[][][][][[I]]
Das
in Deſſau errichtete
Philanthropinum,
Eine Schule
der Menſchenfreundſchaft
und guter Kenntniſſe
fuͤr Lernende und junge Lehrer,
arme und reiche;

Ein
Fidei-Commiß des Publicums
zur Vervollkommnung des
Erziehungsweſens aller Orten
nach dem Plane des Elementarwerks.


Den
Erforſchern und Thaͤtern
des Guten
,

unter Fuͤrſten, menſchenfreundlichen Geſellſchaften
und Privatperſonen,
empfohlen


Leipzig: ,1774.
Bey Siegfried Lebrecht Cruſius, und den Freunden
des Verfaſſers.

[[II]]

An Geſchichtſchreiber der Menſchheit.

Euch bleibt dieſes Buͤchlein nicht unbekannt. Das Er-
zaͤhlte geſchah 1775. Die teutſche oder europaͤiſche
Regententafel dieſes Jahres ſteht, wie ihr wißt, in vie-
len Schriften, um euch zur pragmatiſchen Erzaͤhlung der
Folgen, wenns euch beliebt, oder des Mangels derſel-
ben, Gelegenheit zu geben.

[[III]]

Jnhalt.



  • Anrede an Staaten, Geſellſchaften und Per-
    ſonen.
  • §. 1. Man muß den Grundbau der Erziehung
    und Unterweiſung veraͤndern.
  • §. 2. Von Penſioniſten des Philanthropinums.
  • §. 3. Etwas von unſerm Verhalten gegen dieſelben.
  • §. 4. Von dem erſten Fuͤrſorger.
  • §. 5. Von Deſſau, dem Orte des Seminars.
    Auszug aus einer Dankſchrift an einen Mo-
    narchen.
  • §. 6. Von der Religion im Seminare.
  • §. 7. Noch Etwas von der Glaubwuͤrdigkeit des
    Fuͤrſorgers.
  • §. 8. Von dem zweyten Manne, worauf das We-
    ſen beruht, und von Proben der elementari-
    ſchen Erziehung und Lehrart.
  • §. 9. Von einem franzoͤſiſchen Lehrer.
  • §. 10. Von einem merkwuͤrdigen Unterlehrer.
  • §. 11. Von der lateiniſchen Sprache im Seminare,
    und einem Hauptlehrer.
  • §. 12. An Wohlthaͤter verwaiſeter oder armer Kin-
    der von guten Naturgaben.
  • §. 13. Einladung der Candidaten zu paͤdagogiſchen
    Vorleſungen und Uebungen.
  • §. 14. Noch Etwas von der Direction und Be-
    glaubigung des ganzen Weſens.
  • §. 15. Beduͤrfniſſe und Bitten fuͤr das Philanthro-
    pinum.
  • §. 16. Zum Schluß.
Note: Anmerkung.
Jſt der Plan, als ein Ganzes, lehrreich, und die Aus-
fuͤhrung, als ein Ganzes, gut: ſo muß es uns
im Publicum nicht ſchaden, daß wir in Theilen
und einzelnen Vorſaͤtzen fehlen, oder zu fehlen ſchei-
nen. Wir bitten um wohlgemeynte Belehrung.
Unſere Addreſſe iſt: An das Philanthropinum
in Deſſau.

Anrede
[[V]]

Anrede
an Staaten, Geſellſchaften und
Perſonen.



Von wichtigen Dingen fuͤr die Menſchheit,
und vielleicht fuͤr die Staatskunſt.


Euch Wenige red ich an, des Guten
Forſcher und Thaͤter!
Euch werde
Fried und Freud, die nur Euch bekannt iſt, und
ſeyn kann! Lange ſchau und lieb Euch die Welt.
Alsdann werd Euer Nachruhm den Jahrhunder-
ten zum Gutesthun Beyſpiel und Reiz!


Wahrlich nicht misfaͤllig iſt Euch dieſer
Gruß, Jhr Wenige! Jhr werdet freundlich
dem Gruͤſſer winken, wenn ihr wißt, was er von
Euch will, und daß er nicht zweifelt — ihm
menſchenfreundlich werdet Jhr winken, ſelbſt von
den hoͤchſten Thronen herab, und von Fuͤrſtenſtuͤhlen.


Vor den andern Groſſen der Welt hab ich
nicht jetzund, und (ſo Gott will) niemals, ein
Geſchaͤft, nicht zur Kniebeugung, nicht zum Bit-
ten, nicht zum feſtlichen Wunſch!


a 3Wenn
[VI]

Wenn das Gebot der Gewohnheit, und nicht das
empfindende Herz, mir ſagt: ſprich Wuͤnſche,
oder ſchreibe ſie!
ſo verwuͤnſch ich erſt dreymal
oder oͤfter die Gebieterinn, bis ich einen Schein
des Gehorſams ohn Unrecht erdenk.


Des Herzens wahres unſchuldges Gefuͤhl waͤr
oft dem Bewuͤnſchten ein Greul, dem, von dem
mans weis, er ſey nicht des Guten Erforſcher
und Thaͤter.


Denn welcher unter den Groſſen hoͤrt wohl
gern: Deine Erhabenheit werd oder bleibe
bewahrt vor dem Zahne des Neides gegen
Maͤchtigere oder Erſtgebohrne! — vor lan-
ger Weil und Schlafſucht! — vor Feuerſcha-
den an dem Dir unentbehrlichſten Opern-
hauſe — vor Theurung der Saͤngerinnen
und ihrer Krankheit! — vor liſtiger und
gewaltſamer Behandlung des mit Dir ver-
maͤhlten Goldkaſtens! — vor groſſem und
kleinem Schaden auf altteutſchen oder neu-
fraͤnkſchen Jagden! — vor Unbill, Zorn,
Gewalt und anderm Unfug gegen Staͤnde
des Landes! — und vor beſchwerlichen
Todesgedanken, wenn Deine Erhabenheit
feſt entſchloſſen iſt, ſich niemals zu beſſern!

Nicht
[VII] Nicht einmal am Gebuhrtstage ertruͤge man ſolche
Wuͤnſche.


Was will der unhoͤfliche Profeſſor, ſagt viel-
leicht hier und da ein Hoͤfling, wie Salvius?
Muß er ſo beginnen, faͤhrt er fort, wenn er Huͤlfe
der Fuͤrſten wuͤnſcht zu Pedantereyen und zu Wie-
derherſtellung altmodiſcher Tugend?


Ja, Salvius, ſchlechterdings nicht anders.
Denn diejenigen, denen an Hoͤfen mein Herz ſich
beugt, durchforſchen keine Schrift unfehlbarer und
aufmerkſamer, als welche den gallſuͤchtigen Witz
der Salviuſſen erregt, ohn Abſicht des Autors.


Euren erſten Ausſpruch aber, ihr guten
Erdgoͤtter, und ihr guten Engel derſelben,

errath ich durch eine Art der Ahndung, die mir
niemals ein Jrrlicht war. So lautet er: Der
Bernhardus, wer er auch ſey, ſcheint Gu-
tes zu wollen; und mit Zuverſicht zu ſeiner
Sach und Uns! Er werde nach Einſicht,
nicht durch Laune, verworfen — oder er-
hoͤrt!


Schon, ſchon bin ich alſo an meiner Laufbahn
erſtem Ziel. Hier athm ich! Der Wunſch des letz-
ten Kleinodes (nicht fuͤr mich ſelbſt) kam vor die
Ohren der Erdengoͤtter, der guten! Sie gebieten
nur; ſo wird der naͤchſte Weg gangbar und ſicher.
a 4Dank,
[VIII] Dank, Dank den ſeltnen Maͤnnern des Hofes,
denen unter des Sternes Glanz ein wuͤrdiges Herz
ſchlaͤgt, das Gutes erforſcht, und noch lieber thut,
als anpreiſt; dieſen Gliedern eines Ordens,
den kein Monarch ſchenkt, und nicht ſein Liebling.



Jſt kein Orden, wie dieſer? Das ſagt nicht Jhr,
ehrwuͤrdige, verbruͤderte Bauleute
des Rathhauſes der Weltbuͤrgerſchaft!

Laßt mich, laßt mich vor Euch, Jhr Salo-
mons Lehrlinge und des Socrates,
deren
Namen Euch entzuͤcken, weil ihre Tugend die
Grundverfaſſung Eurer Bruͤderſchaft iſt! Kenn
ich dieſe? Ja! Zwar nicht als ein Geweiheter!
Aber ihre Fruͤchte ſind gut! Wie kann boͤſe der
Baum ſeyn, wenn gleich die Wartung nur den
Meiſtern der Gaͤrtner bekannt wird?


Faſt zuverſichtlicher red ich Euch an, als
unter den Fuͤrſtenhoͤfen, oder Staatsverſammlun-
gen die beſten. Denn da entledigt ſich der Staats-
mann vor jeder Berathſchlagung (ſo weit es die
ſieg-gewohnte Natur zulaͤßt) der angebohrnen
Menſchheit, um voll zu werden von der Gottheit
einer benamten Majeſtaͤt, von andaͤchtiger Ehr-
liebe
[IX] liebe eines einzigen Staates, und, wenn alsdann
im Herzen noch Raum iſt, von der Sicherheit ei-
nes einzigen, durch Huldigung an ein Wappen oder
durch Glaubensgeſetze abgeſonderten, Volks.



Jch beſchaͤftige mich jetzund mit einem Anliegen
der Menſchheit! Der Schulſtaub liegt ſeit
Jahrhunderten! Jung und Alt, was darinnen wan-
deln und athmen muß, wird krank im Gehirn;
eine zaͤhe Rinde, wo Wahrheit und Gutes kaum
durchdringt, ſetzt ſich um die Werkſtatt der Ver-
nunft. Und in der Bruſt wird eine Schwindſucht der
Zufriedenheit und der Liebe zu Menſchen, ſelbſt in
Fruͤhlingsjahren. Die meiſten meiner Schwaͤchen,
die ich ſelbſt jetzund nicht verbergen kann, verdank
ich der Einathmung dieſes Staubes, oder der Cur,
die gleichfalls, aber nur anders, meine Natur ge-
ſchwaͤcht hat.


O wie mancher gehorſame Knab und ſitt-
ſame Juͤngling wiederholt in taͤglich verwuͤnſchten
Schulſtunden die durch Striemen eingeblaͤuten
Worte eines Geſandten Gottes, oder eines Weiſen
unter den Menſchen, und leider, um ſie nie zu
verſtehn, oder doch nie zu verehren, wenn er den
Meiſtern entwaͤchſt!


a 5Das
[X]

Das Gewoͤlb ſchallt taͤglich wieder vom Ge-
ſchrey der Geſchlagnen, — eines Geſchoͤpfs, das
mehr Verſtand und Gedaͤchtniß brauchen ſoll, als
Gott ihm gab; oder eines vielleicht kuͤnftigen Neu-
tons, welcher der Fall-Endung eines nie verſtand-
nen Wortes vergißt; oder eines zum Beſſern er-
ſchaffnen Geiſtes, der, mit Unluſt und irrend,
Roms und des Vaterlands Worte und Phraſen
wechſelt, die ihm an Jnhalt leer ſind. Erbarmt
euch, Freunde der Fruͤhlingsjahre!


O du Erneſti und Hayne, und wie ihr
ſonſt heißt, ihr wenigen aͤchten Soͤhne des groſſen
Gesners, ihr, von dem Geiſte des majeſtaͤti-
ſchen Conſuls und Weiſen
der Roͤmer durch-
drungnen, Lehrer Germaniens! Unſer Tullius ſoll
nicht mehr in den Comitien der Unmuͤndigen ein ver-
haßter Phraſendictator bleiben, und jeden Augenblick
expedi virgas rufen. Unerhoͤrt werde dieſe Entheili-
gung, ehe der Rector, der uͤber Neuerungen ſeufzt, ſich
und die bemaͤntelten Schuͤler angſtvoll zu den Exa-
mens von 10 Oſtern vorbereitet, und in eben ſo viel
Orationen, mit lauter Worten des guͤldnen Alters,
die Maͤcenaten ſeines Staͤdtchens verehrt.


War meinem Vorhaben kein Unſegen be-
ſtimmt: ſo naht ſich die Zeit, wo der Knab im
Umſchaun nach der Natur und im Horchen nach des
Lehrers
[XI] Lehrers Weisheit, Ohr und Phantaſie mit einer
Sprache fuͤllt, die aus Latiens Quell, durch Baͤche,
nicht mehr ganz rein, floß. Dann trinkt der Juͤng-
ling, mit Begierde nach Sacherkenntniß, die Weis-
heit der roͤmiſchen Vorwelt mit vollen Zuͤgen in
die ſich gern ausdehnenden Adern hinein, taͤglich
durſtiger nach Goldtrank. So wird er ſelbſt ein
roͤmiſcher Geiſt. Dann freun ſich Maͤnner (bey
Haufen) ihres Eigenthums an Latiens wahrer
Sprache. So wird die Gemeinſchaft derſelben
von neuem ein Freundſchaftsband der Voͤlkerlehrer.
Dann erſt kann weit umher nuͤtzen ein vorzuͤglich
weiſer Anwohner des Belts oder des Bothniſchen
Buſens; ein in die Newa getauchtes Genie,
oder das die Weichſel trinkt, oder an Scla-
voniens Graͤnze den Fall der Donau meſſen
lehrt.


Gluͤckſeligere Zeit, ehe du da biſt, deckt
mich mein Grab. Aber ich lebe gern, wenn ich
weis, daß ich dir bahne den unfehlbaren Weg.
Vermoͤgende Freunde der Nachwelt, die Viele
von euch noch ſehn wird, gebt mir Vollmacht, die
Arbeiter zu lohnen! Sie werden gefunden, aber
nur geſucht und bezahlt. Und der Stoff, der leicht
zu Werkzeugen wird, iſt da.


Die-
[XII]

Dieſelbe Hoffnung labte den Johannes
Commenius.
Auch er war vielen Kirchen ein
Diſſident. Seine Fehler ſind Warnungen mir.
Aber ſo groß waren ſie nicht, als die Thorheit de-
rer, die ſein Werkzeug nicht ſo brauchten, als er
wollte, oder die deſſen Werth verlachten, weil es
vollkommen nicht war, und weil ſie; es zu beſſern,
den Geiſt nicht hatten, den Fleiß nicht wollten.
Auf dieſer Thoren bruͤnſtiges Bitten kehrteſt du
wieder zuruͤck, allenthalben zum Schrecken der zar-
ten Knaben, du Donatus oder Grammaticus im
Dornengewand, und dein Freund Nomenclator,
der ſie deinen Umarmungen ſtuͤndlich herſchleppt.


Jn den Claſſen der Zarten ſeyd ihr Unge-
heuer. Jch verbann euch an den Schreibtiſch des
Juͤnglings. Wenn der Latiens Sprache ſo kennt,
wie die Meißniſche auf Hamburgs Maͤrkten ge-
kannt wird; ſo ſeyd ſo wenig unfreundlich als ihr
koͤnnt; und gewoͤhnt ihn, eure natuͤrliche Haͤßlich-
keit zu ertragen. So verachtet er nicht lang eure
guten verborgnen Gaben; dann duͤrft ihr ihn leh-
ren, wenigſtens wenn ihr ihn zweifeln ſeht und
er von euch Entſcheidnug wuͤnſcht. Quackt und
quaͤckt ihm aber nicht zu lang in Eins fort. Sein
zu beſſern Toͤnen gewoͤhntes Ohr iſt ekel. Er
moͤcht euch haſſen!


Natur!
[XIII]

Natur! Schule! Leben! Jſt Freundſchaft
unter dieſen dreyen; ſo wird der Menſch,
was er werden ſoll, und nicht alſobald ſeyn kann;
froͤhlich in Kindheit, munter und wißbegierig in
Jugend, zufrieden und nuͤtzlich als Mann. Aber
wenn die Natur von der Schule gepeitſcht, und
die Schule vom Leben des Mannes verhoͤhnt wird,
da iſt der Menſch zuletzt dreyfach als eine Misge-
buhrt an einander gewachſen, drey Koͤpfe, ſechs
Arme, und im taͤglichen Zank unzertrennlich. Er-
barmt euch, ihr Kenner der Menſchheit, Du, gu-
ter Jſelin, kennſt ſie.


Jhr Schulen, ich klag euch an, verantwor-
tet euch; wir ſtehen vor unſern Richtern. Nicht
uͤber euch klag ich, ihr vernunftvollen Schulmaͤn-
ner, die ihr mit mir ſeufzt, daß Geſetz, Gewohn-
heit und Collegenſchaft euch die Haͤnde binden.
Aber, ihr Schulen, euch klage ich an, daß ihr die Na-
tur zerpeitſcht und die Sehnen der Seele, die dem
Leben des Mannes beſtimmt ſind, nicht ſtaͤrkt, ſon-
dern laͤhmt.


Und ſollte mans glauben (denn memorirte
Catechismen darf ich nur ſanft beruͤhren), die Haͤlfte
der Menſchen-verderbenden Schuld der Schulen
iſt
[XIV] iſt der Trichter, den man taͤglich zwiſchen die knir-
ſchenden Zaͤhne der Jugend hineinzwingt, um die
von den Gedanken abgeſchoͤpfte Sprache der Roͤmer
Tropfenweiſe einzugieſſen.


Mit groͤßrer Vollmacht, als jener Boͤhmi-
ſche Bruder Johannes, wollte Leipzigs und Goͤt-
tingens Gesner dieſe Tyranney aus der Weis-
heit und Menſchlichkeit Werkſtaͤtten verbannen,
und befahls in eines Koͤnigs Namen. Hat man
zu wenig gehorcht: ſo pruͤfet, weiſe Menſchen-
freunde, was ich vielleicht nur waͤhne.


Jn der Tiefe fehlt es den Schulen am Grund-
bau. Gesner wollte ſtuͤtzen, ausbeſſern und erhoͤhen.
Er wagte nicht mehr, zu ehrerbietig gegen die halbe
Weisheit unſrer widerreformatoriſchen Zeit. Aber
Stuͤtzen und Hoͤhen druͤcken nur mehr. Und wie
gehts in alten Schlaͤuchen dem neuen Weine? Ges-
ner wies neue Arten der Arbeit, aber das Werk-
zeug blieb alt. Greiſe (ſelten ſind Ausnahmen)
werden, um der Knaben willen, nicht Schuͤler.
Sie entehren ihr graues Haupt nicht durch einen
Verſuch, der eine Zeitlang mislingt.



Man laſſe das Alte ſinken oder ſtehen. Es
folgt ſeiner Natur, und wird nicht neu. Man
baue
[XV] baue Neues, was alt zu werden verdient. Ein
ganz Land voll Schulen ploͤtzlich zu beſſern! Ein
ungeheures Project! Mit Verordnungen und
Statuten iſt Wenig gethan, wenn man ſie auch
mit den groſſen Namen Thereſens und Joſephs,
Catharinens
oder Friedrichs beſiegelt. Sterb-
liche, wer ihr auch ſeyd, befehlt einmal, daß die
Blinden ſehen, die Lahmen gehen! Jene bleiben
blind und dieſe lahm. Und was ſo fern von der Voll-
kommenheit iſt, als der Menſchen moraliſche und
litterariſche Erziehung; das wird nicht nach einem
Formulare verbeſſert, welches des Wohlſtands
wegen Jahre lang guͤltig ſeyn muß, weil es eine
Majeſtaͤt unterſchrieb.


Jaͤhrlich und taͤglich beobachtet, verſucht,
gut befunden, beſchloſſen, von Stuͤck zu Stuͤck!
So projectirt die Vernunft. Aber das darf der
Miniſter und ſein Rathgeber nicht ſagen. Dies
weidet nicht die Augen der Herrſchaft; auch kann
die Ruhmtrompete nicht fruͤh genug erſchallen.


Langſam, langſam vorwaͤrts, Etwas wieder
zuruͤck, um auszubeugen, dann wieder mehr vor-
waͤrts! Das waͤre der einzige Weg mancher Gluͤck-
ſeligkeiten. Aber nur fuͤr die Vervollkommnung
des Kriegesweſens denkt man auf dieſen einzigen
Weg. Wie Friedrich die von der Zahl unab-
haͤn-
[XVI] haͤngige Kraft ſeines Heeres nicht durch eine ein-
gebildete Allmacht oder durch ein, Werde! ſchuf,
ſondern taͤglich nach weiſer Ordnung ſtaͤrkte; ſo
weislich, ſo langſam, ſo beſtaͤndig (oder nur durch
entfernte Nachahmung) werde fuͤr den noͤthigen
Krieg des Menſchengeſchlechts wider Unwiſſenheit,
Aberglauben, Laſter und Unzufriedenheit geſorgt;
ſo wird die Folg ein Wunderwerk ſcheinen dem,
der die Mittel nicht ſah.


Eine einzige normale Mutterſchule ſo
beobachtet, ſo verpflegt, ſo ſchrittweiſe vervollkomm-
net, waͤre anfangs genug fuͤr das weite Teutſchland.
Sie allein wuͤrde der Pflanzort der Lehrer fuͤr Alle.



Jſt darzu eine groſſe Summe zu groß; eine lange
Zeit der Beobachtung und Verſuche zu lang?
Sagſt du das, Teutſchland? Sagſt du das, Eu-
ropa? So wuͤrde, wenn er unſre Sache wuͤßte,
der natuͤrliche Groͤnlaͤnder uͤber die uns bisher an-
ſtudierte Vernunft lachen, oder, wie er ſchon oft
(ich weis es aus Briefen) gethan hat, ſagen:
Wenn ihr kluͤger ſeyd, ſo ſeyd ihr doch nicht
ſo gut, als wir Groͤnlaͤnder.


Sollt ich nicht graben, duͤngen, pflanzen,
weil ich faſt zu bejahrt bin, Frucht zu ſchaun?
Die
[XVII] Die erſt nach mir das Sonnenlicht ſehn, ſind das
nicht Menſchen, und meine Bruͤder in der Ewig-
keit, die mir dann danken, daß ich ſie liebte, eh
ſie waren?


Nur ein kleines unvollkommnes Modell wird
anfangs unſer Philanthropinum, und (denn wer
ſinkt nicht unter einer zu groſſen Laſt?) auch nur als-
dann, wenn ihr, mit Verſtand und Guͤte und
Vermoͤgen geſegnete Freunde der Menſchen, es
nicht verlaßt.


Wuͤnſch ich aus Eigennutz? Wißt,
Edelſte, daß ich Erworbnes wage, ohn Aſſecuranz,
um einer der Eurigen zu ſeyn durch That. Und erſetzt
ihrs einſt meinen Fuͤnfen (davon zwey noch nicht
Vater ſtammeln): ſo ſey am Anvertrauten mein
ganzer Antheil lebenslang Sorg und Arbeit. Die-
ſes Eigennutzes erinnre mich die Todesſtunde.



Aber kehr ich nicht vor der Zeit in die zweyte
Kindheit zuruͤck? Kann das wohl wachſen
und alt werden, was ſo huͤlflos iſt bey ſeiner Ge-
burt, als dies Seminar? Dies ſagt man mir,
und ich antworte: Nur Jnſeln fand Columbus,
das groſſe Land aber Americus, der ihm den Na-
bmen
[XVIII] men gab. Ueber Roms Mauren ward anfangs
gehuͤpft. Das Philanthropinum iſt bisher eine
Stiftung des Armen fuͤr Aermere. Der Zeiten
Schuld waͤr es, und nicht meine, wenn man gute
Neuerung ſcheute, und Soroes(*), Joachims-
thals und Kloſterbergens
reichlichen Jahr-
wuchs nicht auf eine Zeitlang zum Verſuche des
Groſſen verwendete, der dann unfehlbar gluͤckte!
Dann!


Freylich lebt dieſes Seminars huͤlfloſe Ju-
gend, wenn es keinen Pflegevater findet, deſſen
Guͤte vermoͤgend genug iſt, als ein Waiſenkind
des Publikums. Sind aber nicht Monarchen
und Fuͤrſten — nicht Schimmelmanne und
Gartenberge? Nicht Edle, die an guten Wer-
ken und wahrem Ruhme reich zu leben wuͤnſchen,
um auch reich zu ſterben?


Jch ſah des Schickſals Tafeln nicht. Aber
die Nachwelt lieſt es, daß ich Glauben fuͤr Pflicht
hielt, und glaubend handelte, in Zuverſicht auf
Gott, den Vater aller Kinder, der, wie er will,
Eure
[XIX]Eure Herzen lenkt, ihr weiſen Erforſcher,
ihr edlen Thaͤter des Guten!



Die mich kennen, wiſſens, und den uͤbrigen
Edlen, damit ſies nicht mit Miſchung von
Unwahrheit erfahren, ſeys geſagt: Mir kaͤm die
Huͤlf ungeſucht entgegen, waͤr ich nicht dieſer und
jener Kirche, die ich alleſammt verehre, ein Diſſi-
dent. Nicht ein andringender Lehrer moͤglicher
Proſelyten. Jch naͤhre in meinem Hauſe Refor-
mirte und Lutheraner, und wuͤnſche zu guten Ge-
ſchaͤften geſchickte Catholicken, Menoniten und
Maͤhriſche Bruͤder! Jch laß Jeden ſeyn, wer er
iſt, wenn er in ſeiner Religion ſich wohl befindet.
Jch ſchreibe; und es leſe, wers will. Meine
Gemeine ſind die Leſer, und mein Beichtſohn iſt
nur der, ders mir entdeckt, daß er das Chriſtenthum
verwerfe, weil er glaube, das, was auch ich ver-
werfe, ſey deſſelben nothwendiger Theil. Dieſe Frey-
heit verlier ich nicht, ſo lang in dem gemaͤßigten
Erdſtrich noch Billigkeit iſt, und ſo lang ein
Weg iſt zu Staaten und Laͤndern, wo ich nuͤtzen
kann, mit dem, was ich habe. Alſo ſeht ihr,
Menſchenfreunde, ich muß mit freyer Bruſt auch
b 2hier
[XX] hier davon reden; und hoͤrbar! Laßt den Sach-
walter der Menſchheit vor Euch, ihr Maͤchtigen,
ihr Groſſen, und beſonders ihr, vermoͤgende Lieb-
linge der Leſer,
ihr Drey-Maͤnner, Klopſtock,
Wieland, Lavater!


(Dieſe von Euch zog ich gleichſam durchs Loos, da
ich gleiche oder doch aͤhnliche Germanier nicht alle-
ſammt nennen wollte). Es iſt ein vielkoͤpfiges
Ungeheuer (was ſag ich?) eine ganze Brut der-
ſelben, vor welcher meine Principalinn und ihre
Herzensfreunde nirgends ſicher ſind, und auf wel-
che Jagd zu machen, die beruſenen Jaͤger nicht ver-
ſtehn oder nicht wagen. Jhr ſeyd gewaltige Jaͤ-
ger. Euch (wenn ihr wollt) entkommen ſie
nicht. Einige Jahre Jagd, als wenn ihr ſie
verabredet haͤttet: ſo iſt Viel geſchehen. Viel!


Aber oͤftere foͤrmliche Jagden ſind noͤthig.
So groß iſt das Uebel. Euch ſcheints nicht ſo
groß, als mir. Das koͤmmt vom Schickſale,
dem Leitfaden der Aufmerkſamkeit. Ein und an-
drer gelegentlicher Schuß, beſonders mit der ſchwa-
chen Windbuͤchſe (damit es nicht weit gehoͤrtwerde),
der hilft zu wenig.


Dieſe
[XXI]

Dieſe Brut heißt Glaubenszwang, oder
Bekenntnißzwang. Sie hat auch als eine Gottheit
Anbeter und Altaͤre. Das Rauchopfer iſt der
gute Name der Ruͤhmlichen, deren Zunge ſo redet,
wie das Herz denkt; das Speisopfer das der
Unſchuld geraubte Brod; und das Brandopfer
misfaͤllige Buͤcher, Patente des Buͤrgerrechts, der
Landesſtandſchaft, der Erbfolge in Fuͤrſtenthuͤ-
mern derer, die das Thier nicht anbeten, oder ſo-
gar (welches jetzund ſeltner iſt, wie vormals) le-
bendige Menſchen. Die gewoͤhnlichſte Liturgie
beſteht in Religionseid und Verdammung der
Menſchen, die anders glauben. An gewiſſen
Tagen verſammlet ſich der Anbeter eine groſſe
Zahl! Mancher, man kanns ihnen anſehn, koͤmmt
ungern, langſamer und ſpaͤter, als der Haufe. Er
betet die Formel des Eides und Fluchs leis und
faſt zitternd, um nicht ertappt zu ſeyn als ein Feind
des Goͤtzen. Da ſeufzt er: Gott ſey mir gnaͤ-
dig! Du weißt, daß ich falſch ſchwoͤre aus
Amtstreu und Menſchenliebe.


Dieſes Ungeheuers Anbetung hab ich ver-
abſcheut, und oͤffentlich. Mir iſts Pflicht, und
(obs gleich nicht ſo ſcheint) rathſam, das hier nicht
b 3zu
[XXII] zu ſchweigen dem, welchen ich anflehe fuͤr ein
Philanthropinum, welches von jeder chriſtli-
chen Kirche ein beſcheidner Freund ſeyn, und von
jeder Zankfrage gaͤnzlich ſchweigen wird. Aber des
Glaubenszwangs Goͤtzendienſt lehrt es Jeden ver-
abſcheun.


Voll dieſes Abſcheus red ich auch hier. Ver-
zeihts dem leidenden Menſchenfreunde, dem Glau-
benszwang oft furchtbar war. Er hat mich ge-
ſtreift, nicht toͤdtlich verwundet. Dank ſey dem,
der das Schickſal regiert.


Himmliſcher Bernſtorf (ich weis nicht
deinen Namen unter den Engeln)! Ach, daß ich
dir nicht habe danken koͤnnen, fern vom Verdachte
(wie jetzund) in dir dem erſten Staatsminiſter zu
danken, ders war, und ders bald wieder werden
mußte. Du, Europens Kenner und Liebling;
du Patriot, ſowohl Daͤniſcher als Teutſcher Cim-
brer; du Menſchenfreund, du Chriſt! Jn jedem
dieſer Namen groß! Warum wareſt du faſt nur
mittelmaͤſſig im Urtheil uͤber Duldung der Bekennt-
niſſe, oder uͤber das Diſſidentenrecht, welches vor und
neben und nach allen menſchlichen Verordnungen,
ſich
[XXIII] ſich allzeit gleich, da ſteht? Dennoch (unerforſch-
lich iſt der Vorſehung Werk!) ſchuͤtzteſt du mich;
ſo laut ich Diſſident war der Landeskirche, welche
lehrt, wie du, Redlicher, glaubteſt.


Cramer, du Germaniens Boſſuet! Uner-
forſchlich iſt der Vorſehung Werk. Auch du haſt
Theil an meiner Wohlfahrt, der ich laut lehre,
was Jeder hier lieſt: Wenn das Recht, un-
geſtraft heimlich zu glauben, was das Ge-
wiſſen lehrt, aber nicht ungeſtraft durch
Zung und Feder die Meynung zu zeigen,
die der Tugend nicht feind iſt; wenn dies
des Gewiſſens Freyheit heiſſen ſoll: ſo
nennt in der Barbarey oder in Japan den
Ort, wo ſie nicht iſt!


Jch hoͤre ſagen: Wenn du ſo philoſophirſt,
du Sonderling, und doch geleſen ſeyn willſt, und
ein Philanthropinum ſtiften: ſo kenneſt du vielleicht
die Buͤrger des Mondes, aber unſers lieben Erd-
kraiſes nicht! … Jch bin angeklagt. Ver-
nehmt mich, ihr weiſern Chriſten. Denn keine
Kirche war jemals mit Wiſſen eine Widerſacher-
inn der Weisheit!


b 4Wohl-
[XXIV]

Wohlan alſo. Die Schule der Men-
ſchenfreundſchaft
muß das Rechtglauben keiner
Kirche beſtreiten. Das weis ich. Das iſt die
Regel der Statuten, die ich Andern ſchreib und
mir. Aber den Geiſt der Verfolgung ſollt ich
ſcheun, und gegen ihn nicht das Kreuz predigen,
das Kreuz Jeſu, das kein Schwerdt iſt? So ſollt
ich thun, um Menſchenfreundſchaft zu ſtiften?
Weit gefehlt! Stieg denn ein menſchenfeindlicherer
Geiſt jemals aus der unterſten Hoͤlle?


Das iſt nicht Alles. Kann ich mich ver-
bergen? Dafuͤr iſt geſorgt, daß ichs nicht kann.
Wenn alſo unter den Erforſchern und Thaͤ-
tern des Guten
ſich nicht dieſer Glaube verbrei-
tet, daß das Recht, das Recht der Gewiſſen
(denn Duldung ſagt zu wenig), in den Geboten
von der Menſchenliebe, in den Geboten des Chri-
ſtenthumes ſtehe; wenn Teutſchlands weiſe Maͤn-
ner in dem Glauben dieſes Diſſidentenrechts nicht
fortſchreiten, und in dem Wunſche, daß es einſt
(ſo hat uns die Thorheit der Vorwelt verwirrt)
in Friede mittheilbar ſeyn moͤchte: ſo ſucht es kein
Philanthropinum, keine Schule der Menſchen-
freundſchaft nicht bey Andern, und nicht bey mir.
Dann
[XXV] Dann will man nur lauter Miſanthropinums,
wo Haß oder Verachtung gegen Adamskinder, die
in andern Kirchen beten, ins Herz der Unmuͤndigen
hineingelehrt wird. Denn wie koͤnnen wir, ohne
einen Streit mit uns ſelbſt, lieben den, der,
weil er ſein Glaubensbekenntniß nach dem unſrigen
nicht ummodeln kann, mit Leib, Seel und Geiſt
auf ewig des Teufels iſt; und das von Rechts-
wegen? So lehrt man (einige Ausnahmen ge-
ſteh ich) in Teutſchland, wo wegen der Kirchen-
Miſchung Schulknaben gar oft gewohnt ſind, gegen
den Vater oder die Mutter, oder gegen den Lan-
desfuͤrſten (unter nicht undeutlichem Namen) zu
litaneyen.


O du Verlobter Gottes und Jeſu und der
Menſchenliebe, mein Lavater!(*) Wenn nicht
Geſetze, wornach Michael Servet lebendig ge-
braten, und einige Andre enthauptet werden konn-
b 5ten,
[XXVI] ten, verbrannt oder doch foͤrmlich abgeſchaft ſind:
ſo iſt das dir und mir ſo werthe Helvetien noch
lange nicht philanthropiniſch genug. Geſetze ver-
brennen,
iſt das nicht beſſer, als unſchuldige
Menſchen! … Obs nicht genug ſey, daß man
ſie jetzund nicht mehr ausuͤbe? Nein! Nein! Muß
denn nicht aus den Apotheken fort alle ehemals ge-
prieſne Arzney, die nur zum Vergiften taugt, oder
zu ſolchen Curen, die, ohne des Giftes ſparſa-
men Gebrauch, eben ſo oft gelingen? Mann Got-
tes, Mann Gottes! der Tod in Toͤpfen, der Tod
in Toͤpfen! ....


Wir haben keine Theocratie, wie die be-
ſchnittnen Juden. Wider die Laſter gebt Geſetz,
ihr Chriſten; habt ſtandesmaͤſſige Verwahrungs-
oͤrter derer, deren Gehirn verruͤckt wird; haltet
uͤber die Kirche, wie uͤber jede andre (nicht herr-
ſchende) Geſellſchaft im Staate, daß, wenns aufs
Mein und Dein und auf den ehrlichen Namen
an-
(*)
[XXVII] ankoͤmmt, die Kirche dem Gliede, das Glied der
Kirche, und eine Kirche der andern Wort halten
muß. Alsdann iſt in den buͤrgerlichen Geſetzbuͤ-
chern uͤberfluͤſſig das Hauptſtuͤck vom Kirchen-
rechte,
von Gotteslaͤſterern, Rottengeiſtern,
Sabbathſchaͤndern, veraͤnderten oder nicht veraͤn-
derten Confeſſionen. Nicht uͤberfluͤſſig nur,
ſondern ſchaͤdlich! Denn wie leicht beweiſet nicht
ein Sachwalter, daß der ein Gotteslaͤſtrer ſey, der
nicht glauben kann, daß Jeſu Kreuz ſo viel Holz
hatte, als an 100 Orten vorgezeigt wird, und daß
der heilige Januarius jetzund noch blute? Machte
die Erfahrung nicht kluͤger, als das Geſetz; und
aͤnderte ſie nicht des Ausdrucks Bedeutung: wie
oft waͤre Gefahr fuͤr Glieder und Haupt in Geſetzen?
Der Fuͤrſt ſoll alle Landeseinwohner zu
dieſer oder jener Confeſſion anhalten? Alle
Einwohner des Landes? — Anhalten? —
Mit der Fuͤrſtenmacht,
die bis auf Leben und
Tod reicht? — Bey Verluſt, u. ſ. w. Mein
Gott!


Der Hoͤllengeiſt der Verfolgung iſt ein ſehr
liſtiger Teufel. Bald iſt er Rieſe, bald Zwerg.
Bald borgt er ein Prieſtergewand und ſcheint heilig.
Bald koͤmmt er in der Staatsperuͤcke mit dem
Geſetz-
[XXVIII] Geſetzbuche als Patriot. Du unreiner Geiſt,
fahr aus den Dienern der Menſchenfreund-
ſchaft, aus den Dienern Jeſu Chriſti!
Das
iſt der Exorciſmus, der ſeit Jahrhunderten ge-
fehlt hat, auch bey den Britten. (Denn) wer nicht
in der Kirche der Biſchoͤfe betet, und nicht
dem Athanaſius ſchwoͤrt, und nicht Je-
den (der es nicht kann, auf ewig verdammt,
der, haͤtt er auch Solomons Weisheit und
die Vaterlandsliebe, wie Leonidas) ſoll
ſich nicht unterſtehen, der Nation ſo oder
anders zu dienen. Von Rechtswegen!

Das Gott erbarm! Von Rechtswegen?


Lavater, du Glaubensheld! ſollt’ uns
nicht einſt von Gott das Ausbannungsformular
gegen dieſen Satan geoffenbaret werden? Du
denkſt, Gebet und Glauben rechter Art thaͤten noch
Wunderwerke. Kein Wunderwerk ſcheint mir
jetzund noͤthiger, als dieſes. Was meinſt du, wenn
wirs nur erſt erhielten, daß dieſer Hoͤllengeiſt einer
Anzahl von viel-wirkenden Maͤnnern niemals anders
er-
[XXIX] erſcheinen duͤrft, als in ſeiner hoͤlliſchen Geſtalt (nicht
Zwerg, nicht Rieſe, ohne Prieſtergewand, ohn ein
beſiegelt Glaubensbekenntniß, ohne Geſetzbuch und
Staatsperuͤcke), und daß ſie alleſammt (denn gegen
Satans, ſo lange ſie es ſind, bin ich untolerant)
ihn taͤglich peitſchten mit Fackeln, entzuͤndet an
dem Lichte der Vernunft und des Evangeliums?
Denn dieſes Feuer iſt ihm ungewohnt, und ſehr
empfindlich. Dann verlaͤßt er die Erd und kehrt
zur Hoͤlle zuruͤck.


Verſuch oder verbeßre folgende Formel:
Du unreiner Geiſt, bey der Allmacht und
hoͤchſten Guͤte des Schoͤpfers des Himmels
und der Erde (welche mit dem Athanaſier
der Unitarier und jeder Menſchenfreund
taͤglich anbetet) beſchwoͤr ich dich, daß
du niemals anders, als in deiner hoͤlliſchen
Geſtalt erſcheineſt, einer jeden theologiſchen
und juriſtiſchen Facultaͤt, bey Catholiken und
Proteſtanten, einer jeden Oberconſiſtorial-
verſammlung, einem jeden Schriftſteller und

Jour-
[XXX]Journaliſten; und vor allen den verehrungs-
wuͤrdigen Haͤuptern, welche Sitz und Stimm
haben in den heiligen Congregationen zu
Rom, in den griechiſchen heiligen Sy-
noden, auf dem Reichstage der Teutſchen,
im Parlamente der Britten, in den gehei-
men Conſeils der nordiſchen Koͤnige; alle
dieſe Maͤnner moͤgen Chriſten ſeyn, oder
zum Theil Zweifler, ich beſchwoͤre dich bey
der Allmacht und hoͤchſten Guͤte des Schoͤ-
pfers des Himmels und der Erde, welche mit
dem Athanaſier der Unitarier und jeder
Menſchenfreund taͤglich anbeter. Amen!


Nimm dich des Philanthropinums an, La-
vater,
du Freund meines Herzens, du Beglaubig-
ter bey vielen der Beſten! Noch ſeh ich wenig
Huͤlf. Aber ich muß nicht zweiflen, darum zweifl
ich nicht, weil die Handlung meines Glaubens
gut iſt. Dieſes, ihr Wahrheitsforſcher, iſt ein
Hauptſatz meiner Logik .... Der practiſchen viel-
leicht, aber nicht der theoretiſchen? .... Was?
Eine
[XXXI] Eine Theorie, der die Praxis zuwider handeln
muß, iſt Jrrthum, oder die Kunſt, Sandkoͤrner
zu ſchieſſen durch ein Nadeloͤhr.


Jch weis es: menſchliche Wahrheit und Zu-
verſicht iſt fehlbar. Die Wahrheit aber, daß ich
ein Seminar der beſſern Erziehung und Unterwei-
ſung pflanze, bleibt mir wahr bis an den Tod.
Aber Entkraͤftung des Geiſtes, Erkaͤltung des
Herzens vor Alter iſt eine Art des Sterbens. Jſt
bey dieſem oder jenem Tode kein ſolch Seminar;
ſo hab ich nicht geirrt, ſondern (ach! ich ſag es
mit zitternder Ehrerbietung), die Furchtſam-
keit und der Kaltſinn der Beſten in unſern Zeiten.
Was ſchadet mir das — in der Ewigkeit des
Himmels — und auch bey der Nachwelt, welche
dieſes Vermaͤchtniß zur Unterhaltung mei-
nes, mehr als guten, Namens
lieſet, und
mehr als lieſet?


Die
[XXXII]

Die Vorrede des Plans zu meinem Seminar,
wo war ſie? Jn den Heiligthuͤmern der So-
cratiſchen Vernunft und des chriſtlichen Glaubens?
War ſie verirret? O Nein! Sie ging ihre Straſſe
grade fort.


Aber dieſe ganze Schrift iſt eine Vorrede
zur Handlung. Jhr werdet aber auch vorreden,
ich hoff es, ihr andern Erforſcher und Thaͤter
des Guten!


Johann Bernhard Baſedow.


Des
[[1]]

Des
Paͤdagogiſchen
Philanthropinums

Zweck, wirklicher Urſprung
und
erſte Beſchaffenheit.


A
[[2]][[3]]

§. 1.
Man muß den Grundbau des Er-
ziehungsweſens veraͤndern.


Viele der Leſer werden in dieſer Schrift groͤß-
tentheils daſſelbe finden, was ſie ſchon
oft von mir geleſen haben. Und ſie moͤgen
ſich dabey des Sprichworts von der Anzahl der
Hiebe an einen Baum, der fallen ſoll (oder des
gutta cavat lapidem non vi ſed ſæpe cadendo),
erinnern. Die merkwuͤrdigſte Neuigkeit aber
wird ihnen dieſe ſeyn, daß eine paͤdagogiſche Aka-
demie, ein uͤbendes Lehrer-Seminar, eine Pflanz-
ſchule der Tugend und Wiſſenſchaften, ein Phi-
lanthropinum
(das iſt, eine Werkſtaͤtte der
Menſchenfreundſchaft
), oder wie die Anſtalt
ſonſt genannt werden mag, nicht mehr vorgeſchla-
gen werde, ſondern wirklich in Deſſau ſo ange-
fangen ſey, wie man Sachen, die nach und nach
erweitert werden, durch Fuͤrſorge fuͤr einige Huͤlfs-
mittel der Fortſetzung anfangen kann.


Es wird alſo in Deſſau unfehlbar faſt eben
daſſelbe, was ich im Julius dieſes Jahres, ver-
mittelſt eines Bogens von der paͤdagogiſchen
Privatakademie,
um die Pruͤfung und Befoͤr-
derung zu erleichtern, anfangs als ungewiß vor-
ſtellen mußte.


Wer mein Methodenbuch, und das erſte
Zehnthel des Elementarwerks lieſt, und durch-
zudenken Zeit und Luſt hat, der weis dasjenige
A 2ſchon,
[4]Von dem Grundbau
ſchon, was ich der andern Leſer halber hier gleich
anfangs beweiſen muß, daß naͤmlich die Welt bis-
her kein ſo gutes Schulweſen haben kann,
welches nicht ſelbſt in ſeinem Grundbaue
hoͤchſt fehlerhaft ſeyn ſollte?
Von ſehr vielen
Fehlern aber, deren Wahrheit den weiſern Men-
ſchenfreunden hoͤchſt unangenehm ſeyn muß, will
ich hier nur diejenigen anfuͤhren, die nach einigen
Jahren nicht mehr wahr ſeyn werden, wenigſtens
nicht an ſolchen Orten, wo man nach den Grund-
ſaͤtzen, deren Ausfuͤhrung ich zeigen und durch
Deſſau fuͤr das ganze Publicum erleichtern will,
wird handeln wollen. Denn es giebt viel Krum-
mes, das niemals, oder noch jetzund nicht, gerade
gemacht werden kann. Unſer Jahrhundert iſt in
mancher, auch die Erziehung und das Schulweſen
angehenden, Bedeutung ganz unheilbar krank,
und will (wenn von den meiſten die Rede iſt) gar
nicht geſund ſeyn. Solche Krankheiten gehn mich
hier nicht an. Nur von heilbaren Uebeln will ich
Etwas erwaͤhnen. 1) Die Unterweiſung und Er-
ziehung der Jugend iſt ein nicht nur der wichtig-
ſten, ſondern auch der kuͤnſtlichſten Geſchaͤfte.
Kuͤnſte aber muͤſſen von ſolchen, die ſich darinnen
hervorgethan haben, die Andern ordentlich lernen,
aber (um des Himmels willen!) nicht bloß lernen,
ſondern auch bey beſtaͤndiger Aufſicht und Rathge-
bung der Erfahrnen, wirklich in Ausuͤbung bringen.
Durch Vorleſung uͤber die Paͤdagogie iſt die Sache
nicht ausgemacht. Noch weniger durch Schul-
verordnungen und Examens. Wo iſt aber das
prakti-
[5]des Erziehungsweſens.
praktiſche Lehrerſeminar? Durch dieſe Frage
laſſe ich den Werth dieſer und jener auf eine Zeit-
lang etwa gluͤcklichen Schule, und dieſes oder je-
nen Schulmannes oder Hofmeiſters ungeſchmaͤh-
lert. 2) Jſt jemals an irgend einem Orte eine
Geſellſchaft gelehrter guter Maͤnner einige Jahre
mit genauer Unterſuchung der fuͤr die Jugend be-
ſtimmten Buͤcher auf Befehl oder aus Willkuͤhr
beſchaͤftigt geweſen; mit der Unterſuchung, ob jede
Theile derſelben ſittlich gut ſeyn; ob nicht ein Buch
dem andern widerſpreche; in welcher Ordnung ihr
Gebrauch aufeinander folgen; und wie die ſchaͤdli-
chen und ſich widerſprechenden (auch die ſchweren
und unnuͤtzen) Theile ausgemerzt oder erſetzt wer-
den muͤſſen? Wo iſt alſo ein wohluͤberlegter
und zur Regel gemachter Plan in der Folge
der gebrauchten Schulbuͤcher?
Dieſen groſſen
Mangel bald abzuhelfen, diene kuͤnftig mein Ele-
mentarwerk als ein Magazin, deſſen Theile in klei-
nern Schulbuͤchern oder durch Zeichen verſetzt wer-
den koͤnnen. Vermoͤge deſſen, was ich gethan
habe und bald thun werde, iſt man alſo der Moͤg-
lichkeit eines guten Plans jetzund naͤher, als jemals.
Denn bisher hat man zwar aus claſſiſchen Schrift-
ſtellern ſobenamte Chreſtomathien geſchrieben,
aber (auſſer in dem Buͤſchingiſchen liber lati-
nus,
welches viel werth iſt) faſt aller Hauptzwecke
verfehlt. 3) Das Auswendiglernen und
Ueberſetzen nicht verſtandner Worte
und
Reden iſt an allen Orten eine der Hauptuͤbungen.
Es iſt aber zu guten Zwecken unnuͤtz oder entbehr-
A 3lich,
[6]Von dem Grundbau
lich, eine Ableitung aller Verſtandeskraͤfte von ih-
rer Bahn, ein Dornweg fuͤr die brauchbarſten
Seelen, ein Anlaß ſchmerzlicher Strafen ohne
wahres Verbrechen, eine Urſache des Studien-
haſſes vieler vermoͤgenden Menſchen, die unwiſ-
ſend bleiben; ein Hauptgrund der Verachtung ge-
gen Schuldictatoren, die ihre Faſces am haͤufig-
ſten brauchen, wenn der Knabe nicht auswendig
gelernt und das ihm Unverſtaͤndliche ohne Verſtand
oder ohne Luſt uͤberſetzt hat. 4) Ehe die vorneh-
mern Staͤnde mehr Einſicht und Tugend erlangen,
als ſie haben, wird die Welt nicht beſſer. Sie
koͤnnen aber ohne Huͤlfe von Hausbedienten nicht
erzogen werden. Dieſe muͤſſen ihre Pflichten des
unſchaͤdlichen oder nuͤtzlichen Umganges mit den
herrſchaftlichen Kindern nicht nur einſehen, ſon-
dern auch zu erfuͤllen ſehr geuͤbt ſeyn. Wo iſt in
einem Seminar Anſtalt, taugliches oder nur un-
ſchaͤdliches Geſinde fuͤr die Erben groſſer
Haͤuſer
zu erziehen? (Die Lehrlinge dieſes Stan-
des in dem Seminare nenne ich Famulanten.
Sie ſind arme Kinder von guten Naturgaben,
und werden durch Wohlthat erhalten und unter-
richtet.) 5) Jn einem vollkommnen Schulſemi-
nar muß der menſchliche oder buͤrgerliche Unterricht
und der kirchliche von einander abgeſondert ſeyn,
damit Jugend aus verſchiednen Kirchen, ohne
Widerſpruch der Geiſtlichen, das Menſchliche und
Buͤrgerliche zuſammen gemeinſchaftlich lernen,
und zugleich in den erſten Jahren ſich zur heilſamen
Vertragſamkeit gewoͤhnen koͤnne. Alſo muͤſſen
foͤrmlich
[7]des Erziehungsweſens.
foͤrmlich unterſchieden ſeyn, buͤrgerliche und kirchliche
Buͤcher, buͤrgerliche und kirchliche Lehrſtunden,
buͤrgerliche und kirchliche Uebungen. Mein Ele-
mentarwerk giebt Muſter und Plan der bloß buͤr-
gerlichen Unterweiſungen, zu welchen ich aber auch
rechne erſtlich die Sittenlehre und den Erweis oder
die Vorausſetzung ihrer Verpflichtung durch die
Wahrheit von einer goͤttlichen Vorſehung und kuͤnf-
tigen Vergeltung; und zweytens eine unpartheyi-
ſche und weltkundige Nachricht von der Verſchie-
denheit der Religionen und Kirchen, ohne Lob und
Tadel derſelben. Alsdann folgt, daß in der Les-
uͤbung, Schreibuͤbung, Sprachuͤbung, Reduͤbung,
und in dem Vortrage der Geſchichte und Philoſo-
phie keine beſondre Kirchenentſcheidung als wahr
oder als falſch vorgeſtellt werden muͤſſe; daß alſo
viele ſonſt gute Buͤcher wegen dieſes Umſtandes in
den gebeſſerten Schulen unbrauchbar ſeyn werden,
und daß der hinzukommende kirchliche Unterricht
auſſer den Feſttagen, die dazu gewidmet bleiben,
taͤglich nur eine halbe oder ganze Stunde brauche.
Wo iſt jemals der Begriff von einem menſch-
lich, politiſch und chriſtlich ſo guten und
ſo unpartheyiſchen Seminare
geweſen?
6) Auſſer der vaterlaͤndiſchen iſt die lateiniſche
Sprache allen Studirenden, und (wenn ſie mit
einem halben oder ganzen Jahre Zeitverluſt ohne
Quaal der Jugend erkauft werden koͤnnte) auch
allen vornehmen Leuten die nuͤtzlichſte. Jm Durch-
ſchnitte werden, nach der bisherigen Schulverfaſſung,
5 ganzer Jahre mit Quaal blos auf dieſe Sprache,
A 4ohne
[8]Von dem Grundbau
ohne erhebliche Befoͤrdrung der Sacherkenntniß,
gewendet. Von den ſo unterrichteten Schuͤlern
aber koͤmmt dennoch kein Vierthel zu der Fertigkeit,
lateiniſche Buͤcher ohne Muͤhe und Verdruß zu
leſen, ſo daß, wenn dies nicht geaͤndert werden
koͤnnte, es beſſer waͤre, ſelbſt nicht einmal von den
Studirenden (auſſer nur nach Beſtimmung zu ge-
wiſſen Aemtern) ein Lateiniſchſtottern und eine
Lexicaluͤberſetzung zu verlangen. Es kann aber
dieſe Sprache jetzund noch geredet werden, denn
es wird von allen Sachen, die im Unterrichte vor-
kommen, lateiniſch geſchrieben. Das Neue kann
man durch Generalnamen ausdruͤcken. Ja ich
weis ein der Reinigkeit der Sprache unſchaͤdliches
Huͤlfsmittel, ſich in Benennung neuer Gegen-
ſtaͤnde, ohne Weitlaͤuftigkeit, ohne Verzoͤgerung
und ohne unnoͤthiges Nachſchlagen zu helfen. Doch
davon kuͤnftig ein Mehres! Wenn man aber ein
halb Jahr von zufaͤlligen Dingen, und im unſchul-
digen Scherze, nach einer im Elementarwerke an-
gezeigten Weiſe, ſehr viel mit einem Lernenden redet:
ſo kann man hernach ernſthaft im Umgange und im
Realunterrichte deſſelben ſich der lateiniſchen
Sprache und Buͤcher bedienen. So lernt er fer-
ner ohne Zeitaufwand auf die Sprache, alle Re-
dende und Buͤcher ſehr fertig verſtehen; auch ſelbſt
ſehr fertig reden und ſchreiben; und ohngefaͤhr mit
ſolcher Richtigkeit, als ein beleſener unſtudirter
Kaufmann in ſeiner Landesſprache. Wie nun die-
ſer alsdann, wenn er ganz genaue Richtigkeit ſucht,
und wenn er einen lehrhaften Lehrer hat, nur ein
halb
[9]des Erziehungsweſens.
halb Jahr auf grammaticaliſche Unterweiſung und
Uebung wenden darf: ſo iſt dieſes auch wahr von
meinem erwachſenen Schuͤler. Ein Jahr koſtet
alſo, mit Vergnuͤgen des Lernenden und Lehrers,
eine wundernswuͤrdige große Fertigkeit und eine
ungewoͤhnliche Richtigkeit der lateiniſchen Sprache.
Das Seminar nimmt Kinder auf dieſe Verſiche-
rung an; und es kann, wenn Studenten, die ge-
woͤhnlicher Weiſe Schulſtudien haben, die Paͤda-
gogie ein oder zwey Jahr in Deſſau ſtudiren wollen,
der Welt innerhalb dieſer Zeit Hofmeiſter und
Schulmaͤnner genug liefern, welche dieſe Kunſt
hier gelernet haben. Der Erfolg dieſer Sache,
wenn das gute und kluge Publicum, das iſt, ein
ſehr kleiner Theil der Leſer, ſich nicht anfangs fuͤr
das wahrſcheinliche Gute auf eine unwahrſcheinliche
Weiſe kaltſinnig bezeigt, iſt eine gaͤnzliche Ver-
aͤnderung des Studienweſens, des Schriftſtellens
und des Buchhandels; eine Wiederherſtellung der
allgemeinen gelehrten Sprache, und folglich ein
großer Vortheil aller Voͤlker, beſonders aber der-
jenigen, deren Sprachen man auswaͤrts zu lernen
noch nicht gewohnt iſt, und es fuͤrs Erſte auch
nicht werden wird, der Ruſſen, Daͤnen, Schwe-
den
und Pohlen.


§. 2.
Von Penſioniſten des Philanthro-
pinums.


Solchen Beduͤrfniſſen des Publicums an allen
Orten abzuhelfen, und die Wuͤnſche der wei-
A 5ſern
[10]Von Penſioniſten
ſern Menſchenfreunde zu erfuͤllen, arbeitet das Phi-
lanthropinum in Deſſau. Es werden alſo eingela-
den Penſioniſten aus vornehmen Staͤnden, die
wenigſtens 6 Jahre alt ſeyn muͤſſen, aber auch viel
aͤlter (ja 18 Jahr alt) ſeyn koͤnnen, und in der
Abſicht hergeſchickt werden, in Tugenden, Wiſſen-
ſchaften und Sprachen durch Beyſpiel, Uebung
und Lehre eine Fertigkeit zu erwerben. Die Spra-
chen ſind die teutſche, lateiniſche und franzoͤſiſche.
Sobald zehen da ſind, die auch Engliſch lernen
wollen, wird man dafuͤr gleichfalls ſorgen. Alle
Sprachen aber werden anfangs als Mutter-
ſprachen in dem Umgange und dem Realunterrichte
bey uns gelernet. Wenn die Fertigkeit im Ver-
ſtehn, Reden und Schreiben erworben iſt, alsdann
erſt wird fuͤr die genaue grammatikaliſche Richtig-
keit geſorgt werden. Jn dem Seminare wird die
lateiniſche und franzoͤſiſche Sprache gleichſam herr-
ſchen. Denn in Teutſchland hat die teutſche nicht ſo
viel Schwierigkeit.


Die Wiſſenſchaften, die man hier lernen und
uͤben kann, ſind ohne Ausnahme alle, welche fuͤr
die geſitteten Staͤnde und fuͤr die Studirende,
wenn ihre kuͤnftige beſondere Lebensart
noch nicht beſtimmt iſt,
gemeinnuͤtzig ſind.
Folglich muß man ausnehmen die eigentliche
Gelahrtheit
in der Theologie, in den buͤrgerlichen
beſondern Rechten und in der Arzneywiſſenſchaft,
eben ſowohl als dasjenige, was nur fuͤr einen kuͤnf-
tigen Officier, Stallmeiſter, Jaͤgermeiſter, Finanz-
rath, Handelsmann, Baumeiſter, u. ſ. w. der
Jugend
[11]des Philanthropinums.
Jugend zu lernen nuͤtzlich waͤre. Aber Lehre und
Uebung in allen Theilen der Philoſophie, auch
der Naturkunde, Mathematik und der
Wohlredenheit,
kann man hier ſo vollkommen
verlangen und erwarten, als der Nutzen der Lernen-
den, ſogar bis ins maͤnnliche Alter hin, erfodert. Fuͤr
ein Cabinet von noͤthigen Naturalien, Model-
len, Jnſtrumenten und Kupferſtichen, auch fuͤr
Verſuche in der Naturlehre, wird geſorgt.
Die hiſtoriſchen Wiſſenſchaften und politi-
ſche Weltkunde
werden in dem Grade gelehret,
daß von den Gattungen der Tugenden, einiger La-
ſter, und der merkwuͤrdigen menſchlichen Schick-
ſale, einige lehrreiche Exempel bekannt werden;
daß der Juͤngling alle hiſtoriſche Schriften verſtehe,
ohne, wegen Unwiſſenheit in den Grundbegriffen und
ihren Benamungen (oder in den Epochen und der
Geographie), Anſtoß zu finden; endlich, daß er
hernach mit Nutzen groſſe Kenner der Geſchichte
und der Staaten auf Univerſitaͤten oder auf Reiſen
anhoͤren koͤnne. Obgleich nach unſrer Lehrart nicht
Zwang, ſondern blos andere Bewegungsgruͤnde und
Reitzungen gebraucht werden; ſo iſt doch alles ſo
eingerichtet, daß es der Jugend unmoͤglich wird,
dasjenige, um deſſentwillen ſie hier hergeſchickt wer-
den, nicht zu faſſen und nicht zu lernen, ſo weit ihre
natuͤrliche Faͤhigkeit reichet. Denn an Lehrmitteln
und Lehrern wird hier nach der Zahl der Lernenden
mehr ſeyn, als an irgend einem andern Orte. Wenn
alſo das Philanthropinum fuͤr Lehre und Uebung in
dieſen Wiſſenſchaften, fuͤr Aufſicht, fuͤr Unterhalt,
Bett,
[12]Von Penſioniſten des Philanthrop.
Bett, Wohnung, Waͤrme, Waͤſche und Licht,
jaͤhrlich unter 250 Rthlr. (Saͤchſiſch Geld) an-
nimmt: ſo muß es beſondere Urſachen darzu ver-
nehmen und billigen, beſonders jetzund bey der
Schwierigkeit des Anfanges. Ueberdies muß der
Ankoͤmmling zur Huͤlfe (wegen Anſchaffung der
Mobilien) 20 Rthlr. Eintrittsgeld geben, bis wir,
nachdem das Seminar durch zahlreichen Beſuch
und durch Wohlthaten wird zu Kraͤften gekommen
ſeyn, dieſen Artikel mit der Zeit nachlaſſen, und,
vielleicht auf billiges Verlangen dieſer oder jener
Familie, auch etwas weniger Jahrgeld nehmen
koͤnnen. Wenn uns aber verſichert wird, daß ein
Penſioniſt bloß dem Schulſtande und dem Hof-
meiſterſtande, das iſt der Paͤdagogie, gewidmet
iſt, und daß wir ihn als einen Unterlehrer und Un-
teraufſeher nach und nach uͤber ſollen; ſo bezahlt er
(unbeſtimmter Weiſe) mit der Zeit weit weniger,
nach dem Maaſſe ſeiner Brauchbarkeit. Es muß
aber eines Penſioniſten Ankunft drey Monate vor-
her gemeldet, und, um die eiteln Geſchaͤfte des Se-
minars zu vermeiden, von Halbjahr zu Halbjahr
praͤnumerirt werden. Fuͤr Briefe des Semi-
nars, in Geſchaͤften eines Penſioniſten, wird etwas
Billiges angeſchrieben, um einen Secretaͤr zu be-
zahlen. Denn der Fuͤrſorger und die Lehrer ſind
mit wichtigern Geſchaͤften beſetzt. Und einige El-
tern verlangen zuweilen ſo dringend, daß mans ih-
nen nicht abſchlagen kann, Nachrichten von Din-
gen, die nur ihnen ſelbſt wichtig ſcheinen.


§. 3.
[13]Von unſerm Verhalten ⁊c.

§. 3.
Etwas von unſerm Verhalten gegen
die Penſioniſten.


Wir ſuchen die Penſioniſten beſonders zur Tu-
gend und zur Geſchicklichkeit und Zu-
friedenheit
in den gewiß zuweilen erfolgenden
Schickſalen des Lebens zu gewoͤhnen. Von dem
Gebrauche der Huͤlfsmittel, die wir darzu fuͤr
noͤthig finden, machen wir nicht darum eine
Ausnahme,
weil die Eltern fuͤrſtliches (*), graͤf-
liches, freyherrliches, adeliches Standes, oder eines
millionlichen Reichthumes ſind. Z. E.


1) Jnnerhalb des Philanthropinums leiden
wir nur Kleidung in der Uniform, die wir mit
der Zeit erfinden wollen. Doch Sonntags, bey
Feyerlichkeit (und etwa bey Hofe), mag man ſich
unterſcheiden.


2) Die Penſioniſten eſſen Mittags nur
von zweyen, und des Abends nur von einem
Gerichte. Aber das Wahlrecht unter mehren,
die da ſind, iſt eine unſerer niedrigſten Belohnun-
gen;
[14]Von unſerm Verhalten
gen; zuweilen aber ein durchs Loos entſchiedner Zu-
fall. Denn wir wollen fruͤh ein Bild des Le-
bens in dem Weltzuſtande vorſtellen.


3) Man wird einige andre angenehme
aͤuſſerliche Vorzuͤge
erfinden, die nur einer oder
nur wenige auf einmal genieſſen koͤnnen. Es hat
aber unſre Woche (den Sonntag ausgenommen)
zwey Meritentage, zwey Reichthumstage,
und zwey Standestage. Am Stande ſind bey
uns die erſten geweſenen Famulanten, die durch ihr
Verdienſt, und weil ſie zu Paͤdagogen beſtimmt
werden, Penſioniſten oder Unteraufſeher geworden
ſind; dieſe gehn vor allen. Dann folgen Grafen,
Freyherren, Adel, Buͤrgerſchaft. Der Reich-
thum
wird geſchaͤtzt, nachdem die Eltern eines
Penſioniſten dem Seminar auſſer ſeiner Penſion
wohlthun, um arme Famulanten zu unterrichten
und zu erhalten, auch das ganze Weſen zu vervoll-
kommnen. Die Meriten werden, wie bey den
Chineſen, nach Menge der Puncte geſchaͤtzt, die
man einem jeden zuweilen vermehrt und vermindert.
An einem Meritentage werden ſolche aͤuſſerliche
Vorzuͤge nach Meritenpuncten, an einem Standes-
tage nach dem Stande, an einem Reichthumstage
nach dem Reichthume, und wenn noch mehr. Entſchei-
dung noͤthig iſt, nach dem Alter, nach der Zeit,
die ſie im Seminare geweſen ſind, oder durchs Loos
entſchieden.


4) Jeder Monat hat einen Caſualtag von
24 Stunden. Die Penſioniſten aber werden nach
und nach gewoͤhnt, an demſelben bis um 2 Uhr zu
faſten,
[15]gegen die Penſioniſten.
faſten, alsdann bis Abend trockne Koſt und Waſſer
zu genieſſen, in kalten Stuben oder unter unangeneh-
mem Himmel (doch in guter Kleidung) zu ſeyn,
des Nachts auf dem Boden oder auf Streu zu
ſchlafen, und doch zufrieden zu bleiben. Denn
die Erziehung muß zu den Zufaͤllen des Lebens vor-
bereiten.


5) Ein jeder Penſioniſt weis in jeder Stunde
und in jedem Geſchaͤfte, wem er Gehorſam ſchul-
dig iſt. Der blinde oder kloſtermaͤſſige Gehorſam
wird vor dem 12ten Jahre gefodert. Auſſer der
Zeit des Befehls und der Handlung giebt man
ihnen freylich bey Gelegenheit Einſicht von Urſa-
chen guter Befehle. Aber nur die aͤlteren Penſio-
niſten duͤrfen, wenn die Sache Verzug leidet, ſich
nach der Urſache des Befehls erkundigen, und als-
dann ihre Gegenmeynung oder Wuͤnſche ſagen.


6) Die Handlungen eines Academiſten ſind
entweder blos mechaniſch oder geiſtig. Die
letzten erfodern Anſtrengung der Verſtandeskraͤfte,
und eine beſondre Luſt oder Aufmerkſamkeit. Nur
die mechaniſchen ſtehn unter Strafe; die geiſtigen
ſucht man durch Erleichterung, ſchrittmaͤſſige Fort-
ſchreitung, Beyſpiel, Ueberredung und Belohnung
zu erhalten.


7) Vor dem 12ten Jahre (und auch hernach
nicht, wenn er nicht ſelbſt will) giebt man einem
Penſioniſten niemals den Auftrag, etwas zu me-
moriren. Und dennoch wird Anſtalt gemacht, daß
er alles Noͤthige mit Luſt lerne, ſo weit ſeine Natur-
gaben reichen. Wir bitten alſo vorzuͤglich um
ſolche
[16]Von unſerm Verhalten
ſolche Penſioniſten, denen es an Naturgaben und
biegſamen Herzen nicht fehlt, die aber durch Zwang
und Ekel, beſonders durch das verwuͤnſchte Aus-
wendiglernen, ſo ungluͤcklich geworden ſind, daß
man wenig Hoffnung hat, ſie in den Studien wei-
ter zu bringen.


8) Der Gehorſam wird, wenn er durch
menſchlichere Mittel nicht mehr moͤglich ſcheint,
auch durch Leibesſtrafen erzwungen. Wenn
auch dieſes, nachdem ein Penſioniſt ein Jahr hier
geweſen iſt, nicht gelingt (denn es giebt einige ſo
verdorbne Seelen, die man in einer gemeinſchaft-
lichen Erziehung ohne Schaden des Ganzen nicht
beſſern kann); ſo ſteht den Eltern die Wahl frey,
ob ſie ihrem Sohne hier, damit er am Unterrichte
Theil nehme, einen beſondern Zuchtmeiſter halten,
oder aus dem Seminar nehmen wollen. Zu dieſem
Gehorſame gehoͤrt auch die Enthaltſamkeit von ver-
botnen Oertern, von (NB.) verlaͤumderiſchen
Luͤgen, von vorſetzlicher oder angewoͤhnter Gewalt-
thaͤtigkeit an Perſonen und brauchbaren Dingen,
u. ſ. w.


9) Zum Fleiſſe in Studien wird alſo
kein Penſioniſt gezwungen.
Aber die Zeit
eines jeden, die man taͤglich, die Schlafzeit aus-
genommen, auf 17 Stunden rechnet, iſt der an-
wachſenden Jugend folgendermaſſen eingetheilt.
Sechs zum Eſſen, Trinken, Anzuge und eigent-
lichen Vergnuͤgungen. Eine Stunde zur ſtreng-
ſten Ordnung in Wohnung, Kleidung, Geraͤth,
Buͤchern, Rechnung und Briefen. Fuͤnf Stun-
den
[17]gegen die Penſioniſten.
den zur Studien-Arbeit. Drey Stunden zum
regelmaͤſſigen Vergnuͤgen in Bewegung, als Tan-
zen, Reiten (Fechten), Muſik, u. ſ. w. Zwey
Stunden eigentliche, doch ſolche Handarbeit,
die etwas beſchwerlich, aber nicht ſchmutzig iſt, die
den Gliedern keine (dem Stande der Vornehmen)
unanſtaͤndige Beſchaffenheit oder Stellung und
Haͤrte giebt, und die ich noch nicht entſcheidend be-
ſtimmen kann. Es wird alſo ein Geſetz: Du
mußt 7 Stunden entweder Studienarbeit
oder Handarbeit thun. Du haſt allezeit
die Wahl zur letzten ſtatt der erſten. Und
man entfernt dich zu der letzten von der
Studienarbeit, wenn man ſieht, daß ſie dir
nichts hilft, oder, daß du Andre hinderſt.

Die Handarbeit aber, weil ſie bloß mechaniſch iſt,
ſteht unter Strafen. Der Kluge merkt, wohin
ich wolle.


10) Die gewoͤhnlichſten Beſtrafungen fuͤr
Fehler und Laſter ſind, eine Verminderung der Me-
ritenpuncte; die Verwandlung einer Studienſtunde
in die Stunde einer Handarbeit; lange Weile in
einem ganz ledigen Zimmer, wo man nicht aus
dem Fenſter ſehen kann, und in der Naͤhe das an-
genehme Geraͤuſch der ſich vergnuͤgenden oder ſtu-
direnden Jugend gehoͤrt wird; ein Fallhut, ein
Kinderſtuhl und hoͤlzern Geraͤth bey Tiſche; eini-
ge Zeit Verſetzung in die Umſtaͤnde eines Famu-
lanten, doch auf ſolche Art, daß die Reinlichkeit
und Geſundheit gar nichts, und das Fortkommen
in den Studien ſo wenig als moͤglich dabey
Bleide,
[18]Von unſerm Verhalten
leide, u. ſ. w. Man wird hieraus leicht ſehen,
welcherley Belohnungen hier vorfallen. Sinn-
lich angenehme Belohnungen aber (auſſer der Be-
freyung von verdienten Strafen) werden niemals
ertheilt, ohne daß der Belohnte verbunden iſt, ir-
gend einen (naͤmlich ſeinen Freund) zwey oder
mehr andre gute Freunde (deren Wahl er hat)
daran Theil nehmen zu laſſen. Doch der Man-
gel der Wahlfaͤhigkeit zu ſolchem Theilnehmen iſt
eine Strafe. Die groͤßte Belohnung iſt fuͤr
die Erwachſenern
auf einige Zeit die Ehre,
in der Direction entweder als Auſcultanten oder
in gewiſſen Umſtaͤnden auch als Mitſtimmende zu
ſitzen.


11) Diejenigen, welche ſich (im Willen)
ſehr krank an der Seele zeigen ſollten, werden auch
als krank am Leibe behandelt, und muͤſſen die Ein-
ſamkeiten, die Ruhe im Zimmer und Bette, dieſe
oder jene Enthaltung von gewoͤhnlichen angeneh-
men Dingen, die Annahme (geſunder) Arzneyen,
das Buͤrſten auf dem Ruͤcken, damit die ungeſun-
den und die Seele in Ausuͤbung der Vernunft hin-
dernden Saͤfte dahin gezogen werden; mit einem
Worte, ſie muͤſſen die Begegnung eines Patien-
ten aushalten. Der Kluge ſieht wohl, wohin ich
wolle. Denn ich darf hier ſo deutlich nicht ſeyn,
als ich mancher Eltern wegen wuͤnſchte.


12) Um 10 Uhr iſt Schlafzeit im Sommer,
im Winter um 11, weil im Sommer um 5 Uhr,
im Winter um 6 Uhr aufgeſtanden wird. So-
bald eine genug ſtarke Anzahl von Penſioniſten
uͤber
[19]gegen die Penſioniſten.
uͤber 12 Jahr da iſt, ſo wird die Nacht in Wachen
von 3 Stunden getheilt, und ſo iſt allemal ein Pen-
ſioniſt (der ſo viel Schlaf in derſelben Nacht ent-
behren muß) gleichwie auch ein Famulant und
einer der Unteraufſeher auf der Wache, wobey ih-
nen Zeitvertreib, oder vielmehr Zeitgebrauch, vor-
geſchrieben iſt. Denn eine in der Jugend gar zu
gleichfoͤrmige Lebensart und Bequemlichkeit ſchadet
dem Menſchen. Daher werden etwa alle Monat
einmal alle Penſioniſten die ganze Nacht durch
wachend erhalten, ſchlafen aber eine Zeitlang des
folgenden Tages. So werden ſie zu den Zufaͤllen
und Pflichten des Lebens fruͤh gewoͤhnet.


13) Alle Penſioniſten, gleichwie auch die Fa-
mulanten, werden, wenn das gehoͤrige Alter und
die Anzahl dazu da iſt, in allen militariſchen Be-
wegungen und Stellungen von einem Erfahrnen
geuͤbt. Denn, wie mich duͤnkt, durch nichts anders
erwirbt der Koͤrper ſo viel Geſchicklichkeit. Auch
wollen wir es nach und nach (durch Zuſatz von ei-
nigen 100 Schritten) ſo weit bringen, daß ein
Penſioniſt von gehoͤrigem Alter, des Tages mit
Vergnuͤgen 2 oder 3 Meilen zu Fuſſe zuruͤcklegt.
Solche und zwar anfangs kleinere Reiſen werden
wir oftmals anſtellen. Von dieſer Art koͤnnten
wir ſehr Vieles anfuͤhren, was wir thun wollen, um
die ganze menſchliche Natur, und nicht bloß die
Seele, eines kuͤnftigen Mannes zu vervollkomm-
nen. Aber wir berufen uns auf das Elementar-
werk,
Buch I. viertes Hauptſtuͤck, von den Uebun-
gen eines kuͤnftigen Mannes.
Mit den Soͤh-
B 2nen
[20]Von unſerm Verhalten
nen ſolcher Eltern, die auf eine thoͤrichte Weiſe
zaͤrtlich ſind, haben wir alſo Nichts zu ſchaffen.


14) Ein jeder Penſioniſt, oder mehr zuſam-
men, haben zu vorgeſchriebner Aufwartung, und
gewiſſermaſſen unter ihrem Befehle einen Famu-
lanten, der aber nicht aͤlter ſeyn muß (denn in
dieſem Alter ſchickt es ſich nicht, daß ein Juͤngerer
einem Aelteren befiehlt). Die Urſache ſolcher An-
ordnung iſt, daß die Jugend nach und nach ver-
nuͤnftig zu befehlen und gut zu gehorchen in fruͤhen
Jahren lerne, und doch ein jeder mit ſeinem Stan-
de zufrieden ſey. Daß aber der Famulant (wel-
cher von Geburt geringe, am Gluͤcke arm, und
ein Naͤhrling des Seminars iſt) ſeinen Herrn ver-
derbe, iſt nicht zu beſorgen; denn der Befehlende
und Gehorchende ſteht unter Aufſicht. Von dem
Famulanten wird alſo geſorgt fuͤr Reinlichkeit der
Kleidungsſtuͤcke und Ordnung des Zimmers, fuͤr
die Sauberkeit des Geraͤthes (und ſo weiter.)
Dem Herrn aber wird es verdacht, wenn daran
Etwas fehlet, wenigſtens wird unterſucht, ob der
Eine in dem Fleiſſe und der Klugheit des Befeh-
lens, oder der Andre im Gehorchen Etwas verſehe.
Auch die Reinlichkeit des Famulanten ſteht gewiſ-
ſermaſſen unter der Fuͤrſorge des Penſioniſten.


15) Ein Penſioniſt, der 12 Jahr alt iſt,
waͤhlt ſich unter den andern einen, der dazu ge-
waͤhlt ſeyn will, mit Wiſſen der Direction, zum
beſondern Freunde. Man ſorgt einigermaſſen fuͤr
die gute und Beyden nuͤtzliche Wahl. Und hernach
traͤgt man Sorge, daß die Freundſchaft auf eine
tugend-
[21]gegen die Penſioniſten.
tugendhafte und angenehme Weiſe wachſe und
fortdaure. Denn die Vollkommenheit des Men-
ſchen erfodert in der Jugend Uebung und Rath in
den Pflichten beſondrer Freundſchaft.


16) Kein Penſioniſt wird zum Verraͤther
oder Angeber des Andern gebraucht; wenigſtens
kein juͤngerer zum Angeber eines aͤlteren. Wir
werden des Angebens ſelten beduͤrfen. Und im
Nothfalle ſind Famulanten und Unteraufſeher.


17) Gewiſſe Geſetze werden alle Wochen, an-
dre alle Monate, noch andre alle Quartal, feyerlich
Allen, oder denen Klaſſen vorgeleſen, welche ſie an-
gehn. Es ſind ordentliche Gerichtstage der Pen-
ſioniſten. Der Freund giebt fuͤr ſeinen Freund
eine Vertheidigungsſchrift oder eine Abbitte ein,
die ſo vortheilhaft iſt, als der Schein der Wahr-
heit leidet. Das Beyſitzen und das Mitſtimmen
iſt eine Belohnung.


18) Das Philanthropinum, ſo bald die Ko-
ſten der Anlage von einem Wohlthaͤter gereicht ſind,
wohnt des Jahres 2 Monate auf dem Felde unter
Zelten, wo doch ein Haus in der Naͤhe zum Schla-
fen und zum Gebrauche bey ſchlimmem Wetter iſt.
Dann wird vorzuͤglich Natur, Geographie, Kennt-
niß der Landwirthſchaft, die Jaͤgerey, Fiſcherey,
u. ſ. w. ſtudirt. O Gott, du Urbild des Wohl-
thuns. Der noͤthigen guten Anlagen zur Verbeſ-
ſerung der Jugend ſind viel. Wo iſt das Vermoͤ-
gen darzu? Du guter Gott, ich hoffe auf dich, und
auf diejenigen, die dir nachzuahmen verſtehn und
bereitwillig ſind.


B 319)
[22]Von unſerm Verhalten

19) Auſſer zum Schreiben, Zeichnen und
Leſen, ſitzen die Penſioniſten nicht bey dem Unter-
richte, ſondern ſtehen, gehn und bewegen ſich ſo
viel, daß vor dem 15ten Jahre taͤglich nicht 3 oder
4 Stunden geſeſſen wird. Die Geographie z. E.
wird an 2 auf dem Felde aufgeworfnen groſſen
Halbkugeln gelernt, deren Oberflaͤche ſich in Land,
Waſſer (u. ſ. w.) unterſcheidet, und die, um dar-
auf gehn und ſpringen zu koͤnnen, freylich nicht voͤl-
lig kugelfoͤrmig, ſondern nur etwas gebogen ſeyn
muͤſſen. Alles Rechnen geſchicht anfangs ſo, daß
die Kinder nicht ſelbſt ſchreiben, ſondern dem Leh-
rer nur anzeigen, welche Ziffern geſchrieben wer-
den muͤſſen. Auf dieſe Art koͤnnen ſie ſtehen,
und duͤrfen nicht zugleich mehr Bemuͤhungen
mit einander verbinden. Man verſpricht uͤber-
haupt, daß alles noͤthige Gedaͤchtnißwerk der
Hiſtorie, Geographie, Grammatik, der Rechen-
kunſt (u. ſ. w.) in Spiele verwandelt wer-
den ſoll; wobey Vergnuͤgen und Bewegung vor-
faͤllt, bis die ſo erworbne Fertigkeit die Lernenden
in den Stand ſetzt, ſich auf eine maͤnnlichere Art
bey anwachſendem Alter ſitzend zu vervollkommnen.
Aber bey aller gewiß auſſerordentlich gelingender
Bemuͤhung fuͤr Sprachen, Wiſſenſchaften und Fer-
tigkeiten wird uns keine derſelben ſo wichtig ſeyn,
als die Verpflegung des natuͤrlichen Keims zur
Menſchenliebe, Tugend und unſchuldigen Zufrie-
denheit. Auf das Unkraut der Laſter werden wir
ſorgfaͤltig Achtung geben. Wir werden beſonders
boͤſe Exempel im Seminare verhuͤten. Wer aͤrger-
lich
[23]gegen die Penſioniſten.
lich lebt, z. E. in Unzucht, Voͤllerey oder dem Be-
truge muthwilliger Schulden; wer den Werth der
unſterblichen Seele und die Gewißheit kuͤnftiger
Vergeltung verkennt, oder ſeine Zunge zu Ver-
wuͤnſchungen im Zorn oder in Ungeduld misbraucht,
iſt oder bleibt kein Arbeiter oder Mitgenoß des
Seminars. Doch wollen wir unſre Jugend ge-
gen die Macht boͤſer Beyſpiele zu unſrer verruchten
Zeit, welche wider die Tugend und Ordnung ſo
ſpitzſindig iſt, fruͤhe zu waffnen ſuchen.


Jn ſolcher Abſicht hatte ich ſchon laͤngſt den
Vorſatz gefaßt, ein Philanthropinum zu ſtiften,
wo es ſeyn moͤchte, bey Griechen, Catholiken,
Reformirten, Lutheranern, wo nur meine Familie
Gewiſſensfreyheit genieſſen koͤnnte, und wo man
mir erlauben wollte, den kirchlichen Unterricht, weil
ich ein Diſſident bin, Geiſtlichen aufzutragen. Jch
dachte von Aſtrachan an, bis an Buͤndterland,
von Copenhagen bis Siebenbuͤrgen. Aber Deſ-
ſau
ward aus Urſachen, welche folgen, der Ort
des unverzuͤglichen Anfanges einer Sache, deren
Ausbreitung und Fortſetzung an mehr als an einem
Orte geſchehen kann und muß.


§. 4.
Von mir ſelbſt, dem Fuͤrſorger.


Eine Menge von Candidaten, welche die Paͤda-
gogie durch Ausuͤben lernen wollen, wie
man aus dem Folgenden vernehmen wird, ſind
dem Philanthropinum als Lehrer zu Dienſte.
B 4Einige
[24]Von mir ſelbſt,
Einige derſelben, die laͤnger hier bleiben, als ſie
ihrer ſelbſt wegen beduͤrften, haben halbe oder ganze
Beſoldung nach den Umſtaͤnden. Nirgend, als
hier, iſt alſo die Aufſicht uͤber Penſioniſten
ſo ſtark beſetzt; nirgend hat die Direction
ſo viel Wahl zu den Lehrſtunden.
Doch
vornehmlich muß ich von denen Educatoren und
Lehrern etwas ſagen, die beſtaͤndig ſind, und wor-
auf das ganze Weſen beruht.


Jch ſelbſt, als der erſte Fuͤrſorger,
theile meine Zeit und Kraͤfte zwiſchen Fuͤrſorge fuͤr
das ganze Seminar; zwiſchen Erfindung und Ver-
beſſerung der Lehrmittel; zwiſchen academiſche Vor-
leſungen zum Beſten ſolcher Candidaten oder Stu-
denten, welche hier die Paͤdagogie ſtudiren; zwi-
ſchen den freundſchaftlichen Rath an alle Lehrer;
zwiſchen Lehrſtunden der Jugend im Seminar,
und zwiſchen den Umgang mit den Penſioniſten.
Jch bin aber ein ſehr bekannter Mann; und man
kann ſo leicht, wie ſelten von Jemanden, erfahren,
ob ich ein guter Mann ſey. Jch war in der Jugend
Hofmeiſter, und hatte in dieſem Geſchaͤfte Gluͤck.
Jch ward Profeſſor auf der Koͤniglich Daͤni-
ſchen Ritteracademie
zu Soroe, und ſie bluͤhte,
ſo lange der ſelige Profeſſor Sneedorf (der mit
mir zugleich wegberufen wurde) mit andern Maͤn-
nern und mir daſelbſt arbeitete. Jch ward, weil
ich einem maͤchtigen Haſſer ausweichen wollte, Pro-
feſſor an dem (damals) academiſchen Gymnaſium
in Altona, oder vielmehr, ich ward ein aus beſon-
derer Gnade beſoldeter Schriftſteller, und hatte
aber-
[25]dem Fuͤrſorger.
abermals auſſerordentlich Gluͤck, als ich das jetzund
ganz vollendete Elementarwerk vorſchlug, verfer-
tigte, und theilweiſe dem Publicum zeigte.


§. 5.
Wie Deſſau der Ort des Seminars
geworden iſt.


Dieſes Werk veranlaßte Jhro Hochfuͤrſt-
liche Durchlauchten, den guten
oder edlen Fuͤrſten, Leopold Friedrich
Franz, von Anhalt-Deſſau,
in der
Abſicht, daß ich, mit einer den Landesumſtaͤnden
angemeßnen Huͤlfe, ein Seminar, wie etwa das
jetzige wird, ſtiften moͤchte, mich auf Erlaubniß
Jhrer Koͤniglich Daͤniſchen Majeſtaͤt
(die mir die Penſion allergnaͤdigſt beybehielten)
gnaͤdigſt und freygebigſt nach Deſſau zu rufen.
Jetzund aber muß ich noch ein einziges mal wegen
der vielen Nachfragenden anzeigen, warum die
Ausfuͤhrung des Wunſches Jhrer Hochfuͤrſt-
lichen Durchlauchten
hat uͤber 2 Jahre bis
jetzund aufgeſchoben werden muͤſſen, und warum
zu der wirkſamſten Fortſetzung der angefangenen
Sache, der baldige Beytritt des auswaͤrtigen Pu-
blicums jetzund unentbehrlicher ſey, als man da-
mals denken konnte.


Man wird dieſes am nachdruͤcklichſten ver-
nehmen aus meinen folgenden Worten, welche ſich
in einer 1773. an den Erbprinzen von Anhalt-
Deſſau
gedruckten Gebuhrtstags-Schrift finden:


B 5“Du
[26]Wie Deſſau der Ort

Du wirſt, theurer Erbprinz, wie glück-
„lich eine weiſe Erziehung mache, an Dir ſel-
„ber erleben. Königlich groſſe Entſchlüſſe
„hatte der Fürſtliche Weltbürger, Dein Vater,
„gefaßt, auf die Söhne und Töchter Seines
„Landes Summen zu wenden, die Er Sich ſelbſt,
„nicht Seinem Lande, entziehen wollte; um
„für Teutſchland, eine muſterhafte Pflanz-
„ſchule der Tugend und der Glückſeligkeit,
„und nicht bloſs der entbehrlichern Wiſſen-
„ſchaften, zu ſtiften. Aber mächtige Fluthen
„und Miswachs nöthigten Sein landesväterli-
„ches Herz, zuerſt für den Hunger von Tau-
„ſenden Seiner Landeskinder zu ſorgen, durch
„groſſe von künftigen Zeiten entlehnte Mittel.
„Aber eine baldige Folge von glücklichen Jah-
„ren iſt eine freye Wohlthat Gottes, die man
„nur mit Ungewiſsheit erwarten darf. Unter-
„deſſen belohnt er mich königlich, für den
„Vorſatz, in dieſem wichtigen Geſchäfte ein
„Werkzeug Seiner Abſichten zu ſeyn; und für
„die Arbeit, die ich fortſetze, der Ausführung
„derſelben in glücklichern Zeiten Hülfsmittel
„vorzubereiten. Vielleicht, denn nicht in
„unſrer Hand ſind der Länder Schickſale, ſind
„dieſe glücklichen Zeiten erſt Dir vorbehalten.
„Dann werde ich nicht mehr unter den Wol-
„ken ſeyn. Aber bey der dauerhafteſten Ehre,
„die ein Fürſt erreichen kann, und bey der
„vollkommenſten Zufriedenheit, welche das
„Bewuſstſeyn guter Thaten giebt, beſchwör

ich
[27]des Seminars geworden iſt.
„ich Dich, Erbprinz, daſs Du fortſetzeſt, was
„der ſtandhaft bleibende Wille Deines groſſen
Vaters, wenn Gott ſein ſegnendes, Werde!
„ſpricht, zur Gründung wahrer Wohlfahrt
„aller künftigen Zeiten anfangen wird; oder
„daſs Du anfangeſt, was Er nur wollen konnte.
„u. ſ. w.


Das ſind die Worte an den Herrn Erbprinzen.
Kurz darauf hatte ich die Ehre, daß ein groſſer
Monarch Europens ein allergnaͤdigſtes Geſchenk,
worauf ſein Bildniß gepraͤgt war, mir, als dem
Verfaſſer des Elementarwerks und des Aga-
thokrators von der Prinzenerziehung,
ſen-
dete. Meine ehrerbietigſte Dankbezeigung, die
ich etlichemal abdrucken ließ, enthielt unter andern
folgende Worte, die ich deswegen hier anfuͤhre,
die Gleichfoͤrmigkeit meines Eifers fuͤr eine und die-
ſelbe Sache, und auch dieſes, zu beweiſen, daß
nur der Unterſchied der Religion, und die Frey-
muͤthigkeit meines Gewiſſens in Schriften, die
nicht Schulſchriften ſind, die Urſache ſey, warum
an vielen Orten, wo es an Huͤlfsmitteln nicht feh-
len kann, die heilſamſten Anſchlaͤge, auch in der
menſchlichen und buͤrgerlichen Schulſache, Schwie-
rigkeiten finden. Dieſes wird, ſo Gott will, nicht
lange dauren. Die Sache iſt gar zu klar, daß
weder die Anhaͤnglichkeit an dem Athanaſius, oder
an der Ewigkeit der Hoͤllenſtrafen, noch der Mangel
derſelben mit dieſer menſchlichen und buͤrgerlichen
Schulſache in einer unzertrennlichen Verbindung
ſtehe. Denn ich bin ein Verehrer alles Guten in
jeder
[28]Wie Deſſau der Ort
jeder Religion, halte uͤberhaupt Religion und Chri-
ſtenthum fuͤr wahr und fuͤr ein groſſes Gluͤck des
menſchlichen Geſchlechts, und weiß in ſolchen Ge-
ſchaͤften, worinnen ich es zu verſprechen fuͤr erlaubt
halte, von den Meynungen meines Gewiſſens, der
Abrede gemaͤß, zu ſchweigen. Die Worte meiner
Dankbarkeit waren alſo folgende:


Das von Natur höchſt fruchtbare Feld,
worauf ich begabten Schnittern nur vorackere,
liegt ſeit langer Zeit zur Brache, oder iſt mit
Saamen beſäet, welcher zwar fruchtbar iſt,
aber auch voll Unkrauts. Deine Weiſheit
kennt dieſes Ackers beſtimmte Fruchtbarkeit.
Ich ſehe mich ſchon von einer Schaar Nachar-
beiter übertroffen, die, durch Dich geſtärkt,
Hand an das für einen Einzigen zu ſchwere
Werk legen werden, an ein Werk, welches,
weil es die Wohlfahrt ſpäter Jahrhunderte
gründet, des mit dir geſegneten G .. wür-
dig bleibt.


Nicht die glorreiche ..... nicht
Du, könnt ſtiefväterlich glauben, daſs man
nur von der Seine und Themſe Witz, Wiſſen-
ſchaft und Weiſheit holen könne. Ludwig
ſchuf Paris zur Lehrerinn der Völker. Kön-
nen ...... und ..... in T ....
weniger thun? Wird Ihr Werk nicht beſtän-
diger ſeyn und im ewigen Wachsthum bleiben?
Denn hier werden keine Nantoyer-Edicte
verrufen. —


Er-
[29]des Seminars geworden iſt.

Erhabenſter, ſo dacht ich mich durch
Gedanken in Gedanken; durch Erfahrung in
mächtigere Hoffnung; und bald in eine gar zu
mächtige Freude. Denn Du, groſſer ....
wareſt in jedem Gedanken.


Da muſst ich, — — ich weiſs nicht, ob
anders wachen, oder entſchlummern — —
Da hörte ich ein Rauſchen — — da ſah ich
eine Geſtalt — — nicht eines Menſchen —
doch etwas Aehnliches davon, hatte Dein Bild.


Die Geſtalt redete: „Unter der jetzigen
„Menſchenfreunde Schutzengeln nennt man
„mich im Himmel den Erſten, oder den
„Schutzengel des K ...... Sey nicht
„mehr ſo oft kleinmüthig, du Sterblicher,
„wenn du herzliche Wünſche für das Wohl der
„Millionen deiner Brüder zu Gott ſchickſt.
„Drey Wünſche, wenn du ſie itzund vertraun-
„voll ſagſt, hat Gott beſchloſſen, von den Zu-
„ſätzen deines menſchlichen Unverſtandes zu
„reinigen, und dann zu erfüllen. — —


Ich ſtaunte, darauf konnt ich wieder an-
ſchauen — — da ward die Geſtalt noch
freundlicher. — — Nun konnt ich wieder
denken, und ſprach: „Ich gehorche, Geſand-
„ter des Himmels, und ſage meine Wünſche:
„Gott ſchenke der Nachwelt Schulen und
„Uebungen brauchbarer Einſicht, herzlicher
„Tugend, und gegründeter Zufriedenheit.
„Nur dienen müſſe zur gröſsern Vollkommen-

„heit
[30]Wie Deſſau der Ort
„heit die entbehrliche Wiſſenſchaft, und, wie
„bisher, nicht herrſchen!


Mein geliebter Menſchenfreund ſtiftet ſolcher
Glückſeligkeit Pflanzörter
, erwiederte der En-
gel. Wünſche weiter!


Ich wünſche, „daſs die Abnahme der un-
„ſchuldigern Leichtgläubigkeit nicht länger
„Platz mache den Gottesvergeſsnen Verächtern
„der Tugend und der unſterblichen Seelen;
„ſondern daſs über das ganze Menſchenge-
„ſchlecht ſich ausbreite das Chriſtenthum der
„heiligen, und weiſen, und nicht herſchenden
„Apoſtel.


Der himmliſche Geiſt erwiederte: „Be-
„ſchloſſen iſt es im Rathe des Allweiſen. Aber
„durch Trübſal, die der Unglaube ſtiftet, wird
„er ſeine Welt vorbereiten zu dieſer Glückſe-
„ligkeit Wunſch und Gebrauch. Ihm, aber
„nicht euch, ſind tauſend Jahre, wie ein Tag.
„Wünſche nun bedachtſamer das, was nähere
„Menſchengeſchlechter erfüllt ſehen können.


„So werde, fuhr ich fort, — — durch
„chriſtliche Monarchen — — aus guter Ab-
„ſicht — — ohne Zwang und Waffen —
„aller Orten — allen Gottesverehrern und
„gehorſamen Landeskindern — ein ganz glei-
„ches Recht des Glaubens und des Bekennt-
„niſſes — — ohne Verluſt deſſen, was die
„Sterblichen nicht gern entbehren, der Güter,
„der erworbnen Vorzüge, der Freyheit und
„des Lebens.


„Die
[31]des Seminars geworden iſt.

„Die Sterblichen, antwortete der Engel,
„würden dieſer Glückſeligkeit miſsbrauchen,
„wenn ſie zu plötzlich — — ganz — —
„ertheilt würde. Die meinem Lieblinge nach-
„ahmen, werden weislich handeln. Und wie
„ſchön iſt es in den Augen Gottes, für ewige
„Güter einiger zeitlichen gern zu entbehren?
„Nun, Gott hat dir noch einen Wunſch für
„dich ſelbſt gegeben.


Wähle du weislicher für mich, himmli-
ſcher Geiſt, war meine Antwort.


„So ſchreibe denn deine geſagten Gedan-
„ken, und wünſche, daſs der Freund Gottes
„und der Menſchen, mein Liebling, ſie leſen
„möge. Ich kenne Seinen Geiſt und Sein
„Herz.„


Da verſchwand der Engel; ich ſchlief
nicht mehr, oder wachte wieder nach gewöhn-
licher Art des Wachens.


So viel aus den Worten meiner Dankbar-
keit. Jch mußte alſo die Einrichtung eines paͤda-
gogiſchen Seminars verſchieben, bis das Elemen-
tarwerk vollendet waͤre, und ich zur Auswirkung
andrer Huͤlfsmittel einer Seminarſtiftung Zeit und
Gelegenheit bekaͤme. Denn ich konnte nicht mehr
Rechnung machen, auf einen ſolchen Hochfuͤrſtlich-
Anhalt-Deſſauiſchen Aufwand, wodurch das Werk,
ohne Beytritt des auswaͤrtigen Publicums, an-
gefangen und lange genug fortgeſetzt werden koͤnnte,
um in kurzer Zeit ein Paar Dutzend ganz fertige
Zoͤglinge und Lehrlinge (von dieſer neuen Art) der
Welt
[32]Wie Deſſau der Ort
Welt vor Augen zu ſtellen, und alsdann (ohne
muͤhſame und wiederholte Wortbeweiſe) die
Moͤglichkeit, Nuͤtzlichkeit und Unentbehrlichkeit
eines ſolchen Seminars durch die That ſelbſt zu
erweiſen. Wie aber meine ſchriftſtelleriſche Arbeit
vollendet war, vernahm ich durch Correſpondenz
und Reiſen einen uͤber Vermuthen weit ausgebrei-
teten Wunſch, meine Anſchlaͤge wirklich erfuͤllt,
und mein bereitetes Werkzeug unter meiner Auf-
ſicht gebraucht zu ſehen. Aber an manchen Orten,
wohin ich kam, ſind Wuͤnſche ohne Vermoͤgen und
Entſchlieſſungskraft. Und ich 50jaͤhriger habe
nicht Zeit, auf lange Berathſchlagungen zu warten.
Alſo bedachte ich, daß der Beyfall des Buches
mir ſelbſt ein kleines Vermoͤgen in die Haͤnde ge-
liefert hat, welches zureichend iſt, innerhalb drey
Jahre wenigſtens an einigen armen Knaben (wenn
das Publicum zur Vervollkommnung der Sache
nicht bewegbar ſeyn ſollte) die Gruͤndlichkeit meines
weitlaͤuftigern Vorhabens dennoch durch die That
zu beweiſen. Auch hatte ein liebenswuͤrdiger jun-
ger Fuͤrſt in Teutſchland (Gott ſegne den bald er-
folgenden Antritt Seiner Regierung, und belohne
dadurch die treue Mutter und den treuen Rathge-
ber Seiner maͤnnlichen Jugend) durch gnaͤdigſte
Zuſage von einer Beyhuͤlfe es gewiß gemacht, daß
ich nicht vergebens eine Anzahl von der Univerſitaͤt
kommender und ſich der Paͤdagogie widmender Can-
didaten einladen wuͤrde, hier bey dem Anblicke der
Ausfuͤhrung, uͤber die Paͤdagogie ein oder zwey
Jahre Vorleſungen zu hoͤren.


Es
[33]des Seminars geworden iſt.

Es iſt alſo hier in Deſſau (ob gleich ein Land von
einem groͤſſern Umfange die Sache erleichtert haben
wuͤrde) der wirkliche Anfang gemacht durch Annahme
einiger armen Kinder, von guten Gemuͤthsgaben,
aus der Deſſauiſchen Armuth, welche von dem
Hochfuͤrſtlichen Landesvater aus obgeſagter
Abſicht gehalten werden; ferner durch zwey Penſioni-
ſten, an welchen ſchon genug gearbeitet iſt, um
ſie denen, die ſie hier ſehen wollen, als Beweiſe
vorzuſtellen (und wovon unten ein Mehres) durch
noch einige andre Penſioniſten, deren nahe An-
kunft verſprochen iſt; durch die Gewißheit der am
1ſten May erfolgenden paͤdagogiſchen Vorleſungen;
durch das Daſeyn der Huͤlfsmittel, wenigſtens auf
eine eingeſchraͤnkte Weiſe 3 Jahre das Angefangne
durchzuſetzen; endlich durch eine ganz gewiſſe Be-
rechnung, wie bald und wie ſehr durch Kenner und
Freunde meiner Perſon und heilſamen Anſchlaͤge
(von Moſkow her bis an Buͤndterland) die
Vervollkommnung und Ausbreitung des Ange-
fangnen werde erleichtert werden. (*)


C§. 6.
[34]Von der Religion

§. 6.
Von der Religion in dem Philan-
thropinum.


Wir haben gegruͤndete Hoffnung und Zuſage,
daß Penſioniſten und Famulanten kommen
werden, von Eltern der reformirten, lutheriſchen
und katholiſchen Kirche. Wir muͤſſen alſo unſre
Anlage ſo einrichten, daß die Geiſtlichen, weder
dieſer noch der griechiſchen oder ruſſiſchen Kirche,
nach ihrer Meynung ein Recht haben, die Hin-
ſendung
(*)
[35]in dem Philanthropinum.
endung der Jugend nach dem Philanthropinum
abzurathen. Es wird alſo Folgendes in Anſehung
des Unterrichts und der Uebung in der Religion
verſprochen. 1) Die den gelehrteſten unter den
Chriſten aller Kirchen erweislich ſcheinende natuͤr-
liche Religion wird in dem Seminar nach Jnhalte
des Elementarwerks gelehrt, und durch Gebrauch
derer daſelbſt vorkommenden, ſich nur auf die na-
tuͤrliche Religion beziehenden Geſaͤnge, auch er-
baulich und herzruͤhrend vorgeſtellet. Man weis,
daß hier Nichts ſey, was irgend einer chriſtlichen
Kirche widerſpricht. 2) Jn den Lehrſtunden des
Seminars erhaͤlt die Jugend auch, nach dem
Jnhalte des Elementarwerks, einen hiſtoriſchen
Begriff von der Verſchiedenheit der Religionen,
Kirchen und ihrer Lehren; einen ſolchen Begriff,
den jede Kirche als eine wahre Beſchreibung ihrer
Beſchaffenheit erkennen wird, und worinnen man
ſich, wie das Elementarwerk zeigt, alles Urthei-
lens uͤber Wahrheiten oder Jrrthuͤmer, uͤber Vor-
zuͤge oder uͤber Fehler der Kirchen enthaͤlt. Dieſe
Nachricht iſt alſo abermals keiner einzigen Kirche
zuwider. 3) Es ſind in Deſſau reformirte, lu-
theriſche und catholiſche Geiſtliche. Mit denſelben
berathſchlagt man ſich, wie durch Huͤlfe von Can-
didaten dieſer Kirchen, und durch Beſuch des oͤffent-
lichen Gottesdienſtes, auch durch Erbauungsmit-
tel des Morgens, des Abends und bey Tiſche, die
Jugend zu ihrer vaͤterlichen Kirche gewoͤhnet werde,
bis ſie in ihrem maͤnnlichen Alter wird ſelbſt ur-
theilen koͤnnen. Unter Anfuͤhrung eines ſolchen
C 2Can-
[36]Von der Religion
Candidaten wird taͤglich im neuen Teſtamente die
altchriſtliche Religion oder mein bekannter
Auszug
der Evangeliſten und Apoſtelgeſchichte
vorgeleſen. Dieſes Buch enthaͤlt nur einen ſolchen
Auszug des Textes, und iſt von allen Erklaͤrungen
und Anmerkungen ſo frey, daß keine Kirche (auch
nicht die griechiſche oder catholiſche) Etwas daran
auszuſetzen findet. Dieſe Leſung iſt Allen gemein-
ſchaftlich. Ueberdies wird, nach Rathgebung der
Geiſtlichen, dem Candidaten jeder Kirche alle
Tage eine halbe Stunde eingeraͤumt, die Unter-
ſcheidungslehre ihrer Kirche durch gewoͤhnliche Ca-
techismen einzufloͤſſen, doch mit der Bedingung,
daß entweder nicht memorirt werde, oder das
Memoriren freywillig geſchehe (indem wir dabey
keine Strafe erlauben); auch daß waͤhrend dieſer
Lehre kein Menſchenhaß wider die Diſſidenten,
kein Urtheil uͤber die Bosheit und Muthwilligkeit
ihres Jrrthumes, kein Verlangen, die Freyheit
der Andersdenkenden zu unterdruͤcken, eingefloͤßt
werde. Fuͤr ankommende Griechen wuͤrde nach
Rathgebung ihres Geiſtlichen oder Popen geſorgt.
Kurz, ſowohl ich, der erſte Fuͤrſorger, als Herr
Wolke (davon hernach) und die zukuͤnftige Di-
rection, verſpricht auf Ehre und Gewiſſen, in den
Handlungen, welche das Philanthropinum ange-
hen, ſo unpartheyiſch gegen die eine als gegen die
andern Kirchen zu handeln. Jn eine umſtaͤndliche
Abrede wegen der Lehrmittel kann man ſich noch nicht
einlaſſen, weil daruͤber mit kundigen, rechtſchaff-
nen, friedfertigen und beruͤhmten Geiſtlichen jeder
Kirche
[37]in dem Philanthropinum.
Kirche mehr Berathſchlagung gepflogen werden
muß, bis die umſtaͤndliche Beſchreibung der Lehr-
form erfolgen kann. Man hat ſchon mehr Schul-
ſtiftungen vermiſchter Religionen. Bey einem
ſolchen Verfahren muß es bey demjenigen Publi-
cum, welches zu dem Nutzen der Seinigen ein
Philanthropinum zu haben faͤhig iſt, die Empfeh-
lung deſſelben nicht hindern, ſondern vielmehr be-
foͤrdern, daß ich, als der erſte Rathgeber und
Fuͤrſorger, ein Chriſt, nicht von der griechiſchen,
nicht von der catholiſchen, nicht von der lutheri-
ſchen, und, die Wahrheit zu ſagen, auch nicht
gaͤnzlich von der reformirten Kirche, und doch ein
ſolcher Chriſt bin, wie mich mein gedrucktes Ver-
maͤchtniß fuͤr die Gewiſſen
(welches kein
Schulbuch fuͤr das Seminar ſeyn ſoll) oͤffentlich
zeiget. Wuͤrde man ja mit den Geiſtlichen gar
nicht einig uͤber etwas Gemeinſchaftliches, welches
ohne Anſtoß und Beſorgniß geſchehen koͤnnte: ſo
wuͤrde man die Geiſtlichen jeder Kirche beſonders
fragen, was gethan werden muͤßte, damit ſie dieſe
Stiftung den Jhrigen empfehlen duͤrften. Es
giebt jetzund uͤberdies nicht wenige Eltern und Kin-
derfreunde, welche der Meynung ſind, daß, wenn
einem Kinde von fruͤher Jugend her, anfangs das-
jenige eingefloͤßt wird, was die Meiſten natuͤr-
liche Religion
nennen, und Andre doch nicht na-
tuͤrlich
oder nicht Religion nennen wollen, und
wenn damit eine hiſtoriſche Kenntniß, ſowohl vom
Urſprunge des Chriſtenthumes nach Erzaͤhlung des
neuen Teſtamentes, als des Glaubensſyſtemes der
C 3ver-
[38]Von der Religion in dem Philanthr.
verſchiedenen chriſtlichen Kirchen verknuͤpft iſt,
daß alsdann, ſage ich, die Unterſuchung und Ent-
ſcheidung deſſen, was davon wahr oder falſch iſt,
bis in das maͤnnliche Alter verſpart werden muͤſſe.
Wir wollen hier nicht unterſuchen, ob dieſes rath-
ſam ſey, oder nicht; ſondern nur verſprechen, daß
wir auch ſolchen Eltern und Kinderfreunden, wenn
ſie uns ihre Wuͤnſche zeigen, nach ihrem Sinne
gefaͤllig ſeyn wollen, weil wir uns darzu fuͤr berech-
tiget halten. (*)


§. 7.
[39]Von der Glaubwuͤrdigkeit des Fuͤrſ.

§. 7.
Noch Etwas von der Glaubwuͤrdigkeit
des Fuͤrſorgers.


Jch habe alſo, eben ſowohl ohne unzeitige Bloͤdig-
keit, als ohne mißfaͤllige Ruhmrede, hier ſo viel
von mir ſelbſt, dem Erfinder und erſten Fuͤrſorger
C 4des
(*)
[40]Von der Glaubwuͤrdigkeit
des Philanthropinums, geſagt, als noͤthig iſt,
von dieſer Seite mir einiges Zutrauen zu verſchaf-
fen. Jch koͤnnte noch bitten, daß derjenige, der
um dieſer Sache willen mich gern genau kennen
moͤchte, einige meiner fuͤr mich entſcheidenden
Schriften (z. E. die practiſche Philoſophie fuͤr
alle Staͤnde, die Weisheit im Privatſtande,
den Beweis des Chriſtenthumes als der
beſten Religion,
die Sammlung meiner poli-
tiſchen und moraliſchen Reden,
das Ge-
ſangbuch fuͤr Chriſten verſchiedner Kirchen,

und wenn er Diſſidenten ausſtehn kann, auch das
Vermaͤchtniß fuͤr die Gewiſſen, und noch an-
dre) leſen oder von andern Leſern beurtheilen laſſen
moͤge. Aber mein Methodenbuch, mein Ele-
mentarwerk
(teutſch, franzoͤſiſch und lateiniſch)
die dazu gehoͤrige Kupferſammlung, das kleine
Buch fuͤr Eltern und Kinder, und Aga-
thocrator,
oder von der Prinzenerziehung, gehoͤren
eigentlicher zu dieſer Sache, welche ich in meinem
51ſten Jahre vorſtelle. Ferner, mich kennen ziem-
lich genau viele vortreffliche Maͤnner in Copenha-
gen, Holſtein, Hamburg, Luͤbeck, Braun-
ſchweig, Hannover, Magdeburg, Hal-
berſtadt, Hanau, Frankfurt am Mayn,
der Schweiz, Baden, Leipzig, Berlin,
Mietau, Riga und Petersburg,
daß es
leicht iſt, mich durch Erkundigung bey Andern zu
kennen; beſonders weil die Namen meiner freund-
ſchaftlichen Commiſſionairs gedruckt ſind in der
Vorſtellung wegen des vollendeten Ele-
mentar-
[41]des Fuͤrſorgers.
mentarwerkes. Und ich denke nicht beſchaͤmt zu
werden, wenn ich ſogar dieſe gegenwaͤrtige Ankuͤn-
digung des Philanthropinums fuͤr einen genug
entſcheidenden Beweis ausgebe, daß diejenigen,
die den Grundbau des Schulweſens an ihren und
allen Orten verbeſſert wuͤnſchen, vernuͤnftigen Grund
haben, zu hoffen, daß es durch meinen Rath und
durch meine Fuͤrſorge geſchehen werde. Und eben
darum zweifle ich auch nicht an der Bereitwillig-
keit Vieler, dem Philanthropinum dieſem (we-
der mir, noch irgend Jemanden gehoͤrigen Fidei-
Commiß der Menſchenfreunde
) zur Verbrei-
tung der Einſicht und Moralitaͤt aufzuhelfen.


§. 8.
Von dem zweyten Manne, worauf
der Anfang des Philanthropinums beruhet, und
von Proben der elementariſchen
Erziehung und Lehrart.


Die zweyte Hauptperſon bey dem Anfange des
Seminars iſt Herr Chriſtian Heinrich
Wolke,
33 Jahr alt, und von lutheriſcher Kirche.
Er hat laͤnger, als 5 Jahre, in meinem Hauſe,
als der Gehuͤlfe aller meiner Arbeiten und Geſchaͤfte,
und als der Lehrer und Freund meiner Kinder ge-
lebt. Er iſt ein rechtſchaffner Mann, ein tugend-
hafter Chriſt, ein lehrhafter Kinderfreund aus
herzlicher Liebe und aus einem ſtarken Naturtriebe
zu der Jugend; erfahren und geuͤbt in drey Spra-
chen; in keiner Schulwiſſenſchaft fremd, in man-
C 5chen
[42]Von dem zweyten Manne
chen ſehr erfahren, u. ſ. w. Denn, wer mich
mehr kennt, als ihn, dem will ich durch mein
wohluͤberlegtes Zeugniß dasjenige beſtaͤtigen, was
er in folgenden Worten von ſich ſelbſt bezeuget:


„Jch wuͤrde mich ſchwerlich uͤberwinden koͤn-
„nen, folgende Umſtaͤnde von mir ſelbſt zu erzaͤh-
„len, wenn die guten Abſichten, zu deren Ausfuͤh-
„rung ich gern mitwirken will, es nicht erfoderten.
„Man wird aus dieſen Umſtaͤnden einigermaßen
„ſchlieſſen, was man von mir in Erziehung und
„Unterweiſung junger Kinder, und ſelbſt erwachs-
„ner Perſonen, erwarten duͤrfe.


„Meine Neigung zu ſtudiren wurde von
„meinen Eltern bis in mein 20ſtes Jahr gehindert.
„Vom 17ten Jahre an aber lernte ich ohne Leh-
„rer
Zeichnen, etwas Malen, das Radiren, und
„das Kupferdrucken ohne Drucker-Preſſe (die in
„meiner kleinen Vaterſtadt, Jever, nie geweſen
„iſt), auch einige Kenntniß der Phyſik und Ma-
„thematik.


„Erſt im 20ſten Jahre erhielt ich die laͤngſt
„gewuͤnſchte Erlaubniß, Latein, Franzoͤſiſch und
„Griechiſch zu lernen. Jch trieb das Studiren
„mit ſolchem Eifer, vornehmlich zu Hauſe, faſt
„nach derſelben Methode, die wir nun vorſchla-
„gen, und die Kindern ohne Anfuͤhrung nicht moͤg-
„lich iſt, daß ich am Ende des 5ten halben Jahres,
„zur Gnuͤge verſorgt mit Schulſtudien und Spra-
„chen, zu den akademiſchen Wiſſenſchaften in Goͤt-
„tingen fortſchreiten konnte. Daſelbſt war ich drey
„Jahre, brauchte die Univerſitaͤts-Bibliothek und
hoͤrte
[43]des Philanthropinums.
„hoͤrte Vorleſungen anfangs uͤber die Jurisprudenz
„(die ich aber nach 1½ Jahren verließ), nachher
„uͤber die Mathematik und Naturgeſchichte bey
einem Kaͤſtner, uͤber die Experimentalphyſik
„bey einem Hollmann, uͤber die Baukunſt
„bey dem Herrn Profeſſor Meiſter, uͤber die Mi-
„neralogie bey Herrn Profeſſor Buͤttner, uͤber
„die franzoͤſiſche Sprache bey dem Herrn Profeſſor
Colon du Clos. Nebenher unterrichtete ich ein
„Paar von der Petersburger Akademie geſandte
Ruſſen, und einen Engellaͤndiſchen Grafen
„von Polwarth
im Zeichnen und einigen Thei-
„len der Mathematik. Am Ende des dritten Jah-
„res verließ ich das gute Goͤttingen, gegen deſſen
„vorzuͤgliche Lehrer und Anſtalten ich ewig mit Freu-
„den dankbar bleibe, um im Kloſter Gerode
„(auf dem Eichsfelde) einige Patres die Mathe-
„matik zu lehren. Von hier ging ich nach Leip-
„zig,
wo ich bey dem Herrn Doctor Erneſti, und
„bey dem ſeligen Herrn Profeſſor Gellert und
Winkler, ſowohl Vorleſungen hoͤrte, als von
„ihnen viele Liebe und Guͤte genoß. Jch lernte
„daſelbſt durch eignen Fleiß ſo viel Engliſch und
„Jtalieniſch, als noͤthig iſt, ein Buch in dieſen
„Sprachen zu verſtehen, und zeichnete eine Zeit-
„lang, unter Aufſicht des Herrn Geyſers, auf der
„dortigen Malerakademie. Der Herr Graf von
Hoym, und einige andere junge Herren, be-
„dienten ſich meines Unterrichts in der Mathematik.
„Auch gab ich (1767) einem Manne, Namens
Hoffmeyer (aus dem Oldenburgiſchen) der
von
[44]Von dem zweyten Manne
„von ſeiner Jugend an, bis zu ſeinem damaligen
„30jaͤhrigen Alter, in Amerika die Handlung ge-
„trieben hatte, und nun aus gewiſſen Urſachen noch
„ſtudiren wollte) taͤglich drey Stunden nach der
„natuͤrlichen Methode Unterricht in der lateiniſchen
„Sprache. Und noch vor Ablauf des erſten Jah-
„res verſtand er die lateiniſch geſchriebnen Com-
„pendien, und hoͤrte daruͤber bey dem Herrn Doctor
„der Rechte, Breuning, mit ſo gutem Fortgange
„Collegia, daß er am Ende des zweyten Jahres
„eine lateiniſche Diſſertation uͤber eine rechtliche
„Frage nicht nur ſelbſt ausarbeitete, ſondern auch
„unter dem Vorſitze des Herrn Doctor Breuning
„im Petriniſchen Hoͤrſaale zu Leipzig vertheidigte.


„Nach einem dreyjaͤhrigen Aufenthalte in Leip-
„zig kam ich nach Hamburg, und durch Herrn Prof.
„Buͤſch um Neujahr 1770 zu dem Herrn Profeſſor
Baſedow (damals in Altona) um im Fache der
„Naturkunde und Mathematik ein Mitarbeiter
„am Elementarwerke zu werden.


„Seine kleine Tochter, Emilie, war da-
„mals drey Viertheljahr alt. Meine Neigung,
„mich mit Kindern abzugeben, veranlaßte, daß
„ich ihrer ſorgfaͤltig erziehenden Frau Mutter taͤg-
„lich etwa drey halbe Stunden half, kleine Uebun-
„gen, die, wenn man Menſchen ſo viel als moͤg-
„lich vervollkommnen will, wichtiger ſind, als ſie
„Unerfahrnen ſcheinen, mit Emilie anzuſtellen. Jch
„lehrte ſie z. E. nach einer gewiſſen Wahl und Ord-
„nung allerley Gegenſtaͤnde und ihre Beſchaffenhei-
„ten durch Vorzeigen und durch deutliches unverſtuͤm-
„meltes
[45]des Philanthropinums.
„meltes Vorſprechen; ferner die Art, aufzuſtehen,
„vorſichtig zu fallen, durch Anklammern und auf
„andre Weiſe das Fallen zu vermeiden, u. ſ. w.
„Sorgfaͤltig verhuͤteten wir, die durch Scherz und
„Ernſt in der gewoͤhnlichen Erziehung gemeinig-
„lich verurſachte, Verwirrung der Begriffe. Z. E.
„im Spiegel ſah Emilie ihr Bild, und nicht ſich
„ſelbſt,
auf Gemaͤlden keinen Menſchen, kein
„Thier, keinen Baum,
aber wohl ihre Abbil-
„dung.
Das gekochte Fleiſch mit Knochen
„von einem Huhn hieß nicht mehr Huhn, die
Puppe nicht Kind, der Zahlpfennig nicht ein
„Ducaten,
u. ſ. w. Durch eine ſolche Sorgfalt,
„die ich allen Kinderfreunden eifrigſt empfehle, und
„durch eine ſolche Methode, als nun in dem Ele-
„mentarwerke gelehrt iſt, lernte Emilie ſchon in
„ihrem dritten halben Jahre von ſehr vielen Din-
„gen mit einer Richtigkeit urtheilen, die bey allen
„ihren Zuhoͤrern Verwunderung erregte. Da
„ſie ein und ein halb Jahr alt war, ſprach ſie
„nicht nur viel deutlicher und richtiger, als andre
„Kinder von ſolchem Alter pflegen, ſondern konnte
„auch (vermoͤge unſrer beſondern Art, das Buch-
„ſtabiren vor der Kenntniß der Buchſtaben zu leh-
„ren) ſchon Saͤtze verſtehen, von denen man ihr
„bloß die Buchſtaben nach einander vorſagte.
„Wenn z. E. Jemand die Buchſtaben nach ein-
„ander nannte: d, u; ſ, o, l, ſt; i, tz, t;
„e, i, n, e, n; z, w, i, b, a, k; b, e,
„k, o, m, m, e, n: ſo ſagte ſie: du ſollſt
„itzt einen Zwiebak bekommen.
(Man ſehe
hie-
[46]Von dem zweyten Manne
„hievon mehr in Baſedows kleinem Buche fuͤr El-
„tern und Kinder aller Staͤnde).


„Der von dem Herrn Profeſſor Baſedow
„vorausgeſehne Nutzen dieſer Uebung und Fertig-
„keit wurde erſt ſehr auffallend, als Emilie, ohne
„des verdrieslichen Buchſtabirens im Buche weiter
„zu beduͤrfen, innerhalb einem Monate zu ih-
„rem und meinem Vergnuͤgen leſen lernte. Dies
„geſchah am Ende ihres dritten Jahres.


„Ein Viertheljahr hernach verließ der Herr
„Profeſſor Baſedow ſein Haus auf 10 Wochen.
„Um ihm bey ſeiner Ruͤckkehr eine Freude, deren
„er bey der Arbeit am Elementarwerke ſo wenig
„genoß, zu machen, uͤbte ich Emilie waͤhrend die-
„ſer Zeit in der franzoͤſiſchen Sprache, wovon ſie
„vorher noch kein Wort gehoͤrt hatte. (Man ſehe
„Vierthelj. Nachr. 6tes St. S. 14.) Nach dritte-
„halb Monaten konnte ſie von ihren Beduͤrfniſſen
„und Umſtaͤnden ſo franzoͤſiſch ſprechen, daß ſie der
„Einmiſchung teutſcher Woͤrter in unſerm Unter-
„richte nicht mehr bedurfte. Etwas Aehnliches in
„der lateiniſchen Sprache habe ich ſeit Johannis
„dieſes Jahres bey einem fuͤnfjaͤhrigen Knaben ge-
„leiſtet, wovon unten mehr.


„Das franzoͤſiſche Leſen lernte Emilie eben ſo
„geſchwinde, als das teutſche. Jch brauchte dazu
„ein Buch, genannt: joujou de nouvelle façon,
„weil das elementariſche manuel d’ education
„noch nicht da war. Etwa 1½ Monate nach dem
„Anfange dieſes Leſenlernens war Emilie einige
„Tage mit uns bey Jhro Hochwuͤrdigen Gnaden,
„dem
[47]des Philanthropinums.
„dem Herrn Domherrn von Rochau, wo ſie
„von verſchiednen Herren, Predigern und Officiers
„aus Brandenburg und Potsdam, wegen ihrer
„Fertigkeit im teutſchen und franzoͤſiſchen Leſen be-
„wundert wurde. Um dieſe Zeit las ſie geſchrie-
„bene und gedruckte teutſche und lateiniſche Schrift,
„kannte einen anſehnlichen Theil der natuͤrlichen
„Dinge und Werkzeuge, nebſt ihrem Urſprunge
„und Gebrauche; unterſchied mit Anwendung auf
„vorkommende Faͤlle die mathematiſchen Linien,
„Flaͤchen und Koͤrper, zaͤhlte vorwaͤrts oder addi-
„rend bis 100, ruͤckwaͤrts oder ſubtrahirend einzeln
„und bey Paaren, von 20 oder 21 bis 0 oder 1;
„uͤbte ſich im Zeichnen und Schreiben durch Aus-
„fuͤhrung der mit Bleyſtift vorgeſchriebnen Zuͤge;
„dictirte zuweilen einen Brief an ihren Herrn Va-
„ter, u. ſ. w.


„Bey allen dieſen Kenntniſſen, welche Emilie
„ſpielend, das iſt, ohne Anſtrengung und ohne
„ſchaͤdliches Stillſitzen, lernet, vermeiden wir
„forgfaͤltigſt den (bey gleichen Umſtaͤnden ſonſt
„gewoͤhnlichen) Fehler, aus ihr ein ſogenanntes
gelehrtes Frauenzimmer zu machen, welches
„ſich wegen ihrer Wiſſenſchaft uͤber ihr Geſchlecht
„erhebt, und die weiblichen Geſchaͤfte vernachlaͤßigt.
„Jhr wird vielmehr auf alle Weiſe Liebe fuͤr weib-
„liche Arbeiten eingefloͤßt und darinnen Unterricht
„gegeben. Sie iſt oft und mit vielem Vergnuͤ-
„gen bey der Zubereitung der Speiſen in der
„Kuͤche beſchaͤftigt, deckt den Kindertiſch, haͤlt
„das Tiſchzeug, und andere Sachen, die ſie
„zu-
[48]Von dem zweyten Manne
„zuſammen legt, in ordentlicher Verwahrung; und
„hat laͤngſt angefangen zu naͤhen und zu ſtricken.
„Das Lernen iſt bey ihr gar nichts Verdienſtliches,
„wie bey der gewoͤhnlichen Erziehung. Sie iſt
„uͤberzeugt, daß eine Menge von Kenntniſſen ſie
„nicht liebenswuͤrdig machen koͤnne, und daß ſie
„dies nur durch Gehorſam, Gefaͤlligkeit, Be-
„ſcheidenheit, Schamhaftigkeit, Dankbarkeit, und
„durch eine geſchickte Ausuͤbung weiblicher Arbei-
„ten zum beſten Andrer, werde. Jhre Ueberzeu-
„gung hiervon iſt ſo groß, daß die Bewundrer ih-
„rer Fertigkeiten durch lautes Lob ihr (ſo viel ich
„aus einer genauen Beobachtung wiſſen kann)
„nicht ſchaden. Denn ſie ſieht die Kenntniſſe, die
„ich ihr mittheile, als Sachen an, die vor der gu-
„ten Anwendung derſelben gar keinen Werth ha-
„ben, und nur als Mittel, wodurch ſie einmal als
„Lehrerinn junger Kinder ihre Kleider
„und andern Unterhalt ſelbſt verdienen wird.


„Jch habe jede Gelegenheit wahrgenommen,
„Emilie auf die Groͤſſe, Guͤte und Weisheit Got-
„tes in Betrachtung der Natur aufmerkſam zu
„machen. Sie freuet ſich deswegen ſehr oft uͤber
„Gott, als uͤber ihren und aller Menſchen hoͤchſt
„maͤchtigen, hoͤchſt weiſen und hoͤchſt guͤtigen Va-
„ter. Sie freuet ſich bey Blitz und Donner, weil
„ſie das Gewitter und den darauf erfolgenden Re-
„gen, als eine uns unentbehrliche goͤttliche Wohl-
„that erkennet, wodurch die, uns und den Thieren
„nahrhaften, Gewaͤchſe, und die angenehmen
„Blumen
[49]des Philanthropinums.
„Blumen zum Wachsthum befoͤrdert werden. Sie
„freuet ſich uͤber die Geſchicklichkeit und menſchliche
„Geſtalt ihres Koͤrpers, uͤber die Vernunft ihrer
„Seele; auch uͤber Regen, Wind, Schnee, naͤcht-
„liche Finſterniß und dergleichen Vorfaͤlle, und
„zuweilen eben zu der Zeit, da ſie ſelbſt ein wenig
„leidet, und andre Menſchen gewohnt ſind, zu
„klagen. Der Anblick der Raupen, Spinnen,
„Maͤuſe, Schlangen und Eidexen iſt ihr weder
„ekelhaft noch furchtbar. Wegen Hexen, Ge-
„ſpenſter und Teufel hat ſie noch nie Angſt empfun-
„den, weil ſie ihr nicht als Namen ſolcher Dinge,
„die den Menſchen wirklich ſchaden, vorgeſagt
„werden. Die albernen Teufelsgeſtalten ſind ihr
„nur laͤcherlich und nicht ſchreckhaft. Von der
„chriſtlichen Religion weis ſie viele Umſtaͤnde, aber
„nur ſolche, die in dieſem ihren Alter ihr als eine
„Vorbereitung zur Tugend, zum Vertrauen auf
„Gott und zur Zufriedenheit nuͤtzen koͤnnen. Jeſus
„iſt ihr (bis ſie mehr von ihm lernen wird) der
„vollkommenſte Lehrer der Menſchen geweſen, wel-
„cher eine Menge von wohlthaͤtigen Wundern durch
„Gottes Kraft verrichtet hat; ferner das vollkom-
„menſte Muſter, wie man, um Gutes zu thun,
„auch Leiden und Tod erdulden muͤſſe, wenn es
„noͤthig iſt. Man hat ihr geſagt, er ſey von den
„Todten auferſtanden und hernach lebendig uͤber die
„Wolken genommen; er habe dem menſchlichen
„Geſchlechte die Verſicherung von der Unſterblich-
„keit der Seele und von der ewigen Vergeltung
„des Guten und Boͤſen gegeben; er ſey und bleibe
D„ein
[50]Von dem zweyten Manne
„ein Erretter oder Erloͤſer der Menſchen von den
„allergroͤßten Uebeln, naͤmlich der Suͤnde und ih-
„ren Folgen, und er regiere mit einem von Gott
„ertheilten Anſehn in Ewigkeit uͤber alle vernuͤnf-
„tige Weſen, als ihr Herr und Oberhaupt.


„Ob Emilie gleich von vielerley Dingen ſpricht
„und urtheilt: ſo hat ſie die ihr laͤngſt mitgetheilte
„Kenntniß vom Urſprunge der Menſchen doch nie-
„mals gemißbraucht. Auch einem andern fuͤnf-
„jaͤhrigen Knaben, der da glaubte, ein Storch
„bringe die Kinder, habe ich auf ſeine Anfrage ge-
„ſagt: ſie kaͤmen aus dem Leibe ihrer
„Mutter;
und er hat von der Zeit an keine den
„Sitten ſchaͤdliche Neugierde oder Verwunderung
„mehr geaͤuſſert, ob er ſich gleich itzt wundern muß,
„daß von andern Kindern die gewoͤhnlichen Luͤgen
„von dem Urſprunge oder der erſten Erſcheinungsart
„eines Kindes geglaubt werden.


„Emilie hoͤrte bis zu Michaelis 1773, da ſie
„4½ Jahr alt war, kein Wort Latein. Jch wollte,
„da ihr Herr Vater um dieſe Zeit, des Elemen-
„tarwerks wegen, nach Berlin reiſete, ihm bey
„ſeiner Ruͤckkunft eine aͤhnliche Freude uͤber die
„Kenntniß ſeiner Tochter in der lateiniſchen Spra-
„che, wie vor einem Jahre vorher in der franzoͤſi-
„ſchen, verurſachen. Jch hatte aber (da der Druck
„am Elementarwerke und deſſen Ueberſetzung fort-
„gieng, und ich die Correctur beſorgte, da ich das
„Buch von der Naturgeſchichte und den Kuͤnſten
„fuͤr das Elementarwerk bearbeitete, da ich Zeich-
„nungen zur Erklaͤrung der Elementarphyſik machte,
„und
[51]des Philanthropinums.
„und mit Freunden von Copenhagen, Stockholm,
„Petersburg, bis in die Schweiz correſpondirte)
„ſo viel Geſchaͤfte, daß ich nur ein Paar Stunden
„des Tages mit Emilie ſprechen konnte. Noch
„mehr wurde der Unterricht unterbrochen durch
„meinen Aufenthalt in Berlin, waͤhrend des No-
„vembers; und er wird es bisher ſehr oft durch
„Geſchaͤfte, die gar nicht die Pflichten eines Unter-
„weiſers erleichtern.


„Dennoch ſpricht Emilie itzt Latein mit
„einer Fertigkeit und Richtigkeit, die von Vie-
„len bewundert wird. Um derer willen aber,
„welche die Wahrheit meiner bisherigen Erzaͤhlung
„bezweifeln, und doch gern davon uͤberzeugt ſeyn
„wollen, will ich, wenn ſie ſelbſt zu uns kommen,
„oder Jemanden, dem ſie trauen, zur Anhoͤrung
„beſtellen, ein Examen halten (welches ich ſonſt
„gern vermeide) worinnen ſie hoͤren werden, daß
„Emilie (die niemals ein Wort ſchulmaͤßig aus-
„wendig gelernt hat) auf jeden, von irgend Je-
„manden zufaͤllig aufgeſchlagnen, zweyen Blaͤt-
„tern des Cellariſchen Woͤrterbuches
(denn
„die Meiſten nehmen bisher die Menge der Vo-
„cabeln zum Maaße) wenigſtens 50 Vocabel, und
„alſo in dieſem Buche von 120 Blaͤttern, wenig-
„ſtens dreytauſend Woͤrter weis, und zwar nicht
„ſchulknabenmaͤßig, ſondern wie Woͤrter ihrer
„Mutterſprache. Nun kann ich jedesmal die 50
„Woͤrter (durch Declination und Conjugation) ſo
„abaͤndern, daß daraus wenigſtens 500 ver-
D 2„ſchiedne
[52]Von dem zweyten Manne
„ſchiedne Fragen entſtehen, die Emilie beantwor-
„ten wird. Daher Niemand zweifeln mag, daß
„mit allen Woͤrtern des Cellariſchen Woͤrterbuchs
„(auſſer welchen ſie noch eine Menge kennet) ihr
„uͤber dreyßigtauſend von einander verſchiedne Fra-
„gen koͤnnen gemacht werden, die ſie verſteht,
„richtig teutſch erklaͤren oder lateiniſch beantworten
„kann, welches ihr lieber iſt.


„Ein ſolches Examen habe ich neulich zu Leip-
„zig angeſtellt, in Gegenwart verſchiedner Maͤn-
„ner, als der Herren Doctoren Michaelis und
Stein (eines groſſen Kinderfreundes), und des
„Herrn Profeſſor Funk aus Leipzig, des Herrn
„Profeſſor Ebert aus Wittenberg, des Herrn
Gaͤrtner aus Braunſchweig, und des Herrn
Sevel aus Copenhagen (der, gleich einigen An-
„dern in Riga, in der Schweiz und an andern
„Orten, durch die Anwendung der Baſedowiſchen
„Erziehungsvorſchlaͤge bey den Kindern des daͤni-
„niſchen Staatsraths Rybergs, aͤhnliche an-
„genehme Folgen, als ich bey Emilie, bewirkt
„hat, und nun noch mehr die Paͤdagogie ſtudirt).
„Dieſe Herren ſprachen mit Emilie waͤhrend einer
„Stunde bald teutſch, bald franzoͤſiſch, bald la-
„tein, bald daͤniſch. Sie las und explicirte fran-
„zoͤſiſch eine kleine Erzaͤhlung, und lateiniſch eine
„Fabel aus dem Phaͤdrus, die ich von dem Herrn
„Profeſſor Ebert nach Gutduͤnken waͤhlen ließ.


„Da der Herr Profeſſor Baſedow in Frank-
„furt war, dictirte Emilie einen Brief an ihn.
„Und da ich ihr rieth, am Ende zu ſetzen: Jhre
gehor-
[53]des Philanthropinums.
gehorſame Tochter; fragte ſie mich: Aber
„bin ich denn ſchon allezeit vollkommen
„gehorſam? Jch moͤchte lieber von mei-
„nem Vater fuͤr Ungehorſam geſtraft wer-
„den, als ihm Etwas vorluͤgen.
Jch ſchrieb
„dieſe ihre Anmerkung hinzu, und ließ ſie von ihr
„leſen. So iſt es auch beſſer, ſagte ſie, da-
„mit mein Vater weis, wie ich bin. Aber
„von nun an will ich mir alle moͤgliche
„Muͤhe geben, immer recht gehorſam zu
„ſeyn. Alsdann wird mein Vater glauben,
„wenn er mich wieder ſieht, daß ich dieſe
„Anmerkung aus Beſcheidenheit gemacht
„habe. Aber — dann wird er ſich doch
„irren!
Und nun huͤpfte ſie voll Freude uͤber ihren
„Vorſatz in der Stube herum. Dies mag zur
„Probe genug ſeyn von Emiliens Natuͤrlichkeit
„und Zuverſicht in Geſpraͤchen.


„Emiliens Bruder, Friedrich, konnte noch
„nicht in ſeinem zweyten Jahre gehoͤrig Ja und
„Nein antworten, iſt in den drey erſten Jahren im-
„mer kraͤnklich geweſen, hat, nach dem Ausſpruch ſei-
„nes Herrn Vaters, jetzund weniger als mittelmaͤßi-
„gen Verſtand (denn erſt ſeit Kurzem lernte er drey
„zaͤhlen), iſt aber doch im vierten Jahre durch die
„Guͤte der Elementarmethode zu einer nicht ganz
„gemeinen Kenntniß von Sachen, und im teutſchen,
„franzoͤſiſchen und lateiniſchen ſo weit gekommen,
„daß man in jeder dieſer Sprachen mit ihm ſpre-
„chen kann, ohne einer andern zur Erklaͤrung zu
„beduͤrfen.


D 3„Nach
[54]Von dem zweyten Manne

„Nach Johannis dieſes Jahres uͤbergab mir
„der Herr Buͤrgermeiſter Schwarz, aus Magde-
„burg, Vater einer ſehr zahlreichen und anſehn-
„lichen Familie, Freund und Befoͤrderer des Ele-
„mentarwerks, ſeinen fuͤnfjaͤhrigen Sohn, Abel
„Anton,
damit ich ihn nach der von mir an
„Emilien ausgeuͤbten Methode weiter erziehen und
„unterrichten moͤchte.


„Auch an dieſem Penſioniſten beweiſet ſich
„durch die That der Werth der Elementarmethode,
„vermoͤge welcher die Sacherkenntniß mit der
„Uebung in der lateiniſchen, franzoͤſiſchen und in
„andern Sprachen, durch vernuͤnftigen Gebrauch
„der Kupfer und des Elementarwerks verknuͤpft
„werden muß. Der kleine Schwarz wußte kein
„Wort Latein, als er zu uns kam, und ſpricht itzt
„nach 4 Monaten von ſeinen Beduͤrfniſſen und von
„vielen Gegenſtaͤnden ſo, daß er ſelten der teutſchen
„Woͤrter zur Erklaͤrung bedarf. Auch dieſes iſt in
„Leipzig geſehen. Unſere Lehrart aber hat dieſes
„Beſondere, daß der Grad des Fortganges in der
„lateiniſchen Sprache zugleich ein ſicherer Beweis
„von dem Anwachſe der Sacherkenntniß iſt. Was
„ſein Gemuͤth betrifft, deſſen Vervollkommnung
„wegen gewiſſer Umſtaͤnde vorher etwas verſaͤumt
„war, habe ich es abermals in der That wahr be-
„funden (woruͤber ich mit meinem Freunde, Herrn
„Profeſſor Baſedow, mich oft zu vergnuͤgen pflege),
„daß, wenn das hoͤchſtſchaͤdliche Memoriren aus
„dem Erziehungsweſen erſt Abſchied genommen
„hat, man ſowohl mehr Zeit und Luſt, als groͤſſere
„Leich-
[55]des Philanthropinums.
„Leichtigkeit finden wird, die Seelen der Kinder
„und Juͤnglinge weſentlich zu verbeſſern.


„Wir wiſſen zur Vervollkommnung aller
„und jeder Kraͤfte, auch der Sinne der Menſchen,
„lehrreiche und nuͤtzliche Uebungen anzuſtellen.
„Z. E. der kleine Schwarz und Emilie koͤnnen
„mehr als 50 Baͤume, Stauden und Pflanzen
„erkennen, nicht nur aus dem Anblicke, ſondern
„durch bloßes Anfuͤhlen eines Blattes von ihnen;
„und, wenn eine ſo groſſe Anzahl verſchiedner
„Blaͤtter auf einmal in einem Gluͤckstopfe ſind, ſie
„einzeln mit vorhergeſagten teutſchen und lateini-
„ſchen Namen herauslangen. Unter 60 verſchie-
„denen Blaͤttern, die ich am Ende des Auguſts
„auf ſolche Weiſe durchs Geſicht, durch den Ge-
„ruch, durch den Geſchmack (bey den ungiftigen
„Gewaͤchſen) und durch das Gefuͤhl unterſcheiden
„lies, verfehlte, bey bloßem Gebrauch des Ge-
„fuͤhls, Emilie nur 6, und der kleine Schwarz 8.


§. 9.
Von einem franzoͤſiſchen Lehrer.


Herr Wolke iſt von mir, als ein Hauptlehrer, un-
zertrennlich. Wir beyde, nebſt den Can-
didaten, deren viele oder wenige wir zu unſrer Huͤlfe
brauchen werden, und Herr Friedrich Auguſt Benz-
ler (davon weiter unten) ſind voͤllig im Stande,
bis wir nach Ausbreitung des Seminars mehr be-
ſtaͤndige Lehrer aufſuchen und annehmen, den Un-
terricht der hier ankommenden Jugend und die
Aufſicht auf dieſelbe zu beſtreiten.


D 4Wir
[56]Von einem franzoͤſiſchen Lehrer.

Wir ſuchen aber ſchon jetzund einen jungen
Gelehrten von franzoͤſiſcher Nation. Wir ſetzen
voraus, daß er in allen Schulſtudien, wie gewoͤhn-
lich, erfahren ſey, und daß er alſo auch Latein ge-
nug wiſſe, um Buͤcher und Redende fertig zu ver-
ſtehen. Wenn die hiſtoriſchen, politiſchen und
ſchoͤnen Wiſſenſchaften ſeine Hauptſache ſind; ſo
iſt es uns am liebſten. Er ſelbſt wird nur ver-
mittelſt der franzoͤſiſchen Sprache, ſowohl im Un-
terrichte als im Umgange, dem Philanthropinum
dienen; und ſowohl im Real-Unterrichte, als in der
Sprache, nach der natuͤrlichen Methode (anfangs
durch bloſſe Ausuͤbung, und zuletzt erſt durch Re-
geln) Unterweiſung geben. Folglich muß er die-
ſer Sprache ſehr kundig ſeyn, und wegen des aus-
gebreiteten Vorurtheils auch einen vollkommenen
Accent haben. Er muß auch die Gabe eines Schrift-
ſtellers in dieſem Grade beſitzen, daß man ihm
zweckmaͤſſige Auszuͤge und Verkuͤrzungen franzoͤ-
ſiſcher Buͤcher, die der Jugend unſchaͤdlich und
brauchbarer gemacht werden ſollen, anvertrauen
kann. Sein aͤuſſerliches Weſen muß anſtaͤndig
und gefaͤllig ſeyn. Er muß den Namen eines tu-
gendhaften Mannes haben und beſtaͤtigen. Wer
gegen die Unſterblichkeit der Seele und gegen die
kuͤnftige Vergeltung des Guten und Boͤſen, und
wider die Wahrheit des apoſtoliſchen Chriſtenthu-
mes zu diſputiren oder zu ſpotten pflegt, und es nicht
vielmehr fuͤr ſeine Pflicht haͤlt, dieſen der Welt
heilſamen und wahren Glauben zu befoͤrdern, der iſt
kein philanthropiniſcher Mann. Uebrigens iſt es uns
faſt
[57]Von einem franzoͤſiſchen Lehrer.
faſt gleichguͤltig, zu welcher Kirche er ſich bekenne,
wenn er nur nicht die hierarchiſche Meynung hat
und ausbreitet, daß die zahlreiche Kirche Recht
und Pflicht habe, die Diſſidenten durch buͤrgerliche
Geſetze einzuſchraͤnken, zu unterdruͤcken und zu ver-
folgen. Denn dieſe Meynung wird in dem Phi-
lanthropinum (ſo gewoͤhnlich leider ihre Ausuͤbung
noch iſt) allezeit als thoͤricht, als unpatriotiſch, als
unpolitiſch, als unbillig, als unchriſtlich, als
unmenſchlich vorgeſtellet werden. Er muß, ehe
er ſich meldet, Nouvelle methode d’ education,
welches die Ueberſetzung meines Methodenbu-
ches
iſt, geleſen, und dadurch groſſe Luſt bekom-
men haben, ſein Leben der Paͤdagogie zu widmen
und ſich mit uns zu dieſem Zwecke zu vereinigen.
Alsdann, ſage ich, kann ein ſolcher braver Mann
ſich melden, wenn er in der Naͤhe iſt, bey uns in
Deſſau; oder in Leipzig bey den Herren Predigern
Zollikofer und Duͤmas, oder in Berlin bey
dem Herrn Profeſſor Sulzer, und dem Herrn
Conſiſtorialrath Gillet; oder in Frankfurt am
Mayn bey dem Herrn Hofrath Deiner; oder in
Baſel bey dem Herrn Rathsſchreiber Jſelin;
oder in Zuͤrch bey dem Herrn Prediger Lavater;
oder anderswo bey unſern Freunden, von denen
man weiß, daß ſie mit uns in Correſpondenz und
Verbindung ſtehen. Einen jeden Antrag in Briefen
aber, welcher nicht durch ſolche Freunde beglaubigt
iſt, werden wir, der Unzuverlaͤſſigkeit halber, ſchlech-
terdings nicht beantworten. Kommt es aber zur
Abrede, ſo wird ein ſolcher Mann mit mir und Herr
D 5Wolken
[58]Von einem merkwuͤrdigen
Wolken und Mehren Theil an der Direction haben;
und, gleich wie Herr Wolk, nach den Umſtaͤnden, von
Seiner Hochfuͤrſtlichen Durchlauchten
mit einem anſtaͤndigen Titel begnadigt werden.
Wir aber werden ihm ſolche Bedingungen vorſchla-
gen, daß ihm anfangs nichts Noͤthiges nach ſei-
nem Stande fehle, und daß er in der Aufnahme
des Philanthropinums auch die Verbeſſerung ſei-
ner Umſtaͤnde finde. Mit der Zeit wollen wir ihm
auch franzoͤſiſche Candidaten zu Gehuͤlfen geben.


§. 10.
Von einem merkwuͤrdigen Unter-
lehrer.


Friedrich Auguſt Benzler, aus Lemgo gebuͤr-
tig, lutheriſcher Religion, ward bis in den
Anfang ſeines 14ten Jahres zur oͤffentlichen Schule
gehalten, in der Abſicht, den Studien gewidmet
zu werden. Er ward angefuͤhrt, wie es in den
meiſten Schulen gewoͤhnlich iſt. Zu einigen Be-
griffen von der Geographie und Hiſtorie kam er
auch, aber mehr durch haͤuslichen Fleiß, als durch
das, was in der Schule geſchah. Man kann
denken, daß er auch Alles ausgeſtanden habe,
was in den gewoͤhnlichen Schulen ausgeſtanden
werden muß, um Latein zu lernen. Er ſagt, man
habe ſchon den Cornelius Nepos mit ihm tractirt,
oder, wie ich es zu nennen pflege, in kleine Biſ-
ſen zerzauſet und zerfetzt. Aber das Schulſtudie-
ren hatte keinen erwuͤnſchten Fortgang, ob ich
gleich
[59]Unterlehrer.
gleich jetzund ſchlieſſen kann, daß es ihm am Triebe
zur Arbeitſamkeit nicht gefehlt, und daß er, eben
ſo wenig damals als jetzund, an gewoͤhnlichen Na-
turgaben einen Mangel gehabt habe. Er begab
ſich alſo zur Kaufmannſchaft, bis ſeine Lehrjahre
1772 um Michaelis geendigt waren. Unterdeſſen
ſetzte er einige Uebungen in der Geographie fort,
weil er dazu Luſt hatte, erwarb ſich auch ſo viel
Fertigkeit in der franzoͤſichen Sprache, um Buͤcher
verſtehen zu koͤnnen. Aber das Latein hatte er
ſo ſehr vergeſſen, daß weder Etwas von Vocabeln
noch von Declination oder Conjugation uͤbrig war.
Und von der Weisheit des Cornelius konnte wahr-
lich nichts uͤbrig ſeyn, da man, nach der gewoͤhn-
lichen Lehrart, Nichts davon zu begreifen pflegt.
Jnzwiſchen war durch dieſe und jene Veranlaſſung
ein neues Verlangen in ihm rege geworden, nach
Moͤglichkeit zu mehr Wiſſenſchaften zu gelangen.
Darum begab er ſich vor zwey Jahren zu mir als
ein Schreiber und Famulus. Jn dem erſten
Jahre aber war ich ſo beſchaͤftigt, daß ich auf ſeine
Vervollkommnung nicht weiter denken durfte, als
was noͤthig war, um ihn zum Dictiren meiner
Schriften gebrauchen zu koͤnnen. Jn einem
Dutzend Lectionen, zwiſchen welchen Wiederholun-
gen und Uebungen vorgenommen werden mußten,
lehrte ich ihn die teutſche Sprachkunſt in ſolchem
Grade, daß er die Correctur des Drucks aller
meiner Schriften beſorgen konnte, ohne, wenn
Sprachfehler vorkamen, das Manuſcript nachzu-
ſehen. Und beym Dictiren der Mathematik fiel
zu-
[60]Von einem merkwuͤrdigen
zufaͤlliger Weiſe ſo viel Unterricht vor, daß er ſich
jetzund durch mein Buch oder durch aͤhnliche ſelber
helfen kann, eine mathematiſche Demonſtration
zu verſtehen und zu begreifen. Unterdeſſen wurde
in meinem Hauſe mit den Kindern von Herr Wol-
ken franzoͤſiſch geredet. Daran nahm er zufaͤlliger
Weiſe Theil, und kam darinn ſo weit, daß er Fran-
zoͤſiſch Redende verſtehen und ihnen verſtaͤndlich
genug (auch ſchriftlich) antworten kann. Auch
ſah er den lehrreichen Umgang des Herrn Wolken
mit den Kindern, und den Gebrauch des Elemen-
tarwerks und der dazu gehoͤrigen Kupferſammlung
nach der Baſedowiſch-Wolkiſchen Methode. Dieſe
nachzuahmen erlangte er eine ſolche Einſicht und
Fertigkeit, zeigte auch eine ſolche Luſt und Faͤhig-
keit, mit Kindern lehrreich und gut umzugehen,
daß wir ihm, wenn Herr Wolk ſonſt beſchaͤftigt
war, die Unterweiſung oder den lehrreichen Um-
gang mit den Kindern anvertrauen konnten. Die-
ſes brachte uns auf den Gedanken, daß Herr
Benzler wohl ein Exempel werden koͤnnte, wie
nach der vernuͤnftigen Lehrart auch ein ſpaͤtes Stu-
dieren gelingen muͤßte, und daß er mit der Zeit,
anfangs als ein Unterlehrer, und ſpaͤter als ein
Hauptlehrer, in dem damals in unſern Gedanken
ſchwebenden Seminare nuͤtzlich ſeyn koͤnnte. Seit
Neujahr 1774, wie mein Elementarwerk fertig
war, nahm ich mir alſo taͤglich etwa eine halbe
Stunde die Zeit, im Ernſte und Scherze lateiniſch
mit ihm zu reden, und bediente mich bald hernach
eben dieſer Sprache, ſo weit es nach und nach
moͤg-
[61]Unterlehrer.
moͤglicher wurde, ihm dasjenige zu ſagen, was
in unſern verſchiednen Geſchaͤften vorfiel. Und
eben dieſes that Herr Wolke nach unſrer Abrede.
Dieſes hatte kein Viertheljahr gedaurt; ſo war
auch in den wichtigſten Geſchaͤften nur ſelten ein
teutſches Wort noͤthig. Aber Herr Wolke und
ich hatten ſo viele Geſchaͤfte, daß wir, um unſern
Benzler zu vervollkommnen, oftmals in langer
Zeit taͤglich keine halbe Stunde ausſetzen konnten.
Doch einige Uebungen im Buͤcherleſen und im
Nachſchlagen des Cellarius waren ihm als ein Ge-
ſchaͤft muͤſſiger Zwiſchenzeiten angerathen; imglei-
chen auch dieſes, daß er ſich des franzoͤſiſchen Le-
ſens und Sprechens enthalten muͤßte, um anfangs
im Lateiniſchen geſchwinder fortzukommen. Wei-
ter thaten wir nichts in den erſten acht Monaten,
ſeitdem er wieder das erſte lateiniſche Wort ge-
hoͤret hatte. Aber unſre Sprache bey Tiſche und
in Geſchaͤften war lateiniſch. So, ſage ich, gieng
die Sache in den erſten acht Monaten. Jn den
drey folgenden (denn jetzund ſind es eilf) hatte ich
auf Reiſen und zu Hauſe mehr Zeit, und auch
wegen des geſehenen Fortganges mehr Luſt, mich
um ſeine Vervollkommnung, als eines kuͤnftigen
Lehrers im Seminare, zu bemuͤhen. Jm Durch-
ſchnitte gerechnet (denn es fallen viele ſehr beſchaͤf-
tigte Tage vor) habe ich in dieſen letzten drey
Monaten taͤglich etwa zwey Stunden auf ihn ge-
wandt. Und da in den vorigen acht Monaten er
mich nur eine halbe Stunde taͤglich beſchaͤftigt hat;
ſo kann man die auf ihn gewendete Zeit leicht zu-
ſam-
[62]Von einem merkwuͤrdigen
ſammen rechnen. Jn derſelben iſt dieſer junge
Mann zu folgender Fertigkeit gebracht. 1) Es
iſt kein lateiniſch Buch, welches er nicht verſtehen
oder durch lateiniſche Erklaͤrung ſich nicht erklaͤren
laſſen koͤnnte, wenn der Jnhalt von ſolcher Art iſt,
daß er ihn im Teutſchen ohne oder mit Huͤlfe eines
Erklaͤrers verſtehen wuͤrde; 2) Ohne alſo einen
claſſiſchen Schriftſteller geſehen zu haben, lieſt er
die moraliſchen Schriften des Cicero, den Eutro-
pius und den Cornelius, wenn ſie ihm in die Haͤnde
gegeben werden, mit Verſtand und Wohlgefallen,
und uͤberſetzt ſie weit beſſer, als die Primaner groſ-
ſer Schulen, wenn man einige der beſten ausnimmt,
thun koͤnnen; 3) Er verſteht alle Lateiniſch-Re-
dende weit fertiger als dieſe, wenn er ſie im Teut-
ſchen verſtehen wuͤrde; 4) Er ſpricht fertiger von
dem, was er zu ſagen hat; doch, wie man leicht
begreift, noch nicht ohne Fehler. Denn ich habe
ihm geſagt, daß er im Sprechen, wenn es ihm
Muͤhe macht, nicht an Regeln denken ſoll, ſon-
dern nur im Schreiben; 5) Er ſchreibt, was er
zu ſchreiben hat, in Briefen lateiniſch und mit
weit wenigern Fehlern; 6) Denn er hat auch ſchon
ſo viele grammatikaliſche Erkenntniß, daß, (wenn
ers fuͤr ſeine Pflicht haͤlt, ſich im hoͤchſten Grade
in Acht zu nehmen, ein Woͤrterbuch und die ele-
mentariſche Grammatik nachzuſchlagen, oder an
Statt der ihm ungewoͤhnlichern Redensarten ge-
woͤhnlichere zu nehmen) ihm nur ziemlich ſelten ein
Sprachfehler entwiſchen wird, und daß er ſie gaͤnzlich
verhuͤten wuͤrde, wenn ich von nun an in dieſer Ab-
ſicht
[63]Unterlehrer.
ſicht zwey ganze Monate ihm Uebung und Unterricht
geben wollte, welches ich aber noch nicht rathſam
finde. 8) Ueberhaupt iſt die lateiniſche Sprache
ihm ſo gelaͤufig und eigentlich Mutterſprache, daß er
unmittelbar, und ohne ſtillſchweigend zu uͤberſetzen,
mit mir uͤber ſchwere Fragen, z. E. von der Frey-
heit und Nothwendigkeit, von der Zurechnung und
dem Verhaͤltniſſe des Guten und des Boͤſen, latei-
niſch philoſophiren kann, als welches ich einigemal
mit Vergnuͤgen erfahren habe. 8) Daß ein ſol-
cher Menſch, von dem das Geſagte wahr iſt, in
der roͤmiſchen und in andern Geſchichten nicht fremd
ſeyn muͤſſe, verſteht ſich von ſelbſt. Aber er hat 9)
auch ſo viel Begriff von der Philoſophie und Ma-
thematik, daß man keine verſtaͤndliche Frage ihm
vorlegen kann, ohne daß er zu ſagen weis, zu wel-
chem beſonders benamten Theile der Philoſophie
und Mathematik ſie gehoͤre. Von allen dieſen ſei-
nen Fertigkeiten habe ich an mehr als einem Orte
Augenzeugen, und ich durfte in den Umſtaͤnden,
worinnen ich bin, es nicht oͤffentlich ſchreiben, wenn
nicht Alles wahr, und denen, die es verlangen,
eine gegenwaͤrtige Unterſuchung erlaubt waͤre. Es
iſt aber dabey noch dieſes zu merken, daß er bis-
her mit Correſpondenz und andern Geſchaͤften noch
ſehr beſetzt war, und zuweilen in ganzen Wochen
kein Buch zu ſeinem Fortkommen anzuſehen die
Muße hatte. Koͤnnte ich ihm von nun an 6 Mo-
nate gaͤnzlich aufopfern, ſo waͤre er einer der ge-
ſchickteſten Academiker, (etwa Griechiſch ausge-
nommen). Nun wird er etwas ſpaͤter, und doch
bald
[64]Von einem merkwuͤrd. Unterlehrer.
bald genug weit mehr als dieſes. Da er nun uͤber-
dies, ſo viel ich habe erfahren koͤnnen, ein gutes
Gemuͤth hat, und ein getreuer, enthaltſamer und
gottesfuͤrchtiger Menſch iſt, auch, als ein lehrhaf-
ter Kinderfreund, Luſt zu dieſem Stande bezeiget,
ſo will ich ihn als ein Exempel weiter unterrichten oder
unterrichten laſſen; und beſtimme ihn anfangs zu
einem Unterlehrer, hernach zu einem Hauptlehrer
des Philanthropinums, und zwar als einen derer-
jenigen, welche im Umgange und Unterrichte be-
ſtaͤndig der lateiniſchen Sprache ſich bedienen ſollen.
Er iſt im 22ſten Jahre, und wird, nach den
Umſtaͤnden des Seminars, alſobald zu denjenigen
Geſchaͤften gebraucht werden, wozu er noͤthig und
faͤhig iſt, beſonders mich und Herr Wolken in der
Lehre junger Kinder nachzuahmen.


§. 11.
Von der lateiniſchen Sprache im Se-
minare und einem Hauptlehrer
derſelben.


Jn unſerm Jnſtitut wird die franzoͤſiſche und
lateiniſche Sprache herrſchen, das iſt, jede
dieſer beyden Sprachen wird mindeſtens doppelt ſo
oft, als die teutſche, im Unterrichte, im Buͤcher-
leſen und im Umgange mit den Lehrern vorkommen.
Denn der Fertigkeit und Richtigkeit in der teut-
ſchen nicht zu verfehlen, iſt in Teutſchland leichter.
Und aus eben dieſer Urſache wird die Lateiniſche et-
was haͤufiger, als die franzoͤſiſche gebraucht werden.
Alle
[65]Von der lateiniſchen Sprache ⁊c.
Alle Einwuͤrfe aber, die entweder wider den jetzi-
gen Nutzen der lateiniſchen Sprache, oder wider
die Lehrart, in welcher ſie anfangs als eine Mutter-
ſprache behandelt wird, irgend Jemanden einfallen
koͤnnen, ſind durch Vernunft und Erfahrung wi-
derlegt im Methodenbuche in dem Haupt-
ſtuͤcke von dem Unterrichte in Sprachen.

Aber ich weis, viele der achtbarſten Maͤnner, ja
⅞ aller Schulmaͤnner und Hauslehrer werden im-
merfort mit einem neuſcheinenden Einwurf von
Ungruͤndlichkeit, von Unmoͤglichkeit, von
Kuͤchenlatein, von vielhundertjaͤhriger Ge-
wohnheit der theuren Vorfahren, von der
Gegenmeynung ſo vieler hochberuͤhmten
Ciceronianer und Critiker,
in Geſpraͤchen und
Schriften, gegen unſer Seminar hervorkommen,
und folglich auch bey ⅞ der zahlreichen Leſer und
Zuhoͤrer Glauben finden, bis man, welches mit
Gottes Huͤlfe bevorſteht, an vielen von Academien
oͤffentlich beglaubigten Exempeln ſehen wird, daß
wir bloß durch Befolgung unſers Plans viele, be-
ſonders ſtarke Lateiner, die in Realwiſſenſchaften
eben ſo groſſe Vorzuͤge vor dem gewoͤhnlichen Schul-
haufen haben, in die bisher wider uns raiſonirende
Welt ſchicken koͤnnen. Es ſind alſo ⅞ wider uns?
Ey nun! Das uͤbrige Achthel iſt mehr oder minder
eifrig fuͤr uns, und zureichend, uns zu unterſtuͤtzen.
Und wir fuͤr uns ſelbſt ſind unſerer Sache voͤllig
gewiß.


Es muß aber freylich noch Vieles, und zwar
nicht zu langſam, geſchehen, um die Ausfuͤhrung
Eunſers
[66]Von der lateiniſchen Sprache
unſers Plans in dieſem Stuͤcke zu erleichtern und
zu beſchleunigen. (*)


Wir
[67]im Seminare.

Wir beduͤrfen alſo eines lateiniſchen
Hauptlehrers,
der uͤbrigens dem franzoͤſi-
ſchen
(*)
[68]Von der lateiniſchen Sprache
ſchen (§. 9.) gleicht, und die lateiniſche Litteratur
vorzuͤglich liebt, auch in der Schriftſtellerarbeit
der obgenannten Schulſchriften gebraucht werden
kann. Wir werden bey der Wahl dem Zeugniſſe des
Herrn D.Erneſti, oder des Herrn Prof. Morus
in Leipzig, des Herrn Oberconſiſtorial-R. Teller in
Berlin,
(*)
[69]im Seminare.
Berlin, oder des Herrn Prof. Hayne in Goͤttin-
gen, gleichwie auch unſrer oben (§. 9.) genannten
Freunde vorzuͤglich Glauben beymeſſen. Zum
Anfange aber iſt das Seminar (nach unſerer be-
ſondern Lehrart) durch mich, Herrn Wolke und
den Gehuͤlfen, Herrn Benzler, zur Gnuͤge im La-
teiniſchen beſetzt, da wir Candidaten, nach Maaße
der Anzahl der Lernenden, zu Huͤlfe nehmen.


Wir alle (nur nicht der franzoͤſiſche Hauptlehrer)
reden beſtaͤndig Latein, auſſer in der natuͤrlichen Re-
ligion und Moral, deren Lehren anfangs teutſch vor-
getragen werden, bis das Geſagte lateiniſch wieder-
holt und erinnert werden kann. Ueberhaupt reden
wir allezeit Teutſch, wenn wir die Verbeſſerung
des Herzens, oder eine ſtarke Aufmerkſamkeit auf
ſchwere Sachen zur Abſicht haben, und wenn wir
fuͤrchten, nicht, ohne doppelte Muͤhe der Lernenden,
im Lateiniſchen verſtanden zu werden.


§. 12.
An Wohlthaͤter verwaiſeter und armer
Kinder von guten Naturgaben.


Die Eltern, Vormuͤnder und Verwandte der
Penſioniſten legen zuweilen der Vollkom-
menheit der gemeinſchaftlichen Erziehung und Un-
terweiſung ſolche Hinderniſſe in den Weg, daß der
Werth der ganzen Anſtalt verringert wird, oder
verfaͤllt, wenn ein Penſionsweſen aͤuſſerliche Be-
E 3wegungs-
[70]An Wohlthaͤter
wegungsgruͤnde hat, wider ſeine eigne Einſicht zu
folgſam zu ſeyn. Ob uns alſo gleich Penſioniſten,
wobey dieſe Beſorgniß nicht Statt findet, ange-
nehm ſind, da wir gern, ſobald moͤglich, allen
Staͤnden vom hoͤchſten bis zum niedrigſten nuͤtzen,
beſonders weil nur dadurch das Seminar erwerben
kann, um ſich mit Aufwand zu vervollkommnen
und der Armuth beyzuſtehen: ſo laden wir doch
weit menſchenfreundlicher, und mit einer wohlthaͤ-
tigen Zudringlichkeit ein, edle und einſichtsvolle
Seelen, welche Wohlthaͤter der verlaßnen
Armuth und guter Naturgaben ſeyn koͤn-
nen und wollen, und eben dadurch die ge-
ſchwinde Ausbreitung eines verbeſſerten
Schulweſens
uͤber viele Gegenden und Laͤnder
auf die ſicherſte Art befoͤrdern werden.


Das Philanthropinum nimmt alſo arme
Kinder, von 11 bis 15 Jahren (bey beſondern Um-
ſtaͤnden auch wohl etwas juͤngere und aͤltere), die
nach ihrem Alter wohlgewachſen ſind; keinen merk-
lichen Fehler an den ſinnlichen Werkzeugen und den
Sprachgliedern haben, und an Naturgaben wenig-
ſtens etwas Vorzug vor der Mittelmaͤſſigkeit zu
haben ſcheinen. Unſre Abſicht iſt, dieſelben zu
erziehen, zu unterweiſen und zu uͤben, daß die
beſten mit der Zeit Paͤdagogen (das iſt, Lehrer in
vornehmen Haͤuſern und Schulen), die mittlern
Schulmeiſter auf dem Lande und in niedrigen Schu-
len, die ſchlechteſten aber gute Famulanten oder
ſolche Hausbediente in vornehmen Familien wer-
den, welche die Erziehung der herrſchaftlichen Kin-
der
[71]verwaiſeter und armer Kinder.
der nicht, wie gewoͤhnlich, erſchweren, ſondern
(als Bediente) befoͤrdern. Die erſten lernen eben
ſo viel (und wegen der mit der Zeit ihnen aufge-
tragnen Unteraufſicht und Unterweiſung Andrer
noch mehr) als die Penſioniſten; die mittelſten
werden ſo vernuͤnftige Halbgelehrte, daß ſie die
kuͤnftigen Bauren und Tagloͤhner werden nur ver-
nuͤnftig aber nicht halbgelehrt machen wollen. Und
die letzten werden doch auch gut leſen, leſerlich
ſchreiben, haͤuslich rechnen, mechaniſche Vortheile
kennen, auch zufaͤlliger Weiſe Franzoͤſiſch und La-
teiniſch verſtehn, und zur Noth ſprechen lernen;
inſonderheit aber in den Pflichten eines Menſchen
und Hausbedienten geuͤbet werden. Denn von
der Religion iſt oben geredet.


Wir rechnen fuͤr Kleidung, Unterhalt aller
Art und fuͤr Unterricht eines ſolchen armen Knaben
jaͤhrlich 80 Rthlr. in Hoffnung, daß, wenn wir
dem Philanthropinum zum Schaden gerechnet haben
ſollten, die Menſchenfreundſchaft vieler zerſtreuten
Edlen dieſe heilſame Stiftung mit noͤthigem Bey-
ſtande nicht verlaſſen werde.


Dieſe Wohlthaͤter, deren ſich hoffentlich viele
finden werden, koͤnnen alſo nach obgeſagter Be-
dingung allerdings auch die Kinder beſtimmen
und herſchaffen. Aber, da dieſes aus groſſer Ent-
fernung her, wenn keine Anzahl zuſammen da iſt,
oder wenn der Wohlthaͤter die Koſten der Reiſe
nicht aus beſondrer Urſache uͤbernehmen will, einige
Schwierigkeit hat: ſo verſprechen wir fuͤr jede dazu
beſtimmte 80 Rthlr. jaͤhrlich einen ſolchen armen
E 4Knaben
[72]An Wohlthaͤter
Knaben auf geſagte Weiſe zu halten, und die Kin-
der im Deſſauiſchen oder nahe gelegnen Landen aus-
ſuchen zulaſſen.


Es kann einer Landes-Herrſchaft einer
entfernten Nation, z. E. der Ruſſen, der
Polen, der Schweden,
ſonder Zweifel gut
ſcheinen, daß eine ſtarke Anzahl ihrer armen Kin-
der oder Juͤnglinge hergeſandt werde, und hernach
entweder als beſchriebene Hausbediente, oder (der
beſte Theil davon) als Paͤdagogen zuruͤckkommen,
und von der teutſchen und ihrer einlaͤndiſchen Voll-
kommenheit eine nuͤtzliche Miſchung mit ſich bringe
und an ihrem Orte verbreite. Solche Wohlthaͤter
des menſchlichen Geſchlechts und uͤberhaupt Fuͤrſten
bitten wir, die Penſion bis an 100 oder 125, oder
150 Rthlr. zu vergroͤſſern; beſonders weil die Knaben,
ſobald ſie zu Paͤdagogen beſtimmt werden, nicht mehr
die Kleidung und Nahrung der wohlgehaltnen
Armuth, ſondern eine beßre haben muͤſſen. Wohl-
feiler, als wir es vorſchlagen, kann kein Staat
den Verſuch machen, zur Vervollkommnung ſeines
Schulweſens ſich vieler in Teutſchland, und zwar
auf dem Philanthropinum, wohlunterrichteter und
wohlgeuͤbter Perſonen zu bedienen.


Wir koͤnnen aber nicht wohl vorausſetzen,
daß ein ſolcher armer Knabe vor dem 18ten, 19ten
oder 20ſten Jahre faͤhig ſey, auf dieſe Weiſe ohne
Huͤlfe des Seminars ſein Brod zu erwerben. Alſo
werden wir fuͤr die Hauptſumme der zu dieſem
Zwecke eingeſendeten Gelder uns niemals mit mehr
armen Knaben belaſtigen, als welche bis in dieſes
Alter
[73]verwaiſeter und armer Kinder.
Alter auf die geſagte Weiſe dafuͤr gehalten werden
koͤnnen, oder zu deren ſo lange fortzuſetzender Un-
terhaltung die Mittel entweder ſicher verſprochen
ſind, oder das Vermoͤgen des Philanthropinums
zureichen wird. Ueberhaupt kann vor der Erfah-
rung Vieles nicht ganz umſtaͤndlich feſtgeſetzt werden.


§. 13.
Einladung der Candidaten, zu paͤdago-
giſchen Vorleſungen und Uebungen.


Jch bin uͤberzeugt, daß ich von der moͤglichen
Schulverbeſſerung durch Erfahrung und
Nachdenken viele wahre Begriffe habe. Dieſe
werden, ſo viel mir bekannt iſt, mit einem drin-
genden Triebe, die Sache ſelbſt (auch auf die
muͤhſamſte Art) ins Werk zu ſetzen, ſonſt in Nie-
manden vereinigt gefunden. Da ich nun 50 Jahr
alt bin; ſo muß ich auf die ſicherſten und ſchleunig-
ſten Mittel denken, eine Menge von jungen
Maͤnnern zu bilden, welche theils als Hof-
meiſter, theils als Schullehrer, in Laͤn-
dern, wo man eine Schulverbeſſerung
meiner Art wuͤnſchen wird, die Werkzeuge
derſelben ſeyn koͤnnen und wollen.


Alſo lade ich ein zu Vorleſungen uͤber die
Paͤdagogie, welche am 1ſten May 1775 anfangen
ſollen, ſolche junge Maͤnner, welche ſich Lehrgabe
zutrauen, in den Sprachen und Schulſtudien auf
E 5gewoͤhn-
[74]Einladung der Candidaten
gewoͤhnliche Weiſe geuͤbt ſind, und ſich der Lebens-
art eines Hofmeiſters oder eines Schullehrers wid-
men wollen. Es gilt mir gleich, ob ſie ſchon auf
Univerſitaͤten geweſen ſind, oder nicht. Denn
Wiſſenſchaft, die zu dieſer ihrer Beſtimmung ge-
hoͤrt, wird hier gelernt, wenn ſie ihnen unbekannt
iſt, und (mit dem Anblick der hier uͤblichen Lehrart
und mit einiger Uebung im Vortrage) wiederholt,
wenn ſie ihnen ſchon bekannt ſeyn ſollte. Alles,
was in irgend einem Theile der Philoſophie wahr
und gemeinnuͤtzig iſt, wird hier ſehr ſorgfaͤltig ge-
lehrt; auch Mathematik und Naturkunde zur
Gnuͤge, und zwar bey dem Anblicke der Sachen und
phyſikaliſcher Verſuche. Kein geringer Vortheil
der Zuhoͤrer wird dieſer ſeyn, daß ich ſie unmittel-
bar zum Wahren und Gemeinnuͤtzigen fuͤhre, und
ſie vor dem dornichten Wege ſolcher ſpitzfindigen
Unterſuchungen warne, worauf nichts als Dornen
gefunden werden. Jch habe ſie leider gehen muͤſ-
ſen, weil ich einen ſolchen Anfuͤhrer nicht hatte.
Aber nun kann ich einen aufmerkſamen Zuhoͤrer,
ohne daß er meinem Anſehen traue, durch Gruͤnde
und Exempel in der Kuͤrze uͤberfuͤhren, daß er auf
jenem beſchwerlichen und oft auch gefaͤhrlichen Wege
nichts Gutes oder Brauchbares finden werde.
Mein Methodenbuch und das Elementar-
werk
wird das Buch ſeyn, das ich zum Grunde
lege. Jch werde die Herren Zuhoͤrer zugleich uͤben,
in einigen Lehrſtunden, die ſie ſelber geben, und
nach welchen ich ihr Verfahren hernach in der Ein-
ſamkeit beurtheile. Sie werden nach meinem
Rathe
[75]zu paͤdagogiſchen Vorleſungen.
Rathe auch Buͤcher leſen, damit ſie ſich uͤben, das-
jenige mit guter Wahl auszuſuchen, was zum Un-
terrichte der Jugend brauchbar iſt. Kurz, ſie ſol-
len mit Sachen, die zu ihrer kuͤnftigen Abſicht ge-
hoͤren, entweder in ihrer ganzen Zeit, oder ſo viel
beſchaͤftigt ſeyn, als ſie wollen. Fuͤr meine eigne
Lehrſtunden bedarf ich nichts zu nehmen, ſo lange
ich meine bisherigen Beſoldungen habe. Jch
werde ſie aber alleſammt in der lateiniſchen Sprache
halten, welche auch die uͤblichſte in unſerem Um-
gange und zufaͤlligen Geſpraͤchen ſeyn wird. Fuͤr
ihren Unterhalt koͤnnen ſie auf beliebige Art ſorgen,
als wozu hier in der Stadt Gelegenheit iſt. Nebſt
der Vermehrung ihrer Wiſſenſchaften und Uebun-
gen werden die Candidaten hoͤchſt wahrſcheinlich
auch dieſen Vortheil haben, daß ſie auf Empfeh-
lung des Philanthropinums, wenn ihre Tugend
und Geſchicklichkeit hier bekannt geworden iſt, den
Zugang zu den anſehnlichſten Hofmeiſterſtellen und
Schulaͤmtern finden. Dieſe Hoffnung wird ſchon
eine Erſetzung des maͤſſigen Aufwandes ſeyn,
welchen ſie hier ein oder zwey Jahr machen
muͤſſen.


Viele werden gar keiner fremden Huͤlfe dazu be-
duͤrfen. Dieſe muͤſſen dieſelbe auch nicht ſuchen, um
den wirklich Beduͤrfenden nicht vorzugreifen. Wer
aber auf eigne Unkoſten die Studienjahre nicht ver-
laͤngern kann, findet auf Erſuchen vielleicht Huͤlfe
bey einem beguͤterten Goͤnner, der den Werth un-
fers Vorhabens einſieht, oder bey derjenigen Fa-
milie
[76]Einladung der Candidaten, ⁊c.
milie und Regierung, die ihn hernach zur Erziehung
und zum Unterrichte gebrauchen will. Durch die
zugeſagte Gnade eines teutſchen Fuͤrſten bekomme
ich die Mittel in die Haͤnde, einigen Wenigen (aus
deſſen Landen) die ich zur Erfuͤllung der Abſicht fuͤr
vorzuͤglich geſchickt halte, oder die mir von kundi-
gen Freunden zuverlaͤſſig als ſolche empfohlen wer-
den, nach den Umſtaͤnden jaͤhrlich ein paͤdagogiſch
Stipendium von 50, 100 auch wohl 150 Rthlr.
zu reichen, wenn ſie auf Ehre und Gewiſſen ver-
ſichern, daß ſie zu einem aͤhnlichen oͤftern Gebrauche
deſſelben Geldes es dem Philanthropinum ſobald
erſetzen wollen, als ſie durch Gottes Segen ſo viel
Eigenthum uͤbrig haben werden. Dieſes ſollte
bey Darreichung aller Stipendien und Armengel-
der eine beſtaͤndige Gewohnheit ſeyn.


Wir erſuchen alſo die kundigen und
beguͤterten Menſchenfreunde,
oder diejenigen,
deren Rath bey Beguͤterten vermoͤgend iſt, die
Nutzung dieſer Vorleſung durch Wohlthaten an
die Unvermoͤgenden auszubreiten, und entweder
einigen paͤdagogiſchen Candidaten, die ihnen be-
kannt ſind, und herzukommen wuͤnſchen, den noͤ-
thigen Zuſchuß zur Reiſe und zu dem hieſigen Aufent-
halte zu reichen; oder Gelder herzuſchicken, deren
Capital oder Zinſe die hieſige Direction zur Bey-
huͤlfe an ſolche beduͤrfende Candidaten wird zu ge-
brauchen verpflichtet ſeyn.


§. 14.
[77]Von der Direction des ganzen ⁊c.

§. 14
Noch Etwas von der Direction, Ein-
richtung und Beglaubigung des
ganzen Weſens.


Wir haben denen, die fuͤr einen ſolchen Vor-
trag ein offnes Herz haben koͤnnen und wol-
len, zur Gnuͤge erwieſen, daß unſer angefangnes
Seminar nichts Ueberfluͤſſiges in der Welt ſey,
und daß es derſelben groſſe Dienſte leiſten koͤnne
und werde. Es iſt angefangen, es wird fortge-
ſetzt bis zur Ablegung einiger Proben, die zurei-
chend ſeyn werden, den Werth der Sache (wenn
die Vernunft ihn nicht ſchon voraus ſaͤhe) durch die
That zu erweiſen. Aber auf das Daſeyn oder
den Mangel des baldigen Beytritts der vermoͤ-
genden Menſchenfreunde wird es ankommen, ob
die Nutzung dieſer Sache koͤnne bald ausgebreitet,
ob das Vorhaben ſelbſt koͤnne vervollkommnet, und
ob die Gefahr koͤnne vermieden werden, daß durch
den Tod eines und des andern Mannes (oder
durch andre nicht gar groſſe Zufaͤlle) die Stiftung
mit der Zeit aufhoͤren muͤſſe, und fuͤr die Nachwelt
verloren ſey. Jch muß alſo diejenigen, die helfen
koͤnnen, um Beyſtand anflehen; und damit ich
dennoch meinen Leſern zwar ehrerbiethig, aber doch
gerade und zuverlaͤſſig ins Geſicht ſehen koͤnne, ſo
muß ich menſchenfreundlich und andringlich bitten,
einige Vorerinnerungen und Nachrichten ihrer Auf-
merkſamkeit zu wuͤrdigen.


1) Das
[78]Von der Direction

1) Das Philanthropinum iſt mit Hochfuͤrſt-
licher Bewilligung und unter dem Schutze der Ge-
ſetze, welche uͤber treue Verwaltung wachen werden,
uns zur treuen Hand anvertraut; es iſt nicht mein,
nicht irgend eines Andern Eigenthum, und kann
es auch nicht werden: ſondern es iſt, und bleibt,
ſo lange es von Gott durch Menſchen erhalten wird,
ein Fidei-Commiß der zerſtreuten Menſchen-
freunde
(oder derer, die gute Werke thun) anvertraut
der gegenwaͤrtigen und kuͤnftigen Direction, zur
Befoͤrderung moraliſcher Verbeſſerung, be-
ſonders des Schulweſens.


2) An der Aufnahme dieſer Stiftung arbeite
ich, als der erſte Fuͤrſorger (weil mich allergnaͤdigſt
und gnaͤdigſt beybehaltne Penſionen von des Koͤ-
nigs von Daͤnnemark Majeſtaͤt
und des
Fuͤrſten von Anhalt-Deſſau
Durchlaucht dazu
in den Stand geſetzt haben) auf alle mir moͤgliche
Art, lebenslang ohne die geringſte Beſoldung,
oder ohne irgend einen Genuß von dem Philan-
thropinum, auſſer daß meine Kinder beſſer unter-
richtet und erzogen werden Die Rechnungen
der Einnahme und Ausgabe werden ordentlich
gehalten, von einem Hochfuͤrſtlichen darzu be-
ſtellten Rath nachgeſehen, und in ihrem beglaubig-
ten Reſultate jaͤhrlich durch den Druck bekannt
gemacht. Die Treue, die dem Philanthropinum
ich ſelbſt und die kuͤnftige Direction ſchuldig ſind,
iſt eine eidliche Verpflichtung bey Ehre, bey Ge-
wiſſen, und bey buͤrgerlicher Strafe des Kirchen-
raubes.


3) Jhre
[79]des ganzen Weſens.

3) Jhre Hochfuͤrſtliche Durchlauch-
ten,
welche Sich des Philanthropinums landes-
vaͤterlich und menſchenfreundlich, als eines durch
Seine Regierung beſchuͤtzten Fidei-Commiſſes, an-
nehmen, haben der Stiftung zur Beglaubigung
ein oͤffentliches Siegel gnaͤdigſt zugeſtanden.


4) Die Direction iſt in den drey erſten
Jahren (mit dem Beyſtande des Herrn Wol-
ke) ein Werk meiner Treue und meines Gewiſ-
wiſſens; als des erſten Fuͤrſorgers, welches der
beſtaͤndige Name meiner Nachfolger ſeyn wird.
Doch bin ich der oben (No. 2.) geſagten rechts-
kraͤftigen Unterſuchung der Treue unterworfen.
Daß ich aber in den literariſchen und oeconomiſchen
Geſchaͤften mich des Rathes Vieler bedienen werde,
das iſt uͤberfluͤſſig zu ſagen.


5) Nach dieſen 3 Jahren ſetzen wir, mit Hoch-
fuͤrſtlicher Genehmigung, eine aus Gliedern beſte-
hende Direction, welche jedesmal aus den Haupt-
lehrern des Philanthropinums, und aus andern
Perſonen beſtehen wird, die alsdann erſt beſtimmt
werden koͤnnen. Jn dieſer Direction hat der Fuͤr-
ſorger nur bey gleichen Stimmen die Entſcheidung.
Daß aber Niemand in ſeiner eignen Sache ſtim-
men koͤnne, verſteht ſich von ſelbſt. Ueber Ver-
aͤnderung der Beſoldungen, uͤber jedes Recht zu
Einkuͤnften, uͤber jede Pflicht neuer Bemuͤhungen
kann der nicht votiren, deſſen Sache getrieben wird;
auch nicht der eine Lehrer uͤber ſolche Rechte und
Foderungen des Andern. Solche Dinge, die
nicht oft vorkommen, werden entſchieden nach Vor-
ſtellung des Verlangenden, und nach vorgeleſenem
und
[80]Von der Direction
und uͤberſendetem Gutachten des Fuͤrſorgers, von
vornehmen Patronen der Stiftung, die zum Pa-
tronate ſollen ehrerbietig eingeladen werden, und
davon 2 in Deſſau, und 4 an benachbarten Orten
wohnhaft ſeyn ſollen.


6) Nicht der Fuͤrſorger und nicht ein Lehrer
darf an ſeinem Privat-Tiſche Lernende, als Penſio-
nairs, halten. Kein Lehrer aber darf jaͤhrlich uͤber
ein Alphabeth drucken laſſen, wenn es nicht Arbei-
ten ſind, welche die Direction verabredet, und
welche dem Seminare gehoͤren, dem Verfaſſer als
Lehrſtunden angerechnet, und, wenn ſie uͤbermaͤſſig
muͤhſam ſind, beſonders vergolten werden.


7) Nicht der Fuͤrſorger, nicht ein Lehrer darf
fuͤr Geld Privatſtunden halten; von den Eltern,
Verwandten und Freunden der Zoͤglinge und Stu-
direnden Geſchenke verſchweigen; ſondern er muß
ſie in die Zulagencaſſe bringen. Denn dieſe Zu-
lagencaſſe wird jaͤhrlich unter alle, welche als Leh-
rer berufen ſind, nach der Proportion der feſtſtehen-
den Beſoldung, doch ſo getheilt, daß der, dem
geſchenkt iſt, vor der Theilung das Vierthel hat.
Solchergeſtalt iſt Jedem daran gelegen, daß Jeder
beliebt werde und bleibe.


8) Herr Wolke, der dazu die beſte Ge-
legenheit hat, haͤlt, bis weiter, die Haushaltung
mit den Penſionairs und Famulanten, doch fuͤr
Rechnung des Seminars. Jhm ſey beſtimmt
jaͤhrlich anfangs 400 Rthlr. ferner in jedem Jahre
100 Rthlr. Zulage, bis an 700 Rthlr. jaͤhrliche
Beſoldung, den andern Hauptlehrern anfangs
400 Rthlr. und 50 Rthlr. jaͤhrliche Zulage bis an
600
[81]des ganzen Weſens.
600 Rthlr. jaͤhrliche Beſoldung, das Einkommen
aus der Zulagencaſſe ungerechnet. (*)


§. 15.
Beduͤrfniſſe und Bitten fuͤr das Phi-
lanthropinum.


Nun dieſes ſind die Vorerinnerungen, auf wel-
che ich mir die Aufmerkſamkeit meiner Leſer
ehrerbietig erbeten haben.


Unſre in kurzer Zeit dringend werdende Beduͤrf-
niſſe ſind nach einem vorgaͤngigen Ueberſchlage:


  • Geraͤth, gleich anfangs anzuſchaffen fuͤr be-
    guͤterte Penſioniſten und fuͤr arme Famu-
    lanten — — — 2000 Thlr.
  • Ein Theil des Gebaͤudes zum Anfange
    bey Verbreitung der Sache fuͤr Penſi-
    oniſten und Famulanten (denn bis da-
    hin wird nach Beduͤrfniß gemiethet) 15000 —
  • Lehrmittel, als ein geraͤumig Feld und
    Landhaus; phyſikaliſche Werkzeuge,
    Modelle, Kupferſtiche, Buͤcher, Rei-
    ſen und mißlingende Wahl der Lehrer
    zum Anfange — — 3000 —
  • Die Hauptlehrer, der Secretair, die
    Gehuͤlfen der Lehrer, im erſten Jahre,
    da noch kein Zufluß der bezahlenden
    Lernenden iſt — — 1500 —
  • Unvermuthet im erſten Jahre etwa 500 —
    22000 Thlr.

Wenn
[82]Beduͤrfniſſe und Bitten

Wenn die unerforſchliche Vorſehung Gottes
zu dem Werthe unſers Vorhabens und zu der Rei-
nigkeit unſrer Herzen und Haͤnde bey Monarchen,
Fuͤrſten, moraliſchen Geſellſchaften und ihren Rath-
gebern; ferner bey ſehr Beguͤterten, oder bey
minder Beguͤterten aber mehr Wohlthaͤtigern, nicht
vor dem Julius ſo viel Vertrauen erweckt, daß der
Anfang NB.der Ausbreitung der Sache
durch milde Beyſteuer dieſer 22000 Rthlr. erleich-
tert iſt; oder wenn die Anzahl der alsdann gekomm-
nen Penſioniſten nicht ſo groß iſt, daß man mit
Vernunft das Seminar auf wahrſcheinliche Hoff-
nung in Schulden ſetzen darf und kann: ſo bleibt
zwar das Philanthropinum, aber wird aus Noth
ſo eingeſchraͤnkt, als die eingelaufene Beyſteuer
und das Maaß der ſichern Hoffnung erfodert. Z. E.


1) Jch halte in jedem Falle die (§. 13.) ver-
ſprochnen Vorleſungen; 2) So kann ich auf keine
zuſammenhaͤngende Wohnung des Seminars den-
ken; ſondern muß mich mit Miethen verſchiedner
Haͤuſer behelfen, welches fuͤr die Lehrenden und
Lernenden beſchwerlich iſt; 3) Alsdann muß ich
vielleicht einige Hauptlehrer mit jungen Candida-
ten
(*)
[83]fuͤr das Philanthropinum.
ten vertauſchen, das iſt, ich kann jene nicht anneh-
men. Denn der erſte Anfang kann mit ſolchen ge-
macht werden, die ſchon hier ſind oder in 14 Tagen
kommen. 4) Das Seminar kann ſich alsdann
nicht mit mehr Famulanten (§. 12.) beſchweren,
oder muß ihre Ausbildung zu Schulmaͤnnern ſo
einſchraͤnken, daß die Koſten des Ueberſchuſſes uͤber
den Empfang das Vermoͤgen des Seminars nicht
uͤberſteigen. Jch ſchweige von andern kleinen Ein-
ſchraͤnkungen. Aber auch in ſolchem Nothfalle
wird auf Gewiſſen und rechtskraͤftig verſprochen,
daß | kein Theil der wirklich geſendeten Beyhuͤlfe
zu Jemandes Privat-Nutzen gebraucht werde, ſon-
dern dem Philanthropinum als ein Fidei-Commiß
zur Schulverbeſſerung bleiben ſolle, zu deſſen wei-
ſer Anwendung viele gemeinnuͤtzige Arten moͤglich
ſind.


Uebrigens hoffen wir auf unſer teutſches Va-
terland.... auf die Theilnehmung entfernter Voͤl-
ker, denen dieſe Nachricht bekannt wird, und die
unter wahrhaftig landesvaͤterlicher oder landesmuͤt-
terlicher Regierung ſtehen.... auf Geſellſchaften,
die, um Menſchenliebe auszubreiten, geſtiftet zu
ſeyn ſcheinen.... auf unſern Hochfuͤrſtlichen Lan-
desvater ſelbſt, und auf goͤttlichen Segen zur
Verbeſſerung der Landesumſtaͤnde.


Die Wohlthaten, die dem Philanthropinum
(auſſer meiner eignen Verſorgung) ſchon wieder-
fahren ſind, ſind folgende.


F 2Erſtlich
[84]Beduͤrfniſſe und Bitten ⁊c.
  • Erſtlich Seine Hochfuͤrſtliche Durch-
    lauchten,
    der Landesvater, halten 16 Famu-
    lanten, (§. 12).
  • Der Domherr des Hochſtifts Halberſtadt,
    Herr von Rochau, auf Rekahn, haͤlt 2 derſelben.
  • Eben derſelbe ſchenkt ein Naturaliencabi-
    net, zum Unterrichte in Sachen und Sprachen.
  • Herr (T. T.) Uffert, aus Hannover, eben-
    falls ein Conchiliencabinet zu gleichem Gebrauche.
  • Herr Apotheker Chriſtiani, aus Kiel, ein
    ſchoͤnes Herbarium vivum.
  • Herr Lieutenant von Randel, in Deſſau, einen
    groſſen Concavſpiegel.

Unſre Addreſſe iſt: an das Philanthro-
pinum
in Deſſau. Vorgaͤngige Nachforſchung
nach uns kann an vielen Orten (nach §. 5. 7) ge-
ſchehen.


§. 16.
Zum Schluß.


Wir wollen noch mit einigen Betrach-
tungen ſchlieſſen,
welche ſehr zu der vor-
geſtellten Sache gehoͤren.


Weder neue noch alte Schulſtiftungen koͤnnen
zur moͤglichen Vollkommenheit gelangen, wenn
man, ohne einige Jahre hindurch Verſuche des
Beſſern anſtatt des Guten zu machen, in Ueber-
eilung feſtſtehende Lehrformen und Statuten bekannt
machet, die von den theuren Vorfahren auf die
Nach-
[85]Zum Schluß.
Nachkommen fortdauren.... Einem jeden Lehrer
und Auffeher muß es durch die Einrichtung vortheil-
haft gemacht werden, erſtlich, daß die Stiftung
bluͤhe, zweytens daß ein jeder andrer Lehrer und jede
Wiſſenſchaft, die gelehrt wird, im guten Rufe
ſtehe.... Wenn ein Fuͤrſorger, Lehrer oder Auf-
ſeher gewaͤhlt werden muß; ſo muß es einem jeden
Waͤhlenden ſchaͤdlich ſeyn, wenn uͤbel, oder nuͤtz-
licher, wenn gut und beſſer gewaͤhlt iſt. Die Mi-
niſter und die Collegien, die an Ehre und Geld
nichts verlieren und nichts Betraͤchtliches gewin-
nen (die Stiftung mag ſteigen oder ſinken), koͤn-
nen nicht wohl die Waͤhlenden ſeyn.


Wir werden alle dieſe Regeln beobachten,
die faſt niemals bedacht, geſchweige denn beobachtet
ſind. Auch darauf gruͤnden wir zum Theil die
Hoffnung von einem vorzuͤglich guten Erfolge.


Vornehmlich aber auf verborgne Huͤlfsmittel,
die Gott, wahrſcheinlicher Weiſe, beſchloſſen hat.
O Gott, du Vater der Menſchen, der du die
nur gar zu oft mit unnuͤtzer Arbeit gequaͤlte
und zum wahren Guten nicht unterrichtete Jugend
zum vorzuͤglichen Vergnuͤgen und zur taͤglichen
Fortſchreitung in der Tugend und Zufriedenheit
geſchaffen und beſtimmt haſt; du weißt es, wie
wir das Verderben unſerer Zeit bedauren, und wie
wir uns ihm nach Moͤglichkeit zu ſteuren aufopfern
wollen, damit der von dir erſchaffnen Natur ge-
maͤß gehandelt, und deinem dadurch geoffenbarten
Gebote in der Erziehung kuͤnftig mehr gehorchet
werde. Die Erndte iſt groß. Aber es fehlt an
F 3zu-
[86]Zum Schluß.
zureichender Zahl der Schnitter, am Werkzeuge
und Vermoͤgen. Erwecke unter allen deinen Ver-
ehrern, unter Chriſten, Nichtchriſten und Zweiflern,
edle, wohlthaͤtige, menſchenfreundliche und nach
wahrer und ewiger Ehre begierige Seelen, daß
ſie durch einen Theil ihrer Guͤter, ihres jaͤhrli-
chen Einkommens oder ihrer kuͤnftigen Verlaſſen-
ſchaft, uns helfen, eine Anſtalt, die das Gluͤck
der ganzen Nachwelt befoͤrdert, feſt zu gruͤnden,
zu vervollkommnen, zu erweitern und zu einer
reichhaltigen Quelle aͤhnlicher Stiftungen an an-
dern Orten zu machen! Du kennſt die Lauterkeit
unſerer Abſicht, die Enthaltſamkeit unſers Her-
zens von dem, was deine Nachahmer zum allge-
meinen Beſten beytragen werden, und die Rei-
nigkeit unſrer Haͤnde von fremden Gute. Mache
den, der das menſchenfreundliche groſſe Werk
durch Eigennutz, oder durch Untreue,
ſie
ſey klein oder groß, verhindert, bald durch
Offenbarung ſeines Bubenſtuͤckes zum
Scheuſale der beſſern Menſchen!
Und gieb
unſerm Landesvater den Sinn der Strenge,
Alle, die an der Verwaltung dieſes oͤffentlichen We-
ſens kuͤnftig Theil nehmen werden, fuͤr das ge-
ringſte, auch fuͤr ein bey Verwaltung oͤffentli-
cher Guͤter ſonſt gewoͤhnliches, Verbrechen der Un-
treue, wie Boͤſewichter und Kirchenraͤuber, nicht
an Geld und |Guͤtern, ſondern mit Schimpf und
Schande und mit Schmerzen zu ſtrafen. So
wuͤnſche und erbitte ich den Fluch dieſes Lebens uͤber
den, der dieſem Seminar angehoͤren und ſich den-
noch
[87]Zum Schluß.
noch geluͤſten laſſen wird, ſich einen Genuß anzu-
maßen, der nicht bekannt werden darf, und noch
minder von dem Gewiſſen gebilliget wird. Erhoͤre
mich, Gott, du Allmaͤchtiger und Allwiſſender!
Sende treue Diener in deine Erndte. Sie kann
groß werden.


Jſt ein Gebet etwas Fremdes in dieſer
Schrift, ihr meine Leſer? Diejenigen, die unter
euch zuverlaͤſſig und ohne Zweifel ſo urtheilen, ſind
nicht meine Hoffnung. Behaltet, was ihr habt.
Wendet es auf Schmauſen, Pracht, Wolluͤſte,
Opern, uͤberfluͤſſige Gebaͤude; oder auf entbehr-
liche Vermehrung der Bataillonen von Geſchwind-
toͤdtern, oder auf Alles, worauf ihr wollt; oder
legt es ſchichtweiſe in eiſerne Kaſten unter eurem
Lager, und verſucht, ob es ſich zur Vermehrung
des Ganzen ausbruͤten laſſe. Die beſſern Leſer
kann ich verſichern, daß, ob ich gleich faſt von
Jugend auf ein Weſen, wie das Philanthropinum,
im Sinne gehabt habe, und oftmals nahe bey dem
Anfange des Werkes geweſen bin (welches in
Hollſtein, in Daͤnnemark und bey Hamburg be-
kannt iſt, und aus allen meinen Schriften erhellt),
daß ich dennoch, ſage ich, jetzund vor dem endlichen
Entſchluſſe, auf dieſer Laufbahn lebenslang zu blei-
ben, wegen der Rauhigkeit und der Dornen mei-
nes Weges zum letztenmale lange in Aengſten
und Zweifel geweſen ſey, und daß nichts, als
meine vor Gottes Augen gepruͤfte Pflicht, auf mei-
nem 51ſten Gebuhrtstage mich endlich beſtimmt
habe (ohne Vorzug, es ſey wo es wolle, im ſehr
F 4Klei-
[88]Zum Schluß.
Kleinen, im Mittelmaͤſſigen oder im Groſſen,
mit gaͤnzlicher Aufopferung des erworbnen klei-
nen Vermoͤgens (wenns noͤthig iſt) die Hand
an die Wirklichkeit des Werkes zu legen; und den
Reſt meiner Tage (ſo freywillig, als irgend ein
Menſch, und doch bekuͤmmert uͤber meine Schwach-
heit) einem Joche zu unterwerfen, dem ich mich
niemals werde entziehen koͤnnen.


Jch hatte laͤngſt beſtimmt, nach meinem
51ſten Geburtstage noch mehr, als ſchon ge-
ſchehen war, die unnoͤthige und kleinmuͤthige Men-
ſchenſcheu abzulegen, es in meinen Reden und
Schriften offenbar zu zeigen; aus Furcht vor dem
Verluſte dieſer oder jener Gnade eines Groſſen
keine gemeinnuͤtzige Handlung zu unterlaſſen, oder
aufzuſchieben, ſondern meinen wankenden Entſchlieſ-
ſungen durch vernuͤnftige Ueberlegung des Beſſern,
(oder bey dem Scheine der Gleichguͤltigkeit) durchs
Loos ein Ende zu machen. Jch erhob mein Herz zu
Gott, und was ich dachte, wuͤnſchte und beſchloß,
ſchrieb ich zu beſtaͤndigen Erinnerungen fuͤr mich
ſelbſt, fuͤr meine Freunde, und fuͤr ſolche Leſer,
die es im gewiſſen Grade wegen der Gemeinſchaft-
lichkeit der Abſichten ſeyn koͤnnen. Meine Seele
aber dachte folgender Maſſen.


Du Schoͤpfer Himmels und der Erden! Va-
ter der Menſchen! Vater der Menſchen! Du Gnaͤ-
digſter! Du Beſter! — Du lenkſt die Natur,
Du regierſt die Seelen! — Und nur, was Du
willſt, erfolgt in beyden! Auch wenn Du nicht
Wunder
[89]Zum Schluß.
Wunder wirkſt, iſt Dein Thun wunderbar dem
Erfahrnen und Redlichen, der drauf merkt.


Jch war ein Kind, ein Juͤngling und ein
Mann. Jetzt ſink ich ins Alter! An dem Rande
meines nicht mehr gefuͤrchteten Grabes ſeh ich zu-
ruͤck auf den Weg, den Du mich fuͤhrteſt! —
Und nun bet ich dankbar Dich an!


Du haſt Groſſes an mir gethan. Das Leben
meiner Kindheit verpflanzteſt Du auf einen Acker
voll Unkrauts und Dornen. Und dennoch erhiel-
teſt Du den Saamen des Guten, zwar verzoͤgert,
aber nicht getoͤdtet. Denn Du erſchufſt ihn zum
ſpaͤtern Gutesthun. Du haſt Groſſes an mir ge-
than, an mir, dem ehemals troſtloſen Zweifler,
und dem wankenden Halbchriſten; an mir, da
ich fuͤr meine langſam glaubende Seele Wahrheit
ſuchen mußte auf ungebahnten Wegen! Wie oft
an beyden Seiten Abgrund und Tod! wie oft!
O Du Retter! Viele ſtuͤrzten ins troſtloſe Dun-
kel. Jch gieng den Weg der Daͤmmerung zum
Lichte.


Du ſchuͤtzteſt mich, mein himmliſcher Va-
ter, mich, den Bekenner meines Glaubens, wel-
chen (ſo dacht ich) Tauſende mit Nutzen erfah-
ren und pruͤfen. Der Widerſacher drohte, der
Freund weiſſagte mir nur Verachtung und Elend,
weil ich ungehorſam bin den menſchlichen hierar-
chiſchen Geſetzen, welche nicht Du gabſt und nicht
Dein Sohn! Doch bin ich nicht elend unter den
Mitbuͤrgern der Welt, welche, was ich that und
thun will, erforſchen. Wirſt Du winken; ſo bin
ich
[90]Zum Schluß.
ich Nichts. Auch dieſer Wink wuͤrde Weisheit und
Gnade ſeyn, zwar unbegreiflich, aber doch Gnade
und Weisheit.


Noch erhaͤltſt du mich in Kraft und in That,
leidend oder gluͤcklich, zum Vortheile Vieler. Und,
o mein Vater, waͤr es auch ein Einziger nur!


Vielleicht ſind meiner hieſigen Tage noch
einige vorgezaͤhlt. Lehre mich thun, mein Vater,
nach Deinem Wohlgefallen. Denn an Dir haͤngt
meine Seele! Soll ich Pflanzoͤrter bearbeiten, daß
fuͤr die Jugend und Nachwelt Einſicht, Tugend
und Zufriedenheit aufwachſe? Ach, ſende ſtaͤrkre
Arbeiter auf dieſen von Natur fruchtbaren, aber
durch Menſchenkunſt verdorbnen Acker. Jch bin
zu ſchwach dem groſſen Werke! ſende Staͤrkre, nicht
mich! Du zaͤhlteſt die durchgewachten Naͤchte,
die Thraͤnen meines Kummers; Du wogſt die Ge-
duld meiner ermattenden Jahre, und die Laſt, un-
ter welcher ich oft ſink und falle! Und noch iſt
kein Helfer, der mittraͤgt!


Die Maͤchtigen unter dem Volke fragen nur
nach Gold und Macht, nach Glanz und huͤpfenden
Freuden. Unter ihnen zaͤhleſt Du der Kenner
der menſchlichen Wohlfahrt, und ihrer eifrigen
Freunde, nur Wenig. Einen Einzigen hatteſt Du
meinen Wuͤnſchen fuͤr die Nachwelt erweckt. Er
wollte. Da machte Dein Verhaͤngniß dem Edlen
die That zu ſchwer.


Und die Kirche wahrer Chriſten? Du, mein
Gott, weißt, wo die Glieder ſind! Du zaͤhleſt
ſie in dem ſichtbaren Haufen, wie unter dem Sande
des
[91]Zum Schluß.
des Ufers den Goldſtaub. Und was iſt das Uebrige?
Nur Sand!


Sende fuͤr mich einen andern Deiner Knechte,
der ſich durch zahlreiche und laut rufende Freunde
zu ſtaͤrken weis. Die meinigen (o Gott, ich danke
Dir, daß Du mir ſie gabſt) haben doch Verſu-
chung zur Nachſicht fuͤr das ſich leicht aͤrgernde
Volk, welches nie belehrt wird, ſich nicht zu aͤr-
gern am Ungewohnten, das unſchuldig iſt, oder
gut.


Rufſt Du aber mich ferner in den Pflanzort
der Einſicht und Tugend, durch Dein Verhaͤngniß
und durch das Urtheil meines Gewiſſens: ſo ruͤſte
mich aus mit der etwa guten Zuruͤckhaltungskraft
meines Zeugniſſes fuͤr misfaͤllige Wahrheit. Aber
kaum kann ich ausſprechen, was ich bitt und
wuͤnſche. Du verſtehſt die unausſprechliche Rede
des Herzens, mein Herr und mein Gott! Lehre
mich thun nach der Nothpflicht, aus welcher (ſo
denk ich) viele wahre Chriſten ſchweigen, was ich
bisher ſchweigen nicht konnte. Auch ſie ſind For-
ſcher und Kenner der Wahrheit. Auch ihr Herz
liebt Dich, mein Vater, und die Wohlfahrt der
Bruͤder! Oeffne mir die Augen, daß ich ſehe ſol-
cher Exempel mir bisher verborgne Ruhmwuͤrdig-
keit vor Dir! Mache mich folgſam dem Rathe
der Beſten.... Ach zur Linken, zur Rechten
wank ich! Wo iſt der gebahntere Weg zum erbau-
lichen Leben, und zum nuͤtzlichen Wirken oder
Ruhn? zur Weisheit des Chriſten in meinem Zu-
ſtande? Lehre mich thun nach Deinem Wohlge-
fallen
[92]Zum Schluß.
fallen, mein Gott, mein Vater! Winke, ſo
folg ich.


Nach dieſem Gebete gab mir die Vernunft
und Erkenntniß des Beſten folgende Einſprache:
Ertraͤgſt du nicht das Verderben vieler Men-
ſchen mehrentheils zufriedner, als ſonſt, wenn
du von Geſchaͤften zu Geſchaͤften fortſchreiteſt?
zu noͤthig ſcheinenden Thaten fuͤr den Theil des
Menſchengeſchlechts, worauf du wirken kannſt?
Von einer guten Abſicht eines weiten Umfanges zu
andern? zu ſchwerer Ausfuͤhrung der Wuͤnſche
der Redlichen, die zur ſtarken Bewegung ihres
Geiſtes nicht geſchaffen ſind. Frage nicht, war-
um du der Einzige und der Anfaͤnger ſeyn ſolleſt.
Tauſende ſind vielleicht faͤhiger! Aber ſie gehn nicht,
wenn du nicht zuerſt die dornichten Pfade durch brichſt.
Erkenne deinen Beruf, den einzigen Beruf Got-
tes zu dieſen Zeiten, das Beduͤrfniß der Welt;
die an Arbeitern ledige Stelle, wo Arbeit geſchehn
ſollte; ſtarken Wunſch in dir, daß irgend Einer
die erſte Hand anlegen und Mitarbeiter zur Nach-
ahmung reizen moͤchte; Gefuͤhl von Etwas Kraft,
von mehr Kraft, als ſelbſt deine Freunde ſich vor-
ſtellen; Erfahrung, daß Gott dir Schweres, was
keine Seele dachte, gelingen laͤßt. Einen ent-
ſcheidendern Beruf Gottes mag dir irgend ein
Menſch zeigen. Gehorche, glaube ſtark, und taͤg-
lich ſtaͤrker. Du kennſt die Pflicht des Glaubens
und die Wirkung … So ward der unwiderrufliche
Vorſatz, an einem Philanthropinum zu arbeiten!



[93]

Nachſchrift.



Welcher wuͤnſcht, daß das Philanthropinum ſich
bis zu einem gemeinnuͤtzigen Umfange gleich
anfangs ausbreiten koͤnne, und, welcher uͤberlegt, ob
ſein wohlthaͤtiges Herz mit gutem Erfolge zur Ver-
vollkommnung unſers Vorhabens Etwas beytragen
wuͤrde; dieſen bitten wir, nicht zu zweifeln, daß
auſſer ihm ſelbſt mehr Kenner und Thaͤter des Gu-
ten da ſind, die eben dieſes wuͤnſchen und uͤberlegen.
Und wenn dieſer Zweifel, welcher unbekannte Bruͤ-
der gewiſſermaſſen beleidigt, wegfallen muß; ſo iſt
die erwaͤhnte Ueberlegung eines Jeden ſchon zum
Vortheile unſrer menſchenfreundlichen Stiftung ge-
endigt; ſo thut er, was ſein Herz ihm ſagt, und denkt
getroſt: eben dieſes werden auch Andre thun.
Unſer Plan iſt vor dieſer Nachſchrift nur Wenigen
gezeigt, und hat (auſſer der Abrede wegen verſchied-
ner Penſioniſten) ſchon ſo viel gewirkt, daß ich be-
ſchaͤmt ſeyn wuͤrde, wenn ich gezweifelt haͤtte.


Wir bitten aber aus dringenden Urſachen,
eine jede eingeſendete Wohlthat durch den wahren
oder gewaͤhlten Namen des Urhebers, auch die
Perſon, der die Quitung eingehaͤndigt werden ſoll,
ausdruͤcklich und entſcheidend zu bezeichnen. Der
Wohlthaͤter mag, wenn es ſeine Abſicht erfodert,
unbekannt bleiben wollen. Aber des Philanthro-
pinums Verwaltung muß ſich jederzeit rechtferti-
gen koͤnnen, und allen Unterſchleif nach Moͤglich-
keit erſchweren.


Es
[94]

Es iſt aber ein in der Natur gegruͤndeter Ge-
brauch, daß Dinge, die das Publicum betreffen,
ihren Anfang mit einiger Feyerlichkeit nehmen.
Des Philanthropinums Einweihung muß zwar,
wegen Bequemlichkeit der Witterung bis in den
Sommer verſchoben werden; aber am 27ſten Dec.
dieſes Jahrs wird eine kleinere und faſt bloß haͤus-
liche Feyerlichkeit ſeyn, die man mit der Legung
des Grundſteines vergleichen mag. Dieſer Tag
iſt den Deſſauiſchen Anhaltinern ohnedies ein Tag
der Freude, weil er ſie erinnert, daß mit den Jah-
ren ihres Erbprinzen die Hoffnung waͤchſt:
Er werde einſt, wie jetzund Franz, Sein
und des Landes Vater,
geliebt werden.


An ſolchen Tagen ſoll ja die Vorſehung Got-
tes und die Abhaͤngigkeit der Menſchen, den Geiſt
und das Herz am meiſten beſchaͤftigen. Der ge-
woͤhnliche Ambroſiſche Lobgeſang, und neuere Nach-
ahmungen deſſelben, enthalten ſo viel Erbauliches
von andrer Art, daß ſie nur in wenigen Zeilen ein
Lobgeſang der Vorſehung ſind, und ſich zu den mei-
ſten Feyerlichkeiten, wobey ſie abgeſungen werden,
nicht ſchicken. Weil nun der Bogen zufaͤlliger
Weiſe ein lediges Blatt hat; ſo will ich den Jn-
halt
hinſetzen, welchen ein zu allen Faͤllen brauch-
barer, und allen Anbetern der Gottheit gemein-
ſchaftlicher, Lobgeſang meines Erachtens, haben
muͤßte. Es iſt nur der Jnhalt. Das Hymni-
ſche
muͤßte ihm ein Klopſtock, Wieland, Cramer
oder Lavater geben.


Herr
[95]
Herr Gott! dich loben wir!

Herr Gott! wir danken dir:

Du liebteſt uns von Ewigkeit;

Drum ſchufeſt du das Werk der Zeit.

Die ganze Welt voll Seelen preiſt

Dich, Gott, den liebevollen Geiſt.

Jhr zahllos und unſterblich Heer

Toͤnt hocherfreut zu deiner Ehr:

Heilig iſt unſer Gott!

Gnaͤdig iſt unſer Gott!

Vater iſt unſer Gott!

Der weiſe ſtarke Gott!

Aus deiner vaͤterlichen Hand

Fließt Wohl und Weh auf jedes Land!

Du ſchriebeſt in des Schickſals Buch

Der Freuden viel, der Leiden gnug!

Du theilſt die bruͤdervolle Welt

Den Fuͤrſten ſo, wie dirs gefaͤllt!

Es ſteht nicht wider deinen Rath

Des Starken Macht, des Kuͤhnen That!

Vernunft und Bloͤdſinn miſſeſt du

Den Voͤlkern und den Zeiten zu!

Du unaufhaltbar gehſt die Bahn

Des Lichts und Rechts, die wir nicht ſahn!

Du gabſt dem Uebel Maaß und Ziel

Und ſendeſt froher Tage viel!

Heut, heut haſt du uns hoch erfreut,

Du Vater der Barmherzigkeit,

Wir, und der frohen Bruͤder mehr,

Wir ſingen dankbar deiner Ehr!
Das
[96]
Das Flehen unſrer Zuverſicht

Verwarfſt du, Gott und Vater, nicht!

Entzuͤckt, daß du uns ewig liebſt,

Des Gluͤckes froh, das du uns giebſt,

Gedenken wir auf Erden dein,

Daß wir auch ſterbend uns erfreun.

Verbind, o Gott, durch Lieb und Recht

Der Menſchen bruͤderlich Geſchlecht!

Wird ſtolz und lieblos unſer Herz

So nimm uns Freud und gieb uns Schmerz!

Jn Tugend und Gerechtigkeit

Gieb jedem Volk Zufriedenheit!

Der Weltkrais iſt dein Eigenthum,

Jhn fuͤlle ganz, o Gott, dein Ruhm!

Auch wenn du uns durch Truͤbſal beugſt,

Auch wenn du unſern Wuͤnſchen ſchweigſt;

So beten wir die Gottheit an,

Die auch durch Uebel ſegnen kann.

Nun aber, Vater, ſtroͤmeſt du

Uns ſtarke Freuden reichlich zu!

O Vater, Gott, dich loben wir,

O Vater, Gott, wir danken Dir!


[][]
Notes
(*)
Die Meiſten wiſſen Etwas von der Ritteracade-
mie Soroe in Seeland, von dem Joachimstha-
liſchen
Gymnaſium in Berlin, und von dem
Kloſterbergen in Magdeburg.
(*)
Dieſer mein Herzensfreund hat ein ganz ander
Glaubensbekenntniß, als das meinige. Er baut
ganz anders auf dem einzigen goͤttlichen Grunde,
welcher verſchiedene Gebaͤude der Menſchen traͤgt.
Aber ſo, als wir, kennen und lieben ſich Wenige.
Wir wollens verſuchen, ob wir, zur Vermehrung
unſrer
(*)
unſrer Freuden und zum Vortheile des Publicums,
einig werden koͤnnen durch freundſchaftliche Gegen-
reden in gedruckten Briefen uͤber den Weg und
das Ziel des heilſamen oder wahren Glaubens,

d. i. der Religion. Der Druck wird uns mehr Theil-
nehmer und Vermittler ſchaffen.
(*)
Die Fuͤrſten geruhen unſre Vermuthung gnaͤdigſt
zu verzeihen, daß etwa nach 5 oder 6 Jahren wird
eingeſehen werden, eine gute Erziehung und Unter-
weiſung (bey ſonſt gleichen Umſtaͤnden) ſey deſto
ſchwerer, je mehr der Ort einem Hofe gleichet. Je
weiter ein Menſch oder eine Familie den unter Men-
ſchen nicht natuͤrlichen Unterſchied treiben will oder
treiben muß; deſto ſchwerer iſt Einſicht, Tugend
und Gluͤckſeligkeit.
(*)
Diejenigen, welche es wiſſen, daß ich ſeit einem
Paar Jahren anſehnliche Berufe zur Anlegung und
Oberverwaltung einer Ritteracademie und eines aca-
demiſchen Gymnaſiums, wobey die aͤuſſerlichen Um-
ſtaͤnde hoͤchſt angenehm waren, ausgeſchlagen habe,
koͤnnten ſich wundern, warum ich mich lieber auf Le-
benslang in ein Labyrinth von Arbeit und Sorgen,
und in die Gefahr ſetze, ein erworbnes (obgleich
kleines) Vermoͤgen zu verlieren. Jhnen kann ich
antworten: Erſtlich, was man in jenen Antraͤgen
von
(*)
von mir verlangte, war kein gaͤnzlicher Grundbau
zur Verbeſſerung des Unterrichtes und des Schul-
weſens, ſondern nur eine Vervielfachung ſolcher
Dinge, die ſchon da ſind, und nach meinem Urtheile
groſſe Fehler in ihrer Grundverfaſſung haben, welche
nebſt dem gewoͤhnlichen Namen ſollte beybehalten
werden. Zweytens, damals war meine ſchriftſtelle-
riſche dringende Arbeit am Elementarwerke nicht voll-
endet, und die Verlegung des Wohnſitzes meiner Fa-
milie an entfernte Orte, haͤtte mich auf eine lange
Zeit in aller Arbeit geſtoͤret. Endlich, ob ich gleich
bereit bin, wenn das Publicum der Edlen mir nicht
Theilweiſe dieſe Laſt abnimmt, das erworbne kleine
Vermoͤgen nach meinem laͤngſt gefaßten Vorſatze der
Familie zu entziehen: ſo iſt es doch nicht wahrſchein-
lich, daß es geſchehe, inſonderheit weil das Publi-
cum der Kenner und Freunde, ehe dieſe Schrift zu
Ende geleſen iſt, erfahren wird, daß ich dieſe Ge-
fahr uͤbernehme, bloß der Sache wegen, und nicht
um der Moͤglichkeit willen, durch ihr aͤuſſerliches wahr-
ſcheinliche Gluͤck meine Umſtaͤnde (die gut genug fuͤr
die Wuͤnſche eines zufriednen Herzens ſind) zu ver-
beſſern.
(*)
Es werden allerdings viele Freunde meines Vor-
habens wuͤnſchen, daß ich zu einer ſolchen Zeit, da
ich das Philanthropinum ſtiften wollte, das natuͤr-
licher Weiſe einigen intoleranten Kirchenfreunden
mißfaͤllige, und auch von andern fuͤr irrig gehal-
tene Vermaͤchtniß fuͤr die Gewiſſen nicht moͤchte
geſchrieben und bekannt gemacht haben. Aber,
meine Freunde, bin ich den bloß ein Menſch, ein
Kenner der Philoſophie, und kein Chriſt? Habe
ich als ein Chriſt keine Pflichten, wenn ich durch
Schreiben lehren kann, als worzu ich keinen beſon-
dern Beruf aufweiſen darf? Habe ich nicht mein
Wort gehalten, in das Elementarwerk Nichts ein-
zuflechten, was den ſymboliſchen Buͤchern irgend
einer Kirche zuwider waͤre? Habe ich nicht eben ſo
zuverlaͤſſig verſprochen, daß ich nach Endigung des
fuͤr alle Kirchen beſtimmten Elementarwerks ein
kleines Buch zum Unterrichte im apoſtoliſchen
Chriſtenthume nach meiner gepruͤften Einſicht, die
von den Lehrſaͤtzen der Kirche abweicht, ſchreiben
und bekannt machen wolle? War ich nicht zu die-
ſem Verſprechen eben ſo ſehr verbunden, als zu
jenem? Habe ich nicht Familie und Nachkommen,
die ich nach meinem Gewiſſen unterrichten laſſe?
Sind
(*)
Sind denn gar keine Chriſten und anfangs Zweifler,
denen mein Buch angenehm und heilſam iſt? Habe
ich Einziger perſoͤnliche Jrrthuͤmer, werden ſie etwas
gegen die Wahrheit vermoͤgen, fuͤr welche von
Stimmen und Federn bey Tauſenden taͤglich geſtrit-
ten wird, und in ſo viel hundert Jahren geſtritten
iſt? Wuͤrden die Jntoleranten auch aus boͤſer Ab-
ſicht mich nicht meines Verſprechens erinnert, und
mir die vor ſieben Jahren geſchriebne Dogmatik
vorgeworfen haben? Man ſage mir Nichts von Ge-
fahr der aͤuſſerlichen Wohlfahrt durch die Geſetze die-
ſes und jenes Landes. Denn fuͤr Gewiſſensfrey-
heit bin ich ja ſchon gewohnt, Alles zu wagen;
und Gott hat mich bisher bewahrt, zur Bewunde-
rung der Freunde und Feinde. Kurz, als Erfin-
der, Fuͤrſorger und Mitarbeiter an dem Philan-
thropinum fuͤr die Jugend verſchiedener Kirchen,
bin ich nicht ihr Prieſter und Lehrer in Kirchen-
ſachen. Das uͤberlaſſe ich Andern, die dazu einen
aͤuſſerlichen Beruf haben, und lege keinem Uner-
wachſenen ein Hinderniß in den Weg, griechiſch-
eatholiſch- lutheriſch- reformirt- menonitiſch- armini-
aniſch-rechtglaͤubig zu werden. Wer, wie ich, ſehr
offenherzig iſt, der pflegt mehr Wort zu halten, und
und iſt auch faͤhiger dazu, als ein jeder Andrer, der
nicht, wie ich, mit Wahrheit ſagen kann, daß er in
der Religionsſache kein Wort im Herzen habe, das
man nicht gedruckt lieſet. Dieſe Antwort war ich den
Verſtaͤndigſten und Edelſten meiner Freunde ſchuldig.
(*)
1) Es wird ein neuer liber memorialis puerilis
gemacht, nicht daß die Schuͤler das Buch memoriren,
ſondern daß die Lehrer (davon Dieſem dieſes, Jenem
jenes fehlt, oder bisher ungewoͤhnlich iſt) ihren De-
fect erſetzen, und auch mit der Zeit die aͤhnlichen De-
fecte der Lernenden erfahren und erſetzen ſollen.
Dieſer liber memorialis hat folgende kleine Theile:
a) Primitiva cum derivatis (einige ausgenommen)
geordnet, vermuthlich nach den Claſſen der Sachen,
welche durch die Primitiven bedeutet werden. Das
Teutſche wird nur beygeſetzet, wenn ein Menſch,
der ſich im Leſen, Reden und Schreiben der lateini-
ſchen Sprache lange bedient hat, der Bedeutung eines
Worts dennoch vielleicht verfehlen, und dadurch in
Leſung der Autoren Hinderniß finden koͤnnte. b)
Grammaticalia exempla ex auctoribus claſſicis.
c) Materia exercitii in emendandis ſermonis
vitiis.
Dies ſind kleine Stuͤcke von mancherley Jn-
halte, worinnen mit Fleiß und nach Abſicht Fehler
gegen die Grammatik begangen ſind. d) Ars latine
loquentium, chartis, teſſeris aliisque inſtrumen-
tis ludendi.
e) Sylloge proverbiorum puerili
accommodata ætati.

2) Liber memorialis juvenilis. Dieſes Buch hat
Folgendes: a) Subſidia ad juvandam auctorum
claſſicorum aliorumque lectionem.
Hiebey koͤmmt
auch das Nothwendige aus den roͤmiſchen und andern
Alterthuͤmern vor b) Excerpta lexici Antibarbari
Nolteniani aliorumque Grammaticorum.

3) Chreſtomathia Auctorum in verum noſtri
ævi uſum adornata.
Dabey bleibt weg alles Mo-
raliſch-Schaͤdliche; alles jetzund Unnuͤtze; alles (nach
der Sacherkenntniß) Schlechtere in Vergleichung mit
dem
(*)
dem Beſſern derſelben Art. Von einer ſolchen Chre-
ſtomathie hat man bisher keinen Begriff gehabt. Jch
habe zum Drucke fertig, die Verkuͤrzung der mora-
liſchen Buͤcher des Cicero; imgleichen einen Auszug
des Lactanz und der Geſpraͤche des Eraſmus. Solche
Chveſtomathien muͤſſen unverſtuͤmmelte Abhandlun-
gen oder ganze Buͤcher ſcheinen; oder es muͤſſen die
einzelnen kurzen Stuͤcke unter Realclaſſen gebracht
werden. Die vernuͤnftige Welt muß, auch ohne die
geringſte Abſicht auf die Sprache oder Schriftſteller-
kunſt, eine ſolche Schrift als eins der beſten Buͤcher mit
Nutzen und Vergnuͤgen leſen. Jch kenne noch keine
Chreſtomathie eines ganzen Autors, die nicht die
groͤßten Fehler haben ſollte. Wenn die beſſern erſt da
ſind, ſo koͤnnen ſie zur Handbibliothek, zur taͤglichen
Lesuͤbung, ſowohl der Lehrer als der erwachſenen Lehr-
linge der lateiniſchen Sprache und der Wiſſenſchaften,
gehoͤren, den Verſtand nicht nur auf die vollkommenſte
Art zu erleuchten, ſondern auch das Herz (wozu man-
che Stellen der Autoren nicht taugen) taͤglich zu ver-
beſſern. Da wird man ſehen, daß (auſſer der Mathe-
mathik und Naturkunde, und auſſer dem, was ge-
offenbaret iſt) die Neuern nichts wiſſen, was nicht
irgend ein Alter auch gewußt und beſſer geſagt haͤtte,
als man es jetzund zu ſagen pflegt. Jn der Jugend
konnte ich die Alten nicht lieben. So werden ſie in
Schulen behandelt. Jn maͤnnlichen Jahren aber
habe ich zu ſelbſtthaͤtig dazu werden muͤſſen. Jetzund
endlich habe ich ein Dutzend der Alten nach der Reihe
mit groſſem Nutzen und Vergnuͤgen durchgeleſen,
und bedaure, daß ich ehemals, an Statt viele ent-
behrlichere Arbeiten vorzunehmen, nicht lauter Chre-
ſtomathien aus den Alten gemacht, mit einigen auf
E 2unſre
(*)
unſre Zeiten ſich beziehenden Anmerkungen begleitet,
und zum Nutzen ungelehrter Leſer gute Ueberſetzun-
gen derſelben veranſtaltet habe. Denn aus den
Alten ſelber (ohne Auszug) genug Vernunft und
Wahrheit zu lernen, iſt fuͤr die Menſchen zu ſchwer
und koſtet uͤberfluͤſſige Zeit. Sie ſchrieben nicht un-
ſerm, ſondern ihrem Jahrhundert. Jndem ich die
Alten nenne, rechne ich einige Neuere mit, welche
wegen der Aehnlichkeit des Geiſtes auch alte Autores
zu heiſſen verdienen, und wegen des Jnhalts bey
uns claſſiſcher ſeyn muͤſſen, als die Alten. Hier
denke ich vorzuͤglich an Erneſti initia doctrinæ ſoli-
dioris.
Dies iſt eins der wenigen Lehrbuͤcher, wel-
ches jaͤhrlich durchzuleſen, ſowohl um des Vergnuͤ-
gens als Nutzens willen, ein Freund der Wahrheit
und Wohlredenheit ſich auch im 50ſten Jahre zur
Regel machen kann. Dennoch glaube ich, daß eine
Chreſtomathie aus dieſem Buche fuͤr die Jugend noͤ-
thig ſey. Denn (zugeſchweigen, daß unbedeutende
und jetzund entſchiedene Diſputationen der Alten zu
oft vorkommen) hat der Herr Verfaſſer, den Neue-
ren zu Gefallen, zu oft den Satz vom Widerſpruche
und vom zureichenden Grunde brauchen wollen.
Auch iſt er in uͤberfluͤſſige Wiederholungen gefallen,
weil er einem jeden der beſonders benamten Theile
der Philoſophie (deren Anzahl zu groß iſt) Form
und Umfang beybehalten wollte. Das iſt meine
Meynung, welche jeder lehrhafte Freund der ſtudi-
renden Jugend pruͤfen mag.
(*)
Die Beſoldung jedes Jahres iſt aber durch den
Kornpreis auf folgende Art veraͤnderlich. Die ge-
Fſagte
(*)
ſagte Summe ſetzt voraus, daß der Berliner Schef-
fel Roggen einen Reichsthaler gelte. Der Markt-
preis 4 Wochen nach Oſtern und nach Michaelis
wird berechnet, und ein Jahrpreis daraus gemacht.
Nun iſt der Jahrpreis eines Scheffels um gewiſſe
Groſchen geringer oder groͤſſer. Das Sechsthel die-
ſes Unterſchiedes wird auf jeden Beſoldungsthaler
entweder zugelegt oder abgezogen.

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CC-BY-4.0
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2025). Basedow, Johann Bernhard. Das in Dessau errichtete Philanthropinum. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bpds.0