-
gen, das wahre Gute und das wahre
Uebel, von dem Scheinguten und von
dem Scheinuͤbel beſtaͤndig zu unter-
ſcheiden.
Weil der Gebrauch aller Kraͤfte
uͤbereinſtimmen muß (§. 106.); ſo muͤßen
wir uns
vornaͤhmlich Muͤhe geben, daß
wir die ſinnlichen Begierden zur Ueber-
einſtimmung mit dem Willen, und
die ſinnlichen Verabſcheuungen zur
Uebereinſtimmung mit dem Nichtwol-
len bringen;
folglich, weil der Wille und
das Nichtwollen von dem Verſtande, die
ſinliche Begierde und der Abſcheu von den
Sinnen und der Einbildungskraft herruͤhren;
ſo muͤſſen wir den Verſtand bey den
Vorſtellungen des Guten und Boͤſen
zur Uebereinſtimmung mit den Sinnen
und der Einbildungskrafft bringen.


§. 110.

Zur ſinnlichen Begierde und dem AbſcheueVon der
Regie-
rung,
Zaͤh-
mung u.
Stillung

werden die Gemuͤthsbewegungen ge-
rechnet, welche in heftigen Begierden und
Verabſcheuungen beſtehen. Daraus ſchlieſ-
ſen wir ferner, daß wir uns bemuͤhen
E 3muͤſ-
[70]I. Th. 4. H. Von den Pflichten
der Ge-
muͤths-
bewegun-
gen.
muͤſſen, ſie dem Geſetz der Natur ge-
maͤß einzurichten,
d. i. ſie zu regieren;
daß wir ihnen wiederſtehen muͤſſen,
damit ſie nicht in aͤuſſere Handlungen,
dazu ſie uns verleiten, die dem Geſetz
der Natur zuwieder ſind, ausbrechen,

d. i. daß wir ſie zaͤhmen (§. 109.); und wenn
es ſich zutraͤgt, daß ſie uns bey den Hand-
lungen hindern, und wenn wir die Regie-
rung derſelben noch nicht in unſerer Gewalt
haben, wir ſie unterdruͤcken, indem ſie
ploͤtzlich entſtehen,
das iſt, ſie ſtillen.
Daher erhellet, daß man Fertigkeiten er-
halten muͤße, in vorkommendem Falle
den Willen und das Nichtwollen
dem Geſetze der Natur gemaͤß zu be-
ſtimmen.


§. 111.

Von
welchen
Dingen
man Wiſ-
ſenſchafft
erlangen
muͤſſe.

Es iſt auch klar, daß der Menſch ver-
bunden ſey, die Wiſſenſchaft von den-
jenigen Dingen zu erhalten, was, ſo
wohl das wahre Gute und Uebel von
dem, ſo den bloſſen Schein hat, zu un-
terſcheiden (§. 109.), als auch recht zu
handeln, zu wiſſen noͤthig iſt
(§. 52. 53.).


§. 112.

Daß der
Leib er-
halten u.
vollkom-
men ge-
macht
werden
muͤſſe.

Unſer Leib beſtehet 1) aus Gliedern, die
zum Leben gehoͤren
(organis vitalibus),
welche beſtimmt ſind, das Leben zu erhalten und
ſein Geſchlecht fortzupflantzen; 2) aus Glie-
dern der Sinnen
(organis ſenſoriis), wel-
che zu den Empfindungen und der davon ab-
haͤngen-
[71]des Menſchen gegen ſich ſelbſt.
haͤngenden Einbildungskraft nebſt dem Ge-
daͤchtniſſe dienen, und entweder aͤuſſere ſind,
welche von auſſen am Leibe ſich zeigen, oder
innerliche, die in demſelben verborgen lie-
gen; 3) aus bewegenden Gliedern(mo-
toriis),
welche zur Bewegung des Koͤrpers und
ſeiner aͤuſſern Glieder von einem Ort zum an-
dern gewiedmet. Die Vollkommenheit des
Leibes, in ſo weit derſelbe ein Leben hat,

beſteht in der Geſchicklichkeit, ſich zu erhalten
und ſein Geſchlecht fortzupflantzen; in ſo
weit derſelbe empfindet,
in der Geſchick-
lichkeit, die materielle Jdeen der Sachen, die
empfunden werden koͤnnen, hervorzubringen;
und endlich in ſo weit als derſelbe ſich be-
wegt,
in der Geſchicklichkeit, die den Begier-
den und Verabſcheuungen gemaͤße Bewegun-
gen hervorzubringen, und die Lage ſo wohl
des gantzen Koͤrpers, als auch ſeiner aͤuſſeren
Glieder insbeſondere zu beſtimmen (§. 9.).
Aus dieſen zuſammen genommen entſtehet die
Geſchicklichkeit, die Uebereinſtimmung zwiſchen
Seele und Koͤrper zu erhalten; als worinn
eigentlich die Vollkommenheit des gan-
tzen Koͤrpers
beſtehet. Wenn zu derſelben
die Vollkommenheit der Seele koͤmmt, welche
ſelbſt dieſe Uebereinſtimmung erfordert; ſo
entſtehet die Vollkommenheit des Men-
ſchen;
und weil aus der natuͤrlichen Gottes-
gelahrhet erhellet, daß der Menſch, ſo wohl
in Abſicht der Seele, als des Leibes, Gott vor-
ſtellet, ſo beſteht dieſelbe in der Geſchicklich-
E 4keit
[72]I. Th. 4. H. Von den Pflichten
keit Gott vorzuſtellen, daß gleichſam in dem
Menſchen ein Ebenbild Gottes zu ſehen iſt.
Alſo kann ein Atheiſt die Vollkommen-
heit des Menſchen nicht voͤllig einſe-
hen.
Die Vollkommenheit des Leibes, in
ſo weit derſelbe ein menſchlicher iſt, ſetzet die
Vollſtaͤndigkeit aller Glieder voraus; und
aus der Erfahrung erhellet, daß man ver-
ſchiedene Fertigkeiten der bewegenden Kraft
erhalten koͤnne. Derowegen iſt der Menſch
allerdings verbunden, die Vollſtaͤndig-
keit aller Glieder des Leibes zu erhal-
ten, und die Fertigkeiten ſeiner bewe-
genden Kraft zu erlangen, die er, um
recht zu handeln, noͤthig hat
(§. 106.
52.); folglich muß ihre Verſchlimme-
rung und Verluſt vermieden werden.

Und alſo muß der Menſch ſeinen Leib
und ſein Leben zu erhalten trachten;
folgends iſt der Selbſtmord, oder die Av-
tochirie unerlaubt
(§. 51.).


§. 113.

Von der
Erhal-
tung der
Geſund-
heit, von
der Wie-
dererlan-
gung der-
ſelben u.
von der
Abwen-
dung der

Derjenige Zuſtand des Leibes, in welchem
alle Theile deſſelben ihre Verrichtungen gehoͤ-
rig ausuͤben, wird die Geſundheit ge-
nannt; der entgegengeſetzte Zuſtand, in wel-
chem einer oder mehrere zu demjenigen Ge-
brauch, dazu ſie gewiedmet, nicht geſchickt
ſind, die Kranckheit. Man verſiehet die-
ſes auch von den fluͤßigen Theilen, und im
gemeinen Reden wird die Kranckheit vornaͤm-
lich von denjenigen Theilen genommen, die
zum
[73]des Menſchen gegen ſich ſelbſt.
zum Leben gehoͤren. Galenus nennt dieKranck-
heiten.

Verhinderung der Handlung eines Theils im
Leibe, zu deſſen Hervorbringung es an und vor
ſich ſelbſt geſchickt iſt, einen aͤuſſeren Jr-
thum
(errorem externum). Da alle Thei-
le des Leibes in dem Zuſtande ſollen erhalten
werden, daß ſie zu ihrem Gebrauch geſchickt
ſind (§. 112.); ſo iſt der Menſch verbun-
den die Geſundheit zu erhalten, und
ſich vor Kranckheiten zu huͤten;
damit
er naͤmlich nicht durch ſeine Schuld in dieſel-
be verfalle. Wenn es ſich aber zutra-
gen ſollte, daß er kranck wuͤrde; ſo
muß er ſich bemuͤhen, daß er wieder
geſund werde.


§. 114.

Der Menſch hat alſo ein Recht zuVon dem
Rechte
zu Spei-
ſe, Trauck
u. Artz-
ney.

denjenigen Dingen, die zur Erhaltung
des Lebens und der Geſundheit, und
zur Wiederherſtellung der Geſundheit
dienen;
folglich weil die Geſundheit ohne
Speiſe uud Tranck nicht erhalten, noch auch
immer ohne Artzney wiedererlangt werden
kann; ſo hat er ein Recht zu denen Sa-
chen, die zur Speiſe und zum Tranck,
und zur Wiederherſtellung der Ge-
ſundheit dienen,
welche letztere man Artz-
neyen
zu nennen pfleget (§. 46.). Weil wir
aber dieſes Recht der Geſundheit wegen ha-
ben; ſo muß man Speiſe und Tranck
der Geſundheit halber, und nicht bloß
zur Luſt zu ſich nehmen;
folglich muß
E 5man
[74]I. Th. 4. H. Von den Pflichten
man ſich von ungeſunder Speiſe und
Tranck, und von uͤbermaͤßigem Eſſen
und Trincken enthalten.
Die Trun-
ckenheit
iſt der Zuſtand, da von uͤbermaͤßi-
gem Trincken die Verrichtungen des Gehirns
in Unordnung gebracht werden; und folglich
der Menſch zuerſt des Gebrauchs des Ver-
ſtandes, ſodann der Einbildungskraft, hier-
auf der Sinnen, und endlich gar der Kraft
ſich zu bewegen beraubt wird. Ein Menſch
iſt alſo ſchuldig die Trunckenheit zu
fliehen.


§. 115.

Von dem
Rechte
zur Klei-
dung.

Gleichfalls iſt klar, daß man den Leib,
der Geſundheit wegen, gegen die Anfaͤlle
des Wetters mit Kleidern verwahren
muß
(§. 113.); und daher hat der Menſch
ein Recht zu den Dingen, welche zu
Verfertigung der Kleider, die zu die-
ſem Zweck noͤthig ſind, dienen; wie
auch zu denen Verrichtungen, oder
der Arbeit, wodurch ſie verfertiget
werden; ingleichen denjenigen Sachen,
die dazu noͤthig ſind (§. 46.). Es muß

aber auch dabey die natuͤrliche Wohlan-
ſtaͤndigkeit beobachtet werden
(§. 55.).


§. 116.

Von dem
Recht zur
Erbau-
ung der
Haͤuſer.

Wir wiſſen aus der Erfahrung, daß die
Menſchen Haͤuſer noͤthig haben, damit ſie
vor dem Wetter ſicher, ihre Arbeiten und Ge-
ſchaͤffte verrichten, Speiſen zubereiten, den
ermuͤdeten Leib durch den Schlaf erquicken,
und
[75]des Menſchen gegen ſich ſelbſt.
und die Sachen, die ſie noͤthig haben, auf-
behalten und verwahren koͤnnen. Daher er-
hellet auch leicht, daß die Menſchen be-
queme Haͤuſer erbauen muͤſſen; und
ihnen von Natur ein Recht zu allem
demjenigen zukomme, was zu der Er-
bauung derſelben noͤthig iſt, wie auch
zu den Verrichtungen, die zu der Er-
bauung erfordert werden. Es muß
aber auch hier die natuͤrliche Wohlan-
ſtaͤndigkeit beobachtet werden
(§. 55.).


§. 117.

Die natuͤrliche Schoͤnheit nennt manVon der
natuͤrli-
chen und
kuͤnſtli-
chen
Schoͤn-
heit und
von den
Zierra-
then des
Leibes.

diejenige, welche in dem Leibe des Menſchen
von Natur befindlich iſt. Wie aus der Er-
fahrung erhellet, ſo beſtehet dieſelbe in der
Symmetrie, d. i. in der geſchickten Ver-
haͤltniß der aͤuſſeren Theile gegen einander und
gegen den gantzen Koͤrper; in der Euryth-
mie,
das iſt, in der Aehnlichkeit der Theile,
welche zu beyden Seiten ſind, und denen
mittlern Theilen unaͤhnlich ſind; und in der ge-
ſchickten Figur und Farbe derſelben. Es wird
hingegen die kuͤnſtliche genannt, welche dem
Leibe durch Menſchen-Haͤnde zuwege gebracht
wird. Dasjenige iſt ſchoͤn, was uns gefaͤllt;
folglich kann die natuͤrliche Schoͤnheit keine
andere Abſicht haben, als daß man andern
gefalle; die kuͤnſtliche aber muß den Mangel
der natuͤrlichen erſetzen und dieſelbe vermeh-
ren. Wir ſollen deswegen die natuͤr-
liche Schoͤnheit erhalten (§. 43.), und

wenig-
[76]I. Th. 4. H. Von den Pflichten
wenigſtens iſt die kuͤnſtliche des Wohl-
ſtandes halber nicht unerlaubt
(§. 54.).
Aus dieſer Urſache haben wir von Natur
ein Recht zu den Dingen, welche die-
nen, dem Koͤrper eine kuͤnſtliche Schoͤn-
heit zu verſchaffen.
Man nennt dieſelbe
Zierrathen(ornamenta); folglich hat der
Menſch ein Recht zu den Zierrathen,
und zu alle dem, was dazu dienet,
Zierrathen zu verfertigen, auch den
Verrichtungen, die ſie zu verfertigen
und zu gebrauchen erfordert werden.


§. 118.

Von der
Gluͤckſee-
ligkeit
und Un-
gluͤckſee-
ligkeit.

Die Gluͤckſeeligkeit(felicitas) iſt der
Zuſtand eines dauernden Vergnuͤgens und
einer dauernden Freude, welche naͤmlich kein
Misvergnuͤgen verurſacht, noch darein ver-
kehret wird, oder welche unſchaͤdlich iſt.
Die Ungluͤckſeeligkeit(infelicitas) aber iſt
der Zuſtand des Misvergnuͤgens und der Trau-
rigkeit. Die Begierde des Menſchen iſt von
Natur beſtimmt, dasjenige zu begehren, wor-
an er Vergnuͤgen empfindet; folglich nach der
Gluͤckſeeligkeit zu ſtreben. Er verabſcheuet
aber von Natur dasjenige, woraus man Mis-
vergnuͤgen empfindet; folglich die Ungluͤckſee-
ligkeit. Der Menſch muß alſo beſorgt
ſeyn, daß er gluͤckſeelig wird, nicht
aber ungluͤckſeelig
(§. 36.); folglich hat
er ein Recht zu demjenigen, was et-
was zu ſeiner Gluͤckſeeligkeit beytragen
kann
(§. 46.). Es erhellet aber ſelbſt aus
der
[77]des Menſchen gegen ſich ſelbſt.
der Erklaͤrung der Gluͤckſeeligkeit, daß man
die wahre Gluͤckſeeligkeit von der fal-
ſchen,
die nur den Schein derſelben hat, un-
terſcheiden muͤße;
damit wir nicht, wenn
wir begehren gluͤckſeelig zu ſeyn, uns ſelbſt
ungluͤckſeelig machen. Ferner iſt klar, daß
man alles Misvergnuͤgen, ob es gleich
klein iſt, verabſcheuen muͤße;
weil daſſel-
be der Gluͤckſeeligkeit entgegen.


§. 119.

Wir leben bequemlich(vitam commo-Vom be-
quemli-
chen und
vergnuͤg-
ten Leben.

de tranſigimus), wenn wir dasjenige, was
wir zu thun haben, ohne alles Mißvergnuͤgen
verrichten koͤnnen, oder daſſelbe alles Miß-
vergnuͤgen von uns entfernt. Wenn wir aber
dasjenige thun, woraus wir ein unſchuldiges
Vergnuͤgen empfinden, ſo leben wir ver-
gnuͤgt
(jucunde vivimus). Der Menſch
muß demnach beſorgt ſeyn, daß er be-
quemlich und vergnuͤgt leben moͤge
(§.
118.); folglich hat er ein Recht zu allen
denjenigen Dingen, die zur Bequem-
lichkeit und zum Vergnuͤgen des Le-
bens etwas beytragen
(§. 46.).


§. 120.

Das vergaͤngliche Vergnuͤgen(vo-Von der
vergaͤng-
lichen
Luſt.

luptas tranſitoria) iſt dasjenige, welches nur
eine kleine Zeit dauert, und niemahls wieder-
koͤmmt; dergleichen iſt alles, was die Sin-
nen ergoͤtzet. Wenn es unſchaͤdlich iſt, ſo
traͤgt es zur Gluͤckſeeligkeit des Menſchen et-
was bey; wenn es aber ſchaͤdlich iſt, ſo be-
foͤrdert
[78]I. Th. 4. H. Von den Pflichten
foͤrdert es die Ungluͤckſeeligkeit (§. 118.).
Das vergaͤngliche Vergnuͤgen, oder
die vergaͤngliche Luſt iſt alſo erlaubt,
wenn es unſchaͤdlich iſt; aber uner-
laubt, wenn es ſchaͤdlich iſt
(§. cit.).


§. 121.

Von den
Sachen
und de-
ren Ein-
thei-
lung.

Eine Sache(res) nennen wir ein jedes
Ding (ens omne), welches uns nuͤtzlich ſeyn
kann; naͤmlich um das Leben zu erhalten, und
vergnuͤgt und bequemlich zu leben; entweder
die Vollkommenheit des Leibes und der Seele
auf alle Art und Weiſe zu befoͤrdern, oder die
Unvollkommenheit abzuwenden Es iſt eine
Sache aber entweder koͤrperlich(corpora-
lis),
welche durch die Sinnen empfunden
werden kann, oder unkoͤrperlich(incorpo-
ralis),
welche durch die Sinnen nicht em-
pfunden werden kann, ſondern durch den
Verſtand allein begriffen wird; dergleichen
ſind die Rechte und die Fertigkeiten der See-
le. Es ſind dieſelben entweder nothwen-
dige Sachen
(res neceſſariæ), welche zur
Erhaltung des Lebens und der Geſundheit,
und um die Seele vollkommen zu machen er-
fordert werden; oder nuͤtzliche(res utiles),
welche etwas dazu beytragen, daß man be-
quem leben und das ſeine verrichten kann, oder
vergnuͤgende(res voluptuariæ), welche nur
allein das Vergnuͤgen befoͤrdern, oder zur Luſt
dienen. Ferner ſind einige Sachen blos
natuͤrliche
(res pure naturales), welche
die Natur von ſich ſelbſt hervorbringt; andere
durch
[79]des Menſchen gegen ſich ſelbſt.
durch Fleiß gezogene(res induſtriales),
welche die Natur nicht anders, als durch da-
bey angewandten menſchlichen Fleiß hervor-
bringt; noch andere kuͤnſtliche(res artificia-
les),
welche durch die menſchliche Kunſt her-
vorgebracht werden.


§. 122.

Es iſt leicht begreiflich, daß die noth-Welche
Sachen
andern
vorzu-
ziehen
ſind.

wendigen Sachen den nuͤtzlichen und
vergnuͤgenden vorzuziehen ſind (§.
121.); weil ſie von der Haupt-Verbindlich-
keit erfordert werden (§. 36.). Die nuͤtzli-
chen aber ſind den vergnuͤgenden vor-
zuziehen;
weil die vergnuͤgenden nur die
Sinnen ergoͤtzen (§. 121. 129.); und alſo
ihr Gebrauch behutſam angeſtellet werden
muß (§. 120.).


§. 123.

Die Menſchen koͤnnen der nothwendigenVon der
hinlaͤng-
lichen
Anzahl
der Sa-
chen.

Sachen nicht entbehren (§. 121.). Wenn
alſo die Natur dieſelben nicht vor ſich in
einer ſolchen Menge hervorbringt, als
fuͤr alle hinlaͤnglich iſt; ſo muͤßen die
Menſchen durch ihre Arbeit dieſelben
vermehren, oder diejenigen, welche
die Natur nicht hervorbringt, durch
die Kunſt verfertigen.
Daher fließt die
Verbindlichkeit zum Acker- und Garten-Bau,
der Wilden Baum- und der Vleh-Zucht ꝛc.
Ja, da auch der Gebrauch der nuͤtzlichen und
vergnuͤgenden Sachen erlaubt iſt (§. 119.
121.); ſo muͤſſen ſich auch die Men-
ſchen
[80]I. Th. 4. H. Von den Pflichten
ſchen bemuͤhen, daß es nicht an einer
hinlaͤnglichen Anzahl von nuͤtzlichen
und vergnuͤgenden Sachen fehle,
wel-
che aus dem Vorzuge der nuͤtzlichen beyder-
ſeits zu beſtimmen (§. 122.).


§. 124.

Von der
Arbeit.

Die Arbeit iſt die Muͤhe, welche man auf
die Hervorbringung von koͤrperlicher und un-
koͤrperlicher Sachen, und zur Befoͤrderung
der Bequemlichkeit, des Vergnuͤgens und
des Wohlſtandes anwendet: der Mißigang
beſtehet in Unterlaßung der Arbeit. Men-
ſchen ſind verbunden ſo wohl koͤrperliche (§.
123.), als unkoͤrperlicher Sachen hervorzu-
bringen (§. 108. 110. 121.); derowegen
muß jeder Menſch arbeiten, und keiner
darf muͤßig gehen;
in ſo fern aber man
auf die Geſundheit zu ſehen hat (§. 113.),
muß man zu viele Arbeit, daß iſt, die
mit Schaden der Geſundheit vorgenommen
wird, und zu ſchwere Arbeit, zu welcher
unſere Kraͤfte kaum zu reichen, vermeiden;
und in ſo fern man in allen ſeinem Thun und
Laſſen recht verfahren muß (§. 52.), ſeine
Arbeit recht verrichten;
folglich davor
ſorgen, daß den kuͤnſtlichen Sachen
nicht die gehoͤrige Vollkommenheit
fehle (§. 11. 16.); auch zu dem Ende, al-
len noͤthigen Gebrauch der Kraͤfte zu
erlangen, trachten.
Und weil gar vieler-
ley Arbeit iſt, dazu eines einigen Menſchen
Kraͤfte nicht zureichen, die Menſchen aber
verbun-
[81]des Menſchen gegen ſich ſelbſt.
verbunden ſind mit vereinigten Kraͤften ſich
und ihren Zuſtand zu verbeſſern (§. 44.); ſo
muß ein jeder die Arbeit erwaͤhlen,
wozu er ſeine Kraͤfte hinreichend be-
findet, folgends die Lebensart, wozu
er geſchickt iſt,
das iſt, denjenigen Stand,
darinnen er ſeine Zeit mit Arbeit zubringt,
welche recht zu verrichten er den noͤthigen Ge-
brauch der Kraͤfte vermoͤge ſeiner natuͤrlichen
Faͤhigkeiten und Neigungen, zu erlangen im
Stande iſt.


§. 125.

Anderer Perſonen Urtheil von unſerer Voll-Von der
Hochach-
tung,
dem Lobe
und der
Ehre.

kommenheit wird die Hochachtung(exiſti-
matio)
genannt. Entdeckt man dieſelbe mit
Worten, ſo heiſt es das Lob; giebt man
ſie durch andere aͤuſſerliche Handlungen zu
verſtehen, die Ehre. Daher erhellet, daß
Lob und Ehre nicht in unſerer Ge-
walt ſey (§. 60.), und daß einen nie-
mand von ſich ſelbſt loben und ehren
koͤnne, als der von ſich ſelbſt ein wah-
res Urtheil von des andern Vollkom-
menheit faͤllen kann.
Jedoch weil wir
verbunden ſind uns und unſeren Zuſtand voll-
kommener zu machen (§. 43.); ſo muͤſſen
wir uns bemuͤhen, daß wir der Hoch-
achtung, folglich des Lobes und der
Ehre wuͤrdig ſeyn.
Und weil die Voll-
kommenheit der Seele in der Fertigkeit des
Verſtandes und Willens, ſo wir dem Geſetze
der Natur gemaͤß zu erlangen uns bemuͤhen
Nat. u. Voͤlckerrecht. Fſollen
[82]I. Th. 4. H. Von den Pflichten
ſollen (§. 106.), beſtehet, wovon jene die Tugen-
den des Verſtandes
(virtutes intellectuales),
dieſe die ſittliche Tugenden(virtutes mo-
rales),
oder auch, ohne Zuſatz, die Tugen-
den
genannt werden; ſo bringet nichts
als die Tugenden des Verſtandes und
die ſittliche Tugenden,
welche durch un-
ſere Wercke und Worte angezeiget werden,
folglich das Gute der Seele (§. 104.), ei-
ne wahre Hochachtung, Lob und Eh-
re zuwege; das Gute des Leibes und
die Guͤter des Gluͤcks aber bringen die-
ſelben nicht zuwege, als nur in ſo weit,
als dieſelbe durch die Tugenden erlan-
get worden.
Und demnach ſind ſie nur ei-
ne Gelegenheit zur Hochachtung, Lob und
Ehre.


§. 126.

Vom
Ruf.

Der Ruf(fama) iſt die gemeine Rede
der Menſchen von der Vollkommenheit, oder
Unvollkommenheit eines Menſchen; folglich
von den Worten und Wercken, welche die-
ſelben anzeigen. Alſo iſt der Ruf entweder
gut oder boͤſe. Weil der Menſch ſich im-
mer vollkommener machen ſoll (§. 43.), und
in allem ſeinem Thun recht verfahren (§. 52.);
ſo muß er ſich bemuͤhen einen guten
Nahmen, oder Ruf zu haben, und
zwar mit Recht,
auch denſelben be-
ſtaͤndig zu erhalten ſuchen,
das iſt, ſich
ſorgfaͤltig in Acht nehmen, daß er denſelben
nicht beflecke, damit nicht der gute Ruf in
einen
[83]des Menſchen gegen ſich ſelbſt.
einen ſchlimmen verwandelt werde; folglich
wenn er etwas gethan hat, das dem
guten Ruf zuwieder iſt; ſo muß er
durch das Gegentheil denſelben wieder
zu erlangen ſuchen.


§. 127.

Das uͤbereinſtimmende Lob rechtſchaffenerVon dem
Ruhme.

und verſtaͤndiger Maͤnner, oder derer die
richtig urtheilen, heiſt der Ruhm(gloria).
Was wir alſo von dem Lobe geſagt haben, gilt
auch von dem Ruhme.


§. 128.

Da Lob und Ehre nicht in unſerer GewaltDaß
man Lob
und Ehre
nicht be-
gehren
muͤſſe.

ſtehen (§. 125.), wir aber nach Abſichten
handeln ſollen; ſo muͤſſen wir Lob und
Ehre nicht zu einer Abſicht bey unſern
Handlungen machen; ſondern es an-
dern uͤberlaſſen, ob ſie uns loben und
ehren wollen
(§. 78.); folglich muͤſ-
ſen wir nach Lob und Ehre nicht
ſtreben, vielweniger uns ſelbſt lo-
ben.


§. 129.

Da der Menſch ſich ſelbſt, ſeiner Seele, ſei-Wie das
Urtheil
von nns
und un-
ſerm Zu-
ſtand be-
ſchaffen
ſeyn
muß.

nem Leibe und ſeinem Zuſtande nach, erkennen
ſoll (§. 105.); ſo muß das Urtheil von
den Guͤtern ſeiner Seele, ſeines Leibes
und des Gluͤcks wahr ſeyn: er muß
auch bey denſelben nicht ſeinem Fleiß
und ſeinen Bemuͤhungen zuſchreiben,
was der Natur, dem Gluͤck und an-
dern zugeeignet werden muß, und er

F 2iſt
[84]I. Th. 4. H. Von den Pflichten
iſt nicht weniger ſchuldig, ſeine Un-
vollkommenheit, als ſeine Vollkom-
menheit zu erkennen;
weil er ſonſt ſeiner
Verbindlichkeit kein Genuͤge leiſten kann (§.
43.). Weil aber ſelbſt durch die Natur des
Menſchen, aus der Empfindung der Voll-
kommenheit das Vergnuͤgen entſtehet; ſo iſt
das Vergnuͤgen, welches aus ſeiner
und ſeines Zuſtandes Vollkommenheit
entſtehet, nicht unerlaubt
(§. 49. 37.).


§. 130.

Von den
Pflichten
des Men-
ſchen in
Abſicht
auf das
Gluͤck.

Das Gluͤck(fortuna) iſt der Jnbegriff
aller Urſachen, die zuſammenkommen, und
eine vor uns gute oder ſchlimme Wuͤrckung
hervorbringen, die man nicht voraus ſehen
koͤnnen. Es iſt alſo das Gluͤck entweder das
gute Gluͤck
(ſecunda), oder das wiedri-
ge
(adverſa). Jenes nennen wir im Deut-
ſchen ſchlechterdinges das Gluͤck, dieſes aber
das Ungluͤck. Da wir nun das Gluͤck nicht in
unſerer Gewalt haben (§. 60.), und die Er-
fahrung uns lehret, daß es ſehr veraͤnderlich
iſt; ſo muͤſſen wir dem Gluͤck, wenn
es uns guͤnſtig iſt, nicht zu viel trauen,
und im Ungluͤcke nicht am beſſeren
Gluͤcke zweifeln;
folgends ſind wir ver-
bunden das Ungluͤck mit gelaßnem
Gemuͤth zu ertragen;
damit wir nicht
durch unſere Schuld ungluͤckſeelig werden (§.
118. 17.). Damit alſo nicht die wiedrigen
Zufaͤlle, die uns wieder Vermuthen begegnen,
das Gemuͤthe beunruhigen; ſo muͤſſen wir
die
[85]des Menſchen gegen ſich ſelbſt.
die wiedrigen Zufaͤlle, die nicht in
unſerer Gewalt ſtehen, als Dinge an-
ſehen, die geſchehen und von uns nicht
vermieden werden koͤnnen.
Und hierin
beſtehet die Zubereitung auf die zukuͤnf-
tigen Faͤlle.


§. 131.

Da die natuͤrliche Verbindlichkeit ſo noth-Von der
Vermei-
dung der
Gefahr.

wendig iſt (§. 38.), daß kein Menſch von
derſelben befreyt werden kann (§. 42.); ſo
muß ſich kein Menſch durch die Furcht
eines Uebels abſchrecken laſſen, das zu
thun, was dem Geſetze der Natur
gemaͤß iſt; ſich auch nichts zu thun be-
wegen laſſen, was dem Geſetze der
Natur zuwieder iſt.
Weil wir aber auch
alle Gefahr von uns und unſerem Zuſtande
abwenden ſollen (§. 43.); ſo muß auch nie-
mand, wenn ihn keine Verbindlichkeit
dazu antreibt, ſich in Gefahr begeben,

z. E. das Leben oder geſunde Gliedmaſſen zu
verliehren, oder ſeinen Zuſtand unvollkom-
mener zu machen. Was man in einem be-
ſondern Falle zu thun hat, lehrt die Ausnah-
me, die man machen muß, wenn Pflichten
nicht zugleich beobachtet werden koͤnnen (§. 64.).


§. 132.

Die Selbſtliebe(amor proprius) iſt dieVon der
Selbſt-
liebe und
ihrer Be-
weiſung.

Beſchaffenheit des Gemuͤths, aus ſeiner eige-
nen Gluͤckſeeligkeit ein Vergnuͤgen zu empfin-
den. Die Ausuͤbung derſelben(dilectio
ſui)
iſt ein beſtaͤndiger und dauernder Wille,
F 3mit
[86]I. Th. 5. H. Von den Pflichten
mit allem Fleiß ſich dahin zu beſtreben, daß
wir gluͤckſeelig ſeyn moͤgen; und folglich ſich
in acht zu nehmen, daß wir nicht ungluͤckſee-
lig werden. Da der Menſch ſorgfaͤltig ſeyn
ſol, daß er gluͤckſeelig und nicht ungluͤckſeelig
werde (§. 118.); ſo muß er ſich ſelbſt
lieben.
Die Begierde des Menſchen iſt
uͤberhaupt zur Gluͤckſeeligkeit beſtimmt; auch
das Gemuͤth des Menſchen iſt natuͤrlicher
Weiſe geneigt, ein Vergnuͤgen aus ſeiner ei-
genen Gluͤckſeeligkeit zu empfinden (§. cit.);
alſo iſt die Selbſtliebe nicht unerlaubt
(§. 49. 37). Es muß dieſelbe aber doch
durch die Vernunft regiert werden,
daß man nicht die ſcheinbahre Gluͤck-
ſeeligkeit mit der wahren verwechſelt

(§. 43. 118.).


Das fuͤnfte Hauptſtuͤck.


Von den Pflichten des Menſchen
gegen andere, und den Rechten, die
mit denſelben verbunden ſind.


§. 133.

Von der
Ueber-
einſtim-
mung der
Pflichten
gegen ſich
ſelbſt und
gegen
andere.

Da der Menſch verbunden iſt, nicht al-
lein ſich und ſeinen Zuſtand vollkom-
mener zu machen, und die Unvollkom-
menheit abzuwenden (§. 43.); ſondern auch
zur Vollkommenheit des andern und ſeines
Zuſtandes, wenn der andere ſeiner Huͤlfe noͤ-
thig hat, ſo viel als ihm moͤglich, beyzutragen,
und
[87]des Menſchen gegen andere.
und alles dasjenige zu unterlaſſen, wodurch
der andere und ſein Zuſtand unvollkommener
gemacht wird (§. 44.); ſo iſt jeder Menſch
einem jeden, er ſey wer er wolle, eben
das ſchuldig, was er ſich ſelbſt ſchul-
dig iſt; doch in ſo fern es nicht ſchon
in des andern Vermoͤgen allein ſtehet,
und er es, ohne die Pflichten gegen
ſich ſelbſt zu verabſaͤumen, dem andern
leiſten kann.
Folglich ſind die Pflichten
des Menſchen gegen andere mit den
Pflichten gegen ſich ſelbſt einerley
(§.
57.). Es muͤſſen alſo dieſelben auch bey an-
dern angewandt werden.


§. 134.

Ein jeder Menſch muß alſo dem an-Wir
muͤſſen
andern
behuͤlflich
ſeyn Gu-
tes zu er-
langen.

dern, ſo viel in ſeinem Vermoͤgen ſte-
het, helfen, daß er, was ihm an Seele
und Leibe gut, und zu ſeinem Gluͤcke
dienet, erlange
(§. 104.); und folglich
verhuͤten, daß andere nicht in Uebel
an Seele und Leib, oder in Ungluͤck
verfallen
(§. 51.). Und weil das Geſetz
der Natur die Huͤlfe nicht auf gewiſſe Guͤter
einſchrencket; ſo muͤſſen wir dem andern
unſere Huͤlfe nicht verſagen, auch mehr
Gutes zu erlangen, als wir ſelbſt ha-
ben.
Da nun dieſes nicht geſchehen kann,
wenn wir den andern wegen des Guten be-
neiden; ſo muͤſſen wir auch niemanden
das misgoͤnnen, was wir nicht ha-

F 4ben.
[88]I. Th. 5. H. Von den Pflichten
ben. Es ſtreitet der Neid, oder die Mis-
gunſt, ſelbſt mit der Natur des Menſchen
(§. 39. 44.).


§. 135.

Ob die
natuͤrli-
che Ver-
bindlich-
keit durch
andere
gegenſei-
tige
Hand-
lungen
aufgeho-
ben wird.

Die natuͤrliche Verbindlichkeit iſt gaͤntzlich
unveraͤnderlich (§. 38.). Wenn alſo ein
anderer der natuͤrlichen Verbindlichkeit
kein Genuͤgen leiſtet, ſo iſt es uns des-
wegen nicht erlaubt ihr auch kein Ge-
nuͤgen zu leiſten;
folglich iſt es nicht er-
laubt, die Uebertretung des Rechts
der Natur durch das Exempel ande-
rer zu beſcheinigen; und es hoͤrt des-
wegen die Verbindlichkeit, gegen je-
mand anders eine Pflicht auszuuͤben,
nicht auf, wenn er ſeine Pflicht gegen
uns nicht erfuͤllet.
Weil dieſes auch von
denjenigen Pflichten zu verſtehen iſt, welche
durch das Geſetze verbothen ſind; ſo ſind
wir auch Liebesdienſte denen zu er-
weiſen ſchuldig, die uns beleidigen

(§. 88.).


§. 136.

Von der
Liebe und
Bewei-
ſung der-
ſelben ge-
gen an-
dere.

Die Pflichten des Menſchen gegen andere
ſind mit den Pflichten gegen ſich ſelbſt einer-
ley (§. 133.). Derowegen muß ein jeder
einen beſtaͤndigen und dauernden Wil-
len haben, die Vollkommenheit und
Gluͤckſeeligkeit eines jeden andern Men-
ſchen, er ſey wer er wolle, zu befoͤrdern

(§. 43. 118.); folgends, da in dieſem Willen
die Beweiſung der Liebe gegen andere
(dile-
[89]des Menſchen gegen andere.
(dilectio) beſtehet, in der Beſchaffenheit des
Gemuͤths aber aus des andern Gluͤckſeeligkeit
Vergnuͤgen zu ſchoͤpffen, die Liebe(amor),
ſoll ein jeder den andern als ſich ſelbſt
lieben, und ihm dieſelbe auf alle Art
und Weiſe beweiſen (§. 132.), nieman-
den aber haſſen
(§. 51.).


§. 137.

Wer uns liebt, heiſt unſer Freund; werWer
Freund,
wer
Feind, u.
von der
Liebe der
Feinde.

uns haſſet, der Feind. Wir muͤſſen alſo
jedermanns Freund, und niemanden
feind ſeyn
(§. 136.). Und weil die Pflich-
ten gegen andere dadurch nicht aufgehoben
werden, weil ſie dieſelbe gegen uns unterlaſ-
ſen (§. 135.); ſo muͤſſen wir auch unſe-
re Feinde lieben, wie uns ſelbſt, und ih-
nen keinen Liebesdienſt verſagen (§.
136.), vielweniger ſie gar haſſen.


§. 138.

Weil alle Menſchen gegen einander Freun-Von der
Bemuͤ-
hung
Freund-
ſchafft zu
halten.

de ſeyn ſollen (§. 137.); ſo muß ſich auch
ein jeder bemuͤhen, daß er ſich andre
nicht zu Feinden mache, ſondern daß
er anderer Freundſchafft erlange und
behalte.
Jedoch da niemand von der natuͤr-
lichen Verbindlichkeit befreyt werden kann (§.
42.); ſo doͤrffen wir aus Freundſchafft
nichts thun, was dem Geſetze der Na-
tur zuwieder iſt.


§. 139.

Die Vollkommenheit der Seele beſteht inDaß
man an-
dern ein

den Tugenden, die ihren Sitz ſo wohl im Ver-
F 5ſtande,
[90]I. Th. 5. H. Von den Pflichten
Exempel
geben
muß.
ſtande, als im Willen haben (§. 106. 125.).
Wir muͤſſen alſo fleißig ſeyn, dieſelben
bey anderen fortzupflantzen, andere
durch unſer Exempel die Tugenden
lehren, wie auch ſie zur Ausuͤbung der-
ſelben aufmuntern (§. 136.), folglich an-
dern gute Exempel geben,
wodurch naͤmlich
wir andere die Tugenden lehren, und ſie zu fleiſ-
ſiger Ausuͤbung derſelben aufmuntern; aber
boͤſe Exempel, wodurch wir andere die La-
ſter lehren, und ſie zur Ausuͤbung derſelben
anreitzen, unterlaßen (§. 51.), nieman-
den zu Laſtern verfuͤhren
(§. cit.).


§. 140.

Daß
man die
Voll-
kommen-
heit an-
derer
nicht ver-
hindern
ſolle.

Weil wir die Handlungen unterlaſſen ſol-
len, wodurch ein anderer oder ſein Zuſtand
unvollkommener gemacht wird, wie auch zu
ſeiner Vollkommenheit ſo viel beytragen, als
wir koͤnnen (§. 44.); ſo muß niemand ver-
hindern, daß der andere eine Vollkom-
menheit erhalte; man muß auch nicht
eine dritte Perſon verhindern, ihm zu
derſelben zu verhelfen.
Dieſes iſt von
allen und jeden Guͤtern der Seele, des Lei-
bes und des Gluͤcks zu verſtehen (§. 134.).
Es iſt auch klar, daß niemand die Ab-
wendung des Uebels an Seele und
Leib und des Ungluͤcks von andern,
oder Befreyung davon, verhindern
ſoll; vielweniger entweder ſelbſt, oder
durch andere ihn eines Guten berau-
ben
(§. cit.).


§. 141.
[91]des Menſchen gegen andere.
§. 141.

Weil die Pflichten des Menſchen gegenVon der
Sorge
fuͤr des
andern
Leib.

andere mit den Pflichten gegen ſich einerley
ſind (§. 133.); ſo muß niemand die Glied-
maſſen eines andern auf einige Weiſe
verletzen, oder ihn eines Gliedes be-
rauben, oder daſſelbe unbrauchbar ma-
chen, noch auch der Geſundheit des
andern auf einige Weiſe ſchaden; ſon-
dern ſein Leben und ſeinen Leib, ſo
viel an ihm iſt, erhalten, nicht weni-
ger, wenn er kranck iſt, ſorgen, daß
er wieder geſund werde
(§. 112.); folg-
lich muß er niemanden des Lebens berau-
ben, oder ihn toͤdten (§. 51.), daß ſolcher-
geſtalt ein jeder Todtſchlag, der vorſetzli-
cher Weiſe, oder aus Verſehen begangen
wird
(§. 17.), wovon jener ein vorſetzlicher,
dieſer ein unvorſetzlicher genannt wird,
von Natur unerlaubt iſt (§. 49). Und weil
niemand das Recht hat, ſich ſelbſt des Lebens zu
berauben (§. 112.); ſo iſt es auch nicht er-
laubt, einen andern, wenn er es auch
haben will, zu toͤdten.


§. 142.

Aus eben dem Grunde erhellet, daß wirWie man
vor den
guten Na-
men eines
andern
ſorgen
ſoll.

auch vor den guten Nahmen eines an-
dern Sorge tragen ſollen
(§. 126. 133.).
Da nun ein guter Ruf in der gemeinen Rede
der Menſchen von der Vollkommenheit ande-
rer, und folglich ihrem Thun und Laſſen be-
ſtehet (§. 126.); ſo muͤſſen wir nicht al-
lein
[92]I. Th. 5. H. Von den Pflichten
lein einen jeden ſo hoch achten, als er
es verdient; ſondern ihm auch die ge-
buͤhrende Ehre und das verdiente Lob
geben
(§. 125.); folglich muͤſſen wir nie-
manden ſeinen ehrlichen Nahmen kraͤn-
cken, noch jemanden die gebuͤhrende
Hochachtung und Ehre, noch das ver-
diente Lob verſagen,
d. i. noch vermindern
(§. 51.); vielweniger mit Vorſatz falſche
Sachen von andern zu Kraͤnckung ſeiner Eh-
re ausbreiten und bekannt machen, das iſt,
andere verlaͤumden.


§. 143.

Von der
Jnjurie
im enge-
ren Ver-
ſtande.

Die Verletzung oder Kraͤnckung der Ehre
oder des guten Nahmens eines andern, ſie
mag geſchehen, auf was Art und Weiſe ſie will,
neñt man eine Jnjurie, oder einen Schimpf
(injuria ſpecialiter dicta). Sie heiſt eine
Real-Jnjurie(realis), wenn ſie durch eine
Handlung; eine Verbal-Jnjurie(verba-
lis),
wenn ſie mit Worten geſchieht. Es
darf
alſo niemand den andern injurii-
ren oder ſchimpfen
(§. 142.).


§. 144.

Vom
Recht,
welches
wir wie-
der die
Perſonen
haben,
die uns
ſchim-
pfen.

Daher haben wir das Recht, daß
man geſchimpft wird, nicht zu leiden
(§. 89.); welches uns
alſo von Natur
zukoͤmmt.
Wir ſchlieſſen alſo auf eben die
Weiſe, wie vorher (§. 90. 92. und 93.), daß
wir das Recht haben, unſere Ehre
und guten Nahmen zu vertheidigen,
und den, welcher uns ſchimpft, zu ſtra-

fen;
[93]des Menſchen gegen andere.
fen; folglich diejenige Handlungen er-
laubt ſind, ohne welche der gute Nah-
me nicht vertheidiget, und die Abſicht
der Strafe nicht erhalten werden kann.

Es beſteht aber dieſe Abſicht darinn, daß wir
den Sinn desjenigen, welcher uns ſchimpft,
aͤndern, und zugleich andern eine Furcht ein-
jagen wollen, welchen die Luſt ankommen
koͤnte uns zu ſchimpfen (§. 92).


§. 145.

Der Hochachtung wird die Schande ent-Von der
Schande.

gegen geſetzet, welche in einem Urtheile an-
derer von unſerer Unvollkommenheit beſtehet;
folglich koͤmmt die wahre Schande nicht
anders, als von den Laſtern her, und

alſo aus den Handlungen, welche die-
ſelbe verrathen, wie auch aus dem
Mangel der Tugenden des Verſtandes
(§. 125.), in ſo fern wir Schuld daran
haben
(§. 17.). Und dieſes gilt auch
von den Gebrechen des Leibes und
den Kranckheiten, und dem Ungluͤcke.

Ja die Gluͤcksguͤter gereichen uns zur
Schande, in ſo ferne wir durch La-
ſter dazu gelanget.


§. 146.

Die Verachtung(contemtus) nenntVon der
Verach-
tung, der
Beſchim-
pfung,
den Laͤ-
ſterun-

man eine jede aͤuſſere Handlung, durch welche
man anzeigt, daß der andere des Lobes und
der Ehre unwuͤrdig ſey. Die Beſchimpfung
(contumelia) iſt eine aͤuſſere Handlung, wo-
durch wir dem andern ſeine Unvollkommenhei-
ten,
[94]I. Th. 5. H. Von den Pflichten
gen, dem
Tadeln.
ten, mit dem Vorſatz ihn zu beſchimpfen (ani-
mo ignominia afficiendi),
vorwerffen und
verweiſen. Der Tadel(vituperium) iſt ei-
ne Rede, wodurch wir andern den Mangel
einer Vollkommenheit ſchuld geben. Es er-
hellet leicht, daß man niemand verach-
ten ſoll, und daß alle Beſchimpfungen
und Laͤſterungen, auch alles Tadeln
ein Schimpf,
folglich natuͤrlich uner-
laubt ſey
(§. 143.).


§. 147.

Welchem
Recht die
uͤblen Ur-
theile
von an-
dern zu-
wieder
ſind.

Weil, nach der natuͤrlichen Freyheit, man
einem jeden erlauben muß, daß er in der Be-
ſtimmung ſeiner Handlungen ſeinem Urtheile
folge, und er nicht ſchuldig iſt, jemand anders
Rechenſchafft von denſelben zu geben, ſo lan-
ge er nicht thut, was dem Rechte des andern
zuwieder iſt (§. 78.); ſo ſind die uͤbeln Ur-
theile von anderer Handlungen, man
mag ſie durch Worte, oder Wercke zu
erkennen geben, ſo lange nichts, was
unſerm Recht zuwieder iſt, geſchieht,
der natuͤrlichen Freyheit zuwieder;

folglich ſchließt die natuͤrliche Freyheit
das Recht in ſich, andere dazu anzu-
halten, daß ſie nicht uͤbel von uns re-
den, das Urtheil mag wahr, oder falſch
ſeyn.


§. 148.

Von dem
Verluſt
ſeines
ehrlichen
Namens.

Der Verluſt des ehrlichen Nahmens
(infamia) iſt die allgemeine Meinung der
Menſchen von eines andern Laſtern, die wir
oben
[95]des Menſchen gegen andere.
oben den uͤbeln Ruf genannt haben (§. 126.).
Da wir nun darauf zu ſehen haben, daß wir
einen guten Ruf oder guten Nahmen haben
(§. cit.); ſo muͤſſen wir uns vor dem
Verluſt eines ehrlichen Nahmens huͤ-
ren:
und weil wir auch fuͤr den guten Nah-
men eines andern Sorge tragen ſollen (§. 142.);
ſo muͤſſen wir niemanden ſeinen ehrli-
chen Nahmen beflecken
(infamiam ad-
ſpergere)
. Daraus iſt ferner klar, daß nur
die Handlungen, welche von den La-
ſtern kommen, unſerm ehrlichen Nah-
men ſchaden
(infamare),und uns dar-
um bringen.


§. 149.

Ein Pasquill, Schmaͤhſchrift(libel-Von
Pasquil-
len.

lus famoſus) nennt man eine Schrifft, durch
welche andern ehrenruͤhrige Handlungen ſchuld
gegeben werden. Da der Urheber derſelben,
er mag verborgen ſeyn, oder ſeinen Nahmen
gemeldet haben, den andern um ſeinen ehrli-
chen Nahmen bringet; ſo ſind Pasquille
von Natur unerlaubt
(§. 148.).


§. 150.

Weil wir fuͤr den guten Nahmen an-Von der
Beſchuͤ-
tzung des
ehrlichen
Namens
anderer.

derer beſorgt ſeyn ſollen (§. 142.); ſo muͤſ-
ſen wir
denſelben wieder Verlaͤumder
und Laͤſterer vertheidigen, ſo viel in
unſerer Gewalt ſtehet.
Es ſind aber die
Verlaͤumder von den Laͤſterern unterſchieden.
Die Verlaͤumder(calumniatores) ſtreuen
falſche Dinge aus, mit dem Vorſatz, den an-
dern
[96]I. Th. 5. H. Von den Pflichten
dern um ſeinen ehrlichen Nahmen zu brin-
gen. Die Laͤſterer(obtrectatores) ſtreuen
Dinge aus, die dem Lobe des andern zuwie-
der ſind.


§. 151.

Von dem
Recht
andere zu
verthei-
digen, u.
ihnen bey
der Be-
ſtrafung
zu helfen.

Der Menſch hat das Recht, nicht zu dul-
den, daß ihn jemand beleidige (§. 89.), und
alſo ſich gegen die Beleidigung, die man ihm
zufuͤgen will, zu wehren (§. 90.), und denje-
nigen, welcher ihn wuͤrcklich beleidiget hat,
zu ſtrafen (§. 93.). Da wir nun andern eben
dasjenige ſchuldig ſind, was wir uns ſelbſt
ſchuldig ſind (§. 133.), und die Rechte uns
von Natur gegeben ſind, um der Verbind-
lichkeit ein Genuͤge zu leiſten (§. 46.); ſo
haben wir auch das Recht nicht zu lei-
den, daß einer von andern beleidiget
werde; ihn gegen eine Beleidigung,
die man ihm zufuͤgen will, zu verthei-
digen, und den Beleidiger zu ſtrafen,
wenn der andere unſerer Huͤlfe dazu
noͤthig hat.


§. 152.

Von der
Huͤlfe im
Kriege.

Der Krieg beſtehet (§. 98.) in der Ver-
theidigung ſeiner, oder daß man ſich gegen
Gewalt wehret, in der Beſtrafung anderer,
und in der gewaltſamen Behauptung ſeines
Rechts, um dasjenige zu erhalten, wozu uns
der andere vollkommen verbunden iſt, und es
uns nicht gewehren will; welche letztere der Ver-
theidigung aͤhnlich iſt (§. 90. 88.). Es iſt alſo
von Natur erlaubt, einem andern, der
das
[97]des Menſchen gegen andere.
das Recht zum Kriege auf ſeiner Sei-
te hat, im Kriege zu helfen, wenn er
unſerer Huͤlfe bedarf.


§. 153.

Uns koͤmmt das Recht zu, denjenigen zuVon der
Schuld
der Stea-
fe und
dem Ver-
dienten
in der-
ſelben.

ſtrafen, der uns wuͤrcklich beleidiget hat
(§. 93.), und dieſer iſt verbunden die
Strafe zu erdulden.
Jn dieſer Verbind-
lichkeit beſtehet die Schuld der Strafe
(reatus), von der, wenn man genauer die
Sache anſehen will, man das Verdiente in
der Strafe
(meritum pœnæ ſ. demeritum)
unterſcheiden muß, daß man es vor die Be-
ſchaffenheit einer Handlung nimmet, aus wel-
cher der Beleidigte das Recht erhaͤlt, den Be-
leidiger zu ſtrafen, dem von Seiten des Be-
leidigers entgegen geſetzt iſt die Verbindlich-
keit, die Strafe zu erdulden; oder welche
ihn der Strafe wuͤrdig macht. Gewoͤhnlicher
weiſe wird die Schuld der Strafe von dem
Verdienten in der Strafe nicht unterſchieden.


§. 154.

Eine Handlung, wodurch man ge-Von
Hand-
lungen,
dadurch
man ge-
kraͤncket
wird.

kraͤncket wird, oder Kraͤnckung(offen-
ſa),
iſt entweder eine begangene, oder unter-
laſſene Handlung, woraus der andere einen
Verdruß mit Recht empfindet. Da dieſelbe
der Gluͤckſeeligkeit zuwieder iſt, die wir auch
bey andern zu befoͤrdern ſchuldig ſind (§. 136.);
ſo doͤrfen wir niemanden kraͤncken, oder
ihm etwas zuwieder thun. Weil nun
niemand von der natuͤrlichen Verbindlichkeit
Nat. u. Voͤlckerrecht. Gbefreyt
[98]I. Th. 5. H. Von den Pflichten
befreyt werden kann (§. 100.), und man ei-
nem jeden erlauben muß ſich ſeines Rechts
zu bedienen (§. 66.); ſo iſt es keine Kraͤn-
ckung, ſondern wird faͤlſchlich davor
angenommen, wenn einer das thut,
wozu er verbunden iſt, oder was er mit
Recht thun kann.


§. 155.

Võn der
Rache.

Weil wir niemanden haſſen ſollen (§. 136.),
der Haß(odium) aber in der Gemuͤths-
Verfaſſung beſtehet, aus des andern Ungluͤck-
ſeeligkeit, oder Verdruß und Traurigkeit
(§. 118.) ein Vergnuͤgen zu empfinden; ſo
darf auch niemand dem andern Ver-
druß verurſachen:
und da dieſe Verbind-
lichkeit durch eines andern gegenſeitige Hand-
lung nicht aufgehoben wird (§. 135.); ſo
duͤrfen wir auch niemanden Verdruß
erwecken wollen, weil er uns gekraͤn-
cket;
folglich muͤßen wir dem andern
nichts Boͤſes thun, der uns etwas Boͤ-
ſes gethan hat,
oder Boͤſes mit Boͤſem
vergelten. Die Rache(vindicta) nennt
man alle Handlungen, durch welche man Boͤ-
ſes mit Boͤſem vergilt, und die Rachgier
(cupiditas vindictæ) die Begierde dem an-
dern Verdruß zu verurſachen, der uns gekraͤn-
cket hat. Daher iſt klar, daß die Rache
unerlaubt ſey, und daß wir ein von al-
ler Rachgier befreytes Gemuͤthe ha-
ben muͤſſen;
folglich daß daſſelbe auch
bey der Ausuͤbung des uns zukommen-

den
[99]des Menſchen gegen andere.
den Rechts zu ſtrafen und ſich gegen
Gewalt zu wehren, nicht ſtatt finden
duͤrfe
(§. 90. 93.). Derowegen haben wir
bey den Strafen und Vertheidigun-
gen nicht zur Abſicht, dem andern Ue-
bels zuzufuͤgen; ſondern in dem erſten
Fall, die kuͤnftige Sicherheit; in dem
andern Fall, die Vertreibung einer her-
annahenden Beleidigung
(§. 90. 91.
ſeqq.).


§. 156.

Die Wiedervergeltung(talio) heiſtVon der
Wieder-
vergel-
tung.

die gleiche Rache, da einer naͤmlich ein ſo großes
Uebel leidet, als er dem andern angethan hat.
Da alle Rache unerlaubt iſt (§. 155.), ſo iſt
auch die Wiedervergeltung unerlaubt;

folglich giebt es von Natur kein Wieder-
vergeltungs-Recht
(jus talionis) (§. 49.);
und daher muß man bey den Strafen
nicht auf die Wiedervergeltung ſehen;

folgends muß der, welcher einen andern
getoͤdtet hat, nach dem natuͤrlichen
Rechte, eben nicht am Leben geſtrafer
werden.


§. 157.

Der verzeihet oder vergiebt eineVon der
Verzei-
bung der
Kraͤn-
ckungen
und Er-
laſſung
der Stra-
ſe.

Kraͤnckung(offenſam condonat), welcher
alle Begierde zur Rache fahren laͤßt. Da
nun das Gemuͤth von aller Rache entfernt
ſeyn ſoll (§. 155.); ſo muͤſſen wir zum
Verzeihen willig und bereir ſeyn.
Al-
lein weil man ohne Rachgier ſtrafen kan und
G 2ſoll
[100]I. Th. 5. H. Von den Pflichten
ſoll (§. cit.); ſo enthaͤlt die Verzeihung
der Kraͤnckung,
oder deſſen, was man ei-
nem zuwieder gethan, nicht den Erlaß der
Strafe,
oder die Unterlaßung des Ge-
brauchs ſeines Rechts zu ſtrafen. Aber aus
eben der Urſache muß man zu keiner haͤr-
teren Strafe ſchreiten, wo man die
Abſicht derſelben durch eine gelindere
erhalten kann: ja man muß die Strafe
erlaſſen, wenn ohne dieſelbe die Ab-
ſicht erreicht werden kann.


§. 158.

Von der
Maͤßi-
gung ſich
zu weh-
ren.

Da auf eine gleiche Weiſe, wenn man
ſich wehret,
man zur Abſicht hat, eine
vorhabende Beleidigung abzuwenden, aber
nicht dem andern Schaden zuzufuͤgen (§. 155.),
und man aus den vorkommenden Umſtaͤnden
diejenigen Handlungen, welche erlaubt ſind,
um die Beleidigung abzuwenden, beſtimmen
muß (§. 90.); ſo muß man, wenn die
Beleidigung durch gelindere Mittel
abgewandt werden kan, nicht haͤrtere
gebrauchen.


§. 159.

Von
dem, was
im Krie-
ge er-
laubt.

Und weil der Krieg gefuͤhrt wird, unſer
Recht zu beſchuͤtzen und zu erhalten (§. 98.);
ſo iſt im Kriege ſo viel Gewalt erlaubt,
als noͤthig iſt, unſer Recht zu erhal-
ten, und den Wiederſtand zu uͤberwin-
den, den man wieder eine gerechte Ge-

walt
[101]des Menſchen gegen andere.
walt anwendet. Auf dieſe Weiſe wird,
was im Kriege erlaubt iſt, von dem unterſchie-
den, was nicht erlaubt iſt.


Das ſechſte Hauptſtuͤck.


Von den Pflichten gegen GOtt.


§. 160.

Es iſt gewiß, daß nicht allein die natuͤr-Von den
freyen
Hand-
lungen,
die durch
Bewe-
gungs-
gruͤnde,
die von
den goͤtt-
lichen Ei-
genſchaf-
ten her-
genom-
men ſind,
beſtimmt
werden
ſollen.

lichen Handlungen des Menſchen, ſon-
dern auch alle uͤbrigen Dinge in der
Welt alſo beſtimmt werden, daß man daraus
ſchlieſſen kann, was vor Eigenſchafften GOtt
zukommen. Da nun die freyen Handlungen
auf eben dieſe Weiſe, wie die natuͤrlichen, be-
ſtimmt werden ſollen (§. 43.), und dieſe Hand-
lungen von dem Willen des Menſchen herruͤh-
ren, der durch Bewegungsgruͤnde beſtimmt
werden muß (§. 1. \& cit.); ſo muß auch
der Menſch alle ſeine Handlungen
durch Bewegungsgruͤnde, die von
den Eigenſchaften GOttes hergenom-
men werden, beſtimmen.
Und daraus
verſtehet man, wie die Vollkommenheit des
Menſchen darinnen beſtehet, daß er geſchickt
iſt GOtt vorzuſtellen, als ein Spiegel der goͤtt-
lichen Vollkommenheiten (§. 112.); folglich
enthaͤlt die natuͤrliche Verbindlichkeit,
unſere freye Handlungen dergeſtalt
einzurichten, daß unſere Vollkommen-
heit dadurch befoͤrdert wird, zugleich

G 3die
[102]I. Th. 6. H. Von den Pflichten
die Verbindlichkeit in ſich, ſie durch
Bewegungsgruͤnde zu beſtimmen, die
von den goͤttlichen Eigenſchaften her-
genommen ſind
(§. 43.).


§. 161.

Von der
Befoͤr-
derung
der Ehre
Gottes.

Wer ſeine freyen Handlungen durch Be-
wegungsgruͤnde beſtimmt, die von den goͤtt-
lichen Eigenſchaften hergenommen ſind, der
richtet ſie zur Ehre Gottes ein (§. 127. 125.).
Derowegen da man dieſe Einrichtung ſeiner
Handlungen zur Ehre Gottes die Befoͤrde-
rung der Ehre Gottes
(illuſtrationem
gloriæ divinæ)
nennet; ſo iſt der Menſch
verbunden, die Ehre Gottes zu befoͤr-
dern
(§. 160.).


§. 162.

Von der
Einrich-
tung der
Hand-
lungen
zur Voll-
kommen-
heit der
Welt.

Und weil man auf eben dieſe Weiſe verſte-
het, daß die Vollkommenheit dieſer ganzen
Welt darinnen beſtehet, daß ſie geſchickt iſt,
Gott vorzuſtellen, oder ein Spiegel der goͤtt-
lichen Vollkommenheit zu werden; folgends
daraus klar iſt, daß wer ſeine Handlungen zur
Ehre Gottes einrichtet, dieſelben auch zur
Vollkommenheit der ganzen Welt einrichtet
(§. 160. 161.); ſo iſt der Menſch von
Natur verbunden, ſeine Handlungen
zur Vollkommenheit der gantzen Welt
einzurichten.
Und daher erhellet, daß die
Handlungen, die dem Geſetz der Natur
zuwieder ſind, oder die Suͤnden, die
Welt, das Werck Gottes, verſtellen.


§. 163.
[103]gegen Gott.
§. 163.

Weil der Menſch verbunden iſt, ſeineVon der
Erkennt-
nis Got-
tes.

Handlungen durch Bewegungsgruͤnde, die
von den goͤttlichen Eigenſchaften hergenom-
men ſind, zu beſtimmen (§. 160.); ſo iſt er
verbunden, Gott zu erkennen;
folglich,
da von uns die Eigenſchaften Gottes, durch die
Betrachtung der Welt und desjenigen, was
in derſelben iſt und darinnen geſchiehet, er-
kannt werden; ſo muͤſſen wir ſo wohl die
Welt und dasjenige, was in derſelben
iſt und geſchieht, als auch uns ſelbſt
und unſere natuͤrliche Handlungen be-
trachten, und von denſelben muß ſich
das Gemuͤth zu Gott erheben.
Des-
wegen aber hat der Menſch ein Recht
zu allen Handlungen, durch welche
die Erkenntnis der natuͤrlichen Dinge
befoͤrdert wird, wie auch zu dem Ge-
brauch aller Dinge, die dazu dienen.

Da wir eben andern das ſchuldig ſind, was
wir uns ſelbſt ſchuldig ſind (§. 133.); ſo
muͤſſen wir auch andere zur Erkennt-
nis Gottes bringen, ſo viel in unſerem
Vermoͤgen ſtehet.


§. 164.

Gott will, daß wir unſere HandlungenVon der
allgemei-
nen Be-
ſtimmung
des Wil-
lens und
Nicht-
Wollens.

nach dem Geſetz der Natur einrichten ſollen
(§. 41.). Derowegen muͤſſen wir ſie nach
demſelben einrichten; weil Gott will, daß die-
ſes geſchehe (§. 160.). Derowegen muß der
Wille des Menſchen uͤberhaupt be-

G 4ſtimmt
[104]I. Th. 6. H. Von den Pflichten
ſtimmt werden, das zu thun, was Gott
haben will; und das Nicht-Wollen,
dasjenige zu unterlaſſen, was Gott
nicht haben will, und ſolchergeſtalt
muß ſo wohl der Wille, als das Nicht-
Wollen beſtaͤndig und dauernd ſeyn,

das iſt, in einem jeden vorkommenden Falle,
unbeweglich und in allen immer einerley.


§. 165.

Von der
Verdun-
ckelung
Ehre
Gottes.

Die Verdunckelung der Ehre Got-
tes
(obſcuratio gloriæ divinæ) iſt eine An-
zeige, die entweder durch Worte oder durch
Wercke geſchieht, daß man Gott fuͤr ein
Weſen haͤlt, das Unvollkommenheit an ſich
hat, welche ſeiner hoͤchſten Vollkommenheit
zuwieder ſind. Derowegen da wir die Ehre
Gottes verherrlichen ſollen, und ſo wohl durch
Worte als durch Wercke zu verſtehen geben,
daß wir Gott fuͤr ein ſolches Weſen halten,
als es wuͤrcklich iſt, naͤmlich fuͤr das allervoll-
kommenſte (§. 161.); ſo iſt die Verdun-
ckelung der Ehre Gottes durch das
Geſetze der Natur verbothen
(§. 51.).


§. 166.

Von der
Gottes-
laͤſterung.

Die Gotteslaͤſterung(blaſphemia)
nennt man eine jede Rede, oder Handlung,
welche zur Verachtung, oder Beſchimpfung
Gottes gereicht. Derowegen, da die Ehre
Gottes durch dieſelbe am allermeiſten verdun-
ckelt wird (§. 165.); ſo ſind alle Gottes-
laͤſterungen durch das Recht der Natur
auf das ſchaͤrfſte verbothen
(§. cit.).
Weil
[105]gegen Gott.
Weil aber der Menſch ſo lange kein Recht zu
dem hat, was ein anderer thut, als der an-
dere nichts wieder ſein vollkommenes Recht
unternimmet (§. 76. 78.), folglich kein Recht
einen zu ſtrafen, als bloß denjenigen, wel-
cher ihn beleidiget hat (§. 93.); ſo hat auch
der Menſch von Natur kein Recht,
die Verdunckelung der Ehre Gottes
und die Gotteslaͤſterung zu ſtrafen:

in ſo fern er aber doch beſorgt ſeyn muß, daß
er andere zur Erkenntnis Gottes anfuͤhret,
ſo viel an ihm iſt (§. 163.); ſo hat er ein
Recht zu denjenigen Handlungen, wo-
durch er denjenigen, der die Ehre Got-
tes verdunckelt, oder Gott gar laͤſtert,
von ſeiner Suͤnde uͤberfuͤhren kan.


§. 167.

Die Gottſeeligkeit nennt man die Tugend,Von der
Gottſee-
ligkeit,
Gottlo-
ſigkeit
und Heu-
cheley.

ſeine Handlungen durch Bewegungsgruͤnde,
die von den goͤttlichen Eigenſchaften herge-
nommen ſind, zu beſtimmen, oder die Ehre
Gottes zu befoͤrdern. Wir ſollen alſo
gottſeelig ſeyn (§. 160. 161.). Jm Ge-
gentheil iſt die Gottloſigkeit das Laſter,
da einer ſeine Handlungen nicht nach dem
Willen Gottes einrichten will. Die Gott-
loſigkeit iſt
alſo durch das natuͤrliche
Geſetze verbothen (§. 164. 51.). Die
Heucheley
iſt eine verſtellte Gottſeeligkeit,
wenn naͤmlich bloß die aͤuſſeren Handlungen,
als da ſind die Worte, Stimme, Minen und
Gebehrden, den Schein der Gottſeeligkeit
G 5haben,
[106]I. Th. 6. H. Von den Pflichten
haben, wovon doch die innern Handlungen
weit entfernt ſind. Da nun das Geſetz der
Natur eine Uebereinſtimmung der innern und
aͤuſſern Handlungen erfordert (§. 52.); ſo
iſt die Heucheley durch das Geſetz der
Natur verbothen
(§. 51.).


§. 168.

Vom Ge-
horſam,
den man
Gott zu
leiſten
ſchuldig.

Der Gehorſam(obedientia) iſt die Be-
reitwilligkeit, das zu thun, was der andere
will, und das zu unterlaſſen, was er nicht will.
Weil nun unſer Wille uͤberhaupt beſtimmt
werden ſoll, das zu thun, was Gott will, und
das zu unterlaſſen, was er nicht will (§. 164.);
ſo ſind wir verbunden, Gott zu gehor-
chen;
folglich iſt der Ungehorſam, wel-
cher dem Gehorſam entgegengeſetzet wird,
durch das Geſetze der Natur verbothen
(§. 51.).


§. 169.

Von der
Liebe
Gottes.

Gott iſt der Vollkommenſte. Da nun aus
der Erfahrung bekannt, daß das Gemuͤth mit
Freude und Vergnuͤgen erfuͤllt wird, wenn
wir uns einer Vollkommenheit bewuſt ſind;
ſo muß die groͤſte Vollkommenheit Gottes,
wenn ſie erkannt wird, auch das Gemuͤth
mit dem groͤſten Vergnuͤgen erfuͤllen. Die
Neigung des Gemuͤths, aus der groͤſten Voll-
kommenheit Gottes das groͤſte Vergnuͤgen zu
empfinden, wird die Liebe zu Gott genannt,
und unter der Liebe des Wohlgefallens
(amor complacentiæ) verſtehet man diejenige,
welche gantz allein in der Empfindung des
Ver-
[107]gegen Gott.
Vergnuͤgens aus des andern Vollkommenheit
beſtehet, und ſich auf nichts weiters erſtreckt.
Da wir nun verbundeu ſind, Gott zu erken-
nen (§. 163.), zu ſeiner groͤſten Vollkommen-
heit aber nicht das Geringſte beytragen, denn
ſonſt waͤre ſie nicht die groͤſte; ſo ſollen wir
auch Gott uͤber alle Dinge lieben,
und die Liebe Gottes iſt eine Liebe
des Wohlgefallens.


§. 170.

Gott iſt der Allerguͤtigſte, und was wirDaß wir
Gott lie-
ben ſol-
len, weil
er guͤtig
gegen
uns iſt.

gutes entweder von Natur haben, oder auf
andere Weiſe erhalten haben, muͤſſen wir
Gott zuſchreiben. Da ſich nun Gott guͤtig
gegen uns beweiſet, aus der Erkenntnis aber
des Guten, was wir empfangen, oder der Wohl-
thaten, die Liebe gegen den Wohlthaͤter ent-
ſpringet; ſo muß man Gott auch des-
wegen lieben, weil er ſo guͤtig gegen
uns iſt.
Da die Guͤte Gottes, welche
in der Mittheilung der Wohlthaten beſtehet,
zu der groͤſten Vollkommenheit Gottes mit ge-
hoͤret; ſo iſt Gott zu lieben, weil er
guͤtig gegen uns iſt, nichts anders, als
ſich an ſeiner Guͤte, oder ſeinen Wohl-
thaten ergoͤtzen;
folglich iſt die Liebe,
welche aus der Betrachtung der goͤtt-
lichen Guͤte entſtehet, unter der Liebe
des Wohlgefallens enthalten
(§. 169.).


§. 171.

Wer den andern liebet, thut nichts, wasVon der
Furcht
Gottes.

ihm mißfaͤllt, ſondern befleißiget ſich das zu
thun,
[108]I. Th. 6. H. Von den Pflichten
thun, was ihm gefaͤllt; folglich thut er nichts,
was ſeinem Willen zuwieder iſt. Aus der
Liebe entſtehet demnach die Sorgfalt nichts
zu thun, was dem Willen des andern entge-
gen iſt, welche Furcht die kindliche(timor
filialis),
im Gegentheil die knechtiſche(ſer-
vilis)
genannt wird, wenn man aus Furcht
vor der Strafe thut, was der andere will, oder
unterlaͤßt, was er nicht will. Da wir Gott
uͤber alles lieben ſollen (§. 169.); ſo ſollen
wir ihn auch uͤber alles fuͤrchten, naͤm-
lich mit einer kindlichen Furcht.


§. 172.

Von der
Ehr-
furcht ge-
gen Gott
und dem
goͤttli-
chen Lobe.

Der Menſch iſt ſchuldig, die groͤſte Guͤte
Gottes zu erkennen, und andere, ſo viel an
ihm iſt, zu derſelben Erkenntnis zu bringen
(§. 163.); ingleichen durch dieſelbe, als einen
Bewegungsgrund, ſeine freye Handlungen
zu beſtimmen (§. 160.). Da nun die aͤuſſern
Handlungen mit den innern uͤbereinſtimmen
ſollen (§. 52.), wir auch andere nicht anders,
als durch aͤuſſere Handlungen, zur Erkenntnis
der groͤſten Vollkommenheit Gottes bringen
koͤnnen; ſo muß der Menſch durch Wor-
te und Wercke zu verſtehen geben, daß
er die groͤſte Vollkommenheit Gottes
erkennet, und daher ihn hoͤher, als alles
andere achtet:
da nun dergleichen Bezei-
gen die Ehrfurcht(reverentia) genannt
wird; ſo ſind wir alſo zur Ehrfurcht ge-
gen Gott verbunden.
Da in dieſen
Handlungen Lob und Ehre beſtehet (§. 125.);
ſo
[109]gegen Gott.
ſo muͤſſen wir auch Gott die Ehre und
das Lob, ſo ihm gebuͤhret, geben.


§. 173.

Aus der natuͤrlichen Gottesgelahrheit iſtVon dem
Vertrau-
en auf
Gott und
der Be-
ruhigung
in der
goͤttli-
chen Vor-
ſicht.

bekannt, daß Gott uns ſo viel Gutes erwei-
ſet, und ſo viel Boͤſes von uns abwendet,
als es nach ſeiner Weißheit angehet; und
wenn uns etwas Boͤſes begegnet, daſſelbe zum
Guten wendet. Wer von dieſer Wahrheit
uͤberzeugt iſt, der uͤbergiebt ſich und alles, was
er hat, gantz und gar der goͤttlichen Vorſicht,
und uͤberlaͤßt derſelben, wie es kuͤnftig ergehen
werde, und was wir nicht voraus ſehen koͤn-
nen, er aͤngſtiget ſich nicht, wegen des Kuͤnf-
tigen; er wirft alſo alle Sorge auf Gott, und
aͤngſtiget ſich nicht daruͤber, was die Sachen
vor einen Ausgang gewinnen werden. Da
nun der Menſch verbunden iſt, Gott zu erken-
nen (§. 163.), und die Tugend, da man ſich
und ſeine Umſtaͤnde der goͤttlichen Vorſicht
gantz uͤberlaͤßt, das Vertrauen auf Gott
(fiducia), die Tugend aber, da man durch
die Gewißheit, daß Gott in allem recht han-
delt, was er in der Regierung der Welt thut,
oder unterlaͤßt, ſeine Begierde und ſeine Ver-
abſcheuung maͤßiget, die Beruhigung in
der goͤttlichen Vorſicht
genannt wird,
(acqvieſcentia in providentia divina); ſo ſoll
der Menſch ſein Vertrauen auf Gott
ſetzen,
oder ihm vertrauen, und ſich in
der goͤttlichen Vorſicht beruhigen;

folglich gegen Gott kein Mistrauen
hegen,
[110]I. Th. 6. H. Von den Pflichten
hegen, mit ſeinem Schickſaal zufrie-
den ſeyn, und das Uebel, welches ihm
begegnet, mit gelaſſenem Gemuͤthe er-
tragen.


§. 174.

Von dem
Preis des
goͤttli-
chen Nah-
mens.

Das Lob, welches man Gott giebet, wird
der Preis des goͤttlichen Nahmens
(celebratio nominis divini) genannt. Dero-
wegen ſind wir verbunden, den Nahmen
Gottes zu preiſen
(§. 172.); folglich die
Eigenſchaften, Wercke und Wohltha-
ten Gottes zu erzaͤhlen, welche er uns
und andern, durch Zuwendung des
Guten und Abwendung des Boͤſen,
oder auch durch die Wendung zum
Guten, erwieſen hat (§. 12.), wie hoch
wir dieſe Wohlthaten halten, zu be-
zeigen
(§. 172.). Weil nun der Preis des
Nahmens Gottes, wegen der Wohlthaten,
die er uns und andern erwieſen hat, zugleich
mit der Anzeige der Begierde, ihm davor die
ſchuldige Pflichten zu leiſten, beſonders die
Danckſagung
(gratiarum actio) genannt
wird, wir auch Gott wegen der erwieſenen
Wohlthaten lieben ſollen (§. 170.), und des-
wegen bereit und willig ſeyn, ihm die ſchul-
digen Pflichten zu leiſten (§. 171. 57. 41.);
ſo ſollen wir auch Gott danckſagen.


§. 175.

Vom Ge-
bete.

Es iſt gewiß, daß Gott der Geber alles
Guten iſt, und daß wir es ſeiner Vorſicht zu-
ſchreiben muͤſſen, daß das gegenwaͤrtige Gute
behal-
[111]gegen Gott.
behalten wird, das kuͤnftige koͤmmt, und das
Uebel abgewendet, oder, wenn dieſes nicht ge-
ſchieht, wie wir ſchon vorher geſagt, dennoch
zum Guten gewandt wird (§. 170. 173.). Da
wir nun ſchuldig ſind, dieſes zu erkennen (§.
163.), und durch daher genommene Bewe-
gungsgruͤnde unſere Handlungen zu beſtimmen
(§. 160.); ſo ſollen wir auch von Gott
bitten, daß er das Gute, was er uns
gegeben hat, erhalte, und uns in Zu-
kunft auch Gutes zuwende; das Uebel
aber abwende, oder, wenn es koͤmmt,
zu unſerm Beſten wende.
Weil nun
dieſe Erklaͤrung unſers Willens die Anru-
fung Gottes
(invocatio numinis) heiſſet,
und zwar, wie einige dazu ſetzen, in dem inne-
ren Grunde unſers Hertzens
(mentalis);
ſo ſind wir Gott anzurufen ſchuldig.
Und da die aͤuſſern Handlungen mit den innern
uͤbereinſtimmen muͤſſen, und jene nicht ohne
dieſen ſeyn (§. 52.); man aber das Gebet
(orationem) nennt, die Rede, durch welche
wir mit dem Munde ausſprechen, was wir
gedencken, indem wir Gott anruffen und ihm
danckſagen; ſo iſt das Gebet in dem na-
tuͤrlichen Geſetze geboten.
Es iſt aber
klar, daß es vier Arten des Gebets giebt, da
die erſte, die Erhaltung und Zuwendung
des Guten; die andere, die Abwendung des
Boͤſen, oder die Wendung deſſelben zum
Guten; die dritte die Danckſagung; die vierte
die Vorbitte fuͤr andere begreift. Der Apo-
ſtel
[112]I. Th. 6. H. Von den Pflichten
ſtel Paulus unterſcheidet dieſe Arten 1 Tim.
II, 2. da er das Beten, in Bitte, Gebet
Danckſagung und Fuͤrbitte
eintheilet.


§. 176.

Von den
Liedern
oder Ge-
ſaͤngen.

Weil ein Lied, oder Geſang(hymnus)
ein Gedicht iſt, welches zum Lobe Gottes auf-
geſetzt iſt, ein jedes Gebet aber ein Lob Gottes
in fich enthaͤlt (§. 175. 125.); folglich Beten
und Singen einerley Materie hat; uͤber die-
ſes bekannt iſt, daß Gedichte nicht allein an
und vor ſich geſchickter ſind, die Aufmerck-
ſamkeit zu erwecken und zu erhalten, die Ge-
muͤthsbewegungen zu erregen, und dasjenige,
wovon ſie handeln, in das Gedaͤchtniß leichter
und feſter zu faſſen; ſondern auch, wenn der
Geſang dazu koͤmmt, alles dieſes ſo wohl bey
andern, als auch bey uns ſelbſt leichter erhal-
ten wird; ſo ſind wir von Natur ver-
bunden zum Lobe Gottes Lieder zu
machen und ſie zu ſingen.


§. 177.

Wie man
die Pflich-
ten gegen
Gott
ausuͤben
ſoll.

Eine jede richtge Handlung erfordert den
uͤbereinſtimmenden Gebrauch aller Kraͤfte (§.
16.). Da wir nun verbunden ſind recht zu
handeln (§. 52.); ſo muͤſſen wir auch die
Pflichten gegen Gott mit einem uͤber-
einſtimmenden Gebrauch aller Kraͤfte
ausuͤben;
folglich muͤſſen jederzeit die
aͤuſſern und innern Handlungen mit
einander verbunden werden.


§. 178.
[113]gegen Gott.
§. 178.

Da der Gottesdienſt(cultus divinus)Vom
Gottes-
dienſte.

der Jnbegriff aller Handlungen iſt, die Got-
tes wegen vorgenommen werden; folglich der-
ſelbe in der Ausuͤbung der Pflichten gegen Gott
beſtehet (§. 57.); dazu aber wir verbunden ſind,
wie aus dem, was wir bis hierher bewieſen,
zur Gnuͤge erhellet; ſo ſind wir verbunden
Gott zu dienen.
Man nennt aber den
inneren Gottesdienſt,
welcher durch in-
nere Handlungen, den aͤuſſeren aber, wel-
cher durch aͤuſſere Handlungen verrichtet wird.
Weil nun bey der Ausuͤbung der Pflichten
gegen Gott die aͤuſſern Handlungen und die
innern nicht von einander abzuſondern ſind
(§. 177.); ſo muß auch der innere Got-
tesdienſt mit dem aͤuſſern verbunden
werden.


§. 179.

Weil wir darauf zu ſehen haben, daß auchVon den
Zuſam-
menkuͤnf-
ten, die
des Got-
tesdien-
ſtes we-
gen anzu-
ſtellen
ſind.

andere Menſchen zur Erkenntniß Gottes (§.
163.), zur Tugend (§. 139.), und alſo auch
zur Gottſeeligkeit gefuͤhrt werden (§. 167.),
auch durch unſer Exempel andern nuͤtzen ſol-
len (§. 139.); ſo ſind die Menſchen ver-
bunden wegen des Gottesdienſtes zu-
ſammen zu kommen;
folglich haben ſie
das Recht dasjenige anzuordnen, was
zur rechten Einrichtung dieſer Zuſam-
menkuͤnfte erfordert wird
(§. 46. 52.).
Hierzu gehoͤret die Beſtimmung der Zeit, des
Orts und der Art und Weiſe dieſe Verſamm-
Nat. u. Voͤlckerrecht. Hlungen
[114]I. Th. 6. H. Von den Pflichten
lungen anzuſtellen. Was man in denſelben
vorzunehmen hat, iſt aus ihrer Abſicht klar.
Man muß naͤmlich lehren, was von
Gott, von Ausuͤbung der Tugend,
inſonderheit der Gottſeeligkeit, und
von Vermeidung der Laſter zu wiſſen
noͤthig iſt, man muß beten und
ſingen.


§. 180.

Von den
Ceremo-
nien, die
zum Got-
tesdienſt
gehoͤren.

Die Ceremonien ſind Zeichen von denje-
nigen Dingen, derer wir uns bey der Aus-
fuͤhrung eines Vorhabens erinnern ſollen.
Wenn dieſelbe zugleich einen Einfluß
in die Beſtimmung der Handlung ha-
ben, die ausgeuͤbt werden ſoll;
ſo ſind
ſie den uͤbrigen vorzuziehen
(§. 48.).
Da die Menſchen das Recht haben dasjenige zu
beſtimmen, was zur rechten Einrichtung der
Zuſammenkuͤnfte, des Gottesdienſtes wegen,
erfordert wird (§. 179.); ſo haben ſie auch
das Recht die Ceremonien anzuordnen,
welche dem Gottesdienſte gemaͤß ſind.


§. 181.

Von der
Abgoͤtte-
rey.

Die Abgoͤtterey(idololatria) nennt man
allen Gottesdienſt, den man denen erweiſet,
welche nicht Gott ſind. Derjenige bege-
het
alſo eine Abgoͤtterey, der die Pflich-
ten, die er GOtt ſchuldig iſt, denenje-
nigen leiſtet, die nicht Gott ſind,
als
den erdichteten Goͤttern, oder einem Weſen,
von welchem er nicht einmahl davor haͤlt, daß
es Gott ſey (§. 178.). Derowegen da wir
GOtt
[115]gegen Gott.
GOtt dienen (§. cit.), alle unſere Handlun-
gen aber recht ſeyn ſollen (§. 52.), und zur
Richtigkeit einer Handlung ein wahres Ur-
theil von derſelben Richtigkeit gehoͤret (§. 53.);
ſo iſt alle Abgoͤtterey durch das Geſe-
tze der Natur verbothen.


§. 182.

Aberglaube werden genannt alle Hand-Vom
Aber-
glauben,
und dem
abgoͤtti-
ſchen und
aber-
glaͤubi-
ſchen
Gottes-
dienſte.

lungen, welche durch irrige Meinungen von
GOtt und der goͤttlichen Vorſicht, in Anſe-
hung derjenigen Dinge, welche dem Men-
ſchen gut oder boͤſe ſind, beſtimmt werden.
Weil wir verbunden ſind, unſere Handlungen
durch Bewegungsgruͤnde zu beſtimmen, wel-
che von den goͤttlichen Eigenſchafften herge-
nommen werden (§. 160.); ſo iſt aus dem
Begriffe der Richtigkeit der Handlungen, wie
vorher (§. 181.), klar, daß der Aber-
glaube durch das natuͤrliche Geſetze
verbothen ſey.
Aus dem Begriff der Ab-
goͤtterey und des Aberglaubens erkennet man,
welcher Gottesdienſt abgoͤttiſch und aber-
glaͤubiſch
ſey. Und weil ſo wohl die Abgoͤt-
terey, als der Aberglaube verbothen ſind; ſo
iſt auch der abgoͤttiſche Gottesdienſt
eben ſo wohl, als der aberglaͤubiſche,
durch das Geſetze der Natur verbothen.


H 2Der
[116]II. Th. 1. H. Von der erſten Gemeinſch.

Der andere Theil.


Von dem Eigenthume und
den Rechten und Verbindlich-
keiten, die daher ent-
ſpringen.


Das erſte Hauptſtuͤck.


Von der Gemeinſchaft der erſten
Zeit, und wie das Eigenthum
entſtanden.


§. 183.

Vom
Rechte
zum
nothwen-
digen Ge-
brauch
der Sa-
chen.

Man nennt den nothwendigen Ge-
brauch der Sachen
denjenigen,
der dazu erfordert wird, daß wir
unſerer natuͤrlichen Verbindlichkeit ein Genuͤ-
gen leiſten. Weil nun das Recht der Natur
uns ein Recht zu demjenigen Gebrauch giebt,
ohne welchen wir unſerer natuͤrlichen Ver-
bindlichkeit kein Genuͤgen leiſten koͤnnen (§.
46.); ſo haben uͤberhaupt alle Men-
ſchen ein Recht zum nothwendigen
Gebrauch aller Sachen, es moͤgen ſeyn,
was vor welche es wollen, naͤmlich
ſo wohl zu der nothwendigen, als auch
der nuͤtzlichen und vergnuͤgenden
(§.
114. und folg. §. 119. 121.); folglich iſt der-
ſelbe erlaubt
(§. 49.).


§. 184.
[117]und dem Anfange des Eigenthums.
§. 184.

Wenn alſo Dinge durch den Ge-Von dem
Recht die
Sachen
zu ver-
derben.

brauch verbraucht werden(uſu conſu-
muntur);
ſo iſt es erlaubt ſie zu ver-
derben.
Als z. E. Thiere zu ſchlachten, oder
zu toͤdten, deren Fleiſch wir eſſen, und deren
Haut wir zur Kleidung brauchen.


§. 185.

Weil der Menſch von Natur das RechtVon den
Sachen,
die zum
kuͤnftigen
Gebꝛauch
anfbe-
halten
werden.

zum nothwendigen Gebrauch der Sachen hat
(§. 183.); wenn man eine Sache nicht
zu aller Zeit haben kann; oder auch
zu der Zeit, wenn man ihrer be-
darf, nicht ſo bequem; ſo iſt er-
laubt, ſie zum kuͤnftigen Gebrauch
zu ſammlen und aufzubehalten.
Und
weil niemand dieſen Gebrauch verhindern
darf (§. 50. 183.); ſo darf auch niemand
dem andern die Sachen, die er zum
nothwendigen Gebrauch geſammlet
und aufbehaͤlt, wegnehmen; und hier-
innen,
was nemlich der andere vors kuͤnfti-
ge noͤthig hat, muß er es bey dem Ur-
theil desjenigen bewenden laſſen, der
die Sachen vor ſich aufbehaͤlt
(§ 78.).


§. 186.

Weil die Menſchen von Natur gleich ſind,Von der
Gemein-
ſchaft der
erſten
Zeit.

und daher einerley Rechte haben (§. 70.); ſo
kommt auch allen Menſchen einerley
Recht zum nothwendigen Gebrauch
der natuͤrlichen Sachen zu
(§. 183.).
Weil nun ein gemeinſchaftliches(com-
H 3mune,
[118]II. Th. 1. H. Von der erſten Gemeinſch.
mune, gemeine) Recht dasjenige iſt, das zu-
gleich mehrere auf einerley Weiſe haben (§.
101.), und alſo eine gemeinſchaftliche
Sache
(res communis), zu der mehrere ei-
nerley Recht zugleich haben; ſo haben die
Menſchen von Natur ein gemein-
ſchaftliches Recht zum nothwendigen
Gebrauch der natuͤrlichen Sachen;
und alle Sachen ſind von Natur ge-
meinſchaftlich.
Das gemeinſchaftliche
Recht zum nothwendigen Gebrauch aller und
jeder natuͤrlichen Dinge, wird die Gemein-
ſchaft der erſten Zeit
(communio primæva,
die erſte G.) genannt, gleichwie uͤberhaupt die
Gemeinſchaft,
oder die Gemeinſchaft der
Sachen
(communio rerum), das Recht,
das zu einerley Sachen mehrere zugleich ha-
ben. Aus dem, was wir geſagt, erhellet,
daß die Gemeinſchaft der erſten Zeit
nach dem Rechte der Natur ſtatt fin-
det,
und daß man ſie nicht ohne Grund er-
dichtet.


§. 187.

Von dem
Rechte zu
einer Sa-
che, die
durch
den Ge-
brauch
nicht ver-
braucht
wird.

Weil in der Gemeinſchaft der erſten
Zeit
alle Menſchen einerley Recht zum noth-
wendigen Gebrauch der natuͤrlichen Sachen
haben (§. 186.); ſo kann ein jeder ande-
rer, wenn die Sache durch den Ge-
brauch nicht verbraucht wird, nach
geendigtem Gebrauch, ſich derſelben
bedienen; und derjenige, welcher ſie
vorher gebraucht, kann es nicht ver-

weh-
[119]und dem Anfange des Eigenthums.
wehren (§. 50.). Aus eben demſelben
Grunde iſt gewiß, daß, wenn mehrere an
dem Gebrauch einer Sache Theil neh-
men koͤnnen, dieſe Theilnehmung oh-
ne Unterſchied allen, die es wollen, er-
laubet ſey.


§. 188.

Die Menſchen ſollen ſich bemuͤhen, daß esVon de-
nen durch
den Fleiß
hervor-
gebrach-
ten und
den kuͤnſt-
lichen
Dingen,
in der er-
ſten Ge-
mein-
ſchaft.

nicht an einer hinlaͤnglichen Menge von noth-
wendigen, nuͤtzlichen und vergnuͤgenden Sa-
chen, die ſo wohl durch Fleiß, als durch Kunſt
hervorgebracht werden, fehle (§. 121. 123.),
und ſoll, zu dem Ende, ein jeder die Arbeit er-
waͤhlen, wozu er ſich geſchickt befindet (§. 124.);
von Natur aber ſind alle verbunden, ſich und
ihren Zuſtand mit vereinigten Kraͤfften voll-
kom̃ener zu machen (§. 44.). Jn der Gemein-
ſchaft der erſten Zeit kann man
alſo
bey Vervielfaͤltigung der Sachen, die
durch Fleiß und Kunſt hervorgebracht
werden, keine andere Abſicht haben,
als den gemeinſchaftlichen Gebrauch
von allen zu befoͤrdern; und
folglich
muͤßen die durch Fleiß und Kunſt her-
vorgebrachten Sachen nicht weniger,
als die natuͤrlichen, gemeinſchaftlich
ſeyn (§. 186.). Wenn
aber jemand
dennoch einige Sachen durch Fleiß und
Kunſt zu ſeinem Gebrauch zubereitet
hat; ſo kann ſich ein anderer derſelben
nicht anmaſſen, als in ſo fern jener
die Sache, die durch den Gebrauch

H 4nicht
[120]II. Th. 1. H. Von der erſten Gemeinſch.
nicht verbraucht wird, zu derſelben
Zeit nicht braucht, oder in ſo ferne er
an dem Gebrauch derſelben zugleich
mit Theil nehmen kann
(§. 187.).


§. 189.

Das ge-
mein-
ſchaftli-
che Recht
zu den
Hand-
lungen.

Weil in der erſten Gemeinſchaft ein
jeder das Recht hat zum nothwendigen Ge-
brauch der Sachen (§. 183.); ſo hat auch
jeder Menſch das Recht zu allen Hand-
lungen, ohne welche der nothwendige
Gebrauch nicht erhalten werden kann;

als z. E. das Recht Wild, Fiſche, Voͤ-
gel zu fangen, Fruͤchte abzubrechen,
Holtz zu faͤllen
u. ſ. f.


§. 190.

Das
Recht,
ſich an ei-
nem Orte
aufzu-
halten,
zu woh-
nen, und
durchzu-
reiſen.

Da ein jeder Menſch von Natur einerley
Recht zum nothwendigen Gebrauche der na-
tuͤrlichen Sachen hat (§. 186.); ſo ſtehet
in der erſten Gemeinſchaft einem jeden
Menſchen frey, ſich an einem jeden
Orte aufzuhalten und zu wohnen, wo
und wie lange es ihm gefaͤllt; an al-
len Orten durchzureiſen, wie er es vor
noͤthig befindet, auch daher Sa-
chen zu hohlen, deren er bedarf.
Ja
da auch die durch Kunſt hervorgebrachte Sa-
chen gemeinſchaftlich ſind (§. 188.); ſo hat
ein jeder das Recht, wenn er unbe-
wohnte Haͤuſer antreffen ſolte, oder
ſolche, in welchen mehrere wohnen
koͤnnen, in denſelben ſo lange zu woh-
nen, als es ihm gefaͤllt.


§. 191.
[121]und dem Anfange des Eigenthums.
§. 191.

Dem gemeinſchaftlichen Rechte wird dasVom ei-
genen
Recht u.
der ver-
neinen-
den Ge-
mein-
ſchaft.

eigene Recht(jus proprium) entgegen ge-
ſetzet, welches einer allein, oder mehrere zu-
ſammengenommen, mit Ausſchlieſſung der
uͤbrigen haben (§. 101.). Da von Natur
alle Sachen gemeinſchaftlich ſind (§. 186.); ſo hat
von Natur niemand ein eigenes Recht
zu einer Sache. Sachen,
dazu jemand
ein eigenes Recht hat, nennt man eigene
Sachen
(res ſingulares, vel ſingulorum),
worauf aber niemand ein beſonderes Recht
hat, heiſſen keinem zugehoͤrige Sachen
(res nullius). Es erhellet alſo, daß es
von Natur keine eigene Sachen giebt.

Naͤmlich in der Natur des Menſchen iſt kein
Grund befindlich, warum dieſe Sache einem
vielmehr, als dem andern zugehoͤren ſolte.
Man nennt aber dieſes eine verneinende
Gemeinſchaft
(communionem negativam),
in welcher die gemeinſchaftlichen Sachen kei-
nem zugehoͤren; und dergleichen iſt die
Gemeinſchaft der erſten Zeit
(§. 186.).


§. 192.

Weil niemand dem andern, was er zumVom ei-
genen
Gebꝛauch
einer
Sache.

nothwendigen Gebrauch zu ſich genommen hat,
oder auch zum kuͤnftigen aufbehaͤlt, wegneh-
men darf (§. 185.); derjenige aber, der ſie
an ſich nimt, oder den Gebrauch derſelben ſich
verſchaft, ſich ſeines Rechts bedienet (§. 183.);
ſo wird dadurch der Gebrauch einer
Sache, welcher vorher allen frey ſtand,

H 5ein
[122]II. Th. 1. H. Von der erſten Gemeinſch.
ein eigener Gebrauch vor denjenigen,
der ſie, mit dem Vorſatz ſich derſelben
zu bedienen, an ſich nimmet,
oder ſie in
den Zuſtand ſetzt, in welchem er ſich derſel-
ben bedienen kann. Eben das gilt von einer
Sache, die durch den Gebrauch nicht ver-
braucht wird, ſo lange als der Gebrauch
dauert (§. 187.). Und hierdurch ſind die
Menſchen zuerſt auf den Begriff eines eigenen
Rechts in einer Sache gefallen.


§. 193.

Vom
Stoͤhrer
der Ge-
mein-
ſchaft der
erſten
Zeit.

Einen Stoͤhrer der Gemeinſchaft
der erſten Zeit
(turbatorem communionis
primævæ)
nennt man denjenigen, der entwe-
der ſelbſt, oder durch andere mit Gewalt zu ver-
hindern ſich bemuͤhet, daß jemand ſich der Sa-
chen nicht bedienen kann, wie er es noͤthig hat.
Weil nun der Stoͤhrer den Gebrauch des
Rechts verhindert, welches einem andern zu-
koͤmmt (§. 183.); ſo hat dieſer das Recht
ihm zu wiederſtehen
(§. 30); und folg-
lich koͤmmt einem jeden das Recht zu,
ſich und den Gebrauch einer Sache
wieder einen ſolchen Stoͤhrer zu ver-
theidigen
(§. 90.). Und da das gemein-
ſchaftliche Recht zum Gebrauch einer Sache
ein vollkommenes Recht iſt (§. 183. 81.), und
die Verletzung deſſelben ein Unrecht (§. 87.);
ſo iſt in der Gemeinſchaft der erſten
Zeit eine rechtmaͤßige Urſache des Krie-
ges, wenn jemand den andern von dem
Gebrauch einer Sache mit Gewalt ab-

halten,
[123]und dem Anfange des Eigenthums.
halten, oder wenn er ihn zu ſich ge-
nommen, oder ergriffen, wegnehmen
will
(§. 98.).


§. 194.

Nachdem ſich das menſchliche GeſchlechteVon der
Aufhe-
bung der
Gemein-
ſchaft der
erſten
Zeit.

vermehrt, und die einfaͤltige Lebensart geaͤn-
dert worden, bey welcher man nur fuͤr die
aͤuſerſte Nothdurft ſorgte, und faſt gar nicht
an Bequemlichkeit und Vergnuͤgen gedachte;
ſo hat man Sachen noͤthig, die man nicht
anders, als durch Fleiß und Kunſt haben kann
(§. 121.). Weil nun hierzu Arbeit erfordert
wird (§. 124.), und gleichwohl in der Ge-
meinſchaft der erſten Zeit die Sachen allen
zugehoͤren ſollen (§. 188.); ſo ſiehet man leicht,
daß die Gemeinſchaft nicht beſtehen kann, wenn
die Menſchen nicht die Pflichten gegen ſich
ſelbſt und andere auf das genaueſte erfuͤllen;
vermoͤge deſſen, was von ihnen erwieſen wor-
den. Weil wohl aber niemand in Abrede
ſeyn wird, daß dieſes von allen Menſchen insge-
ſamt nicht zu hoffen ſey; hingegen, wenn man
von der Gemeinſchaft abgehet, das, was keinem
zugehoͤret, einzelen eigen werden muß (§. 191.);
und das Recht der Natur uns verbindet, das-
jenige, was beſſer iſt, dem andern vorzuziehen
(§. 48.); ſo iſt, ohne dem Rechte der
Natur zu nahe zu treten, die Gemein-
ſchaft aufgehoben, und das, was gemein
war, eintzelen eigen, oder einem eige-
nen Rechte unterworfen worden.


§. 195.
[124]II. Th. 1. H. Von der erſten Gemeinſch.
§. 195.

Von dem
Eigen-
thum u.
deſſen
Wuͤr-
ckungen.

Weil der, ſo ein eigenes Recht hat, durch
daſſelbe alle uͤbrige ausſchleußt (§. 191.); nach
der natuͤrlichen Freyheit aber einem jeden zu
erlauben, daß er bey ſeinen Handlungen ſich
nach ſeinem Gutduͤncken richte, ſo lange er
nichts thut, zu deſſen Unterlaſſung er uns voll-
kommen verbunden iſt (§. 78.); ſo erhaͤlt
ein jeder, wenn die Sachen einem ei-
genen Rechte unterworffen werden,
ein Recht mit allen dem, was ſeinem
Rechte unterworfen iſt, anzufangen,
was er will.
Und dieſes eigene Recht mit
einer Sache vorzunehmen, was man will oder
nach ſeinem Gutduͤncken, wird das Eigen-
thum
(dominium) genannt; derjenige aber,
welcher das Eigenthum in einer Sache hat,
heiſt der Herr oder Eigenthuͤmer, inglei-
chen der Eigenthums-Herr(dominus).
Daher erhellet, daß ein Herr, oder Ei-
genthuͤmer, von allem Rechte, welches
ihm vermoͤge des Eigenthums zu-
kommt, alle andere ausſchlieſſe, und
daß das Eigenthum ohne ſeinen Wil-
len auf niemand anders kommen koͤn-
ne
(§. 100.) folglich ihm das Recht zu-
komme, einem jeden alles zu unterſa-
gen, was er mit der Sache thun kann;
und daß er es nicht leiden duͤrfe, wenn
einer ſich wieder ſeinen Willen das ge-
ringſte davon anmaſſen wolte.
Daraus
folgt ferner, daß alle Handlungen, die
dem
[125]und dem Anfange des Eigenthums.
dem Eigenthum eines andern entge-
gen ſtehen, nicht erlaubt ſind
(§. 49.).
Wie man aber uͤberhaupt das Seinige
(ſuum) dasjenige nennt, wozu man ein ei-
genes Recht hat; alſo erhellet daher, daß
diejenigen Sachen die ſeinigen(res ſuæ)
genannt werden, in denen uns das Eigen-
thum zukommt.


§. 196.

Wenn einer ungetheilten Sache, zweyen,Von der
poſitiven
Gemein-
ſchaft.

oder mehreren zuſammen das Eigenthum zu-
kommt, ſo daß ein jeder ſeinen gewiſſen An-
theil daran hat, ſo wird dieſes die poſitive
Gemeinſchaft
(communio poſitiva) ge-
nannt. Weil nun ein Eigenthums-Herr eine
ſittliche Perſon iſt (§. 195. 96.); ſo wer-
den in der poſitiven Gemeinſchaft meh-
rer zuſammengenommen wie eine Per-
ſon betrachtet, und von ihnen zuſam-
mengenommen gilt das, was dem Ei-
genthums-Herrn zukommt.


§. 197.

Man hat auch eine vermiſchte Gemein-Von der
vermiſch-
ten Ge-
mein-
ſchaft.

ſchaft(communionem mixtam), welche
aus der verneinenden und poſitiven zuſam-
men geſetzt iſt, bey welcher die Sachen ein
Eigenthum von einer gantzen Gemeine
(univerſitatis) ſind; das iſt, einer Menge
von Menſchen, die in gewiſſer Abſicht in eine
Geſellſchaft zuſammen getreten, da aber allen
nichts, als der Gebrauch von den Sachen, oh-
ne Unterſchied zukommt, nachdem es einer
noͤthig
[126]II. Th. 1. H. Von der erſten Gemeinſch.
noͤthig hat; dergleichen iſt z. E. die Gemein-
ſchaft der Moͤnche. Diejenigen alſo, wel-
che in einer vermiſchten Gemeinſchaft
leben, ſchlieſſen alle diejenigen, welche
zu ihnen nicht gehoͤren, von dem Ei-
genthume aus; hingegen in Anſehung
derjenigen Perſonen, welche zu der
Gemeine gehoͤren, ſind die Sachen an-
zuſehen, als die niemanden zugehoͤren,
in Anſehung des Gebrauchs aber ſind
ſie ihnen allen gemein.
Man ſaget aber
hier, daß in eine Geſellſchaft treten(con-
ſociari),
wenn mehrere mit einander eines
werden, einen gewiſſen Zweck mit einander
zuſammen zu erreichen.


§. 198.

Von den
Rechten,
die in
dem Ei-
genthum
enthalten
ſind, und
was die
Fruͤchte
einer
Sache
ſind.

Weil dem Eigenthumsherrn erlaubt iſt
mit ſeiner Sache vorzunehmen, was ihm ge-
faͤllt (§. 195.), dieſes aber geſchehen kann
nicht allein mit der Sache ſelbſt, oder ihrer
Subſtantz; ſondern auch mit dem Gebrauch
und den Fruͤchten derſelben; ſo begreift das
Eigenthum ein dreyfaches Recht in ſich; naͤm-
lich das Recht 1) mit der Sache ſelbſt, 2)
mit ihrem Gebrauch, und 3) mit den Fruͤch-
ten derſelben vorzunehmen, was ihm gefaͤllig
iſt. Das erſte heiſt die Proprietaͤt(pro-
prietas),
das andere das Recht die Sache
zu brauchen
(jus utendi), das dritte das
Recht zu den Fruͤchten
(jus fruendi).
Die letzten beyde, zuſammen genommen, heiſ-
ſen das Recht des Nießgebrauchs(jus
uten-
[127]und dem Anfange des Eigenthums.
utendifruendi). Wenn das Eigenthum um
keines dieſer Rechte verkuͤrtzt worden iſt, heiſt
es das voͤllige Eigenthum(dominium
plenum);
wenn es aber um eines, oder das
andere verkuͤrtzt worden, ein nicht voͤlliges
Eigenthum
(dominium minus plenum).
Wer die Proprietaͤt hat, iſt eigentlich der
Eigenthuͤmer
(proprietarius), weil die
Sache doch ſein eigen bleibt, wenn ein ande-
rer gleich den Gebrauch, oder die Fruͤchte da-
von zu genieſſen hat, und wird deswegen
auch noch der Herr von der Sache(domi-
nus)
genannt. Die Frucht(fructum) heiſt
man das, was aus einer andern Sache her-
vorkommt, als da ſind die Fruͤchte eines
Baums, die Milch und Kaͤlber der Kuͤhe.


§. 199.

Man nennet eine fremde Sache(resVon
fremden
Sachen.

aliena) welche nicht uns, ſondern andern
eigenthuͤmlich zugehoͤret. Es kann alſo
niemand mit einer fremden Sache
ſelbſt, oder ihrem Gebrauch und ihren
Fruͤchten nach ſeinem Gefallen vor-
nehmen, was er will
(§. 195. 198.). Da
es aber einerley iſt, ob wir etwas ſelbſt, oder
durch andere verrichten wollen; ſo kann man,
mit Genehmhaltung des Herrn, mit
einer fremden Sache vornehmen, was
man will
(§. 195.). Weil der Herr, nach
ſeinem Gefallen, mit ſeiner Sache vornehmen
kann, was er will (§. cit.); ſo kann er das
zu
[128]II. Th. 1. H. Von der erſten Gemeinſch.
zu thun andern erlauben, was zum
Gebrauch ſeines Rechtes gehoͤret.


§. 200.

Von dem
Beſitz.

Der Beſitz(poſſeſſio) beſtehet darinnen,
wenn einer eine Sache, als die ſeinige, bey
ſich behaͤlt, es mag ſeyn, daß er vermeint,
die Sache ſey wuͤrcklich die ſeinige, oder nur
will, daß ſie ſeine ſeyn ſoll und andere ſie da-
vor halten ſollen. Den Beſitzer(poſſeſ-
ſor)
nennt man denjenigen, welcher eine Sa-
che, mit dieſem Vorſatz, bey ſich behaͤlt. Weil
nun eine Sache in unſerer Gewalt iſt
(in poteſtate noſtra eſt), wenn wir im Stan-
de ſind, mit derſelben vorzunehmen, was wir
wollen; ſo wird durch den Beſitz eine
Sache in unſere Gewalt gebracht;
und
folglich kann man ohne den Beſitz das
Eigenthum nicht ausuͤben
(§. 195.),
oder ſein Recht gebrauchen. Daher iſt fer-
ner klar, daß dem Eigenthumsherrn
das Recht zukomme, die Sache zu be-
ſitzen.
Es erhellet auch ſelbſt aus der Er-
klaͤrung, daß der eine Sache nicht be-
ſitzt, welcher ſie als eine fremde Sa-
che, oder als eine Sache, welche keinem
zugehoͤret, bey ſich hat.


§. 201.

Vom ge-
wiſſen-
haften
und un-
gewiſ-
ſenhaften
Beſitzer.

Wenn ein Beſitzer glaubt, daß die Sache
ſein ſey; ſo heiſt er ein gewiſſenhafter Be-
ſitzer
(poſſeſſor bonæ fidei); folglich, wenn
derſelbe eine fremde Sache beſitzet, ſo
weis er nicht, daß ſie einem andern

zuge-
[129]und dem Anfange des Eigenthums.
zugehoͤre. Wenn er weiß, daß die Sache
einem andern zugehoͤre, und daß er alſo nicht
der Eigenthumsherr ſey (§. 199.), davor er
will gehalten ſeyn; ſo nennt man ihn einen
ungewiſſenhaften Beſitzer
(poſſeſſorem
malæ fidei).
Daher erhellet, daß ein ge-
wiſſenhafter Beſitzer alſobald zum un-
gewiſſenhaften Beſitzer wird, wenn er
erfaͤhret, daß die Sache, die er beſitzet,
einem andern zugehoͤre.
Und weil das
Recht zum Beſitz allein dem Eigenthums-
herrn zukommt (§. 200.), ſo haben beyde
Beſitzer kein Recht zum Beſitz;
und da
keiner von beyden mit der Sache vornehmen
darf, was er will (§. 199.), ſo iſt alles
Vornehmen, ſo zur Ausuͤbung des Ei-
genthumsrechts gehoͤret, unerlaubt

(§. 195.), und was er thut, das geſchie-
het mit Unrecht (§. 87.); jedoch kan
dem gewiſſenhaften Beſitzer das Un-
recht nicht zugerechnet werden, weil
ſeine Unwiſſenheit unuͤberwindlich iſt

(§. 34.).


§. 202.

Der rechtmaͤßige Gebrauch des Rechts iſtVom Ge-
brauch u.
Miß-
brauch
des Ei-
gen-
thums.

derjenige, welchen die Pflichten erfordern;
derjenige aber, der demſelben entgegen geſe-
tzet, iſt der Mißbrauch (§. 66.). Es ſoll
derowegen der Eigenthumsherr das Sei-
nige nicht anders gebrauchen, als wie
es ſeine Pflichten erfordern. Der Miß-
brauch iſt natuͤrlich unerlaubt, doch

Nat. u. Voͤlckerrecht. Jdarf
[130]II. Th. 1. H. Von der erſten Gemeinſch.
darf niemand denſelben hindern; ſon-
dern man muß ihn dem andern ver-
ſtatten, ſo lange er nichts unternim-
met, was unſerem Rechte zuwieder
iſt
(§. 78.).


§. 203.

Von der
Verlaſ-
ſung ei-
ner Sa-
che.

Man ſagt, es werde eine Sache ver-
laſſen
(res derelinqui), wenn der Eigen-
thumsherr weiter nichts will, als daß ſie
nicht mehr ſeine ſeyn ſoll. Daher erhellet,
daß derjenige, welcher eine Sache ver-
laͤßt, aufhoͤrt der Eigenthumsherr zu
ſeyn
(§. 195. 198.); und daß folglich die
verlaſſene Sache keinem zugehoͤre
(§.
191.); ſo lange aber als der Eigen-
thumsherr nicht den Entſchluß hat,
ſeine Sache zu verlaſſen, verbleibt er
der Eigenthumsherr.


§. 204.

Vom
Wegweꝛ-
fen einer
Sache.

Man ſagt hingegen, es werfe einer et-
was weg
(rem ſuam jactare), wenn er, oh-
ne daß es eine Pflicht, oder Nothwendigkeit
von ihm erfordert, und ohne daß er einigen
Nutzen davon hat, nicht will, daß es ſeine
ſeyn ſoll. Weil es gewiß iſt, daß ein Menſch,
wenn er nicht den Gebrauch der Vernunft
verlohren hat, das Seine liebet, und nicht
ohne dringende Urſache will, es ſolle, was
ſeine iſt, eines andern ſeyn; ſo kann man
in zweifelhaften Faͤllen nicht vermu-
then, daß einer das Seinige wegge-
worfen habe.


§. 205.
[131]und dem Anfange des Eigenthums.
§. 205.

Da durch den Verluſt des Beſitzes eineVom
Verluſt
des Be-
ſitzes.

Sache nur der Gewalt des Eigenthumsherrn
entzogen wird, ſo daß er ſein Eigenthum
nicht gebrauchen kann (§. 200.), deswegen
aber er nicht will, die Sache ſolle nicht mehr
ſeine ſeyn; ſo wird durch den Verluſt
des Beſitzes das Eigenthum nicht ver-
lohren; ſondern bloß durch ſeinen Wil-
len behalten
(§. 203.); folglich wird auch
das Recht zum Beſitz behalten
(§. 200.).


§. 206.

Weil wir nicht weniger mit unkoͤrperlichenVom Ei-
genthum
der un-
koͤrperli-
chen Sa-
chen.

Sachen, als z. E. dem Rechte zu jagen, Voͤ-
gel zu fangen und allen andern verfahren koͤn-
nen, wie wir wollen; ſo koͤnnen auch un-
koͤrperliche Sachen eigenthuͤmlich ſeyn,

und dem Eigenthume unterworfen
werden
(§. 195.). Aus dieſer Urſach wer-
den ſie, eben wie die koͤrperlichen, unſere ge-
nannt, und es gilt von ihnen eben das, was
vermoͤge des Eigenthums bey den koͤrperlichen
ſtatt findet.


§. 207.

Wenn man alles, was uns eigenthuͤmlichVon den
Guͤtern
und dem
Vermoͤ-
gen.

iſt, ohne einigen Unterſcheid zu machen, uͤber-
haupt betrachtet; ſo werden es Guͤter(bo-
na)
genannt. Daher werden die unkoͤr-
perlichen Sachen, oder unſere Rechte
(§. 206.), und dasjenige, was uns an-
dere ſchuldig ſind, zu unſern Guͤtern
gerechnet; keinesweges aber fremde

J 2Sachen,
[132]II. Th. 1. H. Von der erſten Gemeinſch.
Sachen, welche unter unſern ſich be-
finden, oder das, was wir andern
ſchuldig ſind;
und daher kann man nicht
ſagen, ob und wieviel einer habe, bis
die Schulden abgezogen ſind.
Alle Guͤ-
ter zuſammen genommen, oder alle dasjeni-
ge, was unſer iſt, heiſt man das Vermoͤ-
gen
(patrimonium), und dieſes iſt entweder
groß(amplum), oder geringe(tenue),
nachdem es viele, oder wenige Guͤter in ſich
begreift.


§. 208.

Von der
Sorge
fuͤr ſein
Vermoͤ-
gen.

Das Vermoͤgen eines Menſchen gehoͤrt zu
ſeinem aͤuſſerlichen Zuſtande (§. 8. 207.).
Derowegen da wir ſchuldig ſind unſern aͤuſſe-
ren Zuſtand ſo vollkommen zu machen, als in
unſerer Gewalt ſtehet (§. 43.); ſo ſind wir
verbunden unſer Vermoͤgen zu erhal-
ten und, ſo viel an uns iſt, zu vermeh-
ren.
Derowegen da derjenige, welcher ſein
Hab und Gut durch Mißbrauch vermindert,
ſein Vermoͤgen verſchwendet; ſo ſoll
folgends niemand das Seine verſchwen-
den
(§. 207.). Ja man ſchließt auch daher,
daß derjenige, welcher ein groſſes Ver-
moͤgen beſitzet, deswegen nicht muͤßig
ſeyn duͤrfe.
Denn auch derſelbe ſtehet un-
ter der natuͤrlichen Verbindlichkeit, welche
allen die Nothwendigkeit zu arbeiten aufer-
legt, und niemanden muͤßig zu gehen erlaubt
(§. 124.); welches auch daraus erhellet, daß
dieſe Verbindlichkeit unveraͤnderlich iſt (§. 38.
42.).
[133]und dem Anfange des Eigenthums.
42.). Weil der Erhaltung des Vermoͤgens
ſo wohl die Verlaſſung (§. 203.), als auch
die Wegwerfung des Seinen entgegen ſtehet
(§. 204.); ſo iſt ſo wohl die Wegwer-
fung, als die ohne dringende Noth
geſchehene Verlaſſung des Seinigen
dem Geſetze der Natur zuwieder.


Das andere Hauptſtuͤck.


Von der urſpruͤnglichen Art das
Eigenthum zu erhalten.


§. 209.

Ein jeder hat von Natur das Recht zumVon dem
Recht,
von Sa-
chen, die
keinem
zugehoͤ-
ren, das
Eigen-
thum zu
erhalten.

nothwendigen Gebrauch der Sachen
(§. 186. 188.), und der Gebrauch
derſelben, welcher vorher gemein war, wird
demjenigen eigen, welcher mit dem Vorſatz, ſie
zu gebrauchen, ſie in den Stand bringet, da er
ſie gebrauchen kann (§. 192.). Wenn alſo
die Gemeinſchaft der erſten Zeit aufgehoben
wird (§. 194.); ſo entſtehet aus dem Rechte,
blos den Gebrauch der Sachen ſich zuzueig-
nen, das Recht, dieſelben ſich eigenthuͤmlich
zu machen; und alſo iſt einer von Natur
berechtiget, eine Sache, die keinem zu-
gehoͤret, wenn er derſelben bedarf, ſich
eigenthuͤmlich zu machen;
folglich, da
man das Urtheil von der Beduͤrfnis bloß dem-
jenigen uͤberlaſſen muß, der eine Sache ſich
zueignet (§. 78.); ſo iſt jeder, wer kann
J 3und
[134]II. Th. 2. H. Von urſpruͤngl. Erlangung
und will, berechtiget, ſich eine Sache,
die noch keinem gehoͤret, zuzueignen.


§. 210.

Von dem
Zueignen
und der
urſpꝛuͤng-
lichen
Art das
Eigen-
thum zu
erlangen.

Das Zueignen(occupatio) iſt die Hand-
lung, durch welche einer erklaͤrt, daß eine
Sache, die keinem zugehoͤrt, ſeine ſeyn ſoll,
und ſie in den Zuſtand bringt, daß ſie ſeine
ſeyn kann. Daher erhellet, daß das Zu-
eignungsrecht von Natur einem je-
den ohne Unterſchied zukomme,
oder
ein allen Menſchen gemeines Recht ſey
(§. 209.). Und weil man die urſpruͤngli-
che Art das Eigenthum zu erhalten

(modum acqvirendi originarium) diejenige
nennet, dadurch man Sachen, die keinem
zugehoͤren, eigenthuͤmlich erhaͤlt; ſo iſt die
Zueignung die urſpruͤngliche Art das
Eigenthum zu erhalten.


§. 211.

Von den
bewegli-
chen, ſich
bewegen-
den und
unbeweg-
lichen
Sachen.

Man nennt die koͤrperlichen Sachen be-
wegliche
(mobiles), welche ohne ihre Be-
ſchaͤdigung von einem Ort zum andern bewegt
werden koͤnnen; und beſonders heiſſen ſich
bewegende
(ſe moventes), welche ſich ſelbſt
von einem Ort zum andern bewegen koͤnnen,
als das Vieh; aber unbewegliche(immo-
biles),
welche ohne Schaden der Sache, oder
auch gar nicht von einem Ort zum andern be-
wegt werden koͤnnen; als alle liegende Gruͤn-
de, ingleichen Haͤuſer.


§. 212.
[135]des Eigenthums.
§. 212.

Wenn jemand, nachdem man angefan-Von der
Zueig-
nung be-
weglicher
Sachen.

gen hat das Eigenthum einzufuͤhren, eine
bewegliche Sache ergreift, und ſie
nicht wieder wegwirft, oder an ihren
Ort und Stelle legt; ingleichen wenn
er ſie in den Stand bringt, in welchem
er ſie ergreifen kann; ſo eignet er ſich
dieſelbe zu
(§ 210.); folglich erhaͤlt er
das Eigenthum
(§. cit.).


§. 213.

Auf gleiche Weiſe iſt gewiß, daß einer,Von der
Zueig-
nung der
unbe-
weglichen
Sachen.

der einem liegenden Grunde Graͤntzen
ſetzet; oder ihn zu einem gewiſſen Ge-
brauch beſtimmt, der nicht wieder auf-
hoͤret; oder, wenn er auf einem Grun-
de ſtehet, der ſeine gewiſſe Graͤntzen
hat, und muͤndlich in Gegenwart an-
derer bezeugt, er wolle, daß derſelbe
ſein ſeyn ſolle, denſelben ſich zueigne

(§. 210.).


§. 214.

Da der Eigenthumsherr von ſeinem Rech-Von der
Zueig-
nung un-
koͤrperli-
cher Sa-
chen.

te alle uͤbrigen ausſchleuſt (§. 195.); ſo wer-
den die unkoͤrperlichen Sachen,
welche
auch eigenthuͤmlich werden koͤnnen (§. 206.),
ſich zugeeignet, wenn einer ſich derſel-
ben wuͤrcklich bedient, und nicht leidet,
daß ein anderer ſich derſelben bediene.

Derowegen da das Recht eine Sache, die kei-
nem zugehoͤret, ſich zuzueignen, eine unkoͤr-
perliche iſt (§. 121.); ſo kann auch, nach-
J 4dem
[136]II. Th. 2. H. Von urſpruͤngl. Erlangung
dem das Eigenthum eingefuͤhrt wor-
den iſt, das Recht ſich zuzueignen, was
niemanden gehoͤret, von einem ſich zu-
geeignet werden,
als z. E. das Recht
in einer gewiſſen Gegend zu jagen,
Voͤgel zu fangen, zu fiſchen.


§. 215.

Wem ei-
ne Sache
zugehoͤ-
ret, wenn
einer die-
ſelbe er-
greift, der
das Recht
dieſelbe
ſich zuzu-
eignen
nicht hat.

Weil das Recht eine Sache ſich zuzueig-
nen, demjenigen zugehoͤret, der es ſich mit
Recht zugeignet hat (§. 210.); folglich nie-
mand ſich deſſelben wieder ſeinen Willen be-
dienen kann (§. 195.); ſo gehoͤret, wenn
jemand an dem Orte, an welchem das
Zueignungsrecht eigenthuͤmlich iſt,
eine Sache, die keinem zugehoͤret, er-
greift,
z. E. wenn er in dem Theile eines
Fluſſes fiſchet, in welchem das Recht zu fiſchen
ſchon jemanden eigen iſt, die Sache nicht
ihm zu, ſondern demjenigen, dem das
Recht ſich dieſelbe zuzueignen, zukom-
met;
und da er demſelben Eingrif in ſein
Recht thut, ſo thut er ihm unrecht
(§. 87.).


§. 216.

Wenn
dieſes
ohne Un-
recht ge-
ſchieht.

Da aber kein Zufall jemanden zugerechnet
werden kann (§. 3.); ſo wird zwar das
Eigenthum deſſen, was einer, der ſich
ſeines Rechts bedient, durch einen Zu-
fall bekommt, vor denjenigen erlan-
get, der das Zueignungsrecht hat, je-
doch thut er ihm kein Unrecht.


§. 217.
[137]des Eigenthums.
§. 217.

Weil man eine Sache ſich zugeignet hat,Von Zu-
eignung
der wil-
den Thie-
re.

ſo bald man ſie in den Stand gebracht, daß
man ſie ergreifen kann (§. 212.); ſo hat
man ein wildes Thier ſich zugeeignet,
folgends iſt es ſeine; wenn man Netze
ausgeſtellet an dem Orte, wo man das
Zueignungsrecht hat, und daſſelbe
ſich verſtrickt, daß es nicht davon kom-
men kann; oder wenn es durch Werck-
zeuge, die beſchaffen ſeyn moͤgen, wie
ſie wollen, dergeſtalt feſt gehalten wird,
daß es nicht entfliehen kann; oder
wenn man es durch einen Schuß ge-
faͤllet, oder alſo verwundet, oder er-
muͤdet hat, daß es nicht entfliehen
kann.
Eben dieſes gilt auch von dem Wil-
de, welches in einem umzaͤunten Walde ein-
geſchloſſen iſt.


§. 218.

Weil das Eigenthum bloß durch ſeinenVon ſich
ſelbſt be-
wegen-
den Sa-
chen,
wenn ſie
aus der
Veꝛwah-
rung ge-
laufen.

Willen behalten wird, wenn man gleich den
Beſitz verlohren (§. 205.); ſo verbleibet
eine ſich bewegende Sache unſer, wenn
ſie gleich aus unſer Verwahrung
kommt, oder ein Thier, oder Vieh
weglaͤuft;
folglich bleibt auch in dieſem
Falle ein wildes Thier unſer, ſo lan-
ge als man daſſelbe unterſcheiden kann.
Wenn man es
aber, nachdem es weg-
gelaufen, auf keine Weiſe mehr un-
terſcheiden kann,
und alſo nicht gewiß er-
J 5weiſen
[138]II. Th. 2. H. Von urſpruͤngl. Erlangung
weiſen kann, daß es unſer ſey; ſo hoͤrt es
auf unſer zu ſeyn, und kann,
wie eine
andere Sache, die keinem zugehoͤrt, ſich zu-
geeignet werden
(§. 210.).


§. 219.

Von der
Erlan-
gung des
Eigen-
thums
einer ver-
laſſenen
Sache.

Weil eine verlaſſene Sache niemanden
zugehoͤret (§. 203.); ſo gehoͤrt ſie natuͤrli-
cher Weiſe dem zu, der ſie ſich zueig-
net
(§. 210.): Wenn aber das Zueig-
nungsrecht jemanden zukommet;
ſo
kann ſie niemanden eigenthuͤmlich wer-
den, als demjenigen, dem das Recht
gehoͤret
(§. 215.).


§. 220.

Von ei-
ner ver-
lohrnen
Sache.

Man ſagt, eine Sache wird verloh-
ren
(res amitti), welche demjenigen, der
ſie hat, unvermerckt auf die Erde faͤllt, und,
wenn er weggeht, daſelbſt gelaſſen wird.
Man rechnet zu den verlohrenen Sa-
chen diejenigen, welche von einer Kut-
ſche im Fahren fallen, ohne daß man
es gewahr wird; oder von einem Laſt-
wagen, ohne daß es der Fuhrmann
merckt.
Da aus dem bloſſen Wegfallen
nicht folgt, daß der Eigenthumsherr die ver-
lohrene Sache nicht mehr haben wolle; ſo
behaͤlt man das Eigenthum der ver-
lohrnen Sachen
(§. 205.); folglich ge-
hoͤrt die Sache nicht demjenigen, der
ſie findet (§. 210.). Wenn derjenige,
der ſie findet, weiß, wer dieſelbe ver-
lohren hat, oder wenn er im Nach-

forſchen,
[139]des Eigenthums.
forſchen, wem ſie zugehoͤret, nachlaͤſ-
ſig geweſen iſt, ſo beſitzt er ſie nicht mit
einem guten Gewiſſen
(§. 201.). Al-
lein weil, da alle Hoffnung verſchwindet ſie
wieder zu bekommen, man von Seiten des
Eigenthumsherrn den Entſchluß ſie zu ver-
laſſen vermuthet (§. 203.); wenn der Ei-
genthumsherr nicht herausgebracht
werden kann, ſo bleibet ſie deſſen, der
ſie findet.


§. 221.

Auf gleiche Weiſe folgt, daß wenn manVon aus-
geworfe-
nen Sa-
chen.

ein Schiff zu lichten, z. E. bey einem
Sturm, oder wenn es auf Sandbaͤncke ge-
trieben worden, Sachen ins Meer wirft,
ſo verbleiben ſie derjenigen, welchen
ſie zugehoͤren;
da man hieraus nicht ihren
Willen ſie zu verlaſſen ſchlieſſen kann (§. 203.);
folglich, wenn ſie ans Ufer getrieben,
oder im Meere aufgefangen werden,
ſo gehoͤren ſie dem nicht zu, der ſie auf-
faͤngt.
Was von den verlohrnen Sachen
gilt, gilt auch von den ausgeworfenen
(§. 220.).


§. 222.

Weil die Guͤter der Perſonen, dieVon de-
nen im
Schiff-
bruche
verlohre-
nen Sa-
chen.

Schiffbruch leiden, als die ins Meer fal-
len, und durch die Wellen dem Geſichte der-
jenigen, welche im Schiffe ſind, entzogen
werden, den verlohrenen Sachen gleich zu
achten (§. 220.); ſo haben ſie eben das
Recht, was verlohrne Sachen haben.


§. 223.
[140]II. Th. 2. H. Von urſpruͤngl. Erlangung
§. 223.

Vom
Schatze.

Der Schatz(theſaurus) ſind alle beweg-
liche, ſonderlich koſtbare Sachen, oder Geld,
die im Verborgenen liegen, und von welchen
man nicht weiß, wem ſie zugehoͤren. Weil
nun unmoͤglich heraus zu bringen iſt, wer die
Sachen an einem verborgenen Orte hingelegt
hat, (wie voraus geſetzet wird); ſo iſt der
Schatz als eine Sache anzuſehen, die
niemanden zugehoͤret;
folglich gehoͤrt
er natuͤrlicher Weiſe dem, der ihn fin-
det;
oder wenn das Zueignungsrecht je-
manden eigen iſt, demjenigen, der das
Zueignungsrecht hat
(§. 210. 215.).


§. 224.

Von der
Einthei-
lung der
Fruͤchte.

Diejenigen Fruͤchte(fructus) nennt man
die natuͤrlichen, welche die Natur vor ſich,
ohne unſer Zuthun, hervorbringt; die durch
Fleiß hervorgebrachten
(induſtriales) die-
jenigen, welche die Natur nicht anders, als
vermittelſt unſeres Fleißes und unſerer Sorg-
falt hervorbringt. Man nennt eben dieſel-
ben noch hangende(fructus pendentes),
welche von der Sache, aus welcher ſie hervor-
kommen, noch nicht abgeſondert ſind; erhal-
tene
(fructus percepti), welche von derſel-
ben gaͤntzlich abgeſondert und voͤllig einge-
bracht ſind; zuerhaltende(fructus perci-
piendi)
aber, welche einer haͤtte haben koͤnnen,
wenn er nur mehreren Fleiß haͤtte anwenden
wollen, folglich nicht nachlaͤßig geweſen waͤ-
re. Wofern, die Fruͤchte zu erhalten, verſchie-
dene
[141]des Eigenthums.
dene Handlungen oder Verrichtungen erfor-
dert werden, als wie die Feldfruͤchte muͤßen
gehauen, oder geſchnitten, in Garben gebun-
den, in die Scheune gefahren, und daſelbſt
gedroſchen werden; ſo heiſt das eine ange-
fangene Erhaltung
(perceptio inchoata),
da man nur bis zu einer oder der andern Ver-
richtung kommen iſt; die voͤllige aber (per-
ceptio conſummata),
da alle dabey vorzu-
nehmende Verrichtung zu Ende gebracht iſt.
Die erhaltene Fruͤchte werden noch verhan-
dene
(extantes) genannt, welche der Beſi-
tzer der Sache, aus welcher ſie hervorgekom-
men, noch hat; verzehrte(conſumti) hin-
gegen, welche er nicht mehr hat.


§. 225.

Weil die freyen Handlungen desWarunt
unſere
Hand-
lungen
Sachen
gleich zu
achten.

Menſchen, in ſo fern ſie entweder ihm ſelbſt,
oder andern nuͤtzlich ſind, eben ſo wohl, als
die Sachen ſich ſchaͤtzen laſſen; und, nach-
dem das Eigenthum eingefuͤhrt wor-
den iſt,
geſchaͤtzt werden muͤſſen, wie aus
demjenigen, was wir unten beweiſen werden,
noch klaͤrer erhellen wird; ſo werden dieſel-
ben Sachen, die unſer eigen ſind, gleich
geſchaͤtzet;
folglich geſchieht dieſes auch mit
der Arbeit, ingleichen der Wartung
und Beſorgung der eigenthuͤmlichen
Sachen.


§. 226.

Daher folgt ferner, daß, was aus un-Von den
Fruͤchten
deꝛſelben.

ſerer Arbeit, Wartung und Beſorgung
kom-
[142]II. Th. 2. H. Von urſpruͤngl. Erlangung
kommet, als eine Frucht derſelben an-
zuſehen iſt
(§. 198.). Daher ſind die
Fruͤchte, die ohne unſern Fleiß von der
Natur nicht hervorgebracht werden,
theils Fruͤchte der Sache, theils Fruͤch-
te des Fleiſſes,
oder der Arbeit, der War-
tung und Beſorgung (§. 224.). Es
gehoͤret
aber auch zu der Erhaltung
der Fruͤchte
(perceptionem)die Beſtim-
mung zu einem gewiſſen Gebrauch,

z. E. wenn man die Eicheln, die vor ſich her-
unter fallen, den Schweinen die dahin ge-
trieben worden, zu freſſen uͤberlaͤßt; oder das
Graß dem Viehe, ſo auf die Weide getrie-
ben wird.


§. 227.

Von der
Speciſi-
cation.

Man nennet eine Speciem ein einzelnes
Ding von einer gewiſſen Art. Daher nennt
man die Specification die Verrichtung, wo-
durch aus einer gewiſſen Materie ein Ding
von einer andern Art gemacht wird; und die
Geſtalt
(forma),welche die Sache be-
kommt, iſt anzuſehen als eine Frucht
der Bemuͤhung desjenigen, der es zu
einem Dinge von einer andern Art
macht
(§. 226.). Woraus erhellet, in wie-
ferne kuͤnſtliche Sachen als Fruͤchte an-
zuſehen ſind, die demjenigen gehoͤren,
der ſie macht
(§. 221.), naͤmlich das Ei-
genthum
kuͤnſtlicher Sachen wird durch
die Specification erhalten.
Weil die
Koͤrner in den Aehren, aus welchen ſie ge-
droſchen
[143]des Eigenthums.
droſchen werden, ſchon wuͤrcklich da ſind; ſo
iſt das Ausdreſchen der Koͤrner aus den
Aehren keine Specification.


§. 228.

Eine fruchtbare Sache(res fructuo-Von den
frucht-
baren u.
unfrucht-
baren
Sachen,
und wem
die Fꝛuͤch-
te gehoͤ-
ren.

ſa) iſt diejenige, von welcher man eine Frucht
erhalten kann; eine unfruchtbare aber (in-
fructuoſa),
aus welcher keine Frucht kom-
men kann. Man ſagt auch zuweilen, ſie ſey
von Natur unfruchtbar. Weil man frucht-
bare Sachen wegen der Fruͤchte zu eigenen
macht, welches vor ſich klar iſt, und eben des-
wegen das Eigenthum auch das Recht, die
Fruͤchte zu genieſſen, in ſich begreift (§. 198.);
ſo gehoͤren die Fruͤchte demjenigen, wel-
chem die Sache gehoͤret, oder dem Ei-
genthumsherrn der Sache;
folglich, da
der Eigenthumsherr von ſeinem Rechte alle
uͤbrigen ausſchleußt (§. 195.), ſo gehoͤrt
das Recht die Fruͤchte zu erhalten nie-
manden, als dem Eigenthumsherrn.


§. 229.

Daher iſt ferner klar, daß der BeſitzerOb der
Beſitzer
einer
fremden
Sache
Theil
an den
Fruͤch-
ten hat.

einer fremden Sache, er mag dieſelbe mit
gutem Gewiſſen beſitzen, oder nicht, kein
Recht hat die Fruͤchte zu erhalten;

folglich daß die natuͤrlichen Fruͤchte, ſie
moͤgen noch hangende
(pendentes),oder
ſchon erhaltene
(percepti)ſeyn, dem Ei-
genthumsherrn zugehoͤren
(§. 224.).
Weil aber die durch Fleiß erhaltene theils
Fruͤchte der Sache, theils des Fleiſſes ſind
(§. 226.);
[144]II. Th. 2. H. Von urſpruͤngl. Erlangung
(§. 226.); ſo ſind ſie dem Eigenthums-
herrn und dem Beſitzer, nach Propor-
tion der Sache und des angewandten
Fleiſſes, gemein;
z. E. wenn einer ein
fremdes Grundſtuͤcke beſitzet, ſo gehoͤrt ſo viel
von den Fruͤchten dem Eigenthumsherrn, als
der Gebrauch des Grundſtuͤcks werth iſt; dem
Beſitzer aber ſo viel, als ſeine Arbeit und an-
gewandter Fleiß.


§. 230.

Von dem
Unter-
ſchied ei-
nes ge-
wiſſen-
haſten u.
ungewiſ-
ſenhaften
Beſitzers.

Weil die Erhaltung der Fruͤchte zum Ge-
brauch des Eigenthums gehoͤret (§. 228.); ſo
thut ein ungewiſſenhafter Beſitzer,
indem er die Fruͤchte ſich zueig-
net, dem Eigenthumsherrn Unrecht

(§. 201.); folglich hat dieſer das Recht
ihn zu beſtrafen, daß er dieſelbe ihm
genommen hat
(§. 93.); hingegen ein
gewiſſenhafter Beſitzer,
dem, was er
thut, nicht zugerechnet werden kann (§. 202.),
kann deswegen nicht beſtraft werden.
Wenn
aber die Fruͤchte verzehrt wor-
den, ſo haben beyde eine fremde Sa-
che verzehrt
(§. 229.).


§. 231.

Von dem
Rechte in
der Spe-
cifica-
tion.

Wenn einer aus einer fremden Ma-
terie eine gewiſſe Sache gemacht hat

(ſpeciem fecit), da die Materie dem Eigen-
thumsherrn der Materie gehoͤret, die Geſtalt,
die ſie erhalten hat, als eine Frucht der Arbeit
deſſen, der ſie gemacht hat, anzuſehen (§. 227.
228.);
[145]des Eigenthums.
228.); ſo iſt die Sache dem Herrn der
Marerie und demjenigen, der daraus
die Sache gemacht, gemein, nach Pro-
portion des Werths der Materie und
der Arbeit.
Daher kann man leicht erken-
nen, was einer vor ein Recht hat, der theils
aus ſeiner eigenen, theils aus einer fremden
Materie etwas macht, oder aus einer frem-
den Materie vor einen andern; maſſen es ei-
nerley iſt, ob einer etwas ſelbſt thut, oder
durch einen andern. Es iſt aber klar, daß
einer, der etwas mit Vorbewuſt aus
einer fremden Materie macht, dem Ei-
genthumsherrn der Materie unrecht
thut (§. 201.), und daher ſtraffaͤl-
lig wird
(§. 93. 153.).


§. 232.

Weil das Ausdreſchen nicht zu der Speci-Vom
Ausdre-
ſchen.

fication, oder Verfertigung einer Sache aus
einer fremden Materie gehoͤret (§. 227.), ſon-
dern die Koͤrner ſchon ein Theil der Aehren
ſind; ſo ſind, wenn einer fremde Aeh-
ren ausdriſchet, ſo wohl die Koͤrner,
als das Stroh des Eigenthumsherrn
der Aehren.
Was vom Unrecht zu mer-
cken iſt, kann man aus dem vorigen §. wie-
derhohlen.


§. 233.

Die Jungen(fœtus) ſind eine FruchtVon dem
jungen
Viehe.

der Thiere, als die Kaͤlber der Kuͤhe, die
Laͤmmer der Schafe (§. 198.). Deswegen
gehoͤren ſie dem zu, dem die Thiere
Nat. u. Voͤlckerrecht. Kgehoͤ-
[146]II. Th. 2. H. Vom urſpruͤngl. Erlangung
gehoͤren, als die Kaͤlber dem Eigenthums-
herrn der Kuͤhe, die Laͤmmer dem Eigen-
thumsherrn der Schafe. Eben dieſes gilt
von den Eyern des Federviehes, und von den
Kuͤchelchen, die ausgebruͤtet worden. Und es
hindert nichts, daß von meinem Viehe dei-
nes traͤchtig worden.


§. 234.

Wie die
erhal-
tenen
Fruͤchte
zu be-
trachten
ſind.

Da erhaltene, oder gehobene Fruͤch-
te
nicht mehr ein Theil der Sache ſind, aus
welcher ſie hervorgekommen, als die von ihr
nun abgeſondert ſind (§. 224.), und dem Ei-
genthumsherrn einen beſondern Nutzen ver-
ſchaffen; ſo werden ſie alsdann vor ſich
als eigenthuͤmliche Sachen angeſehen.


§. 235.

Von der
Vermi-
ſchung u.
Vermen-
gung.

Wenn zweyen, oder mehreren Eigenthums-
herren zugehoͤrige, fluͤßige oder eingeſchmoltzene
Materien mit einander vermiſcht werden, daß
dadurch eine vermiſchte Maße wird, ſo
nennt man es eine Vermiſchung(confu-
ſionem).
Eine Vermengung(commix-
tio)
aber heiſt, wenn trockene und feſte Koͤr-
per alſo unter einander gemengt werden, daß,
was dem einen zugehoͤrt, zwar von dem un-
terſchieden verbleibet, was dem andern zuge-
hoͤrt, jedoch alles zuſammen nur ein Gantzes
ausmachet. Da man niemanden wieder ſei-
nen Willen das Eigenthum von einer Sache
nehmen kann (§. 195.); ſo iſt, wenn
das mit einander Vermiſchte, oder un-
tereinander Vermengte nicht von ein-

ander
[147]des Eigenthums.
ander wieder abgeſondert werden kann,
oder wenigſtens ſolches nicht ohne
Schaden geſchehen kann, das Ver-
miſchte und unter einander Ge-
mengte, nach Proportion deſſen, was
einem jeden zugehoͤrete, gemein. Jm
entgegen geſetzten Falle bekommt ein
jeder das Seinige.


§. 236.

Eben dieſes gilt, aus eben dem Grunde, vonVon
der An-
ſchweiſ-
ſung und
Anloͤ-
tung.

der Anſchweiſſung(ferruminatione) ſo
wohl roher, als verarbeiteter Metalle von ei-
ner Art; und von der Anloͤtung(adplum-
batura),
da zwey Sachen, von verſchiedner
Art, durch eine von ihnen unterſchiedene Ma-
terie zuſammen gefuͤgt werden.


§. 237.

Grund und Boden(ſolum) nenntVom
Bauen u.
Boden.

man einen Theil des Erdbodens, in ſo ferne
er Menſchen oder andere Sachen traͤget. Auf
Grund und Boden befindliches
(ſuper-
ficies)
heißt dasjenige, was mit demſelben
zuſammenhaͤngt und uͤber denſelben hervor-
ragt; als da ſind Baͤume, Weinſtoͤcke, Pflan-
tzen, Haͤuſer. Die Aufrichtung eines Ge-
baͤudes iſt das Bauen(ædificatio), und in
ſo fern etwas auf einem Grunde erbauet wird,
nennt man es das Erbauen(inædificatio-
nem).
Es iſt auf eben die Art, wie vorher,
klar (§. 235.), daß, wenn jemand auf
ſeinem Grund und Boden aus einer
fremden Materie, oder auf einem

K 2frem-
[148]II. Th. 2. H. Von urſpruͤngl. Erlangung
fremden Grunde und Boden aus ſei-
ner Materie bauet, das Gebaͤude den
Eigenthumsherren der Materie und
des Grundes und Bodens, nach Pro-
portion, gemein ſey; woferne das Ge-
baͤude nicht beweglich iſt,
daß es naͤmlich
weggenommen werden kann.


§. 238.

Vom
Pflantzen
u. Saͤen.

Eben dieſes gilt auch vom Pflantzen
(plantatione), wodurch eine Pflantze in einen
Grund geſetzt wird, daß ſie daſelbſt Wurtzeln
ſchlaͤgt und daraus ihre Nahrung hat; wie
auch vom Saͤen(ſatione), wenn der Same
in die Erde gebracht wird, daß er daſelbſt
keimet und aufgehet. Man muß aber hierbey
nur dieſes mercken: Daß, wenn ein einem jeden
zukommender Theil in der Gemeinſchaft be-
ſtimmt werden ſoll, man darauf zu ſehen
habe, wie viel die Pflantze, wenn ſie geſetzt
wird, oder der Saamen, wenn er ausgeſaͤet
wird, und der Gebrauch des Grundes nebſt
der Arbeit und Wartung gilt (§. 225.).


§. 239.

Von der
Schrift
und dem
Gemaͤhl-
de.

Auf eine gleiche Weiſe iſt, aus eben dem
Grunde, wenn jemand auf unſerem Pa-
pier, oder Pergament, ein Gedicht, eine
Geſchichte, oder eine Rede geſchrieben,
oder auf unſere Tafel ein Bild gemahlt
haͤtte, der gantze Koͤrper, nach Pro-
portion deſſen, was einem jeden gehoͤ-
ret, gemein.
Es iſt naͤmlich bey der Ge-
meinſchaft gar nichts ungereimtes, wenn ſich
das
[149]des Eigenthums.
das Eigenthum auf den tauſendſten, ja auf
einen Milliontheil erſtreckt. Was aber Rech-
tens iſt, wenn das Gemeinſchaftliche getheilt
werden ſoll, die Sache aber ſich nicht theilen
laͤßt, noch die Gemeinſchaft beſtehen kann,
das wird ſich am gehoͤrigen Orte weiſen.


§. 240.

Die Auslaͤufer(ſtolones),welche ausVon den
Auslaͤu-
fern und
auslau-
fenden
Kraͤutern
(herbis
emiſſa-
riis).

den Wurtzeln eines Baums, der dem
Nachbar gehoͤrt, auf unſerem Grun-
de und Boden hervorwachſen, und
die Kraͤuter, welche aus den in der Er-
de getriebenen Wurtzeln eines fremden
Baumes, oder auch uͤber der Erde
auslaufenden Stengelchen von einer
fremden Pflantze hervorwachſen, ſind
unſer;
weil ſie als eine Frucht unſers Grun-
des und Bodens anzuſehen, indem ſie die Na-
tur daſelbſt hervorbringt (§. 198.).


§. 241.

Weil alle Sachen, ſie moͤgen Nahmen ha-Vom
Recht
auf des
Nach-
bars
Baum.

ben, wie ſie wollen, des Gebrauchs wegen
dem Eigenthum unterworfen werden (§. 121.
195.); ſo wird mit Grund und Boden
auch der Luftraum, welcher in ſenck-
rechter Linie daruͤber iſt, dem Eigen-
thume unterworfen, ſo weit er, von
dem Grunde an gerechnet, genutzt wer-
den kann.
Der Kuͤrtze wegen wollen wir
ihn den Luftraum(ſpatium atmoſphæri-
cum)
nennen. Da nun die Aeſte, welche
vom Baume des Nachbars durch un-

K 3ſern
[150]II. Th. 2. H. Von urſpruͤngl. Erlangung
ſern Luftraum ausgebreitet werden,
mit den auslaufenden Kraͤutern zu verglei-
chen ſind (§. 240.); ſo gehoͤren dieſelben
auch uns zu; folglich auch die Fruͤchte
auf denſelben (§. 228.). Und wenn die
Aeſte hindern, daß wir unſern Grund
und Boden nicht ſo nutzen koͤnnen, wie
wir wollen, ſo haben wir das Recht,
dieſelben zu behauen; eben ſo, wie der
Naͤchbar das Recht hat, den Baum
umzuhauen;
als dem das Recht zukommt,
mit dem Baume vorzunehmen, was er will,
ſo ihm wieder ſeinen Willen nicht kann ge-
nommen werden (§. 195.).


§. 242.

Vom
Dazu-
kommen,
dem na-
tuͤꝛlichen,
kuͤnſtli-
chen und
vermiſch-
ten.

Das Dazukommen(acceſſio) wird ge-
nannt, wenn zu einer gewiſſen Sache, wel-
che ſchon eine gewiſſe Geſtalt hat, noch etwas
anders kommt, das mit ihr, es ſey auch auf
was vor Art und Weiſe es wolle, zuſammen
haͤngt, oder mit ihr vereiniget wird. Das-
jenige, was auf dieſe Weiſe dazukommt, heiſt
das Dazukommende(acceſſorium); dieje-
nige Sache aber, zu welcher es dazukommt,
nennt man die Hauptſache(rem principa-
lem).
Man nennt aber dieſes Dazukom-
men das natuͤrliche,
oder das Anſetzen,
welches von der Natur dazu gebracht wird;
das kuͤnſtliche, welches die Menſchen ma-
chen; und das vermiſchte, wozu Menſchen
und Natur etwas beytragen. Wenn eine
fremde Sache zu der unſeren kommt,

und
[151]des Eigenthums.
und ſie kann ohne Schaden abgeſon-
dert werden,
als z. E. wenn ein Edel-
ſtein, der unſer iſt, in eines andern Ring
gefaßt worden; ſo verbleibt der Stein
unſer: im Gegentheile iſt die Haupt-
ſache mit dem Dazukommenden gemein
(§. 195.). Wenn eine Sache, die kei-
nem zugehoͤrt, dazu kommt; ſo bleibt
ſie eine Sache, die keinem zugehoͤrt, ſo
lange, als ſie nicht dem Eigenthume
unterworfen wird
(§. 210.). Bey der
kuͤnſtlichen Art muß man vornaͤmlich daraus
beurtheilen, was die Hauptſache und was das
Dazukommende ſey, wozu die Sache gewied-
met iſt.


§. 243.

Man ſagt, eine Sache gehe unter oderVon dem
Unter-
gange
oder dem
Verge-
hen einer
Sache.

vergehe(interit), wenn dieſelbe aufhoͤrt
wuͤrcklich zu ſeyn. Die Art aber vergeht
(ſpecies interit), wenn die Geſtalt der Sa-
che zernichtet wird, die Materie aber bleibt.
Da niemand ein Recht uͤber eine Sache hat,
als der Eigenthumsherr (§. 195.); ſo iſt der
Schade des Eigenthumsherrn, wenn
die Sache untergehet, oder vergehet

(res interit ſuo domino),und er verliehrt
ſein Recht, was er in derſelben hatte:

aber wenn die Art vernichtet wird, ſo
bleibt noch die Materie ſeine.


§. 244.

Hieraus iſt klar, daß, wenn durch dieVon ei-
nem lie-
genden

Gewalt eines Flußes unvermerckt Er-
K 4de
[152]II. Th. 2. H. Von urſpruͤngl. Erlangung
Grunde,
der durch
die Ge-
walt ei-
nes Fluſ-
ſes ver-
mindert
worden
iſt.
de weggeſchwemmet wird, ſo daß mit
der Zeit unſer liegender Grund merck-
lich abnimt; oder wenn auch durch die
Gewalt des Waſſers merckliche Thei-
le weggeriſſen und weggeſchwemmet
werden, wir das Eigenthum an dem
Theil verliehren, der uns entriſſen
worden.


§. 245.

Von dem
Recht
des Ab-
reiſſens.

Wenn aber die Gewalt eines Fluſſes
von deinem liegenden Grunde einen
Theil weggeriſſen, und gantz an des
Nachbars liegenden Grund angeſetzt
hat, ſo bleibt derſelbe deine, ſo lange
du ihn nicht verlaſſen wilſt
(§. 203.);
indem er nicht untergehet (§. 243.), und dir
wieder deinen Willen das Eigenthum nicht
genommen und einem andern gegeben werden
kann (§. 195.). Man nennt aber dergleichen
gewaltſame Wuͤrckung der Natur, es mag
durch das Waſſer, oder einen andern Zufall
geſchehen, das Abreiſſen(avulſionem).


§. 246.

Wenn
der Fluß
ſeinen
Graben
verlaͤßt.

Wenn der Fluß ſeinen natuͤrlichen
Graben auf einmahl gaͤntzlich verlaͤßt,
und einen andern Weg nimmt; ſo ver-
bleibet der Graben deſſen, dem der
Fluß zugehoͤrte;
indem der Graben desje-
nigen iſt, deſſen der Fluß iſt, und nicht un-
tergehet, wenn gleich der Fluß ausreißt (§.
243. 245.). Derowegen wenn der Fluß
keinem zugehoͤrte, ſo gehoͤret auch der

ver-
[153]des Eigenthums.
verlaſſene Graben keinem zu; folglich
kann er von demjenigen eigenthuͤmlich
gemacht werden, der das Recht hat,
dergleichen Sachen ſich eigenthuͤmlich
zu machen
(§. 210. 215.).


§. 247.

Auf gleiche Weiſe iſt klar, daß, wennVon ei-
ner Jn-
ſel, die
aus ei-
nem
Acker ge-
macht
worden.

ein Fluß aus unſerem Acker eine Jnſel
macht, dieſelbe Jnſel unſer ſey; wenn

aber der Acker gemeinſchaftlich gewe-
ſen, auch die Jnſel, nach Proportion,
gemeinſchaftlich ſey.


§. 248.

Wenn ein Fluß ſich einen neuenVom
Graben
des Fluſ-
ſes der
aus un-
ſerem
Acker ge-
macht
worden
iſt.

Graben auf unſerem Acker gemacht
hat;
ſo behalten wir unſer Recht
auf dem Grunde;
weil man den neuen Gra-
ben, als eine von uns verlohrene Sache anſiehet,
welche man wieder zu bekommen noch Hofnung
hat, in ſo fern naͤmlich der Fluß zu ſeinem vori-
gen Graben zuruͤckkehren, oder nach einer an-
dern Gegend ſeinen Weg nehmen kann (§. 220.);
folglich gehoͤrt der Acker, wenn er wie-
der in den vorigen Stand geſetzet iſt, uns,
und ſo auch ein jeder Theil, der wieder
in den vorigen Stand geſetzet wird.


§. 249.

Wenn alſo auch unſer Acker gantz uͤber-Vom
Recht
der Uebeꝛ-
ſchwem-
mung.

ſchwem̃t wird, unerachtet die Ueber-
ſchwemmung viele Jahre dauren ſollte;
ſo bleibt er unſer (§. 195.), ſo lange wir ihn
nicht verlaſſen
(§. 203.).


K 5§ 250.
[154]II. Th. 2. H. Von urſpruͤngl. Erlangung
§. 250.

Von ei-
ner Jn-
ſel, die
im Mee-
re oder
in ei-
nem
Fluſſe
entſtehet.

Wenn durch einen Zufall im Meere,
oder auf einem Fluß eine Jnſel entſte-
het,
z. E durch ein Erdbeben, oder weil der
Fluß durch Zuſammenſchwemmen nach
und nach einen erhabenen Ort uͤber dem
Fluß gemacht, und durch Anſpuͤhlen
vergroͤſſert hat; ſo gehoͤret dieſelbe nie-
manden,
indem ſie als eine Sache anzuſehen,
die in der Natur noch nicht dageweſen (§. 191.);
folglich kann ſie von demjenigen eigen-
thuͤmlich gemacht werden, der das Recht
hat, ſich eigenthuͤmlich zu machen, was
niemanden gehoͤret (§. 210. 215.). Wenn

aber eine Jnſel in einem Fluſſe entſtehet,
weil der Fluß einen Theil, der ſonſt zum
Graben des Fluſſes gehoͤrte, trocken ver-
laͤßt und um denſelben zu flieſſen be-
ginnet;
da in ſolchem Falle nur ein Theil des
Grabens verlaſſen wird, ſo iſt die Jnſul deſ-
ſen, dem der Fluß zugehoͤret;
folgends weñ
der Fluß niemanden zugehoͤret, ſo ge-
hoͤret auch die Jnſel niemanden
(§. 246.).


§. 251.

Von dem
Recht
der An-
ſpuͤh-
lung.

Die Anſpuͤhlung(alluvio) nennt man
den natuͤrlichen Zuwachs, da durch die
Gewalt eines Fluſſes an einen daran liegenden
Grund unvermerkt immer mehr angeſetzt wird,
ſo daß er mit der Zeit merklich vergroͤſſert wird.
Da nun, was hierdurch zu unſerm Grun-
de kommt,
als eine Sache anzuſehen iſt,
die vorher in der Natur nicht geweſen;
ſo
[155]des Eigenthums.
ſo erhellet, wie vorhin (§. 250.), es gehoͤre daſ-
ſelbe niemanden zu;
folglich koͤnne es von
demjenigen eigenthuͤmlich gemacht
werden, welcher das Recht hat, ſich
niemanden zu gehoͤrige Sachen eigen-
thuͤmlich zumachen.


§. 252.

Es ſind aber die Aecker entweder ausge-Dieſes
wird ge-
nauer er-
wogen.

meſſene Aecker(agri aſſignati), welche mit ei-
nem gewiſſen Maaſſe gemeſſen worden; oder
es ſind umgraͤntzte(limitati), welchen man
ohne Ausmeſſung gewiſſe Graͤnzen geſetzt;
oder endlich von der Natur umgraͤntzte
(agri arcifinii), welche natuͤrliche Graͤntzen
haben, als Fluͤſſe, Berge, Waͤlder. Das Recht
ſich zuzueignen, was das Waſſer an-
ſpuͤhlet, kommet dem zu, deſſen Acker
natuͤrliche Graͤntzen hat, nicht aber
dem, deſſen Acker ausgemeſſen iſt, oder
dem auch ſeine Graͤntzen geſetzt worden
ſind.
Denn derjenige, welcher wolte, daß
der Acker ſeine natuͤrliche Graͤntzen haben ſollte,
hat mit demſelben das Recht der Anſpuͤhlung
ſich zugleich eigenthuͤmlich gemacht: welches
aber nicht von demjenigen kann verſtanden wer-
den, der einen ausgemeſſenen, oder umſchraͤnck-
ten Acker hat (§. 251.). Da nun die-
ſer kein von der Natur umſchraͤnckter Acker
iſt, wenn zwiſchen dem Acker und dem
Fluſſe ein oͤffentlicher Weg, oder eine
Landſtraſſe gehet,
ſo nicht zum Acker, als
ein Theil deſſelben, gehoͤret; ſo kann der
Eigen-
[156]II. Th. 2. H. Von urſpruͤngl. Erlangung
Eigenthumsherr des Ackers kein Recht
der Anſpuͤhlung haben.


§. 253.

Ob der-
gleichen
Recht im
ſtillſte-
henden
Waſſer
ſtatt
findet.

Da ſtillſtehende Waſſer ihre geſetzte Graͤn-
zen haben, ſo daß, wenn ſie wachſen, oder
fallen, den benachbarten liegenden Gruͤnden
nichts zuwaͤchſt, oder abgehet; ſondern ein
jeder in dem, was ihm gehoͤret, ſein Recht be-
halten kann; ſo findet das Anſpuͤhlungs-
recht bey ſtillſtehenden Waſſern nicht
ſtatt
(§. 251.). Man nennt aber im La-
teiniſchen ein ſtillſtehendes Waſſer, das nicht
austrocknet, lacum; wenn es aber austrock-
net, ſtagnum. Es hat aber nichts zu ſagen,
daß unterweilen durch einem Zufall auch ein
lacus austrocknen kan.


§. 254.

Was vor
eine Ge-
mein-
ſchaft
durch
das, was
im vor-
herge-
henden
abgehan-
delt wor-
den, ein-
gefuͤhrt
wird.

Weil eine poſitive Gemeinſchafft darinn be-
ſtehet, daß zweyen, oder mehreren zuſam-
men eine Sache, die nicht getheilt werden
kann, nach Proportion eigenthuͤmlich iſt,
(§. 196.); ſo iſt die Gemeinſchafft, wel-
che durch die Specification, oder
Verfer-
tigung einer Sache aus einer fremden Mate-
rie (§. 231.), durch das Miſchen und
Mengen (§. 235.), durch die Anſchweiſ-
ſung und Anloͤtung (§. 236.), durch
das Bauen (§. 237.), durch das Pflan-
zen und Saͤen (§. 238.), durch die
Schrift und Mahlerey (§. 239.) und
durch das Dazukom̃en eingefuͤhrt wird
§. 242.), eine poſitive Gemeinſchafft:

Das
[157]des Eigenthums.
Das Eigenthum aber wird in derſelben,
genau zu reden, nicht urſpruͤnglich er-
halten; in ſo fern aber die gemeinſchaft-
liche Sache vorher in der Natur noch
nicht befindlich war, ſo wird die Er-
haltung des Eigenthums der urſpruͤng-
lichen Erhaltung gleich geachtet.

(§. 210.).


Das dritte Hauptſtuͤck.


Von den Verbindlichkeiten und
Rechten, welche aus dem Eigen-
thum entſtehen.


§. 255.

Weil der Eigenthumsherr ſchuldigOb das
Eigen-
thum
das
Recht in
ſich
ſchließt
eine Sa-
che zu
verder-
ben.

iſt, ſich ſeiner Sache nicht anders zu
bedienen, als ſeine Pflichten erfor-
dern (§. 202.); ſo darf er auch, wenn
es keine natuͤrliche Verbindlichkeit
von ihm fordert, ſeine Sachen nicht
zernichten, verderben, oder verſchlim-
mern;
folglich ſchließt das Eigen-
thumsrecht nicht das Recht in ſich,
ſeine Sache zu verderben, oder zu ver-
ſchlimmern
(§. 49.). Es fließt das Recht,
welches der Eigenthumsherr hat, mit ſei-
ner eigenem Sache nach ſeinem Gefallen vor-
zunehmen, was man wil, aus der natuͤrli-
chen Freyheit (§. 195.), und dieſe hebt die na-
tuͤrliche Verbindlichkeit nicht auf (§. 77.).


§. 256.
[158]II. Th. 3. H. Von Recht und Verbindl.
§. 256.

Von dem
Recht ei-
ne Sa-
che, die
unſer iſt,
zu veraͤn-
dern und
etwas
daraus
zu ma-
chen.

Einer verfaͤhret mit der Sache ſelbſt nach
ſeinem Gefallen, wenn er einen liegenden
Grund, oder das, was darauf ſtehet, oder
auch eine andere Sache veraͤndert, ingleichen
wenn er aus ſeiner Materie etwas macht; wel-
ches an und vor ſich ſelbſt klar iſt. Weil nun
der Eigenthumsherr das Recht hat,
ſeine Sachen nach ſeiner Willkuͤhr einzu-
richten, wie er will, oder die Proprietaͤt,
(proprietatem) (§. 198.); ſo hat er auch das
Recht einen liegenden Grund, oder
was auf demſelben ſtehet, oder auch eine
andere Sache zu veraͤndern, und aus ei-
ner Materie zu machen, was ihm ge-
faͤllt; Wem das Eigenthum nicht zu-
koͤmmt, dem iſt es nicht erlaubt eine Ver-
aͤnderung vorzunehmen, oder etwas
aus einer Materie zu machen, die nicht
ſein iſt
(§. 195.).


§. 257.

Vom
Recht zu
veraͤuſ-
ſern.

Aus eben dem Grunde hat der Eigen-
thumsherr, vermoͤge der Proprietaͤt,
das Recht, ſein Eigenthum auf einen
andern zu bringen; folgends,
da dieſes
die Veraͤuſſerung einer Sache(alienatio
rei)
genannt wird, in ſo fern naͤmlich itzund
ein anderer Eigenthumsherr wird, als der es
vorher war, hat er das Recht eine Sache
zu veraͤuſſern
(jus alienandi);demjeni-
gen
aber, der nicht der Eigenthumsherr
iſt, iſt keine Veraͤuſſerung einer fremden

Sache
[159]wegen des Eigenthums.
Sache er laubet (§. 199.). Daher folgt
ferner, daß wenn einer eine Sache be-
kommt, von einem, der nicht der Ei-
genthumsherr iſt; ſo gehoͤrt dieſelbe
nicht dem zu, der ſie bekommen hat,
ſondern ſie bleibt deſſen, dem ſie gehoͤ-
ret
(§. 205.). Weil die unkoͤrperlichen
Sachen, als die Rechte (§. 121.), auch im
Eigenthume ſind (§. 206.); ſo kann der Ei-
genthumsherr auch die Recht veraͤuſ-
ſern;
als das Recht zu fiſchen, zu
jagen.


§. 258.

Wenn man das Eigenthum auf einen an-Von dem
Recht
eine
Sache zu
geben.

dern bringet, ohne dabey darauf zu ſehen, ob
ſie ſeine iſt, oder nicht, ſo heiſſet dieſes das
Geben
(datio); dergeſtalt daß geben
(dare) nichts anders iſt, als ſein Eigenthum
auf einen andern bringen. Daher iſt eben-
falls klar, daß niemand, als der Eigen-
thumsherr einem andern eine Sache
geben kann;
und folglich niemand eine
fremde Sache dem andern geben koͤnne

(§. 199.).


§. 259.

Wenn ein Eigenthumsherr ſein Eigen-Von dem
Recht ei-
nem zu
einer
Hand-
lung ein
Recht zu
erthei-
len, die
in Ab-

thum veraͤuſſert, ſo uͤbergiebt er ſein Eigen-
thum einem andern (§. 257.); folglich auch
das Recht zu allen Handlungen, welche ver-
moͤge des Eigenthums einem erlaubt ſind.
Derowegen kan auch das Recht zu einer
jeden Handlung, die Vermoͤge des Ei-

gen-
[160]II. Th. 3. H. Von Recht und Verbindl.
ſicht des
Eigen-
thums
erlaubt
iſt.
genthums erlaubt iſt, einem andern
eingeraͤumet, das Eigenthum aber
ſelbſt vor ſich behalten werden.
Je-
doch iſt klar, daß das Eigenthum in die-
ſem Fall vermindert wird; weil das Recht,
welches der andere erhalten, ſein eigen iſt,
welches ihm wieder ſeinen Willen nicht wieder
genommen werden kann (§. 100.).


§. 260.

Von dem
Rechte,
welches
man ei-
nem an-
dern in
ſeiner
Sache
einraͤu-
met.

Gleichergeſtalt, weil der Eigenthums-
herr
mit einem jeden Nutzen ſeiner Sache,
nach ſeinem Gefallen verfahren kann (§. 195.
198.); ſo kann er auch einem andern ein
Recht in ſeiner Sache einraͤumen, es
habe einen Nahmen, wie es wolle;

allein wer nicht Eigenthumsherr iſt,
kann dieſes nicht thun.
Dergleichen iſt
das Recht Waſſer aus unſerem Brunnen zu
ſchoͤpfen, das Recht uͤber unſern Grund zu
dem ſeinen zu gehen.


§. 261.

Vom
Wieder-
geben ei-
ner
Sache,
die einem
andern
gehoͤrt.

Weil der Eigenthumsherr in einer
Sache das Eigenthum behaͤlt, die, es ſey auf
was vor Weiſe es wolle, in unſere Gewalt
koͤmmt, daß wir dieſelbe beſitzen koͤnnen (§.
200. 205.); und eine jede Handlung, die
zur Ausuͤbung des Eigenthums gehoͤrt, uns
unerlaubt iſt (§. 195.), wir aber verhuͤten
ſollen, daß ein anderer nicht in Schaden (§.
134.), folglich um das Seine kommt (§. 207.);
ſo muͤſſen wir davor ſorgen, daß, wenn
eines andern Sache, es ſey auf was vor

Weiſe
[161]wegen des Eigenthums.
Weiſe es wolle, in unſere Gewalt
koͤmmt, ſie wiederum in die Gewalt
ihres Eigenthumsherrn komme;
folg-
lich wenn man weiß, wer derſelbe ſey, ſo
muß man ihm ſeine Sache wieder geben;
weis man es aber nicht, ſo muß man
nachforſchen, wer er ſey.
Zum Exem-
pel wollen wir eine Sache nehmen, die ver-
lohren worden, und wir gefunden haben, oder
wenn ein fremdes Vieh auf unſern Hof kommt.


§. 262.

Weil derjenige, welcher unſere Sache hat,Von der
Vindica-
tion eineꝛ
Sache,
oder dem
Wieder-
zueig-
nungs-
recht.

verbunden iſt, uns dieſelbe wieder zu geben
(§. 261.); ſo haben wir, als Eigen-
thumsherren, das Recht ihn dazu an-
zuhalten, daß er uns dieſelbe wieder-
geben muß (§. 46.), und wenn er nicht
wolte, ihn mit Gewalt dazu anzuhal-
ten
(§. 80.). Das Recht eine uns zugehoͤ-
rige Sache von jedem Beſitzer oder Jnhaber
mit Gewalt zu erhalten, wird die Wiederzu-
eignung oder Vindication einer Sache

(vindicatio rei), oder auch das Recht eine
uns zugehoͤrige Sache uns wieder zu-
zueignen
genannt. Der Eigenthums-
herr hat
alſo das Recht, ſich ſeine Sache
von jedem Beſitzer, oder Jnhaber
wieder zuzueignen.
Weil aber die Sache
bloß ihrem Eigenthumsherrn wieder gegeben
werden muß (§. 261.); ſo ſind wir verbun-
den erſt zu beweiſen, daß eine Sache
unſer ſey; und ehe wir daſſelbe nicht

Nat. u. Voͤlckerrecht. Lbewie-
[162]II. Th. 3. H. Von Recht und Verbindl.
bewieſen haben, koͤnnen wir auch den
andern nicht mit Gewalt anhalten,
uns die Sache wieder zu geben.
Da
nun die gewaltſame Behauptung ſeines Rech-
tes ein Krieg iſt (§. 98.); ſo iſt die Wie-
derzueignung einer uns zugehoͤrigen
Sache ein Krieg.


§. 263.

Vom
Dieb-
ſtahl,
vom
Raub u.
der Jn-
vaſion.

Ein boßhaftes Wegnehmen einer Sache,
die einem andern zugehoͤret, wieder ſein Wiſ-
ſen und Willen, mit dem Vorſatze, ſich dieſel-
be zuzueignen, wird ein Diebſtahl(furtum)
genannt. Nimmet man einem das Seine
auf oͤffentlicher Straſſe mit Gewalt, ſo heiſt
es ein Raub(rapina). Wer einen Dieb-
ſtahl begeht, wird ein Dieb; wer einen
Raub begeht, ein Raͤuber(prædo) genannt.
Es iſt aber ein offenbahrer Diebſtahl(fur-
tum manifeſtum),
wenn der Dieb ſelbſt bey
dem Stehlen ertappt wird, da er die geſtohl-
nen Sachen noch nicht anders wohin gebracht
hat: hingegen kein offenbahrer Dieb-
ſtahl,
oder ein heimlicher(furtum nec
manifeſtum)
im entgegengeſetzten Falle.
Wenn jemand wieder Wiſſen und Willen des
Eigenthumsherrn, nach ſeinem eigenen Gefal-
len, ſich des Gebrauchs einer Sache anmaſſet,
als wenn ſie ſeine waͤre, ſo nennet man es
einen Diebſtahl des Gebrauchs(furtum
uſus).
Wenn jemand einen wieder ſeinen
Willen um den Beſitz ſeiner unbeweglichen
Sache bringet, als, wenn er dem Glaͤubiger
das
[163]wegen des Eigenthums.
das Unterpfand nimmet; ſo nennt man es ei-
nen Diebſtahl des Beſitzes(furtum poſ-
ſeſſionis).
Eine Jnvaſion(invaſio) aber
wird genannt, da einer, der kein Recht zum
Beſitz hat, einen andern mit Gewalt aus dem
Beſitze ſeiner unbeweglichen Sache wirft.
Wer dieſes thut, wird in Rechten Invaſor ge-
nannt.


§. 264.

Weil der Eigenthumsherr von ſeinemWas von
dem
Dieb-
ſtahle u.
Raube
Rechtens
iſt, und
von Wie-
dererſe-
tzung ei-
ner ge-
ſtohlenen
und ge-
raubten
Sache.

Rechte, welches er in einer Sache hat, alle
uͤbrige ausſchleußt (§. 195.), ihm auch daſ-
ſelbe nicht wieder ſeinen Willen genommen
werden kann (§. 100.); ſo iſt Stehlen
und Rauben nicht erlaubt.
Und weil
ohne Willen des Eigenthumsherrn niemand
anders das Eigenthum erlangen kann (§. 195.);
ſo verbleibt eine geſtohlene und ge-
raubte Sache des Eigenthumsherrn;

folglich kann er ſich dieſelbe von ei-
nem Diebe, Raͤuber, oder einem jeden
andern Beſitzer wieder zueignen (§.
262.); und nicht allein der Dieb, oder
Raͤuber, ſondern auch ein jeder ande-
rer, in deſſen Gewalt die Sache ge-
kommen, iſt verbunden ſie dem Eigen-
thumsherrn wieder zu geben
(§. 261.).
Und weil alles, was man mit einer fremden
Sache vor ſich vornimmet, unerlaubt iſt (§.
195.); ſo iſt auch der Diebſtahl des
Gebrauchs unerlaubt
(§. 198. 263.).


L 2§. 265.
[164]II. Th. 3. H. Von Recht und Verbindl.
§. 265.

Von
dem, was
Rechtens
bey der
Jnva-
ſion, und
gegen
denjeni-
gen, der
ſie unter-
nimmt.

Der Eigenthumsherr hat das Recht des
Beſitzes (§. 200.), welches man ihm wieder
ſeinen Willen nicht nehmen kann (§. 100.).
Deswegen iſt auch die Jnvaſion natuͤr-
lich unerlaubt; und der, welcher die-
ſelbe unternimmt, iſt dem andern den
Beſitz wieder abzutreten ſchuldig.
Und
da der Eigenthumsherr nicht leiden darf,
daß jemand anders wieder ſeinen Willen ſich
etwas anmaſſet, was ihm vermoͤge des Ei-
genthums erlaubt iſt (§. 195.); ſo hat er
das Recht, den andern aus dem un-
rechtmaͤßigen Beſitze wiederum her-
auszuwerfen, woferne er ihm nicht
gutwillig denſelben wieder einraͤumen
will;
folglich komt ihm das Recht zum
Kriege wieder ihn zu
(§. 98.).


§. 266.

Ob ein
Eigen-
thums-
herr ei-
nen Dieb-
ſtahl,
Naub u.
Jnvaſion
begehen
koͤnne.

Es iſt ſelbſt aus den Begriffen klar, daß,
wenn der Eigenthumsherr ſeine Sa-
che dem andern heimlich oder mit Ge-
walt wegnimmt, er kein Dieb oder
Raͤuber ſey; oder, wenn er den andern
mit Gewalt aus dem Beſitze der ihm
zugehoͤrigen unbeweglichen Sache
wirft, kein Jnvaſor
(§. 263.). Denn
ſeine eigene Sache kann niemand ſtehlen oder
rauben, ſondern lediglich eine fremde. Es
kann auch niemand ein Jnvaſor ſeyn, als der
nicht der Eigenthumsherr iſt. Aber aus eben
dem Grunde, aus welchem es bey der Wie-
derzu-
[165]wegen des Eigenthums.
derzueignung geſchehen muß (§. 262.), erhel-
let, daß einer beweiſen muͤſſe, es ſey
die Sache ſeine, damit er nicht vor ei-
nen Dieb, oder Raͤuber, oder Jnvaſor
gehalten werde.


§. 267.

Der Dieb, Raͤuber und Jnvaſor verletzenVon dem
Recht,
einen
Dieb,
Raͤuber
und Jn-
vaſor zu
ſtrafen.

das Recht des Eigenthumsherrn (§. 195.
263.); folglich beleidigen ſie ihn (§. 88.).
Derowegen hat der Eigenthumsherr
das Recht, den Dieb, den Raͤuber und
den Jnvaſor zu ſtrafen
(§. 93.).


§. 268.

Weil wir das Recht der VertheidigungVon dem
Recht
die uns
zugehoͤri-
ge Sa-
chen zu
verthei-
digen.

wieder denjenigen haben, der uns zu beleidi-
gen ſucht (§. 90.); ſo iſt erlaubt, ſeine
Sachen wieder einen offenbahren Dieb,
einen Raͤuber und Jnvaſor, oder ei-
nen, der uns um den Beſitz des unſri-
gen bringen will, zu vertheidigen (§.
49.), und dieſes iſt ein uneingeſchraͤnck-
tes Recht
(§. 94.). Weil aber der Dieb,
der Raͤuber, und der uns um den Beſitz brin-
get, indem er der Vertheidigung wiederſte-
het, und auf unſere Perſon mit Gewalt loß
gehet, uns anfaͤllt(aggreſſor eſt); ſo iſt die
Vertheidigung unſerer Sachen in der
Vertheidigung unſerer Perſon enthal-
ten.
Und daher iſt klar, daß die Verthei-
digung unſerer Sachen wieder einen
offenbahren Dieb, einen Raͤuber, und

L 3einen,
[166]II. Th. 3. H. Von Recht und Verbindl.
einen, der uns um unſern Beſitz bringr,
ein Krieg ſey
(§. 98.).


§. 269.

Von dem
Schaden.

Man ſagt, daß derjenige um das Sei-
nige komme
(jacturam ſui facere), dem
wieder ſeinen Willen das Seine dergeſtalt
entzogen wird, daß er es niemahls wieder be-
kommen kann. Der Verluſt des Seinigen
wird der Schaden(damnum) genannt;
und in Schaden bringen(damnum
dare),
heiſſet ſo viel, als durch das, was
man thut, oder unterlaͤßt, Urſache ſeyn
an dem Verluſt des Unſrigen. Jns-
beſondere nennt man einen vorſetzlichen
Schaden
(damnum voluntarium ſ. dolo-
ſum),
welchen einer dem andern zuzufuͤgen
getrachtet, oder der aus dem, was er Vor-
habens war, erfolget (intentione directa, ſive
indirecta);
einen unvorſetzlichen Scha-
den
(damnum culpoſum), welcher aus Ver-
ſehen geſchehen; und endlich einen zufaͤlligen
Schaden
(damnum caſuale), welcher durch
einen nicht vorhergeſehenen Zufall, den man
nicht vermeiden koͤnnen, verurſacht wird.
Weil wir unſer Vermoͤgen, folglich alle un-
ſere Sachen erhalten ſollen (§. 208.); ſo ſoll
auch ein jeder, ſo viel er kann, allen
Schaden von ſich abwenden, auch nie-
manden in Schaden bringen, ſondern
vielmehr, ſo viel an ihm iſt, auch von
dem andern allen Schaden abwenden

(§. 133.); folglich darf niemand dem an-
dern
[167]wegen des Eigenthums.
dern etwas wieder ſeinen Willen von
ſeinen Sachen wegnehmen, oder ver-
derben, es mag geſchehen aus was vor
Abſicht es immer will.
Uebrigens erhel-
let hieraus, daß, wenn der Eigen-
thumsherr die geſtohlene oder geraub-
te Sache nicht wiederbekommt, der
Dieb und Raͤuber ihn in Schaden
bringet.


§. 270.

Da niemand den andern in Schaden ſetzenVon der
Erſetzung
des Scha-
dens, den
einer ver-
urſacht
hat.

ſoll (§. 269.), der Schaden aber in dem Ver-
luſt des Seinigen beſtehet (§. cit.), und da-
her derjenige, der in Schaden geſetzet wird,
weniger hat, als er vorher hatte; ſo darf
niemand verurſachen, daß der andere
weniger habe, als er haben ſolte.
Weil
nun einer nicht weniger hat, als er haben
ſolte, wenn ihm eben ſo viel wieder zugeſtel-
let wird, als die Sache werth iſt, die er ein-
gebuͤſſet hat, das iſt, wenn der Schaden
erſetzet wird
(damnum reſarcitur), wel-
ches an und vor ſich ſelbſt klar iſt; ſo
muß ein jeder vorſetzlicher und unvor-
ſetzlicher Schaden wieder erſetzet wer-
den, und wir haben das Recht den
andern dazu zu bringen, daß uns der
Schade erſetzet werde.


§. 271.

Einer iſt bereichert worden(locuple-Daß
man ſich
nicht

tior factus eſt), der mehr hat, als er vorher
hatte. Daher wird er durch eines andern
L 4Sache
[168]II. Th. 3. H. Von Recht und Verbindl.
durch
oder aus
eines an-
dern Sa-
che berei-
chern
muͤſſe.
Sache bereichert(re alterius l. f.), wenn
das, was er mehr hat, eine einem andern zu-
gehoͤrige Sache iſt; und aus eines andern
Sache wird einer bereichert
(ex re alte-
rius l. f.),
wenn dasjenige, was er mehr hat,
von eines andern Sache, oder an deren Stelle
kommt. Weil wir niemand weder mit Vor-
ſatz, noch aus Verſehen in Schaden bringen
ſollen (§. 269.), der Schaden aber in dem
Verluſt des Seinigen beſtehet (§. cit.); ſo
darf auch niemand mit des andern
Schaden ſich bereichern, noch mit der
Sache, oder aus der Sache eines an-
dern;
folglich, da der verurſachte Schaden
erſetzet werden muß (§. 270.), ſo iſt jeder,
der durch oder aus meiner Sache, die
aber nicht mehr vorhanden iſt, reicher
worden, mir ſo viel zu erſetzen ſchul-
dig, als er reicher worden iſt.
Dieſer
Hauptſatz hat einen ſehr weitlaͤuftigen Nutzen
im Rechte.


§. 272.

Was der
gewiſſen-
hafte und
nicht ge-
wiſſen-
hafte Be-
ſitzer dem
Eigen-
thums-
herrn
ſchuldig
iſt.

Keine Handlung, die zur Ausuͤbung des
Eigenthums gehoͤrt, kann einem gewiſſenhaf-
ten Beſitzer zugerechnet werden (§ 201.);
folglich auch nicht was er unterlaſſen (§. 2.).
Derowegen hat der Eigenthumsherr an
dem gewiſſenhaften Beſitzer wegen
deſſen, was er gethan, oder unterlaſ-
ſen, keine Forderung, ſondern nur we-
gen der Sache,
in ſo fern er naͤmlich die-
ſelbe ohne einiges Recht beſitzet (§. 201.).
Allein
[169]wegen des Eigenthums.
Allein da dem ungewiſſenhaften Beſitzer eine
jede Handlung, die zur Ausuͤbung des Eigen-
thumsrechts gehoͤret, zugerechnet werden kann
(§. 201. 3.); ſo hat an dem ungewiſſen-
haften Beſitzer der Eigenthumsherr
ſo wohl wegen der Sache, als auch
wegen alles deſſen, ſo er gethan, oder
unterlaſſen, ſeine Forderung.


§. 273.

Weil an dem gewiſſenhaften Beſitzer derWovor
der ge-
wiſſen-
hafte Be-
ſitzer dem
Eigen-
thums-
herrn
nicht ſte-
hen darf.

Eigenthumsherr wegen deſſen, was er ge-
than, oder unterlaſſen, keine Forderung hat
(§. 272.); ſo iſt er auch, wenn die Sa-
che durch einen Zufall untergehet, ob-
gleich dieſes nicht geſchehen waͤre,
wenn ſie der Eigenthumsherr gehabt
haͤtte, demſelben nichts wieder zu er-
ſtatten ſchuldig; er iſt auch nicht ſchul-
dig den Schaden zu erſetzen, wenn die
Sache durch ſein Verſehen unterge-
gangen, oder weggekommen, noch auch
die zu erwartenden Fruͤchte wieder zu
erſtatten, wenn er mehreren Fleiß an-
gewandt haͤtte.


§. 274.

Allein, da ein ungewiſſenhafter Beſi-Was ein
ungewiſ-
ſenhaf-
ter Beſi-
tzer, in ſo
fern er
ein ſol-
cher iſt,

tzer dem Eigenthumsherrn davor ſtehen muß,
was er gethan und unterlaſſen (§. 272.); ſo
iſt er dem Eigenthumsherrn den Scha-
den zu erſetzen ſchuldig, wenn die Sa-
che durch ſein Verſehen zu nichte wor-
den, oder ſonſt weggekom̃en, oder auch

L 5durch
[170]II. Th. 3. H. Von Recht und Verbindl.
ſchuldig
iſt.
durch einen Zufall ſolches geſchehen,
durch welchen es dem Eigenthums-
herrn nicht begegnet waͤre, wenn er
ſie gehabt haͤtte: waͤre aber durch die-
ſen Zufall auch bey ihm eben dieſes ge-
ſchehen, ſo iſt er
auch nichts zu erſetzen
ſchuldig;
ſintemahl alsdenn der Schade
weder dem, was der Beſitzer gethan, zuzu-
ſchreiben, noch daher kommet, daß er dem Ei-
genthumsherrn die Sache nicht wiedergegeben
(§. 261.). Und da an den zu erhaltenden
Fruͤchten der Fleiß des Beſitzers ſeinen An-
theil hat (§. 224.); ſo iſt er auch ſchul-
dig den Theil der Fruͤchte, die haͤtten
koͤnnen erhalten werden, ſo dem Ei-
genthumsherrn gehoͤrten, zu erſetzen

(§. 229. 270.);


§. 275.

Von den
Fruͤch-
ten, die
noch da
ſind.

Weil die Fruͤchte einer Sache dem Eigen-
thumsherrn gehoͤren (§. 228.), die Fruͤchte
aber, die ohne angewandten Fleiß nicht erhal-
ten werden, nach Proportion, dem Eigen-
thumsherrn und dem Beſitzer gemein ſind
(§. 229.), niemand aber ſich durch eines an-
dern Sache bereichern darf (§. 271.); ſo iſt
ſo wohl der gewiſſenhafte, als unge-
wiſſenhafte Beſitzer ſchuldig, die na-
tuͤrlichen Fruͤchte, die noch vorhanden
ſind, und den Antheil derer, wozu
Fleiß angewandt worden, herauszu-
geben.


§. 276.
[171]wegen des Eigenthums.
§. 276.

Weil ein gewiſſenhafter Beſitzer demVon den
verzehr-
ten
Fruͤch-
ten.

Eigenthumsherrn nicht davor ſtehen darf,
was er gethan, folglich auch nicht wegen der
verzehrten Fruͤchte (§. 272.); jedoch aber
auch nicht aus eines andern Sache ſich berei-
chern darf (§. 271.); ſo muß er dem Ei-
genthumsherrn nur in ſo weit davor
ſtehen, als er aus den verzehrten na-
tuͤrlichen Fruͤchten und dem Antheil
derer, worauf er ſeinen Fleiß gewandt,
reicher worden iſt;
folglich, da man nicht
ſagen kann, daß der von dem, was einem
andern zugehoͤret, gelebt habe, welcher von
dem Seinigen leben konte; ſo iſt er ſchul-
dig eben ſo viel wieder zu erſtatten,
wenn er eben ſo viel im Vermoͤgen
hat; hingegen weniger, wenn er we-
niger im Vermoͤgen, aber nichts, wenn
er nichts im Vermoͤgen hat.
Hingegen,
da ein ungewiſſenhafter Beſitzer dem
Eigenthumsherrn ſo wohl in Anſehung der
Sache, als deſſen, was er gethan, in allem
ſtehen muß (§. 272.), folglich auch deswegen,
daß er eine einem andern zugehoͤrige Sache ver-
zehrt hat (§. 230.); ſo iſt er auch ſchul-
dig den Werth der natuͤrlichen Fruͤchte,
die er verzehrt hat, und des verzehrten
Antheils des Eigenthumsherrn an de-
nen, worauf er Fleiß gewandt, zu er-
ſtatten.
Man fragt hier aber, was wieder
erſtattet werden ſoll, nicht was wieder erſtattet
werden kann.


§. 277.
[172]II. Th. 3. H. Von Recht und Verbindl.
§. 277.

Wovor
man zu
ſtehen
hat, wenn
man eine
fremde
Sache
ver-
ſchlim-
mert,
oder ver-
dorben.

Es iſt an und vor ſich ſelbſt klar, daß eine
verſchlimmerte oder verdorbene Sache weni-
ger werth iſt, als ſie vorher war. Derowe-
gen da dadurch der Eigenthumsherr in Scha-
den kommet (§. 269.), niemand aber den an-
dern in Schaden bringen ſoll (§. cit.), und
aller ſo wohl mit Vorſatz, als aus Verſehen
verurſachter Schade erſetzt werden muß (§.
270); ſo iſt derjenige, welcher einem
andern ſeine Sache entweder vorſaͤtz-
lich, oder auch aus Verſehen verſchlim-
mert oder verderbet, dem Eigen-
thumsherrn ſo viel zu erſetzen ſchul-
dig, als die verſchlimmerte oder ver-
dorbene Sache weniger werth iſt.


§. 278.

Wovor
ein Beſi-
tzer einer
fremden
Sache
ſtehen
muß.

Weil nun ein gewiſſenhafter Beſitzer da-
vor nicht ſtehen darf, was er gethan, aber
wohl ein ungewiſſenhafter (§. 272.); ſo iſt
auch der gewiſſenhafte Beſitzer der
Verſchlimmerung wegen keine Erſtat-
tung ſchuldig; der ungewiſſenhafte
aber muß in ſo weit davor ſtehen, als
die verſchlimmerte Sache weniger
werth iſt. Von einer Verſchlimme-
rung aber, die durch einen Zufall ge-
ſchehen, muß eben das bemerckt wer-
den, was von einem zufaͤlligen Unter-
gange geſagt worden
(§. 273.).


§. 279.
[173]wegen des Eigenthums.
§. 279.

Die Unkoſten(impenſæ) ſind die Aus-Was und
wie vie-
lerley die
Unkoſten
ſind.

gaben, die wir an eine Sache wenden, entwe-
der um ſie zu erhalten, oder zu gebrauchen,
oder Fruͤchte von ihr zu ziehen. Es werden
nothwendige Unkoſten(neceſſariæ) ge-
nannt, welche angewandt werden, um eine
Sache zu erhalten; nuͤtzliche Unkoſten
(utiles), durch welche eine Sache nuͤtzlicher
und fruchtbarer gemacht wird; Unkoſten
zur Luſt
(voluptuariæ), welche bloß, um
Vergnuͤgen daher zu empfinden, angewandt
werden. Wenn nuͤtzliche Unkoſten angewen-
det werden, ſo ſagt man, die Sache wird
verbeſſert
(res meliorari). Man nennt
die Unkoſten aber vermiſchte, wenn die
Unkoſten zur Luſt in den nothwendigen und
nuͤtzlichen enthalten ſind; und die Unkoſten
zur Luſt ſind die vornehmſten
(volu-
ptuariæ prædominantur),
wenn man mehr
auf die Luſt, als auf das Nothwendige und
Nutzbahre ſiehet.


§. 280.

Weil wir verbunden ſind unſer Vermoͤ-Die Ver-
bindlich-
keit und
das Recht
Unkoſten
anzuwen-
den.

gen(patrimonium) zu erhalten, und ſo viel,
als wir koͤnnen, zu vermehren (§. 208.); ſo
iſt alſo jeder Eigenthumsherr von Na-
tur verbunden, ſo viel an ihm iſt, noth-
wendige und nuͤtzliche Unkoſten anzu-
wenden.
Und weil wir auch darauf zu ſe-
hen haben, daß wir unſer Leben vergnuͤgt hin-
bringen (§. 119.); ſo ſind auch die Unko-
ſten
[174]II. Th. 3. H. Von Recht und Verbindl.
ſten zur Luſt nicht unerlaubt, wenn
ſie nicht zu einem ſchaͤdlichen Vergnuͤ-
gen angewandt werden
(§. 120.).


§. 281.

Von der
Wieder-
erſtat-
tung
der noth-
wendigen
und nuͤtz-
lichen
Unkoſten.

Zur Anwendung der nothwendigen und
nuͤtzlichen Unkoſten ſind wir verbunden (§.
281.). Wenn alſo der Beſitzer einer einem
andern zugehoͤrigen Sache dieſelbe anwendet;
ſo thut er nichts, als was der Eigenthums-
herr ſelbſt zu thun verbunden geweſen waͤre,
wenn nur die nuͤtzlichen dem Eigenthumsherrn
eben ſo nutzbahr ſind, als dem Beſitzer. Man
muß
alſo ſo wohl dem gewiſſenhaften
als ungewiſſenhaften Beſitzer die noth-
wendigen und nuͤtzlichen Unkoſten wie-
der erſtatten, durch welche die Sache
nutzbahrer worden iſt.
Jedoch da der
gewiſſenhafte Beſitzer dem Eigenthumsherrn
nicht davor ſtehen darf, was er gethan, wohl
aber der ungewiſſenhafte (§. 272.); ſo muͤſ-
ſen dem gewiſſenhaften Beſitzer die Un-
koſten erſtattet werden, durch welche
die Sache nutzbahrer worden iſt; dem
ungewiſſenhaften
aber bloß in dem
Falle, wenn ſie dem Eigenthums-
herrn eben ſo nutzbahr ſind, oder die
Sache nunmehto mehr werth iſt;
da-
mit naͤmlich der Eigenthuͤmer nicht mit Scha-
den des Beſitzers bereichert werde (§. 271.),
noch auch er dadurch Schaden leide, indem
er die Unkoſten erſetzet, welche er ſelbſt nicht
aufgewandt haͤtte (§. 269.), indem er ſie
ohne
[175]wegen des Eigenthums.
ohne ſeinen Nutzen wuͤrde haben aufwenden
muͤſſen.


§. 282.

Man ſagt, daß derjenige die UnkoſtenVon dem
Wegneh-
men der
Unkoſten.

wegnimmt(impenſas tollit), welcher das-
jenige wegnimmt, was in eines andern Sa-
che auf ſeine Unkoſten gemacht worden iſt. Es
wird aber etwas ohne Schaden der Sa-
che weggenommen,
wenn durch dasjeni-
ge, was weggenommen wird, die Sache an
und vor ſich ſelbſt nicht verdorben wird. Weil
nun niemand mit des andern Schaden ſich
bereichern darf (271.); ſo darf ein Beſi-
tzer, wenn er dem andern ſeine Sache
wiedergiebt, die Unkoſten wegneh-
men, die ohne Schaden der Sache
weggenommen werden koͤnnen.


§. 283.

Weil der gewiſſenhafte Beſitzer dem Eigen-Von der
Erſtat-
tung der
Unkoſten
zur Luſt,
und von
der Col-
liſion der
Schaͤ-
den.

thumsherrn davor nicht ſtehen darf, was er
gethan (§. 272.); ſo muͤſſen ihm alle Un-
koſten zur Luſt, die entweder gar nicht,
oder doch nicht ohne Schaden der
Sache weggenommen werden koͤnnen,
ſo hoch, als ſich dieſelbe zur Zeit der
Wiedererſtattung belaufen, wieder
erſtattet werden
(§. 271.). Allein da der
ungewiſſenhafte Beſitzer vor alles ſtehen muß,
was er gethan (§. 272.); ſo kommet in dem
Falle, da er Unkoſten zur Luſt angewandt hat,
die der Eigenthumsherr nicht wuͤrde angewandt
haben, und von welchen er wuſte, daß ſie
ent-
[176]II. Th. 3. H. Von Recht und Verbindl.
entweder gar nicht, oder doch nicht ohne Scha-
den der Sache weggenommen werden koͤnn-
ten, durch ſeine Schuld die Sache in
den Stand, daß, wenn ſie wieder gege-
ben werden ſoll, entweder der Beſitzer, oder
der Eigenthumsherr den Schaden tragen muß
(§. 17.). Da nun dieſes nicht dem Eigen-
thumsherrn, ſondern dem Beſitzer zuzurech-
nen iſt (§. 3.); ſo duͤrfen die Unkoſten zur
Luſt, die entweder gar nicht, oder doch
nicht ohne Schaden der Sache weg-
genommen werden koͤnnen, und wel-
che der Eigenthumsherr ſelbſt nicht
wuͤrde angewandt haben, einem unge-
wiſſenhaften Beſitzer nicht wieder er-
ſtattet werden: ein anders iſt es, wenn
ſie der Eigenthumsherr ſelbſt wuͤrde
angewandt haben.
Beylaͤufig bemerken
wir, daß aus demjenigen, was wir erwieſen
haben, uͤberhaupt klar ſey, daß wenn der
Schaden desjenigen, durch deſſen
Schuld er ſich erreignet, mit dem
Schaden eines andern collidirt, der
gar keine Schuld daran hat, derjenige
den Schaden tragen muß, der Schuld
daran iſt;
woraus ferner folget, daß, wenn
beyde nicht auſſer aller Schuld ſind,
der Schade, nach Proportion der
Schuld, von einem jeden zu tragen iſt.


§. 284.

Von dem
Recht die
Unkoſten

Man ſagt, der Beſitzer zieht die Unko-
ſten ab,
(impenſas deducere), wenn er um
ſo
[177]wegen des Eigenthums.
ſo viel weniger wiedererſtattet, als die Unko-abzuzie-
hen.

ſten zur Zeit der Wiedererſtattung werth ſind,
z. E. wenn er nur 30 wiedergiebt, da er we-
gen der verzehrten Fruͤchte 150 wiedergeben
ſolte, indem die Unkoſten 120 geſchaͤtzet werden.
Weil nun, indem die Unkoſten von demjenigen
abgezogen werden, was dem Eigenthumsherrn
wieder zu erſtatten war, ſo wohl der Beſitzer,
als der Eigenthumsherr erhaͤlt, was ihm ge-
hoͤret, man aber einem jeden das Seine ge-
ben muß (§. 86.); ſo hat der Beſitzer das
Recht, die Unkoſten, die ihm vom Ei-
genthumsherrn erſtattet werden muͤſ-
ſen, abzuziehen;
welches naͤmlich aus der
beyderſeitigen Verbindlichkeit, dasjenige, was
einem jeden gehoͤret, dem andern wieder zu
erſtatten, entſpringt (§. 46.).


§. 285.

Die Belohnung deſſen, der etwasVon der
Beloh-
nung
deſſen,
der et-
was ſin-
det.

findet(præmium inventionis), nennt man
dasjenige, was man dem, der eine verlohrene
Sache gefunden hat, giebt, weil er ſie wie-
dergiebt. Weil nun der, welcher etwas fin-
det, verbunden iſt, es dem Eigenthumsherrn
wieder zu geben (§. 220. 261.); ſo iſt man
nach dem Recht der Natur nicht ſchul-
dig, dem, der eine Sache findet, eine
Belohnung zu geben; und
daher hat er
kein Recht, eine Belohnung von dem
Eigenthumsherrn zu fordern.
Was
man von den Unkoſten, die darauf verwandt
worden, damit der Eigenthumsherr ſeine
Nat. u. Voͤlckerrecht. Mver-
[178]II. Th. 3. H. Von Recht und Verbindl.
verlohrne Sache hat wieder bekommen koͤn-
nen, zu bemerken hat, iſt daraus klar, was
wir erſt von dem Beſitzer einer einem andern
zugehoͤrigen Sache bewieſen haben; denn
die Erſetzung der Unkoſten gruͤndet ſich dar-
auf, was einer auf eines andern Sache ge-
wandt hat.


§. 286.

Vom
Betrug
ſowohl
dem vor-
ſaͤtzlichen,
als dem
ohne
Vorwiſ-
ſen ge-
ſchehe-
nen.

Man ſagt einer betriege den andern
(alterum defraudare) wer mit Wiſſen und
Willen entweder mit der That oder mit Wor-
ten, den andern um das Seine bringet, oder
was er ihm ſchuldig iſt. Der Betrug iſt
alſo eine Handlung, durch welche man dem
andern, mit dem wir zu thun haben, ohne
daß er es weiß, im Schaden bringet. Wenn
dieſes mit Wiſſen und Willen geſchieht, ſo
iſt es ein vorbedachter, oder vorſaͤtzli-
cher Betrug
(fraus conſilii): geſchiehet es
aber unwiſſende, als wenn einer einen un-
echten Edelſtein, anſtatt eines echten, oh-
ne daß er es weiß, verkauft, ſo iſt es ein un-
wiſſender,
oder unvorſetzlicher Betrug
(fraus eventus). Da man niemanden weder
vorſetzlicher, noch unvorſetzlicher Weiſe in
Schaden bringen ſoll (§. 269.); ſo darf man
auch niemanden betriegen, und iſt ein-
jeder vorbedachter Betrug unerlaubt.

Weil aber auch der Schade, in welchen man
einen bringet, erſetzet werden muß (§. 270.);
ſo muß nicht nur dasjenige, warum
der andere betrogen iſt, wieder gege-

ben,
[179]wegen des Eigenthums.
ben, oder der Werth wieder erſetzet
werden
(æſtimatio præſtanda);ſondern
es muß
auch derjenige ſchadloß gehal-
ten werden, welchem ein unwiſſender
Betrug ſchaden wuͤrde.


§. 287.

Das Recht des Beſitzes(jus poſſeſſio-Vom
Recht
des Be-
ſitzes.

nis), wird dasjenige genannt, welches einem
Beſitzer, vermoͤge des Beſitzes, zukoͤmmt.
Es iſt alſo von dem Recht zu beſitzen (jus
poſſidendi)
unterſchieden, welches dem Eigen-
thumsherrn, vermoͤge ſeines Eigenthums, zu-
koͤmmt (§. 200.). Daß es aber ein Recht
des Beſitzes gebe, erhellet aus dem, was folgt.


§. 288.

Weil dem Eigenthumsherrn allein dasVom
verbo-
thenen
eigen-
maͤchti-
gen Weg-
nehmen,
und daß
das ei-
genmaͤch-
tig Weg-
genom-
mene
wieder
erſtattet
werden
muͤſſe.

Recht zu beſitzen zukommt (§. 200.), er auch
den Beſitzer nicht mit Gewalt zur Wiederer-
ſtattung zwingen kann, wenn er nicht ſein
Eigenthum bewieſen hat (§. 262.); ſo kan
von einem, der nicht der Eigenthums-
herr iſt, oder auch vom Eigenthums-
herrn, wenn er ſein Eigenthum noch
nicht bewieſen hat, noch von einem
Beſitzer, der ſeinen rechtmaͤßigen Beſitz
noch nicht erwieſen hat, kein Beſitzer,
er ſey wer er wolle, aus dem Beſitze
geworfen werden;
folglich, wenn er
herausgeworfen worden iſt, ſo muß
er wieder in den Beſitz geſetzet werden.

Derowegen weil man eine Sache beſitzet, um
ſein Eigenthum zu gebrauchen (§. 200.); ſo
M 2muß
[180]II. Th. 3. H. Von Recht und Verbindl.
muß auch, ſo lange unerlaubt iſt, dem Be-
ſitzer den Beſitz zu nehmen, ihm der Ge-
brauch des Eigenthums verſtattet
werden.
Das gewaltſame Verfahren, wo-
durch einer aus dem Beſitze geworfen, oder
des Beſitzes beraubet wird, heißt im canoni-
ſchen Recht ſpolium, oder eine eigene Be-
maͤchtigung.
Und daher folgt, daß, was
eigenmaͤchtig weggenommen iſt, wie-
der gegeben, oder eingeraͤumet werden
muͤſſe.


§. 289.

Von der
Verthei-
digung
und Wie-
dererhal-
tung des
Beſitzes.

Weil der Beſitzer nicht ſchuldig iſt
zu leiden, daß er von dem, der nicht
Eigenthumsherr iſt, oder auch ſein
Eigenthum noch nicht bewieſen hat,
aus dem Beſitze mit Gewalt herausge-
worfen werde
(§. 288. 46.); ſo kommt
ihm
auch das Recht zu, ſeinen Beſitz
zu vertheidigen (§. 90.), wie auch das
Recht zu demjenigen, ohne welches er
den verlohrnen Beſitz nicht wieder er-
halten kann.
Naͤmlich der Beſitzer fuͤhret
ſich ſo lange, als er in dem Beſitz iſt, als
Eigenthumsherr auf, und das muß man ihm
auch verſtatten (§. 288.).


§. 290.

Vom ge-
waltſa-
men und
heimli-
chen Be-
ſitz.

Durch Gewalt (gewaltſam, vi poſſidet)
beſitzet derjenige etwas, der dadurch den
Beſitz erhalten, weil er den vorigen Beſitzer
mit einer unrechtmaͤßigen Gewalt aus ſeinem
Beſitze geworfen hat; heimlich aber, oder
ver-
[181]wegen des Eigenthums.
verſtohlner weiſe beſitzt einer etwas (clam
poſſidet),
welcher, dem Beſitzer unwiſſende,
den Beſitz zwar ohne Gewalt, aber auch ohne
Recht eingenommen hat, und wer dieſes thut,
von dem ſagt man, er kommt verſtohlner
weiſe in den Beſitz
(poſſeſſionem furtive
ingredi),
und der auf ſolche Weiſe erhaltene
Beſitz wird der heimliche oder verſtoh-
lene Beſitz
(poſſeſſio clandeſtina) genannt.
Denn man achtet einen ſolchen Beſitz einer ge-
ſtohlnen Sache gleich. Es iſt aber eben, wie
vorher (§. 288.), klar, daß es unerlaubt
ſey, eine Sache verſtohlner weiſe zu
beſitzen, es mag der Beſitzer entweder
nicht der Eigenthumsherr ſeyn, oder,
wenn er es iſt, doch ſein Eigenthum noch
nicht bewieſen habe; und daß in ſol-
chem Falle der Beſitz dem vorigen Be-
ſitzer wieder einzuraͤumen ſey;
folglich
dieſer das Recht habe, nicht zu leiden,
daß der andere etwas, was er beſeſſen,
verſtohlener weiſe beſitze;
folglich, wenn
er ihm den Beſitz nicht wieder ein-
raͤumen will, er ihn mit Gewalt her-
auswerfen koͤnne.


§. 291.

Weil die Sache, die einer beſitzet, in ſeinerWie der
Beſitz er-
langet,
behalten
und ver-
lohren
werde.

Gewalt ſeyn muß, ſo daß es moͤglich iſt, nach
ſeinem Gefallen mit der Sache vorzunehmen,
was er will (§. 200.); folglich des Eigen-
thums ſich zu gebrauchen (§. 195.); ſo wird
der Beſitz erlanget
(acquiritur),wenn
M 3die
[182]II. Th. 3. H. Von Recht und Verbindl.
die Sache in den Stand gebracht wird,
da es moͤglich iſt, nach Art des Eigen-
thumsherrn, mit derſelben vorzuneh-
men, was man will; und er wird ſo
lange behalten, als man ſich des Eigen-
thums, entweder ſelbſt, oder durch an-
dere bedienen kann; er wird aber ver-
lohren, wenn die Sache in den Stand
kommt, in welchem dieſes nicht weiter
geſchehen kann.


§. 292.

Ob man
abweſend
etwas be-
ſitzen
koͤnne.

Weil man eine Sache im Beſitz hat, wenn
man auch das Eigenthum durch einen andern
ausuͤbet (§. 291.); ſo kann einer auch ab-
weſend eine Sache beſitzen.


§. 293.

Von dem
Beſitz der
unbeweg-
lichen u.
unkoͤr-
perlichen
Dinge.

Und weil der Beſitz auf dem Vermoͤgen,
das Eigenthum zu gebrauchen, beruhet (§.
291.); ſo iſt eine bewegliche Sache ſo
lange in unſerm Beſitz, als ſie in un-
ſerer Verwahrung iſt;
und weil man un-
koͤrperliche Dinge
nicht anders aufbehal-
ten kann, als in ſo fern wir dieſelben wuͤrck-
lich brauchen (§. 121.); ſo beſitzet man
dieſelbe durch den Gebrauch und durch
das Vermoͤgen ſie zu gebrauchen, und
zu verbiethen, daß es kein anderer
thue.


§. 294.

Von der
uꝛſpeuͤng-
lichen
Art, den

Da durch die Zueignung die Sachen, die
keinem zugehoͤren, in den Stand gebracht
werden, daß man mit denſelben nach ſeinem
Gefal-
[183]wegen des Eigenthums.
Gefallen vornehmen kann, was man willBeſitz zu
erhal-
ten.

(§. 210. 195.), durch die Zueignung aber
auch das Eigenthum urſpruͤnglich erhalten
wird (§. 210.); ſo wird der Beſitz von
Sachen, die keinem zugehoͤren, mit
dem Eigenthume zugleich erhalten;

und dieſe Art den Beſitz zu erhalten iſt
die urſpruͤngliche Art,
wodurch naͤmlich
der Beſitz davon erhalten wird, was noch von
keinem beſeſſen worden.


§. 295.

Ein Beſitz mit einem Titel(poſſeſſioVom
Beſitze
mit ei-
nem Ti-
tel, und
was ein
Titel ſey.

titulata) iſt derjenige, der einen Titel hat.
Der Titel(titulus) aber iſt der Grund des
Geſetzes, aus welchem erhellet, daß eine ge-
wiſſe That ein gewiſſes Recht hervorbringen
koͤnne. Die That aber ſelbſt, wodurch wir
eines Rechtes theilhaftig werden, iſt die Art
etwas zu erhalten
(modus acqvirendi).
Daher erhellet, daß der Beſitz der Sa-
che, die keinem zugehoͤret, welcher
durch die Zueignung erhalten worden,
einen Titel hat;
maſſen nach dem Geſetz
der Natur, durch die Zueignung, mit dem
Eigenthume der Beſitz erhalten wird (§. 294.).


§. 296.

Weil der Beſitz verlohren wird, wenn eineVon dem
verlohr-
nen Be-
ſitz einer
unbeweg-
lichen u.
unkoͤr-

Sache in den Stand kommt, daß man das
Eigenthum nicht gebrauchen kann (§. 291.);
ſo hat man den Beſitz verlohren, wenn
jemand unſere unbewegliche Sache,
oder ein Recht das uns zukommt, als

M 4haͤtte
[184]II. Th. 3. H. Von Recht und Verbindl.
perlichen
Sache.
haͤtte er das Eigenthum davon, ge-
braucht, und nicht zugiebt, daß wir
unſer Recht gebrauchen.
Da aber der
Beſitz ſo lange behalten wird, als wir das
Eigenthum gebrauchen koͤnnen (§. 291.);
folglich ſo lange wir nicht leiden, daß ein an-
derer, wieder unſeren Willen, daſſelbe ge-
brauche; und kein anderer verhindern kann,
daß wir uns unſeres Rechtes bedienen, wenn
wir wollen; ſo wird durch den bloſſen
Mangel des Gebrauchs der Beſitz nicht
verlohren.


§. 297.

Von der
Stoͤh-
rung des
Beſitzes.

Der Beſitz wird geſtoͤhrt(poſſeſſio
turbatur),
wenn der Beſitzer in dem Ge-
brauch ſeines Eigenthums, in Abſicht einer
und der andern Handlung, die ihm frey ſte-
het, es ſey auf was vor Weiſe es wolle, ver-
hindert; derſelbe aber ihm doch nicht gaͤntzlich
genommen wird. Man nennt aber eine
Stoͤhrung durch Worte(turbatio ver-
balis),
die in Worten; eine Stoͤhrung in
der That
(realis), die in einer gewiſſen
Handlung beſtehet. Die Gewalt, durch
welche der Beſitz geſtoͤhret wird, nennt man
die ſtoͤhrende(vis turbativa), eben wie die
austreibende Gewalt
(vis expulſiva),
durch welche einer aus dem Beſitz geworfen
wird; und die antreibende Gewalt(vis
compulſiva),
durch welche einer zur Ueber-
laßung des Beſitzes gezwungen wird. Weil
dem Beſitzer der Gebrauch des Eigenthums
frey
[185]wegen des Eigenthums.
frey gelaſſen werden muß (§. 288.); ſo iſt
die Stoͤhrung des Beſitzes mit Wor-
ten und in der That unerlaubt.


§. 298.

Man ſagt von den unkoͤrperlichen Sachen,Vom
aͤhnli-
chen Be-
ſitz.

daß ſie gleichſam beſeſſen werden(quaſi
poſſideri),
in ſo weit man den Beſitz derſel-
ben nach der Aehnlichkeit(analogia) des
Beſitzes der koͤrperlichen Dinge dichtet; als
deſſen Grund die Moͤglichkeit der Handlun-
gen iſt, welche vorzunehmen der Eigenthums-
herr vermoͤge ſeines Eigenthums berechti-
get iſt.


§. 299.

Da das Recht des Beſitzes aus dem Be-Vom
verlohre-
nen Rech-
te des
Beſitzes.

ſitz entſtehet (§. 287.); ſo wird, nachdem
der Beſitz verlohren worden, auch das
Recht des Beſitzes verlohren;
folglich
werden die Rechte des Beſitzes ſo lan-
ge behalten, als der Beſitz behalten
wird.


Das vierte Hauptſtuͤck.


Von dem Recht, das von der
Gemeinſchaft der erſten Zeit
noch uͤbrig iſt.


§. 300.

Das aus der Gemeinſchaft der er-Was das
Recht iſt,
welches
aus der
Gemein-
ſchaft der

ſten Zeit noch uͤbrige Recht(jus
ex communione primæva reſiduum)

nennt man dasjenige, welches wir noch zu
M 5denje-
[186]II. Th. 4. H. Vom uͤberbliebenen Recht
erſten
Zeit noch
uͤbrig iſt.
denjenigen Dingen, die andern eigenthuͤmlich
zugehoͤren, haben, nachdem das Eigenthum
eingefuͤhrt worden iſt. Es wird alſo daſſel-
be von der Gemeinſchaft der erſten Zeit un-
terſchieden; welche noch in Anſehung gewiſ-
ſer Dinge, die noch nicht dem Eigenthum
unterworfen ſind, oder nicht unterworfen
werden koͤnnen, beſtehet.


§. 301.

Jn wel-
chen Din-
gen die
Gem ein-
ſchaft der
erſten
Zeit noch
uͤbrig iſt.

Weil die Gemeinſchaft der erſten Zeit durch
die urſpruͤngliche Erhaltung des Eigenthums
(§. 194. 210.), folglich durch die Zueignung
aufgehoben worden (§. 210.); ſo ſind die-
jenigen Sachen, welche ſich entweder
niemand zueignen kann, oder darf,
noch in der Gemeinſchaft der erſten
Zeit;
oder es ſind Sachen, die allen
Menſchen gemein ſind;
oder, welches
gleich viel iſt, in Anſehung dieſer Sa-
chen iſt die Gemeinſchaft der erſten Zeit
noch uͤbrig.


§. 302.

Von den
Sachen,
deren
Gebꝛauch
nicht er-
ſchoͤpft
wird.

Man nennt Sachen, deren Gebrauch
nicht erſchoͤpft wird
(res uſus inexhau-
ſti)
diejenigen, deren Gebrauch fuͤr alle Men-
ſchen hinreichend iſt, und den ſie haben koͤn-
nen, ſo oft ſie deſſelben beduͤrfen. Weil der
Eigenthumsherr von dem Gebrauch ſeiner Sa-
che alle uͤbrigen ausſchleußt (§. 195.), der Ge-
brauch aber einer Sache, den ein jeder haben
kann, wenn er will, ohne Abbruch der an-
dern, von einem den uͤbrigen allen nicht hat
koͤnnen
[187]aus der erſten Gemeinſchaft.
koͤnnen genommen werden (§. 74.); ſo iſt
auch keinem erlaubt geweſen, die Sa-
chen, deren Gebrauch nicht erſchoͤpft
wird, ſich zuzueignen
(§. 210.); folg-
lich iſt in denſelben noch die Gemein-
ſchaft der erſten Zeit uͤbrig.
Ob alſo
gleich das Eigenthum eingefuͤhrt worden iſt:
ſo bleibt doch die Luft, das vorbey-
flieſſende Waſſer und das Sonnenlicht
allen Menſchen gemein.


§. 303.

Gleichergeſtalt, weil durch das Eigen-Warum
dasjeni-
ge, was
nicht
einge-
ſchraͤnckt
und ver-
theidiget
werden
kann, ge-
mein-
ſchaftlich
geblieben
ſey, z. E.
das offne
Meer.

thum alle uͤbrigen von dem Gebrauch einer
eigenthuͤmlichen Sache ausgeſchloſſen werden
(§. 195.); ſo muß dasjenige, was eigen-
thuͤmlich werden ſoll, ſeine beſtimmte
Graͤntzen haben: was aber keine ha-
ben kann, kann auch nicht eigenthuͤm-
lich gemacht werden.
Und weil der Ei-
genthumsherr das Recht hat zu verbiethen,
daß niemand, wieder ſeinen Willen, ſich ſei-
ner Sache auf einige Art und Weiſe anmaſ-
ſen kann (§. cit.); ſo iſt noͤthig daß er ſein
Eigenthum behaupten kann. Was alſo ſo
beſchaffen iſt, daß man ſein Eigen-
thum daruͤber nicht behaupten kann,
das kann auch demſelben nicht unter-
worfen werden.
Und daher erhellet, daß
die offenbahre See in der Gemein-
ſchaft der erſten Zeit geblieben ſey, ob-
gleich einige Theile, welche an dem

feſten
[188]II. Th. 4. H. Vom uͤberbliebenen Recht
feſten Lande liegen, haben eigenthuͤm-
lich gemacht werden koͤnnen
(§. 302.).


§. 304.

Mit was
vor einer
vor ſich
verſtaͤnd-
lichen
Ausnah-
me das
Eigen-
thum
eingefuͤh-
ret wor-
den ſey.

Weil das Recht zum Gebrauch der natuͤrli-
chen Sachen einem jeden Menſchen von Na-
tur zukommt (§. 186.), und das Geſetz der
Natur uns auch ein Recht zum nothwendigen
Gebrauch der durch Fleiß und Kunſt erhalte-
nen giebt (§. 188.), welches niemand genom-
men werden kann (§. 74.); ſo hat auch
durch die Einfuͤhrung des Eigen-
thums niemanden der nothwendige Ge-
brauch der Sachen gaͤntzlich benommen
werden koͤnnen;
folglich hat das Eigen-
thum nicht anders eingefuͤhrt werden
koͤnnen, als mit dieſer Einſchraͤnckung,
die ſich vor ſich verſtehet
(ſtillſchweigen-
den, tacita); daß, wenn es ſich in ei-
nem vorkommenden Falle zutruͤge, daß
einem gaͤntzlich der Gebrauch der noth-
wendigen Sachen genommen wuͤrde,
er ein Recht zu denen eigenthuͤmlichen
habe.
Naͤmlich das Eigenthum iſt nicht
deswegen eingefuͤhrt worden, daß jemanden
gaͤntzlich der nothwendige Gebrauch der Sa-
chen ſollte benommen werden; ſondern daß
alle ſich deſto beſſer des Vortheils von demſel-
ben zu erfreuen haben moͤchten (§. 194.).


§. 305.

Von den
nothwen-
digen
Sachen,

Wenn alſo jemanden gantz und gar
die nothwendigen Sachen zu ſeinem
Gebrauch fehlen, und es nicht in ſei-

nem
[189]aus der erſten Gemeinſchaft
nem Vermoͤgen ſtehet, daß er ſich die-die man
in der
aͤuſſer-
ſten Noth
dem Ei-
gen-
thums-
herrn
wegnim̃t.

ſelben fuͤr einen billigen Preis anſchaf-
fen, oder durch geleiſtete Arbeit er-
werben, noch auch dieſelben durch
Bitten von andern erhalten kann; ſo
kann er im natuͤrlichen Stande ſie dem
andern, welcher ſie wohl entbehren
kann, wieder ſein Wiſſen und Willen,
ja gar mit Gewalt wegnehmen
(§. 304.).
Weil man alſo dieſes mit Recht thut, welches
aus der Gemeinſchaft der erſten Zeit uͤbrig
iſt (§. 300.); ſo begeht man keinen Raub
oder Diebſtahl.
Denn die aͤuſſerſte Noth-
wendigkeit verwandelt das Recht zu bitten in
das Recht zu zwingen, daß man es uns
gebe.


§. 306.

Weil dieſes Recht, welches nur bey derVon der
natuͤrli-
chen Ver-
bindlich-
keit, die
daher
ent-
ſpringt.

aͤuſſerſten Nothwendigkeit ſtatt hat, nicht wei-
ter gehet, als bis auf den nothwendigen Ge-
brauch, um deſſen willen es gegeben worden
iſt (§. 304.); ſo muß eine Sache, wel-
che durch den Gebrauch nicht verzehrt
wird, nach geendigtem Gebrauch wie-
dergegeben werden; wenn ſie aber
durch den Gebrauch verzehrt worden
iſt, und die Nothwendigkeit auf hoͤ-
ret, und man ſo viel von eben der Art,
oder etwas, das eben ſo viel werth iſt,
wiedergeben, oder den Werth bezah-
len kann; ſo muß dieſes geſchehen.


§. 307.
[190]II. Th. 4. H. Vom uͤberbliebenen Recht
§. 307.

Die Ge-
walt der
Noth-
wendig-
keit in
Sachen,
die man
ſich von
andern
anſchaf-
fen muß.

Daher erhellet leicht ferner, daß die aͤuſ-
ſerſte Noth einem das Recht gebe ei-
nen andern zu zwingen, daß er fuͤr ei-
nen billigen Preis, oder fuͤr eine Sa-
che, die eben ſo viel werth iſt, uns
eine Sache uͤberlaſſe.
Alſo koͤnnen z. E.
bey einer Theuerung diejenigen, welche Ge-
treyde im Ueberfluß haben, zum Verkaufen
gezwungen werden; und wer Theuerung ver-
urſacht, kann gezwungen werden, das Ge-
treyde um einen billigen Preis zu verkaufen.


§. 308.

Das
Recht der
Noth-
wendig-
keit.

Das Recht, welches allein die Nothwen-
digkeit zu gewiſſen Handlungen, die ſonſt
nicht erlaubt ſind, uns giebt, weil ohne die-
ſelben einer Verbindlichkeit, von welcher man
ſich nicht befreyen kann, kein Genuͤgen ge-
ſchehen koͤnnte, wird das Recht der Noth-
wendigkeit
(jus neceſſitatis) genannt. Und
daher erhellet, daß diejenige Handlung,
zu welcher uns die Nothwendigkeit
das Recht giebt, das einige Mittel
ſeyn muͤſſe einer Verbindlichkeit, von
welcher man ſich nicht befreyen kann,
ein Genuͤgen zu leiſten;
und es iſt nicht
weniger klar, daß das Recht der Noth-
wendigkeit ſelbſt durch das Geſetz der
Natur uns gegeben werde
(§. 46.). Es
kann daher gar nicht wiederſprechend ſcheinen,
daß noch ein Recht der Nothwendigkeit, in
Anſehung des nothwendigen Gebrauchs der
Sachen,
[191]aus der erſten Gemeinſchaft.
Sachen, uͤbrig geblieben, nachdem das Ei-
genthum eingefuͤhret worden; als welches
durch die Einfuͤhrung des Eigenthums nicht
hat koͤnnen verletzet werden (§. 74.).


§. 309.

Hierdurch werden viele beſondere FragenBeſonde-
re Exem-
pel von
dieſem
Rechte.

aufgeloͤſet, dergleichen man in dem von uns
herausgegebenen Recht der Natur im 6. Ca-
pitel des 6. Theils antrift. Z. E. Wenn bey
einer Schiffahrt oder Belagerung der Vor-
rath mangelt; ſo muß ein jeder das, was er
hat, zum Gemeinſchaftlichen hergeben. Wenn
man ſich wieder einen, der uns anfaͤllt, ver-
theidigen muß, und kein Gewehre hat; ſo
kann man einem andern ſeines nehmen, ohne
den Eigenthumsherrn zu fragen, ja ſelbſt
wenn er dagegen iſt. Eben dieſes gilt von
des andern ſeinen Gefaͤſſen und anderem
Werckzeuge, um einen Brand zu loͤſchen; von
der Verderbung der Sachen, die einem, der
uns anfaͤllt, zugehoͤren, um eine ungerechte
Gewalt zu vertreiben; und von der Verder-
bung einer fremden Sache, wegen einer ge-
meinſchaftlichen Gefahr, die nicht anders ab-
gewendet werden kann.


§. 310.

Gleicher geſtalt, weil in der GemeinſchaftVon der
zweyten
(ſtille-
ſchwei-
genden)
vor ſich
verſtaͤnd-
lichen

der erſten Zeit die gemeinſchaftliche Theilneh-
mung einem jeden, der es will, zu erlauben,
wenn mehrere an dem Gebrauch einer Sache
zugleich Theil nehmen koͤnnen (§. 187.), durch
die Einfuͤhrung des Eigenthums aber das ge-
mein-
[192]II. Th. 4. H. Vom uͤberbliebenen Recht
Ausnah-
me, mit
welcher
das Ei-
genthum
eingefuͤh-
ret wor-
den.
meinſchaftliche Recht nicht anders hat koͤnnen
aufgehoben und eingeſchraͤnckt werden, als es
noͤthig geweſen iſt (§. 71.); ſo hat alſo das
Eigenthum nicht anders eingefuͤhrt
werden koͤnnen, als mit dieſer Bedin-
gung, die ſich vor ſich ſelbſt verſtehet,
daß dem andern der unſchaͤdliche Ge-
brauch einer eigenthuͤmlichen Sache
erlaubt werde. Vermoͤge der natuͤr-
lichen Freyheit
aber iſt dem Eigen-
thumsherrn das Urtheil zu uͤberlaſſen,
ob der einem andern zu erlaubende Ge-
brauch ihm unſchaͤdlich ſey, oder nicht

(§. 78.), das iſt, ob er, ohne ſeinen Schaden
und Beſchwerde, ihn erlauben koͤnne.


§. 311.

Das
Recht des
unfchaͤd-
lichen
Nutzens.

Das Recht, welches uns zum unſchaͤdli-
chen Gebrauch der Sachen, die einem andern
eigenthuͤmlich zugehoͤren, zukommt, wird das
Recht des unſchaͤdlichen Nutzens(jus
innoxiæ utilitatis)
genannt. Es erhellet al-
ſo, daß das Recht des unſchaͤdlichen
Nutzens ein Recht ſey, welches aus
der Gemeinſchaft der erſten Zeit noch
uͤbrig iſt (§. 310. 300.), und zwar ein
unvollkommenes
(§. 80.).


§. 312.

Beſonde-
re Rechte
des un-
ſchaͤdli-
chen Nu-
tzens.

Dergleichen Rechte eines unſchaͤdli-
chen Nutzens ſind: die Reiſe, aus
rechtmaͤßigen Urſachen, zu Lande und
zu Waſſer, wenn die Laͤnder und
Fluͤſſe eigenthuͤmlich ſind, welches

auch
[193]aus der erſten Gemeinſchaft.
auch von der Durchfahrt der Waa-
ren zu verſtehen; das Recht, rechtmaͤſ-
ſiger Urſachen wegen ſich daſelbſt zu
verweilen,
als des Studierens, oder der
Geſundheit wegen; daß man denen, die
vertrieben werden, und anderswo ih-
ren Aufenthalt ſuchen, ſich in unſeren
Landen niederzulaſſen verſtattet, wo-
ferne nicht beſondere Urſachen es hin-
dern.


Das fuͤnfte Hauptſtuͤck.


Von der abſtammenden Art et-
was zu erhalten.


§. 313.

Die abſtammende Art etwas zu er-Die ab-
ſtammen-
de Art
etwas zu
erhalten.

halten(modus acqvirendi deriva-
tivus)
iſt diejenige, wodurch man das
Eigenthum einer Sache erhaͤlt, die ſchon ei-
genthuͤmlich iſt. Weil dem Eigenthumsherrn
das Recht zukommt, ſein Eigenthum auf ei-
nen andern zu bringen (§. 257.), wie auch
einem andern ein Recht in ſeiner Sache ein-
zuraͤumen (§. 260); ſo giebt es eine ab-
ſtammende Art etwas eigenthuͤmlich
zu erhalten.


§. 314.

Weil der Eigenthumsherr das Recht hatVon der
Art auf
einen an-
dern ſein

mit ſeiner Sache nach ſeinem Gefallen anzu-
fangen, was er will (§. 195.); ſo beruhet
Nat. u. Voͤlckerrecht. Nes
[194]II. Th. 5. H. Von der abſtammenden Art
Eigen-
thum zu
bringen.
es bloß auf ſeinem Willen, an wen
und auf was Art er ſein Eigenthum,
oder ein ihm zugehoͤriges Recht brin-
gen will, ob mit ſeiner, oder ohne ſeine
Ausſchlieſſung; ob wiederruflich
(re-
vocabiliter),
daß er naͤmlich den andern von
dem eingeraͤumten Rechte wieder ausſchlieſſen
koͤnne, wenn er es vor gut befinden wuͤrde;
oder unwiederruflich(irrevocabiliter);
ob unmittelbar auf die Perſon, oder
auf eine fremde Sache,
naͤmlich derge-
ſtalt, daß es vermittelſt der Sache einem jeden
Beſitzer zukomme, er ſey wer er wolle; ob an
eine gewiſſe oder ungewiſſe Perſon,

daß naͤmlich das Recht derjenige erhalte, wer
will und kann, wie es bey ausgeworfenen
Muͤntzen geſchieht; ob ohne alle Bedin-
gung, oder unter einer ihm gefaͤlligen
Bedingung; ob auf immer, oder auf
eine gewiſſe Zeit; ob umſonſt, oder ob
dagegen etwas gegeben oder gethan
werden ſoll.


§. 315.

Von dem
Unter-
ſcheide
der Be-
dingun-
gen.

Es iſt aber eine zufaͤllige Bedingung
(conditio caſualis), welche von einem Zu-
fall, oder Gluͤck, oder vom Willkuͤhr eines
Menſchen, der unſerm Recht nicht unter-
worfen iſt, gaͤntzlich abhaͤngt; eine zuerfuͤl-
lende
(poteſtativa), welche von dem Will-
kuͤhr desjenigen abhaͤngt, auf den das Eigen-
thum, oder ein Recht gebracht werden ſoll;
eine vermiſchte(mixta), welche theils zu-
faͤllig,
[195]etwas zu erhalten.
faͤllig, theils zu erfuͤllen iſt. Ueberdieſes iſt
die Bedingung entweder eine aufſchiebende
(ſuſpenſiva), welche die Vollziehung der
Handlung ſo lange aufſchiebt, bis es gewiß
iſt, daß die Bedingung vorhanden ſey; oder
eine aufloͤſende(reſolutiva), welche die
Dauer einer ſchon vollzogenen Handlung auf
die Zeit erſtreckt, da es gewiß iſt, daß die
Bedingung vorhanden. Es wird aber eine
verneinende Bedingung
(conditio nega-
tiva)
genannt, welche voraus ſetzet, daß et-
was nicht ſey, oder nicht geweſen ſey, oder
nicht ſeyn werde. Es iſt alſo die vernei-
nende Bedingung vorhanden,
wenn
das nicht iſt, oder nicht geweſen iſt, oder nicht
erfolget, was geſetzt wird. Es iſt auch ein
Unterſcheid unter einer unerlaubten Be-
dingung
(conditio turpis), welche voraus
ſetzet etwas zu thun, was in einem Geſetz
verbothen iſt, und einer erlaubten(hone-
ſta),
welche vorausſetzt, etwas zu thun, was
im Geſetz nicht verbothen wird, oder welche
in einer rechtmaͤßigen Handlung beſtehet.


§. 316.

Weil vermoͤge der natuͤrlichen Freyheit ei-Von der
Anneh-
mung.

nem jeden gelaſſen werden muß, daß er ſich
nach ſeinem Urtheil in ſeinen Handlungen
richtet (§. 78.); ſo beruhet es bloß auf
eines jeden Willen, wenn man das Ei-
genthum, oder ein Recht auf ihn brin-
gen will, ob er es haben will, oder
nicht.
Weil man nun ſagt, derienige neh-
N 2me
[196]II. Th. 5. H. Von der abſtammenden Art
me etwas an(accipere, acceptare), der
durch Worte, oder eine That hinlaͤnglich zu
verſtehen giebt, er wolle daß ihm dasjenige
gegeben werde, oder geſchehe, was der an-
dere ſagt, daß er geben, oder thun wolle; ſo
wird
alſo zur Uebergebung des Eigen-
thums, oder eines Rechtes das Anneh-
men
(acceptatio)erfordert.


§. 317.

Was na-
tuͤrlicher
Weiſe
dazu er-
fordert
wird, daß
man das
Eigen-
thum auf
einen an-
dern
bringet.

Aus dem, was bis jetzt geſagt worden, ver-
ſteht man, daß nach dem Recht der Na-
tur
(naturaliter)das Eigenthum, oder
ein Recht auf denjenigen, der es an-
nimmt, gebracht werde, wenn er bloß
ſeinen Willen hinlaͤnglich erklaͤret, daß
er es haben will
(§. 314. 316.). Weil
es nun auf dem Willen desjenigen, der es
auf einen andern bringen will, beruhet, auf
was vor Weiſe er es bringen will (§. 314.);
ſo kann durch das Annehmen nicht
mehr Recht erhalten werden, als der-
jenige, der es auf ihn bringet, ihm hat
einraͤumen wollen.


§. 318.

Was
man von
dem Wil-
len des
andern
vor ge-
wiß an-
nehmen
muß.

Da wir demnach von eines andern Willen
nicht gewiß ſeyn koͤnnen, als in ſo fern er
denſelben hinlaͤnglich zu erkennen giebt; ſo
wird wieder ihn vor wahr gehalten,
was er mit Worten, oder auf eine an-
dere Art, es mag ſeyn, auf was vor
eine es nur wolle, hinlaͤnglich zu ver-
ſtehen giebt.


§. 319.
[197]etwas zu erhalten.
§. 319.

Das Annehmen aber geht vorher,Wenn
die An-
nehmung
vorher-
gehet.

wenn jemand verlangt, daß der ande-
re ihm etwas gebe, oder etwas thue,
und er es ihm bewilliget;
denn es wuͤr-
de uͤberfluͤßig ſeyn, das Annehmen zu wieder-
hohlen, wenn der andere bewilliget, was man
verlangt.


§. 320.

Weil dem Eigenthumsherrn das RechtVon der
Art den
Beſitz zu
erhalten.

zum Beſitz zukommt (§. 200.); ſo wird mit
dem Eigenthum einer Sache das Recht
zu beſitzen zugleich erlangt;
folglich, da
ohne Beſitz das Eigenthum nicht gebraucht
werden kann (§. 200. 195.), ſo iſt derjeni-
ge, der das Eigenthum auf einen an-
dern gebracht, auch verbunden den
Beſitz einzuraͤumen.
Weil nun die Hand-
lung, durch welche der Beſitz eingeraͤumet
wird, die Uebergabe(traditio); die Hand-
lung aber, durch welche der Beſitz erhalten
wird, die Ergreifung heißt (apprehen-
ſio);
ſo muß, nach Abtretung des Ei-
genthums, die Sache auch uͤbergeben
und ergriffen werden.
Und daher erhel-
let, daß nach dem natuͤrlichen Recht
zu Abtretung des Eigenthums die Ue-
bergabe nicht erfordert wird.


§. 321.

Weil durch die Uebergabe der Beſitz einge-Worin
die Ue-
bergabe
beſtehet.

raͤumet wird (§. 320.); ſo beſteht dieſelbe
in jeder Handlung, wodurch die Sache

N 3in
[198]II. Th. 5 H. Von der abſtammenden Art
in den Stand gebracht wird, daß der-
jenige, welcher ſie erhalten hat, da-
mit nach ſeinem Gefallen vornehmen
kann, was er will, oder daß er ſein
Eigenthum in der That gebrauchen
kann
(§. 200.).


§. 322.

Verſchie-
dene Ar-
ten eine
Sache zu
uͤberge-
ben.

Es iſt alſo klar, daß eine bewegliche
Sache uͤbergeben wird, wenn derjeni-
ge, welcher das Eigenthum auf den
andern bringt, ſie mit der Hand dar-
reicht, und der, welcher es annimmt,
ſie mit der Hand ergreift;
ingleichen
wenn jener es uns wegnehmen heißt;
eine unbewegliche Sache aber, wenn
er uns dieſelbe beſitzen heißt, und ge-
ſchehen laͤßt, daß wir in derſelben uns
des Eigenthums gebrauchen; oder,
wenn er ſie von ferne zeigt, daß wir
ſie ergreifen koͤnnen, oder geſchehen
laͤßt, daß eine Sache in unſerer Ge-
walt bleibe, welche, es ſey aus was
vor Urſach es wolle, in unſerer Ge-
walt iſt; oder durch einen ſchriftli-
chen Aufſatz ſich erklaͤret, daß er uns
den Beſitz einraͤumen und leiden wolle,
daß wir es als unſer Eigenthum ge-
brauchen, oder wenn er uns, um daſ-
ſelbe zu gebrauchen, in eine unbeweg-
liche Sache fuͤhrt;
welche Handlung ei-
gentlich das Einſetzen in den Beſitz(im-
miſſio in poſſeſſionem)
genannt wird; oder
endlich
[199]etwas zu erhalten.
endlich eine unkoͤrperliche Sache, oder
ein Recht, wenn er leidet, daß wir daſ-
ſelbe gebrauchen
(§. 321.). Hieraus ver-
ſtehet man leicht ferner, daß die beweglichen
und unbeweglichen und unkoͤrperlichen Sa-
chen auf verſchiedene Weiſe ergriffen werden.
Denn die Ergreifung beſteht in der Hand-
lung, wodurch wir in den Stand geſetzt wer-
den, das Eigenthum bey einer koͤrperlichen
Sache, oder ein auf uns gebrachtes Recht
zu gebrauchen.


§. 323.

Man ſagt, eine Sache ſey in der Kuͤr-Von der
Ueberga-
be in der
Kuͤrtze.

tze uͤbergeben worden(brevi manu tra-
di),
wenn die Uebergabe zugleich in einer an-
dern Handlung mit begriffen wird, wodurch
etwas anders geſchiehet, was zum Gebrauch
des Eigenthums gehoͤret; als wenn derjeni-
ge, der das Eigenthum auf einen andern
bringet, die Sache bey einem andern als ſei-
ne ihm eigene laͤßt, die er aus einer andern
Urſache, es mag ſeyn was vor eine es will,
ſchon hat. Was aber derjenige, der das Ei-
genthum auf den andern bringt, in der Kuͤr-
tze uͤbergiebt, das ergreift derjenige, der es
annimmt, in der Kuͤrtze(brevi manu ap-
prehenditur).


§. 324.

Jm Gegentheil ſagt man, eine SacheVon der
entfern-
ten Ue-
bergabe.

ſey entfernt uͤbergeben worden(longa
manu tradi),
wenn die Sache, die uͤberge-
ben werden ſoll, uns deswegen gezeigt wird,
N 4daß
[200]II. Th. 5. H. Von der abſtammenden Art
daß wir dieſelbe ergreifen, und folglich in Be-
ſitz nehmen ſollen. Und man ſagt, dasjenige
ſey entfernt ergriffen worden(longa ma-
nu apprehendi),
was entfernt uͤbergeben
wird, z. E. wenn einer, der das Eigenthum
einer gewiſſen Sache auf uns bringt, die-
ſelbe, da er ſie uͤbergeben ſoll, von ferne
zeigt.


§. 325.

Von ei-
ner ge-
wiſſen
Sache u.
von einer
gewiſſen
Perſon.

Man nennt aber eine gewiſſe Sache
(rem certam), welche hinlaͤnglich, es ſey
auf was vor Art und Weiſe es wolle, ange-
zeigt wird, ſo daß ſie von andern, die ihr
aͤhnlich ſind, unterſchieden werden kann. Und
in eben demſelben Verſtande wird eine Per-
ſon auch eine gewiſſe Perſon(perſona cer-
ta)
genannt.


§. 326.

Von der
ſymboli-
ſchen Ue-
bergabe.

Man nennt eine ſymboliſche Ueberga-
be,
welche durch gewiſſe Zeichen(ſymbo-
la)
geſchieht, wenn naͤmlich anſtatt der Sa-
che, die uͤbergeben werden ſoll, eine andere
Sache uͤbergeben wird, welche dieſelbe bedeu-
tet; als, wenn die Schluͤſſel uͤbergeben wer-
den, mit welchen der Kaſten aufgeſchloſſen
werden kann, worinnen die zu uͤbergebenden
Sachen liegen. Es iſt aber klar, daß, da die
Zeichen willkuͤhrlich ſind, die ſymboliſche Ue-
bergabe durch eine jede Sache geſchehen kann.
Da die Zeichen keine Wuͤrckung haben, als
nur nach dem Willen desjenigen, der das
Eigenthum auf einen andern bringt, und
deſſen,
[201]etwas zu erhalten.
deſſen, der es annimmt; ſo ſcheint die ſym-
boliſche Uebergabe nach dem Recht der
Natur uͤberfluͤßig, auſſer in ſo fern
unſere Willensmeinung durch das Zei-
chen gewiſſer wird;
weil naͤmlich durch
daſſelbe mehr gewiß iſt, was vorgenommen
worden.


§. 327.

Die Mittheilung der Arbeit(opera-Von der
Mitthei-
lung der
Arbeit.

rum communicationem) nennt man die Ver-
richtung derſelben zu anderer Nutzen. Weil
die freyen Handlungen der Menſchen, die an-
dern nuͤtzlich ſind, nach der Einfuͤhrung des
Eigenthums, eigenthuͤmlichen Sachen gleich
geachtet werden, folglich auch die Arbeit, die
zu anderer Nutzen verrichtet wird (§. 225.);
ſo wird die Mittheilung der Arbeit der
Ueberlaſſung eines Eigenthums,
folg-
lich auch dem Geben gleich geſchaͤtzet
(§. 258.); und nachdem das Eigen-
thum eingefuͤhrt worden, ſo iſt thun
und geben einerley;
in ſo fern naͤmlich
die Arbeit, wie andere eigenthuͤmliche Sa-
chen, nach einem gewiſſen Preis geſchaͤtzt
werden.


§. 328.

Etwas leiſten(præſtare), zeigt, in derWas lei-
ſten an-
zeigt.

allgemeinen Bedeutung, eben das an, als et-
was geben und etwas thun zuſammen. Man
ſagt alſo, daß ſowohl Sachen, als Thaten ge-
leiſtet werden.


N 5§. 329.
[202]II. Th. 5. H. Von der abſtammenden Art
§. 329.

Die bey-
derſeitige
Verbind-
lichkeit
etwas zu
geben u.
etwas zu
thun.

Aus der Erfahrung iſt hinlaͤnglich klar, daß
einer, nachdem das Eigenthum eingefuͤhrt
worden, nicht vor ſich ſelbſt alles haben koͤn-
ne, was zur Nothwendigkeit, Bequemlichkeit
und Vergnuͤgen des Lebens, ja zur Erlan-
gung der Vollkommenheit der Seele erfor-
dert wird, und daß ein jeder nicht allein an-
derer Arbeit, ſondern auch Sachen, die an-
dern zugehoͤren, beduͤrfe; daß aber dieſe Be-
duͤrfniß um ſo viel groͤſſer ſey, je mehr man
von der ſchlechten Lebensart abweicht. Da
nun Menſchen verbunden ſind, mit vereinig-
ten Kraͤften ſich und ihren Zuſtand vollkom-
mener zu machen (§. 44); ſo ſind die
Menſchen, nachdem das Eigenthum
eingefuͤhrt worden, auch verbunden,
das Eigenthum ihrer Sachen auf ein-
ander zu bringen, und zur Arbeit fuͤr
einander, oder einander zu geben und
zu thun, nachdem einer des andern
Sache, oder Arbeit bedarf.
Weil aber,
wenn die Pflichten gegen einander laufen, die
Pflicht gegen uns ſelbſt der Pflicht gegen an-
dere vorzuziehen (§. 64.); ſo darf niemand
dem andern eine Sache geben, der er
ſelbſt bedarf; er iſt auch nicht verbun-
den etwas zu thun, wenn er nicht Zeit
dazu hat.


§. 330.

Von der
Veraͤnſ-
ſerung

Weil in einer poſitiven Gemeinſchaft
alle zuſammengenommen der Herr einer un-
getheil-
[203]etwas zu erhalten.
getheilten Sache ſind (§. 196.); ſo kanneiner ge-
mein-
ſchaftl.
Sache.

das Eigenthum nicht verwaltet wer-
den, als mit aller derer Einwilligung,
welche in der Gemeinſchaft ſind
(§.
195); folglich kann auch eine gemein-
ſchaftliche Sache nicht veraͤuſſert wer-
den, als mit aller Einwilligung
(§. 257.).
Jedoch da das Recht, was ein jeder nach ſei-
nem Antheil an einer ungetheilten Sache hat,
eines jeden eigenes Recht iſt, welches wie ei-
ne unkoͤrperliche Sache, die eigenthuͤmlich iſt,
anzuſehen (§. 206.); ſo kann ein jeder
mit ſeinem Recht, was er nach ſeinem
Antheil in der ungetheilten Sache hat,
nach ſeinem Gefallen vornehmen, was
er will; in ſo fern es der Gemeinſchaft
unbeſchaͤdiget
(ſalva communione),oder
ohne Nachtheil der Uebrigen geſchehen
kann (§. 269.). Er kann
deswegen ſein
Recht, welches er nach ſeinem Antheil
an einer ungetheilten Sache hat, auf
einen andern bringen, oder veraͤuſſern
(§. 257.); nicht aber in einem nach Pro-
portion ihm zukommenden abgeſonder-
tem Theile;
denn an einem abgeſonderten
Theile hat er kein Recht.


§. 331.

Weil dadurch, daß derjenige, welcher dasOb einer
das, was
er gege-
ben hat,
wieder-
fordern
kann.

Eigenthum auf den andern bringt, und der
es annimmt, ihre Willensmeinung einander
hinlaͤnglich erklaͤren, dieſer erhaͤlt, was der
andere giebt (§. 317.); ein einmahl erlang-
tes
[204]II. Th. 5. H. Von der abſtammenden Art
tes Recht aber niemanden wieder ſeinen Wil-
len genommen werden kann (§. 100.); ſo
kann auch, was einmahl gegeben wor-
den, nicht wiedergefordert werden;
und dem, der es gegeben, ſtehet nicht
frey, es zu bereuen.
Woferne mit einem
gewiſſen Geſetz etwas gegeben worden; ſo
muß auch, da derjenige, der etwas annimmt,
nicht mehr Recht erlangen kann, als der an-
dere ihm einraͤumen wollen (§. 317.), das
Geſetz, welches bey dem Geben hinzu-
gefuͤgt worden, gehalten werden.


§. 332.

Von dem
Geben
auf eine
gewiſſe
Zeit und
unter ei-
ner ge-
wiſſen
Bedin-
gung.

Wenn demnach etwas auf eine ge-
wiſſe Zeit
(in diem)gegeben wird; ſo
muß es, wenn die Zeit erſchienen, wie-
dererſtattet werden; und, wenn es un-
ter einer gewiſſen aufſchiebenden
(ſu-
ſpenſiva)
Bedingung gegeben worden,
ſo wird die Sache nicht eher eigen-
thuͤmlich, wenn gleich die Sache uͤber-
geben worden, als bis die Bedingung
wuͤrcklich vorhanden;
folglich, wenn
dieſelbe zu erfuͤllen
(poteſtativa)gewe-
ſen, ſo muß ſie erfuͤllet werden; wenn
die Bedingung aber nicht wuͤrcklich
wird, ſo muß dasjenige, was gegeben
worden, wiedererſtattet werden (§. 316.),
welches auch geſchehen muß, wenn die
Bedingung aufloͤſend iſt
(§. cit.). Denn
man ſetzt voraus, daß derjenige, der es an-
nimt, ſich zur Wiedererſtattung verbindlich
gemacht
[205]etwas zu erhalten.
gemacht hat, und daß derjenige, der etwas
uͤbergiebt, ſich das Recht dazu vorbehalten
hat (§. 97.).


§. 333.

Ein Recht, welches man einem andern der-Von
dem, was
wan bitt-
weiſe hat.

geſtalt eingeraͤumet, daß man es nach ſeinem
Gefallen wiederrufen kann, wird genannt ein
Recht, ſo man nur bittweiſe hat(pre-
carium).
Es iſt alſo das nicht ein Recht,
welches man nur bittweiſe hat, wenn
eine gewiſſe Zeit dazu geſetzet wird,
wehrender welcher man es nicht wie-
derruffen darf;
indem man es alsdenn bis
auf eine gewiſſe Zeit giebt, und vor derſel-
ben nicht wiederfordern darf (§. 332.). Hin-
gegen ein Recht, welches man nur bitt-
weiſe hat, kann in jedem Augenblick
wiederruffen werden (§. 318.); und
man ſetzt dabey feſt, daß derjenige, dem
es verwilliget wird, dem andern, der
es ihm giebt, ſich verbindlich gemacht
habe, ihm die Sache gleich wieder zu
geben, ſo bald er ſie nach ſeinem Ge-
fallen wiederfordert
(§. cit. und §. 97.).


§. 334.

Das Recht in einer Sache(jus in re)Von dem
Recht in
einer
Sache.

nennt man dasjenige, was wir in der Sache
ſelbſt haben: folglich, da das Recht ein ſittli-
ches Vermoͤgen zu handeln iſt (§. 46.), ſo
beſtehet daſſelbe in dem ſittlichen Ver-
moͤgen, nach ſeinem Gefallen mit der
Sache ſelbſt, oder einem Gebrauch,

oder
[206]II. Th. 5. H. Von der abſtammenden Art
oder einer Nutzung derſelben, die man
von ihr haben kann, oder in allen
Stuͤcken zugleich anzufangen, was man
will. Es iſt
derowegen das Eigenthum
und das Recht, welches eine jede Hand-
lung des Gebrauchs deſſelben betrift,
ein Recht in einer Sache
(§. 195.). Es
iſt auch klar, daß die Gemeinſchaft der
erſten Zeit ein Recht in der Sache ge-
weſen ſey (§. 186.), und daß das Recht,
welches einem in einer einem andern
zugehoͤrigen Sache eingeraͤumet wor-
den
(jus in aliena re conſtitutum) (§. 260),
und das Recht des Beſitzes ein Recht
in einer Sache ſey.


§. 335.

Vom
Recht zu
einer
Sache.

Ein Recht zu einer Sache(jus ad
rem)
nennt man dasjenige, was wir zu dem-
jenigen haben, das uns der andere zu leiſten
verbunden iſt. Weil wir das Recht haben
uns einen andern zu gewiſſen Leiſtungen ver-
bindlich zu machen, und wir dadurch ein voll-
kommenes Recht dazu erhalten (§. 97.); wir
auch uͤberdieſes ſchon im vorhergehenden hin
und wieder geſehen haben, daß die Menſchen
dadurch, daß ſie dieſes oder jenes gethan, zu
gewiſſen Leiſtungen verbunden werden; ſo
giebt es auch ein Recht zu einer Sache,
und iſt dieſes ein vollkommenes Recht.

Und weil man in dem Rechte der Natur auch
auf die Liebesdienſte ſehen muß (§. 61.), wozu
wir eine unvollkommene Verbindlichkeit ha-
ben
[207]etwas zu erhalten.
ben (§. 80.); ſo giebt es auch ein un-
vollkommenes Recht zu einer Sache,

welches naͤmlich der Menſch zu demjenigen
hat, wozu ihm der andere auf eine unvoll-
kommene Weiſe verbunden iſt.


§. 336.

Wer vollkommen verbunden iſt uns etwasEin
Schuld-
ner u. die
Schuld.

zu leiſten, wird der Schuldner(debitor)
genannt; dasjenige aber, zu deſſen Leiſtung
er verbunden iſt, die Schuld(debitum).
Ob man aber gleich auch dasjenige eine Schul-
digkeit
(imperfecte debitum) nennet, wozu
uns der andere unvollkommen verbunden iſt; ſo
pflegt man doch denjenigen, der auf eine un-
vollkommene Weiſe verbunden iſt, nicht einen
Schuldner zu nennen.


§. 337.

Wir erlaſſen das Recht zu einer Sa-Von der
Erlaſ-
ſung des
Rechts.

che(jus ad rem remittimus), wenn wir hin-
laͤnglich anzeigen, daß wir nicht wollen, daß
der andere uns etwas leiſte, wozu er uns ver-
bunden iſt. Jn eben dem Verſtande ſagt
man auch, es werde die Schuld erlaſſen
(debitum ipſum remitti).Durch die Er-
laſſung des Rechts wird
alſo der
Schuldner von ſeiner Verbindlichkeit
befreyet; und das Recht verloͤſcht
(jus
extingvitur),
aber niemand erhaͤlt da-
durch ein Recht.
Es iſt vor ſich klar:
daß man auch einen Theil des Rechts
erlaſſen koͤnne, wenn man das, was

man
[208]II. Th. 5. H. Von der abſtammenden Art
man ſchuldig iſt, in Theile zertheilen
kann.


§. 338.

Von der
Abtre-
tung ei-
nes
Rechts.

Wenn man ſein Recht zu einer Sache
auf einen andern bringt, ſo heißt dieſes die
Abtretung des Rechts(ceſſio). Derjeni-
ge der es auf den andern bringt, wird der
Abtretende
(cedens) genannt; von demje-
nigen aber auf den es gebracht wird, ſagt man,
er ſey derjenige, dem es abgetreten wor-
den
(ceſſionarius).Es geſchieht alſo die
Abtretung, wenn der Abtretende und
derjenige, dem etwas abgetreten wird,
ihre Einwilligung beyderſeits hinlaͤng-
lich erklaͤren
(§. 317.). Da das Recht zu
einer Sache eine unkoͤrperliche Sache iſt, wel-
che dem Abtredenden eigenthuͤmlich zugehoͤ-
ret (§. 206.); ſo kann die Abtretung
wieder Wiſſen und Willen des Schuld-
ners geſchehen,
da inſonderheit dadurch,
daß ein anderer in die Stelle des Ab-
tretenden kommt, in der Verbindlich-
keit des Schuldners ſelbſt nichts geaͤn-
dert wird.


§. 339.

Von
Verwer-
fung des
Rechts.

Derjenige verwirft ein Recht(jus re-
pudiat),
welcher ſich hinlaͤnglich erklaͤret, daß
er ein Recht, welches ihm zufaͤllet, nicht ha-
ben wolle. Man ſagt aber, daß uns ein
Recht zufalle
(jus tibi deferri), wenn es
in unſerem Gefallen ſtehet, ob wir es anneh-
men wollen, oder nicht. Das Recht, wel-
ches
[209]etwas zu erhalten.
ches einer verwirft, wird von ihm
nicht auf einen andern gebracht.


§. 340.

Auf ſein Recht thut derjenige Ver-Vom
Verzicht
thun.

zicht(juri ſuo renunciat), welcher ſich hin-
laͤnglich erklaͤret, daß er, einem andern zum
Vortheil, ein erlangtes Recht nicht haben
wolle. Man nennt aber dasjenige ein er-
langtes Recht
(jus qvæſitum), welches
uns wuͤrcklich zukommt. Der nun, welcher
Verzicht thut, verbindet ſich gegen den
andern, dem zu gefallen er Verzicht
thut, daß er ſich ſeines Rechts gegen
ihn nicht gebrauchen wolle; und die-
ſer erhaͤlt dadurch das Recht nicht zu
leiden, daß er ſich deſſelben gebrauche
(§. 46.). Wer aber auf ſein Recht
Verzicht thut, der bringt, oder uͤber-
traͤgt deswegen nicht ſein Recht auf
einen andern.


§. 341.

Einer begiebt ſich ſeines Rechts(ju-Vom Be-
geben des
Rechts.

ri ſuo ſe abdicat), oder entſaget demſelben,
wenn einer freywillig ſich erklaͤret, daß er ein
Recht, welches er auf einen andern nicht
bringen kann, laͤnger nicht haben wolle: als
wenn einer ſein obrigkeitliches Amt eher, als
es Zeit iſt, niederleget.


§. 342.

Weil ein jeder mit ſeinem Rechte, als einerOb die
Erlaſ-
ſung des
Rechts

uncoͤrperlichen Sache (§. 121.), welche ihm ei-
genthuͤmlich zugehoͤret (§. 206.), nach ſeinem
Nat. u. Voͤlckerrecht. OGefal-
[210]II. Th. 5. H. Von der abſtammenden Art
und das
Abtreten
deſſelben
u. ſ. w.
erlaubt
ſind.
Gefallen anfangen kann, was er will (§. 195.);
ſo ſtehet es in eines jeden Willen, ob er
ſein Recht erlaſſen, einem andern ab-
treten, es verwerfen, ſich deſſelben
begeben, oder darauf jemanden zu ge-
fallen Verzicht thun will, oder nicht,
wenn nur nichts vorgenommen wird,
welches wieder das Recht eines drit-
ten iſt
(§. 86.); als wie wenn man eine
Schuld erlaͤßt, um die Glaͤubiger zu betruͤgen.


§. 343.

Von dem
Eigen-
thume,
welches
aus der
Theilung
gemein-
ſchaftli-
cher Sa-
chen ent-
ſtehet.

Wenn eine gemeinſchaftliche Sache
getheilt wird,
weil durch Aufhebung der
Gemeinſchaft ein jeder einen abgeſonderten
Theil eigenthuͤmlich, folglich ein abſonderli-
ches Eigenthum erhaͤlt; ſo entſtehen ſo viel
beſondere Eigenthuͤmer, als Perſonen
ſind; und die abgeſonderten Theile ſind
nicht mehr als Theile einer Sache an-
zuſehen.
Was vorher mehrern gemein ge-
weſen war, wird durch die Theilung eines je-
den eigen.


§. 344.

Von der
Theilung
einer
Sache,
welche
nicht ge-
theilt
werden
kann.

Wenn eine gemeinſchaftliche Sache
getheilt werden ſoll, und nicht getheilt
werden kann; ein jeder aber der in der
Gemeinſchaft iſt, ſie gantz haben will;
ſo kann nach dem natuͤrlichen Rechte
die Sache keinen Ausgang gewinnen;

indem keiner verbunden iſt das Eigenthum in
ſeinem Antheile dem andern abzutreten (§.
342.). Soll ſie nun einen Ausgang gewin-
nen;
[211]etwas zu erhalten.
nen; ſo iſts noͤthig, daß mit Einwilli-
gung aller derer, welche in der Ge-
meinſchaft ſind, eine Art und Weiſe
zu beſtimmen ausgemacht wird, wem
dieſelbe zuzueignen ſey;
z. E. daß es
durch das Loos entſchieden werde, wer die
Sache haben ſoll.


§. 345.

Weil in einer Gemeinſchaft mit einer ge-Ob je-
mand ge-
zwungen
werden
kann, in
einer Ge-
mein-
ſchaft zu
verblei-
ben.

meinſchaftlichen Sache nichts vorgenommen
werden kann, als mit aller Bewilligung (§.
330.), und damit das Vorhaben einen Aus-
gang gewinnet, der Wille der meiſten oder des
groͤſſern Theils vor den Willen aller gehalten
werden muß; ſo iſt alſo leicht zu erachten,
daß in einer Gemeinſchaft nicht ein jeder mit
ſeinem Antheile vornehmen kann, was er will.
Da nun der natuͤrlichen Freyheit, von welcher
in dem Eigenthume die Freyheit mit dem Sei-
nen vorzunehmen, was man will, herruͤhret
(§. 195.), gar ſehr zuwieder iſt, daß jemand
wieder ſeinen Willen in der Gemeinſchaft
bleiben ſoll; ſo kan auch niemand ge-
zwungen werden, wieder ſeinen Wil-
len in der Gemeinſchaft zu verbleiben,
wenn nicht das gemeinſchaftliche Recht
mit der Bedingung erlangt worden,
daß es gemeinſchaftlich bleiben ſoll

(§. 317.).


O 2Das
[212]II. Th. 6. H. Von der Eroͤfnung

Das ſechſte Hauptſtuͤck.


Von der Eroͤfnung ſeiner Ge-
dancken gegen andere.


§. 346.

Von dem
gemeinen
Gebꝛauch
zu reden.

Wir eroͤfnen andern unſere Gedancken
entweder durch Worte, oder durch
andere gleichguͤltige Zeichen, oder
durch Thaten, d. i. durch aͤuſſere Handlung.
Wer alſo von andern verſtanden wer-
den will, der muß die Worte in dem
Verſtande gebrauchen, wie es die Ge-
wohnheit zu reden mit ſich bringet;

folglich wer dazu verbunden iſt einem
andern ſeine Meinung zu ſagen, der
muß die Woͤrter in der Bedeutung
nehmen, welche mit der Gewohnheit
zu reden uͤbereinkommt.


§. 347.

Von der
morali-
ſchen
Wahr-
heit und
dem
Wahr-
reden.

Die Uebereinſtimmung der Worte mit un-
ſern Gedancken nennt man die moraliſche
Wahrheit
(veritatem moralem), und der
redet moraliſch wahr,
der dasjenige
denckt, was er ſagt, daß er es dencke. Eine
moraliſch wahre Rede aber wird Wahrre-
den
genannt (veriloqvium). Sie iſt alſo
von der logiſchen Wahrheit unterſchie-
den, welche in der Uebereinſtimmung unſerer
Gedancken mit der Sache, die wir gedencken,
beſteht, ſo daß das logicaliſch wahr iſt,
wenn wir dencken, daß etwas ſey, oder nicht
ſey, daſſelbige auch in der That iſt, oder nicht
iſt.
[213]ſeiner Gedancken.
iſt. Derowegen da die moraliſche Wahrheit
die logicaliſche nicht voraus ſetzt; ſo kann die
logicaliſche Wahrheit dadurch nicht
erwieſen werden, daß man wahr ge-
redet; und wenn wir ſagen, was wir
zu ſeyn vermeinen, da es doch nicht iſt,
oder im Gegentheil nicht zu ſeyn ver-
meinen, da es doch iſt, ſo reden wir zwar
moraliſch wahr, ob es gleich logica-
liſch oder an ſich falſch iſt.


§. 348.

Jm Gegentheil iſt moraliſch falſch(mo-Vom
moraliſch
Falſchen.

raliter falſum), wenn wir anders dencken,
als was wir ſagen, oder unſere Worte und
Gedancken nicht mit einander uͤbereinſtimmen.
Eine moraliſch falſche Rede wird eine Un-
wahrheit
(falſiloqvium) genannt. Sie iſt
alſo vom logicaliſch Falſchen(falſitate lo-
gica)
unterſchieden, welche darinnen beſtehet,
daß unſere Gedancken mit der Sache nicht
uͤbereinkommen. Weil nun die Unwahrheit
nicht voraus ſetzt, daß etwas logicaliſch, das
iſt, in der That wahr ſey; ſo daß wir den-
cken, daß es ſey, und es iſt doch nicht, oder
daß es nicht ſey, und es iſt doch in der That;
ſo reden wir moraliſch falſch, wenn wir
dencken, daß etwas nicht ſey, und ſa-
gen daß es ſey, und es ſich auch in der
That alſo befindet;
oder wenn wir den-
cken, daß etwas ſey, und wir ſagen,
daß es nicht ſey, und es ſich auch in der
That alſo befindet.


O 3§. 349.
[214]II. Th. 6. H. Von der Eroͤfnung
§. 349.

Eine auf-
richtige
Hand-
lung, die
Verſtel-
lung die
Verhee-
lung, der
Vor-
wand.

Eine aͤuſſerlich aufrichtige Hand-
lung
(actio externa ſincera) nennt man die-
jenige, welche mit der innern uͤbereinſtimmt;
wenn aber die aͤuſſere Handlung der inneren
zuwieder iſt, ſo heißt es eine Verſtellung
(ſimulatio). Die Verbergung ſo wohl der
aͤuſſern, als innern Handlungen, ſie mag ent-
weder in einer That oder Unterlaſſung derſel-
ben beſtehen, auf was Art und Weiſe ſie auch
geſchiehet, heißt die Verheelung(diſſimu-
latio).
Die Verſtellung der Jntention, wenn
wir nemlich eine andere, als die wahre, wel-
che wir haben, vorgeben, heiſſet der Vor-
wand
(prætextus), welche von einigen ein
Blendwerck(obtentus) genannt wird.


§. 350.

Welche
Rede
Wahrre-
den, wel-
che Rede
Unwahr-
heit iſt.

Es erhellet alſo, daß Wahrreden eine
aufrichtige Rede, und eine Unwahrheit
im Reden eine verſtellte Rede ſey
(§.
347. 348. 349.). Es erhellet aber auch fer-
ner, daß der Vorwand eine Art der
Unwahrheit ſey,
wie die Unterlaßung
der Rede, die zu dem Ende geſchiehet,
daß unſere Gedancken dem andern nicht
bekannt werden ſollen, zur Verheelung
zu rechnen iſt
(§. 349.).


§. 351.

Vom Luͤ-
gen und
Ver-
ſchwei-
gen.

Der luͤgt(mentitur), welcher moraliſch
falſch redet, wenn er wahr zu reden verbun-
den iſt, oder wenn er verbunden iſt dem an-
dern ſeine Gedancken zu entdecken. Eine Luͤ-
gen
[215]ſeiner Gedancken.
gen(mendacium) iſt alſo eine Unwahrheit
im Reden, welche unſerer Verbindlichkeit zu-
wieder iſt, vermoͤge welcher wir dem andern
unſere Gedancken eroͤfnen ſollen; folgends
wodurch des andern Recht, welches aus die-
ſer Verbindlichkeit entſpringt, verletzt wird
(§. 46.). Das Verſchweigen(reticentia)
hingegen das Stillſchweigen von dem, das wir
zu ſagen verbunden ſind. Es iſt alſo das
Verſchweigen dem Recht eines andern
zuwieder.


§. 352.

Da ſich niemand von der natuͤrlichen Ver-Von der
Sittlich-
keit des
Wahrre-
dens, der
Luͤgen u.
des Ver-
ſchwei-
gens.

bindlichkeit ſo wohl (§. 42.), als von der er-
langten befreyen kann (§. 100.); ſo ſind
wir verbunden, woferne wir einer
Pflicht (§. 57.), oder einer erlangten
Verbindlichkeit kein Genuͤge leiſten
koͤnnen, wofern wir nicht dem andern
unſere Gedancken eroͤfnen, moraliſch
wahrzureden,
folglich zum Wahrreden
verbunden
(§. 347.); und daher iſt ſo wohl
die Unwahrheit
(§. 348.), als das Ver-
ſchweigen unerlaubt
(§. 351.). Wor-
aus ferner erhellet, daß eine jede Luͤgen
unerlaubt ſey
(§. cit.). Jm Gegentheil
aber, da uns das Geſetz der Natur ein Recht
dazu giebt, ohne welches wir unſerer Ver-
bindlichkeit kein Genuͤge leiſten koͤnnen (§. 46.),
iſt beydes erlaubt, wenn wir einer
Pflicht oder einer zugezogenen Ver-
bindlichkeit kein Genuͤge leiſten koͤn-

O 4nen,
[216]II. Th. 6. H. Von der Eroͤfnung
nen, wofern wir nicht unſere Gedan-
cken verbergen, oder moraliſch falſch re-
den (§. 49.); und alsdann iſt die Un-
wahrheit keine Luͤgen
(§. 351.). Und
weil nach der natuͤrlichen Freyheit niemanden
verwehret werden kann, in der Beſtimmung
ſeiner Handlungen ſich nach ſeinem Urtheile
zu richten, wenn er nur nichts thut, zu deſſen
Unterlaſſung er uns verbunden iſt (§. 78.),
die natuͤrliche Freyheit aber die natuͤrliche
Verbindlichkeit nicht aufhebt (§. 77.); ſo iſt
auch erlaubt, wenn wir nicht verbun-
den ſind dem andern unſere Gedancken
zu ſagen, noch auch eine Pflicht gegen
uns ſelbſt oder gegen andere ſolches er-
fordert, die Wahrheit zu verheelen.


§. 353.

Von der
Zwey-
deutig-
keit im
Reden.

Zweydeutig redet derjenige (ambigue
loqvitur),
welcher ſich ſolcher Worte bedie-
net, ſo nach dem gemeinen Gebrauch im Re-
den mehr als eine Bedeutung haben koͤnnen.
Dieſes iſt wieder die Klugheit, wenn
wir einem andern unſere Gedancken
eroͤfnen wollen
(§. 21.), und folglich zu
vermeiden. Wenn wir aber voraus
ſehen, es werde ein anderer, dem wir
unſere Gedancken zu eroͤfnen verbun-
den ſind, ſie in einer Bedeutung neh-
men, die von unſerer Meinung unter-
ſchieden iſt, und wir dieſes vorſaͤtzlich
zur Abſicht haben (§. 17.), ſo iſt die
Zweydeutigkeit im Reden einer Luͤgen

gleich
[217]ſeiner Gedancken.
gleich zu achten (§. 351.), folglich uner-
laubt
(§. 352.). Es erhellet aber ferner,
daß die Zweydeutigkeit im Reden in
dem Falle erlaubt ſey, in welchen die
Unwahrheit erlaubt iſt
(§. 352.).


§ 354.

Die Allegorie iſt eine Rede, welche ausVon den
Raͤtzeln.

Worten beſteht, die in einer andern, als ih-
rer eigentlichen Bedeutung genommen wer-
den, um eine andere Sache anzudeuten, mit
der ſie eine Aehnlichkeit hat. Eine dunckele
Allegorie, in welcher die uneigentliche Be-
deutung der Woͤrter zweydeutig iſt, nennt
man ein Raͤtzel(ænigma).Es dienen
alſo die Raͤtzel den Witz zu uͤben, wel-
cher in der Leichtigkeit die Aehnlichkeiten der
Dinge zu bemercken beſteht. Wenn dem-
nach die Zweydeutigkeit im Reden er-
laubt, oder unerlaubt iſt (§. 353.), ſo
iſt eine raͤtzelhafte Redensart auch er-
laubt oder unerlaubt.


§. 355.

Offenbahre Worte(verba aperta) nen-Von der
Vorbe-
[h]altung
im Sin-
ne.

nen wir diejenigen, welche ausgeſprochen, oder
geſchrieben werden, daß ſie von andern ver-
ſtanden werden koͤnnen: verſchwiegene
Worte
aber (tacita) die, welche in Ge-
dancken zuruͤck behalten werden, daß ſie nie-
mand als wir wiſſen koͤnnen, indem wir nicht
fuͤr andere, ſondern fuͤr uns reden. Eine
moraliſche wahre Rede, welche zum Theil
aus offenbahren Worten, zum Theil aus ver-
O 5ſchwie-
[218]II. Th. 6. H. Von der Eroͤfnung
ſchwiegenen beſteht; ſo daß jene dem, welcher
ſie hoͤrt, eine falſche Meinung beybringen,
dieſe aber den Verſtand derſelben in den wah-
ren verkehren, welcher dem vorhergehenden
zuwieder iſt, wird eine Vorbehaltung im
Sinne
(reſervatio mentalis) genannt. Es
ſind
alſo die Vorbehaltungen im Sinn
bloß in Anſehung deſſen, welcher re-
det, Wahrheit (§. 347.); aber Un-
wahrheit in Anſehung des andern, an
den die Rede gerichtet wird
(§. 348.);
folglich ſind ſie den Luͤgen gleich zu ach-
ten, wenn wir verbunden ſind dem
andern unſere Gedancken zu ſagen (§.
351.); in anderen Faͤllen, da die Un-
wahrheit erlaubt iſt (§. 352.), ſind ſie
unnuͤtze.
Uebrigens iſt leicht zu erſehen,
daß man zu der Vorbehaltung im Sin-
ne eine Rede nicht rechnen kann, in
welcher Worte ausgelaſſen werden,
die der andere, an den ſie gerichtet
wird, aus den offenbahren Worten,
oder aus der Sache, davon die Rede
iſt, leicht ſchlieffen kann.


§. 356.

Was Be-
trug ſey.

Man ſagt, daß derjenige den andern
betruͤge
(fallere alterum), welcher ihn mit
Worten oder Thaten dahin bringet, daß er et-
was vor wahr halte, was doch nicht wahr iſt.
Daher koͤnte man die Verſtellung erklaͤren,
daß ſie eine That ſey; die Unwahrheit
aber,
[219]ſeiner Gedancken.
aber, daß ſie eine Rede ſey, wodurch wir den
andern betruͤgen wollen.


§. 357.

Weil von der natuͤrlichen VerbindlichkeitOb die
Furcht
vor Ge-
fahr die
Unwahr-
heit er-
laubt
machen
kann.

niemand befreyet werden kann (§. 42.); ſo
iſt uns auch nicht erlaubt, wenn wir
die Wahrheit zu ſagen verbunden ſind
(§ 352.), aus Furcht vor einer uns,
oder andern obſchwebenden Gefahr
moraliſch falſch, oder zweydeutig, oder
raͤtzelhaft zu antworten; es iſt aber
erlaubt, wenn wir einem andern die
Wahrheit zu ſagen nicht verbunden
ſind
(§. 269.).


§. 358.

Ein Geheimniß(arcanum) nennt manVon den
Geheim-
niſſen, die
den an-
dern ver-
traut
werden,
und vom
Verra-
then der-
ſelben.

dasjenige, welches wir wollen, daß es andere
nicht wiſſen ſollen, oder es auch zu wollen ver-
bunden ſind. Derjenige vertraut einem
andern ſein Geheimniß
(arcana ſua alteri
committit),
welcher es ihm ſaget, in Hoff-
nung oder im Vertrauen der Verſchwiegen-
heit, das iſt, entweder unter dieſer ſtillſchwei-
genden, oder ausdruͤcklichen Bedingung, daß
er es keinem andern ſagen ſolle. Derjenige
aber verraͤth das Geheimniß eines an-
dern
(arcana alterius prodit), der, was
ihm vertrauet worden, andern ſaget. Wenn
uns keine Noth dazu dringt, daß wir
unſere Geheimniſſe einem andern ver-
trauen,
als z. E. wenn wir den Rath oder
die Huͤlfe eines andern noͤthig haben, dasje-
nige
[220]II. Th. 6. H. Von der Eroͤfnung
nige auszufuͤhren, was wir beſchloſſen haben;
ſo ſollen wir es auch nicht thun. Denn
es iſt ſicherer ſie nicht zu vertrauen, als zu
vertrauen, damit man nicht in Gefahr ſtehe,
ſie moͤchten verrathen werden. Geheimniſ-
ſe aber, die einem vertrauet ſind, doͤr-
fen niemahls verrathen werden (§.
269.), beſonders wenn wir uns ver-
bunden haben, ſie nicht zu verrathen

(§. 97. 100.).


§. 359.

Von der
Sittlich-
keit der
Verſtel-
lung, der
Verhe-
lung und
des Vor-
wandes.

Da wir durch verſtellen und moraliſch
falſch reden einerley intendiren, naͤmlich,
daß der andere von unſern Gedancken eine
entgegengeſetzte Meinung faſſen moͤge (§. 348.
349.); ſo iſt auch, wenn die Unwahr-
heit erlaubt, oder unerlaubt iſt, die
Verſtellung erlaubt, oder unerlaubt.

Eben ſo, da durch die Verbergung unſerer
Gedancken und die Verheelung einerley ge-
ſucht wird, daß unſere Meinung einem an-
dern nicht bekannt werden ſolle (§. 349.); ſo
iſt auch, wenn es erlaubt iſt, ſeine Ge-
dancken zu verbergen, die Verheelung
erlaubt.
Weil nun der Vorwand eine Art
der Unwahrheit iſt (§. 350.); ſo gilt von
der Sittlichkeit des Vorwands eben
dasjenige, was von der Sittlichkeit der
Unwahrheit erwieſen worden.


§. 360.

Von un-
nuͤtzen
Worten

Unnuͤtze Worte(verba temeraria) ſind
diejenigen, welche ohne eine Abſicht geſpro-
chen;
[221]ſeiner Gedancken.
chen; unnuͤtze Handlungen aber (factau. Hand-
lungen.

temeraria), die ohne eine Abſicht vorgenom-
men werden. Es geſchieht aber etwas
ohne Abſicht
(nullo fine fit), wenn man
bey demſelben weder auf unſern, noch auf
anderer Nutzen bedacht iſt, den man nehm-
lich als ſeine Abſicht dadurch zu erhalten ge-
ſucht. Weil die Menſchen verbunden ſind
ihre Handlungen zu ihrer und anderer Voll-
kommenheit und zu der Vollkommenheit ſo
wohl ihres eigenen, als des andern ſeines Zu-
ſtandes einzurichten, und dieſelben mit gemein-
ſchaftlichen Kraͤften zu befoͤrdern (§. 43. 44.);
die Rede aber das Mittel iſt, wodurch ſie
ihre Gedancken zu dem Ende eroͤfnen ſollen,
welches vor ſich klar iſt; ſo muß man ſo wohl
im Reden, als bey einer jeden Handlung auf
einigen Nutzen ſehen, er betreffe entweder
uns ſelbſt oder andere, und denſelben aus die-
ſer Vollkommenheit, als der letzten Abſicht,
beſtimmen. Daraus laͤßet ſich leicht ſchlieſ-
ſen, daß unnuͤtze Worte und Hand-
lungen mit dem Geſetz der Natur we-
nig uͤbereinkommen; und man
folglich
weder unnuͤtze Reden fuͤhren, noch
auch etwas unnuͤtzes thun muͤße.
Es
iſt auch ebendaſſelbe, vornaͤmlich von den Wor-
ten, aus der Verbindlichkeit klar, daß wir
die freyen Handlungen durch ebendieſelben
Abſichten beſtimmen muͤſſen, durch welche die
natuͤrlichen beſtimmt werden (§. 43.).


§. 361.
[222]II. Th. 6. H. Von der Eroͤfnung
§. 361.

Was ei-
ne Be-
theurung
und was
ein Eyd
ſey.

Wenn jemand zweifelt, ob man die
Wahrheit rede, und es entweder durch
die Sache, von welcher man redet,
oder auf eine andere Weiſe, z. E.
durch Zeugen, nicht gewiß werden
kann; ſo kann man es nicht anders be-
weiſen, als durch das Gewiſſen, oder
daß man GOtt zum Zeugen anruft
:
indem niemand unſere Gedancken weiß, als
wir ſelbſt, die wir uns derſelben bewuſt ſind,
und Gott. Den Beweis der Wahrheit deſ-
ſen, was wir ſagen, durch das Zeugniß des
Gewiſſens, indem wir naͤmlich uns auf das
Gewiſſen als auf einen Zeugen, beruffen, nennt
man eine Betheurung(aſſeverationem);
den Beweis aber durch das Zeugniß Gottes,
indem wir naͤmlich Gott als den Zeugen der
Wahrheit desjenigen, was wir ſagen, und
als den Raͤcher der Luͤgen und des Meiney-
des anrufen, einen Eyd oder Eydſchwur
(juramentum, jusjurandum). Was der
Meineyd ſey, werden wir unten erklaͤren.


§. 362.

Wer
nicht
ſchwoͤren
kann.

Weil derjenige, welcher ſchwoͤrt, gewiß
ſeyn muß, daß ein Gott ſey, der die Ge-
dancken der Menſchen kennt, und die Luͤgen
und den Meineyd beſtraft (§. 361.); ſo kann
der, welcher leugnet, daß ein Gott ſey,
oder daß er die Gedancken der Men-
ſchen kenne, oder daß er ſich wenig

um
[223]ſeiner Gedancken:
um die menſchlichen Dinge bekuͤmmere,
nicht ſchwoͤren.


§. 363.

Wenn nun jemand falſche GoͤtterOb man
bey fal-
ſchen
Goͤttern
ſchwoͤren
koͤnne.

vor den wahren Gott haͤlt, und ihnen
dasjenige zueignet, was einer, der da
ſchwoͤrt, von dem wahren Gott vor
gewiß halten muß, der kann bey fal-
ſchen Goͤttern ſchwoͤren;
weil es in An-
ſehung ſeiner eben ſo viel iſt, als wenn er
bey dem wahren Gott ſchwuͤre.


§. 364.

Weil die Worte Zeichen ſind, welche das-Von den
Eides-
formeln.

jenige bedeuten, was wir durch dieſelbe wol-
len zu verſtehen geben; ſo kann man mit
allen Worten ſchwoͤren, welchen man
die Bedeutung beylegt, ſo nach der Er-
klaͤrung einem Eide zukommen muß.

Daher erhellet zugleich, daß man bey je-
der Sache, ſie mag ſeyn, was vor eine
es will, ſchwoͤren koͤnne.
Aber bey der-
gleichen Dingen ſchwoͤret einer nicht,
ſondern er betheuret nur etwas, wel-
cher ſagt, er rede ſo gewiß die Wahrheit,
oder wolle ſie ſagen, als es gewiß iſt,
daß eine Sache wuͤrcklich ſey, oder of-
fenbar ihm die liebſte.
Es koͤnnen einer-
ley Worte die Kraft eines Eides, oder einer
Betheurung haben, nachdem entweder der
andere einen Eid von uns fordert, oder wir
freywillig dieſelbe vorbringen. Alſo wenn
einer ſchwoͤren ſoll und ſagt: Gott

iſt
[224]II. Th. 6. H. Von der Eroͤfnung
iſt mein Zeuge, ſo ſchwoͤrt er; wenn
er eben dieſes ungeheiſſen ſagt, ſo iſt
es eine Betheurung.
Denn in dem er-
ſten Fall zeigen die Worte auch die Anru-
fung Gottes als eines Raͤchers der Luͤgen und
des Meineydes an, in den andern aber nicht
(§. 361.).


§. 365.

Wenn ei-
ner nicht
ſchwoͤ-
ret, ob er
gleich
Worte,
die einen
Schwur
bedeuten,
vor-
bringt.

Wenn jemand unbedachtſam Wor-
te, die einen Schwur bedeuten,
d. i.
welchen man die Bedeutung eines Eides zu-
zuſchreiben pflegt, ohne Vorſatz zu ſchwoͤ-
ren vorbringt, ſo ſchwoͤrt er nicht;
ſondern man muß dieſelbe zu den un-
nuͤtzen Worten rechnen
(§. 360.). Weil
aber dieſe zu vermeiden ſind (§. cit.), ſo ſun-
diget er nichts deſto weniger.
Eben
das muß man von den Worten verſtehen, wel-
chen man ſonſt die Bedeutung einer Betheu-
rung beylegt.


§. 366.

Wenn
einer
ſchwoͤrt.

Weil aber im Gegentheil wieder denjeni-
gen, welcher die Wahrheit zu ſagen verbun-
den iſt, das vor wahr zu halten iſt, was er
ſagt (§. 318.); ſo nimmt man mit Recht
an, es habe einer geſchworen, der
ſchwoͤren ſoll, oder das Anſehen haben
will, als ſchwoͤre er, wenn er die Wor-
te eines Eides herſagt.
Denn ſonſt muͤ-
ſte man einraͤumen, es koͤnne einer vor ſich
Worte im Sinne zuruͤcke behalten, welches
unerlaubt iſt (§. 355.).


§. 367.
[225]ſeiner Gedancken.
§. 367.

Weil Eidſchwuͤre und Betheurungen un-Daß
man un-
nuͤtze Be-
theurun-
gen und
Eid-
ſchwuͤre
vermei-
den
muͤſſe.

nuͤtze ſind, wenn derjenige, mit dem man re-
det, nicht zweifelt, daß wir moraliſch wahr
reden, oder auch weder ihm, noch uns dran
gelegen iſt, ob er glaubt, daß wir die Wahr-
heit ſagen, oder nicht (§. 360. 361.); unnuͤ-
tze Worte aber unerlaubt ſind, und insbeſon-
dere ein unnuͤtzer Eid ſich mit der Gott ſchul-
digen Ehrfurcht nicht reimet (§. 172.); ſo
ſind auch, wenn der, zu dem man re-
det, nicht zweifelt, daß wir die Wahr-
heit ſagen, oder wenn weder ihm noch
uns dran gelegen iſt, ob er dieſes
glaubt, oder nicht, die Betheurungen
und Eide unerlaubt.
Daher laͤßet ſich
ferner leicht ſchlieſſen, daß man nicht
ſchwoͤren muͤſſe, wenn einer Betheu-
rung geglaubt wird, oder wenn eine
Betheurung dazu hinreichend iſt.


§. 368.

Weil wir das Recht haben, uns, einemWozu
ſich der-
jenige,
der
ſchwoͤrt,
verbin-
det.

andern die Wahrheit zu ſagen, zu verbinden,
wenn uns oder dem andern daran gelegen iſt,
daß er glaubt, wir reden wahr (§. 97.), die
Anrufung Gottes aber als eines Raͤchers der
Luͤgen und des Meineides, ein Bewegungs-
grund iſt, die Wahrheit zu ſagen, welche wir
mit dem Eidſchwur beſtetigen (§. 361.); ſo
verbinden wir uns, indem wir ſchwoͤ-
ren, dem andern, ihm die Wahrheit
zu ſagen
(§. 35.); folglich darf man
Nat. u. Voͤlckerrecht. Peine
[226]II. Th. 6. H. Von der Eroͤfnung
eine ſonſt erlaubte Unwahrheit mit kei-
nem Eide bekraͤftigen.


§. 369.

Die
Wuͤr-
ckung des
Eides.

Weil wir uns, indem wir ſchwoͤren, dem
andern verbinden, ihm die Wahrheit zu ſagen
(§. 368.); und alſo wieder uns vor wahr zu
halten, was wir hinlaͤnglich anzeigen (§. 318.);
folglich man keine andere Meinung von un-
ſern Gedancken haben kann, als die wir
durch die Worte anzeigen; ſo leidet der Eid
keine ſtillſchweigende Ausnahmen und
Bedingungen, und es kann auch bey
demſelben nichts vor ſich im Sinne
zuruͤcke behalten werden
(§. 355.).


§. 370.

Jn was
vor ei-
nem Ver-
ſtande
man die
Worte,
die einen
Eid an-
zeigen,
nehmen
muͤſſe.

Aus eben dieſem Grunde iſt klar, daß der,
welcher ſchwoͤrt, die Worte in eben
dem Verſtande nehmen muͤſſe, welche
derjenige ihnen zueignet, dem ge-
ſchworen wird;
und daß man folglich
dieſelbe nicht der offenbahren Bedeu-
tung zuwieder in eine andere verdre-
hen duͤrfe, damit man beweiſen koͤn-
ne: ob man gleich nach der Meinung
desjenigen, dem geſchworen wird, un-
wahr geredet, ſo habe man doch nach
ſeiner eigenen Meinung wahr geredet.


§. 371.

Vom fal-
ſchen Ei-
de und
Meinei-
de.

Ein falſcher Eid(pejeratio) wird ge-
nannt derjenige, welchen einer ſchwoͤrt, daß
er die Wahrheit ſage, indem er die Unwahr-
heit ſagt. Der Meineid(perjurium) aber
iſt
[227]ſeiner Gedancken.
iſt die Verletzung des Eides, wenn einer das
nicht haͤlt, was er nach ſeiner eigenen Mei-
nung zu thun oder nicht zu thun geſchworen
hat. Derowegen weil derjenige, welcher
ſchwoͤrt, ſich verbindet die Wahrheit zu ſagen
(§. 368.), und wenn er ſchwoͤrt etwas zu
thun oder nicht zu thun, durch den Eid be-
weiſen will, daß er ſich dieſes zu thun, oder
zu unterlaſſen verbinde (§. 97. 361.); ſo iſt
nicht erlaubt falſch zu ſchwoͤren, noch
der Meineid erlaubt
(§. 100.).


§. 372.

Da es aber einerley iſt, ob die WorteVom ge-
ſchriebe-
nen Eid.

ausgeſprochen, oder geſchrieben werden; ſo
iſt ein geſchriebener Eid guͤltig; folg-
lich kann ein Abweſender einem Abwe-
ſenden im Briefe ſchwoͤren.


§. 373.

Man ſagt: einer ſchwoͤre in die See-Von dem
Eid, der
in die
Seele ei-
nes an-
dern ge-
ſchiehet.

le eines andern(in animam alterius jura-
re),
wenn er im Nahmen und aus Vollmacht
eines Abweſenden ſchwoͤrt. Da es einerley
iſt, ob einer etwas ſelbſt, oder durch einen
andern verrichtet; ſo kann man auch in
die Seele eines andern ſchwoͤren.


§. 374.

Die Beſchwoͤrung(obteſtatio) nenntVon der
Beſchwoͤ-
rung.

man eine Handlung, da man jemand bey Gott,
dem Zeugen der Wahrheit desjenigen, was
man ſagt, und dem Raͤcher der Luͤgen und je-
der unerlaubten That, oder bey einer Sache
die dem andern am liebſten iſt, oder worauf
P 2er
[228]II. Th. 6. H. Von der Eroͤfnung
er am meiſten zu ſehen hat, bittet, daß er die
Wahrheit ſage, oder entweder etwas thue,
oder unterlaſſe. Da man nun durch die Be-
ſchwoͤrung einen andern ernſtlich zu bewegen
ſucht, die Wahrheit zu ſagen, oder etwas zu
thun, oder nicht zu thun; ſo iſt auch, wenn
uns, oder einem andern viel daran ge-
legen, daß einer die Wahrheit ſage,
oder etwas entweder thue, oder un-
terlaſſe, der etwas zu thun, oder zu
unterlaſſen verbunden iſt, die Beſchwoͤ-
rung erlaubt.
Eben dieſes iſt in demjeni-
gen Fall klar, in welchem man einen andern
anmahnen muß, etwas zu thun oder zu un-
terlaſſen.


§. 375.

Von der
hoͤchſten
Betheu-
rung.

Die Betheurung bey dem Zeugniſſe Got-
tes oder bey einer Sache, welche uns die lieb-
ſte, oder von groſſer Wichtigkeit iſt, wird die
hoͤchſte Betheuerung genannt (conteſta-
tio).
Es gehoͤrt alſo dieſelbe zu denjenigen
Betheurungsformeln, welche dem Eide am
naͤchſten kommen (§. 361.).


§. 376.

Wenn ei-
ner, der
falſch
ſchwoͤrt,
nicht
meinei-
dig wird.

Weil der falſch ſchwoͤret, welcher ſchwoͤrt,
er wolle das thun, wozu er ſich verbindlich
macht, ob er gleich nicht den Vorſatz hat es
zu thun; hingegen aber nicht meineidig iſt,
wenn er ſeinen Vorſatz aͤndert und es thut (§.
371.); ſo iſt auch der nicht meineidig,
der zwar falſch geſchworen, aber ſich

ſolches
[229]ſeiner Gedancken.
ſolches gereuen laͤſt, und thut, was er
zu thun geſchworen hat.


Das ſiebente Hauptſtuͤck.


Von der Art und Weiſe ſich ei-
nem andern verbindlich zu machen,
oder von dem Verſprechen und
Vertraͤgen uͤberhaupt.


§. 377.

Weil nach eingefuͤhrtem Eigenthum derWozu
wir uns
einem an-
dern ver-
bindlich
machen
koͤnnen.

Menſch nichts hat, was ihm zuge-
hoͤrt, als die koͤrperlichen und un-
koͤrperlichen Sachen, welche ſein eigen ſind
(§. 195. 206.); und die Handlungen, welche
andern nuͤtzlich ſind, eigenthuͤmlichen Sachen
gleich geſchaͤtzt werden (§. 225.); ſo kann
niemand ſich dem andern verbindlich
machen, als nur ihm etwas zu geben,
oder etwas zu thun, und ſeinetwegen
zu unterlaſſen,
folglich etwas zu leiſten
(§. 258. 328.).


§. 378.

Weil keine Verbindlichkeit noͤthig, wenn et-Was vor
ein Recht
auf einen
andern
gebracht
wird,
wenn ei-
ner ſich
dem an-

was gleich geleiſtet wird; die Verbindlichkeit
aber darauf gehet, was geſchehen ſoll, und
wozu der andere ein vollkommenes Recht er-
haͤlt (§. 97.); ſo iſt klar, daß, wenn ſich
einer dem andern etwas zu geben, oder
zu thun verbindet, er auf ihn ein Recht

P 3brin-
[230]II. Th. 7. H. Von dem Verſprechen
dern ver-
bindlich
macht.
bringet die Leiſtung mit Gewalt zu
fordern.


§. 379.

Was das
Verſpre-
chen iſt.

Dieſe Erklaͤrung ſeines Willens von dem,
was man einem andern leiſten will, und wo-
durch man auf den andern das Recht bringt
uns mit Gewalt dazu anzuhalten, nennt man
das Verſprechen(promiſſio), derjenige
der etwas verſpricht heiſt der Verſprechen-
de
(promiſſor), derjenige, dem etwas ver-
ſprochen wird, wird der Verſprechens-An-
nehmer
(promiſſarius) genannt.


§. 380.

Von der
Art ſich
einem an-
dern ver-
bindlich
zu ma-
chen.

Der Verſprechende verbindet ſich alſo
dem, welchem er etwas verſpricht,
vollkommen
(§. 80. 379.). Und da wir
den Willen eines andern nicht anders wiſſen
koͤnnen, als wenn uns derſelbe von ihm hin-
laͤnglich erklaͤret wird, noch auch von ihm ein
Recht erlangen, ohne ſeinen Willen (§. 314.);
ſo kann ſich niemand dem andern an-
ders vollkommen verbindlich machen,
als nur durchs Verſprechen.


§. 381.

Von der
Noth-
wendig-
keit des
Anneh-
mens ei-
nes Ver-
ſpre-
chens.

Weil durch das Verſprechen auf den an-
dern das Recht gebracht wird, die Leiſtung des
Verſprochenen mit Gewalt von ihm zu for-
dern (§. 379.), zu Erlangung deſſelben aber
erfordert wird, daß es der andere annimmet
(§. 316.); ſo iſt kein Verſprechen ohne
Annehmung deſſelben guͤltig, und der,

dem
[231]und den Vertraͤgen uͤberhaupt.
dem etwas verſprochen wird, erhaͤlt
ohne dieſelbe kein Recht dazu.


§. 382.

Vom Verſprechen unterſcheidet GrotiusVon der
bloſſen
Zuſage.

mit Recht eine bloſſe Zuſage(pollicitatio-
nem),
wodurch wir hinlaͤnglich dem andern
unſern Willen erklaͤren ihm etwas zu leiſten,
wie auch bey dieſem Vorſatze zu verharren,
aber ihm kein Recht, es mit Gewalt von uns
zu fordern, einraͤumen wollen. Es erhaͤlt
alſo durch die bloſſe Zuſage derjenige,
dem ſie geſchieht, kein Recht, das, was
man zugeſagt, mit Gewalt zu fordern

(§. 314.).


§. 383.

Von derſelben unterſcheiden wir mit demVon der
bloſſen
Erklaͤ-
rung,
was man
zu thun
geſonnen.

Grotius die bloſſe Erklaͤrung, was man
zu thun geſonnen
(nudam aſſertionem),
dadurch wir dem andern hinlaͤnglich erklaͤren,
was wir jetzt Willens ſind ihm zu leiſten,
doch unbeſchadet der Freyheit dieſen Vorſatz
zu aͤndern; folglich erhaͤlt durch derglei-
chen bloſſe Erklaͤrung, was wir zu thun
geſonnen, der andere kein Recht, die-
ſes mit Gewalt zu fordern
(§. 314.).


§. 384.

Weil durch die bloſſe Zuſage (§. 382.) undOb hier-
innen ei-
ne An-
neh-
mung
ſtatt fin-
det.

eine bloſſe Erklaͤrung, was wir zu thun geſon-
nen, der andere kein Recht dazu erhaͤlt, wo-
von geredet wird (§. 383.); ſo wird zu ei-
ner bloſſen Zuſage und einer bloſſen
Erklaͤrung, was wir zu thun geſon-

P 4nen,
[232]II. Th. 7. H. Von dem Verſprechen
nen, keine Annehmung erfordert; ja
ſie koͤmmt zu beyden unnuͤtze hinzu

(§. 316.).


§. 385.

Was das
Verſpre-
chen, die
bloſſe Zu
ſage und
die bloſſe
Erklaͤ-
rung deſ-
ſen, was
man zu
thun ge-
ſonnen,
vor
Hand-
lungen
ſind.

Weil es lediglich auf unſerm Willen beruhet,
ob wir auf einen andern ein Recht bringen
wollen, oder nicht (§. 314.); folglich das
Recht uns mit Gewalt zu einer gewiſſen Lei-
ſtung anzuhalten, d. i. das Recht zu einer
Sache (§. 335.); ſo ſteht es auch allein
bey uns, ob wir einem andern etwas
verſprechen, oder blos zuſagen, oder
ihm blos erklaͤren wollen, was wir zu
thun geſonnen
(§. 379. 382. 383.); folg-
lich ſind das Verſprechen, die bloſſe Zu-
ſage und die bloſſe Erklaͤrung deſſen,
was wir zu thun geſonnen, Handlun-
gen, die allein auf unſerem Willen be-
ruhen;
und derowegen hat niemand das
Recht, uns zu einem Verſprechen zu
noͤthigen.
Da dieſes der natuͤrlichen Frey-
heit wiederſpricht (§. 77.); ſo thut derjeni-
ge, der den andern zum Verſprechen
zwingt, ihm unrecht
(§. 87.); und iſt
dieſes durchs natuͤrliche Geſetz verbo-
then
(§. 86.).


§. 386.

Vom
uͤberleg-
ten Vor-
ſatz.

Ein uͤberlegter Vorſatz(animus deli-
beratus)
wird genannt, wenn man dasjeni-
ge, ſo man will, wohl erwogen hat, naͤmlich
ob man es lieber thun, als unterlaſſen ſoll,
und wie man es anzufangen hat, ehe man die
Hand-
[233]und den Vertraͤgen uͤberhaupt.
Handlung ſelbſt vornimmt, damit nichts ge-
ſchehe was den Pflichten gegen ſich, oder ge-
gen andere zuwieder iſt. Jm Gegentheil
nennt man einen unuͤberlegten Vorſatz
(animum indeliberatum), wenn man dasje-
nige, was man will, nicht gnug erwogen
hat. Derowegen da ſich von der natuͤrlichen
Verbindlichkeit, die wir zu allen Pflichten
haben (§. 57.), niemand befreyen kann (§.
42.), inſonderheit auch ein jeder allen Scha-
den von ſich abwenden ſoll (§. 269.); ſo muß
niemand etwas thun, noch auch etwas
verſprechen, ohne es zuvor wohl uͤber-
legt zu haben.
Uebrigens iſt aus der Na-
tur des Verſprechens leicht klar, daß der
Verſprechende wohl erwegen muͤſſe, ob
er die Sache, welche er zu geben ver-
ſpricht, ſelbſt noͤthig habe; und wenn
er etwas zu thun verſpricht, ob er Zeit
dazu habe; wie auch ob er dadurch,
daß er einem etwas zu geben oder zu
thun verſpricht, einer Pflicht entwe-
der gegen ſich ſelbſt, oder gegen ande-
re zuwieder handelt.
Ja aus dem eben
angefuͤhrten Grunde, warum man nichts
ohne Ueberlegung thun ſoll, erhellet, daß
man auch kein Verſprechen ohne Ue-
berlegung annehmen ſoll.
Und man ver-
ſtehet leicht, daß der, dem etwas ver-
ſprochen wird, erwegen muͤſſe, ob er
das was ihm verſprochen wird, noͤthig
habe, und ob nicht der andere daſſelbe

P 5noͤthi-
[234]II. Th. 7. H. Von dem Verſprechen
noͤthiger hat; wie auch ob der Ver-
ſprechende daſſelbe nicht anders als mit
ſeinem Nachtheil leiſten kann; und end-
lich ob man dadurch, daß man es an-
nimmet, nicht etwan einer Pflicht ge-
gen ſich oder gegen andere zuwieder
handelt.


§. 387.

Welche
nicht ver-
ſprechen
koͤnnen.

Weil die Raſenden in der Raſerey, Unſin-
nigen, Kinder, Aberwitzige und ſehr Betrun-
ckene keinen uͤberlegten Vorſatz faſſen koͤnnen,
auch nicht diejenigen, deren Urtheilskraft, ih-
res Alters wegen, zu ſchwach iſt (§. 386.); ſo
iſt klar, daß alle dieſe nichts guͤltig ver-
ſprechen koͤnnen
(§. cit.).


§. 388.

Daß
man das
Verſpre-
chen hal-
ten muͤße.

Derjenige haͤlt das Verſprechen(pro-
miſſum ſervat),
welcher giebt oder thut, was er
zu geben oder zu thun verſprochen hat. Weil
nun der Verſprechende ſich dem, welchem er et-
was verſpricht, vollkommen verbindet (§. 380.),
und der, welchem etwas verſprochen worden,
dadurch ein vollkommenes Recht zu dem, was
ihm verſprochen wird, erhaͤlt (§. 97.); wel-
ches ihm wieder ſeinen Willen nicht genom-
men werden kann (§. 100.); ſo muß das
Verſprechen gehalten werden.


§. 389.

Von
Treue u.
Glauben.

Die Treue(fidem) nennt man die Be-
ſtaͤndigkeit des Willens, welchen man einem
andern von dem, was man geben oder thun
will, durch Worte erklaͤret hat. Die Treue
ſetzt
[235]und den Vertraͤgen uͤberhaupt.
ſetzt alſo voraus, daß man die Wahr-
heit rede,
oder wenn man ja die Un-
wahrheit geredet, ſie doch, nach ver-
aͤndertem Vorſatze, in die Wahrheit
verwandelt.
Daher ſagt man, es ver-
ſichere uns einer bey ſeiner Treue und
Glauben
(fidem dat), wenn er bekraͤfti-
get, daß er gewis leiſten werde, was er ſagt,
daß er es leiſten wolle; folglich dem andern
ſagt, er koͤnne ſich darauf gewis verlaſſen,
daß er ſeinen gegenwaͤrtigen Willen nicht aͤn-
dern werde. Hieraus folget, daß der, wel-
cher einem etwas bloß zuſaget, dem
andern ſeiner Treue und ſeines Glau-
bens verſichert (§. 382.). Der haͤlt ſein
Wort nicht
(fidem fallit), oder handelt
wieder Treue und Glauben,
welcher das
nicht leiſtet, was er geſagt hat, daß er es
leiſten werde. Derjenige verſichert ſich
der Treue und des Glaubens eines an-
dern
(fidem alterius adſtringit), welcher ſich
dem andern verbindlich macht ſein Wort zu
halten. Und daher iſt klar, daß man ſein
Wort halten muͤſſe;
folglich nicht wie-
der Treue und Glauben handeln;
und
daß der, welcher etwas bloß zuſagt,
wieder Treue und Glauben handelt,
wenn er dasjenige nicht leiſtet, was er
zugeſagt.
Es iſt ferner klar, daß der,
welcher ſein Verſprechen haͤlt,
auch ſein
Wort haͤlt, wer es aber nicht haͤlt,
wieder Treue und Glauben handelt;

und
[236]II.Th. 7. H. Von dem Verſprechen
und daß der, dem etwas verſprochen
wird, durch das Annehmen ſich der
Treue und des Glaubens des Verſpre-
chenden verſichert
(§. 378. 379.). End-
lich iſt gleichfalls nicht weniger offenbar, daß
derjenige welcher blos ſagt, daß er et-
was zu leiſten Willens ſey, den andern
bey ſeiner Treue und Glauben noch
nicht verſichert;
folglich auch nicht wie-
der Treue und Glauben handelt, wenn
er das nicht leiſtet, was er geſagt, daß
er es leiſten wolle.


§. 390.

Von der
Untreue.

Untreu(perfidum) nennt man denjeni-
gen, welcher das Gegentheil von dem thut,
wozu er ſich bey ſeiner Treue und Glauben
verbindlich gemacht hat. Wenn alſo der
Verſprechende das Gegentheil desjeni-
gen thut, was er zu thun verſprochen
hat,
z. E. wenn er das thut, was er geſagt,
daß er es unterlaſſen wolte, ſo iſt er untreu.
Aber wer etwas blos zugeſagt hat, iſt
in eben demſelben Falle nicht untreu.


§. 391.

Vom
Verſpre-
chen un-
ter einer
ſchaͤndli-
chen Be-
dingung.

Weil von der natuͤrlichen Verbindlichkeit
niemand befreyet werden kan (§. 42.); ſo iſt
nicht erlaubt etwas unter einer uner-
laubten
(turpi)Bedingung zu verſpre-
chen
(§. 315.). Da demnach ein ſolches
Verſprechen nicht guͤltig iſt, auch daraus der-
jenige, dem etwas verſprochen worden, kein
Recht erhaͤlt; ſo darf man auch, was un-
ter
[237]und den Vertraͤgen uͤberhaupt.
ter einer unerlaubten Bedingung ver-
ſprochen worden, nicht leiſten, wenn
gleich die Bedingung erfuͤllt worden.


§. 392.

Es iſt vor ſich ſelbſt klar, daß eine unmoͤg-Vom
Verſpre-
chen un-
ter einer
unmoͤgli-
chen Be-
dingung.

liche Bedingung nicht wuͤrcklich werden kann;
alſo ſind die Verſprechen unter einer
unmoͤglichen Bedingung vergeblich,
und kommen mit dem Recht der Na-
tur nicht uͤberein
(§. 360.).


§. 393.

Allein, da durch das Verſprechen ein RechtVom be-
dingten
Verſpre-
chen vom
Verſpre-
chen auf
eine ge-
wiſſe Zeit
und vom
unbe-
dingten.

auf den andern gebracht wird, dem etwas
verſprochen wird (§. 379.); ſo kann ein
Verſprechender verſprechen, auf was
vor Art und Weiſe er will, und kann
das Verſprechen unter einer jeden er-
laubten Bedingung, auch auf eine ge-
wiſſe Zeit, nicht allein ohne alle Be-
dingung und ohne eine geſetzte Zeit
geſchehen
(§. 314). Ein bedingtes Ver-
ſprechen
(promiſſio conditionata) iſt dasje-
nige, welches unter einer hinzugeſetzten Be-
dingung geſchiehet. Wenn das, was verſpro-
chen wird, zu einer gewiſſen Zeit geleiſtet
werden muß; ſo heißt es ein Verſprechen
auf eine gewiſſe Zeit
(promiſſio in diem).
Das Verſprechen, welches ohne alle hinzuge-
ſetzte Bedingung, oder auch einige Zeit ge-
ſchiehet, heißt ein unbedingtes Ver-
ſprechen
(promiſſio pura).


§. 394.
[238]II.Th. 7. H. Von dem Verſprechen
§. 394.

Vom
Verſpre-
chen un-
ter der
Bedin-
gung ei-
ner
ſchaͤndli-
chen That
eines
dritten.

Weil die ſchaͤndliche That eines dritten ſo
wohl in Abſicht des Verſprechenden, als des-
jenigen, dem etwas verſprochen wird, eine
blos zufaͤllige Bedingung iſt, als welche nicht
im geringſten auf beyder Willen beruhet; ſo
iſt ein Verſprechen, welches unter der
Bedingung einer ſchaͤndlichen That ei-
nes dritten geſchieht, nicht unerlaubt;

als die vor ſich keinen Fehler hat.


§. 395.

Von der
Wuͤr-
ckung ei-
nes Ver-
ſprechens
auf eine
gewiſſe
Zeit.

Weil derjenige, dem etwas verſprochen
wird, nicht mehr Recht durch das Verſpre-
chen erhalten kann, als der Verſprechende auf
ihn bringen will (§. 317.); ſo iſt man, was
auf eine gewiſſe Zeit verſprochen wird,
zwar gleich ſchuldig, es kann aber nicht
eher gefordert werden, als bis die Zeit
erſchienen iſt.
Es erhellet aber, daß, da
die Beding[u]ng, von welcher wir wiſſen, daß
ſie gewiß kommen wird, eine Zeit anzeigt, in
welcher etwas geſchehen ſoll; ſo iſt das Ver-
ſprechen, welches unter einer Bedin-
gung, die gewiß wuͤrcklich werden
wird, geſchehen, dem Verſprechen auf
eine gewiſſe Zeit gleich
(§. 393.). Weil
es aber eben ſo viel iſt, als wenn ein Tag kom-
men waͤre, von dem man meinte, daß er kom-
men wuͤrde, der aber nicht kommen wird;
z. E. wenn etwas auf den 31. April verſpro-
chen wird, ſo iſt klar, daß, da der Jrthum
keinen Grund zum Verſprechen in ſich enthaͤlt,
was
[239]und den Vertraͤgen uͤberhaupt.
was auf eine Zeit verſprochen wird,
von welcher man meint, ſie wuͤrde
kommen, welche doch aber nicht kommt,
geleiſtet werden muͤſſe, wenn die Zeit
verfloſſen iſt, welche der Verſprechen-
de durch die falſch angegebene ver-
meint zu haben ſcheint.
Denn wir ſetzen
voraus, daß man im Ernſte von der Sache
handelt, und nicht ſchertzet.


§. 396.

Allein weil derjenige, welcher unter einerVon der
Wuͤr-
ckung ei-
ner Ver-
ſpre-
chung,
die unter
einer
aufſchie-
benden
Bedin-
gung ge-
ſchehen.

aufſchiebenden Bedingung etwas verſpricht,
dem andern, dem er es verſpricht, nicht ver-
bunden ſeyn will, als bis die Bedingung
wuͤrcklich iſt (§. 315.); ſo erhellet aus eben
dem Grunde (§. 317.), daß man das, was
unter einer aufſchiebenden Bedingung
verſprochen worden, nicht eher ſchul-
dig iſt, als bis die Bedingung wuͤrck-
lich wird: wenn ſie aber nicht wuͤrck-
lich wird, das Verſprechen ſo viel als
nichts iſt.
Weil demnach derjenige, dem
etwas verſprochen wird, nicht eher ein Recht
zu dem, was ihm verſprochen worden, erhaͤlt,
als bis die Bedingung wuͤrcklich wird; ſo be-
kommt aus einem bedingten Verſpre-
chen der, dem etwas verſprochen wird,
bloß eine Hoffnung, daß man ihm wer-
de etwas ſchuldig werden: welche als-
denn ein Recht erwecket, wenn es ſich
zutraͤgt, daß die Bedingung wuͤrcklich
wird.
Da es nun aber bloß in Anſehung
unſerer
[240]II.Th. 7. H. Von dem Verſprechen
unſerer ungewiß iſt, ob die Hoffnung ein
Recht erwecken wird, oder nicht; ſo kann
auch dieſelbe,
eben ſo wenig, als ein erlang-
tes Recht (§. 100.), niemanden wieder
ſeinen Willen benommen werden.

Eben dieſes erhellet auch daher, weil der Ver-
ſprechende ſich verbindlich gemacht das Recht zu
erkennen, welches dieſe Hoffnung erwecken
doͤrfte; von welcher Verbindlichkeit er ſich
ſelbſt nicht befreyen kann (§. cit.). Weil ei-
ne zuerfuͤllende Bedingung eine Art der auf-
haltenden iſt, und wuͤrcklich wird, wenn ſie er-
fuͤllt wird (§. 315.); ſo iſt man dasjenige,
was unter einer zuerfuͤllenden Bedin-
gung verſprochen wird, nicht eher
ſchuldig, als bis die Bedingung erfuͤllt
worden.


§. 397.

Die
Wuͤr-
ckung ei-
nes Ver-
ſpoꝛechens,
welches
unter ei-
ner aufloͤ-
ſenden
Bedin-
gung ge-
ſchehen.

Gleichergeſtalt weil derjenige, welcher un-
ter einer aufloͤſenden Bedingung etwas ver-
ſpricht, dem andern, dem es verſprochen
wird, nicht laͤnger dazu verbunden ſeyn will,
als bis die Bedingung vorhanden (§. 315.);
folglich durch dieſe Bedingung die Zeit be-
ſtimmt wird, wehrender welcher das Recht
deſſen, dem etwas verſprochen worden, dau-
ren ſoll (§. 97.); ſo bleibet man, was un-
ter einer aufloͤſenden Bedingung ver-
ſprochen worden, nicht mehr ſchuldig,
ſo bald die Bedingung wuͤrcklich vor-
handen, und das Recht desjenigen, dem
etwas verſprochen worden, hoͤret auf.


§. 398.
[241]und den Vertraͤgen uͤberhaupt.
§. 398.

Was unbedingt verſprochen wird,Die
Wuͤr-
ckung ei-
nes unbe-
dingten
Verſpre-
chens,
und wie
ein be-
dingtes
und auf
eine ge-
wiſſe Zeit
geſchehe-
nes ein
unbe-
dingtes
wird.

das iſt man gleich ſchuldig, und kann
gleich gefordert werden.
Dieſes erhel-
let ſelbſt aus dem Begriff eines unbedingten
Verſprechens (§. 393.). Weil nun, wenn
die Zeit kommt, zwiſchen einem unbedingten
Verſprechen und zwiſchen einem auf eine ge-
wiſſe Zeit, und wenn die Bedingung wuͤrck-
lich iſt, zwiſchen eben demſelben, und zwi-
ſchen dem bedingten weiter kein Unterſchied
iſt (§. cit.); ſo wird, wenn die Zeit
kommt, ein auf eine Zeit geſchehenes
Verſprechen, und wenn die Bedin-
gung kommt, ein bedingtes Verſpre-
chen zu einem unbedingten.


§. 399.

Wenn mehrere Bedingungen ver-Wenn
mehr als
eine Be-
dingung
einem
Verſpre-
chen bey-
gefuͤgt
werden.

bindungsweiſe oder zuſammen(copula-
tive)
einem Verſprechen angehaͤngt
ſind,
und alſo der Verſprecher nicht eher
verbunden ſeyn will, als bis alle zugleich
wuͤrcklich worden ſind; ſo iſt man, was
verſprochen worden, nicht eher ſchul-
dig, als bis es gewis iſt, daß alle
wuͤrcklich worden ſind (§. 317.):
wenn aber unter einer, oder der andern
Bedingung
(diſjunctive)etwas ver-
ſprochen wird,
und alſo der Verſprechen-
de dem andern verbunden ſeyn will, es mag
von denſelben eine, welche es auch ſeyn moͤch-
te, wuͤrcklich werden; ſo iſt man, was ver-
Nat. u. Voͤlckerrecht. Qſpro-
[242]II.Th. 7. H. Von dem Verſprechen
ſprochen worden, ſchuldig, wenn nur
eine von den angegebenen Bedingun-
gen vorhanden, ob gleich die uͤbrigen
niemahls wuͤrcklich werden ſolten.


§. 400.

Vom
perſoͤnli-
chen Ver-
ſprechen
und dem
perſoͤnli-
chen
Rechte.

Ein perſoͤnliches Verſprechen(pro-
miſſio perſonalis)
iſt, welches auf die Per-
ſon deſſen, dem etwas verſprochen wird,
dergeſtalt eingeſchraͤnckt wird, daß der Ver-
ſprechende keinem andern, als dem er es ver-
ſprochen, verbunden ſeyn will. Es wird aber
ein Verſprechen auf die Perſon deſſen, dem
etwas verſprochen worden, entweder ausdruͤck-
lich gerichtet, oder ſtillſchweigend, wenn man
es naͤmlich aus der Sache, die verſprochen
worden, und aus andern Umſtaͤnden ſchlieſſen
kann. Ein perſoͤnliches Recht(jus per-
ſonale)
nennt man, welches auf die Perſon,
der es zu kommt, dergeſtalt eingeſchraͤnckt iſt,
daß es von ihr auf keine andere kommen kann;
gleichwie man perſoͤnlich(perſonale) uͤber-
haupt dasjenige nennt, was ſich bey einer
Perſon dergeſtalt befindet, daß es von derſel-
ben auf keine andere auf einige Weiſe ge-
bracht werden kann. Daher erhellet, daß der,
dem etwas verſprochen worden, aus
einem perſoͤnlichen Verſprechen weiter
nichts, als ein perſoͤnliches Recht er-
haͤlt, und daß ein perſoͤnliches Recht
mit der Perſon auf hoͤret;
wie auch daß
ein bedingtes Verſprechen nichts ſey,
wenn der, dem etwas verſprochen wor-

den,
[243]und den Vertraͤgen uͤberhaupt.
den, eher ſtirbt, als die Bedingung
wuͤrcklich worden
(§. 396.). Es iſt auch
klar, daß wenn eine zuerfuͤllende Be-
dingung perſoͤnlich iſt, dieſelbe nicht
anders, als von der Perſon ſelbſt, der
etwas verſprochen worden, erfuͤllt
werden koͤnne.


§. 401.

Ein auf die Sache gerichtetes Ver-Von dem
auf die
Sache
gerichte-
ten Ver-
ſprechen.

ſprechen(promiſſio realis) iſt, welches kein
perſoͤnliches Verſprechen iſt, da man naͤmlich
bey dem Verſprechen mehr auf die Sache, als
auf die Perſon ſiehet. Derowegen erhaͤlt
durch ein bloß auf die Sache gerich-
tetes Verſprechen derjenige, dem et-
was verſprochen worden,
kein perſoͤnli-
ches Recht, ſondern ein Recht, welches
auch auf einen andern kommen kann

(§. 400.); gleicher geſtalt kann die Hoff-
nung, welche aus einem bedingten
Verſprechen, ſo auf die Sache gerich-
tet iſt, erwaͤchßt (§. 396.), auf einen
andern kommen.


§. 402.

Jn eben demſelben Verſtande, in welchemVon der
perſoͤnli-
chen und
der ding-
lichen
Verbind-
lichkeit.

man das perſoͤnliche Recht und das Recht, ſo
auf eine Sache gerichtet iſt, von einander un-
terſcheidet, ſind auch einige Verbindlichkei-
ten perſoͤnliche Verbindlichkeiten(obli-
gationes perſonales),
andere Verbindlichkei-
ten in Anſehung einer Sache
(reales).
Die peꝛſoͤnlichen Veꝛbindlichkeiten kom-
Q 2men
[244]II.Th. 7. H. Von dem Verſprechen
men auſſer der Perſon keiner andern
zu, und hoͤren mit derſelben auf; die
Verbindlichkeiten in Anſehung einer
Sache aber nicht.
Dieſer Unterſchied
muß auch bey den Verſprechen bemerckt wer-
den, nachdem dieſelbe entweder perſoͤnliche
Verſprechen ſind, oder nur auf die Sache ge-
ſehen wird, welche man verſpricht.


§. 403.

Ob man
einem
Abweſen-
den et-
was ver-
ſprechen
kann.

Ein Verſprechen erhaͤlt dadurch ſeine Rich-
tigkeit, wenn ſo wohl derjenige, der etwas
verſpricht, als der andere, dem es verſpro-
chen wird, ſeinen Willen hinlaͤnglich erklaͤret
(§. 397. 381.). Da man nun dem andern
ſeinen Willen nicht blos durch Worte, ſon-
dern auch ſchriftlich, ja durch einen andern
erklaͤren kann; ſo kann ein Verſprechen
auch durch einen Brief, oder durch ei-
nen andern,
in beyden Faͤllen, einem Ab-
weſenden geſchehen; und es kan auch
von dem, der abweſend iſt, durch ei-
nen Brief, oder durch einen andern
angenommen werden.


§. 404.

Von ei-
nem Ver-
ſprechen
zu einer
Abſicht.

Man kann einem andern zu einer gewiſſen
Abſicht etwas verſprechen, daß naͤmlich von
ihm etwas geſchehe, oder geleiſtet werde, und
denn nennt man dieſes Verſprechen ein Ver-
ſprechen zu einer Abſicht
(promiſſio ſub
modo facta, promiſſio modalis).
Und weil
man ſagt, die Abſicht wird erfuͤllt(mo-
dus impletur),
wenn dasjenige geſchiehet,
um
[245]und den Vertraͤgen uͤberhaupt.
um deſſen willen etwas geleiſtet wird; und
das eher geleiſtet werden muß, was verſpro-
chen wird, als man thut, was man thun ſoll;
und durch die Annehmung man ſich blos er-
klaͤret, daſſelbe zu thun, wenn der Verſpre-
chende das, was er verſprochen, wird gelei-
ſtet haben; ſo darf der, dem etwas ver-
ſprochen iſt, die Abſicht nicht eher er-
fuͤllen, als bis das Verſprochene gelei-
ſtet worden; wenn aber dieſes geſche-
hen, ſo iſt er die Abſicht zu erfuͤllen
verbunden, und wenn er dieſes nicht
thut, ſo muß er, was er durchs Ver-
ſprechen erhalten hat, wieder erſetzen.

Es erhellet auch, daß dieſes gleichfalls
geſchehen muͤße, wenn der, welchem
etwas verſprochen worden, eher ſtirbt,
als er die Abſicht erfuͤllt hat, unter
welcher ihm etwas gegeben wor-
den iſt.


§. 405.

Es iſt etwas Urſach an einem Ver-Vom
Verſpre-
chen ei-
nes Jr-
renden.

ſprechen(cauſam promiſſo dat), wenn es
der einige Grund iſt, warum etwas verſpro-
chen wird, welches ſonſt nicht waͤre verſpro-
chen worden. Weil in dem Falle, da der
Jrrthum die Urſache am Verſprechen iſt, man
annimmt, es ſey unter der Bedingung ge-
ſchehen, woferne dasjenige wahr iſt, welches
man durch einen Jrrthum vor wahr annimmt;
folglich die Bedingung, unter welcher das
Verſprechen geſchehen, nicht wuͤrcklich vor-
Q 3handen;
[246]II.Th. 7. H. Von dem Verſprechen
handen; ſo iſt ein Verſprechen, woran
ein Jrrthum ſchuld geweſen, nicht
guͤltig (§. 396.). Wenn aber der Ver-
ſprechende nachlaͤßig geweſen iſt die
Wahrheit zu erforſchen, oder ſeine
Gedancken recht auszudrucken, und
der, dem etwas verſprochen worden,
dadurch in Schaden gebracht worden,
ſo iſt derſelbe zu erſetzen
(§. 270.); weil
er den Schaden durch ſeine Schuld erlitten
hat (§. 21.). Aus eben demſelben Grunde
erhellet daß, wenn der, dem etwas
verſprochen wird, die Urſach zu einem
Jrrthum giebt, aber nicht zu dem Ver-
ſprechen, und der Verſprecher aus die-
ſem Jrrthum einigen Schaden leidet,
der, dem etwas verſprochen worden,
den Schaden erſetzen muß, unerach-
tet das Verſprechen guͤltig iſt.


§. 406.

Vom
Verſpre-
chen, das
mit Ge-
walt,
oder
durch
Furcht
erzwun-
gen wor-
den.

Weil der dem andern Unrecht thut, wel-
cher ihn mit Gewalt, oder durch Furcht, die
er ihm eingejagt, zum Verſprechen noͤthiget
(§. 385.); ſo iſt das Verſprechen, wel-
ches durch Furcht, oder Gewalt er-
zwungen worden, durch das Geſetze
der Natur verbothen (§. 87.), und
folg-
lich unguͤltig. Gleichwie eine Sache, die
mit Gewalt oder durch eingejagte Furcht von
einem Raͤuber weggenommen worden, dem
Eigenthumsherrn wiedergegeben werden muß
(§. 264.); alſo darf auch ein Verſprechen,
das
[247]und den Vertraͤgen uͤberhaupt.
das mit Gewalt oder durch Furcht erzwun-
gen worden, nicht geleiſtet werden. Wenn
jemand aus Furcht, die ihm ein ande-
rer eingejagt hat, bewogen, einem,
der nichts davon weiß, etwas ver-
ſpricht, ſo iſt das Verſprechen guͤltig;

denn weil der, dem etwas verſprochen wird,
nicht davon urtheilen darf, warum man ihm
etwas verſpricht (§. 78.); ſo iſt kein Grund
vorhanden, warum dasjenige, was zwiſchen
dieſen beyden gehandelt worden, nicht beſte-
hen ſollte (§. 378. 389.). Allein weil der,
welcher die Furcht eingejagt hat,

ſchuld daran iſt, warum man verſprochen
hat, was man ſonſt nicht wuͤrde verſprochen
haben, folglich den Verſprecher vorſaͤtzlich in
Schaden gebracht (§. 17.); ſo iſt er ver-
bunden demſelben den Schaden zu er-
ſetzen (§. 270.). Wofern
aber jemand
uns durch einen andern eine Furcht
einjagt, daß wir ihm etwas verſpre-
chen;
da es ſolcher geſtalt eben ſo viel iſt, als
ob er das Verſprechen ſelbſt mit Gewalt er-
zwungen haͤtte; ſo iſt das Verſprechen
unguͤltig.
Und weil der, welchem et-
was verſprochen wird, weiß, daß der
Verſprecher aus Furcht, die ihm von
dem andern eingejagt worden, es ver-
ſpricht; ſo ſoll er das Verſprechen
nicht annehmen;
indem das Annehmen
der Verbindlichkeit wiederſpricht, den Scha-
den von andern abzuwenden (§. 269.); folg-
Q 4lich
[248]II.Th. 7. H. Von dem Verſprechen
lich iſt das Verſprechen unguͤltig. Hier-
zu kommt, daß derjenige, dem etwas verſpro-
chen wird, indem er vor genehm haͤlt, daß
dem Verſprecher eine Furcht eingejagt wor-
den, ſelbſt will, daß das Verſprechen mit
Gewalt erzwungen werde; und deswegen
nicht weit von dem entfernt iſt, der eine Furcht
einem andern einjagt, damit ihm etwas ver-
ſprochen werde.


§. 407.

Ob man
bey dem
Verſpre-
chen die
Urſache
deſſelben
ausdruͤ-
cken
muͤſſe.

Weil es einig und allein auf den Willen
des Verſprechers ankommt, ob er etwas ver-
ſprechen will, oder nicht (§. 245.); und ver-
moͤge der natuͤrlichen Freyheit er keinem Men-
ſchen Rechenſchaft geben darf, warum er et-
was thue (§. 78.); ſo darf nach dem na-
tuͤrlichen Rechte in einem Verſprechen
die Urſache deſſelben nicht ausgedruͤckt
werden,
warum man naͤmlich etwas ver-
ſpricht.


§. 408.

Von dem
Verſpre-
chen we-
gen ei-
ner Sa-
che, die
man
ſchon
vorher
ſchuldig
war.

Aus eben demſelben Grunde iſt das Ver-
ſprechen wegen einer Sache, die man
ſchon vorher ſchuldig war, guͤltig.

Man ſagt nemlich, es werde etwas we-
gen einer ſchon vorher ſchuldigen Sa-
che verſprochen
(promittitur ob cauſam
ante debitam),
wenn man einem deswegen,
was er zu leiſten ſchuldig iſt, etwas verſpricht,
z. E. einem Boten auſſer ſeinem Lohne noch
ein kleines Trinckgeld. Und weil das, was
wegen einer Sache, die einer ſchon vorher
ſchul-
[249]und den Vertraͤgen uͤberhaupt.
ſchuldig war, verſprochen wird, ein Bewe-
gungsgrund iſt, mit mehrerem Fleiße zu lei-
ſten, was geleiſtet werden ſoll, und daher
den andern zu deſto groͤſſerem Fleiſſe verbin-
det (§. 35. 21.); ſo iſt ein Verſprechen
wegen einer Sache, die der andere
ſchon vorher ſchuldig war, nichts un-
nuͤtzes
(§. 360.).


§. 409.

Gleichergeſtalt, weil man ſagt, der Ver-Von dem
Verſpre-
chen, das
beſchwe-
ret wird.

ſprecher beſchwere das Verſprechen
(onus promiſſioni adiicere), wenn er unter
der Bedingung, oder in der Abſicht etwas
verſpricht, daß der, welchem etwas verſpro-
chen wird, ihm oder einem andern etwas da-
gegen leiſten ſoll; es aber lediglich auf dem
Willen des Verſprechers beruhet, unter was
vor Bedingung und in was vor einer Abſicht
er etwas verſprechen will (§. 393. 404.); ſo
kan der Verſprecher nach ſeinem Ge-
fallen das Verſprechen beſchweren,
entweder unter einer Bedingung, oder
einer zuerreichenden Abſicht.


§. 410.

Hingegen ſagt man, es werde etwas beyVon dem
Verſpre-
chen bey
Strafe.

Strafe verſprochen(poena adiicitur pro-
miſſo),
wenn der Verſprecher ſaget, er
wolle etwas geben, oder thun, wofern er ſein
Verſprechen nicht haͤlt. Und alsdann heißt
es ein Verſprechen bey einer Strafe
(promiſſio poenalis). Das aber, was bey
einer Strafe verſprochen wird, das zur
Q 5Strafe
[250]II.Th. 7. H. Von dem Verſprechen
Strafe Verſprochene(promiſſum poe-
nale).
Es iſt aber eben wie vorher klar, daß
man bey Strafe etwas verſprechen
koͤnne;
weil es nemlich lediglich auf dem
freyen Willen des Verſprechers und desjeni-
gen, dem etwas verſprochen wird, beruhet
(§. 393. 381.). Es kan aber eine Strafe
auf eine dreyfache Weiſe angehaͤngt werden,
entweder daß es der Wahl desjenigen, dem
etwas verſprochen wird, uͤberlaſſen wird, ob
er die Strafe haben will, oder den Verſpre-
cher das Verſprochene zu gewehren anhalten;
oder daß das Verſprechen aufhoͤre, wenn die
Strafe geleiſtet worden; oder daß deſſen un-
geachtet der Verſprecher dennoch das Ver-
ſprochene zu gewehren verbunden bleibet.


§. 411.

Von dem
Verſpre-
chen, was
unſere
Kraͤfte
uͤberſtei-
get.
Vom
Verſpre-
chen ei-
ner Sa-
che, die
einem
andern
zugehoͤrt.

Es iſt unmoͤglich, daß wir etwas thun, was
unſere Kraͤfte uͤberſteigt. Derowegen iſt das
Verſprechen unguͤltig, welches zu hal-
ten unſere Kraͤfte uͤberſteiget
(§. 380.
37.).


§. 412.

Und weil niemand eine Sache, die einem
andern zugehoͤrt, jemanden geben kann (§.
258.), das Verſprechen aber uns verbindet
das zu geben, was wir verſprechen (§. 388.);
ſo kann niemand eine Sache, die einem
andern zugehoͤrt, verſprechen. Wenn

aber jemand etwas verſpricht, was ſei-
ne werden kann, oder was er glaubt,
daß es ſeine werden koͤnne, weil es

ſeine
[251]und den Vertraͤgen uͤberhaupt.
ſeine werden kann, oder er dieſes ver-
meinet,
da er in dem erſten Fall hinlaͤng-
lich ſich erklaͤret, davor zu ſorgen, daß es ſei-
ne werde, in dem andern aber die Unkoſten
dran zu wenden, um es zu erhalten; ſo iſt er
im erſten Fall verbunden ſich zu bemuͤ-
hen, daß es ſeine werde, in dem an-
dern aber ſo viel zu geben, als er haͤt-
te anwenden muͤſſen, um es zu bekom-
men, woferne er es nicht eigenthuͤm-
lich erhalten kann
(§. 318.). Es iſt aber
vor ſich klar, daß das Verſprechen be-
dingt ſey, wenn wir dem andern ver-
ſprechen, er ſolle eine Sache haben, wo-
ferne wir ſie bekommen werden, von
welcher wir glauben, daß ſie unſer
werden kan
(§. 393.); folglich wir dem-
jenigen, dem etwas verſprochen wor-
den, zu nichts verbunden ſind, wenn
wir uns bemuͤht haben, dieſelbe eigen-
thuͤmlich zu erhalten, aber vetgebens

(§. 396.).


§. 413.

Weil man ſein Verſprechen halten mußVon der
Veraͤuſ-
ſerung ei-
ner ver-
ſproche-
nen Sa-
che.

(§. 388.), dieſes aber nicht geſchehen kann,
wenn die verſprochene Sache veraͤuſſert wird
(§. cit. und 257.); ſo iſt der Verſprecher
natuͤrlicher Weiſe verbunden die ver-
ſprochene Sache nicht zu veraͤuſſern.

Jedoch da durch das Verſprechen das Eigen-
thum derſelben auf den andern nicht gebracht
wird, ſondern nur ein Recht zu derſelben (§.
335.);
[252]II.Th. 7. H. Von dem Verſprechen
335.); ſo iſt die Veraͤuſſerung, die vom
Verſprecher geſchehen, guͤltig
(§. 257.):
Weil aber derſelbe uns nicht wieder unſern
Willen ein erlangtes Recht benehmen kann
(§. 100.); ſo kommt uns das Recht zu
die Veraͤuſſerung zu verhindern, wenn
wir wiſſen, daß der Verſprecher die
verſprochene Sache veraͤuſſern will.

Jm Gegentheil aber iſt klar, daß die Ver-
aͤuſſerung unguͤltig iſt, wenn der Ver-
ſprecher ſich erklaͤrt hat, daß er des
Rechts zu veraͤuſſern ſich begebe;
weil
er alsdenn daſſelbe nicht mehr hat.


§. 414.

Vom
Gewinn.

Der Gewinn(lucrum) wird die Sache
genannt, welche zu unſern Guͤtern hinzu-
kommt, ohne daß ſie dadurch vermindert wer-
den, oder wodurch wir reicher werden. Man
nennt Verluſt des Gewinns(ceſſare
lucrum),
wenn wir gehindert werden den
Gewinn zu erhalten, den wir haͤtten erhalten
koͤnnen. Ein gewiſſer Gewinn(lucrum
certum)
iſt, wenn wir genug verſichert
ſind, daß wir ihn erhalten koͤnnen, oder er-
halten werden: hingegen ein ungewiſſer,
wenn wir dieſe Verſicherung nicht haben.
Es kann aber die Groͤſſe eines gewiſſen Ge-
winns noch ungewiß ſeyn. Es iſt alſo klar,
daß ein gewiſſer Gewinn eine Sache
ſey, die uns eigenthuͤmlich werden
wird;
folglich, wer uns um einen ge-
wiſſen Gewinn bringet, der verhin-

dert
[253]und den Vertraͤgen uͤberhaupt.
dert daß eine Sache unſer wird, wel-
che es ſonſt haͤtte werden koͤnnen;
folg-
lich ſetzt er uns in Schaden (§. 269.);
und iſt deswegen verbunden denſelben
zu erſetzen
(§. 270.).


§. 415.

Ein ſich ereignender Schade und der Ver-Von
demjeni-
gen, wor-
an dem
andern
gelegen
iſt.

luſt des Gewinns zuſammengenommen, wer-
den dasjenige genannt, woran dem an-
dern gelegen iſt,
oder ſein Jntereſſe(id,
quod intereſt).
Weil wir ſo wohl den Scha-
den (§. 270.) als den Verluſt des Gewinns,
den wir dem andern durch unſer Verſehen,
oder vorſetzlicher Weiſe verurſacht haben, zu
erſetzen ſchuldig ſind (§. 414.); ſo ſind wir,
wenn durch unſere Schuld, es mag aus
Verſehen, oder vorſetzlich geſchehen
ſeyn, jemand in Schaden, oder um ſei-
nen Gewinn gebracht wird, dem an-
dern davor zu ſtehen ſchuldig.
Jndem
wir ihm ſein Jntereſſe leiſten, ſo wird er in den
Stand geſetzet, als wenn er das gethan haͤt-
te, was er nicht gethan hat, oder gegeben,
was er nicht gegeben hat, oder der andere
ſonſt an ſeinem Jntereſſe nicht waͤre gehindert
worden. Weil niemand daran Urſache ſeyn
ſoll, daß der andere weniger hat, als er ha-
ben ſolte (§. 270.); ſo ſind wir, wenn je-
mand deswegen weniger hat, als er
haben ſolte, oder haͤtte haben koͤnnen,
weil wir unſerer Verbindlichkeit kein

Genuͤ-
[254]II.Th. 7. H. Von dem Verſprechen
Genuͤge gethan haben, ihm davor zu
ſtehen ſchuldig.


§. 416.

Wenn
der Ver-
ſprecher
davor ſte-
hen muß,
woran
dem an-
dern ge-
legen
war.

Wenn demnach dadurch, daß wir un-
ſer Verſprechen nicht gehalten, der an-
dere, dem etwas verſprochen worden,
Schaden oder Verluſt ſeines Gewinns
hat,
z. E. wenn die verſprochene Sache mit
unſerm Willen, oder Verſehen eines andern
worden, ſo ſind wir ſchuldig ihm davor
zu ſtehen.


§. 417.

Vom
Verzuge.

Der Verzug(mora) iſt der Aufſchub deſ-
ſen, was geſchehen ſolte, uͤber die Zeit, in
welcher es geſchehen ſolte. Daher ſagt man
einer ſey ſaumſelig, oder ſey Schuld an
dem Verzuge
(in mora eſt), wenn er das,
was er in einer gewiſſen Zeit thun konte und
ſollte, nicht thut.


§. 418.

Von der
Zurech-
nung des
Verzugs
und Rei-
nigung
von dem-
ſelben.

Eine unvermeidliche Verhinderung
(impedimentum inevitabile) wird genannt,
wenn man nicht Urſache daran iſt, daß ſich ei-
ne Verhinderung ereignet, oder wenn man
auf keine Weiſe machen koͤnnen, daß ſie ſich
nicht ereignete. Man nennet die Verhin-
derung unuͤberwindlich
(impedimentum
inſuperabile),
die, wenn ſie ſich ereignet,
von uns nicht gehoben werden kann. Wenn
der Verzug von einem unvermeidli-
chen, oder unuͤberwindlichen Hinder-
niſſe herruͤhret, ſo kann ſie uns nicht

zuge-
[255]und den Vertraͤgen uͤberhaupt.
zugerechnet werden: aber wohl, wenn
eine dergleichen Verhinderung nicht
vorhanden
(§. 3.). Derowegen da man
ſaget, es reinige ſich einer vom Verzu-
ge
(de mora ſe purgat), wenn er erweiſet,
daß er an demſelben nicht Schuld ſey; ſo muß
der, welcher ſich vom Verzuge reini-
gen will, erweiſen, daß er wegen einer
unvermeidlichen und unuͤberwindli-
chen Verhinderung nicht thun koͤnnen,
was er thun ſollte.


§. 419.

Weil derjenige, der etwas gleich zu leiſtenVon dem
Verzugs-
Jnter-
eſſe.

verbunden iſt, kein Recht hat ſolches aufzu-
ſchieben; welches aus der Natur der Verbind-
lichkeit klar iſt (§. 37.); ſo darf niemand
am Verzuge ſchuld ſeyn, oder das ver-
zoͤgern, was er thun, oder geben ſoll;

folglich wenn derjenige, dem wir etwas
leiſten ſollen, durch den Verzug Scha-
den, oder Verluſt ſeines Gewinns hat;
ſo muͤſſen wir ihm davor ſtehen

(§. 415.).


§. 420.

Wofern eine verſprochene SacheVon der
verſpro-
chenen
Sache,
welche
unterge-
het.

durch einen Zufall, an dem wir keine
Schuld haben, untergeht,
da uns das
Verderben nicht zugerechnet werden kann (§.
17.); ſo ſind wir dem, welchem wir et-
was verſprochen, vor nichts zu ſtehen
ſchuldig, und das Verſprechen wird
zu nichte. Wenn
aber die Sache durch
unſer
[256]II.Th. 7. H. Von dem Verſprechen
unſer Verſehen oder vorſaͤtzlicher Wei-
ſe verdirbt, oder untergehet, ſo ſind
wir,
da uns dieſes zugerechnet werden kann
(§. 17.), dem, welchem wir etwas ver-
ſprochen, davor zu ſtehen ſchuldig
(§.
415.). Derowegen, wenn uns etwas ver-
ſprochen wird, ſo noch nicht wuͤrck-
lich iſt, ſondern erſt wuͤrcklich werden
ſoll,
als die Fruͤchte des zukuͤnftigen Som-
mers, und es ſich durch einen Zufall
zutragen ſollte, daß keine wuͤrden, ſo
iſt man auch nichts ſchuldig.
Es erhel-
let auch daher, daß bey dem Verſprechen
kuͤnftiger Sachen die Bedingung vorausge-
ſetzt wird, wenn einige wuͤrcklich ſeyn wer-
den, oder welches einerley iſt, dieſe ſtill-
ſchweigende Ausnahme, woferne nicht gar
keine ſeyn werden.


§. 421.

Von ei-
ner Sa-
che, die
zwey-
mahl ver-
ſprochen
worden.

Wenn einer eine Sache, welche er
uns verſprochen hat, von neuem ei-
nem andern verſpricht; ſo gilt,
da er
uns das Recht, welches wir durchs Verſpre-
chen erhalten haben, nicht nehmen kann (§.
379. 100.), das letzte Verſprechen
nicht, ſondern das erſte.
Da nichts im
Wege ſtehet, warum wir nicht etwas zwey-
mahl verſprechen koͤnten, wenn wir es zwey-
mahl gewehren koͤnnen; ſo gilt in dieſem
Falle das doppelte Verſprechen.


§. 422.
[257]und den Vertraͤgen uͤberhaupt.
§. 422.

Man ſagt, derjenige hafte fuͤr dasWas das
ſey, fuͤr
das Gan-
tze haf-
ten.

Gantze(in ſolidum tenetur), welcher dasje-
nige, was mehreren geleiſtet werden ſollte,
einem allein gantz zu leiſten ſchuldig iſt, oder
das, was von mehreren zu leiſten iſt, gantz al-
lein leiſten muß. Dieſes kann ſich zutragen,
wenn etwas mehreren zuſammen verſprochen
wird, oder wenn mehrere zuſammen einer Per-
ſon eben daſſelbe verſprechen.


§. 423.

Weil es auf den Willen des VerſprechersVon ei-
ner Sa-
che, die
mehre-
ren zu-
ſammen
verſpro-
chen wor-
den.

ankommt, auf was Art und Weiſe er etwas
verſprechen will (§. 393.); ſo ſtehet es in
ſeinem Belieben, wenn er etwas meh-
rern zuſammen zugleich verſpricht, ob
er einem jeden fuͤr das Gantze haften
will, oder nicht;
folglich muß er, indem
er es verſpricht, hinlaͤnglich zu verſte-
hen geben, was er will (§. 318.): Wo-
ferne er keins von beyden hinlaͤnglich
zu verſtehen giebt; ſo hat er ſich vor-
behalten zu thun, wie es ihm gefaͤllig
ſeyn wird (§. 78.). Allein wenn einer,
der eine Sache mehreren zuſammen
verſpricht, einem jeden vor das Gantze
haftet; ſo iſt er,
da das Verſprochene
nicht mehr als einmahl gegeben werden darf,
wenn er es einem gegeben hat, den
uͤbrigen nichts weiter ſchuldig:
Je-
doch da daſſelbe allen zuſammen gehoͤret; ſo
iſt derjenige, der es gantz bekommen
Nat. u. Voͤlckerrecht. Rhat,
[258]II.Th. 7. H. Von dem Verſprechen
hat, den uͤbrigen ihren Antheil zu ge-
ben ſchuldig.
Und weil er verbunden iſt,
es einem gantz zu geben; ſo kann ein jeder
von denjenigen, welchen es zuſammen
verſprochen worden, das Verſproche-
ne ohne Vorwiſſen der andern, ja auch
wieder ihren Willen eintreiben.


§. 424.

Von
zweyen
oder
mehrern
Schul-
digen.

Wenn zwey oder mehrere mit einander ei-
nem oder mehrern zuſammen eine Sache ver-
ſprechen, ſo daß ein jeder fuͤr das Gantze
haften will, ſo werden ſie Mitſchuldige
des Verſprechens
(correi promittendi);
und in ſo weit ſie einem oder mehreren zu-
ſammen vor das Verſprochene gantz haften
muͤſſen, Mitſchuldige der Schuld(cor-
rei debendi)
genannt. Gleichergeſtalt, wenn
mehreren zuſammen eine Sache verſprochen
wird, ſo daß der Verſprecher einem jeden fuͤr
das Gantze haſten will, ſo nennt man die, wel-
che alſo ſtipuliret haben, oder von dem an-
dern verlangt, daß ihnen etwas auf dieſe
Art verſprochen werde, die Mitſchuldigen
des Stipulirens
(correos ſtipulandi); oder
wenn auf dieſe Weiſe mehrern zuſammen von
freyen Stuͤcken eben dieſelbe Sache verſpro-
chen worden, oder man ihnen dieſelbige aus
einer andern Urſache ſchuldig iſt, ſo werden
ſie mitſchuldige Glaͤubiger(correi cre-
dendi)
genannt. Da man eine verſprochene
Sache nur einmahl zu geben ſchuldig iſt; ſo
werden dadurch, daß einer von den
Mit-
[259]und den Vertraͤgen uͤberhaupt.
Mitſchuldigen das Verſprechen erfuͤllt,
oder die Schuld abtraͤgt, alle Mit-
ſchuldigen von ihrer Verbindlichkeit
befreyet.
Eben aus dieſer Urſache wird
der Verſprecher, oder ein jeder von denen,
der etwas mit den andern zuſammen vielen
zuſammen verſprochen hat, von ſeiner Ver-
bindlichkeit frey, wenn einer von dieſen das
Verſprochene gantz erhalten hat, nemlich auf
den Fall, da ſie Mitſchuldige des Stipuli-
rens ſind. Ja weil ein jeder von den Mit-
ſchuldigen die Sache, die nur einmahl gege-
ben werden darf, gantz zu geben verbunden
iſt (§. 422.); ſo kan man von einem je-
den der Mitſchuldigen nach ſeinem Ge-
fallen die verſprochene Sache gantz
fordern, wodurch,
wie wir ſchon geſehen
haben, die uͤbrigen insgeſamt befreyet
werden.
Weil aber alle zuſammen die Sa-
che, welche nur einmahl gegeben werden darf,
ſchuldig ſind; ſo kann man, wenn dieſel-
be von einem nicht gantz zu erhalten
ſtehet, den uͤbrigen Theil von den an-
dern fordern;
indem derſelbe nicht eher von
der Schuld befreyet iſt, als bis, was verſpro-
chen worden, gantz gegeben worden; wie wir
ſchon vorher erwieſen haben.


§. 425.

Der Verſprechende kann verſprechen, aufOb das
Anneh-
men dem
Verſpre-
chenden

was fuͤr Art und Weiſe er will (§. 393.),
und mehr Recht, als er will, kann der an-
dere, dem etwas verſprochen wird, nicht er-
R 2halten
[260]II.Th. 7. H. Von dem Verſprechen
bekannt
werden
muß, da-
mit das
Verſpre-
chen guͤl-
tig ſey.
halten (§. 317.). Wenn alſo der, wel-
cher einem Abweſenden etwas ver-
ſpricht, will, daß das Verſprechen al-
ſobald guͤltig ſey, wenn es angenom-
men wird; ſo iſt es alſobald guͤltig, als
es angenommen worden, obgleich die
Annehmung deſſelben dem Verſprecher
noch nicht bekannt worden: Wenn er
aber nicht will, daß das Verſprechen
gelten ſoll, als nur wenn ihm die An-
nehmung deſſelben bekannt worden;
ſo gilt es nicht eher, als bis ihm die
Annehmung bekannt iſt. Wenn
alſo
der Verſprecher ſtirbt, ehe die Anneh-
mung geſchehen iſt; ſo iſt im erſten Fal-
le das Verſprechen guͤltig, im andern
aber nicht.
Aus eben demſelben Grunde
kann die Annehmung auch nach dem
Tode des Verſprechers geſchehen, wenn
er will daß das Verſprechen, oder das,
was gegeben wird, auch nach ſeinem
Tode angenommen werden kann
(§.
314.). Man fraget aber, was in einem zwei-
felhaften Falle zu vermuthen ſey, wenn der
Verſprecher ſeinen Willen nicht hinlaͤnglich
erklaͤret hat? Da durch das Annehmen ein
Verſprechen guͤltig wird (§. 381.); ſo iſt
kein Grund da, warum er wollen ſollte, daß
das Verſprechen alsdann erſt guͤltig ſeyn ſolle,
wenn er die Annehmung deſſelben erfahren,
wofern er dieſelbige leicht vermuthen kann.
Es iſt aber ein Grund da, warum er es ſo
will,
[261]und den Vertraͤgen uͤberbaupt.
will, wenn er nicht ohne Grund an der An-
nehmung zweifelt. Wenn alſo der Verſpre-
cher die Annehmung vermuthet; ſo
nimmt man an, er habe gewollt, ſie
ſolle guͤltig ſeyn, wofern ſie angenom-
men wird: im entgegen geſetzten Falle

aber, wenn er erfahren, daß ſie ange-
nommen worden.
Deswegen nimmt man
ein Verſprechen, welches bloß von der
Freygebigkeit herruͤhret, nach der er-
ſten Entſcheidung an; nach der letzten
aber dasjenige, welches beſchweret iſt.

Man nennet es aber ein Verſprechen,
welches von der Freygebigkeit herruͤh-
ret
(promiſſionem mere liberalem), wenn
derjenige, dem etwas verſprochen worden,
nichts wieder leiſten darf: Jm entgegen ge-
ſetzten Falle wird es ein beſchwertes Ver-
ſprechen
(promiſſio oneroſa) genannt.


§. 426.

Eine Mittels-Perſon(miniſter) wirdVon
Mittels-
perſonen
im Ver-
ſprechen
und im
Anneh-
men.

derjenige genannt, durch den wir unſern
Willen einem andern zu verſtehen geben. Da-
her nennet man eine Mittels-Perſon im
Verſprechen
(miniſtrum promittendi) den-
jenigen, durch welchen wir einem andern et-
was verſprechen, oder ein von uns geſchehe-
nes Verſprechen anzeigen laſſen. Ueberhaupt
heißt eine Mittels-Perſon im verbind-
lich machen
(miniſter obligationis contra-
hendæ)
derjenige, durch welchen wir entwe-
der auf unſerer, oder auf des andern Seite
R 3eine
[262]II.Th. 7. H. Von dem Verſprechen
eine Verbindlichkeit zuwege bringen wollen,
oder auch eine getroffene Verbindlichkeit an-
gezeiget wird; und endlich eine Mittels-
Perſon im Annehmen
(miniſter acceptan-
di)
derjenige, der in unſerm Nahmen das
Verſprechen annehmen, oder die von uns ge-
ſchehene Annehmung anzeigen ſoll. Weil eine
Mittels-Perſon nicht in ihrem eigenen Nah-
men, oder vermoͤge ihres Rechts handelt, ſon-
dern vermoͤge des Rechts desjenigen, der ihn
dazu auserleſen; ſo beruhet es auf dem
Willen desjenigen, welcher ſich ſeines
Dienſtes bedienet, wieviel Recht er
ihm einraͤumen will
(§. 314.).


§. 427.

Von
Wieder-
rufung
des Ver-
ſpre-
chens.

Weil ohne Annehmung kein Verſprechen
guͤltig iſt (§. 381.); ſo kann es wiederru-
fen werden, ſo lange es nicht ange-
nommen worden. Es wird
aber das
Verſprechen wiederrufen
(promiſſio re-
vocatur),
wenn der Verſprecher ſich erklaͤret,
daß er aus dem Verſprechen nichts ſchuldig
feyn wolle. Daraus erhellet, daß einen,
ehe das Annehmen geſchehen, das Ver-
ſprechen gereuen koͤnne.
Es iſt ferner
klar, daß das Verſprechen wiederrufen
werden koͤnne, ehe der Brief zu dem-
jenigen, dem etwas darinnen verſpro-
chen worden, uͤberbracht iſt.
Ja wenn
das Verſprechen mit dem Vorſatz ge-
ſchehen, daß es nicht gelten ſoll, als
wenn man erfaͤhret, daß es angenom-

men
[263]und den Vertraͤgen uͤberhaupt.
men worden (§. 425.); ſo kann es ſo
lange wiederrufen werden, als das An-
nehmen deſſelben noch nicht bekannt
worden.


§. 428.

Weil ein Verſprecher ſich der Huͤlfe einesVon dem
Boten,
welcher
einen
Brief,
darinnen
etwas
verſpro-
chen
wird,
uͤberbrin-
gen ſoll.

Boten in keiner andern Abſicht bedienet, als
daß der Brief an den, dem etwas verſpro-
chen wird, uͤberbracht wird; und daher es
einerley iſt, ob der Bote ſelbſt, oder ein an-
drer denſelben uͤberbringt; ſo wird das Ver-
ſprechen, wenn der Bote ſtirbt, und
ein andrer den Brief, in welchem das
Verſprechen enthalten, uͤberbringt,
guͤltig angenommen: Jedoch kann es ſo
lange wiederrufen werden, als der
Brief von einem andern demjenigen,
dem etwas verſprochen wird, nicht
abgegeben worden.
Weil dem Verſpre-
cher das Recht ſein Verſprechen zu wiederru-
fen wuͤrde benommen werden, welches doch
nicht geſchehen kann (§. 74.), woferne das An-
nehmen ſollte guͤltig ſeyn, wenn der Brief,
darinnen der Verſprecher dem andern etwas
verſpricht, noch nicht abgegeben worden, ſon-
dern dieſer bloß den Jnhalt deſſelben von je-
manden erfahren; ſo kann die Anneh-
mung nicht geſchehen, ſo lange der
Brief noch nicht uͤberbracht worden,
wenn man gleich den Jnnhalt deſſel-
ben von jemanden erfahren hat.
De-
rowegen wenn der Brief verlohren
R 4gien-
[264]II.Th. 7. H. Von dem Verſprechen
gienge, ſo iſt das Verſprechen nichts;
folglich wenn der Verſprecher den Vor-
ſatz behaͤlt, etwas zu verſprechen, muß
er das Verſprechen auf eine andere
ihm gefaͤllige Weiſe erneuren.


§. 429.

Von der
Mittels-
Perſon,
die ein
Verſpre-
chen hin-
terbꝛingt.

Die Mittels-Perſon, welche ein Verſpre-
chen hinterbringt, vertritt die Stelle eines
Briefes. Wenn alſo dieſelbe ſtirbt, ehe
ſie das Verſprechen hinterbracht; ſo
iſt das Verſprechen nichts.
Und weil
das Verſprechen wiederrufen werden kann,
ehe der Brief abgegeben worden; folglich die
Annehmung nicht geſchehen kann, wenn gleich
derſelbe nach der Wiederrufung abgegeben
wuͤrde; ſo kann auch ohne Vorwiſſen
der Mittels-Perſon, die ein Verſpre-
chen hinterbringen ſoll, daſſelbe wie-
derrufen werden
(§. 428.).


§. 430.

Von der
Mittels-
Perſon,
welche im
Nahmen
eines an-
dern et-
was ver-
ſpricht.

Wenn aber eine Mittels-Perſon in
unſerm Nahmen etwas verſprechen
ſoll,
weil das Recht zu verſprechen, welches
wir ihr gegeben haben, und vermoͤge welchem
ſie verſpricht, ſo lange dauret, als daſſelbi-
ge von uns nicht wiederrufen worden iſt; ſo
kann das Verſprechen nicht ohne ihr
Vorwiſſen wiederrufen werden;
folg-
lich bleibt daſſelbe guͤltig, wenn es
gleich geſchehen, nachdem es wieder-
rufen worden, dieſes aber derſelben
nicht bekannt worden.
Da aber eine
ſolche
[265]und den Vertraͤgen uͤberhaupt.
ſolche Perſon in unſerm Nahmen nichts ver-
ſprechen kann, wenn ſie ſtirbt; ſo iſt das
Verſprechen nichts, wenn ſie ſtirbt.

Und weil wir nur ſo lange durch einen andern
etwas thun koͤnnen, als wir es ſelbſt zu thun
im Stande ſind; ſo iſt ein Verſprechen,
welches nach unſerm Tode von einer
Mittels-Perſon geſchehen, nicht guͤl-
tig;
als welches mit keinem Rechte geſche-
hen iſt.


§. 431.

Weil das Verſprechen nach dem Tode desVom
Tode des
Verſpre-
chers, ehe
das Ver-
ſprechen
binter-
bracht
worden.

Verſprechers nicht angenommen werden kann,
woferne er nicht ausdruͤcklich gewolt, daß es
auch nach ſeinem Tode angenommen werden
koͤnne (§. 425. 318.); ſo kann das Ver-
ſprechen, wenn der Verſprecher eher
ſtirbt, als der Brief abgegeben, oder
das Verſprechen durch die Mittels-
Perſon hinterbracht wird, nicht ange-
nommen,
folglich nicht guͤltig werden
(§. 381.).


§. 432.

Weil es einerley iſt, ob wir etwas ſelbſt,Von der
Anneh-
mung, die
vor dem
Verſpre-
chen in
Briefen
oder
durch ei-
ne Mit-
tels-Per-

oder durch einen andern thun; ſo kann das
Annehmen durch eine Mittels-Perſon
geſchehen.
Und da es auch einerley iſt, wie
wir es dem andern zu verſtehen geben, daß
wir das Verſprechen annehmen; ſo kann ſo
wohl durch einen Brief, als durch ei-
ne Mittels-Perſon die Annehmung be-
kannt gemacht werden.
Weil auch die
R 5Anneh-
[266]II.Th. 7. H. Von dem Verſprechen
ſon ge-
ſchieht.
Annehmung vor dem Verſprechen vorher ge-
hen kann (§. 319.); ſo iſt das Verſpre-
chen, wenn jemand von uns verlangt
ihm etwas zu verſprechen, und wir in
der Antwort in einem Briefe darein
willigen, das Verſprechen gleich guͤl-
tig;
folglich beſteht daſſelbe, wenn gleich
der Brief erſt nach unſerm Tode dem
andern uͤberbracht wird.
Allein da das
Annehmen nicht eher geſchehen kann, als bis
das Verſprechen geſchehen iſt, daß aber das
Verſprechen geſchehen ſey, der andere nicht
eher weiß, als bis er den Brief erhalten; ſo
kan auch das Verſprechen, ſo lange als
der andere den Brief noch nicht bekom-
men hat, wiederrufen werden.
Nemlich
wenn der Brief geſchrieben worden, ſo kann
das Verſprechen noch wiederrufen werden;
durch den Tod des Verſprechers aber wird es
unwiederruflich. Es iſt leicht klar, daß eben
dieſes gilt von der Mittels-Perſon ein
Verſprechen anzunehmen,
als welche
die Stelle eines Briefes vertritt.


§. 433.

Von dem
uns ge-
thanen
Verſpre-
chen, daß
einem
andern
etwas
geleiſtet
werden
ſolle.

Wenn jemand mir verſpricht, daß
er einem andern etwas leiſten wolle,
und ich nehme es an, der raͤumet mir
das Recht ein ihn dazu anzuhalten,
daß er es leiſte, wenn der andere es an-
nimmt
(§. 361.). Weil aber der andere
dadurch, daß ich es annehme, kein Recht er-
halten hat (§. 381.); das Recht aber, welches
ich
[267]und den Vertraͤgen uͤberhaupt.
ich erhalten habe, mir nicht genommen wer-
den kann (§. 100.), ich aber wohl deſſelben
mich begeben (§. 342.); ſo kann das Ver-
ſprechen, ehe der andere es angenom-
men, zwar nicht wiederrufen werden,
ich aber kann mich deſſelben begeben.

Und weil ich will, daß das Verſprechen gel-
ten ſoll, wenn ich es dem andern be-
kannt mache;
ſo verſpreche ich ihm wenig-
ſtens ſtillſchweigend, wenn er es annimmt,
davor zu ſorgen, daß das Verſprechen gehal-
ten werde; folglich werde ich durch des
andern Annehmen demſelben verbun-
den, davor zu ſorgen, daß das Ver-
ſprechen gehalten werde (§. 380.), oder
mein Recht, den Verſprecher dazu an-
zuhalten, dem andern abzutreten
(§.
338. 342.).


§. 434.

Wer nicht zu einer Mittels-Perſon auser-Von der
Anneh-
mung die
fuͤr einen
dritten
ge[ſ]che-
hen.

leſen worden das Verſprechen anzunehmen,
der kann auch, weil er kein Recht dazu hat,
im Nahmen eines andern nichts annehmen.
Wenn ich demnach in des andern Ge-
genwart dem dritten etwas verſpreche,
und er iſt nicht als eine Mittels-Per-
ſon erwaͤhlet worden das Verſprechen
anzunehmen; ſo gilt ſein Annehmen
nichts, und ich bin aus dem Verſpre-
chen dem dritten nichts ſchuldig (§.
381.). Wenn ich will daß der ande-
re im Nahmen des dritten es anneh-

men
[268]II.Th. 7. H. Von dem Verſprechen
men ſoll; ſo erklaͤre ich mich eben dadurch,
daß ich das Annehmen des andern fuͤr die An-
nehmung des dritten, woferne er will, halten
wolle; folglich kann das Verſprechen von
mir nicht wiederrufen werden.
Weil
aber die Guͤltigkeit des Verſprechens nicht auf
dem Willen des andern, ſondern des dritten
beruhet, dem etwas verſprochen wird; ſo
kann der andere daſſelbe wehrender
Zeit nicht erlaſſen;
weil er durch das Ver-
ſprechen kein Recht erhalten, welches er er-
laſſen koͤnnte.


§. 435.

Wenn
dasjeni-
ge, womit
das Ver-
ſprechen
zum Vor-
theil ei-
nes drit-
ten be-
ſchweret
worden,
wieder-
rufen
werden
kann.

Wenn ein Verſprechen zum Vor-
theil eines dritten beſchweret wird,
kann daſſelbe, womit es beſchweret
worden, wiederrufen werden, ehe er
es angenommen.
Denn der dritte hat
kein Recht, ehe er daſſelbe angenommen hat
(§. 316.), und das Verſprechen wird beſchwe-
ret entweder als unter einer Bedingung, oder
als in einer gewiſſen Abſicht; folglich ſo lan-
ge es von dem dritten nicht angenommen wor-
den, ſteht es bey uns, ob wir das Verſpre-
chen von der Beſchwerde befreyen wollen (§.
342.), und das Verſprechen in ein anderes
verwandeln, dabey keine Bedingung, oder
damit verknuͤpfte Abſicht vorhanden (§. 393.);
folglich kann die Beſchwerde erlaſſen werden
(iſt wiederruflich, onus revocabile eſt), ſo
lange die Annehmung von dem dritten noch
nicht geſchehen.


§. 436.
[269]und den Vertraͤgen uͤberhaupt.
§. 436.

Wenn ein Verſprechen unguͤltig iſt,Wenn
der Ver-
ſprecher
ein un-
guͤltiges
Verſpre-
chen hal-
ten will.

und der Verſprecher will daſſelbe den-
noch halten;
da es hier lediglich bey ihm
ſteht, ob er etwas dem andern leiſten will,
oder nicht (§. 314. 328.), oder etwas ver-
ſprechen (§. 385.); ſo muß er entweder
dasjenige leiſten, was verſprochen wor-
den, oder es iſt ein neues Verſprechen
noͤthig, welches,
eben weil es neu iſt, auf
eine jede von der vorigen unterſchiede-
ne Art und Weiſe geſchehen kann

(§. 393.).


§. 437.

Ein bloſſes Abreden(conventio) iſt eineVon
dem, was
man mit
einander
abredet.

Handlung, durch welche zwey oder mehrere
etwas beſchlieſſen, oder etwas zu thun, oder
zu unterlaſſen mit einander eines werden. De-
rowegen da niemand ſich dem andern anders
als durch Verſprechen verbindlich machen
kann (§. 380.); ſo kann dadurch, daß man
mit einander etwas abgeredet,
alſo
durch die Conventionen, keine Ver-
bindlichkeit entſtehen, ſondern bloß in
dem Falle, wenn ein Verſprechen dazu
kommt.


§. 438.

Wennn zwey oder mehrere zuſammen inVon den
Vertraͤ-
gen.

ein Verſprechen oder in mehrere einwilligen,
heißt es ein Vertrag(pactum oder pactio).
Da die Verſprechen gehalten werden muͤſſen
(§. 388.); ſo muͤſſen auch die Vertraͤge
gehal-
[270]II.Th. 7. H. Von dem Verſprechen
gehalten werden. Weil alſo die Ver-
traͤge alle Kraft zu verbinden von den Ver-
ſprechen haben (§. 380.); ſo muß dasjeni-
ge, was wir vom Verſprechen bewie-
ſen haben, auch von den Vertraͤgen
verſtanden werden.


§. 439.

Vom
ausdruͤck-
lichen
Vertrage
und vom
ſtill-
ſchwei-
genden.

Einen ausdruͤcklichen Vertrag(pa-
ctum expreſſum)
nennet man denjenigen,
welcher durch eine ausdruͤckliche Einwilligung
gemacht wird; einen ſtillſchweigenden aber
(tacitum), der auf einer ſtillſchweigenden Ein-
willigung beruhet. Jn den ausdruͤckli-
chen Vertraͤgen iſt ſtillſchweigend ent-
halten, was aus dem, ſo ausdruͤcklich
geſaget wird, durch eine nothwendige
Folge flieſſet
(§. 27.). Man ſagt aber,
eine Bedingung ſey an und vor ſich
ſelbſt in einem Vertrage oder in einem
Verſprechen enthalten
(conditio per ſe
ineſſe),
wenn ohne dieſelbe die Lei-
ſtung desjenigen, was verſprochen worden,
nicht moͤglich iſt; als wenn ich ſage: ich will
dir die Koſten zur Erlangung der Doctor-
Wuͤrde geben; und die Bedingung, wel-
che an und vor ſich ſelbſt in einem Ver-
trage, oder Verſprechen enthalten iſt,
wird fuͤr eine ausdruͤcklich hinzugeſetz-
te gehalten.


§. 440.

Vom
Vertrag

Einen Vertrag auf eine zeitlang
(pactum temporarium) nennet man denjeni-
gen,
[271]und den Vertraͤgen uͤberhaupt.
gen, deſſen Dauer auf eine gewiſſe Zeit ein-der auf
eine zeit-
lang und
auf ewig
geſchloſ-
ſen wor-
den.

geſchraͤncket wird. Ein ewiger Vertrag
(pactum æternum) iſt derjenige, deſſen Dauer
niemahls aufhoͤren ſoll, das iſt, ſo lange Per-
ſonen vorhanden ſind, welche durch denſelben
ein gewiſſes Recht erlangt. Weil es wieder-
ſprechend iſt, ſowohl die Vertraͤge auf ei-
ne zeitlang, als die ewigen
auf die Per-
ſonen, die den Vertrag machen, einzuſchraͤn-
cken; ſo ſind beyde nicht perſoͤnliche
Vertraͤge, ſondern Vertraͤge, welche
die Sache angehen (§. 401.). Die auf
eine zeitlang gemachte Vertraͤge
aber
verbinden nicht mehr, wenn die Zeit
verfloſſen, auf welche ſie gemacht
worden
(§. 317.).


§. 441.

Ein Vertrag wird erneuret(pactumVon der
Erneu-
rung ei-
nes Ver-
trages.

renovatur), wenn die, ſo ihn gemacht, mit
einander eines werden, daß er uͤber die Zeit,
auf welche er gemacht worden, noch bis auf
eine gewiſſe Zeit fortdauren ſolle. Wenn
alſo ein Vertrag, der auf eine zeitlang
gemachet worden, nicht aufhoͤren ſoll,
ſo bald die Zeit geendiget (§. 440.); ſo
muß er erneuret werden.
Weil aber
nicht mehr der vorige Vertrag verbleibet,
wenn etwas in dem, was geleiſtet werden
ſoll, veraͤndert wird, ſondern man einen neuen
macht; ſo muß in der Erneurung eines
Vertrages nichts geaͤndert werden in
dem, was geleiſtet werden ſoll.
Es er-
hellet
[272]II.Th. 7. H. Von dem Verſprechen
hellet aber leicht, daß es lediglich auf den
Willen dererjenigen, die einen Vertrag
gemacht, beruhe, ob ſie denſelben er-
neuren, oder einen neuen machen wol-
len
(§. 393.). Da diejenigen, die den Ver-
trag gemacht, bey der Erneuerung in die Fort-
ſetzung deſſelben einwilligen muͤſſen (§. 437.);
derjenige aber ſtillſchweigend einwilliget, wel-
cher leidet, daß nach Endigung eines auf ei-
ne zeitlang gemachten Vertrags etwas von
dem andern Theile geſchiehet, welches doch
nicht anders als vermoͤge des Vertrags ge-
ſchehen kann (§. 27.); ſo wird ein Ver-
trag ſtillſchweigend erneuret, wenn
mit Vorwiſſen des andern und ohne
daß er widerſpricht, der eine nach En-
digung des Vertrags etwas thut, wel-
ches nicht anders als vermoͤge des Ver-
trags geſchehen konnte, oder auch
wenn der andere dergleichen vor ge-
nehm haͤlt;
z. E. wenn er etwas an-
nimmt, welches nicht anders als ver-
moͤge des Vertrags gegeben werden
konnte.
Weil aber in einer ſtillſchweigen-
den Erneurung die Zeit nicht ausdruͤcklich
angezeiget wird, auf welche er erneuret wer-
den ſoll; ſo verſtehet ſichs, daß er auf
ſo lange Zeit erneuret worden, als in
dem gemachten Vertrage ausdruͤcklich
beniemet worden.
Wenn man aber
gleich im Anfang mit einander eines
wird, daß der Vertrag laͤnger als bis

auf
[273]und den Vertraͤgen uͤberhaupt.
auf die geſetzte Zeit dauren ſoll, wo-
fern nicht in einer beſtimten Zeit der
eine Theil dem andern den Vertrag
aufſaget; ſo verbleibet derſelbe nach
dem, was anfangs abgeredet worden,
ſo lange, bis er aufgehoben wird
(§.
438.); folglich wird er nicht erneuret
(§. 441.).


§. 442.

Man ſagt, es gehe der vom Vertra-Wenn es
erlaubet
iſt von
einem
Vertrage
abzuge-
hen.

ge ab(a pactu diſcedit), welcher das nicht
leiſten will, wozu er vermoͤge des Vertrags
verbunden iſt. Derowegen da man Gegen-
leiſtungen
nennet (præſtationes mutuae),
wann einer dem andern etwas leiſtet, und der
andere im Gegentheil ihm wieder etwas leiſten
muß; folglich bey Gegenleiſtungen die
Leiſtung des einen die Leiſtung des
andern als eine zuerfuͤllende Bedin-
gung vorausſetzet
(§. 315.); ſo iſt
auch, wenn der eine Theil nicht leiſten
will, was er zu leiſten ſchuldig iſt,
oder
vom Vertrag abgehet, da der andere Theil
ſolchergeſtalt auch nicht verbunden iſt das zu
leiſten, was er ſchuldig war (§. 396.), dem-
ſelben erlaubt von dem Vertrage ab-
zugehen.
Jedoch da der andere verbunden
iſt den Vertrag zu halten (§. 438.), und wir
daher das Recht haben ihn dazu anzuhalten
(§. 379.), welches uns wider unſern Willen
nicht benommen werden kann (§. 100.); ſo
ſtehet uns noch frey, wofern wir vom
Nat. u. Voͤlckerrecht. SVer-
[274]II.Th. 7. H. Von dem Verſprechen
Vertrage abgehen wollen, den andern
dazu anzuhalten, was er vermoͤge des
Vertrags zu leiſten ſchuldig iſt.
Da
wir nun aber, vermoͤge deſſen, was erwieſen
worden, das Recht haben vom Vertrage ab-
zugehen; ſo handeln wir nicht wider
Treue und Glauben, wenn wir des-
wegen vom Vertrage abgehen, weil
der andere zuerſt davon abgegangen

(§. 389.). Und weil es ſolchergeſtalt alsdenn
bey uns ſtehet, ob wir den Vertrag wollen
gelten laſſen, oder nicht; ſo ſind wir nicht
gehalten, wenn es den andern gereuet,
der zuerſt abgegangen, und er will den-
ſelben gelten laſſen, dieſes anzuneh-
men.
Weil der Grund, warum es erlaubt
iſt von einem Vertrage abzugehen, nicht vor-
handen, wenn einer wider Treue und
Glauben in einem andern Vertrage
vorher gehandelt; ſo iſt auch deswe-
gen von einem andern Vertrage, als
jenem, abzugehen nicht erlaubt.


§. 443.

Wenn je-
mand
von ei-
nem Ver-
trag als-
dann ab-
gehet,
wenn
vermoͤge
deſſelben
ſchon et-

Wenn ein anderer alsdenn vom Ver-
trag abgehet, wenn wir ihm ſchon et-
was geleiſtet haben;
wir aber dadurch
vorſaͤtzlich in Schaden geſetzt wuͤrden, wenn
wir verbunden waͤren den Verluſt deſſelben
uͤber uns zu nehmen (§. 17. 269.); ſo muß
er uns, wenn wir gleichfalls abgehen,
was gegeben worden, wiedergeben,
oder der Werth deſſelben erſetzet

werden
[275]und den Vertraͤgen uͤberhaupt.
werden (§. 270.). Jm Gegentheil wenn derwas ge-
leiſtet
worden.

andere ſchon uns etwas geleiſtet hat, in-
dem er vom Vertrage abgehet;
da er
durch ſeine eigene Schuld Schaden leidet,
und ich mich ihm nicht verbunden etwas zu
leiſten, als nur dann, wenn das, was er
verſprochen hat, gantz geleiſtet worden; ſo
bin ich nicht ſchuldig ihm etwas wie-
der zu erſetzen.
Er leidet die Strafe ſei-
ner Untreue (§. 390.). Wenn ich aber
dasjenige gantz geleiſtet habe, was ich
nach dem Vertrage zu leiſten ſchuldig
war;
da von meiner Seite der Vertrag er-
fuͤllet worden, und ich nicht mehr von dem-
ſelben abgehen kann (§. 442.); ſo iſt noth-
wendig, daß ich den andern auch zu
Erfuͤllung des Vertrags anhalte,
wann ich nicht mein Recht erlaſſen
(§. 337. 342.) und damit zufrieden ſeyn
will, daß dasjenige, was geleiſtet wor-
den, wieder erſetzet werde. Wenn

endlich von beyden Seiten gleich viel
geleiſtet worden,
da man alsdann nicht
ſagen kann, daß der andere mit unſerm
Schaden vom Vertrage abgehet, und alſo
uns etwas zu erſetzen ſchuldig ſey (§. 270.);
ſo iſt er auch uns, wenn wir abgehen,
nichts ſchuldig.


§. 444.

Man ſagt, ein Vertrag werde aufge-Wenn
der Ver-
trag auf-
gehoben
wird.

hoben(pactum diſſolvitur), wenn diejeni-
gen, die ihn gemacht haben, von der Ver-
S 2bindlich-
[276]II.Th. 7. H. Von dem Verſprechen
bindlichkeit, die daraus erwachſen, entlediget
werden. Wenn demnach der Vertrag
aufgehoben wird, ehe noch vermoͤge
deſſelben etwas geleiſtet worden;
ſo iſt
es eben ſo viel, als ob er niemals ge-
macht worden waͤre.
Weil ein jeder ſich
ſeines Rechtes begeben kann (§. 342.); folg-
lich den andern von ſeiner Verbindlichkeit be-
freyen (§ 337.); ſo koͤnnen Vertraͤge mit
beyderſeitiger Einwilligung wieder
aufgehoben werden.
Und weil der vo-
rige Vertrag nicht beſtehen kann, wenn ein
neuer, der demſelben entgegen iſt, gemacht
wird; ſo wird durch einen neuen Ver-
trag, der dem vorigen entgegen iſt,
der vorhergehende aufgehoben:
nem-
lich die beyderſeitige Einwilligung, durch wel-
che der vorhergehende Vertrag aufgehoben
wird, iſt ſchon an ſich in der beyderſeitigen
Einwilligung in den neuen enthalten (§. 438.).


§. 445.

Von dem
geſchrie-
benen
Vertra-
ge.

Weil die Vertraͤge durch beyderſeitige Ein-
willigung gemacht werden (§. 438.); ſo iſt
der Vertrag gleich guͤltig, ſo bald bey-
de Theile ihre Einwilligung gegeben;

folglich gilt er natuͤrlicher Weiſe, ehe er
aufgeſchrieben wird.
Nemlich ein Ver-
trag wird nicht der Guͤltigkeit, ſondern des
Beweiſes wegen aufgeſchrieben, damit man
dasjenige beweiſen kann, was in demſelben
verſprochen worden, oder woruͤber man mit
einander uͤbereinkommen. Allein da es auf
den
[277]und den Vertraͤgen uͤberhaupt.
den Willen derjenigen ankommt, die den Ver-
trag machen, wenn ihre Einwilligung vor un-
veraͤnderlich gehalten werden ſoll; ſo koͤnnen
ſie mit einander ausmachen, daß der
Vertrag nicht eher gelten ſoll, als bis
er aufgeſchrieben und unterſchrieben,
oder auch geſiegelt worden.


§. 446.

Da wir uns durch den Eyd verbinden dieVon dem
beſchwo-
renen
Vertra-
ge.

Wahrheit zu ſagen (§. 368.); ſo iſt klar, daß,
wenn wir etwas eydlich verſprechen,
wir durch den Eyd bloß beweiſen, daß
wir den Vorſatz haben, das zu leiſten,
was wir verſprechen, und in dieſem
Vorſatze verharren wollen;
folglich
bringt der Eyd keine neue Verbind-
lichkeit etwas zu leiſten hervor, und
wenn er alſo zu einer Handlung, die
nichr verbindlich iſt, hinzukommt, ſo
kann er ſie nicht verbindlich machen.

Jedoch in ſo fern wir den andern unſerer
Treue nachdruͤcklicher verſichern (§. 389. 368.);
ſo wird es fuͤr ſchaͤndlicher gehalten
wieder Treue und Glauben, ſo man
beſchworen hat, zu handeln, als wenn
man nicht geſchworen hat.


§. 447.

Weil wir durch den Vertrag das RechtVon dem
Recht
des Krie-
ges, wel-
ches aus
dem Ver-

erlangen, den andern, der ihn nicht halten
will, mit Gewalt dazu anzuhalten, daß er
das leiſte, woruͤber man mit einander eines
worden (§. 438. 379.); die gewaltſame Be-
S 3hauptung
[278]II.Th. 8. H. Von der Erſitzung
trage er-
waͤchßt.
hauptung ſeines Rechts aber der Krieg iſt (§.
98.); ſo hat der Menſch ein Recht zum
Kriege wider denjenigen, der den
Vertrag nicht halten will.
Wenn je-
mand den Vertrag bricht; und folglich das
Gegentheil davon thut, woruͤber man im
Vertrage mit einander eines worden; ſo han-
delt er wider das vollkommene Recht des an-
dern, welches er durch den Vertrag erhalten
hatte (§. 97.), und thut deswegen ihm un-
recht (§. 87.). Weil nun das Unrecht, das
einem angethan worden, eine rechtmaͤßige Ur-
ſache des Krieges iſt (§. 98.); ſo iſt die
Verletzung der Vertraͤge eine recht-
maͤßige Urſache des Krieges.


Das achte Hauptſtuͤck.


Von Erlangung des Eigenthums
einer bloß beſeſſenen Sache und von
der Verjaͤhrung.


§. 448.

Wenn
eine Sa-
che, die
einem
andern
zugehoͤ-
ret, des-
jenigen
wird, der
ſie beſi-
tzet.

Wer eines andern Sache beſitzt,
der hat ſich dieſelbe zugeeignet (§.
200.). Derowegen wenn der Ei-
genthumsherr dieſelbe verlaͤßt, ſo ge-
hoͤret ſie demjenigen gleich zu, der ſie
beſitzet
(§. 219.); folglich kann ſie von
dem alten Eigenthumsherrn,
der auf-
gehoͤret hat Eigenthumsherr zu ſeyn (§. 203.),
von dem Beſitzer ſich nicht wieder zu-
geeignet
[279]und der Verjaͤhrung.
geeignet werden (§. 262.). Hieraus er-
hellet, daß in dieſem Falle das Eigenthum
nicht durch den Beſitz erhalten wird, ſondern
durch die urſpruͤngliche Art etwas eigenthuͤm-
lich zu erhalten, nemlich durch die Zueignung
einer Sache, die niemanden zugehoͤret (§.
210.).


§. 449.

Weil die menſchlichen Geſchaͤfte einen Aus-Von der
Noth-
wendig-
keit der
Vermu-
thung in
menſch-
lichen
Geſchaͤf-
ten.

gang gewinnen muͤſſen, und dem menſchlichen
Geſchlechte daran gelegen iſt, daß die erlang-
ten Rechte und zugezogene Verbindlichkeiten
gewiß ſind; ſo wird dasjenige, was in ei-
nem zweifelhaften Falle, wo keine Ge-
wißheit zu haben, vermuthet wird, in
den menſchlichen Geſchaͤften wider
denjenigen vor wahr gehalten, wider
den die Vermuthung geſchiehet.
Und
gewiß wenn man dasjenige vor wahr haͤlt,
wovor ſich einer hinlaͤnglich erklaͤret (§. 318.),
unerachtet es geſchehen koͤnte, daß er luͤgt
(§. 351.), vermuthet man alsdann nicht,
daß er die Wahrheit ſage? Ja wenn man ei-
nem, der geſchworen hat, glaubet, ob es
gleich geſchehen koͤnte, daß er falſch ſchwoͤre
(§. 371.), vermuthet man nicht, er habe
nicht falſch geſchworen? Daher vermuthet
man die Wahrheit deſſen, was geſagt
worden, in dem Verſprechen, und folg-
lich in den Vertraͤgen (§. 438.), ohne
welcher nichts guͤltig verſprochen wer-
den konnte.


S 4§. 450.
[280]II.Th. 8. H. Von der Erſitzung
§. 450.

Von der
Erlan-
gung ei-
nes Ei-
gen-
thums
aus einer
vermu-
theten
Verlaſ-
ſung.

Daher folget nun, daß, woferne man
nicht gewiß ausmachen kann, wenn
daran gelegen iſt, daß man gewiß wiſ-
ſe, ob der Eigenthumsherr das ihm
zugehoͤrige verlaſſen habe, dennoch
aber die Verlaſſung vermuthet wird,
man vor wahr anzunehmen habe, daß
er ſie verlaſſen (§. 449.); und
folglich die
Sache dem Beſitzer gehoͤre
(§. 448.);
nemlich nicht deswegen, weil er ſie beſitzet,
ſondern weil die Sache, die er beſitzet, fuͤr
eine keinem andern zugehoͤrige gehalten wird
(§. 203.), und er ſich dieſelbe zugeeignet hat
(§. 448.).


§. 451.

Was die
Erſitzung
oder die
Erlan-
gung ei-
ner bloß
beſeſſe-
nen Sa-
che ſey,
und wie
dieſelbe
geſchie-
het.

Die Erlangung des Eigenthums aus der
Vermuthung, daß ſie von dem Eigenthums-
herrn ſey verlaſſen worden, nennet man die
Erlangung des Eigenthums einer
bloß beſeſſenen Sache,
oder mit einem
Worte die Erſitzung(uſucapio). Wenn
man aber in den buͤrgerlichen Rechten ſaget,
daß eine Sache durch den Beſitz unſer eigen
werde, wenn er bis auf eine in den Geſetzen
beſtimmte Zeit in einem fortgedauret hat;
ſo wird durch das buͤrgerliche Geſetze nichts
anders als die Art und Weiſe beſtimmet, die
Verlaßung einer Sache zu vermuthen, und
dieſe iſt bloß buͤrgerlichen Rechtes. Gewiß,
da niemand zweifeln kann, daß durch den
bloſſen Beſitz kein Eigenthum erhalten wer-
den
[281]und der Verjaͤhrung.
den kann (§. 200.), noch auch die Zeit die
Kraft hat, einen Beſitz zu Erlangung des
Eigenthums faͤhig zu machen; ſo kann durch
einen Beſitz, wenn er auch noch ſo
lange gedauret hat, natuͤrlicher Weiſe
kein Eigenthum erlangt werden.
Da
uͤbrigens auch unkoͤrperliche Sachen eigen-
thuͤmlich werden koͤnnen (§. 206.); ſo koͤn-
nen eben ſo wohl unkoͤrperliche,
folg-
lich auch das Recht zu einer Sache (§.
121. 335.), als koͤrperliche Sachen, die
man bloß im Beſitz hat, des Beſitzers
eigen, oder erſeſſen werden.


§. 452.

Die Verjaͤhrung(præſcriptio) iſt derVon der
Verjaͤh-
rung.

Verluſt eines eigenen Rechts, wegen einer
vermutheten Einwilligung. Weil demnach
derjenige, von welchem man vermuthet, er
habe eine Sache verlaſſen, die Vermuthung
wieder ſich erreget, daß er das Eigenthum
(§. 203.), und folglich das Recht ſich die
Sache wieder zuzueignen verlohren habe (§.
262.); ſo wird, wenn eine bloß beſeſſe-
ne Sache eigenthuͤmlich oder erſeſſen
wird, ſowohl das Eigenthum als auch
das Recht die Sache ſich wieder zuzu-
eignen, dem Eigenthumsherrn ver-
jaͤhret.
Man pflegt zwar heute zu Tage ſo
wohl die Verjaͤhrung, als die Erſitzung eine
Verjaͤhrung zu nennen: es iſt aber rathſamer,
daß dieſelben in dem Rechte der Natur von
einander unterſchieden werden; vornaͤmlich da
S 5dieſer
[282]II.Th. 8. H. Von der Erſitzung
dieſer Unterſchied auch etwas dazu beytraͤgt
das Roͤmiſche Recht genauer zu verſtehen.
Daß aber die Verjaͤhrung natuͤrlichen
Rechtes ſey,
erhellet aus eben dem Grun-
de, aus welchem wir die Erſitzung erwieſen
haben (§. 449. u. f.). Und es iſt nicht weni-
ger offenbahr, daß derjenige von ſeiner
Verbindlichkeit befreyet werde, wel-
cher einem andern ſein Recht zu dem
verjaͤhret, was er ihm zu leiſten ſchul-
dig war.


§. 453.

Von der
Vermu-
thung.

Es iſt aber hier zu mercken, daß, da die
Vermuthung darinnen beſtehet, daß man aus
wahrſcheinlichen Gruͤnden eine zweifelhafte
Sache in einem einzelnen Fall vor gewiß an-
nimmet (§. 27.), und daher dasjenige, was
vermuthet wird, falſch ſeyn kann, das
Vermuthete ſo lange vor wahr gehal-
ten wird, bis das Gegentheil bewie-
ſen worden.
Und weil jeder vor wahr-
ſcheinlich annimmt, daß vielmehr dasjenige
geſchehen werde, was mehrentheils geſchiehet,
als was ſeltener vorfaͤllt, wofern nicht beſon-
dere Urſachen das Gegentheil anzunehmen
vorhanden; ſo wird dasjenige vermu-
thet, was gewoͤhnlicher Weiſe zu ge-
ſchehen pfleget, nicht
aber was ſelte-
ner geſchieht, wofern keine beſondere
Gruͤnde das Gegeentheil anzunehmen
da ſind.
Man theilet die Vermuthung in
eine bedingte und in eine unbedingte ein. Die
unbe-
[283]und der Verjaͤhrung.
unbedingte Vermuthung(præſumtio
abſoluta)
iſt diejenige, da das Geſetz befiehlt,
dasjenige vor wahr zu halten, was vermu-
thet wird; die bedingte aber (conditiona-
lis)
iſt diejenige, nach welcher das, was ver-
muthet wird, ſo lange vor wahr zu halten iſt,
bis das Gegentheil bewieſen worden. Die un-
bedingte Vermuthung kommt mit derjenigen
uͤberein, welche von den Auslegern des buͤr-
gerlichen Rechts die rechtliche Vermu-
thung,
oder die Vermuthung von
Rechtswegen
(præſumtio juris \& de ju-
re)
genennet wird: die bedingte aber mit der-
jenigen, welche von denſelben die Vermu-
thung des Rechts
(præſumtio juris) ge-
nennet wird. Es fuͤgen zwar einige noch die
dritte Art hinzu, welche ſie die Vermu-
thung eines Menſchen
nennen (præſum-
tionem hominis),
welche von einem Men-
ſchen, z. E. von einem Richter geſchiehet,
wenn das Geſetz es nicht gewiß machet, daß
ſo etwas vermuthet werden ſolte. Weil aber
in dem Rechte der Natur alle Vermu-
thungen, die der Vernunft gemaͤß ſind, auch
genehm gehalten werden; ſo iſt die Vermu-
thung des Rechts von der Vermu-
thung eines Menſchen nicht verſchie-
den.
Jm Rechte der Natur aber iſt der
Unterſchied der Vermuthung des Rechts und
der Vermuthung von Rechtswegen gegruͤn-
det; nemlich daß etwas, was vermuthet
wird, entweder ſo lange vor wahr gehalten
werde,
[284]II.Th. 8. H. Von der Erſitzung
werde, bis das Gegentheil bewieſen iſt, oder
ſchlechterdinges vor wahr gehalten werde;
dergleichen die Vermuthung der Wahrheit
desjenigen iſt, was der ſagt, welcher in den
Verſprechungen die Wahrheit zu ſagen ver-
bunden iſt (§. 449.).


§. 454.

Von der
Einthei-
lung des
Tituls.

Ein rechmaͤßiger Titul(titulus juſtus)
iſt derjenige, wodurch ein Recht zu erlangen
bloß moͤglich iſt, zum Exempel das Eigen-
thum: nicht aber wuͤrcklich erlangt wird, als
wenn jemand eine Sache kauft; weil er ſie
auch von einem der nicht der Eigenthumsherr
iſt, haͤtte kaufen koͤnnen. Daher ſagt man,
es habe einer einen rechtmaͤßigen Titul
(titulum juſtum habere), wenn der Be-
ſitzer den Beſitz durch eine ſolche Handlung
erhalten hat, durch welche, nach der Beſtim-
mung des Geſetzes, das Eigenthum von einem
Eigenthumsherrn auf einen andern gebracht
werden kann. Wenn dieſe Handlung ihre
Richtigkeit hat; heiſſet es ein wahrer Titul
(titulus verus). Wenn jemand glaubt, die
Handlung habe ihre Richtigkeit, da es doch
nicht iſt, als wenn einer glaubt, eine Sache
ſey ihm geſchenckt, da es doch nicht ſo iſt; ſo
heißt es ein vermeinter Titul(titulus pu-
tativus).
Wenn aber die Handlung zwar ih-
re Richtigkeit hat, einer irret ſich aber darin-
nen, daß er vermeint, es koͤnne durch eine
ſolche Handlung ein dergleichen Recht erhal-
ten werden, als zum Exempel, durch das Fin-
den
[285]und der Verjaͤhrung.
den einer verlohrenen Sache, das Eigen-
thum; ſo heißt es ein falſcher Titul(titu-
lus falſus).
Daher erhellet, daß ein recht-
maͤßiger Titul eine mittlere Art ſey zwiſchen
einem wahren und falſchen. Denn er hat ei-
nen Theil von einem wahren Titul, in ſo weit
die Handlung zwar ihre Richtigkeit hat, zum
Exempel, daß man die Sache gekauft habe,
dennoch aber nicht gewiß iſt, ob das uͤbrige
erforderliche, das Eigenthum auf einen andern
zu bringen, vorhanden; zum Exempel, daß
man es vom Eigenthumsherrn gekauft habe.
Uebrigens wird der Titul auch in einen vor-
theilhaften und beſchwerlichen
(lucra-
tivum \& oneroſum)
eingetheilet, in ſo fern
als das Geſetz, welches anzeiget, daß wir
durch unſere Handlung einiges Recht erhal-
ten, uns entweder zu nichts oder zu etwas
dargegen verbindet.


§. 455.

Da man das, was gewoͤhnlich iſt, vermu-Wie ein
gewiſſen-
hafter
Beſitz er-
halten
wird.

thet (§. 453.); ſo vermuthet man, daß
jeder Beſitzer der Eigenthumsherr ſey,
woferne nicht wahrſcheinliche Gruͤn-
de zum Gegentheil vorhanden, und
dieſe Vermuthung iſt um ſo viel groͤſ-
ſer, wenn es gewiß iſt, daß er einen
rechtmaͤßigen Titul des Beſitzes hat

(§. 454.). Hieraus erhellet ferner, daß der-
jenige, der eine Sache von einem ver-
muthlichen Eigenthumsherrn,
folglich
von einem jeden Beſitzer, bey welchem
man
[286]II.Th. 8. H. Von der Erſitzung
man keine wahrſcheinliche Gruͤnde an-
bringen kann, warum ſein Eigenthum
verdaͤchtig ſeyn ſolte, durch einen
rechtmaͤßigen Titul erhalten hat,
dieſelbe mit gutem Gewiſſen beſitze

(§. 201.).


§. 456.

Vom
rechtmaͤſ-
ſigen und
unrecht-
maͤßigen
Beſitz.

Man nennet aber einen rechtmaͤßigen
Beſitz
(poſſeſſionem juſtam), bey welchem
man einen rechtmaͤßigen Titul und ein gutes
Gewiſſen antrift: wenn aber eines von bey-
den fehlet, ſo iſt der Beſitz unrechtmaͤſ-
ſig
(poſſeſſio injuſta). Ein Beyſpiel im letz-
ten Falle iſt dieſes: Wenn einer weiß, daß
er eine Sache nicht von dem Eigenthums-
herrn gekauft habe: im erſten Falle aber,
wenn einer glaubt, er habe ſie von dem Ei-
genthumsherrn gekauft, oder geſchenckt be-
kommen.


§. 457.

Von der
Befoͤrde-
rung der
Gewiß-
heit des
Eigen-
thums.

Weil wir einen jeden Schaden ſowohl von
uns, als von andern abwenden ſollen (§. 269.);
ſo muß keiner nachlaͤßig, folglich jeder
fleißig ſeyn (§. 21.) nachzuforſchen,
ob etwan von dem, was ihm gehoͤret,
etwas in eines andern Gtwalt kom-
men ſey, wie auch nach den Rechten,
die ihm zukommen, und ſich in acht
nehmen, daß unter den Sachen, wel-
che er beſitzet, keine angetroffen wer-
de, die einem andern zugehoͤret;
folg-
lich ſich bemuͤhen, daß er von dem Ei-
genthu-
[287]und der Verjaͤhrung.
genthume deſſen, was er beſitzet, Ge-
wißheit habe, und das Eigenthum
andern nicht ungewiß bleibe.
Dero-
wegen giebt das Geſetze der Natur dem
Menſchen
auch das Recht dazu, ohne
welches die Gewißheit des Eigen-
thums nicht erhalten werden kann
(§.
46.). Es erhellet aber hieraus zugleich, daß,
wenn einer weiß, eine ihm zugehoͤrige
Sache habe ein anderer im Beſitze, und
er will dieſelbe nicht verlaſſen, er nicht
ſchweigen muͤſſe.


§. 458.

Weil derjenige, welcher weiß, daßVon der
Vermu-
thung ei-
ner Ver-
laſſung
aus ei-
ner
wuͤrckli-
chen
Hand-
lung.

die Sache ihm zugehoͤre, und doch et-
was thut, was er nicht thun koͤnnte,
wenn er wolte, daß ſie ſeine ſeyn ſoll-
te;
als wenn er mit dem Beſitzer einen Ver-
trag macht, eben als wenn die Sache dem
andern zugehoͤrete; indem man daraus nicht
anders ſchlieſſen kann, als daß er die Sache
nicht vor ſeine halten wolle, ſondern vor des
andern ſeine erkenne; ſo vermuthet man
daraus, daß er ſie verlaſſen habe
(§.
27. 203.).


§. 459.

Wenn jemand ſchweigt, wenn erVon der
aus dem
Still-
ſchweigen
vermu-
theten
Einwilli-
gung.

reden koͤnnte und ſollte; da er dieſes
aus keiner andern Abſicht zu thun ſcheinet,
als weil er eben das, was der andere will,
oder was die andern wollen, die ihre Mei-
nung geſagt; ſo vermuthet man, er habe
darein
[288]II.Th. 8. H. Von der Erſitzung
darein gewilliget (§. 27.). Und daher
iſt klar, daß, wenn aus einem Still-
ſchweigen eine Einwilligung vermu-
thet werden ſoll, einer mit Wiſſen
und Willen ſtillſchweigen muß.


§. 460.

Von der
aus ei-
nem
Still-
ſchweigen
vermu-
theten
Verlaſ-
ſung.

Da nun derjenige nicht ſchweigen ſoll, wel-
cher weiß, daß eine ihm zugehoͤrige Sache ein
anderer im Beſitz, er aber nicht die Abſicht
hat ſie zu verlaſſen (§. 457.); ſo vermuthet
man es habe einer die Sache, ſo ihm
zugehoͤret, verlaſſen, wenn er weiß,
daß ſie ein anderer im Beſitz hat, und
er in langer Zeit nicht widerſpricht,
woferne kein offenbahrer Grund vor-
handen, warum er ſchweigen ſollte

(§. 459.).


§. 461.

Eben die-
ſes wird
weiter
erwogen.

Weil ein jeder in der Unterſuchung der
ihm zugehoͤrigen Sachen, welche vielleicht in
eines andern Gewalt moͤchten kommen ſeyn,
fleißig ſeyn ſoll (§. 457.), und es gewiß iſt,
daß die Menſchen das Jhrige lieben; ſo ver-
muthet man, daß es der Eigenthums-
herr wiſſe, es habe ein anderer eine
ihm zugehoͤrige Sache im Beſitze, wo-
ferne er dieſelbe eine lange Zeit beſeſ-
ſen hat; es ſey denn daß offenbahre Ur-
ſachen dargegen vorhanden, oder daß
er, wenn die Sache beweglich iſt, vor
unmoͤglich anſiehet, es zu erfahren,
wer ſie beſitzet;
folglich vermuthet man
aus
[289]und der Verjaͤhrung.
aus einem langwierigen Stillſchwei-
gen die Verlaßung einer Sache; wo-
fern nicht offenbahre Urſachen herge-
gen vorhanden ſind
(§. 460.).


§. 462.

Weil das Eigenthum beſtaͤndig ungewißVon was
vor einer
Art dieſe
Vermu-
thung
ſey.

bleiben wuͤrde, wofern man dieſe Vermu-
thung nicht annehmen wolte, welches aus dem
vorhergehenden klar genug iſt; ſo iſt dieſe
Vermuthung gegen einen, der nach-
laͤßig iſt nach demjenigen zu forſchen,
was ihm zugehoͤret, eine unbedingte
Vermuthung, oder eine Vermuthung
von Rechtswegen
(§. 453.).


§. 463.

Hieraus folget ferner, daß die Erſi-Zu was
voꝛ einem
Rechte
die Erſi-
tzung und
Verjaͤh-
rung ge-
hoͤre.

tzung und Verjaͤhrung zu dem Rechte
der Natur gehoͤre
(§. 451. 452.); zum
buͤrgerlichen Rechte gehoͤret nur, daß die Ver-
muthung der Verlaßung auf eine gewiſſe
Zeit geſetzt wird.


§. 464.

Weil aber derjenige, welcher mit keinemDaß ein
gutes Ge-
wiſſen
zur Ver-
jaͤhrung
erfordert
wird.

guten Gewiſſen eine Sache beſitzet, dieſelbe
dem Eigenthumsherrn wieder zu erſtatten
ſchuldig iſt (§. 201. 261.); folglich, wenn er
ſie wiedergeben will, wiſſen kann, ob ſie der
Eigenthumsherr haben will, oder nicht, und
alſo hier die Vermuthung einer Verlaßung
gar nicht ſtatt findet (§. 203. 27.); ſo iſt der
Beſitz mit keinem guten Gewiſſen der

Nat. u. Voͤlckerrecht. TErſi-
[290]II.Th. 9. H. Von bloß milden Handl.
Erſitzung und Verjaͤhrung allezeit zu-
wider;
folglich wird zur Erſitzung und
Verjaͤhrung die gantze Zeit des Beſi-
tzes uͤber ein gutes Gewiſſen erfor-
dert.


Das neunte Hauptſtuͤck.


Von den bloß wohlthaͤtigen
Handlungen, die in einem zu Ende
gebracht werden.


§. 465.

Von der
einfachen
und zu-
ſammen-
geſetzten
Hand-
lung.

Es iſt vor ſich klar, daß alle Handlungen,
die andern nuͤtzlich ſind, entweder dar-
in beſtehen, daß etwas gegeben, oder
daß etwas gethan wird. Man nennet aber
einfache Handlungen(actus ſimplices),
welche nicht in mehrere zergliedert werden
koͤnnen, ſo daß eine ohne die andere, oder oh-
ne die uͤbrigen ſeyn kann. Zuſammenge-
ſetzte Handlungen
(actus compoſiti) wer-
den diejenigen genannt, welche ſich in meh-
rere zergliedern laſſen, von denen eine ohne
die andere beſtehen kann.


§. 466.

Was ei-
ne wohl-
thaͤtige
Hand-
lung und
wie viel-
fach die-
ſelbe ſey.

Man nennet eine wohlthaͤtige Hand-
lung
(actum beneficum) diejenige, durch
welche nur einer einen Vortheil hat, der an-
dere aber nichts dagegen erhaͤlt. Dieſelbe iſt
eine bloß wohlthaͤtige Handlung(actus
mere beneficus),
wenn damit keine vollkom-
mene Verbindlichkeit verknuͤpft iſt: Hinge-
gen
[291]die ſo gleich vollbracht werden.
gen eine verbindliche(obligatorius), mit
der vollkommene Verbindlichkeit verknuͤpft iſt.


§. 467.

Eine Tauſchhandlung(actus permu-Was
Tauſch-
handlun-
gen und
wie viel-
fach die-
ſelben
ſind.

tatorius) iſt, wodurch ein jeder Theil etwas
zu geben, oder zu thun verbunden wird. Jn
den Tauſchhandlungen werden alſo
Sachen und gewiſſes Thun mit einan-
der vertauſchet,
naͤmlich Sachen mit Sa-
chen, Sachen mit Thun, und Thun mit Thun.
Es iſt aber eine Tauſchhandlung entweder
eine aus einander ſetzende(actus diremto-
rius),
da ein jeder Theil ſeinen beſondern Vor-
theil hat, der durch beſondere Leiſtungen erhal-
ten wird, nach deren Vollziehung dieje-
nigen, welche den Vertrag machten,
nichts weiter mit einander zu ſchaffen
haben: oder eine gemeinſchaftliche

(communicatorius), da man durch gemein-
ſchaftliche Leiſtungen gemeinſchaftlichen Nu-
tzen zur Abſicht hat.


§. 468.

Da man in den Tauſchhandlungen, folg-Vom
Unter-
ſchied der
aus ein-
ander ſe-
tzenden
Tauſch-
hand-
lungen.

lich auch in denen, welche die Partheyen aus
einander ſetzen, entweder eine Sache mit ei-
ner Sache, oder eine Sache mit Thun, oder
Thun mit Thun vertauſchet, und in dieſen
beſonders auf den Nutzen eines jeden Theils
geſehen wird (§. 467.); ſo giebt man ent-
weder etwas, daß der andere wieder
etwas gebe
(do ut des), oder ich gebe
etwas, daß der andere etwas thue
(do
T 2ut
[292]II.Th. 9. H. Von bloß milden Handl.
ut facias), oder ich thue etwas, daß der
andere etwas thue
(facio ut facias); denn
es macht das, daß ich etwas thue, damit der
andere etwas gebe (facio ut des), an ſich
keinen Unterſchied von der Handlung, da ich
gebe, daß der andere etwas thue (do ut fa-
cias).
Weil man aber ſo wohl koͤrperliche,
als unkoͤrperliche Sachen geben kann; ſo kann
man auch ſowohl den bloſſen Gebrauch, als
auch den Gebrauch zugleich mit den Fruͤchten
geben. Und da das Geld, wie wir an gehoͤri-
gem Orte beweiſen werden, die Stelle aller
Sachen vertritt; ſo gilt dieſes auch vom
Gelde.


§. 469.

Vom
Unter-
ſchiede
der ge-
mein-
ſchaftli-
chen
Tauſch-
handlun-
gen.

Weil man ſaget, daß Sachen und Thun
unter einander gemeinſchaftlich ge-
macht werden
(facta \& res inter ſe com-
municantur),
wenn dieſelben zum gemein-
ſchaftlichen Nutzen beygetragen werden; ſo
werden in den gemeinſchaftlichen
Handlungen entweder Sachen, oder
Thun, oder auch Geld gemeinſchaft-
lich gemacht, oder es geſchiehet der
Beytrag von einem Theile an Sa-
chen, oder Gelde, von dem andern
durch Thun.


§. 470.

Die
Wohl-
that, der
Wohl-
thaͤter

Eine bloß wohlthaͤtige Handlung, welche
gleich in einem zu Ende gebracht wird, oder
wo ich jemand gleich etwas gebe oder thue,
wird eine Wohlthat(beneficium) genannt;
aber
[293]die ſo gleich vollbracht werden.
aber diejenige, welche auf das zukuͤnftige ge-und der,
dem gu-
tes ge-
ſchiehet.

het, oder da ich mich dem andern etwas zu ge-
ben oder zu thun verbindlich mache, iſt ein
freygebiges Verſprechen
(§. 425.), oder
ein Verſprechen einer Wohlthat. Da man
ſagt einer thue etwas oder gebe etwas
umſonſt
(gratis dare vel facere), der fuͤr
das, was er giebt oder thut, von dem andern
nichts wieder erhaͤlt; ſo werden Wohl-
thaten umſonſt gegeben.
Und weil man
dasjenige umſonſt geſchehen(gratuitum)
nennet, was einer umſonſt leiſtet; ſo ſind
die bloß wohlthaͤtigen Handlungen
umſonſt geſchehene Handlungen.
Wer
eine Wohlthat giebt, iſt der Wohlthaͤter
(benefactor), wer ſie empfaͤngt, wird der Em-
pfaͤnger der Wohlthat
(beneficiarius)
genannt.


§. 471.

Unſere Handlungen koͤnnen andern nichtWomit
man
Wohl-
thaten
erweiſet.

nuͤtzlich ſeyn, als in ſo fern ſie zu einem Gute
der Seele, des Leibes, oder des Gluͤcks et-
was beytragen, oder ein Uebel der Seele, des
Leibes, oder des Gluͤcks abwenden. Es iſt
derowegen eine jede Handlung, wo-
durch wir zu einem Gute der Seele,
des Leibes, oder des Gluͤcks umſonſt
etwas beytragen, oder einiges Uebel
abwenden, oder den andern davon be-
freyen, eine Wohlthat
(§. 470.).


§. 472.

Weil ein jeder Menſch einem jeden andern,Wer
Wohl-

T 3der
[294]II.Th. 9. H. Von bloß milden Handl.
thaten zu
geben
ſchuldig
iſt, und
wer ſie
verdie-
net.
der ſeiner Huͤlfe bedarf, er ſey wer er wolle,
zu helfen ſchuldig iſt, ſo viel in ſeinem Ver-
moͤgen ſtehet, daß er die Guͤter der Seele,
des Leibes und des Gluͤcks erlange, und ver-
huͤten ſoll, daß andere nicht in entgegen ge-
ſetztes Uebel verfallen (§. 134.); ſo ſind die
Menſchen nach dem Recht der Natur
verbunden, einander Gutes zu thun,
ſo viel in ihrem Vermoͤgen ſtehet; und
diejenigen verdienen Wohlthaten, wel-
che derſelben beduͤrfen, oder welche
ſelbſten das nicht erwerben oder thun
koͤnnen, was der Wohlthaͤter giebt,
oder thut
(§. 471.).


§. 473.

Wenn
Wohl-
thaten
nicht doͤr-
ſen gege-
ben wer-
den.

Da nach der Einfuͤhrung des Eigen-
thums
die Menſchen verbunden ſind einan-
der zu geben oder zu thun, nachdem ein jeder
eines andern Sache oder Huͤlfe bedarf (§.
329.); folglich ſo genau wir dem andern
verbunden ſind, ſo genau uns auch der an-
dere verbunden iſt; ſo iſt niemand ſchul-
dig dem andern etwas umſonſt zu ge-
ben, oder zu thun, wenn der andere
dagegen wiederum etwas geben oder
thun kann.
Und weil es auf den Willen
des Eigenthumsherrn ankommt, ob und wie
er etwas geben (§. 314.) oder thun will (§.
225.); ſo kommt es auf den Willen
des Wohlthaͤters an, ob er eine Wohl-
that geben will (§. 470.), und es kann
niemand eine Wohlthat zu geben ge-

noͤthi-
[295]die ſo gleich vollbracht werden.
noͤthiget werden. Wenn jemand etwas
nicht umſonſt giebet oder thut, ſo muß es des-
wegen gegeben werden, daß der andere etwas
gebe, oder thue; oder es muß etwas gethan
werden, daß der andere etwas thue. Und
daher erhellet, daß die aus einander ſe-
tzende Tauſchhandlungen nach dem
Rechte der Natur erlaubt ſind
(§. 467.
468.). Wofern aber nichts umſonſt gege-
ben werden ſoll; ſo muß in den aus ein-
ander ſetzenden Tauſchhandlungen der
eine dem andern ſo viel leiſten, als der
andere ihm geleiſtet hat.


§. 474.

Weil die Menſchen einander Gutes zu thunVom
Danck
und Un-
danck.

verbunden ſind (§. 472.), und die Wohlthat,
die einer vom andern empfangen hat, ein Be-
wegungsgrund iſt, ihm wieder Gutes zu erwei-
ſen (§. 73.); ſo iſt der, dem Guts ge-
ſchehen, verbunden, ſeinem Wohlthaͤ-
ter, weil er ihm Gutes gethan hat, wie-
derum Gutes zu erzeigen
(§. 35.); folg-
lich wenn er dieſes in der That zu thun
nicht vermoͤgend iſt, ſo muß er wenig-
ſtens den Willen haben ihm Gutes zu
erweiſen
(§. 37.). Weil man ſagt, eine
Wohlthat wird vergolten
(beneficium
redditur),
wenn einer dem andern deswegen
Gutes thut, weil er von ihm Gutes empfan-
gen hat; ein danckbares Gemuͤthe aber
(gratus animus) dasjenige iſt, welches geneigt
iſt das Gute mit Gutem zu vergelten, und
T 4hierin-
[296]II.Th. 9. H. Von bloß milden Handl.
hierinnen der Danck beſtehet; ſo muß der,
welcher Wohlthaten empfangen hat,
ein danckbares Gemuͤth gegen den
Wohlthaͤter haben,
oder danckbar ſeyn.
Und weil man ſagt, daß derjenige danck-
ſage
(gratias agere), der ſein danckbares Ge-
muth mit Worten oder Wercken bezeigt; ſo
muß er demſelben auch danckſagen.

Allein weil derjenige undanckbar iſt, der
kein danckbares Gemuͤth hat, folglich weder
mit Worten, noch weniger mit Wercken daſ-
ſelbe an den Tag leget, ja gar das Gegen-
theil thut, worinnen der Undanck beſtehet;
ſo iſt die Undanckbarkeit durch das na-
tuͤrliche Geſetze verboten
(§. 57.).


§. 475.

Von
Schen-
ckungen.

Das Geben, welches umſonſt (dario gratui-
ta)
geſchieht, nennt man eine Schenckung
(donationem): dasjenige aber, welches ohne
Entgelt (gratis) gegeben wird, heiſt das
Geſchenck
(donum, munus). Wer das Ge-
ſchenck giebt, heiſt der Schenckende(do-
nans, donator),
der, welcher es empfaͤngt,
der Beſchenckte(donatarius). Da man
in der Schenckung das Eigenthum desjeni-
gen, was gegeben wird, auf einen andern
bringt (§. 258.); ſo wird zur Schen-
ckung eine Annehmung erfordert (§.
316.), und es beruhet auf dem Wil-
len des Schenckenden, ob und auf was
vor Art und Weiſe er etwas verſchen-
cken will (§. 314.); und iſt alſo nicht

noͤthig,
[297]die ſo gleich vollbracht werden:
noͤthig, daß bey einer Schenckung die
Urſache, warum ſie geſchiehet, aus-
druͤcklich angefuͤhrt werden darf
(§.
78.). Es erhellet aber, daß, was vom Ge-
ben erwieſen worden, auch von der Schen-
ckung gilt, folglich auch was vom Verſpre-
chen bewieſen worden.


§. 476.

Da die Schenckung eine Wohlthat iſtVon der
Danck-
barkeit
des Be-
ſchenck-
ten.

(§. 470. 475.); ſo iſt der Beſchenckte
ſchuldig dem Schenckenden Danck zu
ſagen und ein danckbares Gemuͤthe
gegen ihn zu haben
(§. 474.). Weil aber
dieſes nur pflichtmaͤßig iſt, indem der Schen-
ckende ſich dem Beſchenckten nicht dazu vollkom-
men verbindlich gemacht (§. 380.); ſo kann
ein Geſchenck des Undancks halber
nicht wiederrufen werden.


§. 477.

Weil der Eigenthumsherr mit dem Seini-Von dem
innern
Rechte
etwas zu
ſchencken.

gen nicht anders umgehen ſoll, als es ſeine
Pflichten erfordern (§. 202.); ſo muß auch
das Recht zu ſchencken den Pflichten
gemaͤß gebraucht werden:
worauf doch
aber bey der Guͤltigkeit des Geſchencks nicht
darf geſehen werden (§. 475.).


§. 478.

Da der Schenckende nach ſeinem Gutbe-Von Ver-
traͤgen,
die zu
Schen-
ckungen
kommen.

finden, auf was Art und Weiſe er nur will,
die Schenckung einrichten kann (§. 475.); ſo
kann er auch zu der Schenckung einen
jeden erlaubten Vertrag hinzuſetzen,

T 5als
[298]II.Th. 9. H. Von bloß milden Handl.
als daß die geſchenckte Sache nicht ſoll
veraͤuſſert werden, daß er die Schen-
ckung wiederrufen kann, daß er den
Beſchenckten oder ſeine Erben zu einer
gewiſſen Leiſtung anhalten kann.
Und
dieſe Vertraͤge, welche einer Schen-
ckung anhaͤngig ſind, muͤſſen von dem
Beſchenckten gehalten werden
(§. 438.).
Uebrigens iſt daher auch klar, daß die
Schenckung auch mit Vorbehalt der
Fruchtnießung, oder des Gebrauchs
und der Nutzung geſchehen koͤnne;

folglich daß alsdenn die geſchenckte Sa-
che in der Gewalt des Schenckenden
verbleiben muß
(§. 200.).


§. 479.

Von der
Schen-
ckung, die
um Ster-
bens wil-
len ge-
ſchehen
iſt.

Wenn der Schenckende etwas deswegen
ſchenckt, weil er einmahl ſterben wird, folg-
lich entweder mit der ausdruͤcklichen, oder
doch ſtillſchweigenden Vorbehaltung, die
Schenckung vor ſeinem Tode zu wiederrufen,
ſo wird dieſes eine Schenckung um ſter-
bens willen genannt
(donatio mortis
cauſa).
Da es gewiß iſt, daß wir einmahl
ſterben muͤſſen, obgleich der Tag des Todes
ungewiß iſt; ſo kann nicht allein ein
kraͤncklicher und derjenige, dem der
Tod ſchon vor Augen ſchwebet, ſondern
auch ein geſunder etwas um ſterbens
willen einem ſchencken.
Es erhellet
aber, daß die Schenckung um ſterbens
willen erſt durch den Tod unwieder-

ruflich
[299]die ſo gleich vollbracht werden.
ruflich wird; und wenn etwas von
dem Verſchenckten veraͤuſſert wird,
die Schenckung deſſelben in der That
wiederrufen wird.


§. 480.

Der Schenckung um ſterbens willen wirdVon der
Schen-
ckung un-
ter Le-
bendi-
gen.

die Schenckung unter Lebendigen(do-
natio inter vivos)
entgegen geſetzt, welche
auch ſchlechtweg eine Schenckung genennt
wird, wodurch etwas unwiederruflich ge-
ſchenckt wird.


§. 481.

Weil die Schenckung unter LebendigenWenn
der Be-
ſchenckte
eher
ſtirbt, als
der
Schen-
ckende.

gleich guͤltig iſt (§. 480.), die Schenckung
aber um Sterbens willen vor dem Tode des
Schenckenden wiederruflich iſt, und alſo erſt
nach ſeinem Tode kraͤftig wird (§. 479.); ſo
beſtehet die Schenckung um Ster-
bens willen nicht, wenn der Beſchenck-
te vor dem Schenckenden ſtirbt; hinge-
gen eine Schenckung unter Lebendi-
gen behaͤlt ihre Guͤltigkeit, wenn
gleich die Sache noch nicht wuͤrcklich
uͤbergeben worden.


§. 482.

Eine Vergeltungs-Schenckung(do-Von der
Vergel-
tungs-
Schen-
ckung.

natio remuneratoria) nennet man, wel-
che wegen der Verdienſte gegen den Schen-
ckenden geſchieht, oder wegen der Wohltha-
ten, die der Schenckende von dem andern em-
pfangen. Man ſagt aber, einer habe ſich
wohl verdient um den andern gemacht

(bene
[300]II.Th. 9. H. Von bloß milden Handl.
(bene mereri de aliqvo), wenn er ſich be-
muͤht, dem andern, es ſey auf was Art und
und Weiſe es wolle, nuͤtzlich zu erzeigen, oder
wenn er thut, was zum Nutzen und Ver-
gnuͤgen des andern gereichet. Wenn Ver-
geltungs-Schenckungen in unſerem
Vermoͤgen ſtehen, ſo ſind wir dazu
natuͤrlicher Weiſe verbunden;
maſſen
ſie aus einem danckbaren Gemuͤth geſchehen
(§. 477.); inſonderheit aber wenn ſie um
Sterbens willen geſchehen
(§. 479.), und
dieſe ſoll man nicht wiederrufen, als
wenn man die geſchenckte Sache ſelbſt
noͤthig hat, entweder zu ſeiner oder
der Seinigen Nothdurft, unerachtet
der andere in dieſem Stuͤcke ſich muß
gefallen laſſen, was wir thun
(§. 479.).


§. 483.

Von Ge-
genſchen-
ckungen.

Eine Gegenſchenckung(donatio
reciproca)
nennt man, welche unter der Bedin-
gung geſchieht, daß uns der andere wieder
etwas ſchenckt. Es kommt alſo dieſelbe
mit einer beſchwerten Schenckung uͤ-
berein
(§. 409.). Weil aber beyde Schen-
ckungen umſonſt geſchehen (§. 475.); ſo ſie-
het man in Gegenſchenckungen nicht
auf den Werth der beyderſeits ge-
ſchenckten Sachen.


§. 484.

Von
dem, was
man we-
gen eines

Man ſagt, daß man wegen eines To-
desfalls etwas bekommt
(mortis cauſa
capionem),
wenn man von jemanden eine
Sache
[301]die ſo gleich vollbracht werden.
Sache in Anſehung des Todes eines andern,Todes-
falls be-
kommt.

aber nicht von den Guͤtern des Verſtorbenen
erhaͤlt: Es ſey an dem, daß der Rechtsge-
lehrte Julianus dieſes Wort in einem weit-
laͤuftigeren Verſtande nimmet, daß es auch
die Schenckung um Sterbens willen unter
ſich begreift. Man bekommt etwas we-
gen eines Todesfalls, wenn einem et-
was in Anſehung des Todes eines an-
dern geſchenckt wird;
als wenn ich einem
10. Ducaten gebe, weil er mir den Tod mei-
nes Verwandten meldet, der mich zum Er-
ben eingeſetzt hat, oder meines Feindes, wel-
cher mir ſchaden konnte. Jngleichen wenn
ich einem eine Sache aus einer Erb-
ſchaft, die ich bekommen habe, ver-
ſpreche;
maſſen alsdann, wenn ich die Erb-
ſchaft angetreten habe, das was dem Verſtor-
benen zugehoͤrte, nun mein iſt; ſo bekommt
er die Sache wegen eines Todesfalls.


§. 485.

Ueberfluͤßig(ſuperfluum) nennt manWas uͤ-
berfluͤßig
iſt.

uͤberhaupt genommen, ohne welches man ſei-
ne vorhabende Abſicht, dazu man es anwen-
det, erhalten kann; und alſo in Anſehung
der Sachen, die wir haben uͤber diejenigen,
welche wir zur Nothdurft, zur Beqvemlichkeit,
zum Vergnuͤgen und des Wohlſtandes wegen
gebrauchen.


§. 486.

Das Vermoͤgen, was wir uͤberfluͤßig ha-Von dem
Reich-
thume.

ben, bekommt den Nahmen des Reichthums
(divi-
[302]II.Th. 9. H. Von bloß milden Handl.
(divitiæ).Nachdem viel, oder we-
nig uͤberfluͤßig iſt, ſo iſt der Grad des
Reichthums groͤſſer, oder kleiner, und
das Reichthum muß man nach dem
Stande der Perſon beurtheilen.
Da-
her nennt man denjenigen reich(divitem),
deſſen Vermoͤgen uͤberfluͤßiges enthaͤlt: Sehr
reich
(opulentum) aber, der einen groſſen
Reichthum hat, oder der einen groſſen Ue-
berfluß an allen Sachen hat. Der Reiche
hat alſo mehr, als er beqvem, vergnuͤgt
und wohlanſtaͤndig zu leben braucht
(§.
485.). Vor dasjenige Vermoͤgen, was nicht
mehr in ſich begreift, als das, was zur Noth-
durft und Beqvemlichkeit, zum Vergnuͤgen
und Wohlſtande hinreichend iſt, findet man in
der lateiniſchen Sprache, uͤber deren Armuth
ſich der Lucretius 1. Buch 31. V. und
Plinius 4. Buch 17. Brief beklagen,
kein beqvemes Wort, um den mittlern
Zuſtand zwiſchen Reichthum und Armuth an-
zuzeigen. Jm Deutſchen nennen wir es das
Auskommen.
Und in ſo fern als es ver-
ſchiedene Grade der Bequemlichkeit, des Ver-
gnuͤgens und des Wohlſtandes giebt, unter-
ſcheiden wir ein noͤthiges Auskommen
und ein gutes und reichliches Auskom-
men
von einander.


§. 487.

Von der
Armuth,
der Duͤꝛf-
tigkeit

Jm Gegentheil nennen wir einen arm
(pauperem), deſſen Vermoͤgen weiter nichts
als das nothwendigſte enthaͤlt; duͤrftig aber
oder
[303]die ſo gleich vollbracht werden.
oder gar ſehr arm(egenum) denjenigen,und Bet-
telſtande.

dem es auch an dem nothwendigen fehlet.
Wenn jemand ſo duͤrftig iſt, daß ihm auch das-
jenige fehlt, was zur aͤuſerſten Nothdurft
des Lebens gehoͤrt; ſo iſt er ein Bettler,
oder bettelarm(mendicus). Wenn dieſe
Armuth nur auf eine zeitlang dauert, als ſo
lange einer kranck iſt, oder ihm die Gelegen-
heit fehlet, durch ſeine Arbeit etwas zu ver-
dienen, ſo iſt es eine Bettelarmuth auf
eine zeitlang
(mendicitas temporanea).


§. 488.

Was man einem giebt zu ſeiner aͤuſerſtenVom All-
moſen.

Nothdurft, wird ein Allmoſen(eleemo-
ſyna)
genannt; und derjenige bettelt(men-
dicat),
der um ein Allmoſen bittet. Man
muß alſo denenjenigen Allmoſen geben,
die bettelarm ſind
(§. 487.). Und weil
wir einem andern das nicht zu leiſten verbun-
den ſind, worin er unſerer Huͤlfe nicht bedarf
(§. 44.); ſo iſt keinem erlaubt zu bet-
teln, als nur denen, welche mit ihrer
Arbeit nicht ſo viel erwerben koͤnnen,
als zur Lebens-Nothdurft hinreicht;
es ſey, daß dieſes aus Mangel der
Kraͤfte, oder aus Mangel der Gele-
genheit zu arbeiten, komme; und dieſen
ſoll man Allmoſen geben.
Damit man
aber keinem das Allmoſen verſage, der es be-
darf; ſo muß man in zweifelhaften Faͤl-
len das Urtheil von der dringenden
Noth dem Bettelnden uͤberlaſſen.


§. 489.
[304]II.Th. 9. H. Von bloß milden Handl.
§. 489.

Wie viel
einem zu
betteln
erlaubt
iſt, und
wie man
die All-
moſen
anzuwen-
den hat.

Weil die Allmoſen bloß zur aͤuſerſten Noth-
durft gegeben werden, und es nicht erlaubt
iſt Allmoſen, als zu dem Ende zu begehren
(§. 488.); ſo iſt nicht erlaubt mehr zu
betteln, als zur hoͤchſten Nothdurft
hinreichend iſt; und es mißbraucht die
Allmoſen, der ſie zur Beqvemlichkeit
und zum Vergnuͤgen des Lebens an-
wendet.
Weil derjenige, welcher ei-
nem Bettler mehr giebt, als die Noth-
durft erfordert,
ihm etwas ſchencket (§.
475.); es aber auf den Willen eines j den
ankommt, ob er einem etwas ſchencken will
(§. cit.); ſo iſt kein Zweifel, daß es dem
Bettler erlaubt ſey es anzunehmen.

Und weil die Allmoſen, die man gegeben, dem
Bettler eigenthuͤmlich zugehoͤren (§. 258.);
ſo muß es ſeinem Gewiſſen uͤberlaſſen
werden, wenn er die Allmoſen miß-
braucht
(§. 202.).


§. 490.

Vom Ge-
ben der
Allmo-
ſen.

Weil durch Einfuͤhrung des Eigenthums
niemanden der nothwendige Gebrauch der Sa-
chen hat benommen werden koͤnnen (§. 304.);
ſo ſind nach ihrem Vermoͤgen Allmo-
ſen zu geben verbunden, die ſie geben
koͤnnen.
Derowegen ſind nicht bloß die
Reichen, und die ein groſſes Vermoͤ-
gen haben, mehreren Perſonen und reich-
lichere Allmoſen zu geben verbunden
(§.
486.), ſondern auch Arme, die nicht ei-
nen
[305]die ſo gleich vollbracht werden.
nen ſo groſſen Mangel an dem noth-
wendigen haben, daß ſie ſich nichts
ohne Verletzung der Pflichten gegen
ſich ſelbſt und die Jhrigen entziehen
koͤnnen, ſind maͤßige Allmoſen zu ge-
ben ſchuldig. Ja wenn ein Bettler
mehr durch ſein Betteln bekommt, als
zur gegenwaͤrtigen Nothdurft erfor-
dert wird, und er ſieht einen andern
darben; ſo iſt er ſchuldig ihm einiges
Allmoſen zu geben.
Da nach der Ein-
fuͤhrung des Eigenthums den Allmoſen gleich
zu achten, was einer ohne Entgeld thut, um
dem andern die aͤuſerſte Nothdurft zu erleich-
tern (§. 327. 488.); ſo muͤſſen auch die
Armen und Duͤrftigen, ja ſelbſt die
Bettler, was ſie zur Erleichterung der
aͤuſerſten Nothdurft anderer thun
koͤnnen, umſonſt thun. Wer
aber ſelbſt
nichts hat, als was zur aͤuſerſten
Nothdurft erfordert wird, der iſt nicht
verbunden Allmoſen zu geben
(§. 133.).
Und weil das Allmoſen eine Wohlthat iſt (§.
470. 488.), niemand aber eine Wohlthat
zu geben mit Gewalt angehalten werden kann
(§. 473.); ſo kann auch ein Bettler kei-
nen mit Gewalt anhalten ihm Allmo-
ſen zu geben;
folglich wenn er bittet, ja
mit Bitten anhaͤlt, und es wird ihm
abgeſchlagen; ſo muß er es erdulden
und andere um ein Allmoſen bitten.


Nat. u. Voͤlckerrecht. U§. 491.
[306]II.Th. 9. H. Von bloß milden Handl. ꝛc.
§. 491.

Von den
Allmo-
ſen, die
man vor
andere
ſammlet.

Da wir denen, welche unſere Huͤlfe be-
duͤrfen, aushelfen ſollen, ſo viel wir koͤnnen
(§. 44.), und das Geſetze der Natur uns
das Recht giebt zu den Handlungen, ohne
welche wir unſerer Verbindlichkeit kein Ge-
nuͤge leiſten koͤnnen (§. 46.); ſo iſt auch
erlaubt Allmoſen zu ſammlen vor an-
dere, die ſie bedoͤrfen.
Dem aber ohn-
erachtet wird der, welcher Allmoſen
fuͤr andere ſammlet, nicht von der Ver-
bindlichkeit, Allmoſen von ſeinem eige-
nen zu geben, befreyet
(§. 42.).


§. 492.

Von der
Barm-
hertzig-
keit.

Elende(miſerum) nennt man denjeni-
gen, welcher viel und groſſes Uebel, beſon-
ders am Leibe, und vieles und groſſes Ungluͤck
empfindet. Die Duͤrftigen alſo und Bett-
ler ſind elende (§. 487.). Barmhertzig

(miſericordem) nennt man denjenigen, dem
das Elend des andern ein Bewegungsgrund
iſt, ihn von dem Uebel umſonſt zu befreyen,
oder wenigſtens ihm daſſelbige, ſo viel an ihm
iſt, ertraͤglicher zu machen. Derowegen da
wir, ſo viel wir koͤnnen, verhuͤten ſollen, daß
andere nicht Schaden an ihrer Seele, oder
an ihrem Leibe, oder an ihrem Gluͤcke leiden
(§. 134.), folglich auch davor beſorgt ſeyn,
daß ſie von ihrem Uebel befreyet werden, oder
ihnen daſſelbe wenigſtens ertraͤglicher gemacht
werde; ſo ſollen wir barmhertzig ſeyn.


Das
[307]

Das zehente Hauptſtuͤck.


Von dem Werth der Sachen
und dem Gelde.


§. 493.

Wenn ich dem andern eine Sache, z. E.Was der
Werth
der Sa-
chen und
der Ar-
beit ſey,
und die
Noth-
wendig-
keit deſ-
ſelben.

A. gebe, und der andere mir eben
ſo viel z. E. B. geben muß; ſo iſts
nothwendig, daß die Groͤße von B. durch die
von A, ohne ein drittes gleichartiges anzu-
nehmen, beſtimmet werde. Dieſe Bewand-
niß der Sache A. in Anſehung B. wird von
den Mathematickverſtaͤndigen eine Verhaͤlt-
niß
(ratio) genannt. Wenn man alſo
nichts umſonſt geben, oder thun darf;
ſo iſts nothwendig, daß man ſo wohl
der koͤrperlichen, als unkoͤrperlichen
Sachen, der Arbeiten zu einander und
der Sachen zu den Arbeiten ihre Ver-
haͤltniß beſtimme.
Da ſie nun, als Din-
ge von verſchiedener Art, deren eines mehr-
mahl genommen dem andern nicht gleich, oder
groͤſſer als daſſelbe werden kann, dergleichen
Verhaͤltniß von Natur nicht haben; ſo muß
dieſe Verhaͤltniß durch den Willkuͤhr
der Menſchen beſtimmt werden.
Da-
mit nun dieſes geſchehen koͤnne; ſo muß
man den Dingen einige Groͤſſe beyle-
gen, vermoͤge welcher eine mir der an-
dern verglichen werden kann.
Dieſe
erdichtete Groͤſſe, welche Pufendorff die
U 2mora-
[308]II.Th. 10. H. Von dem Werth der Sachen
moraliſche, im Gegenſatz gegen die phyſiſche
(phyſicam), nennt, ſo die Dinge wuͤrcklich
haben, oder die man annimmt, als wenn ſie
in der Arbeit befindlich waͤre, und welche den
Sachen und der Arbeit nach dem Willkuͤhr
der Menſchen beygeleget wird, damit ihr
Verhaͤltniß gegen einander beſtimmet werden
koͤnne, wird der Werth der Sachen und
der Arbeit(pretium rerum \& operarum)
mit dem Zuſatz der gemeine(vulgare) ge-
nannt.


§. 494.

Was das
Geld ſey
und der
Gebꝛauch
deſſelben.

Allein nachdem ſich die Zahl der verſchiede-
nen Sachen und Arbeiten vermehret, und
beſonders in den Tauſchhandlungen nicht ein
jeder Sachen, die dem andern zugehoͤrten, oder
ſeine Arbeit noͤthig hatte, die er ihm alſo vor
ſeine geben oder leiſten konnte; ſo war noͤthig,
daß man eine gewiſſe beſtimmte phyſiſche Groͤſ-
ſe einer koͤrperlichen Sache annahm, damit
man die den Sachen angedichtete Groͤſſe deſto
beſſer zum gemeinen Nutzen meſſen koͤnnte.
Und dieſe koͤrperliche Sache, wovon man ei-
ne beſtimmte Groͤſſe fuͤr das gemeine Maaß
aller koͤrperlichen und unkoͤrperlichen Sachen,
wie auch der Arbeiten annimmet, nennt man
das Geld(pecuniam), welches man daher
auch erklaͤren kann, daß es das allgemeine
Maaß der Sachen und der Arbeit ſey. Da-
her iſt der Werth der Sachen und der
Arbeit dem Gelde proportionirt, alſo
daß eine doppelte Geldſumma den dop-

pelten
[309]und dem Gelde.
pelten Werth der Sache und der
Arbeit beſtimmt
u. ſ. f. Und derowegen
kann man das Geld fuͤr eine jede Sa-
che und Arbeit geben,
und vor Geld
kann man eine jede Sache und Arbeit
von dem andern ſich verſchaffen.
Und
ſolchergeſtalt vertritt das Geld in den
Tauſchhandlungen die Stelle der Sa-
chen und einer jeden Arbeit.


§. 495.

Der Werth einer Sache, oder einer Ar-Vom
Preiße.

beit, welcher durch das Geld beſtimmt wird,
nennt man den Preiß, oder den Werth
am Gelde
(pretium eminens). Da nun
der Preiß die Stelle des gemeinen Werths
vertritt (§ 493. 494.); ſo verhaͤlt ſich
der gemeine Werth der Sachen, wie
der Preiß, oder Werth am Gelde, und
der Preiß, oder Werth am Gelde, wie
der gemeine Werth der Sachen;
als
wenn ein Scheffel Haber 8. gl. gilt, und ein
Scheffel Gerſte 12. gl., ſo iſt das Verhaͤlt-
niß des Preißes wie 8 zu 12, oder wie 2 zu 3.
Eben dieſes Verhaͤltniß bleibt bey dem gemei-
nen Werthe der Sachen; weil in der Vertau-
ſchung des Habers und der Gerſte ein Scheffel
Haber ⅔ Scheffel Gerſte gleich geachtet wird.
Es iſt auch hieraus klar, daß ſo wohl der
gemeine Werth als auch der Preiß der
Sachen und der Arbeit von einer Art
ihrer phyſiſchen Groͤſſe proportionir-
lich ſind.


U 3§. 496.
[310]II.Th. 10. H. Von dem Werth der Sachen
§. 496.

Von der
phyſi-
ſchen
Groͤſſe.

Es lehret die gemeine Erfahrung, daß die
phyſiſche Groͤſſe nach der Verſchiedenheit der
koͤrperlichen Sachen durch ein gewiſſes Maaß
beſtimmet wird; die Groͤſſe der unkoͤrperli-
chen Sachen aber nach dem Nutzen, den wir
davon haben; als das Recht in einer gewiſ-
ſen Gegend Voͤgel zu fangen, nach der An-
zahl der Voͤgel, welche man in einem Jahre
fangen kann, wenn man den Lohn der Arbeit
nebſt den uͤbrigen Unkoſten davon abzieht.
Den Werth der Arbeit ſchaͤtzt man entweder
nach der Zeit, die man damit zubringet, oder
nach der Groͤſſe deſſen, was dadurch verfer-
tiget, oder zu Stande gebracht wird.


§. 497.

Vom
urſpꝛuͤng-
lichen u.
hergelei-
teten
Werthe.

Wir unterſcheiden aber den urſpruͤnglichen
und den hergeleiteten Werth von einander:
Den urſpruͤnglichen Werth(pretium pri-
mitivum)
nennen wir den Werth der nach
einem gewiſſen Maaße beſtimmten Groͤſſe ei-
ner Sache, oder Arbeit, in einer gewiſſen
Summe Geldes, welchen man als das Maaß
in ſeiner Art annimmt. Den hergeleite-
ten Werth
(pretium derivativum) aber
nennen wir denjenigen, welcher nach Propor-
tion entweder einer groͤſſeren, oder geringern
Qvantitaͤt von eben der Sache zukommt.


§. 498.

Von der
Beſtim-
mung
des

Weil niemand verbunden iſt dem andern
etwas umſonſt zu geben, wenn er ihm hin-
wiederum etwas geben oder thun kann (§. 473.),
und
[311]und dem Gelde.
und man fuͤrs Geld alle Sachen und Arbeit er-Werths
der Din-
ge.

halten kann (§. 494.); ſo muß man den
urſpruͤnglichen Werth der Dinge und
Arbeit alſo beſtimmen, damit niemand,
der arbeiten will, an nothwendigen
Sachen Mangel leidet
(§. 121.). De-
rowegen muß der Werth der nothwen-
digen Sachen alſo geſetzt werden, daß
man ſie um eine geringe Arbeit erhal-
ten kann, und je groͤſſer der Vorrath
derſelben iſt, deſto kleiner muß ihr
Werth ſeyn.
Allein da wir die nuͤtzlichen
und vergnuͤgenden Sachen nicht ſo noͤthig ha-
ben, wie die nothwendigen (§. cit.); ſo kann
man, wenn auf den Gebrauch derſel-
ben allein geſehen wird, den nuͤtzlichen
Sachen einen hoͤheren Werth, als den
nothwendigen, und denen, die bloß zum
Vergnuͤgen dienen, einen hoͤhern
Werth, als den nuͤtzlichen beylegen.

Weil aber kein Menſch gezwungen werden
kann, ſich Sachen von einem andern um ei-
nen gewiſſen Preiß anzuſchaffen; indem er mit
ſeinem Gelde nach ſeinem Gefallen ſchalten
und walten kann, wie er will (§. 195.); ſo
muß man den Werth der nuͤtzlichen
und beſonders der vergnuͤgenden Sa-
chen alſo beſtimmen, daß der andere
ſich dieſelben auch um ſolchen Preiß
anſchaffen will.
Und aus eben dieſer Ur-
ſache kann der Werth der Sachen im
natuͤrlichen Stande nicht anders, als

U 4durch
[312]II.Th. 10. H. Von dem Werth der Sachen
durch beyderſeits Einwilligung be-
ſtimmt werden.


§. 499.

Vom bil-
ligen und
unbilli-
gen Pꝛeiß.

Ein billiger Preiß(pretium æqvum) iſt
derjenige, welcher dem Rechte der Natur ge-
maͤß beſtimmt worden, dergeſtalt, daß nichts
begangen wird, welches wider die Pflichten
und die daher entſpringenden Rechte iſt: Ein
unbilliger Preiß
(pretium iniqvum) iſt
derjenige, welcher dieſem entgegen iſt. Weil
man ſich aber hierin nach der gemeinen Ein-
willigung der Menſchen in der Vertauſchung
der Sache und der Arbeit richten muß (§.
498.); ſo haͤlt man vor einen billigen
Preiß, welcher nach der gemeinen Ein-
willigung der Menſchen an einem Or-
te eingefuͤhret worden.
Weil aber, nach-
dem ſich die Umſtaͤnde aͤndern, auch der Preiß
der Sachen und der Arbeit aͤndern muß, wel-
ches wir der Weitlaͤuftigkeit wegen hier nicht
weitlaͤuſtiger ausfuͤhren koͤnnen; ſo kann ein
Preiß, der zu einer Zeit billig iſt, zu ei-
ner andern unbillig ſeyn.


§. 500.

Von dem
Lohn.

Den Preiß der Arbeit nennt man mit ei-
nem beſondern Nahmen den Lohn(merce-
dem);
und alsdann behaͤlt der Werth der
Sachen am Gelde bloß den Nahmen des
Preißes.


§. 501.

Von der
Materie
u. Forme

Da man das Geld fuͤr ſeine jede Sache und
Arbeit giebt (§. 494.); folglich daſſelbige dazu
ange-
[313]und dem Gelde.
angenommen wird, daß man es wieder einemdes Gel-
des.

andern geben kann, und ſolchergeſtalt ſtets aus
einer Hand in die andere kommt; ſo muß
es aus einer dauerhaften Materie be-
ſtehen, die
naͤmlich durch den Gebrauch
nicht leicht abgenutzt, noch, indem es
aufgehoben wird, verderben kann.

Und da es beqvem iſt, wenn man einer klei-
nen Groͤſſe von der Materie, aus welcher
das Geld beſteht, einen ſolchen Werth beyle-
gen kann, der dem Werthe anderer Sachen
einer anſehnlichen Groͤſſe gleich kommt; ſo
muß es aus einer ſolchen Materie ge-
macht werden, welche zu den kuͤnſtli-
chen Sachen, die man haͤufig und un-
umgaͤnglich noͤthig hat, nicht erfor-
dert wird, und die nicht in ſolcher
Menge, wie andere zu haben.
Dahero
laͤßet ſich leicht ſchlieſſen, daß Gold und
Silber ſich zum Gelde am beſten ſchi-
cke.
Weil doch aber ein jeder von dem Wer-
the Gewißheit haben, und dabey geſichert
ſeyn muß, daß die Materie nicht verfaͤlſcht
ſey; ſo muß man auf das Geld das Verhaͤlt-
niß ausdrucken, welches es zu demjenigen hat,
was man im zaͤhlen fuͤr Eins annimmt, und
ein Zeichen der innern Guͤte darauf drucken,
das iſt, das Geld muß gepraͤgt wer-
den.


§. 502.

Das Geld, welches in gewiſſe Theile ge-Von der
Muͤntze.

theilt und gepraͤgt iſt, wird die Muͤntze(mo-
U 5neta)
[314]II.Th. 10. H. Von dem Werth der Sachen
neta) genannt; und daher erhellet, daß man
die Muͤntze einfuͤhren muͤße
(§. 501.);
obgleich einige Voͤlcker unlegirtes, das iſt,
mit keinem andern Metall vermiſchtes und
ungepraͤgtes Gold und Silber anſtat des Gel-
des gebraucht.


§. 503.

Wie die
Groͤſſe
des Ver-
moͤgens
zu ſchaͤ-
tzen.

Da der Werth aller Sachen durch Geld be-
ſtimmt wird (§. 494.); ſo wird die Groͤſ-
ſe des Vermoͤgens
auch nach Gelde ge-
ſchaͤtzt, und das Geld, was einer wuͤrck-
lich beſitzt, dazu gezaͤhlt
(§. 207.). Man
nennt aber baares Geld(pecuniam nume-
ratam),
welches einer wuͤrcklich hat. Und
weil es gute oder ſichere Schulden(de-
bita exigibilia)
ſind, wenn der Schuldner
geben kann, was er zu geben ſchuldig iſt, oder
wenn er bezahlen kann: Boͤſe oder ver-
lohrne Schulden
(debita inexigibilia)
aber, wenn der Schuldner nicht bezahlen
kann; ſo werden die guten Schulden
bey Schaͤtzung der Groͤſſe des Vermoͤ-
gens dem baaren Gelde gleich geach-
tet, die ſich aber nicht eintreiben laſſen,
kommen nicht mit in Anſchlag.


§. 504.

Wie der
Reich-
thum, die
Armuth,
die Duͤrf-
tigkeit
und die

Weil derjenige reich iſt, deſſen Vermoͤgen
uͤberfluͤßiges enthaͤlt (§. 486.); ſo wird der
Reichthum nach der Groͤſſe des uͤber-
fluͤßigen Geldes geſchaͤtzt
(§. 503.). Und
derjenige iſt arm, welcher nicht mehr
Geld mit ſeiner Arbeit erwerben kann,

als
[315]und dem Gelde.
als er das nothwendige anzuſchaffenBettel-
armuth
geſchaͤtzt
werden.

braucht; wer nicht einmahl ſo viel er-
werben kann, iſt duͤrftig, und wer
nicht einmahl ſo viel erwerben kann,
als er zu ſeiner aͤuſerſten Nothdurft
braucht, iſt ein Bettler
(§. 487.).


§. 505.

Einkuͤnfte(reditus) nennt man dasjeni-Die Ein-
kuͤnfte
und ihr
Unter-
ſchied.

ge, was wir aus unſeren Sachen, oder durch
unſere Arbeit erwerben. Jaͤhrliche Ein-
kuͤnfte
(reditus annui) ſind diejenigen, wel-
che in einer Zeit von einem Jahr einkommen,
und dieſelbe ſind gewiſſe oder ſtete(ſtati),
welche alle Jahr einerley ſind; veraͤnderli-
che
oder unſtete aber, welche ab- und zu-
nehmend ſind.


§. 506.

Ausgaben(expenſas) nennt man dasDie Aus-
gaben u.
ihr Un-
terſchied.

Geld, wovor man ſich Sachen anſchafft,
welche entweder durch den Gebrauch verzehrt,
oder verſchlimmert werden, oder die man an-
dern umſonſt giebt. Daher erhellet, daß die
Unkoſten zu den Ausgaben gehoͤren
(§.
279.). Es ſind aber ordentliche Ausga-
ben
(expenſæ ordinariæ) diejenigen, welche
beſtaͤndig geſchehen, oder zu einer gewiſſen
Zeit wiederkommen: Auſſerordentliche
aber (extraordinariæ), welche nur bey einem
gewiſſen Vorfall erfordert werden. Nach
der Verſchiedenheit der Sachen oder der Un-
koſten ſind ſie entweder nothwendige, oder
nuͤtzliche, oder zur Luſt gemachte Aus-
gaben
[316]II.Th. 10. H. Von dem Werth der Sachen
gaben (§. 121. 279.). Ueberdieß ſind we-
niger nothwendige Ausgaben
(minus
neceſſariæ),
welche auf Sachen verwendet
werden, die wir entbehren koͤnnten, und un-
nuͤtze
(inutiles), welche um Sachen anzu-
ſchaffen geſchehen, die uns gar nichts nutzen.


§. 507.

Von Er-
werbung
des Gel-
des.

Da wir beſorgt ſeyn ſollen, daß wir beqvem,
vergnuͤgt (§. 119.) und unſerem Stande ge-
maͤß (§. 55.) leben; ſo muͤſſen wir uns
ſo viel moͤglich Muͤhe geben, ſo viel
Geld zu erwerben, als beqvem, ver-
gnuͤgt und unſerem Stande gemaͤß zu
leben hinreicht.
Es iſt aber vor ſich klar,
daß dieſe nicht weiter gehet, als es uns moͤg-
lich iſt (§. 37.).


§. 508.

Vom
Ausge-
ben des
Geldes.

Weil niemand ſeine Sachen anders ge-
brauchen darf, als es die Pflichten erfordern
(§. 202.); ſo ſoll man das Geld nicht
anders ausgeben, als wenn es die Pflich-
ten erfordern.
Derowegen ſoll man un-
nuͤtze Ausgaben gaͤntzlich unterlaſſen
(§.
506.). Es erhellet auch ferner, daß die
nothwendigen Ausgaben den nuͤtzli-
chen, und beyde den bloß zur Luſt die-
nenden vorzuziehen ſind (§. 122. 506.);
und wer ein geringes Vermoͤgen hat,
die weniger nothwendigen Ausgaben
vermeiden muͤße (§. 208. 506.); Rei-
chen und ſteinreichen aber zum beſten
anderer, die des Geldes hoͤchſt beduͤr-

fen,
[317]und dem Gelde.
fen, unnuͤtze und weniger nothwen-
dige Ausgaben erlaubet ſeyn
(§. 486.
140. 506.). Weil viel Faͤlle vorkommen
koͤnnen, da auſſerordentliche Ausgaben erfor-
dert werden, und da wir entweder nichts,
oder doch nicht ſo viel erwerben koͤnnen, als
zu unvermeidlichen Ausgaben erfordert wird;
ſo ſoll man nicht weniger bey dem Er-
werb des Geldes, als auch bey der
Ausgabe, ſo viel als moͤglich iſt, auf die
kuͤnftige Nothdurft ſehen.
Da wir
endlich, ſo viel in unſerer Gewalt ſteht, un-
ſer Vermoͤgen zu erhalten und zu vermehren
verbunden ſind (§. 208.); ſo ſollen wir
darauf bedacht ſeyn, daß die Ausga-
ben die jaͤhrlichen Einkuͤnfte nicht uͤ-
berſchreiten, ſondern vielmehr gerin-
ger als dieſe ſind
(§. 505. 506.).


§. 509.

Da man Pracht(luxum) nennt, die uͤber-Von dem
Pracht
und der
Ver-
ſchwen-
dung.

maͤßige Ausgabe des Geldes, bloß um ſich ſe-
hen zu laßen; man aber beym Ausgeben des
Geldes nichts thun ſoll, was den Pflichten
entgegen iſt (§. 508.); ſo iſt aller Pracht
durch das natuͤrliche Geſetze verboten.

Es iſt aber derſelbe von der Verſchwen-
dung
(prodigalitate) unterſchieden, da man
mehrere und groͤſſere Ausgaben macht, nach
ſeinem Vermoͤgen, als es die Pflichten gegen
ſich ſelbſt, oder gegen andere erfodern. Da-
her erhellet, wie vorhin, daß die Ver-
ſchwen-
[318]II.Th. 10. H. Von dem Werth der Sachen
ſchwendung durchs Geſetze der Natur
verboten ſey
(§. 508.).


§. 510.

Was
man in
Anſe-
hung der
zeitlichen
Guͤter
der goͤtt-
lichen
Vorſicht
uͤberlaſ-
ſen muß.

Weil wir bey Erwerbung und Erhaltung
des erworbenen Geldes keine groͤſſere Muͤhe,
noch groͤſſeren Fleiß anwenden koͤnnen, als in
unſeren Kraͤften ſtehet (§. 60.), wir auch
zu mehrerem nicht verbunden ſind (§. cit.);
ſo folget, daß, wenn wir bey Erwer-
bung und Erhaltung des erworbenen
Geldes ſo viel Muͤhe und Fleiß ange-
wandt, als wir koͤnnen, wir das uͤbri-
ge der goͤttlichen Vorſicht uͤberlaſſen
und mit unſerm Schickſal zufrieden
ſeyn ſollen
(§. 173.); folglich uns deswe-
gen nicht graͤmen, daß wir nicht ſo
viel erwerben koͤnnen, als erfordert
wird, beqvem zu leben und an ſich
zwar unſchuldiger Luſt zu genieſſen,
vielweniger im Stande ſind, auf et-
wan kuͤnftige Nothfaͤlle etwas aufzu-
heben.


§. 511.

Wie viel
Bemuͤ-
hung
man bey
der Er-
werbung
des Gel-
des an-
wenden
muß.
Wie weit
man Geld

Da die natuͤrliche Verbindlichkeit noth-
wendig und unveraͤnderlich iſt (§. 38.); ſo
ſoll man bey Erwerbung des Geldes
nicht mehr Muͤhe anwenden, als ohne
Verletzung der uͤbrigen natuͤrlichen
Verbindlichkeit geſchehen kann.


§. 512.

Weil die Menſchen von Natur ein Recht
haben zum Gebrauch aller Dinge, in ſo ferne
ohne
[319]und dem Gelde.
ohne dieſelben der natuͤrlichen Verbindlichkeitu. Reich-
thuͤmer
begehren
koͤnne.

kein Genuͤge geſchehen kann (§. 183.), und,
nachdem durch Einfuͤhrung des Eigenthums
dieſes gemeinſchaftliche Recht ein eigenes wor-
den iſt (§. 194.), auch das Thun der Men-
ſchen und ihre Arbeit eigenthuͤmlich worden
(§. 225.), das Geld erfunden worden, um
Sachen und Arbeit anderer, die wir noͤthig
haben, uns anzuſchaffen (§. 494.); ſo ſoll
man auch nach Geld,
folglich nach Reich-
thume (§. 486.) nicht deswegen ſtre-
ben, daß man es bloß hat, ſondern da-
mit wir uns dadurch Sachen und Ar-
beit anderer anſchaffen koͤnnen, die wir
zur Erfuͤllung unſerer natuͤrlichen
Pflicht noͤthig haben, und davon dem
Duͤrftigen etwas geben koͤnnen
(§. 488.).


§. 513.

Da niemand daran zweifelt, daß Armuth,Von
Vermei-
dung der
Armuth,
Duͤrftig-
keit und
dem Bet-
teln.

Duͤrftigkeit und Betteln ein Uebel oder ein
Ungluͤck ſey, wir uns aber auch vor dieſem
Uebel in acht nehmen ſollen (§. 104.); ſo
muͤſſen wir uns, ſo viel an uns iſt, huͤten,
daß wir nicht in Armuth und Duͤrf-
tigkeit, oder an den Bettelſtab gerathen

(§. 17.). Und eben dieſe Vorſorge ſollen
wir auch vor andere haben
(§. 134.).


Das
[320]II.Th. 11. H. Von wohlthaͤtigen

Das eilfte Hauptſtuͤck.


Von wohlthaͤtigen verbindlichen
Handlungen, oder von wohlthaͤ-
tigen Contracten.


§. 514.

Der Con-
tract.

Die Handlungen, welche eine vollkom-
mene Verbindlichkeit hervorbringen,
werden Contracte(contractus) ge-
nannt. Es ſind alſo Vertraͤge und Contracte
nach dem Naturrechte nicht unterſchieden (§.
438. 380.).


§. 515.

Das Lei-
hen und
Wieder-
erſtat-
tung eben
derſelben
Sache,
oder in
einerley
Art.

Ein wohlthaͤtiger Contract, durch welchen
man einen gewiſſen Gebrauch einer Sache,
die nicht verbraucht wird, einem andern um-
ſonſt vergoͤnnet, wird das Leihen(com-
modatum)
genannt. Wer den Gebrauch
vergoͤnnet, heiſſet der Leihende(commo-
dans):
Der, welchem er vergoͤnnet wird, iſt
der, dem etwas geliehen worden(com-
modatarius).
Daher folgt, daß der, dem
etwas geliehen worden, die Sache nach
geendigtem Gebrauche wiedergeben
muß, und zwar eben dieſelbe
(§. 317.).
Man ſagt naͤmlich, es gebe einer eben die-
ſelbige Sache wieder
(rem in ſpecie re-
ſtituere),
wenn er die wiedergiebt, welche er
empfangen hat, und nicht eine andere von
eben der Art: Hingegen giebt er eine Sache in
einerley Art wieder
(rem in genere re-
ſtituit),
[321]Contracten.
reſtituit), wenn er nicht eben dieſelbe wieder-
giebt, welche er empfangen hat, ſondern nur
eben ſo viel von der Art und Guͤte. Uebri-
gens wird im Leihen der Gebrauch ei-
ner Sache, welche nicht verbraucht
wird, umſonſt gegeben.


§. 516.

Weil in der urſpruͤnglichen GemeinſchaftVon der
natuͤrli-
chen Ver-
bindlich-
keit zum
Leihen.

ein anderer eine Sache nach geendigtem Ge-
brauche gebrauchen kann, wenn ſie durch den
Gebrauch nicht verzehrt worden (§. 187.); ſo
ſind wir verbunden den unſchaͤdlichen
Gebrauch einer Sache, die wir entra-
then koͤnnen, wenn wir gewiß ſind,
daß wir ſie wiederbekommen werden
(§. 269.), demjenigen umſonſt zu erlau-
ben, welcher ſich dieſelbe nicht ſelbſt
anſchaffen, oder den Gebrauch vor
Geld von einem andern erhalten kann

(§. 473.).


§. 517.

Da aber niemand ſich des Gebrauchs einerWer et-
was ver-
leihen
kann.

Sache anmaſſen kann, als der Eigenthums-
herr (§. 198.); ſo kann auch niemand ei-
nem andern eine Sache leihen, als der
Eigenthumsherr;
folglich koͤnnen wir
eine Sache, die einem andern zugehoͤrt,
und uns geliehen worden, ohne Ein-
willigung des Eigenthumsherrn nicht
wieder verleihen.
Und eben deswegen
beruhet es auf dem Willen des Lei-
henden, wie lange und zu was Ende,

Nat. u. Voͤlckerrecht. Xund
[322]II.Th. 11. H. Von wohlthaͤtigen
und auf was Art und Weiſe er etwas
leihen will
(§. 195.); und daraus muß
man das Recht und die Verbindlich-
keit deſſen, dem etwas geliehen wor-
den, ermeſſen
(§. 317.).


§. 518.

Von Ue-
berge-
bung der
Sache
zum Ge-
brauch.

Da die geliehene Sache in den Haͤnden
desjenigen ſeyn muß, dem ſie geliehen wor-
den, wenn er ſie gebrauchen ſoll (§. 200.
514.); ſo wird zum Leihen eine Hand-
lung erfordert, wodurch die Sache in
die Haͤnde desjenigen, dem man ſie lei-
het, gebracht wird,
und dieſe nennet man
die Uebergabe zum Gebrauch(traditio
ad certum uſum)
in einem allgemeineren
Verſtande (§. 320.).


§. 519.

Von der
Ver-
ſchlim-
merung
und Ver-
derbung
der gelie-
benen
Sache.

Weil der Leihende dem andern den Gebrauch
der Sache verwilliget (§. 515.); ſo willigt
er in die Verſchlimmerung der Sache
ein, ohne welche der Gebrauch nicht
beſtehen kann.
Da aber ſonſt kein ande-
rer Gebrauch als der unſchaͤdliche erlaubt iſt
(§. 516.); ſo muß derjenige, dem etwas
geliehen worden, ſich in acht nehmen,
daß die geliehene Sache durch ſeine
Schuld nicht verſchlimmert, oder gantz
verdorben wird
(§. 517.); folglich in
Verwahrung und im Gebrauch der-
ſelben allen Fleiß anwenden (§. 21.), ja
noch mehr und groͤſſern, als bey ſeinen
eigenen Sachen.


§. 520.
[323]Contracten.
§. 520.

Weil man einen Schaden, der durch un-Vor was
vor
Schaden
derjeni-
ge, dem
etwas ge-
liehen
worden,
ſtehen
muß.

ſere Schuld oder vorſaͤtzlich geſchehen, erſetzen
muß (§. 270.); ſo muß auch, wenn die
geliehene Sache vorſaͤtzlich oder durch
Schuld deſſen, dem ſie geliehen wor-
den, verſchlimmert oder gantz verdor-
ben wird, der Schaden dem Leihenden
erſetzet werden.
Weil die geliehene Sa-
che, welche durch einen Zufall verdorben wird,
nicht waͤre verdorben worden, wenn ſie der
Leihende in ſeinen Haͤnden gehabt haͤtte, durch
die Schuld deſſen, dem ſie geliehen worden,
verdorben worden, wenn er verzoͤgert ſie wie-
derzugeben (§. 21. 417.); ſo muß der, dem
die Sache geliehen worden, wegen des
Verzugs vor den Schaden ſtehen, den
die gelichene Sache bey dem Leihen-
den nicht wuͤrde erlitten haben;
ja da
man von dem Leihenden, indem er den un-
ſchaͤdlichen Gebrauch ſeiner Sache in der Mey-
nung dem andern erlaubt, daß ſie ihm nach
geendigtem Gebrauch wiedergegeben werde (§.
515.), nicht vermuthen kann, daß er in Ge-
fahr ſtehen wolle, die Sache entweder zu ver-
liehren, oder ſie verſchlimmern zu laſſen; ſo
iſt beym Leihen natuͤrlicher Weiſe die-
ſe ſtillſchweigende Bedingung, daß der-
jenige, dem etwas geliehen worden,
vor einen Zufall ſtehen muͤſſe, wo-
durch die geliehene Sache bey dem Lei-
henden nicht waͤre verdorben oder ver-

X 2ſchlim-
[324]II.Th. 11. H. Von wohlthaͤtigen
ſchlimmert worden. Da nun aber der,
welchem etwas geliehen worden, entweder
eben dieſelbe Sache, welche er bekommen, wie-
dergeben (§. 515.), oder ihren Werth zu er-
ſetzen verbunden iſt (§. præſ.); ſo darf der
Leihende es nicht annehmen, wenn der
andere eine Sache von eben der Art
wiedergeben will.


§. 521.

Wenn
bloß zum
Vortheil
des Lei-
henden
eine Sa-
che gelie-
hen wird.

Wenn jemand bloß ſeines Vortheils
wegen einem andern etwas leihet, ſo iſt
es eigentlich zu reden kein Leihen
(§.
515.), indem der andere nicht umſonſt den
Gebrauch der Sache zu ſeinem eigenen Nu-
tzen verwilliget erhaͤlt, ſondern vielmehr er
zum Vortheile des Leihenden etwas thut, wo-
zu der Gebrauch ſeiner Sache noͤthig iſt, ſo
daß es eben ſo viel iſt, als wenn der Leihen-
de die Sache ſelbſt gebraucht haͤtte. Derowe-
gen iſt der andere nicht ſchuldig vor
den Zufall zu ſtehen, wodurch die Sa-
che bey dem Leihenden nicht waͤre ver-
dorben oder verſchlimmert worden; ob
er gleich verbunden iſt fuͤr dasjenige
zu ſtehen, was aus Verſehen oder vor-
ſaͤtzlich geſchehen
(§. 270.). Weil es ſich
aber verſtehet, daß die Sache durch des Lei-
henden Schuld verdorben, oder verſchlimmert
worden, wenn er ſie mit Wiſſen einem
Menſchen geliehen hat, der ſehr nach-
laͤßig iſt, obgleich bloß zu ſeinem Nu-
tzen (§. 21.); ſo darf derjenige dem et-

was
[325]Contracten.
was geliehen worden, vor ein Verſe-
hen nicht ſtehn.


§. 522.

Wenn derjenige, dem etwas gelie-Wenn
derjeni-
ge, dem
etwas ge-
liehen
worden,
einen
Dieb-
ſtahl
des Ge-
brauchs
begehet.

hen worden, die Sache anders ge-
braucht, als wozu ſie ihm geliehen
worden; ſo begeht er einen Diebſtahl
des Gebrauchs
(furtum uſus) (§. 264.);
folglich, da dieſes wider das Recht des Leihen-
den geſchiehet, indem der andere ſich ein
Recht anmaſſet, das ihm nicht zukommt (§.
198. 83.), thut er dem Leihenden Un-
recht
(§. 87.).


§. 523.

Wenn diejenige Sache, welche durchJn wie-
fern die-
jenigen
Sachen,
welche
durch den
Gebꝛauch
ver-
braucht
werden,
geliehen
werden.

den Gebrauch verbraucht wird, noch
einen andern Gebrauch haben kann,
wodurch ſie nicht verbraucht wird,
da
man ſie in dieſer Abſicht einer Sache gleich
achten kann, welche durch den Gebrauch nicht
verbraucht wird; ſo kann ſie in Anſehung
dieſes Gebrauchs geliehen werden
(§.
515.); z. E. wenn man jemanden Geld leihet
um ſich damit ſehen zu laſſen, aber eben daſ-
ſelbe wiedergeben muß (§. 515.), oder ei-
ne Weintraube von ungewoͤhnlicher Groͤſſe,
daß man dieſelbe einem andern zeige.


§. 524.

Da man im Leihen den Gebrauch der Sa-Vom
Lohn, den
man vor
den Ge-
brauch
zahlt.

che umſonſt giebt (§. 514.); ſo wird etwas
nicht geliehen, wenn man vor den
Gebrauch der Sache einen Lohn zahlt,

X 3ſondern
[326]II. Th. 11. H. Von woblthaͤtigen
ſondern es iſt eine Art eines Contracts
(§. 467.), wovon wir in dem folgenden han-
deln werden, nemlich ich gebe Geld, da-
mit der andere mir einen Gebrauch ei-
ner Sache gebe, oder ich gebe eine
gewiſſe Sache, oder auch den Gebrauch
einer andern Sache davor.


§. 525.

Vom ho-
norario

oder ei-
ner Er-
kaͤntlich-
keit.

Eine Erkaͤntlichkeit(honorarium) nennt
man ein Geſchencke an Gelde, welches man
in der Meinung dem andern giebt, um das,
was er uns umſonſt zu Gefallen gethan, oder
was nach Geld nicht geſchaͤtzt werden mag, zu
vergelten. Weil das, ſo uns umſonſt zu Ge-
fallen geſchehen, nur ein Bewegungsgrund
der Erkaͤntlichkeit iſt, um ſein danckbares Ge-
muͤthe dadurch zu erkennen zu geben (§. 475.
482.), man aber auf die Bewegungsgruͤnde
bey den Contracten nicht ſieht (§. 78.); ſo
aͤndert ein wohlthaͤtiger Contract ſeine
Natur nicht, wenn eine Erkaͤntlich-
keit dazu kommt,
als das Geliehene bleibt
etwas Geliehenes (§. 515.). Die Groͤſſe
der Erkaͤntlichkeit wird von dem, der
ſie giebt, nach ſeinem Gefallen beſtimmt
(§. 316.), und
deswegen kann ſie den
Werth deſſen uͤbertreffen, was gelei-
ſtet worden; jedoch wenn etwas zur
Erkaͤntlichkeit verſprochen und an-
genommen worden, ſo iſt es eine voll-
kommene Schuld
(§. 380. 381.). Allein
wofern der andere, was er ohne Ent-
gelt
[327]Contracten.
gelt leiſten ſollte, nicht anders als un-
ter der Bedingung einer gewiſſen Er-
kaͤntlichkeit leiſten will,
da man ſolcher
geſtalt mit einander eines wird, was man
dem, der uns etwas gewaͤhret, hinwiederum
dagegen leiſten ſoll, und dieſes fuͤr dasjenige
gegeben wird, was einem gewaͤhret worden;
ſo wird die Erkaͤntlichkeit in einen
Lohn verwandelt
(§. 500.).


§. 526.

Weil der Leihende ſich allein verbindet, denVon den
Unkoſten,
die auf
den Ge-
brauch
der Sa-
che und
auf die
Sache
ſelbſt ver-
wendet
werden.

Gebrauch der Sache zu erlauben, nicht aber
Unkoſten anzuwenden, damit einer die Sa-
chen gebrauchen kann (§. 515.); ſo muß
derjenige, dem die Sache geliehen wor-
den, die Unkoſten aufwenden, wenn
der Gebrauch der Sache dergleichen
erfordert,
z. E. wenn ich ein Pferd, oder
einen Bedienten auf einige Tage einem an-
dern leihe. Da aber ein jeder ſein Recht er-
laſſen kann (§. 342.); ſo kommt zu dem
Leihen ein Geſchenck, wenn der Lei-
hende die Unkoſten tragen will;
folglich
wird es eine zuſammengeſetzte Hand-
lung
(§. 465.). Gleichergeſtalt, weil der,
dem etwas geliehen wird, nur zu verhuͤten
verbunden iſt, daß die Sache nicht durch ſei-
ne Schuld verſchlimmert, oder verdorben
wird (§. 519.); ſo muß der Leihende
die Unkoſten erſetzen, woferne auſſer
dem Gebrauch auf die Sache auſſer-
ordentlich etwas zu verwenden,
z. E.
X 4zur
[328]II. Th. 11. H. Von wohlthaͤtigen
zur Erhaltung derſelben, inſonderheit wenn
ſie groͤſſer ſind, als der Werth des Ge-
brauchs,
z. E. wenn das Dach von gelehn-
ten Haͤuſern auszubeſſern iſt, damit der Re-
gen keinen Schaden thue.


§. 527.

Von den
gleich-
guͤltigen
Sachen.

Eine gleichguͤltige Sache(res fungi-
bilis)
wird genannt, welche die Stelle einer
andern von eben derſelben Gattung vertritt.
Es kann alſo eine an die Stelle der an-
dern angenommen werden;
folglich ſind
es ſolche Sachen, deren Werth der
Zahl, oder dem Maaß und Gewicht
proportionirlich iſt; und ſie muͤſſen
von einerley Gattung, Groͤſſe und
Guͤte ſeyn.
Daher erhellet ferner, daß
die gleichguͤltigen Sachen in der Art

(in genere)wiedergegeben werden koͤn-
nen, dem, der ſie gegeben, ohne ſeinen
Schaden
(§. 269.). Und weil das Geld
die Stelle aller Sachen und Arbeit vertritt
(§. 494.); ſo iſts am allermeiſten eine
gleichguͤltige Sache.


§. 528.

Was das
Borgen
ſey, und
was in
demſel-
ben wie-
dergege-
ben wer-
den muß.

Ein wohlthaͤtiger Contract, durch welchen
man dem andern den Gebrauch einer Sache,
die durch den Gebrauch verzehrt, oder die
verbraucht wird, verſtattet, nennt man das
Borgen(mutuum). Derjenige, der etwas
borgt, wird der Glaͤubiger(creditor, mu-
tuans)
genannt; der das Geborgte empfaͤngt,
oder der, dem man etwas borget, der Schuld-
ner
[329]Contracten.
ner(debitor, mutuatarius). Weil man ei-
ne Sache nicht verzehren darf, wenn ſie nicht
unſer (§. 195.); ſo muß der Glaͤubiger
dem Schuldner das Eigenthum abtre-
ten.
Weil er aber die Sache nicht ſchenckt
(§. 475.), ſondern bloß den Gebrauch derſel-
ben erlaubt (vermoͤge der Erklaͤrung); folg-
lich will, daß ihm dieſelbe wiedergegeben wer-
de, hingegen eben dieſelbe Sache, da ſie ver-
zehret worden, nicht wiedergegeben werden
kann (§. 515.); ſo muß eine Sache von
eben der Art wiedergegeben werden;
folglich muͤſſen diejenigen Dinge, welche
geborgt werden, gleichguͤltige Sachen
ſeyn (§. 527.), und was wiedergege-
ben wird, muß von eben der Gattung,
Groͤſſe und Guͤte ſeyn, als was geborgt
worden.


§. 529.

Weil bey dem Borgen das Eigenthum ab-Wer bor-
gen kann,
und von
einer ei-
nem an-
dern zu-
gehoͤri-
gen Sa-
che, die
geborgt
worden.

getreten wird; ſo kann niemand eine Sa-
che verborgen, als der Eigenthums-
herr (§. 257.). Wenn
demnach eines
andern Sache geborgt wird, ſo iſt der
Contract an und vor ſich ſelbſt nich-
tig;
folglich wenn die Sache noch nicht
verzehrt worden iſt, ſo kann der Ei-
genthumsherr ſich dieſelbe wieder zu-
eignen (§. 262.); wenn ſie aber ver-
zehrt worden, ſo iſt der Schuldner
gehalten den Werth zu erſetzen
(§. 271.);
denn er iſt demſelben nicht aus dem Contracte
X 5verbun-
[330]II. Th. 11. H. Von wohlthaͤtigen
verbunden, daß er die Sache in eben der Art
wiedergeben muͤſte (§. 528.). Wenn der
Eigenthumsherr das Borgen gut heißt,
da es alsdann eben ſo viel iſt, als wenn es
mit ſeiner Einwilligung geſchehen waͤre; ſo
beſtehet der Contract.


§. 530.

Wenn
man eine
fremde,
geliehene
oder ge-
borgte
Sache
wieder-
geben
muͤße.

Weil der, ſo etwas geliehen bekommen, ſich
verbunden hat, eben dieſelbe dem, welcher ſie
ihm geliehen, wieder zu geben (§. 515.), der
Schuldner aber das geborgte dem Glaͤubiger
in eben der Art (§. 528.); ſo muß, der et-
was geliehen bekommen, dem Leihen-
den, und der Schuldner dem Glaͤubi-
ger die Sache wieder geben, wenn der
Eigenthumsherr nicht widerſpricht
(§. 261.), und ſein Eigenthum erweiſet

(§. 262.). Und wenn der Eigenthums-
herr will, ſo kann der Glaͤubiger ihm
ſein Recht abtreten
(§. 342.).


§. 531.

Von der
Zeit des
Wieder-
gebens.

Weil die geborgte Sache in eben der Art
wieder zu geben iſt (§. 528.); ſo muß man
bey dem Borgen ausmachen, zu wel-
cher Zeit das Geborgte wieder gege-
ben werden ſoll.
Und da man die Ver-
traͤge halten muß (§. 438.); ſo kann der
Glaͤubiger vor Verfließung der Zeit
das Geborgte nicht wieder fordern.

Und weil man das Eigenthum deſſelben an
den Schuldner abtritt (§. 528.); ſo kann
er, was geborgt worden, wenn es gleich

noch
[331]Contracten.
noch nicht verzehrt worden, nicht
wieder fordern, unerachtet er es zu
ſeinem eigenen Gebrauche noͤthig hat

(§. 195.).


§. 532.

Weil man eine geborgte Sache deswegenWenn
man die
geborgte
Sache
ſelbſt und
vor der
Zeit wie-
dergeben
kann.

nur in eben der Art wiedergeben muß, weil
man, nachdem ſie verzehret worden, eben die-
ſelbe nicht wiedergeben kann (§. 528.); ſo
kann der Schuldner eben dieſelbe wie-
dergeben, wenn er ſie nicht noͤthig
hat.
Und weil man die Zeit des Wiedergebens
deswegen beſtimmt, damit der Schuldner,
der die Sache wieder geben ſoll, nicht ſaum-
ſeelig iſt; ſo kann er das Geborgte, wo-
fern nicht ausdruͤcklich es anders ausgemacht
worden, vor der Zeit wieder geben (§.
438.).


§. 533.

Weil das Geld zu denen Sachen gerechnetOb man
Geld
borgen
kann.

wird, welche durch den Gebrauch verzehrt
werden; ſo kann auch daſſelbe geborgt
werden
(§. 528.); aber es wird nicht
geborgt, wofern es nicht umſonſt ge-
ſchiehet
(§. cit.).


§. 534.

Die innere Guͤte des Geldes oderVon der
Guͤte der
Muͤntze.

der Muͤntze(bonitas intrinſeca pecuniæ
ſive monetæ)
iſt diejenige, welche man nach
der Materie und dem Gewichte ſchaͤtzt: die
aͤuſſere(extrinſeca) aber der Werth, wel-
cher demſelben nach Willkuͤhr der Menſchen
beyge-
[332]II. Th. 11. H. Von wohlthaͤtigen
beygeleget iſt. Jm Deutſchen nennt man die
Materie Korn, oder Gehalt, das Ge-
wichte Schrot, den beygelegten Werth die
Wuͤrdigung oder Valvationder Muͤntz-
ſorten.
Daher nennt man gute Muͤntzen,
oder gutes Geld(monetam probam), deren
aͤuſſere Guͤte durch die innere beſtim̃t wird, oder
wenn der beygelegte Werth dem innern, wel-
chen es von der Materie und dem Gewicht
hat, gleich kommt; ſchlechte Muͤntzen
(monetam reprobam), deren innere Guͤte
der aͤuſſern nicht gleich kommt.


§. 535.

Auf wie
viel Ar-
ten Geld
geborgt
wird.

Eine Summe Geld wird geborgt,
wenn das Geld zugezaͤhlt wird, und man die
innere und aͤuſſere Guͤte voraus ſetzt, z. E.
wenn hundert Thaler an einer Muͤntze, die
aus reinem Golde beſteht, geborgt werden, und
ihr der Werth beygelegt wird, welchen ſie zu
der Zeit hat, da die Schuld gemacht wird.
Eine Art von Gelde wird geborgt(ge-
nus mutuo datur),
wenn die Stuͤcken zuge-
zaͤhlt werden, ohne auf den beygelegten Werth
zu ſehen, den ſie zu der Zeit haben; z. E.
wenn man 100. Ducaten borget. Der
Werth des Geldes wird geborgt
(æſti-
matio nummorum mutuo datur),
wenn ei-
ne gewiſſe Summe Geldes uͤberhaupt genom-
men, oder in einer guten gangbaren Muͤntze
dem Werthe nach geborgt wird; z. E. 100.
Thlr., ohne auf die Muͤntzſorten zu ſehen.


§. 536.
[333]Contracten.
§. 536.

Weil man bey dem Borgen eben ſo viel inWas
nach die-
ſer Ver-
ſchieden-
heit wie-
dergege-
ben wer-
den muß.

eben der Art wiedergeben muß, als man be-
kommen (§. 528.), und uͤber dieſes halten, was
man ausgemacht hat (§. 438.); ſo muß man,
wofern die Summe des Geldes mit
ausdruͤcklicher Benennung der Muͤntz-
ſorten geborget worden, eben dieſelbi-
ge Summe, in eben dergleichen Muͤntz-
ſorten nach der innern und aͤuſſern Guͤ-
te wiedergeben, welche ſie zur Zeit
des Contracts hatte; wenn aber die
Muͤntzſorten nicht benannt worden,
ſo kann man in einer andern gleich gu-
ten Muͤntzſorte die Summe wiederge-
ben, nach der aͤuſſern Guͤte, die ſie zur
Zeit des Contracts gehabt. Wenn ei-
ne Art von Gelde geborgt wird; ſo
muß man eben ſo viel Stuͤcke von eben
der Art und inneren Guͤte wiederge-
ben. Wenn
endlich der Werth vom
Gelde geborgt worden; ſo darf man
nur eben dieſelbe Geldſumme in einer
guten und gangbaren Muͤntze wieder-
geben, es ſey was vor eine es wolle.

Naͤmlich weil der Glaͤubiger bey den Borgen
nichts miſſen will, als den Gebrauch ſeiner
Sache, die er dem andern giebt (§. 528.);
ſo muß, nachdem das Geborgte wie-
dergegeben worden, es eben ſo viel
ſeyn, als ob es nicht waͤre geborgt
worden.
Und daher muß man beſtimmen,
was
[334]II. Th. 11. H. Von wohlthaͤtigen
was bey dem Wiedergeben zu thun ſey, wenn
der Werth der geborgten Summe, es mag
der aͤuſſere, oder innere ſeyn, unter der Zeit
veraͤndert wird, damit der Glaͤubiger eben
die Summe Geldes, entweder in eben derſel-
ben Muͤntzſorte, oder in einer andern von
gleicher Guͤte behaͤlt. Es ſcheint aber nicht
rathſam zu ſeyn, jetzt hiervon weitlaͤuftiger
zu handeln.


§. 537.

Wenn
die ge-
borgte
Sache,
ehe ſie ge-
braucht,
verdirbt.

Weil die geborgte Sache deſſen eigenthuͤm-
lich iſt, dem ſie geborgt worden (§. 528.); ſo
iſt es der Schade des Schuldners,
wenn ſie umkommt, oder verlohren
gehet, ehe er ſie hat brauchen koͤnnen

(§. 243.); folglich muß er dem ohnge-
achtet das Geborgte in eben der Art
wiedergeben
(§. 528.).


§. 538.

Ob et-
was an-
ders,
als man
geborget,
u. wenn
der
Werth
der Sa-
chen bloß
wiederzu-
geben.

Weil bey dem Borgen das, was man be-
kommt, in eben der Art wiedergegeben wer-
den muß, nicht aber etwas anders (§. 528.);
ſo iſt es kein Borgen, wenn man mit
einander eins wird, daß etwas anders,
oder der Werth der Sache wiederge-
geben werden ſoll.
Dergleichen Contracte
haben ihr beſonderes Recht.


§. 539.
[335]Contracten.
§. 539.

Ein wohlthaͤtiger Contract, wodurch eineWas in
Verwah-
rung ge-
ben oder
Nieder-
legen ſey.

gewiſſe Sache einem uͤbergeben wird, daß er
ſie umſonſt in ſeine Verwahrung nehmen ſoll,
und von dieſem angenommen wird, heißt in
Verwahrung
oder aufzuheben geben,
ingleichen Niederlegen
(depoſitum).
Derjenige, welcher eine Sache der Verwah-
rung uͤbergiebt, heißt der Niederlegende
(deponens), der, welcher die Verwah-
rung uͤbernimmt, der Verwahrer(de-
poſitarius).
Da in dieſem Contract das Ei-
genthum der in Verwahrung gegebenen Sa-
che nicht dem Verwahrer abgetreten wird; ſo
bleibt, der ſie in Verwahrung giebt, Ei-
genthumsherr davon.
Und da der andere
nur die Verwahrung uͤbernommen; ſo kann
er ſie nicht gebrauchen;
folglich, wenn er
ſie gebraucht, begeht er einen Dieb-
ſtahl des Gebrauchs (§. 264.). Wenn
aber der Niederlegende den Gebrauch
der niedergelegten Sache erlaubt; ſo
wird mit dem Niederlegen das Leihen
vermiſcht
(§. 515.), oder wenn es Geld
iſt, das Borgen
(§. 528.).


§. 540.

Weil der Verwahrer die Sache ohne Ent-Wenn
vor die
Verwah-
rung et-
was ge-
geben
wird.

gelt zu verwahren uͤbernimmt (§. 539.); ſo
iſt ein Contract, bey welchem man eins
wird, daß vor die Verwahrung ein ge-
wiſſer Lohn gegeben werden ſoll, kein
Niederlegen.
Aber eine Erkaͤntlich-
keit,
[336]II. Th. 11. H. Von wohlthaͤtigen
keit, welche entweder verſprochen wor-
den, oder freywillig gegeben wird, aͤn-
dert die Natur des Contracts nicht

(§. 525.).


§. 541.

Von der
Veꝛbind-
lichkeit
desjeni-
gen, bey
dem et-
was nie-
derge-
legt wor-
den.

Da der, bey dem etwas niedergelegt wor-
den, die niedergelegte Sache zu verwahren
verbunden iſt (§. 539.), und davon allen
Schaden abzuwenden, nach dem Recht der
Natur (§. 269.), aber dieſelbe nicht gebrau-
chen darf (§. 539.); ſo iſt er verbunden,
die Sache mit allem Fleiße zu verwah-
ren (§. 21.), und demjenigen, der ſie
niedergelegt hat, wenn er ſie wieder
fordert, in Natur wieder zu geben:
Jedoch darf er ſie nicht laͤnger, als die
Abrede genommen worden, in ſeiner
Verwahrung behalten (§. 438.). Wo-
fern durch ſein Verſehn oder vorſaͤtz-
lich die Sache verſchlimmert wird; ſo
muß er den Schaden erſetzen
(§. 270.).
Weil aber die Sache desjenigen halber, der
ſie in Verwahrung gegeben, bey dem andern
iſt, und dieſer keinen Vortheil davon hat (§.
539.); ſo iſt er auch nicht verbunden
vor einen Zufall zu ſtehen.
Es erhellet
aber leicht, daß, wenn er keinen groͤſſern
Fleiß in der Verwahrung verſpricht,
als bey ſeinen eigenen Sachen, er auch
nach dem aͤuſſerlichen Rechte zu keiner
groͤſſern Sorgfalt verbunden iſt
(§. 377.
378.). Da man ſich auf die Verwahrung
deſſen,
[337]Contracten.
deſſen, dem man die Sache uͤbergiebt, ver-
laͤßt; ſo muß er uns vor das Verſehn,
oder den vorſaͤtzlichen Schaden des an-
dern ſtehen, dem er wider unſer Wiſ-
ſen die Sache in Verwahrung gege-
ben, dieſer aber muß ihm davor ſtehn;

maſſen dieſer ihm, als wie er uns, nach dem
Contracte dazu verbunden iſt. Es kann
aber uns der andere, wenn wir wol-
len, ſein Recht abtreten
(§. 338.). Weil
er an dem Verzuge ſchuld iſt, wenn er die
Sache nicht bald wiedergiebt, wenn ſie ge-
fordert wird (§. 417.); ſo muß er uns
nicht allein vor den Zufall ſtehn, durch
welchen die Sache bey uns nicht um-
kommen waͤre, oder verſchlimmert
worden,
weil der Schaden durch ſein Ver-
ſehn geſchieht (§. 270.), ſondern er muß
auch davor ſtehen, was uns daran ge-
legen, daß die Sache nicht gleich wie-
dergegeben worden
(§. 419.).


§. 542.

Weil derjenige, bey dem etwas nieder-Von der
Verbind-
lichkeit
desjeni-
gen, der
etwas
nieder-
legt.

gelegt worden, die Sache ohne Entgelt zu
verwahren uͤbernimmt (§. 539.), und doch ſor-
gen muß, daß ſie nicht durch ſeine Schuld
verdorben, oder verſchlimmert wird (§. 541.);
ſo iſt, woferne er Unkoſten auf die
Sache anwenden muß, damit ſie un-
verſehrt erhalten wird, der andere ſie
ihm zu erſetzen ſchuldig
(§. 271.). Weil
es in unſerer Gewalt nicht ſtehet, einem an-
Nat. u. Voͤlckerrecht. Ydern
[338]II. Th. 11. H. Von wohlthaͤtigen
dern zu leiſten, was wir ohne Verabſaͤu-
mung einer Pflicht gegen uns ſelbſt nicht lei-
ſten koͤnnen, und unſere Verbindlichkeit ſich
nicht weiter erſtreckt (§. 60.); ſo darf in
einer gemeinſchaftlichen Gefahr, wel-
che nicht durch die Schuld desjenigen,
bey dem etwas niedergelegt worden,
entſteht, derſelbe die niedergelegten
Sachen den ſeinigen nicht vorziehen,
wenn beyde zugleich koͤnnen gerettet
werden; wofern er ſie aber doch vor-
ziehen wollen, weil ſie viel koſtbarer
ſind, ſo muß der andere, dem die ge-
rettete Sachen gehoͤren, den Verluſt
erſetzen
(§. 271.). Gleichfalls muß der,
welcher etwas niedergelegt hat, dem
andern den Schaden erſetzen, welcher
ihn durch die niedergelegten Sachen,
entweder aus Verſehen, oder mit Wiſ-
ſen desjenigen, der ſie in Verwahrung
gegeben, betrift,
z. E. wenn einer ein
Pferd, das gern ausſchlaͤgt, in Verwahrung
giebt, und uns nicht gewarnet, ſo muß er
den Schaden, der uns betrift, wieder er-
ſetzen (§. 270.).


§. 543.

Wenn
man eine
einem an-
dern zu-
gehoͤrige
Sache in
Verwah-
rung
giebt.

Wenn eine einem andern zugehoͤri-
ge Sache in Verwahrung gegeben
wird, und wir wiſſen, wer der Ei-
genthumsherr iſt; ſo muͤſſen wir ſie
ihm wiedergeben
(§. 261.). Man ſetzt
naͤmlich voraus, daß ſie ohne Vorwiſſen des
Eigen-
[339]Contracten.
Eigenthumsherrn bey uns niedergelegt wor-
den, und er das nicht gut geheiſſen; denn ſonſt
iſt es eben ſo viel, als ob er ſelbſt die Sache
durch einen andern uns in Verwahrung ge-
geben haͤtte, oder als ob ein anderer mit ſei-
ner Einwilligung den Contract mit uns ge-
macht haͤtte.


§. 544.

Da in einer gemeinſchaftlichen Sache, dieWenn ei-
ne ge-
mein-
ſchaftli-
che Sache
niederge-
legt wor-
den.

nicht getheilt worden, mehreren das Eigen-
thum zukommt, folglich wenn ſie nieder-
gelegt wird,
alle zuſammen genommen die
Perſon desjenigen, der etwas niedergelegt,
oder in Verwahrung giebt, vorſtellen; ſo
darf man ſie nicht einem, ſondern man
muß ſie allen zuſammen wiedergeben;

folglich muß derjenige, welcher ſie ei-
nem wiedergiebt, den uͤbrigen noch
vor ihren Antheil ſtehen.
Weil aber
auch derjenige, welcher eine Sache gantz
empfaͤngt, einem jeden,
vermoͤge der Ge-
meinſchaft (§. 196.), vor ſeinen Antheil
ſtehen muß,
daß er ihnen naͤmlich dasjeni-
ge wiedergeben muß, was das ihrige iſt (§.
261.); ſo iſt ſo wohl der, welcher die
Sache wiedergegeben, als der ſie em-
pfangen, den uͤbrigen verbunden.
Da
ſie aber nur von einem erhalten koͤnnen, was
ihnen gebuͤhret; ſo wird, wenn ſie ihren
Antheil von einem bekommen, der an-
dere von ſeiner Verbindlichkeit zugleich
befreyet. Wenn
demnach die niederge-
Y 2legte
[340]II. Th. 11. H. Von wohlthaͤtigen
legte Sache getheilt werden kann, und
bey dem Theilen keine beſondere Wahl
ſtatt findet;
folglich wenn Sachen nie-
dergelegt worden, deren Stelle eine
andere von eben der Art vertreten
kann,
als von welchen man annimmt, daß
ſie in der That getheilt ſind (§. 527.); ſo
kann einem jeden ſein Antheil beſon-
ders wiedergegeben werden;
folglich
wenn die uͤbrigen Theile untergehen
ſollten, ſo iſt der, welcher ſeinen An-
theil bekommen, den uͤbrigen vor
nichts zu ſtehen ſchuldig. Wenn
aber
gemeinſchaftliche Dinge von verſchie-
dener Art
(ſpecies plures)niedergelegt
werden,
als ein ſilberner Becher, goldene
Ringe mit eingefaßten Edelgeſteinen, Klei-
der, leinen Zeug, ſo hat ein jeder an einer
jeden Sache als einer ſolchen, die nicht ge-
theilt werden kann, ſeinen Antheil (§. 196.);
und alſo koͤnnen ſie nicht einem wie-
dergegeben werden.


§. 545.

Wenn ei-
ne Sache
bey vie-
len nie-
dergelegt
worden.

Weil vor ſich klar iſt, daß eine niederge-
legte Sache nur einmahl wiedergegeben wer-
den kann, und daß man, nachdem ſie wieder-
gegeben worden, vermoͤge des Contracts weiter
zu nichts verbunden (§. 539.); ſo kann eine
vielen in Verwahrung gegebene Sache,
von einem allein, ohne Vorwiſſen der
andern, wiedergegeben werden; ja er
muß es thun, wenn ſie von ihm ge-

fordert
[341]Contracten.
fordert wird. Weil aber der, welcher
ſie nicht wiedergeben will,
alſobald am
Verzuge ſchuld iſt (§. 417.); ſo muß er
dem, welcher ſie in Verwahrung ge-
geben, allein vor alles ſtehen, was
ihm vor Nachtheil daraus erwaͤchßt,
daß ſie nicht gleich wiedergegeben
worden
(§. 419.).


§. 546.
Wer den
Scha-
den, der
aus Ver-
ſehn, oder
mit Vor-
ſatz ge-
ſchieht,
erſetzen
muß,
wenn vie-
le die
Sache in
Verwah-
rung ha-
ben.

Da derjenige, der den andern aus Ver-
ſehn oder vorſaͤtzlich in Schaden bringt, ihn
erſetzen muß (§. 270.); ſo muß, wenn ei-
ne Sache bey vielen niedergelegt wor-
den, ein jeder vor das ſtehen, was er
verſehen, oder vorſaͤtzlich gethan; was
aber gemeinſchaftlich geſchehen, davor
haftet ein jeder, nachdem er Theil dar-
an hat, woferne man es nicht anders
ausgemacht hat,
z. E. ſo, daß ein jeder fuͤr
alle gehalten ſeyn ſoll (§. 438. 422.).


§. 547.

Weil der, welcher eine Sache in Ver-Von der
Gefahr
bey der
Zuruͤck-
ſendung
einer nie-
dergeleg-
ten Sa-
che, wie
auch von
der Zu-
ruͤckfen-
dung ei-
ner gelie-

wahrung hat, weiter zu nichts, als zur Ver-
wahrung (§. 539.) und zur Wiedergabe, wenn
ſie gefordert wird, nach dem Contracte ver-
bunden iſt (§. 541.); ſo muß der, der die
Sache niedergelegt hat, beſtimmen,
durch wen ſie zuruͤcke geſchickt werden
ſoll, und dieſes muß auf ſeine Koſten
geſchehn. Wenn man
aber, ohne ihn
zu fragen, ſie nach ſeinem Gefallen
wiederſchickt;
da die Sache nicht eher wie-
Y 3derge-
[342]II. Th. 11. H. Von wohlthaͤtigen
henen
Sache.
dergegeben worden, als bis der, der ſie in
Verwahrung gegeben, oder dem er ſie hat heiſ-
ſen wiedergeben, ſie empfangen hat; ſo iſt
die Gefahr deſſen, der ſie uͤberſchickt.

Eben dieſes gilt von einer geliehenen Sache,
wenn ſie wiedergeſchickt wird; obgleich der,
welchem man die Sache geliehen,
weil
ſie nur zu ſeinem Vortheil geliehen worden,
ſie auf ſeine Koſten, wenn welche noͤ-
thig ſind, wieder zuruͤcke zu ſchicken
verbunden iſt.


§. 548.

Vom
Seqve-
ſtriren.

Die Verwahrung einer ſtreitigen Sache
heißt das Seqveſtriren(ſequeſtrum), und
derjenige, der ſie in Verwahrung hat, heißt
der Seqveſter. Man nennt aber eine
ſtreitige Sache
(rem litigioſam), an welche
zwey oder mehrere eine Anforderung machen,
oder uͤber deren Eigenthum man ſtreitet.
Man ſtreitet aber uͤber das Eigenthum
(de dominio controvertitur), wenn zwey
oder mehrere behaupten, daß ihnen die Sa-
che zugehoͤre. Und daher erhellet, daß der
Seqveſter die Verwahrung einer ſtrei-
tigen Sache ohne Entgelt uͤbernimmt;
und daß die Seqveſtration bey einer
dritten Perſon mit Einwilligung aller
derjenigen, die daruͤber ſtreiten, geſche-
hen muͤße.
Jm buͤrgerlichen Rechte heißt
dieſes ein freywilliges Seqveſtriren(ſe-
queſtrum voluntarium),
hingegen das noth-
wendige
(neceſſarium), welches vom Rich-
ter
[343]Conttracten.
ter geſchieht. Dieſer Unterſchied findet im
Rechte der Natur nicht ſtatt, als welches im
natuͤrlichen Zuſtande gilt, in welchem die
ſtreitenden Parteheyen keinen Richter haben.


§. 549.

Weil alle Streitende zuſammen genommenVon der
Wieder-
gabe ei-
ner ſe-
qveſtrir-
ten Sa-
che.

die Perſon ausmachen, welche die Sache in
Verwahrung gegeben (§. 548.); ſo muß
der Seqveſter die ſeqveſtrirte Sache
denen ſtreitenden Partheyen wieder-
geben, wenn ſie dieſelbe einmuͤthig
wiederfordern (§. 541.); nach geendig-
ten Streite aber dem, der das Recht
dazu erhalten; jedoch auf die Art und
Weiſe, wie die ſtreitende Partheyen
es unter einander ausgemacht haben;

als wenn der, welcher die Sache bekommt,
etwas leiſten ſoll, ehe er den Beſitz erhaͤlt, ſo
wird ſie ihm nicht eher wiedergegeben, als bis
ſolches geſchehen.


§. 550.

Weil ſich weder derjenige, welcher die SacheWas bey
der Wie-
dergabe
einer in
Verwah-
rung ge-
habten
Sache zu
beobach-
ten.

in Verwahrung gehabt, dadurch bereichern,
noch der andere, der ſie in Verwahrung ge-
geben, ob gleich der andere dieſelbe umſonſt
uͤbernommen (§. 271.), ſeinen Schaden ver-
langen kann; ſo muͤſſen, wenn eine
fruchtbahre Sache in Verwahrung
gegeben,
folglich auch wenn ſie ſeqve-
ſtriret worden (§. 548.), auch die Fruͤch-
te wiedergegeben werden, oder im Se-
qveſtrirungs-Falle demjenigen, der

Y 4Recht
[344]II. Th. 11. H. Von wohlthaͤtigen
Recht behalten (§. 549.): Der andere
aber, der ſie in Verwahrung gehabt,
zieht die darauf gewandte Koſten und
den Lohn vor die Arbeit und ſeine
Bemuͤhung ab, ohne welchen die
Fruͤchte nicht haͤtten koͤnnen erhalten
werden.
Und da es rathſam iſt, um
Streitigkeit zu vermeiden, daß man wegen
des Lohnes eins wird, wenn man die Sache
in Verwahrung giebt; ſo iſt die Conven-
tion wegen des Lohns, der Arbeit und
Bemuͤhung ein Vertrag, welcher dem
Seqveſtriren beygefuͤgt wird
(§. 438.).


§. 551.

Von der
Voll-
macht.

Die Vollmacht(mandatum) nennt man
den wohlthaͤtigen Contract, in welchem man
einem andern etwas in unſerm Nahmen zu
thun auftraͤgt, und er ſolches zu verrichten
ohne Entgelt uͤbernimmt. Wer einem an-
dern etwas auftraͤgt wird der Bevollmaͤch-
tigende
(mandans); der andere aber, dem
es aufgetragen wird, der Bevollmaͤchtig-
te
(mandatarius, procurator) genannt.
Auftragen(committere) aber iſt nichts an-
ders, als ſich den andern, etwas in ſeinem
Nahmen zu thun, vollkommen verbindlich
machen. Es iſt alſo daſſelbe vom empfeh-
len
(commendare) unterſchieden, wenn wir
dem andern anzeigen, es werde uns ange-
nehm ſeyn, wenn er thun will, was wir ha-
ben wollen; wie auch vom bitten(rogare),
wenn wir nehmlich hinlaͤnglich dem andern zu
verſte-
[345]Contracten.
verſtehen geben, wie ſehr gerne wir wollen,
daß der andere etwas thun und es nicht ab-
ſchlagen moͤge. Da der, welcher etwas em-
pfiehlt, oder bittet, keinen Contract mit uns
macht; ſo verbinden wir uns dem an-
dern weder durchs Empfehlen, noch
durchs Bitten vollkommen, und wir
werden ihm auch nicht verbunden.

Jm Gegentheil aber verbindet ſich der
Bevollmaͤchtigte dem, welcher ihm
die Vollmacht ertheilet, was ihm auf-
getragen worden, mit allem Fleiße
auszurichten.
Und da er nicht in ſeinem,
ſondern im Nahmen des andern, von dem er
Vollmacht hat, handelt; folgends ſein Recht
alſo nicht nach ſeinem eigenen Willen, ſon-
dern nach dem Willen deſſen, der ihm Voll-
macht giebt, zu beſtimmen iſt; ſo darf er
nichts thun, als wozu er Vollmacht
hat; und der ihm die Vollmacht er-
theilet, verbindet ſich hinwiederum,
das gutzuheißen, was nach dem Jn-
halt der Vollmacht geſchehen.


§. 552.

Eine beſondere Vollmacht(manda-Vom Un-
terſchied
der Voll-
machten.

tum ſpeciale) nennt man, wenn einem ein
nahmhaftes Geſchaͤfte aufgetragen wird; als
ein Haus, oder Pferde zu kaufen: Eine
allgemeine Vollmacht
(mandatum ge-
nerale)
aber, wenn einem gewiſſe Geſchaͤfte
uͤberhaupt aufgetragen werden. Beydes ge-
ſchieht entweder mit freyer Hand(manda-
Y 5tum
[346]II. Th. 11. H. Von wohlthaͤtigen
tum cum libera), wann nur uͤberhaupt be-
ſtimmt wird, was der Bevollmaͤchtigte thun
ſoll, uud das uͤbrige ſeinem Gutbefinden uͤber-
laſſen; oder ohne freye Hand(mandatum
ſine libera),
wenn naͤmlich alles, was der
Bevollmaͤchtigte thun ſoll, ſo genau beſtimmt
wird, daß nichts dem Gutbefinden des Be-
vollmaͤchtigten uͤberlaſſen wird. Man theilet
die Vollmacht auch ein in eine offenbahre
(mandatum manifeſtum), wenn dieſelbe
dem, mit welchem der Bevollmaͤchtigte zu
thun hat, kund gemacht wird; und in eine
geheime
(arcanum), welche der Bevoll-
maͤchtigte bloß vor ſich behaͤlt. Der Bevoll-
maͤchtigte muß alſo nach der gehei-
men verfahren, ſie aber dem nicht be-
kannt machen, mit welchem er zu thun
hat (§. 551.); und man ſiehet auf die
geheime Vollmacht nur in der Ver-
bindlichkeit, welche der Bevollmaͤch-
tigte und der die Vollmacht ertheilet,
unter einander haben.
Gleichfalls erhel-
let, daß wenn eine Vollmacht ohne
freye Hand ertheilet worden, der Be-
vollmaͤchtigte nichts thun darf, als
was ausdruͤcklich beſtimmt worden;
im entgegengeſetzten Falle ihm zu thun
erlaubet ſey, was ihm gut oder beſſer
zu ſeyn duͤncket, und der Billigkeit
nicht zuwider iſt,
oder wie man gemei-
niglich zu ſagen pflegt: Er muß das, was
ihm aufgetragen worden, nach beſtem

Wiſſen
[347]Contracten.
Wiſſen und Gewiſſen erfuͤllen(man-
datum ex bono \& æquo adimplere).


§. 553.

Weil der Bevollmaͤchtigte in unſermWas vor
Verbind-
lichkeiten
ſich der
Bevoll-
maͤchtig-
te zu-
zieht.

Nahmen handelt (§. 551.); ſo iſt, was er
nach der gehabten Vollmacht thut,
eben ſo anzuſehen, als ob wir es ſelbſt
gethan haͤtten.
Und da ein anderer von
unſerm Willen nichts wiſſen kann, als was
in der offenbahren Vollmacht enthalten (§.
552); ſo nimmt er auch mit Recht an,
als von uns geſchehen, was der Be-
vollmaͤchtigte nach dem Jnhalt der of-
fenbahren Vollmacht thut
(§. 318.); de-
rowegen, wenn er etwas verſpricht,
macht er uns dem andern durch ſein
Verſprechen verbindlich, und den an-
dern uns durch Annehmung deſſen,
was er verſpricht
(§. 380. 381.). Es
erhellet alſo, daß der Gevollmaͤchtigte
eine Mittelsperſon iſt Verbindlichkei-
ten zu machen (§. 426.), und daß eine
offenbahre Vollmacht erfordert wird,
wenn er mit einem andern in unſerm
Nahmen guͤltig contrahiren ſoll.
Wenn
alſo einer nach der geheimen
Vollmacht handelt,
da ſolchergeſtalt der
andere nicht weiß, daß er in einem fremden
Nahmen mit ihm handelt (§. 552.); ſo iſt
er ihm in ſeinem eigenen Nahmen ver-
bunden, er kann aber ſein Recht dem,
von welchem er Vollmacht hat, auch

wider
[348]II. Th. 11. H. Von wohlthaͤtigen
wider den Willen des andern abtreten
(§. 338. 342.); ja, da er vermoͤge der gehei-
men Vollmacht dem, der ſie ihm ertheilet,
verbunden iſt (§. 551.); ſo iſt er es auch
zu thun ſchuldig. Und da der, welcher die
Vollmacht ertheilet, dem Gevollmaͤchtigten
gleichfalls verbunden iſt; ſo muß er ge-
nehm halten, was dieſer nach der ge-
heimen Vollmacht gethan hat
(§. 551.).
Aus dem, was geſagt worden, folget fer-
ner, daß, wenn die geheime Vollmacht
anders lautet, als die offenbahre, und
es nicht erlaubt iſt die geheime bekannt
zu machen, man entweder unter der
Hoffnung, daß es werde genehm ge-
halten werden, oder gleichſam in ſei-
nem eigenen Nahmen, nach dem Jn-
halt der geheimen Vollmacht, mit dem
andern handeln muß.


§. 554.

Wenn
das, wo-
zu man
Voll-
macht
hat, ent-
weder
gar nicht,
oder
nicht zu
gehoͤri-
ger Zeit,
ausge-
richtet
worden.

Weil der Gevollmaͤchtigte ſich dem ver-
bindet, der ihm Vollmacht ertheilet, was ihm
aufgetragen wird, auszurichten (§. 551.); ſo
iſt er, wenn er, was ihm aufgetragen
worden, nicht ausrichtet, dem, wel-
cher ihm die Vollmacht ertheilet, da-
vor zu ſtehen ſchuldig, daß er es nicht
ausgerichtet (§. 415.); er darf auch
zum Vortheil eines dritten dieſes zu
thun nicht unterlaſſen.
Weil er gleich-
wohl nichts thun darf, als wozu er Voll-
macht hat (§. 551.); ſo kann er in ſeinem
eige-
[349]Contracten.
eigenen Nahmen und zu ſeinem Vor-
theil mit dem andern handeln, wenn
er innerhalb den Schrancken der Voll-
macht nichts ausrichten kann.
Da er
aber am Verzuge ſchuld iſt, wenn er, was
ihm aufgetragen worden, nicht zu ge-
hoͤriger Zeit thut (§. 417.); ſo iſt er dem-
jenigen, der ihm Vollmacht gegeben,
davor zu ſtehen ſchuldig, was ihm dar-
an gelegen, daß er, was ihm aufge-
tragen worden, nicht zu rechter Zeit
ausgerichtet
(§. 551. 419.).


§. 555.

Weil der Gevollmaͤchtigte, was ihm auf-Von
dem,
was in
der Voll-
macht
ſtill-
ſchwei-
gens ent-
halten
iſt.

getragen worden, ausrichten muß (§. 551.);
ſo muß man auch annehmen, daß ihm
aufgetragen worden ſey, ohne welches
er das ihm aufgetragene nicht ausrich-
ten kann;
z. E. eine Reiſe, wenn er ohne
Reiſe das aufgetragene nicht ausrichten kann.
Weil ſich auch von ſelbſt verſteht, daß der,
welcher einem andern Vollmacht giebt, das
wolle, was mit dem, was er ausdruͤcklich
ſagt, nothwendig verbunden iſt, als daß die
gekauften Waaren ihm auch uͤberbracht wer-
den muͤſſen; ſo nimmt man an, man
habe auch dazu Vollmacht, was mit
dem, was einem aufgetragen, verbun-
den iſt;
als zu Ueberbringung der gekauften
Waaren.


§. 556.

Da der Gevollmaͤchtigte das Geſchaͤfte deſ-Von
dem, was

ſen,
[350]II. Th. 11. H. Von wohlthaͤtigen
bey Ge-
legenheit
der Voll-
macht
der Ge-
vollmaͤch-
tigte er-
haͤlt, oder
ihm ge-
ſchenckt
wird.
ſen, der ihm die Vollmacht ertheilet, verwal-
tet, und in deſſelben, nicht aber in ſeinem eignen
Nahmen und zu ſeinem Vortheil (§. 551.);
ſo muß er dem, von welchem er die
Vollmacht hat, geben, was er bey
Gelegenheit derſelben erhaͤlt, obgleich
er in Anſehung deſſen ohne Vollmacht
gehandelt;
als wenn er einen liegenden
Grund, nach dem Jnhalt der Vollmacht ge-
kauft und die Fruͤchte mit dazu bekommen,
oder wenn er Pferde kauft und ein Fuͤllen mit
einhandelt. Wenn aber nach vollbrach-
tem Geſchaͤfte dem Gevollmaͤchtigten
etwas geſchenckt wird, ſo darf er es
dem, von welchem er die Vollmacht
hat, nicht geben;
weil die Schenckung
eine Handlung iſt, welche zu dem ausgerichte-
ten Geſchaͤfte nicht gehoͤret, als welches ohne
dieſelbe, auf die Art, wie es abgehandelt
worden, beſtehet.


§. 557.

Von der
Schad-
loshal-
tung des
Gevoll-
maͤchtig-
ten.

Weil im Gegentheil der Gevollmaͤchtigte
im Nahmen deſſen, von dem er die Vollmacht
hat, und zu ſeinem Nutzen, und zwar um-
ſonſt, was ihm aufgetragen worden, verrich-
tet (§. 551.); und er folglich in dem gantzen
Geſchaͤfte die Perſon desjenigen vorſtellet, der
ihm Vollmacht dazu gegeben; ſo muß der,
welcher die Vollmacht ertheilet, dem
Gevollmaͤchtigten die angewandte
Koſten wieder erſetzen, ohne welche er
das Geſchaͤfte nicht hat ausrichten

koͤn-
[351]Contracten.
koͤnnen; ingleichen den Schaden erſe-
tzen, in welchen er bey dieſer Gelegen-
heit gerathen;
da er ſonſt davon befreyet
geweſen waͤre. Weil aber der, welcher die
Vollmacht ertheilet, dem Gevollmaͤchtigten
weiter nicht, als aus der Vollmacht verbun-
den iſt; ſo darf er auch dem Gevollmaͤch-
tigten, indem er das ihm aufgetragene
Geſchaͤfte vollfuͤhret, wenn ihm ein
Zufall begegnet, der ihm auch wuͤrde
begegnet ſeyn, wenn er die Vollmacht
nicht angenommen haͤtte, vor den
Schaden nicht ſtehen.
Gleichergeſtalt da
der Gevollmaͤchtigte nicht mehr in unſerm
Nahmen handelt, wenn er die Grentzen der
Vollmacht uͤberſchreitet, oder etwas thut,
was ihm nicht befohlen iſt (§. 553.), und folg-
lich der Grund von der Schadloshaltung weg-
faͤllt; ſo iſt, der die Vollmacht er-
theilet, dem Gevollmaͤchtigten nicht
verbunden den Schaden zu erſetzen, in
welchen er bey Gelegenheit der Ueber-
ſchreitung der Vollmacht, oder desje-
nigen, was ihm nicht aufgetragen wor-
den, verfaͤllt, er darf ihm auch die da-
bey gehabte Unkoſten nicht erſetzen.

Weil aber gleichwohl der Gevollmaͤchtig-
te
dabey das, was ihm aufgetragen worden,
ausgerichtet hat, und der es ihm aufgetragen
hat verbunden iſt genehm zu halten, was er
nach dem Jnhalt der Vollmacht gethan (§. 551.);
ſo verbleibet er ihm, in ſo weit er die
Voll-
[352]II. Th. 11. H. Von wohlthaͤtigen
Vollmacht nicht uͤberſchritten, ver-
bunden.
Und da er ſich nicht mit dem
Schaden des Bevollmaͤchtigten bereichern kann
(§. 271.); ſo folget, daß, wenn der Be-
vollmaͤchtigte die Vollmacht uͤber-
ſchritten,
als wenn er Pferde vor 170.
Thlr. gekauft, ihm aber nur Pferde vor 150.
Thlr. zu kaufen aufgetragen worden, und
der ihm die Vollmacht ertheilet, nichts
weiter, als dieſelbe gehet, genehm hal-
ten will,
indem er zu mehrerem nicht ver-
bunden (§. 551.), jener aber lieber in
ſeinem Nahmen gehandelt haben will,
wofern dieſer, was er gethan, nicht
gantz genehm halten will, es eben ſo
viel iſt, als wenn er nicht verrichtet
haͤtte, wozu ihm Vollmacht ertheilet
worden;
folglich iſt der Bevollmaͤchtig-
te gehalten davor zu ſtehen, was dem
andern daran gelegen iſt, daß nach der
ihm ertheilten Vollmacht nicht ver-
fahren worden, in ſo weit nach Jnhalt
derſelben haͤtte verfahren werden koͤn-
nen
(§. 554.). Und weil der Bevollmaͤchtig-
te zu nichts mehr verbunden werden kann, als
ihm moͤglich iſt (§. 37.); ſo muß derjenige
welcher ihm die Vollmacht ertheilet,
nichts deſtoweniger ihn ſchadlos halten,
wenn er ohne ſeine Schuld das Ge-
ſchaͤfte nicht hat zu Ende bringen koͤn-
nen, oder daſſelbe einen widrigen Aus-
gang gehabt.
Jm Gegentheil aber muß
der
[353]Contracten.
der Gevollmaͤchtigte den Schaden er-
ſetzen, wenn er einigen durch ſein Ver-
ſehn, oder mit Vorſatz verurſacht hat

(§. 270.).


§. 558.

Wenn vielen zuſammen genommenWenn zu
einem
Geſchaͤf-
te vielen
zuſam-
men Voll-
macht er-
theilet
wird.

zu einem Geſchaͤfte Vollmacht gege-
ben wird.
Da alle zuſammen genommen ei-
ne Perſon vorſtellen, folglich man annimmet,
daß alle gethan, was einer ohne Widerſpruch
der andern gethan hat; ſo wird den uͤbri-
gen das zugerechnet, was aus Nach-
laͤßigkeit des einen geſchieht, welche
die uͤbrigen verhuͤten konten,
und daher
auch ſollten (§. 551.). Weil aber die Ur-
ſache der Zurechnung wegfaͤllt, wenn etwas
vorgenommen werden muſte, welches
die uͤbrigen einem auftragen muſten,
und dieſe bey dem Auftragen allen
Fleiß angewendet,
folglich ihrer Verbind-
lichkeit von ihrer Seite ein Genuͤge gethan (§.
cit.); ſo nehmen ſie keinen Theil an dem
Verſehen, welches bey der Ausfuͤhrung
begangen worden.
Nemlich ein jeder
ſteht vor das, was er mit Vorſatz oder
aus Verſehen gethan, daran die an-
dern keinen Theil haben; vor das aber,
was gemeinſchaftlich geſchehen, ſtehen
alle zuſammen genommen, und
alſo ein
jeder vor ſeinen Antheil, wenn man
nicht ausdruͤcklich ausgemacht hat,
daß ein jeder fuͤr alle gehalten ſeyn

Nat. u. Voͤlckerrecht. Zſoll
[354]II. Th. 11. H. Von wohlthaͤtigen
ſoll (§. 438.). Allein wenn ein Geſchaͤf-
te vielen dergeſtalt aufgetragen wird,
daß ein jeder einen gewiſſen Theil deſ-
ſelben auszurichten hat,
da in der That
ſo viele verſchiedene Vollmachten ertheilet
worden, als bevollmaͤchtigte Perſonen ſind,
und ein jeder von ihnen nicht weiter verbun-
den iſt, als ſeine Vollmacht gehet (§. 551.);
ſo muß ein jeder vor ſein Verſehen ſte-
hen.


§. 559.

Von der
Rechen-
ſchaft, die
einer we-
gen eines
gefuͤhrten
Geſchaͤf-
tes zu ge-
ben ſchul-
dig.

Man ſagt, daß derjenige Rechen-
ſchaft von einem gefuͤhrten Geſchaͤfte
giebt
(rationem negotii geſti reddere),
welcher deutlich anzeigt, wie er jedes, was zu
Verwaltung des Geſchaͤftes erfordert wird,
ausgerichtet hat. Daher erhellet, daß wer
eines andern Geſchaͤfte verwaltet, dem
andern Rechenſchaft geben muͤſſe, wie
er es verwaltet.
Derowegen weil der Ge-
vollmaͤchtigte
ein Geſchaͤfte deſſen verwal-
tet, der ihm Vollmacht dazu giebet (§. 551.);
ſo muß er auch demjenigen, der ihm
die Vollmacht gegeben hat, von ſei-
nen Verrichtungen Rechenſchaft ge-
ben.


§. 560.

Was
man das
nuͤtzliche
in den
Contra-
cten nen-
net.

Nuͤtzlich in den Contracten(utile in
contractu)
nennt man nichts anders, als was
entweder im Gelde beſtehet, oder Geldes
werth iſt. Deswegen ſiehet man in den
Contracten auf keinen andern Ge-

winn,
[355]Contracten.
winn, oder Schaden, oder Jntereſſe,
wovor man zu ſtehen hat, als ſo ent-
weder in Gelde beſtehet, oder nach
Gelde geſchaͤtzt werden kann.
Nemlich
wenn man davon handelt, was einem andern
wiedergegeben oder erſetzt werden muß; ſo
muß was wiedergegeben, oder erſetzt werden
ſoll, nach Gelde geſchaͤtzt werden, wofern
nicht eben dieſelbige Sache, oder etwas von
eben der Art wiedergegeben wird. Und da-
her verſteht man ferner, wem zu gefallen
ein Geſchaͤfte gefuͤhret wird
(cujusnam
cauſa negotium geratur);
naͤmlich dem zu
gefallen, der den Nutzen davon hat.


§. 561.

Weil man gantz allein auf den Nutzen desVon
dem, wo-
zu einem
in ſeiner
eigenen
Angele-
genheit
Voll-
macht er-
theilet
wird, und
von dem
Rathe.

Gevollmaͤchtigten ſieht, wenn man um ſeinet-
willen ihm zu etwas Vollmacht ertheilet, und
alſo dem, der ſie giebt, nichts dran gelegen
iſt, ob der Bevollmaͤchtigte thut, oder nicht,
was er geſagt hat, daß er thun, oder nicht
thun wolle; ſo iſt es eigentlich keine Voll-
macht, ſondern ein bloſſer Rath, wenn
man einem in ſeiner eigenen Angele-
genheit etwas auftraͤgt.
Man nennet
naͤmlich einen Rath(conſilium) die Erklaͤ-
rung unſers Willens von dem, was wir ver-
meinen, daß der andere zu thun habe, jedoch
ſeinem Gefallen uͤberlaſſen, ob er es thun will.
Es entſpringen alſo aus einem Rath
keine Verbindlichkeiten zwiſchen dem,
der ihn giebt und der ihn annimmet;

Z 2folg-
[356]II Th. 11. H. Von wohlthaͤtigen
folglich entſpringt auch keine Verbind-
lichkeit, wenn bloß in des Gevollmaͤch-
tigten Angelegenheit ihm etwas auf-
getragen wird.
Allein wenn jemand
durch einen ſchlauen Rath vorſaͤtzli-
cher Weiſe, oder durch betruͤgeri-
ſchen einen dahin bringt, daß er thut,
was uͤbel ablauft,
da er ſolchergeſtalt den
andern vorſaͤtzlicher Weiſe in Schaden bringt
(§. 269.); ſo iſt er den Schaden zu er-
ſetzen ſchuldig
(§. 270).


§. 562.

Wenn
eine Voll-
macht in
einer
fremden
Angele-
genheit
ertheilet
wird.

Weil man ein fremdes Geſchaͤfte als ſein
eigenes anſiehet, wenn man in einer frem-
den Angelegenheit einem eine Vollmacht er-
theilet; folglich mit dem Gevollmaͤchtigten
contrahiret (§. 551.); ſo iſt, der die Voll-
macht ertheilet, dem Gevollmaͤchtig-
ten, und dieſer hinwiederum jenem
nach der Vollmacht verbunden, wenn
ſie in einer fremden Angelegenheit ge-
geben worden. Und
deswegen iſt die
Gefahr deſſen, der die Vollmacht er-
theilet, wenn in des Gevollmaͤchtig-
ten und einer fremden Angelegenheit
Vollmacht ertheilet wird;
als daß er
dem Titius Geld leihen ſoll: eben als wenn
in Angelegenheiten deſſen, der die Voll-
macht ertheilet, und des Gevollmaͤch-
tigten, dieſelbe gegeben wird;
als daß
du dem Titius Geld leihen ſollſt, welches er
in meinen Nutzen verwenden ſoll (§. 561.).


§. 563.
[357]Contracten.
§. 563.
Wenn
einem zu
einer
ſchaͤndli-
chen That
Voll-
macht er-
theilet
wird.

Weil man eine ſchaͤndliche That(fa-
ctum turpe)
nennt, welche im Geſetz der Na-
tur verbothen worden; ſo iſt die Vollmacht
nichtig, welche zu einer ſchaͤndlichen
That ertheilet wird
(§. 42.); folglich ent-
ſtehen daraus keine Verbindlichkeiten.


§. 564.

Man ſagt, eine Vollmacht werdeVon der
Erfuͤl-
lung der
Voll-
macht
durch et-
was
gleich-
guͤltiges
und auf-
getrage-
ner Maſ-
ſen.

durch etwas gleichguͤltiges erfuͤllet
(mandatum adimpletur per æquipollens),
wenn man ſie durch etwas anders, das eben ſo
nuͤtzlich, oder noch nuͤtzlicher iſt, als was ei-
nem aufgetragen worden, erfuͤllet. Die Voll-
macht
aber wird aufgetragener Maſſen
erfuͤllet
(adimpletur in forma ſpecifica), wenn
es gantz genau durch dasjenige geſchiehet, was
einem aufgetragen worden. Wenn zu ei-
ner etwas allgemeinen Bedingung
Vollmacht ertheilet wird, welches auch
auf eine andere Art erhalten werden
kann;
als wenn einer Vollmacht erhaͤlt des
Titii Haus vor 4000. Thlr. zu kaufen, weil
es an einem beqvemen Orte lieget, wo man
Waaren zum Verkaufe auszulegen pflegt.
Da in dieſem Falle der die Vollmacht erthei-
let keine andere Abſicht hat, als daß er ein
Haus habe, das zum Handel beqvem iſt, und
nicht mehr als 4000. Thlr. koſtet; ſo iſts
erlaubt, die Vollmacht durch etwas
gleichguͤltiges zu erfuͤllen;
als daß man
in dem gegebenen Exempel ein anderes be-
Z 3qvemers
[358]II. Th. 11. H. Von wohlthaͤtigen
qvemers Haus um einen geringern Preiß
kaufe. Weil wir doch aber den Nutzen, auf
welchen der ſiehet, der die Vollmacht giebt,
nicht nach unſerm, ſondern nach ſeinem Sin-
ne beurtheilen muͤſſen, vornehmlich da auſſer
der Hauptabſicht auch andere Nebenabſichten
ſeyn koͤnnen; ſo muß man die Vollmacht
aufgetragener Maſſen erfuͤllen, wo-
fern es nicht gantz gewiß iſt, daß die
Abſicht deſſen, der ſie ertheilet, eben
ſo gut erreicht wird, man erfuͤlle ſie
aufgetragener Maſſen, oder durch et-
was gleichguͤltiges
(§. 551.).


§. 565.

Vom
Wieder-
ruf der
Voll-
macht.

Man ſagt, die Vollmacht werde wie-
derrufen
(mandatum revocare), wenn der,
welcher ſie ertheilet, dem Gevollmaͤchtigten
kund thut, er wolle nicht, daß er ſie erfuͤlle.
Weil der Gevollmaͤchtigte von der Vollmacht
keinen Nutzen hat (§. 551. 560.); folglich
ihm nichts daran gelegen iſt, ob ſie erfuͤllet
wird, oder nicht; ſo kann, der einem
Vollmacht gegeben, nach ſeinem Be-
lieben dieſelbe wiederrufen, ehe ſie er-
fuͤllet worden.
Weil aber dennoch die
Vollmacht beſtehet, ſo lange ſie nicht wieder-
rufen wird; ſo muß, der die Vollmacht
gegeben, den Gevollmaͤchtigten in ſo
weit ſchadloß halten, in ſo weit ver-
moͤge derſelben er ſchon etwas unter-
nommen, oder Koſten dieſerwegen an-
gewendet
(§. 557.).


§. 566.
[359]Contracten.
§. 566.

Weil der Gevollmaͤchtigte eine Mittelsper-Ob eine
ne Voll-
macht
nach dem
Tode
des, der
ſie gege-
ben, er-
ſuͤllet
werden
kann.

ſon bey einer zu machenden Verbindlichkeit iſt
(§. 553.); ſo hoͤrt die Vollmacht mit
dem Tode deſſen, der ſie ertheilet hat,
auf (§. 430.). Wenn
aber derſelbe aus-
druͤcklich will, daß ſie auch nach ſei-
nem Tode erfuͤllet werden ſoll;
da auf
dieſen Fall der Gevollmaͤchtigte ſich dazu ver-
bindlich gemacht (§. 551.); ſo muß ſie auch
nach ſeinem Tode erfuͤllet werden.
Eben
hieraus erhellet, daß die Vollmacht auch
nach deſſelben Tode erfuͤllet werden
muß, wofern ſie auf ſeinen Todesfall,
oder zu einer Sache, die erſt nach ſei-
nem Tode geſchehen ſoll, gegeben wor-
den.
Weil der Gevollmaͤchtigte, wel-
cher nicht weiß, indem er die Voll-
macht erfuͤllt, daß der, welcher ihm
dieſelbe ertheilet, geſtorben,
nichts thut,
als was er ſich zu thun verbindlich gemacht
hatte (§. cit.), z. E. wenn er gewiſſe Waa-
ren einkauft, und was er nicht anders, als
unter der Bedingung ſchadlos gehalten zu
werden uͤbernommen hat (§. 557.); ſo muß
er ſchadloß gehalten werden. Eben
dieſes
verſteht ſich auch auf eben die Weiſe
von dem, welcher mit dem Gevoll-
maͤchtigten contrahiret, indem er nicht
weiß, daß der die Vollmacht gegeben,
geſtorben ſey, und ſich auf die offen-
bahre Vollmacht verlaͤßt
(§. 553.). Al-
Z 4lein
[360]II. Th. 11. H. Von wohlthaͤtigen
lein weil ein Bevollmaͤchtigter, welcher
weiß, daß, der ſie ihm aufgetragen,
geſtorben ſey, wenn er mit einem con-
trahiret, der es nicht weiß, und dieſer
ſich auf die offenbahre Vollmacht ver-
laͤßt,
durch ſeine Schuld Schaden verur-
ſacht; ſo iſt er dem andern, dem daran
gelegen, daß nicht contrahiret wor-
den waͤre (§. 269.), davor zu ſtehn ſchul-
dig
(§. 415).


§. 567.

Von dem
Tod des
Bevoll-
maͤchtig-
ten.

Weil es ſich vor ſich verſtehet, daß, wer ein
Geſchaͤfte einer Perſon auftraͤgt, ſolches nicht
wuͤrde gethan haben, wofern er ſich nicht
von deſſelben Fleiß und Treue gewiß verſichert
gehalten haͤtte; ſo iſt eine Vollmacht per-
ſoͤnlich
(mandatum perſonale) (§. 400.);
folglich weil die daher entſtehende Verbindlich-
keit (§. 551.) keine andere als die Perſon des
Bevollmaͤchtigten betrift (§. 402.); ſo hoͤrt
durch den Tod deſſelben die Vollmacht
auf.
Und aus eben dem Grunde darf nie-
mand die ihm aufgetragene Vollmacht
einem andern uͤbertragen ohne Ein-
willigung deſſen, der ſie ertheilet, als
mit ſeiner Gefahr.


§. 568.

Von der
Aufkuͤn-
digung
der Voll-
macht.

Man ſagt, daß der Bevollmaͤchtigte
die Vollmacht auf kuͤndige,
oder zuruͤck-
gebe
(mandatum renunciare), wenn er dem,
der ſie ihm ertheilet, anzeigt, daß er ſie nicht
erfuͤllen wolle. Eine zeitige Auf kuͤndi-
gung
[361]Contracten.
gung(tempeſtiva renunciatio) iſt, wenn
dem, der die Vollmacht gegeben, nichts dar-
an gelegen iſt, daß der Bevollmaͤchtigte ſie
nicht erfuͤllen will: Eine unzeitige aber iſt
(renunciatio intempeſtiva), wenn der, wel-
cher die Vollmacht ertheilet, dadurch in Scha-
den gebracht wuͤrde. Da der Bevollmaͤch-
tigte dem, der ihm Vollmacht gegeben, ver-
bunden iſt, dieſelbe zu erfuͤllen (§. 551.); ſo
darf man ohne eine rechtmaͤßige Ur-
ſache, das iſt, wenn kein unvermeidli-
ches und unuͤberwindliches Hinderniß
darzwiſchen kommt, die Vollmacht
nicht auf kuͤndigen;
folglich wenn dieſes
zur Unzeit geſchehen, muß der Bevoll-
maͤchtigte den Schaden, den er verur-
ſacht hat, erſetzen, und davor ſtehen,
was dem andern daran gelegen iſt, daß
die Vollmacht nicht erfuͤllet worden

(§. 554.). Weil aber, wenn die Aufkuͤndi-
gung beyzeiten geſchiehet, der, welcher die Voll-
macht gegeben, keinen Schaden leidet; ſo
darf auch der Bevollmaͤchtigte, wenn
er beyzeiten die Vollmacht aufgekuͤndi-
get, vor nichts ſtehen.
Eben dieſes ver-
ſteht ſich auch in dem Falle, da eine un-
vermeidliche und unuͤberwindliche Ver-
hinderung darzwiſchen kommt;
weil die
Verbindlichkeit ſich nicht weiter erſtreckt, als
auf das, was in unſerer Gewalt ſteht (§. 60.).


§. 569.

Die Buͤrgſchaft(fidejuſſio) iſt ein wohl-Von der
Buͤrg-

Z 5thaͤtiger
[362]II. Th. 11. H. Von wohlthaͤtigen
ſchaft
und der
Verbind-
lichkeit
des Buͤr-
gen.
thaͤtiger Contract, wodurch ſich einer demje-
nigen, welchem ein anderer ſchon verbunden
iſt, oder verbunden werden ſoll, umſonſt ver-
bindlich macht, das ſelbſt zu leiſten, was der
andere leiſten ſollte, woferne er es nicht thut.
Der, welcher ſich fuͤr einen andern, der ſchon
einem verbunden iſt, oder verbunden werden
ſoll, umſonſt verbindlich macht, wird der
Buͤrge
(fidejuſſor) genannt: Der aber, fuͤr
welchen einer Buͤrge wird, der Hauptſchuld-
ner
(debitor principalis). Daher nennt man
auch ſeine Verbindlichkeit die Haupt-
verbindlichkeit
(obligationem principa-
lem);
die Verbindlichkeit des Buͤrgen aber
die dazu kommende Verbindlichkeit(ob-
ligationem acceſſoriam).
Es erhellet aber,
daß die Hauptverbindlichkeit durch die
dazu kommende nicht aufgehoben oder
veraͤndert wird;
wie auch daß der Buͤr-
ge und Hauptſchuldner zu einer Schuld
verbindlich ſind, nur daß die Verbind-
lichkeit des Buͤrgen eine bedingte iſt.

Es erhellet auch, daß die Buͤrgſchaft zu
jeder Verbindlichkeit hinzukommen
kann, und zur Sicherheit der Schuld
dienet;
folglich nicht eher guͤltig ſey, als
bis die Hauptverbindlichkeit gewiß iſt,
und wenn die Hauptverbindlichkeit
nichts iſt, ſo iſt auch die dazukommen-
de nichtig.
Daher folgt ferner, daß, wenn
der Hauptſchuldner nicht bezahlen
kann, der Buͤrge bezahlen muß.
Weil
man
[363]Contracten.
man aber nicht eher wiſſen kann, daß er nicht
bezahlen koͤnne, als bis er angegriffen worden
(excuſſus), das iſt, bis man ſein Vermoͤgen
unterſucht hat; ſo muß der Hauptſchuld-
ner erſt angegriffen werden, ehe der
Buͤrge kann gezwungen werden zu be-
zahlen, wofern man nicht anders eins
worden
(§. 342.).


§. 570.

Weil die Verbindlichkeit des Buͤrgen undWie weil
ſich die
Veꝛbind-
lichkeit
des Buͤr-
gen er-
ſtreckt.

des Schuldners einerley iſt (§. 569.); ſo
wird, wenn der Hauptſchuldner be-
zahlt, der Buͤrge befreyet, und wenn
der Buͤrge zahlt, ſo wird der Haupt-
ſchuldner befreyet.
Weil aber niemand
mit des andern Schaden ſich bereichern darf
(§. 271.); ſo bleibt, wenn der Buͤrge
bezahlt, der Hauptſchuldner ihm ver-
bunden;
und da der Glaͤubiger dem Buͤr-
gen ſein Recht abtreten kann (§. 342.); ſo
fordert nach geſchehener Abtrerung
der Buͤrge das Seinige wieder als eine
gemachte Schuld (§. 338.), und haͤlt
nicht bloß an, daß ihm der verurſach-
te Schade wieder erſetzt werde.
Allein
weil niemand einen andern ſich wider ſeinen
Willen verbindlich machen kann (§. 78.); ſo
darf der Hauptſchuldner demjenigen
vor nichts ſtehen, der ſich wider ſei-
nen Willen vor ihn verbuͤrget und be-
zahlet.
Weil man aber vermuthet, daß ei-
ner einwillige (§. 459.), ja weil er in der
That
[364]II. Th. 11. H. Von wohlthaͤtigen
That ſtillſchweigend einwilliget, wenn er ſchwei-
get, da er reden konte und ſollte (§. 27.); ſo
kann man, wenn jemand Buͤrge wird,
vor einen, der gegenwaͤrtig iſt, und es
geſchehen laͤßt, es nicht anders anſehen,
als daß die Buͤrgſchaft mit ſeiner Ein-
willigung geſchehen ſey.
Weil der Glaͤu-
biger vom Buͤrgen nicht mehr Recht erhalten
kann, als derſelbe ihm einraͤumen wollen (§.
317.); ſo darf der Buͤrge, wenn er ſich
nur fuͤr die Hauptſchuld, oder fuͤr ei-
nen Theil derſelben verbuͤrgt hat, dem
Glaͤubiger weiter nicht als vor die
Hauptſchuld oder einen Theil derſel-
ben ſtehen.


§. 571.

Von der
Buͤrg-
ſchaft, die
ohne Be-
dingung,
mit Be-
dingung
und auf
eine ge-
wiſſe Zeit
gemacht
worden.

Da der Buͤrge die Bezahlung der Schuld
eines andern verſpricht (§. 569.); ſo kommt
es auf den Willen des Buͤrgen an, ob
er ohne Bedingung, mit Bedingung,
oder auf eine gewiſſe Zeit etwas ver-
ſprechen will
(§. 385. 393.). Weil die
Buͤrgſchaft an und vor ſich ſelbſt unter der
Bedingung geſchiehet, woferne der Haupt-
ſchuldner nicht bezahlt (§. 569); ſo verſtehet ſichs,
daß ſie ohne Bedingung gemacht wird, wenn
der Buͤrge ſich zum Selbſtſchuldner macht (§.
cit. \& 424.). Wenn alſo der Buͤrge ſich
ohne Bedingung verbindlich macht, ſo
kann er, ohne daß der Hauptſchuld-
ner vorher angegriffen worden, zur
Bezahlung der Schuld angehalten

wer-
[365]Contracten.
werden; jedoch woferne der Glaͤubiger
von ihm nicht alles erhalten kann, ſo
kann er, was noch fehlt, von dem
Hauptſchuldner zu erlangen ſuchen (§.
424.). Wenn
aber der Buͤrge unter
einer Bedingung, oder auf eine gewiſſe
Zeit ſich verbuͤrgt hat, ſo kann er nicht
anders, als wenn die Bedingung vor-
handen, oder wenn die Zeit erſchienen,
nachdem der Hauptſchuldner vorher
angegriffen worden (§. 569.), zur Be-
zahlung angehalten werden
(§. 395.
396.).


§. 572.

Weil dem Buͤrgen daran gelegen iſt, daßWenn
der Zah-
lungster-
min oh-
ne Vor-
wiſſen
oder wi-
der Wil-
len des
Buͤrgen
verlaͤn-
gert
wird.

der Zahlungstermin nicht aufgeſchoben wird,
maſſen es geſchehen kann, daß der Schuld-
ner, welcher jetzt im Stande iſt zu bezahlen,
ins kuͤnftige nicht bezahlen kann; ſo kann man
nicht ſagen: Wer ſich fuͤr eine Schuld, die
jetzt bezahlt werden ſoll, verbuͤrgt, der habe
ſich auch verbuͤrgt fuͤr eine Schuld, die
nach verlaͤngertem Termine gezahlt werden
ſoll. Derowegen kann der Zahlungster-
min nicht ohne Wiſſen, und noch viel-
weniger wider Willen des Buͤrgen
verlaͤngert werden; und wenn der
Glaͤubiger dieſes thut, ſo iſt der Buͤr-
ge von der Buͤrgſchaft befreyet
(§.
317.).


§. 573.
Von
mehreren
Buͤrgen.

Weil durch die Buͤrgſchaft nicht mehr
Recht
[366]II. Th. 11. H. Von wohlthaͤtigen
Recht kann erhalten werden, als die Buͤrgen
dem Glaͤubiger einraͤumen wollen (§. 569.
317.), und ihnen zur Laſt als wahr ange-
nommen wird, weſſen ſie ſich hinlaͤnglich er-
klaͤren (§. 318.); ſo muß ein jeder von
den Buͤrgen fuͤr die gantze Schuld haf-
ren, wenn ein jeder von ihnen ſich fuͤr
die gantze Schuld verbuͤrget: Wenn
aber ein jeder ſich nur fuͤr einen gewiſ-
ſen Theil verbuͤrget, ſo doͤrfen ſie auch
nur fuͤr einen gewiſſen Theil haften.
Wenn
aber nichts ausdruͤcklich abge-
redet worden, ſo nimmt man an, daß
alle zuſammen ſich fuͤr die gantze
Schuld verbindlich machen;
indem man
mehr als einen Buͤrgen zu mehrerer Sicher-
heit verlangt (§. 569.); folglich muß ein
jeder fuͤr einen gleichen Theil haften;
jedoch wenn die uͤbrigen nicht bezah-
len koͤnnen, ſo muß einer allein alles
bezahlen.


§. 574.

Vom
Ruͤckbuͤr-
gen.

Wer ſich fuͤr einen Buͤrgen verbuͤrgt, wird
ein Ruͤckbuͤrge(fidejuſſor ſuccedaneus,
ſubalternus, vicarius)
genannt. Weil die-
ſer ſich verbindet dem Glaͤubiger die Schuld
zu zahlen, wenn der Buͤrge nicht bezahlen
kann; ſo kann er nicht zur Zahlung an-
gehalten werden, als bis der Buͤrge
angegriffen worden;
und da er ſich da-
fuͤr verbuͤrget hat, was der Buͤrge zu zah-
len hat; ſo wird die Verbindlichkeit
zwi-
[367]Contracten.
zwiſchen ihm und dem Buͤrgen nicht
getheilt.
Und weil der Ruͤckbuͤrge ſich fuͤr
die Verbindlichkeit des Buͤrgen verbindlich
macht, ſo wie der Buͤrge fuͤr die Verbind-
lichkeit des Hauptſchuldners; ſo gilt eben
das vom Ruͤckbuͤrgen in Anſehung des
Buͤrgen, was von dem Hauptbuͤrgen
in Anſehung des Schuldners gilt
(§.
569.); ja da der Ruͤckbuͤrge an die Stelle
des Hauptbuͤrgen tritt, ſo hat er eben das
Recht in Anſehung des Hauptſchuld-
ners, welches der Hauptbuͤrge in An-
ſehung ebendeſſelben hat
(§. cit.).


§. 575.

Der Buͤrge, der ſich fuͤr einen andern Buͤr-Vom
Schad-
losbuͤr-
gen.

gen verbuͤrgt, heiſt beſonders der Schad-
losbuͤrge
(fidejuſſor indemnitatis), wenn
er ſich dem Glaͤubiger zu allen demjenigen
verbindlich macht, was er weder von dem
Hauptſchuldner, noch von dem Hauptbuͤrgen er-
halten kann. Der Schadlosbuͤrge alſo ſetzt
den Glaͤubiger auſſer allen Schaden.

Wofern aber ſich jemand einem Buͤrgen fuͤr
eine demſelben eigene Verbindlichkeit verbind-
lich macht, indem er naͤmlich ihm verſpricht,
daß er von ihm wieder erhalten ſolte, was er
werde haben zahlen muͤſſen, wofern er es von
dem Hauptſchuldner nicht wieder erhalten
kann; ſo wollen wir ihn den Schadlosbuͤr-
gen eines Buͤrgen
(fidejuſſorem indemni-
tatis fidejuſſoris)
nennen. Der Schadlos-
buͤrge eines Buͤrgen iſt alſo dem Glaͤu-

biger
[368]II. Th. 11. H. Von wohlthaͤtigen
biger auf keine Weiſe verbunden, kann
ihm auch nicht verbunden werden, er
kann ſich auch ohne Wiſſen des Glaͤu-
bigers und Hauptſchuldners verbind-
lich machen.
Es erhellet auch, daß die-
ſe Buͤrgſchaft nur zur Sicherheit des
Buͤrgen geſchiehet;
folglich wenn der-
ſelbe nichts bezahlt, ſo darf er auch vor
nichts ſtehen;
ja wenn er auch bezahlt,
ſo darf er nicht eher haften, als bis der
Hauptſchuldner angegriffen worden.


§. 576.

Von der
Buͤrg-
ſchaft fuͤr
eines an-
dern Auf-
fuͤhrung.

Wenn jemand ſich fuͤr eines andern
Auffuͤhrung verbindlich macht,
daß er
naͤmlich dieſes thun, oder unterlaſſen werde,
da er ſich verbindet, fuͤr die Verbindlichkeit,
welche aus dem Thun oder Laßen des andern
entſpringt, und alſo darauf gehet, daß etwas
wiedergegeben, oder erſetzt werden ſoll; ſo
muß der vor das, was nicht geſchehen
ſoll, Buͤrge wird, vor alles ſtehen, was
daran gelegen iſt, daß derjenige,
der die Hauptverbindlichkeit hat, et-
was gethan, was er nicht thun
ſollte: Oder, wenn er davor Buͤr-
ge wird, daß etwas gethan werden
ſoll, vor alles, was daran gelegen, daß
derjenige, der hauptſaͤchlich verbun-
den war, unterlaſſen hat, was er thun
ſollte;
z. E. wenn jemand ſich vor die Treue
eines Bedienten, den er recommendiret, oder
eines Bevollmaͤchtigten verbuͤrget.


§. 577.
[369]Contracten.
§. 577.

Weil ſich der Buͤrge fuͤr eines andern Ver-Ob der
Buͤrge
zu meh-
rern oder
zu weni-
gern ver-
bunden
werden
kann.

bindlichkeit verbuͤrget (§. 569.); ſo kann er
zu nichts mehr, als der Hauptſchuld-
ner verbunden werden;
folglich wenn
er mehr verſprochen hat, ſo darf er
nur fuͤr den Theil haften, welchen der
Hauptſchuldner ſchuldig iſt.
Weil aber
auch einer nur fuͤr einen Theil Buͤrge wer-
den kann (§. 573.); ſo kann er auch zu
etwas wenigern verbunden werden.

Derowegen da es mehr iſt, etwas gleich ge-
ben, als nach einer geſetzten Zeit; ſo kann
der Buͤrge nicht vor der geſetzten Zeit

(termino)zur Zahlung angehalten wer-
den, wenn es gleich offenbahr klar iſt,
daß der Hauptſchuldner nicht bezahlen
kann.


§. 578.

Weil ein Eyd keine Handlung, die nichtVon ei-
ner be-
ſchwore-
nen und
ſchriftli-
chen
Buͤrg-
ſchaft.

verbindlich iſt, verbindlich machen kann (§.
446.); ſo kann er auch keine unguͤltige
Buͤrgſchaft guͤltig machen.
Und da die
Verbindlichkeit aus dem Verſprechen ent-
ſpringt (§. 380.); ſo kann die Buͤrgſchaft
durch einen Brief, oder durch jemand
anders (§. 403.), naͤmlich durch ei-
ne Mittelsperſon (§. 429.) geſchehen.

Und obgleich die Verbuͤrgung, ohne
ſie aufzuſchreiben, und ehe ſie aufge-
ſchrieben worden, gilt, wofern man
es nicht anders ausdruͤcklich ausge-

Nat. u. Voͤlckerrecht. A amacht
[370]II. Th. 11. H. Von wohlthaͤtigen
macht hat (§. 445.); ſo iſt es doch rath-
ſam daß dieſelbe ſchriftlich abgefaßt
wird;
weil die Verbindlichkeit ſich nicht
weiter erſtreckt, als auf das, was geſagt
worden (§. 318.); und wofern der Buͤr-
ge die Kunſtwoͤrter,
welche dabey ge-
braucht werden, nicht verſtehen ſolte, ſo
muͤſſen ihm dieſelben hinlaͤnglich er-
klaͤrt werden.


§. 579.

Von dem
Selbſt-
ſchuld-
ner.

Ein Selbſtſchuldner(expromiſſor) wird
genannt, welcher die Verbindlichkeit eines
andern auf ſich nimmt, oder fuͤr einen an-
dern, welcher ſchon verbunden iſt, oder ver-
bunden werden ſoll, ſich dergeſtalt verbindlich
macht, daß er ſelbſt in ſeinem Nahmen als
der Hauptſchuldner leiſten will, wozu der an-
dere verbunden war. Der Selbſtſchuld-
ner tritt alſo in die Stelle des Haupt-
ſchuldners, und der Hauptſchuldner
iſt dem Glaͤubiger nicht mehr ver-
bunden;
folglich wenn dieſer nicht be-
zahlen kann, ſo kann der Glaͤubiger
nicht den Hauptſchuldner angreifen,
wenn er auch gleich bezahlen koͤnte.

Und da ſich zum Selbſtſchuldner machen ein
Geſchaͤfte iſt, welches zwiſchen dem Glaͤubi-
ger und dem, welcher die Schuld eines an-
dern uͤbernimmt, allein vorgenommen wird;
ſo kann der Selbſtſchuldner nicht vom
Hauptſchuldner wiederfordern, was er
fuͤr ihn bezahlt, wofern es nicht an-

ders
[371]Contracten.
ders durch einen beſondern Vertrag, der mit
dem Hauptſchuldner gemacht worden, aus-
gemacht iſt
(§. 438.). Jedoch muß nach
dem Gewiſſen der Hauptſchuldner,
wenn ihm der Selbſtſchuldner nichts
ſchuldig iſt, was er bezahlt hat, wie-
dergeben
(§. 271.). Eben dieſes verſtehet
ſich auch vom Hauptſchuldner, wenn der
Selbſtſchuldner nicht bezahlen kann. Es kann
einer ſich zum Selbſtſchuldner angeben, weil
er einem etwas ſchencken will, und weil er
ſchon auf andere Weiſe vergnuͤget worden:
Wornach man aber doch nicht fraget, wenn
ſich einer zum Selbſtſchuldner angiebt (§. 318.).
Wenn alſo jemand ſich deswegen zum
Selbſtſchuldner macht, weil er dem
Hauptſchuldner etwas zu leiſten ver-
bunden iſt; ſo wird er dadurch in ſo
weit davon befreyet, als er ſich da-
durch dem andern verbindlich macht:

Denn man nimmt allerdings an, daß ſich ei-
ner in dieſer Abſicht zum Selbſtſchuldner ge-
macht (§. 318.). Uebrigens gehet ſowohl
die Buͤrgſchaft, als wenn einer Selbſt-
ſchuldner wird, wenn nichts gewiſſes
beſtimmet wird, auf alles, was wird
gegeben werden;
maſſen es auf unſerm
Willen beruhet, wie wir uns verbuͤrgen und
zum Selbſtſchuldner machen wollen.


A a 2Das
[372]II. Th. 12. H. Von beſchwerlichen

Das zwoͤlfte Hauptſtuͤck.


Von den Tauſchhandlungen oder
beſchwerlichen Contracten.


§. 580.

Von be-
ſchwerli-
chen Con-
tracten.

Die Tauſchhandlungen nennt man auch
beſchwerliche Contracte(contra-
ctus oneroſos).
Derowegen weil in
den beſchwerlichen Contracten Sachen und
Thun mit einander vertauſcht werden (§. 467.),
niemand aber verbunden iſt einem andern et-
was umſonſt zu geben und zu thun, wenn er
wiederum etwas geben oder thun kann (§.
473.); ſo muß in den beſchwerlichen
Contracten die Gleichheit beobachtet
werden,
naͤmlich daß ſo viel, als der eine
leiſtet, der andere eben ſo viel ihm wieder lei-
ſten muß; folglich wenn der beſchwerli-
che Contract erfuͤllt worden, keiner
von denen, die ihn eingegangen, mehr
oder weniger hat, als er vorher hat-
te; und
deswegen keiner durch den Con-
tract bereichert wird (§. 271.). Wenn

demnach die contrahirende Theile mit
Wiſſen und Willen von der Gleichheit
abgehen; ſo iſt es ein vermiſchter Con-
tract aus einem wohlthaͤtigen und be-
ſchwerlichen.


§. 581.

Wenn ei-
ne Un-
gleichheit

Weil in einem beſchwerlichen Contracte ei-
ne Gleichheit zu beobachten iſt (§. 580.); ſo
iſt
[373]Contracten.
iſt die Ungleichheit in beſchwerlichenſich im
Contract
befindet.

Contracten unerlaubt (§. 51.). Dero-
wegen weil durch die Ungleichheit der eine
Theil betrogen wird (§. 286.); ſo muß der,
welcher zu viel bekommen, dem andern
ſo viel zuruͤcke geben, als er zu viel hat

(§. cit.); und deswegen wird um der Un-
gleichheit willen der Contract nicht
aufgehoben, oder umgeſtoſſen.
Man
ſagt aber ein Contract werde aufgeho-
ben, oder umgeſtoſſen
(contractus reſcin-
ditur),
wenn er vor nichtig erklaͤrt wird, da
er nach dem Rechte nicht unguͤltig iſt, ſondern
beſteht.


§. 582.

Ein beſchwerlicher Contract, in welchemWas ein
Tauſch
ſey, und
wie er zu
ſtande ge-
bracht
wird.

eine Sache, ſie mag koͤrperlich oder unkoͤrper-
lich ſeyn, fuͤr eine andere Sache gegeben wird,
heißt der Tauſch(permutatio). Weil kei-
ner als der Eigenthumsherr einem eine Sache
geben kann (§. 258.); ſo iſt der Tauſch
null und nichtig, wenn einer von den
contrahirenden Theilen eine fremde
Sache giebt.
Da geben ſo viel iſt, als das
Eigenthum auf einen andern bringen (§. cit.);
dieſes aber auf den, der es annimmt, kom-
met, bloß durch den hinlaͤnglich erklaͤrten
Willen des Eigenthumsherrn (§. 317); ſo
wird der Tauſch natuͤrlicher Weiſe
durch beyderſeitige Einwilligung zu
ſtande gebracht (§. 27.); ſo bald
naͤmlich
die Einwilligung da iſt, daß eine Sa-
A a 3che
[374]II. Th. 12. H. Von beſchwerlichen
che fuͤr eine Sache gegeben werden
ſoll,
ſo iſt der Tauſch zu ſtande ge-
bracht;
folglich ſind die contrahirende
Theile einander die Sachen zu uͤberge-
ben verbunden
(§. 320.); obgleich nach
geſchehener beyderſeitigen Einwilli-
gung die Uebergabe bis auf eine ge-
wiſſe Zeit verſchoben werden kann
(§.
314.).


§. 583.

Wie das
Geld und
der Ge-
brauch
einer Sa-
che ver-
tauſcht
wird, in-
gleichen
ſeine ei-
gene Sa-
che fuͤr
ſeine ei-
gene.

Da in dem Tauſche alle Sachen koͤnnen
gegeben werden (§. 582.), das Geld aber,
in ſo ferne man bloß auf die Materie ſiehet,
und nicht auf deſſen aͤuſſerlichen Werth, einer
Sache gleich geachtet wird; ſo kann auch
baares Geld, wenn man bloß auf deſ-
ſen Materie ſiehet, vertauſcht werden.

Und weil man den Gebrauch einer Sache
giebet, wenn man einem das Recht ſie zu
brauchen einraͤumet; ſo iſt es ein Tauſch,
wenn ich einem den Gebrauch meiner
Sache fuͤr den Gebrauch ſeiner gebe
(§.
cit.). Ja weil die Arbeit den Sachen gleich
geſchaͤtzt wird (§. 225.); ſo kann auch eine
Arbeit mit einer andern Arbeit ver-
tauſcht werden.
Und weil meine Sache,
wenn ich dir dieſelbe gebe, deine wird, wenn
du mir aber dieſelbe wiedergiebeſt, wiederum
meine (§. 258.); ſo kann auch ſeine Sache
mit ſeiner vertauſcht werden, wenn ſie
dergeſtalt gegeben wird, daß fuͤr die-

ſelbe
[375]Contracten.
ſelbe eben dieſelbe auf einen gewiſſen
Tag wiedergegeben wird.


§. 584.

Weil der Tauſch ein beſchwerlicher Con-Von der
Gleich-
heit, die
beym
Tauſche
zu beob-
achten.

tract iſt (§. 582.), bey einem beſchwerlichen
Contracte aber die Gleichheit in acht genom-
men werden muß (§. 580.); ſo muß bey
dem Tauſche die Gleichheit beobachtet
werden;
folglich damit man von derſelben
gewiß ſeyn moͤge; ſo muͤſſen Sachen nach
einem gewiſſen Werthe angeſchlagen
werden; und
deswegen muß zu der Sa-
che von geringerem Werthe etwas zu-
gegeben werden, wodurch ſie der an-
dern gleich gemacht wird. Wenn
aber
jemand mit Wiſſen und Willen mehr
giebt, als er bekommt; ſo iſt es ein
vermiſchter Contract aus einem Tau-
ſche und einer Schenckung
(§. 582.
475.).


§. 585.

Weil durch den Tauſch das Eigenthum ei-Von der
Veraͤuſ-
ſerung
einer ver-
tauſchten
Sache.

ner Sache auf einen andern gebracht wird,
unerachtet die Sache nicht gleich uͤbergeben
wird (§. 582.); ſo kann keiner von de-
nen, die mit einander getauſcht haben,
ſeine geweſene Sache veraͤuſſern, ob
ſie gleich dem andern noch nicht uͤber-
geben worden (§. 257.); Wer
aber die
Sache, die ihm uͤbergeben worden,
empfangen hat, der kann ſie veraͤuſ-
ſern, wenn er gleich die Sache, die er

A a 4ver-
[376]II. Th. 12. H. Von beſchwerlichen
vertauſcht, noch nicht uͤbergeben
hat.


§. 586.

Was bey
dieſem
Contra-
cte buͤr-
gerlichen
Rechtes
iſt.

Das Roͤmiſche Recht geht in dem Tauſche
gar ſehr vom Rechte der Natur, aus beſon-
dern Urſachen, ab, die im groͤſſern Wercke
vom Rechte der Natur Tom. 4. not. §. 879.
880. angezeigt worden. Was alſo buͤrgerli-
chen Rechtes iſt, muß nicht mit dem, was
natuͤrlichen Rechtes iſt, vermenget werden.
Dergleichen iſt, daß der Contract nicht eher
guͤltig iſt, als bis von einem Theil die Sache
uͤbergeben worden; und er folglich nicht durch
die bloſſe Einwilligung zu ſtande gebracht
wird.


§. 587.

Was
Kauf u.
Verkauf
ſey.

Der beſchwerliche Contract, in welchem
einer eine Sache, der andere davor die Sum-
me Geldes giebt, wodurch der Werth der Sa-
che beſtimmet wird, nennt man den Kauf
und Verkauf(emtio venditio). Wer die
Sache giebt, wird der Verkaͤufer(vendi-
tor);
wer aber das Geld davor zahlt, der
Kaͤufer(emtor) genannt. Die Sache,
welche verkauft wird, heißt die Waare
(merx). Sachen alſo, die nicht verkauft
werden koͤnnen, nennt man daher nicht Waa-
ren; und gewoͤhnlicher Weiſe wird dieſer
Nahme bloß den beweglichen Sachen zuge-
eignet.


§. 588.
[377]Contracten.
§. 588.

Weil im Kaufen und Verkaufen man fuͤrWas
verkauft
werden
kann.

eine Sache Geld giebt, ſo viel als ſie werth
geſchaͤtzt wird (§. 587.), der Werth aber al-
ler Sachen an Gelde beſtimmt wird, und
Geld fuͤr eine jede Sache gegeben werden
kann (§. 494.); ſo koͤnnen alle koͤrperli-
che, bewegliche und unbewegliche, in-
gleichen alle unkoͤrperliche Sachen,
das Geld, in ſo weit man bloß auf die
Materie ſiehet, ingleichen der Beſitz
ſeiner eigenen Sache, welchen man
verlohren hatte, das Recht in einer
und zu einer Sache, ſie mag beſchaffen
ſeyn, wie ſie will,
ja auch Sachen, die
erſt kuͤnftig daſeyn werden, doch nicht
Sachen, welche niemahls in der Na-
tur vorhanden, gekauft und verkauft
werden.
Weil aber niemand eine Sache
geben kann, als der Eigenthumsherr (§. 258);
ſo kann auch niemand die Sache ver-
kaufen, als der Eigenthumsherr; wer
nicht der Eigenthumsherr iſt, der
kann eine fremde Sache nicht ver-
kaufen.


§. 589.

Ein kuͤnftiges Eigenthum(dominiumVom
kuͤnftigen
Eigen-
thum u.
Rechte.

futurum) nennt man, welches wir in einer
Sache, die kuͤnftig wuͤrcklich werden wird,
ſo bald ſie vorhanden, z. E. in den Fruͤchten
zukuͤnftigen Sommers, oder in einer Sache,
die wir bekommen ſollen, als in dem Gelde,
A a 5welches
[378]II. Th. 12. H. Von beſchwerlichen
welches wir zur Beſoldung bekommen, haben.
Daher erhellet zugleich, was man uͤberhaupt
ein kuͤnftiges Recht nennet (jus futurum).
Das kuͤnftige Eigenthum enthaͤlt alſo
das Recht in ſich, alle andere vom Ei-
genthum in der kuͤnftigen, oder kuͤnf-
tig zu erhaltenden Sache auszuſchlieſ-
ſen, wenn ſie wuͤrcklich vorhanden,
oder erhalten wird
(§. 195.). Da es nun
ſchon einiges gegenwaͤrtiges Recht in ſich
ſchließt; ſo kann auch ein zukuͤnftiges Ei-
genthum auf einen andern gebracht
werden.
Weil wir doch aber nicht wuͤrckli-
che Eigenthumsherren ſeyn koͤnnen, als bis
die Sache wuͤrcklich wird, oder wir dieſelbe be-
kommen; ſo wird dadurch, daß ein
kuͤnftiges Eigenthum auf uns gebracht
wird, nur die Moͤglichkeit Eigen-
thumsherr zu werden erhalten, doch
ſo, daß wir alſobald Eigenthumsher-
ren ſind, als die Sache wuͤrcklich da
iſt, oder wir dieſelbe uͤberkommen.
Und
eben auf dieſe Weiſe erhellet, daß wir
durch den Willen deſſen, welcher ein
zukuͤnftiges Recht auf uns bringt, al-
ſobald ein eigenes Recht erhalten, in
ſo weit es moͤglich iſt, in der That
aber, wenn das vorhanden, was zur
Wuͤrcklichkeit des Rechtes noch erfor-
dert wird.


§. 590.

Von dem
Kauf der

Weil ein kuͤnftiges Eigenthum nichts iſt,
wenn
[379]Contracten.
wenn die Sachen nicht wuͤrcklich werden (§.Sachen,
die wuͤꝛck-
lich wer-
den ſol-
len.

589.); ſo werden Sachen, die wuͤrck-
lich werden ſollen, nicht anders als
unter der ſtillſchweigenden Bedingung
gekauft, wenn ſie wuͤrcklich ſeyn wer-
den;
folglich wenn es ſich zutragen ſoll-
te, daß ſie nicht wuͤrcklich wuͤrden, ſo
iſt der Kauf null und nichtig
(§. 396.).
Weil im Kaufen eine Gleichheit zu beobach-
ten iſt (§. 580.); folglich keiner von den con-
trahirenden Theilen den Vorſatz hat etwas
zu wagen; ſo muß, wenn Sachen, die
wuͤrcklich werden ſollen, gekauft wer-
den, entweder eine gewiſſe Qvantitaͤt
gekauft werden, oder der Preiß muß
auf eine gewiſſe Qvantitaͤt feſt geſetzt
werden.
Derowegen wenn im erſten Fal-
le eine kleinere Qvantitaͤt wuͤrcklich
wird, ſo kann der Verkaͤufer nicht an-
gehalten werden, eine groͤſſere zu ge-
wehren;
weil es ein bedingter Kauf iſt,
vermoͤge deſſen, was erwieſen worden; wenn
aber eine groͤſſere wuͤrcklich wird, ſo
verſtehet ſichs, daß nicht mehr gekauft
worden, als woruͤber man eins wor-
den iſt
(§. 318.). Allein in dem andern
Falle verſtehet ſichs, daß alles gekauft
worden, und der Werth muß dar-
nach gerechnet werden, was auf eine
gewiſſe Qvantitaͤt beſtimmt worden

(§. cit.). Wenn aber Sachen, die wuͤrck-
lich werden ſollen, gekauft werden,

ohne
[380]II. Th. 12. H. Von beſchwerlichen
ohne eine gewiſſe Qvantitaͤt auszu-
machen, oder wegen des Preißes auf
eine gewiſſe Qvantitaͤt eines zu wer-
den,
da ſolchergeſtalt von keiner Qvantitaͤt
Meldung geſchehen; ſo iſt alles gekauft
worden, was wuͤrcklich werden wird.

Und da noch kein Preiß ausgemacht worden,
weil derſelbe nicht zu aller Zeit einerley zu
ſeyn pflegt; ſo verſtehet ſichs, daß die
contrahirenden Theile ſtillſchweigend
in den Preiß gewilliget haben, welcher
zu der Zeit, da die Sachen wuͤrcklich
ſeyn werden, gewoͤhnlich ſeyn wird.


§. 591.

Vom
Kaufen
nach
Maaß u.
Gewicht.

Nach Maaß und Gewichte wird
etwas gekauft
(ad menſuram emi), wenn
die Qvantitaͤt, die gekauft werden ſoll, und
der Preiß nach einer gewiſſen Qvantitaͤt be-
ſtimmt wird, oder wenn eine Sache gantz ge-
kauft wird mit der Bedingung, daß die Qvan-
titaͤt derſelben durch ein gewiſſes Maaß be-
ſtimmt wird, nach welchem ihr Preiß aus-
gemacht wird; daher erhellet, daß, wenn
nach geſchehener Ausmeſſung die
Qvantitaͤt kleiner iſt, ſo muß der Ver-
kaͤufer, wenn er, was fehlet, nicht
erſetzen kann, einen Theil des Preiſſes
nachlaſſen: Wenn derſelbe
aber groͤſſer
iſt, ſo behaͤlt er das Uebrige zuruͤcke,
wenn der Kaͤufer nicht mit ſeiner Be-
willigung den Preiß vergroͤſſern will.
Allein wenn keine Qvantitaͤt ausge-

macht
[381]Contracten.
macht worden, ſo muß der Kaͤufer
den Preis der gantzen Sache zahlen,
welchen dieſelbe nach geſchehener Aus-
meſſung betraͤgt
(§. 318. 438.).


§. 592.

Es wird etwas im Pauſch und Bo-Vom
Kaufen
im
Pauſch u.
Bogen.

gen gekauft(per averſionem emi), wenn
eine gewiſſe Sache dergeſtalt gekauft wird,
daß der Preiß auf keine gewiſſe Qvantitaͤt ge-
ſetzt wird, nach welcher man ihn ausrechnet.
Derowegen muß der Preiß, welchen man
ausgemacht hat, gantz gezahlt wer-
den; ob man gleich eine andere Qvan-
titaͤt nach geſchehener Ausmeſſung fin-
det, als man vermeinte
(§. 318. 438.).


§. 593.

Weil der, welcher nicht EigenthumsherrWenn ei-
ne frem-
de Sache
verkauft
worden.

iſt, eine fremde Sache nicht verkaufen kann
(§. 588.); folglich der Verkauf einer frem-
den Sache null und nichtig iſt; ſo muß eine
fremde gekaufte Sache dem Eigen-
thumsherrn, ohne daß er dafuͤr etwas
geben darf, wieder zugeſtellt werden
(§. 261.); der Verkaͤufer
aber muß dem
Kaͤufer, was er gegeben, wiedergeben

(§. 271.); folglich iſt es nicht erlaubt die
Sache dem Verkaͤufer wiederzugeben,
damit man von demſelben das, was
man gezahlet, wiederbekomme.


§. 594.

Weil eine Sache, die uns verkauftVon ei-
ner Sa-
che, die

worden, unſer iſt, ob ſie uns gleich noch
nicht
[382]II. Th. 12. H. Von beſchwerlichen
zwey-
mahl
verkauft
worden.
nicht uͤbergeben worden (§. 587. 320.); ſo
iſt, wenn ſie einem andern noch ein-
mahl verkauft wird, der letzte Verkauf
null und nichtig
(§. 588.). Allein weil
durch das bloſſe Verſprechen, uns eine Sache
zu verkaufen, das Eigenthum nicht auf uns
gebracht wird, ſondern nur ein Recht zu for-
dern, daß ſie uns und keinem endern verkauft
werde (§. 379. 587.); ſo iſt, wenn eine
Sache, die man uns zu verkaufen ver-
ſprochen, einem andern verkauft wird,
der Verkauf guͤltig (§. 257.). Man iſt
uns
aber davor zu ſtehen ſchuldig, was
uns daran gelegen iſt, daß die Sache
uns nicht verkauft worden
(§. 415.).


§. 595.

Von ei-
ner Sa-
che, die
nach ih-
rer Gat-
tung ge-
kauft
worden.

Da ſelbſt aus dem Begriffe des Eigen-
thums erhellet, daß es nicht in einer gewiſſen
Gattung der Dinge, ſondern nur in eintze-
len Dingen von einer gewiſſen Art ſtatt fin-
det (§. 195.); ſo kann auch, wenn eine
Sache nach ihrer Gattung verkauft
worden,
z. E. wenn ich einem 10. Schfl.
Getreide verkaufe, und zwar bloß nach der
Gattung, nicht aber als einen Theil des Hau-
fens, den ich einem zeige, der Kaͤufer nicht
eher das Eigenthum erhalten, als bis
ihm die einzelen Sachen gegeben wer-
den;
z. E. 10. Scheffel Getreide zugemeſſen
werden.


§. 596.
[383]Contracten.
§. 596.

Jm Kaufen und Verkaufen wird eine Sa-Wenn
der Kauf
und Ver-
kauf zu
ſtande
gebracht
worden.

che fuͤr Geld gegeben (§. 587.). Derowegen
da man das Geld nicht eigenthuͤmlich haben
kann, als in ſo fern es in gewiſſen Koͤrpern
beſteht, und nichts gewiſſes ſeyn kann, als bis
die Coͤrper gezeigt werden, folglich das Ei-
genthum des Geldes auf einen andern nicht
gebracht werden mag, als bis die Coͤrper
uͤbergeben, oder vorgezeigt worden; ſo iſt na-
tuͤrlicher Weiſe der Kauf und Verkauf
zu ſtande gebracht, ſo bald man uͤber
den Preiß eins worden, und der Kaͤu-
fer das Geld zu zahlen bereit iſt (§. 317.);
und wenn der Kauff vollzogen wor-
den, entſteht auch gleich die Verbind-
lichkeit des Kaͤufers das Geld zu zah-
len, des Verkaͤufers
aber die Sache zu
uͤbergeben. Es iſt
naͤmlich die Zahlung
des Geldes
(ſolutio pecuniæ) die Hand-
lung, wodurch das Eigenthum und der Be-
ſitz des ſchuldigen Geldes zugleich uͤber-
bracht wird, folglich enthaͤlt dieſelbe zugleich
das Geben und die Uebergabe (§. 258. 320.),
und das Geld wird gezahlt, wenn man
es dem, welchem man es ſchuldig iſt,
zuzehlet.


§. 597.

Man ſagt, der Verkaͤufer verkaufeWenn ei-
nem auf
Glauben
etwas
verkanft
wird.

etwas auf Glauben(fidem de pretio ha-
bere, vel fidem emtoris ſequi),
wenn er
ihm die Waare uͤbergiebt, und bloß den Wor-
ten
[384]II. Th. 12. H. Von beſchwerlichen
ten des Kaͤufers trauet, daß er ihm das Geld
zahlen werde, deswegen aber keine Sicherheit
auf einige Weiſe verlangt. Auf Glauben
verkaufen iſt
alſo ſo viel, als gleichſam
das Geld empfangen.
Da es alſo gleich
viel iſt, wenn der Verkaͤufer auf Glauben
verkauft, als ob er das Geld vom Kaͤufer em-
pfangen und ihm wieder geliehen haͤtte (§.
528. 323.); ſo iſt der Verkauf und
Kauf richtig, ſo bald man des Preißes
wegen eins worden, und der Verkaͤu-
fer den Worten des Kaͤufers trauet.

Denn da der Verkaͤufer die Sache nicht an-
ders als vor Geld geben will; ſo erhaͤlt der
Kaͤufer nicht eher das Eigenthum der
Sache, bis der Verkaͤufer entweder
das Geld wuͤrcklich gezahlt bekommt,
oder ſich verſichert haͤlt, daß er es be-
kommen werde.
Es erhellet aber (§. 314.),
daß es bloß auf den Willen des Ver-
kaͤufers ankommt, ob er will, daß das
Geld ihm gleich gezahlt werde, oder
ob er auf Glauben etwas verkaufen
will, oder ob er will, daß ihm auf ei-
ne andere Weiſe Sicherheit verſchaft
werde,
z. E. durch die Buͤrgſchaft (§. 569.),
oder daß ein anderer die Schuld uͤbernimmet
(§. 579.).


§. 598.

Wenn ei-
ne Sache
dem Kaͤu-
fer uͤber-

Weil der Kauf und Verkauf nicht zu ſtan-
de gebracht wird, als wenn eine gewiſſe Sa-
che fuͤr einen gewiſſen Preiß gegeben wird
(§. 587.);
[385]Contracten.
(§. 587.); ſo folget, daß, wenn der Ver-geben
worden,
ohne daß
man den
Preiß
ausge-
macht.

kaͤufer eine Waare giebt und uͤbergiebt,
ob man gleich noch nicht wegen des
Preißes eins worden, er die Sache auf
Glauben verkaufe (§. 588.), und der
Kaͤufer ſtillſchweigend in den Preiß
williget, welcher zu der Zeit, da er die
Waare empfaͤngt, gewoͤhnlich iſt.


§. 599.

Gleichergeſtalt weil im Kaufen und Ver-Wenn
Geld und
eine Sa-
che fuͤr
eine Sa-
che gege-
ben wird.

kaufen Geld fuͤr eine Sache gegeben wird (§.
587.), im Tauſche aber eine Sache fuͤr eine
andere Sache (§. 582.); ſo iſt, wenn je-
mand eine Sache fuͤr eine Sache, und
Geld als eine Zugabe giebt, der Con-
tract ein Tauſch: Wenn
aber Geld fuͤr
eine Sache und eine Sache zu Erfuͤl-
lung des Preißes gegeben wird; ſo iſt
der Contract ein Kauf und Verkauf.


§. 600.

Da der Gebrauch des Geldes etwas iſt,Wenn es
erlaubt
iſt, den
Preiß ei-
ner Sa-
che zu er-
hoͤhen u.
zu ver-
mindern.

das geſchaͤtzt werden kann, in ſo ferne man
dadurch einen Gewinn haben kann; ſo be-
zahlt der mehr, welcher gleich bezahlt,
oder voraus bezahlt, als welcher die
Bezahlung aufſchiebet.
Deswegen kann
der Preiß der Sache, wenn die Zah-
lung aufgeſchoben wird, erhoͤhet, wenn
aber voraus gezahlet wird, vermindert
werden. Es iſt
aber nicht erlaubt den
Preiß zu erhoͤhen, wenn einer zu aller

Nat. u. Voͤlckerrecht. B bZeit
[386]II. Th. 12. H. Von beſchwerlichen
Zeit zu bezahlen bereit iſt, ſo bald nur
der Verkaͤufer Geld noͤthig hat.


§. 601.

Vom
Kaufe
dem
Verkaͤu-
fer zu ge-
fallen, u.
im Ge-
genthei-
le.

Gleichergeſtalt weil die Gelegenheit ſeine
Sache zu verkaufen, oder eine von einem an-
dern zu kaufen etwas iſt, was geſchaͤtzt wer-
den kann, inſonderheit wenn dem Verkaͤufer
daran gelegen, daß er ſeine Sache verkaufen,
oder dem Kaͤufer, daß er ſie kaufen kann;
maſſen man im erſten Falle demjenigen eine
Belohnung giebt, der einen Kaͤufer verſchaft,
im andern Falle aber die Sache, die wir kau-
fen, da man naͤmlich in jenem Falle einen
Kaͤufer, in dieſem einen Verkaͤufer ſucht; ſo
folget, daß, wenn dem Verkaͤufer dran
gelegen, daß er die Sache gleich ver-
kauft, oder wenn man ihm zu gefal-
len etwas kauft, es erlaubt iſt, um ei-
nen geringern Preiß zu kaufen; und
wenn dem Kaͤufer daran gelegen, daß
er die Sache haben kann, oder wenn
ſie ihm zu gefallen verkauft wird, es
nicht unbillig iſt, ſie um einen hoͤhe-
ren Preiß zu verkaufen.


§. 602.

Wenn
ein hoͤhe-
rer oder
geringe-
ter Preiß
durch ei-
nen Jrr-
thum be-
zahlt
worden.

Da niemand mit des andern Schaden ſich
bereichern darf (§. 271.); ſo iſt der Ver-
kaͤufer, wenn er im Preiße geirret hat,
und mehr, als der wahre Preiß iſt, vom
Kaͤufer bekommen, was er zu viel be-
kommen, wiederzugeben ſchuldig: Jm
Gegentheil wenn ein geringerer Preiß,

als
[387]Contracten.
als der wahre bezahlt worden; ſo muß
der Kaͤufer erſetzen, was an dem wahren
Preiße fehlt,
oder wenn ihm die Waare
davor nicht anſtehet, ſie wiedergeben,
und ſein Geld wiedernehmen.
Da das
Recht der Natur unter mehr und weniger
keinen Unterſchied macht, ſondern gar keine
Verletzung duldet; ſo kann nach demſel-
ben wegen einer jeden Verletzung ein
jeder Contract aufgehoben werden.

Jm uͤbrigen gilt dieſes auch aus eben dieſer
Urſache, wenn der Kaͤufer aus Unwiſ-
ſenheit vor eine Sache mehr giebt, als
ſie werth iſt, weil er vermeinet, dieſes
ſey der wahre Preiß.


§. 603.

Weil es einerley iſt, ob der Kaͤufer undVon der
Beſtim-
mung
des
Preißes
nach dem
Gutduͤn-
cken eines
dritten.

Verkaͤufer ſelbſt mit einander des Preißes
wegen eines werden, oder ob ſie es auf das
Gutduͤncken einer gewiſſen oder ungewiſſen
dritten Perſon wollen ankommen laſſen; ſo
gilt die Beſtimmung des Preißes nach
dem Gutduͤncken eines dritten, wenn
er von dem gewoͤhnlichen oder wah-
ren nicht gar zu weit abgeht
(§. 271.).
Und da man die Beſtimmung eines Preißes
auf das Gutduͤncken eines dritten ankommen
laͤßt, damit man durch den Contract nicht
verletzt wird; ſo muß derjenige, deſſen
Gutduͤncken es uͤberlaſſen wird, die
Sache nach ihrem Werth zu ſchaͤtzen
verſtehen.
Da man aber in Contracten
B b 2vor
[388]II. Th. 12. H. Von beſchwerlichen
vor wahr annehmen muß, was hinlaͤnglich
angezeigt worden (§. 318.); und nach dem
Recht der Natur nicht erlaubt iſt, daß die
Contrahenten etwas thun, das den Pflich-
ten widerſpricht (§. 42. 57.); ſo muß man
aus den Umſtaͤnden urtheilen, was die
Meinung der Contrahirenden gewe-
ſen ſey,
oder warum ſie die Beſtimmung des
Preißes auf das Gutduͤncken des Kaͤufers
oder Verkaͤufers haben wollen ankommen
laſſen; und dergleichen Kauf wird im
Gewiſſen nach den Pflichten einge-
richtet.


§. 604.

Von dem
Jrrthum
der in der
Sache
ſelbſt,
oder ih-
rer Ma-
terie,
oder Be-
ſchaffen-
heit be-
gangen
wird.

Weil der Vertrag eines Jrrenden nichtig
iſt, wenn ein Jrrthum die Urſach zu demſel-
ben geweſen iſt (§. 405. 438.); ſo iſt der
Kauf und Verkauf nichtig, wenn ei-
ne andere Sache fuͤr eine andere ge-
kauft, oder verkaufr wird; es mag ſeyn,
daß dieſelbe eine andere iſt, in Anſe-
hung ihrer ſelbſt,
oder ſo weit ſie eine ein-
tzele Sache von einer gewiſſen Art iſt; oder
in Anſehung der Materie, daß ſie ent-
weder gantz, oder zum Theil aus einer an-
dern Materie beſteht, als man vermeinte.
Es erhellet auch daher, daß in dieſem Ver-
fahren entweder ein vorſaͤtzlicher oder
zufaͤlliger Betrug vorgehet,
deren kei-
ner verſtattet werden kann (§. 286.). Eben
dieſes verſtehet ſich
auf eben dieſe Weiſe,
wenn der Kaͤufer entweder ausdruͤck-
lich
[389]Contracten.
lich ſich erklaͤret, oder es aus andern
Umſtaͤnden hinlaͤnglich erhellet, daß er
eine Sache wegen einer gewiſſen Ei-
genſchaft kaufe, ſonſt aber nicht wuͤr-
de gekauft haben, und in Anſehung
dieſer Eigenſchaften ein Jrrthum vor-
gehet;
als wenn junger Wein fuͤr alten ver-
kauft wird.


§. 605.

Jm Kaufen und Verkaufen wird das Ei-Von den
Vertraͤ-
gen, die
zum Kauf
und Ver-
kauf an-
gehaͤngt
werden.
Und weñ
die Sa-
che auf
einen ge-
wiſſen
Tag ge-
kauft
ſeyn, oder
der Kauf
nur eine
gewiſſe
Zeit dau-
ren ſoll.

genthum der Sache vom Verkaͤufer auf den
Kaͤufer gebracht (§. 587.). Da es nun auf
dem Willen des Eigenthumsherrn beruhet,
wie er das Eigenthum ſeiner Sache auf den
andern bringen will (§. 314.), und auf dem
Willen deſſen, der ſie bekommt, ob er es auf
dieſe Weiſe haben will, oder nicht (§. 316.);
ſo koͤnnen, nach Gefallen des Kaͤufers
und Verkaͤufers, dem Kaufe und Ver-
kaufe Vertraͤge beygefuͤgt werden,
welche das durch den Kauf erhaltene
Recht veraͤndern, und einige neue
Verbindlichkeiten hervorbringen, und
dieſe muͤſſen gehalten werden
(§. 438.).
Daher folgt, daß, wenn eine Sache auf
einen gewiſſen Tag gekauft und ver-
kauft wird; ſo iſt der Kauf und Ver-
kauf zwar gleich richtig, die contra-
hirende Theile aber ſind nicht verbun-
den ihn zu vollziehen, als bis der Tag
erſchienen. Und wenn
im Gegentheil
die Sache unter der Bedingung ver-
B b 3kauft
[390]II. Th. 12. H. Von beſchwerlichen
kauft wird, daß ſie auf eine gewiſſe
Zeit gekauft ſeyn ſoll; ſo iſt der Kauf
und Verkauf gleich zu vollziehen: ſo
bald aber die Zeit verfloſſen, iſt auch
der Kauf zu Ende.


§. 606.

Von dem
Kauf un-
ter einer
aufloͤſen-
den Be-
dingung.

Da nach dem vorhergehenden §. der Kauf
und Verkauf unter einer aufloͤſenden Bedin-
gung und bey Strafe der Reue geſchloſſen
werden kann; ſo iſt, wenn man es ſo
ausmacht, daß, woferne das Geld
nicht innerhalb einer gewiſſen Zeit ge-
zahlt wird, die Sache ungekauft ſeyn
ſoll, der Kauf und Verkauf gleich
richtig: Aber wenn das Geld in der
beſtimmten Zeit nicht gezahlt wird; ſo
wird er aufgeloͤſt
(§. 397.). Und wenn
man dergeſtalt eines wird, daß inner-
halb einer gewiſſen Zeit dem Kaͤufer
freyſtehet vom Contracte abzugehen,
wenn er dem Verkaͤufer etwas gewiſ-
ſes leiſtet; ſo kann wehrender Zeit der
Verkaͤufer einem andern die Sache
nicht verkaufen, und der Kaͤufer hat
das Recht den Kauf ſich gereuen zu
laſſen, muß aber die Strafe der Reue
erlegen.


§. 607.

Von dem
Kauf un-
ter einer
aufſchie-
benden

Da gleichfalls unter einer aufſchiebenden
Bedingung der Kauf und Verkauf geſchloſſen
werden kann (§. 605.); ſo iſt, wenn unter
einer gewiſſen Bedingung der Kauf

geſchloſ-
[391]Contracten.
geſchloſſen worden, derſelbe nicht eherBedin-
gung, wie
auch ei-
nes fet-
tern Kaͤu-
fers.

richtig, als bis die Bedingung wuͤrck-
lich vorhanden, noch ſind die Contra-
hirenden verbunden ihn zu vollziehen,
und wenn die Bedingung nicht wuͤrck-
lich wird, ſo iſt der Kauff nichtig (§.
396.): So lange aber dieſes noch zwei-
felhaft iſt, ſo iſt keinem Theile nicht
erlaubt davon abzugehen;
indem die
Hoffnung, der Kauf werde zu ſtande kom-
men, keinem Theile genommen werden kann
(§. cit.). Es iſt eine beſondere Bedingung,
wenn ein fetterer Kaͤufer ſich finden ſolte. De-
rowegen wenn man es ausmacht, daß die
Sache nicht gekauft ſeyn ſoll, wann
innerhalb einer geſetzten Zeit ein fette-
rer Kaͤufer ſich finden ſollte; ſo iſt der
Kauf zwar gleich richtig, der Verkaͤu-
fer kann aber doch die Sache einem
fetteren Kaͤufer verkaufen: Wenn
man
aber alſo eines wird, daß die Sa-
che gekauft ſeyn ſoll, wenn ſich nicht
in einer gewiſſen Zeit ein fetterer Kaͤu-
fer findet; ſo wird der Kauf alsdann
erſt richtig, wenn ſich in der Zeit kei-
ner findet: Es iſt aber doch keinem er-
laubt vom Kaufe abzugehen.
Naͤm-
lich im erſten Falle iſt die Bedingung eine
aufloͤſende, im andern eine aufſchiebende (§.
315.).


B b 4§. 608.
[392]II. Th. 12. H. Von beſchwerlichen
§. 608.

Von Zu-
eignung
auf einen
beſtimm-
ten Tag.

Der Vertag, in welchem man verabredet,
die Sache ſoll ungekauft ſeyn, woferne ſich in
einer gewiſſen Zeit ein fetterer Kaͤufer finden
ſollte, oder daß ſie gekauft ſeyn ſoll, wofer-
ne ſich keiner findet, heißt die Zueignung
(naͤmlich des Kaufs) auf einen beſtimm-
ten Tag
(addictio in diem); und zwar im
erſten Fall die unbedingte(pura), im an-
dern die bedingte(conditionata). Man
nennt aber einen fetteren Kaͤufer(emto-
rem pinguiorem),
der beſſere Bedingungen,
als der erſte, anbietet; und beſſere Bedin-
gungen
(conditionem meliorem) nennt
man, was zum Nutzen des Verkaͤufers gerei-
chet, z. E. wenn zum Preiſe etwas hinzuge-
ſetzt wird, wenn die Zahlung in beſſerem Gel-
de geſchieht, wenn gleich gezahlt wird. Weil
die Vertraͤge natuͤrlicher Weiſe an und vor
ſich ſelbſt verbinden (§. 438.); ſo koͤnnen
natuͤrlicher Weiſe zu einem jeden Con-
tracte Vertraͤge hinzugeſetzt werden,
wenn gleich ſchon vorher derſelbe zu
ſeiner Richtigkeit gebracht worden;

folglich kann auch die Zueign[u]ng zu ei-
ner gewiſſen Zeit zu einem vorhin ge-
ſchloſſenen Kaufe geſetzt werden.
Da
aber in dieſem Vertrage dieſes ausgemacht
wird, daß der Kauf entweder aufgehoben,
oder nicht zu ſtande gebracht werde, wenn ein
anderer eine beſſere Bedingung anbietet; nicht
aber,
[393]Contracten.
aber, daß der Verkaͤufer den Kauf, wenn es
ihn gereuet, nach ſeinem Belieben aufheben,
oder nicht zu ſtande bringen kann (§. 607.);
ſo kann der Verkaͤufer ſelbſt keine beſ-
ſere Bedingung anbieten.
Es iſt aber
noch dieſes zu mercken, daß die Zueignung
zu einer gewiſſen Zeit entweder zum
Vortheil des Verkaͤufers, oder zum
Vortheil des Kaͤufers geſchehen kann.

Und im erſten Falle verſtehet ſichs leicht,
daß dem Verkaͤufer frey ſtehe, ob er
eine beſſere Bedingung annehmen, oder
nach der erſten gehen will: Jm andern

aber der Kaͤufer gleich von ſeiner Ver-
bindlichkeit loß ſey, wenn eine beſſere
Bedingung angeboten wird, und der
Verkaͤufer entweder dieſe, oder ſeine
Sache behalten muͤße.
Es erhellet auch
ferner, daß der Verkaͤufer dem erſten
Kaͤufer nicht anzuzeigen ſchuldig ſey,
daß und was vor eine Bedingung an-
geboten worden, ehe er demjenigen,
der ſie anbietet, die Sache verkauft,
woferne nicht beſonders ausgemacht
worden, daß er die Sache haben ſol-
le, wenn er eben dieſelbe Bedingung
erfuͤllen will.
Da es aber dem Kaͤufer
gleich viel gilt, ob ein anderer Kaͤufer die
Sache bekommt, oder der Verkaͤufer,
nachdem eine beſſere Bedingung angeboten
worden, die Sache ſelbſt behaͤlt, und derſelbe,
indem er die Sache ſelbſt behaͤlt, nichts thut,
B b 5was
[394]II. Th. 12. H. Von beſchwerlichen
was dem Rechte des erſten Kaͤufers zuwider
waͤre (§. 83.); ſo kann der Verkaͤufer
auch die Sache ſelbſt behalten, wenn
eine beſſere Bedingung angeboten
worden, wofern nicht ausdruͤcklich,
wie vorher, es anders verabredet
worden.


§. 609.

Vom
verluſtig-
machen-
den Ge-
ſetze.

Man nennet uͤberhaupt ein verluſtig-
machendes Geſetze
(legem commiſſoriam)
den Vertrag, in welchem verabredet wird,
daß, woferne nicht geleiſtet wird, was einer
vermoͤge einem andern Contract ſchuldig war,
der Schuldner das verliehret, was er nach
dieſem Vertrage haben ſollte. Und denn ſagt
man, was verlohren gehet, werde com-
mittiret, oder man werde deſſelben
verluſtig.
Jns beſondere wird in dem
gegenwaͤrtigen Contracte das verluſtigma-
chende Geſetze
(lex commiſſoria) genannt,
der Vertrag, in welchem dergeſtalt verabre-
det wird, daß wenn der Kaͤufer das Geld in
einer gewiſſen Zeit nicht zahlt, die Sache un-
gekauft ſeyn ſoll. Der Vertrag alſo, wel-
chem das verluſtigmachende Geſetze
angehaͤngt worden, wird alſobald auf-
gehoben, wenn die in ihm befindliche
aufloͤſende Bedingung (§. 315.) vor-
handen.
Und deswegen, wenn ein Kauf
unter dem verluſtigmachenden Geſetz
geſchloſſen worden, und das Geld wird
nicht innerhalb der geſetzten Zeit ge-

zahlt;
[395]Contracten.
zahlt; ſo kommt das Eigenthum der
gekauften Sache von Rechts wegen
ohne Verzug zum Verkaͤufer.
Weil der
Verkaͤufer ſich nicht mit dem Schaden des
Kaͤufers bereichern kann (§. 271.); ſo muß,
wenn der Kaͤufer einen Theil des Gel-
des gezahlt hat, und des Kaufes ver-
luſtig wird, ihm, was er gezahlet hat,
wiedergegeben werden.
Und weil der
Kauf nur zum Vortheil des Verkaͤufers
aufgeſchoben wird, wenn das verluſtig-
machende Geſetze
nur zu ſeinem Beſten
dazu geſetzt wird; ſo ſteht es lediglich
bey ihm, ob er ſich deſſelben bedienen
will, oder nicht.
Weil die Wuͤrckung des
verluſtigmachenden Geſetzes ſich auf die auf-
loͤſende Bedingung, ſo darinnen enthalten,
gruͤndet; ſo iſt eine jede aufloͤſende Be-
dingung, welche zu einem Kaufe, oder
uͤberhaupt zu einem Contracte oder
Vertrage hinzugeſetzt wird, dieſem
Geſetze gleich zu achten.
Und aus die-
ſer Urſache nennt man es clauſulam commiſ-
ſoriam,
wenn eine ſolche Bedingung dem
Vertrage einverleibet wird, wodurch einer
deſſen verluſtig wird, was er nach dem Ver-
trag haben ſollte, und der Vertrag ſelbſt auf-
gehoben wird.


§. 610.

Ein Vertrag, zu welchem eine aufloͤſendeVon dem
ſich auf-
loͤſenden
Vertra-
ge, vor

Bedingung, ſie mag beſchaffen ſeyn, wie ſie
will, angehaͤngt wird, nennt man gewoͤhnlicher
Weiſe
[396]II. Th. 12. H. Von beſchwerlichen
jetzt und
nach die-
ſem.
Weiſe einen aufloͤſenden Vertrag(pa-
ctum reſolutivum);
deſſen Arten alſo ſind
das verluſtigmachende Geſetze und die Zu-
eignung zu einer gewiſſen Zeit unter einer
aufloͤſenden Bedingung. Man nennt aber
einen aufloͤſenden Vertrag vorjetzt(pa-
ctum reſolutivum ex nunc),
wenn der Con-
tract dergeſtalt aufgehoben wird, als wann er
gleich Anfangs null und nichtig geweſen waͤ-
re: Hingegen einen aufloͤſenden Vertrag
nach dieſem
(reſolutivum ex tunc), wenn
der Contract zu der Zeit aufgehoben wird, in
welcher die Bedingung wuͤrcklich wird, daß
er von der Zeit an erſt vor null und nichtig
gehalten wird. Weil es von Natur bloß auf
den Willen der Contrahirenden ankommt,
wie ſie etwas verabreden wollen (§. 385.
438.); ſo ſteht es auch in ihrem Gefal-
len, ob der Vertrag, wenn die aufloͤ-
ſende Bedingung vorhanden, vorjetzt
oder nach dieſem aufgeloͤſet werden
ſoll.


§. 611.

Von dem
Recht
des Vor-
kaufs.

Weil, wenn man es verabredet, daß wenn
der Kaͤufer die gekaufte Sache wieder verkau-
fen will, er ſie uns, oder einem gewiſſen drit-
ten verkaufen ſoll, oder daß ihm nicht erlaubt
ſeyn ſoll, ſie einem andern zu verkaufen, wenn
wir, oder derſelbe dritte eben geben will, was
der andere giebt; ſo wird der Vertrag, wel-
cher dem Kaufe und Verkaufe hinzugefuͤgt
worden, der Vertrag des Vorkaufs(pa-
ctum
[397]Contracten.
ctum de retrahendo) genannt; das durch die-
ſen Vertrag erworbene Recht aber das Recht
des Vorkaufs
(jus retractus), in dem buͤr-
gerlichen Recht mit dem Zuſatze das verab-
redete Recht des Vorkaufs
(jus retra-
ctus conventionale),
weil es aus dem Ver-
trage kommt; im Gegenſatz des geſetzmaͤſ-
ſigen
(legale), welches gewiſſen Perſonen
durch Geſetze zugeeignet wird, und bloß buͤr-
gerlichen Rechtes iſt. Dieſes Recht des
Vorkaufs iſt ein Vorrecht, und wird
dadurch das Recht zu veraͤuſſern ver-
mindert (§. 257.), doch ohne Schaden
des Eigenthumsherrn
(§. 269.). Da
man das Vorrecht(jus protimiſeos) das-
jenige zu nennen pflegt, da einer in einer ge-
wiſſen Handlung einem andern, oder mehrern
vorgezogen werden muß; ſo iſt das Recht
des Vorkaufs ein Vorrecht, aber nicht
umgekehrt, jedes Vorrecht ein Recht
des Vorkaufs.
Weil aber das Recht
des Vorkaufs
durch den Vertrag auf den
Kauf und Verkauf eingeſchraͤnckt wird; ſo
findet es nicht ſtatt, wenn eine Sa-
che, die demſelben unterworfen, unter
einem andern Titel, als des Kaufs und
Verkaufs veraͤuſſert wird;
z. E. wenn
ſie verſchenckt, oder vertauſcht wird (§. 318.).
Da nach dem Rechte der Natur ein jeder ſein
Recht dem andern abtreten kann (§. 342.),
wofern es kein perſoͤnlich Recht iſt (§. 400.);
ſo kann auch das Recht des Vorkaufs
abge-
[398]II. Th. 12. H. Von beſchwerlichen
abgetreten werden, wenn nicht aus-
drucklich geſagt worden, daß es kei-
nem andern abgetreten werden ſoll,

noch auch anders woher erhellet, daß es auf
die Perſon, die den Vorkauf hat, ein-
geſchraͤnckt iſt
(§. 318.).


§. 612.

Der Ver-
trag vom
Wieder-
kauf und
Wieder-
einloͤ-
ſung.

Wenn man es alſo verabredet, daß, wenn
es einem gefaͤllt, oder zu einer gewiſſen Zeit,
oder innerhalb einer gewiſſen Zeit, einer die
verkaufte Sache wiederkaufen kann, ſo wird
der Vertrag, welcher dem Kaufe und Ver-
kaufe hinzugefuͤgt wird, der Vertrag vom
Wiederkaufe
(pactum de retrovendendo),
oder des Wiederkaufs(pactum retroven-
ditionis)
genannt. Derowegen wird der
Kaͤufer zwar verbunden, die Sache
wieder zu verkaufen, der Verkaͤufer
aber nicht ſie wieder zu kaufen.
Da
von dieſem Vertrag allerdings unterſchieden
iſt, wenn man verabredet, daß die verkaufte
Sache entweder zu einer gewiſſen Zeit, oder
innerhalb einer gewiſſen Zeit wiedergekauft
werden muß, ſo wollen wir dieſes den Ver-
trag vom Wiedereinloͤſen
(pactum de re-
dimendo)
nennen. Und aus dem Vertra-
ge von der Wiedereinloͤſung iſt der
Verkaͤufer verbunden die Sache wie-
derzukaufen, aber der Kaͤufer nicht ſie
wieder zu verkaufen.
Das uͤbrige ver-
ſteht ſich von beyden Vertraͤgen ſo, wie von
den uͤbrigen allen, die hinzugefuͤgt werden,
aus
[399]Contracten.
aus dem, was geſagt, oder auf eine andere
Weiſe hinlaͤnglich zu verſtehen gegeben wor-
den iſt (§. 318.).


§. 613.

So bald aus dem Kaufe und Ver-Wer den
Vortheil
und die
Gefahr
einer ge-
kauften
Sache
in ver-
ſchiede-
nen Faͤl-
len hat.

kaufe, es moͤgen Vertraͤge hinzu-
kommen ſeyn, was fuͤr welche wollen,
der Kaͤufer das Eigenthum erhaͤlt;
da
nun derſelbe der Eigenthumsherr iſt, und der
Verkaͤufer aufhoͤret es zu ſeyn (§. 195.); ſo
gehoͤrt auch aller Vortheil, welcher aus
der Sache erhalten werden kann
(§. cit.),
dem Kaͤufer, und es faͤllt auf ihn
auch alle Gefahr, daß ſie verſchlim-
mert, verlohren oder gantz verdorben
werden kann
(§. 243.). Und daher laͤßt
ſich leicht in einem jeden Falle entſcheiden,
weſſen natuͤrlicher Weiſe der Vortheil und
die Gefahr ſey. Da man aber ſelbſt nach dem
Rechte der Natur verabreden kann, wie es
den Contrahirenden gutduͤncket (§. 385.
438.); ſo kann man auch mit einander
eines werden, daß es unter gewiſſer
Bedingung, oder auf eine gewiſſe Zeit
der Verkaͤufer das Eigenthum behaͤlt,
der Vortheil aber und die Gefahr auf
den Kaͤufer faͤllt, oder auch das Ge-
gentheil mit einander ausmachen: Ja
daß das Eigenthum nebſt der Gefahr
auf den Kaͤufer kommt, der Vortheil
aber unter einer gewiſſen Bedin-

gung,
[400]II. Th. 12. H. Von beſchwerlichen
gung, oder auf eine gewiſſe Zeit dem
Verkaͤufer verbleibe.


§. 614.

Von dem
Kauf ei-
ner Sa-
che, wel-
che durch
den Ge-
ſchmack
ſoll pro-
biret,
oder vor-
her be-
ſichtiget
werden.

Wenn eine Sache verkauft wird,
welche vorher durch den Geſchmack
probiret, oder auch beſichtiget werden
ſoll,
als wenn einem Wein im Keller ver-
kauft wird, den man erſt koſten will; ſo ver-
ſteht es ſich von ſelbſt, daß die Sache
nicht anders, als unter dieſer Bedin-
gung gekauft ſey, wenn man ſie vor
gut befunden;
folglich faͤllt die Gefahr
und der Vortheil nicht eher auf den
Kaͤufer, als wenn er ſie gekoſtet oder
angeſehen hat, und vor gut befunden

(§. 613.).


Von dem
Vortheil
und der
Gefahr,
wenn un-
ter zwey-
en Sa-
chen, die
verkauft
worden,
welche
man
wird ha-
ben wol-len.

§. 615.

Da der Kaͤufer keine Sache vor der Wahl
eigenthuͤmlich haben kann, wenn unter zweyen
eine oder die andere verkauft worden (re al-
ternative vendita);
ſo iſt ſo wohl der Vor-
theil, als die Gefahr von beyden Sa-
chen des Verkaͤufers, wenn unter
zweyen Sachen eine dergeſtalt ver-
kauft, daß dem Kaͤufer eine freye
Wahl gelaſſen wird; ſo lange
naͤmlich
die Wahl noch nicht geſchehen (§. 613.).


§. 616.

Wenn
der Ver-
kaͤufer in

Weil der Kauf nicht zu ſtande kommt, wenn
man das Geld nicht gleich zahlet (§. 569.),
oder
[401]Contracten.
oder der Verkaͤufer in die Friſt williget (§.den Auf-
ſchub der
Zahlung
nicht ein-
williget,
und wo-
vor man
wegen
des Ver-
zugs zu
ſtehen
hat.

597.); ſo iſt der Kauf nichtig, wenn
man wegen des Preißes eines worden,
und der Verkaͤufer in den Aufſchub der
Zahlung nicht willigen,
oder keine Friſt
verſtatten will; folglich wenn der Kaͤu-
fer wiederkommt, und gleich zahlen
will; ſo iſt der Verkaͤufer nicht ſchul-
dig ihm die Sache vor den Preiß zu
laßen.
Da einer am Verzuge ſchuld iſt,
wenn er zur geſetzten Zeit nicht zahlt
(§. 417.); ſo muß er dem Verkaͤufer ſo
viel leiſten, als der Gebrauch des Gel-
des von dem Tage des Verzugs an gilt

(§. 419.).


§. 617.

Eine Sache wird behauptet (evinei-Von der
Behaup-
tung ei-
ner Sa-
che und
der Ge-
wehrlei-
ſtung.

ret, res evineitur), wenn einer dieſelbe wegen
des Rechts, welches er an ihr hat, und doch
nicht ausuͤben kann, wenn ſie nicht in ſeiner
Gewalt iſt, vom Beſitzer wegnimmt, z. E.
wenn der Eigenthumsherr eine Sache, die
von einem, der nicht Eigenthumsherr war,
gekauft war, ſich wieder zueignet (§. 262.).
Man ſagt aber, daß einer die Gewehr lei-
ſte
(evictionem præſtare), welcher dem an-
dern wegen des Schadens genugthut, den er
dadurch leidet, daß die Sache von einem an-
dern behauptet worden. Da man einen jeden
Beſitzer vor den Eigenthumsherrn haͤlt, wo-
fern nicht wahrſcheinliche Gruͤnde vor das Ge-
gentheil vorhanden (§. 455.), folglich der
Nat. u. Voͤlckerrecht. C cKaͤu-
[402]II. Th. 12. H. Von beſchwerlichen
Kaͤufer mit dem Verkaͤufer, als dem Eigen-
thumsherrn, den Vertrag macht, wenn er
nicht weiß, daß die Sache einem andern zu-
gehoͤrt; ſo iſt in jedem Kaufe dieſe Be-
dingung ſtillſchweigend enthalten, daß
die Gewehr geleiſtet werde;
folglich iſt
nach dem Naturrechte nicht noͤthig,
daß die Gewehre ausdruͤcklich verſpro-
chen werde; jedoch kann einer auf die
Gewehrleiſtung Verzicht thun
(§. 342.).
Weil derjenige, der wiſſentlich von einem,
welcher nicht Eigenthumsherr iſt, etwas
kauft, weiß, daß er nur den Beſitz kauſt (§.
588.), folglich in die Gefahr einwilliget, daß
ſie von einem andern kann behauptet werden
(§. 593.); ſo iſt der Verkaͤufer einer
fremden Sache, dem der ſie wiſſentlich
kauft, nicht verbunden die Gewehre
zu leiſten.
Und weil nicht weniger ein Recht,
welches einer in einer verkauſten Sache hat,
behauptet oder evinciret werden kan; ſo iſt
der Verkaͤufer auch verbunden die Ge-
wehre wegen eines Rechts, welches
der dritte an einer Sache hat, zu lei-
ſten. Weil
aber der, welcher etwas
ſchenckt,
da er es umſonſt giebt (§. 475.),
kein ander Recht auf den, welchem er es
ſchenckte,
kann bringen wollen, als er in der
Sache hat; ſo iſt er auch nicht verbun-
den die Gewehre zu leiſten.
Es iſt bloß
buͤrgerlichen Rechtes, daß man bey einem Ge-
ſchencke, das zu einer Vergeltung geſchehen,
die
[403]Contracten.
die Gewehre leiſten muß; maſſen der, wel-
chem etwas geſchenckt wird, dazu kein voll-
kommenes Recht hat (§. 482.).


§. 618.

Einen Fehler einer Sache(vitiumVon den
Fehlern
der ge-
kauften
Sache.

rei) nennt man eine zufaͤllige Beſchaffenheit
derſelben, welche ſie zu ihrem Gebrauch un-
geſchickt macht. Da die Sachen des Ge-
brauchs wegen gekauft werden, und man folg-
lich nicht vermuthen kann, daß jemand feh-
lerhafte Sachen kaufen wolle; ſo muß der
Verkaͤufer die Fehler dem Kaͤufer an-
zeigen, welche nicht in die Augen fal-
len, oder ſonſt bekannt ſind;
folglich
vielweniger ſie ſorgfaͤltig verbergen,
damit ſie nicht in die Augen fallen koͤn-
nen.
Und weil ein Fehler einer Sache et-
was dergleichen iſt, ſo geſchaͤtzt werden kann,
in ſo ferne er naͤmlich eine Sache, die an und
vor ſich ſelbſt zu einem Gebrauche geſchickt iſt,
dazu untuͤchtig macht; ſo vermindern die
Fehler den Preiß einer Sache;
ja, wenn
ein Fehler die Sache gantz unbrauch-
bar macht, ſo benimmt er ihr allen
Werth.
Ja, da man nicht weniger einen
vorſaͤtzlichen, als unvorſaͤtzlichen Betrug ver-
meiden ſoll (§. 286.); ſo muß der Preiß,
wenn die Sache wegen eines verbor-
genen Fehlers gaͤntzlich unnuͤtze iſt,
dem Kaͤufer wieder erſetzt werden:
Wenn ſie
aber noch einigen Gebrauch
haben kann, oder der Schaden auf an-

C c 2dere
[404]II. Th. 12. H. Von beſchwerlichen
dere Weiſe gut gemacht werden; ſo
muß derſelbe wenigſtens erſetzt werden

(§. cit.). Es erhellet leicht, daß die Rechte,
welche der dritte in einer gekauften Sa-
che hat, zu den Fehlern zu zehlen ſind.


§. 619.

Von
dem, was
drauf ge-
geben
wird.

Das was auf den Contract gegeben
wird
(arrha) nennt man das Geld, oder
die Sache, welche von einem Theile der Con-
trahirenden dem andern zu mehrerer Sicher-
heit gegeben wird, um nemlich den Contract
beweiſen zu koͤnnen, und ihn zu beſtaͤtigen. Es
verlangt
alſo, daß ihm etwas drauf
gegeben werde, wem am meiſten dran
gelegen iſt, daß vom Contract nicht
abgegangen werde; es giebt auch ei-
ner freywillig etwas darauf, wenn er
beſorget, der andere moͤchte den Con-
tract nicht halten wollen, oder wenn
er noch nicht voͤllig ſeine Richtigkeit
hat, nicht zu ſtande gebracht wer-
den.
Es erhellet alſo, daß etwas drauf
geben ein beſonderer Contract, oder
Vertrag iſt, und daß derſelbe nicht al-
lein zum Kaufe und Verkaufe, ſon-
dern zu jedem andern Contract hin-
zukommen kann; daß aber dadurch
nichts in dem Contract, dazu er kommt,
veraͤndert wird.
Allein da von dem, was
darauf gegeben wird, das gilt, was man mit
einander abgeredet hat (§. 318.); ſo wird
das als ein Theil desjenigen gerechnet,

was
[405]Contracten.
was einer nach dem Contracte ſchul-
dig iſt, was er in dieſer Abſicht darauf
gegeben: Woferne es aber nur zur
Sicherheit, daß der Contract erfuͤllet
werden ſoll, gegeben wird; ſo muß es,
wenn dieſes geſchehen, wiedergegeben
werden.
Aus eben dem Grunde erhellet,
daß, wenn etwas mit dem Gedinge
drauf gegeben wird, daß man es zu
dem rechne, was man nach dem Con-
tracte ſchuldig iſt, wenn, der es gegeben,
demſelben ein Gnuͤgen gethan, im
widrigen Falle aber behalten werde;
ſo gewinnt der, welcher es bekommen
hat, was drauf gegeben worden, wo-
fern dem Vertrage kein Gnuͤgen ge-
ſchehen:
Weil doch aber derjenige, welcher
angenommen, was darauf gegeben worden,
zwar darein gewilligt hat, daß es dem Geber
frey ſtehen ſolle, ob er das drauf gegebene ver-
lieren, oder den Contract halten will; dieſes
aber nicht deswegen geſchehe, daß es dem an-
dern, der es angenommen, freyſtehen ſolle
vom Vertrage abzugehen, wenn er das, was
drauf gegeben worden, wiedergiebt; ſo ſteht
es dem, der es angenommen, nicht
frey, ob er das drauf gegebene wieder-
geben, oder den Contract lieber halten
will. Wenn man es
aber alſo verab-
redet, daß, wofern einer der Theilneh-
menden den Contract nicht erfuͤllen
wollte, der, welcher etwas drauf ge-

C c 3geben,
[406]II. Th. 12. H. Von beſchwerlichen
geben, mit Verluſt des drauf gegebe-
nen vom Contract abgehen koͤnne, der
andere aber auf dieſen Fall es doppelt
wiedergeben ſolle; ſo iſt,
indem es auf
den Willen derer, die den Vertrag machen,
ankommt, ob ſie ihren Contract ſo einrich-
ten wollen (§. 385. 438.), und es erlaubt iſt
unter einer Strafe zu contrahiren (§. 410.),
der Contract nach dem Geſetze der Na-
tur wiederruflich, aber unter einer
Strafe gemacht worden.
Gleicher ge-
ſtalt wenn man es alſo verabredet,
daß wenn der, der etwas drauf gege-
ben, vom Contract abgehen will, deſ-
ſelben verluſtig wird, der andere aber,
der es bekommen, auf dieſen Fall dop-
pelt ſo viel erſetzen ſoll, doch unbe-
ſchadet des Rechtes deſſen, welcher den
Contract erfuͤllen will; ſo beſteht der
Contract,
da er unter der Strafe der Reue
alſo gemacht wird, mit dem Verluſte des
drauf gegebenen, oder mit Wiederer-
ſtattung des Doppelten.
Es erhellet
aber, daß in dieſem Fall dadurch, wenn et-
was darauf gegeben wird, der Contract ver-
bindlicher gemacht wird, als wenn man nichts
drauf giebet, indem man mehr angetrieben
wird den Contract zu erfuͤllen (§. 35.). Wenn
man von dem, was drauf gegeben
worden, nichts beſonders verabredet
hat; ſo iſt,
da es als ein Zeichen des einge-
gangenen Contracts und der Beſtaͤndigkeit des
Willens
[407]Contracten.
Willens gegeben worden, nicht erlaubr
mit Verluſt deſſen, was drauf gege-
ben worden, von dem Contracte abzu-
gehen;
folglich, wenn der Contract er-
fuͤllt, oder, wenn er nicht mehr erfuͤllt
werden kann, das Jntereſſe erleger
worden (§. 415.), muß das, was drauf
gegeben worden, wiedergegeben wer-
den, oder wenn Geld darauf gegeben
worden, auf das, was man zu zahlen
hat, gerechnet werden.
Weil ich end-
lich nicht verbunden bin, dem andern, wenn
er vom Contracte abgehet, nachdem er ſchon
etwas geleiſtet hat, etwas wiederzugeben (§.
443.); ſo iſt der Verkaͤufer, wenn der
Kaͤufer, nachdem er ſchon etwas ge-
zahlt, oder drauf gegeben, die Sache
aber noch nicht ihm uͤbergeben wor-
den, von dem Contract abgeht, nicht
gehalten, was er bekommen, wiederzu-
geben, ob er gleich von ſeiner Seite
auf die Erfuͤllung des Contracts nicht
dringet.


§. 620.

Das Vermiethen und Miethen(lo-Vom
Vermie-
then und
Mie-
then,
Pachten
und Ver-
pachten.

catio conductio) nennt man den be-
ſchwerlichen Contract, in welchem fuͤr einen
gewiſſen Lohn ein gewiſſer Gebrauch einer
Sache erlaubt, oder eine gewiſſe Arbeit gelei-
ſtet wird. Der Preiß, welcher fuͤr den Ge-
brauch einer Sache, ſonderlich einer unbeweg-
lichen gezahlt wird, nennt man die Zinſe
C c 4(pen-
[408]II. Th. 12. H. Von beſchwerlichen
(penſio). Wer fuͤr den Gebrauch einer Sa-
che den Lohn zahlt, wird der Miethende in
Anſehung der Sache (conductor rei); wer
aber fuͤr die Arbeit den Lohn giebt, der Mie-
thende
in Anſehung der Arbeit (conductor
operarum)
genannt. Wer aber fuͤr den
Lohn den Gebrauch einer Sache erlaubt, heiſt
der Vermiethende einer Sache(locator
rei),
und wer fuͤr ſeine Arbeit den Lohn em-
pfaͤngt, der Vermiether der Arbeit (loca-
tor operarum,
der Arbeitsmann). Jnsbe-
ſondere heiſt der, welcher ein Haus gemiethet,
oder eine Wohnung in demſelben, ein zur
Miethe ſitzender,
oder ein Hausmann
(inquilinus). Wer fruchtbare Sachen, oder
Landguͤther gemiethet, der Pachter(colo-
nus),
und der ſie ihm vermiethet, der Ver-
pachter.
Wenn einem eine Arbeit verdun-
gen wird, ſo heiſt derjenige, dem ſie verdun-
gen worden, redemtor, hat aber im Deut-
ſchen keinen beſonderen Nahmen. Er iſt aber
einerley mit dem Arbeitsmanne; als wenn
ein Zimmermann mit uns einen Contract
macht, daß er ein Haus fuͤr einen gewiſſen
Preiß aufbauen will.


§. 621.

Wenn
der Con-
tract ſei-
ne Rich-
tigkeit
hat, und
die daher
entſprin-

Da der Contract des Vermiethens und
Miethens zu ſeiner Richtigkeit nichts weiter
erfordert, als daß der Vermiether die Er-
laubniß des Gebrauchs einer Sache, oder zu
leiſtenden Arbeit fuͤr den zu zahlenden Lohn,
und der Miethende die Zahlung des Lohns
fuͤr
[409]Contracten.
fuͤr den Gebrauch der Sache, oder fuͤr diegende
Verbind-
lichkei-
ten.

verlangte Arbeit verſpricht (§. 620. 380.);
ſo hat das Miethen und Vermiethen
alſobald ſeine Richtigkeit, als die Con-
trahirende den Lohn fuͤr den Ge-
brauch der Sache, oder fuͤr die ver-
langte Arbeit verabredet haben; ſo
bald aber der Contract ſeine Richtig-
keit erhalten, iſt der Vermiether ver-
bunden den verabredeten Gebrauch
der Sache einzuraͤumen;
folglich die
Sache in dem Stande zu gewehren,
wie es der Gebrauch erfordert, oder
die verſprochene Arbeit zu verrichten,
und der Miether iſt verbunden den
Lohn zu geben, wenn er gleich nicht
die Sache, oder die Arbeit unter der
Zeit hat brauchen koͤnnen; wenn er
nur die Sache, oder die Arbeit unter
der Zeit keinem andern vermiethet hat;

da er ſonſt ſelbſt vom Contracte abgeht (§.
442.), und ſolcher geſtalt von dem andern in
keinen Schaden geſetzt worden, den dieſer
wieder zu erſetzen haͤtte (§. 269. 270.).


§. 622.

Weil der Vermiether dem Miethenden dasWenn ei-
ne ver-
miethete
Sache ei-
nem an-
dern vom
Vermie-
ther ver-
miethet

Recht, die Sache abgeredter maſſen zu ge-
brauchen, einraͤumet (§. 620.); ſo kann er
die Sache wehrender Zeit, da ſie der,
welcher ſie gemiethet, nicht braucht,
nicht ſelbſt gebrauchen; und wenn er
ſie unterdeſſen einem andern vermie-

C c 5thet,
[410]II. Th. 12. H. Von beſchwerlichen
worden,
und wie
man die
vermie-
thete Sa-
che zu
gebrau-
chen hat.
thet; ſo gehoͤret, was er davor be-
kommt, dem, der ſie von ihm gemie-
thet hat;
indem ihm ſchon der Gebrauch
der Sache zugehoͤrt. Ja, aus eben der Ur-
ſache, kann er ſie ohne ſeine Einwilli-
gung keinem andern vermiethen.
Jm
Gegentheil darf der ſie gemiethet, die
Sache nicht anders brauchen, als es
verabredet worden, ſonſt begeht er ei-
nen Diebſtahl des Gebrauchs
(§. 264.).
Ja wenn er die Sache anders braucht,
oder mißbraucht; ſo kann der Vermie-
ther den Contract auf heben
(§. 442.
581.).


§. 623.

Von der
Leiſtung
der Ar-
beiten.

Gleichergeſtalt kann der, welcher einen
andern zu einer gewiſſen Arbeit gedun-
gen, ihm keine andere Arbeit zumu-
then, als die verabredet worden, auch
zu keiner andern Zeit, als zu der verab-
redeten (§. 317.); und der Arbeiter
muß gleichfalls die Arbeit zur verabre-
deten Zeit leiſten (§. 438.); ſonſt muß
er davor ſtehn, was dem andern dar-
an gelegen, daß ſie zur verabredeten
Zeit nicht geleiſtet worden
(§. 415.):
Und da, der ſich zur Arbeit verdungen, vom
Contracte abgehet; ſo kann der, welcher
ihn gedungen, wenn es ihm gefaͤllig,
eines andern Arbeit dingen
(§. 442.).


§. 624.
[411]Contracten.
§. 624.

Wenn einer eine Sache oder Arbeit, dieVom
Wieder-
vermie-
then.

ihm vermiethet worden, vermiethet, ſo wird
die Vermiethung, die von ihm geſchehen, die
Wiedervermiethung(ſublocatio) ge-
nannt. Da das Recht die Sache oder die
Arbeit zu brauchen, dem, der ſie gemiethet,
eingeraͤumet worden (§. 620.); ſo iſt das
Wiedervermiethen einer Sache zu eben
dem Gebrauch, zu welchem ſie war
gemiethet worden, wie auch der Ar-
beit, dazu man einen gedungen, er-
laubt, wofern nicht verabredet wor-
den, daß dieſes nicht geſchehen ſolle;

weil man alsdann bloß das Recht zu gebrau-
chen, ohne die Gewalt wieder zu vermiethen
erhalten, und daſſelbe auf keine andere Wei-
ſe einem zukommen kann (§. 317.).


§. 625.

Da wir niemand, wenn er hinwiederum et-Was ver-
miethet
werden
kann.

was geben, oder thun kann, etwas umſonſt
zu geben und zu thun ſchuldig ſind, und man
bey der Vermiethung nichts anders als den
Gebrauch der Sachen fuͤr einen gewiſſen
Lohn, nicht aber die Sache ſelbſt uͤberlaͤßt;
weil ſie ſonſt verkauft wuͤrde (§. 587.); ſo
koͤnnen alle Sachen, welche durch den
Gebrauch nicht verbraucht werden, ſo
wohl die koͤrperlichen, ſie moͤgen be-
weglich oder unbeweglich ſeyn, als
auch die unkoͤrperlichen, wie auch alle
Arbeit und Verrichtungen, die nicht

uner-
[412]II. Th. 12. H. Von beſchwerlichen
unerlaubt ſind, vermiethet und gemie-
thet werden;
weil wir, was unerlaubet iſt,
zu unterlaſſen verbunden ſind, und von die-
ſer Verbindlichkeit nicht koͤnnen befreyet wer-
den (§. 49. 42.).


§. 626.

Ob der
Lohn in
einer Sa-
che beſte-
hen kann.

Weil der Preiß der Sachen nach Gelde
geſchaͤtzt wird, und es alſo einerley iſt, ob ei-
ner Geld, oder eine Sache, welche ſo hoch am
Gelde werth iſt, giebt; bey dem Vermiethen
und Miethen aber das Geld fuͤr den Gebrauch
einer Sache, oder einer Arbeit gegeben wird
(§. 620.); ſo iſt es nach dem Recht der
Natur ein Vermiethen und Miethen,
wenn fuͤr den Gebrauch einer Sache,
oder Arbeit eine gewiſſe verabredete
Sache gegeben wird;
folglich iſts auch
ein Miethen und Vermiethen, wenn
theils Geld, theils eine Sache gege-
ben wird.


§. 627.

Von ei-
nem ſtill-
ſchwei-
gend ver-
abrede-
ten Loh-
ne.

Da man fuͤr den Gebrauch einer Sache,
oder fuͤr Arbeit einen verabredeten Lohn zah-
len muß (§. 620.); ſo nimmt man an,
daß, wenn von dem Lohne nichts
ausdruͤcklich geſagt worden, die Con-
trahirenden in den gewilliget haben,
welcher gewoͤhnlicher Weiſe fuͤr ſol-
chen Gebrauch, oder fuͤr dergleichen
Arbeit gegeben zu werden pflegt, oder
um den Lohn, den der gegeben, wel-
cher vorher gemiethet hatte.
Eben
dieſes
[413]Contracten.
dieſes verſtehet ſich, wenn man verabre-
det, daß man einen billigen Lohn, oder
den, welchen andere geben, geben wol-
le:
Denn alsdann muß man den Lohn
geben, welchen andere zu geben pfle-
gen.


§. 628.

Weil man auch zum Miethen und Ver-Von den
hinzuge-
fuͤgten
Vertraͤ-
gen.

miethen Vertraͤge hinzuſetzen kann, nachdem
es die Contrahirenden vor gut befinden, wie
beym Kaufen und Verkaufen zu geſchehen pflegt
(§. 605.); ſo muß man, was in den hin-
zugefuͤgten Vertraͤgen verabredet wor-
den, halten
(§. 348.). Dergleichen Ver-
trag iſt, wenn das Wiedervermiethen verbo-
then wird (§. 624.); wenn der Gebrauch der
Sache auf gewiſſe Art eingeſchraͤnckt wird;
wenn man ſich ausdinget, daß der Lohn vor-
aus gezahlt werden ſoll; wenn man eines
wird, daß der Contract null und nichtig ſeyn
ſoll, wenn der Lohn nicht auf gewiſſen Tag
gezahlt wird, und gleich erlaubt ſeyn, die
Sache einem andern zu vermiethen; wenn
das Vermiethen gleich aufhoͤren ſolle, ſo die
Sache verkauft worden, oder man ſie zum
eigenen Gebrauche noͤthig haben ſollte. Denn
da einem ein Recht, welches er aus dem Con-
tracte erhalten, wider ſeinen Willen nicht ge-
nommen werden kann (§. 100.); ſo wird na-
tuͤrlicher Weiſe das Vermiethen, ſo auf eine
gewiſſe Zeit geſchehen, dadurch nicht geendi-
get, daß man die Sache vor dieſer Zeit ver-
kauft,
[414]II. Th. 12. H. Von beſchwerlichen
kauft, oder zu ſeinem eigenen Gebrauche noͤ-
thig hat. Es iſt aber nicht noͤthig, daß von
einem jeden dieſer Vertraͤge, welche gemacht
werden koͤnnen, insbeſondere gehandelt wird.


§. 629.

Wenn
das Ver-
kaufen ei-
ner ver-
miethe-
ten Sa-
che, oder
die Ver-
richtung
der Ar-
beit
durch an-
dere
nicht un-
erlaubt
iſt.

Da der Vermiether dem Miethen-
den
zu nichts anders verbunden iſt, als den
verabredeten Gebrauch der Sache zu ver-
ſchaffen (§. 620.); ſo iſt es nicht unge-
recht, daß er, wenn er ihm ohne ſeine
Koſten eine eben ſo beqveme Sache
von der Art verſchaft, die Sache ver-
kauft, oder zu ſeinem eigenen noth-
wendigen Gebrauche dem, der ſie ge-
miethet, wegnimmet.
Eben dieſes ver-
ſteht ſich, daß, wenn einer ſelbſt die Ar-
beit nicht verrichten kann,
er einen
andern an ſeine Stelle verſchaft, der
ſie eben ſo gut thun kann.


§. 630.

Wenn ei-
ner ſich
auf ein-
mahl
mehre-
ren ver-
dungen.

Wenn einer, der ſich einem wozu
verdungen, auf einmahl mehreren zu-
gleich nuͤtzlich ſeyn kann; ſo iſt nicht
zu zweifeln, daß,
da man zweymahl ver-
ſprechen kann, was man zweymahl zu leiſten
im Stande iſt (§. 421.), und da wenig dran
gelegen, ob es durch eine oder zwey verſchie-
dene Handlungen geſchiehet, man ſich da-
zu, wozu man ſich einem verdungen,
auch zugleich einem andern verdingen
kann, und auf einmahl von einem
jeden den gantzen Lohn nehmen.
Es
ſey
[415]Contracten.
ſey zum Exempel ein Bote, der Briefe zu
uͤberbringen gedungen iſt. Weil aber, wenn
man ſich mehreren zuſammen genom-
men verdungen,
alle zuſammengenom-
men nur als eine Perſon anzuſehen, folglich
alle zuſammengenommen den Lohn nur ein-
mahl zu zahlen ſchuldig ſind; ſo zahlt ein
jeder von ihnen nur ſeinen Theil vom
Lohne, wie es unter ihnen ausgemacht
worden. Wenn
aber ſich einer wozu
zweyen verdinget, was er nur einem
leiſten kann; ſo gehet der erſte dem an-
dern vor
(§. 421.).


§. 631.

Wenn eine Sache auf eine gewiſſeVom
wieder
von
neuem
miethen
und dem
Aufſagen
der Mie-
the.

Zeit vermiethet worden, oder man ſich
zu einer Arbeit vermiethet; ſo hoͤrt
nach dem Verlauf der Zeit das Recht
des Miethenden auf, und der Con-
tract wird geendiget
(§. 317. 318.);
folglich da man ſagt, die Miethe werde
aufgeſagt
(locatio \& conductio renunciari
dicitur),
wenn entweder der Vermiether dem
Miethenden, oder dieſer jenem anzeigt, daß er
uͤber eine gewiſſe Zeit nicht mehr an den Con-
tract gebunden ſeyn wolle; ſo iſt nach dem
Naturrecht kein Aufſagen der Miethe
nothwendig, wenn man es nicht be-
ſonders verabredet hat
(§. 628.). De-
rowegen, da man ſagt, eine Sache oder
Arbeit werde von neuem vermiether,
oder verdungen
(res vel opera relocari di-
citur),
[416]II.Th. 12. H. Von beſchwerlichen
citur), wenn ſie dem, der ſie vorher gemiethet
hatte, nach geendeter Zeit von neuem vermie-
thet wird; ſo iſt die Wiedervermie-
thung ein neuer Contract, der von
dem vorhergehenden gantz unterſchie-
den iſt;
folglich koͤnnen demſelben neue
Vertraͤge, ſie moͤgen beſchaffen ſeyn,
wie ſie wollen, hinzugeſetzt werden,

oder man kan demſelben eine neue Be-
dingung geben, die von der vorherge-
henden unterſchieden.
Weil man aber
auch ſtillſchweigend wegen einer Sache eines
werden kann (§. 439.); ſo verſtehet ſichs, daß
die neue Vermiethung ſtillſchweigend
auf die vorhergehende Weiſe geſche-
hen ſey, wenn der, welcher die Sache
gemiethet, ohne Widerſpruch des Ver-
miethers ſie uͤber die Zeit braucht, oder
die Miethe, wie man es verabredet,
nicht aufgeſagt worden
(§. 441.).


§. 632.

Von der
Vermie-
thung,
die durch
den Tod,
oder
durch das
Aufhoͤ-
ren des
Rechts
an einer
Sache
geendet
wird.

Wenn die Dauer eines Contracts
auf dem Willen eines oder beyder Per-
ſonen beruhet;
ſo iſt, da der todte zu
wollen aufhoͤret, durch den Tod deſſen,
auf den die Dauer des Contracts an-
kommt,
folglich in dem letzten Falle
durch den Tod eines von beyden, die
Miethe zu Ende.
Da niemand mehr
Recht dem andern durch das Vermiethen ein-
raͤumen kann, als er ſelbſt an der Sache hat
(§. 258.); ſo iſt das Vermiethen zu
Ende,
[417]Contracten.
Ende, ſo bald das Recht des Vermie-
thers an der Sache aufhoͤrt.


§. 633.

Weil dem Miethenden der Gebrauch derVon dem
Scha-
den, der
an der
Sache,
oder an
dem Ge-
brauch
derſelben
verur-
ſacht
worden.

Sache vermiethet wird (§. 620.); ſo iſt der
Vermiether ſchuldig in die Verſchlim-
merung zu willigen, ohne welche der
Gebrauch der Sache nicht erhalten
werden kann.
Allein wenn die Sache
mit Vorſatz oder aus Verſehn deſſen,
der ſie gemiethet, verſchlimmert, oder
gaͤntzlich zernichtet wird; ſo iſt dieſer
den Schaden zu erſetzen ſchuldig
(§.
270.). Da aber die Sache dem Vermiether
eigenthuͤmlich bleibt, und nur der Gebrauch
dem andern zukommt (§. 620.); ſo faͤllt der
Schaden auf den Vermiether, der durch
einen Zufall ſich ereignet, daran der
ſie gemiethet keine Schuld hat: Hin-
gegen auf dieſen, wenn er den Ge-
brauch der Sache betrift, woferne
nicht etwas von einem Erlaß verabre-
det worden (§. 342. 628.). Wenn
aber
durch einen Zufall der Gebrauch der
Sache gaͤntzlich wegfaͤllt; ſo muß,
in-
dem der Lohn fuͤr den Gebrauch gegeben
wird, derſelbe erlaſſen werden.


§. 634.

Auf gleiche Weiſe erhellet, daß, da es dem,Von dem
Scha-
den, den
einer lei-
det, der
ſich zu

der einen andern zu einer Arbeit gedungen,
nicht zugerechnet werden kann, wenn er bey
der Arbeit durch ſein Verſehen Scha-

Nat. u. Voͤlckerrecht. D dden
[418]IITh. 12. H. Von beſchwerlichen
einer Ar-
beit ver-
dungen,
und dem
Schaden
in der
verdun-
genen
Sache.
den leider (§. 3.), fuͤr welchem er ſich in
acht nehmen ſollte (§. 269.); der ihn gedun-
gen, denſelben zu erſetzen nicht ſchul-
dig iſt.
Und weil die Zufaͤlle nicht vor-
aus geſehen werden koͤnnen; ſo muß der, wel-
cher ſich zu einer Arbeit fuͤr Lohn verdinget,
die Gefahr auf ſich nehmen, die ihm deswe-
gen begegnen koͤnte; folglich darf der ihn
gedungen ihm auch den Schaden nicht
erſetzen, darein er durch einen Zufall
gerathen. Wenn er
alſo ein Werck-
zeug bey der Arbeit, die er verſprochen,
zerbricht, oder verdirbet; ſo iſt der
Schaden ſein, wie auch wenn die Ma-
terie Schaden nimmt, die ihm zuge-
hoͤrt, und woraus er uns etwas ma-
chen ſollte: Allein wenn die Materie
unſer iſt, bey welcher ſich der Zufall
ereignet; ſo iſt der Schaden unſer
(§.
243.). Es iſt allerdings klar, daß der
durch ſeine Schuld den Schaden verurſacht
hat, der aus einer uns zugehoͤrigen
Materie eine fehlerhafte Sache ge-
macht hat
(§. 21. 269.); und daher, wenn
der Fehler verbeſſert werden kann,
muß er ihn ohne Lohn verbeſſern:
Wenn aber dieſes nicht angeht; ſo muß
er die Materie bezahlen und die feh-
lerhafte Sache behalten
(§. 270.). Weil
man einen Kuͤnſtler(artifex) nennt, der
eine Kunſt wohl verſtehet, oder ausuͤbet; ſo
iſt die Unwiſſenheit des Kuͤnſtlers, oder
desje-
[419]Contracten.
desjenigen, der ſich davor ausgiebet,
allerdings ein Verſehen (§. 21.). Weil
endlich ein Werck, das wir einem andern ver-
dungen haben, unſer iſt; ſo iſt der Scha-
den unſer, wenn ſich ohne die Schuld
deſſen, dem es verdungen worden,
durch einen Zufall in dem angefange-
nen, oder auch vollendeten Wercke ein
Schaden ereignet
(§. 243.): Aber wenn
der Schade wegen eines Fehlers im
Wercke, oder der verfertigten Sache
geſchiehet; ſo muß der, dem es ver-
dungen worden, den Schaden erſetzen;

als daran er ſchuld iſt, vermoͤge deſſen, was
vorhin erwieſen worden (§. 270.).


§. 635.

Wenn man mit einem Kuͤnſtler ei-Vom
Kaufe ei-
ner Sa-
che, die
ein ande-
rer uns
machen
ſollte.

nes wird, daß er eine Sache aus ſei-
ner Materie mache, dergeſtalt daß
man wegen des Preißes einig wird,
ſo davor gezahlet werden ſoll, wenn
ſie fertig iſt, und gut befunden wor-
den;
ſo iſt, indem man nicht einen Lohn
fuͤr die Arbeit verabredet, ſondern wegen
des Preißes der Sache eines wird, der Con-
tract kein Vermiethen und Miethen
(§. 620.), ſondern ein Kauf und Ver-
kauf einer kuͤnftigen Sache, welcher un-
ter der Bedingung geſchloſſen wird,
wenn ſie keinen Fehler haben wird
(§.
587. 590.). Und weil im Kaufen und Ver-
kaufen eine Sache zu Ergaͤntzung des Preißes
D d 2zuge-
[420]II.Th. 12. H. Von beſchwerlichen
zugegeben werden kann (§. 599.); ſo bleibt
es noch ein Kauf und Verkauf, wenn
die zu Verfertigung der Sache gege-
bene Materie, oder auch eine andere
Sache dergeſtalt gegeben wird, daß
man ſie anſtatt Geldes annimmt.


§. 636.

Von Un-
koſten,
die auf
eine ge-
miethete
Sache
verwen-
det wer-
den.

Weil der Vermiether eine Sache, die zu
dem gemietheten Gebrauche geſchickt iſt, ge-
ben muß (§. 621.); ſo iſt, wenn, der ſie
gemiethet, nothwendige Unkoſten auf-
gewandt hat,
ohne welche naͤmlich die Sa-
che den Gebrauch nicht haben konte, der
Vermiether dieſelbe wiederzugeben
ſchuldig: Es iſt
aber nicht erlaubt Un-
koſten die nuͤtzlich ſind, ohne Einwil-
ligung des Vermiethers zu machen;

weil derſelbe nichts anders, als den gemie-
theten Gebrauch zu leiſten ſchuldig iſt (§. 317.):
Und da, der etwas gemiethet, nicht Eigen-
thumsherr davon iſt (§. 620.); ſo iſt ihm
nicht einmahl erlaubt, auf ſeine eigene
Koſten ohne Einwilligung des Ver-
miethers in der gemietheten Sache
etwas zu veraͤndern
(§. 256.).


§. 637.

Von den
Fehlern
einer ver-
miethe-
ten Sa-
che.

Weil ein jeder den Schaden von andern
abwenden ſoll (§. 269.); ſo muß der Ver-
miether auch die Fehler der vermiethe-
ten Sache, welche einen beym Ge-
brauch derſelben in Schaden ſetzen koͤn-
nen, anzeigen,
als wenn ein Pferd gerne
aus-
[421]Contracten.
ausſchlaͤgt, oder zu einer gewiſſen Jahrszeit
wegen einer Ueberſchwemmung in gewiſſen
Theilen des Hauſes zu befuͤrchten. Wenn
alſo jemand mit Wiſſen eine fehlerhaf-
te Sache vermiethet; ſo muß er dem,
der ſie gemiethet, davor ſtehen (§ 415.):
Wenn er es nicht weiß und ſeine Un-
wiſſenheit unuͤberwindlich iſt;
ſo muß
er doch,
ob es ihm zwar nicht kann zuge-
rechnet werden (§. 34.), weil er den Gebrauch
nicht leiſtet, als den die fehlerhafte Sache
nicht haben konte, nach Befinden der
Umſtaͤnde die Miethe erlaſſen
(§. 621.).


§. 638.

Wenn einem der Gebrauch von Viehe fuͤrVon dem
eiſernen
Pachte.

einen geringeren jaͤhrlichen Pacht, oder fuͤr ei-
nen gewiſſen Theil der Fruͤchte mit der Be-
dingung gelaſſen wird, daß, wenn einige
davon ſterben ſollten, der ſie gepachtet andere
an ihre Stelle ſetzen, oder den Werth derſel-
ben bezahlen ſoll, ſo wird der Contract ein
eiſerner Pacht
(ſocida) genannt. Es er-
hellet demnach, daß der eiſerne Pacht ein
Pacht mit dem hinzugefuͤgten Vertra-
ge ſey, wodurch der Pachter alle Ge-
fahr uͤber ſich nimmet
(§. 620. 628.).
Es erhellet ferner, daß bey dem eiſernen
Pachte das Vieh dem Verpachter nie-
mals ſtirbt, und nach ſeinem Werth
uͤbergeben werden muß.
Und weil man
das Vieh eiſern(pecudes ferreæ) nennet,
welches dem Verpachter niemahls ſterben
D d 3kann;
[422]II.Th. 12. H. Von beſchwerlichen
kann; ſo iſt der eiſerne Pacht ein Pacht
des eiſernen Viehes.
Weil aber die Gleich-
heit in den beſchwerlichen Contracten zu be-
obachten iſt (§. 580.); ſo iſt der Pacht des
eiſernen Viehes nach dem Preiße der
Fruͤchte, oder Nutzung, welche der
Pachter von dem Viehe hat, und der
Gefahr, die er uͤber ſich nimmt, zu
beſtimmen.
Da das Vieh des Nutzens
wegen verpachtet wird; ſo iſt der Verpach-
ter verbunden geſundes Vieh anzuge-
ben: Und woferne es an einer Kranck-
heit, die es vor dem Pachte gehabt,
ſtirbt; ſo faͤllt die Gefahr auf den Ver-
pachter
(§. 415.).


§. 639.

Was ei-
ne Hand-
lungsge-
ſellſchaft
iſt.

Wenn zwey oder mehrere unter ſich ver-
abreden, daß ſie Sachen und Arbeit zu ei-
nem gewiſſen Geſchaͤfte mit einander beytra-
gen, oder zuſammen ein Gewerbe mit ge-
meinſchaftlichen Koſten und Bemuͤhungen
treiben wollen, mit dem Gedinge, daß der
Schaden und Gewinn gemeinſchaftlich ſeyn
ſoll, ſo wird ein ſolcher Contract eine Hand-
lungsgeſellſchaft
(ſocietas negotiatoria)
genannt; oder auch ſchlechterdings eine Ge-
ſellſchaft.
Die, welche in die Geſellſchaft
treten, werden ihre Glieder, oder auch
Mitglieder(ſocii) genannt. Es wird
aber eine Geſellſchaft errichtet, es moͤ-
gen entweder beyde Mitglieder Sa-
chen und Arbeit; oder einer Sachen,

der
[423]Contracten.
der andere Arbeit; oder der eine Sa-
chen und Arbeit, der andere entweder
Sachen, oder Arbeit allein beytragen.

Daß unter den Sachen auch Geld begriffen
ſey, iſt vor ſich klar. Mit dem, welcher
nichts von beyden beytraͤgt, wird kei-
ne Geſellſchaft gemacht: ſondern wenn
er nur zu einem Theil des Gewinns
zugelaſſen wird, ſo iſt es eine Schen-
ckung (§. 475.); wenn er auch am
Schaden Theil haben ſoll, ſo iſts ein
beſonderer Contract
(§. 438.).


§. 640.

Weil ein jeder von ſeinem Rechte abſtehenWie eine
Geſell-
ſchaft in
Anſe-
hung des
Scha-
dens ge-
macht
wird.

kann (§. 342.), und es einem jeden frey ge-
laſſen werden muß, wie weit er ſich verbind-
lich machen will (§. 78. 79.); ſo kann eine
Geſellſchaft dergeſtalt errichtet wer-
den, daß einer Theil am Gewinn, nicht
aber am Schaden hat:
Allein da wir al-
len Schaden von andern abwenden ſollen (§.
269.), noch uns mit ihrem Schaden berei-
chern (§. 271.); ſo kann man nicht ſo
contrahiren, daß ein Mitglied bloß
an dem Schaden, aber nicht dem Ge-
winn Theil haben ſoll;
folglich da man
eine Loͤwen-Geſellſchaft(ſocietas leo-
nina)
nennt, in welcher einer allein den Ge-
winn, der andere allein den Schaden hat, ſo
iſt dieſelbe unerlaubt, und vor und an
ſich ſelbſt nichtig.


D d 4§. 641.
[424]II.Th. 12. H. Von beſchwerlichen
§. 641.

Von der
Geſell-
ſchaft
der Guͤ-
ter und
aller Guͤ-
ter, oder
des gan-
tzen Ver-
moͤgens.

Wenn alle Guͤter, ſo wohl die gegenwaͤrti-
gen, als kuͤnftigen in eine Gemeinſchaft ge-
bracht werden, ſo wird es die Geſellſchaft
aller Guͤter, oder des gantzen Vermoͤ-
gens
(ſocietas omnium bonorum, vel for-
tunarum)
genannt: Wenn aber alles, was
durch Fleiß und Arbeit erworben wird, zur Ge-
meinſchaft kom̃t, ſo heiſt es die Geſellſchaft
der Guͤter
ohne Zuſatz (ſocietas bonorum,
ſimpliciter).
Beyde heiſſen mit dem gemein-
ſchaftlichen Nahmen eine allgemeine Ge-
ſellſchaft
(ſocietas univerſalis, generalis),
und im Gegentheil heiſt eine beſondere Ge-
ſellſchaft
(particularis), in welcher nur ge-
meinſchaftlich iſt, was aus gewiſſen Sachen
kommt, oder durch ein gewiſſes Gewerbe er-
halten wird.


§. 642.

Von den
Guͤtern
der Ge-
ſellſchaft.

Die Guͤter der Geſellſchaft(bona ſo-
cietatis)
nennt man, welche zur Gemeinſchaft
gebracht werden, indem die Geſellſchaft er-
richtet wird. Da ein jedes Mitglied an den
Guͤtern der Geſellſchaft zum theil ein Eigen-
thum hat (§. 639.); ſo bringt ein jedes
Mitglied, ſo bald die Geſellſchaft aller
Guͤter errichtet wird, auf den andern
nach Proportion das Eigenthum ſei-
ner gegenwaͤrtigen und kuͤnftigen Guͤ-
ter
(§. 641. 589.).


§. 643.
[425]Contracten.
§. 643.

Das Geld, welches in der Geſellſchaft zuWelches
Geld
man Ca-
pital zu
nennen
pflegt.

einem gewiſſen Gebrauch beygetragen wird;
und uͤberhaupt das Geld, welches wir nu-
tzen, heißt das Capital(ſors).


§. 644.

Wenn einer allein die Arbeit ver-Wie auf
verſchie-
dene Art
der Bey-
trag an
Gelde u.
Arbeit
mit ein-
ander
vergli-
chen wer-
den kann.

richtet, der andere das benoͤthigte
Geld beytraͤgt, und die Arbeit mit
dem Gebrauch des Geldes verglichen
wird; ſo hat, der die Arbeit verrich-
tet,
da der Gebrauch des Geldes und der
Gebrauch der Arbeit bloß gemeinſchaftlich
ſind, keinen Theil am Capital, und das
Capital geht bloß dem verlohren, oder
bleibt deſſelben, der das Geld beyge-
tragen hat: Wenn aber die Arbeit mit
dem Eigenthum des Geldes verglichen
wird; ſo hat, der die Arbeit verrichtet,

indem das Geld ſelbſt und die Arbeit, welche
nach Gelde geſchaͤtzt wird, gemeinſchaftlich
ſind, ſeinen Theil nach Proportion an
dem Capital, ſo viel naͤmlich der Werth
der Arbeit gilt, ſo zum Capital mit ge-
ſchlagen wird.


§. 645.

Da man in einer Handlungsgeſell-Von der
Theilung
des Scha-
dens und
Gewiñs.

ſchaft nicht vermuthet, daß ein Glied dem
andern etwas umſonſt geben, oder thun will,
noch auch natuͤrlicher Weiſe es zu geben, oder
zu thun ſchuldig iſt (§. 54. 73. 639.); ſo
D d 5muß
[426]II.Th. 12. H. Von beſchwerlichen
muß in derſelben die Gleichheit beob-
achtet
(§. 580.), folglich der gemein-
ſchaftliche Gewinn und Schaden nach
Proportion des Beytrags getheilet
werden,
naͤmlich dergeſtalt, daß wer dop-
pelt beygetragen hat, auch doppelten Gewinn
hat, aber auch doppelten Schaden tragen
muß. Wenn demnach einer ſo viel als
der andere beygetragen; ſo iſt auch der
Gewinn und Verluſt gleich.
Ein jeder
haͤlt vor hoͤchſt billig die Gleichheit der Theile,
wenn der Beytrag gleich iſt. Da nun, wer
doppelt beytraͤgt, zwey Glieder der Geſell-
ſchaft vorſtellt u. ſ. f. ſo folgt daher aller-
dings, daß die Theilung des Gewinns und
Verluſts nach Proportion des Beytrags billig
geſchiehet. Weil aber die Glieder ſich wegen
der Theile unter einander vergleichen koͤnnen,
wie ſie wollen (§. 385. 438.); ſo muͤſſen
die Theile des Schadens und Gewinns
ſo behalten werden, wie ſie ausdruͤck-
lich abgeredet worden (§. 438.). Wenn

aber die Arbeit mit dem Gebrauch des
Geldes verglichen wird; ſo muß die
Proportion, nach welcher die Theilung
geſchehen ſoll,
indem derjenige, welcher
die Arbeit beytraͤgt, keinen Theil am Capital
hat (§. 664.), daraus beſtimmt werden,
was der Gebrauch des Geldes und
die Gefahr das Capital zu verliehren,
und aus dem, was die Arbeit und die
Gefahr dieſelbe vergebens anzuwen-

den,
[427]Contracten.
den, nach ihrem Werthe austraͤgt.
Wenn man
aber die Gefahr nicht mit
in Erwegung ziehet; ſo wird gedach-
te Proportion daraus beſtimmt, was
der Gebrauch des Geldes und die Ar-
beit gilt.


§. 646.

Da der Gewinn eine Sache iſt, folglichVon der
Rech-
nung
des Ge-
winns.

Geld, welches zu unſern Guͤtern hinzukommt
(§. 414.), die Koſten aber in einer Geſell-
ſchaft des Gewinns halber angewandt werden
(§. 279. 639.); ſo rechnet man bloß
vor Gewinn, was nach Abzug der Un-
koſten uͤbrig bleibt,
folglich auch nach
Abzug des Geldes, welches man bey-
getragen, und des Schadens, den man
erlitten,
als der den Gewinn vermindert
(§. 269. 279.).


§. 647.

Da die Geſellſchaft eines gewiſſen Geſchaͤf-Von dem
Ende und
der Ver-
laͤnge-
rung der
Geſell-
ſchaft.

tes wegen gemacht wird (§. 639.); ſo iſt
nach Endigung des Geſchaͤftes die Ge-
ſellſchaft zu Ende:
Und wenn ſie auf
eine gewiſſe Zeit gemacht worden; ſo
iſt ſie nach Verfließung der Zeit zu
Ende.
Weil man aber ſagt, eine Geſell-
ſchaft werde verlaͤngert
(ſocietas pro-
rogari dicitur),
wenn ſie laͤnger fortgeſetzt
wird, als man verabredet hatte; folglich ei-
ne Geſellſchaft verlaͤngern, eben ſo viel iſt,
als ſie erneuern (§. 441.); ſo gilt, was
von der Erneuerung der Vertraͤge ge-

ſagt
[428]II.Th. 12. H. Von beſchwerlichen
ſagt worden, auch von der Verlaͤnge-
rung der Geſellſchaft
(§. cit.). Weil
aber niemand den andern in Schaden bringen
ſoll (§. 269.); ſo iſt es nicht erlaubt von
der Geſellſchaft mit ihrem Schaden
abzugehen: Wenn ſie aber auf keine
gewiſſe Zeit gemacht worden; ſo kann
man ohne ihren Schaden daraus ſchei-
den;
weil alsdenn nichts wider das Recht
der Mitglieder geſchieht (§. 83.).


§. 648.

Wenn ei-
ne Geſell-
ſchaft
aufge-
ſagt, und
wenn ſie
aufgeho-
ben wird.

Man ſagt, derjenige ſage eine Geſell-
ſchaft auf
(ſocietatem renunciare), welcher
ſich erklaͤret, daß er in derſelben nicht laͤnger
bleiben wolle. Wer alſo eine Geſellſchaft
aufſagt, der ſcheidet aus derſelben (§.
442.). Wenn
derowegen ein Mitglied
nicht leiſtet, was es nach den Geſe-
tzen der Geſellſchaft leiſten ſoll; ſo kann
das andere die Geſellſchaft aufſagen;

folglich wenn mehrere ſind, ſo koͤnnen
die uͤbrigen die Geſellſchaft fortſetzen,
und das nachlaͤßige, oder zanckſuͤch-
tige Glied, welches alles nach ſeinem
Kopfe allein haben will, ausſchlieſſen.

Es iſt naͤmlich einerley, als ob ſie die Geſell-
ſchaft aufſagten, und unter ſich eine neue er-
richteten. Daß aber, wenn beyde es mit
einander eines werden, dadurch,
wie
ein jeder Vertrag (§. 444.), alſo auch eine
Geſellſchaft koͤnne aufgehoben werden

(ſocietatem diſſolvi), iſt klar genung.


§. 649.
[429]Contracten.
§. 649.

Was fuͤr den Gebrauch einer Sache, dieVon den
Zinſen.

durch den Gebrauch verbraucht wird, inſon-
derheit des Geldes, gegeben wird, es mag
Geld, oder eine andere Sache ſeyn, heißt
die Zinſe(uſura). Da der Gebrauch einer
Sache, welche durch den Gebrauch ver-
braucht wird, nicht weniger geſchaͤtzt werden
kann, als einer Sache, welche durch den Ge-
brauch nicht verbraucht wird; wie hinlaͤnglich
erhellet, wenn wir ſetzen, daß das Geld zu
Erkaufung eines fruchttragenden Grundes,
oder auf ein Geſchaͤfte, das Gewinn bringt,
angewandt wird; niemand aber dem andern
umſonſt etwas geben darf, der ihm wiederum
etwas geben kann (§. 473.); ſo ſind die
Zinſen an und vor ſich ſelbſt nicht un-
erlaubt. Natuͤrlicher Weiſe aber muß
die Groͤſſe derſelben aus dem Gebrauch
des Geldes beſtimmt werden, wozu es
beſtimmt wird.
Naͤmlich die Zinſen koͤn-
nen als ein Theil des Gewinns angeſehen
werden, daran in einer Geſellſchaft ein Mit-
glied Theil hat, ſo allein Geld beytraͤgt, in-
dem man zugleich auf die Gefahr ſieht, wel-
che der Schuldner allein uͤbernimmt. Und
daher erhellet, daß natuͤrlicher Weiſe
die Zinſen bald groͤſſer, bald kleiner
ſeyn koͤnnen.
Man nennt demnach beiſ-
ſende Zinſen,
oder auch Juden-Zinſen
(uſuras mordentes) diejenigen, welche von
einem gefordert werden, der mit dem Gelde
kaum
[430]II.Th. 11. H. Von wohlthaͤtigen
kaum ſo viel gewinnen kann, als zur Noth-
durft hinreicht, oder wenn ſie den Gewinn
uͤberſchreiten, welchen der Schuldner durch
den Gebrauch des Geldes haben kann; und
es iſt klar, daß dieſelben natuͤrlicher Wei-
ſe unerlaubt ſeyn
(§. 513.). Die Er-
preſſung unerlaubter Zinſen wird der Wu-
cher
(uſuraria pravitas) genannt.


§. 650.

Vom Lei-
ben auf
Zinſen.

Weil das nichts geborgtes iſt, wenn der
Gebrauch des Geldes nicht umſonſt, ſondern
fuͤr Geld gegeben wird (§. 533.), und daher
auch das Geld, welches einer verzinſen muß,
zu verzinſendes Geld(pecunia uſuraria)
genannt wird; ſo nennen wir den Contract,
in welchem Geld fuͤr Zinſe geliehen wird, im
groͤſſern Wercke vom Rechte der Natur im
4ten Theile §. 1423. contractum fœnebrem;
ſo wie man im Roͤmiſchen Recht pecuniam
fœnebrem
dasjenige Geld nennt, fuͤr deſſen
Gebrauch Zinſen gezahlt werden. Man koͤnte
ſelben auch contractum uſurarium nennen.
Jm Deutſchen ſagen wir, Geld auf Zinſe
leihen.


§. 651.

Von
Verzin-
ſung der
Zinſen.

Verzinſung der Zinſen(anatociſmus)
nennt man den Contract, in welchem man
verabredet, daß die Zinſen zum Capital ge-
ſchlagen, und nachher mit demſelben wieder
verzinſet werden ſollen. Da die gezahlten
Zinſen, ſo bald als ſie gezahlt worden, ein
Capital desjenigen ſind, der ſie bekommen,
und
[431]Contracten.
und man dem Geld leihen kann, dem man
ſchon vorher Geld fuͤr Zinſen geliehen; ſo iſt
es natuͤrlicher Weiſe erlaubt, wegen
der rechtmaͤßigen Urſache der Zinſen
die empfangenen Zinſen, dem der ſie
ſchuldig war, von neuem als ein Ca-
pital zu verzinſen zu leihen.
Daher er-
hellet, daß Zinſen verzinſen an und vor
ſich ſelbſt nicht unerlaubt ſey.


§. 652.

Die Handſchrift(chirographum) iſt eineVon der
Hand-
ſchrift u.
was ein
hand-
ſchriftli-
cher Con-
tract ſey.

Schrift, darinnen man bekennet, daß man
eine Sache, die durch den Gebrauch ver-
braucht wird, vom andern empfangen habe,
und ſie in eben der Art wiederzugeben ver-
ſpricht: Ein Contract, welcher vermittelſt
einer Handſchrift vollzogen wird, ein hand-
ſchriftlicher Contract
(contractus chiro-
grapharius).
Daher erhellet ferner, was
ein handſchriftlicher Glaͤubiger und
Schuldner, und eine handſchriftliche
Schuld ſey
(creditor \& debitor chirogra-
pharius, debitum chirographarium).
Es
erhellet auch, daß der handſchriftliche
Contract nichts anders als ein Borgen
ſey, ſo ſchriftlich vollzogen worden (§.
528.), oder auch ein ſchriftlich verfaß-
tes Leihen auf Zinſen
(§. 650.).


§. 653.

Da man in einer Handſchrift verſpricht,Was
man von
einem
hand-
ſchriftli-

was man empfangen, in eben der Art wieder
zu geben (§. 652.); ſo iſt derjenige, wel-
cher
[432]II.Th. 12. H. Von beſchwerlichen
chen Con-
tracte zu
mercken
hat.
cher in der Hoffnung eine Sache, die
durch den Gebrauch verbraucht wird,

z. E. Geld, zu empfangen eine Hand-
ſchrift von ſich giebt, nichts aber be-
kommt, auch nichts wiederzugeben
verbunden.
Damit ſich aber nicht Faͤlle
ereignen, da es zweifelhaft ſcheinet, ob die
Sache, oder das Geld empfangen worden,
oder nicht; ſo muß alſobald, als die Hand-
ſchrift eingehaͤndiget wird, auch die
Sache uͤbergeben, oder das Geld ge-
zahlt werden, und ehe dieſes geſchie-
het, muß weder der Schuldner die
Handſchrift von ſich geben, noch auch
der Glaͤubiger ſie annehmen.
Eben die-
ſes verſteht ſich, wenn nicht die gantze Qvan-
titaͤt, oder Summe, die in der Handſchrift
ausgedruckt worden, gegeben, oder gezahlet
wird. Aus eben dieſer Urſach ſoll die Hand-
ſchrift alſobald wiedergegeben werden,
als das Geld wiederbezahlt wird.
Ue-
brigens darf man in einer Handſchrift
die Urſach, um welcher willen man
ſchuldig iſt, nicht ausdruͤcken
(§. 407.).
Derowegen, da es natuͤrlicher Weiſe eben ſo
viel iſt, als ob keine Urſache dazu geſetzt wor-
den waͤre, wenn ſie auch hinzugeſetzt worden;
ſo gilt die Handſchrift, wenn auch
gleich eine falſche Urſache, warum ei-
ner ſchuldig iſt, angezeigt worden,
wenn es nur wahr iſt, daß er ſo viel
ſchuldig iſt.


§. 654.
[433]Contracten.
§. 654.

Eine Qvittung(apocha, quittancia)Von den
Qvittun-
gen.

nennt man das Schreiben, worinnen der
Glaͤubiger bekennt, daß der Schuldner bezahlt
habe, oder daß er von ihm empfangen, was
er ſchuldig war. Weil alſo durch Vorzeigung
der Qvittung bewieſen wird, daß die Zah-
lung geſchehen ſey; ſo ſoll eine Qvittung
weder gegeben, noch angenommen wer-
den, wenn die Zahlung nicht geſche-
hen;
folglich wenn nur Hoffnung zur
Zahlung gemacht worden, muß man
ſie wieder zuruͤcke fordern, oder der
Schuldner muß zur Zahlung angehal-
ten werden.
Eben dieſes verſteht ſich,
wenn einer die Qvittung bekommen, die
Schuld aber nicht gantz bezahlt. Da man
durch eine Qvittung die Zahlung beweiſen
kann; ſo muß, wenn die Handſchrift
verlohren worden, oder nicht gefun-
den werden kann, dieſes in der Qvit-
tung angezeigt werden.


§. 655.

Wenn man Geld mit Gelde verwechſelt,Von der
Umſe-
tzung des
Geldes.

es geſchehe auf was Art und Weiſe es wolle,
ſo wird es gewoͤhnlicher Weiſe ein Wechſel
(cambium) genannt. Beſonders aber nennt
man die Umſetzung des Geldes, oder auch
Geld verwechſeln(cambium manuale),
wenn man eine Geldſorte mit einer an-
dern vertauſcht, z. E. groͤſſere Muͤntz-
ſorten mit kleineren. Von den Grie-
Nat. u. Voͤlckerrecht. E echen
[434]II.Th. 12. H. Von beſchwerlichen
chen wird es collybus genannt. Daher nennt
man einen Wechsler collybiſtam: Man nennt
ihn aber auch numularius oder trapezita.
Es iſt naͤmlich ein Wechsler, der Geld zu
dem Ende bereit liegen hat, daß er eine Sor-
te mit einer andern vertauſcht. Und was
der Wechsler deswegen abzieht, heiſt gewoͤhn-
licher Weiſe das Aufgeld oder agio (lagium).
Es wird auch im Lateiniſchen, jedoch nicht oh-
ne Zweydeutigkeit, collybus genannt, weil ſelbſt
der Contract ſo genannt wird. Wenn der
Werth der Sachen und Arbeit nach
dem aͤuſſeren Werthe des Geldes be-
ſtimmt wird, und damit man es be-
qvemer ausgeben kann, eine gewiſſe
Muͤntzſorte mit einer andern vertauſcht
wird; ſo darf,
indem es einerley iſt, was
vor Geld gezahlet wird, bey dem Geld-
wechſeln nur auf den aͤuſſern Werth
deſſelben geſehen werden
(§. 580.).
Weil uns aber dran gelegen iſt, daß wir
eine Muͤntzſorte, welche einen groͤſ-
ſern inneren Werth hat, als diejenige,
die wir ſchon haben, und nicht weni-
ger dem andern daran gelegen iſt, daß
er nicht eine beſſere mit einer geringe-
ren vertauſcht; ſo muß man,
da es et-
was ſchaͤtzbahres iſt, wie viel dem andern dar-
an gelegen, bey der Umſetzung des Gel-
des auf den inneren Werth ſehen;
folg-
lich iſt das Aufgeld nicht unerlaubt.
Weil der Wechsler des Verwechſelns halben
die
[435]Contracten.
die Nutzung ſeines Geldes miſſen muß, die er
ſonſt haben koͤnte, und auch Zeit und Muͤhe
auf dieſes Geſchaͤfte wenden muß, beydes
aber etwas ſchaͤtzbahres iſt; ſo iſt dem
Wechsler ſo viel abzuziehen erlaubt,
als die Nutzung des Geldes, die er
miſſen muß, und ſeine Muͤhe und Zeit,
welche er auf dieſes Geſchaͤfte wendet,
betraͤgt.
Und da er ſelbſt Aufgeld geben
muß, wenn er vor geringere Muͤntzſorten
beſſere einwechſeln will, vermoͤge deſſen, was
erwieſen worden; ſo iſt ihm auch erlaubt
zugleich ſo viel abzuziehen, als der Un-
terſcheid der innern Guͤte der Muͤntz-
ſorten betraͤgt
(§. 473.). Nach den ver-
ſchiedenen Umſtaͤnden muß man in der Be-
ſtimmung der Qvantitaͤt des Aufgeldes auch
auf das andere, ſo dabey vorkommt, ſehen,
deſſen Werth ſich beſtimmen laͤßt.


§. 656.

Der Contract, da einem zu dem EndeVon dem
traßirten
Wechſel.

Geld ausgezahlet wird, daß er es fuͤr einen
gewiſſen Lohn an einem andern Orte dem, der
es gegeben, oder jemand anders wieder ſoll
zahlen laſſen, wird eigentlich ein Wechſel
(cambium), oder auch zuweilen ein traßir-
ter Wechſel
(cambium traſſatum) genannt.
Bey einem Wechſel kommen alſo vier Perſo-
nen vor, naͤmlich die Perſon, welche das
Geld zahlet, ſo an einem andern Ort wie-
der gezahlt werden ſoll; die Perſon, welche das
Geld empfaͤngt, und die Auszahlung an ei-
E e 2nem
[436]II.Th. 12. H. Von beſchwerlichen
nem andern Ort beſorget; die Perſon, welche
es an einem andern Ort zahlt; und endlich
die Perſon, der es an einem andern Orte ge-
zahlt wird. Die erſte nennt man den
Herrn des Wechſels,
oder den Ausge-
ber des Geldes,
der naͤmlich das Geld auf
Wechſel giebt, oder den Remittenten(cam-
pſarius, remittens),
die andere den Geber,
Ausgeber des Wechſelbriefes,
oder Traſ-
ſirer,
ingleichen Traſſanten(campſor,
traſſans),
die dritte den Acceptanten oder
Traſſaten(acceptans, traſſatus), und die
vierte den Wechſelsinhaber oder Praͤ-
ſentante
(præſentans). Es erhellet aber,
daß einer zuweilen eine doppelte Perſon vor-
ſtellen kann; als daß der Traßirer und der
Traſſate, oder der Remittente und der Praͤ-
ſentante eine Perſon iſt. Die Schrift, wel-
che vom Traßirer an den Traſſaten geſtellet
wird, wegen des Praͤſentanten auszuzahlen-
den Geldes, und fuͤr baares Geld dem Re-
mittenten gegeben wird, heiſſet der Wech-
ſelbrief
(litteræ cambiales); das Schrei-
ben aber wodurch Traſſate wegen des Wech-
ſels, und wie er wegen der Auszahlung ver-
gnuͤgt werden ſoll, benachrichtiget wird, heißt
ein Adviſobrief, das Aviſo(litteræ advi-
ſoriæ);
was vor den Wechſelbrief der Re-
mittente dem Traßirer gezahlet, der Werth,
oder die Valuta. Die im Wechſelbriefe ent-
haltene Summe aber, die wieder gezahlet
werden ſoll an den Praͤſentanten, die Remiſſe
(remiſ-
[437]Contracten.
(remiſſa), in Abſicht auf den Remittenten;
hingegen die Tratta(traſta), in Abſicht des
Traſſantens. Der Nutzen dieſes Contracts
erhellet daraus, daß durch Wechſel das
Geld an den entlegenſten Orten ge-
zahlt, und von den Reiſenden an al-
len Orten in den Muͤntzſorten, die
daſelbſt gaͤnge und gaͤbe ſind, erhalten
werden kann.
Was das Naturrecht bey
dem Wechſel beſtimmt, welcher wie alle
menſchliche Handlungen, alſo auch die
Wechſel regieret, in Abſicht der zugezo-
genen Verbindlichkeiten und der dadurch er-
haltenen Rechte, muß aus demjenigen be-
ſtimmt werden, was wir von dem Verſpre-
chen, von der Erſetzung des Schadens, der
Leiſtung des Jntereſſe und von Vermeidung
der Bereicherung mit des andern Schaden
erwieſen haben. Daher erhellet gleich, daß
der Traßante dem Remittenten ver-
bunden iſt, zu ſorgen, daß die im Wech-
ſelbriefe enthaltene Summe an verab-
redetem Orte und Zeit dem Praͤſentan-
ten gezahlt werde: Der Remittente
aber die Valuta
oder den Werth zah-
len muͤſſe (§. 380.). Daß aber der Traſ-
ſate dem Praͤſentanten zur Zahlung
nicht verbunden ſey, ehe er den Wech-
ſel acceptiret;
indem er durch die Accepta-
tion dem Praͤſentanten verſpricht den Wech-
ſel zu bezahlen (§. 380.): Daß aber der
Traſſante verbunden ſey, den Werth

E e 3des
[438]II.Th. 12. H. Von beſchwerlichen
des Wechſels wiederzugeben und fuͤr
den Schaden zu ſtehn, wenn der Traſ-
ſate nicht zahlet
(§. 271. 415.). Ein
mehreres wollen wir nicht hinzuthun, was in
dem groͤſſern Wercke 5. Theil 1. H. nachgele-
ſen werden kann.


§. 657.

Vom
trocknen
Wechſel,
oder eig-
nen
Wechſel-
briefen.

Zur Nachahmung des traßirten Wechſels,
welcher von den Kaufleuten zur Erleichterung
der Handlung eingefuͤhrt worden, haben an-
dere den trocknen Wechſel(cambium ſie-
cum)
nachgeaffet, wodurch einer von dem
andern einen Wechſelbrief bekommt, fuͤr wel-
chen ihm, oder einem andern, der das Recht
dazu von ihm erhalten, an eben dem Orte,
aber zu einer gewiſſen Zeit, eine gewiſſe ver-
abredete Summe Geldes gezahlt werden muß.
Es iſt klar, daß dergleichen Wechſel-
briefe ihrer Natur nach von einer
Handſchrift nicht unterſchieden ſind

(§. 652.). Derowegen iſt aller Unterſcheid,
welcher zwiſchen einem ordentlichen Wechſel-
briefe und zwiſchen einer Handſchrift ange-
nommen wird, bloß willkuͤhrlichen Rechtes.


§. 658.

Vom
Schaͤ-
tzungs-
contra-
cte.

Einen Schaͤtzungscontract (contra-
ctus æſtimatorius,
Wuͤrdigungscontract,
Wardirungscontract) nennt man denjeni-
gen, durch welchen eine geſchaͤtzte Sa-
che, die um einen gewiſſen Preiß verkauft
werden ſoll, dem andern uͤbergeben wird, daß
er dieſelbe entweder wiedergebe, oder den ge-
ſetzten
[439]Contracten.
ſetzten Preiß zahle. Wenn alſo derjenige,
der die Sache empfaͤngt, ſie theurer
verkaufen kan; ſo gewinnt er, was uͤber
den geſetzten Preiß iſt, und wenn er
ihn ſelbſt zahlen will, ſo iſt er ſie nicht
wiederzugeben verbunden.
Jm Gegen-
theil aber da er ohne Einwilligung deſſen, der
ihm die Sache gegeben, ſie nicht geringer ver-
kaufen darf (§. 317. 199.); ſo muß er,
wenn er ſie geringer verkauft, das was
fehlt, erſetzen
(§. 269. 438.). Aus der
Erklaͤrung ſelbſt erhellet, daß dieſer Con-
tract bey allen Sachen, die verkauft
werden koͤnnen, gemacht werden
kann.


§. 659.

Der Preiß wird zu einer Sache derVon dem
Preiß,
der des
Ver-
kaufs u.
der Schaͤ-
tzung
wegen
hinzuge-
fuͤgt
wird.

Schaͤtzung wegen hinzugefuͤgt(pre-
tium rei taxationis gratia adjicitur),
wenn
es zu dem Ende geſchiehet, damit man jetzo
und ins kuͤnftige von derſelben Werth Gewiß-
heit hat; des Verkaufs wegen aber, da-
mit man weiß, wie theuer die Sache ver-
kauft werden ſoll. Der Schaͤtzung we-
gen iſt
alſo ein Preiß hinzuzufuͤgen, ſo
oft eine Sache in eben derſelben Guͤte
wiedergegeben werden ſoll,
als wie
beym geliehenen, beym vorgeſchoſſenen, beym
in Verwahrung gegebenen; des Verkaufs
wegen
aber geſchieht es im Schaͤ-
tzungscontracte.
Denn wenn bey einer
zu verkaufenden Sache der Preiß der

E e 4Schaͤ-
[440]II.Th. 12. H. Von beſchwerlichen
Schaͤtzung wegen hinzugefuͤgt wird;
ſo iſt der Contract entweder eine Voll-
macht (§. 551.), oder eine Dingung
zu einer Verrichtung (§. 620.); und
wenn eine Sache, die um einen gewiſ-
ſen Preiß geſchaͤtzt worden, dem an-
dern mit der Bedingung zugeſteller
wird, daß, wenn er mehr bekommt,
das was er mehr bekommt, gemein-
ſchaftlich ſeyn ſoll; ſo wird eine Ge-
ſellſchaft in Abſicht deſſen, was man
mehr bekommt, gemacht
(§. 639.). Da
die Contrahirenden den Contract einrichten
koͤnnen, wie ſie wollen (§. 314.); ſo kann
bey dem Schaͤtzungscontracte entwe-
der die Sache eigenthuͤmlich dem uͤber-
geben werden, dem ſie zugeſtellet wird,
oder der ſie ihm zuſtellt behaͤlt das Ei-
genthum.


§. 660.

Von der
Beglau-
bigung.

Die Beglaubigung(conſtitutum) nennt
man denjenigen Contract, vermoͤge deſſen ei-
ner verſpricht, daß er zahlen, oder thun wol-
le, was er entweder ſelbſt, oder ein anderer
ſchon vorher zu zahlen oder zu thun ſchuldig
war, doch ſo, daß die vorhergehende Ver-
bindlichkeit unveraͤndert bleibt. Derjenige,
welcher beglaubiget, heißt der Beglaubi-
ger
(conſtituens); der andere aber, dem et-
was beglaubiget wird, der Beglaubigte
(conſtitutarius). Derowegen wird eine ei-
gene Schuld durch eine Beglaubigung

feſter,
[441]Contracten.
feſter, z. E. wenn ein Erbe einem, dem et-
was vermacht worden, die Zahlung des Ver-
maͤchtniſſes verſpricht. Wenn es aber ei-
ne fremde Schuld iſt; ſo uͤbernimmt
der Beglaubiger die Zahlung, wenn
der Hauptſchuldner nicht ſelbſt bezahlt,

z. E. wenn er die Bezahlung den letzten Se-
ptember verſpricht, wenn der Hauptſchuld-
ner, welcher ſchon den 4ten Jul. zahlen ſolte,
nicht unter der Zeit bezahlt. Daß die Be-
glaubigung einer andern Schuld na-
tuͤrlicher Weiſe von der Buͤrgſchaft
nicht unterſchieden ſey,
erhellet aus den
Erklaͤrungen, wenn ſie gegen einander gehal-
ten werden (§. 569.). Woher aber der Un-
terſcheid im Roͤmiſchen Rechte kommt, iſt an
einem andern Orte erklaͤrt worden. Es er-
hellet auch leicht, daß wenn einer mehr
verſpricht, wofern der Hauptſchuld-
ner nicht bezahlen wuͤrde, als er ſchul-
dig iſt; ſo wird die Schuld nicht be-
glaubigt, ſondern es iſt ein vermiſch-
ter Contract aus einer Beglaubigung
und einer Schenckung, oder eine Be-
dingte Schenckung.


§. 661.

Ein Empfaͤnger(adjectus) wird ge-Vom
Empfaͤn-
ger.

nannt, dem man nichts ſchuldig iſt, dem man
aber nach dem Willen des Glaͤubigers die
Schuld zahlen ſoll, oder dem wenigſtens die
Schuld zu zahlen erlaubt iſt. Wenn alſo
die Schuld dem Empfaͤnger gezahlt

E e 5wird;
[442]II.Th. 12. H. Von beſchwerlichen
wird; ſo wird der Schuldner von ſei-
ner Verbindlichkeit befreyet:
Weil
aber der Schuldner ihm nicht verbunden iſt;
ſo kann der Empfaͤnger den Schuld-
ner nicht zur Zahlung zwingen, ſon-
dern er kann bloß die ihm freywillig
angebotene Zahlung annehmen.
Ja
es kann der Schuldner auch dem Glaͤu-
biger zahlen, was er ſchuldig iſt: wo-
fern er ſich aber dem Empfaͤnger zu
zahlen verbindlich gemacht; ſo iſt,
da
er ſeiner Verbindlichkeit kein Genuͤge leiſtet,
er demſelben davor zu ſtehen ſchuldig,
was ihm daran gelegen, daß er es ihm
nicht gezahlet hat
(§. 415.). Denn man
kann der Zahlung wegen einen andern, dem
gezahlt werden ſoll, entweder dem Schuld-
ner, oder dem Glaͤubiger zu gefallen anneh-
men. Da uͤbrigens die Verbindlichkeit des
Schuldners durch die Annehmung eines drit-
ten, dem gezahlt werden ſoll, nicht geaͤndert
wird; ſo kann man bey der Beglaubi-
gung einen dritten der Zahlung wegen
annehmen, der in der erſten Verbind-
lichkeit nicht angenommen war
(§. 660.),
ja es kann auch ein anderer angenom-
men werden, als der zu der vorherge-
henden Verbindlichkeit angenommen
war;
folglich darf man alsdenn dem er-
ſten nichts zahlen.


VomVerwal-

§. 662.

Einen Verwaltungscontract(contra-
ctus
[443]Contracten.
ctus inſtitorius) nennen wir, durch welchentungs-
contra-
cte.

einem die Verwaltung eines Handlungsge-
ſchaͤftes oder einer Wirthſchaft aufgetragen
wird. Man nennt aber ein Handlungs- oder
Wirthſchaftsgeſchaͤfte(negotiationem
quæſtuariam),
welches man des Gewinns
wegen treibet; und der Verwalter, oder Fa-
ctor
(inſtitor), heiſt der, welcher dazu be-
ſtellet wird; derjenige aber welcher den an-
dern beſtellt, heiſt der Herr(præponens).
Da die Roͤmer ihre Knechte und Soͤhne, die
unter ihrer Gewalt ſtunden, dazu beſtellten;
ſo geſchieht im Roͤmiſchen Rechte keine Mel-
dung vom Verwaltungscontracte, ſondern
bloß vom Verwalter und von der Klage wi-
der ihn (actionis inſtitoriæ). Dieſem aber
ohnerachtet ſtammen aus dieſer Beſtellung eben
diejenigen Verbindlichkeiten und Rechte ab,
welche aus dem Vertrage ihren Urſprung ha-
ben, wodurch einer beſtellt wird. Es erhel-
let aber, daß der Verwalter, oder Factor
zur Verwaltung des aufgetragenen
Geſchaͤftes verbunden ſey; daß der
Herr ihm das Recht zu allen Hand-
lungen einraͤume, welche zur Verwal-
tung noͤthig ſind, wenn nicht beſon-
ders verabredet worden, daß etwas
ohne ſeine Einwilligung nicht geſche-
hen ſoll;
folglich darf der Verwalter,
oder Factor die Grentzen der Verabre-
dung nicht uͤberſchreiten. Als ein Ver-
walter oder Factor handelt einer
(in-
ſtitorio
[444]II.Th. 12. H. Von beſchwerlichen
ſtitorio nomine agit), der alles, was er ver-
richtet, des Geſchaͤftes wegen, dem er vorge-
ſetzt worden, unternimmet, oder wenn er das
thut, ohne welches er das ihm aufgetragene
Geſchaͤfte nicht verwalten kann. Was er
alſo als Verwalter, oder Factor thut,
das thut er im Nahmen des Herrn;

folglich ſo oft er mit einem dritten zu
thun hat, ſo erhellet an und vor ſich
ſelbſt, daß er, wenn die Handlung
dem Geſchaͤfte eigen iſt, als Verwal-
ter oder Factor handle: denn ſonſt iſt
noͤthig, daß er ausdruͤcklich ſagt, er
handele als Verwalter, wenn es den
andern nicht ſonſt ſchon bekannt iſt.

Hieraus folgt ferner, daß der Verwalter,
oder Factor, indem er contrahiret,
nicht ſich ſondern den Herrn anderen,
und nicht andere ſich ſondern dem
Herrn verbindlich macht. Wenn
aber
der Herr ihn beſonders verbunden hat
etwas nicht ohne ſeine Einwilligung
zu thun; ſo iſt noͤthig, daß er es de-
nen bekannt mache, welchen der Herr
durch den Contract verbunden werden
ſoll.
Weil aber der Verwalter, oder Factor
den Herrn nicht verbindlich machen kann, als
in Sachen, die das ihm aufgetragene Ge-
ſchaͤfte angehen; ſo macht er nicht den
Herrn, ſondern ſich den andern ver-
bindlich, wenn er in ſeinem eigenen
Nahmen auch in Handlungsgeſchaͤf-

ten
[445]Contracten.
ten einen Contract ſchließt. Da aber
niemand durch des andern Sache reicher wer-
den darf (§. 271.); ſo iſt der Herr in ſo
weit aus dem Contracte verbunden,
als er reicher geworden.
Und da das
Geſchaͤfte dem Herrn gehoͤret, welches der
Verwalter, oder Factor in ſeinem Nahmen
verwaltet; ſo faͤllt aller Gewinn und
Schaden, welcher ohne Verſehen des
Verwalters, als wovor er billig ſtehen
muß (§. 270.), auf den Herrn
(§. 271.
243.). Weil endlich der Verwalter, oder
Factor die Geſchaͤfte, welchen er vorgeſetzt,
mit allem Fleiß zu verwalten verbunden iſt
(§. 21.); ſo darf er in ſeinem eigenen
Nahmen kein Erwerbungsgeſchaͤfte,
welches auf einige Weiſe dem Herrn
nachtheilig iſt, treiben: ein anders iſt,
wann der Herr keinen Nachtheil da-
von hat.
Und da des Verwalters oder Fa-
ctors Recht aufhoͤret, wenn ſein Amt zu En-
de iſt; ſo nimmt er nach geendigten Am-
te auch nichts mehr in der Verwal-
tung guͤltig vor, ohne ausdruͤckliche
oder ſtillſchweigende Einwilligung des
Herrn,
z. E. wenn er ihm noch einige Ver-
waltung erlaubet; folglich da der Schade,
welchen er verurſacht, mit Vorſatz verurſacht
wird (§. 17.), ſo iſt er, wenn ein Scha-
den aus einer Handlung oder Contract
des Verwalters, oder Factors entſte-
hen ſollte, er dem Herrn ſolchen zu er-

ſetzen
[446]II.Th. 12. H. Von beſchwerlichen
ſetzen verbunden (§. 270.): demjeni-
gen aber, mit welchem er wider Wiſ-
ſen und Gewiſſen contrahiret, muß er
vor ſein Jntereſſe ſtehen
(§. 415.). Da-
her folgt von ſich ſelbſt, daß wenn der
Herr dem Verwalter, oder Factor ſei-
nen Abſchied giebt, ehe ſein Amt zu
Ende iſt, dieſes ohne Verzug allen de-
nen bekannt gemacht werden muß, mit
welchen er zu thun hat.


§. 663.

Wenn
mehrern
zuſam-
men die
Verwal-
tung ei-
nes Ge-
ſchaͤftes
aufgetra-
gen wird.

Wenn mehrern zugleich eine Ver-
waltung aufgetragen wird;
ſo muß,
da keiner von ihnen mehr Recht hat, als der
Herr ihnen hat einraͤumen wollen (§. 317.),
aus der Bedingung, unter welcher ſie
angenommen worden, beurtheilt wer-
den, was eines jeden Verbindlichkeit
ſey, und wie viel Recht ein jeder in
Anſehung der Verwaltung hat.
Weil
aber doch ein jeder von ihnen allen Schaden
vom Herrn abzuwenden verbunden iſt (§.
269.); ſo muß ein jeder es zu gehoͤri-
ger Zeit anzeigen, wenn er ſiehet, daß
der andere etwas thut, welches dem
Herrn zum Schaden gereicher. Wenn
vielen zuſammen die Verwaltung der-
geſtalt aufgetragen wird, daß ſie alles
nach gemeinſchaftlichen Rathe ver-
richten ſollen;
ſo muͤſſen alle, weil ſie
zuſammen eine Perſon vorſtellen, fuͤr das,
was einer thut, nach ihrem Antheil

haften,
[447]Contracten.
haften, wofern nicht einer hinterliſti-
ger Weiſe, ohne Vorwiſſen der an-
dern etwas unternommen;
indem eine
unuͤberwindliche Unwiſſenheit nicht zugerech-
net werden kann (§. 34.). Gleichwie auch
offenbar iſt, daß der, welcher widerſpro-
chen, fuͤr das, was die andern gethan,
nicht ſtehen darf.


§. 664.

Der Verwaltungscontract kommtJn wie
fern der
Verwal-
tungs-
contract
mit der
Voll-
macht u.
mit dem
Dingen
zur Ar-
beit uͤber-
einkom̃t.

mit der Vollmacht darinnen uͤberein,
daß einem ein gewiſſes Geſchaͤfte zu
beſorgen aufgetragen wird: mit dem
Verdingen zur Arbeit aber, daß fuͤr die
geleiſtete Arbeit ein Lohn gezahlet
wird,
wie aus der Vergleichung der Erklaͤ-
rungen (§. 551. 620. 662.) gleich erhellet.
Und daher ſieht man, wie weit, was von der
Vollmacht und dem Dingen zur Arbeit erwie-
ſen worden, auf den Verwaltungscontract
gezogen werden kann.


§. 665.

Einen Rhedercontract(contractus exer-Vom
Rheder-
contract.

citorius) nennt man, wodurch einem die Be-
ſorgung einer Fahrt mit dem Schiffe anver-
traut wird, z. E. daſſelbige zu vermiethen,
Schiffleute zu miethen, alles, was ein Schif
auszuruͤſten noͤthig iſt, zu kaufen, u. ſ. f. Der-
jenige, welcher die Beſorgung einem andern
anvertraut, iſt der Rheder(exercitor), es
mag ſeyn, daß er ſelbſt der Herr des Schif-
fes iſt, oder daß er es nur uͤberhaupt ge-
miethet
[448]II.Th. 12. H. Von beſchwerlichen
miethet hat. Derjenige aber, dem dieſe Be-
ſorgung anvertraut wird, iſt der Schiffer
(magiſter navis). Weil alſo der Schiffer
bey der Beſorgung der Fahrt mit dem Schif-
fe den Rheder fuͤrſtellt; ſo muß man anneh-
men, daß, was der Schiffer thut, der
Rheder ſelbſt gethan habe;
und es iſt
klar, daß er ihm das Recht zu allem
eingeraͤumet, was zu dieſer Beſor-
gung noͤthig iſt.
Da es aber auf den
Rheder ankommt, unter welchen Bedingun-
gen er den Schiffer annehmen will; ſo muß
(§. 317.), wenn er unter gewiſſen Be-
dingungen angenommen worden, ſein
Recht nach der Vorſchrift beurtheilt
werden.
Man ſagt der Schiffer handle
im Nahmen des Rheders
(exercitorio
nomine agere)
in allem dem, was er in der
ihm anvertrauten Beſorgung wegen des
Schiffes unternimmet. Weil uͤbrigens der
Schiffer nicht anders anzuſehen iſt, als ein
Verwalter, oder Factor; ſo kann auch auf
ihn leicht gedeutet werden, was vom Ver-
walter oder Factor erwieſen worden, daß es
alſo nicht noͤthig iſt, hiervon beſonders zu
reden.


§. 666.

Von den
Schiff-
leuten.

Die Schiffleute(nautæ) nennt man die-
jenigen, welche, um das Schiff in Bewe-
gung zu ſetzen, im Schiffe ſind. Weil ihnen
kein Recht zukommt, in Abſicht auf das Schiff
einen Contract zu machen; ſo kann durch
den
[449]Contracten.
den Contract der Schiffleute weder
der Schiffer noch der Rheder verbind-
lich gemacht werden.


§. 667.

Alle beſchwerliche Contracte koͤnnen unterVon den
Contra-
cten, da
man
giebt, daß
etwas
gegeben
werde,
oder
giebt, daß
etwas ge-
than wer-
de, oder
thut et-
was, daß
etwas ge-
than
werde.

dieſen dreyen begriffen werden, naͤmlich:
man giebt etwas, daß etwas gegeben werde;
man giebt etwas, daß etwas gethan werde;
und man thut etwas, daß etwas gethan wer-
de (§. 468.). Unter dieſen alſo ſind alle Con-
tracte begriffen, von welchen wir bis hieher
gehandelt haben, und die alle Tage vorkom-
men. Wenn aber noch auſſer dieſen andere
vorkommen, die muß man nach der Natur
der Contracte, da man etwas giebet, daß et-
was gegeben werde, da man etwas giebt,
daß etwas gethan werde, da man etwas thut,
daß etwas gethan werde, beurtheilen. Was
man alſo nach dem Rechte der Natur von ih-
nen zu halten hat, muͤſſen wir erklaͤren: Denn
warum das Roͤmiſche Recht hiervon abgehet,
haben wir an einem andern Orte angezeiget,
wo wir erinnert haben, daß der Unterſcheid
unter den benannten und unbenannten Con-
tracten (contractus nominatos \& innomina-
tos)
bloß aus dem Roͤmiſchen Rechte her-
komme, naͤmlich in der Anmerckung §. 879.
des vierten, und der Anmerckung §. 145. des
fuͤnften Theils von dem Rechte der Natur.
Da den Menſchen das Recht zukommt, ſich
andere zu gewiſſen Leiſtungen zu verbinden (§.
97.), ſie ſich aber nicht anders als durch Ver-
Nat. u. Voͤlckerrecht. F fſpre-
[450]II.Th. 12. H. Von beſchwerlichen
ſprechen einander verbinden koͤnnen (§. 380.);
ſo iſt der Contract alſobald richtig, als ſie
einander ihren Willen etwas zu geben
und zu thun bekannt gemacht haben

(§. 379. 97.); folglich werden die Con-
tracte da man giebt, daß etwas gege-
ben werde, da man giebt, daß etwas
gethan werde, da man etwas thut,
daß etwas gethan werde, durch bey-
derſeitige Einwilligung zu ſtande ge-
bracht (§. 27.). Wenn
deswegen gleich
geleiſtet wird, was man verabredet
hat; ſo wird der Contract vollzogen,
ſo bald er ſeine Richtigkeit erhalten.

Und weil, nachdem der Contract ſeine Rich-
tigkeit hat, nothwendig iſt, was vorher auf
den Willen eines jeden ankam (§. 97.); ſo
wird durch den Contract oder Vertrag
das, wozu einer unvollkommen ver-
bunden, oder nur als eine Pflicht oder
Liebesdienſt anzuſehen war, und was
natuͤrlicher Weiſe erlaubt war, in eine
vollkommene Schuld verwandelt
(§.
49. 80.), oder wenn einer ſich verbin-
det etwas zu unterlaſſen, was erlaubt
war, daſſelbe unerlaubt.
Da ſich aber
niemand von der natuͤrlichen Verbindlichkeit
befreyen kann (§. 42.); ſo kann aus dem,
was natuͤrlicher Weiſe unerlaubt iſt,
nichts erlaubtes werden.
Und da es auf
eines jeden Willen ankommt, auf was vor Art
und Weiſe er ſein Recht auf einen andern
brin-
[451]Contracten.
bringen will (§. 314.); ſo kommt es auf
den Willen der contrahirenden Theile
an, wie ſie mit einander verabreden
wollen, was einer dem andern leiſten
ſoll, und was man verabredet hat,
muß gehalten werden
(§. 438.). Weil
aber ſo wohl ein vorſaͤtzlicher, als unvorſaͤtzli-
cher Betrug unerlaubt iſt (§. 286.); ſo darf
in den Contracten man giebt etwas,
daß etwas gegeben werde, man giebt
etwas, daß etwas gethan werde, man
thut etwas, daß etwas gethan werde,
keiner von beyden Theilen betrogen
werden.


Das dreyzehente Hauptſtuͤck.


Von den Gluͤckscontracten.


§. 668.

Gluͤckscontracte(contractus aleamVon den
Gluͤcks-
contra-
cten
uͤber-
haupt.

continentes) werden genannt, wenn
man uͤber eine Sache, davon der
Ausgang ungewiß iſt, ſich gegen ein-
ander verbindlich macht, es mag nun dieſel-
be nach dieſem ausfallen, wie ſie will, z. E.
wenn man wegen des Preißes eines wird,
den man vor die Fiſche, welche mit einem
Zuge des Netzes werden gefangen werden,
entrichten ſoll. Jn dieſen Contracten be-
ruhet, was entweder von einem, oder
von beyden Theilen gegeben, oder ge-

F f 2than
[452]II.Theil 13. Hauptſtuͤck.
than werden ſoll, auf dem, was erfol-
gen wird.
Da der Mißbrauch des Eigen-
thums zwar natuͤrlicher Weiſe unerlaubt iſt:
dennoch aber einem jeden erlaubt werden muß,
ſo lange nichts, was unſerm Recht zuwider
iſt, geſchieht (§. 202.), folglich bey den
Contracten nicht in Betrachtung kommt; ſo
ſoll
zwar derjenige in Gluͤckscontracte
ſich nicht einlaſſen, der, indem et et-
was giebt, das Eigenthum, indem er
etwas thut, die natuͤrliche Freyheit
mißbraucht: Wenn er ſie
aber doch
macht, ſo beſtehen ſie nach dem aͤuſſern
Rechte.
Und da in den beſchwerlichen Con-
tracten die Gleichheit zu beobachten iſt (§. 581.):
es aber in den Gluͤckscontracten nicht an-
gehet, daß der eine ſo viel von dem andern er-
haͤlt, als er dem andern leiſtet, wenn es nicht
etwan durch einen ſehr ſeltenen Fall, den man
nicht vorher ſehen kann, geſchiehet; ſo muß
wenigſtens von beyden Theilen einer
nicht ſchlimmer daran ſeyn, als der an-
dere, naͤmlich es muß beyderſeits ei-
nerley Hoffnung des Gewinns und ei-
nerley Furcht des Schadens ſeyn;
folg-
lich muͤſſen die, welche den Contract
machen, ein von allem Betruge ent-
ferntes Gemuͤthe haben
(§. 286.). Es
koͤnnen aber die Gluͤckscontracte auch
wohlthaͤtige Contracte ſeyn
(§. 466.).


§. 669.

Vom
Looſe.

Das Loos(ſors) nennt man eine jede
Sache,
[453]Von den Gluͤckscontracten.
Sache, auf deren nicht vorhergeſehene Be-
ſtimmung die Erlangung einer koͤrperlichen,
oder unkoͤrperlichen Sache beruhet; oder es
iſt ein Zeichen deſſen, was wir haben ſollen,
welches durch das Gluͤck beſtimmt wird. Da-
her erhellet, daß man nicht durchs Loos
entſcheiden ſoll, was durch Ueberle-
gung geſchehen kann;
ſondern das, was
dadurch nicht ausgemacht werden
kann.
Es iſt aber das Loos entweder ein
Wahlloos(ſors electrix), wodurch be-
ſtimmt wird, was aus zweyen Sachen er-
waͤhlt werden ſoll; oder ein Zutheilungs-
loos
(ſors attributrix), wodurch einem eine
gewiſſe Sache zugeeignet wird; oder ein Thei-
lungsloos
(ſors diviſoria), wodurch be-
ſtimmt wird, welchen Theil von einer getheil-
ten Sache einer haben ſoll. Hiezu ſetzet man
das Wahrſagungsloos(ſors divinato-
ria),
wodurch einer das, was kuͤnftig iſt, be-
ſtimmen will. Denn die Wahrſagung iſt
die Vorherſagung kuͤnftiger Dinge. Da es
gewiß iſt, daß die Begebenheiten in dieſer
Welt durch eine Folge von Urſachen beſtimmt
ſind; folglich auch beſtimmt iſt, wie das
Loos fallen muß; ſo kann das Vorherwiſ-
ſen des Kuͤnftigen nicht durch das Loos
ausgemacht werden;
folglich kommt
das Wahrſagungsloos aus dem Aber-
glauben, und widerſpricht
alſo dem Ge-
ſetze der Natur
(§. 182.).


F f 3§. 670.
[454]II.Theil 13. Hauptſtuͤck.
§. 670.

Vom
Contract
des
Wahl-
looſes.

Der Contract des Wahlloſes(con-
tractus ſortis electricis)
iſt, wodurch unter
zweyen, oder mehreren ausgemacht wird, was
vor eine Sache aus vielen einer haben ſoll,
oder ob er nichts haben ſoll. Das Loos
ſtellt
alſo die Perſon desjenigen vor, wel-
cher waͤhlet.
Und da aus dem Contract
eine Verbindlichkeit entſteht (§. 514.); ſo
muß man das behalten, was das Loos
anzeiget;
folglich erhaͤlt man das, was
das Loos anzeigt; und wenn es nichts
anzeigt, ſo erhaͤlt man
auch nichts.


§. 671.

Vom
Contract
des Thei-
lungs-
looſes.

Der Contract des Theilungslooſes
(contractus ſortis diviſoriæ) iſt derjenige,
durch welchen die Austheilung derer Theile
geſchiehet, welche von gemeinſchaftlichen Sa-
chen gemacht worden, da naͤmlich durch das
Loos beſtimmt wird, welchen Theil ein jeder
haben ſoll. Das Theilungsloos giebt
alſo einem jeden das Eigenthum auf
einen Theil der getheilten Sachen;
und
ſobald als das Urtheil des Looſes of-
fenbahret wird, ſo hat einer das Ei-
genthum auf den Theil, welchen es
zeigt, erlangt.
Man verſteht aber leicht,
daß wenn zwey oder mehrere bey Din-
gen, die nicht getheilt ſind, zu unglei-
chen Antheilen ein Eigenthum haben;
ſo muͤſſen ſo viele gleiche Theile ge-
macht werden, als die Summe der

Zahlen
[455]Von den Gluͤckscontracten.
Zahlen des Verhaͤltnißes Einheiten
enthaͤlt, und einem jeden muͤſſen durchs
Loos ſo viel Theile angewieſen wer-
den, als die Zahl des Verhaͤltniſſes
fuͤr ſeinen Antheil Einheiten hat,
z. E.
wenn die Zahlen des Verhaͤltniſſes ſind, wie
2 zu 3, ſo muß die Theilung in 5. Theile ge-
ſchehen, und einer erhaͤlt durch das Loos zwey
Theile, der andere drey.


§. 672.

Der Contract des ZutheilungslooſesVom
Contract
des Zu-
thei-
lungs-
looſes.

(contractus ſortis attributricis) iſt, in wel-
chem verabredet wird, daß die Sache, zu
welcher zwey, oder mehrere ein gleiches Recht
haben, dem zugehoͤren ſoll, welchen das Loos
anzeiget. Da man die Vertraͤge halten muß
(§. 438.); ſo muß man in dem Con-
tracte des Zutheilungslooſes ſchlech-
terdinges dabey verbleiben, was ver-
abredet worden, und es halten:
Denn
es iſt zur Gnuͤge klar, daß die contrahirende
Theile einem jeden Contracte (§. 314.), und
alſo auch den gegenwaͤrtigen ein Geſetze ge-
ben koͤnnen, wie ſie wollen.


§. 673.

Die Lotterie iſt ein Contract, da Sa-Von der
Lotterie.

chen um ein gewiſſes zuſammengeſchoſſenes
Geld gekauft werden; oder eine gewiſſe
Summe Geld zuſammen geſchoſſen wird, mit
der Bedingung, daß durchs Loos beſtimmt
werden ſoll, ob einer etwas und was er ha-
ben, oder ob er deſſen, was er eingeſetzt, ver-
F f 4luſtig
[456]II.Theil 13. Hauptſtuͤck.
luſtig ſeyn ſoll. Da die Lotterie ein Gluͤcks-
contract iſt; ſo iſt dieſelbe in ſo weit er-
laubt, als Gluͤckscontracte erlaubet
ſind.
Weil uns aber das Geſetze der Na-
tur ein Recht dazu giebt, ohne welches wir
den Pflichten gegen GOtt und gegen andere
kein Genuͤge leiſten koͤnnen (§. 46.); ſo iſt
die Lotterie in dem Falle nach dem in-
neren Rechte erlaubet, wenn der Con-
tract zu dem Ende gemacht wird, da-
mit wir einer Pflicht gegen GOtt,
oder gegen andere ein Genuͤge leiſten
koͤnnen,
wenn naͤmlich aus dem eingeſetzten
Gelde eine Lotterie gemacht wird, und als-
dann gehoͤret ein Theil des Gewinns
zu Erreichung des Zwecks, in welchen
die Contrahirenden einwilligen;
weil
durch beyderſeitige Einwilligung die Contracte
errichtet werden (§. 668.). Wenn aber ei-
ne Lotterie zu dem Ende errichtet
wird, daß eine gekaufte Sache durchs
Loos einem zugeeignet werden ſoll;
ſo darf kein groͤſſerer Preiß fuͤr die Sa-
che gefordert werden, als was andere
Kaͤufer zu geben pflegen, jedoch daß
man auch auf die Unkoſten ſiehet, wel-
che der Verkaͤufer dieſeſwegen an-
wenden muß;
weil kein Grund vorhan-
den, warum die Sache hoͤhe verkauft wer-
den ſollte.


Vom
Gluͤcks-topfe.

§. 674.

Von der Lotterie iſt der Gluͤckstopf we-
nig
[457]Von den Gluͤckscontracten.
nig unterſchieden, da naͤmlich in einem Topf,
oder in einem Gefaͤſſe eine gewiſſe Anzahl
theils beſchriebene, theils leere Zettel gethan
wird, und man fuͤr einen gewiſſen Preiß das
Recht erkauft, einen Zettel unter der Bedin-
gung herauszunehmen, daß man die Sache
bekommt, welche darauf geſchrieben ſtehet.
Dieſer Contract wird mit einem jeden
in einem eintzelen Falle gleich zur Rich-
tigkeit gebracht, ſobald der Preiß fuͤr
das Recht einen Zettel herauszuneh-
men gezahlt worden.
Und weil alle Kaͤu-
fer der Zettel zuſammen alle Sachen, die dem
Looſe ausgeſetzt ſind, kaufen; ſo muß der
Preiß aller Zettel zuſammen genom-
men durch den Preiß aller Sachen, die
zum verlooſen ausgeſetzt ſind, durch
die Beqvemlichkeit alles auf einmahl
zu verkaufen, durch die Unkoſten, wel-
che auf den Verkauf gewandt werden
muͤſſen, durch die Gefahr, wenn die
koſtbahrſten Sachen zuerſt zugleich
herausgezogen wuͤrden, und die meh-
reſten leeren Zettel zuruͤcke blieben, ſo
daß niemand mehr contrahiren wollte,
beſtimmt werden.
Weil aber niemand
durch eine Sache, die einem andern zugehoͤrt,
reicher werden ſoll (§. 271.); ſo iſt der
Gluͤckstopf und die Lotterie uner-
laubt, ſo bloß mit dem Vorſatze etwas
zu gewinnen veranſtaltet wird.


F f 5§. 675.
[458]II.Theil 13. Hauptſtuͤck.
§. 675.

Von dem
Preiße,
der de-
nen, wel-
che ſtrei-
ten, aus-
geſetzt
worden.

Mit den Gluͤckscontracten iſt derjenige ver-
wandt, durch welchen ein Preiß mit der Be-
dingung ausgeſetzt wird, daß einige um den-
ſelben auf gewiſſe Weiſe mit einander ſtreiten,
und der den Preiß haben ſoll, welcher uͤber-
winden wird. Wer einen Preiß ausſetzt,
der contrahiret mit einem jeden unter
dieſer Bedingung, wenn ſie ſich in den
Streit einlaſſen und uͤberwinden wer-
den;
folglich iſt er verbunden dem Sie-
ger den Preiß zu geben: Wer
aber mit
ihm contrahiret, der iſt nicht verbun-
den ſich in den Streit einzulaſſen, ſon-
dern erhaͤlt nur das Recht ſich einzu-
laſſen
(§. 318.). Und weil zwey Ueberwin-
der eine Perſon vorſtellen; ſo iſt der Preiß,
weil er nur einmahl verſprochen worden, ih-
nen gemein.
Man ſagt aber, der uͤber-
winde,
welcher die Bedingung, unter wel-
cher der Preiß verſprochen worden, erfuͤllt.


§. 676.

Vom
Wetten.

Das Wetten(ſponſio) iſt ein Gluͤckscon-
tract, in welchem uͤber einem ungewiſſen Zu-
falle verabredet wird, daß demjenigen, wel-
cher die Wuͤrcklichkeit bejahet, von dem andern,
der ſie leugnet, etwas gewiſſes gegeben werden
ſoll, oder dem, welcher die Wahrheit geſagt.
Daher erhellet, daß die Wette nicht gilt,
wenn der andere gantz gewiß weiß, was
geſchehen iſt;
ja daß es nicht erlaubt
ſey, vorſaͤtzlich zu verſchweigen oder zu

verhee-
[459]Von den Gluͤckscontracten.
verheelen, daß man es weiß (§. 286.).
Weil ein jeder mit ſeinem Recht anfangen kann,
was er will (§. 195.), und einem jeden auch
der Mißbrauch deſſelben zu erlauben iſt, ſo
lange er nichts thut, was dem Recht des an-
dern zuwider iſt (§. 202.); ſo beſtehen die
Wetten nach dem aͤuſſeren Rechte.

Weil aber niemand durch eine einem andern
zugehoͤrige Sache reicher werden ſoll (§. 271.);
ſo ſind die Wetten, indem ſie nicht an-
ders als um des Gewinns willen geſchehen,
folglich ſich durch eine Sache oder das Geld
eines andern zu bereichern, nach dem in-
nern Rechte,
das naͤmlich im Gewiſſen gilt,
unerlaubt.


§. 677.

Was im Ernſt geſchiehet(ſerium),Von dem
Schertze
und dem
Spielen.

nennt man das, welches zu ſagen, oder zu
thun wir hinlaͤnglichen Grund haben. Wor-
te, die nicht im Ernſt geſprochen ſind, und
Thaten, die denſelben gleichguͤltig ſind, durch
welche naͤmlich eben das, was mit den Wor-
ten angedeutet wird, angezeigt wird, heiſſen
Schertz(jocus); die uͤbrigen Thaten aber,
die nicht im Ernſt geſchehen, Spiel(ludus).
Der Schertz und das Spiel geſchehen
alſo nur vor die lange Weile, oder die
Zeit zu vertreiben.
Da man nichts un-
bedachtſam reden, oder thun ſoll (§. 360.); ſo
iſt der unbedachtſame Schertz und das
unbedachtſame Spiel unerlaubt: was

aber andere zu unterrichten oder zu
ver-
[460]II.Theil 13. Hauptſtuͤck.
verbeſſern geſchiehet, iſt erlaubt (§.
134.). Und weil niemand den andern belei-
digen ſoll (§. 154.); ſo ſind Schertze, wo-
durch andere beleidiget werden, uner-
laubt.
Weil eine vergaͤngliche Luſt, wenn
ſie unſchaͤdlich iſt, erlaubt iſt (§. 120.); ſo
iſts
auch erlaubt bloß zur Luſt zu ſcher-
tzen, wenn nur dabey nichts befindlich,
was einer Pflicht zuwider;
ja es iſt
auch erlaubt bloß zur Luſt zu ſpielen.

Endlich da uns das Geſetze der Natur ver-
bindet unanſtaͤndige Handlungen zu unterlaſ-
ſen (§. 55.); ſo muß man auch unan-
ſtaͤndige Schertze und Spiele meiden.


§. 678.

Vom
Spiel-
contract.

Einen Spielcontract(contractus luſo-
rius)
nennet man, darin diejenigen, welche
mit einander ſpielen, mit einander eines wer-
den, daß ein gewiſſer Gewinn, den man
durch gemeinſchaftliche Einwilligung beſtimmt,
deſſen ſeyn ſoll, auf deſſen Seite ſich eine ge-
wiſſe Bedingung befinden wird, oder daß
auch ein Schaden einem zum Gewinn gerech-
net werden ſoll, auf deſſen Seite ſich eine an-
dere Bedingung befinden wird. Den Haupt-
gewinn
(lucrum primarium) nennt man
denjenigen, welcher dem gehoͤrt, bey dem
nach geendigtem Spiele eine gewiſſe Bedin-
gung ſich befindet; den Nebengewinn(lu-
crum ſecundarium)
aber den, welchen der
erhaͤlt, bey dem unter dem Spiele eine ge-
wiſſe Bedingung ſich befindet. Der ordent-
liche
[461]Von den Gluͤckscontracten.
liche Schade(damnum ordinarium) aber
iſt der, welchen der leidet, ſo das verlieret,
was er zum Hauptgewinn beygetragen hat.
Hingegen ein auſſerordentlicher Schade
(damnum extraordinarium) iſt, welchen ei-
ner unter dem Spiele, wenn bey ihm eine
gewiſſe Bedingung ſich befindet, leidet. Man
ſiehet leicht, daß vom Spielcontract eben
das gilt, was von der Wette erwie-
ſen worden.
Wenn uͤbrigens in dem
Spielcontracte die Gleichheit beob-
achtet werden ſoll; ſo muß die Gefahr
zu verlieren und die Hoffnung zu ge-
winnen auf beyden Seiten der Con-
trahenten gleich ſeyn
(§. 668.). Und
wenn die Spiele unerlaubt ſind; ſo
ſind
auch die Spielcontracte unerlaubt:
Ob man gleich voraus ſetzet, daß in dem Ge-
winn, oder wenn es einem beſſer gefaͤllt, in
dem Preiße, woruͤber man ſtreitet, nichts
fehlerhaftes befindlich ſey.


§. 679.

Die Aſſecuration oder der ContractVon der
Aſſecu-
ration.

die Gefahr abzuwenden(aſſecuratio,
contractus avertendi periculi)
nennt man
den Contract, in welchem einer die Gefahr
in Anſehung der Waaren, die zu Waſſer ge-
ſchickt werden, oder uͤberhaupt genommen
die Schadloshaltung bey Faͤllen, die vom
Gluͤck abhangen, fuͤr einen gewiſſen Lohn oder
Gewinn uͤbernimmt. Wer die Gefahr uͤber-
nimmt, heißt der Aſſecurante(aſſecura-
tor).
[462]II.Theil 13. Hauptſtuͤck.
tor).Der Aſſecurante verbindet ſich
demnach zur Schadloshaltung, wenn
ſich ein Zufall ereignen ſolte, der Ei-
genthuͤmer aber ſchlechterdinges etwas
gewiſſes dafuͤr zu geben, daß er die
Gefahr uͤber ſich nimmt;
oder, welches
einerley iſt, der Aſſecurante verſpricht
die Abwendung der Gefahr, der Ei-
genthuͤmer aber fuͤr die Abwendung
der Gefahr einen Lohn.
Daher folgt,
daß der Aſſecurante den Eigenthuͤmer
ſchadlos halten muß, der Eigenthuͤ-
mer
aber ihm den Lohn zahlen, der Zu-
fall mag ſich zutragen, oder nicht.
Da
der Lohn fuͤr Abwendung der Gefahr gegeben
wird; ſo iſt der Contract null und nich-
tig, wenn der Aſſecurante weiß, daß
die Sache ſchon auſſer aller Gefahr iſt,
oder auch wenn der Eigenthuͤmer
weiß, daß der Schade in der Sache,
welche aſſecurirt werden ſoll, ſchon
geſchehen.
Jn beyden Faͤllen gehet ein
nicht zu duldender Betrug vor. Und weil ei-
ne Gleichheit zwiſchen der Abwendung der Ge-
fahr und dem Lohne dafuͤr zu beobachten iſt (§.
580.); ſo muß der Lohn nach der Groͤſ-
ſe des Schadens, welcher ſich zutragen
kann, und nach der Wahrſcheinlich-
keit der Gefahr beſtimmt werden;

folglich muß die Sache, ehe ſie aſſecu-
rirt wird, geſchaͤtzt werden.
Weil alle
Sachen aſſecurirt werden koͤnnen, welche
durch
[463]Von den Gluͤckscontracten.
durch einen unverſehenen Zufall untergehen,
oder verſchlimmert werden koͤnnen, oder bey
welchen der Eigenthuͤmer das Seinige verlie-
ren kann; ſo erſtreckt ſich der Aſſecurantzcon-
tract, ob er gleich bey Kaufleuten nur in An-
ſehung der Waaren gewoͤhnlich iſt, welche
uͤber die See gefahren werden, dennoch viel
weiter, und kann auch zu andern Contracten
hinzukommen, z E. zum Verwahrungscon-
tracte. Wenn man es alſo verabredet,
daß der Aſſecurante einen gewiſſen Ge-
winn haben ſoll, wenn die Sache un-
beſchaͤdigt an den beſtimmten Ort
kommt, oder ſich kein Ungluͤck ereig-
net: wofern ſie
aber verlohren gehen
ſollte, der Aſſecurante den Werth der
Waaren erſetzen; ſo muß,
damit der Aſ-
ſecurirte nicht beſſer daran ſey, als der Aſſecu-
rante, wenn ſich ein Ungluͤck ereignen ſollte,
als wenn dieſes nicht geſchiehet, der Lohn
fuͤr die zu aſſecurirenden Waaren bey
der Schaͤtzung von dem wahren Wer-
the derſelben abgezogen werden.


§. 680.

Seegeld oder hinuͤber zu fahrendesVom
Trans-
portcon-
tract.

Geld(pecunia nautica, vel trajecticia)
nennt man, das uͤber die See auf Gefahr
des Glaͤubigers gefahren werden ſoll; dem
Seegelde,
oder dem hinuͤber zu fahren-
den aͤhnliches Geld
(pecunia quaſi nau-
tica,
oder quaſi trajecticia) aber, welches
durch andere gefaͤhrliche Oerter auf Gefahr
des
[464]II.Theil 13. Hauptſtuͤck.
des Glaͤubigers gebracht werden ſoll. Die
Zinſen, welche fuͤr das Seegeld gezahlet wer-
den, ſind Seezinſen(fœnus nauticum);
die, welche fuͤr das dem Seegelde aͤhnliche
Geld gezahlt werden, den Seezin-
ſen aͤhnliche Zinſen
(fœnus quaſi nauti-
cum).
Daher nennt man den See-
zinſecontract
(contractum fœnebrem nau-
ticum),
in welchem man wegen der Seezin-
ſen; und den dem Seezinscontract aͤhn-
lichen Contract
(contractum quaſi nauti-
cum),
in welchem man wegen der den See-
zinſen aͤhnlichen Zinſen verabredet. Mit ei-
nem gemeinſchaftlichen Nahmen werden ſie
Transportcontracte(contractus trajecti-
tii)
genannt. Die Seezinſen und dieſen
aͤhnliche Zinſen muͤſſen
alſo ſtaͤrcker ſeyn
als die, welche fuͤr den bloſſen Ge-
brauch des Geldes gezahlt werden,
und zwar um ſo viel, als die Gefahr
gilt, die einer bey der Ueberſendung
uͤbernimmt;
folglich nach der Groͤſſe
der Gefahr werden beyde vermehrt
und vermindert, unendlich fort.
Da
es ſich verſtehet, daß das Geld dem Schuld-
ner nicht eher gezahlt worden, als bis es oh-
ne Schaden an dem beſtimmten Ort ankom-
men; ſo iſt man nichts ſchuldig, wenn
das Geld verungluͤckt (§. 243.): wenn
es
aber wohl ankommt, ſo iſt man das
Capital mit den Zinſen ſchuldig
(§.
438.). Weil aber die Gefahr aufhoͤrt, ſo
bald
[465]Von den Gluͤckscontracten.
bald das Geld an dem beſtimmten Or-
te ankommen; ſo hoͤren
auch die Zinſen
auf,
als welche fuͤr die Gefahr gegeben wer-
den, und die ordentlichen Zinſen lauf-
fen von der Zeit an.
Da es aber einer-
ley iſt, ob das Geld ſelbſt durch gefaͤhrliche
Oerter gefahren, oder in Waaren verwandt
und dieſe durch eben die gefaͤhrlichen Oerter
gefahren werden; ſo iſt man, wenn vor
das geborgte Geld Waaren gekauft,
und dieſe auf Gefahr des Glaͤubigers
uͤber die See, oder durch andere gefaͤhr-
liche Oerter gefahren werden, See-
zinſen, oder dieſen aͤhnliche zu geben
ſchuldig.


§. 681.

Die Bodmerey(bodmeria) nennt man denVon der
Bodme-
rey.

Contract, durch welchen baares Geld mit der
Bedingung auf das Schiff geborget wird, daß
das Capital dem Glaͤubiger verlohren gehet,
wenn das Schiff untergehet, oder an den beſtim-
ten Ort nicht kommt, der Glaͤubiger aber einen
verabredeten Gewinn bekommt, wenn es unbe-
ſchaͤdiget in den Hafen einlauft. Es erhellet
aber, daß der Schiffer, da er das Schiff
zu fuͤhren verbunden iſt, eine Bodmerey
machen kann, wenn er auf der Reiſe
Geld noͤthig hat, ſo daß er ohne daſ-
ſelbe das Schiff nicht fuͤhren kann.

Da aber dieſer Contract dem Schiffer nicht
erlaubt iſt als nur in dem aͤuſſerſten Noth-
fall; ſo iſt die Bodmerey nicht er-
Nat. u. Voͤlckerrecht. G glaubt,
[466]II.Theil 13. Hauptſtuͤck.
laubt, wenn er eigene Waaren im
Schiffe hat, die er verkaufen kann.

Jn der That wenn niemand iſt, der ei-
ne Bodmerey contrahiren will, und
der Schiffer keine eigene Waaren hat,
die er verkaufen kann; ſo kann er,
wo-
fern ihn die Noth dringt, auch Waaren,
die andern zugehoͤren, verkaufen.


§. 682.

Von den
jaͤhrli-
chen Ein-
kuͤnften
und Leib-
renten.

Jaͤhrliche Einkuͤnfte(reditus annui)
nennt man das Recht von einem andern jaͤhr-
lich eine gewiſſe Penſion zu fordern, entweder
wegen einer Sache, die dem andern zugehoͤrt,
oder einer perſoͤnlichen Obligation. Die jaͤhr-
lichen Einkuͤnfte, die auf Lebenszeit des Kaͤu-
fers, oder Verkaͤufers, oder einer gewiſſen
dritten Perſon verabredet worden, werden
Leibrenten(reditus vitalitii) genannt.
Da man auch unkoͤrperliche Sachen kaufen
kann (§. 588.); ſo koͤnnen auch jaͤhrliche
Einkuͤnfte und Leibrenten gekauft
und verkauft werden;
folglich wenn
jaͤhrliche Leibrenten gekauft werden,
ſo kann man das Capital, das der Ver-
kaͤufer bekommen, nach dem Tode
der Perſon, auf deren Leben ſie ge-
hen, nicht wiederfordern;
gleichwie
dem Verkaͤufer nichts wiedergegeben
wird, wenn die Penſion, welche einer
bis an ſein Ende erhalten hat, das Ca-
pital, welches fuͤr dieſelbe gezahlt wor-
den, uͤbertrift.
Man nennt aber einen
Leib-
[467]Von den Gluͤckscontracten.
Leibrentencontract(contractum vitali-
tium),
da man ſich fuͤr das Capital, welches
man einem andern giebt, Leibrenten aus-
macht, oder Leibrenten gekauft und verkauft
werden. Die Leibrenten muͤſſen aber
aus dem beſtimmt werden, was der
Gebrauch des Geldes gilt, den wir ent-
behren muͤſſen, und aus der Wahr-
ſcheinlichkeit der Lebenslaͤnge, welche
man erreichen kann.
Da es einerley iſt,
ob man Geld giebt, oder Sachen, die Geldes
werth ſind; ſo koͤnnen die Leibrenten
auch in Fruͤchten, oder andern Sachen
beſtehen; und wenn es Fruͤchte ſind,
muͤſſen ſie nach dem Maaſſe, oder in
einem gewiſſen Antheile derer, welche
alle Jahre werden, beſtimmt werden,

maſſen was gezahlt werden ſoll, gewiß ſeyn
muß. Daher werden Leibrenten in
Leibrenten an Fruͤchten und in Leib-
renten an Gelde
(reditus vitalitii fructua-
rii \& pecuniarii)
eingetheilt.


§. 683.

Wenn in einem Bergwercke, als in einemVom
Berg-
wercks-
contra-
cte.

Gantzen, das mehreren gemeinſchaftlich iſt, ſo
viel gleiche Theile, als es immer ſeyn moͤgen,
geſetzt werden, ſo wird ein jeder von dieſen
unabgetheilten Theilen ein Kux(pars me-
tallica, kukus)
genannt. Derowegen hat
der, welcher einen Kux hat, einen An-
theil vom Eigenthum in der Grube;

folglich in den Metallen, die darinnen
G g 2befind-
[468]II.Theil 13. Hauptſtuͤck.
befindlich, aber auf gemeinſchaftliche
Koſten herausgebracht und zubereitet
werden.
Derowegen da man das Geld,
welches von den Eigenthuͤmern der Kuxe das
Bergwerck zu bauen angewandt wird, die
Zubuſſe
(ſymbola metallica); das aber,
was am Werthe der Metalle uͤber die Un-
koſten herauskommt, die Ausbeute(redi-
tus metallici)
nennet; ſo muß ſo lange
Zubuſſe gegeben werden, als der Werth
der Metalle noch geringer als die Un-
koſten iſt, oder man kein Metall be-
kommt: Wenn
aber der Werth der Me-
talle die Unkoſten uͤbertrift; ſo muß
nach dem Verhaͤltniſſe der Kuxe aus-
getheilt werden.
Da die Kuxe Theile
der Grube ſind, welche eine unbewegliche
Sache iſt; ſo ſind dieſelben auch zu den un-
beweglichen Sachen zu rechnen.
Weil
aber die Metalle zu dem Weſen der Berg-
wercke gehoͤren; ſo iſt die Ausbeute kei-
ne Frucht der Kuxe (§. 198.). Der
Bergwerckscontract
(contractus metal-
licus)
iſt ein Contract, durch welchen man
verabredet, daß man einen Theil des Eigen-
thums an der Grube hat, und wir im Ge-
gentheil verbunden ſeyn ſollen das Bergwerck
auf unſere Koſten zu bauen. Deswegen kann
der Eigenthuͤmer einen Kux nach ſei-
nem Gefallen veraͤuſſern
(§. 257.). Da
aber niemand eine Sache anders geben kann,
als er ſie ſelbſt hat; ſo williget der, wel-
cher
[469]Von den Gluͤckscontracten.
cher den Kux kauft, oder durch einen
andern Titel erhaͤlt, ſtillſchweigend in
den Bergwerckscontract.
Und weil ein
Eigenthuͤmer eine ihm zugehoͤrige Sache ver-
laſſen kann (§. 203.); ſo kann der Eigen-
thumsherr einen Zubuſſekux verlaſſen,
wenn er uͤberdruͤßig iſt weiter Zubuſſe
zu geben.
Wenn jemand in eine Berg-
wercksgeſellſchaft getreteu iſt; ſo ruͤhrt es aus
einem andern Grunde her, daß er ſie nicht
anders als mit Einwilligung der uͤbrigen Glie-
der, oder wenn er einen andern an ſeine Stel-
le verſchaft, welcher die Zubuſſe giebt, ver-
laſſen kann.


§. 684.

Den Hofnungskauf(emtio ſpei) nenntVom
Hoff-
nungs-
kaufe.

man den Contract, in welchem man derge-
ſtalt mit einander eines wird, daß dasjenige,
was durch eine gewiſſe Handlung, wovon der
Ausgang zweifelhaft iſt, erhalten wird, un-
ſer ſeyn, und wir fuͤr das Ungewiſſe einen ge-
wiſſen Preiß zahlen; oder kuͤrtzer zu reden, es
iſt der Kauf einer zu erhaltenden ungewiſſen
Sache. Wenn alſo durch die Hand-
lung, woruͤber contrahiret worden,
nichts erhalten wird; ſo bekommt der
Kaͤufer nichts, und iſt doch verbunden
den Preiß zu zahlen: Und im Gegen-
theil iſt er nicht verbunden mehr zu
zahlen, wenn gleich, was erhalten
wird, viel mehr werth iſt.
Es erhel-
let aber, daß, wenn man die Hoffnung kauft,
G g 3der
[470]II.Th. 13. H. Von den Gluͤckscontracten.
der Preiß nach der Wahrſcheinlichkeit
der Hoffnung deſſen, was erhalten
werden kann, beſtimmt werden muß.

Weil aber nichts als die Hoffnung gekauft
wird, dergleichen zu bekommen, als durch
die Handlung, uͤber welche man contrahiret,
erhalten zu werden pflegt; ſo iſt, wenn
durch einen auſſerordentlichen Zufall
etwas erhalten wird, was ſonſt durch
dergleichen Handlung nicht pflegt er-
halten zu werden, der Hofnungskauf
nicht guͤltig;
folglich darf auch der
Preiß, welcher verabredet worden,
nicht gezahlt werden.


§. 685.

Von dem
Ausge-
worfe-
nen.

Das Ausgeworfene(miſſilia) nennt
man die Sachen, welche mit dem Vorſatze
unter das Volck geworfen werden, daß ſie
demjenigen zugehoͤren ſollen, der ſie ergreifen
wird. Durch das Auswerfen wird das
Eigenthum der ausgeworfenen Sache
auf eine ungewiſſe Perſon gebracht.

Es erhellet leicht, daß, wenn jemand
das Ausgeworfene kauft, ſo einer er-
greifen wird, eher als es ausgeworfen
wird, der Contract ein Hofnungs-
kauf ſey
(§. 684.).


Das
[471]

Das vierzehnte Hauptſtuͤck.


Von den Qvaſicontracten.


§. 686.

Einen Qvaſicontract(quaſi contra-Von den
Quaſi-
contra-
cten.

ctus) nennt man eine erdichtete Ver-
abredung, in welcher die Einwilli-
gung des einen ausdruͤcklich da iſt, die Ein-
willigung des andern aber nur vermuthet
wird. Weil aber die Contracte des Nutzens
wegen gemacht werden; ſo kann man die
Einwilligung im Contrahiren nicht
vermuthen, wenn nicht der augen-
ſcheinliche Nutzen desjenigen erhellet,
deſſen Einwilligung man vermuthet.


§. 687.

Weil man im Qvaſicontracte voraus ſetzt,Von der
Verbind-
lichkeit,
welche
aus dem
Quaſi-
contracte
kommt.

daß beyde Theile in das gewilliget, was der
eine Theil zum Nutzen des andern unter-
nimmt (§. 686.); ſo wird der andere
uns durch einen Qvaſicontract dazu
verbunden, wozu er uns verbunden
geweſen waͤre, wenn er in der That
den Contract gemacht haͤtte: Und wir
werden ihm im Gegentheil eben ſo als
durch einen wahren Contract ver-
bunden.


§. 688.

Weil keine Vermuthung ſtatt findet, woWenn es
erlaubt
iſt einen
Quaſi-

man von der Wahrheit gewiß werden kann,
wie ein jeder zugeben muß; ſo gilt der
G g 4Qvaſi-
[472]II.Theil 14. Hauptſtuͤck.
contract
zu ma-
chen.
Qvaſicontract nicht, wenn man des
andern ausdruͤckliche Meinung erfah-
ren kann;
folglich gilt er nur alsdenn,
wenn das, was man in des andern
Nahmen thut, keinen Aufſchub leidet,
ſo daß man ſeine ausdruͤckliche Ein-
willigung einholen koͤnte, oder wenn
der andere, zu deſſen Nutzen etwas
zu thun iſt, Alters halber, oder wegen
ſchwacher Gemuͤthskraͤfte nicht ein-
willigen kann.


§. 689.

Ob Qva-
ſicontra-
cte nach
dem Na-
turrechte
ſtatt fin-
den.

Weil wir durch die Natur verbunden ſind
zum Nutzen des andern zu thun, was in un-
ſerer Gewalt ſteht (§. 133. 134.), und den
andern dazu durch einen Contract vollkommen
verbindlich machen koͤnnen (§. 667.), die Ein-
willigung des andern aber, welche zu dem Con-
tracte erfordert wird (§. 438.), vermuthet
werden kann (§. 686.); ſo findet ein
Qvaſicontract auch nach dem Rechte
der Natur ſtatt, und die vermuthete
Einwilligung wuͤrckt alsdenn eben
das, was die ausdruͤckliche wuͤrckt.


§. 690.

Von der
Anmaſ-
ſung ei-
nes frem-
den Ge-
ſchaͤfts.

Die Anmaßung eines fremden Ge-
ſchaͤfts
(negotiorum geſtio) iſt ein Qvaſi-
contract, wodurch man ein Geſchaͤfte, ohne
deſſen Einwilligung, deſſen es iſt, freywillig
unternimmt, mit dem Vorſatze, ſich den an-
dern verbindlich zu machen. Die Anmaſ-
ſung eines fremden Geſchaͤfts iſt
alſo
gleichſam
[473]Von den Qvaſicontracten.
gleichſam eine Vollmacht; und der ſich
deſſen anmaſſet, gleichſam ein Bevoll-
maͤchtigter; der Herr des Geſchaͤftes
aber gleichſam derjenige, welcher die
Vollmacht ertheilet
(§. 552.); und da-
her wird die Anmaßung eines fremden
Geſchaͤfts zu einer Vollmacht, wenn
der, deſſen es iſt, entweder ausdruͤck-
lich, oder ſtillſchweigend einwilliget;

folglich iſt der, welcher ſich des Geſchaͤf-
tes eines andern anmaſſet, dem, wel-
chem es gehoͤret, dazu verbunden, wo-
zu ein Bevollmaͤchtigter verbunden iſt;
und der, deſſen das Geſchaͤfte iſt, iſt
ihm im Gegentheil dazu verbunden,
wozu der, der einem andern Vollmacht
zu etwas giebt, dem verbunden iſt,
den er bevollmaͤchtiget hat
(§. 687.).
Weil aber die Guͤltigkeit eines Quaſicon-
tracts lediglich auf dem augenſcheinlichen Nu-
tzen des Eigenthumsherrn beruhet (§. 686.);
ſo muß der, welcher ſich eines frem-
den Geſchaͤftes anmaßt, daſſelbe mit
allem Fleiße verwalten
(§. 21.); folglich
muß er dem Eigenthumsherrn davor
ſtehen, was haͤtte geſchehen ſollen,
nicht
aber was er gethan hat; denn er
darf nichts thun, als was man vermuthen
kann, daß der Eigenthumsherr wegen ſeines
augenſcheinlichen Nutzens ſelbſt wuͤrde gethan
haben (§. 686.). Daraus folgt, daß
er keinen nuͤtzlichen Aufwand wagen

G g 5darf,
[474]II.Theil 14. Hauptſtuͤck.
darf, wovon zu vermuthen, daß er
dem Eigenthuͤmer zur Laſt fallen wuͤr-
de: Jn zweifelhaften Faͤllen aber muß
er dergleichen gaͤntzlich, wie auch allezeit
das, was bloß der Luſt wegen ange-
wandt wird, unterlaſſen
(§. 279. 280.).
Weil die Anmaſſung eines fremden Geſchaͤfts
die vermuthete Einwilligung erfordert; ſo fol-
get, daß, wenn alſo einer wider des an-
dern Willen ſich ſeines Geſchaͤftes an-
maſſet, dieſer ihm zu nichts vollkom-
men verbunden iſt, ob er es gleich zu
ſeinen Nutzen verwaltet hat;
folglich,
ſo bald derſelbe verbietet, daß er ſich
ſeines Geſchaͤftes nicht laͤnger anmaſ-
ſen ſoll; ſo muß er es gleich unterlaſ-
ſen.
Und weil in der Anmaſſung eines frem-
den Geſchaͤftes theils auf die Nothwendigkeit,
theils auf den Nutzen deſſen, dem es gehoͤret,
zu ſehen iſt, der aber, welcher ſich deſſen an-
maſſet, des andern Perſon vorſtellt; ſo ver-
ſtehet es ſich, daß die Nothwendig-
keit ſich eines fremden Geſchaͤftes an-
zunehmen vorhanden ſey, wenn durch
Unterlaßung deſſelben ein unvermeid-
licher Schaden entſteht,
zu deſſen Ab-
wendung wir dem andern natuͤrlicher Weiſe
verbunden ſind (§. 269.): Den Nutzen aber
des andern muß der, welcher ſich
des Geſchaͤftes anmaſſet, nicht nach
Eigenduͤncken erachten, ſondern aus der
Beſchaffenheit der Sache, der Zeit und

der
[475]Von den Quaſicontracten.
der Perſon deſſen, dem das Geſchaͤfte
gehoͤret.


§. 691.

Es giebt auch einen Qvaſikauf(quaſiVom
Qvaſi-
kauf und
Qvaſi-
borgen.

emtionem), wenn naͤmlich jemand wegen
vermutheter Einwilligung des Eigenthums-
herrn will, daß er die Sache gekauft habe,
z. E. wenn uns jemand eine Sache, die durch
den Gebrauch verzehret wird, in Verwah-
rung gegeben hat, weil ſie aber in ſeiner Ab-
weſenheit ihm nicht wiedergegeben werden
kann, hingegen wenn ſie laͤnger ſollte aufbe-
halten werden, verderben wuͤrde, wir dieſel-
be mit dem Vorſatze, den Werth davor zu
entrichten, verzehren. Ein Qvaſiborgen
(quaſi mutuum) iſt, wenn einer aus vermu-
theter Einwilligung des Eigenthumsherrn ei-
ne Sache mit dem Vorſatze verzehrt, eine an-
dere von eben der Art wieder zu geben, z. E.
in dem vorhergehenden Falle die in Verwah-
rung gegebene Sache, die durch den Ge-
brauch verzehret wird. Gleichergeſtalt iſt ein
Qvaſivermiethen und Miethen(quaſi
locatio conductio),
oder es gleichet einem
Vermiethen und Miethen, wenn wir aus
Vermuthung der Einwilligung des Ei-
genthumsherrn eine ihm zugehoͤrige Sache
mit dem Vorſatze gebrauchen, ihm den Lohn
zu zahlen, den ihm ſonſt ein Miethsmann
wuͤrde gegeben haben; oder ihm eine Arbeit
fuͤr den Lohn zu leiſten, welchen er davor ei-
nem andern, dem er dieſe Arbeit verdungen
haͤtte,
[476]II.Theil 14. Hauptſtuͤck.
haͤtte, wuͤrde haben geben muͤſſen, z. E. wenn
man ein Haus vermiethen ſoll, und es ſelbſt
mit dem Vorſatze bewohnet, eben die Miethe,
die ein anderer geben wuͤrde, zu bezahlen.


§. 692.

Von der
zufaͤlli-
gen Ge-
mein-
ſchaft.

Eine zufaͤllige Gemeinſchaft(com-
munio incidens)
nennt man, in welche
man durch eine gewiſſe Begebenheit kommt,
das iſt, ohne einige vorhergehende Verabre-
dung, daß die Sache gemeinſchaftlich ſeyn ſoll.
Z. E. wenn ein Haus oder ein Gut uns und
einem andern zuſammen geſchenckt wird. Da
diejenigen, welche in eine Gemeinſchaft
zufaͤlliger Weiſe kommen,
das Eigen-
thum in einer ungetheilten Sache zum Theil
erhalten (§. 196.); und daher von ihnen nicht
anders vermuthet werden kann, als daß ſie
darein willigen, daß Schaden und Gewinn
gemeinſchaftlich ſeyn ſoll, ehe ſie entweder
in die Theilung, oder gemeinſchaftliche Ver-
waltung ausdruͤcklich einwilligen; ſo con-
trahiren ſie eine Qvaſigeſellſchaft
(§.
639.); daher werden die perſoͤnlichen Verbind-
lichkeiten, welche aus dem Contract der Geſell-
ſchaft entſpringen, auch in einer zufaͤlligen Ge-
meinſchaft nicht bloß angeſehen, als der Bil-
ligkeit gemaͤß, ſondern als vollkommene Ver-
bindlichkeiten.


§. 693.

Von der
Bezah-
lung deſ-
ſen, was

Das Nichtſchuldige(indebitum) nennt
man, zu deſſen Leiſtung wir dem andern nicht
verbunden ſind; deswegen iſt die Bezahlung
des
[477]Von den Qvaſicontracten.
des Nichtſchuldigen(indebiti ſolutio)einer
nicht
ſchuldig
iſt.

die Leiſtug des Nichtſchuldigen, als ob man es
ſchuldig waͤre; und die Annehmung des
Nichtſchuldigen
(acceptio indebiti) iſt
wenn man als eine Schuld annimmt, was man
uns nicht ſchuldig iſt. Da ſich niemand mit ei-
nes andern Sache bereichern ſoll (§. 271.);
ſo muß der, welcher aus Jrrthum dem
andern etwas zahlt, was er ihm nicht
ſchuldig iſt, von ihm das wieder be-
kommen, oder, wenn er es ihm nicht
wiedergeben kann, ſo muß ihm der
Werth verguͤtet werden.
Und weil
Niemand den Vorſatz haben ſoll, den andern
zu betruͤgen (§. 286.); ſo darf man nicht
anders vermuthen, als daß der, wel-
cher das Nichtſchuldige empfangen
hat, darein gewilliget.
Daher folgt,
daß die Bezahlung des Nichtſchul-
digen ein Qvaſicontract ſey,
wodurch
derjenige, der etwas annimmt, was man
ihm nicht ſchuldig iſt, verbunden wird es
wieder zu geben, oder wenn es nicht
mehr geſchehen kann, den Werth davon zu
entrichten (§. 686.). Da derjenige, wel-
cher das Nichtſchuldige bezahlt,
es
giebt, als wenn er es ſchuldig waͤre; ſo
bringt er auf den andern das Eigen-
thum der Sache
(§. 258.); folglich kann
derſelbe ſie veraͤuſſern (§. 257.), und der
ſie ihm gegeben hat, kann ſie ſich nicht
wieder zueignen (§. 262.). Wer da weiß,

daß
[478]II.Theil 14. Hauptſtuͤck.
daß der andere was er zahlt, ihm nicht
ſchuldig iſt; ſo ſoll er auch,
weil er ſich
durch eines andern Sache nicht bereichern
darf (§. 271.), es nicht annehmen, und
er kann es auch nicht ohne den Vorſatz
den andern zu betruͤgen annehmen (§.
286.), ja wenn ers wiſſentlich annimmt,
ſo wird er einem ungewiſſenhaften
Beſitzer gleich geachtet
(§. 201.).


§. 694.

Vom
Geben
um einer
Urſache
willen.

Man ſagt, daß etwas um einer Urſache
willen gegeben werde
(ob cauſam dari),
wenn etwas zu dem Ende gegeben wird, daß
der andere, welcher es bekommt, davor wie-
der etwas geben oder thun muß; folglich ver-
bindet ſich der, welchem um einer Ur-
ſache willen etwas gegeben wird, in-
dem er es annimmt, das zu geben oder
zu thun, warum es gegeben wird
(§.
317.). Man ſagt aber, die Urſache erfol-
ge nicht
(cauſa non ſequi dicitur), wenn
der andere nicht leiſtet, was er leiſten ſollte,
oder zu deſſen Leiſtung er ſich entweder aus-
druͤcklich, oder ſtillſchweigend verbunden hatte
(§. 27.). Weil der, welcher um einer
gewiſſen Urſache willen etwas giebet, es nicht
umſonſt geben will, noch der, der es empfaͤngt,
umſonſt bekommt; ſo muß, was um einer
gewiſſen Urſache willen gegeben wor-
den, wieder gegeben werden, wenn die
Urſache nicht erfolget: Und wenn ſie
noch erfolgen kann;
ſo kann der, wel-
cher
[479]Von den Qvaſicontracten.
cher etwas gegeben, den andern ent-
weder anhalten ſein Verſprechen zu er-
fuͤllen, oder was er bekommen hat,
wieder zu geben.
Weil die Verbindlich-
keit entweder aus einer ausdruͤcklichen, oder
ſtillſchweigenden Einwilligung entſpringt; ſo
iſt das Geben um einer Urſache willen,
kein Qvaſicontract
(§. 686.). Aber die
Vorherbezahlung(prænumeratio)der
Miethe, oder
uͤberhaupt die Vorherbe-
zahlung des Geldes fuͤr das, was ins-
kuͤnftige gegeben oder gethan werden
ſoll, iſt ein Geben um einer gewiſſen
Urſache willen.


§. 695.

Das ohne Urſache Angenommne(ſineVon
demjeni-
gen was
ohne Ur-
ſache,
oder
gleichſam
ohne Ur-
ſache an-
genom-
men
wird.

cauſa acceptum) nennt man, was mit Recht
nicht angenommen werden konnte. Z. E. wenn
etwas, das einer einen nicht ſchuldig iſt, aus
Jrrthum zahlet: das gleichſam ohne Ur-
ſach Angenommene
(quaſi ſine cauſa ac-
ceptum),
aber iſt, was man mit Recht zwar
annehmen, aber nicht behalten konnte. Z. E.
wenn einer einem eine Handſchrift in der
Hoffnung giebt, das Geld zu bekommen, wel-
ches man borgen will, ſolches aber nachher
nicht geſchiehet. Man ſiehet leicht, daß das
ohne Urſache, oder gleichſam ohne Ur-
ſache Angenommne wieder gegeben
werden muß
(§. 271.). Da man alſo, wenn
jemand unwiſſend etwas ohne Urſache
angenommen hat,
nicht anders vermuthen
darf,
[480]II.Th. 14 H. Von den Qvaſicontracten.
darf, als daß er darein willige, es muͤſſe, was
ohne Urſach angenommen worden, wieder
gegeben werden; ſo wird derſelbe auch
aus einem Qvaſicontract, nach dem
aͤuſſern Rechte, es wiederzugeben ver-
bunden.
Weil aber der, welcher etwas
gleichſam ohne Urſache annimmt, es zwar mit
Recht annehmen konnte, aber nicht behalten
darf; ſo entſpringt die Verbindlichkeit es
wieder zu geben nach dem aͤuſſern
Rechten daraus, was ſtillſchweigend
in einer Handlung enthalten iſt.


§. 696.

Von den
zuſam-
menge-
ſetzten
Contra-
cten und
dem
Pachte
auf die
Helfte
der
Fruͤchte.

Weil man die zuſammengeſetzten, oder ver-
miſchten Contracte aus der Erklaͤrung der
einfachen, die in ihnen zuſammen kommen,
leicht unterſcheidet; ſo ſcheint es nicht noͤthig
zu ſeyn, von denſelben viel beſonders zuſagen.
Dieſes bemercken wir nur, daß der Con-
tract, welchen der Pachter mit den Ei-
genthumsherrn auf die Helfte der
Fruͤchte macht, aus dem Pacht- und
dem Geſellſchaftscontracte vermiſcht
ſey
(§. 620. 639.). Denn weil der Pach-
ter vor einen Theil der Fruͤchte den Acker
pachtet, den man colonum partiarium nen-
net; ſo iſt der Schaden und Gewinn
dem Verpachter und Pachter gemein-
ſchaftlich.


Das
[481]

Das funfzehnte Hauptſtuͤck.


Von dem Rechte, welches einem
in einer fremden Sache eingeraͤumt
worden, oder dem Pfande und
Servituten.


§. 697.

Das Recht des Pfandes(jus pigno-Von dem
Pfande
und der
Hypo-
thecke.

ris) iſt ein Recht, welches man in
ſeiner Sache dem Glaͤubiger eingeraͤu-
met hat, daß naͤmlich, wofern die Schuld
nicht zu beſtimmter Zeit bezahlt wird, er ſich
an derſelben erholen kann. Man ſagt dem-
nach, es werde eine Sache verpfaͤndet
(res oppignorare), darinnen einem ein ſol-
ches Recht eingeraͤumet wird: Die verpfaͤn-
dete Sache aber ſelbſt wird das Pfand(pi-
gnus)
genannt. Es erhellet alſo, daß das
Recht des Pfandes zur Sicherheit des
Darlehns eingeraͤumt wird;
folglich
wenn die verpfaͤndete Sache beweg-
lich iſt, dieſelbe eingehaͤndiget werden
muß.
Und im Deutſchen nennen wir ins-
gemein dieſes eine Sache verſetzen, wenn
Geld darauf geborget wird; in andern Faͤl-
len aber zum Pfande geben. Wenn das
Pfand eine unbewegliche Sache iſt, ſo wird
dieſes Recht mit einem beſondern Nahmen
eine Hypothecke(hypotheca) genannt.
Aus der Erklaͤrung aber ſelbſt folgt, daß der
Glaͤubiger die verpfaͤndete Sache ver-

Nat. u. Voͤlckerrecht. H hkaufen
[482]II.Theil 15. Hauptſtuͤck.
kaufen koͤnne, wofern nicht die Schuld
zu gehoͤriger Zeit abgetragen wird,
und daß er von dem Preiße ſo viel zu-
ruͤcke behalten koͤnne, als dazu hin-
reicht, daß er befriediget wird, das
uͤbrige
aber dem Schuldner wiederge-
geben werden muß
(§. 271.). Und weil
niemand betrogen werden darf (§. 286.); ſo
muß bey dem Verkaufe des Pfandes
aller Betrug vermieden werden;
folg-
lich muß die Sache von erfahrnen und
unpartheyiſchen Perſonen taxiret und
dem Meiſtbietenden zugeſchlagen wer-
den.
Der Theil des Preißes von dem Pfan-
de, welcher das, ſo dem Glaͤubiger zugehoͤrt,
uͤbertrift, wird der Ueberreſt(hyperocha)
genannt; welcher demnach dem Schuld-
ner zugehoͤrt.
Weil aber im Gegentheil
der Schuldner die gantze Schuld zu bezahlen
verbunden iſt; ſo muß er, was fehlt, hin-
zu thun, wofern vor das Pfand nicht
ſo viel geloͤſet wird, als die Schuld be-
traͤgt.


§. 698.

Von dem
Eigen-
thum ei-
ner ver-
pfaͤnde-
ten Sa-
che.

Weil derjenige, welcher eine Sache ver-
pfaͤndet, oder verhypotheciret, dem Glaͤubi-
ger nur das Recht ſie zu verkaufen unter der
Bedingung einraͤumet, wenn er anders die
Schuld nicht erhalten kann (§. 697.); ſo
bleibt die verpfaͤndete oder verhypo-
thecirte Sache ihm eigenthuͤmlich;

folglich kann er ſie veraͤuſſern (§. 257.):
Allein
[483]Von dem Pfande.
Allein weil das Recht dem Glaͤubiger, welches
er darauf hat, nicht wider ſeinen Willen be-
nommen werden kann (§. 100.); ſo hoͤrt
durch die Veraͤuſſerung das Recht des
Pfandes und der Hypothecke nicht auf.

Und eben daraus, daß der Schuldner das
Eigenthum in der verpfaͤndeten Sache behaͤlt,
folgt ferner, daß die Veraͤuſſerung von
dem Glaͤubiger nicht in ſeinem eigenen,
ſondern in des Schuldners Nahmen
geſchiehet,
obgleich wider ſeinen Willen.


§. 699.

Man ſagt, daß das Pfand geloͤſetVon der
Ausloͤ-
ſung des
Pfandes.

oder die Hypothecke bezahlt wird(pi-
gnus vel hypothecam luere),
wenn die
Schuld bezahlt wird, zu deren Sicherheit die
Sache verpfaͤndet, oder verhypotheciret wor-
den. Da alſo nach der geſchehenen Aus-
loͤſung des Pfandes
daſſelbe ohne Urſache
bey dem Glaͤubiger ſeyn wuͤrde; ſo muß es
wiedergegeben werden.
Und da das
Recht der Hypothecke aufhoͤrt, wenn die
Schuld bezahlt iſt; ſo wird nach der Be-
zahlung die Sache von der Hypothecke
befreyet.
Weil der Schuldner das Pfand
auszuloͤſen verbunden iſt (§. 697.); ſo kann
der Glaͤubiger die verpfaͤndete Sache
nicht verkaufen, bis er es dem Schuld-
ner aufgeſagt;
folglich ſo lange er es
nicht thut, bleibt das Recht ſie aus-
zuloͤſen allezeit ungekraͤnckt.


H h 2§. 700.
[484]II.Theil 15. Hauptſtuͤck.
§. 700.

Von der
Verpfaͤn-
dung ei-
ner frem-
den Sa-
che.

Da der, welcher eine Sache verpfaͤndet,
ein bedingtes Recht ſie zu veraͤuſſern unter ei-
ner Bedingung dem andern einraͤumet (§.
697.), das Recht zu veraͤuſſern aber nieman-
den als dem Eigenthumsherrn zukommt (§.
257.); ſo kann auch niemand eine frem-
de Sache verpfaͤnden; wiewohl der
Eigenthumsherr ſeine Sache fuͤr eines
andern Schuld verpfaͤnden kann
(§.
195.). Da aber ein jeder ſein Recht einem
andern uͤberlaſſen kann (§. cit.); ſo kann der
Glaͤubiger eine ihm verpfaͤndete Sa-
che einem andern, ohne Wiſſen ſeines
Schuldners, fuͤr eben ſeine Schuld, je-
doch nicht fuͤr eine groͤſſere Schuld,
verpfaͤnden. Woferne man es
aber
anders verabredet; ſo kann ohne un-
ſer Wiſſen die von uns verpfaͤndete
Sache nicht einem andern verpfaͤndet
werden
(§. 438.).


§. 701.

Wenn ei-
ne Sache
zwey-
mahl
verpfaͤn-
det wor-
den.

Weil das Recht, was einer auf eine ver-
pfaͤndete Sache hat, ihm vom Schuldner
nicht genommen werden kann (§. 100.); ſo
kann eine uns verpfaͤndete Sache ei-
nem andern nicht anders verpfaͤndet
werden, als daß unſer Recht unbe-
ſchaͤdigt bleibet;
folglich wenn beyde
Glaͤubiger davon nicht befriediget
werden koͤnnen, ſo gehet der erſte dem
andern vor.


§. 702.
[485]Von dem Pfande.
§. 702.

Weil einem das Pfand nur zur SicherheitVon dem
Gebꝛauch
des Pfan-
des und
dem da-
bey ver-
urſachten
Scha-
den.

der Schuld uͤbergeben wird (§. 697.); ſo
darf der Glaͤubiger das Pfand nicht
gebrauchen (§. 317.), wenn ihm der
Gebrauch deſſelben nicht von dem,
welchem es gehoͤrt, eingeraͤumt wird;

welches durch einen beſonderen dazu kommen-
den Vertrag geſchieht (§. 195.). Wenn
das Pfand entweder vorſaͤtzlich, oder
aus Verſehen des Glaͤubigers verloh-
ren geht, oder verſchlimmert wird; ſo
muß er den Schaden dem, der es ver-
pfaͤndet hat, erſetzen
(§. 270.): Weil
es aber doch wegen des Schuldners, der es
verpfaͤndet hat, bey dem Glaͤubiger ſich be-
findet; ſo darf dieſer, wenn ein Ungluͤck
geſchiehet, dafuͤr nicht ſtehen. Allein

da dieſer Grund aufhoͤret, wenn der Glaͤu-
biger an dem Verzuge das Pfand wie-
derzugeben ſchuld iſt; ſo muß er fuͤr
den zufaͤlligen Schaden ſtehn, als wel-
cher ſich nicht ereignet haͤtte, wenn es
waͤre wiedergegeben worden
(§. 419.).
Weil aber das Pfand zur Sicherheit der
Schuld verſetzet, die verpfaͤndete Sache aber
nicht fuͤr die Schuld gegeben wird (§. 697.);
ſo bleibt der Schuldner nichts deſto
weniger dem Glaͤubiger verbindlich,
wenn das Pfand durch ein Ungluͤck
verdirbt,
oder ſo verſchlimmert wird,
H h 3daß
[486]II.Theil 15. Hauptſtuͤck.
daß der Glaͤubiger dadurch zu dem
Seinen nicht gelangen kann.


§. 703.

Von den
Unkoſten,
die aufs
Pfand
verwen-
det wor-
den.

Da das Pfand durch ein Verſehn des
Glaͤubigers nicht untergehen, oder verſchlim-
mert werden darf (§. 702.); ſo iſt der
Glaͤubiger ſchuldig die nothwendigen
Unkoſten auf daſſelbe zu verwenden
(§. 297.), welche von dem, der es ver-
pfaͤndet hat, wiedergegeben werden
muͤſſen
(§. 271.).


§. 704.

Vom
Contract
des
Pfandes
und der
Hypo-
thecke.

Der Contract des Pfandes(contra-
ctus pignoris)
wird derjenige genannt, wo-
durch der Schuldner, oder ein anderer an ſei-
ner ſtatt in einer ihm zugehoͤrigen Sache die
Pfandgerechtigkeit, oder Hypothecke einraͤu-
met; und denn wird es ein verabredetes
Pfand
und Hypothecke genannt (pignus
conventionale, hypotheca conventionalis).

Es iſt aber die Hypothecke entweder eine
beſondere, welche auf eine gewiſſe Sache
insbeſondere, z. E. auf ein Haus, ein Gut,
oder eine Bibliothecke, oder in gewiſſen Sa-
chen zuſammen genommen gegeben wird; oder
eine allgemeine Hypothecke(hypotheca
generalis),
da man einem ſein gantzes Vermoͤ-
gen, ſo wohl das gegenwaͤrtige, als das zu-
kuͤnftige, verpfaͤndet; folglich begreift die-
ſelbe ſo wohl die Rechte, als auch die
ausſtehenden Schulden mit in ſich

(§. 207.).


§. 705.
[487]Von dem Pfande.
§. 705.

Weil der Schuldner, was er ſchuldig iſt, zuVon der
natuͤrli-
chen Ver-
pfaͤn-
dung.

leiſten verbunden (§. 336.), folglich wenn
dieſes nicht geſchehen kann, als wenn er et-
was von dem Seinigen verkauft, er auch etwas
zu verkaufen ſchuldig iſt, der Glaͤubiger aber
das Recht hat ihn zur Zahlung der Schuld
anzuhalten (§. cit.), und deswegen auch das
Recht ihn anzuhalten, etwas von dem Sei-
nigen, oder, wenn es noͤthig iſt, alles zu ver-
kaufen; ſo hat von Natur ein jeder ein
Recht zu dem Vermoͤgen des Schuld-
ners, daß, wenn die Schuld nicht zu
gehoͤriger Zeit bezahlt wird, er davon
befriediget wird;
folglich iſt von Na-
tur das Vermoͤgen des Schuldners fuͤr
jede Schuld verpfaͤndet.
Wenn zu die-
ſer natuͤrlichen Verbindlichkeit die durch den
Contract des Pfandes erhaltene dazu kommt,
wodurch entweder einige Sachen beſonders,
oder das gantze Vermoͤgen verpfaͤndet werden
(§. 514.); ſo geht, weil die ſtaͤrckere Ver-
bindlichkeit die ſchwaͤchere uͤberwindet, die
verabredete Verpfaͤndung der natuͤrli-
chen vor.


§. 706.

Da die Sachen des Schuldners ſchon vonWenn
man ein
Pfand
wegen ei-
ner an-
dern
Schuld

Natur fuͤr ſeine Schulden verpfaͤndet ſind (§.
705.); ſo kann das Pfand, wenn es der
Schuldner ausloͤſet, wegen einer an-
dern Schuld innen behalten werden.

Und weil das Pfand zur Sicherheit der
H h 4Schuld
[488]II.Theil 15. Hauptſtuͤck.
zuruͤcke
behaͤlt.
Schuld gegeben wird (§. 697.), und folg-
lich der Werth der verpfaͤndeten Sache die
Schuld ſelbſt weit uͤbertreffen kann; ſo kann
der Glaͤubiger das gantze Pfand, wenn
ein Theil der Schuld, es ſey auf was
fuͤr Weiſe es wolle, getilget wird, fuͤr
den uͤbrigen Theil, er mag ſo kleine ſeyn
wie er will, behalten, und iſt nicht
ſchuldig eins von geringerem Werth
anzunehmen.


§. 707.

Von der
Aufhe-
hung des
Pfandes
und der
Hypo-
thecke.

Das Pfand oder die Hypotheck wird
aufgehoben
(pignus, vel hypotheca ſolvi-
tur),
wenn die verpfaͤndete Sache von ihrer
Verbindlichkeit befreyet wird. Wenn alſo
das Pfand aufgehoben wird; ſo hat der
Glaͤubiger kein Recht mehr darauf.

Da es auf den Willen des Glaͤubigers an-
kommt, ob er dem Schuldner ohne Pfand
oder Hypothecke trauen will; ſo iſt das
Pfand oder die Hypothecke aufgeho-
ben, wenn der Glaͤubiger ſein Recht
darauf erlaͤßt;
jedoch iſt daraus nicht
zu ſchlieſſen, daß er auch die Schuld
erlaſſen wollen.
Es erhellet aber an und
vor ſich ſelbſt, daß das Pfand, oder die
Hypotheck aufgehoben wird, wenn die
verpfaͤndete Sache untergehet,
als auf
welcher das Recht des Glaͤubigers haftet (§.
697.).


§. 708.

Was ei-
ne Ser-

Wenn einem ein Recht in einer fremden
Sache
[489]Von den Servituten.
Sache eingeraͤumet wird, vermoͤge deſſen dervitut und
wie viel-
fach ſie
ſey.

Eigenthumsherr zu des andern Nutzen etwas
leiden, oder unterlaſſen muß, ſo wird dieſes
eine Servitut(ſervitus) genannt; und
denn ſagt man, daß die Sache, in welcher
das Recht eingeraͤumet worden, dem andern
dienſtbahr ſey(ſervire), der den Nutzen
davon hat. Wenn die Sache einer gewiſſen
Perſon dienſtbahr iſt, ſo heißt es eine per-
ſoͤnliche Servitut
(ſervitus perſonalis);
wenn ſie aber der Sache eines andern, oder
dem Beſitzer derſelben, er mag ſeyn wer er
will, dienſtbahr iſt, ſo wird es eine Servitut
der Sache
(ſervitus realis) genannt. Es
iſt dieſe entweder eine bejahende(affirma-
tiva),
vermoͤge welcher der Eigenthumsherr
der dienſtbahren Sache leiden muß, daß der
andere etwas thut; oder eine verneinende
(negativa), vermoͤge welcher der andere nicht
zu leiden ſchuldig iſt, daß er etwas thue.


§. 709.

Es iſt aber zu bemercken, daß ein GutVon den
Guͤtern
und den
Servitu-
ten der
Guͤter.

(prædium) eine jede unbewegliche Sache ge-
nennt wird, welche man wegen einer gewiſ-
ſen Frucht, die ſie uns gewehret, oder wegen
eines Nutzen, der nach Gelde geſchaͤtzt wer-
den kann, und den Fruͤchten gleich iſt, be-
ſitzet. Da der Gebrauch einer Sache an-
ders auf dem Lande beſchaffen iſt (uſus
ruſticus),
welcher zum Ackerbaue, oder zur
Landwirthſchaft, es mag ſeyn auf was vor
Art und Weiſe es wolle, gehoͤret: anders in
H h 5der
[490]II.Theil 15. Hauptſtuͤck.
der Stadt(urbanus), welcher zur Bewoh-
nung, zum Handel und Handthierungen gehoͤrt;
ſo iſt ein Landgut(prædium ruſticum)
dasjenige, welches einen Gebrauch, der auf
dem Lande noͤthig iſt, hat; ein Stadtgut
(prædium urbanum) aber dasjenige, welches
einen Gebrauch hat, der in der Stadt noͤ-
thig iſt. Derowegen da die Landguͤter und
Stadtguͤter bloß durch den Gebrauch, wel-
chen ſie haben, unterſchieden werden, nicht
aber durch den Ort, wo ſie liegen; ſo giebts
nicht weniger Landguͤter in der Stadt,
als Stadtguͤter auf dem Lande.
Da-
her werden die Servituten der Sache auch
Servituten der Guͤter(ſervitutes præ-
diales)
genannt. Und es heißt eine Ser-
vitut der Stadtguͤter
(ſervitus prædio-
rum urbanorum),
wenn ein gewiſſer Ge-
brauch von einem andern Gute zum Nutzen
eines Stadtguts geleiſtet wird: Eine Ser-
vitut eines Landguts
(ſervitus prædio-
rum ruſticorum)
aber, wenn er von einem
andern Gute zum Vortheil eines Landgutes
geleiſtet wird. Daher kann eine und eben
dieſelbe Servitut eine Servitut eines
Stadtguts und eines Landguts ſeyn,

nachdem ſie naͤmlich einem Landgute, oder ei-
nem Stadtgute dienſtbahr iſt. Bey der Ser-
vitut der Guͤter heiſt dasjenige das dienſtbah-
re Gut
(prædium ſerviens), welches einem
andern Dienſte leiſtet; das herrſchende aber
(prædium dominans), welchem das andere
dient.
[491]Von den Servituten.
dient. Der liegende Grund, welcher die
Servitut ſchuldig iſt, heiſt ein dienſtbah-
rer
(fundus ſervus); der aber keine Servi-
tut auf ſich hat, ein freyer Grund(liber).
Den beſten Grund(optimus) pflegt man
zu nennen, welcher von aller Servitut und
Hypothecke befreyet iſt.


§. 710.

Da die Servitut ein Recht iſt, welchesWer
Servitu-
ten aufle-
gen und
erlaugen
kann.

dem andern in einer Sache eingeraͤumt wird
(§. 708.); ſo kann niemand als der Ei-
genthumsherr in ſeiner Sache einem
andern eine Servitut einraͤumen (§.
260.), und es beruhet auf ſeinem le-
diglichen Willen, ob und unter was
vor Bedingungen er ſie einraͤumen
will
(§. 314.); folglich iſt es nicht er-
laubt dieſer Bedingung zuwider etwas
zu unternehmen
(§. 438.). Und weil der,
welcher ein wiederrufliches Eigen-
thum hat,
die Sache eben ſo, wie er ſie be-
kommen, wiedergeben muß (§. 314.), folg-
lich frey, wenn ſie frey geweſen; ſo kan der-
ſelbe ſeinem Gute keine Servitut auf-
legen, als dergeſtalt, daß ſie nach dem
Wiederruf des Eigenthums aufhoͤrt.

Weil aber niemand ohne Annehmung ein ge-
wiſſes Recht erhalten kann (§. 316.); ſo kann
auch niemand fuͤr ein Gut, ſo nicht
ſein iſt, eine Servitut erhalten.
Weil
endlich ein jeder ſein Recht erlaſſen, oder ſich
deſſelben begeben kann (§. 342.); ſo kann
auch
[492]II.Theil 15. Hauptſtuͤck.
auch der Eigenthumsherr des herr-
ſchenden Guts eine Servitut erlaſſen.

Die Guͤter werden wie Perſonen betrachtet,
deren eine der andern zu etwas verbunden iſt;
und die ietzigen Eigenthumsherren der Guͤter
ſtellen die Guͤter vor, von welchen die Ver-
bindlichkeiten und Rechte, welche auf den Guͤ-
tern haften, auf ſie kommen.


§. 711.

Wie viel
es Arten
von Ser-
vituten
giebt.

Weil eine Servitut zu dem Ende eingeraͤu-
met wird, daß der, dem ſie eingeraͤumet wird,
durch eine einem andern zugehoͤrige Sache ei-
nen gewiſſen Nutzen erhaͤlt (§. 708.); ſo
giebt es ſo viel Arten der Servitut,
als auf wie vielerley Art und Weiſe
eine gewiſſe Perſon, oder ein gewiſſer
Beſitzer eines Gutes durch eine einem
andern zugehoͤrige Sache, oder durch
eines andern Gut einen Nutzen ha-
ben, oder den Genuß von Fruͤchten
erhalten kann.


§. 712.

Von den
Arten
der Ser-
vituten
der Guͤ-
ter.

Die gewoͤhnlichen Servituten der Guͤter
haben in dem buͤrgerlichen Rechte einen Nah-
men bekommen. Alſo nennt man die Servi-
tut eines zu tragenden Gebaͤudes
(ſer-
vitus oneris ferendi),
wenn die Wand
unſers Nachbars, oder eine Saͤule deſſelben
eine Laſt von unſerm Gebaͤude unterſtuͤtzen
muß; derjenige alſo, der die Servitut
ſchuldig iſt, muß ſie im baulichen We-
ſen erhalten.
Da aber zur Erhaltung im
bauli-
[493]Von den Servituten.
baulichen Weſen, oder zur Ausbeſſerung der
Wand und der Saͤule die Unterſtuͤtzung des
Hauſes, ſo darauf ruhet, nicht gehoͤret; ſo muß
der Eigenthumsherr des herrſchenden
Guts auf ſeine Koſten das ſinckende
Haus unterſtuͤtzen. Die Servitut von
einem einzufugenden Balcken
(das Tram-
recht ſervitus tigni immittendi) nennt man,
wenn einem erlaubt iſt einen Balcken, oder
etwas anders, was zum Sparrwerck des Hau-
ſes dient, in des Nachbars Wand zu legen,
daß es darauf ruhe; daher entſteht eben
die Verbindlichkeit bey dem Eigen-
thuͤmer des dienſtbahren Guts, die wir
zuvor angezeigt haben.
Ferner nennt
man die Servitut des Weiterheraus-
bauens
(ſervitus projiciendi), wenn ein
Gebaͤude uͤber des andern Grund und Boden,
oder was auf denſelben gebaut iſt, heruͤber ge-
het, gleichwohl aber auf dem Gebaͤude des
Nachbars nirgends ruhet. Die Servitut
nicht hoͤher zu bauen
(ſervitus altius non
tollendi)
iſt, wenn der Eigenthuͤmer des herr-
ſchenden Guts verbieten kann, daß der Ei-
genthuͤmer des dienſtbahren ſein Gebaͤude
nicht hoͤher auffuͤhren darf: im Gegentheil
kann man die Servitut hoͤher zu bauen
(ſervitus altius tollendi) nennen, wenn einer
zum Vortheil des Nachbars kein niedrigers
Gebaͤude haben darf, als er itzt hat. Die
Servitut der Lichts
(ſervitus luminum)
nennt man die, wenn einer leiden muß, daß
man
[494]II.Theil 15. Hauptſtuͤck.
man in ſeiner oder einer gemeinſchaftlichen
Wand Fenſter machen darf, die in des an-
dern Hof gehen, um Licht in ſeinem Gebaͤu-
de zu haben; die Servitut der Ausſicht
(ſervitus proſpiciendi, ſeu proſpectus),
wenn der Nachbar leiden muß, daß wir Fen-
ſter in unſerem Gebaͤude haben, daraus man
in ſeines ſehen kann. Man nennt aber er-
leuchtende Fenſter
(feneſtræ luciferæ),
wodurch das Licht in unſere Gebaͤude faͤllt;
hingegen Fenſter zur Ausſicht(feneſtræ
proſpectivæ),
wodurch wir eine Ausſicht in
Oerter haben, die einem andern zugehoͤren,
z. E. in ſeinen Hof, oder Garten. Die Ser-
vitut das Licht nicht zu benehmen
(ſer-
vitus ne officiatur luminibus)
nennt man,
wenn einer in ſeinem Gut nichts machen
darf, wodurch einiges Licht, was wir in un-
ſerm Gebaͤude haben, verdunckelt oder ver-
mindert wird; die Servitut aber die
Ausſicht nicht zu hindern
(ſervitus ne
proſpectui officiatur),
wenn man nichts ma-
chen darf, wodurch die freye Ausſicht auf
alle Oerter, die dem Nachbar angenehm und
zu ſeinem Vergnuͤgen dienen, auf einige Wei-
ſe verhindert wird. Die Servitut die
Traufe abzuwenden,
oder herzuleiten
(ſervitus ſtillicidii avertendi, vel recipiendi),
wenn einer gehalten iſt zu leiden, daß der
Nachbar das Regenwaſſer, welches von ſei-
nem Dache troͤpfelt, oder durch Rinnen her-
abfließt, auf ſein Dach, ſeinen Grund und
Boden,
[495]Von den Servituten.
Boden, oder Abtritt leitet; die Servitur aber
die Traufe nicht wegzunehmen(ſervi-
tus ſtillicidii non avertendi)
wenn er ſeine
Traufe nicht anders, als in unſer Haus, oder
in unſern Garten leiten darf. Die Servi-
tut eine Goſſe durch des andern Haus
zu fuͤhren
(ſervitus cloacæ immittendæ),
wenn er leiden muß, daß der Nachbar den
Unflat, welcher ſich auf dem Grund und Bo-
den des andern geſammlet hat, durch ſeinen
Grund und Boden abfuͤhret; die Servi-
tut einen Abtritt zu leiden
(ſervitus
cloacæ habendæ),
wenn der Nachbar leiden
muß, daß wir einen Abtritt an ſeiner Wand ha-
ben. Daher verſteht man auch, was die Ser-
vitut eine Miſtgrube zu leiden
(ſervitus
ſterquilinii habendi)
ſey. Der Durchgang
(Fußſteig, iter) iſt die Servitut, da wir zu leiden
gehalten ſind, daß jemand durch unſer Gut zu
ſeinem Gute um dieſes Guts willen gehen darf:
Gehen(ire) aber ſagt man im Rechte auch
von dem, der mit fremden Fuͤſſen gehet, z. E.
wenn einer reitet, oder in der Saͤnfte getra-
gen wird. Der Trieb(actus) iſt die Ser-
vitut, da man leiden muß, daß der Eigenthuͤ-
mer eines andern Guts Laſtvieh, oder einen
Wagen durch das dienſtbahre Gut fuͤhren darf;
und dieſer iſt entweder der voͤllige(plenus)
wenn man auch mit angeſpannten Pferden,
oder Ochſen durchfahren darf; oder der nicht
voͤllige(minus plenus), wenn man bloß das
Vieh durchtreiben, aber nicht mit einem ange-
ſpann-
[496]II.Theil 15. Hauptſtuͤck.
ſpannten Wagen fahren darf. Der Weg
(Fahrweg, via) iſt die Servitut, da man nicht
allein leiden muß, daß jemand durch ſein
Gut gehet, oder Vieh treibet, ſondern auch
zu ſeinem Gute, als dem herrſchenden fahren,
tragen und ſchleppen darf, was man zum Be-
ſten ſeines Gutes noͤthig hat. Das Waſſer-
ſchoͤpfen
(aquæ hauſtus) iſt die Servitut, da
man leiden muß, daß ein anderer aus ſeinem
Brunnen, oder aus einem Ort der ihm zuge-
hoͤrt, zur Beduͤrfnis ſeines liegenden Grun-
des Waſſer ſchoͤpft; die Waſſerleitung
(aquæ ductus) aber da man leiden muß, daß
einer durch ſeinen Grund und Boden Waſſer
zu dem ſeinigen leiten darf, es geſchehe auf
was Art und Weiſe es wolle; und die Ser-
vitut Waſſer abzuleiten
(ſervitus aquæ
educendæ)
iſt, da man leiden muß, daß einer
das uͤberfluͤßige und unnuͤtze Waſſer aus ſei-
nen liegenden Grunde durch unſern ableite.
Die Traͤncke(pecoris ad aquam appul-
ſus)
iſt die Servitut, da man leiden muß, daß
das Vieh von einem andern Gute, um daſſelbe
zu traͤncken zu unſerm Brunnen, oder zu un-
ſerm Waſſer getrieben wird. Das Recht der
Trift
(jus paſcendi) iſt die Servitut, da
man leiden muß, daß jemand das Vieh von
ſeinem Gute auf unſerm weidet. Das Recht
Kalck zu brennen
(jus calcis coquendæ)
iſt die Servitut, da man leiden muß, daß
einer auf unſerm Grund und Boden, zur Be-
qvemlichkeit ſeines Guts, Kalck brennen darf.
Was
[497]Von den Servituten.
Was aber das Recht ſey Sand zu graben,
Steine zu brechen, verdorrte Aeſte zu
ſammlen, Eicheln aufzuleſen, zu jagen,

verſteht man aus den bloſſen Nahmen. Aber
das Recht Pfaͤhle zu nehmen(jus peda-
menta ſumendi)
iſt die Servitut, da wir
leiden muͤſſen, daß einer aus unſerm Walde,
oder Hoͤltzern Pfaͤhle vor Baͤume, oder Wein-
ſtoͤcke, oder an Hopfen, oder Bonen Stangen
nehmen darf. Aber das Recht Holtz zu
holen
(jus lignandi) iſt die Servitut, da
man leiden muß, daß einer zu einem gewiſ-
ſen Gebrauche Holtz zum Nutzen ſeines Guts
in unſerem Walde, oder Hoͤltzern ſchlagen darf.
Von allen dieſen Gerechtigkeiten verſteht es
ſich, daß alles dieſes dem herrſchenden
Gute verwilliget worden, ohne wel-
ches es ſich ſeines Rechtes nicht bedie-
nen koͤnte,
indem ſonſt die Servitut unnuͤ-
tze ſeyn wuͤrde; wie auch daß das Recht
des herrſchenden Guts durch eine Be-
dingung, die dem Einraͤumen hinzu-
gefuͤgt worden, auf alle moͤgliche Wei-
ſe erweitert und eingeſchraͤnckt wer-
den koͤnne
(§. 710.).


§. 713.

Was von den Servituten, oder Dienſtbar-Von dem
Nieß-
brauch.

keiten der Sachen bis hieher geſagt worden,
gilt auch von den perſoͤnlichen. Unter den-
ſelben hat einen beſondern Vorzug der Nieß-
brauch
(uſusfructus), welcher eine perſoͤn-
liche Servitut iſt, da der Eigenthuͤmer lei-
Nat. u. Voͤlckerrecht. J iden
[498]II.Theil 15. Hauptſtuͤck.
den muß, daß ein anderer ſeine Sache nu-
tzet und gebraucht, doch ſo, daß die Sache
ſelbſt unbeſchaͤdiget bleibe. Wer den Nieß-
brauch hat, iſt der Uſufructuarius (Frucht-
nieſſer), der zuweilen auch fructuarius ge-
nannt wird. Die Proprietaͤt bleibt alſo
bey dem Eigenthumsherrn; folglich
was der Eigenthumsherr vermoͤge der
Proprietaͤt thun kan, daß iſt dem Uſu-
fructuario nicht erlaubet.
Derowegen
kann er die Sache nicht veraͤuſſern (§.
257.), nicht veraͤndern (§. 256.), nicht
verpfaͤnden (§. 700.), derſelben keine
Servitut auflegen (§. 710.): Aber mit
dem Nießbrauch,
indem derſelbe ein ihm
eigenes Recht iſt, kann er nach ſeinem
Belieben thun, was ihm gefaͤllt
(§.
195. 206.). Es erhellet auch, daß man
die Sache nicht anders nutzen kann,
als wie ſie iſt;
und es iſt nicht weniger of-
fenbahr, daß man den Nießbrauch in
allen beweglichen und unbeweglichen,
auch unkoͤrperlichen Sachen, welche
man nutzen und gebrauchen kann, ein-
raͤumen koͤnne, doch ſo, daß dieſelbe
noch unverſehret uͤbrig bleiben, und
zwar unter einer Bedingung, die dem-
jenigen, der das Recht einraͤumet, ge-
faͤllt
(§. 314.).


§. 714.

Von
zweifel-
haften

Weil die Metalle und Ertze(minera-
lia)
nicht in einer kurtzen Zeit wieder wach-
ſen;
[499]Von den Servituten
ſen; ſo werden ſie nicht als Fruͤchte des lie-Sachen,
ob ſie un-
ter dem
Nieß-
brauch
begriffen
ſind.

genden Grundes betrachtet, ſondern ſie gehoͤ-
ren vielmehr zur Subſtantz deſſelben, und al-
ſo nicht zum Nießbrauch (§. 713.).
Eben dieſes verſteht ſich,
aus eben der
Urſache, von den alten Baͤumen, deren
Fruͤchte,
wenn ſie einige tragen, zum Nieß-
brauch gehoͤren
(§. cit.). Weil aber das
Niederholtz
(ſylva cedua), wenn es abge-
hauen worden, aus Staͤmmen und Wurtzeln
in einer kurtzen Zeit wieder waͤchſt, und deſ-
ſen Gebrauch allein in dem Abhauen beſteht;
ſo gehoͤret es zum Nießbrauch. Naͤm-
lich nach der Weiſe kann der Uſufru-
ctuarius Holtz abhauen, wie der, der
den Nießbrauch erlaubt, damit ver-
fahren, oder welche durch die Ge-
wohnheit erlaubt iſt. Wenn es
dero-
wegen auch gewoͤhnlich iſt, daß in einem
Wald, wo kein Niederholtz iſt, Staͤm-
me in gewiſſer Anzahl jaͤhrlich gefaͤllet
werden, ſo kann ſie auch der Uſufru-
ctuarius in eben der Anzahl faͤllen;

folglich ſind die Baͤume, die der Wind
umgeriſſen hat, des Eigenthumsherrn,
und nicht des Uſufructuarii, der ſie
aber, wenn es der Eigenthumsherr
haben will, anſtatt derer, die er haͤtte
faͤllen koͤnnen, anzunehmen ſchuldig
iſt;
indem der Eigenthumsherr auf ſolche
Weiſe von dem Wald ſelbſt die Einrichtung
J i 2macht,
[500]II.Theil 15. Hauptſtuͤck.
macht, daß er, dem Recht des Uſufructua-
rii unbeſchaͤdigt, nicht verſchlimmert wird.


§. 715.

Was
dem Uſu-
fructua-
rio nach
geendig-
tem Nieß-
brauche
verblei-
bet.

Da nach der Endigung des Nießbrauchs
die Sache, die dieſem Rechte unterworffen
war, von dem Uſufructuario wiedergegeben
werden muß (§. 713.); ſo muß, woferne
der Nießbrauch in einer Heerde Vie-
hes beſtanden, an ſtatt des verreckten
Viehes, oder des verkauften, anderes
angeſchafft werden.
Und da nach ge-
endigtem Nießbrauche
das Recht des
Uſufructuarii aufhoͤret; ſo ſind die zu der
Zeit hangende Fruͤchte des Eigen-
thumsherrn.
Weil aber die Fruͤchte des
Fleißes
nicht weniger Fruͤchte des Fleißes,
als des Grundes und Bodens ſind (§. 226.);
ſo ſind dieſelbe nach geendigtem Nieß-
brauche nach Proportion gemeinſchaft-
lich, ſo viel als naͤmlich der Gebrauch
des Grundes und die Arbeit und Be-
muͤhung des Uſufructuarii gilt.
Glei-
chergeſtalt weil die Einkuͤnfte, welche
wegen des Gebrauchs, der beſtaͤndig
erhalten wird, gezahlt werden,
der
Zeit proportional ſind; ſo muͤſſen dieſel-
ben, wenn der Nießbrauch vor der
Zeit, da ſie bezahlt werden, geendet
wird, nach Proportion der Zeit un-
ter den Uſufructuarius und den Ei-
genthuͤmer getheilt werden. Die Ein-
kuͤnfte
aber, welche von einem Rechte
in
[501]Von den Servituten.
in einer Sache(jure in re)herruͤhren,
z. E. die Zehenden, indem ſie vor der Zeit,
da ſie gefaͤllig ſind, den haͤngenden Fruͤchten
gleich geſchaͤtzt werden, gehoͤren dem Ei-
genthuͤmer zu.


§. 716.

Weil die Fruͤchte dem Uſufructuario gehoͤ-Wen das
Ungluͤck
trift.

ren, die Sache aber, darauf das Recht deſ-
ſelben haftet, des Eigenthuͤmers iſt (§. 713.);
ſo hat den Schaden in den Fruͤchten
der Uſufructuarius, den in der Sache
aber der Eigenthuͤmer.


§. 717.

Aus eben dieſer Urſache muß der Uſu-Von den
Abgaben
und Auf-
wande.

fructuarius alle Abgaben, ſo wohl die
ordentlichen, als auſſerordentlichen,
die in Anſehung der Fruͤchte und Ein-
kuͤnfte abgetragen werden muͤſſen, be-
zahlen, und was der Fruͤchte wegen
aufgewandt werden muß, auf ſich
nehmen: Wenn
aber die auſſerordent-
lichen Abgaben mehr betragen, als die
Fruͤchte,
weil ſichs alsdann verſtehet, daß
ſie nicht bloß der Fruͤchte, ſondern auch der
Sachen wegen aufgelegt worden; ſo muß
der Eigenthuͤmer das abtragen, was
mehr als die Fruͤchte austraͤgt.
Naͤm-
lich was der Eigenthuͤmer allein thun muͤſte,
wenn er mit voͤlligem Recht die Sache haͤt-
te, das muß der Uſufructuarius und der Ei-
genthumsherr zuſammen thun.


J i 3§. 718.
[502]II.Theil 15. Hauptſtuͤck.
§. 718.

Wenn
der Nieß-
brauch
geendet
wird.

Da der Nießbrauch ein perſoͤnliches
Recht iſt (§. 713.); ſo hoͤrt es mit dem
Tode auf (§. 400.). Es hoͤrt
auch auf,
wenn es der Uſufructuarius erlaͤßt;

und da eine Sache, die nicht mehr vorhan-
den, nicht genutzt und gebraucht werden kann;
ſo geſchieht es auch durch den Unter-
gang der Sache.
Endlich auch nach
Verfließung der Zeit, auf die er ein-
geraͤumet worden
(§. 317.). Daher folgt,
daß wenn ein Haus, weil es alt iſt, ein-
faͤllt, oder abbrennt, und ein neues
erbauet wird, der Uſufructuarius kei-
nen Nießbrauch an demſelben hat.


§. 719.

Von dem
Nieß-
brauch
aͤhnlichen
Rechte.

Ein dem Nießbrauch aͤhnliches
Recht
(quaſi uſusfructus) wird die perſoͤn-
liche Servitut genannt, da man leiden muß,
daß einer eine ihm zugehoͤrige Sache, die
durch den Gebrauch verzehrt wird, genieſſen
und gebrauchen darf, ſo daß er nach geendig-
tem ſeinem Rechte entweder eine Sache von
der Art, oder den Werth derſelben wieder-
geben muß. Weil das Eigenthum der Sa-
che auf den gebracht werden muß, der dieſes
Recht haben ſoll (§. 195. 198.); ſo faͤllt
auch auf ihn der Schade, der ſich in
der Sache zufaͤlliger Weiſe ereignet.


§. 720.

Von
Veꝛſchaf-
fung der

Da zur Sicherheit einer Schuld die Buͤrg-
ſchaft (§. 569.) und die Verpfaͤndung zu ei-
ner
[503]Von den Servituten.
ner jeden verbindlichen Handlung hinzukom-Sicher-
heit.

men kann (§. 697.); ſo iſt, wofern zu be-
fuͤrchten, es moͤchte nach geendigtem
Qvaſiuſufructu der Qvaſiuſufructua-
rius die Sache nicht wiedergeben, oder
auch der Uſufructuarius nicht leiſten
koͤnnen, wovor er nach geendetem
Nießbrauche dem Eigenthuͤmer haf-
ten muß, ein jeder von beyden entwe-
der durch Buͤrgen, oder durch eine Hy-
potheck eine Caution zu machen ſchul-
dig. Wenn
aber jemand keine Caution
machen kann; ſo muß,
weil man nieman-
den wider ſeinen Willen ſein Recht nehmen
kann (§. 100.), die Sache, von welcher
einer den Nießbrauch, oder gleichſam
den Nießgebrauch hat, fuͤr ein gewiſ-
ſes Geld, welches dem Uſufructuario,
oder Qvaſifructuario gegeben wird,
entweder dem Eigenthuͤmer, wenn er
will, oder einem dritten uͤberlaſſen
werden.


§. 721.

Der Gebrauch(uſus) iſt eine perſoͤnli-Vom Ge-
brauch.

che Servitut, da einer leiden muß, daß ein
anderer ſeine Sache, ſie mag fruchtbar ſeyn,
oder nicht, doch ſo daß die Sache unbeſchaͤ-
digt bleibt, brauchen darf. Man ſagt naͤm-
lich in der Bedeutung des roͤmiſchen Rechts,
daß einer eine Sache gebrauche, der davon
ſo viel von den Nutzungen und Einkuͤnften er-
haͤlt, als er mit den Seinigen zur Nothdurft
J i 4und
[504]II.Theil 15. Hauptſtuͤck.
und Beqvemlichkeit des Lebens bedarf. Der,
welchem der Gebrauch eingeraͤumt wird, wird
der Uſuarius genannt. Da aber dieſer Ge-
brauch gewiß ſeyn, das Recht aber, welches
dem Uſuario zukommt, nach dem Wil-
len deſſen, der es ihm einraͤumet, beurtheilt
werden muß (§. 314.); ſo muß natuͤrli-
cher Weiſe der, welcher den Gebrauch
einraͤumet, beſtimmen, wie derſelbe
ſeyn ſoll.
Man nennt aber den voͤlligen
Gebrauch
(uſus plenus), wenn einer
aus einer einem andern zugehoͤrigen Sache
alles nehmen kann, was zur Nothdurft und
Beqvemlichkeit des Lebens erfordert wird;
den nicht voͤlligen aber (minus plenus),
nach welchem ein gewiſſer Theil der Nutzung
einer Sache dem Uſuario zur Erleich-
terung der Lebensnothdurft beſtimmet wird.
Der voͤllige Gebrauch wird alſo nach
der Beduͤrfniß des Uſuarii beſtimmt.

Derowegen da der voͤllige Gebrauch an ſich
unbeſtimmt, der nicht voͤllige Gebrauch aber
beſtimmt iſt; ſo kann der nicht voͤllige Ge-
brauch einem andern uͤberlaſſen wer-
den, der voͤllige Gebrauch aber nicht.

Da der Uſuarius nur das Recht hat von den
Fruͤchten ſo viel zu nehmen, als zu ſeiner
Nothdurft hinreicht, der Eigenthuͤmer aber
das Recht zu den Fruͤchten hat; ſo darf der
Uſuarius das Feld nicht bauen, ſon-
dern der Eigenthumsherr muß dieſes
beſorgen. Wofern
aber der Gebrauch
ohne
[505]Von den Servituten.
ohne Unkoſten nicht erhalten werden
kann,
z. E. wenn der Gebrauch der Ochſen
zum pfluͤgen erlaubt worden; ſo fallen, da
ein ſolcher Gebrauch ſich verſtehet dergeſtalt
erlaubt zu ſeyn, wie er erhalten werden kann,
die Unkoſten auf den Uſuarius, z. E.
das Futter fuͤr die Ochſen. Uebrigens erhel-
let aus der Vergleichung der Begriffe, daß
es ſich nicht widerſpricht, wenn man
in einer und derſelben Sache einem den
Gebrauch, dem andern den Nieß-
brauch einraͤumet.


§. 722.

Ein dem Gebrauch aͤhnliches RechtVon dem
Gebrau-
che aͤhn-
lichen
Rechte.

(quaſi uſus) iſt, den man von einer Sache,
die verbraucht wird, erhaͤlt. Da eben die-
ſelbe Sache nicht wiedergegeben werden kann;
ſo muß nach Endigung des Rechtes eine an-
dere von eben der Art wiedergegeben werden;
z. E. wenn uns der Gebrauch vom Gelde er-
laubt wird, welches wir entweder zu unſerm
Nutzen anwenden, oder auf Zinſen austhun
koͤnnen.


§. 723.

Die Wohnung(habitatio) iſt eine per-Von der
Woh-
nung.

ſoͤnliche Servitut, da der Eigenthumsherr
leiden muß, daß ein anderer ſein gantzes
Haus, oder einen Theil deſſelben bewohnet.
Wem dieſe Servitut eingeraͤumet wird, heiſt
der Bewohner(habitator). Da die Woh-
nung von dem Nießbrauch des Hauſes unter-
ſchieden wird; ſo muß der Bewohner
J i 5das
[506]II. Theil 16. Hauptſtuͤck.
das Haus, oder den Theil, welcher
ihm erlaubt worden, ſelbſt und allein
bewohnen: Er kann
aber nicht dieſen
oder jenen Theil einem andern vermie-
then.
Und weil das Recht das Haus zu
bewohnen dem Eigenthuͤmer genommen und
dem Bewohner uͤberlaſſen worden; ſo kann
der Eigenthumsherr die leeren Theile
des Hauſes nicht gebrauchen und nu-
tzen, wenn der Bewohner ſie nicht al-
le braucht.
Da uͤbrigens das Recht des
Bewohners aus dem Willen deſſen, der ihm
das Recht verliehen, ermeſſen werden muß
(§. 314.); ſo kann natuͤrlicher Weiſe die
Wohnung
auch alſo erlaubt werden,
daß der Bewohner ſein Recht fuͤr eine
gewiſſe Miethe vermiethen und dieſe
genieſſen kann.


Das ſechzehnte Hauptſtuͤck.


Von der Erbnutzbarkeit eines
Gutes/ und ſonderlich dem Lehn.


§. 724.

Von der
Erbnutz-
barkeit
eines
Guts
uͤber-
haupt.

Die Erbnutzbarkeit eines Gutes
(dominium utile) nennt man, wenn
einer das Recht eine Sache zu ge-
brauchen und zu nutzen voͤllig frey hat, die
Proprietaͤt aber einiger maſſen einem andern
zum Theil zukommt. Wer die Erbnutzbar-
keit hat, iſt der Eigenthuͤmer der erbli-
chen
[507]Von der Erbnutzbarkeit.
chen Nutzbarkeit(dominus utilis).Das
Grundeigenthum
(dominium directum)
aber nennt man den Theil der Proprietaͤt,
welcher durch die Einſchraͤnckung dem Eigen-
thuͤmer der Erbnutzbarkeit benommen iſt, und
einem andern zugehoͤrt. Wer das Grundei-
genthum hat, iſt der Lehnherr(dominus di-
rectus).
Weil die Proprietaͤt das Recht die
Sache zu veraͤuſſern und zu veraͤndern in ſich
ſchließt (§ 198. 256. 257.); ſo kann na-
tuͤrlicher Weiſe die Proprietaͤt entwe-
der in Anſehung des Rechts zu ver-
aͤuſſern, oder in Anſehung des Rechts
die Sache zu veraͤndern, oder in An-
ſehung beyder eingeſchraͤnckt werden;
folglich wenn das Recht zu veraͤuſſern
eingeſchraͤnckt wird, ſo kann der Ei-
genthuͤmer der erblichen Nutzbarkeit
des Guts entweder die Sache gar nicht,
oder bloß unter einer gewiſſen Bedin-
gung veraͤuſſern.
Es erhellet aber vor
ſich, daß der Eigenthuͤmer der Erb-
nutzbarkeit eines Guts allein allen Nu-
tzen von der Sache hat.
Weil uͤbri-
gens das urſpruͤngliche Eigenthum ein voͤlli-
ges Eigenthum iſt (§. 195. 198.); ſo kann
die Erbnutzbarkeit, oder auch das
Grund-Eigenthum urſpruͤnglich nicht
erlangt werden, als bloß durch einen
Vertrag mit demjenigen, welcher das
voͤllige Eigenthum hat (§. 314. 438.),
und der, welcher es dem andern ein-

raͤu-
[508]II. Theil 16. Hauptſtuͤck.
raͤumet, kann eine Bedingung, welche
ihm gefaͤllt, hinzuſetzen
(§. 314.). Wenn
die Erbnutzbarkeit einem eingeraͤumet wird,
muß man hauptſaͤchlich auf zweyerley acht
geben, naͤmlich auf das Geſetze, oder die Be-
dingung, unter welcher es einem eingeraͤu-
met wird, und auf das Geſetze, wodurch
die Proprietaͤt eingeſchraͤnckt wird.


§. 725.

Was das
Erbzins-
recht iſt.

Das Erbzinsrecht(emphyteuſis) iſt
die Erbnutzbarkeit eines Gutes, welches un-
ter der Bedingung einer jaͤhrlichen abzutra-
genden Zinſe zur Erkentniß des Grundeigen-
thums eingeraͤumet worden, mit der auf eine
gewiſſe Weiſe eingeſchraͤnckten Proprietaͤt.
Die Sache, auf welcher das Erbzinsrecht
beruhet, wird das Erbzinsgut(bonum em-
phyteuticarium, res emphyteutica)
genannt.
Wer das Erbzinsrecht in einem Gute hat, iſt
der Erbzinsmann(emphyteuta); derje-
nige, von welchem er das Erbzinsrecht hat,
iſt der Erb- und Lehnherr(dominus em-
phyteuſeos).
Die Zinſe, welche zur Er-
kentniß des Grundeigenthums gezahlt wird,
nennt man die Erbzinſe(canon emphy-
teuticus);
und der Lehncontract(contra-
ctus emphyteuticus)
iſt der, durch welchen
das Erbzinsrecht eingeraͤumt und erlangt
wird.


§. 726.

Von den
Erbzin-
ſen.

Weil die Erbzinſen zum Zeichen der Er-
kentniß des Grundeigenthums gegeben wer-
den
[509]Von der Erbnutzbarkeit.
den (§. 725.), folglich die Bezahlung derſel-
ben nur beweiſet, daß der Erbzinsmann das
Grundeigenthum bey dem Erbzinsgute er-
kennt; ſo darf die Groͤſſe der Erbzinſe
nicht dem Nutzen, welchen man aus
dem Erbzinsgute erhalten kann, pro-
portionirt werden;
folglich da kein inne-
rer Grund der Beſtimmung vorhanden, ſo
muͤſſen dieſelben durch beyderſeitige
Einwilligung des Erb- und Lehn-
herrns und des Erbzinsmanns in dem
Lehncontract beſtimmt werden.
Da
man dieſen halten muß (§. 438.); ſo darf
die Erbzinſe wegen der Verbeſſerung,
oder Vermehrung der Einkuͤnfte, oder
weil ſie ſehr geringe iſt, nicht erhoͤhet
werden; und es kann dieſelbe entwe-
det in Gelde, oder in andern Sachen
beſtehen,
nachdem man es naͤmlich anfaͤng-
lich verabredet hat. Da das Erbzinsrecht
auf einem Contracte beruhet (§. 725.); ſo
iſt der Erbzinsmann verbunden die
Erbzinſe jaͤhrlich abzutragen (§. 514.),
und der Erb- und Lehnhert hat das
Recht ihn dazu anzuhalten
(§. 80.);
folglich wird wegen des unterlaſſenen
oder geweigerten Abtrags der Erbzin-
ſe das Erbzinsrecht nicht verlohren,
wenn man es nicht ausdruͤcklich ver-
abredet hat
(§. 667.). Gleichergeſtalt er-
hellet, daß weil die Erbzinſe nicht des Nu-
tzens wegen gegeben wird, den man aus der
Sache
[510]II. Theil 16. Hauptſtuͤck.
Sache hat; ſo muß ſie gegeben werden,
wenn man auch in dem Jahre wenig
oder gar keinen Nutzen von dem Erb-
zinsgute gehabt, woferne nicht aus-
druͤcklich ausgemacht worden, daß die
Erbzinſe in gewiſſen Faͤllen erlaſſen,
oder vermindert werden ſoll
(§. cit.).
Weil das Recht die Erbzinſe zu fordern dem
Erb- und Lehnherrn vermoͤge des Grundei-
genthums zukommt, welches zu erkennen ſie
gegeben wird (§. 725.), und es folglich ein
Recht in der Sache,
oder, wie es einige
nennen, ein dinglich Recht iſt(jus in re)
(§. 334.); ſo kann der Erb- und Lehn-
herr die Erbzinſe, die der Erbzins-
mann nicht gezahlt, von einem jeden
Beſitzer fordern.


§. 727.

Von dem
Erbzins-
contract.

Da es bloß auf den Willen des Erb- und
Lehnherrn, der das Erbzinsrecht einraͤumet,
ankommt, unter was vor Bedingungen er
die erbliche Nutzbarkeit des Guts einem uͤber-
laſſen will (§. 314.); ſo muß in dem er-
ſten Erbzinscontracte,
worauf alles Erb-
zinsrecht beruhet (§. 725.), beſtimmt wer-
den, wie die Proprietaͤt eingeſchraͤnckt
ſeyn ſoll, ſo wohl in Anſehung der
Veraͤuſſerung, als auch in Anſehung
der Veraͤnderung des Erbzinsguts (§.
256. 257.), und alles uͤbrige, was durch
die Natur des Erbzinsrechts nicht be-
ſtimmt iſt,
und alſo mehr als auf eine Weiſe
beſtimmt
[511]Von der Erbnutzbarkeit.
beſtimmt werden kann. Daher folgt, daß
alles Recht ſo wohl des Erb- und Lehn-
herrns, als des Erbzinsmanns aus
dem Contract ermeſſen werden muß,
welcher mit dem gemacht worden, der
das Erbzinsrecht zuerſt erhalten hat.

Weil nun, wenn das Erbzinsgut veraͤuſſert
wird, der neue Erbzinsmann den Erb- und
Lehnherrn vor ſeinen Erb- und Lehnherrn er-
kennen muß; ſo muß der Erbzinscon-
tract mit dem neuen Erbzinsmanne
erneuert werden.
Unerachtet eben die-
ſes gilt, wenn das Grundeigenthum
veraͤuſſert wird; ſo iſt es dennoch,
weil
ſich der Erbzinsmann ausdruͤcklich verbind-
lich machen kann, daß er nicht allein dem ge-
genwaͤrtigen Erb- und Lehnherrn, ſondern
auch einen jeden andern rechtmaͤßigen Nach-
folger vor ſeinen Erb- und Lehnherrn erken-
nen will, nicht ſchlechterdings noͤthig,
wenn ſich der Erbzinsmann dazu ver-
bindlich gemacht hat, daß er einen je-
den rechtmaͤßigen Nachfolger des ge-
genwaͤrtigen Erb- und Lehnherrn vor
ſeinen Erb- und Lehnhetrn erkennen
will.


§. 728.

Die Lehnwaare(laudemium) iſt dasVon der
Lehn-
waare.

Geld, welches fuͤr die Erneurung des Erb-
zinscontracts dem Grundeigenthumsherrn ge-
geben werden muß. Jm Erbzinscontract
muß die Groͤſſe der Lehnwaare ausge-

macht
[512]II. Theil 16. Hauptſtuͤck.
macht werden, und ob ſie bloß denn
bezahlt werden ſoll, wenn der Erb-
zinsmann veraͤndert wird, oder
auch
wenn der Erb- und Lehnherr veraͤn-
dert wird.
Es erhellet aber wie vorher
von der Erbzinſe (§. 726.), daß das Recht
Lehnwaare zu fordern ein Recht in
der Sache
(jus in re)ſey, indem daſſelbe
aus dem Grundeigenthume abſtammt, wel-
ches unſtreitig ein Recht in der Sache iſt (§.
334.), damit daſſelbe nicht gantz ohne allen
Nutzen ſey.


§. 729.

Wenn
das Erb-
zinsrecht
geendet
wird.

Da das Erbzinsrecht durch den Erb-
zinscontract beſtimmt wird (§. 727.); ſo hoͤ-
ret daſſelbe, wenn es auf gewiſſe Per-
ſonen gerichtet wird, nach dem Ab-
ſterben aller dieſer Perſonen auf: Wenn
es
aber auf eine gewiſſe Zeit gegeben
wird, nach Verflieſſung dieſer Zeit,
oder
auch wenn der Erbzinsmann dem
Erb- und Lehnherrn zu gefallen, oder
dieſer dem Erbzinsmanne zu gefallen
das Erbzinsrecht erlaͤßt
(§. 337. 342.).
Es erhellet aber an und vor ſich ſelbſt, daß
das Erbzinsrecht auf hoͤrt, wenn das
Erbzinsgut untergeht.
Allein wenn
der Erbzinsherr ohne Erben oder ei-
nen Nachfolger ſtirbt; ſo wird,
da das
Grundeigenthum zu den Guͤtern des Grund-
eigenthumsherrn gehoͤrt (§. 207.), natuͤrli-
cher Weiſe daſſelbe eine Sache, die nie-

manden
[513]Von der Erbnutzbarkeit.
manden zugehoͤret, und die ſich folglich
einer zueignen kann (§. 210.); und des-
wegen hoͤret das Erbzinsrecht nicht
auf.


§. 730.

Wenn das Erbzinsrecht errichtet wird; ſoWas ge-
ſchieht,
wenn das
Erbzins-
recht auf-
hoͤret.

wird die Erbnutzbarkeit des Guts vom Grund-
eigenthume entweder auf eine gewiſſe Zeit,
oder ſo lange als rechtmaͤßige Nachfolger da
ſeyn werden, nachdem es im Erbzinscontra-
cte ausgemacht worden, abgeſondert (§. 727.).
Es verſteht ſich derowegen, daß der, welcher
das Recht eingefuͤhret, keinen andern Sinn
gehabt habe, als daß nach Verflieſſung der
Zeit, oder wenn kein rechtmaͤßiger Nachfol-
ger mehr vorhanden, das Grundeigenthum
mit der Erbnutzbarkeit des Guts wieder ver-
einiget ſeyn ſoll; folglich wenn das Erb-
zinsrecht auf hoͤret, ſo faͤllt die Erb-
nutzbarkeit des Guts wieder dem
Grundeigenthumsherrn anheim; und
er wird
alſo mir voͤlligem Rechte der
Eigenthumsherr.


§. 731.

Das Erbzinsbarmachen(emphyteu-Vom
Erbzins-
barma-
chen und
Wieder-
erbzins-
barma-
chen.

ticatio) nennt man die Einraͤumung des Erb-
zinsrechts in einer Sache, welche noch vom
Erbzinsrecht frey iſt. Das Wiedererbzins-
barmachen
(ſubemphyteuticatio) aber nennt
man die Einraͤumung des Erbzinsrechts in
einer Sache, worauf derjenige, welcher es
einem andern einraͤumet, das Erbzinsrecht
Nat. u. Voͤlckerrecht. K khat;
[514]II. Theil 16. Hauptſtuͤck.
hat; und alsdenn heiſt das Erbzinsrecht das
Untererbzinsrecht(ſubemphyteuſis). Da
der Erbzinsmann mit der Erbnutzbarkeit des
Gutes als einer unkoͤrperlichen ihm zugehoͤri-
gen Sache nach ſeinem Willkuͤhr verfahren
kann, wie er will (§. 195.), doch ſo, daß
das Recht des Erb- und Lehnherrns unge-
kraͤnckt verbleibet (§. 86.), und der Erbzins-
contract dadurch nicht verletzt wird (§. 727.);
ſo iſt das Wiedererbzinsbarmachen,
wenn es ohne Schaden des Erb- und
Lehnherrns, und ohne Verletzung des
Erbzinscontracts geſchiehet, erlaubt.
Es wird
aber dadurch in dem vorher-
gehenden Rechte nichts geaͤndert: Und
wenn das Erbzinsrecht, es geſchehe,
auf was Art und Weiſe es wolle, ge-
endet wird; ſo hoͤrt auch das Unter-
erbzinsrecht auf;
folglich wenn auch
das Untererbzinsrecht auf hoͤret, indem
das Haupterbzinsrecht noch beſtehet, ſo
hat der Erbzinsmann das gantze Erb-
zinsrecht wieder, wie vorher.
Da dem
Untererbzinsmanne ſein Recht von dem Erb-
zinsmanne nicht benommen werden kann (§.
100.); dennoch aber das Recht des Erb- und
Lehnherrns unverſehrt bleiben muß, wie er-
wieſen worden; ſo folgt, daß wenn der
Etbzinsmann ſein Erbzinsrecht auf
einen andern bringt, er das Recht,
welches er nach dem Niedererbzins-
contract erlanget hat, auf denſelben

bringt:
[515]Von der Erbnutzbarkeit.
bringt: Jn Anſehung des Erb- und
Lehnherrn
aber verſteht es ſich, daß
das Erbzinsrecht ſelbſt auf ihn ge-
bracht worden.


§. 732.

Ein libellariſcher Contract(contra-Vom
libella-
riſchen
Recht.

ctus libellarius) wird genannt, wenn der Ei-
genthumsherr einem andern die ihm zugehoͤri-
ge Sache um einen gewiſſen Preiß mit der
Bedingung giebt, daß er jaͤhrlich eine ge-
wiſſe Zinſe zahlen und zu einer gewiſſen Zeit,
wenn gleich der Beſitzer nicht veraͤndert wor-
den, den Contract mit einem gewiſſen, oder
willkuͤhrlichen Preiße, den er bezahlen muß, er-
neuren ſoll. Das Recht, welches durch die-
ſen Contract erlangt wird, heißt das libella-
riſche Recht
(jus libellarium). Hieraus
folgt, daß in einem libellariſchen Con-
tracte der Preiß, welcher fuͤr die Sa-
che gezahlt wird, nach dem Verhaͤlt-
niß der Zinſe und des Preißes, welcher
fuͤr die Erneurung des Contracts zu
einer gewiſſen Zeit bezahlt werden
ſoll, muß vermindert werden.
Weil
die Bezahlung der Zinſe und des Preißes fuͤr
die Erneurung des Contracts auf dem libel-
lariſchen Gute hafftet; ſo hat der Eigen-
thumsherr des libellariſchen Rechts
ein Recht in dem libellariſchen Gute

(§. 334.); folglich wenn die Zinſe und der
Preiß der Erneurung nicht gezahlt
worden waͤre, ſo muß ein jeder Nach-

K k 2folger
[516]II. Theil 16. Hauptſtuͤck.
folger die Zahlung leiſten. Weil aber
die Bezahlung bloß eine Beſchwerde iſt, wel-
che dem Verkauf der Sache angehaͤngt wor-
den (§. 409.); ſo iſt derjenige, welcher
eine Sache durch den libellariſchen
Contract erhalten, mit dem voͤlligen
Rechte der Eigenthumsherr;
folglich
kann er dieſelbe nach ſeinem Gefallen,
ohne Einwilligung des Eigenthums-
herrn des libellariſchen Rechts, ver-
aͤuſſern und veraͤndern
(§. 256. 257.).


§. 733.

Vom
Zinsrech-
te.

Das Zinsrecht(jus cenſiticum) iſt das
Recht von einer einem andern zuge-
hoͤrigen unbeweglichen Sache jaͤhrlich etwas
gewiſſes zu fordern, welches eine Zinſe(cen-
ſus)
genannt wird; die man eine vorbehal-
tene
(reſervativus) nennet, wenn ſie der Ei-
genthumsherr, da er die Sache verkauft, ſich
vorbehalten hat; eine geſetzte(conſtitutus)
aber, wenn jemand ſich dieſelbe kauft, oder
geſchenckt bekommt. Es erhellet aber, daß
das Zinsrecht ein Recht in einer Sache
ſey
(§. 334.). Die Sache von welcher ei-
ne Zinſe abgetragen werden muß, heißt ein
Zinsgut
(bonum cenſiticum), oder auch
ein ſchlechtes Zinsgut; wer den Zins be-
zahlt, wird Zinsmann, oder Cenſite (cen-
ſualis);
wer denſelben empfaͤngt, der Zins-
herr
(cenſus dominus); der Contract aber,
worinnen man von der Zinſe Abrede genom-
men, der Zinscontract(contractus cen-
ſualis)
[517]Von der Erbnutzbarkeit.
ſualis) genannt. Da die Zinſe nur eine Be-
ſchwerde iſt (§. 409.); ſo hat der Zins-
mann mit voͤlligem Rechte das Eigen-
thum
(pleno jure dominus).Die Zinſe
kann in Gelde, oder in einer jeden an-
dern beweglichen Sache beſtehen,
nach-
dem man naͤmlich es verabredet. Wenn
die Zinſe aus Freygebigkeit aufgeleget,
oder bey einer geſchenckten Sache vor-
behalten wird; ſo wird die Groͤſſe der-
ſelben nach Gefallen von dem, der ſie
aufgelegt, oder vorbehalten, beſtimmt
(§. 314.): Wenn ſie
aber gekauft wird,
ſo muß ſie in den Schrancken der er-
laubten Zinſen vor geborgtes Geld ver-
bleiben, oder der Nutzbarkeit der Sa-
che nach der Verhaͤltniß des Preißes,
welcher gezahlt wird, zu dem wahren
Preiße der Sache proportioniret wer-
den: Wenn ſie
endlich in einer verkauf-
ten Sache vorbehalten wird; ſo muß
ihr Preiß von dem Preiße der Sache
abgezogen werden.
Da der Zinsherr
das Zinsrecht erlaſſen kann (§. 342.); ſo
wird das Zinsgut frey, wenn er ſein
Recht entweder umſonſt, oder fuͤr ei-
nen gewiſſen Preiß erlaͤßt;
weil alsdann
ſein Recht erloͤſchet (§. 337.).


§. 734.

Das Erbgrundrecht(jus ſuperficiei,Vom
Erb-
grund-
rechte.

vel ſuperficiarium) nennt man das Recht auf
ſeine Koſten etwas auf dem Grund und Bo-
K k 3den
[518]II. Theil 16. Hauptſtuͤck.
den eines andern, z. E. ein Gebaͤude, zu ha-
ben. Wer das Erbgrundrecht hat, heiſt der
Niedererbgrundherr(ſuperficiarius);
der, dem Grund und Boden zugehoͤrt, der
Grundherr
(dominus fundi). Die jaͤhr-
liche Miethe, welche der Niedererbgrund-
herr dem Grundherrn fuͤr den Gebrauch des
Grundes zahlet, wird der Grundzins (oder
Bodenzins, ſolarium) genannt; der Erb-
grundcontract
aber (contractus ſuperfi-
ciarius)
derjenige, wodurch der Niedererb-
grundherr und Grundherr wegen des Erb-
grundrechts ſich mit einander vergleichen; und
daraus muß das Recht des Nieder-
erbgrundherrn und des Grundherrn
ermeſſen werden
(§. 314. 438.). Da der,
welcher etwas ſchenckt, ſeinem Geſchencke, und
der Verkaͤufer dem Verkauf eine Bedingung,
wie ſie wollen, hinzufuͤgen koͤnnen (§. 314.);
ſo koͤnnen ſchon gebaute Haͤuſer mit der
Bedingung verſchenckt und verkauft
werden, daß derjenige, der ſie ſchenckt,
oder verkauft, das Recht auf dem
Grund und Boden des andern be-
haͤlt;
und alſo wird bey ſchon gebauten
Haͤuſern das Erbgrundrecht errichtet.

Es mag aber ſeyn, daß die Haͤuſer, welche
auf eines andern Grund und Boden ſtehen,
von einem auf eigene Koſten erbaut werden,
oder daß einer ſchon das Haus, es ſey auch
unter was vor einem rechtmaͤßigen Titel es
wolle, erhalten; ſo iſt der Niedereigenthums-
herr
[519]Von der Erbnutzbarkeit.
herr mit vollem Rechte Eigenthumsherr vom
Hauſe; der Grundherr aber von Grund und
Boden. Und weil das Recht des Erbgrundes
nicht aufhoͤrt, wenn gleich das Haus einfal-
len, oder abbrennen ſollte; ſo iſt, wenn es
durch einen Ungluͤcksfall untergeht,
erlaubt ein neues aufzubauen.
Und da
der Grundherr kein Recht auf das hat, was
ſich auf dem Grund und Boden befindet (§.
195.); ſo iſt die Bezahlung der Grund-
zinſe kein Recht in einer Sache (§. 334.),
und der Grundherr kann an dem, was
auf ſeinem Grund und Boden ſtehet,
ſich nicht halten, wenn nicht in dem
Erbgrundcontracte demſelben aus-
druͤcklich eine Hypotheck auf daſſelbe
ausgemacht worden
(§. 697.). Glei-
chergeſtalt weil niemanden ſein Recht benom-
men werden kann (§. 100.); ſo wird das
Haus mit dem Erbgrundrechte,
und
der Grund und Boden mit dem
Eigenthume veraͤuſſert.
Weil das
Recht des Niedererbgrundherrn aus dem
Contracte ermeſſen werden muß; ſo kann ei-
nem auch die Erbnutzbarkeit
(domi-
nium utile)
auf eine gewiſſe Zeit, oder
vor gewiſſe Perſonen in Haͤuſern, die
auf fremden Grunde und Boden ſte-
hen, eingeraͤumet werden, und alsdenn
iſt das Erbgrundrecht dem Erbzins-
rechte
(juri emphyteuticario)aͤhnlich (§.
725.). Und von dieſem Falle redet das Roͤ-
K k 4miſche
[520]II. Theil 16. Hauptſtuͤck.
miſche Recht. Aus der Erklaͤrung ſelbſt er-
hellet, daß das Recht des Erbgrundes
auch auf andere Dinge als Haͤuſer, die
auf eines andern Grund und Boden
ſtehen,
z. E. auf einen Garten, Wein-
berg, Wald, Teich,
ja auf einen Baum,
der auf des andern Grund und Boden
ſteht, natuͤrlicher Weiſe erweitert wer-
den kann;
indem eine ſolche Verwilligung
in dem Begriffe des Eigenthums enthalten
iſt (§. 195.), worauf die Wahrheit (realitas)
der Erklaͤrung ſich gruͤndet.


§. 735.

Was die
Treue
ſey.

Die Treue(fidelitatem) nennt man die
Fertigkeit alle Liebesdienſte zu leiſten, und ſon-
derlich diejenigen, wodurch aller Schaden
abgewandt, und aller Nutzen befoͤrdert wird,
wie auch die, welche noch beſonders verabre-
det worden.


§. 736.

Vom
Lehn.

Das Lehn(feudum) nennt man die
erbliche Nutzbarkeit, welche einem der Eigen-
thumsherr in einer ihm zugehoͤrigen Sache
unter der Bedingung der einander zu leiſten-
den Treue abgetreten hat. Da das voͤllige
Eigenthum die erbliche Nutzbarkeit und das
Grundeigenthum in ſich ſchließt; ſo wird
bey Errichtung eines Lehns das voͤlli-
ge Eigenthum in die erbliche Nutz-
barkeit und das Grundeigenthum un-
ter zwey Perſonen getheilet. Eine Sa-
che wird zu Lehn verliehen
(gegeben, res
infeu-
[521]Von dem Lehn.
infeudari dicitur), in welcher ein Lehn errichtet
wird; und die Sache ſelbſt, worinnen das
Lehn errichtet worden, wird ein Lehngut
(res feudalis) genannt; und im Gegentheil
heiſſet ein Allodial- oder Erbgut(allo-
dium),
was nicht Lehn iſt. Wer das Grund-
eigenthum bey einem Lehngute hat, iſt der
Lehnsherr
(dominus feudi); wer die Erb-
nutzbarkeit des Gutes hat, wird der Vaſall,
oder Lehnsmann(vaſallus) genannt. Der
Lehncontract iſt derjenige, in welchem der
Lehnherr und Lehntraͤger wegen des Lehns ſich
mit einander vereinigen; oder wodurch ein
Lehn errichtet und erlangt wird. Aus dem
Lehnscontracte muß
alſo das Recht
des Lehnsherrn und des Vaſallen, oder
Lehnsmannes ermeſſen werden
(§. 314.
438.).


§. 737.

Das Weſentliche eines Lehns(ſub-Von dem
Weſent-
lichen,
Natuͤr-
lichen u.
Zufaͤlli-
gen ei-
nes
Lehns.

ſtantialia feudi) nennt man die weſentlichen
Beſtimmungen, wodurch man ſich von einem
Lehn uͤberhaupt einen Begrif macht; folglich
koͤnnen dieſelben bey keinem Lehn feh-
len;
und derowegen ſind es in Anſehung
des Lehnmannes die Erbnutzbarkeit
des Lehnguts und die Treue, die er
dem Lehnherrn leiſten muß; in Anſe-
hung des Lehnsherrn aber das Grund-
eigenthum und die Treue, die er dem
Vaſallen zu leiſten verbunden (§. 736.).
Das Natuͤrliche eines Lehns
(naturalia
K k 5feudi)
[522]II. Theil 16. Hauptſtuͤck.
feudi) nennt man die weſentlichen Beſtim-
mungen, welche den Unterſcheid der Art (dif-
ferentiam ſpecificam)
eines Lehns, der entwe-
der durch die Geſetze, oder Gewohnheit ein-
gefuͤhret worden, z. E. daß das Verſprechen
der Treue beſchworen werden muß; die zu-
faͤlligen Beſtimmungen
(accidentalia)
aber die weſentlichen Beſtimmungen, welche
den Unterſcheid der Arten (differentiam ſpe-
cificam)
des Lehns ausmachen, die von den an-
dern, welche durch die Geſetze, oder die Ge-
wohnheit eingefuͤhret worden, verſchieden ſind,
z. E. die Verbindlichkeit des Vaſallen zu ver-
ſchiedenen ungewoͤhnlichen Pflichten. Daher
erhellet, daß der Unterſchied zwiſchen dem Na-
tuͤrlichen und Zufaͤlligen des Lehns in dem
Naturrechte keinen Nutzen hat; denn natuͤr-
licher Weiſe gilt, was in dem Contracte
verabredet worden (§. 736.). Weil naͤm-
lich das Natuͤrliche und Zufaͤllige durch das
Weſentliche nicht beſtimmt wird, folglich aus
demſelben nicht erwieſen werden kann; ſo be-
ruhet es lediglich, wenn ein Lehn ein-
geraͤumet wird, auf dem Willen des
Herrn der Sache, die zu Lehn gemacht
werden ſoll, was er noch auſſer den
weſentlichen Stuͤcken hinzuſetzen will
(§. 314.); welches
demnach im Lehn-
contract beſtimmt werden muß.


§. 738.

Vom ge-
gebenen
Lehn und

Ein gegebenes Lehn(feudum datum)
nennt man, welches der Eigenthumsherr ei-
nem
[523]Von dem Lehn.
nem andern in ſeiner eigenen Sache einraͤu-vom an-
getrage-
nen Lehn.

met: Ein angetragenes Lehn(feudum
oblatum)
aber, welches einem in einer Sa-
che, die man ihm giebt, eingeraͤumet wird.


§. 739.

Weil die Art ein Lehn zu machen auf demVon den
Arten ein
Lehn zu
machen.

Willen des Eigenthumsherrn der Sache, wel-
che zu Lehn gemacht werden ſoll, beruhet (§.
737.); ſo kann es eingerichtet werden
entweder auf eine gewiſſe Zeit, oder
beſtaͤndig, entweder ſchlechterdings,
oder mit Benennung gewiſſer Perſo-
nen, auf welche es nach und nach kom-
men kann, und es koͤnnen gewiſſe Lei-
ſtungen des Vaſallen,
z. E. Kriegsdien-
ſte (ſervitia militaria),und des Lehns-
herrn verabredet werden. Wenn man

aber bedinget, daß eine gewiſſe Zinſe
abgetragen werden ſoll; ſo wird das
Lehn mit dem Erbzinsrechte vermiſcht

(§. 725.). Was der Vaſall dem Lehnherrn
nach dem Lehncontracte zu leiſten ſchuldig iſt,
nennt man Lehndienſte(ſervitia feudalia,
Ritterdienſte); welche mehrentheils auf
Kriegsdienſte herauslaufen. Daher iſt ein
Freylehn
(feudum francum), wenn der
Vaſall dem Lehnherrn keine Dienſte zu leiſten
verbunden iſt; ein gantz Kriegeslehn(feu-
dum ligium),
wenn er Kriegesdienſte wider
alle zu leiſten ſchuldig iſt; kein gantz Krie-
geslehn
(feudum non ligium), wenn eini-
ge ausgenommen werden. Und dem Rechte
der
[524]II. Theil 16. Hauptſtuͤck.
der Natur gemaͤß nennt man ein Mann-
lehn
(feudum maſculinum), welches al-
lein auf Mannsperſonen; ein Weiber-
lehn
(feudum fœmineum), welches bloß
auf Weiber kommen kann. Ein ver-
miſchtes Lehn
(feudum mixtum), wel-
ches Perſonen beyderley Geſchlechts beſitzen
koͤnnen. Gleichergeſtalt nennt man ein
Pfandlehn
(pignoratitium), wenn der Ei-
genthumsherr Geld borgt, und anſtatt des
Pfandes ein ihm zugehoͤriges Gut als ein
Lehn uͤbergiebt.


§. 740.

Von den
Sachen,
welche zu
Lehn ge-
macht
werden
koͤnnen,
vom Kel-
lerlehn,
Burg-
lehn in
engerer
Bedeu-
tung,
Geld-
lehn und
Qvaſi-
lehn.

Weil in einer Sache, die durch den Ge-
brauch nicht verzehrt wird, die Erbnutzbar-
keit vom Grundeigenthum getrennt werden
kann (§. 724.); ſo kann eine jede, auch
eine unkoͤrperliche Sache, zu Lehn ge-
macht werden, die durch den Gebrauch
nicht verzehret wird
(§. 736.); folglich
auch das Recht die Ausbeute von
Bergwercken zu genieſſen, ja das Recht
einen gewiſſen Theil Wein aus dem
Keller, oder einen gewiſſen Theil Getraͤi-
de von dem Boden des Lehnsherrn
auf lebenszeit zu heben.
Man nennt aber
ein Kellerlehn(feudum de cavena), wenn
man einen gewiſſen Theil Wein aus dem Kel-
ler des Lehnherrn, oder auch von ſeinem Bo-
den einen gewiſſen Theil Getraͤide auf lebens-
lang abhohlen darf. Ja es erhellet leicht,
daß das Kellerlehn auch auf andere Sachen,
die
[525]Von dem Lehn.
die verzehrt werden koͤnnen, ſich erſtreckt, z.
E. daß ihm ein gewiſſer Theil Fiſche aus dem
Teiche des Eigenthumsherrn, oder Holtz aus
dem Walde, oder Wild, welches darinnen
gefangen wird, gegeben werde. Es iſt aber
von dem Kellerlehn das Soldatenlehn(feu-
dum ſoldatæ)
unterſchieden, nach welchem
einem aus beſonderer Gnade gewiſſer Wein,
Geld, oder Getraͤide, oder eine jede andere
Sache, die verzehrt werden kann, gegeben
wird; da denn die verabredete Sache dem
Vaſallen gegeben werden muß, der Herr
mag ſie haben, oder von andern kaufen muͤſ-
ſen, hingegen in dem Kellerlehn dieſes auf
dasjenige eingeſchraͤnckt wird, was der Ei-
genthumsherr hat; gleichwie auch in jenem es
auf die Perſon deſſen, der damit belehnet wird,
in dieſem aber es auch auf die Erben kommt.
Alſo nennt man auch ein Wohnlehn(feu-
dum habitationis),
wenn einem das Recht
in einem gewiſſen Hauſe zu wohnen auf le-
benszeit erlaubt wird. Man muß aber uͤber-
haupt bemercken, daß man die Dinge, die
man verzehrt, und das Geld gleichſam
zu Dingen, die nicht verzehrt werden,
macht, in ſo ferne man durch einen
Buͤrgen, oder durch eine Hypothecke
Sicherheit davor ſchaft, damit ſie al-
lezeit wiedergegeben werden koͤnnen,
wenn ſie wiedergegeben werden muͤſ-
ſen.
Denn alsdenn iſt es einerley, ob wir
den Nießbrauch von der Sache haͤtten, ſo
daß
[526]II. Theil 16. Hauptſtuͤck.
daß die Sache ſelbſt unbeſchaͤdigt verbleibt;
folglich man damit auf dieſe Weiſe be-
lehnet werden kann,
in ſo ferne naͤmlich
in ihnen, da ſie noch gleichſam wuͤrcklich vor-
handen ſind, das Obereigenthum beſtehen
kann. Man nennt aber gleichſam ein Lehn
(quaſi feudum), wenn man mit einer Sa-
che belehnet wird, die zwar an und vor ſich
ſelbſt zur Belehnung nicht geſchickt iſt, aber
doch durch die Kunſt zur Belehnung geſchickt
gemacht wird. Daher iſt das Geldlehn
(feudum pecuniæ), wenn einer mit Gelde
belehnet wird, gleichſam ein Lehn. Ue-
brigens iſt das Geld, womit einer beleh-
net worden, ein Lehngeld (§. 736.):
Worauf kein Lehn haftet, Allodial-

oder Erbgeld (§. cit.); folglich iſt das
Geld, wofuͤr das Lehngut verkauft
worden, kein Lehngeld, ſondern Er-
begeld.
Und auf eben dieſelbe Weiſe erhel-
let, daß, da eine Sache, welche vor ein
Lehngut gegeben wird, dem Gelde gleich iſt,
welches davor gezahlet wird, wenn ein
Lehngut mit einem Erbgute ver-
tauſcht wird, das Allodial- oder Erb-
gut kein Lehngut ſey.


§. 741.

Von der
Afterbe-
lehnung.

Da derjenige, welcher die Erbnutzbarkeit
hat, auſſer dem gantzen Rechte des Nießge-
brauchs, auch einen Theil der Proprietaͤt hat
(§. 724.), von welcher es klar iſt, daß ſie
noch auf andere Weiſe eingeſchraͤnckt werden
kann;
[527]Von dem Lehn.
kann; ſo kann derjenige, welcher die
Erbnutzbarkeit in einer Sache hat,
dieſelbe einem andern zu Lehn geben
(§. 736.): Doch ſo, daß das Recht des
Lehnherrn keinen Schaden leidet
(§.
100.); folglich koͤnnen, dem Rechte des
Lehnherrn unbeſchaͤdigt, einem andern
Erbzinsguͤter und Lehnguͤter zur Lehn
gegeben werden.
Ein Lehngut, das ei-
nem andern zum Lehngut gegeben worden,
nennt man ein Afterlehn(ſubfeudum);
und das Lehngut wird zum Afterlehn ge-
macht
(ſubinfeudatur), wenn ein anderer da-
mit belehnet wird. Derjenige, welcher mit ei-
nem Afterlehne belehnt wird, heiſt der After-
vaſall, der Afterlehnsmann
(ſubvaſal-
lus),
gewoͤhnlich der Afterbelehnte(ſub-
infeudatus);
welcher ihn damit belehnet der
Afterlehnsherr(dominus ſubfeudi); und der
Contract, in welchem man das Afterlehn ver-
abredet, der Afterlehnscontract(contractus
ſubvaſalli);
aus welchem alſo das Recht
des Afterlehnsherrn und des Afterva-
ſallens beſtimmt werden muß
(§. 736.).
Da die Afterbelehnung gaͤntzlich auf dem Wil-
len des Afterlehnsherrn beruhet (§. 314.); ſo
koͤnnen in dem Afterlehnscontracte zu
den weſentlichen Beſtimmungen noch
andere hinzugeſetzt werden, welche in
dem Lehnscontract nicht enthal-
ten, jedoch demſelben nicht zuwider
ſind
(§. 736.). Und weil die Afterbeleh-
nung
[528]II. Theil 16. Hauptſtuͤck.
nung das Recht des Lehnsherrn unbeſchaͤ-
digt erhaͤlt; ſo wird ſeine Einwilligung
zur Afterbelehnung nicht erfordert.

Uebrigens erhellet es fuͤr ſich, daß, wenn
jemand mit vielen Guͤtern zuſammen
belehnet worden, er nach ſeinem Ge-
fallen eine, oder die andere Sache ei-
nem oder mehreren zum Afterlehn ge-
ben kan.
Endlich iſt auch dieſes klar ge-
nung, daß durch die Afterbelehnung
nicht die gantze Erbnutzbarkeit dem
Afterlehnsmanne uͤberlaſſen wird, ſon-
dern ein Theil der Proprietaͤt beym
Vaſallen verbleibt, und das Recht des
Aftervaſallen nicht vermehrt, wohl
aber vermindert werden kan;
ja daß
die Afterbelehnung ſo wohl ohne Ent-
geld, als fuͤr einen gewiſſen Preiß ge-
ſchehen kann.


Auf wen
die Ge-
fahr in
Anſe-
hung der
Fruͤchtefaͤllt.

§. 742.

Da alle Fruͤchte dem Vaſallen und After-
vaſallen zugehoͤren (§. 736. 741.); ſo faͤllt
auch alle Gefahr der Fruͤchte auf den
Vaſallen und Aftervaſallen.


§. 743.

Vom
Lehnsfol-
ger und
der Ver-
aͤnderung
des Lehn-
guts.

Einen Lehnsfolger(ſucceſſor feuda-
lis)
nennt man denjenigen, auf welchen
nach dem Geſetze der Belehnung, wenn der
Baſalle ſtirbt, das Lehn faͤllt. Wenn alſo
kein Lehnsfolger vorhanden, ſo er-
haͤlt das Lehngut mit vollem Rechte
der Lehnsherr;
folglich faͤllt auch das
After-
[529]Von dem Lehn.
Afterlehn weg (§. 741.). Derowegen da
der Vaſalle nichts thun darf, was dem
Rechte des Lehnherrn, oder ſeiner Mit-
belehnten zuwider iſt (§. 86.); ſo darf
er das Lehngut nicht verſchlimmern,
noch ihm
deswegen eine Dienſtbarkeit
(Servitut) auflegen (§. 708.); folglich darf
der Lehnherr und der Lehnfolger nicht
leiden daß das Lehngut verſchlimmert
wird.
Jm Gegentheil aber weil der Lehn-
herr
auch nichts, was dem Recht des Vaſal-
len zuwider iſt, thun ſoll (§. 86.); ſo kann er
auch nicht mit dem Lehngut ſelber ſol-
che Einrichtung machen, daß das Recht
des Nießbrauchs entweder vermin-
dert, oder, es geſchehe auf was vor
Weiſe es wolle, verhindert werde
(§.
708.); folglich auch demſelben keine Ser-
vitut auflegen.
Da aber nichts vorge-
nommen wird, was dem Recht des Lehnherrn,
oder des Lehnfolgers zuwider waͤre, wenn
der Vaſalle, ſo lange er das Lehngut
beſitzt, einem andern in demſelben ein
Recht einraͤumet, dergleichen eine Ser-
vitut ſeyn wuͤrde
(§. 83.); ſo kann er
dieſes thun,
folglich wenn der Vaſall
dem Lehngut eine Servitut wider
Recht auflegt; ſo bleibt ſie als ein
Recht, welches den Servituten aͤhn-
lich iſt, ſo lange er das Lehngut beſitzt.

Und weil ein jedes Recht, welches zum Nieß-
brauch gehoͤret, dem Vaſallen eigen iſt (§.
Nat. u. Voͤlckerrecht. L l736.);
[530]II. Theil 16. Hauptſtuͤck.
736.); ſo kann der Vaſalle das Lehn-
gut verbeſſern
(§. 279.), und deswegen
auch eine Servitut zum Nutzen deſſel-
ben erwerben
(§. 708.). Aus eben dem
Grunde muß der Vaſalle, da er vom Lehn-
gute allen Nutzen hat, als aus einer Sache
die ſein eigen iſt (§. cit.), auch alle Beſchwer-
den tragen.


§. 744.

Von der
Eroͤff-
nung des
Lehns.

Man ſagt, das Lehn wird dem Lehn-
herrn offen
(feudum apperiri domino),
wenn kein Lehnfolger vorhanden; daß alſo
die Eroͤffnung, oder die Apertur eines
Lehns
(appertura feudi) der Mangel ei-
nes Rechts in dem Lehn zu folgen iſt; und
das Lehn iſt der Apertur nahe, oder
ſtehet auf dem Falle(feudum apperturæ
proximum),
wenn dazu Hoffnung iſt, daß
es werde offen werden; folglich daß in kurtzer
Zeit kein Lehnsfolger mehr daſeyn werde.
Und deswegen kann ein Lehn, welches
auf dem Falle ſteht,
indem die Ver-
aͤuſſerung dem Rechte des Lehnherrn zuwider
ſeyn wuͤrde (§. 83.), an niemanden, der
auſſer der Lehnsfolge iſt
(extraneus),
veraͤuſſert werden.


§. 745.

Wenn
ein Nach-
folger im
Grundei-
genthum
fehlt.

Bey der Errichtung des Lehns wird das
Grundeigenthum dem Lehnherrn vorbehalten
(§. 736.), und wird als eine uncoͤrperliche
Sache zu ſeinen uͤbrigen Guͤtern gerechnet (§.
207.). Wenn derowegen im Lehnscon-
tract
[531]Von dem Lehn.
tract nichts beſonders vom Grundei-
genthume ausgemacht worden; ſo er-
langt der Vaſall daſſelbe Recht nicht,
wenn kein Nachfolger darinnen vor-
handen
(§. 318.); folglich auch der Af-
tervaſalle in einem aͤhnlichen Falle
auch nicht das Recht des Vaſallen
(§.
741.).


§. 746.

Weil der Vaſalle nach dem LehncontractOb ein
Lehn ver-
wircket
werden
koͤnne.

dem Lehnherrn nur dasjenige, was in demſel-
ben verabredet worden, zu leiſten verbunden
iſt (§. 438.); folglich der Lehnherr ihn
daſſelbe zu leiſten anhalten koͤnte (§. 80.),
oder wenn es nicht mehr geleiſtet wer-
den kann, vor den Schaden zu ſtehn (§.
415.); ſo wird, wenn nicht ausdruͤck-
lich ausgemacht worden, in welchem
Falle das Lehn verlohren gehen ſoll,

weil alsdenn gilt was verabredet worden (§.
736.), natuͤrlicher Weiſe wegen ge-
wiſſer Handlungen, oder Unterlaßun-
gen, die dem Lehnscontracte zuwider
ſind, das Lehn nicht verlohren.
Weil
man zu den Contracten eine Strafe ſetzen
kann (§. 410.); ſo kann man die Hand-
lungen, oder Unterlaßungen ausma-
chen, um derentwillen ein Lehn ver-
lohren gehen ſoll
(§. cit.).


§. 747.

Die Lehnsverbindlichkeit(obligatioVon der
Lehns-
verbind-

feudalis) nennt man, welche aus dem Lehns-
L l 2contracte
[532]II. Theil 16. Hauptſtuͤck.
lichkeit
(Lehns-
pflicht)
und Fe-
lonie.
contracte entſteht; und in der Verbindlichkeit
des Lehnherrn und des Vaſallen gegen einan-
der beſteht die Lehnsverbindung(ne-
xus feudalis).
Die Lehnsverbindlichkeit
und Lehnsverbindung muͤſſen
alſo aus
dem Lehnscontracte ermeſſen werden.

Was der Lehnsverbindlichkeit zuwider ge-
ſchiehet, oder unterlaſſen wird, das wird ei-
ne Felonie
(felonia) genannt; welche alſo
auf ſo vielerley Weiſe begangen wer-
den kann, als es Lehnsverbindlichkei-
ten giebt, nicht allein von dem Vaſal-
len, ſondern auch von dem Lehnsherrn:
Doch ſind nicht alle von einerley Groͤſ-
ſe.
Weil natuͤrlicher Weiſe durch eine Hand-
lung, oder Unterlaſſung, ſo dem Lehnscontracte
zuwider iſt, das Lehn nicht verlohren geht;
ſo gehet nach dem Rechte der Natur
wegen einer Felonie das Lehn nicht
verlohren (§. 746.), und
alſo kommt
dieſes bloß aus dem Vertrage. Es
kann
aber in dieſem Falle die begangene
Felonie erlaſſen werden (§. 342.), und
denn wird das Lehn nicht verlohren

(§. 337.). Da niemanden eines andern Hand-
lung zugerechnet werden kann (§. 3.); ſo
muß, wenn der Vaſall wegen einer Fe-
lonie das Lehn verliert, der Lehns-
herr es nach deſſelben Tode demjenigen
wiedergeben, auf welchen es nach ſei-
nem Tode faͤllt;
folglich hoͤrt das durch
eine Felonie verlohrene Lehn nicht auf.


§. 748.
[533]Von dem Lehn.
§. 748.

Man ſagt, der Vaſall refutire dasVon der
Refuta-
tion
(Auflaſ-
ſung) und
Revoca-
tion ei-
nes
Lehns.

Lehn(feudum refutare), wenn er dem
Lehnherrn anzeigt, er wolle das Lehn nicht
behalten, entweder ſchlechterdinges, oder zum
Vortheil eines dritten. Jn dem erſten Fall
ſagt man, daß er es dem Lehnherrn re-
futire;
im andern aber einem dritten.
Wenn
alſo dem Lehnherrn das Lehn
refutiret wird; ſo begiebt ſich der Va-
ſall ſeines Rechtes (§. 337.): Wenn es

aber einem dritten zum Vortheil geſchie-
het; ſo tritt er ihm ſein Recht ab
(§.
338.). Da ein jeder ſich ſeines Rechtes be-
geben kann, wofern nichts unternommen
wird, was dem Rechte eines andern zuwider
iſt (§. 342.); ſo kann das Lehn dem
Lehnherrn
auch wider ſeinen Willen
refutiret werden, wenn ſolches ſeinem
Rechte nicht ſchadet: Wenn es aber
ihm zum Nachtheil gereicht,
z. E. daß
der Vaſall die Kriegesdienſte, deren der Lehn-
herr zu der Zeit bedarf, nicht leiſten darf,
oder in der Abſicht, daß er deſto ſicherer feind-
lich wider ihn handeln koͤnte; ſo kann es
nicht refutiret werden.
Allein weil auch
die Refutation zum Nachtheil des
Lehnfolgers nicht geſchehen kann (§.
86.); ſo kann der Nachfolger, wenn
es dem Lehnherrn, oder einem weite-
ren Anverwandten refutiret worden,
nach dem Tode deſſen, der es refutiret,

L l 3von
[534]II. Theil 16. Hauptſtuͤck. Von dem Lehn:
von dem naͤchſten Lehnfolger revoci-
ren.
Denn man ſagt, ein Lehn wer-
de revociret, oder man bringe daſ-
ſelbe wieder an ſich
(feudum revocare),
wenn einer mit Recht angehalten wird das
Lehngut wiederzugeben, welches auf ihn ge-
bracht worden. Es erhellet aber aus eben
dieſer Urſache, daß wenn das Lehn, wel-
ches wider das Recht des Lehnherrn,
oder deſſen, auf welchen es einmahl
fallen koͤnte, veraͤuſſert worden;
folg-
lich auch wenn eines einem, der kein Mit-
belehnter iſt, refutiret worden,
indem
dieſes gleichfalls eine Veraͤuſſerung iſt, daſ-
ſelbe von dem Lehnherrn, oder dem
Lehnfolger revociret werden koͤnne.

Es erhellet aber gleich aus der Vergleichung
der Erklaͤrungen, daß das Lehn revoci-
ren ſo viel ſey, als daſſelbe vindiciren,
oder wieder an ſich bringen
(§. 262.).
Da die Veraͤuſſerung eines Lehns auf mehr
als auf eine Art beſtimmt werden kann; ſo
muß es dem Willen derer, die den Ver-
trag machen, uͤberlaſſen werden, wie
ſie dieſerwegen es wollen gehalten ha-
ben, und was verabredet worden, muß
gehalten werden (§. 667.): Wenn nicht
das Recht zu veraͤuſſern durch das,
was ſonſt ausdruͤcklich verabredet wor-
den, ſtillſchweigend beſtimmt iſt.


Das
[535]

Das ſiebzehente Hauptſtuͤck.


Wie die aus dem Contract ent-
ſtandene Verbindlichkeit aufge-
hoben wird.


§. 749.

Man ſagt die Verbindlichkeit wirdWas das
ſey, eine
Verbind-
lichkeit
aufheben
u. die Be-
freyung
davon.

aufgehoben(obligatio tolli dici-
tur),
wenn der, welcher einem andern
etwas zu geben, oder zu thun verbunden war,
aufhoͤrt demſelben verbunden zu ſeyn; und
die Aufhebung der Verbindlichkeit wird die
Befreyung(liberatio) genannt.


§. 750.

Da nach der Zertrennung des VertragsVon der
Befrey-
ung duꝛch
die Zer-
trennung
des Ver-
trags.

diejenigen, welche den Contract gemacht, von
der daraus entſtandenen Verbindlichkeit gegen
einander befreyet werden, die Zertrennung
aber dadurch geſchehen kann, daß ſie beyder-
ſeits nicht mehr wollen, was ſie vorhin ge-
wolt hatten (§. 444.); ſo wird auch die
Verbindlichkeit aufgehoben, ſo bald der
Contract durch Aenderung ihres Wil-
lens zertrennt wird;
oder auch ein wohl-
thaͤtiger Contract durch Aenderung
des Willens deſſen allein, welcher al-
lein einen Vortheil daraus hat;
weil
dem andern nicht dran gelegen iſt, daß der
Vertrag erfuͤllt wird (§. 749.); folglich er-
loͤſcht das erhaltene Recht,
als welches
daher ruͤhret (§. 46.).


L l 4§. 751.
[536]II. Th. 17. H. Von der Aufhebung
§. 751.

Von der
Befrey-
ung duꝛch
den Ab-
trag.

Der Abtrag(ſolutio) nennt man die
wuͤrckliche Leiſtung deſſen, was einer zu leiſten
vollkommen verbunden iſt. Durch den Ab-
trag wird
alſo die Verbindlichkeit aus
dem Contracte aufgehoben
(§. 749.).
Weil aber durch den Abtrag geleiſtet wird,
was man zu leiſten ſchuldig war; ſo muß
genau eben dasjenige geleiſtet werden,
was man ſchuldig iſt, und es kann
nicht eine andere Sache fuͤr eine ande-
re Sache gegeben werden, wenn der
Glaͤubiger nicht,
als welcher von ſeinem
Rechte vergeben kann, ſo viel er will (§. 342.),
einwilliget (§. 337.). Man muß auch
genau an dem Tage, und an dem Orte,
an welchem man zu zahlen ſchuldig iſt,
zahlen; wenn nicht, aus eben der Ur-
ſache, der Glaͤubiger in den Verzug wil-
liget
(§. 417.); wie auch die gantze Schuld
abtragen;
folglich da man es eine Bezah-
lung zum Theil
(ſolutio particularis) nennt,
wenn das, was man ſchuldig iſt, nicht gantz
gezahlt wird, ſondern nur ein Theil deſſelben,
die Zahlung aber des uͤbrigen bis auf eine an-
dere Zeit aufgeſchoben wird; ſo iſt der Glaͤu-
biger nicht ſchuldig eine Bezahlung
zum Theil anzunehmen.
Man verſteht
aber leicht, daß wenn die ſchuldige Sa-
che ſelbſt nicht gegeben werden kann;
der Werth derſelben zu erſetzen (§. 271.)
und angenommen werden muß
(§. 37.).
Und
[537]der Verbindlichk. aus Contracten.
Und da der Tag, an welchem einer bezahlen
ſoll, dem Schuldner zum beſten beſtimmet
worden, damit er nicht vor der Zeit dazu an-
gehalten werden kann: Dem Glaͤubiger aber
zum beſten, damit nicht eher, als an dieſem
Tage bezahlt wird, und dieſes ſtillſchweigend
verabredet worden, wenn es aus der Beſchaf-
fenheit deſſen, was geleiſtet werden ſoll, er-
hellet, es ſey dem Glaͤubiger daran gelegen,
daß nicht vor der Zeit gezahlt werde; ſo kann
dasjenige, was man auf einen gewiſ-
ſen Tag zu zahlen ſchuldig iſt, vor dem-
ſelben auch wider des Glaͤubigers Wil-
len bezahlt werden, wenn der Tag dem
Schuldner zu gefallen beſtimmt wor-
den: Hingegen keinesweges, wenn es
dem Glaͤubiger zu gefallen geſchehen,
oder aus der Sache ſelbſt erhellet, es
ſey dem Glaͤubiger dran gelegen, daß
nicht vor der Zeit gezahlt werde.
Al-
lein wenn der Schuldner dasjenige lei-
ſtet, woran dem Glaͤubiger gelegen
iſt, daß die Zahlung nicht vor der Zeit
geſchiehet;
da alsdenn dadurch nichts ge-
ſchiehet, was dem Rechte des Glaͤubigers zu-
wider waͤre (§. 83.); ſo muß der Glaͤubi-
ger die Bezahlung vor der Zeit anneh-
men.
Und weil die Zahlung auf dem Wil-
len des Schuldners beruhet, wenn dieſelbe
ſeinem Willen anheimgeſtellet worden; ſo
kann, wenn die Zahlung dem Will-
kuͤhr des Schuldners uͤberlaſſen wor-

L l 5den,
[538]II. Th. 17. H. Von der Aufhebung
den, der Schuldner immer bezahlen,
wenn er will: Der Glaͤubiger aber
kann, ehe derſelbe ſtirbt, die Schuld
nicht fordern.


§. 752.

Vom
Aufſa-
gen, oder
Aufkuͤn-
digen,
und vom
Mah-
nen.

Das Aufſagen, oder die Auf kuͤndi-
gung
(interpellatio, reſignatio) iſt eine
Handlung, wodurch, genommener Abrede
nach, einer dem andern anzeigt, daß er aus
dem Contracte nicht laͤnger verbindlich ſeyn
wolle. Jns beſondere heiſt einen Schuld-
ner mahnen
(debitorem interpellare) nichts
anders, als die Bezahlung der Schuld von
ihm verlangen. Wenn man alſo etwas
auf einen gewiſſen Tag ſchuldig iſt; ſo
iſt natuͤrlicher Weiſe das Auf kuͤndigen
nicht noͤthig: Wenn man es aber alſo
verabredet hat, daß die Auf kuͤndigung
vorhergehen ſoll, ehe man zahlen darf;
ſo iſt ſie beyden Theilen erlaubt;
weil
man das halten muß, was verabredet wor-
den iſt (§. 438.); der Schuldner darf
und kann nicht eher zahlen,
und im Ge-
gentheil kann der Glaͤubiger den Schuld-
ner nicht eher zur Bezahlung der
Schuld antreiben, und iſt auch die
Schuld nicht anzunehmen ſchuldig,
als bis die Auf kuͤndigung auf die ver-
abredete Weiſe geſchehen. Wenn man
es
aber alſo verabredet hat, daß es dem
Glaͤubiger frey ſtehen ſoll, die Schuld
zu fordern, zu welcher Zeit er will; ſo

kann
[539]der Verbindlichk. aus Contracten.
kann der Schuldner, da er ſich nicht ver-
bindlich gemacht hat, nicht eher zu zahlen, als
bis die Aufkuͤndigung geſchehen, er aber gleich-
wohl darein ſtillſchweigend gewilliget zu ha-
ben ſcheinet, der Glaͤubiger ſolle den Abtrag
nicht mit ſeinem Nachtheil anzunehmen gehal-
ten ſeyn, ohne vorhergegangene Auf-
kuͤndigung die Schuld abtragen, und
der Glaͤubiger iſt gehalten den Abtrag
anzunehmen, wenn er keine rechtmaͤſ-
ſige Urſache hat, warum er ihn nicht
annehmen will: Welches doch aber er-
wieſen werden muß.


§. 753.

Die Anerbietung zu bezahlen mitVom An-
erbieten
zu bezah-
len.

Worten(oblatio debiti verbalis) heißt,
wenn der Schuldner dem Glaͤubiger bloß mit
Worten erklaͤret, daß er zur Bezahlung be-
reit ſey; in der That aber (realis), wenn
er das, was er ſchuldig iſt, wuͤrcklich erlegen
will. Und zwar heiſt ein bloſſes Anerbie-
ten in der That
(relis nuda), wenn wei-
ter keine andere Handlung hinzukommt, wel-
che natuͤrlicher Weiſe dem Anerbieten
mit Worten gleich iſt: Das feyerliche
Anerbieten
aber (ſolennis) iſt, wenn der
Glaͤubiger, was gezahlet wird, nicht bekommt,
ſondern daſſelbe verſiegelt und in Verwahrung
gegeben, oder niedergelegt wird. Da das
feyerliche Anerbieten in der That bey einer
unbeweglichen Sache, die nicht ver-
ſiegelt und in Verwahrung gegeben,

oder
[540]II. Th. 17. H. Von der Aufhebung
oder niedergelegt werden kann, nicht
ſtatt findet; ſo iſt das Anerbieten mit
Worten dem feyerlichen in der That
gleich
(§. 37.). Und weil es eben ſo viel
iſt, als wenn man die Schuld abgetragen
haͤtte, wenn das Anerbieten feyerlich geſche-
hen; ſo wird durch das feyerliche An-
erbieten die Verbindlichkeit des Schuld-
ners aufgehoben
(§. cit.); folglich ge-
ſchieht dieſes auch durch das Anerbie-
ten mit Worten einer unbeweglichen
Sache, oder die nicht verſiegelt und
beqvem niedergelegt werden kann; und
wird
derowegen das Eigenthum derſel-
ben auf den Glaͤubiger gebracht, und
faͤllt
alſo alle Gefahr auf ihn (§. 243.).
Weil der Glaͤubiger die Zahlung anzunehmen
verbunden iſt; ſo kann der Schuldner,
wenn der Glaͤubiger ſie nicht anneh-
men will, natuͤrlicher Weiſe auf Ge-
fahr des Glaͤubigers die ſchuldige Sa-
che in ſeinem Hauſe wider ſeinen Wil-
len laſſen, und eine unbewegliche Sa-
che ledig ſtehen laſſen, und ſich gar
nicht mehr um dieſelbe bekuͤmmern.

Und weil der Schuldner am Verzug nicht
ſchuld iſt, wenn der Glaͤubiger ſich wei-
gert die angebotene Bezahlung anzu-
nehmen (§. 417.); ſo wird er vom Ver-
zuge befreyet; im Gegentheil
aber faͤngt
der Glaͤubiger an am Verzuge ſchuld
zu ſeyn.


§. 754.
[541]der Verbindlichk. aus Contracten.
§. 754.

Man ſagt der Glaͤubiger nehme vor be-Vom An-
nehmen
als
wenns
bezahlt
waͤre.

zahlt an(acceptum ferre), wenn er hin-
laͤnglich erklaͤrt, er nehme die Schuld vor be-
zahlt an. Wer alſo eine Schuld vor be-
zahlt annimmt, der erlaͤßt ſein Recht

(§. 337.); folglich wird dadurch der
Schuldner von ſeiner Verbindlichkeit
befreyet, und das Recht des Glaͤubi-
gers erloͤſcht
(§. cit. und 749.), und man
haͤlt davor, daß der Schuldner die
Schuld abgetragen habe.
Da es auf
den Willen des Glaͤubigers ankommt, daß er
mit ſeinem Recht nach Gefallen verfaͤhret;
ſo kann er auch einen Theil der Schuld
vor bezahlt annehmen, und dieſes kann
entweder umſonſt geſchehen, oder es
kann eine andere Sache, oder That fuͤr
die Schuld angerechnet werden.


§. 755.

Den Vertrag die Schuld nicht zuVom
Vertrag
die
Schuld
nicht zu
fordern.

fordern(pactum de non petendo) nennt
man denjenigen, durch welchen zwiſchen dem
Glaͤubiger und Schuldner verabredet wird,
daß er die Schuld nicht bezahlen darf. Da
durch dieſen Vertrag die Schuld erlaſſen
wird (§. 337.); ſo wird der Schuldner
befreyet (§. cit. und §. 749.). Daher wird er
auch ein Befreyungsvertrag(pactum li-
beratorium)
genannt. Es erhellet auch eben
wie vorher, wenn man die Schuld vor be-
zahlt annimmt, daß der Vertrag die Schuld
nicht
[542]II. Th. 17. H. Von der Aufhebung
nicht zu fordern auch uͤber einen Theil der
Schuld gemacht werden kann, und daß es
entweder umſonſt, oder ſo daß etwas anders
davor gerechnet wird, geſchehen kann (§. 754.).


§. 756.

Von der
Verguͤ-
tung.

Die Verguͤtung(compenſatio) nennt
man, wenn die Schuld des einen durch eine
Schuld des andern aufgehoben wird; oder
wenn der Schuldner, wenn er die Schuld
abtragen ſoll, anſtatt deſſen dem Glaͤubiger
anrechnet, was er ihm ſelbſt ſchuldig iſt.
Wenn alſo eine Verguͤtung geſchieht;
ſo wird jeder Theil von der Verbind-
lichkeit ſeine Schuld abzutragen be-
freyet,
und die Verguͤtung iſt eine
wechſelsweiſe Bezahlung, die in der
Kuͤrtze geſchiehet
(§. 323.). Da man
eine Sache nicht fuͤr eine andere zahlen kann,
ſondern ohne Ausnahme das, was man ſchul-
dig iſt (§. 751.); ſo iſt nothwendig, daß
wenn eine Verguͤtung geſchehen ſoll,
diejenigen, welche beyde einander
ſchuldig ſind, einerley Sache ſchuldig
ſeyn muͤſſen, und daß der Zahlungs-
termin beyderſeits verfloſſen ſeyn muß.

Es erhellet aber, daß die Verguͤtung
ſelbſt durch das Recht geſchehe;
folg-
lich dazu keine beſondere Handlung er-
fordert werde;
und daher nicht noͤthig
iſt, daß wir dem Glaͤubiger, der auch
unſer Schuldner iſt, anzeigen, daß wir
die Schuld verguͤten wollen; ſondern

wenn
[543]der Verbindlichk. aus Contracten.
wenn er die Zahlung von uns fordert,
ſo koͤnnen wir ihn durch die Verguͤ-
tung abweiſen.
Da man auf die Ver-
guͤtung
Verzicht thun kann (§. 342.); ſo
iſt, wenn man darauf Verzicht gethan
hat, die Verguͤtung nicht erlaubt
(§.
340.). Weil bey der Verguͤtung beyder
Theile Schuld gewiß ſeyn muß, indem kei-
ner zur Zahlung angehalten werden kann, als
derjenige, von dem es gewiß iſt, daß er ſchul-
dig ſey; und man eine unſtreitige Schuld
(debitum liquidum) nennt, von welcher man
es gewiß weiß, daß er etwas zu leiſten ver-
bunden iſt; eine ſtreitige Schuld aber,
wenn daſſelbe noch nicht gewiß iſt; ſo kann
eine unſtreitige Schuld mit einer ſtrei-
tigen nicht verguͤtet werden.
Und weil
man die Schuld abtragen muß, wenn der
Termin zur Zahlung erſchienen (§. 751.);
ſo kann die Zahlung einer unſtreitigen
Schuld der Verguͤtung wegen nicht
aufgeſchoben werden:
Weil aber ein je-
der einen jeden Schaden von ſeinem Vermoͤ-
gen abzuwenden ſchuldig iſt (§. 269.); ſo
muß, wofern zu befuͤrchten iſt, daß
derjenige, dem etwas gezahlt wird,
wehrender Zeit in ſolche Umſtaͤnde
kommen doͤrfte, da er nicht im Stande
iſt zu bezahlen, was gezahlt wird, ent-
weder feyerlich angeboten, oder nie-
dergelegt werden (§. 753.), oder der-
jenige, dem gezahlet wird, muß Sicher-

heit
[544]II. Th. 17. H. Von der Aufhebung
heit ſtellen, daß er bezahlen wird, was
gegen ihn ausgefuͤhret worden
(§. 697.
596.). Bey der Verguͤtung kommt das, was
der andere mir zahlen muß, an die Stelle
deſſen, was ich ihm zu zahlen habe. Weil
demnach nicht eines fuͤr das andere gezahlt
werden kann (§. 751.); ſo koͤnnen keine an-
dere Sachen, als die durch den Gebrauch ver-
zehret werden, und da man nur etwas von
eben der Art wiederzugeben ſchuldig iſt, verguͤ-
tet werden (§. 527.); denn auch dieſe Sa-
chen hoͤren auf dergleichen zu ſeyn, wenn man
eben dieſelben wiedergeben muß, welche man
empfangen (§. 515. 527.). Und dieſes iſt
die Urſach, warum die Verguͤtung nicht ge-
gen etwas niedergelegtes, oder in Verwahrung
gegebenes (§. 541.), oder auch geborgtes ſtatt
findet (§. 515.).


§. 757.

Von
dem, was
ſtatt der
Zahlung
angege-
ben wird.

Statt der Zahlung angeben(in ſolu-
tum dare)
iſt ſo viel, als eine Sache anſtatt
derjenigen geben, welche man ſchuldig war.
Es kan alſo eine jede Sache ſtatt der
Zahlung angegeben werden.
Da man
aber genau eben daſſelbe zahlen muß, was
man ſchuldig iſt (§. 751.); ſo kann dieſes
nicht anders geſchehn, als mit
gutem Willen des Glaͤubigers: oder
wenn jenes unmoͤglich iſt
(§. 60.), da
die Arbeit den eigenthuͤmlichen Sachen gleich
geachtet wird (§. 225.); ſo kann auch Ar-
beit anſtatt der Zahlung geleiſtet wer-

den.
[545]der Verbindlichk. aus Contracten.
den. Und weil einer ſein Recht dem andern
abtreten kann (§. 342.); ſo kann man auch
eine Schuld, die man zu fordern hat,
ſtatt der Zahlung angeben, indem man
dem andern ſein Recht abtritt.
Dero-
wegen da der Schuldner, wenn es unmoͤglich
iſt zu zahlen, was er eigentlich zahlen ſoll, wi-
der ſeinen Willen angehalten werden kann
etwas anders ſtatt der Zahlung anzuge-
ben (§. 80.); ſo wird es eine nothwen-
dige Abtretung ſeines Rechtes
(ceſſio
neceſſaria)
genannt, wenn man das, was
uns ein anderer ſchuldig iſt, durch Abtretung
ſeines Rechts anſtatt der Zahlung angiebt; wie
es denn auch in der That nothwendig iſt. Es
iſt hinlaͤnglich klar, daß dadurch, wenn
etwas anſtatt der Zahlung angegeben
wird, der Schuldner befreyet wird

(§. 749.).


§. 758.

Die Neuerung(novatio) nennt manVon der
Neue-
rung.

die Veraͤnderung einer vorhergehenden Ver-
bindlichkeit in eine andere, naͤmlich was ent-
weder die Urſache der Schuld betrift, oder
wozu einer dabey verbunden, ſo daß eben der-
ſelbe Schuldner und Glaͤubiger verbleibet,
z. E. wenn wir mit einander eines werden,
daß die 200. Rthlr. welche du mir aus einem
Kauffe ſchuldig biſt, als geliehenes Geld
angeſehen werden. Die Neuerung til-
get
alſo die alte Verbindlichkeit, und
ſetzt eine neue an ihre Stelle; folglich

Nat. u. Voͤlckerrecht. M mwird
[546]II. Th. 17. H. Von der Aufhebung
wird der Schuldner von der vorher-
gehenden Schuld befreyt (§. 749.), und
haftet allein vermoͤge der letzten Ver-
bindlichkeit.
Derowegen da alles Recht
des Glaͤubigers, welches er aus der vorherge-
henden Verbindlichkeit hatte, aufhoͤrt (§. 46.);
ſo ſind die Buͤrgen dem Glaͤubiger
nicht mehr verbunden, und er verliert
auch das Recht des Vorzugs vor an-
dern Glaͤubigern ſeines Schuldners,
und die Buͤrgſchafft,
als welche ein-
mahl erloſchen, erlangt nicht wieder
ihre Kraft, wenn gleich beyde Theile
von der Neuerung wieder abgehen,
und die alte Verbindlichkeit wollen
gelten laſſen;
indem auch dieſes in der That
nichts anders, als wiederum eine Neuerung
iſt. Da der Verzug zur alten Verbindlich-
keit gehoͤrt (§. 417.); ſo wird durch die
Neuerung der Verzug gereiniget
(§.
418.). Aus eben dem Grunde verhindert
die Neuerung die verwuͤrckte Strafe,
welche zur vorhergehenden Verbind-
lichkeit hinzugefuͤgt worden war.
Weil
einem wider ſeinen Willen ein Recht, das er
einmahl hat, nicht genommen werden kann (§.
100.); ſo kann die Neuerung nicht oh-
ne beyderſeitige Einwilligung des
Glaͤubigers und Schuldners geſche-
hen.
Weil nun dieſe es mit ihrem Rechte
halten koͤnnen, wie ſie wollen (§. 314.); ſo
koͤnnen ſie durch die Neuerung in der

alten
[547]der Verbindlichk. aus Contracten.
alten Verbindlichkeit alles, wie es ih-
nen gefaͤllig iſt, aͤndern;
und alſo kann
eine bedingte Schuld, oder eine Schuld
auf eine gewiſſe Zeit zu einer unbeding-
ten gemacht werden; und ſo gehets
auch im Gegentheile an.
Hieher duͤr-
fen wir aber nicht rechnen, wenn eine be-
dingte, oder auf eine gewiſſe Zeit gerich-
tete Schuld ſchlechterdings erneuert
wird:
Jndem bloß die Verbindlichkeit geaͤn-
dert wird, nicht aber die Art und Weiſe, nach
welcher einer etwas ſchuldig iſt; ſo geſchieht
im erſten Falle die Neuerung nicht an-
ders, als wenn eben die Bedingung
wuͤrcklich vorhanden; in dem andern
Falle aber hat ſie zwar gleich ihre
Richtigkeit, aber die neue Schuld
kann nicht eher, als bis der Tag er-
ſcheinet, gefordert werden.
Weil die
Neuerung die erſte Verbindlichkeit tilget, von
welcher man befreyet werden konte, indem
man einer dritten Perſon zahlte (§. 661.
751.); ſo verſtehet ſichs vor ſich, daß
in der Neuerung man nicht angewie-
ſen ſey, an den zu zahlen, dem man
vorhin zahlen ſollte, oder konnte.
Weil
aber in der Neuerung eine jede Veraͤnderung
ſtatt findet; ſo kann in ihr einer ange-
wieſen werden, dem man zahlen ſoll,
oder darf, der in der vorhergehenden
Verbindlichkeit nicht angewieſen war.

Bey Abtretung ſeines Rechtes bleibt
M m 2eben
[548]II. Th. 17. H. Von der Aufhebung
eben dieſelbe Verbindlichkeit (§. 338.); da-
her iſt dieſelbe keine Neuerung. Aus eben
dem Grunde geſchieht keine Neuerung,
wenn der Zahlungstermin verlaͤngert
wird; wenn nach einer Zeit einer an-
gewieſen wird, dem man zahlen kann
(§. 661.); oder ein Buͤrge hinzukommt
(§. 569.); oder eine Strafe dazu geſetzt
wird, die im Anfang nicht dabey war
(§. 410.); es geſchieht
auch dieſes nicht
in der Beglaubigung
(§. 660.). Da aber
durch eine Handſchrift die Schuld bewieſen
wird (§. 652.); ſo geſchieht eine Neue-
rung, wenn die alte Handſchrift wie-
dergegeben, und eine neue an deren
Stelle angenommen wird.
Weil aber
aus der Erklaͤrung der Neuerung erhellet,
wenn erneuert worden; ſo iſts natuͤrlicher
Weiſe nicht noͤthig, daß man aus-
druͤcklich ſagt, man ſey nicht geſonnen
eine Neuerung zu machen.
Jedoch in
einem zweifelhaften Falle,
wenn dasje-
nige, was geſchehen, ſowohl mit dem Vorſatz
eine Neuerung zu machen, als auch ohne
demſelben geſchehen kann, z. E. wenn jemand
mir 100. Rthlr. eines Kaufs wegen ſchuldig
iſt, und ich willige nachher ein, daß er mir
dieſelben nebſt den Zinſen nach 2. Jahren be-
zahlen ſoll, muß man ausdruͤcklich ſagen,
wofern es nicht fuͤr eine Neuerung
gehalten werden ſoll, daß dasjenige,
was vorgenommen wird, ohne den

Vor-
[549]der Verbindlichk. aus Contracten.
Vorſatz eine Neuerung zu machen ge-
ſchehe
(§. 318.).


§. 759.

Die rechtliche Anweiſung(delegatio)Von der
rechtli-
chen An-
weiſung.

iſt ein Vertrag, wodurch ein Schuldner ei-
nen andern an ſeine ſtatt ſtellet, der dem
Glaͤubiger die Schuld zu zahlen auf ſich nimmt.
Der, welcher einen andern Schuldner ſtatt
ſeiner ſetzt, iſt der Anweiſende(delegans);
dieſer aber der Angewieſene(delegatus);
der Glaͤubiger aber, welchem die Anweiſung
geſchieht, heißt delegatarius. Da niemand
wider ſeinen Willen einem andern verbindlich
gemacht werden kann (§. 317.), noch auch oh-
ne Annehmung ein Recht erhalten werden (§.
316.); ſo wird die Anweiſung durch
die Einwilligung des Anweiſenden,
des Angewieſenen und deſſen, dem die
Anweiſung geſchieht, zu ſtande ge-
bracht;
nemlich der Angewieſene verſpricht
dem Anweiſenden, daß er die Schuld auf ſich
nehmen wolle, demjenigen, dem er angewie-
ſen wird, daß er ihn bezahlen will, und die-
ſer haͤlt es genehm, daß der andere die Schuld
uͤbernimmet. Daher ſiehet man leicht, daß
durch Anweiſung der Anweiſende be-
freyet wird, und der Angewieſene al-
lein dem, welchem er angewieſen wor-
den, verbindlich verbleibt;
folglich wenn
der Angewieſene nicht bezahlen kann,
ſo kann derjenige, welchem die Anwei-
ſung geſchehen, nicht wieder an den

M m 3Anwei-
[550]II. Th. 17. H. Von der Aufhebung
Anweiſenden eine Forderung machen.
Es iſt aber darinnen keine Schwierigkeit,
daß natuͤrlicher Weiſe nicht noͤthig
ſey, daß die Anweiſung in einem fort
in Gegenwart aller Theile vollbracht
wird; wie auch daß ſie ſowohl mit
dem Vorſatze, zu erneuern, als ohne
denſelben geſchehen koͤnne;
folglich da
ich, indem ich meinen Schuldner einem an-
dern anweiſe, entweder es alſo verabreden
kann, daß er meinem Glaͤnbiger meine
Schuld als meine Schuld, oder aus eben der
Urſache, aus welcher er mir ſchuldig war,
bezahle, oder endlich daß er ſich ihm durch ei-
nen neuen Vertrag verbindlich macht; ſo ge-
ſchiehet alsdenn, wenn ich meinen
Schuldner einem andern anweiſe, eine
Neuetung entweder mit dem Angewie-
ſenen, oder mit dem, welchem er an-
gewieſen wird, oder mit beyden zu-
gleich.
Weil ein erlangtes Recht nieman-
den genommen werden kann (§. 100.); ſo
kann eine Anweiſung, die einmahl zu
ihrer Richtigkeit kommen, von dem
Anweiſenden nicht wiederrufen wer-
den
(§. 314.); folglich kann von ihm auch
nicht verboten werden, daß demjeni-
gen, welchem einer angewieſen wor-
den, nicht gezahlet werde;
und deswegen
darf auch der Anweiſende die Zahlung
nicht annehmen, wenn ſie ihm von dem
Angewieſenen freywillig angeboten

wuͤr-
[551]der Verbindlichk. aus Contracten.
wuͤrde. Wenn das Vermoͤgen des Ange-
wieſenen demjenigen, dem er angewieſen wird,
nicht bekannt iſt; ſo hindert es nichts, daß
der Anweiſende ihm verſpricht zu bezahlen,
wenn zur Zahlungszeit der Angewieſene nicht
im Stande iſt zu bezahlen. Weil demnach
alsdenn die Anweiſung unter der Be-
dingung geſchehen, wenn zur Zah-
lungszeit der Angewieſene im Stande
iſt zu bezahlen; ſo iſt ſie nicht eher
guͤltig, als bis zur Zahlungszeit der
Angewieſene im Stande iſt zu bezah-
len
(§. 396.).


§. 760.

Eine gemeine oder ſchlechte Anwei-Von der
gemei-
nen An-
weiſung.

ſung(aſſignatio) iſt, wenn ein Schuldner,
der bezahlen ſoll, einen andern erſucht, fuͤr
ihn zu bezahlen, oder ihn ſolches heißt. Der-
jenige, welcher den andern vor ihn zu zahlen
erſucht, heißt wie vorhin der Anweiſende
(aſſignator); derjenige aber, welcher fuͤr ihn
die Zahlung thun ſoll, der Angewieſene(aſ-
ſignatus).
Wenn alſo der Glaͤubiger
die angewieſene Schuld anſtatt der
Zahlung annimmt; ſo wird der Schuld-
ner befreyt: Wo aber nicht, ſo wird
er nicht eher befreyt, als bis der An-
gewieſene bezahlet
(§. 757. 749.). Da
durch dieſe Anweiſung nichts in der Verbind-
lichkeit veraͤndert wird, wenn ſie nicht anſtatt
der Zahlung angenommeu wird; ſo wird
durch dergleichen Anweiſung auch

M m 4keine
[552]II. Th. 18. H. Von der natuͤrlichen Art
keine Neuerung gemacht, wenn nicht
die angewieſene Schuld anſtatt der
Zahlung angenommen wird.
Jn ei-
nem jeden Falle aber wird der Haupt-
ſchuldner ſo wohl, als der Buͤrge be-
freyt, wenn der Angewieſene bezahlt
hat
(§. 749. 570.).


§. 761.

Von der
Vermen-
gung der
Schuld
und des
Dar-
lehns.

Die Vermengung der Schuld und
des Darlehns
(confuſio debiti \& crediti)
nennt man, wenn es ſich zutraͤgt, daß der,
welcher Schuldner war, Glaͤubiger wird, z.
E. wenn der Glaͤubiger Erbe des Schuld-
ners wird. Durch die Vermengung der
Schuld und des Darlehns wird alſo
der Schuldner befreyt
(§. 749.).


Das achzehnte Hauptſtuͤck.


Von der Art die Streitigkeiten
im natuͤrlichen Zuſtande zu en-
digen.


§. 762.

Was ein
ſtreitiges
Recht
und der
Hader
ſey.

Ein ſtreitiges Recht(jus controver-
ſum)
nennt man, wenn zwey, oder
mehrere eben dieſelbe Sache als die
ihrige, oder die man ihnen ſchuldig iſt, haben
wollen; oder wenn das Recht, welches der
eine worzu zu haben vorgiebt, von dem an-
dern geleugnet wird. Welche dieſes thun,
hadern(litigant); und ihre Streitigkeit we-
gen
[553]Streitigkeiten zu endigen.
gen des Rechts, welche darinnen beſteht, daß
einer dem andern wegen des ihm zukommen-
den Rechts widerſpricht, wird der Hader
(lis) genannt; als, wenn einer bejahet, daß
ihm das Eigenthum von dieſem Gute zukommt,
und leugnet, daß es dem andern zukomme,
der andere aber bejahet, daß es ihm zukom-
me und nicht jenem; oder wenn einer bejahet,
daß ich ihm 100. Ducaten ſchuldig ſey, und
ich es leugne. Die Sache aber, uͤber wel-
cher man hadert, wird die ſtreitige Sache
(res litigioſa) genannt.


§. 763.

Das Ablaſſen vom Hader, welches umſonſtVon dem
guͤtlichen
Vertra-
ge.

geſchieht, wenn naͤmlich einer das ſtreitige
Recht dem andern uͤberlaͤßt, der andere hin-
gegen nichts davor erhaͤlt, heißt das guͤtli-
che Vertragen,
oder Vertragen in der
Guͤte
(amicabilis compoſitio).Der Ha-
der wird alſo durch das Vertragen in
der Guͤte geendet; und derjenige, wel-
cher nichts bekommt, verbindet ſich,
daß er von dem, welcher die ſtreitige
Sache gantz erhaͤlt, nichts verlangen
wolle;
folglich erlaͤßt er ſein Recht, wel-
ches er zu haben vermeinte
(§. 337.);
und alſo iſt das Vertragen in der Guͤte
natuͤrlicher Weiſe erlaubt
(§. 342.). Da
alſo ſeine Anforderung(prætenſio) er-
loͤſcht (§. 377.); ſo kann ſie, nachdem man
ſich in der Guͤte vertragen, nicht wie-
der erneuert werden.
Da dieſes Ge-
M m 5ſchaͤffte
[554]II. Th. 18. H. Von der natuͤrlichen Art
ſchaͤffte nur uns beyde angehet, wir aber
einem dritten ſein Recht nicht benehmen koͤn-
nen (§. 100.); ſo wird durch das Ver-
tragen in der Guͤte das Recht eines
dritten nicht aufgehoben.


§. 764.

Vom
Ver-
gleiche.

Wenn die Haderer mit einander eines wer-
den, daß ſie vom Hader nicht umſonſt abſte-
hen wollen, ſondern nur alsdenn, wenn et-
was gegeben, oder zuruͤcke behalten, oder ver-
ſprochen worden; ſo heißt dieſes ein Ver-
gleich
(transactio).Durch einen Ver-
gleich wird
alſo der Hader geendet,
und die, welche den Vergleich treffen,
verbinden ſich gegen einander, daß kei-
ner von ihnen wegen der ſtreitigen
Sache von dem andern etwas fordern
will, als was verabredet worden;

folglich kann nach getroffenem Ver-
gleich keine Forderung wieder erneuert
werden (§. 438.). Es wird
aber bey
dem Vergleiche ausgemacht, wer die
ſtreitige Sache gantz haben, und was
er dagegen andern leiſten ſoll, oder wie
ſie unter die ſtreitende Partheyen ge-
theilt werden ſoll, und ob einer dem
andern etwas uͤber dieſes zu leiſten ver-
bunden ſeyn ſoll.
Es erhellet aber eben
ſo wie vorher, daß durch einen Vergleich
das Recht einem dritten nicht benom-
men wird.
Und weil der Vergleich ein
Vertrag iſt (§. 438.); ſo kann man aus
eben
[555]Streitigkeiten zu endigen.
eben der Urſache von einem Vergleich
abgehen, um derentwillen es erlaubt
iſt von einem Vertrage abzugehen
(§.
442.). Es iſt aber der Vergleich entweder
ein allgemeiner Vergleich(transactio ge-
neralis),
welcher ſich auf alle beſondere For-
derungen erſtreckt, die unter der allgemeinen
begriffen ſind, es mag ſeyn, daß man zu der
Zeit, als der Vergleich gemacht worden, dar-
an gedacht hat, oder nicht, z. E. wenn einer
ſich wegen alles und jeden Anſpruches, wel-
cher in Anſehung eines ſtreitigen Guts, aus
was vor einer Urſache es immer geſchehen
mag, vergleicht; oder es iſt ein beſonderer
Vergleich
(transactio ſpecialis), welcher
nur auf gewiſſe Sachen entweder in Anſe-
hung ihrer Art, oder ihrer Qvantitaͤt gehet,
z. E. wenn man ſich wegen des Eigenthums
eines Guts, oder wegen einer gewiſſen Qvan-
titaͤt von Fruͤchten von einem Gute, oder einer
gewiſſen Qvantitaͤt von Getreide vergleicht.
Derowegen thut man bey einem allge-
meinen Vergleiche Verzicht auf allen
Anſpruch an die ſtreitige Sache, er
mag beſchaffen ſeyn, wie er will: Aber
in einem beſondern Vergleiche thut
man nicht auf alle Forderungen Ver-
zicht, die nachher einem bekannt wer-
den koͤnnten, ſondern dieſe bleiben ei-
nem unbenommen
(§. 340.).


§. 765.

Man ſagt, der Hader, oder StreitVom
Unter-

werde
[556]II. Th. 18. H. Von der natuͤrlichen Art
ſchied
zwiſchen-
einer
Entſchei-
dung und
Beyle-
gung ei-
nes
Streits.
werde beygelegt, oder geſchlichtet(lis
componi dicitur),
wenn man die Wahrheit
in Zweifel laͤßt, und denſelben mit Einwilli-
gung der hadernden Partheyen endiget, naͤm-
lich daß entweder einer von ſeiner Forderung
abſteht, oder daß eines jeden Forderung zum
Theil ein Gnuͤge geſchieht. Man ſagt aber
der Hader, oder Streit werde entſchie-
den
(litem decidi), wenn, nachdem alles ge-
ſchehene hinlaͤnglich bewieſen und nach den
Gruͤnden des Rechts beurtheilet worden, ge-
zeigt wird, auf weſſen Seite ſich die Wahr-
heit befindet, oder wem das Recht zukommt,
daruͤber man gehadert. Durch den Ver-
gleich
demnach und das Vertragen in
der Guͤte geſchieht keine Entſcheidung,
ſondern die Streitigkeit wird nur bey-
gelegt, oder der Hader geſchlichtet
(§.
763. 764.).


§. 766.

Wenn
das Ver-
tragen in
der Guͤte
und der
Veꝛgleich
ſtatt fin-
det.

Da eine unſtreitige Schuld gewiß iſt (§.
756.), und der Schuldner zum Abtrag der-
ſelben verbunden (§. 751. 766.), noch auch je-
mand mit der Sache eines andern ſich berei-
chern darf (§. 271.); ſo kann man uͤber
eine unſtreitige Schuld keinen Ver-
gleich trefen (§. 764.), noch ſich in der
Guͤte vertragen
(§. 763.). Weil aber doch
ein jeder ſein Recht erlaſſen und auf daſſelbe
ſo lange Verzicht thun kann, als nichts dem
Recht eines dritten zuwider vorgenommen
wird (§. 342.); ſo kann eine unſtreitige
Schuld,
[557]Streitigkeiten zu endigen.
Schuld, wenn es dem Glaͤubiger ge-
faͤllt, entweder gantz, oder zum Theil
erlaſſen werden, oder er kann auf das,
wozu er Recht hat, entweder gantz, oder
zum Theil Verzicht thun.
Dieſes Er-
laſſen der Schuld und dieſer Verzicht aber iſt
kein Vertrag in der Guͤte, auch kein Ver-
gleich; weil in dieſen beyden ein ungewiſſes
Recht erlaſſen, oder darauf Verzicht gethan
wird. Daher erhellet, daß der Vertrag
in der Guͤte,
woferne man der Bedeutung
der Worte nicht Gewalt anthun will, nicht
anders, als bey ſtreitigen Schulden
ſtatt findet.


§. 767.

Nach der natuͤrlichen Freyheit kommtsWas
Rechtens
iſt, wenn
die
Schuld
ſtreitig
iſt.

allein auf den Willen der Hadernden
an, ob ſie ſich in der Guͤte vertragen,
oder mit einander vergleichen wollen,
oder nicht
(§. 78.). Da aber niemand
ſich durch, oder aus eines andern Sache be-
reichern darf (§. 271.); ſo muß man ſich
bemuͤhen, daß das, was ſtreitig iſt,
unſtreitig gemacht, oder ausgemacht
werde.
Weil es aber doch nothwendig iſt,
daß der Hader ein Ende gewinne; ſo muß
durchs Loos ausgemacht werden, wem
die ſtreitige Sache zugehoͤren ſoll.
Wofern es
aber unmoͤglich ſeyn ſollte,
daß das, was ſtreitig iſt, unſtreitig ge-
macht werden kann, es aber nicht
rathſam zu ſeyn ſcheinet, den Streit

durch
[558]II. Th. 18. H. Von der natuͤrlichen Art
durch das Loos auszumachen; ſo hat
derjenige Theil, dem daran gelegen iſt,
daß der Hader geſchlichtet wird,
indem
es alsdenn nicht anders als durch einen Ver-
gleich geſchehen kann (§. 764. 765.), aller-
dings das Recht, den andern mit Ge-
walt zu einem Vergleiche zu bringen;

weil auch das Recht, welches einem wahr-
ſcheinlicher Weiſe zukommt, einem nicht ge-
nommen werden kann (§. 100.).


§. 768.

Von der
Vermit-
telung.

Einen Mittler(mediator) nennt man
eine Perſon, welche ſich bemuͤht, den Streit
zwiſchen andern beyzulegen, ob ſie gleich nicht
das Recht dazu hat. Die Handlung aber,
wodurch die Beylegung von einem dritten ent-
weder zu ſtande gebracht, oder verſucht wird,
nennt man die Vermittelung(mediatio).
Der Mittler nimmt ſich alſo der Sa-
che von beyden Theilen an; bey dem

aber, was ihm gutduͤncket, doͤrfen die
ſtreitenden Partheyen es nicht bewen-
den laſſen.
Da er das Recht den Streit
beyzulegen nicht hat; ſo iſt ſeine Pflicht
nur Bedingungen vorzuſchlagen, un-
ter welchen er vermeinet, daß die Strei-
tigkeit beygelegt werden koͤnne; der
ſtreitenden Partheyen Meinung davon
zu vernehmen, und zu rathen, die ent-
weder von ihm, oder von einem von
beyden Theilen vorgeſchlagene Bedin-
gungen anzunehmen.
Und weil er ſich
der
[559]Streitigkeiten zu endigen.
der Sache von beyden Theilen annimmt; ſo
darf er nicht mehr auf des einen Theils
Seite, als auf des andern ſeyn;
folglich
da man den, der dieſes thut, partheyiſch
(ſtudioſum partium, partialem), der dieſes
aber nicht thut, unpartheyiſch(impartia-
lem)
nennt; ſo muß er unpartheyiſch
ſeyn,
und deswegen nach dem gemein-
ſchaftlichen Nutzen und nach den
Gruͤnden der Forderungen eines jeden
Theils die Bedingungen beurtheilen.

Daher erhellet, daß es auch dem Mittler
zukomme, von den Bedingungen, wel-
che von beyden Theilen angeboten wer-
den, ſein Gutduͤncken zu ſagen und
die unbilligen Bedingungen, welche
von einem, oder dem andern Theil an-
geboten werden, zu verwerfen.


§. 769.

Tractaten(tractatus) nennt man die Be-Von den
Tracta-
ten.

rathſchlagungen von einem Vertrage, welcher
gemacht werden ſoll. Die Berathſchlagun-
gen
aber ſind die Handlungen des Verſtan-
des, in welchen erwogen wird, ob etwas viel-
mehr geſchehen ſolle, oder nicht, ob vielmehr
auf dieſe, oder auf eine andere Weiſe. Des-
wegen ſtellt man die Berathſchlagun-
gen entweder uͤber die Abſichten, die
man hat, oder uͤber die Mittel, wo-
durch dieſelbe zu erreichen, oder uͤber
beydes zugleich an;
folglich wenn man
in Tractaten tritt um einen Streit bey-

zulegen,
[560]II. Th. 18. H. Von der natuͤrlichen Art
zulegen, da wegen der Abſicht die ſtreiten-
den Partheyen ſchon mit einander einig ſind,
naͤmlich daß ihr Streit ſoll beygelegt werden;
ſo muß man hauptſaͤchlich uͤber die
Mittel,
das iſt, uͤber die Art und Wei-
ſe, wie der Streit beyzulegen, ſich be-
rathſchlagen.
Da niemand ſich dem an-
dern als durch Verſprechen verbindlich ma-
chen kann (§. 380.), noch auch anders, als
wenn der andere daſſelbe annimmt (§. 381.);
ſo entſteht ſo lange, als die ſtreitenden
Partheyen in die Art den Streit bey-
zulegen noch nicht willigen,
folglich
noch in Tractaten ſtehen, keine Ver-
bindlichkeit, und es wird auch kein
Recht erhalten
(§. cit.); folglich wenn
zu den Tractaten nicht ein Vertrag
hinzukommt, ſo haben ſie ſich zer-
ſchlagen
(§. 437.). Weil kein Vertrag
noch nicht dazu kommt, wenn das, was
angeboten wird, zur Ueberlegung, oder
vom Gevollmaͤchtigten bis zur Ge-
nehmhaltung angenommen wird;
ſo
entſteht auch daraus noch keine Ver-
bindlichkeit;
folglich iſt es erlaubt, daß
der die Bedingungen anbietet, wieder
zuruͤcke gehet: wenn nicht die Vollzie-
hung des Geſchaͤftes unter denen Be-
dingungen, welche angeboten werden,
in dem erſten Falle lediglich dem Wil-
len deſſen, der ſie annimmt, in dem
andern Falle aber dem Willen des

Herrn
[561]Streitigkeiten zu endigen.
Herrn des Geſchaͤfftes uͤberlaſſen wird;
indem ein bedingtes Recht, welches der An-
nehmende, oder der Herr des Geſchaͤfftes er-
langt hat, demſelben nicht genommen werden
kann (§. 396. 553.). Da wir uͤbrigens ei-
nem jeden ſein Recht laſſen, keines Recht
verletzen, uns gegen jedermann billig, gegen
niemanden unbillig erzeigen ſollen (§. 86.);
ſo muß nach dem innern Rechte in den
Tractaten ein jeder Theil ſo wohl ſei-
ne eigene, als des andern Gruͤnde,
worauf er ſeine Forderung gruͤndet,
erwegen, und nach dieſen muß der
Vertrag eingerichtet werden.
Und da-
her erhellet, daß eben dieſes der Mittler
zu thun hat.


§. 770.

Das Compromiß(compromiſſum), oderVon dem
Compro-
miß auf
einen
Schieds-
richter
und vom
Schieds-
manne.

die einſtimmige Bewilligung nennt man
einen Vertrag, da man mit einander eines
wird dabey es bewenden zu laſſen, was eine
gewiſſe Perſon, oder mehrere ſagen werden;
und der Schiedsrichter(arbiter) wird die-
ſe Perſon genannt, welche man durch das
Compromiß erwaͤhlt, die ſtreitige Sache zu
entſcheiden; das Recht die ſtreitige Sache
nach ſeinem Gutbefinden zu entſcheiden, wel-
ches man dem Schiedsrichter einraͤumet, wird
das willkuͤhrliche Entſcheidungrecht
(arbitrium); das Urtheil aber, wodurch der
Schiedsrichter den Streit entſcheidet, der
willkuͤhrliche Spruch(laudum) genannt.
Nat. u. Voͤlckerrecht. N nDie
[562]II. Th. 18. H. Von der natuͤrlichen Art
Die ſtreitenden Partheyen ſind alſo ver-
bunden, bey dem Spruche des Schieds-
richters es bewenden zu laſſen; und
der Schiedsrichter endet
alſo den Ha-
der.
Von einem Schiedsrichter iſt der
Schiedsmann(arbitrator) unterſchieden,
der zu dem Ende erwaͤhlt wird, daß er die
ſtreitige Sache beylegen ſoll, dem aber nicht
das Recht ſie zu entſcheiden beygeleget wird;
folglich ſind die ſtreitenden Theile nicht
ſchuldig es bey dem Ausſpruche des
Schiedsmanns bewenden zu laſſen:
Sondern wenn derſelbe einem oder dem
andern Theile nicht anſtehet, ſo iſt
nichts zu Stande gekommen, und blei-
bet einem jeden ſeine Forderung unbe-
nommen.
Weil ſich alſo der Schiedsmann
wie ein Mittler verhaͤlt (§. 768.); ſo haben
beyde einerley Verrichtung.
Der
Schiedsmann iſt gleichſam eine Mittelsper-
ſon zwiſchen einem Mittler und Schiedsrich-
ter; er uͤberlegt nichts mit den ſtreitenden
Partheyen, wie der Mittler, er ſpricht auch
kein Endurtheil, als wie der Schiedsrichter,
ſondern er uͤberlaͤßt den ſtreitenden Partheyen
zu uͤberlegen, was ſie von ſeiner Meinung
halten wollen. Da ein angenommenes Ver-
ſprechen nicht wiederrufen werden kann (§.
427.); ſo kann ein Compromiß nicht
wider Willen des einen Theils wieder-
rufen werden (§. 438.). Durch den bey-
derſeitigen widrigen Willen
aber kann
es,
[563]Streitigkeiten zu endigen.
es, ſo wie ein jeder anderer Vertrag (§. 444.)
aufgehoben werden; folglich koͤnnen
die ſtreitenden Partheyen durch eine
beyderſeitige Einwilligung das dem
Schiedsrichter eingeraͤumte Recht
wiederrufen; und
alſo die ſtreitige Sa-
che entweder in der Guͤte beylegen,
oder ſich vergleichen, obgleich der
Schiedsrichter die Entſcheidung ſchon
uͤbernommen hat.
Ja wenn er ihnen
mißfaͤllt, koͤnnen ſie auch einen andern
erwaͤhlen.


§. 771.

Nach der natuͤrlichen Freyheit kann nie-Ob man
genoͤthi-
get das
Amt ei-
nes
Schieds-
richters
anzuneh-
men, und
ob man
ſich da-
von wie-
der loß-
ſagen
koͤnne.

mand das Amt eines Schiedsrichters
zu uͤbernehmen gezwungen werden
(§.
78.). Da aber derjenige, welcher es uͤber-
nimmt, eben dadurch verſpricht, er wolle den
Streit entſcheiden (§. 379.); folglich ſich den
Partheyen dazu verbindlich macht (§. 380.);
ſo kann er auch ſich davon nicht wider
den Willen der ſtreitenden Partheyen
loßſagen
(§. 100.). Denn man ſagt er
ſage ſich davon loß
(renuntiare arbi-
trium),
wenn er den ſtreitenden Partheyen
anzeigt, er moͤge den Streit nicht entſchei-
den.


§. 772.

Weil der Schiedsrichter den Streit ent-Von der
Pflicht
eines
Schieds-
richters

ſcheiden ſoll (§. 770.); ſo muß er beurthei-
len, wem die ſtteitige Sache zugehoͤre,
oder welchem Theil man etwas ſchul-

N n 2dig
[564]II. Th. 18. H. Von der natuͤrlichen Art
und was
es vor
ein Mañ
ſeyn
muͤſſe.
dig ſey, und welchem nicht; folglich muß
er den Spruch thun, ob der, welcher
ein Recht wider den andern zu haben
vorgiebt, daſſelbe habe, oder nicht;
und
hierinnen beſteht das Urtheil des
Schiedsrichters
(§. 770.). Hieraus folgt
gleichſam von ſelbſt, daß der Schiedsrich-
ter unpartheyiſch ſeyn muß
(§. 768.),
und da das Anſehen der Perſon(reſpe-
ctus perſonarum)
in der Beſtimmung des
Willens durch Bewegungs-Gruͤnde, die von
der Perſon, zu deren Vortheil etwas geſchieht,
hergenommen ſind, dergeſtalt daß man nicht
auf die Wahrheit ſieht; ſo muß er kein An-
ſehen der Perſon haben.
Und weil man
den einen redlichen Mann(virum bonum)
nennt, der die Gerechtigkeit und Ehrlichkeit
liebt, was aber derſelben entgegen iſt, haßt,
dergleichen ein jeder ſeyn ſoll (§. 86. 49.);
folglich wer ein redlicher Mann ſeyn
will, verſtehen muß, was recht und
ehrlich, was unrecht und nicht ehr-
lich,
folglich auch was billig und unbil-
lig iſt (§. 83.), und
alſo die Wahrheit
lieben;
ſo muß auch ein Schiedsrich-
ter ein redlicher Mann ſeyn;
und folg-
lich verſtehen, was recht und unrecht,
was billig und unbillig iſt, er muß die
Wahrheit lieben, und ſich von keiner
Parthey durch Geſchencke beſtechen
laſſen.


§. 773.
[565]Streitigkeiten zu endigen.
§. 773.

Wenn Partheyen uͤber ein Recht ſtreiten,Wie er
ſein Amt
zu ver-
walten
hat.

ſo wird der Klaͤger(actor) genannt, wel-
cher ein Recht fordert, ſo ihm der andere
leugnet, oder nicht einraͤumet; der Beklag-
te
(reus) aber, von welchem die Geweh-
rung des Rechtes gefordert wird. Da nun
der Schiedsrichter den Streit entſcheiden ſoll
(§. 770.); ſo muß er ſagen, ob dem Klaͤ-
ger das Recht zukommt, welches er
fordert;
folglich ob der Beklagte ihn
daſſelbe zu gewehren ſchuldig ſey, oder
nicht
(§. 765.). Derowegen muß er nach
der Beſchaffenheit der Sache ſich er-
kundigen, und davor ſorgen, daß die-
ſelbe in Anſehung aller Umſtaͤnde wi-
der den, welcher dieſes, oder jenes leug-
net, bewieſen werde,
und endlich die
Sache nach den Geſetzen, das iſt, im
natuͤrlichen Zuſtande, nach dem Rech-
te der Natur entſcheiden.
Daher er-
hellet, daß ein Schiedsrichter die Ge-
ſetze, und im natuͤrlichen Zuſtand das
Recht der Natur inne haben muͤſſe.


§. 774.

Weil der Schiedsrichter nach den Geſetzen,Was der
Klaͤger
und Be-
klagte zu
thun hat.

wie ſie beſchaffen, entſcheiden muß (§. 773.);
ſo muß der Klaͤger die Sache erzehlen,
und das, was vom Beklagten geleug-
net wird, beweiſen: Der Beklagte aber
muß auf die Erzehlung der Sache ant-
worten, ob er ſie vor wahr haͤlt, oder

N n 3nicht,
[566]II. Th 18. H. Von der natuͤrlichen Art
nicht, oder ob er nur einige Umſtaͤnde
leugnet, und was er wider dasjenige,
was er zulaͤſt, einzuwenden hat, wel-
ches er wider den Klaͤger, wenn er es
leugnet, hinlaͤnglich beweiſen muß

(§. cit.).


§. 775.

Von dem
Beweiſe
durch ein
Jnſtru-
ment.

Weil ein Jnſtrument(inſtrumentum)
eine jede Schrift iſt, darinnen entweder das
aufgezeichnet iſt, was diejenigen, welche ei-
nen Vertrag machen, unter einander abgere-
det haben, oder die Urſache, um derentwil-
len dem andern ein Recht zu- oder nicht zu-
kommt; ſo werden die Sachen durch
Jnſtrumente, welche der Gegentheil,
wider welchen ſie vorgezeigt werden,
als wahr annimmt, und dargegen er
nichts einzuwenden im Stande iſt, be-
wieſen.
Da die Jnſtrumente dieſen Vor-
theil haben, wenn es auf ein zweyſeitiges
Geſchaͤffte
(negotium bilaterale) ankommt,
da naͤmlich ſich ein jeder Theil zu gewiſſen Lei-
ſtungen verbindet; ſo muß das Jnſtru-
ment, welches verfertiget wird, von
beyden Theilen unterſchrieben, und
einem jeden Theil ein Exemplar,
welches von beyden Theilen unter-
ſchrieben worden, gegeben wer-
den:
Wenn aber das Jnſtrument
wegen eines einſeitigen Geſchaͤff-
tes
(de unilaterali negotio)verferti-
get wird,
da naͤmlich ein Theil dem an-
dern
[567]Streitigkeiten zu endigen.
dern ſich zu etwas verbindet; ſo darf es
nur von dem Theile unterſchrieben
werden, welcher ſich dem andern ver-
bindet, und dem uͤbergeben werden,
welchem er ſich verbindlich gemacht
hat.
Damit aber nicht ein Streit uͤber das
Jnſtrument entſtehe, welcher vermieden wer-
den koͤnnte; ſo muß, wenn zwey Exem-
plare vom Jnſtrument gemacht wer-
den, in denſelben angezeigt werden,
daß zwey gemacht, von beyden Thei-
len unterſchrieben, und einem jeden
Theile eines zugeſtellet worden.
Aus
der Erklaͤrung des Jnſtruments erhellet, daß
ein Brief, wodurch einem Abweſen-
den etwas angezeigt wird, ein Jnſtru-
ment ſey,
z. E. worinnen der Schuldner
die Schuld von 100. Ducaten bekennet, wie
auch eine Handſchrift (§. 652.), und eine
Qvittung
(§. 654.), ingleichen ein Pro-
tocoll
(protocollum), maſſen man mit die-
ſem Nahmen ein kurtzes Verzeichniß einer ge-
ſchehenen Sache zu belegen pflegt, deren An-
dencken man erhalten will, wenn es in
dem natuͤrlichen Zuſtande vom Gegen-
theil, oder von andern glaubwuͤrdi-
gen anweſenden Perſonen unterſchrie-
ben wird;
indem es vor richtig angenom-
men wird, weil es von ihnen davor erkannt
worden. Uebrigens erhellet auch daher, daß
Protocolle auch zu dem Ende aufge-
nommen werden, damit man daraus

N n 4Jnſtru-
[568]II. Th. 18. H. Von der natuͤrlichen Art
Jnſtrumente verfertigen kann. Der-
gleichen Protocoll heiſt eine Punctation
(punctatio, item imbreviatura).Jn zwei-
felhaften Faͤllen, wenn ein Jnſtrument
von einem Protocoll verſchieden ſeyn
ſollte; ſo iſt die Vermuthung vor das
Protocoll:
Denn da es eine geſchehene Sa-
che iſt, daß die contrahirenden Theile etwas in
dem Jnſtrumente einſtimmig geaͤndert haben,
was ſie vorher verabredet hatten; ſo muß, der
dieſes behauptet, es erweiſen. Damit nun
dieſer Streit vermieden werde; ſo muß ein
Jnſtrument, das von einem andern ge-
macht worden, ehe man es unter-
ſchreibt, noch einmahl durchgeleſen
und mit dem Protocoll verglichen wer-
den (§. 52.): Welches auch die Zeugen
thun ſollen, die dazu gebraucht wer-
den, daß ſie bezeugen ſollen, es ſey
die Sache ſo und nicht anders verhan-
delt worden; nicht aber, wenn ſie
bloß zeugen ſollen, es ſey das Jnſtru-
ment durch Einwilligung der Par-
theyen gemacht worden;
indem ſie in
dieſem Falle nicht wiſſen doͤrfen, was im
Jnſtrument enthalten ſey. Man nennet ein
Jnſtrument ein Original(inſtrumentum
originale),
welches durch beyderſeitige Ein-
willigung der Partheyen gemacht worden;
eine Copey aber (copia, exemplum), was
von dem Original abgeſchrieben worden. Die
Copey beweiſet
alſo an und vor ſich
ſelbſt
[569]Streitigkeiten zu endigen.
ſelbſt nichts, als in ſo fern man weiß,
daß ſie mit dem Original uͤberein-
kommt;
folglich, da man eine beglaubigte,
oder vidimirte Copey(copiam vidimatam)
diejenige nennt, deren Uebereinſtimmung mit
dem Original glaubwuͤrdige Perſonen bezeu-
gen, wenn ſie beglaubiget, oder vidi-
mirt worden.


§. 776.

Ein Blanqvet(charta blanca) nennt manVon
Blan-
qveten.

ein lediges Papier, welches einer mit ſeinem
Nahmen unterſchrieben und beſiegelt dem an-
dern uͤbergiebt, daß er es eines gewiſſen Ge-
ſchaͤfftes wegen ſelbſt beſchreibe. Da aller-
dings derjenige, welcher ein Blanqvet giebt,
ſich auf die Treue deſſen, der es empfaͤngt,
verlaͤßt, daß er nichts anders darauf ſchrei-
ben werde, als was er hat haben wollen, und
der es empfaͤngt, von allem Betrug entfernt
ſeyn ſoll (§. 286.); ſo verbindet ein
Blanqvet denjenigen, der es unter-
ſchrieben und beſiegelt hat, das zu lei-
ſten, was in dem darauf geſchriebenen
verſprochen wird; und der es em-
pfaͤngt, verbindet ſich wenigſtens ſtill-
ſchweigens, nichts darauf zu ſchreiben,
als was jener darauf will geſchrieben
haben, oder was mit ſeiner Abſicht
uͤbereinkommt: Wofern er abet etwas
ſchreibt, wozu wir uns nicht haben
verbinden wollen, oder welches nicht
wahr iſt; ſo ſind wir es zu leiſten, oder

N n 5daſſel-
[570]II. Th. 18. H. Von der natuͤrlichen Art
daſſelbe zu halten nicht vetbunden.
Da es aber vor ſich erhellet, man koͤnne ei-
nem auf ſein bloſſes Sagen nicht glauben;
ſo muß bewieſen werden, daß etwas
wider unſern Willen, oder was nicht
wahr iſt, darauf geſchrieben worden
ſey.
Derowegen, zur Vermeidung des
Streits, muß man, wenn es angehet,
bey der Unterſchrift eines Blanqvets
kurtz anzeigen, zu was Ende es gege-
ben wird.


§. 777.

Von
Kerbhoͤl-
tzern.

Ein Kerbholtz(bacilla fiſſa) nennt man,
welches durch eingeſchnittene Kerben beweiſet,
wie viel einer dem andern gegeben, und die-
ſer bekommen hat, oder auch wie viel einer
Dienſte geleiſtet, der zu einer gewiſſen Zahl
derſelben dem andern verbunden war. Weil
beyde Theile mit einander eines werden, daß,
was geſchehen, durch Kerbhoͤltzer bewie-
ſen werden ſoll; ſo wird durch dieſelbe das
was gegeben und empfangen worden,
oder was einer von beyden Theilen ge-
leiſtet, bewieſen;
folglich wird in dem
erſten Falle die Schuld, und in dem
andern das, was abgetragen worden,
bewieſen.


§. 778.

Vom
Beweiß
durch
Zeugen.

Einen Zeugen(teſtis) nennt man eine
Perſon, welche, was geſchehen, glaubwuͤrdig
machen ſoll. Es wird alſo, was geſche-
hen, durch Zeugen erwieſen.
Weil man
nun
[571]Streitigkeiten zu endigen.
nun vor wahr haͤlt, was der Zeuge ſagt; ſo
wird von ihm ſo wohl erfordert, daß
er weiß, was geſchehen, als auch daß
er die Wahrheit ſagen will
(§. 347.);
damit er naͤmlich weder ſich ſelbſt irre, oder
andern Falſches beybringe (§. 356.); folg-
lich, damit man deſto weniger daran zweifeln
kann, daß ihm die Sache bekannt ſey, ſo iſt
noͤthig, daß er zugegen geweſen, als das ge-
ſchehen, wornach gefragt wird. Einen Au-
genzeugen
(teſtis oculatus) nennt man, der
das ſagt, was er in ſeiner Gegenwart wahr-
genommen hat: Einen Zeugen vom Hoͤ-
renſagen
(teſtis auritus) aber denjenigen,
der nur ſagt, was er von andern gehoͤrt; ei-
nen wahrhaften Zeugen(teſtis verus),
welcher die Wahrheit ſaget, das iſt, ſo wie
er es weiß; einen falſchen Zeugen(teſtis
falſus),
der anders ſagt, als was er weiß.
Wenn Gruͤnde vorhanden ſind, warum einer
die Wahrheit zu ſagen Bedencken tragen kann,
oder um derentwillen vermuthet wird, daß er
ſie nicht ſagen werde, ſo heiſt er ein verdaͤch-
tiger Zeuge
(teſtis ſuſpectus);der alſo
zum Zeugniß nicht zugelaſſen werden
kann.
Ein Zeuge hingegen, auf welchen
kein Verdacht faͤllt, daß er nicht moraliſch
wahrreden, oder die Wahrheit ſagen werde,
iſt ein glaubwuͤrdiger Zeuge(teſtis inte-
ger).
Weil ein Zeuge zum Beweiß deſſen,
was geſchehen, gebraucht wird; ſo iſt er
von Natur die Wahrheit zu ſagen

ver-
[572]II. Th. 18. H. Von der natuͤrlichen Art
verbunden (§. 134.); folglich iſt ein fal-
ſches Zeugniß eine Luͤgen
(§. 351.). Und
damit man dem Zeugniſſe deſto ſicherer trauen
koͤnne; ſo muß der Zeuge verſprechen,
daß er die Wahrheit ſagen wolle
(§.
380.). Um nun deſtoweniger einen Arg-
wohn zu ſchoͤpfen, daß der Zeuge die Wahr-
heit nicht geſagt; ſo muß er, weil der Eid
alle ſtillſchweigende Ausfluͤchte und Bedin-
gungen und Vorbehaltungen im Sinne weg-
raͤumet (§. 369.), ſchwoͤren, daß er die
Wahrheit ſagen wolle, oder ſein ab-
gelegtes Zeugniß beſchwoͤren.
Da aber
dasjenige, was in der That falſch iſt, moraliſch
wahr ſeyn kann (§. 347.), zum Beweiß des
geſchehenen aber, wie es an und vor ſich ſelbſt
erhellet, erfordert wird, daß es ſich ſo ver-
halte, wie geſagt wird; ſo beweiſet ein
Zeuge, wenn er gleich geſchworen hat
und gar nicht verdaͤchtig iſt, nichts
hinlaͤnglich;
und folglich iſt der Beweiß
durch einen Zeugen ein unvollſtaͤndiger
Beweiß;
indem man einen unvollſtaͤndi-
gen Beweiß
(probationem ſemiplenam),
oder einen halben Beweiß nennt, wodurch
das geſchehene nicht hinlaͤnglich bewieſen wird;
gleichwie im Gegentheil ein vollſtaͤndiger,
oder voͤlliger Beweiß(probatio plena)
heißt, wodurch das geſchehene hinlaͤnglich be-
wieſen wird. Weil nur eines in der That
wahr ſeyn kann (§. 347.); ſo wird, was
zwey, oder mehrere beſchworene Zeu-

gen,
[573]Streitigkeiten zu endigen.
gen, das iſt, welche durch einen Eid den
Verdacht von ſich abgelehnet haben, als wenn
ſie die Wahrheit nicht ſagen wuͤrden, zugleich
ausſagen, fuͤr wahr in der That, und
alſo fuͤr voͤllig bewieſen angenommen;

folglich muß der, welcher es leugnet, es
wider ſich als wahr gelten laſſen, und
wird
deswegen fuͤr uͤberwieſen gehalten.
Denn da der Beweiß anders keinen Ausgang
gewinnen kann; ſo muß, ob es gleich nicht
ſchlechterdings unmoͤglich iſt, daß was durch
Zeugen auf dieſe Art bewieſen wird, in der
That doch falſch ſeyn kann, dennoch dasjeni-
ge, was durch Zeugen auf ſolche Art bewie-
ſen worden, fuͤr wahr angenommen werden.
Denn eine ſolche Gewißheit, als man durch
mathematiſche Beweiſe erhaͤlt, wuͤrde man
hier vergeblich verlangen.


§. 779.

Da der Wille durch Bewegungsgruͤnde be-Wer zeu-
gen kann.

ſtimmt wird, naͤmlich durch eine Vorſtellung
des Guten, oder Boͤſen; folglich ein falſches
Zeugniß abgeleget wird, welches entweder in
der Hoffnung etwas Gutes zu erhalten, oder
ein Uebel zu vermeiden, oder dem zu Liebe,
fuͤr welchen, oder aus Haß gegen den, wi-
der welchen das Zeugniß abgelegt wird; ſo
wird, wenn ein Zeuge verdaͤchtig ſeyn
ſoll, erfordert, daß es das Anſehen hat,
er werde ein falſches Zeugniß auch eid-
lich ablegen, entweder aus Hoffnung
zu etwas Guten, oder aus Furcht fuͤr

einem
[574]II. Th. 18. H. Von der natuͤrlichen Art
einem Uebel, oder auch aus Liebe, oder
aus Haß.
Daher entſteht der Verdacht
aus den beſondern Umſtaͤnden, wodurch dieſes
bewieſen wird. Hieraus aber folgt, daß ein
verdaͤchtiger Zeuge nicht zuzulaſſen
ſey,
und da aus angefuͤhrten Gruͤnden ein
Zeuge in ſeiner eigenen Sache, aus welcher
er naͤmlich einen Vortheil hofft, oder einen
Schaden befuͤrchtet, verdaͤchtig iſt; ſo kann
niemand in ſeiner eigenen Sache Zeu-
ge ſeyn;
folglich auch kein Mitglied ei-
ner Geſellſchafft in einer gemeinſchafft-
lichen Sache.
Und weil einem Zeugen be-
kannt ſeyn muß, was geſchehen (§. 778.);
ſo kann niemand von Dingen zeugen,
welche er nicht verſtehen kann, oder
worauf er nicht acht gegeben hat.
Es
iſt aber kein natuͤrlicher Grund vorhanden,
warum Weibsperſonen nicht zeugen koͤnn-
ten; folglich ſind ſie zum Zeugniß zuzu-
laſſen.
Ob nun gleich aber aus allgemeinen
Gruͤnden, welche von der Beſchaffenheit ge-
wiſſer Perſonen genommen werden, z. E.
wenn gefragt wird, ob der Schuldner wider
ſeinen Glaͤubiger zeugen koͤnne, oder dieſer
wider jenen, ein Mitglied einer Geſellſchafft
in einer Sache, welche die Geſellſchafft nicht
angehet, wider ein anderes Mitglied, ob ein
Blutsfreund wider den andern zeugen koͤnne,
einiger Verdacht erregt werden koͤnnte, war-
um man dergleichen Perſonen nicht vor guͤl-
tige Zeugen halten koͤnnte, und man alſo, wo
man
[575]Streitigkeiten zu endigen.
man andere haben kann, ſie dieſen nachzuſe-
tzen hat; ſo kann man doch aus dieſen Urſa-
chen allein, wofern nicht andere offenbahre
Urſachen noch ins beſondere dazu kommen, ſie
nicht ſo verdaͤchtig machen, daß auch ein Eid
nicht hinreichend waͤre den Verdacht von ſich
abzulehnen. Damit aber kein Theil uͤber die
Guͤltigkeit der Zeugen ſich zu beſchweren Ur-
ſache hat; ſo muß der, welcher fuͤr ſich
etwas durch Zeugen beweiſen will, ſie
ſelbſt angeben: Wenn er
aber gegen ei-
nen andern etwas durch Zeugen be-
weiſen will; ſo muß dieſer, ehe ſie zu-
gelaſſen werden, gehoͤrt werden, ob er
gegen ſie etwas einzuwenden hat, und
ſie verdaͤchtig machen will, oder kann.


§. 780.

Da geſchehene Dinge, welche durch Zeu-Von wel-
cher Sa-
che und
wie ge-
zeugt
werden
muß.

gen bewieſen werden ſollen, nicht anders als
durch die Sinnen erkannt werden koͤnnen (§.
778.); ſo muß die Sache, wovon ge-
zeugt werden ſoll, in die Sinnen fal-
len;
folglich muß der Zeuge nichts er-
zehlen, als was er durch die Sinne
begriffen hat: Wenn er aber etwas
ſagt, was durch die Sinnen nicht be-
griffen werden kann; ſo iſt das Zeug-
niß nichtig.
Und damit daſſelbe nicht un-
recht ausgelegt werden kann; ſo muß der
Zeuge das, was er durch die Sinnen
erkannt, mit eigentlichen Worten, die

eine
[576]II. Th. 18. H. Von der natuͤrlichen Art
eine beſtimmte und unveraͤnderte Be-
deutung haben, erzehlen
(§. 346.).


§. 781.

Von ei-
nem Be-
weiß
durch den
Eid.

Wenn eine ſtreitige Sache nicht auf
andere Weiſe bewieſen werden kann,

als wenn guͤltige Jnſtrumente (§. 775.), oder
Zeugen (§. 778.) fehlen, oder wenigſtens
nicht hinlaͤnglich; ſo muß,
da ſonſt der
Streit keinen Ausgang gewinnen koͤnnte,
den er doch gewinnen ſoll, im erſten Falle
die Sache durch einen Eid bewieſen;
im andern aber, was dem Beweiſe noch
abgehet, durch den Eid erſetzt werden.

Aus eben der Urſache muß einer die Ver-
muthungen gegen ſich, die er anders
nicht ablehnen kann, durch einen Eid
ablehnen;
indem ihm oblieget zu beweiſen,
was man wider ihn vermuthet, ſey falſch.


§. 782.

Von den
Arten ei-
nes Ei-
des.

Ein Verſicherungseid(juramentum
aſſertorium)
iſt, welcher zu dem Ende ab-
gelegt wird, daß man fuͤr wahr halten ſoll,
was geſagt worden, es mag entweder etwas
bekraͤfftiget, oder verneint werden; ein Er-
fuͤllungseid
(ſuppletorium) iſt, wodurch
der Mangel des Beweiſes erſetzt wird; daß
dannenhero ein Erfuͤllungseid aus einem
unvollſtaͤndigen Beweiſe einen voͤlli-
gen macht (§. 778.). Ein Reinigungs-
eid
(juramentum purgatorium) iſt, wodurch
einer die Vermuthungen, die wider ihn ſind,
von
[577]Streitigkeiten zu endigen.
von ſich ablehnet; indem man ſagt, es rei-
nige ſich einer
(purgare ſe), wenn er ſich
von dem auf ihn gefallenen Verdachte be-
freyet. Ein Entſcheidungseid(juramen-
tum litis deciſorium)
iſt, welcher zu dem En-
de geleiſtet wird, daß der Streit entſchieden
ſeyn ſoll; folglich wird durch einen Ent-
ſcheidungseid der Hader geendigt.
Man
theilet aber dieſen ein in einen freywilligen
(voluntarium), wenn die hadernde Par-
theyen unter ſich einig werden, daß der Streit
durch einen Eid entſchieden werden ſoll; und
in einen nothwendigen(neceſſarium),
wenn aus Mangel anderer Beweiſe deſſen,
worauf es in Entſcheidung der ſtreitigen Sa-
che ankommt, ſolches nicht anders, als durch
einen Eid bewieſen werden kann, oder auch
der nicht voͤllige Beweiß durch den Eid erſt
voͤllig werden muß. Endlich heiſt ein Ver-
ſprechungseid
(juramentum promiſſo-
rium),
wenn man eidlich etwas verſpricht,
oder der ein Verſprechen in ſich enthaͤlt.


§. 783.

Man ſagt, einer lege dem andern einenVom
Aufer-
legen ei-
nes Eids.

Eid auf, oder er ſchiebe es ihm ins Ge-
wiſſen
(juramentum alteri deferre), wenn
er ſich hinlaͤnglich erklaͤret, er wolle daß der
andere ſchwoͤren ſolle. Derowegen wenn
andere Beweiſe fehlen, oder man, was
zu beweiſen war, nicht voͤllig beweiſen
koͤnnen, ſo kann der Schiedsrichter ei-
nen Eid auflegen
(§. 781.); folglich iſt
Nat. u. Voͤlckerrecht. O oder
[578]II. Th. 18. H. Von der natuͤrlichen Art
der Eid, welcher vom Schiedsrichter
einem auferlegt worden, ein nothwen-
diger Eid, und beſonders iſt es der Er-
fuͤllungseid.
Aus eben dem Grunde kann
auch vor dem Schiedsrichter ein Theil
dem andern einen Eid auferlegen:
Je-
doch da ihm alle Unterſuchung der Sache zu-
kommt (§. 770.); ſo muß es mit ſeiner
Bewilligung geſchehen.
Ja aus eben
der Urſache kann der Klaͤger dem Be-
klagten, wegen deſſen, was er leugnet,
und der Beklagte dem Klaͤger wegen
ſeiner Einwendungen das Gewiſſen
ruͤhren;
weil niemand ein Zeuge in ſeiner
eigenen Sache ſeyn kann (§. 779.), folg-
lich durch einen Eid nicht beweiſen, was von
dem andern Theil geleugnet wird. Weil man
es aber nicht auf einen Eid muß ankommen
laſſen, ſo lange man andere Beweiſe haben
kann (§. 781.); ſo folgt, daß, wenn ein
Theil dem andern vor dem Schieds-
richter es in das Gewiſſen ſchiebet, was
er leugnet, er aber, was durch den
Eid bewieſen werden ſoll, anders be-
weiſen will, er zum Beweiſe zugelaſ-
ſen werden muß: Wenn er aber mit
dem Beweiſe nicht auskommt, er den-
noch den Eid ablegen muß
(§. cit.).


§. 784.

Von dem
Zuruͤck-
ſchieben
und Ab-

Man ſagt, einer ſchiebe den Eid zu-
ruͤck,
oder er ſchiebe es dem andern in
ſein Gewiſſen zuruͤcke
(juramentum re-
ferre),
[579]Streitigkeiten zu endigen.
ferre), wenn er den ihm auferlegten Eidſchlagen
eines Ei-
des.

nicht annehmen will, ſondern ſich hinlaͤnglich
erklaͤret, er wolle lieber daß der andere Theil,
was er geſagt, durch einen Eid bekraͤfftige:
Aber, er ſchlage den Eid aus, oder er wei-
gere ſich zu ſchwoͤren
(juramentum re-
cuſare),
wenn er ſich hinlaͤnglich erklaͤret, er
wolle nicht ſchwoͤren, oder er wolle den ihm
auferlegten, oder zuruͤck geſchobenen Eid nicht
ablegen. Weil aber der nicht ſchwoͤren will,
deswegen noch nicht will, daß der andere
ſchwoͤren ſoll; ſo folgt noch nicht, daß,
wer ſich zu ſchwoͤren weigert, deswe-
gen dem andern es ins Gewiſſen zuruͤ-
cke ſchiebet.
Weil die Partheyen das ſich
muͤſſen gefallen laſſen, was dem Schiedsrich-
ter gutduͤnckt (§. 770.); ſo kann der Eid,
welcher von einem Schiedsrichter auf-
erlegt worden, nicht ausgeſchlagen
und dem Gegentheil ins Gewiſſen ge-
ſchoben werden. Wenn
aber ein Theil
dem andern den Eid auferlegt; ſo
kann er ihm denſelben ins Gewiſſen
zuruͤcke ſchieben;
maſſen keine zugezogene
Verbindlichkeit vorhanden, welche die natuͤr-
liche Freyheit einſchraͤncken ſollte, und es
ihm alſo freyſteht, ob er ſelbſt ſchwoͤren, oder
lieber will, daß der andere ſchwoͤren ſoll (§. 78.).
Und da der, welcher den Eid auferlegt, will,
daß die ſtreitige Sache durch einen Eid ent-
ſchieden werden ſoll, und nicht wollen darf,
daß GOtt unbedachtſamer Weiſe zum Zeugen
O o 2ange-
[580]II. Th. 18. H. Von der natuͤrlichen Art
angerufen werde (§. 360. 361.); ſo kann er
vor ſeine Perſon den Eid nicht aus-
ſchlagen.
Gleichergeſtalt da wer den Eid
annimmt, ſtillſchweigend zu ſchwoͤren ver-
ſpricht, und ſich alſo dazu verbindlich macht
(§. 380.); ſo kann ein auferlegter Eid,
wenn er angenommen worden, nicht
ausgeſchlagen werden.
Uebrigens iſt
der erfuͤllende und der Reinigungseid
an und vor ſich ſelbſt ſo beſchaffen, daß
er nicht ausgeſchlagen und zuruͤck ge-
ſchoben werden kann
(§. 782.).


§. 785.

Von
dem, der
nicht
ſchwoͤren
will, da
er ſchwoͤ-
ren ſoll.

Weil derjenige, der zu ſchwoͤren verbun-
den iſt, aber nicht ſchwoͤren will, hinlaͤnglich
anzeigt, daß er nicht mit gutem Gewiſſen
ſchwoͤren kann; ſo wird wider den, der
ſchwoͤren ſoll, fuͤr wahr gehalten, wor-
uͤber er ſchwoͤren ſollte.
Derowegen
wenn ein angenommner Eid, oder ein
Eid, den der Schiedsrichter auferlegt,
ausgeſchlagen wird; ſo wird, was ei-
ner beſchwoͤren ſollte, wider ihn fuͤr
wahr gehalten.


§. 786.

Von der
Erlaſ-
ſung des
Eides.

Man ſagt, der Eid werde erlaſſen(ju-
ramentum remitti),
wenn der, welcher
ihn auferlegt hat, ſich, nachdem er ange-
nommen worden, erklaͤrt, er wolle nicht, daß
er wuͤrcklich abgeſchworen werde, ſondern da-
vor halten, als wenn es wuͤrcklich geſchehen
waͤre. Alſo wird wider den, welcher
den
[581]Streitigkeiten zu endigen.
den Eid erlaͤßt, das vor wahr gehal-
ten, was beſchworen werden ſollte
(§.
318.). Weil es auf denjenigen, wider wel-
chen geſchworen wird, allein ankommt, ob
wuͤrcklich geſchworen wird, oder nicht (§. 781.
415.), und es auf ſeinen Willen allein an-
kommt, ob er will daß geſchworen werden ſoll,
oder nicht (§. 78.); ſo kann er ſowohl ei-
nen Eid, welchen der Schiedsrichter
auferlegt, als der von ihm auferlegt,
oder zuruͤck geſchoben worden, wenn er
ſieht daß der andere zum Schwoͤren
bereit iſt, erlaſſen.


§. 787.

Einen Kampf(pugna) nennt man, wennVom
Duell,
oder
Zwey-
kampfe.

zwey mit Gewalt einander anfallen und ſich
ſchlagen. Wenn einer des andern Sachen
mit Gewalt anfaͤllt; ſo iſt dieſes nur eine Ur-
ſach zum Kaͤmpfen, in ſo fern als der, welcher
ſeine Sache vertheidigt, gewaltſamen Wider-
ſtand thut. Der Kampf, welchen zwey mit
einander wagen, daß genommener Abrede nach
ihre ſtreitige Sache durch den Kampf entſchie-
den ſeyn ſollte, nennt man ein Duell, oder
einen Zweykampf(duellum). Weil der
Menſch verbunden iſt, ſeinen Leib und alle
Glieder unverletzt zu erhalten (§. 112.), auch
alle Gefahr des Lebens und Verſtuͤmmelung
der Glieder von ſich (§. 43.), und einem jeden
andern abzuwenden (§. 141.); ſo iſt ein je-
des Duell von Natur unerlaubt;
folg-
lich ſoll niemand den andern mit Ge-
O o 3walt
[582]II. Th. 18. H. Von der natuͤrlichen Art
walt zum Duell zwingen, und nie-
mand den andern dazu herausfordern,
und wer herausgefordert wird, darf
nicht erſcheinen.
Allein wenn jemand
den andern in der Abſicht mit Gewalt
anfaͤllt; ſo iſt es kein Duell, wenn die-
ſer ſich wehret;
indem ein jeder von Na-
tur das Recht hat ſich zu wehren (§. 90.).


§. 788.

Wer im
Kampfe
uͤberwin-
det.

Man ſagt, der uͤberwinde im Kampfe,
welcher den andern dahin bringt, daß er auf-
hoͤren muß: Hingegen der wird uͤberwun-
den
(vincitur), welcher abzuſtehen genoͤthi-
get wird. Daher folgt, daß der uͤber-
wunden ſey, welcher getoͤdtet wird,
welcher ſo verwundet wird, daß er
nicht laͤnger aushalten kann, oder will,
wer in die Flucht gejagt wird, oder
auch hinlaͤnglich anzeigt, daß er nicht
laͤnger kaͤmpfen wolle,
z. E. wer das
Gewehr wegwirft, oder mit ausdruͤck-
lichen Worten es ſaget.


§. 789.

Ob es er-
laubt
ſey durch
ein
Duell
den
Streit
zu ent-
ſcheiden
und ſeine
Ehre zu

Weil man daraus, daß einer den an-
dern im Kaͤmpfen uͤberwunden hat, nicht
ſchlieſſen kann, daß er eine gerechte Sache
habe (§. 788.); ſo kann durch das Duell
keine ſtreitige Sache entſchieden wer-
den
(§. 765.). Gleichergeſtalt weil man
ſeine Ehre, oder guten Nahmen nicht anders
vertheidigen kann, als daß man zeigt, es ſey
falſch was der andere unſerm guten Nahmen
zuwi-
[583]Streitigkeiten zu endigen.
zuwider geſagt hat (§. 126.); ſo kann manbeſchuͤ-
tzen.

durch ein Duell auch ſeine Ehre nicht
retten
(§. 787.). Und weil ein Duell von
Natur unerlaubt iſt (§. cit.); ſo iſt es auch
nicht erlaubt durch den Sieg im
Kaͤmpfen,
als wie durchs Loos (§. 669.),
eine ſtreitige Sache zu entſcheiden, oder
durch ein Duell, man uͤberwinde, oder
werde uͤberwunden, ſeine Ehre wie-
der erhalten wollen, welche man uns
von einem andern benommen zu ſeyn
vermeinet.


§. 790.

Weil man das Recht gegen einen andernOb man
in einer
zweifel-
haften
Sache
das Recht
zum Krie-
ge habe.

nicht eher mit Gewalt behaupten kann, bis
gewiß iſt, daß es uns zukomme (§. 88. 89.);
ſo hat niemand in einer ſtreitigen Sa-
che an und vor ſich ſelbſt das Recht
zum Kriege;
folglich iſts nicht erlaubt
einen andern mit Gewalt der Waffen
anzugreifen, um von ihm zu erzwin-
gen, worauf wir eine Anforderung
machen.
Weil alſo in einer zweifelhaften
Sache der Streit entweder durch eine Bey-
legung in der Guͤte (§. 763.), oder durch ei-
nen Vergleich (§. 764.), wozu man, wenn
es noͤthig iſt, Mittelsperſonen annehmen kann
(§. 768.), oder durch Schiedsrichter (§. 770.),
oder durchs Loos geendigt werden muß (§.
670.); ſo muß man eine ſtreitige Sa-
che entweder guͤtlich beylegen, oder
wegen eines Vergleichs entweder mit,

O o 4oder
[584]II. Th. 18. H. Von der natuͤrlichen Art
oder ohne Mittelsperſonen Unterre-
dungen anſtellen, oder ſich wegen ei-
nes Schiedsrichters vereinigen, oder
die Endigung des Streits dem Looſe
uͤberlaſſen.
Weil aber niemanden wider
ſeinen Willen auch ein noch ſtreitiges Recht
genommen werden kann (§. 100.), indem alle-
zeit zu beſorgen, es doͤrfte dem andern ſein
Recht benommen werden; ſo hat, ſo lange
es zweifelhaft bleibt, welchem unter den ſtrei-
tenden Partheyen das Recht zukommt, der-
jenige, welcher in einer zweifelhaften
Sache eine Unterredung zur Beyle-
gung in der Guͤte, oder durch einen Ver-
gleich, oder auch durch einen Schieds-
richter, oder das Loos anbietet, das
Recht den andern mit Gewalt zu ei-
nem Vergleiche zu zwingen, wenn er
ſich zu nichts verſtehen will;
folglich
das Recht einen Krieg des Vergleichs
wegen zu fuͤhren
(§. 98.). Eben auf
dieſe Weiſe erhellet, daß wenn jemand die
in der Unterredung, oder durch einen
Mittler vorgeſchlagene billige Bedin-
gungen nicht annehmen will; der an-
dere das Recht hat Krieg zu fuͤhren,
um ihn mit Gewalt zum Vergleiche zu
zwingen.
Und weil die Menſchen, wenn
ſie keine Verbindlichkeit dazu noͤthiget, ſich
nicht in die Gefahr begeben duͤrfen, ihr Leben
oder geſunde Gliedmaſſen zu verlieren, oder
auch ihren Zuſtand zu verſchlimmern (§. 131.),
auch
[585]Streitigkeiten zu endigen.
auch der Krieg nicht durch die Natur, ſon-
dern durch die Boßheit der Menſchen, die ih-
rer Verbindlichkeit kein Genuͤge leiſten wol-
len, eingefuͤhret worden (§. 99.); ſo muß
in einer ſtreitigen Sache ein jeder Theil
billige Bedingungen ſuchen, wodurch
der Krieg vermieden werden kann.


§. 791.

Da kein Beſitzer mit Gewalt aus ſeinemOb ei-
nem des
Beſitzes
wegen
das Recht
zum
Kriege
zukom-
me.

Beſitze geworfen werden kann, ehe als der an-
dere ſein Recht bewieſen hat (§. 288.); ſo
kommt in einer zweifelhaften Sache
niemanden das Recht zu einen Beſi-
tzer zu noͤthigen, daß er ihm den Beſitz
einraͤumen ſoll;
folglich wenn einer ei-
ne ſtreitige Sache beſitzt, ſo iſt es un-
erlaubt, durch die Gewalt der Waf-
fen ſich des Beſitzes zu bemaͤchtigen
(§. 98.); und
alſo muß derjenige, wel-
cher die Sache haben will, mehr als
der Beſitzer ſich angelegen ſeyn laſſen
die Bedingungen zu ſuchen, wodurch
der Krieg vermieden wird.


§. 792.

Weil einem jeden von Natur ein RechtVon der
nothwen-
digen
Pfaͤn-
dung.

auf die Guͤter des Schuldners zukommt, um
ſich daraus, woferne er nicht zur geſetzten Zeit
die Schuld abtraͤgt, bezahlt zu machen (§.
705.); ſo iſt es von Natur erlaubt,
wenn ein anderer eine uns zugehoͤrige
Sache uns vorbehaͤlt, und ſie nicht
wiedergeben will, oder das nicht ab-

O o 5tragen,
[586]II. Th. 18. H. Von der natuͤrlichen Art
tragen, was er ſchuldig iſt, ihm eine
andere Sache wegzunehmen, die man
ihm nicht eher wiedergiebt, bis wir
das unſere erhalten haben.
Da hierin-
nen die Pfaͤndung(pignoris capio) beſteht;
ſo iſt ſie von Natur erlaubt, und man
muß dabey in acht nehmen, was von
dem Pfande erwieſen worden (§. 697.
u. ſ. w.).
Es erhellet aber, daß die Pfaͤn-
dung eine nothwendige Verpfaͤndung
ſey.


§. 793.

Von der
Erfuͤl-
lung ſei-
nes Nech-
tes.

Da niemanden ſein Recht wider ſeinen
Willen genommen werden kann (§. 100.),
auch niemand dieſes zu leiden ſchuldig iſt (§.
89.); ſo kann einer, wenn der andere
ihm ſeine Sache nicht wiedergeben,
oder eine Schuld nicht abtragen will,
anſtatt derſelben eine andere ihm zu-
gehoͤrige Sache, welche eben ſo viel
werth iſt, wegnehmen.
Da man aber
ſich mit einer fremden Sache nicht bereichern
darf (§. 271.); ſo muß man ſo viel, als
ſie mehr werth iſt, ihm wiedergeben.

Es erhellet aber vor ſich, daß, wenn der-
ſelbe uns das unſere gleich wiederge-
ben will,
weil alsdenn keine Urſache vor-
handen, warum wir uns eine einem andern
zugehoͤrige Sache zueignen koͤnnen, wir auch
ihm ſeine Sache wiedergeben muͤſſen.

Das Wegnehmen einer einem andern zugehoͤ-
rigen Sache anſtatt der unſrigen, oder deſſen,
was
[587]Streitigkeiten zu endigen.
was er uns ſchuldig iſt, wenn wir das unſere
von ihm nicht erhalten koͤnnen, nennt man
die Erfuͤllung des Rechtes(expletio ju-
ris).
Dieſe iſt alſo von Natur erlaubt.
Es erhellet aber, daß ſie nicht eher zu
Stande kommen kann, bis es gewiß
iſt, daß der andere, welcher uns das
unſere vorenthaͤlt, daſſelbe uns nicht
geben will, damit er das ſeinige
wieder bekommen koͤnnte;
folglich
muß man in zweifelhaftem Fall ihm
einige Bedenckzeit laſſen.
Weil es aber
noͤthig iſt, daß wir mit einer Sache, daran
wir uns wegen des unſern zu halten haben,
machen koͤnnen, was wir wollen, wenn nur
nichts vorgenommen wird, das dem Rechte deſ-
ſen, der uns das unſere vorenthaͤlt, zuwider
iſt (§. 86.), indem wir dadurch befriediget
werden ſollen; ſo erhalten wir das Ei-
genthum in einer Sache, die wir, um
uns an derſelben zu erhohlen, wegge-
nommen haben
(§. 195.); ſonſt wuͤrde ja
das gantze Verfahren vor die lange Weile
ſeyn.


Das neunzehnte Hauptſtuͤck.


Von der Auslegung.


§. 794.

Auslegen(interpretari) iſt nichts an-Was die
Ausle-
gung ſey.

ders, als auf eine gewiſſe Art ſchlieſ-
ſen, was einer durch ſeine Worte,
oder
[588]II. Theil 19. Hauptſtuͤck.
oder andere Zeichen, hat zu verſtehen geben
wollen. Daher iſt die Auslegung(inter-
pretatio)
die Erforſchung der Gedancken, wel-
che durch Worte und andere Zeichen ange-
deutet worden.


§. 795.

Wenn ei-
ne Aus-
legung
noͤthig
iſt.

Wenn alle Woͤrter eine gewiſſe und
beſtimmte Bedeutung haͤtten,
daß ſie
naͤmlich allezeit in eben demſelben Verſtande
genommen wuͤrden, und nicht itzt mehr, ein
andermahl weniger, oder etwas anders durch
dieſelbe angedeutet wuͤrde, und wenn die
Redenden allzeit ihre Gedancken durch
dieſelben hinlaͤnglich ausdruͤckten; ſo
wuͤrde keine Auslegung noͤthig ſeyn:
Da
aber das Gegentheil geſchieht; ſo
iſt eine Auslegung noͤthig.


§. 796.

Ob der
Verſpro-
cher, und
der, dem
das Ver-
ſprechen
geſchieht,
ſeine
Worte
auslegen
kann.

Weil durch das Verſprechen ein Recht er-
langt wird (§. 379.), welches dem andern,
dem es geſchehen, nicht genommen werden
kann (§. 100.), ſondern wider jenen vor wahr
zu halten iſt, was er hinlaͤnglich hat zu verſte-
hen gegeben (§. 318.); ſo kann in den
Verſprechen,
folglich auch in den Ver-
traͤgen niemand ſeiner eigenen Worte
Ausleger ſeyn.
Da durch das Annehmen
deſſen, was verſprochen wird, nicht mehr Recht
erlangt wird, als der ein Recht auf einen
bringt, dem andern hat einraͤumen wollen
(§. 318.); ſo iſts auch dem, der ein Ver-
ſprechen angenommen, nicht zu erlau-

ben,
[589]Von der Auslegung.
ben, daß er die Worte des Verſpre-
chens ſo auslegt, wie er ſie verſtanden
haben will.


§. 797.

Eine richtige Auslegung(recta inter-Von der
richtigen
Ausle-
gung.

pretatio) iſt, welche nach den bewieſenen
Auslegungsregeln geſchieht; die demnach der
Verſprecher und der das Verſprechen ange-
nommen gelten zu laſſen ſchuldig ſind. Dero-
wegen gilt wider den Verſprecher, was
nach einer richtigen Auslegung wahr
iſt;
folglich hat der, welcher das Ver-
ſprechen angenommen, das Recht ihn
dazu anzuhalten
(§. 378.).


§. 798.

Weil die, welche den Vertrag ma-Wie lan-
ge man
bey der
eigentli-
chen Be-
deutung
bleiben
muß.

chen, alſo zu reden verbunden ſind, daß ſie
einander verſtehen koͤnnen (§. 437. 438.); ſo
muͤſſen ſie die Woͤrter in der Bedeu-
tung, welche der Redensgebrauch mit
ſich bringt,
das iſt, in der eigentli-
chen, und die Kunſtwoͤrter in der an-
genommenen Bedeutung nehmen;

folglich muͤſſen ſie nicht mit Wiſſen und
Willen von der eigentlichen Bedeu-
tung, und von der angenommenen
Bedeutung der Kunſtwoͤrter abge-
hen.
Daher vermuthet man auch nicht
daß ſie von denſelben abgegangen ſind,
ſo lange als nicht Gruͤnde vor das Ge-
gentheil vorhanden ſind.
Und daher
folgt ferner, daß man bey der Auslegung
der
[590]II. Theil 19. Hauptſtuͤck.
der Verſprechen und Vertraͤge von
dem gemeinen Redensgebrauch nicht
abgehen muͤſſe, wenn nicht dringende
Gruͤnde dazu vorhanden ſind.
Weil
es aber gewiß iſt, daß der Redensgebrauch
mit der Zeit veraͤndert wird; ſo muß man
das Verſprechen und die Vertraͤge
nach dem Redensgebrauch derjenigen
Zeit, in welcher ſie gemacht worden
ſind, auslegen.


§. 799.

Von der
Bedeu-
tung der
Woͤrter
vermoͤge
ihres Ur-
ſprunges.

Die Etymologie(etymologia) iſt eine
Erklaͤrung des Urſprungs der Woͤrter. Die
Etymologie ſucht alſo die Gruͤnde zu
entdecken, warum die Stammwoͤrter
zuerſt, um dieſe, oder andere Sachen
zu bezeichnen, angenommen worden,
und zu erklaͤren, von was vor andern
Woͤrtern die hergeleiteten Woͤrter her-
geleitet werden, und aus welchen die
zuſammen geſetzten zuſammen geſetzt
werden, und was ſie bedeuten vermoͤ-
ge ihrer Herleitung und Zuſammenſe-
tzung.
Die Bedeutung, welche aus dem
Urſprunge der Woͤrter hergeholet wird, nennt
man die etymologiſche Bedeutung, auch
die grammaticaliſche(ſignificatum ety-
mologicum, grammaticum).
Da es ge-
wiß iſt, daß man auf dieſelbe bey dem Re-
densgebrauch nicht zu ſehen hat; ſo muß
man bey der Auslegung der Vertraͤge
und eines Verſprechens nicht auf die

Bedeu-
[591]Von der Auslegung.
Bedeutung ſehen, welche die Woͤrter
vermoͤge ihres Urſprungs haben.
Denn
ſie haben ihre Bedeutung von dem Willkuͤhr
der Menſchen, und alſo fragt man nur, was
ſie durch dieſelben anzeigen wollen.


§. 800.

Weil die einen Vertrag machen, ſo zu re-Von den
Vorbe-
haltun-
gen im
Sinne.

den verbunden ſind, daß ſie einander verſtehen
koͤnnen (§. 437. 438.); ſo muß man bey
der Auslegung der Vertraͤge und eines
Verſprechens keine Vorbehaltung im
Sinne zulaſſen
(§. 355.): Denn wenn man
dieſes einraͤumen wollte; ſo koͤnnte man alle
Verſprechen zunichte machen.


§. 801.

Da es aus der Abſicht deſſen, dem ein Ver-Von der
Vermei-
dung der
betruͤgli-
chen Re-
den.

ſprechen geſchehen, erhellet, was er gewolt,
daß ihm verſprochen werden ſollte; ſo iſt es
nicht erlaubt, daß, wenn es offenbar
iſt, was fuͤr eine Bedeutung die Wor-
te nach der Abſicht deſſen, der ver-
langt, daß ihm etwas verſprochen
wuͤrde, haben, denſelben einen Ver-
ſtand zu geben, welcher ſeiner Abſicht
gantz zuwider iſt.
Alſo darf man nicht
die Einwohner einer Stadt lebendig begraben,
wenn man mit ihnen den Vertrag gemacht,
daß nach Uebergabe der Stadt kein Blut ſoll
vergoſſen werden.


§. 802.

Weil die Kunſtwoͤrter(termini tech-Von den
Kunſt-
woͤrtern.

nici) die Bedeutung haben, die ihnen von
den
[592]II. Theil 19. Hauptſtuͤck.
den Kunſtverſtaͤndigen gegeben wird; ſo muß
man ſie in der Bedeutung nehmen,
welche bey den Kunſtverſtaͤndigen an-
genommen worden, woferne nicht
dringende Gruͤnde dazu vorhanden
ſind (§. 798.). Wenn die Woͤrter et-
was nach den Stuffen anzeigen; ſo
muß man,
obgleich die Erklaͤrungen alſo
eingerichtet werden, wie die Sachen in ihrer
groͤſten Vollkommenheit beſchaffen ſind, weil
wir uns derſelben nicht allezeit in einer ſo ein-
geſchraͤnckten Bedeutung bedienen, ſich an
die Erklaͤrung derſelben nicht genau
binden, ſondern eine Erklaͤrung ma-
chen, die der Rede, wovon das zu er-
klaͤrende Wort ein Theil iſt, gemaͤß
iſt,
als wenn man ſagt, es ſolle auf das Ur-
theil eines Philoſophen, oder Artzeneyverſtaͤn-
digen ankommen.


§. 803.

Von der
vielfaͤl-
tigen Be-
deutung
und der
Zwey-
deutig-
keit.

Wenn die Dunckelheit von den viel-
faͤltigen Bedeutungen und aus der
Zweydeutigkeit entſteht; ſo iſt,
indem
alsdenn ein Wort, oder mehrere Woͤrter zu-
ſammen mehr als eine Bedeutung haben, der-
jenige aber, welcher geredet, wie leicht zu er-
meſſen, an diejenige gedacht hat, welche ihm
einfallen konnte, derjenige Begriff wel-
cher der Sache zukommt, wovon die
Rede iſt, den uͤbrigen vorzuziehen.

Gemeiniglich ſagt man, daß die Woͤrter
nach der Beſchaffenheit der Sache ver-

ſtanden
[593]Von der Auslegung.
ſtanden werden muͤſſen, von welcher
man redet
(verba intelligenda eſſe ſecun-
dum ſubſtratam materiam).
Wenn man
alſo einen Vertrag gemacht hat, daß ein
Stillſtand 30. Tage ſeyn ſoll; ſo werden un-
ter den Tagen auch die Naͤchte verſtanden.


§. 804.

Weil man nicht vermuthet, daß jemandVon der
Vermei-
dung des
Unge-
reimten.

etwas ungereimtes wolle; ſo muß eine Aus-
legung verworfen werden, aus wel-
cher etwas ungereimtes folgt.
Alſo
kann das Verbot, man ſolle auf der Gaſſe
kein Blut vergieſſen, nicht auf einen Barbier
gezogen werden, welcher auf der Straſſe ei-
nem zur Ader laͤßt; folglich muß man die
Auslegung alſo einrichten, daß alles
ungereimte vermieden wird.
Da es
ungereimt iſt, daß einer, der etwas verſpricht,
nichts habe verrichten wollen; ſo kann man
eine ſolche Auslegung nicht zugeben,
aus welcher folgen wuͤrde, daß nichts
waͤre verrichtet worden.


§. 805.

Weil man ſo lange vermuthet, daß einerVon der
Ausle-
gung aus
dem vor-
herge-
henden
und nach-
folgen-
den.

noch das vorige gewollt, als es nicht offenbar
iſt, daß er ſeinen Willen geaͤndert hat; ſo
muß man, wenn etwas dunckel vorge-
tragen worden, aus dem vorherge-
henden, oder nachfolgenden, oder aus
dem, was an einem andern Orte und
bey anderer Gelegenheit klaͤrer geſagt
worden, was dunckel iſt, dergeſtalt er-

Nat. u. Voͤlckerrecht. P pklaͤren,
[594]II. Theil 19. Hauptſtuͤck.
klaͤren, daß es mit jenem uͤbereinkommt.
Und weil die, welche die Kuͤrtze im Reden lie-
ben, in ihren Worten ſich entweder auf das
vorhergehende, oder nachfolgende beziehen; ſo
muß man die Auslegung dergeſtalt ma-
chen, daß das vorhergehende und nach-
folgende mit einander uͤbereinſtimme,
wofern es nicht offenbar erhellet, daß
das vorhergehende durchs nachfolgen-
de geaͤndert worden ſey.


§. 806.

Von der
Ausle-
gung aus
den Be-
wegungs-
gruͤnden
des Wil-
lens.

Es iſt bekannt, daß der Wille durch Be-
wegungsgruͤnde beſtimmt wird, welche ein
hinreichender Grund des Wollens ſind. Wenn
bekannt iſt, was fuͤr ein Grund
einig
und allein einen etwas zu wollen be-
wogen hat, oder warum er dieſes ge-
wollt hat; ſo muß man die Worte
auslegen, daß ſie damit uͤbereinkom-
men;
folglich wenn mehrere Gruͤnde
zuſammen genommen einen Bewe-
gungsgrund ausmachen, daß ſie mit
denſelben zuſammen genommen, wenn
ſie aber getheilt den Bewegungsgrund
ausmachen, daß ſie mit denſelben ge-
theilt
(diviſim)uͤbereinſtimmen.


§. 807.

Von de-
nen Woͤr-
tern, die
man ſo
anneh-
men
muß, wie

Es erhellet leicht vor ſich, daß wenn ein
Wort und eine Redensart ſich auf et-
was beziehen, die Bedeutung derſel-
ben, die ſie an und vor ſich ſelbſt ge-
nommen
(ſi ſimpliciter ſumitur)haben,
alſo
[595]Von der Auslegung.
alſo veraͤndert werden muß, wie es mitſie ſich
auf et-
was be-
ziehen.

dem, worauf ſie ſich beziehen, uͤber-
einkommt.
Alſo nimmt man an, daß einer
etwas den groͤſten Theil des Jahrs hindurch
beſeſſen habe, wenn er es zwey Monath lang
beſeſſen hat, der Gegner hingegen nur wenige
Tage, oder gar nicht.


§. 808.

Wenn einige Dinge in den Vertraͤ-Von der
Ausle-
gung in
einer
weitlaͤuf-
tigeren
Bedeu-
tung.

gen zum beyderſeitigen Nutzen gerei-
chen, und ein jeder Theil gleichen Vor-
theil davon hat; ſo ſind die Worte,
in-
dem nichts hindert, daß ſie in der Bedeutung
genommen werden, welche ſie haben koͤnnen,
und keine dringende Urſache vorhanden iſt,
warum ſie auf einige Weiſe eingeſchraͤnckt
werden ſolten, nach dem gantzen Umfang
der eigentlichen Bedeutung des Rede-
gebrauchs, oder wenn derſelben meh-
rere ſeyn ſollten, nach derjenigen, wel-
che ſich am weiteſten erſtreckt, zu neh-
men, woferne nicht etwas widerſpre-
chendes, oder den Vertrag vergeblich
machendes daraus folgt
(§. 803.). Man
nennt aber eine weitlaͤuftigere Bedeu-
tung
(ſignificatus latior), wenn einerley
Worte mehr Dinge bedeuten, die auch zuwei-
len weniger anzuzeigen pflegen, z. E. wenn
jemand von den Mannsperſonen redet und
auch die Weibsperſonen mit darunter begreift,
oder wenn die Gattung und die Art einerley
Nahmen haben, oder nach Beſchaffenheit der
P p 2Sache,
[596]II.Theil 19. Hauptſtuͤck.
Sache, von welcher die Rede iſt, eine Re-
densart ſich auf mehreres, als ſonſt gewoͤhn-
lich, erſtreckt.


§. 809.

Von der
Ausle-
gung in
einer en-
gern Be-
deutung.

Wenn etwas den einen Theil be-
ſchwert, oder mehr als den andern, ſo
ſind,
indem ſich nicht vermuthen laͤßt, daß
jemand ſich zu viel beſchweren will, die Wor-
te in einer engeren Bedeutung zu neh-
men, ja auch wohl in einem etwas
uneigentlichen Verſtande, damit die
Beſchwerde vermindert werde.
Alſo
nimmt man an, daß man die Huͤlfsvoͤlcker,
die einem Maͤchtigern verſprochen worden, auf
ſeine Unkoſten zu unterhalten verſprochen hat.
Da die Strafe, die dem Verſprechen hinzu-
gefuͤgt worden, eine Beſchwerde iſt (§. 409.
410.); ſo ſind die Worte, welche die
Strafe enthalten, auch in einer en-
gern Bedeutung zu nehmen,
ſo daß
naͤmlich eine rechtmaͤßige Entſchuldi-
gung zugelaſſen wird, welche von der
Strafe befreyet, und nicht ein jedes
Verſehn zur Strafe zugerechnet wird.

Man ſagt naͤmlich, das Wort wird in ei-
ner engeren Bedeutung
(ſignificatu ſtri-
ctiori)
genommen, wenn es weniger be-
deutet, da es auch mehr bedeuten kann.


§. 810.

Allge-
meine
Regeln
der Aus-
legung.

Da man bey der Auslegung vorhat zu zei-
gen, was einer durch ſeine Worte hat wollen
zu verſtehen geben (§. 794.); folglich, was
er,
[597]Von der Auslegung.
er, da er redete, gedacht hat; ſo muß die
Auslegung davon gemacht werden,
was einer wahrſcheinlicher Weiſe ge-
dacht hat, nicht aber ſo, daß ſie dem-
ſelben entgegen ſey.
Weil uns aber nicht
allzeit alle Umſtaͤnde, die beym Geſchaͤffte vor-
kommen, vor Augen ſchweben, ſo daß man
ſeinen Sinn denſelben gemaͤß ausdruͤckte; ſo
muß man die Auslegung ſo machen,
wie ſie der ſelbſt machen wuͤrde, deſſen
Worte man auslegen will, wenn er
gegenwaͤrtig waͤre, oder ihm das be-
kannt geweſen waͤre, was nun offen-
bar iſt.


§. 811.

Eine erweiterte Auslegung(inter-Von der
erweiter-
ten Aus-
legung.

pretatio extenſiva) nennt man, wenn man den
Sinn deſſen, der etwas geſprochen, auf ſol-
che Faͤlle erſtrecket, die unter den Worten,
welche das Verſprechen, oder den Vertrag in
ſich enthalten, nach dem gantzen Umfange ih-
rer Bedeutung nicht mit begriffen ſind, weil
eben derſelbe Bewegungsgrund bey ihnen ſtatt
findet, warum er das, wovon er redet, gewolt,
oder nicht gewolt. Weil man etwas will,
oder nicht will, wenn ein hinreichender Grund
etwas zu wollen, oder nicht zu wollen vorhan-
den; ſo iſt nicht zu zweifeln, daß wenn einer,
da er geredet, an den ſich jetzt ereignenden
Fall gedacht haͤtte, er auch ſeine Worte auf
denſelben mit wuͤrde gerichtet haben; folglich
P p 3muß
[598]II.Theil 19. Hauptſtuͤck.
muß man die erweiterte Auslegung
einraͤumen
(§. 810.).


§. 812.

Vom
Betrug,
der in
Abſicht
eines Ge-
ſetzes,
oder des
Vertꝛags
geſchieht.

Man ſagt, derjenige handele aus Be-
trug wider ein Geſetze, oder einen Ver-
trag
(fraudem legi, vel pacto facere dici-
tur),
der etwas thut, was zwar den Wor-
ten des Geſetzes, oder des Vertrages nicht
entgegen iſt, aber gleichwohl dem Sinn des
Geſetzgebers, oder deſſen, der den Vertrag
gemacht, zuwider iſt. Da man auſſer der
Bedeutung der Worte zeigen muß, daß aus
Betrug wider das Geſetze, oder den Vertrag
gehandelt wird; folglich dieſes aus dem
Grunde erhellen muß, warum das Geſetze
gegeben, oder der Vertrag gemacht worden;
ſo hebt die erweiterte Auslegung den
Betrug auf, der in Abſicht eines Ge-
ſetzes, oder Vertrages geſchehen kann.


§. 813.

Von der
einſchꝛaͤn-
ckenden
Ausle-
gung.

Eine einſchraͤnckende Auslegung(in-
terpretatio reſtrictiva)
iſt, wenn ein gewiſſer
Fall zwar in den Worten mit begriffen iſt, jeden-
noch aber, weil derſelbe Grund nicht vorhanden,
warum der Geſetzgeber, oder der den Ver-
trag gemacht, wollte, daß dieſes geſchehen ſoll-
te, oder nicht, ausgenommen wird. Es er-
hellet auf eben die Weiſe, wie vorhin (§. 811.),
daß man die einſchraͤnckende Ausle-
gung zulaſſen muͤſſe.
Weil man die Aus-
legung darnach machen muß, was einer wahr-
ſchein-
[599]Von der Auslegung.
ſcheinlicher Weiſe gedacht hat (§. 810.); ſo
muß man, wenn es die Sache, wovon
gehandelt wird, nicht wohl leidet, daß
die Worte in einer ſo weiten Bedeu-
tung genommen werden, als es ſcheint,
daß ſie genommen werden ſollten, die-
ſelbe durch die einſchraͤnckende Ausle-
gung der Sache gemaͤß einſchraͤncken;

maſſen allerdings der Grund daſſelbe zu wol-
len, oder nicht zu wollen, nicht vorhanden.
Und weil man nicht vermuthen kann, daß je-
mand etwas ungereimtes wolle; folglich in
einem ſich ereignenden Falle, da man ſolches
annehmen muͤſte, kein hinreichender Grund es
zu wollen vorhanden; ſo muß man in dem
Falle, da was ungereimtes daraus er-
folgen wuͤrde, wenn man einem die
Meynung beylegen wollte, welche die
allgemeinen Worte anzeigen, dieſelben
ſo einſchraͤncken, daß nichts ungereim-
tes daraus folget.
Allein wenn die Sa-
chen, welche der Grund in ſich be-
greift, nicht nach ihrer Wuͤrcklichkeit,
ſondern bloß nach ihrer Moͤglichkeit
angeſehen werden; ſo muß man, wenn
es nicht gewiß iſt, daß ſie ſich nicht
wuͤrcklich zutragen koͤnnen, auch die all-
gemeinen Worte nicht einſchraͤncken;

denn es iſt offenbahr, daß die Einſchraͤn-
ckung dem Sinne deſſen, der geredet, zuwi-
der ſeyn wuͤrde.


P p 4§. 814.
[600]II.Theil 19. Hauptſtuͤck.
Von der
ſtilſchwei-
genden
Bedin-
gung,
wenn die
Sachen
in dem
gegen-
waͤrtigen
Stande
verblei-ben.

§. 814.

Weil man aus dem hinreichenden Grunde
deſſen, der etwas verſprochen, erſehen kann,
warum er etwas verſprochen; ſo haͤlt das
Verſprechen die ſtillſchweigende Be-
dingung, woferne die Sachen in ge-
genwaͤrtigem Stande verbleiben, nicht
in ſich, wenn dieſelbe der hinreichen-
de Grund, warum man etwas ver-
ſprochen, nicht in ſich faſſet.


§. 815.

Von den
Faͤllen,
die ſtill-
ſchwei-
gend aus-
genom-
men wer-
den.

Weil die natuͤrliche Verbindlichkeit unver-
aͤnderlich iſt (§. 38.); ſo muß ein ſich er-
eignender Fall, in welchem es dem Ge-
ſetze der Natur zuwider ſeyn wuͤrde,
ſich an die Worte zu binden, ausge-
nommen werden.
Und da wir von Na-
tur nicht verbunden ſind anderer Vortheil zu
befoͤrdern, als in ſo weit es ohne Verabſaͤu-
mung unſerer Pflicht gegen uns ſelbſt geſche-
hen kann (§. 133. 134.); ſo muß ein ſich
ereignender Fall, in welchem derjenige,
den ſich ein anderer verbindlich zu et-
was machen wollen, oder der ſich dem-
ſelben verbindlich gemacht, allzuſehr
beſchweret wuͤrde, ausgenommen wer-
den.


§. 816.

Von den
Faͤllen,
welche

Da man ſich in den Vertraͤgen den andern
zu dieſem, oder jenem verbindlich macht (§.
438. 380.); ſo verhalten ſich die Ver-
traͤge
[601]Von der Auslegung.
traͤge, in ſo ferne ſie ein Verſprechenauszu-
nehmen
ſind.

in ſich enthalten, den Geſetzen gleich
(§. 39.). Derowegen was von den Ge-
ſetzen gilt, wenn ſie wider einander
laufen,
wie oben erklaͤrt worden (§. 64.),
das gilt auch in gleichem Falle von den
Vertraͤgen.
Jm uͤbrigen da dergleichen
ſich ereignende Faͤlle unter das zu rechnen ſind,
woran man nicht gedachte, da man etwas
verſprochen, oder einen Vertrag gemacht; ſo
muß man, wofern beſondere Gruͤnde
vorhanden, daraus ſich abnehmen
laͤßt, was derjenige wuͤrde ausgenom-
men haben, welcher geredet, wenn er
an den Fall der Colliſion gedacht haͤtte,
eben daſſelbe ausnehmen, wenn auch
die Regeln von dem wider einander
laufenden bey Vertraͤgen auf etwas an-
ders einen leiten ſollten.


§. 817.

Weil endlich der, dem etwas verſprochenAuf weſ-
ſen Wor-
te man
bey der
Ausle-
gung der
Vertraͤge
mehr zu
ſehen hat.

wird, den andern, der es ihm verſpricht,
nicht zu mehrem, als er will, verbinden kann
(§. 317. 379.); wider dieſen aber vor wahr
gehalten wird, was er hinlaͤnglich mit ſeinen
Worten zu verſtehen gegeben; man aber ſagt,
daß der eine Bedingung anbiete, welcher
verlangt, daß ihm etwas verſprochen werden
ſoll; der andere aber, welcher ihm etwas ver-
ſpricht, dieſelbe annaͤhme; ſo muß man
in Auslegung der Vertraͤge mehr auf
die Worte deſſen ſehen, der eine Be-

P p 5dingung
[602]II.Th. 20. H. Von denjenigen,
dingung annimmt, als desjenigen, der
ſie anbietet, woferne ſich nicht die
Worte des letztern auf die Worte des
erſtern beziehen.


Das zwantzigſte Hauptſtuͤck.


Von denjenigen, welche geſtor-
ben und noch nicht gebohren ſind.


§. 818.

Von der
Wuͤr-
ckung des
Todes in
Anſe-
hung der
Rechte u.
Veꝛbind-
lichkei-
ten.

Wenn der Menſch ſtirbt, ſo iſt er nicht
mehr im Stande etwas zu thun, und
bedarf weiter nichts mehr. Dero-
wegen iſt er keiner Rechte und Verbindlich-
keiten mehr faͤhig (§. 37. 46.). So bald
er alſo ſtirbt; ſo hoͤrt ſein Recht und
alle ſeine Verbindlichkeit auf;
folglich
verliehrt er auch das Eigenthum an
ſeinen Sachen, und alle Rechte, die da-
von herruͤhren, wie auch alles Recht
zu einer Sache, was er hatte.


§. 819.

Wie die
Guͤter ei-
nes Ver-
ſtorbenen
auf an-
dere
kommen.

Weil aber ein jeder Menſch ſein Eigen-
thum und ein jedes anderes Recht, welches er
in einer Sache, oder zu einer Sache hat, wenn
es nur nicht perſoͤnlich iſt (§. 400.), unter
was vor einer Bedingung er will, auf einen
andern bringen kann (§. 314.); ſo kann er
auch das Eigenthum ſeiner Sachen
und ein jedes anderes Recht, welches
nicht perſoͤnlich iſt, auf ſeinen Todes-

fall
[603]welche geſtorben u. noch nicht gebohren.
fall auf einen andern bringen; folglich
gelanget daſſelbe durch ſeinen Tod auf
denjenigen, auf den er es auf ſeinen
Todesfall gebracht hatte;
und alſo hoͤrt
das Recht, welches er verlohren, nicht
auf, und die ſeine Schuldner waren,
werden nach ſeinem Tode des andern
Schuldner.


§. 820.

Gleichergeſtalt weil die Guͤter eines Schuld-Von dem
Recht ei-
nes
Glaͤubi-
gers auf
das Ver-
moͤgen
eines
Verſtor-
benen.

ners natuͤrlicher Weiſe fuͤr die Schuld dem
Glaͤubiger verpfaͤndet ſind (§. 705.), und das
Recht des Glaͤubigers darauf haftet (§. 697.),
welches ihm nicht benommen werden kann (§.
100.); ſo bleibet das Recht des Glaͤu-
bigers, welches er auf die Sachen des
Schuldners hat, auch nach deſſen To-
de, daß er daraus wegen ſeiner For-
derung vergnuͤget wird, und bleibet
den Sachen anhaͤngig, indem ihr Ei-
genthum ein anderer erhaͤlt: Wenn

aber der Verſtorbene nichts hinterlaͤßt,
ſo geht die Schuld verlohren.


§. 821.

Ein Recht das auf den andern gelan-Vom
Rechte,
das an
einen an-
dern ge-
langen
kann,
oder
nicht.

gen kann(jus transmiſſibile) wird genannt,
welches, wenn es der verliehrt, welcher es hat-
te, auf einen andern kommt. Hingegen ein
Recht das auf einen andern nicht ge-
langen kann
(jus non transmiſſibile), wel-
ches auf keinen andern kommt, wenn es von
dem, welcher es hatte, verlohren wir. Ein
Recht
[604]II.Th. 20. H. Von denjenigen,
Recht alſo, welches auf einen andern
kommen kann, faͤllet durch den Tod
deſſen, der es hatte, dem andern zu,
z. E.
den Kindern der Nießbrauch, der ihm und
ſeinen Kindern eingeraͤumet worden.


§. 822.

Von den
Pflichten
gegen
Verſtor-
bene.

Weil ein guter Nahme auch nach dem To-
de uͤbrig bleibt, und das Andencken des Gu-
ten, was einer gethan, erhalten wird; ſo
bleiben die Pflichten, welche wir an-
dern in Anſehung ihres guten Nah-
mens, der Achtung, der Ehre und des
Lobes ſchuldig ſind (§. 142.), auch nach
dem Tode feſt ſtehen.
Gleichergeſtalt,
weil der Tod eines Wohlthaͤters das Anden-
cken der Wohlthaten nicht ausloͤſcht; ſo muͤſ-
ſen wir auch Wohlthaͤtern nach ihrem
Tode danckſagen, indem wir die uns
erwieſene Wohlthaten erzehlen und
ruͤhmen
(§. 474.). Und weil wir auch an-
dern in denen wohlthun koͤnnen, welche ſie
geliebt, und derer Gluͤckſeligkeit ſie eben ſo
wohl, als ihre eigene befoͤrdert wiſſen wollen;
ſo muͤſſen wir den Verſtorbenen in de-
nen, welche ſie geliebt haben, ſo viel
an uns iſt, wohlthun
(§. 133.) z. E. in
ihren Kindern und Anverwandten.


§. 823.

Von der
Ehre der
Menſch-
heit.

Weil alle Menſchen von Natur gleich
ſind (§. 70.), wir auch alle wie uns ſelbſt
lieben ſollen, und an ſich klar iſt, daß ſie an
natuͤrlicher Vollkommenheit alle Geſchoͤpfe
uͤber-
[605]welche geſtorben u. noch nicht gebohren.
uͤbertreffen; ſo muͤſſen wir ſie als Perſo-
nen anſehen, die ſo wohl Menſchen
ſind, wie wir, die unſerer Liebe wuͤr-
dig, und die vortreflichſten unter al-
len Creaturen ſind;
folglich auch dieſes
durch unſere aͤuſſere Handlungen be-
zeigen.
Da nun hierinnen die Ehre der
Menſchheit
(honor humanitatis) beſteht,
welche einem Menſchen, in ſo fern er ein
Menſch iſt, gegeben wird; ſo muͤſſen wir
einem jeden die Ehre der Menſchheit
erweiſen;
folglich auch in der Art und
Weiſe, in welcher wir die Todten aus
unſern Augen wegſchaffen.


§. 824.

Derowegen da es noͤthig iſt, daß wir dieVon dem
Rechte
des Be-
graͤbniſ-
ſes.

Todten aus unſern Augen wegſchaffen, und
dieſes am beqvemſten geſchiehet, wenn ſie be-
graben, oder ihre Leichnam mit Erde bedeckt
werden; ſo ſoll man die Todten begra-
ben (§. 48.), und in dem Leichenbe-
gaͤngniß
(exequiis), welches in den feyerli-
chen Handlungen beſteht, wodurch die Leiche
zum Grabe gebracht wird, muß nicht allein
geſchehen, was der Menſchheit gemaͤß
iſt (§. 823.); ſondern auch was mit den
Pflichten gegen die Verſtorbenen uͤber-
einſtimmt
(§. 822.). Es erhellet demnach,
daß man das Recht des Begraͤbniſſes
der Menſchheit ſchuldig iſt, und dieſes
dem Menſchen deswegen zukommt,
weil er ein Menſch iſt.


§. 825.
[606]II.Th. 20. H. Von denjenigen,
§. 825.

Von der
Zerglie-
derung
todter
menſchli-
cher Koͤr-
per.

Da durch die Zergliederung todter menſch-
licher Koͤrper eine deutliche Erkaͤntnis des gan-
tzen menſchlichen Koͤrpers und aller ſeiner Thei-
le erlangt wird, welche, wie niemand zwei-
feln kann, nicht allein zur Erkaͤntnis der Ge-
ſundheit und der Kranckheiten nothwendig iſt
(§. 113.), ſondern auch GOtt aus dem Baue
des menſchlichen Koͤrpers zu erkennen dienet;
ſo iſt die Zergliederung todter menſch-
licher Koͤrper von Natur erlaubt
(§.
cit. und §. 163.). Weil aber daraus gar nicht
folgt, daß wir diejenigen, deren Koͤrper wir
zergliedern, nicht eben ſo wohl fuͤr Menſchen,
als wir ſind, und fuͤr die vortreflichſten unter
allen Creaturen, ingleichen fuͤr Perſonen,
welche unſerer Liebe wuͤrdig ſind, halten ſoll-
ten; ſo iſt die Zergliederung todter
menſchlicher Koͤrper der Ehre der
Menſchheit gar nicht zuwider
(§. 823.):
Jedoch weil die Pflichten gegen Verſtorbene
in Anſehung aller Perſonen nicht voͤllig ei-
nerley ſind (§. 822.); ſo kann es geſche-
hen, daß ſie mit ihnen in gewiſſen Faͤl-
len nicht beſtehen kann.
Und daher
ſiehet man leicht, daß ſie nicht ohne Un-
terſcheid mit allen Koͤrpern vorgenom-
men werden kann.


§. 826.

Von der
Trauer
wegen
der Ver-

Die Trauer(luctus) nennt man die aͤuſ-
ſerlichen Handlungen, wodurch wir unſere Be-
truͤbnis anzeigen. Und ſie ſind entweder na-
tuͤrli-
[607]welche geſtorben u. noch nicht gebohren.
tuͤrliche, welche nach dem Weſen und derſtorbe-
nen.

Natur des menſchlichen Koͤrpers ſich bey der
Traurigkeit aͤuſſern; oder willkuͤhrliche,
welchen wir die Bedeutung der Traurigkeit
beylegen. Da der Verluſt der Freunde, der
Wohlthaͤter und derer, die ſich um uns und
andere wohlverdient gemacht, zu den Un-
gluͤcksfaͤllen gehoͤret; den Menſchen aber na-
tuͤrlich iſt, daß dergleichen eine Traurigkeit
erregen; ſo kann es das Geſetze der Na-
tur nicht verbieten, verſtorbene Freun-
de, Wohlthaͤter und diejenigen, wel-
che ſich ſo wohl um uns, als andere
verdient gemacht, zu betrauren
(§. 60).
Weil aber die Pflichten, welche durchs Geſe-
tze der Natur vorgeſchrieben werden, unver-
letzlich ſind (§. 42.); ſo muß man die
Trauer wegen der Verſtorbenen der-
geſtalt maͤßigen, daß nichts, was den
Pflichten bey widrigen Umſtaͤnden (§.
130.), dem Vertrauen auf GOtt und
der Beruhigung in der goͤttlichen Vor-
ſicht zuwider iſt, vorgenommen werde

(§. 173.). Und da wir ein Recht dazu ha-
ben, ohne welches wir den Pflichten gegen
die Verſtorbene kein Gnuͤge leiſten koͤnnen (§.
46.); ſo iſt auch eine willkuͤhrliche
Trauer, welche den Pflichten gegen
Verſtorbene gemaͤß iſt, von Natur er-
laubt,
z. E. wenn wir durch ein Kleid den
Verſtorbenen betrauren.


§. 827.
[608]II.Th. 20. H. Von denjenigen,
§. 827.

Ob die
noch
nicht ge-
bohrene
ein Recht
haben.

Wer noch nicht gebohren iſt, der iſt ent-
weder noch in Mutterleibe, oder er iſt von der
Mutter noch nicht empfangen worden. De-
rowegen da keiner, der noch nicht wuͤrcklich
da iſt, etwas vornehmen kann, und wer noch
in Mutterleibe verborgen liegt unter den
Menſchen auch noch keine Handlung vorneh-
men kann; folglich wer noch nicht gebohren
iſt keines Rechts faͤhig iſt (§. 46.); ſo kann,
wer noch nicht gebohren iſt, kein Recht
haben;
folglich auch keines erlangen;
und eben deswegen kann auch keine Frucht
in Mutterleibe ein Recht erlangen.

Derowegen wenn jemand ſagt, daß er
ein Recht auf einen noch nicht ge-
bohrnen bringe,
z. E auf eine Frucht in
Mutterleibe; ſo verſteht es ſich, er wolle,
daß, wenn er gebohren wird, durch die
Geburt daſſelbe erhalte.


§. 828.

Von dem
Rechte,
das auf
einen
noch
nicht ge-
bohrnen
gelangen
kann.

Weil die Rechte, die von einem auf einen
andern gelangen koͤnnen, durch die Geburt
erhalten werden (§. 827. 821.); ſo erhaͤlt
man ein Recht, das uns und denen,
die von uns herkommen
(naͤmlich durch
die Geburt) mitgetheilet worden, ſo
bald man gebohren wird: Wenn uns

aber ein Recht gegeben wird, welches
unter einer gewiſſen Bedingung nach
dem Tode deſſen, der es beſitzt, auf die,
welche noch nicht gebohren ſind, nach

und
[609]welche geſtorben u. noch nicht gebohren.
und nach gelangen ſoll; ſo erhalten ſie,
ſo bald ſie gebohren werden, das Recht,
uns darinnen nachzufolgen, wenn die
beſtimmte Bedingung wuͤrcklich vor-
handen.
Es erhellet vor ſich, daß dieſes ein
bedingtes Recht ſey.


§. 829.

So bald jemand in Mutterleibe empfangenVon der
Hoff-
nung, daß
ein Recht
durch die
Geburt
werde
erlangt
werden.

iſt, ſo iſt die Hoffnung da, er werde geboh-
ren werden; folglich daß das Recht, welches
durch die Geburt erlangt wird, von ihm wer-
de erlangt werden. Derowegen da dieſe Hoff-
nung mit der uͤbereinkommt, welche man aus
einem Verſprechen unter einer Bedingung
erhaͤlt, dieſe aber einem wider ſeinen Willen
nicht benommen werden kann (§. 396.); ſo
kann auch einem Kinde in Mutterlei-
be die Hoffnung ein Recht durch die
Geburt zu erlangen nicht benommen
werden.


§. 830.

Weil derjenige, der noch nicht gebohren,Von der
Verzicht
auf ein
Recht im
Nahmen
derer, die
noch nicht
gebohren
ſind.

auch noch nicht in Mutterleibe empfangen iſt,
weder ein Recht, noch eine Hoffnung ein Recht
zu erlangen haben kann (§. 827.); ein Kind
aber in Mutterleibe zwar kein Recht, aber
doch eine Hoffnung hat, daraus ein Recht
entſpringt, wenn es gebohren wird, welche
ihm nicht benommen werden kann (§. 829.);
ſo kann man auf ein Recht, welches
auf uns und unſere noch nicht gebohr-
ne Nachkommen gelangen ſoll, vor ſich

Nat. u. Voͤlckerrecht. Q qund
[610]II.Th. 20. H. Von denjenigen,
und vor ſeine noch nicht gebohrne
Nachkommen, die noch nicht in Mut-
terleibe empfangen ſind, ohne daß ih-
nen Unrecht geſchieht, Verzicht thun
(§. 87.), aber nicht vor ein Kind in
Mutterleibe.
Da die Verzicht auf ein
Recht gantz allein auf dem Willen deſſen, der
Verzicht thut, beruhet, und es alſo auch auf
ſeinen Willen ankommt, unter welcher Bedin-
gung er Verzicht thun will (§. 342.); ſo ge-
het es natuͤrlicher Weiſe an, daß wenn
jemand Verzicht auf ein Recht thut,
welches durch ihn auf diejenigen, die
doch nicht gebohren ſind, gebracht
werden ſoll, er ſich doch das Recht
vorbehaͤlt, es auf diejenigen zu brin-
gen, die noch nicht gebohren ſind.
Und
weil ein Recht vor ſeine Perſon nicht haben
wollen keine Verzicht vor die, welche noch nicht
gebohren ſind, in ſich enthaͤit (§. 339. 340.);
ſo iſt es denen, die noch nicht gebohren
ſind, nicht nachtheilig, wenn einer
vor ſeine Perſon ein Recht nicht haben
will, was nach ihm jene haben ſollen.


§. 831.

Von dem
Recht,
das durch
Vorſe-
hung
der Vor-
fahren
erlangt
worden.

Das Recht, welches unter gewiſſer Bedin-
gung nach und nach von einem auf den andern
kommt, heißt ein durch die Vorſehung
der Vorfahren erlangtes Recht
(jus
providentia majorum quæſitum);
denn der-
jenige von welchem das Recht auf einen an-
dern kommt, bringt es auf ihn nicht durch
ſeinen
[611]welche geſtorben u. noch nicht gebohren.
ſeinen Willen, ſondern nothwendig. Der
es
alſo erlangt, hat es nicht von dem,
von welchem es auf ihn kommt, ſon-
dern von dem, der es zuerſt erlangt
hat.


§. 832.

Nachkommen uͤberhaupt genommenVon den
Pflichten
gegen die
Nach-
kommen.

(poſteri in genere) nennt man diejenigen,
welche erſt nach dem Tode derer, die jetzt le-
ben, gebohren werden; und beſonders heiſſen
unſere Nachkommen(poſteri noſtri), wel-
che nach unſerm Tode durch die Geburt von
uns abſtammen: Wie im Gegentheil die Vor-
fahren
(majores) ſind, welche vor unſern
Eltern gelebt haben. Da die Nachkommen
Menſchen ſind, die an unſere Stelle nach un-
ſerm Tode kommen, die Menſchen aber mit
verbundenen Kraͤften ſich und ihren Zuſtand
vollkommen zu machen verbunden ſind (§. 44.);
ſo ſind wir verbunden alles zu thun,
was wir zum Vortheil der Nachkom-
men thun koͤnnen,
z. E. wenn wir uns
bemuͤhen, daß die Wiſſenſchafften,
Kuͤnſte und Tugenden auf dieſelben
fortgepflantzt werden, daß ihnen kei-
ne fruchtbringende Baͤume, noch auch
wilde zur Holtzung fehlen.


Q q 2Der
[612]III.Th. 1. A. 1. H. Von der Herrſchaft

Der dritte Theil.


Von der Herrſchaft und
den Verbindlichkeiten und Rech-
ten, welche daher ent-
ſpringen.



Die erſte Abtheilung.


Von der gemeinen Herrſchaft.


Das erſte Hauptſtuͤck.

Von der Herrſchaft und der Ge-
ſellſchaft uͤberhaupt genommen.


§. 833.

Was die
Herr-
ſchaft vor
ein Recht
ſey.

Die Herrſchafft(imperium) nennt
man das Recht die freyen Handlun-
gen eines andern nach ſeinem Ge-
fallen zu beſtimmen; und wer die
Herrſchaft hat, von dem ſagt man, er herr-
ſche
(imperare).Die Herrſchaft be-
greift
alſo in ſich das Recht den andern
zu verbinden, ſeine Handlungen ſo
und nicht anders einzurichten;
weil ſie
ſonſt unnuͤtze waͤre. Das Recht uͤber die
Handlungen eines andern wird auch die Ge-
walt
(poteſtas) genannt.


§. 834.

Ob man
von Na-

Da von Natur die Handlungen eines Men-
ſchen
[613]und der Geſellſchaft uͤberhaupt.
ſchen dem Willen keines andern unterworfentur eine
Herr-
ſchaft
uͤber an-
dere ha-
ben koͤn-
ne.

ſind, und ein jeder in dem, was er thut, ſich
nach ſeinem Willen zu richten hat (§. 77.);
ſo hat niemand von Natur eine Herr-
ſchaft uͤber andere Menſchen.
Und da
man einem jeden zulaſſen muß, daß er in
dem, was er thut, ſich nach ſeinem Urtheil
richtet, noch einem andern Rechenſchaft zu
geben ſchuldig iſt, warum er etwas thut, oder
nicht (§. 78.); ſo darf ſich niemand ei-
ner Herrſchaft uͤber einen andern wi-
der ſeinen Willen anmaſſen.


§. 835.

Ueber welchen ein anderer die HerrſchaftVon
dem, der
dem an-
dern un-
terthaͤnig
iſt.

hat, wird dem andern unterthaͤnig(ſub-
jectus)
genannt. Von Natur iſt alſo nie-
mand dem andern unterthaͤnig (§. 834.),
und es kann ſich auch niemand den
andern wider ſeinen Willen unterthaͤ-
nig machen
(§, cit.). Weil aber der Herr-
ſcher den, welcher ihm unterthaͤnig iſt, ver-
binden kann ſeine Handlungen ſo und nicht
anders einzurichten (§. 833.); ſo iſt der un-
terthaͤnige verbunden ſeine Handlun-
gen nach dem Willen des Herrn ein-
zurichten;
folglich da man ſagt, daß einer
gehorche(parere, obedire), der ſeine Hand-
lungen nach eines andern Willen einrichtet;
hingegen ungehorſam(inobediens) ſey, der
ſich dieſes zu thun weigert; ſo iſt der Un-
terthan verbunden dem zu gehorchen,
der Gewalt uͤber ihn hat, und nicht

Q q 3unge-
[614]III.Th. 1. A. 1. H. Von der Herrſchaft
ungehorſam zu ſeyn. Es erhellet aber
leicht, daß wer einem andern unterthaͤ-
nig iſt, in Anſehung der Handlungen,
worauf jener ein Recht hat, nicht frey
ſey
(§. 77.); folglich daß wer ſich dem
andern freywillig unterwirft, auf ſei-
ne natuͤrliche Freyheit in Anſehung der
Handlungen Verzicht thue, worauf er
dem andern ein Recht einraͤumet
(§.
340.).


§. 836.

Von der
Geſell-
ſchaft u.
dem dar-
aus ent-
ſpringen-
den Rech-
te nebſt
der Ver-
bindlich-
keit.

Die Geſellſchaft(ſocietas) uͤberhaupt
iſt ein Vertrag, oder gleichſam ein Vertrag
mit gemeinſchaftlichen Kraͤften eine gewiſſe
Abſicht zu erhalten. Die Menge der Men-
ſchen ſelbſt, welche um eine gewiſſe Abſicht
zu erhalten in eine Geſellſchaft treten, pflegt
auch eine Geſellſchaft(ſocietas) genannt
zu werden. Die Geſellſchaften ſind alſo
nach den Abſichten, welche man zu er-
langen trachtet, oder um deren wil-
len man ſich darein begiebet, unter-
ſchieden.
Die welche ſich zuſammen in eine
Geſellſchaft begeben, werden Mitglieder
(membra ſocietatis, ſocii) genannt. Ein
jedes Mitglied der Geſellſchaft iſt
alſo
das zu thun verbunden, was es zur
Erhaltung der Abſicht thun kann, und
was insbeſondere verabredet worden,
daß es geſchehen ſoll
(§. 438.); folglich
haben die Mitglieder der Geſellſchaft
das Recht einen, der ein Mitglied iſt,

anzu-
[615]und der Geſellſchaft uͤberhaupt.
anzuhalten ſeiner Verbindlichkeit ein
Gnuͤgen zu leiſten.
Derowegen haben
alle zuſammen genommen uͤber jede ein-
tzele Perſon ein Recht; die Verbind-
lichkeiten aber und Rechte der eintze-
len Perſon muͤſſen aus der Abſicht er-
meſſen werden,
darein alle eingewilliget
haben, und aus dem, was im Vertrage
insbeſondere verabredet worden (§.
438.); und alle zuſammen genommen
haben das Recht das auszumachen,
was zur Erhaltung der Abſicht der
Geſellſchaft zu erreichen noͤthig iſt,
oder
zu den Mitteln, welche ſie zur Erhaltung der
Abſicht anwenden wollen.


§. 837.

Der ungehinderte Fortgang in Befoͤrde-Von der
Wohl-
farth der
Geſell-
ſchaft u.
vom ge-
mein-
ſchaftli-
chen Be-
ſten der
Mitglie-
der.

rung der Geſellſchaft wird die Wohlfahrt
der Geſellſchaft
(ſalus ſocietatis) genannt;
die Abſicht aber ſelbſt, in ſo weit ſie erhalten
wird, als die einem jeden nuͤtzlich iſt,
heiſt das gemeine Beſte(commune bo-
num).
Derowegen muß ein jedes Glied
der Geſellſchaft das gemeine Beſte nach
ſeinen Kraͤfften und auf die verabre-
dete Weiſe befoͤrdern, und nichts vor-
nehmen, was der Wohlfahrt der Ge-
ſellſchaft zuwider iſt;
folglich muß es
ſo viel als moͤglich davor Sorge tra-
gen, daß auch die uͤbrigen Mitglieder
thun, was die Abſicht der Geſellſchaft
zu erhalten dienlich iſt, und die Hin-

Q q 4derniſſe
[616]III.Th. 1. A. 1. H. Von der Herrſchaft
derniſſe aus dem Wege raͤumen, die im
Wege ſtehen, daß man dieſelbe nicht er-
reichen kann; und
alſo den Mitgliedern
mit Rath und That an die Hand gehen.


§. 838.

Von dem
Urſprun-
ge der
Herr-
ſchaft in
der Ge-
ſellſchaft.

Weil das Recht, welches alle zu-
ſammen uͤber die eintzele Perſonen ha-
ben,
darinnen beſtehet, daß vorgeſchrieben
wird, was ein jeder zu thun hat (§. 836.); ſo
iſt es eine Herrſchaft (§. 833.). Dero-
wegen, da dieſes Recht aus einem Vertrage,
oder gleichſam einem Vertrage herkommt (§.
836.); ſo entſteht in einer Geſellſchaft
die Herrſchaft aus einem Vertrage, oder
gleichſam einem Vertrage, und kommt
allen zuſammen genommen zu;
folglich
muß ein jeder insbeſondere allen zu-
ſammen genommen gehorchen
(§. 835.).


§. 839.

Von
gleichen
und un-
gleichen
Geſell-
ſchaften.

Da die Verbindlichkeiten und Rechte eines
jeden Mitgliedes aus dem Vertrage zu ermeſ-
ſen ſind (§. 836.); ſo haben in einer Ge-
ſellſchaft die ohne Unterſcheid errichtet
wird
(ſimpliciter contrahitur),alle Mit-
glieder einerley Recht und einerley
Verbindlichkeit;
folglich ſind alle einan-
der gleich (§. 70.): Und
ſodann wird es
eine gleiche Geſellſchaft(ſocietas æqualis)
genannt: und alſo findet in einer gleichen
Geſellſchaft kein Vorrecht ſtatt (§. 71.).
Wenn man
aber ausdruͤcklich mit ein-
ander verabredet, daß eines von den

Glie-
[617]und der Geſellſchaft uͤberhaupt.
Gliedern etwas zu thun verbunden
ſeyn ſoll, das die uͤbrigen zu thun nicht
ſchuldig ſind, oder ein Recht haben,
welches den andern nicht zukommt; ſo
ſind die Glieder der Geſellſchaft un-
gleich
(§. 70.): Und alsdann wird es eine
ungleiche Geſellſchaft(ſocietas inæqua-
lis)
genannt; und alſo kann in einer un-
gleichen Geſellſchaft einer ein Vor-
recht vor dem andern haben.


§. 840.

Weil in einer gleichen Geſellſchaft, in wel-Von dem
Rang der
Mitglie-
der in ei-
ner Ge-
ſellſchaft.

cher alle Glieder einander gleich ſind, kein in-
nerer Grund vorhanden, welcher naͤmlich aus
der Natur der Mitglieder der Geſellſchaft her-
geleitet werden kann, warum einer dieſen,
oder einen andern Rang haben ſoll (§. 75.),
dennoch aber nothwendig einige Ordnung be-
obachtet werden muß; ſo koͤnnen die, wel-
che eine gleiche Geſellſchaft errichten,
den Rang nach ihrem Belieben aus-
machen. Wenn
aber nachher einige
dazu kommen; ſo muͤſſen ſie,
indem nie-
manden ſein Recht benommen werden kann
(§. 100.), die Ordnung halten, in wel-
cher ſie in die Geſellſchaft treten; wenn
nicht die uͤbrigen auſſerordentlich ei-
nem neuankommenden eine andere
Stelle einraͤumen wollen;
als welches
auf ihren Willen ankommt (§. 342.). Allein
da in einer ungleichen Geſellſchaft einige Mit-
glieder mehr Recht, als die andern haben, oder
Q q 5mehr
[618]III.Th. 1. A. 1. H. Von der Herrſchaft
mehr das gemeinſchaftliche Gute zu befoͤrdern
verbunden ſind (§. 839.); ſo muß derje-
nige, welcher mehr Recht hat, oder auch
mehr als die andern zur Befoͤrderung
des gemeinen Beſtens beyzutragen
ſchuldig iſt, natuͤrlicher Weiſe den
Rang vor andern haben;
naͤmlich wenn
man voraus ſetzt, daß eine Sache nach einem
natuͤrlichen Grunde entſchieden werden ſoll;
da in ſolchen Dingen, woruͤber mau freywil-
lig ſich mit einander vereiniget, es auf den
Willen derer ankommt, die etwas mit ein-
ander verabreden. Hieraus folgt nun aber
ferner, daß einem, der in die Stelle deſ-
ſen kommt, welchem ein Rang nach ei-
nem innern Grunde zukomt, auch der-
ſelbe gebuͤhret.
Hingegen daß man in
einer Geſellſchaft nicht auf den Rang
zu ſehen hat, welchen einer ſonſt auſſer
der Geſellſchaft hat,
iſt leicht daraus zu
erſehen; weil man in einer Geſellſchaft auf
nichts anders als auf die Rechte und Ver-
bindlichkeiten der Mitglieder zu ſehen hat,
wodurch ſie zu moraliſchen Perſonen gemacht
werden (§. 96.).


§. 841.

Von ei-
nes jeden
Einwil-
ligung,
welche
um et-
was zu

Da die Mitglieder der Geſellſchafft mit
zuſammengeſetzten Kraͤfften die Abſicht derſel-
ben zu erreichen ſich beſtreben ſollen, und ein
jedes von ihnen ſich allen zuſammen genom-
men dazu verbunden hat (§. 836.); ſo muß
dasjenige, was man die Abſicht zu er-

reichen
[619]und der Geſellſchaft uͤberhaupt.
reichen vorzunehmen hat, durch ge-beſchlieſ-
ſen erfor-
dert
wird.

meinſchaftliche Einwilligung ausge-
macht werden.
Derowegen wenn eine
Geſellſchaft errichtet wird; ſo muß
mit aller Einwilligung das feſt geſetzt
werden, was beſtaͤndig und allezeit
auf einerley Weiſe geſchehen ſoll, und
in einem ſich ereignenden Falle, der die
Geſellſchaft betrift, was man alsdann
zu thun habe.


§. 842.

Die Eroͤfnung ſeines Willens von dem,Von dem
Unter-
ſchiede
der
Stim-
men.

was durch vieler Einwilligung zuſammen aus-
gemacht werden muß, heißt die Stimme
(ſuffragium, votum); und zwar eine be-
jahende Stimme
(votum affirmati-
vum),
wodurch man ſich erklaͤret, man wol-
le, daß dieſes geſchehe; eine verneinende
Stimme
(negativum votum), wodurch man
ſich erklaͤret, man wolle das nicht, woruͤber
man ſich berathſchlagt. Man nennt aber
einſtimmige Stimmen(vota conſentien-
tia)
derjenigen, welche einerley Meinung ha-
ben; verſchiedene Stimmen(vota diver-
ſa)
aber die Stimmen derer, die ungleicher
Meinungen ſind. Einhellige Stimmen
(vota unanimia) ſind, wenn die Stimmen al-
ler zuſammen einſtimmig ſind; die mehre-
ſten Stimmen
(majora) ſind die einſtim-
migen Stimmen des groͤſten Theils; die we-
nigſten Stimmen
(minora) des kleineren
Theils; gleiche Stimmen(vota paria)
aber
[620]III.Th. 1. A. 1. H. Von der Herrſchaft
aber wenn die Anzahl derer die einſtimmen,
und nicht einſtimmen, gleich iſt.


§. 843.

Wie man
durch
Stim-
men et-
was be-
ſchlieſſen
muß.

Man ſaget, die Berathſchlagenden be-
ſchlieſſen
etwas (concludunt), wenn durch
Vergleichung der Stimmen mit einander aus-
gemacht wird, was geſchehen ſoll, oder nicht.
Und das, was durch die Stimmen ausge-
macht wird, daß es geſchehen ſoll, oder nicht,
heiſt der Schluß(concluſum). Die beſ-
ſern Stimmen
(vota meliora) nennt man
das Urtheil derer, von dem was geſchehen
ſoll, welches der Wahrheit gemaͤßer iſt. Man
ſiehet aber leicht, daß, da ein jeder ſeine
Stimme vor die beſte haͤlt, und gleichwohl
die Sache einen Ausgang gewinnen muß,
durch die beſten Stimmen nichts be-
ſchloſſen werden kann;
folglich iſts noth-
wendig, daß ſolches durch die mehre-
ſten geſchehe.
Derowegen wenn eine
Geſellſchaft errichtet wird, muͤſſen die,
welche ſie errichten, darein willigen,
daß, was dem groͤſſern Theile gut duͤn-
cket, vor den Willen aller Mitglieder
gehalten werden ſoll; und
ſolchergeſtalt
durch den groͤſſern Theil der kleinere
verbindlich gemacht werden.
Weil
demnach, wenn ein Schluß gemacht werden
ſoll, die Stimmen gezehlt, nicht aber erwo-
gen werden
(ponderantur), ſo daß man
erſt unterſuchte, welches die beſten ſind; ſo
kann durch gleiche Stimmen nichts be-
ſchloſ-
[621]und der Geſellſchaft uͤberhaupt.
ſchloſſen werden (§. 842.). Derowegen
bleibt die Sache in dem Stande, wie
ſie iſt;
folglich muß man, ſo oft als die
Sache, weil man zu keinem Schluſſe
kommen kann, keinen Ausgang ge-
winnt, es entweder auf das Loos an-
kommen laſſen (§. 669.), oder es iſt noͤ-
thig, daß einer in der Geſellſchaft eine
entſcheidende Stimme hat,
wodurch der
eine Theil der Stimmen die mehreſten wer-
den, oder wenn die Sache Aufſchub
leidet, ſo muͤſſen die Berathſchlagun-
gen wiederholt werden.
Man nennt
aber die Entſcheidung einer ſtreitigen Sache
durch die Gleichheit der Stimmen die Wahl-
Stimme der Minerve
(calculum Miner-
væ).
Wenn man aber die mehreſten
Stimmen nicht ausmachen kann,
weil
naͤmlich dieſelben allzuviel von einander abge-
hen, gleichwohl aber darauf zu ſehen iſt, daß
die Sache einen Ausgang gewinne; ſo muß
man die Stimmen mehr gelten laſſen, denen
weniger entgegen ſind, als die andern, wel-
che mehrere gegen ſich haben; und alſo muß
man erwehlen, was den wenigſten
mißfaͤllt;
da ſich nicht thun laͤßt, was den
mehreſten gefaͤllt. Z. E. wenn drey einen an-
geklagten in 20. Gulden Strafe, vier in 10.
verdammen, zwey aber ihn losſprechen; ſo
muß die andere Meinung das Uebergewichte
haben, welcher nur 5. Stimmen entgegen
ſind,
[622]III.Th. 1. A. 1. H. Von der Herrſchaft
ſind, da der erſten 6. und der dritten 7. zu-
wider ſind.


§. 844.

Von den
Stim-
men der
Abwe-
ſenden.

Wer abweſend iſt, und ob er gleich
zur Berathſchlagung eingeladen wor-
den, dennoch ſeine Stimme keinem an-
dern, der gegenwaͤrtig iſt, auftraͤgt,
oder ob er gleich gegenwaͤrtig iſt, ſich
ſeiner Stimme begiebt, oder auf an-
dere Weiſe dieſelbe zu geben gehindert
wird;
da er im erſten Fall ſtillſchweigend,
im andern ausdruͤcklich ſich ſeines Rechtes be-
giebt (§. 340.), und dieſes zu thun erlaubt
iſt (§. 342.), im dritten aber kein Recht hat;
ſo wird, wenn man die Stimmen zeh-
let, auf den abweſenden und den ge-
genwaͤrtigen, der ſich des Votirens
enthaͤlt, nicht geſehen.
Jnsgemein ſagt
man, die Stimmen der abweſenden,
oder mit dem Grotius, das Recht der ab-
weſenden waͤchſt den gegenwaͤrtigen
zu.
Man haͤlt aber einen gegenwaͤrtigen,
der ſich des Votirens begiebt, oder nicht vo-
tiren darf, fuͤr einen abweſenden. Es laͤſt
ſich wegen des Votirens vieles verabreden,
welches vermoͤge des Vertrags gehalten wer-
den muß (§. 348.).


§. 845.

Von dem
unglei-
chen
Werthe

Weil der ein doppeltes Mitglied der Ge-
ſellſchaft vorſtellt, welcher zur Erreichung der
Abſicht der Geſellſchaft mehr als andere bey-
traͤgt,
[623]und der Geſellſchaft uͤberhaupt.
traͤgt, u. ſ. f. ſo muß der Werth derder
Stim-
men.

Stimme deſſen, welcher zur Errei-
chung der Abſicht der Geſellſchaft
mehr, als andere Mitglieder beytraͤgt,
aus der Verhaͤltniß ſeines Beytrages
zu dem geringſten Beytrage ermeſſen
werden.
Und hieraus verſteht ſich ferner,
daß wenn nicht alle gleichen Vortheil
von der Geſellſchaft haben, die Stim-
me nach ihrem Werth aus dem Ver-
haͤltniß der Vortheile, die ein jeder da-
her ziehet, ermeſſen werden muß,
z. E.
wenn einer an einem liegenden Grunde die
Haͤlfte, der andere den ſechſten Theil, noch
ein anderer den dritten Theil hat, ſo verhaͤlt
ſich in dieſem Falle der Werth der Stimmen
wie 3. 1. 2.


§. 846.

Die Verabredung der Mitglieder in einerVon den
Geſetzen
einer Ge-
ſellſchaft.

Geſellſchaft von dem, was zu Erhaltung ih-
rer Abſicht allezeit auf einerley Weiſe geſche-
hen ſoll, ſind Geſetze (§. 39.). Eine jede
Geſellſchaft
alſo muß Geſetze haben,
und ihr kommt das Recht zu Geſetze
zu geben
(§. 841.). Weil alſo die Geſetze
die Mittel vorſchreiben, wodurch die Abſicht
der Geſellſchaft erhalten wird; ſo kann oh-
ne Beobachtung der Geſetze die Wohl-
fahrt der Geſellſchaft nicht beſtehen,
und muß die Uebertretung derſelben
nicht geduldet werden
(§. 837.); folg-
lich hat die Geſellſchaft auch das Recht
auf
[624]III.Th. 1. A. 1. H. Von der Herrſchaft
auf die Uebertretung der Geſetze Stra-
fen zu ſetzen;
folglich die Uebertreter zu
beſtrafen.
Hieraus folgt ferner, daß wer
in eine Geſellſchaft aufgenommen
wird, entweder ausdruͤcklich verſpre-
chen muß, oder ſtillſchweigend ver-
ſpricht, er wolle die Geſetze beobach-
ten.
Da aber die Geſetze ihre Kraft durch
die Einwilligung der Mitglieder erhalten; ſo
iſt es der Geſellſchaft erlaubt, nach ih-
rem Gutduͤncken die Geſetze aufzuhe-
ben und zu veraͤndern, oder auch neue
zu machen.


§. 847.

Von der
Einig-
keit der
Glieder
einer Ge-
ſellſchaft.

Da man diejenigen Einig(concordes)
nennt, welche einerley wollen und nicht wol-
len; die aber uneinig, die nicht einerley wol-
len und nicht wollen; folglich die Mitglie-
der in einer Geſellſchaft einig ſind,
wenn ſie ſich den Geſetzen der Geſell-
ſchaft unterwerffen
(§. 846.), und alſo
auch wenn entweder ihre Stimmen ein-
hellig ſind, oder ſie ſich doch den meh-
rern nicht widerſetzen (§. 842.); ſo ſol-
len die Glieder einer Geſellſchaft einig
ſeyn
(§. 846. 843.). Und daher erhellet fer-
ner, daß durch die Einigkeit die Wohl-
fahrt der Geſellſchaft erhalten wird

(§. 837.).


§. 848.

Von der
einander
zu lei-

Die Huͤlfe (Beyſtand adjutorium) nennen
wir die Handlungen, wodurch wir entweder
etwas
[625]und der Geſellſchaft uͤberhaupt.
etwas zur Handlung eines andern beytragen,ſtenden
Huͤlfe.

oder das Beſte eines andern befoͤrdern. Es
iſt demnach die einander zu leiſtende Huͤl-
fe
(mutuum adjutorium), welche zwey, oder
mehrere einander leiſten: Die Mitglieder
in einer Geſellſchaft ſind
alſo verbun-
den einander Huͤlfe zu leiſten
(§. 837.).


§. 849.

Wenn die Abſicht der GeſellſchaftVon der
uner-
laubten
Geſell-
ſchaft.

unerlaubt iſt, ſo iſt die Geſellſchaft
auch unerlaubt (§. 49.). Aus einer uner-
laubten Geſellſchaft
aber kann keine Ver-
bindlichkeit entſtehen, und kein Recht
erlangt werden.


§. 850.

Weil die Glieder einer Geſellſchaft mit ver-Wie die
Geſell-
ſchaften
anzuſe-
hen ſind.

einigten Kraͤfften handeln (§. 836.); ſo hat
man eine jede Geſellſchaft wie eine ei-
nige Perſon anzuſehen.
Derowegen da
die Menſchen von Natur frey ſind (§. 77.),
und indem ſie in eine Geſellſchaft treten, ſich
nur unter einander, und nicht andern verbind-
lich machen (§. 836.); ſo iſt eine jede Ge-
ſellſchaft von Natur frey,
und deswegen
hat man mehrere verſchiedene Geſell-
ſchaften als wie einzele freye Perſo-
nen anzuſehen.


§. 851.

Da alle Handlungen der Mitglieder in ei-Von der
Vollkom-
menheit
einer Ge-
ſellſchaft.

ner Geſellſchaft auf die Abſicht derſelben ge-
richtet ſind (§. 836.); ſo beſteht die Voll-
kommenheit der Geſellſchaft in der Ge-

Nat. u. Voͤlckerrecht. R rſchick-
[626]III.Th. 1. A. 1. H. Von der Herrſchaft
ſchicklichkeit ihre Abſicht zu erreichen,
und muß
alſo aus den hinlaͤnglichen
Kraͤfften (§. 9.), welche die Mitglieder
mit einander vereinigen, ermeſſen wer-
den.
Woraus folgt, daß zu einer jeden
Geſellſchaft ſo viele und ſolche Perſo-
nen erfordert werden, als die Abſicht
der Geſellſchaft zu erreichen gnung
ſind.


§. 852.

Wenns
erlaubt
iſt von
der Ge-
ſellſchaft
abzuge-
hen.

Weil die Abſicht der Geſellſchaft, in ſo
weit ſie erhalten wird, das gemeine Beſte
derſelben iſt (§. 837.); ſo wird die Geſell-
ſchaft in Schaden geſetzt, wenn etwas
geſchieht, was ihr zuwider iſt
(§. 269.).
Derowegen da kein Mitglied die Geſell-
ſchaft in Schaden ſetzen darf (§. 837.);
ſo iſt es nicht erlaubt mit dem Scha-
den der Mitglieder von der Geſell-
ſchaft abzugehen:
Ja wenn man es alſo
verabredet hat; ſo darf man niemals
ohne Einwilligung der uͤbrigen Mit-
glieder davon abgehen
(§. 438.). Weil
aber die Geſellſchaft nicht in Schaden geſetzt
wird, wenn man einen andern, der eben ſo
geſchickt iſt, an ſeine Stelle verſchaft; ſo iſt
es, wenn man einen andern, der eben
ſo geſchickt iſt, an ſeine Stelle ver-
ſchaft, von der Geſellſchaft ſich abzu-
ſondern erlaubt.


§. 853.
[627]und der Geſellſchaft uͤberhaupt.
§. 853.

Weil ein Mitglied einer GeſellſchaftVon der
Aus-
ſchlieſ-
ſung ei-
nes Mit-
gliedes
aus der
Geſell-
ſchaft.

von dem Vertrage, worauf ſich die Geſell-
ſchaft gruͤndet (§. 836.), abgeht, wenn es
nicht leiſten will, was es zu leiſten
ſchuldig iſt
(§. 442.); ſo kann es aus die-
ſer Urſache von der Geſellſchaft ausge-
ſchloſſen werden.
Und wenn ein Mit-
glied will, daß alles nach ſeinem
Kopfe gehen ſoll; ſo iſt es,
weil es den
uͤbrigen ihr Recht benehmen will (§. 841.),
welches ſie zu leiden nicht ſchuldig ſind (§.
100.), ihn auszuſchlieſſen erlaubt, oder
es kann auch, wer dieſes nicht leiden
will, von der Geſellſchaft abgehen

(§. 442.).


Das zweyte Hauptſtuͤck.

Von der Ehe, oder der ehelichen
Geſellſchaft.


§. 854.

Da die Geburtsglieder von beydem Ge-Von der
Verbind-
lichkeit
das
menſchli-
che Ge-
ſchlechte
fortzu-
pflantzen,
und dem
erlaub-
ten Bey-
ſchlafe.

ſchlechte das menſchliche Geſchlechte
geſchickt machen ihr Geſchlechte fort-
zupflantzen, damit es nicht untergehe, und
uͤber dieſes die Menſchen wie die uͤbrigen
Thiere von Natur einen Trieb haben ihre Ge-
burtsglieder dergeſtalt zu gebrauchen, wie
Kinder zu erzeugen erfordert wird; ſo ſind
die Menſchen uͤberhaupt genommen
ihr Geſchlechte fortzupflantzen ver-

R r 3bunden,
[628]III.Theil 1. Abth. 2. Hauptſtuͤck.
bunden, und ein jeder von ihnen iſt
verbunden den Beyſchlaf nicht anders
als zur Erzeugung der Kinder zu be-
gehren
(§. 43.); folglich iſt ein jeder
Beyſchlaf, der allein der Wolluſt we-
gen begehrt wird, und ein jeder Ge-
brauch der Geburtsglieder aus glei-
cher Abſicht unerlaubt.
Daher iſt die
Hurerey(fornicatio, ſeu ſcortatio), wel-
ches der Beyſchlaf mit einer Hure iſt, das
iſt, mit einer Weibsperſon, welche ſich meh-
reren gemein macht; der unehliche Bey-
ſchlaf
(ſtuprum), mit einer ledigen Weibs-
perſon, die ſich mehrern nicht gemein macht;
die Sodomie(ſodomia), der Beyſchlaf ei-
nes Menſchen mit einem Viehe; die Kna-
benſchaͤnderey
(pæderaſtia) der Beyſchlaf
einer Mannsperſon mit einer Mannsperſon;
die Onansſuͤnde(maſtuprario), da ein
Menſch mit ſeinen eigenen Haͤnden die Wol-
luſt mit ſich ſelbſt pflegt, durch das Ge-
ſetze der Natur verbothen; und
alſo von
Natur unerlaubt
(§. 49.).


§. 855.

Von der
Erzie-
hung der
Kinder
und von
der Art
u. Weiſe
das
menſchli-
che Ge-

Neugebohrne Kinder ſind noch nicht ge-
ſchickt von ſich ſelbſt fuͤr das zu ſorgen, was
ſie zu ihrer eignen Erhaltung beduͤrfen, und
ihre Handlungen nach dem Geſetze der Natur
einzurichten, oder wie Menſchen zu leben.
Derowegen da die Menſchen ihr Geſchlechte
erhalten ſollen (§. 854.); ſo muͤſſen die,
welche Kinder zeugen, ſie auch ge-

ſchickt
[629]Von der Ehe.
ſchickt machen, daß ſie wie Menſchenſchlecht
fortzu-
pflantzen.

leben koͤnnen; folglich da die Bemuͤhung,
wodurch dieſes bewerckſtelliget wird, die Er-
ziehung
(educatio) iſt; ſo muͤſſen die,
welche ein Kind zeugen, daſſelbe auch
erziehen.
Daher folgt, daß wer ein
Kind durch einen unerlaubten Bey-
ſchlaf erzeugt hat,
z. E. durch einen
unehlichen
(ſtuprator),daſſelbe auch zu
erziehen verbunden iſt.
Da zur Erzie-
hung ſo wohl der Mutter, als des Vaters
Sorge und Fleiß erfordert wird; ſo muß
ein jeder zur Erziehung des Kindes ſo
viel beytragen, als er kann.
Weil alſo
ein gleichguͤltiger Beyſchlaf mit einem
jeden
(concubitus promiſcuus) derjenige iſt,
da eine Weibsperſon einen jeden, der bey ihr
ſchlafen will, zulaͤßt, und ſolchergeſtalt der
Vater ungewiß iſt; ſo darf das menſchli-
che Geſchlecht nicht durch einen gleich-
guͤltigen Beyſchlaf mit einem jeden
fortgepflantzt werden;
folglich muß
zwiſchen Manns- und Weibsperſonen
zur Erzeugung und Erziehung der
Kinder eine Geſellſchaft aufgerichtet
werden
(§. 836.).


§. 856.

Die Geſellſchaft, welche zwiſchen einerWas die
Ehe iſt,
und wel-
che Per-
ſonen
heyra-

Manns- und Weibsperſon, zur Erzeugung
und Erziehung der Kinder aufgerichtet wird,
nennt man die eheliche Geſellſchaft, oder
die Ehe(matrimonium).Perſonen alſo,
R r 3die
[630]III.Theil 1. Abth. 2. Hauptſtuͤck.
then koͤn-
nen.
die Kinder zu zeugen entweder Alters
wegen, oder durch einen Fehler ihres
Leibes zur Ehe untuͤchtig ſind, koͤn-
nen in den Eheſtand nicht treten: Und
wenn aus einer andern Urſach zwiſchen
einer Manns- und Weibsperſon
eine
Geſellſchaft gemacht wird, z. E. um
einander Huͤlfe in dem haͤuslichen Weſen und
andern vorkommenden Faͤllen zu erweiſen; ſo
iſt dieſes keine Ehe.


§. 857.

Ob man
nicht
mehr als
ein Weib
haben
darf.

Weil man ſich bloß in den Stand der Ehe
begiebet, um Kinder zu zeugen und zu erzie-
hen (§. 855. 856.); durch die eigene Er-
fahrung aber bekannt iſt, daß das menſchli-
che Geſchlecht durch die Ehe mit einem
Weibe
(monogamia) gnung fortgepflantzt
werden kann; dieſelbe auch zu der Erziehung
der Kinder am geſchickteſten iſt (§. 855.); und
wir auch ein Bild dieſes Rechts der Natur
bey den Thieren ſehen, wo das Maͤnnlein
und Weiblein die Erziehung der Jungen mit
einander beſorgen muͤſſen; ſo iſt nicht zu
zweifeln, es ſey dem Geſetze der Na-
tur gemaͤß, daß die Ehe zwiſchen ei-
ner Mannsperſon und einer Weibes-
perſon beſtehe;
folglich kommt die Viel-
weiberey
(polygamia), das iſt, die Ehe ei-
ner Perſon mit vielen, mit dem Geſetze der
Natur nicht uͤberein: Und wenn ſie
bloß der Wolluſt wegen eingegangen

wird;
[631]Von der Ehe.
wird; ſo iſt ſie offenbahr unerlaubt
(§. 854.).


§. 858.

Die, welche einander geheyrathet, werdenVon den
Verbind-
lichkei-
ten der
Ehelente
gegen
einander
u. ihrem
Rechte.

mit einem gemeinſchaftlichen Nahmen Ehe-
leute,
oder Ehegatten(conjuges) genannt;
und insbeſondere die Mannsperſon der Ehe-
mann
(maritus), und die Weibsperſon die
Ehefrau(uxor).Wenn ſie alſo in den
Eheſtand treten, ſo verbindet ſich der
Mann dem Weibe und das Weib dem
Manne, daß ſie den Gebrauch ihres Lei-
bes zu Erzeugung der Kinder einander
und zwar allein erlauben, und beyde zur
Erziehung der Kinder beytragen wol-
len, was ſie koͤnnen
(§. 856. 855.); folg-
lich raͤumet das Weib dem Manne und
der Mann dem Weibe das Recht zu
dieſem Gebrauch auf ihren Leib ein.

Da alſo das Recht des einen Theils verletzt
wird, wenn der andere einer andern
Perſon ehelich beywohnt (§. 83.); ſo
thut er dem andern unrecht (§. 87.)
und gehet von dem Vertrage ab
(§. 442.),
wodurch die Ehe gemacht worden (§. 836.
856.).


§. 859.

Der Beyſchlaf einer verehelichten PerſonOb der
Ehebꝛuch
uner-
laubt ſey.

mit einer andern, ſie mag ledig, oder verhey-
rathet ſeyn, ohne Vorwiſſen und wider Wil-
len ſeines Ehegattens, wird der Ehebruch
(adulterium) genannt. Derowegen iſt Ehe-
R r 4bruch
[632]III.Theil 1. Abth. 2. Hauptſtuͤck.
bruch unerlaubt: Jedoch muß der Ehe-
brecher das Kind, welches im Ehe-
bruch erzeuget worden, erziehen

(§. 855.).


§. 860.

Von den
Kebs-
weibern.

Kebsweiber(pellex) nennt man die
Weibsperſonen, welche ein Ehemann auſſer
ſeiner Ehefrau zum Beyſchlaf hat. Da man
bey der Kebsweiberey(pellicatus) vor-
nehmlich die Empfindung der fleiſchlichen Wol-
luſt zur Abſicht hat; ſo iſt klar, daß die-
ſelbe nach dem Rechte der Natur un-
erlaubt ſey (§. 854.), und iſt der Bey-
ſchlaf mit einem Kebsweibe von dem
Ehebruche nicht unterſchieden
(§. 859.).


§. 861.

Vom
Unter-
ſcheide
der Kin-
der.

Die Kinder, welche in der Ehe gebohren
worden, werden rechtmaͤßige Kinder(li-
beri legitimi);
die auſſer der Ehe gebohren
ſind, z. E. durch Unzucht, oder Ehebruch,
ſind unehliche Kinder(ſpurii); welche
aber von Huren gebohren werden, Huren-
kinder
(vulgo quæſiti) genannt.


§. 862.

Von der
Scham
und der
Jungfer-
ſchaft,
und dem
Rechte
ſie zu ver-
theidi-
gen.

Die Schamhaftigkeit(pudicitia) nennt
man ein von allem unerlaubten Beyſchlafe
entferntes Gemuͤthe: Die Unſchamhaftig-
keit
(impudicitia) aber ein zum unerlaubten
Beyſchlafe geneigtes Gemuͤthe. Die Jung-
ferſchaft
(virginitas) die Enthaltung des
Gebrauchs der Geburtsglieder im Beyſchlafe
mit einer Mannsperſon; welche alſo im
erſten
[633]Von der Ehe.
erſten Beyſchlafe verlohren wird. Es
erhellet alſo, daß, wenn eine Jungfer
genothzuͤchtiget wird, ſie ihrer Jung-
ferſchaft mit Gewalt beraubet; wenn
aber eine Wittwe, eine Ehefrau ge-
nothzuͤchtiget wird, ihre Schamhaf-
tigkeit verletzt wird;
folglich hat eine
Jungfer das Recht ihre Jungferſchaft,
eine Wittwe und Ehefrau das Recht
ihre Schamhaftigkeit zu vertheidigen
(§. 46. 90.), und zwar ein an ſich un-
eingeſchraͤncktes Recht
(§. 94.); folglich
iſt es erlaubt daß ſie denjenigen, der ſie
nothzuͤchtigen will, toͤdten kann, wo-
fern ſie der Gefahr anders nicht ent-
gehen kann.


§. 863.

Weil die Ehe durch einen Vertrag gemachtWie die
Ehe zu
ſtande
gebracht
wird.

wird (§. 856. 836.); ſo wird ſie durch
die beyderſeitige Einwilligung der
Manns- und Weibsperſon nach der
Natur zu ſtande gebracht
(§. 438.);
folglich kann auf die beyderſeitige Er-
klaͤrung der Einwilligung der fleiſchli-
che Vermiſchung
(copula carnalis), wel-
ches die Verbindung der Leiber der Manns-
und Weibsperſon iſt, die zu Erzeugung der
Kinder erfordert wird, gleich hinzukom-
men.


§. 864.

Das Verſprechen einander zu heyrathenVon der
Verloͤb-
niß.

wird die Verloͤbniß(ſponſalia) genannt;
R r 5und
[634]III.Theil 1. Abth. 2. Hauptſtuͤck.
und die Perſonen, welche einander dieſes
verſprechen, oder ſich mit einander verloben,
heiſſen alsdann Braͤutigam und Braut.
Derowegen entſteht aus der Verloͤbnis
die Verbindlichkeit, die Ehe, wie es ver-
abredet worden, zu vollziehen (§. 393.):
Sie koͤnnen
aber dennoch durch beyder-
ſeitige Aenderung ihres Willens von
der Verloͤbniß wieder abgehen (§. 444.);
und wenn eine Perſon ſich mit zweyen
verlobet, ſo wird die erſte Verloͤbniß
der andern vorgezogen (§. 421.): Wenn

aber die Perſon, zu deren Nachtheil die
letzte Verlobung geſchehen, ihr Recht
will fahren laſſen,
welches ſie wohl thun
kann (§. 342.); ſo iſt die letzte guͤltig (§.
337.). Es erhellet aber, daß, wenn ver-
lobte Perſonen ſich mit einander fleiſch-
lich zu vermiſchen eins werden, ſie
dadurch wuͤrcklich nach der Natur in
den Eheſtand treten
(§. 863.). Da durch
die Verloͤbniß die Ehe verſprochen wird; ſo
kann ſie auf ſo vielfache Art als das
Verſprechen geſchehen, und gilt von
ihr, was von dem Verſprechen erwie-
ſen worden.


§. 865.

Vom
Mahl-
ſchatz u.
den Ver-
loͤbnißge-
ſchencken.

Der Mahlſchatz(arrha ſponſalitia) wird
genannt, was der Braͤutigam der Braut
und die Braut dem Braͤutigam auf die Ehe
giebt. Verloͤbnißgeſchencke(munus ſpon-
ſalitium)
ſind die, welche eine verlobte Per-
ſon der andern giebt, zu Bezeugung ihrer
Liebe.
[635]Von der Ehe.
Liebe. Man giebt alſo einen Mahlſchatz
um dadurch die Verloͤbniß zu bewei-
ſen und zu befeſtigen (§. 619.): Und
wenn ſie eigenthuͤmlich gegeben wer-
den; ſo ſind ſie zugleich als Verloͤb-
nißgeſchencke anzuſehen
(§. 475.). Da
die Verloͤbnißgeſchencke in der Hoffnung ge-
geben werden, daß die Ehe werde vollzogen
werden; ſo verſteht ſichs, daß ſie unter die-
ſer ſtillſchweigenden Bedingung gege-
ben worden, woferne nicht ausdruͤck-
lich ein anders geſagt wird, daß ſie
wiedergegeben werden ſollen, wenn es
ſich zutruͤge, daß die Ehe nicht vollzo-
gen wuͤrde
(§. 318.); folglich wenn die
Verloͤbniß aufgehoben wird, ſo muͤſ-
ſen der Mahlſchatz und die Geſchencke
wiedergegeben werden.


§. 866.

Haͤusliche Sachen(res domeſticæ)Daß E-
helente
bey ein-
ander
wohnen,
und eine
gemein-
ſchaft-
liche
Wirth-
ſchaft
haben
ſollen.

nennt man, welche wir zur Nothwendigkeit,
zur Beqvemlichkeit und zum Vergnuͤgen des
menſchlichen Lebens gebrauchen; und die Ver-
waltung derſelben wird die Haushaltung
(œconomia) genannt. Weil die Eheleute
ohne Beyſchlaf kein Kind zeugen koͤnnen, und
die Kinder durch gemeinſchaftliche Sorgfalt
erziehen muͤſſen (§. 855.); folglich auch mit
einander davor zu ſorgen haben, was ſie zu
ihrem Unterhalt brauchen, ingleichen vor die
Koſten, ſo auf ihre Auferziehung zu wenden
ſind (§. cit.); ſo muͤſſen ſie bey einander
wohnen
[636]III.Theil 1. Abth. 2. Hauptſtuͤck.
wohnen und eine gemeinſchaftliche
Haushaltung fuͤhren, und jeder Ehe-
gatte muß zu Anſchaffung deſſen, was
in der Haushaltung noͤthig, und alles
dazu erforderliche wohl in acht zu neh-
men, ſo viel als in ſeinem Vermoͤgen
ſtehet, beytragen.
Derowegen iſt der
Gebrauch deſſen, was ein jeder Ehe-
gatte erworben hat, in ſo weit ge-
meinſchaftlich, als es die gemein-
ſchaftliche Haushaltung erfordert; was
aber durch den Gebrauch nicht ver-
braucht wird, bleibt eines jeden eigen.

Uebrigens iſt klar, daß auch die Frau ſo
viel, als ſie kann, erwerben muß, was
zur gemeinſchaftlichen Haushaltung
und Erziehung der Kinder noͤthig iſt.


§. 867.

Von den
Sachen,
die den
Eheleu-
ten zuge-
hoͤren.

Da ein jeder dem andern nach ſeinem Ge-
fallen ein Recht in ſeinen Sachen einraͤumen
kann (§. 260.); ſo kann die Frau auch
ihrem Manne ein Recht in ihren Guͤ-
tern nach ihrem Gefallen einraͤumen,

z. E. den Nießbrauch (§. 713.); und ſo
auch im Gegentheile der Mann.
Ja
ſie koͤnnen in Anſehung der Guͤter die
ſie haben, wenn ſie in den Eheſtand tre-
ten, oder die ſie wehrender Ehe erwer-
ben, nach ihrem Gefallen verabreden,
wie ſie es wollen gehalten haben
(§.
195.), z. E. daß ſie gemeinſchaftlich
ſeyn ſollen.


§. 868.
[637]Von der Ehe.
§. 868.

Die Beſchwerden des EheſtandsVon
den Be-
ſchwer-
den des
Eheſtan-
des.

(onera matrimonii) nennt man alle Unkoſten,
die des Eheſtands wegen; folglich der gemein-
ſchaftlichen Haushaltung und Auferziehung
der Kinder wegen aufgewandt werden muͤſſen
(§. 866.). Da hierzu ein jeder Ehegatte ſei-
nen Antheil, ſo viel es die Umſtaͤnde erlauben,
beytragen ſoll (§. cit.); ſo muͤſſen die Ehe-
leute nach der Beſchaffenheit ihres
Vermoͤgens die Beſchwerden des Ehe-
ſtandes tragen.


§. 869.

Da die Eheleute bey einander wohnen, undVon Lei-
ſtung der
Liebes-
dienſte
und der
beyder-
ſeitigen
Huͤlfe.

nicht allein ihre Leiber zu Erzeugung der Kin-
der, ſondern auch den Gebrauch ihrer Sachen
mit einander gemeinſchaftlich haben (858.
866.), und alſo genauer mit einander als
mit einer andern Perſon verbunden ſind; ſo
verſtehet es ſich, daß ſie ſich einander
alle Liebesdienſte zu leiſten gegen einan-
der verbindlich gemacht haben; in wel-
chen
alſo, da zu der natuͤrlichen Verbind-
lichkeit noch dieſe von neuem hinzukommt,
ein Ehegatte den andern einem dritten
in ſich ereignendem Falle, wo man
nicht beyden dienen kann, vorziehen
muß, und ohne Unrecht der Liebes-
dienſt nicht unterlaſſen werden kann

(§. 87.); als den ein Ehegatte dem andern
vollkommen ſchuldig iſt (§. 667.). Und in Leiſtung
dieſer Pflichten, nebſt demjenigen, was ſonſt
des
[638]III.Theil 1. Abth. 2. Hauptſtuͤck.
des Eheſtandes wegen geſchehen muß, beſteht
die beyderſeitige Huͤlfe
(mutum adjuto-
rium)
der Eheleute (§. 848.).


§. 870.

Von der
Herr-
ſchaft,
oder Ge-
walt des
Ehe-
manns.

Weil aus dem Vertrage, wodurch die Ehe
errichtet wird, die Rechte und Verbindlich-
keiten der Eheleute entſpringen (§. 856. u. f.);
ſo iſt die Ehe eine gleiche Geſellſchaft
(§. 839.), und was in derſelben geſche-
hen ſoll, muß durch gemeinſchaftliche
Einwilligung ausgemacht werden;

folglich iſt die Herrſchaft im Eheſtande
(imperium conjugale), welche aus der ehe-
lichen Geſellſchaft entſpringt (§. 838.), eine
beyderſeitige Herrſchaft der Eheleute
uͤber einander:
Da aber die Frau ſich ih-
res Rechtes begeben kann (§. 342.); ſo
kann der Mann dieſelbe allein entwe-
der durch einen ausdruͤcklichen Ver-
trag, oder durch einen ſtillſchweigen-
den erlangen;
indem ſie in dasjenige, was
die Gewohnheit mitbringt, ſtillſchweigend ein-
williget; und alsdenn iſt die Frau dem
Manne unterthan
(§. 835.).


§. 871.

Von der
Eheſchei-
dung und
der an-
dern Hey-
rath.

Da die Eheleute mit einander die Kinder
zu erziehen ſchuldig ſind (§. 855.); ſo kann
die Ehe nicht aufgehoben werden,
wenn die Kinder noch nicht erzogen
ſind
(§. 444. 856.); folglich kann der
Mann die Frau nicht nach ſeinem Ge-
fallen verſtoſſen, und der Frau iſt nicht

erlaubt
[639]Von der Ehe.
erlaubt nach ihrem Gefallen von dem
Manne wegzugehen
(§. 444.). Da aber
keine Urſache vorhanden, warum die Ehe
nicht koͤnnte aufgehoben werden, wenn noch
keine Kinder da ſind, oder die, welche
gebohren waren, wieder geſtorben ſind
(§. 856.); ſo kann
in dem Falle die Ehe
getrennet werden.
Da derjenige Theil,
welcher die Ehe bricht, den Vertrag nicht
haͤlt (§. 859.); ſo kann die Ehe des
Ehebruchs wegen getrennet werden,
doch ſo, daß die Verbindlichkeit die
rechtmaͤßigen Kinder zu erziehen ver-
bleibt;
als wovon ſich kein Theil durch ſeine
That befreyen kann (§. 38.). Da ein Ehe-
gatte, welcher den andern boshafter Weiſe
verlaͤßt, oder die eheliche Pflicht(debitum
conjugale),
welche in dem Beyſchlafe beſte-
het, verſaget, den Vertrag nicht haͤlt (§. 856.
444.); ſo kann wegen der boshaften
Verlaßung und Verſagung der eheli-
chen Pflicht die Ehe getrennet wer-
den. Jm natuͤrlichen Stande muß

vermoͤge der natuͤrlichen Freyheit einem je-
den erlaubt werden, daß er die Ehe nach
ſeinem Gefallen trennen kann
(§. 78.).
Weil, nachdem die Ehe getrennet worden,
die beyderſeitige Verbindlichkeit gegen einan-
der aufhoͤret (§. 444.); ſo kann ein jeder
Theil mit einer andern Perſon ſich wie-
der verheyrathen.
Weil es vor ſich klar
iſt, daß durch den Tod des einen Ehe-
gatten
[640]III.Theil 1. Abth. 2. Hauptſtuͤck.
gatten die Ehe getrennet wird; ſo kann
ein Wittwer, oder eine Wittwe wieder
heyrathen;
folglich iſt die andere Ehe
(polygamia ſucceſſiva)erlaubt. Man
nennt aber die Trennung der Ehe die Ehe-
ſcheidung
(divortium); wenn aber die
Verloͤbniß wieder zuruͤcke gehet, im Lateiniſchen
repudium. Weil aber der Ehegatte, der im
Leben bleibt, von der Verbindlichkeit die Kin-
der erſter Ehe zu erziehen nicht befreyet wer-
den kann (§. 38.); ſo muß, wenn man
zur andern Ehe ſchreitet, der neue
Ehegatte fuͤr die Kinder erſter Ehe
ſorgen, und wenn ſie nicht eigenes
Vermoͤgen haben, die Auferziehungs-
koſten von dem ſeinigen geben;
indem
unter keiner andern Bedingung, als dieſer, die
Ehe getroffen werden kann.


§. 872.

Daß
man das
Kind vor
ſeines zu
erkennen
hat.

Es erhellet vor ſich, daß die Mutter ge-
wiß weiß, das Kind ſey von ihr geboh-
ren.
Man ſagt: Der Vater erkenne es
vor das ſeine
(prolem agnoſcere), wenn
er entweder mit ausdruͤcklichen Worten, oder
mit der That erklaͤrt, daß es von ihm erzeu-
get ſey; und er iſt ſchuldig es vor ſein
Kind zu erkennen, ſo lange als er nicht
beweiſen kann, daß es im Ehebruch
erzeuget worden.
Auf gleiche Weiſe
muß, wer mit einer Weibsperſon zu
thun gehabt, wenn er geſtehet, daß
es zu der Zeit geſchehen, da man ver-

muthen
[641]Von der Ehe.
muthen kann, daß ſie ſchwanger wor-
den,
indem er die Vermuthung zu widerle-
gen ſchuldig iſt, das Kind ſo lange vor
das ſeinige erkennen, bis er erwieſen
hat, ſie habe zu der Zeit noch mit ei-
nem andern, oder mit mehreren zu-
gleich zu thun gehabt. Wenn er
aber
leugnet, daß er ſie beſchlafen habe, ſo
muß die Weibsperſon dieſes bewei-
ſen;
indem ſie es ihm in das Gewiſſen ſchiebt,
da keine Zeugen vorhanden (§. 783.).


§. 873.

Weil niemanden, was ein andrer thut, wo-Ob den
Eltern
kann zu-
gerechnet
werden,
was die
Kinder,
und den
Kindern,
was die
Eltern
thun.

zu er nichts beytraͤgt, zugerechnet werden kann
(§. 3.); ſo kann auch was ein Ehegat-
te thut, wenn der andere nichts dazu
beytraͤgt, dem andern nicht zugerech-
net werden, noch auch den Eltern
was die Kinder, noch den Kindern
was die Eltern thun;
folglich kann ein
Ehegatte nicht wegen des Verbre-
chens des andern, noch auch die El-
tern wegen des Verbrechens der Kin-
der, oder die Kinder wegen des Ver-
brechens der Eltern geſtraft werden.

Derowegen kann es auch den Kindern
nicht zugerechnet werden, daß ſie aus
einem unrechtmaͤßigen Beyſchlafe ge-
bohren worden, noch kann nach dem
Geſetze der Natur, wegen der Eltern
ein Schandfleck auf ihnen haften.


Nat. u. Voͤlckerrecht. S s§. 874.
[642]III.Theil 1. Abth. 3. Hauptſtuͤck.
§. 874.

Von den
Geſchen-
cken der
Eheleu-
te.

Da das Schencken auf eines jeden freyem
Willen beruhet (§. 475.); ſo iſt daſſelbe
nach dem Geſetze der Natur unter E-
heleuten nicht unerlaubt.


Das dritte Hauptſtuͤck.

Von der Blutsverwand- und
Schwaͤgerſchaft.


§. 875.

Von den
Bluts-
veꝛwand-
ten und
ihrem
Stam-
me.

Blutsverwandten(cognati) nennt
man, welche in einer Reihe von ein-
ander, oder von einer Perſon, nicht
aber von einander durch die Geburt abſtam-
men. Die Perſon aber von welcher andere
durch die Geburt abſtammen, heiſt der ge-
meinſchaftliche Stamm
(ſtipes commu-
nis);
welcher alſo in den maͤnnlichen und
weiblichen getheilt wird. Die vom maͤnnli-
chen Stamme abſtammen, werden beſonders
die Schwerdtmagen(agnati); die von
weiblicher Seite aber die Spillmagen(co-
gnati)
genannt.


§. 876.

Von den
Linien
der
Bluts-
freund-
ſchaft.

Die Reihe der Perſonen, deren eine im-
mer von der andern durch die Geburt abſtam-
met, nennt man die gerade Linie(linea
recta),
ſo lange man ſie an und vor ſich
ſelbſt betrachtet; und zwar die aufſteigende
(aſcendens), oder die niederſteigende
(deſcendens), nachdem man entweder zu
denen
[643]Von der Blntsverwandſchaft.
denen Perſonen hinaufſteigt, von welchen wir
durch die Geburt abſtammen, oder zu denen
herunter, welche von uns abſtammen. Zwey
gerade Linien aber, welche in einem gemein-
ſchaftlichen Stamme zuſammenkommen, wer-
den in Vergleichung mit einander die Sei-
tenlinie,
oder Nebenlinie(linea obliqua)
genannt.


§. 877.

Alle Perſonen, welche von einem Stam-Von der
Familie.

me in verſchiedenen geraden Linien herkommen,
machen zuſammen genommen die Familie
des Stamms
(familia ſtipitis) aus, z. E.
die Familie meines Vaters, welche von
meinem Vater; die Familie meines Groß-
vaters
(familia avi), welche von meinem
Grosvater u. ſ. f. herkommen.


§. 878.
Von den
Bluts-
freunden
in gera-
der Linie
u. in der
Neben-
linie.

Blutsfreunde in gerader Linie(co-
gnati directi)
werden genannt, die in einer
geraden Linie befindlich ſind; die Bluts-
freunde der Seiten- oder Nebenlinie

(cognati a latere, vel collaterales) ſind, wel-
che in zwey Nebenlinien befindlich ſind.


§. 879.

Der Unterſcheid der Blutsfreund-Von den
Graden
der
Bluts-
freund-
ſchaft in
einer
geraden
Linie.

ſchaft zwiſchen dem Stamme und ei-
ner jeden Perſon in der geraden Linie
entſteht aus der Anzahl der Zeugun-
gen, wodurch ſie von dem Stamme
abſtammt
(§. 875.). Derowegen da man
dieſelben einen Grad nennt; ſo macht die
S s 2Zeu-
[644]III.Theil 1. Abth. 3. Hauptſtuͤck.
Zeugung einen Grad, und eine abſtam-
mende Perſon iſt dem Stamme in dem
Grade als ein Blutsfreund verwandt,
welchen die Zahl der Zeugungen an-
zeigt, durch welche er von dem Stam-
me abſtammt;
alſo iſt der Sohn ein Bluts-
freund des Vaters im erſten Grad, des Groß-
vaters im andern, des Aeltervaters im drit-
ten. Und daher erhellet, welche Blutsfreun-
de die nahe Anverwandten(propiores),
die weitlaͤuftigeren(remotiores), und die
naͤchſten Verwandten(proximi) ſind.


§. 880.

Von den
Graden
der hoͤ-
hern und
niedern
Ord-
nung.

Die Grade der hoͤhern Ordnung
(gradus ordinis ſuperioris) ſind, welche in
der Blutsfreundſchaft einer Perſon mit einer
andern in der aufſteigenden Linie ſtatt finden;
der niedern Ordnung(ordinis inferio-
ris)
aber, welche in der Blutsfreundſchaft
mit einer Perſon in der niederſteigenden Linie
gezehlet werden. Man nennt aber die Bluts-
freunde der hoͤhern Ordnung in einer geraden
Linie mit einem gemeinſchaftlichen Nahmen
Eltern(parentes); die Blutsfreunde der
niedern Ordnung mit einem gemeinſchaftli-
chen Nahmen Kinder(liberos), oder auch
Kinder und Kindeskinder.


§. 881.

Von den
Graden
der Fa-
milie.

Da die Zeugung einen Grad macht (§.
879.); ſo machen eben die Grade der
Anzahl nach in den Nebenlinien zu-
ſammen genommen den Grad der Fa-

milie
[645]Von der Blutsverwandſchaft.
milie aus. Alſo ſind alle Kinder im erſten
Grad der Familie ihres Vaters; die Kinder
aber von dieſen ſind in dem andern Grad der
Familie, welches die Familie des Großvaters
iſt, deſſen Kindes-Kinder im andern Grade ſie
ſind. Es begreift aber die Familie des
Großvaters die Familie des Vaters,
und die Familie des Aeltervaters die
Familie des Großvaters und des Va-
ters in ſich u. ſ. w.


§. 882.

Die Nebenlinie wird gleich(æqualis) ge-Von den
Graden
in der
unglei-
chen Li-
nie.

nannt, wenn zwey gerade Linien, die ſich in ei-
nem Stamm enden, in Graden einander
gleich ſind; ungleich(inæquales) aber, wenn
dieſelben ungleich ſind. Weil die Blutsfreun-
de der Seitenlinie deswegen Blutsfreunde
ſind, weil ſie von eben demſelben Stamme
abſtammen (§. 878.); ſo ſind die Bluts-
freunde der Seitenlinie in der gleichen
Linie unter ſich in demjenigen Grade
verwandt, in welchem ſie dem Stam-
me verwandt ſind. Wofern
aber in
einer ungleichen Linie der weitlaͤufti-
gere Verwandte 2, 3, oder 4. Grade
von dem gemeinſchaftlichen Stamm
abſteht, der naͤhere nur einen Grad;
ſo iſt dieſer jenem in dem andern, drit-
ten, vierten Grad der Familie ſeines
Vaters verwandt. Wenn der naͤhere
vom gemeinſchaftlichen Stamme zwey
Grade abſteht, der entferntere drey,

S s 3viere
[646]III.Theil 1. Abth. 3. Hauptſtuͤck.
viere und ſo weiter; ſo wird dieſer in
dem dritten, vierten u. ſ. w. Grade
der Familie ſeines Großvaters ver-
wandt
(§. 877. 881.). Daher folgt, daß
wer mir, es ſey in was vor einem Grad
es wolle, in der Familie meines Vaters
verwandt iſt, mir allezeit einen Grad
naͤher verwandt ſey, als der Verwand-
te in eben dem Grade in der Familie
meines Großvaters, und zwey Grade
naͤher, als der Verwandte in eben dem
Grade der Familie meines Aeltervaters,
und ſo weiter.
Dieſes iſt nun die beruͤhmte
Rechnung der Grade nach dem Canoniſchen
Rechte, welche der Natur gantz gemaͤß iſt,
und auf welche man mit Recht ſiehet in den
Sachen, wo man auf die Blutsverwand-
ſchaft zu ſehen hat, z. E. in Ehe- und pein-
lichen Sachen.


Von der
Ver-
wand-
ſchaft de-
rer, ſo aus
einem
uneꝛlaub-
ten Bey-
ſchlafe er-
zeugetworden.

§. 883.

Da alle Blutsfreundſchaft aus der Erzeu-
gung kommt (§. 875.); ſo iſt die natuͤrli-
che Blutsfreundſchaft einerley, es mag
einer in der Ehe, oder auſſer derſelben
in einem unrechtmaͤßigen Beyſchlaf ge-
zeugt worden ſeyn.
Derowegen muß man
auch auf dieſelbe ſehen, wo die Blutsfreund-
ſchaft beobachtet werden muß.


§. 884.

Von der
Schwaͤ-
gerſchaft.

Weil die Eheleute aufs genauſte mit ein-
ander verbunden werden, ſo daß ſie als eine
Per-
[647]Von der Blutsverwandſchaft.
Perſon auf eine gantz beſondere Weiſe anzuſe-
hen ſind (§. 858.); ſo verhalten ſich die Bluts-
freunde des einen Ehegatten zu den andern,
gleichſam wie zu den erſten. Da man dieſes
Verhalten der Blutsfreunde des einen Ehe-
gatten zu dem andern die Schwaͤgerſchaft
(affinitas) nennet; ſo ſind die Bluts-
freunde des einen Ehegatten Schwaͤ-
ger
(affines)des andern in eben dem
Grade, in welchem ſie dieſem mit
Blutsfreundſchaft verwandt ſind.
Es
erhellet aber vor ſich, daß die Schwaͤger-
ſchaften durch die Ehen, nicht aber
durch die Verloͤbniſſe gemacht werden

(§. 864.).


§. 885.

Da diejenigen, welche ſich fleiſchlichVon de-
nen, die
gleichſam
als
Schwaͤ-
ger an-
zuſehen.

mit einander vermiſchen, einander den Ge-
brauch ihres Leibes wie die Eheleute verſtatten
(§. 858.); ſo ſind diejenigen, welche ihre Ehe durch
fleifchliche Vermiſchung vollziehen, gleichſam
als Eheleute anzuſehen;
folglich ſind die
Blutsfreunde einer Perſon, die ſich
mit der andern fleiſchlich vermiſcht,
gleichſam als ihre Schwaͤger
(quaſi af-
fines)
anzuſehen. Daher folgt, daß der-
jenige, welcher eine Jungfrau ſchwaͤn-
gert, oder verborene Liebe mit ihr
pfleget, mit ihrer Schweſter gleichſam
verſchwaͤgert wird, und die zu Falle
gebrachte Jungfrau mit ſeinem Bru-

S s 4der.
[648]III.Theil 1. Abth. 4. Hauptſtuͤck.
der. Die fleiſchliche Vermiſchung iſt gleich-
ſam eine Heyrath, wodurch gleichſam eine
Schwaͤgerſchaft entſtehet (§. 884.).


Das vierte Hauptſtuͤck.

Von der vaͤterlichen Geſellſchaft
und vaͤterlicher Gewalt.


Ob die
Eltern
das
Recht
haben die
Kinder
um zu-
bringen,
odeꝛ weg-zulegen.

§. 886.

Da die Eltern die Kinder, welche ſie er-
zeuget haben, zu erhalten verbunden
ſind, damit ſie groß werden und ge-
ſchickt ſich ſelbſt zu verſorgen (§. 855.); ſo
haben die Eltern nicht das Recht die
Kinder umzubringen, noch auch ſie
wegzulegen
(jus exponendi) (§. 51.).


§. 887.

Von dem
Rechte
der El-
tern auf
ihre Kin-
der.

Gleicher Geſtalt, da die Eltern die Kinder
geſchickt machen ſollen ihre Handlungen nach
dem Geſetze der Natur einzurichten (§. 855.);
ſo muͤſſen die Eltern ihre Handlungen
ſo lange einrichten, als die Kinder ih-
ren Pflichten noch nicht ſelbſt vor ſich
ein Genuͤge thun koͤnnen;
folglich ha-
ben ſie ein Recht auf die Handlungen
ihrer Kinder.


§. 888.

Von der
vaͤterli-
chen Ge-
walt.

Das Recht der Eltern uͤber die Kin-
der iſt eine Art der Herrſchaft
(§. 833.
887.). Da nun dieſes aus der Verbindlich-
keit die Kinder zu erziehen entſteht (§. 855.);
ſo
[649]Von der vaͤterlichen Geſellſchaft.
ſo kommt es ſo wohl dem Vater, als
der Mutter gemeinſchaftlich zu
(§, cit.).
Es wird aber gewoͤhnlicher Weiſe die vaͤter-
liche Gewalt
(patria poteſtas) genannt, und
durch Jrrthum weit uͤber ſeine Graͤntzen er-
ſtreckt.


§. 889.

Die Kinder ſind alſo den Eltern un-Von dem
Gehor-
ſam der
Kinder,
und dem
Rechte
ſie zu ver-
binden
und zu
ſtrafen.

terthaͤnig und ihnen zu gehorchen
ſchuldig
(§. 835.). Da die Herrſchaft, die
den Eltern zukommt (§. 888.), das Recht ſie
zu verbinden in ſich begreift (§. 833.)); ſo
haben die Eltern das Recht die Kin-
der zum Gehorſam zu verbinden; und

folglich wegen ihres Ungehorſams ſie
zu beſtrafen
(§. 35.), welche Strafen der
Eltern man vaͤterliche Zuͤchtigungen
(caſtigationes paternæ) nennet; weil ſie auf
ihre Verbeſſerung gehen (§. 93.), und inner-
halb den Schrancken der Pflichten, die ſie den
Kindern ſchuldig ſind, verbleiben ſollen.
Wenn aber die Eltern etwas befehlen,
was dem Geſetze der Natur zuwider
iſt; ſo ſind die Kinder nicht ſchuldig
zu gehorchen
(§. 38.).


§. 890.

Da die Eltern die Kinder geſchickt ma-Von An-
weiſung
der Kin-
der zur
Tugend,
von der
Abwen-

chen ſollen ihre Handlungen nach dem Geſetze
der Natur einzurichten (§. 855.); ſo muͤſſen
ſie ſelbige zu den Pflichten gegen ſich
ſelbſt, gegen andere und gegen GOtt
gewoͤhnen
(§. 57.); und folglich, da die
S s 5Fer-
[650]III.Theil 1. Abth. 4. Hauptſtuͤck.
dung der
Laſter.
Fertigkeit ſeine Handlungen nach dem Geſetze
der Natur einzurichten die Tugend iſt, die
entgegen geſetzte Fertigkeit aber die Laſter ſind;
ſo muͤſſen ſie ſelbige zur Ausuͤbung der
Tugend anfuͤhren, von den Laſtern aber
abhalten.
Derowegen da die Exempel der
Eltern einen groſſen Eindruck, ſonderlich in
die zarten Gemuͤther der Kinder machen; ſo
muͤſſen ſie ihnen gute, nicht boͤſe Exem-
pel geben.


§. 891.

Von der
Lebens-
art, wel-
cher die
Kinder
zu wied-
men.

Gleichergeſtalt weil die Eltern die Kinder
geſchickt machen ſollen um ſich ſelbſt zu verſor-
gen (§. 855.); ſo muͤſſen ſie ſelbige einer
gewiſſen Lebensart, wozu ſie geſchickt
ſind, wiedmen, und alle Muͤhe an-
wenden, das zu erlernen, was dieſe Le-
bensart erfordert.


§. 892.

Von der
Befoͤrde-
rung des
Gluͤcks
der Kin-
der.

Aus eben demſelben Grunde muͤſſen ſie
ſich auch ſo viel moͤglich angelegen ſeyn
laſſen, ihre Kinder gluͤcklich zu ma-
chen, und in den Stand ſetzen gluͤck-
lich zu werden.


§. 893.

Von der
Liebe ſei-
ner Kin-
der.

Da die Eltern durch eine beſondere Ver-
bindlichkeit ihre Kinder und ihren Zuſtand voll-
kommner zu machen gehalten ſind (§. 855.),
und den Menſchen ſo wohl als den Thieren
eine natuͤrliche Liebe zu ihren Kindern einge-
pflantzt iſt; ſo muͤſſen die Eltern ihre
Kinder nicht allein wie andere Men-

ſchen
[651]Von der vaͤterlichen Geſellſchaft.
ſchen lieben (§. 136.), ſondern ſie auch
in der Liebe und folglich in den uͤbri-
gen Pflichten, die man andern ſchul-
dig iſt, allen andern vorziehen
(§. 44.).


§. 894.

Weil die Kinder den Eltern nicht alleinVon der
Pflicht
der Kin-
der gegen
die El-
tern.

ihr Leben zu dancken, ſondern vermoͤge deſſen,
was im vorhergehenden erwieſen worden, ſie
vor ihre groͤſte Wohlthaͤter zu erkennen haben
(§. 470. 471.); ſo muͤſſen ſie auch des-
wegen ein danckbahres Gemuͤthe ge-
gen die Eltern haben, und ihnen bey
jeder gegebenen Gelegenheit, ſo viel
als ſie koͤnnen, hinwiederum gutes
thun, ſie lieben, hochachten und be-
ſonders in Ehren halten,
welches die
kindliche Ehrfurcht
(reverentia filialis)
pflegt genannt zu werden.


§. 895.

Da die kindliche Ehrfurcht mit dem genaue-Ob El-
tern und
Kinder
einander
beyra-
then koͤn-
nen.

ren Umgange der Eheleute unter einander nicht
beſtehen kann; ſo iſt die Ehe zwiſchen Kin-
dern und Eltern von Natur uner-
laubt.
Denn weil die natuͤrliche Verbind-
lichkeit unveraͤnderlich iſt (§. 38.); ſo ſind
die Ehen nach dem Geſetze der Natur
nicht erlaubt, welche die Pflichten
aufheben, oder ſchwaͤchen, die ein Theil
dem andern ſchuldig iſt.


§. 896.

Weil die Eltern die AuferziehungskoſtenVon der
Vorſicht

herzu-
[652]III.Theil 1. Abth. 4. Hauptſtuͤck.
der El-
tern vor
die Er-
ziehung
der Kin-
der, wenn
ſie ſteꝛben
ſollten.
herzugeben ſchuldig ſind (§. 855.); ſo muͤſ-
ſen ſie auch davor ſorgen, daß, wenn
ſie eher ſterben ſollten, als die Kinder
erzogen waͤren, ſie ihnen ſo viel Ver-
moͤgen nachlaſſen, wovon die Aufer-
ziehungskoſten koͤnnen beſtritten wer-
den, und die Sorge fuͤr die Erziehung
und Verwaltung ihres Vermoͤgens,
welches ſie ihnen hinterlaſſen, oder ſie
ſonſt bekommen, andern Perſonen auf-
tragen, zu denen ſie das Vertrauen ha-
ben, daß ſie alles fleißig beſorgen
werden.


§. 897.

Ob Vor-
eltern u.
Bluts-
freunde
vor die
Erzie-
hung zu
ſorgen
haben.

Da die Menſchen erzeugt werden, um das
menſchliche Geſchlechte fortzupflantzen (§. 854.);
ſo haben die Voreltern Kinder gezeugt, damit
durch ſie wieder andere gezeugt werden moͤch-
ten. Derowegen da die Auferziehung der
Kinder von der Zeugung unzertrennlich iſt (§.
855.); ſo ſind die Voreltern, wenn die
Eltern eher ſterben ſolten, als die Kin-
der erzogen worden, dieſe zu erziehen
verbunden:
oder wenn auch dieſe eher
geſtorben ſeyn ſollten; ſo muͤſſen,
indem
man den Eltern Wohlthaten auch an ihren
Kindern erweiſet, die Blutsfreunde dieſe
Sorge uͤber ſich nehmen
(§. 894.
875.).


§. 898.

Von der
Vor-
mund-
ſchaft.

Vormuͤnder(tutores) ſind die Perſonen,
welche die Auferziehung unerzogener Kinder
beſor-
[653]Von der vaͤterlichen Geſellſchaft.
beſorgen; und Waͤiſen (pupilli, Muͤndel)
nennt man die unerzogenen Kinder, deren bey-
de Eltern geſtorben, oder die wenigſtens ei-
nes von ihren Eltern, inſonderheit den Va-
ter verlohren haben. Das Recht Kinder zu
erziehen, welche ihre Eltern verlohren, wird
die Vormundſchaft(tutela) genannt. Man
nennt aber im Teſtament geſetzte Vor-
muͤnder
(tutores teſtamentarios), denen
durch den letzten Willen der Eltern die Vor-
mundſchaft aufgetragen worden; rechtli-
che
(legitimos), die nach dem Rechte der
Blutsfreundſchaft dazu genommen worden;
und gegebene(dativi), welche in einem
Staate von der Obrigkeit geſetzt wer-
den. Wenn die Kinder in dem Alter ſind,
daß ſie bloß, oder vornehmlich um der Ver-
waltung ihres Vermoͤgens halber anderer
Huͤlfe beduͤrfen; ſo werden, da man den,
welcher das Recht hat eines andern Guͤter zu
verwalten, der Alters wegen, oder wegen ei-
ner Schwachheit des Gemuͤths, oder des Lei-
bes ſeinem Vermoͤgen nicht vorſtehen kann, ei-
nen Curater(curatorem) nennt, im Roͤ-
miſchen Rechte die Curaters von den Vor-
muͤndern unterſchieden; doch nach unſern
Sitten dauert die Vormundſchaft ſo
lange, bis die Erziehung voͤllig geen-
det iſt;
und dieſes iſt dem Rechte der Na-
tur gemaͤſſer.


§. 899.

Weil ein Vicarius(vicarius) genannt wird,Von den
Pflichten

der
[654]III.Theil 1. Abth. 4. Hauptſtuͤck.
der Vor-
muͤnder.
der die Stelle eines andern vertritt; ſo ſind
die Vormuͤnder in der Erziehung der
Waͤiſen Vicarii der verſtorbenen El-
tern;
folglich muͤſſen ſie eben das, was
die Eltern zu thun ſchuldig ſind, in
der Erziehung der Kinder beſorgen,
nur daß ſie nicht ihre eigene Koſten
drauf wenden doͤrfen;
indem kein Grund
vorhanden, warum einer fremde Kinder auf
ſeine Koſten erziehen ſoll. Naͤmlich wenn
die Waͤiſen eigenes Vermoͤgen haben;
ſo iſts nicht noͤthig, daß ſie auf fremde
Koſten erzogen werden;
indem man ei-
nem andern nicht leiſten darf, was er ſelbſt
in ſeiner Gewalt hat (§. 133.). Wenn ſie
aber kein Vermoͤgen haben,
weil ſie als-
dann Bettlern gleich zu achten (§. 487.); ſo
muͤſſen die Vormuͤnder davor ſorgen
daß ſie Allmoſen bekommen
(§. 488.
491.). Man muß aber von einander unter-
ſcheiden, was Vormuͤnder und Voreltern zu
thun ſchuldig ſind (§. 897.).


§. 900.

Von dem
Unter-
ſcheide
der Vor-
muͤnder.

Da es nichts widerſprechendes iſt, daß ei-
nem Vormunde bloß die Auferziehung, einem
andern die Verwaltung des Vermoͤgens auf-
getragen wird; damit man einen nicht zu viel
beſchweret; ja auch zu dem Ende, daß Waͤi-
ſen beſſer gerathen iſt, einem beſonders die
Aufſicht uͤber die Vormundſchaft anvertrauet
wird; ſo ſind einige Vormuͤnder zu der
Erziehung
(educatores); andere zur Ver-
waltung
[655]Von der vaͤterlichen Geſellſchaft.
waltung des Vermoͤgens(adminiſtrato-
res);
und noch andere als bloſſe Aufſeher
(inſpectores). Die erſten beyde werden in
Anſehung des dritten mit einem gemeinſchaft-
lichen Nahmen Untervormuͤnder(tutores
inferiores),
der dritte aber Obervormund
(tutor ſuperior, ſeu honorarius) genannt;
und wenn mehr als ein Vormund iſt,
ſo kommt es auf den Willen der El-
tern, oder derer, die ſie ſetzen, an, ob
ſie die Vormundſchaft unter dieſelben
theilen, oder ihnen zuſammen unzer-
theilt auftragen wollen.


§. 901.

Weil die Vormuͤnder die Waͤiſen zur Tu-Von der
Untuͤch-
tigkeit
der Vor-
muͤnder.

gend anfuͤhren und von Laſtern abhalten ſol-
len (§. 890. 899.); ſo ſind zur Vormund-
ſchaft ungeſchickt, die ſelbſt den La-
ſtern ergeben ſind; oder Alters, oder
einer Schwachheit der Seele, oder des
Leibes wegen ſelbſt einen Vormund,
oder Curater noͤthig haben.
Und da
niemand dazu verbunden werden kann, was
nicht in ſeiner Gewalt ſteht (§. 60.), oder
auch was er nicht anders als mit Verabſaͤu-
mung einer Pflicht gegen ſich ſelbſt leiſten
kann (§. 133.); ſo werden die Vormund-
ſchaft zu uͤbernehmen entſchuldiget,
welche der Schwaͤchlichkeit des Koͤr-
pers wegen, oder wegen allzuhohen
Alters, oder wegen vieler Geſchaͤffte

die
[656]III.Theil 1. Abth. 4. Hauptſtuͤck.
die Vormundſchaft nicht mit dem
Fleiß, welcher erforderr wird, verwal-
ten koͤnnen.


§. 902.

Daß ein
Jnven-
tarium
gemacht
werden
muͤſſe.

Ein Jnventarium(inventarium) nennt
man die Aufzeichnung der zu verwaltenden Guͤ-
ter der Waͤiſen, oder der Perſonen, die einen
Curater haben: Damit man weiß, was ver-
waltet werden ſoll; ſo muß der Vormund
und Curater ein Jnventarium verfer-
tigen.


§. 903.

Von der
Veraͤuſ-
ſerung
der Guͤ-
ter der
Waͤiſen.

Da der Vormund die Guͤter der Waͤiſen
mit allem Fleiſſe verwalten ſoll, damit kein
Schade verurſacht werde (§. 21. 269.); ſo
muß er,
damit man davon verſichert iſt, al-
le Jahre Rechnung ablegen.
Und weil
derjenige, deſſen Guͤter er verwaltet, der Ei-
genthumsherr davon iſt; ſo kann er die un-
beweglichen Guͤter der Waͤiſen nicht
veraͤuſſern
(§. 257.). Weil er aber doch in
der Verwaltung die Perſon der Waͤiſen vor-
ſtellt, und alſo zu thun hat, was die ſeiner Pfle-
ge befohlene ſelbſt zu thun genoͤthiget wuͤr-
den; ſo kann er die Waͤiſen zugehoͤrige
Guͤter veraͤuſſern, wenn eine ſolche
Nothwendigkeit vorhanden, welche
ſie ſelbſt dazu bringen wuͤrde;
folglich
auf den Fall, wenn Schulden zu be-
zahlen ſind, und auf keine andere Wei-
ſe bezahlt werden koͤnnen; wenn die

auf
[657]Von der vaͤterlichen Geſellſchaft.
auf die Erziehung zu verwendende
Koſten ſonſt nirgend hergenommen
werden koͤnnen; wenn zu bauen ein
Capital muͤſte aufgenommen werden,
und die Jntereſſen wenige, oder gar
keine Nutzung uͤbrig ließen.
Damit
aber der Vormund allen Verdacht von ſich
abwende; ſo muß er, wenn Waͤiſen zu-
gehoͤrige Guͤter zu veraͤuſſern ſind, da-
vor ſorgen, daß ſie von erfahrnen Per-
ſonen taxiret werden, und er einen
Kaͤufer finde, welcher ſie um einen
billigen Preiß kauft.
Allein weil er das
Waͤiſen zugehoͤrige Vermoͤgen erhalten, und
ſo viel an ihm iſt, vermehren ſoll (§. 208.);
ſo kann er die uͤberfluͤßigen bewegli-
chen Sachen und inſonderheit diejeni-
gen, welche durch Aufbehalten nicht
erhalten werden koͤnnen, verkaufen,
und das davor geloͤſete Geld auf Zin-
ſen ausleihen, oder zu Erkaufung lie-
gender Gruͤnde anwenden, es ſey dann
daß der Vater ausdruͤcklich verboten
gewiſſe Sachen nicht zu veraͤuſſern,
und keine Nothwendigkeit ſie zu ver-
aͤuſſern vorhanden;
wie vorhin erwieſen
worden.


§. 904.

Wenn der Vormund mit Vorſatz,Von dem
Schaden
den der
Vor-
mund

oder aus Verſehn einen Schaden bey
der Verwaltung verurſacht; ſo iſt er
denſelben zu erſetzen ſchuldig
(§. 270.);
Nat. u. Voͤlckerrecht. T tund
[658]III.Theil 1. Abth. 4. Hauptſtuͤck.
verurſa-
chet hat.
und da er in deſſen Anſehung ein Schuldner
der Waͤiſen iſt (§. 336.); ſo ſind von Na-
tur die Guͤter des Vormundes den
Waͤiſen davor verpfaͤndet, was er ih-
nen herauszugeben hat nach geendig-
ter Vormundſchaft
(§. 705.).


§. 905.

Wie
Waͤiſen,
oder Un-
muͤndige
ſich an-
dern,
oder an-
dere ſich
ihnen
verbin-
den koͤn-
nen.

Da dem Vormunde, oder Curater die
Verwaltung der Guͤter zukommt (§. 898.);
ſo koͤnnen Waͤiſen und Unmuͤndige oh-
ne Einwilligung des Vormundes, oder
ihres Curaters ſich nicht einem andern
zu etwas verbinden.
Weil aber die Ver-
waltung der Guͤter deswegen dem Vormunde,
oder Curater aufgetragen wird, damit die
Waͤiſen und Unmuͤndigen nicht betrogen wer-
den (§. cit.); ſo iſt es guͤltig, wenn Wai-
ſen, oder Unmuͤndige zu ihrem Vor-
theil ſich einen andern verbindlich ge-
macht, oder mit ihm contrahiret.


§. 906.

Von der
Beſol-
dung und
dem Eh-
renge-
ſchenck
des Vor-
mundes.

Weil niemand verbunden iſt dem andern
etwas umſonſt zu thun, wenn er ihm hinwie-
derum etwas geben kann (§. 473.); und es
vor ſich klar iſt, daß die Vormundſchaft kei-
ne geringe Beſchwerde iſt, inſonderheit wenn
die Verwaltung der Guͤter weitlaͤuftig; ſo iſt
es nach dem Rechte der Natur nicht
unerlaubt, daß ein Vormund, oder
Curater fuͤr die Verwaltung Waͤiſen,
oder Unmuͤndigen zugehoͤriger Guͤter,
wenn das Vermoͤgen groß iſt, eine Be-

ſoldung
[659]Von der vaͤterlichen Geſellſchaft.
ſoldung bekommt. Und da man Wohl-
thaten, dergleichen die Verwaltung der Vor-
mundſchaft iſt, wenn ſie umſonſt gefuͤhret
wird, mit Danck erkennen ſoll (§. 474.); ſo
iſts allerdings billig, daß nach geen-
digter Vormundſchaft, die treulich
und zum Nutzen gefuͤhrt worden, ein
Ehrengeſchenck gegeben werde
(§.
825.).


§. 907.

Und weil Waͤiſen und Unmuͤndige ſichVon der
Schad-
loshal-
tung des
Vor-
munds
und Cu-
raters.

nicht damit, was dem Curater, oder Vormun-
de zugehoͤrt, bereichern koͤnnen (§. 271.); ſo
ſind ſie dem Vormunde und Curater
die Unkoſten zu erſtatten ſchuldig, wel-
che der Verwaltung wegen gemacht
worden, wie auch den Schaden zu er-
ſetzen, welchen er bey dieſer Gelegen-
heit gehabt. Wenn
alſo der Vormund,
oder Curater dieſerwegen ſeine eigene
Sachen verpfaͤndet hat, oder deswe-
gen Buͤrge worden; ſo muß er nach
geendigter Vormundſchaft, oder Cu-
ratel davon von ihnen befreyet wer-
den.


§. 908.

Der Vormund willigt ausdruͤcklich in dieDaß die
Vor-
mund-
ſchaft
gleichſam
ein Ver-
trag ſey.

Verwaltung der Vormundſchaft ein, indem
er ſie uͤbernimmt: Und da dieſes der offen-
bare Nutzen der Waͤiſen erfordert; ſo vermu-
thet man mit Recht ihre Einwilligung (§.
686.). Derowegen wird die Vormund-
T t 2ſchaft
[660]III.Theil 1. Abth. 4. Hauptſtuͤck.
ſchaft gleichſam durch einen Vertrag
erhalten
(§. cit.); daher entſteht auch
hieraus eine vollkommne Verbindlich-
keit, und werden vollkommene Rechte
erworben
(§. 687.).


§. 909.

Von der
vaͤterli-
chen Ge-
ſellſchaft.

Auf gleiche Weiſe wird erwieſen, daß zwi-
ſchen Eltern und Kindern der Erzie-
hung wegen gleichſam ein Vertrag
gemacht; und
folglich unter ihnen eine
gewiſſe Geſellſchaft ſelbſt nach der Na-
tur aufgerichtet werde,
welche die vaͤ-
terliche Geſellſchaft
(ſocietas paterna) ge-
nannt wird. Und deswegen ſind die Ver-
bindlichkeiten und Rechte, welche die
Erziehung der Kinder betreffen, nicht
allein Pflichten, die von dem Geſetze
der Natur vorgeſchrieben worden;
ſondern ſie entſpringen gleichſam aus
einem Vertrage eben ſo, als wenn der-
ſelbe wuͤrcklich waͤre errichtet worden

(§. 687.). Die Erziehung der Kinder wird
auf zwiefache Weiſe betrachtet, theils in ſo
fern ſie beyde Ehegatten angehet, theils in
ſo weit ſie von den Eltern zum Nutzen der
Kinder zu bewerckſtelligen iſt. Wird ſie auf
die erſte Art betrachtet, ſo gehoͤrt ſie zur ehe-
lichen Geſellſchaft; im andern Falle aber zur
vaͤterlichen.


§. 910.

Ob die
vaͤteꝛliche
Gewalt

Weil die Eltern die freyen Handlungen der
Kinder einzurichten haben, indem ſie noch
nicht
[661]Von der vaͤterlichen Geſellſchaft.
nicht ſelbſt dieſes zu thun vermoͤgend ſind (§.der El-
tern be-
ſtaͤndig
einerley
veꝛbleibe.

887.), nach und nach aber lernen, was ſie
zu thun und zu laßen haben; ſo erhaͤlt die
vaͤterliche Gewalt mit dem zunehmen-
den Alter nach und nach engere Schran-
cken (§. 888.); und dieſes gilt auch
von der Vormundſchaft
(899.). Weil
aber die Auferziehung nicht eher vollendet iſt,
als bis die Kinder vor ſich erwerben koͤnnen,
was ſie zur Nothdurft und Beqvemlichkeit des
Lebens brauchen (§. 855.); ſo ſind ſie, ſo
lange als ſie in des Vaters Hauſe leben, weil
ſie ſich ſelbſt noch nicht mit Nahrung und Klei-
dung, und was ſie ſonſt brauchen, verſorgen
koͤnnen, dem Willen der Eltern in den
Dingen, die das Hausweſen angehen,
unterworfen.


§. 911.

Da den Eltern keine vaͤterliche Gewalt zu-Von der
Dauer
der vaͤ-
terlichen
Gewalt
und der
Pflichten
der Kin-
der.

kommt, als diejenige, welche aus der Ver-
bindlichkeit die Kinder zu erziehen entſpringet
(§ 888.); ſo wird nach geendeter Er-
ziehung die vaͤterliche Gewalt aufgeho-
ben, und die Kinder werden ihre eige-
ne Herren
(fiunt ſui jnris); folglich wird
auch die Vormundſchaft geendet.
Weil
aber ſowohl die Pflichten der Eltern gegen
die Kinder, als auch der Kinder gegen die El-
tern durchs Geſetze der Natur vorgeſchrieben
werden, vermoͤge deſſen, was vorhin erwieſen
worden; folglich die Verbindlichkeit dazu
ſchlechterdinges unveraͤnderlich iſt (§. 38.); ſo
T t 3dauern
[662]III.Theil 1. Abth. 4. Hauptſtuͤck.
dauern die Pflichten der Kinder gegen
die Eltern ihre gantze Lebenszeit, und
nicht weniger ſind die Pflichten der
Eltern, welche nicht zu der Auferzie-
hung gehoͤren, beſtaͤndig.
Daher folgt,
daß die Kinder, wenn gleich der Gehorſam
aufhoͤrt, welchen die vaͤterliche Gewalt erfor-
dert (§. 889.), dennoch die gantze Zeit ih-
rer Auferziehung ſich bemuͤhen muͤſſen
den Eltern zu gefallen.


§. 912.

Von der
Einwil-
ligung
der El-
tern in
die Ehe
der Kin-
der.

Weil die Kinder die gantze Lebenszeit in al-
len ihren Handlungen darauf zu ſehen haben,
daß ſie den Eltern gefallen (§. 911.); ſo ſol-
len ſie
auch ohne ihre Einwilligung ſich
nicht verheyrathen.
Weil ſie aber nicht hey-
rathen, als wenn ſie ſchon bey reifem Verſtande
ſind; ſo ſtehet ihnen frey ſich mehr nach
ihrem Gutbefinden, als nach den El-
tern zu richten, die ohne rechtmaͤßige
Urſache zuwider ſind
(§. cit. u. 78.); folg-
lich kann die Ehe durch den widrigen
Willen der Eltern nicht hintertrieben
werden,
und ihre Einwilligung iſt der
Ehrbarkeit (§. 49.), nicht der Noth-
wendigkeit wegen zu ſuchen.


§. 913.

Von der
Mitga-
be.

Da die Toͤchter wenn ſie heyrathen in den
Stand kommen, worinnen die Eltern nicht
mehr noͤthig haben fuͤr ihren Unterhalt zu
ſorgen (§. 866), die Beſchwerden des Ehe-
ſtandes aber von den Eheleuten zuſammen
nach
[663]Von der vaͤterlichen Geſellſchaft.
nach der Beſchaffenheit ihres Vermoͤgens ge-
tragen werden muͤſſen (§. 868.), und man die
Mitgabe(dos) nennt, was die Frau zum
Manne bringt, um die Beſchwerden der Ehe
zu beſtreiten; ſo ſollen die Eltern, wenn
ſie eine Tochter verheyrathen, die kein
eigenes Vermoͤgen hat, nach der Be-
ſchaffenheit ihres Vermoͤgens ihr eine
Mitgabe geben: Sie ſind aber dazu
nicht gehalten, wenn der Mann ſie oh-
ne Mitgabe haben will,
oder welches vor
ſich klar iſt, wenn ſie nicht koͤnnen (§. 60.).
Weil es auf die Eltern ankommt, wie ſie ihr
eigenes Vermoͤgen beurtheilen wollen (§. 78.);
ſo beruhet die Groͤſſe der Mitgabe le-
diglich auf ihrem Willen.
Weil aber
die Mitgabe nur gegeben wird um die Be-
ſchwerden des Eheſtandes zu erleichtern; ſo
muß bloß der Nießbrauch dazu ange-
wandt werden, das Eingebrachte ſelbſt
aber der Frauen erhalten werden;

folglich wenn Geld, oder eine nach dem
Werth geſchaͤtzte Sache zur Mitgabe
gegeben wird; ſo muß,
weil das Geld,
wenn es nicht ausgegeben wird, nicht ge-
braucht werden kann, der Mann in der
Mitgabe das Eigenthum erhalten;
und
deswegen iſt das Vermoͤgen des Mannes
natuͤrlicher Weiſe fuͤr die Mitgabe
verpfaͤndet (§. 705.). Die Vertraͤge,

in welchen man die Mitgabe ſo wohl, als an-
dere Dinge, die zum Nutzen der Eheleute ge-
T t 4reichen,
[664]III.Theil 1. Abth. 4. Hauptſtuͤck. ꝛc.
reichen, verabredet, werden Heyrathsver-
traͤge
(pacta dotalia) genannt. Da es hier-
bey auf den Willen derer, die den Vertrag
machen, ankommt (§. 667.); ſo muß man
halten, was in den Heyrathsvertraͤ-
gen verabredet worden.


§. 914.

Von Ge-
ſchencken
wegen
der Hey-
rath.

Jm Roͤmiſchen Rechte nennt man das Ge-
ſchenck wegen der Hochzeit
(donatio
propter nuptias),
welches der Mann der
Frau zur Sicherheit der Mitgabe giebt; und
alſo nicht kleiner, als die Mitgabe ſeyn
darf; nach dem Geſetze der Natur aber
iſt dieſes nicht noͤthig
(§. 913.).


§. 915.

Von der
Morgen-
gabe.

Die Morgengabe(morgengaba) iſt das
Geſchenck, welches der Braͤutigam der Braut
den Tag nach der Hochzeit zu geben pflegt,
fuͤr die Jungferſchaft, oder wenn es eine
Wittwe iſt, fuͤr die Schamhaftigkeit. Da
nach dem Ehevertrag die Braut dem Braͤu-
tigam den Gebrauch ihres Leibes zu erlauben
verbunden iſt; ſo darf der Braͤutigam
nach dem Rechte der Natur vor die
Erlaubniß des erſten Beyſchlafs nichts
bezahlen;
folglich iſt die Morgengabe, wel-
che durch die Sitten der alten Deutſchen ein-
gefuͤhrt worden, nach dem Rechte der Natur
nicht noͤthig: Durch dieſelbe aber erhaͤlt die
Frau in der Morgengabe das Eigen-
thum
(§. 317.).


Das
[665]
Das fuͤnfte Hauptſtuͤck.

Vom Erbrecht, oder von Te-
ſtamenten, und der Erbfolge ohne
Teſtament.


§. 916.

Man ſagt, daß einer in den GuͤternVon dem
Erben u.
dem Erb-
rechte.

eines Verſtorbenen folge(in
bona defuncti ſuccedere),
der
nach dem Tode des Verſtorbenen das Recht
zu den Guͤtern deſſelben erhaͤlt. Wer dieſes
Recht hat, wird der Erbe(hæres) genannt;
und das Recht zu den Guͤtern des Verſtorbe-
nen das Erbrecht(jus hæreditarium). Das
gantze hinterlaſſene Vermoͤgen des Verſtor-
benen heißt die Erbſchaft; und das Eigen-
thum, das man darinnen erlangt, das all-
gemeine Eigenthum
(dominium univer-
ſale).
Endlich ſagt man, es uͤbernehme
einer die Erbſchaft
(hæreditatem ſuſci-
pere),
wenn er entweder mit Worten, oder
in der That ſich hinlaͤnglich erklaͤrt, daß er
Erbe ſeyn wollte. Wenn dieſer Wille durch
Worte, oder ein gleichguͤltiges Zeichen doch
ohne eine andere Handlung erklaͤrt wird, ſo
ſagt man ins beſondere, er trete die Erb-
ſchaft an
(hæreditatis aditio); wenn es
aber durch andere unternommene Handlungen
geſchiehet, er maſſe ſich der Erbſchaft an
(geſtio pro hærede).


T t 5§. 917.
[666]III.Theil 1. Abth. 5. Hauptſtuͤck.
§. 917.

Von der
Erlan-
gung des
Erb-
rechts u.
der Erb-
ſchaft.

Daher erhellet ſogleich, daß, weil der Er-
be mit dem Verſtorbenen in Anſehung der hin-
terlaſſenen Guͤter als eine Perſon anzuſehen
(§. 916.), in ihm alles Recht des Ver-
ſtorbenen und alle Verbindlichkeit deſ-
ſelben fortdauren.
Weil die Ueberneh-
mung der Erbſchaft eine Annehmung des Erb-
rechts iſt (§. cit. 316.); ſo wird durch die
Antretung der Erbſchaft, oder durch
die Anmaſſung derſelben das Erbrecht,
und mit ihm zugleich das allgemeine
Eigenthum (§. 916.), durch die Be-
ſitznehmung aber die Erbſchaft erhal-
ten
(§. 200.).


§. 918.

Was zur
Eꝛbſchaft
gehoͤrt.

Daher erhellet ferner, daß zur Erb-
ſchaft alle koͤrperliche ſo wohl beweg-
liche, als unbewegliche Sachen gehoͤ-
ren, es mag ſie entweder der Verſtor-
bene, oder ein anderer in ſeiner Gewalt
haben, auch alle ausſtehende Schul-
den und alle Rechte, ſie moͤgen be-
ſchaffen ſeyn wie ſie wollen, die per-
ſoͤnlichen allein ausgenommen (§. 400.);
andern aber zugehoͤrige Sachen,
als
welche des Verſtorbenen nicht geweſen ſind
(§. 207.), und die man dem Eigenthums-
herrn wiedergeben muß (§. 261.), zur Erb-
ſchaft nicht gehoͤren; und die Schul-
den, welche der Verſtorbene hinterlaſ-
ſen, davon muͤſſen abgezogen werden.


§. 919.
[667]Von dem Erbrecht.
§. 919.

Da vor ſich klar iſt, daß niemand vor denOb der
Erbe den
Glaͤubi-
gern
mehr, als
die Erb-
ſchaft be-
traͤgt, zu
bezahlen
ſchuldig
iſt.

andern zu bezahlen ſchuldig ſey, und der Ver-
ſtorbene ſelbſt, wenn er gelebt haͤtte, nicht mehr
haͤtte bezahlen koͤnnen, als wie weit ſein Ver-
moͤgen zugereicht; ſo iſt der Erbe nach
dem Rechte der Natur nicht mehr zu
zahlen ſchuldig, als die Erbſchaft be-
traͤgt, wenn die Schuld die Erbſchaft
uͤberſteigen ſollte; und es verſteht ſich
von ſelbſt, daß der Erbe mit keinem
andern Vorſatz die Erbſchaft uͤberneh-
me, als daß er nicht mehr Schulden
bezahlen will, als die Erbſchaft aus-
traͤgt.
Damit man nun aber gewiß ſey,
wie viel die Erbſchaft vermag; ſo muß man,
wenn die Erbſchaft mit Schulden be-
ſchweret iſt, ein Jnventarium verfer-
tigen
(§. 902); wovon im natuͤrlichen Zu-
ſtand ein beſchwornes Verzeichniß nicht un-
terſchieden iſt; weil dasjenige durch einen Eid
bewieſen werden muß, was durch Zeugen
nicht kann bewieſen werden (§. 781.).


§. 920.

Man ſagt, einer ſchlage die ErbſchaftWenn ei-
ne Erb-
ſchaft
ausge-
ſchlagen
wird.

aus(hæreditatem repudiare), wenn er
das Erbrecht nicht annehmen will. Es be-
ruhet
alſo auf eines jeden Willen, ob
er eine Erbſchaft, die ihm zufaͤllt, an-
nehmen, oder ausſchlagen will
(§.
316.).


§. 921.
[668]III.Theil 1. Abth. 5. Hauptſtuͤck.
§. 921.

Von der
Erbfolge
der Kin-
der.

Da die Eltern das Gluͤck der Kinder, ſo
viel an ihnen iſt, befoͤrdern ſollen (§. 892.);
ſo muͤſſen ſie, wenn ſie ſterben, ihr
Vermoͤgen den Kindern hinterlaſſen.

Weil ſie aber darauf bedacht ſeyn ſollen, daß
wenn ſie ſterben ſollten ehe die Kinder erzo-
gen, ſie den unerzogenen Kindern ein Ver-
moͤgen hinterlaſſen, wovon die Auferziehungs-
koſten beſtritten werden koͤnnen (§. 896.); ſo
gehoͤren, wenn einige von den Kin-
dern erzogen und andere unerzogen
ſind, und das Vermoͤgen, was ſie hin-
terlaſſen, kaum zur Auferziehung der
Kinder hinreicht, dieſe Guͤter nach
dem Rechte der Natur den unerzoge-
nen Kindern, oder, wenn die Nutzung
dazu hinreicht, der Nießbrauch, ſo lan-
ge bis ſie erzogen ſind.
Aus eben dieſem
Grunde verſteht ſich dieſes von den
Großeltern und ihren Kindes-Kin-
dern
(§. 897.). Derowegen da man leib-
liche Erben
(hæredes ſuos) nennt, welche
von dem Verſtorbenen herkommen; ſo ſind
die Kinder im erſten und folgenden
Graden leibliche Erben.
Und da wir
nicht weniger vor das Gluͤck der Kinder im
folgenden Grade, als in dem erſten ſorgen ſol-
len, wie bereits erwieſen worden; ſo treten,
wenn der Verſtorbene Kinder im er-
ſten und folgenden Graden hat, die
letztern auch nach dem Rechte der Na-

tur
[669]Von dem Erbrecht.
tur in die Stelle ihrer Eltern. Dero-
wegen weil man das Recht in die Stelle der
Eltern zu treten, welches den Kindern der
folgenden Grade, die mit denen im erſten
Grade zugleich erben, zukommt, das Repraͤ-
ſentationsrecht
(jus repræſentationis) nennt;
ſo iſt es ein natuͤrliches Recht, oder es
kommt mit dem Rechte der Natur
uͤberein.


§. 922.

Weil die Kinder den Eltern, ſo viel ſie koͤn-Von der
Erbfolge
der El-
tern.

nen, ihre Wohlthaten zu vergelten verbunden
ſind (§. 894.); ſo muß, wer ohne Kin-
der ſtirbt, ſein Vermoͤgen den Eltern
im erſten Grade, und wenn dieſe nicht
mehr da ſind, den Eltern in fernerem
Grade hinterlaſſen.
Denn die Wohltha-
ten, welche unſern Eltern von ihren Eltern
erwieſen worden, werden durch ſie auch auf
uns gebracht (§. 879.).


§. 923.

Daher erhellet, daß von Natur dieVon der
Erbfolge
in gera-
der Linie.

Erbſchaft in gerader Linie den Nach-
kommen zufalle, jedoch ſo, daß das Re-
praͤſentationsrecht dabey beobachtet
wird; wenn aber keine vorhanden, den
Eltern und Großeltern
(§. 921. 922.).


§. 924.

Da das Recht der Erbfolge derWas die
Erbfolge
der Kin-
der und

Kinder und Eltern nicht allein in der Na-
tur gegruͤndet, ſondern auch gleichſam aus
einem
[670]III.Theil 1. Abth. 5. Hauptſtuͤck.
Eltern
vor ein
Recht
ſey.
einem Vertrage herkommt (§. 921. 922.);
ſo beſteht daſſelbe nicht allein als eine
Pflicht (§. 57.), ſondern auch als ein
aus einem Vertrage erlangtes Recht
(§. 909. 687.), welches einem nicht ge-
nommen werden kann
(§. 100.). Hiezu
kommt, daß die vaͤterliche Geſellſchaft, welche
ſich im Anfange auf die vermuthete Einwilli-
gung der Kinder gruͤndete (§. 909.), wenn
ſie zu reiferm Alter kommen, durch ihre ſtill-
ſchweigende Einwilligung befeſtiget wird; und
alſo was gleichſam ein Vertrag war, nun ein
wuͤrcklicher Vertrag wird. Dieſe ſtillſchwei-
gende Einwilligung erſtreckt ſich auch auf die
Familie der Voreltern (§. 877. 881.), und
muß wenigſtens nach dem Rechte der Natur
darauf gezogen werden.


§. 925.

Vom
Verſtoſ-
ſen der
Kinder.

Man ſagt, die Kinder werden ver-
ſtoſſen
(liberos abdicare), wenn die Eltern
ſich hinlaͤnglich erklaͤren, daß ſie ſie vor ihre
Kinder nicht erkennen wollen. Wenn die
Kinder mit Wiſſen und Willen bege-
hen, was ihren Pflichten gegen die
Eltern, ſonderlich der kindlichen Ehr-
furcht gaͤntzlich zuwider iſt; oder ſich
von ihrem ſchaͤndlichen Leben gar
nicht wollen abwendig machen laſſen;
ſo iſt es,
weil ſie von dem wuͤrcklichen, oder
gleichſam gemachten Vertrage, worauf die
vaͤterliche Geſellſchaft beruhet (§. 909. 924.),
abgehen (§. 442.), nach dem Geſetze der
Natur
[671]Von dem Erbrecht.
Natur erlaubt ſie zu verſtoſſen (§. cit.).
Es erhellet aber vor ſich, daß die verſtoſ-
ſene Kinder alle Kindesrechte ver-
lieren.


§. 926.

Da den Kindern und Eltern deswegenVon der
Groͤſſe
des Erb-
rechts
der Kin-
der und
der El-
tern.

weil ſie Kinder und Eltern ſind, das Recht der
Erbfolge zukommt (§. 921. 922.); ſo ha-
ben von Natur alle Kinder in glei-
chem Grad gleiches Recht zur Erb-
ſchaft der Eltern, und alle Eltern in
gleichem Grad zur Erbſchaft ihrer
Kinder;
folglich muͤßen ſie die Erb-
ſchaft in gleiche Theile unter ſich thei-
len, und
daher diejenigen, welche nach
dem Repraͤſentationsrechte dazu ge-
langen (§. 921.), bekommen den Theil,
den ihr Vater, wenn er noch im Le-
ben waͤre, haben wuͤrde.


§. 927.

Eine ausdruͤckliche Erklaͤrung des WillensVon dem
Teſta-
mente.

des Verſtorbenen, wem das Eigenthum deſ-
ſen, was er nach ſeinem Tode hinterlaͤßt, heim-
fallen ſoll, wie auch von dem, was er uͤber
dieſes will, das nach ſeinem Tode geſchehen
ſoll, unter der Bedingung, daß die Anneh-
mung nicht eher, als nach dem Tode geſche-
hen koͤnne, wird ein Teſtament(teſtamen-
tum)
genannt. Derowegen da man auf ei-
nen das Eigenthum mit der Bedingung brin-
gen kann, daß es erſt nach ſeinem Tode an-
genommen werden koͤnne (§. 314.); ſo fin-
det
[672]III.Theil 1. Abth. 5. Hauptſtuͤck.
det ein Teſtament nach dem Rechte
der Natur ſtatt, der Erbe darf auch
vor dem Tod des Erblaſſers ſeinen
Willen nicht wiſſen, und das Teſta-
ment kann, ehe einer geſtorben iſt, nach
eigenen Gefallen wiederrufen und ge-
aͤndert werden
(§. cit.). Derowegen iſt
klar, daß ein Teſtament erſt nach dem
Tode des Erblaſſers guͤltig und un-
wiederruflich werde.


§. 928.

Von der
Enter-
bung
der Kin-
der und
der El-
tern.

Man ſagt, die Kinder werden ent-
erbt
(liberos exheredare), welchen durch aus-
druͤcklichen Willen der Eltern die Erbſchaft
genommen wird. Weil man Kinder verſtoſ-
ſen kann, verſtoſſene Kinder aber ihr Erb-
recht verlieren (§. 925.); ſo koͤnnen auch
Kinder enterbt werden. Da aber ein
Recht, welches an und vor ſich ſelbſt ihnen
nicht genommen werden kann, nicht bloß nach
dem Gefallen der Eltern ihnen benommen
werden mag (§. 924.); ſo koͤnnen die
Kinder nicht ohne rechtmaͤßige Urſa-
che enterbt werden.
Welches dieſe recht-
maͤßigen Urſachen ſind, laͤßt ſich aus dem
vorhergehenden von den Urſachen ihrer Ver-
ſtoſſung abnehmen (§. 924.). Was aber von
der Enterbung der Kinder geſagt worden,
kann aus eben dem Grunde auf die Enter-
bung der Eltern gedeutet werden.


§. 929.
[673]Von dem Erbrecht.
§. 929.

Weil die natuͤrliche Verbindlichkeit ande-Von den
Ver-
maͤcht-
niſſen.

rer Gluͤck zu befoͤrdern, ſo viel als in unſerm
Vermoͤgen ſteht, auch Eltern und Kindern
zukommt (§. 134. 38.); ſo koͤnnen die El-
tern, wenn ſie ohne ihre Kinder dabey
nachzuſetzen, oder auch die Kinder,
wenn ſie ohne ihre Eltern nachzuſetzen,
das Gluͤck anderer zu befoͤrdern im
Stande ſind, andern zum Beſten, die
nicht zu ihrer Familie gehoͤren, oder
auch Armen und Duͤrftigen etwas von
ihrem hinterlaſſenen Vermoͤgen zu-
wenden;
z. E. wenn die Eltern ein
groſſes Vermoͤgen haben, und die Kin-
der ſchon ſo viel beſitzen, als ſie zur
Nothdurft, Beqvemlichkeit und Ver-
gnuͤgen des Lebens brauchen, und ſo
auch im Gegentheile.
Weil man nun die
Schenckung einer Sache, oder auch einer
gewiſſen Summe Geldes, welche durch den
letzten Willen geſchieht, ein Vermaͤchtniß
(legatum) zu nennen pflegt; ſo iſt daraus
klar, wie weit Vermaͤchtniſſe mit dem
Rechte der Natur uͤbereinkommen.

Man nennt aber einen im Teſtament Be-
dachten
(legatarius) eine Perſon, welcher
etwas vermacht worden. Und weil man die
Vermaͤchtniſſe als eine Beſchwerde der Erb-
ſchaft anzuſehen hat (§. 409.); ſo muß der
Erbe,
weil er die Erbſchaft nicht anders als
unter dieſer Beſchwerde erhalten kann (§. 317.),
Nat. u. Voͤlckerrecht. U udie
[674]III.Theil 1. Abth. 5. Hauptſtuͤck.
die Vermaͤchtniſſe zahlen. Es iſt aber vor
ſich klar, daß Vermaͤchtniſſe, welche
zum Nachtheil der Kinder gereichen,
nach dem Rechte der Natur nicht
gelten.


§. 930.

Ob die
Seiten-
verwand-
ten in ei-
nem Te-
ſtament
uͤbergan-
gen wer-
den koͤn-
nen.

Da wir zur Befoͤrderung des Gluͤcks der
Seitenverwandten
aus keinem beſondern
Grunde, als in ſo weit verbunden ſind, daß
wir in ihnen den Eltern ihre uns erzeigte
Wohlthaten vergelten (§. 894. 878.), nicht
aber weil wir ihnen dieſelbe an und vor ſich
ſelbſt ſchuldig ſind; ſo ſind wir nicht voll-
kommen verbunden ihnen nach dem
Tode einiges von unſerem Vermoͤgen
zu hinterlaſſen;
folglich koͤnnen ſie im
Teſtamente uͤbergangen werden; ſo
daß man entweder einen Fremden, oder
einen aus den Seitenverwandten, wel-
chen man wil, oder auch ſeine Ehefrau
zum Erben einſetzen kann.


§. 931.

Von der
Erbfolge
ohne Te-
ſtament,
und vom
Ueberge-
hen der
Kinder
im Teſta-
mente.

Man ſagt, es ſey einer Erbe ohne Te-
ſtament
(ab inteſtato ſuccedere), wenn er
zum Erbe gelangt, ohne daß ein Teſtament
gemacht worden, oder er von dem Verſtorbe-
nen im Teſtamente zum Erben eingeſetzt wor-
den. Derowegen wenn ein nach des Va-
ters Tode gebohrnes Kind
(poſthumus)
auch ein Erbe ſeines Vaters und ſei-
ner Voreltern iſt (§. 921.); ſo muß es,
ob es gleich im Teſtamente uͤbergan-

gen
[675]Von dem Erbrecht.
gen worden, zugleich mit den uͤbrigen
Kindern zur Erbſchaft zugelaſſen wer-
den, und das Teſtament beſtehet nach
dem Rechte der Natur in den uͤbrigen
Puncten, auch was die Vermaͤchtniſ-
ſe betrift, es ſey dann abzunehmen,
daß der Verſtorbene bloß andern et-
was vermacht, weil er vermeint, daß
der Erben weniger waͤren.
Aus eben
dieſer Urſache verſtehet ſich eben dieſes,
wenn eines von den Kindern uͤbergan-
gen, aber nicht enterbet worden
(§.
928.).


§. 932.

Da nach dem Rechte der Natur nichts an-Wie ein
Teſta-
ment ge-
macht
werden
muß.

ders zu einem Teſtamente erfordert wird, als
daß der Erblaſſer ſeinen Willen ausdruͤcklich
erklaͤret (§. 927.); ſo iſt das Teſtament
nach natuͤrlichen Rechten guͤltig, wenn
es gewiß iſt, es ſey auf was vor eine
Art und Weiſe es wolle, daß dieſes
des Verſtorbenen letzter Wille ſey;

folglich wenn er vor Zeugen dieſes aus-
ſagt, oder ſeinen Willen aufſchreibt,
oder was von einem andern aufge-
ſchrieben worden, unterſchreibt.
Es
iſt aber vor ſich klar, daß wenn ein ge-
ſchriebenes Teſtament von Zeugen un-
terſchrieben wird, nicht noͤthig ſey, daß
die Zeugen den Jnhalt wiſſen
(§. cit.).
Man nennt aber ein muͤndlich Teſtament
(teſtamentum nuncupativum), wenn der
U u 2Erb-
[676]III.Theil 1. Abth. 5. Hauptſtuͤck.
Erblaſſer ſeinen Willen den Zeugen ſagt, der
Erbe mag gegenwaͤrtig, oder abweſend ſeyn:
Ein geſchriebenes Teſtament aber (teſta-
mentum ſcriptum),
wenn der Erblaſſer ſei-
nen Willen aufgeſchrieben hinterlaͤſt.


§. 933.

Von der
Art der
Erbfolge
ohne Te-
ſtament.

Weil es auf vielerley Weiſe geſchehen kann,
daß einer ſeinen letzten Willen nicht bekannt
macht; ſo folgt deswegen nicht, daß er gewollt,
ſein Vermoͤgen ſolle nach ſeinem Tode nie-
manden gewiſſem zugehoͤren, und folglich deſ-
ſen ſeyn, der ſich daſſelbe zueignet (§. 209.
210.). Derowegen wenn einer ohne Te-
ſtament ſtirbt, ſo muß man durch
Muthmaſſung ausmachen, wem er
ſein Vermoͤgen nach ſeinem Tode habe
verlaſſen wollen.
Solchergeſtalt gelangt
derjenige, dem ohne Teſtament eine
Erbſchaft zufaͤllt, wenn ſie ihm nicht
nothwendig zukommt (§. 924.), aus
Vermuthung des Willens des Erblaſ-
ſers dazu.
Da man nun mit Recht ver-
muthet, was mit den Pflichten am meiſten
uͤbereinkommt, wir aber den Seitenver-
wandten auf eine beſondere Weiſe zur Be-
foͤrderung ihres Gluͤcks verbunden ſind, in ſo
weit nemlich in ihnen den Eltern im erſten
und vorhergehenden Grade vergolten wird (§.
930.); ſo gelangen, wenn keine Erben
in der geraden Linie vorhanden, ohne
Teſtament zur Erbſchaft nach Graden
der Familie, welche in der Familie des

Vaters
[677]Von dem Erbrecht.
Vaters, oder der Mutter ſich befin-
den, und wenn auch hier keine mehr
leben, welche in der Familie des Groß-
vaters und der Großmutter und ſo
weiter da ſind, ſo daß man nicht von
einer Familie in die andere uͤbergeht,

naͤmlich von einer naͤhern in eine entferntere,
als wenn in der naͤhern niemand mehr
vorhanden, jedoch ſo, daß man uͤberall
keinen Unterſcheid zwiſchen maͤnnli-
chen und weiblichen Verwandten
macht.


§. 934.

Weil einer, ſo bald als er ſtirbt, das Ei-Wie es
zu hal-
ten, wenn
kein Erbe
da iſt.

genthum verlieret (§. 818.), und folglich die
von ihm hinterlaſſene Sachen, wenn kein
Erbe vorhanden,
niemanden zugehoͤren;
ſo kann nach dem Rechte der Natur
wer da will die Erbſchaft ſich zu-
eignen (§. 210.), oder derjenige, wel-
chem das Recht zukommt, niemanden
zugehoͤrige Sachen ſich zuzueignen
(§.
214.).


§. 935.

Der Erbe bekommt das Eigenthum in dem,Auf wie
vielerley
Weiſe
ein Erbe
kann ein-
geſetzt,
oder ei-
nem et-
was ver-
macht
werden.

was von dem Verſtorbenen hinterlaſſen wor-
den (§. 916.), und dem etwas vermacht
wird, dem wird es gegeben (§ 929.). Auf
wie vielerley Weiſe
alſo etwas gege-
ben,
oder das Eigenthum auf einen andern
gebracht werden kann, auf ſo vielerley
Weiſe kann auch einer zum Erben ein-

U u 3geſetzt,
[678]III.Theil 1. Abth. 5. Hauptſtuͤck.
geſetzt, und einem etwas vermacht
werden. Was
derowegen aus der ver-
ſchiedenen Art zu geben fließt, das gilt
auch von dem Erben, der auf dieſe,
oder eine andere Art eingeſetzt worden,
und den Vermaͤchtniſſen unter dieſer,
oder einer andern Bedingung.


§. 936.

Vom Te-
ſtamente,
welches
ohne Ein-
ſetzung
eines Er-
ben ge-
macht
worden.

Uebrigens, wenn der Erblaſſer will es ſolle
ſein Erbe ſeyn, der nach der Erbfolge ohne
Teſtament die Erbſchaft bekommt, dennoch
aber einem und dem andern etwas vermachen,
oder noch ſonſt etwas haben will, ſo nach ſei-
nem Tod geſchehen ſoll; ſo kann er nach
dem Rechte der Natur ein Teſtament
machen, wenn gleich darinnen kein
Erbe eingeſetzt wird, und darinnen
einem und dem andern etwas verma-
chen, auch andere Dinge anordnen,
welche nach ſeinem Tode geſchehen ſol-
len (§. 927.), und alsdann iſt derjeni-
ge Erbe, welcher nach der Erbfolge
ohne Teſtament zur Erbſchaft gelangt,
und den letzten Willen des Erblaſſers
zu erfuͤllen ſchuldig
(§. 317.).


§. 937.

Von
dem, was
zum Te-
ſtament
hinzuge-
ſetzt wiꝛd.

Und weil der Erblaſſer im Teſtament nach
ſeinem Gefallen, ſo lange er lebt, veraͤndern
kann, was er will (§. 927.); ſo kann nach
dem Rechte der Natur ſo wohl zum
Teſtamente etwas hinzugeſetzt werden,
wodurch darinnen etwas geaͤndert

wird,
[679]Von dem Erbrecht.
wird, als auch was keine Aenderung
macht.


§. 938.

Ein Vorausvermaͤchtniß(prælega-Von
Voraus-
veꝛmaͤcht-
niſſen.

tum) nennt man ein Vermaͤchtniß, das ei-
ner, oder der andere Erbe vor den uͤbrigen
voraus bekommt. Weil es auf den Willen
des Erblaſſers ankommt, wem er etwas ver-
machen will (§. 299. 475.), folglich nichts
hindert, daß er auch einem Erben etwas ver-
macht; ſo iſt das Vorausvermaͤchtniß
dem Rechte der Natur nicht zuwider.


§. 939.

Wenn ein Erbe die Erbſchaft, oderVom
Ausſchla-
gen der
Erb-
ſchaft,
oder ei-
nes Ver-
maͤcht-
niſſes.

der, dem etwas vermacht worden, das
Vermaͤchtniß ausſchlaͤgt; ſo waͤchſt
dieſer Theil,
indem es eben ſo viel iſt, als
ob er nicht zum Erben eingeſetzt, oder ihm
nichts waͤre vermacht worden (§. 920. 339.),
der Erbſchaft zu. Und da der Erbe durch
das, was er thut, dem ſein Recht nicht be-
nehmen kann, dem etwas vermacht worden
(§. 100.), und man nach dem Rechte der
Natur auch in einem Teſtamente einigen gantz
allein etwas vermachen kann (§. 936.); ſo
bleiben die Vermaͤchtniſſe guͤltig, wenn
gleich der Erbe die Erbſchaft nicht an-
treten will, oder kann.


§. 940.

Da die Einſetzung eines Erben und einesVon der
Subſti-
tution ei-
nes an-

Vermaͤchtniſſes auf dem Willen des Erblaſ-
ſers beruhet (§. 930. 938.); ſo kann auch
U u 4der
[680]III.Theil 1. Abth. 5. Hauptſtuͤck.
dern Er-
ben oder
auch ei-
ner Per-
ſon der
etwas
vermacht
wird.
der Erblaſſer an die Stelle eines ein-
geſetzten Erben einen andern ſetzen

(hæredem ſubſtituere), dergeſtalt, daß
wenn jener fehlen ſollte, dieſer an ſei-
ne Stelle kommt, oder wenn einer das
Vermaͤchtniß nicht annehmen kann,
oder will, der andere daſſelbe erhaͤlt.


§. 941.

Von den
Fidei-
commiſ-
ſen.

Wenn einer die Erbſchaft mit der Bedin-
gung erhaͤlt, daß er ſie entweder gantz, oder
einen Theil davon, wie es der Erblaſſer ver-
ordnet hat, einem andern wieder abtreten
ſoll; ſo nennt man es ein Fideicommiß
(fideicommiſſum), in dem erſten Falle ein
allgemeines(univerſale), in dem aber ein
beſonderes, und inſonderheit ein Familien-
Fideicommiß
(fideicommiſſum familiæ),
was fuͤr eine Familie gemacht worden, oder
wenn der Erblaſſer verbietet, daß die Sache
nicht auſſer der Familie veraͤuſſert werden
ſolle. Daß die Fideicommiſſe nach dem
Rechte det Natur guͤltig ſind,
erhellet
daraus, daß einer ein Teſtament machen
kann, wie er will (§. 930.).


§. 942.

Von den
Erbfolg-
vertraͤ-
gen.

Da der Eigenthumsherr von den ihm zu-
gehoͤrigen Sachen eine Verordnung machen
kann, wie er will (§. 195.); ſo ſind nach
dem Rechte der Natur alle Vertraͤge,
welche wegen einer Erbſchaft gemacht
worden, guͤltig,
folglich auch die Erb-
folgvertraͤge der Eheleute.


§. 943.
[681]Von dem Erbrecht.
§. 943.

Es erhellet vor ſich, daß die Ehe ein EndeVon der
natuͤrli-
chen Erb-
folge der
Eheleu-
te.

hat, wenn der eine Ehegatte geſtorben,
folglich der Gebrauch der Sachen, welche ei-
nem jeden zugehoͤren, ſo viel zur gemeinſchaft-
lichen Haushaltung hinreichend war (§. 866.),
aufhoͤret. Da nun einem jeden die Sachen
ſelbſt zugehoͤren; ſo nimmt der uͤberblie-
bene Ehegatte das Seinige zuruͤck, er
hat aber zu des verſtorbenen Vermoͤ-
gen kein Recht.
Weil aber doch in dem
Falle, da die Liebespflichten, welche andern
zu erweiſen, wider einander laufen, ein E-
hegatte andern vorzuziehen iſt (§. 869.);
ſo ſoll ein Ehegatte, wenn der uͤber-
lebende keine eigene Guͤter hat, oder
dieſelben zur Nothdurft, Beqvem-
lichkeit und Vergnuͤgen nicht hinrei-
chen, ihm nach ſeinem Tode nach Be-
ſchaffenheit ſeines Vermoͤgens einen
Theil davon hinterlaſſen, als entwe-
der zur Nothdurft allein, oder auch
zur Beqvemlichkeit, und zum Vergnuͤ-
gen des Lebens hinreichend iſt, oder
wenigſtens den Nießbrauch davon,
oder auch von ſeinem gantzen Vermoͤ-
gen entweder zeitlebens, oder ſo lange
er unverheyrathet verbleibet, nach-
dem es die beſondern Umſtaͤnde erfor-
dern;
folglich wenn kein Erbe in der
geraden Linie vorhanden (§. 921. 922.);
ſo kann ein Ehegatte den andern zum

U u 5Erben
[682]III.Theil 1. Abth. 5. Hauptſtuͤck.
Erben einſetzen, oder wenn auch einer
vorhanden und er ihn aus andern Ur-
ſachen zum Erben nicht einſetzen will;
ſo kann er ihn doch mit einem Ver-
maͤchtniſſe (§. 829.), oder einem Fidei-
commiß (§. 941.), oder einem gewiſ-
ſen Nießbrauch bedencken.


§. 944.

Von der
Unauf-
loͤßlich-
keit der
Ehe.

Weil die Eltern nicht nur ihre Kinder mit
gemeinſchaftlicher Sorgfalt (§. 856.) und
auf gemeinſchaftliche Koſten erziehen (§. 866.),
ſondern auch, ſo viel an ihnen iſt, ihr Gluͤck
befoͤrdern (§. 892.), und ihnen nach ihrem
Tode ihre Guͤter hinterlaſſen ſollen (§. 921.),
ja auch ſtillſchweigend zur Leiſtung aller Lie-
besdienſte ſich gegen ſie verbinden (§. 869.),
und ein Ehegatte vor den andern ſorgen ſoll,
daß er nach ſeinem Tod, ſo viel an ihm iſt,
keinen Mangel leide an dem, was zur Noth-
durft, Beqvemlichkeit, und zum Vergnuͤgen
erfordert wird; ſo iſt nach dem Rechte
der Natur die Ehe unaufloͤßlich.


§. 945.

Von den
Kindern,
die aus
unrecht-
maͤßigen
Bey-
ſchlafe
erzeuget
worden.

Den Kindern kanns nicht zugerechnet wer-
den, daß ſie aus einem unrechtmaͤßigen Bey-
ſchlafe erzeuget worden (§. 873.). Weil al-
ſo nach der Natur unter Kindern, die aus
einem unrechtmaͤßigen Beyſchlafe und einem
rechtmaͤßigen erzeugt worden, kein Unter-
ſchied iſt; ſo haben von Natur Kinder,
die aus einem unrechtmaͤßigen Bey-
ſchlafe erzeugt worden, mit den an-

dern
[683]Von dem Erbrecht.
dern einerley Recht zu der Erbſchaft
ihrer Eltern.


§. 946.

Da zwiſchen Bruͤdern und SchweſternVon der
Ehe mit
Seiten-
verwand-
ten.

keine Pflichten zu erdencken ſind, als nur die-
jenigen, deren Grund darinnen enthalten iſt,
daß ſie von gemeinſchaftlichen Eltern herkom-
men; ſo kann man auch keine Pflichten an-
geben, welche mit den Pflichten der Eheleu-
te gegen einander nicht beſtehen koͤnnten, wie
dieſes zwiſchen Eltern und Kindern ſtatt fin-
det (§. 895.). Derowegen da die Ehe zwi-
ſchen Bruͤdern und Schweſtern von
Natur nicht unerlaubt iſt; ſo kann ſie
noch weniger zwiſchen den uͤbrigen
Seitenverwandten unerlaubt ſeyn.
Es
iſt aber eine andere Frage, ob dergleichen E-
hen aus Urſachen, die vom Staate herge-
nommen werden, in einem wohleingerichteten
Staat verboten werden ſollen.


Das ſechſte Hauptſtuͤck.

Von der Knechtſchaft und der
herrſchaftlichen Geſellſchaft.


§. 947.

Die Knechtſchaft(ſervitus) iſt eineWas die
Knecht-
ſchaft ſey.

Unterwerfung, wodurch jemand zu
beſtaͤndiger Arbeit vor beſtaͤndigen
Unterhalt verbunden iſt. Wer die Ar-
beit zu leiſten verbunden iſt, heiſſet ein
Knecht
[684]III.Th. 1. A. 6. H. Von der Knechtſchaft
Knecht(ſervus), oder wenn es eine Weibs-
perſon iſt, eine Magd(ancilla); wer den
Unterhalt giebt, der Herr(dominus); und
das Recht des Herrn uͤber den Knecht die
herrſchaftliche Gewalt
(poteſtas domini-
ca).
Es iſt aber eine vollkommne
Knechtſchaft
(ſervitus perfecta), wenn
die Arbeit, welche er beſtaͤndig liefern muß,
ungemeſſen iſt; folglich vom Herrn nach ſei-
nem Gefallen befohlen werden kann: Hinge-
gen eine unvollkommne(ſervitus imper-
fecta),
wenn der Knecht nur gemeſſene Dien-
ſte zu leiſten ſchuldig iſt, oder ſie auch nicht
beſtaͤndig, oder nicht unausgeſetzt leiſten
darf.


§. 948.

Von der
freywil-
ligen
Knecht-
ſchaft.

Weil derjenige, der durch ſeine Arbeit er-
werben muß, was er zu Nahrung und Klei-
dung braucht, ſich zur Arbeit einem andern
vor Lohn verdingen kann (§. 620.), und es
auf ſeinem Willen beruhet, zu was vor Ar-
beit, oder Dienſten er ſich vermiethen will (§.
225. 195.); ſo hat ein jeder, der nicht
anders als durch arbeiten und dienen
Unterhalt haben kann, das Recht, ſich
in die Knechtſchaft zu begeben
(§. 947.).
Weil nun alsdann die Knechtſchaft aus
einem Vertrag entſteht, welche man die
freywillige
(voluntaria) nennt: ſo ſind
in der freywilligen Knechtſchaft die
Rechte und Verbindlichkeiten aus dem
Vertrag zu ermeſſen;
und vermoͤge der
natuͤr-
[685]und der herrſchaftlichen Geſellſchaft.
natuͤrlichen Freyheit muß man einem je-
den zulaſſen, daß er ſich nach ſeinem
Gefallen in die Knechtſchaft begiebt

(§. 78.), folglich auch verkauft (§. 587.),
oder auf eine jede andere Weiſe ver-
aͤuſſert.


§. 949.

Weil die Eltern die Kinder zu erziehen ver-Ob die
Eltern
die Kin-
der, oder
der
Mann
die Frau
verkau-
ſen kann.

bunden ſind (§. 855.); ſo iſt es ihnen er-
laubt die Kinder in die Knechtſchaft
zu verkaufen, wenn ſie auf keine ande-
re Weiſe ihnen den noͤthigen Unterhalt
verſchaffen koͤnnen, und was ſonſt zur
Auferziehung erfordert wird
(§. 46.).
Weil aber weder die Kinder die Schulden der
Eltern zu bezahlen verbunden ſind, noch auch
die Frau die Schulden des Mannes (§.
873.); ſo koͤnnen die Eltern die Kin-
der und der Mann die Frau nicht
Schulden wegen verkaufen.


§. 950.

Weil aber nach dem Rechte der Natur dieVon der
Knecht-
ſchaft ei-
nes
Schuld-
ners.

Guͤter des Schuldners dem Glaͤubiger fuͤr ei-
ne jede Schuld verpfaͤndet ſind, damit der
Glaͤubiger davon befriediget werden kann (§.
705.), man aber die Arbeit und Dienſte,
welche einer leiſten kann, den Sachen gleich
ſchaͤtzt, welche einem zugehoͤren (§. 225.);
ſo kann der Glaͤubiger den Schuldner,
der nicht bezahlen kann, zu ſeinem
Knechte machen, bis er die Schuld
abgearbeitet, oder abgedienet hat;

folglich
[686]III. Th. 1. A. 6. H. Von der Knechtſchaft
folglich kann er ihn auch einem andern,
der fuͤr ihn bezahlt, oder fuͤr einen ge-
wiſſen Preiß in die Knechtſchaft uͤber-
geben
(§. 338. 342.). Man nennt aber
eine gezwungene Knechtſchaft, in die
einer wider ſeinen Willen ſich begeben muß.


§. 951.

Von dem
Rechte
des Herꝛn
uͤber den
Knecht.

Da der Knecht dem Herrn Arbeit und
Dienſte zu leiſten ſchuldig iſt (§. 947.); ſo
hat der Herr kein Recht uͤber ihn, als
in Anſehung der Arbeit und der Dien-
ſte;
folglich hat er auch das Recht ihn
zu der Arbeit und den Dienſten zu ver-
binden, und wenn er nicht gutwillig
thun will, was er ſoll, oder ſich darin-
nen nachlaͤßig erzeiget, ihn zu ſtrafen,
und
alſo mit Drohungen und Schlaͤ-
gen dazu anzuhalten
(§. 35. 93.).


§. 952.

Von den
Liebes-
dienſten,
die ei-
ner dem
Knechte
ſchuldig
iſt.

Da der Knecht nicht aufhoͤrt ein Menſch
zu ſeyn; ſo muß der Herr den Knecht
auch lieben und ihm die uͤbrigen Lie-
besdienſte leiſten, welche ein Menſch
dem andern ſchuldig iſt
(§. 38. 133.);
folglich nicht erlauben, daß er den La-
ſtern ergeben iſt, ſondern davor ſor-
gen, daß er ſich der Tugend befleißi-
ge (§. 139.); und er hat auch das Recht
dem Knechte zu befehlen, was mit dem
Geſetze der Natur uͤbereinkommt, und
zu verbieten, was demſelben zuwider
iſt
(§. 951.).


§. 953.
[687]und der herrſchaftlichen Geſellſchaft.
§. 953.

Weil die Arbeit fuͤr den Unterhalt geleiſtetVon der
Arbeit,
die man
von ei-
nem
Knechte
fordern
kann.

wird (§. 947.); ſo muß der Herr dem
Knechte geſunde Speiſe und Tranck,
ſo viel er noͤthig hat, und Kleidung,
ſeinen Leib wider Luft und Wetter
zu verwahren, verſchaffen (§. 114.
115.), und nicht mehr Arbeit aufle-
gen, als er ohne Verluſt der Geſund-
heit ertragen kann
(§. 124. 37.).


§. 954.

Die Arbeit des Knechts, welche vorhinWem der
Knecht
erwirbt,
und ob
er was
eigenes
haben
kann.

als eine ihm eigenthuͤmliche Sache anzuſehen
war (§. 225.), muß nun als eine dem Herrn
zugehoͤrige angeſehen werden (§. 951.); was
alſo der Knecht durch ſeine Arbeit er-
wirbt, das erwirbt er dem Herrn (§.
226.). Wenn er
aber anders woher et-
was bekommt, oder es in den Ruhe-
ſtunden, welche ihm der Herr verwil-
liget, durch ſeine Arbeit erwirbt, das
gehoͤrt ihm zu.
Man nennt aber das
Vermoͤgen des Knechts(peculium ſer-
vi)
die Sachen und das Geld, welches er,
es ſey auf was vor Art und Weiſe es wolle,
auſſer dem Dienſte des Herrn erwirbt (§.
195.). Dieſes kann der Herr nicht in
ſeinen Nutzen verwenden (§. 195.), er
iſt
aber doch nicht zu leiden ſchuldig,
daß der Knecht daſſelbe mißbraucht
(§. 952.), und der Herr muß davon
befriediget werden, wenn der Knecht

ihn
[688]III. Th. 1. A. 6. H. Von der Knechtſchaft
ihn vorſaͤtzlich, oder aus Verſehen in
Schaden bringet (§. 270.), indem er
ſonſt geſtraft werden muͤſte
(§. 93.).


§. 955.

Was
die berr-
ſchaftli-
che Ge-
walt vor
ein Recht
iſt.

Da die herrſchaftliche Gewalt ein
Recht iſt, dem Knechte, ſo wie es ihm gut
duͤnket, und dem Geſetze der Natur gemaͤß
iſt, vorzuſchreiben, was er zu thun und zu
laſſen hat (§. 951. 952.); ſo iſt dieſelbe ei-
ne Herrſchaft
(imperium) (§. 833.). De-
rowegen pflegt man es auch die Herrſchaft
des Herrn
(imperium herile) zu nennen.
Der Herr hat alſo kein Recht uͤber den
Leib und das Leben des Knechts:

folglich hat er nach dem Rechte der
Natur kein Recht uͤber ſein Leben und
Tod
(jus vitæ \& necis). Derowegen da
man ſagt, man wuͤte wider den Knecht
(in ſervum ſævire), wenn man ihn beſtaͤndig
mit harten Worten anfaͤhrt, ob er gleich in
ſeiner Arbeit fleißig iſt, oder bloß deswegen,
weil er nicht uͤber ſein Vermoͤgen gearbeitet
hat, oder auch wohl bloß aus Haße, ohne
daß der Knecht das geringſte verſchuldet, zu
harte mit ihm umgehet; ſo iſt es nicht er-
laubt gegen einen Knecht zu wuͤten.


§. 956.

Von der
Verbind-
lichkeit
eines
Knechts.

Weil die Knechte dem Herrn unter-
worfen ſind (§. 955. 835.); ſo ſollen ſie
ihm gehorchen (§. 835.); und folglich thun,
was er befiehlet, und unterlaſſen, was

er
[689]und der herrſchaftlichen Geſellſchaft.
er verbietet (§. cit.), und die ſchuldige
Arbeit mit allem Fleiß verrichten
(§.
947. 921.).


§. 957.

Weil ein jeder nach ſeinem Gefallen ſeinVon der
Veraͤuſ-
ſerung
eines
Knechts.

Recht veraͤuſſern kann (§. 257.); ſo kann
der Herr auch den Knecht,
das iſt, das
Recht, welches er zu ſeiner Arbeit und Dien-
ſten hat, wie und wem er will, ver-
aͤuſſern,
z. E. verkaufen.


§. 958.

Da auch ein jeder ſich ſeines Rechtes bege-Von der
Freylaſ-
ſung der
Knechte.

ben kann (§. 342.), und wenn dieſes ge-
ſchieht der Knecht frey wird (§. 337.), man
aber ſagt, daß der Knecht freygelaſſen wer-
de
(manumitti), wenn der Herr ihm ſeine
Freyheit ſchenckt, oder wieder giebt; ſo kann
der Herr den Knecht freylaſſen, jedoch
nicht wider ſeinen Willen, wenn die
Knechtſchaft aus einem Vertrage kom-
met
(§. 438.).


§. 959.

Weil die Kinder der Magd auf KoſtenVon den
Kindern
einer
Magd
und der
Heyrath
der
Knechte.

des Herrn erzogen werden, und er uͤberdem
die Arbeit miſſen muß, welche die Mutter
des Kindes wegen zu leiſten verhindert wird;
ſo wird der von einer Magd geboh-
ren iſt, ſo lange ein Knecht, bis die
Koſten der Erziehung und der verur-
ſachte Schaden wieder erſetzt worden.

Der Vertrag, welchen eine Magd mit dem
Knechte um Kinder zu erzeugen macht, iſt
Nat. u. Voͤlckerrecht. X xeine
[690]III. Th. 1. A. 6. H. Von der Knechtſchaft
eine Ehe, ob ihn gleich die Roͤmer mit ei-
nem beſonderen Nahmen contubernium ſer-
vile
genannt haben. Weil aber doch der
Herr die Kinder auf ſeine Koſten erziehen
muß; ſo wird zur Heyrath der Knech-
te die Einwilligung des Herrn erfor-
dert.


§. 960.

Von der
herr-
ſchaftli-
chen Ge-
ſellſchaft.

Wenn ſich jemand zu gewiſſer Arbeit, oder
gewiſſen Dienſten auf eine geſetzte Zeit fuͤr
den Unterhalt und einen gewiſſen Lohn ver-
miethet; ſo nennen wir eine Mannsperſon ei-
nen Diener
(famulus), und der ihn mie-
thet, ſeinen Herrn(herus).Man muß
alſo aus dem Vertrage die Rechte und
Verbindlichkeit des Herrn und des
Dieners ermeſſen.
Jn ſo weit aber bey-
der Theile Vortheil befoͤrdert wird, in deren
Anſehung der Herr den Diener miethet, und
der Diener ſich ihm vermiethet; ſo wird zwi-
ſchen dem Herrn und Diener eine Geſell-
ſchaft
errichtet (§. 836.), welche man die
herrſchaftliche
(ſocietas herilis) nennt. Es
kom̃t mit derſelben die freywillige Knechtſchaft
uͤberein (§. 948.), und die Diener begeben
ſich in eine unvollkommne Knecht-
ſchaft
(§. 947.).


§. 961.

Von der
Verbind-
lichkeit
eines
Dieners.

Da der Diener dem Herrn zu gewiſſer Ar-
beit und Dienſten vollkommen verbunden iſt
(§. 960. 438.); ſo hat der Herr das Recht
ihn dazu zu verbinden, daß er thut,

was
[691]und der herrſchaftlichen Geſellſchaft.
was er abgeredeter maſſen befehlen
kann. Wofern er ſich aber weigert,
oder nachlaͤßig iſt; ſo kann er ihn vor
der Zeit abſchaffen
(§. 442.). Weil al-
ſo der Diener die Geſchaͤfte des Herrn nicht
verabſaͤumen darf; ſo kann er zu der Zeit,
wenn er in des Herrn Geſchaͤften iſt,
die ſeinigen nicht abwarten, als mit
Einwilligung des Herrn
(§. 337.); als
der von ſeinem Rechte nachlaſſen kann, wie
viel er will (§. 342.). Da aber der Herr in
keinen Schaden geſetzt wird, wenn der
Diener die Zeit, in welcher er von
Geſchaͤften des Herrn frey iſt, zu ſei-
nem Nutzen anwendet, ſo kann der
Herr ihm dieſes nicht verwehren.


§. 962.

Da niemand einen andern einem drittenDaß
man nie-
manden
einen an-
dern
Diener
oder
Herrn
ſtatt ſei-
ner auf-
dringen
koͤnne.

wider ſeinen Willen verbindlich machen kann
(§. 78.); ſo kann wehrendes Contracts
weder der Herr dem Diener einen an-
dern Herrn, noch auch der Diener dem
Herrn einen andern Diener an ſeine
Stelle aufdringen.
Wenn aber der Herr
will, daß der Diener einige Dienſte, die er
ihm ſonſt leiſten muͤſte, und die er unterdeß
miſſen will, einem andern leiſten ſoll; ſo
kann,
indem hierin nichts geſchieht, was dem
Rechte des Dieners zuwider iſt (§. 83.), der
Herr den Diener einem andern auf ei-
nige Zeit leihen
(§. 515.).


X x 2Das
[692]III. Theil 1. Abth. 7. Hauptſtuͤck.
Das ſiebente Hauptſtuͤck.

Von dem Hauſe.


§. 963.

Von der
zuſam-
menge-
ſetzten
u. einfa-
chen Ge-
ſeliſchaft.

Eine zuſammengeſetzte Geſellſchaft
(ſocietas compoſita) nennt man, die
aus andern einfachen, oder weniger
zuſammengeſetzten beſteht; eine einfache
Geſellſchaft
aber, deren Glieder eintzele
Perſonen ſind (individua phyſica).Die
Glieder in zuſammengeſetzten Geſell-
ſchaften ſind
alſo gantze Geſellſchaften,
welche wie moraliſche eintzele Perſonen be-
trachtet werden (§. 96.).


§. 964.

Was das
Haus iſt.

Das Haus(domus) nennt man die aus
der ehelichen, vaͤterlichen und herrſchaftlichen,
oder wenigſtens aus zwey von ihnen zuſam-
mengeſetzte Geſellſchaft. Jenes iſt ein voll-
kommenes
(perfecta), dieſes ein unvoll-
kommenes Haus.
Man nennt aber den
Hausvater
(paterfamilias), der in der ehe-
lichen Geſellſchaft der Mann, in der vaͤter-
lichen der Vater, in der herrſchaftlichen der
Herr genannt wird. Die Hausmutter
aber (materfamilias), welche in der ehelichen
Geſellſchaft die Ehefrau, in der vaͤterlichen
die Mutter, in der herrſchaftlichen die Haus-
mutter genannt wird. Die Kinder und das
Geſinde, in ſo fern dieſe als ſchlechtere Glie-
der des Hauſes ſind, werden Hausgenoſ-
ſen
[693]Von dem Hauſe.
ſen(domeſtici) genannt; ob gleich dieſes
Wort zuweilen allein auf das Geſinde einge-
ſchraͤnckt wird. Weil die einfachen Geſell-
ſchaften, woraus das Haus beſtehet, in dem-
ſelben verbleiben; ſo ſind auch alle Rech-
te und Verbindlichkeiten der Glieder
des Hauſes aus den Abſichten der ein-
fachen Geſellſchaften zu ermeſſen.
Da
aber gleichwohl die einfachen Geſellſchaften
zuſammen vereiniget werden; ſo muß ſich
ein jeder in acht nehmen, damit er
dem andern auf keine Art und Weiſe
in Ausuͤbung ſeiner Pflicht hinderlich
falle.


§. 965.

Da man eine Geſellſchaft um eine gewiſſeVon der
Abſicht
des Hau-
ſes und
dem
Recht u.
der Ver-
bindlich-
keit, wel-
che daher
entſteht.

Abſicht mit gemeinſchaftlichen Kraͤften zu er-
reichen errichtet (§. 836.); ſo muß das
Haus auch ſeine beſondere Abſicht ha-
ben;
und da die einfache Geſellſchaften ver-
bleiben, kann es keine andere ſeyn, als
daß durch die gemeinſchaftliche Kraͤfte
derer, welche Glieder der einfachen
Geſellſchaften ſind, die Wohlfahrt der
einfachen Geſellſchaften deſto beſſer
befoͤrdert werde;
folglich, wenn jemand
ein Glied einer einfachen Geſellſchaft,
welche ein Glied einer zuſammengeſetz-
ten,
z. E. des Hauſes wird, ſo verbin-
det er ſich dadurch ſtillſchweigend, daß
er die Wohlfahrt der einfachen Ge-
ſellſchaften, daraus ſie beſtehet, ſo viel

X x 3an
[694]III. Theil 1. Abth. 7. Hauptſtuͤck.
an ihm iſt, befoͤrdern will. Derowe-
gen erhaͤlt er auch ſtillſchweigend die
Rechte, welche zu Erfuͤllung dieſer
Verbindlichkeit noͤthig ſind
(§. 46.).


§. 966.

Von der
Herr-
ſchaft im
Hauſe.

Weil in der ehelichen Geſellſchaft die Ehe-
leute (§. 870.), in der vaͤterlichen die Eltern
(§. 888), in der herrſchaftlichen der Haus-
herr und die Hausmutter die Herrſchaft ge-
meinſchaftlich haben (§. 955.); ſo hat nach
dem Recht der Natur im Hauſe der
Hausvater mit der Hausmutter die
Herrſchaft gemeinſchaftlich, ſie koͤn-
nen es aber mit einander verabreden,
daß ſie der Hausvater allein habe, und
ſie theils ſelbſt, theils durch die Haus-
mutter verwaltet. Es kann auch die
Art der Verwaltung verabredet wer-
den
(§. 667.).


§. 967.

Von
Hausge-
ſetzen.

Daraus folgt, daß, da das Haus als eine Ge-
ſellſchaft (§. 964.) ſeine Geſetze haben muß (§.
846.); die Geſetze im Hauſe durch die
gemeinſchaftliche Einwilligung des
Hausvaters und der Hausmutter ge-
macht werden, wenn ſie nicht in An-
ſehung der Herrſchaft und ihrer Ver-
waltung etwas beſonders mit einan-
der verabredet haben.
Man nennt aber
dieſes Hausgeſetze(leges domeſticæ). Und
da ſie die Mittel vorſchreiben ſollen, wodurch
die
[695]Von dem Hauſe.
die Abſicht des Hauſes erhalten wird (§. 846.);
ſo muͤſſen ſie aus der Abſicht des Hau-
ſes hergeleitet werden.


§. 968.

Weil alſo die Abſicht des Hauſes ohne dieVon der
Wach-
ſamkeit
des
Hausva-
ters und
deꝛ Haus-
mutter.

Beobachtung der Hausgeſetze nicht erreicht
werden kann (§. 967.); ſo muͤſſen der
Hausvatet und die Hausmutter fleiſ-
ſig auf die Hausgenoſſen acht geben,
was ſie thun, oder unterlaſſen;
folglich
da die Wachſamkeit(vigilantia) in dem
Fleiſſe beſteht, auf alles acht zu geben, was
geſchieht, und was zu wiſſen dienlich iſt, da-
mit nicht leicht etwas unſerer Erkentniß ent-
zogen werde: ſo muͤſſen der Hausvater
und die Hausmutter wachſam ſeyn.


§. 969.

Und weil der Hausvater und die Hausmut-Vom
Anſehen
des
Hausva-
ters und
deꝛ Haus-
mutter.

ter zuſammengenommen die haͤusliche Herr-
ſchaft fuͤhren, oder der Hausvater ſie wenig-
ſtens zum theil durch die Hausmutter verwal-
tet (§. 967.); ſo muß der Hausvater
und die Hausmutter davor ſorgen,
daß ein jeder Theil von ihnen in Anſe-
hen erhalten werde, und keiner von
beyden ſein eigenes Anſehen vermin-
dere.


§. 970.

Es kommt aber mit der Natur eines Hau-Von bey-
der
Sorgfalt
im Hauſe.

ſes ſehr wohl uͤberein, daß der Hausva-
ter und die Hausmutter genau davor
ſorgen, daß die Sitten der Kinder

X x 4nicht
[696]III. Th. 2. A. 1. H. Vom Urſpr. der Staaten
nicht durchs Geſinde, und das Ge-
ſinde im Gegentheil nicht durch die
Kinder verdorben werde. Derowegen
ſollen ſie nicht erlauben, daß ſich die
Kinder mit dem Geſinde zu gemein
machen, noch uͤber ſie einiges Recht
anmaſſen.


§. 971.

Von den
Liebes-
pflichten.

Weil man endlich die Liebespflichten einem
jeden, ſo viel in unſerem Vermoͤgen ſtehet,
ſchuldig iſt (§. 133.); ſo muͤſſen diejeni-
gen, welche in einem Hauſe bey einan-
der leben, bey jeder ſich ereignenden
Gelegenheit einander alle Liebesdien-
ſte erweiſen.


Die zweyte Abtheilung.


Von der oͤffentlichen Herrſchaft,
oder
dem Recht eines Staats.


Das erſte Hauptſtuͤck.

Von dem Urſprung der Staaten
und der oͤffentlichen Herrſchaft.


§. 972.

Warum
ein Staat
einzufuͤh-
ren, und
von ſeineꝛ
Abſicht.

Wir erkennen ſehr leicht, daß eintzele
Haͤuſer ſich ſelbſt dasjenige nicht
hinreichend verſchaffen koͤnnen,
was zur Nothdurft, Bequemlich-
keit und dem Vergnuͤgen, ja zur Gluͤckſelig-
keit
[697]und der oͤffentlichen Herrſchaft.
keit erfordert wird, noch auch ihre Rechte
ruhig genieſſen, und was ſie von andern zu
fordern haben, ſicher erhalten, noch auch ſich
und das ihrige wider anderer Gewaltthaͤtig-
keit ſchuͤtzen koͤnnen. Es iſt alſo noͤthig, das-
jenige durch gemeinſchaftliche Kraͤfte zu er-
halten, was eintzele Haͤuſer vor ſich nicht er-
halten koͤnnen. Und zu dem Ende muͤſſen
Geſellſchaften errichtet werden (§. 836.). Ei-
ne Geſellſchaft, die zu dem Ende gemacht
wird, heiſſet ein Staat(civitas). Daher er-
hellet, daß durch Vertraͤge der Men-
ſchen die Staaten entſtanden
(§. 836.),
und die Abſicht eines Staats beſtehe in
hinlaͤnglichen Lebensunterhalt
(in ſuffi-
cientia vitæ),
d. i. im Ueberfluß alles deſſen, was
zur Nothdurft, zur Bequemlichkeit und zum
Vergnuͤgen des Lebens, auch zur Gluͤckſeligkeit
des Menſchen erfordert wird, in der innern
Ruhe des Staats
(tranquillitate civitatis),
d. i. in der Befreyung von der Furcht fuͤr
Unrecht, oder Verletzung ſeines Rechts (§.
87.), und der Sicherheit(ſecuritate),
oder der Befreyung von der Furcht vor aͤuſ-
ſerer Gewalt. Die Wohlfahrt eines
Staats
aber (ſalus civitatis)beſtehet in
dem Genuß des hinlaͤnglichen Lebens-
unterhalts, der Ruhe und der Sicher-
heit
(§. 837.). Jn ſo weit nun dieſes zu
erhalten ſtehet, wird es das gemeine Beſte
(benum publicum) genannt (§. cit.).


X x 5§. 973.
[698]III. Th. 2. A. 1. H. Vom Urſpr. der Staaten
§. 973.

Was das
gemeine
Weſen
ſey.

Die Einrichtung eines Staats nennt man
das gemeine Weſen(respublica). Ob-
gleich einige den Staat und das gemeine We-
ſen fuͤr einerley halten, ſo geſchieht dieſes
doch mit Unrecht; maſſen der Vertrag, wo-
durch ein Staat errichtet wird, von der Ein-
richtung deſſelben unterſchieden iſt, in wel-
cher man die Mittel, die Abſicht des Staats
zu erreichen, feſt ſtellet. Denn aus jenem
erhaͤlt der Staat noch nicht ſeine beſonde-
re Art (forma ſpecifica), ſondern aus
dieſer.


§. 974.

Was ein
Volck,
ein Buͤr-
ger, ein
Fremder
und ein
Einwoh-
ner iſt.

Die Menge der Menſchen die ſich in einen
Staat zuſammen begeben, nennt man ein
Volck
(populus, gens).Eine Menge
Menſchen
alſo, die in einer andern Ab-
ſicht als derjenigen, die bey einem
Staate ſtatt findet (§. 972.), ſich in ei-
ne Geſellſchaft zuſammen begeben, iſt
kein Volk.
Die Glieder eines Staats,
oder alle und jede, welche eine buͤrgerliche Ge-
ſellſchaft ausmachen, werden Buͤrger(ci-
vis)
genannt; wer aber kein Mitglied des
Staats iſt, iſt ein Fremder(peregrinus);
und ein Fremder, dem es erlaubt iſt in einem
andern Staate zu wohnen und daſelbſt ſein
Geſchaͤfte zu treiben, heiſt ein Einwohner
(incola).


§. 975.

Von der
Veꝛbind-

Da aus dem Vertrage, wodurch ein Staat
errich-
[699]und der oͤffentlichen Herrſchaft.
errichtet wird (§. 972.), die Verbindlichkeitlichkeit
der ein-
zelen
Glieder
und aller
zuſam-
men.

entſteht (§. 438.); ſo iſt jedes einzeles
Glied allen zuſammengenommen das
gemeine Beſte nach ſeinen Kraͤften zu
befoͤrdern verbunden, und alle zuſam-
mengenommen ſind jedem einzelen
Gliede verbunden davor zu ſorgen,
daß es ihm an hinlaͤnglichen Lebens-
Unterhalt, an Ruhe und Sicherheit
nicht fehle
(§. 972.); folglich darf von
keinem Theile etwas geſchehen, das
dieſer Verbindlichkeit zuwider laͤuft,
und haben
demnach alle das Recht ei-
nen jeden ins beſondere anzuhalten, daß
er ſeiner Verbindlichkeit ein Genuͤge
leiſte.


§. 976.

Weil man alſo in einem Staate nichtsVon dem
Haupt-
geſetze
eines
Staats.

thun ſoll, was ſeiner Wohlfahrt zuwider iſt
(§. 972. 975.); ſo iſt das gemeine Beſte
in demſelben das Hauptgeſetze; folglich
wenn das gemeine Beſte erfordert,
auf gewiſſe Weiſe mit beſonde-
ren Perſonen zugehoͤrigen Sachen, ja
ſelbſt mit ihnen zu verfahren; ſo ha-
ben alle zuſammengenommen, oder das
Volck das Recht dazu.


§. 977.

Da alle, welche ſich in einen Staat zuſammenVon der
Freyheit
eines
Staats,
oder
Volckes.

begeben, frey ſind (§. 77.), und dadurch, daß
ſie ſich in den Staat begeben, niemanden, als
nur ſich unter einander verbindlich machen (§.
972.);
[700]III. Th. 2. A. 1. H. Vom Urſpr. der Staaten
972.); ſo wird nach dem Geſetze der
Natur ein jeder Staat als eine freye
Perſon angeſehen, die im natuͤrlichen
Stande lebt
(§. 850.); welches auch da-
her erhellet, weil der Staat eine Geſellſchaft
iſt (§. 972. 850.).


§. 978.

Von dem
Rechte
dasjenige
zu be-
ſtimmen,
was die
Abſicht
des
Staats
zu errei-
chen noͤ-
thig iſt.

Da von Natur ein jeder Staat, oder
ſo wie er nach ſeinem Urſprunge beſchaffen,
frey iſt (§. 977.), und alſo in allem, was
er vornimmt, kein ander Volck, oder Menſch,
er mag ſeyn wer er will, ihm etwas zu ſagen
hat (§. 77.); ſo hat er auch das Recht
nach ſeinem Wohlgefallen es einzu-
richten, auf was Art und Weiſe das
gemeine Beſte befoͤrdert werden ſoll,
oder die Mittel zu erwehlen, wodurch
die Abſicht des Staats erhalten wer-
den ſoll;
folglich nicht allein dasjenige
anzuordnen, was in dieſer Abſicht noͤ-
thig iſt, und was beſtaͤndig auf einer-
ley Weiſe geſchehen ſoll, und alſo Ge-
ſetze zu geben (§. 39.), ſondern auch zu
beſchlieſſen, was in jedem vorkom-
menden Falle zu thun iſt.
Es erhellet
aber, daß dieſes alles mit aller Einwil-
ligung geſchehen muͤße
(§. 841.). Da
es aber nicht wohl angehet, daß jederzeit alle
mit einander eines ſind; ſo muß man was
der groͤſte Theil vor gut befindet, fuͤr
den Willen aller halten, und alſo wird

der
[701]und der oͤffentlichen Herrſchaft.
der kleinere Theil durch den groͤſſern
verbunden.


§. 979.

Da das Recht, welches alle zuſam-Von dem
Urſprung
der Herr-
ſchaft in
einem
Staate.

men uͤber einen jeden ins beſondere ha-
ben,
darinnen beſtehet, daß ſie vorſchreiben,
was ein jeder zu thun hat (§. 978.); ſo iſt
es eine Herrſchaft (§. 833.), welches die
Herrſchaft eines Staats, oder die
Staatsherrſchaft
(imperium civile), oder
auch deſſelben Gewalt(poteſtas civilis) ge-
nannt wird. Sie entſteht alſo aus dem Ver-
trage, wodurch der Staat errichtet
worden (§. 972.), und iſt urſpruͤnglich
bey dem Volcke (§. 974.), als eine ihm
eigenthuͤmliche uncoͤrperliche Sache

(§. 206.).


§. 980.

Da die Herrſchaft in einem Staate ausVon den
Schran-
cken der
Staats-
herr-
ſchaft.

ſeiner Abſicht ermeſſen werden muß (§. 976.
972.); ſo erſtreckt ſie ſich nicht weiter
als auf die Handlungen der Buͤrger,
welche zur Befoͤrderung der gemeinen
Wohlfahrt gehoͤren;
folglich da nur bloß
in Abſicht dieſer Handlungen die natuͤrliche
Freyheit
der einzelen Glieder eingeſchraͤnckt
wird (§. 975. 77.); ſo bleibt ſie in Anſe-
hung der uͤbrigen Handlungen unge-
kraͤnckt.


§. 981.

Weil die Herrſchaft in einem Staate inDaß in
einem
Staate

ihrer Ausuͤbung frey iſt von einem jeden an-
dern
[702]III. Th. 2. A. 1. H. Vom Urſpr. der Staaten
die hoͤch-
ſie Ge-
walt iſt.
dern Volck, und einem jeden andern Menſchen
(§. 975. 77.); ſo kann auch keine Hand-
lung, welche die Ausuͤbung der Herr-
ſchaft betrift, auf einige Weiſe von
einem Menſchen vernichtet werden.

Derowegen da man das die hoͤchſte Ge-
walt
(imperium ſummum) nennt, wenn
nichts, was unternommen wird, von keinem
Menſchen vernichtet werden kann; ſo iſt die
Herrſchaft in einem Staate an und
vor ſich ſelbſt,
wie ſie naͤmlich urſpruͤng-
lich dem Volck zukommt (§. 979.), die
hoͤchſte.


§. 982.

Wie es
das Volck
mit der
Herr-
ſchaft
machen
kann, und
von dem
Rechte
des Re-
genten.

Da die Herrſchaft in einem Staat ur-
ſpruͤnglich bey dem Volck als eine ihm eigen-
thuͤmliche Sache iſt (§. 979.); ſo muß,
wenn ein Staat eingerichtet werden
ſoll, das Volck, oder alle zuſammen un-
ter ſich ausmachen, ob ſie die Herr-
ſchaft vor ſich behalten, oder einer
Perſon, oder mehreren zuſammenge-
nommen, entweder gantz, oder zum
Theil, unter einer gewiſſen Bedingung,
oder ohne alle Bedingung auftragen
wollen, ob wiederruflich, oder unwie-
derruflich, ob auf eine gewiſſe Zeit,
oder auf die gantze Lebenszeit, ob
dergeſtalt, daß ſie von einer Perſon auf
gewiſſe andere kommen ſoll, oder nicht,
ob es bloß in Anſehung der Verwal-
tung, oder der Herrſchaft ſelbſt geſche-

hen
[703]und der oͤffentlichen Herrſchaft.
hen ſolle. Derowegen da man die Perſon
den Regenten in einem Staate(re-
ctor civitatis)
nennt, welchem die Herrſchaft
zu verwalten aufgetragen worden; ſo muß
das Recht eines Regenten aus dem
Willen des Volcks ermeſſen werden,
den es hatte, da ihm die Herrſchaft
aufgetragen worden.


§. 983.

Da die Herrſchaft in einem Staate in demVon der
Einthei-
lung der
Herr-
ſchaft.

Rechte beſteht, dasjenige anzuordnen, was
zu Befoͤrderung des gemeinen Beſtens erfor-
dert wird (§. 602.); ſo begreift ſie verſchie-
dene Rechte in ſich, welche Grotius partes
imperii potentiales,
oder rechtliche Thei-
le der Herrſchaft
nennt. Und deswegen
heißt die voͤllige Herrſchaft(imperium
plenum),
welche um keinen Theil vermin-
dert worden; die nicht voͤllige(imperium
minus plenum)
aber, welche um einen, oder
den andern Theil vermindert worden. Eine
eingeſchraͤnckte Herrſchaft aber (impe-
rium limitatum)
wird genannt, die an ge-
wiſſe Geſetze gebunden iſt, oder eines andern
Einwilligung vonnoͤthen hat; eine uneinge-
ſchraͤnckte Herrſchaft
aber (imperium ab-
ſolutum),
welche auf keine Art und Weiſe
eingeſchraͤnckt iſt. Es kann alſo eine nicht
voͤllige Herrſchaft uneingeſchraͤnckt,
und
alſo die hoͤchſte ſeyn (§. 981.); die
voͤllige Herrſchaft aber kann einge-
ſchraͤnckt, ja in einem Theile einge-

ſchraͤnckt,
[704]III. Th. 2. A. 1. H. Vom Urſpr. der Staaten
ſchraͤnckt, in einem andern unum-
ſchraͤnckt ſeyn.
Wenn die Herrſchaft auf
gewiſſe Zeit jemanden aufgetragen wird, iſt
es eine nicht immer waͤhrende Herr-
ſchaft
(imperium temporarium); welche
unumſchraͤnckt, und alſo die hoͤchſte ſeyn
kann: wenn es unter der Bedingung geſchie-
het, ſo lange als es dem Volcke gefallen
wird; ſo hat man ſie nur bittweiſe(impe-
rium precarium).
Und alſo kann eine bitt-
weiſe beſeſſene Herrſchaft jeden Augen-
blick wiederrufen werden;
folglich nicht
die hoͤchſte ſeyn (§. 981.), ob ſie gleich
unumſchraͤnckt ſeyn kann.


§. 984.

Von den
Grund-
geſetzen.

Die Geſetze, an welche die Verwaltung
der Herrſchaft gebunden iſt, werden Grund-
geſetze
(leges fundamentales) genannt. De-
rowegen iſt dieſes auch ein Grundgeſe-
tze, daß der Regente in gewiſſen An-
gelegenheiten die Einwilligung des
gantzen Volcks, oder gewiſſer Perſo-
nen noͤthig hat, wie auch dasjenige,
worinnen man die Art und Weiſe die
Herrſchaft einem aufzutragen feſt ſtel-
let.
Es erhellet auſſer dem, daß der Re-
gente eines Staats zu Beobachtung
der Grundgeſetze verbunden iſt, und
dieſelbe nicht nach ſeinem Gefallen aͤn-
dern kann
(§. 982.). Da aber die Grund-
geſetze von dem Volcke
gemacht wer-
den (§. 978.); ſo koͤnnen ſie auch von
ihm
[705]und der oͤffentlichen Herrſchaft.
ihm aufgehoben und veraͤndert wer-
den, wofern nur das Recht, welches
der Regent eines Staats, oder ſeine
Nachfolger dadurch erlangt, nicht ver-
mindert wird
(§. 86. 100.). Weil aber die
Grundgeſetze vom Volk gemacht werden,
welches nach ſeinem Velieben die Herrſchaft
dem Regenten auftraͤgt (§. 982.); ſo iſt der
Regente, der eine unumſchraͤnckte
Herrſchaft hat, an die Geſetze nicht
gebunden, nach welchen er die Herr-
ſchaft zu verwalten ſich erklaͤret, oder
auch gewiſſe Perſonen beſtellt, ohne
deren Einwilligung er nichts thun
will, und ſind dieſes keine Grundge-
ſetze, ja wenn es ihm gefaͤllt, ſo kann
er ſie gar wieder aufheben.
Derowe-
gen verbleibet auch deſſen ungeachtet
die Herrſchaft unumſchraͤnckt
(§. 983.),
und die hoͤchſte (§. 980.). Eben dieſes
gilt, wenn das Volck nur ſeinen Wil-
len in Anſehung einiger Puncte an-
zeigt, was der Regent thun oder laſ-
ſen ſoll, nicht aber ausdruͤcklich erklaͤrt,
daß ſie ſich nicht nach ſeinem Gutduͤn-
cken richten wollen, oder einige Per-
ſonen beſtimmet, ohne deren Einwil-
ligung er nichts beſchlieſſen ſoll;
indem
ſich das Volck kein Recht uͤber das, was der
Regente thut, vorbehaͤlt.


§. 985.

Da die Beſchaffenheit guter, oder ſchlim-Wie die
Herr-

Nat. u. Voͤlckerrecht. Y ymer
[706]III. Th. 2. A. 1. H. Vom Urſpr. der Staaten
ſchaft ei-
nem nicht
aufgetra-
gen wer-
den kann.
mer Handlungen, indem nicht alle auf einer-
ley Weiſe davon urtheilen, nicht geſchickt iſt
das Recht des Regeuten und des Volcks zu
entſcheiden; ſo kann einem die Herr-
ſchaft nicht mit der Bedingung aufge-
tragen werden, daß das Volck, wenn
er wohl regieret, gehorchen ſoll, wenn
er aber uͤbel regieret, ihm widerſtehen
und ihn beſtrafen kann;
folglich findet
nicht ſtatt, daß der Regente und das
Volck einander beſtaͤndig unterworfen
ſind
(§. 835.).


§. 986.

Von der
Art und
Weiſe
die Herr-
ſchaft zu
erhalten.

Wenn die Herrſchaft dem Regenten nur
zu verwalten aufgetragen worden; ſo hat er
gleichſam nur den Nießbrauch(impe-
rium uſufructuarium)
davon: Wenn ihm
aber die Herrſchaft vor und an ſich ſelbſt auf-
getragen wird; ſo hat er ſie eigenthuͤm-
lich
(patrimoniale). Derowegen hat einer
die eigenthuͤmliche Herrſchaft mit voͤl-
ligem Rechte, die nicht eigenthuͤmli-
che aber nicht mit voͤlligem Rechte
(§.
198.). Es erhellet aber daß im andern
Falle die Herrſchaft voͤllig, uneinge-
ſchraͤnckt und die hoͤchſte ſeyn kann,
hingegen im erſten die eigenthuͤmliche
nicht voͤllig und eingeſchraͤnckt
(§. 983.
981.). Da die Art und Weiſe, wie man
die Herrſchaft beſitzt(modus habendi
imperium)
kein Theil derſelben iſt, ſondern
eine von ihr gantz unterſchiedene Sache; ſo
ver-
[707]und der oͤffentlichen Herrſchaft.
veraͤndert ſie in der Herrſchaft ſelbſt
nichts, und gehoͤret auch nicht zu ih-
rer Verwaltung
(§. 66.).


§. 987.

Weil auch uncoͤrperliche Sachen zu LehnVon der
Herr-
ſchaft die
zu Lehn
genom-
men
wird.

verliehen werden koͤnnen (§. 740.); ſo kann
auch die Herrſchaft zu Lehn verliehen
werden
(§. 121. 979.). Da nun aber die
Belehnung zu der Art und Weiſe die Herr-
ſchaft zu beſitzen gehoͤrt; ſo kann eine zu
Lehn gegebene Herrſchaft uneinge-
ſchraͤnckt, voͤllig und die hoͤchſte ſeyn

(§. 986.), man beſitzt dieſelbe aber nicht mit
voͤlligem Rechte (§. 736. 986.).


§. 988.

Weil die Auftragung der Herrſchaft gaͤntz-Von der
Herr-
ſchaft die
nach der
Art eines
Fidei-
commißt
aufgetra-
gen wird.

lich auf dem Willen des Volcks beruhet, wel-
ches ſie einem auftraͤgt (§. 982.); ſo kann
die Herrſchaft auch nach der Art eines
Fideicommiß aufgetragen werden,
d. i.
mit der Bedingung, daß der Regent
ſie nach einer gewiſſen Zeit, oder wenn
er ſtirbt, einer gewiſſen andern Per-
ſon uͤberlaſſen muß
(§. 941.). Und es er-
hellet wie vorher (§. 987.), daß die auf dieſe
Weiſe uͤberlaſſene Herrſchaft unumſchraͤnckt,
voͤllig, und die hoͤchſte ſeyn koͤnne.


§. 989.

Diejenigen Vertraͤge, worinnen ſich derVon der
Capitu-
lation.

Regent und das Volck, oder die, ſo das
Recht des Volcks haben, uͤber die Art der
Verwaltung der Herrſchaft vergleichen, wer-
Y y 2den
[708]III. Theil 2. Abth. 2. Hauptſtuͤck.
den eine Capitulation(capitulatio) genannt.
Demnach iſt die Capitulation ein Grund-
geſetz (§. 984.), und man hat ihrer
von noͤthen, wenn die Herrſchaft ein-
geſchraͤnckt ſeyn ſoll
(§. 983.); iedoch
giebet es keine unveraͤnderliche Grund-
geſetze.
Weil aber Vertraͤge muͤſſen gehal-
ten werden (§. 438.); ſo darf ohne Ein-
willigung deſſen, mit welchem die Ca-
pitulation getroffen worden, nichts in
derſelben geaͤndert werden.


Das zweyte Hauptſtuͤck.

Von den verſchiedenen Arten
der Republick.


§. 990.

Von der
Demo-
eratie.

Wenn ſich die Herrſchaft bey dem gan-
tzen Volcke befindet, ſo nennet man
eine ſolche Art der Republick eine
Democratie, oder Poͤbelregiment(de-
mocratiam, ſtatum popularem).
Weil die
buͤrgerliche Freyheit eines Volcks(li-
bertas civilis populi)
darin beſtehet, daß es
in allen denen Handlungen, welche zur Be-
foͤrderung des gemeinen Beſtens gehoͤren, kei-
nes andern Willen unterworffen iſt; ſo beſi-
tzet das Volck in der Democratie die
buͤrgerliche Freyheit, und iſt nicht nur
in Abſicht auf andere Voͤlcker (§. 977.),
ſondern auch in Abſicht auf ſich ſelbſt
frey.


§. 991.
[709]Von den verſchiedenen Arten der Republick.
§. 991.

Der Begrif von der Monarchie(mo-Von der
Monar-
chie.

narchia) entſteht, wenn die Herrſchaft, ſo
wie ſie ſich urſpruͤnglich bey dem Volcke be-
findet, naͤmlich die voͤllige, uneingeſchraͤnckte,
und hoͤchſte, bey einem eintzigen angetroffen
wird. Derowegen hat der Monarch in
der Monarchie eben ſo viel Gewalt,
als das gantze Volck in der Democra-
tie hat.
Weil doch aber die Art, nach wel-
cher man die Herrſchaft beſitzt, in der Herr-
ſchaft ſelbſt nichts aͤndert (§. 986.); ſo iſt es
in ſo weit einerley, ob die Herrſchaft in dem
eigenthuͤmlichen, oder nur in der Nutzung
ausgeuͤbt wird. Endlich weil das Recht des
Volckes in der Monarchie dem Monarchen
uͤberlaſſen worden; ſo ſtellet der Monarch
das gantze Volck vor.


§. 992.

Man nennet es eine Ariſtocratie(ariſto-Von der
Ariſto-
cratie.

cratiam), wenn die Herrſchaft, wie ſie ur-
ſpruͤnglich bey dem Volcke iſt, bey einigen
Perſonen angetroffen wird, welche mit dem
Nahmen der vornehmſten(optimatum)
beleget werden. Demnach haben die
vornehmſten in der Ariſtocratie eben ſo
viel Gewalt, als das Volck in der De-
mocratie, und beſitzen eine voͤllige, un-
eingeſchraͤnckte und hoͤchſte Herrſchaft.

Was wir in Abſicht auf die Art die Herr-
ſchaft zu beſitzen nur erſt (§. 991.) von dem
Monarchen geſagt haben, das gilt hier gleich-
Y y 3falls.
[710]III. Theil 2. Abth. 2. Hauptſtuͤck.
falls. Ja, weil den vornehmſten das
Recht des Volckes zukommt; ſo ſtellen ſie
auch zuſammen genommen das Volck
vor.
Derowegen da die buͤrgerliche Wuͤr-
de
(dignitas civilis) nichts anders als ein
Vorzug fuͤr andern Perſonen im gemeinen
Weſen iſt, welche nach denen einer Per-
ſon zuſtehenden Rechten abgemeſſen
werden muß;
die vornehmſten aber erſt zu-
ſammen genommen ihr Recht haben, was ein
Monarche gantz alleine hat: ſo folget, daß
die Wuͤrde des Monarchen groͤſſer ſeyn
muͤſſe, als die Wuͤrde eines ieden ein-
tzelnen unter den vornehmſten.


§. 993.

Von der
vermiſch-
ten Re-
publick.

Die Republick iſt vermiſcht(respu-
blica mixta),
wenn ſie in einigen Stuͤcken
mit der Monarchie, in einigen mit der Ari-
ſtocratie, und in einigen mit der Democratie
eine Aehnlichkeit hat, oder wenigſtens an
zweien Arten der Republick theil nimmet.
So entſtehet denn die vermiſchte Art
einer Republick aus der Theilung der
Herrſchaft in ihre Machttheile (§. 983.)
und deren Einſchraͤnckung
(§. 980.).
Wann nun aber beydes auf verſchiedene Art
geſchehen kann; ſo koͤnnen auch verſchie-
dene Arten von einer vermiſchten Re-
publick angegeben werden, deren iede
durch gewiſſe Grundgeſetze zu beſtim-
men iſt
(§. 984.).


§. 994.
[711]Von den verſchiedenen Arten der Republick.
§. 994.

Diejenige Verfaſſung eines gemeinen We-Das
Reich.

ſens, in welcher entweder eine voͤllige, unein-
geſchraͤnckte und hoͤchſte, oder auf irgend ei-
ne Art eingeſchraͤnckte und verringerte Herr-
ſchaft bey einem eintzigen iſt, nennet man
ein Reich, wobey iedoch dem Staat ſeine
Hoheit ungekraͤnckt bleiben muß. Und derje-
nige, welcher in einem Reich die Herrſchaft
fuͤhret, heiſſet der Koͤnig. Woraus er-
ſcheinet, daß ein jedes Reich entweder
eine Monarchie, oder eine vermiſchte
Art der Republick abgebe
(§. 991. 993.).
Doch ſtellet ein jeder Koͤnig in den Un-
terhandlungen mit andern Voͤlckern
das gantze Volck vor, es ſey denn,
daß es in einigen Stuͤcken durch ge-
wiſſe Grundgeſetze, welche aber den
andern Voͤlckern bekannt ſeyn muͤſſen,
anders verſehen worden.


§. 995.

Die Mitregentſchaft(condominatus,Die
Mitre-
gent-
ſchaft.

imperium Polyarchicum) iſt, wenn zwey,
oder drey in einem Reiche eine unzertheilte
Herrſchaft unter einander gemeinſchaftlich ha-
ben, z. E. wenn zwey oder drey Bruͤder zu-
gleich regieren. Dieſe zwey, oder mehrere
aber heiſſen Mitregenten(condomini, cor-
reges),
bey deren jeden gleichſam die gantze
koͤnigliche Macht und Wuͤrde befindlich iſt.


Y y 4§. 996.
[712]III. Theil 2. Abth. 2. Hauptſtuͤck.
§. 996.

Obere
und Un-
tertha-
nen.

Der Oberherr(ſuperior) in einem
Staat heiſſet derjenige, welcher das Recht
hat derer uͤbrigen Handlungen zu beſtimmen;
und dieſe uͤbrigen werden Unterthanen(ſub-
diti)
genennet. Daraus flieſſet, daß in ei-
ner Democratie das gantze Volck (§.
990.), in einem Reich und Monarchie
der Koͤnig, oder Monarch (§. 991.
994.) der Oberherr ſey, gleichwie es
in einer Ariſtocratie die vornehmſten
zuſammen genommen ſind (§. 992.); al-
le und jede aber in einer Democratie,
Monarchie und Ariſtocratie ja in die-
ſer auch alle eintzeln betrachtete vor-
nehmſten, werden mit dem Nahmen
der Unterthanen belegt.
Jn der Mit-
regentſchaft verhaͤlt es ſich hierin anders, denn
ein jeder der Mittegenten iſt ein Ober-
herr, keiner aber des andern Unter-
than
(§. 995.).


§. 997.

Vom de-
ſpotiſchen
Reich.

Ein deſpotiſches, oder herrſchaftliches
Reich (regnum herile) nennt man, wenn
der Koͤnig uͤber ſeine Unterthanen und deren
Vermoͤgen eben das Recht hat, welches ei-
nem Herrn uͤber ſeinen Knecht zuſtehet, oder
wo der Koͤnig auſſer der buͤrgerlichen Macht
auch die herrſchaftliche beſitzet; folglich ma-
chet der Koͤnig in einem deſpotiſchen
Reiche die Einrichtung der Frondien-
ſte, und uͤber die Sachen der Unter-

thanen,
[713]Von den verſchiedenen Arten der Republick.
thanen, nach ſeinem Belieben, und al-
le oͤffentliche Handlungen lencket er
vornehmlich auf ſeinen eigenen Nu-
tzen, da er hingegen den Nutzen der
Unterthanen nur als einen Neben-
zweck anſiehet.
Wenn nun aber dies al-
les dem Vertrage, nach welchem ein Staat
aufgerichtet iſt, zuwiderlaͤuft (§. 972.); ſo
iſt klar, daß das deſpotiſche Reich da-
her ſeinen Urſprung nicht nehmen, und
auch aus dem Endzweck eines Staates
nicht hergeleitet werden koͤnne.
Un-
terdeſſen da ein Volck einem andern die Herr-
ſchaft uͤber ſich auftragen kann, wie es ſol-
ches gut befindet (§. 982.); ſo ſtehet es
ihm auch frey einem Koͤnige eine de-
ſpotiſche Herrſchaft uͤber ſich zu uͤber-
laſſen
(§. 977.). Und weil ſich alle Unter-
thanen in einem herrſchaftlichen Rei-
che in einer perſoͤnlichen Knechtſchaft
befinden,
dieſe aber an ſich nicht unerlaubt
iſt (§. 948.); ſo muß auch ein herrſchaft-
liches Reich an ſich nicht unerlaubt,
und wenn das Volck in ſolches willi-
get, es nicht ungerecht ſeyn
(§. 83.).
Weil aber im uͤbrigen ein Herr verbunden iſt
ſeinen Knecht zu lieben, und ihm alle diejeni-
gen Liebespflichten zu erweiſen, welche ein
Menſch einem andern zu leiſten ſchuldig iſt
(§. 952.); ſo erfordert es auch in einem
herrſchaftlichen Reiche die Schuldig-
keit eines Koͤniges und Beherrſchers,

Y y 5daß
[714]III. Theil 2. Abth. 2. Hauptſtuͤck.
daß er ſeine Unterthanen liebe, und
ihnen die Liebespflichten nicht verſa-
ge, und daß er
folglich in der Fuͤhrung
ſeiner deſpotiſchen Herrſchaft nichts
begehe, was wider dieſe Pflichten ſtrei-
ten koͤnnte.
Sonſten braucht es hier kei-
ner Erinnerung, daß auch eine deſpotiſche
Ariſtocratie moͤglich
ſey, von welcher je-
doch eben das zu bemercken iſt, was wir von
dem deſpotiſchen Reiche bereits vorgetragen
haben.


§. 998.

Von der
Majeſtaͤt
und dem
Maje-
ſtaͤtsrech-
te.

Die Wuͤrde deſſen, bey dem die hoͤchſte
Herrſchaft unzertrennlich iſt, heißt die Ma-
jeſtaͤt
(majeſtas). Dieſer hindert es nicht,
daß die Verwaltung derſelben in einigen Stuͤ-
cken an gewiſſe Grundgeſetze gebunden iſt, in-
dem doch die dieſen gemaͤße Handlungen von
keinem Menſchen umgeſtoſſen werden koͤnnen.
Demnach nennet man Majeſtaͤtsrechte
(jura majeſtatica) diejenigen, welche zur
hoͤchſten Herrſchaft und deren Verwaltung ge-
hoͤren. Jn einer Democratie hat das
gantze Volck (§. 990.), in der Ariſto-
cratie die Verſammlung der Vornehm-
ſten (§. 992.), in der Monarchie aber
und in einem Reiche der Koͤnig die
Majeſtaͤt
(§. 991. 994.).


§. 999.

Vom
Nathe.

Die Verſammlung gewiſſer Perſonen, wel-
chen das oͤffentliche Regiment in Sachen, ſo
taͤglich verwaltet werden muͤſſen, oder welche
keinen
[715]Von den verſchiedenen Arten der Republick.
keinen Aufſchub leiden, nebſt der Ausfuͤhrung
deſſen, was von dem Oberherrn beſchloſſen
iſt, aufgetragen worden, und deren Gutach-
ten uͤber oͤffentliche Angelegenheiten ſich die-
ſer bedienet, heiſſet der Rath(ſenatus).Jn
einer Democratie iſt es unumgaͤnglich
noͤthig, daß ein Rath beſtellet werde,
weil das Volck nicht taͤglich zuſammen
kommen kann (§. 990.); ja je ſeltener
und beſchwerlicher die Zuſammenkunft
des Volckes iſt, je mehr Anſehen und
Macht muß ein ſolcher Rath haben.


§. 1000.

Die Zuſammenkuͤnfte, welche oͤffentlicherVon
Reichs-
tagen.

Angelegenheiten halber gehalten werden, heiſ-
ſen Reichstage(comitia). Daher kann
das gantze Volck in der Democratie die
oͤffentlichen Angelegenheiten, wenn ſie
nicht ſchon dem Rath zu beſorgen
uͤberlaſſen worden (§. 999.), vor ſich
nicht anders als auf den Reichstagen
abthun
(990.); und da das Volck in allem
dem, was zur Ausuͤbung der Herrſchaft ge-
hoͤret, nach ſeinem Gefallen verfahren kann
(§. 978.), ſo beruhet es lediglich auf
deſſen Willen, ob die Reichstage ein
vor allemahl an gewiſſe Zeiten gebun-
den, oder ob ſie nur bey beſondern
Vorfallenheiten, uͤber welche man
nach der Beſchaffenheit der Zeit urthei-
let, gehalten werden ſollen.
Das vori-
ge (§. 999.) kann einen belehren, daß das
Recht
[716]III. Theil 2. Abth. 2. Hauptſtuͤck.
Recht den Reichstag zu berufen dem
Rathe zukomme;
und da ihm die gegen-
waͤrtige Verfaſſung der Dinge am beſten be-
kannt ſeyn muß, ſo muß er auch das Recht
haben auf den Reichstagen den Vor-
trag zu thun, oder wenigſtens dasje-
nige an die Hand zu geben, woruͤber
gerathſchlaget werden ſoll,
obwol, weil
ein jeder in der Democratie ein gleiches Recht
hat (§. 70. 972.), ein jeder zur Berath-
ſchlagung anbringen kann, was er
glaubt zum gemeinen Beſten dienlich
zu ſeyn.
Wenn aber die Wohlfahrt einer
Geſellſchaft durch die Einigkeit der Mitglie-
der erhalten wird (§. 847.); ſo muͤſſen,
um allen Zwieſpalt zu vermeiden, Geſetze
wie die Reichstage gehalten werden
ſollen, gegeben werden
(§. 978.), z. E.
welche das Recht der Reichstage haben ſol-
len, um auf demſelben eine Stimme zu fuͤh-
ren, ingleichen wie das Volck in gewiſſe Ord-
nungen, und dieſe in kleinere Haufen zu thei-
len, welche gewiſſe Perſonen erwaͤhlen muͤſ-
ſen, die in ihrem Nahmen den Reichstag
beziehen, und ihre Abgeordneten ſeyn ſollen;
noch weiter, wer auf den Reichstagen das
Amt eines Directors uͤbernehmen ſoll, u. ſ. f.
Zuletzt weil in einer vermiſchten Republick
dasjenige beybehalten werden kann, was in
dem Poͤbelregiment noͤthig iſt (§. 990.); ſo
koͤnnen auch darin die Reichstage Platz
haben.


§. 1001.
[717]Von den verſchiedenen Arten der Republick.
§. 1001.

Weil das Volck vermoͤge der Freyheit, ſoWie eine
Ariſto-
cratie
einge-
richtet
werden
ſoll.

es hat (§. 977.), eine Art der Republick er-
waͤhlen kann, welche es will (§. 78.); ſo
kommt es in der Ariſtocratie allein auf
den Willen des Volckes an, nach wel-
chem es zu beſtimmen hat, wie ſtarck
die Zahl der vornehmſten ſeyn, ob ſie
aus allen Ordnungen des Volckes, oder
nur aus dem anſehnlichſten Theil deſ-
ſelben beſtellet, ob ihre Regierung
jaͤhrlich, oder auf eine laͤngere Zeit, oder
lebenslang dauren ſolle; ingleichen ob
die Nachfolger jedesmahl erwaͤhlet,
oder ein gewiſſes Geſetz wegen der
Nachfolge feſtgeſetzet werden muͤſſe;
noch ferner, ob das Recht unter die
Vornehmſten zu gehoͤren an gewiſſe
Familien, oder an den Beſitz gewiſſer
Landguͤther, oder an eine andere Be-
ſchaffenheit der Perſonen gebunden
ſeyn ſolle.
Daher iſt nun die Ariſtocratie
bald eine jaͤhrige, bald eine auf eine ge-
wiſſe Zeit eingerichtete
(temporaria),
bald eine beſtaͤndige; bey einer kommt
es auf die Wahl an
(electiva), bey einer
hat eine Folge ſtatt(ſucceſſiva); endlich
iſt ſie bald eine weitlaͤuftigere(laxa), wenn
die Zahl der Vornehmſten ſehr groß iſt, ob
ſie wol gegen das Volck gerechnet nur einen
kleinern Theil ausmachen; bald iſt ſie enger
(ſtrictior), wenn die Zahl der Vornehmſten
ſo
[718]III. Theil 2. Abth. 2. Hauptſtuͤck.
ſo klein iſt, daß ſie taͤglich zuſammen kom-
men, oder gar bald zuſammen berufen wer-
den koͤnnen.


§. 1002.

Von dem
Recht ei-
nes Mo-
narchen
und dem
aͤſymne-
tiſchen
Reiche.

Weil der Monarch eine voͤllige, uneinge-
ſchraͤnckte und hoͤchſte Herrſchaft hat (§. 990.);
ſo kann er nach eigenem Gefallen uͤber
alle oͤffentliche Geſchaͤfte verfuͤgen (§.
983.), und man iſt ſchuldig ſich nach
ſeinen Entſchlieſſungen zu achten
(§.
981.). Da aber das Recht eines Monar-
chen nicht von der Zeit abhanget, ſondern es
auch gantz wohl angehet, daß man eine voͤl-
lige, uneingeſchraͤnckte und hoͤchſte Herrſchaft
nur auf einige Zeit haben koͤune; ſo kann
auch derjenige, welcher einen Staat
nur auf einige Zeit regieret, ein Mo-
narche ſeyn.
Wenn man nun das ein
aͤſymnetiſches Reich(regnum æſymneti-
cum)
nennet, wenn man jemanden die Herr-
ſchaft nur auf eine gewiſſe Zeit uͤbertraͤgt;
ſo kann die Monarchie auch ein aͤſym-
netiſches Reich ſeyn, ob ſie es gleich
nicht nothwendig iſt.
Jm uͤbrigen
kommt einem Monarchen die deſpoti-
ſche Herrſchaft nicht zu,
als welche von
derjenigen, welche urſpruͤnglich bey dem Vol-
cke iſt, und auf einen Monarchen uͤbertragen
wird (§. 991.), ſich allerdings unterſcheidet
(§. 997.).


§. 1003.

Vom la-
coniſchen

Ein laconiſches Reich(regnum laco-
nicum)
[719]Von den verſchiedenen Arten der Republick.
nicum) iſt, wenn die Vollſtreckung der Herr-Reiche.
ſchaft zwar einem anvertrauet worden, ſolche
aber nach dem Willen des Volcks, oder der
Staͤnde beſorget werden muß. Demnach
hat ein Koͤnig in einem laconiſchen
Reiche mehr das Recht zu rathen, als
zu befehlen, und laſſen ſich zwiſchen
einer Monarchie und einem laconiſchen
Reiche,
dieweil die Herrſchaft, ſo einem
Koͤnige zuſtehet, auf verſchiedene Arten ein-
geſchraͤnckt, oder verringert werden kann (§.
981. 983.), gar viele Arten des Reichs
annehmen.
Eben ſo iſt auch klar, daß der
Koͤnig in einem laconiſchen Reiche mit
dem Senate ziemlich in Vergleichung
komme.


§. 1004.

Man nennet ein Geſetzmaͤßiges ReichVom ge-
ſetzmaͤßi-
gen Rei-
che.

(regnum legitimum) dasjenige, in welchem der
Koͤnig die Herrſchaft nach gewiſſen Grundgeſe-
tzen, ſie moͤgen nun beſtaͤndig, oder ihm nur bey
der Uebertragung der Herrſchaft insbeſondere
vorgeſchrieben ſeyn, welche eine Capitulation
heiſſen, auszuuͤben gehalten iſt. Folglich
ſind die geſetzmaͤßigen Reiche vermiſch-
te Republicken (§. 993.), und Arten, ſo
zwiſchen einer Monarchie und einem
laconiſchen Reiche angenommen wer-
den koͤnnen.
Ja es folget auch, daß das
Recht des Koͤnigs in Geſetzmaͤßigen
Reichen ſich lediglich aus den Grund-
geſetzen beſtimmen laſſe.


§. 1005.
[720]III. Theil 2. Abth. 2. Hauptſtuͤck.
§. 1005.

Vom
Wahl-
reiche
und Zwi-
ſchenrei-
che.

Man nennet es ein Wahlreich(regnum
electivum),
wenn das Volck in Ermanglung
eines Koͤniges entweder den Nachfolger ſelbſt
erwaͤhlet, oder wenigſtens das Wahlrecht an-
dern anvertrauet hat. Jſt ein Koͤnig ge-
ſtorben,
ſo iſt vor ſich offenbar, daß die
Herrſchaft wieder auf das Volck zu-
ruͤcke falle, und es
derowegen auf deſ-
ſen Willen ankomme, ob es einen
neuen Koͤnig erwaͤhlen, oder aber ei-
ne andere Verfaßung der Republick
einfuͤhren wolle.
Der Zuſtand einer Re-
publick, worin der koͤnigliche Thron ledig iſt,
heiſſet ein Zwiſchenreich(interregnum);
und in dieſem kann das Volck die Herr-
ſchaft entweder ſelbſt, oder durch ei-
nen andern, oder durch mehrere ver-
walten,
folglich Reichsverweſer(vica-
rios regni)
beſtellen, deren Recht nach
den Grundgeſetzen abgemeſſen werden
muß
(§. 984.): Und dies alles hebet ſo
gleich an, als das Recht des Koͤnigs
erloſchen iſt.


§. 1006.

Von der
Wahl ei-
nes Koͤ-
niges.

Urſpruͤnglich hat das Volck das Recht die
Herrſchaft auf jemand zu bringen (§. 982.):
Folglich kann ſich entweder das gantze
Volck das Recht einen Koͤnig zu er-
waͤhlen vorbehalten, oder es kann ſol-
ches ſchlechthin andern uͤbergeben, oder
endlich kann es gewiſſe Wahlgeſetz

a[u][f][r][i]
[721]Von den verſchiedenen Arten der Republick.
aufrichten (§. 984.), wohin die Wahlsfaͤ-
higkeit, desgleichen die Zeit und Art der Wahl
gerechnet werden moͤgen. Wenn es nun eine
rechtmaͤßige Wahl
(electio legitima) heiſ-
ſet, welche nach den Wahlgeſetzen befolget
worden; und hingegen eine unrechtmaͤßi-
ge
(illegitima), welche einem ſolchen Geſetze
zuwider iſt; das Recht der erwaͤhlten aber
nach den Grundgeſetzen erwogen werden muß;
ſo hat das Volck keine Verbindlichkeit,
einen unrechtmaͤßiger Weiſe erwaͤhl-
ten Koͤnig zu erkennen.


§. 1007.

Da die gemeine Wohlfahrt das hoͤchſte Ge-Von dem
Rechte u.
der Ver-
bindlich-
keit eines
erwaͤhl-
ten Koͤ-
niges.

ſetz iſt (§. 976.); ſo lieget einem erwaͤhl-
ten Koͤnige ob zu verſprechen, daß er
die Herrſchaft dieſem gemaͤß fuͤhren,
und,
wenn das Volck verlanget, daß ſolches
nach Grundgeſetzen geſchehen ſoll (§. 984.),
dafern ihm gewiſſe Geſetze vorgeſchrie-
ben worden, dieſen zu folge verwalten
wolle.
Zwiſchen dem erwaͤhlten Koͤnige und
dem Volck befindet ſich ein Vertrag, wodurch
ſich jener zur Verwaltung der Herrſchaft ver-
bindlich macht, dieſes aber ihm das Recht
ſolche auszuuͤben uͤberlaͤßt (§. 438.); dar-
aus flieſſet aber, daß der Koͤnig ohne
Beyſtimmung des Volckes nicht abdau-
cken, und das Volck den Koͤnig nicht
abſetzen koͤnne
(§. 100.). Weil aber ein
Vertrag, dem man ein verluſtigmachendes
Geſetz beygefuͤget hat, alſobald aufgehoben
Nat. u. Voͤlckerrecht. Z zwird,
[722]III. Theil 2. Abth. 2. Hauptſtuͤck.
wird, als die aufhebende Bedingung, welche
darin ſteckt, vorhanden iſt (§. 609.); ſo fol-
get, wenn man dem Koͤnige die Herr-
ſchaft unter einem verluſtigmachenden
Geſetze uͤbergiebet, vermoͤge welches
er das Reich verlieren ſolle, wenn
er dies oder jenes gethan oder nicht ge-
than haben wuͤrde, daß er das Reich
wuͤrcklich verlieren muͤſſe, wenn er
daſſelbe gethan oder nicht gethan
hat.


§. 1008.

Vom
Folgerei-
che.

Ein Folgereich(regnum ſucceſſorium)
heiſſet, wenn jemand nach einem gewiſſen Ge-
ſetze an die Stelle des nicht mehr verhande-
nen Koͤniges kommt. Ein Folgegeſetz(lex
ſucceſſionis)
iſt dasjenige, worinnen die re-
gierungsfaͤhigen Perſonen und die Art der
Folge beſtimmet werden; welches bey der
Uebertragung der Herrſchaft an den
erſten Koͤnig mit Genehmhaltung des
Volckes, oder derer, welche das Recht
des Volckes haben, gemacht werden
muß (§. 984.). Sind einige hieher ge-
hoͤrige Dinge darin uͤbergangen wor-
den,
weil das Volck ſolche als vor ſich be-
kannt zum voraus geſetzet hat, ſo gehet es
mit der Folge nach der Gewohnheit
benachbarter Voͤlcker,
welche es ſtillſchwei-
gend gut geheiſſen zu haben geglaubet wird.
Letztens weil die Folgereiche in der Abſicht
eingefuͤhret werden, daß der Nachfolger ge-
wiß
[723]Von den verſchiedenen Arten der Republick.
wiß ſeyn moͤge, damit alle Unruhen, welche
ſich leichtlich bey einer Wahl hervor zu thun
pflegen, vermieden wuͤrden: ſo hat das
Volck in einem zweifelhaften Falle die
Vermuthung vor ſich, daß es dasjeni-
ge gewollt habe, was die Nachfolge
gewiß machet.


§. 1009.

Jn einem eigenthuͤmlichen ReicheVon der
Folge in
einem ei-
genthuͤm-
lichen
Reiche.

kann der zeitige Koͤnig uͤber die Herrſchaft
ſelbſt die Einrichtung machen (§. 986.); und
daher kann er ſich zu ſeinem Nachfol-
ger erwaͤhlen, wen er nur will, es
mag ein Anverwandter, oder kein An-
verwandter, oder gar ein Auslaͤnder
ſeyn, ja er kann ſeinen Printzen ſelbſt
enterben,
daß er ihm nicht folgen darf. Und
da ein eigenthuͤmliches Reich entweder
vollkommen eigenthuͤmlich iſt, wenn der
Koͤnig die Herrſchaft voͤllig eigenthuͤmlich hat,
oder unvollkommen eigenthuͤmlich,
wenn der Koͤnig allein das Recht beſitzet, die
Herrſchaft nach Gefallen auf einen andern zu
bringen; ſo iſt offenbar, daß der Koͤnig
in einem vollkommen eigenthuͤmlichen
Reiche die Herrſchaft nicht nur in Ab-
ſicht auf die Rechte (§. 983.), ſondern
auch in Abſicht auf Land und Leute
vertheilen koͤnne
(in partes potentiales \&
ſubjectivas).


§. 1010.

Naͤmlich die Herrſchaft uͤber die Perſonen,Von der
Theilung

Z z 2welche
[724]III. Theil 2. Abth. 2. Hauptſtuͤck.
der Herr-
ſchaft in
Land und
Leute.
welche einen gewiſſen Theil des Gebietes be-
wohnen, nennet man ſubjectiviſche Thei-
le einer Herrſchaft
(partes ſubjectivas im-
perii).
Ein Gebiet aber (territorium)
heiſſet ein Ort, woruͤber jemand die buͤrger-
liche Herrſchaft zukommt: Und ſo iſt denn
das Gebiete eines Staates der Landes-
ſtrich, welchen ein Volck bewohnet, und wor-
in es urſpruͤnglich ſeine Herrſchaft hat. Wenn
nun die Vertheidigung ſeiner ſelbſt wider die
aͤuſſerliche Gewalt zum Endzweck des Staats
gehoͤret (§. 972.); ſo laͤßet ſich eigentlich
zu reden eine Herrſchaft nicht in ſub-
jectiviſche Theile zerſtuͤcken, und
folglich
iſt zu vermuthen, daß ein Volck nur
unter der Bedingung die Herrſchaft
an jemand verliehen habe, daß ſie nicht
ſubjectiviſch vertheilet werden ſolle.


§. 1011.

Von der
Beſchaf-
fenheit
der Erb-
folge.

Die Art der Erbfolge(modus ſucce-
dendi hæreditarius)
beſtehet darin, wenn man
auf eben die Art in einem Reiche folget, wie
man in einer Erbſchaft ohne Teſtament zu fol-
gen pflegt, nemlich in derjenigen, welche bey
dem Volcke zu der Zeit, als es die Herrſchaft
dem erſten Koͤnige auftrug, angenommen war
(§. 810.). Weil nun nur ein eintziger in
einem Reiche folgen kann (§. 1010.); ſo fol-
get, wenn bey Ableben eines Koͤniges
mehrere Erben da ſeyn ſolten,
und man
haͤtte keinen innern Grund der Wahl, daß
der aͤltere dem juͤngern vorgezogen

werden
[725]Von den verſchiedenen Arten der Republick.
werden muͤße, als welcher ſich ſein Folge-
recht durch die Geburt zuwege gebracht hat
(§. 828.). Und daferne das Volck es
nicht ausdruͤcklich genehmiget hat, daß
die Weiber zur Regierung gelaſſen,
oder doch nicht eher regierungsfaͤhig
ſeyn ſollen, als wenn der Manns-
ſtamm voͤllig erloſchen iſt; ſo werden
im erſten Fall die Weiber gantz uͤber-
gangen, im letzten Falle aber folgt
des letzten Koͤniges Printzeßin, oder
naͤchſte Blutsverwandtin
(§. 1008.).
Jngleichen, wenn bey der Folge in den
Guͤtern das Vorſtellungsrecht
(jus re-
præſentationis)
ſtatt hat, ſo muß es auch
bey der Reichsfolge gelten.


§. 1012.

Koͤnigliche Handlungen eines Koͤni-Von den
oͤffentli-
chen und
beſon-
dern koͤ-
niglichen
Hand-
lungen
und Guͤ-
thern.

ges(actus regis regii) ſind diejenigen, wel-
che zur Ausuͤbung der Herrſchaft gehoͤren;
beſondere(privati) aber ſind, welche dazu
nicht gehoͤren. Ein Koͤnig muß demnach
in Abſicht auf Privathandlungen auch
als eine Privatperſon betrachtet wer-
den, und kann er hier kein anderes
als das Recht eines Privatmannes ge-
nieſſen.
Eben alſo ſind die Koͤniglichen,
oder oͤffentlichen Guͤther des Koͤniges

(bona regis regia, ſ. publica) diejenigen, de-
ren Gebrauch zur Verwaltung der Herrſchaft
und beſtaͤndigen koͤniglichen Anſehen gewid-
met iſt. Hingegen nennet man die beſon-
Z z 3dern
[726]III. Theil 2. Abth. 2. Hauptſtuͤck.
dern und eigenen Guͤther des Koͤniges
(bona regis privata, ſ. propria), welche zu
ſeinem beſondern Gebrauch ausgeſetzt, oder
auf irgend eine Art von ihm ſelbſt angeſchaf-
fet worden ſind. Daher laſſen ſich die be-
ſondern und oͤffentlichen Guͤther des
Koͤniges nicht in eine Maſſe bringen,
und
folglich gehoͤren die koͤniglichen kei-
nesweges zu ſeiner Erbſchaft
(§. 916.).
Ob alſo gleich ein Reich erbfolgsweiſe erhal-
ten wird (§. 1011.); ſo folget doch der-
jenige, welcher im Reiche folget, des-
wegen nicht auch in den beſondern Guͤ-
thern des Koͤniges, und wenn er ſich
von der Erbſchaft loßſaget, ſo kann er
im Reiche folgen, und iſt nicht ver-
pflichtet die Privatſchulden ſeines Vor-
fahren in der Regierung zu bezahlen.


§. 1013.

Von der
Folge
nach den
Linien.

Eine Folge nach der Linie(ſucceſſio
linealis)
iſt, in welcher das Reich ununter-
brochen in gerader Linie von einem auf den
andern kommt, und man zu keiner naͤhern uͤ-
bergehet, bis jene gantz erloſchen iſt. So
werden denn in der Folge nach der
Linie die Todten als Lebendige ange-
ſehen, und durch ſie wird das Reich
auf den gebracht, der noch lebet, und
gehet es in eben der Linie immer von
dem Zeugenden auf den Gezeugten:
Wenn aber auf eine andere Linie uͤber-
gegangen werden ſoll, ſo kommt es

von
[727]Von den verſchiedenen Arten der Republick.
von der letzten Perſon in der regieren-
den Linie auf die erſte in der zunaͤchſt
damit verbundenen.
Man nennet aber
eine Folge nach der Schwerdmagenli-
nie
(ſucceſſio linealis agnatica), wenn
die Weiber auf ewig von der Nachfolge aus-
geſchloſſen ſind; hingegen heiſſet es die Fol-
ge nach der Blutsfreundſchaftslinie

(ſucceſſio linealis cognatica), wenn die Wei-
ber eben ſo wohl als die Mannsperſonen das
Nachfolgungsrecht haben, oder wenn in Er-
manglung eines maͤnnlichen Nachfolgers eine
Weibesperſon folget, ſo dem letzten Koͤnige
am naͤchſten iſt. Es muß aber wie vorher
(§. 1011.) die aͤltere der juͤngeren vor-
gezogen werden.
Wenn uͤbrigens die
Folgereiche deswegen eingefuͤhret worden ſind,
daß man ſich des Nachfolgers halber verſi-
chern koͤnne (§. 1008.); ſo folget, daß wenn
in Ermangelung der Folge der
Schwerdtmagenlinie die Blutsfreund-
ſchaftslinie dafuͤr angenommen wird,
das Reich auf die Printzeßin des letz-
ten Koͤniges und deren maͤnnliche
Kinder, oder auf eine anderweitige
naͤchſte Blutsfreundin und auf deren
Printzen fallen muͤſſe.


§. 1014.

Es haͤnget von dem freyen Willen desVon an-
dern Ar-
ten der
Folge.

Volcks, welches eine Herrſchaft auftraͤgt, ab,
welche Art der Reichsfolge es belieben will (§.
982.); daher ſind auch in einem Reiche
Z z 4ſo
[728]III. Theil 2. Abth. 2. Hauptſtuͤck.
ſo viele Arten der Nachfolge moͤglich,
als ſich nur immer dencken laſſen, und
die wird als geltend betrachtet, welche
das Volck bey der Aufrichtung eines
Reiches erwaͤhlet hat.
Es iſt aber gar
nicht noͤthig, daß davon ins beſondere noch
mehr geſaget werde.


§. 1015.

Woher
man das
Folge-
recht in
einem
Folge-
reich ha-
be.

Weil jemand in einem Folgereiche deswe-
gen folget, weil das Volck gewolt hat, daß
jemand auf die Art nachfolgen ſoll; ſo hat
der Nachfolger ſein Recht nicht von
dem, dem er folget, ſondern von dem
Willen des Volcks, oder von dem, der
es zu erſt erworben hat.
Und iſt das
Folgerecht durch Vorſehung der Vor-
fahren erworben worden (§. 831.); es
gilt auch von der Verzicht auf daſſel-
be und von dem Ausſchlagen deſſelben,
was anderswo (§ 830.) von dem Rech-
te, was man vor ſich an andere uͤber-
laſſen kann, gezeiget werden.


§. 1016.

Von dem
Rechte
eine
Stꝛeitig-
keit we-
gen der
Nachfol-
ge zu
entſchei-
den.

Weil man zum Folgerecht in einem Reich
ohne den Willen des gegenwaͤrtigen Koͤniges
dazu noͤthig zu haben gelanget (§. 1015.), und
das Volck, nachdem es die Herrſchaft dem
erſten Koͤnige unter einem gewiſſen Folge-
geſetz uͤbertragen hat, darin nicht das ge-
ringſte eigenmaͤchtig veraͤndern kann, wenn
diejenigen nicht dazu ſtimmen, welchen da-
durch
[729]Von den verſchiedenen Arten der Republick.
durch ein gewiſſes Recht zugewachſen iſt (§.
100.); ſo kann weder der Koͤnig noch
das Volck die Streitigkeiten wegen
des Folgerechts in ſeiner Ordnung
ſchlichten.
Weil doch aber das Volck an-
faͤnglich vermoͤgend iſt die Herrſchaft mit der
Bedingung zu uͤbergeben, die ihm gefaͤllt (§.
982.); ſo hat es ſo wohl dem erſten Koͤ-
nige das Recht die Streitigkeiten uͤber
das Folgerecht ertheilen, als auch ſich
ſolches ſelbſt vorbehalten koͤnnen.


Das dritte Hauptſtuͤck.

Von der Einrichtung einer Re-
publick.


§. 1017.

Die Einrichtung einer RepublickWas die
Einrich-
tung ei-
ner Re-
publick
ſey.

iſt die Beſtimmung der Art, wie der
Endzweck eines Staats erhalten wer-
den ſoll. Damit nun die Rechte, welche in
der buͤrgerlichen Herrſchaft liegen, erkannt,
und ſo wohl die Pflichten der Herrſchenden, als
auch der Unterthanen offenbar, und die Rech-
te aller und jeder verſtanden werden moͤgen;
ſo muß von der Einrichtung einer Republick
an gegenwaͤrtigem Orte gehandelt werden
(§. 978.).


§. 1018.

Weil in einem Staate der Endzweck deſ-Von der
Zahl der
Buͤrger.

ſelben mit zuſammengeſetzten Kraͤften erhal-
Z z 5ten
[730]III. Theil 2. Abth. 3. Hauptſtuͤck.
ten werden muß (§. 972.); ſo muß die Zahl
der Buͤrger ſo groß ſeyn, als zur Be-
foͤrderung des gemeinſamen Beſtens
in einem Staat und zur Vertheidigung
wieder die feindlichen Anfaͤlle hinrei-
chend iſt, dabey aber muͤſſen ſie auch
von der Beſchaffenheit ſeyn, daß ſie
ſich zu dieſer und jener beſondern Ab-
ſicht geſchickt befinden:
folglich muß
die Zahl wie uͤberhaupt, alſo auch in
einer jeden Lebensart, nicht groͤſſer
und nicht kleiner ſeyn, als erfordert
wird eine gehoͤrige Menge dererjeni-
gen Dinge anzuſchaffen, welche zur
Nothdurft, zur Gemaͤchlichkeit und
zum Vergnuͤgen des Lebens gehoͤren.


§. 1019.

Von den
Abzuge
aus ei-
nem
Staate.

Aus dem vorigen ergiebet ſich, daß denen-
jenigen erlaubt ſey aus einem Staate
zu ziehen, deren Dienſt die Republick
bey der Befoͤrderung der gemeinen
Wohlfahrt und der Vertheidigung
ihres Staates gar wohl entrathen
kann:
indem aber doch der Oberherr davon
am beſten urtheilen kann (§. 996.), ſo iſt
niemand vergoͤnnet einen Staat ohne
Einwilligung des Oberherrn, ſie mag
nun ausdruͤcklich oder ſtillſchweigend
ſeyn, zu verlaſſen.
Derowegen weil der
Republick daran gelegen iſt, daß nicht die
reichen oder ſehr bemittelten Perſonen,
oder diejenigen, welche der Republick

in
[731]Von der Einrichtung einer Republick
in einer gewiſſen Lebensart vortref-
liche Dienſte leiſten koͤnnen, oder auch
diejenigen, derer man zur Vertheidi-
gung in der Republick benoͤthiget iſt,
wegziehen; ſo iſt der Oberherr ſolches
zu verſtatten nicht verbunden.
Aus
eben dieſer Urſache iſt es nicht erlaubt
hauffen weiſe wegzugehen, es muͤſte
ſich dann ein ſolcher Mangel derer
Dinge hervor thun, daß man ſo gar
vor die aͤuſſerſte Lebensnothdurft der
Entweichenden nicht ſorgen koͤnnte
(§. 442.). Derjenige, ſo ſich aus einem
Staate begiebet, wird nunmehro,
da
er aufhoͤret ein Buͤrger zu ſeyn, ein Frem-
der (§. 974.), und der Staat hat ferner-
hin kein Recht uͤber ihn
(§. 975.).


§. 1020.

Hieraus folget noch weiter, daß es aufVon der
Aufnah-
me der
Frem-
den.

den Willen des Oberherrn ankomme,
ob und unter welcher Bedingung er
fremde aufnehmen, ob er ſie den Buͤr-
gern gleich machen, ob er ihnen nicht
alle Rechte der Buͤrger verleyhen,
oder
ob er ihnen nicht wenigſtens erlauben
wolle, daß ſie in ſeinem Lande woh-
nen, und ihre Geſchaͤfte treiben koͤn-
nen,
und ob er ſie als Einwohner an-
nehmen wolle.
Man nennet aber Ein-
heimiſche
(indigenas), welche von Buͤr-
gern in dem Lande, worin ſie wohnen, geboh-
ren ſind; Ankoͤmmlinge(advenas) hinge-
gen,
[732]III. Theil 2. Abth. 3. Hauptſtuͤck.
gen, welche anders woher in ein Land kom-
men, oder die von Ankoͤmmlingen gebohren
ſind. Das Buͤrgerrecht oder auch das
Recht der Einheimiſchen(ius civitatis vel
indigenatus)
nennet man das Recht, ſo die
Buͤrger genieſſen. Es giebt aber auch An-
koͤmmlinge auf eine Zeit
(advenas tem-
porarios),
welche anders woher zu uns kom-
men, nicht zwar in der Abſicht, daß ſie be-
ſtaͤndig bey uns bleiben, ſondern daß ſie nur
eine zeitlang bey uns verweilen wollen: weil
nun dieſe weder unter die Buͤrger noch
unter die Einwohner gezaͤhlet werden
koͤnnen (§. 974.), ſo ſind auch die Kin-
der, welche von ihnen bey uns geboh-
ren worden, weder unſre Buͤrger,
noch Einwohner.
Denn das Recht der
Einheimiſchen und der Einwohner kann auf
andere uͤbergehen (§. 821.), weil ſonſt ein
Staat nicht koͤnnte erhalten werden.


§. 1021.

Von
dem, was
das Leben
gehoͤrig
zu unter-
halten
erfordert
wird.

Auf daß alles was zum Leben erfordert
wird hinlaͤnglich da ſey, ſo iſt noͤthig, daß
die Wercke des Fleiſſes und der Kunſt
ſo ſehr vervielfaͤltiget werden, als es
moͤglich iſt, damit nicht diejenigen
muͤſſig gehen duͤrffen, welche Kraͤfte
zum Arbeiten haben, und es denen
nicht an Arbeit fehle, die Arbeiten
wollen, daß dergeſtalt ein jeder durch
ſeinen Fleiß und Arbeit ſo viel vor ſich
bringe, als erforderlich iſt, wo nicht

nuͤtz-
[733]Von der Einrichtung einer Republick.
nuͤtzliche und zum Vergnuͤgen gehoͤ-
rige, doch nothwendige Dinge anzu-
ſchaffen
(§. 972.); dieſem zu folge muß
der Werth der Dinge und der Arbeit
beſtimmet, und dafuͤr beſtens geſorget
werden, daß nicht die Unterthanen in
Armuth und Mangel, oder gar an
Bettelſtab gerathen.
Und eben deßwe-
gen muß man nicht geſtatten, daß
Theurung gemachet werde, ja ſo viel
als es ſich thun laſſen will, muß man
den Unterthanen Erleichterung ſchaf-
fen, daß die Theurung ihnen nicht zur
Laſt falle.
Weil auch der Holtzgebrauch
ungemein groß und gantz unentbehrlich iſt;
ſo muß man ſorgen, daß es nicht an
hinlaͤnglichen Holtzvorrath fehle, und
daferne es rar werden ſollte, ſo muß
man die Unterthanen zum raͤthligen
Gebrauch deſſelben anhalten.
Wenn
ferner die Pracht in einer ſehr koſtbaren Be-
ſorgung der Speiſe, des Tranckes, der Klei-
dung und anderer Sachen beſtehet (§. 509.),
dadurch, wie bekannt iſt, die Guͤther ver-
ſchwendet werden; ſo muß man den allzu-
groſſen Pracht,
welcher die Buͤrger arm
und zu Bettlern macht, nicht leiden. Aus
eben dieſer Urſach iſt die Bosheit der
Wucherer nicht zu geſtatten (§. 649.),
gleich wie auch die Spiele, wodurch
das Vermoͤgen verſchleudert wird,

und folglich auch die Spieler, welche das
Spiel
[734]III. Theil. 2. Abth. 3. Hauptſtuͤck.
Spiel zu ihrem Gewerbe machen, nicht
minder die Loterien und Gluͤckstoͤpfe,
es ſey denn das gemeinen Beſtens we-
gen, welchem man auf andere Art nicht
auf helffen koͤnnte (§. 46.), nicht zu dul-
den ſind
(§. 673. 674.).


§. 1022.

Dis
wird fer-
ner in
Abſicht
auf die
Armen
und Bett-
ler erwo-
gen.

Das Leben gehoͤrig hinzubringen, wird
auch erfordert, daß man vor die Duͤrfti-
ge und Bettler beſorge, was zur Noth-
durft des Lebens noͤthig iſt, und,
da-
mit die Unterthanen nicht gar zu ſehr mit
Allmoſengeben beſchwehret werden, iſt in
ſorgfaͤltige Betrachtung zu ziehen,
was das Naturgeſetz von den Allmo-
ſen feſte ſetzt
(§. 488. ſeqq.). Daher ſind
Zuchthaͤuſer aufzubauen, worinn dieje-
nigen zur Arbeit angehalten werden muͤſſen,
welche, ob ſie gleich Arbeiten koͤnnten, doch
lieber betteln wollen; ingleichen Armen-
haͤuſer,
worinn man die duͤrftigen ernaͤhret,
die ſich durch Arbeiten das nicht zu erwerben
im Stande ſind, was ſie zur Lebensnothdurft
gebrauchen, und keine Anverwandten oder
Freunde haben, welche ſich ihrer Beduͤrf-
niſſe annehmen koͤnnten; noch ferner Kran-
ckenhaͤuſer,
worinn krancke Arme theils er-
naͤhret, theils geheilet werden; So auch Way-
ſenhaͤuſer,
worinn man arme Wayſen er-
ziehet; endlich Armenſchulen, in welchen
man die Kinder armer Eltern umſonſt in dem-
jeni-
[735]Von der Einrichtung einer Republick.
jenigen unterrichtet, was ihnen zu wiſſen noͤ-
thig und nuͤtzlich iſt.


§. 1023.

Ja weil man auf alle Art vorzubauen hat,Von der
Sorge
des Ober-
herrn in
Abſicht
auf die
Vor-
mund-
ſchaft.

daß die Unterthanen nicht arm werden (§.
1021.); ſo muß auch der Oberherr ſor-
gen, daß die unmuͤndigen Vormuͤnder
bekommen, die fuͤr ihre Erziehung
eifrig bemuͤhet ſind, und ihre Guͤther
treulich verwalten
(§. 898. u. f. 972.);
folglich muͤſſen die im Teſtament beſtell-
te und rechtmaͤßige nach vorlaͤuffiger
Unterſuchung beſtaͤtiget werden, ehe
ſie ſich der Verwaltung unterziehen;

damit aber theils die unfaͤhigen zuruͤck gehal-
ten, theils auch der Vormundſchaft recht vor-
geſtanden werden moͤge, ſo muß gewiſſen
Perſonen unter oͤffentlichen Anſehen
alle Beſorgung der Vormundſchaften
anbefohlen ſeyn.


§. 1924.

Da die Gluͤckſeligkeit der Stand eines dau-Von der
Sorge
eines
Ober-
herrn fuͤr
der Un-
tertha-
nen
Gluͤckſe-
ligkeit
und Re-
ligion.

erhaften Vergnuͤgens und der Freude iſt (§.
118.), das Vergnuͤgen durch das Gefuͤhl
einer Vollkommenheit und durch die Beobach-
tung des Naturgeſetzes zu wege gebracht und
erhalten wird (§. 43. 44.); ſo erfordert
es die Gluͤckſeligkeit, daß man in einer
Republick denenjenigen, welche ge-
neigt ſind, dem natuͤrlichen Geſetze
nachzuleben, zu ſtatten komme, und
ſie andere in dieſer Bemuͤhung nicht

ſtoͤren
[736]III. Theil 2. Abth. 3. Hauptſtuͤck.
ſtoͤren laſſe, die uͤbrigen aber muß man
mit Gewalt antreiben, daß ſie wenig-
ſtens ihre aͤuſſerliche Handlungen nach
dem Geſetze der Natur einrichten.

Daher muß ein Oberherr darauf ſehen,
daß die Unterthanen ſich beſtreben de-
nen Pflichten gegen ſich ſelbſt, gegen
andere und gegen GOtt
ein Genuͤgen zu
leiſten (§. 57.) und folglich daß ſie von dem
und jenem, was ihnen in ihrer Lebens-
art zu wiſſen noͤthig und nuͤtzlich iſt,
ohne ſchwehre Unkoſten oͤffentlichen
Unterricht bekommen.
Hieraus iſt klar,
daß man in einer Republick Schulen
aufrichten muͤſſe,
in welcher unter oͤffent-
lichen Anſehen Kinder, Knaben und Juͤng-
linge in dem, was ſie zu lernen haben, Un-
terricht empfangen; man muß in denſel-
ben Schulmeiſter und Lehrer beſtellen,
welche dasjenige wohl verſtehen, was
ſie vortragen ſollen, auch die Gabe zu
Lehren beſitzen, allen Fleiß im Unter-
richten anwenden, und ſich bey den
Lernenden durch gute Sitten beliebt
machen;
Man muß auch Academien oder
Geſellſchaften der Wiſſenſchaften,
woriun die Wiſſenſchaften und Kuͤnſte von
tuͤchtigen Perſonen vollkommner gemacht, und
mit neuen Erfindungen bereichert werden,
ſtifften; wie auch Academien der Kuͤnſte,
worinnen man Kuͤnſtler in einer Kunſt, die
ſie treiben ſollen, als vortrefliche Baumeiſter,
Mahler,
[737]Von der Einrichtung einer Republick.
Mahler, Tonkuͤnſtler, erziehet. Damit aber
die Unterthanen von GOtt und ſeinem Wil-
len, von der Tugend und Laſtern und von
dem Gottesdienſte belehret, zur Tugend er-
muntert, und von den Laſtern zuruͤck gezogen
werden moͤgen, ſo lieget einem Oberherrn auch
die Sorge fuͤr den aͤuſſerlichen Gottes-
dienſt ob (§. 179.), daß
naͤmlich Kirchen,
in welchen man des Gotresdienſtes wegen Zu-
ſammenkuͤnfte haͤlt, aufgebauet, Feſttage,
welche dem Gottesdienſte gewidmet, beſtim-
met, und oͤffentliche Lehrer
ſo uͤber den
Gottesdienſt geſetzt ſind, und dasjenige leh-
ren, was in gottesdienſtlichen Zuſammen-
kuͤnften zu lehren iſt, beſtellet werden.
Demnach erhellet gantz leicht, daß man es
nicht dulden muͤſſe, daß der Gottes-
dienſt oder die Religion,
welches eine
gewiſſe Art GOtt zu dienen iſt, in Verach-
tung komme und allerley der Religion
und guten Sitten zuwider lauffende
Meinungen ausgeſtreuet werden.


§. 1025.

Heilige Sachen(res ſacras) nennet manVon hei-
ligen
Sachen.

diejenigen, welche dem oͤffentlichen Gottes-
dienſte gewidmet ſind. Daher ſind die Kir-
chen heilige Oerter, und die Bilder in
den Kirchen, welche die Eigenſchaf-
ten und Wohlthaten GOttes, inglei-
chen ausnehmende Muſter der Froͤm-
migkeit wieder ins Gemuͤthe bringen
ſollen, ſind heilige Sachen,
weil ihr Ge-
Nat. u. Voͤlckerrecht. A a abrauch
[738]III. Theil 2. Abth. 3. Hauptſtuͤck.
brauch zum Gottesdienſte gehoͤret. Hingegen
werden gemeine Sachen(res profanæ) ge-
nennet, welche nicht heilig ſind. Und ein
gemeiner Gebrauch
(uſus profanus), wel-
cher zum Gottesdienſt nicht gehoͤret. Eine
heilige Sache aber wird gemein ge-
macht,
wenn ſie zu einem andern, als zu ei-
nem heiligen Gebrauch angewendet wird.
Selbſt aus den Erklaͤrungen iſt offenbar, daß
die heiligen Sachen keinen andern als
einen heiligen Gebrauch haben muͤſſen,
und ſie, wenn man einen andern Ge-
brauch aus ihnen machet, gemein ge-
macht werden.
Und da die Einwey-
hung
(conſecratio) eine Handlung iſt, wo-
durch eine Sache zum oͤffentlichen Gottes-
dienſte gewidmet wird; ſo iſt deutlich, daß
die heiligen Sachen durch die Einwey-
hung von allem gemeinen Gebrauch
abgeſondert, und eintzig und allein zu
einem heiligen Gebrauch gewidmer
werden.


§. 1026.

Von der
Kirche
und den
Kirchen-
ſachen.

Die Kirche nennt man eine Verſamm-
lung der Menſchen, welche GOtt auf einer-
ley Art verehren, und folglich einerley Reli-
gion ergeben ſind. Es heißt eine beſondere
Kirche (particularis eccleſia), welche ſich an
einem beſondern Orte, z. E. in einer Stadt,
oder einem Theile derſelben, oder in einem
Dorfe, befindet; gleichwie es die allgemei-
ne
(univerſa) heißt, welche auf den gantzen
Erd-
[739]Von der Einrichtung einer Republick.
Erdboden zerſtreuet iſt. Daher werden nun
Kirchenſachen(res eccleſiaſticæ, vel ec-
cleſiæ)
genennet, welche zu einem gewiſſen
Gebrauch der Kirche gehoͤren, ob ſie wohl nicht
unmittelbar und ſchlechthin zum Gottesdienſt
gewidmet ſind. Zuſammen genommen fuͤh-
ren ſie den Titel der Kirchenguͤther, welche
ſo wohl in coͤrperlichen, als uncoͤrperli-
chen Sachen beſtehen koͤnnen
(§. 121.).
Weil ſo wohl die heiligen, als auch die
gemeinen Sachen
zum Gebrauch einer ge-
wiſſen beſondern Kirche gewidmet werden (§.
1025. und gegenw.); ſo gehoͤren beyde einer
beſondern Kirche. Weil doch aber diejenigen,
welche ietzt leben, eine Kirche nicht allein aus-
machen, ſondern auch diejenigen mit dazu ge-
rechnet werden muͤſſen, ſo nach dieſer ihrem
Ableben an ihre Stellen kommen, doch ſo,
daß ſie in der Gemeinſchaft einerley Religion
verbleiben; ſo koͤnnen die ietzigen Glie-
der der Kirche keine ſolche Einrich-
tung mit den Kirchenguͤthern machen,
welche der Kirche, wie ſie kuͤnftig
ſeyn wird, zum Nachtheil gereichen
koͤnnte.


§. 1027.

Die Vorſtellungen von Thaten gewiſſerVon
Luſt- und
Trauer-
ſpielen.

Perſonen, ſie moͤgen nun wirckliche oder er-
dichtete ſeyn, welche einen erfreulichen Aus-
gang haben, heiſſen Luſtſpiele(comœdiæ);
haben ſie aber einen traurigen Ausgang, ſo
heiſſen ſie Trauerſpiele(tragœdiæ): Laß
A a a 2es
[740]III. Theil 2. Abth. 3. Hauptſtuͤck.
es ſeyn, daß die Alten noch uͤberdem die Luſt-
ſpiele von den Trauerſpielen durch die Be-
ſchaffenheit der Perſonen, und durch die Um-
ſtaͤnde des Gluͤcks und der Geſchaͤfte unter-
ſchieden haben. Weil die Luſt- und Trauer-
ſpiele
denjenigen Nutzen gewaͤhren, welchen
die Exempel ſo wir ſelbſt erlebt haben, geben;
und dieſes zwar wegen der offenbaren Ver-
bindung zwiſchen den Thaten und ihrem Aus-
gange mit einem viel groͤſſern Nachdruck;
und ſie folglich zur Ausuͤbung der Pflichten
uͤberhaupt, und eines Buͤrgers inſonderheit,
ein vieles beytragen: ſo ſind ſie, daferne
ſie zu dieſem Endzweck geſchickt ſind,
in einer Republick zu dulden; keines-
weges aber alsdenn, wenn ſie denen
Gemuͤthern eine Luſt zum Laſtern ein-
floͤſſen koͤnten.


§. 1028.

Von der
Sorg-
falt eines
Ober-
herrn
fuͤr die
Gerech-
tigkeit.

Wenn man nicht in Furcht ſchweben ſoll,
daß man anderer Unrecht herhalten muͤſſe,
welches allerdings der Endzweck einer Repu-
blick erheiſchet (§. 972.), ſo iſt noͤthig, daß
man einen ieden vor anderer Unrecht
ſicher ſtelle, und folglich iſt es nicht
zu geſtatten, daß iemand von einem
andern beleidiget (§. 88.), oder betro-
gen werde (§. 286.), vielmehr muß
man Sorge tragen, daß jeder ſein
Recht erhalte
(§. 86.), alſo naͤmlich, daß
er erlange, was ihm ein anderer ſchul-
dig iſt (§. 80.), daß die zugefuͤgten

Schaͤ-
[741]Von der Einrichtung einer Republick.
Schaͤden verguͤtet (§. 170.), und die
ſchuldigen des angethanen Unrechts
halber geſtrafet werden
(§. 93.). Weil
die gewaltſame Verfolgung ſeines Rechtes
der Krieg iſt (§. 98.); ſo kommt die Aus-
uͤbung des Privatkrieges in der Repu-
blick dem Oberherrn zu.
Wenn es nun
aber nicht moͤglich iſt, daß ein Oberherr dies
alles ſelbſt befolge, Richter aber Perſonen
ſind, welche ſorgen ſollen, daß ein ieder in
der Republick ſein Recht erhalte, und die ei-
nen ieden wider das Unrecht anderer verthei-
gen; ſo muͤſſen in der Republick Rich-
ter beſtellet werden.
Hieraus ergiebt ſich,
daß in einer Republick die Gerichte die
Stellen der Privatkriege vertreten.


§. 1029.

Weil die Richter zu ſorgen haben, daß ie-Vom
Rechte
der Rich-
ter.

dermann zu ſeinem Rechte komme (§. 1028.);
ſo muͤſſen ſie die Sachen, die vor Ge-
richte gebracht werden, unterſuchen,
ausſprechen wer Recht hat, und dem
ſchuldigen auferlegen, daß er dem,
der gewonnen, leiſte was er ſchuldig
iſt; will er ſich nicht gutwillig dazu
verſtehen, ſo haben ſie ſich der Zwangs-
mittel zu bedienen.
Dieweil nun die
Richter gleichſam von dem Oberherrn
geſetzte Schiedsmaͤnner ſind
(§. 770.);
ſo muß von den Richtern ebenfalls gelten,
was wir von den Schiedsmaͤnnern in Abſicht
auf die Art die Streitigkeiten zu endigen ge-
A a a 3ſaget
[742]III. Theil 2. Abth. 3. Hauptſtuͤck.
ſaget haben (§. 772. u. f.). Weil ihnen aber
doch die Ausuͤbung des Privatkrieges, wel-
cher von Natur einem ieden zukommt (§. 98.),
aufgetragen iſt; ſo ſtehet die Erfuͤllung
des Rechtes
(expletio juris) (§. 793.),
welche man naͤmlich die Vollſtreckung ei-
nes Urtheils
(executionem ſententiæ) nen-
net und die Vollfuͤhrung der Strafen
wegen des Privatunrechts,
oder welches
man eintzelen Perſonen zugefuͤget hat, denen
Richtern zu.
Da aber das Recht eines
Privatkrieges niemand benommen iſt, ſon-
dern nur durch die Richter ausgeuͤbet werden
ſoll; ſo folget, daß der Privatkrieg, wenn
man den Richter nicht haben kann,
annoch erlaubet ſey,
und man folglich die
Vergoͤnſtigung habe, ſich wider den,
der uns anfaͤllt (§. 90.), und ſeine Sa-
chen wider einen Raͤuber, und das
was man beſitzet, wider den, der ſie
uns nehmen will, zu vertheidigen
(§.
263. 265.).


§. 1030.

Von der
Beſtra-
fung oͤf-
fentlicher
Verbre-
chen.

Dieweil die gantze Gemeinheit in einem
Staate als eine moraliſche Perſon angeſehen
wird (§. 972.); ſo wird der Republick
ein Unrecht angethan, wenn etwas
begangen wird, welches wider das
Recht aller und ieder,
z. E. wider die
allgemeine Sicherheit laͤuft
(§. 89.).
Derowegen kommt allen und ieden, mithin
auch dem Oberherrn (§. 996.), das Recht
zu
[743]Von der Einrichtung einer Republick.
zu denjenigen zu ſtrafen, welcher das
allen zuſtehende Recht, als die oͤffent-
liche Sicherheit, auf irgend eine Art
verletzet hat.
Eine boshafte Handlung,
wodurch ein Schaden oder Unrecht zugefuͤget
wird, heiſſet eine Uebelthat(maleficium):
gleichwie eine ſolche aus Verſehen begangene
That gleichſam eine Uebelthat(quaſi
maleficium)
genennet wird. Eine Uebelthat,
wodurch man nur einem Privatmann Scha-
den zufuͤgt, oder Unrecht thut, heiſſet ein
Verbrechen(delictum); dahingegen die
Uebelthat, wodurch der Republick geſchadet,
oder Unrecht gethan wird, den Nahmen ei-
ner Miſſethat(criminis) fuͤhret. Jenes
nennt man auch Privatverbrechen(deli-
cta privata),
dieſe aber oͤffentliche(publi-
ca delicta).
Derowegen muß auch denen
Richtern das Recht die oͤffentlichen
Verbrechen, oder Miſſethaten zu be-
ſtrafen verliehen werden.


§. 1031.

Jndem jemand mit einer Strafe ſeinesVon der
Unterſu-
chung.

Verbrechens, oder Miſſethat halber beleget
wird (§. 1030.); ſo kann niemand ge-
ſtrafet werden, wenn nicht ſein Ver-
brechen, oder Miſſethat genugſam be-
wieſen iſt, oder er es freywillig geſtan-
den hat.
Und weil die annoch verborgenen
Umſtaͤnde zur Linderung der Strafe etwas
beytragen koͤnnen; ſo muß dem ſchuldi-
gen, ehe er als uͤberwieſen und als ei-

A a a 4ner
[744]III. Theil 2. Abth. 3. Hauptſtuͤck.
ner der bekennet verdammet wird, ge-
ſtattet werden, daß er, was er zu ſei-
ner Entſchuldigung ſagen zu koͤnnen
vermeinet, vorbringe;
folglich iſt nie-
mand vor ſeiner Vertheidigung zu
ſtrafen, es ſey dann, daß er ſelbſt ein-
geſtehe, daß er nichts zu ſeiner Ver-
theidigung wiſſe.
Weil der Republick
daran gelegen iſt, daß die Verbrechen, ſon-
derlich aber die Miſſethaten, nicht unbeſtraft
hingehen (§. 93.); ſo muß man bemuͤhet
ſeyn, wenn ſich eine Miſſethat nicht
hinlaͤnglich beweiſen laͤßet, daß derje-
nige, welcher ſich desfalls verdaͤchtig
gemacht, beym Leugnen aber verhar-
ret, zum Bekenntniß gebrachr werde;

und folglich hat man ein Recht diejeni-
gen Mittel zu gebrauchen, ohne wel-
chen die Bekenntniß nicht zu erhalten
iſt
(§. 46.). Und darin beſteht die ſo ge-
nannte Unterſuchung(inquiſitio); der
aber, um deſſen oͤffentliches Verbrechens wil-
len man die Unterſuchung anſtellet, heiſſet
der Jnqviſite(inquiſitus).


§. 1032.

Von der
Tortur.

Die Tortur(tortura) iſt eine Handlung,
vermoͤge welcher der Koͤrper desjenigen, wel-
cher ſich einer Miſſethat halber verdaͤchtig ge-
machet hat, auf eine ſchmertzhafte und pein-
liche Art angegriffen wird, daß er zum Ge-
ſtaͤndniß derſelben gebracht werden ſolle. Die
Schreckung aber (territio) beſtehet in Dro-
hungen,
[745]Von der Einrichtung einer Republick.
hungen, daß jemand gemartert werden ſolle,
welche einem Jnqviſiten in der Marterkam-
mer, in Gegenwart des Scharfrichters, und
mit Vorzeigung der Marterwerckzeuge, zuge-
fuͤget werden. Jndem zwar viele, ob ſie wohl
unſchuldig ſind, lieber ſterben, als die Tor-
tur ausſtehen, wollen; ſo iſt die Tortur
nicht geſchickt genug die Wahrheit zu
erforſchen;
und man hat auch wircklich
Exempel, daß manche unſchuldige wegen der
Grauſamkeit der Marter ein Bekenntniß ab-
geleget, und darauf verdammet worden ſind.
Unterdeſſen aber weil doch der Republick gar
ſehr daran gelegen, daß keine Miſſethat un-
beſtraft bleibe, als welches der oͤffentlichen
Sicherheit ſchnur gerade entgegen ſtehet (§.
93.); ſo kann doch ein Jnqviſit, wenn
er ſich einer ſchwehren Miſſethat ſehr
verdaͤchtig gemacht hat,
ſo daß zur voͤl-
ligen Gewißheit faſt nichts als ſein eigen Ge-
ſtaͤndniß fehlet, beſonders wenn er von ge-
ſunden und ſtarcken Koͤrper, und ſeine
Bosheit ſonſt ſchon bekannt genug iſt,
gemartert werden.
Der Reinigungseid,
welcher einem einer Miſſethat verdaͤchtigen
von dem Richter zuerkannt wird, heißt die
geiſtliche Tortur(tortura ſpiritualis).
Daß nun dieſe, wenn die Miſſethat
entweder eine Lebens- oder Leibesſtra-
fe, oder den Verluſt der Ehre nach
ſich ziehet, kein hinlaͤnglich geſchicktes
Mittel ſey die Wahrheit heraus zu

A a a 5brin-
[746]III. Theil 2. Abth. 3. Hauptſtuͤck.
bringen, iſt leicht zu erachten; indem nicht
alle GOtt als einen Raͤcher fuͤrchten, andere
aber glauben, daß ſie deswegen ſchon Verge-
bung erhalten wuͤrden: daß ſie alſo lieber
falſch ſchwoͤhren, als die Miſſethat bekennen
wollen.


§. 1033.

Von der
Geſan-
genneh-
mung
und dem
ſichern
Geleite.

Nachdem die Miſſethaten nicht duͤrfen un-
geſtraft bleiben (§. 1032.); ſo muß man
ſich, wenn dergleichen begangen wor-
den, bemuͤhen den ſchuldigen zu ent-
decken, iſt er bereits bekannt, ſo muß
man ihn ins Gefaͤngniß werfen,
daß
er nicht entwiſche, iſt er aber noch ver-
borgen, oder iſt er fluͤchtig geworden,
ſo muß man alles anwenden, daß man
ihn ertappe.
Und daraus folgt noch wei-
ter, daß er ſo lange in Verhaft bleiben
muͤſſe, bis er durch richterlichen Aus-
ſpruch entweder losgeſprochen, oder
verdammet wird.
Dieweil er aber nur
der Verwahrung wegen im Gefaͤngniß ſitzen
ſoll; ſo hat man die Vollſtreckung der
Strafe,
ſonderlich wo es die Nothwendig-
keit nicht anders befiehlet, nicht aufzuſchie-
ben.
Hieraus laͤſſet ſich zugleich verſtehen,
daß man der Gefangennehmung ſich
nicht bedienen muͤſſe, wenn man auch
an einem abweſenden die Strafe voll-
ziehen kann;
und eben ſo klar iſt es, daß
man einen der Flucht verdaͤchtigen
Zeugen in Verwahrſam bringen koͤnne

(§. 778.).
[747]Von der Einrichtung einer Republick.
(§. 778.). Ein Beſchuldigter(inculpa-
tus)
heiſſet derjenige, welcher eines Verbre-
chens oder einer Miſſethat halber angeklagt
wird. Solte nun ein Beſchuldigter, oder
auch wohl ein ſchuldiger, als welchem
man ebenfalls die Vertheidigung nicht verſa-
gen kann (§. 1031.), aus Furcht vor dem
Gefaͤngniß entwichen ſeyn, und dem
Richter abweſend verſprechen, daß er
ſich auf geſchehene Vorladung ieder-
zeit vor Gerichte ſtellen, und ſeine Sa-
che ausfuͤhren wolle, wenn man ihn
nur verſichere, daß er nicht ſolle ein-
geſtecket werden,
welches man ein ſicher
Geleite
(ſalvum conductum) nennet; ſo
muß der Richter ihm dieſes geben,
doch,
damit er hernach das Gericht nicht
teuſchen koͤnne, dergeſtalt, daß er daruͤ-
ber vorher die gehoͤrige Verſicherung
leiſte, daß er allezeit vor Gericht er-
ſcheinen wolle.
Unterdeſſen wenn er
durch das Urtheil des Richters ſollte
zur Lebens- oder harter Leibesſtrafe
verdammet, oder auf die Tortur ge-
bracht werden,
und es fiele alsdenn der
Verdacht, daß er fluͤchtig worden wuͤrde, auf
ihn, ſo hoͤret das ſichere Geleite auf;
ja, ſollte er waͤhrender Unterſuchung
eine Miſſethat begehen, welcherwe-
gen man ihn gefangen nehmen koͤnnte,
ſo muß man ihn, ohnerachtet des

ſichern
[748]III. Theil 2. Abth. 3. Hauptſtuͤck.
ſichern Geleites, als welches dahin gar
nicht gehoͤret, in Verhaft bringen.


§. 1034.

Von der
Sorge
des O-
berherrn
fuͤr die
Geſund-
heit der
Unter-
thanen.

Jn der Republick muß ein Menſch mit zu-
ſammengeſetzten Kraͤften aller und ieder das
zu erhalten ſuchen, wozu er vor ſich natuͤrli-
cher Weiſe verbunden iſt (§. 972.). Was
nun ein Oberherr darzu beytragen kann,
daß die Geſundheit ſeiner Untertha-
nen erhalten, und die verlohrne wie-
derum hergeſtellet werden moͤge, dazu
iſt er verbunden.
Daraus entſtehet
nun die Sorge fuͤr geſunde Speiſe und
Tranck, fuͤr einen Vorrath der Artze-
neyen, ingleichen daß es nicht an er-
fahrnen Aertzten und Wundaͤrtzten
fehle, und daß geſchickte Lehrer der
heilſamen Kunſt beſtellet werden;
fer-
ner daß die Unterthanen es nicht noͤ-
thig haben ihrer Geſundheit durch all-
zuviele Arbeit zu ſchaden, und daß
man denen, welche man in oͤffentliche
Aemter ſetzet, hinlaͤnglichen Sold rei-
che.
Es gehoͤret auch hieher eine Sorg-
falt wegen der Gemaͤchlichkeit und
Sicherheit der oͤffentlichen Land-
ſtraſſen.


§. 1035.

Von der
Sorge
fuͤr die
Gebaͤu-
de.

Aus eben der Urſache iſt klar (§. 116.),
daß ein Oberherr Anſtalten vorkehren
muͤße, daß man die Baumaterialien
fuͤr einen billigen Preis bekommen

koͤnne,
[749]Von der Einrichtung einer Republick.
koͤnne, daß erfahrne Baumeiſter, Zim-
merleute, Maͤurer und andere Hand-
wercker vorhanden ſeyn, und zugleich
daß dieſe es nicht an ihrer Schuldig-
keit bey der Erbauung der Haͤuſer er-
mangeln laſſen.
Man rechnet auch hier-
her die Sorge wegen der Feuersbruͤn-
ſte, damit man ſolche beyzeiten loͤſche,
und ihnen ſo viel als moͤglich vorbeu-
ge.
Und weil ſchoͤne oͤffentliche Gebaͤude ei-
nem Staate ein Anſehen geben; ſo hat der
Oberherr dafuͤr zu ſorgen, daß die Kir-
chen, Rathhaͤuſer, Schul-academi-
ſche und andere oͤffentliche Gebaͤude
nicht nur feſt und nuͤtzlich, ſondern
auch ſchoͤn aufgefuͤhret werden.


§. 1036.

Weil man fuͤr Geld theils Sachen, theilsVon der
Sorge
fuͤr die
Muͤntze.

anderer Arbeit, deren man benoͤthiget iſt, be-
kommen kan (§. 494.); ſo hat der Ober-
herr zu ſorgen, daß es nicht an hin-
laͤnglicher Muͤntze, womit man Sa-
chen und Arbeit erhalten kann, fehle.

Und weil man die Betruͤgerey nicht geſtatten
ſoll (§. 1028.); ſo muß er ſorgen, daß
der innere Werth einer Muͤntze dem
aͤuſſerlichen gemaͤß, oder daß die Muͤn-
tze gut ſey;
und eben deswegen liegt ihm ob,
die Muͤntzverfaͤlſcher(monetæ adultera-
tores),
die entweder falſche Muͤntze ſchlagen,
z. E. wenn ſie einen Zuſatz von ſchlechtern Me-
tall, als es in oͤffentlichen Geſetzen vorge-
ſchrieben
[750]III. Theil 2. Abth. 3. Hauptſtuͤck.
ſchrieben iſt, nehmen, oder welche die Muͤntze
durch abſchaben geringhaltiger machen, ernſt-
lich zu beſtrafen, auch es nicht zu dul-
den, daß die gute Muͤntze aus dem
Lande geſchaffet, und dafuͤr von den
Wechslern und andern ſchaͤndlichen
Gewinſtes gierigen Leuten ſchlechte
Muͤntze eingefuͤhret werde.


§. 1037.

Von den
Laſten
der Re-
publick.

Alle Unkoſten, welche wegen Verwaltung
der Republick muͤſſen aufgewendet werden,
heiſſen Laſten der Republick(onera rei-
publicæ).
Da nun die Republick ohne La-
ſten weder kan verwaltet noch vertheidiget
werden; ſo muͤſſen alle und iede die La-
ſten der Republick tragen (§. 972.),
doch aber ſind ſie auch nicht weiter
aufzulegen, als es die Verwaltung und
Vertheidigung der Republick erfor-
dert, und
weil man die Buͤrger nicht an
den Bettelſtab bringen muß, ſo muß auch
ein ieder nur nach ſeinem Vermoͤgen
dazu beytragen.
Man nennet es aber or-
dentliche Laſten,
welche die beſtaͤndige
Nothdurft erheiſchet; hingegen ſind es auſ-
ſerordentliche,
die einige ſich ereignende
Faͤlle erfordern.


§. 1038.

Vom
oͤffentli-
chen
Schatz.

Die oͤffentliche Schatzkammer(æra-
rium publicum)
iſt ein Ort, wo man das
oͤffentliche Geld zuruͤcke leget. Es iſt offen-
bar, daß die Republick einer oͤffentli-
chen
[751]Von der Einrichtung einer Republick.
chen Schatzkammer (§. 1036.), und ſo
viel baares Geldes benoͤthiget ſey, als
die Verwaltung und Vertheidigung
der Republick erfordert.
Ja es muͤſ-
ſen auch beſondere Geſellſchaften,
auſ-
ſer der Schatzkammer des gantzen Staates,
ihre Schatzkammern haben, wo ſie die
Gelder aufheben, welche von ihnen zum oͤf-
fentlichen Gebrauch aufgebracht worden ſind.


§. 1039.

Von der oͤffentlichen Schatzkammer iſt dieVon der
Rent-
kammer.

Rentkammer(fiſcus) unterſchieden, als
welche das Behaͤltniß des eigenen Geldes des
Koͤnigs oder des Regenten iſt. Was alſo
des Koͤnigs eigenes iſt, oder zu ſeinem
beſondern Nutzen beſtimmet worden,
das liegt in der Rentkammer.
Daher
iſt die Einziehung der Guͤther(confi-
ſcatio bonorum)
diejenige Handlung, da
man jemand zur Strafe alle Guͤther nimmt,
und der Rentkammer zuſchlaͤgt. Daraus
laͤßt ſich zugleich verſtehen, was man die
Confiſcation einer beſondern Sache
(confiſcationem rei particularis) nenne.


§. 1040.

Weil der Koͤnig ohne Aufwand weder ſichVon
Kam-
merguͤ-
thern.

und ſeine Familie erhalten, noch auch einen
koͤniglichen Staat fuͤhren kann, er aber die
Herrſchaft der Unterthanen halber ausuͤbet;
ſo ſind die Unterthanen in einem Reich
gehalten dem Koͤnige genugſame Ko-
ſten darzureichen, damit er ſich und

ſeine
[752]III. Theil 2. Abth. 3. Hauptſtuͤck.
ſeine Familie und das Anſehen der koͤ-
niglichen Wuͤrde erhalten koͤnne:
Da-
her muͤſſen dem Koͤnige gewiſſe Ein-
kuͤnfte angewieſen werden, welche
nach Beſchaffenheit der Umſtaͤnde zu
vermehren ſind
(§. 1038.). Die Landguͤ-
ther, deren Einkommen zur Erhaltung des
Regenten und ſeiner Familie gehoͤren, heiſ-
ſen Kammerguͤther(domania),und die
Einkuͤnfte davon machen ſeine eigene
Guͤther aus
(§. 1021.). Derowegen kann
er uͤber dieſe Einkuͤnfte nach ſeinem
Gefallen die Einrichtung machen (§.
195.); iedoch iſt er,
als einer der nur die
Nutzung davon hat, nicht befugt, ſolche
zu verkaufen, oder zu verpfanden (§.
713.), ja, wenn ſie auch veraͤuſſert
waͤren, kann ſie der Nachfolger wie-
der einziehen, und es gilt auch hier, es
mag ſo viel Zeit verfloſſen ſeyn, als es
will, keine Verjaͤhrung
(§. 451. 452.).
Weil in einem vollkommen eigenthuͤmlichen
Reiche alles, was der Herrſchaft wegen feſte
geſetzet worden, ein Eigenthum des Koͤnigs
iſt (§. 986.); ſo kann er auch darin ſeine
Kammerguͤther veraͤuſſern oder ver-
pfaͤnden
(§. 257. 697.). Endlich wenn
ein Koͤnig das Recht hat, um einer
ieden neuen Urſache willen ohne irgend
einer Einſchraͤnckung Auflagen anzu-
kuͤndigen, ſo kann er
ebenfalls ſeine
Kammerguͤther verpfaͤnden;
denn er
haͤtte
[753]Von der Einrichtung einer Republick.
haͤtte ja anſtatt des geliehenen Geldes Aufla-
gen machen koͤnnen.


§. 1041.

Da man einem ieden ſeine verdiente EhreVon
Titeln u.
Rang.

wiederfahren laſſen ſoll (§. 142.); ſo muß
der Oberherr auch diejenigen aͤuſſerli-
chen Handlungen beſtimmen, wodurch
denen, welche ſich um die Republick
wohl verdient gemacht haben, ihrer
Verdienſte wegen, von denen uͤbrigen
die gebuͤhrende Ehre erwieſen werden
koͤnne. Hierzu ſind nun die Titel,
wel-
ches Woͤrter ſind, welche die Fuͤrtreflichkeit
des einen fuͤr den andern andeuten, und der
Rang geſchickt
(§. 75.). Weil nun Ti-
tel und Rang Zeichen der Verdienſte um die
Republick ſeyn, und durch ſie die Buͤrger zu
allerley ausnehmenden Verdienſten um die
Republick verbunden werden ſollen (§. 35.);
ſo muͤſſen weder Titel noch Rang ver-
kaufet werden.
Aus eben der Urſache
muß man nicht leiden, daß jemand an-
dere, ſonderlich diejenigen, welche
durch buͤrgerliche Wuͤrden erhaben,
oder gezieret ſind, beſchimpfe.


Nat. u. Voͤlckerrecht. B b bDas
[754]III. Theil 2. Abth. 4. Hauptſtuͤck.
Das vierdte Hauptſtuͤck.

Von den Majeſtaͤtsrechten.


§. 1042.

Was
zum Ma-
jeſtaͤts-
rechten
gehoͤre.

Da man Majeſtaͤtsrechte nennet, welche
zur hoͤchſten Herrſchaft und zu deren
Ausuͤbung gehoͤren (§. 998.); ſo
muͤſſen alle Rechte hieher gezogen
werden, ohne welche ſich die oͤffentli-
che Herrſchaft ſo nicht fuͤhren laͤßet,
daß die oͤffentliche Wohlfahrt nach
Vermoͤgen befoͤrdert werde
(§. 980.);
folglich kommt demjenigen, welcher die
buͤrgerliche Herrſchaft ausuͤbet, das
Recht zu, alles dasjenige feſt zu ſetzen,
was ihm zur Erhaltung der oͤffentli-
chen Wohlfahrt etwas beyzutragen
ſcheinet.


§. 1043.

Die Ge-
walt Ge-
ſetze zu
geben.

Weil eine iede Geſellſchaft, folglich auch
ein Staat, ihre Geſetze haben muß, und ihr
das Recht Geſetze zu geben zuſtehet (§. 846.);
ſo iſt die Gewalt Geſetze zu geben, oder
das Recht Geſetze zu errichten, denen Ma-
jeſtaͤtsrechten zuzuzaͤhlen
(§. 1042.).
Derowegen weil ſich keine Geſetze ohne
Verbindlichkeit gedencken laſſen (§. 39.); ſo
muß man ihnen, wenn ſie nicht ſo be-
ſchaffen ſind, daß ihnen nicht durch
die Execution,
das iſt, wenn man einen
mit Gewalt antreibt das zu thun, was be-
fohlen
[755]Von den Majeſtaͤtsrechten.
fohlen iſt (§. 1029.), Gnuͤge geleiſtet
werden kann, ſolche und ſo groſſe
Strafen anhaͤngen, welche der Ueber-
tretung, ſo viel es ſich thun laͤſſet, zu
ſteuren hinlaͤnglich ſind.
Daraus laͤſſet
ſich verſtehen, daß es noch keine Geſetze
ſeyn, wenn der Oberherr nur anzei-
get, was von den Unterthanen geſche-
hen, oder nicht geſchehen ſolle, nicht
aber hinzufuͤget, daß diejenigen, wel-
che das Gegentheil thun wuͤrden,
Strafe davon tragen, oder mit Ge-
walt gezwungen werden ſollten:
in-
dem die Unterthanen durch eine ſolche Wil-
lenseroͤfnung nur hoͤchſtens ihrer Pflicht er-
innert werden. Zugleich aber laͤßt ſich leicht
erkennen, daß die Grundgeſetze nicht
der einem Regenten zukommenden Ge-
walt Geſetze zu geben unterworfen
ſeyn
(§. 984.).


§. 1044.

Weil der Oberherr ſeinen Willen durch Ge-Das
Recht
Geſetze
auszule-
gen.

ſetze kund macht, was die Unterthanen thun,
oder nicht thun ſollen (§ 1043. 39.); ſo
kommt auch ihm das Recht die Geſe-
tze auszulegen zu
(§. 794.). Derowe-
gen muß man in einem zweifelhaften
Falle die Auslegung von ihm haben,

welche die avthentiſche(avthentica) ge-
nennet zu werden pfleget. Allein die Grund-
geſetze kann er nicht auslegen.


B b b 2§. 1045.
[756]III. Theil 2. Abth. 4. Hauptſtuͤck.
§. 1045.

Vom
Rechte
Geſetze
abzu-
ſchaffen
und zu
veraͤn-
dern.

Ein Geſetz wird abgeſchaft, wenn
kund gemacht wird, daß es die Unterthanen
nicht mehr verbinden ſoll. Weil die Ver-
bindlichkeit, welche ein menſchliches Geſetz
hat, von dem Willen des Geſetzgebers abhan-
get (§. 39.); ſo kann ein Oberherr, wel-
cher ein Geſetz gegeben (§. 1042.), nach
ſeinem Gefallen es
auch wieder abſchaf-
fen,
folglich gehoͤrt das Recht Geſetze
abzuſchaffen unter die Majeſtaͤtsrech-
te
(§. 1041.). Und weil Geſetze aͤndern eben
ſo viel iſt als die alten aufheben, und andere
an deren Stelle bringen; ſo lieget in dem
Rechte Geſetze zu geben und abzuſchaf-
fen
auch das Recht Geſetze zu aͤndern.
Hingegen weil die natuͤrliche Verbindlichkeit,
welche von dem Naturgeſetze entſpringet (§.
39.), unveraͤnderlich iſt (§. 38.); ſo koͤn-
nen die Naturgeſetze nicht abgeſchaffet
werden.


§. 1046.

Von dem
Beguͤn-
ſtigungs-
recht.

Die Beguͤnſtigung(diſpenſationem)
nennet man eine in einem beſondern Falle
gegoͤnnete Erlaubniß zu einer im Geſetz ver-
bothenen Handlung. Daher weil beguͤnſtigen
ſo viel iſt als ein Geſetz in einem beſondern
Falle aufheben, oder iemand von der Ver-
bindlichkeit dazu befreyen; ſo kann ein O-
berherr bey den Geſetzen beguͤnſtigen,

und folglich gehoͤret das Recht zu be-
guͤnſtigen unter die Majeſtaͤtsrechte:

wel-
[757]Von den Majeſtaͤtsrechten.
welches jedoch ſich auf das Naturgeſetz,
wegen der Unveraͤnderlichkeit der natuͤrlichen
Verbindlichkeit (§. 38.), nicht ausdehnen
laͤſſet. Wenn
demnach der Oberherr
eines und das andere zulaſſen muß,
was wider das Naturrecht ſtreitet, ſo
laͤſſet er es nur ungeſtraft hingehen.


§. 1047.

Eine Freyheitbegnadigung(privile-Von dem
Rechte
eine
Freyheit-
begnadi-
gung zu
eꝛtheilen.

gium) iſt eine Ertheilung eines Rechtes, es
mag bejahend, oder verneinend, es mag einer,
oder mehrern Perſonen, oder einer gewiſſen
Ordnung von Leuten verliehen ſeyn, deſſen
andere ermangeln muͤſſen. Jnſonderheit nennt
man ein Familienprivilegium, welches ei-
ner Perſon und allen ihren Abkoͤmmlingen
ertheilet wird. Wer eine Freyheitbegnadi-
gung hat, heißt ein Privilegirter(privile-
giarius, privilegiatus).
Weil durch die Er-
theilung der Privilegien andere verbunden
werden zu leiden, daß der Privilegiate ſeines
Rechtes froh werde, und nichts thun duͤrfen,
was demſelben zuwider iſt; ſo ſind die Pri-
vilegien in der That Geſetze,
folglich
weil die Gewalt Geſetze zu geben dem Ober-
herrn zugehoͤret (§. 1043.), und ihm auch
das Recht zu beguͤnſtigen bey einem Geſetze
zuſtehet (§. 1046.), welches bey Privilegien
Platz findet; ſo gehoͤret das Recht Pri-
vilegien zu ertheilen unter die Maje-
ſtaͤtsrechte.
Wenn aber die Privilegia
nach Gutbefinden des Oberherrn gegeben wer-
B b b 3den,
[758]III. Theil 2. Abth. 4. Hauptſtuͤck.
den, und es alſo auf ihn ankommt, wem,
und unter welcher Bedingung, er Privilegia
erſtatten will; ſo kann der Oberherr die
Privilegien entweder auf eine Zeit,
oder auf lebenslang, unter einer ge-
wiſſen Beſchwerde, unter einer gewiſ-
ſen Bedingung, ſonderlich die zu er-
fuͤllen moͤglich iſt, oder auch umſonſt,
ja unter einer gewiſſen Strafe,
z. E.
daß es bey einem Mißbrauch, oder bey
einer gewiſſen That verlohren gehen
ſolle, geben.
Weil aber uͤbrigens die oͤf-
fentliche Wohlfahrt das hoͤchſte Geſetz iſt in
einem Staat (§. 976.); ſo muͤſſen die
Freyheitsbegnadigungen auch nur um
der oͤffentlichen Wohlfahrt willen ge-
geben werden: Sollten ſie
folglich zum
Schaden der Republick, oder vieler
Buͤrger, ausſchlagen, ſo kann ſie der
Oberherr wiederum auf heben.


§. 1048.

Von dem
Rechte zu
ſtrafen
und des
Schwer-
tes.

Da die Verbindlichkeit ihren Nachdruck
von der Furcht der Strafen hat (§. 35. 93.);
ſo muͤſſen die den Geſetzen angehaͤng-
te Strafen vollzogen werden.
Derowe-
gen da ſo wohl die Privat- als oͤffentlichen
Verbrechen auch muͤſſen geſtrafet werden (§.
1029.); ſo gehoͤret das Recht zu ſtra-
fen, und die Strafen zu beſtimmen zu
den Majeſtaͤtsrechten.
Weil nun die
Strafen entweder Uebel des Gluͤcks, oder des
Leibes ſind (§. 93.); ſo beſtehen ſie in der
Berau-
[759]Von den Majeſtaͤtsrechten.
Beraubung deſſen was iemandes ei-
gen iſt, und in einem verurſachten
Leibesſchmertzen,
folglich koͤnnen einem
alle koͤrperliche Sachen, Geld, und al-
le Arten der Rechte,
und eben deswegen
auch Privilegien, entweder auf ewig,
oder auf eine gewiſſe Zeit zur Strafe
genommen, der Verbrecher kann un-
ehrlich gemacht, und an ſeinem Lei-
be auf allerley Weiſe hart angegriffen
werden:
Ja weil die Ausuͤbung des Straf-
rechtes in der That eine Vertheidigung wider
diejenigen iſt, welche den Vorſatz zu beleidi-
gen haben (§. 90. 93.); ſo kann man ei-
nem das Leben ſelbſt zur Strafe neh-
men
(§. 94.). Demnach ſind die Todes-
ſtrafen vor ſich ſelbſt nicht unerlaubt,
ja, wenn ſich die Miſſethaten nicht
anders abwenden laſſen, ſind ſie er-
laubt.
Das Recht Lebensſtrafen an den
Uebelthaͤtern zu vollſtrecken heißt das Recht
des Schwerdtes,
oder das Recht uͤber
Leben und Tod,
welches doch aber noch
weiter gehet, in ſo fern es naͤmlich das Recht
der Unterthanen Leben der Todesgefahr bloß
zu ſtellen, wie im Kriege geſchiehet, mit un-
ter ſich begreift.


§. 1049.

Weil die Wiedervergeltung eine Gleich-Ob man
bey der
Vollzie-
hung der
Strafen
auf die

heit der Rache iſt, da einer ſo viel Uebel lei-
det, als er geſtiftet hat, und dieſe an ihr
ſelbſt, als unerlaubt, in der Ausuͤbung des
B b b 4Straf-
[760]III. Theil 2. Abth. 4. Hauptſtuͤck.
Wieder-
vergel-
tung zu
ſehen ha-
be.
Strafrechtes, nicht in Betrachtung zu zie-
hen iſt (§. 156.); ſo iſt auch bey der Be-
ſtrafung der Privat- und oͤffentlichen
Verbrechen nicht auf die Wiederver-
geltung zu ſehen, ſondern man muß
den Verbrecher zur Strafe bald mit ei-
nem geringern Uebel, als er zugefuͤget
hat, belegen, wie es der Endzweck
der Strafe erfordert
(§. 94.). Aus eben
der Urſache iſt auch ein Uebel an ſich ſelbſt
nicht alſo beſchaffen, daß es geſtraft
werden muͤſte, und der Regent des
Staats hat auch den Tod eines Uebel-
thaͤters nicht zu ſeiner Abſicht, ſon-
dern vielmehr die Beleidigung ſo wohl
von einem ieden, als auch von der Re-
publick, oder allen zuſammengenom-
men abzuwenden.


§. 1050.

Was
nicht ge-
ſtraft
werden
koͤnne.

Weil die Menſchen von Natur kein Recht
zu ſtrafen haben, auſſer nur wenn wircklich
eine Beleidigung geſchehen iſt (§. 93.); ſo
koͤnnen die innerlichen Handlungen,
wenn ſie nicht aͤuſſerlich ausbrechen,
nicht geſtrafet werden.
Daher kann
man auch der Jrrthuͤmer halber nie-
mand beſtrafen, aber die Ausbreitung
des Jrrthums iſt es,
ſonderlich wenn man
es verbothen hat, welche mit Strafe be-
leget werden kann.
Derowegen weil die
Gottesverleugnung und der Deiſmus

ebenfalls Jrrthuͤmer ſind, ſo ſind ſie der
Strafe
[761]Von den Majeſtaͤtsrechten.
Strafe nicht unterworfen; aber die
Ausbreitung der Atheiſterey, Deiſterey,
und anderer der Religion zuwiderlau-
fenden Jrrthuͤmer kann mit Strafe
angeſehen werden.
Weil es eben ſo viel
als eine Strafe iſt, wenn iemand aus einem
Staate weichen muß; ſo muß man nicht
eher zu haͤrtern Strafen ſchreiten, als
bis er entweder das Land nicht raͤu-
men, oder von der Ausbreitung des
Jrrthums nicht abſtehen will.
Und die
Verweiſung aus einem Staate iſt auch gewiß
keine leichte Strafe, ſonderlich wo es einem
ſchwer wird, anderswo ſein Gluͤck zu finden.


§. 1051.

Da man das Recht des Begraͤbniſſes derOb man
jemand
zur Stra-
fe das
Begraͤb-
niß ver-
ſagen
koͤnne.

Menſchheit ſchuldig iſt (§. 824.), und dieſes
einem zur Strafe genommen werden kann (§.
1048.), und es uͤberdem ſich zum Strafen
recht gut ſchicket, daß ihr Andencken erhal-
ten werde, in ſo fern ſie zum Beyſpiel dienen
ſollen (§. 93.); ſo kann man die Leich-
name derer, die am Leben geſtraft
worden ſind, gar wohl zur oͤffentli-
chen Schau unbegraben liegen laſſen.

Ja aus eben der Urſache wird denen Ver-
aͤchtern der Religion, und denenjeni-
gen, welche ſich ſelbſt, ohne daß eine
Urſach, die ihnen nicht zuzurechnen
waͤre,
z. E. die Raſerey, Unſinnigkeit, oder
Schwermuth, angefuͤhret werden koͤnte,
das Leben genommen haben, zur

B b b 5Strafe
[762]III. Theil 2. Abth. 4. Hauptſtuͤck.
Strafe das Begraͤbniß an einem ehr-
lichen Orte verſagt.


§. 1052.

Ob La-
ſter ge-
ſtraft
werden
koͤnnen.

Weil ein Oberherr die groben Laſter,
oder ſchaͤndliche Thaten(ſcelera, vitia
fœda)
in der Republick zu dulden nicht ſchul-
dig iſt, ſonderlich wo zu beſorgen ſtehet, daß
ſie immer mehr und mehr uͤberhand nehmen
(§. 1024.), oder wenn ſie der oͤffentlichen
Wohlfahrt einigermaſſen zuwiderlaufen (§.
976.); ſo kann er ſie, wie verbiethen, al-
ſo auch beſtrafen, z. E. Hurerey, Ehe-
bruch, widernatuͤrlichen Beyſchlaf, Gottes-
laͤſterung, allzugroſſe Verſchwendung.


§. 1053.

Wie die
Eltern in
den Kin-
dern ge-
ſtrafet
werden.

Wenn die Guͤther der Eltern einge-
zogen werden,
binnen der Zeit da die Kin-
der
an ihnen noch kein eigenthuͤmliches
Recht haben, als welches ſie erſt nach je-
ner ihrem Tode erhalten (§. 917. 921.); ſo
werden ſie wegen der That ihrer El-
tern zwar nicht geſtraft
(§. 1048.). Jn
ſo ferne aber ihnen die Erbſchaft entzogen
wird, auf welche ſie ſich Hofnung machen
konten, ſo empfinden ſie in dieſer Ab-
ſicht einiges Uebel.
Dieweil aber die El-
tern dafuͤr Sorge tragen ſollen, daß ihre Kin-
der begluͤckt ſeyn moͤgen (§. 892.), wohin
ſie auch die von Natur eingepflantzte Liebe
leitet, welche ſelbſt bey dem Vieh anzutref-
fen iſt; ſo ſchmertzet es ſie, daß die Kinder
der Guͤther beraubet werden, welche ſie ſonſt
nach
[763]Von den Majeſtaͤtsrechten.
nach ihrem Ableben bekommen haben wuͤrden.
Und daher werden die Eltern durch das
Einziehen der Guͤther in den Kindern
geſtraft (§. 93.). Dieſes laͤßet ſich
auf
gleiche Weiſe verſtehen, wenn den Kin-
dern wegen der Miſſethat der Eltern
etwas genommen wird, was ſie haben,
oder erwarten koͤnnen, worauf nicht
ihnen ſelbſt, ſondern dem Volck, oder
dem Koͤnige ein eigenthuͤmliches Recht
zuſtehet, oder welches nicht zu ihrem,
ſondern zu des Volckes, oder Koͤnigs
Eigenthum gehoͤret.
Dergleichen iſt der
Adel, das Erbrecht auf gewiſſe buͤrgerliche
Wuͤrden, eine buͤrgerliche Faͤhigkeit zu ge-
wiſſen oͤffentlichen Aemtern, das Recht Rit-
terguͤther zu beſitzen, und andere Privilegien,
welche der Familie verliehen worden ſind, in-
dem alle dieſe Dinge die Beſchaffenheit ha-
ben, daß ſie dem Rechte des Oberherrn be-
ſtaͤndig unterworfen bleiben, daß er daruͤber
verfuͤgen kann, wie es die Wohlfahrt der
Republick erfordert (§. 976.).


§. 1054.

Dieweil das Wohl des gemeinen WeſensVom Be-
gnadi-
gungs-
recht.

das allerhoͤchſte Geſetz iſt (§. 976.), die Be-
ſchaffenheit aber und die Groͤſſe der Strafen
durch den Willen des Oberherrn beſtimmet
wird (§. 1048.); ſo kann der Oberherr,
wenn er glaubt, daß es der Republick
zum Vortheil gereiche, daß die Strafe
erlaſſen, oder wenigſtens gemindert

wer-
[764]III. Theil 2. Abth. 4. Hauptſtuͤck.
werde, ſie erlaſſen, oder mildern. Da-
zu koͤnnen aber hinlaͤngliche Gruͤnde ſeyn die
vortreflichen Verdienſte der Eltern, oder der
Vorfahren um die Republick, oder um den
Oberherrn, derentwegen eine Erlaſſung, oder
Milderung der Strafe eben ſo viel als eine
Wohlthat iſt, welche ihnen an ihren Kindern,
oder Nachkommen, oder Anverwandten er-
theilet wird. Dergleichen ſind auch die an-
ſehnlichen Verdienſte der Verbrecher ſelbſt
um die Republick und den Regenten des
Staats, oder die groſſe Hoffnung daß ſie ſich
inskuͤnftige verdient machen werden. Das
Recht aber die Strafen zu erlaſſen, oder zu
vermindern wird das Begnadigungsrecht
(jus aggratiandi) genennet. Sind die Stra-
fen bereits im Geſetz beſtimmet; ſo iſt die
Begnadigung ſo gut als eine Beguͤnſtigung
(§. 1046.), und das Recht zu begnadigen iſt
unter dem Beguͤnſtigungsrechte euthalten.


§. 1055.

Von dem
Rechte
eine An-
klage
aufzuhe-
ben.

Eine Anklage, oder Unterſuchung
wird aufgehoben
(accuſatio, vel inquiſi-
tio aboletur),
wenn uͤber die Miſſethat, de-
rentwegen iemand angeklaget wird, keine Un-
terſuchung angeſtellet, und folglich dieſer
entweder ohne alle Erkaͤntniß der Sache, oder
da die Unterſuchung noch nicht geendet iſt,
aus der Zahl der ſchuldigen heraus genom-
men wird. So iſt alſo die Auf hebung
einer Anklage eine Erlaſſung der Stra-
fe in einem zweifelhaften Falle.
Wann
nun
[765]Von den Majeſtaͤtsrechten.
nun unter dem Begnadigungsrechte das Recht
eine Anklage aufzuheben mit begriffen iſt (§.
1054.); ſo kommt dem Oberherrn das
Recht Anklagen aufzuheben zu.


§. 1056.

Von der Aufhebung der Anklage iſt dasVon der
Vergeſ-
ſung des
vorigen
Unrechts.

Vergeſſen des vorigen Unrechts(amne-
ſtia)
unterſchieden, als welche ein auf ewig
beſchloſſenes Vergeſſen des gethanen Unrechts
und veruͤbter Laſter iſt. Daher wird es auch
das Geſetz des Vergeſſens(lex oblivio-
nis)
genannt. Derowegen kann niemand
wegen des geſchehenen angeklagt, und
auch nicht geſtraft werden, wenn ein-
mahl das Vergeſſen des vorigen Un-
rechts feſte geſetzt worden iſt.
Da das
Wohl der Republick das hoͤchſte Geſetz iſt (§.
976.); ſo muß, wenn es des Staats
Vortheil iſt,
z. E. wenn man durch das
Vergeſſen des vergangenen Unrechts gewiſſer
verhuͤtete, daß nicht neuen und noch groͤſſern
Thuͤr und Thor eroͤfnet wuͤrden, oder wenn
ſie weit ſicherer zur Endſchaft kommen koͤnn-
ten, dafern man die Strafe erlieſſe, als
wenn die ſchuldige geſtrafet wuͤrden, das
Vergeſſen des vorigen Unrechts natuͤr-
licher Weiſe erlaubt, und der Ober-
herr,
weil dies eine Art der Erlaſſung der
Strafe iſt, ſolche zu leiſten vermoͤgend
ſeyn.
Es laͤſſet ſich aber leicht verſtehen,
daß, wenn der Oberherr in einer Re-
bellion das Vergeſſen des Unrechts zu-

geſtehet,
[766]III. Theil 2. Abth. 4. Hauptſtuͤck.
geſtehet, allwo dies naͤmlich durch eine Un-
terhandlung geſchieht, daß der Friede wieder-
um hergeſtellet werde, und es alſo ſeine Kraft
von einem Vertrage hat (§. 764.), ſolches
nicht kraft der Herrſchaft geſchehe.


§. 1057.

Von dem
Rechte
Abgaben
aufzule-
gen, und
von deſ-
ſen ver-
ſchiede-
nen Gat-
tungen.

Das Recht Abgaben aufzulegen,
welches dem Oberherrn zukommt (§. 1037.),
gehoͤret unter die Majeſtaͤtsrechte.
Tribut
heiſſet dasjenige Geld, welches fuͤr
unbewegliche Sachen, fuͤr betraͤgliche, fuͤr
gewiſſe beſeſſene Guͤther, fuͤr einen vortheil-
haften Handel, oder auch fuͤr den Kopf, um
die Laſten der Republick zu tragen, gezahlet
wird. Zoll aber iſt das Geld, ſo aus eben
der Urſach fuͤr Waaren und Sachen, die ver-
zehret werden, fuͤr Fuhrwerck, und was die-
ſem allen aͤhnlich iſt, entrichtet wird. Da-
hin gehoͤren auch die oͤffentlichen Geſchen-
cke
(munera publica), wenn die Untertha-
nen, ſo keine Wuͤrde haben, des oͤffentlichen
Nutzens wegen verbunden ſind etwas um-
ſonſt, oder auch mit Schaden ihres Eigen-
thums, und auf ihre eigene Koſten zu thun.
Dergleichen oͤffentliches Geſchenck iſt, wenn
man perſoͤnliche Einquartirung der Soldaten
hat, oder Vormundſchaften verwaltet. Es
iſt aber offenbar, daß die Tribute und
oͤffentlichen Geſchencke den Werth un-
beweglicher Sachen verringern, der
Zoll aber den Preis der Sachen erhoͤ-
he.
Daraus folget aber, daß man mit
Auf-
[767]Von den Majeſtaͤtsrechten.
Auflegung neuer Tribute, oͤffentlicher
Geſchencke und Zoͤlle behutſam ver-
fahren muͤſſe.


§. 1058.

Eine Collecte heißt Geld, welches vonVon dem
Rechte
Collecten
anzule-
gen.

den Buͤrgern zu einem beſondern Gebrauch,
z. E. zur Erbauung einer Kirche, oder zu ei-
ner Brandſteuer, oder die Armen zu erhalten,
geſammlet wird. Da die Collecten die Re-
publick mittelbar angehen, in ſo fern alle ver-
bunden ſind eintzelnen Perſonen, oder beſon-
dern Geſellſchaften zu helffen (§. 975.), und
wenn dies zum Behuf der Auswaͤrtigen ge-
ſchieht, das Geld aus dem Staat geſchlep-
pet wird, und dies folglich Laſten ſind, wel-
che in die Republick einen Einfluß haben; ſo
gehoͤret die Verſtattung des Rechts zu
collectiren vor den Oberherrn
(§. 1057.),
und kann folglich das Recht zu collecti-
ren ohne deſſen Erlaubniß nicht aus-
geuͤbet werden.
Und obwol Collecten
mit Allmoſen nicht zu verwechſeln ſind, der-
gleichen ein Privatmann um ſein Elend er-
traͤglicher zu machen, in welches er etwa durch
eine ungluͤckliche Feuersbrunſt, oder durch
andere Heimſuchung geſtuͤrtzet worden, ſamm-
let; ſo kann doch der Oberherr daruͤber
die Einrichtung machen,
dieweil ihm
das Recht uͤber die Allmoſen zu verfuͤ-
gen zuſtehet (§. 1022.), und dieſe un-
ter die Abgaben der Republick gezaͤh-

let
[768]III. Theil 2. Abth. 4. Hauptſtuͤck.
let werden muͤſſen, welche die Repu-
blick mittelbar angehen.


§. 1059.

Von dem
Rechte
Muͤntzen
zu ſchla-
gen.

Weil der Oberherr ſorgen muß, daß es
nicht an genugſamer guter Muͤntze fehle, und
daß dieſe nicht verfaͤlſchet werde (§. 1036.);
ſo gehoͤret das Recht Muͤntze ſchlagen
zu laſſen unter die Majeſtaͤtsrechte (§.
1042.), und dem Oberherrn ſtehet

auch das Recht zu dem aͤuſſerlichen
Werth ſo wohl ſeiner eignen, als frem-
der Muͤntze zu beſtimmen, wie er es
dem Wohl des Staates gemaͤß zu ſeyn
erachtet.
Wenn ſchlimmer Zeiten we-
gen den Muͤntzen, ſo aus geringer Ma-
terie verfertiget ſind, und entweder
einen geringen, oder faſt gar keinen
Werth haben, ein unmaͤßiger aͤuſſerli-
cher Werth beygeleget werden muß;
ſo muß der Oberherr,
daß nicht viele
Buͤrger an Bettelſtab gerathen, wenn die
elenden Zeiten voruͤber ſind, ſorgen,
daß ſie mit guter Muͤntze vertauſchet
werden.


§. 1060.

Von dem
Rechte
oͤffentli-
che Aem-
ter zu
verge-
ben.

Ein oͤffentliches Amt iſt die Verwal-
tung gewiſſer Geſchaͤfte, welche vermoͤge der
buͤrgerlichen Herrſchaft ausgefuͤhret und zur
Vollſtreckung gebracht werden muͤſſen. Es
verwalten
alſo nicht nur diejenigen ein
oͤffentliches Amt, welchen der Ober-
herr die Ausuͤbung eines gewiſſen

Rech-
[769]Von den Majeſtaͤtsrechten.
Rechtes, ſo zur buͤrgerlichen Herr-
ſchaft gehoͤret, auftraͤgt, ſondern auch
die, deren Dienſt er ſich entweder
ſelbſt, oder jene in der Bewerſtelli-
gung der Geſchaͤfte bedienen.
Jns be-
ſondere aber nennet man diejenigen die O-
brigkeit
(magiſtratus), welchen der Ober-
herr gewiſſe Theile der Herrſchaft auszuuͤben
verliehen hat, dergleichen ſind die Stadtobrig-
keiten, die Regierungen und auch die Rich-
ter (§. 1028.). Da ein Oberherr die Herr-
ſchaft vor ſich ſelbſt allein nicht ausuͤben kann,
ſondern ſolches zum theil durch andere thun
muß, folglich die Obrigkeiten und Rich-
ter in ſeinem Nahmen thun, was ſie
thun, und uͤberhaupt alle die, ſo in
einem oͤffentlichen Amte ſtehen, nichts
anders ausfuͤhren, als was ihnen von
dem Oberherrn befohlen worden; ſo
ſtehet dem Oberherrn
auch das Recht
zu Obrigkeiten und Richter einzuſe-
tzen, und uͤberhaupt oͤffentliche Aem-
ter zu verleyhen.
Uebrigens hanget es
von ſeinem Willkuͤhr ab, in wieferne
er, was die kleinern Bedienungen be-
trift, denen Obrigkeiten, den Rich-
tern, und welche andere Aemter ver-
walten, das Recht verſtatten wolle,
und unter welcher Bedingung ſolche
zu vergeben.
Es erhellet aber leicht, daß
dieſe ſich ihres Rechtes nicht anders bedienen
Nat. u. Voͤlckerrecht. C c ckoͤn-
[770]III. Theil 2. Abth. 4. Hauptſtuͤck.
koͤnnen, als ſo fern es von dem Willen des
Oberherrn abhanget.


§. 1061.

Von dem
Recht
Titel und
Rang,
oder buͤr-
gerliche
Wuͤrden
zu erthei-
len.

Und weil Titel und Rang an ſich Beloh-
nungen derer um die Republick, oder um die
Perſon des Oberherrn wohlverdienten Maͤn-
ner ſind (§. 1041.), wodurch die Untertha-
nen ſich wohlverdient zu machen verbunden
werden (§. 35.); ſo gehoͤrt das Recht
Titel und Rang zu ertheilen unter die
Majeſtaͤtsrechte
(§. 1042.). Da aber
dieſe auch mit oͤffentlichen Aemtern verknuͤpfet
ſind, in ſo fern diejenigen, welche ſolche ver-
walten, ſich um die Republick wohl verdient
machen; ſo haben daher die Roͤmer die oͤffen-
lichen Aemter, welche eine Wuͤrde mit ſich
fuͤhren, Ehrenaͤmter(honores) genennt.


§. 1062.

Wie dies
Recht
auszuuͤ-
ben.

Weil die oͤffentliche Herrſchaft der oͤffentli-
chen Wohlfahrt gemaͤß ausgeuͤbet werden muß
(§. 976.); ſo darf niemand ein oͤffentli-
ches Amt gegeben werden, auſſer der
dazu geſchickt iſt, d. i. der nicht nur
genugſame Kraͤfte, ſolches recht zu
verwalten, ſondern auch einen beſtaͤn-
digen und unveraͤnderten Willen hat,
ſolchem gehoͤrig vorzuſtehen,
folglich
muͤſſen die oͤffentlichen Aemter nicht
verkauft, oder an den meiſtbietenden
vergeben werden, und es iſt
auch nicht
zu dulden, daß diejenigen, welche ent-

weder
[771]Von den Majeſtaͤtsrechten.
weder Aemter ertheilen, oder dem O-
berherrn tuͤchtige Perſonen vorſchla-
gen, oder vorſtellen ſollen, von denen
die um ein Amt anhalten, Geſchencke
nehmen duͤrfen.
Derowegen da man es
das Laſter des Erſchleichens(crimen
ambitus)
nennet, wenn iemand ſich fuͤr
Geld, oder da er auf eine andere unerlaubte
Weiſe die Stimmen beſtochen hat, ein oͤffent-
liches Amt, oder eine buͤrgerliche Wuͤrde zu-
wege bringet; ſo muß das Laſter des
Erſchleichens nicht gelitten,
folglich be-
ſtrafet werden.
Ja wenn derjenige,
dem die Uebertragung eines oͤffentli-
chen Amtes anbefohlen iſt, der Repu-
blick durch Erwaͤhlung eines unwuͤr-
digen ſollte einen Schaden zugefuͤget
haben, ſo iſt er verbunden ſolchen zu
erſetzen
(§. 270.).


§. 1063.

Der wird von ſeinem Amte abgeſe-Von der
Abſe-
tzung,
Suſpen-
ſion und
Erlaſ-
ſung vom
Dienſte.

tzet, der deſſen wider ſeinen Willen beraubet
wird; der wird aber ſuſpendiret, wel-
chem verbothen iſt es auf eine gewiſſe, oder
unbeſtimmte Zeit zu verwalten; der wird
ſeines Dienſtes erlaſſen,
dem der Ober-
herr auf ſeine Bitte dergeſtalt willfahret, daß
er nicht verbunden iſt ſolchen laͤnger zu ver-
walten. Dieweil die Verleyhung eines
Amtes durch einen Vertrag zwiſchen
dem, der das Amt verleyhet, und dem,
dem man es verleyhet, zu Stande ge-

C c c 2bracht
[772]III. Theil 2. Abth. 4. Hauptſtuͤck.
bracht wird, vermoͤge welches jener dieſem
die Verwaltung, oder Vollſtreckung gewiſſer
Geſchaͤfte auftraͤgt (§. 1060.), und einen
Sold verſpricht, dieſer aber ſich anheiſchig
macht, er wolle die Geſchaͤfte fleißig verwal-
ten, oder zur Vollſtreckung bringen (§. 438.);
ſo kann niemand ohne Einwilligung
des Oberherrn oder deſſen, der von
ihm das Recht hat (§. 341.) von ſei-
nem Amte abdancken, er kann auch
deſſen nicht entſetzt, oder davon ſuſpen-
diret werden ohne rechtmaͤßige Urſa-
che,
z. E wenn er es nachlaͤßig, oder
betruͤglich verwaltet haͤtte (§. 442.),
oder auch wenn es zur Strafe ſeyn
ſoll
(§. 1048.). So iſt dann klar, daß
das Recht abzuſetzen, oder zu ſuſpen-
diren, oder des Amtes zu entſetzen an
ſich ſelbſt dem Oberherrn zuſtehe.


§. 1064.

Vom
Rechte
uͤber hei-
lige Sa-
chen.

Das Recht uͤber heilige Sachen(jus
circa ſacra, ius ſacrorum)
iſt ein Recht uͤber
diejenigen Dinge, welche zum Gottesdienſt
und zur Kirche gehoͤren, Verfuͤgung zu ma-
chen. Dieweil die Sorge fuͤr den aͤuſſerli-
chen oͤffentlichen Gottesdienſt dem Oberherrn
oblieget, z. E. daß Kirchen gebauet, Feſtta-
ge beſtimmet, oͤffentliche Lehrer beſtellet (§.
1024.), und daß folglich heilige Sachen
recht gebrauchet (§. 1025.), und Kirchenſa-
chen recht eingerichtet werden (§. 1026.); ſo
kommt dem Oberherrn einiges Recht

uͤber
[773]Von den Majeſtaͤtsrechten.
uͤber die heiligen Sachen zu. Weil ſich
aber die Herrſchaft, welche alle dazu gehoͤri-
ge Rechte, folglich auch das Recht uͤber die
heilige Sachen in ſich begreift, in Macht-
theile zerſtuͤcken (§. 983.), und dieſelbe auch
ſich theilweiſe uͤbertragen laͤſſet (§. 982.); ſo
iſt auch das Recht uͤber heilige Sachen
von dem weltlichen trennbar, und es
kann ſich ſolches das Volck entweder
ſelbſt vorbehalten, oder es kann auch
einem beſonders uͤberlaſſen werden.

Weil diejenigen Dinge, welche man zum in-
nerlichen Gottesdienſte rechnet, und welche
in dem aͤuſſerlichen mit ihm auf das genaue-
ſte verbunden ſind, entweder auf erwegende
Saͤtze von GOtt und ſeinem Willen, oder
auf ausuͤbende Saͤtze von dem was man zu
thun ſchuldig iſt, in ſich faſſen (§. 178.), nun
aber nicht befohlen werden kan, daß man et-
was fuͤr wahr halte, wovon man nicht durch
Gruͤnde uͤberzeuget oder uͤberredet iſt; ſo
kann das Recht uͤber heilige Sachen,
ſo ferne es urſpruͤnglich bey dem Vol-
cke iſt, nicht auf diejenigen Sachen
ausgedehnet werden, welche zum in-
nerlichen Gottesdienſte gehoͤren, und
unzertrennlich mit demſelben in dem
aͤuſſerlichen zuſammen hangen, auſſer
in ſo fern,
um Unruhen zu vermeiden, ei-
ne in der Kirche entſtandene Streitig-
keit vorlaͤufig zu entſcheiden iſt,
damit
iedermann wiſſe, was oͤffentlich gelehret wer-
C c c 3den
[774]III. Theil 2. Abth. 4. Hauptſtuͤck.
den ſolle, oder was gewiſſes feſt geſe-
tzet werden muß,
z. E. daß einem iegli-
chen, doch ohne Schmaͤhung und Verfolgung
des Gegentheils, frey gelaſſen wird ſeine
Meynung vorzutragen, und mit Beweis-
gruͤnden zu vertheidigen, oder daß man von
dem, was in Streit gezogen iſt, in dem oͤf-
fentlichen Gottesdienſte gantz und gar ſtille
ſchweigen ſolle. Was aber diejenigen
Dinge anlanget, welche in dem aͤuſſer-
lichen Gottesdienſte dem innern unbe-
ſchadet auf verſchiedene Art geſchehen
koͤnnen, ſo hat es keine Schwierigkeit,
daß der, ſo das Recht uͤber heilige Sa-
chen hat, nach ſeinem Belieben, wie
er glaubt, daß es zum Beſten des
Staats oder der Kirche ausſchlagen
werde, daruͤber zu verfuͤgen in dem
Stande ſey
(§. 976.). Unterdeſſen da die
buͤrgerliche Herrſchaft nach dem Endzweck des
Staats abgemeſſen werden muß (§. 980.);
ſo hanget das Recht uͤber heilige Sa-
chen, was die Handlungen betrift,
welche eine Verhaͤltniß gegen die Re-
publick haben, oder deren Vollzie-
hung den weltlichen Arm noͤthig hat,
und in ſo ferne die Kirche den buͤr-
gerlichen Schutz erfordert, allezeit von
der buͤrgerlichen Herrſchaft ab.
Weil
der Regent des Staats zu der Beobachtung
der Grundgeſetze verbunden iſt (§. 984.);
ſo folget, daß er, wenn dies und jenes
in
[775]Von den Majeſtaͤtsrechten.
in einem Grundgeſetze von den heili-
gen Dingen bereits feſte geſetzet wor-
den,
z. E. daß keine Religion ſoll gedul-
det werden, welche von der, wozu ſich das
Volck bekennet, unterſchieden iſt, oder daß
der Regent keiner andern Religion zugethan
ſeyn ſoll, an dergleichen gebunden ſey.
Stehet aber kein Grundgeſetz im Wege, daß
er nun nach Gefallen daruͤber anzuordnen
Macht hat, was er will; ſo kann er eine
iegliche Religion im Staate dulden,
wenn ſie nur dem buͤrgerlichen Zuſtan-
de nicht zuwider iſt, und die Bedin-
gung vorſchreiben, unter welcher er
ſie dulden will.


§. 1065.

Das Recht uͤber die eigenthuͤmlichen Sa-Von dem
vorzuͤgli-
chen Ei-
genthum
und
Macht.

chen der Buͤrger der oͤffentlichen Wohlfahrt
halber im Nothfall zu verfuͤgen nennet man
das vorzuͤgliche Eigenthum(dominium
eminens);
das Recht aber aus eben der Ur-
ſache im Falle der Noth uͤber die Perſonen
der Buͤrger ſelbſt Einrichtung zu machen
heiſſet die vorzuͤgliche Macht(poteſtas
eminens).
Beydes zuſammen, naͤmlich uͤber
die Sachen und Perſonen, iſt das vorzuͤg-
liche Recht
(jus eminens). Derowegen
kommt einem Oberherrn das vorzuͤgli-
che Eigenthum und Macht, oder das
vorzuͤgliche Recht zu (§. 976.), bey-
des Recht iſt ein Recht in der Noth,
und hat nicht eher ſtatt, als wenn der

C c c 4Gebrauch
[776]III.Theil 2. Abth. 4. Hauptſtuͤck.
Gebrauch deſſelben das eintzige Mittel
die oͤffentliche Wohlfahrt in einem ſich
ereignenden Falle zu befoͤrdern iſt.
Da
nun die heiligen und Kirchenſachen einer be-
ſondern Kirche gehoͤren, deren Glieder Buͤr-
ger ſind (§. 1026.); ſo kann der Ober-
herr vermoͤge des vorzuͤglichen Eigen-
thums auch uͤber heilige und Kirchen-
ſachen Verfuͤgung treffen, doch aber
nicht ohne Einwilligung deſſen, der
das Recht uͤber heilige Sachen hat,
wenn es von der weltlichen Regie-
rung unterſchieden iſt
(§. 1064.). Weil
das Eigenthum und die Herrſchaft zwey gantz
von einander unterſchiedene Rechte ſind, de-
ren keines von dem andern abhanget (§. 195.
833.); ſo gehoͤret das nicht nur zur
Herrſchaft, wenn der Koͤnig ein Ei-
genthumsherr von Privatlaͤndereyen
iſt, und macht in der Herrſchaft ſo
wohl als auch in der Art die Herrſchaft
zu beſitzen nicht die geringſte Aende-
rung.


§. 1066.

Vom
Rechte
des Krie-
ges.

Da der Oberherr verpflichtet iſt die Re-
publick wider aͤuſſerliche Gewalt zu vertheidi-
gen, und folglich die Rechte ſeines Volcks,
wie auch aller und ieder Unterthanen, mit Ge-
walt wider andere Voͤlcker zu verfolgen (§.
972.); ſo hat er auch das Recht wider
andere zu kriegen (§. 98.), und dies ge-
hoͤret zu den Majeſtaͤtsrechten
(§.
1042.).
[777]Von den Majeſtaͤtsrechten.
1042.). Ein ſolcher Krieg aber, der ver-
moͤge des Rechtes des Staats gefuͤhret wird
mit andern Voͤlckern, wird ein oͤffentlicher
Krieg genennet.


§. 1067.

Endlich weil der Oberherr das WohlVom
Rechte
Vertraͤ-
ge mit
andern
Voͤlckern
zu ma-
chen.

des Volcks auf alle Weiſe befoͤrdern muß (§.
972. 996.); ſo kann er, wenn er das
Beſte ſeiner Buͤrger durch Huͤlfe und
Beyſtand andrer Voͤlcker befoͤrdern
koͤnnte, auch deßfalls mit andern Voͤl-
ckern Buͤndniſſe aufrichten.
Doch vom
Rechte des Krieges und mit andern Voͤlckern
Vertraͤge einzugehen muß in dem Voͤlcker-
recht gehandelt werden.


Das fuͤnfte Hauptſtuͤck.

Von der natuͤrlichen Lehre der
buͤrgerlichen Geſetze.


§. 1068.

Buͤrgerliche Geſetze ſind, die derVon buͤr-
gerlichen
Geſetzen.

Oberherr denen Unterthanen in einem
Staate giebet. Da verſchiedne Staa-
ten unter einander als freye Perſonen, die im
natuͤrlichen Zuſtande leben, angeſehen wer-
den (§. 977.); ſo verbinden die buͤrger-
lichen Geſetze niemand als die Glieder
deſſelben Staates, worinn ſie gegeben
ſind, wenn
folglich fremde Geſetze an-
genommen werden, ſo erhalten dieſel-

C c c 5ben
[778]III.Th. 2. A. 5. H. Von der natuͤrl. Lehre
ben erſt durch den Willen des Ober-
herrn, welcher befiehlt daß es Geſetze
ſeines Staats ſeyn ſollen, die Kraft zu
verbinden.
Weil aber die oͤffentliche Wohl-
fahrt das hoͤchſte Geſetz iſt (§. 976.); ſo
muͤſſen fremde Geſetze nicht ehr ange-
nommen werden, als erwieſen iſt, daß
durch ihre Vorſchriften das gemein-
ſame Wohl dieſes Staates befoͤrdert
werden koͤnne, und wenn
daher, nach-
dem ſich der Zuſtand der Sache geaͤn-
dert, oder man den Jrrthum erkannt
hat, bemercket wird, daß ſie keine
Mittel das gemeinſame Beſte zu be-
foͤrdern abgeben, ſo muß man ſie wie-
derum abſchaffen
: und dies iſt auch uͤber-
haupt von allen Geſetzen zu behalten.


§. 1069.

Von dem
Verhaͤlt-
niſſe der
buͤrgerli-
chen Ge-
ſetze ge-
gen die
natuͤrli-
chen ge-
bieten-
den und
verbie-
ten den
Geſetze.

Da die natuͤrliche Verbindlichkeit unver-
aͤnderlich iſt (§. 38.), und ſich kein Menſch
davon losmachen kann (§. 42.); ſo muͤſſen
die buͤrgerlichen Geſetze denen natuͤr-
lichen gebietenden und verbietenden
nicht zuwider ſeyn
; folglich kann das
buͤrgerliche Geſetz aus dem, was man
natuͤrlicher Weiſe ſchuldig iſt, nicht et-
was unerlaubtes, und aus dem, was
natuͤrlicher Weiſe unerlaubt iſt, nicht
eine Schuldigkeit, oder etwas erlaub-
tes machen
(§. 49.). Derowegen wenn
nach dem buͤrgerlichen Geſetze ſtill-
ſchweigend zugelaſſen wird, was ei-

nem
[779]der buͤrgerlichen Geſetze.
nem gebietenden, oder verbietenden
entgegen ſtehet; ſo wird das nur ge-
duldet, entweder daß man es unge-
ſtraft hingehen laͤßt, oder daß man ei-
nem die richterliche Huͤlfe deshalb ver-
ſagt, um ein groͤſſeres Uebel oder Scha-
den zu vermeiden, oder weil es einer
andern Urſache halber noͤthig iſt, daß
dies geſchehe (§. 976.). Wenn
naͤmlich
durch ein buͤrgerliches Geſetz etwas
zugelaſſen wird, das einem natuͤrlichen
gebietenden oder verbietenden Geſetze
zuwider laͤuft, ſo wird die natuͤrliche
Freyheit nicht mehr eingeſchraͤnckt, als
es der Endzweck des Staats erheiſcht

(§. 78. 980.). Jeden noch aber weil der Ober-
herr durch ſeine Zulaſſung allerdings zu ver-
ſtehen giebt, daß ein anderer den, der da han-
deln will, nicht mit Gewalt hindern ſoll, daß
er nicht handeln koͤnte; ſo folget, wenn
durch ein buͤrgerliches Geſetz etwas
zugelaſſen wird, ſo verbindet dieſes
Zulaſſungsgeſetz die uͤbrigen, daß ſie
den, der dergleichen thut, nicht hin-
dern ſollen, das zu thun, was zuge-
laſſen iſt, und daher erlanget derjeni-
ge, welcher eine ſolche Handlung
thut, ein Recht es nicht zu leiden, daß
man ihn mit Gewalt hindere
(§. 46.).


§. 1070.

Wenn die natuͤrliche Verbindlichkeit nichtVon den
buͤrgerli-
chen Ge-

kraͤftig genug iſt die Beobachtung der natuͤr-
lichen
[780]III.Th. 2. A. 5. H. Von der natuͤrl. Lehre
ſetzen, ſo
von den
natuͤrli-
chen, ih-
rem Jn-
halt
nach,
nicht un-
terſchie-
den ſind.
lichen Geſetze, die doch in der Republick be-
obachtet werden muͤſſen, zu bewircken; ſo
werden die Naturgeſetze durch hinzu-
gefuͤgte Strafen,
aus deren Furcht eine
willkuͤhrliche Verbindlichkeit, ſo noch ſtaͤrcker
iſt als die natuͤrliche, entſtehet (§. 35. 93.),
buͤrgerliche Geſetze, in ſo ferne ſie naͤm-
lich Strafen enthalten, die das Naturgeſetz
gar nicht beſtimmet hat (§. 39). Ja, da
die Furcht vor der Vollziehung der Strafe
des Richters (§. 1029.) und eine vorherge-
hende Vorſtellung, daß derſelbe eine Hand-
lung werde fuͤr nichtig erklaͤren, oder aufhe-
ben, eine Kraft zu verbinden hat (§. 35.);
ſo bekommen auch die Naturgeſetze die
Geſtalt der buͤrgerlichen, in ſo ferne
man ihnen in Gerichten zu ſtatten
kommt.


§. 1071.

Von dem
Verhaͤlt-
niſſe der
buͤrgerli-
chen Ge-
ſetze ge-
gen die
natuͤr-
lich zu-
laßenden
und die
Liebes-
pflichten.

Weil in einem Staate die Freyheit ein-
zelner Perſonen in Abſicht auf die Handlung,
welche zur Erhaltung des oͤffentlichen Wohls
gehoͤren, eingeſchraͤncket wird (§. 980.); ſo
kann der Oberherr aus dem was na-
tuͤrlicher Weiſe erlaubt iſt durch ein
buͤrgerliches Geſetz eine Schuldigkeit,
oder etwas unerlaubtes, und aus dem
was man unvollkommen ſchuldig iſt,
oder aus einer Liebespflicht eine voll-
kommene Schuldigkeit machen, wie
es der Endzweck der Republick erfor-
dert
(§. 49. 80.). Was alle und iede ein-
tzelne
[781]der buͤrgerlichen Geſetze.
tzelne vermoͤge der natuͤrlichen Freyheit durch
Vertraͤge thun koͤnnen (§. 667.); eben das
kann der Oberherr, deſſen Rechte die natuͤr-
liche Freyheit aller und ieder unterworfen iſt,
auch thun, in ſo fern es der Endzweck des
Staats erfordert (§. 980.). Daraus folgt,
daß, wenn etwas auf verſchiedene
Art und Weiſe geſchehen kann, der O-
berherr befehlen koͤnne, daß es auf
dieſe oder jene Art geſchehen, und es

mithin keine buͤrgerliche guͤltige Hand-
lung ſeyn ſolle, wenn es nicht nach der
in einem Geſetz vorgeſchriebenen Wei-
ſe geſchehen.
Hieher gehoͤret auch, wenn
der Oberherr die Art beſtimmet, nach
welcher einer natuͤrlichen Verbindlich-
keit Genuͤge geleiſtet werden kann,
oder von ihm verhuͤtet wird, daß
derſelben nichts zuwider gehandelt
wetde.


§. 1072.

Weil der Oberherr die Sorge auf ſich hat,Von de-
nen buͤr-
gerlichen
Geſetzen,
welche
dem Jn-
halt nach
von den
natuͤrli-
chen un-
terſchie-
den ſind.

daß ein ieder durch den Richter zu ſeinem
Rechte kommen koͤnne (§. 1028. 1029.); ſo
iſt leicht einzuſehen, daß verhuͤtet wer-
den muͤße, daß die Streitigkeiten nicht
zu ſehr vervielfaͤltiget, und aus einer
Streitigkeit nicht immer neue Strei-
tigkeiten gezeuget, noch auch vor Ge-
richt ins weite Feld geſpielet werden
duͤrfen, und daß dahin zu ſehen ſey,
daß ſie einmal ihre Endſchaft errei-

chen.
[782]III.Th. 2. A. 5. H. Von der natuͤrl. Lehre
chen. Derowegen muͤſſen die Streitig-
keiten einer ieden geringen Beleidi-
gung halber in Gerichten keinen Platz
haben,
dieweil auch die Klugheit, oder die
Liebe im natuͤrlichen Zuſtande befiehlet, daß
man ſich geringer Beleidigungen wegen des
Krieges enthalten, und man oͤfters um ſei-
nes Verſehens willen buͤſſen muͤſſe, damit
man ins kuͤnftige behutſamer zu verfahren
lerne; und wenn auch einem natuͤrli-
chen Geſetze ſolche Beſtimmungen an-
gehaͤnget ſind, welche ſchwehr, oder
gar unmoͤglich zu beweiſen ſind, ſo
muͤſſen an deren Stelle andere, die ſich
leicht erhaͤrten laſſen, welche wahr-
ſcheinlich, oder mehrentheils jenen
gleich ſind, geſetzet werden.
Daher
folget, daß die Beleidigungen, derent-
wegen man richterliche Huͤlfe zu hof-
fen, oder nicht zu hoffen hat, und wenn
ehr nach Verſchiedenheit der Haͤndel
iemand vor das verſehene haften ſolle,
durch ein buͤrgerliches Geſetze ausge-
machet werden muͤſſen.


§. 1073.

Woher
der
Grund
zu neh-
men ſey,
daß aus
den na-
tuͤrlichen
Geſetzen

Weil die buͤrgerlichen Geſetze die Mittel
vorſchreiben ſollen, wodurch die gemeinſame
Wohlfahrt des Staats erhalten wird (§.
1068.); ſo muß der Grund von dem,
was entweder zu einem natuͤrlichen
Geſetze hinzugethan, oder davon ge-
nommen werden ſoll, daß ein buͤrger-

liches
[783]der buͤrgerlichen Geſetze.
liches Geſetze daraus entſtehe, entwe-buͤrger-
liche ge-
macht
werden
koͤnnen.

der von dem Zuſtande eines Staats
uͤberhaupt, oder desjenigen Staates,
in welchem das Geſetz gegeben wird,
inſonderheit, hergenommen werden.

Und wenn die buͤrgerlichen Geſetze fein
zuſammen ſtimmen ſollen,
ſo iſt vor ſich
klar, daß man auch das, was mit dem
Naturrecht nicht gantz uͤbereinkommt,
aus andern buͤrgerlichen Geſetzen aber
nothwendig folget, annehmen muͤſſe.

Derowegen weil man den Willen des Geſetz-
gebers nicht als widerſprechend gedencken darf;
ſo muͤſſen diejenigen Dinge, welche aus
einem buͤrgerlichen Geſetze nothwen-
dig flieſſen, auch fuͤr Geſetze gehal-
ten werden.


§. 1074.

Weil aus dem bisherigen erhellet, daß ausVon den
Jrrthuͤ-
mern, die
man in
Abſicht
auf das
Natur-
recht zu
vermei-
den hat.

natuͤrlichen Geſetzen die buͤrgerlichen gemacht
werden; ſo muß man verhuͤten, daß der
Geſetzgeber nicht gewiſſe gemeine Jrr-
thuͤmer fuͤr das Recht der Natur hal-
te: Wenn
folglich durch Unwiſſenheit
der Zeiten einige Jrrthuͤmer in die buͤr-
gerlichen Geſetze eingeſchlichen, oder
einige aus andern an dieſer Kranckheit
liegenden durch eine Folge herausgezo-
gen waͤren, ſo muͤſſen dieſelben entwe-
der abgeſchaffet, oder der Wahrheit
gemaͤß geaͤndert werden.


Das
[784]III.Th. 2. A. 6. H. Von der Pflicht
Das ſechſte Hauptſtuͤck.

Von der Pflicht des Oberherrn
und der Unterthanen.


§. 1075.

Von ei-
ner gu-
ten und
ſchlim-
men Re-
gierung.

Die Ausuͤbung der buͤrgerlichen Herr-
ſchaft heißt die Regierung(regi-
men).
Derowegen da die Republi-
cken um der Befoͤrderung der gemeinen Wohl-
fahrt willen aufgerichtet ſind (§. 972.), und
die buͤrgerliche Herrſchaft in der Beſtimmung
der buͤrgerlichen Handlungen, und dererjeni-
gen Dinge, welche zur Erreichung des oͤf-
fentlichen Wohls gehoͤren, beſtehet (§. 978.
980.); ſo regieret der Regent eines
Staates die Republick wohl, wenn
er dasjenige thut, was zur Ausbrei-
tung des oͤffentlichen Wohls erfor-
dert wird; hingegen regieret er uͤbel,
wenn er thut, was der oͤffentlichen
Wohlfahrt zuwider iſt: da er doch zu
einem guten Regimente verpflich-
tet iſt.


§. 1076.

Von den
Eigen-
ſchaften
eines Re-
genten
des
Staats,
und von
den zu

Derowegen muß nun ein Regent des
Staats eine Wiſſenſchaft dererjenigen
Dinge, welche zu einer guten Regie-
rung gehoͤren, und einen beſtaͤndigen
und anhaltenden Willen haben, nichts
anders zu thun, als was eine gute Re-
gierung haben will.
Unterdeſſen, da es
ſich
[785]des Oberherrn und der Unterthanen.
ſich nicht thun laͤßet, daß er alle oͤffentlicheeinem gu-
ten Re-
giment
erforder-
lichen
Raͤthen

Geſchaͤfte, und ſonderlich dasjenige, was bey
den Dingen, woruͤber gegenwaͤrtig ein Ent-
ſchluß gefaſſet werden ſoll, zum Grunde ge-
ſetzt wird, auf das genaueſte wiſſe; ſo muß
er ſich
derohalben des Vortrags und
Raths kluger Leute, deren einer in
dieſer, der andere in einer andern Art
der Geſchaͤfte ausnehmende Geſchick-
lichkeit hat, bedienen.
Man nennet ſol-
che Raͤthe, und ſie werden nach Verſchie-
denheit der Geſchaͤfte, wozu man ihren Rath
bedarf, in verſchiedene Gattungen eingethei-
let. Die Raͤthe muͤſſen demnach ſich
nicht nur die Geſchaͤfte wohl bekannt
gemacht haben, ſondern auch alles und
iedes treulich vorſtellen, worauf es im
gegenwaͤrtigen Fall ankommt, nichts
verſchweigen, und von aller Schmei-
cheley entfernet ſeyn.


§. 1077.

Dieweil das Exempel des Regenten in ei-Von der
Tugend
eines
Regen-
ten des
Staates.

nem Staat die groͤſſeſte Kraft die Untertha-
nen zu verbinden hat; ſo muß ſich ein Re-
gent des Staats in aller Tugend und
Froͤmmigkeit hervorthun
(§. 1024.).
Und daß es ihm nicht an einem beſtaͤndigen
Willen wohl zu regieren fehle (§. 1075.); ſo
muß er ſein Volck lieben.


§. 1078.

Weil ihm oblieget die Republick wohl zuDer
Miß-
brauch

regieren (§. 1075.); ſo muß er die Ho-
Nat. u. Voͤlckerrecht. D d dheit
[786]III.Th. 2. A. 6. H. Von der Pflicht
der Ge-
walt iſt
zu ver-
meiden.
heit der Herrſchaft nicht mit einer will-
kuͤhrlichen Gewalt verwechſeln
; folg-
lich muß er die Majeſtaͤtsrechte und
deren rechten Gebrauch (§. 1042.),
nebſt denen Grundgeſetzen, wenn der-
gleichen vorhanden ſind, die er beob-
achten ſoll (§. 984.), wohl inne haben,

und mithin muß er auf alles aufmerck-
ſam ſeyn, was von der tuͤchtigen Ein-
richtung der Republick bewieſen wor-
den
(§. 1017.).


§. 1079.

Von dem
Gehor-
ſam der
Unter-
thanen.

Weil es die hoͤchſte Herrſchaft nicht vertra-
gen kann, daß die Handlungen, ſo zur Aus-
uͤbung derſelben gehoͤren, von irgend einem
Menſchen uͤber den Haufen geworfen wuͤrden
(§. 981.); ſo laͤßet ſich die hoͤchſte Herr-
ſchaft an ihr ſelbſt nicht widerſtehen,

folglich muß ſich auch das Volck in de-
nen Dingen, worinn der Regent des
Staats die hoͤchſte Herrſchaft hat, nicht
widerſetzen.
Und da man niemand die Herr-
ſchaft unter der Bedingung auftragen kann,
daß das gantze Volck dem loͤblich regierenden
gehorſamen ſolle, dem uͤbel regierenden aber
widerſtehen, und ihn zu paaren treiben koͤnne;
ſo iſt das Volck zum geduldigen Ge-
horſam gegen den Regenten des Staats
in allen den Stuͤcken, worinn er die
hoͤchſte Herrſchaft hat, verbunden,
das
iſt, es muß nicht nur dem, der die Re-
publick wohl, ſondern auch dem, der

ſie
[787]des Oberherrn und der Unterthanen.
ſie uͤbel regieret, Gehorſam leiſten:
Dies darf keinem hart ſcheinen, indem es
doch beſſer iſt unter einem uͤblen Regiment,
als in dem natuͤrlichen Zuſtande zu leben (§.
972.). Weil aber niemand von der natuͤrli-
chen Verbindlichkeit befreyet werden kann (§.
42.); ſo iſt man dem Oberherrn keinen
Gehorſam ſchuldig, wenn er befehlen
ſollte, was einem gebietenden, oder
verbietenden natuͤrlichen Geſetze ent-
gegen ſtehet, und man muß es gedul-
dig leiden, wenn man desfalls geſtraft,
oder vielmehr mißgehandelt wird.

Weil auch der Oberherr kein Recht hat etwas
zu befehlen, ſo wider die Grundgeſetze ſtrei-
tet (§. 984.); ſo darf man ihm auch
nicht gehorſamen, wenn er etwas wi-
der die Grundgeſetze befiehlet, ja es
iſt erlaubt ſich dem Regenten zu wi-
derſetzen, und ihn im Zaum zu halten,
wenn er in das Recht, ſo dem Volck,
oder den vornehmſten vorbehalten iſt,
einen Eingrif thut
(§. 88. 90.).


§. 1080.

Jemand ſuppliciret, wenn er mit Ehr-Vom
Suppli-
ciren.

erbietigkeit bittet, daß dies und jenes geſche-
hen, oder nicht geſchehen moͤge. Jndem nun
Bewegungsgruͤnde von noͤthen ſind, wenn
einer etwas wollen, oder nicht wollen ſoll; ſo
iſt dem Supplicanten erlaubt die
Gruͤnde, weswegen etwas geſchehen,
oder nicht geſchehen ſolle, demuͤthig

D d d 2vor-
[788]III.Th. 2. A. 6. H. Von der Pflicht
vorzutragen. Derowegen weil es geſche-
hen kann, daß der Oberherr etwas befieh-
let, was allzuhart, oder unbillig zu ſeyn ſchei-
net, dieweil ihm nicht bekannt iſt, warum es
zu hart, oder zu unbillig ſcheinen koͤnnte; ſo
iſt in dieſem Fall den Unterthanen eine
demuͤthige Bitte erlaubt, und es
kommt inſonderheit denen Obrigkeiten
das Recht im Nahmen der Untertha-
nen ehrerbietig zu bitten zu (§. 1060.),
keinesweges aber beſitzen ſie das Recht
dem Unrecht des Regenten zu wider-
ſtehen,
denn ſie bedienen ſich keines andern
Rechts, als das ihnen der Oberherr verſtattet
hat, und welches nur nach ſeinem Willen
ausgeuͤbet werden muß (angef. §.). Wird
auf eine Ehrfurchts volle Bitte, ob
ſie gleich gerecht iſt, nicht geachtet, ſo
muͤſſen es die Unterthanen geduldig
leiden
(§. 1079.).


§. 1081.

Wenn ei-
ner ab-
gedanckt,
oder das
Reich
verlaſ-
ſen, oder
verloh-
ren hat.

Wenn ein Koͤnig ſich der Herrſchaft
begeben, oder ſie verlaſſen, oder das
Reich aus einer Untreue
(felonia)ge-
gen den, von dem er es zur Lehn traͤ-
get, oder einer Bedingung halber, ſo
gleich bey der Uebertragung der Herr-
ſchaft feſte geſetzet worden, daß, wenn
der Koͤnig dies oder jenes thun wuͤr-
de, die Unterthanen von allen Ban-
den des Gehorſams loß ſeyn ſollten,
verlohren hat; ſo wird der Koͤnig,
weil
er
[789]des Oberherrn und der Unterthanen.
er eine moraliſche Perſon iſt, die nur wegen
der Herrſchaft, die ſie hat, ein Koͤnig iſt (§.
994.), und folglich nach verlohrnen Reich
aufhoͤret ein Koͤnig zu ſeyn, wieder eine
Privatperſon, und
derowegen iſt gegen
ihn erlaubt, was gegen eine Privat-
perſon etlaubet iſt.


§. 1082.

Weil niemand etwas thun ſoll, was widerVom La-
ſter der
beleidig-
ten Ma-
jeſtaͤt,
und in-
ſonder-
heit des
Hochver-
raths.

das Recht des andern laͤuft (§. 86.); ſo
muß auch kein Buͤrger etwas thun,
was wider die Majeſtaͤtsrechte iſt,

folglich auch nichts wider die Perſon
desjenigen ſchmieden, welcher im
Staate die Majeſtaͤtsrechte, und eben
darum die hoͤchſte Herrſchaft hat (§.
998.), wodurch ihm naͤmlich ein Recht
der Majeſtaͤt, oder die gantze hoͤchſte
Herrſchaft entwedet entriſſen, oder
verringert, oder der Gebrauch derſel-
ben auf irgend eine Weiſe gehindert
werden koͤnnte
(§. 83.). Derowegen muß
er mit nichts ſchwanger gehen, was
zum Umſturtz und Erſchuͤtterung der
Republick und dem Untergang des
Regentens im Staat abzielen kann.

Weil das Laſter der beleidigten Maje-
ſtaͤt
eine That iſt, wodurch etwas wider die
Majeſtaͤtsrechte, und folglich wider die Per-
ſon deſſen, der die hoͤchſte Herrſchaft hat, be-
gangen wird; ſo iſt dieſes Laſter natuͤrlicher
Weiſe unerlaubt, oder es iſt wider das

D d d 3Recht
[790]III.Th. 2. A. 6. H. Von der Pflicht
Recht der Natur. Und weil der Ober-
herr das Recht denjenigen zu ſtrafen hat, wel-
cher das allen zuſtehende Recht, dergleichen
die Majeſtaͤtsrechte ſind, welche unter der
Herrſchaft begriffen werden (§. 979.), und
welche man auf den Regenten des Staats
uͤbertragen hat (§. 982.), verletzet; ſo ſtehet
dem Oberherrn
auch das Recht zu den
zu ſtrafen, welcher das Laſter der be-
leidigten Majeſtaͤt begehet.
Weil aber
die Majeſtaͤtsrechte nicht alle von gleichem
Grade ſind, vermoͤge deſſen, was wir davon
erwieſen haben (§. 1042. u. f.), und uͤber-
dem die Handlungen, ſo dawider begangen
werden, der Republick nicht gleichen Scha-
den bringen; ſo kann auch nicht ein je-
des Laſter der beleidigten Majeſtaͤt
auf einerley Art beſtrafet werden.

Man nennet es aber inſonderheit das La-
ſter des Hochverraths
(crimen perduel-
lionis),
wenn jemand den Regenten des
Staats um das Leben, oder um die Herr-
ſchaft zu bringen, oder die Republick uͤber den
Haufen zu werfen, oder ihr einen Stoß zu
geben ſuchet: Da nun dies unter den Laſtern
der beleidigten Majeſtaͤt das groͤſſeſte iſt, ſo
muß es auch mit den haͤrteſten Stra-
fen beleget werden.
Es erhellet aber,
daß man das Laſter der beleidigten
Majeſtaͤt und des Hochverraths in ei-
ner ieglichen Forme der Republick be-
gehen koͤnne.
Und weil Kinder und An-
verwandte
[791]des Oberherrn und der Unterthanen.
verwandte um der Thaten der Eltern, oder
der Anverwandten willen nicht zu ſtrafen ſind
(§. 837.); ſo koͤnnen auch die Kinder
und Anverwandten der Hochverraths-
ſchuldigen nicht geſtrafet werden.
End-
lich weil die Verbindlichkeit das Laſter der
beleidigten Majeſtaͤt nicht zu begehen aus dem
Vertrage herruͤhret, nach welchem der Staat
aufgerichtet iſt (§. 972.), wie auch aus dem
Vertrag, vermoͤge deſſen die Herrſchaft auf
den Regenten des Staats iſt gebracht wor-
den (§. 982.); ſo kann das Laſter der be-
leidigten Majeſtaͤt und des Hochver-
raths nur allein von den Unterthanen
begangen werden, und wer ſich deſſen
ſchuldig macht, iſt ein Treuloſer
(§.
390.).


§. 1083.

Man nennet denjenigen einen AnfallerVon dem
Recht
wider ei-
nen der
das Reich
anfaͤllet.

des Reichs(invaſorem imperii), welcher,
da er gar kein Recht die Herrſchaft zu ſich zu
reiſſen hat, ſie mit Gewalt, oder durch Liſt
nimmt. Da nun ein Anfaller des Reichs ei-
nem Raͤuber gleich (§. 263.), und mithin
wider denſelben eben ſo viel erlaubt iſt, als
hinreichet eine unrechtmaͤßige Gewalt ab-
zutreiben (§. 268.); ſo ſtehet es frey ei-
nem Anfaller des Reichs, wenn er in
der That des Anfallens begriffen iſt,
ſich mit Gewalt zu widerſetzen, und,
wenn er den Beſitz durch bloſſe Gewalt
erhaͤlt, und kein Vertrag etwa erfol-

D d d 4get
[792]III.Th. 2. A. 6. H. Von der Pflicht
get iſt, als welchen man halten muͤſte (§. 438.),
ihn mit Gewalt heraus zu ſtoſſen, ja
auch in beyden Faͤllen, wo es noͤthig
ſeyn ſollte, zu toͤdten.
Und weil der
Oberherr,
dem dieſes Recht zukommt, dies
entweder ſelbſt, oder durch andere ausrichten
kann; ſo kann ein jeder, wenn es ohne
Unterſchied einer ieden Privatperſon
erlaubet worden, daß er den anfallen-
den in beyden Faͤllen toͤdte, ihn
toͤdten.


§. 1084.

Wenn es
erlaubt
ſey, mit
einem
Anfaller
des
Reichs
einen
Vertrag
einzuge-
hen.

Wenn der Regent des Staats in ei-
nen ſolchen Zuſtand gerathen iſt, daß
er ſeine Unterthanen nicht vertheidi-
gen kann, und auch die Buͤrger ſo viel
Kraͤfte nicht haben, daß ſie ohne den
augenſcheinlichſten Untergang dem An-
fallenden nicht widerſtehen koͤnnen;
ſo iſt es denen Buͤrgern erlaubt
zu ihrer
Erhaltung mit dem Anfallenden einen
Vertrag einzugehen,
indem ſie dem Re-
genten des Staats deswegen die Herrſchaft
uͤbergeben haben, daß er ſie wider aͤuſſerli-
che Gewalt beſchuͤtzen ſollte (§. 972.). Und
dieweil Vertraͤge zu halten ſind (§. 438.); ſo
muͤßen ſie nach aufgerichteten Vertrag
ihm gehorchen, und es ſtehet nicht bey
ihnen das geringſte wider ihn aus ei-
nem feindſeligen Gemuͤthe zu unter-
nehmen.


§. 1085.
[793]des Oberherrn und der Unterthanen.
§. 1085.

Der Regent in einem Staat iſt de-Von den
ſchuldi-
gen Lie-
bespflich-
ten des
Regenten
in einem
Staat
gegen die
Unter-
thanen,
und der
Unter-
thanen
gegen den
Regen-
ten.

nen Unterthanen, und die Unterthanen
dem Regenten zu allen Pflichten, wel-
che ein Menſch dem andern zu leiſten
ſchuldig iſt, verbunden.
Denn die na-
tuͤrliche Verbindlichkeit iſt unveraͤnderlich (§.
38.), und kann ſich kein Menſch davon los
machen (§. 42.). Derowegen da ein Staats-
regente nicht aufhoͤret ein Menſch zu ſeyn,
wenn er der Regent iſt, und die Unterthanen
deshalb nicht aufhoͤren Menſchen zu ſeyn, weil
ſie Unterthanen ſind; ſo beſtehet zwiſchen
dem Regenten des Staats und den Unter-
thanen die Verbindlichkeit in Abſicht auf alle
Liebespflichten, und folglich muͤſſen der
Regent und die Unterthanen ſich unter
einander lieben
(§. 136.). Ja dieſe Ver-
bindlichkeit liegt in dem Vertrage, wodurch
der Staat errichtet (§. 972.), wie auch in
dem Vertrage, nach welchem die Herrſchaft
dem Regenten des Staats uͤberlaſſen worden
iſt (§. 982.).


§. 1086.

Dieweil derjenige, welcher ſich in ei-Von de-
nen, die
ſich in ei-
nen
Staat
begeben.

nen Staat begiebt, wo nicht mit deutli-
chen Worten, doch ſtillſchweigend den Ver-
trag, nach welchem ein Staat errichtet, und
die Herrſchaft auf einen Regenten des Staats
gebracht worden, vor genehm haͤlt; ſo iſt er
zu der Beobachtung der Geſetze des
Staats verbunden
(§. 978. 1068.). Es
D d d 5kommt
[794]IV.Theil 1. Hauptſtuͤck.
kommt dazu, daß es der Oberherr nicht lei-
den wird, daß ſich iemand unter einer andern
Bedingung in den Staat begebe, als daß er
zugleich zur Beobachtung der Geſetze verpflich-
tet ſeyn ſollte.


§. 1087.

Von der
Einig-
keit der
Buͤrger.

Dieweil die Buͤrger Geſellſchafter ſind (§.
972. 974.), dieſe aber einſtimmig ſeyn muͤſ-
ſen (§. 847.); ſo muͤſſen auch die Buͤr-
ger fein einig,
folglich nicht uneinig
ſeyn.
Derowegen muß der Oberherr
dafuͤr ſorgen, daß die Einigkeit der
Buͤrger erhalten werde, keine Uneinig-
keit aber Platz finde.


Der vierdte Theil.


Vom Voͤlckerrechte.



Das erſte Hauptſtuͤck.


Von dem Rechte der Voͤlcker
uͤberhaupt.


§. 1088.

Von dem
nothwen-
digen
Rechte
der Voͤl-
cker.

Dieweil verſchiedene Voͤlcker unter
einander betrachtet werden als freye
Perſonen, die im natuͤrlichen Zu-
ſtande leben (§. 977.), dieſe aber
ſich deswegen, weil ſie ſich in einen Staat
begeben haben, von der natuͤrlichen Verbind-
lichkeit
[795]Von dem Rechte der Voͤlcker uͤberhaupt.
lichkeit nicht losmachen koͤnnen (§. 42.); ſo
ſind ſie zu eben denſelben Pflichten ſo
wohl gegen ſich ſelbſt, als auch gegen
andere Voͤlcker verbunden, wozu ein-
tzelne Perſonen einander verpflichtet
ſind; und aus eben dieſer entſpringen
die Rechte, welche allen und ieden im
natuͤrlichen Zuſtande zugehoͤren (§. 46.),
die ihnen nicht koͤnnen genommen
werden
(§. 74.); folglich bedienen ſie
ſich unter einander des Naturrechts.

Das Recht der Natur, ſo fern es auf die
Voͤlcker angewendet wird, wird das noth-
wendige,
oder natuͤrliche Voͤlckerrecht
(jus gentium neceſſarium, vel naturale) ge-
nennet. Einige nennen es auch mit dem Gro-
tius
das innerliche Voͤlckerrecht(jus
gentium internum).
Und dies Recht iſt
gantz unveraͤnderlich (§. 40.), und
kann ſich kein Volck von der daher ab-
ſtammenden Verbindlichkeit befreyen

(§. 42.).


§. 1089.

Vermoͤge des nothwendigen VoͤlckerrechtsVon dem
Rechte
der Na-
tur ſo
den Voͤl-
ckern zu-
kommt.

haben die Voͤlcker alle einerley Ver-
bindlichkeit und Rechte
(§. 69.), und
derowegen ſind ſie von Natur alle ein-
ander gleich (§. 70.), keines hat ein
Vorrecht (§. 71.), oder einen Rang
fuͤr dem andern (§. 75.). Keinem ſteht
ein Recht uͤber die Handlungen des an-
dern zu (§. 76.): Alle und iede leben in

Frey-
[796]IV.Theil 1. Hauptſtuͤck.
Freyheit (§. 77.), deren Gebrauch von
einem andern Volcke nicht gehindert
werden muß (§. 78.). Kein Volck darf
das andere beleidigen, oder deſſen voll-
kommnes Recht verletzen (§. 88.), oder
ihm Unrecht thun
(§. 87.): Ja es
kommt einem ieden Volcke das Recht
zu ſich wider ein zuzufuͤgendes Un-
recht zu vertheidigen (§. 90.), und ein
bereits angethanes zu beſtrafen
(§. 93.).
Ueberdem haben auch alle Voͤlcker das
Recht ſich andere, daß ſie ihnen dieſes
und jenes leiſten muͤſſen, verbindlich
zu machen,
und folglich ein vollkomm-
nes Recht ſich etwas zu erwerben (§.
97.), ſo ihnen nicht entriſſen werden
kann (§. 100.), und
dann endlich auch das
Recht des Krieges
(§. 92.).


§. 1090.

Von dem
will kuͤhr-
lichen
Rechte
der Voͤl-
ker.

Weil die Voͤlcker ſchuldig ſind ſich
und ihren Zuſtand mit vereinigten
Kraͤften vollkommner zu machen (§.
44. 1088.); ſo hat die Natur ſelbſt un-
ter den Voͤlckern eine Geſellſchaft ge-
ſtiftet,
in welche ſie wegen der unwiderruf-
lichen Nothwendigkeit der natuͤrlichen Ver-
bindlichkeit willigen muͤſſen (§. 38.), ſo daß
es ſcheinet als wenn ſie durch einen eigenen
Vertrag zu wege gebracht waͤre (§. 836.).
Und dieſe Geſellſchaft, ſo der gemeinſamen
Wohlfahrt wegen errichtet iſt, wird der
groͤſſeſte Staat
(civitas maxima) genen-
net,
[797]Von dem Rechte der Voͤlcker uͤberhaupt.
net, deſſen Glieder, ſo zu reden als Buͤrger,
die eintzelnen Voͤlcker ſind. Daraus entſpringt
nun ein Recht, welches allen uͤber alle eintzel-
ne Voͤlcker zukommt, welches man die all-
gemeine Herrſchaft,
oder die Herrſchaft
der Voͤlcker
(imperium univerſale ſive
gentium)
nennen koͤnnte, nach welchem man
naͤmlich um der gemeinen Wohlfahrt
willen die Handlungen derer eintzel-
nen beſtimmen, und ſie zwingen kann,

daß ſie ihrer Verbindlichkeit ein Gnuͤ-
ge leiſten.
Und da eine jede Geſellſchaft
ihre Geſetze haben muß, worinn diejenigen
Dinge feſte geſetzet werden, welche des ge-
meinen Beſtens halber immer auf einerley
Art geſchehen muͤßen (§. 846.); ſo muß
auch der groͤſſeſte Staat ſeine Geſetze
haben.
Wie aber das Naturgeſetz die Ein-
willigung in den groͤſſeſten Staat bewircket;
ſo muß eben daſſelbe dieſe bey der Verferti-
gung der Geſetze ergaͤntzen. Denn gleichwie
in einem ieglichen Staat die buͤrgerlichen Ge-
ſetze aus den natuͤrlichen verfertiget werden
muͤſſen, und das Recht der Natur auch ſelbſt
die Art vorſchreibet, wie dieſes geſchehen ſol-
le (§. 1068. u. f.); ſo muͤſſen auch in
dem groͤſſeſten Staat auf eben die Art
aus den natuͤrlichen Geſetzen buͤrger-
liche gemacht werden, wie es in einem
ieden beſondern Staat nach dem in
dem Naturgeſetz vorgeſchriebenen
Lehrbegrif ergehet.
Und dieſes Recht,
welches
[798]IV.Theil 1. Hauptſtuͤck.
welches aus dem Begrif des groͤſſeſten Staats
hergeleitet wird, nennen wir mit dem Gro-
tius das willkuͤhrliche Voͤlckerrecht
(jus
gentium voluntarium);
und diejenigen, wel-
che das willkuͤhrliche Voͤlckerrecht beſtreiten,
ein aͤuſſerliches aber, ſo von dem innerlichen,
welches das natuͤrliche Voͤlckerrecht iſt (§.
1088.), unterſchieden ſeyn ſoll, behaupten,
nehmen es in der That ſelbſt an: daß daher
der Streit nicht ſo wohl uͤber die Sache, als
vielmehr uͤber deren Nahmen iſt, obgleich we-
der Grotius, noch ſeine Widerſacher die
Dinge genug aus einander geſetzet haben, die
wircklich zum willkuͤhrlichen Voͤlckerrecht ge-
hoͤren.


§. 1091.

Von dem
Ver-
tragsvoͤl-
ckerrecht.

Die Voͤlcker koͤnnen ſich auch durch Ver-
traͤge allerley Rechte und Verbindlichkeiten
zuwege bringen (§. 1089.). Und dieſes Recht,
welches aus Vertraͤgen, ſo unter verſchiednen
Voͤlckern eingegangen worden ſind, nebſt de-
nen darauf paſſenden, oder ihnen anklebenden
Verbindlichkeiten, entſtehet, wird das Ver-
tragsrecht der Voͤlcker
(jus gentium pa-
ctitium)
genennet. Derowegen da die Ver-
traͤge nur die den Vertrag eingehende Theile
verbinden (§. 438.), ſo iſt das Vertrags-
voͤlckerrecht nur ein beſonderes Recht.


§. 1092.

Von dem
Gewohn-
heits-

Endlich nennet man das Gewohnheits-
voͤlckerrecht
(jus gentium conſuetudina-
rium)
[799]Von dem Rechte der Voͤlcker uͤberhaupt.
rium) dasjenige, was durch langwierigenvoͤlcker-
recht.

Gebrauch unter einigen Voͤlckern eingefuͤhret,
und als ein Recht beobachtet worden: wel-
ches nur beſonders ſeyn kann,
und die-
weil es ſich auf keine ausdruͤckliche Einwilli-
gung gruͤndet, nicht laͤnger verbindet,
als bis ein Volck ausdruͤcklich einen
andern Willen an den Tag geleget
hat.


Das zweyte Hauptſtuͤck.


Von den Pflichten der Voͤlcker
gegen ſich ſelbſt, und denen daher
entſpringenden Rechten.


§. 1093.

Die Erhaltung eines Volckes(con-Von der
Erhal-
tung ei-
nes Vol-
ckes.

ſervatio gentis) beſtehet in der Fort-
dauer der Vereinigung in einem
Staat. Da demnach alle insgeſamt ver-
pflichtet ſind fuͤr den hinlaͤnglichen Lebensun-
terhalt, Ruhe und Sicherheit eines ieglichen
zu ſorgen (§. 975.), als welcher Endzweck
nur bey aufrechtſtehender geſellſchaftlicher
Vereinigung erhalten wird; ſo iſt ein iedes
Volck ſich zu erhalten verpflichtet.


§. 1094.

Die Vollkommenheit eines VolcksVon der
Vollkom-
menheit
eines
Volcks

beſteht in der Geſchicklichkeit den Endzweck des
Staats zu erreichen, und ſo iſt denn der Zu-
ſtand eines Volckes vollkommen, wenn

bey
[800]IV.Th. 2. Hauptſt. Von den Pflichten
und des
Zuſtan-
des deſ-
ſelben.
bey ihm nichts von dem vermiſſet wird,
deſſen es den Endzweck zu erlangen
bedarf.
Derowegen da diejenigen, welche
ſich in einen Staat zuſammen begeben haben,
ſich unter einander verbunden, dieſen End-
zweck mit vereinigten Kraͤften zu verfolgen (§.
972.); ſo iſt ein iegliches Volck ver-
pflichtet ſich und ſeinen Zuſtand voll-
kommner zu machen.


§. 1095.

Von der
Verbind-
lichkeit
und dem
daher
ſlieſſen-
den Rech-
te.

Weil ein Volck ſich erhalten (§. 1093.)
und vollkommen machen ſoll (§. 1094.); ſo
muß es
auch alle Gefahr des Unter-
gangs von ſich abwenden, und ſo viel
in ſeinen Kraͤften iſt, dasjenige ver-
meiden (§. 60.), was ſeine und ſeines
Zuſtandes Vollkommenheit auf irgend
eine Art verhindert, oder es ſelbſt, oder
ſeinen Zuſtand unvollkommner macht
;
folglich ſtehet einem ieglichen Volcke
das Recht zu dem offen, wodurch es
die Gefahr des Untergangs abwen-
den, und ohne welches es ſich und ſei-
nen Zuſtand nicht vollkommen machen,
oder ſeine und ſeines Zuſtandes Unvoll-
kommenheit nicht verhuͤten kann;
wenn es
folglich der Huͤlfe und des Bey-
ſtandes eines andern Volckes zu dieſem
Ende noͤthig hat, ſo muß es mit dem-
ſelben daruͤber Vertraͤge errichten
(§.
1091.).


§. 1096.
[801]der Voͤlcker gegen ſich ſelbſt.
§. 1096.

Der Ruhm(gloria) iſt das einſtimmigeVon dem
Ruhm.

Lob guter und erfahrner Perſonen, oder derer,
welche wohl urtheilen koͤnnen (§. 121.); folg-
lich kann niemand ohne Tugenden des
Verſtandes und Willens wahren
Ruhm erlangen, und der thut es an-
dern an Ruhm am meiſten zuvor,
welcher andere an der Tugend weit
uͤbertrift
(§. 125.). Und ſo beſtehet denn
der Ruhm eines Volcks in dem Lobe,
welches ihm nach der Uebereinſtim-
mung braver und erfahrner Leute, ſo
wohl wegen der Vollkommenheit, als
auch ſolcher Thaten halber, welche
aus Tugenden des Verſtandes und des
Willens hergefloſſen ſind, beygeleget
wird.
Und weil das, was eintzelne haben,
auf das gantze Volck gezogen wird, und von
dieſem geſaget werden muß, was von dem
groͤſſeſten Theile deſſelben, oder von mehre-
ren in einer gewiſſen Lebensart gilt; ſo ge-
reichen die aus Tugenden des Verſtan-
des und des Willens abgeſtammten
Thaten eintzelner, und inſonderheit
der meiſten, oder wenigſtens vieler
Perſonen in einerley Lebensart, zum
Ruhm eines Volcks.
So wird z. E. ein
Volck gelehrt genennt, wenn es einen Ueber-
fluß an gelehrten Maͤnnern hat; es heißt ge-
recht, wenn die meiſten in demſelben der Ge-
rechtigkeit ergeben ſind, u. ſ. w.


Nat. u. Voͤlckerrecht. E e e§. 1097.
[802]IV.Th. 2. Hauptſt. Von den Pflichten
§. 1097.

Von der
Befoͤrde-
rung des
Ruhms.

Dieweil ſich ein ieder Menſch zu befleißi-
gen hat, daß er lobenswuͤrdig ſey (§. 125.),
und alſo Ruhm verdiene (§ 127.); ſo muß
ſich auch ein iedes Volck Ruhm zu
verdienen bewerben.
Hieraus ergiebt
ſich, daß auch alle und iede ihre Hand-
lungen, und mithin der Regent des
Staats ſelbſt ſeine koͤniglichen Hand-
lungen (§. 1096.), zum Ruhm ihres
Volcks einrichten muͤſſen,
folglich haben
ſie ſich zu huͤten, daß ſie nicht etwas
begehen, was ihrem Volcke zur Schan-
de gereichet.
Daher erhellet noch weiter,
daß die Voͤlcker auch gelehrt und geſit-
tet ſeyn ſollen.
Es heiſſen naͤmlich gelehr-
te Voͤlcker,
welche die Tugenden des Ver-
ſtandes treiben, und folglich ihre Seele durch
Erkaͤntniß uͤben; geſittete aber werden ge-
nennet, welche nach der Vorſchrift der Ver-
nunft und zur Artigkeit eingerichtete Sitten
haben. Dieſen ſind wilde und ungeſittete
Voͤlcker (barbaræ \& incultæ) entgegen ge-
ſetzet.


§. 1098.

Von dem
Rechte
ſich Sa-
chen um
einen bil-
ligen
Preis
von ei-
nem an-

Weil ſich die Menſchen unter einander ver-
bunden ſind dasjenige von ihren Sachen her-
zugeben, was der andere bedarf, ſie aber miſ-
ſen koͤnnen (§. 329.), niemand aber ſchuldig
iſt einem etwas umſonſt zu geben, der gleich-
falls etwas geben kann (§. 473.); ſo hat ein
iegliches Volck das Recht die Sachen,

ſo
[803]der Voͤlcker gegen ſich ſelbſt.
ſo es bedarf, von andern Voͤlckern, diedern
Volck an-
zuſchaf-
fen.

ihrer nicht noͤthig haben, ſich um bil-
ligen Preis anzuſchaffen: Keineswegs
aber kommt ihm das Recht zu, ſeine
Sachen bey einem andern Volcke zu
verkaufen, wenn es ſolches nicht zu-
frieden iſt, wenn
folglich ein Volck nicht
will, daß gewiſſe fremde Sachen in
ſein Land ſollen gebracht werden, ſo
thut es dem Volck, von welchem ſie
kommen, kein Unrecht
(§. 87.).


§. 1099.

Den Handel(commercium) nennt manVon dem
Handel.

das Recht, nach welchem man allerley Sa-
chen, bewegliche und ſich bewegende, unter
einander kaufen und verkaufen kann. Jn-
neren Handel
(commercia interna) heiſſet
man denjenigen, welchen die, ſo einerley buͤr-
gerlicher Herrſchaft unterworfen, oder unter
einander Buͤrger ſind, treiben; aͤuſſerlichen
aber (externa), der mit andern Voͤlckern,
oder mit fremden getrieben wird. Da der
innerliche Handel den Nutzen hat, daß ein
ieder haben kann, was zur Nothdurft, Ge-
maͤchlichkeit und Vergnuͤgen des Lebens erfor-
derlich iſt, und daß einerley Geld beſtaͤndig
von einem auf den andern koͤmmt, und zu
mehrerer Vortheil verwendet wird; der aͤuſ-
ſerliche aber dazu dienet, daß man das, was
einem Volcke fehlt, von dem andern anſchaf-
fet: ſo ſind ſo wohl alle und iede un-
ter einander in einem Staat
(§. 975.),
E e e 2als
[804]IV.Th. 2. Hauptſt. Von den Pflichten
als auch die Voͤlcker unter einander
verbunden Handel zu treiben
(§. 1098.).
Wenn man nun aber durch einen Vertrag
ein vollkommenes Recht erlanget (§. 1089.);
ſo muͤſſen die Voͤlcker Handlungsver-
traͤge unter einander errichten.


§. 1100.

Von dem
Rechte,
da etwas
blos in
meiner
Macht
ſtehet.

Das Recht, da etwas blos in mei-
ner Macht ſteht
(jus meræ facultatis)
wird dasjenige Recht genannt, da iemand ſich
etwas bedienen und nicht bedienen kann, wie
es ihm gut deuchtet, frey von allem aͤuſſerli-
chen Zwange. Derowegen da Handlun-
gen, bey welchen es lediglich auf den
Willen ankommt
(actus meræ volunta-
tis)
diejenigen heiſſen, welche eintzig von un-
ſerm Willen abhangen; ſo ſind alle Hand-
lungen, die zur Ausuͤbung des Rech-
tes, da etwas blos in meiner Macht
ſtehet, gehoͤren,
von der Art, z. E. Waa-
ren kaufen, wo man will. Weil nun aus den
Handlungen, ſo lediglich auf iemandes Wil-
len beruhen, nicht geſchloſſen werden kann,
daß ſich iemand dem andern zu gefallen ſeines
Rechts begeben ſo und nicht anders zu thun;
ſo koͤnnen die Rechte, da etwas blos
in unſrer Macht ſtehet, nicht verjaͤh-
ret werden (§. 452.), auſſer von der
Zeit an, da ein Verboth oder Zwang
dazwiſchen gekommen, und demſelben
von uns, mit genugſamer Anzeige un-

ſrer
[805]der Voͤlcker gegen ſich ſelbſt.
ſrer Einwilligung, Gehorſam gelei-
ſtet worden iſt.


§. 1101.

Da ein vollkommnes Recht des Han-Von der
Verjaͤh-
rung des
Handels.

dels(jus commerciorum perfectum) nur
durch einen Vertrag erworben wird (§ 1099.),
und folglich an ſich betrachtet ein Recht iſt, ſo
blos in unſrer Macht ſtehet (§. 1100.); ſo
kann das nicht verjaͤhret werden, auſ-
ſer ſeit dem ein Verboth, oder ein
Zwang dazwiſchen gekommen iſt, dem
man mit ſattſamer Bekantmachung
ſeiner Einwilligung gehorſamet hat.


§. 1102.

Zu der Vollkommenheit eines Volcks ge-Von dem
Rechte
ſeine
Macht
zu ver-
mehren.

hoͤret, daß es maͤchtig ſey, das iſt, daß es
der Gewalt andrer Voͤlcker, womit es ent-
weder ſelbſt, oder das ſeinige uͤberfallen wird,
widerſtehen koͤnne (§. 1094. 972.). Dero-
wegen muß ſich ein iedes Volck befleiſ-
ſigen, maͤchtig zu ſeyn,
folglich hat es
ein Recht zu allen dem, wodurch es
ſeine Macht ohne andern Voͤlckern Un-
recht zuzufuͤgen (§. 87.) vermehren
kann (§. 46.). Wenn
derowegen ein Volck
nicht maͤchtig genug waͤre ſich wider
das Unrecht andrer Voͤlcker zu beſchuͤ-
tzen; ſo kann es ſich,
weil durch Vertraͤ-
ge vollkommene Rechte erhalten werden (§.
1089.), unter einer gewiſſen Bedin-
gung, worinn ſie etwa uͤbereinkom-
men, einem andern maͤchtigern Volcke

E e e 3unter-
[806]IV.Th. 2. Hauptſt. Von den Pflichten
unterwerffen, und es muͤſſen ſodenn
die beyderſeitigen Rechte nach dem
Vertrage der Unterwerffung abgemeſ-
ſen werden (§. 317.). Wenn
daher ein
Volck, welches den Schutz gewaͤhren
ſoll, ſich uͤber ein ohnmaͤchtigeres
Volck mehr Recht anmaſſete, als es
aus dem Vertrage hat; ſo kann jenes,

weil alsdenn ihm unrecht geſchieht (§. 87.),
ſich mit Gewalt widerſetzen und frem-
de Huͤlfe anflehen
(§. 90.).


§. 1103.

Von der
Woh-
nung.

Man nennet die Wohnung(domici-
lium)
einen an einem Orte aufgerichteten
Aufenthalt, mit dem Vorſatz beſtaͤndig da
zu bleiben. Wer ſich alſo um eines Ge-
ſchaͤftes willen an einem Ort auch noch
ſo lange aufhaͤlt, der hat doch ſeine
Behauſung nicht da.
Weil aber einem
ieglichen vermoͤge der natuͤrlichen Freyheit die
Aendrung des Willens erlaubt iſt (§. 78.);
ſo kann die Wohnung veraͤndert wer-
den.
Die natuͤrliche Wohnung(do-
micilium naturale)
heißt, welche einer durch
die Geburth da, wo der Vater zu hauſe iſt,
erhaͤlt; die angenommene aber (adſciti-
tium)
iſt, welche ſich iemand nach eignen
Willen beſtimmet hat. Daher haͤlt man
dafuͤr, daß iemand ſeine natuͤrliche Be-
hauſung ſo lange behalte, als er ſich
nicht nach ſeinem eignen Willen eine

andere
[807]der Voͤlcker gegen ſich ſelbſt.
andere feſte geſetzet, oder jene nicht
verlaſſen hat.


§. 1104.

Ein herumſchweifender(vagabun-Von
herum-
ſchwei-
ſenden.

dus) wird genennt, der nirgends zu hauſe
iſt. Die herumſchweifenden halten
ſich alſo bald hier, bald da auf, und
haben nie den Vorſatz an einem Orte
beſtaͤndig zu bleiben.
Ob das nun gleich
mehrentheils herumſchweifende ſind, die ei-
ner laſterhaften, oder doch wenig ehrbaren
Lebensart nachhaͤngen; ſo iſt es doch nichts
widerſprechendes, daß auch die herumſchwei-
fenden einer ehrbaren Lebensart ergeben ſeyn
koͤnnen.


§. 1105.

Das Vaterland iſt der Ort, naͤmlich einVon dem
Vater-
lande
und deſ-
ſen Liebe.

Land, oder Stadt, in welchem die Eltern,
wenn iemand gebohren wird, ihre Behau-
ſung haben; da man denn die Abſicht auf
das Volck, oder auf eine gewiſſe Gemeinde
von einem Volck, deſſen Land oder Stadt es
iſt, hat. Von dem Vaterlande iſt der Ge-
burtsort
unterſchieden, worinn einer die
Welt erblicket hat, als welches auch auſſer
dem Vaterlande geſchehen kann. Da man
den Geburtsort ohne eine Abſicht auf das
Volck zu nehmen betrachtet; ſo giebet er
auch einem gebohrnen kein Recht. Hier-
aus iſt klar, daß diejenigen ſo von her-
umſchweifenden gezeuget ſind, kein
Vaterland haben
(§. 1104.). Weil die
E e e 4Unter,
[808]IV.Th. 2. Hauptſt. Von den Pflichten
Unterthanen beſonders verbunden ſind alle
und iede zu lieben (§. 1085.), und folglich
ein ieglicher ſein Volck lieben ſoll (§.
974.); ſo muß er auch ſein Vaterland
lieben.


1106.

Von den
vertrie-
benen.

Ein Vertriebener(exul) iſt, welcher
aus der Stadt, oder dem Lande, wo er ſeine
Wohnung hat, verjaget wird, oder ohne un-
ehrlich zu werden daraus weichen muß. Der
Zuſtand der Vertriebenen
(exilium)
kann auch eine Strafe ſeyn. Man nen-
net ihn aber einen wider Willen uͤber-
nommenen
(exilium invitum), wenn ie-
mand nach dem Ausſpruch des Richters, oder
auf Befehl des Oberherrn wegzugehen ge-
zwungen wird; gleichwie man es einen frey-
willigen
(voluntarium) nennen kann, wenn
iemand um der Strafe willen, oder einer
Noth zu entrinnen von freyen Stuͤcken aus
dem Ort, wo er ſeine Wohnung hat, wei-
chet. Weil man denenjenigen, welche ver-
trieben ſind, und aufgenommen zu werden
ſuchen den Aufenthalt verſtatten muß, wo
nicht beſondere Gruͤnde in dem Wege ſtehen
(§. 312.); ſo muß ein Volck auch den
verjagten eine beſtaͤndige Wohnung in
ſeinem Lande verſtatten, wenn es
nicht beſondere Gruͤnde verbieten.
Jn-
dem aber dies das Volck ſelbſt zu beurtheilen
hat (§. 1089. 78.); ſo muß man es,
wenn
[809]der Voͤlcker gegen ſich ſelbſt.
wenn einem die Anfnahme abgeſchla-
gen wird, ertragen.


§. 1107.

Die Erlaubniß daß man freywillig ausVon dem
Rechte
aus dem
Lande zu
gehen.

dem Ort ſeiner Wohnung weichen darf, wird
das Recht aus dem Lande zu gehen
(jus emigrandi) genennt. Es iſt aber leicht
zu erachten, daß das Recht aus dem Lan-
de zu gehen entweder von einem Ver-
trage, oder von einem Grundgeſetze,
oder von dem Willen des Oberherrn
herruͤhre.
Hieher gehoͤret auch der Ver-
trag, nach welchem die Staaten errichtet ſind,
welcher nur allein durch andere beſondere Ver-
traͤge, wozu man auch ſelbſt die Grundgeſe-
tze rechnen kann, unkraͤftig gemachet wird.


Das dritte Hauptſtuͤck.


Von den Pflichten der Voͤlcker
gegen einander, und von denen da-
her entſpringenden Rechten.


§. 1108.

Dieweil das Recht der Natur auf dieDie all-
gemeine
Pflicht
eines
Volckes
gegen
andere.

Voͤlcker angewendet werden muß (§.
1088.); ſo iſt ein iedes Volck ei-
nem ieden andern das ſchuldig, was
es ſich ſelbſt ſchuldig iſt, in ſo ferne
das andere ſolches nicht in ſeiner eig-
nen Gewalt hat, und jenes Volck es
ohne Hintanſetzung der Pflichten ge-

E e e 5gen
[810]IV.Th. 3. Hauptſt. Von den Pflichten
gen ſich ſelbſt dem andern leiſten kann
(§. 133.): Was es
folglich zur Erhal-
tung deſſelben, oder zu deſſen und des
Zuſtandes deſſelben Vollkommenheit
beytragen kann, das muß es auch bey-
tragen
(§. 1093. 1094.). Doch iſt das
Recht, ſo ein anderes Volck dazu hat,
ein unvollkommnes Recht, aber das
Recht ſolches zu erbitten iſt ein voll-
kommnes, und man kann es in ſeinem
Bitten ohne Unrecht zu begehen nicht
hindern
(§. 82. 87.).


§. 1109.

Von der
Liebe,
dem
Ruhme
und dem
Handel.

Aus eben dem Grunde muß ein iedes
Volck zu einem andern eine Zunei-
gung haben und es lieben als ſich
ſelbſt (§. 136.), wenn es auch gleich ein
feindſeliges Volck ſeyn ſollte (§. 137.),
ſo dann muß es ſich auch bemuͤhen,
daß andere Voͤlcker ruhmswuͤrdig wer-
den (§. 1097.), und es muß ein iegli-
ches ſo hoch ſchaͤtzen, als es daſſelbe
verdienet, desgleichen ihm ſo viel Lob
beylegen, als es werth iſt
(§. 142.),
deshalben nach Vermoͤgen behuͤlflich
ſeyn, daß es gelehrt und geſittet wer-
de.
Hierher gehoͤret auch die Verbind-
lichkeit mit andern Voͤlckern Handel
zu treiben
(§. 1099.).


§. 1110.

Wie man
ſich we-
gen der

Da ein vollkommnes Handelsrecht nur
durch Vertrag erlanget wird, und darnach zu
ſchaͤtzen
[811]der Voͤlcker gegen einander.
ſchaͤtzen iſt (§. 438.); ſo kann der HandelHand-
lung ver-
einigen
koͤnne.

auf den Einkauf allein, oder auf den
Kauf und Verkauf gewiſſer Sachen,
und auf eine gewiſſe Zeit eingeſchraͤn-
cket werden, und es koͤnnen den Han-
delstractaten allerley Bedingungen
und vorbehaltende Geſetze angehaͤnget
werden: Sollten
aber die Voͤlcker ein-
ander den Handel, entweder ſtillſchwei-
gend, oder ausdruͤcklich, nur erlau-
ben, und es wuͤrde ſolcher nicht durch
einen Vertrag befeſtiget, ſo kann er
nach Gefallen wiederrufen werden.


§. 1111.

Weil natuͤrlicher Weiſe ein iegliches VolckDaß der
Handel
nicht
verhin-
dert wer-
den muͤſ-
ſe, und
von ver-
neinen-
den Ver-
traͤgen.

das Recht hat mit einem ieglichen andern
Volcke Handel zu treiben (§. 1099.); ſo
kann kein Volck verbieten, daß ſich
das eine mit einem andern in Handel
einlaſſe, doch kann es mit ihm einen
Vertrag machen, daß ſolches nicht ge-
ſchehe
(§. 337.). Und da die Vertraͤge ge-
halten werden muͤſſen (§. 438.); ſo erwaͤch-
ſet aus einem verneinenden Vertrage
uͤber die Handlung dem einen Theil
ein Recht, daß es nicht zu leiden ver-
bunden iſt, daß der andre Theil mit
einem andern Volck Handel treibe, oder
ihn uͤber die verglichene Einſchraͤn-
ckung ausdehne.


§. 1112.
[812]IV.Th. 3. Hauptſt. Von den Pflichten
§. 1112.

Vom ent-
zogenen
Gewinn
und von
dem Han-
del, den
einer al-
lein fuͤh-
ren darf.

Dieweil es einem ieden Volcke frey ſtehet
mit einem ieden andern des Handels wegen
Vertraͤge zu machen (§. 1095.); ſo thut es
dem andern,
da es ſich ſeines Rechts be-
dienet, kein Unrecht, wenn es durch ei-
nen Handel, den es vorher noch nicht
getrieben hatte, ein andres Volck um
ſeinen Gewinſt bringet; und
folglich
fuͤgt es ihm auch kein Unrecht zu, wenn
es ſich mit einem andern Volcke dahin
vergleichet, daß es ihm allein gewiſſe
Sachen verkaufe, die man nirgends
anders her als von demſelben haben
kann, und die es hernach andern, ſo
ihrer benoͤthigt ſind, wieder verhan-
delt. Es muͤſſen
zwar ſo dann die Sa-
chen nach der Natur um einen billigen
Preis verkauft werden,
damit kein Be-
trug vorgehe (§. 286.): Unterdeſſen da man
dem Eigenthuͤmer den Misbrauch ſeines
Rechts verſtatten muß (§. 202.); ſo wird
kein Unrecht begangen, wenn ſie auch
nicht eben um einen billigen Preis ver-
kaufet werden
(§. 87.).


§. 1113.

Von der
Bemuͤ-
hung den
Handel
zu befoͤr-
dern.

Da durch die Handlung das gemeinſame
Wohl der Voͤlcker befoͤrdert wird (§. 1099.),
wozu die Voͤlcker einander verbunden ſind (§.
1108.); ſo muß ein iedes Volck nach
Vermoͤgen alles beytragen, was zur
Befoͤrderung des Handels unter ein-

andet
[813]der Voͤlcker gegen einander.
ander gehoͤret, folglich muß es denſel-
ben nicht hindern, ſondern was ihm
im Wege ſtehet, wegraͤumen.
Dero-
wegen muß es Sorge tragen, daß die
Sachen, welche in Handel kommen,
fuͤglich und ſicher ein- und ausgefuͤh-
ret, und am gehoͤrigen Orte umgeſe-
tzet werden, ingleichen daß die Schiffe
und Frachtwagen ſicher anlangen und
abgehen koͤnnen, wie auch daß diejeni-
gen, welche Waaren einbringen, oder
fortſchaffen, nicht ſo lange aufgehal-
ten werden, damit nicht ſo viele Unko-
ſten auflaufen, ferner daß man die
Streitigkeiten, ſo unter den Kaufleu-
ten entſtehen, ohne Verzug abthue,
damit ſich nichts ereigne, was dem aus
Vertraͤgen hergebrachten Rechte zu-
wider iſt, und was dergleichen Din-
ge mehr ſind.


§. 1114.

Weil aber niemand gehalten iſt dem andernVon dem
Zoll, wel-
chen man
auf die
Waaren
legen ſoll.

etwas umſonſt zu leiſten, welcher gleichfalls
etwas geben kann (§. 473.); ſo kann man
auf die durchgehenden, oder ins Land
gebrachte, oder ausgefuͤhrte Waaren,
nach Beſchaffenheit der Beſchwerlich-
keiten, die man des Handels wegen
uͤbernehmen muß, ſodann auch des
Gewinnes, den man aus dem Verkauf
derſelben hat, einen Zoll legen: Doch
aber muß man ſie nicht mit ſolchen

Laſten
[814]IV.Th. 3. Hauptſt. Von den Pflichten
Laſten beſchweren, welche kein Ver-
haͤltniß gegen ſie haben
(§. 1057.).


§. 1115.

Von
Handels-
ſtaͤdten.

Handelsſtaͤdte(emporia) nennet man
Oerter, welche zum beſtaͤndigen Handel un-
ter den Voͤlckern gewidmet ſind. Es muß
demnach erlaubet ſeyn, daß man zu ie-
derzeit zum Verkauf ſtehende Waaren
in dieſelben hineinbringen, und die
gekauften aus denſelben herausfuͤhren
koͤnne.
Da der Handel durch ſie erleichtert
wird; ſo muͤſſen Handelsſtaͤdte angele-
get, und was zur Gemaͤchlichkeit des
Handels in ihnen gereichet, veranſtal-
tet werden
(§. 1113.). Hierher gehoͤret
auch, daß man zur Befoͤrderung des
Handels nuͤtzliche Privilegien,
z. E. ei-
ner beſtaͤndigen Wohnung, des Be-
ſitzes unbeweglicher Guͤther, der freyen
Religionsuͤbung, des Gebrauchs des
Rechts ihres Vaterlandes unter einan-
der, der Zollfreyheit, oder daß man
weniger zahlet als es ordentlich traͤgt,

u. ſ. f. ertheile. Und daraus iſt klar, wo-
zu ein Volck das andere durch Vertraͤge ver-
binden koͤnne.


§. 1116.

Von den
Haaſen.

Zur Befoͤrderung des Handels auf der
See dienen die Haafen, welches eingeſchloſ-
ſene Oerter am Ufer des Meeres ſind, in
welche man Waaren mit Schiffen ein und
aus bringen kann. Damit denen Handeln-
den
[815]der Voͤlcker gegen einander.
den Sicherheit verſchaffet werde, muß man
ſie
wider feindliche Gewalt befeſtigen.
Auch gehoͤret hierher, daß ſie die Schiffe wi-
der Ungewitter ſicher ſtellen muͤſſen.


§. 1117.

Das Stapelrecht(jus ſtapulæ) iſt dasVom
Stapel-
rechte.

Privilegium die mit Waaren vorbey fahren-
den auf offenen Fluß anzuhalten, daß ſie ſol-
che verkaufen, oder, wenn ſie ſie nicht ver-
kaufen wollen, einen Tribut geben muͤſſen:
Da dies der Handelsfreyheit gar ſehr entge-
gen ſtehet, ſo muß es nicht geduldet
werden, wenn es nicht gantz beſonde-
re Gruͤnde, welche von der oͤffentli-
chen Wohlfahrt hergeholet ſind, er-
heiſchen
(§. 1113.).


§. 1118.

Conſul(conſules) ſind ſolche Perſonen,Von den
Conſuln.

welchen in den See-Handelsſtaͤdten, oder den
Haafen aufgetragen iſt, die Privilegien und
Rechte ihrer Nation, oder ihres Volcks zu
bewahren, und die Streitigkeiten der Kauf-
leute zu ſchlichten. Die Conſul bleiben
Unterthanen deſſen, der ſie geſetzt hat,

indem ſie ein Amt verwalten, ſo er ihnen
aufgetragen hat: Allein in dem Gebiete
deſſen, der ſie aufgenommen hat, wer-
den ſie als Fremde, welche ſich ihrer
Geſchaͤfte halber darin aufhalten, be-
trachtet.
Und es erhellet leicht, daß das
vollkommene Recht einen Conſul zu
beſtellen, und die Verbindlichkeit ihn

aufzu-
[816]IV.Th. 3. Hauptſt. Von den Pflichten
aufzunehmen aus Vertraͤgen komme
(§. 1089.), und daß man ſich darinn
uͤber das vereinigen koͤnne, was bey-
den Theilen zum Vortheil zu gereichen
ſcheinet.


§. 1119.

Von den
Nahmen
und Ti-
tuln ei-
nes Re-
genten
des
Staats.

Weil von Natur kein Volck ein Vor-
recht,
oder Rang hat (§. 1089.), ſo
kann beydes nicht anders als durch
Vertraͤge erhalten werden.
Und ver-
moͤge der Freyheit der Voͤlcker ſtehet einem
ieden Volck frey, mit welchem Nah-
men es den Regenten ſeines Staats
nennen, und welche Ehrentitul es ihm
beylegen wolle; aber von andern Voͤl-
ckern muß man das erſt erhalten.
Doch
aber wenn ein Volck durch einen Ver-
trag ſich ein vollkommnes Recht zu-
wege gebracht hat, daß ihr Staats-
regente mit einem gewiſſen Nahmen
benennet und ihm gewiſſe Titul gege-
ben werden ſollen; ſo koͤnnen ſie nach-
her nicht ohne Zufuͤgung eines Un-
rechts verſaget werden
(§. 87.).


§. 1120.

Daß das
Recht der
Gleich-
heit nicht
verletzet
werden
muͤſſe.

Dieweil alle Voͤlcker nach der Natur ein-
ander gleich ſind (§. 1089.), und die Regen-
ten der Staaten ihr Volck vorſtellen (§. 994.);
ſo muß ein ieglicher Staatsregente
den Regenten eines andern Staats als
einen ſeines gleichen anſehen
: Jndem
nun dieſes Recht nicht entriſſen werden kann
(§. 74.),
[817]der Voͤlcker gegen einander.
(§. 74.), ſo begehet derſelbe ein Unrecht,
welcher durch Worte, oder Thaten das
Gegentheil zu Tage leget
(§. 87.). Da-
her ſind alle Handlungen, welche zur
Verachtung, oder zur Schmaͤhung
des Regenten des Staats abzielen,
Unrecht.


§. 1121.

Kein Volck darf das andere beleidigenVon den
Beleidi-
gungen
der Voͤl-
cker.

(§. 1089.), folglich auch nicht deſſen Recht
verletzen (angef. §.). Derowegen weil aus
dieſer Verbindlichkeit des einen Theiles dem
andern ein darauf paſſendes Recht erwaͤchſet
(§. 89.); ſo kommt einem ieglichen
Volck ein Recht zu nicht zu leiden, daß
es von dem andern beleidiget werde,

und folglich auch ein Recht nicht zu ge-
ſtatten, daß ſich ein andres Volck in
ſeine Regierung miſche
: als welches auch
wider die Freyheit der Voͤlcker ſtreitet (§.
1089. 87.). Daraus folget, daß, wenn
ein Regent des Staats ſeine Untertha-
nen gar zu ſehr belaͤſtiget, oder mit ih-
nen allzuhart umgehet, der Regent
eines andern Staats nicht mit Gewalt
widerſtehen koͤnne.
Dieweil aber doch
ein iegliches Volck die Vollkommenheit des
andern befoͤrdern ſoll, ſo viel es kann (§.
1108.); ſo iſt es erlaubt fuͤr ſie zu
bitten.


Nat. u. Voͤlckerrecht. F f f§. 1122.
[818]IV.Th. 3. Hauptſt. Von den Pflichten
§. 1122.

Daß die
Religion
bey an-
dern Voͤl-
ckern
nicht mit
Gewalt
fortge-
pflantzet
werden
muͤſſe.

Jndem dem Oberherrn auch ein Recht
uͤber heilige Sachen zukommt (§. 1064.), und
ihm die Sorge oblieget, daß die Unterthanen
GOtt fuͤrchten (§. 1024.); ſo kann kein
Volck das andere mit Gewalt noͤthi-
gen ſeine Religion anzunehmen
(§.
1120.), folglich hat es auch kein Recht
der Religion halben ſich ein andres
Volck zu unterwerffen,
ja dies iſt auch
nicht verbunden Mißionarien,
das iſt,
ſolche Perſonen, welche um eine andere Re-
ligion auszubreiten ankommen, zu dulden,
derowegen kann es auch dieſelben, wenn
ſie nach vorhergegangenem Befehl
nicht fort wollen, ſtrafen.


§. 1123.

Ob die
Verſchie-
denheit
der Reli-
gion den
Pflichten
der Voͤl-
cker unter
einander
im Wege
ſtehe.

Und weil die Pflichten des einen Volcks
gegen das andere die Einigkeit der Religion
nicht zum voraus ſetzen, ſondern in der
menſchlichen Natur gegruͤndet ſind (§. 39.);
ſo kann ein Volck dem andern die Lie-
bespflichten, ſo das eine dem andern
ſchuldig iſt, wegen der Verſchieden-
heit der Religion nicht verſagen.
De-
rowegen kommt in der Leiſtung der
Liebespflichten die Verſchiedenheit der
Religion nicht in Betrachtung.
Folg-
lich befreyet der Unterſchied der Reli-
gion noch vielweniger von einer voll-

komme-
[819]der Voͤlcker gegen einander.
kommenen Verbindlichkeit, die man
uͤber ſich hat
(§. 80.).


§. 1124.

Da endlich die Voͤlcker gleichſam BuͤrgerVon der
Einigkeit
der Voͤl-
cker.

des groͤſſeſten Staats ſind (§. 1090.); ſo
muͤſſen ſie unter einander einig ſeyn
(§.
1087.) und mithin Uneinigkeit, wie auch
alles das, was Uneinigkeiten verurſa-
chet, ſorgfaͤltig vermeiden.


Das vierdte Hauptſtuͤck.


Vom Eigenthum eines Volckes.


§. 1125.

Wenn ein Volck eine ledige Land-Von dem
Urſprun-
ge des
Eigen-
thumes
eines
Volckes
und des
Gebie-
tes.

ſchaft einnimmt; ſo ſind, weil
man eben dadurch, daß man eine
keinem zugehoͤrige Sache in Beſitz nimmt,
die Herrſchaft erlanget (§. 210.), das gantze
Land und was darinnen iſt, auch die
wuͤſten und unfruchtbaren, oder unge-
baueten Oerter, und alle Rechte, wel-
che dem Lande gleichſam anhaͤngen (§.
214.), ſein Eigenthum
: Und weil es nun-
mehro uͤber alles und iedes nach Gefallen ver-
fuͤgen kann (§. 195.), ſo bleiben diejeni-
gen Dinge, welche nicht unter eintzel-
ne vertheilet, oder in eine vermiſchte
Gemeinſchaft gewiſſer beſonderer Ge-
ſellſchaften gebracht werden
(§. 197.),
F f f 2der
[820]IV.Theil 4. Hauptſtuͤck.
der Gemeinheit. Weil aber einem iegli-
chen Volcke die buͤrgerliche Herrſchaft zu-
kommt (§. 979.), es mag nun dieſelbe vor
ſich ſelbſt, oder durch andere verwalten (§.
982.), und folglich nicht zu zweifeln iſt, daß
es nicht auch in der Landſchaft, welche es
einnimmet, oder in den Laͤndern, die ihm zu-
ſtehen, eine Herrſchaft haben wolle; ſo nim-
met es in der in Beſitz genommenen
Landſchaft die Herrſchaft zugleich mit
ein, und
folglich wird die gantze Land-
ſchaft ſein Gebiete.
Denn das Gebiete
(territorium) iſt ein Ort, woruͤber iemand
ſeine Herrſchaft hat. Und daher erhellet,
daß die Herrſchaft, welche zwar ein Recht
des Volcks iſt, dem Strich Landes, wel-
chen es bewohnet, gleichſam anhaͤn-
gig,
und daß demnach ein Fremder, ſo
lange er in dem Lande,
als in einem
fremden Gebiete, verweilet, der Herr-
ſchaft deſſelben Volcks unterworffen
ſey.
Und derowegen wird der Regent des
Staats Herr des Gebietes, wie auch Herr
des Landes
(dominus territorii, dominus
regionis)
genennet.


§. 1126.

Von ab-
geſonder-
ten Fa-
milien.

Wenn abgeſonderte Familien in ei-
ner Landſchaft beyſammen wohnen
und Privatgruͤnde beſitzen,
indem ſolche
von Anfange in Beſitz genommen worden
ſind (§. 210.), ſo haben ſie daruͤber die
Herr-
[821]Vom Eigenthum eines Volckes.
Herrſchaft; die uͤbrigen Oerter aber, als
welche ſie nicht eingenommen haben, bleiben
in der urſpruͤnglichen erſten Gemein-
ſchaft
(angef. §.). Wenn aber die abge-
ſonderten Familien keinen beſtaͤndigen
Sitz haben, ſondern durch unbebaue-
te Einoͤden herumſchweifen; ſo blei-
ben die Laͤndereien, die ihnen zum Ge-
brauch dienen koͤnnen,
dieweil man
glaubt, ſie ſeyen ſtillſchweigend zufrieden, daß
die Gruͤnde in der Landſchaft, worin ſie ihren
Aufenthalt nach Belieben aͤndern, und die
allen eintzelnen zum Gebrauch angewendet
werden, gemeinſchaftlich ſeyn ſollen, und man
alſo dafuͤr haͤlt, daß ſie die Landſchaft in Ab-
ſicht auf dieſe Gruͤnde zuſammen eingenom-
men haben (angef. §.), in einer vermiſch-
ten Gemeinſchaft (§. 197.), da hinge-
gen die uͤbrigen,
ſo man naͤmlich nicht in
Beſitz genommen hat, in der allererſten
Gemeinſchaft bleiben
(§. 210.). Unter-
deſſen da dieſe Familien von Natur frey ſind
(§. 77.), und ihnen die Freyheit wider ihren
Willen nicht genommen werden kann (§. 74.);
ſo kann man ſich auch die Herrſchaft
uͤber abgeſonderte Familien, ſie moͤ-
gen eine beſtaͤndige Wohnung haben,
oder nicht, nicht anmaſſen, ſie koͤnnen
vielmehr derſelben nicht anders als
mit ihrem Willen unterworfen wer-
den.


F f f 3§. 1127.
[822]IV.Theil 4. Hauptſtuͤck.
§. 1127.

Von dem
urſpꝛuͤng-
lichen Za-
wachs
des Ge-
bietes.

Weil ein Volck nebſt dem Eigenthum zu-
gleich die Herrſchaft annimmt (§. 1125.); ſo
folgt, daß, wenn ein Volck eine Jnſul,
oder ein bewohntes Land, oder einen
am feſten Lande anliegenden Theil des
Meeres einnimmt, dasjenige, was es
einnimmt, ein Zuwachs deſſelben Vol-
ckes ſey, es mag ſo weit davon entfer-
net ſeyn als es will
(§. 1125.).


§. 1128.

Von ver-
ſchiede-
nen Be-
nennun-
gen der
in Beſitz
genom-
menen
Sachen.

Diejenigen Dinge, ſo nach geſchehener Be-
ſitznehmung in der urſpruͤnglichen Gemein-
ſchaft gelaſſen werden, nennen die Roͤmi-
ſchen Rechtsgelehrten gemeinſchaftliche
Dinge
(res communes); diejenigen aber,
welche man in die vermiſchte Gemeinſchaft
des gantzen Volcks gebracht hat, und darinn
geblieben ſind, nennen ſie oͤffentliche Din-
ge
(res publicæ); ferner, die in eine ver-
miſchte Gemeinſchaft gewiſſer beſonderer Hau-
fen gekommen ſind, heiſſen ſie Sachen der
Gemeinheit
(res univerſitatis); endlich
welche Dinge dem Eigenthum eintzelner Per-
ſonen unterworfen ſind, die haben ſie mit dem
Nahmen der Dinge eintzelner Perſonen
(res ſingulorum) belegt. Da ein Herr das
Eigenthum einer ihm zuſtehenden Sache un-
ter einer ihm beliebigen Bedingung auf einen
andern bringen kann (§. 314.); ſo kann
ein ieder aus dem ſeinigen eine Sache
der Gemeinheit beydes offenbarlich

als
[823]Vom Eigenthum eines Volckes.
als auch verſteckt(directe, indirecte),ent-
weder ſchlechthin, oder unter einer ge-
wiſſen Bedingung machen.
Und dies
iſt eine abſtammende Art der Gemeinheit Sa-
chen zu erwerben.


§. 1129.

Weil die Sachen einer Gemeinde nicht nurVon der
Zerthei-
lung der
Dinge.

denen ietzt lebenden, ſondern auch denen, ſo
nach und nach in die Stelle der verſtorbenen
kommen, zugehoͤren (§. 1128.); ſo koͤnnen
ſolche Sachen von einer Gemeinde
nicht nach Gefallen veraͤuſſert, oder
verpfaͤndet werden, wo nicht eine un-
umgaͤngliche Nothwendigkeit da iſt,

als welche kein Geſetz hat, oder es der of-
fenbare Nutzen einer Gemeinde haben
will,
indem in dieſem Fall nichts zum Nach-
theil der Nachkommen vorgenommen wird.
Weil doch aber dem Regenten des Staats
die Sorge fuͤr dasjenige oblieget, was zum
oͤffentlichen Nutzen gereichet (§. 1075.), und
mithin auch das vorzuͤgliche Eigenthum uͤber
die Sachen der Gemeinde (§. 1065.); ſo
kann weder eine Veraͤuſſerung, noch
eine Verpfaͤndung ohne ſeine Einſtim-
mung geſchehen.
Und weil das Eigen-
thum alle uͤbrige ausſchlieſſet (§. 195.); ſo
kann ſich niemand, der auſſer einer Ge-
meinde iſt, der Sachen derſelben, es
ſey denn mit ihrer Einwilligung, be-
dienen.


F f f 4§. 1130.
[824]IV.Theil 4. Hauptſtuͤck.
§. 1130.

Von oͤf-
fentlichen
Dingen.

Weil man die oͤffentlichen Dinge in ei-
ne vermiſchte Gemeinſchaft eines gantzen
Volcks gebracht hat (§. 1128.); ſo ſind ſie
das Eigenthum des gantzen Volcks,
allen aber kommt ohne Unterſchied ihr
Gebrauch zu, iedoch kann ſich ihrer
niemand anders bedienen, als daß da-
bey dem oͤffentlichen oder allen ge-
meinſchaftlichen Gebrauch nichts ab-
gehe
(§. 197.). Und weil ein Eigenthuͤmer
das Recht, welches er an einer gewiſſen Sa-
che hat, auf einen andern bringen kann (§.
314.); ſo kann auch das Eigenthum uͤ-
ber die oͤffentlichen Sachen auf den
Regenten des Staats, als welchem
nicht nur die Herrſchaft uͤber die oͤf-
fentlichen Oerter zugehoͤrt, ſondern
der auch das vorzuͤgliche Eigenthum
an den oͤffentlichen Sachen hat, kom-
men, ſo daß entweder aller, oder we-
nigſtens einiger Gebrauch bey dem
Volcke bleibet, woruͤber der Oberherr,
wie es der gemeine Nutzen erfordert,
das Recht Einrichtungen zu machen
hat
(§. 976.).


§. 1131.

Von dem
Recht
durch ein
fremd
Gebiete
zu gehen,

Vermoͤge des Rechtes des unſchaͤdlichen
Gebrauchs, welcher aus der urſpruͤnglichen
Gemeinſchaft noch uͤbrig iſt (§. 311.), muß
man denen Fremden und ihren Waa-
ren einen Durchgang durch Laͤnder

und
[825]Vom Eigenthum eines Volckes.
und Fluͤße, ſo ein Eigenthum wor-und ſich
darinn
aufzu-
halten.

den ſind, verſtatten, wie auch, daß
ſich Fremde rechtmaͤßiger Urſachen
wegen daſelbſt aufhalten koͤnnen
(§.
312.). Weil aber nach der den Voͤlckern
eignen Freyheit (§. 1089.) einem ieden
Volck, oder dem der das Recht deſſel-
ben hat, anheim zu ſtellen iſt, daß er
urtheile, ob ihm ein gewiſſer Durch-
gang unſchaͤdlich ſey, und ob die Re-
publick daraus, daß ſich ein Fremder
in ſeinem Gebiete aufhaͤlt, einen Scha-
den zu beſorgen habe, und es bey die-
ſem Urtheil ſein Bewenden haben muß
(§. 78.); ſo iſt es ohne ausdruͤckliche,
oder ſtillſchweigende Einwilligung
des Herrn uͤber ein Gebiet nicht er-
laubt durch daſſelbe zu gehen, oder
ſich darin aufzuhalten.
Aus eben dem
Grunde erhellet, daß es auf dem Willen
des Herrn des Gebietes beruhe, unter
welcher Bedingung er ſolches verſtat-
ten wolle.
Weil man nun nicht vermuthen
kann, daß er es auf eine andere Art erlau-
be, es ſey dann durch eine deutliche Willens-
erklaͤrung das Gegentheil bekannt gemacht
worden, als daß der Fremden Handlungen
den Geſetzen des Orts unterworfen ſeyn ſollen
(§. 1125.); ſo ſind die Fremden, ſo lan-
ge ſie ſich in einem andern Gebiete be-
finden, oder verweilen, das zu thun
und zu unterlaſſen verbunden, was die

F f f 5Buͤt-
[826]IV.Theil 4. Hauptſtuͤck.
Buͤrger zu der Zeit unter eben den Um-
ſtaͤnden zu thun, oder zu laſſen haben,
wofern nicht beſondere Geſetze von
Fremden etwas anders zu erkennen ge-
ben.
Ja wenn es dem Wohl der Republick
nicht gemaͤß zu ſeyn ſcheinet, daß das Land
Fremden offen ſtehe; ſo kann es bey Stra-
fe verbothen werden, daß ſich kein
Fremder das Gebiete zu betreten ge-
luͤſten laſſen ſoll.


§. 1132.

Von der
Beſtra-
fung der
Frem-
den, und
der Art
ihre
Strei-
tigkei-
ten zu
ſchlich-
ten.

Weil die Fremden, wenn ſie ſich in ei-
nem andern Gebiete befinden, unter den Ge-
ſetzen des Ortes ſtehen (§. 1125.); ſo ſind
ſie auch, wenn ſie in einem andern
Gebiete etwas verbrechen, nach den
Geſetzen des Ortes zu beſtrafen, und
wenn unter ihnen und unter den Buͤr-
gern, oder auch zwiſchen zwey Frem-
den, Rechtsſtreitigkeiten entſtehen, ſo
muͤſſen dieſelben durch die Richter des
Ortes nach des Ortes Geſetzen ausge-
macht werden.
Hieraus folget auch daß
ein Fremder wegen des einem Buͤrger,
oder einem andern Fremden angetha-
nen Unreches, geſtrafet, und ſeine mit
andern genommene Abrede zu erfuͤllen
gezwungen werde.


§. 1133.

Von dem
Unrecht
eines
Buͤrgers

Weil eine fremde That niemand zugerech-
net werden kann (§. 26.); ſo kann, wenn
ein Buͤrger des einen Volcks einen Buͤr-

ger
[827]Vom Eigenthum eines Volckes.
ger des andern Volcks beleidiget, odergegen ei-
nen frem-
den Buͤr-
ger.

Unrecht thut, dies dem Volck nicht
zugerechnet werden.
Weil es ſich aber
zurechnen laͤſſet, wenn es auf irgend einige
Art etwas dazu beytraͤgt, z. E. durch Ge-
nehmhaltung, oder Billigung (angef. §.); ſo
kann man ein zugefuͤgtes Unrecht, wo-
ferne es daſſelbe entweder ausdruͤck-
lich, oder ſtillſchweigend genehm haͤlt,
auf deſſen Rechnung bringen.
Hier
kommt nicht in Betrachtung, ob das Unrecht
auf dem Gebiete des Volcks, oder auſſer dem-
ſelben an einem ieden andern Orte geſche-
hen ſey.


§. 1134.

Weil aber kein Volck ein anderes (§. 1089.),Man
muß es
nicht dul-
den, daß
fremde
Unter-
thanen
beleidiget
werden.

und kein Menſch einen andern beleidigen ſoll
(§. 88.); ſo muß der Regent des Staats
es nicht geſtatten, daß iemand von
ſeinen Unterthanen einem Buͤrger von
einem andern Volcke einen Schaden
zufuͤge, oder ein Unrecht anthue.


§. 1135.

Jndem ein iegliches Volck beydes das Ei-Von dem
Rechte
einem
andern
Volcke
ein Recht
in ſeinem
Gebiete
zu geben.

genthum als auch die Herrſchaft in dem Lande,
ſo es bewohnet, hat (§. 1125.), und alſo
das Land ſein iſt (§. 195.); ſo kann ein ie-
des Volck einem andern, oder deſſen
Unterthanen ein gewiſſes Recht in ſei-
nem Gebiete feſt ſetzen,
z. E. es kann ihm
das Recht im Fluß zu fiſchen, oder das Recht
eine
[828]IV.Theil 4. Hauptſtuͤck.
eine Feſtung auf ſeinem Grund und Boden,
oder eine Beſatzung in einer gewiſſen Feſtung
zu haben, oder Landguͤther zu kaufen und zu
beſitzen, verleihen (§. 260.).


§. 1136.

Daß ei-
nem kein
Recht auf
und in
dem Ge-
biete ei-
nes an-
dern
Volckes
zukom-
me.

Aus eben der Urſache weil niemand ſein
Recht genommen (§. 100.), oder etwas da-
gegen geſchehen kann (§. 86.); ſtehet kei-
nem Volcke ein Recht zu das andere
aus dem Lande, darinn es wohnet,
zu vertreiben, daß es ſich daſelbſt feſt
ſetze,
gleichwie es auch nicht ein Recht
hat die Grentzen ſeiner Herrſchaft zu
erweitern,
das iſt, ſolche bis auf die
Oerter eines benachbarten Volcks uͤber
die Grentzen ſeines Gebietes auszudeh-
nen, noch ſich ein Volck zu unterwer-
fen, weil es ein uns vorher unbekan-
tes Land bewohnet, oder gewiſſe Oer-
ter darinn einnehmen, und ſich ein
Recht darinn anmaſſen
: Ja uͤberhaupt
kann ſich kein Volck, und auch kein
fremder Privatmann in einem frem-
den Gebiete ein Recht herausneh-
men.


§. 1137.

Ob dieje-
nigen, ſo
ſich in ei-
nem
fremden
Gebiete
befinden,

Da ein Fremder, der ſich in einem andern
Gebiete befindet, oder verweilet, ſeine Woh-
nung nicht veraͤndert (§. 1103.); ſo bleibt
er ein Buͤrger ſeines Volckes,
folglich
wenn er ſeinem Mitbuͤrger ein Unrecht
anthut, oder einen Schaden zufuͤget,

ſo
[829]Vom Eigenthum eines Volckes.
ſo kann er, wenn er wiederum zuruͤckBuͤrger
ihres
Volcks
bleiben.

zu den ſeinigen kehret, daſelbſt geſtra-
fet, und zur Erſetzung des Schadens
genoͤthiget werden, und wenn er ein
Teſtament macht, ſo muß er es nach
den Geſetzen, welche in dem Ort ſei-
ner Wohnung vorgeſchrieben ſind,
verfertigen
: Jn ſo fern iedoch ein Volck
die Gerichtsbarkeit des andern zu erkennen
verbunden iſt (§. 1129.), ſo gilt ein Te-
ſtament als ein gerichtliches, wenn es
an dem Orte des Gerichts, wo es ge-
macht iſt, niedergelegt worden.


§. 1138.

Weil ein Fremder, der ſich in einemVon dem
Recht
einen
Fremden
von der
Eꝛbſchaft
auszu-
ſchlieſſen.

andern Gebiete befindet, oder verweilet, ein
Buͤrger ſeines Volcks bleibet (§. 1137.); ſo
iſt derjenige, wenn er in demſelben
ſtirbt, ſein Erbe, welcher nach den
Geſetzen ſeines Vaterlandes folgen
muß.
Und da ein Regent des Staats nur
uͤber die Handlungen eines Fremden, ſo ein
Verhaͤltniß gegen den Endzweck des Staats
haben, daß demſelben kein Schade zuwach-
ſe (§. 1131.), ein Recht hat; ſo ſind auch
die Guͤther, die er bey ſich fuͤhret, deſ-
ſen, der im Vaterlande ſein Erbe iſt,

folglich fallen ſie der Rentkammer nicht
anheim, und es kann ihm auch die
Freyheit ein Teſtament zu machen nicht
genommen werden.
Derowegen da es
das Recht einen Fremden von der
Erb-
[830]IV.Theil 4. Hauptſtuͤck.
Erbſchaft auszuſchlieſſen(jus albinagii)
heißt, nach welchem die Auslaͤnder des Rechts
in den Guͤthern eines verſtorbenen Buͤrgers,
oder eines Fremden zu folgen beraubet, und
folglich nicht in einem Teſtament als Erben
eingeſetzt, noch ihnen gewiſſe Vermaͤchtniſſe
hinterlaſſen werden koͤnnen; ſo ſtimmet daſ-
ſelbe nicht nur mit dem Voͤlckerrechte
in Abſicht auf einen Fremden der in ei-
nem andern Gebiete geſtorben iſt, ſon-
dern auch,
weil dem Oberherrn nur allein
das vorzuͤgliche Eigenthum uͤber die Guͤther
der Buͤrger zukommt (§. 1065.), in Abſicht
auf die Buͤrger, oder Unterthanen we-
nig uͤberein.


§. 1139.

Von der
Beſitz-
nehmung
und Ver-
jaͤhrung.

Weil die Beſitznehmung(uſucapio)
und die Verjaͤhrung(præſcriptio) aus dem
Rechte der Natur zu erkennen ſind (§. 436.);
ſo haben ſie auch unter den Voͤlckern
ſtatt
(§. 1088.). Weil doch aber unter
den Voͤlckern mehrere Urſachen vorfallen,
warum man ſchweigen muß, ob ein Volck
ſchon weiß, daß ihm ein anderer das ſeinige
ungerechter Weiſe vorenthalte; ſo wird un-
ter den Voͤlckern wegen eines langwie-
rigen Stillſchweigens eine Verlaſſung,

als welche zur Beſitznehmung und der daraus
erfolgten Verjaͤhrung erfordert wird (§. 451.
452.), nicht ſo leicht vermuthet, als
unter Privatperſonen.
Und weil nicht
der, ſo eine Sache beſitzet, ſondern der, ſo
ſie
[831]Vom Eigenthum eines Volckes.
ſie haben will, ſein Eigenthum erweiſen muß
(§. 262.), als welches nicht geſchehen kann,
wenn der Beſitz von undencklichen Zei-
ten her geweſen iſt
(poſſeſſio immemo-
rialis),
deſſen Anfang ſich naͤmlich niemand
erinnern kann; ſo iſt unter den Voͤlckern
eine Verjaͤhrung von undencklichen
Zeiten her zu geſtatten.
Unterdeſſen weil
die Voͤlcker uͤber Dinge, die zum gemeinen
Nutzen gehoͤren, unter einander Vertraͤge er-
richten koͤnnen (§. 1091.); ſo wird die Ver-
jaͤhrung, wenn benachbarte Voͤlcker
ſich desfalls unter einander vereinigt
haben, auf die Art gelten, wie es ver-
glichen worden.
Und daß dies geſchehen
moͤgte, erfordert der Endzweck des groͤſſeſten
Staats gar ſehr.


Das fuͤnfte Hauptſtuͤck.


Von den Buͤndniſſen und Zuſa-
gen ohne Vollmacht.


§. 1140.

Die hoͤchſten Gewaltigen(poteſta-Welche
man Ge-
waltige
nennet.

tes ſummæ) werden diejenigen Per-
ſonen genennet, welche in einem
Staat die hoͤchſte Herrſchaft haben: Die
kleineren Gewaltigen(poteſtates mino-
res)
ſind die, welche einen Theil der Herr-
ſchaft unter und im Nahmen der hoͤchſten aus-
uͤben, z. E. die Obrigkeiten und Generals.


§. 1141.
[832]IV.Th. 5. Hauptſt. Von den Buͤndniſſen
§. 1141.

Von dem
Unter-
ſchiede
der
Buͤndniſ-
ſe und
der Ver-
traͤge.

Ein Buͤndniß(fœdus) heißt ein Ver-
trag, ſo die hoͤchſten Gewaltigen zur oͤffent-
lichen Wohlfahrt auf ewig, oder auf eine
laͤngere Zeit unter einander eingehen. Die-
jenigen Vertraͤge aber, welche uͤberhingehen-
de, oder nicht zu wiederholende Leiſtungen in
ſich faſſen, behalten den Nahmen (der Ver-
traͤge
(pactionum). Da es aber einerley
iſt, ob iemand etwas ſelbſt, oder durch einen
andern thue; ſo koͤnnen diejenigen auch
ein Buͤndniß ſchlieſſen, welche von der
hoͤchſten Gewalt dazu bevollmaͤchti-
get ſind
(§. 551.). Aus dem Begrif von
Buͤndniſſen iſt klar, daß ein Vertrag kein
Buͤndniß ſey, darinn die hoͤchſten
Maͤchte,
z. E. Koͤnige ſich unter einan-
der uͤber Sachen, ſo ihren Privatnu-
tzen angehen, oder die hoͤchſte Macht
mit einem Privatmann, vergleichen.


§. 1142.

Was
man von
Buͤnd-
niſſen zu
bemer-
cken.

Weil Buͤndniſſe Vertraͤge ſind (§. 1141.);
ſo muß man von Buͤndniſſen eben das
behalten, was von Vertraͤgen und
Zuſagen erwieſen worden
(§. 438.). Da
man aus Buͤndniſſen ein vollkommnes Recht
erhaͤlt (§. 380.); ſo iſt die Verletzung
eines Buͤndniſſes ein Unrecht
(§. 87.);
folglich iſt es nicht erlaubt ſolche Buͤnd-
niſſe einzugehen, welche denen mit ei-
nem andern Volcke ſchon geſchloſſenen

zuwi-
[833]und Zuſagen ohne Vollmacht.
zuwider ſind (§. 86.). Und derowegen
werden die aͤltern, das iſt, vorher ſchon ge-
ſchloſſene, Buͤndniſſe denen letztern vor-
gezogen.


§. 1143.

Weil kein Volck das andere beleidigen ſollVon
Freund-
ſchafts-
buͤndniſ-
ſen.

(§. 1089.); ſo iſt nicht noͤthig, daß man
noch Buͤndniſſe um einander keine Be-
leidigung zuzufuͤgen,
welche man gemei-
niglich Freundſchaftsbuͤndniſſe nennet,
aufrichte. Unterdeſſen wenn ein Volck
der Meynung ſeyn ſollte, daß es aus-
waͤrtige Voͤlcker nach eignem Gefal-
len beleidigen duͤrfe, ſo ſchlieſſet man
mit Recht Buͤndniſſe einander nicht zu
beleidigen
(angef. §.).


§. 1144.

Gleiche Buͤndniſſe(fœdera æqualia)Von der
Gleich-
heit und
Ungleich-
heit der
Buͤnd-
niſſe.

werden genennet, in welchen ſich die einen
Vertrag errichtende Theile einander einerley,
oder gleichviel geltende Dinge verſprechen:
ungleiche aber ſind, worinn ſie einander
nicht einerley, oder gleich geltende Dinge ver-
ſprechen. Es giebt aber ungleiche auf
Seiten des wuͤrdigern Theils
(inæqua-
lia ex parte digniori),
wenn derjenige, ſo
mehr leiſten kann, entweder etwas gantz um-
ſonſt, oder etwas wichtigers zu leiſten ver-
ſpricht: Hingegen giebt es auch ungleiche
auf Seiten des geringern Theils
(inæqua-
lia ex parte minus digna),
wenn derjenige, ſo
ohnmaͤchtiger iſt, oder durch eine Gewaͤhrung
Nat. u. Voͤlckerrecht. G g geiner
[834]IV.Th. 5. Hauptſt. Von den Buͤndniſſen
einer Sache gar zu ſehr beſchweret wird, ent-
weder etwas umſonſt, oder etwas groͤſſeres
als er leiſten kann, oder ſo etwas das ihm
ſehr zur Laſt faͤllet, verſpricht. Und dieſe ge-
ſchehen entweder mit einer Verringerung
der Herrſchaft,
wenn ein Machttheil ſeiner
Herrſchaft in Abſicht auf die Ausuͤbung deſ-
ſelben, oder nach ſeinem gantzen Jnbegrif
(quoad ſubſtantiam), oder wenigſtens nach
dem Rechte auf alle Handlungen, ſo zur Aus-
uͤbung dieſes Rechts gehoͤren, an den wuͤrdi-
gern Theil uͤberlaſſen wird; oder ſie geſche-
hen ohne Verringerung der Herrſchaft,
wenn ſich der nicht ſo wuͤrdige Theil wenig-
ſtens anheiſchig macht etwas gewiſſes zu thun,
oder nicht zu thun, welches er ſonſt kraft der
hoͤchſten Herrſchaft, oder der natuͤrlichen Frey-
heit, oder vermoͤge des Rechts, das ihm als
einem Volcke zuſtund, nicht thun, oder thun
konte. Jm uͤbrigen iſt die Billigkeit der
gleichen und ungleichen Buͤndniſſe
aus den Pflichten der Voͤlcker gegen
einander zu beurtheilen
(§. 1108.). Un-
terdeſſen da es lediglich auf dem Willen des-
jenigen, der ein Recht auf einen andern brin-
get, beruhet, ob und wie er ſolches auf ie-
manden bringen will (§. 314.), und dasjeni-
ge, was er hinlaͤnglich durch Worte zu er-
kennen giebet, wider ihn fuͤr wahr gehalten
wird (§. 318.); ſo ſind die Buͤndniſſe
guͤltig, wenn nur in der Art des Ver-
trages kein Fehler iſt, ohne ihre Bil-

ligkeit,
[835]und Zuſagen ohne Vollmacht.
ligkeit, oder Unbilligkeit in Betrach-
tung zu ziehen.
Weil doch aber das Na-
turgeſetz auch bey den Voͤlckern auf die Pflich-
ten dringet (§. 1108.), ſo ſind die Voͤl-
cker natuͤrlicher Weiſe verbunden in
Schlieſſung der Buͤndniſſe die Billig-
keit beyzubehalten.


§. 1145.

Ein zinsbar Volck(gens tributaria)Von ei-
nem zins-
baren
Volcke.

wird genennt, welches jaͤhrlich einem andern
einen gewiſſen Tribut abtragen muß. Da
die Voͤlcker natuͤrlicher Weiſe frey ſind (§.
1089.); ſo kann ein Volck nicht anders
als durch einen Vertrag zinsbar wer-
den
(§. 667.). Weil dem einen Theil uͤber
ein zinsbar Volck kein anderes Recht zukommt,
als den Tribut zu fordern, wie von einem
Schuldener (§. 336.); ſo verlieret ein
zinsbar gewordenes Volck deswe-
gen die hoͤchſte Herrſchaft nicht
(§.
981.).


§. 1146.

Da ein perſoͤnlich Buͤndniß auf die einenVon
perſoͤnli-
chen
Buͤnd-
nißen u.
Buͤnd-
niſſen
uͤber Sa-
chen.

Vertrag machenden Perſonen eingeſchraͤnckt
wird (§. 400.), welches aber bey einem
Buͤndniſſe, ſo mit Sachen zu thun hat, nicht
geſchieht (§. 401.); ſo iſt es deswegen noch
kein perſoͤnlich Buͤndniß, wenn nur
die Nahmen derer, die den Vertrag
errichten, hinzugefuͤget ſind, damit
bewieſen werde, von wem das Buͤnd-
niß geſchloſſen worden.
Daraus laͤßet
G g g 2ſich
[836]IV.Th. 5. Hauptſt. Von den Buͤndniſſen
fich auch verſtehen, es ſey ein Buͤndniß
uͤber Sachen, welches auf ewig, oder
auf eine gewiſſe Zeit, entweder mit
dem, mit welchem man zu thun hat,
und ſeinen Nachfolgern, oder auch
wegen eines fortdaurenden Nutzens
des Staats gemacht, oder wenn hin-
zugeſetzet wird, daß es zum Beſten
des Reichs geſchloſſen worden.
Glei-
chergeſtalt iſt es ein Buͤndniß der Sa-
chen, welches mit einem freyen Volcke
getroffen worden, und welches,
weil
bey geaͤnderter Republicksforme doch einerley
Volck bleibet, als welches die Vergeſellſchaf-
tung (§. 974.), nicht aber die Art die Herr-
ſchaft auszuuͤben ausmacht, bey erfolgter
Veraͤnderung der Republicksforme
doch beſtehet, wenn es nicht etwan,

welches auch vor ſich klar iſt, ein Handel
geweſen, welcher der Democratie al-
lein eigen iſt.


§. 1147.

Von der
Verbind-
lichkeit,
welche
aus den
Buͤnd-
niſſen u.
Vertraͤ-
gen der
Koͤnige
entſprin-
get.

Weil der Koͤnig das Recht des Volckes hat
(§. 982.), folglich aus dem Rechte des
Volcks Buͤndniſſe aufrichtet (§. 1141.); ſo
verbindet das Buͤndniß,
welches man
ſich vorſtellet daß es mit dem Volcke ſelbſt
errichtet ſey, auch das Volck und die
Nachfolger des Koͤniges, es gehet
auch auf dieſe das durch ein Buͤndniß
zuwege gebrachte Recht uͤber, wenn
es nicht perſoͤnlich geweſen iſt
(§. 1146.).
Daraus
[837]und Zuſagen ohne Vollmacht.
Daraus folget weiter, daß das Buͤndniß,
wenn das Volck wieder frey wird,
nachdem der Koͤnig geſtorben, oder
verjagt, oder abgeſetzt iſt, oder das
Volck einen andern Koͤnig erwaͤhlet,
beſtehe, wenn es nicht zur Vertheidi-
gung ſeiner Perſon,
als in welchem Fall
es nur perſonell waͤre (§. 400.), eingegan-
gen worden.
Eben dieſes laͤßet ſich von
andern Vertraͤgen der Koͤnige, oder Regen-
ten des Staats verſtehen. Derowegen wenn
der Staatsregente der Republick hal-
ber auch bey Privatleuten Geld auf-
nimmt, ſo ſind die Nachfolger und
das Volck ſolche zu bezahlen und die
verſprochenen Zinſen abzutragen ver-
bunden.


§. 1148.

Weil man uͤber das was zur ErhaltungVon den
Buͤndniſ-
ſen, ſo
mit ei-
nem Vol-
cke von
einer an-
dern Re-
ligion
eingegan-
gen wer-
den.

und Vollkommenheit eines Volcks gehoͤret,
Buͤndniſſe macht (§. 1141.), die Voͤlcker
aber natuͤrlicher Weiſe ſich einander als Voͤl-
cker verpflichtet ſind dieſelben zu befoͤrdern (§.
1095.); ſo iſt es erlaubt mit einem
Volcke, welches einer andern, oder
gar keiner Religion zugethan iſt, ſelbſt
wider ein Volck von unſrer Religion
Buͤndniſſe zu ſchlieſſen.


§. 1149.

Wenn es erlaubt ſey von dem Buͤndniß ab-Von der
Gewaͤhr-
leiſtung.

zugehen, erhellet aus dem obigen (§. 442.).
Zur Sicherheit aber des Buͤndniſſes geſchie-
G g g 3het
[838]IV.Th. 5. Hauptſt. Von den Buͤndniſſen
het von einem dritten die Gewaͤhrleiſtung
(guaranda, guarantia), welche ein beyder-
ſeits in Bund getretenen, oder auch nur dem
einen gethanes Verſprechen iſt, daß das ab-
geredete gehalten werden ſolle; folglich iſt der
Gewaͤhrmann(guarandus), welcher die
Verſicherung gegeben hat verbunden eine
Huͤlfe, wozu er ſich anheiſchig ge-
macht hat, gegen denjenigen zu leiſten,
welcher das abgeredete nicht halten
will, wenn der andere ſolche bedarf,

folglich aber iſt er ſie nicht ſchuldig, wenn
ſie nicht verlanget wird.
Daraus iſt
klar, was vor einen ſtillſchweigenden Ver-
trag die Gewaͤhrleiſtung in ſich faſſe. Man
nennet es aber eine allgemeine Gewaͤhr-
leiſtung
(guarantiam generalem), wenn ſie
ſich auf alles erſtrecket, was im Buͤndniſſe
ausgemacht worden; eine beſondere aber
(ſpecialis) wird es genennet, wenn ſie nur
auf einige, oder auf eines, oder das andere
der verabredeten Dinge gehet. Und ein Ver-
trag daruͤber die Gewaͤhr geleiſtet wor-
den
(pactum guarandigiatum) heißt es, wo-
zu eine allgemeine, oder eine beſondere Ge-
waͤhrleiſtung gekommen iſt. Ferner, da eine
Gewaͤhrleiſtung nur den Nutzen deſſen, dem
ſie geſchiehet, zum Augenmerck hat; ſo kann
ſie auch ohne Mitwiſſen und ohne Be-
fragung deſſen, wider welchen ſie fe-
ſte geſetzet wird, erfolgen, und wenn
mehrere ein Buͤndniß eingehen, ſo koͤn-

nen
[839]und Zuſagen ohne Vollmacht.
nen alle und iede allen und ieglichen
die Gewaͤhr leiſten.
Es laͤſſet ſich aber
ohnſchwer erkennen, daß ein Buͤndniß,
darinn iemand einem Huͤlfe wider den,
der ihn ſein Recht zu entziehen trach-
tet, wie auch die Buͤrgſchaft fuͤr ein
andres Volck, darinn zugeſagt wird,
man wolle dasjenige leiſten, was ein
andres Volck ſchuldig iſt, wenn es ſol-
ches nicht ſelbſt leiſten wuͤrde, von der
Gewaͤhrleiſtung unterſchieden ſey
(§.
569.). Endlich da niemand dem andern ſein
Recht nehmen darf (§. 100.); ſo kann die
Gewaͤhrleiſtung nicht anders, als daß
des dritten ſein Recht dabey unge-
kraͤnckt bleibe, verſtanden werden.


§. 1150.

Jn einem ieglichen Buͤndniß, oderVon der
Verpfaͤn-
dung un-
ter den
Voͤlckeꝛn,
und von
dem Ver-
trag, ſich
der ver-
pfaͤnde-
ten Sa-
che fuͤr
das Dar-
lehn zu
ſeinem
Nutzen
zu bedie-
nen.

in einem andern Vertrag kann, weil die
Verpfaͤndung zur Sicherheit der Schuld ge-
ſchieht (§. 697.), durch eine Pfandſicher-
heit geſchaffet werden, daß das verab-
redete gehalten werden ſolle.
Weil aber
niemand etwas verpfaͤnden kann als ſeine ei-
gene Sachen, welches auch fuͤr eine fremde
Schuld angehet (§. 700.); ſo koͤnnen nicht
nur die Dinge, welche ein Eigenthum
des Volcks ſind,
als Staͤdte, gewiſſe
Stuͤcke des Gebietes, gantze Landſchaften,
Rechte, die einem Volcke zugehoͤren, Koſt-
barkeiten, die dem Staat zuſtehen, ſondern
auch des Staatsregentens eigene, oder

G g g 4Privat-
[840]IV.Th. 5. Hauptſt. Von den Buͤndniſſen
Privatſachen fuͤr die Schulden des
Volcks verpfaͤndet werden.
Allein
wenn eine gantze Provintz, oder ein
gewiſſer Theil des Gebietes zur Si-
cherheit des Darlehns, oder einer ie-
den Schuldſache wegen uͤbergeben
wird; ſo geſellet ſich zur Verpfaͤndung
auch der Vertrag, nach welchem man
das Pfand fuͤr das Darlehn zu ſeinem
Nutzen gebrauchen kann.
Denn es iſt
der nutzbare Gebrauch eines Pfandes
fuͤr das Darlehn
(antichreſis) nichts an-
ders als ein Recht die verpfaͤndete Sache zu
gebrauchen und ſich ihrer zu bedienen anſtatt
des dargeliehenen Geldes, zur Verguͤtung
der Zinſen. Weil man aber die verabredeten
Vertraͤge halten muß (§. 438.); ſo muß
das aus dem Vertrag ein Pfand fuͤr
das Darlehn nutzbar zu gebrauchen
entſtandene Recht nach demjenigen be-
urtheilet werden, worinn man uͤber-
eingekommen iſt.
Derowegen erhellet
auch daraus, ob die Herrſchaft zugleich mit
verpfaͤndet ſey, oder nicht. Es iſt aber vor
ſich klar, daß die Verpfaͤndung und der
nutzbare Gebrauch eines Pfandes fuͤr
das Darlehn aufhoͤre, ſo bald als das
abgetragen worden, weswegen die
Verpfaͤndung geſchehen,
obgleich die
verpfaͤndete Sache fuͤr eine iegliche
andere Schuld zuruͤckgehalten werden
kann (§. 706.), wo man ſich nicht

aus-
[841]und Zuſagen ohne Vollmacht.
ausdruͤcklich anders verglichen hat (§.
337. 342.).


§. 1151.

Geiſſeln(obſides) ſind Perſonen, welcheVon
Geiſſeln.

man zur Sicherheit der Schuld, daß naͤm-
lich das verabredete gehalten, oder eine
Schuld bezahlet werden ſolle, uͤberliefert.
Es werden alſo die Geiſſeln wircklich
verpfaͤndet (§. 697.), und man behaͤlt
ſie ſo lange zuruͤck, bis das ſchuldige
geleiſtet iſt.
Daher kommt dem, der
ſie annimmt, das Recht zu ſie ſo zu
verwahren, daß ſie nicht weglaufen
koͤnnen; doch aber hat er kein Recht
ſie zur Arbeit zu zwingen,
als welches
eben ſo viel waͤre als das Pfand nutzen (§.
702.). Weil aber niemand ein Recht uͤber
des andern Leben hat (§. 141.); ſo kann
das Leben der Geiſſeln nicht verpfaͤn-
det werden,
folglich nur ihre Freyheit
(§. 77.). Doch ſind ſie deswegen keine
Sclaven (§. 698.), aber ſie werden
Sclaven, wenn dasjenige nicht gelei-
ſtet wird, deſſentwegen ſie gegeben
worden (§. 947.), wenigſtens kann
man ſie gefangen behalten, toͤdten

aber darf man ſie nicht. Und derowegen
hoͤren ſie auf Geiſſeln zu ſeyn, wenn
derjenige, welcher ſie gegeben hat,
keine Treue haͤlt.
Und da die Geiſſeln
in der That Pfaͤnder ſind; ſo koͤnnen ſie,
wenn man ſie gleich einer gewiſſen

G g g 5Sache
[842]IV.Th. 5. Hauptſt. Von den Buͤndniſſen
Sache halber gegeben, doch eines an-
dern Handels wegen zuruͤck behalten
werden, wenn nicht desfalls ausdruͤck-
lich etwas anders verabredet worden

(§. 1150.). Weil auch die nothwendigen
Unkoſten, ſo man auf ein Pfand verwenden
muͤſſen, von dem, der das Pfand geſtellet
hat, wieder zu erſetzen ſind (§. 702.), und
was man ſchuldig iſt bezahlen muß (§. 751.);
ſo muß derjenige, welcher die Geiſſeln
gegeben, die zur Unterhaltung derſel-
ben angewendeten Unkoſten bezahlen,
und eine Geiſſel iſt verbunden, ehe ſie
auf freyen Fuß geſtellet werden kann,
die Schulden, ſo ſie gemacht, abzu-
tragen.


§. 1152.

Von der
Ver-
bindlich-
keit, wo-
mit der,
ſo eine
Geiſſel
giebt, der
Geiſſel
zugethan
iſt.

Da derjenige, ſo eine Geiſſel giebt, das
zu leiſten verbunden iſt, weshalb die Geiſſel
gegeben worden, und mithin die Geiſſel zu
befreyen (§. 1151.); ſo macht er ſich
dem, welcher uͤberliefert wird, ihn
frey zu machen verbindlich,
und folglich
wenn dieſer ein Sclave, oder wenigſtens als
ein Gefangner aufbehalten wird, ſo fern er
nicht Wort haͤlt (angef. §), ſo iſt er ſchul-
dig ihn loszukaufen. Und weil es eine
Laſt iſt, ſo des oͤffentlichen Wohls halber ge-
tragen wird, und wozu demnach ein ieglicher
Buͤrger, nicht allein der, den man zur Geiſſel
giebt, verbunden iſt, ſich als eine Geiſſel zu
ſtellen (§. 1037.); ſo iſt der Staat, oder
deſſen
[843]und Zuſagen ohne Vollmacht.
deſſen Regent gehalten die Ungemaͤch-
lichkeit, welche die Geiſſel leidet, der
Geiſſel, oder deren Anverwandten zu
verguͤten. Jſt
aber die Geiſſel als ein
Selbſtſchuldner, oder als ein Buͤrge,
oder als einer, der ein Buͤndniß ohne
Vollmacht ſchlieſſet,
(wovon bald geredet
werden wird) gegeben worden; ſo iſt vor
ſich offenbar, daß, wenn das nicht gelei-
ſtet wird, weſſentwegen ſie geſtellet
worden, ſie ihrer eignen Handlung we-
gen ſchuldig ſey.


§. 1153.

Heilig(ſanctum) heißt im Voͤlckerrechte,Von der
Heilig-
keit der
Buͤnd-
niſſe.

was die oͤffentliche, oder gemeine Wohlfahrt
der Voͤlcker unverletzlich zu ſeyn befiehlet.
Derowegen weil Buͤndniſſe des oͤffentlichen
Wohls wegen geſchloſſen (§. 1141.), und
nicht nur wie alle uͤbrige Vertraͤge gehalten
werden muͤſſen, ſondern auch den Voͤlckern
gar ſehr daran gelegen iſt, daß man ſie hal-
te; ſo ſind die Buͤndniſſe heilig, und
muͤſſen von den Voͤlckern heilig gehal-
ten werden,
und weil bey Vollziehung der
Buͤndniſſe die Verſchiedenheit der Religionen
nicht in Betrachtung kommt, ſo hat die
Heiligkeit der Treue und Glaubens mit
der Religion eines Volcks, mit wel-
chem ein Buͤndniß errichtet wird,
nichts zu thun.


§. 1154.
[844]IV.Th. 5. Hauptſt. Von den Buͤndniſſen
§. 1154.

Von der
ſtill-
ſchwei-
genden
Treue u.
Glauben.

Wenn man ſich uͤber einen Handel ver-
gleicht, ſo wird ſtillſchweigend in alles uͤbri-
ge, was erfordert wird, daß ſolcher beſtehen
koͤnne, gewilliget. Derowegen wird ange-
nommen, daß man ſtillſchweigend al-
les verglichen und verſprochen habe,
ohne welches das, worein man gewil-
liget hat, nicht beſtehen kann.
So
liegt in einem ieden wohlthaͤtigen Contract
eine Schadloshaltung deſſen, der dem andern
etwas umſonſt leiſtet, als welcher nicht Platz
hat auſſer der Verbindlichkeit, da niemand
mit des andern ſeinem Schaden reicher werden
muß (§. 271.). Es wird aber eine ſtill-
ſchweigende Treue und Glaube
(fides
tacita)
genennet, welche ſich auf eine ſtill-
ſchweigende Einwilligung gruͤndet, und die
deswegen nicht weniger heilig ſeyn muß,
als die ausdruͤckliche,
als welche naͤmlich
auf einer ausdruͤcklichen Einwilligung be-
ruhet.


§. 1155.

Von dem
Rechte
der ge-
ringern
Gewal-
tigen.

Weil die geringern Gewaltigen alles Recht
von der hoͤchſten Gewalt haben (§. 1140.);
ſo koͤnnen ſie im Nahmen der hoͤch-
ſten nichts verſprechen, auſſer wenn
ſie ausdruͤckliche Vollmacht dazu ha-
ben, oder was innerhalb den Schran-
cken ihres Amts, dem ſie vorgeſetzet
ſind, geſchehen kann: ſie koͤnnen auch
diejenigen, welchen ſie vorgeſetzt ſind,

oder
[845]und Zuſagen ohne Vollmacht.
oder auch die hoͤchſte Gewalt nicht an-
ders andern verbindlich machen.


§. 1156.

Ein Buͤndniß ohne Vollmacht(ſpon-Von den
Vertraͤ-
gen ohne
Voll-
macht.

ſio) iſt ein Vertrag, ſo die Republick ange-
het, welcher ohne Vollmacht von der hoͤchſten
Gewalt, auch nicht innerhalb den Schrancken
desjenigen, woruͤber man geſetzt iſt, errichtet
worden. Es verſtehet ſich aber leicht, daß
ein Stifter eines Vertrags ohne Voll-
macht ſich anheiſchig mache, er wolle
bewircken, daß die hoͤchſte Gewalt
ſein gethanes Verſprechen genehm hal-
te, und er ſich
folglich dazu verbinde
(§. 380.). Weil niemand den andern einem
dritten ohne ſeinen Willen verbinden kann
(§. 385.): ſo bringt der Vertrag ohne
Vollmacht keine Verbindlichkeit auf
die hoͤchſte Gewalt, wo dieſe jenen
nicht entweder ausdruͤcklich, oder ſtill-
ſchweigend, indem ſie naͤmlich etwas
thut, nachdem es ihr bekannt gewor-
den, was wahrſcheinlicher Weiſe auf
keine andere Urſach gezogen werden
kann, gut heißet: und mithin noch
vielweniger, wenn ſie ihren Misfallen
deutlich zu Tage geleget hat.
Weil aber
der, ſo ein Buͤndniß ohne Vollmacht ſchließt,
eine eigene, und nicht bloß eine fremde, Hand-
lung verſpricht; ſo iſt er, daferne die Ge-
nehmhaltung nicht erfolget, dem, mit
welchem er den Vertrag aufgerichtet

hat,
[846]IV.Theil 6. Hauptſtuͤck. Von der Art
hat, zu demjenigen, woran dem andern
gelegen iſt, verbunden
(§. 415.), folg-
lich haften dafuͤr alle Guͤter des Ver-
tragſtifters
(§. 705.), ja auch ſelbſt die
Freyheit
deſſelben (§. 950.), daß er naͤm-
lich, wenn aus ſeinen Guͤthern nicht Genuͤge
geleiſtet werden kann, er ſelbſt in die Scla-
verey verſetzet werde. Wenn aber derjeni-
ge, ſo den Vertrag ohne Vollmacht
errichtet, demjenigen, mit dem er den
Vertrag eingegangen, nur etwas ge-
wiſſes zu leiſten zugeſagt hat, ſo iſt er
auch in dem Fall, da die hoͤchſte Ge-
walt zu ſeinen Vertrag die Einwilli-
gung nicht geben will, zu mehrern
nicht verpflichtet
(§. 317.).


Das ſechſte Hauptſtuͤck.


Von der Art die Streitigkeiten
der Voͤlcker beyzulegen.


§. 1157.

Von den
Streitig-
keiten u.
den Be-
ſchweꝛden
der Voͤl-
cker.

Die Streitigkeiten der Voͤlcker und
der Regenten des Staats
ſind
Mißhelligkeiten, welche ſie uͤber ih-
nen zuſtehende Rechte, oder ihnen zugefuͤgtes
Unrecht haben. Beſchwerden(gravami-
na)
aber ſind Klagen, ſo ſie uͤber ein offenba-
res, von einem andern Volck, oder Regen-
ten eines Staats entzogenes Recht, oder uͤber
ein iedes ihnen bereits angethanes, oder be-
vorſte-
[847]die Streitigkeiten der Voͤlcker beyzulegen.
vorſtehendes Unrecht fuͤhren. Hieraus iſt
nun leicht zu erkennen, welche Beſchwerden
gerecht, und welche ungerecht ſind. Zugleich
erhellet auch, daß die Beſchwerden auf-
hoͤren, wenn einem andern Volck ſein
Recht zugewand, des angethanen Un-
rechts wegen Genuͤge geleiſtet, von
dem zuzufuͤgenden abgeſtanden, oder,
daferne die Treue verdaͤchtig iſt, hin-
laͤngliche Sicherheit geſchaffet wird.

Und da man einem ieden ſein Recht wieder-
fahren laſſen (§. 86.), auch kein Volck das
andere beleidigen (§. 88.), oder mit Unrecht
beladen ſoll (§. 1089.); ſo iſt ein iegliches
Volck verbunden die Beſchwerden zu
heben, wenn ein andres dergleichen
wider daſſelbe hat.
Dieweil doch aber
ein ieder von ſeinem Rechte nachlaſſen kann
(§. 342.); ſo kann auch ein Volck, wenn
es will, ſeine Beſchwerden nachlaſſen.

Und indem ſich die Voͤlcker unter einander
des Rechts der Natur bedienen (§. 1088.);
ſo muͤſſen die Streitigkeiten der Voͤl-
cker auf eben die Art beygeleget wer-
den, nach welchem man die Streitig-
keiten der Privatperſonen in dem na-
tuͤrlichen Zuſtande zum Ende bringet,

folglich entweder freundſchaftlich, oder
durch einen Vergleich, oder durch Ver-
mittelung, oder durch einen Schieds-
mann,
und derowegen ſind ſie gehalten
Zuſammenkuͤnfte zu halten, und in

Unter-
[848]IV.Theil 6. Hauptſtuͤck. Von der Art
Unterredung zu treten, oder ſie muͤßen
die Entſcheidung dem Looſe uͤberlaſ-
ſen
(§. 790.).


§. 1158.

Von dem
Kriege,
ſo um ei-
nen Ver-
gleich zu
erhalten,
erlaubt
iſt.

Unterdeſſen wenn ſich iemand keine
von dieſen Arten wollte gefallen laſ-
ſen, oder leicht vorher zu ſehen waͤre,
daß die Streitigkeit auf dieſe Weiſe
nicht geendiget werden koͤnte; ſo hat
derjenige, welcher ſie anbietet, ein
Recht zum Kriege wider den, ſo ſie
nicht annehmen will, damit dieſer zum
Vergleich gezwungen werde
(§. 790.).


§. 1159.

Ob die
Strei-
tigkeiten
durch Ge-
walt der
Waffen
entſchie-
den wer-
den koͤn-
nen.

Daß der Krieg an und vor ihm ſelbſt
kein geſchicktes Mittel ſey die Strei-
tigkeiten zu ſchlichten,
erhellet auf eben
die Art, als es von dem Zweykampf gezeiget
worden (§. 789.). Es betriegen ſich alſo die-
jenigen ſehr, welche ſich uͤberreden, es muͤ-
ſten die Streitigkeiten der Koͤnige, oder der
Voͤlcker mit den Waffen entſchieden werden,
und der letzte Sieg gelte ſo viel als ein von
dem Richter abgefaßter Ausſpruch.


§. 1160.

Vom
Wieder-
vergel-
tungs-
recht und
dem
Rechte
zu ſtra-
fen.

Weil das natuͤrliche Vergeltungsrecht ein
Unding iſt (§. 156.), die Voͤlcker aber unter
einander ſich des Rechts der Natur bedienen
(§. 1088.); ſo iſt auch die Wiederver-
geltung unter den Voͤlckern unerlaubt.

Jedoch aber da den Voͤlckern wider angetha-
nes
[849]die Streitigkeiten der Voͤlcker beyzulegen.
nes Unrecht ein Recht zu ſtrafen zukommt (§.
1089.); ſo kann ein beleidigtes Volck,
wenn ihm ein andres wegen eines un-
erſetzlichen Schadens nicht Genuͤge
leiſten will, oder keine Hoffnung zu
ſeyn ſcheinet daß ihm genug gethan
werde, ſich des Strafrechts bedienen,
indem es demſelben entweder coͤrper-
liche, oder uncoͤrperliche Dinge,
z. E.
Rechte, ſo es zu gewiſſen Handlungen auf
dem Gebiete des beleidigten Volckes hat (§.
1048.), wegnimmt.


§. 1161.

Die Zuruͤcktreibung des Rechts(re-Von der
Zuruͤck-
treibung
des
Rechts.

torſio juris) wird diejenige Verfuͤgung ge-
nennt, nach welcher man rechtens zu ſeyn
wider die Unterthanen eines andern Volcks
beſchlieſſet, weſſen es ſich wider unſre Unter-
thanen bedienet, oder es iſt der Gebrauch des
Rechts wider die Unterthanen eines andern
Volcks, ſo ſie ſelbſt handhabet wider die un-
ſrigen. Weil es einem ieglichen Volck frey
ſtehet feſte zu ſetzen, wie viel Recht es einem
andern auf ſeinem Gebiete verſtatten wolle,
wie es der Vortheil des Staats mit ſich zu
bringen ſcheinet (§. 976.); ſo ſtehet einem
ieden Volck frey das Recht zuruͤck zu
treiben.


§. 1162.

Weil Voͤlcker unter einander als eintzelneVon den
Guͤthern
der Buͤr-
ger, ſo
fuͤr die-

Perſonen betrachtet werden (§. 977.); ſo
ſind alle Guͤther eintzelner Perſonen

Nat. u. Voͤlckerrecht. H h hzuſam-
[850]IV.Theil 6. Hauptſtuͤck. Von der Art
Schul-
den des
Staats
verhaftet
ſind.
zuſammengenommen in Abſicht auf
auswaͤrtige Voͤlcker als Guͤther der
Voͤlcker anzuſehen, und
deswegen ohne
Unterſchied fuͤr die Schulden des
Staats verhaftet,
folglich auch die Pri-
vatguͤther
des Koͤnigs (§. 1012.).


§. 1163.

Von dem
Rechte
der Re-
preſſa-
lien.

Da die Voͤlcker eben das Recht genieſſen,
was eintzelnen im natuͤrlichen Zuſtande zu-
kommt (§. 1088.), alle Guͤther aber eintzel-
ner Perſonen zuſammen genommen in Abſicht
auf die fremden Voͤlcker fuͤr Guͤther der Voͤl-
cker gehalten werden muͤſſen (§. 1162.); ſo
iſt, wenn ein Volck ſeine, oder ſeiner
Buͤrger Sachen, von einem andern
Volcke, ſo dieſelben aufhaͤlt, oder auf
eine iede andere Art etwas ſchuldig iſt,
nicht erhalten kann, oder dieſes Volck
jenem, oder ſeinen Buͤrgern das Recht
verſagt, unter den Voͤlckern die Er-
fuͤllung des Rechts
(expletio juris),und
daß man zu dem Ende die Sachen ie-
der Buͤrger wegnehme, erlaubt
(§.
793.). Dieſe Wegnehmung der Guͤther ei-
nes andern Volcks, oder des Regentens des
Staats, um ſein Recht zu erfuͤllen, heiſſen
Repreſſalien(repreſſaliæ). Derowegen
erhellet, daß die Repreſſalien unter den
Voͤlckern erlaubt ſeyn, und niemand
zuſtehen als Voͤlckern, oder denen, ſo
das Recht des Volcks haben, naͤmlich
den Regenten des Staats, und
folglich
kein
[851]die Streitigkeiten der Voͤlcker beyzulegen.
kein Privatmann ſich des Rechts der
Repreſſalien, ohne Erlaubniß des Re-
gentens des Staats, bedienen koͤnne.


§. 1164.

Weil unter den Guͤthern der Buͤrger auchVom
Buͤrger-
fang.

ihre natuͤrliche Freyheit enthalten iſt (§. 207.);
ſo iſt auch die Freyheit aller und ieder
Buͤrger, oder ihrer Perſon,
als welcher
dieſes Recht anhaͤngt, fuͤr die Schulden
des Staats verhaftet (§. 1163.), wenn

folglich ein Volck dem andern, oder deſ-
ſen Unterthanen das Recht verſagt, ſo
koͤnnen die Unterthanen deſſelben zum
Pfande weggefangen werden.
Weil
man ſie aber aus der Urſach faͤngt, daß das
Volck Recht zu verſchaffen gezwungen wer-
de, ſo kann man Perſonen von ausneh-
menden Verdienſten, oder groſſen Wuͤr-
den im Staat, von beyderley Ge-
ſchlecht, und auch ihre Kinder weg-
nehmen.
Da nun eine Wegnehmung der
Buͤrger an Pfandes ſtat pflegt ein Men-
ſchen-
oder Buͤrgerfang(androlepſia, vi-
ricapio)
genennt zu werden; ſo iſt der Buͤr-
gerfang unter den Voͤlckern erlaubt.

Weil aber nichts anders als die Freyheit der
Buͤrger fuͤr die Staatsſchulden verpfaͤndet
wird; ſo iſt, wenn ein Volck nicht Recht
zu verſchaffen vermocht werden kann,

auf eben die Art, wie von den Geiſſeln gezei-
get worden (§. 1151.) klar, daß die auf-
gehobenen entweder Sclaven, oder

H h h 2als
[852]IV.Theil 6. Hauptſtuͤck. Von der Art
als Gefangene im Kercker aufbehal-
ten, nicht aber getoͤdtet, oder mit har-
ter Leibesſtrafe beleget werden koͤn-
nen.


§. 1165.

Was er-
laubt ſey
wider
den, ſo
ſich den
Repreſ-
ſalien u.
Buͤrger-
fang wi-
derſetzt.

Weil die Repreſſalien (§. 1163.) und der
Buͤrgerfang erlaubt ſind (§. 1164.); ſo iſt
wider den, der ſich der Vollziehung
der Repreſſalien und des Buͤrgerfangs
widerſetzt, voͤllig erlaubt, was jedem
als einem Vertheidiger erlaubt iſt
(§.
90.). Derowegen muß in dieſem Fall die
Gewalt nicht nach dem, was der ande-
re ſchuldig, ſondern nach dem, was
zur Abtreibung einer ungerechten Ge-
walt,
womit man widerſtehet, hinlaͤng-
lich iſt, geſchaͤtzet werden.


§. 1166.

Daß der
Schade,
ſo durch
Repreſ-
ſalien
verur-
ſacht
worden,
den Mit-
buͤrgern
gutge-
than weꝛ-
den muͤße

Jndem natuͤrlicher Weiſe ein ieder ver-
pflichtet iſt zugefuͤgten Schaden zu erſetzen (§.
270.); ſo muß der, ſo Urſach zu Re-
preſſalien gegeben, denenjenigen den
Schaden gutthun, welchen dieſer Ur-
ſache wegen etwas abgegangen iſt,
und
es muß der Oberherr dafuͤr ſorgen,
daß der zugefuͤgte Schade erſetzet wer-
de.
Denn es iſt kein Buͤrger fuͤr den andern
zu bezahlen verbunden.


§. 1167.

Wenn
ehr dies
aus den

Weil der Regent des Staats aus dem
Recht des Volcks handelt (§. 982.), und
man
[853]die Streitigkeiten der Voͤlcker beyzulegen.
man folglich es alſo erklaͤret, als wenn dasoͤffentli-
chen Guͤ-
thern ge-
ſchehen
muͤße.

Volck durch ihn handele, was er nur als ein
ſolcher thut; ſo iſt das Volck verbunden
die Handlung ſeines Regenten, als ei-
nes Regenten, fuͤr die ſeinige zu er-
kennen,
und mithin auch das, wodurch
den auswaͤrtigen ein Unrecht angethan
wird.
Es hat naͤmlich eben die Beſchaf-
fenheit mit der Verbindlichkeit, welche aus
einer Uebelthat entſtehet, als mit der, ſo aus
den Buͤndniſſen erwaͤchſet. Derowegen wenn
er durch ſeine That, oder aber eine Pri-
vatperſon auf ſeinen Befehl, Urſach
zum Repreſſalien gegeben, ſo muß de-
nen, ſo dieſerwegen etwas abgehet,
der Schade aus den oͤffentlichen Guͤ-
thern erſetzet werden
(§. 1166.).


§. 1168.

Weil die Repreſſalien in der ErfuͤllungVon den
Wirckun-
gen der
Repreſ-
ſalien u.
des Buͤr-
gerfangs.

des Rechtes beſtehen (§. 1163.); ſo wird
durch ſie denen, um deren willen ſie
vorgenommen worden ſind, ein Ei-
genthum derer weggenommenen Sa-
chen zuwege gebracht, auſſer daß man
das uͤberfluͤßige zuruͤck geben muß
(§.
793.). Und da die Repreſſalien (§. 1163.)
gleichwie auch der Buͤrgerfang
erlaubt
ſind (§. 1164.); ſo geben ſie dem Gegen-
theil keine rechtmaͤßige Sache zum
Kriege
(§. 98.). Hingegen aber weil man
durch dieſe Mittel ſein Recht erlangen ſoll,
welches einem von dem andern vorenthalten
H h h 3wird
[854]IV.Theil 7. Hauptſtuͤck.
wird (§. 1163. 1164.); ſo geben uns,
wenn wir durch ſie zu unſerm Recht
nicht kommen koͤnnen,
daß naͤmlich das
zugefuͤgte Unrecht gut gethan, oder uns eines
unerſetzlichen Unrechts halber genug geſchehe,
eben diejenigen Gruͤnde, welche ſie als
erlaubt darſtellen, eine rechtmaͤßige Ur-
ſache zum Kriege ab
(§. 98.).


Das ſiebente Hauptſtuͤck.


Vom Rechte des Krieges der
Voͤlcker.


§. 1169.

Von der
Einthei-
lung des
Krieges.

Ein oͤffentlicher Krieg(bellum pu-
blicum)
wird genennet, welcher un-
ter den Voͤlckern, oder ſo daß dieje-
nigen, welche die hoͤchſte Herrſchaft haben,
Urheber davon ſind, gefuͤhret wird: ein Pri-
vatkrieg
(privatum) aber iſt es, welchen
Privatperſonen auf ihr eignes Geheiß fuͤh-
ren. Ein vermiſchter Krieg(mixtum)
iſt es endlich, welcher auf der einen Seite ein
oͤffentlicher, auf der andern aber ein Privat-
krieg iſt, z. E. wenn der Regent des Staats
einen Krieg mit rebelliſchen Unterthanen fuͤh-
ret. Man nennet es aber einen Krieg zum
Angrif
(offenſivum bellum), womit einer
uͤberzogen wird, der an keinen Krieg gedach-
te; hingegen heißt es ein Vertheidigungs-
krieg
(bellum defenſivum), mit welchem
ſich
[855]Vom Rechte des Krieges der Voͤlcker.
ſich iemand vertheidiget wider den, der ihn
mit Kriege uͤberfaͤllt. Eine Art von dem
Kriege zum Angrif iſt der Strafkrieg(pu-
nitivum),
in welchem iemand den andern zur
Strafe zieht, und der Wiederzueignungs-
krieg
(vindicativum), wodurch wir unſer
Recht, und das, was man uns ſchuldig iſt,
zu erhalten trachten.


§. 1170.

Da es keine rechtmaͤßige Urſache zum Krie-Wenn
ehr der
aufallen-
de Straf-
krieg und
auch der
Verthei-
digungs-
krieg er-
laubet
ſey.

ge giebt auſſer nur das zugefuͤgte, oder noch
zuzufuͤgende Unrecht (§. 98.); ſo iſt ein
Krieg zum Angrif, er mag ein Straf-
oder ein Wiederzueignungskrieg ſeyn,
erlaubt, wenn unſer Recht gewiß iſt,
der andere aber uns eines offenbaren
unerſetzlichen Unrechts wegen nicht
genug thun will, und wir es auf kei-
ne andere Art erhalten koͤnnen, des-
gleichen auch wenn er in einer zweifel-
haften Sache deswegen gefuͤhret wird,
daß der andere zum Vergleich genoͤ-
thiget werden ſoll
(§. 1158.). Hinge-
gen iſt der Krieg zur Vertheidigung er-
laubt, wenn man ſich wider einen, der
uns ungerechter weiſe bekrieget, ver-
theidiget
(§. 1089.).


§. 1171.

So iſt alſo der alleinige Nutzen keineVon den
Kriegen,
die bloß
des Nu-
tzens we-

rechtmaͤßige Urſache zum Kriege (§.
1170.). Derowegen da man es Anra-
thungsgruͤnde
(rationes ſuaſorias) nennet,
H h h 4welche
[856]IV.Theil 7. Hauptſtuͤck.
gen ge-
fuͤhret
werden.
welche von Nutzen hergenommen werden,
oder wodurch ausgemacht wird, daß es uns
vortheilhaftig ſey, einen Krieg anzufangen,
welche den rechtmaͤßigen(juſtificis) entge-
gen ſtehen, die man von dem uns in einem
gegebenen Falle zukommenden Recht zum Krie-
ge herholet; zwiſchen welchen beyden in der
Mitte die gleichſam rechtmaͤßigen(quaſi
juſtificæ)
ſind, welche, wenn man ſie gehoͤ-
rig erwaͤget, den Nahmen der rechtmaͤßigen
nicht verdienen, ſondern nur den Schein ha-
ben: ſo iſt der Krieg ungerecht, wel-
cher bloß anrathender und gleichſam
rechtmaͤßiger Gruͤnde halber angefan-
gen wird.
Weil es wider die menſchliche
Natur ſtreitet dem andern feines Vortheils
wegen zu ſchaden (§. 44); und folglich die
Grauſamkeit, nach welcher einen ein Krieg
an ſich ſelbſt vergnuͤget, welcher mit ſo vieler
unſchuldiger Menſchen Niedermetzlung und
Zerfleiſchung und Verheerung der Dinge ver-
knuͤpfet iſt, die menſchliche Natur vertrei-
bet; ſo uͤberſchreitet ein Krieg die
Menſchlichkeit, wenn iemand darauf
ohne rechtmaͤßige, oder anrathende
Gruͤnde zu haben verfaͤllt,
und wird des-
wegen thieriſch(ferinum) genennet. Es
ſind
aber die anrathenden Gruͤnde bil-
lig, welche aus dem Endzweck des
Staats hergeleitet werden
(§. 976.).


§. 1172.
[857]Vom Rechte des Krieges der Voͤlcker.
§. 1172.

Weil ein iegliches Volck das Recht hatVon der
Furcht
vor der
benach-
barten
Macht,
und von
der Er-
haltung
des
Gleich-
gewichts.

ſeine Macht zu vermehren (§. 1102.), und
derjenige, ſo einem ſchaden kann, deswegen
nicht gleich ſchaden will; ſo iſt die anwach-
ſende Macht eines benachbarten Vol-
ckes und die Furcht, die man daraus
ſchoͤpfet, keine rechtmaͤßige Urſache
zum Kriege
(§. 1170. 1171.). Derowe-
gen da das Gleichgewicht unter den
Voͤlckern
(æquilibrium inter gentes) der
Zuſtand mehrerer Voͤlcker genennet wird, die
nach der Macht unter einander in einem ge-
wiſſen Verhaͤltniß ſtehen, darinn der Macht
eines Maͤchtigern, oder der vereinigten Macht
einiger die vereinbarte Macht der andern
gleich iſt; ſo giebt die alleinige Erhal-
tung des Gleichgewichts unter den
Voͤlckern keine rechtmaͤßige Urſache
zum Kriege ab, doch aber gehoͤret ſie
unter die anrathenden Gruͤnde, wenn
man uͤber einen rechtmaͤßig anzufan-
genden Krieg zu rathe geht (§. 1171.).
Wofern
alſo ein Volck, ſo ſich auf ſei-
ne Macht ſteifet, offenbare Anſchlaͤge
hat ſich andere Voͤlcker unterwuͤrfig
zu machen, oder ſich nicht ſcheuet die
oͤffentliche Sicherheit der Voͤlcker mit
ungerechten Waffen zu ſtoͤren; ſo iſt
es erlaubt,
weil ſich ein iedes Volck erhal-
ten muß (§. 1093.), und allen Voͤlckern
insgeſamt ein Recht zukommt einen Stoͤrer
H h h 5der
[858]IV.Theil 7. Hauptſtuͤck.
der oͤffentlichen Ruhe zu zwingen, daß er ſie
nicht ſtoͤren duͤrfe (§. 1090.), der oͤffent-
lichen Sicherheit zu rathen, und die
anwachſende Macht zu ſchwaͤchen.

Alsdenn iſt naͤmlich der Krieg, der in dieſer
Abſicht ein Vertheidigungskrieg iſt, gerecht
(§. 1169.).


§. 1173.

Von den
Laſtern
der Got-
tesver-
lengnung
und der
Abgoͤt-
terey ei-
nes Vol-
ckes.

Weil ein Uebel an ſich ſelbſt nicht ſo be-
ſchaffen iſt, daß es geſtrafet werden muͤſte (§.
1049.), und auch niemand wegen eines Jrr-
thums geſtrafet werden kann (§. 1050.); ſo
iſt ein ſtrafender Krieg wider ein Volck
nicht erlaubt, dieweil es das Recht
der Natur unmenſchlich verletzet, oder
wider GOtt ſuͤndiget, oder die Got-
tesverleugnung, oder die Deiſterey be-
kennet, oder abgoͤttiſch iſt.


§. 1174.

Von
Solda-
ten und
dem
Rechte
Solda-
ten zu
werben.

Soldaten nennt man Perſonen, durch
welche der Urheber des Krieges dem andern
Theil, mit welchem er Krieg fuͤhret, Gewalt
anbringet: Waffen aber ſind alle Sachen,
deren man ſich andern Gewalt anzubringen,
oder ſie von ſich abzuwenden bedienet. Da
den hoͤchſten Maͤchten das Recht zu krie-
gen zukommt (§. 1066.); ſo haben ſie auch
das Recht Soldaten zu werben, und
dies gehoͤret unter die Majeſtaͤtsrech-
te
(angef. §.), welches der Oberherr
ausuͤben kann, wie es ihm gut deuch-

tet,
[859]Vom Rechte des Krieges der Voͤlcker.
tet, wenn kein Grundgeſetz deshalb
im Wege ſtehet (§. 984.), doch aber
alſo, daß die oͤffentliche Wohlfahrt
keinen Schaden darunter leide
(§. 976.).
Weil alle und iede verbunden ſind ſo viel zur
Vertheidigung des Staats beyzutragen, als
ſie koͤnnen (§. 972. 975.); ſo ſind alle Un-
terthanen, die zu Kriegsdienſten ge-
ſchickt ſind (§. 60.), in dem aͤuſſerſten
Nothfall gehalten Soldatendienſte zu
thun, und ſie koͤnnen
vermoͤge der vor-
zuͤglichen Macht wider ihren Willen da-
zu gezwungen werden
(§. 1065.). Weil
aber auſſer den Kriegesdienſten um das ge-
meine Wohl zu befoͤrdern noch andere geleiſtet
werden muͤßen (§. 972.), und die Untertha-
nen Kriegesunkoſten zu reichen verbunden ſind
(§. 1037.); ſo muͤſſen auſſer dem Noth-
fall diejenigen, welche ſonſt der Re-
publick nuͤtzliche und nothwendige
Dienſte verrichten, und zu den Krie-
gesunkoſten beytragen koͤnten, nicht
wider Willen als Soldaten angewor-
ben werden.
Die fremden, welche von
freyen Stuͤcken den Soldatenſtand erwaͤhlen,
werden gedungene Soldaten(conductitii
milites)
genennet, und ihre Verbindlich-
keit kommt aus einem Vertrag
(§. 438.),
welcher die Capitulation heißet; was aber
darinn verabredet worden, muß ge-
halten werden
(angef. §.). Weil aber das
Recht Soldaten anzuwerben ein Majeſtaͤts-
recht
[860]IV.Theil 7. Hauptſtuͤck.
recht iſt, welches von einem auswaͤrtigen
Volcke nicht verletzet werden darf (§. 1136.);
ſo iſt es nicht erlaubt Soldaten in ei-
nem fremden Gebiete ohne Einwilli-
gung des Herrn anzuwerben
: und weil
hier die vorzuͤgliche Gewalt nicht ſtatt hat (§.
1065.), ſo iſt es nicht vergoͤnnet, wenn
auch gleich die Werbefreyheit verſtat-
tet worden, die Leute mit Gewalt
anzuwerben.


§. 1175.

Vom
Men-
ſchen-
raub.

Der Menſchenraub(plagium) iſt eine
heimliche Wegnehmung eines Menſchen, wel-
cher der Gewalt eines andern unterworfen
iſt. Weil ein Menſchendieb einen Menſchen
der Gewalt, ſo er unterworfen iſt, entziehet,
und ſich ein Recht uͤber denſelben herausnimmt;
ſo kommt der Menſchenraub mit dem
Diebſtahl uͤberein (§. 263.), und wird

deshalben von rechtswegen als ein Dieb-
ſtahl an Menſchen angeſehen.
Daher
erhellet, daß diejenigen, welche fremde
Unterthanen, die ſie betruͤglicher wei-
ſe weggenommen haben, zu Krieges-
dienſten zwingen, einen Menſchen-
diebſtahl begehen, und die vorzuͤgliche
Gewalt deſſen, dem ſie als Untertha-
nen zugehoͤren, verletzen, und dieſem

folglich Unrecht anthun (§. 87.), und
mithin eine gerechte Urſache zum Krie-
ge geben, wenn nicht des zugefuͤgten

Unrechts
[861]Vom Rechte des Krieges der Voͤlcker.
Unrechts wegen Genuͤge geleiſtet wird
(§. 1170.).


§. 1176.

Den Sold(ſtipendium) nennt man dasVom
Solde u.
Quarti-
ren der
Solda-
ten.

Geld, ſo fuͤr Kriegsdienſte gezahlet wird.
Weil diejenigen, welche Kriegesdienſte thun,
auf andere Art nichts verdienen koͤnnen; ſo
muß den Soldaten der Sold richtig
gezahlet werden.
Aus eben der Urſache
gehoͤret ihnen nicht nur Kleidung,
ſondern auch,
indem ſie der Wohnung be-
duͤrfen, wenn ſie ſich nicht des Krieges we-
gen im Felde aufhalten, eine perſoͤnliche
Einquartirung.
Da dieſe Quartire un-
ter die oͤffentlichen Geſchencke, folglich unter
die Laſten der Republick gehoͤren (§. 1057.),
ſo ſind alle Beſitzer der Haͤuſer verbun-
den nach der Maße ihres Vermoͤgens
die Soldaten perſoͤnlich ins Quartir
zu nehmen
: Damit aber die Unterthanen
nicht zu ſehr belaͤſtiget werden, ſo muß der
Oberherr ſorgen, daß die Bequarti-
rung nicht zu ſchwer falle, und ſie
nicht ohne Noth zu koſtbar ſey, man
muß auch keinem Einquartirungsfrey-
heit verſtatten, auſſer ſolchen Perſo-
nen, denen man es als einen Theil ih-
res Soldes, oder zur Belohnung der
Verdienſte um die Republick anrech-
nen kann,
indem Privilegien nur des oͤffent-
lichen Beſtens wegen gegeben werden muͤſſen
(§. 1047.).


§. 1177.
[862]IV.Theil 7. Hauptſtuͤck.
§. 1177.

Von dem
Darvon-
lauffen
der Sol-
daten.

Weil die Soldaten als geringe, oder un-
ſtudirte Leute die natuͤrliche Verbindlichkeit,
welche ſo wohl die einheimiſchen als fremden
Soldaten uͤber ſich haben (§. 1174.), we-
nig faßen; ſo muͤßen ſie eidlich verſpre-
chen, daß ſie die angetretenen Krie-
gesdienſte nicht verlaſſen wollen (§.
380. 446.), und ſie koͤnnen als Meinei-
dige und Treuloſe haͤrter geſtrafet wer-
den.
Es iſt aber klar, daß der, ſo die
Ausreiſſer heimlich fortbringet, oder
ſie verheelet, einen Menſchendiebſtahl
begehe
(§. 1175.), und daß derjenige, wel-
cher auf irgend eine Art zum Ausreiſ-
ſen behuͤlflich iſt, an einem Menſchen-
diebſtahl theilnehme
(§. 26.).


§. 1178.

Von den
Offici-
ren.

Officirer(præfecti militum) werden die
genennt, denen von der hoͤchſten Gewalt eine
gewiſſe Herrſchaft uͤber die Soldaten beyge-
leget, und gewiſſe Kriegesverrichtungen an-
befohlen worden. Heerfuͤhrer aber (duces)
werden vorzuͤglich diejenigen genennet, wel-
chen die Herrſchaft uͤber die gantze Armee, oder
die Fuͤhrung des gantzen Krieges anvertrauet
worden. Es ſind alſo die Officirer klei-
nere Gewaltige, deren immer einige
anderen unterthaͤnig gemacht, und von
der hoͤchſten Gewalt deſto entfernter,
dahingegen andere nach der Beſchaf-
fenheit des Rechts, ſo ſie haben, ihr

naͤher
[863]Vom Rechte des Krieges der Voͤlcker.
naͤher ſind: aber die vorzuͤglich ſo ge-
nannten Heerfuͤhrer kommen der hoͤch-
ſten Gewalt am naͤchſten.
Da man das
Kriegesrecht(jus militare) diejenigen Ge-
ſetze nennet, in welchen uͤber das verfuͤget
worden, was von den Soldaten und ihren
Officirern geſchehen, oder nicht geſchehen ſoll,
oder was ihnen erlaubet iſt; ſo wird darinn
auch von dem Rechte der Officirer, und
der hoͤchſten Befehlshaber, wie auch
von ihren Pflichten gehandelt.


§. 1179.

Huͤlfe, oder auch Huͤlfstruppen(auxi-Von
Huͤlfs-
truppen
u. Sub-
ſidiengel-
dern.

lia, auxiliares, copiæ auxiliares) werden die-
jenigen Truppen, ſo wohl zu Fuß, als auch
zu Pferde genennet, welche ein anderes Volck,
das eigentlich ietzt nicht krieget, einem Volcke
zuſendet, ſo Krieg fuͤhret. Subſidiengel-
der
(pecuniæ ſubſidiariæ) heiſſen die Gelder,
welche ein ander Volck, das nicht krieget, dem
Krieg fuͤhrenden Volcke giebt, damit dieſes
die Kriegeskoſten beſtreiten koͤnne. Man
nennt ſie heutiges Tages auch ſchlechtweg
Subſidien(ſubſidia). Natuͤrlicher weiſe
ſind die Voͤlcker verbunden einem ge-
rechten Krieg fuͤhrenden Volcke Huͤlfs-
truppen und Subſidien zukommen zu
laſſen, und ihm auf alle Art, ſo viel
als moͤglich iſt, im Kriege beyzuſtehen
(§. 1108.). Damit man aber ein voll-
kommenes Recht dazu erlange (§. 1086.),
ſo muß man Buͤndniſſe ſchlieſſen
(§.
1141.),
[864]IV.Theil 7. Hauptſtuͤck.
1141.), als welche unter den Voͤlckern
heilig gehalten werden muͤſſen
(§.
1153.). Es verſtehet ſich aber, daß ſo
wohl das Recht des einen, und die
Verbindlichkeit des andern Theiles
nach demjenigen zu ſchaͤtzen ſey, was
des Buͤndniſſes wegen verabredet wor-
den
(§. 317.).


§. 1180.

Von den
Aꝛten der
Kriegs-
buͤndniſ-
ſe, und
von dem
Fall ei-
nes
Buͤnd-
niſſes.

Man nennet es Kriegsbuͤndniſſe zum
Angrif
(fœdera belli offenſiva), wenn die
Huͤlfe und die Subſidien nur in einem Kriege
zum Angrif verſprochen werden; Kriegs-
buͤndniſſe zur Vertheidigung
(defenſi-
va)
heiſſen es, wenn man ſie nur in einem
Vertheidigungskriege geben will; gleichwie es
Kriegsbuͤndniſſe zum Angrif und zur
Vertheidigung
(offenſiva \& defenſiva)
zugleich ſind, wenn jene in beyden Faͤllen
ſtatt haben. Ein Fall des Buͤndniſſes
(caſus fœderis) iſt der Zuſammenfluß ſolcher
Umſtaͤnde, unter welchen das Buͤndniß ein-
gegangen worden, ſie moͤgen nun ausdruͤck-
lich gemeldet, oder ſtillſchweigend zum Grun-
de geſetzet ſeyn. Sind nun dieſe alle zu-
ſammen da, ſo iſt der Fall des Buͤnd-
niſſes da
; und es iſt leicht abzunehmen,
daß man nur, wenn er vorhanden iſt,
zu leiſten habe, was im Buͤndniſſe ver-
ſprochen worden (§. 318.). Wenn
de-
rowegen ein offenbar ungerechter Krieg
gefuͤhret wird, oder wenn derjenige,

welcher
[865]Vom Rechte des Krieges der Voͤlcker.
welcher das verabredete leiſten ſoll, es
ſelbſt benoͤthigt iſt, ſo iſt der Fall des
Buͤndniſſes nicht da;
dieweil man von
ſelbſt verſteht, daß beydes in einem ieglichen
Buͤndniſſe ſtillſchweigend ausgenommen ſey.


§. 1181.

Diejenigen werden im Kriege neutralVon de-
nen die
im Krie-
ge es mit
keinem
halten.

(in bello medii, vulgo neutrales) genennt,
welche ſich zu keinem unter den kriegenden
Theilen ſchlagen, und ſich folglich nicht in
den Krieg miſchen. Jhre Laͤnder nennt man
neutrale Laͤnder(terras neutras). Ob nun
gleich vermoͤge der natuͤrlichen Freyheit (§.
1089.) einem ieden Volck zu geſtatten
iſt, daß es in einem Kriege neutral
bleibe; ſo muß man
doch, daß man ein
vollkommnes Recht zur Neutralitaͤt erlange,
entweder mit einem, oder mit beyden
kriegenden Theilen,
wie es die Gelegen-
heit giebt, Buͤndniſſe machen (§. 1141.
1153.), welche Neutralitaͤtsbuͤndniſſe
(fœdera neutralitatis) heiſſen; und man
kann
auſſer dem, ohne welchen ſich ein ſol-
ches Buͤndniß nicht dencken laͤſſet, naͤmlich
daß darinn verſprochen werde, daß
der, ſo im Kriege neutral ſeyn will,
dem Gegentheil im Kriege nicht hel-
fen, hingegen aber die Bewegungen
desjenigen, mit welchem das Buͤnd-
niß errichtet wird, auf keine Art hin-
dern wolle, darinn
auch uͤber andere
Punckte uͤbereinkommen, die beyde

Nat. u. Voͤlckerrecht. J i iThei-
[866]IV. Theil 7. Hauptſtuͤck.
Theile zu ihrem Vortheil zu gehoͤren
glauben.
Weil aber ein Neutralitaͤtsbuͤnd-
niß nicht muß uͤber ſeine Graͤntzen, und uͤber
das, woruͤber man ſich beſonders verglichen,
ausgedehnet werden; ſo ſind diejenigen,
welche die Neutralitaͤt halten, beyden
ſtreitenden Theilen ſchuldig, was ſie
nach dem Voͤlckerrechte auſſer dem
Kriege ſchuldig ſind,
z. E. daß ſie den
Soldaten und Unterthanen von bey-
den kriegenden Partheien einen ſichern
Eintritt in ihr Gebiete, und den Durch-
gang durch ihre Laͤnder verſtatten,
wie auch, daß ſie ſich eines rechtmaͤſ-
ſigen Geſchaͤftes wegen darinn auf hal-
ten, und ihnen erlauben, die Dinge,
deren ſie benoͤthiget ſind, ſich fuͤr einen
billigen Preis anzuſchaffen
(§. 1131.),
woferne es nicht ausdruͤcklich anders verab-
redet worden, naͤmlich daß keinem von bey-
den ſtreitenden Theilen nicht erlaubet ſeyn
ſolle, was ſonſt erlaubet war (§. 667.).


§. 1182.

Vom
Durch-
zug mit
den
Kriegs-
truppen.

Weil der Durchzug durch das Land eines
andern rechtmaͤßiger Urſachen wegen ein noch
aus der allererſten Gemeinſchaft uͤbriges Recht
iſt (§. 312.); ſo muß ein Volck den
Kriegstruppen des andern Volcks ei-
nen ſich unſchaͤdlichen und den durch-
ziehenden ſichern Durchzug verſtatten.

Da aber derjenige, welcher es verſtattet, da-
von zu urtheilen hat, ob er unſchaͤdlich ſey (§.
1089.
[867]Vom Rechte des Krieges der Voͤlcker.
1089. 78.); ſo muß man um den Durch-
zug anhalten,
und weil er nicht unſchaͤd-
lich iſt, wenn zu befuͤrchten ſtehet, daß
derjenige, wider welchen er vergoͤn-
net wird, den vergoͤnnenden bekrie-
gen, oder den Schauplatz des Krieges
in einem ruhigen Lande aufſchlagen,
oder auf andere Art ſchaden werde, ſo
kann er verſaget werden.
Und aus eben
der Urſache muß derjenige, welcher
durchzieht, fuͤr das, was er noͤthig
hat,
indem es vor ſich klar iſt, daß ihm der-
gleichen nicht koͤnne verſaget werden, den
rechtmaͤßigen Werth bezahlen, ob man
gleich den Durchzug ſelbſt, als wozu
man natuͤrlicher weiſe verbunden iſt,
umſonſt erlauben muß.
Jndem aber der
verurſachte Schaden wieder erſetzet werden
ſoll (§. 270.); ſo iſt der, dem der Durch-
zug verſtattet worden, verpflichtet,
wenn ſeine durchziehenden Leute den
Einwohnern Schaden zugefuͤget ha-
ben, denſelben wiederum gut zu ma-
chen, und dem Regenten des Staats
lieget ob zu ſorgen, daß er denen erſe-
tzet werde, die ihn gelitten haben.

Derowegen wenn der, ſo den Durchzug
verſtattet, befuͤrchtet, er werde nicht
unſchaͤdlich, oder es werde die Leiſtung
des geſchaͤtzten Schadens, wenn der-
gleichen zugefuͤget werden ſollte,
ſchwerlich zu erhalten ſeyn, ſo iſt er

J i i 2nicht
[868]IV. Theil 7. Hauptſtuͤck.
nicht verpflichtet ſolchen zu vergoͤn-
nen, wenn nicht der durchziehende
desfalls hinlaͤngliche Sicherheit gie-
bet.


§. 1183.

Von der
Ankuͤn-
digung
des Krie-
ges.

Die Ankuͤndigung des Krieges(de-
nunciatio belli)
iſt eine Handlung, nach wel-
cher ein Theil ſeinem Gegentheil bekannt
macht, daß er ſein Recht mit Gewalt der
Waffen verfolgen wolle. Von einigen wird
es lateiniſch clarigatio genennt, ob dieſe
gleich bey den Roͤmern unterſchieden war, ſo
daß, wenn der Gegentheil die Genugthuung
abſchlug, alsdenn erſt die Ankuͤndigung er-
folgte, welche alſo nur auf allen Fall in der
Clarigation lag. Es iſt aber die Kriegs-
ankuͤndigung
entweder bedingt, darinn
erklaͤret wird, man werde einen mit Kriege
uͤberziehen, wenn keine Erſetzung erfolgen,
oder des geſchehenen Unrechts wegen keine Ge-
nuͤge geleiſtet werden ſollte; oder ſie iſt un-
bedingt
(pura), wenn ohne Bedingung be-
kannt gemacht wird, daß man einen be-
kriegen wolle.
Natuͤrlicher Weiſe iſt es
nicht noͤthig, daß die unbedingte auf
die bedingte folge,
indem es vor ſich klar
iſt, daß uns, wenn uns der andere unſer
Recht abſchlaͤgt, kein andres Mittel ſolches
zu erhalten uͤbrig ſey, als der Krieg. Es er-
hellet auch genugſam, daß die Kriegsan-
kuͤndigung nur in einem Kriege zum
Anfall, nicht aber in einem Kriege

zur
[869]Vom Rechte des Krieges der Voͤlcker.
zur Vertheidigung, erfordert werde (§.
1169.). Allein wenn derjenige, wel-
chem ein Krieg angekuͤndiget werden
ſoll, weder Abgeſandten zulaͤßet, noch
auch ſonſt eine andere Gelegenheit vor-
handen iſt
ſchriftliche Eroͤfnung davon zu
thun; ſo kann auch in einem Kriege zum
Anfall die Ankuͤndigung unterlaſſen
werden
(§. 60.). Hingegen iſt die Wie-
dervergeltung,
als welche an ihr ſelbſt un-
erlaubt iſt (§. 156.), keine rechtmaͤßige
Urſach die Ankuͤndigung auszuſetzen.

Endlich weil der, ſo den Krieg ankuͤndiget,
nicht gehalten iſt ſeinem Gegentheil eine ihm
ſchaͤdliche Friſt zu verſtatten (§. 269.); ſo iſt
erlaubt, wenn nicht ſogleich nach an-
gekuͤndigtem Kriege billige Friedens-
bedingungen vorgeſchlagen werden,
ohne allen Verzug Kriegsanſtalten
vorzukehren.


§. 1184.

Weil unter den Voͤlckern ein oͤffentlicherVon den
Feinden
u. feind-
lichen
Sachen.

Krieg gefuͤhret wird (§. 1169.); ſo wird
angenommen, daß, wenn der Regent
des einen Staats dem Regenten des
andern Staats den Krieg ankuͤndiget,
ein oͤffentlicher Krieg von einem gan-
tzen Volcke einem andern gantzen Vol-
cke angekuͤndiget ſey.
Derowegen da
man diejenigen Feinde(hoſtes) nennet, die
unter einander Krieg haben, und ihre Sa-
chen feindliche Sachen(res hoſtiles) heiſ-
J i i 3ſen;
[870]IV. Theil 7. Hauptſtuͤck.
ſen; ſo ſind die Unterthanen von bey-
den ſtreitenden Theilen,
folglich auch
Weiber, Knaben, Kinder unter der
Zahl der Feinde, und ihre Sachen ſind
feindlich, ſie moͤgen auch ſeyn wo ſie
wollen.
Weil aber doch die Fremden, ſo
ſich in des Feindes Landen aufhalten, nicht
unter die Feinde gehoͤren, indem ſie keine Un-
terthanen des Feindes ſind (§. 1137.); ſo
ſind auch die Sachen der Fremden,
welche auf feindlichen Gebiete ange-
troffen werden, nicht feindlich.
Da
aber erſt bewieſen werden muß, daß ſie Frem-
den zugehoͤren; ſo werden ſie fuͤr feindli-
che gehalten, bis das Gegentheil dar-
gethan worden.
Und weil auch die un-
coͤrperlichen Sachen der Feinde feindlich ſind,
folglich auch das Recht dazu; ſo ſind gleich-
falls diejenigen Sachen, welche einer,
ſo kein Feind iſt, dem Feinde ſchuldig
iſt, mit unter der Zahl der feindlichen
Sachen begriffen.


§. 1185.

Von de-
nen, wel-
che ſich
zum Fein-
de ſchla-
gen.

Wer ſich zu meinem Feinde ſchlaͤgt,
z. E. wenn er ihm Huͤlfstruppen, oder
Subſidien zukommen laͤßet, oder ihn
auf irgend eine Art im Kriege huͤlft,

indem er hiermit etwas zu ſeinem Kriege bey-
traͤgt, und ſich deshalb deſſen theilhaftig
macht (§. 26.); der iſt mein Feind, und
ſeine Sachen ſind feindlich, wenn
de-
rowegen der Krieg angekuͤndiget wird,
ſo
[871]Vom Rechte des Krieges der Voͤlcker.
ſo verſtehet ſich es von ſelbſt, daß er
zugleich allen denen angekuͤndiget ſey,
welche ſich zu der Parthie meines Fein-
des ſchlagen werden. Wenn man
dem-
nach dieſe mit Krieg uͤberziehen will, ſo
iſt nicht erſt noͤthig ihnen den Krieg
anzukuͤndigen.


§. 1186.

Die Bekantmachung des KriegesVon der
Bekant-
machung
des Krie-
ges.

(publicatio belli) iſt eine Kriegesanzeige, wel-
che der, ſo ſich in einen Krieg einlaͤßet, theils
an andere hohe Maͤchte, theils an ſeine Un-
terthanen thut: folglich iſt ſie ſo wohl in
einem Kriege zur Vertheidigung, als
zum Angrif vonnoͤthen.
Da die Be-
kantmachung auf vielerley Art geſchehen kann,
ſo haͤngt es lediglich vom Willen des bekant-
machenden ab, welche er erwaͤhlen wolle.
Man kann den Krieg denen Regenten
andrer Voͤlcker entweder durch die Ge-
ſandten,
welche man an fremden Hoͤfen hat,
oder durch abgelaßene Schreiben, hin-
gegen aber den Unterthanen entweder
durch Herolde, oder durch Reſcripte,
ja allen beyden durch den Druck be-
kannt machen.


§. 1187.

Eine gedruckte Schrift, wodurch man ei-Von dem
Manifeſt
und Ge-
genma-
nifeſt.

nen Krieg zum Angrif bekannt macht, heißt
ein Manifeſt(manifeſtum), gleichwie die-
jenige, in welcher man einen Krieg zur Ver-
J i i 4theidi-
[872]IV. Theil 7. Hauptſtuͤck.
theidigung eroͤfnet, ein Gegenmanifeſt
(antimanifeſtum) genennet wird. Derowe-
gen weil niemand das Anſehen haben will,
als wenn er einen unrechtmaͤßigen Krieg fuͤh-
re; ſo muͤſſen in einem Manifeſt die
rechtmaͤßigen Urſachen angefuͤhret,
dieſe aber in dem Gegenmanifeſt wi-
derleget werden
(§. 1171.). Und indem
ein Oberherr ſeinen Unterthanen befehlen
kann; ſo muß alles, was waͤhrendes
Krieges von ihnen geſchehen, oder
nicht geſchehen ſoll (§. 1043.), wie
dem Manifeſt, alſo auch dem Gegen-
manifeſt einverleibet werden.
Dieweil
die Erklaͤrung der rechtmaͤßigen Gruͤnde nur
die Erzaͤhlung des geſchehenen, und die An-
wendung des Natur- und Voͤlckerrechts auf
daſſelbe; hingegen aber die Widerlegung der
Gruͤnde den Erweis der Unrichtigkeit deſſen,
was geſchehen ſeyn ſoll, oder der unrecht an-
gebrachten Anwendung des Rechts erfordert:
ſo muß man ſich aller Worte und Re-
densarten, ſo einen Haß und Rachbe-
gierde verrathen, enthalten.


§. 1188.

Von der
Liebe der
Feinde.

Da ein Volck auch ein feindſeliges (ini-
micam)
Volck lieben, und ihm wie ſich ſelbſt
Liebe erzeigen ſoll (§. 1109.), und von dieſer
Verbindlichkeit nicht frey gemacht werden
kann (§. 42.); ſo muß auch ein Feind ſei-
nen Feind
(hoſtis hoſtem)lieben, und
ihm
[873]Vom Rechte des Krieges der Voͤlcker.
ihm als ſich ſelbſt Liebe wiederfahren
laßen.
Es iſt naͤmlich einer der einen haſ-
ſet von einem Feinde unterſchieden (§. 137.
1183.).


Das achte Hauptſtuͤck.


Von dem Rechte der Voͤlcker
im Kriege.


§. 1189.

Wer einen unrechtmaͤßigen KriegJn einem
unrecht-
maͤßigen
Kriege
iſt kein
Recht
vorhan-
den.

fuͤhret, hat keine rechtmaͤßige Ur-
ſache zum Kriege (§. 1170.). Was
er alſo nun im Kriege thut, iſt alles
unerlaubt,
folglich wenn er ſeine Fein-
de toͤdtet, ſo iſt er einem Moͤrder;
wenn er feindliche Sachen wegnimmt,
ſo iſt er einem anfallenden und Raͤu-
ber gleich zu ſchaͤtzen.
Und weil auch
der, ſo ſich zu einem ungerechten Krie-
ger geſellet,
kein Recht im Kriege haben
kann, indem er im Nahmen deſſen handelt,
deſſen Parthey er ergriffen hat; ſo iſt alles,
was er vornimmt, gleichfalls den Raͤu-
bereien, Anfaͤllen und Mordthaten,
oder denen Handlungen, wodurch der-
gleichen befoͤrdert wird, zuzuzaͤhlen.


§. 1190.

Ein rechtmaͤßiger Krieg wird um zu ſeinemVon dem
Rechte
in einem
gerechten
Kriege.

Rechte zu kommen gefuͤhret (§. 1170.). De-
rowegen iſt dem, der einen rechtmaͤßi-
J i i 5gen
[874]IV. Theil 8. Hauptſtuͤck.
gen Krieg fuͤhret, dasjenige im Krie-
ge erlaubt, ohne welches er ſein Recht
nicht erlangen kann. Was
aber zur
Erreichung dieſes Endzwecks nichts
thut, das iſt unerlaubt.
Doch vermoͤge
der natuͤrlichen Freyheit muß die Beur-
theilung deſſen, was zur Erhaltung
dieſes Endzwecks noͤthig iſt, dem Krie-
genden uͤberlaſſen werden
(§. 1089.
87.). Weil der Gegentheil durch ſeine un-
rechtmaͤßige Gewalt die Kriegsunkoſten, wel-
che, wie bekant, ſehr groß ſind, verurſachet
(§. 1189), und folglich Schaden, welcher
wieder erſetzet werden muß, zufuͤget (§. 269.
270.); ſo iſt er dem, ſo einen recht-
maͤßigen Krieg fuͤhret, die auf den
Krieg verwendeten Unkoſten zu bezah-
len ſchuldig.
Und da durch unrechtmaͤßige
Gewalt immer neue Schaͤden verurſachet, und
neues Unrecht begangen wird (§. 269. 87.);
ſo iſt der unrechtmaͤßige Krieger in
Abſicht auf die Schaͤden verbunden
dem, ſo gerechte Sache hat, die weg-
genommenen Sachen zu erſetzen, wenn
ſie noch da ſind, oder woferne ſie nicht
mehr vorhanden, muß er ihren Werth
bezahlen; in Abſicht aber auf das Un-
recht iſt er zur Strafe verbunden
(§.
1189.). Endlich da der Krieg, als welcher
einen groſſen Haufen des Ungluͤcks nach ſich
zieht, und vor die Voͤlcker etwas ſehr klaͤgli-
ches iſt, des Friedens wegen gefuͤhret wird,
und
[875]Von dem Rechte der Voͤlcker im Kriege.
und auch derjenige, welcher einen rechtmaͤßi-
gen Krieg fuͤhret, nichts anders zur Abſicht
hat, als daß er den Gegentheil noͤthige, bil-
lige Friedensvorſchlaͤge zu thun, wie nicht un-
deutlich aus dem bisherigen Vortrag abge-
nommen werden kann; ſo hat der, ſo einen
gerechten Krieg fuͤhret, auch ein Recht
zu dem, was den Feind zur Endigung
des Krieges bewegen kann.


§. 1191.

Was der Feind irgend des Kriegs wegenVon
Kriegs-
handlun-
gen und
Opera-
tionen,
wie auch
von
Feindſe-
ligkeiten.

thut, das iſt eine Kriegshandlung(actus
bellicus);
hingegen eine Kriesoperation
(operatio bellica) wird eine ſolche Kriegshand-
lung genennt, vermoͤge welcher der Feind, oder
ſeine Sachen wircklich mit Gewolt angegrif-
fen werden, oder dadurch man ſich den Weg
bahnet, ihn mit Gewalt anzugreifen, oder die
Gewalt zu vertreiben. Endlich die Kriegs-
operationen, wodurch dem Feinde, oder ſei-
nen Sachen wircklich Gewalt angethan wird,
fuͤhren den Nahmen der Feindſeligkeiten
(hoſtilitatum).


§. 1192.

Da derjenige, welcher einen ungerechtenVon dem
Rechte
uͤber die
Perſo-
nen.

Krieg fuͤhret, dem Unrecht anthun will, deſ-
ſen Krieg rechtmaͤßig iſt (§. 1189.), und die-
ſem folglich das Recht ſich zu vertheidigen
zuſtehet (§. 1089.); ſo erwaͤchſet das
Recht uͤber die Perſonen in einem
rechtmaͤßigen Kriege aus der Verthei-
digung ſeiner ſelbſt und ſeiner Sachen,

und
[876]IV. Theil 8. Hauptſtuͤck.
und muß derowegen nach dem, was noͤ-
thig iſt die Gewalt des Feindes abzu-
treiben, geſchaͤtzet werden
(§. 90.).
Demnach iſt es nicht erlaubt die Unter-
thanen deſſen, der unrechtmaͤßiger
Weiſe krieget, ſo lange ſie ſich aller
Gewalt enthalten, und keinen Vor-
ſatz Gewalt auszuuͤben zu Tage legen,
zu toͤdten, oder auf eine andere Art
wider ihren Leib zu wuͤten, gleichwie
es auch nicht erlaubt iſt die Kriegsge-
fangenen, oder die ſich ohne Bedin-
gung ergeben haben ums Leben zu
bringen, woferne nicht ein beſonderes
Verbrechen, wodurch ſie der Todes-
ſtrafe ſchuldig worden waͤren, vorher-
gegangen iſt: vielweniger iſt
daher er-
laubt diejenigen zu toͤdten, welche ſich
entweder in dem Treffen, oder in der
Belagerung die Erhaltung ihres Le-
bens ausgemacht haben, und muß die-
ſe Bedingung nicht abgeſchlagen wer-
den. Eben dies iſt von denen zu be-
halten, welche in der Schlacht das
Gewehr wegwerfen.
Und weil das Nie-
dermetzeln, wie aus angefuͤhrten erhellet, kein
erlaubtes Mittel iſt, wenn es etwas beyzu-
tragen ſcheinet unſer Recht wieder zu erlan-
gen; ſo iſt es nicht vergoͤnnet Gefange-
ne, ſolche die ſich ergeben haben, oder
die ſich ergeben wollen, nieder zu ma-
chen, oder ſie an ihrem Leibe miszu-

han-
[877]Von dem Rechte der Voͤlcker im Kriege.
handeln, wenn auch gleich noͤthig waͤre
ein Schrecken zu machen.
Ja aus der
Art, wie das Recht uͤber die Perſon der Fein-
de entſpringt, iſt ferner klar, daß man die
Feinde nicht toͤdten koͤnne, weil ſie
tapfern Widerſtand gethan; vielweni-
ger
aber kann man einige deswegen
toͤdten, weil ſie ſich nicht gewehret
haben.
Sollte durch einen hartnaͤckigen
Widerſtand Schaden verurſacht, und uner-
ſetzliches Unrecht zugefuͤget ſeyn; ſo hat man
zu andern Dingen, wodurch uns ge-
nug geſchehen kann, ein Recht,
z. E.
zur Verbindlichkeit, daß ſie ſich ent-
weder ohne alle, oder unter haͤrtern
Bedingungen ergeben, eine gewiſſe
Summe Geldes zahlen, Staͤdte und
Haͤuſer zur Pluͤnderung uͤberlaſſen
muͤſſen.


§. 1193.

Da man im Kriege damit umgehet, daßVon der
Schwaͤ-
chung der
Kraͤfte
deſſen,
der einen
unrecht-
maͤßigen
Krieg
fuͤhret.

der Gegentheil von demſelben abſtehen ſoll (§.
1190.); ſo iſt alles das, was zur Schwaͤ-
chung der Kraͤfte deſſen, der einen un-
gerechten Krieg fuͤhret, gereicht, dem-
jenigen, welcher rechtmaͤßige Urſach zu
kriegen hat, erlaubt,
folglich iſt es er-
laubt alle Feinde gefangen zu nehmen,
ſo wohl in ſo ferne ſie auf irgend eine
Art ſich der Wiederherſtellung unſers
Rechts widerſetzen, oder das Ende
des Krieges verhindern, als auch nach

der
[878]IV. Theil 8. Hauptſtuͤck.
der Art des Buͤrgerfangs (§. 1164.),
und
derowegen kann man nicht nur die
Soldaten und ihre Officirer, ſondern
auch vornehme Frauen und Jung-
frauen, Maͤnner, ſo in anſehnlichen
Wuͤrden ſtehen, und die Republick
verwalten, und alle andere Perſonen
wegnehmen
(angef. §.).


§. 1194.

Ob die
Gefan-
genen
Knechte
werden.

Weil man die Feinde gefangen nimmt,
theils daß ſie der Wiederherſtellung un-
ſers Rechts nicht hinderlich fallen ſollen,
theils daß unſer Gegner bewogen werde den
Krieg zu endigen, und uns unſer Recht zu-
kommen zu laßen (§. 1192. 1193.), hierzu
aber genug iſt, daß man ſie ſo lange aufbe-
halte, bis ſie von den ihrigen frey gemacht
werden; ſo werden die Gefangenen na-
tuͤrlicher Weiſe keine Knechte (§. 947.),
doch aber koͤnnen ſie, nach Maßge-
bung der verdienten Strafe wegen ei-
nes begangenen Verbrechens in die
Knechtſchaft gebracht werden,
da ih-
nen die Freyheit genommen wird (§. 1048.).
Wenn unter den kriegenden Voͤlckern
Vertraͤge uͤber die Befreyung der Ge-
fangenen errichtet ſind, ſo muͤßen ſie,

weil man das verabredete zu halten verbunden
iſt (§. 438.), nach bezahlten Gelde aus-
geliefert werden.


§. 1195.
[879]Von dem Rechte der Voͤlcker im Kriege.
§. 1195.

Die Verheerung feindlicher SachenVon der
Verhee-
rung der
Sachen.

(vaſtatio rerum hoſtilium) iſt diejenige Hand-
lung, vermoͤge welcher man, da man jene
verdirbt, dem Feinde ſchadet, ſich aber da-
durch keinen Gewinn ſtiftet. Dieſe nun iſt
nicht erlaubt, auſſer in ſo ferne wir oh-
ne dieſelbe unſer Recht nicht erhalten
koͤnnen, oder die Kraͤfte des Feindes
geſchwaͤchet, und die unſrigen ver-
mehret werden, oder wenn es geſchieht
zur rechtmaͤßigen Strafe
(§. 1170.
1193.). Daher iſt es erlaubt die feind-
lichen Aecker zu verderben, Fruͤchte
und Saat auf denſelben zu zertreten,
Gebaͤude niederzureiſſen, Gaͤrten und
Weinberge auszurotten, wenn es die
Aufſchlagung des Lagers, die Bela-
gerung der Staͤdte und die Schlach-
ten erfordern:
hingegen iſt es uner-
laubt, Staͤdte, Flecken, Doͤrfer aus-
zurotten, oder zu verwuͤſten, nachdem
ſie in unſre Bothmaͤßigkeit gekommen
ſind, es ſey denn, daß ein Verbrechen
begangen worden, das eine ſolche
Strafe verdienet.
Auf eben dieſe Art
verſtehet ſich, daß die Schleifung der
Feſtungen, nachdem ſie erobert wor-
den, erlaubt ſey, wenn wir fuͤr gut be-
finden dieſelben zu verlaſſen; hingegen
aber iſt die Verwuͤſtung der Graͤber,
der Grabmaͤhler, und der heiligen Sa-

chen
[880]IV. Theil 8. Hauptſtuͤck.
chen unerlaubt. Da uns kein Recht uͤber
ein anderes Volck des Unterſchiedes der Re-
ligion halber, wenn es auch gleich hoͤchſt ab-
goͤttiſch waͤre, zuſtehet (§. 1173.); ſo muß
man auch deswegen keine heilige Sa-
chen verwuͤſten, weil wir glauben, daß
ſie zum Aberglauben, oder zur Abgoͤt-
terey gehoͤren.


§. 1196.

Von
dem was
in einem
friedli-
chen Ge-
biete
nicht er-
laubt iſt.

Weil ſich niemand auf einem fremden Ge-
biete einiges Recht anmaſſen kann (§. 1121.);
ſo iſt nicht erlaubt auf einem friedli-
chen Gebiete Feinde und feindliche
Sachen wegzunehmen, noch auch ge-
fangene Perſonen und genommene Sa-
chen durch daſſelbe zu fuͤhren.
Dies
ſtreitet auch mit dem Neutralitaͤtsbuͤndniß,
wenn dergleichen geſchloſſen worden (§.
1181.).


§. 1197.

Von de-
nen, ſo
vor dem
Kriege in
ein feind-
liches Ge-
biet ge-
kommen
ſind.

Weil den Fremden, ſo ſich auf unſerm Ge-
biete aufhalten, ein ſicherer Zutritt erlaubt
iſt, und ihnen deswegen auch ein ſicherer Ab-
zug muß verſtattet werden (§. 1131.); ſo
muß man, wenn die Ankuͤndigung des
Krieges geſchehen, in der Bekantma-
chung denen Fremden, welche Buͤrger
der Feinde ſind, anbefehlen, daß ſie
ſich binnen einer beſtimmten Zeit weg-
begeben ſollen, nach deren Verfluß
ſind ſie fuͤr Feinde anzuſehen,
und folglich
koͤnnen
[881]Von dem Rechte der Voͤlcker im Kriege.
koͤnnen ſie als Gefangene zuruͤck be-
halten werden
(§. 1192.). Unterdeſſen
da man niemand weiter zu etwas verpflich-
ten kann, als was in ſeiner Gewalt iſt (§.
60.); ſo muß man dem, der durch ei-
ne groͤſſere Kraft,
z. E. durch eine Kranck-
heit, an welcher er darnieder liegt, verhin-
dert wird, daß er ſich binnen der vor-
geſchriebenen Zeit nicht wegmachen
kann, eine Friſt verſtatten.


§. 1198.

Feindliche bewegliche Sachen kannVon den
bewegli-
chen Sa-
chen auf
dem
feindli-
chen Ge-
biete.

man auf ſeinem Gebiete, indem es er-
laubt iſt ſie wegzunehmen, nach Art einer
Schuld und Strafe einziehen, und den
Schuldnern der Feinde, die unſre Buͤr-
ger ſind, verbieten, daß ſie waͤhren-
des Krieges denen Glaͤubigern nichts
bezahlen ſollen, ja man kann auch be-
fehlen, daß ſie es, wenn der Zahltag
kommt, uns zahlen muͤßen.


§. 1199.

Weil ein Fremder, der unbewegliche Guͤ-Von den
unbe-
wegli-
chen.

ther in einem fremden Gebiete beſitzet, als
Beſitzer derſelben ein Unterthan des Herrn
von dem Gebiet iſt (§. 1125.); ſo ſind die
unbeweglichen Guͤther, die von einem
Fremden im feindlichen Gebiete be-
ſeſſen werden in Abſicht auf den Herrn
des Gebietes keine feindliche Sachen,
ſondern vielmehr in Abſicht auf den,

Nat. u. Voͤlckerrecht. K k kdeſſen
[882]IV. Theil 8. Hauptſtuͤck.
deſſen Buͤrger er iſt, oder in deſſen Gebie-
te er ſeine beſtaͤndige Wohnung hat.


§. 1200.

Von
Contri-
butionen
im Krie-
ge.

Weil demjenigen, welcher einen rechtmaͤſ-
ſigen Krieg fuͤhret, auch die Kriegsunkoſten
gebuͤhren (§. 1190.), man aber den Beytrag
am Gelde und andern gleichguͤltigen Dingen,
die von den feindlichen Unterthanen zur Er-
haltung der Armee aufgebracht werden, Krie-
gescontributionen
(contributiones mili-
tares)
zu nennen pfleget; ſo kommt dem,
der rechtmaͤßig krieget, das Recht zu
Kriegscontributionen auszuſchreiben
und beyzutreiben, doch nach Maaß-
gebung des Vermoͤgens dererjenigen,
welche ſolche leiſten ſollen
(§. 60.).


§. 1201.

Von
Pluͤnde-
rungen.

Pluͤnderungen(direptiones) ſind Hand-
lungen der Soldaten, da ſie bewegliche Sa-
chen aus den feindlichen Haͤuſern, oder andern
Oertern, worinn ſie aufbehalten, oder ver-
borgen werden, wegnehmen. Es ſind alſo
die Pluͤnderungen erlaubt, wenn die
rechtmaͤßigen Contributionen nicht ab-
getragen werden,
weil ſie alsdenn zur Er-
fuͤllung des Rechts geſchehen (§. 793.), gleich-
wie ſie auch erlaubt ſind, wenn ſie in-
nerhalb den Schrancken der verdien-
ten Strafe erfolgen
(§. 1190.). Jedoch
aber muͤßen bey den Pluͤnderungen der
Staͤdte und Haͤuſer die Sachen, welche
zu pluͤndern vorkommen, nicht ver-

wuͤſtet
[883]Von dem Rechte der Voͤlcker im Kriege.
wuͤſtet werden, auſſer zu einer gerech-
ten Strafe
(§. 1195.).


§. 1202.

Beute ſind die beweglichen feindlichen Sa-Von der
Beute.

chen, ſo im Kriege von den Soldaten weg-
genommen werden; folglich iſt die Berau-
bung der Feinde in einem rechtmaͤßi-
gen Kriege, bey ieder gegebener Gele-
genheit, erlaubt (§. 1200.), und was
in Pluͤnderungen genommen wird, ge-
hoͤret zur Beute
(§. 1201.). Weil aber
im Kriege alles kraft des Rechtes der hoͤch-
ſten Gewalt
(§. 1169.) geſchieht; ſo iſt
auch die Beute derſelben zugehoͤrig,
und es kommt weder den Soldaten,
welche die feindlichen Sachen ergrei-
fen, noch auch ihren Officirern, ja
auch nicht denen Huͤlfstruppen einiges
Recht zur Beute zu.
Weil aber doch die
hoͤchſte Gewalt nach Belieben uͤber das ihri-
ge Einrichtung machen kann (§. 195.); ſo
ſtehet es bey ihr, was ſie den Solda-
ten, oder ihren Officirern vor ein Recht
zur Beute goͤnnen will, und ſie kann
auch der Beute wegen mit dem, der
die Huͤlfe ſchickt, uͤbereinkommen.


§. 1203.

Weil Verſtellung, Unwahrheit und Verhee-Ob Be-
trug im
Kriege
erlaubt
ſey, u. von
Krieges-
liſten.

lung mit einem gemeinſchaftlichen Nahmen
Betrug(dolus) genennet werden; ſo iſt
nicht zu zweifeln, wenn man durch
Betrug eben das erhalten kann, was

K k k 2durch
[884]IV. Theil 8. Hauptſtuͤck.
durch offenbare Gewalt zu erhalten
erlaubt iſt, daß er nicht ſollte im Krie-
ge erlaubet ſeyn,
indem er wenigern Scha-
den als die offenbare Gewalt bringet. Un-
terdeſſen
weil das Verſprechen gehalten wer-
den muß (§. 388.), und wider den Verſpre-
cher fuͤr wahr zu halten iſt, was er verſpricht
(§. 318.); ſo gilt er nicht anders als
auſſer einer Rede, darinn etwas zuge-
ſaget wird.
Weil Kriegesliſten(ſtra-
tagemata)
unvermuthete kriegeriſche Hand-
lungen ſind, welche ſo wohl in der Gewalt,
als auch im Betruge beſtehen; ſo ſind auch
dieſe erlaubt.


§. 1204.

Von der
kriegeri-
ſchen Er-
oberung.

Eine kriegeriſche Eroberung(occu-
patio bellica)
iſt die Handlung, da man feind-
liche Sachen, ſonderlich unbewegliche, als
Staͤdte und Laͤnder, durch Gewalt der Waf-
fen in ſeine Bothmaͤßigkeit bringet. Da in
einem rechtmaͤßigen Kriege rechtmaͤßiger Ur-
ſachen wegen erlaubet iſt dem Feinde alles zu
entreiſſen (§. 1190. 1193.); ſo erhaͤlt man
durch eine kriegeriſche Eroberung ein
Eigenthum uͤber die dem Feinde ent-
riſſenen Sachen: was
aber die beweg-
lichen Sachen anlanget, ſo haͤlt man
ſie nicht eher fuͤr eingenommen, als
man uͤber dieſelbe nach Gefallen Ver-
fuͤgung machen kann
(§. 200.). Und
weil die buͤrgerliche Herrſchaft gleichſam an
dem Lande hanget (§. 1125.), und als eine
uncoͤr-
[885]Von dem Rechte der Voͤlcker im Kriege.
uncoͤrperliche Sache dem Eigenthum unter-
worfen werden kann (§. 206.); ſo iſt, wenn
Staͤdte und Laͤnder eingenommen
ſind, die Herrſchaft zugleich mit ein-
genommen, wer
folglich darinn woh-
net, der wird ein Unterthan des Ero-
berers
(§. 996.), und hoͤret auf ein Feind
zu ſeyn (§. 1184.); und derowegen ſtehet
das nicht mehr gegen ſolche Perſonen
frey, was wider einen Feind erlaubt
war, ſondern das bleibt nur erlaubt,
was kraft des Rechts der Herrſchaft
gegen die Unterthanen erlaubt iſt.
Ue-
brigens da die Herrſchaft das Eigenthum des
Volckes (§. 1130.), und das vorzuͤgliche Ei-
genthum, wie auch die vorzuͤgliche Gewalt
mit in ſich begreift (§. 1065.); ſo wird,
wenn Staͤdte und Laͤnder eingenom-
men ſind, auch das Eigenthum des
Volcks zuwege gebracht, oder was
zum Eigenthum eines Volckes in den-
ſelben gehoͤret, nebſt dem vorzuͤglichen
Eigenthum und der vorzuͤglichen Ge-
walt.


§. 1205.

Da die Herrſchaft urſpruͤnglich eine demWas
man vor
eine Herꝛ-
ſchaft
uͤber die
uͤbeꝛwun-
denen er-
halte.

Volcke eigenthuͤmliche Sache iſt (§. 979.), ſo
iſt ſie an ſich betrachtet eine ſolche, wie ſie bey
dem Volcke iſt. Wenn man derowegen
durch eine kriegeriſche Eroberung ſich
die Herrſchaft zuwege bringt, ſo wird
eine ſolche zuwege gebracht uͤber die

K k k 3uͤber-
[886]IV. Theil 8. Hauptſtuͤck.
uͤberwundenen, dergleichen bey dem
Volcke iſt; es ſey denn, daß es durch
einen Vertrag, den man halten muß,
anders ausgemacht worden
(§. 438.).
Es iſt dieſer naͤmlich eben ſo viel als ein
Grundgeſetz, vermoͤge deſſen die Herrſchaft
auf den Regenten des Staats gebracht wird
(§. 989.). Daher wenn der Ueberwin-
der die Herrſchaft ohne einen Vertrag
erhaͤlt, ſo kann er die Forme der Re-
publick nach Belieben aͤndern, und ſo
kann er auch uͤber die Art die Herr-
ſchaft zu beſitzen nach ſeinem Willkuͤhr
Einrichtung machen.
Weil aber in ei-
nem herrſchaftlichen, oder deſpotiſchen Reiche
alle Unterthanen eine perſoͤnliche Knechtſchaft
uͤbernehmen (§ 999.); ſo koͤnnen die Un-
terthanen keiner herrlichen Herrſchaft,
es ſey denn nach Maaßgebung einer
gerechten Strafe unterworfen wer-
den
(§. 1194.).


§. 1206.

Wenn
ehr dem
Feinde
keine Ge-
walt
uͤber die
Perſon
zukom̃t.

Wider denjenigen, welcher ſich der
Gewalt des Feindes nicht widerſetzet,
kommet
auch, da man gegen ihn keine Ver-
theidigung noͤthig hat (§. 90.), dem Fein-
de keine Gewalt zu
(§. 1192.). Dero-
wegen muß man den Soldaten keine
Nothzuͤchtigungen verſtatten,
zumahl
da ſie ſchon an ſich unerlaubt ſind (§. 862.),
noch auch iſt es erlaubt die Brunnen
zu vergiften,
als woraus auch die Waſſer
zu
[887]Von dem Rechte der Voͤlcker im Kriege.
zu ſchoͤpfen pflegen, ſo ſich der Gewalt der
Feinde nicht widerſetzen.


§. 1207.

Weil aber wider einen Feind, ſo langeVon der
Anfopfe-
rung der
Feinde
mit Gift.

er der Wiederherſtellung unſers Rechts wi-
derſtehet, ſo viel erlaubt iſt, als die unge-
rechte Gewalt abzutreiben hinreichet (§. 90.
1192.); ſo iſt es erlaubt ihn mit Gift
hinzurichten,
folglich kann man ſich
auch im Kriege vergifteter Kugeln
und Pfeile bedienen, und das Waſſer
alſo ohne Gift verderben, daß es nicht
kann getruncken werden
(§. 1193.).
Denn es iſt erlaubt den Feind zu zwingen,
daß er ſich der unrechtmaͤßigen Gewalt ent-
halten muß.


§. 1208.

Spionen(exploratores) ſind diejenigen,Von
Spio-
nen.

welche heimlich zum Feinde kommen, um zu
erforſchen, wie es mit ihm ſtehe, und was er
wider uns vorhabe. Weil uns nun dieſes
vortheilhaftig iſt zu wiſſen, unſre Kriegs-
handlungen, ſo zur Verfolgung unſers Rechts
gehoͤren, zu beſtimmen; ſo iſt es erlaubt
Spionen abzuſchicken.
Weil ſie aber
demjenigen ſchaden, welchem ſie zugeſchickt
werden, ſo hat der, ſo die Waffen recht-
maͤßig ergriffen, das Recht ſie zu ſtra-
fen.


§. 1209.

Ein Meuchelmoͤrder(percuſſor) iſtVon
Meu-
chel moͤr-
dern.

der, ſo um Lohn gedungen den Feind durch
K k k 4hin-
[888]IV. Theil 8. Hauptſtuͤck.
hinterliſtige Nachſtellungen und Betrug toͤd-
tet. Weil nun im Kriege der Betrug er-
laubt iſt (§. 1203.); ſo iſt natuͤrlicher
weiſe es nicht verbothen ſeinen Feind
durch einen beſtellten Meuchelmoͤrder
zu toͤdten (§. 1192.). Ertappet
aber
ein rechtmaͤßiger Krieger dergleichen
Leute, ſo kann er ſie zur Strafe toͤd-
ten
(§. 1189. 1048.)


§. 1210.

Von den
Feindſe-
ligkeiten
die von
einer Pri-
vatper-
ſon un-
ternom-
men wer-
den.

Weil das Recht zum Kriege der hoͤchſten
Gewalt zuſtehet (§. 1066. 1169.); ſo ſind
denen Unterthanen eines Kriegenden
die Feindſeligkeiten ohne ausdruͤckli-
chen erhaltenen Befehl, oder Erlaub-
niß der hoͤchſten Gewalt, die wenig-
ſtens ſtillſchweigend ſeyn muß,
daß
man die Genehmhaltung billig zu vermuthen
hat, weil das was im Kriege geſchieht von
groſſer Wichtigkeit iſt, nicht erlaubt: ja
ſie ſind auch nicht einmal denen Sol-
daten ohne Befehl oder Verguͤnſti-
gung ihrer Officirer, wie ſie ihnen
nach den Schrancken ihres Dienſtes
befehlen koͤnnen, erlaubt.


§. 1211.

Vom
Waffen-
ſtillſtand.

Ein Waffenſtillſtand(induciæ) iſt
die Einſtellung der Kriegshandlungen bey bey-
den kriegenden Theilen auf eine gewiſſe ver-
abredete Zeit. Er wird alſo durch einen
Vertrag aufgerichtet
(§. 438.); folglich
muß man, woruͤber man darinn uͤber-
einge-
[889]Von dem Rechte der Voͤlcker im Kriege.
eingekommen, halten (angef. §.). Durch
den Waffenſtillſtand wird der Krieg
nicht geendiget, ob man ihn gleich auf
lange Zeit eingegangen iſt; und wenn
er zum Ende iſt, ſo gehen die Feindſe-
ligkeiten gleich wieder an, man ge-
braucht aber dabey keine neue Kriegs-
ankuͤndigung
(§. 1183.). Damit diejeni-
gen, welchen daran gelegen iſt, wiſſen, daß
man einen Waffenſtillſtand getroffen habe; ſo
muß er, ſo bald man ſich daruͤber ver-
einigt hat, bekannt gemacht werden.

Da die Verbindlichkeit derer ſich vertragen-
den aus einem Vertrag kommt; ſo haben
diejenigen, welche ſich vertragen, ſo
bald als der Vertrag uͤber den Waf-
fenſtillſtand zur Vollkommenheit ge-
diehen iſt, gleich die Verbindlichkeit
dazu uͤber ſich:
es iſt aber vor ſich klar,
daß ſolcher die Unterthanen nicht eher
verbinden koͤnne, als von der Zeit der
Bekantmachung an, wenn nicht aus-
druͤcklich feſte geſetzet worden, von
welchem Tage er anheben ſolle.
Es
wird aber der Waffenſtillſtand allgemein
(induciæ univerſales) genennet, worinn alle
kriegeriſche Handlungen eingeſtellet ſind; hin-
gegen iſt er beſonders(induciæ particula-
res),
wenn nur einige aufhoͤren. Da im
Kriege alles Recht der hoͤchſten Gewalt zuſte-
het (§. 1066. 1169.); ſo kann ein allge-
meiner Waffenſtillſtand nur allein von

K k k 5denen,
[890]IV. Theil 8. Hauptſtuͤck.
denen, welche die hoͤchſte Gewalt ha-
ben, errichtet werden; es koͤnnen ihn
aber auch die geringern Gewaltigen
nach Maaßgebung der Graͤntzen ihres
Amts ſchlieſſen
(§. 1155.). Weil die
Handlungen eines Privatmannes
der
hoͤchſten Obrigkeit, wenn ſie nicht dazu den
Befehl gegeben, oder ſie gut heiſſet, nicht
zugerechnet werden kann (§. 26.); ſo zer-
reiſſet ſolche den Waffenſtillſtand nicht,
doch aber muß die Privatperſon ge-
ſtrafet, und das geraubte wiedergege-
ben werden,
weil man es ſonſt gut heiſſen
wuͤrde. Jndem der Waffenſtillſtand ſo wohl
den Perſonen, als den Sachen Sicherheit
verſchaffet; ſo iſt es zur Zeit des Waf-
fenſtillſtandes erlaubt hin und her bald
hier bald da hinzugehen, nicht aber iſt
vergoͤnnt die Oerter, ſo nicht bewachet
werden, einzunehmen.
Weil aber ein
Feind die verlaſſenen Oerter nicht mehr
haben will (§. 203.); ſo kann man dieſe
einnehmen.
Endlich weil zu der Zeit des
Waffenſtillſtandes alles in dem Stande blei-
ben muß, worinn es iſt, und folglich nichts
zum Nachtheil des Feindes geſchehen darf,
was man nicht ohne einen verglichenen Waf-
fenſtillſtand haͤtte thun koͤnnen; ſo iſt bey fort-
waͤhrenden Waffenſtillſtand nicht er-
laubt den Wall, der durch das Ge-
ſchuͤtz des Feindes zerſchoſſen worden,
wiederum zu ergaͤntzen, noch auch ei-

ner
[891]Von dem Rechte der Voͤlcker im Kriege.
ner in Noth liegenden Stadt Huͤlfe
und andere Nothwendigkeiten zuzu-
ſchicken: doch aber iſt einem erlaubt
mit der Armee innerhalb ſeinen Gren-
tzen zuruͤck zu gehen, die Mauern wie-
der auszubauen, und Soldaten zu
werben.


§. 1212.

Sicher Geleite(commeatus) iſt dasVom
ſichern
Geleite.

Recht ſicher hin und her zu gehen, welches
ſo wohl den Perſonen, als auch den Sachen
vergoͤnnet wird: Die Verguͤnſtigung
hierzu iſt ein Privilegium
(§. 1047.).
Weil ein Privilegium, ſo einer Perſon gege-
ben iſt, nicht muß weiter als auf dieſelbe aus-
gedehnet werden (§. 400.); ſo kann, wenn
einer Perſon ein ſicher Geleite gegeben
worden, ſich deſſen nicht eine andere
Perſon bedienen, und wenn es der Va-
ter erhalten hat, faſſet es nicht den
Sohn und die Frau in ſich: wem al-
ſo zu kommen erlaubt iſt, der kann kei-
nen andern ſchicken.
Jndem es aber
gleich viel iſt, durch wen die Sachen fortge-
bracht werden; ſo koͤnnen die Sachen,
wenn auf ſie ein ſicheres Geleite er-
theilet worden, durch iemand anders,
als deſſen ſie ſind, an den beſtimmten
Ort geſchaffet werden.
Dieweil das ſi-
chere Geleite lediglich auf dem Willen deſſen,
der es giebet, beruhet, und auch dies die Ab-
ſicht, weswegen es gegeben worden, anzeiget;
ſo
[892]IV. Theil 8. Hauptſtuͤck.
ſo verſtehet es ſich, daß demjenigen,
welchem wegzugehen, oder durchzuge-
hen vergoͤnnet worden, nicht auch
wieder zu kommen vergoͤnnet ſey: und
wem eines gewiſſen Geſchaͤftes halber
Sicherheit ertheilet iſt, dem iſt ſie ver-
ſtattet, bis das Geſchaͤfte ein Ende
hat.
Gleichergeſtalt wem das ſichere
Geleit einer Reiſe wegen gegeben
wird, ſo ſchlieſſet daſſelbe auch die
Ruͤckkunft ein, und es werden auch
darunter die Sachen, ſo man auf die
Reiſe mit zu nehmen pfleget, und ein,
oder der andere Diener, ohne welchen
es zu reiſen unanſtaͤndig waͤre, mit
begriffen.
Damit aber daruͤber kein Streit
entſtehe, ſo iſt es rathſamer, daß dies alles
in der Schrift, worinn das ſichere Geleite
ertheilet wird, deutlich ausgedruckt werde.


§. 1213.

Von dem
Ran-
tzions-
gelde.

Da ein iedweder ſein Recht nach Gefallen
auf einen andern bringen kann (§. 314.);
ſo kann auch der Preis der Ranzion ei-
nes Gefangenen auf einen andern ge-
ſchrieben werden.
Und weil Vertraͤge ge-
halten werden muͤßen (§. 438.); ſo kann
der Vertrag uͤber den Preis nicht auf-
gehoben werden, weil man glaubt,
daß der Gefangene reicher ſey, als man
vermuthete.
Und da dasjenige nicht ero-
bert wird, was der Gefangene heimlich
bey ſich hat, oder ihm nicht genom-

men
[893]Von dem Rechte der Voͤlcker im Kriege.
men wird, und alſo das ſeinige blei-
bet (§. 1204.); ſo kann dies zum Aus-
loͤſungsgelde angerechnet werden.
Weil
man aber zur Befreyung des Gefangenen
zahlet; ſo iſt man kein Rantzionsgeld
ſchuldig, wenn der Gefangene ſtirbt,
da das Geld noch nicht gezahlet iſt,
ehe ihm die Erlaubniß wegzugehen
gegeben worden, oder auf der Reiſe,
als er zu den Feinden gebracht werden
ſollte:
hingegen iſt man es ſchuldig,
wenn er in der Freyheit ſtirbt, oder
wenn er nur zur Sicherheit der
Schuld,
als ein Pfand, zuruͤckbehalten
wird
(§. 697.). Endlich weil derjenige,
welcher einen Gefangenen fuͤr ein gewiſſes
Geld auf freyen Fuß ſtellet, nur verbunden
iſt ihm eine ſichere Ruͤckkehr zu den ſeinigen
zu verſchaffen; ſo muß er, nachdem er
bey den ſeinigen angelanget iſt, wenn
er aufs neue von einem andern gefan-
gen wird, und das vorige Loͤſegeld
noch nicht abgetragen hat, es zwey-
mahl bezahlen.


§. 1214.

Die Wiederherſtellung der von dem FeindeVon dem
Rechte
der Wie-
derkunft
zu den
ſeinen, ſo
ferne es
im Rech-
te der

genommenen, und in die Bothmaͤßigkeit ſei-
nes Volckes wieder kommenden, und in vo-
rigen Zuſtand tretenden Sachen und Perſo-
nen nennet man das Recht der Wieder-
kunft zu den ſeinen
(poſtliminium). Weil
die hoͤchſte Gewalt verbunden iſt ihre Unter-
thanen
[894]IV. Theil 8. Hauptſtuͤck.
Natur
gegruͤn-
bet iſt.
thanen und deren Rechte wider die aͤuſſerli-
che Gewalt der Feinde zu vertheidigen (§.
972.), und ein ungerechter Krieger natuͤrli-
cher weiſe durch eine kriegeriſche Einnehmung
kein Recht uͤber die weggenommenen Sachen
und gefangenen Perſonen erhalten kann (§.
1189.); ſo werden allerdings die mit
unrechtmaͤßiger Gewalt von dem Fein-
de weggenommenen Sachen und Per-
ſonen, wenn ſie wiederum zu den ih-
rigen kommen, in den vorigen Zuſtand
geſetzet.
Und hieraus erhellet, in wie fern
das Recht der Wiederkunft zu den ſeinen zum
Recht der Natur gehoͤre: wiefern es aber
zum Voͤlckerrecht zu rechnen ſey, ſoll bald ge-
lehret werden. Hingegen aber, was diejeni-
gen anlanget, welche ſich und das ihri-
ge dem Feinde uͤbergeben haben; ſo ge-
nieſſen dieſe, und die Sachen, ſo ihnen
zugehoͤret, das Recht der Wiederkunft
nicht,
dieweil ſie eben dadurch ſich anheiſchig
gemacht haben, daß ſie und ihre Sachen dem
Feinde zugehoͤren wollen und ſollen, und ihm
daher dieſes Recht nicht wiedergenommen wer-
den kann (§. 100.). Wenn aber Perſonen
losgelaſſen, oder ſchuldige Sachen von
ihm verlaſſen werden; ſo genieſſen ſie,

weil der Feind hiermit andeutet, daß er ſie,
ohne daß ſein Recht fernerhin im Wege ſte-
hen werde, nicht mehr haben wolle, das Recht
der Wiederkunft.


§. 1215.
[895]Von dem Rechte der Voͤlcker im Kriege.
§. 1215.

Dieweil die Geſchaͤfte unter den VoͤlckernVon dem
will kuͤhr-
lichen
Recht
der Voͤl-
cker im
Kriege.

endlich einmal einen Ausgang gewinnen muͤſ-
ſen, beyde kriegeriſche Theile aber eine recht-
maͤßige Urſach zum Kriege gehabt zu haben
verlangeu, und die Voͤlcker, vermoͤge der na-
tuͤrlichen Freyheit, ſo ihnen zukommt (§.
1089.), einander zu geſtatten verbunden ſind,
daß ein iegliches bey ſeiner Meynung bleibe
(§. 78.), ja es auch in gemeiniglich zweifel-
haften Sachen nicht leicht kann entſchieden
werden, und der Krieg doch nicht geſchickt iſt
eine ſolche Streitigkeit auszumachen (§. 1159.),
und es uͤberdem noch viel ſchwerer zu beſtim-
men iſt, ob ſich auch ein Kriegfuͤhrender, wenn
er gleich einen rechtmaͤßigen Krieg fuͤhret, nicht
ſeines Rechts im Kriege misbrauche (§. 1190.
u. f.), und dies folglich ſeinem Gewiſſen an-
heim geſtellet bleiben muß (§. 78.); ſo iſt
noͤthig, daß ein Werth von beyden
Theilen in Abſicht auf die Wuͤrckun-
gen fuͤr gerecht gehalten werde,
daß
naͤmlich ſich ein ieglicher einerley Rechts be-
diene, und man derowegen auch iedwedes
Gewiſſen uͤberlaſſe, was ihm zur Er-
haltung ſeines Rechts noͤthig zu ſeyn
ſcheinet.
Und eben darinn beſteht das will-
kuͤhrliche Voͤlckerrecht im Kriege (§. 1090.).


§. 1216.

Weil diejenigen Voͤlcker, welche ſich zuVon dem
Recht
der Wie-
derkunft

keinem Theil im Kriege ſchlagen, kein Recht
haben die Urſach des Krieges, oder ob dies,
oder
[896]IV. Theil 9. Hauptſtuͤck.
nach dem
Voͤlcker-
recht.
oder jenes im Kriege rechtmaͤßig geſchehe, zu
entſcheiden (§. 1215.); ſo muͤßen die Voͤl-
cker, ſo ſich nicht in einen Krieg mi-
ſchen, das, was ein ieglicher thut, fuͤr
rechtmaͤßig, oder von rechtswegen un-
ternommen halten,
und derowegen gilt
auch bey friedlichen Voͤlckern nach dem
willkuͤhrlichen Voͤlckerrecht kein Recht
der Wiederkunft
(§. 1214.). Nach eben
dem Rechte aber verſtehet ſich, daß dies
beyden kriegenden Theilen gemein-
ſchaftlich ſey.


Das neunte Hauptſtuͤck.


Von dem Frieden und dem
Friedensvertrag.


§. 1217.

Man ſoll
ſuchen
Frieden
zu behal-
ten.

Friede wird der Zuſtand genennet, dar-
inn wir mit keinem Krieg haben:
folglich weil wir mit keinem gewalt-
thaͤtig ſtreiten duͤrfen (§. 98.), ſo genieſ-
ſen wir im Frieden unſer Recht ruhig.

Weil kein Volck einem andern Unrecht anthun
(§. 1089.), und ſorgen ſoll, daß die Strei-
tigkeiten ohne Gewalt der Waffen beygeleget
werden moͤgen (§. 1157.), und es folglich
keine Urſach zum Kriege geben muß (§. 1158.);
ſo ſind die Voͤlcker natuͤrlicher Weiſe
verbunden den Frieden unter einander
zu bauen.
Und da die Menſchen ſich des-
wegen
[897]Von dem Frieden u. dem Friedensvertrag.
wegen in einen Staat begeben haben, daß
ſie ihr Recht ruhig genieſſen, und ſolches ſicher
von andern erhalten wollen (§. 972.); ſo iſt
auch ein Regent des Staats ſo wohl
ſeinen Unterthanen, als auch,
in ſo
fern die Natur ſelbſt die Voͤlcker in den groͤſ-
ſeſten Staat zuſammen gebracht hat (§.
1090.), andern Voͤlckern dies natuͤrli-
cher weiſe ſchuldig, daß er den Frieden
auf alle Art zu erhalten trachte,
folglich
muß er nicht nur ſelbſt den Krieg
moͤglichſt vermeiden, ſondern auch
Muͤhe anwenden, daß er andere ab-
tathe, daß ſie nicht leichtſinniger wei-
ſe einen Krieg anfangen.
Aus der Er-
klaͤrung aber des Friedens ſelbſt iſt klar, daß
zur Zeit eines Waffenſtillſtandes kein
Friede ſey (§. 1211.), und hingegen
der Krieg geendiget werde, wenn Frie-
de gemacht worden.


§. 1218.

Ein Stoͤrer der oͤffentlichen RuheVon
Stoͤrern
der oͤf-
fentlichen
Ruhe.

(turbator quietis publicæ) wird derjenige
genannt, welcher andere Voͤlcker mit unbe-
dachtſamen und unrechtmaͤßigen Kriegen an-
ſicht. Derowegen kommt allen Voͤlckern
das Recht zu die Stoͤrer der oͤffentli-
chen Ruhe zu zwingen, daß ſie ſolche
nicht ſtoͤren (§. 1090.). Wenn ſich
de-
rowegen ein Volck vor einem Stoͤrer
der oͤffentlichen Ruhe fuͤrchtet, ſo muß

Nat. u. Voͤlckerrecht. L l les
[898]IV. Theil 9. Hauptſtuͤck.
es bey zeiten Kriegsbuͤndniſſe mit an-
dern ſchlieſſen
(§. 1180.).


§. 1219.

Wie lan-
ge es er-
laubt
ſey den
Krieg
fortzu-
ſetzen.

Da man einen rechtmaͤßigen Krieg
um ſein Recht zu erlangen fuͤhret (§. 1170.);
ſo iſt es erlaubt denſelben ſo lange fort-
zuſetzen, bis man ſein Recht erlanget
hat,
folglich bis der eine entweder ei-
nen Vergleich anbietet, oder den an-
gebotenen annimmt
(angef. §.): aber wi-
der einen Stoͤrer der oͤffentlichen Ru-
he ſetzet man ihn ſo lange fort, bis
man vor die kuͤnftige Sicherheit hin-
laͤnglich geſorget hat (§. 1218.). Wenn

aber ein Krieger nicht kann vermocht
werden entweder billige Friedensbe-
dingungen anzubieten, oder anzuneh-
men;
ſo erhellet vor ſich, daß man den
Krieg fortſetzen muͤße, bis er gaͤntzlich
uͤberwunden worden,
daß er nicht laͤn-
ger widerſtehen kann.


§. 1220.

Welche
Friede
machen
koͤnnen.

Da der Krieg den hoͤchſten Maͤchten zu-
ſteht (§. 1169.); ſo koͤnnen auch nur die
hoͤchſte Maͤchte Friede machen.
Weil
aber ein Koͤnig, der noch ein Kind,
oder minderjaͤhrig, oder faſt ohne Ver-
ſtand,
z. E. raſend, oder wahnwitzig iſt, die
Verwaltung des Reichs nicht hat; ſo kann
er auch
deswegen nicht Frieden ſchlieſ-
ſen, und
folglich muͤßen das diejenigen
thun, denen die Verwaltung des

Reichs
[899]Von dem Frieden u. dem Friedensvertrag.
Reichs oblieget. Weil ein Anfaller des
Reichs, wenn ihm die Unterthanen Treue
zugeſagt haben, die hoͤchſte Herrſchaft hat,
und auswaͤrtige Voͤlcker es muͤſſen bey dem
Urtheil eines andern Volckes bewenden laßen
(§. 1089.); ſo iſt es erlaubt mit einem
Anfaller des Reichs, dem die Unter-
thanen gehuldiget haben, Friede zu
machen.
Da ein Koͤnig uͤber ſein vaͤterli-
ches Erbreich nach Gefallen Verfuͤgung tref-
fen kann (§. 986.); ſo kann ein gefan-
gen genommener Koͤnig, wenn ſein
Reich ein vaͤterliches Erbe iſt, Frieden
eingehen.
Weil aber dem Koͤnige durch
die Gefangenſchaft die freye Verwaltung ſei-
ner Herrſchaft genommen wird, und zu be-
ſorgen ſtehet, daß er zum Nachtheil ſeines
Volckes etwas zu verſprechen gezwungen wer-
de, was er in der Freyheit nicht wuͤrde ver-
ſprochen haben; ſo kann ein gefangener
Koͤnig, wenn ſein Reich nicht vom
Vater geerbt iſt, durch diejenigen, wel-
chen er die Verwaltung der Herrſchaft
aufgetragen hat, oder, wenn daruͤber
nichts verordnet worden, durch den,
der die naͤchſte Hoffnung ihm in der
Regierung zu folgen hat, Frieden ma-
chen.
Und weil er uͤber ſeine Privatſachen
nach eignem Belieben Einrichtung treffen
kann (§. 195.); ſo kann er auch Friede
machen, wenn er ſeine Privatſachen
ſchlechterdings,
oder ohne Bedingung, die
L l l 2oͤffent-
[900]IV. Theil 9. Hauptſtuͤck.
oͤffentlichen aber unter dem Beding der
Genehmhaltung verſpricht.


§. 1221.

Wie der
Friede
koͤnne
gemacht
werden.

Weil die Strenge der Gerechtigkeit erfor-
dert, daß ein ieder zu ſeinem Recht komme;
ſo muͤßte, wenn dieſe bey Schlieſſung des Frie-
dens beobachtet werden ſollte, ein Urtheil uͤber
die Gerechtigkeit des Krieges abgefaſſet, und
demjenigen, welcher einen rechtmaͤßigen Krieg
gefuͤhret, die Schuld abgetragen werden, de-
rentwegen der Krieg gefuͤhret worden, man
muͤßte ihm die Kriegsunkoſten wiedergeben,
und ihm wegen des in dem Kriege ſelbſt an-
gethanen Unrechts genug thun (§. 1190.),
was aber von einem rechtmaͤßigen Krieger
uͤber das Ziel der Schuld eingenommen wor-
den, muͤßte dem andern wiedergegeben, und
ihm wegen des Unrechts, ſo ihm durch den
Misbrauch des Rechts wiederfahren, Genuͤge
geleiſtet werden (§. 271.). Es erhellet gantz
leicht, wenn auf dieſe Art Friede gemacht
werden ſollte, ſo wuͤrde der Handel nimmer-
mehr zum Ende kommen. Daher kann man
nicht anders Friede ſtiften, als durch
Vergleich (§. 764.), und
deswegen wer-
den in dem Friedensvergleich weder
die Urſachen des Krieges, noch die
Streitigkeiten, welche uͤber das ge-
ſchehene im Kriege erreget werden
konten, geſchlichtet, indem kein Theil
den andern der Ungerechtigkeit bezuͤch-
tiget, und man vielmehr die anrathen-

den
[901]Von dem Frieden u. dem Friedensvertrag.
den Urſachen in Erwegung ziehet.
Weil die Amneſtie ein auf ewig feſtgeſetztes
Vergeſſen des vorhergegangenen Unrechts und
der Beleidigung iſt (§. 1056.); ſo liegt die-
ſelbe
zwar natuͤrlicher Weiſe in iedem
Friedensvertrag: damit man doch
aber vollkommen dazu verbunden ſey,
ſo muß man vor allen Dingen ſich
daruͤber vereinigen
(§. 667.).


§. 1222.

Da man in einem Vergleich das, wasWie man
im Frie-
densver-
trag et-
was ver-
abreden
koͤnne.

man unter einander verabredet, halten muß
(§. 764.); ſo muß man ſich im Frie-
densvertrag vergleichen, daß entwe-
der alles wieder auf die Art hergeſtel-
let werde, wie es vor dem Kriege war,
oder daß es in dem Stande bleibe, wie
es nunmehro iſt, oder daß eines und
das andere, ſo im Kriege weggenom-
men worden, wieder erſetzet, das uͤbri-
ge aber behalten, und daß uͤberdem
noch einige andere Dinge geleiſtet wer-
den.
Daraus folgt, daß alles das, wo-
von nichts geſagt worden, bleiben muͤſ-
ſe, wie es iſt.
Unterdeſſen weil der Han-
del kein Ende haben wuͤrde, wenn auch be-
wegliche Sachen wiederum hergeſtellet wer-
den ſollten; ſo werden, wenn gleich ver-
glichen iſt, daß das weggenommene
wiedergegeben werden ſoll, darunter
die beweglichen nicht mit begriffen,

L l l 3wo
[902]IV. Theil 9. Hauptſtuͤck.
wo nicht von einigen ausdruͤcklich
Meldung geſchehen.


§. 1223.

Worauf
ſich die
Amneſtie
nicht er-
ſtrecke.

Weil das ewige Vergeſſen des Unrechts
nur auf das geht, was im Kriege vorgegan-
gen iſt (§. 1221.); ſo ſind die Schulden,
die vor dem Kriege ſchon gemacht wa-
ren, ſo auch das vor demſelben zuge-
fuͤgte Unrecht, um deſſentwillen aber
der Krieg nicht gefuͤhret iſt, und fer-
ner die Schulden, ſo man waͤhrendes
Krieges anderswoher ſich zugezogen
hat, und dann das Unrecht, ſo man
uns auſſer dem Kriege angethan, und
endlich was man zur Kriegeszeit aus
Privatcontracten, oder durch eine
Mishandlung ſchuldig worden, nicht
als ſolche anzuſehen, welche durch den
Frieden erlaſſen waͤren.


§. 1224.

Von der
Wieder-
erſetzung
der Nu-
tzungen.

Da das Recht deſſen, dem etwas wieder
erſetzet werden ſoll, ſo bald der Friedensver-
trag zum Stande iſt, anhebet, wofern nicht
die Wiedererſetzung an einen gewiſſen Tag
gebunden worden (§. 438. 317.); ſo muͤſ-
ſen, wenn kraft des Friedens gewiſſe
Sachen wieder erſetzet werden ſollen,
auch von dem Tage der Einraͤumung
an die Nutzungen wiedergegeben wer-
den
(§. 228.).


§. 1225.
[903]Von dem Frieden u. dem Friedensvertrag.
§. 1225.

Weil die Sache alſo muß wiedergegebenEinige
Dinge,
welche
man bey
der Wie-
dererſe-
tzung zu
bemer-
cken hat.

werden, wie ſie im Kriege weggenommen
worden (§. 1222.); ſo muͤſſen, wenn ei-
ne Sache vermoͤge des Friedens wie-
der erſtattet werden ſoll, auch die mit
der Sache verbundenen Rechte wieder
erſtattet werden,
und derowegen iſt es
nicht erlaubt die Feſtungswercke, wel-
che vorhanden waren, als man ſie ein-
nahm, vor der Wiedergabe abzutra-
gen.
Und, wenn durch den Frieden ei-
nige Dinge wieder in den Stand geſe-
tzet werden ſollen, in welchen ſie vor
dem Kriege geweſen, ſo wird der letz-
te Zuſtand gemeynet, welcher ſich fand,
da der Krieg anfing;
indem man billig
dafuͤr haͤlt, daß die den Vertrag aufrichten-
den an denſelben gedacht haben (§. 810.),
woferne derſelbe nicht auf ein gewiſ-
ſes Jahr eingeſchraͤncket wird (§. 438.).
Wenn man ſich in einem Friedensver-
trag auf andere vorhergehende bezie-
het,
als welches nur der Kuͤrtze wegen ge-
ſchiehet, ſo muß alles das gelten, was
darinn von der verglichenen Sache
ausdruͤcklicher geſaget worden.


§. 1226.

Jn einem vaͤterlichen Erbreiche kannVon der
Veraͤuſ-
ſerung
der Herr-
ſchaft und

ein Koͤnig uͤber die Herrſchaft nach Belieben
die Einrichtung machen (§. 986.), folglich
kann der Koͤnig ſo wohl dieſelbe gantz,
L l l 4als
[904]IV. Theil 9. Hauptſtuͤck.
der Pri-
vatſachen
durch den
Frieden.
als auch einen Theil ohne Einſtim-
mung des Volcks veraͤuſſern.
Weil aber
in einem Reiche, wovon er nur die Nu-
tzung hat,
die Eigenthuͤmlichkeit der Herr-
ſchaft bey dem Volcke bleibt (angef. §.), ſo
gehoͤret die Einwilligung des Volcks
zur Veraͤuſſerung, und
folglich, weil
alle und iede einem Theile zu dem, was zur
Befoͤrderung ſeiner Wohlfahrt dienet, ver-
pflichtet ſind (§. 975.), auch die Einwil-
ligung desjenigen Theils, welcher ver-
aͤuſſert wird, oder wenigſtens muß
die Genehmhaltung deſſelben da ſeyn,
welche durch Handlungen zu Tage ge-
leget wird, indem ein Volck dem, der
ſich es aufs neue erworben hat, ohne
einigen Widerſpruch den Eid der Treue
leiſtet.
Unterdeſſen wenn man das Recht
Frieden zu machen ohne alle Ein-
ſchraͤnckung an den Koͤnig uͤbergeben
hat, ſo iſt er nicht erſt gehalten die
Einwilligung des Volcks zu ſuchen,

wenn naͤmlich kein Grundgeſetz im Wege ſte-
het, zu deſſen Beobachtung der Koͤnig ange-
wieſen waͤre (§. 984.). Was aber Privat-
ſachen und Perſonen anlangt, daruͤber
kann er ſich,
vermoͤge des vorzuͤglichen Ei-
genthums und der vorzuͤglichen Gewalt, nach
ſich ereignenden Faͤllen vergleichen
(§.
1065.).


§. 1227.

Von der
Wirkung

Weil man nach getroffenen Vergleich keine
Anfor-
[905]Von dem Frieden u. dem Friedensvertrag.
Anforderung erneuern kann, und man dadurchdes Frie-
dens.

den Zwiſt aufgiebt (§. 764.); ſo wird, nach
geſchloſſenen Frieden, der Krieg geen-
diget, und kann man derjenigen Ur-
ſache wegen, um welcher man gekrie-
get hat, nicht aufs neue einen Krieg
anfangen.


§. 1228.

Weil mit den Bundesgenoſſen derer, dieVon
Bundes-
genoſſen
im Krie-
ge.

den Frieden ſchlieſſen, eben der Krieg gewe-
ſen iſt, den man mit dieſen gehabt hat, und
nun aber uͤber die Endigung des Krieges Ver-
gleichsunterhandlungen getroffen worden (§.
1221.); ſo werden in dem Friedens-
vertrag auch die Bundesgenoſſen mit
begriffen,
folglich gehet ſie das Vergeſ-
ſen des Unrechts auch an (§. 1223.).
Sollte
aber mit ihnen ein beſonderer
Krieg vorgewaltet haben, ſo muß

auch mit ihnen der Friede ausdruͤcklich
gemacht werden.


§. 1229.

Der Friedensvertrag, als welcher we-Von der
Verbind-
lichkeit,
die aus
dem Frie-
densver-
trag
kommt.

gen der Fortdauer der oͤffentlichen Ruhe er-
richtet iſt, iſt ein Buͤndniß uͤber Sachen
(§. 1146.), und deswegen verbindet es
auch das Volck und die Nachfolger.
Jedoch aber verbindet es diejenigen, wel-
che den Vertrag machen, augenblick-
lich, ſo bald es zu ſtande gebracht wor-
den,
weil die Verbindlichkeit aus dem Ver-
L l l 5trage
[906]IV. Theil 9. Hauptſtuͤck.
trage kommt (§. 438.); die Unterthanen
aber und Soldaten nicht eher, als es
ihnen kund gethan worden,
weil ſie vor
der Bekantmachung nichts zuverlaͤßiges wiſ-
ſen koͤnnen.


§. 1230.

Vom
Frie-
dens-
bruch.

Man ſagt, der Friede werde gebro-
chen,
wenn der Friedensvertrag nicht ge-
halten wird, das iſt, wenn iemand etwas
thut, was er vermoͤge deſſelben nicht thun
konte, und ſollte, oder wenn er nicht thut,
was er um deſſelben willen thun ſollen und
koͤnnen. Jn eben dem Verſtande ſagt man
uͤberhaupt, daß ein iedes Buͤndniß ge-
brochen
werde. Derjenige bricht alſo
den Frieden, welcher um eben der Ur-
ſache halber, weswegen der Krieg ge-
fuͤhrt worden, oder um deswegen,
was darinn geſchehen iſt, kriegeriſche
Gewalt ausuͤbet (§. 1227.), ſo daß
auch die Bundesgenoſſen hierunter
mit begriffen ſind (§. 1228.); nicht
aber wird der Friede gebrochen, wenn
dies einer neuen Urſach wegen ge-
ſchieht,
als wohin der Friede nicht gezo-
gen werden darf (§. 1221.): folglich iſt
aus eben der Urſache kein Friedens-
bruch vorhanden, wenn man ſich gleich
nachher zu einem andern ſchlaͤgt, wel-
cher den, mit dem wir Friede gemacht
haben, mit Kriege uͤberzieht.
Es ver-
ſtehet
[907]Von dem Frieden u. dem Friedensvertrag.
ſtehet ſich auch aus der Erklaͤrung ſelbſt, daß
der Friede nicht gebrochen werde,
wenn es bey uns nicht ſtehet, daß
man im Frieden das Verſprechen er-
fuͤlle,
z. E. wenn man ſelbſt in Krieg ver-
wickelt iſt, und die verheiſſenen Huͤlfstrup-
pen, oder Subſidien nicht ſchicken kann, oder
die Sache, die gegeben werde ſollte, verloh-
ren gegangen iſt. Friedensartickel(ar-
ticuli pacis)
werden alle eintzelne Stuͤcke des
Vergleichs genannt, in welchen diejenigen
Dinge unterſchieden werden, woruͤber man
ſich beſonders verglichen hat. Es ſind aber
dieſelben entweder zuſammenhaͤngend
(connexi), wenn man ſich uͤber Sachen ver-
gleicht, welche zu einerley Handel gehoͤren,
oder ſie ſind verſchieden(diverſi), wenn
man uͤber Sachen einig wird, die zu ver-
ſchiedenen Haͤndeln gehoͤren. Daher iſt leicht
abzunehmen, daß der Friede, wenn er
gleich in verſchiedenen Artickeln ge-
brochen wird, doch in den uͤbrigen
fortdaure;
hingegen aber, wenn er von
iemand in zuſammenhangenden Ar-
tickeln gebrochen wird, der andere
nicht weiter verbunden ſey den Frie-
den zu halten
(§. 442.). Da aber eine
fremde That, wozu er nichts beygetragen
hat, niemand zugerechnet werden kann (§.
26.); ſo wird der Friede, wenn je-
mandes Unterthanen ohne ſeine Ein-

willi-
[908]IV. Theil 9. Hauptſtuͤck.
willigung, oder darauf erfolgte Ge-
nehmhaltung etwas thun, welches
wider den Friedensvertrag laͤuft,
nicht gebrochen,
dahingegen aber iſt er
gebrochen, wenn iemandes Untertha-
nen von dem andern Theil wider die
Friedensartickel beleidiget werden.


§. 1231.

Von der
Bekant-
machung
des Frie-
dens.

Die Bekantmachung des Friedens
(publicatio pacis) iſt ein Vertrag, durch
welchen ſo wohl den Soldaten, als den Un-
terthanen angedeutet wird, daß Friede ge-
macht und folglich der Krieg geendiget ſey
(§. 1227.). Derowegen muß er den
Soldaten ohne allen Verzug
bekant ge-
macht werden (§. 1174.): Weil aber die
Nothwendigkeit, welche ſich findet auf Sei-
ten der Soldaten, nicht einerley iſt mit der,
ſo ſich auf Seiten der Unterthanen antref-
fen laͤßet, ſo kann er denen Untertha-
nen bekant gemacht werden, wenn es
gelegen zu ſeyn ſcheinet.


§. 1232.

Von der
Rebel-
lion.

Rebellen werden Unterthanen genennet,
welche unrechtmaͤßige Waffen wider den Re-
genten des Staats ergreifen, daß ſie ihn
naͤmlich entweder ſeiner Herrſchaft berauben,
oder zur Annehmung gewiſſer Bedingungen
zwingen wollen. Und dieſer Zuſtand heißt ei-
ne Rebellion.


§. 1233.
[909]Von dem Frieden u. dem Friedensvertrag.
§. 1233.

Von der Rebellion iſt der buͤrgerlicheVom
buͤrger-
lichen
Kriege.

Krieg, in welchem die Unterthanen die
Waffen rechtmaͤßig wider den Regenten des
Staats ergreifen, unterſchieden. Dieſer
nun iſt in einem ieglichen Falle, da
man dem Regenten des Staats wi-
derſtehen darf, erlaubt
(§. 1097.).


§. 1234.

Von der Rebellion und dem buͤrgerlichenVom
Tumult.

Kriege muß ein Tumult unterſchieden
werden, worinn die zuſammengelauffene
Menge den Obrigkeiten, oder andern kleinen
Gewaltigen, oder ihren Sachen, ſo dann
auch Privatperſonen und ihren Sachen, Ge-
walt anthut, oder wenigſtens anzuthun dro-
het. Weil die oͤffentliche Ruhe durch einen
Tumult beleidiget wird; ſo iſt dieſer ein
oͤffentliches Verbrechen,
oder eine Miſ-
ſethat
(§. 1030.). Derowegen koͤnnen
diejenigen, welche einen Tumult er-
regen, oder unterhalten, und ſich in
denſelben miſchen,
weil ſie Verbrechens
ſchuldige ſind, nach Beſchaffenheit der
Umſtaͤnde geſtrafet werden
(§. 1030.
1048.).


§. 1235.

Weil die hoͤchſte Gewalt, die denDaß
man das
den Re-
bellen

Rebellen und Tumultuanten, um die
Rebellion, oder den Tumult zu ſtillen,

etwas
[910]IV. Theil 10. Hauptſtuͤck.
und den
Tumul-
tuanten
gethane
Verſpre-
chen hal-
ten muͤſ-
ſe.
etwas verſpricht, vermoͤge ihres Rechts
wider die Rebellen und Tumultuanten nichts
verſprechen kann, ſondern man annehmen
muß, daß ſie ihr Recht erlaſſe (§. 337.);
ſo muß dasjenige, was ſie verſpricht,
gehalten werden
(§. 388.). Auf eben
dieſe Art iſt deutlich, daß man auch dem
Feinde, den Raͤubern und Moͤrdern
das Verſprechen halten muͤſſe.
Dero-
wegen wenn ein Vergeſſen des ange-
thanen Unrechts zugeſaget worden, ſo
kann niemand desjenigen halber, was
in der Rebellion, oder Tumult vor-
gefallen iſt, angeklagt, noch geſtrafet
werden
(§. 1056.).


Das zehnte Hauptſtuͤck.


Vom Geſandſchaftsrechte.


§. 1236.

Welche
ſind Ge-
ſandten?

Geſandten(legati) werden Perſonen
genennt, ſo von einem Volcke, oder
deſſen Regenten, an ein anderes
Volck, oder deſſen Regenten, eines oͤffentli-
chen Geſchaͤftes halber geſchickt werden. De-
rowegen ſind Geſandten natuͤrlicher
weiſe Gevollmaͤchtigte ihres Volcks,
oder des Regentens des Staats (§.
551.). Und das Recht Abgeſandte zu
ſchicken ſtehet den hoͤchſten Maͤchten

zu
[911]Vom Geſandſchaftsrechte.
zu (§. 1140.), wenn ſie auch durch ein
ungleiches Buͤndniß verbunden ſind

(§. 1144.).


§. 1237.

Agenten(agentes) pfleget man Perſo-Welche
ſind A-
genten?

nen zu nennen, welche Privatangelegenhei-
ten eines Regentens des Staats, oder auch
ſeiner Unterthanen in ſeinem Nahmen bey ei-
nem andern Volck beſorgen. Da es von
dem Willen deſſen, der einen Agenten ſetzet,
abhangt, was vor Geſchaͤfte er ihm anver-
trauen will; ſo hindert nichts, daß de-
nen Agenten nicht auch einige oͤffent-
liche Geſchaͤfte, ſonderlich von gerin-
gerer Erheblichkeit, koͤnten anver-
trauet werden.


§. 1238.

Ein iegliches Volck hat ein vollkommnesVon dem
Rechte
Abge-
ſandte zu
ſchicken,
und der
Ver-
bindlich-
keit ſie
zuzulaf-
ſen.

Recht von einem andern Volck Liebespflich-
ten zu verlangen, und man kann ohne Un-
recht zu thun es nicht hindern, daß ſie nicht
ſollten verlanget werden (§. 1108.); es hat
auch ein Recht mit einem andern Volcke Ver-
traͤge einzugehen, wenn es deſſen Huͤlfe und
Beyſtand benoͤthigt iſt (§. 1095.), um mit
vereinigten Kraͤften ſich und ſeinen Zuſtand
vollkommner zu machen (§. 1090.), und des-
wegen Buͤndniſſe zu ſchlieſſen (§. 1141.).
Sie ſind auch verbunden die Beſchwerden zu
heben, und muͤßen die Streitigkeiteu beyge-
leget
[912]IV. Theil 10. Hauptſtuͤck.
leget (§. 1157.), nicht aber zum Kriege,
als einem an ſich wenig geſchickten Mittel
die Zwiſtigkeiten zu entſcheiden (§. 1159.),
oder zu andern gewaltſamen Mitteln (§.
1163. u. f.) geſchritten werden, ſo lange als
noch nicht bekant iſt, ob ſich das angethane
Unrecht nicht ohne Gewaltthaͤtigkeit erſetzen
laße (§. 1158.). So muß man auch Krie-
gesbuͤndniſſe errichten (§. 1180.), und im
Kriege ſelbſt kommen Faͤlle vor, weswegen
man Vertraͤge machen, oder da ein Theil
dem andern ſeine Willensmeynung kund thun
muß. Ja daß man endlich von dem Kriege
ablaße, ſind Friedensbuͤndniſſe zu ſchlieſſen
(§. 1227.). Aus allen dieſen ergiebt ſich
nun, daß die Geſandſchaften noth-
wendig ſeyen, und den Voͤlckern ein
vollkommnes Recht zukomme Abge-
ſandten an andere Voͤlcker zu ſchickrn.

Da nun dies ohne Unrecht zu thun nicht ab-
geſchlagen werden kann (§. 100.); ſo muß
derjenige, an welchen ein Geſandter
abgeſchickt wird, den Geſandten zu-
laſſen,
und wenn folglich ſolches nicht
geſchieht, wiederfaͤhrt dem, der ihn
ſendet Unrecht (§. 87.), es ſey denn,
daß ſolches in einem offenbaren Streit
der Pflicht gegen ſich ſelbſt und gegen
andere Voͤlcker geſchaͤhe,
z. E. wenn ein
Geſandter abgeſchickt wuͤrde den Zuſtand des
Staats zu verwirren, oder wenn ſich der-
ſelbe
[913]Vom Geſandſchaftsrechte.
ſelbe der oͤffentlichen Feindſchaft ſchuldig
machte.


§. 1239.

Beſtaͤndige Geſandten(legati aſſi-Von be-
ſtaͤndigen
Geſand-
ten.

dui) heiſſen die, ſo ſich viele Jahre hinter
einander an fremden Hoͤfen aufhalten. Weil
die Geſchaͤfte der Voͤlcker, weswegen die
Geſandſchaften noͤthig erachtet werden (§.
1238.), weder taͤglich vorkommen, noch be-
ſtaͤndig ſind, und uͤberdem die beſtaͤndigen
Geſandten gleichſam Kundſchafter abgeben
(§. 1208.); ſo iſt das Recht beſtaͤndi-
ge Abgeſandten an fremden Hoͤfen zu
haben weder zum nothwendigen Voͤl-
ckerrecht (§. 1088.), noch zum will-
kuͤhrlichen zu rechnen
(§. 1090.), folg-
lich ſind die beſtaͤndigen Geſandſchaf-
ten
nur durch die Gebraͤuche einiger Voͤlcker
eingefuͤhret worden, und gehoͤren zu dem
Gewohnheitsrechte der Voͤlcker (§.
1092.). Wenn ſie
daher iemand nicht
geſtattet, ſo thut er dem, der ſie ſchi-
cken will, kein Unrecht
(§. 87.).


§. 1240.

Weil ein ieder Staatsregent den Re-Was vor
Geſand-
ten ge-
ſchickt
werden
ſollen.

genten des andern Staats als ſeines glei-
chen anſehen muß (§. 1120.), die Geſand-
ten aber deswegen abgeſchickt werden, daß
ſie ein gewiſſes Geſchaͤfte entweder mit dem
Koͤnige ſelbſt, oder mit deſſen vornehmſten
Nat. u. Voͤlckerrecht. M m mMini-
[914]IV. Theil 10. Hauptſtuͤck.
Miniſtern, denen dieſe Beſorgung aufge-
tragen iſt, im Nahmen deſſen, der ſie ſen-
det, abthun ſollen (§. 1236.); ſo muͤſſen
ſolche Geſandten geſchickt werden,
welche in der Republick deſſen, der
ſie ſchickt, vorzuͤgliche Wuͤrden haben

(§. 54. 55.). Und ſo ſorgt das natuͤrliche
Voͤlckerrecht fuͤr die Wuͤrde deſſen, an den ſie
geſchickt werden.


§. 1241.

Wie man
ſie em-
pfangen
ſolle.

Aus eben der Urſache muͤſſen die Ge-
ſandten mit gehoͤrigen Ehrenbezeu-
gungen empfangen und gehalten wer-
den:
und indem dieſe Verbindlichkeit aus
dem Geſetz der Natur abſtammet (§. 1240.),
und ſich folglich davon niemand losmachen
kann (§. 42.), ſo gilt eben dies, wenn
ſie auch gleich vom Feinde kommen.

Weil man nun alſo den Geſandten von
den Feinden, oder auch denen, wel-
che nicht von Feinden geſchickt wer-
den, keine Schmach anthun, und ſie
nicht verachten ſoll (§. 146. 51.),
nicht einmahl aus einem vorgewand-
ten Recht der Wiedervergeltung,
als
welches ohnedem ein Unding iſt (§. 156.);
ſo iſt die Verachtung und noch viel-
mehr die Schmach, womit man den
Abgeſandten begegnet, ein Unrecht
(§. 87.), und man kann dergleichen

nicht
[915]Von dem Geſandſchaftsrechte.
nicht ungeſtraft hingehen laſſen (§.
93.). Und auf ſolche Art ſorget das natuͤr-
liche Voͤlckerrecht fuͤr die Wuͤrde deſſen, der
einen Geſandten ſchickt.


§. 1242.

Ein Character, den der GeſandteVon dem
Chara-
cter, den
der Ge-
ſandte
vorſtellet.

vorſtellet(character repræſentativus le-
gati)
iſt das Vorſtellungszeichen des abſchi-
ckenden bey dem, an welchen er verſchicket
wird. Da die Abgeſandten natuͤrlicher
weiſe Bevollmaͤchtigte des Regentens des
Staats ſind, von dem ſie geſchickt werden
(§. 1236.); ſo beſtehet nach dem
Recht der Natur der vorſtellende
Character eines Geſandten in dem
Vermoͤgen im Nahmen und nach
dem Rechte der hoͤchſten Gewalt,

von welcher er naͤmlich abgeſchickt wird,
ein oͤffentliches Geſchaͤfte bey einer
andern hoͤchſten Gewalt zu betrei-
ben,
folglich macht ein Geſandter
nach dem Naturgeſetz gleichſam ei-
nerley moraliſche Perſon mit dem,
der ihn abſchickt hat, aus,
ſo daß
es eben ſo viel iſt, als wenn dieſer ſelbſt
gegenwaͤrtig waͤre, und derienige, an wel-
chen er verſchickt wird, ihn als eine ihm
gleiche Perſon anſehen muß. Und weil
in dem vorſtellenden Character, wel-
cher in dem Recht die Perſon des ſenden-
M m m 2den
[916]IV. Theil 10. Hauptſtuͤck.
den vorzuſtellen beſtehet, keine Nothwen-
digkeit ſteckt, ſo entweder aus dem abzu-
handelnden Geſchaͤfte, oder aus der Wuͤr-
de des ſendenden, als welche ohne dieſen
ungekraͤnckt bleiben kann, herkaͤme (§.
1241.); ſo iſt auch der vorſtellende
Character, der weiter als der na-
tuͤrliche ausgedehnet wird, nicht aus
dem willkuͤhrlichen Voͤlckerrecht zu
erkennen (§. 1090.): iſt er
folglich
durch Gebraͤuche eingefuͤhret, ſo ge-
hoͤret er zu dem Gewohnheitsrecht
der Voͤlcker (§. 1092.); ſchreibt er
ſich von Vertraͤgen her, ſo iſt er
zum Vertragsrechte zu rechnen (§.
1091.). Was
derowegen aus einem
ſolchen Character durch eine noth-
wendige Folge von den Geſandten
hergeleitet wird, das iſt weder zum
Rechte der Natur, noch zum will-
kuͤhrlichen Voͤlckerrechte zu ziehen,
und noch vielweniger das, was oh-
ne Grund denſelben zu erweitern
hinzugefuͤget wird.
Und demnach iſt
kein Volck anders als durch einen
Vertrag verbunden denſelben zu er-
kennen.


§. 1243.

Von dem
Rechte
eines Ge-
ſandten

Da die Abgeſandten denjenigen, wel-
cher ſie abſchickt, nur in ſolchen Handlun-
gen
[917]Vom Geſandſchaftsrechte.
gen vorſtellen, welche das Geſchaͤfte an-in Abſicht
auf Pri-
vathand-
lungen.

gehen, um deſſen willen ſie da ſind (§.
1242.); ſo koͤnnen ſie in Abſicht auf
ihre Privathandlungen nicht anders
als Fremde, die ſich in einem andern
Gebiete aufhalten, angeſehen wer-
den,
folglich werden ſie natuͤrlicher
weiſe nach dem Rechte der Frem-
den beurtheilet.
Und derowegen ſind
ſie, was die Privathandlungen an-
langet, nach dem natuͤrlichen Voͤl-
ckerrecht mit ihrem Gefolge und Ge-
raͤthe, oder Sachen ſo wohl unter
der buͤrgerlichen, als peinlichen Ge-
richtsbarkeit des Orts
(§. 1132.); und
es iſt kein Grund vorhanden, warum durch
das willkuͤhrliche Voͤlckerrecht hierinn etwas
geaͤndert werden ſollte (§. 1090.). Dero-
wegen findet der Zuſtand da man auſ-
ſer Land waͤre
(exterritorialitas), nach
welchem man ſich die Geſandten mit ihrem
Gefolge und Geraͤthſchaften dichtet, als waͤ-
ren ſie auſſer dem Gebiete, weder im na-
tuͤrlichen noch in dem willkuͤhrlichen
Voͤlckerrechte
ſtatt, folglich auch nicht
die Heiligkeit, oder Unverletzlichkeit
eines Geſandten,
welche in der Unab-
haͤngigkeit eines Geſandten von der Herr-
ſchaft deſſen, in deſſen Gebiet er ſich auf-
haͤlt, beſtehen ſoll: vielweniger gilt es nach
dieſen Rechten, daß der Abgeſandte
M m m 3eine
[918]IV. Theil 10. Hauptſtuͤck.
eine Gerichtsbarkeit uͤber ſeine Leu-
te habe, und daß dem Hauſe, das
er bewohnet, ein Recht der Freyſtadt
anhange.
Derowegen koͤnnen derglei-
chen Rechte nicht anders als durch ei-
nen Vertrag, er mag nun ausdruͤck-
lich, oder ſtillſchweigend ſeyn, erwor-
ben werden (§. 1089.), wobey
aber
doch die Ausnahme in einem Fall des
Streits mit der Pflicht deſſen, an wel-
chen der Geſandte abgeſchickt iſt, ge-
gen ſein eignes Volck gilt
(§. 64.).


§. 1244.

Von der
Unver-
letzlich-
keit eines
Geſand-
ten.

Weil die Fremden denen Buͤrgern, ſo
ſich nur eine Zeitlang aufhalten, gleich ge-
halten werden, ſo lange ſie in einem andern
Gebiete ſind (§. 1125.), und der Regent
des Staats es nicht leiden muß, daß ih-
nen iemand ſeiner Unterthanen Schaden,
oder Unrecht zufuͤge (§. 1134.); ſo ſind
die Abgeſandten, ſo fern man ſie als
Privatperſonen, und als Fremde, ſo
in einem andern Gebiete verweilen,
betrachtet, vor Unrecht ſicher, ſo
wohl nach dem gemeinen Rechte der
Fremden (§. 1028.), als auch nach
dem gemeinen Rechte der Voͤlcker.

Weil man aber, damit vor die Wuͤrde deſ-
ſen, der ſie abgeſchickt, geſorget werde,
die Geſandten als Geſandten mit Eh-
renbe-
[919]Vom Geſandſchaftsrechte.
renbezeugungen aufnehmen und anſehen
muß (§. 1241.), und folglich das ihnen zu-
gefuͤgte Unrecht ſchwerer iſt als das, ſo
man einem andern Fremden wiederfahren
laͤßet, in ſo fern ſolches auf denjenigen,
welcher ihn abgeſchickt hat, zuruͤckfaͤllet; ſo
ſind ſie
auch nach dem beſondern Ge-
ſandtenrechte vor Unrecht ſicher.
Und
darinn beſtehet die natuͤrliche Heilig-
keit eines Geſandten
(§. 1153.).


§. 1245.

Das Creditiv(litteræ credentiales)Vom
Creditiv.

wird das Schreiben genennet, welches der
abſchickende dem Geſandten an denjenigen
giebt, an welchen er geſchickt wird, und
worinn jener ihn fuͤr ſeinen Geſandten er-
klaͤret. Weil gewiſſe Geſchaͤfte mit ihm ſol-
len gehandelt werden (§. 1236.), und folg-
lich dem, an den er abgelaſſen wird, der
Wille des ſchickenden bekannt werden muß;
ſo muß der Abgeſandte ein Creditiv
haben.


§. 1246.

Wenn einige Voͤlcker unter einan-Vom
Ver-
trags-
und Ge-
wohn-
heits-
rechte.

der uͤber gewiſſe Geſandſchaftsrechte,
und uͤber die Art den Geſandten mit
Ehrenbezeugungen zu begegnen uͤber-
eingekommen ſind, oder durch Ge-

M m m 4brauch
[920]IV. Th. 10. H. Vom Geſandſchaftsrechte.
brauch eines und das andere einge-
fuͤhret haben; ſo verbinden dieſe
Dinge,
weil ſie ſich nur auf ein Vertrags-
(§. 1091.), oder Gewohnheitsrecht gruͤn-
den (§. 1092.), diejenigen allein, wel-
che den Vertrag aufgerichtet haben,
oder die, bey denen dieſe Sitten durch
einen langwierigen Gebrauch einge-
fuͤhret ſind, ſo lange als ſie wol-
len (§. 444. 1092.).



Jnhalt
[[921]]

Jnhalt
des gantzen Werckes.



  • Der erſte Theil.
    Von dem Recht der Natur uͤberhaupt, von den
    Pflichten gegen ſich ſelbſt, gegen andere und
    gegen GOtt.

    • Das erſte Hauptſtuͤck.
      Von dem Unterſchied der menſchlichen Handlungen
      und ihrer Zurechnung.  S. 1
    • Das zweyte Hauptſtuͤck.
      Von der Verbindlichkeit, dem Rechte und Geſetze,
      und dem Grundſatz des Rechts der Natur.  23
    • Das dritte Hauptſtuͤck.
      Von der allgemeinen Verbindlichkeit und dem allge-
      meinen Recht der Menſchen uͤberhaupt.  43
    • Das vierte Hauptſtuͤck.
      Von den Pflichten des Menſchen gegen ſich ſelbſt,
      und den Rechten, die damit verbunden ſind.  65
    • Das fuͤnfte Hauptſtuͤck.
      Von den Pflichten des Menſchen gegen andere, und
      den Rechten, die mit denſelben verbunden ſind.
       86
    • Das ſechſte Hauptſtuͤck.
      Von den Pflichten gegen GOtt.  101
  • Der andere Theil.
    Von dem Eigenthume und den Rechten und Ver-
    bindlichkeiten, die daher entſpringen.
    • Das erſte Hauptſtuͤck.
      Von der Gemeinſchaft der erſten Zeit, und wie das
      Eigenthum entſtanden.  116
    • Das andere Hauptſtuͤck.
      Von der urſpruͤnglichen Art das Eigenthum zu er-
      halten.  133
    • Das dritte Hauptſtuͤck.
      Von den Verbindlichkeiten und Rechten, welche aus
      dem Eigenthume entſtehen.  157
    • Das vierte Hauptſtuͤck.
      Von dem Recht, das von der Gemeinſchaft der er-
      ſten Zeit noch uͤbrig iſt.  185
    • Das fuͤnfte Hauptſtuͤck.
      Von der abſtammenden Art etwas zu erhalten.  193
    • Das ſechſte Hauptſtuͤck.
      Von der Eroͤfnung ſeiner Gedancken gegen andere.
       212
    • Das ſiebente Hauptſtuͤck.
      Von der Art und Weiſe ſich einem andern verbind-
      lich zu machen, oder von dem Verſprechen und
      Vertraͤgen uͤberhaupt.  229
    • Das achte Hauptſtuͤck.
      Von Erlangung des Eigenthums einer bloß beſeſſe-
      nen Sache, und von der Verjaͤhrung,  278
    • Das neunte Hauptſtuͤck.
      Von den bloß wohlthaͤtigen Handlungen, die in ei-
      nem zu Ende gebracht werden.  290
    • Das zehente Hauptſtuͤck.
      Von dem Werth der Sachen und dem Gelde.  307
    • Das eilfte Hauptſtuͤck.
      Von wohlthaͤtigen verbindlichen Handlungen, oder
      von wohlthaͤtigen Contracten.  320
    • Das zwoͤlfte Hauptſtuͤck.
      Von den Tauſchhandlungen, oder beſchwerlichen Con-
      tracten.  372
    • Das dreyzehente Hauptſtuͤck.
      Von den Gluͤckscontracten.  451
    • Das vierzehnte Hauptſtuͤck.
      Von den Qvaſicontracten.  471
    • Das funfzehnte Hauptſtuͤck.
      Von dem Rechte, welches einem in einer fremden
      Sache eingeraͤumet worden, oder dem Pfande
      und Servituten.  481
    • Das ſechzehnte Hauptſtuͤck.
      Von der Erbnutzbarkeit eines Gutes, und ſonderlich
      dem Lehn.  506
    • Das ſiebzehnte Hauptſtuͤck.
      Wie die aus dem Contract entſtandene Verbindlich-
      keit aufgehoben wird.  535
    • Das achtzehnte Hauptſtuͤck.
      Von der Art die Streitigkeiten im natuͤrlichen Zu-
      ſtande zu endigen.  552
    • Das neunzehnte Hauptſtuͤck.
      Von der Auslegung.  587
    • Das zwantzigſte Hauptſtuͤck.
      Von denjenigen, welche geſtorben und noch nicht ge-
      bohren ſind.  602
  • Der dritte Theil.
    Von der Herrſchaft und den Verbindlichkeiten und
    Rechten, welche daher entſpringen.
    • Die erſte Abtheilung.
      Von der gemeinen Herrſchaft.
      • Das erſte Hauptſtuͤck.
        Von der Herrſchaft und der Geſellſchaft uͤberhaupt
        genommen.  612
      • Das zweyte Hauptſtuͤck.
        Von der Ehe, oder der ehelichen Geſellſchaft.  627
      • Das dritte Hauptſtuͤck.
        Von der Blutsverwand- und Schwaͤgerſchaft.  642
      • Das vierte Hauptſtuͤck.
        Von der vaͤterlichen Geſellſchaft und vaͤterlichen Ge-
        walt.  648
      • Das fuͤnfte Hauptſtuͤck.
        Vom Erbrecht, oder von Teſtamenten und der Erb-
        folge ohne Teſtament.  665
      • Das ſechſte Hauptſtuͤck.
        Von der Knechtſchaft und der herrſchaftlichen Ge-
        ſellſchaft.  683
      • Das ſiebente Hauptſtuͤck.
        Von dem Hauſe.  692
    • Die zweyte Abtheilung.
      Von der oͤffentlichen Herrſchaft, oder dem Recht
      eines Staats.
      • Das erſte Hauptſtuͤck.
        Von dem Urſprung der Staaten und der oͤffentlichen
        Herrſchaft.  696
      • Das zweyte Hauptſtuͤck.
        Von den verſchiedenen Arten der Republick.  708
      • Das dritte Hauptſtuͤck.
        Von der Einrichtung einer Republick.  729
      • Das vierte Hauptſtuͤck.
        Von den Majeſtaͤtsrechten.  754
      • Das fuͤnfte Hauptſtuͤck.
        Von der natuͤrlichen Lehre der buͤrgerlichen Geſetze.
         777
      • Das ſechſte Hauptſtuͤck.
        Von der Pflicht des Oberherrn und der Unterhanen.
         784
  • Der vierte Theil.
    Vom Voͤlckerrechte.
    • Das erſte Hauptſtuͤck.
      Von dem Rechte der Voͤlcker uͤberhaupt.  794
    • Das zweyte Hauptſtuͤck.
      Von den Pflichten der Voͤlcker gegen ſich ſelbſt, und
      denen daher entſpringenden Rechten.  799
    • Das dritte Hauptſtuͤck.
      Von den Pflichten der Voͤlcker gegen einander, und
      von denen daher entſpringenden Rechten.  809
    • Das vierte Hauptſtuͤck.
      Vom Eigenthum eines Volckes.  819
    • Das fuͤnfte Hauptſtuͤck.
      Von den Buͤndniſſen und Zuſagen ohne Vollmacht.
       831
    • Das ſechſte Hauptſtuͤck.
      Von der Art die Streitigkeiten der Voͤlcker beyzu-
      legen.  846
    • Das ſiebente Hauptſtuͤck.
      Vom Rechte des Krieges der Voͤlcker.  854
    • Das achte Hauptſtuͤck.
      Von dem Rechte der Voͤlcker im Kriege.  873
      Das neunte Hauptſtuͤck.
      Von dem Frieden und dem Friedensvertrag.  896
    • Das zehnte Hauptſtuͤck.
      Von dem Geſandſchaftsrechte.  900

Regi-[[927]]

Appendix A Regiſter
der vornehmſten Sachen, darin die
Zahlen die §§. andeuten.


Appendix A.1 A.


  • Abdanken vom Amt 1063.
    vom Koͤnigreich 1007.
    1081
  • Aberglauben182
  • Abgaben vom Lehngut 743.
    vom Nießbrauch 717
  • Abgoͤtterey181 ob deswe-
    gen ein Strafkrieg ſtatt
    hat 1173
  • Abreiſſen245
  • Abſicht erfuͤllen 404. dazu
    verſprechen 404. was oh-
    ne derſelben geſchiehet 360.
    des Hauſes 965. der Ge-
    ſellſchaft 636. des Staats
    972
  • Abtrag751
  • Abtretung eines Rechts 338
  • Abzug aus dem Staat 1019
  • Academie der Kuͤnſte, der
    Wiſſenſchaften 1024
  • Acceptant656
  • Acker ausgemeſſener, um-
    grenzter, von Natur um-
    grenzter 252
  • Adviſobrief656
  • Afterlehn, dazu machen 741.
    wenn es wegfaͤllt 743
  • Afterlebnscontract741
  • Afterlehnsherr, Afterlehn-
    mann
    741

  • Agent1237
  • Allegorie354
  • Allmoſen488. wie es im
    Staat damit zu halten
    1022. 1058
  • Allodialgeld740
  • Allodialgut736
  • Amneſtie1056. aus dem
    Friedensvertrage 1221.
    1223. 1228. die den Re-
    bellen und Tumultuanten
    verſprochen worden 1235
  • Amt oͤffentliches 1060. wer
    dazu geſchickt iſt 1062. da-
    von abgeſetzet, ſuſpendirt,
    deſſelben erlaſſen werden
    1063. wie die Beſoldung
    fuͤr daſſelbe ſeyn ſoll 1034
  • Anfallen268
  • Angewieſener(aſſignatus)
    760. (delegatus)
    759
  • Anklage aufheben 1055
  • Ankoͤmmling1020. auf
    eine zeitlang ebend.
  • Ankuͤndigung des Krieges
    bedingte, unbedingte 1183.
    1185. 1211
  • Anloͤtung236
  • Annehmen316. 317. 319.
    Bedingungen 817. eine
    Erkenntlichkeit 525. das
    nichtſchuldige 693. ohne
    Urſach,
    [[928]]Regiſter der vornehmſten Sachen.
    Urſach, gleichſam ohne
    Urſach 695. das Verſpre-
    chen 381. 384. 386. 425.
    428. 431. u. ff. vor bezahlt
    754
  • Anrufung GOttes175
  • Anſchweiſſung236
  • Anſehen der Perſon772
  • Anſetzen242
  • Anſpuͤhlung251. u. ff.
  • Anweiſender(aſſignator)
    760. (delegans)
    759
  • Anweiſung gemeine 760.
    rechtliche 759
  • Arbeit124
  • Ariſtocratie922. beſtaͤn-
    dige 1001. deſpotiſche
    997. auf eine gewiſſe Zeit
    1001. dabey die Wahl,
    die Folge ſtatt hat, die en-
    gere, die weitlaͤuftigere
    1001
  • Armenhaus1022
  • Armenſchule1022
  • Armuth487. wie zu ſchaͤ-
    tzen 504. muß man mei-
    den 513. was deswegen
    im Staat zu beſorgen 1021.
    1022
  • Art227. wenn ſie verge-
    het 243
  • Artzeney114. was dabey
    im Staat zu veranſtalten
    1034
  • Aſſecurant679
  • Aſſecuration679
  • Aufenthalt im fremden Ge-
    biete 113. 1106. 1132

  • Aufgeld655
  • Aufkuͤndigung752
  • Aufmerkſamkeit erhalten
    108
  • Aufſagen752
  • Auftragen551
  • Aufzuheben geben539
  • Ausbeute683
  • Ausdreſchen227. 232
  • Ausgabe506. 508. auſſer-
    ordentliche, ordentliche,
    nothwendige, nuͤtzliche, zur
    Luſt, weniger nothwendi-
    ge, unnuͤtze 505
  • Ausgeber des Wechſelbrie-
    fes, des Geldes 656
  • Ausgeworfenes685
  • Auskommen noͤthiges, leich-
    liches 486
  • Auslaͤufer240
  • Auslegung794. ff. aus dem
    vorhergehenden und nach-
    folgenden 805. die av-
    thentiſche 1044. die er-
    weiterte 811. 812. die
    einſchraͤnkende 813. des
    Eides 370. in einer weit-
    laͤuftigeren 808. eugeren
    Bedeutung 809. aus den
    Bewegungsgruͤnden 806.
    die richtige 797. einige
    von ihren allgemeinen Re-
    geln 810. bey dem Frie-
    densvertrag 1222. u. ff.
    nach Woͤrtern die ſich auf
    etwas beziehen 807. wie
    es zu halten wenn daraus
    was
    [[929]]Regiſter der vornehmſten Sachen.
    was ungereimtes folget
    804. 813
  • Ausnahme63. die ſtill-
    ſchweigenden bey der Ein-
    fuͤhrung des Eigenthumes
    304. 310. wo ſie allezeit
    gemacht iſt 815. in Ver-
    traͤgen, dadurch Rechte fuͤr
    die Geſandten erworben
    werden 1243. wo ſie ge-
    macht werden muß 816

Appendix A.2 B.


  • Barmhertzigkeit492
  • Bauen237
  • Bedeutung der Woͤrter
    etymologiſche, grammati-
    caliſche 799. die eigent-
    liche 798. engere, weit-
    laͤuftigere 808. 809. die
    etwas nach gewiſſen Stu-
    fen anzeigen 802. wenn
    man der uneigentlichen
    folgen darf 809
  • Bedingung anbieten, an-
    nehmen 817. aufloͤſende 315.
    609. aufſchiebende, er-
    laubte, unerlaubte, ver-
    miſchte, verneinende 315.
    die verbindungsweiſe, be-
    ſonders angehaͤnget wor-
    den 399. die beſſere 608.
    die zuerfuͤllende 315. 400.
    die an und vor ſich ſelbſt
    in einem Verſprechen ent-
    halten iſt 439. die ſtille-
    ſchweigende, woferne die
    Sachen in gegenwaͤrtigem
    Stande bleiben 814
  • Befreyung von der Verbind-
    lichkeit 452. 749. u. ff.
    von dem natuͤrlichen Recht
    42. von dem nothwendigen
    Voͤlckerrecht, ob ſie moͤg-
    lich 1088
  • Befreyungsvertrag755
  • Begehungsſuͤnde58
  • Begehungsthat2
  • Beglaubiger660
  • Beglaubigter660. 661
  • Beglaubigung660 ob ſie
    eine Neuerung wirket 758
  • Begnadigungsrecht1054
  • Begraͤbniß, das Recht dazu
    824. obs zur Strafe ver-
    ſagt werden kann 1051
  • Begraben824
  • Beguͤnſtigung1046
  • Beguͤnſtigungsrecht1046
  • Beklagter773
  • Beleidigung88. 89. 97.
    1072. ihre Verhuͤtung 91.
    92. der Voͤlcker 1121.
    fremder Unterthanen 1134
  • Belobnung deſſen der etwas
    findet 285
  • Bemaͤchtigung S. Spo-
    lium.
  • Berathſchlagungen769
  • Bereicherung mit oder aus
    fremden Sachen 271
  • Bergwerckstontract683
  • Beruhigung in der goͤttli-
    chen Vorſicht 173
  • Beſchenkter475. 476
  • Beſchimpfung146
  • Beſchlieſſen843
  • Beſchuldigter1033
  • Beſchwerden1157
  • Beſchwerungen374

N n nBeſitz
[[930]]Regiſter der vornehmſten Sachen.
  • Beſitz200. wie er erlan-
    get wird 291. 448. 791.
    ob man abweſend heſitzen
    kann 292. deſſen Verluſt
    205. der gewaltſame,
    heimliche verſtohlener 290.
    undenklicher 1139. recht-
    maͤßiger, unrechtmaͤßiger
    456. der unbeweglichen
    und unkoͤrperlichen Sachen
    293. mit einem Titel 295.
    die urſpruͤngliche Art ihn
    zu erhalten 294. die ab-
    ſtammende Art 320. wie
    er behalten und verlohren
    wird 294. 296. ſeine Ver-
    theydigung und Wiederer-
    haltung 286. die Einſe-
    tzung in denſelben 322.
    gleichſam ein Beſitz 298
  • Beſitzer200. der gewiſ-
    ſenhafte, ungewiſſenhafte
    201. ihr Unterſcheid 230.
    ihre Verbindlichkeit gegen
    den Eigenthumsherrn 272.
    u. ff.
  • Beſte das gemeine, der Ge-
    ſellſchaft 837. des Staats
    972
  • Bettelarmuth287. auf ei-
    ne zeitlang 487. wie ſie
    zu ſchaͤtzen iſt 503. ſoll
    man verhuͤten 513
  • Bettler487. was ihrent-
    wegen im Staat fuͤr An-
    ſtalt zu machen 1021. 1022
  • Betheurung361. 367. hoͤch-
    ſte 375

  • Betrug286. 356. ob er im
    Kriege erlaubt iſt 1203.
    iſt in den beſchwerlichen
    Contracten verboten 667.
    was er im Kauf und Ver-
    kauf nach ſich ziehet 604.
    aus Betrug wider ein Ge-
    ſetz handeln, was das ſey
    812. vorſetzlicher, unvor-
    ſetzlicher 286
  • Beute1202
  • Bevollmaͤchtigter551. u. ff.
  • Bevollmaͤchtigender551
  • Bewahrer723
  • Bewegungsgrund35
  • Beweis, halber voͤlliger 778.
    durch den Eid 781. durch
    Jnſtrumente 775. durch
    Kerbhoͤltzer 777. durch
    Zeugen 778. 779
  • Beyſchlaf erlaubter, uner-
    laubter 854. 855. der
    gleichguͤltige 855. unehe-
    licher 854
  • Bezahlung des nicht ſchul-
    digen 693. die zum theil
    gefchiehet 751. dieſelbe
    mit Worten anbieten, in
    der That, bloß in der That,
    feyerlich 753
  • Billig83
  • Billigkeit86. in den Buͤnd-
    niſſen 1144
  • Bitten551
  • Blanguet776
  • Blendwerck349
  • Blutsverwandte875. ob
    die unehelichen Kinder dar-
    unter
    [[931]]Regiſter der vornehmſten Sachen.
    unter gehoͤreu 897. ob
    man ſie im Teſtament uͤber-
    gehen darf 930. die in
    gerader Linie, in der Ne-
    benlinie 878
  • Bodenzins734
  • Bodmerey681
  • Borgen528. u. ff.
  • Boͤſe12
  • Bosheit17. ihr Urſprung
    19. die vorſetzliche, zum
    theil unvorſetzliche 25. bey
    der Theilnehmung an frem-
    den Handlungen 26. im
    Kriege 1203. des Knech-
    tes 954. des Vormun-
    des 904
  • Braͤutigam, Braut864
  • Bundesgenoſſen1228
  • Buͤndniß1141. 1142. was
    daraus fuͤr eine Verbind-
    lichkeit entſpringet 1147.
    ſoll heilig gehalten werden
    1153. daſſelbe brechen
    1230. gleiches, unglei-
    ches, auf Seiten des wuͤr-
    digeren Theils, oder
    des geringern Theils un-
    gleich, mit oder ohne Ver-
    ringerung der Herrſchaft
    1144. ohne Vollmacht
    1156. das aͤltere 1142.
    perſoͤnliche, dingliche 1146
  • Buͤrge569. u. ff. 758. 760
  • Buͤrger974. ihre Zahl
    1018. ihre Guͤter ſind fuͤr
    die Staatsſchulden ver-
    pfaͤndet 1162

  • Buͤrgerfang1164 ob ihm
    zu widerſtehen iſt 1165.
    ſeine Wirkung 1168
  • Buͤrgerrecht(indigenatus)
    1020
  • Buͤrgerlich billig, gerecht
    83
  • Buͤrgſchaft569. u. ff. 660.
    758. ohne oder mit einer
    Bedingung, auf eine ge-
    wiſſe Zeit 571. die be-
    ſchworne, ſchriftliche 578.
    fuͤr eines andern Auffuͤh-
    rung 576. fuͤr ein Volck
    1149. dabey nichts gewiſ-
    ſes beſtimmet wird 579.
    durch eine Mittelsperſon
    578. wider des Haupt-
    ſchuldners Willen, fuͤr ei-
    nen der gegenwaͤrtig iſt
    und es geſchehen laͤßt 570

Appendix A.3 C.


  • Capital643
  • Capitulation mit dem Re-
    genten 989. der Solda-
    ten 1174
  • Caution daß man die quaſi-
    uſufructuariſche Sache wie-
    dergeben werde 720. daß
    man die gleichguͤltigen Sa-
    chen wiedergeben werde
    740. daß man ſich jeder-
    zeit vor Gerichte ſtellen
    wolle 1033
  • Cenſite733
  • Ceremonien180

N n n 2Clari-
[[932]]Regiſter der vornehmſten Sachen.
  • Clarigation des Krieges
    1183
  • Collecten1058
  • Colliſion der Schaͤden 283.
    der Geſetze 63. u. ff. unter
    einerley Pflichten 65. der
    Pflichten der Eheleute ge-
    gen einander 869. gegen
    die Kinder 893. des ver-
    abredeten Pfandrechts mit
    dem natuͤrlichen 705. der
    Vertraͤge 816
  • Colonus partiarius696
  • Collybiſta, Collybus655
  • Committirt, verwirckt wer-
    den 609. wenn dieß vom
    Lehn geſagt wird 746.
    747
  • Conſul in den Seeplaͤtzen
    1118
  • Contract514. 667. auf
    denſelben etwas geben 619.
    ihn aufheben 581. 602.
    die Gefahr abzuwenden
    679. vermiſchter 696. da
    man giebt, daß etwas gege-
    ben oder gethan werde,
    oder thut etwas, daß et-
    was gethan werde 667.
    handſchriftlicher 652. li-
    bellariſcher 732. beſchwer-
    licher 580. des Pfan-
    des 704. des Wahllooſes
    670. des Theilungsloo-
    ſes 671. des Zutheilungs-
    looſes 672. föenebris, u-
    ſurarius
    650
  • Copey, vidimirte 775

  • Creditiv1245
  • Curator898. wo ſeine Ein-
    willigung noͤthig iſt 905.
    ſeine Schadloshaltung
    907

Appendix A.4 D.


  • Dank474. 476
  • Dankſagung174. iſt man
    Gott ſchuldig ebend. den
    Wohlthaͤtern 474. wie ſie
    gegen Verſtorbene geſchie-
    het 822
  • Darlehn S. Borgen.
  • Davonlaufen der Soldaten
    1177
  • Dazukommen das natuͤrli-
    che, kuͤnſtliche, vermiſchte
    242. das urſpruͤngliche zum
    Gebiete des Volckes 1127
  • Dazukommendes242
  • Delegatarius759
  • Democratie990. 999
  • Dieb263. was wider ihn
    erlaubt iſt 267. u. ff.
  • Diebſtahl263. heimlicher,
    oͤffentlicher 263. 264. des
    Beſitzes 263. des Ge-
    brauchs 263. 264. bey
    geliehenen 522. bey nie-
    dergelegten Sachen 539
  • Diener960. u. ff.
  • Dienſtbar, wenn Sachen
    einander ſind 708
  • Dinge von verſchiedener
    Art
    493
  • Duͤrftigkeit487. 504. ſoll
    man meiden 513
  • Durchgang712

Durch-
[[933]]Regiſter der vornehmſten Sachen.
  • Durchzug mit Kriegsvoͤl-
    ckern 1182

Appendix A.5 E.


  • Ehe856. was ihre Be-
    ſchwerden heiſſen 868. die
    mit einem Weibe 857.
    die zweyte 871. zwiſchen
    Eltern und Kindern 895.
    zwiſchen Seitenverwand-
    ten 946. ihre Unaufloͤß-
    lichkeit 944
  • Ehebruch859. 860. 871
  • Eheleute858. ihr Recht
    und Verbindlichkeit 858.
    866. 869. ob ſie Erbfolg-
    vertraͤge unter einander
    ſchlieſſen doͤrfen 942. ihre
    natuͤrliche Erbfolge 943.
    ob ihnen unter einander
    ihre Handlungen zuzurech-
    nen ſind 837
  • Ehefrau858
  • Ehemann858. ſeine Guͤter
    ſind fuͤr die Mitgabe der
    Frauen verpfaͤndet 913.
    ob er die Frau Schulden
    halber verkaufen kann 949
  • Eheſcheidung871
  • Ehrbar, ehrlich49. ehr-
    barer Wandel 49. ehrli-
    cher Mann 49
  • Ehre125. ob man darnach
    ſtreben ſoll 128. ob ſie
    durchs Duell gerettet wird
    789. Gottes, dazu ſind
    die Menſchen verbunden
    161. 172. was dieſe ver-
    dunkeln heiſſet 165. 166.
    der Menſchheit 823. die
    den Verſtorbenen zu er-
    weiſen iſt 822. die Geſand-
    ten zu erweiſen iſt 1241
  • Ehrentitel1041. wer ſie
    ertheilen kann 1061. ei-
    nes Regenten 1119
  • Ehrfurcht gegen Gott 172.
    die kindliche 894
  • Eicheln aufleſen, das Recht
    dazu 712
  • Eid361. u. ff. ſeine Wir-
    kung 368. 446. die Auf-
    erlegung deſſelben 783.
    ihn ausſchlagen zuruͤcke
    ſchleben 784. 785. ſeine
    Erlaſſung 786. falſcher
    371. 376. in des andern
    Seele 373. ſchriftlicher
    372. unnuͤtzer 367
  • Eidesformel364
  • Eigenthum195198. 334.
    wie es auf einen andern
    gebracht werden kann 314.
    deſſen Gebrauch und Miß-
    brauch 202. wie es aus
    gemeinſchaftlichen Sachen
    entſtehet 343. 344. uͤber
    keinem zugehoͤrige Sachen
    209. aus einer vermuthli-
    chen Verlaßung 450. ſo
    aus der Eroberung im
    Kriege erhalten wird 1204.
    obs dem Recht der Natur
    zuwider iſt 194. unter was
    fuͤr Ausnahmen es iſt ein-
    gefuͤhret worden 304. 310.
    wie es auf einen andern
    N n n 3uͤber-
    [[934]]Regiſter der vornehmſten Sachen.
    uͤbertragen wird 316. 317.
    329. wenn dieß durch
    Kauf geſchiehet 597. in
    der Geſellſchaft aller Guͤ-
    ter 642. uͤber die ausge-
    worſenen Sachen 685.
    man muß davon gewiß ſeyn
    485. das allgemeine 916.
    das vorzuͤgliche 1065.
    1130. das kuͤnftige 589.
    voͤllige, nicht voͤllige 198.
    der verlaßenen 219. un-
    koͤrperlichen Sachen 206
  • Eigenthumsherr195. der
    erblichen Nutzbarkeit 724
  • Eigenthuͤmer(proprieta-
    rius)
    198
  • Einheimiſcher1020
  • Einigkeit847. unter Buͤr-
    gern 1086. Mitglie-
    dern einer Geſellſchaft 847.
    Voͤlckern 1124
  • Einkuͤnfte jaͤhrliche 505.
    682. gewiſſe, veraͤnder-
    liche 505
  • Einquartirung1057. Frey-
    heit davon 1176
  • Einweybung der Sachen
    1025
  • Einwilligung die ausdruͤck-
    liche, ſtillſchweigende 27.
    die vermuthete 27. 30. aus
    dem Stichſchweigen 459.
    571. 686. 689. 1139
  • Einwohner974
  • Einziehung der Guͤter 1039.
    1053. beſonderer 1039.
    feindlicher Sachen 1198

  • Elend492
  • Eltern880. wie ſie in den
    Kindern geſtraft werden
    1053. ob ihnen die Hand-
    lungen der Kinder koͤnnen
    zugerechnet werden 873.
    ob ſie die Kinder Schulden
    wegen verkaufen koͤnnen
    949. ihr Recht auf die
    Kinder 887. ihre Pflicht
    gegen eben dieſelben 890.
    u. ff. wieferne ihre Ein-
    willigung in die Heyrath
    der Kinder noͤthig iſt 912
  • Empfaͤnger661. 758. der
    Wodlthat 470. 471. 826
  • Empfehlen551
  • Enterbung der Eltern, der
    Kinder 928. in eigen-
    thuͤmlichen Reichen 1009
  • Entheiligung der Sachen
    1025
  • Entſcheidungseid782.
    freywilliger, nothwendiger
    ebend.
  • Entſcheidungsrecht das
    willkuͤhrliche 770. 771
  • Erb- und Lehnherr725
  • Erbauen237
  • Erbe916. einen andern
    an ſeine Stelle ſetzen 940.
    ob er mehr zu zahlen ſchul-
    dig iſt, als die Erbſchaft be-
    traͤgt 919. leiblicher 921.
    ohne Teſtament 931. 933.
    936. deſſen der in der
    Fremde ſtirbt 1138
  • Erbenseinſetzung935

Erb-
[[935]]Regiſter der vornehmſten Sachen.
  • Erbfolge ohne Teſtament
    931. 933. wenn kein Er-
    be da iſt 934. in gerader
    Linie 923. der Seiten-
    verwandten 933. natuͤr-
    liche der Eheleute 943. der
    Eltern 922. der Kinder
    921. 931. im Reich 1071.
    S. Folge.
  • Erbfolgevertrag945
  • Erbgeld S. Allodialgeld.
  • Erbgrundcontract734
  • Erbgrundrecht734
  • Erbgut736
  • Erbnutzbarkeit des Gutes
    724
  • Erbrecht916. 917
  • Erbſchaft916. was dazu
    gehoͤret 918. ausſchlagen
    920. 939. antreten, ſich
    anmaſſen 916. erlangen
    917. uͤbernehmen 916.
    ſich zueignen 934. ihre
    Theilung unter Eltern,
    oder Kinder 926
  • Erbzinſe725. 726. bey dem
    Lehn 739
  • Erbzinsbar machen731
  • Erbzinsgut725
  • Erbzinsmann725
  • Erbzinsrecht725. u. ff.
  • Erfuͤllungseid782
  • Erfuͤllung des Rechts 793
  • Ergreifung320. 322. in
    der Kuͤrtze 323. von ferne
    324
  • Erhalten die Art etwas zu
    erhalten, was das heiſſet
    295. die abſtammende 313.
    die urſpruͤngliche Art 210,
    448
  • Erhaltung des Leibes 112.
    des menſchlichen Ge-
    ſchlechts 854. des Volckes
    1093. der Wohlfahrt der
    Geſellſchaft 847
  • Erkenntlichkeit525. vor
    die Verwahrung 540. vor
    die Vormundſchaft 906
  • Erkenntniß ſein ſelbſt und
    andrer 105
  • Erklaͤrung bloße, was man
    zu thun geſonnen iſt 383.
    385. 389
  • Erlaubt49. 72. nach buͤr-
    gerlichen Geſetzen 1069.
    laut Vertrage 667
  • Eroberung im Kriege 1204.
    1211
  • Erſitzung451. iſt im na-
    tuͤrlichen Recht gegruͤndet
    463. erfordert einen Be-
    ſitz mit gutem Gewiſſen
    464. findet unter Voͤlckern
    ſtatt 1139
  • Ertze , ob ſie mit zum Nieß-
    brauch gehoͤren 714
  • Erziehung855. deswe-
    gen machen die Eltern
    gleichſam einen Vertrag
    909. wer nach ihrem To-
    de dafuͤr zu ſorgen hat 897
  • Etymologie799
  • Eurythmie117
  • Execution1043
  • Exempel, gute, boͤſe 139.
    N n n 4wie
    [[936]]Regiſter der vornehmſten Sachen.
    wie ſie den Kindern zu ge-
    ben ſind 890

Appendix A.6 F.


  • Factor662
  • Faͤhigkeit80
  • Fall der im Vertrage ſtill-
    ſchweigend iſt ausgenom-
    men worden 815. wel-
    che ausgenommen werden
    muͤßen 816. des Buͤnd-
    niſſes 1180
  • Falſch logicaliſch, morali-
    ſches 348
  • Familie abgeſonderte 1126.
    des Großvaters, Vaters,
    des Stammes 877
  • Familienfideicommiß736
  • Familienprivilegium1047
  • Fehler der gemietheten Sa-
    chen 637. der Waare 618
  • Feind(inimious) 137. (ho-
    ſtis)
    1184. was es fuͤr ein
    Recht uͤber ihre Perſonen
    giebt 1192. die ſich zur
    Zeit der Ankuͤndigung des
    Krieges in feindlichen Ge-
    biete aufhalten 1197. die
    ſich in einem friedlichen
    Gebiete befinden 1196.
    wie man diejenigen anzuſe-
    hen hat, die ſich zu ihnen
    ſchlagen 1185. 1189
  • Feindſeligkeiten die von Pri-
    vatperſonen unternommen
    werden 1210. 1211
  • Felonie747

  • Fenſter zur Ausſicht, Licht-
    ſenſter 712
  • Fertigkeit106
  • Feſttag1024
  • Feuersbrunſt was deswegen
    vorzukehren iſt 1035
  • Fideicommiß allgemeines,
    beſonderes 941. ob auf
    dieſe Art die Herrſchaft uͤ-
    bertragen werden kann
    988
  • Fleiß21
  • Folge(ſucceſſio) in den Guͤ-
    tern des Verſtorbenen 916.
    in den Guͤtern des Koͤniges
    1012. im Lehn 743. 745.
    im Reich 1008. 1009. 1011.
    1014. nach der Linie, nach
    der Schwerdtmagenlinie,
    nach der Vlntsfreund-
    ſchaftslinie 1013
  • Folgegeſetz1008
  • Folgerecht im Folgereich
    1015
  • Folgereich1008
  • Frechheit84
  • Fremder974. welchen Ge-
    ſetzen ſie unterworfen ſind
    1125. 1131. 1132. ob ſie
    Buͤrger ihres Volckes blei-
    ben 1137. ihre Aufnahme
    1020
  • Freund137. wie man ihn
    nach ſeinem Tode betrau-
    ren ſoll 826
  • Freundſchaft, man ſoll ſich
    ihrer befleißigen 138
  • Freundſchaftsbuͤndniß1143

Frey-
[[937]]Regiſter der vornehmſten Sachen.
  • Freyheit die natuͤrliche 77.
    78. wie weit ſie nach der
    freywilligen Unterwerfung
    auſboͤret 835. der Geſell-
    ſchaft 850 der Voͤlcker
    977. 980. 1089. die buͤr-
    gerliche eines Volckes 990
  • Freyheitsbegnadigung S.
    Privilegium.
  • Freylaßung958
  • Frieden99. wie er gemacht
    werden kann 1221. 1222.
    man ſoll ihn zu erhalten
    ſuchen 1217. ſeine Wir-
    kungen 1227. u. ff. ſeine
    Bekantmachung 1231.
    was bey dem Friedens-
    ſchluß rechtens iſt 1220.
    u. ff. denſelben brechen
    1230
  • Friedensartickel verſchiede-
    ne, zuſammenhaͤngende
    1230
  • Fruͤchte198. wem ſie gehoͤ-
    ren 228. 229. ihre ange-
    jangene, voͤllige Erhaltung
    224. die natuͤrliche, die
    durch Fleiß hervorgebrach-
    te, noch hangende, zu er-
    haltende, die noch vorhan-
    dene, verzehrte 224. er-
    haltene 224. 234. aus dem
    Lehn 742. von den menſch-
    lichen Handlungen 226.
    die nach dem Frieden wie-
    dergegehen werden ſollen
    1224. die menſchliche, ob
    ſie im Mutterleibe eines
    Rechtes faͤhig iſt 827
  • Fructuarius713
  • Fuͤrbitte175
  • Furcht Gottes die kindliche,
    die knechtiſche 171

Appendix A.7 G.


  • Gantze, fuͤr daſſelbe haſten
    422
  • Gebaͤude, was dem Regen-
    ten deswegen oblieget
    1035
  • Geben258. die Verbind-
    lichkeit dazu 329. ob man
    dasjenige zuruͤckfordern
    kann, was einmal gege-
    ben iſt 331. auf den Con-
    tract 619. auf eine ge-
    wiſſe Zeit 332. unter ei-
    ner Bedingung 332. um
    einer Urſache willen 694.
    in den aus einander ſetzen-
    den Tauſchhandlungen
    468
  • Gebet175
  • Gebiete1010. eines Staats
    ebend. 1125. ſein urſpruͤng-
    licher Zuwachs 1127. das
    friedliche 1196. neutra-
    les 1181
  • Gebrauch der Sache 721.
    auf dem Lande, in der
    Stadt 709. eine Sache
    dazu an ſich nehmen 192.
    der nothwendige 183. der
    gemeinſchaftliche in der er-
    ſten Gemeinſchaft 187.
    N n n 5188.
    [[938]]Regiſter der vornehmſten Sachen.
    188. der eigne in der er-
    ſten Gemeinſchaft 192. zur
    aͤuſſerſten Nothdurft, da
    die Sache ſchon einen
    Herrn hat 305. u. ff. der
    unſchaͤdliche 310. der ge-
    meine, heilige 1025. des
    Eigenthums 202. der
    Herrſchaft 1078. des
    Rechts, ſeines Rechts 66.
    des Rechts zu ſchenken 477.
    der niedergelegten Sache
    539. der vermietheten 622.
    der eigne ob er die Miethe
    bricht 628. 629. der oͤf-
    fentlichen 1130. der, wel-
    che einer Gemeine eigen-
    thuͤmlich iſt 1129. des
    Pfandes 702. eben deſſel-
    ben fuͤr das Darlehn 1150
  • Gebrauch zu reden, der ge-
    meine 346
  • Gebrauch (die Servitut)
    der voͤllige, der nicht voͤl-
    lige 721. demſelben aͤhn-
    liches Recht 722
  • Geburtsort1105
  • Gefahr ſoll man meiden 131.
    wer ſie bey gekauften Sa-
    chen traͤgt 613. u. ff. bey
    dem eiſernen Pacht 638.
    bey dem Nießbrauch 716.
    nach geſchehener Anerbie-
    tung zu bezahlen 753. we-
    gen der Fruͤchte aus dem
    Lehn 742. bey der Zuruͤck-
    ſendung einer geliehenen,
    oder niedergelegten Sache
    547. bey Vollmachten 562.
    567
  • Gefangene, wer dazu dienet
    1164. 1193. das Recht
    uͤber ſie 1192. 1194
  • Gefangennehmung1033
  • Gegenleiſtungen442
  • Gegenmanifeſt1187
  • Gegenſchenkungen483
  • Gegenwehr90
  • Gehalt (der Muͤntze) 534
  • Geheimniß einem andern
    verrathen, vertrauen 358
  • Gehen712
  • Gehorſam168. 835. gegen
    GOtt 168. der Kinder
    889. der Knechte 956.
    der Unterthanen 1079.
    1084
  • Geiſſeln1151. 1152
  • Geld494. 527. ſeine Ma-
    terie und Form 501. deſ-
    ſen Erwerb 507. 508. 511.
    praͤgen 501. umſetzen 655.
    auf Zinſen leihen 650. ei-
    ne Art von Gelde, die
    Summe davon, den Werth
    des Geldes borgen 535.
    wie dieſes wiedergegeben
    wird 536. das baare 503.
    das zu verzinſende 650.
    das hinuͤber zu fahrende
    S. Seegeld.
  • Geldlehn740
  • Geleite, ſicheres 1212
  • Gemaͤhlde239
  • Gemeine197. ihre Sa-
    chen 1128. wie dieſe er-
    worben
    [[939]]Regiſter der vornehmſten Sachen.
    worben ebend. veraͤußert
    oder verpfaͤndet werden
    koͤnnen 1129
  • Gemeine Beſte S. Beſte.
  • Gemein machen, die heili-
    gen Sachen 1025
  • Gemeine Weſen973. S.
    Republick.
  • Gemeinſchaft der erſten Zeit,
    der Sachen 186. 191. 194.
    301. u. ff. 334 ihr Stoͤh-
    rer 193. der Guͤter unter
    Eheleuten 867. die zu-
    faͤllige 197. die vernei-
    nende 191. die poſitive
    196. 254. 345
  • Gemuͤth dankbares 474.
    der Kinder 894
  • Gemuͤthsbewegungen ſtil-
    len, regieren, zaͤhmen 110
  • Genehmhaltung29. 81
  • Gerecht83. buͤrgerlich ge-
    recht ebend.
  • Gerechtigkeit, die allgemei-
    ne, beſondere 85. 86. ſoll
    im Staat gehandhabet
    werden 1028
  • Geſandter1236. wer da-
    zu taugt 1240. ihre Noth-
    wendigkeit 1238. vorſtel-
    lender Character 1242.
    Privathandlungen 1243.
    natuͤrliche 1244. will-
    kuͤhrliche Heiligkeit 1243.
    dieſelben ſchicken, zulaßen
    1238. die beſtaͤndigen 1239.
    ihr Zuſtand als waͤren ſie
    auſſer dem Gebiete 1243

  • Geſang176
  • Geſchaͤffte, das einſeitige,
    zweyſeitige 775. daſſelbe
    jemanden zugefallen fuͤh-
    ren 560. ſich eines frem-
    den anmaſſen 690
  • Geſchencke475. obs des
    Undanks wegen wiederru-
    fen werden kann 476. we-
    gen der Hochzeit, was die-
    ſes iſt 914. die oͤffentli-
    chen 1057. S. Schen-
    ckung
    .
  • Geſellſchaft836. wie ſie
    anzuſehen iſt 850. ihre
    Vollkommenheit 851.
    welche unerlaubt iſt 849.
    in dieſelbe treten 197. von
    ihr abgehen 852. 853. aus
    derſelben ausgeſchloſſen
    werden 853. einfache, zu-
    ſammengeſetzte 963. die
    gleiche, ungleiche 839. die
    herrſchaftliche 960. die
    eheliche S. Ehe. die vaͤ-
    terliche 909. gelehrte S.
    Academie. der Guͤter,
    aller Guͤter, allgemeine,
    beſondere 641. S. Hand-
    lungsgeſellſchaft
    .
  • Geſetz39. deſſen Bekant-
    machung 67. deſſen Be-
    obachtung, Uebertretung
    58. 846. abſchaffen, ver-
    aͤndern 1045. 1068. 1074.
    wenn verſchiedene collidi-
    ren 63. 64. 65. eines vor-
    ziehen, nachſetzen 63. goͤtt-
    liche,
    [[940]]Regiſter der vornehmſten Sachen.
    liche, menſchliche, will-
    kuͤhrliche 39. buͤrgerliche
    1041. 1068. u. ff. des groͤß-
    ten Staats 1090. das ver-
    luſtigmachende uͤberhaupt
    609. was dieſes im Kauf-
    contract zu bedeuten hat
    609. bey der Uebertra-
    gung der Herrſchaft 1007.
    1081. bey der Miethe
    628. bey Handlungsver-
    traͤgen 1110. das natuͤr-
    liche 39. 40. u. ff. 67.
    1045. 1046. 1070. des
    wohlanſtaͤndigen 55. das
    gebiethende, verbiethende,
    erlaubende 47. das voll-
    kommen machende 48. des
    Vergeſſens 1056. S. Am-
    neſtie.
    das eine Geſell-
    ſchaft hat 846. das Haupt-
    geſetz im Staat 976
  • Geſundheit113. der Un-
    terthanen ſoll der Regent
    beſorgen 1034
  • Gewaͤhrleiſtung(gvaran-
    tia)
    allgemeine, beſondere
    1149
  • Gewaͤhrleiſten(evictionis
    præſtatio)
    617
  • Gewaͤhrmann1149
  • Gewalt(poteſtas)833. die
    hoͤchſte im Staat 981. 984.
    1145. herrſchaftliche 947.
    951. 955. die vorzuͤgli-
    che 1065. Geſetze in der
    Geſellſchaft 846. im Staat
    zu geben 1043. des Ehe-
    mannes 870. die vaͤterli-
    che 888. 910. 911. was
    in unſrer Gewalt ſtehet 60.
    200. die vorzuͤgliche S.
    Macht.
  • Gewalt(vis) die austrei-
    bende, antreibende, ſtoͤh-
    rende 297. welche im Krie-
    ge erlaubt iſt 159. wenn
    ſie dem Feinde uͤber Per-
    ſonen nicht zukommt
    1206
  • Gewaltigen die kleinern, die
    hoͤchſten 1140. 1155
  • Gewicht der Muͤntze 534
  • Gewinn414. 560. 646.
    entzogener 1112. gewiſ-
    ſer, ungewiſſer, deſſen
    Verluſt 414. Hauptge-
    winn, Nebengewinn im
    Spiel 678
  • Gift ob es erlaubt iſt, die
    Feinde damit hinzurichten
    1207
  • Glaͤubiger528. ſein Recht
    an dem Vermoͤgen des ver-
    ſtorbenen Schuldners 820.
    der handſchriftliche 652
  • Gleichgewicht unter Voͤl-
    ckern 1172
  • Gleichheit natuͤrliche unter
    eintzeln Menſchen 70. un-
    ter Voͤlckern 1089. unter
    den Regenten 1120. in
    den beſchwerlichen Con-
    tracten 580. 581. bey dem
    Tauſch 584
  • Glieder die zum Leben ge-
    hoͤren, der Sinnen aͤuſſer-
    liche,
    [[941]]Regiſter der vornehmſten Sachen.
    liche, innerliche, die bewe-
    genden 112. ihre Erhal-
    tung 141
  • Gluͤck130. der Kinder zu
    beſorgen wem es zuſtehet
    892
  • Gluͤckſeligkeit118. der Un-
    terthanen 1024
  • Gluͤckscontract668
  • Gluͤcksguͤter S. Guͤter.
  • Gluͤckstopf674. wiefern
    er im Staat zuzulaſſen
    iſt 1021
  • Gott, ſeine Guͤte 170. Er-
    kenntniß deſſelben 163
  • Gottesdienſt, aͤuſſerlicher
    178. 1024. abgoͤttiſcher,
    aberglaͤubiſcher 182. der
    innere 178. 1064
  • Gotteslaͤſterung166
  • Gottloſigkeit167
  • Gottſeligkeit167. des Re-
    genten 1077
  • Graben des Flußes246.
    248
  • Grad in der Verwand-
    ſchaft,
    in gerader Linie
    879. der hoͤhern und nie-
    dern Ordnung 880. in
    ungleichen Linien 882. der
    Familie 881
  • Groͤſſe moraliſche, phyſiſche
    493
  • Grund(ratio) rechtmaͤßi-
    ger, anrathender zum Krie-
    ge 1171. der buͤrgerlichen
    Geſetze woher er zu neh-
    men iſt 1073

  • Grund, liegender(fundus)
    der beſte, dienſtbare, freye
    709. der von der Gewalt
    des Strohnis gelitten hat
    244
  • Grund und Boden(ſolum)
    237. was auf demſelben
    befindlich iſt ebend.
  • Grundeigenthum724
  • Grundgeſetze984. 1043.
    1044. 1064. 1079. 1107
  • Grundherr734
  • Grundzins734
  • Guͤte uͤberhaupt 12. des
    Geldes 534. der menſch-
    lichen Handlungen 14. 15
  • Guͤter(prædia) herrſchen-
    de, dienſtbare 709. (bona)
    207. des Gluͤcks, des Lei-
    bes, der Seele 104. 134.
    der Eheleute 866. 867.
    943. der Geſellſchaft 642.
    die koͤniglichen, die eige-
    nen des Koͤniges 1012. des
    Volckes, worinn ſie be-
    ſtehen 1162. derer, wel-
    che Schifbruch gelitten ha-
    ben 222. des Verſtorbe-
    nen, wie ſie auf andere ge-
    langen 819. u. ff. 917.
    u. ff.

Appendix A.8 H.


  • Hader S. Streitigkeiten.
  • Hadern762
  • Hafen1116
  • Handel innerer, aͤuſſerer
    1099. 1109. 1110. 1113.
    ob
    [[942]]Regiſter der vornehmſten Sachen.
    ob er kann verjaͤhret wer-
    den 1101. nach neutralen
    Laͤndern treiben 1181.
    den einer allein fuͤhret
    1112
  • Handelsſtadt1115
  • Handlung aͤuſſere, natuͤrli-
    che, nothwendige 1. in-
    nere 1. 1050. freye 1. 11.
    ihre innere Guͤte, Schaͤd-
    lichkeit 14. 15. Beſtim-
    mungen 7. durch Bewe-
    gungsgruͤnde von den goͤtt-
    lichen Eigenſchaften 160.
    ihre Einrichtung zur Voll-
    kommenheit der Welt 162.
    ihre Richtigkeit 16. 52.
    53. Mangel der Rich-
    tigkeit 17. ſind Sachen
    gleich zu achten 225. 226.
    aͤuſſerlich aufrichtige 349.
    gute, boͤſe, an und vor
    ſich gute, boͤſe, gleichguͤl-
    tige 12. 13. vorſaͤtzlich,
    aus Verſehen boͤſe 18.
    einfache, zuſammengeſetz-
    te 465. an fremden Theil
    nehmen 26. gezwungene,
    verneinend gezwungene 4.
    vor ſich ſelbſt begehrens-,
    verabſcheuungswuͤrdige 15.
    poſitive, privative 2.
    ſchaͤndliche 563. unnuͤtze
    360. uͤberlegte, unuͤber-
    legte 6. mit Willen, wi-
    der Willen 5. verbind-
    liche, wohlthaͤtige, bloß
    wohlthaͤtige 466. 668.
    dabey e[s] lediglich auf den
    Willen ankommt 1100
  • Handlungsgeſchaͤfte662
  • Handlungsgeſellſchaft639.
    640. dieſelbe aufheben,
    aufſagen 648. heraustre-
    ten 647. aus derſelben
    ausſchlieſſen 648. fortſe-
    tzen 647. wie Gewinn und
    Verluſt darinnen berechnet
    werden 645. 646. wie der
    Beytrag an Geld gegen
    Arbeit verglichen wird
    644
  • Handlungsvertraͤge1110.
    1111
  • Handſchrift652. 775. wie
    es damit zu halten 653.
    654. wenn damit eine
    Neuerung geſchieht 758
  • Handſchriftlicher Contract
    622. Glaͤubiger, Schuld-
    ner, Schuld
    652
  • Haß155
  • Hauptſache242
  • Hauptſchuldner569. ſeine
    Befreyung 760. ihn an-
    greifen 569
  • Hauß964. ſeine Abſicht
    965. vollkommenes, un-
    vollkommenes 964
  • Haußgenoſſen964
  • Haußgeſetze967
  • Haußhaltung866
  • Haußmann620
  • Haußmutter, Haußvater
    964. ihr Anſehen 969.
    Wachſamkeit 968

Heer-
[[943]]Regiſter der vornehmſten Sachen.
  • Heerfuͤhrer1178
  • Heilig unter Voͤlckern 1053
  • Herr von der Sache 198.
    947. ſeine Einwilligung
    in die Heyrath des Knech-
    tes 959. Pflichten gegen
    den Knecht 952. (præpo-
    nens) 662. (herus)
    960.
    ihn aufdringen 962. des
    Gebietes 1125. des Wech-
    ſels 656
  • Herrſchaft833. 834 ihr Ur-
    ſprung 838. worauf ſie haf-
    tet 1126. rechtliche Theile
    983. die ſubjectiviſchen
    1010. verſchiedene Arten
    dieſelbe aufzutragen 982.
    985. 986. 988. 997. 1007.
    Eintheilung 983. 1009.
    1010. ihr Nießbrauch 986.
    ihre Veraͤuſſeꝛung durch den
    Frieden 1226. allgemei-
    ne 1090. eigenthuͤmli-
    che 986. eingeſchraͤnk-
    te, uneingeſchraͤnkte
    983. 984. erbetene 983.
    uͤber abgeſonderte Fami-
    lien 1126. des Hauſes 966.
    herrſchaftliche 955. 1205.
    die nicht immer waͤhret
    983. der Reichsverweſer
    1005. des Staats 979.
    980. uͤber die Ueberwun-
    denen 1205. voͤllige, nicht
    voͤllige 983
  • Herrſchen833
  • Herumſchweifender1104.
    1105

  • Heucheley167
  • Heyrathsvertrag913
  • Hochachtung125. gegen
    verſtorbene 822
  • Hochverrath1082
  • Hoffnung aus dem Verſpre-
    chen 396. 401. das Recht
    durch Geburt zu erlangen
    829. zu gewinnen im
    Spielcontract 678. in je-
    dem Gluͤckscontract 668
  • Hoffnungskauf684
  • Huͤlfe bey der Beſtrafung
    151. im Kriege 152. 1179.
    Gutes zu erlangen 134.
    beyderſeitige der Mitglie-
    der in der Geſellfchaft 848.
    der Eheleute 869
  • Huͤlfstruppen1179
  • Hure, Hurerey854
  • Hurenkinder861
  • Hypotheck697. ihre Auf-
    hebung 707. Ausloͤſung
    allgemeine, beſondere 704.
    verabredete 704. 705

Appendix A.9 J.


  • Jnjurie, real, verbale 143
  • Jnguiſit1031
  • Jnſtrument775
  • Jntention, die eigentliche,
    entfernte, mittel-, und un-
    mittelbare 23
  • Jntereſſe415. wer dafuͤr
    ſtehen ſoll 416. welches
    in den Contracten in Be-
    trachtung
    [[944]]Regiſter der vornehmſten Sachen.
    trachtung kommt 560. bey
    der Buͤrgſchaft fuͤr eines
    andern Auffuͤhrung 576.
    des Empfaͤngers 661. daß
    die Sache an einen andern
    verkauft iſt 594. daß die Ar-
    beit zur verabredeten Zeit
    nicht iſt geleiſtet worden
    623. daß eine fehlerhafte
    Sache iſt vermiethet wor-
    den 637. daß das Verſpre-
    chen nicht iſt gehalten wor-
    den 416. daß eine ver-
    ſprochne Sache unterge-
    gangen iſt 420. bey der
    Vollmacht 557. 566. 568.
    wegen des Verzugs 419.
    616
  • Jnvaſion263
  • Jnvaſor263: des Reichs
    1083. Vertraͤge mit dem-
    ſelben 1084. 1220
  • Jnventarium902. obs vom
    beſchwohrnen Verzeichniß
    unterſchieden iſt 919. ob
    der Erbe dazu verbunden
    iſt 919. oder auch der Vor-
    mund und Curator 902
  • Jrrthum33. der aͤuſſere
    113. in der Religion kann
    nicht geſtraft werden 1050.
    des Kaͤufers in Anſehung
    der Sache, der Materie
    604. in der Zahlung des
    Kaufgeldes 602
  • Jungen der Thiere 233
  • Jungferſchaft862

Appendix A.10 K.


  • Kalck brennen, das Recht
    dazu 712
  • Kammerguͤter1040
  • Kampf787
  • Kauf und Verkauf587.
    u. ff. ob Kauf Miethe
    brechen kann 628. wer
    hier den Vortheil und die
    Gefahr hat 613. u. ff.
    was fuͤr Vertraͤge dieſem
    angehaͤnget werden koͤnnen
    605. u. ff. 733. unter ei-
    ner aufloͤſenden Bedingung
    606. 607609. unter ei-
    ner aufſchiebenden 607.
    unter der Bedingung, wenn
    ein fetterer Kaͤufer ſich
    finden ſollte 607. auf ei-
    nen gewiſſen Tag 605.
    dem Kaͤufer, Verkaͤufer
    zu gefallen 601. nach der
    Gattung der Sache 595.
    nach Maaß und Gewicht
    591. mit einem verluſtig-
    machenden Geſetz 609.
    des Ausgeworfenen, ſo ei-
    ner ergreifen wird 685.
    einer Sache die ein ande-
    rer machen ſoll 635. der
    eine gewiſſe Zeit dauren
    ſoll 605. in Pauſch und
    Bogen 592
  • Kaͤufer587. fetterer 608
  • Kebsweib, Kebsweiberey
    860
  • Kerbholtz777
  • Kinder ihre Pflicht gegen die
    Eltern
    [[945]]Regiſter der vornehmſten Sachen.
    Eltern 894. wer auf ihr
    Gluͤck bedacht ſeyn ſoll 892.
    wer ſie zur Tugend fuͤhren,
    und von den Laſtern abhal-
    ten ſoll 890. ob die Eltern
    ſie umbꝛingen oder wegſetzen
    doͤrfen 886. wie lange ſie
    unter vaͤterlicher Gewalt
    ſtehen 910. ihre Erbfolge
    921. ob ſie im Teſtament
    uͤbergangen werden koͤn-
    nen 931. ob ihnen die
    Thaten der Eltern koͤnnen
    zugerechnet werden 837.
    1053. ſie fuͤr die ſeinigen
    erkennen 827. verſtoſſen
    925. die noch in Mutter-
    leibe ſind 827. u. ff. die
    von einer Magd 959. die
    nach des Vaters Tode ge-
    bohren werden 931. die
    rechtmaͤßigen, unehelichen
    861. der unehelichen Ver-
    wandſchaſt 883. ob auf
    dieſen ein Schandfleck we-
    gen der Eltern haftet 873
  • Kirche(eccleſia), allgemeine,
    beſondere 1026. (tem-
    plum)
    1024
  • Kirchenguͤter, Kirchenſa-
    chen
    1026. ob ſie un-
    ter dem vorzuͤglichen Ei-
    genthum ſtehen 1065
  • Klaͤger773
  • Knabenſchaͤnderey854
  • Knecht994. wem er er-
    wirbt, und ob er etwas
    eignes haben kann 954.
    ſein Vermoͤgen ebend. ſei-
    ne Heyrath 959. uͤber den-
    ſelben wuͤten, was das ſey
    955. denſelben veraͤuſſern
    957
  • Knechtſchaft947. freywil-
    lige 948. gezwungen 950.
    die vollkommene, unvoll-
    kommene 947
  • Koͤnig994. ſeine koͤnigli-
    chen, ſeine eigne Guͤther,
    ſeine koͤnigliche, ſeine be-
    ſondere Handlungen 1012.
    ſein Eigenthum uͤber Pri-
    vatlaͤndereyen 1065. wie
    er in der Geſangenſchaft
    Frieden machen kann 1220.
    wie er unter die Privat-
    leute verſetzt wird 1081
  • Koͤrper menſchlicher, ſeine
    Vollkommenheit 112
  • Korn der Muͤntze 534
  • Kraͤnckang154. dieſelbe
    vergeben 157
  • Kranckheit113
  • Kranckenhauß1022
  • Krieg98. 99. wenn er er-
    laubt iſt 102. ob er die
    Streitigkeiten unter Voͤl-
    kern zu entſcheiden tauget
    1159. fuͤhren 102. wie
    lange er fortzuſetzen iſt
    1219. ſein Ende 1217.
    1227. ihn ſoll man meyden
    790. 791. 1217. wem die
    Ausuͤbung deſſelben im
    Staat zuſtehet 1028. 1029.
    O o oſeine
    [[946]]Regiſter der vornehmſten Sachen.
    ſeine Bekantmachung 1186.
    buͤrgerlicher 1233. zum
    Angrif, zur Vertheidi-
    gung 1169. 1170. ge-
    rechter 1190. 1191. u. ff.
    1215. bloß des Nutzens
    wegen 1171. oͤffentlicher
    1166. 1169. Privatkrieg
    1169. zur Strafe, S.
    Strafkrieg. thieriſcher
    1171. unrechtmaͤßiger 1189.
    1190. vermiſchter 1169.
    wegen der anwachſenden
    Macht der Nachbarn 1172.
    ob er bey einer zweiſelhaf-
    ten Sache ſtatt findet 790.
    um einen Vergleich zu er-
    halten 1170
  • Kriegsbuͤndniß zum Au-
    grif, zur Vertheidigung,
    auf beyde Faͤlle 1180
  • Kriegscontribution1200
  • Kriegsliſt1203
  • Kriegsoperation1191.
    1183
  • Kriegsrecht1178
  • Kuͤnſtler634
  • Kunſtwoͤrter802. ihr Ge-
    brauch 798. ſollen dem
    Buͤrgen erklaͤrt werden
    578
  • Kux683

Appendix A.11 L.


  • Lacus253
  • Land S. Gebiete.
  • Landgut709. ſeine Ver-
    beſſerung 743

  • Landlaͤufer S. Herum-
    ſchweifender.
  • Landſtraßen, fuͤr ihre Ge-
    maͤchlichkeit und Sicher-
    heit ſoll ein Regent ſor-
    gen 1034
  • Laſten der Republick(o-
    nera reipublicæ)
    auſſeror-
    dentliche, ordentliche 1037.
    1057
  • Laſter85. 890. grobe ſol-
    len in dem Staat geſtra-
    fet werden 1052. ob ſie
    eine Urſache zum Straf-
    kriege abgeben 1173. der
    beleidigten Majeſtaͤt, des
    Hochverraths 1082. des
    Erſchleichens 1062
  • Laͤſterer150
  • Leben bequemes, vergnuͤg-
    tes, worin es beſtehet 119.
    obs zur Strafe genommen
    werden darf 1048. als ein
    ehrlicher Mann leben 49
  • Lebensart gewiſſe ſollen El-
    tern den Kindern beſorgen
    891
  • Lebensgefahr131
  • Lebensunterhalt972. 1021.
    1022
  • Lehn736. ſeine natuͤrli-
    che, weſentliche, zufaͤllige
    Beſtimmungen 737. wer
    dabey die Gefahr wegen
    der Fruͤchte hat 742. zu
    Lehn geben 736. wie und
    was dazu gegeben werden
    kann 739. 740. daſſelbe
    auf-
    [[947]]Regiſter der vornehmſten Sachen.
    auflaſſen, revociren 748.
    deſſelben Eroͤffnung 744.
    das auf dem Fall ſtehet
    ebend. ob die Herrſchaft
    dazu dienen kann 987
  • Lebncontract(contr. feu-
    dalis) 736. 739. (emphy-
    teuticus)
    725. 727
  • Lehndienſte739
  • Lehnfolger743
  • Lehngut736. wer die Be-
    ſchwerden deſſelben tragen
    muß 743
  • Lehnsberr, Lehnmann
    736
  • Lehnsverbindlich-
    keit
    , Lehnsverbin-
    dung
    747
  • Lehnwaare728
  • Lehrer oͤffentliche 1024
  • Leib deſſen Erhaltung und
    Vollkommenheit 112
  • Leibrenten, an Fruͤchten,
    an Gelde 682
  • Leibrentencontract682
  • Leichenbegaͤngniß824
  • Leiden, wenn man gezwun-
    gen leidet 4
  • Leihen515. u. ff. 523. ei-
    nen Diener 962. frem-
    de Sachen 530. wer bey
    Zuruͤckſendung des gelie-
    henen die Gefahr hat 547.
    auf Zinſen 650. dem et-
    was geliehen worden 515.
    517. 519. u. ff. 547
  • Leiſten328. die Verbind-
    lichkeit dazu 329

  • Liebe gegen andre, ihre Be-
    weiſung 136. gegen Gott
    167. 170. gegen die El-
    tern 894. der Feinde
    1188. zu den Kindern 893.
    zu den Unterthanen 1077.
    gegenſeitige zwiſchen Re-
    geuten und Unterthunen
    1085. zum Vaterlande
    1105. gegen andere Voͤl-
    cker 1109. des Wohlge-
    fallens 169. 170
  • Liebesdienſt, Liebespflicht
    61. 73. 79. der Eheleute
    unter ſich 869. der El-
    tern gegen die Kinder 890.
    u. ff. in einem Hauſe 971.
    gegen den Knecht 952. der
    Kinder gegen die Eltern
    894. unter Regenten und
    Unterthanen 1024. 1085.
    der Voͤlcker gegen einander
    1088. ob dieſe die Reli-
    gion zu hindern vermag
    1123S. Pflicht.
  • Linie der Verwandſchaft,
    die gerade aufſteigende,
    niederſteigende 876. S.
    Nebenlinie.
  • Liſt, gute, ſchlimme 24. S.
    Bosheit.
  • Lob125. ſoll man nicht
    begehren 128. goͤttliches
    172. der verſtorbenen
    822
  • Loͤwengeſellſchaft640
  • Lohn500. billiger fuͤr die
    Arbeit, was darunter zu
    O o o 2ver-
    [[948]]Regiſter der vornehmſten Sachen.
    verſtehen iſt 627. fuͤr die
    Aſſeeuration 679. fuͤr die
    geliehene Sache 524. der
    fuͤr die Verwahrung 540.
    fuͤr die Sequeſtration ver-
    ſprochen wird 550. fuͤr
    den Gebrauch einer Sache,
    fuͤr die Arbeit 620. 621.
    626. 627. 630. 633. im
    eiſernen Pacht 638
  • Looß669. deſſen Gebrauch
    bey ſtreitigen Faͤllen 767.
    1157. bey zweifelhaften
    Sachen 790. bey der
    Gleichheit der Stimmen
    843. S. Theilungslooß.
  • Lotterie673. wenn ſie zu-
    laͤßig ſind 673. 674. im
    Staat 1021
  • Luftraum in wie weit er ei-
    genthuͤmlich ſeyn kann
    241
  • Luſtſpiel1027
  • Luͤgen351. 352

Appendix A.12 M.


  • Macht, die anwachſende der
    benachbarten Voͤlcker 1172.
    die vorzuͤgliche des Regen-
    ten 1065
  • Magd947
  • Mahlſchatz865
  • Mahnen752
  • Majeſtaͤt998
  • Majeſtaͤtsrecht998. was
    dazu gehoͤret 1042. u. ff.

  • Mann ehrlicher 49. ein red-
    licher 772
  • Manifeſt1187
  • Maſcopey S. Handlungs-
    geſellſchaft.
  • Maſcopeybruͤder639
  • Materie dauerhafte zum
    Gelde 501
  • Meuchelmoͤrder1209
  • Meineid371
  • Menſchen, ihre Vollkom-
    menheit 112. Erhaltung
    ihres Geſchlechtes 854 die
    rechte Art dazu 855. ih-
    re Gleichheit, Ungleich-
    heit von Natur 70. ihre
    Liebe gegen andere 136
  • Menſchenraub1175
  • Metalle, ob ſie zum Nieß-
    brauch gehoͤren 714
  • Miſſethat1030
  • Muͤßiggang124
  • Mißionarien1122
  • Miethe620. u. ff. 664. Ver-
    traͤge die hinzugefuͤget wer-
    den koͤnnen 628 dieſelbe
    auſſagen 631. aufs neue
    miethen S. Wiederver-
    miethung.
    Wenn ſie zu
    erlaſſen iſt 637
  • Miethender in Anſehung
    der Arbeit, Sache 620
  • Miethzins, Mietlohn, S.
    Lohn.
  • Minervens Wahlſtimme
    843
  • Mißbrauch des Eigenthums
    202. ſeines Rechtes 66.
    der
    [[949]]Regiſter der vornehmſten Sachen.
    der vermietheten Sache
    622
  • Mittelsperſon, im verſpre-
    chen 429. 430. im verbind-
    lich machen 426. im an-
    nehmen 426. 433
  • Mitgabe913
  • Mitglieder einer Geſell-
    ſchaft 836. wenn eines
    ausgeſchloſſen werden kann
    853. ob ſie wider einan-
    der zeigen koͤnnen 779.
    eines Staats, ihre Ver-
    bindlichkeit 975. wenn ei-
    nes herausgeſtoſſen werden
    kann 1050
  • Mittler768. 769
  • Mitregenten, Mitregent-
    ſchaft
    995. 996
  • Mitſchuldige, Glaͤubiger,
    der Schuld, des Stipuli-
    rens, des Verſprechens
    424
  • Mittheilung der Arbeit
    327. 329
  • Moͤglichkeit, ſittliche 37
  • Monarchie991. 1002
  • Morgengabe915
  • Muͤndel S. Waͤiſen.
  • Muͤntze502. ihre aͤuſſere,
    innere Guͤte 534. die gu-
    te, ſchlechte ebend. was
    der Regent dabey zu be-
    ſorgen hat 1036. 1059
  • Muͤntzverfaͤlſcher1036

Appendix A.13 N.


  • Nachdencken108

  • Nachkommen832. die un-
    ſrigen ebend.
  • Nachlaͤßigkeit21
  • Nahmen, den ehrlichen ver-
    liehren 149. ob es zur
    Strafe geſchehen kann
    1048. den guten Nahmen
    anderer vermindern 142.
    durch Duell retten 789.
    ihn beſchuͤtzen 150
  • Nebenlinie in der Verwand-
    ſchaft 876. gleiche, un-
    gleiche 882
  • Neuerung der Verbindlich-
    keit 758. 759
  • Neutralitaͤt im Kriege 1181
  • Neutralitaͤtsbuͤndniß1181
  • Nichtſchuldiges692
  • Niedererbgrundherr734
  • Niederholtz obs unter dem
    Nießbrauch begriffen iſt
    714
  • Niederlegen eine Sache bey
    jemanden 539. u. ff. wer
    die Gefahr hat bey Zu-
    ruͤckſendung des Niederge-
    legten 547
  • Niederlegender539. ſei-
    ne Verbindlichkeit 542.
    547
  • Nießbrauch713. u. ff. der
    Herrſchaft 986. das dem
    Nießbrauch aͤhnliche Recht
    719
  • Nothzuͤchtigen862. 1206
  • Nuͤtzlich was es in den Con-
    tracten iſt 560. in der
    Anmaßung eines fremden
    O o o 3Geſchaͤf-
    [[950]]Regiſter der vornehmſten Sachen.
    Geſchaͤftes wie zu ermeſ-
    ſen 690 ob des Nutzens
    wegen Krieg anzufangen
    erlaubt iſt 1171

Appendix A.14 O.


  • Oberherr996. S. Re-
    gent.
  • Obrigkeit1060
  • Officir1178
  • Onansſuͤnde854
  • Original vom Jnſtrument
    775

Appendix A.15 P.


  • Pacht eiſerner 638. S. Lohn
    fuͤr den Gebrauch der
    Sache.
  • Pachtcontract auf die Helf-
    te der Fruͤchte 696
  • Pachter620
  • Partheyiſch768
  • Pasguill149
  • Pecunia fœnebris650
  • Perſoͤnlich400
  • Perſon, gewiſſe 325. mo-
    raliſche 96. das Anſehen
    der Perſon 772
  • Pfaͤhle zu nehmen, das
    Recht 712
  • Pfand697. deſſen Eigen-
    thum 698. wenn man es
    wegen einer andern Schuld
    zuruͤcke behalten kann 706.
    1150. deſſen Aufhebung
    707. Ausloͤſung 699.
    Verkauf 697. u. ff. ſein
    nutzbarer Gebrauch fuͤr
    das Darlehn 1151. das
    verabredete 704. 705
  • Pfandrecht697
  • Pflantzung238
  • Pflicht57. gegen ſich ſelbſt
    57. ihre Verſchiedenheit
    und Verbindung 103. wie
    ihre Colliſion gehoben
    wird 65. welches die ge-
    gen andere ſind 57. ihre
    Beſtaͤndigkeit 73. wenn
    man ſie abſchlagen darf
    59. Uebereinſtimmung der
    Pflichten gegen ſich ſelbſt
    und gegen andere 133.
    was fuͤr welche die gegen
    Gott ſind 57. 59. 160. u.
    ff. ihre Ausuͤbung 177.
    gegen die Verſtorbenen
    832. die allgemeine der
    Voͤlcker unter ſich 1108.
    die eheliche 871
  • Pluͤnderung1201
  • Poͤbelregiment990
  • Pracht509. die unmaͤßige
    1021
  • Praͤſentant656
  • Preiß des goͤttlichen Namens
    174
  • Preiß welcher zum Streit
    ausgeſetzt iſt 675
  • Preiß, Werth an Gelde
    495. 500. billiger, unbilli-
    ger 499. der Schatzung
    wegen, des Verkaufs we-
    gen 659. der gekauften
    Sache 600. u. ff. bey Lot-
    terien
    [[951]]Regiſter der vornehmſten Sachen.
    terien 673. der Looſe im
    Gluͤckstopf 674
  • Privatkrieg1169. wem ſei-
    ne Ausuͤbung in der Re-
    publick zuſtehe 1028.
    1029
  • Privilegien, Privilegirter
    1047
  • Proprietaͤt198. wie ſie
    eingeſchraͤnckt werden kann
    724
  • Protocoll775
  • Punctation775

Appendix A.16 Q.


  • Qvaſiborgen691
  • Qvaſicontract686. u. ff.
  • Qvaſikauf691
  • Qvaſivermiethen, miethen
    691
  • Qvittung654

Appendix A.17 R.


  • Rache, Rachgier155
  • Rang75. im Staat 1041.
    wer ihn zu ertheilen Recht
    hat 1061. ob ihn die Voͤl-
    cker von Natur unter einan-
    der haben 1089. wie er
    unter ihnen erworben wird
    1119. in der Geſellſchaft
    unter Mitgliedrrn 840
  • Rantzion1194. 1213
  • Rath(ſenatus)999
  • Raͤthe1076
  • Rath(conſilium)561
  • Raub, Raͤuber263. das
    Recht ihn zu ſtrafen 267.
    ſich gegen ihn zu verthei-
    digen 268. man ſoll ih-
    nen das Verſprechen hal-
    ten 1235
  • Raͤtzel354
  • Rebellion, Rebellen1232.
    Verſprechen muß man ih-
    nen halten 1235
  • Rechnung ſoll man von ei-
    nem gefuͤhrten Geſchaͤfte
    ablegen 559. wegen der
    Vormundſchaft 903
  • Recht, richtig52
  • Recht46. erlaſſen 337. 341.
    ausſchlagen 339. 342. 830.
    ſich deſſen bedienen 66. be-
    geben 341. 342. auf die-
    jenigen bringen die noch
    nicht gebohren ſind 827.
    828. auf andre bringen
    314. 316. 317. dazu iſt
    man verbunden 329. wie
    es einem zufaͤllt 339. wer
    es verwirft ebend. wie es
    von Verſtorbenen auf an-
    dere kommt 819. 917. u.
    ff. was wiederrechtlich,
    was ihm gemaͤß geſchieht
    83. das auf einen an-
    dern gelangen kann, oder
    nicht gelangen 820. 828.
    das allgemeine 68. 69.
    101. angebohrne 74. 81.
    95. das man bittweiſe hat
    340. eigene 101. 102.
    194. 195. den Menſchen
    eignes, einiger Menſchen,
    O o o 4eines
    [[952]]Regiſter der vornehmſten Sachen.
    eines einigen eigenes 56.
    das erworbene 100. er-
    langtes 340. aus dem
    Vertrage 1147. durch die
    Vorſehung der Vorfahren
    erlangtes Recht 831. das
    gemeinſchaftliche 186. zu
    den Handlungen 189. das
    kuͤnftige 589. da etwas
    bloß in unſrer Macht ſte-
    het 1100. der Natur 39.
    56. deſſen allgemeine
    Grundwahrheit 43. das
    Menſchen und Thieren ge-
    mein iſt 56. perſoͤnliches
    400. das ſtreitige 762.
    das uͤberbliebene aus der
    erſten Gemeinſchaft 300.
    u. ff. unendliche 94. un-
    vollkommene 80 vollkom-
    mene 80. wie dieß erhal-
    ten wird 97. eben das un-
    ter Boͤlckern 1089. des
    Abweſenden 844. des Ab-
    reiſſens 245. die Ankla-
    ge auſzuheben 1055. der
    Anſpuͤhlung 251. u. ff. zur
    Artzeney 114. oͤffentliche
    Aemter zu ertheilen 1060.
    das Pſand auszuliefern
    699. ſich Sachen fuͤr billi-
    gen Preis anzuſchaffen
    307. 1098. 1112. 1181.
    Auflagen zu machen 1057.
    1114. auf des Nachbars
    Baum 241. des Begraͤb-
    niſſes 824. des Beſitzes
    287. u. ff. 299. 334. zu
    beſitzen 200. Collecten an-
    zulegen 1058. Conſuls zu
    beſtellen 1118. der Ein-
    heimiſchen 1020. Frieden
    zu machen 1220. uͤber
    Fremde im Gebiete 1132.
    durch fremdes Gebiete
    durchzugehen 312. 1131.
    mit Truppen 1181. 1182.
    in oder auf das Gebiete
    eines Volckes ſtehet kei-
    nem zu 1136. einem an-
    dern Volck Rechte in ſei-
    nem Gebiete zu geben
    1135. zum kuͤnftigen Ge-
    brauch Sachen aufzuheben
    185. Sachen zu geben
    258. zu den Fruͤchten der
    Sache 198. uͤber die
    Geiſſeln 1151. 1152. Geld
    zu praͤgen 1059. Geſetze
    auszulegen 1044. zu ge-
    ben S. Gewalt. der
    Gleichheit unter Regenten
    1120. zum Gebrauch der
    Sache 198 der gerin-
    gern Gewaltigen 1155.
    zu einer Handlung Recht
    einzuraͤumen 259. Holtz
    zu holen 712. uͤber die
    Handlungen eines andern
    76. zum Handel und
    Wandel 1101. Haͤuſer
    zu bauen 116. Kinder
    wegzuſetzen, umzubringen
    886. ſie zu verbinden 889.
    zur
    [[953]]Regiſter der vornehmſten Sachen.
    zur Kleidung 115. den
    Knecht zu verbinden 951.
    im gerechten Kriege 1190.
    1192. im unrechtmaͤßigen
    Kriege 1189. zum Krie-
    ge 98. in zweifelhaften
    Faͤllen 790. u. ff. 1159.
    uͤber dem Vertrage 447.
    uͤber dem Beſitz 790. im
    Staat 1066. das Voͤl-
    ckern zuſtehet 1089. 1215.
    Kriegscuntributions aus-
    zuſchreiben 1200. einen
    Koͤnig zu waͤhlen 1006.
    ſich in fremden Landen zu
    verweilen 190. 3121131.
    1181. aus dem Lande zu
    gehen 1107. uͤber Leben
    und Todt 1048. nicht zu
    leiden daß man in ſeinem
    Recht gehindert wird 50.
    1069. daß ſich ein Volck
    in des andern Regierung
    miſchen ſoll 1121. Liebes-
    dienſte zu fordern 82. 1108.
    das libellariſche 732. die
    Macht zu vermehren 1102.
    die feindliche zu ſchwaͤchen
    1193. des Nießbrauchs
    198. der Nothwendigkeit
    308. u. ff. des unſchaͤdli-
    chen Nutzens 311. zum
    Nutzen der Sache 198.
    Pfaͤhle zu nehmen 712.
    Privilegien zu geben 1047.
    des Reichstages denſelben
    zu berufen 1000. der Re-
    preſſalien 1163. in einer
    Sache 334. die durch den
    Gebrauch verbraucht wird
    187. das man in ſeiner
    Sache jemanden einraͤu-
    met 260. zur Sache,
    vollkommenes, unvollkom-
    menes 335. uͤber heilige
    Sachen 1064. der Si-
    cherheit 89. zur Speiſe
    und Tranck 114. zu ſchen-
    cken 477. Streitigkeiten
    wegen der Reichsfolge zu
    entſcheiden 1016. die in
    der Kirchen vorlaͤufig zu ent-
    ſcheiden 1064. zu ſtrafen
    93. im Staat 1048. 1029.
    1030. welches den Voͤl-
    ckern zuſtehet 1089. 1160.
    in der Geſellſchaft 846.
    zu ſuppliciren 1080. der
    Trift 712. zu veraͤndern
    256. zu veraͤuſſern 257.
    724. das Lehn zu ver-
    aͤuſſern 748. zum Ver-
    gleich zu zwingen 767.
    790. 1158. zu verderben
    255. 269. Vertraͤge mit
    andern Voͤlckern zu ma-
    chen 1067. der natuͤrli-
    chen Verbindlichkeit ein
    Genuͤge zu leiſten 81. die
    Jungferſchaft, oder auch
    die Schamhaftigkeit zu
    vertheidigen 862. ſich zu
    vertheidigen 90. und ſeine
    O o o 5Sachen
    [[954]]Regiſter der vornehmſten Sachen.
    Sachen 268. obs im
    Staat beſtehet 1029.
    obs den Voͤlckern zukommt
    1089. andere zu ver-
    theidigen 151. des Vor-
    kaufs, geſetzmaͤßiges, ver-
    abredetes 611. der Ue-
    berſchwemmung 249. der
    Wiederkunft 1214. 1216.
    zu widerſtehen wenn je-
    mand in ſeinem Recht ge-
    hindert wird 50. dem
    Regenten 1079. 1080.
    einem Volck 1102. 1121.
    Wuͤrden zu ertheilen 1061.
    1062
  • Rede betruͤgliche 801
  • Redemtor620
  • Regenten982. ihre Ei-
    genſchaften 1076. 1077.
    wenn ſie die Schulden der
    Vorfahren zahlen muͤßen
    1012. 1147. ihre Pflicht
    gegen die Unterthanen
    1024. 1085. ihr Recht
    982. ihre Gleichheit un-
    ter einander 1120
  • Regierung welche gut oder
    uͤbel iſt 1075. ſich in
    fremde Regierung zu mi-
    ſchen iſt nicht erlaubt
    1121
  • Rheder665. in deſſen Na-
    men handeln ebend.
  • Rhedercontract665
  • Reich, Reichthum486.
    504. 508. 1019. wie es zu
    ſchaͤtzen iſt 504. wiefern
    man darnach trachten darf
    512
  • Reich994. aͤſymnetiſches
    1002. das deſpotiſche
    997. laconiſche 1003.
    geſetzmaͤßige 1004. voll-
    kommen und unvollkom-
    men eigenthuͤmliche 1009
  • Reichstag1000
  • Reichsverweſer1005
  • Reinigungseid, ſich rei-
    nigen
    782. vom Verzug
    418. 758
  • Religion1024. Vorſorge
    des Regenten fuͤr dieſelbe
    ebend. wie ſie fortzu-
    pflantzen 1122. auf ihre
    Verſchiedenheit ſoll unter
    Voͤlckern nicht geſehen wer-
    den 1148
  • Remiſſe, Remittent656
  • Rentkammer1039
  • Repraͤſentationsrecht921.
    923. 926. bey der Erb-
    folge im Reich 1011
  • Repreſſalien1163. 1163. u. ff.
  • Repudium871. 864. 865
  • Republick973. die ver-
    miſchte 993
  • Richter1028. ſein Recht
    1029. 1030. 1132. wer ihn
    beſtellen muß 1060
  • Ruͤckbuͤrge574
  • Ruf126
  • Ruhm127. eines Volckes
    1096. was die Voͤlcker
    einander deswegen ſchul-
    dig ſind 1097. 1109

Saͤen
[[955]]Regiſter der vornehmſten Sachen.

Appendix A.18 S.


  • Saͤen238
  • Sachen121. behaupten
    617. Sachen und Thun ge-
    meinſchaftlich machen 469.
    zu Lehn verleihen 736.
    wenn ſie untergehet 243.
    wenn die verſprochne un-
    tergehet 420. oder die ge-
    borgte ehe man ſie ge-
    braucht 537. oder die
    verpfaͤndete, was das nach
    ſich ziehet 707. ihre Ver-
    beſſerung 279. die Ver-
    aͤnderung der gemietheten
    636. ausgeworfene 221.
    bewegliche 211. 212. 1198.
    1204. 1222. ſich bewe-
    gende 211. 218. die nicht
    eingeſchraͤnckt und nicht
    vertheidiget werden koͤn-
    nen 303. eigene 191.
    1128. durch Fleiß gezo-
    gene 121. feindliche 1184.
    1196. u. ff. fruchtbare,
    unfruchtbare 228. 550.
    fremde 199. durch Be-
    ſitz erlangen 448. ver-
    derben oder verſchlimmern
    277. wiedergeben 261.
    beſitzen 278. leihen oder
    borgen 529. 530. hinter-
    legen 543. veraͤuſſern
    585. verkaufen593.
    verpfaͤnden 700. von un-
    erſchoͤpflichen Gebrauch 302.
    geliehene verderben 519.
    gemeine 1025. der Ge-
    meine 1128. ihre Ver-
    aͤuſſerung 1129. gemein-
    ſchaftliche 186. 1128. ih-
    re Veraͤuſſerung 330.
    die gemeinſchaftlichen der
    Eheleute 867. gewiſſe
    325. geſtohlne 264. ge-
    raubte 264. gleichguͤlti-
    ge 527. Hauptſache 242.
    haͤußliche 866. heilige
    1025. ob ſie unter dem
    vorzuͤglichen Recht ſtehen
    1065. ob ſie deswegen zu
    verwuͤſten ſind, weil ſie
    zum Aberglauben zu die-
    nen ſcheinen 1195. kei-
    nem zugehoͤrige 191. 209.
    246. 250. 251. koͤrperli-
    che 121. u. ff. dieſelben
    erſitzen 451. kuͤnſtliche
    121. blos naͤtuͤrliche 121.
    nothwendige 121. 305.
    306. nuͤtzliche 121. oͤf-
    fentliche 1128. 1130. ſei-
    nige 195. 206. ſtreitige
    548. 762. vergnuͤgende
    121. verlaſſene 203. 209.
    verlohrne 220. verpfaͤn-
    dete 697. die verzehrt
    werden, wie man ſie lei-
    het 523. wie ſie dafuͤr
    angeſehen werden koͤnnen,
    als wenn ſie ſich nicht ver-
    zehren ließen 740. unbe-
    wegliche 211. 213. 1199.
    unkoͤrperliche 121. u. ff.
    206. 214. wie ſie erſeſ-
    ſen werden 451. uͤberfluͤſ-
    ſige
    [[956]]Regiſter der vornehmſten Sachen.
    ſige 485. die wircklich
    werden ſollen, ihr Kauf
    590. zweifelhafte ob ſie
    zum Nießbrauch gehoͤren
    714
  • Sand graben das Recht da-
    zu 712
  • Schaden269. in denſel-
    ben bringen ebend. erſe-
    tzen 270. wenn verſchie-
    dene collidiren 283. wel-
    cher im unrechtmaͤßigen
    Kriege erſetzt werden ſoll
    1190. wer ihn im Pacht
    auf die Helfte tragen muß
    696. den ein betruͤgeri-
    ſcher Rath verurſachet 561.
    auf welchen in den Con-
    tracten geſehen wird 560.
    bey dem Hinterlegen der
    Sachen 541. 542. auſſer-
    ordentlicher, ordentlicher
    beym Spielcontract 678.
    an der gemiethehen Sache,
    oder ihrem Gebrauch 633.
    bey der Vollmacht 557.
    568. durch Erwaͤhlung
    untuͤchtiger Beamten 1062.
    bey der verdungenen Ar-
    beit 634. an dem Pſan-
    de 702. durch ein Ver-
    ſprechen 405. aus den
    Repreſſalien 1166. den
    der Knecht gethan hat
    954. bey der Handlungs-
    geſellſchaft 640. der Ge-
    ſellſchaft 852. der bey
    dem Durchzuge mit Kriegs-
    voͤlckern iſt zugefuͤget wor-
    den 1182. den der Vor-
    mund gethan hat 904.
    wegen eines Fehlers der
    gekauften Waare 618.
    vorſaͤtzlicher, unvorſaͤtzli-
    cher 269. zufaͤlliger 269
  • Schadloßbuͤrge575. des
    Buͤrgen ebend.
  • Schadloßhaltung iſt in den
    wohlthaͤtigen Contracten
    begriffen 1154. eines Cu-
    raters, Vormundes 907.
    des Gevollmaͤchtigten 557.
    565. 566
  • Schamhaftigkeit862
  • Schande145. denen die
    in Ehren und Wuͤrden
    ſtehn anzuthun iſt uner-
    laubt 1041
  • Schatz223
  • Schatzkammer oͤffentliche, ei-
    ner Geſellſchaft 1038
  • Schaͤtzungscontract658.
    659
  • Schenkender475. ob er die
    Gewaͤhr leiſten ſoll 617
  • Schenkung475. u. ff. 639.
    Vertraͤge die ihr angehaͤn-
    get zu werden pflegen 478.
    733. ob ſie Undancks we-
    gen wiederrufen werden
    darf 476. unter Eheleu-
    ten 874. wegen der Hey-
    rath 914. unter Lebendi-
    gen 480. 481. ums Ster-
    bens willen 479. 481.
    482. wenn ſie wiederru-
    ſen
    [[957]]Regiſter der vornehmſten Sachen.
    ſen werden kann 479.
    482
  • Schertz677
  • Schiedsmann770
  • Schiedsrichter770. wenn
    er ſich von dem Amt loß-
    ſagt 771. ſeine Pflicht 772.
    773. ſein willkuͤhrlicher
    Spruch 770. 772
  • Schiffer665
  • Schiffmann666
  • Schimpf S. Jnjurien.
  • Schluß der Geſellſchaft 843
  • Schmaͤhſchrift149
  • Schoͤnheit natuͤrliche, kuͤnſt-
    liche 117
  • Schreckung1032
  • Schrot (der Muͤntze) 534
  • Schulden49. 72. 336. 207.
    918. 919. ihre Erlaſſung
    337. 766. des Staats
    1147. 1162. 1164. des Ver-
    ſtorbenen 820. der Fein-
    de 1198. Privatſchulden
    der verſtorbenen Regen-
    ten 1012. boͤſe 503.
    handſchriſtliche 652. ſich-
    re 503. ſtreitige, un-
    ſtreitige 756. 766. 767.
    vollkommene 667. 1069.
    1071
  • Schuldigkeit336. 49. 72.
    667
  • Schuldner336. 528. wie
    er zum Knecht wird 950.
    handſchriftlicher 652
  • Schulen1022
  • Schwaͤgerſchaft884. 885

  • Schwerdtmagen875
  • Seele ihre Vollkommenheit
    106
  • Seegeld, demſelben aͤhn-
    liches Geld
    680
  • Seezinſen, ihnen aͤhnliche
    Zinſen
    680
  • Seezinscontract, demſelben
    aͤhulicher Contract 680
  • das Seinige195. wegwer-
    fen 204. 208. um daſſel-
    be kommen 269
  • Seitenlinie in der Verwand-
    ſchaft 876
  • Seitenverwandten obs er-
    laubt iſt ſie im Teſtament
    vorbeyzugehen 930
  • Selbſtliebe und ihre Aus-
    uͤbung 132
  • Selbſtmord112. 1051
  • Selbſtſchuldner579
  • Senat S. Rath.
  • Sequeſter548
  • Sequeſtriren freywilliges,
    nothwendiges 548. u. ff.
  • Servitut708. wie man
    dazu kommt 710. 743.
    wie ſie auf Lehnguͤtern be-
    ſtehet 743. der Sache,
    die perſoͤnliche, bejahen-
    de, verneinende ebend.
    eines zutragenden Gebaͤu-
    des, vom einzufuͤgenden
    Balcken, des Weiterher-
    ausbauens, hoͤher zu
    bauen, nicht hoͤher zu
    bauen, des Lichts, der
    Ausſicht, das Licht nicht
    zu
    [[958]]Regiſter der vornehmſten Sachen.
    zu benehmen, die Ausſicht
    nicht zu hindern, die Trauf
    abzuwenden, eben dieſelbe
    nicht wegzunehmen, eine
    Goſſe durch des andern
    Haus zu fuͤhren, einen Ab-
    tritt zu leiden, eine Miſt-
    grube zu leiden, Waſſer
    abzuleiten 712. Servi-
    tut der Guͤter 709. der
    Stadtguͤter, Landguͤter
    ebend.
  • Sicherheit89. des Staats
    972. 1172
  • Sodomie854
  • Sold1176
  • Soldaten, die gedungenen
    1174
  • Sorgloſigkeit21
  • Specification227. 231
  • Spiel677. Haupt-, Ne-
    bengewinn in demſelben
    678. welche im Staat
    zu dulden ſind 1021
  • Spielcontract678
  • Spieler1021
  • Spillmagen875
  • Spion1208
  • Spolium, eigene Vemaͤch-
    tigung 288
  • Staat972. 973. deſſen
    Abſicht 972. Errichtung
    ebend. ſich hereinbegeben
    1086. deſſen Schulden
    1147. 1162. 1164. der
    groͤßte 1090
  • Stadtgut709
  • Stamm, gemeinſchaftlicher,
    maͤnnlicher, weiblicher 875.
    ſeine Familie 877
  • Stagnum253
  • Stapelrecht1117
  • Steine brechen, das Recht
    dazu 712
  • Stillſchweigen wie daraus
    eine Einwilligung abzu-
    nehmen iſt 450. oder ei-
    ne Verlaßung 460. u. ff.
    beſonders unter Voͤlckern
    1139
  • Stimmen (in der Geſell-
    ſchaft) 842. dieſelben er-
    wegen 843. ihr unglei-
    cher Werth von Natur
    845. bejahende, vernei-
    nende, einſtimmige, ver-
    ſchiedene, einhellige, die
    mehreſten, wenigſten, glei-
    che 842. beſſern, ent-
    ſcheidende 843. der Ab-
    weſenden 844
  • Stoͤhrer, Stoͤhrung der
    Gemeinſchaft der erſten
    Zeit 193. der oͤffentli-
    chen Ruhe 1218. 1219.
    des Beſitzes, durch Wor-
    te, in der That 297
  • Strafe93. ihre Arten
    1048. ihre Schuld 153.
    das Verdiente in ihr 153.
    bey derſelben verſprechen
    410. 758. 809. wenn
    man ſie erlaſſen ſoll 157.
    die beſſernde, exemplari-
    ſche 93. die in buͤrger-
    lichen Geſetzen beſtimmt
    wird
    [[959]]Regiſter der vornehmſten Sachen.
    wird 1043. 1048. 1049.
    ihre Vollziehung 1029.
    1033. 1048
  • Strafkrieg1169. 1170.
    wegen grober Laſter de-
    nen ein Volck ergeben iſt
    1173
  • Streiten mit Gewalt 98.
    uͤber das Eigenthum 548
  • Streitigkeiten beylegen 765.
    790. ſollen vermindert
    werden 1072. entſchei-
    den 765. obs durch Zwey-
    kampf 789. und Waffen
    geſchehen kann 1159. wie
    ſie unter Voͤlckern beyge-
    legt werden koͤnnen 1157.
    in der Kirche vorlaͤufige
    entſcheiden 1064
  • Subſidien, Subſidiengeld
    1179
  • Suppliciren1080
  • Symmetrie117
  • Syſtem62

Appendix A.19 T.


  • Tadel146
  • Tauſch582. u. ff.
  • Tauſchhandlungen, aus-
    einauder ſetzende, gemein-
    ſchaftliche 467
  • Teſtament927. 936. 937.
    wie es gemacht wird 932.
    935. 936. das geſchrie-
    bene, muͤndliche 932. ei-
    nes Fremdlings 1137.
    1138
  • Theilung gemeinſchaftlicher
    Sachen 343. 344. der
    Erbſchaft unter Eltern
    oder Kindern 926. der
    Herrſchaft 983. 1009.
    1010. des Gewinns und
    Verluſtes in der Hand-
    lungsgeſellſchaft 645. 646
  • Theilungslooß669. S.
    Wahllooß.
  • Theurung307. 1021
  • Thiere wilde, wie man ſie
    ſich zueignet 217
  • Thun, That2. wie ſie ſich
    zum Geben verhaͤlt 327.
    wie es in auseinander ſe-
    tzenden Tauſchhandlungen
    vorkommt 468. umſonſt
    470. S. Handlung.
  • Titel (zum Recht) 295.
    beſchwerlicher, falſcher,
    rechtmaͤßiger, vermeyn-
    ter, vortheilhafter, wah-
    rer 454
  • Titel S. Ehrentitel.
  • Todt ſeine Wirckungen in
    Auſehung der Rechte 818.
    bey Verſprechen 425. 430.
    u. ff.

Todes-
[[960]]Regiſter der vornehmſten Sachen.
  • Todesfall deswegen etwas
    bekommen
    484
  • Todtſchlag vorſetzlicher, un-
    vorſetzlicher 141. ob er
    natuͤrlich die Todesſtrafe
    nach ſich ziehet 156
  • Tolerantz1064
  • Tortur1032. die geiſtli-
    che ebend.
  • Tractaten769
  • Traͤncke das Recht dazu
    712
  • Transportcontract680
  • Traſſat, Traſſant, Traßi-
    rer
    656
  • Tratta656
  • Trauer natuͤrliche, willkuͤhr-
    liche 826
  • Trauerſpiel1027
  • Treue(fidelitas)735
  • Treue und Glauben(fides)
    389. ſich ihrer von an-
    dern verſichern, jemanden
    dabey verſichern 389. da-
    wider handeln 389. 442.
    446. ſoll unter den Voͤl-
    ckern heilig gehalten wer-
    den 1154. ausdruͤckliche,
    ſtillſchweigende 1154
  • Tribut1057
  • Trieb (Recht) voͤlliger, nicht
    voͤlliger 712

  • Trift (Recht) 712
  • Trunckenheit114
  • Tugend85. die ſittlichen,
    des Verſtandes 125. da-
    zu ſollen Kinder 890.
    Knechte 952. Untertha-
    nen augefuͤhret werden
    1024. welche von Regen-
    ten erfordert werden
    1077
  • Tumult1234
  • Tumultuanten1234. Ver-
    ſprechen muß man ihnen
    halten 1235

Appendix A.20 U.


  • Uebelſtand(indecorum)
    54
  • Uebelthat, gleichſam eine
    1030
  • Uebereilung21
  • Uebereinſtimmung, ihr
    Mangel 9
  • Ueberfluͤßig485
  • Uebergabe320. u. ff. in
    der Kuͤrtze, 323. von fer-
    ne 324. ſymboliſche 326.
    die zum Gebrauch 518.
    beym Kauf 596. 598. beym
    Tauſch geſchiehet 582
  • Ueberlegung6
  • Ueberreſt(hyperrocha)697

Ueber-
[[961]]Regiſter der vornehmſten Sachen.
  • Ueberwinden, uͤberwun-
    den werden
    im Kampf
    788. im Wettſtreit 675.
    gaͤntzlich in der Schlacht
    1219. uͤberwindlich, un-
    uͤberwindlich 17
  • Umſonſt, geben, thun, ge-
    ſchehen 470
  • Unachtſamkeit21
  • Unanſtaͤndig54
  • Unbedachtſamkeit21
  • Unbilligkeit83. 86
  • Undanck, undanckbar474.
    ob deswegen ein Geſchenck
    wiederrufen werden darf
    476
  • Uneinigkeit847
  • Unerlaubt49. 72. nach
    buͤrgerlichen Geſetzen 1069.
    1071. laut denen Ver-
    traͤgen 667
  • Ungehorſam835
  • Ungerecht83
  • Ungerechtigkeit85. 86
  • Ungleichheit in beſchwerli-
    chen Contracten 580. 581.
    beym Tauſch 584
  • Ungluͤck S. Zufall.
  • Ungluͤckſeligkeit118
  • Unklugheit21
  • Unkoſten279. welche der
    Eigenthumsherr erſetzen
    muß 281. 283. 285. ab-
    ziehen 284. wegnehmen,
    ohne Schaden der Sache
    wegnehmen 282. die noth-
    wendigen, nuͤtzlichen, zur
    Luſt, zur Luſt als die vor-
    nehmſten, vermiſchten 279.
    auf einen gerechten Krieg
    1190. bey geliehenen Sa-
    chen 526. auf niederge-
    legte Sachen 542550.
    auf gemſethete Sachen
    636. bey der Vollmacht
    557. bey der Anmaßung
    eines fremden Geſchaͤftes
    690. auf das Pfand 703.
    auf fruchtbare Sachen in
    der Sequeſtration 550.
    bey der Servitut des Ge-
    brauchs 721. des Uſu-
    fructuarius 717
  • Unmoͤglich, ſittlich 37
  • Unpartheyiſch768
  • Unrecht87. 88. 97. Privat-
    unrecht 1029
  • Unſchamhaftigkeit862
  • Untererbzinsrecht731
  • Unterlaſſung, Unterlaſ-
    ſungsthat
    2
  • Unterlaſſungsſuͤnde58
  • Unterſchrift der Jnſtrumen-
    te 775. des Blanquets
    776. des Teſtaments
    932
  • Unterſuchung1031

P p pUnter-
[[962]]Regiſter der vornehmſten Sachen.
  • Unterthanen996. ihre
    Pflicht gegen den Ober-
    herrn 1085
  • Unterwuͤrfigkeit835. der
    Kinder 910. des Vol-
    ckes 1102. ob Regent
    und Volck einander unter-
    worfen ſind 985
  • Untreue390
  • Unvermeidlich17
  • Unvermoͤgen zu handeln
    20
  • Unvollkommenheit10. des
    Vermoͤgens zu begehren
    und zu verabſcheuen 109
  • Unvorſichtigkeit21
  • Unwahrheit348. 350. 356.
    357. 368
  • Unwiſſenheit32. einfache,
    zuſammengeſetzte 33. was
    ſie bey Zahlung des Kauf-
    geldes thut 602
  • Urſach freye der Handlung
    3. erfolgt nicht, was das
    heißet 694. was ohne,
    oder auch gleichſam ohne
    Urſach angenommen wird
    695. am Verſprechen ſeyn
    405. ob ſie in der Hand-
    ſchrift ausgedruckt werden
    muß 653. der Schen-
    ckung 475. beym Ver-
    ſprechen 407. die recht-
    maͤßige zur Aufkuͤndigung
    einer Vollmacht 568

  • Urtheil von ſich und ſeinem
    Zuſtande 129. uͤbles von
    andern Leuten 147. des
    richterlichen Vollziehung
    1029
  • Uſuarius721
  • Uſufructuarius713

Appendix A.21 V.


  • Valuta656
  • Valvation der Muͤntzſor-
    ten
    534
  • Vaterland1105. Liebe zu
    demſelben 1105
  • Verachtung146. der Ge-
    ſaudten 1241. eines Re-
    genten 1120
  • Veraͤnderung mit der Sache
    vornehmen 256. mit den
    Geſetzen 1045. mit dem
    Lehnguth 743. mit ge-
    mietheten Sachen 636
  • Veraͤuſſerung257. ver-
    ſprochner 413. vertauſch-
    ter Sachen 585. der Pri-
    vatſachen durch den Frie-
    den 1226. S. Sachen.
  • Verbeſſerung einer Sache
    279. des Lehngutes 743
  • Verbindlichkeitthaͤtige
    35. leidende 37. auf-
    heben 749. ſich eine zu-
    ziehen 97. 377. 380. 381.
    allge-
    [[963]]Regiſter der vornehmſten Sachen.
    allgemeine 68. 69. 101.
    angebohrne 74. beſonde-
    dere 101. die dazukom-
    mende 569. dingliche
    402. gegenſeitige unter
    den Menſchen 44. Haupt-
    verbindlichkeit 569. her-
    geleitete 62. natuͤrliche
    36. 38. ob ſie aufgeho-
    ben werden kann 138. per-
    ſoͤnliche 402. ſtaͤrckere
    65. urſpruͤngliche 62. un-
    vollkommene, vollkomme-
    ne 80. zugezogene 100.
    Geſandten zuzulaſſen 1238.
    ſie zu empfangen 1241.
    Soldaten einzuquartiren
    1176. aus den Vertraͤ-
    gen der Koͤnige 1147.
    deſſen, der da ſchweret
    368. aus dem Zulaſſungs-
    geſetz 1069. des kleinern
    Theils der Mitglieder ge-
    gen den groͤſſern 843. 978.
    der eintzeln Glieder und
    aller zuſammen 836. 975.
    was fuͤr welche aus dem
    Quaſicoutract entſtehet
    687
  • Verbrechen oͤffentliche, pri-
    vat 1030
  • Verdacht ſich davon reini-
    gen 782
  • Verderben ſeine eigne Sa-
    che 255. eine fremde 277.
    geliehene 519. gemie-
    thete 633
  • Verdient was es bey der
    Strafe iſt 153. wohlver-
    dient ſeyn 470. wie man
    einen ſolchen betrauren ſoll
    826
  • Vergeltungsſchenckung
    482. 617
  • Vergeſſen des vorigen Un-
    rechts
    S. Amneſtie.
  • Vergleich764. allgemei-
    ner, beſonderer 764 obs
    daruͤber Krieg zu ſuͤhren
    erlaubt iſt 790. 1158. wo
    er ſtatt hat 765. u. ff.
  • Vergnuͤgen, dauerhaftes
    118 vergaͤngliches 120
  • Verguͤtung756
  • Verhaͤltniß493
  • Verheelung349
  • Verheerung der ſeindlichen
    Sachen 1195. 1201
  • Verhinderung unvermeid-
    liche, unuͤberwindliche
    418
  • Verjaͤhrung452. iſt dem
    Naturrecht gemaͤß 463.
    erfordert ein gutes Gewiſ-
    ſen 464. ob ein Recht,
    welches bloß in jemandes
    Macht ſtehet, kann verjaͤh-
    ret werden 1100. hat un-
    ter Voͤlckern ſtatt 1139

P p p 2Verkauf
[[964]]Regiſter der vornehmſten Sachen.
  • Verkauf, ſich in die Knecht-
    ſchaft verkaufen 948. eine
    Sache zweymal 594. einer
    an andere verſprochenen
    ebend. einer fremden 593.
    vermietheten 628. 629. des
    Pfandes 697. u. ff. zu
    gefallen 601. S. Kauf.
  • Verkaͤufer587. 588
  • Verlaſſung der Sache 203.
    208. 450. wo ſie ſich
    vermuthen laͤßt 458. 460.
    der Zubuſſekuxe 683. des
    Reichs 1081. die boß-
    hafte der Eheleute 871
  • Verlaͤumder 150. Ver-
    laͤumdung
    142
  • Verletzung S. Beleidi-
    gung.
  • Verloͤbniß 864. Verloͤb-
    nißgeſchenck
    865
  • Vermaͤchtniß929. daſſel-
    be ausſchlagen 939. wie
    es beſtehet 931. ihre ver-
    ſchiedene Weiſe 935. unter
    den Ehegatten 943
  • Vermengung235. der
    Schuld mit dem Darlehn
    761
  • Vermiethen620. S. Mie-
    then, Wiedervermie-
    thung.
  • Vermiether der Sache, Ar-
    beit 620. u. ff.

  • Vermiſchung235. fleiſch-
    liche 863
  • Vermittelung768
  • Vermoͤgen, geringes, groſ-
    ſes 207. wie es zu ſchaͤ-
    tzen iſt 207. 503. ſoll
    man den Kindern beſorgen
    896. S. Guͤter. Des
    Vermoͤgens zu begehren
    und zu verabſcheuen Voll-
    kommenheit und Unvoll-
    kommenheit 109
  • Vermuthung27. beding-
    te, unbedingte, rechtli-
    che, von Rechts wegen,
    eines Menſchen 453. ihr
    Gebrauch 30. 781. Noth-
    wendigkeit 449. des Wil-
    lens deſſen der ohne Teſta-
    ment verſtorben iſt 933.
    aus dem Stillſchweigen
    459. 1139
  • Verpfaͤndung, verpfaͤnden
    697. natuͤrliche 705.
    nothwendige 792. die
    Sache zweymal 701.
    eine fremde Sache 700.
    des Vermoͤgens des Man-
    nes fuͤr die Mitgabe 913.
    des Vormundes an den
    Pupillen 904. der Kam-
    merguͤter 1040. der Sa-
    chen einer Gemeine 1129.
    wie ſie unter Voͤlckern vor-
    koͤmmt 1150

Ver-
[[965]]Regiſter der vornehmſten Sachen.
  • Verſchlimmerung eigener
    Sachen 255. fremder
    277. 279. geliehener Sa-
    chen 519. des Lehnguts
    743. gemietheter Sa-
    chen 633
  • Verſchweigen die Wahrheit
    351. 352
  • Verſchwendung208. 509
  • Verſehen17. 19. deſſen Ar-
    ten 21. was das mittlere
    zwiſchen Verſehen u. Bos-
    heit heißt 22. bey der
    Theilnehmung an fremden
    Handlungen 26. was die
    buͤrgerlichen Geſetze dabey
    beſtimmen ſollen 1072. bey
    dem leihen 520. 521. des
    Miethers 633. 634. bey
    niedergelegten Sachen 541.
    542. 546. deſſen der ſich
    zur Arbeit hat dingen laſ-
    ſen 634. der Bevollmaͤch-
    tigten 958. bey dem Pfan-
    de 702. des Knechts
    954. des Vormundes
    904
  • Verſicherungseid782
  • Verſprechungsannehmer
    379
  • Verſprechender379. ſein
    Jrrthum 405. muß fuͤr
    das Jntereſſe dem an-
    dern Theil ſtehen 416.
    der ein ungiltiges Verſpre-
    chen halten will 436
  • Verſprechen379. halten
    388. wiederrufen 427.
    428. 432. u. ff. beſchwe-
    ren 409. 435. zur Stra-
    fe, bey Strafe 410. be-
    dingtes, unbedingtes 393.
    398. u. ff. unter einer
    gewiſſen 395. aufſchie-
    benden 396. aufloͤſenden
    Bedingung 397. unter
    der Behingung einer
    ſchaͤndlichen That 394.
    unter mehr als einer Be-
    dingung 399. unter un-
    erlaubter Bedingung 391.
    das peꝛſoͤnliche 400. das be-
    ſchwerliche 425. das ding-
    liche 401. auf eine ge-
    wiſſe Zeit 393. 395. 398.
    fuͤr den Abweſenden 403.
    gegen einen dritten 433.
    wegen einer Sache, die
    man ſchon vorher ſchuldig
    war 408. durch den Brief
    428. 431. eines irrenden
    405. welches von der
    Freygebigkeit herruͤhret
    425. durch Mittelsper-
    ſonen 429. u. ff. das
    mehrern zuſammen gethan
    wird 423. einer fremden
    Sache 412. einer Sache
    die ſchon einmal an einen
    andern iſt verſprochen wor-
    P p p 3den
    [[966]]Regiſter der vornehmſten Sachen.
    den 421. der Sache die
    noch wircklich werden ſoll
    420. das mit Gewalt
    oder durch Furcht erzwun-
    gen wird 406. das un-
    ſere Krafte uͤberſteigt 411.
    ob man es Feinden, Moͤr-
    dern, Naͤubern, Rebellen,
    Tumultuanten halten ſoll
    1235
  • Verſtand, ſeine Vollkom-
    menheit 108
  • Verſteilung349. 350. 356.
    ihre Sittlichkeit 359
  • Vertheidigung90. Maͤſ-
    ſigung dabey 158. des
    Beſitzes 289. 1029. des
    Beklagten 1031. der Jung-
    ferſchaft, Schamhaftig-
    keit 862. ſeiner Sachen
    268. 1029
  • Vertheidigungskrieg1169.
    1170
  • Vertrag438. davon ab-
    geben 442. 443. 619.
    ihn aufheben 444. ſeine
    ſtillſch weigende Eꝛneuerung
    441. auf weſſen Worte
    dabey am meiſten zu ſehen
    iſt 817. wieferne ſie Ge-
    ſetzen gleichen 816 wel-
    che Faͤlle dabey auszuneh-
    men oder ausgenommen
    ſind 816. 817. daruͤber
    die Gewehr geleiſtet wor-
    den 1149. der ausdruͤck-
    liche 439. beſchworner
    446. der guͤtliche 763.
    u. ff. 790 aufloͤſende,
    voritzt, nach dieſen aufloͤ-
    ſende 610. (pactiones)
    1141. der ſchriftliche 445.
    ſtillſchweigende 439. auf
    eine zeitlang, auf ewig
    440. das Pfand fuͤr das
    Darlehn nutzbar zu ge-
    brauchen 1150. die Schuld
    nicht zu fordern 755. des
    Vorkaufs 611. vom Wie-
    derkauf 612. vom Wie-
    dereinloͤſen 612
  • Vertrauen auf GOtt 172
  • Vertriebener1050. 1106
  • Verwahrer539. ſeine Ver-
    bindlichkeit 541. u. ff.
  • Verwahrung dazu geben
    539. u. ff. wie es mit den
    Fruͤchten ſolcher Sachen
    zu halten iſt 550
  • Verwalter662. 663
  • Verwaltungscontract662.
    u. ff.
  • Verzeihen157
  • Verzicht auf ſein Recht 340.
    auf eine Schuldforderung
    766. im Namen derer
    die gebohren werden ſol-
    len 830. auf die Nach-
    folge im Folgereich 1015

Ver-
[[967]]Regiſter der vornehmſten Sachen.
  • Verzinſung der Zinſen
    651
  • Verzug daran ſchuld ſeyn
    417. u. ff. 541. 753. ſich
    davon reinigen 418. durch
    die Neuerung 758
  • Vicarius899. S. Reichs-
    verweſer.
  • Vielweiderey857
  • Vieh eiſernes 638
  • Vindication der Sache S.
    Wiederzueignung.
  • Volck974. gelehrtes, ge-
    rechtes, geſittetes, unge-
    ſittetes, wildes 1096.
    1097. maͤchtiges 1102.
    zinsbares 1145. ſein Ei-
    genthum 1125. Voll-
    kommenheit 1094. 1095.
    1108. natuͤrliche Gleich-
    heit 1089. ſeine allgemeine
    Pflicht 1108. beſondere
    Pflichten 1088. 1123.
    wer daſſelbe vorſtellet
    991. u. ff. ihre Liebe ge-
    gen einander 1109. Lie-
    be des Regenten zu dem
    ſeinigen 1077
  • Voͤlckerrecht, natuͤrliches
    1088. 1089. Gewohn-
    heitsvoͤlckerrecht 1092.
    Vertragsvoͤlckerrecht 1091.
    willkuͤhrliches 1090
  • Vollkommenheit9. we-
    ſentliche, accidentale 11.
    andter Menſchen 140
  • Vollmacht551. u. ff. 664.
    aufkuͤndigen 568. zei-
    tig, unzeitig 562. wie-
    derrufen 565. nach be-
    ſten Wiſſen und Gewiſſen
    erfuͤllen 552. aufgetra-
    gener maſſen, durch was
    gleichguͤltiges 564. 576.
    die allgemeine, beſon-
    dere, mit oder ohne freye
    Hand, geheime, offenba-
    re 552. 553. das ſtill-
    ſchweigende 555. zu ei-
    ner ſchaͤndlichen That
    563
  • Vollſtreckung des richterli-
    chen Urtheils 1029. der
    Strafe 1033. 1048
  • Vorausvermaͤchtniß938
  • Vorbehaltung im Sinne
    355. 800
  • Vorfahren832
  • Vorherzahlung694
  • Vorkauf, das Recht, ver-
    abredetes, geſetzmaͤßiges
    611. der Vertrag des
    Vorkaufs 611
  • Vormund898. ſein Recht
    908. ſeine Beſtaͤtigung
    1023. wo ſeine Einwil-
    ligung erfordert wird 905.
    was ihn entſchuldiget und
    P p p 4untuͤch-
    [[968]]Regiſter der vornehmſten Sachen.
    untuͤchtig macht 901. die
    Verpfaͤndung ſeiner Guͤ-
    ther an den Pupillen 904.
    ob er Ehrengeſchencke und
    Beſoldung nehmen darf
    906. der im Teſtament
    geſetzte, rechtliche, gegebe-
    ne 898. zu der Erzie-
    hung, zur Verwaltung
    des Vermoͤgens, bloß als
    Aufſeher, Obervormund,
    Untervormund 900
  • Vormundſchaft898. wie
    ſie entſtehet 908. ihr
    Grund 1057. was der
    Regent deswegen im Staat
    zu beſorgen ſchuldig iſt
    1023
  • Vornehme des Reichs
    992
  • Vorrecht(prærogativa)71.
    in der Geſellſchaft 839.
    unter Voͤlckern 1089.
    1191. (jus protimiſeos)
    611
  • Vorſatz uͤberlegter, unuͤber-
    legter 386. eine Neue-
    rung zu machen 758. 759
  • Vorſetzlichkeit S. Bos-
    heit.
  • Vorſtand S. Caution.
  • Vorwand349. 350. deſ-
    ſen Sittlichkeit 359

Appendix A.22 W.


  • Waare587. ihre Fehler
    618. Vortheil und Ge-
    fahr bey derſelben 613.
    u. ff.
  • Wachſamkeit968
  • Waffen1174
  • Waffenſtillſtand, allgemei-
    ner, beſonderer 1211.
    ob er den Frieden aus-
    macht 1217
  • Wahl, Koͤnigswahl die recht-
    maͤßige, unrechtmaͤßige
    1006
  • Wahlreich1005. 1007
  • Wahlloß669. S. Wahr-
    ſagungslooß.
  • Wahr, Wahrheit logica-
    liſche, moraliſche 347.
    wahrreden 347. 350. 352.
    was wider jemanden der
    ſich erklaͤret hat fuͤr wahr
    gehalten wird 318
  • Wahrſagung669
  • Wahrſagungslooß669.
    S. Zutheilungslooß.
  • Waͤiſen898. wie ihre Guͤ-
    ter zu verwalten ſind 903.
    wenn ſie giltig handeln,
    oder nicht 905
  • Waͤiſenhaus1022
  • Wandel ehrbarer49

Waſſer
[[969]]Regiſter der vornehmſten Sachen.
  • Waſſer ſtehendes 253
  • Waſſerleitungsrecht712
  • Waſſerſchoͤpfungsrecht
    712
  • Wechſel655. traßirter
    656. eigner 657
  • Wechſelbrief656
  • Wechſelinhaber656
  • Wechsler655. 1036
  • Weg(ſervitus viæ)712
  • Wegwerfang des Seinigen
    204. 208
  • Wehren S. Vertheidi-
    gung.
  • Weiber ihr Zeugniß 779.
    ihre Nachfolge in der Re-
    gierung 1011. 1013. koͤn-
    nen im Kriege gefangen
    gefuͤhret werden 1164.
    1193
  • Werth der Sachen und Ar-
    beit 493. der gemeine
    ebend. 495. ſeine Beſtim-
    mung 498. 1021. wie
    er ſich durch oͤffentliche
    Auflagen aͤndern laͤßt
    1057. der Sache im
    Hoffnungskauf 684. in
    dem libellariſchen Contract
    732. der Waare 600.
    u. ff. die in der Lotterie an
    einen geſchlagen werden ſoll
    673. der Zettel im Gluͤcks-
    topfe 674. des Wechſel-
    briefes 656. billiger, un-
    billiger 499. im auswaͤr-
    tigen Handel 1112. der
    urſpruͤngliche, hergeleite-
    te 497. am Gelde. S.
    Preis.
  • Wette676. 677
  • Wettſtreit675
  • Widerwille28. der ausdruͤck-
    liche, ſtillſchweigende, ver-
    muthete 28. ob durch
    den beyderſeitigen Ver-
    traͤge aufgehoben werden
    moͤgen 444
  • Wiedererbzinsbarmachen
    731
  • Wiedergeben die fremde
    261. niedergelegte 541.
    543. 547. geborgte 531.
    532. 538. ſequeſtrirte Sa-
    chen 549. 550. was man
    eigenmaͤchtig weggenom-
    men hat 288. Unkoſten
    S. Unkoſten erſetzen.
    Das nicht ſchuldige 693.
    das ohne Urſache ange-
    nommene 695. der Fruͤch-
    te 274. u. ff. 550. 1224.
    die Sache in einerley Art,
    eben dieſelbe Sache 515.
    die gleichguͤltigen Sachen
    P p p 5527.
    [[970]]Regiſter der vornehmſten Sachen.
    527. das geborgte Geld
    536
  • Wiedervergeltung156. ob
    darauf bey der Strafe zu
    ſehen 1049
  • Wiedervergeltungsrecht
    156. 1160
  • Wiedervermiethung631.
    ausdruͤckliche, ſtillſchwei-
    gende ebend.
  • Wiederzueignung262.
    448. das Recht dazu
    264
  • Wiederzueignungskrieg
    1169. 1170
  • Wille ſeine allgemeine Be-
    ſtimmung 164. der wi-
    drige S. Widerwille.
  • Wirthſchaftsgeſchaͤfte S.
    Handlungsgeſchaͤfte.
  • Witz354
  • Wohlfahrt der Geſellſchaft
    837. 847. des Staats
    972
  • Wohlſtand54. 115. 116.
    im Bauen 116
  • Wohlthat470. u. ff. die-
    ſelben vergelten 474. 822.
    894
  • Wohlthaͤter470. 826

  • Wohnung(domicilium)
    1103. die natuͤrliche, an-
    genommene ebend. (habi-
    tationis ſervitus)
    723
  • Worte, ihre Bedeutung S.
    Bedeutung. Wer ſie
    im Verſprechen auslegen
    darf 796. auf weſſen
    Worte bey der Auslegung
    am meiſten zu ſehen iſt
    817. S. Auslegung. was
    fuͤr Worte in den Ver-
    traͤgen zu gebrauchen ſind
    798. derer ſich Zeugen
    bedienen ſollen 780. nicht
    Wort halten 389. ob
    das genug iſt von dem
    Vertrage deswegen abzu-
    gehen 442. offenbare,
    verſchwiegene 355. un-
    nuͤtze 360
  • Wucher649. ſoll im Staat
    nicht geduldet werden
    1021
  • Wuͤrden buͤrgerliche 992.
    1061
  • Wuͤrdigkeit80

Appendix A.23 Z.


  • Zahlung des Geldes 596.
    an Zahlungsſtatt angeben
    757. Zahlungstermin ver-
    laͤngern
    [[971]]Regiſter der vornehmſten Sachen.
    laͤngern 572. ob dadurch
    eine Nenerung vorgehet
    758
  • Zergliederung todter
    menſchlicher Koͤrper, ob ſie
    ſich geziemet 825
  • Zeuge779. wovon und wie
    ſie zeugen muͤßen 780.
    wenn man ſie in Verwah-
    rung bringen kann 1033.
    Augenzeuge, Zeuge vom
    hoͤren, beſchworner, fal-
    ſcher, glaubwuͤrdiger, ver-
    daͤchtiger, wahrhafter 778.
    in ſeiner eignen Sache
    779
  • Zeugeneid778
  • Zieraten117
  • Zinſe(penſio)620. S.
    Lohn.
  • Zinſe(cenſus), geſetzte,
    vorbehaltene 733
  • Zinſen(uſuræ)649. Ju-
    denzinſen ebend. wenn
    die ordentlichen in dem
    Transportcontract zu lau-
    fen anfangen 680
  • Zinscontract733
  • Zinsgut733
  • Zinsherr, Zinsmann733
  • Zoll1057. wie man ihn
    einrichten ſoll 1114

  • Zubuſſe683
  • Zuchthauß1022
  • Zuͤchtigung vaͤterliche 889
  • Zueignung (des Kaufs) auf
    einen beſtimmten Tag, be-
    dingte, unbedingte 608. des
    Schuldners zu ſeinem
    Knecht 950
  • Zueignung(occupatio)210.
    212. u. ff. der erbloſen
    Erbſchaft 934. eines
    Strichs Landes 1127.
    1136. S. Eroberung.
  • Zufall wer dafuͤr bey gelie-
    henen 520. 521. nieder-
    gelegten 541. geborgten
    537. gemietheten Sachen
    633. u. ff. bey Pfaͤndern
    ſtehen muß 702. wen er
    bey dem Nießbrauch 716.
    bey dem einem Nießbrauch
    aͤhnlichen Recht trift 719
  • Zulaſſungsgeſetz47. das
    buͤrgerliche was es wircket
    1069. wie es dasjenige
    enthalten kann, was dem
    Recht der Natur zuwider
    iſt 1046. 1069
  • Zurechnung3. u. ff. 20. 26.
    34. 60. 558. wenn die Be-
    leidigungen eintzeler Buͤr-
    ger dem gantzen Volck zu-
    gerechnet werden koͤnnen
    1133.
    [[972]]Regiſter der vornehmſten Sachen.
    1133. der Thaten der
    Eltern denen Kindern, und
    umgekehrt 873. des Ver-
    zugs 418
  • Zuruͤcktreibung des Rechts
    1161
  • Zuſage bloſſe 382. 385. 389.
    390
  • Zuſammenkuͤnfte des Got-
    tesdienſts wegen
    179
  • Zuſtand, innere, aͤuſſere 8.
    natuͤrliche 96. ſittliche 96.
    urſpruͤngliche, entſtandene
    102
  • Zutheilungslooß669. 672
  • Zuwachs S. das Dazu-
    kommen.
  • Zweydeutigkeit im Reden
    353. wie ihre Auslegung
    anzuſtellen iſt 803
  • Zweykampf787
  • Zwiſchenreich1005

ENDE.

Dieses Werk ist gemeinfrei.


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Kolimo+

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TextGrid Repository (2025). Collection 3. Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bpg2.0